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Full text of "Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark"

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1 


ZEITSCHRIFT 

DES 

HISTORISCHEN  VEREINES 

FÜR 

STEIERMARK. 


-^n^ 


HERAUSGEGEBEN  VON  DESSEN  AUSSCHüSS. 


REDIGIERT  VON 

DR.  ANTON  KAPPER. 


IV.  JAHRGANG. 


GRAZ  1906. 

IN  KOMMISSION  DER  VERLAGS-BUCHHANDLUNG  „LEYKAM" 


Inhalt  des  IV.  Bandes. 


I.  und  IL  Heft. 

Seite 
Oberst  Friedrich  Marx.  Ein  Palmenblalt  auf  sein  Grab.  Von  Ignaz  Beck  .  1 
Die  Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Steiermark.  Von  Karl  Lacher  .  .  19 
Das  Haus  Stubenberg  in  Böhmen.  Von  Professor  Johann  Loserth  ...  33 
Die   deutschen  Besiedlungen  Siebenbürgens   in   älterer  und  neuerer  Zeit. 

Von  Karl  Reissenberger 48 

Wallenstein    und    die    deutsche    Armeesprache.    Von    Ferdinand    Strobl 

V.  Ravelsberg 67 

Literaturberichte : 

Lang,  Akta  Salzburgo-Aquilejensia  (J.  Loserth) 76 

Schiffmann,    Archiv    für    Geschichte    der    Diözese    Linz,    U.    Band 

(M.  Doblinger)      76 

Andrian,  Die  Altausseer  (F.  Khull) 77 

Kekule  v.  Stradonitz,   Ausgewählte  Aufsätze   aus  dem  Gebiete,  des 

Staatsrechtes  (F.  Khull) 78 

V.  Pantz,  Die  Innerberger  Hauptgewerkschaft  (J.  Schmut)  ....     79 
Styriaca  in  den  Mitteilungen  der  k.  k.  Zentral-Kommission      ...     81 

Historischer  Atlas  der  österreichischen  Alpenländer 83 

Das  deutsche  Rechtswörterbuch  (E.  Freiherr  v.  KOnssberg)    ...     84 

Strobl  V.  Ravelsberg,  Metternich  und  seine  Zeit 86 

Mayer,  Historische  Streifzäge  durch  Klagenfurt 87 

Zeitschriftenschau 88 — 90 

Wesen  und  Aufgaben  der  historischen  Geographie    (H.  Beschomer.) 

—  Ed.  Richter.  (G.  Lukas.)  —  Beiträge  zur  Namenforschung 
aus  Steiermark.  (Fr.  Ilwof.)  —  Von  alten  steirischen  Arbeitsstätten. 
(V.  Pogatschnigg.)  —  Altsteirische  Wohnräume  im  Landesmuseum 
zu  Graz.  (K.  Lacher.)  —  Die  österreichische  Grundsteuer.  (Fr. 
Freiherr  v.  Mensi-Klarbach.)  —  Pettau  als  Grenzfeste.  (H.  Pirch- 
egger.)  —  Aus  Pettaus  Römerzeit.  (H.  Pirchegger.)  —  Archiva- 
lische  Beiträge  zur  Geschichte  Pettaus  und  des  Pettauer  Feldes. 
(H.  Pirchegger.)  —  Anselm  Hüttenbrenners  Erinnerungen  an 
Schubert.  (O.  E.  Deutsch.)  —  Aus  dem  Revolutionsjahre  (ii.  bis 
31.    Oktober  1848.)    —    Kaiser   Max   von  Mexiko.  (O.  Weber.) 

—  Bosnien.  (Ed.   Richter.) 


v^ 


S«ite 

Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen 90 — 93 

Historische  Landes-Kommission  für  Steiermark.  —  Die  IX.  Ver- 
sammlung deutscher  Historiker  in  Stuttgart.  —  Die  Gesellschaft 
für  neuere  Geschichte  Österreichs.  —  Historische  Gesellschaft 
an    der  Wiener  Universität.  —  Historischer  Verein   in    Kufstein. 

—  Historischer  Stadtsaal  in  Brixen.  —  Der  internationale  Kon- 
greß für  historische  Wissenschaften.  —  Die  Badner  Fälschungs- 
affaren. —  Verein  für  Landeskunde  von  Niederösterreich.  — 
Jahresversammlung  des  Gesamtvereines  der  deutschen  Geschichts- 
und Altertumsvereine  und  VI.  deutscher  Archivtag.  —  Archivrat. 

—  Steiermärkisches  Landesarchiv.  —  Gleispachisches  Familien- 
archiv. —  Das  steiermärkische  Statthaltereiarchiv.  —  Deutsches 
Ordens-Zentralarchiv.  —  Malteserordens-Archiv.  —  Das  k.  u  k. 
Kriegsarchiv.  —  Das  städtische  Ferk- Museum  in  Pettau.  — 
Ausstellung   alter  Städtebilder  des  mährischen  Gewerbemuseums. 

—  Der  Cillier  Museal  verein, 

Vereinsnachrichten 94 

Dr.   Johann  Nep.  Graf  zu  Gleispach  f 99 

Nachricht 100 

HL  und  IV.  Heft 

Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst.  Von  Franz  Ilwof ,    .  101 

Über  die  Anfange  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark.  Von  Alexander  Meli  137 
Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters.  Von  Otto  Erich  Deutsch  172 
Literaturberichte : 

Ed.  Richter,  Jul    Strnadt,  A.  Meli  und  H.  Pirchegger,  Historischer 

Atlas  der  österreichischen  Alpenländer  (Hans  Vuönik)      ....  225 
Martin    Franz,    Dr.,    Die    kirchliche    Vogtei    im    Erzstifte  Salzburg 

(Richard  Meli) 229 

Löschner  H.,  Dr.,  Über  Sonnenuhren  (Dr.  phil.  K.  Hafner)        .    .  230 
Meli  A.,    Bericht  Ober  die  Vorarbeiten  zur  Herausgabe  des  Ergän- 
zungsbandes der  steirischen  Taidinge 234 

Wostry  W.,  Dr.,  König  Albrecht  II.,   1437 — 1439  (Max  Doblinger)  234 
Stegensek  Augustin,  Cerkveni  spomenicki  Lavantinske  äkofije  (Kirch- 
liche Denkmäler  der  Lavanter  DiOzese) 235 

Wimbersky  H.,    Dr.,    Eine    obersteirische  Bauerngemeinde    in  ihrer 

wirtschaftlichen  Entwicklung  I498 — 1899 236 

Kapper  A.,  Dr.,  Der  Festungsbau  zu  Fürstenfeld   1556 — 1563    .    .  237 

Grießl  A.,  Dr.,  Geschichte  des  Diözesan-Priesterhauses 237 

G.  S.,  Aus  Brucks  Vergangenheit.  —  Geschichtliche  Streifzüge.  — 

I.  Der  Schreckenstag  von  1792  (K.  Hafner) 237 

Lacher  K.,  Führer  durch  das  steiermärkische  kulturhistorische  und 
Kunstgewerbe-Museum  zu  Graz 238 


Seite 

Zcritschriftenschau      239 — 244 

Maximilian  I.  (Karl  Fuchs.)  —  Zur  Geschichte  der  Gegenreformation 
in  Innerosterreich.  (J.  Loserth.)  —  Indigenat  und  Inlcolat. 
(v.  Luschin.)  —  Böhmisches  aus  den  steiermSrkischen  Archiven. 
(J.  Loserth.)  —  Steiermärkische  Gvsohichtsschreibung  von  1850 
bis  in  die  Gegenwart.  (Fr.  Ihvof.)  —  Historisch-geographische 
Probleme  (O.  Redlich.)  —  Beitrage  zur  neueren  Geschichte 
Österreichs.  —  Studien  zum  älteren  österreichischen  Urkunden- 
wesen. (Freih.  v.  Mitis.)  —  Verzeichnis  des  Kueüsteinschen 
Familienarchives  in  Greillenstein  aus  dem  Jahre  1685.  (GrafKuef- 
stein.)  —  Aus  der  protestantischen  Zeit  von  Leoben  (J.  Loserth.) 
—  Erneuerte  und  erweiterte  Weisungen  gegen  die  obersteirischen 
Protestanten  aus  dem  Jahre  1764.  (K.  Reissenberger.)  —  Ein 
Verzeichnis  der  durch  den  lO  Pfennig  in  Unterkrain  eingezogenen 
Strafgelder  in  den  Jahren  161 4 — 1618  (F.  Ahn.)  —  Steirische 
Transmigranten  in  Siebenbürgen.  (K.  Reissenberger.)  —  Kaiser 
Josef  II.  als  Volkswirt.  (Fr.  llwof.)  —  Die  Auflösung  des 
Deutschen  Reiches.  (O.  F.  Gensichen.)  —  Stanimbuchblätter  aus 
dem  Jahre  1848.  (Fr.  Uwof.)  —  Kaiserreise  vor  50  Jahren  (Th. 
Arbeiter.)  —  Franz  Graf  von  Meran.  (Fr.  Ihvof.)  —  Die  prag- 
matische Sanktion.  —  Ein  Rückblick  auf  1866.  —  Aus  dem 
Tagebuche  des  Freiherm  von  Poche.  (F.  Menöik.)  —  Biographi- 
sches Jahrbuch  und  deutscher  Nekrolog.  (A.  Bettelheira.)  —  Die 
Kaisergruft  im  Dome  zu  Speyer.  (H.  Granert.)  —  Die  Schlachten 
bei  Custozza  vor  38  und  vor  40  Jahren.  (E.  Nowak.)  —  Das 
historische  Interesse  der  modernen  Gesellschaft.  (A.  Dopsch.)  — 
Theodor  Ritter  von  Sickel  (B.  Bretholz.) 

Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen 244 — 252 

Hauptversammlung  des  Gesamt  verein  es  der  deutschen  Geschichts- 
und Altertumsvereine  und  der  VI.  deutsche  Archivtag  in  Wien, 
24. —  28.  September  1906.  —  Bericht  der  Kommission  für  neuere 
Geschichte  Österreichs  für  das  Jahr  1905-06.  —  Oberösterrei- 
chischer Gcschichts verein.  —  Steiermärkisches  Landesarchiv.  — 
K.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv.  —  Römische  Meilen- 
steine bei  Deutschfeistritz  (Prof.  O.  Cuntz.)  —  Hintanhaltung  des 
Verkaufes  und  'der  Ausfuhr  von  Altertümern.  —  Ein  Wappen- 
fälschungsprozeß. 


IV.  JAHRGANG.  1.  UND  2.  HEFT. 


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•  Hl 


ZEITSCHRIFT 

DES 

HISTORISCHEN    VEREINES 

pÜR 

STEIERMARK. 


c^aa 


HERAUSGEGEBEN  VON  DESSEN  AUSSCHUSS. 


REDIGIERT  VON 

(  DR.  ANTON  KAPPER. 


GRAZ  1906. 

IN  KOMMISSION  DER  VERLAGS-BUCHHANDLUNQ  .LEYKAM". 


Oberst  Friedrich  Marx. 


Oberst  Friedrich  Marx. 

Ein    Palmenblatt   auf  sein    Grab. 
Von  Ignaz  Beck,  k.  u.  k.  Oberleutnant 


Pax,  der  Friede,  breitet  seine  Schwingen  seit  Jahr  und  Tag 
über  das  Grab  eines  friedlichen  Mannes.:  Zwar  führte 
das  Schwert  an  seiner  Seite  ehrenvoll  ein.;, lichtes  Eisenleben "^, 
aber  '  auch  .  die  Leier  war  dem  Krieger  nicht  ,  fremd;  So 
schmückte .  er  seine  .Tage  mit  edlem  Lied  und  edler  Tat  und 
wurde  im  harten  Strauß  des  Lebens  ein  Greis  mit  silbernem 
Haan'  'Dann  schlug  auch  seihe  Uhr.  Un^  jetzt  , legt,  der 
Historische.  Verein  in  dankbarer  Pietät  ein  Palmenblatt  auf 
das  Grab  des  Dichtersoldäten.     .:  .  .  .       :  ' 


.  .  ^  Marx  hat  eine  kurze 'Lebensskizze  zurückgelassen.*,  Seine 
Eamflie,  Tiroler  Ursprungs,  war  noch  Ende  'des  17.  Jahr*: 
hunderts  in  Deutschmetz  ansässig  ^und  wanderte  .später  nach 
Kärnten  ;aus.2  Der  Großvater  (väterlicherseits)  beklerdete  die 
Stelle  eines  Pflegers  (Amtmannes)  der  Fürstbischöfe  vonGurk; 
er  hatte,  seinen  Amtssitz  zu  Straßburg  im  Gurktal.  Der  Vater 
des  Dichters  war  Verweser  der  Eisengewerkschaften  zu  St^in- 

*  Wir  besitzen  außer  der  großen  Zahl  von  Nekrologen  eret  eine  des 
Dichters -Leben  und  Schaffen  breiter' umfassende  1  Arbelt.  *  Es  sind: zwei  _Auf-. 
Sätze  Sr.  Exz.  des  FZMs.  Reichsfreiherrn  von  Teuffertbach  in  der  „Vedette**. 
{1905.     Nr.  V  758— 9.)  .    •      -  :     •      , 

•  *  Das 'Wappen  besteht  aus  dem  Schild  und  darüber  dem  geschlossenen 
Visier.  Ersterer  ist  geviert;  links  oben  und  rechts  unten:  rotes  Buch  und 
Feder  in  goldenem  Felde ;  in  den  anderen  Zweien :  gelbe,  aufstehende  Löwen 
in  schwarzem  Felde.  Über  dem  Schilde  befindet  sich  ein  Löwe,-  auf  dem 
Visier  stehend,  welcher  in  einem  Buche  schreibt.  Den  Schild  umgibt  Blatt- 
werk. Bogenförmige  Überschrift :  „Wer  auf  Gott  vertraut,  hat  woll  gebaut." 
Unten;  „1682,  Mathias  Marx,  Gerichtsschreiber  in  Teitschmez." 


2  Oberst  Friedrich  Marx. 

feld  in  Oberkärnten,  Hier,  in  dem  heute  noch  bestehenden 
Verweserhause,  wurde  Marx  am  20.  September  1830  geboren. 
Mit  sechs  Jahren  kam  er  nach  Klagenfurt  in  die  Schule ; 
1841 — 49  absolvierte  er  das  Gymnasium  in  Laibach.  In  einem 
Briefe  vom  18.  Juni  1846  teilt  er  seinen  Eltern  mit,  daß  er 
seit  22.  April  —  Dichter  sei !  Er  übersandte  sein  erstes  Lied 
dem  „Illyrischen  Blatte" ;  es  wurde  nicht  angenommen,  aber 
die  Antwort  lautete:  „Nur  vorwärts  zum  Parnaß!"  Der  er- 
wähnte Brief  enthält  das  Gedichtlein  „Röschen  und  Schmetter- 
ling". Aber  die  Zeit  hatte  Eisenzähne.  „In  deinem  Lager 
ist  Österreich!"  tönte  es  mächtig  durch  die  Herzen  unserer 
Jugend.  Da  eilte  Marx  nach  Klagenfurt  und  ließ  sich  unter  die 
Fahnen  Radetzkys  werben:  am  10.  April  1849  wurde  er  als 
Kadett  zum  heimischen  Jnfanterieregiment  Nr.  7,  damals  Ffei- 
herr  v.  Prohaska,  assentiert  und  beeidet.  In  mehr  als  zwanzig 
Fußmärschen  ging  es  nun  an  dem  belagerten  Venedig  vor- 
über nach  Piacenza  am  Po,  wo  die  „Siebner"  damals  in 
Garnison  lagen :  überall  Truppen,  überall  lustiges  Soldatenleben. 
Auf  einem  dieser  Märsche  —  es  war  zu  Piadena  —  sah  er 
den  greisen  Marschall,  der  seinen  Gruß  mit  freundlichem 
Kappenschwenken  erwiderte.^  Im  Dezember  wurde  Marx 
Leutnant,  1857  Oberleutnant.  Inzwischen  lernte  er  Lodi, 
Cremona,  Pizzighettone,  Paviä,  Como  und  Mailand  durch 
längeren  und  kürzeren  Aufenthalt  kennen.  Hier  war  es  der 
kunstsinnige  General  Wilhelm  von  Marsano,^  selbst  Dichter, 
der  in  dem  jungen  Offizier  den  schlummernden  Liederfrühling 
weckte.  1856  schon  konnten  die  Jugendgedichte  gesammelt 
werden.  Im  Jänner  1858  wurde  Marx  zum  1.  Gendarmerie- 
regiment nach  Wien  übersetzt,  kam  bald  nach  Komeuburg, 
Gmunden,  Ischl  und  1860  nach  Krems.  Hier  lernte  er  seine 
nachmalige  Lebensgefährtin  kennen,  die  zum  Besuche  ihrer 
verheirateten  Schwester  im  Städtchen  weilte:  es  war  Therese 
Pesendorfer,  die  Tochter  des  um  die  Eisenindustrie  Steier- 
marks  hochverdienten  Josef  Pesendorfer  in  Graz.  Am  23.  No- 
vember 1861  führte  Marx  die  Braut  in  der  Grazer  Gamisons- 
kapelle  zum  Altar.-^  Bis  1863  weilte  der  Dichter  hier,  gab 
die  Gedichtesammlung  „Gemüt  und  Welt"  heraus  (i862, 
Wien,    bei  Manz),    desgleichen    das   Trauerspiel    „Olympias" 


*  Brief  vom  7,  Mai  an  die  Eltern» 

2  Vgl,  Wurzbach.  Biogr.  Lex.  XVII. 

ä  Sie  befand  sich  damals  in  der  Bürgergasse.  Die  Trauung  vollzog 
d^r  unvergeßliche  Hebenstreit,  Als  sein  Steinbild  ah  der  Domkirche  ent- 
hüllt wurde  (1903)»  hörten  wir  Marx*  Festprolog, 


Von  Ignaz  Beck«  3 

(1863,  Wien,  bei  MarkgrafF).  Auf  seine  Bitte  wurde  er  1864 
zum  Infanterieregiment  Nr.  17  eingeteilt  und  rückte  in  Pola 
zum  Hauptmann  vor.  Ein  Jahr  darauf  kam  seine  Übersetzimg 
zu  Nr.  16.  Auf  einer  Dienstreise  von  Treyiso  nach  Mainz, 
wo  das  Regiment  als  Teil  der  Besatzungstruppen  der  damaligen 
Bundesfestung  gamisonierte,  lernte  er  Süddeutschland  und  die 
Rheingegend  kennen.  Im  Frühjahre  1866  erkrankte  er  an 
einem  bösartigen  Halsübel,  *  konnte  dem  Regiment  auf  die 
böhmischen  Schlachtfelder  nicht  folgen  und  trat  in  den  zeit- 
lichen Ruhestand.  Nun  vergehen  zehn  Jahre  angestrengter, 
vielseitiger  literarischer  Tätigkeit  in  Graz.  Oft  spielt  die  Sorge 
für  die  große  Familie  mit.^  Ein  echt  deutsches  Pro  aris  et 
focis!  machte  den  Dichter  zeitlebens  zum  glücklichsten  Haus- 
vater. Marx  war  Vorstand  des  steiermärkischen  Schriftsteller- 
vereines und  stand  mit  allen  Literaten  in  regem  Verkehr.  In 
den  Denkmalkomitees  für  Walter  von  der  Vogelweide,  Ana- 
stasius  Grün  und  Hans  Gasser  wirkte  er  tätig  mit.  Am 
1.  Jänner  1877  wurde  er  als  Hauptmann  in  die  aktive 
k.  k.  Landwehr  übernommen,  absolvierte  den  Stabsoffiziers- 
kurs, kam  abermals  nach  Krems  und  fand  im  Hause  des 
Dichters  Dr.  Josef  Pollhammer,  eines  Steiermärkers,  freund- 
liche Aufnahme.  Ende  1878  finden  wir  ihn  in  Pisino,  1881 
als  Major  in  Mährisch- Weißkirchen,  1884  und  drei  weitere 
Jahre  als  Land wehrkommando- Adjutant  neben  FZM.  Baron 
Kuhn  in  Graz.  Im  November  1887  übernahm  Marx  als 
Oberstleutnant  das  Kommando  des  Landwehr-Bataillons  Nr.  26 
in  Klagenfurt,  1889  jenes  des  steirisch-kämtischen  Landwehr- 
Infanterieregiments  Nr.  4  imd  wurde  1890  Oberst.  Nach 
33jähriger  Dienstzeit  trat  er  im  Juni  1892  in  den  Ruhestand 
und  übersiedelte  nach  Graz.  Im  Nachlaß  befindet  sich  der  letzte 
„Gefechtsbericht**,  datiert  aus  Cestiek,  nördlich  St.  Georgen, 
den  1.  September  1891.  Er  hat  es  also  doch  bis  zum  Obersten 
gebracht:  sein  gerader  Soldatensinn  war  dadurch  redlich  be- 
lohnt. Er  besaß  das  Militär- Verdienstkreuz,  die  Verdienst- 
medaille am  roten  Band,  die  Kriegsmedailje,  die  Jubiläums- 
Erinnerungsmedaille  imd  das  Dienstzeichen.  1894  traf  ihn  der 
herbste   Schmerz:    er   wurde  Witwer.     Langsamer   fielen   die 

1  Brief  vom  13.  Mai  an  die  Eltern. 

*  Die  sechs  Kinder  sind  heute:  Stephanie:  als  Frl.  Hildburg,  Hof- 
schauspielerin (Tragödin)  zu  Hannover;  Friederike:  Frau  Professor  Pichler 
in  Klagenfurt;  Helene:  Malerin;  Viktor:  k.  u.  k.  Hauptmann  im  Pionnier- 
bataillon  Nr.  7 ;  Gisela :  Schulschwcster  Gonzaga  im  Mutterhause  des  Ordens 
zu  Menzingen  (Schweiz);  Walter,  k.  u.  k,  Oberleutnant  im  Landwehr- 
Ulanenregiment  Nr.  3. 


4  Oberst  Friedrich  Marx. 

Körhlein  im  Stundenglase.  Aber  dem  ehrwürdigen  Greise 
hat  der  liebe  Gott  noch  manche  Stunde  reiner  Herzensfreude 
beschert :  im  Leben  und  in  seiner  Kunst.  Es  war  ein  reicher, 
goldener  Herbst  ... 

Wer  kennt  nicht  Anastasius  Grüns  farbenprächtiges 
Gedicht  „Max  und  Dürer"  ?  Zu  Augsburg  ist's,  auf  dem  Reichs- 
tag, da  malt  Meister  Albrecht  noch  einmal  den  Kaiser :  die  Land- 
schaft, „vom  Spätherbst  karg  verklärt**,  wie  sich  Max  aus- 
drückt. Aber  es  gelingt  nicht  recht:  „Noch  bitt  ich  eins, 
mein  Kaiser,  seht  nicht  so  finster  drein!**  Das  Augenblickliche, 
Zufallige,  Zeitliche  wollte  der  Meister  gebannt  wissen:  ihm 
dürstete  nach  jenem  ^alten**  Kaiser,  dem  er  so  oft  ins  treue 
Aug  lachen  durfte.  Er  hätte  ihn  gern  zurückversetzt,  um 
aus  dieser  Entfernung  sein  Konterfei  einer  späteren  Zeit  zu 
überliefern.  Ihm  fehlte  also  die  Zeitdistanz  ...  Sie  mangelt 
allen,  welche  nach  dem  Tode  bedeutender  Menschen  über 
diese  schreiben  sollen.  Das  Zu  früh !  drückt  ihrer  Arbeit  das 
Stigma  der  Unzulänglichkeit  auf.  Und  so  sind  wir  auch 
heute  nicht  imstande,  Friedrich  Marx*  Stellung  in  der  Geschichte 
unseres  Schrifttums  scharf  zu  fixieren.  Noch  ist  das  letzte 
Ährengold  vom  Emtefelde  unseres  Dichters  nicht  eingebracht.  * 
Noch  ist  der  umfassende  Briefwechsel'-*  ausständig,  der  sich 
als  wohltuender  Rahmen  um  das  Lebensbild  des  Verstorbenen 
schließen  wird. 

Unter  den  Kärntner  Poeten  ist  er  mit  dem  vergessenen 
Tschabuschnigg  und  dem  gelästerten  Fercher  der  Dritte  im 
Bunde.  Besaß  der  eine  viel  Form,  der  andere  mehr  Kraft, 
so  hatte  Marx  am  meisten  —  Herz.  Seine  Kunst  hat  er  im 
Lied,  in  der  Ballade,  im  Drama  und  der  Erzählung  wacker 
betätigt.  Mit  dem  ersteren  wird  er  alle  anderen  überdauern. 
Für  die  Geschichte  zeigte  er  eine  besondere  Vorliebe ;  er  ver- 
band mit  ihr  einen  rührigen  Sammeleifer,  dessen  Früchte  ihm 
jederzeit  gut  zustatten  kamen.   Durch  seine  Sprachgewandtheit 


1  Der  poetische  Nachlaß  ist  in  Händen  der  feinsinnigen  Dichterin 
Fräulein  Irene  von  Schellander  in  Triest.  Sie  war  Marx  kindlich  ergeben 
und  widmete  ihm  ihren  ersten  Gedichtenband  „Tannenbruch"  (Dresden  und 
Leipzig,  Pierson,  1902).  :  Eine  der  letzten  großen  Freuden  des  Obersten 
war  es,  als  sie  bei  den  heurigen  Kölner  Blumenspielen  zur  Königin  erwählt 
und  gekrönt  wurde. 

*  Weit  über  300  Briefe  sind  jetzt  bei  Hauptmann  Marx  gesammelt. 
Ihm  muß  ich  an  dieser  Stelle  für  so  manche  Förderung  dieser  Arbeit  den  auf- 
richtigsten Dank  sagen. 


Von  Ignaz  Beck.  5 

rückt  er  in  die  erste  Reihe  unserer  Übersetzer  vor.  Die  edle 
Form,  die  er  bei  fremden  Meistern  lernte,  blieb  ein  königliches 
Geschenk  seiner  Muse.  Man  erinnert  sich,  daß  er  als  junger 
Offizier  manches  Jahr  in  unseren  italienischen  Provinzen  zu- 
gebracht hat.  Welsche  Poeten  übertrug  er  zuerst  ins  Deutsche. 
Oft  habe  ich  von  Marx  gehört,  daß  er  einen  Dichter  über 
alle  der  Weltliteratur  stelle:  Dante!  .  .  Wir  können  dieses 
blühende  Lebenswerk  nicht  einer  Betrachtung  unterziehen, 
ohne  sein  Gewicht  mit  dem  Stein  des  Ethikers  zu  prüfen. 
Das  Ergebnis  entzückt.  Denn  es  ist  der  wunderbare  Edel- 
stein eines  guten  und  reinen  Menschenherzens,  welcher  unserer 
Wagschale  das  Gleichgewicht  hält.  Und  in  seinem  märchen- 
haften Gefunkel  spiegelt  sich  dies  Dichterleben  für  und  für. 
Ein  Mann,  in  dessen  Brust  alle  Gefühle  der  Zuneigung  leben 
und  weben,  von  der  Gottes-  imd  Nächstenliebe  bis  zum  Mit- 
leid mit  dem  Tiere,  1  ist  vor  Gott  der  berufene  Künstler.  Und 
daß  es  gerade  ein  kaiserlicher  Soldat  ist,  das  erfüllt  seine 
Kameraden  mit  gerechtem  Stolze  .  .  . 


Den  Zweig  und  Bann  seiner  Lyrik  bildet  die  Gedichten- 
sammlung „Gemüt  und  Welt^.  Sie  ist  1862  zuerst  bei  Manz 
in  Wien  erschienen  und  liegt  seit  1877  in  3.  Auflage  vor 
(Leipzig,  Ernst  Julius  Günther).  Spätere  Gedichte  finden  sich 
zerstreut  in  allen  deutschen  Anthologien^  und  in  etlichen 
Zeitschriften  ^  (z.  B.  im  ;, Heimgarten").  Einiges  aus  dem 
Nachlasse  hat  Irene  von  Schellander  in  Tagesblättern  ver- 
öffentlicht.^ Endlich  habe  ich  auch  Ungedrucktes  benützen 
dürfen.  In  ein  Exemplar  der  ersten  Ausgabe  (seinem  Sohne 
Viktor  gewidmet)  hat  Marx  zu  den  einzelnen  Gedichten  mit 
Bleistift    Zeit    und   Ort   der   Entstehung    vermerkt.     Zu   dem 


1  Seit  Jahren  war  Marx  Mitglied  des  Grazer  Tierschutzvereines. 

«  So:  Pfeifer,  Alpenklänge;  Bowitsch,  Nach  der  Flut;  Zettel,  Edel- 
weiß ;  Hub,  Deutschlands  Balladen-  und  Romanzendichter ;  Schrey,  Bausteine ; 
Fels,  Egeria ;  Landau,  Stammbuchblätter ;  Müller-Beilhack,  Für  den  Spessart ; 
Freiligrath- Album ;  Ballestrem-Lingg,  Deutsche  Skaldenklänge ;  Storm,  Deutsche 
Lyrik ;  Bern,  Deutsche  Lyrik ;  Avenarius,  Deutsche  Lyrik  seit  Goethes  Tod ; 
Gawalowski,  Steiermärkisches  Dichterbuch;  Scherer,  Deutscher  Dichter- 
wald u.  a. 

3  So :  Deutsche  Kunst  in  Bild  und  Lied ;  Deutsches  Künstler- Album ; 
Dioskuren;  Carinthia;  Neue  illustrierte  Zeitung;  Im  trauten  Heim;  Heim- 
garten; österreichische  Gartenlaube  u.  a. 

*  „Klagenfurter  Zeitung"  vom  21.  Juli  1.  J. ;  Lechners  Mitteilungen, 
Oktoberhett. 


6  Oberst  Friedrich  Marx. 

Frühesten  gehören  die  „ Stromlieder*  (Krems  l86o — 6l). 
Schon  auf  ihnen  liegt  der  Tau  eines  milden  Ernstes,  gesunder 
Lebensfreude,  schlichter  Frömmigkeit.     So  beginnt  eines: 

Da,  horch,  im  FÖhrengninde 
Klang  mir  zu  dieser  Frist 
Aus  holdem  Kindermunde: 
„Gelobt  sei  Jesu  Christ!" 

Ich  stand  am  Ufer  sinnend; 
Was  ich  so  heiß  gefühlt 
Hat  mir  hinunterrinnend 
Die  Flut  hinweggespült! 

Vom  Zollhaus  an  der  Donau  rühmt  er: 

Zwei  holde  Schwestern  stricken 
Und  singen  ein  Lied  dazu, 
Dort  wo  die  Rosen  nicken. 
In  gold'ner  Abendruh'. 

Mir  däucht,  es  war*  beschieden 
So  tiefe  Ruh*  dem  Dach, 
Seit  einst  der  Herr  im  Frieden 
Sein  Brot  mit  Zöllnern  brach. 

Aus  Krems  stammen  auch  die  „Zypressenzweige  auf 
Mariens  Grab"  mit  dem  herrlich -schönen  Trostworte  am 
Schlüsse : 

Wer  nur  ein  Grab  zu  hüten 
Auf  dieser  Erde  hat, 
Dem  fiel  von  seinen  Blüten 
Noch  nicht  das  letzte  Blatt! 

Noch  aus  Gmunden  (1859)  ^^^  ^^  ^^^  allerliebste  „Wan- 
derung" mitgebracht: 

Und  du  im  Busch  mit  dem  Silberschall 
Wer  hat  dich  her  verschrieben? 
Sag  an,  o  kleine  Nachtigall, 
Ob  denn  von  all  den  Lieben 
Nur  sie  daheim  geblieben? 

Wehmütig  klingen  die  „Abendlieder"  (Wien  1860),  von 
denen  dieses  ein  Muster  der  Stimmungsmalerei  ist: 

Ich  ruh'  am  Silberteich 
Gebettet  in  den  Rasen,  .    . 

Indessen  Zapfenstreich 
Im  Dorf  Dragoner  blasen. 


Von  Ignaz  Beck.  7 

Der  Töne  Vollgenuß 
Erregt  mich  söß  und  bange, 
Hell  wiehert  seinen  Gruß 
Mein  Rapp'  dem  trauten  Klange. 

Einst  wird,  Soldatenherz, 
Wenn  sie  dich  lang  begraben, 
Der  Kriegsdrommeten  Erz 
Wie  Liebchens  Sang  dich  laben. 

Bezeichnend  ist  die  Milderung  in  der  3.  Auflage.  Dort 
folgt  nach  der  zweiten  Strophe: 

Nun  denkst  du,  treues  Tier, 
An  fliegende  Standarten, 
An  manch  ein  gut  Quartier 
Auf  unsem  welschen  Fahrtep. 

Und  leise  klingt  ein  Ruf 
Uns  aus  entschwund'nen  Tagen  — 
Doch  morgen  soll  dein  Huf 
Zu  neuem  Glück  mich  tragen! 

Auch  das  „Kinderstübchen*'  ist  noch  vom  jungen  Marx 
(Wien  1861): 

Wie  in  Gottes  Kirche  trete 
Ich  in's  Kinderstübchen  traut, 
Und  zum  innigsten  Gebete 
Wird  mir  Kindes  Stammellaut. 

Aug'  der  Unschuld,  fromm  erhoben, 
Bist  mir,  was  dem  dunklen  Tal 
Heilverkündend,  glanzgewoben, 
Ist  der  gold'ne  Morgenstrahl! 

Himmelssegen  auf  die  Lippe 
Führ  ich  und  in's  Herz  mir  tau'n. 
Gleich  den  Hirten  an  der  Krippe, 
Hingesenkt  in  süßes  Schau'n! 

Demselben  Jahr  (Krems)  gehört  ;, Blond!"  an,  in  der 
3.  Auflage  unter  „Neue  Liebe"  12.  Der  Dichter  preist  Liebchens 
Haar,  vergleicht  es  mit  dem  gold  nen  Rosenkelch,  sieht  es  an 
Undinens  Gespielinnen,  sucht  es  bei  der  Engelschar  in  der 
heiligen  Nacht: 

Blond,  o  du  deutsches  Gold, 
Laß  mich  dich  singen. 
Selig  durch  deinen  Glanz, 
Grünenden  Myrtenkranz 
Dem  Liebchen  schlingen. 


8  Oberst  Friedrich  Marx. 

Zart,  rein  und  hoheitsvoll  ist  der  Ausdruck  der  Liebe 
im  Gedichtchen:  „Nur  von  ferne !" 

Ob  du  jemals  mir  gewogen? 
Ob  du  einmal  mein  gedacht? 
Schöner  Traum  —  du  bist  entflogen! 
Heller  Stern  —  du  sankst  in  Nacht! 

Doch  ein  Duft  ist's  sondergleichen. 
Der  in  Jahren,  still  durchlebt. 
Über  der  entsagungsreichen, 
Ungestand*nen  Liebe  schwebt! 

Er  zeigt  den  Dichter  auf  seiner  Höhe. 

O  frage  nicht,  woher  der  Stern. 
Dir  schön  durch  das  Gewölke  blinkt. 
Wo  ihm  bestellt  sein  Vaterhaus, 
Und  Ruh  dereinst  dem  MQden  winkt! 

O  frage  nicht,  woher  die  Macht, 
Die  aus  dem  Aug*  der  Liebe  grüßt. 
Genug,  daß  Stern  und  Auge  dir 
Die  gramumflorte  Seele  kOßt ! 

Freudeverheißend  schließt  das  ^Osterlied" : 

Und  wie  am  Ostermorgen 
Maria  ohne  Grauen 
Im  Gärtner,  mild  verborgen. 
Den  Heiland  durfte  schauen: 
So  sieht  vom  Blütenthrone 
Des  Frühlings  auf  dem  Plan 
Mit  seiner  Stemenkrone 
Der  Herr  uns  segnend  an. 

Das  letzte  Lyrische,  das  Marx  geschrieben  hat,  dürfte 
an  abgeklärter  Ruhe,  Innigkeit  und  Wohlklang  in  Österreich 
heute  kaum  seinesgleichen  finden: 

Duahnstesnicht. 

Du  ahnst  in  deiner  Demut  nicht. 
Was  dir  in  Blick  und  Wort  und  Lied, 
In  deiner  Seele  Himmelslicht 
Für  Reichtum  doch  der  Herr  beschied. 

O  denke  meiner  dann  noch  gern. 

Wenn  einst  die  Welt  dir  Kränze  flicht. 

Ein  süßer  Ton,  ein  holder  Stern, 

In  Gottes  großem  Weltgedicht!  („Heimgarten",  25. Jg.) 


Von  Ignaz  Beck.  i 

Die  Blüteninsel. 

Wenn  herbstlich  schon  die  Fluren, 
Und  mOd'  des  Flüßchens  Lauf, 
Da  steigt  aus  seinen  Fluten 
Die  Blumeninsel  auf. 

Mit  zarten,  weißen  Blüten, 
So  schwimmt  im  Wasser  kühl. 
Gleich  einem  Beet  von  Myrten, 
Der  Nymphe  HochzeitspfOhl. 

Es  ist  der  Traum  des  Frühlings, 
Den  sie  im  Schoß  gehegt. 
Um  den  sie  noch  in  Liebe 
Die  Arme  sterbend  legt. 

So  steigt,  bevor  zu  Ende 

Des  Erdenpilgers  Lauf, 

Der  Traum  des  Glücks,  der  Liebe 

Aus  Menschenherzen  auf.  (Ebd.) 

Mit  meinem  Bilde. 

Rings  herbstlich  tiefes  Schweigen, 
Die  Wälder  braun  und  fahl, 
Doch  spielt  noch  in  den  Zweigen 
Ein  milder  Sonnenstrahl. 

So  blieb  auch  mir  im  .Innern 

Vom  Lenz,  dem  ich  geglaubt, 

Ein  seliges  Erinnern 

Zum  Schnee  auf  meinem  Haupt.  (Nachlaß,  Okt.  1899.) 


Zu  erhabener  Größe  wächst  der  „Herbst" 

Welch  ein  Wandel  auf  der  Bühne 
Dieser  schönen  Gotteswelt, 
Wenn  im  Büßerhemd  zur  Sühne 
Sich  der  Herbst  ihr  zugesellt. 

Ja,  zur  Sühne  für  das  Prangen 
Aller  Wesen  im  Verein, 
Für  das  brünstige  Verlangen, 
Glücklich  und  geliebt  zu  sein. 

Einsam  schmückt  die  Herbstzeitlose 
Noch  die  Flur  am  Waldessaum, 
Doch  des  Frühlings  schönste  Rose, 
Ach,  entschwand  uns  wie  ein  Traum. 


10  Oberst  Friedrich  Marx. 

Nahe  scheint  die  Sterbestunde, 

Wie  des  toten  Glückes  Geist 

In  der  ungeheuren  Runde 

Klagend  dort  ein  Geier  kreist.  (Nachlafi,  Sept.  1899.) 

Nicht  minder  liebe  Blumen,  aber  nur  am  Rain  der 
blühenden  Wiese,  sind  die  epischen,  „ Soldatenbegräbnis ** 
stammt  noch  aus  Wien  (1859 — 60): 

Muß  ich  schon  begraben  sein, 
Sei  's  nach  Kriegerart, 
Grenadiere,  Bart  an  Bart, 
Tragen  mich  im  Schrein. 

Bärenmütze,  Säbel  drauf, 
Kreuz  und  Flor  daran; 
Schweigend  geht  der  Feldkaplari 
Vor  dem  Kriegerhauf. 

Trommelwirbel,  Klarinett, 
Rechts  und  links  geschwenkt! 
Kurz,  wenn  man  ins  Grab  mich  senkt, 
Kurz  nur  das  Gebet! 

„Kamerad,  o  schlaf  in  Ruh, 
Der  uns  treu  geliebt!" 
Eine  Hand  voll  Erde  gibt 
Jeder  noch  dazu. 

Schnurrt  das  Seil,  die  Salve  kracht. 
Lustiger  Marsch  erklingt; 
Da  im  Busch  die  Drossel  singt. 
Und  der  Himmel  lacht! 

Das  ist  echt  soldatisch,  gemütvoll  und  ohne  jede  Senti- 
mentalität. Auch  „Die  Ordensschwester*  konnte  nur  ein 
ernster,  feinfühlender  Soldat  schreiben.  Im  „Letzten  Sakra- 
ment" hat  Marx  dem  Herrn  Pfarrer  Unterkreuter  von  Ober- 
drauburg,  der  selbst  seiner  Mutter  die  letzte  Ölung  spenden 
mußte,  ein  dichterisches  Denkmal  von  erschütternder  Einfach- 
heit gesetzt.  An  den  Großonkel  seiner  Frau,  den  hochwürdigen 
P.  Magnus  Roeck  O.  S.  B.^  ist  das  schöne  Poem  „Auf  den 
Tod  eines  Landgeistlichen"  gerichtet.     Es  schließt: 

1  Der  gelehrte  Admonter,  hochverdient  um  das  heimische  Schulwesen, 
war  1805  Professor  der  Kirchengeschichte  und  des  kanonischen  Rechtes  an 
der  Grazer  Universität,  1815 — 27  Direktor  des  k.  k,  Konviktes  und  181 8 — 39 
Präfekt  des  Staatsgymnasiums.  Als  greiser  Pfarrer  zu  Frauenberg  erhielt  er 
die  Volksschule  fast  auf  eigene  Kosten  und  hinterließ  für  sie  eine  Stiftung. 
Wichner,  Admont  u.  s.  Bez.  zur  Wiss.  u.  z.  Unterr.  1892.  S.  I64,  i72, 
186  u.  a, 


Von  Ignaz  Beck.  11 

Ruh*  denn  aus,  vielteurer  Greis, 

Ob  dein  Name  auch  verschollen  bliebe, 

Legt  doch  auf  dein  Grabmal  leis 

Ihren  schönsten  Kranz  die  Menschenliebe. 

Wenn  die  Wallfahrt  im  Gefild 

Glocken  hoch  zürn  Frauenberge  laden. 

Sieht  manch  feuchtes  Aug*  dich  mild 

Mit  dem  Sakrament  auf  Waldespfaden 

Und  im  Festgewand  dich  noch  am  Bild  der  Gnaden ! 

Aus  ^Heimat  und  Fremde"  heißen  die  poetischen  Reise- 
bilder, von  denen  wir  Heiligenblut,  Göttweih,  die  Certosa 
nächst  Pavia  und  Pola  anmerken.  Phantastisch  und  grandios 
ist  »Der  Ritt*'.  Im  »Deutschen  General"  und  „Einem  der 
Helden  von  översee"  blitzt  es  von  kühnen  Taten  und  Tränen. 
Die  „Schnitterin"  zeigt,  was  die  Modernen  so  vergeblich  ver- 
suchen. „Notburga",  dem  Küstertöchterlein,  gebührt  das 
Kränzlein  unter  den  Balladen. 

In  Reih  imd  Glied  stehen  die  patriotischen  Gedichte  da : 
voran  die  ans  liebe  Kärtnerland.  Aus  1858  wissen  wir  von: 
, Vater  Radetzkys  Heimgang",  „Die  Marschallsgruft  in  Wetzdorf", 
„Österreichs  Soldat  an  der  Wiege  des  Kronprinzen";  1859: 
„An  Wiens  Freiwillige*^,  „Am  50.  Jahrestage  der  Schlacht  von 
Aspem".  Bowitsch'  Anthologie  „Nach  der  Flut**  (1862)  ent- 
hält ein  Gedicht  auf  den  Kaiser  bei  den  Rettungsarbeiten  in 
der  Brigittenau.  Zwei  prächtige  Gedichte  („Unser  Kaiser  auf 
dem  Königgrätzer  Totenfelde",  „Das  k.  u.  k.  Inf.-Reg.  Nr.  20 
bei  Wysokow")  finden  sich  in  Bouvier-Krainz,  Episoden  aus 
den  Kämpfen  der  k.  u.  k.  Nordarmee  1866  (Graz,  Styria 
1896).  Beim  200j  ährigen  Jubiläum  des  Infanterieregiments 
Nr.  7  (1891)  trug  Marx  selbst  sein  Festgedicht  vor,  welches 
austönt : 

Und  gilt's,  fährt  deine  Klinge  daher  wie  Donnerstreich, 
Für  Gott  und  unsem  Kaiser,  für  KSmten  und  fürs  Reich, 
Und  steht  die  Welt  in  Flammen  und  stürzt  der  Himmel  ein, 
Soll  noch  der  jüngste  Kärntner  ein  „Khevenhüller"  sein! 

Der  anwesende  Korpskommandant,  FZM.  Herzog  von 
Württemberg,  umarmte  den  Dichter.  Nicht  minder  wirkungs- 
voll hören  sich  „Die  Offizierswaisen  von  Hernais"  an,  die 
am  25.  und  26.  April  189I  im  Klagenfurter  Stadtthealer  bei 
einer  Wohltätigkeitsfeier  zu  Gunsten  der  „Erzherzogin  Marie 
Valerie-Stiftung"   gesprochen  wurden. 

Auch  die  zahlreichen  anderen  Gelegenheitsgedichte  stehen 
recht  hoch.     Niemals  hat  der  Dichter  die  Brücken  mit  seinem 


12  Oberst  Friedrich  Marx. 

feinempfindenden  Ich  abgebrochen.  Zu  Anastasius  Grüns 
70.  Geburtstag  schrieb  er  das  Poem  „Thum  am  Hart".  Grün 
widmete  nicht  lange  vor  seinem  Tode  Marx  eine  farbige 
Handzeichnung  des  Schlosses  mit  einigen  Zeilen.  Der  Oberst 
hatte  sie  sehr  hoch  gehalten.  Solche  Gedichte  hat  er  zu 
Ehren  des  K.  G.  Ritter  von  Leitner,  Otto  Prechtlers,  zur 
goldenen  Hochzeit  der  Eltern  Robert  Hamerlings,  zur  Ver- 
mählung seines  Neffen  Dr,  Rudolf  Tyrolt  (u.  a.  m.)  verfaßt. 
Eines  der  schönsten  ist  jenes  zur  silbernen  Hochzeit  des  Ehe- 
paares Hugo  und  Magdalena  Kraupa,  die  am  12.  Juli  1898 
in  Mariazell  gefeiert  wurde.     Es  beginnt: 

Festlich  flammen  euch  die  Kerzen 
Vor  Mariens  Weihaltar, 
Und  aus  übervollem  Herzen 
Bringt  ihr  Dankgebete  dar. 
Gottes  Huld  habt  ihr  erfahren. 
Der  durch  seines  Priesters  Hand 
Heut'  vor  fünfundzwanzig  Jahren 
Für  das  Leben  euch  verband. 

Recht  stachelig  sind  mitunter  die  Sprüche.  Aber  sie 
treffen  den  Nagel  auf  den  Kopf.  Noch  immer  zeitgemäß  ist 
^Spekulative  Forschung'* : 

Will,  was  sie  uns  beleuchten,  euch  sagen. 
Die  der  Erforschung  flackerndes  Licht 
Hoch  durch  die  irdische  Finsternis  tragen! 
Was  sie  beleuchten,  das  ist  ihr  Gesicht, 
Aber  das  Dunkel  erhellen  sie  nicht! 

Es  sei  noch  „Schöpfungstheorie"  angeführt: 

Also  vom  Infusorium 
Bis  zum  herrlichen  Menschentum 
Reichte  hinan  die  stets  wachsende  Leiter! 
Was,  ihr  Herren,  ist  da  wohl  gescheiter, 
Als,  daß  die  Form,  aus  der  wir  gekrochen. 
Daß  der  Sprossen  vorletzte  gebrochen  — 
Weil  wir  sonst  manchmal  aus  Not  und  Pein 
Flöh'n  in  die  glückliche  Tierwelt  hinein! 

Vor  dem  Gottesglauben  aber  sinkt  sein  Balmung: 

Das  Menschenherz. 

O  schmäht's  nicht  ein  klein  und  gebrechlich  Ding, 
Das  Menschenherz  ist  dem  Mann  nicht  gering, 
Der  jemals  im  Taumel  des  Glücks  sich  besann. 
Daß  Gott  nur  allein  es  befriedigen  kann! 


Von  Ignaz  Beck.  13 

:   christlich   ir 
reich"  an: 


Echt   christlich   muten   die    acht   Zeilen    „Das   Himmel- 


Wer  wollte  sich  nicht  Gott  versöhnen 
Noch  vor  des  Grabes  dunkler  Kluft, 
Doch  ach,  manch  sündhaftes  Gewöhnen 
Begleitet  uns  bis  an  die  Gruft! 

Daß  nicht  zu  spät  dann  Reu'  und  Bitte, 
Versöhne  dich,  wenn  je,  sogleich  — 
Mit  jedem  Tag,  mit  jedem  Schritte 
Erobre  dir  das  Himmelreich ! 


Marx  hat  nur  eine  Erzählung  in  Prosa  geschrieben : 
„Ciarisse",  die  1878  bei  Endres  in  Wien  erschienen  ist. 

Aber  in  Melpomenens  Bann  geriet  der  Dichter.  Wir 
besitzen  von  ihm  zwei  Dramen,  welche  durch  die  Reclam- 
sche  Universalbibliothek  weite  Verbreitung  gefunden  haben: 
„Jakobäa  von  Bayern"  (Nr.  158)  und  „Olympias"  (Nr.  23 1). 
Beide  wurden  am  landschaftlichen  Theater  zu  Graz  mit  großem 
Erfolg  aufgeführt:  ersteres  (Hermann  Lingg *  gewidmet)  1866, 
letzteres  (Hamerling  und  Jordan  zugeeignet)  I870.  Zu  dem 
Schauspiel  „Jakobäa"  hat  Marx  den  Stoff  der  holländischen 
Geschichte  (Mitte  des  1 5.  Jahrhunderts)  entnommen.  Es  ist  die 
Zeit  des  Bürgerkrieges,  in  welchem  sich  Hoeks  nnd  Kabeljaus 
grimmig  befehden.  Im  Mittelpunkte  stehen  Jakobäa,  eine 
Enkelin  Ludwigs  des  Bayern,  und  ihr  vierter  Gemahl,  Frank 
von  Borseil.  Der  Dichter  wollte  ein  Bild  des  scheidenden 
Mittelalters,  des  sterbenden  Rittertums  malen.  Mit  „Olympias" 
ist  Marx  in  die  alte  Geschichte  zurückgegangen.  Das  Stück 
spielt  nach  dem  Tode  des  großen  Alexander,  als  sein  Welt- 
reich eben  in  Brüche  geht.  Allgemein  wurden  sowohl  die 
Technik  dieser  Bühnenstücke,  die  feine  Charakterzeichnung 
als  auch  die  edle  Sprache  gelobt.  Behauptet  haben  sie  sich 
auf  den  Brettern  nicht.  Man  kann  hier  der  Anschauung  des 
Hofrates  Dr.  Gnad/^  beipflichten  und  die  Ursache  in  der  Wahl 
so  entfernter  Stoffe  erkennen.  Einer  dankenswerten  Wieder- 
aufnahme stehen  zurzeit  fast  unüberwindliche  Hindernisse  im 
Wege:  vor  allem  dieses,  daß  sich  unsere  Theater  von  ihrem 
Berufe,  Heimstätten  der  Kunst  zu  sein,  zum  großen  Teil  ab- 
gewendet haben.  Immer  hat  Marx  von  seinen  Schmerzens- 
kindern mit  großer  Zärtlichkeit  gesprochen.    In  den  damaligen 

1  Der  gute  alte  Freund  verschied  einen  Tag  vor  Marx,  den   18.  Juni 
n  München. 

2  Literarische  Essays.  N.  F.  Wien,  K.  Konegen,  I895,  S.  229  f. 


14  Oberst  Friedrich  Marx. 

Briefen  klingt  hell  und  froh  die  Begeisterung  über  den  ersten 
Erfolg.  Es  war  eine  bittere  Enttäuschung  (nach  Stifter  ist 
sie  der  besseren  Menschen  Los)  und  geschrieben  hat  er  für 
das  Theater  nichts  mehr. 

Diese  zwei  Dramen  dünken  uns  aber  Pförtchen  zu  einer 
vertraulichen  Herzenskemenate  des  Dichters,  nämlich  zur 
Geschichte.  Denn  sie  sind  Früchte  ihres  eingehenden  Studiums. 
Auch  die  große  Zahl  tief  empfundener  patriotischer  Poesien 
hat  den  Geschichtsfreund  verraten.  Und  in  der  Tat,  heimische 
Geschichte  hat  Marx  immer  mit  Vorliebe  gepflegt.  Seit  vielen 
Jahren  gehörte  er  dem  Historischen  Verein  für  Steiermark  an 
und  manche  Anregung  dürfte  er  aus  ihm  geschöpft  haben. 
Aber  auch  seine  liebenswürdige,  ruhige  Art  erwarb  ihm  die 
Sympathien  aller,  die  den  greisen  Poeten  gern  in  ihrer  Mitte 
sahen.  l8g7  begingen  die  Oberdrauburger  ihre  150.  Wall- 
fahrt nach  Maria  Luggau  im  Lesachtale.  Einst,  in  schwerer 
Feuersnot,  hatten  sie  das  Gelübde  dazu  getan.  Als  aus  diesem 
festlichen  Anlasse  ein  Gedenkbuch  am  Wallfahrtsorte  gestiftet 
wurde,  betrauten  sie  Marx,  das  historische  Vorwort  zu  schreiben. 
Der  Oberst  machte  die  Wallfahrt  mit  und  trug  sein  schlichtes 
Opusculum,  das  auch  die  Weihe  der  Oberdrauburger  an  die 
Muttergottes  enthält,  in  das  Buch  ein.^  1899  wurde  er  in 
den  Ausschuß  des  Historischen  Vereines  berufen,  dem  für  das 
nächste  Jahr  von  Zwiedineck  (Obmann),  Ferk,  Gubo,  KhuU, 
Ilwof,  König,  Joherl  und  Wastler  angehörten.  Am  2.  De- 
zember 1900  feierte  der  Historische  Verein  den  50.  Gedenk- 
tag seiner  ersten  Versammlung,  Marx  beteiligte  sich  sehr 
lebhaft  an  den  Vorbereitungen  dazu.  Am  Festabend  erschien 
er  in  der  Uniform  seines  Landwehr-Infanterieregiments.  1901 
bat  der  Zweiundsiebzigj ährige  um  seinen  Austritt;  schweren 
Herzens  mußte  der  Ausschuß  dem  kränklichen  Alten  die 
Bitte  gewähren.  Von  den  historischen  Schriften  Marx'  sei  an 
erster  Stelle  genannt:  „Die  Freiherren  von  TeufFenbach  in 
Steiermark.*  Diese  Studie  ließ  er  in  der  „Öst-ung.  Revue*' 
XVI.  Bd.  I.  (Heft  5—6)  und  XIX.  Bd.  (Heft  1)  erscheinen.  Die 
Anregung  dazu  mag  die  enge  Freundschaft  zu  seinem  gelehrten 
Landsmanne  FZM.  Reichsfreiherrn  von  Teuffenbach,  dem 
Herausgeber  des  „Vaterländischen  Ehrenbuches"  gegeben 
haben.  Als  Quelle  dienten  die  Dokumente  und  Schriften  der 
freiherrlichen  Familie  (16  Foliohefte  Manuskript),  femer  die 
fachgeschichtlichen    Arbeiten     von    Vinzenz    Brandl,    Pfarrer 


1  Im  Nachlaß. 


Von  Ignaz  Beck.  15 

Ludwig  Stampfer,  Christian  Ritter  d'Elvert  uiid  Hauptmann 
von  Beckh-Widmanstetter.  Marx  verficht  hauptsächlich  die 
Ansicht,  daß  die  Linien  TeufFenbach  zu  Tiefenbach  und  Maß- 
wegg  und  Teuffenbach  -  Mayrhofen  eines  Stammes  seien. 
Während  die  Verschiedenheit  der  Wappen  lange  im  Zweifel 
ließ,  hat  sich  die  größte  Zahl  der  Historiker  heute  dazu  ent- 
schieden, daß  hier  nur  ein  Stamm  anzunehmen  sei.*  Est  ist 
eine  liebenswürdige  Arbeit  mit  einem  ganz  seltenen  Vorzuge: 
man  erkennt,  daß  auch  das  Herz  die  Feder  lenkt.  Seinem 
verehrten  Freunde  hat  Marx  noch  ein  zweites  zugedacht: 
1897  erschien  in  der  gleichen  Revue  (XXII.  Bd.,  Heft  4 — 5) : 
a Geistiges  Leben  in  Österreich-Ungarn".  Das  monumentale 
Werk  des  Reichsfreiherm  „Neues  illustriertes  vaterländisches 
Ehrenbuch**  *  erfährt  hier  auf  25  Seiten  die  eingehendste  Be- 
sprechung. Zum  Schlüsse  widmet  Marx  dem  Herausgeber 
und  seiner  reichen  patriotischen  imd  pädagogischen  Schrift- 
stellerei  ehrliche  Lobesworte,  welche  wie  aus  unserem  Herzen 
gesprochen  sind.  Er  leiht  dort  dem  Wunsche  Ausdruck,  es 
möchten  diese  kleineren  Schriften  Seiner  Exzellenz  bald  in 
Buchform  erscheinen.  Dies  ist  auch  heute  noch  —  unser 
Wunsch !  Als  am  14.  Februar  d.  J.  der  Feldzeugmeister  sein 
70.  Geburtsfest  feierte,  begrüßte  ihn  Marx  mit  einigen  Zeilen 
in  der  Grazer  „ Tagespost ".^  Für  das  „Vaterländische  Ehren- 
buch" hat  Marx  drei  Beiträge  geliefert:  Johann  Georg  Fellinger, 
Dichter  und  Soldat  (II,  107— 11  o),  Hans  Gasser,  Bildhauer, 
(II,  414 — 418)  und  Anastaisus  Grün,  Dichter,  Staatsmann 
(11,  495 — 499).  Zu  Ersterem,  einem  talentierten  Steiermärker, 
mag  ihn  eine  gewisse  Wahlverwandtschaft  gezogen  haben,  zu 
Gasser  und  Anastasius  Grün  freundschaftliche  Bande.  Im 
TeufFenbachischen  „Vaterländischen  Ehrenbuch,  Poetischer 
Teil"  *  ist  Marx  mit  fünf  Gedichten  („Walter  von  der  Vogel- 
weide", „Maria  Theresia**,  „Hans  Gassers  Standbild  in  Villach", 
„Prolog  zur  Vermählung  Ihrer  k.  u.  k.  Hoheit  der  Frau  Erz- 
herzogin Gisela",  „Heiligenblut")  vertreten.  Im  Nachlaß  fanden 
sich  Auszüge  „Aus  Major  v.  Riegers  Briefen  1783 — 86"  an 
Grafen  und  Gräfin  Strassoldo,  desgleichen  ein  Aufruf  zum 
Wilhelm  Herzog  von  Württemberg-Denkmal  für  Graz.    Zahl- 

1  Vergl.  hierüber  Wurzbach,  Biogr.  Lex.  XLIV.  —  A.  Meli,  Regesten 
z.  Gesch.  d.  Familien  v.  TeufFenbach  in  Steiermark.  I  (1074 — 1547).  Ver- 
öffentlichung d.  bist.  Landeskomm.  f.  Steierm.  XX.  (Die  neuesten  Forschungen 
trennen  nun  doch  beide  Zweige.    Anin.  d.  R.) 

«  2  Bde..  Wien  und  Teschen,  Karl  Prohaska,  o.  J, 

3  Nr.  45,  Morgenblatt  jenes  Tages. 

4  Salzburg,  Heinrich  Dieter,  1879. 


16  Oberst  Friedrich  Marx. 

reich  sind  seine  Aufsätze  literarhistorischen  Inhaltes,  so  z.  B. 
„Franz  Nissel.  Ein  Beitrag  zur  Lebensgeschichte  des  Dichters  in 
Briefen"  (Heimgarten,  19.  Jhg.,  Heft  12),  über  Therese,  Prin- 
zessin von  Bayern,  Torresani  u.  a.  in  der  „Tagespost**.  Im 
Jahre  1868  ließ  Marx  im  Selbstverlage  (Graz)  ein  Lebensbild 
des  italienischen  Dichters  Alessandro  Poerio  erscheinen.  ^ 

Noch  ein  letzter  Meiseistich  fehlt  zu  unseres  Dichters 
Profil.  Ihm  beschien  nicht  nur  ein  Strahl  Poesie  die  Pfade 
(wie  Emanuel  Geibel  singt) :  er  suchte  ihn  auch  in  den  fernen 
Gärten  fremder  Völker.  Es  war  eine  hohe  Schule  seines 
Kunstkönnens.  Die  graziösen  Formen  des  Südens,  besonders 
des  Sonetts,  wurden  ihm  bald  zu  eigen.  Er  übersetzte  Ge- 
dichte von  Alessandro  Poerio  und  B.  Zendrini,  die  sich  ver- 
streut in  „Gemüt  und  Welt"  finden.  Desgleichen  übertrug  er 
das  indische  Drama  „Re  Nala"  des  Angelo  de  Gubematis 
(Hamburg,  Richter  1869)  ins  Deutsche,  Der  erwähnte  Ge- 
dichtenband enthält  auch  Poesien  von  Edgar  Allan  Poe  und 
Longfellow.  Die  letzteren  (in  Auswahl:  Reklams  Univ.-Bibl., 
3.  Aufl.,  Nr.  328)  dürften  den  weitesten  Weg  im  Publikum 
gemacht  haben. 2  Wie  Marx  sich  zu  dem  amerikanischen 
Dichter  hingezogen  fühlen  mußte,  läßt»  das  letzte  Poem  der 
Sammlung  (^Divina  Comedia")  ahnen. 


So  schloß  sich  Kreis  um  Kreis.  Was  innen  blieb,  war 
die  harte  Schule  des  Lebens.  Unseren  Poeten  hat  sie  nicht 
eingeschüchtert.  Von  allen  Kindern  hatte  der  Greis  nur 
Helene  um  sich.  Es  war  ein  gar  stilles,  aber  trauliches  Heim 
in  der  Goethestraße  zu  Graz.  Der  Alte  hütete  mit  Ängstlichkeit 
die  Erinnerungen  seiner  siebzig  Jahre.  Vom  Krieg  und  von 
der  Muse  konnte  er  sagen  und  singen.  Radetzky  imd  Grill- 
parzer  hat  er  noch  gesehen  und  bewundert.  An  solchem  Eisen 
beißt  die  Zeit  schwer.  Er  blieb  Altösterreicher.  Oft  zeigte  er 
ims  etwas  aus  seinem  Schatz  von  Briefen  und  Handschriften. 
Von  der  kunstreichen  Pistole  bis  zu  den  letzten  Gemälden 
Helenens,  die  hundert  lieben  Gedenkstückchen  des  Hausrates, 
alle  sprachen  das  wehmütige:  je  m'en  souviens  encore.  Ana- 
stasius  Grün,  K.  G,  Ritter  v.  Leitner,  Hamerling  und.  so  viele, 
die  ihm  nahe  standen,  waren  vorausgegangen.  Drei  Lands- 
leute  im   Schnee   des    Alters    hielten    noch   in    Treuen    aus: 


1  Auch  in  Karl  Fels'  „Egeria"  (Eger  1875)  abgedruckt. 

2  Vgl.  Rud.  Döhn,  Aus  dem  amerikanischen  Dichterwald,  1880. 


Von  Ignaz  Beck.  17^ 

FZM.  Reichsfreiherr  v.  Teuffenbach,  Ernst  v.  Rauscher  und 
Fritz  Pichler.  Die  FZM.  Ritter  von  Milde  und  Samonigg 
blieben  die  alten  Jugendfreunde.  Seit  zwei  Jahren  meldete 
sich  das  böse  Asthma  und  im  Winter  litt  es  ihn  nur  in  der 
Stube.  Er  sah  jetzt  nur  mehr  voraus  mit  ahnungsvoller 
Poetenlogik.  In  dieser  milden,  feierlichen  Stimmung  bleibt 
uns  der  edle  Dichtergreis  unvergeßlich  .  .  .  Alljährlich  ver- 
brachte Marx  den  Sommer  mit  Kindern  und  Enkeln  in 
Kärnten.  Heuer  zog  es  ihn  früher  hin  als  sonst.  Jedermann 
fand  ihn  in  diesem  letzten  Jahre  sehr  verändert  und  der  alte 
Oberst  sagte  es  beinahe  ahnungsrichtig,  warum  sich  mancher 
Oberdrauburger  verwundert  nach  ihm  umsah.  Bis  zur  Nacht 
auf  den  19.  Juni  hatte  er  nicht  die  geringsten  Beschwerden. 
Nach  12  Uhr  stand  er  selbst  auf,  von  heftigen  Rücken- 
schmerzen geplagt  und  weckte  seine  Tochter  Helene.  Die 
Schmerzen  währten  eine  Stunde  und  der  Arzt  kam  zu  spät. 
Marx  rief  noch  einmal  seine  Kinder  an,  blickte  lange  fragend 
nach  dem  Christusbild  über  dem  Bette,  sank  zuiück  und  ver- 
schied.^ Der  ewige  Richter  möge  ihm  gnädig  sein!  .  .  .  Wie 
seltsam :  1860  hat  er  zu  Oberdrauburg  diese  Verse  geschrieben : 

Das  auf  den  Knaben  mild  geschaut. 
Der  froh  das  Heimatstal  durchlärmte, 
Wo  sich  um  die  verlorne  Braut 
Der  bleichgezehrte  Jüngling  härmte; 

Zu  dem  der  Mann  so  Lust  als  Leid 
In  trauter  Dämmerung  getragen: 
Laß  mich  um  dich  in  aller  Zeit, 
O  Gottesbild,  die  Arme  schlagen! 

O  schau  herab  so  milden  Blicks 

Wie  einst  dem  Knaben,  auch  dem  Greise, 

Wenn  er  vor  dir,  o  Kruzifix, 

Das  Bündel  schnürt  zur  letzten  Reise! 

Das  stille  Grab  in  Oberdrauburg  deckt  nun  einen  von 
<les  Landes  edelsten  Söhnen,  einen  alten  kaisertreuen  Soldaten, 
einen  gottbegnadeten  Dichter.  Die  brave  Carinthia  wird  ihm 
fi;erecht  werden!*-'     Wir   aber    behalten    den    liebenswürdigen 

1  Die  Ärzte  konstatierten  Herzschlag  infolge  Arterienverkalkung. 
»Die  Dichterkrankheit"  hat  sie  Marx  oft  genannt;  er  ahnte  nicht,  daß  sie 
auch  ihn  schon  befallen  hatte. 

2  Schon  in  Ed.  Aelschkers  „Geschichte  Kärntens"  (Klagenfurt  1885) 
ist  Marx  (II,  1422  f.)  neben  Tschabuschnigg,  Fercher,  Rauscher  und 
Gasser  behandelt. 


18  Oberst  Friedrich  Marx. 

Greis,  den  ausgezeichneten  Kameraden,  den  väterlichen  Freund 
in  dankbarer  Erinnerung.  Seine  Lieder  leben  und  erfreuen 
alle  Guten,  Reinen  und  Edlen  immerdar.  So  wird  das  be- 
scheidene Leben  eines  braven  Mannes  zum  unabsehbaren 
Plane !  Die  Jugend  tummelt  ihre  Rosse  und  zückt  die  blanken 
Waffen  einer  neuen  Zeit.  Möge  sie  unserer  alten  Losung: 
Gott,  Kaiser  und  Vaterland!  zu  immer  neueren  Siegen  ver- 
helfen !  Ja,  darum  mußten  alle  Edlen  leben,  leiden,  kämpfen,, 
dichten,  singen  und  sterben  —  damit   wir  ihnen    nachfolgen. 


Die  Hausindustrie  und  Voli^skunst  in 
Steiermaric. 

Von  Karl  Lacher,  Graz. 


Schon  zu  Beginn  meiner  Sammeltätigkeit  zu  Ende  der 
siebziger  Jahre  für  das  im  Sommer  1895  der  Öffentlichkeit 
übergebene  steiennärkische  Kulturhistorische  und 
Kunstgewerbemuseum  war  ich  bestrebt,  den  Resten 
der  alten  Hausindustrie  und  der  volkskundlichen  Arbeiten 
unserer  Steiermark  die  größte  Beachtung  zuteil  werden  zu 
lassen.  Forderte  doch  das  von  mir  verfaßte  und  vom  steier- 
märkischen  Landesausschusse  genehmigte  Programm  vom 
Jahre  1884,  das  dieser  weiteren  Sammeltätigkeit  Ziel  und 
Richtimg  gab,  von  dem  zu  begründenden  neuen  Museum: 
die  Darstellung  des  Volkslebens  in  allen  seinen  Gesellschafts- 
schichten. Alles,  was  zur  Illustration  des  häuslichen  Lebens 
und  Schaffens  der  Bewohner  von  Steiermark  dienen  konnte, 
wurde  daher  eifrigst  aufgesammelt.  Dabei  war  es  sehr  wichtig, 
die  Gegenstände  an  Ort  und  Stelle  zu  erforschen,  sie  in  ihrer 
geschichtlichen  Bedeutung  für  die  Heimat,  in  ihrem  Zusammen- 
hange mit  ihrer  ganzen  Umgebung  kennen  zu  lernen»  Es 
mußten  daher  mühevolle  Wanderungen  selbst  in  die  entlegen- 
sten Bauernhöfe  eine  lange  Reihe  von  Jahren  hindurch  zu  gründ- 
lichen Lokalforschungen  unternommen  werden,  um  Material 
von  wissenschaftlichem  Werte  zutage  zu  fördern;  daß  dabei 
unberufene  Mitarbeiterschaft  nur  unermeßlichen  Schaden  hätte 
anrichten  können,  ist  wohl  einleuchtend. 

Denn  bei  volkskundlichen  Sammlungen  kommt  es  in 
erster  Linie  auf  das  Woher,  den  Zweck  und  den  Zusammen- 
hang der  Gegenstände  mit  dem  Volke,  dessen  Schaffen  cha- 
rakterisiert werden  soll,  an.  Besonders  für  die  wissenschaft- 
liche Bearbeitung  der  steirischen  Volkskunst  ist  es  daher  sehr 


20  Die  Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Steiermark. 

wichtig,  daß  das  Material  für  die  kulturgeschichtliche  Dar- 
stellung unseres  Museums  fast  ausschließlich  von  mir  an  seinem 
ursprünglichen  Bestimmungsorte  erforscht  worden  ist.  Es  sind 
daher  unsere  Sammlungen  wohl  geeignet,  als  vollgültige  Belege 
für  das  häusliche  Leben  und  Schaffen  der  Steiermärker  zu 
dienen.  Aber  auch  nur  bei  dieser  gewissenhaften  Aufsammlung 
war  es  möglich,  diese  unsere  ethnographische  Sammlung  im 
neuen  kulturhistorischen  und  Kunstgewerbemuseum  in  wirklich 
lehrhafter  Gruppierung,  den  altsteirischen  Originalwohnräumen 
entsprechend  anzugliedern  und  zu  einem  echten  Geschichtsbilde 
unseres  Landes  auszugestalten. 

Als  im  Jahre  1894  in  Wien  der  Verein  für  österrei- 
chische Volkskunde  ins  Leben  trat  und  die  österreichische  Volks- 
kunde durch  Haberlandt  ein  fachmännisch  geleitetes  Organ, 
die  „Zeitschrift  für  Österrreichische  Volkskunde*^  erhielt  und 
gleichzeitig  eine  ganz  Österreich  umfassende,  auf  Sachkenntnis 
beruhende  Sammeltätigkeit  zur  Gründung  eines.  Museums  für 
österreichische  Volkskunde  in  Wien  begann,  da  hatten  wir 
den  Grundstock  zu  unseren  Sammlungen  längst  gelegt.  Ich 
hielt  es  auch  aus  diesem  Grunde  für  meine  Pflicht,  die  Wähl 
in  den  Ausschußrat:  des  Wiener  Vereines  als  Vertreter  unseres 
Kronlandes  anzunehmen.  Es  ist  auch  gelungen,  die  steirische 
Gruppe  dortselbst  ohne  schädliche  Wirkung  für  uns  ebenfalls 
anziehend  zu  gestalten. 

Im  Jähre  1898  lieferte  unser  Museum  einige  Beiträge 
für  die  ethnographische  Gruppe  der  großen  Wiener  Jubiläums- 
ausstellung. Umfassender  gestaltete  sich  unsere  Beteiligung  an 
der  Ausstellung  des  k.  k.  österreichischen  Museums  für  Kunst 
und  Industrie  in  Wien  1905 — 06  von  österreichischer  Haus- 
industrie und  Volkskunst. 

In  der  von  mir  über  Einladung  der  Direktion  des  k.  k. 
österr.  Museums  für  den  Katalog  dieser  Ausstellung  verfaßten 
Abhandlung  über  stdrische  Hausindustrie  und  Volkskunst 
wurd^  ein  erster  Versuch  unternommen,  dieses  interessäntie 
Gebiet  zusammenhängend  mit  einer  Rückschau,  dem  Stande  der 
Gegenwart  und  einem  Ausblick  in  seine  Zukunft  in  kürzen 
Zügen  zu  schildern;  Und  auf  dieser  Grundlage  beruht  die 
gegenwärtige  Arbeit,  in  der  einzelne  Zweige  der  Hauskunst 
eingehendere  Behandlung  erfahren  könnten. 

Während  also  zunächst  die  Landesmuseen  und  die  klei- 
neren •  Lokalmuseen  mit  mehr  oder  weniger  Glück  und  Sach- 
kenntnis den  unscheinbaren  Dingen  des  häuslichen,  nament- 
lich bäuerlichen  (Gebrauches  ihre  Aufmerksamkeit  zugewendet 


Von  Karl  Lacher.  21 

haben,  betraten  sie  ein  Sammelgebiet,  das  nicht  bloß  für  die 
Geschichte  der  Volkskunde  das  beste  Anschauungsmaterial 
darbietet,  sondern  auch  für  unsere  modernen  kunstgewerblichen 
Bestrebungen  großen  Wert  besitzt.  Und  dieser  lehrhafte  Wert 
der  volkskundlichen  Arbeiten  wird  nun  immer  mehr  und 
mehr  erkannt.  Gerade  die  gegenwärtige  Ausstellung  österrei- 
chischer Hausindustrie  und  Volkskunst  im  k.  k.  österr^  Museum 
für  Kirnst  und  Industrie  in  Wien  bietet  hierfür  den  nach- 
drücklichsten Beweis;  sie  ist  gewiß  dazu  angetan,  weiteren 
Kreisen  einen  neuen  Formenkreis  zu  erschließen  und  dessen 
vielfachen  pädagogischen  Wert  für  unser  modernes  Schaffen 
recht  eindringlich  zu  lehren. 

Bei  meiner  Sammeltätigkeit  auf  dem  volkskundlichen 
Gebiete  war  mir  auch  von  allem  Anfange  an  dessen  künst- 
lerische Bedeutung  für  unser  kunstgewerbliches  Schaffen  gegen- 
wärtig. Es  war  daher  niemals  meine  Absicht,  große  Massen 
gleichwertiger  Gegenstände  zusammenzuhäufen,  sondern  es  war 
mir  darum  zu  tun,  aus  jedem  Landesteile  unserer  Steiermark 
besonders  das  für  denselben  charakteristische  und  bodenständige 
Material  nach  Möglichkeit  auszuwählen. 

Die  hohe  pädagogische  Bedeutung  dieser  volkstümlichen 
Sachen  selbst  für  unsere  auf  die  Belebung  und  Förderung  des 
modernen  Schaffens  abzielenden  Kunstgewerbemuseen  habe 
ich  bei  der  Eröffnung  unseres  neuen  Museums  im  Jahre  1895 
im  „Führer  durch  das  kulturhistorishe  und  Kunstgewerbe- 
museum" in  folgender  Weise  bezeichnet:  „Wenn  es  auch 
schon  aus  materiellen  Gründen  ausgeschlossen  war,  nur 
hervorragende  Schaustücke  für  die  kunstgewerblichen  Muster- 
sammlungen zu  erwerben,  so  sprechen  gegen  ein  derartiges 
Verfahren  auch  die  pädagogischen  Erwägungen,  welche 
bei  den  Erwerbungen  zunächst  als  maßgebend  anerkannt 
werden  mußten ;  denn  gerade  die  für  bescheidene  Verhältnisse 
geschaflfen  Werke  aus  den  Zeiten  allgemeiner  Kunstblüte  sind 
es,  die  dem  modernen  Schaffen  vorzügliches  Studienmaterial 
darbieten.  Poesie  und  tüchtiges  Können  sprechen  aus  so  vielen 
alten  Arbeiten  für  das  bürgerliche  Haus  und  aus  vielen  Er- 
zeugnissen der  Hausindustrie,  und  der  künstlerische  Geist, 
der  das  gesamte  Schaffen  des  Volkes  dereinst  beherrschte,  soll 
ja  auch  heute  wieder  Gemeingut  des  ganzen  Volkes  werden. 
Hierfür  aber  bieten  uns  gerade  jene  bescheidenen  Werke 
den  sichersten  Wegweiser.  So  wie  sich  aus  der  Volkssage 
die  herrlichsten  Meisterwerke  der  deutschen  Dichtkunst  heraus- 
entwickelt haben,    so    erstanden    auch  die  Perlen    der  Kunst- 


22  Die  Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Steiermark. 

Industrie  zumeist  als  die  edelsten  Tätigkeitsblüten  jener  Küstler, 
welche  mit  geläutertem  Geschmack  und  größter  handwerklicher 
Geschicklichkeit  in  erster  Linie  für  die  Bedürfhisse  des  alltäg- 
lichen Lebens  arbeiteten.  Deshalb  kann  das  moderne  gewerb- 
liche Schaffen  gewiss  nur  zu  dem  gewünschten  Ziele  kommen, 
wenn  es  aus  dem  kräftigst  fließenden  Born  schöpft,  welchen 
uns  die  schlichten  Arbeiten  unserer  kunstgewandten  Väter 
darbieten." 

Die  Hausindustrie    nun    —  die  neben    der    bäuerlichen 
Beschäftigung  betriebene    handwerkliche   Tätigkeit  —  welche 
zunächst  .  alles  erzeugte,    was  für  den   eigenen   Bedarf   erfor- 
derlich war,  im  weiteren  Verlaufe  aber  auch  Tausch-  und  Ver- 
kaufsobjekte lieferte,    stand  in  unserer  Steiermark   auf  breiter 
Grundlage    und    hat  auch  in  einigen  Zweigen  der  häuslichen 
Arbeit  eine  tüchtige  Ausbildung  und  wirtschaftliche  Bedeutung 
erlangt.  Sie  ging  auf  manchen  Gebieten  auch  ganz  eigene  Wege 
und  erzeugte  originelle  und  tüchtige  Sachen  für  den  Hausgebrauch. 
Diese   bescheidenen  Dinge   des  Alltags   bildeten   einerseits  die 
Grundlage  einer  späteren  bodenständigen  Volkskunst  und  sind 
anderseits  von  größter  Bedeutung  für  die  weitere  Entwicklung  zu 
umfangreicher  zunftmäßig  organisierter  Handwerkstätigkeit,  und 
schließlich  zu  dem  großen  Fabriksbetriebe  geworden.   Unsere 
steirischen    Gebirgsdörfer    betrieben    tatsächlich    Jahrhunderte 
lang  einen  regen  Handel  mit  den  von  ihren  Bewohnern  über 
den  eigenen  Bedarf  erzeugten  Arbeiten  ihres  Hausfleißes  und 
ihrer  kleineren    handwerklichen  Betriebe  in  die  breiten  Täler 
und  Städte,  bis  das  sich  Tasch  entwickelnde  Fabrikswesen  an 
den  Verkehrszentren   das   umgekehrte   Verhältnis    schuf    und 
seine   billiger   erzeugten   Waren   durch   Reisende  und   mittels 
der  Landkrämer  allerorts  verkaufen  ließ,  dafür  aber  vom  Lande 
nebst  dem  Rohmateriale  hauptsächlich  auch  das  Arbeitsmaterial 
des  Bauern  —  seine  jungen  Burschen  —    als  Fabriksarbeiter 
bezog. 

War  imn  auch,  wie  in  den  nachbarlichen  Alpenländern, 
im  steirischen  Bauernhause  die  handwerkliche  Betätigung  während 
der  von  der  Landwirtschaft  nicht  beanspruchten  Zeit  allgemein 
üblich,  so  haben  sich  wohl,  abhängig  von  dem  Vorkommen 
das  Rohmaterials,  nur  einige  Zweige  dieser  handwerklichen 
Betätigung  über  den  eigenen  Bedarf  hinaus  zu  größerem  Export 
vmd  höherer  wirtschaftlicher  Bedeutung  aufgeschwungen. 

Sehen  wir  nun,  was  uns  die  vergangene  Zeit  vom  stei- 
rischen Hausfleiße  überliefert  hat.  Da  kommt  in  erster  Linie 
die  Textilindustrie  in  Betracht.  Nicht  nur,  weil  uns  von  ihren 


Von  Karl  Lacher.  23 

Leistungen  am  meisten  erhalten  geblieben  ist,  sondern  auch, 
weil  sie  vielfachen  Bedürfnissen  diente,  allgemein  reiches  Roh- 
material vorfand,  daher  eine  große  kommerzielle  Bedeutung' 
erlangte  und  auch  auf  dem  Gebiete  der  Hauskunst  die  tief- 
gründigsten Wurzel  geschlagen  hat. 

In  ganz  Steiermark  war  die  hausindustrielle  Erzeugung 
von  Loden-  und  Leinenwaren  verbreitet,  wofür  besonders  der 
Flachsbau  in  Mittel-  und  Untersteiermark,  sowie  die  Schaf- 
zucht im  gebirgigen  Oberlande  das  beste  Rohmaterial  dar- 
geboten haben.  Aus  dieser  allgemein  geübten  bäuerlichen, 
also  hausindustriellen  Wolle-  und  Leinenweberei^  die  besonders 
in  den  Bezirken  Schladming,  PöUau,  Birkfeld  und  Praßberg 
bei  Cilli  Berühmtheit  erlangte,  entwickelte  sich  zunächst  die 
kleinindustrielle  Erzeugung  von  Lodenware,  deren  handwerks- 
mäßige Erzeuger  sich  zu  Innungen  vereinigten,  von  denen 
z.  B.  in  der  östlichen  Steiermark  jene  von  Friedberg  bis  in 
das  XVI.  Jahrhundert  zurückreicht.  Über  den  Weberbetrieb 
in  Hartberg,  Voran,  Pöllau,  Gröbming,  Haus,  Brück  a./M.,  zu 
Rottenmann  u.  a.  O.  geben  zahlreiche  Aktenstücke  will- 
kommene Kunde.  Die  Erzeugnisse  dieser  Innungen  erlangten 
auch  über  die  Grenzen  des  Landes  hinaus  großen  Ruf  und 
erzielten  einen  bedeutenden  Export.  Gerade  aber  diese  unsere 
gut  organisierten  Handwerksbetriebe  mußten  zuerst  den  an 
den  Verkehrszentren  des  Landes  entstandenen  großen  Loden- 
fabriken weichen  und  nur  die  bäuerliche  Erzeugung  von  Loden 
und  Leinwand  für  den  Hausbedarf  erhielt  sich  noch  teilweise 
bis  heutigen  Tages.  Und  an  diesen  Erzeugnissen  wird  aus 
dem  Oberlande  (Schladming),  der  Oststeiermark  (Pöllau)  und 
dem  Unterlande  aus  Praßberg  jetzt  noch  Hausloden  von  der 
Landeshauptstadt  bezogen.  Auch  die  Leinenweberei  liefert 
heute  noch  Arbeiten  an  Grazer  Kauf leute.  So  erzeugt  nament- 
lich in  Birkfeld  der  bäuerliche  Webstuhl  neben  der  einfachen 
Hausleinwand  auch  feine  Damastwebereien,  die  auch  der 
städtische  Geschmack  zu  schätzen  weiß.  Aber  auch  an  an- 
deren abgelegenen  Orten  fertigt  die  Hausindustrie  aus  den 
beigestellten  Garnen  Tischzeug,  Hand-  und  Bettücher  in  vor- 
züglicher Weise  an.  Die  heiteren  Spinnabende  auf  dem  Lande 
aber  sind  allerdings  schon  sehr  selten  geworden  und  die  noch 
vorhandenen  Spinnräder  und  Haspeln  sind  fast  nur  mehr  auf 
den  Dachböden  anzutreffen. 


1  Näheres  hierüber  in:  „Kulturbilder  aus  Steiermark",  Graz  189O,  „Die 
Textilindustrie  Steiermarks"  von  Hans  Tauß. 


24  Die  Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Steiermark. 

Während  der  Lödenanzug  unserer  Bauersleute  iiut 
mäßige  Anwendung  von  Stickerei  zuließ,  entfaltete  die  Haus- 
kunst auf  dem  Gebiete  der  Leinenstickerei  wohl  ihre  umfassendste 
Tätigkeit  und  gelangte  zu  herrlicher  Blüte.  Was  da  an  Tisch- 
zeug, an  Handtüchern  und  Bettzeug  uns  erhalten  blieb  und 
im  Museum  verwahrt  wird,  muß  uns  ebenso  wie  die  übrige 
Stickerei  an  den  Kleidern  der  Männer  und  Frauen  mit  heller 
Freude  erfüllen;  hauptsächlich  ist  es  die  kunstgeübte  Frauen- 
hand, der  wir  hier  begegnen. 

Schon  die  älteste  uns  erhalten  gebliebene  Seidenstickerei, 
der  berühmte,  figurenreiche,  noch  heute  in  frischen  Farben 
prangende  Ornat  der  ehemaligen  Nonnenabteikirche  zu  Goß 
rührt  von  der  kunstgeübten  Hand  der  Äbtissin  dieses  Klosters, 
Kunigunde,  aus  der  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  her. 

.  Diese  in  den  friedlichen  Stätten  des  Landes  für .  den 
kirchlichen  Gebrauch  gepflegte  Kunst  des  Stickens  übertrug 
sich  später  auch  in  das  Bürgers-  und  Bauernhaus,  um  Gemein- 
gut aller  zu  werden.  Und  da  entstanden  irii  XVI.  und  XVII.  Jähr- 
hundert die  prächtigsten  Weiß-  und  Buntstickereien  der  deut- 
schen Renaissance,  welche  den  Kreuzstich,  den  Ketten-  oder 
Zopfstich,  den  Flachstich  allgemein,  seltener  den  Knöttcheri- 
stich,  «owie  die  Durchbrucharbeit  auf  hoher  künstlerischer  Aus- 
bildung zeigen.  Während  die  so  allgemein  angewendeten  Meister 
auch  noch  im  XVIII.  Jahrhundert  der  Frauenhand  ganz  geläufig 
geblieben  sind,  verflächte  die  technische  Ausführung  immer 
mehr  und  mehr.  Am  längsten  ist  an  den  bäuerlichen  Arbeiten 
das  Festhalten  an  dieser  Tradition  wahrnehmbar;  doch  sank 
ah  ihnen  die  Stickerei  überhaupt  zu  nur  mehr  sehr  bescheidener 
Anwendung  herab,  während  im  Bürgershause  die  Stickerei 
an  den  Trachten  der  Männer  und  Frauen,  der  allgemeinen 
Stilwändlung  folgend,  neuerdings  prächtige  Arbeiten  schuf. 
Zumal  an  den  Westen  der  Männer  und  an  den  Busentüchern 
der  Frauen  erblühte  die  Weiß-,  Bunt-  und  Goldstickerei  unter 
dei:  fleißigen  Frauenhand,  die  es  auch  verstanden  hat,  selbst 
an  den  gestrickten  Strümpfen  prächtige  Nadelarbeiten  zu 
schaffen. 

Die  Goldhauben  unserer  Frauen,  sowie  die  prächtigen 
Posamentierarbeiten  an  ihren  Anzügen  dürften  hingegen  ebenso 
wie  die  teils  mit  Pfauenfedern-Stickerei,  teils  mit  Zinnieten 
gezierten  Ledergürtel  der  Männer,  die  in  den  gleichen  Stick- 
techniken hergestellten  Pferdegeschirre  u.  V.  a.  handwerklicher 
Betätigung  angehören. 


^PP«  steirischer  Hausindustrie  im  Kulturhistorischen  und  Kunstgewerbe-Museum  zu  Graz. 


Von  Karl  Lacher.  25 

Wie  wir  des  weiteren  an  vielen  Beispielen  in  unserem 
Museum  sehen,  folgten  unsere  Frauen  und  Mädchen  dem 
damals  allgemein  üblichen  Gebrauche,  indem  sie  sich  ihre 
eigenen  Stick-Mustertücher  selbst  anfertigten.  Sie  versehen 
dieselben  zumeist  mit  ihren  Namen  und  der  Jahreszahl  der 
Entstehung.  Diese  gestickten  Mastertücher  enthalten  die  ver- 
schiedensten figuralen  und  ornamentalen  Motive  sowie  aUerlei 
Schriftproben  und  Monogramme:  sie  bewegten  sich  noch 
immer  innerhalb  der  Grenzen  der  TextUkunst  und  eines  guten 
Geschmackes.  Gegen  die  Mitte  des  XIX.  Jahrhunderts  aber 
wurden  auch  diese  Motivenschätze  beiseite  gelegt  und  es  währte 
nun  nicht  lange  mehr,  bis  die  gesickten  Löwen,  Pudel  und 
Windhunde  auf  Kissen  und  Decken,  sehr  oft  in  Lebensgröße, 
die  allgemeine  Geschmacklosigkeit  krönten. 

Wie  in  ganz  Mitteleuropa,  mußte  auch  in  unserer 
Steiermark  durch  Anschauung  und  Unterricht  das  künst- 
lerische Empfinden  des  Volkes  wieder  geweckt  und  die  Kunst 
in  den  Dienst  des  Gewerbes  gestellt  werden,  wobei  auch  der 
Hausfleiß  neue  Belebung  fand. 

An  der  neuerrichteten  Staat^gewerbeschule  zu  Graz  wurde 
eine  Fachabteilung  für  Stickerei  errichtet,  die  seither  viele 
Mädchen  im  Bunt-  und  Weißsticken  ausbildete.  Alle  guten 
Techniken  kamen  dabei  ebenso  wieder  zur  Geltung,  wie  die 
der  Stickerei  entsprechenden  bewährten  Muster. 

Der  Privatunterricht  schlug  alsbald  die  gleichen  Bahnen 
ein,  wobei  unsere  damals  im  Entstehen  begriffene  und  kaum 
mehr  als  deponierte  Textilmustersammlung  eifrigst  benützt 
wurde  xmd  gute  Wege  vorzeichnete.  Die  alljährlich  im  Kunst- 
gewerbevereine abgehaltenen  Weihnachtsausstellungen  kunst- 
gewerblicher Erzeugnisse  trugen  namentlich  dazu  bei,  für 
die  Bewegung  in  weiteren  Kreisen  Interesse  zu  erwecken. 
Heute  sehen  wir  tatsächlich  wieder  viele  Frauen  und  Mädchen 
(namentlich  viele  Beamtenstöchter)  neben  ihrer  Wirtschafts- 
führung für  Paramentenvereine  und  Stickereigeschäfte  ständig 
beschäftigt  und  angemessene  Entlohnung  finden. 

Dieser  Hausfleiß,  der  also  nicht  nur  das  eigene  Heim 
schmückt,  hat  tatsächlich  schon  eine  große  Verbreitung  und 
wirtschaftliche  Bedeutung  erlangt;  er  wird  unterstützt  durch 
Zuhilfenahme  von  Stickereimaschinen,  die  in  richtiger  Wür- 
digung der  wirtschaftlichen  Ideen  unserer  Zeit  seit  etwa  acht 
Jahren  hier  Eingang  gefunden  haben  und  in  fast  allen  größeren 
Orten  der  Steiermark,  ja  selbst  in  einzelnen  Dörfern  ver- 
breitet sind. 


26  Die  Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Steiermark. 

Diese  Arbeitserleichterung  ist  auch  vom  künstlerischen 
Gesichtspunkte  aus  nur  zu  begrüßen,  wenn  dabei  die  Ab- 
leitung der  Formen  aus  der  Technik  gewahrt  bleibt.  Von  der 
Geschicklichkeit  der  Hand  hängt  dabei  ja  noch  immer  das 
Gelingen  der  Arbeit  ab. 

Mit  schönem  Erfolge  ist  seit  vielen  Jahren  schon  der 
Ausseer  Hausindustrieverein  betrebt,  die  alte  Leinenstickerei 
zu  neuen  Ehren  zu  bringen  und  der  Bevölkerung  eine  lange 
verschüttete  Einnahmsquelle  wieder  zu  eröffnen. 

Unsere  Bemühungen,  die  Hand  Weberei  zunächst  in  der 
Landeshauptstadt  einzuführen  und  auf  künstlerische  Wege  zu 
leiten,  hatte  bisher  freilich  nur  den  Erfolg,  daß  mehrere  Frauen 
und  Mädchen  diese  schöne  Technik  gelernt  haben  und  auch 
zum  Teile  ausüben;  zu  einem  wirtschaftlichen  Faktor  aber 
hat  sich  diese  Art  Hauskunst  noch  nicht  aufgeschwungen. 

Die  Töpferei,  an  die  Tonlager  gebunden,  hat  sich  nur 
in  den  Tälern  entwickelt  und  anfänglich  war  wohl  mit  jedem 
Töpferbetriebe  auch  der  Landwirtschaftsbetrieb  verbunden.  Es 
bestanden  in  ganz  Steiermark  verstreut  u.  a.  in  Schladming, 
Irdning,  im  Judenburger  Kreise,  Cilli,  Marburg,  Pettau,  in  der 
Umgebung  von  Graz :  Seiersberg,  Mantscha,  Eggersdorf,  Weiz, 
Passail  Töpferwerkstätten  verbunden  mit  landwirtschaftlichem 
Betriebe,  die  neben  Öfen  auch  Fayencegeschirr  aller  Art  er- 
zeugten, einen  nennenswerten  Export  über  die  Landesgrenzen 
aber  wohl  niemals  erreicht  haben.  Vielfach  mußte  ich  mich 
bei  meinen  Hausforschungen  davon  überzeugen,  daß  viel- 
mehr die  auswärtigen  Hausierer  selbst  in  den  entlegensten 
Bauernhäusern  wohl  schon  vom  XVII.  Jahrhundert  an  mäh- 
risches und  oberösterreichisches  Fayencegeschirr  abgesetzt 
haben.  Mooskirchen  und  Premstätten  bei  Graz  bildeten  sich, 
indem  sie  Landwirtschaft  und  Töpferei  gleichmäßig  betrieben, 
zu  ganzen  Töpferdörfem  aus.  Neben  gewöhnlicher  Begußware 
wurden  auch  hier  vielfach  Schüsseln  und  Krüge,  Weihwasser- 
kesselchen u.  a.  m.  erzeugt,    die  größte  Beachtung  verdienen. 

Die  ältesten  uns  überkommenen  Bauerngeschirre  sind 
sogenannte  „Schwarz wäre"  und  reichen  bis  zum  Jahre  l6oo 
zurück.  Sie  sind  aus  Ton,  vermischt  mit  gemahlenem  Stein, 
hergestellt.  Durch  das  beigemengte  Steinmehl  erhielten  diese 
Geschirre  im  Scharflfeuer  eine  große  Härte,  wobei  sie  zu- 
gleich geschwärzt  wurden,  so  daß  sie,  wie  das  Steinzeug, 
ohne  Glasur  in  Gebrauch  genommen  werden  konnten. 
Dafür  fiel  dem  zeichnerischen  Stifte  die  Aufgabe  zu, 
dem   Kunstgefühle   der   Zeit   Rechnung    zu   tragen,    und    die 


Von  Karl  Lacher.  27 

in  die  noch  nicht  ganz  trockenen  Tongefäße  eingegrabenen 
Linien  und  Ornamente,  denen  zuweilen  auch  Sprüche  und  die 
Jahreszahl  ihrer  Entstehung  beigefügt  worden  sind,  erzielten 
in  der  Tat  eine  gute  Wirkung.  Die  Sgraffitotechnik,  die 
selbst  von  unseren  steirischen  bäuerlichen  Maurern  im  XVI. 
und  XVII.  Jahrhundert  ganz  allgemein  an  den  Fassaden  der 
Häuser,  ja  selbst  an  Kornspeichern  ^  sehr  geübt  wurde,  dürfte 
die  Anregung  zum  besprochenen  Dekor  unserer  Schwarz- 
geschirre dargeboten  haben. 

Unsere  steirische  Fayencemalerei  weist  auf  nahe  Ver- 
wandtschaft mit  jener  Oberösterreichs  hin,  hat  aber  dennoch 
ganz  eigene  Dekorationsmotive  ausgebildet.  So  finden  wir 
die  Tulpe,  Rose  und  Nelke  in  zumeist  großem  Maßstabe, 
origineller  Stilisierung  und  kräftiger,  tiefer  Farbengebung  wir- 
kungsvollst verwertet,  im  Gegensatz  zu  den  oberösterreichischen 
Fayencen,  die  ihren  bunten  Dekor  zumeist  auf  hellem  Grunde 
darbieten. 

In  den  protestantisch  gebliebenen  Orten  des  Oberlandes, 
hauptsächlich  in  Ramsau  bei  Schladming,  wurde  das  Fayence- 
geschirr neben  schlichter  Ornamentik  sehr  häufig  auch  mit 
Spruchen  aus  der  Bibel  geziert.  Aus  Mantscha  bei  Graz  haben 
wir  Fayencekrüge  aus  dem  Jahre  1746,  die  auch  in  der 
Behandlung  des  Figuralen  große  Fertigkeit  bekunden. 

Das  Geschirr  (glasierte  Tonware),  das  noch  heute  von 
steirischen  Bauerntöpfem  in  Eggersdorf,  Seiersberg,  bei  St.  Ru- 
precht, in  Passail  u.  a.  O.  erzeugt  und  von  ihnen  auf  den  Grazer 
Markt  gebracht  wird,  kann  keinen  Anspruch  mehr  auf  künst- 
lerische Beachtung  erheben. 

Trotzdem  überlieferte  uns  diese  bäuerliche  Töpferei  die  Re- 
zepte zu  mehreren  Glasurfarben,  da  in  der  Landeshauptstadt 
beim  städtischen  Töpfer  nur  noch  die  weiße  Glasur  im  Gebrauche 
war,  als  auf  dem  Gebiete  der  Ofenfabrikation  die  Reform  Ende 
der  siebziger  Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts  einsetzte. 

Der  große  Aufschwung,  den  zunächst  die  Tonofen- 
fabrikation der  Steiermark  unter  dem  Einfluße  der  Schule 
und  unserer  direkten  künstlerischen  Mitwirkung  genommen  hat, 
führte  auch  zu  dem  Versuche,  die  künstlerische  Gefäßbildnerei 
neuerdings  zu  beleben,  die  im  Anschlüsse  an  die  Ofenfabri- 
kation als  Hauskunst  betrieben  werden  könnte.  Die  bis  vor 
kurzem  an  der  Grazer  Staatsgewerbeschule  bestandene  kera- 
mische Fachschule  bildete  junge  Männer,  namentlich  aber  viele 

*  Näheres  hierüber  mit  reichen  Abbildungen  in  :  „Lacher,  Kunst- 
beiträfife  aus  Steiermark",    K.  W,  Hiersemann,  Leipzig,   1893 — 95»  3  Bände. 


28  Die  Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Steiermark. 

junge  Damen  und  Mädchen  im  Majolikamalen  aus,  die  die 
von  einigen  unserer  Ofenfabrikanten,  sowie  von  der  Majolika- 
fabrik in  Liboje  bei  Cilli  hergestellten  Gefäße  dekorierten. 

Diese  Arbeiten,  denen  zunächst  die  in  unserem  Museun^ 
befindlichen  italienischen  Majoliken,  später  aber  auch  unsere 
einheimischen  volksthümlichen  Fayencen  als  Grundlage  dienten, 
fanden  freundliche  Aufnahme,  ob  sich  aber  aus  diesen  Bestre- 
bungen eine  Hauskunst  von  nachhaltiger,  wirtschaftlicher  Be- 
deutung entwickeln  wird,  muß  wohl  die  Zukunft  lehren.  Mit 
dieser  Technik  wurde  von  dem  Vorstande  der  genannten  kera- 
mischen Fachschule,  Prof.  Johann  Lepuschütz,  auch  jene 
des  Emailmalens  praktisch  gelehrt,  und  erzielten  mehrere 
Damen  darin  eine  beachtenswerte  künstlerische  Fertigkeit;  auch 
hier  wäre,  wie  bei  der  Majolikamalerei,  wohl  sehr  zu  empfehlen, 
das  Begonnene  emsig  weiterzuführen  und  von  selten  der 
Schule  wie  früher  zu  fördern. 

Das  Mobiliar  und  auch  die  Eisenarbeiten,  die  herrlichsten 
Blüten  steirischen  Kunsthandwerkes,  sind  wohl  zumeist  auf  hand- 
werklicher Grundlage  entstanden.  Der  rege  Wagenverkehr  auf 
der  Landstrasse  hatte  zur  Folge,  daß  sich  allerorts  Huf-  und 
Zeugschmiede,  Wagner  und  Schreiner  niedergelassen  haben, 
und  in  der  Tat  finden  wir  bis  zur  Einführung  der  Eisen- 
bahnen auf  dem  Lande  viel  mehr  derartige  Handwerksbetriebe 
als  in  der  Gegenwart.  Vor  allem  aber  ließ  der  Umstand,  daß 
die  genannten  Techniker  eine  größere  Anzahl  Werkzeuge 
beanspruchen,  die  sich  der  Bauer  nicht  beschaffen  konnte, 
sie  für  die  Hausindustrie  minder  geeignet  erscheinen.  Doch 
kommt  bei  den  Holzarbeiten  für  den  Hausfleiß  alles  das  in 
Betracht,  was  mit  dem  Reifmesser  auf  der  sogenannten  „Hansel- 
bank" erzeugt  werden  konnte.  Es  sind  dies  allerlei  Haus-  und 
Küchengeräte,  Teile  von  Werkzeugen  und  Landwirtschafts- 
geräte, die  auch  heute  noch  so  ziemlich  in  allen  Teilen  des 
Landes  im  Bauernhause  hergestellt  werden.  Einfache  Stühle 
und  Bänke,  Löffelkörbchen,  wie  das  aus  Ramsau  stammende 
hier  abgebildete  Löffelkörbchen  unseres  Museums  und  derglei- 
chen entstehen  auch  jetzt  noch  auf  diesem  Wege,  ebenso  das 
Bemalen  der  einfacheren  Holzsachen.  Bei  vielen  dieser  Arbeiten 
kam  und  kommt  noch  künstlerische  Betätigung  zum  Ausdruck. 

Nicht  so  allgemein  aber  doch  ziemlich  häufig  wurden 
auch  die  Drechslerei  von  bäuerlicher  Hand  ausgeübt.  Auf  diese 
Weise  wurden  Haspel  und  Spinnrad,  Holzteller,  Schüsseln, 
Mörser,  Handleuchter  u.  a.  m.  erzeugt.  Unsere  Sammlungen 
geben  hievon  zahlreiche,  bis  in  das  XVI.  Jahrhundert  zurück- 


Von  Karl  Lacher. 


29 


reichende  Proben.  An  vielen  Geräten,  wie  namentlich  an  den 
Wäscherollen,  Mangelbrettern,  kleineren  Holzkassetten  und 
Stuhllehnen  kam  auch  die  Holzschnitzerei  zur  Anwendung. 
Meistens  sind  es  Kerbschnitzereien,  die  auf  uns  gekommen 
sind.    Diese    tragen    bis  zum  Beginne  des  XVIII.  Jahrhunderts 


noch  gothischen  Charakter. 


Von  den  Eisenarbeiten  sind  hier  dennoch  zu  nennen 
die  Arbeiten  jener  kleineren  Zeugschmiede  in  den  entlegensten 
Gräben,   die  die  Landwirtschaft  mit  ihrem  Gewerbe  gleichmäßig 


betrieben  und  sich  weniger  dem  Schaffen  ihrer  zunftmäßig 
organisierten  Kollegen  angeschlossen  haben.  Sie  fertigen  für 
das  Bauernhaus  die  orginellsten  Dinge,  denen  künstlerisches 
Empfinden  unverkennbar  eigen  ist,  das  in  seiner  naiven  Aus- 
drucksweise Zierformen  schuf,  die  so  ganz  erst  aus  der  Technik 
des  Schmiedens  herausgewachsen  sind.  Da  sind  vor  allem  die 
Küchen-  und  Herdgeräte,  die  bei  einfachster,  nur  dem  Zweck 
des  Gegenstandes  dienenden  Formengebung  schlichte  Zierformen 
tragen,  die  absolut  echt  und  wahr  sind,  weil  sie  weder  dem 
Gebrauche  des  Gegenstandes,  noch  seiner  Herstellung  zuwider- 
laufen. In  naivster  Art  gestalteten  wohl  nur  diese  bäuerlichen 
Meister   die    noch    heute    in  einigen  Leonhardkirchen  unseres 


30  Die  Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Steiermark. 

Landes  gebräuchlichen  Weihgeschenke  aus  Schmiedeeisen.  Sie 
stellen  allerlei  Haustiere  dar,  die  von  der  Landbevölkerung 
dem  Kirchenpatron  auch  heute  noch  gewidmet  werden.  Unser 
Museum  besitzt  wohl  die  reichste  Sammlung  von  solchen  Weih- 
geschenken, die  alle  steirischen  Leonhardskirchen  entstammen. 
Diese  schlichten  Gegenstände  werden  ob  ihrer  originellen,  an 
die  etruskischen  Arbeiten  erinnernden  Formen  wohl  zumeist 
noch  von  vielen  Forschern  zu  weit  zurückdatiert. 

Sie  gehören  keinem  bestimmten  Stil  an,  sind  vielmehr 
schlichte  Blumen,  die  ausschließlich  aus  der  Technik  des 
Schmiedens  und  einem  natürlichen,  nicht  anerzogenen  Schön- 
heitsgefühl heraus  entstanden  sind.  Unsere  ältesten  geschmie- 
deten Opfertiere  dürften  wohl  kaum  über  das  XVI.  Jahr- 
hundert zurückreichen,  und  die  jüngsten,  die  noch  ganz  die 
Naivität  der  früheren  Stücke  tragen,  hat  um  die  Mitte  des 
XIX.  Jahrhunderts  ein  bäuerlicher  Zeugschmied  zu  Breitenau 
angefertigt.  Auch  von  den  bäuerlichen  Eßbestecken  sind 
wohl  die  meisten  und  originellsten  aus  bäuerlichen  Schmiede- 
werkstätten hervorgegangen.  Diese  Bestecke,  zumeist  Messer, 
Gabel  und  Streicher  in  einem  Lederetui  enthaltend,  waren  mit 
Hirschhomgriffen  versehen,  welch  letztere  häufig  mit  Messing-, 
Silber-  oder  auch  Zinn-Montierungen  geschmückt  waren,  während 
die  Klingen  Sprüche,  am  häufigsten  aber  die  Namen  ihrer 
Träger  und  die  Jahreszahl  ihrer  Erzeugung  tragen. 

Unsere  Sammlung  enthält  aus  allen  Landesteilen  der- 
artige Arbeiten  aus  dem  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert.  Der 
letzte  bäuerliche  Schmiedmeister,  der  an  seinen  Bestecken 
noch  diese  Formensprache  beherrschte,  war  wohl  der  in  Groß- 
sölk  ansässig  gewesene,  um  1850  verstorbene  Meister  Georg 
Meier,  dessen  eigenes  Besteck  ich  von  seinem  Sohne  für  unsere 
Sammlungen  erwerben  konnte. 

Viele  unserer  Tabakdosen  aus  Hom,  sowie  die  Eßlöffel  aus 
Hom  und  Buchenholz  sind  auch  auf  hausindustrielle  Erzeugung 
zurückzuführen.  Sie  sind  häufig  geziert  mittels  eingravierter 
Darstellungen  aus  dem  Volksleben,  Jagdszenen  und  Sprüchen. 

Auf  hausindustrielle  Erzeugung  ist  auch  die  Pfeifen- 
schneiderei zurückzuführen.  Viele  uns  erhaltene  Pfeifen  lassen 
echt  künstlerische  Betätigung  erkennen. 

Unser  ältestes  Exemplar  aus  dem  Jahre  1660  ist  also 
nicht  alzuweit  von  jener  Zeit  entfernt,  in  der  das  Tabakrauchen 
hierzulande  Eingang  gefunden  hat.  Zunächst  sehen  wir  Pfeifen 
aus  Erlen-  und  Eschenholz  geschnitzt,  wobei  Jagdszenen  einen 
beliebten  Vorwurf  gebildet  haben.  Es  folgten  im  XVIII.  Jahr- 


Von  Karl  Lacher.  31 

hundert  Pfeifen  aus  Erlenholz  mit  Perlmutter-  und  Messing- 
einlagen, deren  Ornamentik  überaus  häufig  den  Doppeladler 
verwertet.  Das  letzte  Ausklingen  dieser  kunstgewerblichen 
Hausindustrie  fand  ich  in  der  Gegend  von  Rottenmann,  wo 
ein  bäuerlicher  Pfeifenschneider  bis  zu  seinem  Tode  (1890) 
kurze  Pfeifen,  sogenannte  Ruepel  oder  Nasenwärmer  erzeugte 
und  durch  einen  Rottenmanner  Kaufmann  verkaufen  ließ. 
Diese  Erzeugnisse  sind  aus  Buchenholz  mit  einfachen  Messing- 
einlagen, Metalldeckel  und  kurzem  Homrohr  versehen. 

In  der  Korbflechterei  kamen  neben  den  gewöhnlichen 
Gebrauchskörben  wohl  selten  feinere  Arbeiten  im  Bauern- 
hause vor ;  es  fehlte  dafür  von  jeher  an  geeignetem  Weiden- 
material.  Auch  heute  werden  noch  allgemein  Körbe  aus 
Stroh  und  Haselnußwurzelholz  geflochten  und  besonders  aus 
den  Gegenden  von  Weiz  bis  Feldbach  sowie  aus  Hitzen- 
dorf auf  den  Grazer  Markt  gebracht.  Die  Bemühungen 
der  Fachschule  in  Brück  a/M.,  die  Erzeugung  feinerer  Korb- 
flechtwaren im  Bauernhause  zu  erzielen,  die  selbst  zur  Anlage 
von  Weidenplantagen  führten,  hatten  keinen  Erfolg,  es  man- 
gelte schließlich  an  den  nötigen  Arbeitskräften.  Auch  der  so 
rührige  Ausseer  Hausindustrieverein,  den  wir  mit  guten  Korb- 
mustem  versehen  haben,  hat  auf  diesem  Arbeitsfelde  ebenfalls 
noch  kein  nennenswertes  Resultat  erzielt.  Ob  nun  durch  den 
sich  immer  rationeller  gestalteten  Obstbau  des  Landes  das 
Bedürfnis  nach  feineren  Körbchen  für  die  edleren  Obstsorten 
wachgerufen  werden  wird,  und  ob  dann  die  heimische  Erzeu- 
gung für  diesen  Bedarf  nicht  doch  wird  aufkommen  wollen, 
das  sind  Fragen,  auf  die  wohl  die  nächsten  Jahre  schon  eine 
Antwort  zeitigen  werden. 

Die  im  Museum  aufliegenden  steirischen  Stammbücher 
des  XVIII.  und  XIX.  Jahrhunderts  mit  ihren  süßen  Poesien, 
bekunden,  daß  unsere  galanten  Altvordern  selbst  im  Aquarell- 
malen, im  Tusch-  und  Federzeichnen  geübt  waren. 

Die  Aussichten  der  Hausindustrie  für  die  Zukunft  sind 
im  allgemeinen  wohl  nicht  günstig.  Mag  auch  dem  bäuerlichen 
Hausfleiße  sich  neuerdings  Geschmack  und  Kunstfertigkeit  zu- 
gesellen, so  werden  doch  kunstgewerbliche  Hausindustrien  von 
einer  größeren  wirtschaftlichen  Bedeutung,  die  auch  für  die 
Ausfuhr  in  Betracht  kommt,  nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen 
herausgebildet  werden  können.  Da,  wie  schon  eingangs  an- 
gedeutet worden  ist,  die  besten  Arbeitskräfte  der  Landbevöl- 
kerung u.  zw.  beiderlei  Geschlechtes,  den  Verkehrszentren  zu- 
strömen und  die  der  bäuerlichen  Scholle  treu  bleibenden  Einge- 
borenen kaum  ausreichen  zu  richtigem  Landwirtschaftsbetriebe. 


32  Die  Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Steiermark. 

Bei  der  stetig  zunehmenden  Verarmung  der  Landbevöl- 
kerung dürfte  es  wohl  ein  vergebliches  Bemühen  sein,  dessen 
Tätigkeit  neuerdings  auf  die  erloschene  Hausindustrie  zu  lenken . 
Da  müßten  zuerst  wohl  andere  Faktoren  eingreifen,  um  der 
Entvölkerung  und  Verarmung  des  Bauernstandes  wirksamst 
zu  begegnen. 

Daher  wird  sich  auch  vorerst  nur  in  Orten  mit  größerem 
Verkehr,  vor  allem  in  den  Städten  eine  künstlerische  För- 
derung des  Hausfleißes  als  nutzbringend  erweisen.  Da  sind 
zahlreiche  Familien,  deren  Angehörige  neben  der  Wirtschafts- 
führung noch  Zeit  genug  erübrigen,  um  sich  ernster  Arbeit 
widmen  zu  können.  Es  wurde  schon  angedeutet,  auf  welchen 
Zweigen  des  Kunstgewerbes  unsere  Bemühungen  zur  Hebung 
der  Hauskunst  schon  mit  nachhaltigem  Erfolge  versucht  worden 
sind.  Hier  mit  allen  Mitteln  weiter  zu  bauen,  kann  nur  nach- 
drücklichst empfohlen  werden. 

Was  hier  über  unseren  altsteirischen  Hausfleiß  gesagt 
wurde,  das  haben  mir  die  nunmehr  in  unserem  kulturhistori- 
schen und  Kunstgewerbe-Museum  zusammengestellten  Sachen 
aus  diesem  Gebiete,  während  ich  dieselben  aufsammelte,  ein- 
ordnete und  beschrieb,  gar  eindringlich  erzählt.  Die  vergilbten 
Dorfchroniken  konnte  ich  seltener  befragen.  Aber  selbst  wenn 
sie  über  das  so  bescheidene  Wirken  umfassendere  Aufzeich- 
nungen enthalten  sollten,  dürfte  die  Sprache,  die  die  vielfachen 
Dinge  des  Alltags  selbst  sprechen,  für  den,  der  sie  enistlich 
zu  hören  bemüht  ist,  die  verständlichere  sein. 

Jedenfalls  aber  müßten  es  alle  Freunde  der  Kultur- 
geschichte unseres  Landes  dankbarst  begrüßen,  wenn  unsere 
Archive  auch  nach  der  Richtung  des  künstlerischen  und 
gewerblichen  Schaffens  hin  systematisch  ausgenützt  würden 
und  das  so  dankbare  Gebiet  in  das  Arbeitsprogramm  der 
historischen  Landeskommission  einbezogen  werden  könnte,  da 
diese  nunmehr  im  Landesmuseum  so  bequem  dargebotenen 
Schätze  nicht  nur  zur  Belebung  des  gewerblichen  und  kunst- 
historischen  Schaff"ens  und  zur  allgemeinen  Geschmacksbildung 
eine  immer  höhere  Bedeutung  erlangen,  sondern  auch  in  Hin- 
kunft von  dem  Geschichtsforscher  größere  Beachtung  als  bisher 
werden  finden  müssen. 


Das  Haus  Stubenberg  in  Böhmen.' 

Von  Professor  J.  Loserth. 


Sehr  verehrte  Anwesende! 

Sie  hatten  —  es  dürfte  nun  gerade  ein  Jahr  her  sein  — 
die  Güte,  einen\  Vortrage  anzuwohnen,  der  der  Herkunft 
und  dem  Alter,  den  frühesten  Geschicken  und  der  späteren 
Geschichte  unseres  hervorragendsten  Adelshauses  in  Steier- 
mark, dem  Herr  engeschlechte  Stubenberg  gewidmet  war.  Sie 
haben  damals  vernommen,  wie  dies  Geschlecht  schon  im 
XII.  und  XIII.  Jahrhundert  an  den  großen  Landes-  und  selbst 
Reichsaktionen  lebhaften  Anteil  genommen,  welches  ihr  Ver- 
wandtenkreis gewesen  und  inwieweit  dieser  die  habsburgische 
Herrschaft  hierzulande  aufrichten  half.  Es  konnten  schon  da- 
mals Bemerkungen  über  den  ausgedehnten  Grundbesitz  des 
Hauses  gemacht  werden  und  über  das  große  Ansehen,  zu  dem 
es,  weit  über  die  Grenzen  des  engeren  Heimatlandes  hinaus, 
gelangt  war  und  wie  es,  in  raschem  Aufschwung  begriffen, 
selbst  mit  dem  Papst-  und  Kaisertum  in  nahe  Berührung  kam. 
Ich  durfte  damals  schon  das  Versprechen  geben,  auch 
aus  der  späteren  Geschichte  dieses  Herrenhauses  noch  eine 
und  die  andere  Episode  zum  Vortrag '  zu  bringen.  Allerdings 
fand  sich  —  als  ich  an  die  Einlösung  dieses  Versprechens 
ging  —  daß  es  nicht  so  leicht  sei,  eine  Auswahl  aus  der 
^[roßen  Menge  interessanter  Episoden  zu  treffen,  von  denen  die 
Geschichte  des  Hauses  Stubenberg  zu  berichten  weiß.  Schon 
unter  den  Mitgliedern  dieses  Hauses  im  XIV.  und  XV.  Jahr- 
hundert —  und  noch  mehr  unter  denen  der  späteren  Zeit  — 
gibt  es  viele,  die  eine  eingehende  Darstellung  ihrer  Geschichte 
lind  Würdigung  ihrer  Leistungen  verdienen  würden,  da  sie 
entweder  —  gewandt   und  kraftvoll  —  in    die  Geschicke  der 

*  Vortrag,  gehalten  im  histor.  Verein  für  Steiermark  am  lo.  Februar  1 906. 

8 


34  Das  Haus  Stuben berg  in  Böhmen. 

Steiermark  eingreifen  oder  in  engen  Beziehungen  zu  dem 
heimischen  Fürstenhause  oder  zu  fremden  Dynastengeschlecht en"i 
stehen  oder  in  die  Geschicke  anderer  interessanter  Adelshäuser, 
wie  die  der  Baumkircher,  verwickelt  sind. 

Allerdings  ist  da  für  die  historische  Forschung  viel  zu 
tun  und  es  bedarf  jahrelanger,  unausgesetzter  Arbeit,  bis  alle 
diese  Dinge  richtig  dargestellt  werden  können.  Und  das  ist 
ja  begreiflich:  Nicht  immer  liegen  derlei  Beziehungen  klar  uncJ 
deutlich  zutage.  In  manchem  Briefe  des  einen  und  des  anderen 
Stubenbefgers  finden  sich  Andeutungen,  die  zu  weiteren 
Studien  reizen,  welche  letzteren  nicht  selten  ergebnislos  ver- 
laufen, da  jenes  einschlägige  Quellenmaterial  verloren  gegangen 
ist,  das  diese  Andeutungen  aufzuhellen  vermöchte. 

Wir  haben  da  z.  B.  eine  Dorothea  von  Kanischa  —  wahr- 
scheinlich eine  Stubenbergerin  —  die  in  das  angesehene  Mag- 
natenhaus der  Kanischai  geheiratet  hat.  Wir  kennen  von  ihr  nur 
einen  einzigen  Brief  und  da  erscheint  sie  als  eine  mit  hervor- 
ragenden politischen  Talenten  begabte  Dame,  die  eben  daran  ist» 
ihren  Geschwistern  eine  glänzende  Zukunft  am  ungarischen  Hofe 
zu  gründen,  als  die  Schlacht  von  Mohäcs  diesen  Plänen  ein 
jähes  Ende  bereitet.  Wie  gern  möchte  man  mehr  aus  dem 
Leben  dieser  Politikerin  hören! 

Oder  wie  reizend  wäre  es,  die  Geschichte  jenes  Wolf 
von  Stubenberg  aus  dem  Beginne  des  XVI.  Jahrhunderts  zu 
erzählen,  der  in  seinem  schriftlichen,  seinen  Söhnen  hinter- 
lassenen  Vermächtnisse  uns  nicht  bloß  als  ein  trefflicher 
Hauswirt  und  ausgezeichneter  Patriot,  sondern  auch  als  ein 
Mann  von  einer  geradezu  seltenen  Lebensklugheit  erscheint, 
dessen  Vermächtnis  —  ich  möchte  sie  Hausregeln  für  die 
Herren  von  Stubenberg  nennen  —  in  unserer  steiermärkischen 
Geschichtsliteratur  immer  einen  wichtigen  Platz  einnehmen 
werden. 

^Pocht's  nicht  viel"  —  sagt  er  —  „auf  euren  Reichtum. 
Gar  mancher  reitet  mit  vier  und  sechs  Rossen.  Vier  und 
sechs  Jahre  später  wird  er  zu  Fuß  gehen."  „Laßt*s  niemanden 
über  Eure  Briefe,  das  war*  Euer  Ende".  „Dient*s  enkenii 
(eurem)  Fürsten,  seid's  ihm  gehorsam  und  handelt  nicht 
wider  ihn."  Diese  unentwegte  Loyalität  ist  der  Leitstern 
seiner  Kinder,  Enkel  und  Urenkel  gewesen,  und  wenn  da 
einer,  wie  unser  Rudolf  von  Stubenberg,  einmal  entgleiste, 
geschah  es  unter  Umständen,  unter  denen  ein  anderes  Handeln 
schwer  möglich  gewesen  —  die  Umstände  sind  eben  meist 
.stärker    als  die  Menschen.    Mit    der  Geschichte    dieses  RudoU 


Von  Prof.  J.  Losertlu  Sb 

wollen  sich  unsere  Darlegungen  vornehmlich  befassen.  Gewiß 
hätte  man  im  Hause  Stubenberg  noch  mächtigere  Persönlich- 
keiten gefunden;  da  ist  schon  der  gleichnamige  Sohn  jenes 
weisen  Wolf,  vielleicht,  der  tüchtigste  Landwirt  seiner  Zeit, 
dann  sein  gleichnamiger  Enkel,  damals  wenn  nicht  die  erste, 
so  doch  die  beliebteste  Persönlichkeit  am  Hofe  Karls  II. 
(1564 — 1590),  aus  dessen  Verkehr  mit  der  erzherzoglichen 
Familie  uns  eine  reizende  kleine  Korrespondenz  erhalten  ist, 
die  uns  die  Erzherzogin  Maria,  die  bekannte  schneidige  Geg- 
nerin der  Protestanten,  von  ihrer  liebenswürdigen  rein  mensch- 
lich-edlen Seite  zeigt,  da  ist  endlich  dieses  Wolfgang  Sohn, 
der  edle  Georg  der  Ältere,  ein  Mann  von  unerschütterlicher 
Treue  seinem  evangelischen  Glaubensbekenntnisse  gegenüber, 
der  eher  als  dieses  seinen  überkommenen  Besitz  und  sein 
teures  steirisches  Vaterland  aufgeopfert  hat. 

Mit  Rudolf,  einem  Vetter  dieses  Georg,  wird  sich,  wie 
bemerkt,  unsere  Darstellung  beschäftigen.  Er  ist  jener  Stuben- 
berger,  der,  eben  als  der  große  deutsche  Krieg  in  Böhmen 
seinen  Anfang  nahm,  in  die  Geschichte  des  böhmischen 
Winterkönigs  verflochten,  ein  frühzeitiges  und  tragisches  Ende 
fand.  Das  stubenbergische  Haus  hatte  dabei  noch  schweren 
Verlust  an  Land  und,  Gut  zu  tragen.  Es  verlor  den  präch- 
tigen Herrensitz,  den  es  seit  drei  Generationen  in  Böhmen 
besaß:  Neustadt  an  der  Mettau. 

Wie  sind  die  Stubenberger  zu  diesem  Besitz  gekommen  ? 
Das  Haus  Stubenberg  konnte  bis  in  das  XV.  Jahrhundert  als 
ein  rein  steirisches  Geschlecht  bezeichnet  werden,  denn  wenn 
es  auch  seinen  Ausgangspunkt  aus  der  Wiener-Neustädter 
Gegend  genommen,  von  wo  es  über  den  Semmering  und 
Wtchsel  bis  in  das  Herz  der  Steiermark  eindrang,  man  darf 
doch  nicht  vergessen,  daß  diese  Neustädter  Gegend  bis 
in  die  zweite  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  zu  Steiermark 
gehörte.  Mit  den  Baumkirchern  und  durch  sie  gewann  es  im 
XV.  Jahrhundert  in  Ungarn  reichen  Besitz  und  als  sich  die 
habsburgische  Herrschaft  in  den  böhmischen  Landen  befestigt 
hatte,  faßte  es  auch  dort  festen  Boden.  An  zwei  Punkten: 
in  Neustadt  an  der  Mettau  und  in  Geiersberg.  Nur  den  Er- 
werb der  ersteren  will  ich  schildern,  denn  nur  mit  Neustadt 
an  der  Mettau  ist  die  Geschichte  Rudolfs  von  Stubenberg  auf 
das  engste  verwebt.  Bezüglich  des  erstmaligen  Erwerbes  von 
Geiersberg  —  denn  das  Haus  Stubenberg  ist  nach  langer 
Zwischenzeit  ein  zweitesmal  in  dessen  Besitz  gekommen,  fehlt 
es  leider    an  hinreichendem  Quellenstoflf.     Es    ist    ein    höchst 


36  Das  Haus  Stubenberg  in  Böhmen. 

charakteristisches  Faktum,  daß  die  berühmte  Sommersclie 
Topographie  von  Böhmen  kein  Wort  davon  weiß,  daß  Geiers- 
berg schon  im  XVI.  Jahrhunderte  den  Stubenbergern  gehörte. 
Wenn  es  dort  heißt :  daß  Geiersbei^  zu  Anfan»  des  XVII.  Jahr- 
hunderts den  Zierotinen  gehörte,  dann  au  die  Kolowrat  ge- 
langte, so  weiß  man,  was  davon  zu  halten  ist.  Kehren  \*rir 
zunächst  zu  Neustadt  zurück. 

Es  ist  ein  Verwandter  des  Stubenbergischen  Hauses  g^e- 
wesen,  ein  Mitglied  des  kärntnischen  Hauses  Kreigh,  das  aber 
selbst  in  Böhmen  heimisch  geworden  war,  Wolf  von  KreigH. 
der  Oberstburge^raf  von  Böhmen,  der  die  Aufmerksamkeit 
seines  Neffen  Wolf  von  Stubenberg  auf  Neustadt  an  der 
Mettau  lenkte  —  einen  prächtigen  Besitz,  der  dem  alten  Hause 
der  Pemstein  gehörte.  Da  über  die  Erwerbung  dieses  Besitzes 
in  den  böhmischen  Topographien  viele  Irrtümer  vorkommen, 
so  mag  hierüber  etwas  näheres  gesagt  werden.  Die  Topo- 
graphie Schallers  sagt  bloß:  Zu  Anfang  des  XVII.  Jahrhunderts 
hielt  Rudolf  von  Stubenberg  diese  Herrschaft  in  Besitz.  Nach 
der  Schlacht  am  weißen  Berge  wurde  sie  vom  königlichen 
Fiskus  eingezogen  und  an  Albrecht  von  Wallenstein  gegeben, 
der  sie  der  Gräfin  Magdalene  von  Trczka  gegen  die  Herr- 
schaft Kopidlno  vertauschte ;  die  große  Güterkonfiskation  nach 
der  Ermordung  Wallensteins  brachte  die  Herrschaft  an  das 
Haus  Leslie.  Zu  Neustadt  gehörten  außer  der  Stadt  selbst 
nicht  weniger  als  32  Ortschaften  und  wie  schön  die  Lage 
des  Herrensitzes  gewesen,  davon  gibt  die  Abbildung  in  der 
Sommerschen  Topographie  Zeugnis. 

Die  Darstellung  in  Sommers  Topographie  ist  nun  freilich 
eine  äußerst  mangelhafte.  Da  könnte  es  leicht  den  Anschein 
gewinnen,  als  hätte  das  Haus  Stubenberg,  wie  es  später  an- 
läßlich einer  in  der  europäischen  Wirtschaftsgeschichte  jener 
Zeit  unerhörten  Güterkonfiskation  seinen  Neustädter  Besitz 
eingebüßt  hat,  ihn  vordem  auch  in  gleicher  Weise  gewonnen. 
Sommer  sagt  nämlich:  Nach  dem  Siege  Karls  V.  bei  Mühlberg 
im  Jahre  1547  wurden  nebst  anderen  auch  die  Pernsteinschen 
Güter  eingezogen    und  die  Herrschaft  Neustadt    kam  an  Wolf 

von  Stubenberg,    der    1560  starb Rudolf  von  Stubenberg 

blieb  in  ihrem  Besitz  bis  nach  der  Schlacht  am  weißen  Berge, 
wo  ihm  als  Anhänger  des  Winterkönigs  die  Herrschaft  Neu- 
stadt entzogen  wurde.  In  dieser  Darstellung  Sommers  sind 
fast  mehr  Fehler  als  Sätze.  Ich  will  hier  nur  den  wesentlichsten 
korrigieren.  Bei  Sommer  ist  es,  wie  bemerkt,  die  große  Güter- 
konfiskation von   1547,  die  dem  Hause  Stubenberg  zu  seinem 


Von  Prof.  J.  Loserth.  87 

Neustädter  Besitz  hilft.  Dem  ist  nicht  so.  Der  Stubenbergsche 
Ehrenschild  weist  da  keinen  Fleck  auf.  Die  Stubenbergef 
hatten  für  diesen  Besitz  den  rechtmäßigsten  Titel,  den  es 
^ibt:  durch  Kauf.  Noch  kennen  wir  die  Summe,  dife  sie  für 
Neustadt  gezahlt  haben.  Sie  kauften  es  aber  schon  1546,  also 
ein  ganzes  Jahr  vor  dem  Ausbruche  des  böhmischen  Auf- 
standes  gegen  das  Haus  Habsburg. 

Die  Präliminarien  für  den  Kauf  wurden  1545  erledigt, 
die  Erwerbung  hat  demnach  mit  dem  Aufstand,  der  fast  zwei 
Jahre  später  ausbrach,  nicht  das  mindeste  zu  tun.  Das  eine 
hatte  freilich  Wolf  von  Kreigh  zu  bedauern,  daß  sich  die 
Besitznahme  durch  die  Stubenbergschen  Verwandten  in  so 
schwerer  Zeit  vollzog;  doch  konnte  er  im  Frühjahre  1547 
melden,  daß  die  Fischteiche  schon  alle  besetzt  und  die  Äcker 
angebaut  seien. 

Interessant  vom  wirtschaftlichen  Standpunkte  aus  ist  es 
zu  sehen,  wie  außerordentlich  praktisch  Wolf  von  Stuben- 
berg bei  der  Einrichtung  des  neuen  Besitzes  verfuhr.  Man 
entnimmt  aus  ihnen,  daß  er  ein  hervorragender  Ökonom  ge- 
wesen, der  es  verstanden  haben  muß,  auch  auf  seinen  steiri- 
schen  und  österreichischen  Gütern  deren  Erträgnisse  aufs 
höchste  zu  steigern.  Zwei  Bedienstete  schickt  er  nach 
Böhmen.  Sie  haben  die  Aufgabe,  in  Neustadt  zu  dem 
rechten  zu  sehen,  wie  es  mit  dem  Wasser  steht,  ob  die 
Mettau  etwa  so  groß  ist  als  die  Mur  oder  die  Mürz, 
welche  Fische  sie  führt,  ob  Ottern  (Fischottern)  und  Biber 
vorkommen,  welches  die  Weinpreise  sind,  ob  sich  die  Wein- 
zufuhr lohne,  wie  es  mit  den  Märkten  stehe,  ob  man  jeder- 
zeit Fuhrleute  haben  könne  u.  s.  w.  Es  sollte  demnach 
der  Absatz  österreichischer,  vielleicht  auch  steirischer  Weine 
in  Angriff  genommen  werden.  Die  Kaufsummen  für  die  Neu- 
stadt, Schloß,  Vorstädte,  Fisch wässer,  Meierhöfe  samt  Zu- 
gehör,  das  Städtchen  Thuditz  und  die  Dörfer  betrug 
25.000  Schock  böhmischer  Groschen.  Nach  vollzogenem 
Kaufe  erhielt  Wolf  das  böhmische  Inkolat  und  legt  den  Eid 
darüber  ab.  An  dem  neu  erworbenen  Besitz  wurden  gleich 
anfangs  große  Meliorationen  vorgenommen.  Ich  will  da  nur 
einen  Punkt  herausheben.  Jeder  von  uns  kennt  die  große  Bedeu- 
tung, welche  der  Fischzucht  auf  den  einst  Rosenbergschen  Gütern 
des  fürstlichen  Hauses  Schwarzenberg  im  südlichen  Böhmen 
zukommt.  Der  Begründer  der  berühmten  Teichwirtschaft  auf 
den  alten  Rosenbergschen  Gütern  war  der  Teich-  und  Land- 
wirt Jakob  Kertschin  von  Jeltschan.  Wenn  man  nun 


38  Das  Haus  Stubenberg  in  Böhmen. 

unter    den  böhmischen  Dienern    des  Hauses  Stubenberg  einei:^ 
Jeltschan  findet    und  Kertschin,   nach  welchem   der  Teichwirt: 
sich  nannte,  in  der  Nähe  von  Neustadt  liegt,   wenn  wir  dann, 
weiter    erfahren,    daß    dieser    Kertschin    von   Jeltschan    eine^ 
Zeitlang    bei   einem    Nachbarn    des   Stubenbergers    bedienstet: 
war,    so    liegt    es    nahe,    anzunehmen,    daß    er   die   genaue^ 
Kenntnis    der  Teichwirtschaft   auf   dem  nunmehr  Stubenberg-— 
sehen  Gute  Neustadt  erworben    und  sie  dann  im  Dienste  des 
Hauses  Rosenberg  zur  Anwendung  gebracht  hat.     —  Da  das 
Haus   Stubenberg   nunmehr    auch   großen   böhmischen   Land- 
besitz hatte,  dieser  in  einer  Gegend  lag,  in  der  das  Tschechische 
ausschließlich    gesprochen    wurde,    viele    der   neuen  Nachbarn 
aber  der  deutschen  Sprache   nicht   oder   nur  wenig  mächtig- 
waren,    so    sandte  Wolf  von  Stubenberg   einen   seiner  Söhne, 
und   zwar   war   es   der  älteste  —  Hans  —  nach  Jungbunzlau 
in  die  tschechische  Schule,    um  dort  das  Tschechische  zu  er- 
lernen.    In    einem    Briefe,    der    an     den    genannten    Erasann 
Jeltschan    gerichtet   ist,    schreibt  Wolf:     „Laßt   mich    wissen, 
wie's   meinem   Sohne    geht,    ob   er   nun   schon   seinen  Donat 
lernt  und  ob  er  nun  bald  mit  anderen  Knaben  wird  böhmisch 
reden  können."     Man  sieht,    es  wird  von    nun    an  Übung  im 
Hause,  daß  mindestens  jenes  Mitglied,  dem  die  Verwaltung  des 
böhmischen  Güterkomplexes  zugewiesen  war,  der  tschechischen 
Sprache    mächtig    sein   mußte.    Als  dann    die  Verwaltung  der 
böhmischen    Güter    von    Steiermark    aus    immer    schwieriger 
wurde,    schien  es  das  beste,    einem  Mitgliede  des  Hauses  den 
böhmischen  Besitz  ins  Eigentum  zu  geben.    Dadurch  geschah 
es  nun  freilich,  daß  dies  Mitglied  schließlich  ganz  in  den  böh- 
mischen Adelsinteressen   aufging,    die   alte   streng    dynastische 
Politik  des  Gesamthauses  aufgab,  dafür  dann  aber  in  die  Kata- 
strophe des  Winterkönigs  verflochten  wurde.  Doch  davon  später. 
Im  Jahre  1568  wurden  auch  Wolfs  Söhne:  Hans,  Wolf, 
Jakob    und  Friedrich    für    immer    zu  böhmischen  Landleuten 
aufgenommen.     Es    gewann    damals  den  Anschein,    als  wenn 
das  Haus  seinen  böhmischen  Besitz  stark  nach  der  Glatzischen 
Seite  hin  abrunden  wollte.  Am   16.  Mai   1570  verpfändete  ihm 
nämlich   Rudolf  II.   die  große  Herrschaft  Humel    oder  Land- 
fried, die  nicht  weniger  als  24  Ortschaften  (zum  Teile  auch 
deutsche)    umfaßte.     Am    12.    Juni   1588    schlössen    Hansens 
Söhne:  Rudolf,  Friedrich  und  Georg  Hartmann  einen  Teilungs- 
vertrag,   nach   welchem  Rudolf  Neustadt    an  der  Mettau  und 
das    kurz    zuvor    erkaufte    Gut    Tschermney    erhielt.     Rudolf 
schlug   nun  seinen  Wohnsitz  in  Neustadt  auf.    Er  ist  es^  der 


Von  Prof.  J.  Loserth.  89 

in  die  große  Katastrophe  des  Jahres  l6l8  verflochten  wurde* 
Noch     kennen  wir    ein  Porträt  von    ihm:    es    ist    im  Besitze 
unserer     allverehrten    Gräfin  Anna  Buttler,    geborenen  Herrin 
von  Stubenberg.     Rudolf  war  danach  eine  stattliche,    kräftige 
Erscheinung    mit    ausdrucksvollem    Gesichte,    Adlernase    und 
kräftigem  Schurrbart;    gekleidet  ist  er,  wie  es  üblich  war,    in 
nationales  Kostüm.  Er  war  dreimal  vermählt,    zuerst  mit  Eli- 
sabeth  von  Khevenhüller,  dann  mit  Katharina  ans  dem  Hause 
Sm.iritzky,    endlich    mit  Justina  von  Zelking.    Wie  wenig   die 
modernen  Genealogen  des  Hauses  Stubenberg  mit  dessen  Ge- 
schichte vertraut  waren,    ersieht  man  aus  ihrer  Angabe,    daß 
das  Haus  Stubenberg    seinen    Neustädter  Besitz    der    zweiten 
Heirat  Rudolfs  mit  Katharina  von  Smifitzky  zu  danken  hatte. 
Wie    die  Stubenberg    alle  —  hatte    auch  Rudolf   einen 
ausgesprochenen  Familiensinn.  Die  damals  schon  stark  ausge- 
breitete Verwandtschaft    war    mit  Recht    auf   ihre    ruhmvolle 
Geschichte  stolz    und    suchte  des  Hauses  Glanz  in  würdigster 
Weise  aufrechtzuhalten.    Das  war  nun  freilich  in  der  Familie 
nichts    neues.      Diesen     ganz    berechtigten    Stolz    hatten    die 
Stubenberger  schon  ganze  drei  Jahrhunderte  früher.  Schon  da- 
mals —  es  war    im   Jahre    1292  —  hatten    sie    ein   pactum 
gentilicium  —  einen  Hausvertrag  —  geschlossen.  Bei  den  grauen 
Mönchen  im  Kloster  Reun  soll  man  —  ist  einer  gestorlDen  — 
ihn   begraben  und  sein  Leibroß  —  wer  erinnert  sich  da  nicht 
an  die  altgermanische  Sitte  —  dahin  geben    und  seinen   Har- 
nisch.   Dann  aber  —  und  auf  das  kommt  es  an:  keiner  soll 
ohne  der  anderen  Willen  vom  Stubenberger  Gut  etwas  —  es 
sei   Lehen-  oder  Eigengut  —  verkaufen  oder  verpfänden.  Wir 
haben,    sagen  Ulrich,  Friedrich  und  Heinrich  in    dem  pactum 
gentilicium.  von  1292,  das  beschworen,  was  dieser  Brief  sagt, 
daß  es  ewig    und    fest   bleiben  soll      So  tat  es  jetzt  —  300 
Jahre    später  —  ein  Stubenberger.     Am    25.  März   1598  be- 
kennt Friedrich  von  Stubenberg,  seinem  Bruder  Rudolf  zuge- 
sagt zu  haben,    daß  er  ohne  sein  Wissen  und  seinen  Willen 
von    seiner  Herrschaft  Gutenberg  niemandem  etwas  vergeben, 
verschenken,  verkaufen  oder  verpfänden  werde.  Und  geschähe 
es    doch,    so   habe    es   keine    Kraft.     In   solcher  Weise  allein 
konnte    eine    Verschleuderung   des    großen,    in    vier   Ländern 
—  Steiermark,  Österreich,  Ungarn  und  Böhmen  —  gelegenen 
Familienbesitzes  vorgebeugt  werden.  Es  ist  ja  gewiß  bezeich- 
nend,   daß  in  solcher  Weise  die  Hauptgüter  des  Geschlechtes 
durch  acht  beziehungsweise  sechs  Jahrhunderte    zusammenge- 
halten' werden  *^  konnten,    und  wenn    im  ersten  Jahrzehnt  des 


40  Das  Haus  Stubenberg  in  Böhmen. 

XIX.  Jahrhunderts  ünterkapfenberg  verloren  ging,  geschah 
es,  weil  man  die  Bestimmungen  des  alten  Stubenbergischeii 
Erbvertrages  erst  anrief,  als  es  zu  spät  war. 

Rudolf  von  Stubenberg  ging  nun  ganz  in  den  politischen 
Bestrebungen   des    böhmischen  Hochadels  auf.     In  Steiermarlc 
hatten    die  Stubenberger    seit    den  Tagen  Albrechts  L,    wenn 
man  von  ihrer  Verbindung  mit  dem  Baumkircher  absieht,    in 
unverbrüchlicher  Treue   zum    Habsburgischen  Hause  gehalten. 
Wie  stand  noch  Rudolfs  einstiger  Vormund  Wolf  und  dessen 
Sohn,  der  biedere  Georg,  der  erzherzoglichen  Familie  in  Grass 
so    nahe.     Nun    aber    hielten    nach    dem  Tode    des  Kaisers 
Matthias    die    böhmischen  Stände    dafür,    daß    ihr  Königtum 
nicht  ein  Erb-,  sondern  ein  Wahlkönigtum  sei,  und  trotzdeni 
sie   1617  ungeachtet  der  Opposition  einzelner  protestantischer 
Mitglieder    den  Erzherzog  Ferdinand    zum  König    »angenom- 
men'*   hatten,    wurde   er,    weil    er   in  Steiermark  den  Prote- 
stantismus unterdrückt,    weil  er,    wie    sie   sagten,    durch  List 
und  Betrug    die    böhmische    Krone   erlangt    und    alles    getan 
habe,  was  auf  das  Verderben  des  böhmischen  Reiches  abzielt, 
feierlich  abgesetzt  und  an  seiner  Stelle  der  Pfalzgraf  Friedrich 
am  27.  August  1619  zum  König  gewählt  und  am  4.  November 
gekrönt     Zu    den  Anhängern  Friedrichs  von  der  Pfalz,    den 
man    seiner    kurzen  Regierung    wegen    den  Winterköni^ 
nennt,  gehörte  auch  Rudolf  von  Stubenberg.  Er  sollte  freilich 
das  Ende  des  Winterkönigs   in  Böhmen   nicht  erleben,    denn 
er  fiel  noch  früher  einem  tragischen  Geschicke  zum  Opfer  — 
einem  Geschicke,  das  in  jenen  Tagen  großes  Aufsehen  machte. 
Es  war  nämlich  zu  Anfang  P^ebruar  1620,    als    ein  Ereignis, 
das  sich  in  Gitschin  zutrug,  auf  den  Winterkönig,    seine  Ge- 
mahlin   und    die    ganze    habsburgfeindliche  Partei  in  Böhmen 
einen  erschütternden  Eindruck  machte.   Am   1.  Februar  1620 
sprengte  eine  Dame  des  böhmischen  Herrenstandes,  Elisabeth 
Katharina  von  Smificky,    um    sich    von    ihren    ihrer   eigenen 
Familie    angehörigen  Peinigern    zu  befreien,    das  Schloß  von 
Gischin    in    die  Luft    und    fand    bei  dem  Unternehmen  ihren 
Tod.  Die  Selbstmörderin  war  die  Tochter  Sigmund  Smifickys, 
des  reichsten  Edelmannes  in  Böhmen,    der    bei    seinem  Tode 
im  Jahre   1614    nicht    weniger    als  17  Güter  hinterließ,    von 
denen    einige    heute    noch    den    beneidenswerten  Besitz   der 
Fürsten  von  Liechtenstein    ausmachen.     Smiricky    hatte   drei 
Söhne   und    zwei  Töchter,    von  denen  die  letzteren  mit  Geld 
abgefunden   wurden.     Nun   starb   von    den    drei    Söhnen   der 
älteste   noch    vor   seinem  Vater,   der   zweite    war   blödsinnig, 


Von  Pro£  J.  Loserth.  41 

und  SO  kam  das  ganze  reiche  Erbe  auf  den  jüngsten  A 1  b  r  e  c  h  t 
Johann.  Dieser  aber  starb  während  des  böhmischen  Aufstandes 
infolge  der  erlittenen  Strapazen  am   l6.  November   l6l8    und 
nun    mußte    bei    der  Krankheit    des    letzten  Smificky    früher 
oder  später  die  weibliche  Sukzession  eintreten.  Von  den  beiden 
Töchtern  war    die    ältere  noch  bei  Lebzeiten  ihres  Vaters  in 
den  Verdacht    eines    unehrenhaften  Verhältnisses    mit    einem 
Schmied    gekommen,    dem    sie    ihre  Liebe    geschenkt    haben 
soll.     Vielleicht    hat    die    geschäftige  Sage    mehr  aus  der  Ge- 
schichte   gemacht    als    den  Tatsachen    entsprach  —  aber  der 
Vater  glaubte  an  die  Schuld  der  Tochter    und  brachte  sie  in 
eines  seiner  Schlösser  in  Haft,  die  auch  dann  nicht  gemildert 
wurde,  als  ihr  Vater  starb.    Nun  wäre  sie  nach  ihres  jüngsten 
Bruders  Tode  die  berechtigte  Vormünderin  ihres  blödsinnigen 
Bruders  gewesen.  Da  hatte  aber  ihre  jüngere  Schwester  Herrn 
Heinrich  Slawata,    einen    Führer    der    ständischen  Bewegung, 
geheiratet    und    nun    blieb  nicht    bloß    die  Haft    der  älteren 
Schwester    aufrecht,     die   jüngere    und    ihr    Gemahl   erhielten 
jetzt    auch    noch    die  Vormundschaft    über    den    blödsinnigen 
Bruder.  Alles  ging  darauf  hinaus,  daß  ihr  und  ihrem  Gemahl, 
also    dem  Hause  Slawata,    das    ungeheure  Smifickysche  Erbe 
zufiel.    Da  war  es  ein  junger  Sprosse  eines  alten  böhmischen 
Herrengeschlechtes,  Otto  Heinrich  von  Wartenberg,  der  den  Plan 
faßte,    in  diese  Dinge  einzugreifen,    um  wenigstens  einen  Teil 
dieses  Smif  ickyschen  Erbes  an  sich  zu  ziehen.  Er  verstand  es,  sich 
dem    gefangenen  Edelfräulein    zu   nähern,    trug    sich    ihr    als 
Retter  an,    befreite   sie  aus  der  Haft  und  empfing  zum  Dank 
ihre  Hand.    Beide  gingen  nach  Gitschin,    um  sich  dieses    zum 
Nachlasse  Smifickys  gehörigen    Gutes    zu    bemächtigen     und 
setzten  für  alle  Fälle  das  Schloß  in  Verteidigungszustand. 

Nun  trat  aber  für  Heinrich  Slawata,  der  —  im  Gegen- 
satz zu  seinem  Bruder  —  ein  eifriger  Parteigänger  des  Winter- 
königs war,  die  Regierung  in  die  Schranken  und  Elisabeth 
Katharina  erhielt  die  Aufforderung,  Gitschin  an  ihre  Schwester 
als  Vormünderin  des  Bruders  abzutreten.  Sie  erhob  dagegen 
Einsprache.  Aber  diese  wurde  nicht  beachtet,  vielmehr  ihr 
Gemahl  —  der  Wartenberger  —  in  Prag  interniert  und  so- 
dann eine  Kommission  nach  Gitschin  abgeordnet,  die  auch 
seine  Gattin  gefangen  nehmen,  Gitschin  aber  an  deren  Schwester 
ausliefern  sollte.  Die  Kommission  kam  am  1.  Februar  l620 
in  Gitschin  an.  An  ihrer  Spitze  stand  Heinrich  Slawata. 
Mitglied  der  Kommission  war  nun  auch  Rudolf  von  Stuben- 
berg. Als  sie  sich  ins  Schloß  begeben  wollte,  waren  alle  Tore 


42  Das  Haus  Stuben berg  in  Böhmen. 

geschlössen.  Slawata  gelang  es,  mit  einem  zu  diesem  Zwec 
mitgebrachten  Schlüssel  ein  Tor  zu  öffnen.  Nun  ward  mit     < 
Inventarisierung  des  Mobiliars  begonnen.    Die  Wartenberge: 
geriet  in  eine  große  Aufregung.    Sie  suchte  die  Soldaten,     < 
noch  ihr  Gatte  angeworben  hatte,  gegen  die  Kommission   ai 
zuhetzen,    es  kam  zu  erregten  Auseinandersetzungen  und    ^ 
sie    schließlich    aus    dem  Schlosse   weichen    wollte    und     d 
Pferde  anzuspannen  befahl,  wollte  Slawata  die  schönen  Ros* 
nicht  preisgeben.  Laut  rief  sie  nun  aus,  bei  solcher  Schmacl 
die    ihr    zugefügt  werde,    könne    sie  nicht  weiterleben.     Ws 
nun  folgte,  ist  nicht  ganz  sichergestellt.    Die  meisten  Bericlit  ' 
erzählen,  daß  die  erzürnte  Edeldame,  die  den  Soldaten  reich 
lieh    zu    trinken    gegeben    hatte,    unter    sie  Pulver    austeilei 
wollte  und  in  die  Pulverkammer  gegangen  sei.  Ob  nun  durcl" 
eine  Unvorsichtigkeit  die  Vorräte  Feuer  fingen    oder    ob  Eli- 
sabeth selbst  den  zündenden  Funken  in  das  Pulver  warf,   das 
ist  nicht  sichergestellt.    Man  weiß  nur,  daß  das  Schloß  plötz- 
lich in  die  Luft  gesprengt  und  die  meisten  Personen,  die  da- 
rinnen weilten,  ihren  Tod  fanden,  darunter  alle  Mitglieder  der 
Kommission :  mit  Slawata  auch  Rudolf  von  Stubenberg.     Die 
Wartenbergerin  selbst  —  sie   befand  sich  in  gesegneten  Um- 
ständen —  hatte    man    an  Händen  und  Füßen  verletzt,  aber 
noch  lebend  aufgefunden.  Sie  wurde  nun  noch  das  Opfer  der 
rohesten  Gewalttat. 

So  hatte  der  Stubenberger  —  fern  von  den  Seinen  — 
ein  schreckliches  Ende  gefunden.  Eins  war  ihm  allerdings  er- 
spart geblieben :  den  Zusammenbruch  der  pfälzischen  Herr- 
schaft in  Böhmen  und  damit  auch  den  Zusammenbruch  seines 
häuslichen  Glückes  und  Besitzes  zu  erleben,  zu  sehen  den 
mit  offenem  Zynismus  getriebenen  Schacher  um  fremdes  Gut 
und  wie  das  von  dem  steirischen  Herrenhause  teuer  erkaufte 
und  zu  hoher  Blüte  gebrachte  Eigengut  in  die  Hände  der 
Fremden  gelangte. 

Doch  die  große  böhmische  Güterkonfiskation  behandelt  * 
Dinge,  die  ja  allgemein  bekannt  sind.  Sie  sollen  hier  auch  nur 
soweit  erörtert  werden,  als  der  Stubenbergische  Besitz  in  Frage 
kommt.  In  dem  Augenblicke,  als  Rudolf  von  der  Katastrophe 
in  Gitschin  ereilt  wurde,  stand  die  Herrlichkeit  des  Winter- 
königs selbst  noch  aufrecht.  Am  13.  März  1620  schrieb 
Justina  von  Stubenberg  einen  Brief  voll  tiefer  Trauer  um  den 
Verlorenen  an  dessen  Vetter  Georg  nach  Kap fen berg.  Noch 
findet  sich  hier  keine  Spur  einer  ihrem  Besitz  drohenden 
Gefahr.     Erst  sieben  Monate  später   sank  in  der  Schlacht  am 


Von  Prof.  J.  Loserth.  4S 

weißen  Berge  die  ephemere  Herrlichkeit  des  Wiiiterkönigs  in 
den  Staub.  Sein  ganzer  Anhang  hatte  nun  das  Vae  victis 
durchzukosten.  Es  war  fein  Ende  mit  Schrecken  für  die  ganze 
Partei,  denn  da  gab  es  kein  Recht,  vor  dem  die  Sieger  halt 
cremacht  hätten.  Es  folgte  jene  ungjeheure  Gütereinziehung, 
die  den  bestehenden  Besitzstand  in  Böhmen  von  Grund  aus 
änderte.  Die  antihabsburgische  Opposition  und  die  Herrschaft 
der  Stände  wurde  zu  Tode  getroffen.  Selbst  so  loyale  Ge- 
schlechter, wie  es  das  Haus  Stubenberg  gewesen,  fanden 
vor  dem  Sieger  keine  Gnade.  Ob  die  Verschuldung  Rudolfs 
eine  große  oder  geringe  war,  darnach  wurde  wenig  gefragt: 
man  kennt  sie  im  einzelnen  nicht.  Man  weiß  nur,  daß  er 
im  Auftrage  der  Direktoren  des  Königreiches  Böhmen  mit 
schlesischen  Fürsten  und  Ständen  verhandelte. 

Vier  Monate  nach  dem  Sieg  am  weißen  Berge  erschien 
das  Dekret  Karls  von  Liechtenstein,  „des  regierenden  Herrn 
des  Hauses  Liechtenstein*',  wie  er  sich  nannte,  in  welchem  die 
hinterblieberien  Erben  der  in  den  böhmischen  Aufstand  ver- 
wickelten Adelspersonen  aufjgfefordert  wurden,  innerhalb  vier 
Wochen  sich  in  Prag  einzufinden,  um  anzusehen  und  anzu- 
hören, daß  und  wie  wegen  der  verstorbenen  Rebellen  dem 
Rechte  nach  prozessiert,  ihr  Andenken  zunichte  gemacht  und 
ihre  Güter  konfisziert  werden  sollen.  Rudolfs  Name  steht  in 
dem  verhängnisvollen  Dekret  an  vierter  Stelle,  Er  hinterließ 
außer  seiner  Witwe  einen  erst  einjährigen  Sohn  -  Hans 
Wilhelm.  Für  diesen  aus  dem  großen  Schiffbruch  zu  retten, 
was  noch  zu  retten  war,  das  war  nun  die  schwere  Aufgabe 
seiner  Verwandten.  Vielleicht  gelang  es  das  ganze  zu  retten. 
Man  erinnerte  sich  jetzt  in  der  Stunde  der  Not  an  die  im 
Stubenbergischen  Hause  von  altersher  geltende  Erbeinigung, 
wonach  dem  einzelnen  nur  in  einer  gewissen  beschränkten 
Weise  Besitzrechte  eingeräumt  sind.  Wie  hätten  die  Sieger 
aber  vor  dieser  Erbeinigung  Halt  gemacht  ?  Es  ward  vielmehr 
eine  andere  Frage  aufgeworfen,  ob  nicht  vielleicht  auch  die 
in  der  Steiermark  sitzenden  Stubenberger  in  diese  böhmische 
Rebellion  verflochten  gewesen.  Hier  konnte  nun  allerdings  ein 
Alibi  nachgewiesen  werden,  wie  es  kaum  kräftiger  gedacht 
werden  konnte. .  Von  den  Stubenbergern,  die  da  in  Frage 
kamen,  war  zum  Glück  zur  Zeit  des  böhmischen  Aufstandes 
keiner  in  Böhmen,  der  eine  —  Georg  —  hatte  eine  Reise 
nach  Spanien  göünacht  und  der  andere  am  Kaiserhofe  verweilt. 
Die  Hoffnung,  die  böhmische  Herrschaft  Neustadt  auf  Grund 
der  alten  Stubenbergischen  Erbeinigung  zu  retten,  mußte  bald 


44  Das  Haus  Stubenberg  in  Böhmen. 

aufgegeben    werden.     Denn    schon    am    11.    August    erklärt« 
Karl  von  Liechtenstein    auf  ein  Ansuchen  der  beiden  Brüde 
Georg     und    Wolf    von   Stubenberg:     Die    in    ihrem    Hausen 
gültige  und  von  Ferdinand  II.  noch    am    29.  Dezember  16  iS 
bestätigte  Erbeinigung  beziehe  sich  nur  auf  ihre  in  österreicln 
und  Steiermark  liegenden  Güter,  da  Ferdinand  IL    damals  dit^ 
Administration  in  Böhmen  noch  nicht  besaß.    Dagegen  wurden^ 
da  sie  in  den  Aufstand  nicht  verwickelt  gewesen,  ihre  auf  der- 
Herrschaft    Neustadt    haftenden    Schuldforderungen    samt    der^ 
ausstehenden  Zinsen  anerkannt  und  da  die  Zinsen    bereits  zu. 
einer    ansehnlichen    Höhe    angewachsen    waren,    durfte     maii 
hoffen,  durch  eine  Zuzahlung  zu  den   auf  Neustadt  haftendei^ 
Posten,    die  Herrschaft  doch    noch    zu    retten.     Aber   schon 
spitzten,   wie  Georg   von  Stubenberg   am  7.  September   162  3 
schreibt,  zwei  Herren  auf  die  Neustadt  als  auf  eine  gute  Beute: 
Trczka    und    Wallenstein.      Vielleicht,    daß   ihre    gegenseitige 
Eifersucht     den     Stubenbergern     zugute   kommt.      Noch    ein 
anderer  Brief  vom  18.  Oktober  1622  gewährte  einige  Aussicht. 
Was  in  dem  Briefe  sonst  noch  steht,  mahnt  daran,  daß  man 
mitten  im  großen  Kriege  steht:  Aus  den  Meierhöfen  in  Neustadt 
ist  das  Vieh  gestohlen,    so   daß  man    aus  Mangel  an  Pferden 
die  Felder  nicht  bestellen  kaini.    „Bin",  schreibt  Georg,  „keinem 
um    die  Mühe    neidig,    die    es    kosten    wird,    alles    wieder    in 
Ordnung    zu    bringen."     Wie    weit    da   die  Konfiskationswut 
ging:  selbst  die  Witwengelder  Justinais    wurden   mit  Beschlag 
belegt. 

Georgs  Hoffnungen,  Neustadt  für  das  Haus  Stubenber^ 
retten  zu  können,  waren  vergeblich,  und  doch  waren  diese 
Hoffnungen  nicht  unberechtigt  gewesen,  denn  wenn  irgend  ein 
Haus,  so  konnte  sich  dieses  Stubenbergische  auf  seine  in  den 
schwierigsten  Lagen  der  Dynastie  erprobte  Haltung  berufen, 
eine  Haltung,  die  selbst  durch  die  in  jüngster  Zeit  erfolgte 
Stellungnahme  Rudolfs  nicht  beargwöhnt  werden  darf,  um 
so  weniger,  da  wir  über  seine  Motive  so  wenig  unterrichtet 
sind.  So  lesen  wir  in  einer  Bittschrift  der  Stubenberger  an 
den  Kaiser  auch  mit  Recht:  „Es  sei  mehr  als  hinreichend 
bekannt,  daß  einige  unruhige  Leute  der  Krone  Böhmens  den 
Versuch  gemacht  haben,  das  sanfte  und  milde  Joch  des  Hauses 
Österreich  abzuschütteln.  Es  habe  aber,  fügen  sie  hinzu,  doch 
viele  gegeben,  ehrliche  Leute,  die  nicht  aus  Mutwillen  oder 
Vorsatz,  sondern  gedrungenerweise  mithalten  mußten.  Zu 
ihnen  habe  auch  der  Vetter  der  Bittsteller  Rudolf  von  Stubenberg 
gehört.     Seine  Tat    sei    nicht    zu    entschuldigen,  noch  gutzu- 


Von  Prof.  J.  Loserth.  45 

heißen,  nichtsdestoweniger  bitten  sie  die  kaiserliche  Majestät, 
den  gefaßten  Unwillen  fallen  und  es  die  Verwandten  vorab 
rfie  Witwe  und  den  hinterlassenen  Sohn  nicht  entgelten  zu 
lassen,  um  so  mehr  als  Rudolf  durch  seinen  erschrecklichen  Tod 
ohnedies   schon  seine  Strafe  erlitt." 

Diese   Bitte  blieb  unberücksichtigt. 

Die  beiden  Männer,  die  sich  mit  eifersüchtigen  Augen  be- 
wachten, Trczka  und  Wallenstein,  fanden  schließlich  Mittel  und 
Wege,  sich  zu  einigen.  Neustadt  an  der  Mettau  wurde  von 
Albrecht  von  Wallenstein  erstanden,  aber  nur  um  es  sofort 
gegen  die  den  Trczkas  gehörige  Herrschaft  Kopidlno  ein- 
zutauschen. 

Dem   Stubenbergischen  Hause    blieb    von    dem    reichen 
böhmischen    Besitz  nur  noch  Geiersberg,  das  zum  Glück  nicht 
auch  in   die  Hände  Rudolfs  gekommen  war,   denn  sonst  wäre 
es  so    wenig   wie   Neustadt    von    der   Konfiskation    verschont 
gebheben.     Wie  es  aber  in   diesem  Geiersberg  aussah,  entnimmt 
man  den   Stoßseufzern  des  biederen  Stubenbergischen  Pflegers 
Remigius  Ebner,  der  in    einem  Briefe   vom  30.  August   1622 
(lie  beweglichsten    Klagen    über    die   grauenhafte  Verwüstung 
^Ws  Gutes  ausspricht.    Doch,  schreibt  er,  wollten  wir  noch  nit 
verzagen,    wan    nur    Fried*    und    das    Kriegsvolk    weg    war. 
Wann  nur  Fried'  war?!     Noch   sechsundzwanzig    volle  Jahre 
währte    es,    bis   dieser  Wunsch    in  Erfüllung  ging,    der  schon 
jetzt  in  das  dem  Kampf  entrückte  Kapfenberg  gesendet  wurde. 
Mall  wird  fragen,  welches  war  denn  das  weitere  Geschick 
der    unglücklichen    Justine?     Welches    das    des    armen    Hans 
Wilhelm?    Von  Justine  liegt  uns  noch  ein  Brief  vor,  den  sie 
am  22.  Jänner  1628  an  ihren  Vetter  Georg,  Herrn  von  Stuben- 
herg   auf  Kapfenberg   gerichtet    hat.     Er    ist  aus  Loosdorf  in 
Niederösterreich    gerichtet.     Man    wird  fragen:    Wie  kommen 
diese  Stubenberger  nach  Loosdorf?  Da  darf  ich  mich  auf  einen 
Aufsatz  beziehen,    den  Prof.  Khull    im  vorigen   Jahre  in  den 
Blättern    unserer   Vereinszeitschrift    niedergelegt  hat    und  will 
ich  die  dortigen  sehr  sachgemäßen  Ausführungen  noch  durch 
einige  Bemerkungen    ergänzen.     Bis    zum  Jahre  1598    hatten 
die  Protestanten   in  Steiermark   und  Krain  ihre  vortrefflichen 
Schulen  in  Graz  und  Laibach,  bis   1601  bestand  die  in  Klagen- 
furt.   Als  die   Grazer    Stiftsschule   zerstört   war,   machten    die 
protestantischen    Stände    von    Steiermark    den    Versuch,    an 
Wenig  auffälliger  Stelle :   in  Schwanberg,  im  dortigen  Amtshofe 
des    Herrn     von    Galler    eine    neue    Schule    protestantischer 
Richtung  aufzurichten.     Wie  hätte  das  aber  ein  Ferdinand  IL 


46  Das  Haus  Stubeqberg  in  Böhmen. 

dulden    können?     Sie   müßte   begreiflicherweise    in    kürzester 
Zeit  eingehen.     Wohin  sollten  die  Protestanten  in  Steiermark- 
—  also  in  erster  Linie  die  protestantischen  Adeligen  —  ilire 
Kinder  in  die  Schule   schicken?     Lange   Zeit   ward    Linz   t>e- 
vorzugt ;  dann  gab  es  aber  auch  in  Loosdorf  bei  Schallaburg 
eine  protestantische  Schule.     Loosdorf  liegt    in    unmittelbarer 
Nähe  von   Schallaburg,    das   den    Stubenbergern   gehörte    und 
diese  Loosdorfer  Schule  war  es,  der  sich  Georg   von  Stuben- 
berg in  eifrigster  Weise  annahm.     Auch  sie  hatte  freilich  nur 
kurzen  Bestand,  denn  im  Jahre  1628  mußte  auch  sie  aufgelöst 
werden.     Nun    gerade   im    letzten  Jahre    weilte    unser  junger 
Stubenberger   auf  dieser  Schule.     Er   hat    am    22,  Januar    in 
seiner  noch  kindlich  unbeholfenen  Handschrift  als  „Vettersohn*' 
dem  alten  Herrn  Georg  einen  Brief  mit  herzlichen  Wünschen 
geschickt.    Er  bildet  die  Einlage  zu  einem  längeren  Schreiben 
Justinens.    Wir  erfahren  daraus,  daß  ihr  Georg  eine  Wohnung 
auf  seinem  Schlosse  Schallaburg  anwies,  wo  sie  in  ihres  Sohnes 
Nähe  war,  bis  sie  schließlich  ganz  nach  Loosdorf  übersiedelte. 
Sie  klagt,  sie  müsse  „fast  von  nichts"   leben.     Der  Brief  sagt 
uns  auch  noch,  daß  ihr  Sohn  „weil  jetzt  ein  feiner  anständiger 
Doktor   da   ist",   eine   Kur    beginnen    wird,  denn    er    ist  seit 
einer  kurzer  Zeit   ;,an    der  rechten  Schulter    und  Seiten   umb 
ein  Gutes  höher".     Zu  seinem  Alter  ist  er  klein  und  schwach, 
aber  frisch  und  gut  gefärbt.     Unterrichtet   wird    er   außer  im 
Lateinischen  auch  im  Böhmischen.    Vielleicht  darf  man  daraus 
schließen,  daß  die  Hoffnung  auf  einen  Ersatz    der  Neustädter 
Herrschaft  damals  im  Hause  Stubenberg  noch  nicht  aufgegeben 
war.    Sie  wünscht  schließlich  nur  eins,  ihr  lieber  Herr  Vetter, 
Herr  Georg,  möchte  so  lange  leben,  bis  ihr  armer  Bub  „seinen 
Verstand  hat",  denn  Georg  ist  nun  einmal  sein  zweiter  Vater. 
In  der  Tat  das  war  Herr  Georg.     Er  handelte  an  dem  jungen 
Hans  Wilhelm  wirklich  als  Vater. 

Georg  von  Stubenberg  war  in  jenen  Tagen  in  unserem 
Lande  der  Typus  des  vollendeten  Edelmanns.  Kein  anderer 
kam  ihm  gleich.  In  den  Kreisen  seiner  Standesmitglieder 
besaß  er  ein  unvergleichliches  Ansehen,  unter  seinen  Glaubens- 
genossen —  den  Protestanten  —  blieb  ihm  sein  unentwegtes 
Eintreten  für  die  verfolgte  Konfession  für  immer  unvergessen 
und  wenn  es  einen  protestantischen  Landstand  in  Steiermark  gab, 
um  den  es  dem  Landesfürsten  und  jetzigen  Kaiser  Ferdinand  II. 
wirklich  leid  tat,  daß  er  protestantisch  blieb  „bis  in  seine 
Grube",  so  war  es  Georg.  Aber  er  mußte  dann  im  Jahre 
1628  —  krank  wie  er  war  —  seines  Glaubens   wegen   doch 


Von  Prof.  J,  Loserth.  47 

noch  das    harte   Brot  der  Verbannung   essen.     Er   zog   nach 
Regensburg.    Wie  sehr  er  die  Liebe  seiner  Untertanen  genoß, 
mag  man  aus  dem  Abschied  ersehen,  den  einer  seiner  Pfleger 
Georg  Saupach  von  seinem  Herrn  genommen :  Ich  hab',  schreibt 
er,  mit  besonderer  Betrübnis  vernehmen  müssen,  wie  daß  Euer 
Gnaden  morgen  früh  von  hier  abzureisen  Willens  sind.  Wenn 
es  denn    schon    einmal   nicht  anders    sein    kann,  und    nunma! 
ich  und  andere  Untertanen  gewünscht  hätten,  daß  Euer  Gnaden 
die   noch    übrige   Zeit   ihres  Lebens    bei    uns,  und  wir  unter 
ihrer   Herrschaft  verbleiben  könnten,  so  kann  das   nicht  ohne 
^oße  Trauer  abgehen.    Wie  sollte  es  auch  anders  sein,  wenn 
Herr   und   Untertanen,    die   solange   mit    einander   gelebt,  von 
einander    scheiden  müssen.     So  möge  denn   in  Gottes  Namen 
Abschied  und  Urlaub  genommen  sein.    Nun  —  als  Georg  aus 
dem    Lande    schied,    machte    er    in    dem   Gedanken,    wie    er 
wörtlich    sagt,    daß   er   sein  Lebenlang    in    dies  Land  —  die 
Steiermark  —   nicht   wieder   kommen    möchte,   Ordnung  mit 
seiner   Habe.     Am    27.    Juni   1629    stellte    er    eine    Urkunde 
aus :   Im  Begriff,  seiner  Religion  wegen,  seinen  Abzug  aus  dem 
Vaterland    zu   nehmen,    vermacht    er    seinen    bei  !en    Vetterni 
Georg  dem   Jüngeren    und   Wolf   von  Stubenberg,    denen    er 
schon  früher  Schallaburg   in  Niederösterreich   und   Mureck  in 
Steiermark  eingeräumt  hatte,  auch  noch  Kapfenberg  und  Frauen- 
berg.    Auch  Hans  Wilhelm  sollte  nicht  leer  ausgehen.     Dem 
jungen  Vetter  Hans  Wilhelm,  dem  Sohne  des  in  dem  böhmischen 
Aufstand  verwickelten  Rudolf  von  Stubenberg,  soll,  da  er  nach 
seinem  Vater  nichts  zu  erben  hat,  wenn  er  zwanzig  Jahre  alt 
ist,  mit  Genehmigung  des  Kaisers  die  Summe  von   lOO.OOO  fl. 
ausgezahlt  werden.     Sollte    er   des  Kaisers  Zustimmung  nicht 
erhalten,  so    entfällt    diese   Verpflichtung,    aber    seine  Vettern 
sind  gehalten,  ihn    bis    zur    Vogtbarkeit    gebührlich  zu  unter- 
halten     Man    weiß,    daß    der    biedere    Herr  Georg  schon  im 
nächsten  Jahre  starb.  Seine  Gemahlin  Amalie  überlebte  ihn  noch 
Jahrzehnte  und  mit  ihr  starb  dann  die  letzte  Liechtensteinerin 
steierischen  Ursprungs.    Was  aber  sollen  wir  noch  von  unserem 
Hans  Wilhelm  sagen?    Es  ist  derselbe,  der  in  der  Geschichte 
der  fruchtbringenden  Gesellschaft  als  der  „unglückselige  Selige'*, 
als    Dichter    und    Übersetzer    fremder    Romane     einen    wohl- 
verdienten  Ruf  erlangte.     Auf  seine   weitere  Geschichte  ein- 
zugehen, kann  aber  nicht  meine  Aufgabe  sein,    sondern  wäre 
die  eines  Literarhistorikers. 


Die  deutschen  Besiedlungen  Sieben- 
bürgens in  älterer  und  neuerer  Zeit.  ' 

Von  Karl  Reissenberger. 


Das  von  Karpaten  rin^s  umschlossene  Hochland  von  Sieben- 
bürgen ist  nicht  nur  durch  die  Schönheiten  und  Schätze 
der  Natur,  sondern  auch  durch  die  Völker,  die  darauf  in  bun- 
tem Wechsel  ihre  Wohnsitze  gehabt  und  sie  dort  noch  haben, 
ein  anziehendes  Land.  Für  den  Deutschen  hat  es  noch  eine 
besondere  Bedeutung.  Denn  hier  ist  eine  der  ältesten  Kolo- 
nien seines  Volkes,  die  trotz  der  heftigen  und  vielen  Stürme, 
die  in  einer  Zeit  von  8oo  Jahren  über  sie  dahingegangen  sind, 
heldenmütig  ihr  Deutschtum  gewahrt  hat,  getreu  dem  Worte 
des  großen  Dichters,  den  jüngst  die  ferne,  vereinsamte  Kolonie 
nicht  minder  begeistert  gefeiert  hat,  denn  das  Mutterland : 
„Was  auch  draus  werde,  steh*  zu  deinem  Volk  !'*  Dem  hmer- 
österreicher  endlich  muß  das  deutsche  Volkstum  in  Sieben- 
bürgen noch  dadurch  von  Interesse  sein,  daß  die  Verstärkun- 
<i?en,  die  dieses  im  XVIII.  Jahrhundert  erhielt,  zum  Teil  aus 
Steiermark  und  Kärnten  stammen.  So  sei  es  mir  gestattet, 
über  die  deutschen  Besiedlungen  Siebenbürgens  in  älterer  und 
neuerer  Zeit  zu  sprechen. 

Nach  Ungarn  kamen  die  ersten  deutschen  Einwanderer 
unter  König  Stephan  dem  Heiligen,  welcher  als  Gemahl  einer 
deutschen  —  einer  bayrischen  —  Fürstentochter  deren  Stammes- 
genossen besonders  begünstigte.  Lange  nachher  rühmten  sich 
noch  die  Deutschen  von  Szatmar  Nemeti,  in  dem  trotz  des 
deutschen  Namens  heute  der  deutsche  Laut  verklungen  ist, 
in  Begleitung  der  Königin  Gisela  ins  Land  gekommen  zu  sein. 
Von  hier  haben  wohl  noch  im  XL  Jahrhundert  deutsche  Ein- 

1  Vortrag,  gehalten  am  11.  Dezember  1905  im  Historischen  Verein 
für  Steiermark. 


Von  Karl  Reissenberger.  49 

Wanderer  den  Weg  nach  Siebenbtirgen  ins  Gelände  der  Maros 
gefunden,  wo  sie  die  Ansiedlungen  Rams,  Crapundorph,  Ka- 
rako*  gründeten.  Diesen  Niederlassungen  sind  in  früher  Zeit 
noch  andere  gefolgt,  so  jene  von  Dees  am  Zusammenflusse 
der  beiden  Szamos,  dann  in  der  Nordostecke  Siebenbürgens, 
am  Fuße  des  Kuhhorn,  die  Bergwerkkolonie  Rodna,  die  zur 
Zeit  des  Mongjoleneinfalles  (1241)  bereits  so  stark  und  volk- 
reich war,  daß  sie  den  Eindringlingen  eine  stattliche  Zahl  von 
Streitern  entgegenstellen  konnte.  Mit  der  Gründung  des  Bis- 
tums Weißenburg  am  Ende  des  XI.  Jahrhunderts  hat  wohl 
auch  eine  deutsche  Besiedlung,  der  kirchlichen  Schöpfung  zum 
Schutze,  stattgefunden.  Die  heute  im  Norden  noch  blühende 
Niederlassung,  das  Nösnerland  mit  Bistritz  als  Vorort,  ist  erst 
im  XII.  Jahrhundert,  aber  gewiß  in  dessen  erster  Hälfte  ent- 
standen.^ 

Die  wichtigste  und  größte  deutsche  Besiedlung  Sieben- 
bürgens fällt  in  die  Zeit  des  Königs  Geysa  II.  (II41 — II61). 
Eine  gleichzeitige  Urkunde,  die  sich  auf  diese  Tatsache  bezöge, 
ist  nicht  erhalten.  Aber  in  dem  „goldenen  Freibriefe**,  den 
Andreas  IL  im  Jahre  1224  den  Ansiedlem  Jenseits  des  Waldes^ 
ausstellte, 3  sagte  er  von  diesen  ausdrücklich:  vocati  a  piissimo 
rege  Geysa,  avo  nostro.  Also  gerufen  wurden  sie  von  König 
Geysa!  Siebenbürgen,  damals  überhaupt  dünn  bevölkert,  war 
im  Süden  ein  desertum,  wie  es  der  päpstliche  Legat  Gregorius  * 
nennt,  eine  Öde,  eine  Wildnis,  viel  mit  Wald  bedeckt  und 
den  Einfällen  der  Petschenegen  und  Kumanen,  die  jenseits 
des  Gebirgswalles  wohnten,  preisgegeben.  Diesen  Landesteil 
urbar  zu  machen,  zu  bevölkern  und  zu  verteidigen,  bewarb 
sich  der  König  um  deutsche  Ansiedler.  Seinem  Rufe  folgten 
gruppenweise'^  zahlreiche  Einwanderer  aus  Deutschland,  die 
eine  Besserung  ihrer  rechtlichen  und  wirtschaftlichen  Verhält- 
nisse anstrebten,  und  ließen  sich  in  Dörfern  nieder.  Dem  ein* 
zelnen  Einwanderer  wurde  darin  je  eine  Hofstelle  zuteil,  aber 

'  Zimmermann  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österr.  Geschichts- 
forschung V,  S.  539  ff. 

*  In  dem  Eisenbergwerke  Toroczk6  arbeiteten  im  XIII.  Jahrhundert 
steirische  Bergleute  aus  Eisenerz;  wann  sie  dahin  berufen  wurden,  ist  un- 
bekannt. Vgl.  Zimmermann  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  f.  Österr.  Ge- 
schichtsforschung JX,  S.  58,  u.  Ergänzungsbd.  VI,  S.  725. 

3  Zimmermann  und  Werner,  Urkundenbuch  zur  Gesch.  d.  Deutschen 
in  Siebenbürgen,  I,  Hermannstadt  1892,  S.  34. 

*  Ebenda  S,  2. 

5  Fr.  Teutsch  bei  Kirchhoff,  Beiträge  zur  Siedelungs-  une  Volkskunde 
der  Siebenbürger  Sachsen  (Forschungen  zur  Deutschen  Landes-  und  Volks- 
kunde). Stuttgart  1895.  S.  5  ff. 


60     Die  deutschen  Besiedlungen  SiebcnbQrgens  in  äJterer  und  neuerer  Zeit. 

Wald  und  Wasser,  Wiese  und  Weide  und  wahrscheinlich  zu^ 
näch3t  auch  das  Ackerland  standen  zu  gemeinsamer  Benutzung. 
So  entstand  die  ausgedehnte  Niederlassung,  deren  Mittelpunkt 
Hermannstadt  ist.  Früher  war  man  der  Ansicht,  diese  Kolo- 
nisten hätten  durch  den  Altdurchbruch,  den  Rotenturmpaß» 
das  Land  betreten.  Dem  setzte  Franz  Zimmermann*  die  viel 
natürlichere,  gewiß  richtige  Auffassung  entgegen,  daß  die  Kolo- 
nisten der  Geysaschen  Zeit  denselben  Weg  wie  die  früheren, 
durch  das  Szamostal,  der  damals  überhaupt  von  Westen  her 
den  Verkehr  zwischen  Ungarn  und  Siebenbürgen  vermittelte, 
genommen  hätten. 

Diese  Ansicht  wurde  auch  durch  die  Mitteilung  aus  dem 
Kölner  Stadtarchive'^  unterstützt,  wonach  die  rheinischen  Kauf- 
leute in  jener  Zeit  von  dem  Donauknie  bei  Gran  und  Waitzen 
in  ziemlich  gerader  Richtung  den  Weg  nach  Großwardein 
und  von  dort  zu  dem  nordwestlichen  Passe  Siebenbürgens 
eingeschlagen  haben,  wenn  sie  in  dieses  Land  gelangen  wollten. 

Die  deutschen  Einwanderer  hatten  erfüllt,  wozu  sie  be- 
rufen warieri,  sie  hatten  den  Boden  gerodet  und  bepflanzt, 
Ortschaften  nach  deutschem  Muster  gegründet  und  den  Ertrag 
der  ungarischen  Krone  gemehrt,  das  Land  gegen  die  von  Süden 
her  drohenden  Feinde  geschützt  und  zu  einem  sicheren  Be- 
sitztum der  ungarischen  Krone  gemacht.  Das  veranlaßte  König 
Andreas  IL  auch  den  Südosten  des  Landes  zu  gleichem  Zwecke 
den  deutschen  Rittern  zu  verleihen.  Da  das  heilige  Land,  in 
dem  der  Orden  bisher  gewirkt,  doch  nicht  zu  halten  war, 
und  er  auch  in  Siebenbürgen,  seinem  Gelübde  getreu,  gegen 
Heidenschwärme  kämpfen  konnte,  folgte  er  im  Jahre  t2ll 
gerne  der  Einladung  des  Ungarnkönigs  und  nahm  von  dem 
verliehenen  Gebiete,  dem  Burzenlande,  Besitz.  Er  schützte  es 
gegen  die  Kumanen  und  erbaute  darin  mehrere  Burgen,  deren 
nördlichste,  die  Marienburg  war.  Zur  Besiedlung  und  Bebauung 
des  Landes  aber  berief  er  deutsche  Einwanderer.  Von  den 
deutschen  Gemeinden,  die  diese  gründeten^  wurde  Kronstadt 
die  bedeutendste.  Als  der  Orden  jedoch  dem  schwachen  und 
wankelmütigen  Könige,  der  ihm  bald  reiche  Gunst  erwies, 
bald  wieder  feindlich  begegnete,  mißtraute  und  sein  Land  unter 
den  Schutz  des  Papstes  stellte,  trieb  Andreas  ihn  mit  Waffen- 
gewalt aus  dem  Lande  hinaus.  Die  deutschen  Ritter  zogen 
ab,  um  nachher  an  der  Ostsee,  Wo  sie  eine  andere,  berühmt 
gewordene  Marienburg   erbauten,  ihre  weltgeschichtliche  Sen- 

'     .    *  Mitteilungen  des  Instituts  f.  österr.  Geschichtsforschung  IX,  S.  46  ff. 
*  Korrespondenzblatt  des  Vereines  für  sieb.  X.andeskunde  1888,  S.  68. 


Von  Karl  Reissenberger,  51 

diuig  ZU  erfüllen.  Die  •  deutschen  Ansiedler  aber  blieben,  dem 
Lande  zum  Heil,  den  deutschen  Rittern  zur  Ehre. 

Wohl  hat  es  vor  kurzem  einem  polnischen  Gelehrten 
gefallen,  den  deutschen  Rittern  die  Fälschung  der  Urkunde 
von  1222,  womit  Andreas  IL  ihre  Rechte  bedeutend  erweiterte, 
nachzusagen.  Nun  hat  aber  Max  Perlbach*  in  Berlin,  einer 
der  besten  Kenner  der  Geschichte  des  Deutschen  Ordens,  den 
unumstößlichen  Beweis  von  der  Grundlosigkeit  der  polnischen 
Anschuldigung  erbracht  und  gleichzeitig  die  hohe  Bedeutung 
der  deutschen  Ritter  für  die  Ungarn  in  die  Worte  zusammen- 
gefaßt: ^Unbestreitbar  bleibt  das  Verdienst  des  Deutschen 
Ordens  um  die  Krone  Ungarns,  um  die  Sicherung  eines  vor- 
dem mit  Ungarn  nur  lose  zusammenhängenden  Gebietes  gegen 
Kumanieneinfälle  und  dauernden  Anschluß  des  siebenbürgischen 
Südostens  an  das  Reich  durch  Ansiedlung  deutscher  Kolonnen 
unter  dem  Schutze  fester,  durch  die  Ordensritter  angelegter 
Burgen.** 

Auch  jener  andere  Orden,  der  damals  in  Deutschland 
so  glänzende  Zeugnisse  seiner  Bodenbebauung  und  Besiedlung 
ablegte,  der  der  Zisterzienser,  2  fehlte  in  Siebenbürgen  nicht. 
Noch  stehen  am  Fuße  des  höchsten  Teiles  der  siebenbürgischen 
Karpaten,  des  Fogarascher  Gebirges,  die  ernsten  Trümmer  der 
um  das  Jahr  1200  gestifteten  Zisterzienserabtei  Kerz,  von  der 
auch  deutsche  Kolon  ist enarbeit  ausgegangen  ist.^ 

Daß  die  frühesten  deutschen  Ansiedlungen  Siebenbürgens, 
die  (übrigens  alle  ausgestorbenen)  des  XI.  Jahrhimderts  von 
dem  bayrischen  Stamme  ausgegangen  sind,  ist  nicht  zu  be- 
zweifeln. Die  Ansiedler  deis  XI.  und  XII.  Jahrhunderts  dagegen 
sind  anderer  Herkunft.^  Eine  Volkssage,  die  in  Bodendorf  bei 
Reps  aufgelesen  wurde,  erzählt,  daß  die  Vorfahren,  einst  am 
Meere  gesessen,  in  das  vier  Flüsse  münden,  die  alle  nur  aus 
einem  kommen.  Die  Sage  ist  so  unbestimmt  und  unklar,  daß 
damit  nicht  ^iel  anzufangen  ist.  Mehr  Anhaltspunkte  scheinen 
zwei  Urkunden  zu  bieten.  In  der  ersteren,  um  das  Jahr  1195 
ausgestellten,  nennt  der  päpstliche  Legat  Gregorius  die  An- 
siedler der  Geysa'schen  Zeit  Flandrenses  und  in  einer  Urkunde 
des  Königs  Bela  IV.  von   1238  wird  ihnen  der  Name  Saxones 

1  Mitteilungen  des  Institutes  för  österr.  Geschichtsforschung  XXVL, 
S.  423  ff.  ' 

2  Lamprecht,  Deutsche  Geschichte,  IV,  S.  369  ff. 

8  Ludwig  Reissenberger,  Die  Kerzer  Abtei,  Hermannstadt   !  894. 

4  Vgl.  meine  Abhandlung:  Die  Forschungen  Dber  die  Herkunft'  des 
siebenbürgischen  Sachsenvolkes  im  "Archive  desVer.  f.  sieb.  .Landeskunde 
N.  F.  XHL  (1877). 

4* 


52     Die  deutschen  Besiedlungen  Siebenbürgens  in  älterer  und  neuerer  Zeit, 

beigelegt.  Wie  wir  heute  wissen,  ist  weder  der  eine  noch  der 
andere  Name  zutreffend.  Doch  war  es  ein  weiter  Weg,  auf 
dem  man  zu  solcher  Erkenntnis  gelangte.  Im  XVI.  Jahrhunderte 
hatte  man  sogar  die  Tatsache  der  Einwanderung  außeracht- 
gelassen,  indem  man  die  siebenbürgischen  Deutschen  von  den 
Goten,  die  einst  das  Land  besetzt  hatten,  ableitete  und  diese 
sogar  mit  den  Daziern  vermengte.  Am  Ende  des  XVIH.  Jahr- 
himderts  hielt  man  sich  mehr  an  den  Namen  Saxones  und 
brachte  die  Siebenbürger  Sachsen  mit  den  Niedersachsen  in 
Zusammenhang;.  Die  oberdeutschen  Elemente  darin  erklärte 
man  aus  der  Beeinflußung  durch  das  Österreichische  und  die 
Schriftsprache.  Erst  im  Jahre  1843  wurde  von  Friedrich 
Marienburg  im  ganzen  und  großen  das  Richtige  getroffen. 
Seine  Abhandlung  „Über  das  Verhältnis  der  siebenbürgisch- 
sächsischen  Sprache  zu  den  niedersächsischen  und  nieder- 
rheinischen Dialekten"  entbehrt  allerdings  jenes  wissenschaft- 
lichen Charakters,  wie  er  seit  Jakob  Grimm  für  solche  Arbeiten 
gefordert  werden  muß,  aber  in  der  Sache  hat  Marienburg 
recht,  indem  er  auf  Grund  eines  längeren  Aufenthaltes  in  dem 
Rheinlande  die  Behauptung  aufstellte  und  durch  Beispiele 
stützte,  dem  Siebenbürgisch-sächsischen  am  meisten  verwandt 
sei  jener  Dialekt,  welcher  im  größten  Teile  der  jetzigen 
preußischen  Provinz  Niederrhein  in  mannigfaltigen  Schattierun- 
gen sich  vorfindet.  Die  Marken  des  Gebietes,  in  welchem  er 
gesprochen  wird,  könnte  man  ungefähr  durch  die  Städte  Elber- 
feld,  Crefeld,  Aachen,  Trier,  Coblenz,  den  Westerwald  und 
das  Siebengebirge  bezeichnen.  Marienburg  hatte  damit  auf  den 
Punkt  hingewiesen,  an  dem  die  weitere  Forschung  über  die 
Herkunft  des  Sachsenvolkes,  die  wesentlich  germanistischer 
Natur  sein  mußte,  einzusetzen  habe.  Seit  den  Siebzigerjahren 
des  vorigen  Jahrhunderts  lenkte  diese  nun  auch  formell  in 
eine  streng  wissenschaftliche  Bahn  ein. 

Junge,  strebsame  Männer,  auf  deutschen  Universitäten 
in  deutscher  Philologie  gründlich  ausgebildet,  traten  auf  den 
Plan:i  Johann  Roth  und  Johann  Wolff,  Adolf  Schullerus, 
Georg  Keintzel,  Andreas  Scheiner  und  Gustav  Kisch.  Johann 
Wolff  ist  nach  weitausgreifenden,  tiefgehenden  Forschungen 
auf  dem  Gebiete  der  siebenbürgisch-deutschen  Volkskunde  am 
30.  Dezember  1893  aus  dem  Leben   geschieden,'-^  die   andern 

*  Scheiner,  bei  Kirchhoff  a.  a,  O.  S.  127  ff.  und  Archiv  d.  Ver.  f.  sieb. 
Landesk.  N,  F.  XXVIII..  S.  75  ff. 

*  Vgl.  Ober  ihn  F.  Teutsch  im  Archiv  des  Ver.  f.  sieb,  Landeskunde 
N.  F.  XXVll.,  S.  1   ff. 


Von  Karl  Reissenberger.  63 

sind  mit  Eifer,  Geschick,  und  Erfolg  noch  tätig.  Johann  Wolff 
war  der  erste,  der  Wilhelm  Braunes  bahnbrechende  Abhand- 
lung „Zur  Kenntnis  des  Fränkischen"  *  über  die  Mundart  und 
die  Herkunft  der  Siebenbürger  Sachsen  verwertete  und  das 
Siebenbürgisch-Sächsische  dem  von  Braune  mittelfränkisch  ge- 
nannten Sprachgebiete  zuwies.  Etessen  hervorstechendste  Eigen- 
tümlickeit  besteht  darin,  daß  das  germanische  t  wohl  zu  ^  (s) 
verschoben  erscheint,  jedoch  mit  Ausnahme  der  Neutralformen 
dat,  wat,  dit,  it,  allet.  Das  mittelfränkische  Sprachgebiet,  steckt 
Braune  von  der  Mosel  und  Lahn  bis  gegen  Düsseldorf,  gegen 
Westen  bis  nahe  zur  Maas  ab.  So  stimmt  es  größtenteils  mit 
dem  von  Marienburg  als  Heimat  der  Siebenbürger  Sachsen 
bezeichneten  Gebiete  überein.  Doch  wenn  Marienburg  nur  an 
die  preußische  Rheinprovinz  als  Auswanderungsgebiet  dachte, 
so  muß  darunter  heute  vor  allem  Luxemburg,  ein  Teil  der 
preußischen  Rheinprovinz,  Deutsch-Belgien  und  das  nordwest- 
liche Lothringen  verstanden  werden.  Die  Aufmerksamkeit  in 
besonderer  Weise  auf  Luxemburg  gelenkt  zu  haben,  ist  das 
Verdienst  des  Bistritzer  Gymnasialprofessors  Dr.  Gustav  Kisch. 
Fünfmal  besuchte  er  dieses  Land  und  die  angrenzenden  Ge- 
biete zum  Zwecke  wissenschaftlicher  Forschung,  deren  Ergebnis 
er  in  mehreren  Publikationen^  niedergelegt  hat.  Im  Sommer 
des  Jahres  1905  haben  auch  andere  siebenbürgische  Germa^ 
nisten  eine  Studienreise  in  die  „Heimat  der  Väter"  unter- 
nommen. Aber  das  Ergebnis  ist  kein  abschließendes.  Einer 
derselben  Dr.  A.  Schullerus  äußert  sich  in  seinem  gedruckt 
vorliegenden  Berichte  ähnlich  wie  Kisch  (wenn  auch  sonst 
die  Ansichten  auseinandergehen),  „daß  die  südsiebenbürgischen 
Mundarten  mehr  dem  Norden,  die  nösnischen  Mundarten  ihrem 
Ursprünge  nach  mehr  dem  Süden  Luxemburgs  zuzuweisen 
sind.  3  Vielleicht  noch  skeptischer  war  der  Bericht,  den  ein 
zweiter  der  vier  Reisenden,  Dr.  A.  Scheiner  auf  der  General- 
versammlung des  Vereines  für  siebenbürgische  Landeskunde 
am  25.  August    1905    in    Hermannstadt    erstattete.^    Als    not- 


1  Paul  und  Braune.  Beiträge  zur  Gesch.  der  deutschen  Sprache  und 
Literatur  1..  S.  1   ff. 

«  Die  Bistritzer  Mundart  verglichen  mit  der  Moselfränkischen,  Beiträge 
z.  Gesch.  d.  d.  Sp.  u.  Lit.  XVIL,  2.  Vergleichendes  Wörterbuch  der  Nösner  und 
moselfränkisch-luxemburgischen  Mundart.  Archiv  d.  Ver.  f,  sieb.  Landesk.  N.  F. 
XXXIII.  u.  a. 

3  Zur  Heimat  der  Väter.  Hermanastadt  1905.  Vgl.  meine  Besprechung 
der  beiden  letztgen.  Schriften  in  der  „Wiener  Zeitung"   1906,  Nr.  1.1 9. 

'.  **    Hiezu    und    zu    dem    Folgenden    vgl.    Korrespondenzblatt    1905. 
Nr.  9 — 11. 


54     Die  deutschen  Besiedlungen  Siebenbürgens  in  Älterer  und  neuerer  Zeit. 

wendig  erwies  sich  da  eine  genaue  Durchforschung  des  sieben - 
bürgischen  Sprachgebietes  und  so  stellte  SchuUerus  den  Antrag, 
der  Ausschuß  wolle  eine  eingehende  Einzelaufnahme  der 
siebenbürgischen  deutschen  Dorf-  und  Stadtmundarten  nach 
Lautstand  und  wesentlichem  Wörterschatz  veranlassen.  Der 
Antrag  wurde  einstimmig  angenommen  und  mit  der  Aus- 
führung alsbald  begonnen.  Als  letztes  Glied  in  dieser  Ent- 
wicklung kann  ich  dermalen  anführen,  dafi  vom  21  bis 
26.  Oktober  1905  der  bekannte  deutsche  Ethnograph  Prof. 
Dr.  Otto  Brenner  aus  Halle  a.  S.  in  Hermannstadt  einen  pho- 
netischen Kurs  abhielt,  in  welchem  die  Grundsätze  für  die 
geplante  Aufnahme  der  Mundarten  besprochen  wurden.  Voraus- 
gesetzt, daß  auch  aus  der  „Urheimat"  ausreichendes  wissen- 
schaftliches Material  vorhanden  ist,  wird  es  dann  wohl  einmal 
möglich  werden,  über  die  Zugehörigkeit  der  siebenbürgisch- 
sächsischen  Mundarten  und  die  Herkunft  des  siebenbürgisch- 
sächsischen  Volkes  Genaues  und  vielleicht  AbschlieJßendes  fest- 
zustellen. 

Was  ist  denn  nun  aber  mit  dem  urkundlichen  Namen 
Flandrenses  und  Saxones  ?  Flandrer  hat  man  früher  tatsächlich 
auch  unter  den  siebenbürgischen  Deutschen  angenommen. 
Noch  der  hochverdiente  Geschichtsschreiber  der  Siebenbürger 
Sachsen,  G.  D.  Teutsch,  hielt  es  für  möglich,  daß  ein  Teil 
der  Ansiedler  aus  Flandern  gekommen  sei.  Was  man  zur 
Begründung  dessen  angeführt  hat,  läßt  sich  heute  nicht  mehr 
aufrecht  halten,  so  vor  allem  der  Hinweis  auf  die  Seeblumen- 
blätter in  dem  zweiten  sächsischen  Nationalsiegel  und  in  dem 
Hermannstädter  Stadtwappen.  Wattenbach  ^  schloß  1870  aus 
den  Seeblumenblättem  auf  Friesen  unter  den  siebenbürgischen 
Deutschen  und  ich  habe  I877  ^^  einer  Besprechung  der  For- 
schungen über  die  Herkunft  des  siebenbürgischen  Sachseh- 
volkes^  hervorgehoben,  daß  die  genannten  Blätter  auch  sonst 
vorkommen,  in  Wappenschildern  des  bayrischen  Hochlandes 
und  in  dem  Wappen  des  MinisterialengeschJ echtes  der  Wil- 
donier  in  Steiermark,  hier  sogar  in  derselben  Anordnung  wie 
in  Siebenbürgen.  Seither  hat  Zimmermann  ^  nachgewiesen,  daß 
das  Seeblätterdreieck  vor  dem  14.  Jahrhundert  in  dem  sieben- 
bürgischen Sachsenlande  nicht  vorkommt.  Flandrenses  ist  in 
Siebenbürgen  bloßer  Kolonistenname,  von  den  Flanderem  auf 

>  Die  Siebenbürger  Sachsen.  Heidelberfc,   1870,  S.  14. 
«  Archiv  des  Ver.  f.  sieb.  Laniesk.  N.  F.  Xlll.  3.  S.  560. 
3  Das    Wappen    der    Stadt    Hermannstadt.    Archiv    des  Ver.  f.  sieb. 
Landesk.  XVII.  2.  S.  338  fF. 


Von  Karl  Reissenbergpr.  66 

alle  andern  Deutschen  übertragen,  die  vom  Westen  zur  Ko- 
lonisation des  Ostens  auszogen. 

Flandern  und  Holland  waren,  um  mit  Karl  Lamprecht 
zu  sprechen,  die  Herde  der.  auf  den  Osten  gerichteten  Kolo- 
iiisationsbestrebungen.  So  erklingt  dort  auch  heute  noch  das. 
alte  Auswahdererlied  Naer 'Ostland  wollen  wij  rijden  im  Volks- 
munde. Ebenso  wie  Flandrenses  ist  der  Name  Saxones*  Ko- 
lonistenname. Er  ging  von  den  Sachsen,  die  neben  den 
Flanderern  an  der  Besiedlung  des  Ostens  hervorragenden 
Anteil  hatten,  auch  auf  aiidere  Kolonisten,  die  nicht  säch- 
sischer Herkunft  waren,  über.  Daß  die  deutsche  Namensform 
Sachsen  nicht  in  dem  Volke  selbst  entstanden,  sondern  aus 
der  Kanzleisprache  in  die  siebenbürgisch-sächsische  Mundart 
hineingetragen  wurde,  hat  A.  Scheiner*^  bereits  im  Jahre  1886 
mit  sprachwissenschaftlichen  Gründen  bewiesen. 

Über  die  Rechte  und  Freiheiten,  die  König  Geysa  IL 
den  deutschen  Ansiedlem  bei  der  Berufung  zusicherte,  ist  eine 
Urkunde  nicht  erhalten.  Aber  Andreas  II.  bezieht  sich  in  dem 
bereits  erwähnten  Freibriefe,  3  den  er  im  Jahre  1224  den  alten 
Ansiedlem  gewährt,  darauf.  Diese  hätten  ihm  geklagt,  daß 
sie  ihres  alten  Freitums,  auf  welches  sie  von  dem  Könige 
Geysa  berufen  worden  seien,  völlig  verlustig  gingen,  wenn  der 
König  sich  nicht  ihrer  annähme.  So  stellt  er  ihnen  ihre  alteii 
Rechte  und  Freiheiten  wieder  her.  Doch  sollten  sie,  die  bisher 
getrennte  Gemeinwesen  gebildet  hätten,  von  nun  ab  zu  einer 
Einheit,  zu  eiuem  Volke  zusammengefaßt  erscheinen.  Der 
Boden,  auf  dem  sie  wohnen,  wird  ihnen  mit  dem  Rechte  aus- 
schließlichen Bürgertums  und  voller  Gleichheit  als  Eigentum 
zugestanden.  An  der  Spitze  des  Gaues,  der  Hermannstädter 
Provinz,  soll  der  von  dem  Könige  eingesetzte  Graf  stehen, 
des  Königs  oberster  Richter  im  Frieden,  dessen  Führer  im 
Kriege.  Die  Beamten  dürfen  sich  die  Ansiedler  selbst  wählen, 
wie  die  Pfarrer,  denen  sie  den  Zehnten  zu  geben  haben.  Sie 
gehießen  ZolN  und  Mautfreiheit  und  haben  das  Recht,  ein 
eigenes  Siegel  zu  führen.  Doch  werden  sie  auch  verpflichtetj, 
dem  Könige  jährlich  500  Mark  Silber  zu  zahlen  und  Kriegs* 
dienste  zu  leisten.  Dies  die  wesentlichsten  Bestimmungen  des 
goldenen  Freibriefes,  der  zunächst  nur  den  Einwanderern  der 
Geysa'schen  Zeit,  denen  der  :  H^rmannstädter  Provinz,  zuteil 
wurde;  nachher  wurde  er  auf  alle  deutschen  Kolonisten  Sieben- 

*  Schullerus,  Flandrenses,  Saxones,  Korrespondenzblatt  1901,8.  17  ff. 
«.Korrespondenzblatt  1886,  S.  I27ff    • 
..  'Zimmermann  und  Werner,  XJrkundenbuch,  S.  34  f.  ' 


66     Die  deutschen  Besiedlungen  Sieb^nbQfgens  in  Slterer  und  neuerer  Zeit. 

bürgens  ausgedehnt.  Er  ist  durch  alle  Jahrhunderte  und  sturm- 
vollen Zeiten,  welche  diese  zu  durchleben  hatten,  das  starke 
Bollwerk  ihrer  deutschen  Eigenart  und  Bildung  geblieben  bis 
zu  seiner  gänzlichen  Aufhebung  im  letzten  Drittel  des  vorigen 
Jahrhunderts. 

Unter  dem  Mongoleneinfall  (12 14),   der  weit   und  breit 
alles  Verwüstete  und  die  Bewohner  in  großer  Zahl  vernichtete, 
hatten  auch  die  deutschen  Pflanzungen  Siebenbürgens  sehr 
zu  leiden.*  So  kann  man  sich  des  Gedankens  nicht  entschlagen, 
daß  nach  dieser  Zeit  auch  Siebenbürgen  wie  das  nor dungarische 
Bergland    eine  Vermehrung    der   zusammengeschmolzenen  Be- 
völkerung erhalten  habe.  Doch  darf  zweierlei  dabei  nicht  außer- 
acht   gelassen   werden:    die    Nachzügler    wanderten   entweder 
aus  demselben  Sprachgebiete  zu,    wie  die  ursprünglichen  Ein- 
wanderer, oder  waren,  wenn  sie  auch  aus  Mitteldeutschland  stamm- 
ten, wie  jene,  die  damals  nach  Nord  Ungarn  kamen,  nicht  so  stark 
wie   dort,    da   sie  sonst  wohl  auch  hier  den  mittelfränkischen 
Sprachcharakter  umgeistaltet  hätten.  Vom  XV.  bis  zum  XVIII. 
Jahrhunderte   mögen    sich  nur  einzelne  Söhne   des   deutschen 
Mutterlandes  in  Siebenbürgen  ansässig  gemacht  haben.  Das  im 
Karpatenlande  blühende  Gewerbe  hatte  zur  Folge,    daß  nicht 
selten  Handwerksburschen    ihre  Wege   aus  Deutschland    nach 
Siebenbürgen  lenkten.     Der  eine   oder   andere  mag  dann  für 
immer  in  dem  liebgewonnenen  Lande  geblieben   sein.     Nach- 
gewiesenermaßen haben  die  gebildeten  Stände  wiederholt  Volks- 
genossen aus  Deutschland  in  sich  aufgenommen.     So  wirkten 
an  den  Schulen  Rektoren   und  Lehrer,   die    aus   dem  Mutter- 
lande  geholt   waren,   und    einer    der   bedeutendsten    Sachsen- 
grafen, Markus  Pemfflinger,  war  aus  schwäbischem.  Geschlechte. 

Erst  im  XVIIL  Jahrhunderte  erfolgten  wieder  größere 
Besiedlungen  Siebenbürgens,  freilich  nicht  in  jener  Stärke  wie 
im  XII.  und  XIII.  Jahrhunderte.  Zu  jener  Zeit^  bedurfte  die 
Einwohnerschaft,  besonders  die  deutsche,  abermals  eines  Zu- 
wachses. Schlimme  Zeiten  waren  vorausgegangen.  In  den  beiden 
Jahrhunderten,  die  auf  die  Schlacht  bei  Mohäcs  gefolgt  waren, 
war  unsägliches  Elend  über  das  Fürstentum  Siebenbürgen  ge- 
kommen. Krieg  und  Pest  hatten  eine  reiche  Ernte  gehalten. 
^Ih  Schäßburg  waren  im  Jahre  1695  229  aufgelassene  Höfe, 
der  ganze  Stuhl  hatte  deren  704  und  324  verbrannte.  In  dem 

1  Die  Literatur  hiezu  bei  G.  D.  Teutsch  im  Archiv  d.  Ver.  f.  s. 
Landes1f.,N.  F.  XXI.  S.  447  ff.  . 

2  Über  die  Verhältnisse  Sieben iDÖrgens  in  dieser  Zeit  vgl.  G.  D.  Teutsch, 
Geschichte  der  Siebenb.  Sachsen.  3.  Aufl.,  Hermannstadt  l899t  S.  437. 


Von  Karl  Reissenberger.  57 

Leschkircher    Stuhle    waren    in    denselben    Jahren    636   Höfe 
wüst,    Hausväter   im   ganzen  bloß  342  und  88  Witwen.     Im 
Schenker  Stuhl  waren  von   1687  an  in  acht  Jahren  504  Höfe 
zugrunde    gegangen    und    15    verbrannt;    im    Hermannstädter 
befanden   sich   1695   1175    öde  Höfe    und    82  verbrannte,    im 
Buzeiiland  1338,  im  Mediascher  Stuhl  549  **,  wie  G.  D.  Teutsch 
in    seiner  Sachsengeschichte   berichtet.     Und    womöglich  noch 
schlechter   als    sonstwo    lagen  die  Verhältnisse  im  Unterwald, 
der  Mühlbacher  Gegend.    Viele   sächsische  Dörfer  hatten  ihre 
Bewohner  verloren  und  andere  waren    stark  entvölkert.     Die 
Stadt  Mühlbach,  einst  so  volkreich,  hatte  nur  ein  kleines  Häuf- 
lein behalten.  1  Da  trat  denn  an  das  Haus  Habsburg,  nachdem 
es  die  Herrschaft  über  Siebenbürgen  ergriffen  hatte,  die  Pflicht 
heran,    für   neue  Besiedlungen  Sorge   zu   tragen,    insonderheit 
aber  die  deutsche  Bevölkerung  des  Landes  zu   stärken,   nicht 
nur  weil  diese  zumeist  gelitten    hatte,    sondern    auch  weil  sie 
die  intelligenteste,  Österreich  am  meisten  ergebene  war.    Wie 
die  Sachsen  einst  nach  dem  Aussterben  des  arpadischen  Königs- 
hauses für  Otto  von  Bayern^  „den  deutschen  König",  eintraten, 
so  gut  und  entschieden  sie  es  konnten,  so  kämpften  sie  nach 
der    Erledigung    des  Thrones    im    Jahre   1526    für    das    Haus 
Habsburg  aus  Gründen  des  formalen  Rechtes,  aber  auch  dem 
Zuge  ihrer  deutschen  Herzen  folgend.     Was   sie  zunächst  er- 
langten,   war   nur    eine    vorübergehende   Besitzergreifung   des 
Landes  durch  Ferdinand  I.  und  Rudolf  II.  Erst  am  Ende  des 
XVII.  Jahrhunderts  erfüllte  sich,  was  sie  lange  ersehnt  hatten : 
der  Kaiser  trat  die  dauernde  Herrschaft    in  Siebenbürgen    an. 
Es   entspricht    vollständig   der    Stimmung    unter    den  Sachsen 
jener    Zeit,    wenn    Michael    Albert    in    seinem    Trauerspiele^ 
„Harteneck"  den  Bürgermeister  von  Hermannstadt  gehobenen 
Herzens  sagen  läßt: 

„Der  Türkenkriege  Feuer  ist  erloschen, 

Des  langen  Brandes  dunkles  Rauchgewölk 

Trieb  über  die  Gebirge  dort  der  Sturm, 

Erregt  vom  Flügelschlag  des  Doppelaars. 

Nach  Frieden  sehnten  wir,  nach  Ordnung  uns 

Wie  nach  dem  Heiraatstrand  der  weitverschlagene, 

Auf  wildem  Ozean  verirrte  Schiffer. 

Der  Stern,  der  uns  in  Stürmen  aufgegangen 

Und  der  die  Bahn  uns  zeigt  zum  Rettungsstrand, 

Ist   unser  Kaiser," 


*  Möckel,  Die  Durlacher  und  Hanauer  Transmigranten  in  Mühlbach, 
Mühlbacher  GymnasialproRramm   1884. 

■?  Hermannstadt  1886.    Über  Alberts  Leben  und  Dichten  vgl.  Archiv 
des  Ver.  f.  sieb.  Landesk.  N.  F.  XXVHI.  S.  237  ff. 


58     Die  deutschen  Besiedlungen  SiebenbQrgens  in  älterer  und  neuerer  Zeit. 

So  gebot  denn  auch  die  Staatski agh ei t  den  Teil  der  sieben- 
börgischen  Bevölkerung,  auf  den  sich  die  österreichische  Regierung 
am  meisten  verlassen  konnte,  durch  Zuwanderungzu stärken.  Dies 
geshah,  indem  zunächst  deutsche  Ansiedler  aus  Ober-  und  Inner- 
österreich nach  Siebenbürgen  geleitet  wurden.  *  Es  war  der  Wille 
des  Kaisers  Karl  VI.  und  der  Kaiserin  Maria  Theresia,  daß  in  den 
österreichischen    Alpenländern    Glaubenseinheit    herrsche.    Sie 
mußten    daher   das    abgeben,    was    sich    solcher  Einheit  nicht 
fügen    wollte,    die  Protestanten.    Durch   die  Gegenreformation 
war  das  Luthertum  in  den  Alpenländern  nicht  ausgerottet.  In 
abgelegenen    Alpentälern,    in    dem    oberösterreichischen    Salz- 
kammergut, in  Oberkärnten  und  Obersteiermark,  hi^r  namentlich 
im  Ennstal,   auf  der  Ramsau  und  auf  dem  oberen  Murboden, 
hatte  es  sich  erhalten.  Luthers  Lehre  ging  da  in  gar  mancher 
Familie  vom  Vater  auf  den  Sohn  über,   wie  die  Lutherischen 
Mücher,  die  an  versteckten  Orten  aufbewahrt  wurden.  Das  ist 
die  Zeit  des  Geheim protestantismus,  der  sich  zunächst  ziemlich 
unbehindert     fortpflanzen     konnte.    Als     es    jedoch    in    dem 
Fürsterzbistum    Salzburg    (1731)    zu   der   großen  Ausweisung 
der  Protestanten    gekommen  war,   da  hielt  es  auch  die  öster- 
reichische Regierung    für  geboten,    schärfere  Maßregeln  gegen 
das  Luthertum    zu   ergreifen.    Zunächst    sollten    alle  Mittel  in 
Anwendung  gebracht  werden,  die  Abtrünnigen  zum  katholischen 
Glauben  zurückzuführen.  „Die  hartnäckigsten  und  verstocktesten 
Irrgläubigen"    aber,    an    denen    eine  Bekehrung  nicht  möglich 
sei,  sollten  nach  Ungarn  und  Siebenbürgen  überführt  werden. 
Dort  waren  sie  dem  Staate  nicht  verloren,    vielmehr  konnten 
sie  dort  die  Lücken  in  dem  Stande  der  Bevölkerung  ausfüllen 
helfen    und  dabei    doch   ihres  Glaubens  leben.    Namentlich  iii 
Siebenbürgen,    das    schon    im    XVI.  Jahrhunderte    eine    Stätte 
religiöser  Freiheit  war.  Denn  durch  mehrere  Landtagsbeschlüsse 
waren   hier   die  Evangelischen  beider  Bekenntnisse  und  sogar 
die  Unitarier  den  Römisch-Katholischen  gleichgestellt.  In  dem 
Leopoldinischen  Diplome  von  1691    hatte  Österreich  die  alten 
Rechte    der   vier    „rezipierten  Religionen"    feierlich    bestätigt. 
Hatte    das   doch    selbst  der  eifrig  katholische  General  CarafFa 
dem    Kaiser    besonders  .  empfohlen,     da    Siebenbürgen    seine 
Religionsfreiheit  wie    seinen  Augapfel    behüte    und    bezüglich 


I  Vergl.  hiezu  meine  Abhandlung  „Zur  Geschichte  der  ev.  Trans- 
migration aus  Ober-  und  InnerOsterreich  nach  Siebenbürgen**  (und  die  dort 
verzeichnete  Literatur)  im  Jahrb.  der  Gesellsch,  f.  d.  Gesch.  d.  Protest,  in 
Osterreich  VlI,  ferner  Ilwof,  Der  Protestantismus  in  Steiermark,  Kärnten, 
Krain.  Graz,   1900.  .        .  .  ,  ,        .      ;    . 


Von  Karl  Reissenberger.  69 

der  Sachsen,    die   er    „die  Grundkraft  Siebenbürgens"  nannte, 
beigesetzt,    der    Kaiser    sollte   ihre  evangelische  Religion,    die 
sie   bereits  in    der    ersten    Hälfte    des  XVI.  Jahrhunderts  an- 
genommen  hatten,    auf  keinen    Fall    antasten.    So  waren  die 
Verhältnisse    beschaffen,    in    welche    auf  Befehl  Karls  VI.  und 
seiner    Tochter   Maria   Theresia    die    bei    ihrem  Glauben    be- 
harrenden  Protestanten    aus  -  Ober-    und    Innerösterreich    ab- 
geführt   werden.    Die   erste  Transmigration    fand   im  Sommer 
1734    aus    Oberösterreich    nach    Siebenbürgen    statt.    Dieser 
folgten   im  Jahre  1735   eine   zweite  und  dritte.   Zu  derselben 
Zeit  wurden  auch  aus  Kärnten  mehrfach  Züge  von  Protestanten 
nach  Siebenbürgen    geleitet.    In    weiterem  Umfange    und    mit 
größerer  Entschiedenheit  ward  die  zwangsweise  Verpflanzung 
österreichischer  Protestanten    nach   Siebenbürgen   unter  Maria 
Theresia  durchgeführt.  Es  entsprang  das  sowohl  der  Fürsorge 
der  Kaiserin  für  die  neuer  Besiedlung  so  bedürftigen  Gegenden 
ihres  Reiches    als    auch    ihrer  streng    katholischen  Gesinnung. 
Auch   jetzt    waren   hauptsächlieh  Oberösterreich  und  Kärnten 
an    den  Transmigrationen   beteiligt.    Die    kärntnerischen  Aus- 
wanderer stammten    vornehmlich  aus  Himmelberg,    Paternion, 
Spital.    Was  Steiermark  betrifft,   berechtigt  mich  das  Material; 
das    über    die  Transmigrationsgeschichte   bereits    veröffentlicht 
ist    sowie   jenes,    das    ungedruckt    aus   hiesigen  *    und   sieben- 
bürgischen  Archiven  zu  meiner  Kenntnis  gekommen  ist,  zu  dem 
Schlüsse,    daß    aus    diesem  Lande    die  wenigsten  Protestanten 
nach   Siebenbürgen  verpflanzt  worden  sind.  Gewiß  aber  nicht 
deshalb,  weil  hier  das  Luthertum  weniger  verbreitet  war,  da- 
Siegen    sprechen  die  auch  in  Steiermark  planmäßig  ergriffenen 
Hekehrungsmaßregeln  und  die  nach  dem  Erscheinen  des  Toleranz- 
patentes   in  Obersteiermark  sofort .  entstandenen  evangelischen 
Gemeinden,    sondeni    weil    hier,    wie    das  schon  Zwiedineck- 
Südenhorst^  hervorgehoben  hat,  eine  mildere  Praxis  herrschte. 
Zudem  fürchtete  man  —  es  ist  mir  das  in  den  Akten  wiederholt 
begegnet  —  eine  zu  große  Entvölkerung  des  Landes.  Von  den  aus 
Steiermark  Abgeführten  kam  wohl  ein  Teil  nach  Ungarn,  der 
bei  weitem  größere  jedoch  —  gegen  300  —  nach  Siebenbürgen. 

*  Mit  Bewilligung  Sr.  Exzellenz  des  Herrn  Statthalters  Grafen  Manfred 
Gary  und  Aldringen  konnte  ich  mi  Herbste  T905  in  die  bezüglichen  Akten 
des  nun  durch  den  Herrn  kaiserl.  Rat  Dr.  A.  Kapper  fachmännisch  geordneten 
iriesigen  k. k.  Statthilterei-Archives  Einsicht  nehmen.  Eine  abermalige  Benutzung 
dieses  Archives  im  Frühling  1906  verdanke  ich  der  Güte,  des  neuernannten 
H^rrii  Vorstandes  .Dr.  Thiel. 

*  Geschichte  der  religiösen  Bewegung  in  InnerÖsterreich  im  XVHI.Jahrh. 
A.  f.  ö.  G.    B.  53  S.  491.. 


60     Die  deutschen  Besiedlungen  Siebenbürgens  in  älterer  und  neuerer  Zeit. 

In  den  Jahren  1752  bis  1772  erfolgten  eine  ganze  Reihe 
kleinerer  Transmigrationen  aus  Steiermark,  namentlich  aus 
dem  oberen  Ennstale  und  vom  oberen  Murboden.  Aus 
letzterer  Gegend,  besonders  der  Pfarre  StadI,  ging  auch 
die  größte  sieirische  Transmigration  aus,  die  in  den  April 
des  Jahres  1774  fiel.  Damals  griffen  152  Evangelische  zum 
Wanderstab;  9  waren  schon  im  November  des  Jahres  1773 
nach  Siebenbürgen  geführt  worden  und  17  aus  derselben 
Gegend  folgten  im  Oktober  1776  nach. 

In  Siebenbürgen  wurden  die  Ankömmlinge  aus  Österreich 
in  Hermannstadt,  in  dessen  Umgebung  und  im  Unterwalde, 
aber  auch  sonst  im  Lande,  sogar  in  dem  entfernteren  Kron- 
stadt angesiedelt.  Um  von  den  Steirern  im  besonderen  zu 
sprechen,  fanden  diese  in  Hermannstadt,  mehr  aber  in  dem 
benachbarten  Neppendorf,  in  Mühlbach,  Großpold  und  andern 
Gemeinden  des  Unterwaldes  ihre  neuen  Heimstätten.  So  er- 
wähnt ein  im  hiesigen  Statthai terei- Archive  liegendes  Dekret 
der  Kaiserin  vom  28.  Oktober  1752  die  Abführung  von 
4  steirischen  Transmigrantinnen  aus  Pürgg  in  den  Mühlbacher 
Stuhl.  Die  steirischen  Transmigranten  aus  dem  Jahren  1773 
und  1774  wurden,  so  viel  ich  sehen  kann,  zumeist  in  Neppen - 
dörf  und  Großpold^  untergebracht.  Die  sächsischen  Stammes- 
und Glaubensbrüder  nahmen  die  neuen  Landesgenossen  freund- 
lich auf  und  taten  für  sie,  was  sie  tun  konnten.  „Ihr  exem- 
plarischer Lebenswandel  erwarb  ihnen  allgemein  Liebe  und 
Achtung",  sagt  der  Kronstädter  Chronist  Michael  Gottlieb 
von  Herrmann. 2 

Wiederholt  ist  die  Frage  erörtert  worden,  wie  sich  die 
Transmigranten  in  der  neuen  Heimat  fühlten.  Darüber  liegen 
von  ihnen  selber  zweierlei  Äußerungen  vor,  günstige  und  un- 
günstige. Zu  den  ersteren  gehört  das  Schreiben,  worin  die  in 
Siebenbürgen  eben  angekommenen  oberösterreichischen  Trans- 
liiigranten  im  Jahre  1734  dem  Kaiser  für  die  Anweisung  der 
neuen  Wohnsitze  Dank  sagen.  Ich  stimme  dem  verdienst- 
vollen Verfasser  der  Geschichte  des  oberösterreichischen  Bauern- 
krieges'^  gerne  bei,  wenn  er  diesem  wohl  unter  einem 
gewissen  Drucke  zustande  gekommenen  Schriftstücke  keine 
besondere    Beweiskraft    beimißt.     Anders    fasse    ich    ater  die 


1  Bisher  unbekannte  Daten  über   Großpold  verdanke  ich  dem  Pfarrer 
dieser  Gemeinde,  Herrn  Bezirksdechanten   E.  Thullner. 

2  Das  alte  und  das  neue  Kronstadt,    her.  v.  Ü.  v,  Meltzl  I,  S.  216. 

3  Der    Bauernkrieg   in   Qberösterreich,    erzählt   von  einem  Oberöster- 
reicher (J.  Strnadt),  Wels  1902,  S.   163,  A.  207., 


Von  Karl  Reissenberger.  ßl 

Briefe  auf,  die  von  Transmigranten  ganz  aus  eigenen  Stücken 
an  ihre  entfernten  Verwandten  abgesendet  wurden.  So  schreibt 
Paul  Kaiser  am  29.  August  1734  u.a.:  „Wie  wir  in  Siebeii- 
burgen  in  die  evangelischen  Örter  gekommen,  haben  uns  sowohl 
weltliche  als  geistliche  Herren  mit  Freuden  empfangen  und 
höchst  gnädig  begäbet  mit  Geld,  Brot,  Fleisch,  Wein,  Bier 
u,  a.  m.;  haben  auch  Gott  sei  dank  gute,  eifris[e,  evangelische 
Regenten,  die  uns  in  geist-  und  weltlichen  Schutz  tragen  tun 
und  auch  einem  jedweden  nach  seinem  Stand  und  Vermögen 
zu  einem  Haus  helfen.  Welcher  ein  Handwerk  oder  Kunst 
kann,  wird  dazu  aufgenommen»  Wer  aber  eine  Bauerschaft 
oder  Grund  verlangt,  dem  helfen  sie  zu**.  ^  Matthias  Fischer 
teilt  seinen  Brüdern  unter  dem  q.  September  1734  mit,  daß 
er  sein  Stückel  Brot  hier  in  Siebenbürgen  reichlich  zu  ge- 
winnen habe.  Aber  es  gab  auch  solche,  die  mit  ihrem  Lose 
nicht  zufrieden  waren.  Heimweh  machte  sich  wohl  unter 
den  doch  ganz  fremden  Verhältnissen  geltend,  vielfach  auch 
die  Not.  Mancherlei  Klagen  brachten  Transmigranten  aus 
Siebenbürgen  vor  das  corpus  evangelicorum^  in  Regensburg  und 
dieses  leitete  sie  an  die  Kaiserin  weiter,  die  sie  allerdings  der 
Reihe  nach  als  grundlos  bezeichnete.  In  einer  Entschließung 
der  Kaiserin  vom  17,  November  1753,  die  ich  im  Statthai terei- 
Archive  gefunden  habe,^  eröffnet  Maria  Theresia  der  Re- 
präsentation und  Kammer  in  Steier,  einige  von  denen,  diie 
nach  Siebenbürgen  abgeführt  worden  seien,  hätten  sich  darüber 
beschwert,  daß  ihre  Häuser  und  Güter  daheim  nicht  nach 
dem  wahren  Wert  verkauft,  sondern  von  den  Verwaltern  an 
deren  Bekannte  um  einen  wohlfeilen  Preis  dahin  gegeben 
worden  seien.  Die  Weisungen,  welche  die  Kaiserin  gibt, 
zeugen  von  ihrer  auch  sonst  bewährten  Gerechtigkeitsliebe 
und  Fürsorge.  In  einer  anderen  Entschließung  (gleichfalls  im 
Statthalt erei- Archive)  vom  22.  Oktober  1753  lesen  wir  ähnlich, 
wie  sich  Maria  Theresia  auch  dem  corpus  evangelicorum 
gegenüber  geäußert,  daß  die  Erhaltung  der  Transmigranten 
in  Siebenbürgen  viel  koste.  Die  Kaiserin  hatte  bezüglich  der 
Versorgung  der  Transmigranten  gewiß  die  besten  Absichten, 
ob  diese  aber  von  den  untern  und  untersten  Beamten  immer 
genau  ausgeführt  wurden,  das  ist  eine  andere  Frage.     Jeden- 


1  Ettinger,  Kurze  Geschichte  der  ersten  Einwanderung  von  österr, 
Glaubensbrüdern  in  Siebenbürgen.  Hermannstadt   1835,  S.  287. 

*  Zwiedineck  a.  a.  O.  S.  497  ff.  Friedrich  Reissenberger  im  Jahrbuch 
der  Gesellschaft  f.  d.  Gesch.  d.  Protestantismus  in  Österr.  XVII,  S.  207  ff. 

«  Nun  von    mir   im  Korrespondenzblatt    1906,   S.  8  f.  veröffentlicht. 


62     Die  deutschen  Besiedlungen  Siebenbürgens  in  älterer  und  neuerer  Zeit. 

falls  hat  sich  auch  an  diesen  Kolonisten  das  Sprichwort  erfüllt 
„Aller  Anfang   ist  schwer".     Wenn   man   die  Ausweise  über 
die    Barschaften,    die  denselben    nach    dem    meist    schlechten 
Verkaufe    ihrer  Habe    in    der   alten    Heimat    und    nach    ver- 
schiedenen Abzügen    geblieben    waren,    überblickt,  findet  man 
viel    Armut.     Sogar   Beträge   von  5,  3,   l   Gulden   oder  auch 
gar    kein  Vermögen!      Da    war    es    ihnen    denn    keineswegs 
leicht,    in    der   neuen  Heimat   ein   neues  Leben   zu  beginnen. 
Trotzdem    möchte    ich    es   nicht  für  zutreffend  erachten,  was 
Ameth  in  seiner  Geschichte  Maria  Theresias  (IV,  52)  sagt,  daß 
die  Auswanderer   „nicht  selten  im  Elend  versanken".     Einige 
Existenzen  mögen  in  der  Not  des  Lebens  untergegangen  sein. 
Andere,  verhältnismäßig  nicht  wenige,  rafften  das  ungewohnte 
Klima,  vielleicht  auch  Epidemien  bald  dahin.    Von  den  Steirem, 
die  im  Jahre   1774  in  Großpold   und  Neppendorf  sich  nieder- 
ließen, ist  gleich  in  der  nächsten  Zeit  (1774  und   1775)  eine 
größere    Anzahl    gestorben.     Nach    Erlassung    des    Toleranz* 
patentes  (1781)  war   es   den    österreichischen  Transmigranten 
in  Siebenbürgen  gestattet,  in  die  alte  Heimat  zurückzukehren. 
Pfarrer    Gletler   in  Stadl    nennt   in    seiner  Chronik,*    die  das 
Steiermärkische    Landesarchiv    verwahrt,    auch    6,  die    heim- 
kamen,  im   ganzen    sind   es  jedoch  nicht   viele   gewesen,  die 
Siebenbürgen  wieder  verließen.    Die  aber  dort  blieben,  haben 
sich  durch  ihre  Rechtschaflfenheit,  durch  ihren  Fleiß  und  ihre 
Ausdauer   ehrlich    behauptet.     Nicht   wenige   Transmigranten- 
Familien    haben   sich   im    Laufe    der   Zeit    zu  einer   gewissen 
Wohlhabenheit  emporgearbeitet.     Wenn  heute  (ich  spreche  da 
aus  unmittelbarer  Erfahrung)  Neppendorf  und  Großpold  zwei 
Gemeinden  sind,   auf  welche  das  Sachsenland  stolz  ist,  so  ist 
das    den  Transmigranten    zu    danken,    die  hier  in  besonderer 
Stärke   angesiedelt    wurden.     In  diesen  Gemeinden   haben  die 
Österreicher  auch  ihre  Mundart    und  teilweise  ihre  Sitten  be-. 
halten  bis  auf  diesen  Tag. 

Während  Maria  Theresia  evangelische  Österreicher  nach 
Siebenbürgen  überführen  ließ,  suchte  sie  auch  auf  andere 
Weise  dort  ihren  Besiedlungsplan  zui*  Ausführung  zu  bringen. 
Merkwürdig  mutet  es  uns  heute  an,  daß  sie  in  den  letzten 
Jahren  des  siebenjährigen  Krieges  unter  -den  in  Österreich 
zurückgehaltenen  preußischen  Kriegsgefangenen  und  Fahnen- 
flüchtigen Umfrage  halten  ließ,  wer  von  diesen  sich  gegen 
Gewährung'  wohlbemessener    Begünstigungen    auf   einem  der 

1  Ich  werde  sie  mit  Erläuterungen  und  Ergänzungen  aus  dfen  Akten-, 
beständen  des  k.  k..  Statthalterei-Archives  an  einem  anderen  Orte  hera^isgeben. 


Von  Karl  Rcissenberger.  6S 

königlichen .  Krongüter  in  Ungarn  oder  in  einer  sächsischen 
Gemeinde  Siebenbürgens  niederlassen  woUeJ  Für  diejenigen, 
die  sich  meldeten,  wurde  ein  „Versicherungsschein"  ausgestellt. 
Einer  der  erhalten  gebliebenen  Versicherungsscheine  ist  von 
Graz  datiert.  Er  lautet:  „Nachdeme  Christoph  Göttling  von 
Magdeburg  im  Magdeburgischen  gebürtig,  22  Jahre  alt. 
Lutherischer  Religion,  Leedigen  Standes,  ein  Bökher  seiner 
Profession  in  Siebenbürgen  sich  ansässig  zu  machen  erkläret 
hat;  So  wird  derselbe  im  Nahmen  Ihro  Kaiserlich-Königl.- 
Apostolische  Majestät  hiemit  versicheret,  daß  ihme  nicht  nur 
zwei  Dukaten  auf  die  Hand  gegeben,  der  bisherige  Sold  annoch 
auf  drey  Monat  continuiret,  das  freye  Burger-  und  Meister- 
Recht  für  ihn,  und  respective  sein  Weib  zugestanden,  von 
allen  Gaaben  durch  die  erste  fünf  Jahre  losgesprochen,  sondern 
auch  dreyßig  Gulden  als  die  erste  Aushülf  zur  Anhebung 
seines  Handwerks  in  loco  seiner  Ansiedlung  abgereichet,  nicht 
minder  dahin  gesorget  werden  wird,  daß  er  die  zu  seiner 
Profession  weiters  erforderliche  Aushülf  einen  Kredit  erlangen 
möge  und  wann  er  lieber  auf  ein  Dorf  als  in  eine  Stadt 
ziehen  will  so  wird  ihme  nebst  allen  obigen  annoch  ein  ge- 
wisses Grundstück  angewiesen  werden.  Wo  übrigens  ihme 
sich  zu  verheurathen,  als  auch  der  Religions-Exercitium  nach 
Verfassung  des  Lands,  in  welchem  er  seyn  wird,  gestattet 
werden  solle.  Zu  dessen  Urkund  ist  dessen  gegenwärtiger 
Versicherungsschein  von  mir  hierzu  verordneten  Kommissäro 
aus  Allerhöchster  KaiserL  Königl.  Vollmacht  angefertigt  worden. 
Sig.  zu  Graz  den  Eylfften  Juli  1761  L.  S,  Müllburg,  N.  Ö. 
Regmts.  Rath**'. 

Von  Steiermark  gingen  unter  militärischer  Bewachung 
mehrere  Züge  über  St.  Gotthard,  Ofen,  Temesvar  nach 
Siebenbürgen  ab.  Auf  diese  Weise  erhielt  das  Karpatenland 
1500  neue  Ansiedler.  Ein  glücklicher  Griff  war  mit  solcher 
Besiedlung  nicht  geschehen.  Daher  hatten  die  Sachsen  über 
die  neuen  Landesgenossen  auch  keine  besondere  Freude. 
Man  findet  das  begreiflich,  wenn  man  erfährt,  daß  der 
kommandierende  General  von  Siebenbürgen  über  sie  berichtete, 
es  seien  viele  von  ihnen  liederlich  und  zur  Arbeit  nicht  ge- 
eignet. Diese  ergriffen  denn  auch,  nachdem  das  empfangene- 
Geld  vergeudet  war,  die  nächste  Gelegenheit,  um  über  den 
Nordosten  Ungarns  und  Polen  nach  Preußen  zu  entweichen. 
Auch  bessere  Elemente  korinten  sich  in  die  Verhältnisse  nicht 


*  Korrespondenzblatt,  1893.  S.   n6  ff,  und  145  ff. 


64     Die  deutschen  Besiedlungen  Siebenbflrgens  in  alterer  und  neuerer  Zeit. 

finden  und  äußerten  das  Verlangen,  heimzukehren.  Die  Ent- 
lassung wurde  ihnen  auch  gewährt,  als  nach  dem  Frieden  von 
Hubertsburg  durch  die  Verabschiedung  österreichischer  Soldaten 
die  Arbeitsverhältnisse  im  Lande  ungünstiger  wurden.  Nur 
etwa  100  blieben  im  Lande  und  verschmolzen  durch  ihre 
Verheiratung  mit  den  Sachsen.  Einer  solchen  preußisch- 
sächsische Familie  entsproß  auch  der  am  29.  März  1901  ver- 
storbene Heinrich  Wittstock,  ^  ein  edler  Charakter,  ein  her- 
vorragender, unermOdeter  Arbeiter  und  Kämpfer  für  die  Rechte 
und  Güter  des  sächsischen  Volkes. 

Aber  auch  vom  Oberrhein  '^  erhielt  Siebenbürgen  im 
XVIII.  Jahrhundert  neue  Ansiedler.  Um  die  Mitte  des  Jahr- 
hunderts (1747  —  1764)  kamen  die  ersten  aus  dem  Baden- 
Durlacher  Oberlande.  Kriegsnot  und  dadurch  hervorgerufenes 
wirtschaftliches  Elend  zwang  sie  zur  Auswanderung  nach  dem 
Osten,  die  sich  übrigens  auch  bis  nach  dem  südlichen  Rußland 
erstreckte.  Von  1770  folgten  weitere  Züge  aus  den  Gemeinden 
längs  des  Rheins  in  und  bei  dem  sogenannten  Hanauer  Lande. 
Häufige  Überschwemmungen,  Mißwachs  und  Teurung  trieben 
sie  aus  der  Heimat.  Sie  wurden  in  Mühlbach  und  den  be- 
nachbarten Ortschaften  Petersdorf  und  Deutsch  Plan,  aber 
auch  an  andern  Orten  des  Sachsenlandes,  namentlich  im 
Mediacher  Stuhl  angesiedelt.  In  Mühlbach  und  wohl  auch 
sonst  erhielten  sie  ohne  Bezahlung  Hofstellen,  Äcker,  Wiesen, 
Anteil  am  Gemeinde wald  und  Weinberge. 

Aus  alemannisch-schwäbischem  Sprachgebiete  ist  auch  die 
deutsche  Einwanderung  erfolgt,  die  sich  im  Jahre  1846  voll- 
zog. 3  Schon  im  Jahre  1844  wurde  von  dem  württembergi- 
schen Ministerium  in  Wien  angefragt,  ob  nicht  württembergische 
Landeskinder,  die  infolge  der  Übervölkerung  daheim  überflüssig 
seien,  in  Ungarn  und  Siebenbürgen  Unterkunft  finden  könnten. 
Die  sächsische  Nation  erklärte  sich  bereit,  einige  Landwirte 
und  Handwerker  aufzunehmen.  Namentlich  der  ersteren  be- 
durfte der  neugegründete  sächsische  Landwirtschafts  verein 
für  seine  Zwecke.  Es  wurde  jedoch  die  Bedingung  gestellt, 
daß  die  schwäbischen  Einwanderer  nicht  mittellos  seien.  Die 
Auswanderung  ins  Werk  zu  setzen,  begab  sich  im  Jahre  1845 
St.  L.   Roth,   einer    der    wackersten   Männer    Siebenbürgens, 

i  Vgl.  über  ihn  den  schönen  Nachruf  von  Fr,  Teutsch  im  Archiv 
d.  Ver.  f.  sieb.  Landesk.  N.  F.  XXXll.  S.  205. 

*  Badische  Landeszeitung  vom  22.  März  1889;  Korrespondenzblatt 
1889,  S.  40  flf.  Möckel  a.  a.  O. 

3  Czömig,  Ethnographie  der  österr.  Monarchie  III,  S.  89 ;  Milner,  Schwäbi- 
sche Kolonisten  in  Ungarn.  Berlin  1880;  K.  Obert.  St.  L.  Roth  1.  Wifen  1896. 


Von  Karl  Reissenberger,  '65 

einst  ein  Lieblingsschüler  Pestalozzis,  jetzt  evangelischer  Pfarrer 
zu  Niemesch,  nach  Stuttgart,  wo  er  einen  Aufruf  erjieß,  dem 
ich  die  folgenden  Stellen  entnehme:  „Der  Unterzeichnete  isjt 
aus  Siebenbürgen  hieher  gereist,  um  Auswanderungslustige  in 
sein  Vaterland  einzuladen,  und  zwar  ins  Sachsenland,  wo  keine 
Untertänigkeit  herrscht,  sondern  freies  Bürgertum.  Das  L^nd 
hat  große  Ähnlichkeit  mit  dem  guten  Schwabenland  und  alles, 
was  hier  gebaut  wird,  gerät  dort  auf  das  vollkommenste; 
denn  der  Boden  ist  fetter  und  die  Witterung  etwas  milder. 
Weizen,  Welschkorn  und  Wein  sind  Haupterzeugnisse.  Grund 
und  Boden  sind  wohlfeil  und  der  Ankauf  ist  leicht  zu  be- 
werkstelligen, weil  von  seinen  Gründen  jeder  Bauer  so  viel 
oder  wenig  verkaufen  kann,  als  er  Lust  hat  Die  evangelische 
Kirche  ist  eine  der  vier  Landeskirchen.  Es  gibt  kein  deutsches 
Dorf,  kein  einziges,  wo  nicht  Kirchen  und  Schulen  seien. 
Holz  kaufen  die  Landleute  an  den  wenigsten  Orten.  Die  Luft 
ist  gesund  und  auch  das  Wasser;  nur  schmeckt  der  feurige 
und  wohlfeile  Wein  einwandernden  Deutschen  gewöhnlich  zu 
gut,  woher  sich  der  böse  Leumund  von  Gesundheit  herschreiben 
mag  Die  Abgaben  sind  mäßig;  die  Landeskonstitution  ist 
freisinnig.  Alle  sächsischen  Beamten  sind  Ausdruck  des  Volks- 
willens, weil  sie,  die  Geistlichen  nicht  ausgenommen,  vom 
Volkswillen  gewählt  werden."  Dieser  Aufruf  verfehlte  die 
Wirkung  nicht.  Nach  einem  i^usweise,  den  der  siebenbürgisch- 
sächsische  Landwirtschaftsverein  in  seiner  am  6.  Juni  1846 
zu  Mühlbach  abgehaltenen  Jahresversammlung  gab,  waren  bis 
Ende  Mai  dieses  Jahres  307  Familien  mit  1460  Köpfen  in 
Siebenbürgen  eingewandert,  116  Familien  brachten  ein  Ver- 
mögen von  57.582  fi.  mit.  Sie  wurden  in  die  südlichen, 
sächsischen  Stühle  eingeteilt,  wo  für  sie,  die  meist  ordentliche 
Menschen  waren,  soviel  als  möglich  geschah.  Mißlich  jedoch 
war,  daß  verhältnismäßig  zahlreiche  Einwanderer  ganz  mittellos 
waren  und  entweder  vom  Handwerk  oder  vom  Taglohn  leben 
wollten.  Auch  kamen  mehr,  als  man  aufnehmen  konnte.  So  sah 
sich  die  Regierung  genötigt,  die  Bedingungen  der  Zulassung  zu 
erschweren,  infolgedessen  die  Auswanderung  nach  Siebenbürgen 
bald  aufhörte.  Ja,  es  blieben  nicht  einmal  alle,  die  gekon\men 
waren.  Diese  deutsche  Einwanderung  kann  nicht  als  geglückt 
bezeichnet  werden  und  derjenige,  der  sie  so  sehr  betrieben  hat 
—  mag  mir  gestattet  sein,  das  noch  beizufügen  —  St.  L.  Roth, 
ist  nachher  als  Märtyrer  der  österreichischen  und  deutschen 
Sache  am  11.  Mai  1849  gestorben,  auf  der  Zitadelle  von 
Klausenburg,  von  den  ungarischen  Aufständischen  erschössen. 


66     Die  deutschen  Besiedlungen  Siebenbürgens  ih  Älterer  und  neuerer  Zeit. 

Die  Schwabeneinwanderung  war  die  letzte  deutsche  Be- 
siedlung Siebenbürgens.  Unter  den  gegenwänigen  politischen 
Verhältnissen  wäre  eine  neue  auch  nicht  mehr  möglich.  Da- 
gegen hat  das  siebenbörgische  Deutschtum  in  den  letzten 
Jahrzehnten  durch  Auswanderungen  eine  gewisse  Einbuße 
erfahren.  *  Das  Ziel  derselben  ist  namentlich  ein  zweifaches : 
Rumänien  und  Amerika,  die  Ursache  sind  Sorgen  um  die 
materielle  Existenz.  Seitdem  der  Zollkrieg  zwischen  Österreich- 
Ungarn  und  Rumänien  seinen  Anfang  genommen,  ist  das 
Gewerbe  in  den  sächsischen  Städten,  wo  es  in  frühern  Zeiten 
so  sehr  geblüht,  in  stetem  Niedergange  begriffen.  Nicht  wenige 
Gewerbsleute  haben  es  drum  vorgezogen,  der  Heimat  zu  ent- 
sagen und  sich  in  dem  bisherigen  Absatzgebiete  niederzulassen, 
wo  für  sie  das  Handwerk  wieder  einen  goldenen  Boden  zu 
gewinnen  schien.  Trotz  dieser  Abgänge  ist  das  deutsche 
Volkstum    in   Siebenbürgen    noch  über  200.CXX)  Seelen  stark. 

Allerdings  eine  kleine  Schar,  die  aber  treu  an  dem 
festhält,  was  sie  an  volkstümlichem  Gute  von  den  Vätern 
ererbt  hat.  An  die  alten  Rheinfranken  haben  sich  die  späteren 
deutschen  Einwanderer  eng  angeschlossen.  Sie  fühlen  sich 
alle  eins  und  wollen  eins  bleiben.  Von  ihnen  insgesamt  gelten 
darum  die  Worte  ihres  heimischen  Dichters  :^ 

„Dem  König  Treue  ohne  Wank  und  Wandel, 
Dem  Land,  dem  Boden  Treue  immerdar, 
Und  Treue  immerdar  dem  eignen  Volke, 
So  lang  uns  Gott  läßt  dauern  hier  im  Lande!" 


1  Schuller,  Volksstatistik  der  Siebenbürger  Sachsen  bei  Kirchhoff  a. 
a.  O.  Rechenschaftsbericht  Ober  die  Amtswirksamkeit  des  neunten  Landes- 
Konsistoriums.  Periode  1899 — 1903.  Hermannstadt  1903-  Ein  neuer  Rechen- 
schaftsbericht mit  neuen  Daten  dürfte  in  diesem  Jahre  erscheinen.  Einen 
vorlSufigen  äiesbezOglichen  statistischen  Ausweise  für  das  Ende  des  Jahres 
1905  brachte  jüngst  —  augenscheinlich  aus  sicherer  siebenbürgischer  Quelle  — 
die  „Kölnische  Zeitung"  und  daraus  die  Grazer  „Tagespost"  im  Morgenblatt 
vom   10.  April   1906. 

*  Michael  Albert,  Die  Flandrer  am  Alt.     Hermannstadt  1883. 


Wallenstein  und  die  deutsche  Armee- 
sprache.' 

(Hiezu  eine  Karte  und  eine  genealogische  Tabelle.) 


Wallenstein,  der  Begründer  des  modernen  Heeres,  zählt 
mit  Recht  zu  den  Geistesriesen  der  europäischen  Kultur- 
welt. Seine  Leistungen  als  Feldherr  und  Staatsmann  sind  zum 
Gemeingute  aller  Gebildeten  geworden  und  je  größer  die 
Strecke  wird,  die  den  gewaltigen  Mann  von  uns  zeitlich  trennt, 
desto  magischer  zieht  uns  seine  Persönlichkeit  an. 

Der  Friedländer  stammte  aus  wohlhabender  Familie. 
Frühe  verlor  er  die  Eltern,  er  mußte  somit  bald  lernen,  auf 
eigenen  Fußen  zu  stehen.  Sein  Oheim  Albrecht  Slavata  ließ 
ihn  verschiedene  Universitäten  des  In-  und  Auslandes  besuchen, 
den  Abschluß  der  Studienzeit  bildete  eine  Reise  durch  Deutsch- 
land nach  Frankreich,  Spanien,  England  und  Holland.  Dabei 
erreichte  Wallenstein  das  21.  Lebensjahr.  Zu  Hause  angelangt, 
bot  sich  ihm  eine  Gelegenheit,  Polen,  Ungarn  und  Sieben- 
bürgen im  Fluge  kennen  zu  lernen.  1603  schickte  Kaiser 
Rudolf  II.  aus  Böhmen  und  Mähren  einen  Staffel  Soldaten 
nach  Siebenbürgen,  wo  im  Augenblicke  alles  drunter  und 
drüber  ging,  da  sieben  bis  acht  Parteien  sich  bemühten,  die 
ephemere  Würde  eines  Großfürsten  zu  erlangen.  Wallen- 
stein  bekam  ein  Hauptmannspatent.  In  moderne  Begriffe  über- 
tragen, war  Wallenstein  Eskadronskommandant.  Als  solcher 
gelangte  er  durch  Polen  und  Oberungarn  nach  Siebenbürgen. 
Was  er  nun  da  sah  an  politischen  und  militärischen  Kämpfen, 
waren  die  letzten  Zuckungen  einer  Geistesrichtung,  welche 
planmäßig  die  Zertrümmerung  Ungarns  vorbereitet  und  — 
man  muß  sagen  —  mit  großem  Geschicke  ins  Werk  gesetzt 
hatte.  Diese  Geistesrichtung  ist  umso  erstaunlicher,  wenn  man 
sich  vergegenwärtigt,  wie  ungeheuer  groß  der  Einfluß  Ungarns 
um  die  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  war.  Der  Ungarkönig 
Ludwig  d.  Gr.,  aus  dem  Hause  Anjou  hervorgegangen, 
herrschte   nicht   nur   über   Ungarn,   sondern   auch    im   Wege 

*  Nach  einem  Vortrage,  gehalten  im  Leo-Vereine  zu  Wien  am  26.  Fe- 
bruar 1906. 

5* 


68  Wallenstein  und  die  deutsche  Armeesprache. 

einer  Personalunion  über  das  räumlich  noch  größere  König- 
reich Polen.  Durch  Polen  wieder  waren  zugleich  Beziehungen 
angebahnt,  welche  später  für  Ungarn  eine  Personalunion  mit 
den  Ländern  der  Wenzelskrone  ermöglichten. 

Die  Zertrümmerung  Ungarns  erfolgte  teils  aus  inneren 
Ursachen,  teils  durch  äußere  Ereignisse.  Die  inneren  Ursachen 
waren  gegeben  durch  die  soziale  Struktur  des  Staates,  die 
äußeren  Ereignisse  brachte  das  rollende  Zeitenrad  in  Gestalt 
der  Osmanen.  Ein  Haufe  fanatisierter  Asiaten  brachte  sich 
in  erstaunlich  kurzer  Zeit  derart  zur  Geltung,  daß  man  ihnen 
den  Rang  einer  europäischen  Großmacht   zuerkennen  mußte. 

Um  die  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  längsten  die  Osmanen, 
aus  Kleinasien  kommend,  gegenüber  von  Konstantinopel  an. 
Noch  stand  unversehrt  in  seinem  Glänze  das  oströmische 
Kaisertum,  noch  herrschte  das  stolze  Byzanz  uneingeschränkt 
über  den  nach  ihm  benannten  Kulturkreis.  Konstantinopel  zu 
erobern,  war,  wie  die  Dinge  lagen,  nicht  gut  möglich,  die 
Sultane  warfen  sich  daher  vorerst  auf  das  Gebiet  von  Thrazien 
und  Ostrumelien.  Wider  Erwarten  glückte  gleich  der  allererste 
Versuch  derart,  daß  der  Padischah  1361  in  Adrianopel  seine 
Residenz  aufschlagen  konnte.  Von  hier  aus  nahm  die  osma- 
nische  Hochflut  ihren  Siegeslauf. 

Die  Art  und  Weise,  wie  die  Türkenherrschaft  um  sich  griff, 
verdient  selbst  heute  Bewunderung.  Hinter  sich  das  Meer, 
vor  sich  das  öde  und  unwegsame  Balkangebirge,  tastend  und 
suchend  breiteten  sich  die  Türken  aus.  Die  Karte  ermöglicht, 
das  Vordringen  der  Osmanen  graphisch  darzustellen.  So  sehen 
wir,  daß  bald  darauf  (1382)  die  Türken  schon  Sofia  in 
Besitz  genommen  haben. 

Am  Nordabhange  des  Balkangebirges  stellen  sich  den 
Türken  zwei  Gegner  entgegen,  die  Serben  und  die  Bulgaren. 
Mit  den  Serben  werden  die  Türken  fertig  in  der  ersten  Schlacht 
am  Amselfelde  (1389)  mit  den  Bulgaren  werden  sie  ohne  wesent- 
liche Kämpfe  fertig,  die  Hauptstadt  Tirnova  wird  (1393)  türkisch. 

Angesichts  dieser  Erfolge  erklärt  sich  das  lateinische 
Europa,  der  römische  Kulturkreis,  solidarisch  mit  den  Byzan- 
tinern und  es  rückt  ein  Kreuzfahrerheer  nach  dem  Balkan  ab. 
Bei  Nikopoli  kommt  es  zu  einer  Schlacht  (1396),  die  Türken 
bleiben  wieder  Sieger  und  wohl  oder  übel  müssen  sich  die 
Nachbarn  damit  abfinden.  Die  türkische  Herrschaft  war  aber 
ein  Schreckensregiment.  Zu  Hunderten  und  Tausenden  wurden 
die  Christen  der  eroberten  Länder  abgeschlachtet  wie  die 
Kälber.  Wer  am  Leben   bleiben  wollte,   hatte  die  Wahl,  ent- 


Von  Ferdinand  Slrobl  v.  Ravelsberg.  69 

weder  Türke  zu  werden  oder  auszuwandern.  Bei  den  mannig- 
fachen Beziehungen,  die  zwischen  Ungarn  und  Konstantinopel 
bestanden,  war  es  eine  logische  Folge,  daß  nun  ein  Strom 
von  Auswanderern  in  Ungarn  Schutz  und  Sicherheit  suchte. 
Der  leitende  Staatsmann  in  Ungarn,  Johann  Hunyady,  griff  die 
gegebenen  Anregungen  auf  und  eröffnete,  moralisch  wie 
materiell  durch  Papst  Eugen  IV.  unterstützt,  einen  Feldzug  gegen 
die  Türken.  Das  Unternehmen  verschlang  enorme  Geldsummen, 
kostete  sehr  viele  Menschenleben,  hatte  aber  nicht  den 
mindesten  Erfolg.  Einen  Offensivstoß  vollführte  Johann 
Hunyady  im  Sommer  1443  über  Belgrad,  Nisch,  Sofia  bis 
Philippopel.  Man  machte  Beute  und  trat  dann  den  Heimweg  an. 
Im  nächsten  Jahre  ging  der  Offensivstoß,  dem  nun  auch  der 
blutjunge  König  Ladislaus  beiwohnte,  über  Orsova  und  Widin 
entlang  der  Donau  nach  Varna  Hier  kam  es  10.  November 
1444  (wie  1792  bei  Valmy)  mit  verkehrten  Fronten  zur 
Schlacht,  wieder  blieben  die  Türken  Sieger.  Der  junge  König 
fiel  im  Getümmel.  Der  dritte  Offensivstoß,  im  Sommer  1448 
unternommen,  fand  in  der  zweiten  Schlacht  am  Amselfelde 
sein  Ende.  Johann  Hunyady  brachte  von  seinem  Heere  kaum 
30  Personen  zurück. 

Nach  solchen  Erfolgen  mußte  den  Türken  der  Kamm 
wachsen.  Einen  längst  gehegten  Wunsch  ausführend,  warf 
sich  der  Padischah  1453  auf  Konstantinopel  und  eroberte  die 
Stadt.  Das  oströmische  Kaisertum  verschwand  nun  von  der 
Landkarte  und  Konstantinopel  wurde  fortan  Residenzstadt  der 
Sultane.  Mit  der  Stadt  nahmen  die  Sieger  eine  Menge  italie- 
nischer, insbesonders  venezianischer  Elemente  in  sich  auf.  Aus 
diesen  Renegaten  holte  sich  das  Türkentum  seine  besten 
Staatsmänner  und  Feldherren,  ja  seihst  eine  Sultanin  ging  aus 
diesen  Kreisen  hervor. 

Das  Aufsaugen  der  benachbarten  Länder  ging  nun  rasch 
und  ohne  wesentliche  Anstrengungen  vor  sich. 

1459  wurde  Serbien  unterworfen,  hierauf  folgte  1463 
Bosnien  und  endlich  1465  die  Herzegowina  und  Albanien. 

Bis  zur  Donau  waren  somit  alle  Balkanstaaten  unter 
türkische  Herrschaft  gelangt.  Der  Versuch,  auch  nördlich  der 
Donau  festen  Fuß  zu  fassen,  stieß  aber  auf  erhebliche  Schwie- 
rigkeiten. Walachei  und  Moldau  besaßen  soviel  innere  Wider- 
standskraft, daß  es  den  Sultanen  erst  1511  gelang,  im  Wege 
von  Verträgen  diese  Länder  sich  dienstbar  zu  machen.  Walachei 
und  Moldau  wurden  durch  eigene  Fürsten  regiert,  die  Pforte 
sorgte  aber  dafür,  daß  von  staatlicher  Unabhängigkeit  nicht 
viel  zu  verspüren  war. 


70  Wallenstein  und  die  deutsche  Armeesprache. 

Unter  Sultan.  Soliman  IL  und  dessen  Nachfolgern  wurde 
nun  die  Zertrümmerung  Ungarns  in  Angriff  genommen,  inner- 
halb von  80  Jahi-en  gelang  das  Werk. 

1521  ließ  Soliman  die  Festungen  Belgrad  und  Sabac 
erobern.  Beide  Plätze  hatte  Serbien  früher  den  Ungarn  ver- 
tragsmäßig übergeben  in  der  Erwartung,  daß  man  sich  der 
Sache  annehmen  werde.  Die  Kommandanten  nahmen  zwar  die 
jährlich  ausgeworfenen  Geldsummen  in  Empfang,  verpraßten 
aber  das  Geld.  Eine  Deputation  kroatischer  Eddleute  begab 
sich  nun  eiligst  zu  Kaiser  Karl  V.  und  Agram  bekam 
spanische  Landsknechte. 

1524  erwarben  die  Türken  das  Banat  Macs 6. 

152-^  kam  die  Katastrophe  von  Mohäcs.  Nach  errungenem 
Siege  behielten  die  Türken  den  Landstrich  zwischen 
BelgradundEssek. 

1528  besetzten  sie  Pozega. 

Nun  kam  Wien  an  die  Reihe;  1529  erschien  Soliman 
zur  ersten  Türkenbelagerung,  ohne  aber  seinen  Zweck  zu  er- 
reichen. Dasselbe  war  1532  der  Fall,  als  er  bei  Güns  erfuhr, 
das  deutsche  Reichheer  sei  in  Baden  und  St.  Polten  eingetroffen. 
Unverrichteter  Dinge  marschierte  Soliman  nach  Hause    zurück. 

Knapp  vor  der  Katastrophe  von  Mohäcs  hatte  sich  Johann 
Zäpolya,  damals  Wojwode  von  Siebenbürgen,  unter  türkische 
Oberhoheit  gestellt.  Unmittelbar  nach  der  Katastrophe  ließ 
sich  Zäpolya  zum  König  von  Ungarn  ausrufen.  Soliman  setzte 
ihm  einen  Vormund  zur  Seite,  den  Italiener  Gritti.  Dadurch 
kam  Siebenbürgen  in  dasselbe  Abhängigkeitsverhältnis  wie  die 
Walachei  und  die  Moldau,  fortan  führte  hier  die  Pforte  das 
entscheidende  Wort. 

Johann  Zäpolya  starb  1540.  Nun  jeder  Rücksicht  ent- 
bunden, setzte  der  Padischah  1541  in  Ofen  einen  Statthalter 
ein,  Namens  Suleiman  Pascha,  Ungar  von  Geburt  und  zweifels- 
ohne ein  Mann  von  großen  Verdiensten  sowie  erprobter  Treue. 
Der  türkische  Statthalter  schafft  Raum,  1543  fällt  der  Land- 
strich östlich  und  westlich  der  Donau  in  türkische  Hände. 

Große  Vorteile  brachte  den  Türken  der  Feldzug  von 
155 1/2,  sie  eroberten  das  Gebiet  von  Temesvär,  Veszprim, 
Fülek,  Auch  Erlau  hätte  genommen  werden  sollen,  doch 
leistete  die  Stadt  so  hartnäckig  Widerstand,  daß  die  Türken 
ihr  Vorhaben  aufgeben  mußten.  Dem  Padischah  war  der  Besitz 
von  Erlau  notwendig ;  so  lange  das  Loch  da  oben  offen  blieb; 
war  das  Türkenreich  gegen  Westen  nicht  abgeschlossen. 

Soliman  beschloß  1556,  in  eigener  Person  vor  Erlau  zu 
rücken.    Sein  Vortrab   passierte    die   Drau   bei    Essek,   wurde 


Von  Ferdinand  Stroblv.  Ravelsberg.  71 

unvermutet  durch  Niklas  Zrinyi  rmgefallen  und  der  KHeg^as»^ 
beraubt.  Dartiber  erbost,  wendete  sich  d^r  Sultan  gegen  S^iget. 
Mit  dem  Falle  dieser  VQste  .kam  der  angrenzende  Landstrich 
-in  türkische  Gewalt..  ;  - 

Dank  .  einer  'weitausgreifenden  und  mit  z^her  Ausdauer 
verfolgten  Politik ;  hatte  .SoKman  s^in  Ziel  fast  vollständig,  er- 
reicht. Binnen  35  Jahren  war  der  größte. Teil  Ungarns  in 
seiner -Gewalt.  D^tf  Nachfolgern  blieb  wenig  Arbeit  übrig. 

1592  fällt  Bihac,  1596  wird  Erl^u  erob'ert; 
1600  fällt  Kanizsa. 

Nun  wir  die  äußeren  Ereignisse  kennen,  wollen  wir  den 
inneren  Ursachen  näher  treten,  wobei  aber  das  Bild  nur  in 
sehr  knappen  Umrissen  gezeichnet  werden  soll.  Ludwig  d.  Gn 
hinterließ  bei  seinem  Tode  zwei  Töchter.  Die  ältere  Würde 
Erbin  des  Königreiches  Ungarn,  die  jüngere  bekam  das  König- 
reich Polen.  Staatsrechtlich  war  somit  die  Personalunion  er^ 
loschen,  die  persönlichen  Beziehungen  ^yirkten  ^ber  noch  lange 
und  derart  kräftig  nach,  daß  bald  wieder  eine  solche  Perspnal- 
union  zustande  kam.  Für  die  eigenartige  Logik,  die  m^n  da- 
mals bei  der  Anerkennung  von  Erbrechten  beobachtete,  kann 
die  genealogische  Übersicht  als  Wegweiser  dienen.  Näher  ein- 
zugehen, verbietet  der  Mangel  an  Raum. 

Aus  der  inneren  Struktur  der  dynastischen  Verbindungen 
sproßten  zur  Zeit  Wallensteins  die  Keime  .und  Triebe  natur- 
gemäß überaus  lebhaft  hervor,  das  gesamte  öffentliche  Leben 
empfing  von  da  aus  die  mannigfachsten  Anregungen,  Die  da- 
mals übliche  Wehrverfassung  verfolgte  Wallenstein  mit  regem 
Interesse.  Nachdem  er  Siebenbürgen  verlassen  hatte,  wohnte  er 
in  Oberungam  einer  Musterung  bei  und  sein  scharfer  Blick 
erkannte  bereits,  wo  der  Sitz  des  Übels  zu  suchen  war, 
1606  befand  er  sich  in  der  Veste  Gran,  die  durqh  Dampierre 
verteidigt  werden  sollte.  Die  Besatzung  meuterte  und  Daippierre 
mußte  den  Platz  den  Türken  übergeben.  Dann  kam  der 
Friedensschluß  zu  Wien,  Wallenstein  begab  sich  auf  s^ne 
Güter  in  Böhmen.  Durch  den  Tod  seines  Oheims  Slavata  fiel 
ihm  eine  so  große  Erbschaft  zu,  daß  man  Wallenstein  zu  den 
reichsten  Kavalieren  der  Wenzelskrone  zählen  mußte. 

Der  1616  ausbrechende  Uskökenkrieg  brachte  Wallen- 
stein in  die  Gegend  von  Gradiska.  Wieder  war  er  nur  Haupt- 
mann, das  Getriebe  im  Hauptquartiere  beobachtete  er  aber 
weit  nüchterner,  als  zehn  Jahre  zuvor.  Der  kaiserlichen  Truppen; 
die  da  gegen  die  Republik  Venedig  fochten,  waren  zwar  nicht 
viele,  aber  Vertreter  all^r  Nationen  konnte  man  hier  finden; 
Spanier  und j  Italiener,   Niederländer  und  Fran^oseti;   Deutsche 


^Ö  Wallenstein  und  die  deutsche  Arraeesprache. 

aus  dem  Reiche,  Kroaten,  Steirer,  Kärtner,  Krainer.  Dank  den 
Privilegien,  die  jeder  Heereshaufen  ausüben  durfte,  wurde 
eigentlich  nichts  geleistet.  Nicht  an  Ort  und  Stelle  im  Felde 
wurden  die  Entscheidungen  getroffen;  der  oberste  Heerführer 
mußte  immer  einen  Kurier  nach  Prag  schicken,  wenn  ein 
Zwischenfall  eintrat,  der  bei  Beginn  des  Krieges  nicht  ver- 
mutet worden  war. 

An  den  Ereignissen  in  Böhmen,  welche  das  Jahr  1618 
brachte,  nahm  Wallenstein  nicht  teil.  Die  Motive  der  böhmi- 
schen Herren  kennend,  die  mit  Waffengewalt  Böhmen  wieder 
in  ein  Wahlreich  verwandeln  wollten,  stellte  sich  Wallenstein 
auf  die  entgegengesetzte  Seite,  er  errichtete  auf  eigene  Kosten 
ein  Kürassierregiment  und  verfocht  mit  Nachdruck  die  Sache 
des  Kaisers.  Der  Schlacht  am  Weißen  Berge,  3.  November  1620, 
brachte  den  Verteidigern  der  Erbmonarchie  militärisch  einen 
Sieg,  der  dann  sofort  auch  auf  das  wirtschaftliche  Gebiet  ver- 
pflanzt wurde.  Eine  ausg^iebige  Güterkonfiskation  fand  statt. 
Wallenstein  allein  kaufte  60  Herrschaften. 

Auf  den  europäischen  Kontinent  übte  der  Prager  Fenster- 
sturz dieselbe  Wirkung  aus,  wie  1848  der  Fall  der  Bourbonen 
in  Frankreich,  mit  dem  Unterschiede  jedoch,  daß  die  Revo- 
lution damals  durch  30  Jahre  die  Welt  in  Atem  hielt.  Von 
allen  Seiten  bedrängt,  sah  sich  Kaiser  Ferdinand  I.  schon  1625 
außerstande,  den  Stürmen  Trotz  zu  bieten.  Kein  Geld,  keine 
Soldaten,  kein  Feldherr  —  es  war  ein  Ringen  um  Leben  oder 
Tod.  Wallenstein  machte  sich  erbötig,  50.CXX)  Mann  auf  die 
Beine  zu  bringen,  ohne  daß  die  Hofkammer  einen  Pfennig  zu 
zahlen  brauchte. 

Nach  damaligen  Begriffen  war  dies  jedoch  eine  Leistung, 
die  ein  Einzelner  nicht  vollführen  konnte.  Um  50.OOO  Mann 
aufzubringen,  mußte  der  Kaiser  die  Kurfürsten^  die  Reichs- 
grafen, die  Vertreter  der  Reichsfreiherren  und  Ritter,  die  Ab- 
gesandten der  Reichsstädte  einberufen  und  in  wochenlangen 
Beratungen  das  erforderliche  Geld  ausfindig  machen.  Unter 
der  eisernen  Not  verstand  sich  der  Kaiser  zur  Erlaubnis,  daß 
Wallenstein  die  Hälfte  des  Kontingents,  also  25.OOO  Mann, 
aufbringen  durfte. 

Im  Besitze   dieser  Erlaubnis  suchte   nun  Wallenstein  die  i 

ihm  passend  erscheinenden  Männer.    Freunde  und  Verwandte  '' 

wurden  seine  Oberste.  Militärische  Tüchtigkeit  allein  war  noch 
keine  Empfehlung;  Wallenstein  sah  mehr  auf  die  Gesinnung. 
Er  machte  sich  so  zum  Haupte  einer  Verbindung,  die  ihm  schon 
deshalb  anhänglich  sein  mußte,  weil  unter  seiner  Führung 
nicht  nur  Ruhm  und  Ehre,  sondern  auch  materielle  Güter  zu  i 


k 


rungen 


Zeich  en  -Erklärung: 


^1543 
1551-52 
1592 


Von  Ferdinand  Strobl  v.  Ravelsberg.  73 

erwerben  waren.  Sein  Heer,  das  nur  durch  einen  einzigen 
Willen  beseelt  wurde,  erwies  sich  naturgemäß  stets  als  das 
stärkere  und  zuverlässigere.  Von  selbst  stellte  sich  Vertrauen 
zur  obersten  Führung  ein  und  mit  dem  Selbstgefühle  des  Ein- 
zelnen wuchs  auch  die  Leistungsfähigkeit  der  Masse. 

Im  Gegensatze  zu  früher,  wo  der  oberste  Feldherr  keinen 
Angriff  unternehmen  durfte,  ohne  vorher  Kriegsrat  abgehalten 
zu  haben,  wurde  es  nun  Sitte,  über  Pläne  und  Absichten 
möglichst  wenig  verlauten  zu  lassen.  Wallenstein  duldete  keine 
Vertraulichkeiten,  er  zeigte  sich  gewiß  mit  Absicht  nur  sehr 
selten.  Der  mystische  Zug,  der  seine  Persönlichkeit  umwob, 
das  Ernste,  das  Geheimnisvolle  in  seinem  Auftreten  war  wohl 
die  Hauptursache,  daß  man  sich  vor  ihm  zu  fürchten  begann. 
Er  verstand  glänzend  zu  belohnen,  er  verstand  aber  auch 
fürchterlich  zu  strafen.  Ein  gigantischer  Geist,  war  Wallenstein 
wie  Napoleon  I.  nicht  zu  biegen,  nur  zu  brechen. 

Geht  man  die  Namensliste  der  Oberste  durch,  welche  im 
Heere  Wallensteins  dienten,  so  hat  man  Vertreter  aller  Na- 
tionen vor  sich.  Es  dienten  Spanier,  Franzosen,  Niederländer 
und  Italiener;  es  dienten  Schotten  und  Iren;  es  dienten 
Nord-  und  Süddeutsche;  es  dienten  Kroaten,  Böhmen, 
Polen,  Mährer  und  Schlesien  Sich  hier  allgemein  ver- 
ständlich zu  machen,  gab  es  nur  einen  Weg:  man 
schuf  eine  gemeinsame  Umgangssprache  für  die  Oberste.  Im 
Privatleben  hat  der  Einzelne  zweifelsohne  seine  Muttersprache 
angewendet,  Deutsch  zu  lernen  war  aber  nicht  zu  umgehen, 
weil  das,  was  wir  heute  „Dienstgang"  nennen,  auf  deutsche 
Grundlage  gestellt  war.  Deutsch  waren  die  Bestallungen  für 
die  Oberste,  deutsch  die  Kriegsartikel,  deutsch  die  Muster- 
register. Der  Musterschreiber  mußte  allerdings  neben  dem 
Kanzleideutsch  auch  die  Sprache  der  Leute  beherrschen,  die 
dem  Regimente  angehörten. 

Wallensteins  Schöpfung  ist  mit  seinem  Tode  nicht  unter- 
gegangen. Den  Grundstock  seiner  Reformen  hat  man  beibe- 
halten, einzelne  Bruchstücke  bestehen  ja  selbst  heute  noch, 
weil  man  eben  nichts  Besseres  an  deren  Stelle  zu  setzen 
weiß.  Sein  geistiges  Vermächtnis  läßt  sich  mit  einem  einzigen 
Worte  abtun:  Einheit.  Je  größer  ein  Heer  ist,  das  irgendwo 
und  irgendwann  zur  Verwendung  gelangen  soll,  desto  not- 
wendiger ist  eine  einheitliche  Leitung. 

Ferdinand  Strobl  v.  Ravelsberg. 


Genealogische 
der  Häuser  Anjou  in  Ungarn,  Jagello  in  Polen,  Böhmen    vlxh 

Regentenreihe  in  Siebenbürgen: 

Johann  Zapolya,  vgl.  Nr.   l6 1526"  bis  21./7.  1540. 

Siegmiind  Zapolya  „       „     23 .1540  n    U./3.  1571. 

Stephan  Bäthory    „       „     17   ......    .  1571  »  1576. 

.  Christoph  Bathory  „       „      17    ......    .  1576  „  1581. 

Siegmund  Rathory  „       „     25 1581  1602. 

Stephan  Bocskay 1604  „  29./11.  1606, 

Gabriel  Bdthory  vgl.  Nr.    24   .....    .  1608  ^  ll./io.  1613.  . 

Gabriel  Bethlen 1613  „     5/ll.  1629. 


Töchter  Königs  Ludwig  I.  von  Ungarn : 


1.  Marie,  1370,  f  1395.  verm. 
1385  mit  Mgfn.  Sigismund  von 
Brandenburg,  1368,  f  1437. 
Dessen  Tochter  unter  Nr.  3. 

2.  Hedwig,  1371,  t  1399. 
verm.  1386  mit  Wladislaw  II. 
Jagiello,  135..  t  1434.  Dessen 
Söhne  unter  Nr.  4  u.  5. 


3  Elisabeth,  1394.  t  1442. 
verm.  1422  mit  Albrecht  von 
Österreich,  1 399,  f  1439-  Dessen 
Kinder  unter  Nr.  6  u.  7. 

4.  Wladislaw  III.,  I423, 
f  1444  bei  Varna. 

5,  Ka.simir  IV.,  1427.  1 1492. 
verm.  1454  mit  teiner  Cousine 
Elisabeth  (vgl.  Nr.  6),  1439, 
f  1505.  Deren  Kinder  unter 
Nr.  8  bis  11. 


Regentenreihe  für  Böhmen: 

Wenzel  IV.- 1378  bis 

Sigismund,  vgl.  Nr.    l 1420  „ 

Ladislaus      .,       ^      7 1453  „ 

Georg  von  Podebrad 2./3.  1458  „ 

Wladislaw,  vgl.  Nr.  8 1471  » 

Ludwig          „       „13 1516  „ 

Dann  wie  Ungarn. 


1419. 

1437. 

1457. 

1471. 
13./3.  1516. 
28./8.  1526. 


22./3. 


6.  Elisabeth,  I439,  +  15 
verm.  1454.  mit  ihrem  Vet 
König  Kasimir  IV.  (vgl.  Nr. 

7.  Ladislaus  Posthumus,  14. 
t  1457. 

8.  Wladislaw,  1456,  +  15 
verm.  1 502  mit  Anna  von  K' 
dale,  14..,  t  1506  im  Woch- 
bett.  Deren  Kinder  unter  Nr. 
und  13. 

9.  Johann  Albrecht,  14^ 
t  1501. 

10.  Alexander,  I461,  +  15<3 

1 1.  Sigismund  I.,  1467.  +  15-^ 
verm.  a)  1512  mit  Barbara  % 
polya,  1489.  t  1515.  Der 
Kinder  unter  Nr.  13  u.  I^ 
b)  1516  mit  Bona  Sforza,  14G 
t  1557,  vergiftet.  Deren  Kindi 
unter  Nr.   15  bis   17. 


Regentenrethe  in  Ungarn: 

Marie,  vgl.  Nr.   1 17./9.   1382  bis 

dann  ihr  Gemahl  31. /5.  1387  bis  9./12.   1437. 
Albrecht  als  Gemahl  Elisabets,  vgl.  Nr.  2       . 

Ladislaus  IVi,  vgl.  Nr.  4      

Regentschaft  Johann  Hunyady 

Ladislaus  V.,  vgl.  Nr.  7 

Matthias  Corvinus  (Sohn  des  Hunyady)  .    .    . 

Ladislaus,  vgl.  Nr.  8 

Ludwig  II.,  vgl.  Nr.  13 

*  Ferdinand  I.  als  Gemahl  Annas,  vgl.  Nr.   12 

Max  II.,  vgl.  Nr.   19 

Rudolf  IL,  vgl.  Nr.  26 

Matthias,  vgl.  Nr.  27 

Ferdinand  IL,  vgl.  Nr.  29 

*  Sein  Gegenkönl);  Johann  Zapolya,  vgl.  Nr.  16,  1536  bis  1540 


1385. 


l./l. 

1438 

n 

1439. 

< 

1440 

„20./11. 

1444. 

1444 

n          Juli 

1456. 

Okt. 

1456 

„23./II. 

1457. 

i 

24./ 1. 

1458 

»   6./4. 

1490. 

15./6. 

1490 

^  13./3. 

1516. 

1516 

„  29./8. 

1526. 

ü 

1527 

«  25./7. 

1564. 

1564 

»12./ 10. 

1576. 

^ 

1576 

„  20./1. 

1612. 

1612 

„  20./3. 

1619. 

►40- 

1619 

«  15./2. 

1637. 

1 

1 

i 

Übersicht 
■XJngsLvn,  Wasa  in  Schweden  und  Habsburg  in  Österreich. 


k|2,Anna,  1 503, 1^543.  verm. 
1^1  mit  Ehg.  spät.  Kaiser  Fer- 
jUnd  I.,  1 503.  t  ^  564  Deren 
'r  der  unter  Nr.  18  bis  21. 
f-l.  Ludwig  II,.  1 506,  f  1 526 
iMohacs,  verm.  1521  mit  sei- 
_  Schwägerin,  Ehgin.  Marie 
Oü  Österreich,  1505,  f  1558. 
*^4.  Katharina,-  151.,  f  1583. 

EpTB.  mit  Johann-  III.,  Wasa, 
t  *;ig  von  Schweden ,  f  1 592. 
|cs»n  Sohn  unter  Nr.  22. 
W-i^.Sigismund  August  II.,  1520, 
?572,  verm.  a)  l543m.Ehoin, 
isabeth  (vgl.  Nr.  18),  1526, 
t  1540;  b)  heimlich  1545  und 
Ö^'^pntlich  1548  mit  Barbara  Rad- 
filWl,  verw.Trocka,  ....,  f  1551, 
M  Veranlassung  ihrer  Schwie- 
^utter  (vgl.  Nr.  1 1  b)  vergiftet ; 
JN^553  und  geschieden  156?  mit 
£  ^.  Katharina  (vgl.  Nr,  20), 
^t  1550  verwitw.  Hgin.  Gon- 
>3a»  1633,  t  1572. 
^,16.  Isabella,  1522,  f  1559. 
*4rm.  1539  mit  ihrem  Oheim 
'obann  Zipolya  (des  Ferdinand  I. 
Jögenkönig  m  Ungarn),  1487, 
!•  1540.  Dessen  Sohn  unter  Nr.  23. 
^7.  Anna,  1524,  f  1596,  verl. 
1573  mit  Heinrich  III.,  Valois 
^.ter  Wahl'könig  von  Polen); 
Verl.  1575  u.  verm.  1576  mit 
Stephan  Bathory  (zweiter  Wahlr 
könig  von  Polen),  1534,  f  1586. 
'Ö'sscn  Sohn  unter  Nr.  24.  Chri- 
stoph Bathory  (d.StephanBathory 
b»der)  wurde  1576  Großfürst 
von  Siebenbürgen;  sein  Sohn 
vger  Nr.  25. 


18.  Elisabeth,  1526,  f  1545. 
verm.  1543  mit  Sigismund 
August  II.  V.  Polen  (vgl.  Nr.  1 5). 

19.  Max  II.,  1527,  t  1576, 
verm.  1548  mit  Infantin  Marie 
von  Spanien,  1528,  f  1603. 
Deren  Sohn  unter  Nr.  26  u.  27. 

20.  Katharina,  1533.  f  '572, 
verm.  a)  1 549  mit  Franz  HL,  Gon- 
zags  Herzog  von  Mantua,  f  1 550 ; 
b)  mit  ihrem  Schwager  Sigismund 
August  II.  (vgl.  Nr.  15). 

21.  Karl,  1540,  f  1590,  verm. 
1570  mit  Marie  von  Bayern, 
1551.  t  l6o8.  Deren  Kinder 
unter  Nr.  28  bis  30. 

22.  Sigismund  HX.,  Wasa, 
1566,  t  1632,  verm.  a)  1592 
mit  Ehgin.  Anna  (des  Ehg.  Karl 
Tochter\  1573.  f  1598 ;  b)  1605 
mit  Ehgin  Konstanze  (der  Vori- 
gen Schwester),  1588,  f  1631; 
vgl.  Nr.  28  u.  30. 

23  Siegmund  Zapolya,  1540, 
t  1571. 

24.  Gabriel  Bathory,  15.., 
f  1613,  ermordet. 

25.  Siegmund  Bathory,  15  m. 
f  1613,  verm.  1595  und  gesch. 
1602  mit  Ehgin.  Marie  Christine 
(des  Kais.  Ferdinand  II.  Tochter), 
1574.  t  1521. 


26.  Rudolf  IL,  1552,  t  1612. 

27.  Matthias,  1557.  t  l5l9. 


28.  Anna,  1 573.11598,  verm. 
1592  mit  Sigismund  HL,  Wasa 
(vgl.  Nr.  22). 

29.FerdinandIL,1578,tl637. 
verm.  a)  1600  mit  Marie  Anna 
von  Bayern,  1574.  t  l5l6; 
b)  1622  mit  Eleonore  Gonzaga, 
160.,  t  1655. 

30.  Konstanze,  1588,  f  1631. 
verm.  mit  ihrem -Schwager  Sigis- 
mund HL,  Wasa  (vgl.  Nr.  22). 


Regentenreihe  für  Polen  : 


Hedwig,  dann  ihr  Gemahl,  vgl.  Nr.  2 

Wladislaw  HI.  «  »    4 

Kasimir  IV.  „  „    5 

Johann  Albrecht  .„  „9 

Alexander  „  „10 

Sigismund  I.  „  „  11 

Sigismund  August  IL  „  „15 

Heinrich  HL,  Valois  „  „17 

Stephan  Bathory  „  »17 

Sigismund  HL,  Wasa  „  »  22  . 


1382  bis  1434. 
1434  „    20./11.  1444. 

1444    ry  1492. 

1492    „  1501. 

1501    n  1506. 

1506    „  I./4.  1548. 

1548  „  7-/7.  1572. 

15./1-  1574  V  1875.  1574. 

15/9.  1575    „  15-/9.1586. 

I9./8.  1587    „  3O./4.  1632. 


Literaturberichte. 

Acta  Salzburgo-Aquilejensia.  Quellen  zur  Geschichte 
der  ehemaligen  Kirchenprovinzen  Salzburg  und  Aquileja. 
Band  l.  Die  Urkunden  über  die  Beziehungen  der  päpstlichen 
Kurie  zur  Provinz  und  Diözese  Salzburg  (mit  Gurk,  Chiemsee, 
Seckau  und  Lavant)  in  der  avignonischen  Zeit:  13 16—1378. 
Gesammelt  und  bearbeitet  von  Alois  Lang.  Zweite  Ab- 
teilung  1352 — 1378.  Graz   1906.  Verlagsbuchhandlung  Styria. 

Selten  hat  uns  das  Erscheinen  eines  Buches  eine  reinere  und  auf- 
richtigere Freude  bereitet,  als  es  bei  dem  vorliegenden  der  Fall  ist.  Gibt 
uns  doch  das  Erscheinen  dieses  Buches  eine  Gewähr  dafür,  daß  der  Autor,  der 
schwerer  Krankheit  verfallen  gewesen,  völliger. Genesung  entgegensieht,  wozu 
ihn  seine  Kollegen  und  Freunde  zweifellos  herzlich  beglückwünschen.  Mit 
diesem  zweiten  Hefte  gelangt  die  Ausgabe  der  Urkunden  über  die  Beziehungen 
der  päpstlichen  Kurie  zur  Provinz  und  DiOzese  Salzburg  in  der  avignonischen 
Zeit  zum  Abschluß.  Wir  finden  hier  das  gesamte  in  Archiven  und  der 
entsprechenden  Literatur  vorfindliche  Aktenmaterial  hieför  in  einer  voll- 
ständigen Reihe  abgedruckt.  Nachdem  wir  bereits  über  die  erste  Abteilung 
dieses  Bandes  in  den  Blättern  unserer  Zeitschrift  eine  ausführliche  Besprechung 
gegeben  haben,  dürfen  wir  hier,  unser  Gesamturteil  in  wenige  Worte  zu- 
sammenfassend, sagen,  daß  auch  die  zweite  Abteilung  die  gleichen  Vorzüge 
besitzt,  die  wir  an  der  ersten  zu  rühmen  hatten :  Beherrschung  des  gesamten 
Materials  und  dessen  kritische  Behandlung.  Ferner,  daß  der  Ertrag,  der  auch 
hier  für  die  steiermärkische  Geschichte  abföllt,  ein  sehr  erheblicher  ist,  daß 
endlich  wie  bei  der  ersten  Abteilung  nicht  bloß  die  reichhaltigen  römischen, 
sondern  auch  die  heimatlichen  Archive  und  Bibliotheken  in  umsichtiger  und 
sorgsamer  Weise  ausgenützt  sind.  J.  Loserth. 

Archiv  für  Geschichte  der  Diözese  Linz.  II.  Band, 
herausgegeben  von  Dr.  Konrad  Schiffmann,  Linz,  Aktien- 
Ruchdruckerei  des  katholischen  Press  verein  es,  1905,  331  S. 

Ober6sterreich  besitzt  als  einziges  von  allen  seinen  Nachbarländern 
bisher  weder  einen  eigenen  historischen  Verein  noch  eine  historische  Zeitschrift. 
Die  den  Jahresberichten  des  Museums  Francisco-Carolinum  beigegebenen, 
gewiß  sehr  wertvollen  „Beiträge  zur  Landeskunde"  enthalten  jährlich  meist 
nur  eine  einzige  —  nicht  immer  historische  —  Abhandlung  und  so  fehlt  es 
an  einem  Organe  für  die  landeskundliche  Literatur,  namentlich  für  kleinere 
Detail  arbeiten,  in  welchen  z.  B.  in  Niederftsterreich  wie  in  der  Steiermark 
bereits  so  vieles  geleistet  wurde. 


Literaturberichte.  77 

Diesem  heute  vielfach  empfundenen  Mangel  wenigstens  auf  kirchlichem 
Gebiet  abzuhelfen,  ist  das  „Archiv  för  Geschichte  der  Diözese  Linz"  be- 
stimmt, von  welchem  nun  der  2.  Jahrgang  vorliegt.  Als  Herausgeber  zeichnet 
seit  dem  Tode  des  um  die  Landeskunde  verdienten  Dr.  P.  Otto  Gril In  berger 
der  Leiter  des  gleichfalls  neugegründeten  und  vorzüglich  geordneten  Linzer 
Diözesan-Archives  Prof.  Dr.  K.  Schi  ff  mann  und  Prof.  Dr.  F.  Berger. 

Voran  bringt  letzterer  eine  wertvolle  Abhandlung  über  die  kirchlichem 
Verhältnisse  des  Inn vierteis  um  die  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts,  wozu  er 
insbesondere   Visitationsprotokolle   der  Jahre  1558/59    heranzieht.     Demnach 

I  blieb  in  diesem  östlichsten  Teile  des  damaligen  Bayerlandes  damals  die  Masse 

I  der  Laien  und  wohl    auch    der  Geistlichen  zwar   katholisch,    war    aber    von 

protestantischen  Anschauungen  durchsetzt;  die  Geistlichkeit  lebte  zum  aller- 
größten Teile  verheiratet,  fast  ganz  protestantisch  war  das  Schulwesen. 

Eine     dankenswerte    Übersicht    über    die    älteren    Bibliotheken    und 

I  Archive  Oberösterreichs,  vorab  jene  der  Klöster  bietet  der  reichhaltige  Aufsatz 

'  von  K.  Schiff  mann. 

I  Dr.  K.  Pammer  sucht  das  östliche  Gemärke  der  einst  passauischen 

Herrschaft  Wildberg  im  Gegensatze  zur  Ansicht  Handel-Mazzettis  („Das  Ge- 
märke  von  Wildberg",  57.  Bericht  des  Museums  Francisco-Carolinum)  weiter 
nach  Osten  zu  verlegen  —  wie  es  scheint  nicht  mit  Glück.  J.  Strnadt 
wenigstens  hat  sich  erst  kürzlich  („Das  Land  im  Norden  der  Donau", 
Archiv  für  Österreichische  Geschichte  XCIV,  S.  1 28),  was  die  wichtige  Lokali- 
sierung   des  Sternsteins  (Stella  mons)    anbelangt,    im    Sinne  Handel-Mazzettis 

t  und  Lampeis    („Das    Gemärke    des   Landbuches",    Blätter   des   Vereines  för 

Landeskunde  von  Niederösterreich,  XXX,  330)  ausgesprochen. 

j  Reichbedacht    ist    ferner    in    diesem    Jahrgange    die    Monasteriologie. 

;  P.  Lindners  Arbeit  über   das  Professbuch   der  Abtei  Mondsee,    die  älteste 

i  des  Landes  bringt  ein  Verzeichnis  aller  Angehörigen  dieses  Klosters  und  will- 

kommene Nachrichten  über  ihre  literarische  Tätigkeit.  Wilhering,  das  nun 
seinen  fleißigen  Haushi^toriographen  Otto  Grillnberger  verloren  hat,  ist 
mit  einer  hinterlassenen  Arbeit  desselben  vertreten,  der  Ausgabe  seines  von 
Abt  Kaspar  (1507 — 18)  angelegten  Stiftungsbuches.  Annalistische  Auf- 
zeichnungen, welche  K.  Schiff  mann,  aus  mehreren  Wilheringer  und  Sankt 

L  Florianer  Codices,  sowie  einer  Handschrift  aus  dem  Pfarrarchive  zu  Moosbach 

(Innviertel)  veröffentlicht,  bringen  brauchbare  Nachrichten  zur  Lokalgcschichte 
aus  dem  XIV.  und  XV.  Jahrhundert. 

Mehrere   kleinere    Notizen,   sowie   eine    reichhaltige   Bücherschau    be- 

,  schließen    den  Band,  welcher  der  Umsicht  der  Herausgeber  und  dem  histori- 

schen Sinne  alle  Ehre  macht,  der  vielfach  traditionell  im  oberösterreichischen 
Klerus  gepflegt  wird. 

Er  könnte  manchen  Kreisen  in  der  Steiermark   zum  Vorbilde  dienen. 

Max  Doblinger, 

Ferdinand  von  Andrian.     Die  Altausseer.    Ein  Beitrag 
zur  Volkskunde   des  Salzkammergutes.    Wien.  Alfred  Holder. 
I  Preis  6  Kronen. 

Einer  der  gründlichsten  Kenner  des  Volkes,  das  heute  das  Salzkammer- 
gut bewohnt,  legt  uns  hier  Ober  dieses  Volk  ein  Buch  vor.  das  geradezu  aus- 
gezeichnet genannt  werden  muß.  In  23  Kapiteln  findet  sich  hier  alles 
zusammengetragen,  das  zur  wissenschaftlichen  Erkenntnis  des  Ausseer  Landes, 
wie  es  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  abgelaufenen  Jahrhunderts  beschaffen 
f  war,  gehört.     Da    die  Allweltsnivellierung    auch    das    Ausseer   Leben    stark 

mitnimmt,   ist   der   Wert    des    Buches  Andrians    geradezu    unschätzbar,    denn 

i 


78  Literaturberichte. 

viele  der  uralten  Gebräuche,  Sitten,  Lebenseinrichtungen  und  Anschauungen 
der  Leute  dieses  bis  zum  Bau  der  Eisenbahn  sehr  abgeschlossenen  Erden- 
winkels werden  in  einem  Jahrzehnt  vergessen  sein  und  der  Verfasser  ist  wohl 
einer  der  letzten,  die  über  die  Altausseer  etwas  Gründliches  wissen.  Wir 
sind  ihm  deshalb  für  dies  sein  Buch  zu  dem  größten  Danke  verpflichtet. 
Aus  demselben  kann  nicht  nur  der  Folklorist,  sondern  auch  der  Kultur- 
historiker, Statistiker,  Germanist  sehr  viel  lernen  und  die  treffliche  Anordnung, 
die  klare  Übersicht,  die  schftne  Darstellung,  muß  jedem  Steiermärker,  besonders 
jedem  Kind  der  obersteirischen  Berge  das  Buch  wert  machen.  An  dieser 
Stelle,  an  der  wir  ins  einzelne  nicht  eingehen  können,  seien  besonders  die 
Abschnitte  über  den  Salzberg,  über  das  Almleben,  die  Wilderei  und  die  See- 
fischerei, über  die  Wirtschaftsgebräuche  und  den  Aberglauben  hervorgehoben. 
Großes  Interesse  gewähren  die  zahlreichen  technischen  Ausdrücke,  von  denen 
eine  erhebliche  Zahl  noch  niemals  durch  den  Druck  bekannt  geworden  sind. 
Hohes  Lob  verdient  auch  die  Ausstattung  des  Buches  durch  eine  große  Zahl 
trefflicher  Bilder  aller  Art,  besonders  solcher  von  Geräten  und  Werkzeugen, 
deren  Dasein  in  raschem  Hinschwinden  begriffen  ist.  Daß  wir  das  Buch 
allen  Landsleuten  auf  das  wärmste  empfehlen,  ist  selbstverständlich. 

Dr.  Khull. 

Stephan  Kekule  von  Stradonitz.  Ausgewählte  Aufsätze 
aus  dem  Gebiete  des  Staatsrechtes  und  der  Genealogie. 
Berlin.  190  S.,  Heymann.  Preis  5  Mark. 

Der  bekannte  Genealoge  und  Heraldiker  von  Kekule  vereinigt  in  dem 
vorliegenden  Buche  neunzehn  Aufsätze,  die  zum  Teil  schon  in  verschiedenen 
Zeitschriften  erschienen  sind.  Er  ist  einer  der  Vorkämpfer  der  wissenschaft- 
lichen Genealogie,  die  keineswegs  noch  den  Rang  in  der  allgemeinen  Wert- 
schätzung einnimmt,  die  ihr  gebührt.  Das  vorliegende  Buch  erbringt 
glänzend  in  einer  Reihe  ganz  ausgezeichneter  Aufsätze  den  Nachweis,  daß  in 
Genealogicis  noch  sehr  viel  nachzuholen  ist.  Es  ist  der  Genealogie  im  ab- 
gelaufenen Jahrhundert  so  gegangen  wie  der  Heraldik:  beide  galten  infolge 
der  demokratisierenden  und  proletarisierenden  Richtung  der  Zeit  als  abgetane 
Größen.  Aber  seit  Ottokar  Lorenz  der  Genealogie  durch  sein  bekanntes 
Buch  den  Weg  zu  neuem  Aufstieg  —  allerdings  nicht  ganz  in  der  alten 
Richtung  —  gebahnt  hat,  seitdem  die  umfassende  Tätigkeit  des  Vereines 
„Herold"  in  Berlin  auch  der  Wappenkunde  viele  bedeutende  Freunde  ge- 
wann und  vor  allem  seitdem  die  Erforschung  der  Rassen  der  Wissenschaft 
neue  Ziele  und  Wege  absteckte,  erhebt  sich  langsam  auch  die  Genealogie 
zu  einer  der  übrigen  ebenbürtigen  Wissenschaft.  Das  wird  niemand  leugnen,  der 
Kekules  7.  und  8.  Aufsatz  des  vorliegenden  Buches  über  „Die  Beziehungen 
der  Genealogie  zur  wissenschaftlichen  Behandlung  des  Staatsrechtes"  und 
über  die  „Ziele  und  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Genealogie"  gelesen  hat. 
Auch  ftir  weitere  Kreise  enthält  das  Buch  sehr  lesenswerte  Dinge.  Wie 
wenige  sind  sich  z.  B.  klar,  was  das  heißt,  einen  Stammbaum  oder  eine 
Ahnentafel  richtig  herstellen,  wie  wenige  wissen  etwas  davon,  wie  viele 
hunderte  von  bürgerlichen  Familien  in  Europa  und  Amerika  königlicher  und 
fürstlicher  Abstammung  sind,  oder,  was  man  im  Wissenschaftlichen  und  Staats- 
rechtlichen hinter  „Ebenbürtigkeit"  versteht,  wenn  sie  auch  dies  Wort  schon 
tausendmal  gebraucht  haben.  Hohes  Interesse  dürften  auch  die  Aufsätze 
über  Kaiser  Wilhelms  H.  Abstammung  von  Cid  und  von  Karl  dem  Großen 
haben,  welch  letzterer  z.B.  in  Wilhelms  H.  Ahnentafel  über  hunderttausendmal 
erscheint.  Oder  wie.  wenige  wissen  es,  daß  sie  z.  B.  in  ihrer  achtzehnten 
Ahnenreihe  nicht  weniger  als  2621^4  Ahnen  zählen  und  daß  auf  der  Tafel, 


Literaturberichte.  79 

die  alle  diese  18  Ahnenreichen  aufstellen  würde,  nicht  weniger  als  524287 
Personen  verzeichnet  stehen  müßten  ? !  Sehr  lehrreich  ist  auch  der  Aufsatz 
Ober  die  Degeneration  der  spanischen  Habsburger,  ihre  Ursachen  und  Folgen. 
Mit  einem  Worte,  jeder  geschichtlich  denkende  Leser  wird  es  dem  Verfasser 
Dank  wissen,  daß  der  Verfasser  seine  wichtigsten  in  schwer  zue;änglichen  Zeit- 
schriften verstreuten  Aufsätze   in   so   handlicher  Form   hat  erscheinen  lassen. 

Dr.   Khull. 

Die  Innerberger  Hauptgewerkschaft  1625—1783.  Von 

Dr.  Allton  von  Pantz,  k.  k.  Landesregierungsrat.  Graz,  Verlags- 
buchhandlung „Styria*'.  I906.  (Forschungen  zur  Verfassungs- 
mid  Verwaltungsgeschichte  der  Steiermark.  VI.  Band.  2.  Heft.) 

Die  beiden  Bergorte  Vordernberg  und  Innerberg  (Eisenerz)  waren  von 
einander  seit  alten  Zeiten  völlig  unabhilnsig.  Jeder  hatte  sein  eigenes  Industrie- 
iiiid  Absatzgebiet,  seinen  eigenen  Distrikt  für  die  Versorgung  von  Lebensmitteln, 
Holzkohle  u.  s.  w.  Trotz  der  völligen  Unabhängigkeit  war,  der  Natur  der 
Dinge  entsprechend,  die  Entwicklung  und  Gliederung  der  an  der  Produktion 
des  Eisens,  sowie  an  dem  Handel  beteiligten  Faktoren  Jahrhunderte  hindurch 
in  beiden  Gebieten  im  grossen  und  ganzen  die  gleiche  gewesen.  Die  Verhüttung 
der  aus  dem  Erzberge  gewonnenen  Erze  geschah  in  Schmelzöfen,  die  einzelnen 
Besitzern  gehörten.  Der  vSchmelzofen  samt  dem  dazugehörigen  Anteil  am  Erzberg 
hieß  Radwerk,  der  Besitzer  Radmeister.  Die  weitere  Verarbeitung  des  in  den 
Schmelzöfen  erzeugten  rauhen  Eisens  (Roheisens)  zu  „geschlagenem  Zeug"  in 
Stahl  und  Eisen  besorgte  ein  weiteres  Glied  —  die  Hammermeister  auf  ihren 
Hämmern.  Das  dritte  Glied  waren  die  Eisenhändler,  die  den  Verschleiß  der 
von  den  Hammermeistern  erzeugten. Waren  besorgten.  Die  Produkte  desVordern- 
berger  Gebietes  wurden  zu  Leoben,  jene  von  Innerberg  in  Steyr  aufgestapelt 
und  von  da  nur  in  bestimmten  Richtungen  in  den  Handel  gebracht. 

Während  im  Vordernberger  Gebiete  diese  Organisation  aufrecht  blieb 
und  insbesondere  sich  die  Rad-  und  Hammermeister  bis  in  unsere  Tage  selb- 
ständig erhielten,  erlitten  die  an  dem  Innerberger  Eisenwesen  beteiligten 
Glieder  im  Jahre  1625  durch  die  Gründung  der  Innerberger  Hauptgewerkschaft 
eine  gänzliche  Umgestaltung.  Unter  diesem  Titel  w^urden  nämlich  die  19  Rad- 
gewerke  zu  Eisenerz,  die  44  welschen  und  die  dazugehörigen  kleinen  Hämmer 
im  ganzeii  Gebiete  nebst  ihrem  Besitz  in  eine  einzige  .Körperschaft  vereinigt, 
der  auch  die  Eisenhandlungsgesellschaft  in  Steyr  teilweise  beitrat. 

Diese,  durch  die  Grtindung  von  1625  neugeschaffene  Gestaltung  des 
Innerberger  Eisenwesens  dauerte  bis-  zum  Verkaufe  der  Hau ptge werkschaft 
an  die  Innerberger  Aktiengesellschaft  im  Jahre  1868.  Gewissermaßen  einen 
Wendepunkt  in  der  Geschichte  der  Innerberger  Hauptgewerkschaft  bildet  aller- 
dings auch  schon  das  Jahr  1783.  weil  in  diesem  Jahre  das  alte  Wirtschafts- 
system sein  Ende  gefunden.  Aus  diesem  Grunde,  und  weil  für  die  spätere 
Zeit  bereits  Publikationen  voi  banden,  hat  der  Verfasser  seine  Arbeit  auch  mit 
1783  geschlossen. 

Er  bringt  jedoch  keine  eingehende  Geschichte  der  eben  bezeichneten 
Periode,  denn  eine  solche  ließe  sich  bei  der  ungeheuren  Stoffmenge,  die  för 
dieses  Gebiet  in  den  Archiven,  namentlich  im  steiermärkischen  Landesarchive 
aufgestapelt  liegt,  nicht  in  einem  Bandfe  durchführen.  Die  Geschichte  der 
hauptgewerkschaftlichen  Finanzgebarung  würde  wohl  allein  schon  ein  stattliches 
Bändchen  füllen.  Der  Verfasser  hat  sich  nur  zur  Aufgabe  gestellt,  die  Organi- 
sation des  Innerberger  Eisen wesehs  und  seine  weitere  Entwicklung  von  d^r 
Gründung    der   Hauptgewerkschaft    bis   zu    dem   Zeitpunkte    darzustellen,   in 


80  Literaturberichte. 

welchem  durch  die  Aufhebung  der  „Widmungen"  und  „Eisensatzordnungen" 
Handel  und  Verkehr  umgestaltet  und  das  moderne  wirtschaftliche  Leben  begründet 
wurde,  und  diese  Aufgabe  hat  er  trefflich  durchgeführt. 

Die  vorliegende  Arbeit  füllt  nicht  nur  eine  tatsächlich  vorhanden  ge- 
wesene Lücke  aus,  sie  stellt  an  sich  eine  gewaltige  Leistung  dar,  namentlich 
für  den,  der  die  Menge  des. zu  bewältigenden  Stoffes  kennt. 

Zweckentsprechend  schenkt  der  Verfasser  der  GrOndungsgeschichte  seine 
besondere  Aufmerksamkeit;  zum  klaren  Verständnis  derselben  schickt  er  eine 
Darstellung  der  Organisation  sowie  der  Lage  des  Tnnerberger  Eisenwesens  in 
den  letzten  Jahrzenten  des  XVI.  und  zu  Beginn  des  XVII.  Jahrhunderts  voraus ; 
durch  dieselbe  gewinnt  man  den  richtigen  Einblick  in  die  Verhältnisse,  die  zur 
einschneidenden  Umgestaltung  im  Jahre  1625  geführt  haben.  Die  Besprechung 
der  weiteren  wirtschaftlichen  Entwicklung  wird  in  drei  Zeitabschnitte  (I625 
bis  1678,  1678  bis  1740  und  174O  bis  1783)  gegliedert.  Hiebei  führt  uns  der 
Verfasser,  soweit  es  zweckdienlich  ist,  in  die  äußeren  und  inneren  Verhält- 
nisse ein  und  läßt  keine  der  vielen  Fragen  unberührt.  Von  besonderem  Werte 
sind  die  beigegebenen  Tabellen,  die  uns  über  verschiedene  Gebiete  (Lebens- 
mittelpreise, Lr)hne,  Eisenerzeugung  u.  s.  w.),  entsprechende  Aufschlüsse  geben. 

Aus  dem  reichen  Inhalte  sei  hier  nur  Einiges  hervorgehoben.  Die  Ober- 
leitung der  ganzen  gewerkschaftlichen  Geschäftsführung  lag  in  den  Händen 
der  zwölf  Vorgeher,  von  denen  von  jedem  der  Gewerkschaftsmitglieder  (Rad- 
meister, Hammermeister,  Eisenverlag),  je  vier  gewählt  wurden.  Zur  Über- 
wachung der  gewerkschaftlichen  Gebarung  wurde  1626  mit  dem  Amtssitze 
in  Eisenerz  eine  landesfürstliche  Behörde,  das  Kammergrafenamt  errichtet,  dem 
1670  die  Gewerkschaft  vollständig  unterstellt  wurde;  damals  fand  auch  die 
Verminderung  der  Vorgeher  auf  je  zwei  aus  einem  Gliede,  dem  Obervorgeher 
und  dem  Vorgeher  statt.  Der  Vorstand  des  Kammergrafenamtes,  der  ursprünglich 
den  Titel  Kammergraf  geführt  hatte,  hieß  seit  1747  Oberkammergraf  und 
war  demselben  die  Oberaufsicht  über  das  ganze  Eisen wesen  von  Österreich 
ob  und  unter  der  Enns  und  Steiermark  übertragen  worden.  Zu  seiner 
Entlastung  wurde  1768  in  Eisenerz  ein  Amtmann  bestellt,  der  die  Haupt- 
gewerkschaft gemeinsam  mit  den  Vorgehern  zu  leiten  hatte  und  die  Mittel- 
person zwischen  der  Gewerkschaft  und  dem  Oberkammergrafen  bildete. 

Die  Geschichte  der  gewerkschaftlichen  Finanzwirtschjrft  füllt  manche 
Seite.  Gerade  die  Geldgebarung  mag  den  leitenden  Kreisen  wohl  große 
Sorgen  bereitet  haben,  besonders,  wenn  die  Schulden  sich  häuften  und  die 
Zinsen  für  die  aufgenommenen  Kapitalien  den  größten  Teil  des  Ertrages  ver- 
.schlangen ;  so  hatte  z.  B.  die  Gesamtschuld  im  Jahre  1 669  die  Höhe  von  einer 
Million  Gulden  erreicht,  die  Zinsen  betrugen  über  60.000  Gulden. 

Was  die  Eisenerzeugung  selb.st  betrifft,  so  geben  uns  die  Tabellen  für 
jedes  Jahr  genauestens  Aufschluß.  Am  Beginne  (1626)  war  die  Menge  des 
jährlich  gewonnenen  Roheisens  36.000  Zentner,  am  Schlüsse  der  Periode  (1783) 
mit  Radmer  130.000  Zentner;  in  der  ganzen  Zeit,  1625  bis  1783  wurden  über 
14  Millionen  Zentner  4loheisen  gewonnen  und  dazu  bei  40  Millionen  Zentner 
Erz  verschmolzen.  Anfänglich  wurden  50  bis  60  Gruben  in  Arbeit  gehalten ; 
von  den  IQ  Schmelzöfen  sollten  15  im  Gange  bleiben;  Hämmer  wurden 
17  aufgelassen.  Es  standen  jedoch  immer  nur  10  bis  1 1  Öfen  in  Arbeit  (Höchst- 
zahl 1630  14  Öfen,  Mindestzahl  1626  7  Öfen),  1678  finden  wir  38  Gruben 
belegt,  10  Blahäuser  in  Eisenerz,  l  in  Wildalpen,  22  welsche  und  3  kleine 
Hämimer.  Bis  1761  wurde  jeden  Samstag  um  10  Uhr  vormittags  der  Schmelz« 
Öfen  ausgeblasen  und  Sonntag  um  Mitternacht  die  Arbeit  wieder  aufgenommen. 
1762  wurde  die  Floßenerzeugung  eingeführt  und  der  Stuckofenbetrieb  gänzlich 
eingestellt. 


,,  .fvjru.3ig'.gioi^  >4^ 

bcficf  BÖ.  ii"^  TÄer  ir*3C^  icärer  zur  HTo:^   J^^isr  iss«-«i  y:rt Vi\T.^n*ic '•«^ä^ 

Fjbc  ilje  ArsöSET  icanöex  in:  Fs5s;xn%.   4»«  2ks^  •«»  «e*^-^f5>«  '^  V 

IGOZeEtser  Sc«ck- 

Dit  A:&ri:<ry?r.ift  war  ia  aljggg^iaea  ^>;rrfcjL'^  Kxäht.s^I'n.^.  ^>wiftt 
ihre  lisncB  tberfidcrt  söi  rsiet  An  bc<  »u:  usser*  i«:  viV^ZS«  K*»^>*i(k 
Diese  VerfcähriBe  w=ra<a  wesd-^^i  bestrsst^t  cxinrh  c^  Bett^ua^f:  ^Äer 
Arbeiter  voea  MZE^irresste. 

Die  Haine  der  Arbeiter  war  verbeiratet.  vv>a  »iiett  BwsiH»ett«t^  \l?Yi 
FönfieL  Es  tvachten  dies  däe  l  rastia^ie  mit  srch,  Dw  G<>werk>öob*t>  sestATt'H^ 
jedem  defioitivesi  Arbeiter.  ,der  id  FaLS«ui^  uim!  Lr'hnunj:  ^tAisiV  tu  h^^mlti^. 

Dem  Kam-nergraüeii  war  zur  besoaden»  Pdioht  ji^envuchU  d4is  li^tw^Pcsse 
der  Arbeiter  in  jeder  Hinsicbt  wahnunehaten. 

H«¥rfainteTCssa]it  sind  die  Austuhnmssen  ober  die  KohleRbesch«Äk«$  wikI 
die  in  Verbindung  siebende  Waldwirtschaft.  Über  die  Mautvrrb^^Un^^ei  tU^ 
Markenwesen  o.  s.  w^  doch  können  wir  darauf  hier  nicht  einif^iehim« 

Vorlieiseiide  Arbeit  bildet  einen  sehr  wert\*onen  Beitrag  lur  stt^inA^hew 
Berg-  nnd  HGtteng^scfaichte  und  infolge  der  zahlreichen  Angaben  Über  Ihrrv.^ 
von  Lebensmitteln.  Löhne  u.  s.  w,  eine  reiche  ijuelle  für  den  Fot-^Jcher  «wf 
dem  Gebiete  der  heimatlichen  Kulturgeschichte.  Johann  Schmut» 

Styriaca  in  den  Mitteilungen  der  Ic«  k»  Zentral* 
kommission  fflr  Erforschung  und  Erhaltung  der  Kunst* 
und  historischen  Denkmale.  Dritte  Folge,  IV.  Band.  Wien  U)Of>^ 

Sitzung  am  27'  Jänner.  Die  alte  morsche  Decke  im  ^-oÄen  S«jOt* 
des  Jesuitenkollegiums  in  Graz  (PriesterhaUvs)  wurde  duix^h  eint» 
neue  ersetzt  und  mit  den  Stuckverzierungen  der  WÄnde  In  KinK^«^>^  n^* 
bracht.  An  der  Burgruine  Cilli  sind  Sicherungsarbeiten  in  Aussicht  ge- 
nommen, ebenso  an  den  Filialkirchen  inC&cilienbrücke  und  S  t .  L  o  r  c  n  »  r  n. 

Sitzung  am  10.  Februar.  Über  die  aufgedeckten  Wnndmnlri'rirn  M\ 
der  stidlichen  Außenseite  der  Pfarrkirche  S  t.  P e t  e r  u n d  P a u  l  In  \V r 1 1  r  u- 
stein  werden  Erhebungen  gepflogen. 

Sitzung  am  24.  Februar.  An  der  Kirche  St.  Anton  in  W.  l<.  wrnlrn 
nur  Sicherungsarbeiten  vorgenommen.  Die  Erwerbung  des  im  Stltlr  Srt'knu 
autbewahrten  Orgelgehäuses  durch  das  Landesmuseum  wird  subNTntlonlnt. 

Sitzung  am  3.  März.  Gymnasialprofessor  Dr.  Pischingrr  Irul  ri» 
Manuskript  vor  „Archäologische  Studien  ftuf  dem  Cicblrtr  von 
Pettovio". 

Sitzung  am  10.  März.  Die  Rekonstruktionsarbeltm  brl  drr  C'lioistlrm»  drr 
Pfarrkirche  in  Gonobitz  wurden  durchgeführt. 

Sitzung  am  4.  April.  Dem  Musealverein  in  Cilli  wird  xu  Slt'hrr»inHNWibt»l<rn 
an  der  Burgruine  Cilli  eine  Staatssubvention  von  6()(M)  Kroiirii  IipwIIIIhI, 
Der  steiermärkische  Landtag   bewilligt    von    I906    nb  Jährlich    f»(M)  Kinnpii. 

Sitzung  am  5.  Mai.  Das  gotische  Portal  bei  (irr  PianklrrliP  lll 
Studenitz  wird  einer  Restaurierung  unterzogen, 

0 


82  Lateräturberichte, 

Sitzung  aiil  19!  Mai.  Die  Wandmalereien  in  der  Kirche  zuNieder" 
wölz  werden  einer  Restaurierung  unterzogen, 

Sitzung  am  2.  Juni.  Die  Restaurierungsarbeiten  in  der  Kirche  Maria 
im  Walde  (ehem.  Minoritenkirche)  in  Brück  a.  M,  finden  im  allge- 
meinen die  Zustiraimung  der  Zentralkommission. 

Sitzung  am  9.  Juni.  Die  Durchsuchung  des  von  der  Rochus« 
kä pelle  bekrönten  Hügels  in  Heidin  wird  befürwortete 

Sitzung  am  16.  Juni.  Für  die  Restaurierung  der  Filialkirche  St. 
Lorenzen  in  der  Pfarre  St.  Georgen  obMurau  werden  500  Kronen 
bewilligt.  Die  Mariensäule  auf  dem  Hauptplatze  in  Murau  wird 
restauriert.  Die  Kopien  der  Skulpturen  der  demolierten  St.  Luciakapelle 
in  Sachsenfeld  werden  in  der  Taufkapelle  in  der  neuen  Kirche  verwahrt. 

Sitzung  am  30.  Juni.  An  der  Pfarrkirche  St.  Peter  in  Aflenz  und 
an  der  Magdalenenkirche  in  Judenburg  werden  Sicherungsarbeiten 
vorgenommen.  Die  Zentralkommission  spricht  sich  gegen  die  geplante 
Restaurierung  des  Rathauses  in  Knittelfeld  aus. 

Sitzung  am  6.  Juli.  Der  Pettauer  Musealverein  ersucht  um  hierämt- 
liche  Verwendung:  l.  wegen  Abgabe  eines  in  der  Sakristei  der  Pfarr- 
kirche zu  St.  Martin  in  Haidin  eingemauerten  römischen  Reliefsteines 
an  das  Museum  in  Pettau;  2.  daß  das  zuerst  ausgegrabene  Mithraeuna 
ebendahin  übertragen  werde  und  3.  wegen  Erwirkung  einer  .Staatssubvention 
auf  Grabungen.  Innerhalb  der  Ringmauer  von  Uran  je  wurde  ein  römischer 
Inschriftenstein  (vermutlich  III.  Jahrhundert)  nebst  Resten  von  Menschen- 
knochen und  Tonscherben  gefunden.     Der  Stein  kam  ins  Joanneum. 

Sitzung  am  7.  Juli.  Korrespondent  Meli  legt  seine  Druckschrift 
„Das  Archiv  der  steirischen  Stände  etc."  vor.  Das  Notdach  am 
Pavillon  im  Pfarrgarten  zu  Radkersburg  wird  weiter  belassen. 

Im  Hefte  9  und  10  bringt  Konservator  O.  Cuntz  eine  Anzahl 
Nachvergleichungen  römischer  Inschriften  der  weiteren 
Umgebung,  von  Graz,  also  aus  dem  Gebiete  von  Flavia  Solva  (Leib- 
nitzerfeld)  von  den  Orten  Adriach,  Geisttal,  Stallhofen  und  Semriach.  Im 
selben  Hefte  berichtet  Korrespondent  V.. Skrabar  über  „Römische  Funde 
aus  Pettau",  und  zwar:  l.  Über  „Zwei  Sarkophage  von  Veteranen  der 
XIV.  Legion  und  ändere  Einzelfunde" ;  2.  über  „Grabungen  aus  Oberrann  bei 
Pettau"  und  3.  über  „Neueste  Einzelfunde". 

Am  gleichen  Orte  berichtet  Konservator  Schmidel  über  einen 
Münzenfund  im  gräflich  Lambergischen  Familienarchive  im  Schloß 
zu  Steyer.  Darunter  befanden  sich  für  Steiermark  aus  der  Zeit  Kaiser 
Ferdinands  I.  58  Pfennige  und  1   Hälbling. 

In  der  Zeit  der  Unterbrechung  der  regelmäßigen  Sitzungen  wurden' 
verhandelt:  Über  die  neue  Verglasung-  der  Fenster  der  Hof-  und  Dom- 
kirche in  Graz.  Die  Restaurierungsarbeiten  im  Innern  der  Pfarrkirche  zu 
Gaishorn  wurden  beendet.  Die  romanischen  Malereien  in  der  Bischof- 
kapelle zu  Goeß  werden  gesichert,  an  der  Pfarrkirche  in  Pernegg 
werden  Sicherungsarbeiten  vorgenommen,  ebenso  wurde  das  gemalte  Fenster 
ini' St.  Nikolauskirchleih  in  Unterort  (Tragöß)  aus  dem  XIII.  Jahr- 
hundert gesichert.  Von  der  Bloßlegung  der  Malereien  an  der  Außenseite  der 
Kirche  St.  Peter  und  Paul  in  Weitenstein  wird  abgesehen, 

Sitzung  am  6.  Oktober.  Die  Zentralkommission  erhebt  gegen  die 
FlOßigraachung  der  Staatssubvention  für  die  Restaurierung  der  Pfarrkirche 
in  Leibnitz  keine  Einwendung,  Irr  Lichtenwald  wurde  ein  Topf  mit 
zirka  1 000  Silbermünzen  gefunden.  Die  Münzen  gehören  der  1.  Hälfte  des 
XVI.  Jahrhunderts'  an  und  stammen  größtenteils  aus  den  österreichischen 
Alpenländern.     (Wurden  vom  Cillier  Museum  erworben.) 


Literaturberichte.  83 

Sitzung  am  13.  Oktober.  Die  Zentralkommission'  spricht  sich  gegen 
den  beabsichtigten  Umbau  der  gothischen  Pfarrkirche  in  Graben- 
dorf bei  Polstrau  aus.     Die  Pfarrkirche  in  Laporje  wird  erweitert. 

Sitzung  am  27.  Oktober.  Gegen  den  Verkauf  zweier  Mamorepitaphien 
von  der  Pfarrkirche  in  Aussee  ins  Ausland  wird  Einspruch  erhoben. 
Die  ohne  Vorwissen  der  Zentralkommission  vorgenommenen  Restaurierungs- 
arbeiten an  der  Pfarrkirche  in  St.  Georgen  a.  d.  Stiefing  werden 
sistiert.  An  der  St.  Rupertskirche  in  Kulm  wurden  alte  Wand- 
malereien aufgedeckt. 

Sitzung  am  24.  November.  In  der  Pfarrkirche  St.  Leonhard 
i.  d.  W.-B.  werden  anläßlich  der  Erneuerung  des  Fußbodens  die  daselbst 
liegenden  Grabsteine  an  den  Wänden  aufgestellt.  Die  Restaurierung  der 
Leonhard skirche  in  Murau  wird  mit  Ausschluß  aller  puristischen 
Tendenzen  beschlossen, 

Sitzung  am  l.  Dezember.  "^Von  Teilen  der  jetzigen  Decke  der 
Priesterhauskapelle,  des  Stiegenhauses  im  ehemaligen  Münzamte  und 
der  Stukkodecke  in  den  Bogengängen  des  2.  Stockwerkes  des  zum  Abbruche 
bestimmten  ehemaligen  Vorauerhofes  in  Graz,  sowie  von  Teilen  der 
Fassade  dieses  Hauses  werden  Zeichnungen  angefertigt. 

Sitzung  am  15.  Dezember.  Die  Zentralkommission  erhebt  gegen  die 
Abtragung  des  vorderen  Musikchores  in  der  Pfarrkirche  in  Piber,  um 
Raum  zum  Aufstellen  einer  neuen  Orgel  zu  gewinnen,  keine  Einwendungen. 

Sitzung  am  29.  Dezember.  Das  Kupferdach  der  Kreuz  kapeile 
bei  der  Domkirche  in  Graz  wird  in  der  alten  Form  erneuert.  In 
Klein-Klein  wurde  ein  gewölbtes  Grab  mit  Rüstungsgegenständen,  aufge- 
deckt. Kurz  vor  Steinbrück  am  rechten  Sannufer  wurde  eine  Großbronze 
des  Kaisers  Pupienus  gefunden. 

^         Historischer  Atlas  der   österreichischen  Alpenländer. 

Von  diesem  groß  angelegten  Kartenwerke  gelangt  im  Herbste 
bereits  die  1.  Lieferung  der  I.  Abteilung  zur  Ausgabe.  Die- 
selbe enthäh  Salzburg  (von  Ed.  Richter),  Oberöster- 
reich (von  J.  Strnadt)  und  Steiermark  (von  A.  Meli  und 
H.  Pirchegger). 

Nach  dem  Verluste  Hofrat  Dr.  Eduard  Richters  wurde  die 
Kommission  durch  die  Zuwahl  der  wirklichen  Mitglieder  Hofrat  von  L  u  s  c  h  i  n 
in  Graz  und  Professor  von  Ottenthai  in  Wien  ergänzt,  die  Professor  Redlich 
in  "Wien  zum  Obmann  wählte.  Die  Vorarbeiten  zur  ersten  Abteilung  des 
historischen  Atlas,  der  Landgerichtskarte,  waren  glOcklicherweise  noch  unter 
I  Richter  so  weit  gediehen,   daß  die  wesentlichen  Grundsätze   der  Bearbeitung 

festgelegt  waren    und    die    erste  Lieferung    des  Atlas    schon    der  Vollendung 
\  entgegenging.  Für  diese  erste  Lieferung  waren  bereits  fertig  die  Landgerichts- 

karte von  Salzburg  mit  den  Erläuterungen  dazu,  bearbeitet  von  Richter,  und 
die  Landgerichtskarte  von  Oberösterreich  samt  den  Erläuterungen,    bearbeitet 
von    Ober-Landesgerichtsrat    Julius    Strnadt     Die    Landgerichtskarte    von 
j  Steiermark,    bearbeitet  von  Archivdirektor  Meli   in  Graz   und    Professor 

I  Pirchegger   in  Pettau,   war   in    bezug   auf   die   kartographische  Festlegung 

j  im  wesentlichen  fertig,  die  Erläuterungen  dazu  wurden  von  Professor  Pirch- 

egger im  Laufe  des  Jahres  I905  vollendet  und  sind  bereits  im  Drucke.  Die 
)  einheitliche.  Durchführung    dieser  Arbeiten    und    der    mühsamen  Korrekturen 

'  übernahm    in    dankenswerter   Weise    Archivdirektor  Meli.     Für    die    übrigen 

I  österreichischen  Alpenländer    sind   die  Arbeiten    an  der  Landgerichtskar.te    in 

'  vollem  Gange  und  teilweise  schon  weit  vorgeschritten.     Für  das  .Gebiet  von 

)  6* 


84  Literaturberichte. 

Görz  hat  Archivdirektor  Meli  die  Feststellung  der  Landgerichte  schon 
vollendet,  für  Kärnten  steht  die  Vollendung  der  Karte  und  der  Erläuterungen 
durch  Professor  Wutte  unter  Mitwirkung  des  Landesarchivars  Dr.  von 
Jaksch  im  Laufe  dieses  Jahres  in  Aussicht.  Privatdozent  Dr.  Grund  wird 
ebenfalls  noch  in  diesem  Jahre  die  Karte  der  drei  Viertel  ob  dem  Wiener- 
wald, ob  und  unter  dem  Manhartsberg  von  Niederösterreich  vollenden,  mit 
dem  Viertel  unter  dem  Wiener  Walde  ist  Archivsekretär  Dr.  Giannoni  be- 
schäftigt. Für  Südtirol  ist  Professor  von  Voltelini  tätig.  Für  Nordtirol  hat 
der  verstorbene  Professor  Josef  Egger  bedeutend  vorgearbeitet,  mit  Hilfe 
dieser  Materialien  wird  Dr.  Otto  Stolz  in  Innsbruck  die  Landgerichtskarte 
und  die  Erläuterungen  vollenden.  Die  Karte  von  Vorarlberg  hat  Professor 
Zösmair  beinahe  fertig.  Für  Krain  hat  die  Vorarbeiten  Professor  Kaspret 
in  Graz  übernommen.  Zu  jedem  Lande  begleiten  die  Karte  „Erläuterungen", 
welche  die  quellenmäßigen  Belege  für  die  Karte  und  eine  knapp  gefaßte 
Geschichte  der  Entwicklung  der  Landgerichte  zu  geben  haben.  Da  aber  ge- 
rade die  intensiven  Arbeiten  für  den  historischen  Atlas  ganz  neue  Fragen 
anregten  und  zu  eingehenden  Untersuchungen  über  Entstehung  und  Geschichte 
der  Landgerichte  und  damit  zusammenhängender  Dinge  führten,  konnten  der- 
artige größere  Vorarbeiten  nicht  in  den  „Erläuterungen"  Platz  finden.  Sie 
werden  als  „Abhandlungen  zum  historischen  Atlas  der  österreichischen  Alpen- 
länder"  im  „Archiv  für  Österreichische  Geschichte"  erscheinen.  Die  ersten  vier 
dieser  „Abhandlungen"  liegen  bereits  als  erste  Hälfte  des  94.  Bandes  des 
Archivs  vor,  und  zwar: 

I.  Die  Entstehung  der  Landgerichte  im  bayrisch-österreichischen  Rechts- 
gebiete.    Von  Hans  v.  Voltelini.     S.   l — 40. 

IL  Immunität,  Landeshoheit  und  Waldschenkungen.  Von  Eduard 
Richter.     S.  41 — 62. 

III.  Gemarkungen  und  Steuergemeinden  im  Lande  Salzburg.  Von  Eduard 
Richter.     S.  63—82. 

IV.  Das  Land  im  Norden  der  Donau.  Mit  einer  historischen  Karte. 
Von  Julius  Stmadt,     S.  83—310. 

Eine  eingehende  Würdigung  dieser  Abhandlungen  im  Zusammenhange 
mit  der  I.  Lieferung  des  Atlasses  wird  im  nächsten  Hefte  dieser  Zeitschrift 
erscheinen. 

Das  Deutsche  Rechtswörterbuch.  In  den  Sitzungsberichten 
der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  berichtet  Heinrich 
Brunn  er  alljährlich  über  den  Stand  der  Arbeiten  am  Wörter- 
buch der  deutschen  Rechtssprache.  Da  dieses  Unternehmen  nicht 
nur  für  Rechtshistoriker  und  Philologen,  sondern  auch  für  die 
allgemeine  Geschichte,  Kultur-  und  Wirtschaftsgeschichte  von  der 
größten  Bedeutung  ist,  so  sind  einige  Worte  hierüber  an  dieser 
Stelle  vielleicht  von  Interesse. 

Das  Bedürfnis  nach  einem  Werke,  in  dem  die  deutschen  Rechtsausdrücke 
aller  Zeiten  und  Mundarten  gesammelt  und  erklärt  sind,  ist  wohl  bei  allen 
Studien  auf  historischem  Gebiete  ein  lang  und  lebhaft  empfundenes.  Die 
bereits  vorhandenen  Glossare  und  Wörterbücher  sind  teils  recht  veraltet i  und 
lückenhaft,  oder  sie  berücksichtigen  die  rechtliche  Bedeutung  der  Ausdrücke 
zu  wenig;  andere  bringen  überhaupt  keine  Erklärungen  oder  sie  beschränken 

1  Ganz  abgesehen  davon,  dafi  sich  in  den  letzten  Jahrzenten  infolge  der  großen 
Zahl  von  dankenswerten  Quellenausgaben  unsere  Kenntnis  des  alten  Wortschatzes  außer- 
ordentlich erweitert  hat. 


Literaturberichtie.  85 

sich  der  Natur  der  Sache  nach  zeitlich,  Örtlich  oder  sachlich  auf  ein  begrenztes 
Gebiet,  wie  z.  B.  die  oft  vorzüglichen  Register  der  Urkundenausgaben.  Du 
Gange  berücksichtigt  das  deutsche  Sprachgut  erst  in  zweiter  Linie. 

Bereits  1893  hat  Heinrich  Brunner  auf  dieses  Bedürfnis  nach 
einem  deutschen  Rechtswörterbuche  hingewiesen  und  bereits  ausgesprochen, 
welche  Förderung  der  historischen  Forschungen  durch  ein  derartiges  Unter- 
nehmen erwachsen  würde.  Die  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  nahm  sich 
dieses  Planes  an,  das  Kuratorium  der  Hermann  und  Elise  geh;  Heckmann 
W  e  n  t  z  e  1-Stiftung  stellte  Mittel  hiezu  zur  Verfügung  und  1896  bildete  sich 
eine  Kommission,  die  aus  den  Professoren  v.  A mir a  (München),  Brunner, 
Dümmler,  Gierke.  Weinhold  (Berlin),  Frens  dor ff  (Göttingen)  und 
Schröder  (Heidelberg)  bestand.  Heute  sind  in  der  Kommission  die  Professoren 
Brunner,  Gierke,  Frensdorff,  Huber  (Bern,  als  Vorsitzender  der  seit 
1900  bestehenden  Schweizer  Kommission),  R  oethe  (Berlin),  Schröder  und 
Freiherr  v.  Schwind  (Wien,  als  Vorsitzender  der  1903  ins  Leben  getretenen 
österreichischen  Kommission).  Den  Vorsitz  führt  Geheimrat  Brunn  er,  die 
Leitung  der  praktischen  Arbeiten  liegt  in  den  Händen  des  Geheimrates 
Schröder.  Als  Hilfsarbeiter  standen,  beziehungsweise  stehen  letzterem  zur 
Seite:  1 898  bis  1901  Professor  R.  His  (jetzt  in  Königsberg),  I90I  bis  1904 
Dr.  jur.  et.  phil.  H.  Rott,  seit  1901  Dr^phil.  G.  Wahl,  seit  1903  Privatdozent 
Dr.  jur.  L.  Pereis  und  seit   1905  der  Unterzeichnete. 

Die  leitenden  Grundsätze  bei  der  Arbeit  sind  kurz  folgende:  Es  werden 
alle  Rechtsausdrücke  (als  solche  gelten  auch  Rechtssymbole,  Münzen  und 
Maße)  des  deutschen  Sprachgebietes  vom  Beginn  der  Aufzeichnungen  bis  um 
das  Jahr  1750  gesammelt.  Auch  die  angelsächsischen,  friesischen  und  lango- 
bardischen  Wörter  werden  aufgenommen ;  der  skandinavische  Wortschatz  wird 
nur  zur  Etymologie  gemeingermanischer  Ausdrücke  herangezogen.  Aufzeich- 
nungen in  lateinischer  Sprache  werden  ebenfalls  verwertet,  jedoch  daraus  bloß 
die  eingestreuten  germanischen  Wörter  notiert :  z.  B.  jus  quod  vulgariter  dicitur 
spitzreht,  oder  gualdemannus.  Vor  allem  gilt  es,  die  gesamten  Rechts- 
aufzeichnungen älterer  Zeit  zu  exzerpieren,  weiters  werden  aber  auch  Urkunden 
und  andere  Nebenquellen  der  Reohtserkenntnis  verarbeitet. 

Die  Fülle  des  Materiales  erfordert  eine  große  Zahl  von  Mitarbeitern 
und  es  sind  auch  erfreulicherweise  Juristen,  Historiker  und  Philologen  im 
Deutschen  Reiche,  in  Österreich,  in  der  Schweiz,  in  den  Niederlanden  und 
in  Belgien  dafür  gewonnen  worden.  Wie  den  Sitzungsberichten  der  Berliner 
Akademie  der  Wissenschaften  1  zu  entnehmen  ist,  sind  bereits  sehr  viele 
Quellen  erledigt,  doch  ist  begreiflicherweise  noch  ein  reichlicher  Stoff  zu 
bewältigen,  so  daß  weitere  Meldungen  zur  Mitarbeit  sehr  willkommen  sind.« 
Diejenigen  Forscher,  welche  dem  Werke  Interesse  schenken,  aber  infolge 
Berufspflichten  und  anderer  Arbeiten  nicht  in  der  Lage  sind,  in  größerem 
Umfange  mitzuarbeiten,  können  der  allgemeinen  Sache  dadurch  außerordent- 
lich schätzenswerte  Dienste  leisten,  daß  sie  gelegentliche  Funde  dem 
Rechtswörterbuche  zukommen  lassen.  Für  diese  gelegentliche  Mitteilung  von 
Notizen  handelt  es  sich  vornehmlich  um  solche  deutsche  Rechtsausdrücke 
und  formelhafte  Wendungen  der  Rechtssprache,  die  entweder  überhaupt  oder 
doch  in  dieser  Zeit  und  Gegend   selten  vorkommen;    insbesondere    sind  aber 

*  Die  Wörterbuchherichte  werden  auch  abgedruckt  in  der  Zeitschrift  für  Rechts- 
geschieh te  (germ.  Abt.). 

2  Diesbezügh'che  Zuschriften  wollen  an  Geheimrat  Professor  Dr.  Richard 
Schröder,  Heidelberg,  Ziegelhäuser  Landstraße  Nr.  19  gerichtet  werden,  worauf  Zu- 
jtendung  einer  Instruktion  und  Zuteilung  einer  Quelle  erfolgt.  Betreffs  österreichischer 
Quellen  wolle  man  sich  an  Professor  Dr.  Ernst  Freiherr  v.  Schwind,  Wien,  Xtll. 
PenzingerstraJße  66  wenden. 


86  Literäturbcrichtie. 

jene  AusdrOeke  sehr  willkommen,  die  in  den  landläufigen  Glossarien  und 
Wörterbüchern  nicht  oder  nicht  in  der  gefundenen  Bedeutung  für  jene  Zeit 
und  Geg€tnd  verzeichnet  sind.  Hiebei  kommt  gedrucktes  und  ungedrucktes 
Material  in  Betracht.  Namentlich  wird  sich  Anlass  bieten  zu  solchen  gelegent- 
lichen Beiträgen  bei  Archivstudien,  Urkundenausgaben,  lokalgeschichtlichen 
Untersuchungen  u.  dgl.  Auf  diese  Weise  kommen  Kenntnisse  des  SpeziaU 
forschers  der  Allgemeinheit  im  weitesten  Maße  zu  gute:  Die  zeitliche  und 
räumliche  Verbreitung  von  Recht sausdrQcken  und  Rechtseinrichtungen  kann 
genauer  festgestellt  werden,  vijle  bisher  nicht  genügend  erklärte  Wörter  werden 
in  ihrer  Bedeutung  erkannt  und  der  reiche  Schatz  unserer  deutschen  Rechts- 
sprache erhält  weiteren.  Zuwachs.»  Abgesehen  von  solchen  buchstaben- 
getreuen Quellenexzerpten  wird  sich  unter  Umständen  Gelegenheit  zu  einer 
wertvollen  Bereicherung  des  gesammelten  Materiales  dadurch  ergeben,  daB 
Bemerkungen,  Ergänzungen  und  Berichtigungen  zu. bereits  vorhandenen  Wörter- 
büchern dem  Archive  des  Rechtswörterbuches  bekanntgegeben  werden. 

Von  der  künftigen  Einrichtung  des  Wörterbuches  geben  einige  Probe* 
artikel,  die  von  Kommissionsmitgliederh  verfasst  wurden,  ein  anschauliches 
Bild.  So  der  Artikel  Weichbild  (von  R.  Schröder)  in  der  Festschrift  für 
den  26.  deutschen  Juristentag  1902,  dann  makler  (von  F.  Frensdorff), 
pflege  (von  O.  Gierke),  .walraub  (von  H.  Brunn  er),  wtze  (von 
G.  R  o  e  t  h  e)  in  dem  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  der  Wissen- 
schaften, philosophisch-historische  Klasse,   1906. 

Dr.  jur.  Eberhard  Freiherr  v.  Künssberg. 

Metternich  und  seine  Zelt  1773—1859.  Von  Ferdinand 
Strobl  von  Ravelsberg.  I.  Band.  Wien-Leipzig  1906.  C.  W. 
Stern  Verlag,  XIV  und  437  S.  Mit  einem  Kärtchen  des  west- 
lichen Galizien. 

Mit  dem  Namen  Metternich  sind  die  verschiedenartigsten  und  auch 
widerstrebendsten  Empfindungen  verbunden.    Wir  sind  gewohnt,   von  Metter- 


^  Diese  Beiträge  bitten  wir  auf  Oktavblätter  des  Kanzleipapieres  (löVtXioVsf^) 
quer  zu  schreiben  mit  Unterstreichung  des  Stichwortes  und  rechts  mit  Freilassung  eines 
beiläufig  zwei  Finger  breiten  Randes.  Die  betreffende  Quellenstelle  ist  buchstaben- 
getreu und  in  solcher  Ausdehnung  zu  geben,,  dafi  sich  die  Bedeutung  des  Stichwortes 
möglichst  unzweideutig  erkennen  läßt.  Etwaige  Erklärungen  des  Einsenders  oder  solche 
Notizen,  die  sich  in  der  Ausgrabe  selbst  finden,  sind  sehr  erwünscht  und  mögen  auf  dem 
rechten  Rande  vermerkt  werden  mit  Angabe  des  Urhebers  der  Erklärung,  wie  aus  dem 
folgenden  Muster  ersichtlich  ist.  Ort,  Jahr  und  Fundstelle  (bei  Büchern  auch  Band- 
nümmer,  Seite  und  Urkundennummer)  sollen  möglichst  genau  angegeben  sein.  Ferner 
wird  um  deutliche,  lateinische  Schrift  gebeten.  Auf  Wunsch  werden  gedruckte  Zettcl- 
formulare,  wi«  sie  im  Archive  des  Rechtswörterbuches  (Heidelberg,  Universitätsbibliothek) 
verwendet  werden,  jederzeit  unentgeltlich  zugeschickt. 


Von  lugpann. 

lugpann 

Item,  ain   ieder  rechter  lugpann,  der  erwi 
das  es  ain  rechter  lugpann  ist,  darumb  ist  die 
doch  auf  gnad  nach  gewonhalt  des  lugpann. 

Niedervint 

Österr.  Weistümer  V,  1.  Tirol  IV,  i,  S.  449. 

.ist  wirdt,    1    Glossar  S.  886. 
pen  L  ar»    j    =  strafe  für  lüge 
und  diese  selbst. 

l  1474. 
10. 

.Liferatutberichtej  87 

nichischem  Geiste,  Metteroichischer  Zeit  und  Regierungskunst  zu  sprechen  und 
meinen  damit  die  Zeit,  das  Wesen  und  die  Verhältnisse  des  Vormärz.  Was 
denken  wir  uns  dabei  alles?  Wenn,  meist  etwas  ziemlich  Verworrenes.  Es 
zeugt  gewiß  von  großem  Mute,  der  Persönlichkeit  "Metternichs  und  seinem 
„System",  das  ja  Österreich  nicht  immer  zum  Nutzen  gereichte,  durch  die 
gerechte  Verteilung  von  Licht  und  Schatten  die  gehürende  Würdigung  zuteil 
werden  zu  lassen.  Damit  schnitt  der  Verfasser  ein  gar  gefährliches  Gebiet 
an  und  das  ist  entschieden  sein  Verdienst.  In  vier.  Bänden,  von  <ienen  nun 
der  erste,  gewissermaßen  die  Einleitung,  die  Projektionsfläche  aui"  der  die 
übrigen  aufgetragen  werden  sollen,  vorliegt,  will  uns  der  Verfasser  ein  Bild 
der  Zeit  von  1773—1859  entrollen  und  uns,  wie  wir  aus  dem  vorliegenden 
Bande  schließen  können,  einen  tiefen  Blick  in  die  diplomatischen  Werkstätten 
dieser  Zeit  tun  lassen.  Die  Einleitung  kann  als  vollständig  gelungen  Bezeichnet 
'werden.  Besonders  für  die  Geschichte  des.  Jahres  1848  hat  der  Verfasser  viel 
Neues  beigebracht.  Auch  der  frische  prägnante  Stil  spricht  sehr  an.  Es  wird 
vielleicht  von  mancher  Seite  der  Vorwurf  erhoben  werden,,  daß  die  Bedeutung 
der  Familienheziehungen  etwas  stark  betont  ist.  Wenn  man  aber,  so  Kapitel 
um  Kapitel  liest,  kommt  man  zur  Überzeugung,  daß  die  Frauen  in  der  Be- 
stimmung der  Völkergeschicke  eine  weit  größere  Rolle'  spielen  als  man 
gemeinhin  glaubt.  Man  braucht  da  nur  das  Kapitel  über  Rußland  zu  lesen, 
das  übrigens  dem  Verfasser  am  besten  gelungen  zu  sein  scheint.  Das  Buch 
und  die  darin  angewandte  Methode  wird  naturgemäß  Aufsehen  erregen^ 
Mögen  demselben  auch  viele  Freunde  erwachsen. 

HistöriscHe  StreifzOge  durch  Kiagenfurt.  Unter  diesem 
Titel  ist  vor  kurzem  bei  Leon  in  Klagenfurt  ein  hübsch,  aus- 
gestattetes Büchlein  erschienen.  Der  Verfasser,  Klemens  Mayer, 
hat  mit  wahrem  Bienenfleiße  alles  zusammengetragen,  was"  sich 
an  Geschichtlichem  über  die  Stadt  ermitteln  ließ. 

Auf  wenigen  Seiten  wird  die  allgemeine  CJeschichte  der  Stadt  von 
der  Gründung  durch  den  Sponheimer  Herzog  Bernhard  bis  in  die  neueste 
Zeit  erzählt:  wie  der  im  Jahre  I514  durch  eine  furchtbare  Feüersbrunst 
eingeäscherte  Ort  de!i  Landständen  geschenkt  wurde,  wie  er  unter  diesen 
einen  außerordentlichen  Aufschwung  nahm  und  in  eine  Festung  verwandelt 
wurde, '  wie  der  Lendkanal  enstand  usw.  Der  Verfasser  berührt  die  Zeit  der 
Türkenkriege,  den  Einbruch  der  Franzosen,  das  Jahr  1848  und  geleitet  den 
I  Leser  bis  in  unsere  Tage. 

Der  Wiedergabe  einer  Schilderung  Klagenfurts  im  XVII.  Jahr- 
hunderte von  Valvasor  folgt  der  wertvollste   Teil    des  Buchleins.     Der  Ver- 

.  fasser  führt  den  Leser  durch  die  Straßen  der  Stadt,  erklärt  ihm  den  Namen 

jeder  Gasse  und  knüpft  daran,  wenn  er  derjenige  einer  berühmten  Persönlich- 
keit ist',  gleich  eine  kurze  Biographie  dieser  letzteren.  Er  führt  ihn  zu  den 
IVIonumentalbauten  und  Denkmälern,  zu  den  Resten  der  Festungswerke  und 
bringt   geschichtliche    Daten    nicht   allein  "einzelner   Stadtteile,   sondern    auch 

f  vieler   Häuser.      Von   denen    am    alten    Platz   und   am  ''Pfarrplatz,    die  ,den 

ältesten  Teil  der  Stadt  bilden,  weiß  er  fast  von  jedem  etwas  Interessahfes 
zu  berichten  und  ebenso  vom   Heiligengeistplalz. 


8S  Zeifschriftenschau. 


Zeitschriftenschau. 

Wesen  und  Aufgaben  der  historischen  Geographie.  In  der 

historischen  Vierteljahresschrift,  herausgegeben  von  G.  Seehger,  neue  Folge, 
Heft  I  (1906)  bespricht  in  beachtenswerter  Weise  Hans  Beschorner 
den  Begriff  „historische  Geographie".  Er  versucht  eine  Einigung  über  die 
hier  in  Frage  kommenden  Hauptpunkte  zu  erzielen  und  die  Grenze  der 
Arbeitsteilung  zwischen  dem  Geographen  und  dem  Historiker  zu  ziehen.  Die 
Arbeiten,  welche  zunächst  im  Interesse  der  historischen  Geographie  zu  unter- 
nehmen sein  werden,  kenntzeichnet  B.  folgendermaßen.  „Man  gehe  in  den 
einzelnen  Landschaften  der  Geschichte  der  Kartographie  nach  und  bemühe 
sich  dabei,  festzustellen,  was  an  brauchbaren  Kartenwerken  aus  früheren 
Zeiten  vorhanden  ist.  Man  sammle  femer  Überall  Flurnamen  und  Wüstungen. 
Man  lege  gute  historisch-topographische  Nachschlagewerke  an.  Man  verviel- 
föltige  Flurkarten,  wo  solche  nicht  sowieso  schon  im  Handel  sind,  und 
vervollständige  diese  oder  sonst  geeignete  Karten  mit  allen  nötigen  historisch- 
geographischen Einzelheiten.  Auch  setze  man  die  Grundkarten  fort  und  stelle 
schließlich  eine  Grundkarte  für  ganz  Deutschland  in  kleinerem  Maßstabe  her, 
mit  Hilfe  der  Grundkarten  aber  versuche  man,  die  schwierigen  Probleme  der 
kirchlichen  Geographie,  der  Gau-  und  ßurgward Verfassung,  der  Ämterein- 
teilung u.  s.  w.  zu  lösen.  Ja,  man  wage  sich  schließlich,  wo  die  Vorarbeiten 
einigermaßen  dazu  ausreichen,  an  große  historische  Karten  und  Atlanten 
heran.  Mit  diesen  und  ähnlichen  Arbeiten  wird  man  der  Wissenschaft  gute 
Dienste  leisten.  Dagegen  sehe  man  zunächst  von  zusammenfassenden  histo- 
risch-geographischen Darstellungen  ab,  die  sich  bei  dem  heutigen  Stande  unserer 
Forschungen  nur  an  der  Oberfläche  bewegen  können  und  uns  nicht  weiter- 
helfen." 

Eduard  Richter  betitelt  sich  ein  Aufsatz  Georg  A.  Lukas'  in  der 
von  A.  Hettner  herausgegebenen  Geographischen  Zeitschrift,  12.  Jahrgang, 
5.  Heft,  der  auch  als  Sonderabdruck  vorliegt.  In  demselben  entwirft  uns  der 
Verfasser  mit  warmer  Empfindung  ein  treffliches  Bild  des  unvergeßlichen  Ge- 
lehrten und  Menschen.  Er  schildert  Richters  Lebensgang  und  dessen  wissen- 
schaftliche Arbeiten  in  bezug  auf  die  Gletscherkunde,  Seenforschung,  dessen 
geomorphische  Untersuchungen,  namentlich  dessen  Forschungen  auf  dem  Ge- 
biete der  historischen  Geographie,  denen  das  groß  angelegte  Werk  „Der 
historische  Atlas  der  österreichischen  Alpenländer"  seine  Entstehung  ver- 
dankt. Leider  sollte  er  den  Abschluß  dieses  Werkes  nicht  mehr  erleben. 
Den  Nachruf,  der  noch  nicht  abgeschlossen  ist,  ziert  ein  wohlgetroffenes 
Lichtbild  Richters. 

Beiträge  zur  Namenforschung  aus  Steiermark  veröffentlicht 

Franz  Ilwot  im  8.  Hefte  des  VIL  Bandes  der  von  A.  Tille  herausgegebenen 
Deutschen  Geschichtsblätter,  um  Josef  v.  Zahns  Darstellungen  und  Unter- 
suchungen Ober  „Steiermärkische  Taufnamen"  (in  „Styriaca"  I»  1894» 
S.  33—85)  weiteren  Kreisen  bekannt  zu  machen. 

Von  alten  steirischen  Arbeitsstätten  betiteln  sich  zwei  Auf- 
sätze in  der  Grazer  „Tagespost"  Nr.  321  von  1905  und  Nr.  76  von  1906 
von  Dr.  V.  Pogatschnigg,  wovon  der  erste  das  Gußwerk  und  die  Zeug- 
und  Waffenschmiede  zu  Plabutsch  und  der  zweite  die  Eisenerz- 
bergbaue  und  Schmelzstättcn  am  Südfuße  des  Schöckels 
behandelt. 


Zeitschriftenscbau,  89 

.Altsteirische   Wohnräume   im    Landesmuseum   zu  Graz* 

Dem  Grazer  Kunstgewerbemuseum  hat  dessen  Direktor,  Professor  K.  Lacher, 
der  die  Sammlungen  seit  dreißig  Jahren  mit  so  vieler  Liebe  und  Hingebung 
zusammengetragen  hat,  anläßlich  des  zehnjährigen  Bestandes  des  Neubaues 
durch  diese  Veröffentlichung  ein  schönes  Denkmal  gesetzt.  Auf  32  vorzüg- 
lichen Lichtdrucktäfeln  sieht  man  hier  die  Säle  und  Stuben  des  Museums 
vor  sich,  unter  anderem  den  Prunksaal  aus  dem  Schlosse  Radmannsdorf  bei 
Weiz  von  1563,  die  Bauern-  und  Wirtsstuben  von  1568,  1577.  1596,  1607 
und.  1740,  die  Grazer  Rokokostube  von  1782  aus  dem  Besitze  der  Leykami- 
Ächen  Druckerei  und  das  auch  aus  Grazer  Burgerhäusern  zusammengestellte 
Empirezimmer.  Eine  kurze  Erläuterung  der  Tafeln  vervollständigt  dieses 
mustergültige  Werk. 

Die  österreichische  Grundsteuer.  Allen  jenen,    die  sich   über 

dieses  Thema  gründlich  informieren  wollen,  ist  der  ausgezeichnete  Artikel 
Dr.  Franz  Freih.  v.  Mensi-Klarbachs  im  österreichischen  Staat sworterbuche, 
7.  Auflage,   1906  (auch  Separatabdruck)  auf  das  wärmste  empfohlen. 

Pettau  als  Grenzfeste«  In  der  Festzeitnng  zum  XII.  Gauturnfeste 
des  südösterreichischen  Turngaues  in  Pettau  behandelt  Dr.  H,  Pirchegger  in 
einem  lesenswerten  Aufsatze  dieses  Thema,  in  dem  er  hauptsächlich  über 
das  mittelalterliche  Pettau  schreibt.  Gelungene  Abbildungen  zieren  die  Schrift. 
In  derselben  Zeitung  findet  sich  auch  ein  Aufsatz: 

Aus  Pettaus  Römerzeit,  in  dem  uns  die  zwei  wichtigsten  Haupt- 
stücke, die  das  Stadtbild  von  Pettau  charakterisieren,  der  sogenannte  Pranger 
und  der  allerdings  erst  aus  dem  frühen  Mittelalter  stammende  Stadtturm, 
auf  ihren  kunsthist Griechen  Wert  hin  beschrieben  und  gewürdigt  w^erden 

Archivalische  Beiträge  zur  Geschichte  Pettaus   und   des 

Pettauer  Feldes  von  Dr.  H.  Pirchegger  im  diesjährigen  Gymnasialpro- 
gramme sind  zum .  Teile  eine  Fortsetzung  der  in  den  zwei  ersten  Aufsätzen, 
welche  die  Geschichte  der  Stadt  Pettau  bis  I364  behandeln,  ent- 
haltenen Urkundenauszüge  bis  1430.  Daran  schließen  sich  Auszuge  aus  dem 
Thurnischer  Kopialbuche  von  1675 — 1730  und  dem  „bürgerlichen 
Lesebuche"  von  S.  Powoden,  betreffend  Draulaufänderungen,  Besitzungen 
der  Stadt,  Fischerei,  Handel,  Steuern,  Türkenkrieg  1663/4  etc. 

Anselm  HUttenbrenners  Erinnerungen  an  Schubert  teilt  uns 

der  Grazer  Literarhistoriker  Otto  Krich  Deutsch  im  Grillparzer-Jahrbuche 
1906  (auch  Separatabdruck)  mit.  Für  Steiermark  ist  der  Aufsatz  von  beson- 
derem Interesse,  wurde  doch  Hüttenbrenner  am  13.  Oktober  1794  in  Graz 
geboren,  erhielt  hier  seine  Ausbildung  und  heiratete  1821  auch  in  dieser 
I  Stadt.    Reichhaltige  Anmerkungen    zeugen  von    der  Gründlichkeit    des  streb- 

I  samen  Forschers. 

Aus  dem  Revolutionsjahre.    Unter  dieser  Überschrift  findet  sich 
in    der    „Neue    Freie  Presse",     Morgenblatt    vom    13.    März    d.   J.,    ein    mit 
^  F.  unterzeichneter  Beitrag    zur  Geschichte  der  Wiener  Oktoberrevolution,  be- 

stehend aus  Briefen    des  damaligen  Technikers  und  Legionärs  I.  W.  Grailich, 
I  der  1859    als  Universitätsprofessor   und  Mitglied    der    k.  Akademie  in  Wien 

,  starb.     Die  Briefe  fanden  sich  im  Nachlasse  des   1905  verstorbenen  Rektors 

Wilhelm  Michaelis  in  Preßburg  und  schildern  mit  lebhaften  Farben  die  Er- 
eignisse vom   11.  bis  31.  Oktober   1848. 

Kaiser  Max  von  Mexiko.  Professor  Ottokar  Weber  gibt  in  der 
Österreichischen  Rundschau,    Band  5,  Heft  65,  vom  25.  Jänner  1906 
)  eine  klare  Darstellung  der  mexikanischen  Tragödie  und  verbindet  damit  den 

I  bestimmten,,  sehr  dankenswerten  Zweck,  „alle,  die  jene  Zeit  mitgemacht  haben, 

I  .zu    bitten,    bevor    es   zu    spät  wird,    ihre  Erinnerungen    an  diese  hochinter- 

essanten Tage  festzuhalten"«    Er  verweist  dabei    auf  das  gute  Beispiel»,  mit 


96  Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen. 

dem  ein  Veteran  aus  dem  Österreichischen  Freikorps,  Oberstleutnant  v.  Stöhr, 
vorangegangen  ist.  —  In  derselben  Zeitschrift,  Heft  75—77,  verriffentlicht 
Karl  Baron  V es que  ,, Erinnerungen  eipes  ehemaligen  k.  mexikanischen 
Majors". 

Bosnien.  Von  Hofrat  Prof.  Dr.  Ed.  Richter.  Aus  dem  Nachlasse 
des  verstorbenen  Gelehrten  veröffentlicht  die  „österreichische  Rund- 
schau" im  69.  Hefte  des  6.  Bandes  (22.  Februar  1906)  einen  Aufsatz  Ober 
die  geographischen  und  politischen  Verhältnisse  Bosniens.  Richter  arbeitete 
seit  1899  an  einer  großen  wissenschaftlichen  Landeskunde  von  Bosnien,  die 
e»*  leider  nicht  mehr  vollenden  konnte.  Bruchstücke  jenes  Werkes  aber  sollen 
demnächst  veröffentlicht  werden. 


Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Arcliiven, 
Museen. 

Historische  Landeskommission  fflr  Steiermark.  Am  3.  März 

d,  J.,  1 1  Uhr  vormittags,  fand  die  4.  ordentliche  Hauptversammlung  in  der 
3.  Geschäftsperiode  unter  dem  Vorsitze  Sr.  Exzellenz  des  Herrn  Landes- 
hauptmannes Edmund  Grafen  v.  A 1 1  e  m  s  und  in  Anwesenheit  des  Referenten 
für  Unterrichts-  und  Bildungswesen  itn  Landes- Ausschuße,  Herrn  Dr.  Leopold 
Link,  in  der  Amtskanzlei  des  I^ndeshauptniannes  statt.  Nach  Begrüßung  der 
erschienenen  Mitglieder  und  Mitteilung  der  Tagesordnung  durch  den  Vor- 
sitzenden berichtet  der  Sekretär  der  Kommission,  Prof.  Dr.  v.  Zwiedineck- 
Südenhorst  über  die  Tätigkeit  derselben  im  verflossenen  Jahre.  In 
Druck  gelegt  wurden  1906:  Der  VI.  Band  der  „Forschungen"  mit  Abhand- 
lungen von  J.  Loserth  „Genealogische  Studien  zur  Geschichte  des  steiri- 
schen'Uradels**  (das  Haus  Stubenberg  bis  zur  Begründung  der  habsburgischen 
Herrschaft  in  Steiermark)  und  A.  v.  Pantz  „Die  Innerberger  Haupt- 
gewerkschaft 1625 — 1783«;  das  XXII.  Heft  der  „Veröffentlichungen"  mit 
Mells  „Regesten  zur  Geschichte  der  Familien  von  Teufenbach  in  Steier- 
-mark  I  (1074 — 1547)"  und  von  demselben  „Das  Archiv  der  steirischen  Stände 
im  steiermärkischen  Landesarchive  (Bericht  über  die  vorläufige  Ordnung  des- 
selben)". In  stetem  Fortgange  begriffen  sind  die  Vorarbeiten  für  die  Geschichte 
-des  steirischen  Finanzwesens  durch  Herrn  Dr.  Franz  Freiherrn  v.  Mensi- 
Klarbach.  Der  1.  Teil  (direkte  Steuern)  dürfte  binnen  Jahresfrist  druck- 
fertig sein.  Über  die  Ordnung  des  reichhaltigen  und  wertvollen  Familien- 
archivs der  Herren  von  Stubenberg  wird  Professor  Dr.  J.  Loserth  in  dem 
-nächsten  Hefte  der  „Veröffentlichungen"  eingehend  berichten.  Die  Sammlung 
,von  Urkunden  und  Akten  zur  Geschichte  der  altsteirischen  Familie  von 
Prank  unterzieht  Archivsadjunkt  Dr.  Doblinger  einer  eingehenden  Durch- 
sicht und  Revision.  Die  Herstellung  von  Regesten  und  Auszügen  aus  den 
Beständen  der  gräflich  Herberstein-  und  fürstlich  Eggenbergischen  Archive 
wird  unter  der  Aufsicht  des  Sekretärs  fortgesetzt.  Die  vom  verstorbenen 
Universitätsprofessor  Dr.  Karl  H  i  1 1  e  r  .  begonnenen  Studien  zur  Kodifikation 
♦der  steirischen  Landgerichtsordöung  von  1573  hat  Privatdozent  Dr.  Fritz 
Byloff  beendet 

Nach  Genehmigung"  der  Verrechnung  über  die  Landesdotation  und  den 
Adelsfond  und  des  Voranschlages  für  1906  erklärt  der  Sekretär  Professor  Dr.  H. 
v.    Z  wie  di  neck -Süden  hörst,   daß  er  sich  mit  Rücksicht,  auf  dringende 


Aus  Kommissionen,-  Vereinen,  Archiven,  Museen.  91 

wisserischäftliche'^Arbeiten  leider  gezwungen  sehe,  das  Ehrenamt  eines  Sekretärs 
niederzuiegien.  Der  Vorsitzende  nimmt  mit  größtem  Bedauern  diesen  Entschluß 
zur  Kenntnis,  widmet  der  dreizehnjährigen  Tätigkeit  v.  Zwiedinecks  in  der 
Landeskommissioh  Worte  der  vollsten  Anerkennung  und  bittet  ihn,  auch 
fernerhin  diesem  heimatsgeschichtlichen  Unternehmen  seine  Kräfte  leihen  zu 
vrollen.  Über  Antrag  des  ständigen  Ausschußes  wird  der  Landesarchivsdirektor 
Prof.  Dr.  A.  Meli  dem  Landes-Ausschuße  als  Sekretär- der  Kommission  in 
Vorschlag  gebracht  und  von  demselben  als  solcher  för  die  restliche  Funktions- 
dauer bestellt.  Nach  Erledigung  einiger  geschäftlicher  Angelegenheiten  schließt 
Se.  Exzellenz  die  Versammlung  mit  dem  Ausdrucke  der  Befriedigung  über 
den  Fortgang  der  Arbeiten  und  mit  dem  Danke  an  die  Herren  Mitglieder, 
die  sich  denselben  in  uneigennütziger  Weise  unterzogen. 

Die  IX*  Versammlung  deutscher  Historiker  hat  heuer  (1906) 

vom  17-  bis  21.  April  zu  Stuttgart  getagt  Und  einen  durchaus  gelungenen 
Verlauf  genommen.  Zahlreiche  Geschichtsforscher  und  Geschichtsfreunde  von 
Nord  und  Söd  —  leider  jedoch  sehr  wenige  aus  Österreich  —  hatten  sich  in 
der  schönen  Hauptstadt  des  Schwabenlandes  zusammengefunden  :  alte  Bekannt- 
schaften wurden  erneuert,  neue  geschlossen,  als  am  17.  April  beim  Be- 
größungsabend  im  großen  Saale  des  Museums  der  Namensaufruf  der  Ef- 
schieftenen  erfolgte.  Am  1 8.  begannen  dann  die  Vorträge,  die  täglich  zwischen 
9  bis  1  Uhr  die  Zeit  ausfüllten  und  bis  zum  21.  April  fortgesetzt  wu'deni 
<5roße  Anregung,  die  sich  in  der  anschließenden  lebhaften  Erörterung  äußerte, 
boten  namentlich  die  Vorträge  von  Fabricius:  Über  das  römische  Heer  in 
Deutschland,  Rietschel:  Tausendschaft  und  Hundertschaft,  Mein  ecke: 
Deutschland  und  Preußen  im  XIX,  Jahrhundert,  Oswald  Redlich:  Über 
historisch-geographische  Probleme,  Ludwig  Hartmann:  Wirtschaftsgeschichte 
Italiens  im  früheren  Mittelalter.  Von  den  öffentlichen  Abendvorträgen  siiid 
die  geistreichen  Ausführungen  Knapps  über  die  rechtshistorischen.  Grund*- 
lagen  des  Geldwesens  starkem  Widerspruche  begegnet  und  es  wurde  vielfach 
bedauert,  daß  dieselben  nicht  als  Diskussionsvortrag  angemeldet  worden  waren, 
bei  welchem  auch  die  Ansichten  der  Gegner  zum  Worte  gelangt  wären. 

Neben  dem  Historikertage  hat  in  den  Nachmittagsstunden  die  VII.  Kon- 
ferenz landesgeschichtlicher  Publikationsinstitute  ausgiebige  aber  auch  ergebniss- 
reiche Sitzungen  abgehalten,  in  welchen  u.  a.  über  die  Erschließung  agrar- 
geschichtlicher  Quellen,  Ober  Veröffentlichung  von  Quellen  zur  städtischen 
Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte,  über  Herausgabe  von  Münzwerken  ver- 
handelt wurde.  Mein  Bericht  wäre  jedoch  nicht  vollständig,  wenn  ich  nicht 
der  Teilnahme  gedenken  würde,  mit  welcher  die  Nachricht  von  der  Er- 
krankung und  dem  Wegbleiben  unseres  Kollegen  Professor  v,  Zwiedinecks, 
eines  der  Gründer  der  deutschen  Historikertage,  allseitig  aufgenommen  wurde. 

Luschin. 

Die  Gesellschaft  für  neuere   Geschichte  Österreichs  legt 

den  Jahresbericht  über  das  zweite  Vereinsjahr  iQOö-r^lQOö  vor.  Wegen  der 
unzulänglichen  Geldmittel  konnte  die  Gesellschaft  keinen  weitreichenden 
Arbeitsplan  entwickeln..  Trotzdem  wußte  sie  auf  andere  Weise  ihrer  Aufgabe 
nach  verschiedenen  Richtungen  hin  gerecht  zu  werden.  Infolge  des  Pro- 
grammpunktes :  ÖrdTiungsarbeiten  in  Privatarchiven  wurde  die  Inter- 
vention der  Gesellschaft  vom  Grafen  Heinrich  von  Lamberg  über  das  Fami- 
lienarchiv in  Mör  in  Ungarn  erbeten.  Ferner  verniittelte  dieselbe  die  Be- 
nützung privater  Afchi Valien  für  die  Weistömer-  und  ürbarkommissiön  der 
kais.  Akademie  der  Wissenschaften  und  veranlaßte  die  Deponierung  kleinerer 
Archive  in  öffentlichen  Arcliiven.  Da  der  Gesellschaft  wiederholt  kleinere 
historische  Beiträge  zur  Verwertung  angeboten  vnirden,  wurde  vom  Vor- 
stände die  Frage  periodischer  Veröffentlichungen  erwogen  und  zum  Studium 


92  Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archivien,  Museen. 

dieser  Angelegenheit  in  der  Sitzung  vom  30.  Oktober  19Ö5  ein  Sonderaus- 
schuß eingesetzt.  Auch  die  Frage  der  wissenschaftlichen  Vorträge  wurde 
bereits  erwogen. 

Historische  Gesellschaft  An  der  Wiener  Universität  hat  sich 
eine  Historische  Gesellschaft  gebildet,  deren  Satzungen  am  11.  November  1905 
genehmigt  wurden,  deren  Wirkungskreis  hauptsächlich  in  der  Veranstaltung 
von  Verträgen  liegen  soll. 

Von  regem  historischen  Interessse  zeugt  die  Gründung  eines  histo- 
rischen Vereines  in  Kuf stein.  In  Bnxen  entstand  ein  „historischer 
Stadtsaal"*. 

Der  internationale  Kongreß  für  historische  Wissenschaften. 

der  fQr  das  Jahr  1906  in  Aussicht  genommen  war,  wird  erst  im  Jahre  1908 
in  Berlin  abgehalten  werden. 

Die  Badner  Fälschungsaffären.  Eine  Angelegenheit,  die  nicht 
bloß  Fachleute  von  Archiven  und  Museen  interessiert,  kam  in  diesem  Jahre 
hoffentlich  zu  endgültigem  Abschlüsse.  Man  kann  dem  Vereine  für 
Landeskunde  von  Nieder  Österreich  nur  zustimmen,  wenn  er  den 
Redakteur  seiner. Publikationen  ermächtigte,  im  Monatsblatte  Nr.  2  (Februar 
1906)  die  Badener  Fälschungsaffären  einer  eingehenden  Kritik  zu  unterziehen. 
Es  handelt  sich  um  drei  Stücke  im  Besitze  des  Museums  in  Baden:  um 
den  Stadtplan  von  1205,.  die  sogenannte  Dreieckersche  Stadtansicht  von 
i486  und  den  Lobspruch  auf  Baden  von  1505.  Der  Nachfolger  des  Stadt- 
archivars Dr.  Hermann  Rollett,  Prof.  Dr.  Rainer  von  Rainöhl  bezeich- 
nete die  erwähnten  drei  Stücke  als  Fälschungen  und  begründete  seine  Be- 
hauptungen in  streng  sachlicher  und  kritischer  Weise  in  der  Schrift  „Drei 
Fälschungen,  nachgewiesen  durch  Dr.  Rainer  von  Rainöhl"  (Baden  1905). 
Auf  die  Entgegnung  G.  Gallianos  soll  hier  nicht  näher  eingegangen 
werden.  Beginn  und  Ausgang  der  ganzen  Streitfrage  hat  Dr.  M.  Vancsa  im 
erwähnten  Monatsblatte  klargelegt.  Dem  Leser  dieses  Aufsatzes  wird  es 
wahrlich  nicht  schwer  fallen,  ein  Urteil  über  diese  Angelegenheit  selbst 
zu  fällen. 

Verein  für  Landeskunde  von  Niederösterreich.  Nach  vierzig- 
jähriger Tätigkeit  wurde  der  hochverdiente  n.-ö.  Landesarchivar  Dr.  Anton 
Mayer  über  seine  Bitte  von  dem  Posten  eines  Vereinssekretärs  und  Redak- 
teurs der  Vereinspublikationen  enthoben.  An  seine  Stelle  wurde  einstimmig 
der  Kustos  des  n.-ö.  Landesarchives  Dr.  Max  Vancsa  gewählt.  Die  dies- 
jährige Sommerversammlung  (am  12.  Juni)  führte  die  Teilnehmer  Ober  Loos- 
dorf,  eine  der  interessantesten  Burgen  Niederösterreichs,  nach  dem  historisch 
bedeutsamen  Stifte  Melk. 

Vom  24   bis  28.  September  findet  in  Wien  die  Jahresversammlung  des 

Gesamtvereines  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine 

in  Verbindung  mit  dem  VI.  deutschen  Archivstage  statt.  Dabei  halten  folgende 
Herren  Vorträge:  Prof.  Fournier-Wien:  „Österreich  und  Preußen  in  den 
ersten  Jahren  des  XIX.  Jahrhunderts";  Generalmajor  von  Pfister-Stuttgart : 
„Jena  1806'*;  Prof.  Tragendorf-Frankfurt  a.  M.:  „Alterstumsforschung  in 
Nordwestdeutschland";  Prof.  von  Schröder- Wien :  „Die  Religion  der  arischen 
Urzeit**;  Hofrat  Piper-München:  „Osterreichische  Burgen'*,  Am  28.  September 
findet  ein  Ausflug  nach  der  Burg  Kreuzenstein  statt. 

Teilnehmen  kann  jedermann,  der  eine  Teilnehmerkarte  zu  4  Kronen 
löst.  Anmeldungen  müssen  bis  spätestens  10.  September  in  der  Vereinskanzlei, 
Landesarchiv,  Hamerlinggasse  3,  erfolgen. 

Archivrat.  Der  Minister  des  Innern  hat  den  Geheimen  Rat  Dr 
Josef  Alexander  Freiherrn  von  H  eifert,  ferner  die  ordentlichen  Professoren 
an   der  Universität   in  Wien   Dr.  August  Fournier,   Dr.  Josef   Konstantin 


Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen,  93 

Jirecek.  Dr.  Emil  von  Ottenthai  und  Dr.  Oswald  R e d  1  i c h,  sowie  den 
ordentlichen  Professor  an  der  böhmischen  Karl  Ferdinands-Universität  in 
Prag,  Dr.  Jaromir  Celakovsky  zu  ordentlichen  Mitgliedern  des  Archivs- 
rates auf  die  Dauer  von  fünf  Jahren  ernannt.  Neueren  Nachrichten  zufolge 
sollen  aber  keine  Sitzungen  mehr  stattfinden. 

Steiermärkisches  Landesarchiv.  Seit  dem.  Bestände  dieses  In- 
stitutes (1869)  läßt  der  steiermärkische  Landesausschuß  demselben  weit- 
gehendste Förderung  angedeihen.  Durch  die  räumliche  Verbindung  der  histo- 
rischen Landeskommission  mit  dem  Landesarchive,  durch  den  stetig  sich 
steigernden  Parteienverkehr  und  durch  Übernahme  auswärtiger  Archivsbestände 
ergab  sich  die  Notwendigkeit,  neue  Depoträume  zu  .schaifen  und  die  fQr  den 
Parteienverkehr  dienenden  Räumlichkeiten  zu  vergrößern.  Zu  diesem  Zwecke 
wurden  die  gegen  die  Ringstraße  zu  gelegenen  großen  Kellerräume  adaptiert  und 
mit  dem.  Hauptarchive  verbunden.  Im  Personalstande  trat  insoferne  eine 
Änderung  ein,  als  der  Aspirant  Dr.  Max  Doblinger  zum  zweiten  Ad- 
junkten ernannt  wurde.  Der  oberösterreichische  Landesarchivar  Dr.  -Zieber- 
mayer  besuchte  im  Juni  d.  J.  das  steiermärkische  Landesarchiv,  um  dessen 
Einrichtungen  und  Erfahrungen  besonders  auf  dem  Gebiete  der  Zentralisation 
sämtlicher  Archive  der  Städte,  Märkte  und  Familien  des  Landes  Steiermark 
kennen  zu  lernen.     . 

Exzellenz  Gräfin  Johanna  Gleispach  trat  das  gräflich  Gleispachische 
Famillenarchiv  und  das  Herrschaftsarchiv  von  Pirkwiesen  an  das  steier- 
märkische Landesarchiv  unter  Wahrung  des  Eigentumsrechtes  ab. 

Das  Steiermärkische  Statthaltereiarchiv,  dessen  Neuaufstellung 

in  den  Räumen  der  alten  Universitätsbibliothek  im  November  1905  zum  Ab- 
schluse  kam,  wurde  endlich  für  den  Parteienverkehr  eröffnet,  indem  der 
Konzipist  des  k.  k.  Archivs  für  .Niederösterreich,  Dr.  Viktor  Thiel  in  gleicher 
Eigenschaft  als  Leiter  desselben  der  steiermärkischen  Statthalterei  zur  Dienst- 
leistung zugeteilt  wurde.  Über  den  Inhalt  dieses  Archives  orientiert  die  bei 
UJ,  Moser  (J.  Meyerhoff)  1906  erschienene  Schrift  Dr.  A.  Kappers:  „Das 
Archiv  der  k.  k.  steiermärkischen  Statthalterei.  Nach  der  Neuaufstellung  im 
Sommer   1905.*'  Mit  3  Täfeln. 

Das  Archivs  Wesen  wurde  in  erfreulicher  Weise  gefördert  durch  die 
Ausgestaltung  des  DeutSCh-OrdenS-ZeiltralarchivS  in  Wien  und  durch 
die  Neugestaltung  des  MalteserordensarchivS  in  Prag.  Letzteres  ist  für 
Steiermark  insoferne  von  großer  Wichtigkeit,  als  dasselbe  auch  die  Archivalien 
der  Malteserordenskommerden  von  F.Orstenfeld..  und  Melling  teilweise 
enthält. 

Das  k.  U.  k.  Kriegsarchiv  übersiedelte  mit  seinen  reichhaltigen 
Beständen  in  das  ehemalige  Gebäude  der  technischen  Militärakademie,  wo- 
durch dasselbe  eine  bedeutend  günstigere  Aufbewahrung  der  Archivalien  er- 
fuhr, was  auch  der  Benützbarkeit  zum  großen  Vorteile  gereicht.  Von  der 
Idee  eines  Neubaues, .  der  der  Wichtigkeit  des  Archives  entsprochen  hätte, 
mußte  man  leider  wegen  Geldmangels  absehen. 

Das  städtische  Ferk-Museum  in  Pettau  beschreibt  v.  skrabar 

in  der  Festzeitung  zum  XII.  Gauturnfest  des  südösterreichischen  Turngaues 
in  Pettau  im  Juli  1906. 

An  der  Ausstellung  alter  Städtebilder  des  mährischen  Ge- 
werbemuseums in  Brunn  beteiligte  sich  das  steiermärkische  Landesarchiv  mit 
29  Grazer  Ansichten  aus  dessen  reichhaltiger  Ortsbildersammlung. 

Der  Cillier  Musealverein  legt  seinen  Tätigkeitsbericht  vor,  aus 
dem  wir  entnehmen,  daß  derselbe  im  abgelaufenen  Jahre  eine  äußerst  er- 
sprießliche Arbeit  geleistet  hat  und  daß  namentlich  seine  Bestrebungen,  dem 
Vereine  neue  Mittel  für  die  Erhaltungsarbeiten  auf  der  Burgruine  Obercilli 
zuzuführen,  von  Erfolg  begleitet  waren. 


94  Vereinsnachrichten. 


Vereinsnachrichten. 

Bericht  Ober  die  Tätigkeit  des  historischen  Vereines  im  Jahre  1905. 

In  der  am  lO.  Februar  1905  abgehaltenen  Hauptversammlung  gelangte 
der  Geschäftsbericht  über  das  abgelaufene  Vereinsjahr  zur  Kenntnis  der  Mit- 
glieder. In  der  unmittelbar  darauffolgenden  496.  Ausschußsitzung  wurde 
satzungsgemäß  die  Neuverteilung  der  Ämter  im  Ausschusse  für  1905  vor* 
genommen  und  wurden  unter  dem  Vorsitze  des  Obnjann-Stellvertreters  Herrn 
Universitätsprofessors  Dr.  O.  C  u  n  t  z  folgende  Herren  gewählt,  und  zwar  zum 
Obmanne  Direktor  Dr.  A.Meli,  zu  dessen  Stellvertreter  Universitätsprofessor 
Dr.  O.  Cuntz,  zum  Schriftführer  Gymnasialprofessor  Dr.  F.  Khull,  zum  Stell- 
vertreter Stadtschulinspektor  Dr.  R.  Frettensattel,  zum  Kassier  I»  Archivs- 
adjunkt Dr.  A.  Kap  per,  zum  Stellvertreter  Se.  Exzellenz  Feldzeugmeister 
J.  R.  V.  Samonigg.  Ausschußmitglieder  ohne  Funktion  waren  die  Herren 
Pfarrer  H.  J.  Joherl,  Universitätsprofessor  Dr.  K.  Uhlirz  und  Universitäts- 
professor Dr.  H.  V.  Zwiedi  neck-Südenh  orst. 

biowohl  die  äußere  Entwicklung  des  Vereines  wie  auch  dössen  finanzielle 
Lage  hat  sich  im  Laufe  des  Jahres  erheblich  gebessert.  Der  Ausschuß  hat 
in  acht  Sitzungen  die  laufenden  Geschäfte  erledigt.  Das  Wichtigere  daraus  soll 
hier  kurz  zur  Kenntnis  der  Herren  Mitglieder  gebracht  werden*  In  der 
497.  Ausschußsitzung  am  2.  März  wurde  beschlossen,  an  Professor  Kaindl 
inCzernowitz  den  3.  Band  des  Urkundenbuches  nicht  zu  senden ;  dem  Börger- 
mcisteramte  in  Pettau  als  Überpröfer  der  aufgefundenen  Akten  Professor 
Dr.  H.  Pirchegger  in  Pettau  zu  empfehlen;  in  der  Leitung  der  Zeitschrift 
die  alte  Form  noch  weiter  zu  belassen  und  Dr.  Meli  zu  ersuchen,  bis  zur  end- 
gültigen Regelung  der  Frage  den  nächsten  Jahrgang  zu  redigieren:  in  das 
Volksblatt  wegen  dfs  Angriffes  bezüglich  der  Erhaltung  der  Grabstätte 
M  u  c  h  a  r  s  eine  Erwiderung  einfließen  zu  lassen,  wie  auch  im  nächsten  Hefte 
der  Zeitschrift  diese  Angelegenheit  aufzuklären. 

498.  Ausschußsitzung  am  10.  April.  Der.  Universitätsbibliothek  wird  ein 
zweites  Exemplar  des  Urkundenbuches  geschenkweise  überlassen;  das  Titel- 
blatt zum  ersten  Bande  der  Zeitschrift  nachgeliefert;  für  die  nachträgliche 
Zusendung  reklamierter  Vereinsschriften  52  Kronen  bewilligt  und  der  Wort- 
laut der  Erklärung  in  der  Zeitschrift  bezüglich  Muchars  Grabstätte  fest- 
gesetzt (Vergl.  III.  Jahrg.,   1.  u.  2.  Hft.,  S.  84). 

499.  Ausschußsitzung  am  27.  Mai.  Dem  Herrn  Lehrer  Krem  er  in 
Spital  a:  S.  wird  für  die  musterhafte  Fuhrung  der  Ortschronik  eine  Ehren- 
gabe von  40  Kronen  in  Gold  zuerkannt.  Auf  den  Antrag  des  Schriftführers, 
die  Zeitschrift  von  nun  ab  bei  der  Deutschen  Vereinsdruckerei  drucken  zu 
lassen,  die  ein  Heft  zu  drei  Bogen  um  zirka  30  bis  32  Kronen  billiger  herstellt, 
jerfolgte  ein  Gegenantrag,  an  die  Druckerei  „Ley kam",  die  die  Publikationen 
schon  50  Jahre  hindurch  besorgt,  ebenfalls  ein  Ansuchen  um  entsprechende 
Preisreduktion  zu  stellen.  Zur  Klarstellung  über  Umfang  und  Inhalt  des 
„Grazer  Straßenbuches"  wird  ein  Unterausschuß  gewählt,  dem  es 
auch  obliegt,  dem  Wunsche  des  Stadtrates  nach  Angabe  passender  Straßeu- 
bezeichnungen  nachzukommen. 

500.  Ausschußsitzung  am  6.  Juli.  Die  Druckerei  „Leykam**  gewährt 
einen  Nachlaß  von  30  Kronen  für  das  Heft;  dem  Oberlehrer  Franz  Krone s 
in  K.umberg  wird  für  die  musterhafte  Führung  der  Ortschronik  eine  Ehren- 
gabe von  40  Kronen  zuerkannt;  über  Wunsch  des  Bürgermeisteramtes  in 
Pett.au  dem  Verfasser  einer  Chronik  von  1873  bis  1905  die  Anerkennung 
[ausgesprochen;   der  Straß  en  buch -Ausschuß   infolge  der  Erklärung   des 


Vereinsnachrichten'.  95 

!  Verfassers  des.  Straßenbuches  aufgelöst  und  zur  Namhaftmachung  von  Straßen- 

I  namen   ein  Unteraasschuß  eingesetzt,   der  auf  Antrag  Professor  Uhlirz'   ein 

j  Verzeichnis  von  Straßennamen  ohne  Vornamen  zusammenstellen  soll. 

Exzellenz  Feldzeugmeister  R.  v.  Samonigg  wünscht  in  das  Verzeichnis  auch 

die  Namen  Krön  es,  Richter  und  Teuffenbach  aufgenommen. 

501.  Ausschußsitzung.  Die  Grabstätten  Muchars  und  Wartingers 
wurden  auf  Vereinskosten  um  180  Kronen  instandgesetzt  und  präsentiere» 
sich  nach  dem  Berichte  des  Obmannes  ganz  vorteilhaft.  Die  Stadtgemeinde 
Graz  wird  ersucht,  wieder  dem  Vereine  als  Mitglied  beizutreten. 

502.  Ausschußsitzung.  Die  Reihe  der  in  diesem  Winter  zu  haltenden 
Vorträge  wurde  in  folgender  Weise  festgesetzt.  Herr  Regierungsrat 
Dr.  K.  Reißenberger  am  11.  Dezember  über:  „Die  deutschen  Be- 
siedlungen Siebenbürgens  in  älterer  und  neuerer  Zeit"*, 
Universitätsprofessor  Dr.  J,  Losserth,  am  10.  Februar.  1 906  über:  „Das 
Haus  Stubenberg  in  Böhmen".  Im  Laufe  des  Monats  März  hätte  noch 
ein  solcher  von  Seite  des  Herrn  Professors  Dr.  Meli  stattfinden  sollen.  Derselbe 
fiel  aber  aus  und  fand  dafür  am  30.  Juni  und  I.Juli  1906  eine  Wander- 
yersammlung  in  Fürstenfeld  statt,  bei  welcher  Gelegenheit  kais.Rat 
Dr.  Kapper  einen  Vortrag  hielt  über:  „Die  bauliche  Entwicklung 
und  Bedeutung  Fürstenfelds  als  Grenzfestung".  Denä  Vereine 
wurde  als  Erinnerung  an  das  langjährige  Ausschußmitglied,  den  Dichter  Oberst 
Friedrich  Marx,  von  dessen  Tochter  ein  schönes  Lichtbild  geschenkt.  Der 
Ausschuß,  beschloß,  dieses  Bild  im  nächsten  Hefte  der  Zeitschrift,  das  einen 
Lebensabriß  des  trefflichen  Mannes  bringen  soll,  zu  reproduzieren. 

503  Ausschußsitzung.  Der  Denkm  a lau ssc hu ß  für  das  Krone  s- 
denkmal,  der  seinerzeit  aus  dem  Vereinsausschusse  hervorgegangen  ist,  setzt 
den  Verein  in  Kenntnis,  daß  der  Entwurf  Professor  Winkl  ers  zum  Preise  yo» 
1000  Kronea  angenommen  wurde.  Der  Denkstein  soll  im  Herbste  1906  in 
der  Aula  der  Universität  zur. Aufstellung  gelangen.  Da  durch  die  mäßige 
Honorarforderung  Professor  Winklers  ein  Überschuß  von  zirka  500  Kronen 
erzielt  wird,  beantragte  Se.  Exzellenz  Fei  Izeugmeister  J.  R.  v.  Samonigg, 
diese  Summe  dem  Historischen  Verein  für  Steiermark  als  vinkuliertes  Kapital? 
zukommen  zu  lassen,  von  dessen  Zinsen  die  Gräber  seiner  verdienteiv 
Mitglieder  erhalten  werden  sollen.  Der  Ausschuß  dankt  Sr.  Exzellenz, 
für  diesen  Beweis  wohlwollender  Fürsorge,  Das  Programm  der  59.  Jahres- 
hauptversammlung (am  10.  Februar,  ursprünglich  war  der  26.  Jänner  be-^ 
stimmt)  wird  genehmigt.  Satzungsgemäß  schieden  die  Herren  Dr.  Kap  per,. 
Professor  Khull  und  Professor  v.  Zwiedineck-Südenhorst  aus  dem 
Ausschusse.  Alle  erklärten  aber,  eine  Wiederwahl  anzunehmen.  An  die 
Steiermärkische  Sparkasse  soll  ein  Ansuchen  um  Erhöhung  der 
Subvention  auf  lOOO  Kronen  gerichtet  werden,  Professor  Khull  und  Dr.  Kapper 
erklärten  sich  bereit,  das  Gesuch  persönlich  zu  Oberreichen  und  bei*  de» 
Herren  Ausschußmitgliedern  vorzusprechen.  Auch  an  den  Steiermärkischer» 
Landtag  erging  die  Bitte  um  Erhöhung  der  Subvention  auf  1500  Kronen, 
da  die  der  Landesbibliothek  alljährlich  vom  Vereine  zukommenden  Werke 
einen  Buchwert  von  3800  Kronen  repräsentieren.  Diesem  Ansuchen  wurde 
besonders  über  Intervention  des  Herrn  Reichsrats-  und  Landtagsabgeordneten 
Dr.  Hofmann  v.  Wellenhof  Folge  gegeben  und  auch  die  S  t  e  i  e  r- 
märkische  Sparkasse  erhöhte  die  Subvention  auf  600  Kronen» 
Es  möge  gestattet  sein,  hiefür  an  dieser  Stelle  den  ergebensten  Dank  des 
I  Vereines    zum   Ausdrucke    zu   bringen.    Direktor   Professor  Dr.  Meli  erklärte 

infolge  seiner  Ernennung  zum  Sekretär  der  Historischen  Landes-Kommvssion 
für  Steiermark  und  wegen  Arbeitsüberbürdung  die  Obmannstelle  nicht  länger 
beibehalten    zu   können.    (Damit   die   Herren  Mitglieder  von  der  Zusammen« 


96  Vereinsnachrichten. 

Setzung  des  Ausschusses  für  IQ06  in  Kenntnis  sind,  soll  davon,  obwohl  nicht 
mehr  in  den  Rahmen  dieses  Berichtes  fallend,  hier  Notiz  genommen  werden.) 
Es  wurde  am  21.  März  Se.  Exzellenz  FeldzeuRraeister  R.  v,  Samonigg  ein- 
stimmig zum  Obmanne  gewählt.  Derselbe  erklärte  aber,  die  Wahl  nicht  an- 
nehmen zu  können.  Aus  dem  Ausschusse  ist  Stadtschulinspektor  Dr.  Fretten- 
sattel  geschieden  und  Regierungsrat  Dr.  K.  Reißcnberger.  an  seine 
Stelle  gewählt  worden.  Der  Ausschuß  besteht  nun  aus  Regierungsrat 
Dr.  Reißenberger  als  Obmann,  Professor  Dr  KhuU  als  Schriftführer 
und  Dr.  Kapper  als  Zahlmeister.  Beisitzer:  Pfarrer  J.  H.  Joherl,  Professor 
Dr.  Cuntz,  Professor  Dr.  Meli,  Exzellenz  Feldzeugmeister  R.  v.  Samonigg, 
Professor  Dr.  Uhlirz  und  Professor  Dr.  v.  Z wiedineck-SQdenhorst. 
Die  Herausgabe  der  Zeitschrift  wurde  endgültig  geregelt,  indem  sich  Dr.  K  a  p  p  e  r 
bereit  erklärte,  dieselbe  bis  auf  weiteres  zu  übernehmen.  Auch  wurde  be- 
schlossen Ober  Antrag  Professor  Uhlirz*,  den  Titel  und  die  Lettern  zu 
ändern,  so  düß  sie  in  einem  neuen  Kleide  als  „Zeitschrift  des  historischen 
Vereines  für  Steiermark**  erscheinen  wird. 

Was  endlich  die  Bewegung  unter  den  Mitgliedern  und  der  Zahl  be- 
trifft,, so  hatte  der  Verein  zu  Ende  des  Jahres  1904  308  Mitglieder,  worunter 
33  Ehrenmitglieder  sind;  verloren  wurden  durch  Austritt  und  Tod  23,  ge- 
wonnen 12,  so.  daß  sich  mit  Ende  Dezember  1905  die  Zahl  von  298  Mit- 
gliedern ergab.  Neu  eingetreten  sind  die  Herren :  Dr.  Fritz  Byioff,  Privat- 
dozent, Graz;  Josef  Holzer,  k.  k.  Gymnasial-Professor,  Graz;  Geza  Kodeila, 
cand.  iur.,  Graz;  Anton  Kodella,  Graz;  Dr,  Josef  Neubauer,  Domkapitular, 
f.-b.  wirkl.  Konsistorialrat  und  Referent  etc.,  Graz;  Fräulein  Dr.  Seraphine 
Puchleituer,  Hauptlehrerin  an  der  landschaftlichen  Lehrerinnenbildungsanstalt, 
Marburg  a.  d.  Drau;  die  Herren:  Dr.  Paul  Puntschart,  k.  k.  o.  ö.  Universitäts- 
professor, Graz;  Dr.  Moritz  Rüp.schl,  Amanuen.sis  der  steiermärkischen 
Landesbibliothek,  Graz;  Josef  Winkler,  Präfekt  am  öffentl.  f.-b,  Gymnasiuna 
und  Seminar,  Graz;  .Dr.  Max  Zaversky,  Redaktionsmitglied  des  „Grazer 
Tagblatt",  Graz;  Dr.  Adam  Schuh,  k.  k.  Professor  an  der  Staatsrealschute, 
Marburg  a.  d.  Drau;  Marktgemeinde  Ober-Zeiring. . 

Im  Berichtsjahre  sind  verstorben:  Gottfried  Edmund  Frieß,  Professor, 
Seitenstetten ;  Dr.  Karl  Gritz,  Regenschori,  St.  Lambrecht;  Dr.  Wilhelm 
Gurlitt,  k.  k.  o.  ö.  Universitätsprofessor,  Graz;  Dr.  Karl  Hiller,  k.  k.  Regierungs- 
rat und  o.  ö.  Universitätsprofessor;  Josef  Hütter,  Kaplan,  Deutsch-Landsberg; 
Friedrich  Marx,  k.  u.  k.  Oberst,  Graz  (dessen  Lebensbild  leitet  dieses  Heft 
ein);  Dr.  Eduard  Richter,  k.  k.  Hofrat  und  o.  ö.  Universitätsprofessor  (über 
dessen  Lebensgang  vergl.  1 .  und  2.  Heft  des  lU.  Bandes  dieser  Zeitschrift) ; 
Johann  ROsch,  Pfarrer,  Vordernberg;  Johann  R.  v.  St'-eruwitz,  k.  u.  k.  Oberst, 
Mies  in  Böhmen;  Juri  Zmavc,  Pfarrer,  St,  Georgen  bei  Mahrenberg. 

Am  Ende  des  abgelaufenen  Vereinsjahres  stand  der  historische  Verein 
mit  298  Vereinen  und  Körperschaften  im  Schriften  tausche,  deren  Veröffent- 
lichungen alljährlich  einen  Wert  von  3800  Kronen  darstellen.  Darunter 
waren  232  deutsch-holländische,  18  slawische,  22  französische,  10  italienische, 
6  englisch-amerikanische  und   10  schwedisch-norwegische. 

In  der  Hauptversammlung  stellte  kaiserl.  Rat  Professor  Ferk  den  An- 
trag „Die  Versammlung  wolle  den  Wunsch  aussprechen,  daß  der  Ausschuß 
die  Fortsetzung  des  Werkes  ,Styria  illustrata*  in  baldige  Beratung  ziehe". 
Nach  den  aufklärenden  Worten  de.s  Vorsitzenden,  daß  das  Werk  bis  zum 
30.  Bogen  gedruckt  sei,  nimmt  die  Versammlung  den  Antrag  Ferks  an. 

Nach  dem  der  Hauptversammlung  vorgelegten  Kassebericht  stellt  sich 
die  Vermögenslage  des  Vereines  in  folgender  Weise  dar: 


Vereinsnachrichteri. 


97 


Geldgebarung  im  Jahre  1905« 


Ausgaben.  K 

1.  An  Schriftenmaler  Kraus    "  16*50 

2.  Gehalt  dem  Diener  Kager    192  — 

3.  Pension  dem  alten  Diener 
Anderl.. 120-— 

4.  Remunerationen  u.Trink- 
gejder  an  Diener,  Brief- 
träger etc.-.    .  •.  •.    .    .      22-19 

5.  Postauslagen  (allein  fQr 
Nachsendeji  der  rekla- 
mierten Publikationen 
aus      früheren      Jahren 

K  111-55) 238-31 

6.  An  Pappermann  fOrAuto- 
graphien 4*90 

7.  An  Vereinsdruckerei  für 
Drucksorten 13*10 

8.  Kranz  für  Hofrat  Richter      34-— 

9.  Jahresbeiträge  an  Vereine 

und  Museen 70*95 

10.  Photographien  und  Cli- 
ch^s  für  die  Zeitschrift, 
hauptsächlich  bei  Angerer 
und  Göschl  in  Wien  .  174-50 
lU  Ehrengaben  an  die  Orts- 
chronisten Kremer  und 
Krones 83-20 

1 2.  An  Steinmetz  Schrödl  für 
Herstellungen  am  Grabe 
Muchars     ......     120-— 

1 3.  An  Steinmetz  Schrödl  für 
Neuherstellung  von  War- 

•   tingers  Grab 60- — 

15.  An .  Druckerei  Leykam 
für  den  Druck  der  Bei- 
tiäge  32,  38  und  34  und 
1.  u.  2.  Heft  derZeitschr.  2412'70 

Summe  3562-45 


Einnahmen.  K 

1.  1./1.  1905  Kasserest  von 

1904  ........  695-33 

2.  24./2,VonCieslar  für  ver- 
kaufte Vereinsschriften  .  198* — 

3.  17./2.    Subvention     des 
steierm.  Landtages      .    .  1Ö50' — 

4.  29/3.     Subvention    der 
steierm.  Sparkasse      .    .  400- — 


10./5.  Vom  Antiquar 
Rohracher  für  verkaufte 
Vereinsschriften  .    . 


161- 


6.  1./6.  Vom  .  Antiquar 
Rohracher  Abschlags- 
zahlung für  verkaufte 
„Muchar« 300-— 

7.  l./l.-31./12.Mitglieder- 
beiträge  mit  Abzug  von 

4%  für  den  Einkassierer  1465-20 

8.  l./l.— 31./12.  Für  ein- 
zeln verkaufte  Vereins- 
schriften      141-20 

9.  31./12.  Zinsen  der  Es- 
komptebank  .    .    ...    .      25*62 

10.  31./12.Sparkassebuchfttr 
Wartingers  Graberhal- 
tung  ....        .    .  80*99 

Summe  4517*34 

Rest'  954-89 


Kais.  Rat  Dr.  A.  Kap  per. 
derzeit  Zahlmeister. 


Museäldirektor  Prof.  K.  Lacher, 
'  derzeit  Eechnangsprüfer. 


Kais.  Rat  Prof.  Fr.  Ferk, 
derzeit  Rechnungsprüfer. 


Vereinsnachrichten. 


Voranschlag  pro  1906. 

Ausgaben.  K  Bedeckung.  K 

1.  Kasserest  von  1905  .    .    954*89 

2.  Subvention    des    steier- 
märkischen  Landtages  »  1050' — 

3.  Subvention    der    steier- 
märkischen  Sparkasse    .    400* — 

4.  Mitgliederbciträge-.    .    .  1500- — 

5.  Verkauf  an  Vereinsschrif- 
ten       100*— 

6.  Vom  Antiquar  Rohracher 
noch  ausständig     .    .    .     580* — 

30  — 


1.  Druckkosten  der  Zeit- 
schrift      

2.  Druckkt>sten  der  Beitrage 

3.  Gehalt  dem  Diener  Kager 

4.  Pension  dem  alten  Diener 
Anderl 

5.  AnPörtoauslagen.Trink- 
gelder  etc 

6.  Kanzleierfordemis  .    .    . 

7.  Mitgliederbeiträge  an  aus- 
wärtige Vereine  und 
Museen,  Steuer  etc.  .   •. 

8.  Nachtragszahlung  an 
Leykam  für  Schönbachs 
Aufsatz  in  Beitrag  32 
(Miszellen  aus  Grazer 
Handschriften)    .... 

9.  Prämien  für  Orts- 
chronisten   


K 

1100 
600 
192; 

120' 

200 
200 


100-— 


300-- 
100-- 


Summe  2912'— 


7.  Zinsen  pro  1906  . 


Summe  4614  89 
Rest  1702-89 


Der  historische  Verein  hat,  um  das  Interesse  an  der  Geschichte  unseres 
lindes  zu  wecken,  die  alte  Institution  der  Wanderversammlungen  wieder 
aufleben  lassen  und  veranstaltete  eine  solche  über  Einladung  der  Stadtgemeinde 
Furstenfeld  am  SO.  Juni  und  1.  Juli  in  diesem  Orte.  40  Teilnehmer,  Herren 
und  Damen,  machten  die  Fahrt  von  Graz  aus  mit.  Die  Festversammlung 
aro  30.  Juni,  8  Uhr  abends  im  großen  Saale  des  Brauhauses,  der  kaum  die 
große  Anzahl  der  Teilnehmer,  es  dürften  an  500  Personen  gewesen  sein, 
zu  fassen  vermochte,  wurde  durch  begrüßende  Worte  des  Herrn  Bürger- 
meisters Karl  Pferschy  eingeleitet.  Nach  kurzer  Erwiderung  seitens  des 
Vereinsobmannes  ergriff  kaiserl.  Rat  Dr.  A.  Kapper  das  Wort  zu  seinem 
Vortrage:  „Die  Bedeutung  und  bauliche  Entwicklung  Fürstenfelds  als  Grenz - 
festung**.  Daran  schloß  sich  ein  äußerst  gemütlicher,  geselliger  Abend.  Am 
nächsten  Vormittage  fand  eine  Besichtigung  der  wichtigsten  alten  Gebäude 
und  der  Überreste  der  alten  Festungsbauten  statt,  wobei  der  Vortragende  an 
Ort  und  Stelle  im  Anschlüsse  an  das  am  vorigen  Abend  Gehörte  die  Be- 
deutung der  einzelnen  Objekte  erklärte. 

Die  Warderversammlung,  über  die  hier  vorläufig  dieser  kurze  Bericht 
Platz  finden  möge,  muß  in  allen  ihren  Teilen  als  sehr  gut  gelungen  bezeichnet 
werden,  wozu  wohl  in  erster  Linie  das  außerordentlich  freundliche  Ent- 
gegenkommen der  Stadtvertretung  und.  die  große  Liebenswürdigkeit  der  Be- 
wohnerschaft Fürstenfelds  das  Wesentliche  dazu  beitrugen,  woftlr  ihnen  allen  der 
wärmste  Dank  ausgesprochen  sei.  Der  historische  Verein  ist  einerseits  seinem 
Zwecke,  der  auch  in  der  Pflege  der  Ortsgeschichte,  der  Weckung  des 
historischen  Interesses  überhaupt  und  in  der  Volkstümlichmachung  der  Ge- 
schichtswissenschaft besteht,  vollinhaltlich  nachgekommen,  anderseits  wuchsen 
dem  Verein  eine  Anzahl  neuer  Mitglieder  zu.  Möge  die  nächste  Wander- 
versammlung von  gleichem  Erfolge  begleitet  sein. 


Vereinsnachrichten.  99 

Im  Herbste  dieses  Jahres  ist  eine  Besichtigung  des  restaurierten  Schlosses 
Hollenegg  unter  fachmännischer  Führung  des  Herrn  Direktors  K.  Lacher  ge- 
plant. Der  Ausflug  umfaßt  einen  Tag.  Die  Herren  Mitglieder  werden  recht- 
zeitig davon  durch  die  Tagesblätter  verständigt  werden. 


t 


Dn  Johann  Nep.  Graf  zu  Gleispach.  Am  22.  Februar  starb 
zu  Graz  der  Präsident  des  Grazer  Überlandesgerichtes,  Minister  a.  D. 
Dr.  Johann  Nep.  Graf  zu  Gleispach,  Freiherr  auf  Waldegg  und  Ober-Rakitsch, 
Herr  auf  Kainberg  und  Pirkwiesen.  Er  war  am  29.  September  I840  in 
Görz  geboren  worden  und  hatte  an  der  Grazer  Universität  seine  juridische 
Ausbildung  erhalten.  Er  hatte  sich  auf  archivalischem  Gebiete  insoferne 
große  Verdienste  erworben,  als  er  die  alten  Grund-  und  Urkundenbücher  der 
steirischen  Patrimonialherrschaften  vor  dem  Untergange  rettete  und  dieselben 
in  einer  Anzahl  von  zirka  6000  Bänden  zur  dauernden  Aufbewahrung  dem 
steiermärkischen  Landesarchive  Ober  wies. 


100 


Nachricht. 

Im  Jahre  1905  trat  an  Stelle  der  „Mitteilungen"  die  „Steirische  Zeit- 
schrift für  Geschichte."  Dieselbe  wandte  sich  „nicht  nur  an  Fachmänner  und 
Gelehrte,  sondern  an  alle,  die  über  den  Fortgang  der  geschichtlichen  Studien 
in  der  Steiermark  und  den  Nachbarländern  regelmäßig  in  Kenntnis  gesetzt  zu 
werden  wünschen  und  an  Einzelunternehmungen  und  Geschichtserzahlungen 
geringeren  Umfanges  .Gefallen  finden.** 

Eine  dreijährige  Erprobung  und  Erfahrung  ließ  nun  eine  kleine  Änderung 
im  Äußeren  dieser  Zeitschrift  wünschenswert,  erscheinen.  Am  30.  April  1906 
wurde  in  der  508.  Ausschußsitzung  über  Antrag  des  Herrn  Professor  Dr. 
K.  U  h  1  i  r  z  beschlossen,  den  Titel  abzuändern  und  einen  solchen  zu  wählen , 
der  dem  Wesen  der  Zeitschrift  mehr  entspricht  Als  solcher  wurde  „Zeit- 
schrift des  historischen  Vereines  für  Steiermark'*  gewählt. 
Gleichzeitig  wurde  beschlossen,  diese  Zeitschrift  von  nun  ab  mit  Antiqua- 
lettern zu  drucken,  die  Personal nachrichten  nur  auf  Neuanmeldungen  und 
Todesfälle  zu  beschränken  und  den  historisch-geneologischen  Fragekasten  ent- 
fallen zu  lassen.  In  der  Zeitschrift  soll  Polemik  grundsätzlich  vermieden 
werden. 

Form,  Umfang,  Inhalt  und  Tendenz  bleiben  aufrecht  erhalten.  Des- 
halb wurde  auch  die  alte  Numerierung  weitergeführt  und  ist  demnach  die 
„Zeitschrift  des  historischen  Vereines  für  Steiermark"  nichts  anderes  als  die 
Fortsetzung  der  „Steirischen  Zeitschrift  für  Geschichte".  Der  historische  Verein 
für  Steiermark  gibt  also  nach  wie  vor  zwei  Publikationen  heraus,  die  „Bei- 
träge etc."  und  die  „Zeitschrift  etc.*' 


In  Kommission  der  VcrlagsbuchhAndlung  „Leykam*. 


Druckerei  »Leykam",  Graz. 


Ankündigung. 


Zufolge  Ausschußbeschlusses  werden  die  früher  erschienenen  Publi- 
kationen des  Historischen  Vereines  für  Steiermark  durch  die  Vereinskanzlei 
(Landesar chiVy  Hamerlinggasse  3)  bis  auf  weiteres  zu  bedeutend 
herabgesetzten  Preisen  verkauft,  nämlich: 

1.  Mitteilungen    des   Historischen   Vereines    fOr   Steiermark, 

seit  1850.  Preis  per  Heft  60  Heller.  (Vergriffen  sind  Heft  1,  2,  3.  4. 
5,   10,  11,  12.  13.  17  und  18.)* 

2.  Beitrage   zur    Kunde   steierni9rkisclier  Gescliiclitsquellen, 

seit  1864.  Preis  per  Helt  60  Heller.  (Vergriffen  sind  Heft  6.  7.9.10,27.)* 

3.  Steirische  Zeitsclirift  fflr  Gesciiiclite,  l.  n.  und  m.  Jahrgang. 
1903 — 1905.  Preis  4  Kronen. ' 

4.  SteiermSrkisches  Landrecht  des  Mittelalters,  bearbeitet  von 
Br.  Ferdinand  Bisch  off,  Graz  1875.  Preis  l  Krone. 

5.  Urkundenbuch  des  Herzogtumes  Steiermark,  bearbeitet  von 

Dr.  Josef  von  Zahn,  I.  Band,  Graz  1875.  ^reis  5  Kronen;  IL  Band, 
Graz  1879»  Preis  4  Kronen;  HI.  Band.  Graz  1903.  ftir  Mitglieder 
8  Kronen.  Ladenpreis  14  Kronen. 

6.  Der  Historisclie  Verein  fOr  Steiermark,  sein  Werden  und  Bestand, 
von  Dr.  Fr.  Krön  es  Ritter  von  Marchland.  Preis  20  Heller. 

7.  Sigismund  Grafen  von  Auerspergs  Tagebuch  zur  Geschichte 

der  französischen  Invasion  voeq  Jahre  1797.  Veröffentlicht  von  Kratoch- 
will.  revidiert  und  mit  Erläuterungen  versehen  von  Dr.  Fr.  Krön  es 
Kitter  von  Marchland.  Separatabdruck  aus  dem  28.  Heft  der  ,,Mittei- 
lungen",  Graz  1880;  Preis  50  Heller. 

8.  Ober  das  angebliche  Turnier  von  1194  und  den  Tummel- 
platz zu  Graz*  Von  Dr  Josef  von  Zahn.  Separatabdruck  aus  dem 
35.  Hefte  der  ..Mitteilungen".  Graz  188 7.   Preis  50  Heller. 

9.  Die  Festversammlung  des  Historischen  Vereines  für  Steier- 
mark am  20«  November  1892  zur  Feier  der  700jährigen  Vereinigung 
der  Steiermark  mit  Österreich.  Preis  30  Heller. 

10.  Obersicht  der  in  den  periodischen  Schriften  des  Historischen 
Vereines  fflr  Steiermark  bis  einschließlich  1892  veröffent- 
lichten Aufsätze.  Preis  40  Heller. 


*)  Vergriffene  Hefte  werden  lurückgekauft. 


Inhalt  des  Heftes: 

Ignaz  Beck.  Oberst  Friedrich  Manc 

Karl  Lacher.  Die  Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Steiermark. 

J.  Loserth.  Das  Haus  Stubenberg  in  Böhmen« 

Karl  Reissenberger.    Die  deutschen  Besiedlungen  Siebenbürgens 

in  älterer  und  neuerer  Zeit 
Ferdinand  Strobl  v«  Ravelsberg.  Wallenstein  und  die  deutsche 

Armeesprache. 

Literaturberichte :  A.  Lang«  ActaSalzburgo-Aquilejensia.  (J.  L  o  s  e  r t  h.) 
K.  Schiffmann,    Dr.,  Archiv  ftlr  Geschichte   der   Diözese  Lmz. 

(M.  Doblinger.) 
F.  V.  Andrian,  Die  Altausseer.  (Dr.   KhuH«) 
St  Kekule  v.  Stradonitz,  Ausgewählte  Au&ttie  aus  dem  Gebiete 

des  Staatsrechtes  und  der  Genealoge.  (OTf  Khull.) 
A.  V.  PantZ|  Die  Innerberger  Hauptgewerkfchaft  (J.  Seh  mut) 
Styriaca  aus  den  Mitteilungen  der  Zentral-Kommission.  IV.  Band. 
Historischer  Atlas  der  Österreichischen  Alpenländer. 
Das  deutsche  Rechtswörterbuch.  (Dr.  E.  Freiherr  v.  KOnssbe r^  ) 
F.  Strobl  V.  Ravelsberg,  Metternich  und  seine  Zeit 
K.  Mayer,  Historische  Streifzüge  durch  Klagenfurt. 

Zeitschriflenschan. 

Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen. 

Vereinsnachrichten. 


Die  P.  T.  Mitglieder  werden  ersucht,  bei  ihren  Sonimeraufenthalten  oder 
Wanderungen  im  Lande  das  Interesse  des  Vereines  wahrzunehmen  durch 
Weckung  des  historischen  Sinnes  auf  dem  flachen  Lande,  durch  Werbung 
neuer  Mitglieder  und  Verbreitung  der  Vereinspublikationen. 


Drucker«!  „Leykam**,  Graz. 


IV.  JAHROANQ.  3.  UND  4.  HEFT. 


'i>l 


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ZEITSCHRIFT 


l  DES 

f 


HISTORISCHEN  VEREINES 

FÜR 

STEIERMARK. 


^^^ 


HERAUSGEGEBEN  VON  DESSEN  AUSSCHUSS. 


REDIGIERT  VON 

DR.  ANTON  KAPPER. 


GRAZ  1906. 

IN  KOMMISSION  DER  VERLAGS-BUCHHANDLUNG  „LEYKAM" 


Ml 


Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 


^^ 


ffSXMKL^ 


Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

Von  Franz  Ilwof.  * 


Es  ist  eine  gewiß  lobenswerte  Gepflogenheit  des  Historischen 
Vereines  für  Steiermark,  welche  er  seit  vielen  Jahren  als 
angenehme  Pflicht  vollzieht,  denjenigen  seiner  Mitglieder, 
welche  sich  um  ihn  verdient  gemacht  haben,  in  seinen  Ver- 
öffentlichungen nach  ihrem  Hinscheiden  Nachrufe  (Biographien, 
Nekrologe)  zu  widmen,  um  das  Andenken  an  ihr  Wirken  so 
lange  als  möglich  wachzuerhalten  und  sie  und  damit  auch 
sich  selbst  zu  ehren.  Es  geschah  dies,  so  lange  die  „Mit- 
teilungen** bestanden,  in  dem  eigens  zu  diesem  Zwecke  ge- 
gründeten „Gedenkbuch**  und  seither  in  der  „Zeitschrift**. 

Wenn  irgend  jemand  um  den  Verein  sich  ansehnliche 
Verdienste  erworben  hat,  außer  bedeutenden  Leistungen  auf 
<lem  Gebiete  der  Geschichte  der  Neuzeit  Vorragendes  auch  in 
der  Erforschung  und  Darstellung  der  Geschichte ;  der  Steier- 
mark geliefert  hat  und  daher  eine  eingehende  VVürdigung 
seiner  Person  und  seines  wissenschaftlichen  Wirkens  vollauf 
verdient,  so  ist  es  der  leider  zu  früh  Hingeschiedene,  dessen 
Name  an  der  Spitze  dieser  kleinen  Arbeit  steht,  der  aber  auch 
durch  seine  Betätigung  als  Lehrer  an  der  größten  Landes- 
mittekchule,  als  Leiter  der  großen  Landesbibliothek  am  Joan- 
neum  und  als  Professor  der  beiden  Hochschulen  unserer  Stadt 
unvergessen  bleiben  wird.  Diesem  Manne  also  sollen  die  fol- 
genden Zeilen  gewidmet  sein,  deren  Verfasser  dem  Verblichenen 
durch  vierzig  Jahre  als  Freund  und  durch  zwölf  Jahre  als 
Amtsgenosse  nahe  stand  und  der  deshalb  glaubt,  nicht  un- 
geeignet zu  sein,  ihm  Worte  des  Nachrufes  zu  widmen. 

1  Die  mit  eckigen  Klammern  [  ]  eingefangenen  Stellen  sind  will- 
kommene Ergänzungen  von  Herrn  kais.  Rat  Dr,  Anton  Kapp  er,  I.  Adjunkten 
Jes  stelermärkischen  Landesarchives,  einem  Schüler  und  Verehrer  Zwiedinecks. 

<4  8 


102  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst  wurde  als 
Sohn  des  k.  k.  österreichischen  Artillerie-Oberst  Ferdinand 
Zwiedineck  (am  25.  Juni  1854  niit  dem  Prädikate  Edler  von 
Südenhorst  in  den  Adelstand  erhoben)  am  14.  April  1845  zu 
Frankfurt  am  Main  geboren,  wo  der  Vater  als  Mitglied  der 
Militärkommission  beim  deutschen  Bundestage  zugeteilt  war; 
1848  abberufen,  machte  Oberst  Zwiedineck  den  Feldzug  in 
Ungarn  mit  und  stand  seit  1850  in  leitender  Stellung  in  der 
Armee  Radetzkys  in  Italien.  Da  erregte*  sein  offenes  rück- 
haltloses Auftreten  gegen  die  Fehlgriffe  und  Fahrlässigkeiten 
einiger  Vorgesetzten,  welche  ihm  im  artilleristischen  Wissen 
weit  nachstanden,  den  Unwillen  einer  damals  im  Artillerie- 
Oberkommando  herrschenden  einflußreichen  Clique,  gegen  die 
selbst  die  Anerkennung,  welche  ihm  von  seiten  Radetzkys  zu- 
teil wurde,  nicht  aufzukommen  vermochte.  Seine  Gegner  be- 
nützten die  Erkrankung  des  Kaisers  infolge  des  Libenyischen 
Attentates  und  erwirkten  die  Versetzung  des  Obersten  in  den 
Ruhestand.  Er  zog  sich  nach  Graz  zurück,  wohin  sich  seine 
Gemahlin  mit  den  Kindern  bereits  1848  begeben  hatte.  So 
wurde  Graz  und  die  Steiermark  unserem  Hans  v.  Zwie- 
dineck zur  vollen  Heimat,  daß  wir  ihn  als  unseren  echten 
und  rechten  Landesgenossen  betrachten  können. 

Hier  besuchte  er  das  Gymnasium,  an  dessen  Lehrer,, 
besonders  an  die  hier  wirkenden  Benediktiner  des  Stiftes 
Admont,  er  in  späteren  Jahren  noch  oft  dankbar  und  in 
freudiger  Rückerinnerung  dachte  und  dieser  in  lieben  Worten 
Ausdruck  gab.  Er  studierte  an  der  juridischen  Fakultät 
durch  vier  Semester,  [konnte  aber  dem  römischen  Rechte  kein 
Interesse  abgewinnen,  so  sehr  ihn  das  deutsche  Recht  anzog, 
was  auch  mitbestimmend  war,  daß  er  sich  ganz  der  Historie 
widmete]  und  an  der  philosophischen  Fakultät  wendete  er  sich 
sodann  dem  Studium  der  deutschen  Sprache  und  Literatur 
und  der  Geschichte  zu. 

Im  Jahre  1866  wurde  sein  Bruder  Hauptmann  Anton 
von  Zwiedeneck  in  der  Schlacht  bei  Königgrätz  schwer  ver- 
wundet; auf  diese  Nachricht  eilte  der  Vater  in  Begleitung^ 
seines  jüngsten  Sohnes  Hans  nach  Böhmen,  um  dem  Ver- 
letzten wenn  möglich  Hilfe  zu  bringen.  Sie  fanden  ihn  in  dem 
von  den  Preußen  besetzten  Orte  HorSiö  in  einem  Bauernhause. 
Nach  vielfachen  Mühen  gelang  es  ihnen,  die  Erlaubnis  zu  er- 
wirken, den  todkranken  Bruder  nach  Prag  zu  schaffen.  Oberst 

^  Wurzbach,  Biographisches  Lexikon  des  österreichischen  Kaiser- 
staates. Wien  1891.  LX,  337—341. 


Von  Franz  Ilwof.  103 

V.  Zwiedineck,  der  greise  Vater  mußte,  von  den  Anstrengungen 
erschöpft,  nach  Graz  zurückkehren.  Hans  blieb  in  Prag  und 
es  gelang  ihm  den  Schwerverwundeten  in  das  von  der  Gräfin 
Colloredo  errichtete  Spital  zu  bringen.  Erst  nach  vielen  Wochen 
war  er  so  weit  genesen,  daß  Hans  den  Bruder  nach  Graz 
geleiten  konnte,  wo  er  seitdem  bis  zu  seinem  Tode  als  Major 
in  Pension  lebte.  Hans  v.  Zwiedineck  erzählte  später  oft  von 
seinen  damaligen  Erlebnissen  mitten  im  feindlichen  Heere,  von 
den  Schwierigkeiten  trotz  Passierscheines  mit  dem  verwundeten 
österreichischen  Offizier  durch  die  preußischen  Vorposten  zu 
kommen  und  da  alles  Fuhrwerk  für  Kriegszwecke  requiriert 
war,  doch  noch  einen  Wagen  zum  Transport  des  Kranken 
aufzubringen. 

Im  Jahre  1 867  erlangte  Zwiedineck  die  philo- 
sophische Doktorwürde  und  trat  als  Aspirant  in  die  Landes- 
bibliothek am  Joanneum  ein.  Am  15.  April  1869  wurde  er 
zum  Supplenten  an  der  Landes-Oberrealschule  ernannt,  legte 
die  Lehramtsprüfung  für  Geschichte,  Geographie  und  deutsche 
Sprache  mit  günstigem  Erfolge  ab,  wurde  Lehrer  und  1873 
Professor  an  dieser  Lehranstalt.  Er  war  ein  geborener  Lehrer, 
warmer  Freund  der  Jugend,  ein  ausgezeichneter  Pädagoge 
aus  sich  selbst,  ohne  vorhergegangene  philosophische  und  päda- 
gogische Studien ;  er  war  es  nicht  nach  dem  Buche,  aus  dem 
Leben  heraus.  Rasch  hatte  er  die  Herzen  der  studierenden 
Jugend  gewonnen,  frisch  imd  frei  strömte  ihm  beim  Unter- 
richte das  Wort  von  der  Zunge,  stets  wußte  er  die  Auf- 
merksamkeit der  Schüler  zu  fesseln,  ihren  Eifer  anzuspornen ; 
an  den  Schulfesten,  an  den  Ausflügen  der  Schüler,  an  musika- 
lischen Aufführungen  derselben  nahm  er  stets  den  regsten 
Anteil,  ja  wirkte  dabei  meistens  als  Arrangeur  und  Leiter; 
kleine  Fehler  der  studierenden  Jugend  übersah  er,  gute 
Leistungen  wurden  von  ihm  immer  voll  anerkannt,  „wohl- 
wollend und  gerecht"  war  der  Leitstern  seines  Wirkens  als 
Lehrer,  so  daß  jetzt  noch  viele  seiner  einstigen  Schüler,  die 
mm  in  höheren  Lebensstellungen  sich  befinden,  ihres  einstigen 
edelgesinnten  und  hochgebildeten  Lehrers  sich  freudig  und 
dankbar  erinnern.  Nicht  bloß  Vermehrung  des  Wissens  bei 
seinen  Schülern,  auch  Bildung  des  Charakters,  Aneignung 
feiner  Lebensformen  war  sein  Streben,  das  auch  schöne  Er- 
gebnisse erzielte. 

Am  6.  Juni  1872  starb  Hans  von  Zwiedinecks  Vater 
der  Oberst  Ferdinand  von  Zwiedineck  (geb.  19.  Oktober  1791), 
was  den  Sohn  mit  tiefer  Trauer  erfüllte. 

8* 


104  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

Außer  seiner  unmittelbaren  Lehrtätigkeit  an  der  Landes- 
oberrealschule hatte  Zwi edineck  an  ihr  auch  als  Bibliothekar 
der  Lehrer-  und  Schülerbibliothek  und  der  Bücher-,  der  Lehr- 
und  Lemmittelsammlung  des  Unterstützungsvereines  für  dürf- 
tige und  würdige  Studierende  der  technischen  Landeshochschule 
und  Oberrealschule  höchst  ersprießlich  gewirkt.  Bei  dem  Schul- 
feste am  2.  Dezember  1873  zur  Feier  des  fünfundzwanzigsten 
Jahrestages  der  Thronbesteigung  des  Kaisers  hielt  er  eine  der 
Festreden.  Er  warf  einen  Rückblick  auf  die  Geschichte  Österreich- 
Ungarns  seit  dem  Regierungsantritte  des  Kaisers,  worin  er 
der  vielen  Hindernisse  gedachte,  welche  überwunden  werden 
mußten,  bis  es  gelang,  unter  der  Sonne  freiheitlicher  Einrich- 
tungen, als  deren  Schirmer  der  Monarch  sich  feierlich  erklärt 
hatte,  im  fünfundzwanzigsten  Jahre  seiner  Regierung  ein  Werk 
des  Friedens  ins  Leben  zu  rufen,  einen  Wettkampf  mit  allen 
Nationen  um  den  Vorrang  in  der  Verbreitung  des  materiellen 
Wohlstandes  und  der  geistigen  Blüte  (die  Wiener  Weltaus- 
stellung), den  die  Völker  Österreich-Ungarns  in  der  Hauptstadt 
des  Reiches  ehrenvoll  mitzukämpfen  sich  nicht  scheuten.  — 
Als  am  11.  April  1876  Anton  Alexander  Graf  Auersperg, 
der  Dichter  und  Staatsmann  in  Graz  seinen  siebzigsten  Ge- 
burtstag feierte,  wurde  ihm  vom  Lehrkörper  der  Landesober- 
realschule eine  Glückwunschadresse  überreicht,  welche  der 
Jubilar  huldvoll  und  dankend  entgegennahm  und  in  einer  An- 
sprache und  später  in  einer  Zuschrift  erwiderte.  Der  Verfasser 
dieser  glänzend  geschriebenen  Adresse  war  Zwiedineck.   — 

Auch  bei  der  Feier,  welche  am  24.  April  1879  ^^^ 
Anlaß  der  silbernen  Hochzeit  unseres  Kaiserpaares  von  den 
Landeslehranstalten  im  Landtagssaale  war  veranstaltet  worden, 
hielt  Zwiedineck  eine  der  Festreden.  Er  hob  hervor,  daß 
bei  diesem  Feste  alle  Völker  des  weiten  Reiches  von  inniger 
Vaterlandsliebe  beseelt  seien,  erörterte  dann,  was  man  unter 
Vaterlandsliebe  versteht,  daß  für  den  Österreicher  Patriotismus 
und  dynastisches  Gefühl  untrennbar  verbunden  sind,  daß  wir 
bei  unserem  Kaiser  das  alte  Österreich  finden,  dem  unsere 
Väter  gedient,  dem  sie  soviel  Liebe  und  Treue  erwiesen  und 
das  sie  auch  uns  lieben  lehrten;  in  diesem  Geiste  mögen  alle 
Völker  dieses  Fest  feiern  und  sie  mö^en  es  mit  ungeteiltem 
Jubel  in  alle  Welt  ertönen  lassen,  daß  Fürst  und  Volk  sich 
liebend  die  Hände  reichen  seht  hin  auf  ein  in  der  Freude 
einiges  Volk,  seht  den  würdigsten  Träger  der  herrlichsten 
Kronen,  vernehmet  die  Huldigung,  die  ihm  alle  zollen,  ver- 
nehmet  die  Rufe  der  Liebe,    des  Dankes,    die  von  Millionen 


Von  Franz  llwbf.  105 

Lippen  ertönen,  ohne  anderen  Antrieb,  als  das  eigene  Herz, 
vernehmet  es  und  —  lernt  den  Glauben  an  Österreich.  „Wir 
aber,  die  wir  in  diesem  Glauben  wirken  und  schaffen,  wie  es 
uns  mit  unseren  besten  Kräften  vergönnt  ist,  wir  deutschen 
Österreicher,  wir  wollen  eingedenk  sein,  daß  uns  unsere  Ab- 
stammung, unsere  Geschichte  und  die  Sitte  unseres  Volkes 
ein  Vorrecht  gewährt:  wir  werden  als  die  ältesten  Mannen, 
die  sich  zuerst  unter  allen  Völkern  des  Reiches  dem  Habs- 
burger gelobt,  den  Ehrenplatz  einnehmen,  wenn  es  gilt,  mit 
Schild  und  Schwert  dem  Feinde  ins  Auge  zu  blicken,  wir 
werden  als  die  letzten  und  immer  Getreuen  ausharren  an  der 
Seite  unseres  Kaisers  und  Herrn." 

Im  Jahre  1875  hatte  sich  Zwiedineck  als  Privatdozent 
für  neuere  und  neueste  Geschichte  an  der  Karl-Franzens- 
Universität  habilitiert  und  1880  wurde  ihm  vom  steiermärkischen 
Landesausschusse  die  Leitung  der  Landesbibliothek  am  Joan- 
neum  übertragen.  Als  er  infolgedessen  1881  von  der  Landes- 
oberrealschule schied,  bedauerten  der  Direktor,  die  Professoren 
und  die  Schüler  auf  das  lebhafteste  diesen  Verlust,  denn  er 
hatte  durch  zwölf  Jahre  als  vorzüglicher  Lehrer,  als  treuer 
Kollege,  als  Freund  der  studierenden  Jugend  von  allen  hoch 
geächtet;  von  den  Schülern  innigst  geliebt  an  ihr  gewirkt. 

Mit  Beschluß  des  steiermärkischen  Landesausschüsses 
vom  10.  Juli  1880  wurde  Zwiedineck  die  provisorische 
Leitung  der  Landesbibliothek  am  Joanneum  mit  allen  Rechten 
und  Verpflichtungen  eines  Bibliothekars  übertragen  und  am 
1.  August  trat  er  dieses  Amt  an.  Damit  war  ihm  ein  großes 
und  fruchtbares  Feld  zur  Betätigung  des  Organisationstalentes, 
das  er  in  hohem  Maße  besaß,  eröffnet.  Mit  Ende  1880  zählte 
diese  Bibliothek  80.410  Bände  und  Hefte,  bis  IQOO,  als 
Zwiedineck  als  Bibliothekar  in  den  Ruhestand  trat,  war  ihr 
Bücherbestand  auf  146.OOO  gestiegen.  Aber  nicht  bloß  diese 
Vermehrung  erfolgte  unter  seiner  Leitung,  auch  die  innere 
Organisation  der  ihm  anvertrauten  Bücherei  war  total  umge- 
staltet worden.  Schon  im  Jahre  1881  wurde  die  Bibliothek 
in  Hinsicht  auf  ihre  Bestimmung  und  innere  Entwicklung  auf 
eine  lieue  Grundlage  gestellt.  Da  die  technische  Hochschule, 
welche  aus  dem  Joanneum  hervorgegangen  war  und  in  innigem 
Zusammenhange:  mit  demselben  stand,  1874  vom  Staate  über- 
nommen wurde  und  eine  eigene  Bibliothek  erhielt,  entfiel  für 
die  Jöanneumsbibliothek  die  Notwendigkeit,  den  Professoren 
und  Hörern  derselben  ihre  Literatur  zu  beschaffen  und  kqnnte 
die  Lahdesbibliothek  ihrer  ursprünglichen  Bestimmung  wieder 


106  Hans  von  Zwiedineck-SOdenhorst. 

zugeführt  werden,  als  Fachbibliothek  für  die  Vorstände,  Be- 
amten und  Benutzer  jener  Musealabteilungen  zu  dienen,  welche 
im  Joanneum  vereinigt  sind  und  anderseits  eine  Bildungsanstalt 
für  die  gesamte  Bevölkerung  des  Landes,  auch  jene,  welche 
nicht  gelehrten  Berufszweigen  sich  widmen,  zu  sein.  Zwiedineck 
hatte  daher  in  Hinkunft  gewisse  Disziplinen  an  der  Bibliothek 
nicht  mehr  zu  pflegen,  andere  jedoch  nach  Maßgabe  ihrer 
Wichtigkeit  und  der  Zulänglichkeit  der  Mittel  zu  kultivieren. 
Hiezu  gehören  Geschichte,  Naturkunde,  Naturgeschichte,  Land- 
wirtschaft, Gewerbewesen,  Handel,  Hauswirtschaft,  Staatswissen- 
schaften, Soziologie,  Literatur  der  schönen  Künste,  Bibliotheks- 
kunde, Sammelwerke,  Enzyklopädien  und  Zeitschriften,  soweit 
sie  auf  die  obengenannten  Disziplinen  Bezug  haben  und  in 
hervorragender  Weise  Styriaca. 

Ein  zweites  glänzendes  Ergebnis  für  die  Landesbibliothek 
im  Jahre  l88l  war  das  großartige  Vermächtnis,  welches  der 
k.  k.  Oberfinanzrat  und  Gutsbesitzer  Dr.  Franz  Ritter  v.  Heintl 
in  Wien  ihr  hinterließ.  Er  bestimmte  in  seinem  Testamente, 
daß  seine  Bibliothek  dem  Joanneum  in  Graz  zufallen  solle. 
Zwiedineck  wurde  vom  Landesausschusse  mit  der  Inter- 
vention bei  der  Inventarisierung  und  Schätzung  und  mit  der 
Übernahme  des  Legates  betraut,  welche  Vorgänge  22  Tage 
in  Anspruch  nahmen  und  für  die  Bibliothek  einen  Zuwachs 
von  22.856  Bänden  und  Heften  ergaben,  und  zwar  durchaus 
wertvollen  Inhalts.  Nach  Graz  gebracht,  wurden  sie  der  Landes- 
bibliothek angereiht,  wodurch  dem  Leiter  derselben  und  seinen 
Beamten  groiSe  Arbeitslasten  erwuchsen,  die  jedoch  alle  in 
relativ  kurzer  Zeit  bewältigt  wurden. 

Für  den  70.  Jahresbericht  des  Joanneums  zu  Graz  über 
das  Jahr  1881  (Graz  1882)  lieferte  Zwiedineck  eine  biogra- 
phische Skizze  „Dr.  Franz  Ritter  v.  Heintl",  in  welcher 
er  das  Leben  und  Wirken  dieses  für  das  Joanneum  so  un- 
gemein wohlwollenden  und  großmütigen  Erblassers  entwarf, 
welche  mit  den  Worten  schließt:  „Am  5.  März  1881  verschied  der 
Mann,  der  es  wie  wenige  verstanden  hatte,  sein  Leben  durch 
geistige  Arbeit  und  durch  ein  offenes  Herz  für  alles,  was  den 
Menschen  erfreuen  kann,  genußreich  zu  gestalten.  Das  schönste 
Denkmal  hat  er  sich  selbst  errichtet  durch  die  Stiftung,  ver- 
möge welcher  seine  Büchersammlung  in  die  Landesbibiiothek 
am  Joanneum  übergegangen  ist,  wo  ihre  Benutzung  noch 
tausenden  Belehrung  und  künstlerische  Befriedigung  gewähren 
wird.  Das  Land  Steiermark,  dem  er  so  viel  Liebe  und  Dank- 
barkeit   entgegengebracht   hat,    erfreut   sich   durch    sein  Ver- 


Von  Franz  Ilwof.  107 

mächtnis  eines  kostbaren  Schatzes,  der  gewiß  dazu  beitragen 
kaiin,  anregend  und  fördernd  für  seine  Bewohner  zu  wirken. 
Dies  wird  um  so  sicherer  geschehen,  je  leichter  die  auf  nahezu 
ilO.OOO  Bände  angewachsene  BiWiothek  auch  den  außerhalb 
Graz  wohnenden  Literaturfreunden  zugänglich  gemacht  wird, 
je  eifriger  wir  an  der  Verwirklichung  der  Ideen  arbeiten,  von 
welchen  jetzt  die  Reformen  des  Bibliothekswesens  ausgehen 
und  die  in  dem  Bestreben  gipfeln,  die  öffentlichen  Bibliotheken 
nicht  nur  als  wertvolle  Sammlungen  zu  erhalten  und  zu  er- 
weitem, sondern  sie  zu  Bildungsanstalten  zu  machen,  welche 
das  Volk  in  seiner  Gesamtheit  in  Verbindung  bringen  mit  der 
geistigen    Arbeit  der  einzelnen,   die  sich  derselben  widmen.*' 

An  Zwiedineck  trat  nun  überhaupt  und  im  besonderen 
infolge  der  großartigen  Vermehrung  der  Landesbibliothek 
durch  Heintls  Vermächtnis  die  Notwendigkeit  der  Reorgani- 
sation der  unter  seiner  Leitung  stehenden  Bücherschätze  heran. 
Er  unternahm,  um  auf  diesem  Gebiete  Erfahrungen  zu  sammeln, 
eine  Studienreise  zur  Besichtigung  einer  Reihe  hervorragender 
Bibliotheken  des  In-  und  Auslandes  und  schritt  dann,  da  die 
noch  geltende  Instruktion  von  1866  längst  veraltet  war,  zur 
Abfassung  einer  neuen  für  die  Verwaltung  der  Bibliothek; 
zunächst  wurde  eine  neue  Signierung  vorgenommen  und  ein 
systematischer  Zettelkatalog  angefertigt.  Als  am  20.  Jänner  1882, 
dem  Tage,  an  dem  hundert  Jahre  vorher  Erzherzog  Johann 
das  Licht  der  Welt  erblickt  hatte,  in  Graz  eine  große  glänzende 
Festfeier  stattfand,  war  es  Zwiedineck,  der  in  Vertretung 
der  dem  Joanneum  angehörigen  Landesinstitute  die  Festrede 
hielt.  An  der  zur  Feier  der  Einführung  der  Buchdruckerkunst 
(1482)  in  Wien  veranstalteten  Ausstellung  von  Wiener  Drucken 
war  die  Joanneums-Bibliothek  mit  18  Werken  beteiligt. 

An  der  1883  in  Graz  veranstalteten  Ausstellung  kultur- 
historischer Gegenstände  zur  Feier  der  öoojährigen  Regierung 
des  Hauses  Habsburg  in  Steiermark  beteiligte  sich  die  Joanneums- 
Bibliothek  in  vortretender  Weise ;  sie  stellte  aus  a)  Druck- 
werke, welche  von  Steiermärkem  oder  in  Steiermark  her- 
gestellt wurden,  b)  Werke  hervorragender  Autoren,  welche 
entweder  aus  Steiermark  stammen  oder  eine  längere  Reihe 
in  Steiermark  gewirkt  haben,  c)  seltene  Druckwerke  aus 
steirischen  Bibliotheken,  d)  Manuskripte  und  Bucheinbände, 
e)  Auswahl  steirischer  Zeitschriften,  im  ganzen  Ql  Werke; 
die  Zeitungs-Sammlung  war  bis  auf  eine  Nummer  durchaus 
den  Beständen  der  Bibliothek  entnommen.  Bei  der  achttägigen 
Anwesenheit  Sn  Majestät  des  Kaisers  Franz  Jos^pfh  I. 


108  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

gelegentlich  dieser  Feier  in  Graz,  besuchte  der  Allerhöchste 
Herr  auch  die  Landesbibliothek,  wobei  Zwiedineck  die 
Ehre  der  Führerschalt  hatte.  Der  Kaiser  geruhte,  den  Aller- 
höchsten Namen  in  das  dort  seit  l8il  aufliegende  Gedenkbuch 
einzuzeichnen  und  sprach  sich  anerkennend  über  das  Gesehene  aus. 

Am  12.  Juli  1883  systemisierte  der  steiermärkische 
Landtag  die  Stelle  eines  Bibliothekars  am  Joanneum  und  der 
Landesausschuß  verlieh  sie  definitiv  am  16.  Juli  dem  bis- 
herigen provisorischen  Vorstande  v.  Zwiedineck. 

Im  Jahre  1884  gelang  es  ihm  die  längst  schon  dringend 
nötige  Vermehrung  der  Lokalitäten  zu  erreichen,  wodurch  es 
möglich  wurde,  die  Bibliothek  der  k.  k.  Hochschule,  welche 
noch  immer  durch  die  Vorstehung  der  Landesbibliothek  ver- 
waltet wurde,  in  einem  von  dieser  geschiedenen  Räume  auf- 
zustellen, den  Lesesaal  durch  Entfernung  von  Kästen  seiner 
ursprünglichen  Bestimmung  wiederzugeben  und  in  die  Auf- 
stellung der  verschiedenen  Abteilungen  der  Landesbibliothek 
bessere  Ordnung  zu  bringen.  Die  Bibliotheca  styriaca  erhielt 
ein  eigenes  Zimmer,  die  politischen  und  belletristischen  Zeitungen 
wurden  einer  besonderen  Sichtung  unterzogen  und  in  eigenen 
Räumen  untergebracht.  Für  die  Publikationen  der  Akademien 
und  wissenschaftlichen  Vereine  wurde  ein  eigener  Zettelkatalog 
angelegt. 

Als  im  Jahre  1887  die  k.  und  k.  Hoheiten  Kronprinz 
Erzherzog  R u d o  1  f  und  Kronprinzessin  Erzherzogin 
Stephanie  in  Steiermark  und  in  Graz  weilten,  wurde  am 
26.  Oktober  der  Joanneumsbibliothek  die  Ehre  Ihres  Höchsten 
Besuches  zuteil.  Die  Höchsten  Herrschaften  begaben  sich  in 
die  Räume  der  Landesbibliothek,  wurden  durch  Zwiedineck 
auf  die  dort  ausgestellten  Cimelien,  Inkunabeln,  steirischen 
Kostümbilder,  Ortsbilder  u.  dgl.  aufmerksam  gemacht  und 
trugen  Höchstihre  Nanien  in  das  schon  oben  erwähnte  Ge- 
denkbuch ein. 

Die  Bibliothek  der  k.  k.  technischen  Hochschule,  welche 
bisher  von  dem  Vorstande  der  Landesbibliothek  verwaltet 
worden  war,  wurde  1888  in  der  Stärke  von  7000  Bänden 
und  2600  Programmen  samt  allen  Katalogen,  Protokollen, 
Einrichtungen,  Drucksorten,  Repertorien  in  das  neue  Gebäude 
der  technischen  Hochschule  übertragen  und  dadurch  die  Laiides- 
bibliothek  einigermaßen  entlastet. 

Im  Sommer  des  Jahres  1889  wurden  im  Joanneums- 
gebäude große  Adaptierungen  vorgenonlmen ;  wesentliche 
Änderungen    in    der  Einrichtung    der   Bibliothek   hinsichtlich 


Von  Franz  Ilwof.  10^ 

der  Leseräume,  Kanzleien  und  Bücherdepots  —  allerdings 
immer  noch  ein  Provisorium  bis  zu  dem  bereits  beschlossenen 
Anbau  eines  Südflügels  an  das  alte  Joanneumsgebäude  für  die 
definitive  Unterbringung  der  Bücherschätze.  Bücherdepots,  so- 
dann Lesesäle  und  Kanzleien  in  lichten  Zimmern  wurden  ge- 
wonnen. Sieben  Säle  mit  zirka  70.OOO  Bänden  mußten  ge- 
räumt und  in  den  neuen  Lokalitäten  aufgestellt  werden  — 
alles  über  Anordnung  und  unter  Leitung  Zwiedinecks. 

Die  Adaptierungsarbeiten  wurden  189O  fortgesetzt;  der 
große  Büchersaal  und  drei  Zimmer  mußten  gänzlich  geräumt, 
45.000  Bücher  wieder  provisorisch  untergebracht  werden  und 
dennoch  wurden  nur  zweimal  auf  je  vier  Tage  die  Lesezimmer 
gesperrt. 

Im  Herbste  1890  und  im  Frühjahre  i8q2  hatte  Zwie- 
di  n  e  c  k  abermals  Studienreisen  unternommen,  um  die  modernen 
Bibliotheksanlagen  zu  Leipzig,  Halle,  Göttingen,  Hamburg, 
Kassel,  Karlsruhe,  Stuttgart,  Frankfurt  am  Main,  Köln  und 
Leyden  kennen  zu  lernen  und  gegebenenfalls  die  dort  be- 
stehenden Einrichtungen  auch  in  Graz  in  Anwendung  zu 
bringen.  In  Leyden  wurde  das  von  dem  Oberbibliothekar 
W.  H.  du  Rien  durchgeführte  System  des  gedruckten  Zettel- 
kataloges  eingehend  untersucht,  als  nachahmenswert  erkannt 
und  sodann  an  der  Joanneumsbibliothek  in  Verwendung  ge- 
bracht. 

Über  'Anregung  von  seiten  des  Statthalters  und  des 
Landeshauptmannes  von  Steiermark  wurden  zwischen  der 
Regierung  und  dem  Landesausschusse  Verhandlungen  einge- 
leitet über  die  Frage,  ob  eine  Vereinigung  der  beiden  in  Graz 
bestehenden  großen  öffentlichen  Bibliotheken,  der  der  Uni- 
versität und  der  des  Joanneums  ausführbar  wäre;  Zwie- 
d  i  n  e  c  k  arbeitete  einen  Organisationsentwurf  hierüber  aus,  der 
akademische  Senat  und  der  Landesausschuß  stimmten  dem 
Projekte  zu,  eifrig  wurde  darüber  zwischen  diesem  und  der 
Regierung  verhandelt,  das  Ministerum  stellte  jedoch  dem  Lande 
Steiermark  unannehmbare  Bedingungen,  damit  war  die  An- 
gelegenheit erledigt  und  jede,  weitere  Erörterung  der  Ver- 
einigimgsfrage  zwecklos. 

Im  Sommer  1892  wurde  in  Wien  eine  internationale 
Ausstellung  für  Theater-  und  Musikwesen  veranstaltet;  Zwie- 
d in  eck  wurde  vom  Ausstellungskomitee,  zum  Ausstellungs- 
kommissär für  Steiermark,  Kärnten,  Krain,  Triest  und  Görz 
bestellt;  dadurch  hatte  er  Gelegenheit,  die  in  den  inneröster- 
reichischen  Ländern    vorhandenen    Sammlungen,    welche    die 


110  Hans  von  Zwiedincck-Südenhorst. 

Geschichte  des  Theaterwesens  in  diesen  Ländern  betreffen, 
kennen  zu  lernen  und  zu  würdigen.  Er  sammelte  für  die 
Ausstellung  in  Wien  ein  reiches  Material,  das  jedoch  dort  nur 
2um  Teile  wegen  Mangels  an  Raum  verwendet  werden  konnte. 
Hingegen  veranstaltete  er  Ende  Oktober  1892  in  den  Räumen 
der  Bibliothek  eine  Spezialausstellung  für  innerösterreichisches 
Theaterwesen,  welche  sich  trefflich  präsentierte  und  zahlreich 
besucht  wurde. 

In  diesem  Jahre  (l8g2)  wurde  auch  der  Neubau  der 
Bibliothek  bis  auf  einige  innere  Herstellungen  vollendet  imd 
1893  konnte  die  Übertragung  und  Neuaufstellung  des  Bücher- 
bestandes im  Neubau  vorgenommen  werden.  Es  war  dies  eine 
schwierige  und  sehr  komplizierte  Arbeit,  denn  es  mußten  bau- 
liche Rekonstruktionen  vorgenommen,  Bücherrepositorien  ge- 
leert, diese  zerlegt  und  teilweise  umstaltet  wieder  aufgestellt 
und  mit  Büchern  gefüllt  werden.  Eine  Neusignierung  nach 
dem  numerus  currens  fand  statt,  wobei  sich  die  Zahl  von 
127.633  Bänden  ergab.  Fünf  Beamte,  drei  Diener  und  vier 
Träger  arbeiteten  daran  unter  Zwiedinecks  Leitung  von  An- 
fang Juni  bis  Ende  Oktober.  Gleichzeitig  wurde  eine  Hand- 
bibliothek, die  am  häufigsten  im  Lesesaale  gebrauchten  Werke 
enthaltend,  ausgesondert,  signiert,  katalogisiert  und  aufgestellt. 
Die  Bibliotheken  mehrerer  wissenschaftlicher  Vereine,  so  des 
Vereines  der  Ärzte,  der  Sektion  Graz  des  Deutschen  und 
Osterreichischen  Alpenvereines  und  des  steiermärkischen  Lehrer- 
bundes unter  Wahrung  des  Eigentumrechtes  jener  Vereine 
übernommen  und  in  der  Landesbibliothek  aufgestellt.  Zwie- 
d i n e  c k  arbeitete  sodann  den  Entwurf  der  „Bestimmungen 
für  dieBe  nützung  der  steiermärkischen  Landes- 
bibliothek" aus,  der  vom  Kuratorium  des  Joanneums  durch- 
beraten und  vom  Landesausschusse  provisorisch  genehmigt 
wurde. 

Es  war  ein  großes  Stück  Arbeit,  was  mit  all  dem  war 
geleistet  worden  [und  für  sein  persönliches  Wesen  ist  es  kenn- 
zeichnend, daß  er  bei  den  großen  Übersiedlungen  der  Bibliothek 
stets  selbst  mit  Hand  anlegte  und  so  dem  ganzen  Beamten- 
körper mit  mustergültigem  Eifer  voranging;  8  bis  10  Stunden 
im  Tage  Bücher  schleppen,  das  war  wahrlich  keine  kleine 
Arbeit].  Der  Landesausschuß  anerkannte  es  auch  vollauf 
und  richtete  am  l.  Dezember  1893  folgendes  Dankschreiben 
an  Zwi edineck. 

„Der  Landesausschuß  hat  in  seiner  heutigen  Sitzung 
einstimmig  beschlossen,  anläßlich  der  am   26.  v«  M.  erfolgten 


VoB  Fnnz  Ilwof.  111 

Eröffimng  d^  neuen  Landesbibliothdc  Euer  Wohl^boren  fär 
Ihre  bei  Verüaissung  des  Bauplanes  und  Durchführung  des 
Baues  bewiesene  Umsicht  und  Fachkenntnis  sowie  für  die 
Tatkraft,  mit  welcher  die  Umiaumun^  und  Neuauistellung  des 
Büchervorrates  in  kuixer  Zeit  bewältigt  worden  ist,  überhaupt 
für  die  unomüdliche  und  vom  besten  Erfolge  begleitete  Tätig- 
keit, die  Sie  hiebei  entfaltet,  seine  volle  Anerkennung  aus- 
zusprechen und  Euer  Wohlgeboren  zu  ersuchen,  auch  sämt- 
liche Ihnen  unterstehende  Herren  Beamten  von  der  Aner- 
kennung ihrer  angestrengten  Leistung^!  in  den  letzten  sechs 
Monaten  seitens  des  Landesausschusses  zu  v^ständigen.^ 

Als  am  26.  November  1893  bei  dem  alljährlich  statt- 
findenden Stiftungsfeste  des  Joanneums  —  am  26.  No- 
vember 1811  ist  die  Gründungsurkunde  des  Joanneums  von 
Erzherzog  Johann  ausgestellt  worden  —  gleichzeitig  die  re- 
organisierte Landesbibliothek  wieder  eröffnet  wurde,  hielt 
Zwiedineck  die  Festrede,  in  welcher  von  der  Geschichte 
der  Bibliothek,  dem  Neubau,  der  Aufstellung,  den  Katalogen 
und  der  Art  und  Weise  der  Benützung  ausfiihrlich  Bericht 
erstattet  wird. 

Im  Laufe  des  Jahres  1894  wurden  Vorarbeiten  für  ein 
Verzeichnis  der  Inkunabeln  und  Cimelien,  welche  in  den 
Schaukästen  aufgestellt  sind,  eingeleitet  und  die  Anlage  des 
Kataloges  der  Zeitschriften  und  Zeitungen  fortgesetzt.  Sowie 
im  Vorjahre  von  drei  Vereinen  übernahm  die  Landesbibliothek 
dieses  Jahr  die  Bücher-  und  Kartensammlung  des  steier- 
märkischen  Gebirgsvereines. 

Am  5.  Juni  1894  fand  die  feierliche  Eröff'nung  des 
kulturhistorischen  und  Kunstgewerbemuseums  statt,  welche 
durch  die  Anwesenheit  Sr.  Majestät  des  Kaisers  verherrlicht 
wurde.  Bei  dieser  Gelegenheit  besichtigte  Er  auch  die  Kanzlei- 
räume und  Lesesäle  der  Bibliothek,  nahm  mit  großer  Be- 
friedigung von  der  Meldung  Zwiedinecks  Kenntnis  über  die 
stets  wachsende  Benützung  der  Bibliothek  durch  das  Lese- 
publikum in  Graz  und  über  die  Einrichtungen,  die  getroff'en 
worden  sind,  um  die  Bestände  der  Bibliothek  allen  Bewohnern 
des  Landes  zugänglich  zu  machen ;  über  die  Anlage  des  wissen- 
schaftlichen Kataloges  nach  dem  Leydener  System,  von  dem 
einige  Proben  vorgezeigt  wurden,  sprach  sich  der  Kaiser  sehr 
anerkennend  aus.  Vor  dem  Verlassen  des  Institutes  trug  der 
Kaiser  Allerhöchst  Seinen  Namen  in  das  Gedenkbuch  des 
Joanneums  ein. 


112  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

In  den  Jahren  1895  bis  1900  wurden  die  Arbeiten  an 
den  Katalogen  eifrigst  fortgesetzt  und  bei  einzelnen  bereits 
beendet. 

Das  war  die  Wirksamkeit  Zwiedinecks  während 
der  zwanzig  Jahre,  in  welchen  er  an  der  Spitze  der  Landes- 
bibliothek am  Joanneum  stand.  Im  März  1900  richtete  er  an 
den  Landtag  das  Gesuch  um  Versetzung  in  den  bleibenden 
Ruhestand,  dem  auch  stattgegeben  wurde  und  in  den  er  am 
1.  Jänner  1901  trat.  Er  schied  damit  aus  seiner  Tätigkeit,  die 
reich  an  Arbeit  und  an  Erfolgen  war.  Seinem  Amte  war  er 
voll  gewachsen^  „ebenso  durch  die  Sorgfalt,  die  er  den  Einzel- 
heiten der  Verwaltung  angedeihen  ließ,  als  durch  den  weiten 
Blick,  mit  dem  er  das  ganze  umfaßte.  Als  den  Hauptzweck 
einer  so  erweiterten  und  in  ihrem  Werte  gesteigerten  Bücher- 
sammlung, wie  sie  das  Land  nun  besaß,  erkannte  er  die 
weitestgehende  Benützung  derselben.  Darauf  war  nun  seine 
ganze  Mühewaltung  gerichtet.  Wenn  Steiermark  heute  eine 
Landesbibliothek  besitzt,  die  nicht  nur  an  Reichhaltigkeit, 
sondern  auch  durch  die  Art  ihrer  Wirksamkeit  als  ohne- 
gleichen in  den  österreichischen  Provinzen  gilt,  so  ist  das 
letztere :  die  Art  ihrer  Wirksamkeit  zum  nicht  geringen  Teile 
das  Verdienst  Professors  von  Zwiedineck.  Durch  ihn 
ward  der  hohe  Wert,  den  sie  für  die  Stadt  Graz  besaß,  ge- 
steigert zu  einem  höheren  Werte,  den  sie  nun  für  das  ganze 
Land  Steiermark  einnehmen  sollte  und  wirklich  auch  bald 
einnahm.  Denn  von  nun  an  flössen  die  Bücherschätze  durch 
die  Leitungen  der  Schulen  wie  aus  einem  unerschöpflichen 
Born  nach  allen  Richtungen  des  Landes.  Kein  Schullehrer, 
kein  Jugendbildner,  auch  in  dem  entlegensten  Gebirgsdorf  in 
Steiermark  war  von  der  Wohltat  ausgeschlossen,  vom  Quell 
aller  Bildung  schöpfen  zu  dürfen,  von  der  Bibliothek,  die  den 
Menschengeist  der  Vergangenheit  und  Gegenwart  in  Wissen- 
schaft, Kunst  und  Poesie  in  sich  vereinigt.  Jetzt  erst  wurde 
sie  zur  echten  und  rechten  Landesbibliothek  und  zinste  der 
ganzen  Steiermark  geistig  reichlich.  Weil  sie  somit  auch  zu 
einer  edlen  Volksbibliothek  geworden  ist,  hat  sie  den  Adel 
ihrer  wissenschaftlichen  Bedeutung  nicht  im  geringsten  ein- 
gebüßt. In  ihrer  Freigebigkeit,  in  der  Art,  ihre  Mittel  allen 
zugute  kommen  zu  lassen,  die  deren  bedurften,  darin  zeigte 
sie  sich  vornehm,  nicht  aber  in  der  Ausschließung  der  Belle- 

1  LXXXIX.  Jahresbericht  des  steiermärkischen  Landesmuseums  Joan- 
neum über  das  Jahr  1900.  Herausgegeben  vom  Kuratorium.  Graz  1901. 
S.  48—50. 


Von  Franz  Ilwof.  113 

tristik  als  ünterhaltungslektüre,  wie  es  in  den  nur  wissen- 
schaftlichen Bibliotheken  gehandhabt  werden  muß.  Auch  die 
Belletristik  gehört  der  Kultur  einer  Zeit  an  und  was  ihr  jetzt 
abgesprochen  wird,  gewinnt  sie  nach  Jahren  doppelt  und 
mehrfach  zurück :  die  wissenschaftliche  Bedeutung.  Und  durch 
die  Vereinbarung  mit  dem  Museumvereine,  die  auch  zu 
Professor  von  Zwiedinecks  Verdiensten  gehört,  werden  die 
Kosten  der  Werke  aus  der  schöngeistigen  Literatur  vielfach 
bestritten  mittelst  der  Beiträge,  die  der  genannte  Verein  zu 
diesem  Zwecke  der  Landesbibliothek  zur  Verfügung  stellt." 
„Daß  das  ganze  Land  Steiermark  die  Bedeutung  seiner 
Bibliothek  voll  anerkannte,  geht  daraus  hervor,  daß  es  durch 
seine  Vertreter  die  Zustimmung  aussprach,  ihr  ein  neues,  den 
gesteigerten  Anforderungen  entsprechendes  Heim  zu  erbauen 
und  die  oberste  Verwaltung,  der  Landesausschuß,  den  Bau 
nach  allen  zeitgemäßen  Ansprüchen  zur  Ausführung  brachte. 
Sowohl  an  den  Vorarbeiten  zur  Bauanlage,  als  auch  nach 
Vollendung  des  Gebäudes  an  dessen  innerer  Ausstattung  be- 
teiligte sich  Professor  vonZwiedineck  mit  Rat  und  Tat.  Auf 
seine  Veranlassung  wurde  auch,  der  gesteigerten  Bedeutung 
der  Landesbibliothek  gemäß,  der  Beamtenstand  vermehrt  und 
die  Dotation  erhöht.  Die  Neusignierung  und  Neuaufstellung  des 
gesamten  Bücherbestandes  war  das  Ergebnis  seines  wohl- 
erwogenen Entschlusses,  die  praktische  Bedeutung  der  neuen 
Bibliothek  über  alles  andere  zuhöchst  zu  stellen.  Dieser  Er- 
wägung gemäß  wurde  das  sogenannte  wissenschaftliche  System 
in  der  Aufstellung  der  Bücher  aufgehoben  und  dafür  um  so 
gründlicher  und  folgerichtiger  den  Katalogen  einverleibt:  das 
Äußere  wurde  damit  ins  Innere  getragen  und  das  notwendig 
Schematische  in  eine  vergeistigte  Form  umgewandelt.  Die 
Rechtfertigung  dieser  Umgestaltung  hat  Professor  von  Zwie- 
d  i  n  e  c  k  selbst  in  einer  von  ihm  verfaßten  verdienstvollen 
Schrift  dargestellt,  deren  voller  Titel  lautet:  „Die  steier- 
märkische  Landesbibliothek  am  Joanneum  in  Graz.  In  ihrer 
geschichtlichen  Entwicklung  und  neuen  Einrichtung  aus  An- 
laß der  Eröffnung  des  neuen  Bibliotheksgebäudes  am  26.  No- 
vember 1893  geschildert.**  In  der  Geschichte  dieses  für  alle 
Klassen  der  Bevölkerung  segensreichen  Landesinstitutes  wird 
somit  Professor  von  Zwiedineck  stets  eine  hervor- 
ragende Stellung  einnehmen.  Alle,  die  künftig  berufen  sein 
werden,  in  dem  gleichen  Amte  zu  wirken,  wie  er,  werden 
nicht  anders  können,  als  in  seinem  Geiste  die  praktische  Be- 
deutung der  Bibliothek,  die  die  Frucht  der  wissenschaftlichen 


114  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

ist,  ZU  pflegen,  und  durch  Zugänglichkeit  und  Erschließung 
der  Bücherschätze  Kunst  und  Wissenschaft,  Bildung  und  Er- 
kenntnis, und  somit  die  höchsten  geistigen  Güter  des  Menschen 
im  ganzen  Lande  Steiermark  zu  verbreiten." 


Nachdem  Zwiedineck  an  der  Landesoberrealschule 
zwölf  Jahre  und  an  der  Bibliothek  am  Joanneum  zwanzig 
Jahre  im  Dienste  des  Landes  Steiermark  gestanden,  trat  er  in 
den  gewiß  wohlverdienten  Ruhestand ;  aber  nicht  um  fortan 
Ruhe  zu  genießen,  sondern  um  sich  nun  ganz  seinen  akade- 
mischen Aufgaben  als  Professor  der  neueren  und  neuesten 
Geschichte  an  der  Universität  und  seinen  wissenschaftlichen 
Arbeiten  widmen  zu  können.  1880  war  er  zum  Ehrenmitglied  e 
der  Historischen  Gesellschaft  in  Berlin  gewählt  worden,  1885 
hatte  er  den  Titel  eines  außerordentlichen  Universitätspro- 
fessors, 1898  den  eines  ordentlichen  erhalten,  am  29.  Mai  1906 
wurde  er  zum  korrespondierenden  Mitgliede  der  kaiserlichen 
Akademie  in  Wien  erwählt  luid  im  Juli  I906  zum  wirklichen 
ordentlichen  Professor  an  der  Universität  in  Graz  ernannt. 

Seine  Vorlesungen  an  derselben  wurden  von  den  Studenten 
der  philosophischen  und  juridischen  Fakultät  zahlreich  be- 
sucht, und  auch  Männer  vorgerückten  Alters  des  Zivil-  und 
Militärstandes  wohnten,  je  nachdem  er  ein  interessantes  Thema 
behandelte,  den  Vorträgen  bei.  [Und  wie  konnte  er  vor- 
tragen! Er  saß  nicht  auf  dem  Katheder  und  las  aus 
einem  Manuskripte,  an  das  er  sich  ängstlich  anklammerte, 
oder,  wie  das  ja  auch  vorkommt,  aus  einem  Buche  seiner 
Zuhörerschaft  vor.  Nein,  er  trug  vor  und  ging  dabei  auf 
und  ab  oder  setzte  sich  seinen  oft  wenigen  Zuhörern  gegen- 
über auf  die  Bank,  ab  und  zu  einen  Blick  in  sein  Manuskript 
werfend,  ganz  erfüllt  von  dem  Gegenstande,  den  er  mit  Hin- 
gabe seiner  ganzen  Persönlichkeit  und  regen  Gestaltungsgabe 
den  Wissensdurstigen  plastisch  vor  Augen  zu  stellen  wußte. 
Im  „Taubenkogel"  war  es,  in  der  Hofgasse  im  l.  Stocke, 
dessen  einzigen  Raum  die  Geschichtswissenschaft  mit  der  Ger- 
manistik teilen  mußte  und  wo  auch  einträglich  auf  hohem 
Podium  das  Klavier  des  akademischen  Gesangvereines  Platz 
fand,  wo  jahraus  jahrein  Zwiedineck  von  3 — 4  Uhr,  oft  selbst 
der  Tertius  im  Collegium  die  Ergebnisse  seiner  Forschungen 
kundtat  und  häufig  der  Vortrag  in  ein  Zwiegespräch  zwischen 
Lehrer  und  Schüler   überging.    Ob   er   nun   die  Wallenstein- 


Von  Franz  Ilwof.  115» 

Kriege  und  die  Ergebnisse  der  neuesten  Forschungen  auf 
diesem  Gebiete  behandelte,  oder  mit  Eugen  v.  Savoyen  gegen 
die  Türken  zog,  den  Zuhörer  durch  die  Wirren  des  Erbfolge- 
krieges leitete  oder  auf  die  böhmisch-schlesischen  Schlacht- 
felder des  siebenjährigen  Krieges  führte,  die  Schrecknisse  der 
französichen  Revolution  schilderte  und  Europas  gewaltiges 
Ringen  gegen  Napoleons  Kraftgenie  und  die  endliche  Nieder- 
werfung desselben,  sich  und  die  Zuhörer  an  Deutschlands 
Befreiung  begeisterte,  oder  ob  er  Österreichs  Kämpfe  um  die 
Vorherrschaft  in  Italien  besprach  und  den  Bruderkampf  im 
Jahre  1866,  immer  wußte  er  die  Ereignisse  mit  solcher 
Lebendigkeit  zu  schildern,  wobei  ihm  ein  eigenes  Empfinden 
für  militärische  Dinge  zustatten  kam,  daß  der  Zuhörer  das 
Empfinden  hatte,  der  Mann  besitzt  neben  einem  eminenten 
Gedächtnis  eine  geradezu  plastische  Vorstellungskraft.  Hatte 
er  Akten,  Briefe  u.  dgl.  durchstudiert,  so  hatte  er  sie  auch 
schon  mit  allen  in  ihnen  niedergelegten  Lebensanschau unge» 
vor  seinen  Augen.  Und  weil  sie  so  lebendig  vor  ihm  standen,, 
haftete  auch  der  Inhalt  des  Durchforschten  so  fest  in  seinem 
Gedächtnisse. 

Eines  blieb  ihm  zeitlebens  versagt,  wonach  er  sich  so- 
sehr gesehnt  hatte:  ein  Seminar,  in  dem  in  persönlicher  Aus- 
sprache mit  dem  Hörer  seine  Lehrtätigkeit  die  schönsten  Früchte 
getragen  hätte.  Und  so  suchte  er  sich  außerhalb  der  Univer- 
sität für  diese  vollkommenste  Art  der  Lehrtätigkeit  Ersatz 
zu  schaffen,  indem  er  mit  Hilfe  des  Aktenmateriales,  das  die 
historische  Landeskommission  verarbeitete,  eigene  Kurse  ein- 
richtete zur  Lesung  und  Erklärung  der  Akten  des  XVI. — XVIII. 
Jahrhunderts.  Jenem,  der  sich  ihm  anschloß,  eröffnete  sich  da 
im  trauten  Gespräche  der  ganze  Zauber  seiner  Persönlichkeit 
und  rührend  war  er  für  dessen  weiteres  Fortbilden  und  Fort- 
kommen  bedacht.  Oft  genug  betonte  er,  daß  er  seinen  Lehrern 
gegenüber  den  Vorwurf  erheben  müsse  —  er  tat  dies  ohne 
Bitterkeit,  wie  das  so  seine  Art  war  —  daß  seine  Studien^ 
förderung  am  Mangel  der  wissenschaftlichen  Grundlegung  litt. 
Er  wolle  nicht,  daß  auch  ihn  dereinst  ein  gleicher  Vorwurf 
treffen  könnte.  Er  hat  es  gefühlt,  daß  er  sich  in  einem  ganz 
anderen  Tempo  zu  jener  Stufe  wissenschaftlicher  Arbeit  empor- 
gefungen  haben  würde,  in  methodischer  Beziehung,  wie 
in  Hinsicht  auf  die  Gesamtanschauung  alles  historischen  Ge- 
schehens, wenn  er  Lehrer  gehabt  hätte,  die  sich  für  ihre 
Schüler  und  ihren  Werdegang  interessiert,  sich  ihrer  ange- 
nommen hätten.    Was  war  das  für  eine  historische  Schulung: 


H6  Hans  von  Zwiedineck-SödenhorsU 

an  einer  österreichischen  Universität,  wenn  die  Studenten 
nicht  einmal  erfuhren,  daß  es  in  Wien  ein  Institut  für  öster- 
reichische Geschichtsforschung  gibt. 

Die  Grazer  Universität  erlangte  endlich  ihre  so  dringende 
Ausgestaltung  und  als  sie  1896  den  Prachtbau  in  der  Halbärth- 
gasse  bezog,  mußte  auch  Zwiedineck  den  trauten  dämmerigen 
Winkel  im  Taubenkogel  verlassen.  Die  Anzahl  der  Hörer 
wuchs  bedeutend,  da  auch  viele  Juristen  seine  Vorlesungen 
besuchten  und  damit  schwand  auch  die  Intimität,  die  früher 
seine  Vorträge  so  anziehend  machte.  Diese  Intimität  fand  sich 
aberwieder  imKreisedes  akademischen  Historiker-Klubs,  zu  dessen 
treuesten  und  anhänglichsten  Mitgliedern  er  neben  Vater 
Krones  zählte.  Da  gab  es  keine  Veranstaltung,  wo  Zwiedineck 
nicht  dabei  war  und  vielfach  wirkte  er  selbst  bestimmend  auf 
Inhalt  und  Form  derselben.  Voll  köstlichen,  echten  Humors 
wurde  da  manch  heiteres  Wort  geprägt  und  flog  hinüber  und 
flog  herüber,  ohne  daß  er  je  eines  krumm  genommen  hätte. 
Duckmäuser  und  Streber,  die  den  Professoren  nachkriechen 
der  Prüfungen  willen,  die  vertrug  er  in  seinem  geraden  Sinne 
nicht.  Student  sein,  d.  h.  eine  harmonische  Mischung  von 
ernstem  Studium  und  heiterem  Lebensgenüsse,  das  war  seine 
Rede  und  ein  verzeihendes  Lächeln  hatte  er,  wenn  manchmal 
der  Becher  etwas  überschäumte,  er,  der  selbst  in  seiner  Jugend 
eine  scharfe  Klinge  führte  und  noch  als  gereifter  Mann  so 
gerne  die  bunte  Mütze  auf  sein  graues  Haupt  drückte]. 

Schon  frühzeitig  wendete  sich  Zwiedineck  literarischen 
und  journalistischen  Arbeiten  zu;  als  Jüngling  von  18  Jahren 
dichtete  er  ein  „Festgedicht  zur  Feier  der  Instal- 
lierung der  medizinischen  Fakultät  in  Graz, 
14.  November  1863"  ^^^  verfaßte  die  kulturhistorische 
Novelle:  „Der  Aufstand  der  steirischen  Herren  im 
Jahre  1291.  Graz  1863".  1868  und  1869  war  er  Redakteur 
der  von  Leopold  von  Sacher-Masoch  in  Graz  herausgegebenen 
„Monatshefte  für  Theater  und  Musik"  und  der 
„Österreichischen  Gartenlaube";  1869  und  1870 
Herausgeber  der  Zeitschrift  „Edelweiß";  im  Sommer  1871 
übernahm  er  die  Schriftleitung  der  von  der  Deutschen  Partei 
in  Steiermark  herausgegebenen  ,,Deutschen  Zeitung", 
Welche  er  bis  1872  führte  und  1868  war  die  Schrift:  „Die 
Aufgaben  und  Mittel  der  Musik.  Graz  1868"  er- 
schienen. Von  1870  an  waren  es  meist  wissenschaftliche  Ar- 
beiten, welche  aus  seiner  Feder  flössen;  im  Anhanj^e  sollen 
sie  soweit  als  möglich  vollständig  verzeichnet  und  im  folgenden 
teilweise  kurz  besprochen  werden. 


Von  Franz  Ilwof.  117 

Wenn  wir  Zwiedinecks  Forschungen  und  Darstel- 
lungen gruppieren  und  charakterisieren  wollen,  so  [sind  es 
verschiedene  Partien  der  neueren  und  neuesten  Geschichte, 
auf  welche  sich  seine  Arbeiten  erstrecken.  Er  behandelte  in 
mehreren   Schriften    die   Zeit   der   Gegenreformation    und    des 

XVII.  und  XVIII.  Jahrhunderts,  so  in  „Christian  der  Andere 
von  Anhalt",  in  dem  dessen  Beziehungen  zu  den  damals 
noch  größtenteils  evangelischen  Ständen  von  Steiermark,  Kärnten 
und  Krain  dargestellt  werden,  in  den  Biographien  „Ruprecht 
von  Eggenberg,  ein  österreichischer  Heerführer 
des  XVI.  Jahrhunderts",  in  der  des  „Haus  Ulrich 
von  Eggenberg"*,  des  Ministers  Kaiser  Ferdinands  II.  und 
Freundes,  dann  Gegners  Wallensteins,  der  auch  bei  dessen 
Katastrophe  eine  wichtige  Rolle  spielte,  sodann  in  den 
„Venetianischen  Gesandschaft sberichten  über  die 
böhmische  Rebeilion  l6l8  bis  1620"  und  über 
^jWallensteins  Feldzug  gegen  M  ans  fei  d".  Die  Ge- 
schichte der  religiösen  Bewegung  in  Inner- 
<3st erreich"  ist  ein  wertvoller  aus  den  Akten  geschöpfter 
Beitrag  zur  Geschichte  des  Protestantismus  in  Österreich  und 
zerfällt  in  die  zwei  Abschnitte:  „Religiöse  Unruhen  in  Steier- 
mark und  in  Kärnten  1731  bis  1736  und  die  Gegenreformation 
unter  Karl  VI."  und  „Konfessionelle  Wirren  in  Innerösterreich 
unter  Maria  Theresia",  worin  Zwiedineck  nachweist,  daß 
schon  bei  Karl  VI.  und  noch  mehr  bei  Maria  Theresia  die 
Verfolgung  der  Protestanten  viel  mehr  durch  politische  Inter- 
essen als  durch  religiöse  Beweggründe  veranlaßt  war,  daß 
auch  die  große  Kaiserin  in  ihrer  letzten  Zeit  sich  milderen 
Anschauungen  zuneigte;  aber  doch  erst  seit  Josephs  IL  Toleranz- 
patent wurde  der  Grundstein  zur  Freiheit  des  evangelischen 
Bekenntnisses  in  Österreich  gelegt.  —  In  dasselbe  Gebiet 
schlagen  ein:  „Innerösterreichische  Religionsgra- 
vamina  im  XVII.  Jahrhundert"  und  „Dorfleben  im 

XVIII.  Jahrhundert.  Kulturhistorische  Skizzen  aus 
Inner  Ost  er  reich".  Diese  Schrift  beruht  ganz  auf  den 
unmittelbaren  Quellen,  Briefen  und  Akten,  und  schildert  die 
Transmigration,  die  von  der  Regierung  erzwungene  Aus- 
wanderung der  protestantischen  Bauern  aus  Steiermark  und 
Kärnten  nach  Siebenbürgen,  das  Treiben  der  katholischen 
Missionäre  in  Innerösterreich  und  diesem  gegenüber  die 
Charakterfestigkeit  der  evangelisch  gebliebenen  Bauern,  die 
gedrückte  Lage  des  Bauernstandes,  den  Aufstand  der  Bauern 
ÄU  Millstatt  in  Kärnten   1735  bis  endlich  durch  Joseph  II.  Er- 


118  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

leichterungen  eintraten.  Ein  besonderes  Verdienst  erwarb  sich, 
Zwiedineck  dadurch,  daß  er  in  „Zeitungen  und  Flug- 
schriften aus  der  ersten  Hälfte  des  XVII.  Jahrhunderts" 
auf  die  Wichtigkeit  der  fliegenden  Blätter,  Einzeldrucke  und 
politischen  Broschüren  als  Quellen  der  Geschichte  des  XVII.  Jahr- 
hunderts aufmerksam  machte  und  die  in  der  Universitäts-  und 
Joanneumsbibliothek  und  im  Landesarchive  in  Graz  vorhan- 
denen bibliographisch  verzeichnete.  —  Ein  gleiches  dadurch 
daß  er  die  Durchforschung  der  Privatarchive,  besonders  die 
adeliger  Familien  nachhaltig  anregte  und  über  zwei  derselben 
eingehenden  Bericht  erstattete,  so  über  das  von  Steyersberg, 
aus  dem  sich  ergibt,  welche  reiche  Fülle  von  Urkunden  und  Akten, 
belangreich  für  die  Geschichte  von  Deutschland,  ()sterreich 
und  Steiermark  es  enthält,  und  über  das  von  Schloß  Feistritz 
bei  Ilz,  in  dem  sich  umfangreiche  Familienkorrespondenzen 
aus  dem  XVIII.  Jahrhundert  befinden,  welche  von  späteren  For- 
schem vortrefflich  benützt  werden  können  und  interessante 
Mitteilungen  über  die  sozialen  Zustände  in  Wien,  in  Inner- 
österreich, am  kurfürstlichen  Hofe  zu  Mainz,  über  die  Lebens- 
verhältnisse der  adeligen  Gesellschaft  auf  ihren  Gütern  und  in 
ihren  Stadtpalästen  und  Damenstiften  und  in  Klöstern,  im 
Felde  und  in  Friedensgarnisonen  und  wichtige  Materialien  für 
die  Geschichte  der  Familien  Lamberg  und  anderer  Geschlechter 
des  alpenländischen  Grundadels,  sowie  für  die  Landesgeschichte 
von  Salzburg,  Oberösterreich,  Steiermark,  und  Kärnten  ent- 
halten. In  der  Abhandlung  „Über  den  Versuch  einer 
Translation  des  deutschen  Ordens  an  die  ungar- 
ische Grenze"  legt  Zwiedineck  im  Detail  den  Plan  dar,, 
den  Kaiser  Maximilian  IL  gefaßt  und  1576  dem  Reichstage 
zu  Regensburg  vorgelegt  hatte,  zum  Schutze  gegen  die  Türken- 
den deutschen  Orden  an  die  ungarische  Grenze  zu  verpflanze» 
und  berichtet  über  das  Scheitern  desselben  —  er  wurde  vom 
Ordenskapitel  abgelehnt.  —  Nicht  minder  wertvoll  ist  die 
Untersuchung  über  „Die  Obedienz-Gesandtschaften 
der  deutschen  Kaiser  an  den  römischen  Hof  im 
XVI.  und  XVII.  Jahrhundert«.  — 

Besonders  intensiv  beschäftigte  sich  Zwiedineck  mit 
der  Geschichte  der  großen  altehrwürdigen  Lagunenstadt;  in 
„Die  Politik  der  Republik  Venedig  während! 
des  30jährigen  Krieges"  entwirft  er  auf  Grund  der 
Protokolle  der  Senatssitzungen,  des  Consiglio  dd  Pregadi  und 
des  engeren  CoUegio  von  S.  Marco  und  der  Berichte  der  am 
Icaiserlichen  Hof  akkreditierten   venetianischen  Gesandten  und 


Von  Franz  llwof.  119 

Sekretäre  eine  eingehende  Darstellung  der  Politik  Venedigs 
von  der  Verschwörung  des  Jahres  1618  an  bis  zum  Falle  von 
Mantua  und  in  einer  eigenen  Abhandlung  spricht  er  von  „Graf 
Heinrich  Matthias  Thurn  in  Diensten  der  Republik 
Venedig."  Eine  glänzende  Monographie  ist  „Venedig  als 
Weltmacht  und  Weltstadt";  alles,  die  politische  Ge- 
schichte von  ihren  ersten  Anfängen  bis  zur  höchsten  Macht- 
entfaltung und  zum  allmählichen  Niedergang,  wo  die  Republik 
sich  den  veränderten  Zeitverhältnissen  nicht  mehr  anzupassen 
vermochte,  die  Kulturzustände  in  ihren  blendenden  Lichtseiten, 
denen  indessen  der  Schatten  nicht  fehlt,  die  wunderbaren 
Schöpfungen  menschlicher  Phantasie  und  Gestaltungskraft  in 
dieser  Aristokratie,  deren  schöne  Frauen  Tizians  Meisterhand 
herrlich  wiedergegeben  hat  —  all  das  schildert  Z wie di neck 
trefflich.  —  Und  in  ^Geschichte  und  Geschichten" 
unternimmt  er  es  „die  venetianische  Inquisition" 
darzustellen,  die^Sage  von  der  furchtbaren  Wirksamkeit  dieser 
Staatseinrichtung  zu  widerlegen  und  berichtet  über  ihren  Ur- 
sprung und  ihre  wichtigsten  Prozesse. 

Aus  derselben  Sammlung  heben  wir  noch  hervor:  „Die 
Unglückstage  von  Mantua^*,  worin  von  der  Eroberung 
dieser  Stadt  durch  die  Kaiserlichen  (1630),  ihrer  Plünderung 
und  der  Zerstreuung  der  in  ihrer  Art  einzigen  Kunstsammlung 
der  Gonzagas  erzählt  wird;  „Tu renne  und  die  Fronde" 
ist  eine  sehr  interessante  Darstellung  des  Verhältnisses  des 
großen  Feldherm  zu  Mazarin,  zur  Fronde  und  des  Anteils, 
den  er  an  der  Begründung  des  Königtums  in  Frankreich  nahm. 
In  „Die  Geschichte  der  Prinzessin  von  Ahlden", 
da*  unglücklichen  Kurprinzessin  Sophie  Dorothea  von  Han- 
nover und  des  Grafen  Philipp  Christoph  von  Königsmarck 
wird  nachgewiesen,  daß  der  Charakter  der  Fürstin  viel  besser 
gewesen,  als  man  bisher  annahm  und  daß  Schiller  in  dem 
Entwürfe  „Die  Prinzessin  von  Celle"  sie  viel  richtiger  gezeichnet, 
als  die  Historiker  vor  und  nach  ihm.  —  Im  spanischen  Erb- 
folgdoriege  nach  der  Schlacht  bei  Höchstädt  wurden  die  Söhne 
Max  Emanuels  von  Bayern  von  den  <)sterreichem  gefangen ; 
Zwiedineck  widerlegt  die  Fabel  von  der  unwürdigen,  ja  schimpf- 
lichen Behandlung  dieser  jungen  Witteisbacher  in  Österreich 
und  legt  dar,  daß  der  Kaiser  ihre  Erziehung  auf  das  genaueste 
und  gewissenhafteste  angeordnet  und  die  damit  betrauten 
Kavaliere  und  Priester  sie  ebenso  durchgeföhrt  haben ;  sie 
wurden  in  jeder  Beziehung  wie  die  Prinzen  des  dgenen 
kaiserlichen  Hauses  gehalten.   —   „Neue  Ergebnisse  der 

9* 


120  Hans  von  Zwiedineck-SOdenhorst. 

Wallensteinforschung"  schließen  mit  den  Worten: 
„Der  Mann,  den  der  Drang  nach  Erwerb  zum  Soldaten  ge- 
macht hat,  dessen  erstes  bedeutendes  Projekt  der  Überfall 
und  die  Brandschatzung  von  Venedig  war,  der  reichen,  aber 
damals  schon  für  die  Ruhe  Europas  ungefährlichen  Patrizier- 
stadt, jener  Großsprecher,  der  mit  seinen  Worten  den  Taten 
stets  weit  vorauslief,  der  Übermütige,  der  sich  in  einem  un- 
vernünftigen Luxus  gefiel  und  dabei  einen  schwunghaften 
Güterschacher  trieb,  den  unsere  Börsenjuden  bewundern 
könnten,  der  Wortbrüchige,  der  die  Freunde,  die  er  selbst  zu 
Vertrauten  und  Vollstreckern  seiner  geheimsten  Pläne  machte, 
auf  unverantwortliche  Weise  täuschte  und  zum  Narren  hielt 
—  der  hat  vom  deutschen  Helden  nichts  und  wird  sich  die 
Liebe  unseres  Volkes  nie  erwerben,  so  wenig  er  sie  je  be- 
sessen. —  Schiller  hat  dies  sehr  richtig  erkannt  und  mit  der 
Eingebung  des  Dichters  den  Charakter  Wallensteins  schon 
vor  hundert  Jahren  so  sicher  erfaßt,  wie  es  alle  historische 
Kritik  sicher  nicht  besser  imstande  war".  Der  Dichter  war 
auch  Seher. 

Sehr  beachtenswert  sind  die  „Kriegsbilder  aus  der 
Zeit  der  Landsknechte"  und  die  von  Adolf  Wolf  be- 
gonnene und  durch  dessen  Tod  unterbrochene  Geschichte 
„Österreichs  unter  Maria  Theresia,  Joseph  IL 
und  Leopold  II."  wurde  von  Zwiedineck  vollendet. 

Zahlreiche  am  Schlüsse  im  Verzeichnisse  genannte  Ab- 
handlungen lieferte  er  für  die  von  ihm  herausgegebene  „Zeit- 
schrift für  allgemeine  Geschichte",  für  Helmolts  Weltgeschichte 
schrieb  er  „die  Entstehung  der  Großmächte",  aus  dem  Archive 
des  Reichsverwesers  Erzherzoge  Johann  (jetzt  gräflich  Meran- 
sches  Archiv  in  Graz)  gab  er  „Eine  deutsch  -  österreichische 
Bundesakte**  heraus  und  lieferte  als  einen  Beitrag  zur 
deutschen  Verfassungsgeschichte:  „Österreich  und  der  öster- 
reichische Bundesstaat " . 

Biographische  Denkmale  widmete  er  Alfred  von  Ameth, 
Franz  von  Heintl,  Karl  Hillebrand,  Engelbert  Mühlbacher, 
Theodor  von  Sickel  und  Heinrich  von  Treitschke. 

Daß  er  auch  seine  Heimat,  die  Steiermark,  die  er  über 
alles  liebte,  in  den  Kreis  seiner  Forschung  zog,  ist  begreiflich 
und  wertvolle  Abhandlungen  hat  sie  ihm  zu  danken:  „Die 
Hochzeitfeier  Erzherzog  Karls  IL  mit  Marie  von  Bayern*', 
„Das  steirische  Aufgebot  von  1565",  „Beiträge  zur  Geschichte 
der  Verwaltung  aus  dem  Protokolle  der  Herrschaft  Hohen- 
wang",  „Die  Schlacht  bei  St.  Gotthard  1664",  „Die  Ostalpen 


Von  Franz  llwof.  121 

in  den  Franzosenkriegen'',  „Zur  Geschichte  des  ersten  Fran- 
zosen-Einfalls 1797',  »Die  politische  und  militärische  Bedeu- 
tung des  Voririedens  von  Leoben",  »Zur  Geschichte  des 
Krieges  von  1809  in  Steiermark*,  ^Das  Gefecht  bei  Sankt 
Michael  und  die  Operationen  des  Erzherzogs  Johann  in  Steier- 
mark 1809",  ^^Erinnerungen  aus  der  Franzosen- 
zeit", »Die  geschichtliche  Stellung  der  Steier- 
mark". Für  das  Kronprinzenwerk  „Die  österreichisch-unga- 
rische Monarchie  in  Wort  und  Bild",  schrieb  er:  j,Die 
Geschichte  der  Steiermark  von  1564  bis  zur 
Gegenwart",  und  der  Stadt,  in  der  er  erzogen  und  gebildet 
wurde,  studierte  und  sein  Berufsleben  fand,  widmete  er  eine 
Charakteristik  „Graz*^  und  schilderte  „Grazer  Feste  zu 
Zeiten  Erzherzog  Johanns". 

Seine  Stellung  am  Joanneum,  seine  Studien  über  die 
neueste  Geschichte  Österreichs  und  der  Umstand,  daß  das 
gräflich  Meransche  Archiv  in  Graz  ihm  zur  Benützung  offen 
stand,  führten  ihn  zu  Untersuchungen  und  Darstellungen  über 
Leben  und  Wirken  Erzherzogs  Johann  und  daraus  entsprang 
die  Monographie:  j,Erzherzog  Johann  von  Öster- 
reich im  Feldzuge  von  1809",  welche  aus  dem  oben- 
genannten Archive  und  aus  dem  k.  u.  k.  Kriegsarchiv  ge- 
schöpft, einen  höchst  wichtigen  Beitrag  zur  Kriegsgeschichte 
des  Jahres  1809  bildet  —  eine  Rechtfertigung  Erzherzogs 
Johann  gegen  die  Anschuldigung  der  verzögerten  Ankunft 
auf  dem  Schlachtfelde  von  Wagram,  welche  nicht  die  Schuld 
Johanns,  sondern  die  Erzherzogs  Karl  war,  der  seinem  Bruder 
zu  spät  den  Befehl  zukommen  ließ. 

Zwiedinecks  Hauptwerke,  die  ausführlichsten  und 
umfangreichsten,  sind  die  „Deutsche  Geschichte  im  Zeiträume 
der  Gründung  des  preußischen  Königtums"  in  zwei  Bän- 
den und  die  „Deutsche  Geschichte  von  der  Auflösung  des 
alten  bis  zur  Errichtung  des  neuen  Kaiserreichs  (1806 
bis  1871)"  in  drei  Bänden.  Beide  beruhen  nicht  auf  neuen 
Forschungen,  oder  wenn  —  nur  in  einigen  Teilen,  son- 
dern bringen  das  Ergebnis  der  bisherigen  Forschungen  in  ab- 
gerundeter und  vollkommen  gelungener  Darstellung.  Für  das 
erste  hat  sich  Zwiedineck  die  Jahre  1648  bis  1740  ge- 
wählt, obwohl  gerade  diese  Zeit  sehr  schwierig  zu  bearbeiten 
ist,  da  für  manche  in  sie  fallende  Ereignisse,  und  zwar  be- 
sonders für  die  Zustände  in  den  einzelnen  deutschen  Ländern 
noch  wenig  Vorarbeiten  vorliegen ;  es  war  viel  und  zerstreutes 
Material    beizubringen    und    diese  Menge   in    ein   gleichartiges 


122  Hans  von  Zwiedlneck-Südenhorst. 

Ganze  zu  verschmelzen,  was  er  auch  erreicht  hat.  Die  ge- 
druckte Literatur  wurde  in  reichem  Mafle  benutzt,  so  dafi 
das  Werk  die  Ergebnisse  der  bisherigen  historischen  For- 
schungen über  die  deutsche  Geschichte  von  1648  bis  1740 
darbietet  Wie  Zwiedineck  schon  früher  in  mehreren  klei- 
neren Abhandlungen  auf  die  Flugschriftenliteratur  des  XVII.  und 
XVIII.  Jahrhunderts  aufmerksam  gemacht  hat,  so  benützt  er 
diese  auch  hier  in  ausgiebiger  und  ersprießlicher  Weise.  Ebenso 
wie  die  kriegerischen  Ereignisse  werden  auch  die  diplomati- 
schen Verhältnisse  und  die  inneren  Zustände  trefflich  dar- 
gestellt. Als  Held  des  ersten  Bandes  tritt  der  große  Kurfürst 
hervor,  so  daß  man  diesen  Teil  des  Geschichtswerkes  nahezu 
als  eine  Apologie  des  Begründers  der  preußischen  Macht  be- 
zeichnen kann.  —  Im  zweiten  Bande  wird  von  dem  dritten 
Raubkriege  Ludwigs  XIV.  erzählt  und  von  den  Friedens- 
schlüssen zu  Ryswick  und  Karlowitz,  ein  Bild  des  deutschen 
Volkes  an  der  Schwelle  des  XVIII.  Jahrhunderts  nach  allen 
seinen  Beziehungen  entworfen,  sodann  die  Geschichte  des 
spanischen  Erbfolgekrieges  gegeben,  aus  der  wir  besonders 
die  glänzende  Schilderung  der  Taten  des  Prinzen  Eugen  von 
Savoyen  hervorheben,  und  zuletzt  ausführlich  über  die  Regie- 
rung des  letzten  Habsburgers,  Kaiser  Karls  VI,,  in  Österreich 
und  im  Deutschen  Reiche,  und  des  Vaters  Friedrichs  des 
Großen,  des  Königs  Friedrich  Wilhelm  I.  in  Preußen,  be- 
richtet. —  Als  Resultat  seiner  Forschungen  stellt  er  hin,  daß 
die  Errichtung  und  der  Ausbau  des  brandenburgisch  -  preußi- 
schen Staates,  die  Gründung  des  hohenzollerischen  Königtums 
das  für  die  deutsche  Geschichte  wichtigste  Ereignis  des  Zeit- 
raumes von  1648  bis  1740  ist;  er  verwahrt  sich,  daß  man 
seiner  Geschichtserzählung  politische  Tendenzen  unterschiebe 
und  aus  ihr  Anlaß  nehme,  ihm  seine  patriotische  Gesinnung 
abzusprechen.  „Ich  erzähle  als  Deutscher  für  Deutsche  und 
äußere,  was  ich  als  solcher  fühle  und  denke :  auf  die  Stellung 
des  kühlen  Beobachters  und  teilnahmslosen  Registrators  er- 
hebe ich  keinen  Anspruch.  Aber  ich  muß  mich  allen  Ernstes 
dagegen  verwahren,  daß  ich  wissentlich  und  absichtlich  un- 
gerechte Urteile  verbreite,  daß  ich  dies-  und  jenseits  der 
schwarzgelben  Grenzpfähle  verschiedenes  Maß  in  Anwendung 
bringe,  dort  ohne  Grund  lobe  und  hier  hämisch  tadle.  Ich 
kann  mich  allerdings  nicht  zu  jenen  österreichischen  Historio- 
graphen  rechnen,  die  in  der  Entstehung  des  preußischen  Staates 
ein  Attentat  auf  die  wohlerworbenen  Rechte  des  Hauses  Habsburg 
erblicken  und  von    einem  patriotischen  Schriftsteller  erwarten. 


Von  Franz  Ilwof.  12S 


1* 


» 


daß  er  in  den  Veränderungen  der  Machtverhältnisse  das  Werk 
des  Satans  erkenne.     Diese  Art  des  Patriotismus ver- 
stehe ich  nicht  zu  würdigen»  ich  halte  es  meinerseits  vielmehr 
y^            für  eine  patriotische  Pflicht  des  Geschichtsschreibers,  auch  auf 
die   Fehler    und    Mifigriffe    der    Staatslenker    aufmerksam    zu 
machen  und  nachzuweisen,   welche  Folgen  aus  denselben  für 
die  Gegenwart  erwachsen  sind." 
i                        Der    erste    Band    der    ^Deutschen   Geschichte   von    der 
P            Auflösung   des   alten  bis  zur   Errichtung   des   neuen  Kaiser- 
ji^            reichs  (l8o6   bis  1871)"  behandelt   die   Zeit   von   der  Grün- 
1'             düng  des  Rheinbundes   bis   zum  Ausgange  des  Wiener  Kon- 
i             grcsses  in   eingehender   kritischer  Darstellung,   der  zweite  be- 
^             ginnt  mit  der  Gründung   des  Deutschen  Bundes,   schliei3t  mit 
>'            dem  Frühjahr  1849   und   ist    außer  der  gedruckten  Literatur 
aus    der    Akten-    und    Briefsammlung    des    einstigen    Reichs- 
verwesers Erzherzog  Johann  (im  gräflish  Meranschen  Archive 
)h            zu   Graz    befindlich)    geschöpft.     Der    dritte   Band    behandelt 
^              Österreichs  Wiedergeburt   und  Preußens  Reformversuche   seit 
1 848/49,    die  Lösung    der    deutschen   Frage    1866    und    die 
^^,            Gründung    des    Kaisertums   der    Hohenzollem    1870/71;    das 
f              ganze  Werk   macht  den  Eindruck  ernster  Arbeit,  ist  mit  pa- 
S             triotischer  Wärme  geschrieben  und  der  kundige  aufmerksame 
s^^             Leser  gewinnt  den  Eindruck,  als  habe  Zwiedineck  das  Vor- 
bild Treitschkes  vor  Augen  gehabt. 

Des  zu  früh  Hingeschiedenen  letzte  Schrift  ist  die  Mono- 
graphie »Maria  Theresia",   in   der  er  das  Leben  und  Wirken 
I  von    ^Österreichs    bestem    Herrscher"    trefflich,    ja    teilweise 

^  glänzend  schildert. 

^  Außerdem  gab  Zwiedineck   in  den  Jahren   1884  bis 

i;  1888    bei  Cotta   in   Stuttgart   die  ^Zeitschrift   für  Allgemeine 

Geschichte,  Kultur-,  Literatur-  und  Kunstgeschichte",  5  Bände, 
f  der   letzte   unter   dem   Titel    ^Zeitschrift   für   Geschichte   und 

Politik*',   heraus    und   war    der   Herausgeber   und   Leiter   des 
ebenfalls  bei  Cotta  erscheinenden  großen  Sammelwerkes  „Biblio- 
[i  thek  deutscher  Geschichte'^,    für  welche  er  die  zwei  oben  be- 

sprochenen großen  Werke  ,  Deutsche  Geschichte  im  Zeitraum 
!  der  Begründung  des  preußischen  Königtums",    2  Bände,    und 

5^  ^Deutsche  Geschichte  von   der  Auflösung   des   alten   bis   zur 

Gründung  des  neuen  Reiches",  3  Bände,  verfaßte.  Endlich 
lieferte  er  durch  eine  Reihe  von  Jahren  die  Berichte  „Aus 
Österreich"  für  die  ,, Preußischen  Jahrbücher **,  welche  regel- 
mäßig in  jedem  zweiten  der  jährlich  erscheinenden  zwölf  Hefte 
«  dieser  Zeitschrift  erschienen. 


124  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

In  den  letzten  Jahren  arbeitete  er  im  Auftrage  der  Erz- 
herzoge Friedrich  und  Eugen  an  einer  großen  Biographie  des 
Erzherzogs  Karl,  des  Siegers  von  Aspern ;  sie  sollte  drei  Bände 
umfassen,  der  erste,  bis  1797  reichend,  ist  nahezu  vollendet 
und  für  die  folgenden  hat  Zwiedineck  bereits  reiches  Ma- 
terial, auch  aus  Archiven,  so  von  Wien,  Brüssel,  Paris, 
München  u.  a.  gesammelt. 

Zwiedineck  war  ein  Mann  von  außerordentlicher  Be- 
gabung, von  großem  Organisationstalente,  gewandt  in  Schrift 
und  Wort;  er  arbeitete  ungemein  leicht  und  schnell;  nur  da- 
durch ist  es  erklärlich,  daß  er  neben  der  jeden  stark  in  An- 
spruch nehmenden  Stellung  als  Vorstand  einer  großen  Biblio- 
thek eine  so  reiche,  forschende  und  darstellende  Tätigkeit 
entfalten  konnte.  Stets  wußte  er  seine  Gedanken  und  den 
Stoff,  der  ihm  vorlag,  vortrefflich  zu  gestalten,  in  Worte  zu 
kleiden,  er  war  gewissermaßen  ein  Meister  des  Stils.  Die  Ge- 
schichtschreibung betrachtete  er  nicht  bloß  als  eine  Wissen- 
schaft, auch  als  eine  Kunst;  jeder  Vortrag,  den  er  hielt  — 
er  war  auch  ein  Meister  freier  Rede  —  sei  es  auf  der  Lehr- 
kanzel, sei  es  in  einem  wissenschaftlichen  Vereine  oder  in  einer 
großen  Versammlung,  war  ebenso  wie  jeder  einzelne  Aufsatz 
und  jede  größere  Arbeit  ein  abgerundetes  Ganzes,  wohl  durch- 
dacht, klar  durchgeführt:  bei  allen  Ereignissen  und  Begeben- 
heiten, die  er  erzählt,  bei  allen  Zuständen,  die  er  schildert, 
sind  Ursachen,  Verlauf  und  Schlußergebnisse  umsichtig  heraus- 
gearbeitet, alles  ist  übersichtlich,  klar  gegliedert,  so  daß  Stu- 
dium und  Lektüre  aller  seiner  Arbeiten  nicht  bloß  Belehrung, 
sondern  vielseitige  Anregung  und  Vergnügen  darbieten. 

Mit  dem  Wirken  an  Bibliothek  und  Universität  und  mit 
seiner  Tätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Wissenschaft  sind  Z  w  i  e- 
dinecks  Leistungen  nicht  erschöpft.  In  den  letzten  zwei 
Jahren  seines  Lebens,  seit  dem  Tode  des  Professors  von 
Krones  trug  er  als  Honorardozent  Geschichte  an  der  techni- 
schen Hochschule  vor  und  seine  Vorlesungen  wurden  von 
vielen  Hörern  besucht.  —  Als  1883  ^as  600 jährige  Jubiläum 
der  Herrschaft  des  Hauses  Habsburg  in  Steiermark  zu  feiern 
unternommen  wurde,  schlug  Zwiedineck  in  dem  maßgeben- 
den Kreise  die  Veranstaltung  einer  kulturhistorischen  Aus- 
stellung vor;  sie  kam  zustande,  er  fungierte  in  ihr  in  der 
wichtigsten  und  schwierigsten  Stellung,  als  Sekretär;  sie  ge- 
lang glänzend.  Kaiser  Franz  Joseph  besuchte  sie  und  sprach 
sich  höchst  anerkennend  und  wohlwollend  aus.  Eine  sehr  er- 
freuliche   Folge   dieser  Ausstellung    war   das   kulturhistorische 


\ 


Von  Franz  Ilwof.  125 

Museum  am  Joanneum,    das  aus  ihr  hervorging  und  eine  der 

I  glänzendsten  Zierden   unserer  Stadt   und    unseres  Landes   ist. 

Das  Ritterkreuz  des  Franz-Josephs-Ordens,   womit  der  Kaiser 

}  Zwiedineck   auszeichnete,    war    der  verdiente  Lohn  seiner 

Mühen,  nachdem  er  schon  für  die  Schrift  über  Christian  von 
Anhalt  das  Ritterkreuz    des  Ordens  Albrechts  des  Bären  von 

^  dem  Herzoge  von  Anhalt  erhalten  hatte.     Am  29.  Mai   1906 

wurde   er   zum  korrespondierenden  Mitgliede  der  kaiserlichen 

I  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  gewählt. 

L  Der   Landeshauptmann    der    Steiermark   Gundaker   Graf 

'  Wurmbrand  äußerte  sich,    es    mag   1889  oder   1890  gewesen 

sein,  zu  Zwiedineck,  daß  die  innere  Geschichte  der  Steier- 

.  mark,  insbesondere  ihre  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte, 

f  bisher  nur  sehr  spärlich  bearbeitet  worden    sei;    auf  das    hin 

,  machte  Zwiedineck  den  Vorschlag,  eine  historische  Landes- 

kommission zur  Erforschung  und  Bearbeitung  dieses  Gebietes 

I  der  Landesgeschichte  ins  Leben  zu  rufen.    Wurmbrand  faßte 

diesen  Gedanken  in  seiner  bekannten  Tatkraft  rasch  auf,  be- 
schloß ihn  zu  verwirklichen,  erreichte  vom  Landtage  eine 
Subvention,  die  Kommission  wurde  1891  gegründet  und 
Zwiedineck  vom  Landesausschusse   zu  ihrem  Sekretär  be- 

\  stellt;   wie   sehr   diese  Schöpfung,    als   deren  Urheber  Zwie- 

dineck zu  betrachten  ist,  gedieh,  beweist  das  bereits  vor- 
liegende Ergebnis,  indem  seither  sechs  Bände  Forschungen 
zur  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte  der  Steiermark, 
23  Hefte  Veröffentlichungen  der  Kommission  erschienen  sind 
und  umfangreiche  Forschungen  und  Sammlungen  für  weitere 
Darstellungen  veranlaßt  und  großenteils  durchgeführt  wurden. 

f  Nicht  minder  eifrig  und  erfolgreich  wirkte  er  im  Histori- 

schen Verein  für  Steiermark.  Noch  als  Hörer  der  Rechte  trat 
er  ihm   1864  bei.     In   der  14.  Vierteljahrs  Versammlung  dieses 

)  Vereines  am  28.  April   1&74  hielt  er  einen  Vortrag:    ^Inner-^ 

österreichische  Religionsgravamina  im  XVII.  Jahrhundert", 
welcher   im  22.  Hefte   der  „Mitteilungen"    abgedruckt   wurde- 

)i  —  Als  der  Ausschuß  des  Vereines  in  der  Sitzung  vom  19.  No 

vember    1875    beschloß,    eine    Wanderversammlung   in    Mar" 

I  bürg  a/D.  abzuhalten,  wurde  Zwiedineck  in  das  zu  diesem 

L  Behufe  zusammengesetzte  Komitee  gewählt ;  die  Versammlung 

fand  am  4.  und  5.  Juni  1876  statt,  verlief  glänzend  und 
Zwiedineck  nahm  an  ihr  teil.  —  Er  war  auch  1877  Mit- 
glied des  Komitees  zur  Veranstaltung  einer  Wanderversamm- 

^  lung   in    Judenburg,    welche  jedoch   nicht    zustande   kam.  — 

Ebenso  gehörte  er  dem  Komitee  an,   welches  den  Antrag  zu 

) 


126  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

beraten  hatte,  betreffend  die  Veranstaltung  von  außerordent- 
lichen Versammlungen  in  den  Winterraonaten,  in  welchen  nur 
Vorträge  gehalten  werden  sollten.  —  Am  22.  Jänner  1878 
hielt  Zwiedineck  in  der  30.  allgemeinen  Versammlung  des 
Vereines  einen  Vortrag  „über  den  Erbhuldigungslandtag  von 
1564,  ein  Beitrag  zur  Verfassungsgeschichte  der  Steiermark"; 
am  15.  März  1879  ^^  ^^^  GeselÜgkeitsabende  des  Vereines 
einen  ^über  die  Gesandtschaftsreise  des  Freiherrn  Adam  von 
Herberstein  nach  Konstantinopel  im  Jahre  1608",  am  20.  De- 
zember 1879  einen  „über  den  Stand  der  Wallensteinfrage", 
wobei  eine  Übersicht  der  durch  Hallwichs  neueste  Publika- 
tionen gewonnenen  Resultate  für  die  Geschichte  von  1632 
bis  1634  gegeben  und  dabei  insbesondere  auf  die  Stellung 
des  Fürsten  Hans  Ulrich  von  Eggenberg  zu  Wallenstein  hin- 
gewiesen wurde.  —  Dem  Ausschusse  gehörte  er  schon  seit 
1877  an,  wurde  l88o  wieder  in  denselben  gewählt,  lehnte 
jedoch  1884  ^ine  Wiederwahl  wegen  Überladung  mit  Berufs- 
geschäften ab.  —  In  der  37.  Vierteljahrs  Versammlung  am 
28.  Oktober  1881  fand  Zw iedin eck s  Vortrag  über  „Franz 
Ritter  von  Heintl  und  sein  Vermächtnis  an  das  Joanneum** 
statt,  der  erweitert  im  70.  Jahresberichte  dieses  Institutes  ab- 
gedruckt ist.  —  In  der  Jahresversammlung  am  30.  Jänner 
1886  sprach  er  den  Wunsch  aus,  der  Historische  Verein  möge 
in  der  Angelegenheit  des  Landesmuseums  zur  Lösung  der 
Frage  die  entsprechenden  und  gedeihlichen  Schritte  unter- 
nehmen, worauf  der  Vereinsvorstand  erklärte,  daß  der  Aus- 
schuß die  Bedeutung  des  Landesmuseums  wohl  anerkenne 
und  hochschätze  und  in  der  nächsten  Ausschußsitzung  diesen 
Antrag  in  Beratung  ziehen  werde.  Dies  geschah  und  der  Aus- 
schuß faßte  den  Beschluß:  „In  Erwägung,  daß  der  Historische 
Verein  seit  seinem  35jährigen  Bestände  nach  seinen  besten 
Kräften  bemüht  war,  die  Sammlungen  des  Joanneums  —  ins- 
besondere die  Bibliothek  und  das  Münz-  und  Antikenkabinett 
—  durch  seine  Erwerbungen  zu  fördern  und  zu  bereichem, 
und  in  Erwägung,  daß  eine  wissenschaftliche  Benützung  der 
jetzt  schon  in  den  letzteren  und  in  den  Sammlungen  des 
Musealvereines  Joanneum  vorhandenen  Schätze  nur  durch  eine 
Umgestaltung  der  Landesmuseen  möglich  ist,  richtet  der  Verein 
an  den  Landesausschuß  die  Bitte,  er  möge  der  Reorganisation 
des  Landesmuseums  seine  vollste  Aufmerksamkeit  zuwenden, 
damit  diese  für  die  Wissenschaft  und  das  Land  Steiermark 
so  wichtige  Angelegenheit  sobald  als  möglich  in  gedeihlicher 
Weise  der  Lösung  zugeführt  werde."  —  In  der  Jahresversamm- 


Van  Franz  Ilwof.  127 

I  lung  vom  28.  Jänner  1889  hielt  er   einen  Vortrag  »übor  die 

Schlacht   von   St.  Gotthard  am  i.  August  1664",   als   dessen 
Veranlassung  er  einen  Prc^rammaufsatz  des  Gymnasiallehrers 
I  Wilhelm  Nottebohm   in  Berlin    bezeichnet,    der   sich   bemüht, 

I  die   Leistungen   des   diristlichen    Heeres   so   viel   als   möglich 

herabzusetzen  und  den  Nachweis  zu  liefern,  daß  die  Schlacht 
i  nicht  von  den  Christen  gewonnen,   sondern  von    den  Türköi 

freiwillig   abgebrochen   worden   sei,    was   Zwi edineck   aus 
I  den  Kriegsakten  des  steiermärkischen  Landesarchivs  entschieden 

i  widerlegt.    —    In    der   Ausschuflsitzung    vom    14.    Dezember 

!  1889  gab  Zwi  edineck  bekannt,  daß  es  bei  der  Umstaltung 

der   Kanzlei-    und   Leseräume    der  Landesbibliothek    möglich 
geworden  sei,  ein  besonderes  Lese-  und  Arbeitszimmer  für  den 
I  Historischen  Verein  herzustellen,  in  dem  sämtliche  vom  Vereine 

an  die  Bibliothek  abgelieferten  Publikationen,  soweit  sie  nicht 
schon  gebunden  sind,  aufliegen  und  lud  zur  Benützung  dieser 
j  neuen  Einrichtung  ein.     Der  Ausschuß  beschloß,    der  Biblio- 

theksverwaltung   seinen   Dank    für    diese   Einrichtung    auszu- 
sprechen. —    In   der  Vierteljahrsversammlung   vom   29.  April 
k  1890   hielt  Zwiedineck   einen  Vortrag    „über  das  Gefecht 

'  von  St.  Michael  am  25.  Mai  1809^.  In  der  49.  Jahresversamm- 

I  lung  am  30.  Jänner  1895  wurde  er  wieder  in  den  Ausschuß 

und  von  diesem  zum  Vereinsvorstande   gewählt.  —  Im  Jahre 
f  1895  feierte  der  Historische  Verein  für  Kärnten  in  Klagenfurt 

das  Fest   seines  50jährigen    Bestandes,    wozu   der  Historische 
Verein  für  Steiermark  geladen  wurde.  Der  Ausschuß  beschloß 
'  den  Vorstand  zu  ersuchen,  an  diesem  Feste  als  Vertreter  des 

steiermärkischen    Schwestervereines    teilzunehmen ,    was    auch 
f  geschah  und  worüber  er  in  der  Ausschußsitzung  am  25.  Ok- 

tober  1895  Bericht  erstattete.   Im  Jahre  1903  faßte  der  Aus- 
schuß über  Zwiedinecks  Antrag  den  Beschluß,  die  Reihe 
\  der    „Mitteilungen   des   Historischen  Vereins   für  Steiermark **, 

von  welchen  bis  dahin  50  Hefte  erschienen  waren,  zu  schließen 
und  statt  derselben  eine  „Steirische  Zeitschrift  für  Geschichte*' 
i  (seit    1906    unter    dem    Titel:    „Zeitschrift    des    Historischen 

'  Vereins   für   Steiermark")    herauszugeben    und    den  Titel    der 

„Beiträge  zur  Kunde  steiermärkischer  Geschichtsquellen**   vom 
I  XXXIII.  Jahrgange  (1904)    an    in   „Beiträge   zur  Erforschung 

'  steirischer    Geschichte**    zu    ändern.     Dieser    Beschluß    wurde 

durchgeführt.     Die   Zeitschrift    enthält    größere    und    kleinere 
Aufsätze    und    Abhandlungen,    und    zwar    nicht    nur    landes- 
f  geschichtliche,  sondern  auch  Erörterungen  verschiedener  Fragen 

aus    allen  Gebieten   der  Geschichte,  jedoch    mit  Bevorzugung 


128  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

solcher,  die  entweder  die  Steiermark  und  die  Alpenländer  un- 
mittelbar berühren  und  mit  ihren  politischen  und  Kultur- 
verhältnissen in  näherer  Verbindung  stehen,  dann  folgen 
Literaturberichte,  Nachrichten  aus  Archiven,  Vereinen,  Biblio- 
theken, Museen,  Personalien  und  ein  Fragekasten.  Die  Bei- 
träge sind  streng  wissenschaftlichen  Zwecken  gewidmet  und 
dazu  bestimmt,  neben  den  vom  Vereine  hiezu  gewählten  Auf- 
sätzen auch  die  Veröffentlichungen  der  Historischen  Landes- 
kommission  für  Steiermark  aufzunehmen,  was  schon  seit  dem 
Jabte  1896  infolge  eines  Abkommens  zwischen  Kommission 
und  Verein  geschieht,  welches  für  beide  günstige  Verhältnis 
hergestellt  zu  haben  ein  Verdienst  Zwiedinecks  ist.  — 
Am  2.  Dezember  1900  fand  die  Feier  des  50jährigen  Be- 
standes des  Historischen  Vereines  für  Steiermark  statt.  Z  w  i  e- 
d  in  eck  hatte  hiezu  die  Anregung  gegeben,  alle  Vorarbeiten 
geleitet  und  so  zum  glänzenden  Verlaufe  derselben  auf  das 
wesentlichste  beigetragen.  Sie  gelang  in  ausgezeichneter  Weise, 
fand  in  der  altehrwürdigen  Landstube  (dem  Sitzungssaale  des 
steiermärkischen  Landtages)  im  Landhause  statt,  und  was  man 
in  Graz  an  Autoritäten  und  Honoratioren  zählt,  vom  Statt- 
halter, Landeshauptmann,  Korpskommandanten  an,  wohnte  dem 
Feste  bei.  Zwiedineck  als  Vorstand  begrüßte  die  Fest- 
gäste, und  hielt  die  erste  Rede.  —  Der  Historische  Verein  für 
Steiermark  kann  mit  Freude  und  Stolz  auf  dieses  Fest  blicken. 
Es  war  daher  nur  ein  Akt  der  Gerechtigkeit  und  Dankbarkeit, 
daß  Herr  Prof.  Dr.  Ferd.  KhuU  in  der  Hauptversammlung  vom 
27.  Mai  1903  den  Antrag  stellte:  „Die  Vereins  Versammlung 
wolle  den  Vorstand  Herrn  Univ. -Prof  Dr.  Hans  von  Zwie- 
dineck-Südenhorst in  Anbetracht  seiner  großen  Ver- 
dienste um  den  Historischen  Verein,  dessen  Leitung  er  unter 
schwankenden  Verhältnissen  übernahm  und  durch  fünf  Jahre 
mit  großer  Aufopferung  führte,  in  dem  Zeitpunkte,  in  dem 
der  Verein  durch  wichtige  Änderung  seiner  Arbeiten  an  einem 
Wendepunkte  stehe,  zum  Ehrenmitgliede  ernennen*, 
welcher  Antrag  unter  allgemeinem  Beifall  angenommen  wurde. 
—  In  der  Hauptversammlung  des  Vereines  am  15.  März  1904 
legte  Zwiedineck  die  Stelle  als  Obmann  nieder,  da  er  eine 
Wiederwahl  im  Hinblick  auf  seine  wissenschaftlichen  Arbeiten 
in  den  nächsten  Jahren  nicht  annehmen  könne. 

[Für  den  Historischen  Verein  kommt  freilich,  abgesehen 
von  seiner  wissenschaftlichen  Bedeutung  und  wohl  mehr  noch 
als  diese  eine  andere  Seite  seiner  Begabung  besonders  in 
Betracht,  seine  organisatorische  Tätigkeit  und  vor  allem  seine 


^ 


Von  Franz  Ilwof.  129 

Lust  und  Freude  an  dieser  Arbeit.  Die  Anerkennung  seiner 
Verdienste  auf  diesem  Gebiete  nach  seinem  Tode  ist  ein  Lohn, 
den  er  im  Leben  nicht  voll  geerntet  hat,  wie  er  es  verdiente. 
Aber  um  Lohn  wars  ihm  nicht  zu  tun,  er  ist  immer  in  der 
Sache  aufgegangen.  Und  war  er  eine  Persönlichkeit,  die  m 
Verreinssachen  eine  scharfe  Klinge  schlug,  so  muß  man  immer 
seine  absolut  sachliche  Motivation  seines  Vorgehens  heran- 
ziehen, wenn  man  die  Schärfe  seines  Auftretens  richtig  wür- 
digen will.  Gerade  darüber  wissen  am  besten  diejenigen  Aus- 
kunft zu  geben,  die  Gelegenheit  hatten,  procul  negotiis  ihn 
über  diese  seine  außerordentlich  mühevolle,  zeitraubende  und 
im  Hinblicke  auf  persönliche  Gegnerschaften  selbstlose  Arbeit 
sprechen  zu  können. 

Aber  ein  Sinn  war  bei  ihm  über  alles  entwickelt,  der 
Gemeinsinn.  Daß  das  Land  Steiermark  in  Hinsicht  auf 
geschichtswissenschaftliche  Tätigkeit  die  Aufmerksamkeit  der 
Außenwelt  auf  sich  lenkte,  daß  es  die  achtungsvolle  Aner- 
kennung der  deutschen,  spezifisch  reichsdeutschen  Gelehrten- 
welt finde,  das  war  sein  Ehrgeiz  und  als  dies  erreicht  war, 
\  sein  Stolz.    Dieser  in  unserer  im  Grunde  noch  blutwenig  ge- 

meinsinnigen Gesellschaft,    in    unserer   zumeist  individual-kapi- 
talistischen  Zeit  so  seltene  Sinn  für  die  Geltung  des  Gemein- 
wesens verband  sich  aufs  innigste  mit  dem   auch  wieder  ihm 
^  eigentümlichen  Maße  von  Nationalismus.  Er  kannte  nur  jenes 

nationale  Selbstgefühl  als  berechtigt  an,  das  sich  aufbaute  auf 
positive  Arbeit,  auf  Kulturleistungen,  wie  sie  andere  Nationen 
p  nicht  aufzuweisen  vermögen.  Aber  nicht  nur  Kulturleistungen 

'  der  Vergangenheit   ließ   er  gelten,    sondern    er  forderte,    daß, 

'  wie  die  Väter,   auch   die  Söhne  ihre  Gegenwart  mit  achtung- 

gebietenden Leistungen  erfüllen.  Wie  er  es  selbst  gehalten,  so 
kann  und  konnte  es  freilich  nicht  von  allen  anderen  gefordert 
I  werden.  Arbeit  war  der  Inhalt  seines  Lebens.  Das  weiß  niemand 

1  so    sehr  wie   seine   nächsten    Angfehörigen    und    Freunde,    die 

[•  nicht  ohne  Sorgen  seine  nächtliche  Arbeit  Jahr  für  Jahr  und 

I  Tag  für  Tag  nach  9  Uhr   abends   bis    1   oder  2  Uhr  nachts 

!  beobachten    mußten.    Aber   er  verstand    es    auch  wie  wenige 

zu  genießen.    Auch  darin  war  er  gerade  das  Gegenteil   eines 
I  ßavaoao^.    In  der  letzten  Zeit  war  die  Arbeit  über  Erzherzog 

I  Karl  sein  Sorgenkind.    Da  gab   es  so  viele  Raupennester  von 

\j  Irrtümern,    die   er   zerstäuben  wollte.    Er  freute  sich  so  sehr 

auf  die  Veröffentlichung  verschiedener  scharfer  Polemiken  und 
)  das  lag  in  seinem  Innern  knapp  beieinander:    neben  grenzen- 

loser Güte  die  Freude,  mit  einem  scharfen  Wort  einen  wuch- 


130  Hans  von  Zwiedineck-SOdenhorst. 

tigen  Hieb  sitzen  zu  lassen.  Aber  den  Hauptinhalt  seiner  Be- 
ruli^edanken  bildete  in  letzter  Zeit  immer  mehr  sein  Lehramt. 
Und  eine  unsagbare  Tragik  liegt  darin,  daß  eine  grausame 
Naturgewalt  ihn  in  dem  Augenblicke  von  seinem  Posten  zerrt, 
da  er  vor  die  Tatsache  des  erweiterten  Wirkungskreises  nach 
namenlosem  schweren  Ringen  endlich  gestellt  war. 

Was  hätte  er  für  seine  Schüler  noch  wirken  wollen  und 
wirken  können!  Denn  hilfreich  und  gut  war  er  wie  wenige 
und  an  dem  „edel**,  das  Goethe  noch  für  das  Menschentum  for- 
dert, zweifeln  und    mäkeln  auch    seine  Gegner  nicht]. 

Zwiedineck  war  auch  Mitglied  der  in  Wien  seit  1891 
bestehenden  Kommission  für  neuere  Geschichte  Österreichs 
und  Mitglied  des  Ausschusses  der  zur  Unterstützung  der 
Arbeiten  dieser  Kommission  1904  ebenfalls  in  Wien  errichteten 
Gesellschaft  für  neuere  Geschichte  Österreichs,  in  welchen 
beiden  er  auf  das  eifrigste  tätig  war. 

Den  in  verschiedenen  Städten  Deutschlands  imd  Öster- 
reichs stattfindenden  Historikertagen  und  den  Generalversamm- 
lungen des  Gesamtvereines  der  deutschen  Geschichts-  und 
Altertumsvereine  wohnte  er  regelmäßig  als  Vertreter  des 
Historischen  Vereines  für  Steiermark  bei  und  an  den  Ferial- 
vorträgen  in  Salzburg  nahm  er  tatkräftigen  Anteil. 

Der  holden  Frau  Musika  war  er  von  Jugend  auf  treu 
ergeben,  selbst  ein  trefflicher  Violinspieler  wirkte  er  in  Konzerten 
des  steiermärkischen  Musikvereins  und  bei  Quartetten  in  Privat- 
zirkeln eifrig  mit.  Viele  Jahre  war  er  Mitglied  des  Ausschusses 
des  steiermärkischen  Musik  Vereines,  in  dem  er  eine  höchst 
ersprießliche  Wirksamkeit  entfaltete. 

Die  Ferien  brachte  er  meistens  in  den  Bergen  zu;  er 
war  ein  Freund  der  Alpinistik,  der  er  in  den  Gr«izen,  die 
Vernunft  und  Verstand  vorschreiben,  eifrig  huldigte.  Noch  im 
August  iy05  bestieg  er  den  Dachstein.  Als  der  Zentral- Ausschuß 
des  Deutschen  und  österreichischen  Alpen  Vereines  1896 — 1^7 
den  Sitz  in  Graz  hatte,  gehörte  er  ihm  sn  und  wirkte  in 
demselben  mit  gewohntem  Eifer. 

Vom  Ferienaufenthalte  zurückgekehrt,  erkrankte  er  im 
Oktober  1905  an  ein«n  bösartigen  Leiden  (Carcinoma  recti), 
das  trotz  zwei  schwerer  Operationen  immer  heftiger  um  sidi 
griff  und  das  ihn,  obwohl  er  mit  der  ganzen  Kraft  seines 
Körpers  und  Geistes  dagegen  ankämpfte,  die  schweren  Leiden 
mit  größter  Geduld  ertrug,  noch  immer  Lebens-  und  Genesungs- 
hoffnungen hegte  und  an  seine  wissenschaff  liehen  Arbeiten  und 


Von  Franz  Ilwof.  131 

seinen    Lehrberuf    dachte    und    Pläne    dafür    schmiedete,    am 
22.  November  1906  dahinraffte. 

Es  ist  ein  geradezu  tragisches  Verhängnis,  von  dem 
Zwiedi neck  noch  in  den  besten  Mannesjahren  ereilt  wurde. 
Durch  Jahrzehnte  seines  Lebens  war  er  geistig  und  körper- 
lich vollkräftig  gewesen,  arbeitete  er  rastlos  und  genoß  doch 
das  Leben  als  heiterer  Gesellschafter  und  als  tätiger  Freund 
der  schönen  Kunst  Musik.  Im  Leben  war  er  ein  Glückskind, 
alles  was  er  erstrebte,  erreichte  er,  alles  um  was  er  rang^ 
ward  ihm  schließlich  doch  zuteil  und  in  seiner  Familie,  an 
der  Seite  seiner  Gattin,  im  Kreise  seiner  Kinder,  die  den  Gemahl 
und  Vater  innig  liebten  und  verehrten,  war  er  glücklich  wie 
selten  jemand.  Da  ergriff  ihn  im  60.  Jahre  seines  Lebens 
jene  furchtbar  tückische  Krankheit,  deren  Ursache  die.  ganze 
Ärztewelt  nicht  kennt  und  für  die  es  kein  Heilmittel  gibt  und 
raffte  ihn  nach  1 4  monatlicher  Dauer  dahin.  Soviel  Glück  im 
Leben  und  früh  und  traurig  das  Ende. 

An  seiner  Bahre  trauerten  seine  Gattin  Anna,  geborene 
Dettelbach,  Töchter  Grete  und  Rosa,  letztere  vermählt  mit 
dem  Artilleriehauptmann  Kreißler  und  ein  Sohn  Dr.  Otto 
von  Zwiedineck,  der,  dem  Beispiele  des  Vaters  folgend,  die 
akademische  Laufbahn  ergriff  und  seit  mehreren  Jahren  als 
o.  ö.  Professor  der  Nationalökonomie  an  der  technischen 
Hochschule  zu  Karlsruhe  im  Großherzogtum  Baden  wirkt. 

Wie  hochgeschätzt  und  beliebt  er  in  allen  Kreisen  war, 
wie  viele  Freunde  und  Verehrer  er  hatte,  bewies  das  Leichen- 
begängnis. Alles,  was  in  Graz  durch  Rang  und  Stand  her- 
vorragt, alle  Männer  der  Wissenschaft  und  ebenso  fast  alle 
deutschen  Studenten  und  Professoren  der  beiden  Hochschulen, 
an  denen  er  gelehrt  hatte,  wohnten  tieftrauemd  der  Bestattung 
bei,  denn  bei  der  Vielseitigkeit  des  Geistes,  der  Gewandtheit 
in  Ausdruck  und  Schrift,  bei  umfassendem  Wissen,  hatte  er 
ein  so  liebenswürdiges  Benehmen,  daß  jeder,  der  mit  ihm 
umging,  davon  gewonnen  werden  mußte;  trotz  der  sechs 
Jahrzehnte,  die  er  erlebte,  war  er  bis  zur  letzten  schweren 
Erkrankung  geistig  und  körperlich  jung  geblieben,  nichts,  was 
da  vorging,  auf  dem  Gebiete  der  Politik,  der  Kunst,  der 
Wissenschaft  blieb  ihm  fremd,  alles  erfaßte  er  mit  regem 
Geiste  und  bei  allem  wußte  er  stets  die  beste  Seite  heraus- 
zufinden, so  daß  sein  Hinscheiden  nicht  bloß  seinen  Freunden, 
auch  der  Wissenschaft,  der  er  sich  gewidmet  hatte,  den  Hoch- 
schulen  und   der  Gesellschaft  ein    unersetzlicher  Verlust   ist. 


132  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst. 

Dennoch  möchte  man  fast  behaupten,  daß  das  nemo  propheta 
in  patria  auch  bei  ihm  einigermaßen  zutreffend  war,  denn 
sein  Wirken  und  seine  Arbeiten  waren  außerhalb  der  schwarz- 
gelben  Grenzpfahle  höher  geachtet  und  geschätzt,  als  in  seiner 
Heimat  Steiermark  und  im  alten  Osterreich. 

Friede  seiner  Asche! 

Ehre  seinem  Andenken! 


Zwiedinecks   Schriften 

in  chronologischer  Folge. 

1863.    Festgedicht  zur  Feier  der  Installierung  der  medizinischen  Fakultät  in 
Graz  am   14.  November  1863.  Graz  l863- 
Der  Aufstand  der  steirischen  Herren  im  Jahre  1291.  Kulturhistorische 
Novelle.  Graz  1863. 
1868.    Die  Aufgaben  und  Mittel  der  Musik.  Graz  1868. 

1870.  Die  Neugestaltung  des  deutschen  Nationalepos.  (Im  Jahresbericht  der 

Landes-Oberrealschule    Graz  1870.) 

1871.  Leitfaden  zum  Unterrichte  in  der  Geographie  von  Steiermark  für  Volks- 

schulen. Hiezu :  Wandkarte  von  Steiermark  für  Volks-  und  Bürger- 
schulen. Graz   1871. 
Deutschlands    Ringen    um  Staat   und  Verfassung.    In   den   politischen 
Flugblättern,  herausgegeben  vom  Vereine  der  Deutschnationalen  in 
Graz   1871. 

1873.  Zeitungen   und  Flugschriften   aus    der   ersten  Hälfte    des  XVII.  Jahr- 

hunderts. (Im  Jahresberichte  der  Landes-Oberrealschule.  Graz  18730 
Der   Geldschwindel    im  XVII.  Jahrhundert.    (Deutsche  Zeitung  1873. 

Nr.  321.) 
Rückblick  auf  die  Geschichte  Österreich-Ungarns  seit  dem  Regierungs- 
antritte Sr.  Maj.  des  Kaisers  Franz  Joseph  I.  Festrede.  (In  den  Erin- 
nerungsblättem  an  das  Schulfest  der  Landes-Oberrealschule  zu  Graz 
zur  Feier  des  25 jährigen  Regierungsjubiläums  Sr.  Majestät  Kaisers 
Franz  Joseph  I.  am  2.  Dezember  1873-  Graz  l873.) 

1874.  E^"  merkwürdiges  Flugblatt.    (Mitteilungen  des  Historischen  Vereines 

für  Steiermark,  XXI  ) 
Zur  Vorgeschichte  Österreichs.  (Im  Volkskalender  für  Kärnten  1874.) 
Fürst   Christian   der   Andere   von  Anhalt   und   seine  Beziehungen    zu 

Innerösten-eich.  Graz  1874.) 

1875.  Geschichte  der  religiösen  Bewegung  in  Innerösterreich  im  XVIII.  Jahr- 

hundert.   (Archiv  für  österreichische  Geschichte,  LIII.,  457  —  546.) 
Innerösterreichische  Religionsgravamina   im  XVII.  Jahrhundert.    (Mit- 
teilungen des  Historischen  Vereines  für  Steiermark,  XXII.) 


Von  Franz  Ilwof.  133 

1876.  Zur  Geschichte  der  geistigen  Bewegung  in  Steiermark.  (Grazer  Tages- 
post 1876,  Nr.  143). 

Das  steirische  Aufgebot  von  1565.  (Mitteilungen  des  Historischen 
Vereines  för  Steiermark,  XXV.) 

Doi*fleben  im  XVIII.  Jahrhundert.  Kulturhistorische  Skizzen  aus  Inner 
Österreich.   Wien   1876. 

1878.  Über   den   Versuch    einer   Translation    des   deutschen  Ordens    an   die 

ungarische   Grenze.    (Archiv   für   Österreichische    Geschichte,    LVI., 

403—445.) 

Ruprecht  von  Eggenberg.  Ein  österreichischer  Heerführer  des  XVI.  Jahr- 
hunderts. (Mitteilungen  des  Historischen  Vereines  für  Steiermark, 
XXVI.) 

Wallenstein.  Neuntes  Bändchen  der  Hölderschen  historischen  Bibliothek 
für  die  Jugend.  Wien   1878. 

1879.  Des  Freiherrn  Adam   von  Herberstein  Gesandtschaftsreise   nach  Kon- 

stantinopel. (Allgemeine  Zeitung  l879f  Nr.   129,   130) 
Die  Obedienzgesandtschaften    der    deutschen  Kaiser  an  den  römischen 
.  Hof  im   XVI.  und  XVII.  Jahrhundert.    (Archiv  für  österreichische 

Geschichte,  LVHI ) 
Eine  Hochzeitsreise  nach  Spanien   1598—1599.    (Im  Morgenblatt  der 

„Pres.se",  Wien,  15.  November  1879.) 
Rede,    gehalten    beim    Feste   der   Lande.s-Lehranstalten   in    Graz   am 

4.  April  1879  zur  Feier  der  silbernen  Hochzeit  des  Österreichischen 

Kaiserpaares.    (Im  Jahresberichte  der  Landes-Oberrealschule,   Graz, 

1879.) 
Die  Resultate  der  neuesten  Forschung  über  die  Wallenstein-Katastrophe. 
(Grazer  Tagespost,  1879.  28-,  29..  30.  Dezember.) 

1880.  Hans  Ulrich  Fürst  von  Eggenberg,  Wien  1880. 
„Kulturgeschichte.**    (Im    I.    Jahrgang    1878    der    Jahresberichte    der 

Geschichtswissenschaft.  Berlin   1880.) 
Venetianische    Gcsandtschaftsberichte    über   die   böhmische    Rebellion 
1618  —  1620.  Graz   1880. 

1881.  Dr.  Franz  Ritter  von  Heintl.  Eine  biographische  Skizze.  (Im  70.  Jahres- 

berichte des  Joanneums  zu  Graz,   1882.) 
„Kulturgeschichte.**  (Im  II.  Jahrgang  der  Jahresberichte  der  Geschichts- 
wissenschaft 1879.  Berlin  1881.) 

1882.  Festrede,    gehalten   bei   der  Feier   des    hundertsten  Geburtstages  Erz- 

herzog  Johanns   am  20.  Jänner  1882.    (Im  71.  Jahresberichte  des 

Joanneums  zu  Graz,   1883.  Sonderabdruck.  Graz  1882.) 
Die  Politik   der  Republik  Venedig   während   des  30jährigen  Krieges 

Zwei  Bände.  Stuttgart  1882— 1 885. 
Beiträge    zur    Geschichte    der    Verwaltung    aus    dem  Protokolle    der 

Herrschaft  Hohenwang.  (Mitteilungen  des  Historischen  Vereines  für 

Steiermark,  XXX.) 
„Kulturgeschichte."  (Im  III.  Jahrgang  für  1 880  der  Jahresberichte  der 

Geschichtswissenschaft.  Berlin   1882.) 

1883.  Die  Lieblinge.    Festspiel    zur  Feier   des  80.   Geburtsfestes    des  Herrn 

Johann  Dettelbach   (Vater   von  Zwiedinecks  Gemahlin),    aufgeführt 
von  .seinen  Enkeln  am  Vorabende  des  10.  Jänner  1883.  Graz  1883. 
Kriegsbilder  aus  der  Zeit  der  Landsknechte.  Stuttgart  l883. 

1884.  Graf   Heinrich    Matthias    Thum    in    Dien.sten    der  Republik  Venedig. 

(Archiv  für  österreichische  Geschichte,  LXVI.) 

10 


134  Hans  von  Zwiedineck-SOdenhorst. 

Österreich  unter  Maria  Theresia,  Josef  II,  und  Leopold  II.  Begonnen 
von  Adam  Wolf,  vollendet  von  Zwiedineck.  (Oncken,  Allgemeine 
Geschichte  in  Einzeldarstellungen,  III.,  9.) 

Der  Türkenkrieg  von  1683.  (Zeitschrift  für  allgemeine  Geschichte,  I.) 

Die  Geschichte  als  Wissenschaft.  (Ebenda.) 

Die  Einleitung  des  Herbst feldzuges   1813.  (Ebenda.) 

Karl  Hillebrand.  (Ebenda.) 

Ein  wohlgemeintes  Liedlein  zur  hohen  Ehr  Ihrer  Stammgeigen,  aufs- 
feinst gespielt  von  dem  Grafen  von  und  zu  Aichelburg.  Graz  1 884. 

1885.  Wallensteins  Feldzug  gegen  Mansfeld  im  Herbste  1626  und  die  Brucker 

Konferenz.  (Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichts- 
forschung, VI.) 
Die  Unglückstage  von  Mantua.  (Zeitschrift  für  allgemeine  Gesch.,  II.) 
Zur  Geschichte  des  30jährigen  Krieges.  (Ebenda.) 
Aus  den  Briefen  eines  deutschen  Diplomaten.  (Ebenda,  II.) 

1886.  Turenne  und  die  Fronde.  (Ebenda    III.) 

Politische  und  Kulturgeschichte.  (Ebenda,  III ,  879 — 883.) 

1887.  Die  neueste  Wallenstein-Forschung.  (Ebenda.  IV.) 

Die  Denkwürdigkeiten  des  Grafen  Vitzthum.  (Ebenda,  IV.) 
Heinrich  von  Treitschke.  (Ebenda,  IV.) 
Theodor  von  Sickel.  (iLbenda,  IV.) 

1887.  Festgruß    zur  Feier   des    zehnjährigen  Bestandes   des  Streichquartette.«* 
im  Hause  Alfred  Graf  Aichelburg    Graz  -1887. 

Stammtafel  der  Familie  Dettelbach  in  Graz.  Graz   1887. 

1888.  Das  böhmische  Staatsrecht  und  die  deutschnationale  Politik  in  Öster- 

reich. (Zeitschrift  für  Geschichte  und  Politik,  V.) 
Deutschnational.  (Ebenda.) 
Gefahren  von  Osten.  (Ebenda.) 
Neue  französische  Allianzen.  (Ebenda.) 
Der  Bund  der  mitteleuropäischen  Kaiser  mächte.  (Ebenda.) 
Eine  böhmische  Akademie  der  Wissen.schaften.  (Ebenda.) 
Die    öffentliche   Meinung   in  Deutschland   im  Zeitalter  Ludwigs  XIV. 

(Ebenda,  nebst  Sonderabdruck.  Stuttgart  1888.) 

1889.  Edwina.  Eine  Bibliotheksgeschichte.  (Deutsche  Revue  1889,  Maiheft.) 
Die  Schlacht   bei  St.  Gotthard.    (Mitteilungen   des  Instituts  für  öster- 
reichische Geschichtsforschung,  X.) 

1 890.  Der  Jäger  von  Maria-Hof.  Eine  steirische  Geschichte  aus  der  Franzosen- 

zeit  von  Johannes  Kohldorfer  (Pseudonym  für  Zwiedineck).    Ober- 
steirerblatt  1890. 
Die  Geschichte   der   Steiermark   von  1564   bis    zur   Gegenwart.    (Im 
Kronprinzenwerke:  Die  österreichisch-ungarische  Monarchie  in  Wort 
und  Bild.  Steiermark.  Wien   1890,  S.  11 8— 138.) 
Die   Augsburger   Allianz   von    1686.    (Archiv  für  österreichische  Ge- 
schichte. LXXVl.) 
1890 — 1894.  Deutsche  Geschichte  im  Zeitraum  der  Gründung  des  preußischen. 
Königtums.  Zwei  Bände.  Stuttgart  1890 — 1894. 

1891.  Das    Gefecht    bei    St.  Michael    und    die  Operationen    des  Erzherzogs^ 

Johann   in    Steiermark  1809.    (Mitteilungen  des  Instituts  für  öster- 
reichische  Geschichtsforschung,  XII.) 

1892.  Erzherzog  Johann  von  Österreich  im  Feldzuge  von  1809.  Graz  1892- 
1892    und     1893.    Zur    Geschichte    des    Krieges    von    1809    in    Steiermark. 

L  und  II.    (Beiträge  zur  Kunde  steiermärkischer  Geschichtsquelleni. 
XXIII.  und  XXIV.  Jahrgang.) 


Von  Franz  llwof.  135 

1894.  Festrede    bei    der    Stiftungsfeier    des    Landesmuseums  Joanneum   und 

Eröffnung    der    Landesbibliothek     am    26.    November    1893.    (Im 
82.  Jahresberichte  des  Joanneums.  Graz  1894.) 
Geschichte  und  Geschichten.  Bamberg  1894. 

1895.  Das  Grafendiplom  der  Windischgrätz  von  1557«  (In  der  Festgabe  für 

Franz  von  Krones  zum  19.  November  1895.  Graz  1895.) 

1896.  Die    Brigade    Thierry    im    Gefechte    von    Abensberg    am     19.    und 

20.    April    1809.     (Mitteilungen    des    Instituts    för    österreichische 
Geschichtsforschung.  Ergänzungsband  V.) 
Napoleon  in  Dresden.    (Allgemeine  Zeitung,   Beilage,    1896,   Nr.  43) 
Heinrich    von    Treitschke.     (Sonderabdruck    aus    den    Biographischen 

Blättern,  IL,  6.) 
Das    Reichsgräflich    Wurmbrandsche    Haus-    und    Familienarchiv    zu 
Steyersberg.  (Veröffentlichungen  der  Historischen  Landeskommission 
für  Steiermark.  II.) 
l8g7 — 1905.  Deutsche  Geschichte  von  der  Auflösung  des  alten  bis  zur  Er- 
richtung    des    neuen     Kaiserreiches    (1806 — 1871).     Drei    Bände. 
Stuttgart  1897»  1903,  1905. 
1897 — 1901.  Die  Ostalpen  in  den  Franzosenkriegen.  Zeitschrift  des  Deutschen 

und  Österreichischen  Alpenvereines.   1897.   1898,  1899.  190t.) 
1897 — 1899.    Das   gräflich  Lambergsche  Familien archiv   zu  Schloß  Feistritz 
bei  Uz.  (VerÖflfentlichungen  der  Historischen  Landeskommission  für 
Steiermark.  IV.,  VII.,  XL  Graz  1897,  1898,  1899.) 

1897.  Die  militärische  und  politische  Bedeutung  des  Vorfriedens  von  Leoben. 

(Gedenkblatt,  herausgegeben  vom  Komitee  für  das  Lokalmuseum  in 
Leoben.  1897.) 

1898.  Alfred   von  Arneth.    (Deutsche  Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft 

Neue  Folge.  II.  Jahrgang  1897-98,  Monatsblätter.) 

1899.  Zur  Vermählungsfeier  KOnigl-Reininghaus.  Graz   1899. 

Venedig  als  Weltmacht  und  Weltstadt.  (Monographien  zur  Welt- 
geschichte, VII.  Bielefeld  und  Leipzig  1899.) 

Erinnerungen  aus  der  Franzosenzeit.  (Mitteilungen  des  Historischen 
Vereines  für  Steiermark,  XLVIL) 

Bericht  Ober  die  von  der  provisorischen  Kommission  zur  Herausgabe 
von  Akten  und  Korrespondenzen  zur  neueren  Geschichte  Österreichs 
eingeleiteten  Erhebungen  in  öffentlichen  und  Privatarchiven.  Graz  1 899. 

Die  Hochzeitsfeier  Erzherzog  Karls  II.  mit  Maria  von  Bayern.  (Mit- 
teilungen des  Historischen  Vereines  für  Steiermark.  XLVII.) 

1 900.  Die  Entstehung  der  Großmächte.  (In  Helmolts  Weltgeschichte,  VII.,  1 . 

Leipzig  1900.) 

1901.  Erinnerungen  an  Franz  Schlechta  (2.  Februar  1832  bis  6.  Dezember 

1899).    Zur    Enthüllung    seines  Gedenksteines    auf   dem  Friedhofe 
St.  Peter  in  Graz.  Graz  1901. 

1902.  Graz.  Mit  1 3  Abbildungen  und  Photographien.  (Velhagen  und  Klasings 

Monatshefte  1901-1902.  S.  689—699.) 
Grazer    Feste    zu    Zeiten    Erzherzog   Johanns.    (Im  Festblatt  für  das 

VI.  Deutsche  Sängerbundesfest.  Graz  1902. 
Die   geschichtliche  Stellung  der  Steiermark.    (Sonderabdruck  aus  dem 

Festführer   für   das  VI.  Deutsche  Sängerbundesfest  in  Graz  1902.) 
Österreich   und  der  deutsche  Bundesstaat.    Ein  Beitrag  zur  deutschen 

Verfassungsgeschichte  1 848—1849.     (Mitteilungen  des  Instituts  für 

österreichische  Geschichtsforschung,  XXIV.) 

10* 


136  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst.    Von  Franz  Ilwof. 

1 904.  Eine  deutsch-Österreichische  Bundesakte.  Aus  dem  Archive  des  Reichs- 

verwesers Erzherzog  Johann.  (Im  VII.  Ergänzungsbande  der  Mit- 
teilungen des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung.  Dem 
Salzburger  Historikertag  gewidmet.) 

Zur  Geschichte  des  ersten  Franzoseneinfalls  in  Steiermark  1797- 
(Steirische  Zeitschrift  fQr  Geschichte,  I.) 

Engelbert  Mühlbacher.  (Ebenda.) 

1905.  Maria  Theresia.    (In    den  Monographien    zur  Weltgeschichte,    XXIII. 

Bielefeld  und  Leipzig  1905.) 


Außer  diesen  zahlreichen  Werken  und  Abhandlungen  liegen  von 
Zwiedineck  noch  viele  kleinere  Notizen  und  Besprechungen  von  Werken 
vor,  so  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichts- 
forschung, in  der  historischen  Vierteljahrsschrift,  in  den  Mitteilungen  des 
Historischen  Vereines  für  Steiermark,  in  den  Steiermärkischen  Geschichts- 
blättem,  in  der  Grazer  Tagespost,  im  Grazer  Tagblatt  u.  a.  a.  O.,  Biographien 
in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie  u.  s.  w. 


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fimdm/e^^mtirjcüum^r  seuur  Rn/tnr- 


über  die  Anfänge  der  Blindenfürsorge 
in  Steiermark. 

Von  Regierungsrat  Alexander  Meli, 

Direktor  des  k.  k.  BHnden-Erziehungs-Institutes  in  Wien. 


Ziemlich  frühe  trat  Steiermark  in  die  Reihe  jener  Länder, 
in  denen  man  sich  um  das  Schicksal  einer  Klasse  nicht 
vollsinniger  Menschen  bemühte,  welches  seit  jeher  das  Mitgefühl 
der  glücklicheren  Mitmenschen  im  hohen  Grade  hervorrief;  die 
Blinden  sind  es,  die  hier  gemeint  sind.  Obzwar  es  richtig  ist, 
daß  das  allgemeine  Mitleid  mit  dem  Unglücke  der  Blindheit 
ein  sehr  großes  ist,  daß  jedermann,  der  mit  einem  Blinden  in 
Berührung  kommt,  die  Schwere  des  Unglückes  fühlt,  sich  der 
Tragweite  des  Verlustes  eines  so  wichtigen  Sinnesorgans  ohne 
weiteres  Überlegen  bewußt  wird,  so  hat  man  im  allgemeinen 
verhältnismäßig  spät  die  richtigen  Wege  gefunden,  eine  werk- 
tätige, zweckentsprechende  Fürsorge  für  die  Nichtsehenden  zu 
organisieren.  Aber  auch  als  die  richtigen  Wege  zur  Hilfe  für 
die  Blinden  gefunden  waren,  verbreiteten  sich  diese  Fürsorge- 
bestrebungen nur  langsam,  und  in  Steiermark  erhält  man  so 
;recht  ein  Bild,  durch  welche  Vorbedingungen  sich  die  inten- 
jsive  Arbeit  für  die  Blinden  den  vorbereitenden  Boden  schaffen 
;mußte. 

Um  die  Verhältnisse  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark 
auch  demjenigen  verstäridlich  zu  machen,  der  mit  den  allge- 
melilen  Ümstälidth  des  Blinden wescJns  nidht  vollständig  ver- 
traut ist,  habe  ich  folgendes  votaüszusetlden :  ^  "      " 

Weit  zurück  in  die  „grauesten  Zeiten"  reicht  die  Kunde 
vofi  begabten  Blinden,  die  trotz  ihres  Üngliickes  imstande 
waren,  sicli  eine  hervorragende  Stellung  zu  scjiaff^     und  dem 

»  Zur  genaueren  Orientierung  über  das  gesamte  Blinden wesen  dient ; 
M^ll,  Encyklopädisch^s  Handbuch  des  Blinden wesens,  Wien,  190Q.  56  Bogen, 
mit  vielen. Abbildungen  und  XafeJnj.,  .    ,         ,  ,  .   . 


138  Ober  die  Anßlnge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

Lose  des  Bettlers  zu  entrinnen.  Mit  der  Sicherheit,  mit  welcher 
über  historische  Dinge  berichtet  wird,  wächst  auch  die  Zahl 
der  Nachrichten  über  besondere  Blinde,  die  durch  Begabung 
und  durch  Betätigung  im  öffentlichen  Leben  die  Aufmerk- 
samkeit der  Mitwelt  erweckten. 

Solche  Blinde  fanden  ihren  Biographen,  und  je  mehr  wir 
uns  der  neueren  Zeit  nähern,  desto  häufiger  treten  bestimmte 
imd  beglaubigte  Nachrichten  über  den  Unterricht  von  Blinden 
auf,  über  einen  Unterricht,  der  sich  allerdings  vorerst  nicht 
verallgemeinerte,  sondern  auf  einzelne  vom  Glücke  begün- 
stigte, mit  zeitlichen  Gutem  gesegnete  Blinde  beschränkt  blieb.  * 
Erst  zu  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  wurde  der  Versuch  ge- 
macht, dem  Blinden  im  allgemeinen  Erziehung  und  Belehrung 
zugänglich  zu  machen,  und  darauf  hatte  eine  Österreicherin, 
die  blinde  Maria  Theresia  von  Paradis  keinen  geringen  Einfluß. 

Diese  hochbegabte  Blinde,  ein  Patenkind  der  Kaiserin 
Maria  Theresia,  besuchte  den  Hof  in  Versailles,  um  dort  ihre 
Kunstfertigkeit  im  Orgelspiele  und  im  Gesänge  zu  zeigen.  Die 
junge,  sehr  gut  erzogene  Dame  erregte  begreifliches  Aufsehen, 
und  da  die  Blinden  in  Paris  eine  sehr  zweifelhafte  Rolle  spielten, 
in  berüchtigten  Vergnügungslokalen  und  sonst  noch  wahrhaft 
mißbraucht  wurden,  eine  förmliche  Gilde  von  blinden  Bett- 
lern Paris  nahezu  überschwemmte  und  die  öffentliche  Mild- 
tätigkeit in  fast  unverschämter  Weise  in  Anspruch  nahm,  war 
der  Kontrast  zwischen  der  blinden  Wienerin  und  dem  blinden 
Pöbel  ein  zu  großer,  als  daß  er  nicht  allgemein  auffallen 
mußte.  Der  Eindruck  veranlaßte  denn  auch  ein  Mitglied  der 
Pariser  Philanthropischen  Gesellschaft,  den  Versuch  zu  machen, 
einen  Blinden  zu  unterrichten  und  im  Falle  des  Gelingens  wei- 
tere Bestrebungen  für  das  Wohl  der  Blinden  daran  zu  knüpfen. 

Valentin  Haüy,  Beamter  im  französischen  Ministerium 
des  Auswärtigen,  wagte  den  Versuch;  er  glückte  und  gab  den 
Anlaß  zur  Gründung  der  ersten  Blinden-Unterrichtsanstalt  in 
Pari3,  di^  vom  Jahre.  1,784  ihr  Bestehen  datiert^  Das  ^eiig)jel 
fand  zuerst  in  England,  daim  auf  dem  Kontinent  Nßchahxnyng. 
Hier  allerdings  erst  zwanzig  Jahre  spät€?r,  d.  i.  I804. 


1  Vergleich^:  ,Strodtniaiin,  Geschichte  jetzt  lebendec  Gelehrter, 
Zelle  1745t  tezügUch  Achilles  Öaniel  Leopold,  der  ein  isehr  cÜarakteristisctes 
Beispiel  itiefür  ist.  Ferner:  Triiikhaus,  M.  Georg,  Ülssertatmnc'uia  de  caecis 
sapientia  ac  eruditione  claris,  mirisque  caecorum  quorundam  actionibus 
Gerae  MDCLXXII.  .  ' 

«  Haüy,  Valentin,  Essai  sut  l'^ticötiOtt  des  rfveUgles»  Paris  1786. 
Höchst  wahrscheinlich  die   erste  von  Blindeiv  gesetite  und  gedruckte  Schrift. 


Von  Alexander  Meli.  189 

Von  diesem  Jahre  ab  ist  die  Bewegung  zugunsten  dtr 
Blinden  in  Osterreich  in  Fluß  und  nicht  mehr  zum  Stillstande 
gekommen.  Für  Österreich  bildet  das  Entstehen  der  Wiener 
Blindenanstalt  den  Kristallisationspunkt  für  alle  Unternehmungen, 
die  in  dieser  Richtung  auftraten.  Die  Zeit  1804  bis  1818  muß 
für  Steiermark  als  tote  Zeit  im  Blindenwesen  betrachtet  werden, 
doch  dürfen  wir  die  Ereignisse  innerhalb  dieses  Zeitraumes 
nicht  übergehen,  damit  die  Vorkommnisse  in  Steiermark  ver- 
I  ständlich  werden. 

I  Am  13.  Mai  1804  also  wurde  in  Österreich,  —  in  Wien  — 

!  die  erste  Anstalt   für   Blinde   überhaupt  ins  Leben   gerufen.^ 

f  Die  Anregung  hiezu  mag  wohl  von  Paris  in  gewissem  Sinne 

I  ausgegangen  sein,  allein  das  ist  sicher,  daß  das  Vorgehen  bei 

I  Errichtung  der  ersten  deutschen  Anstalt  —  so  kann  man  sie 

j  nicht   nur  wegen   ihres   Gründers,   sondern   auch  wegen   der 

Sprache  beim  Unterrichte  nennen  —  dem  heutigen  k.  k.  Blinden- 
j  Erziehungs-Institute,  ein  selbständiges  war.  Die  zwanzigjährigen 

^  Bemühungen  in  Paris   erbrachten  wohl  den  Beweis,   daß  der 

I  Blinde  einer  angemessenen  Ausbildung  fähig,  daß  die  für  ihn 

I  aufgewendete  Mühe  keine  vergebliche,  ja  sogar  teilweise  eine 

reich   belohnte   sei,   allein   für   Österreich  war  die  Sache  da- 
mals immerhin  eine  ebenso  gewagte,  wie  sie  es  seinerzeit  für 
I  Paris  war. 

Die  geborenen  Bettler,  die  Blinden,  von  denen  die  Mensch- 
'  heit  nur  das  wußte,  daß  sie  „die  Ärmsten  der  Armen"  seien, 

^  sollten  nun  anders  behandelt  werden  als  bisher.  Das  Beginnen 

f  war  entschieden  sehr  merkwürdig:    Man  erzog   besonders  ge- 

artete Menschen  in  einer  für  ihren  Zustand  angemessenen  Weise, 
brachte  sie  zur  Tätigkeit,  zur  Arbeit,  die  der  Allgemeinheit 
von  Nutzen  sein  konnte,  und  suchte  sie  dem  Übel  zu  ent- 
ziehen, eine  oft  höchst  widerwärtige  Last  der  Mitbürger  zu 
sein.  Damit  hatte  Joh.  Wilh.  Klein,  der  Begründer  des  öster- 
reichischen Blindenwesens,  seine  Tätigkeit  als  eminent  sozial- 
ökonomische charakterisiert.  Das  Ziel  der  Blinden-Bildung  und 
-Erziehung  war:  „die  bürgerliche  Brauchbarmachung^  dernicht 
sehenden  Menschen.  Hunderte  bisher  unbenutzbarer  und  un- 
brauchbarer Menschen  sollten  ersprießliche,  gewinnbringende 
Tätigkeit  entfalten,  sie  sollten  der  werktätigen,  produziereiiden 
menschlichen  Gesellschaft  als  Glieder  angereiht  werde^i;  die 
Blinden  sollten  nicht  mehr   ^Is  Bpttjier  die  Stuf^i.  yiv4  XOren 


1  AusfQfarlioh.  behandelt  in.Mell^  >,GeschiehU  cües'  k;.  k;  '■  Blitfi^-Erzie- 
hungs-IiisUlutes.'*.Wiem  1904.  >■'.'■  ..> :»:^  ,, 


140  Über  die  Anfänge  der  BlindenfOrsorge  in  Steiermark. 

der  Kirchen  belagern,  nicht  mehr  an  den  Straßenecken  als 
verkommene,  oft  abscheuerregende,  aufdringliche  Almosen- 
heischer  stehen,  sie  sollten  arbeiten.* 

Daß  ein  hierauf  abzielendes  Unternehmen  die  Aufmerk- 
samkeit weiter  Kreise  auf  sich  ziehen,  daß  die  schöne  Idee 
namentlich  bei  hochgebildeten  Personen  vollen  Beifall  und  alle 
Förderungen  finden  mußte,  ist  wohl  leicht  verständlich,  und 
als  die  ersten  Erfolge  der  Erziehung  sich  deutlich  bemerkbar 
machten,  das  zu  erstrebende  Ziel  sich  als  erreichbar  erwiesen, 
fehlte  die  Unterstützung  der  Sache,  ohne  welche  sie  unmög- 
lich aufblühen  konnte,  nicht.^ 

Diese  Unterstützung  machte  sich  begreiflicherweise  zuerst 
in  einem  kleinen  Kreise,  am  Orte  des  Versuches,  selbst  geltend, 
aber  mit  den  fortschreitenden  Erfolgen,  mit  der  weiteren  Ver- 
breitung der  Kenntnis  hierüber  mußte  die  naturgemäße  Ent- 
wicklung es  mit  sich  bringen,  daß  auch  an  entfernteren  Orten 
eine  Bewegung  zugunsten  der  Blinden  sich  entwickelte,  wenn 
auch  fast  immer  der  Anstoß  vom  Zentrum  der  Bewegung,  von 
Wien  aus  erfolgte.  Als  endlich  Kaiser  Franz  im  Jahre  1816 
offen  und  in  nachdrücklicher  Weise  für  die  Blinden  in  Wien 
Partei  nahm,  das  bereits  bestehende  und  wirkende  Privat- 
institut Joh,  Wilh.  Kl  eins  in  Anerkennung  seiner  Erfolge 
zur  Staatsanstalt  mit  eigenem  Statute  erhob,  wurde  die  Be- 
wegung in  rascheren  Fluß  gebracht,  die  Kreise  der  Blinden- 
freunde  erweiterten  sich  mehr  und  mehr.  Zuwendungen  aller 
Art  fanden  sich  ein,  sie  blieben  sodann  nicht  mehr  auf  Wien 
beschränkt,  sondern  griffen  weiter  aus  und  man  bedachte  auch 
die  „Provinzen". 

Wiewohl  Klein  nach  jeder  Richtung  beflissen  war,  die 
Öffentlichkeit  auf  sein  Unternehmen  aufmerksam  zu  machen, 
er  der  Wichtigkeit  der  bestehenden  Presse  voll  bewußt  war 
und  er  die  Wiener  Blätter  ganz  angemessen  benützte,  so  kann 
diesem  Bestreben  der  Heranziehung  des  Publikums  zur  Unter- 
stützung der  Blinden  außerhalb  Wiens  nicht  so  viel  Wert  bei- 
gemessen werden,  wie;  den  Besuchen  der  Anstalt  durch  Rei- 
sende aus  allen  Teilen  österreiclis.  Das  Zeitungswesen  war 
noch  sehr  wenig  entwickelt,  Nachrichten  derartiger  Qualität 
kamen  auch  weniger  in  Blätter,  dagegen  waren  Besucher  der 

*  K 1  e  i  n  J.  W„  Beschreibung  eines  ipit  einem  neunjährigen  Knaben 
angesteliteli  Versuches,  blinde  Kinder  zur  bürgerlichen  Brauchbarkeit  zu  bil- 
den   Wien,  1805. 

•    *  KleinJ.  W.,   Das  Blinden-Institut  in  Wien  r  wie   es   entstand,  wie 
es  gegenwärtig  besteht  und  was  noch  dafür  zu  wünschen  üb^ig  ist.  Wien;  1822, 


Von  Alexander  Meli.  141 

Anstalt  stets  voll  des  Lobes  über  das,  was  sie  dort  gesehen 
hatten,  nahmen  die  besten  Eindrücke,  durch  Demonstrationen 
wohl  eingeprägte  Lehren  aus  dem  Blindenhause  mit  und  da- 
durch kam  manche  die  Sache  fördernde  Kunde  nach  den  Kron- 
ländern der  Monarchie 

Weiter  waren  der  Sache  freundlich  gesinnte  Männer  be- 
strebt, neben  Klein  für  die  Blinden  zu  wirken,  und  manche 
jener  richteten  ihr  Augenmerk  eben  auf  die  Verhältnisse  in 
den  Provinzen,  indem  sie  dorthin  ihre  Anregungen  wirken 
ließen. 

Es  darf  aber  nicht  übersehen  werden,  daß  die  Bemü- 
hungen Kl  eins  nicht  überall  gewürdigt  wurden,  daß  ihm 
mancher  Gegner  erstand,  der  den  Nutzen  der  Blindenbildung 
nach  den  Ideen  Kl  eins  nicht  einsehen  wollte.  Die  Gegner- 
schaft, auf  die  bald  näher  eingegangen  werden  soll,  hatte  aber 
doch  auch  etwas  Gutes,  und  zwar  das,  daß  die  Maßnahmen 
mächtiger  Personen  in  den  österreichischen  Ländern  auf  die 
Blinden  aufmerksam  machten,  da  sie  eine  gewisse  Fürsorge 
für  die  Nichtvollsinnigen  eintreten  lassen  wollten,  allerdings 
nicht  in  der  Form  von  Blindenanstalten,  sondern,  wie  später 
genauer  dargelegt  werden  wird,  auf  dem  Boden  der  allge- 
meinen Volksschule. 

Mit  diesen  wenigen  Worten  sind  die  wichtigsten  Wege 
bezeichnet,  auf  denen  von  Wien  aus  —  und  nur  von  dort 
kam  mittelbar  oder  unmittelbar  die  Anregung  —  die  Lehren 
von  der  Blindenfürsorge  nach  Steiermark  gelangten,  und  es 
ist  nun  möglich,  auf  die  speziellen  Verhältnisse  dieses  Kronlandes 
an  der  Hand  jener  Akten  einzugehen,  die  mir  zugänglich  ge- 
macht worden  sind. 

Durch  die  mir  sehr  wertvolle  Verbindung  mit  Herrn 
Dr.  Anton  Kap  per,  I.  Adjunkten  des  steiermärkischen  Landes- 
archives,  der  im  Jahre  1905  mit  der  Neueinrichtung  des  Ar- 
chives  der  k.  k.  steiermärkischen  Statthalterei  in  Graz  betraut 
war,  wurde  es  mir  möglich,  zunächst  einen  Überblick  über 
die  Materie  in  den  Akten  des  genannten,  staatlichen  Archives 
zu  erlangen,  und  auf  meine  Bitte  hatte  das  Präsidium  der  Statt- 
halterei die  besondere  Güte,  mir  das  Material  besser  zugäng- 
lich zu  machen,  daß  mir  die  betreffenden  Konvolute^  nach  Wien 
gesendet  wurden.    Dadurch  wurde   mir  volle  Zeit  und  Muße, 

*  Sämtliche  benützte  Akten  über  das  Blinden wesen  in  Steiermark  sind, 
nach  den  betreffenden  Materien  geordnet,  im  Faszikel  44  zusammengelegt, 
weshalb  Hinweise  auf  die  Akten  selbst  in  nachfolgender  Darstellung  ent- 
fallen können. 


142  Über  die  Anftlnge  der  Blindenitirsorge  in  Steiermark. 

die  Akten  durchzugehen  und  die  Verhältnisse  in  Steiermark 
zu  studieren,  was  mir  als  Vorarbeit  ftlr  -eine  allgemeine  Ge- 
schichte des  Blindenwesens  höchst  wertvoll  erschien.  Es  ge- 
ziemt sich,  daß  ich  dem  hohen  Statthaltereipräsidium  in  Graz 
sowie  Herrn  Dr.  A.  Kapper  an  dieser  Stelle  für  die  mir 
zuteil  gewordene  Arbeitsförderung  meinen  ergebensten  Dank 
hiemit  abstatte. 


Die   erste  Aktion  der   Regierung  zugunsten   der  Blinden. 

1819. 

Es  ist  bereits  ausgesprochen  worden,  daß  die  Gegner 
des  Unternehmens  der  Blindenbildung  durch  Joh.  W.  Klein 
die  ersten  Maßnahmen  zugunsten  der  blinden  Schulkinder  in 
die  •  Kronländer  trugen.  Die  Bestrebungen  des  Wiener  Blinden- 
institutes  fanden  aus  nicht  ganz  klargestellten  Gründen  die 
Billigung  der  Behörden  nicht.  Den  Anlaß  zur  Äußerung 
hierüber  und  zur  Verfolgung  der  Angelegenheit  in  anderem 
Sinne  gab  die  Verhandlung  wegen  Erhebung  der  Privatanstalt 
Kl  eins  zur  Staatsanstalt.  Klein  war  Ausländer,  er  war 
evangelischer  Konfession,  und  einer  dieser  beiden  Umstände, 
vielleicht  beide  zugleich,  hatten  gewiß  Teil  an  der  Gegner- 
schaft gegen  seine  Arbeit.  Die  Schulenoberaufsicht  in  Wien 
kritisierte  die  Anstalt  Kl  eins  in  rücksichtsloser,  geradezu 
verletzender  Weise,  wobei  sogar  Spott  und  Hohn  nicht 
gespart  wurden.  Klein,  dem  ein  sehr  ungleicher  Kampf  auf- 
gedrängt worden  war,  verteidigte  sich  mit  großer  Ruhe  und 
Sachlichkeit  und  fand  hiedurch  den  Weg  zur  Überzeugung 
für  die  Richtigkeit  seiner  Anschauungen  und  siegte  hiedurch. 
Dabei  kam  ihm  ungemein  zustatten,  daß  Kaiser  Franz 
während  seiner  Anwesenheit  in  Paris  das  dortige  Blinden- 
institut  besuchte,  hiedurch  auf  Klein  mehr  als  bisher  auf- 
merksam wurde  und  dessen  Arbeit  sehr  günstig  mit  den 
Pariser  Blindenschutzbestrebungen  verglich. 

Das  Hauptargument  der  Gegner  Kleins  bei' der  Ober- 
aufsicht der  deutschen  Schulen  in  Wien  bestand  aber  darin, 
daß  sie  behaupteten,  die  Erziehung  der  Blinden  in  besonderen 
Anstalten  sei  eine  zu  teure  Sache.  Der  Blinde  könne  ganz 
gut  in  den  Schulen  für  Sehende,  also  in  der  „gemeinen 
Schule",  unterrichtet  und  in  irgendeiner  Arbeit  im  Hause 
seiner  Eltern  oder  Angehörigen  abgerichtet  werden,  da  ^r 
zu  feinen  Verrichtungen  nicht  tauge  und  grobe  Arbeiten  im 
Kreise  seiner  Heimat  erlernen  und  betreiben  könne.  Um  diese 


f  Von  Alexander  Me]).  143 

Gründe  recht  wirksam  zu  machen  und  den  Beweis  zu  liefern, 
daß  sie  richtig  seien,  erstattete  die  Landesregierung  einen 
eingehenden  Bericht  an  die  Studienhofkommission  (23.  Okto- 
ber  1818)  und  regte  an,  daß  auch  für  die  Blinden  der  Schul- 

i       besuch  obligatorisch  erklärt  werden  möge.  Daraufhin  ergingen 

I        die  erforderlichen  Weisungen  an  alle  Landesstellen,  also  auch  an 

!  das  steiermärkisch-kämtnerische  Gubemium  durch  ein  Hofdekret 
vom  29.  Dezember  1818,  durch  welches  ausgeführt  wurde: 

„Die  n.-ö.  Regierung  hat  sich  zu  dem  Vorschlage  ver- 
anlaßt gefunden,  daß  die  Vorschriften  der  politischen  Ver- 
fassung der  deutschen  Schulen  in  Absicht  auf  den  Schulbesuch 

\  und  die  Beschreibung  der  schulfähigen  Kinder,  auch  auf  die 
blinden  Kinder    ausgedehnt    werden.     Da    die  Ausführbarkeit 

I  des  öffentlichen  Schulbesuches  der  blinden  Kinder,  wenn  sie 
auch    geradezu     bewiesen    werden    könnte,    dennoch    vielen 

^  Schwierigkeiten  unterliegt,  und  ein  zweckmäßiger  Privat- 
unterricht derselben,  weil  er   bey   blinden  Kindern  doch  sehr 

.  individuell  sein  muß,  immer  noch  vorzuziehen  ist,  so  kann 
ihnen  zwar  im  allgemeinen  der  Besuch  der  öffentlichen 
Schulen  nicht  zur  Pflicht  gemacht,  sie  sollen  aber  bey  Be- 
schreibung der  schulfähigen  Kinder  nicht  übergangen  werden, 

'  teils  um  diejenigen  von  ihnen,  die  keinen  Privatunterricht 
genießen,  zum  Besuch  der  öffentlichen  Schule  so  viel  möglich 
verhalten,  theils  daß  sie  selbe  besuchen  können  und  wollen, 
in  die  Lage  versetzen  zu  können.  Wie  der  Lehrer  sich  in 
Behandlung  derselben  zu  benehmen  habe,  wird  ihm  theils  aus 
allgemeinen    psychologischen    Maximen    von    selbst    bekannt, 

j  theils  gibt  ihm  das  vom  Direktor  des  hiesigen  Blindeninstitutes, 
Klein,  verfaßte  Werk  mehrere  Anleitung." 

Der  Auftrag,  welcher  eine  strenge  Auslegung  der  Schul- 
pflicht des  blinden  Kindes  nicht  enthält,  hatte  übrigens  weder 
in  Steiermark  noch  in  einem  der  anderen  Kronländer  irgend- 
welchen weiterreichenden  Erfolg.  Nicht  einmal  in  Nieder- 
österreich war  er  ein  nennenswerter,  obzwar  in  Wien  be- 
reits vor  Erscheinen  des  Erlasses  an  zwei  oder  drei  Volks- 
schulen blinde  Kinder  unterrichtet  worden  waren.  Gerade  in 
Steierniärk  stand  man  der  Blindensache  zu  dieser  Zeit  noch 
ganz  fremd  gegenüber,  die  Darlegungen  der  Studienhofkom- 
mission fanden  begreiflicherweise  gar  kein  Verständnis  bei 
den  Unterbehörden  und  so  kam  der  Akt  in  Vergessenheit. 
Die  erste  Regung  in  Angelegenheit  der  Blindenfiirsorge  in 
Steiermark  verlief  somit  völlig  resultatlos. 


} 


144  Über  die  Anfange  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 


Die  erste  Blindenstiftung  in  Steiermaric.  1826. 

Eine  solche  Zuwendung,  ausdrücklich  für  Blinde  be- 
stimmt, kam  von  Wien,  und  zwar  von  einem  Manne,  der  in 
engster  Fühlung  mit  Johann  Wilhelm  Klein  stand  und  das 
Bestreben  hatte,  dem  Blindenbildungswesen  im  Sinne  K 1  e  i  n  s 
weitere  Verbreitung  zu  geben. 

Im  Jahre  1826  erschien  in  Wien  eine  Zusammenstellung 
unter  dem  Titel:  „Erinnerungstafel  an  die  unter  der  Re- 
gierung Seiner  Majestät  des  Kaisers  Franz  L  sowohl  auf 
Kosten  des  Staates,  als  auch  durch  den  Biedersinn  einzelner 
Staatsbürger  und  ganzer  Vereine  neu  ins  Leben  getretenen, 
nicht  allein  die  religiöse  und  intellektuelle  Bildung,  sondern 
aucb  die  Erhaltung  des  Lebens  und  der  Gesundheit,  dann  die 
Begründung  und  Beförderung  der  Wohlfahrt  sämtlicher  Unter- 
tanen bezweckenden  Institute  von  Johann  Georg  Megerle 
von  Mühlfeld,  k.  k.  Rat  und  Archivsdirektor  der  k.  k. 
allgemeinen  Hof  kämmen^  In  der  „Ankündigung*  über  das 
Erscheinen  der  Tafel  weist  der  Verfasser  darauf  hin,  daß 
schon  im  Jahre  1824  in  einer  Wiener  Zeitschrift  die  beste 
Schilderung  aller,  seit  der  Regierung  Kaiser  Franz  I.  „ge- 
schehenen Einrichtungen,  Verbesserungen,  Verschönerungen,  Er- 
richtungen von  Instituten  und  Bildungsanstalten  etc.  zum  Gegen- 
stand einer  öffentlichen  Preisaufgabe  gemacht",  diese  aber  nicht 
gelöst  worden  ist.  Er  habe  sich  der  gestellten  Aufgabe  unter- 
zogen, aber  nicht  um  den  Preis  zu  erringen,  sondern  um 
^  einem  bereits  entstandenen,  dem  künftigen  Wohle  unserer 
allein  nur  wahrhaft  unglücklichen  Mitbrüder  gewidmeten 
Institute,  ^  die  so  höchst  wünschenswerte  möglichste  Erweiterung 
und  die  allgemeine  Anteilnahme*  zu  verschaffen.  Er  widmet 
den  Ertrag  „dem  Unterrichte  und  der  Erziehung  armer  blinder 
Kinder"  in  der  Weise,  dai3  das,  was  jede  Provinz  hierzu  bei- 
getragen, den  blinden  Landesangehorigen  zugute  kommen  soll. 

In  Verfolgung  .  dieses  Zweckes  sendet  ,  M  ^,  g  e  r  1  e  eine 
undatierte  Eingabe  an  das  Gubernium  in  Graz,  die .  am 
18.  September  1826  präsentiert  wird,  in  welcher  er  bittet, 
„seinem   gewiß   gemeinnützigen  Unternehmen    die    gewohnte 


1  J,  G,  Megerle  v.  Müh Ife^d,  geb.  zw  Wien  am  20.  Jupi  1780, 
gest.  daselbst  1831,  fruchlbarer  Schriftsteller  auf  rechtshistorischem  Gebiete, 
hsft  äiich  bezüglich  der  Steiermark  Spezialäbhandluhgen  uiid  Zusammen- 
stellungen veröffentlicht.  '       '  t-  •     -  /        je.'i;?    : 

*  Hier  ist  das  Wiener  Institut  gemeint. 


Von  Alexander  Meli.  145 

Aufmerksamkeit  gnädigst  zu  schenken  und  dasselbe  durch  den 
Weg  der  Kreisämter  allen  Dominien  und  Magistraten  bekannt 
machen  lassen  zu  wollen,  damit  durch  diese  die  gewiß  nicht 
geringe  Zahl  wahrer  Menschenfreunde  erhoben,  von  denselben 
der  für  die  Erinnerungstafel  nach  Verschiedenheit  der  Auf- 
lage mit  36  kr.  und  i  fl.  Konventionsmünze  bestimmte  Preis 
einkassiert,  unmittelbar  an  Eure  Excellenz  zur  allsogleichen 
Einlegung  in  die  Grazer  Sparkasse  eingesendet  werden  möge." 

Noch  im  September  1826  wird  die  Angelegenheit  durch- 
geführt, so  daß  am  14.  Dezember  1826  die  steiermärktsche 
Provinzial-Staatsbuchhaltung  das  „Haupttableau  über  die  ein- 
gegangenen Pränumerationsbeträge**  vorzulegen  in  der  Lage 
ist.  Es  wurden  332  Exemplare  der  Erinnerungstafel  verkauft, 
wofür  der  Betrag  von  238  fl.  24  kr.  erzielt  wurde;  hievon 
kamen  dem  Herausgeber  57  fl.  20  kr.  zu,  so  daß  der  zum 
bestimmten  Zwecke  verwendbare  Betrag  sich  auf  181  fl.  4  kr. 
stellte,  der  in  der  Sparkasse  angelegt  wurde.  —  Nachträglich 
kam  noch  einiges  ein,  so  daß  229  fl.  als  Erlös  in  Steiermark 
angesehen  werden  können. 

Am  25.  März  1827  erging  an  das  k.  k.  Gubernial- 
Haupt-Taxamt  der  Auftrag,  die  dort  erliegenden  Sparkasse- 
büchel  über  die  eingelangten  Beträije  auf  den  Namen  „Stiftung 
des  Job.  Georg  Megerle  von  Mühlfeld  zur  Erziehung 
armer  blinder  Kinder",  umschreiben  zu  lassen.  Nach  den  im 
Archive  der  steiermärkischen  Statthalterei  vorfindlichen  Akten 
ist  dies  die  erste  steirische  Stiftung  zur  Erziehung  blinder 
Kinder,  deren  Grund  hiemit  gelegt  wurde.  Zur  Persolvie- 
rung  kam  sie  allerdings  erst  später. 

Megerle  von  Mühlfeld  hatte  unzweifelhaft  einen 
anderen  Erfolg  vom  Verkaufe  seiner  Schrift  erwartet;  der 
Minderertrag  mußte  ihn  enttäuschen. 

Darum  suchte  er  durch  den  Verkauf  einer  neuen  Schrift: 
,  Erinnerungsblätter  an  alle,  unter  der  Regierung  Kaiser 
Franz  I.  zur  Wohlfahrt  seiner  deutschen  Staaten  erflossenen 
Allerhöchsten  Entschließungen"  *  den  Fonds  zu  stärken ; 
allein  auch  hier  blieb  der  Erfolg  aus,  die  Behörden  konnten 
mit  der  Realisierung  der  Stiftung  nicht  vorgehen  und  das 
Gubemium  beschließt,  „die  bereits  vorhandene  Summe  und 
•die  noch  eingehenden  und  bei  der  Sparkasse  anzulegenden 
Beträge,  bei  derselben  insolange  fruchtbringend  liefen  zu 
lassen,    bis  mit  Hinzurechnung   der  Zinsen   ein  Kapitalsbetrag 


i  Wien   1830,  2.  Auflage. 


146  Über  die  Anfänge  der  BlindenfQrsorge  in  Steiermark. 

von  500  fl.  C.  M.  erreicht  sein  wird,  wovon  sodann  der 
Zinsenertrag  zum  Unterhalte  und  zur  Erziehung  eines  armen 
blinden  Kindes  verwendet  werden  soll."  Von  diesem  Be- 
schlüsse wird  der  Stifter  durch  die  niederösterreichische  Statt- 
halterei  in  Wien  in  Kenntnis  gesetzt  und  gefragt,  ob  er  damit 
einverstanden  sei.  Unter  den  mir  vorgelegten  Akten  ist  eine 
Antwort,  beziehungsweise  Zustimmung  des  Stifters  nicht  vor- 
handen, doch  ist  eine  solche,  wie  aus  einem  späteren  Referate 
ersichtlich  ist,  mit  Note  vom  22,  September  1827  erfolgt. 

Auf  diese  Bestimmung  betreffs  der  Kapitalshöhe  von 
500  fl.  wurde  bei  Verfügungen  bezüglich  der  Stiftung  bis  spät 
Rücksicht  genommen. 

Die  Absichten  des  Stifters  waren  sicher  ganz  andere. 
In  seiner  Ankündigung  weist  er  auf  eine  bereits  entstandene 
Anstalt  hin,  deren  inöglichste  Erweiterung  wünschenswert  sei. 
Diese  Anstalt  ist  zweifellos  das  der  Erziehung  der  blinden 
Kinder  gewidmete  Institut  Joh.  Wilh.  Kl  eins  und  aus  dem 
Zusammenhange  des  Stifters  mit  diesem  kann  mit  voller 
Berechtigung  geschlossen  werden,  daß  die  von  ihm  beab- 
sichtigte Stiftung  zur  Erhaltung  von  Freiplätzen  in  dem 
genannten  Institute  bestimmt  war,  wobei  die  aus  der  be- 
treffenden Provinz  stammenden  Blinden  aufzunehmen  waren. 
Dies  lag  überdies  im  Sinne  des  Direktors  der  Anstalt,  der 
begreiflicherweise  die  Teilnahme  aller  Kronländer  an  seinem 
Institute  wünschte  und  zu  fördern  suchte. 

Der  Mißerfolg  in  der  Geldbeschaffung  für  Stiftplätze  in 
den  verschiedenen  Kronländem  —  es  wurde  ja  auch  in 
Kärnten,  Krain,  Istrien  auf  die  angegebene  Weise  gesanunelt  — 
mußte  die  Ansprüche  des  Stifters  auf  die  Stiftung  begreif- 
licherweise herabmindern  und  er  nahm  daher  die  Proposition 
an,  wodurch  allerdings  die  ganze  Situation  wesentlich  ver- 
schoben wurde,  die  Stiftung  eigentlich  keine  solche,  wie 
Megerle  von  Mühlfeld  wünschte,  geworden,  nicht  voll- 
ständig im  Interesse  der  blinden  Kinder  gelegen  war,  wie  man 
später  einsah. 

Die  Gelder  ruhen  nun,  sie  vermehren  sich  durch  Zins 
und  Zinseszins  und  erst  im  Jahre  1854  geht  die  st  eier- 
märkische Statthalterei  an  die  Errichtung  und  Realisierung 
der  Stiftung. 

Da  ergeben  sich  nun  verschiedene  Bedenken.  Zu  dieser 
Zeit  mußte  ja  die  Kenntnis  von  der  Erziehung  und  dem 
Unterrichte   der   blinden  Kinder    in  weitere  Kreise  gedrungen 


Von  Alexander  Meli.  147 

sein.  Die  in  den  Jahren  183?  bis  1848  unternommenen  An- 
strengungen,  den  Blindenunterricht  zu  verbreiten  und  auszu- 
gestalten, auf  die  ich  weiter  unten  zurückkomme,  haben  die 
Ansichten  der  Referenten  wesentlich  beeinflußt,  wie  dies  aus 
dem  weiteren  Vorgange  bei  der  Durchführung  der  Stiftung 
ersichtlich  ist. 

Im  Jahre  1850  wird  endlich  der  Stiftbrief  aufgestellt, 
wobei  den  entwickelten,  vorgeschrittenen  Verhältnissen  des^ 
Blindenwesens  in  Niederösterrreich  bereits  Rechnung  getragen 
wird.  Allerdings  stützt  sich  die  Behörde  auf  den  Beschluß, 
einen  Stiftungsplatz  mit  den  Interessen  von  500  fl.  zu  dotieren,, 
aber  die  Kammerprokuratur  wünscht,  die  Verwendung  de» 
Stiftungserträgnisses  durch  den  Vater  oder  durch  einen  anderen 
gesetzlichen  Vertreter  des  Kindes  unter  die  Aufsicht  der 
Schuldislriktsleitung  des  Wohnortes  zu  stellen,  damit  die 
Verwendung  wirklich  zugunsten  des  Unterrichtes  und  der 
Erziehung  des  blinden  Kindes  geschehe. 

Übrigens  ist  die  Kammerprokuratur  vorsichtig,  indem  sie 
weiter  erklärt:  „Hiedurch  dürfte  einer  in  späterer  Zeit  etwa 
wünschenswert  erscheinenden  Modifikation  der  Stiftungsbedin- 
gungen **  kaum  ein  Hindernis  entgegengestellt  werden.  Als  das 
Blindeninstitut  in  Graz  errichtet  wurde  und  sich  weiter  ent- 
wickelte,  mußte  es  naturgemäß  auf  diese  Stiftung  Anspruch 
erheben;  dem  Begehren  konnte  Rechnung  getragen  werden,, 
weil  die  vorausschauende  Kammerprokuratur  die  Möglichkeit 
hiefür  offengelassen  hatte. 


Die  Professor  Klarsehe  Blindenstiftung.  1832. 

Nach  sechsjähriger  Pause,  während  welcher  das  Banden- 
wesen in  Österreich  manchen  Fortschritt  machte  —  es  ent- 
standen mittlerweile  das  Blindeninstitut  zu  Linz,  die  Klein* 
sehe  Versorgungsanstalt  in  Wien  und  die  Versorgungsanstalt 
in  Prag  —  wird  wieder  Steiermarks  gedacht.  Ein  Mann,  den 
wir  einen  Schüler  Kl  eins  im  Blindenwesen  nennen  können, 
der  gleiche  Ansichten  hatte  wie  dieser,  allerdings  auch  manche 
Ähnlichkeit  hat  mit  Megerle  von  Mühlfeld,  greift  mit 
seinen  Intentionen  nach  Graz  herüber. 

Professor  Alois  Klar*   in  Prag,  der  in  dieser  Stadt  im 

1  Alois  Klar,  Philologe  Humanist  und  Ästhetiker,  Deutschböhme^ 
Professor  an   der  Karl  Ferdinands-Universität  in  Prag,   war  1808  einer  de> 


148  Über  die  Anfänge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

Jahre  1832  eine  Beschäftigungs-  und  Versorgungsanstalt  für 
erwachsene  Blinde  nach  dem  Muster  der  1826  errichteten 
Wiener  Anstalt  gründete,  gab  im  Jahre  1831  eine  Druck- 
schrift heraus,  *  durch  deren  Verkauf  einerseits  eine  Einnahme 
erzielt,  andererseits  auf  die  Notwendigkeit  der  ausgiebigen 
Fürsorge  für  die  Blinden  hingewiesen  werden  sollte.  Er 
machte  1832  u.  a.  auch  dem  steiermärkischen  Gubemium  den 
Vorschlag,  „im  ganzen  Lande  unter  allen  Ständen,  Kommuni- 
täten und  Korporationen  eine  allgemeine  Beitragsleistung  für 
diese  Anstalt  in  Prag  einzuleiten  "  Der  Gesamtbetrag  dieser 
Sammlung  sollte  sodann  als  Stiftungskapitel  behandelt  und 
von  den  Interessen  sollten  so  viele  Blinde  aus  dieser  Provinz 
in  der  Prager  Anstalt  bleibende  Unterkunft  finden,  als  der 
jährliche  Unterhaltungsbetrag  Bedeckung  finden  würde.  Es 
handelte  sich  diesmal  nicht  um  Unterricht  und  Erziehung, 
sondern  um  dauernde  Versorgung  der  Blinden. 

Diese  Unternehmung  hatte  ähnlichen  mindergünstigen 
Erfolg  wie  die  Megerle  von  Mühlfeldsche,  denn  erst  1864 
konnte  der  Stiftbrief  aufgestellt  werden,  wobei  aber  schon  in 
der  Voraussicht,  daß  einmal  doch  in  Steiermark  eine  eigene 
Anstalt  für  Blinde  entstehen  müßte,  darauf  Bedacht  genommen 
war,  das  Kapital,  das  dem  Lande  entstammte,  auch  diesem  zu 
erhalten. 

Darum  wurde  unter  die  Bedingungen  aufgenommen : 
^1.  daß  die  steiermärkische  Statthalterei  als  politische  Landes- 
stelle das  Besetzungsrecht  auszuüben  habe,  wobei  unter  den  nach 
Steiermark  zuständigen  Bewerbern  die  im  Lande  Steiermark 
geborenen  den  Vorzug  haben,  und  daß  ihr  (der  Statthalterei) 
5as  Recht  gewahrt  und  vorbehalten  bleibe,  im  Falle  in  der 
Zeitfolge  eine  ähnliche  Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt 
für  arme  Blinde  oder  überhaupt  ein  Blinden-Institut  in  Steier- 
mark errichtet  werden  sollte,  diesen  Stiftungsplatz  und  die 
allenfalls  im  Verlaufe  der  Zeit  zugewachsenen  mehreren  steier- 
märkischen Stiftungsplätze,  respektive  Stiftungsplatz-Renten  für 


Mitbegründer  der  Ober  Einfluß  Job,  Wilh.  Kl  eins  in  diesem  Jahre  in  Prag  er- 
richteten Blinden-Erziehungsanstalt.  Sodann  errichtete  er  die  Blinden  versorgungs - 
Anstalt  auf  der  Kleinseite  in  Prag,  die  heute  noch  seinen  Namen  trägt.  Für  die 
Blinden  Böhmens  war  Klar  der  tätigste  Förderer,  aber  auch  nach  auswärts 
•suchte  er  —  wie  oben  gezeigt  wird  —  zu  wirken. 

»  „Denkwürdigkeiten  des  Prager  Privat-Institutes  für  arme  blinde 
Kinder  und  Augenkranke.  Nebst  Ideen  zu  einer  Versorgungs-  und  Beschäf- 
tigungsanstalt für  (erwachsene)  Blinde  ,  .  ,  Der  Ertrag  ist  zur  Begründung 
einer  Versorgungs-  und  Beschäftigungsanstalt  für  arme  Blinde  in  Böhmen 
Ijestimmt."  In  Böhmen    hatte  der  Verkauf  der  Schrift  bedeutenden  Erfolg. 


Von  Alexander  Meli.  149 

die  eigene  Anstalt  im  Lande  einzuziehen  und  folgerecht  den 
jeweiligen  steiermärkischen  Stiftung  (eventuell  Stiftlinge)  in  der 
Prager  Anstalt  in  jener  des  eigenen  Landes  unterzubringen  und 
zu  versorgen*'. 

1864  war  man  an  den  behördlichen  Stellen  somit  der 
Blindenfrage  in  Steiermark  bereits  so  nahe  gerückt,  daß  man 
eine  eigene  Landesanstalt  nicht  mehr  als  Ding  der  Unmög- 
lichkeit oder  der  späten  Zukunft  erachtete.  Allerdings  ist  von 
der  Gründung  bis  zur  Errichtung  des  Stiftbriefes  der  Klarsehen 
Stiftung  auch  ein  Zeitraum  von  32  Jahren  verflossen,  während 
dessen  in  Steiermark  sehr  vieles  geschehen  war,  was  die  An- 
sichten der  Behörden  in  Ansehung  der  Blinden -Anstalten 
änderte,  wie  aus  den  späteren  Darlegungen  hervorgehen  wird. 
Als  die  Odilien- Blinden -Anstalt  1881,  beziehungsweise 
die  vom  Odilien -Vereine  errichtete  Beschäftigungs-  und  Ver- 
sorgungsanstalt für  erwachsene  Blinde  1891  ins  Leben  traten, 
wurde  in  einem  Nachtrabe  zur  vorhergenannten  Stiftung  die 
Persolvierung  an  den  Odilien- Verein  übertragen. 


Ebenausche  Stiftung.  1836. 

Der  am  8.  August  1836  in  Graz  verstorbene  pensionierte 
Hauptmann  Johann  Ritter  von  Ebenau  setzte  in  seinem  am 
24.  Juli  1834  errichteten  Testamente  unter  anderm  folgendes  fest: 

„5.  Bestimme  ich  als  ein  bleibendes  Stiftungskapital 
4000  fl.,  sage  Viertausend  Gulden  CM.  20ger  zur  Versorgung 
für  vier  arme  Blinde  seiner  Zeit  in  einem  Institute.  Ein  derlei 
Institut  besteht  dermalen  noch  nicht  allhier,  wird  jedoch  bei 
dem  bekannten  Wohlthäti^keitssinne  der  hiesigen  Bewohner 
seinerzeit  unfehlbar  zu  Stande  kommen.  Einstweilen  sollen 
von  den  Zinsen  dieses  Kapitals  vier  arme  Blinde  (Manns-  oder 
Frauenspersonen)  mit  besonderer  Rücksicht  auf  kränkliche  und 
im  Alter  sehr  vorgerückte  Individuen  beteilt,  und  nach  Ableben 
derselben  mit  anderen  ersetzt  werden.  Sollte  in  der  Folge 
nun  derlei  Institut  ins  Leben  treten,  so  möge  die  Versorgung 
der  Beteilten  mit  der  eben  ausgesprochenen  Rücksicht  auf 
Armuth,  Alter  und  Kränklichkeit  daselbst  stattfinden." 

Der  Willbrief  wurde  am  5.  Februar  1840  aufjB:estellt 
und  vom  Grafen  Wickenburg  als  Gouverneur  unterzeichnet. 
Zunächst  wurde  die  Stiftung  von  der  k.  k.  Versorgungsanstal ten- 
Vervvaltung  akzeptiert  und  dabei  ausgesprochen,  daß  die  Zinsen 

11 


150  Über  die  Anfänge  der  Blindenfflrsorge    in  Steiermark. 

fortwährend  nach  dem  Willen  und  Sinne  des  Herrn  Stifters 
und,  solange  kein  eigenes  Blinden-histitut  für  Graz  errichtet 
ist,  nach  Weisung  der  hohen  Landesstelle  verwendet  werden 
sollen. 

Bemerkenswert  an  der  Sache  ist  die  vollste  Sicherheit 
des  Testators  bei  Erwägung  des  Umstandes,  daß  ein  Blinden- 
Institut  in  Graz  errichtet  werden  wird.  Das  gibt  völlig  den 
Beweis  dafür,  daß  in  den  Kreisen  der  Gebildeten  Steiermarks 
in  Kenntnis  des  wohltätigen  Wirkens  der  bestehenden  Blinden- 
anstalten die  Überzeugung  sich  einwurzelte,  es  müsse  auch  in 
Steiermark  endlich  etwas  für  die  Blinden  geschehen.  Ritter 
von  Ebenau  gibt  aber  auch  das  Beispiel,  wie  man  dem  Zwecke 
nachstreben  könne,  daß  man  selbst  mit  einer  verhältnismäßig 
geringen   Summe   der  Sache  einen  Dienst  zu  leisten  vermag. 

Es  dürfte  der  Schluß  wohl  gestattet  sein,  daß  das  Vor- 
gehen Ritter  von  Ebenaus  nicht  ohne  Wirkung  geblieben,  ist, 
denn  schon  ein  halbes  Jahr  nach  dem  Tode  dieses  Mannes- 
kann  man  eine  neue  Zuwendung  für  die  steirischen  Blinden 
verzeichnen. 


Josef  Seßlersche  Stiftung.  1837. 

Am  20.  Februar  1837  richtete  der  Herrschafts-  und  Eisen- 
werksinhaber Josef  Seßler  folgende  Eingabe  an  das  Gubemium: 

„hl  unserer  schönen  Hauptstadt  Grätz  sind  unter  den^ 
gnädigsten  Schutz  dieses  hochlöbl.  k.  k.  Gubemiums  viele  gute  und 
für  die  leidende,  oft  schon  von  Natur  unglückliche  Menschheit 
durch  Zusammenwirken  mancher  Menschenfreunde  und  Wohl- 
thäter  zu  ihrer  Linderung  und  Erhaltung  nützliche  Anstalten 
errichtet  und  ihr  Fortbestehen  durch  den  hohen  Schutz  des^ 
hochlöbl,  k.  k.  Gubemium  gegründet  worden ;  woraus  sich 
getrost  hofen  läßt,  daß  auch  noch  künftig  Hochselbes  manche 
derartig  neue  Anstalten  in  hohen  Schutz  zu  nehmen  geneigt 
seyn  dürfte,  die  diesen  hinsichtlich  ihrer  Gemeinnützlich-  und 
Wohltätigkeit  an  die  Seite  gestellt  zu  werden  verdienen,  und 
dieses  dürfte  unvorgreiflichermaßen  ein  für  die  durch  die  Natur 
oder  durch  Zufall  des  Augenlichtes  beraubten  Unglücklichem 
neu  errichtetes  Blindeninstitut  seyn.  — -  Wenn  daher  durch 
die  hohe  Gnade  und  Fürsorge  dieses  hochlöbl.  k.  k.  Landes-^ 
Gubemium  über  kurz  oder  lang  eine  solche  Anstalt  in  das- 
Leben  tretten  würde,  so  unterstehet  sich  der  ehrfurchtsvoll st- 
gehorsamst  Unterzeichnete,  einen  Stiftungsplatz  auf  ewige  Welt- 


Von  Alexander  Meli.  151 

Zeiten  mit  1200  fl.,  sage  Eintaasendzweyhundert  Gulden  in 
Conv.  Münz  zu  jährlichen  5%  Interesse  somit  mit  jährlichen 
6o  fl.  CM.  Stipendium  zu  stiften;  auch  erklärt  ersieh  gehorsamst 
einen  zweyten  des  Augenlichtes  Beraubten  auf  drei  Jahre  mit  jähr- 
lichen 6o  fl.  CM.  in  diesem  Institute  zu  unterstützen;  und  da 
mehrere  biedere  Menschen  zu  diesem  edlen  Zweck  mitzuwirken 
nicht  abgeneigt  seyn  dürften,  so  würde  gar  bald  ein  so  nütz- 
liches Institut  in  das  Leben  tretten  können  . .  .  ." 

Aus  dem  Schreiben  geht  hervor,  daß  der  Stifter,  so 
wie  sein  Vorgänger  v.  Ebenau,  von  der  Notwendigkeit  der 
Errichtung  einer  Fürsorgeanstalt  für  Blinde  überzeugt  war. 
S  e  ß  1  e  r  wollte  gleich  jenem  eine  solche  Anstalt  in  Graz  ent- 
stehen sehen,  einer  solchen  wollte  er  ausgiebige  Unterstützung 
leihen,  aber  auch  nur  einer  heimischen  Anstalt.  Er  leiht  der 
Überzeugung  Ausdruck,  daß  sich  die  Spenden  mehren  müssen, 
wenn  Beispiele  vorhanden  sind. 

In  der  Antwort  auf  dieses  Schreiben  wird  Herrn  Seßler 
zur  Kenntnis  gebracht,  daß  Klar  in  Prag  eine  Anstalt  zur 
Beschäftigung  und  Versorgung  für  Blinde  eingerichtet,  aus  dem 
Erträgnisse  einer  von  ihm  verfaßten  und  zugunsten  der 
Blinden  verkauften  Schrift  auch  ein  Platz  für  einen  steier- 
märkischen  Blinden  in  Prag  errichtet  werden  soll  und  Herr 
Seßler  wird  aufmerksam  gemacht,  daß  dieses  Stiftungskapital 
bereits  1237  fl.  betrage,  jedoch  2000  fl.  betragen  müsse,  um 
einen  Freiplatz  im  Prager  Institute  zu  geben.  Vielleicht  wäre 
Herr  Seßler,  so  meint  das  Gubernium,  geneigt,  diese  Stiftung 
auf  die  erforderliche  Höhe  zu  bringen,  und  es  wird  ihm  nahe- 
gelegt, dies  zu  tun. 

Herr  Seßler  äußert  sich  ablehnend,  indem  er  am 
26.  April  1837  aus  Großiobming  an  das  Gubernium  schreibt: 

„Des  ehrfurchtsvollst  Unterzeichneten  sein  Bestreben  ist 
stets  dahin  gerichtet,  zur  Verherrlichung  der  Provinz  Steyermark 
und  ihrer  guten  Hauptstadt  mitzuwirken,  wozu  er  auch  die 
edlen  Anstalten,  in  welchen  Hilfslos  und  von  Natur  Verun- 
glückte Unterkunft  und  Hülfe  finden,  zählet;  daher  ist  sein 
Wunsch  nur  jener,  daß  nebst  denen  vielen  bereits  bestehenden 
rühmlichen  Institut  auch  in  der  Prov.  -  Hauptstadt  Graz 
eine  blinden  Anstalt  ins  Leben  tretten  möchte,  wozu  er  eine 
Stiftung  zu  machen  und  durch  drey  Jahre  drey  arme  Blinde 
zu  unterstützen  sich  erbothen  hat:  Jedoch  für  die  sehr  weit 
entlegene  Blindenanstalt  zu  Prag  hat  er  keinen  Sinn;  wenn 
sich  aber  in  der  Zwischenzeit  dieses  edle  Blinden-Institut  in 
unserer  Hauptstadt  nicht  sollte  wieder  bestens  Vermuthens  in 

11* 


152  Über  die  Anfänge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

Ausführung  bringen  laßen,  bis  das  dermalen  in  1237  fl.  8  kr. 
C.  M.  bestehende,  nach  Prag  bestimmte  Stiftungs-Kapital  auf 
1900  fl.  CM.  anwächst,  so  erklärt  er  sich  gehorsamst,  daß 
er  sodann  hiezu  bar  100  fl.  C.  M.  um  dieses  nach  Prag  be- 
absichtigte Kapital  per  2000  fl.  C.  M.  vollzählig  zu  machen, 
beizutragen  sich  verbindlich  machen  wolle.  Jedoch  glaubt  der 
ehrfurchtsvoUest  Gehorsamste  in  aller  Unterthänigkeit  bitten  zu 
dürfen,  wenn  über  kurz  oder  lang  eine  Blinden -Anstalt  in 
unserer  Hauptstadt  errichtet  werden  sollte,  daß  dieses  Stiftungs- 
kapital zu  dem  hierländisch  bestehenden  Institut,  etwa  mit 
lUyrien  in  Vereinigung,  zurückgerufen  werden  wolle." 

Das  Gubemium  nimmt  daraufhin  die  Anträge  Seßlers 
dankend  zur  Kenntnis  und  erklärt,  daß  es  nicht  ermangeln 
werde,  in  dem  einen  oder  dem  andern  Falle  von  den  gestellten 
x^nerbietungen  Gebrauch  zu  machen. 

Es  wäre  höchst  interessant  zu  wissen,  woher  Seßlers 
Interesse  für  die  Errichtung  einer  Blinden-Anstalt  stammte. 
Vermutungen  sind  bereits  ausgesprochen  worden.  Vermuten  läßt 
sich  auch,  daß  Seßler  die  Wiener  •  Anstalt  kennen  lernte 
und  dort  den  Entschluß  faßte,  ähnliches  in  Steiermark  zu 
unterstützen,  bezw.  anzuregen. 


Dr.  Josef  Piringer.  1838. 

Ein  Jahr  später,  1838,  wird  von  neuer  Seite  der  Frage 
der  Blindenfürsorge  näher  getreten.  Der  Protomedikus  Lorenz 
V.  Vest  richtet  an  das  Gubernium  eine  Eingabe,  in  welcher 
er  zunächst  darauf  hinweist,  daß  sich  in  Graz  „schon  mehrere 
Stimmen  erhoben  haben,  welche  die  Errichtung  eines  Blinden- 
Institutes,  beyläufig  nach  dem  Muster  des  von  Wien  als  sehr 
wünschenswert  aussprechen".  Dr.  Piringer*  habe  sich  mit 
ihm  in  nähere  Erörterung  des  Gegenstandes  eingelassen.  Dieser 
sei  „aus  sehr  guten  und  höchst  berücksichtigungswerten  Gründen 
gegen  solche  Institute  und  glaubt,  daß  der  dafür  allenfalls  ent- 
stehende Fonds  auf  eine  andere  Weise  für  arme  Blinde  viel 
zweckmäßiger  verwendet  werden  könne".  Dr.  Piringer  be- 
absichtigt, den  Gegenstand  in  einer  Druckschrift  zu  behandeln, 
dadurch  der  öffentlichen  Beurteilung  zu  übergeben  und  viel- 
leicht „allgemeiner   das   Mitgefühl   und  die  Teilnahme   milder 


1  Josef  Fr,  Piringer,   damals  ordinierender  Arzt  des  k.  k.  Siechen« 
haiises  und  der  okulistischen  Abteilung  des  k.  k.  Krankenhauses  in.  Graz.  •. 


Von  Alexander  Meli.  153 

Menschen   anzuregen,   um  die  Hilfe  derselben   gemeinnütziger 
i  zu  machen,  als  es  durch  ein  Bildungsinstitut  möglich  ist."* 

Dazu   aber  wünscht   Dr.    Piringer    durch    statistische 
Daten  über  die  Zahl  der  im  „  Gouvernement"  vorhandenen  Blinden 
[  zu   erhalten,    da   hievon   mit  die  Dringlichkeit  der  Untemeh- 

^  mung   sowie   die  Art   und  Weise,   wie   man    den   Zweck  er- 

j  reichen  könnte,  abhängt.    Es   sollen  bereits  Jugendblinde  von 

!  später  Erblindeten    geschieden  werden,    doch  will    Piringer 

sich  mit  summarischen  Daten  zufrieden  geben.  Es  ist  hier  zum 
erstenmale  in  Steiermark   die  Erhebung  der  Zahl  der  Erblin- 
dungen begehrt   und  die  Behörde  geht  darauf  ein,   indem  sie 
i  an  die  fünf  Kreisämter  Steiermarks  am  2.  Mai  1838  den  Auf- 

trag hinausgehen    läßt,    daß  durch    die  Bezirksobrigkeiten  die 
Zahl  der  in  jedem  Bezirke  befindlichen  Blinden  erhoben  werde. 
I  Dabei  soll  doch  schon  etwas  differenziert  werden,  indem  nicht 

nur  von  Geburt  Blinde  und  solche,  welche  später  durch  Krank- 
heit,   durch   Unglücksfälle    erblindeten,    unterschieden    werden 
sollen,  sondern  auch  gleich   angegeben  werden  soll,  wie  viele 
I  heilbar  oder  unheilbar,  vermöglich  oder  dürftig  sind. 

Eine  solche  Statistik  scheint  unter  den  Akten  nicht  vor- 
handen zu  sein.  Sie  wäre  übrigens  nur  von  akademischem 
Interesse,  da  Piringer  auf  seine  Absicht,  über  die  Blinden 
seine  Meinung  abzugeben,  verzichtet  haben  dürfte.  Von  einer 
Druckschrift  über  den  Gegenstand  ist  mir  nichts  bekannt,  denn 
die  Nachforschungen  darnach  haben  ein  negatives  Resultat 
ergeben. 
\  Piringer     war   anderweitig    in    Anspruch   genommen 

I  worden.  Im  August  1839,  also  ein  Jahr  später,  als  er  sich  über 

die  Blinden  in  Steiermark  informieren  wollte,  überreichte  er 
dem  deutschen  ärztlichen  Verein  in  St.  Petersburg  eine  umfang- 
reiche Abhandlung  unter  dem  Titel:  „Die  Blennorrhoe  am 
Menschenauge".  Die  Schrift  wurde  mit  einem  Preise  ausge- 
zeichnet und  1841  in  Druck  gelegt.'-* 
f  Die  Untersuchungen  über  diese  Augenerkrankunor,  welche . 

trotz  eines  ausgezeichneten,  nunmehr  allbekannten  Heilungs- 
verfahrens heute  noch  eine  hohe  Prozentziffer  der  Erblindungen 
hervorruft,  mußte  Piringer  unbedingt  auf  die  Blinden  und 
in  weiterer  Folge  auf  die  Frage  ihrer  Versorgung  leiten.  Da- 
her ist  auch   sein  Interesse   für  diese  Klasse  der  Nichtvollsin- 


*  Ein  ungenannter  Ehrenbürger  von  Graz  spendet  in  diesem  Jahre 
zur  „Blinden  -  Instituts  -  Errichtung"  einen  Betrag  unter  der  Devise;  „Gebel 
gern  den  Unglücklichen  — •  Vergelt  es  Gott  " 

*  Grätz,  Franz  Ferstelsche  Buchhandlung,  Job.  Lorenz  Greiner. 


154  Über  die  Anfänge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

nigen  während  des  Studiums  oder  gegen  Abschluß  der  Arbeit 
über  die  Blennorrhoe  begreiflich.  Allein  es  lagen  ihm  die  Blinden 
seiner  Klinik  am  nächsten,  Personen,  die  einem  Erziehungs- 
Institute  meist  entwachsen  waren,  aber  doch  arme  Leute,  einer 
Unterstützung  höchst  bedürftig.  Wenn  daher  Piringer  sich 
gegen  Institute  ausspricht,  so  ist  es  naheliegend ;  er  wollte  für 
diese  älteren  Personen  etwas  getan  sehen,  diesen  sollte  das 
Leben  einigermaßen  erleichtert  werden. 

Das  Werk  P  i  r  i  n  g  e  r  s  befaßt  sich  mit  den  Blinden 
nicht ;  es  ist  darauf  für  die  vorliegende  Abhandlung  nicht  ge- 
nauer einzugehen ;  andererseits  sind  doch  so  interessante  Daten 
darin  enthalten,  daß  man  darüber  nicht  hinwe^igehen  kann. 
Vorauszusetzen  wäre  folgendes:  E^  ist  usuell  geworden,  bei 
Versammlungen  von  Blindenlehrern  und  Blindenfreunden,  wie 
sie  in  neuerer  und  neuester  Zeit  abgehalten  werden,  auch  der 
Prophylaxe  zu  gedenken,  und  es  werden  bei  fast  jeder  Ver- 
sammlung sehr  belehrende  Vorträge  von  Ärzten  gehalten.  Fast 
immer  wird  der  Ophthalmobblennorrhoe  neonatorum  als  sehr 
verbreiteter  Erblindungsursache  und  der  Bekämpfung  dieser 
Krankheit  durch  das  Credesche  Verfahren  gedacht,  wobei  reiches 
statistisches  Material  vorgebracht  wird.  Dieses  Verfahren,  ^  das 
seit  zirka  l88o  in  Anwendung  ist  und  die  Zahl  der  Erblin- 
dungen durch  Blennorrhoe  bedeutend  zurückgedrückt  hat,  be- 
steht der  Hauptsache  nach  in  einer  Behandlung  des  kranken 
Auges  mit  einer  schwachen  Lapis- (Silbemitrat-)  Lösung. 

Da  das  Credesche  Verfahren  so  wichtig  ist,  so  fragt  man 
sich  bei  Durchsicht  eines  älteren  Buches  über  die  Blennorrhoe 
unwillkürlich,  wie  hat  man  damals  über  die  Heilung  dieser 
weitverbreiteten  Krankheit  gedacht,  wußte  man  schon  etwas 
von  der  Wirksamkeit  der  Anwendung  einer  Silberlösung  ?  — 
Also  auch  hier. 

Das  Mittel  war  dem  steirischen  Augenarzte  Piringer 
nicht  unbekannt,  denn  er  berichtet,^  er  wisse  von  Mitteilungen, 
nach  denen  in  England  zwei  Ärzte  jede  Blennorrhoe  durch 
Ätzen  der  Augenbindehaut  mit  einer  Höllensteinlösung  heilten. 
Dann  berichtet  er,  daß  ein  holländischer  Arzt  namens  Kerst 
ebenfalls  diese  Lösung  als  Heilmittel  in  Anwendung  brachte 
und  mit  so  viel  Erfolg,  daß  andere  holländische  Ärzte  sich 
dessen  bedienten  und  Heilungen  erreichten.  Er,  Piringer,  wolle 

*  Crede,  Karl  S.  F.,  „Die  Verhütung  der  Augenentzündung  der  Neu- 
geborenen» der  häufigsten  und, wichtigsten  Ursache  der  Blindheit**,  Berlin,  1884. 
Der  Verfasser  bezieht  sich  auf  einzelne  Ausführungen  Piringers. 

«  Piringer  a.  a.  O.  §  143. 


Von  Alexander  Meli.  155 

über  das  Mittel  kein  absprechendes  Urteil  fällen,  aber  er  könne 
sich  nicht  entschließen,  ein  Atzmittel  anzuwenden.  Nur  große 
Gewissenhaftigkeit  und  die  Sorge,  Schaden  anzurichten,  hielten 
Piringer  ab,  Versuche  mit  Höllenstein,  den  er  am  meisten 
für  wirksam  hält,  anzuwenden,  und  er  belegt  seine  Ansicht 
über  Ätzmittel  im  Auge  auch  mit  Beispielen  von  Erblindung 
infolge  unvorsichtiger  Behandlung  dieser  Art.i 

Piringer  geht  übrigens  in  einem  zweiten  Buche,^  das 
der  Belehrung  junger  Mütter  gewidmet  ist,  auf  die  Gefahren 
der  Blennorrhoe-Erkrankung  ein  und  gibt  einfache  Mittel  zur 
Behebung  des  Übels  an,  und  dadurch  stellt  er  sich  in  die 
Reihe  jener  Ärzte  und  Blindenfreunde,  ist  vielleicht  sogar  einer 
der  ersten,  wenn  nicht  der  erste  unter  ihnen,  die  in  dieser 
Richtung  mahnende  Worte  in  populärer  Form  an  das  Volk 
richteten  und  Warnungen  in  eindringlichster  Art  laut  werden 
iießen. 

Bemerkenswert  ist  ferner,  daß  er  in  diesem  zweiten 
Werke  (Seite  198  der  zweiten  Auflage)  mitteilt,  es  wären  im 
Jahre  1841  bei  gcx)  Blennorrhoe  -  Blinde  in  Steiermark  ge- 
wesen. Wie  die  Zählung  erfolgte,  auf  welcher  Basis  diese  hohe 
Zahl  aufgestellt  wurde,  vermag  ich  nicht  zu  erkennen. 

Was  Piringer  als  Arzt  und  Forscher  bedeutet,  zu 
"beurteilen,  ist  nicht  meine  Sache;  zu  verzeichnen  ist  aber 
seine  Tätigkeit,  wenn  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark  ge- 
dacht wird. 


Der  Unterricht  der  Blinden  in  der  Vollcsschule.  1842. 

Nach  dreijähriger  Pause  begegnet  man  dem  Gegenstande 
in  den  Akten  wieder.  Freunde  der  Blinden,  die  sich  deren 
Förderung  zum  Lebensberufe  gemacht  haben,  sind  eben  un- 
ermüdlich durch  Schrift  und  Wort  tätig,  für  diese  Klasse  der 
Nichtvollsinnigen  zu  wirken.  Das  Beispiel  K  l  e  i  n  s  in  Wien 
ist  ja  höchst  fördernd,  aber  auch  dessen  Epigonen  wollen 
nicht  zurückbleiben,  darunter  lein  gewisser  Anton  Dolezalek, 
•ein  Schüler  Kl  eins,  der  in  Preßbwrg,  sodann  m  Ofen  ein 
Blinden  -  Institut  errichtete  und  über  dje  Blindenfürsorge  Ver- 
schiedene Schriften  heraiMgab.  Wiejvohl  dieser  Mann  i^ine 
nicht  durchaus  einwandfreie  Tätigkeit  entwickelt  und  sich  z\xt 


1  Piringer  a.  a.  O.  §  166.  ^ 

«  Piringer,  Dr.  Josef :  „Die   richtige  Pflege  der  neugeborenen    und 
kleinen  Kinder.«   1.  Aufl.  Graz,  i«7l.  2.  Auß.  1877. 


156  Über  die  Anfönge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

Erreichung  seiner  Ziele  nicht  immer  entsprechender  Mittel 
bedient,  1  so  muß  man  ihm  doch  zugestehen,  daß  er  für  die 
Verbreitung  der  Idee  der  Blindenfürsorge  manches  getan  hat. 
Insbesondere  jenen  Kronländern,  wo  eine  Anstalt  sich  zur  ge- 
gebenen Zeit  nicht  befand,  wandte  er  sein  Augenmerk  zu 
und  sandte  u.  a.  drei  seiner  Broschüren  an  das  Landes- 
gubemium  in  Graz  (20.  Juli  1841)  mit  dem  Ersuchen,  eine 
derselben,  „Anweisung,  blinde  Kinder  von  der  frühesten  Jugend 
an  zweckmäßig  zu  behandeln ",2  in  der  „landesüblichen  Sprache 
drucken  und  den  Seelsorgern  und  Lehrern  im  Lande  unent- 
geltlich verteilen  zu  lassen*.  Gubemialrat  Krauß  berichtet 
hierüber  und  es  wird  beschlossen,  „die  drei  Hefte  in  der  Re- 
gistratur zu  hinterlegen,  bis  das  Vorhandensein  hinlänglicher 
Fonds  den  Gebrauch  derselben  hervorrufen  wird". 

Wirkungsvoller  gestaltete  sich  eine  Aktion  Joh.  Wilhelm 
Kl  eins  in  Wien,  mit  der  wir  uns  bezüglich  ihres  Ursprungs 
zunächst  zu  beschäftigen  haben. 

1836  veröffentlichte  der  Ebengenannte  ein  Schriftchen 
unter  dem  Titel:  „Anleitung  zur  zweckmäßigen  Behandlung 
blinder  Kinder  von  der  frühesten  Jugend  an  in  dem  Kreise 
ihrer  Familien  und  in  der  Schule  ihres  Wohnortes".^  Es  war 
dies  eine  sehr  populär  gehaltene  Schrift,  die  der  Erkenntnis 
entsprang,  daß  es  trotz  des  besten  Willens  und  mancher  An- 
strengungen mit  der  Errichtung  von  Blinden-Unterrichtsanstalten 
sehr  langsam  vorwärts  gehe.  Infolgedessen  und  weil  sich  die 
Lehrer  auf  dem  Lande  aus  begreiflichen  Gründen,  hauptsäch- 
lich aber  aus  Unkenntnis  der  Behandlung  der  Blinden,  dieses 
gar  nicht  annehmen,  bleiben  derartige  Kinder  in  den  weitaus 
meisten  Fällen  ganz  ohne  Erziehung,  andererseits  werden  sie 
nicht  sehen  durch  falsche  Behandlung  noch  unglücklicher  ge- 
macht. Das  große,  1819  erschienene  Werk  Kleins  sei  zu 
teuer,  um  gerade  in  den  interessierten  Kreisen  Abnehmer  zu 
finden,  daher  es  wertvoll  sei,  eine  kleine,  dadurch  ganz  billige 
Schrift  zu  besitzen,  die  über  die  Erziehung  der  Blinden  Auf- 
schluß gibt.  Klein  sagt  ferner  in  der  Vorrede,  diese  Anleitung 
sei  wohl  in  erster  Linie  den  Eltern  blinder  Kinder  gewidmet, 
aber  die  Mehrzahl  solcher  Eltern  lese  derartige  Schriften  nicht, 
und  darum  mögen  Geistliche  und  Schullehrer  den  Zweck  för- 
dern, aus  dem  Büchlein  die  wichtigsten  Kenntnisse  schöpfen  und 
die  Eltern  blinder  Kinder  über  deren  Behandlung  unterrichten. 

1  Vgl.  Meli»  Geschichte  des   k.  k.  BUnden-Institutes  in  Wien.   1904. 

»  Ofen,  1839' 

3  Wien,  1836.  Zu  haben  im  k.  k.  Blinden-Institute. 


Von  Alexander  Meli.  157 

Diese  Schrift  wurde  von  dem  vorhin  genannten  Dole- 
zalek  benutzt;  er  schrieb  die  oben  angeführte  Abhandlung, 
die  er  nicht  nur  nach  Steiermark,  sondern  an  verschiedene 
Landesstellen  einsandte,  darunter  auch  an  das  Gubernium  von 
Tirol  und  Vorarlberg,  welches  Klein  aufforderte,  ein  Gut- 
achten über  den  Inhalt  abzustatten.  Dadurch  bekam  Klein 
überhaupt  erst  Kenntnis,  daß  seine  Arbeit  anderweitige  und 
unerwünschte  Nachahmung  fand,  und  diese  Erkenntnis  ver- 
anlaßte  ihn,  eine  Neuauflage  der  „Anleitung"  zu  beschleu- 
nigen. Das  Büchlein  wird  diesmal  von  einer  rührigen  Buch- 
handlung ^  verlegt  und  verbreitet. 

Gleichzeitig  gibt  Klein  der  Regierung  ein  Promemoria, 
worin  er  seine  Ansichten  über  den  Unterricht  blinder  Kinder 
in  der  Volksschule  darlegt.  Alle  diese  Umstände  rufen  (10.  De- 
zember 1842)  ein  Dekret  der  Studienhof kommission  hervor, 
welches  anordnet,  es  sei  ein  Bericht  über  die  Bedürfnisse 
des  Blinden -Unterrichtes  im  betreffenden  Kronlande  abzu- 
geben. Dieses  Dekret  kommt  natürlich  auch  an  das  Guber- 
nium in  Graz. 

Das  Dekret  führt  aus:  „Nach  der  Erfahrung  reichen 
die  bestehenden  Blinden-Institute  nicht  hin,  um  alle  vorhan- 
denen, eines  Unterrichtes  bedürftigen  Blinden  aufzunehmen, 
die  aufgenommenen  selbst  aber  werden  in  der  Regel  aus  ihren 
eigentümlichen  Verhältnissen  herausgerissen  und  mit  solchen 
Gewohnheiten  und  Wünschen  bekannt  gemacht,  welche  sie 
nach  ihrem  Austritte  aus  dem  Institute  nicht  weiter  befrie- 
digen können.  Es  erscheint  daher  als  ein  Bedürfnis,  daß  für 
den  Unterricht  blinder  Kinder  und  eine  ihren  Verhältnissen 
entsprechende  Bildung  auch  in  ihrem  elterlichen  Hause  und 
in  der  Schule  ihres  Ortes  gesorgt  und  daher  der  Blinden- 
Unterricht  möglichst  den  gewöhnlichen  Anstalten  zur  Volks- 
bildung, den  Volksschulen  einverleibt  werde."  Dies  ist  der 
Kernpunkt  der  oberbehördlichen  Darlegungen.  Die  Logik  ist 
eine  unanfechtbare:  Es  gibt  zu  wenig  Blindenanstalten  in 
Österreich.  Die  Blinden  sollen  aber  nicht  ohne  Unterricht  und 
Bildung  heranwachsen.  Daher  hat  die  allgemeine  Unterrichts- 
anstalt sich  ihrer  anzunehmen.  Dem  augenblicklichen  Stande 
des  damaligen  Blindenwesens  und  seiner  Entwickelung  mag 
die  Lösung  der  Blindenfrage  in  dieser  Weise  genügend  ge- 
schienen haben.  Für  den  Moment  wäre  etwas  wenigstens  für 
die  Blinden  geschehen,  aber  man  vermißt  den  weiterschauenden 


*  A.  Pichlers  sei.  Witwe,  Wien. 


158  Über  die  Anftnge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

Blick  der  Behörden,  die  auf  dem  Standpunkte  des  Jahres  l8l8 
stehen  geblieben  sind  und  nicht  Umschau  gehalten  haben,  wie 
der  Institutsunterricht  in  Österreich,  trotzdem  er  seitens  der 
Unterrichtsbehörden  nicht  nur  keine  Förderung  erfuhr,  son- 
dern in  manchen  Fällen  geradezu  behind^t  wurde,  sich  ent- 
wickelte, wie  auch  in  Deutschland  —  wenn  man  nicht  noch 
weiter  ins  Ausland  blicken  will  —  histitute  entstanden,  die 
in  ihrer  inneren  Organisation  unzweifelhafte  Fortschritte  auf- 
wiesen und  ihren  Zwecken  entsprachen. 

Die  Anregung  der  Studien  -  Hofkommission  mag  ja  gut 
gewesen  sein  —  aber  als  oberste  Behörde  hätte  sie  wissen 
sollen,  daß  die  Hindernisse  zum  Unterrichte  der  Blinden  in 
der  Volksschule  keine  gewöhnlichen  sind  und  daß  es  kaum 
möglich  sein  würde,  diese  Hindemisse  zu  beseitigen. 

Der  Erfolg  hat  es  gelehrt,  daß  der  Unterricht  von  Blinden 
in  der  geplanten  Weise  nur  ein  Notbehelf  sei,  und  hätte  die 
Behörde,  statt  diesem  Ziele  unverrückbar  nachzugehen,  die 
Errichtung  von  Anstalten  für  Blinde  zu  fördern  getrachtet, 
insbesondere  Anregungen  hiezu  gegeben  und  die  Bemühungen 
der  an  der  Arbeit  befindlichen  Blindenlehrer  unterstützt  — 
wenn  auch  nur  moralisch  —  so  wäre  für  die  Blinden  mehr 
geschehen.  Daß  endlich  doch  in  Steiermark  ein  Blindcn-Institut 
entstand  und  dieses  die  Blindenfürsorge  in  angemessener  Weise 
in  die  Hand  nahm,  ist  doch  der  beste  Beweis  für  die  Nutz- 
losigkeit  der  Bestrebungen  von  i8l8  und  1842. 

Indem  der  Erlaß  der  Studien-Hofkommission  nicht  nur 
die  Notwendigkeit  des  Blindenunterrichtes  anerkennt  und  etwas 
dafür  getan  haben  will,  und  zwar  ganz  ausdrücklich  ohne  Hilfe 
von  besonderen  Anstalten,  übt  diese  Behörde  zugleich  eine  ziem- 
lich scharfe  Kritik  des  Erfolges  dieser  Anstalten,  und  durch  die 
Ablehnung  bringt  sie  Voreingenommenheit  bei  den  Unter- 
behörden hervor,  von  denen  nach  den  Ausführungen  der 
Studien-Hofkommission  wohl  keine  sich  für  die  Errichtung 
einer  vollständigen  Blinden-Anstalt  erwärmen  konnte.  Sind  in 
Steiermark  gewichtige,  durch  materielle  Leistung  bekräftigte 
Stimmen  für  die  Errichtung  solcher  Anstalten  laut  geworden, 
mußten  sie  doch  ungehört  bleiben,  wenn  einerseits  im  Lande 
selbst  eine  Gegnerschaft  (Piringer)  bestand,  der  man  Gewicht 
nicht  absprechen  kann,  wenn  andererseits  von  hoher  amtlicher, 
also  autoritativer  Stelle,  gegen  die  Errichtung  von  Instituten 
förmlich  Einspruch  erhoben  wird.  Es  ist  den  Blinden  Steier- 
marks  damals  ein  schlechter  Dienst  erwiesen  worden  und  es 
wird  nicht  zu  viel  behauptet  sein,  wenn  man  folgert,  daß  die 


Von  Alexander  Meli.  159 

Frage  der  Errichtung   einer  Blinden-Anstalt   in  Graz   damals 
auf  Jahrzehnte  zurückgestellt  worden  ist. 

Der  Verlauf  der  durch  das  Hofdekret  vom  10.  Dezember  1 842 
hervorgerufenen  Bewegung  unter  den  Schulaufsichtsorganen  — 
weiter  ist  ja  die  Angelegenheit  nicht  gedrungen  —  ist  lehr- 
reich und  interessant.  Es  sei  in  folgendem  das  Wichtigste 
darüber  mitgeteilt. 

Das  mehrgenannte  Dekret  ordnet  an:  ^Das  k.  k.  Guber- 
nium  hat  daher  nach  Einvernehmung  der  Konsistorien  in  Über- 
legung zu  nehmen  und  unter  Vorlage  eines  numerischen  Aus- 
weises der  dort  landesbefindlichen  schulpflichtigen  Blinden  bis 
Ende  März  1843  gutachtlichen  Bericht  anher  zu  erstatten,  ob 
nicht  in  eben  dieser  Art,  wie  dies  in  Folge  der,  mit  dem 
hierortigen  Dekrete  vom  24.  Juni  d.  J.,  Z.  3771,  eröffneten 
allerhöchsten  Entschließung  vom  11.  Juni  d.  J.  rücksichtlich 
der  Taubstummen  geschehen  ist,  auch  dem  Blinden-Unterricht 
durch  eine  zweckmäßige  Heranbildung  von  Lehramts-Kandidaten 
an  einem  Blinden -Institute,  durch  besondere  Belohnung  der 
Lehrer  für  den  Unterricht  blinder  Kinder,  eine  erweiterte  ent- 
sprechende Verbreitung  in  den  Volksschulen  verschafft  oder 
auf  welche  andere  Art  vielleicht  diesem  Zwecke  noch  besser 
entsprochen  werden  könnte.* 

Das  Gubernium  gibt  daraufhin  den  Auftrag  an  die  beiden 
Ordinariate  Lavant    und    Seggau,   an  die  f.-b.  Administration 
der  Leobener  Diözese,  sowie  an  die  fünf  Kreisämter  in  Steier- 
mark, die  geforderten  Erhebungen  zu  pflegen,  beziehungsweise 
\  die  geforderten  Gutachten   in  meritorischer   Beziehung  zu  er- 

I  statten.    Man  sollte  glauben,  daß  die  Berichte  sehr  genau  ge- 

'  arbeitet  sind,    denn  es  vergehen  Jahre  bis  sie  an  die  Landes- 

stelle gelangen. 

Die  Gutachten  der  Ordinariate  sind  in  vieler  Beziehung 
interessant,  da  sie  auch  bezüglich  des  Standes  des  Volksschul- 
unterrichtes im  allgemeinen  Streiflichter  enthalten. 
i  Das  Lavanter  Ordinariat    antwortet  bereits    am  22.  Fe- 

I  bruar  1846  in  der  Hauptsache  folgendes: 

1.  Es  unterliege    keinem  Zweifel^    daß  der  methodische 
Unterricht  blinder  Kinder  auf  Regeln  und  Grundsätzen  beruhe, 
und  gewisse  Vorteile  und  Fertigkeiten  von  Seite  des  Lehrers 
erfordere,   die  sich   letzterer   durch  eigene  Versuche  und  Er- 
I  fahrungen  oder  durch  bloße  Lektüre  von  derlei  Anleitungen 

f  nie  so  sicher  und  schnell   eigen  zu   machen  imstande  ist,    als 

wenn  er  hiezu  eine  förmliche  sowohl  theoretische  als  praktische 
Anweisung  erhalte.  Es  ist  daher  die  Einführung  eines  solchen 


160  Über  die  Anfange  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

Unterrichtes  für  angehende  Seelsorger  und  Lehrer  nicht  bloß 
zweckmäßig,  sondern  dürfte  sich  auch  mit  jenen  Maßregeln 
in  Verbindung  bringen  lassen,  die  beieüglich  des  Unterrichtes 
für  zukünftige  Taubstummenlehrer  eingeleitet  sind. 

2.  ^Abgesehen  von  der  Beschwerlichkeit,  blinde  Kinder, 
die  im  elterlichen  Hause,  oder  wie  es  auf  dem  Lande  der 
gewöhnliche  Fall  ist,  sonst  vom  Schullokale  entfernt  wohnen, 
täglich  in  die  Schule  und  aus  derselben  zu  führen,  kann  sich 
der  eigentliche  Schulunterricht  solcher  Kinder  wohl  nur  auf 
solche  Gegenstände  erstrecken,  zu  deren  Auffassung  der  Sinn 
des  Gesichtes  entbehrlich  ist,  somit  blos  auf  Relit[ionslehre 
und  einige  wenige  andere  Gegenstände,  zu  deren  Auffassung 
blos  Verstand  und  Gedächtnis  erforderlich  sind.  Am  Lese- 
unterrichte können  dieselben  nur  durch  Anhörung  des  Ge- 
lesenen und  der  Erklärungen  desselben  einen  blos  entfernten, 
am  Schreibunterrichte  aber  gar  keinen  wirklichen  und  praktisch 
nützlichen  Anteil  nehmen,  da  es  vom  Lehrer  nicht  gefordert 
werden  und  eine  Vernachlässigung  der  übrigen  Schuljugend 
auch  nicht  geschehen  kann,  daß  derlei  Kinder  allenfalls  im 
Lesen  erhabener  Schriften  unterwiesen  würden,  wie  es  in 
Blinden-Instituten  wohl  zur  Verwunderung  vollsinniger  Zuseher, 
aber  ohne  reellen  Nutzen  für  derlei  Kinder,  vielleicht  blos  zur  Übung 
und  Schärfung  ihres  Tastsinnes  zu  geschehen  pflegt.  Diesen 
Hindernissen,  welche  dem  förmlichen  Schulunterrichte  und 
einem  vollständigen  Erfolg  desselben  bey  blinden  Kindern 
entgegenstehen,  dürfte  es  daher  beyzumessen  sein,  daß  die 
bestehende  Vorschrift  wegen  Verhalten  dieser  Kinder  zum 
Besuche  öffentlicher  Schulen  besonders  auf  dem  Lande  nur 
in  sehr  seltenen  Fällen  befolgt  wird,  und  sich  der  Unterricht 
solcher  Blinder  anfangs  blos  auf  die  häusliche  religiöse  Unter- 
weisung beschränkt,  zu  der  später  in  den  Jahren  der  Beicht- 
fähigkeit solcher  Kinder  erst  des  Ortsseelsorgers  Religions- 
unterricht hinzutritt,  der  ihnen  gleichzeitig  mit  anderen  voll- 
sinnigen Kindern  ertheilt  wird ;  welche  Anfangsgründe  der 
religiösen  Unterweisung  weiterhin  durch  den  Besuch  des 
kirchlichen  Unterrichtes  noch  mehr  erweitert,  begründet  und 
fruchtbringend  gemacht  werden,  wie  es  bey  vielen  Vollsinnigen 
der  Fall  ist,  die  in  der  Jugend  nicht  in  der  Lage  sind,  einen 
förmlichen  und  gründlichen  Schul-Unterricht  zu  erhalten.  Bey 
diesem  beschränkteren  Grade  des  Blinden -Unterrichtes,-  der 
übrigens  für  Kinder  des  Bauern-  oder  eines  anderen  gemeinen 
Standes  als  ganz  genügend  erachtet  werden  darf,  wird  es  auf 
dem   Lande    auch    dann    meistens    verbleiben    müssen,    wenn 


Von  Alexander  Meli.  161 

allmählich  das  Lehrpersonale  und  die  Seelsorger  auch  in  dem 
methodischen  Verfahren  beim  Unterrichte  blinder  Kinder  mehr 
bewandert  se3m  werden.* 

3.  Der  Kardinalpunkt  der  ganzen  Blindenbildung,  die 
Heranziehung  des  Blinden  zu  einem  Berufe,  deren  Erziehung 
zu  einem  anständigen  Erwerbe,  wohin  ja  vor  allem  die 
Tätigkeit  der  den  Nichtsehenden  gewidmeten  Anstalten  abzielt, 
wird  vom  Ordinariate  in  ganz  richtigjer  Weise  beantwortet. 
Das  Ordinariat  sagt:  ^Die  weitere  Bildung  und  eine  dem 
elterlichen  Stande  angemessene  Tauglichmachung  blinder  Kinder 
zum  Erwerbe  ihres  Unterhaltes  kann  weder  Sache  der  Schule, 
noch  der  eigentlichen  Schullehrer  oder  Seelsorger  seyn.* 
Allerdings  spricht  das  Ordinariat,  irregeleitet  durch  die  von 
der  Studien-Hofkommission  ausgesprochene  Ansicht  über  die 
Blinden-Anstalten,  auch  diesen  die  Fähigkeit  ab,  entsprechend 
zu  wirken,  und  meint,  es  sei  dieser  Unterricht  ^ unter  unmittel- 
barer Aufsicht  und  Leitung  der  Eltern  oder  Angehörigen  der 
Blinden,  und  unter  Mitwirkung  hiezu  geeigneter  Lehrer  und 
Werkmeister  oder  sonstiger  Handarbeiter  und  Arbeiterinnen* 
zu  erteilen.  —  Das  läßt  sich  leicht  theoretisch  aufstellen,  die 
Erfahrung  von  vierzig  Jahren  hatte  aber  bereits  gezeigt,  daß 
CS  nicht  ausführbar  sei. 

Wenn  auch  zugegeben  werden  muß,  daß  einzelne  Blinde 
im  Hause  ihrer  Angehörigen  zur  Arbeitsfähigkeit  gelangt  sind 
I  und  sich  ihren  Unterhalt  verdienen  konnten,    so  sind  dies  im 

,  Verhältnis    so   seltene  Fälle,    daß  sie   nicht    zählen    und  man 

)  getrost  sagen  kann,  fast  alle  Blinden  sind  damals    dem  Bettel 

oder  dem  Müßiggange  in  anderer  Form  verfallen.  In  der 
Richtung  auf  die  Brauchbarmachung  des  Blinden  sind  einzig 
und  allein  gut  eingerichtete  Blinden-Anstalten  erfolgreich  ge- 
wesen und  sind  es  heute  noch,  trotz  des  Fortschrittes,  den 
die  Volksschule  gemacht  hat  und  so  vollkommen  sie  die  ihr 
.  gestellte    Aufj^abe    im    Hinblicke    auf   ihre    sehenden    Schüler 

r  erfüllt :  die  Volksschule  kann  ein  Notbehelf  für  den  Unterricht 

des  Blinden  sein,  wenn  es  an  Instituten  mangelt,  aber  den 
Unterricht,  beziehungsweise  die  Erziehung  in  einer  den  Blinden 
gewidmeten  Anstalt  kann  sie  nicht  bieten,  daher  sie  für  den 
Blinden  wertlos  ist,  wenn  nicht  das,  was  sie  vorbereitungs- 
weise beginnt,  in  einer  wohlgeleiteten  Blinden-Anstalt  seine 
I  Fortsetzung  findet. 

[  Das  Seckauer  und  Leobner  Ordinariat  zu  Graz  äußerten 

sich  unter  dem  5.  April  1843,  ohne  auf  die  einzelnen  Punkte, 
im  besonderen  einzugehen,  etwas  kürzer,  wobei  ab^r  dieselben 


162  Ober  die  Anfänge  der  Blindenitkrsorge  in  Steiermark. 

Ansichten  wie  beim  Lavanter  Ordinariate  geäußert  werden. 
Zuerst  wird  gemeldet,  daß  in  der  Seckauer  Diözese  24,  in 
der  Leobner  Diözese  2,  zusammen  26  lemfahige  Kinder  im 
schulpflichtigen  Alter*  vorhanden  seien.  Dann  fährt  der 
Bericht  fort: 

^Obschon  es  sehr  erwünschlich  wäre,  daß  allen  leni- 
fähigen  blinden  Kindern  ein  ihren  Verhältnissen  entsprechender 
Schulunterricht  zugänglich  gemacht  und  hierdurch  ihr  trauriges 
Geschick  einigermaßen  gemildert  werden  könnte,  so  stehen' 
doch  der  allgemeinen  Verbreitung  eines  erweiterten  Unter- 
richtes der  blinden  Kinder  in  den  Volksschulen  sehr  erheb- 
liche, zum  Teile  kaum  zu  beseitigende  Hindemisse  entgegen, 
und  zwar  sowohl  von  der  Seite  der  Lehrindividuen  als  der 
blinden  Kinder. 

Es  befindet  sich  nämlich  dermalen  in  den  beiden  Diözesen 
noch  niemand,  der  in  der  eigentlichen  Unterrichtsmethode  für 
Blinde  bewandert  wäre,  und  es  läßt  sich  nicht  annehmen,  daß 
Lehramtskandidaten  auf  ihre  eigenen  Kosten  in  ein  entferntes 
Blindeninstitut  sich  begeben  würden,  um  sich  in  der  frag- 
lichen Lehrmethode  theoretisch  und  praktisch  einzuüben.  Und 
würde  sich  auch  ein  oder  der  andere  etwa  gegen  Ersatz  der 
diesfälligen  Kosten  herbeylassen,  so  würde  hiedurch  im  All- 
gemeinen für  den  Unterricht  der  Blinden  doch  wenig  ge- 
wonnen werden,  indem  die  blinden  Kinder  in  den  Pfarren  der 
Diözese  zerstreut  sind,  daher  eine  Vereinigung  mehrer  der- 
selben nicht  thunlich  wäre,  und  wohl  auch  der  Fall  ein- 
treten könnte,  daß  dort,  wo  ein  geeigneter  Lehrer  sich  be- 
fände, kein  lemfähiges  blindes  Kind  vorhanden  wäre,  wie  sich 
dieses  im  verflossenen  Jahre  an  mehreren  Orten  in  Ansehung 
des  Taubstummenunterrichtes  ereignet  hat. 

Anbey  wohnen  mehrere  aus  den  blinden  Kindern  eine 
Stunde  und  darüber  vom  Schulorte  entfernt.  Da  hauptsächlich 
wegen  der  großenteils  gebirgigen  Ortslagen  Steyermarks,  und 
wegen  der  weiten  und  beschwerlichen  Wege  zur  Schule  laut 
der  letztjährigen  Schulstandsausweise  in  den  Diözesen  Seckau 
und  Leoben  ungeachtet  der  nachdrücklichsten  Aufmunterungen 
zum  Schulbesuche  noch  nahe  an  lO.cxx)  schulfähige  voll- 
sinnige  Kinder  ohne  eigentlichen  Schulunterrricht  verblieben 
sind;  so  ist  dieses  Hindernis  um  so  mehr  in  Ansehung  der 
Blinden  in  Anschlag  zu  bringen,    da    diese  auch  für  die  kür» 

i  Nach  einer  späteren  Darstellung  waren  in  Steiermark  zur  fraglichen  Zeit 
nur  32  bildungsfähige  Kinder  vorhanden  ;  von  denen  entfielen  auf  die  Lavanter 
Diözese  nur  6,  was  kaum  wahrseheinlich  ist. 


Von  Alexander  Meli.  163 

zeste  Strecke  eines  Führers  bedürfen,  welchen  ihnen  ihre  meist 
mittellosen  Altem  nicht  mitgeben  können,  gleichwie  auch  aus 
den  von  den  Schuldistrikts-Aufsichten  eingereichten  Ausweisen 
ersehen  wird,  daß  sich  unter  der  oben  angegebenen  Zahl  der 
blinden  Kinder  23  arme,  ja  unter  diesen  9  Findlinge  be- 
finden." 

Der  Bericht  meint  ferner,  es  sei  nicht  tunlich,  daß  die 
Lehrindividuen  sich  in  entfernte  Häuser  zur  Erteilung  des 
Privatunterrichtes  für  solche  Kinder  begeben ;  es  dürfte  anderer- 
seits der  Unterricht  blinder  Kinder  nicht  in  Zeiten  fallen,  wo 
der  Lehrer  durch  die  Wiederholungsschule  oder  durch  den 
Meßner-  und  Organistendienst  in  Anspruch  genommen  ist. 
„Endlich  würde  eine  Aufmunterung  des  Lehrpersonales  zur 
Erteilung  des  Blindenunterrichtes  durch  Gewährung  einer  be- 
sonderen Belohnung  um  so  notwendiger  sejm,  als  dasselbe 
durch  seine  sonstigen  Berufsgeschäfte  ohnehin  so  vielfältig  in 
Anspruch  genommen  wird,  daß  demselben  kaum  eine  Zeit 
zur  notwendigen  Erholung  erübrigt."  —  Kurz  es  wird  der 
Unterricht  des  blinden  Kindes  wohl  nicht  direkt  abgelehnt, 
aber  es  ist  herauszulesen,  daß  der  Schwierigkeiten  sehr  viele 
sind,  also  für  das  blinde  Kind  wenig  zu  erwarten  ist. 

Die  Erhebungen  über  die  Zahl  der  blinden  Kinder  in 
Steiermark  —  diese  Zahlen  sind  nicht  ohne  Interesse  für  die 
Allgemeinheit  —  dauern  längere  Zeit;  erst  im  Juli  1843 
liefert  die  Staatsbachhaltung  einen  Totalausweis  an  das  Gu- 
bemium.  Darnach  wurden  Blinde  überhaupt  gezählt: 


Im  Kreise 

Judenburg 

18 

n           n 

Brück 

12 

rt           n 

Graz 

40 1 

r>           n 

Marburg 

10 

1 

Cilli 

15 

zusammen 

also 

95. 

BKnde  Kinder  im  schulpflichtigen  Alter,  oder  wie  es 
dort  heißt,  Kinder  vom  6.  bis  12.  Jahre,  werden  51  gezählt, 
davon  sollen  32  bildungsfähig,  nicht  unterrichtsfähig  19  sein, 
was  ein  ganz  günstiges  Verhältnis  bedeutet,  wenn  man  be- 
denkt, daß  das  erhebende  Amtsorgan  nicht  die  nötige  Erfah- 
rung besaß,  in  seinem  Urteil  unsicher  war  und  manchen  noch 
immer    bildungsfähigen  Blinden    als  Idioten    betrachtet    haben 

»  Die  hohe  Zahl  der  blinden  Kinder  im  Kreise  Graz  ist  wohl  auf 
das  erwiesenermaßen  häufige  Vorkommen  der  Blennorrhoe  in  Städten  zurück- 
zufQhren^ 


164  Über  die  Anfänge  der  Blindenflirsorge  in  Steiermark. 

mag,  und  ferner  auch  dann  günstig,  wenn  man  erwägt,  wie 
sehr  die  Vernachlässigung  der  Kinder  auf  deren  geistige  Fähig- 
keiten herabmindernd  wirkt. 

Von  den  51  gezählten  Kindern  erhielten  zusammen 
13  Unterricht,  und  zwar  10  in  Graz,  2  in  Marburg  und  1 
in  Cilli ;  in  Obersteiermark  war  gar  keine  unterrichtüche  Für- 
sorge für  die  Blinden  zu  verzeichnen. 

Wenn  auch  die  vorgenommene  Zählung  —  sowie  die 
meisten  solcher  Zählungen  —  nicht  auf  absolute  Richtigkeit 
Anspruch  erheben  kann,  ist  doch  aus  ihr  die  eine  Tatsache 
unbedingt  zu  entnehmen,  daß  eine  solche  Zahl  von  blinden 
Kindern  schon  damals  in  Steiermark  vorhanden  war,  daß 
die  Errichtung  einer  Anstalt  für  Blinde  zumindest  nicht  über- 
flüssig  gewesen  wäre. 

Gerade  das  erlangte  Zahlenmateriale  hätte  zu  weiteren 
Erwägungen  der  Sachlage  auffordern  müssen,  da  schon  bei 
Vorhandensein  von  40  Blinden  die  Erhaltung:  einer  besonderen 
Anstalt  höchst  notwendig  gewesen  wäre.  Wie  schon  erwähnt, 
ist  die  Grenze  der  Bildungsfähigkeit  von  einem  Laien  nicht 
ohneweiters  festzustellen,  daher  ist  es  nicht  ausgeschlossen, 
daß  manches  als  nicht  unterrichtsfähig  bezeichnete  Kind  in  der 
Unterrichtsanstalt,  also  in  sachkundigen  Händen,  zu  einiger 
geistiger  Tätigkeit  und  manueller  Fertigkeit  hätte  gebracht 
werden  können,  während  es  im  Elternhause  einfach  geistig 
zugrunde  ging.  Es  hätten  ferner  noch  Blinde  über  das 
12.  Lebensjahr  hinaus  ganz  wohl  in  einer  Anstalt  Aufnahme 
finden  und  dort  entsprechend  erzogen  werden  können.  Nach 
der  Zählung  wäre  demnach  die  Errichtung  einer  Anstalt  für 
Blinde  schon  1843  ^^^  wirkliches  Bedürfnis  für  die  Steiermark 
gewesen. 

Das  Gutachten  des  Guberniums  an  die  Studien-Hof- 
kommission bewegt  sich  begreiflicherweise  in  dem  Rahmen 
■der  Ordinariatsberichte  und  stimmt  ihren  Ausführungen  zu, 
daraus  den  Grund  zu  Anträgen  schöpfend.  In  dem  Gutachten, 
das  Gubernialrat  Propst  Kraus  abgibt  und  das  nach  Beschluß 
in  der  Sitzung  vom  9.  August  1843  an  die  Studien-Hofkom- 
mission hinausgeht,  wird  folgendes  ausgeführt: 

Das  Ziel  des  Blindenunterrichtes  an  der  Volksschule  ist 
ein  zweifaches:  Jeder  Blinde  soll  ein  sittlicher  guter  Mensch 
und  ein  brauchbares  Glied  der  bürgerlichen  Gesellschaft  werden. 
Wie  das  erste  erreicht  werden  soll,  sagen  schon  die  mit- 
geteilten Ordin^riatsberichte,  denen  sich  das  Gubernium  voll- 
inhaltlich anschließt.    Das  zweite  Ziel  ist  zu  erreichen  „durch 


Von  Alexander  Meli  166 

einen  den  Fähigjceiten  und  dem  Stande  angemessenen  Unter- 
richt, durch  welchen  sie  (die  Blinden)  in  den  Stand  gesetzt 
werden,    zum  Erwerbe  ihres  Lebensunterhaltes   mitzuwirken". 

Betreffs  der  Kinder,  welche  von  dem  Pfarrorte  und  jeder 
Schule  zu  weit  entfernt  und  die  zugleich  ganz  mittellos  sind 
—  in  Steiermark  sollen  es  nur  ig  sein,  die  ohne  jeden  Unter- 
richt geblieben  sind  —  könnte  nach  Ansicht  des  Referenten 
am  besten  gesollt  werden,  „wenn  sie  einem  am  Pfarr-  oder 
Schulorte  oder  in  der  Nähe  desselben  wohnenden  Bürger, 
Landmann  oder  Handwerker  mit  der  Verbindlichkeit  übergeben 
würden,  dafür  zu  sorgen,  daß  sie  täglich  oder  wenigstens 
zweymahl  in  der  Woche  zum  Schulunterrichte,  und  an  Sonn- 
tagen zum  Gottesdienste  und  zur  Christenlehre  geführt  und  zu 
Hause  zur  Erlernung  häuslicher  Arbeiten  oder  eines  Hand- 
werkes angeleitet  werden.  Zur  Übernahme  eines  solchen  Kindes 
dürften  sich  Landleute  herbeylassen,  wenn  ihnen  für  die  Zeit 
vom  6.  bis  zum  15.  Jahre  eine  Unterstützung  von  jährlich 
40  bis  50  fl.  zugesichert  würde.* 

„Zur  Bedeckung  dieser  jährlichen  Unterstützungen  ist 
bereits  der  Grund  gelegt  durch  die  zugunsten  der  Blinden  ge- 
machten Geschenke  und  Stiftungen ;  nämlich  von  den  5  Prozent 
Interessen  eines  Kapitals  von  4000  fl.  CM.*  wurden  4  Blinde 
jährlich  lebenslänglich  mit  50  fl.  beteilt.  Dann  besteht  ein  Ge- 
schenk'-* mit  einer  Domestikalobligation  per  350  fl.,  ferner 
300  fl.  CM.,  welehe  in  der  Sparkasse  fruchtbringend  an- 
gelegt und  durch  teilweise  Geschenke  entstanden  sind  .  .  .  ." 
„Eis  ist  nicht  zu  zweifeln  daß  ein  Aufruf  zur  Fortsetzung 
dieser  wohlthätigen  Geschenke  bei  dem  guten  Sinn  der  Be- 
völkerung Anklang  finden  und  mit  der  Zeit  einen  Fond  be- 
gründen würde,  der  zur  Unterstützung  aller  mittellosen  blinden 
Kinder  zum  Behufe  ihres  Unterrichtes  in  der  Schule  und  in 
häuslichen  Arbeiten  hinreichen  wird." 

Weiter  verspricht  der  Bericht  an  die  Studien-Hof- 
kommission, „daß  die  Seelsorgegeistlichkeit  dafür  sorgen  werde, 
daß  die  schulpflichtigen  blinden  Kinder,  welche  im  Schulorte 
oder  in  dessen  Nähe  wohnen,  regelmäßig  zum  Schulunter- 
richte, die  entfernter  wohnenden  zum  mindesten  an  Sonn-  und 
Feiertagen  zum  Religionsunterrichte  geführt  werden,  worüber 
die  Schuldistriktsaufseher  zu  wachen  und  bei  ihren  Visitationen 
die  Überzeugung  zu  verschaffen  und  so,  wie  es  in  Ansehung 
der    Taubstummen    vorgeschrieben    ist,     in    ihren    Visiiations- 


*  Ebenaiische  Stiftung. 

'  Ungenannter  Ehrenbürger  von  Graz. 


12 


166  Über  die  Anfänge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark, 

berichten  über  die  Zahl,  die  Bildungsfähigkeit  und  die  wirk- 
liche Bildung  der  in  ihren  Bezirken  befindlichen  Blinden  ge- 
nauen Bericht  zu  erstatten  haben". 

Bemerkenswert  an  dem  Berichte  des  Gubemiums  ist 
der  Vorschlag,  blinde  Kinder  in  den  Schulort  oder  doch  in 
seine  Nähe  zu  bringen,  damit  der  Schulbesuch  möglich  werde. 
Man  könnte  darin  den  Keim  zu  einer  Blindenschule  (Blinden- 
klasse)  erblicken,  wenn  gesagt  wäre,  daß  man  einen  bestimmten 
Schulort  wählen,  die  unterrichlsbedürftigen  blinden  Kinder  dort 
sammeln  und  ihnen  den  regelmrißigen  Unterricht  vermitteln  wolle. 
Bemerkenswert  scheint  der  Vorschlag,  weil  dieser  bereits  früher 
von  Joh.  Wilhelm  Klein  in  Wien  gemacht  worden  ist,  der 
aber  weiter  geht  und  sagt,  an  solchen  Schulorten  müßten 
nicht  nur  die  blinden  Kinder  gesammelt,  es  müßte  dort  auch 
ein  Lehrer  verwendet  werden,  der  die  Methode  des  Blinden- 
unterrichtes  kennen  gelernt  und  dadurch  die  Eignung  habe, 
einen  naturgemäßen  Unterricht  den  ihm  zugewiesenen  blinden 
Schülern  zu  erteilen.  Es  begegnen  sich  somit  in  gewissen 
Punkten  die  Ansichten  des  Meisters  des  Blindenunterrichtes 
und  die  des  Schulreferenten  im  Gubemium,  was  nach  allen 
Richtungen  für  die  Zweckmäßigkeit  der  Vorschläge  deutlich 
spricht. 

Die  Studien-Hofkommission  hat  das  vorhin  bezeichnete 
Dekret  an  sämtliche  deutschen  Provinzen  Österreichs  hinaus- 
gegeben und  es  verging  begreiflicherweise  viel  Zeit,  ehe  die  be- 
gehrten Berichte  einlangten.  Alle  diese  Berichte  erhielt  nun 
Joh.  Wilh.  Klein  zur  Begutachtung,  bezw.  Berichterstattung, 
die  um  die  Mitte  des  Jahres  1845  erfolgte,  *  worauf  neuerlich 
eine  allerhöchste  Entschließung  vom  28.  April  1846  erfloß, 
in  welcher  die  Grundzüge  für  die  Verbreitung  des  Blinden- 
unterrichtes festgesetzt  werden. 

Das  Dekret  der  Studien-Hofkommission  ordnet  in  allen 
„deutschen  Provinzen"  Österreichs  auf  Grund  der  Anträge 
Kleins   folgenden  Vorgang  an^: 

1.  „Da  blinde  Kinder  an  Hauptlehrgegenständen  des 
Elementarunterrichtes  teilnehmen  können,  so  ist  dafür  zu 
sorgen,  daß  derley  Kinder,  wenn  sie  keinen  Privatunterricht 
erhalten,  die  öffentlichen  Schulen  so  viel  es  thunlich  ist,  be- 
suchen. Aber  auch  jene  blinden  Kinder,  welche  weder  die 
öffentlichen  Schulen  zu  besuchen  im  Stande  sind,  noch  Privat- 

>  Meli,  Geschichte  des  k.  k.  B.-E.-I.,  p.  200  ff.,  enthält  nähere  De- 
tails Ober  dieses  Gutachten. 

«  Dekret  vom  7.  Mai   1846,  Z.  3469. 


i 


Von  Alexander  Meli.  167 

Unterricht  erhalten,  sollen  eines  angemessenen  Religionsunter- 
richtes nicht  entbehren.  Es  ist  daher  den  Ordinarien  zu  er- 
klären, Seine  Majestät  habe  das  Vertrauen  zu  ihnen,  daß  sie 
ihren  Kuratklerus  zur  Erfüllung  dieser  seiner  Pflicht  verhalten 
werden.* 

2.  Werden  Winke  bezüglich  der  Lehrgegenstände  und 
des  einzuhaltenden  Vorganges  gegeben,  wobei  die  Ansichten 
der  Ordinariate  beibehalten  werden. 

3.  Betriff't  die  Aufmunterung  der  Schullehrer  und  es 
heißt  da:  „Damit  die  Schullehrer  zur  Erteilung  des  Unter- 
richtes an  blinde  Kinder  mehr  aufgemuntert  werden,  sind  den- 
selben im  Falle  erzielter  günstiger  Erfolge,  nach  Maßgabe 
dieser  Erfolge  und  der  dabei  gehabten  Mühe,  Berücksichtigung 
bei  Anstellungen,  Belobungen  oder  Remunerationen  an  gedeihen 
zu  lassen.  Remunerationen  haben  jedoch  nur  dann  stattzufinden, 
wenn  sich  Schullehrer  um  die  Bildung  blinder  Kinder  dadurch 
ein  Verdienst  erwerben,  daß  sie  außer  den  Schulstunden  den- 
selben im  Lesen,  Schreiben,  Rechnen  mit  geschriebenen  Zahlen, 
in  Musik  Unterricht  erteilen  und  dieselben  auch  allenfalls  zu 
solchen  Handarbeiten  anleiten,  welche  ihnen  als  Mittel  zu 
einem  Erwerbe  dienen  können.  Die  Remuneration  hat  bei 
Abgang  sonstiger  Mittel  der  Normalschulfond  zu  tragen.^ 

4.  Auf  die  Anregung  des  steirischen  Gubemiums  bezüg- 
lich der  Beschaffung  yon  Geldmitteln  zur  Unterstützung  blinder 
Kinder  geht  die  Studien-Hofkommission  in  der  Art  ein,  daß 
sie  anordnet:  „Zur  Ausführung  oder  doch  Erleichterung 
der  in  den  Absätzen  l  und  3  angedeuteten  Maßregeln,  sind 
nebst  bestimmten  hiezu  gewidmeten  Beiträgen  auch  die  Er- 
trägnisse solcher  Spenden  zum  Besten  der  Bildung  von  Blinden 
zu  verwenden,  bei  welchen  eine  ausdrückliche  Widmung  zu 
Stiftplätzen  nicht  gemacht  worden  ist,  indem  durch  diese 
Maßregeln  eben  der  Zweck  der  Bildung  dieser  Unglücklichen, 
und  zwar  auf  die  naturgemäßeste  Weise  erlangt  wird.** 

Punkt  5  bestimmt,  daß  Seelsorgern  und  Lehramts- 
kandidaten die  Möglichkeit  gegeben  werden  solle,  sich  an  den 
bestehenden  Blinden-Erziehungsinstituten  in  der  Methode  des 
Blindenunterrichtes  zu  bilden,  wobei  die  Institutsvorstände  an- 
zuweisen sind,  den  Besuchern  Unterricht  und  Anleitung  bereit- 
willigst zu  geben.  An  den  zu  dieser  Zeit  bestehenden  Blinden- 
anstalten wurden  nicht  nur  auf  Grund  dieser  Bestimmung, 
sondern  schon  früher  junge  Geistliche  und  Lehramtskandidaten 
mit  Anweisungen  zum  Blindenunterrichte  versehen,  insbesondere 
ging  Wien  in  dieser  Richtung  als  Muster  vor;  mancher  Freund 

12* 


168  Über  die  Anfänge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

der  Blinden  ist  aut  diese  Art  für  die  edle  Mission  der  Blinden- 
fürsorge gewonnen  worden. 

Im  6.  Abschnitt  des  Dekretes  wird  in  Aussicht  gestellt, 
daß,  da  zum  Zwecke  der  Einführung  in  den  Blindenunterricht 
auch  schon  eine  theoretische  Anleitung  viel  nützt,  eine  solche 
unentgeltlich  verteilt  werden  wird.  Die  Studien-Hofkommission 
behält  es  sich  vor,  von  dieser  Anleitung  der  k.  k.  Landesstelie 
eine  angemessene  Anzahl  von  Abdrücken  zur  weiteren  Ver- 
teilung zuzusenden. 

Punkt  7,  der  letzte,  enthält  Bestimmungen,  durch 
welche  der  Unterricht  blinder  Kinder  im  allgemeinen,  sowohl 
in  den  bestehenden  Anstalten  als  auch  außerhalb  derselben 
im  Auge  behalten  und  über  die  gemachten  Wahrnehmungen 
berichtet  werden  solle. 

Schließlich  macht  das  Dekret  auf  das  Buch  Direktor 
Kleins,  das  Lehrbuch  zum  Unterrichte  der  Blinden  (Wien  1819) 
aufmerksam  und  ordnet  an,  daß  es  für  die  Universitäts-,  be- 
ziehungsweise Lyceal-Bibliotheken  angeschafft  werde. 

Das  Gubemium  gibt  nun  dieses  Dekret  in  extenso  her- 
aus und  zwar  an  das  F.-B.  Seckauer  und  das  Leobner 
Ordinariat  und  das  F.-B.  Lavanter  Konsistorium,  dann  er- 
geht an  die  Vorstehung  der  Universitätsbibliothek  in  Graz 
und  an  die  k.  k.  Gymnasialdirektionen  in  Marburg,  Cilli, 
Judenburg  und  St.  Lambrecht  der  Auftrag,  das  vorhingenannte 
Lehrbuch  des  Direktors  Klein,  „wenn  es  noch  mangeln  sollte, 
beizuschaffen,  und  die  Benützung  desselben  zum  Selbstuntei- 
richte  den  Seelsorgern,  Lehrern  und  Lehramtskandidaten  zu 
gestatten".  Endlich  werden  die  fünf  steirischen  Kreisämter 
von  der  an  die  Ordinariate  erlassenen  Verordnung  betreffend 
die  Förderung  des  Unterrichtes  der  Blinden  zur  Amtswissen- 
schaft mit  der  Aufforderung  verständigt,  die  Bezirksobrigkeiten 
anzuweisen,  die  Seelsorger  in  der  Förderung  dieses  Unterrichtes 
zu  unterstützen  und  dahin  zu  wirken,  daß  ganz  mittellose 
und  vom  Pfarr-  und  Schulorte  zu  weit  entfernte  Kinder  für 
die  Dauer  des  Unterrichtes  bei  nahe  gelegenen  Insassen  un- 
entgeltlich aufgenommen  werden. 

Das  Gubemium  geht  durch  diese  Erklärung  von  dem 
Vorschlage  ab,  für  solche  Kinder  ein  wenn  auch  nur  bescheidenes 
Kostgeld  auszusetzen  und  dadurch  wird  die  gute  Absicht  der 
Studien-Hofkommission  unausführbar  gemacht.  Man  scheut  sich 
ja  in  vielen  Fällen  blinde  Kinder  selbst  gegen  Bezahlung  aufzu- 
nehmen ;  wer  würde  dann  ohne  jeden  Nutzen  die  Last,  ein 
blindes  Kind  zu  verpflegen   und  es  in  Obhut   zu   halten,    auf 


Von  Alexander  Meli.  169 

sich  laden?  Hätte  das  Gubemium  die  gleich  anfangs  ausge- 
sprochene Absicht,  Kostorte  für  blinde  Kinder  zu  schaffen, 
festgehalten,  so  wäre  sicher  Gutes  geschehen,  denn  es  wäre 
nicht  unwahrscheinlich,  daß  Lehrer  selbst  ein  solches  Kind 
zu  sich  genommen  hätten.  Ein  Hindernis  war  übrigens  nicht 
vorhanden,  da  die  Studien-Hofkommission  in  der  Verwendung 
von  Geldern  für  Blinde  keine  die  Absicht  des  Guberniums 
verhindernde  Bestimmung  trifft. 

Einige  im  Gefolge  der  bisherigen  Maßnahmen  noch  auf- 
tretende Umstände  sind  lediglich  nebensächlicher  Natur  und 
die  k.  k.  vereinigte  Hofkanzlei  empfiehlt  auch  ihrerseits  die 
Anschaffung  des  Kleinschen  Lehrbuches. 

Klein  hat  mittlerweile  seine  „Anleitung*'  ^  fertiggestellt 
und  das  Gubemium  erhält  zunächst  70  Exemplare  mit  dem 
Auftrage,  das  Büchlein  an  jene  Schulen  zu  verteilen,  wo  sich 
schulfähige  Blinde  befinden,  und  an  jene  Lehrindividuen, 
welche  sich  die  Blinden-Unterrichtsmethode  zur  allfälligen 
künftigen  Benützung  anzueignen  beabsichtigen.  ^  Im  Dezember 
kommen  abermals  70  Exemplare  zur  Verteilung  ^  und  im 
Jahre  1848  wird  das  erste  für  die  blinden  Schulkinder  be- 
stimmte, in  der  k.  k,  Hof-  und  Staatsdruckerei  in  Wien  her- 
gestellte Buch  mit  tastbaren  Lettern,  ein  „Nahmenbüchlein",  das 
ist,  wie  wir  es  nennen,  eine  Fibel,  zum  Gebrauche  beim 
Blindenunterrichte  empfohlen  und  zu  dessen  Anschaffung 
aufgefordert.  4 

In  den  verfügbaren  Akten  findet  sich  keinerlei  Anhalts- 
punkt dafür,  daß  in  Steiermark  auf  Grund  aller  dieser  Veran- 
lassungen ein  blindes  Kind  in  der  Volksschule  der  Sehenden 
oder  aber  auf  privatem  Wege  fachgemäßen  Unterricht  erhalten 
hätte.  Das  schließt  allerdings  nicht  aus,  daß  die  Anordnungen 
der  Studien-Hofkommission  bezüglich  der  blinden  Kinder  von 
Erfolg  begleitet  waren,  allein  zu  einem  Eingreifen  der  Volks- 
schullehrer in  dem  Grade,  daß  eine  Entschädigung  für  den 
Zeitaufwand  und  die  Bemühungen  um  ein  blindes  Kind  hätte 
angesprochen  werden  können,  führte  es  nicht.  Es  dürfte  auch 
der  Effekt  der  Mahnungen  der   Schulenoberaufsicht   zur    Für- 

1  Anleitung,  blinden  Kindern  die  nötige  Bildung  in  den  Schulen  ihres 
Wohnortes  und  in  dem  Kreise  derer  Familien  zu  verschaffen.  Wien  1846. 
Im  Verlage  der  k.  k.  Schulbücher- Verschleiß-Administration  bei  St.  Anna  in 
der  Johannisgasse. 

*  Studien-Hofkommission.  1 3.  Juli  1 846.  Das  Büchlein  wurde  an  alle 
deutschen  Kronländer  verteilt. 

3  Studien-Hof kommission.  22.  Dezember  1846. 

^  Studien-Hofkommission.  30.  März  1848. 


170  Über  die  Anfilnge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

sorge  für  die  blinden  Kinder  nur  gering  gewesen  sein,    denn  ^ 

während  die  Fürsorge  für   die   Taubstummen    zur    damaligen  1 
Zeit  schon  eine  sehr  intensive  war,  eine  „k.  k.  Taubstummen- 

schule  in  Graz"    bestand    und   ihre  jährlichen    Ausweise    und  ^ 

Tätigkeitsberichte  an  die  Landesstelle  gelangen  ließ,  hatte  sich  j 

auch  ein  Lehrer  um  eine  Remuneration  für   seine    Arbeit    an  .  j 

taubstummen  Kindern  gemeldet.    Es  war  dies  der  Lehrer  der  j 

Elementarklasse    an    der    Judenburger    Hauptschule     Michael  ^ 

Freydn^  dem  bereits  1844   „die  Zufriedenheit  über  seine  ent-  ' 
sprechende   Betätigung   für    den    Taubstummen-Unterricht    zu 
erkennen  gegeben"  worden  war,  und  über  dessen  Verwendung 
bei  diesem   Spezialunterrichte    wird    im   betreffenden    Berichte 

gesagt:   „  .  .  .  welchen  Unterricht    derselbe   bereits   seit    fünf  *, 

Jahren,  vorhin  an  6,  jetzt  an  5  taubstummen  Kindern  wöchentlich  ■ 

durch  10  Stunden  mit  vielem  Fleiße  und  gutem  Erfolg  ertheilt,  und  1 
ungeachtet  seines  geringen  Einkommens  per  200  fl.  bestreitet 

dieser  Lehrer  auch  die  zur  fruchtbringenden  Ertheilung  dieses  ' 
Unterrichtes    erforderlichen    Lehrmittel  ..."    Freydl    erhielt 

eine  Remuneration  von  30  fl.  zuerkannt.  Leider  berichten  die  ^ 
Akten    über   die    Bemühungen    eines   Lehrers   zugunsten    der 

blinden  Kinder  nichts  ähnliches.  / 


1  In  RoÄeks  erstem  Schematismus  der  Volksschulen  Steiermarks  18  74 
ist  ein  Michael  Freydl  genannt.  Er  war  kaiserlicher  Rat,  pensionierter  Direktor 
der  k.  k.  Lehrerbildungsanstalt  in  Graz.  Dieser  Freydl  dürfte  mit  dem 
damaligen  Judenburger  Lehrer  identisch  sein,  Ein  Lehrer,  der  sich  derart 
betätigte,  mußte  die  gebührende  Anerkennung  finden. 


Was  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhundertes  in 
Steiermark  für  die  Blinden  geschah  und  was  als  Anfang  der 
Blindenfürsorge  in  diesem  Kronlande  angesehen  werden  muß,  j 

ist  vielleicht  nicht  viel,  in  Ansehung  der  bestehenden  Verhält- 
nisse aber  genug.  Wohltätige  Männer  haben  Stiftungen  errichtet,  ^ 
die  politischen  Behörden  haben  diese  verwaltet ;  es  wurde  von  i 
außen    der  Versuch  gemacht,  Steiermark  in   den   Kreis  jener 
Kronländer  zu  ziehen,    die  ihr    Blindenwesen    den    damaligen 
Verhältnissen  entsprechend  organisiert   hatten;  der    Unterricht 
der  Blinden  sollte  von  staatswegen  sichergestellt  und  hiebei  der             0 
Volksschule  die  Hauptaufgabe  zugewiesen  werden:  Steiermark 
ging  hiebei  fast  die  gleichen  Wege  wie  jene  Alpenländer,  die 
erst   spät   eine    Blindenerziehungsanstalt    erhielten,    wenn    sie 
überhaupt  heute  schon  eine  solche  haben. 


^  ^  Von  Alexander  Meli.  171 

Aus  allem  aber,  was  geschehen  war,  läßt  sich  eine  Tat- 
sache erkennen.  Das  Beispiel  und  der  Einfluß  Joh.  Wilh. 
Kleins  in  Wien,  des  Begründers  der  Blindenfürsorge  in  Österreich, 

»»  waren  maßgebend.  Auf  seine   Tätigkeit    läßt    sich    fast    alles 

zurückführen;  die  Behörden  folgen  seiner  Initiative,  wenn  sie 

^  auch  nicht  immer  sich  seiner  Ansicht   anschließen,    manchmal 

,  sogar  dagegen  handeln,  ohne  dabei  jedoch  das  Rechte  zu  treffen. 

'*  Durch  alles,   was   in    der    behandelten    Zeit    geschehen 

war,  ist  der  Boden  für  das  endliche  Entstehen  einer  wohl- 
eingerichteten Blindenanstalt  nach  und  nach  vorbereitet  worden 

i^  und  darum  muß  man  die  Geschehnisse  von  dem  Gesichtspunkte 

i  ^  aus  betrachten,  daß  sie  als  notwendige,  vorbereitende  Schritte 

zur  Erreichung  des  Zieles  vorangehen  mußten.   Jede  der  mit- 

J*  geteilten  Tatsachen  bildet  einen  der  Grundsteine  zur  Errichtung 

r  des  Gebäudes  der  Blindenfürsorge   in    Steiermark,    wo    heute 

so  vieles  für  die  Blinden    erreicht   und    deren    Wohl    in    die 

p  Hände  tatkräftiger,  wahrhaft  humaner,   edeldenkender   Männer 

j^  gelegt  ist. 


K 

f 

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I 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer 
Theaters. 

Von  Otto  Erich  Deutsch. 


1824—1825. 
2.   Die  k.  k.  Hofschauspielerin  Sophie  Müller  in  Graz, 

In  den  Memoiren  des  großen  Tragöden  Heinrich  Anschütz* 
findet  sich  eine  treffliche   Charakteristik   seiner   berühmten  ^ 

Kollegin,  der  „  Liebhaberin  und  Heldin  "SophieMüller,. 
der  diese  Arbeit  gewidmet  ist:  | 

„Sophie  Müller  war  einer  jener  Lieblinge  der  Natur, 
bei  deren  Schöpfung  die  gütige  Allmutter  das  Füllhorn  ihrer 
Gaben  ausschüttet,  und  einem  auserkorenen  Wesen  ein  Kumuiat 
von  Eigenschaften  verleiht,  die  sie  sonst  mit  ausgleichendem 
Gerechtigkeitssinne  auf  eine  Reihe  von  Erdenkindem   verteilt.  < 

Eine  blühende  Gestalt,    von  so    ebenmäßiger   Fülle    der  | 

Formen,   mit    einem    so    angenehmen    Verhältnisse    zwischen  ' 

Klein  und  Groß,  daß  sie  gemeißelt  schien,  um  sich  jeder 
Sphäre  der  ßühnendarstellung  anschmiegen  zu  können ;  liebliche 
Gesichtszüge  und  ein  Auge,  das  von  sittlicher  Reinheit  und 
geistigem  Leben  strahlte,  machte  Sophie  Müller  zu  einer  der 
reizendsten  Frauenerscheinungen,    durch   welche   die   deutsche  ^ 

Bühne  geweiht  und  verherrlicht  worden  ist. 

In  diesem  schönen  Körper  mit  der  schönen  Seele  hatte 
eine  andere  Göttin,  die  tragische  Muse,  den  belebenden  Atem 
künstlerischer  Weihe  gehaucht,  den  befruchtenden  Samen  des 
Talentes  niedergestreut.  ] 

Sophie  Müller  gehörte  jenen  genialen  Schauspielematuren  ^ 

an,  die,  wie  Ludwig  Devrient,   unwillkürlich    Wunderbares  i 

schaffen     müssen,     die    niemals    fehlgreifen    innerhalb    der  ^ 

Grenzen  ihres  unerschöpflichen  Naturells.    Sie  werfen   in    fast  fl 


t 


4 


Sophie  Müller. 
Nach  einer  Lithographie  von  Josef  Kriehuber. 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  17B 

kindlicher  Unbefangenheit  ihre  kostbaren  Perlen  aus  und  wissen 
selbst  nicht,  welche  Schätze  sie  der   Welt    zu    Fußen  legen.** 

Von  dieser  wunderbaren  Blüte  deutscher  Schauspielkunst^ 
die  aus  dem  Treibhaus  des  Hofburgtheaters  zweimal  für  einige 
Wochen  in  den  grünen  Garten  der  Steiermark  verpflanzt 
wurde,  von  den  Beziehungen  Sophie  Müllers  zum  Grazer 
Theater  und  zur  Grazer  Bürgerschaft  soll  hier  ausführlich 
berichtet  werden. 

Es  ist,  wie  Sainte-Beuve  sagt,  eine  mißliche  Sache, 
plumpe  Jahreszahlen  anzuführen,  wenn  man  von  schönen 
Frauen  spricht.  Und  doch  muß  ich  die  Lebensgeschichte  der 
lieblichen  Sophie  an  dieser  Stelle  wenigstens  skizzieren, 
bevor  ich  die  Grazer  Episoden  daraus  behandle.  Der  pedantische 
Historiker  kann  sich  damit  entschuldigen,  daß  diese  deutsche 
Recamier,  die  ohne  Nachblüte  im  Vollbesitze  ihrer  unberührten 
Jugendpracht  dahinging,  auch  die  Jahreszahlen  nicht  zu 
scheuen  braucht. 

Sophie  Müller^  wurde  als  Tochter  des  großherzoglich 
badischen  Hofschauspielers  Karl  Müller  (*  1763  zu  Mannheim, 
f  1837  zu  Wien)  und  der  badischen  Hofopernsängerin  Maria 
Boudet  (*  1775,  t  1824  zu  Wien)  am  19.  Jänner  1803 
in  Mannheim  geboren.  Von  ihren  vier  älteren  Geschwistern 
war  eine  Schwester  früh  verstorben;  an  den  drei  Brüdern 
Karl,  Fritz  und  Josef  („Seppel*')  hing  sie  mit  großer  Liebe. 
Schon  im  dritten  Lebensjahre  wurde  die  kleine  Sophie  als 
Genius  auf  der  Mannheimer  Bühne  verwendet.  Fünf  Jahre  alt, 
betrat  das  mutige  Mädchen  als  ^ Hännschen"  in  Kotzebues 
„Erbschaft"  zum  erstenmal  in  einer  Sprechrolle  die  groß- 
herzogliche Hofbühne.  Seit  damals  spielte  sie  öfters,  zunächst 
in  Knabenrollen.  Im  Jahre  1816  bewunderte  Johanna  Schopen- 
hauer das  Talent  des  Mädchens  und  lenkte  in  einer  Reise- 
beschreibung die  Aufmerksamkeit  des  deutschen  Theater- 
publikums auf  die  junge  Künstlerin.  Im  Jahre  1817  begann 
Sophie  Müller  ihr  hochinteressantes,  leider  oft  unterbrochenes 
Tagebuch,  das  der  unglückliche  Dichter  und  Historiker  Johann 
Graf  Mailäth  später  auszugsweise  veröffentlicht  hat.  Es  ist 
heute,  bis  auf  ein  fast  unbekanntes  Bruchstück  aus  dem  Jahre 
1826,  verschollen.  Im  März  des  Jahres  1818  gastierte  Sophie 
Müller  mit  ihrem  Vater  in  Karlsruhe,  wo  sie  mit  großem  Er- 
folge einige  bedeutendere  Rollen  spielte.  ^  Kotzebue  hatte 
sich  inzwischen  ihres  Talentes  angenommen,  so  daß  sie  am 
15.  Mai  1820  als  ordentliches  Mitglied  an  das  Hoftheater  in 
Mannheim  engagiert  wurde.*  Im   März    des    folgenden    Jahres 


174  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

unternahm  sie  mit  ihrem  Vater  eine  größere  Gastspielreise, 
die  sie  nach  München  und  nach  Wien  führte.  Am  Hofburg- 
theater trat  die  1 8  jährige  Künstlerin  '  vom  9.  Mai  bis  zum 
16.  Juni  1821  fünfzehnmal  in  ihren  hervorragendsten  Rollen ^ 
auf  und  erzielte  einen  so  glänzenden  Erfolg,  daß  schon  im 
Jahr  darauf  Unterhandlungen  wegen  eines  Wiener  Engagements 
eingeleitet  wurden.  Auch  das  Braunschweiger  Theater  bewarb 
sich  damals  um  Sophie  Müller,  die  sich  aber  alsbald  für  Wien 
entschied.  Mit  schwerem  Herzen  schied  sie  im  Juli  1822  von 
ihrer  geliebten  Vaterstadt  Mannheim,  wo  sie  schon  eine 
wahrhaft  göttliche  Verehrung  genoß.  Die  Gage,  die  die  badische 
Intendanz  ihr  gab,  und  die  kärgliche  Pension,  die  man  ihrem 
Vater  zuerkannt  hatte,  waren  doch  zu  gering,  um  den  glän- 
zenden Engagementsantrag  aus  Wien  abzulehnen.  Die  kunst- 
sinnige Großherzogin  Stephanie  von  Baden,  Sophiens 
mütterliche  Freundin,  die  sie  nur  widerwillig  in  die  Fremde  ziehen 
ließ,  gab  der  Künstlerin  —  wie  später  auch  ^  der  berühmten 
Luise  Neu  mann,  Amalie  Haizingers  Tochter  —  den 
Segen  der  Keuschheit  mit  auf  den  Weg.  Da  die  Brüder  dem 
Elternhause  bereits  entflogen  waren,  zogen  Vater  und  Mutter 
Müller  mit  nach  Wien.  Am  5.  August  1822  debütierte  Sophie 
als  „Gräfin  Rutland"  in  Matthäus  v.  Co  Hins  „Essex" 
am  Hofburgtheater.  In  kurzer  Zeit  hatte  sie  sich  die  Herzen 
der  Wiener  erobert,  so  zwar,  daß  die  andere  Sophie,  die 
große  Schröder  —  trotz  der  Verschiedenheit  des  Rollenfaches 
—  auf  den  wachsenden  Ruhm  der  jungen  Kollegin  eifersüchtig 
wurde.  Costenoble  war  zuerst  mißtraurisch  gegen  ihr 
Talent,  gab  aber  bald  seinen  Irrtum  zu.  Schreyvogel, 
später  ihr  warmer  Freund,  schätzte  sie  mit  seinem  sicheren 
Blick  sofort  richtig  ein.  Da  die  Müller  auch  bei  Hofe  rasch 
beliebt  wurde,  ernannte  sie  die  Kaiserin  Karolina  Augusta 
zu  ihrer  Vorleserin.  Mit  den  besten  Männern  des  vormärz- 
lichen Wiens  stand  die  junge  Künstlerin  in  freundschaftlichem 
Verkehr.  Grillparzer,  M.  v.  Collin,  Castelli,  Pyrker 
Seidl,  Hammer-Purgstal  1  und  Zedlitz  zählten  bald 
zu  ihren  Getreuen.  Mit  Schubert,  der  häufig  in  ihren  Tage- 
büchern genannt  wird,  und  dem  Hofopemsänger  Johann  Michael 
Vogl  musizierte  Sophie  Müller  oft.  Der  gesellschaftsscheue 
Schubert  speiste  gerne  bei  den  Müllers,  verbrachte  ganze 
Nachmittage  in  der  Gesellschaft  der  klugen,  gebildeten  Schönen 
und  rühmte  ihr  nach,  daß  sie  nach  Baron  Alfred  Schönstein 
seine  Lieder  am  herrlichsten  singe.  *^  Aber  auch  die  Herzen 
aller  Frauen  flogen  dem  holden  Mädchen   zu.    Nicht   nur    die 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  176 

Wiener  Aristokratinnen,  auch  Künstlerinnen  wie  die  Schröder, 
die  Sontag,  Dichterinnen  wie  die  Chezy,  die  Pich  1er 
schwärmten  von  ihrem  Liebreiz.  Die  Eifersucht  schwieg  bald 
still,  da  Sophie  Müller  nicht  als  Weib,  sondern  wirklich  als 
göttliches  Wesen  verehrt  wurde.  —  Im  Jahre  1823  bemühte 
sich  die  badische  Intendanz,  die  gefeierte  Künstlerin  zur 
Rückkehr  nach  Mannheim  zu  bewegen.  Als  Sophie  Müller 
wegen  ihrer  Wiener  Verpflichtungen  diesem  Rufe  nicht  Folge 
leistete,  entzog  man  schnöderweise  ihrem  Vater  die  spärliche 
Pension.  —  Am  28.  Jänner  1824  starb  Sophiens  teure 
Mutter:  ein  Verlust,  den  sie  nie  ganz  verwinden  konnte.  Ein 
leichter  Schatten  umflorte  nun  ihr  sonniges  Gemüt. 


In  den  Jahren  1823  und  1824  mußte  Sophie  Müller, 
durch  ihre  anstrengende  Pflicht  vollauf  in  Anspruch  genommen, 
ihren  „Schreibkasten**  vernachlässigen,  dem  sie  ihre  wertvollen, 
keineswegs  für  die  Öffentlichkeit  berechneten  Tagebuchblätter 
gewidmet  hat.  So  vermissen  wir  denn  auch  für  die  Zeit  des 
ersten  Gastspieles  in  Graz,  das  in  den  Juli  1824  fällt,  diese 
nicht  nur  als  Dokumente  für  die  seltsame  Persönlichkeit  der 
Schreiberin,  sondern  auch  als  Beiträge  zur  Kulturgeschichte 
des  österreichischen  Vormärzes  so  interessanten  Blätter  und 
müssen  uns  für  diese  erste  Episode  fast  ausschließlich  mit 
dem  begnügen,  was  uns  zeitgenössische  Berichte  bieten. 

Der  Juli  war  damals,  wie  ei  wähnt,  der  Ferialmonat 
der  Wiener  Hoftheater,  für  die  Provinzbühnen  also  die  haute 
Saison  der  Gastspiele.  Schon  seit  dem  24.  Juni  1824  gastierte 
Heinrich  Anschütz  im  ständischen  Aushilfstheater  zu  Graz. ^ 
Außerdem  erwartete  das  Grazer  Publikum  noch  drei  Hofburg- 
schauspieler und  eine  Hofopemsängerin,  die  alle  in  diesem 
Sommer  auf  ein  paar  Wochen  zu  Gaste  kamen.  Am  5.  Juli 
meldete  die  amtliche  „Grätzer  Zeitung"  die  Ankunft  der  MUe. 
Müller,  ihres  Vaters  und  ihres  Kollegen  Johann  Georg  Kettel. 
Alle  drei  waren  am  3.  d  M.  in  dem  stark  frequentierten 
Gasthof  „Zum  wilden  Mann"  abgestiegen,  der  in  der  Schmied- 
gasse (C.-Nr.  355),  an  der  Stelle  des  neuen  städtischen  Amts- 
hauses, gegenüber  der  alten  Post-,  heute  Stubenberggasse  stand. ^ 
Bald  nach  ihrer  Ankunft  schrieb  Sophie  Müller  an  eine  Wiener 
Freundin  folgenden  bisher  unveröffentlichten  Brief^  der  theater- 
geschichtlich interessant  und  für  die  Künstlerin  sehr  charak- 
teristisch ist: 


176  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

„An  Ihre  Hochedelgebohren 

Fräulein  Sophie  von  Wedenkind  *o 

wohnhaft  bei  Frau  von  Winterheld 

Kohlmeßer  Gaße  in 

Nr.  480  im  3'«  Stock.  Wien." 

j^Meine  gute  Sophie!  Graetz,  den  5**  Juli   1824, 

Glücklich  und  wohlbehalten  sind  wir  in  Graetz  am  3'®  d. 
eingetroffen.  Die  Beschreibung  der  herrlichen  Gegend  verspahre 
ich  mir  mündlich  und  fange  gleich  mit  meiner  großen  Bitte 
an.  Man  hat  mich  nemlich  vielfach  ersucht  die  Jungfrau  v, 
Orleans  zu  spielen,  da  ich  aber  den  Anzug  nicht  mit  habe 
so  wage  ich  auf  Ihre  Güte  und  stets  bewiesnen  Freundschaft, 
Sie  zu  ersuchen  mir  denselben  zu  senden.  Die  Art  wie  dieß- 
geschehen  kann  ist  sehr  leicht :  Sie  bitten  Frau  von  Seid! 
Ihnen  unsre  Schlüßel  einzuhändigen,  laßen  sich  unsre  Garde- 
robe vom  Schloßer  aufsperren.  Dann  nehmen  Sie  l*'*«"  meinen 
Blechharnisch,  mit  den  Armschienen  die  uneinge- 
wickelt  offen  Ihnen  gleich  in  die  Augen  fallen,  wie  Sie  ins 
Zimmer  treten,  2**"'  den  Helm,  der  keinen  Federbusch,  nur 
ein  blechnes  Kreuz  hat,  3'"»  die  Schwerdtkupel  von 
blauen  Samt  mit  silber  Börtchen  und  Schnalle,  4^"* 
Waschledeme  Handsche  mit  gelben  Blechkappen  daran 
genäht.  Diese  genannten  Dinge  finden  Sie  im  Gestell 
am  Fenster  auf  dem  zweiten  Gefach  wo  die  Gläser  und  Teller 
stehn.  Alsdenn  nehmen  Sie  aus  dem  hellgrauen  Gefachschrank 
wo  die  kurzen  Theaterkleider  liegen,  aus  dem  2'*"  Gefach 
von  oben,  5*'"*  den  weißen,  merinos**  Rock  nebst  Mieder^ 
in  dem  ich  zur  Ausstellung  gemahlt  wurde,  es  ist  mit  blauen 
samt  Blumen  untenherum  gestickt,  wie  auch  das  weiße  Mieder 
mit  blauen  Samtstreifen  geziert  ist.  6'*"*  das  merinos,  weiße 
Kleid  mit  langen  Ärmeln  und  Goldfranzen  besetzt,  darüber 
blaue  samt  Lilien  mit  Goldschnür  gestickt  sind.  7'*",  das  kurze 
Panzerröckchen,  welches  von  Goldfäden  in  Filee^^  genetzt 
ist,  und  auf  jedem  Netzknöpfchen  ein  Goldflitter  genäht  hat» 
Sie  werden  es  ohne  zu  fehlen,  linker  Hand  in  dem  selben 
Gefache  unter  den  ebengenannten  Kleidern  in  Papier  finden. 
8'*"*,  haben  Sie  die  Güte  und  nehmen  aus  meiner  Schuhlade 
im  Schrank  wo  meine  Stadtkleider  hängen,  die  hellgelb 
ledernen  Schuhe  mit  schwarzen  Hutfilzsohlen,  9'*",  die 
hellgelb  leder  Stiefelchen  mit  gold  Sporrn;  diese  letzt  genannten 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  177 

sind  entweder  auch  im  Gestell  wo  der  Harnisch  liegt,  oder 
sie  stehn  noch  in  dem  Korbe  in  der  mitten  Garderobe.  10*®"* 
das  Buch  die  Jungfrau  v.  Orleans,  liegt  im  kleinen 
Gefach  wo  meine  Theaterrollen  alle  sich  befinden  gleich  oben 
rechts,  und  l  !'*"•  nehmen  Sie  aus  dem  vordem  blauen  Wohn- 
zimmer aus  den  Musikalien  im  Büchergestellchen  beim  Klavier 
die  geschriebne  Musik  mit  der  Überschrift:  „Monolog  aus 
der  Jungfrau  v.  Orleans  oder  Jeanne  d'  Are,  dem 
Fräulein  Sophie  Müller  gewidmet."  Der  ganze  Monolog:  ,die 
Waffen  ruhen  etc.  ist  zwischen  den  Noten  geschrieben.*^ 
Vielleicht  liegt  dieses  Musikstück  sogar  auf  dem  Klavier, 
sollte  es  da  aber  nicht  liegen  so  finden  Sie  es  unter  meinen 
Noten  sicher.  Dann  sehen  Sie  ob  alle  diese  Sachen  in  unsem 
kleinen  Koffer  gehen  den  die  Franzi  in  ihrem  Zimmer  hinten 
stehn  hat,  sollte  das  nicht  sein,  so  suchen  Sie  in  irgend  einem 
Gewürzgewölb  einen  leichten  holz  Verschlag  zu  kaufen,  wofür 
ich  dieses  Geld  eingeschloßen.  Legen  Sie  zuerst  eine  alte 
Serviette  aus  der  Garderobe  in  den  Kasten  oder  Koffer,  dann 
die  Musik  und  Buch,  so  dann  legen  Sie  die  Kleider,  aber  die 
Goldfranzen  bitte  ich  wohl  mit  Papier  aus  unsrer  Garderobe 
zu  belegen,  weil  sie  leicht  verderben  und  verwetzen  können. 
Über  die  Kleider  legen  Sie  so  groß  der  Verschlag  ist  einen 
guten  Papendeckel,  damit  der  Blechharnisch  der  darauf  gepackt 
werden  muß  die  Kleider  nicht  zerschneidet  auch  den  Harnisch 
und  Helm  wickeln  Sie  wohl  ein,  denn  leicht  können  diese 
sich  verkritzen.  Stiefel,  Handschuhe,  Kupel  und  Schuhe  gehen 
wohl  eingewickelt  auch  in  den  Harnisch  hinein.  Jede  Lücke 
im  Koffer  bitte  ich  wohl  mit  Stroh  und  Papier  aus  zu  stopfen, 
damit  kein  Schaden  geschieht.  Vielleicht  könnte  der  Bediente 
des  Hrn.  Schwällbacher  Ihnen  im  Packen  behülflich  sein.  Herr 
von  Seidl  oder  Schwallbacher  kann  Ihnen  wegen  der  Post 
die  nötige  Auskunft  geben,  damit  ich  die  Sachen  noch  bis 
diesen  Samstag*^  hier  erhalte  was  leicht  sein  kann.  Die 
Adreße  ist :  An  die  k.  k.  Hof burgschauspielerin  Sophie  Müller 
Wohlgeboren  in  Graetz  wohnhaft  im  wilden  Mann.  Bei  der 
Schnellwagen  Expedition  müßen  Sie  Sachen  aufgeben.  Nun 
Iheure  Sophie  empfehlen  Sie  mich  Frau  v.  Winterheld,  und 
Frau  V.  Seidl  und  allen  theuren  Wienerinen  aufs  Beste,  und 
vergeben  Sie  mir  meine  Bitte  und  Belästigung  ich  wage  es 
auf   Ihre    Freundschaft   und   bin   zu  jedem  Gegendienste   mit 

Freuden  bereit.  .,       ^.         r  •  ,   . 

Ihre  Sie  aufrichtig 

schätzende  Sophie  Müller." 


178  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

Am  Dienstag,  den  6.  Juli  1824,  trat  Sophie  Müller  zum 
erstenmale  in  Graz  als  „Gabriele*  in  dem  gleichnamigen  drei- 
aktigen  Drama  auf,  das  ihr  Freund  J.  F.  Castelli  nach  der 
„Valerie*  von  Scribe  und  Mellesville  ins  Deutsche  über- 
tragen hatte.  *5  Dazu  wurde  das  gleichfalls  von  Castelli  ver- 
deutschte einaktige  Lustspiel  „Haß  allen  Weibern*  gegeben, 
in  dem  die  Müller  die   „Amalia,    Gräfin  v.  Ronsberg**  spielte. 

In  der  Wiener  „Allgemeinen  Theaterzeitung** 
Adolf  Bauer les  erschien  damals,  meist  mit  großer  Verspätung, 
das  von  Joseph  Dismas  Gottscheer^^  geschriebene,  im 
folgenden  oft  zitierte  „Tagebuch  der  Grätzer  Bühne*, 
das  am  9.  September  1824  folgendes  Referat  über  das  erste 
Gastspiel  Sophie  Müllers  enthält: 

„Ihre  erste  Szene  in  der  erstem  Rolle  zeigte  sogleich  in  einem 
ansprechenden  Äußern,  in  einem  ungemein  wohlklingenden  tonreichen 
Sprachorgane,  und  in  der  genialen  Auffassung  des  darzustellenden 
Charakters  die  physisch  und  psychisch  reich  begabte  Künstlerin ;  die 
Durchführung  fügte  den  Beweis  eines  großen,  geübten  mimischen 
Talentes  und  eines  seltenen  Kunsstudiums  hinzu.  Den  früheren  Dar- 
stellungen dieser  Rolle  entgegen,  sahen  wir  nun  über  Gabrielen  eine 
Heiterkeit  ausgegossen,  welche  um  so  rührender  und  ergreifender  war, 
als  sie  das  gewohnte  Mitleiden  eines  fühlenden  Herzens  mit  dieser 
Blinden  gleichsam  mit  großmütiger  Selbstverleugnung  abzulehnen  schien. 
Die  Momente  des  entzückenden  Wiederfindens  (fes  Geliebten  und  des 
Wiedersehens,  im  eigentlichen  Sinne  genommen,  erschütterten  jedes 
Gemüt.  Der  Beifall  war  allgemein.  Dem.  Müller  schien  mit  dieser 
ersten  Darstellung  das  ganze  theatralische  Grätz  erobert  zu  haben. 
—  In  der  zweiten  Rolle  mochte  sich  vielleicht  geringerer  Anlaß  zu 
gleich  stürmischem  Beifall  finden ;  dennoch  blieben  Situationen,  wie 
jene,  wo  Gräfin  Amalia  eine  Probe  ihrer  gegen  Valincour  anzunehmenden 
Ma.ske  liefert,  und  die  Worte:  die  Muhme  lasse  um  Verzeihung 
bitten,  daß  sie  habe  sterben  müssen,  mit  liebenswürdiger 
Naivetät  sprach,  nicht  ohne  die  zu  erwartende  Wirkung,  Dem.  Müller 
ward  schon  am  ersten  Abende  mehrmals  gerufen." 

Aus  der  Parallelkritik  des  Grazer  ^Aufmerksamen"*' 
vom  10.  Juli  1824,  die  entweder  von  Anselm  oder  von  Heinrich 
Hüttenbrenner  1^  stammt,   seien  nur  einige  Sätze  zitiert: 

„Unser  Theater  erfreut  sich  nebst  der  Anwesenheit  des  Hm. 
Anschütz  eines  reuen  höchst  angenehmen  Besuches  der  bereits  durch 
den  günstigsten  Ruf  bekannten  k.  k.  Hofschauspielerin  Mlle.  Müller. 
.  .  .  Natur  und  Kunst  haben  sich  schwesterlich  über  diesem  Kinde 
umarmt,  und  es  mit  gleichen  Rechten  auf  Bildung  und  Liebe  als  ihre 
Tochter  adoptiert.  Beider  Pflege  ist  hier  in  ein  liebliches  Ganzes  ver- 
schmolzen, das  alle  Vorzüge  nur  in  einem  Gepräge,  nämlich  Aus- 
erwählung  für  die  Kunst,  an  sich  trägt.  .  .  Ein  Organ,  das  aus  dem 
tiefen  Schacht  des  Herzens  nur  gediegenes  reines  Gold  zu  Tage  fördert. 
Ein  Gefühl,  welches  jedem  Eindrucke  seine  Wirkung,  jedem  Gegen- 
stande   seinen   Anteil    und    jedem  Worte    seinen   Ton    zumißt.    Dies 


i  Von  Otto  Erich  Deutsch.  179 

*■  GefQhl   ist   in    der   Kunst  ein    ebenso    unerklärbarer  Vorzug,    als   an 

I  einem  großen  Dichter  die  Macht  der  Rührung  und  an   einem  großen 

Maler  die  Gabe  des  Ausdrucks  jeder  Empfindung  in  seinen  Gestalten.** 

Am  7.  Juli  spielte  Sophie  Müller  die  „Luise"  in  „Kabale  und 

Liebe"  ;  den  „Ferdinand"  gab  Kettel  als  erste  Gastdarstellung. 

y  ;,Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  7.  Oktober  1824: 

L  „Bedeutende  Künstler  gehen  oft  ihren  eigenen,  besonderen  Weg. 

r  Auf  einem  solchen  sahen  wir  heute  Dem.  Müller   als  Luise,    wo  sie 

sich  im  Bewußtsem  ihres  Reichtums  an  Mitteln  eine  höhere  Aufgabe 

j  vorzusetzen  schien,  als  diese  Rolle  eigentlich  ist.  Was  schon  der  Ton 

in  den  Worten:  ,0,  ich  bin  eine  schwere  Sünderin,  Vater !*^ 
als  Auffassung  des  Charakters  deklamatorisch   zu  erkennen  gab :    eine 

-  etwas  fremde  Ansicht  von  dem  zwar  überspannten,  aber  nicht  heroischen 

r  Gemüte  dieses  Bürgermädchens,  besiegelte  plastisch  als  Endpunkt  der 

Durchführung  der  Moment  der  Wahrnehmung  und  Überzeugung  Luisens 
von  ihrer  Vergiftung.  Kurz,  nach  strengen  Anforderungen  konnte 
die  Rolle  einigermaßen  zu  kräftig,  zu  hochtragisch  genommen  scheinen, 
doch  soll  mit  allem  Diesen  nicht  gesagt  sein,  daß  die  Darstellung 
nicht  durch  großen,  einstimmigen  Beifall  und  mehrmaliges  Hervorrufen 
die  verdienteste  Auszeichnung  erhalten  habe  und  eben  ist  es  nur  die 
seltene  Künstlerin,  deren  hoher  Standpunkt  die  Hindeutung  auf  die 
Verschiedentieit  der  Ansichten  zuläßt  und  deren  schönes  Verdienst 
dadurch  eher  geehrt  als  verunglimpft  werden  dürfte." 

„Der  Aufmerksame"    vom  lO.  Juli  1824  (Schluß): 

„Mlle.  Müller  erschien  als  ein  in  sich  selbst  veredeltes  Mädchen, 
das  der  Leidenschaft  eine  Kraft  des  Herzens  und  dem  Unglücke  eine 
Würde  der  Seele  entgegenbringt,  um  gegen  beides  in  den  moralischen 
Kampf  zu  treten  .  .  .  Möchten  die  Thränen,  die  sie  durch  ihr  seelen- 
volles Spiel  entlockte,  zu  Perlen  werden  und  die  Kunst  in  einen  Kranz 
sie  reihen,  um  sie  damit  zu  schmücken." 

Am  S.Juli  sang  Herr  Anschütz,  von  Direktor  St  ög  er 
verleitet,  den  „Don  Juan".  Samstag  den  10.,  führte  man  als 
Benefizvorstellung  für  Anschütz  den  „Wallenstein"  auf: 
Anschütz  gab  den  „Friedländer",  Sophie  Müller  die  „Thekla" 
und  Kettel  den  „Max  Piccolomini".  Über  diese  Vorstellung 
erschien  im  „Aufmerksamen"  kein  Referat  und  auch  die 
„Theaterzeitung"  brachte  in  der  zuletzt  genannten  Nummer 
nur  ein  allgemeines  Lob  der  drei  Künstler.  Am  12.  Juli  trat 
Sophie  Müller  in  der  ihr  noch  aus  der  Mannheimer  Zeit  (182 1) 
geläufigen  Titelrolle  des  vieraktigen  Lustspieles  „Donna  Diana" 
oder  „Stolz  und  Liebe"  auf,  das  ihr  Freund  Josef  Schrey- 
vogel  (Carl  August  West)  nach  Don  Augustin  Moreto 
aus  dem  Spanischen  („El  desden  con  el  desden")  übersetzt 
hatte.  Neben  seiner  Umarbeitung  des  Calderonschen  „Das 
Leben  ein  Traum"  („La  vida  es  sueno")  war  diese  Übersetzung 
die  bedeutendste  poetische  Leistung  Schreyvogels.  Den  „Don 
Cäsar,  Prinz  von  ürgel"  gab  Kettel. 


180  Beitrage  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  7.  Oktober  1824 
(Fortsetzung) : 

„Die  Darstellung  der  Titelrolle  war,  wie  es  bei  den  vielen 
sch6nen,  Dem.  Müller  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  zu  erwarten  stand, 
in  hohem  Grade  glänzend,  kunstreich ;  nur  schien  der  Grundton  des 
Lustspiels  hier  und  da  durch  das  aus  ihrer  Individualität  hervorgehende 
Eigene  der  Darstellungsart  dieser  vortrefflichen  Künstlerin  etwas  ver- 
düstert, und  die  Ansicht,  welche  uns  schon  die  früheren  Darstellungen 
von  dem  schönen  Streben  und  dem  seltenen  Talente  dieses  unseres 
hochgeachteten  Gastes  lieferten,  daB  nämlich  das  heroische  Trauerspiel 
der  eigentlichste  und  schönste  Wirkungskreis  desselben  sei,  ward  hier 
völlig  festgestellt.** 

Am  13.  Juli  wurde  „Don  Carlos",  der  schon  vor  der 
Ankunft  der  Müller  mit  Anschütz  gegeben  worden  war,  wieder- 
h9lt:  Kettel  spielte  den  „Infanten",  Anschütz  den  „Marquis  Posa" 
und  Sophie  Müller  die  „Prinzessin  Eboli**,  eine  Rolle,  in  der 
sie  noch  bei  Lebzeiten  für  die  von  Kaiser  Josef  II.  ge- 
gründete Ehrengalerie  berühmter  Schauspieler  des  Hofburg- 
theaters von  einem  mir  unbekannten  Maler  porträtiert  wurde  ^^- 

„Allgemeine  Theaterzeitung*  vom  7.  Oktober  1824 
(Fortsetzung): 

„Dem.  Muller  gab  ihrer  Eboli  in  Charakter  und  Situation  all 
die  schöne  Wirksamkeit,  welche  ihr  herrliches  physisches  und  aesthe  - 
tisches  Vermögen,  kraft-  und  lebensvolle  Naturen,  große  Affekte  und 
entscheidende  Geföhlsmoraente  darzustellen,  jederzeit  zur  Folge  haben 
muß,  Der  rauschende  Beifall,  welchen  die  ausgezeichnete  Ktknstlerin 
erwarb,  war  reines  Verdienst  ihrer  vortrefflichen  Leistung.** 

Am  14.  Juli  wurde  zu  Sophie  Müllers  Benefize  das  fünf- 
aktigje  Trauerspiel  „Essex",  neubearbeitet  von  Matthiasv.  Collin, 
gegeben.  Sophie  Müller  spielte  die  Hofdame  „Gräfin  Rutland*, 
die  Rolle,  in  der  sie  zum  erstenmal  als  engagiertes  Mitglied 
des  Hofburgtheaters  in  Wien  aufgetreten  war.  Anschütz,  der 
am  nächsten  Tage  Graz  verließ,  gab  zum  Abschied  den  „Grafen 
Eissex**. 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  7.  Oktober  1824 
(Schluß): 

„Nie  haben  zwei  große  Künstler  sich  zu  einer  herrlicheren 
Darstellung  schöner  die  Hände  geboten  als  hier.  Von  beiden  ward 
Außerordentliches  geleistet,  welches  nicht  mit  wenigen  Worten,  also, 
wo  für  mehrere  nicht  Raum  ist,  gar  nicht  geschildert  werden  kann, 
außer  man  wollte  sich  zur  Bezeichnung  derselben  der  abgebrauchten 
Floskel  bedienen :  ,Sie  haben  sich  selbst  übertroffen  !*  Von  Dem. 
Muller  können  wir  daher  nur  bemerken,  daß  ihre  Darstellung  absolut 
vortrefflich  und  vorzüglicher  als  jede  ihrer  früher  hier  gegebenen  sei  .  .  . 
Beide  Künstler  wurden  mit  ungeheurem  Beifall  ausgezeichnet." 

Am  16.  Juli  trat  der  Hofschauspieler  Friedrich  W  i  1  h  e  l  m  i 
zum   ersten  Male    als  „Hardenstern'*    auf,  in  dem  fünfaktigen 


,> 

? 


Von  Otto  Erich  Deutsch,  181 

Lustspiel  „Glück  bessert  Torheit",  nach  dem  englischen  Ori- 
ginal der  Miß  Lee  von  Friedrich  Ludwig  Schröder  be- 
arbeitet. Samstag  den  17.  gab  Sophie  Müller,  die  inzwischen 
die  erbetenen  Requisiten  aus  Wien  bekommen  haben  dürfte, 
die  „Johanna"  in  der  „Jungfrau  von  Orleans",  eine  ihr  be- 
sonders liebe  Rolle,  die  sie  zum  ersten  Male  am  8.  April  1822 
in  Mannheim  gespielt  hatte. 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  26.  Okto- 
ber  1824: 

„Dem.  Müller  in  der  Rolle  der  Johanna ;  was  bedarf  es  mehr 
um  den  Genuß,  welcher  an  diesem  Abende  dem  zahlreich  versammelten 
Publikum  zu  Teil  ward,  und  den  Beifall  zu  bezeichnen,  welcher  sich 
in  dem  lärmendsten  Enthusiasmus  und  durch  fünfmaliges  Hervorrufen 
der  seltenen  Künstlerin  als  die  gerechteste  Würdigung  ihrer  «glanzvollen, 
in  so  vieler  Rücksicht  ausgezeichneten  Darstellung  kundgab." 

Am  ig.  Juli  trat  Sophie  Möller  wieder  als  „Gabriele" 
auf.  Nach  dem  Schauspiel  wurde  das  zweiaktige  Lustspiel 
„Die  unterbrochene  Whistpartie''  oder  „Der  Strohmann"  von 
Schall  gegeben,  in  dem  Wilhelmi  den  „Baron  Scarabäus", 
Kettel  den  „Landjunker  von  Bern"  spielte. 

„Allgemeine  .Theaterzeitung"  vom  28.  Okto- 
ber  1824: 

„Dem.  Müller  gab  die  Gabriele  mit  dem  schon  in  der  ersten 
Darstellung  dieser  Rolle  bewunderten  und  in  unserem  Tagebuch 
besprochenen  Verdienste,  welchem  wiederholt  der  rauschcndste,  die 
Künstlerin  durch  dreimaliges  Hervorrufen  auszeichnende  Beifall  ab- 
gezollt ward." 

Am  21.  Juli  sollte  Sophie  Müller  als  „Johanna"  zum 
letzten  Male  auftreten.  Das  Publikum  bestimmte  sie  aber,  noch 
zu  bleiben.  Wilhelmi  gab  bei  der  Wiederholung  der  „Jungfrau 
von  Orleans'*  den  „Talbot". 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  28.  Ok- 
tober 1824  (Fortsetzung): 

„Dem.  Müller  abermals  mit  Beifall  überhäuft  und  nach  jedem 
Akte  gerufen.** 

Am  22.  Juli  trat  Kettel  als  „Roderich *^  in  Calderons 
Schauspiel  „Das  Leben  ein  Traum**,  übersetzt  von  West, 
am  23.  Wilhelmi  als  „Kust**  inCunos  fünfaktigem  Gemälde 
„Die  Räuber  auf  dem  Culmerberge''  auf.  Am  24.  gastierte 
zum  ersten  Male  die  k.  k.  Hofopernsängerin  Henriette  Sontag^" 
als  „Prinzessin  von  Novarra"  in  Boieldieus  komischer  Oper 
„Johann  von  Paris". 

^.Allgemeine  Theaterzeitung**  vom  28.  Ok- 
tober  1824  (Schluß): 

13 


182  Beitrage  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

„Unserm  hoch  geachteten,  viel  bewunderten  weiblichen  Gaste-, 
Dem.  Müller,  deren  Darstellungen  ihrem  Ende  nahen,  konnte  Niemand 
würdiger  folgen  als  die  k.  k.  Hofopemsängerin  Dem.  Sontag." 

Über  das  Gastpiel  der  Sophie  Müller  berichtet  „Der 
Aufmerksame"  vom  24.  Juli  1824  pauschaliter  in  einem 
enthusiastischen,  von  A.  H.,  d.i.  Anselm  Hüttenbrenner^ 
unterzeichneten  Referat : 

„Die  k.  k.  Hofschauspielerin  Dem.  Müller  beobachtet  in  ihren 
Gastdarstellungen  einen  gewissen  Stufengang,  wodurch  das  Interesse 
an  ihren  Kunstleistungen  mächtig  gesteigert  wird.  Still  duldend  erscheinr 
sie  uns  als  Gabriele ;  der  niedrigen  Kabale  erliegend  als  Luise ;  mit 
Stolz  und  Liebe  kämpfend  als  Donna  Diana ;  sirenenhaft  und  ein 
Opfer  ihrer  gekränkten  Selbstliebe  als  Eboli;  dann  als  unglücklichste 
edler  Gatinnen  in  der  Lady  Rutland.  Welch  mannigfaltige  und  große 
Aufgaben,  und  wie  herrlich  von  ihr  gelöst!  Deklamation,  Mimik  und 
Spiel  vereinen  sich  bei  ihr  zur  reizendsten  Harmonie.  Bald  klingt  ihr 
Sprachorgan  so  lieblich,  daß  man  eine  Mozartsche  Melodie  zu  hören 
wähnt,  bald  tönt  es  so  schauerlich,  als  erschallte  eine  Geisterstimme 
in  Glucks  ernster  Weise.  Ihren  Darstellungen  kleben  die  Spuren  des 
Studiums  nicht  an ;  kein  Zwang  kann  da  sichtbar  werden,  wo  die 
Meisterin  zum  Bilde  selbst  wird,  das  ihr  der  Dichter  hingehalten.  So 
viele  Schauspielerinnen  haben  bereits  als  Luise  und  Eboli  gefallen,, 
begeistert  und  entzückt.  Dem.  Müller  hat  einen  noch  höheren  Grad 
von  Wirkung  hervorgebracht;  es  fehlt  das  Wort,  um  ihn  zu  bezeichnen. 
Sollten  ihre  Darstellungen  nicht  die  vollendetsten  genannt  w^erden 
dürfen  ?  In  Bezug  auf  uns,  vielleicht ;  doch  in  ihr,  der  Künstlerin^ 
lebt  gewiß  noch  ein  höher  Ideal,  das  sie  zu  erreichen  strebt.  Das  ist 
eben  das  Edle  an  der  Kunst,  daß  sie  den  Laien  beseligt,  während 
sie  den  ausübenden  Künstler  zur  Feile  anspornt  und  ihn  an  seiner 
Vollkommenheit  zweifeln  läßt.  Dieses  fortwährende  rastlose  Streben 
nach  Perfektion  ist  das  eigentliche  wahre  Kunstleben  .  . .  Die  Theater- 
untemehmung  verdient  Dank,  daß  sie  die  Zierden  des  dramatischen 
Kunsttempels  in  Wien  in  unsere  Mauern  lud,  damit  uns  nebst  dem 
Mittelmäßigen  und  Guten  auch  das  Bessere  und  Beste  zum  Genuß 
werde." 

Der  Redakteur  Ignatz  Kollmann,  Skriptor  am  „Joan- 
neum",  fügte  an  diesen  Bericht  noch  folgende  Ergänzung: 

„Mit  Vergnügen  sehen  wir  in  vorstehender  Notiz  eines  schätz- 
baren, nicht  nur  beurteilenden,  sondern  auch  wirkenden  Kunstkenners 
die  Würdigung  all  des  Guten  ausgesprochen,  was  unsere  Bühne  gegen- 
wärtig leistet  und  vom  Publikum  mit  Anerkennung^ufgenommen  wird. 
Mit  Recht  muß  die  Billigkeit  des  Tadels  auch  der  Billigkeit  des  Lobes^ 
den  Platz  einräumen.  —  Der  vorstehenden  Notiz  ist  auch  jene  über 
die  Jungfrau  von  Orleans  anzureihen.  Die  Leistung  der  Dem.  Müller 
hat  über  den  Charakter  der  Johanna  eine  schöne  Klarheit  verbreitet 
und  die  Fugen  aufgedeckt,  welche  die  Übergänge  von  der  hohen  Be- 
geisterung zur  Schwermut  der  Liebe,  und  von  dieser  zur  tragischen« 
Hingebung  und  Verklärung  aneinanderbinden.  —  Von  Seite  der  Direktion 
ward  alles  auf  unserem  Aushilflheater  nur  MÖRÜche  für  die  Dezenz 
der  Vorstellung  aufgeboten.  Wohl  dirigierte  und  exekutierte  Musik 
von  Weber    und    eine  Komparserie   zum    Krönungszuge,    welche  sicli. 


•  Von  Otto  Erich  Deutsch.  183 

durch  Anordnung  und  Geschmaclc  der  Garderobe  auszeichnete.  Das 
Pittoreske  von  einigen  Dekorationen,  z.  B.  Luft,  Felsen  und  anderen 
Stücken  blieb  jedoch  etwas  merklich  zurück." 

^  Am  25.  Juli   gab  Wilhelmi   den  „Franz  Moor"  in  den 

„Räubern".   Zum  Vorteil   Ketteis  wurde   am   26.  endlich  das 

'  vieraktige  Trauerspiel  „Baiboa"    von   H.  J.  v.  Co  Hin   g^e- 

ben,*^*  in  dem  Wilhelmi  als  „Pedrarias,  Statthalter  auf  Darien", 

^  Sophie  Müller  zum  letztenmal  als  „Maria,  seine  Tochter"  und 

der  Benefiziant  als  „Vasco  Muncz  Baiboa"  auftraten.  „J.  G.  -  -", 

d.  i.  Joseph  D.  Gottscheer,    hatte    schon   am   24.  Juli  im 

f  „Aufmerksamen"  das    Publikum    auf  den  „seltenen    Genuß", 

2  der  seiner  wartete,  vorbereitet. 

(^  ;,Allgemeine  Theaterzeitung"    vom    30.    Ok- 

>  tober   1824: 

„Dem.  MüUer  schlofl  an  diesem  Abende  ihre  fortan  mit  den 
unzweideutigsten  Beweisen  des  Beifalls  und  der  Bewunderung  gekrönteii 
Gastdarstellungen.    Die  treffliche  Künstlerin  konnte  dies  nicht  ehren- 

I  voller,   als  in  der  Rolle   der  Maria,   in  welcher  sie  noch   einmal  den 

ganzen  Reichtum  ihres  Talentes  vor  unseren  Augen  entfaltete.  Ergreifend 
I  *  wirkte  ihre   ganze  Darstellung,   erschütternd   ihre   letzte  Szene.     Der 

'^  Wechsel  der  Affekte  wie  der  Todesmoment  beurkundete  die  Meisterin 

y  ihrer  Kunst  und   der  Beifall   stieg   hier    zum   lautesten  Enthusiasmus, 

mit  welchem  Dem.  Müller  jemals  gerufen  worden  war.  Sie  erschien, 
man  schwieg  und  gebot  Schweigen,  um  ihre  Abschiedsworte  zu  ver- 
nehmen, während  welcher  zur  sichtbaren  Bestürzung  der  Sprechenden 
das  in  der  Beilage  zu  Nr.  104  dieses  Blattes  unter  der  Zahl  IV. 
abgedruckte  Sonett  unter  das  Publikum  gestreut  wurde ;  doch  aufs 
I  Neue  erhob  sich  der  lärmende  Beifall,    als  Dem.  Müller  mit  der  Zu- 

^  Sicherung   wiederzukommen    schloß   und   mit    schöner   ungekünstelter 

^  Rührung  von  der  Szene  schied." 

\  Aus  dem  begeisterten  Referat,  das  „H.  H.",  d.  i.  Hein- 

rich Hüttenbrenner,  über  das  letzte  Gastspiel  Sophie  Mülers 
am  12.  August  1824  im  „Aufmerksamen**  veröffentlichte, 
seien  nur  einige  Sätze  zitiert: 

„Dem.  Müller  flocht  als  letzte  Blume  in  den  Maienkranz  ihrer 
Kunstdarstellungen  die  Rolle  der  Maria  in  dem  Trauerspiele  Baiboa 
von  Collin  .  .  .  Der  Ruf,  welcher  den  Namen  Dem.  Müller  umtönet, 
leitet  von  selbst  auf  den  Reichtum  ihrer  Kunstgaben,  und  das  Auf- 
fallende derselben  bedarf  so  wenig  einer  besonderen  Bemerkung,  als 
eine  Illumination  mit  einer  Laterne  besehen  zu  werden  braucht.  Nicht 
bald  verließ  eine  Künstlerin  unsere  Bühne,  welcher  eine  so  ausge- 
zeichnete und  allgemeine  Anerkennung  ihrer  Verdienste  mit  dem  innigen 
Wunsche  eines  baldigen  Wiedergenusses  folget.  Nur  schwach  hat  ein 
Sonett,  welches  bei  ihrem  Scheiden  vom  Theaterhimmel  auf  das 
Publikum  herabflatterte,  die  ihr  gebürende  Bewunderung  ausgedrückt. 
Doch  der  Regen  war  von  jeher  wässerig." 

Kettel    trat    am  27.  Juli   zum  letzten  Male  als  „Haupt- 
mann   von   Linden**  in    dem  Lustspiel  „Die  Quälgeister"  auf 

13* 


184  Beitrage  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

und  verließ  am  28.  mit  seinem  zufällig  in  Graz  weilenden 
Kollegen  Maximilian  Korn  die  Stadt.  Wilhelmi  spielte  noch 
am  29.  als  „Gottlieb  Koke"  in  dem  fünfaktigen  Original- 
schauspiel „Parteiwut"  oder  „Die  Macht  des  Glaubens"  von 
F.  W.  Ziegler,  in  dem  die  Sängerin  und  Schauspielerin 
Frau  Franziska  Sontag  (1798 — 1865),  die  Mutter  der  Hen- 
riette Sontag,  die  „Lady  Johanna  Land"  gab.  Am  31.  Juli 
Avurde  zum  Vorteile  Wilhelmis  ein  „großes  musikalisch-drama- 
tisches Potpourri  in  drei  Abteilungen"  aufgeführt,  in  dem 
Henriette  Sontag,  ihre  Mutter  und  ihre  jüngere  Schwester 
Nina  (1811 — 1879),  ^^^^  Schauspielerin,  die  als  Kloster- 
schwester starb,  mitwirkten.  Das  überaus  erfolgreiche  Gast- 
spiel der  Henriette  Sontag,  eine  Ablösung  der  Sensation  Sophie 
Müller,  währte  bis  zum  21.  August  I824.  Auch  die  Mutter 
der  Sontag,  die  ihrer  Tochter  wegen  von  Prag  nach  Wien 
übersiedelt  war  und  ans  „Theater  an  der  Wien"  engagiert 
wurde,  trat  noch  einigemal  im  Schauspiel  auf. 

Die  erwähnten  vier,  Sophie  Müller  gewidmeten  Gedichte, 
als  deren  Autor  sich  Moritz  Brüxner,  ein  Praktikant  beim 
landschaftlichen  Obereinnehmeramt,  bekannte,  erschienen  in 
einer  außerordentlichen  „Correspondenz-Nachricht",  die  die 
„Allgemeine  Theaterzeitung"  am  28.  August  1824 
in  einer  Beilage  veröffentlichte: 

„Dem.  Müller  in  Grätz. 

Dem.  Müller,  k.  k.  Hof-Schauspielerin,  hat  ihre  Gastspiele  bei 
uns  geendet  und  uns  verlassen.  Sie,  von  welcher  unser  »Aufmerksamer, 
so  schön  und  so  treffend  sagt:  »Möchten  die  Thränen,  die  sie  durch 
ihr  seelenvolles  Spiel  entlockte,  zu  Perlen  werden  und  die  Kunst  in 
einen  Kranz  sie  reihen,  um  sie  damit  zu  schmücken.*  —  Anderen, 
Geweihten,  sei  es  aufbehalten,  das  Hohe,  das  Schöne,  das  Liebliche, 
das  Entzückende  jeder  einzelnen  Darstellung  dieser  Künstlerin  in 
breiter  Auseinandersetzung  zu  ehren.  Wir  begnügen  uns,  den  Ein- 
druck, welchen  sie  auf  alle  Herzen  machte  —  vom  Herzens- 
Dank  dazu  berufen  —  herzlich  auszusprechen: 

An  Demoiselle 

Sophie  Müller 

in  ihren  Gastdarstellungen  als 

Gabriele,  Donna  Diana,  Gräfin  Rutland  und  beim  Abschiede. 

I. 

(Gabriele,) 

Mußt  Du  des  Lebens  höchste  Lust  entbehren?  — 
Dein  Auge  flieht  der  Sonne  ew'ges  Licht 
Und  finstre  Nacht  bedecket  Dein  Gesicht. 

Nie  soll  der  Tag  Dir  leuchtend  wiederkehren! 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  185 

Kann  ein  Gefühl  dafür  Ersatz  gew-ähren?  — 
Wir  ahnden's  fast,  wenn  Deine  Lippe  spricht! 
Das  ist  der  Erde  irdisch  Fühlen  nicht 

Und  Höheres  scheint  Dein  holder  Mund  zu  lehren. 

Doch  jetzo  dringet  mit  des  Lichtes  Schein 
Ein  neuer  Tag  in  Deinen  Busen  ein 
Und  Dich  umarmt  ein  nie  geahnt'  Entzücken! 

Da  wird  es  klarer  auch  vor  unsren  Blicken! 
Wir  seh'n  auf  Dich  und  fuhlen*s  klar  und  rein: 
Die  höchste  Lust  gewährt  das  Aug'  allein! 


II. 
(Donna  Diana.) 


Dich,  stolzes  Weib,  von  Liebe  nie  bezwungen, 
Hab'  ich  erstaunt  vor  meinem  Blick  geseh'n. 
Du  schienst  so  hoch,  so  schwindelnd  hoch  zu  steh'n. 

Daß  —  fast   —   Bewund'rung  unsre  Brust  durchdrungen. 

Doch  als  das  Band  Dich  dennoch  fest  umschlungen, 
Der  Liebe  Band,  das  Du  gewagt  zu  schmfth'n. 
Und  Du  nun  brennest,  ihn  gebeugt  zu  seh'n. 

Ihn.  der  den  Sieg  durch  höh'ren  Stolz  errungen. 

Da  fühlten  wir,  wie  Du,  so  fremd  und  neu, 
Welch  seltsam  Ding  es  um  die  Liebe  sei; 

Sie  fesselt  schnell  mit  unlösbaren  Banden. 

Du  hast  das  selbt  erfahren  und  verstanden! 
Ein  Augenblick  ruft  mächtig  sie  herbei 
Und  keine  Zeit  gibt  je  sie  wieder  frei. 


III. 
(Gräfin  Rutland.) 

Wenn  Du  in  Essex*  Männerarm  Dich  schmiegest, 
Du  holdes  Weib,  das  dem  GenMihl  nur  lebt, 
Älit  ihm  sich  freut,  für  ihn  allein  erbebt. 

Wenn  Du  den  Trotz  Elisas  nicht  besiegest.   — 

Wenn, Du  verzweifelnd  in  den  Kerker  fliegest. 
Wo  sich  Dein  Arm  zu  seinem  Haupte  hebt, 
Worüber  schon  das  Beil  des  Henkers  schwebt, 

Und  Du  auletzt  dem  Schmerze  unterliegest.  — 

Da  fühl^  wir,  wie's  keine  Sprache  nennt. 
Was  in  der  Seele  Deines  Essex  brennt, 


186  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

Sein  ganz  Empfinden  und  sein  ganzes  Leiden! 

Es  ist  der  Schmerz,  der  Schmerz  von  Dir  zu  scheiden. 
Von  dem,  was  kaum  das  frohe  Herz  erkennt 
Und  —  ach!  —  zu  früh!  ein  rauhes  Schicksal  trennt. 


IV. 

(Beim  Abschiede.) 

—  Wurde  im  Theater  ausgestreut.  — 

(Grätz,  am  26.  Julius   1824.) 

Die  Sonne  haucht  den  Regenbogen 
Im  Doppelring  auf  Wolkenmassen, 
Und  von  den  bunten  Farbenwogen 
Will  nimmermehr  das  Auge  lassen. 

Auch  Deine  Kunst  hat  Stemenfunken 
In  stiller  Herzen  Grund  gesendet; 
Und  froh  entzündet,  zaubertrunken 
Zur  Meisterin  sich  alles  wendet. 

Du  scheidest,  wie  der   Abend  schwindet, 
Der  Rosen  um  die  Erde  windet. 
Und  Thränentau  der  Flur  entbindet. 

Die  Freude  senkt  nun  ihr  Gefieder, 

Die  Muse  legt  die  Kränze  nieder. 

Nur  Eines  bleibt  —  der  Wunsch:  Komm  wieder! 


Ist  es  Freude,  dem  liebgewordenen  Freund  auch  in  die  Ferne 
noch  der  Freundschaft  Fühlen  nachzurufen,  und  ist  es  Freude,  es 
weit  und  weiter  zu  verkünden:  wie  sehr  wir  diesen  —  diesen 
ehren;  so  haben  auch  diese  Zeilen  ihre  bescheidene  und  einzige  Be- 
stimmung schon  erreicht  im  Augenblick,    da  sie  gelesen  werden  .  .  M 

Moritz  BrQxner." 

Die  von  Johann  S  c  h  i  c  k  h  herausgegebene  „Wi  e  n  e  r 
Zeitschrift  für  Kunst,  Literatur,  Theater  und  Mode",  die 
nur  kurze  Berichte  über  die  österreichischen  Provinzbühnen 
brachte,  erwähnte  am  4.  Dezember  1824  in  einer  von 
„ — er — "23  gezeichneten  „Correspondenz-Nachricht  von  Grätz" 
das  Gastspiel  der  Sophie  Müller  mit  flüchtigem  Lobe. 

Schon  hier  muß  ich  der  kunstsinnigsten  Familie  des 
vormärzlichen  Graz  gedenken,  der  Familie  des  Advokaten 
Dr.  Karl  Pachler^^^  deren  Geschichte  ich  einmal  in  anderem 
Zusammenhange  erzählen  will.  In  seinen  „Mein  erstes  Drama" 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  187 

betitelten  Memoiren^s  erzählt  Dr.  Faust  Pachler^^  aus  seiner 
frühesten  Kindheit: 

„Da  mehrere  der  ersten  Mitglieder,  wie  die  Herren  Rettich 
und  Pusch  und  das  Fräulein  Friederike  Herbst  und  die  Mit- 
direktorin Frau  Liebich  in  unserem  Hause  aus-  und  eingiengen, 
da  fast  alle  durchreisenden,  in  Graz  gastierenden  Künstler, 
wie  z.  B.  Anschütz,  Löwe,  Sophie  Müller  u.  A.  die  Bekannt- 
schaft meiner  Eltern  suchten  und  natürlich  ebenso  die  ein- 
heimischen, wenn  auch  nur  in  Geschäftsangelegenheiten,  zu 
uns  kamen,  so  war  ich  von  frühester  Kindheit  an  gewohnt, 
vom  Theater  reden  zu  hören.'* 

Faust  Pachler,  der  seinen  Vater  auch  einmal  den  „Alterego 
des  Theaterdireliiors  Stöger"  nennt,  erzählt  dann,  daß  man 
in  seinem  Eltemhause  ein  Exemplar  der  Westschen  Be- 
arbeitung von  Moretos  „Donna  Diana"  verwahrte,  ein  Band 
in  rosenrotem  Umschlag,  der  immer  unter  des  Knaben  Kopf- 
kissen liegen  mußte,  wenn  er  krank  zu  Bette  lag.  „Vermutlich 
war  er  während  eines  Gastspieles  der  Sophie  Müller  ins  Haus 
gekommen."  Es  ist  leicht  möglich,  daß  die  Künstlerin  nach 
ihrem  Erfolg  als  „Donna  Diana"  das  Bändchen  der  gastfreund- 
lichen Familie  zum  Angebinde  gab;  der  rosenrote  Umschlag 
spricht  für  Faustens  Vermutung.  Jedenfalls  hat  Sophie  Müller 
schon  1824  bei  Pachlers  verkehrt.  Ja,  sie  hat  Frau  Pachler 
vielleicht  schon  1823  kennen  gelernt,  da  sie  im  Sommer  dieses 
Jahres  gleichzeitig  mit  ihr  in  Baden  bei  Wien  weilte. 

Schließlich  sei  noch  erwähnt,  daß  die  Müller,  die  wirklich 
das  vielseitigste  Interesse  für  alle  mit  Kunst  und  Wissenschaft 
zusammenhängenden  Dinge  bekundete,  auch  unter  den  Sub- 
skribenten der  vom  Dezember  1824  an  erschienenen  „Litho- 
graphierten Ansichten  der  Steyermärkischen  Städte,  Märkte  und 
Schlösser,  gezeichnet  und  herausgegeben  von  J.  F.  Kaiser, 
Gratz",  zu  finden  ist. 


Am  24.  Februar  1825  begann  Sophie  Müller,  die  Ein- 
tragungen in  ihr  Tagebuch  wieder  regelmäßig  fortzusetzen. 
Wir  erfahren  daraus  u.a.,  daß  sie  vom  April, bis  Juni  d.  J. 
wegen  eines  Gastspiels  in  Berlin  mit  dem  kgl.  hitendanten 
Grafen  Brühl  in  Unterhandlung  stand.  Einige  in  Wien  weilende 
Berliner,  die  für  die  Müller  schwärmten,  darunter  Ludwig 
Tieck,  bestürmten  sie,  den  Antrag  anzunehmen.  Nur  Schrey- 
vogel   riet  ihr  energisch  ab.   Sophie  Müller  konnte  schließlich 


188  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

der  Einladung  gar  nicht  folgen,  weil  eine  Einigung  über  Zeit 
und  Rollen  nicht  möglich  war.  Auch  einen  anderen  Antrag, 
in  diesem  Sommer  in  Prag  zu  gastieren,  lehnte  sie  ab.  Dagegen 
ließ  sie  sich  nach  einigem  Zaudern  von  Stöger  bestimmen, 
wieder  nach  Graz  zu  kommen.  Das  Tagebuch^^  erzählt  darüber 
folgendes : 

1.  Mai  1825:  „Schreyvogel  riet  mir  abermals  ab^^  wenn 
ich  im  Essex  oder  in  Gabriele  nicht  auftreten  könne;  Luise 
sollte  ich  nicht  spielen,  weil  er  von  Wilhelmi,  der  es  so  gut 
mit  mir  meine,  gehört,  diese  Rolle  sey  von  allen  meinen 
tragischen  Leistungen  die  minder  bedeutendste  in  Grätz  ge- 
wesen. Auch  Anschütz  und  Kettel  hätten  dasselbe  gesagt." 

30.  M  a  i :  „Stöger  begegnete  uns,  und  wollte,  ich  möchte 
in  Grätz  spielen,  nur  sechs  Rollen.  Er  ließ  uns  gar  nicht  aus. 
Ich  würde  ihm  schreiben,  wenn  ich  könnte;  sagte  ihm  aber 
nicht  zu.  Seine  Opemgesellschaft  ist  nun  in  Preßburg  und 
gefällt  sehr." 

I.Juni:  „Brühl  schrieb  ich  ab,  daß  dieses  Jahr  meine 
Zeit  mir  nicht  erlaube,  erst  Ende  Julius  die  gewünschten 
Gastrollen  zu  geben  ...  Ich  war  in  der  Theater-Loge.  Wilhelmi 
kam  zu  mir,  und  proponirte,  nach  Prag  zu  gehen ;  da  er  und 
Anschütz,  und  seine  Frau  aber  dort  spielen,  ist  Eines  dem 
Andern  Schaden,  besonders  in  pecuniärer  Hinsicht.  Ich  gehe 
nach  Grätz." 

Q.Juni:  „Dem  Stöger  schrieb  ich  heute:  den  12.  Julius 
werde  ich  nach  Grätz  kommen ;  Diana,  Julie,  Hedwig,  Ahnfrau, 
Gabriele,  Quälgeister 2»,  oder  Luise^^;  Präciosa  zu  meiner 
Einnahme." 

27.  Juni:  „Schreyvogel  traf  ich  Mittags  nicht  zu  Hause, 
sagte  ihm  Abends  wegen  300  Gulden  Vorschuß,  und  gab  ihm 
die  zwey  Ansuchen,  wegen  Gastrollen  in  Grätz  den  29.  d.  M. 
abzureisen,  Ahnfrau-,  Othello-^^und  Balboa-Kleider  mitzunehmen, 
unversiegelt  .  .  .  Wilhelmi,  Treitschke  sprach  ich,  letzterer 
kommt  auch  nach  Grätz." 

28.  Juni :  „Am  Sonntage  [26.]  sagte  Löwe^^  dem  Vater, 
daß  er  Anfangs  Julius  in  Grätz  spielen  wird,  und  bedaure, 
daß  ich  so  spät  käme,  da  er  gern  mit  mir  geöpielt  hätte. 
Darum  g  eben  wir  früher,  weil  Vater  keine  Lust  hat,  nach 
Gmunden  und  Ischel  zu  gehen  .  .  .  Löwe  freute  sich,  daß 
ich  früher  nach  Gf ätz  komme.  Er  sagte  mir,  Neumann  ^^  habe 
sich  ihm  angetragen,  in  seinem  Benefice^^  zu  spielen ;  kurios ! 
Schreyvogel   sagte  mir,   daß  der  Vorschuß  mir  bewilligt  ist." 

29.  Juni:    „Wir   nahmen  Abschied  von  der  Neumann; 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  189 

wenn  ich  nach  Berlin  ginge,  sollte  ich  ihr  vorher  schreiben, 
sie  gäbe  mir  Empfehlungen  mit.  Im  August  wäre  es  am 
besten  gewesen,  da  der  Hof  wieder  dort  ist.  Es  reut  mich 
beynahe,  daß  ich  nicht  hinreiste.  Schreyvogels  Bedenklichkeiten 
schreckten  mich  viel  ab.** 

30.  Juni:  „Um  3  Uhr  kam  der  Wagen^^  ans  Haus. 
Um  Einviertel  auf  4  Uhr  kehrten  wir  der  lieben  Stadt  den 
Rücken,  und  fuhren  nach  Grätz.  So  sind  meine  hochfliegenden 
Pläne  zu  Wasser  geworden ;  viel  nimmt  man  sich  vor,  wenig 
wird  erfüllt." 

Es  folgt  ein  schöner  Vergleich  des  Lebens  mit  einer 
Messe.  Dann  fährt  das  Tagebuch  fort: 

„Um  Einviertel  auf  5  Uhr  waren  wir  in  Neudorf,  um 
6  Uhr  in  Ginseisdorf,  um  7  Uhr  in  Neustadt  u.  s.  w.  Schade, 
daß  wir  die  schönen  Gegenden  hinter  Neunkirchen,  Schottwien, 
den  herrlichen  Semmering  Nachts  passirten;  nach  12  Uhr 
fuhren  wir  von  Schottwien  ab,  gegen  halb  2  Uhr  kamen  wir 
an  die  Säule  auf  dem  Semmering;  Mondschein,  besondere 
Beleuchtung.  In  Krieglach  frühstückten  wir  Kaflfeh  um  Ein- 
viertel auf  6  Uhr." 

I.Juli: 

Wohl  dem !  selig  muß  ich  ihn  preisen. 
Der  in  der  Stille  der  ländlichen  Flur, 
Fern  von  des  Lebens  verworrenen  Kreisen, 
Kindlich  liegt  an  der  Brust  der  Natur! 

„Ein  freundlicher  Morgen,  wie  nach  und  nach  da??  ge- 
schäftige Leben  in  dem  lieblichen  Thale  von  Brück  erwachte. 
Obgleich  einige  Wolken  in  sonderbaren  Gestalten  die  Berge 
in  Nebel .  verhüllten  und  den  blauen  Himmel  umzogen,  ver- 
kündigte doch  die  aufgehende  Sonne  einen  heißen  Tag,  Die 
Gegenden  von  Mürzhofen  sah  ich  wieder  mit  Freuden.  Die 
Poststation  von  Rötheistein,  die  im  vorigen  Jahre  ganz  ab- 
brannte, erhebt  sich  wieder  recht  artig;  alle  Gebäude  nun  von 
Stein  mit  Ziegeln  gedeckt.  Endlich  kamen  wir  an  Frohnleiten 
vorüber,  an  Straßengel,  Gösting  über  die  Weinzierlbrücke  auf 
den  Berg,  von  wo  aus  wir  die  schöne  Ebene  von  Grätz  über- 
sahen. Ich  dachte  bey  dem  Anblicke  an  Schillers  Worte : 

Auf  den  Bergen  ist  die  Freyheit!  Der  Hauch  der  Grüfte 

Dringt  nicht  empor  in  die  reineren  Lüfte. 

Die  Welt  ist  vollkommen  überall. 

Wo.  der  Mensch  nicht  hinkommt  hfiit  seiner  Qual. 34 

„Um  Einviertel  auf  4  Uhr 35  fuhren  wir  in  Grätz  ein 
zum  wilden  Mann^ß.   Nachdem    ich    ausgepackt,   und  wir  uns 


190  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

etwas  erholt  hatten,  zogen  wir  uns  an,  und  gingen  ins  Theater. 
Der  Schnee37,  Stöger  und  Liebich  waren  sehr  überrascht^^, 
und  freuten  sich,  uns  zu  sehen. 

„Ich  sagte:  Löwe  wird  auch  bald  eintreffen,  darum  wir 
früher  kamen;  sie  waren  sehr  froh  darüber,  und  sagten:  sie 
ließen  uns  nicht  mehr  fort." 

Die  „Wiener  Zeitschrift"  vom  9.  August  1825 
brachte  folgende  am  l.  Juli  von  „  —  er  —  "  geschriebene  Notiz 
über  die  erwartungsvolle  Stimmung  des  Grazer  Publikums: 

„Hunderte  mußten  im  vorigen  Jahre  bei  den  Gastdarstellungen 
des  Hrn.  Anschütz,  der  Mlle.  Müller,  des  Hrn.  Jäger  und  der  Mlle.  Sontag 
nach  Hause  gehen,  weil  sie  nicht  mehr  in  das  ganz  angepfropfte 
Theater  eindringen  konnten;  doch  ein  Beweis,  daß  man  das  Echte 
hier  zu  schätzen  versteht.  Auch  jetzt  klopfen  wieder  alle  Herzen 
freudig  Mlle.  Müller  vom  k.  k.  Hoftheater  entgegen.  Sic  wird  als 
Gabriele  zuerst  erscheinen;  eine  Rolle,  worin  die  Herrliche  uns  noch 
seit  ihrem  letzten  Hiersein,  trotz  der  gelungenen  Darstellung  unserer 
Mlle.  Herbst,  besonders  unvergeßlich  und  teuer  ist.** 

2.  Juli :  „Stöger  kam,  fragte  nach  den  Stücken  für  Löwe 
und  mich.  Ich  nannte  ihm:  Correggio,  Mündel,  Eduard  in 
Schottland  3 9,  Diana,  Ahnfrau,  Romeo  und  Julie,  Hedwig, 
Gabriele,  Quälgeister 3^,  Chavansky. 

„Regisseur  Frey  kam,  mich  wegen  Stücken  zu  fragen, 
zeigte  mir  ein  Repertoir  auf  Stögers  Verlangen,  doch  ich  fand 
kein  mir  anständiges  Stück. 

„Im  Theater**^  besprach  ichs  mit  Stöger;  er  meint 
Gabriele  und  ein  Ballet  am  Montag." 

Nach  einem  Exkurs  über  Bearbeitungen  und  Über- 
setzungen fremdsprachiger  Dichtwerke,  zu  dem  Sophie  Müller 
durch  eine  eben  gelesene  Übertragung  des  „Othello*^  angeregt 
wurde,  setzt  das  Tagebuch  fort: 

3.  Juli:  „Stöger  und  Kinsky  holten  uns,  das  neue 
Theater  zu  sehen.  Solide  Bauart,  einfach  doch  geräumig,  der 
Eingang  sehr  geschmackvoll,  gleich  dem  Münchner  Theater.^ ^ 
Viele  Kosten  und  viele  Köche,    auch  viel  Salz  fehlt  nicht. 

„Abends  im  Theater  Freyschütz.  Maria  Grünfest^'-^  machte 
die  Oper  leer ;  ein  schöner  Tag. 

„Löwe  kam  um  10  Uhr  Abends  in  dem  Schnell  wagen 
hier  an,^^  gjng  zu  uns  aufs  Zimmer,  plauderte  bis  nach 
1 1  Uhr,  und  ging  dann  hinauf  in  den  dritten  Stock  zur  Ruhe. 
Der  Schalk  sagte,  seine  Schwester*^  und  Resi*^  kämen  auch, 
und  wollten  in  Diana  zu  seinem  Benefice  spielen,  Rese  als 
Fenise  den  ersten  Versuch  hier  machen ** 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  191 

4.  J  u  1  i :  „Löwe  sollte  um  11  Uhr  mit  uns  in  die  Probe 
von  Gabriele  fahren,  war  aber  um  halb  zehn  Uhr  schon  zu 
Stöger  gegangen.  Auf  der  Probe  kamen  beyde  zu  mir  und 
fragten :  ob  ich  Donna  Diana  spiele  ?  ich  antwortete  bestinunt 
ja,  da  sie  mir  zugesagt  ist. 

„Nach  der  Probe  gingen  wir  zur  Gouvemeurinn.*^  Ich 
gab  ihr  den  Brief  ihrer  Schwestern  von  Wien.  Nannte  ihr  die 
Rollen  hier  zu  spielen. 

»Als  Gabriele  eine  schöne  Aufnahme,  Vorrufen  nach 
jedem  Acte.  Volles  Haus.  Zum  Schlüsse  sagte  ich:  ,Es  ist 
mir  noch  recht  lebhaft  im  Gedächtniß,  wie  freundlich  das 
kunstsinnige  Publikum  meine  Darstellungen  vor  einem  Jahre 
aufgenommen;  wenn  dieses  Glück  mich  nun  wieder  bey 
meinen  folgenden  Gastrollen  erfreuen  darf,  kann  ich,  dadurch 
aufgemuntert,  nur  die  Kräfte  meiner  Kunst  zu  verdoppeln 
streben,  und  würde  Ihnen  also  nur  wieder  geben,  was  ich 
Ihrer  Güte  verdanke.*  Ein  Ballet  nachher,  ^^  beynahe  zu  viel 
für  Grätz,  sie  erkennen  es  nicht,  es  mißfällt.  Heute  war  es 
zum  ersten  Male  voll  im  Ballet. 

„Jenger, 4 8  Stöger,  Löwe,  Rettich  kamen  zu  mir,  lobten 
mein  Spiel,  auch  die  Herbst.** 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  8.  Sep- 
tember 1825: 

„Mit  einem  das  Haus  erfüllenden  Jubel,  welcher  nicht  enden 
zu  wollen  schien,  wurde  Dem.  Müller  empfangen,  mit  erneuertem 
Beifallssturme  nach  jedem  der  drei  Akte  gerufen.  Wie  sollte  dies  auch 
nicht  von  einer  Darstellung  bewirkt  werden,  in  welcher  das  ganze 
herrliche  Gemälde  sich  wiederholte,  das  schon  voriges  Jahr  jeden 
Anwesenden  zur  tiefsten  Rührung,  zur  höchsten  Bewunderung  hin- 
gerissen und  jedem  Kenner  die  Oberzeugung  gegeben  hatte,  er  sehe 
hier  Gabriele,  an  welcher  Dem.  Müller  in  der  Tat  zur  Dichterin 
wird,  in  unerreichbarem  Urbilde." 

Eine  ähnlich  rühmende  Notiz  brachte  der  „Aufmerk- 
same" am  9.  Juli  1825.  Das  Tagebuch  der  Müller  be- 
richtet weiter: 

5.  Juli:  „Barbier  von  Sevilla.  Preisinger  sehr  gut,  imi- 
tierte glücklich  Lablache. -**  MUe.  Beisteiner»«  trat  als  Rosine 
auf,  gut;  verspricht  etwas,  hübsche  Stimme.  Gottdank:  Ba- 
silio,  sehr  komisch,  scheinheilig,  andächtig.  Krebs:  Bartolo, 
sang  deutsch,  alle  andern  italienisch.  Pohl:  Almaviva,  gut. 
Ziemlich  volles  Haus." 

6.  Juli:  „Löwe  zum  ersten  Male  hier  als  Corregio;*^ 
leer;  wurde  nach  dem  zweyten  Acte  und  am  Schlüsse  ge- 
rufen. Sagte:    ,Wie  Julio  -  Romanos  Worte   den  Corregio  er- 


192  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

hoben,  und    zum  Künstler   ernannt,    also  haben  Sie  mich  be- 
glückt durch  Ihre  Zufriedenheit!*" 

7.  Juli:  „Um  il  Uhr  Regen  bis  halb  3  Uhr.  Um  3  Uhr 
fuhren  wir  zum  Gouverneur  Graf  Hartig^*  zum  Speisen.  Die 
Gemälde  der  Gouverneurinn  sind  sehr  gelungen,  besonders 
die  Landschaften. 

„Nach  dem  Kaflfeh  gingen  wir  in  den  schönen  Garten 
zu  den  Linden,  sahen  mit  dem  englischen  Femrohre  den 
Scheckel  an,  die  Hütte  der  Schweizerinn,  die  Heerden,  alles 
sehr  deutlich;  gingen  dann  zum  Lilienheim  in  die  Acazien- 
laube,  dann  nach  Hause.  Auch  schöne  Porzellän-Malerey  voll- 
endete die  Gräfinn  ohne  Anweisung;  eine  Tasse  mit  antiken 
Köpfen  in  Grau,  zwey  Lilien,  zwey  Geranium,  einen  blauen 
Rittersporn  gab  sie  mir,  die  will  ich  ihren  Schwestern  in 
Wien  zeigen. 

„Abends  die  Molinara.^^  Beisteiner  gut;  Preisinger:  Knoll, 
recht  komisch,  er  sah  Spitzeder^^  in  der  Rolle,  gefiel  sehr, 
mußte  die  Arie  wiederholen.  Fast  ein  ziemlich  kaltes  Publikum. 
Beisteiner  ward  zwey  Mal  gerufen.'* 

8.  Juli:  „Löwe:  Mündel  heute. ^5  Regenwetter,  leeres 
Haus.  Um  lO  Uhr^ß  gingen  wir  allein  auf  den  Schloßberg 
in  den  unteren  Wirthsgarten.  Die  Chavansky'^^  richtete  ich 
nach  der  Burg  ein,  Frey  schickte  mir  das  gedruckte  Buch. 
Um  Dreiviertel  auf  2  Uhr  gingen  wir  herab  zur  Liebich  zum 
Speisen.** 

Am  Samstag  den  q.,  spielte  Löwe  noch  einmal  „auf 
allgemeines  Verlangen"  den  „Corregio**.  Der  Theaterzettel 
dieses  Tages  zeigt  an,  daß  Löwe  am  13.  abreisen  und  noch 
am  11.  und  12.  auftreten  werde.  Der  folgende  Tag  brachte 
die  Erstaufführung  der  einaktigen  komischen  Pantomime  »Har- 
lekin als  Schustergesell*  von  Giovanni  Gas  ort i,  Musik  von 
Joseph  Kinsky,  vor  der  das  zweiaktige  Original  -  Lustspiel 
„Der  Bettelstudent"  oder  „Das  Donnerwetter"  gegeben  wurde. 
Nach  zweitägiger  Unterbrechung  setzte  Sophie  Müller  ihr 
Tagebuch  fort. 

11.  Juli:  „Abends  Essex.^"*  1500  Menschen  sollen  heute 
im  Theater  gewesen  seyn,  unerhört,  über  300  Menschen  gingen 
ohne  Platz  zu  finden  zurück.^®  Außerordentlich  schöne  Auf- 
nahme, drey  Mal  gerufen,  führte  Löwe  heraus,  er  wollte  nicht 
gehen.  Den  dritten,  vierten  und  fünften  Act  sprach  ich  nach 
Collin,^o  schrieb  es  dem  Soufßeur  Mittags  noch  auf.  Frey 
bat  mich,  morgen  Ahnfrau  zu  spielen ;  ich  war  voreilig,  sagte 
es  zu;    Löwe  war  unzufrieden  damit,    sagte  es  mir  heimlich; 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  193 

es  ward  demnach  annoncirt,  mit  Jubel  vom  Publikum  auf- 
genommen. Stöger  dankte  und  jubelte  mit.  Zu  Hause  fühlte 
ich  die  Mattigkeit  durch  die  heutige  Rolle;  Vater  verwies 
meine  schnelle  Bereitwilligkeit;  ich  ließ  es  absagen,  doch  der 
Bediente  konnte  es  nicht  ausrichten,  da  das  Haus  bey  Stöger 
geschlossen  war." 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  24.  Sep- 
tember 1825: 

„Grafin  Rutland  war  von  Dem.  Mtiller,  und  zwar  mit  all  dem 
Aufwände  an  Kunst,  mit  all  der  schönen,  ergreifenden  Wahrheit 
dargestellt,  welche  auch  voriges  Jahr  alle  Gemüter  bis  in  ihre  Tiefen 
erschüttert  hatte  und  allein  hinreichen  würde,  dieser  Künstlerin  einen 
der  ersten  Plätze  unter  den  Priesterinnen  der  tragischen  Muse  zu  sichern." 

Auch  der  „Aufmerksame"  brachte  am  16.  Juli  eine 
kurze  Notiz  über  diese  Wiederholung. 

12.  Juli:  Jn  der  Früh  ließ  ich  nochmals  absagen. 
Frey,  Stöger,  Löwe  kamen.  Da  sie  sahen,  daß  ihre  Bitten 
nur  vergeblich  waren,  schlugen  sie  vor,  die  Neumann  ^^  sollte 
die  Rolle  für  mich  spielen ;  mir  ist  es  recht ;  die  Fatique  wäre  / 
mir  zu  groß.  Es  war  ziemlich  voll,  sagte  Vater,  doch  so  nicht, 
als  letzt  in  Gabriele.  Ich  richtete  meinen  Anzug  für  Diana 
morgen.  Löwe  sollte  mit  uns  bey  Leiningen^^  speisen;  ich 
ließ  die  Männer  allein  gehen,  und  blieb  den  Tag  zu  Hause. 
Morgen  freue  ich  mich  auf  die  ersehnte  Diana." 

„Allgemeine  Theater zeitung**  vom  24.  Sep- 
tember 1825  (Fortsetzung): 

„Der  Fleiß  und  das  Gefühl,  womit  Dem.  Neumann  die  Bertha 
darstellt,  fand  die  ehrenvollste  Anerkennung,  so  schmerzlich  die  den 
Genuß,  unsern  gefeierten  Gast,  Dem.  Müller,  in  dieser  Rolle  zu  be- 
wundern, hindernde  Unpäßlichkeit  derselben  beklagt  wurde.** 

13.  Juli:  „Um  10  Uhr  Probe  von  Diana.  Löwe  spricht 
nach  West,  ich  nach  Müller;  im  Souffliren  manche  Gonfusion.^^ 
Um  3  Uhr  Löwe  mit  uns  zum  Gouverneur  zum  Speisen. 

„Nicht  alles  gelingt,  wie  man  sich  es  denkt!  Diana  ge- 
lang mir  heute  nicht.  Löwe  war  gut,  trug  etwas  stark  auf; 
ich  that  darin  in  den  zwey  ersten  Acten  zu  wenig,  der  dritte 
Act  ging  besser.  Wir  wurden  nach  dem  ersten  Acte  gerufen; 
ich  konnte  nicht  erscheinen,  da  ich  mich  schon  umkleidete. 
Zum  Schlüsse  führte  mich  Löwe  heraus,  wie  ich  ihn  im 
Essex.  Ungeheuer  voll ;  900  Gulden  W.  W.  soll  er  einge- 
nommen haben.  — 

„Nach  dem  Theater  kam  Löwe  zu  uns,  nahm  Abschied. 
Er  bekam  von  der  Schauspielergesellschaft  einen  Lorbeerkranz 
und  sechs  Verse.  Freytag  entscheidet  es  sich  in  Wien  bey  der 


194  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

Zusammenkunft  der  Direction,  ob  er  engagirt  wird,  oder  nicht. 
Er  scheint  es  sehr  zu  wünschen. ^^  Um  12  Uhr  fuhr  er  mit 
Stöger  fort  nach  Wien." 

„Allgemeine  Theaterzeitung*^  vom  29.  Sep- 
tember  1825: 

„Dem.  Möller  war  Diana;  da  diese  Rolle  bereits  voriges  Jahr 
auf  der  hiesigen  Bühne  von  ihr  dargestellt  und  als  solche  in  diesen 
Blättern  gewürdigt  wurde,  so  beschränkt  sich  der  Einsender  darauf 
zu  bemerken,  daß  die  Künstlerin  diesen  Charakter  gegenwärtig  in 
demselben  Geiste  wie  früher,  jedoch,  wie  es  schien,  womöglich  mit 
erhöhter  Konsequenz  und  Einheit  durchgeführt,  und  damit  eine  höchst 
brillante  Darstellung  geliefert  habe." 

Gottscheer,  der  dagegen  Löwe  wenig  Lob  zuteil  werden 
läßt,  nennt  die  Müller  im  weiteren  den  „Lieblingsgast,  an  dem 
alle  Herzen  hängen  und  Aller  Blicke  hafteten." 

14.  Juli:  „Bey  Liebich  speisten  wir  Mittags.  Um  fünf 
Uhr  holte  uns  die  Kienreich  ^^  mit  dem  Wagen  nach  Ecken- 
berg ;^®  wir  sahei\  das  Schloß,  die  Schlachten-  und  Schar- 
mützelgemälde, ^^  einige  gute  niederländische  Landschaften; 
beym  Anblicke  der  Wandgemälde  in  steifen  Alongeperücken 
und  Reifröcken  ®^  kann  man  sich  in  den  Anfang  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  denken.  Die  Kirche ^^  ist  von  dem  jetzigen 
Besitzer ^ö  verbessert,  und  mit  dem  Grabmale  seiner  Gattin  ^^ 
verschönert.  Notre  mort  commence  avec  la  mort  de  nos 
amis ! 

„Wir  stiegen  bequem  hinter  dem  Schlosse  den  Wein- 
berg hinan,  nachdem  wir  die  herrliche  Aussicht  auf  dem  Balkon 
im  großen  Marmorsaale  "^ 2  ^^^(j  ^^n  Ausbruch  eines  Gewitters 
hinter  der  Platte  bey  Maria  Trost  recht  besehen  hatten.  Vom 
Weinberge  hat  man  eine  ausgebreitete  Aussicht;  das  Lust- 
schloß Kaiser  Karls  auf  der  Ebene  nach  Johann  und  Paul  ist 
jetzt  ein  Zuchthaus. ^^  Kienreich  gab  mir  Kumars  Beschrei- 
bung von  Grätz.^^  Dann  gingen  wir  herab,  als  die  Sonne 
unter  war.  Auf  dem  Rückwege  ward  im  neuen  Ott'schen 
Garten  ^5  soupirt;  artige  geräumige  Salons,  aber  leer.  Alles 
saß  unter  den  Bäumen,  halb  im  Dunkeln,  bei  einem  Talg- 
licht; wir  allein  waren  im  Salon.  Baron  N.  N.^^  kam  hinein^ 
setzte  sich  zu  uns;  ein  gebildeter,  artiger  junger  Mann.  Um 
11   Uhr  brachen  wir  auf,  und  fuhren  heim." 

Im  Theater  wurde  an  diesem  Tage  ;,  Harlekin  als  Schuster- 
geselle" und  „Der  Bettelstudent"  wiederholt.  Am  15.  Juli  sang 
Cramolini  nochmals  den  „Joconde".  —  Das  Tagebuch  setzt 
erst  nach  eintägiger  Unterbrechung  fort. 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  195 

16.  Juli:  „Präciosa^^  ging  heute  zum  Erstaunen  für 
eine  Probe.  Es  war  sehr  voll.  Rettich:  Alonzo,  Hoffmann: 
sein  Vater, ^8  Bergmann  und  Liebich:  meine  Aeltern,'»  Pusch: 
<lerBruder,®ö Frey:  Zigeunerhauptmann,  die Kolb gut alsViarda,^* 
Braun  und  Demmer:  zwey  Zigeuner,^^  Scholz:  Schloßvogt/^ 
ohne  Uebertreibung  recht  gut.  Ballet  so  ziemlich.  ^^  Das  Ac- 
compagnement  der  Romanze^^  auf  dem  Theater:  zwey  Hörn, 
zwei  Flöten,  eine  Guitarre  von  Kinsky  gespielt;  ich  zitterte 
in  der  ersten  Strophe,  dann  ging  es  besser,  doch  etwas  kalt 
machte  mich^die  Angst.  Ich  ward  nach  jedem  Acte  gerufen. 
Zum  Schlüsse  sagte  ich:  ,Ihre  Güte  rührt  mich  so  sehr,  daß 
ich  nicht  Worte  finde,  Ihnen  meinen  Dank  auszusprechen.*" 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  18.  Ok- 
tober 1825: 

„Wenn  der  romantische  Charakter  der  Präciosa  zu  der  nicht 
sehr  großen  Anzahl  dramatischer  Personen  gehört,  welche  sowohl 
durch  ihre  innere  originelle  Ausbildung,  als  durch  die  eigene  Wechsel- 
beziehung, in  welcher  der  Dichter  sie  zu  ihren  Umgebungen  wie  eine 
Zentralkraft  in  die  Mitte  der  ihr  gehorchenden  Welt  gestellt  hat,  selbst 
bei  mancher  an  ihnen  bemerklichen  Unvollkommenheit  ein  unwider- 
stehliches Interesse  behaupten,  so  mußte  die  angekündigte  Dastellung 
dieser  Rolle  durch  eine  Künstlerin  wie  Demoiselle  Müller  zu  den 
höchsten  Erwartungen  anregen.  Und  je  vielseitiger  die  Forderungen 
sind,  welchen  die  Darstellerin  der  Präciosa  zu  entsprechen  hat,  je 
mehr  ward  hier  geleistet.  Die  angenehme  Gestalt  der  Künstlerin,  das 
aus  ihren  Gesichtszügen  sprechende  innere  Leben,  das  klang-  und 
tonreiche  Organ,  die  ausdrucksvolle  Sprache,  die  schöne  bewegte 
Plastik  ihres  Gebärdenspieles,  ihr  durch  eine  kräftige  wohlklingende 
Stimme  unterstütztes  musikalisches  Talent,  der  rührende  Gesangsvortrag: 
diese  Vorzüge  bildeten  jenen  seltenen  Verein,  dem  es  allein  gelingen 
kann,  das  Wunderwesen,  als  welches  Präciosa  sich  ausspricht,  mit 
Wahrheit  und  Klarheit  zur  Anschauung  zu  bringen.  Einen  hohen, 
nicht  minder  seltenen  Reiz  gewann  hier  der  Charakter  dadurch,  daß 
er,  seiner  Natur  nach,  dem  Gemüte  der  Künstlerin,  welches  sich  in 
ihren  Leistungen  so  ganz  poetisch,  als  alle  Kunst  Poesie  sein  mußr 
ausspricht,  den  geeignetesten  Raum,  sich  zu  entfalten,  gab ;  erhielt  er 
hiedurch  allerdings  einen  höheren  kräftigeren  Aufschwung,  als  welcher 
ihm,  streng  genommen,  zukommt,  so  erscheint  dies  immerhin  als  eine 
aus  der  Individualität  der  Künstlerin  fließende,  schätzbare,  ja  interessante 
Eigentümlichkeit.  Die  unzähligen  schönen  Einzelheiten  der  Darstellung 
zu  erwähnen,  liegt  außer  dem  Zwecke  unserer  Einsendungen,  in  welchen 
die  kritische  Beleuchtung  der  Kunterscheinungen  unserer  Bühne  nur 
als  Begleitung  der  historischen  Nachweisung  derselben,  insoferne  sie 
davon  unzertrennlich  ist,  stattfindet.  In  Absicht  auf  diese  letztere  darf 
daher  nicht  anzuführen  unterlassen  werden,  daß  Dem.  Müller  hohes 
Entzücken  erregte;  die  Rede  Präciosas 

,Hat  mit  Gaben  und  Talenten 
Mich  Natur  nicht  reich  geschmückt  ?*86 
war  der  zündende  Funke  für  den  lautesten  Ausbruch  desselben.    Die 
Ausstattung  der  Vorstellung  war  der  Anwesenheit  der  ausgezeichneten 


196  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

Künstlerin  würdig,  indem  selbe  durch  die  Verwendung  des  gesammten 
Ballet-  und  Chor-Personals  einen  für  Provinzbühnen  ganz  ungewöhn- 
lichen Glanz  gewann." 

17.  Juli:  „Um  6  Uhr ^~  fuhren  wir  nach  meinem  lieben 
Maria  Grün.^^  Dem  Castelli^^  brachte  ich  einige  Blumen  aus 
dem  Gärtchen,  wo  Haydns  und  Mozarts  Büsten  stehen.  ®<> 
Einige  Landschaften  im  Gartenhäuschen,  Gegenden  aus  der 
Schweiz,  des  Rüthly,  Andreas  Hofers  und  Moreaus^^  kleine 
Brustbildchen,  gefielen  mir  an  dem  Plätzchen;  auch  des  Erz- 
herzogs Johann  und  unserer  Kaiserin  Bild  fand  ich  dort;  der 
Stifter  und  seine  Frau,  welche  die  Kirche  erbauten,  in  Oehl 
gemalt,  sind  noch  im  Wirthschaftsgebäude.^^  pjur  sehr  ungern 
verließ  ich  das  liebe  Plätzchen ;  gerne  wäre  ich  den  Vormittag 
über  mit  Adisons  spectator*^  jn  dieser  lieben  Einsamkeit 
geblieben.  Die  kleine  Kirche  ist  für  das  Gemüth  beym  Ein- 
treten sehr  ergreifend. 

„Um  halb  l  Uhr  verließen  wir  den  herzigen  Ort,  fuhren 
beym  Mühlgang  herein,  an  Kienreichs  vorüber.^* 

„Rettich  kam  und  fragte,  ob  ich  Donnerstag  [d.  21.]  die 
Chawansky  in  seiner  Einnahme  spielen  wollte,  ich  willigte  ein. 
Dienstag  muß  er  in  der  Hedwig  den  Julius  spielen;  er  hat 
auch  die  Rolle  schon  gelernt." 

Am  Abend  dieses  Tages  wurde  vor  der  Pantomime 
„Harlekin  als  Schustergeselle*'  das  „neue  Quodlibet  in  sechs 
Gemälden"  „Sonst  und  jetzt"  oder  „So  waren  Manche  einst, 
so  sind  Manche  jetzt"  aufgeführt.  Sophie  Müller  blieb  diesen 
Vorstellungen  fern,  die  ihrer  hohen  Auffassung  von  der  Bühnen- 
kunst wenig  entsprachen.  Am  18.  schweigt  das  Tagebuch 
wieder.  Das  Theater  brachte  an  diesem  Tage  die  große 
komische  Oper  in  zwei  Akten  „Die  Italienerin  in  Algier"  von 
Rossini.  Frl.  Beisteiner  sang,  noch  immer  als  Gast,  die 
^ Isabella,  eine  Italienerin".  Im  ersten  Akte  legte  sie  eine  große 
italienische  Arie  aus  der  Oper  „Doralice"  von  Mercadante  ein. 

19.  Juli:  „Um  11  Uhr  Probe  von  Hedwig.^^  Ein  zu 
schönes  Wetter  und  große  Hitze  scheuchte  die  Menschen  vom 
Theater;  es  war  nicht  volles  Haus,  dennoch  besetzt.  Das  Lied^*^ 
wurde  mit  der  Guitare  schlecht  accompagnirt.  Es  gefiel  sehr, 
<\tr  letzte  Akt  vorzüglich.  Ich  ward  rauschend  hervorgerufen. 
Der  Schluß'**'  mißglückte;  die  Schlüssel  waren  vergessen,  imd 
<lurch  Bergmann  mir  verstohlen  herausgereicht.  Ein  Ballet: 
das  ländliche  Fest,^^  war  dazu;  artig,  gefiel  aber  nicht." 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  18.  Ok- 
tober  1825  (Fortsetzung): 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  1*7 

„Dem.  Müller  als  Hedwig.  Diese  Rolle  ist  zu  wenig  schwierig, 
dabei  aber  zu  dankbar,  als  daß  nicht  jede,  auch  nur  einigermaßen 
begabte  Schau.spie!erin  selbst  vor  dem  gebildetsten  Publikum  sich  darin 
mit  Erfolg  bewegen,  und  als  daß  sich  nicht  die  Oberzeugung  darge> 
boten  haben  sollte.  Dem.  Möller  habe  sieh  mit  derselben  eine  zu 
leichte  Aufgabe  vorgesetzt ;  allein  die  Ausftkhrung  .derselben  entsch&digte 
für  diese,  in  solcher  Rücksicht  nicht  ganz  zu  billigende  Wahl  reichlich 
durch  den  in  ihr  liegenden  Beweis,  wie  eigen  und  anziehend  selbst 
der  minder  bedeutende  Stoff  sich  in  der  Hand  des  wahren  Künstlers 
gestalten  könne,  und  wie  manche  schöne  Zugabe  er  aus  dem  Reichtum 
des  letzteren  in  sich  aufzunehmen  flüiig  sei.  So  schmückte  denn  audi 
—  der  seelenvollen  Sprache,  des  ausdrucksreichen  Gebärdenspiels  der 
Dem.  Müller,  wodurch  selbst  die  unwichtigste  Rolle,  von  ihr  gegeben, 
ungemein  gewinnen  muß,  nicht  zu  gedenken  —  der  einfach  schöne, 
zugleich  aber  das*  tie&te  Gefühl  atm«^nde  Vortrag  des  Liedes  im 
zweiten  Akte  die  Darstellung  mit  einem  besonderen,  seltenen  Reize, 
welcher  allein  schon  verdient  hatte,  genossen  zu  werden,  und  wie 
die  ganze  Leistung  allgemeinen,  ausgezeichneten  Beifall  erwarb.** 

Der  „Aufmerksame*^  brachte  am  23.  Juli  eiae  kurze 
Notiz  über  „Donna  Diana",  „Präciosa"  und  »^Hedwig*.  Schon 
am  19.  Juli  aber  erschien  folgende  von  Gottscheer  verfaiite 
Ankündigung  des  vorbereiteten  Raupachschen  Dramas : 

„Den  Kunsterscheinungen,  in  weichen  unsere  Bühne  sich  seit 
der  Anwesenheit  der  k.  k.  Hofschauspielerin  Mlle.  Müller  verherrlichet, 
wird  sich  übermorgen,  den  24.  Juli,  die  Aufführung  von  Raupachs 
gehaltvollem  Trauerspiel :  die  Fürsten  Chawansky,  anschließen,  wert, 
in  der  Reihe  der8elt>en  einen  Platz  einzunehmen  und  der  Aufmerk- 
samkeit und  Teilnahme  des  gesammten  gebildeten  Publikums  empfohlen 
zu  werden.  Hr.  Rettich,  sich  vorbehaltend,  seine  früher  vorläufig  auf 
Grillparzers  neues  Trauerspiel:  „König  Ottokars  Glück  und  Knde**öo 
gefallene  Wahl  eines  BentfizestOckes  einst  bei  günstiger,  der  erforder- 
lichen szenischen  Ausstattung  entsprechender  Gelegenheit  zur  Aus- 
führung zu  bringen,  gibt  nun  zu  seinem  Benefize  das  genannte  Werjc 
Raupachs,  zu  dessen  Vorstellung  unser  gefeierter  Gast  aus  sch(^ner, 
rühmlicher  Gefälligkeit  für  diesen  ihren  Kunstverwandten  ihre  Mit- 
wirkung zugesagt  hat.  Wenn  aber  schon  dieses  Trauerspiel  selbst 
durch  seinen  anerkannten  Wert  unter  den  neuern  deutschen  Dichter- 
werken dieser  Gattung  einen  bedeutenden  Rang  behauptet ;  wenn 
diesen  zugleich  das  Repertoire  des  k.  k.  Hof  burRtheaters,  auf  welchem 
es  sich  fortwährend  befindet,  hinlänglich  verbür^tt ;  so  knüpfet  sich 
an  die  Vorstellung  desselben  noch  ein  besonderer  Reiz  in  der  sich 
darbietenden  Gelegenheit,  Mlle.  Müller  in  einer  ihrem  bisher  bewunderten 
Kunstwirken  völlig  fremden  Sphäre  zu  erblicken,  und  das  Verdienst 
derselben  in  neuer  höherer  Glorie  strahlen  zu  sehen.  Sie  wird  Sophi:i 
Alexiewna  sein ;  in  Wien  von  Mad.  Schröder  gegeben,  erscheint  dieser 
Charakter  als  eine  des  s^-ltenen  Darstellungstalentes  der  Mlle.  Müller 
um  so  würdigere  Aufgabe,  als  hierin  die  in  den  Tiefen  des  mensch- 
lichen Gemütes  wohnenden  Gewalten  in  ihrem  heftigsten  Kampfe  zur 
Anschauung  gebracht  werden  Die  Wahl  des  Stückes,  wie  die  so 
veranstaltete,  dem  Zuseher  einen  reichen  Genuß  verheißende  Besetzung 
jener  bedeutenden  Rolle  bewähren  demnach  auf  die  ehrenvollste  Weise 
das  Kunstgefühl  des  Herrn  Rettich .  .  ." 

14 


198  Beitrage  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

20.  Juli:  „Ich  werde  glücklich,  wenn  man  dem  Glauben 
folgen  soll,  denn  heute  sah  ich  eine  blühende  Aloe.  Um  halB 
10  Uhr  gingen   wir   zu   Professor   Anker  ^^o   j^s   Johanneum. 
Bey  dem  Garten  und  Fruchtobstgarten  in   Wachs    aus   Wien 
ward  angefangen ;    die   Schwämme   auch    in    Wachs,    Moose ; 
dann    natürliche    Herbarien,    und    verschiedene     Baumschlag- 
gattungen in  Bücherformat,  mit  ihren  Blättern,  Blüthen,  Moosen 
und  Rinden,  nebst  Holz  darin  enthalten.  *oi  Dann  kamen   wir 
an  Ankers  Territorium:    die    Steine   von    den    höchsten    Ur- 
gebirgen,  die  höchsten  Spitzen  der  Steine,  bis  nach  und  nach 
herab,  wo  schon  Wesen  sich  in  diesen  gebildet;    so    sah    ich 
Stücke  durchaus  von  kleinen  Muscheln  bestehend,    die    Stein- 
arten bildeten,  und  bildende  Steine   sind,    woraus    hervorgeht, 
daß  das  Wasser  erst  das   Leben    brachte;    dann    finden    sich 
immer   größer   werdende    Muscheln,    dann    schon    Fische    in 
weichem  Steinarten  ganz  ausgedrückt,  je  mehr  der  Kalkstoff- 
Stein  zunahm;  endlich  gelangt  man  bis  hinab  in  die  bildende 
Mutter  Erde  zu  den  Metallen  und  Mineralien,  die  Marmorarten 
vorher  nicht  zu  vergessen;  besonders  an  diesen  ist  Steyermark: 
sehr  reich;  auch  eine  Alabastergattung  besitzt  es,    doch  nicht 
an  Größe  hinreichend;  auch  schöne  Chrisolitarten   von    zienn- 
licher  Größe.  Anker  hat  diese  Gegenstände  mit  vieler  Umsicht 
geordnet,  und  erinnerte  mich  an  meinen  lieben  Herder:    ,wer 
im  Studium  der  Natur  nicht  das  Glück,  die   Bestimmung    des. 
Daseyns  erkennt,  ist  wahrhaft   zu   beklagen.*    Neuerdings    hat 
Anker  eine  Zusammenstellung  der   Bergerzeugnisse    geordnet ; 
nähmlich  die  Steinarten  zum  Bauen  für  Gewölbe,  die  leichteren 
Gattungen  von  Kalktheilen  für  Häuser,  die  festem    Steinarten 
für  Erdgebäude,  gleichfalls   zu   Verschönerungsarbeiten;    dann 
Marmorarten,  eine  schöner  als  die  andere ;  dann  Metalle,   und 
Thonerden  zum  Häuserbedarf;    alles   inländische    Erzeugnisse^ 
erst  seit  sechs  Wochen  aufgestellt.  ^^^ 

„Leider  war  unsere  Zeit  zu  beschränkt,  da  um  11  Uhr 
Probe  von  den  Chawansky  war;  wir  sahen  nur  noch  den 
physikalischen  Saal,!^^  und  aus  dessen  Fenster  im  botanischen. 
Garten  10^  die  Aloe.  Die  Blüthezeit  ist  50  bis  60  Jahre;  dann 
treibt  aus  der  spitzen  Blätter  Mitte  ein  Stamm,  der  bis  zur  Höhe 
eines  Stockwerkes  reicht,  und  oben  mehrere  kahle  Äste  hat^ 
an  deren  Enden  grüne  Ballen  sich  bilden,  diese  werden  nach 
ungefähr  sechzehn  Tagen  die  schön  gefärbte  Blüte.  Rettich 
und  Walter  waren  auch  dort;  wir  gingen  zusammen  in  die 
Probe,  nachdem  wir  noch  die  Lesezimmer  der  Journale  ^^^ 
besehen  hatten;    die  vorzüglichsten    englischen,    französischen^ 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  199 

italienischen,    und    alle    deutschen,    die    existieren.    Von  einer 

Erbschaft    eines    Herrn wird    ein    neues    Gebäude    zur 

Bibliothek  aufgeführt,  bald  ist  es  vollendet.  *06 

„Bey  Liebich  speisten  wir.  Nach  Tisch  um  5  Uhr  gingen 
wir  ins  Zeughaus.  ^^^  Eine  Menge  Harnische  aus  dem  dfeyßig- 
jährigen  Kriege,  auch  ungrische  mit  Gelenken  durchaus,  *°^ 
Helme,  Waffen  von  seltsamer  Art;  jeder  einzelne  Mann  hatte 
ein  Arsenal  von  Waffen  zu  tragen,  um  durch  die  Eisen- 
rüstungen zu  dringen;  besonders  mißfielen  mir  eine  Gattung 
eiserner  spitzer  Hämmer,  die  beym  ersten  Hieb  gleich  tief 
durch  die  Rüstung  in  den  Körper  trafen;  Lanzen,  Spieße, 
Partisanen,  endlich  Schießgewehre,  Pistolen  in  Unzahl.  Einige 
Rüstungen  der  Kreuzfahrer  und  der  Herzoge  von  Steyer  ^^^ 
sind  interessant.  Vater  konnte  sich  bis  6  Uhr  nicht  trennen, 
die  Uebrigen  verloren  sich  früher.  Das  Zeughaus  befindet  sich 
im  ständischen  Landhause,  was  vor  zweyhundert  Jahren  ab- 
brannte,   und    seit  dieser  Zeit  erst  wieder  neu  erbaut  ist.^^^^ 

An  diesem  Tage  wurde  im  Theater  Mozarts  „Ent- 
führung aus  dem  Serail**  gegeben.  Cramolini  sang  bereits  als 
engagiertes  Mitglied  den  „Selim",  Frl.  (Elise?)  Schmidt 
vom  Kärntnertortheater  als  Gast  die  ^Constanze". 

21.  Juli.  „Um  10  Uhr  Probe  von  Chawansky.*^» 
Rettich :  Jury.  Ich  ward  nach  dem  zweyten  Acte  gerufen,  und 
zum  Schlüsse.  Das  Wetter  war  ungünstig  für  Rettichs  Ein- 
nahme, ein  starkes  Gewitter  kam  um  5  Uhr,  dauerte  bis 
7  Uhr,  und  scheuchte  die  Menschen  zurück;  jedoch  betrug 
die  halbe  Einnahme  für  Rettich  357  Gulden  W.  W.,  also  über 
700  Gulden.  Er  bedankte  sich  zum  Schlüsse  für  die  gütige 
Teilnahme  des  Publikums." 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  20.  Oktober 
1825: 

„Dem.  Müller  spielte  die  Sophia,  und  bereitete  dadurch  dem 
Publikum  den  höchsten  Genuß,  indem  diese  Darstellung  selbst  die 
bcwundertsten  ihrer  bisherigen  Leistungen  übertraf.  Die  Idealität, 
welche  sich  in  allen  Gebilden  dieser  trefflichen  Künstlerin  kundgibt, 
und  wodurch  sich  selbe  so  sehr  über  die  Fläche  der  Gewöhnlichkeit 
erheben,  erschien  ganz  als  das  belebende  Prinzip  dieser  Schöpfung. 
Der  Charakter  der  Sophia  gewann  hier  eine  Gestaltung,  welche  ihn 
zum  Schauspiel  im  Schauspiele  machte,  indem  seine  Darstellung  die 
gesammten  herrlichen  Kräfte  der  seltenen  Künstlerin  zur  Wirksamkeit 
hervorrief.  Die  sonderbare  Mischung  desselben,  die  Gefühle,  Leiden- 
schaften und  Verbrechen,  welche  sich  in  ihm  wechselseitig  erzeugen 
und  verschlingen,  die  äußeren  und  inneren  Stürme,  in  welchen  seine 
Kraft  kämpfend  untergeht,  wurden  hier  zu  Trophäen  des  glänzendsten 

14* 


200  BeitrSge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

Sieges  der  Kunst  über  den  widerstrebenden  Stoflf.  Das  Geschftft  der 
Kritik  könnte  dieser  Leistung  gegenüber  nur  eine  lobpreisende  Schilderung 
ihrer  vielen  und  auffallenden  Vorzüge  sein ;  doch  diese  ist  eben  als 
solche  unm6f;lich.  Den  Erfolg  derselben  bezeichnen  wir  —  Zweck 
und  Raum  unserer  Nachrichten  berücksichtigend  —  gleichfalls  kurz  : 
er  war  der  höchste  von  dieser  seltenen  Künstlerin  auf  unserer  Bühne 
gefeierter  Triumph." 

»Der  Aufmerksame*  vom  30.  Juli  1825: 

„Mlle,  Müller  wirkte  zu  Herrn  Rettichs  Einnahme  in  den 
Fürsten  Chawansky  als  Regentin  mit.  Sie  betrat  dieses  Gebiet  der 
Kunst  mit  einer  solchen  Würde  und  Gediegenheit,  daß  wir  diese 
Leistung,  obgleich  nicht  in  ihrem  Fache,  zu  den  vorzüglichsten  zählen 
können.  Die  Hoheit  der  Re^ntin,  die  Reizbaikeit  des  Weibes,  der 
Schmerz  und  die  höchste  Erbitterung  getäuschter  Liebe  und  das  Gefühl 
einer  aus  Schwäche  und  Leidenschaft  gehäuften  Schuld,  das  waren 
Aufgaben,  die  sie  mit  solcher  Wahrheit  in  einen  Charakter  zu  ver- 
schmelzen wußte,  dafi  man  in  selben  mehr  das  Untergeben  eines 
hoben  irregefülH-ten  Wesens  betrauern,  als  das  Opfer  eines  strafenden 
Geschickes  erkennen  mußte.  Ihr  schönes  Organ,  ihre  edle  Haltung 
und  Bewegung  gab  den  Situationen,  Stellungen  und  Szenen  eine  schöne 
poetische  und  malerische  Ausstattung." 

22.  Juli:  „Um  6  Uhr  kam  Jenger,  uns  zum  Frühstück 
bey  Pachler  auf  dem  Haller-Schlößchen  *  ^^  abzuholen ;  Vater 
hatte  einen  Wagen  bestellt.  Der  Morgen  war  wunderschön ; 
ich  erholte  mich  bald  von  der  gestrigen  Anstrengung  in  der 
heiteren  Luft.  Nachdem  wir  im  Grünen  gefrühstückt,  gingen 
wir  auf  den  Nußbügel,  oder  Lustbühl,  ^^^  hinter  dem  Rückerl- 
berg. Der  Spaziergang  war  herrlich  im  Schatten  durch  den 
Wald,  die  abwechselnden  Aussichten  herab  in  die  bunten 
lebendigen  Thäler  und  auf  den  Scheckel  smd  sehr  lieblich  und 
anmutig.  Das  Gebäude  Nußbügel,  eine  Meierey,  befindet 
sich  auf  einer  Bergspitze,  wo  man  die  schönste  Aussicht  ge- 
nießt; von  da  gingen  wir  über  den  Bergrücken  unter  einer 
Obstbaum-  und  Rosen-Allee  hinauf  zu  einem  allerliebsten 
Laubenplätzchen,  wo  ein  frisch  grüner  Eichenwald  die  Aus- 
sicht nach  der  Stadtseite  beschränkt,  und  nur  den  Schloßberg 
sichtbar  läßt,  dagegen  man  sich  süd-  und  nordwärts  der 
schönsten  Aussicht  erfreut.  Der  Heimweg  durch  den  Tannen- 
und  Fichtenwald  ist  bey  des  Tages  Schwüle  sehr  gut.  — 
Rettich  kam  später,  sagte,  er  sey  bey  mir  gewesen,  Barbe*** 
habe  ihm  erzählt,  Gräfinn  Saurau**^  habe  geschickt,  mich  und 
Vater  auf  heute  Abend  um  6  Uhr  zum  Thee  einzuladen. 
Pachler  ließ  meine  Musik  holen.  Es  kam  starker  Regen. 
AppeP**  und  Pachler  Doctor,  Rettich  und  Bahn  speisten  zu 
Mittag  dort.  Die  Pachler  ist  recht  lieb,  wenn  man  sie  näher 
kennt ;    wir  sprachen  lange  am  Fenster ;    sie   scheint  Gemüth 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  201 

ZU  haben.  Endlich  schlug  die  Thurmuhr  im  Dorfe  eilf;  wir 
nahmen  etwas  Suppe,  und  brachen  aut  Es  war  recht  finster. 
Pachlers  begleiteten  uns  bis  zum  Hohlwege." 

Am  Abend  dieses  Tages  sang  Frl.  Beisteiner  bereits  als 
engagiertes  Mitglied    die   „Rosine'*    im    „Barbier  von  Sevilla". 

23.  Juli:  „Spaß  über  Spaß!  Als  Vater  von  Barbe 
gestern  die  Saurau  sehe  Einladung  erfragte,  sagte  er  gleich, 
morgen  müssen  wir  hingehen,  uns  entschuldigen.  Heute  trieb 
er  mich  den  ganzen  Morgen  zum  Ankleiden;  ich  entschloß 
mich  erst  spät  dazu.  Vater  hatte  keine  Ruhe,  ward  heftig; 
um  ihn  zu  beruhigen,  schlug  ich  eine  Visite  bey  Leiningen 
vor,  aber  er  fürchtete  zu  verstoßen,  und  bestand  darauf,  gleich 
zu  Saurau  zu  gehen.  Pachler  kam  dazu,  gab  ihm  recht.  Nach- 
dem ich  demselben  zwey  Blätter  für  mein  Stammbuch  gegeben, 
für  ihn  und  seine  Frau,  schleifte  mich  Vater  fort.  Zum  Glücke 
sahen  wir  noch  einen  Wagen  auf  dem  Platze,  der  war  schnell 
erlaufen,  eingesetzt  und  hinausgefahren.  Die  halbe  Liebich 
Tischgesellschaft  kam  aus  der  Probe,  begegnete  uns;  Vater 
gab  die  Ansichten  von  Steyermark,*!''  die  ich  bey  Tisch  dem 
Weigl**®  zu  zeigen  versprach,  und  darum  mitnahm,  heraus 
dem  Kinsky,  und  sagte,  wir  fahren  nur  zur  Gräfinn  Saurau  eine 
Visite  zu  machen,  und  kommen  gleich  zurück.  Aber  wie  er- 
staunt war  er,  als  ihm  die  alte  Gräfinn  Saurau  sagte,  sie  wisse 
von  nichts,  habe  nie  Gesellschaft,  gehe  gar  nicht  ins  Theater. 
Vater  sagte,  es  sey  noch  ein  Schnitt  vom  letzten  Kleide  der 
Chawansky  begehrt  worden ;  und  was  sollte  die  alte  Frau 
damit  thun  ?  Ich  konnte  nur  mit  Mühe  das  Lachen  ver- 
beißen. Was  muß  die  gute  alte  Dame  denken,  daß  wir  so 
plötzlich  ihr  über  den  Hals  kommen?  Ich  hoffe,  Vater  wird 
in  Zukunft  mäßiger  seyn  mit  Visiten;  —  doch  wette  ich, 
Pachler,  der  Schelm!  hat  die  ganze  Pastete  verfertigt.  Bey 
Liebich  speisten  wir,  sie  fragte  mich,  ob  wir  die  Saurau  ge- 
troffen; ich  antwortete  ihr,  ja,  sie  sey  eine  charmante  Frau. 
Jetzt  ist  Vater  nicht  mehr  Zeremonienmeister,  sondern  Pachler, 
der  ühs'  die  Einladung  sicher  heimlich  machtei 

„Nach  Tische  gingen  wir  zu  Leiningen;  Vater  erzählte 
die  Geschichte,  und  wir  lachten  abermals  herzlich  darüber, 
mir  Vater  nicht.  Mit  Leiningen  fuhren  wir  ins  Theater." 

Das  Theater  brachte  an  diesem  Sainstag  die  große 
romantische  Oper  in  drei  Akten  „Die  Jugend  Peter  des 
Großen"  zur  ersten  Aufführung,  „frey  nach  Bouilli  von  Herrn 
Treitschke,    k.  k.  Hofopem-Dichter  und  Regisseur,  Musik 


202  Beitrage  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

von  Herrn  Josef  We  i  g  1,  k.  k.  Hofopern-Direktor  und  erster 
Kapellmeister  der  k.  k.  Hoftheater,  unter  dessen  persönlichen 
Leitung  und  in  die  Scene  gesetzt  von  dem  Herrn  Verfasser. 
Ihrer  Majestät  der  Kaiserinn  aller  ReuSen  gewidmet  von  den 
beyden  Verfassern." 

Die  beiden  Souvenirs,  die  sich  Sophie  Müller  von  dem 
Ehepaar  Pachler  für  ihr  Stammbuch  erbat,  sind  uns  erhalten. 
Das  reichhaltige  Album  der  Künstlerin  wurde  mir  von  der 
kgl.  Bibliothek  in  Berlin  zur  Verfügung  gestellt.  Die  erste  der 
beiden  Eintragungen  hat  bereits  Schmidkunz  in  seinem 
Aufsatze  über  das  Stammbuch  a.  a.  O.  veröffentlicht; ^^'^  die 
zweite  ist  bisher  unbekannt. 

„An  Sophie  Müller  —  auch  k.  k.  Hofschauspielerin 
in  Wien. 
Füllen   Sie   den   ganzen  Raum  aus,   und  noch  ist  nicht 
Alles  darinn,  was  denkt  und  empfindet  über  Sie  und  für  Sie. 

Carl  Pachler 

Dr.  Advokat,  u.  dgl.« 

„An  Sophie  Müller. 
Groß  in  der  Kunst  —  rein  und  lieblich  im  Leben  — 
erfreuest  Du  Geist,  Gemüth  und  Auge  zugleich. 
Glücklich  bist  Du  darum  —  mag  auch  Dein  Herz  es  venieinen, 
glücklich  vor  Vielen  bist  Du,  ja,  vor  Allen  vielleicht. 
Doch  nur  wir,  die  dies  schauen,  empfinden  und  fassen, 
wir  nur  sind  die  Beglückten !   Und  -  mit  Stolz  Sprech'  ichs  aus  - 
ja,  im  engeren  Kreise  der  Beglücktesten  stehend, 
wirst  Du  mich   nicht   übersehen  —  und   manch  Mahl  meiner 

gedenken. 
Grätz  am  26.  Julius  1825. 

Marie  L.  Pachler-Koschack." 

24.  Juli:  „Präciosa  wiederholt.  Das  anhaltende  Regen- 
wetter heute  füllte  das  Theater  ungewöhnlich,  dafür  mußten 
wir  auch  eine  kaum  zu  ertragende  Hitze  dulden.  Die, Musik 
ging  weit  schlechter  als  das  erste  Mal,  und  das  Accompagne- 
ment  des  Liedes  auf  dem  Theater  war  mehr  als  schlecht.  Ich 
ward  drey  Mal  gerufen;  zum  Schlüsse  sagte  ich:  ,Ihre  Güte 
und  Nachsicht  ist  größer,  ,als  ich  Ihnen  zu  danken  vermag.* 
Hey  so  überfüUtem  Hause  ist  es  sehr  schwer  hier  zu  sprechen." 

„Allgemeine  T  h  e  a  t  e  r  z  e  i  t  u  n  g*'  vom  20.  Ok- 
tober 1825  (Fortsetzung): 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  208 

„Wiederholte  Erscheinung  der  Dem.  Müller  in  der  Titelrolle 
bey  OberfÜlltem  Hause  und  wiederholter  glänzender  Erfolg  derselben." 

Am  25.  Juli  wurde  Weigls  Oper  mit  derselben  Inszenie- 
rung wiederholt.  Das  Tagebuch  schweigt  an  diesem  Tage. 

26.  Juli:  „Um  10  Uhr  Probe  vom  Turnier  zu  Kron- 
stein. 120  welches  heute  zum  Namensfeste  aller  Annen  mit 
großem  Beyfalle  gegeben  wurde.  Um  halb  6  Uhr  gingen  die 
Menschen  Schaarenweise  zurück,  welche  keinen  Platz  mehr 
finden  konnten.  Das  Stück  ging  gut,  Garderobe  war  anständig, 
Anordnung  gut.  Nach  dem  dritten  Acte  ward  ich  gerufen. 
Am  Schlüsse:  ,Nehmen  Sie  meinen  herzlichsten  Dank  für 
Ihre  gütige  Aufmunterung,  und  seyn  Sie  überzeugt,  nie  werde 
ich  die  freundliche  Theilnahme  vergessen,  womit  Sie  meine 
Darstellungen  würdigten.*" 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  20.  Ok- 
tober  1825  (Fortsetzung): 

„Dem.  Müller  als  Elsbeth.  Zwar  gleichfalls  eine  dankbare 
Rolle,  jedoch  von  geringem  inneren  Wert ;  aber  was  jQngst  aus  Anlaß 
dieser  Erscheinung  unseres  ausgezeichneten  Gastes  als  Hedwig  von 
der  Veredlung  solcher  in  die  Hand  des  Meisters  gegebenen  Stoffe 
gesagt  ward,  gilt  auch  von  dem  Charakter  der  Elsbeth.  Dieser  bietet 
übrigens  einem  eminenten  Talente  auch  manche  Gelegenheit,  sich  auf 
das  {glänzendste  zu  entfalten,  was  besonders  in  den  Szenen  der  Braut- 
schau im  dritten  Akte  der  Fall  ist.  Diese  ward,  wie  solches  das 
reiche  Talent  und  der  gebildete  Geist  dieser  Künstlerin  erwarten 
lieBen,  eine  vorzüglich  anziehende  Partie  der  Darstellung ;  erschienen 
auch  an  den  Wandelbildem,  in  welche  hier  Elsbeths  Charakter  vor 
ihren  Freiem  sich  kleidet,  in  der  Farbengebung  einzelne  vielleicht  zu 
helle  reveillons,  so  konnte  dies  die  Bewunderung  der  schönen  Freiheit, 
mit  welcher  hier  Melpomenens  gefeierte  Priesterin  im  Gebiete  der 
heiteren  Muse  sich  bewegte,  im  geringsten  nicht  schmälern.  So  ward 
selbst  diese  Darstellung  ein  Triumph  für  die  treffliche  Künstlerin, 
indem  diese  nicht  nur  während  derselben  mit  Beifall  überhäuft,  sondern 
auch  in  mehreren  Zwischenakten  gerufen  wurde." 

„Der  Aufmerksame"  vom  30.  Juli  1825  (Fort- 
setzung) : 

^Im  Turnier  zu  Kronstein  zeigte  sie  als  Gräfin  Elsbeth  ganz 
jene  Überlegenheit  durch  Liebreiz,  Adel  und  Geist,  womit  sie  den 
Augenblick  beherrschte,  die  Motive  gängelte  und  ihre  Treue  für  ein 
Gefühl  und  ein  Wesen  ihrer  Neigung  standhaft  bewährte.  In  ihren 
Charakterproben  vor  den  ungelegenen  Freiern  vermied  sie  die  Klippe 
.  der  meisten  Schauspielerinnen,  die  Einfalt  auf  Kosten  der  Grazie 
darzustellen.  Das  Publikum,  das  ihr  jedesmaliges  Auftreten  so  zahlreich 
herbeiführt,  überschüttete  sie  mit  Beifallsbezeigungen." 

27.  Juli:  „Nach  der  Probe  fuhren  wir  ins  liebe  Thal 
nach  Maria  TrQst;^2t  Jer  schöne  W«g  dahin,  die  abwech- 


204  Beiträge  zor  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

selnde  lachende  Natur,  die  eiMelnen  Baumgruppen  und  üp- 
pigen Felder,  das  ins  Unendliche  gehende  verschiedene  Grün, 
die  Birken-  und  Fichtengehölze  auf  den  Bergrücken,  endlich 
die  von  der  Höhe  aus  den  grünen  Aestcn  emporragende,  hohe 
Kirche  der  trostreichen  Madonna,  muß  jedes  Gemüth  ergreifen, 
und  erst,  wenn  man  den  Felsen  erklimmt,  und  in  die  Marmor- 
halle tritt,  die  mit  meiner  Jesuitenkirche  in  Mannheim ^^^  jj^ 
der  ganzen  Bauart  so  viel  Aehnlichkeit  hat,  die  Kuppel,  die 
Altäre,  alles  in  gleichem  Style  gebaut,  das  schöne  Madonnen- 
bild am  Hochaltare,  ^23  und,  tritt  man  aus  dem  Gotteshause, 
die  Aussicht  in  Gottes  großen  Tempel  der  Natur,  die  Thäler 
von  vier  verschiedenen  Seiten  so  sehr  verschieden  von  ein- 
ander und  doch  in  so  schönem  Einklänge,  hinter  der  Kirche 
der  friedliche  Kirchhof  auf  dem  Felsen,  der  den  Müden  sanft 
zur  Ruhe  ladet.  Maria  Trost  ist  mir  dahin,  meine  Marie^^^ 
schläft  unter  dem  Grase.  Ihr  milder  Trost  erhebt  mich  nicht 
mehr!  Ruhe  sanft,  du  liebe,  treue  Mutter!  dein  theures  sanftes 
Bild  lebt  ewig  in  deinem  armen  treuen  Kinde  fort.  —  Gerne 
wäre  ich  hinaufgestiegen  ins  friedliche  Gotteshaus,  doch  die 
Zeit  drängte.*25  Vater  ließ  den  Wagen  umkehren,  um  vor 
2  Uhr  zu  Liebich  zu  kommen ;  wer  weiß,  ob  ich  das  schöne 
Thal  jemals  wieder  sehe.  Zur  Liebich  kamen  wir  um  2  Uhr. 
Die  Schweizerfamilie;  ^26  seit  vier  Jahren  hörte  ich  die  liebe 
Musik  nicht  mehr,  wie  verschieden  hörte  ich  sie  jetzt,  als 
sonst,  da  mein  Mütterchen  noch  die  Gertrude  sang,  Milder  ^2 7 
die  Emeline,  mein  guter  SeppeH^s  (j^^  Jakob." 

28.  Juli:  „Um  10  Uhr  Probe  von  Romeo  und  Julie. i^^ 
Ungeheuer  volles  Haus,  dabey  aufmerksam;  die  Gartenscene 
ward  mit  Jubel,  die  im  vierten  Acte  mit  Enthusiasmus  auf- 
genommen; ich  ward  darnach  gerufen,  und  ein  Regen  von 
Gedichten  flog  aufs  Theater;  zum  Schlüsse  gleichfalls  ein 
Regen  von  Gedichten  und  Sonnetten ;  ich  dankte :  ,Ich  fühle 
es  tief  und  mit  gerührtem  Herzen,  was  Ihre  Huld  mir  war; 
ewig  treu  bewahrt  dieß  mein  Sinn.  Wohl  schwindet  die  Kunst 
des  Mimen,  doch  nie  die  Dankbarkeit;  sie  geleitet  mich  zur 
Ferne,  und  eriniiert  freudig  mich  ans  theure  Steyermark.  Doch 
vollkommen  wäre  mein  Glück,  würde  ich  auch  hier  bey  Ihnen 
nicht  ganz  vergessen  seyn/  —  Als  ich  abgegangen  war,  und 
für  Morgen  auf  vieles  Verlangen,  die  Gabriele  von  Rettich 
annoncirt  wurde,  rief  man  mich  mit  stürmischem  Beyfalle  noch 
ein  Mal  heraus.  —  Liebich  hatte  mich  heut  Morgens  auf  der 
Probe  um  die  Gabriele  gebeten,  und  unter  <lem  Stücke  sagte 
sie:  ich  möchte  morgen  den  dritten  Theil  der  Einnahme  von 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  205 

ihr  anzunehmen  nicht  verschmähen ;  ich  willigte  durchaus  nicht 
darein;  so  ließ  sie  zur  Kasse  sagen,  daß  man  die  Unkosten 
für  heute  mir  nicht  anrechne.  Ich  nahm  also  rein  ein:  1023 
Gulden  40  Kreuzer,  dann  Ueberzahlung  103  Gulden  5  Kreuzer, 
und  vor  dem  Theater  schickte  mir  der  Gouverneur  in  einem 
Blumenstrauße  8  Ducaten;  also  belief  sich  die  Einnahme  auf 
1221  Gulden  45  Kreuzer.  Ich  bin  mit  den  vollen  Häusern 
und  der  Aufnahme  meiner  guten  Grätzer  vollkommen  zu- 
frieden. Vater  war  an  der  Kasse  von  5  Uhr  an,  doch  um 
halb  4  Uhr  standen  schon  an  dreyhundert  Menschen  vor  der 
Theaterthüre.  Vater  speiste  bey  Liebich,  ich  zu  Hause.  Die 
freundliche  Schwalbe  heute,  die  in  meinem  Zimmer  die  Nacht 
auf  dem  Fenster  schlief,  hat  mir  das  Glück  verkündigt:  ein 
froher  Tag!** 

„Allgemeine  Theaterzeitung"  vom  20.  Ok- 
tober  1825  (Schluß): 

„Seit  Jahren  nicht  auf  der  Grätzer  Bühne  zur  Vorstellung 
gebracht,  würde  diese  Tragödie  der  Liebe  in  ihrer  Wiedererscheinung 
selbst  unter  anderen  Verhältnissen  die  Teilnahme  des  Publikums  in 
einem  mehr  als  gewöhnlichen  Grade  angeregt  haben;  die  Erscheinung 
der  Dem.  Müller  in  der  ebenso  schönen  als  schweren  Rolle  der 
Julia,  die  Nähe  ihres  Scheidens,  die  Gelegenheit,  der  Künstlerin  in 
dem  der  Benefiziantin  schuldigen  Tribut  die  Anerkennung  ihres  seltenen 
Verdienstes  auszudrücken,  steigerte  selbe  auf  den  höchsten.  Schon 
eine  geraume  Zeit  vor  Anfang  der  Vorstellung  hatte  sich  das  Haus 
zum  Erdrücken  gefüllt ;  Alles  war  herausgeeilt,  den  Liebling  noch 
einmal  zu  sehen.  In  der  Tat  müßte  dieser  Enthusiasmus  beige- 
tragen haben.  Dem.  Müller  zu  dem  herrlichen  Spiele  zu  begeistern 
mittelst  welches  sie  den  Charakter  der  Julia  in  seinem  ganzen  süd 
liehen  Schmelz  zur  Anschauung  brachte,  zeigte  sich  nicht  in  jedei 
ihrer  Darstellung  derselbe  allbeseelende  Kunsteifer,  —  wäre  es  nicht 
eben  diese  südliche  Glut,  welche  sie  den  Affekt  der  Liebe  in  allen 
seinen  poetischen  Blüten  so  warm  und  lebendig  darstellen  läßt,  — 
und  wüßten  wir  endlich  nicht,  daß  Shakespeares  einzige  Julia  eine 
der  vorzüglichsten  Leistungen  dieser  Künstlerin  ist.  Der  ganze  Charakter 
wurde  mit  hoher  psychologischer  Wahrheit  ausgeführt;  die  Szene  auf 
der  Terrasse  übertraf  alles  in  dieser  Art  Gesehene,  jene  mit  Lorenzo, 
wo  Julia  von  ihm  den  Schlaftrank  empfängt,  war  das  herrlichste 
Phantasiestück  der  mimischen  Kunst.  So  sollte  —  hoffentlich  nur 
für  dieses  Jahr  —  Dem.  Müller  zum  letzten  Mahle  das  Entzücken 
des  Publikums  sein ;  der  mächtige  Beifallssturm,  welcher  sich  häufig 
während  der  Vorstellung  erhob  und  sich  zugleich  in  mehrmaligem 
Hervorrufen  der  Künstlerin  äußerte,  konnte  durch  das  bange  Gefühl 
des  nahen  Scheidens  nur  einen  höheren  Impuls  erhalten  haben.  Diese 
allgemeine  Stimmung  ward  auch  in  zwei  hier  folgenden  Gedichten 
(von  zwei  verschiedenen  Verfassern)  ausgesprochen,  wovon  das  I. 
bereits  nach  dem  vierten,  das  II.  aber  nach  dem  fünften  Akte  in  dem 
Augenblick,  wo  die  Scheidende  dem  Publikum  tiefgerührt  Lebewohl 
sägte,  über  Parterre  und  Bühne  hingestreut  ward:i»o 


206  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

I. 

Bey  der  Abreise 

der 

Mademoiselle  Müller, 

k.  k.  Hofschauspielerinn. 

Im  Jahre  1825. 

Vom  Arm'  des  Lenzes  hold  umschlungen» 
Lacht  freundlich  die  Natur  und  milde, 
Und  ihrem  hehren  Zauberbilde 

Strömt  Lobgesang  von  tausend  Zungen. 

Und  ist  das   FrOhlingslied  verklungen. 
Und  braus't  mit  hartem  Eisesschilde 
Der  Winter  durch  das  Schneegefilde, 

Wird  sie  gefeyert  und  besungen. 

So  wird,  wer  Deine  Kunst  erblicket, 
Von  ihrem  Zauber  süß  berücket, 
Mit  hoher  Himmelslust  entzücket. 

Mag  Jubel  Deiner  Lipp'  entschweben. 
Mag  Liebeslust  den  Blick  beleben, 
Mag  Leidessturm  die  Brust  Dir  heben. 


IL 

Des  Scheidens  Augenblick. 

Am  Schlüsse  der  letzten  Gastdarstellung  der   k.  k.  Hofsehauspielerin 
Sophie  Müller. 

Der  Vorhang  sinkt !  So  sinkt  der  Wolkenschleyer, 

Der  abendlich  die  Sonne  uns  verhüllt ; 

Ob  wieder  er  entschwebe  —  ach,  es  füllt 

Das  Aug*  nicht  mehr  des  Lichtes  Lust  und  Feyer ! 

Denn  Sie,  die  Glänzende  !  Sie  ist  entschwunden. 
Die  einen  hellen  hohen  Tag  gebracht, 
Im  nassen  Blick,  entfloh'nen  süßen  Stunden 
Geweiht,  stirbt  ihres  letzten  Strahles  Pracht !  — 

Der  weiche  Scheidegruß,  er  ist  gespendet ! 
Doch  Eins  verheißt  dem  bangen  Herzen  Ruh  : 
Denn  still  bewegt  von  Sehnsucht  —  Hoffen  —  wendet 
Sich  jedes  Haupt  dem  dunklen  Osten  zu  ! 


Doch  eine  frohe  Überraschung  erwartete  die  vielbewegten 
Gemüter;  nach  einer  Pause  flog  der  Vorhang  wieder  empor;  Hr.  Rettich, 
von    dem    gerechten  Publikum   in  Anerkennung   seiner  verdienstlichen, 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  207 

auf  fleißiges  Studium  gegrtindeten  Darstellung  als  Romeo  gerufen, 
erschien,  um  sogleich  anzukündigen,  daß  Dem.  Müller  auf  vieles 
Verlangen  den  folgenden  Tag  noch  ein  Mal  als  Gahriele  auftreten 
werde,  in  dessen  Folge  sich  ein  allgemeiner  Jubel  erhob,  und  man 
selbe  sogleich  wieder  lärmend  hervorrief.  So  wurde  denn  am  29. 
„Gabriele**  als  Schluß  des  Gastspieles  gegeben  und  ihre  treffliche 
Darstellung  von  den  lebhaftesten  Beifallsbezeugungen  und  dem  unge- 
teilten Wunsche  begleitet,  den  Genuß  ihres  ausgezeichneten  Talentes 
bald  wieder  erneuert  zu  sehen," 

29.  Juli:  „Gabriele  131  bey  vollem  Hause;  schöne  Auf- 
nahme, hervorgerufen  bey  jedem  Acte,  zum  Schlüsse  sagte 
ich  nichts.  Um  12  Uhr*^*  gingen  wir  zu  Leiningen;  sie  waren 
sehr  freundlich,  daß  wir  noch  kamen ;  dankten  für  die  gestrige 
Vorstellung,  und  trugen  an  Wilhelmi  und  Kettel  Grüße  auf.^^^ 
Sie  schickten  uns  drey  Flaschen  Rheinwein  auf  die  Reise,  Lie- 
bich fanden  wir  in  unserer  Wohnung.  Sie  bat  mich  wieder- 
holt, nach  Preßburg  zu  kommen,  zu  der  Krönung  am  11.  Sep- 
tember. ^^^  Sie  hatte  mir  ein  Nadelpolster  von  ihrer  Toilette 
gebracht,  was  sie  vor  einigen  Tagen  erst  geschenkt  bekam. 
Um  halb  4  Uhr  kam  der  Separatwagen.  Um  4  Uhr  stiegen 
wir  ein,  und  kehrten  der  Stadt  den  Rücken;  wer  weiß,  ob 
ich  sie  jemals  wiedersehe!  St.  Gotthardt  mit  seinem  freund- 
lichen Gartenhause  auf  dem  Felsen,  die  Weinzierlbrücke,  Gösting, 
Straßengel,  Feistritz  flogen  zum  letzten  Male  mit  angenehmen 
Erinnerungen  an  uns  vorüber;  endlich  kamen  wir  zur  ersten 
Station  Peckau;  es  war  erdrückend  warm;  oberhalb  Peckau, 
bey  Frauenleiten,  *^5  g^ht  rechts  der  Weg  nach  der  bekannten 
Teigalpe,  die  neulich  Gouverneurs  besuchten.  Erst  als  wir  in 
die  Felsenwände,  den  eigentlichen  Paß  von  Steyermark,  kamen, 
wurde  es  kühler,  da  die  Sonnenstrahlen  nicht  mehr  in  diese 
Schluchten  reichten,  und  die  wilde  Mur  uns  Kühlung  zu- 
rauschte. Zweite  Station,  Rötheistein,  1 V^  Post.  Der  herrlichste 
Abend  auf  diese  Tagesschwüle.  Nahe  vor  Brück  stieg  der 
Mond  hinter  den  Alpen  hervor  in  seinem  ganzen  Silberglanze, 
schöner,  als  er  mir  je  geschienen,  denn  das  Verschwinden  des- 
selben hinter  den  hohen  Bergen,  die  plötzliche  Nacht,  und 
dann  wieder  sein  Hereinschauen  in  die  engen  Thalschluchten 
beym  Wenden  der  Landstraße  machte  mir  ihn  doppelt  werth; 
wunderbar  war  die  Gegend  vor  Brück  erleuchtet,  und  die  rau- 
schende Mur  gab  dreyßig  Mal  des  Mondes  Bild  zurück,  als 
unser  Wagen  über  die  Brücke  vor  der  Stadt  rollte.  Es  war 
1 1  Uhr,  als  wir  an  der  Post  hielten.  Dritte  Station.  Der  ganze 
Hauptplatz  schallte  von  Nachtmusik  des  Militärs  wieder,  welche 
gewiß  :  dem   morgenden   Ignatius   zu   Ehren   gebracht  wurde. 


206  Beitrage  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

Die  Stadt  hat  für  mich  etwas  Angenehmes,  ihre  Lage  und 
antike  Bauart,  mit  der  altergrauen  Burg  hoch  Ober  deren 
Haupt  auf  dem  sogenannten  SchloÄberg.  Wir  nahmen  ein 
kleines  Nachtmahl,  und  hatten  das  Unglück,  eine  Rheinwein - 
flasche  sammt  ihrem  köstlichen  hihalte  einzubüßen;  der  gute 
Rebensaft  erfüllte  die  Luft,  und  ward  gierig  von  der  Erde 
eingesogen.  Eine  Strecke  von  Brück  ward  es  ziemlich  kalt; 
Vater  und  Barbe  wiegte  Morpheus  sanft  ein,  sie  schnarchten 
bald  ein  Duett  durch  alle  Tonarten,  und  nickten  gravitätisch 
mit  dem  Haupte  den  Tact  dazu.  Ich  konnte  mich  zum  Schlafen 
nicht  entschließen,  der  Abend  war  zu  schön,  und  die  Gegend 
nahm  sich  bey  der  Beleuchtung  so  verschieden  aus,  und  hatte 
einen  so  eigenen  Reitz,  daß  ich  vor  Freude  darüber  nicht 
schlummern  mochte.  Vierte  Station,  Mürzhofen.  Da  machte 
mir  Vater  einen  Strich  durch  meine  Extasen ;  er  ließ  die  Leder 
auf  beyden  Seiten  schließen,  weil  die  Kälte  immer  mehr  zu- 
nahm. Nun  saß  ich  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  in  der 
ledernen  Nacht,  und  so  währte  es  nicht  lange,  als  ich  ver- 
muthlich  ein  Terzett  schnarchte  und  nickte,  denn  erst  in 
Krieglach,  der  fünften  Station,  ward  ich  durch  des  Postillons 
heisere  Stimme  ins  Leben  gerufen;  da  schlug  es  2  Uhr  im 
Posthause.  Die  Nähe  des  Semmering  verbreitete  vor  Mürz- 
zuschlag  eine  feuchte  neblichte  Frostkälte.  Ich  hüllte  mich  in 
meinen  Mantel,  und  träumte  süß.  Als  wir  die  sechste  Station, 
MOrzzuschlag,  erreichten,  war  Nacht  und  Tag  schon  im  hef- 
tigen Streite,  Ans  Schlafen  war  nicht  mehr  zu  denken,  da 
wir  meinem  lieben  Semmering  uns  näherten.  •  Nur  dann  und 
wann  öffnete  ich  die  Leder  und  ergötzte  mich  am  Morgen- 
roth, das  den  prangenden  Mond  endlich  bleichte.  Der  Morgen- 
thau  perlte  auf  den  grünen  Matten,  als  wir  den  Semmering 
erreichten.  Nun  wußte  ich,  woher  die  Kälte  kam,  denn  drüben 
auf  den  Alpen  glänzte  der  Schnee  und  hüllte  ihre  Häupter 
in  ein  reines  Negligee.  Ein  göttlicher  Morgen.  Kaum  hatte  ich 
dem  Steyrerland  in  Gedanken  Lebewohl  gesagt,  als  ich  bald 
Schottwien  tief  unten  im  Thale  an  den  Ruinen  der  alten 
Felsenburg *3^  erkannte.  Um  halb  6  Uhr  kamen  wir  an  der  Post 
dort  an.  Ich  ließ  mir  ein  Zimmer  geben,  mich  zu  waschen 
und  Wäsche  zu  wechseln ;  als  ich  zum  Frühstück  herab  in 
die  Gaststube  kam,  saß  Stöger  beym  Vater  am  Tisch.  Er  kam 
mit  dem  Wiener  Eil  wagen  eben  an,  um  nach  Grätz  zu  reisen. 
In  Schottwien  wird  gefrühstückt  beym  Wiener  Eilwagen,  so 
konnten  wir  eine  Zeit  lang  plaudern.  Stöger  sagte,  ich  müsse 
nach  Preßburg  kommen,  zur  Krönung  ihm  spielen ;  das  Theater 


Voji  Otto  Erich  Deutsch.  209 

ist  schon  fertig.  Ich  erzählte  ihm  den  Erfolg  der  Opern,  meines 
Benefices,  etc.  Endlich  ward  er  zur  Abfahrt  gerufen;  in  acht 
Tagen  ist  er  wieder  in  Wien,  und  will  uns  besuchen.  Um 
9  Uhr  erreichten  wir  die  achte  Station,  Neunkirchen.  Dort 
hat  die  schöne  Gegend  ein  Elnde.  Neunte  Station,  Wiener 
Neustadt;  ein  unerträglicher  Staub,  und  Hitze.  Zehnte  Sta- 
tion, Günselsdorf,  um  12  Uhr.  Eilfte  Station,  Neudorf;  der 
Staub  nahm  so  zu,  daß  wir  keine  Gegenstände  unterscheiden 
konnten,  und  in  ewiger  Wolke  fuhren;  dieß  ward  mir  die 
längste  und  unangenehmste  Station.  Endlich  hatten  wir  die 
Spienerinn  am  Kreuze  erreicht,  und  unser  liebes  Wien  breitete 
sich  vor  uns  aus.  Um  halb  4  Uhr  hielt  der  Wagen  vor  dem 
Hause.  Alles  fanden  wir  in  der  schönsten  Ordnung  und  ge- 
reinigt." — 

^Der  Aufmerksame-*  brachte  über  das  Gastspiel  Sophie 
Müllers  kein  Referat  mehr;  auch  die  „Wiener  Zeitschrift"  er- 
wähnte die  Gastreise  des  Jahres  1825  nicht  weiter.  Ich  habe 
besonders  die  Rezensionen  der  „Allgemeinen  Theaterzeitung'* 
so  ausführlich  zitiert,  weil  sie  auch  ein  gutes  Abbild  der  da- 
maligen Kritik  geben:  sehr  blumenreich,  nicht  immer  im  besten 
Deutsch,  aber  ehrlich  und  gründlich. 

Außer  den  oben  abgedruckten  Gedichten  sind  noch  fol- 
gende drei  durch  das  zweite  Grazer  Gastspiel  der  Sophie  Müller 
angeregt  worden.  Das  erste  erschien  anonym, ^3'  die  beiden 
letzten  sind  von  Karl  Gottfried  von  Leitner:^^® 

„Gefühle  wahrer  Verehrung  und  Freundschaft 
für  die  k.  k.  Hof-Schauspielerinn  Sophie  Müller. 

<Diefi  Gedicht  vrurde  von   mehreren  Kunstfreunden   am    27.  Juli  i625,   bei  der  letzten 
Gaatdarstellung  dieser  Künstlerin  auf  dem  st.  Theater  zu  Grätz,  Tertheilt.) 

Und  wieder  scheidest  Du  aus  unsern  Mauern, 
Und  wieder  fühlen  wir  der  Trennung  Schmerz, 
Und  wieder  füllt  mit  wehmutvollen  Schauem 
Der  Freunde  Seele  sich,  der  Freunde  Herz. 

Es  ward  die  Thräne,  die  Dein  Künstlerwalten 
In  unser  Aug'  gelocket,  Seligkeit ! 
So  möge  sie  auch,  wechselnd,  sich  gestalten 
Zur  schönen  Quelle  der  Unsterblichkeit  ! 

In  unsern  Herzen  wird  Dein  Name  leben  — 
Und  kehrst  Du  wieder  freundlich  einst  und  mild. 
Sieht  froh  das  Auge  neu  vorüberschweben 
Ein  unvergessen  wohlbewahrtes  Bild  !  — " 


210  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

Blumen   der   Erinnerung  an    Sophie   Müller. 
Als  Zaarewna  Sophia  in  Raupachs  «Fürsten  Chawansky. 

Dort!  —  wer  erkennt  Sophien  in  Sophien? 

Der  eigenen  Purpurschleppe,  die  wie  Wogen 
Des  Blutes  rauschend  ihr  kommt  nachgezogen, 

Will  die  Unselige  im  tollen  Wahn  entfliehen. 

Gemordet  hat  sie,  hu  !  —  wie  groß  die  Augen  glühen  ! 
Entsetzlich  ist  sie;  doch,  wie  sie,  betrogen 
Von  eitlem  Glanz,  auch  grauser  Wuth  gepflogen, 

Nicht  unser  Mitleid  kann  sie  sich  entziehen. 

Und  nun,  ob  ihr  das  Schwert  der  Rache  strahlet. 

Seht!  —  wie  sie  knieend,  bleich,  mit  frommem  Schweigen 
Des  Streiches  harrt  in  demuthvollem  Neigen. 

O  eilet,  eilt,  ihr  hohen  Meister !  mahiet 

Dieß  Wunderbild,  und  haut's  in  ew'ge  Steine ; 
So  hehre  Sünderinn  saht  ihr  noch  keine. 


Als  Julia  Capulet  in  Shakespeares  ,Romeo  und  Julia*  bey  ihrer  letzten 
Gastdarstellung  in  Grats. 

Was  zankest  Du,  von  zarter  Scham  geröthet. 
Mit  Deinem  Romeo,  ob  Nachtigallen- 
Ob  Lerchenlieder  durch  die  Haine  wallen  ? 

Du  selbst  bist  es,  die  also  lieblich  flötet. 

Doch  ach  !  ihr  Liebes wonnen,  was  ihr  bötet 

Des  Süßesten,  es  flieht.  —  Von  Leichenhallen 
Spricht  Julie  nun  mit  grauenhaftem  Lallen. 

Sie  selbst  ein  Nachtgespenst,  deß'  Anblick  tödtet. 

In  Grüften  will  sie  des  Geliebten  harren. 

Sie  trinkt  —  und  still  durchfließt  ein  eis'ger  Schauer 
Wie  sie,  auch  uns,  und  wir,  wie  sie,  erstarren. 

Nun  rauscht  der  Vorhang,  wie  ein  Sargtuch,  nieder. 

Mit  Wehmuth  sehen  wir 's  und  stummer  Trauer ; 
Ach  !  uns're  Julia  erwacht  nicht  wieder. 

C.  G.  V.  Leitner.« 

Noch  einmal  erwähnt  das  Tagebuch  Sophie  Müllers  des 
Grazer  Gastspiels,  das  wieder  11  Vorstellungen  umfaßt  hatte. 
Am  1.  August  1825,  einen  Tag  nach  ihrer  Ankunft  in  Wien, 
notiert  sie  über  ihr  erstes  Wiedererscheinen  im  Burgtheater : 
„Die  ganze  Direction  war  auf  dem  Theater.  Treitschke  hatte 
schon  erzählt  von  Grätz." 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  211 

Am  16.  August  1825  erkrankte  Sophie  Müller  an  einer 
Gehirnhautentzündung.  Erst  Mitte  Oktober  konnte  sie  wieder 
im  Burgtheater  auftreten.  Aber  seit  dieser  Krankheit  verfolgten 
häufiger  als  bisher  Todesgedanken  die  schöne  junge  Künst- 
lerin, deren  zahllose  Anbeter  sich  immer  noch  vermehrten. 

Aus  dem  Jahre  1826  ist  in  der  Handschriften-Sammlung 
der  k.  k.  Hofbibliothek  ein  Tagebuch  der  Müller  vorhanden, 
von  dem  Mailäth  nur  ein  kleines,  auf  Kaiser  Franzens 
Erkrankung  bezügliches  Stück  veröffentlicht  hat.  Die  kurzen 
Notizen  dieses  Jahres  sind  in  ein  Exemplar  des  „Neuesten 
Schreibkalenders  auf  das  gemeine  Jahr  von 
365  Tagen  1826"  eingetragen,  „Grätz  gedruckt  und  im  Ver- 
lage bei  Johann  Andreas  Kienreich,  —  Gebunden  und  ge- 
stämpelt  2  fl.  W.W."  Sophie  Müller  hat  diesen  Kalender  ver- 
mutlich in  Graz  von  Kienreich  zum  Geschenk  bekommen. 
Einige  auf  Graz  bezügliche,  bisher  unveröffentlichte  Eintragungen 
seien  hier  mitgeteilt: 

16.  Jänner:  „Jenger  kam  mittags  und  erzählte  Anektode. 
Graf  Adems*"^^  u.  die  Landstände  tanzen  in  der  Uniform, 
Stöger  pfeift  dazu,  Pachler  hält  die  Noten." 

19.  Februar:  „Hüttenbrenner...  brachte  Kollmanns ^^^ 
Dante  eine  Dramamanuscript,  in  3  Akten." 

11.  März:  „Jenger  kam  mittags  kündete  Grätzer 
4  Schinken  an  zu  30  kr." 

17.  März:    „Jenger  4  Schinken  bezahlt  —  4  fl.  24  kr." 

21.  März:  „Münich^^^  aus  Graetz  kommen,  16  Paar 
Schuhe  geschenkt,  geht  nach  Brunn". 

22.  März:  „Rettich  und  Pusch  mittags  kommen  aus 
Graetz  über  Preßburg  hierher". 

3.  April:  „Jenger  kommen,  Mittwoch ^^^  geht  er  nach 
Graetz." 

13.  April:  „Adelma.  5'mal,  ziemlich  voll.  Vogl*^^ 
fliegt  hoch!  Kramolini,  Preisinger  durch  ganzen  Stöger.'* 

3.  Juni.  „Stöger  Presburg  Brief  v.  2*- Juny." 

8.  Juni:  „Stöger,  Reinhofer*^^  da,  Graetz  Gastrollen, 
Nein." 

13.  September:  „Kienreichs,  Jenger, Gretel  da  gespeist." 

19.  Dezember:  „ Marie  Oper  am  Kärntnerthor  gesehen 
2*  Mal  sehr  leer.  Gries  aus  Graetz  spielte  die  Marie." 

Die  beiden  Brüder  Anselm  und  Josef  Hü  ttenbrenner 
kommen  wiederholt  in  diesem  Tagebuch  vor,  das  ich  auszugs- 
weise veröffentlichen  werde. 


212  BeitrSge  zur  Geactiichte  des  Grazer  Theaters. 

Durdi  einen  ganz  uowahrsdieinlichen  Zufall  fand  ich 
vor  kurzem  in  der  reichen  Autographeosanunlwig  des  ver- 
storbenen Dichters  Hermann  Rolle tt  (Baden  bd  Wien)  den 
am  3.  Juni  verzeidineten  Brief  Stö^er&  Das  Billett  ist  ohoe 
Adresse  und  war  bisher  unter  den  namenlosen  Autographen 
eingereiht,  da  Rollett«  der  selbst  eine  kleine  Sammlung  von 
Briefen  an  und  von  Sophie  Müller  besaß,  den  Namen  der 
Adressatin  nicht  ahnte  und  den  des  Adressanten  vermutlich 
gar  nicht  kannte: 

^Sehr  geehrtes  Fräulein! 

kh  giaid>e  mit  Zuversicht  auch  auf  Ihr  diesjähriges  Ein- 
treffen in  Grätz  während  des  Ferial-Monathes  rechnen  zu  dOrfen, 
und  erbitte  nair  hierüber  Ihre  gütige  Äußerung,  welche  da 
ich  Ihre  dießfällig  beziehenden  Angelegenheiten  geordnet  glaube, 
nicht  anders  als  entsprechend  ausfallt!  kann. 

Nebst  vielen  Elmpfehl  ungen  an  Ihren  schätzbaren  Herrn  Vater. 
Mein  sehr  verehrtes  Fräulein 

Ihr  stets  bereitwillig  ergebener 

Presburg  am  2.  Juny  1826.  Stöger." 

Aus  den  Briefen  des  Johann  Baptist  Jengers  an  Marie 
Ledpoldine  Pachler,  deren  Kenntnis  ich  der  Güte  des  Frl.  Ida 
Khünl  (Wien — Graz)  verdanke,  seien  hier  noch  einige  Stellen 
angeführt,  die  von  Sophie  Müller  erzählen. 

22.  Februar  1826:  „Von  Fräul.  Sophie  Müller  — 
welcher  ich  öfter  schöne  Lieder  accompagniere  —  den  herz- 
lichsten Dank  für  die  gütige  Erinnerung  an  sie,  so  wie  von 
ihr  und  ihrem  Vater  die  innigsten  Grüße  an  Sie  gnädige  Frau 
und  Alle  Bekannten.  Wir  sprechen  sehr  viel  von  Grätz,  be- 
sonders vom  Hallerschlößl  und  Lustpichel ." 

5.  Mai  1827:  „Fräulein  Sophie  Müller,  welche  im  Beet- 
hovenschen  Concert  ganz  entzüdct  war,  laßt  Ihnen  und  dem 
lustigen  Doktor  recht  viel  Schönes  sagen.  Sie  reist  mit  Anfaa^ 
Juny  nach  Berlin." 

19.  Mai  1827:  „Von  Fräul.  Sophie  Müller  und  ihrem 
Vater  soll  ich  wieder  Alles  erdenkliche  Schöne  an  Sie  Alle 
entrichten,  mit  dem  Bemerken,  daß  sie  Hoffnung  haben,  im 
nächsten  Jahre  Sie  Alle  wieder  zu  sehen." 

16.  Juni  1827:  „Fräul.  Sophie  Müller,  welche  sich  Ihnen 
imd  Ihr^n  Angehörigen  recht  herzlich  empfiehlt,  ist  heute  früh 
8  Uhr  nach  Leipzig  und  Berlin  abgereist,  imd  körnt  bis 
10  August  wieder  zurück." 

27.  September  1827:  „Uibrigens  soll  ich  Ihnen  Allen  von 
der  Fräul.  Sophie  Müller  und  ihrem  Vater  .  .  .  viel  viel  Herz- 
liches  und  Schönes  entrichten." 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  213 

26.  Oktober  1827:  „An  Ihre  Lieblingin  Sophie  Müller 
und  Vater  werde  ich  heute  Abend  Ihre  Grüße  entrichten. 
Wir  haben  bei  ihr  eine  kleine  musikalische  Soiree  ..." 

29  Jänner  1828:  „Sophie  Müller  —  welche  Ihnen 
so  wie  ihr  Vater  recht  viel  Schönes  sagen  läßt  —  wird  an 
jenem  Abend  [Soiree  bei  Hofrat  Raphael  G.  Kiese wetter 
V.  Weissenbrunn]  auch  etwas  singen.  Wir  sprechen  sehr  viel 
von  Ihnen,  DSL  Karl  und  Faust,  auch  vom  verstorb.  D  a  u  fl, 
welchen  Freund  Pachler  aufm  Ruckerlberg  produzierte,  was 
die  Müllerschen  nie  vergessen." 

26.  April  1 828 :  „Von  Sophie  Müller  und  ihrem  Vater 
viel  viel  Schönes.** 

6.  September  1828:  „Sophie  Müller  und  ihr  Vater 
lassen  Ihnen  und  dem  Freunde  Pachler  alles  erdenkliche 
Herzliche  und  Schöne  sagen." 

30.  Dezember  1829:  „Sophie  Müller  welche  für  die 
gütige  Erinnerung  Ihnen  herzh'chen  Dank  sagen  läßt,  geht 
ihrer  vollkommenen  Genesung  täglich  mehr  entgegen;  doch 
vor  Ostern  ist  an  ihr  Erscheinen  auf  der  Bühne  gar  nicht  zu 
denken;  und  wenn  es  sich  mit  ihren  Gesundheitsumständen 
bis  im  Frühjahr  verträgt,  so  machen  wir  vielleicht  die  Reise 
ins  Vaterland  zusammen." 

Alle  diese  Hoffnungen  waren  eitel  .  .  .  Die  Geschichte 
der  letzten  Lebensjahre  Sophie  Müllers  sei  hier  noch  skizziert. 

Im  Sommer  1826  gastierte  die  Künstlerin,  die,  wie 
erwähnt,  Stögers  Einladung  für  dieses  Jahr  abgelehnt  hatte, 
in  Prag  und  in  Dresden;  1827  in  Leipzig,  Berlin  und  Pots- 
dam, 1828  endlich  in  München  und  in  Berlin,  überall  mit 
steigendem  Erfolge.  Auch  Tieck,  Fouque,  Aug.  Wilhelm 
v,  Schlegel,  Pius  Alex.  Wolf,  Holtei  und  Raupach 
zählten  jetzt  zu  ihren  treuen  Verehrern. 

Für  den  Sommer  1829  hatte  Sophie  Müller  noch  ein 
Gastspiel  in  Hamburg  geplant.  Aber  im  Frühling  dieses  Jahres 
erkrankte  die  Künstlerin,  die  ihre  Gesundheit  arg  vernach- 
lässigte, an  einem  schweren  Lungenleiden. 

Es  sei  in  diesem  Zusammenhang  einmal  erwähnt,  daß 
der  ausführliche  Bericht  Helmina  v.  Chezys^^^  über  die  tötliche 
Erkältung,  die  sich  Sophie  Müller  im  Sommer  1828  auf  der 
Rückfahrt  von  einer  ,,Kunstreise  in  der  herrlichen  Steiermark" 
geholt  haben  soll,  gänzlich  erfunden  ist.  Wer  diese  scheinbar 
sehr  genaue  Schilderung  der  gefährlichen  Fahrt  mit  dem 
Tatsächlichen*^^  vergleicht,  wird  sich  rasch  davon  überzeugen, 
<laß    die    Memoiren    der   Chezy   höchst    unzuverläßlich   sind. 

15 


214  Beitrage  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

Übrigens  war  es  gerade  diese  fruchtbare  Schriftstellerin,  die  aus 
lauter  Diskretion  die  später  oft  zitierte  Fabel  von  der  diskreten 
Abkunft  der  Sophie  Maller  aufbrachte. 

Glaubwördiger  ist  der  Bericht  Anschü tzen-s.  Er  er- 
zählt,'*' daß  sich  Sophie  Mulfer  als  „Chrimhild"  in  Raupachs 
„Nibelungenhort"  wiederholt  überanstrengt  habe  und  trotz  der 
Schwächung  ihres  Organismus  in  jener  Zeit  stets  Eis  in  den 
Pausen  ihrer  schwierigsten  Partien  zu  sich  zu  nehmen  pflegte,, 
wodurch  dann  das  letale  Lungenleiden  heraufbeschworen 
worden  sei.  Am  11.  April  1829  trat  die  Müller  zum  717.  und 
letzten  Mal  im  Burgtheater  auf,  als  „Aurora"  in  dem  Lust- 
spiel „Die  Stimme  des  Blutes".  Ein  ganzes  Jahr  lang  mußte 
die  Ärmste  schweren  Herzens  ihrer  Kunst  entsagen,  bis  sie 
endlich  am  20.  Juni  1830,  um  3/412  Uhr  vormittags  in 
Hietzing  verschied,  wohin  sie  kurz  vorher  übersiedelt  war. 
Am  22»  wurde  Sophie  Müller  auf  dem  berühmten  Friedhof 
zu  Hietzing  beigesetzt.  Das  ganze  geistige  Wien  gab  ihr  das 
Geleite.  Costenoble  berichtet  in  seinen  Burgtheater- Memoiren, 
daß  man  sogar  den  Vorschlag  in  Erwägung  zog,  im  Burgtheater 
während  eines  vollen  Monats  Trauerkleider  zu  tragen.  Von  denn 
allgemeinen  Verluste  erzählt  auch  ein  Brief  Anastasi  us  Grüns 
an  Gustav  Schwab ^^^  vom  25.  Juni  1830  aus  Wien: 

,,Ich  weiß  nicht,  in  wie  fern  Sie  an  Theaterangelegen- 
heiten Intereße  nehmen.^  Aber  der  vor  einigen  Tagen  in  denn 
Dorfe  Hietzing  bey  Wien  erfolgte  Todesfall  der  trefflichen 
Sophie  Müller,  die.  Wenn  ich  nicht  irre,  auch  einmal  Mitglied 
Ihrer  Bühne  war,^^^  kann  Ihnen  nicht  gleichgültig  seyn,  unn 
so  mehr,  da  sie  auch  in  ihren  häuslichen  Verhältnißen  un- 
tadelhaft,  ja  musterhaft  dastand.  Man  betrauert  ihren  Verlust 
mit  wahrer  und  allgemeiner  Theilnahme." 

Nach  dem  in  den  Anmerkungen  schon  erwähnten  Büch- 
lein Wallishaussers  (1830)  gab  Mailäth  1832  die  Biographie 
Sophie  Müllers  heraus,  die  als  Beilage  auch  einen  Entwurf 
des  ihr  zu  errichtenden  Grabdenkmals  brachte.  Das  Grab  der 
Künstlerin  war  lange  Zeit  eine  Wallfahrtstätte  ihrer  treuen  Ver- 
ehrer, im  Jahre  I867  aber  schon  arg  vernachlässigt.  Albrecht 
Capello  Graf  v.  Wickenburg  regte  damals  die  Restaurie- 
rung des  Grabmals  durch  die  Hoftheater-Intendanz  an,  aber 
seit  jener  Zeit  ist  es  wieder  ungepflegt  geblieben,  obwohl  die 
Schloßhauptmannschaft  von  Schönbrunn  nach  einer  Weisung 
des  Obersthofmeisteramtes  für  die  Pflege  des  Grabes  zu 
sorgen  hat. 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  215 

In  der  Subskribentenliste  des  Mailäthschen  Buches  finden 
sich  auch  folgende  Namen :  Erzherzog  Johann,  Graf  Joseph 
Attems,  Ludwig  Cramolini,  Franz  Greiner,^*^  Johann 
Baptist  J  e  n  g  e  r,  Antonie  K  i  e  n  i*  e  i  c  h .  Karoline  Müller  und 
Marie  P ach  1er.  Das  Gedächtnis  an  Sophie  Müller  ist  in  Graz 
lange  wach  geblieben;  die  „Priesterin  des  Reinen,  Hohen, 
Schönen**,  wie  sie  Josef  Stierle-Holzmeister  nannte, 
war  all  denen  unvergeßlich,  die  sie  gesehen,  gehört,  gesprochen 
hatten.  Von  ihren  zahlreichen  Rollen  rühmten  die  Zeitgenossen 
atifier  den  bereits  genannten  besonders  noch  folgende:  „Ro- 
saura" in  Calderons  „Das  Leben  ein  Traum**,  „Zaire"  in 
Voltaires  gleichnamigem  Drama,  „Beatrice"  in  der  „Braut 
von  Messina",  „Komtesse  Elise"  in  dem  Lustspiel  „Die  Zu 
fälle",  „Donna  Perside"  in  Zedlitzens  „Liebe  findet  ihre 
Wege",  „Ophelia"  im  „Hamlet",  „Amenaide"  in  Goethes 
„Tancred"  (nach  Voltaire),  „Sophie  van  der  Daalen*^  in  dem 
Stücke  gleichen  Namens,  „Semiramis"  in  Raupachs  „Tochter 
der  Luft",  „Irene"  im  „Belisar",  „Porzia"  im  „Kaufmann  von 
Venedig"  und  „Lady  Milfort"  in  „Kabale  und  Liebe". 

Mit  den  pathetischen  Worten  Anschützens,  die  die 
einleitende  Charakteristik  der  Sophie  Müller  ergänzen,  sei 
diese  Studie  beschlossen: 

„  .  .  .  Aber  das  Genie  hat  sein  besonderes  Schicksal. 
Der  Götterfunke,  dem  Sterblichen  im  Übermaße  verliehen, 
wird  zum  flüssigen  Feuer,  das  statt  Blutes  die  Adern  durch- 
strömt. Entweder  schlagen  diese  Flammen  in  die  Außenwelt 
und  der  Götterliebling  sucht  sich  an  den  Genüssen  der  Sinnen- 
welt zu  betäuben,  oder  das  überirdische  Feuer,  ein  anderes 
Brautgeschenk  Kreusas,  zerfrisst  das  Innere  des  sterblichen 
Gefäßes,   bis  der  zerstörte  Organismus  zerfällt  und  zerstäubt. 

„Es  erfüllte  sich  bei  Sophie  Müller.  Sie  hatte  in  wenigen 
Jahren  eine  Stufe  erstiegen,  die  ihr  in  der  Kunstgeschichte 
eine  Stelle  neben  den  ersten  Größen  deutscher  Bühnenwelt 
sicherte.  Aber  diese  Siegeslaufbahn  sollte  nur  kurz  sein,  viel- 
leicht weil  sie  zu  stürmisch  war.  Jn  hastig  schaffender  Un- 
geduld hatte  sie  ihre  triumphierenden  Fahnen  nach  dem 
Norden  getragen;  das  ruhig  überlegende  Berlin,  das  kunst- 
sinnige Dresden  hatte  ihr  im  feurigsten  Enthusiasmus  gehul- 
digt. Aber  Sophie  ward  zur  Semele,  die  Glorie,  womit  ihre 
Göttin  sie  umgab,  verzehrte  sie." 


15* 


216  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grnzer  Theaters. 


Anmerkungen. 

4  Leipzig.  Philipp  R^clam  jun.,  Nr.  4108 — 4I10,  S.  2Ö1. 
«Literatur:    1.  „Blätter   der  Erinnerung   an  die  für  die  Kunst  zu 

früh  verblichene  k.  k.  Hofschauspielerinn  Sophie  MQller,  einige  Blicke  auf 
deren  Leben  und  künstlerisches  Wirken,  als  biographische  Skizze  aus  den 
sichersten  und  achtbarsten  Quellen  gesammelt  und  herausgegeben  von  Franz 
Wallis  hausser.  Wien  1830,  gedruckt  bey  Anton  Straußes  sei.  Witwe.*' 
4«.  —  2.  „Leben  der  Sophie  Müller,  weiland  k.  k.  Hofschauspielerinn,  und 
nachgelassene  Papiere.  Herausgegeben  von  Johann  Grafen  Mailäth,  Wien 
1832,  gedruckt  bey  Ferdinand  Ulrich.**  8«  —  3.  Konstantin  v.  Wurzbachs 
„Biogr.  Lexikon  d.  K.  Österreich**,  Bd.  XIX,  S.  402,  (f.;  Wien  1868.  — 
4.  „Allgemeine  deutsche  Biographie**,  Bd.  XXH,  S.  674;  Leipzig  I885: 
..Sophie  Muller**  von  Josef  Kürschner.  —  5.  „Neue  Beiträge  zur  Chronik 
der  Stadt  Baden  bei  Wien**  von  Dr.  Hermann  Rollett,  Stadtarchivar.  XI.  Teil. 
Baden  1898,  S.  76.  —  6.  „Wiener  Almanach**.  VHL  Jahrgang,  S.  229  ff.; 
Wien  1899:  „Sophie  Müller  in  Wien.  Mitgeteilt  aus  meiner  Autographen- 
Sammlung.*'  Von  Dr.  Hermann  Rollett.  —  7.  Ludwig  Eisenbergs  „Großes 
Biographisches  Lexikon  der  deutschen  Bühne  im  19- Jahrhundert**,  S.  703  f; 
Leipzig  1903.  —  8.  „Neue  Freie  Presse*,  25.  September  1904,  Literaturblatt: 
„Das  Stammbuch  der  Schauspielerin  Sophie  Müller.'*  Von  Dr.  Hans  Schmid- 
kunz.  —  Weitere  Literatur  bei  Wurzbach. 

5  So  u.  a.  den  „Savoyarden  Joseph*'  in  ..Die  beiden  Savoyarden'*,  den 
„Pagen  Paul*'  in  Kotzebues  „Pagenstreit  hen",  den  „Schutzgeist  Guido*»  in 
Kotzebues  „Adelheid  von  Italien**  und  den  „Otto**  in  MOUners  „Schuld**. 

^  Ihre  ersten  weiblichen  Rollen  waren :  die  „Amalie"  in  den  „Räubern", 
,.Nina**  in  „Welche  ist  die  Braut?",  „Cordelia"  in  ..König  Lear**,  „Thekla" 
in  „Wallenstein",  „Donna  Diana"  in  dem  gleichnamigen  Lustspiel,  „Elsbeth" 
in  „Das  Turnier  zu  Kronstein",  „Bertha**  in  „Die  Ahnfrau"  und  ,,Eboli"  in 
,,Don  Carlos". 

ö  Außer  den  früher  genannten  Rollen  spielte  die  Müller  damals  die 
„Chatinka"  in  „Das  Mädchen  von  Marienburg**,  „Margaretha**  in  „Die 
Hagestolzen",  „Elise  von  Valberg**  im  Schausfiiel  gleichen  Namens,  „Sophie" 
in  Schröders  „Fähnrich".  ..Lisli"  in  „Das  Alpenröslein",  „Julie"  in 
„Besphämte  Eifersucht'*,  „Isabella"  in  Becks  „Quälgeister",  „Lottchen**  in 
Kotzebues  „Bruderzwist",  „6  r  ä  f  i  n  R  u  1 1  a  n  d"  in  ,,Essex"  und  „Johanna" 
in  „Die  Junfrau  von  Orleans". 

6  Vgl.  „Anselm  Hüttenbrenners  Erinnerungen  an  Schubert**.  Mit- 
geteilt von  Otto  Erich  Deutsch.  „Grillparzer  -  Jahrbuch'*,  Wien  1906. 
XVLBd.,  S.45. 

7  Vgl.  Beitrag  I,  S.  23. 

8  Die  „Grätzer  Zeitung"  vom  8.  Juli  1824  meldet,  daß  am  6.  d.  M. 
„Herr  Raymund,  Schauspieler  von  Wien'*,  angekommen  und  bei 
der  „ungarischen  Krone"  (Landbausgäßchen,  C.-Nr.  343)  abgestiegen  sei.  Es 
war  meines  Wissens  bisher  in  der  Raimund-Literatur  nur  von  einem.  Gxazer 
Aufenthalt  im  Sommer  1828  die  Rede.  Deshalb  dürfte  es  von  Interesse 
sein,  zu  hören,  daß  der  damals  schon  kränkliche  Dichter  auch  im  Jahre  1 824 
in  Graz  weilte.  Er  war  eben  nach  dem  Erfolg  seines  Erstlingwerkes  „Der 
Barometermacher  auf  der  Zauberinsel"  (am  16.  März  1825  in  Graz  aufge- 
führt)   mit   dem    „Diamant   des  Geisterkönigs**   beschäftigt    und  hatte  sich  zu 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  217 

Ausflügen  in  Niederösterroich  Wagen  und  Pferd  gekauft.  Vermutlich  ist  er  mit 
diesem  neuen  Gespanne  auch  zu  kurzem  Aufenthalt  nach  Graz  gefahren. 

9  Aus  der  Handschriften-Sammlung  der  k.  k.  Hofbibliothek. 
.  10  Richtig:  Wedekind. 

11  Aus  Merino,  der  besten  spanischen  Schafwolle. 

1*  Filet  =  Netzgewebe., 

1'  Melodram  von  K.  M.  v.  Weber. 

«*  10.  Juli. 

1*  Das  Stttck  war  schon  früher  in  Graz  gespielt  worden. 

1«  „J.  G.**,  Akzessist  bei  der  ständischen  Buchhaltung. 

17  Belletristische  Beilage  der  amtlichen  „Grätzer  Zeitung",  erschien 
jeden  Dienstag,  Donnerstag  und  Samstag. 

18  Anselm  Hüttenbrenner  (l 794 -  1 868).  Komponist  und  Schrift- 
steller; Heinrich  HOttenbrenner  (1799  —1Ö30),  dessen  jüngster  Bruder,  Dichter, 
Professor   des   römischen   und  des  Kirchenrechtes  am  Grazer  Lyzeum, 

19  Vgl.  o.  den  Brief  an  Frau  v.  Wedekind.  Die  hier  zum  ersten  Male 
zusammengestellte  Ikonographie  umfaßt  folgende  Bildnisse  von  Sophie  Müller : 
1.  Aquarell-Miniaturbild  von  M.  M.  Daffinger  (1790 — 1849).  1821  während 
des  ersten  Wiener  Gastspiels  entstanden.  Reproduziert  in  Ed.  Leisrchings 
„Die  Bildnisminiatur  in  Osterreich",  Wien  1906.  Bes.:  Frau  Theresia  Mayr, 
Wien.  — 2.  Elfenbein-Miniaturbild  von  Carl  Agricola  (l779-l852),  undatiert, 
Freifrau  Elisabeth  von  Exterde,  Wien.  —  3.  Lithographie  von  Anton  Wagner, 
(1781 — 1860),  k.  k.  Hofschauspieler r  S.  M.  als  Maria  in  H.  J.  v.  Collins 
Trauerspiel  „Baiboa".  HOftbild,  kl.  fol.  Lithograpisches  Institut,  Wien. 
März  1825  entstanden.  Nach  dem  Urteil  der  Künstlerin  ist  die  Figur  „viel 
zu  stark"  geraten.  Kupferstichkabinett  der  k.  k.  Hofbibliothek.  —  4.  Litho- 
graphie von  Anton  Wagner,  Brustbild,  fol.  Lithographisches  Institut,  Wien. 
Koloriert.  General-Intendanz  der  k.  k.  Hoftheater.  —  5.  Ölbild  von  einem 
mir  unbekannten  Maler  in  der  Ehrengalerie  des  Hofburgtheaters:  S.  M.  als 
Prinzessin  Eboli  in  „Don  Carlos",  Lebensgröße,  Halbfigur.  Phototypie 
danach ,  fol.,  J.  L  5  w  y ,  Wien  Hofbibliothek.  —  6.  Lithographie  in 
Crayon-Zeichenmanier  von  Joseph  Telt scher  (l802 — 1837).  Hüftbild»  40. 
März  T826  (nach  einem  mißglückten  Versuch  im  Februar)  entstanden.  Hof- 
bibliothek. —  7.  Stahlstich.  Johann  Nep.  Ender  (1793 — 1854)  del.,  Franz 
Stöber  (1795 — 1858)  sculp.  Hüftbild,  8«  und  40.  „I827  für  Aug.  Leo  in 
Leipzig",  wahrscheinlich  für  ein  Taschenbuch  geschaffen.  Hofbibliothek. 
Reproduziert  in  „Die  Theater  Wiens*'  („Das  Burgtheater"  von  Oskar 
T  e  u  b  e  r  und  Alexander  v.  Weilen).  II.  Bd  ,  Halbband  2,  U.  Teil, 
Doppelheft  1/2,  S.  48.  —  8.  Büste  von  Kari  Wich  mann  (1775  bis 
1836),  1829  entstanden.  Gipsabguß  im  Hoiburgtheater.  Photographie  da- 
nach, fol.  Hofbibliothek.  —  9.  Lithographie  von  Stein  (?)  nach 
Krüger  (?).  Beriin,  G.  Eduard  Müller.  Brustbild,  fol.,  Hofbibliothek.  — 
10.  Lithographie  von  Johann  Frankenberger  (1807—1874):  S.  M.  als 
Chrimhild  in  Raupachs- „Nibelungenhort";  Halbfigur,  fol.  I830  ent* 
standen ;  Lithographisches  Institut,  Wien.  Hofbibliothek,  —  11.  Lithographie 
von  Josef  Kriehuber  (1800 — 1876).  Halbfigur,  sitzetid,  40  und  kl.  fol. 
1830  entstanden.  Beilage  zu  dem  Buch  von  Wallis  hausser.  General- 
Intendanz.  Reproduziert  in  „Das  Wiener  Burgtheater"  von  R.  Lothar, 
S.  43.  —  12.  Lithographie  von  Josef  Kriehuber.  Hüftbild,  8°.  Beilage  zu 
dem  Buch  von  Mailath.  Vorlage  der  beigegebenen  Reproduktion  in  das 
Stammbuch  der  S.  M.  eingeheftet ;  Handschriftensammlung  der  kgl.  Bibliothek, 
Berlin.  —  13.  Stahlstich,  „M.  R.  del.  —  J.  A.  sculp."  Vermutlich  von  Josef 
Axmann  (1793 — 1873)  für  ein  Album  gestochen.  Halbfigur,  80.  Hotbiblio- 


218  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

thek.  —  14,  Lithographie  von  L,  Brand,  Steind,  von  R.  Weber,  schlechte 
Wiederholung  des  Ender-Stöber- Stiches.  Brustbild,  kl.  fol.  Hofbibliothek.  — 
15.  Lithographie  von  C.  Lang,  1855  entstanden;  Brustbild»  40.  Karlsruhe. 
Früher  k.  k.  General-Intendanz.  —  16.  Marmorbflste  von  Viktor  Tilgner 
(1844 — 1896),  Zuschauerraum  des  Hofburgtheaters,  Gipsabgud  in  den 
städtischen  Sammlungen,  Rathaus,  Wien  —  17,  Portrait  auf  dem  Ölbild 
Julius  Schmids  (geb.  1854)  «»Kin  Schubert- Abend  in  einem  Wiener  Bürger- 
hause^,  Mitte  oben.  1897  entstanden.  Wien,  städtische  Sammlungen, 

•0  Henriette  Sontag  wohnte  nach  dem  amtlichen  Bericht  der 
„Grätzer  Zeitung'*  vom  24.  Juli  1824  ^^  Karmeliterplatz  C^Nr.  53.  also  im 
Palais  Herberstein. 

«1  Das  Drama  war  in  Graz  seit  langer  Zeit  nicht  aufgeführt   worden. 

8«  Die  ersten  drei  Gedichte  sind  ohne  den  Namen  des  Autors  bei 
Wallishausser  a.  a.  O.,  S.  16  und  17,  das  vierte  ebenso  bei  Mailäth  a.  a,  O., 
S.  198  und  199  wieder  abgedruckt.  Mailath  liest  in  der  zweiten  Zeile  des 
Poems  irrtümlich  „Rappelring**. 

«>  Wieder  einer  der  drei  genannten  Grazer  Schriftsteller. 

«*  Dr.  Karl  P achler  (1789 — 1850);  seine  Frau  Marie  Leopoldine, 
geb.  Koschak  (1794 — '855).  war  mit  Beethoven,  beide  mit  Schubert 
befreundet. 

•»  Herr  kais.  Rat  Dr.  Anton  Schlossar  gewährte  mir  Einsicht  in 
das  unveröffentlichte  Manuskript,  über  das  er  am  11.  Februar  1900  im 
Literaturblatt  der  „Neuen  Freien  Presse**  referiert  hat. 

««  Dr.  Faust  Pachler  (1819— 1891),  k.  k.  Regierungsrat,  Kustos  der 
Wiener  Hofbibliothek  ;  als  Schriftsteller  „C.  Paul". 

•»  Alle  aus  diesem  Jahre  stammenden  Eintragungen,  die  hier  zitiert 
werden,  sind  von  Mailäth  in  dem  erwähnten  seltenen  Buche,  aber  ohne  jeden 
Kommentar  veröffentlicht  worden. 

«*  In  Berlin  zu  gastieren. 

*»  In  diesen  Stücken  („Die  Quälgeister**,  „Kabale  und  Liebe**  und 
„Othello**)  trat  die  Müller  damals  in  Graz  nicht  auf. 

"  Ludwig  Löwe  (1795 — 1871),  xu  jener  Zeit  in  Kassel  engagiert, 
gastierte  1816.  1823  und  1825  am  Hofburgtheater.  Das  letzte  Gastspiel  führte 
zum  Engagement. 

81  Amalie  Neumann-Haizipger  (1800 — 1884)  gaatierte  1825  tum 
ersten  Mal  am  Hof  bürgt  heater    Sie  gab  damals  die  Rollen  der  Müller. 

*'  Vermutlich  in  Graz. 

33  Sophie  Müller  fuhr  mit  ihrem  Vatpr  und  ihrer  Haushälterin  in 
einem  „Separat rWagen^*,  der  übrigens  auch  von  der  Postverwaltung  bei* 
gestellt  wurde.  Der  gewöhnliche  „Wiener  Eilwagen**  traf  jeden  Dienstag. 
Freitag  und  Sonntag  abends  in  Graz  ein.  Er  iuhr  „längstens  26  Stunden^\ 
Der  Fahrpreis  von  Wien  nach  Graz  betrug  10  fl,  29  kr.  C.-M. 

**  Die  zitierten  Verse  sind  der  Anfang  und  der  Schluß  des  bekannten 
Chores  aus  der  „Braut  von  Messina**  (IV,  7.). 

8*  Die  Fahrt  währte  also  genau  24  Stunden. 

3«  Das  „steiermärkische  Amtsblatt"  vom  4.  Juli  meldet,  daß  Sophie 
Müller  wieder  in  diesem  Gasthof  abgestiegen  sei. 

3^  Große  komische  Oper  in  vier  Aufzügen,  nach  Scribe  und  Dela- 
vigne  von  Castelli.  Musik  von  Au  her. 

38  Über  die  frühe  Ankunft  der  Müller,  die  erst  für  den  12.  ange 
kündigt  war. 

3»  Diese  Stücke  wurden  damals  nicht  aufgeführt. 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  219 

*^  An  diesem  Abend  sang  der  bald  darauf  engagierte  Ludwig  C  r  a  m  o- 
lini,  frOher  Mitglied  des  Kärntnertor -Theaters,  in  der  dreiaktigen  komischen 
Oper  „Joconde"  oder  „Die  Abenteurer",  nach  Eticnne  von  J.R.v.  Seyfried, 
Musik  von  Isouard, 

4«  Die  Müller  denkt  offenbar  an  das  „kgl.  Hof-  und  National-Theater", 
^das  sie  1821   im  Bau  gesehen  hatte. 

<«  Das  alljährlich  in  Maria-Grün  gefeierte  Kirchenfest  „Maria  Heim- 
f>uchung"  f^llt  auf  den  2.  Juli,  wurde  aber  erst  am  Sonntag,  den  3-  begangen. 

*5  Das  ,,steiermärkische  Amtsblatt"  vom  6.  Juli  meldet  „Herrn  Löwi, 
Schauspieler",  der  gleichfalls  beim  „wilden  Mann**  abgestiegen  war. 

44  Julie  Löw^e  (1786— 1852),  1815— 1842  Mitglied  des  Hofburg- 
Iheaters. 

«5  Therese  Löwe,  Tochter  der  Julie  L.,  versuchte  sich  erst  am 
28.  März  1826  ohne  Erfolg  am  Hofburgtheater. 

46  Juliana  Gräfin  Ha rtig,  geb.  Gräfin  Grundemann  von  Falken- 
berg (1788-1866). 

47  Nach  der  „Gabriele**,  die  auch  im  Jahr  vorher  das  Gastspiel  der 
Sophie  Müller  inauguriert  hatte,  wurde  das  neue  mythologische  Ballett  in  fünf 
Abteilungen  „Das  Urteil  des  Paris"  oder  „Der  Triumph  der  Schönheit"  von 
Josef  Kohlnberg,  Ballettmeister  und  erstem  Tänzer  des  Grazer  ständischen 
Theaters,  Musik  vom  k.  k.  Hofkapellmeister  Adalbert  Gyrowetz,.  gegeben. 
Die  Violinsoli  von  May  seder  wurden  von  Herrn  Hysel  vorgetragen. 

48  Johann  Baptist  Jenger  (1792 — 1856),  Freund  Schuberts  und 
Anselm  HOttcnbrenners,  ein  trefflicher  Klavierspieler ;  von  cca.  1818  bis  1825 
weilte  er  als.  Adjunkt  der  „k.  k.  Feldkriegskanzlei"  und  Sekretär  des  „steier- 
iiiärkischen  Musikvereines"  (seit  1820)  in  Graz, 

49  Luigi  Labia  che  (l794 — 1858),  Bassist,  als  Mitglied  einer  italieni- 
schen Opemgesellschaft  in  den  Zwanziger-Jahren  Gast  am  Kärntnertor-Theater, 
berühmter  „Figaro"* 

80  Fri,  Elise  Beisteiner  vom  Kärntnertor-'Theater  wurde  bald  darauf 
in  Graz  engagiert.  Über  die  anderen  Sänger  vgl.  Beitrag  I»  Seite  19—21. 

5>  „Corregio",  Schauspiel  in  vier  Akten  von  Adam  Ohlenschläger. 
Löwe  hatte  den  „Antonio  Allegri"  eben  auch  in  Wien  gegeben. 

M  Franz  de  Paula  Graf  Hart  ig,  k.  k.  Geheimer  Rat,  Kämmerer, 
Landesgouverneur  von  Steiermark  und  Kärnten,  Exzellenz  (1789— 1S65), 

53  „Die  Müllerin"  oder  „Die  Launen  der  Liebe",  komische  Oper  in 
zwei;  Akten,  nach  dem  Italienischen,  Musik  von  Paisello,  inszeniert  vom 
Opernregisseur  Gottdank.  Frl.  Beisteiner  sang  das  „Röschen,  eine  reiche 
Müllerin",  Herr  Preisinger  den  „Rechtsanwalt  Knoll". 

54  Josef  Spitzeder  (1796-1832),  Baßbuffo,  zuerst  in  Wien,  dann 
in  Berlin,  endlich  in  München  engagiert. 

^^  „Die  Mündel",  Schauspid  in  vier  Akten  von  Wilhelm  August 
Iffl  and.  Löwe  gab  den  „Philipp  Broock". 

*8  Vormittags. 

*'  „Die  Fürsten  Chawansky",  dramatisches  Gedicht  in  fünf  Akten  von 
Ernst  Raupach. 

^*  ijGraf  von  Essex",  Trauerspiel  in  fünf  Akten,  diesmal  nach  Banks 
bearbeitet  von  J.  G.  Dyk.  Sophie  Müller  gab  die  „Gräfin  Rutland,  geheim 
mit  Essex  vermählt",  Löwe  den  „E«i*ex'*,  der  Sänger  Cramolini  den.„Grafen 
von  Southampton^. 

s>  Im  ganzen  wollte  also  ungefähr  ein  Zwanzigstel  der*  gesamten 
Bevölkerung  von  Graz  an  jenem  Abend  das  Theater  besuchen. 


220  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

. '  «0  Im  Jahre  vorher  war  die  ganze  Bearbeitung  von  ColUn  verwendet 
worden. 

«*  Enrilie  Neu  mann.  Der  Theaterzettel  kündigte  noch  das  Auftreten 
der  Müller  als  Bertha  an,  eine  Rolle,  die  sie  in  Wien  mit  großem  Erfolge 
gab.  Löwe  spielte  den  Jaromir. 

•«  August  Georg  Graf  Leiningen-Westerburg  (l 770— 1849), 
Känimerer,  Brigadier  in  Inner-Österreich,  wohnte  im  1.  Sack  C.-Nr.  221. 
Er  war  mit  CharJotte  Sophie,  geb    von  Scholz  (*1789).  vermählt. 

*3  Es  wurde  ebenso  wie  im  Vorjahr  die  Bearbeitung  Schreyvogels 
verwendet.  Die  Müller  scheint  einige  Partien  für  sich  geändert  zu  haben. 
Löwe  gab  als  Benefiziant  den  ^Don  Cäsar". 

6*  Löwe  wurde  engagiert  und  debütierte  am  6.  Juni  1826  als  Mitglied 
des  Hofburgtheaters. 

«*  Antonia  Kien  reich,  die  kunstsinnige  Gemahlin  des  Papierfabrikanten 
und  Verlegers  Josef  Andreas  Kienreich,  „Viertelmeisters"  für  das  Viertel 
Landhaus    und  „äußeren  Rats"  beim  Magistrat  der  Stadt  Graz. 

«•  Schloß  Eggenberg  am  Fuße  des  Plabutsch  im  Westen  von  Graz, 
um  1630  erbaut,  seit  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  im  Besitz  der  Grafen  von 
Herberstein. 

•7  Der  jetztige  Besitzer,  Exzellenz  Siegmünd  Graf  zu  Herberstein, 
hat  diese  Bilder  in  sein  Palais,  Graz,  Merangasse  7,  schaffen  lassen. 

68  Verwässerte  Watteaus.  Auch  die  vielen  Tafelbilder»  zum  Teil  Ko- 
pien berühmter  Werke,  hat  keine  Meisterhand  geschaffen. 

*»  Im  rückwärtigen  Trakt  des  Schlosses. 

»0  Johann  Hieronymus  Graf  zu  Herberstein  (1772—1847).  Vgl.  Bei- 
trag I^  Seite  5. 

71  Hieronymus  Bonaparte,  der  einstige  König  von  Westfalen, 
weilte  im  Jahre  1814  unter  dem  Namen  eines  Grafen  von  Harz  mit  seiner 
Gemahlin,  einer  Prinzessin  von  Württemberg,  mehiere  Monate  in  Egqeriberg, 
wo  der  immer  wieder  Lustige  reges  Leben  entfachte.  Er  war  es,  der  im 
Jahre  darauf  der  am  28.  Jänner  1815  im  86.  Lebensjahr  verstorbenen 
Henriette  Gräfin  zu  Herberstein,  geb.  Komtesse  von  Salm-Neuburg,' das  schöne 
Grabrelief  von  Canova  an  der  linken  Wand  der  Schloßkapelle  errichten 
ließ.  Die  Platte  aus  Carrara-Marmor  trägt  zwischen  zwei  allegorischen 
Figuren  die  französische  Grabinschrift,  die  mit  dem  von  der  Müller  beiläufig 
zitierten  Sinnspruch  schließt:  „La  mort  de  nos  amis  comnaence  notre  mprt . .  .'* 

72  Geschmückt  mit  Gemälden  von  Johann  Adam  Weißenkirchner 

(1615—1695). 

78  „Karl au",  Jagdschloß  Herzog  Karls  IL,  l570  erbaut,  1769 
auf  Befehl  Maria  Theresias  in  ein  Arbeitshaus,  1 784  auf  Weisung 
Josefs  II.  in  eine  Kaserne  umgebaut,  in  der  1794  die  ersten  französischen 
Kriegsgefangenen  untergebracht  wurden.  1804  wurde  das  Gebäude,  dessen 
herrliche  Parkanlagen  allmählich  verschwanden,  zum  „Provinzial-Strathaus 
für  Steiermark"  bestimmt;  auch  die  leichteren  Arrestanten  des  Schloßberg- 
Gefängnisses  wurden  1809  nach  Karlau  gebracht.  1820  wurde  der  Komplex 
durch  einen  kleinen  Trakt  erweitert,  1 869 —1872  in  ein  Zellengefängnis  um- 
gebaut. —  Das  Kirchlein  „St.  Johann  und  Paul",  oberhalb  der  „Einöde", 
wurde  1590  von  der  frommen  Maria  von  Bayern,  der  Witwe  Karls  IL, 
errichtet.  ,  ' 

7*  j.  A.  Kumär,  „Historisch-Mahlerische  StreifzOge  in  den  Umgebungen 
der  Stadt  Grätz",   181 6  bei  Franz  Ferst  1  erschienen. 

7»  Vielbesuchter  öffentlicher  Garten  im  Viertel  Mariahilf. 

76  Mailäth  hat  den  Namen  nicht '  mitgeteilt. 


Von  Otto  Erich  Deutsch.  221 

7^  ^PrÄciosa**,  grofies  Schauspiel  mit*  Gesang,  Chftren  und  Tänzen 
von  Pius  Alexander  Wolf,  der  sich  spSter  den  Verehrern  Sophie  Müllers 
anschloß.  Musik  von  Karl  Maria  We her«  Amalie  Neumann-Haizinger  hatte 
die  Rolle  der  „Präciosa*  am  22.  Juni  1826  bei  ihrem  Gastspiele  am  Hof- 
burgtheater zum  ersten  Male  gegeben.  Sophie  Müller,  die  die  „Präciosa"  erst 
später  in  Wien  spielte,  hatte  bereits  die  Proben  am  Burgtheater  für  die  un- 
päßliche Neumann  mitgemacht.  —  Die  Tänze  der  Grazer  Aufführung  wurden 
vom  Ballettmeister  Kohlnberg  einstudiert. 

'8  ,,Don  Franzisco  de  Carcamo." 

'»  „Don  Fernando"  und  „Donna  Clara  de  Azevedo". 

?o  ^Don  Eugenio**. 

"i  Die  Ziegeunenriutter. 

81  ^Lorenz**  und  „Sebastian". 

8»  „Pedro." 

8*  I.  Aufzug,  5-  Szene. 

86  II.  Aufzug,  2.  Szene:  „Einsam  bin  ich  nicht  älleine  ..." 

86  III.  Aufzug,  8.  Szene. 

8»  Morgens. 

88  Die  Klause  „Maria-Grün",  nördlich  von  Graz,  barg  damals 
schon  das  Kirchlein,  die  Kapelle,  •  die^  Wohnung  des  Stationskurators,  ein 
l8lo  eingerichtetes,  heute  nicht  mehr  benutztes  Schulhaus  und  die  Gast- 
wirtschaft samt  Garten.  Jetzt  ist  der  Ort  durch  die  Neubauten  des  Kuratör- 
und  des  Schulhauses  und  einiger  Villen  angewachsen. 

8»  J.  F.  Castelli  hat  Maria -Grün  in  zwei  Gedichten  besungen. 
Eines  davon  ist,  ebenso  wie  die  Widmungspoeme  von  Anastasius  Grün. 
M.  G.  Saphir«  J.'  M.  Roquerol,  Demetrias  und  Ludwig  Bonaparte 
(l8lo — 1814  als-  „Graf  St.-  Leu"  in  Graz),  auf  dem  1902  renovierten 
steinernen  Postament  gegenüber  der  Kirche  zu  lesen.  —  Castelli  weilte 
damals  in  Wien. 

•<>  Sie  sind  längst  aus  dem  Garten  entfernt  worden. 

»>  Das  Porträt  des  1813  verstorbenen  französischen  Generals  Jean 
Victor  Moreau  dürfte  Ludwig  Bonaparte,  der  einstige  König  von  Holland, 
dort  -gelassen  haben.  Von  all  den  erwähnten  Bildern  sind  nur  mehr  die 
schlechten  Porträts  der  Kaiserin- Karolina  Augusta  und  des  Erzherzog  Johanns 
im  Wirtschaftsgebäude  zu  finden.  • 

•*  Hans  Fritz  soll  das  Kirchlein  1668  gegründet  haben.  Die  si^rk 
verblaßten  Bildnisse  des  Gründers  und  seiner  zweiten  Frau  Rosine  hängen 
jetzt  an  der  Brüstung  des  Kirchenchores.  —  Die  Erzählung  von  der  Ent- 
stehung der  Kirche  ist  im  einzelnen  unhistorisch.  Fritz  war  kein .  Ordensritter, 
sondern  pin  Schneider. 

93  Joseph  Addison  (1672  1719).  englischer  Dichter,  Gelehrter 
und  Staatsmann.  Eine  der  ersten  von  den  viel  verbreiteten  „moralischen 
Wochenschriften,"  die  sich  dem  Stoffe  nach  unseren  Feuilletons  näherten,  war 
sein  „Spectator"  (171 1  ffi,).  Die  Müller  dürfte  die  von  Frau  Gottscheed 
1739  bis  1743  be.sorgte  deutsche  Übersetzung  des  „Spectator"  in  9  Bänden 
gelesen  habep. 

9*  Die  Kienreich  sehe  Papierfabrik  am  linksseitigen  „Mühlgang", 
damals  „An  der  Wehr"  C-Nr.  999,  jetzt  Ecke  Langegasse  und  KörOsistraße, 
ging  später  in  den  Besitz  der  Aktien-Gesellschaft  „Leykam- Josefstal"  über 
.und  steht  nun  außer  Betrieb. 

>*  „Hedwig"  oder  „Die  Banditenbraut",  Drama  in  drei  Akten  von 
Theodor  Körner. 

88  III."  Akt,  2.  Siene :  „Worte  such*  ich  niir  vergebens  .  .  »" 


222  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

>7  Mailath  las  irrtOmlich  „Schuft*.  Es  handelt  sich  um  die  8.  und 
9    Szene  des  III.  Aktes. 

>«  «Die  Hochxeit  auf  deni  Laude ^,  eiu  koroisches  Ballett  in  einem 
Akt  von  Aumer,  Musik  von  Kinsky,  war  am  ti.  Mai  zum  ersten  Male 
aufgeführt  worden. 

*t  Sophie  MQller  war  die  allererste  Darstellerin  der  „Kunigunde  von 
Masovien**, 

100  Matthias  Anker,  Professor  der  Mineralogie  an  der  Grazer  Uni- 
versität, Mitarbeiter  der  „St eiermärkischen  Zeitschrift",  Kustos  des  Joanneums. 
seit  3.  Juni  I824  auch  wirklicher  Professor  der  Mineralogie  am  Joanneum. 
in  dessen  Gebäude  er  wohnte  und  Vorlesungen  hielt. 

101  Die  Naturaliensammlung  im  zweiten  Stock,  die  sich  äufierlich 
nicht  sehr  verändert  hat,  war  in  dreizehn  Zimmern  untergebracht.  —  Ein 
großer  Raum  enthielt  die  botanische  Sammlung:  ein  „Herbarium  vivum** 
mit  ungefthr  15.000  Pflanzen,  ein  „vaterländisches  Herbarium"  in  sieben 
Foliobänden,  eine  noch  kleine  Samensammlung,  eine  reiche  HolzbOcher-  und 
eine  Schwammsammlung  in  Wachs  ;  auch  die  wächserne  Obstsammlung  war 
hier  aufgestellt. 

10*  In  drei  benachbarten  Sälen  war  die  Mineraliensammlung  unter- 
gebracht :  erster  Saal  —  vaterländische  Mineralien,  Gebirgsgesteine,  Versteine- 
rungen ;  zweiter  Saal  —  allgemeine  nach  dem  System  M  o  h  s  aufgestellte 
Mineraliensammlung;  dritter  Saal  —  Fortsetzung  dieser  Sammlung  und 
technische  Sammlung,  1825  von  Anker  neu  aufgestellt. 

103  Per  folgende  große  Saal   enthielt  die  physikalischen  Instrumente. 

104  Vgl.  „Zur  Geschichte  des  Joanneumgartens  In  Graz"  von  Franz 
Ilwof.  „Steirischc  Zeitschrift  f.  G."  111.  Jahrg.,  Heft  1  und  2.  Graz.  1905. 

*o*  Das  „Journal-  und  Konversations  -  Zimmer**  des  ^Lesevereins* 
befand  sich  damals  im  ersten  Stock  des  alten  Hauptgebäudes. 

106  Der  ehemalige  Statthalter  von  Galizien,  Graf  von  Brigido,  der 
am  25.  Jänner  l8l7  zu  Wien  verstorben  war,  vermachte  dem  „Joanneum** 
seine  Sammlungen  von  Büchern,  Schmuckgegenständen,  Kameen  und  Antiken 
und  ein  Kapital  von  36.OOO  fl.,  das  für  den  im  Sommer  1826  vollendeten 
Erweiterungsbau  verwendet  wurde.  In  diesem  neuen  Trakt  wurde  1827  die 
Bibliothek  mit  den  Lesezimmern  eingerichtet. 

107  Das  an  das  Landhaus  1642 — 1644  angebaute  Zeughaus,  dessen 
innere  Einrichtung  fast  unverändert  blieb,  enthält  im  ersten  Stockwerke  : 
Geschütze,  Doppelhakcn,  Musketen  und  Fußknecht-Harnischc,  im  zweiten  : 
Reiterrüstungen  und  -Pistolen,  im  dritten  :  wertvolle  Harnische  und  leichte 
Feuerwaffen,    und    im    vierten :     Stangenwaffen,    Seitenwehren    und    Schilde. 

108  Im  zweiten  Stock  stehen  zwei  echte  ungarische  Panzer  mit  Gelenken. 

109  Diese  Bezeichnungen  waren  falsch.  "  Die  ältesten  Rüstungen  des 
Zeughauses  stammen  aus  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts.  Der  Harnisch 
Nr.  15  im  dritten  Stock  wurde  irrtümlich  dem  Erzherzog  Karl  II.  zugeschrieben. 

110  Das  Landhaus  wurde  nach  dem  Brande  in  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts   1557  bis   1567  wieder  aufgebaut. 

m  Sophie  Müller  gab  die  ^Zaarewna  und  Regentin  von  Rußland 
Sophia**,  die  sie  am  24.  März  182 2  zum  ersten  Male  in  Mannheim  gespielt 
hatte,  Rettich  als  Beneflziant  den  „Fürsten  Jury  Chawansky,  Oberbefehlshaber 
der  Strelitzen**. 

1«  Das  „H a  1  le r seh  Josse  1"  (Sparbersbach),  am  Fuße  des  Ruckerl- 
berges, s.-ö.  von  Graz  gelegen,  gehörte  -damals  dem  Advokaten  Dr.  Franz 
Haring.  Die  mit  ihm  befreundete  Familie  Pachler  bewohnte  das  Schloß 
als  Sommerpartei  in  den  Jahren   1 825— 1 826  und  1828  — l83U 


Von  Otto  Erich  Deutsoh.  223 

113  Schloß  „Lustbühel",  höher  oben  am  Ruckcrlberg  gelegen,  ge- 
hörte damals  dem  Ladislaus  Pos s eck;  jetzt  im  Besitt  dts  Generalmajors  i.  R. 
Wenzel  Broschek  R.  v.  Boroglav. 

11*  Die  alte  Wirtschafterin  der  Familie  Müller,  die  Sophie  während 
ihres  ganzen  Lebens  bei  sich  hatte. 

115  Antonia  Gräfin  Saurau  (1767—1839).  geb.  Grfn,  Lodron 
Gemahlin  des  Grafen  Franz  Josef  Saurau. 

*»^  Wahrscheinlich  Florian  Sales  Appel,  Professor  der  Dogmatik 
und  Pädagogik  am  Grazer  Lyzeum. 

117  Die  oben  erwähnten  Lithographien  von  Kaiser. 

u«  Josef  Weigl  weilte  in  Graz,  um  »eine  Oper  „Die  Jugend  Peter 
des  Großen**  einzustudieren;  ebenso  der  Verfasser  des  Librettos,  Georg 
Friedrich  Treitschke. 

11»  Schmidkunz  las  irrtümlich  Sachler. 

i«o  ,.Zur  Feyer  des  Nahmensfestes  aller  Nannetten*':  „Das  Turnier 
zu  Kronstein,  romantisches  Ritter  -  Lustspiel  in  5  Acten  von  Holbein. 
Neu  in  Szene  gesetzt.**  Sophie  Müller  gab  die  „Elsbeth,  Witwe  des  Grafen 
Wolkenburg  und  Herrn  von  Kronstein*'. 

1«!  Auch  diesen  Gnadenort,  n.-ö.  von  Graz,  hat .  Müllers  Freund 
Castelli  besungen. 

1««  Die  Kirche  des  ehemaligen  Jesuiten-Kollegiums  zu  Mannheim 
wurde  1737 — 1756,  also  etwas  später  als  die  Maria -Tröster,  erbaut.  Ihr 
Innenraum  ist  mit  prachtvollen  Marmordekorationen  und  Fresko-Decken- 
gemälden geschmückt. 

1 13  Die  einfache  hölzerne  Marienstatue  stand  einst  im  Zisterzienserstift  Rein. 

1«*  Die  Mutter  Sophiens. 

i«6  Sophie  Müller  beschreibt  also  aus  der  Erinnerung;  sie  dürfte  1824 
die  Kirche  genauer  besehen  haben. 

i«6  Die  damals  sehr  populäre  lyrische  Oper  in  drei  Akten,  nach  dem 
Französischen  frei  bearbeitet  von  J.  F..  Castelli,  wurde  dem  Komponisten 
Josef  Weigl  zu  Ehren  aufgeführt.  Herr  G  n  e  d  vom  ständischen  Theater  in 
Linz  sang  als  Gast  den  Schweizer  Bauer  „Richard  Boll*'. 

i«7  Die  berühmte  Sängerin  Anna  Milder-Hauptmann(l  785 — 1838) 
dürfte  um   1815  in  Mannheim  gastiert  haben. 

i«8  Sophiens  Bruder  Josef. 

*«•  „Zum  Vortheil  Sophie  Müllers:  »Romeo  und  Julie*,  Trauerspiel  in 
fünf  Akten  von  Shakespeare,  nach  A.  W.  Schlegels  Übersetzung  zur 
Darstellung  für  das  k.  k.  Hof^heater  eingerichtet  von  C.  A.  W  e  s  t.**  Sophie 
Müller,  die  auch  in  Wien  die  „Julie**  gab,  hatte  eben  im  Juni  mit  Genug- 
tuung aus  einem  Aufsatze  A.  W.  Schlegels,  den  sie  früher  noch  nicht 
kannte,  festgestellt,  daß  sich  ihre  Auffassung  des  Dramas  ganz  mit  der  des 
Übersetzers  deckte.  —  Rettich  spielte  den  „Romeo**,  Cramolini  den  „Benvoglio** 

130  Die  beiden  Gedichte  sind  wiederabgedruckt  bei  Wallishausser  a.  a.  O., 
Seite   18  und   19. 

Hl  Der  Theaterzettel  verkündet :  „Mlle.  Müller,  k.  k.  Hofschauspielerin, 
wird  die  Ehre  haben,  auf  vieles  Verlangen,  vor  ihrer  Abreise  noch  ein  Mahl 
als  Gabriele  aufzutreten.**  —  Hierauf  ,,Harlekin  als  Schustergeselle**. 

13*  Am  Samstag,  den  30.  Juli. 

133  Die  Müller  verkehrte  also  mit  ihren  beiden  Kollegen  schon  1824 
bei  Leiningen. 

13*  Die  Krönung  der  Kaiserin  Karolina  Augusta  zur  Königin  von 
Ungarn  fand  erst  am  25.  September  1825  in  Preßburg  statt.  —  Sophie 
Müller  konnte  der  Einladung  Stöger-Liebiqhs  nicht  folgen. 


224  Beitrage  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

135  =  Frohnleiten. 

190  Das  fürstl.  Liechtensteinsche  Schloß  Klamm. 

H7  Veröffentlicht  von  Wallishausser,  a.  a,  O.,  Seite  20.  Das  Datum 
ist  unrichtig  angegeben. 

»8«  Die  beiden  Sonette  sind  in  der  „Wiener  Zeitschrift**,  1831.  Nr.  13. 
und  bei  Mailath  a.  a.  O.,  Seite  200  und  201,  mit  folgender  Anmerkung  ab- 
gedruckt: „Im  Sommer  des  Jahres  1825  hatte  die  Unvergeßliche  die  ständische 
Bühne  von  Grätz  durch  eine  Reihe  von  Gastdarstellungen  verherrlicht.  Ein 
schwacher  Widerhall  der  allgemeinen  Begeisterung,  welche  ihre  Kunstleistungen 
erregten,  sind  obige  zwei  Sonette,  welche  der  Verfasser  ihr  damals  am  Vor- 
abende ihrer  Abreise  in  der  Handschrift  und  ohne  Unterzeichnung  zusendete, 
ohne  zu  ahnen,  wdche  schmerzliche  Vorhersagung  die  Endstrophe  des  zweiten 
Sonettes  enthalten  sollte.  —  Der  Verfasser.**  —  In  den  bisher  erschienenen 
Sammlungen  der  Gedichte  Leitners  fehlen  diese  beiden. 

*'•  Exzellenz  Ignatz  Graf  Attems,  Landeshauptmann  von  Steiermark. 

140  Ignatz  Kollmann,  Skriptor  am  Joanneum. 

**>  Marie  MQnch,  Schauspielerin  am  Grazer  Theater. 

***  Am  5.  April.  —  Jenger  verbrachte  zu  jener  Zeit  fast  alljährlich 
seinen  Sommerurlaub  bei  der  Familie  Paohler  in  Graz. 

J*3  Johann  Michael  Vogl  (1768 — 1840),  k.  k.  Hofopernsänger,  mit 
Schubert  und  der  Möller  befreundet. 

i4i  Garderobier  Rein  dorfer. 

»'**  „Unvergessenes,  Denkwürdigkeiten  aus  dem  Leben  H.  v.  Chs.** 
Leipzig,  F.  A.  Brockhaus,  1858;  II.  Teil.  Seite  346  ff. 

H«  Die  Müller  kam  nach   1825  nicht  mehr  nach  Steiermark. 

^*f  A.  a.  O.,  Seite  272. 

US  Vgl.  „Ungedruckte  Briefe  Anastasius  Grüns'*,  mitgeteilt  von  Anton 
Schlossar,  „Deutsche  Revue**,  März   1896. 

149  Die  Müller  spielte  nie  in  Stuttgart. 

**o  Kanzleipraktikant  beim  k.  k.  Kreisamt  zu  Graz. 


Literaturberichte. 

Historischer  Atlas  der  Osterreichischen  Alpenländer. 

Herausgegeben  von  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften  in 
Wien.  I.  Abteilung:  Die  Landgerichtskarte,  bearbeitet  unter 
Leitung  von  weiland  Eduard  Richter.  I.Lieferung:  Salzburg 
(von  Ed.  Richter),  Oberösterreich  (von  Julius  Stmadt),  Steier- 
mark (von  Anton  Meli  und  Hans  Pirchegger).  li  Blatt  mit 
Erläuterungen.  Wien   1906.   12  K. 

Eine  Reihe  unserer  bedeutendsten  Geographen  hat  sich  in  den  letzten 
Jahren  über  Umfang  und  Aufgaben  der  historischen  Geographie  ausgeprochen ; 
im  Grunde  stimmen  alle  darin  überein,  daß  die  historische  Geographie  dem 
Geschichtlichen  aller  geographischen  Erscheinungen  nachzugehen  habe.  Nach- 
dem aber  Verändemngen  des  Bodens  und  Klimas  in  geschichtlicher  Zeit  nur 
in  geringem  Maße  vorkommen,  ist  Gegenstand  historisch  -  geographischer 
Forschung  vornehmlich  der  Mensch  in  seinen  wechselnden  Beziehungen  zur 
Landschaft.  Anthropogeographie  und  historische  Geographie  gehören  aufs 
engste  zusammen,  mag  man  nun  die  erstere  der  letzteren  über-  oder  unter- 
ordnen. Wie  bei  anderen  jungen  Wissenschaften  werden  auch  auf  dem  viel- 
fach ungerodeten  Boden  der  historischen  Geographie  vielmehr  Forderungen 
aufgestellt,  als  zahlreiche  Forscher  in  vielen  Jahrzehnten  zu  leisten  vermögen. 
In  einem  solchen  Falle  erscheint  derjenige  als  Führer,  der  mit  scharfem 
Auge  aus  dem  Chaos  der  Fragen  jene  herausfindet,  die  zuerst  ausgeführt 
werden  muß,  und  dadurch  der  Forschung  feste  Bahnen  weist.  Das  für  die 
historisch  geographische  Erforschung  der  österreichischen  Alpenländer  getan 
zu  haben,  ist  das  bleibende  Verdienst  Eduard  Richters. 

Der  Gedankengang  Richters,  wie  er  für  die  Gestaltung  des  Atlasses 
maßgebend  war,  ist  kurz  folgender:  Nicht  in  der  Häufung  topographischer 
Einzelheiten  liegt  das  Wesen  der  historischen  Karte,  das,  was  sie  in  ganz 
einziger  Weise  darstellen  kann,  ist  die  Teilung  des  Raumes  in  seine  Einzel- 
gebiete. Die  historische  Karte  wird  in  erster  Linie  immer  ein  Abbild  der 
politischen  Karte  sein.  Die  Schwierigkeit  für  das  Mittelalter  besteht  nun 
darin,  daß  die  politischen  Mächte  sich  nicht  wie  heute  räumlich  neben- 
einander in  ihre  Rechte  teilten,  sondern  daß  verschiedene  Mächte  durch 
einander  bestanden,  daß  der  mittelalterliche  Lehensstaat  fast  aufging  in  einer 
Summe  von  persönlichen  Berechtigungen  und  Verpflichtungen.  Für  die 
Macht  eines  Markgrafen  oder  Herzogs  konnten  Allode,  Lehen,  Vogteirechte, 
Zehnte  wichtiger  sein  als  das  Reichsamt,  das  er  inne  hatte.  Man  wird  also 
aus  dem  Umfange  seines  Gebietes  nicht  ohne  weiters  auf  seine  Macht 
schließen  dürfen.  Aber  die  gräfliche  Gewalt  war,  wenn  auch  nicht  maß- 
gebend für  die  Macht  eines  Fürsten,  doch  die  Grundlage  seiner  Landes- 
herrlichkeit, und  die  Bildung  der  größeren  Territorien  ging  so  vor  sich,  daß 
einzelne  Familien  für  eine  größere  Reihe  von  Grafschaften  die  Gerichtsbarkeit 


226  Literaturberichte. 

erwarben.  Aus  Landgerichten  bestehen  die  Territorien  des  späteren  Mittel- 
alters. Man  wird  dem  Atlasproblem  auch  für  die  Blütezeit  des  Lehenswesens 
beikommen  können,  wenn  man  den  Besitz  der  einzelnen  Häuser  an  Graf- 
schaftsrechten feststellt.  Nur  wird  man  bei  der  weitgehenden  Ze-splitterun<4 
zu  Karten  eines  großen  Maßstabes  greifen  müssen.  Aus  zeitgenössischen 
Quellen  lassen  sich  die  Grenzen  der  Gebiete  nicht  feststellen,  aber  ans 
späteren.  Denn  die  Grenzen  der  Sprengel  der  höheren  (Blut-)Gerichtsbarkeit 
haben  sich,  wie  für  verschiedene  Gegenden  nachgewiesen  wurde,  mit  außer- 
ordentlicher Zähigkeit  erhalten.  Die  alten  Grafschaften  finden  wir  noch  viel- 
fach in  den  indicia  provincialia  des  XllL  Jahrhunderts,  später  aber  wurden 
sie  in  immer  kleinere  Teile  zerschlagen,  in  die  Landgerichte,  die  sich  bei 
uns  bis  1849  erhalten  haben.  In  Steiermark  zahlte  man  ihrer  zuletzt  122. 
Aus  dieser  Beständigkeit  der  Rechtsverhältnisse  vom  VIII.  Jahrhundert 
bis  zum  Ehde  des  XVIIl.  und  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts  ergibt  sich 
der  Hauptsatz  für  kartographische  Fragen  des  Mittelalters  und  der  neueren 
Zeit:  der  historische  Atlas  muß  rückläufig  gearbeitet  werden  und  von  einem 
Forscher.  Der  mittelalterlich-neuzeitlichen  Periode  steht  als  eine  Zweite  ftir 
sich  geschlossene  die  prähistorisch-klassische  Periode  gegenüber.  Die  erste 
Aufgabe  bestand  also  in  der  Erstellung  der  Landgerichtskarte  für  das  Jahr  1848. 
Das  Hauptziel  der  ganzen  Unternehmung  ist  es,  den  Zerstückelungsprozeß 
der  Landgerichte  soweit  als  möglich  nach  rückwärts  zu  vcrfolg»^n  und  die 
ältesten  Grenzen  (Gau-,  Grafschafts-,  Mark-Grenzen)  mit  größerer  Wahrschein- 
lichkeit als  bisher  zu  erschließen.  Mit  einem  Schlage  wollte  Richter  dieses 
ganze  Problem  lösen.  Daß  die  Lösung  möglich  sei,  zeigte  die  Text-  und 
Kartenprobe  zum  historischen  Atlas,  die  Meli  im  21.  Bande  der  Mitteilungen 
des  Institutes  für  österreichische  Geschichtsforschung  veröffentlichte.  Er  stellte 
darin  die  Aufteilung  der  Grafschaft  um  Judenburg  (des  comitatus  Liupoldi) 
in  die  neun  Landgerichte  des  XIX.  Jahrhunderts  dar  und  ermöglichte  es,  auf 
einer  einzigen  Karte  die  Entwicklung  der  territorialen  Verhältnis«^ e  vom 
IX.  bis  ins  XIX.  Jahrhundert  zu  verfolgen. 

Mit  der  ersten  Lieferung  des  historischen  Atlasses  der  österreichischen 
Alpenländer,  die  nunmehr  vorliegt,  beginnt  für  das  zweite  deutsche  Gebiet 
ein  historischer  Spezialatlas  zu  erscheinen.  Würdig  reiht  er  sich  dem  geschicht- 
lichen Atlas  der  Rheinprovinz  an.  Die  Landgerichtskarte  (l  :  200000)  ist 
eine  vorzügliche  kartographische  Leistung.  Sie  wird  38  Blätter  umfassen, 
deren  jedes  der  Hälfte  eines  Blattes  unserer  Generalkarte  gleichkommt.  Von 
dieser  wurden  der  Terrain-  und  der  Flußstein  benützt.  Nachdem  der  Wald- 
aufdruck fehlt,  kommt  die  schöne  braune  Geländezeichnung  recht  zur  Geltung. 
Deutlich  heben  sich  die  roten  Landgerichtsgrenzen  von  ihr  ab.  Die  Beigabe 
des  Terrains  erscheint  namentlich  in  unserem  Gebirgslande  auch  für  eine 
historische  Karte  unerläßlich,  wenn  die  historische  Geographie  mehr  als  bloße 
Topographie  sein,  wenn  sie  die  Beziehungen  zwischen  den  Grenzen  und  dem 
Terrain  aufzeigen  will.  »Das  Bild  des  Landes  muß  die  Abgrenzungen 
erläutern  und  erhält  von  ihnen  wieder  die  Illustration  seiner  anthropo- 
geographischen  Bedeutung."  Das  ist  ein  Vorzug  unseres  Atlasses  gegenüber 
dem  der  Rheinprovinz,  der,  abgesehen  von  zwei  Übersichtskarten,  auf  die 
Geländezeichnung  ganz  verzichtet  und  Flächenkolorit  anwendet.  Er  gibt  also 
eigentlich  nur  die  kartographische  Darstellung  alter  Grenzen,  während  beim 
Atlas  der  Alpenländer  der  Grundsatz  verwirklicht  erscheint,  die  historischen. 
Zustände  auf  das  beste  Bild  der  Erdoberfläche  zu  projizieren. 

Die  Landgerichtskarte  entspricht  nicht  einem  bestimmten  Zeitpunkt, 
wiewohl  sie  den  Verhältnissen  am  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts  am  nächsten 
kommt,    sie   enthält   vielmehr   alle  Landgerichtsgrenzen,  die  jemals  bestanden 


Literalurberichte.  227 

haben.  Mit  Hilfe  der  beigegebenen  E- läutei'ungen  ist  es  möglich,  das  Ent- 
stehen der  Landgerichte  tu  verfolgen  und  sich  den  Zustand  zu  einem  beliebigen 
Zeitpunkt  zu  vergegenwärtigen.  Die  Vereinigung  verschiedenaltriger  Grenzen 
auf  einem  Blatt  stellt  für  den  Benutzer  in  der  Tat  eine  Erleichterung  dar. 
Die  Landgerichtsgrenzen,  die  zuletzt  bestanden,  sind  durch  roten*  Überdruck 
hervorgehoben,  vergeblich  aber  suchen  wir  die  Farbbänder,  die  nach  Mells 
Karte  die  Grafschaftsgrenzen  hätten  bezeichnen  sollen.  Da  mag  mancher 
enttäu.«;cht  seih,  das  was  Richter  als  das  Hauptziel  hingestellt  hatte,  ist  nicht 
erreicht.  In  diesem  Punkte  ist  die  Forschung  noch  nicht  abgeschlossen, 
namentlich  im  Hügelland  .sind  die  ältesten  Grenzen  noch  unsicher,  der  Atlas 
aber  soll  nur  ganz  Sicheres  enthalten.  So  entschloß  man  sich,  einstweilen 
von  der  Eintragung  der  Grafschaftsgrenzen  abzusehen.  Diese  sollen  später 
mittels  Öleaten  (Deckblätter)  oder  kleinen  Obersichtskarten  nachgetragen 
werden. 

Neben  den  Landgerichten  bringt  die  Karte  noch  die  Hofmarken  oder 
Burgfriede  zur  Darstellung,  geschlossene  Gebiete  niederer  Kriminalgferichts- 
barkeit.  Die  Burgfriede  größeren  Umfanges  sind  nath  ihren  Grenzen  einge- 
tragen, die  ganz  kleinen  durch  Signaturen  ken»tHch  gemacht.  Auch  die 
Dominien,  die  Sitze  der  Zivil-  (Patrimonial-)Gerichtsbarkeit  haben  ihre  eigenen 
Signaturen. 

Von  Ortsnamen  sind  vornehmlich  historisch  wichtige  aufgenommen. 
Einige  Worte  zur  Orthographie  der  Ortsnamen.  Daß  man  nicht  alle  möglichen 
alten  Namensformen  aufnehmen  konnte,  daß  man  die  heute  gebräuchlichen 
vorzog,  ist  natürlich.  Aber  unsere  offiziellen  Lexica  halten  vielfach  f  a  1 6  c  h  e 
Schreibungen  fest.  Zahn,  der  sich  über  diese  Frage  in  der  Einleitung  zu 
seinem  steirischen  Ortsnamenbuch  aussprach,  meinte,  die  Staatsbehörden 
wtirden  einst  daran  gehen  müssen,  in  diese  Dinge  Ordnung  zu  bringen. 
Er  selbst  machte  einen  Versuch ,  die  Namen  so  zu  geben,  wie  sie  historisch- 
philologischer Forschung  richtig  erscheinen.  Die  Bearbeiter  der  Lan'lgerichts- 
karte  für  Steiermark  Sind  ihm  gefolgt,  aber  nur  zum  Teil.  Ich  finde  die 
Schreibung  Seckau,  PeCkau,  Bäineck,  Stätteck.  Eckenberg,  Reun  statt  der 
offiziellen  Schreibung  Seggau,  Peggau,  Pernegg,  Stattegg,  Eggenberg,  Rein, 
während  weitergehende  Änderungen  wie  Gesting,  Förnitz,  Pels  statt  GÖsting, 
Femitz,  Pols  nicht  vorgenommen  wurden. 

Straßen  sind  in  die  Karte  nicht  eingetragen.  Eine  Darstellung  auch 
nur  der  Straßen  von  1750 — 1850  hätte  eigene  Untersuchungen  nötig  gemacht, 
die  Karte  soll  außerdem  die  bleibenden  Elemente  geben.  Immerhin  wäre 
die  Einzeichnung  der  wichtigsten  und  der  Hauptsache  nach  auch  unveränderten 
Verkehrslinien  zur  Orientierung  nützlich  gewesen. 

Sehr  wertvoll  sini  die  Erläuterungen  zum  historischen  Atlas.  In 
außerordentlicher  Knappheit  sind  hier  jene  Daten  vereinigt,  die  uns  über  die 
Entstehung  der  einzelnen  Landgerichte  erhalten  sind.  Stammbäume  gestatten, 
den  Auflösungsprozeß  der  Landgerichte  zu  verfolgen.  Besonders  hervorheben 
möchte  ich  noch  Pircheggers  allgemeine  Einleitung  zu  den  Erläuterungen, 
die  eine  klare  Übersicht  über  die  territoriale  Entwicklung  der  Steiermark 
und  die  Entwicklung  des  Gerichtswesens  daselbst  enthält.  Noch  eine  Publi- 
kation müßte  der  Landgerichtskarte  zur  Seite  gehen,  die  Ausgabe  der 
I^andgerichtsbeschreibungen.  Diese  Grenzbeschreibungen  aus  ver- 
schiedenen Zeiten  sind  die  wichtigste  Quelle  für  die  Lnndgerichtsgrenzen. 
Daneben  kommen  noch  Landgerichtskarten  und  die  topographischen  Lexica 
in  Betracht.  Die  Landgeri  chtsbj'schreibungen  müssen  gedruckt 
werde  n^  damit  dcfr  ortskundige  Benutzer  in  der  Lage  ist,  die  Karte  nachzu- 
prüfen. Zugleich  wurden  sie  für  weitere  Forschungen  rechtshistorischer, 
topographischer  uud  sprachlicher  Art  eine  reiche  Fundgrube  darstellen. 


228  Literaturberichte. 

Die  Landgerichtskarte  wird  in  erster  Linie  unsere  Kenntnis  des 
Gerichtswesens  fördern.  Aber  auch  eine  ganze  Menge  anderer  Piobleme 
wird  durch  sie  angeregt.  Topographische  Untersuchungen  sind  jetzt  erleichtert, 
nachdem  die  Unterteilung  des  Raumes  erfolgt  ist,  die  Frage  nach  den  Verkehrs- 
linien ist  aufgeworfen,  vornehmlich  auch  die  interessante  Grenzfrage.  Schon 
die  Landgerichtskarte  gibt  reiches  Material  für  diesen  Gegenstand  anthropo- 
geographischer  Forschung.  So  finden  wir,  um  nur  ein  Beispiel  zu  bringen,  neue 
Belege  fiir  die  Erkenntnis,  daß  Gräben  und  Engpässe  sich  nicht  selten  dem 
Menschen  mehr  als  Grenzen  aufgedrängt  haben  als  Gebirgskämme  von 
bedeutender  Höhe  und  Schroffheit. 

Untersuchungen,  die  mit  dem  Atlasproblera  in  Verbindung  stehen., 
werden  als  Abhandlungen  zum  historischen  Atlas  im  Archiv  für  österreichische 
Geschichte  herausgegeben.  Die  Titel  der  vier  ersten  Abhandlungen  (Archiv  94, 
Bd.  VI  u.  310  S.)  sind  schon  im  letzten  Heft  dieser  Zeitschrift  mitgeteilt. 
Voltelini  gibt  einen  Beitrag  zur  Entstehungsgeschichte  der  Landgerichte  mit 
besonderer  Rücksicht  auf  die  Verhältnisse  von  Welschtirol.  Daß  die  Land- 
gerichte Trümmer  der  alten  Grafschaften  sind,  darüber  herrscht  kein  Zweifel, 
die  Frage  nach  den  Ursachen,  welche  zu  dieser  Zfrsplitterung  geführt  haben, 
hat  jedoch  noch  keine  befriedigende  Lösung  gefunden.  Auf  die  Hundert- 
schaften sind  die  Landgerichte  nicht  zurückzuführen,  in  Bayern  hajt  es  keine 
Hundertschaften  gegeben.  ,,Es  wird  überhaupt  nicht  gelingen,  die  Bildung 
der  Landgerichte  mit  einer  einfachen  Formel  zu  erklären."  Ein  Faktor  ist 
die  Zunahme  der  Bevölkerung,  dazu  kommt  der  Umstand,  daß  die  Graf- 
schaften Lehen  wurden  und  es  nun  zu  Teilungen  kam.  .Auch  die  Immunität 
konnte  Veranlassung  sein.  Wo  Streubesitz  vorherrschte,,  mußte  sich  ein 
unerträgliches  Durcheinander  von  Kompetenzen  ergeben,  man  drängte  auf 
räumliche  Abgrenzung.  Innerhalb  dieses  geschlossenen  Sprengeis  konnte  dann 
auch  die  öffentliche  Gerichtsbarkelt  erworben  werden.  Einen  wichtigen 
Anstoß  zur  Teilung  der  alten  Grafschaften  sieht  V.  in  der  Burgen  Verfassung. 
„Alle  Landgerichtsbarkeit  jedoch,  mag  sie  auch  auf  grundherrlichem  Boden 
oder  selbst  auf  alter  leibherrlicher  Gerichtsbarkeit  erwachsen  sein,  ist  öffent- 
lich-rechtlichen Ursprunges,  ist  nur  durch  eine  Übertragung  oder  Usurpation 
der  Grafschaftsgerichtsbarkeit  erwachsen."  Zu  diesem  Ergebnis  kommt  auch 
Eduard  Richter  in  seinem  Aufsatz:  Immunität.  Landeshoheit  und 
Waldschenkungen.  „Niemals  kann  eine  Immunität,  die  für  zerstreuten 
Grundbesitz  gilt,  einer  Grafschaftserwerbung  gleichzustellen  sein,  die  sich  auf 
geschlossenes  Gebiet  bezieht."  Geistliche  Territorien,  wie  das  Salzburger 
entstanden  nicht  aus  Immunitätsbesitz,  sondern  aus  erworbenen  Grafschafts- 
rechten, Landgerichten.  Weiter  bespricht  Richter  in  diesem  Aufsatz  noch  die 
Waldschenkungen  an  das  Salzburger  Hochstift  und  die  Salzburger  Urkunden- 
fälschungen, In  einem  zweiten  Aufsatz  gibt  Richter  einen  Beitrag  zur  Lösung 
der  für  die  historische  Geographie  so  wichti^-en  Frage  nach  dem  Alter  der 
Gemeindegrenzen.  Diese  Untersuchungen  müssen  für  jedes  Land  gesondert  geführt 
werden.  Für  Salzburg  weist  Richter  nach,  daß  die  heutigen  Katastralgemeinde- 
grenzen  1828/29  ohne  Anlehnung  an  ältere  Gemeindegemarkungen  geschaffen 
wurden,  daß  wir  hier  für  das  Bestehen  von  Gemeinden  während  des  XVI., 
XVII,  Jahrhunderts  überhaupt  keinen  Anhaltspunkt  haben.  Im  4.  Aufsatze  ver- 
breitet sich  Strnadt  auf  Grund  seiner  reichen  Materialsammlungen  über  die 
Kolonisations-,  Besitz-,  Grenz-  und  Gerichtsverhältnisse  des  oberösterreichischen 
Landes  im  Norden  der  Donau.  Eine  Karte  bietet  die  kartographische 
Rekonstruktion  des  Besitzstandes  der  weltlichen  Grundherrschaften  im  Uzgau 
und  im  Muhellande  zu  Beginn  des  XIII.  Jahrhunderts  (1:200000). 

Wir  haben  es  mit  einem  weitausschauenden  Unternehmen  zu  tun, 
eine  bedeutende   Arbeit    ist   in   der  Landgerichtskarte   geleistet.     Noch  vieles 


Literaturberichte.  229 

«oll  folgen.  Die  Entwicklung  der  kirchlichen  Einteilung,  vielleicht  auch  die 
Kolonisations-  und  Nationalitätsverhaltnisse  sollen  dargfestellt,  ein  Atlas  der 
römischen  Zeit  in  Angriff  genommen  werden,  Arbeiten,  die  nur  möglieh 
sind,  wenn  der  Atlas  die  gebührende  Anerkennug  findet.  Er  will  zu  weiteren 
Forschungen  benutzt,  er  will  bei  dem  geringen  Preise  auch  gekauft  werden. 

Hans  Vuönik. 

Die    kirchliche    Vogtei    im    Erzstifte    Salzburg    von 

Dr.   Franz  Martin.    (Sonderabdruck   aus   den    „Mitteilungen 
der  Gesellschaft  für  Salzburger  Landeskunde",  XL  VI.  Band,  1906.) 
Unter  den  geistlichen  Reichsfürstentümern   auf  heute  österreichischem 
Boden  hat  das  Erzbistum  Salzburg   allein   bis  zum   Untergange  des   „heiligen 
römischen  Reiches  deutscher  Nation"  volle  Landesherrlichkeit  bewahrt.  Diese 
bevorzugte  Stellung  verdanken  die  Erzbischöfe  neben  anderen  Umständen  wohl 
insbesondere   ihrem    eigenen   Bestrel)eD,   die  erworbenen  Grafschaftsrechte   in 
Händen  zu  behalten  und  nicht  weiter  zu  verleihen.  Die  Bildung  eines  geschlossenen 
Herrschaftsgebietes  beginnt  mit  Anfang  des   13.  Jahrhunderts.  (Histor.  Atlas 
der    österr.    Alpenländer.     Erläuterungen    zur    Landgerichtskarte.    Salzburg, 
Blatt  8,  9.  16  und  17.   Von  E.  Richter.)  Eduard  Richter  (Ebend.,  und  aus- 
führlich: Untersuchungen  zur  historischen  Geographie  des  ehemaligen  Hoch- 
stiftes Salzburg  und  seiner  Nachbarg^biete,    in  den  Mitteilungen  des  Instituts 
für    österreichische   Geschichtsforschung,    I.    Ergänzungsband,    S.   10  ff.)  wies 
nach,    dafi   sich   dieses  Gebiet   mit   dem   ehemaligen  Immunitätsgebiete   nicht 
deckt,    sondern  aus    einer    Reihe    von    Grafschaften    oder    Grafschaftsteilen 
{^Gerichten,  Schrannen)  besteht,  in  denen  die  Kirchenftirsten  die  hohe  Gerichts- 
barkeit    erwarben.       Die    Grundlage    der     letzteren    war    eine    zweifache. 
Unmittelbar  waren   es  die  Grafschaften   als  solche,   durch   deren    Erwerbung 
die  Erzbischöfe   die   hohe  Gerichtsbarkeit   gewannen.    Mittelbar  dagegen   tat 
dies    ein   Rechtsinstitut,    das   aus    dem   Gedanken    des   Schutzes    der  Kirche 
entstanden  war,  die  Vogtei.  Denn  häufig  erstreckte  sich  diese  nicht  bloß  auf 
die   niedere,     sondern    auch   überdies   oder   auch    ganz   allein   auf  die  Blut- 
■gerichtsbarkeit    und  so  konnten  die  Inhaber  der  Vogtei  häufig  selbst  landes- 
herrliche Rechte  über  die  bevogteten  Kirchengüter  ausüben.  In  beiden  Hinsichten 
finden  wir   seit   dem   13-  Jahrhundert    eine   eifrige  Tätigkeit   der  Erzbischöfe, 
jene  für  die  Ausbildung  der  Landesherrlichkeit  so  bedeutungsvollen  Gerichts* 
rechte  in    die  eigenen  Hände    zu   bekommen.    Der  Prozeß    des   allmählichen 
Anwachsens  des  Territoriums  durch  die  Erwerbung  von  Grafschaften  bildete 
den    Ausgangspunkt    zur    Herstellung     der    Blätter:      Salzburg     des    jüngst 
erschienenen    hist.    Atlasses  der  österr.  Alpenländer    und  sind  wir  durch  die 
mustergiltigen  Erläuterungen  Ed.  Richters  darüber  bestens  unterrichtet.    Was 
-aber    die   Vogtei    anlangt,    fehlte   es    bisher    an    einer    zusammenhängenden 
Darstellung.    Es  ist  daher  eine  dankenswerte  Aufgabe,    welche  sich  Martin 
stellte,    einmal   in   weiterem    Umfange   das   über   die  Vogtei    des   Hochstiftes 
Salzburg    und    der  demselben  unterworfenen  Stifte  vorhandene  quellenmäßige 
Material    zu  prüfen    und   die   daraus    geschöpften  Ergebnisse   in   vorliegender 
Abhandlung   zu   veröffentlichen.    Vorerst   «ei   bemerkt,    daß   die  Quellen   für 
diese  Untersuchung  (s.  Einleitung  S.  5)  äußerst  gering   sind,  und   auch  dort, 
wo   sie    reichlicher   fließen,    sind   es   wesentlich   nur   die   Namen    der  Vögte, 
welche  bei   einer  Rechtshandlung  intervenierend   oder   gar   bloß   als   einfache 
Zeugen    erscheinen.     Über   die  Tätigkeit   der   Vögte   ist   so    viel    wie   nichts 
Obermittelt    (s.  S.  7).    Aus   diesen    Gründen    war    auch    schon   die   Art   der 
Forschung    vorgezeichnet.    Sie   wird   sich   hauptsächlich   darauf  beschränken 
zu  zeigen,   in  welcher  Reihenfolge   die  Vögte  einander  ablösen,   in  welchem 
Zusammenhange  gleichnamige,  aber  zeitlich  auseinanderliegende  Vögte  stehen, 

16 


230  Litcraturberichte. 

welchem  Geschlechte  sie  angehören,  u.  ä.  Die  genealogischen  Betrachtungen 
Richters  (Untersuchungen  u,  s.  w.).  Wittes  (Genealogische  Untersuchungen 
zur  Reichsgeschichte  unter  den  salischen  Kaisem,  in  den  Mitt.  des  Inst.  f.  österr. 
Gesch.,  V.  Ergänzungsband.)  und  Eggers  (Das  Aritonenhaus,  im  Archiv  für 
österreichische  Geschichte,  83.  Band.)  benutzend,  bespricht  Martin  zunächst,, 
und  zwar  am  ausführlichsten  die  Entwickelung  der  Vogtei  Ober  das  Hochstift 
selbst  und  widmet  einen  eigenen  Abschnitt  dem  Verhältnis  der  Herzoge  von 
Österreich  zum  Erzstifte  als  angebliche  Vögte  desselben.  Als  Untervogteien 
des  Erzstiftes  wären  jene  über  Reichenhall  und  die  nördlich  und  stkdlich  der 
Stadt  Salzburg  gelegenen  zu  nennen,  ebenso  jene,  welche  die  in  Bayern. 
Österreich,  Steiermark,  Kärnten  und  Tirol  gelegenen  salzburgischen  Orte 
und  Verwaltungsmittelpunkte  betreffen.  Von  den  dem  Hochstifte  unterworfenen 
Stiften  findet  zuerst  das  Domkapitel  Berücksichtigung.  Daran  schließen  sich: 
St.  Peter,  Nonnberg,  Michelbeuren  und  Högelwört  als  die  im  Stiftslande  selbst 
gelegenen  Klöster.  Zum  Territorium  Bayern  gehörten:  Reichersberg,  Au  an> 
Inn,  Gars,  Herren-  und  Frauenchiemsee,  Seeon,  Attel,  St.  Zeno,  Weyarn. 
Suben,  Raitenhaslach,  Berchtesgaden  und  Baumburg.  Von  den,  auf  landes- 
forstlich  steirischem  Boden  befindlichen,  Salzburg  unterstellten  Klöstern  unter- 
zieht der  Verfasser  namentlich  Admont  und  Seckau  (Chorherrenstift  und 
Bistum)  einer  genaueren  Betrachtung,  Reun,  Vorau,  Goß  und  St.  Lamprecht 
werden  bloß  gestreift.  Für  Kärnten  sind  Gurk,  St.  Georgen  am  Längsee  und 
Viktring  hervorgehoben.  Ein  Überblick  beschließt  die  Untersuchung,  welcher 
noch  Regesten  und  Urkundeneditionen  Ober  Vogteiverhältnisse  und  schließlich 
zur  Erläuterung  der  genealogischen  Ergebnisse  eine  Stammtafel  der  Familie 
Erzbischof  Odalberts-  Aribonen-  Spanheimer-  Lebenauer-  Ortenburger-Peilsteiner- 
Burghausener,  sowie  d^r  Hallgrafen-Wasserburg  beigegeben  ist.  Die  Arbeit 
ist  rein  geschichtlich  gehalten.  Rechtsgeschichtlichen  Problemen,  wie:  Aus- 
dehnung  der  Immunität  auf  bestimmte  Grenzen  oder  Standesklassen,  Unter- 
suchungen über  die  soziale  Stellung  des  Vogtes,  ob  er  ferner  Ministeriale 
oder  Freier  u.  s.  w.,  hat  Martin  vermieden.  Der  Verfasser  war  von  dem 
richtigen  Gedanken  geleitet,  daß  derartige  Feststellungen  weitergreifende 
Sonderuntersuchungen  voraussetzen,  an  denen  es  noch  mangelt  Außerdem 
dürfte  sich  auf  diesem  Gebiete  der  angeführte  Mangel  an  Quellen  noch 
fohlbarer  machen  als  bei  rein  geschichtlichen  Betrachtungen.  Zum  Schlüsse 
noch  ein  Wort  über  die  auf  Steiermark  bezüglichen  Abschnitte.  Die  ganze 
Anlage  der  Abhandlung  rechtfertigt  es,  d;<ß  der  Verfasser  den  dieses  Land 
betreffenden  Vogteiverhältnissen  weniger  Vertiefung  widmete  als  es  bei  den 
auf  salzburgischem  Boden  gelegenen  Klöstern  der  Fall  ist.  Nichtsdestoweniger 
läßt  sich  eine  Menge  von  Anregungen  aus  den  Zeilen  herauslesen,  welche 
eine  eingehendere  Überlegung  verdienten.  Die  Zusammenstellungen  bei  Martin 
würden  eine  genügende  Grundlage  bieten.  Richard  Meli. 

Über  Sonnenuhren.  Beiträge  zu  ihrer  Geschichte  und 
Konstruktion  nebst  Aufstellung  einer  Fehlertheorie.  Von 
Dr.  Hans  Löschner,  k.  k.  Statthalterei-higenieur  und  gew. 
Assistent  und  Supplent  für  Geodäsie  an  der  technischen  Hoch^ 
schule  in  Graz.  Mit  72  Abbildungen  im  Texte.  Zweite,  umge- 
arbeitete und  vermehrte  Ausgabe.  Graz,  Leuschner  &  Lubenskys 
Universitätsbuchhandlung,   1906.  166  S.  S». 

Es  mag  vielfach  befremden,  daß  in  einer  historischen  Revue  ein  Werk 
über  Gnomonik  zur  Besprechung  gelangt,  da  es  auf  den  ersten  Blick  den 
Anschein  hat,  als  ob  dieser  Gegenstand  lediglich  zu  mathematisch-natur- 
wissenschaftlichen Disziplinen  (Geodäsie  etc.),  keinesfalls  aber  zur  Geschichte- 


Literaturberichte.  231 

und  ihren  Hilfswissenschaften  in  Beziehungen  stünde.  Das  wäre  nun  allerdings 
richtig,  sofern  man  unter  Historie  nur  die  politische  und  Verwaltungsgeschichte 
-subsumiert,  keinesfalls  aber,  wenn  dieser  Begriff  durch  Einbeziehung  der 
Kultur-  und  Kunstgeschichte  erweitert  wird. 

Die  Sonnenuhren  (Sonnenlote)  haben  —  neben  den  Sand-  und  Wasser- 
uhren —  bis  tief  in  die  neuere  Zeit  herein  fast  ausschließlich  als  Zeitmesser 
im  öffentlichen  wie  im  privaten  Leben  gedient;  bei  Expeditionen  und  Forschungs- 
reisen können  bewegliche  (Reise-)  Sonnenuhren  auch  heute  noch  geradezu 
unentbehrlich  sein  (vgl.  Löschner,  S.  91).  Es  ist  daher  selbstverständlich, 
daß  die  Kulturgeschichte  Ober  Entstehung  und  Konstruktion,  Vervollkomm- 
nung und  Anwendung  der'  Sonnenuhr  Aufschluß  zu  geben  hat,  während  sich 
die  Geschichte  der  Künste  um  so  mehr  für  die  Entwicklung  der  künstlerischen 
Ausgestaltung  dieses  Instrumentes  interessieren  wird,  als  neben  dem  praktischen 
Zwecke  dasselbe  in  sehr  zahlreichen  Fällen  — ja  heutzutage  oft  ausschließlich  — 
als  Zier  und  Schmuck  auf  Plätzen,  an  Kirchen  und  Häuserfronten  nicht 
minder  wie  in  privaten  Gemächern  eine  bedeutende  Rolle  spielt.  Übrigens 
berührt  sich  naturgemäß  die  Gnomonik,  die  Lehre  von  den  Sonnenuhren, 
als  solche  mehrfach  mit  der  historischen  Chronologie  und  bildet  derart  eines 
der  GrenzgebiHe  der  Geschichtswissenschaft  überhaupt. 

Der  Verfasser  des  vorliegenden  Werkes  —  nebenbei  gesagt  ein  ge- 
bürtiger Steirer  —  gliederte  dasselbe  in  fünf  Abschnitte,  deren  erster,  weit 
über  die  Hälfte  des  Buches  füllend,  der  Geschichte  der  Sonnenuhren  gewidmet 
ist,  während  die  übrigen  Theorie  und  Konstruktion  dieser  Instrumente  be- 
handeln. Von  diesen  Abschnitten  ist  der  fünfte  („Einfachste  Herstellung  von 
Vertikal-  und  Horizontal-Sonnenuhren")  bei  Leuschner  und  Lubensky  I906 
als  Separatabdruck  erschienen.  Den  Interessen  des  Leserkreises  dieser  Zeitschrift 
gemäß  beschränkt  sich  die  Besprechung  hier  auf  den  ersten  Abschnitt  und 
wird  bezüglich  der  rein  mathematisch-technischen  Kapitel  zwei  bis  fünf  auf  die  in 
den  entsprechenden  Fachblättem  erschienenen  Kritiken  verwiesen,  so  auf  die  im 
Beiblatt  zur  Zeitschrift  des  österr.  Ingenieur-  und  Architekten  Vereines,  1905, 
Nr.  40 ;  Deutsche  Literaturzeitung,  1906,  Nr.  84;  Astronomischer  Jahres- 
bericht, 1906,  Bd.  VII;  Deutsche  Mecbanikerzeitung  1906,  S.  130;  Kirchen- 
schmuck, 36.  Jahrg.,  Nr.  7,  1905;  Deutsche  Bauzeitung,  1905,  Nr.  49;  Zeit- 
schrift für  Architektur  und  Ingenieur wesen,  Jahrgang  1906,  Heft  1;  Mittei- 
lungen zur  Geschichte  der  Medizin  und  der  Naturwissenschaften,  1906,  IL; 
Schweizerische  Bauzeitung,  V,   1.  —  Heimgarten,  29.  Jahrg.,   12.  Heft,   1905. 

Der  erste,  historische  Abschnitt  des  Buches  betitelt  sich:  „Zur 
Geschichte  der  Zeitbestimmung  mittels  des  Schattens'*  und  steht  den  anderen 
Kapiteln  so  selbständig  gegenüber,  daß  man  den  Verfasser  ersuchen  möchte, 
ihn  als  Sonderschrift  zu  veröffentlichen  und  derart  noch  schärfer  als  historische 
Abhandlung  zu  charakterisieren.  Einleitend  orientiert  Verfasser  im  allgemeinen 
über  das  Wesen  der  Sonnenuhren  als  der  Meßinstrumente  zur  Ablesung  der 
„absoluten  Zeit",  gibt  ihre  Abgrenzung  gegen  die  anderen  Zeitmesser  und 
liefert  sehr  lehrreiche  Vergleiche  bezüglich  der  Genauigkeit  von  Werk-  und 
Sonnenuhren,  wobei  dargetan  wird,  daß  selbst  im  Zeitalter  der  so  überaus 
fein  und  genau  gearbeiteten  ,, Chronometer"  die  gute  alte  Sonnenuhr  ein 
unter  Umständen  ganz  vorzügliches  Requisit  geblieben  und  sehr  geeignet  ist, 
„eine  vortrefliche  Kontrolle  des  Ganges  der  gewöhnlichen  Uhren**   zu  geben. 

Hieran  schließt  sich  eine  ,, Zusammenstellung  der  für  den  historischen 
Teil  benützten  Quellen*',  die  77  lateinische,  deutsche,  französische  und 
englische  Quellenwerke,  mit  Ausnahme  von  Vitruvs  „Architektur"  sämtlich 
der  Zeit  vom  XVI.  bis  zum  XX.  Jahrhundert  an  gehörig,  aufweist  und  an 
sich  geeignet  ist   den  Bienenfleiß  und  die  eindringende  Genauigkeit  des  Autors 

IG* 


2B2  Literaturberichte. 

bei  Bearbeitung  seines  Stoffes  in  dai  schönste  Licht  zu  stellen.  Es  soll  auch 
gleich  hier  bemerkt  sein,  daft  Dr.  L6schner  das  gegenstXndliche  Material  zum 
größten  Teile  selbst  an  den  Fund-,  beziehungsweise  Aufstellungsorten  auf- 
genommen hat.  Wie  aus  der  Quellenreihe  tu  entnehmen,  hat  namentlich  im 
XVin.  und  in  der  zweiten  Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts  das  theoretische 
Interesse  an  der  Gnomonik  eine  aufterordentliche  Fülle  darauf  bezaglicher 
Literatur  hervorgerufen;  gleichwohl  kann  auch  die  Zahl  der  im  XVI.  u.  XVII. 
Sftkulum  veröffentlichten  Schriften  Ober  Sonnenuhren  nicht  als  gering  be- 
zeichnet werden  (vergl  S.  57  und  64).  Derartige  Werke,  „welche  erst  so 
recht  auf  wissenschaftlicher  Grundlage  aufgebaut  sind**>  gibt  es  allerdings 
vor  dem  XIX.  Jahrhundert  nicht  (S.  85 — 86).  Neben  dem  Studium  der 
gnomonischen  Denkmäler  selbst  und  der  BmQtzung  der  einschlägigen  Fach- 
literatur erscheinen  durchwegs  auch  historische  und  kunsthistorische  Werke 
in  vollkommen  entsprechender  Art  und  Weise  zur  Bearbeitung  des  Stoffes 
herangezogen. 

Der  Autor  hat  den  historischen  Teil  seines  Buches  selbst  (S.  9)  eine 
j.Skizze"  genannt.  Gewifi  wäre  es  möglich  gewesen,  im  einzelnen  noch  mehr 
illustrierende  Beispiele  beizubringen ;  dennoch  wird  der  Leser  sofort  erkennen,  dafi 
der  Verfasser  in  methodisch  unanfechtbarer  Weise  eine  zwar  gedränjgte  ,doch  voll- 
kommen geschlossene  Darstellung  der  geschichtlichen  Entwicklung  der  Sonnen- 
uhren von  den  primitivsten  Anfängen  und  Versuchen  im  Kulturkreise  der 
alten  orientalischen  Völker  bis  herauf  zu  den  feinen  und  künstlerisch  voU 
endeten  Instrumenten  der  letzten  Jahrhunderte  geschaffen  hat.  Deshalb  wollen 
wir  die  allzubescheidene  Bezeichnung  „Skizze"  ablehnen  und  den  Abschnitt 
lieber  als  ,, Darstellung  der  Geschichte  und  de«  Vorkommens  der  Sonnen- 
uhren' benannt  wissen.  Nicht  vergessen  sei,  daß  der  Autor  die  Lesbarkeit 
seines  Werkes  dadurch  einem  weite»  Kreise  sicherte,  daß  er  alle  nicht  un- 
bedingt als  Belege  notwendigen  Anmerkungen  und  Noten  zu  vermeiden 
wußte,  eine  Wohltat,  die  bekanntlich  in  Wissens  haftlichen  Schriften  —  histo- 
rische nicht  ausgenommen  —  öflers  zum  Schaden  der  Autoren  und  ihrer 
Arbeiten  außeracht  gelassen  wird. 

Um  auf  einiKes  aus  dem  reichen  Inhalte  des  Buches  hinzuweisen,  sei 
vor  allem  die  fesselnde  Darstellung  der  in  Alt-Griechenland  geübten  Methoden 
zur  Messung  relativer  und  absoluter  Zeit  (S.  l8  ff.)  erwähnt,  weiters  die 
hochinteressanten  Auseinandersetzungen,  die  sich  auf  die  erste  geschichtlich 
bekannte  Sonnenuhr  beziehen:  diese  „erste"  Sonnenuhr  finden  wir  in  der 
Heiligen  Schrift  im  IV.(II.)  Buche  der  Könige,  Kap.  20,  38,  48,  dort  erwähnt, 
wo  von  dem  bei  der  Heilung  des  Königs  Ezechias  durch  den  Propheten  Isaias 
geschehenen  Sonnenwunder  die  Rede  ist;  Löschner  weist  nach,  daß  unter 
den  mancherlei  Vcsuchen  zur  Rekonstruktion  dieses  Instrumentes  der  des 
Augsburger  Kunstlers  Christophorus  Schiß  1er  (1578)  der  gelungenste  ist. 
Da  hierbei  eine  natürliche  Erklärung  des  Wunders  erreicht  wurde,  konnte  es 
nicht  ausbleiben,  daß  Schißlers  Werk  „einem  geschickten  Gottesleugner"  zu- 
geschrieben wurde.  Die  folgenden  (S,  26  bis  43)  Darlegungen  Über  die  Sonnen- 
uhren der  Griechen  und  Römer  bieten  sehr  beachtenswerte  Beiträge  zur 
Geschichte  der  Zivilisation,  der  Wissenschaften  und  Künste  der  genannten 
Völker  sowie  anschließend  der  Araber,  als  der  nächsten  Erben  des  geistigen 
Lebens  der  Antike.  Was  sodann  über  die  ganz  originellen  Erfindungen 
der  nordischen  Völker  (Angelsachsen  und  Skandinavier)  auf  dem  Gebiete  der 
Gnomonik  ausgeführt  wird,  ist  überhaupt  in  deutschen  Schriften  noch  nicht 
behandelt  worden.  Der  Theoretiker  der  Sonnenuhrkunst  jenes  Kulturkreises 
ist  Beda  Venerabilis,  jener  Mann,  der  bekanntlich  auch  für  die  historische 
Chronologie  hohe  Bedeutung  erlangt  hat.  Die  Leistungen  des  Mittelalters  in 
der   Gnomonik   waren   unbedeutend;    noch  aus  dem  XV.   Jahrhundert    kann 


Uteraturberichte,  233 

der  Verfesser  uns  nur  zwei  Schriftstelkr  auf  dem  Felde  der  Sonnenuhrkunde 
nennen,  allerdings  zwei  berühmte  Namen:  Purer  und  Regiomontan.  Aus 
der  Fülle  des  hochinteressanten  Materials  und  der  immer  mehr  anschwellen- 
den gnomonischen  Literatur  vom  XVI.  Jahrhundert  bis  auf  unsere  Tage  hat 
Dr.  Löschner  all  das  an  klassischen  Beispielen  einer  eingehenden  Erörterung 
unterzogen,  was  aur  sachlichen  und  künstlerischen  Vervollkommnung  der 
Sonnenuhren  an  und  für  sich  sowie  zur  Ausbildung  der  Sonnenuhrkunde  geführt 
und  beigetragen  hat.  Das  geschichtlich  Bedeutsamste  in  dieser  Periode  der 
Entwicklung  der  Gnomonik  liegt  einerseits  in  ihrem  Zusammenhange  mit 
den  Arbeiten  zur  gregorianischen  Kalenderreform  von  1582,  worauf  übrigens 
nach  meinem  Dafürhalten  der  Verfasser  näher  hätte  eingehen  können,  andrer- 
seits darin,  daß  aus  der  —  trotz  Verbesserung  der  Werkuhren  —  sich  immer 
mehr  steigernden  Verwendung  von  Sonnenuhren  den  Künstlern ,  vor  allem 
der  Renaissance  und  Barockzeit,  mannigfache  Anregungen  und  interessante 
Probleme  erwuchsen:  Sonnenuhren  gehören  mit  zu  den  schönsten  und 
sinnigsten  Erzeugnissen  der  genannten  Kunstperioden.  Dr.  Löschner  hat  da 
namentlich  auch  alles  im  Gegenstande  auf  Steiermark  Bezugliche,  soweit  es 
zugänglich  war,  gewissenhaft  verzeichnet  und  illustriert.  —  Die  mit  der  Ent- 
wicklung der  Eisenbahnen  in  engem  Zusammenhange  stehende  Verbreitung 
des  Signal-  und  Postwesens  ließ  vielfach  im  praktischen  Leben  die  Sonnen- 
uhr als  entbehrlich,  ja  gewissermaßen  als  Symbol  veralteter  Einrichtungen 
und  hierdurch  etwas  lächerlich  erscheinen;  nur  als  Schmuck  von  Wänden 
schien  die  ehrwürdige  Sonnenuhr  noch  Berechtigung  zu  haben  und  so  kam 
es,  daß  in  neuerer  Zeit  auf  die  Genauigkeit  der  Konstruktion  gar  kejn 
Gewicht  mehr  gelegt  wurde.  Hierorts  existiert  eine  öffentlich  angebrachte 
Wand-Sonnenuhr  von  derart  falscher  Konstruktion,  daß  sie  beispielsweise 
anfangs  April  um  3/48  morgens  schon  12  Uhr  mittags  angibt;  man  wird 
einräumen,  daß  in  solchen  Fällen  wohl  eher  die  Verständnislosigkeit  und 
Oberflächlichkeit  der  modernen  Zeit  zu  belächeln  wäre.  (Vergl.  Löschner, 
S.  6.  87  u.   88.) 

Mit  einer  Betrachtung  Ober  die  Nutzanwenwendung  von  Sonnenuhren, 
„die  heutzutage  größer  ist,  als  mancher  von  tönenden  Zeitsignalen  umgebene 
Städter  glaubt,"  schließt  Dr.  Löschner  seine  lehrreichen,  interessanten  und  — 
was  ich  besonders  hervorheben  will  —  in  einem  sehr  guten  Deutsch 
geschriebenen  Ausführungen  über  die  Geschichte  der  Gnomonik.  Es  sei  hier 
gleieh  auf  einen  kurzen  aber  gut  und  übersichtlich  orientierenden,  illustrierten 
Aufsatz  Löschners  hingewiesen  in  der  Zeitschrift  »Die  Kirche,  Zentralorgan 
für  Bau,  Einrichtung  und  Ausstattung  der  Kirchen,"  Steglitz  b.  Berlin, 
IV.  Jahrg.,  I.  Heft  (Oktober  1906)  worin  die  Sonnenuhr  insonders  als  dekora- 
tives Motiv  für  Kirchen  und  als  pädagogischer  Behelf  bei  Schulgebäuden 
behandelt  erscheint,  hierbei  aber  auch  wertvolle  Winke  bezüglich  der  Kon- 
struktion gegeben  werden.  Besonders  sei  auf  die  Beschreibung  der  künst- 
lerisch hochinteressanten,  aus  der  Mitte  des  XVIU,  Jahrhunderts  stammenden 
Sonnenuhr  an  der  Südwand  der  Mariahilferkirche  in  Graz  aufmerksam  ge- 
macht. (A.  a.  O..  S.  6  flf.) 

Dieser  Besprechung  erübrigt  nur  noch,  die  schöne  und  klare  Aus- 
führung der  (zinkographischen)  Abbildungen,  die  vom  Autor  hergestellte 
Zeichnungen  und  photographische  Aufnahmen  wiedergeben  und  von  denen 
44  zum  I.  Abschnitte  gehören,  sowie  die  sonstige  vorzügliche  Ausstattung 
des  Werkes  in  Papier  und  Druck  anerkennend  hervorzuheben.  Möchte  doch 
jedes  „Styriacum"  bei  so  geringem  Umfapge  so  gehalt-  und  wertvoll  sein 
wie  dieses! 

Graz,  im  Dezember  1906.  Dr.  phil.  K,  Hafner. 


234  Literaturberichte. 

Bericht  Aber  die  Vorarbeiten  zur  Herausgabe  des 
Ergänzungsbandes  der  steirischen  Taidinge.  Erstattet  von 
Anton  Meli,  Wien  1906  (S.-A.  aus  den  Sitzungsberichten 
der  kais.  Akad.  d   W.,  Phil.-hist.  Klasse,  Bd.  CLIV.) 

Als  im  Jahre  1881  Ferd.  Bischoff  und  Anton  Schönbach  den  Band 
„Steirische  und  Kärnthische  Taidinge"  herausgaben,  schrieben  sie  in  der 
Einleitung,  daß  gegenüber  der  großen  Anzahl  von  Gemeinden  und  ehemaligen 
Guts-  und  Gerichtsherrschaften  in  der  Steiermark  die  Anzahl  der  Weistümer 
eine  ziemlich  geringe  sei  und  sprachen  die  Hoffnung  aus,  daß  derlei  Rechts- 
denkmale sich  noch  finden  werden. 

A.  Meli  hat  sich  nun  seit  längerer  Zeit  intensiv  mit  der  Sammlung 
weiterer  steirischer  Weistümer  und  verwandter  Quellen  beschäftigt  und  zwar 
sowohl  zur  Erforschung  der  gutsherrlich-untertänigen  Verhältnisse,  als  auch 
für  die  ihm  von  der  akademischen  Kommission  zur  Herausgabe  eines  histo- 
rischen Atlasses  der  Österreichischen  Alpenländer  aufgetragenen  Sammlung  der 
Grenzbeschreibungen  der  früheren  Landgerichte,  Hofmarken,  Freiungen  und 
Burgfrieden.  Derselbe  hat  noch  eine  Anzahl  von  Urkunden  und  Akten 
gefunden,  welche  in  naher  Beziehung  zu  den  Taidingen  stehen,  in  denen  die 
Rechte  der  einzelnen  Herrschaften  in  bezug  auf  Gerichts-,  Wald-,  Jagd- 
und  Fischereihoheit  und  die  Verpflichtungen  der  Untertanen  aufgezeichnet 
sind  und  die  eine  Fülle  von  Nachrichten  bringen  Ober  Beziehungen  zwischen 
Grundherren  und  Untertanen,  namentlich  für  jene  Gegenden,  aus  denen  Weis- 
tümer nicht  erhalten  sind. 

Daran  schließen  sich  Aufzeichnungen  über  die  Bestallungen  der  herr- 
schaftlichen Richter  und  Amtsleute  und  deren  Instruktionen,  über  die 
Dingung  von  Dienstboten  und  deren  Besoldung,  über  die  von  den  Untertanen 
zu  leistenden  Abgaben  und  persönlichen  Dienste  etc.,  Rechtsaufzeichnungen, 
die  als  mit  den  Weistümern  verwandte  Quellen  bezeichnet  werden  können. 
Die  mit  großem  Eifer  und  ebensoviel  Sachkenntnis  gesammelten  139  Stücke 
werden  nun  hier  vorläufig  beschrieben. 

König  Albreciit  II.  (1437—1439)  von  Dr.  Wilhelm 
Wostry.  Prag,  Rohliöek  u.  Sievers,  1906,  III  u.  180  S. 
(Prager  Studien  aus  dem  Gebiete  der  Geschichtswissen- 
schaft, herausgegeben  von  Prof.  Dr.  A.  Bachmann,  Heft XII.) 

Die  vorliegende,  von  einer  guten  Charakteristik  dieses  tatkräftigen 
Herrschers  eingeleitete  Studie  behandelt  Albrecht  II.  (V.)  letzte  zwei  Lebens- 
jahre, die  ihm  mit  dem  Tode  Siegmunds  den  Anfall  der  Kronen  von  Ungarn 
und  Böhmen,  sowie  jenem  der  deutschen  Königskrone  brachten.  Die  hier 
behandelten  Anfänge  seiner  Regierung  waren  erfüllt  von  Sorgen:  als  eifriger 
Katholik  und  Deutscher  begegnet  er  starker  einheimischer  Gegnerschaft  in 
Ungarn  und  besonders  im  tiberwiegend  utraquistischen  Böhmen,  wo  sich  eine 
polnische  Gegenkanditatur  zwar  nicht  hintanhalten,  aber  auch  ohne  allzu 
große  Mühe  aus  dem  Felde  schlagen  ließ.  Dazwischen  verfolgen  wir  das 
RSnkespiel  der  Kaiserin  Witwe  Barbara,  die  als  eine  geborne  Gräfin  von 
Cilli  und  Schwester  des  Grafen  Ulrich  unser  Interesse  besonders  in  Anspruch 
nimmt.  Albrecht  II.  Politik  war  zunächst  auf  erreichbare  Ziele  gerichtet,  und 
suchte  in  Böhmen  und  Ungarn  Ordnung  zu  schaffen ;  der  Erlangung  der  deutschen 
Königs-,  bezw.  Kaiserkrone  stand  er  nahezu  gleichgiltig  gegenüber,  sie  war  dem 
von  Sorgen  erfüllten  Manne  fast  eine  Last.  Das  letzte  Regierungsjahr  und 
das  frühe  Lebensende  des  Herrschers,  durch  welches   alle   diese  Verhältnisse 


Literaturberichte.  285 

gänzlich  umgestaltet  wurden,  sollen  ihre  Darstellung  in  einem  weiteren  (dem 
XIII.)  Hefte  der  Prager  Studien  finden,  dessen  Erscheinen  man  mit  Inter- 
esse entgegensehen  darf.  M.  Doblinger. 

Stegenäek  Augustin:  Cerkveni  spomencki  Lavantinske 
äkofije,  I.  Dekarija  gornjegrajska.  (Kirchliche  Denkmäler  der 
Lavanter  Diözese,  I.  Bd.  das  Dekanat  Oberburg.  Mit  162  Abb., 
3  Taf.  Marburg  1905.  Selbstverlag  des  Verfassers.  Groß-Oktav, 
XVI  u.  240  S. 

Der  vorliegende  Band  bildet  den  ersten  Teil  eines  größeren  Werkes, 
das  die  Überreste  der  kirchlichen  Kultur  und  Kunst  aller  24  Dekanate  der 
Lavanter  Diözese  vom  rein  historischen  und  archäologischen  Standpunkte 
aus  betrachten,  sammeln  und  der  Wissenschaft  zugänglich  machen  soll. 
Dieser  Band  behandelt  das  Dekanat  Oberburg  und  ist  in  zwei  Haupt- 
abschnitte eingeteilt:  a)  Kapitel  I— XII;  b)  XIII- XIV. 

Die  erste  Kapitelgruppe  umfaßt  das  große  Material  der  eigentlichen 
Realien,  die  Denkmäler  selbst.  Die  Methode,  nach  der  der  Verfasser  die 
Denkmäler  gruppiert  hat,  verleiht  diesem  Teile  des  Buches  eine  sehr  will- 
kommene, einheitliche  und  das  Studium  sehr  erleichternde  Übersichtlichkeit. 
Jede  der  elf  Pfarrkirchen  des  Dekanates  erhält  nämlich  je  ein  Kapitel,  wobei 
der  Verfasser  die  bisher  übliche  Reihenfolge  des  Ignaz  Oroien  und  den 
Schematismus  der  Lavanter  Diözese  mangels  einer  einheitlichen  Idee  verwarf 
und  die  geographische  Lage  der  einzelnen  Pfarren  seinem  Werke  zugrunde 
gelegt  hat.  Vom  Sannursprung  an  schreitet  die  Darstellung  stromabwärts 
und  behandelt  so  nacheinander  folgende  elf  Pfarren:  I.  Maria  Schnee  in 
Sulzbach,  II.  St.  Lorenz  in  Leutsch,  III.  St.  Xaveri  in  Strafe  samt  der 
Expositur  St.  Jakob  in  Okonina.  V.  St.  Cantius  in  Riez ,  VI.  Nazareth,  VII. 
St.  Georgen  in  Praßberg,  VIII.  St.  Michael  ob  Praßberg,  IX.  Maria  Stift* 
X.  St.  Hermagoras  und  Fortunatus  in  Oberburg,  XI.  St.  Martin  bei  Ober- 
burg. Zu  jeder  Pfarre  werden  sodann  die  zahlreichen  Filialkirchen  und 
sogar  die  Feldkapellen  in  das  betreffende  Kapitel  einbezogen. 

Jede  Kirche  behandelt  der  Verfasser  nach  der  gleichen  Disposition, 
indem  er  bei  einer  jeden  1.  den  Bau  selbst  bespricht,  2.  die  vorhandenen 
Fresken,  3.  die  Geschichte  der  Kirche,  wobei  er  sehr  gründlich  die  bisherigen 
Spezial werke  sowie  das  archivalische  Material  berücksichtigt,  4.  die  Altäre 
und  deren  Geschichte,  5.  die  Ausstattung  der  Kirche,  6.  die  Ölgemälde 
und  Statuen,  7.  die  etwaigen  Kleinodien  und  Meßgewänder  und  8.  die  Grab- 
denkmäler. 

Das  XII.  Kapitel  bringt  als  Abschluß  dieses  ersten  Teiles  die  Resultate 
der  vorausgegangenen  historischen  Untersuchungen  in  acht  Übersichtstabellen, 
und  zwar  l .  die  Übersicht  der  1 1  Pfarrkirchen  nach  dem  Verhältnisse  ihres 
Flächeninhaltes,  2.  die  chronologische  Übersicht  der  Kirchenbauten,  3.  die 
historisch-topographische  Übersicht  der  Kirchengemeinden,  4.  die  Kirchen 
und  Ihre  Ausstattung  in  der  ersten  Hälfte  des  XVII.  Jahrhunderts,  5.  die 
chronologische  Übersicht  der  bemerkenswerti?sten  Skulpturarbeiten  des  Ober- 
burger Dekanates,  6.  die  Übersicht  der  datierten  Fresken,  7.  die  der 
datierten  Ölgemälde  und  8.  das  Künstlerverzeichnis  in  alphab€^tischer  Reihen- 
folge mit  Lebensskizzen  und  Werken. 

Die  den  zweiten  Teil  des  Buches  bildenden  zwei  letzten  Kapitel  bringen 
eine  geschichtliche  und  kulturell  sehr  bemerkenswerte,  auf  diesem  Gebiete 
noch  gar  nicht  gepflegte  Studie  über  die  Heiligen,  die  im  Oberburger 
Dekanate  verehrt  werden,  mit  sehr  guten  Übersichtstabellen  (Kap.  XIII),  und 


236  Literaturberichte. 

zum  Schluß  zwei  ^Matriculae  peractionum  in  Parochia  Lu(e  sec.  XVIII^, 
auf  deren  Grundlage  drei  Studien  über  Feiertage,  Prozessionen  und  einige 
rituale  Eigentümlichkeiten  folgen.  (Kap.  XII  ) 

Den  Text  begleiten  zahlreiche  zweckentsprechende,  hie  und  da  viel- 
leicht nur  zu  kleine  Reproduktionen,  was  höchstwahrscheinlich  der  Ökonomie 
des  Raumes  zuzuschreiben  ist.  Die  Grundrisse  sind  einhoitlich  (l  :  400),  die 
architektonischen  Details,  die  fiußeren  Kirchenansichten  u.  dgl.  liegen  dem  Leser 
in  meist  sehr  deutlichen  Abbildungen  vor. 

Sehr  schätzenswerte  Beiträge  sind  die  Aufnahmen  aus  der  Schatz- 
kammer St.  Xaveri  und  der  zehn  Ölgemälde  des  bekannten  Kremser 
Schmidt  und  die  Eingangstafel  „der  heilige  Thomas"  von  Mencinger  (pag, 
143 — 151)  aus  der  Pfarre  Oberburg,  sowie  die  Beschreibungen  dieser  Kunst- 
werke, wobei  besonders  die  des  hl.  Thomas  hervorzuheben  ist.  Der  Ver- 
fasser ließ  die  Gelegenheit  nicht  unbenutzt  vorübergehen,  auch  den  Ästhetischen 
Wert  der  Denkmäler,    bei  anderen  wieder  ihren  archäologischen  zu  betonen. 

So  bedeutet  dieser  mit  großem  Fleiße,  gründlicher  Sachkenntnis  und 
kritischer  Gewissenhaftigkeit  verfaßte  und  auf  streng  wissenschaftlicher 
Forschung  beruhende  erste  Band  einen  entschiedenen  Vorstoß  in  ein  bisher  nur 
spärlich  bebautes  Gebiet  der  Kunst-  und  Kulturgeschichte  SOdsteiermarks. 
Wenn  der  Verfasser  noch  eine  deutsche  Inhaltsangabe  mit  Hervorhebung  der 
wichtigsten  Resultate  beigeschlossen  hätte,  würde  das  vorzügliche  Werk  eine 
größere  Verbreitung  finden.  Hoffentlich  wird  A.  StcgenSek  bei  der  Heraus- 
gabe des  zweiten  und  der  folgenden  Bände  diesem  Wunsche  der  deutsehen 
Forscher  Rechnung  tragen.  — n — 

Eine  obersteirische  Bauerngemeinde  in  ihrer  wirt- 
schaftlichen Entwicklung  1498—1899.  I.  Teil.  Von  Doktor 
Hubert  Wimbersky.  Verlag  von  Ulrich  Mosers  Buchhand- 
lung (J.  Meyerhoff).  Graz,  IQ07. 

Der  Verfasser  untersucht  auf  Grund  streng  statistischer  Forschungs- 
methode den  wirtschaftlichen  Entwicklungsgang  der  unter  der  ehemaligen 
Herrschaft  Groß-Sölk  gestandenen  obersteirischen  Ortsgemeinde  St  Nikolai 
in  der  inneren  Groß-Sölk  und  behaLdelt  im  vorliegenden  Teile  das  Ehe- 
güter- und  das  Erbrecht  in  der  Gemeinde,  Besitz  Veränderungen  und  Besitz- 
dauer, die  Siumerstraße,  die  Agrargemeinschaften,  Wald  und  Wild,  Besteue- 
rung der  Untertanen,  Preise  und  Löhne,  und  berichtet  zum  Schlüsse  an- 
hangsweise über  die  Versuche  zum  Bergbau  auf  edle  Metalle.  Nacti  Einlei- 
tung S.  2  wird  der  zweite  Teil  des  Werkes  voraussichtlich  noch  im  Laufe 
des  heurigen  Winters  erscheinen  und  die  Darstellung  der  Verteilung  von 
Grund  und  Boden,  die  Besitz-  und  Urbarialverhältnisse.  die  Bewegung  der 
Bevölkerung  in  der  Gemeinde,  die  auf  die  Errichtung  der  Pfarre  bezugneh- 
menden Daten,  sowie  eine  kurze  Darstellung  der  Geschichte  der  Herr»chaft 
selbst  und  ihrer  Verwaltungstätigkeit  enthalten.  Schon  aus  dem  vorliegenden 
ersten  Teile  ersieht  man,  zu  welchen  für  die  Wirtachaftsgeschichte  bedeu- 
tungsvollen Ergebnissen  Wimbersky  mittelst  der  statistischen  Wissenschaft, 
deren  Grundsätze  er  gewissenhaft  anwendet  und  durchfühlt,  gelangt  ist. 
Eine  eingehende  Besprechung  wird  nach  Erscheinen  des  zweiten  Teiles  s^n- 
gesichts  des  ganzen  Werkes  erfolgen.  Soviel  kann  heute  schon  gesugt  wer- 
den, daß  der  Verfasser  mit  seiner  äußerst  wertvollen  Arbeit  mit  viel  Glück 
ein  Gebiet  anschnitt,  auf  dem  noch  sehr  viel  wird  gearbeitet  werden  müssen, 
bis  wir  an  eine  umfassende  •  Wirtschaftageschichte  unseres  Landes  werden 
schreiten  können. 


Literaturberichte.  237 

Der  Festungsbau  zu   FOrstenfeld    1S56~-1563.   Von 

Dr.  Anton  Kapp  er.    Graz,  1906.    Ulrich  Mosers    Buchhand- 
lung (J.  Meyerhoflf).  75  S. 

,,Wer  imnier  der  glänzend  verlaufenen  Wander  Versammlung  des  histo- 
rischen Vereines  für  Steiermark  im  Sommer  dieses  Jahres  in  FOrstenfeld  bei- 
wohnte, wird  sich  des  ebenso  interessanten  als  lehrreichen  Vortrages  (über 
die  Befestigungen  dieser  Stadt  erinnern,  den  der  Verfasser  daselbst,  begleitet 
von  Lichtbildern,  hielt,  und  des  Augenscheines,  den  die  zahlreichen  Teil- 
nehmer, geführt  von  demselben  Forscher,  am  folgenden  Tage  von  den  Resten 
der  Fortifikationen  und  von  FOrstenfeld  nahmen.  Dieser  Vortrag  liegt  nun 
bedeutend  erweitert  im  Drucke  vor  und  bietet  einen  wertvollen  Beitrag  zur 
Geschichte  dieser  Stadt,  aber  auch  zu  der  des  ganzen  Landes  und  des  Be- 
festigungswesens in  diesem." 

Geschichte  des  DiOzesan  -  Priesterhauses.  Mit  einem 
geschichtlichen  Rückblick  über  die  Heranbildung  des  Klerus 
der  katholischen  Kirche  überhaupt  und  des  Seckauer  Klerus 
insbesondere.  Von  Dr.  Anton  G  r  i  e  ß  1,  Direktor  des  Priester- 
hauses. Graz,  1906.  Verlagsbuchhandlung  „Styria". 

Eine  Gelegenheitsschrift  nennt  der  Verfasser  bescheiden  die  vorlie- 
gende Schrift,  die  derselbe,  mit  großer  Gewissenhaftigkeit  und  geschickter 
Ausnützung  eines  großen  Quellenmateriales,  getragen  von  der  Liebe  zum 
Gegenstande,  verfaßte  und  der  Öffentlichkeit  vorlegt.  Bereits  1894  hat  der 
Verfasser  für  „die  theologischen  Studien  und  Anstalten  der  katholischen 
Kirche  in  Österreich*  einen  geschichtlichen  Abriß  Ober  dieses  Institut  ge- 
schrieben. Da  derselbe  aber  nicht  allgemein  zugänglich  ist,  hat  er  sich  ent- 
schlossen, diese  erweiterte  Geschichte  des  von  ihm  geleiteten  Institutes  ge- 
wissermaßen als  schriftliches  Denkmal  für  alle  Leiter  desselben  während  des 
nun  über  150  Jahre  währenden  Bestandes  (1755)  seinen  Mitbrüdern  zu 
schenken.  Der  vorgeschwebte  Zweck  dürfte  dem  Autor,  dessen  persönliche 
Liebenswürdigkeit  auch  im  Werke  sich  wiederspiegelt,  in  Anbetracht  des 
reichen  Inhaltes  vollinhaltlich  gelungen  sein.  Neben  dem  Kapitel  über  das 
Unterrichtswesen  im  Mittelalter  interessiert  uns  sehr  jenes  über  die  Grün- 
dung des  Konviktes  in  Graz,  weil  darin  erschöpfend  die  Baugeschichte  eines 
der  größten  Gebäude  der  Stadt  behandelt  ist.  Der  Bau  des  Kollegiums  wurde 
vom  Erzh.  Karl  1572  begonnen  und  im  nächsten  Jahre  war  bereits  der  Trakt 
in  der  Bürgergasse  an  der  Stelle  des  alten  Stadt pfarrhofes  vollendet.  lÖQl 
wurde  dasselbe  erweitert  und  zum  großen  Quadrate  ausgebaut,  das  heute 
unter  dem  Namen  Priesterhaus  bekannt  ist,  1097  kam  das  Haus  in  der 
Hofgasse  dazu,  das  1617  von  den  steirischen  Klöstern  zum  heutigen  „StÖckel'* 
ausgebaut  wurde.  1607  wurde  das  Eck  Bürgergasse-Hofgasse  (Alte  Univ.- 
Bibliothek)  und  der  Kefektoriumtrakt  erbaut,  1745  wurde  auf  diesen  das 
astronomische  Observatorium  mit  der  Sternwarte  aufgebaut,  in  der  P.  Josef 
Liesganig  den  Meridian  von  Graz  berechnete  und  die  I789  abgetragen  werden 
mußte.  Der  das  Kollegium  mit  der  Domkirche  über  die  Bürgergasse  ver- 
bindende Gang,  die  im  oberen  Stockwerke  eine  Kapelle  beherbergte,  fiel  1831. 
Außer  anderem  Buchschmucke  finden  sich  sehr  gelungene  Abbildungen  Erzh. 
Karls  II.,  Kaiser  Ferdinands  IL  und  der  alten  Universität  von  1700. 

„Aus  Brucks  Vergangenheit.  —  Geschichtliche  Streif- 
ztige.  —  I.  Der  Schrecicenstag  von  1792."  Nach  Quellen  des 


238  Literaturbsrichte. 

Steiermärkischen  Landesarchives  und  der  Landesbibliothek  be- 
arbeitet von  G.  S.  1906.  Verlag  H.  Smrczek,  Brück  a.  d.  Mur. 
KI.-80,  18  S. 

In  fesselnder,  anschaulicher  Weise  schildert  das  BQchlein  den  großen 
Brand,  der  am  8.  September  1792  die  damalige  Kreisstadt  Brück  a.  d.  M. 
total  einäscherte,  die  für  die  Bewohner  daraus  entstandenen  harten  Folgen, 
die  von  Landesfürst,  Behörden  und  dem  Lande  Steiermark,  besonders  der 
Stadt  Graz,  ausgeführte  Rettungs-  und  Hilfsaktion  und  den  Wiederaufbau 
der  Stadt.  —  Über  fünf  Millionen  Kronen  heutigen  Wertes  gingen  bei  der 
Katastophe  dem  Nationalvermögen  binnen  zwei  Stunden  verloren ;  neben  den 
Häusern  und  der  Habe  der  Einwohner  hat  die  Wut  des  grausen  Elementes 
damals  auch  das  Verwaltungsarchiv  der  Kreishauptmannschaft,  die  Archive 
der  Kirchen  und  der  Stadt  vernichtet ;  namentlich  der  Verlust  des  Stadtarchives, 
das  —  wie  aus  spärlichen,  bewahrt  gebliebenen  Resten  zu  schließen  —  für 
die  Ortschronik  und  ebenso  für  die  steirische  Landesgeschichte  als  Quellen- 
sammluDg  von  hervorragendster  Bedeutung  gewesen  sein  muß,  ist  vom  Stand- 
punkte des  Historikers  zu  beklagen. 

Das  vorliegende  Werkchen  ist  besonders  deshalb  zu  begrüßen,  weil 
der  Verfasser  hiermit  seine  wahrhaft  glückliche  Idee  zu  realisieren  beginnt, 
die  Geschichte  eines  bedeutenden  steiri.schen  Ortes  zu  Nutz  und  Frommen 
weiter  Kreise  in  Monographien  en  miniature  aufgelöst  darzustellen;  auf 
authentische,  zeitgenössische  Quellenberichte  gegründet,  mit  wissenschaftlichem 
Ernste,  aber  ohne  gelehrten  Ballast,  in  leichtfaßlicher  Form  und  guter  Sprache 
bearbeitet,  dabei  nicht  umfangreich  und  daher  billig  im  Preise,  wird  das 
Büchlein  —  und  gewiß  auch  seine  Nachfolger  —  auf  einen  großen  Leser- 
kreis, auch  unter  den  weniger  bemittelten  Schichten,  rechnen  dürfen.  Die 
Abnahme  oder  das  gänzliche  Fehlen  des  „historischen  Sinnes**  im  Volke  wird 
allerorten  beklagt.  Hier  haben  wir  einen  Fingerzeig,  wie  die  Erweckung, 
beziehungsweise  Festigung  dieses  gewiß  sehr  schätzenswerten  „historischen 
Sinnes'*  u.  a.  versucht  werden  kann.  Derartige  kleine,  monographische  Bear- 
beitungen der  Orts-  oder  Landesgeschichte  werden  es  sein  müssen,  aus  denen 
„das  Volk"  seine  Kenntnisse  von  der  historischen  Entwicklung  der  engeren 
Heimat,  des  Landes,  des  Staates  u.  s.  w.  schöpfen  soll :  sie  empfehlen  sich 
eben  durch  all  das,  was  vorher  an  dem  Büchlein  des  Autors  rühmend  her- 
vorgehoben werden  mußte.  (In  mustergiltiger  Art  und  Weise  erscheint  die 
Idee  solcher  Monographien  durchgeführt  in  Dr.  A.  Kappers  „Der  Festungsbau 
zu  Fürstenfeld*'.)  —  Diese  Bemerkungen  richten  sich  in  erster  Linie  an  alle 
jene,  die  hierzulande  „Ortsgeschichte**  schreiben.  Mit  großen,  gelehrten  und 
teueren  Büchern  ist  in  diesem  Belange,  der  doch  meistens  zunächst  popu- 
lären Zwecken  zu  dienen  hat,  gar  nichts  getan:  niemand  kauft  sie,  niemand 
liest  sie,  weil  sie  zu  kaufen  niemand  genug  überflüssiges  Geld,  sie  zu  lesen 
niemand  genügend  freie  Zeit  hat.  Leider  ist  hier  nicht  Platz  genug,  auf  diese 
interessante  Frage  näher  einzugehen. 

Die  nette  Ausstattung  des  vorliegenden  Werkchens  sei  noch  hervor- 
gehoben; das  Format  der  folgenden  Abhandlungen  könnte  aber  wohl  etwas 
größer  ausfallen.  K.  Hafner. 

Führer  durch  das  steiermärkische  kulturhistorische 
und  Kunstgewerbe  -  Museum  zu  Graz.  Von  Karl  Lacher. 
Graz,  1906.  Im  Verlage  des  Museums. 

Vor  kurzem  erschien  die  vierte  Auflage  des  „Führers  durch  das 
kulturhistorische   und    Kunstgewerbe-Museum**,    verfaßt   vom    Direktor   Pro- 


Zeitschriftenschau.  239 

fessor  Karl  Lacher.  Diese  Auflage  kommt  nahezu  einer  Neubearbeitung 
gleich,  welche  durch  die  in  den  letzten  Jahren  erfolgte  Ausgestaltung  des 
Museums  und  die  teilweise  Neuaufstellung  der  Sammlungen  notwendig  ge- 
worden war.  Der  Führer  weist  auf  alle  wichtigsten  Stücke  der  Sammlungen 
hin,  enthält  viele  technologische  und  historische  Notizen  und  ist  daher  wohl 
geeignet,  nicht  bloß  bei  flüchtigem  Besuche,  sondern  auch  bei  eingehen- 
dem Studium  der  Sammlungen  als  wertvoller  Ratgeber  zu  dienen. 

In  der  Einleitung  bietet  uns  der  Verfasser  eine  üt)er.sichtliche  Ge- 
schichte der  Sammlungen,  die  über  alle  wichtigen,  die  Entwicklung  des  Mu- 
seums seit  der  Gründung  des  Joanneums  bis  auf  die  jüngste  Vergangenheit 
betreffenden  Ereignisse  Aufschluß  gibt.  Von  großem  Interesse  ist  die  am 
Schlüsse  dieser  Einleitung  dargebotene  Statistik  über  die  Erwerbung  der  Be- 
stände des  kulturhistorischen  und  Kunstgewerbe-Museums;  sie  zeigt  das  er- 
staunlich rasche  Anwachsen  der  Sammlungen,  und  sprechen  die  folgenden 
trockenen  Ziffern  klarer,  als  es  die  wärmsten  Worte  vermöchten,  was  be- 
geisterungsvolle Hingabe,  verbunden  mit  größter  Sachkenntnis,  hier  geschaffen 
haben.  —  Nach  dieser  Statistik  „enthielt  das  kulturhistorische  und  Kunst- 
gewerbe-Museum im  Juli  1906  ohne  Vorbildersammlung  und  Handbibliothek 
1 1 .023  Musealgegenstände ;  von  diesen  Kunstschätzen  sind  1 290  den  Bestän- 
den des  ehemaligen  «Historischen  Museums*  am  Joanneum  entnommen,  2 106 
Objekte  lieferte  die  Sammeltätigkeit  des  Landesmuseum -Vereines  Joanneum 
und  1998  jene  des  Vereines  zur  Förderung  der  Kun-tindustrie  (jetzt  Kunst- 
gewerbe-Verein), welche  Sammeltätigkeit  bekanntlich  bei  beiden  Vereinen  von 
Professor  K.  Lacher  geleitet  ward;  seit  der  Errichtung  der  Direktion  des 
kulturhistorischen  und  Kunstgewerbe-Museums  erwarb  Lacher  als  dessen 
Vorstand  7629  Gegenstände.  Hievon  wurden  3172  Gegenstände  teils  als 
hochherzige  Widmungen,  teils  unmittelbar  dem  Museum  übergeben,  zum 
größten  Teile  aber  aus  Anlaß  der  Bereisungen  des  Landes  durch  den  Direk- 
tor erzielt.'* 

Direktor  Lacher,  der  nunmehr  die  von  ihm  geschaffenen  Samm- 
lungen nach  seinem  Installationsplane  so  übersichtlich  aufstellen  konnte, 
bietet  durch  den  vorliegenden  Führer  nun  den  Besuchern  unseres  prächtigen 
Museums  gewiß  einen  vollkommenen  Begleiter  dar,  und  wollen  wir  es  nicht 
versäumen,   auf  dies  handliche  Werkchen   besonders  aufmerksam  zu  machen. 


Zeitschriftenschau. 

Maximilian  L  Die  Skizze  „Ständische  Verfassungskärapfe  in  Öster- 
reich vor  dreihundert  Jahren"  von  Karl  Fuchs  in  den  „Historisch-politi- 
schen Blättern",  Bd.  138,  9.  Heft,  schildert  die  Kämpfe  Maximilians  I.  mit 
den  Ständen  feiner  Erblande.  Der  Verfasser  sieht  in  den  Bestrebungen  des 
Kaisers  die  Keime  der  „österreichischen  Staatsidee". 

Zur  Gescliichte  der  Gegenreformation  in  Innerösterreich. 

Im  Anzeiger  der  philosophisch-historischen  Klasse  der  kaiserlichen  Akademie 
der  Wissenschaften  in  Wien  vom  10.  Oktober  1906,  Nr.  XX,  berichtet  das 
korrespondierende  Mitglied  Hofrat  Prof.  Dr.  Joh.  Loser th  über  seine  mit 
Unterstützung  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  unternommene 
Durchforschung  von  Archiven   in  Ungarn   und   Kroatien   behufs   Herausgabe 


240  Zeitschriftenschau. 

des  zweiten  Teiles  der  Akten  und  Korrespondenzen  zur  Geschichte  der  Gegen- 
reformation in  InnerÖsterreich  unter  Ferdinand  II.  und  macht  auf  einige  im 
ungarischen  Nationalmuseum  befindliche,  für  die  steirische  Verwaltungsgeschichte 
außerordentlich  wichtige  Handschriften  besonders  aufmerksam. 

Indigenat  und  Inkolat.  in  ungemein  fesselnder  Darstellung  be- 
handelte Holrat  Dr.  A.  v.  Luschin-Ebengreut  im  österreichischen  Staats- 
wörterbuch, II.  Band,  S,  886 — 897.  den  Begriff  und  das  Wesen  des  Indigenats 
und  des  in  Österreich  meist  als  gleichwertig  behandelten  Inkolats  in  den  alt 
österreichischen  Ländern  von  den  ersten  Anfängen,  in  Steiermark  bereits  seit 
dem  Aussterben  der  Traungauer,  um  nach  eingehender  Würdigung  der  Blüte- 
zeit von  1500  bis  1750  und  des  Verfalles  bis  1848  die  heutige  Bedeutung 
des  Inkolats  darzustellen. 

Böhmisches  aus  steiermflrkischen  Archiven.  Von  Professor 

Dr.  J.  Loser th.  In  dem  Sammelbande,  den  der  Verein  für  Geschichte  der 
Deutschen  in  Böhmen  dem  VI.  deutschen  Archivtage  und  der  Hauptversamm- 
lung des  Gesamtvereines  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  im 
September  dieses  Jahres  widmete,  findet  sich  neben  anderen  interessanten  Auf- 
sätzen auch  ein  wertvoller  Beitrag  zur  Geschichte  Böhmens  aus  den  Archiven 
unserer  grünen  Mark  von  Seite  unseres  bewährten  Forschers  auf  dem  Ge- 
biete des  Protestantismus.  Besonders  enge  wurden  die  Beziehungen  zwischen 
Steiermark  und  Böhmen,  als  die  steirische  Linie  des  Hauses  Habsburg  nait 
Ferdinand  II.  die  böhmische  Krone  erlangte  und  der  große  deutsche  Krieg 
mit  dem  böhmischen  Aufstande  seinen  Anfang  nahm,  dessen  Stürme  auch  das 
steirische  Land  zu  erschüttern  drohten.  In  diese  Tage  des  30jährigen  Krieges 
versetzen  uns  einige  Briefe  und  Akten,  die  teils  aus  dem  steiermärkischen 
Landesarchive,  teils  aus  dem  Grazer  Statthaltereiarchive  stammen  oder  end- 
lich dem  Archive  der  gräflichen  Familie  Stubenberg  entnommen  sind. 

Steiermärlcische  Geschichtschreibung  von  1850  bis  in  die 

Gegenwart  Von  Franz  II  wo  f.  (Deutsche  Geschichtsblätter,  VIII.  Band. 
1.  Heft,  S.  1 — 19.)  Als  Schluß  der  in  den  von  Dr  Armin  Tille  heraus- 
gegebenen deutschen  Geschichtsblättern  erschienenen  Artikelreihe,  difc  sich  mit 
der  steiermärkischen  Geschichtschreibung  beschäftigt  und  wovon  bis  jetzt  er- 
schienen sind :  Steiermärkische  Geschichtschreibung  im  Mittelalter,  IV.  Band, 
S.  89—101  ;  Steiermärkische  Geschichtschreibung  vom  XVI — XVIII.  Jahr- 
hundert, IV.  Band,  S.  288 — 298,  und  Steiermärkische  Geschichtschreibung 
von  1811 — 1850,  V.  Band,  S.  202— 213,  hat  Ilwof  im  vorliegenden  Auf- 
satze diesen  Stoff  für  das  letzte  halbe  Jahrhundert  sehr  übersichtlich  zusam- 
mengestellt und  in  äußerst  dankenswerter  Weise  möglichst  erschöpfend  be- 
handelt. 

Historisch-geographische  Probleme.  Auf  dem  neunten  deut- 
schen Historikertag  in  Stuttgart  hielt  Oswald  Redlich  einen  Vortrag  unter 
obigem  Titel,  der  mit  einzelnen  Änderungen  und  Zusätzen  im  vierten  Hefte 
des  XXVII.  Bandes  der  Mitteilungen  des  Instituts  für  österr.  Geschichtsfor- 
schung (und  auch  als  Sonderabdruck  den  Teilnehmern  am  VI.  deutschen  Ar- 
chivtage in  "Wien  gewidmet)  erschien.  Wenn  jemand  über  historisch-geogra- 
phische Probleme  das  Wort  ergreifen  kann,  so  ist  es  sicherlich  Oswald  Red- 
lich, der  d  rch  seine  intensive  Beschäftigung  mit  dem  historischen  Atlas 
der  österreichischen  Alpenländer  außer  E.  Richter  das  Wesen  und  die  Auf- 
gaben der  historischen  Geographie,  die  Verknüpfung  der  Wissensgebiete  von 
Geschichte  und  Geographie  am  meisten  erfaßte.  Die  historische  Geographie 
soll  nicht  bei  der  historischen  Topographie  stehen  bleiben,  „Viel  zu  sehr  noch 
begnügen  wir  uns  mit  der  althergebrachten  Meinung,  daß  die  Feststellung  der 
Lage  und  Namen  aller  Orte,  Flüsse,  Berge,  Grenzen  u.  s.  w.  die  ganze  histo- 


Zeitschrift  enschau.  241 

rische  Geographie  ausmache."  Unendlichen  QuellenstolV,  aus  dem  die  histori- 
sche Landschafts-  und  Länderkunde  zu  schöpfen  hat,  bieten  die  historischen 
Quellen,  so  z.  B.  „ftir  die  Geschichte  des  Waldes,  die  menschliche  Besiedlung 
lind  alle  die  Veränderungen,  die  der  Mensch  durch  seine  Kultur  am  Kleide 
der  Natur  hervorbrachte,  und  umgekehrt  für  den  Einfluß,  welchen  der  Boden, 
die  Gewässer  und  die  gesamten  physisch-geographischen  Verhältnisse  auf  die 
Betätigung  des  Menschen  geübt  haben.**  Aus  den  historischen  Quellen  soll 
eine  allgemeine  und  kritische  Sammlung  der  Nachrichten 
über  Elementarereignisse  und  physisch-geograpilische  Ver- 
hältnisse derVergangenheit  angelegt  werden,  die  nur  territorial  und 
nach  und  nach  verwirklicht  werden  kann. 

Beiträge  zur  neueren  Geschichte  Österreichs*  Die  „Gesell- 
schaft für  neuere  Geschichte  Österreichs**  widmete  den  Teilnehmern  an  der 
Hauptversammlung  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  in  Wien 
im  September  d.  J.  eine  Festgäbe  unter  obigem  Titel.  Dieselbe  enthält  fol- 
tjende  Aufsätze:  ^Ein  unbekannter  Brief  Hartmuths  von  Cronberg  an  den 
Statthalter  Erzherzog  Ferdinand."  Von  Georg  Loesche.  —  „Ein  handels- 
politisches Projekt  Ferdinands  I.  aus  dem  Jahre  1527."  Von  Wilh.  Bauer. 
—  „Die  Frage  der  Anerkennung  Heinrichs  IV.  durch  Rudolf  IL**  Von  Hans 
Schütter.  —  «»Das  russisch -österreichische  Heiratsprojekt  vom  Ausgange 
des  XVI.  Jahrhunderts.**  Von  Hans  Übersberger.  —  „Erzbischof  Markus 
Sittich  beim  Ausbruche  des  30jährigen  Krieges."  Dazu  einige  Aktenstücke. 
Mitgeteilt  durch  Josef  Lampe  1.  —  „Eine  Hymne  an  Wallenstein."  Mit- 
geteilt von  Hermann  Ha  11  wich*  —  „Briefe  aus  dem  Lager  vor  Ofen  1684.** 
Mitgeteilt  von  Eleonore  Gräfin  von  Lamberg.  —  ,)Das  Achtedikt  gegen 
Räk/)czy  und  Bercs^nyi  1709.**  Mitgeteilt  von  Oskar  Freih.  von  Mitis.  — * 
..Gentzens  Übertritt  von  Berlin  nach  Wien.**  Briefe  an  den  Grafen  Philipp 
Stadion.  Mitgeteilt  von  August  Fournier.  —  „Das  kaiserliche  Handbillett 
aus  Wolkersdorf  (29.  Mai  1809)  für  Tirol  **  Von  losef  Hirn.  —  „Zur  An- 
lage einer  Autographen.sammlung  für  die  Wiener  Hofbibliothek  1829 — 1832. 
Ein  Beitrag  zur  österreichischen  Archivgcschichte.  Von  M.  Mayr.  —  „Fürst 
Kaunitz  über  die  Bedeutung  von  Staatsarchiven.**  Mitgeteilt  von  Gustav 
Winter. 

Studien   zum    älteren   österreichischen    Uricundenwesen. 

Von  0.skar  Freiherm  von  Mitis.  Der  Verein  für  Landeskunde  von  Nieder- 
r>sterreich  vsridmete  diese,  das  Babenberger  Urkundenbuch  würdig  einleitende 
Abhandlung,  die  das  erste  Heft  einer  fortlaufenden  Serie  darstellt  und  die  in 
Archiv.skreisen  und  in  jenen  der  geschichtlichen  Hilfswissenschaften  vollste 
imd  berechtigte  Anerkennung  finden  wird,  den  Teilnehmern  an  der  heurigen 
Hauptversammlung.  —  Außerdem  widmete  derselbe  Verein  auch  eine  Sonder- 
ausgabe des  „Monatsblattes**,  V.  Jahrg.,  1906,  Nr.  7 — 9,  mit  Aufsätzen  von 
Josef  La  m  p  e  1 :  „Antonio  Calvi**,  Oswald  Red  lieh:  „Principe.s  in  com- 
pendio*,  Anton  Mayer:  „Zur  niederösterreichisch  -  ständischen  Verfassungs- 
imd  Verwaltungsfrage  in  den  Jahren  1848  —  1861**,  Karl  Giannoni:  „Der 
historische  Atlas  der  6sterr  Alpenländer  und  die  Landeskunde**. 

Verzeichnis  des  Kuefsteinschen  Famiiienarchives  in  Greil- 

lenstein  aus  dem  Jahre  1615.  Herausgegeben  von  Kari  Graf  Kuef- 
stein.  Als  Manuskript  gedruckt.  Gewidmet  den  Teilnehmern  am  sechsten 
deutschen  Archivstage  in  Wien.  Nicht  immer  vvmrden  und  werden  auch  heute 
noch  in  adeligen  Häusern  die  Familienarchive,  oft  die  einzigen  Quellen  für 
die  Geschichte  des  eigenen  Hauses,  des  Schutzes  fQr  wert  erachtet.  Eine 
rühmliche  Ausnahme  macht  die  gräfliche  Familie  Kuefstein,  die  bereits  zu 
Beginn  des  XVII.  Jahrhunderts  ihr  Archiv  gut  in  Ordnung  hielt   und  inven- 


242  Zeitschriftenschau. 

tarisierte,  ein  seltenes,  so  frühes  Beispiel  der  Katalogisierung  eines  Privat- 
archives.  Graf  Karl  ist  der  würdige  Nachfolger  des  edlen  Freiherm  Hans 
Georg  111.,  dessen  wohlstudierte  Söhne  Jakob,  Ludwig,  Lorenz  und  Wilhelm 
das  Archivsinventar  von  1615  selbst  anfertigten,  da  er  nun  dieses  der  Mit- 
welt überlieferte,  als  Zeugnis  edlen  Familiensinnes  und  Wertschätzung  der 
alten  Familiendokumente. 

Aus  der  protestantischen  Zeit  von  Leoben.  Von  Hofrat  Pro- 
fessor Dr.  J.  Loser th.  So  betitelt  sich  ein  gehaltvoller  Aufsatz  in  dem 
Jahrbuche  de^  Gesellschaft  für  die  Geschichte  des  Protestantismus  in  Öster- 
reich, XXVII.  Jahrg.,  S.  79 — lio,  den  der  Verfasser  als  Vortrag  am  3.  De- 
zember 1905  in  Leoben,  gestützt  auf  ein  reiches  Quellenmaterial,  hielt  und 
der  in  dieser  Vorlage  etwas  erweitert  wurde. 

Erneuerte  und  erweiterte  Weisungen  gegen  die  oberstei- 
rischen  Protestanten  aus  dem  Jahre  1764.  Am  selben  Orte,  s.  111, 
findet  sich  obiges,  von  Karl  Reißenberger  mitgeteiltes  kaiserliche  Patent 
vom    3.  Oktober  1764  aus  dem  Grazer   Statthaltereiarchive. 

Ein  Verzeichnis  der  durch  den  zehnten  Pfennig  in  Unter- 
krain  eingegangenen  Strafgelder  in  den  Jahren  161^1618  ver- 
öffentlicht Dr.  Fr.  Ahn  in  demselben  Jahrbuche  S.  115—122. 

Steirische  Transmigranten  in  Siebenbflrgen.  im  Korrespon- 
denzblatt des  Vereines  für  siebenbürgische  Landeskunde,  XXIX.  Jahrg.,  Nr.  10 
und  11  (auch  S.-A.),  bringt  Karl  Reißenberger  einen  äußerst  gehalt- 
vollen und  lesenswerten  Aufsatz  über  dieses  Thema.  Am  2.  August  1752 
fanden  von  Pürgg  aus  die  ersten  Transmigrationen  statt,  denen  aus  dem 
Ennstale  noch  weitere  bis  1772  folgten.  Dem  Aufsatze,  wozu  zum  größten 
Teile  das  Materiale  aus  dem  Grazer  Statthaltereiarchive  verarbeitet  wurde, 
sind  interessante  Transmigrantenverzeichnisse  angeschlossen. 

Kaiser  Josef  11.  als  VolllSWirt.  Regierungsrat  Dr  Franz  Ilwof 
erfreute  am  16.  November  eine  zahlreiche  Zuhörerschaft  im  Vortragssaale 
der  Landesbibliothek  durch  einen  Vortrag  über  obiges  Thema.  Die  Aufgabe, 
welche  sich  der  Gelehrte  gestellt  hatte,  bestand  darin,  die  B^eutung  des 
großen  Kaisers  als  Volkswirt  einer  eingehenden  Betrachtung  zu  unterziehen. 
Dieselbe  gestaltete  sich  zu  einer  äußerst  interessanten  Studie,  die  uns  das 
Wirken  des  großen  Habsburgers  lebendig  vor  Augen  führte.  Der  Vortragende 
erörterte  zunächst  die  Grundlagen  der  Josefinischen  Wirtschaftspoltik,  besprach 
dann  eingehend  die  Maßnahmen,  welche  der  Kaiser  zur  Hebung  der  Land- 
wirtschaft, jenes  wichtigsten  Zweiges  der  Volkswirtschaft  getroffen,  erinnerte 
dabei  an  die  Aufhebung  der  Leibeigenschaft  in  den  Sudeten ländern  etc.,  an 
die  Schaffung  der  Krei^ämter,  an  die  Ausarbeitung  des  neuen  Katasters  und 
an  all  das,  was  Josef  II.  während  der  kurzen  Zeit  seiner  Regierung  für  die 
Landwirtschaft  geleistet  und  angestrebt  und  das  erst  durch  das  Jahr  1848 
seine  volle  Verwirklichung  gefunden  hat.  Nicht  minder  eingehend  besprach 
Ilwof  das  segensreiche  Wirken  des  großen  Kaisers  in  allen  anderen  Zweigen 
der  Volkswirtschaft,  so  seine  gesunden  Maßnahmen  zur  Hebung  des  Hand- 
werkes, des  Handels,  der  Industrie,  sowie  seine  zollpolitischen  Verordnungen 
und  Erlässe.  Der  Aufsatz  erscheint  demnächst  in  den  „Preußischen  Jahr- 
büchern" in  Druck, 

Die  Auflösung  des  deutschen  Reiches  behandelt  Otto  Franz 

Gensich en  als  eine  Säkularerinnerung  in  einem  lesenswerten  Aufsatze  der 
„Grazer  Tagespost"  vom  5.  August  1906,  Nr.  213.  Dasselbe  Thema  behan- 
delt unter  dem  Titel  „Das  Ende  des  heiligen  römischen  Reiches 
deutscher  Nation"  Dr.  Emil  Turau  im  „Grazer  Tagblatt"  vom  5.August 
1906,  Nr.  213. 


Zeitschriftenschau.  24S 

Stammbuchblfltter  aus  dem  Jahre  1848.  Aus  dieser  Zeit  des 

echtesten  deutschen  Idealismus  veröirentlicht  unser  bewährter  heimischer 
Historiker  Dr.  Franz  Ilwof  in  der  „Grazer  Tapespost"  vom  24.  August 
1906  eine  Anzahl  im  Besitze  des  Herrn  Friedr.  Formacher  v.  Lilienberg  in 
t).-Landsberg  befindlicher  Stammbuchblätter,  welche  der  Abgeordnete  der 
Grazer  Studenten,  stud.  med.  Wolf,  auf  dÄn  Studentenparlamente  zu  Eisenacb 
in  den  ersten  Tagen  des  Oktober  1 848  sammelte.  Die  sechzehn  Namen  sind : 
M.  Bardeleben,  J,  Joel,  Isidor  Jordan,  Fr.  Martin,  Val.  May,  G.  Meßmer,  E.  L. 
Molke,  Ig.  Neudorfer,  Fr.  Oberth,  E.  Peters,  W.  Piper,  Jos.  Preißler.  Fr.  Re- 
chenberg, Gg.  A.  Schmitt,  A,  Wagner,  Karl  Schurz. 

Kaiserreise  vor  50  Jahren.  Volksschullehrer  i.  R.  Thomas  Chri- 
stian Arbeiter  hat  zum  19.  November  seine  der  Festausgabe  der  „Ulustr. 
österreichischen  Alpen zeitung"  im  August  d.  J.  gewidmete  Veröffentlichung  r 
„Zur  50jahreserinnerung  an  die  Reise  Ihrer  Majestäten  Kaiser  Franz  Josef  I. 
und  Kaiserin  Elisabeth  von  Österreich  durch  Kärnten  und  Steiermark,  vom 
2.  bis  4.  September  1856",  in  mehrfach  erweiterter  Fassung  als  besondere 
Broschüre  im  Verlage  der  „Styria"  in  Graz  erscheinen  lassen. 

Franz  Graf  von  Meran.  In  der  „Allgemeinen  deutschen  Biogra- 
phie", herausgegeben  von  der  historischen  Kommission  der  kön.  bayrischen- 
Akademie  der  Wissenschaften  (Leipzig,  Duncker  &  Humblot)  ist  kürzlich  ein 
interessanter  Aufsatz  über  Graf  Franz  von  Meran,  den  Sohn  des  Erzherzogs 
Johann,  von  Dr.  Franz  Ilwof,  erschienen.  Derselbe  ist  bekanntlich  auch 
Verfasser  der  im  Gedenkbuche  des  Historischen  Vereines  für  Steiermark  (Mit- 
teil., Bd.  39)   erschienenen  Mitteilungen    über  den  Grafen   Franz  von  Meran. 

Die  pragmatische  Sanktion,  über  diesen  Gegenstand  veröffent- 
licht ein  ungenannter  Verfasser  (vermutlich  Gustav  Turba)  im  34.  Bande- 
(1906)  der  „österr.- Ungar.  Revue",  Heft  1  ff.,  eine  Darstellung  auf  Grund 
archivalischer  Forschungen  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Länder  der 
Stephanskrone,  die  manch  „Neues  zur  Entstehung  und  Interpretation  1703^ 
bis  1744**  ans  Licht  bringt. 

Ein  Rückblick  auf  1866.  Die  Nummern  159— 162  (12.— 15.  Juni 
d.  J.)  des  „Grazer  Tagblatt'*  bringen  anläßlich  des  Dienstjubiläums  des 
Generalstabschefs  FZM.  Freiherrn  v.  Beck  eine  Reihe  von  Aufsätzen,  die  sich 
mit  den  noch  \\renig  aufgeklärten  Vorgängen  im  Hauptquartier  der  Nordarmee 
unmittelbar  vor  und  nach  der  Katastrophe  von  Königgrätz  sowie  mit  der  Sen- 
dung beschäftigen,  die  der  damalige  Oberstleutnant  v.  Beck  als  Vertrauens- 
mann des  Kaisers  in  Königgrätz  und  Olmütz  zu  erfüllen  hatte.  Ebenso  finden 
sich  in  der  „Neue  freie  Presse"  vom  24.  Juni  1906  Erinnerungen  an  l866- 
in  Italien  vom  FZM.  Zeno  Grafen  von  Welsershaimb. 

Aus  dem  Tagebuche  des  Freiherrn  von  Poche  (1862—1864), 

des  gewesenen  Statthalters  von  Mähren,  macht  Ferdinand  Menöik  in  der 
„österr.  Rundschau",  Band  VII.  Heft  86  ff.,  Mitteilungen,  die  in  bezug  auf 
die  innerpolitischen  Vorgänge  unter  der  Ära  Schmerling  von  Interesse  sind. 

Biographisches  Jahrbuch  und  deutscher  Nekrolog,  heraus- 
gegeben von  Anton  Bettelheim.  Der  IX.  Band  (1906)  dieses  Jahrbuches 
enthält  die  Totenliste  vom  l.  Jänner  bis  31.  Dezember  1904  aber  auch- 
Nachträge  zu  den  Jahren  1903  und  1902.  Wir  finden  darin  eine  umfang- 
reiche Würdigung  Th.  Mommsens  aus  der  Feder  L.  M.  H  a  r  t  m  a  n  n  s,  sowie 
eine  eingehende  Biographie  Rudolf  v.  Delbrücks  von  K.  Helfferich.  Dem 
Staatsmanne  und  steirischen  Volkswirte  Adalbert  Grafen  v.  Kottulinsky  wid- 
met Prof.  v.  Zwiedineck  einen  warmen  Nachruf,  während  Prof.  U h  1  i r z- 
über   Paul   Scheffer -Boichorst  berichtet.    Femer  enthält  das  Jahrbuch   unter 


244  Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen. 

anderem  Lebensbeschreibungen  von  Moritz  v.  Angel!  (H.  Friedjung),  Ottokar 
Lorenz  (A.  Fournier),  Friedrich  Ratzel  (v.  Hantzsch),  Friedrich  W.  Schierm- 
macher  (A.  Vorberg),  Karl  Anton  Freih.  v.  Stremayr  (K.  Freih.  v.  Lemayer) 
und  Alfons  Stübel  (v.  Hantzsch).  Eine  fein  ausgeführte  Heliogravere  Fried- 
rich Ratzeis  schmückt  das  Buch. 

Die  Kaisergruft  im  Dome  zu  Speyer»  ihre  Geschichte  und 

ihre  Erneuerung  in  den  Jahren  IQCK)  bis  1905  bespricht  H.  Grauert  in 
einem  längeren  Aufsatze  in  der  „Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung"  (München), 
Jahrgang  1906,  Nummer  246 — 249. 

Über  „Die  Schlachten  bei  Custozza  vor  58  und  vor  40  Jahren** 

bringt  die  „Österr.-ungar.  Revue**,  Band  XXXIV,  Heft  5  u.  6,  eine  Abhand- 
lung vom  Generalkonsul  E.  Nowak  in  Wien. 

Über  „Das  historische  Interesse  der  modernen  Gesellschaft" 

stellt  Dr.  Alfons  Dopsch  in  der  „Österr.  Rundschau",  Band  IX,  Heft  2, 
vom  15.  November  1906,  interessante  Betrachtungen  an. 

Theodor  Ritter  V.  Sickel,  der  am  18.  Dezember  1906  seinen 
80.  Geburstag  feierte,  widmet  der  mährische  Landesarchivar  Dr.  B.  B ret- 
holz ein  Gedenkblatt  in  der  „Österr.  Rundschau",  Band  IX,  Heft  4,  vom 
15.  Dezember  1906. 


Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven, 
Museen. 

Hauptversammlung  des  Gesamtvereines  der  deutschen 
Oeschichts-  und  Altertumsvereine  und  der  VI.  deutsche  Archiv- 
tag in  Wien,  24.  bis  28.  September  1906. 

Zum  erstenmale  hatten  die  österreichischen  Fachgenossen  die  Freude, 
die  lieben  Kollegen  aus  dem  Reiche  auf  österreichischem  Boden  begrüßen  zu 
können.  Wohl  kaum  eine  andere  Stadt  wie  Wien  war  dazu  geeignet,  die 
Hauptversammlung  des  Gesamtvereines  und  den  VL  deutschen  Archivtag  in 
ihren  Mauern  zu  beherbergen.  Die  herrliche  Kaiserstadt  an  der  Donau  verlieh 
der  imposanten  Versammlung  so  recht  den  würdigen  Rahmen  und  manch 
lieber  Genosse  aus  dem  Reiche  ging  heim  voll  Bewunderung  für  die  schöne 
Stadt  und  deren  gastfreundliche  Bewohner  wie  nicht  minder  voll  Hochachtung 
vor  dem,  was  hier  deutsche  Geistesarbeit  Großes  und  Herrliches  geschaffen. 
Bei  der  reichen  Geistesarbeit  sowohl  wie  beim  frohen  Genüsse  kam  immer 
wieder  das  Gefahl  der  politischen  und  wirtschaftlichen  Gemeinsamkeit  zum 
Ausdrucke  und  die  Überzeugung,  daß  die  deutsche  Wissenschaft  durch  keine 
Grenzpfahle  eingeengt  ist. 

Den  VL  deutschen  Archivtag  leitete  ein  gemütlich  verlaufener 
Begrüßungsabend  am  23.  September  im  „Riedhof"  ein.  Um  9  Uhr  des  nächsten 
Tages  begann  im  kleinen  Festsaale  der  Universität  die  Tagung. 
Geheimer  Archivrat  Dr.  Grotefend  (Schwerin)  eröffnete  als  ältestes 
Mitglied  des  geschäftsführenden  Ausschusses  die  Versammlung  und  schlug 
den  Direktor  des  k.  u.  k.  Kriegsarchives  Exz.  F.-M.-L.  E.  Woinovich  v. 
Belobreska  zum  Vorsitzenden,  Hofrat  Dr.  G.  .Winter,  Direktor  des 
k.  u.  k,  Haus-,   Hof-   und   Staatsarchives   zum  Stellvertreter  und  den  Haus-, 


Ans  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen.  245 

Hof-  und  Staatsarchivar  Dr.  Schütter  zum  Schriftführer  vor.  Der  Vor- 
sitzende wies  in  einer  kurzen  Begrüßungsansprache  auf  die  Bedeutung  des 
Archivtages  hin,  wodurch  auch  die  Besitzer  von  Privatarchiven  angeregt 
werden,  ihre  Archive  nach  modernen  Grundsätzen  zu  ordnen  und  zu  er- 
schließen. Darnach  sprach  Archivdirektor  Dr.  Schneider  (Stuttgart)  über 
„Archivaliens chutz  in  Württemberg*',  wodurch  die  Zuhörer  Einblick 
gewannen  in  eine  mustergültige  Archivsorganisation  eines  ganzen  Landes.  Einen 
Oegensatz  zu  der  straffen  Organisation  in  Württemberg  bildet  das  österreichische 
Archiv wesen,  was  wir  aus  dem  nächsten  Vortrage  des  Archivdirektors  Prof. 
D  r.  A.  Meli  aus  Graz  über  „Archive  und  Archivwesen  einer  öster- 
reichischen Landschaft"  ersehen.  (Der  Vortrag  erschien  in  Druck  im 
„Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereines"'  Nr.  11  u.  12,  S.  507 — 5 15,  und 
-wird  demnächst  in  erweiteter  Form  in  den  „Veröffentlichungen  der  Hist. 
T^andes-Kom.  f.  Steiermark"  erscheinen).  In  Österreich  entwickelte  sich  das 
Archiv  wesen  territorial  und  getragen  von  einzelnen  Persönlichkeiten,  die  dem 
betreffenden  Archive  ihr  eigentümliches  Gepräge  verliehen.  In  Steiermark  war 
es  Erzherzog  Johann,  der  spätere  Reichsverweser  des  Jahre^  1848,  der  181 1 
das  Joanneumsarchiv  in  Graz  als  Zentralstelle  der  im  Lande  verstreuten 
Archivalien  ins  Leben  rief  und  auch  hier  bahnbrechend  wirkte.  Damit  wurde 
1868  das  Archiv  der  steirischen  Stände  vereinigt  und  so  das  jetzige  Landes- 
archiv geschaffen.  Das  1906  dem  Namen  nach  errichtete  Statthaltereiarchiv 
wäre  am  zweckmäßigsten  mit  dem  Landesarchive  zu  vereinigen.  Meli  fordert 
die  Anlage  von  Archivkatastern  und  Inventaren,  die  Abfassung  von  Archiv- 
geschichten und  Ausgabe  jährlicher  Rechenschaftsberichte.  Auch  der  Zu- 
sammenschluß aller  österreichischen  Archivare  zu  gemeinsamer  Aussprache  wäre 
wünschenswert 

Damach  sprachen  noch  Archivdirektor  Dr.  V.  A.  Secher  (Kopen- 
hagen) über  „Ordnungsprinzipien  im  dänischen  Archivwesen"', 
Archivrat  Prof.  Dr.  Warschauer  (Posen)  über  „DiePhotographieim 
Dienste  der  archivalischen  Praxis",  und  zum  Schlüsse  Hofrat  Dr. 
Winter  zur  „Einführung  in  das  neue  Gebäude  des  k.  u.  k. 
Haus-,  Hof-  und  Staatsarchi ves",  der  als  Vorbereitung  für  die  nach- 
mittags stattfindende  Besichtigung  galt  und  der  durch  seine  klassische  Form- 
vollendung und  Klarheit,  wie  die  von  idealer  Begeisterung  für  seinen  Beruf 
zeugende  Wärme,  mit  der  Hofrat  Dr.  Winter  sein  Thema  behandelte,  allge- 
meine Bewunderung  erregte  und  unauslöschlich  im  Gedächtnisse  der  glück- 
lichen Zuhörer  bleiben  wird. 

Nach  einem  gemeinsamen  Mittagessen  im  „Riedhof",  das  I40  Teil- 
nehmer, viele  mit  ihren  Damen,  und  Wiener  Gäste  vereinigte,  fand  um  3  Uhr 
nachmittag  die  Besichtung  des  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchives  statt 
partienweise  unter  Führung  des  Direktors  und  der  Beamten,  wobei  wir  eine 
mustergültige  moderne  Archivanlage  kennen  lernten.  Wer  sich  darüber  noch 
genauer  unterrichten  will,  dem  empfehlen  wir  Dr.  Winters  Werk:  Das  neue 
Gebäude  des  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchives  in  Wien. 

Der  nächste  Archivtag  soll  getrennt  von  der  Hauptversammlung  des 
Gesamtvereines  der  deutschen  Geschieht s-  und  Altertumsvereine  in  Karlsruhe 
abgehalten  werden.  Es  kamen  auch  Frankfurt  und  Mannheim  in  Betracht. 
Die  Entscheidung  wurde  dem  geschäftsführenden  Ausschusse  überlassen. 

Im  Anschlüsse  an  den  Archivtag  fand  die  Hauptversammlung 
des  Gesamtvereines  der  deutschen  Geschieht s-  und  Alter- 
tumsvereine  vom  24.  bis  28.  September  statt.  280  Personen  nahmen 
daran  teil.  Von  den  172  Vereinen  des  Gesamtvereines  waren  51  vertreten. 

Nach  einer  gemütlichen  Vorbegrüßung  Montag  abend  in  Palace-Hotel 
eröffnete  um  9  Uhr  des  nächsten  Tages  der  Vorsitzende  Geheimer  Archiv- 

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246  Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen. 

rat  Dr.  P.  Bailleu  (Berlin)  die  Versammlung  durch  Begrüßung  der  Er- 
schienenen und  erstattete  den  Geschäftsbericht  über  das  Vorjahr.  Damach 
sprach  Prof.  Dr.  Fournier  (Wien)  Über:  Österreich  und  Preußen- 
Deutschland  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  XIX.  Jahrhunderts, 
und  bei  der  allgemeinen  Versammlung  abends  Generalmajor  i.  R.  D  r.  v. 
Pf  ister  (Stuttgart)  über:  Der  Tag  von  Jena,  seine  politischen  und 
militärischen  Voraussetzungen.  Daran  schloß  sich  um  8  Uhr  ein 
gemütlich  verlaufener,  geselliger  Abend  im  Annahofe  mit  musikalisch-dekla- 
matorischen Vorträgen,  wobei  der  Wiener  Volksgesang- Verein  verdienstvoll 
mitwirkte.  Am  Mittwoch  sprachen  um  9  Uhr  Prof.  Dr.  v.  Schröder 
(Wien)  über:  Die  Religion  der  arischen  UrvÖlker,  und  Prof.  Dr. 
Dragendorff  (Frankfurt  a.  M.)  über:  Altertumsforschungen  in 
Nordwestdeutschland  und  führte  treffliche  Skioptikonbilder  vor.  Den 
letzten  öffentlichen  Vortrag  hielt  Hofrat  Dr.  Piper  (München)  über: 
österreichische  Burgen.  Um  8  Uhr  abends  vereinigte  das  Festmahl 
im  Hotel  Savoy  die  Teilnehmer  zu  gemütlicher  Runde. 

Ebenso  mannigfaltig  waren  die  Gegenstände,  die  in  den  einzelnen  Ab- 
teilungssitzungen verhandelt  wurden.  In  der  Abgeordnetensitzung  am  Mittwoch 
wurde  beschlossen,  aus  der  IV.  Abteilung  für  historische  Hilfswissen- 
schaften das  Archivwesen  wegen  der  nun  ständigen  Archivtage 
auszuscheiden ,  und  diese  Abteilung  als  solche  für  Numismatik, 
Heraldik,  Sphragistik  und  Geneologie  zu  schaffen.  Den  Vorsitz 
dieser  übernahm  Dr.  E.  Bahrfeldt  (Berlin).  Archivrat  Dr.  Zimmermann 
(Wolfenbüttel)  erstattete  den  Kassebericht.  Anschließend  beantragte  Ge- 
heimer Archivrat  Dr.  Wolfram  (Metz)  einen  ständigen  Betrag  für 
einen  Berichterstatter  eines  großen  Korrespondenzbureaus  in  das  ständige 
Budget  einzustellen.  Die  satzungsgemäß  ausscheidenden  Ausschußmitglieder 
Geheimer  Archivrat  Dr.  Bailleu,  1.  Vorsitzender  Generalmajor 
Dr.  V.  P  f  i  s  t  e  r ,  II.  Vorsitzender  und  Rechnungsführer  Archivrat 
Dr.  Zimmermann  wurden  wiedergewählt.  Für  die  ausscheidenden  Mitglieder 
Geh.  Archivrat  Dr.  Grotefend  und  Prof.  Dr.  v.  Zwiedineck- 
Südenhorst  wurden  Prof.  Dr.  Redlich  (Wien)  und  Oberregierungsrat 
Dr.  Ermisch  (Dresden)  gewählt.  Außerdem  wurde  beschlossen,  den  Vor- 
stand noch  um  drei  Stellen  zu  vermehren,  und  fiel  die  Wahl  auf  Prof.  Dr. 
A n t h e s  (Darmstadt),  Prof.  Dr.  Brenner  (Würzburg)  und  Prof.  Dr. 
Dragendorff  (Frankfurt  a.  M.).  Die  nächste  Hauptversammlung  soll  in 
Mannheim  stattfinden,  von  welcher  Stadt  Prof.  Walter  eine  Einladung 
überbrachte. 

Die  I.  und  II.  Abteilung  hielt  Dienstag  und  Mittwoch  zwei  Sitzungen 
ab.  In  der  ersten  berichtete  Prof.  Anthes  (Darmstadt):  Über  die 
Organisation  der  römisch-germanischen  Lokal forschung  in 
Westdeutschland,  Prof.  Dr.  Bormann  (Wien)  über :  Die  Arbeiten 
der  österreichischen  Linieskommission.  In  der  zweiten  Museums- 
direktor Dr.  Seger  (Breslau)  über:  Spuren  römischer  Kultur  in 
Schlesien,  Prof.  Dr.  Hoernes  (Wien)  über:  Die  Stufen  und 
Gruppen  des  Gräberfeldes  von  Hallstadt,  und  Prof.  Dr. 
Kubitschek  (Wien)  über:  Wien  in  römischer  Zeit.  Im  Anschluß 
daran  bereitete  Kustos  Dr.  Frankfurter  durch  treffliche  Skioptikon- 
bilder auf  den  Ausflug  nach  Carnuntum  vor. 

Die  V.  volkskundliche  Abteilung  hielt  gleichfalls  ihre  Sitzungen 
am  Dienstag  und  Mittwoch  ab  unter  dem  Vorsitze  Dr.  Brenners.  Auf 
den  schriftlich  eingebrachten  Antrag  des  Oberlehrers  Dr.  Wossidlo  (Waren 
in  Mecklenburg)  erklärte  nach  lebhafter  Wechselrede  die  Versammlung  ein- 
stimmig   die    Errichtung    einer    Zentralstelle    für    volkskund- 


Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen.  247 

liehe  Bibliographie  und  Stoffsammlung  für  dringend  notwendig. 
Der  gleichfalls  schriftlich  eingebrachte  Antrag  Dr.  Lauf  fers  (Frankftirt  a.  M.), 
die  V.Abteilung  in  Zukunft:  Abteilung  für  Volks-  und  Altertums- 
kunde zu  nennen  wurde  einstimmig  abgelehnt.  Einen  höchst  eigenartigen 
Abschluß  erhielt  die  I.  Sitzung  durch  den  Vortrag  von  Prof.  Dr.  Pommer 
(Wien)  über:  Jauchzer  und  Jodler  der  deutsch-Österreichischen 
Alpenländer.  In  der  Sitzung  am  Mittwoch  nachmittag  berichtete  Dr. 
B  r  e  n  n  e  r  über  die  Ergebnisse  der  versendeten  Fragebogen  zur  Bauern- 
hausforschung.  In  Österreich  ist  man  bereits  daran,  einen  Atlas  der 
Bauernhaus  formen  zu  bearbeiten.  Prof.  Dr.  Meringer  (Graz)  sprach 
über  die  Frage:  Woher  stammt  das  oberdeutsche  Haus  und  weiter, 
woher  stammt  die  Stube  und  der  Stubenofen.  Er  beantwortete  sie  dahin: 
Der  Ofen  stammt  daher,  woher  das  Wort  Kachel  komfht,  nämlich  aus  dem 
römischen  Wohnhause. 

Die  III.  und  IV.  Abteilung  hielt  am  Mittwoch  eine  Sitzung  ab,  in  der 
Oberregierungsrat  Dr.  Ermisch  den  Vorsitz  führte.  Privatdozent  Dr.  Wolf 
(Freiburg  i.  B.)  sprach  über  die  Aufgaben  und  Grundsätze  der 
deutschen  Territorialpolitik  in  der  Reformationszeit. 

Die  fünf  vereinigten  Abteilungen  hatten  am  Dienstag  und  Donnerstag 
gemeinsame  Sitzungen.  Dr.  Swarowsky,  Geograph  des  hydrotechnischen 
Zentralbureaus  in  Wien,  berichtete  übereinesystematischeSammlung 
der  historischen  Nachrichten  über  Elementarereignisse  und 
physisch-geographische  Verhältnisse,  wozu  als  Korreferent  auch 
Prof.  Redlich  das  Wort  ergrifl'  und  anknüpfend  an  seinen  Vortrag  auf 
dem  letzten  Historikertage  über  historisch-geographische  Probleme 
die  Wichtigkeit  einer  solchen  Sammlung  betonte.  Redlich  legte  auch  die 
erste  Lieferung  des  historischen  Atlasses  der  österreichischen 
Alpenländer  vor,  wobei  er  der  unvergeßlichen  Verdienste  E.  Richters 
gedachte.  Daran  knüpfte  sich,  eingeleitet  von  Grotefend  in  Anlehnung  an 
ein  eingeschicktes  Referat  v.  Thudichums  über  den  Stand  der  Grund- 
kartenarbeit eine  längere  Wechselrede  über  die  Anwendbarkeit  dieses 
Prinzips  auf  Österreich.  Redlich  erklärte  zum  Schlüsse,  daß  sich  die  Atlas- 
kommission noch  einmal  mit  der  Grundkartenfrage  beschäftigen  werde.  Sodann 
lag  noch  ein  Bericht  A.  Tilles  über  die  Archivsinventarisationen 
vor,  der  vom  Vorsitzenden  kurz  mitgeteilt  wurde,  worauf  Prof.  Wolfram 
über  die  teils  vorhandenen,  teils  im  Entstehen  begriffenen  historisch- 
topographischen Wörterbücher  berichtete.  Zum  Schlüsse  sprach 
noch  Archivrat  D r.  Beschorner  (Dresden)  über  den  Stand  der  Flur- 
namenforschung in  Deutschland.  Er  beantragte  die  Fassung  folgen- 
der Resolution:  Die  vereinigten  fünf  Abteilungen  halten  es  für 
angebracht,  daß  alle  Geschichtsvereine  noch  einmal  auf  die 
Notwendigkeit  desFlurnamens  am  melnshingewiesenwerden. 

Donnerstag  lo  Uhr  fand  die  Schlußsitzung  statt,  in  der  Anthes, 
Er  misch  und  Brenner  über  die  Tätigkeit  der  einzelnen,  Bailleu  über 
die  Sitzungen  der  vereinigten  fünf  Abteilungen  berichteten  und  der  Vorsitzende 
mit  dem  Danke  an  alle  Teilnehmer  für  den  befriedigenden  Verlauf  der  Versamm- 
lung dieselbe  schloß.  Sodann  eilte  alles  zum  festlichen  Empfange  in  das  Rathaus, 
den  die  gastliche  Stadt  und  ihr  Bürgermeister  Dr.  Lueger  den  Teilnehmern 
am  VI.  deutschen  Archivtage  und  an  der  Hauptversammlung  bereitete.  Die 
Festgäste  wurden  durch  die  reichen  Sammlungen  der  Stadt  Wien  geleitet,  im 
Salon  des  Bürgermeisters  mit  einer  Ansprache  empfangen  und  zum  Festbankette 
in  großem  Festsaale  geleitet.  Dabei  wurden  Reden  und  Trinksprüche  gehalten, 
wovon  einer  in  der  Presse  zu  heftigen  Erörterungen  Veranlassung  gab.  Am 
nächsten    Tage    folgten    zahlreiche  Teilnehmer    einer    freundlichen  Einladung 

17* 


248  Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen. 

Sr.  Exz.  des  Herrn  Grafen  Wilczek  zur  Besichtigung  der  in  historisch- 
archäologischer  Treue  wieder  aufgebauten  und  bis  in  die  kleinsten  Einzel- 
heiten stilgerecht  ausgestatteten  Burg  Kreuzen  stein  und  ebenso  einer  des 
Stiftes  Klosterneuburg  zur  Besichtigung  der  Sehenswürdigkeiten  des- 
selben. Am  Samstag  schloß  ein  Ausflug  nach  Carnuntum  die  Haupt- 
versammlung, die  einen  so  ausnehmend  würdigen  Verlauf  genommen  hatte 
und  die  bei  allen  Teilnehmern  einen  dauernden  Eindruck  hinterließ.  Da 
hatten  sich  die  deutschen  Österreicher  von  der  besten  Seite  gezeigt. 

Als  Festgabe  erhielten  die  Teilnehmer  am  Archivtage  und  der  Haupt- 
versammlung eine  Anzahl  Widmungen.  So  von  der  „Gesellschaft  für 
Münz-  und  Medaillenkunde  in  Wien"  eine  schöne  Bronzemedaille, 
die  auf  dem  Avers  die  Gestalt  Mühlbachers,  am  Schreibtische  sitzend,  zeigt, 
wie  er  eine  Kaiseruilcunde  studiert,  und  auf  dem  Revers  die  Universität  Wien, 
sodann  vom  „Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen-*» 
von  der  „Gesellschaft  für  neuere  Geschichte  Österreichs",  vom 
„Altertumsvereine  zu  Wien",  vom  „Verein  für  Landeskunde 
vonNiederösterreic  h",  von  der  „Gesell  schaftfürdie  Geschieh  te 
des  Protestantismus  in  Österreich",  von  der  „Numismatische 
Gesellschaft  in  Wien",  der  k,  k.  heraldischen  Gesellschaft  „Adler*, 
ferner  „Deutsche  Geschichtsblätter",  herausgegeben  von  A.  Tille  und 
der  Stadtvertretung  ein  vornehm  ausgestattetes  Bilder  werk  ,,  W  i  e  n".  Die 
Einzelwidmungen  wurden  bereits  auf  Seite  240 — 242  angefahrt. 

Bericht  der  Kommission  fUr  neuere  Gescliichte  Öster- 
reichs für  das  Jahr  1905/06.  Die  diesjährige  Vollversammlung  der  Kom- 
mission für  neuere  Geschichte  Österreichs  fand  am  31.  Oktober 
1906  im  Institute  für  österreichische  Geschichtsforschung  in  Wien  unter  dem 
Vorsitze  Sr.  Durchlaucht  des  Prinzen  Franz  von  und  zu  Liechtenstein  statt. 

Im  Berichtsjahre  wurde  der  erste  Band  der  österreichisch-englischen 
Staatsverträge,  der  die  Zeit  bis  1748  umfaßt  und  von  A.  F.  Pribram 
bearbeitet  wurde,  ausgegeben.  (Innsbruck,  Wagner,  1907.)  Die  anderen 
Arbeiten  der  Abteilung  Staatsverträge  haben  normalen  Fortgang  genommen  : 
Staatsarchivar  Hans  S  c  h  1  i  1 1  e  r  hat  die  Haupteinleitung  der  Verträge  mit  Frank- 
reich vollendet  und  die  Einleitungen  der  Einzelverträge  bis  zum  westfälischen 
Frieden  gefördert;  ebenso  hat  Dr.  Heinrich  R.  v.  Srbik  die  Haupteinleitung 
der  Österreichisch-niederländischen  Konventionen  beendet  und  die  archivalische 
Arbeit  bis  zum  Jahre  1716  geführt;  die  Bearbeitung  der  Konventionen  mit 
Siebenbürgen  wurde  von  Dr.  Roderich  Gooss  bis  1 645  durchgeführt,  so  daß 
in  Jahresfrist  diese  Gruppe  der  Staatsverträge  fertiggestellt  sein  dürfte.  Des- 
gleichen stellt  Dr.  Ludwig  Bittner  die  Vollendung  des  zweiten  Teiles  des 
„Chronologischen  Verzeichnisses  der  Österreichischen  Staatsverträge**  in  Aus- 
sicht. Für  die  Herausgabe  der  Korrespondenz  Ferdinands  I.  hat  Mitarbeiter 
Dr.  Wilhelm  Bauer  neues  Material  im  Hofkammerarchive  und  in  dem 
Familienarchive  des  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchives  gesammelt;  er  holft,  im 
nächsten  Jahre  einen  großen  Teil  der  Korrespondenz  druckfertig  vorlegen  zu 
können.  Leider  wurde  Dr.  Karl  G  o  1 1 ,  der  ihn  in  der  Arbeit  unterstützte,  durch 
eine  Veränderung  seiner  amtlichen  Stellung  gezwungen,  aus  dem  Unternehmen 
auszuscheiden.  Die  Vorarbeiten  für  die  Ausgabe  der  Korrespondenz 
Maximilians  II.  hat  Dr.  Viktor  Bibl  begonnen  und  zu  diesem  Zwecke 
eine  Studienreise  nach  Mantua  und  Florenz  angetreten. 

Von  Thomas  Fellners  hin  terlassenem  Werke  „Die  österreichische 
Zentralverwaltung,  I.  Abteilung:  Von  Maximilian  I.  bis  zur  Vereinigung 
der  böhmischen  und  österreichischen  Hofkanzlei  (i749).  bearbeitet  und  voll- 
endet von  Heinrich  Kretschmayr",  ist  der  I.Band  der  Akten  beilagen  mit 
den  Dokumenten  von  1491  bis  1681  bereits  im  Diiick  vollendet,  der  2.  Band 


Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen.  249 

befindet  sich  unter  der  Presse,  so  daß  das  Erscheinen  der  ganzen  I.  Abteilung. 
welche  aus  einer  geschichtlichen  Übersicht  (Bd.  l)  und  zwei  Aktenbänden 
(Bd.  2  und  3)  bestehen  wird,  im  Verlage  von  Holzhausen,  Wien,  iro  Laufe  des 
Jahres  1907  mit  voller  Sicherheit  zu  erwarten  ist.  Dem  Buchhandel  wird  das 
Werk  erst  nach  Fertigstellung  sämtlicher  drei  Bände  übergeben  werden.  Die 
Kommission  hat  eine  Fortführung  dieser  für  die  österreichische  Verwaltungs- 
geschichte so  erwünschten  Publikation  bis  zum  Jahre  1846  beschlossen  und 
mit  der  Bearbeitung  Heinrich   Kretschmayr  betraut. 

Die  dritte  Veröffentlichung  in  diesem  Berichtsjahre. ist  das  erste  Heft 
der  „Archivalien  zur  neueren  Geschichte  Österreichs,  verzeichnet 
im  Auftrage  der  Kommission  für  neuere  Geschichte  Österreichs"  (Wien,  Holz- 
hausen, 1907).  Berichte  über  die  ungemein  reichhaltigen  Privajtarchiye  hoch- 
adeliger Häuser  Österreichs  bilden  den  Inhalt  dieser  Hefte,  die  in  zwangloser 
Folge  erscheinen  werden ;  das  eben  ausgegebene  umfaßt  das  Lobkowitz'sche 
Archiv  in  Raudnitz,  die  fürstlich  Schwarzenbergischen  Archive  in  Krumau  und 
Wittingau,  das  gräflich  Buquoysche  in  Gratzen,  das, Archiv  des  Museum^,  des 
Königreiches  Böhmen  und  das  fürstlich  Dietrjchstein'sche  Schloßarchiv  in 
Nikolsburg;  Verfasser  der  Berichte  sind  M.  Dvorak,  A,  Mörath,  J.  Susta, 
L.  Hofmann,  W.  Schulz  und  B.  Bretholz.  Die  territoriale  Gliederung  der 
^ Archivalien "  wird  auch  weiterhin  eingehalten  werden.  Die  Funktionsdaue.r 
der  Kommissionsmitglieder  wurde  vom  k.  k.  Ministerium  f\ir  Kultus  und  Unter- 
richt auf  weitere  fünf  Jahre  (1906 — 1910)  erstreckt;  efnes  der  verdientesten 
Mitglieder,  der  Direktor  des  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchives  Dr.  Gustav 
Winter,  lehnte  leider  aus  Rücksicht  auf  seine  Gesundheit  eine  Wieder- 
ernennung ab. 

Oberösterreichischer  Geschichtsverein,   Unter  diesem  Namen 

wurde  in  Linz  ein  Verein  gegründet,  dessen  Zi^l  die  Volksaufklärung  auf 
geschichtlichem  Gebiete  ist.  Er  will  die  lautere' geschichtliche  Wahrheit  durch 
Vorträge  und  volkstümliche  Schriften  im  Volke  verbreiten.  Wer  da  weiß,  wie 
häufig  man  die  Geschichte  entstellt  und  verdunkelt,  dem  wird  die  Notwendigkeit 
eines  solchen  Vereines  sofort  klar  sein.  Der  Verein  rechnet  darauf,  daß  sich 
auch  die  Frauen  um  dieses  heimatliche  und  im  schönsten  Sinne  des  Wortes 
heimatliche  Unternehmen  warm  annehmen  werden,  denn  dann  ist  ihm  ein 
Erfolg  in  der  Familie,  gesichert.  Eine  eingehende  Darlegung  der  Ziele  und  der 
geplanten  Betätigung  des  Vereines  wird  demnächst  ein  darauf  bezüglicher 
Aufruf  bringen. 

Stelermärkisches  Landesarchiv.  Der  vorliegende  Bericht  über 
das  Jahr  1905  gewährt  einen  vollständigen  Einblick  ip  die  Organisierungs-  und 
Ordnungsarbeiten  dieses  Institutes.  Die  Fortschritte  und  Erfahrungen  auf  dem 
Gebiete  des  Archivwesens  wie  auch  die  gesteigerten  Ansprüche,  die  an  das 
Landesarchiv  gestellt  wurdien,  ließen  eine  weitere  Ausglestaltung  dieses  Institutes 
als  unablässig  erscheinen.  Auch  das  Verhältnis  zum  Kuratorium  des  Landes- 
museums wurde  dahin  geregelt,  daß  der  Landesausschuß  aussprach,  das  Archiv 
unterstehe  in  dienstlicher  Beziehung  ^unmittelbar  dem  steiermärkischen  Landes- 
ausschusse, sei  aber  verpflichtet,  dem  Kuratorium  alljährlich  einen  eingehenden 
Bericht  über  seine  Tätigkeit  vorzulegen,  der  apch  als  Separatabdruck 
ausgegeben  wird.  Namentlich  war  die  aus  dem  Jahre  1866  stammende  „Instruktion 
für  das  historische  Museum  am  landschaftlichen  Joanneütii",  die  auch  für  das 
1869  durch  die  Vereinigung  des  Joanneumsarchive.?  mit  jenem  der  steier- 
märkischen Landschaft  geschaffene  Landesarchiv  galt,  vollstäiidig  veraltet 
und  bedurfte  einer  neuzeitlichen  Auffrischung.  Die  neue  Archivs-Ordnung  wurde 
durch  Beschluß  des  Landesausschusses  vom  13.  Juni  1906,  Z.'  IV,  1 3.977/870, 
genehmigt  und  ist  sowohl  diesem  Berichte  beigedruckt,  als  auch ,  in  den 
Archivsräumen  angeschlagen.  • 


250  Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen. 

An  neueren  Erwerbungen  seien  hier  jene  verzeichnet,  welche  durch 
ihre  Masse  auffallen.  Es  sind  dies  die  Stadtarchive  von  FOrstenfeld  und  Hart- 
berg. In  voller  Würdigung  des  Umstandes,  daß  die  Archive  der  beiden  Städte 
im  Landesarchive  besser  verwahrt  sind,  daß  sie  geordnet  und  der  wissenschaft- 
lichen Forschung  dadurch  zugänglich  gemacht  werden,  beschlossen  die  beiden 
Stadtvertretungen,  ihre  Archive,  und  zwar  Hartberg  bis  zum  Jahre  1853, 
Fürstenfeld  bis  zum  Jahre  1860  dem  Landesarchive  unter  Wahrung  des  Eigen- 
tumsrechtes zur  dauernden  Aufbewahrung  zu  übergeben.  Das  Stadtarchiv  von 
Fürstenfeld  umfaßt  (bis  l853.  der  Rest  muß  erst  eingeholt  werden)  288 
Schuber,  130  Protokolle  und  25  Urkunden,  jenes  von  Hartberg  75  Schuber 
und  59  Protokolle  und  78  Urkunden  von  1310 — XVHI.  Jahrhundert. 

K.  U.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv.  (Katalog  der  Archivalien - 
Ausstellung.)  Neben  anderen  Sehenswürdigkeiten  birgt  dieses  Institut  auch  eine 
permanente  Ausstellung  von  solchen  Archivalien,  die  nicht  bloß  für  die  streng- 
wissenschaftlichen Kreise,  sondern  für  das  geschichtsfreundliche  Publikum 
überhaupt  von  Interesse  sind.  Nun  liegt  noch  ein  ausführlicher  Führer  durch 
diese  Ausstellung,  deren  Anordnung  dem  Staatsarchivar  Alfred  Anthony  R.  v. 
Siegenfeld  zu  danken  ist,  im  Drucke  vor.  Archivdirektor  Hofrat  Dr.  Winter 
und  sein  Stellvertreter  Sektionsrat  Dr.  v.  Karolyi  haben  sich  der  dankens- 
werten Aufgabe  in  ausgezeichneter  Weise  erledigt. 

Römische  Meilensteine  bei  Deutschfeistritz.  Bei  den  großen 
Erdarbeiten,  welche  das  Elektrizitätswerk  Deutschfeistritz — Peggau  auf  dem 
rechten  Murufer  ausführen  läßt,  wurde  unweit  des  „Jungfernsprunges"  im 
September  ein  interessanter  Fund  gemacht.  Es  kamen  nämlich,  tief  in 
Schotter  eingebettet,  zwei  römische  Meilensteine  zutage.  Beide  tragen 
Inschriften,  die  hier  mit  den  nötigen  Ergänzungen  wiedergegeben  werden.  Der 
eine.i  Im[p(erator)  Ca]e[s(ar)  |  M(arcus)  Opelliu]s  Se[veru]sJ  Ma[c]ri[nus  Piu]s 
Feli(x)  I  Aug(ustus)  p(ontifex)  m(aximus)  [trib(unicia)]  p[ot(estate)]  iterum 
p(ater)  p(atriae)  |  co(n)s(ul)  pr[oc]o(n)s(ul)  [et  M(arcus)  Opeljius  Anton[inu]s 
[Diadu]|m[enianus  nobilisjsimus  f  Caes(ar)  princeps  [iuven]tutis  |  providen- 
[tissimi  Au]g(usti)  |  fecerunt  a  S[ol(va)  m(ilia)  p(assuum)  XL]  d.  h.  etwa : 
die  Kaiser  Macrinus,  Oberpontifex,  im  zweiten  Jahre  seiner  tribunizischen 
Gewalt,  Vater  des  Vaterlandes,  Konsul  und  Prokonsul  und  Diadumenianus, 
edelster  Kronprinz,  Führer  der  Jugend,  haben  fürsorglichst  herstellen  lassen 
von  Solva  40  Meilen.  Der  andere:  Imp(erator)  Caes(ar)  Mar(cus)  Aurel(ius) 
Severus  Alexander  |  Pius  Felix  Invictus  Aug(ustus)  |  pont(ifex)  max(imus) 
trib(unicia)  potes(tate)  |  imp(erator)  decimum  co(n)s(ul)  tertium  p(ater) 
p(atriae)  proco(n)s(ul)  |  dominus  in[dul]gentissi[m]us  |  a  Sol(va)  m(ilia) 
p(assuum)  XL,  d.  h.:  der  Kaiser  Severus  Alexander,  Oberpontifex,  Inhaber 
der  tribunizischen  Gewalt,  Imperator  zum  zehnten-,  Konsul  zum  drittenmale, 
Vater  des  Vaterlandes,  Prokonsul,  allergnädigster  Herr,  von  Solva  40  Meilen. 
Macrinus  und  sein  Sohn  wurden  217  nach  der  Ermordung  des  Caracalla 
im  Orient  als  Kaiser  ausgerufen,  unterlagen  jedoch  schon  im  Sommer  des 
folgenden  Jahres  dem  jungen  Elagabalus.  Ihre  Inschrift  gehört  in  das  Früh- 
jahr 218.  In  den  Donauprovinzen  waren  ihre  eifrigsten  Anhänger  Statthalter; 
so  erklärt  es  sich,  daß  wir  gerade  von  dieser  ephemeren  Regierung  von 
norischen  und  pannonischen  Straßen  nicht  wenige  Meilensteine  besitzen.  Die 
Inschrift  des  Severus  Alexander  ist  die  erste  dieses  Kaisers,  die  überhaupt  in 
Noricum  aufgetaucht  ist.  Sie  ist  wahrscheinlich  im  Jahre  231  eingehauen, 
etwa  gleichzeitig  mit  einer  großen  Zahl  anderer  aus  Pannonien,  als  der 
Kaiser,    um  ein  Heer   gegen  das  neuentstandene  Sassanidenreich  zu  sammeln, 

*  Die  eckigen  Klammern  bezeichnen  was  am  Stein  zerstört  ist,  die  runden  die  auf- 
gelösten Abkürzungen.  Die  senkrechten  Striche  bezeichnen  die  Zeilen. 


Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen.  251 

an  die  Donau  kam.  Der  besondere  Wert  der  Inschriften  liegt  darin,  daß  sie 
die  ersten  und  bis  jetzt  einzigen  Zeugnisse  für  das  Vorhanden- 
sein einer  römischen  Staatsstraße  im  unteren  Murtale,  von 
Judenburg  stromab,  sind.  Sie  beweisen  zunächst,  daß  die  Fundstelle  bei 
Feistritz  mit  Flavia  Solva,  der  römischep  Stadt  bei  Leibnitz,  durch  eine 
40  Meilen  (59  Kilometer)  lange,  vom  Staat  erhaltene  Kunststraße  verbunden 
war,  die  über  die  Orte  Klein-Stübing,  Gratwein,  Judendorf,  Gösting,  dann 
vermutlich  über  Straßgang  nach  Wildon  und  über  Grottenhof  nach  Leibnitz 
führte.  Da  diese  Strecke  aber  nicht  isoliert  gewesen  sein  kann,  muß  sie  erstens 
nach  Süden  hin  mit  Poetovio  (Pettau)  verbunden  gewesen  sein,  vielleicht 
über  Marburg;  zweitens  nach  Norden  hin  über  Brück  und  Judenburg  mit  der 
Staatsstraße,  die  von  Virunum  (nördlich  von  Klagenfurt)  über  den  Rotten- 
manner  Tauern  und  den  Pyhrn  Ovilava  (Wels)  erreichte.  Wenige  hundert 
Meter  nördlich  von  der  Fundstelle  berührte  die  Straße  die  römische  Ansied- 
lung  auf  dem  Kugelstein,  die  1885/86  von  Moritz  Heider  teilweise  aus- 
gegraben wurde  und  ein  Heiligtum  des  Herkules  und  der  Viktoria  Augusta 
besaß.  Ein  großes  Stück  römischer  Hauptverkehrsstraßen  in  Steiermark  ist 
also  durch  den  Fund  bekannt  geworden. 

Um  so  größeren  Dank  werden  alle  für  die  Geschichte  unseres  Landes 
interessierten  Kreise  der  Gesellschaft  „Elektrizitätswerk  Deutsch- 
feistritz— Peggau",  vertreten  durch  Herrn  Wagersohn,  wissen,  welche 
in  liberalster  Weise  die  Steine  dem  Landesmuseum  Joanneum  zum  Geschenk 
gemacht  hat.  Der  Herr  Sekretär  des  Kuratoriums,  W.  Geßmann,  hat  die 
Überführung  der  Stücke  in  umsichtiger  Weise  besorgt,  so  daß  sie  wohlbehalten 
im  „Lapidarium'*  des  Museums  angelangt  sind  und  dort  besichtigt  werden 
können.  Die  Bauleitung  des  Elektrizitätswerkes  ist  den  Wünschen  des  Kura- 
toriums des  Museums  auch  dahin  freundlich  entgegengekommen,  daß  sie  ver- 
sprochen hat,  fernere  Funde  ebenfalls  zu  beachten  und  für  ihre  Erhaltung 
Sorge  zu  tragen.  Professor  Dr.  Otto  Cuntz. 

Hintanhaltung  des  Verkaufes  und  der  Ausfuhr  von  Alter- 
tümern. Einen  bemerkenswerten  Erlaß  hat  das  Ministerium  für  Kultus  und 
Unterricht  an  die  Statthai tereien  und  Landesregierungen  gerichtet,  der  sich 
mit  dem  Verkaufe  und  der  Verschleppung  von  Altertümern  befaßt 
und  nun  von  den  politischen  Bezirksbehörden  den  Gemeindevorstehungen  und 
den  Gendarmeriepostenkommanden  zur  Kenntnis  gebracht  wurde. 

„Es  ist  eine  bekannte,  in  der  Öffentlichkeit  oft  beklagte  Tatsache," 
heißt  es  in  dem  erwähnten  Erlasse,  „daß  aus  dem  reichen  Schatze  von  Alter- 
tümern und  in  künstlerischer  oder  kunstgeschichtlicher  Beziehung  wertvollen 
Denkmalen,  die  aus  einer  bedeutungsvollen  Vergangenheit  auf  unsere  Tage 
gekommen  sind,  im  Laufe  der  Zeit  zahlreiche  kostbare  Objekte  durch  Ver- 
kauf an  das  Ausland  unwiederbringlich  verloren  gegangen  sind.  Es  ist  zwar 
mit  dem  Erstarken  historischen  Sinnes  und  des  Verständnisses  für  das  Schaffen 
vergangener  Kunstepochen  eine  Änderung  zum  Besseren  eingetreten,  indem 
zunächst  einzelne  Personen,  dann  Vereine  und  Körperschaften  sich  in  dankens- 
werter Weise  bemühten,  für  die  Erhaltung  der  Kunstschätze  im  Lande  ein- 
zutreten und  solche  Objekte,  deren  Veräußerung  nicht  hintanzuhalten  war, 
für  heimische  Museen  zu  erwerben.  Mancherlei  Vorkommnisse  aus  jüngster 
Zeit  zeigen  aber  leider,  daß  trotz  alledem  die  Fälle  nicht  selten  sind,  in  denen 
es  Händlern  und  Antiquaren  gelingt,  in  den  Besitz  wertvoller  derartiger 
Gegenstände  zu  gelangen  und  sie  außer  Landes  zu  veräußern,  bevor  noch 
die  zur  Wahrung  der  diesbezüglichen  Interessen  berufenen  Organe  von  dem 
Kaufe  selbst  Kenntnis  erlangen."  Die  Gemeinden  und  Gendarmerieposten- 
kommanden sind  nun  aufmerksam  gemacht  worden,  daß  für  die  beabsichtigte 
Ausfuhr  von  Kunstwerken    in    das  Ausland    eine  Anzeigepflicht    besteht  und 


252  Ans  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen. 

sie  wurden  aufgefordert,  in  nachdrücklicher  Weise  dem  Umsichgreifen  der 
Ausfuhr  Entgegenzutreten.  Als  geeignetes  Mittel  wird  die  Belehrung  der  Be- 
völkerung empfohlen.  Diese  sei  bei  jeder  sich  bietenden  Gelegenheit  auf  die 
hohe  ideale  Bedeutung,  die  alten  Einrichtungsgegenstände,  wie:  Schranken, 
Tnihen,  Wandtäfelungen  u.  dgl.  iniiewoh*>t,  sowie  auf  den  bedeutenden  mate- 
riellen Schaden  aufmerksam  tu  machen,  den  die  Verkäufer  selbst  bei  schein- 
bar günstigen  Preisen  durch  die  Veräußerung  solcher  Gegenstände  an  pro- 
fessionelle Altertumshändler  stets  und  unter  allen  Umständen  erleiden.  Schließ- 
lich wird  den  genannten  Behörden  noch  besonders  nahegelegt,  den  reisenden 
Antiquität enhändlem  und  Agenten  die  schärfste  Aufmerksamkeit  zuzuwenden, 
deren  gewerbliche  Legitimation  sorgHlltig  zu  prüfen,  und  namentlich,  wenn 
der  Verdacht  einer  Verschleppung  in  das  Ausland  vorliegt,  die  erworbenen 
Kunstgegenstände  sofort  sicherzustellen,  die  Händler  selbst  aber  wegen  Unter- 
lassung der  vorgeschriebenen  Anzeige  an  die  politische  Behörde  bekanntzu- 
geben. Auch  die  Schulleitungen  sind  von  den  Bezirksschulräten  zwecks 
Belehrung  der  Schulkinder  in  dieser  Sache  aufmerksam  gemacht  worden. 

Wenn  alle  maßgebenden  Faktoren  zusammenhalten,  dürfte  der  Erlaß 
gewiß  gute  Früchte  tragen.  Leider  wird  man  aber  in  manchen  Gegenden 
unserer  Steiermark  überhaupt  nur  mehr  wenig  Altertümer  finden,  da  es  ja 
bereits  kein  Dorf  und  kein  Gehöft  gibt,  wohin  nicht  Händler  kommen,  und  daß 
diese   den  Bewohnern   ihre  Altertümer  abzuschachern  wissen,   ist  ja  bekannt. 

Ein  WappenfälschungSprOzeB.  Der  große  Wappenfälschungs- 
prozeß, der  vor  eiriigen  Monaten  vor  dem  Wiener  Schwurgerichte  zur  Aus- 
tragung 'gelangt  ist,  war  d\t  Veranlassung,  daß  auch  gegen  einen  in  Salzburg 
ansässigen  Dekorations-  und  Wappenmaler  eine  umfangreiche  Untersuchung  ein- 
geleitet worden  ist,  die  schließlich  zu  der  Erhebung  der  Anklage  gegen  den 
Genannten  wegen  Verbrechens  des  Betruges  führte.  Von  den  zahlreichen  Per- 
sonen, denen  derselbe  Wappenbriefe  ausstellte,  haben  sich  nur  zehn  als 
geschädigt  erklärt,  die  auch  zu  der  Verhandlung  als  Zeugen  erschienen  sind. 
Geschädigt  sind,  ."?o  führt  die  Anklage  aus,  nicht  allein  eine  Reihe  von  Privat- 
personen, sondern  auch  der  Staat  in  Ausübung  des  ihm  zustehenden  Wappen- 
regales, weiters  seien  auch  die  rechtmäßig  wappen berechtigten  Personen  in 
ihrem  Recht  auf  Alleingebraüch  ihrer  Wappen  beeinträchtigt.  Die  Anklage- 
behörde erklärt,  daß  der  Wappenmaler  in  seinen  Prospekten  bekanntgegeben 
habe,  er  besitze  die  besten  alten  und  neuen  Wappenbücher,  sowie  Werke 
adeliger  und  bürgerlicher  Geschlechter  und  eine  große  Anzahl  gesammelter 
Familiennotizen.  Außerdem  pflege  er  lebhaften  Verkehr  mit  Archiven,  Biblio- 
theken und  Kirchen  am  tern,  weswegen  er  Interessenten  authentische  und  mög- 
lichst genaue  Auskunft  erteilen  könne.  Der  Beschuldigte  soll  sich  dadurch  des 
Verbrechens  des  Betruges  schuldig  gemacht  haben,  daß  die  Wappen  Kopien,  jedoch 
keine  Familien- oder  Startimeswappen  jener  Personen  sind,  für  die  der  Beschuldigte 
sie  gemalt  hat.  Es  fehle  ihnen  weiter  die  Echtheit  und  Richtigkeit  mit  dem  in 
den  Chroniken  behaupteten  Familienzusammenhange.  Besonders  schwer  wird 
es  ihm  angerechnet,  daß  er  den  von  einem  Wiener  Wappenmaler  verfertigten 
Wappen  eine  Stampiglie  mit  der  Inschrift  „Heraldisch-genealogisches  Archiv 
Salzburg"  aufgedrückt,  wodurch  der  Anschein  der  größeren  Glaubwürdigkeit 
erzielt  werden  sollte.  Vom  Notar  ließ  er  nur  die  Richtigkeit  der  auf  einem 
separaten  Bogen  gemachten  Abschrift  aus  dem  Siebmacherschen  Wappenbuche 
bestätigen.  Die  freie  Annahme  von  Wappen  ist  verboten,  und 
zwar  mit  Hofkati zleiverordnung  vom  19.  Jänner  1765  und  dem 
Hofkanzleidekret  vom  26.  Juli  l833. 


In   Kommission  der  Verlagsbuchhandlung  „Leykam'*.   —   Druckerei  «Leykam",   Grar. 


Ankündigung. 


Zufolge  Ausschußbeschlusses  werden  die  früher  erschienenen  Publi- 
kationen des  Historischen  Vereines  für  Steiermark  durch  die  Vereinskanzlei 
(Landesarchiv,  Hamerlinggasse  3)  für  Mitglieder  bis  auf  weiteres  zu 
bedeutend  herabgesetzten  Preisen  verkauft,  nämlich: 

1.  Mitteilungen  des  Historischen  Vereines  für  Steiermaric,  seit  1850. 
Preis  per  Heft  60  Heller.  (Vergriffen  sind  Heft  1,  2,  3.  4.  5.  10,  11,  12, 
13,   17  und  18,)* 

2.  Beiträge  zur  Kunde  steiermäricischer  Geschichtsquellen,  seit  1864. 

Preis  per  Heft  60  Heller.  (Vergriffen  sind  Heft    6,  7,  9,   10,  27.)* 

8^  Steirische  Zeitschrift  für  Geschichte,  I.,  H.  und  HI.  Jahrgang. 
1903—1905.  Preis  4  Kronen. 

4.  Steiermärkisches  Landrecht  des  Mittelalters,  bearbeitet  von  Dr.  Fer- 
dinand Bischoff,  Graz   1875.  Preis  1  Krone. 

5.  Urkundenbuch  des  Herzogtumes  Steiermark,  bearbeitet  von  Dr.  Josef 
von  Zahn,  I.  Band,  Graz  1875.  Preis  5  Kronen;  U.  Band,  Graz  1879, 
Preis  4  Kronen;  HI.  Band,  Graz  1903,  für  Mitglieder  8  Kronen,  Laden- 
preis 14  Kronen. 

6  Der  Historische  Verein  für  Steiermark,  sein  Werden  und  Bestand, 
von  Dr.  Fr.  Krön  es  Ritter  von  Marchland.  Preis  20  Heller. 

7.  SigiSmund  Grafen  von  Auerspergs  Tagebuch  zur  Geschichte  der  französi- 
schen Invasion  vom  Jahre  1797-  Veröffentlicht  von  Kratochwill, 
revidiert  und  mit  Erläuterungen  versehen  von  Dr.  Fr.  Krön  es  Ritter 
von  Marchland.  Separatabdruck  aus  dem  28.  Heft  der  „Mitteilungen", 

.     Graz  1880.  Preis  50  Heller. 

8.  Über  das  angebliche  Turnier  von  1194  und  den  Tummelplatz  zu  Graz. 

Von  Dr.  Josef  von  Zahn.  Separatabdruck  aus  dem  35.  Hefte  der  „Mit- 
teilungen"   Graz  1887.  Preis  50  Heller. 

9.  Die  Festversammlupg  des  Historischen  Vereines  für  Steiermark 

am   20.    November    1892    zur   Feier  der   700jährigen   Vereinigung   der 
Steiermark  mit  Österreich,  Preis  30  Heller. 

10.  Übersicht  der  in  den  periodischen  Schriften  des  Historischen 
Vereines  für  Steiermark  bis  einschließlich  1892  veröfTent lichten 
Aufsätze.  Preis  40  Heller. 


•j  Vergriffene  Hefte  werden  aurüclegekauft. 


Inhalt  des  Heftes: 

,Franz  II  wo  f.  Hans  von  Zwiedineck- Südenhorst. 

Alexander  Meli.  Über  die  Anfänge  der  Blindenfürsorge  in  Steiermark. 

Otto  Erich  Deutsch.  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters. 

Literaturberichte: 

Ed.  Richter,  Jul.  Strnadt,  A.  Meli  und  H.  Pirchegger,  Historischer 
Atlas  der  österreichischen  Alpenländer.  (Hans  V  u  ö  n  i  k.) 

F.  Martin,  Dr.,  Die  kirchliche  Vogtei  im  Erzstifte  Salzburg.  (Richard 
Meli.) 

H.  Löschner,  Dr.,  Über  Sonnenuhren.  (Dr.  phil.  K.  Hafner.) 

A.  Meli,  Bericht  über  die  Vorarbeiten  zur  Herausgabe  des  Ergän- 
zungsbandes der  steirischen  Taidinge. 

W.  Wostry.  Dr.,  König  Albrecht  H.  (I437— 1439).  (MaxDob- 
linger.) 

A.  Stegensek,  Cerkveni  spomenicki  Lavantinske  äkofije.  (Kirchliche 
Denkmäler  der  Lavanter  Diözese.) 

H.  Wimbersky,  Dr.,  Eine  obersteirische  Bauerngemeinde  in  ihrer 
wirtschaftlichen  Entwicklung  I498 — 1899. 

A.  Kapper,  Dr.,  Der  Festungsbau  zu  Fürstenfeld  1556 — 1563. 

A.  Grießl,  Dr.,  Geschichte  des  Diözesan-Priesterhauses. 

G.  S.,  Aus  Brucks  Vergangenheit.  —  Geschichtliche  Streifzüge.  — 
I.  Der  Schreckenstag  von  1792.  (K-  Hafner.) 

K.  Lacher,  Führer  durch  das  steiermärkische  kulturhistorische  imd 
Kunstgewerbe-Museum  zu  Graz. 

Zeitschriftenschau. 

Aus  Kommissionen,  Vereinen,  Archiven,  Museen. 


Das  Volkslied  in  Österreich.  Das  k.  k.  Ministerium  für  Kultus 
und  Unterricht  beabsichtigt,  unter  diesem  Titel  die  gesamte  Volksdichtung  und 
Volksmusik  der  einzelnen  Völker  und  Stämme  Österreichs  aufsammeln,  wissen- 
schaftlich-kritisch behandeln  und  in  einzelnen,  national  abgegrenzten  geson- 
derten Bänden  in  Druck  legen  zu  lassen.  Diesem  Zwecke  dient  eine  Anleitung 
zur  Sammlung  und  Aufzeichnung  dieses  wichtigen  und  vielfach  wertvollen 
Volksgutes  mit  einem  angeschlossenen  Fragebogen,  wovon  dieser  Zeitschrift 
für  unsere  Mitglieder  je  ein  Exemplar  beiliegt. 


Druckerei  „Leykam",  Grat. 


ZEITSCHRIFT 

DES 

HISTORlSeHEN  VEREINES 

FÜR 

STEIERMARK. 


'^O^ 


HERAUSGEGEBEN  VON  DESSEN  AUSSCHUSS. 

REDIGIERT  VON 

DR.  ANTON  KAPPER. 


V.  JAHRGANG. 


GRAZ  1907. 


IN  KOMMISSION  DER  VERLAGS-BUCHHANDLUNQ  LEUSCHNER  &  LU6ENSKY. 


Inhalt  des  V.  Bandes. 


I.  und  II.  Heft.  ^..^^ 

Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  von  der 
Mitte  des  IS.  bis  zur  Mitte  des  15.  Jahrhunderts.  Von 
Dr.  Oskar  Eende 1 

Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Von  Franz  Forcher  v.  Ainbach 49 

Ein  altes  Mariazeller  Marktsiegel.  Von  Johann  Schmut 135 

Zur  Wappenführung  „Bürgerlicher".  Von  Ferdinand  KhuU  ....  157 
Literaturberichte : 

Dr.  Max  Doblinger,  Die  Herren  von  Walsee  (Fr.  Ilwof)  .    .    .140 

K.  Fr.  Kaindl,  Geschichte  der  Deutschen  in  den  Earpathen- 
ländem  (E.  Reissenberger) 14S 

Dr.  K.  Schiffinann  und  Dr.  Fr.  Berger,  Archiv  für  Geschichte 
der  Diözese  Linz  (M.  Doblinger) 144 

Karl  Lacher,  Altsteirische  Wohnräume  im  Landesmuseum  zu 
Graz  (Otto  Laufer) 144 

Styriaca   in    den   Mitteilungen   der   k.    k.    Zentralkommission, 

V.  Band 147 

Zeitschriftenschau 149—152 

Ein  Bruchstück  aus  dem  Rennewart  Ulrichs  von  Türheim. 
(Anton  E.  Schönbach.)  —  Zur  niederösterreichischen  stän- 
dischen Verfassungs-  und  Verwaltungsfrage  in  den  Jahren 
1848—1861.  (Dr.  A.  Mayer.)  —  Neue  Berichtigungen  zur 
Kärntner  Landesgrenze.  (Dr.  M.  Wutte.)  —  Die  steirischen 
Rezesse  zur  Zeit  Maria  Theresias.  (Fr.  M  Mayer.)  —  Wie 
alt  ist  unser  Österreich?  (Dr.  J.  Lampel.)  —  Fürst  Metter- 
nich  und  die  Staatskonferenz  (Ed.  v.  Wertheimer.)  —  Die 
Ostermair.  (P,  Ostermair.)  —  Festschrift  des  akademi- 
schen Vereines  deutscher  Historiker  an  der  Universität  in 


Seit» 
Graz.  —  Flugschrift  1848  für  das  allgemeine  gleiche  Wahl- 
recht. (Aug.  Zangg.)  —  Die  Familie  Lederwasch  in  Tamsweg. 
(Val.  Hatheyer.)  -—  Gassen-,  Straßen-  und  Pl&tze-Buch  der 
Stadt  Marburg  a.  D.  (Dr.  A.  Mally.)  —  Zeitschrift  fllr 
Geschichte  und  Kulturgeschichte  Österreichisch-Schlesiens. 
—  Der  Meldezettel.  (Dr.  A.  Starzer.)  —  Herzog  Wilhelm 
von  Württemberg.  —  Friedrich  Marx.  (K.  W.  Gawalowsld.) 
Abt  Eajetan  Hoffmann.  (Ig.  H.  Joherl.)  —  Die  Eaisergräber 
in  Speyer. 

Aus  Archiven,  Kommissionen,  Museen,  Vereinen 152 — 156 

Steiermärkisches  Landesarchiv.  —  Historische  Landeskom- 
mission  fär  Steiermark.  —  Die  Gesellschaft  für  Salzburger 
Landeskunde.  —  Steiermftrkischer  Kunstverein.  —  Der 
Mnseumsverein  von  Pettau.  —  Deutscher  Historikertag.  — 
Der  VIL  Deutsche  Archivtag.  —  Gesamtverein  der  deutschen 
Geschichts-  und  Altertumsvereine.  —  Achter  Tag  für  Denk- 
malpflege in  Mannheim.  --  Der  internationale  historische 
Kongreß. 

Vereinsnachrichten 157 


III.  und  IV.  Heft. 

Eine  rätselhafte  Inschrift.  Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geramb    ....  161 
Das  Tagebuch  eines  Trompeters  der  großen  Armee.  Von  Dr.  Leo  Meli  182 
Magistrat  und  Fleischerinnung  zu  Voitsberg  am  Ende   des  acht- 
zehnten Jahrhunderts.  Von  Friedrich  Böser 192 

Deutschlandsberg  in  den  Jahren  1848  und  1849.  Von  Dr.  Wilh.  KnafE  205 
Zur  Wappenführung  „Bürgerlicher".  Von  Dr.  Ferdinand  Khull  .  .  220 
Literaturberichte : 

Dr.  W.  Wostry,  König  Albrecht  II.  (M.  Doblinger) 222 

R.  Fr.  Kaindl,   Geschichte  der  Deutschen  in  den  Karpathen- 

ländem  II.  Bd.  (K.  Reissenberger) 222. 

Rud.  Graf  Khevenhüller-Metsch  und  Dr.  H.  Schütter,  Aus  der 

Zeit  Maria  Theresias  (Julius  Bunzel) 223 

M.  V.  Platzer,  Traunkirchen-Aussee 226- 

Dr.  H.  R.  V.  Srbik,   Der  staatliche  Exporthandel  Österreichs 

von  Leopold  I.  bis  Maria  Theresia  (Max  Doblinger)    .    .   .  227 
M.  Zunkovid,  Wann  wurde  Mitteleuropa   von  den  Slawen  be- 
siedelt? (J.  A.  Glonar) 22& 


Seite 
ZeitBChriftenschau : 238—236 

Zur  frühesten  Geschichte  des  Passes  über  den  Senlmering. 
(Dr.  0.  Kende.)  —  Ein  Kuruzeneinfall  in  Steiermark. 
(K.  Buchberger.)  ~  Aus  franziscelscher  Zeit.  Abenteuer  eines 
Ramsauer  Pastors.  (G.  Loesche!)  —  Der  Grazer  SchloBberg. 
(Hauptmann  Veltz^.)  —  MärZtage  1848.  (Ed.  v.  Wertheimer.) 

—  Graz  in  den  März-  und  Apriltagen  1 84B  (Dr.  S..  M.  Prem.) 

—  Prinz  Johann.  (Kl.  Thalhammer.)  —  Feldmarschall  Graf 
Badetzky.  (Hans  v.  d.  Sann.)  —  Mariazell.  (P.  G.  Rodler, 
H.  Bögl.)  —  Ausgrabung  eines  Gedenksteines  aus  dem  Jahre 
1601.  ~  Das  Bürgerspital  „zum  Heiligen  Geist^  in  Graz.  — 
Ein  Werk  P.  Fischers  im  Grazer  Museum.  —  Briefe  Moritz 
T.  Kaiserfelds  an  K.  v.  Stremayr.  (Ottokar  Weber.) —  Aus 
Karl  Friedr.  Frh.  v,  Kübecks  Tagebüchern,  1835.  (M.  Frh. 
T.  Kübeck.)  —  Das  österr.  histor.  Institut  in  Bom.  (G.  Gut- 
mensch). —  Karl  Lamprecht.  (H.  Helmolt.)  —  Dr.  Joh.  Graus. 
(Dr.  J.  Ranftl.)  —  Der  histor.  Atlas  der  österr.  Alpenländer 
(Dr.  R.  Sieger.) 


V.  JAHRGANG.  1.  UND  2.  HEFT. 

ZEITSCHRIFT 

DES 

HISTORISCHEN  VEREINES 

FÜR 

STEIERMARK. 


HERAUSGEGEBEN  VON  DESSEN  AüSSCHUSS. 

REDIGIERT  VON 

DR.  ANTON  KAPPER. 


GRAZ  1907. 

IN  KOMMISSION  DER  VERLAGS-BUCHHANDLUNG  LEUSCHNER  &  LUBENSKY. 


h"^' 


Zur  HandelsgescMchte  des  Passes  über  den  Semmering 

von    der    Mitte    des    dreizehnten    bis   zur   Mitte    des 
fünfzelinten   Jahrhunderts. 

Von  Br.  Oskar  Kende. 


Die  Bedeutung  des  Semmerings  für  den  Handelsverkehr 
von  der  Mitte  des  dreizehnten  bis  zur  Mitte  des  fünf- 
zehnten Jahrhunderts  möchte  ich  durch  die  Beantwortung 
zweier  Fragen,  die  sich  mir  vorzüglich  hier  zu  erheben 
scheinen,  zu  charakterisieren  versuchen;  erstens,  inwiefern 
die  Handelspolitik  der  österreichischen  Herrscher  im  Mittel- 
alter auf  diese  Handelsverkehrsbedeutung  des  Semmerings 
eingewirkt  hat,  und  zweitens,  wer  alles  am  Handel  über  den 
Paß  beteiligt  war  und  in  welchem  Maße  dies  geschah.  Das 
wenige,  was  wir  von  der  Bedeutung  des  Semmerings  für  den 
übrigen  Warenverkehr  wissen,  sd  an  gehöriger  Stelle  gleich- 
falls angeführt. 

Die  handelspolitischen  Maßnahmen  der  österreichischen 
Herrscher  nun,  welche  für  uns  in  Betracht  kommen,  da  sie 
den  lokalen  wie  internationalen  Handelsverkehr  über  den 
Semmering  beeinflußten,  sind  folgende: 

I.  Mauten  betreffend:  1.  Errichtung  von  Mautstätten. 
2.  Mautregelungen  (Erleichterungen  enthaltend).  3.  Maut- 
befreiungen (gänzliche  oder  teilweise). 

H.  Das  Niederlagsprivileg  Wiens. 

III.  Das  Eingreifen  in  bestimmte  Beziehungen,  die  sich 
beim  Ein-  und  Verkaufe  der  Waren  innerhalb  einer  Stadt 
ergeben. 

IV.  Das  Weinhandelmonopol  Wiener-Neustadts  in  die 
Steiermark. 

V.  Andere,  einzelnen  Städten  und  Märkten  verliehene 
Handelsprivilegien. 

VL  Handelsverträge. 


2        Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

Sehen  wir  uns  die  Wirkungen  jeder  dieser  handels- 
politischen Bestimmungen  auf  den  Handel  über  den  Semmering 
und  ßofem  dies  nötig  auch  im  allgemeinen  an. 

Die  Mautstätten,  gesetzt  aus  fiskalischen  Rücksichten 
hauptsächlich  an  Orten  mit  größerem  Handel  (an  bedeutenderen 
Verkehrsstraßen),  mußten  naturgemäß  den  Handel  von  Orten 
beliebig  untereinander  erschweren,  trugen  aber  zur  weiteren 
Stärkung  des  Handels  dieser  Mautorte  bei.  Denn  um  die 
Waren  nicht  durch  Passierung  mehrerer  Mautstätten  zu  ver- 
teuern, handelten  die  Orte  von  geringerer  Handelsbedeutung, 
die  zwischen  zwei  Mautorten  lagen,  nach  dem  einen  oder 
anderen  derselben,  von  denen  somit  jeder  zum  Handels- 
mittelpunkt eines  bestimmten  Umkreises  wurde.  So  war  es 
für  einen  Händler  aus  Unzmarkt  in  vielen  Fällen  unpraktisch, 
seine  Waren  selbst  nach  Wien  zu  bringen,  er  konnte  sie  in 
Judenburg,  da  er  keinen  so  hohen  Preis,  wie  er  es  an- 
sonsten hätte  tun  müssen,  zu  fordern  brauchte,  mit  größerem 
Gewinne  verkaufen. 

Mautregelungen  schufen  der  Stadt,  für  welche  sie 
Geltung  hatten,  ein  bestimmtes  Absatzgebiet  ihrer  Handels- 
waren in  einer  anderen,  indem  sie  den  Verkehr  mit  ihr  er- 
leichterten. Hieher  gehört  in  unserem  Zusammenhange  jenes 
Privileg  König  Rudolfs  I.  vom  19.  Januar  1277  für  Juden- 
burg, in  welchem  er  u.  a.  den  Handel  dieser  Stadt  mit 
Wien  durch  spezielle  Maut-  und  Zollsätze  für  die  Waren, 
mit  denen  die  Bürger  derselben  Handel  trieben,  zu  steigern 
suchte.  Namentlich  die  Bestimmung  des  Schlußsatzes  dieses 
Privilegs:  „redeundo  autem  (sc.  de  Wienna)  ipsis  civibus 
de  Judenburch  tantundem  defalcabitur,  quantum  primitus  in 
thelonio  persolverunt",  das  sogenannte  Zapfgeld,  hat  sicherlich 
eine  rege  Beteiligung  der  Judenburger  am  Handel  nach 
Wien  ins  Leben  gerufen.* 

Gänzliche  Mautbefreiungen  aber  ermöglichten  erst, 
indem  sie  jede  Belastung  des  Handelsverkehrs,  wie  sie  durch 
die  Entrichtung  von  Mautgebühren  gegeben  ist,  aufhoben, 
einen  wirklich  freien  Handel,  förderten  den  lokalen,  wiesen 
zugleich  auch,  sofern  nicht  andere,  ortseinschränkende  Be- 
stimmungen vorhanden  waren,  einer  internationalen  Aus- 
dehnung desselben  die  Richtung.     Wiener-Neustadt  war   es, 

*  Das  Privileg  ist  u.  a.  abgedruckt  in  „Ausgewählte  Ur- 
kunden zur  Verfassungsgeschichte  der  deutsch -österreichischen  Erb- 
länder im  Mittelalter"  (herausgegeben  von  Schwind  und  Dopsch,  Inns- 
bruck 1895),  nr.  53. 


f 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  3 

welches  sich  schon  seit  1239  einer  solchen  Begünstigung 
für  den  Handel  mit  eigenen  Waren  zu  erfreuen  hatte.  Herzog 
Friedrich  H.  hatte  den  Wiener-Neustädtem  damals  das 
Kecht  yerliehen,  „dass  sy  durch  alle  unsre  land  und  gepiet 
von  iren  kaufmanschaftenn  kain  maut  geben  sunder  In  sol 
erlaubt  sein  solich  mautstatt  ledikleichen  für  zu  wandern," 
und  König  Ottokar  II  hatte  dies  1253,  König  Rudolf  I.  1277 
und  1281,  Herzog  Albrecht  L  1285,  König  Friedrich  III.  1443 
bestätigt.  ^ 

Diese  Begünstigung  ist  auch  ein  Moment,  das  uns  den 
ausgebreiteten  Handel  Wiener-Neustadts,  den  wir,  soweit  er 
über  den  Semmering  geschah,  weiter  unten  noch  näher  kennen 
lernen  werden,  leicht  verstehen  läßt.  Die  teilweisen  Maut- 
befreiungen, meist  in  der  Form  gegeben,  daß  die  Bürger 
einer  Stadt  in  jenen  Städten,  welche  in  ihrer  Stadt  keine 
Maut  zu  entrichten  hatten,  von  der  Bezahlung  derselben  in 
gleicher  Weise  befreit  sein  sollten,  haben  ähnliche  Wirkungen 
wie  die  gänzlichen,  sie  bloß  mehr  oder  minder  einschrän- 
kend, zur  Folge  gehabt.  1361  war  Brück  a.  M.  ein  der- 
artiges Privileg  verliehen  worden.* 

Ehe  ich  nun  die  zweite  der  oben  angeführten  handels- 
politischen Maßnahmen  der  österreichischen  Herrscher,  das 
Wien  verliehene  Niederlagsrecht  in  seinen  Wirkungen  auf- 
zuzeigen unternehme,  möchte  ich  vorerst  einen  Exkurs  über 
die  Bedeutung  und  den  Umfang  desselben   seit  1281    ein- 


*  Diese  und  die  übrigen  im  Verlaufe  meiner  Untersuchung  von 
mir  erwähnten  Urkunden,  welche  Wiener-Neustadt  betreffen,  befinden 
sich  im  Wiener-Neustädter  Stadtarchive,  und  zwar:  Codex  AI,  nr.  2; 
Scrinium  A,  nr.  1/6;  Scr.  B,  n».  229/4;  Scr.  E,  nr.  20  a,  27,  40  a/ 2; 
Scr.  P,  nr.  229/3;  Scr.  XK,  nr.  1/1;  Scr.  III,  nr.  XIV  c,  8;  Scr.  7, 
nr.  361;  Scr.  XNIU,  nr.  15a,  17a,  22a,  24a,  47,  47/1,  47/2,  47/3, 
48,  91;  Scr.  LXVII,  nr.  2;  Scr.  XCV,  nr.  20,  22,  28,  24/3;  Scr.  XCVI, 
nr. 59/2.  Zu  obigem  vergl.  auch  Meiller,  im  „Archiv  für  öster- 
reichische Geschichte«,  X.  Bd.,  S.  129—131,  und  Winter  in  „Urkund- 
liche Beiträge  zur  Rechtsgeschichte  ober-  und  niederösterr.  Städte, 
Märkte  ,und  Dörfer  vom  12.  bis  zum  15.  Jahrb.",  Innsbruck  1877, 
S.    11—14,  32—87,  38  ff.,  96—105. 

Übrigens  hatten  die  Wiener-Neustädter  in  dem  Privileg  von  1281 
(Art.  1)  auch  die  Warenniederlage  erhalten.  Doch  ist  von  ihr,  wie  sich 
aus  den  Quellen  mit  voller  Deutlichkeit  erschließen  läßt,  niemals  ein 
eigentlicher  Gebrauch  gemacht  worden;  sie  hätte  nach  1281,  in  welchem 
Jahre  Wien  sein  Niederlagsrecht  in  dem  im  Texte  ausgeführten  Umfang 
bekam,  auch  nur  für  den  Handel  der  österreichischen  Städte  und  Märkte 
untereinander  Gültigkeit  haben  können. 

«  Wartinger,  „Privilegien  der  Bjreisstadt  Brück  a.  d.  Mur", 
Graz  1837,  S..  20. 


4        Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

schalten,  da  ich  zu  etwas  anderen  Resultaten  gekommen  bin 
als  Luschin  und  Schuster,  die  einzigen,  die  ausführlich 
und  zwar  in  der  vom  Altertumsvereine  zu  Wien  herausge- 
gebenen „Geschichte  der  Stadt  Wien"  zu  diesem  Gegenstande 
Stellung  nehmen. 

Die  Stellen  der  Quellen,  auf  deren  richtige  Auslegung 
und  Verständnis  es  vor  allem  ankommt,  besagen:  a)  in  der 
Fassung  des  Niederlagsprivileg  von  1281,  Juli  24,  ^  „daz  alle 
die  choufleut,  die  in  daz  laut  ze  Osterrich  arbeitent,  mit  ir 
choufschatz  die  gemeinen  strazze  auf  wazzer  und  auf  laut 
für  sich  gen  Wienne  schullen  varen  u.  schuUen  ir  choufschatz 
da  niderlegen  und  nindert  anderswo" ;  h)  in  der  Fassung 
der  Verordnung  Herzog  Albrechts  II.  von  1351,  Mai  17,^ 
„dass  aller  choufschatzt,  von  wann  er  geffirt  wirt  auf  lande 
oder  auf  wasser  in  unser  lande  gen  Oesterreich,  die  rechten 
Strasse  für  sich  gen  Wienn  gefllrt  werde  u.  da  nidergelegt, 
aufgepunden  und  verchauft  werde  u.  nindert  anderswo."  Aus 
dem  Wortlaut  dieser  Stellen  geht  also  hervor: 

1.  Sie  beziehen  sich  nur  auf  den  Handel  nach  Öster- 
reich, nicht  innerhalb  Österreichs; 

2.  daß  dieser  Handel  nach  Österreich  auf  der  „ge- 
meinen" Straße  zu  geschehen  habe; 

3.  daß  alle  für   solchen  Handel   nach   Österreich  be- 
stimmten Waren  nach  Wien   gebracht,    bis  zu  dieser  Stadt 
demnach  tiberall  durchgeführt  werden  sollten  (das  heißt  jcSf^ 
gends  unterwegs  verkauft  werden  durften). 

Das  räumliche  Geltungsgebiet  dieser  Bestimmungen 
aber  konnte  nur  gering  westlich,  nördlich  und  östlich  von 
Wien  sein,  da  sich  die  Grenzen  Österreichs  in  diese  Rich- 
tungen nicht  weit  vorschoben,  war  jedoch  bedeutend  gegen 
Südwesten  und  Süden,  weil  dorthin  der  österreichische  Länder- 
besitz gravitierte:  also  im  Handel  nach  Venedig;  und  tat- 
sächlich sind  fast  alle  Verordnungen  bezüglich  des  Wiener 
Niederlagsrechtes  in  Hinsicht  auf  den  Handel  mit  dieser 
Stadt  getroffen  worden. 

Ich  will  nun  zu  jedem  der  drei  vorhin  aufgezählten 
Punkte  einiges  erläuternd  hinzufügen.  Was  den  ersten  der- 


1  Tomaschek,  „Rechte  und  Freiheiten  der  Stadt  Wien", 
I,  nr.  19. 

*  „Quellen  zur  Geschichte  der  Stadt  Wien",  herausgegeben 
vom  Altertumsvereine  zu  Wien,  Wien  1895,  11/ 1,  nr.  379. 


I 

l 


Von  Dr.  Oskar  Eende. 


selben  betrifft,  so  mußte  nach  ihm,  was  fUr  uns  von  beson- 
derer Wichtigkeit  ist,  der  Handel  aller  österreichischen 
Städte  und  Märkte  südlich  von  Wien  nach  Venedig  als  ge* 
stattet  erscheinen.  Und  daß  er  es  in  Wirklichkeit  auch  war, 
belegen  zahlreiche  Quellen.  So  spricht  eine  Urkunde  Herzog 
Albrechts  HI.  ddo.  1366,  Oktober  5^  von  Wagen  „hinein 
gegen  Venedi  u.  herwider  aus,  er  gehör  an  die  kaufieut  von 
Wienn,  von  der  Neunstat,  von  Judenburg,  von  Friesach,  von 
Villach  oder  wenn  die  w8gen  angehorent",  wendet  sich  eine 
weitere  Urkunde  desselben  Herzogs  ddo.  1389,  März  7^  an 
die  Kaufleute  von  Wien  und  andere,  die  das  Recht  haben,  „gen 
Venedi  ze  faren",  so  hebt  ferner  ein  Schreiben  König  Albrechts  IL 
BH  den  Bürgermeister  und  Rat  zu  Wien  ddo.  1439,  Februar  15  ^ 
I*  besonders   hervor,    daß   ^ain  michel  tail"    der  Wiener  wie 

{  anderer    österreichischer   Untertanen   nach  Venedig   Handel 

triebe,  und  ist  schließlich  aus   dem  Beschwerdebrief  Wiens 
»  an  König  Friedrich  III.  in  Sachen  seines  Handels  von  zirka 

1450  —  mit  Punkt  3  verglichen  —  ersichtlich,  daß  die  darin 
erwähnten    Kaufleute  von    Friesach,  Knittelfeld,   Judenburg 
L  „und  ander**,  die  mit  venetianischer  „phenbert"  ^  handelten, 

f'  diese  Waren  in  Venedig   gekauft  haben  mußten.    Ja,    ich 

\  möchte  sogar  weiter  gehen  und  behaupten,  daß  es  meist  den 

Wienern  sogar  darum  zu  tun  gewesen  sein  dürfte,  daß  andere 
,'  österreichische  Städte  und  Märkte  nach  Venedig  handelten 

und  Waren  aus  dieser  Stadt  nach  Österreich  brachten ;  denn 
da  der  Aktivhandel  der  Wiener  den  Bedarf  an  venetianischen 
Waren  wahrscheinlich  nicht  decken  konnte,  hätten  sie  sich 
i  auf   andere  Weise  die  nötige  Quantität   solcher  nicht  ver- 

schaffen können.  Die  Vorteile  des  Handels  aber  mit  diesen 
Waren  kamen  nach  Punkt  3  ohnedies  den  Wienern  zugute, 
wobei  es  allerdings  selbstverständlich  ist,  daß,  wenn  der 
Wiener  Händler  und  Zwischenhändler  der  venetianischen 
Waren  zugleich  war,  er  den  größten  Gewinn  hatte. 

Nach  dem  eben  Gesagten  dürfte  es  also  nicht  richtig  sein, 
wenn  Schuster  meint,  daß  das  Niederlagsrecht  nach  1281 


« 


U* 


\  J  „Quellen",  U/1,  nr.  677a. 

«  Ebenda,  11/ 1,  nr.  1172  a. 
'^  3  Ebenda,  II/2,  nr.  2674. 

*  Das  Wort  ist  aus  phennincwert  zusammengezogen  und  bedeutet 

1.    was   einen  Pfennig  wert  ist,    Kleinigkeit;    in  geringen  Quantitäten, 

L  en  detail,    2.  was  Geldeswert  hat,  Verkaufsartikel,  Ware.   Nach  Lex  er 

M.  „Mittelhochdeutsches  Handwörterbuch"   (Leipzig  1872—78,  3  Bde.), 

.  2.  Bd.,  S.  240. 

t- 


6        Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

derart  auszudehnen  versucht  wurde,  „dass  Wien  den  Handel .... 
insbesondere  nach  Venedig  in  die  Hand  bekam'',  da  dies  den 
Glauben  erwecken  kann,  als  wären  die  Wiener  allein  be- 
rechtigt gewesen,  nach  Venedig  Handel  zu  treiben. 

Der  Inhalt  des  zweiten  Punktes  schuf  den  sogenannten 
Straßenzwang:  er  bedeutete  die  Konzentration  des  von 
Venedig  nach  Österreich  gehenden  Handels  auf  gewissen 
Wegen.  Da  sich  aber  Punkt  3  anfänglich  nur  auf  eine 
„gemeine"  Straße  (Venedig— Villach —Friesach— Judenburg — 
Semmering  Wien)  bezog,  mußte  der  Straßenzwang  ergänzt 
werden  durch  das  Verbot  der  Benützung  anderer  Wege ;  denn 
der  Handel  sowohl  der  an  der  nunmehr  gesperrten  Straße 
liegenden  als  überhaupt  jener  Städte  und  Märkte,  deren 
Warenverkehr  sich  bisher  auf  dieser  Straße  vollzogen  hatte, 
aus  Venedig  konnte  so  gleichfalls  nur  auf  der  „gemeinen" 
Straße  erfolgen,  mußte  also  nach  Punkt  3  auch  nach  Wien 
gehen.  Bei  einer  dieser  verbotenen  Straßen,  der  über  den 
Karst,  suchte  man  später,  als  sie  1389  wieder  freigegeben 
worden  war  —  von  1361  bis  zu  diesem  Jahre  war  sie  gesperrt 
gewesen  —  das  gleiche  Resultat  dadurch  zu  erzielen,  daß 
man  auch  die  Karststraße  als  „rechte"  Straße  erklärte, 
Punkt  3  demnach  auch  für  sie  Geltung  hatte.  ^  Eine  zweite 
Wirkung  der  Sperrung  einzelner  Straßen,  die  aber  für  Wien 
weiter  nicht  in  Betracht  kam,  war,  daß  damit  auch  der 
kürzeste  Handel  der  Städte  und  Märkte,  welche  bislang  eine 
solche  benützt  hatten,  nach  Venedig  unterbunden  wurde: 
der  Marburger,  der  nach  Venedig  Handel  treiben  wollte, 
mußte  über  Graz,  Brück  an  der  Mur,  Judenburg  u.  s.  w. 
fahren. 

Das  Verbot  der  Benützung  einzelner  Straßen  dürfte  aber 
nicht  beweisen  können,  daß  aller  Handel  der  an  der  gesperrten 
Straße  liegenden  Städte  und  Märkte  ausschließlich  in  Wien 
statthaben  mußte,  was  Schuster  anzunehmen  scheint,  wenn 
er^  gelegentlich  des  speziellen  Beispiels  der  Sperrung  der 
Karststraße  sagt:  „es  sollte  insbesondere  den  zwischen  dem 
Karst  und  dem  Semmering  liegenden  Städten  die  rechtliche 
Möglichkeit  eines  nicht  durch  Wien  vermittelten  Handels 
mit  Venedig  genommen  werden";  denn  der  Marbürger  konnte 
seine  I^ren  Wagen  j«  nach  Bnicfc  a,  d.  M.  fühlten,  dort  von 


»  „Quellen«^  Il/i,  nr;  ;il72a,  auch  alr.  1269*.: 
2  a.  a.  0.,  S.  421. 


Von  Dr.  Oskar  Kende. 


■»  einem  Brucker  Händler,   der  venezianische  Waren  in  Wien 

eingekauft  hatte,  seinen  Bedarf  decken  und  damit  nun  aurUck- 
!  fahren:    nicht  immer  mochte  es,   speziell  bei  größeren  Kin- 

L  kaufen,   für  ihn  einen  materiellen   Schaden  bedeuten,    daß 

t  die  Ware  so  durch  die  Hände  noch  eines  Zwischenhändlers 

gegangen  war. 
^^  Hinsichtlich  des   dritten  Punktes  zunächst  einige  Be- 

t  weise  für  die  (wenigstens  theoretische)  Gültigkeit  einer  wört- 

^  liehen  Auffassung  der  darin  enthaltenen  Bestimmungen.     Es 

1  hätte  vor  allem  andernfalls  weder  der  Straßenzwang  noch  das 

r  Verbot  einzelner  Straßen  für  die  Wiener  irgendwelchen  Wert 

I  gehabt.    Denn  hätte  der  Venezianer   oder   der   aus  Venedig 

1  handelnde  Judenburger  seine  Waren  in  Judenburg  niederlegen, 

^  verkaufen  können,  hätte  der  Marburger,  wenn  er  auch  durch 

,  die  Sperrung  der   Karststraße  genötigt  gewesen  wäre,    aus 

Venedig  die  Straße  über  Villach  und  Friesach  zu  fahren,  bis 
Marburg  zurückkommen  können,  ohne  Wien  jemals  berühren 
zu  müssen  und  gleichfalls  unterwegs  schon  seine  Waren  ver- 
kaufen dürfen,  so  wäre  wohl  niemals  viel  mehr  venezianische 
Ware,  als  die  Wiener  selbst  aus  Venedig  nach  Wien  gebracht 
hätten,  in  diese  Stadt  geführt  worden:  Straßenzwang  und 
Straßensperrung  hätten  also  den  Wienern  keinerlei  Vorteil 
geschafft.  Einen  weiteren  Beweis  bietet  uns  ferner  eine  Ur- 
0  kuüde   Herzog  Albrechts  HI.   ddo.    1393,  Juni  20,  ^   da   in 

'  derselben  der  Herzog  seiner  Erlaubnis,  daß  bestimmte  Kauf  leute 

die  Straße  über  den  Karst  nach  Venedig  benützen  dürfen, 
ausdrücklich  hinzufügte :    „also  doch  daß  sie  an  dem  gevert 
^  hetaus  von  Venedi  die  rechten  strass  über  den  Charst  faren 

**  derrichts    her   gen  Wienn   und   auch  da    ir    kaufmanschaft 

t  niderlegen  und  aufpinden  und  verkaufen,  als  niderlegunge  ze 

Wienn  recht  ist "     Und  schließlich  sei  auch  noch  auf  den 
1;  schon  von   mir   erwähnten  Beschwerdebrief  Wiens  an  König 

!  Friedrich   HL    von  zirka   1450  liingewiesen ;    denn  in  del* 

Begründung  ihrer  Klage,  daß  sie  in  ihrem  Handel  durch  die 
v^  Wiener-Neustädter  geschädigt  würden,  betohten  ^ie  Wienef , 

'  es  sei  „wider  ^er  Niderleg' zu  wietm  ge'rec'htikait'*,  W6nn  die 

^  Wiener-Neustädter  übereingekommen  wären :  sowohl  daß  die 

Kauf  leute  ihrer  Stadt    ydiö^  venfedigi^chö  t)hönt)ert  gen  der 
^  NetipStät  tto^'  'die'^^^^  Äidertep:en   aiifpit^teü   und  ver; 

kautfen,  und ^icbt  .g^/^viefl». W,?(ü^^^  suUn"; ji^si 

Ituch'  d^  ;,dfte^  k&ufleiitibv.voii'  Fi^iesa^  iK^lveJd  JudWhufSg 


l 


i 

^ 


i  „Quellen«   II/l,  nr.  1264a.  Ui'  .?. 


8        Zar  Handelsgeschiclite  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

und  ander  die  venedigische  phenbert  gen  der  Neunstat  film, 
die  suUen  die  da  auch  niderlegen^  aufpinten  und  verkauffen 
und  damit  handhi  und  nicht  in  die  niederleg  gen  wienn  film''. 
Mit  ihrer  ersten  Behauptung  waren  die  Wiener  übrigens 
keineswegs  im  Recht;  denn  noch  1443,  April  7,*  hatte  König 
Friedrich  III.  den  Wiener-Neustädtem  unter  anderem  be- 
stätigt :  „Item,  auch  besonder,  daz  die  burger  an  allen  kauf- 
lichen dingen  großen  u.  clainen  zu  kaufen  u.  verkaufen  in 
allen  der  fursten  von  Osterreich  steten  und  märkhten,  wem 
und  von  wem  sie  wellen,  von  niemand  gehindert  noch  mit 
ichte  betmbt  werden."  Dagegen  war  letzteres  sicherlich 
^ein  Newung". 

Erscheint  demnach  aus  obigem  eine  wörtliche  Auf- 
fassung des  Punktes  8  bestätigt,  so  könnte  die  Wirkung 
desselben  auch  etwa  in  der  Weise  formuliert  werden,  daß 
man  sagt :  Jede  venezianische  Ware,  mit  welcher  nach  Öster- 
reich gehandelt  wurde,  mußte,  ehe  sie  an  den  Konsumenten 
kam,  einmal  durch  die  Hände  eines  Wiener  Kaufmannes 
gegangen  sein.  *^  Es  ist  dies  also  ein  anderes  Ergebnis,  als 
zu  dem  Luschin  über  die  Geltung  des  Niederlagsrechtes 
von  Wien  nach  1281  kommt, ^  wenn  er  sagt:  „Das  Wiener 
Niederlagsrecht  bestand im  Umfange  des  so- 
genannten jus  emporii.  Jeder  landfremde  Kaufmann,  der 
Österreich  betrat  und  keine  Schleichwege  einschlagen  wollte, 
konnte  auf  der  gemeinen  Straße  zu  Wasser  oder,  zu  Lande 
nicht  über  Wien  hinausgelangen,  wo  er  sein  Kaufgut  zum 
Verkaufe  stellen  mußte",  denn  daß  man  bis  Wien  zu  fahren 
genötigt  war,  nur  dahin  fahren  durfte,  scheint  durch  Luschin  s 
Worte  nicht  vertreten.  : 

Punkt  3  bedarf  jedoch  speziell  noch  einer  zweifachen 
Ergänzung.  Erstens  möchte  ich  nicht  unterlassen,  ein  Be- 
denken, daß  sich  mir  gegen  die  praktische  Möglichkeit  einer 
Durchführung   des  Punktes  3   in  seiner   ganzen  Schärfe  zu  I 

ergeben  scheint,  anzuführen:  die  Schwierigkeiten  der  Kontrolle,  , 

ob  seine  Bestimmungen   auch  wirklich   strenge    eingehalten  \ 


«  Winter,  a.  a.  0.,  S.  96  ff.,  art.  13. 

*  Es  sei  an  dieser  Stelle  nochmals  hervorgehoben,  daß  diese 
Bezugnahme  bloß  auf  venetianische  Waren  sich  aus  den  Lagebeziehungen 
Wiens  zu  den  Grenzen  Österreichs  erklärt  (vgl.  oben  S.  4).  Rechtlich 
erstreckten  sich  natürlich  die  oben  genannten  Wirkungen  des  Punktes  3 
auf  alle  Waren,  mit  denen  nach  Österreich  gehandfeit  wurde. 


i 


»  a.  a.  0.,  S.  22  f.  1 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  9 

Würden.  Wer  mochte  den  Angeber  spielen,  daß  der  Juden* 
burger  auf  seiner  Rückfahrt  aus  Venedig  einen  Tag  in  seiner 
Stadt  angehalten  und  einen  Teil  der  Waren  seinen  Mit- 
bürgern verkauft  habe,  da  dies  doch  vielen  Vorteil  einschloß 
und  es  sich  nur  um  die  Verletzung  eines  gewiß  allen  ver- 
haßten, weil  von  allen  als  Last  empfundenen  „Rechtes"  der 
Wiener  handelte;  daß  aber  von  selten  der  Landesfürsten 
oder  der  Wiener  bestimmte  Personen  beauftragt  worden 
wären,  solche  Übertretungen  zur  Anzeige  zu  bringen,  um  sie 
so  nach  Kräften  zu  verhüten,  davon  ist  nirgends  die  Rede. 
Nur  an  die  verbotenen  Straßen  hatte  man  Wächter 
gesetzt,  die  darauf  achten  sollten,  daß  niemand  sie  befahre ;  ^ 
trotzdem  kam  es  aber  vor,^  daß  Unberechtigte,  „etliche 
Gäste  und  andere  Kaufleute"  solche  gesperrte  Straßen  be- 
nützten. Zumal  von  1281  bis  1351,  wo  zwar  schon  Straßen- 
zwang, noch  nicht  aber  das  Verbot  bestimmter  Straßen 
bestand,  mögen  gar  viele  Kaufleute,  die  nach  Österreich 
Handel  trieben,  nicht  nach  Wien  gefahren  sein;  wie  häufig 
wohl  haben  z.  B.  böhmische  Kaufleute,  die  Waren  aus 
Venedig  führten,  die  Straße  über  Zeiring,  welche  ihnen  die 
„neheste"  war,  bevor  1351  ihre  Sperrung,  die  u.  a.  auch 
sie  betraf,  benützt;  die  Prager  hätten  sonst ^  nicht  noch 
1383  an  die  Wiener-Neustädter  das  Ersuchen  gerichtet,  daß 
diese  sich  bei  Herzog  Leopold  IIL  für  die  Freigabe  dieser 
Straße  verwenden  sollten. 

Zweitens  aber  ist  hervorzuheben,  daß  die  Bestimmungen 
de.s  Punktes  3  in  der  Hinsicht  eine  Schmälerung  erfuhren, 
daß  der  Kreis  derer,  für  welche  sie  Geltung  besaßen,  sich 
verkleinerte;  teils  waren  nämlich  Befreiungen  von  ihnen 
gewährt  worden,  teils  kam  der  Inhalt  einzelner  anderen  ver- 
liehener Privilegien,  wenn  er  auch  eine  solche  Befreiung 
besonders  nicht  erwähnte,  ihr  in  der  Wirkung  doch  tat- 
sächlich gleich.  So  hatten  die  Wiener-Neustädter  seit  1338* 
das  Recht,  in  allen  österreichischen  Städten  und  Märkten 
frei  handeln  zu  dürfen.  Femer  entging  ein  Teil  der  vene- 
tianischen  Waren  dadurch  den  Wienern,  daß  seit  1389^  die 
Kaufleute   der    Städte   und   Märkte   an   der   Straße   Bnick 


«  „Quellen«,  II/l,  nr.  677a,  712,  1172a,  1264a  u.  s.  w. 
»  Ebenda,  II/l,  nr.  749. 
3  Anhang,  nr.  1. 

^Notizenblatt,  Beilage    zum  Archiv  für  österreichische  Ge- 
schichte, 1853,  nr.  14  und  18;  auch  Tomasch ek,  a.  a.  0.,  I,  nr.  57. 
s  „Quellen,  II/l,  nr.  1172a. 


10      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

a.  d.  Mar— Graz— Marburg— Laibach— Triest,  wie  jene  der 
Stadt  Pettau  die  Waren,  mit  denen  sie  aus  Venedig  handelten, 
in  ihren  Häusern  und  Kramen  dem  Landvolke  verkaufen 
durften;  zwar  nur  „phenbertweis  und  nicht  stukchweis", 
was  aber  doch  nicht  bedeuten  dürfte,  daß*    „jeder  darüber 

hinausreichende  Handel  mit  venetianischen  Waren der 

Stadt  Wien  verblieb",  überhaupt  aller  Großhandel  mit  vene- 
tianischen Waren  nur  in  Wien  erfolgen  konnte,  sondern  nur, 
daß  die  aus  Venedig  über  die  Karststraße  fahrenden  Kauf- 
leute im  großen  nur  in  Wien  verkaufen  durften.  Und  schließ- 
lich war  den  böhmischen  Kauf  leuten  durch  die  österreichischen 
Landesfürsten  zweimal  für  ihren  Handel  mit  Venedig  gestattet 
worden,  sich  nicht  in  Wien  aufhalten  zu  müssen.  Das  erste- 
mal durch  Herzog  Rudolf  IV.,  der  am  25.  Februar  1364^ 
den  Pragern  erlaubte,  daß  sie  mit  ihrer  Kaufmannschaft 
über  Wien  „gen  Venedy  und  entrichez  her  wiederum  von 
Venedy  durch  dieselben  unser  Stat  ze  Wien  varn  und  zihen 
sullen  an  geverde**,  aber  mit  der  Beschränkung,  daß  „allerley 
weyn,  den  wir  yn  nicht  erlaupt  haben  zu  füren"  ausgenommen 
sein  und  die  Befreiung  sich  nur  bis  Weihnachten  desselben  Jahres 
erstrecken  sollte.  Das  zweitemal  durch  Herzog  Albrecht  HL 
am  12.  Mai  1366,3  der  „aus  Freundschaft"  für  Karl  IV. 
den  böhmischen  Kaufleuten  das  Privileg  erteilte,  vier  Jahre 
lang  -  also  bis  1370  -  nach  Venedig  Handel  treiben  zu  dürfen, 
ohne  ihre  Waren  in  Wien  niederlegen  zu  müssen,  „si  tun 
es  denn  gerne  und  myt  irem  .guten  willen".  Daß  von  der 
in  diesem  Zusätze  ausgesprochenen  „Erlaubnis"  Hera^og 
Albrechts  von  selten  der  böhmischen  Kaufleute  kein  großer 
Gebrauch  gemacht  worden  ist,  beweist  erstens  eine  vene^- 
tianische  Urkunde  vom  Jahre  1366,^  in  der  sich  der  damalige 
Doge  Marcus  Comario  an  die  Bürger  von  Prag  in  Sachen 
der  Beraubung  eines  Kaufmannes  wendet  und  worin  es  zum 
Schlüsse  heißt:  „Insuper,  quia  intelleximus,  quod  aliquod 
dubium  facitis  de  veniendo  ad  terram  nostram  cum  merca- 
toribus  vestris,  declaramus  vobis,  quod  secure  sine  aliquo 
dubio  venire,  Stare  et  uti  potestis,  iuxta  solitum  pro  libito 
vestro".  Zweitens  wird  es  durch  die  schon  erwähnte,  Woher  ui^ 
veröffentlichte   sehr   interessante  Urkunde  des   Wiener-Neu- 


1  Schuster,  a.  a.  0.,  S.  422. 

«  Pelzel,    „Kaiser  Karl  IV.",    Prag    1780,    Urkimdenb ach    des 
TI:  Bahdes,  S.  3M  -  .    .   ^^ 

•       '    »EbenÄa^  S.  i346.    ^  ■■■  '  '-  • 

*  Ebenda,  S.  367.  •  -     -   '  ^      '    ' '^  -     .  . 


Von  Dr.  Oskar  Kendc.  11 

Städter  Stadtarchivs  vom  Jahre  1383^  bewiesen,  da  dies^ 
Schriftstück  außer  um  dem  Niederlagszwang  Wiens  zu  entgehen, 
wohl  auch  aus  dem  Bedürfnis  geschrieben  wurde,  direkten  Feind- 
seligkeiten, die  sich  die  Wiener  erlaubt  hatten,  fürderhin 
aus  dem  Wege  gehen  zu  können.  Wozu  man  übrigens  als 
indirekten  Beleg  die  Urkunde  Karls  IV.  aus  dem  Jahre 
1373^  heranziehen  wolle,  nach  welcher  Karl  IV.  den  Burg- 
grafen und  Vorstehern  der  Städte  seines  Reiches  den  Befehl 
gibt,  daß  sie,  da  einige  Prager  Kaufleute  Beschwerde 
erhoben  hatten,  „quod  cives  et  incole  nonnullarum  terrarum 
et  civitatum  ipsis  stratam  de  Praga  et  Boemia  versus 
Venetias  inhibeant",  so  lange  dies  andauere,  diejenigen,  die 
dies   getan,  vom  Handel  mit  Böhmen  ausschließen   sollten. 

So  hat  also  sicherlich  der  Inhalt  des  Punktes  3, 
dessen  theoretisch  alleingültige  wörtliche  Auffassung  wir 
zuerst  vertraten,  in  Wirklichkeit  nicht  geringe  Beeinträch- 
tigung erlitten. 

Nach  diesen  Erörterungen  über  die  Bedeutung  und 
den  Umfang  des  Wiener  Niederlagsrechtes  liach  1281  ist  es, 
zu  unserem  eigentlichen  Thema  zurückkehrend,  nunmehr 
unsere  Aufgabe,  die  Wirkungen  dieses  Niederlagsrechtes 
auf  den  Handelsverkehr  über  den  Semmering  zu  unter- 
suchen. 

Zuvörderst,  daß  alle  österreichischen  Städte  und  Märkte 
südlich  von  Wien  nach  Venedig  handeln  durften,  mußte,  da 
sie  auf  der  Rückfahrt  ihre  Waren  nach  Wien  zu  führen  ge- 
zwungen waren,  als  bedeutender  Aufschwung  des  Handels- 
verkehrs über  den  Paß  sich  geltend  machen.  Nicht  minder 
hatte  der  Straßenzwang  als  Konzentration,  des  Handels  eine 
stärkere  Benützung  des  Semmerings  zur  Folge  und  in  der 
gleichen  Bichtung  wirkte  aus  früher  dargelegten  Gründen 
auch  seine  Ergänzung  durch  das  Verbot  einzelner  Straßen; 
selbst  die  Wiederaufhebung  eines  solchen  Verbotes,  z.  B.  die 
Freigabe  der  Karststraße  seit  1389,  änderte,  da  auch  sie  zur 
'^^echten**  Straße  Würdö,  daran  nichts,  steigerte  eher  den 
Handelsverkehr  über  d^  Semmering,  d«  sich  foi^ta^  wahr^ 
scheinlich  auch  jene  Städte,  die  früher  den  längeren  Weg 
gescjieut  halten  j^Laib^ch,  Cifli)  am  Haride)[  mit  ;V\^arei,  ^die  sie 
aus  .VJeiiedig'  bii^^llteh,  beteiligten* ,  W^as:  ic4. fe^^  ,mdv4ßxßi( 
Stelie  bemerkte:   daß  der  Marburgtr.  ^ne  .yenetiaaiscfe^n 


«  Pelzel,  a.  a.  0.,  S.  237.  -'" 


12      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  ttber  den  Semmering  etc. 

Waren  auch  in  Brück  a.  d.  Mur  einkaufen  konnte,  schmälerte^ 
unter  dem  Gesichtspunkte  des  Einflusses  dieses  Umstandes 
auf  die  Handelsbedeutung  des  Semmerings  betrachtet,  diese 
nicht;  denn  der  Brucker  mußte  ja,  um  die  Bedürfnisse  des 
Marburgers  befriedigen  zu  können,  mehr  Waren  als  sonst 
nötig  gewesen  wären,  über   den  Semmering   geführt  haben. 

Die  Tatsache  endlich,  daß  jede  venetianische  Ware, 
mit  der  nach  Österreich  gehandelt  wurde,  ehe  sie  an  den 
Konsumenten  kam,  durch  die  Hände  eines  Wiener  Kauf- 
manns gegangen  sein  mußte,  war  selbstverständlich  —  es 
braucht  dies  nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden  —  mit  einer 
Zunahme  der  Bedeutung  des  Semmerings  für  den  Handels- 
verkehr verbunden.  Von  den  vorhin  erwähnten  Ausnahmen 
aber,  die  nicht  von  dieser  Wirkuijg  des  Niederlagsrechtes 
betroffen  wurden,  trugen  alle  zu  einer  Verringerung  des 
Handels  über  den  Paß,  nur  eine  zu  einer  Vergrößerung  des- 
selben bei:  die  Begünstigung,  welche  den  böhmischen  Kauf- 
leuten für  bestimmte  Zeit  verliehen  worden  war,  hat  gewiß 
veranlaßt,  daß  diese  während  derselben  in  größerer  Zahl 
nach  und  von  Venedig  Handel  trieben. 

Wenig  Material  kann  ich  in  unserem  Zusammenhange 
zu  der  dritten  der  oben  genannten  handelspolitischen  Maß- 
nahmen der  österreichischen  Herrscher  beibringen ;  zu  sagen 
ist  nur,  daß  die  Bestimmung  jenes  Privilegs  für  Wien  von 
1281,^  durch  welche  die  Zeitbeschränkung  des  Aufent- 
haltes der  Gäste  fallen  gelassen  und  ihnen  gestattet  wurde, 
beliebig  lange  mit  ihren  Waren  in  Wien  bleiben  zu  können 
—  seitdem  nicht  aufgehoben  —  gewiß  eine  Belebung  des 
gesamten  Handels  nach  Wien,  somit  auch  jenes  über  den  Sem- 
mering bedeutete.^ 

Und  des  weiteren  wäre  hier  jene  Begünstigung  zu 
nennen,  welche  die  Judenburger  1373  mit  Einwilligung  Herzog 
Leopolds  HL  von  Herzog  Albrecht  HI.  erhielten,  ^  daß  sie 
mit  ihren  selbst  verfertigten  Waren  nach  Wien  fahren  und 
diese  daselbst  „an  Gäste  und  andere  Leute*'  verkaufen  und 
dafür  andere  Waren  einkaufen  sollten  dürfen;  denn  mit  der 


i  Tomaschek,  a.  a.  0.,  I,  S.  64. 

«  Von  1281—1312  war  überdies  den  Gästen  in  "Wien  auch  der 
Handel  mit  ortsfremden  Kaufleuten  (also  untereinander)  stets  gestattet ; 
später  nur  zur  Zeit  der  Jahrmärkte. 

»Lichnowsky,  „Geschichte  des  Hauses  Ha'»sburg",  ^Quellen- 
nachweise und  Regesten"  dazu,  herausgegeben  von  E.  Birk,  Wien  1836  ff., 
I,  S.680f. 


^  Von  Dr.  Oskar  Kende.  13 

I  erhöhten  Absatzmöglichkeit  ihrer  Waren  durch  die  vermehrte 

I  Zahl  der  Käufer,  mit  der  größeren  Freiheit  im  Einkauf  war 

'  für  die  Judenburger  der  Antrieb  gegeben,  häufiger  als  bisher 

j  nach  Wien   Handel  zu   treiben:  ihr  Weg   dahin   aber  ging 

über  den  Semmering. 

Auf  die  Wirkungen  der  vierten,  fünften  und  sechsten 
für  uns  in  Betracht  kommenden  handelspolitischen  Maß- 
nahmen werden  wir  später*  auf  erstere  im  Zusammenhang, 
auf  die  beiden  letzteren  gelegentlich  zurückzukommen  haben. 

Ehe  ich  mich  der  Beantwortung  der  zweiten  uns  zur 
Klarlegung  der  Handelsverkehrsbedeutung  des  Semmerings 
beschäftigenden  Fragen  zuwende,  muß  ich  noch  kurz  einer 
Einrichtung  gedenken,  die  dazu  dienen  sollte,  den  Handels- 
verkehr über  den  Paß  zu  erleichtern:  einer  förmlichen 
Tran  Sportorganisation,  die  von  Seite  Schottwiens  dort,  wo  an 
der  Nordseite  der  Aufstieg  begann,  geschaffen  wurde.  ^  Bis 
}  dahin  war  es  für  das  Saumroß  nicht  schwer,  die  gewöhnliche 

I  Traglast  fortzubringen :  hier  aber,  wo  das  eigentliche  Gebirge 

I  anhub,   hätte    man    in   vielen   Fällen    die   Last    verringern 

I  müssen.     Damit  dies  nicht  notwendig  wäre,   besorgten   nun 

Schottwiener    die  Umladung    derselben    auf  Wagen,  welche 
I  sie  wie  auch  die  erforderliche  Anzahl  von  Pferden  beistellten, 

i  und  schafften  die  Waren  dann  auch  über   den  Paß.     Meist 

I  sind  wohl   mehrere  Händler  zugleich   über  den  Semmering 

gezogen   und    haben   von    dieser    Unterstützung    durch   die 
Schott  wiener   Gebrauch   gemacht:    „Item,    swaz    aber   einer 
nnz  gen  Schadwienn  auf  einem  ross  fürt  und  legt  daz  einer 
1^  oder  meniger  ...  auf  einen  wagen,  der  geit  jegleicher  6  den.,** 

heißt  es  in  den  Rechten  der  Wiener  Bürger   an   der  Maut 
zu  Neudorf  und  Sollenau  aus  ca.  1375.'^ 
^  Nun  zu  der  Beantwortung  jener  zweiten  Frage  selbst.  Ich 

will  sie  auf  die  Weise  unternehmen,  daß  ich,  wer  alles  am 
Handel  über  den  Semmering  beteiligt  war,  im  einzelnen  auf- 
zähle und  dabei  in  welchem  Maße  es   geschah,  jedesmal   so 
1^  gut  dies  möglich  ist,  angebe. 

Zuerst   in  Hinsicht  auf  den  lokalen  Handel.     In  Be- 
tracht  kommen    hier    fast    ausschließlich    die   Bürger   von 
^  Städten   und  Märkten;   diese  waren  ja   auch   im   späteren 

Mittelalter  hauptsächlich  die  Träger  des  Handels. 


1  Becker, „Niederösterreichische Landschaften**,  Wien  1879,  S.  12, 
*   Tomaschek,  a.  a.  0.,  I,  nr.  88. 


14      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

Friesach. 

Schon  in  der  von  Herzog  Friedrich  II.  1244  den 
Wiener  -  Neustädtern  verliehenen  Zollordnung*  werden  die 
„mercatores  frisacenses"  genannt,  die  Mautsatzungen  Wiener- 
Neustadts  von  ca.  1310*  erwähnen  sie  gleichfalls;  aus 
späterer  Zeit  ist  aber  der  lokale  Handel  Friesachs  über  den 
Semmering  nicht  weiter  bezeugt. 

Judenburgr* 

Die  erste  Nachricht  darüber,  daß  Judenburger  Kauf- 
leute Handel  über  den  Semmering  treiben,  bietet  uns  wieder 
iene  Urkunde  von  1244,  die  auch  „mercatores  de  Juden- 
burch"  anführt.  Bestätigt  wird  dann  dieser  Handel  durch  ein 
Weistum  der  geschworenen  Bürger  Wiener-Neustadts  von 
1270  ^  über  die  Mautgebühren  der  mit  Waren  über  Wiener- 
Neustadt  fahrenden  Bürger  von  Judenburg,  und  zwar  erfahren 
wir  hier,  daß  sie  um  diese  Zeit  speziell  Feigen,  Öl,  Seife, 
Wein  und  Getreide  über  den  Paß  brachten.  Ferner  spricht 
auch  die  Mautordnung  Wiener-Neustadts  von  zirka  1810  von 
Kaufleuten  aus  „Judenwurg**.  Nicht  minder  aber  scheint  mir 
eine  stetige  Benützung  des  Semmerings  durch  den  Handels- 
verkehr der  Judenburger  zu  beweisen,  daß  1273  es  ein  Bürger 
dieser  Stadt  war,  welcher  dem  Hospize  a.  S.  eine  Schwaige 
auf  dem  Berge  Orels  im  Ennstale  abkaufte,^  ein  solcher 
auch,  der  zirka  1280  „zwei  millearii  Eisen"  demselben  Ho- 
spize testamentarisch  vermachte.  ^  Der  zwei  weiteren  Belege, 
die  uns  für  den  lokalen  Handel  Judenburgs  über  den  Sem- 
mering erhalten  sind,  habe  ich  schon  in  anderem  Zusammen- 
hange Erwähnung  getan:  des  Privilegs  König  Rudolfs  I» 
ddo.  1277,  Jan.  19,  worin  derselbe  in  den  auf  den  Handel 
der  Stadt  bezüglichen  Teilen  u.  a.  die  Mautabgaben  der 
Judenburger  im  Warenverkehr  mit  Wien  regelte,  ^  und  ebenso 
jener  Begünstigungen,  welche  die  Stadt  1373  für  ihren  Handel 
in  Wien  erhielt.  ^ 


*  „Ausgewählte  Urkunden",  nr.  3. 
«  Winter,  a.  a.  0.,  S.  60. 

3  Fontes  rerum  Austriacarum,  II/l,  nr.  92. 

*  Wichner,     „Geschichte    des    Benediktin  er  Stiftes    Admont", 
Graz  1874/76,  II,  S.  123  und  369. 

*  Steiermärkisches  Landesarchiv  in  Graz,  nr.  1182. 
.  6  S.  2. 

7  S.  12. 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  15 


Leoben. 


Auch  hier  geschieht  die  früheste  Erwähnung  der  „mer- 
catores  de  Leuben"  in  jener  Urkunde  von  1244.  „Chaufleut 
von  Leuben"  nennt  femer  die  Mautordnung  Wr.-Neustadts 
von  zirka  1310.  Wird  auch  an  diesen  beiden  Stellen  nirgends 
eines  speziellen  Handelsartikels  gedacht,  den  die  Leobner  zur 
Ausfuhr  brachten,  so  mag  sich  doch  zumal  seit  dem  Privileg 
Herzog  Friedrich  des  Schönen  fUr  Leoben  ddo.  1314,  März  12, 
ein  solcher  allmählich  gebildet  haben :  der  Handel  mit  Eisen. 
\  „XJniversis  in  foro  Träeyach  (Trofaiach)  nee  non  chatmiariis 

I  in  monte  anteriori  citra  Traueyach  in  minera  ferri  residen- 

j  tibus"  wird  nämlich  hierin  befohlen,  ihr  Eisen  ausschließlich 

in  Leoben  zu  verkaufen,  ^    diese  Stadt  so  zum  Zentrum  des 
*  obersteirischen  Eisenhandels  gemacht.  Und  der  Vertrieb  dieses 

„leubnisch  Eysen"   nach  Östeixeich  scheint  ziemlich  bedeu^ 
tend  gewesen  zu  sein,  da  er  sich  nicht  bloß  auf  die  gewöhn- 
^  liehe  Straße  über  den  Semmering  beschränkte,  sondern  auch 

^ungewentlich  Straßen",  z.  B.  durch   das  Aflenztal  hinaus- 
geführt  wurde,    wie    eine  Urkunde   des   Wiener-Neustädter 
%  Stadtarchivs  von  1436  dartut.  Andere  Daten  von  dem  Handel 

Leobens  über  unseren  Paß  besitzen  wir  nicht. 

I  Brück  a«  d.  Mur. 

Als  Quelle  nur  das  schon  genannte  Privileg  Herzog  Ru- 
dolfs IV.  ddo.  1361,  Dezember  20,  durch  welches  Brück  a.  d.  M. 
Zoll-  und  Mautfreiheit  in  allen  Städten  erhielt,  welche  diese 
in  Brück    hätten:    was    für  den  Handel    dieser   Stadt  mit 
^  Wiener-Neustadt  zumal,  also  über  den  Semmering,  Bedeu- 

tung gewinnen  mußte. 

>  Laibach. 

Für  den  lokalen  Handel  dieser  Stadt  über  den  Sem- 
mering sei  das  den  Bürgern  derselben  von  Herzog  Albrecht  III. 

I  verliehene  Privileg  vom  O.November  1389  angeführt,^  durch 

welches  der  Herzog  ihnen  „gönnet  u.  erlaubet"  hatte,  „daz 
si  mit  Venedigischer  hab  u.  all  kaufmanschaft  aribaitten  und 

f  die  gefftren  mögen  her  gen  Wienn" ;  die  „Venedigische  hab" 


i  Krön  es,  ^Landesfürst,  Behörden  und  Stände  des  Herzogtums 
Steier,  1283 — 1411"  in  „Forschungen  zur  Verfassungs- und  Yerwaltungs- 
geschichte  der  Steiermark«,  IV.  Bd.,  1.  Heft,  Graz  1900,  S.  449  f.. 

2  „Ausgewählte  Urkunden",  nr.  144. 


16      Ziir  Handelsgeschichte  des  Passes  Ober  den  Semmering  etc. 

war  Batürlich  nicht  in  Venedig  selbst  von  den  Laibachem 
gekauft  worden,  sonst  wäre  nicht  erst  eine  „Erlaubnis*^  not- 
wendig gewesen,  diese  Waren  nach  Wien  bringen  zu  dürfen, 
sondern  es  hätte  dies  dem  Inhalt  des  Wiener  Niederlags- 
rechtes zufolge  geschehen  müssen. 

Graz. 

Es  würde  eine  eigene  Untersuchung  nötig  machen, 
wollte  man  feststellen,  wie  viel  von  dem  lokalen  Handel,  den 
Graz  im  Mittelalter  trieb,  über  den  Härtberg,  wie  viel  davon 
über  den  Semmering  gegangen  ist.*  Ich  beschränke  mich 
daher  hier  auf  die  Wiedergabe  bloß  einer  urkundlichen  Stelle 
aus  dem  Jahre  1401,'^  da  sie  als  einzig  mir  bekannte  aus- 
drücklich bezüglich  der  Waren  der  Grazer  Eaufleute  sagt; 
^was  si  aber  derselben  hab  über  den  Semerink  ....  fAren." 

Kindberg. 

Alles  was  wir  vom  Handel  der  Kindberger  sagen  können, 
geht  auf  ein  Regest,  das  sich  bei  Krones^  Nr.  375  findet, 
zurück,  nach  welchem  Herzog  Wilhelm  1396  den  Bürgern 
dieser  Stadt  den  Verkauf  der  von  ihnen  erzeugten  Töpfer- 
waren allerorten  gestattete:  was  davon  im  besonderen  nun 
über  den  Semmering  gebracht  worden  sein  mag,  läßt  sich 
selbstverständlich  aus  dieser  dürftigen  Angabe  nicht  er- 
schließen. 

Hürzzuschlag*. 

1360  war  den  Bürgern  von  Mürzzuschlag  durch  Herzog 
Rudolf  IV.   das  Privileg  verliehen  worden,   es  sollte,  da  sie 


^  Das  Gleiche  gilt  von  dem  lokalen  Reiseverkehr;  z.  B.  zog 
König  Rudolf  I.,  als  er  im  September  1279  eine  Reise  in  die  Steiermark 
unternahm,  „daz  er  des  landes  phat  gewunne  kund  und  aht,  wand  im 
waz  niht  verdagt  gekündet  und  gesagt  von  Stir  des  landes  guete", 
über  den  Hartberg  nach  Graz.   („Reimchronik",  herausg.  von  See-  ^ 

m tili  er  in   „Mon.  Germ.   Deutsche   Chron.   V,   1   u.   2,    1890/3,    von 
18740 — 60,  und  Böhmer-Redlich,   „Regesta  imperii  VI",   Innsbruck  ^ 

1898),  nr.  1128a.) 

*  War  tinger,    „Privilegien  der  Landeshauptstadt  Graz",   Graz  i 

1836,  nr.  19. 

3  Krones,  Urkunden  zur  Geschichte  des  Landesftirstentums, 
-der  Verwaltung  und  des  Ständewesens  der  Steiermark  1283  —  1411"  in  I 

„Veröffentlichungen   der  histor.  Landeskommission  f.  Steiermark"   IX.,  i 

1899,  und  in  ,  Beiträgen  zur  Kunde  steiermärkischer  Geschichtsquellen **  ] 

XXVm,  nr.  375.  I 

( 


r 


f 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  17 

^ander  betragBuss  und  arbeith  nicht  beten"  zwischen  Leoben 
und  dem  Semmering  nur  in  ihrem  Markte  Eisen  klein  gemacht 
werden  dürfen.  Mit  diesem  so  bearbeiteten  Eisen  haben  die 
Mürzzuschlager  dann  auch  über  den  Semmering  nach  Wiener- 
Neustadt  und  weiterhin  Handel  getrieben :  „das  Eysen  so  sie 
zu  Zeiten  daselbst  hin  in  die  Neustatt  zu  verkbauilh  bringen, 
fehrer  (=  weiter)  zu  führen  und  ander  Enden  zu  verkhauffen" 
hätten  ihnen  die  Wiener-Neustädter  gewehrt,  heißt  es  in 
einer  Urkunde  des  Wiener-Neustädter  Stadtarchivs,  allerdings 
erst  aus  dem  Jahre  1462;  doch  werden  wir  die  Tatsache, 
von  der  hier  die  Rede  ist :  den  Handel  mit  Kleineisen  über 
den  Semmering,  da  die  Gelegenheit,  bei  welcher  sie  erwähnt 
wird,  eine  zufällige  genannt  werden  muß,  in  viel  frühere 
Zeit  ansetzen  können. 

Stainz  im  Hürztale. 

Von  der  Beteiligung  des  Marktes  Stainz  im  Mürztale 
am  Handel  über  den  Semmering  gibt  uns  wieder  nur  eine 
einzelne  Nachricht  Kenntnis,  ein  Privileg  Herzog  Friedrichs  IV. 
ddo.  1427,  Dez.  21,  das  uns  im  Regest  bei  Muchar,* 
erhalten  ist :  hiemach  bestimmte  der  Herzog,  „daß  die  Bürger 
von  Stainz  befugt  seien,  weiche  Eisensorten  u.  a.  Eisen  zu 
schmieden  und  unbehindert  über  den  Semmering  nach  Öster- 
reich heraus  zu  verschleißen,  weil  diese  Eisenfabrikate  nicht 
Kleineisen  seien  und  daher  den  alten  Privilegien,  welche 
Herzog  Rudolf  IV.  den  Hammerschmieden  von  Mürzzuschlag, 
Brück  a.  d.  Mur  usw.  verliehen,  kein  Eintrag  getan  würde." 

Wiener-Neustadt. 

In  Hinsicht  Wiener-Neustadts  ist  es  mir  möglich,  mehr 
Material,  als  es  bei  anderen  Orten  der  Fall  war,  für  den 
lokalen  Handel  dieser  Stadt  über  den  Semmering  zu  bieten : 
hatte  sich  ja  doch  Wiener-Neustadt  ungefähr  seit  der  Mitte 
des  vierzehnten  Jahrhunderts  allmählich  zum  ausschließlichen 
Zentrum  des  Weinhandels  in  die  Steiermark  entwickelt. 
Vielleicht  dürfen  wir  zur  Erklärung  der  Tatsache,  daß  gerade 
Wiener-Neustadt  diese  Stellung  erlangte,  heranziehen,  daß 
hierin  die  ehemalige  Zugehörigkeit  dieser  Stadt  zur  Steier- 
mark nachwirkte.   Der  Weinhandel  dieser  Stadt  über  den 

„G.eschichte  des  Herzogtums  Steiermark",    1846  ff^, 


4 

i 

1  Muchar, 
YII,  S.  193. 

» 

18      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  Über  den  Semmering  etc. 

Semmering  scheint  übrigens  ihren  lokalen  Handel  über  diesen 
Paß  ganz  ausgefüllt  zu  haben;  wenigstens  finden  wir  eines 
sonstigen  lokalen  Handels  Wiener-Neustadts  über  den  Semme- 
ring nirgends  Erwähnung  getan. 

Um  so  zahlreicher  sind  dagegen  die  Urkunden,  welche 
uns  von  dem  Weinhandel  Wiener-Neustadts  über  unsern 
Paß  berichten.  Die  erste  derselben  betrifft  einen  Befehl 
Herzog  Albrechts  H.  vom  8.  November  1342  an  seinen 
Landeshauptmann  in  der  Steiermark,  Ulrich  von  Walsee,  ^ 
wodurch  diesem  aufgetragen  wird,  die  Bürger  von  Wiener- 
Neustadt  im  Handel  mit  ihren  deutschen  und  ungarischen 
Bauweinen  über  den  Semmering  nach  Brück  a.  d.  Mur,  Juden- 
burg, Schladming,  Rottenmann  und  Friesach  zu  schützen.  Von 
Mitte  Dezember  dieses  Jahres  sind  dann  die  Antwort  Ulrichs 
von  Walsee  an  den  Herzog,  wie  einzelne  Weisungen,  die  er  an 
die  Gemeinden  von  Mürzzuschlag,  Kindberg  und  Brück  a.  d.  Mur 
richtet,  alle  im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv  befindlich,  da- 
tiert ;  dem  Herzog  meldet  er,  er  wolle  die  Wiener-Neustädter 
„gern  ir  pawwein  lazzen  füren"  und  den  genannten  Gemeinden 
empfiehlt  er,  sie  sollten  die  Wiener-Neustädter  in  ihren 
durch  den  Herzog  verliehenen  Begünstigungen,  wenn  diese 
sich  darüber  ausweisen  könnten,  „daz  es  ier  wein  sey 
u.  ander  niemant",  nicht  beirren.  Scheint  nun  auch  der 
Weinhandel  Wiener-Neustadts  über  den  Semmering  durch 
jenes  Privileg  Herzog  Albrechts  IL  nicht  erst  geschaffen 
worden  zu  sein,  mag  derselbe  auch  schon  in  früheren  Zeiten 
bestanden  haben,  so  muß  doch  mit  einemmale  ein  allzu 
starker  Gebrauch  von  den  Privilegsbestimmungen  gemacht 
worden  sein,  denn  1345  sieht  sich  der  Herzog  wieder  zu 
einer  Einschränkung  seines  Privilegs  veranlaßt.  Es  hatten 
sich  nämlich  die  „Edelleuthe  u.  Landleuthe"'-^  der  Steier- 
mark bei  ihm  beklagt,  „dass  Sy  vast  überladen  wären  mit 
pawwein   die   mann   auf   die  Steyermarch  führet",   was  ihr 


1  Abgedruckt  bei  W  i  n  t  e  r  „Das  Wiener  Neustädter  Stadtrecht  des 
13.  Jahrhunderts"  im  Archiv  für  österreichische  Geschichte,  60.  Bd.,  1879. 

*  Eine  gleichlautende  Einteilung  der  Stände  habe  ich  weder  bei 
Krone s,  Verfassung  und  Verwaltung  der  Mark  und  des  Herzogtums 
Steier  von  ihren  Anfängen  bis  zur  Herrschaft  der  Habsburger*'  in 
„Forschungen  zur  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte  der  Steier- 
mark", Graz  18»7,  S.  305 if,  noch  in  desselben  Landesfürst,  Behör- 
den und  Stände  etc.,  S.  75  ff,  angegeben  gefunden.  Übrigens  führt 
das  Regest  dieser  Urkunde  bei  Krön  es  Urkunden  zur  Geschichte 
des  Lande sfürsteritums,  nr.  17  •  auch  „Bürger"  .  als  sich  Beschwerende 
an,   die  in  der  Urkunde   des  Wiener- Neustädter   Stadtarchives  fehlen. 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  19 


„Verderben"  bedeute;  wieso  wird  nicht  gesagt,  nur  als  Bei- 
spiel angeführt,  daß  ihnen  gleiche  „beschwerung  und  Über- 
last" hierdurch  bereitet  würde,  wie  sie  den  Ungarn  aus  der 
Einfuhr  österreichischer  Weine  erwachsen  wären,  wor^-us  ge- 
schlossen werden  kann,  daß  wohl  der  einheimische  Wein- 
handel die  übermächtige  Konkurrenz  nicht  auszuhalten  im- 
stande war.  Und  Herzog  Albrecht  IL  kam  auch  den  Wünschen 
seiner  steirischen  Untertanen  soweit  entgegen,  daß  er  den 
Wiener-Neustädtern  den  Handel  mit  ihren  ungarischen 
Bauweinen  in  die  Steiermark  nicht  weiter  erlaubte  und  zu- 
gleich verordnete,  daß  außer  „Herren,  Klöstern  und  anderen 
ehrbaren  Leuthen",  welche  zu  eigenem  Bedarf  Wein  in  ihre 
^  Häuser  sollten  führen   dürfen,   allein  die  Wiener-Neustädter 

*  zur  Weineinfuhr   in   die  Steiermark,  also  zum   Handel  mit 

I  Wein  in  dieses  Land  berechtigt  seien. 

Diese  letztere  Bestimmung  mußte  allerdings  die  meisten 
}  Vorteile  für  die  Wiener-Neustädter  selbst   einschließen  — 

I  sollte  sie  auch  vielleicht  für  die  Aufgabe  der  einen  Begünsti- 

gung entschädigen :  denn  durch  dieselbe  war  ihr  Weinhandel 
^  (mit  Beschränkung  auf  deutsche  Bauweine)  in  die  Steier- 

mark rechtlich  monopolisiert  worden;   zwar,   wenn  wir   das 
I  nächste  durch   Herzog  Rudolf  IV.    1364   den  Wiener-Neu- 

I  Städtern    verliehene  Privileg^  ins  Auge  fassen,    so  mag  es 

'  wenigstens   dem  Wortlaut  dieser  Urkunde  zufolge  den  An- 

schein haben,  als  ob  jene  Bestimmung  nicht  lange  den  Wiener- 
Neustädtern  zugute  gekommen  wäre,  der  Umfang  ihres  Mono- 
pols eine  Schmälerung  erfahren  hätte. 

Während  nämlich   in    dem   Privileg  von   1345  gesagt 

^  worden   war,    daß    die   Wiener-Neustädter   zur  Weineinfuhr 

(näher  spezialisiert)  in  die  Steiermark  befugt  sein  sollten, 

niemand  anderer  (mit  Ausnahme  von  „Herren,  Klöstern  und 

'  anderen  ehrbaren  Leuten"    zu  eigenem  Bedarf)  Wein  in  die 

Steiermark   sollte  führen   dürfen:    also  alle   Straßen  in 

dieses  Land  den  Wiener-Neustädtern  gestattet,  den  anderen 

^  aber  (mit  Ausnahme  von  „Herren  etc.")  verboten  erscheinen 

mußten,  heißt  es  in  dem  Privileg  von  1364:  „wann  wir  ew 

bey   den  Rechten  und   gnaden  wellen  beleiben  lassen,   daz 

Ir  ewr  Pauwein  über   den  Semmerinckh  füren   sult  u.  daz 

nymant  ander  Wein  hinüber  füren  sol",    wurden  also   die 

Wiener-Neustädter  bei  ihrer  Weineinfuhr  (näher  spezialisiert) 

auf  den  Semmering  beschränkt,  die  Weineinfuhr  der  anderen 


1  Im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv. 

2* 


20      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  Ober  den  Semmering  etc. 

(näher  spezialisiert)  aber  auch  nur  Ober  den  Semmering 
verboten,  was  nicht  zugleich  zu  bedeuten  brauchte,  daß 
dieses  Verbot  sich  auch  auf  die  'Benützung  anderer  Strafien 
bezöge. 

Wir  müssen  nun  zunächst  klarzulegen  versuchen,  wie 
diese  eben  berührte  Abweichung  in  den  beiden  Privilegien 
zu  verstehen  ist,  da  das  Resultat  der  Stellungnahme  zu  der- 
selben für  die  Beurteilung  der  meisten  späteren  Urkunden 
für  Wiener-Neustadt  ausschlaggebend  ist. 

Was  ich  glaube,  ist.  daß  wir  es  hier  wohl  mit  einer 
wörtlichen,  nicht  aber  mit  einer  sachlichen  Verschiedenheit 
zu  tun  haben,  daß  also  die  betreffenden  Stellen  in  beiden 
Privilegien  sich  nicht  widersprechen,  eine  die  andere  nicht 
abschwäche,  sondern  daß  sie  sich,  wörtlich  genommen,  gegen- 
seitig ergänzen,  d.  h.  dem  Sinne  nach  durch  jede  der  beiden 
dasselbe  ausgedrückt  werden  sollte :  nämlich,  daß  die  Wiener- 
Neustädter  zwar  das  ausschließliche  Monopol  des  Wein- 
handels (näher  spezialisiert)  in  die  Steiermark  besitzen  sollten 
(also  niemand  anderer  zu  demselben  in  dieses  Land  auf 
irgendeinem  Wege  berechtigt  sein  sollte),  sie  aber  als  Weg 
hiezu  den  Semmering  zu  benützen  hätten.  Denn  dafür,  daß 
durch  das  Privileg  von  1364  das  Monopol  der  Wiener- 
Neustädter  in  gleichem  Maße  aufrechterhalten  werden  sollte, 
daß  es  also  für  diesen  Punkt  dasselbe  enthielt,  was  das 
Privileg  von  1845  ausgesprochen  hatte,  dafür  spricht  schon 
der  Umstand,  daß  es  fllr  die  Wiener-Neustädter  ein  Privileg 
von  recht  zweifelhaftem  Werte  gewesen  wäre,  welches  ihnen 
für  ihren  Weinhandel  nur  eine,  den  andern  aber  für  den 
ihrigen  alle  übrigen  Straßen  erlaubt  hätte. 

Was  ich  vorhin  erwähnte,  daß  nämlich  die  Auffassung, 
zu  welcher  wir  uns  in  dieser  Frage  entschließen,  für  die 
Beurteilung  der  meisten  späteren  Urkunden  ausschlaggebend 
ist,  sei  hier  noch  kurz  ausgeführt  :  hielte  man  sich  strenge 
an  den  Wortlaut  der  bisher  behandelten  Stellen  in  den 
beiden  Privilegien,  so  hätte  die  Urkunde  von  1364  für  die 
Wiener-Neustädter  eine  Einschränkung  ihres  Monopols,  für 
die  anderen  die  Aufhebung  des  für  sie  bestehenden  Verbotes 
eines  Weinliandels  in  die  Steiermark,  ausgenommen  jenes 
über  den  Semmering,  zur  Folge  gehabt,  welches  Verbot  erst 
durch  eine  Anzahl  Privilegien  seit  1383  allmählich  bis  zu 
dem  Umfange  erneuert  worden  wäre,  der  schon  1345  fest- 
gestellt worden  war;   dagegen  brachte,   wie  bereits  hervor- 


f 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  21 

?ik  gehoben,  nach  unserer  Ansicht  das  Privileg  von  1364  gegen- 

[  über  dem  von  1345  keine  Änderung  in  dieser  Hinsicht  mit 

sich,  jene  Urkunden  seit  1383  stellen  sich  für  uns  als  bloß 
praktischen  Bedürfnissen  angepaßte  Wiederholungen  (Ein- 
schärfungeh)  eines  seit  1345  geltenden  Rechtes  dar. 

Das  Ergebnis,  zu  welchem  wir  in  vorstehenden  Erörte- 
rungen gelangten,  gibt  uns  auch  den  Gesichtspunkt,  unter 
welchem  wir  den  übrigen  Inhalt  einiger  Privilegien  der 
Wiener-Neustädtjer  nacji.  1345  zu  betrachten  haben :  daß  wir 
nämlich  hierin  ei]^  Ausgestaltung  des  im  Privileg  von  1345 
gegebenen  Umfarigs  des  Monopols  derselben  erblicken  dürfen. 
Schon  1364  geschah  eine  solche  in  doppelter  Richtung. 
Erstens  mochte  es,  obwohl  1345  von  Herzog  Albrecht  IL 
der  jeweilige  Landeshauptmann  der  Steiermark  „oder  wer 
an  Unnser  Statt  in  dem  Lanndt  gewalttig  ist"  mit  der  Auf- 
sicht über  die  Einhaltung  der  Privilegsbestimmungen  betraut 
worden  war,  ein  oder  das  anderemal  vorgekommen  sein,  daß 
außer  den  Wiener-Neustädtern  auch  andere  aus  „Stetten 
Merckten  dorflfern  oder  auf  dem  Lannd"  Wein  über  den 
L  Semmering  gebracht  hatten  und  es  erschien  deshalb  gut,  jenen 

r  ein  Mittel  gegen  die,    welche  ihre  Freiheiten  verletzten,  an 

i  die  Hand  zu  geben:    „das  Ir  daz  vasst  weret  und  dieselben 

l  Wein   niderslahet",    wird    damals    gleichfalls    den   Wiener- 

)  Neustädtern  ausdrücklich  gestattet.  ^    Ein  zweites  ist,    daß 

es   den   Wiener-Neustädtern,    die   sich  wohl  darum  bemüht 
!  hatten,  gelungen  sein  muß,  jene  Beschränkung  ihrer  Wein- 

einfuhr auf  deutsche  Bauweine   zu  beseitigen,    da  in  einer 
!  Urkunde/von  diesem  Jahre  nur  mehr  allgemein  von  „Bau- 

^  weinen"  die  Rede  ist.    Für  1435  läßt  es  sich  sogar  belegen, 

I  daß  die  Wiener-Neustädter  ungarische  Weine  in  die  Steier- 

mark brachten.  Denn  in  den  Beschwerden,  welche  die 
steirischen  Stände  in  dem  genannten  Jahre  vor  Herzog 
Friedrich  V-  erhoben  und  um  Abstellung  deren  Ursachen  sie 
baten,  war  auch  inbegriffen,  daß  der  Herzog  die  ungarischen 
Weine  „über  den  Semerink  ze  geen  wern"  sollte.  Und  dß,ß 
dies  vor  allem:  di^  Wiener-Neustädter  anging,  erhellt  daraus, 
^aß  der  Herzog  sich  an  sie  wendete  und  sie  aufforderte, 
Bevollmächtigte  mit  „abschrifft  und  vidimus"  der  Privilegien, 
welche  sie,  die  Weinfuhr  über  den  Semmering  betreffend, 
besaßen,  zu  ihm  zu  senden.^ 


I  *  Im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv. 

«  Im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv. 


22      Zur  Handelsgeschicbte  des  Passes  ttber  den  Semmering  etc. 

Wieder  eine  Erweiterung  des  Wiener-Neustädtischen 
Monopols  bedeutete  es,  wenn  Herzog  Albrecht  III  137  P 
bestimmte,  daß  niemand  fürderhin  Wein  über  den  Semmering 
sollte  bringen  dürfen,  der  nicht  seine  und  der  Wiener-Neu- 
städter besondere  Erlaubnis  hiezu  durch  Urkunde  vorzeigen 
könnte  und  somit  eine  rechtliche  Weineinfuhr  über  den 
Paß  in  die  Steiermark  zugleich  auch  von  der  Bewilligung 
der  Wiener-Neustädter  abhängig  machte.  Nicht  minder,  wenn 
der  Schlußsatz  dieses  Privilegs,  das  sich  an  alle  herzogliche 
Beamte  wie  übrige  Untertanen  wendete,  diese  aufforderte, 
alle,  welche  Wein  über  den  Semmering  führen  wollten  und 
nicht  solchen  „brief*  von  ihm  und  den  Wiener-Neustädtem 
hatten,  zu  „verheften" ;  es  mußte  dies  die  Kontrolle  der 
letzteren  über  die  richtige  Ausführung  ihrer  Begünstigungen 
unterstützen  und  verstärken. 

Zu  diesem  Privileg  sei  übrigens  folgendes  im  besonderen 
zu  bemerken  gestattet.  Wir  besitzen  schon  vor  1371  ein 
Ansuchen  um  die  Erlaubnis  zur  Weinfuhr  über  den  Semme- 
ring, indem  sich  Bischof  Johann  von  Gurk  1361^  bei  den 
Wiener-Neustädtem  für  den  Wirt  von  Schottwien  ver- 
wendet, sie  sollten  demselben  4  Faß  Wein  über  den 
Semmering  bringen  lassen.  Dies  mag  sich  daraus  erklären, 
daß  der  Wirt  ja  Bürger  eines  Marktes  war  und  diesen  die 
Weinfuhr  über  den  Semmering  bei  Androhung  der  Konfiskation 
ihrer  Ware  verboten  worden  war;  wollte  er  sie  also  nicht 
aufs  Spiel  setzen,  so  war  es  gut,  sich  der  Einwilligung  der 
Wiener-Neustädter  zu  versichern.  Interessant  wäre  ferner 
zu  wissen,  welche  Wirkungen  dieses  Privileg  Herzog 
Albrechts  III.  von  1371  auf  jene  Bestimmung  Herzog 
Albrechts  II.  vom  Jahre  1345,3  daß  „Herren,  Klöster  und 
andere  ehrbare  Leute"  zu  ihrem  Eigenbedarf  „mugen  wein 
von  Osterreich  in  Ihr  hauss  fuhren",  hatte.  Es  ist  dies  nämlich 
nicht  klar  zu  erkennen.  Denn  daß  1443  in  dem  Privileg, 
m  welchem  König  Friedrich  III.  alle  früheren  Rechte  und 
Freiheiten  der  Wiener-Neustädter  und  dabei  auch  genau  das 
Privileg  von  1345  bestätigte,^  der  Zusatz  fehlt,  diese  Wein- 
fuhr dürfe  nur  mit  „brief"  der  Wiener-Neustädter  geschehen, 
beweist  nicht  unbedingt,    daß  dies  nicht  doch  der  Fall  sein 

»  Im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv. 
«  Im  Wiener-Keustädter  Stadtarchiv. 
3  S.  18  f. 

*  Winter.    „Urkundliche  Beiträge«,  S.  96  ff. 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  23 

mußte,  da  1443  die  meisten  Privilegien  fast  im  Wortlaut 
wiederholt  werden,  ohne  daß  man  sie  in  richtige  Oberein- 
stimmung zu  den  vorhergehenden  und  späteren  zu  bringen 
gesucht  hätte.  Ich  möchte  sogar  um  so  eher  annehmen, 
daß  die  Wiener-Neustädter  seit  1371  auf  einen  besonderen 
„brief"  bestanden,  da  schon  vor  dieser  Zeit  ein  solcher 
notwendig  gewesen  zu  sein  scheint,  wenn  in  einer  Urkunde 
König  Friedrich  in.  vom  Jahre  1448^  gesagt  wird,  daß  der 
Abt  von  St.  Lambrecht  von  Herzog  Rudolf  IV.  ein  Privileg 
erhalten  hatte,  wie  viel  Wein  er  „zu  NotdurflFt  seines  Gocz- 
haus"  jährlich  über  den  Semmering  sollte  fuhren  dürfen,  und 
auch  schon  vor  1371  von  den  Wiener-Neustädtern  dem 
Kloster  Seckau  Schwierigkeiten  in  seiner  Weinfuhr  über  den 
Semmering  bereitet  worden  waren.  Ferner  wird  in  derselben 
Urkunde  von  1448  erwähnt,  daß  einzelne  „Edlleuthe"  von 
früheren  Landesfürsten  „begnat"  worden  wären,  jährlich .  eine 
bestimmte  Summe  Wein  „zu  Nottür jBFt  Irer  heuser  zu 
Speysung"  über  den  Paß  bringen  zu  können;  was  nicht 
minder  bei  Fortdauer  jener  Bestimmung  von  1345  überflüssig 
gewesen  wäre. 

Eine  letzte  Vergrößerung  erfuhr  'das  Monopol  der 
Wiener-Neustädter  durch  eine  Urkunde  Herzog  Leopold  III. 
vom  Jahre  1382,^  die  uns  übrigens  auch  insofern  interessiert, 
als  sie  gegenüber  jenen  von  1342  unsere  Kenntnis  von  der 
örtlichen  Ausdehnung  des  Wiener-Neustädtischen  Weinhandels 
bereichert.  Dieses  Privileg  verfügte,  daß  die  Wiener-Neu- 
städter Wein  in  Fäßchen  (sogenannten  Laglwein)  „über  den 
Semerningk  gen  Ausse  oder  wohin  sy  wellent"  bringen 
durften  und  stellte  hiedurch  ihnen  wenigstens  im  Klein- 
verkauf den  Handel  nicht  mehr  bloß  mit  ihren  Bauweinen 
sondern  mit  Wein  überhaupt  in  die  Steiermark  frei.  Noch 
fünf  Jahre  früher,  1377,^  war  die  Einführung  von  Laglwein 
in  die  Steiermark  allgemein  verboten  worden. 

Da  wir  das  Verhältnis,  in  welchem  eine  Reihe  von 
Privilegien  seit  1383  zu  den  früheren  steht,  in  dem  für  uns 
in  Betracht  kommenden  Wichtigen  schon  charakterisiert 
haben,  sagten,  daß  sie  kein  neues  Recht  fixierten,  sondern 
nur  das  alte  in  Erinnerung  zurückrufen  sollten,  so  können 
wir  uns    über   ihren    sonstigen  Inhalt  kurz  fassen.     Immer 


i 


«  Im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv. 
«  Im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv. 
»  „Ausgewählte  Urkunden«,  nr.  184. 


24      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  fiber  den  Semmering  etc. 


genauer  wird  pr&zisiert,  was  alles  Unberechtigten  hinsichtlich  i 

der  Weinfiihr  in  die  Steiermark  verboten  wäre:   1383  wird  I 

von    Herzog   Leopold   III.    befohlen     „das    nieman    dhain  . 

ungrisch  noch  frömde  wein  über  den  Semeringk  noch  über  ' 

den   Hartperg ....    foren    suUe'^,    1385    sieht   sich   dieser  i 

Herzog  auf  die  Klagen  der  Wiener*Neustädter  hin  genötigt, 
dieselbe  Verordnung  etwas  ausführlicher  zu  erlassen,«  1389  j 

ergänzt  Herzog  Albrecht  III.  wieder  die  Urkunde  von  1383  1 

in    einzelnem,     1395    erfolgt    durch    ein    Privileg    Herzog 
Wilhelms    eine    weitere   Spezifizierung    sowohl    der   wider-  ■ 

rechtlich  in  die  Steiermark    geführten  Weine   als   der  dabei 
benützten  Straßen,   indem  der  Herzog  sich  dagegen  wendet^  ' 

daß  man  zum   Schaden  der  Wiener-tNeustädter   „deutsche, 
.  ungarische  und  Günser  Weine"  über  den  Semmering,  Hart-  J 

berg  und  durch  die  Prein  in  das  Mtirztal  bringe;  1436  wird  ' 

schließlich    auch   noch   die  Straße  im  Aflenztale   genannt, 
durch  die  man  keinen  Wein  aus  Österreich  in  die  Steier-  i 

mark  schaffen  dürfe.'  I 

Der  übrigen  uns  erhaltenen  Urkunden,   die  außer  den 
bisher  besprochenen  noch  auf  den  Weinhandel  Wiener-Neu-  | 

stadts  Bezug  habeii,   genügt  es  gaiiz  allgemein  zu  gedenken  ^ 

und  zu  sagen,    daß  die  einen  unter  .ihnen  von  Fällen  be- 
richten, in  denen  im  besonderen,  an  Klerus  wie  Laien   die  | 
Erlaubnis  zur  Weinfuhr  in  die  Steiermark,  meist  zu  eigenem 
Bedarf  verliehen  wurde  —  auf  diese  werden  wir  weiter  unten             i 
des  näheren  einzugehen  haben  —  und  daß  andere  bezeugen.  j 
wie  alle  Privilegieu  nicht  imstande  waren  durchzusetzen,  daß 
sehr  viele,  „die  des  nicht  Recht  hatten",  Wein  in  die  Steier-  | 
mark  brachten,   trotzdem,  ähnlich  wie  1371  auch  1449,  •  von              4 
Künig  Friedrich  III.  bestimmt  worden  war,  daß  niemand,-  „es             1 
sein  geistleich   oder  weltleich",  Wein  aus  Österreich  in  die 
Steiermark  führen  sollte,  der  nicht  „der  Erbern  weisen  *  .  .  • 
des  Burgermaister,  Richter  und  Rath, ,  .  .  zu  der  Neuenstat             | 
b^ief  oder  wartepichen  (wahrscheinlich  ein  bestimmtes  Brand-  , 
inal  am  Fasse)   dabej"   Mtte.    So   konnte   nicht   verhindert              I 
werden,   daß  die  Wiener-Neustädter,  durch  den  Weinhandel             \ 
wie  überhaupt  durch  die  Weineinfuhr  Unbefug;ter  in  die  Steier- 
mark in  ihren  Rechten  beeinträchtigt  wurden;  was  übrigens, 
andererseits  auch  den  Schaden,  den.  dßr  Weihhandel  Steier-. 
marks  selbst  durch  einen  übergroßen  Import  erleiden  mußte, 
nur  noch  vergrößerte :  war  doch  den  Ständen  dieses  Landes 


»  Die  vier  Urkunden  im  Wiener-Neustädter  StadtarcMv. 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  25 

^^  sogar  der  Weinhandel  Wiener-Neustadts  des  öfteren  unbe^ 

f  quem.* 

k  Dennoch  aber  wird  man,  glaube  ich,  behaupten  dürfen; 

!  daß  all  dies  das  Ausmaß,  in  welchem  Wiener-Neustadt  ain 

1^  lokalen  Handel    über   den   Semmering    beteiligt  war,    nicht 

I  wirklich  bedeutend  zu  verringern  vermocht  hat. 

Wien. 

f  Von  Wiens  lokalem  Handel  über  den  Semmering  habe 

ich  nicht  eine  völlig  sichere  Nachricht  gefanden;  folgende^ 
f*  Beispiel  auch  nur,  wo  er  vermutet  werden  kann :  ein  Befehl 

!  des  Landeshauptmanns   der  Steiermark,  Leutold  v.  Stadeckj 

vom  Jahre  1363  an  die  Wiener-Neustädter  ■^,    die/ Wiener 
[>  im  Handel  mit  Eisen  und  Stahl  nicht  zu  beirren ;  dieses  aber 

'  hatten  sie  wahrscheinlich  selbst  in  der  Steiermark  eingekauft. 

^  Der  übrigre  Handelsverkehr.* 

'  Bezeugt  ist  uns  ein  solcher,  das  heißt  ein  Handels7 
verkehr,  der  nicht  durch  Städte  und  Märkte  vermittelt  wurde; 
U  durch  die  Mautordnung  für  Wiener-Neustadt  von  zirka  1310, 
I  deren  31.  Artikel  besagt:^  „Wist  auch,  daz  die  chlöster- 
l  leut  die  in  dem  laude-  ze  .  .  .  .  Steyr gesessen  sind,. 

j  *  Im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv.  Krones,  „Urkunden  etc.", 

!  nr.  234.    Lichnowsky,  a.  a.  0.,  II,  nr.  494. 

*  Kröne s,    „Urkunden  etc.",  nr.  235. 

3  Daß  ich  unter  diesem  Ausdrucke  die  drei  im  Text  genannten 
Beispiele  zusammenfasse,  muß  ich  vielleicht  mit  ein  paar  Worten 
begründen.    Ich  verstehe  unter  Handel  jeden  Warenverkehr  zwischen 

y  [Produzenten   und  Konsumenten,    der   zu  Zwecken    der  Erzielung   eines. 

Gewinnes  erfolgt.  Sowohl  die  Definition,  die  P  h  i  1  i  p  p  o  v  i  c  h  E.  v.,  ^  Grund-^ 
riß  der  politischen  Ökonomie'*.  I.  Bd.  („Allgemeine  Volkswirtschaftslehre ")\ 
Freiburg  i.  Br.  1899,  S.  196,  §  83,  gibt:  „Der  Handel  ist  jene  Erwerbs- 

?  fähigkeit,    welche  nicht  durch  selbständige  Produktion,    sondern  durch 

Kauf  und  Verkauf  von  Gütern,  an  welchen  der  Händler  selbst  .keine 
Veränderung  mehr  vornimmt,  einen  Gewiim  anstrebt",  als  jene  Büchers^ 
,Die  Entstehung  der  VoUts Wirtschaft"  »,  Tübingen  1901,  S.  71,  daß  Handel 

\  im  nationalökonomischen  Sinne  „ein  regelmäßiger,  beruflich  organisierter 

Wareneinkauf,  zum  Zwecke  des  Wiederverkaufes  mit  Gewinn"  ist,  sindza 
eng  und  vermögen  die  ganzen,  historisch  gegebenen  Kombinationen  nicht 
in  sich  zu  fassen.    Jene  von  Philip pövich  deshalb,    da  ja  auch  der 

k  Wiener-Neustädter   Bürger,    der   seine  Eigenbauweine    (nicht   gekaufte 

Weine)  über  den  Semmering  führte,  um  sie  irgendwo  zu  verkaufen^ 
Handel  trieb,  die  Bücheirsche,  da  sie,  was  keineswegs  immer  der  Fall 
zu  sein  braucht,   überdies  einen  eigenen  sozialen  Stand,    der  sich  aus- 

-  schließlich  mit  Handel  beschäftigt,  voraussetzt, 

4  Winter,   „Urkundliche  Beiträge  etc.",  S.  60. 

l 


26      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  Über  den  Semmering  etc. 

swaz  si .  .  .  .  auzfurent,  da  gewent  si  nicht  maut  von",  da 
gewiß  viele  der  Waren  auch  über  den  Semmering  gingen, 
ferner  durch  zwei  Urkunden  aus  dem  Jahre  1448,  *  aus  deren 
einer  hervorgeht,  daß  schon  in  früherer  Zeit  die  „Pfleger"  des 
Schlosses  Klamm  das  Recht  besassen,  18  Lasten  Wein  „Pau- 

zechent  und  Perckrechts  das  zu  der  benannten  Herrschaft 

gehört"  über  den  Semmering  führen  und  verkaufen  zu  dürfen, 
deren  andere  die  Erlaubnis  für  den  Abt  von  Neuberg  ent- 
hält, daß  derselbe,  was  er  von  den  fünfzig  Fuder  Weins,  die 
er  jährlich  allerdings  nicht  bloß  über  den  Semmering,  son- 
dern auch  über  das  Gscheid  sollte  bringen  dürfen,  nicht  zu 
eigenem  Bedarf  verwenden  würde,  in  bestimmte  seiner  Ta- 
bernen  geben  und  an  die  Landbevölkerung  verkaufen  könne. 
Die  beiden  Fälle  waren  möghch,  obwohl  1377  von  Herzog 
Albrecht  III.^  ausdrücklich  verordnet  worden  war,  daß 
„Prälaten,  Pfaffen,  Herren,  Ritter,  Knechte,  Holden  und  Juden 
keine  Kaufmannschaft  treiben"  dürften. 

Der  Warenverkehr  ohne  Angabe  des  Zweckes,  zu  welchem 

er  erfolgte. 

An  dieser  Stelle  will  ich  auch  des  Warenverkehrs, 
welcher  nicht  zu  Zwecken  des  Handels  geschah,  Erwähnung 
tun,  zuvor  aber  noch  jene  Nachrichten  einfügen,  in  denen 
es  nicht  mit  Bestimmtheit  möglich  ist,  den  Zweck,  zu  dem 
der  Warenverkehr  unternommen  wurde,  anzugeben.  So  aus 
dem  Privileg,  welches  1340  das  Klarenkloster  in  Judenburg 
durch  Herzog  Albrecht  11.^  erhalten  hatte:  weder  Maut 
hoch  Ungeld  von  Waren,  die  es  z.  B.  in  Wien  kaufe,  ent- 
richten zu  müssen,  aus  der  Mahnung  auch,  die  1363  Herzog 
Rudolf  IV.  an  die  Wiener-Neustädter  richtete,^  sie  sollten 
die  Bauweine  des  Propstes  und  der  Chorherren  von  Seckau 
iinbehindert  aus  Österreich  über  den  Semmering  führen  lassen, 
aus  dem  schon  erwähnten  Ansuchen  ferner  des  Bischofs  Johann 
von  Gurk  an  die  Wiener-Neustädter  von  1361  sie  möchten 
dem  Wirt  von  Schottwien  gestatten,  vier  Fass  Wein  über 
den  Semmering  zu  bringen,  ebenso  aus  der  Weisung 
Herzog    Wilhelms    vom    Jahre    1396    an    dieselben,^    sie 


1  Im  Wiener-Neufctädter  Stadtarchiv. 
«  „Ausgewählte  Urkunden",  nr.  134. 
3  Lichnowsky,  a.  a.  0.,  I.,  nr.  1245. 
*  Krone  s,    „Urkunden  etc.",  rir.  234. 
«  Im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv. 


4 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  27 

^^  sollten  nicht  wehren,  daß  ein  gewisser  Zacharias  von  Spital 

[  seine  Bauweine,  welche  er  „doch  von  langer  zeite  her  vor  hat 

I  gefüret",  über  den  Semmering  schaffe.   Doch  ist  es  in  diesem 

Falle  wenigstens  höchst  wahrscheinlich,  daß  dieser  Zacharias 

von  Spital  (am  Semmering)  den  Wein  zu  eigenem  Bedarf  über 

den  Paß  brachte,  da   er  mit  dem  „Zacharias  zum  Spitell", 

^  der  1448  erwähnt  wird,  identisch  sein  dürfte ;  und  hier  wird 

I*  dessen  „brief",  anderen  gleichlautend,  dahin  angeführt,   daß 

f  der  Wein  nur  in  sein  Haus  ;,zu  Speysung"  geführt  werden 

sollte.  Unsicher  ist  aber  wieder  der  Zweck,  wenn  es  in  einein 

«  Schreiben  Herzog  Ernsts  von  1418,*    in   welchem   er  sich 

zugunsten  des  Pfarrers  zu  St.  Lorenzen   (nordwestlich  voii 

Neunkirchen)   bei   den  Wiener-Neustädtern  verwendet,    ihn 

;^  ^zechen  Puetten   sein  und   seiner  khirchen  Bau  wein  ..... 

über  den  Berg  Semmering"  führen  zu  lassen,  bloß  heißt  „nach 

seiner  notturft".  Und  ähnlich  wird  schließlich,  als  von  König 

Friedrich  III.  '^  Abt  und  Konvent  von  Neuberg  „von  sondrer 

^  gnaden  vergunet"  wurde,   die  Bauweine  dieses  Klosters  wie 

auch  Spitals  am  Semmering    „so   ihn  Jährlich   enthalb  des 

Sembering  wachsen  Mauthfrey   und  Zollfrey"  über  den  Paß 

^^  zu  bringen,  nur  gesägt,    daß   sie  diese   „nach  Ihren  Not- 

,  turften"  verwenden  sollten. 

^  Der  Warenverkehr  ohne  Handelszweck.  ^ 

Für   den  Warenverkehr   aber,   der   nicht   zu   Zwecken 

des  Handels  geschah,  mögen  nachstehende  Beispiele  genannt 

werden.  Schon  aus  verhältnismäßig  früher  Zeit,  1125,  wissen 

▼  wir,^  daß  das  Kloster  Förmbach  aus  seinen  Besitzungen  bei 


»  Ebenda: 

^  «  Ebenda. 

r  3  Es  scheinen  mir  hier  folgende  Fälle  möglich   zu  sein:   I.Pro- 

duzent und  Konsument  ist  derselbe;  da  aber  die  Produktion  der  Ware 
an  einem  anderen  Orte  als  ihre  Konsumtion  erfolgt,  geschieht  die 
Raumüberwindung  über  den  Semmering.     2.  Produzent  und  Konsument 

)i  ist  nicht  derselbe,  die  Ware  gehört  aber  dem  Konsumenten,  ihr  Bezug 

geschieht  durch  denselben,  die  Raumüberwindung  erfolgt  über  den 
Semmering,  da  die  Ware  an  einem  anderen  Orte  gekauft  wurde  als  sie 
konsumiert  wird.  3.  Produzent  und  Konsument  ist  nicht  derselbe,  ersterer 

^  gibt  die  Ware  ohne  den  Zweck  der  Erzielung  eines  Gewinnes  an  letzteren 

(Geschenk,  reiner  Warenaustausch  li.  s.  w.),  die  Raumüberwindung,  da  die 
Ware  an  einem  anderen  Orte  produziert  als  konsumiert  wird,  geschieht 
über  den  Semmering. 

ji  *  Meiller,  „Regesten  der  Salzburger  Erzbischöfe",  Wiön  1866, 

nr.  65. 


26      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  fiber  den  Semmering  etc. 

NeuDkirchen  jährlich  drei  Fässer  „guten  Weins"  zu  Kefem  ^ 

hatte,  von  denen  eines  in  Gloggnitz  abzugeben  und  zwei  nacb 
Friesach  zu  schaffen  waren.  Freilich  bleibt  dies  auch  für  lange 
das  einzige,  was  uns  von  solchem  Warenverkehr  über  den 
Seinmermg  bekannt  ist.  Dennoch  ist  es  als  sicher  anzu-^ 
nehmen,  daß  z.  B.  nicht  wenige  steirische  Klöster,  was  sie 
zu  ihrem  Gebrauche  bedurften,  zumal  die  Erträgnisse  ihrer  i 

Güter  in  Österreich,   über  den  Paß  brachten.    So  war  z.  B;  ] 

das  Hospiz  am  Semmering  nördlich  des  Passes  begütert, 
ebenso  Seckau  u.  s.  w.  Aber  erst  seitdem  vierzehnten  Jahr-  \ 

hundert  lassen   sich  derartige  Warenbezüge  urkundlich  be-  ^ 

legen  und   selbst  da   spärlich  genug.    Die  Mautordnung  fÜF  ^ 

Wiener-Neustadt  von  zirka  1310^  vermerkte  auch,  daß  die 
steirischen   Klöster  für  das,   was   sie   „in   furent"   mautfrei  J 

sein  sollten,  dann  hatte  die  Urkunde  Herzog  Albrechts  II.  1 

vom  Jahre  1845,  welche  das  Weinhandelmonopol  Wiener-Neu- 
stadts  in  die  Steiermark  schuf,  wie  in  anderem  Zusammen*  ^ 

hange    bereits ^  hervorgehoben,    festgesetzt,    daß    „Herren,.  \ 

Klöster  und  andere  ehrbare  Leute"  Wein  aus  Österreich, 
so  viel   sie  zu   eigenem  Bedarf  benötigten,  über  den  Sem-  i 

mering  sollten  führen  dürfen,  konnte  hiernach  also  der  ganze  i 

Herrenstand  (Landesministerialen,  Dienst^  oder  Landherren) 
und  alle  Klöster,   bei  der  weiten  Auslegung,  die  darin,  wer  | 

unter  den  „ehrbaren  Leuten"  B^iit begriffen  sein  sollte,  möglich 
war,  etwa  auch  Ritter  und  Knechte  wie  der  gesamte  Klerus  ' 

dazu  berechtigt  erscheinen.  Allerdings  ob  dem  in  Wirklich- 
kdt  so  war,  jene  Bestimmung  in  diesqm  Umfange  genommen 
werden  darf,  ist  ebensowenig  deutlich  zu   ersehen  als  die  1 

Geltungsdauer  derselben,  mochte  ihr  Umfang  auch  eiü  viel-*  l 

mehr  begrenzter  sein.^  Im  besonderen  war  später  von  Herzog  1 

Rudolf  IV.  dem  Abt  von  St.  Lambrecht  das  Privileg  erteilt 
worden,  ^  jährlich  vierzig  Faß   deutschen   oder  ungarischen  ' 

Wein  „zu  NotdurflFt   seines  Goczhaus"  aus  Österreich  über  i 

den  Semmering  bringen  zu  können,   und  1448   hatte  König  ' 

Friedrich  III.^  durch  Zwistigkeiten  „der  wein  wegen  dy.'.  ;  i 

in  das  fdrstenthumb  Steyr  geführt  werden"  veranlaßt,  in  einer  ^ 

^Ordnung"  die  Weinfuhr  aus  Österreich  in  dieses  Land  auf 
drei  Jahre  hinaus  zu  -regeln  versucht :  da  der  Handel  mit  Weinr 


«  W^inter,  „Urkundliche  Beiträge  etc.",  S.  60. 
.«•S..18f.  •••  ■.'.'.  ^  -  .  ' 

3  S.  20  f. 

-«  M  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv.  ■-  , 

«  Ebenda. 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  29 

*  in  die  Steiermark  ja  Monopol  der  Wiener-Neustädter  war,  so 
wurde  die  Weineinfuhr  —  mit  Ausnahme  des  Abtes  von 
Neuberg  ^  —  nicht  zu  diesem  Zwecke  gestattet.  Es  werden 

i  hierin  die  Rechte  des  Abtes  von  St.  Lambrecht  fixiert,  dem- 

selben auf  Grundlage  des  ihm  von  Herzog  Rudolf  IV.  ver- 
liehenen Privilegs  erlaubt,  vierzig  Faß  deutschen  oder  un- 

^  garischen  Wein    aus    Österreich   über   den    Semmering   zu 

führen;  er  sollte  ihn  ausschließlich  „zu  Speisung"  des  Klosters 
wie  der  zu  demselben  gehörigen  übrigen  Häuser  verwenden, 
auch  hätten  in  dieser  Summe  „Bauweinzehent  und  Bergrecht" 
des  Klosters  wie  alles,  was  die  Pröpste  von  Aflenz  und  in 
der  Veitsch  diesseits  des  Semmerings  an  Wein  besäßen  oder 
was  sie  hier  kaufen  würden,  enthalten  zu  sein,  nicht  jedoch 

^  jener  Wein,  dessen  der  Abt  oder  seine  Leute  in  Zell  (Maria- 

zell)  bedürften:  dieser  sollte  gleicherweise  aus  Österreich 
eingeführt  werden  können.  Auch   Seckau  und  Goß   sollten, 

^  und  zwar  „Ir  Bawwein  zehennt  und  Bergrecht,   dy  Sy  ucz 

Enhalb  des  Sembring  Im  Lannd  Osterreich  habn"^  zu  eigenem 
Bedarf  über  den  Paß  bringen  dürfen,  ferner  einzelne  Pfarrer 
und  Kapläne  im  Mürztale,  die  zu  gleichem  für  den  Wein  aus 
ihren  Weingärten  in  Österreich  befugt  wurden,  so  der  Pfarrer 

,  zu   St.  Lorenzen,    der   zu  Krieglach  und  Langenwang,   der 

Kaplan  „auf  dem  Haus  zu  Hohenwang"  und  jener  der  Bürger 

k  zu  Mürzzuschlag   und   schließlich   auch   der   Pfarrer   dieses 

Marktes.  Im  übrigen  bestimmte  die  „Ordnung",  daß  „all 
Edlleut  Ritter  u.  knecht  Im  Lannd  Steir  gesessn,  dy  wein- 
gartten  Ennhalb  des  Sembrings  Im  Lannd  Osterreich  haben, 
.  .  .  mugen  solich  Ir  Bawwein  .  .  .  über  den  Sembring  haym 

*  füren  zu  Speysung  Irer  heuser"  und  nennt  unter  den  „Edel- 
leuten"  speziell  die  Fladnitzer^  und  die  Greißenecker,^ 
welche  wie  vormalen  erstere  zwölf  Fuhren  Wein   zu  ihrem 

\  Bedarf  nach  Hohenwang,  letztere  sechs  Fuhren  für  das  Spital 

zn  Judenburg  über  den  Semmering  sollten  bringen  dürfen. 
Und  am  Schlüsse  der  „Ordnung"  ist  noch  eine  Reihe  von 


1  S.  26. 

«  Fladnitz  im  obersten  Kaabtal,  östlich  von  Frohnleiten.  Die 
Edlen  von  Fladnitz,  ursprünglich  Lehensleute  der  Herren  von  Stuben- 
berg, gelangten  seit  der  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  allmählich  zu 
immer  größerem  Ansehen  und  waren  in  der  Mitte  des  XVI.  Jahr- 
hunderts sogar  mit  den  Stubenbergern  verschwägert.  (Loserth,  Das 
Arch.  des  Hauses  Stubenberg,  Beiträge  zur  Erforschung  steirischer 
Geschichte,  XXXV.  Jahrg.) 

»  Die  Greißenecker  (bei  Voitsberg,  w.  von  Graz)  gehörten  zu 
den  ältesten  Ritterfamilien  Steiermarks. 


30      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

I 
„Bürgern  und  Bauern"  erwähnt,  deren  „brief"  und  somit 
auch  die  Berechtigung,  die  sie  schon  seit  längerem  besaßen, 
ebenfalls  den  Wein  aus  ihren  Weingärten  in  Österreich  über 
den  Paß  bringen  zu  können,  bestätigt  wurde:  sie  hier  auf- 
zuzählen aber  wäre  unnötig  und  würde  zu  weit  führen. 

Schon  aus  dem  bisher  Gesagten   mag    sich   ergeben,  ^ 

daß   auch  der  Warenverkehr,  der  nicht  zu  Handelszwecken  1 

erfolgte,   so  gering   er  vielleicht  nach  den  Quellen  an  und  ' 

fttr    sich   erscheinen   kann,    dennoch   die   lokale    Verkehrs-  ! 

bedeutung  des  Semmerings  erhöhte. 

Es  sei  nunmehr,  was  noch  zu  tun  erübrigt,  in  Hinsicht  ' 

auf  den  internationalen  Handel  über  den  Semmering  gezeigt, 
wer  alles  an  demselben  beteiligt  war  und  in  welchem  Maße  l 

es  geschah.  Hier  kommen  wohl  nur  Personen,  deren  alleinigen 
Erwerb  der  Kauf  und  Verkauf  von  Waren  bedeutete,  in 
Betracht  und  zwar  die  Bürger  von  Städten,  wenn  wir  auch 
häufig   bloß   das  Land,    aus  welchem    der  Handeltreibende  i 

stammte,  anzugeben  imstande  sind. 

I 
Böhmen  (Pragr),  Mähren  (Brunn),  Schlesien  (Breslau).  \ 

Ich    habe    schon     gelegentlich*    hervorgehoben,    daß  | 

vor  1351,  in  weichem  Jahre  die  Straße  über  Zeiring  für 
alle  außer  fünf  oberösterreichische  Städte,  welche  mit  ihrem  ' 

eigenen  Gute  sie  befahren  sollten  dürfen,  gesperrt  worden 
war,  die  böhmischen  Kaufleute,  welche  Waren  aus  Venedig  ' 

führten,   wahrscheinlich   oftmals   diese  und  nicht  jene  über  i 

den  Semmering,  sowohl  weil  dieselbe  für  sie  die  kürzere  war  j 

als  um  dem  Niederlagsrechte  Wiens  zu  entgehen,  benützten  I 

und  als  Beleg  ein  Schreiben  des  Bürgermeisters  und  Rats 
von  Prag  an   die  Wiener-Neustädter  von  1383   angeführt.  * 

Daß  1361'^  allen  Städten  Oberösterreichs  die  Straße  über  \ 

Zeiring  zu  benützen  erlaubt  wurde,  dies  auch  eine  Urkunde 
von  1372-^  bestätigt  erscheint,  ist   in  unserem  Zusammen-  i 

hange  nicht  weiter  von  Belang.  ] 

Aus  denselben  wie  vorhin  angeführten  Gründen  aber 
mögen  nicht  bloß  die  Kaufleute  aus  Böhmen,  sondern 
auch  aus  Mähren  und  Schlesien,  und  diese  nicht  bloß  auf 
dem  Rückwege  von  Venedig   sondern  überhaupt  auf  ihren 


«  Seite  9. 

2  „Quellen,  II/l,  nr.  590a. 

3  „Ausgewählte  Urkunden",  nr.  129. 


Yon  Dr.  Oskar  Kende.  31 

l 

1^  Handelsreisen  nach  und  aus   dem  nordöstlichen  Italien  bis 

j  zu    obigem  Jahre  die   gleiche   Straße  gezogen   sein.     Und 

deshalb  braucht,  wo  bei  den  Nachrichten  über  solchen  Handel 

I  dieser  drei  Länder  bis  1351  nicht  direkt  geschlossen  werden 

kann,  daß  er  über  den  Semmering  erfolgte,  dies  nicht  als 
notwendig  vorausgesetzt  zu  werden,  wenn  auch  für  die  An- 

i.  nähme  einer  wenigstens  teil  weisen  Benützung  unseres  Passes 

!  durch   denselben   ebenfalls   einiges   anzugeben   möglich   ist. 

^  Denn  erstens  hieß  es  ja  doch  immerhin,  besonders  seit  1281, 

gegen  ein  bestehendes  Recht  verstoßen,  wenn  Kautleute  aus 

*  Böhmen,  Mähren  oder  Schlesien  die  Straße  über  Zeiring 
einschlugen  und  zweitens  hätte  Herzog  Rudolf  III.  von 
Österreich   und   Steiermark,    der   wie   wir    aus     anderem  * 

V  wissen,  ein  Vertreter  der  typischen  Handelspolitik  der  öster- 

reichischen Herrscher  im  Mittelalter  war,  nicht  ca.  1303 
jenen  Pragern  Bürgern,  die    „causa  merces   emendi"    nach 

1^  Venedig   reisen   würden,    Schutz    in   seinen   Ländern   zuge- 

sichert, ^  wenn  nicht  mindestens  die  Prager  Kaufleute 
manchmal   auch   die    rechte   Straße    gefahren  wären.     Be- 

I  rücksichtigt    man   nun   die   vorausgegangenen   Erwägungen, 

*  so  kann  nur  in  einem  Falle  mit  Sicherheit  gesagt  werden,  daß 
[             Kaufleute  aus  zweier  der  oben  genannten  Länder  über   den 

Semmering  gekommen  sind,  jene  „von  Präge  oder  von  Brezzla", 
i  deren  die  Mautordnung  für  Wiener-Neustadt  von  ca.  1310^ 

Erwähnung  tut,  welche  über  diese  Stadt  hinausfuhren.  Bei 
allen  folgenden  in  diesen  Zusammenhang  gehörigen  Nach- 
richten muß  jedoch  hiernach  als  zweifelhaft  bezeichnet  werden, 
welchen  Weg  der  Händler  wählte.  Die  Nachrichten  selbst 
y  sind  diese :  In  einem  Briefe,  den  Mitte  Dezember  1276  König 

,  Otakar  IL  an  König  Rudolf  I.^  richtete,  wird  auch  dessen 

I  gedacht,  daß  einige  Untertanen  des  Böhmenkönigs   „merca- 

5  cionis    exercentes    opera"    in    Kärnten    ausgeraubt    worden 

seien.     Da  König  Otakar,   zugleich   mit  dem  Ersuchen  an 
König   Rudolf  die  Rückgabe    der  geraubten  Güter  zu  be- 
k  treiben,  diesen   u.   a.   auch  bittet,    allen  Kaufleuten   seiner 

^    Länder  freien  Durchzug  in  jenen  Gebieten  zu   gestatten,    so 
trieben  diese  damals  mutmaßlich   nicht   selten  Handel   nach 


S  1  Luschin  V.  Ebengreuth,    „Die  Handelspolitik  der   österr. 

Herrscher  im  Mittelalter",  akadem.  Vortrag,  Wien  1893.  S.  14. 

«  Erben-Emier,  „Begesta  diplomata  nee  non  epistol.  Boemiae 

et  Moraviae",  Prag  1855—82.  II.  Bd.,  nr.  1990. 
-•  3  Winter,    „Urkundliche  Beiträge  etc.",  S.  57 f. 

I  4  Erben-Emier,  a.  a.  0.,  II.  Bd.,  nr.  1057. 


32      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

Italien.    Dann  besitzen  wir  für  den  4.  Februar  1302  eine  i 

kurze  Notiz  über  eine  Verfügung  des  großen  Rates  in 
Yenedig,  ^  welche  uns  von  Repressalien  desselben  gegen 
Untertanen  des  Königs  von  Böhmen  berichtet.  Auch  aus 
einer  Urkunde  vom  28.  Mai  1304,  in  welcher  König  Wenzel  II. 
voü  Böhmen  und  Polen  die  Beschlüsse  der  Prager  Alt-  und 
Neustadt  u.  a.  über   ihren  Handel   bestätigt,^  geht  hervor,  j 

daß   um  jene   Zeit   Kaulleute   dieser    Stadt   nach  Venedig  I 

kamen.  Ein  Schreiben  wieder  König  Heinrichs  von  Böhmen, 
Herzogs  von  Kärnten  an  den  Patriarchen  Paganus  von  Aquileja  ' 

vom  Jahre   1329  ^  belegt    uns  den  Handel  eines   Brünner  i 

Kaufmanns  nach  Italien,  da  König  Heinrich  den  Patriarchen 
ersucht,  gegen  jene,  welche  einem  „  Johannis  civis  Brunne  ....  i 

in  strata  Portuslatisana  ^  130   Mark    Silber  geraubt  hätten,  ^ 

einzuschreiten;  und  zum  Jahre  1337  wissen  wir,^  daß  ein 
€onradus  aus  Brtinn  und  ein  Corradus  aus  Mähren  sich  zu  , 

Handelsgeschäften  in  Venedig  aufhielten.  Eine  letzte  Nach- 
richt endlich  vor  1351,  aus  dem  Jahre  1341,^  erwähnt  1 
einen  „Johannes  de  Praga"  als  nach  Venedig  Handel  treibend.  , 
Seit  1351  nun,  da  die  Straße  über  Zeiring  in  dem  i 
schon  erörterten  Umfange  verboten  wurde,  waren  die  Kauf-  1 
leute  Böhmens,  Mährens  und  Schlesiens  für  ihren  Handel  . 
nach  Italien  auf  die  Straße  über  den  Semmering  angewiesen.  ' 
1360  war  überdies  besonders,  zwischen  König  Karl  IV.  und  i 
Herzog  Rudolf  IV.  vereinbart  worden,  ihre  Kaufleute  „bei 
sulcher  Wandlung  Strazzen  und  guter  gewohnhait  als  sie  I 
mit  unsern  Vordem  von  alter  herkomen  sint"  zu  lassen;^  1 
ein  Handelsvertrag,  der  allerdings  in  seinen  Wirkungen  auf  i 
den  Handel  der  Untertanen  Karl  IV.  über  den  Semmering  j 
nichts  Neues  schuf.  Weil  aber  nun  seit  1351  das  Niederlags- 
recht  Wiens  nicht  mehr  umgangen  werden  konnte  und  deshalb  I 
eine  direkte  Handelsverbindung  dieser  Länder  nach  Italien  ^ 
unmöglich  war,  mag  eine  Abnahme  dieses  Handels  eingetreten 


i  Simonsfeld,    „Der  Fondaco   dei  Tedeschi  in  Venedig    und 
<lie  deutsch- venetianischen  Handelsbeziehungen".  Stuttgart  1887.  L,nr.  18. 

2  Erben -Emier,  a.  a.  0.,  II.  Bd.,  nr.  2005. 

3  Zahn,    „Austro-Friulana   1358—1365"    in  den   „Fontes    rer. 
^ustr.",  IL  Abt .  40.  Bd.  1877,  nr.  24. 

4  Latisana,   in  der  Nähe  der  Mündung  des  Tagliamento,  an  der 
.  Handelsstraße  nach  Venedig  gelegen. 

*  Simons  fei  d,  a.  a.  0.,  I.,  nr.  96. 

6  Ebenda,  I.,  nr.  799. 

7  Steyerer,  „Commentarii  pro  historia  Alberti  ducis  Austriae", 
Xeipzig  1725.  S.  312. 


I 


^ 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  33 

sein,  wurde  der  Semmering  also  durch  denselben  vielleiclat 
nicht  viel  öfters  benützt  als  vor  1351.  Wie  unangenehm 
übrigens  das  Wiener  Niederlagsrecht  auch  von  den  Prager 
Kaufleuten  empfunden  wurde,  erfahren  wir  aus  der  scholl 
öfter  genannten  Urkunde  von  1383,*  aus  der  sich  ergibt, 
daß  die  Prager  ganz  ernstlich  den  Gedanken  erwägen,  eine 
Handelsstraße  nach  Venedig  zu  finden,  die  sie  „ohn  der 
Wienner  irrunge  haben  möchten",  etwa  von  „Brunn  gehn 
Pressburg  unnd  denne  von  Pressburg  über  das  ungarische*^ 
nach  Wiener-Neustadt.  Nur  während  jener  Zeiten,  wo  be- 
stimmten Kaufleuten  unserer  Länder,  wenn  sie  nach  Venedig 
Handel  treiben  würden,  freier  Durchzug  durch  Wien  gestattet 
wurde,  so  denen  von  Prag  durch  Herzog  Rudolf  IV.  von 
Ende  Februar  1364  bis  Weihnachten  dieses  Jahres,  allen 
böhmischen  Kaufleuten  durch  Herzog  Albrecht  III.  von  Mai 
,  1366  bis  zum  Jahre  1370,^  so  denen  von  Prag  wahrschein- 

j^  lieh  auch  einmal  nach  1386^  mögen  diese  von  ihrem  Privileg 

\  ausgiebigen  Gebrauch  gemacht  haben,  mag  ein  Aufschwung 

des   Handels   derselben   über   den   Semmering   erfolgt  sein. 
^^  Und  wenigstens  in  einer  Quelle   scheinen  sich  diese  Ver- 

\  hältnisse  widerzuspiegeln,  wenn  nämlich  im  März  1366,  also 

\  nach  der  ersten  Begünstigung  der  Prager  Kaufleute,  aber  vor 

I  der  zweiten,  allen  böhmischen  Kaufleuten  verliehenen,  wie 

j*  schon  erwähnt,  •♦    der    venetianische   Doge  Marcus   Comario 

die  Kaufleute  von  Prag  auffordert,  sie  sollten  doch  kein  Be- 
denken tragen,  nach  Venedig  Handel  zu  treiben,  wie  er,  daß 
es  jetzt  der  Fall  sei,  wahrzunehmen  glaube;  denn  hieraus 
läßt  sich  tatsächlich  eine  Stockung  der  Handelsbeziehungen 

f 

j  1  Anhang  nr.  1. 

l  «  S.  10. 

r  s    Luschin    v.    Ebengreuth,    „Wiens   Münzwesen,    Handel 

und  Verkehr  im  späteren  Mittelalter".  Separat abdruck  aus  II/2  der 
Geschichte    der    Stadt  Wien.    S.  24.    Luschin,    der    bei    seiner    Er- 

^  örterung    des    Wiener    Niederlagsrechtes     auch    auf    die    von     dem- 

*  selben  gewährten  Befreiungen  zu  sprechen  kommt,  deutet  übrigens, 
da  er  die  den  böhmischen  Kaufleuten  durch  Herzog  Albrecht  IH. 
verliehene  Begünstigung  nicht  berücksichtigt,  den  Inhalt  einer  Urkunde 

»  vom  28.  April  1369    unrichtig.    Auch    die   Bemerkung:    „Später    (d.  h. 

}  nach  1364)  scheinen  jedoch  die  Prager  das  Durchzugsrecht  durch  Wien 

fljr  ihren  Eigenhandel  nach  Venedig  in  ähnlicher  Weise  öfter  erlangt 
zu  Laben",    dürfte    sich   in  Hinblick    auf  jenes  öfter  zitierte  Sclireibeu 

!  des  Bürgermeisters  und  Rats  zu  Prag  von  1383   (Anhang,   nr.  1)  jetzt 

*  nicht  mehr  aufrecht  erhalten  lassen. 
'  4  s.  10. 

y 


84      Zur  Handelsge schichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

erkennen  und  gewiß  erstreckte  sie  sich  nicht  bloß  auf  die 
der  Prager  sondern  im  allgemeinen  Böhmens,  Mährens  und 
Schlesiens  zu  Venedig,  während  jener  Zeiten,  wo  der  direkte 
Verkehr  unterbunden  war. 

Alle  sonstigen  Nachrichten  aber  *  erweisen  bloß  jeweils 
den  Handel  der  hier  in  Frage  kommenden  Länder  über  den 
Semmering  nach  Italien,  ohne  uns  näheres  mitzuteilen.  Am 
26.  April  1358  verspricht  der  Doge  von  Venedig,  Johannes 
Delphine,  unter  anderem  alle  böhmischen  Kaufleute  in  seinen 
Gebieten  nach  Kräften  schützen  zu  wollen,  1363  hören  wir 
von  der  Reise  eines  Prager  Kaufmannes  namens  ßainaldus 
nach  Venedig,  1373  benützten  Prager  Kaufleute  die  „stratam 
de  Praga  et  Boemia  versus  Venetias",  für  1389  ist  wieder 
der  Handel  Böhmens  nach  Venedig  bezeugt.  Und  von  dieser 
Zeit  ab  sind  es  überhaupt  nur  mehr  einzelne  Kaufleute,  von 
deren  Handel  nach  Venedig  wir  Kunde  haben :  wann  er  ge- 
schah, wie  die  Namen  und  Heimat  der  Kaufleute  sind  in 
nachstehender  Tabelle  zusammengestellt. 


Name 

Heimat 

Jahr 

des    Kauf 

m  a  n  n  e  B 

1399 
1404 

j             Petrus  Cochus 

Prag 

1407 

Nicolo 

1409 
1410 

Jachomo  de  Linginis 
Johannes  Grofener 

Breslau 

1414 

Michiel 

1416 

Nicolo  Gebizen 

Prag 

1417 

Zan 

Breslau 

1420 
1426 

Guamier 

della  Gliexia 

1427 

Chorado  Mario 

} 

Breslau 

1429 

Johannes  Bauch 

Johannes 

Bautzen 

1436 

Georg  Bauliaw 

1 

1440 
1441 

Johannes  Bauch 

Breslau 

1449 

Albrecht  Scheurl 

»  Pelzel,  a.  a.  0.,  IJrkundenbuch  des  2.  Bandes,  nr.  303  u.  231; 
Simonsfeld,  L,  nr.  196,  290,  303,  358,  434,  IL,  S.  72;  Lichnowsky, 
a.  a.  0.,  I.,  nr.  2182;  Sieveking,  „Aus  venetianischen  Handlungs- 
büchem"  im  „Jahrbuch  für  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Volkswirt 
Schaft  im  Deutschen  Keiche",  herausgeg.  von  Schmoller,  1901. 


I 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  35 


Wien. 


In  ziemlich  frühe  Zeit  gehen  die  Anfänge  des  interna- 
tionalen Handels  Wiens  über  den  Semmering  zurück.  Schon 
in  den  Bestimmungen  über  die  Wagenmaut  in  Wien,  die  vor 
1221  abgefaßt  erscheinen,*  heißt  es:  „vert  ein  burger  gen 
Veneden  unde  fuert  er  huet  (=  Häute)"  und  schließt  man 
sich  der  gewiß  höchstwahrscheinlichen  Vermutung  an,  daß  der 
Name  Schottwiens  mit  dem  Handel  Wiens  in  Beziehung 
steht,  ^  so  bietet  dessen  Entstehungszeit  [um  1220,  da, 
wie  wir  an  anderer  Stelle  bereits  gesehen  haben,  Wien  fast 
oder  gar  keinen  lokalen  Handel  über  den  Semmering  trieb, 
gleichfalls  einen  Beleg  für  den  internationalen  Handel  dieser 
-^  Stadt   über  unseren  Paß.    Allerdings    setzen   die   nächsten 

r  Nachrichten  beinahe  ein  Jahrhundert  später  erst  wieder  ein. 

1301  werden  ein  Henghelprettus  und  ein  Fridericus  de 
Vienna  mit  Zinn  und  Kupfer  nach  Venedig  handelnd  genannt, 
1313  weilte  ein  Wiener  namens  Conradus  in  Venedig,  um 
hier  Waffen  einzukaufen,  derselbe  der  sich  auch  1316  und 
[  1329  in  dieser  Stadt   aufhielt,    von  1316   ist  uns  noch  von 

^  einem  Wiener  Kaufmann  Henricus  berichtet,  der  in  Venedig 

i  für  Herzog  Heinrich  von  Kärnten  schwere  wie  leichte  Seiden- 

[  Stoffe  besorgt  hatte,    der  nämliche  vielleicht,   wie  der  1319 

<  erwähnte  Henricus,    welcher  feine  Leinenstoffe   aus  Venedig 

1  führte,    für    1322    ist    uns    überliefert,    daß    ein    gewisser 

Christanus  aus  Wien  Silber  nach  Venedig  brachte,  für  1339, 
daß  ein  Nikolaus  de  Viena  ebendahin  Handel  trieb  und  die 
Bestimmungen  über  die  Wagenmaut  zu  Wien  aus  der  Zeit 
y  vor  1331  berücksichtigen  abermals  jene  Fälle,  in  denen  „ein 

^  purger  gegen  Venedigen  vert  und  fuert  heut".^ 

1  Ungefähr  um  diese  Zeit  melden  uns  die  Quellen  auch 

'-  etwas  über  die  Verhältnisse,  unter  denen  der  Handel  Wiens 

nach  Italien  speziell  in  Friaul  vor  sich  ging.  1327  war  von 
Wien  mit  der  Stadt  Udine  ein  Übereinkommen  wegen  sicheren 
^  Geleites  seiner  Kaufleute  getroffen  worden*  und  1331  hatte 

^  Patriarch  Paganus  v.  Aquileja   allen    deutschen   Kauf  leuten 


»  Tomaschek,  a.  a.  0.,  L,  nr.  4. 

«  Müller,  „Wien  und  Schottwien^'  in  den  „Blättern  des  Vereines 
f.  Landeskunde  v.  Nö."  1896.  S.  21;  Grund,  „Die  Veränderungen  der 
Topographie  im  Wiener  Walde  und  Wiener  Becken"  in  Pencks  „Geogr. 
Abhandl.«,  1901.  S.  155. 

3  Simonsfeld,  a.  a.  0.,  L,  nr.  16,  37,  46,  56,  68,  794;  Toma- 
schek, a.  a>  0.,  L,  nr.  29. 

*  Luschin  v.   Ebengreuth,   ^Wiens  Mttnzwesen  etc.",   S.  8. 


>-: 


36      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

freien   Handelsverkehr   durch    den  Fellakanal    bis   Gemona  * 

gewährt.  ^  Gerade  die  Gunst  der  Patriachen  als  der  Gebiets-  ; 

herren  des  größten  Teiles  Friauls  nicht  zu  verlieren,  mochte  ^ 

den  Kauf  leuten  wichtig  dünken,    und  so  dürfte   es  sich  er-  ^ 

klären,  daß  1339  drei  -Wiener  Kauf  leute,  ein  Conradus  Im- 
perger,  ein  Michael  Cholor  und  ein  Henricus  Gracomar  sich 
dem    damaligen    Patriachen    Bertrand    gegenüber    erbötig  ^ 

machten,  demselben,  wenn  zwischen  ihm  und  den  Herzogen 
Albrecht  H.  und  Otto  von  Österreich  in  den  Streitigkeiten 
um   Stadt   und    Gebiet    von   Windischgraz    keine   Einigung  i 

erzielt  werden  könnte,    1000  Mark  Schillinge  „aut  tot  mer-  'i 

cimonia  quot  valeant  mille  marchas  dicte  monete"  zu  über- 
geben.^ Andererseits  hat'  es  gewiß  die  Gewogenheit  dieses 
Patriarchen,  wohl  den  österreichischen  Kaufleuten  im  allge-  ^! 

meinen   gegenüber,    wie    sie    durch   derlei   geweckt  werden  ' 

mußte,    veranlaßt,   daß  derselbe  1341  alle  Kaufleute  dieses  j 

Landes,  welche  durch  sein  Gebiet  Handel  trieben,  besonders  \ 

aber    die   Wiener   nennend,     davon    befreite,    „mutam   seu  \ 

exactionem   que   unghelt  lingua  Theotonica  appeliatur"  ent- 
richten zu  müssen   und   ihnen    ein  Jahr    später    zusicherte,  4 
auch    sonst    ihren    Handelsverkehr     schützen    zu     wollen. 
Zumal    in    einem   Punkte    war   eine    solche   Unterstützung 
wirklich  vonnöten,    um  nämlich  die  Beseitigung  eines  Übel- 
standes, welcher  auch  den  Handel  Wiens  in  diesen  Ländern 
stark    beeinträchtigte,    mindestens    zu   versuchen:    die  Un- 
sicherheit auf  den  friaulischen  Straßen.  Denn  bis  zu  welchem 
Grade  sie  bestand,    bezeugt  drastisch  genug   ein   förmlicher 
Raubvertrag,     den    1331    ein   Peter  von    Cividale    und   ein 
Brantner  von  Tolmein  (am  mittleren  Isonzo)  eingingen,  des 
Inhalts,   daß  letzterer  in  Erfahrung  zu  bringen  hätte,    wenn 
Kauf  leute  von  Villach  ins  Friaulische  zögen,  worauf  ersterer               | 
diese  dann  überfallen  und  ausrauben   sollte.   Und   in  dieser 
Hinsicht  scheint  Patriarch  Bertrand  sich  in  der  Tat  bemüht  ^ 
zu  haben,  sein  1342  gegebenes  Versprechen  zu  erfüllen,  da 
er  in  einem   Schreiben   an  den  Dogen    von  Venedig  1343               ^ 
bemerkt,    daß   er   für   die   Gegend   von  Venzone    „que   est 
fortissima  et  multis  malis  hominibus  populata",    wo  es  also 
am  wenigsten    geheuer   gewesen    sein   mag,    „cum  dulcibus  l 
verbis  transitum  multis  mercatoribus  de  Vienna"  ermöglicht 
habe.     Deutlich   läßt   sich   aus    dieser   Urkunde   auch   das 
Interesse    erkennen,    das    Venedig    an    der    Sicherung   des 

1  Zahn,    a.  a.  0.,  nr.  27.  ^ 

2  Ebenda,  nr.  38.  ^ 

j 
i 


1 


1 


Von  Dr.  Oskär  Kende.  37 


V 


Handelsverkehres  mit  Wien  besaß.  *  Übrigens  mögen  die  Be- 
ijiühungen  der  Patriarchen  einen  Vertrag  zwischen  den  Wienern 
V  und  den   Bewohnern  von    Venzone    erleichtert   haben, '^    in 

\  welchem  diese  bei  Strafe   von  100  Mark  von  allen  Gewalt- 

I  tätigkeiten-  gegen  W^iener  Kauf  leute   abzustehen    sich   ver- 

pflichtet hatten. 
I  Allein  die  Unsicherheit,    die  in  ganz  Friaul  herrschte, 

I  '  nahm  noch  immer  zu,   wurde  so  arg,    daß   die  Wiener  wie 

-*  die  übrigen  Kaufleute,  welche  bisher  hiedurch  gezogen  waren, 

[  für  einige  Zeit    einen    anderen   Weg    einschlagen   mußten; 

l**  1345  kam  es  dazu,  man  benützte  nunmehr  die  Straße  über 

!  Cadore.'^  Aber  bald  nach  1350  ist  der  Handel  durch  Friaul 

wieder  aufgenommen  worden,    schon  für  dieses  Jahr  wissen 
wir,    daß  drei  Wiener  Kaufleute   über  Venzone    gekommen 
(  sind:^   ob    der  Grund   hiefür   in  einer  relativen  Besserung 

der   Sicherheit   auf  den  dortigen    Straßen    erblickt   werden 
darf  —    1351   hören  wir^  für  lange  Zeit   zum  letztenmale 
f  von   einem   an  Kaufleuten  vei  übten   Raube    —    ob  für  die 

österreichischen  Kaufleute  in  Betracht  kam,  daß  ihnen  damals 
\  die   Grafen  von   Görz  besondere  Begünstigungen^   für  den 

.^  .  Durchzug  durch  deren  Gebiete  verliehen  hatten,    oder  mehr 

i  noch,    daß    die    Machtsphäre    Österreichs    sich    in    diesen 

I  Jahren  bedeutsam  gegen  Friaul  hin  ausdehnte,    Herzog  Al- 

^  brecht  II.  einen  eigenen  Handelsvertrag  mit  dem  Patriarchen 

'  von  Aquileja  zur  Regelung  des  Verkehres   seiner  Kauf  leute 

geschlossen  hatte,'  ist  nicht  mit  Bestimmtheit  zu  entscheiden. 

Überhaupt  geben  uns  die  Quellen  für  die  Folgezeit  von  den 
i  im  vorhergehenden  erörterten  Dingen,  die  ich  deshalb  in  unserem 

7  Zusammenhange    des    internationalen   Handels  Wiens    über 

[  den  Semmering  berührt  habe ,  weil  sie  auf  das  Ausmaß  des- 

I  selben  sicherlich  wirkten,  fast   gar  keine  Kunde  mehr;  sie 

^  enthalten,  wie  die   eingangs   angeführten,   meist  zu  unserem 

Gegenstande  nichts  weiter  als  die  bloße  Tatsache  des  Handels 
Wiens  nach  Venedig.    Als  Ausnahme  betrachte  ich  nur  zwei 
^^  Urkunden;  erstens  die  Aufzeichnungen,   die  sich  zirka  1375 


J  Die  Urkunden  ebenda  hr.  39,  40,  28  u.  41. 

*  Kurz,    „Österreichs    Handel   in   älteren    Zeiten",    Linz  1822, 
S.  459—63. 

8  Zahn,    a.  a.  0.,  nr.  43 ff  u.  nr.  66. 

*  Ebenda,  nr.  46  u.  62. 
5  Ebenda,  nr.  71. 

8  Kurz,  a.  a.  0.,  S.  457ff. 
7  „Quellen",  II/l,  nr.  377. 


1    Tomaschek,  a.  a.  0.,  L,  S.  184if. 

«  Krön  es,  ^ Landesfürst  etc.",  S.  282. 

3  Simonsfeld,  a.  a.  0.,  I,  nr.  207,216,  263-66,390,423,815, 
821;  IL,  S.  52;  „Quellen«,  II/l,  nr.  677a,  1172a,  1264a,  2679; 
Sieveking,  a.  a.  0. 


38      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

Über  die  Rechte  der  Wiener  Bürger  an  der  Maut  zu  Neu- 
dorf und  Sollenau  als  notwendig  herausstellten,^  da  siß 
uns  über  die  Bedeutung  dieses  Handels  Aufschlüsse  geben; 
es  werden  hier  die  Abgaben  festgesetzt  von  dem,  „swaz  ein 
purger  auf  einem  wagen  auz  dem  land  hinwerts  über  den 
perig  gen  Venedig  flirt",  von  dem  „swaz  er  auf  einem  ross 
fürt"  und  von  dem  „swaz  er  treit",  ebenso  von  dem  „swaz 
ein  purger  .  .  .  auf  wegen  von  Venedi  fürt",  von  dem  „swaz 
einer  auf  einem  ross  fürt"  und  von  dem  „swaz'  einer  traet" ; 
und  ganz  detailliert  erscheinen  auch  die  Waren,  welche 
Wiener  Kaufleute  nach  Venedig  zu  bringen  pflegten,  ange- 
geben, wenn  aufgezählt  wird,  „ez  sei  zin,  chupher,  plei,  hutr, 
auch  hutfei,  leineins,  woUeins,  lampfel,  fueder,  chaesilber, 
spezerei,  finer  unslit,  gewant  geiferbts  oder  ungeferbts,  hausen, 
bering,  visch  salz  oder  ander  chaufinanschaft,  wie  die  so 
genant  ist".  Und  als  zweite  Ausnahme  nenne  ich  ein 
Schreiben,  welches  der  „vicarius  et  locumtenens"  von  Belluno 
wie  der  Richter,  Rat  und  die  Gemeinde  von  Triest  am 
11.  November  1410  an  die  Wiener  sendeten  2,  da  hier,  das 
einzig  mir  bekannte  Beispiel,  des  Handels  Wiens  nach  Triest 
Erwähnung  getan  wird :  die  Wiener  sollten  Herzog  Leopold  IV. 
ersuchen,   daß   er  der   österreichischen   Besatzung   des    bei  ' 

Triest  gelegenen  Kastells  Mocho,  die  unlängst  einen  Wiener  4 

Kaufmann  namens  Henricus  Braun  seiner  Waren  beraubt 
habe,  für  die  Zukunft  ähnliches  verweisen,  damit  ein  gesicherter  1 

Handelsverkehr  in  des  Hefzogs  Ländern  möglich  sei. 

Jene  übrigen  Nachrichten  vom  Handel  Wiens  nach 
Venedig  aber  sind  folgende.  ^  1359  stirbt  ein  Wiener 
Kaufmann  namens  Nikolaus,  13f)0  ein  solcher  namens  Johannes  J 

Schmanzer  in  Venedig;   1366   werden  Kaufleute  aus  Wien,  1 

die  mit  Wagen  nach  Venedig  fahren,  erwähnt,  1367  befindet 
sich  ein  Kaufmann  Henichinus  aus  Wien  mit  seinem  Diener  ^ 

(oder  Geschäftsführer)   in  Venedig,   1368  bringt  ein  Wiener  i 

Kaufmann  namens  Nikolaus  Kupfer  nach  Venedig;  1376  ist 
der  Wiener  Kaufmann   Konrad   Gensceler   in  dieser   Stadt,  i 

1389  und   1393   wird  des  Handels  u.  a.  der  Kaufleute  aus  ^ 

Wien  nach  Venedig  gedacht;  1390  und  1391  erscheinen  die 
Wiener  Kaufleute  Heinrich   und  Johann  Rock,  in  letzterem  1 


i 


Von  Dr.  Oskar  Kende.  89 

A  Jahre  auch  die  Wiener  Kaufleute  Martinus  Tezara,  Bofardus 

I  und  Stephanus  in  Venedig;   1403  wird  von  einem  Wiener 

}  Kaufmann   Henricus,    1411   von   einem   Tomaso,   1418  von 

\  einem  Matthäus  Bister  gesprochen,   1419  und  1421   machte 

I  der  Wiener  Kaufmann  Kenaldo,  gleichfalls  1419  einer  nafiens 

'  Rigo,  1424  ein  Nicolo   Sorge  Einkäufe  von  Baumwolle  in 

[  Venedig;  1425  führten  die  Kaufleute  Zan  Longo  und  Chorado 

,  *  Arrillier  aus  Wien,  ersterer   „zinzero",  letzterer  Pfeffer  aus 

>  Venedig,    für    1430    sind    die  Wiener    Kaufleute    Nikolaus 

i  Fenaver  und  Nikolaus  Granata,   für  1432  Simon  Putel  und 

'^  Ulrich  Carner  in  Venedig  bezeugt;  1439  wird  in  einer 
Urkunde  gesagt,  daß  von  den  Wienern  „ain  michel  tail" 
nach  Venedig  Handel  trieb  und  für  1441  ist  uns  schließlich 

*^  wieder  von  dem  Handel  des  schon  genannten  Simon  Puteis 

(  nach  dieser  Stadt  berichtet. 

\  Wiener-Neustadt. 

'  Die  erste  Nachricht  von  dem  internationalen  Handel 

i  Wiener-Neustadts   über   den  Semmering   stammt   aus   dem 

\  Jahre  1366;  ^   als  Herzog  Albrecht  III.  damals  den  Wiener 

»  Kaufleuten  gestattete,  von  jedem  Wagen  „hinein  gen  Venedi 

\  und  herwider  aus"  32  den.  einzuheben,  damit  sie  die  Kosten 

'^  bestreiten  könnten,  die  ihnen  daraus  entstünden,  daß  sie  die 

\  verbotenen  Straßen,  jene  über  Zeiring  wie  Karststraße,  be- 

setzen hatten  dürfen,  wird  auch  der  Wagen  der  „Kaufleut  von 
der  Neunstat**  besonders  gedacht.  Später,  1376,^  erscheint 
ein  Wiener-Neustädter  Kaufmann  namens  Rudolf  in  Venedig 
genannt,  der  Zinn  und  Kupfer  dahingeführt  hatte..  Ferner 
erweist  die  oft  erwähnte  Urkunde  von  1383,  ^  daß  die 
Wiener-Neustädter  nach  Venedig  Handel  trieben,  wenn  die 
Prager  an  dieselben  schreiben,  daß  so  oft  die  Kaufleute 
I*  Wiener-Neustadts  in  Zukunft  nach  Prag  kommen  würden, 

sie  zugleich  den  „offen  Stattbrieff"  mitzubringen  hätten,  des 
Inhalts,   daß  der  Rat  Wiener-Neustadts  bekenne,   „daß  ihr 
oder  die  Euren  die  haabe  die  ihr   allso   zu   unns  führen 
!  werdet  zue  Venedi  gekhaufft  habt".  1422  wieder^  waren  ein 

Ser  Rasmo  und   ein  Zan  Nuochan  aus  Wiener-Neustadt  in 
{  Venedig,  letzterer  hatte  Pfeffer  hier  eingekauft.  Angenommen 


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»  „Quellen",    II/l,  nr.  677a. 

»    Simonsfeld,  a.  a.  0.,  L,  nr.  236. 

'  Anhang,  nr.  1. 

^  Sieveking,  a.  a.  0. 


40      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

kann  ein  internationaler  Handel  Wiener-Neüstadts  über  den  * 

Semmering  anch  ans  einer  Urkunde  von  1445  *  werden,  einem  i 

vöriäufigen  Schiedssprüche,   welchen  König  Friedrich  III.  in  ^ 

den  Streitigkeiten   der  Wiener-Neustädter   mit   den  Juden-  i 

bnrgern  fällte,  da  aus  demselben  hervorgeht,  daß  die  ersteren  * 

mit  Eisen  über  Judenburg  hinaus,  also  vielleicht  nach  Italien 
handelten.  Schließlich  noch  zwei  Nachrichten^  für  den  Handel  i 

Wiener-Neustadts  nach  Venedig:   in   einem  Schreiben  von  *^ 

1448  antworteten  die  Wiener,  von  den  Wiener-Neustädterii 
um  Aufklärung  gebeten,   warum  sie  die  Waren  eines  Kauf-  j 

mannes  ihrer  Stadt  konfisziert  hätten,  denselben  „daz  hivor-  ^ 

maln  die  eurn  mit  Czin  von  Gesten  zu  kauflfen  u.  hiewider 
zu  verkauifeü  oder  gein  venedy  ze  furn  nicht  gehanndelt 
haben";    wobei  die  Wiener  übrigens,    wenn  sie  nicht  eine  ^" 

bloße  Tatsache  feststellen,    sondern  das  Recht  der  Wiener-  ■ 

Neustädter,  Besagtes  zu  tun,  in  Frage  ziehen  wollten,  keines- 
wegs die  Wahrheit  behaupteten.    Und  zirka  1450  beklagten  | 
gich  die  Wiener  in  einem  Gesuche  an  König  Friedrich  III.,               ^ 
welchen  Schaden  es  für  ihren  Handel  bedeute,    wenn    die 
Wiener-Neustädter  übereingekommen  wären  „item  das  auch 
Ir  purger  u.   kaufleut   die   venedigische  phenbert  gen  der 
Neustadt  fürn  die  daselbs  niderlegen  aufpinten  u.*verkauffen 
u.  nicht  gen  wienn   in   die    niederleg  fürn   suUn**;    da  die              d 
Wiener  hervorhoben,  daß  dies  „wider  der  Niderleg  zu  wienn 
gerechtikait"  wäre,  so  konnten  unter  der  „Venedig,  phenbert"              i 
nur  Waren  verstanden   sein,  welche  die  Kaufleute  Wiener-  I 
Neustadt s  aus  Venedig  gebracht  hatten. 

knittelfeld,  Judenburg,  Friesach,  Villach,  Laibach.  -' 

Ganz   kurz  nur   sei   des  internationationalen  Handels 

dieser  Städte  über  den  Semmering  Erwähnung  getan;  er  er-  I 

folgte,  da  alle  Waren,   welche  dieselben  in  Venedig  gekauft  \ 
hatten,    dem    Wiener    Niederlagsrechte    zufolge    über    den 

Semmering  nach  Wien  geführt  werden  mußten.   Dafür  aber,  4 

daß  diese  Städte  nach  Venedig  Handel  trieben,   finden  sich  ^ 
einige  Beispiele  bei  Simonsfeld^  für  Friesach  und  Villach 

aus  dem  14.,    für   Judenburg  und  Laibach  aus  der  ersten  j 

Hälfte  des  15.  Jahrhunderts;  ich  Selbst  vermag  den  Handel  : 


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1  Im  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv. 
«  Ebenda. 

3  Simonsfeld,  a.  a.  0.,  I,  nr.  391,  54,  48,  782,  109,  234,  239; 
IL,  S.  54.  '  ( 


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Von  Dr.  Oskar  Kendd.  41 

Judenburgs,  Friesachs  und  Villachs  nach  Venedig  durch  eine 
Urkunde  des  Jahres  1366,  den  Handel  Judenburgs  und 
Friesachs  ebendahin  auch  durch  eine  solche  von  zirka  1450 
zu  belegen,  die  überdies  das  gleiche  für  Knittelfeld  bezeugt.  * 
Daß  der  Handel  der  Judenburger  aus  Venedig  über  den 
Semmering  übrigens  nicht  unbedeutend  gewesen  sein  kann, 
erhellt  daraus,  daß  der  Handel  nach  Venedig  sogar  zur  Er- 
zeugung eigener  Exportartikel  geführt  hat;  1371  befiehlt 
Herzog  Albrecht  IIL,  daß  alle,  welche  sich  vor  Judenburg 
hinausgezogen  haben  und  Kaufwaren  für  Venedig  verfertigen, 
dennoch  mit  den  Judenburgern  Steuern  u.  s.  w.  entrichten 
sollten.  ^  . 

Venedig  und  Fpiaul. 


Was  ich  zu  dem  internationalen  Händel  Böhmensr 
(  Mährens  und  Schlesiens  über  den  Semmering  einleitend  be- 

I  merkte,  daß,  wenn  auch  derselbe  durch  Österreich  ging,  er 

'  doch   bis  .1351   nicht  notwendig  über   den   Semmering  ge- 

schehen mußte,  gilt  bis  zu  diesem  Jahre  ebenfalls   für   den 
U  internationalen   Handel,    welcher    uns   von    Venedig    durch 

I  Österreich   nach    den    obgenannten    Ländern   berichtet   ist* 

k  Ich  will  daher  die  Nachrichten  darüber  gesondert  von  jenen 

'  betrachten,  welche  uns  von  dem  Handel  Venedigs  wie  Friauls, 

I  der  sicher  als,  Verkehrsweg  den  Semmering  benützte,  Kunde 

I  geben.    Was  erstere  betrifft,  so   finden  wir  zur  Zeit  König 

Wenzel  IL    einen  venetianischen  Kaufmann  Balduin  Falaster 
in  Prag  3  und    ein    Balduin    Falaster    aus   Venedig   reiste 
auch,   als  König  Johann  regierte,   mit   seinen  Waren  nach 
J  Böhmen,   wie    aus    einer   Urkunde,    in   welcher   der   König 

l  diesem  Kaufmanne  weitgehende   Begünstigungen  für   seinen 

f  Handel    in    diesem    Lande    zuteil   werden   ließ,    ersichtlich 

i  ist.'*   Dann  geht  aus  einem  bei  Erdmannsdörffer    „de 

commercio  quod  inter  Venetos  et  Germaniae  civitates  aevo  medio 
^  intercessit"  (Leipziger  Dissertation  1858)  S.  33  f  mitgeteilten 

4  Schreiben  des  venetianischen  Dogen  Petrus  Gradonico  von  1308 

hervor,   daß  venetianische   Kaufleute  damals  nach  Böhmen 
t  Handel  trieben;  ja  Erdmannsdörffer  meint  sogar  annehmen 

K  '        ^Quellen",  II/l,  nr.  677a  und  Wiener-Neustädter  Stadtarchiv. 

*  Lichnowßky,  a.  a.  0.,  I,  nr.  1067. 

3  Tomek,  „Geschichte  von  Prag*',  Prag  1856,  S.  353. 

4  „Summa  Gerhardi,  ein  Formelbüch  aus  der  Zeit  König  Johanns 
^Jk  (c.  1336—1345)«,  herausgegeben  von  F.Tadra  im  „Archiv  für  öster- 
I                  reichische  Geschichtisquellien'*,  Bd.  68,  S;  54a  '   ' 


42      Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

ZU  können,  es  habe  in  Prag  in  jenen  Zeiten  ein  eigenes  Kaufhaus 
fllr  italienische  Händler  bestanden.  Für  1337  erfahren  wir 
ferner,  daß  ein  venetianischer  Kaufmann  namens  Petrus 
Vulpe  bereits  über  zwanzig  Jahre  nach  Böhmen^  und  für 
zirka  1340  endlich,  daß  ein  Kaufmann  Baldbinus  Lombardus 
de  Veneciis  in  Prag  weilte/^ 

Zum  Handel  Venedigs  und  Friauls  aber,  der  sicher 
über  den  Semmering  erfolgte,  kann  schon  früher,  1244,  die 
Erwähnung  der  „mercatores  Veneti"  in  dem  von  Herzog 
Friedrich  H.  den  Wiener  Neustädtern  verliehenen  Zollprivileg 
angeführt  werden,  weiters,  daß  die  Mautordnung  Wiener- 
Neustadts  von  zirka  1310  auch  die  Abgaben  der  Kaufleute 
„von  Venedige"  jener  „von  Peuschendorf"  (der  deutsche 
Name  für  Venzone)  und  überhaupt  aller  der,  welche  „von 
Vriawl"  sind,  regelte;  und  speziell  über  den  Handel  der 
Bürger  von  Venzone  nach  Wien  sind  uns  auch  noch  1343 
und  1350  Nachrichten  erhalten.^ 

Daß  nun  seit  1351  ein  direkter  Handel  der  italienischen 
Kaufleute  durch  Österreich  in  die  böhmischen  Länder  un- 
möglich war,  brauche  ich  wohl  nach  meinen  früheren  Dar- 
legungen ebensowenig  des  näheren  auseinanderzusetzen  als 
daß  die  Urkunden,  welche  wir  von  1281  ab  über  den 
Handel  jener  Kaufleute  nach  Österreich  besitzen,  sofern  die 
Bestimmungen  des  Wiener  Niederlagsrechtes  eingehalten 
wurden,  als  Belege  für  die  Benützung  des  Semmerings  in 
Anspruch  genommen  werden  dürfen.  Leider  aber  sind  die 
Nachrichten  selbst  sehr  spärlich.  Um  1355  ist  von  dem 
Handel  friaulischer  Kaufleute  nach  Österreich  die  Rede,^ 
1358  wie  1366  wird  des  Aufenthaltes  venetianischer  Kauf- 
leute in  Böhmen  gedacht^  und  1366  wie  1370  verheißen 
die  Herzoge  Albrecht  III.  und  Leopold  IIL  allen  venetianischen 
Kaufleuten  Schutz  in  ihren  Ländern.  ^  Damit  erschöpft 
sich  jedoch  auch  unsere  Kenntnis  des  internationalen  Handels 
von  Seite  Venedigs   und  Friauls   über  den  Semmering;  ich 


1  Simonsfeld,  a.  a.  0.,  I.,  nr.  94. 
«  Summa  Gerbardi",  a.  a.  0.,  S.  515. 

»  „Ausgewählte  Urkunden"  nr.  39;  Winter,  „Urkundliche 
Beiträge  etc.",  S.  57;  Kurz,  a.  a.  0.,  S.  460 ff;  Zahn,  a.  a.  0.,  nr.  46. 
4  Z  ahn,   a.  a.  0.,  nr.  77. 
»  Pelzel,  a.  a.  0.,  S.  337  und  367. 
«Lichnowsky,  a.  a.  0.,  nr.  742  und  1018. 


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^ 


Von  Dr.  Oakar  Kende.  43 

weiß  innerhalb  der  für  uns  in  Betracht  kommenden  zeit- 
lichen Grenze  keinen  einzigen  Beleg  mehr  beizubringen ;  daß 
aber  der  Handel  beider,  wenngleich  zufällig  keine  Nach- 
richten darüber  vorhanden  sind,  weiter  fortbestand,  ist  gewiß 
überflüssig,  besonders  zu  betonen. 

Wir  sind  am  Schlüsse;  ich  glaube  gezeigt  haben,  daß 
der  Semmering  zwischen  der  Mitte  des  13.  und  des  15.  Jahr- 
hunderts eine  wichtige  Verkehrsbedeutung  besaß.  Wir 
fanden,  daß  am  Handel  über  denselben  die  wichtigsten  der 
an  den  Österreich  von  Südwesten  nach  Nordosten  durch- 
■^  ziehenden  Straßen  gelegenen  Handelszentren  beteiligt  waren, 

zumal  die  handelspolititischen  Maßnahmen  der  österreichischen 
Herrscher  meist  zu  einer  stärkeren  Benützung  des  Semmerings 
^  beitrugen.     Ich  vermag   hinzuzufügen,    daß   überhaupt   die 

wirtschaftliche  Bedeutung  des  Semmerings  seine  politisch- 
militärische in  den  von  uns  in  Untersuchung  gezogenen  Zeiten 
weitaus  übertroflfen  hat. 


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44       Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 


Anhang. 


Nr.  1. 
1383,  November  19,  Prag. 

Wr.-Neustädter  Stadtarchiv,  Scrin  1  XVII,  Nr.  V,; 
Abschrift. 

Der  Bürgermeister  und  Bat  von  Prag  schreiben  an  den 
Bürgermeister,  Eichter  und  Bat  von  Wiener-Neustadt  wegen 
Verlegung  der  Handelsstraße  von  Prag  nach  Venedig,  um 
Wien  künftighin  zu  umgehen,  gestattet  ferner  den  Wiener- 
Neustädtern,  mit  venetianischen  Waren  nach  Prag  Handel 
treiben  zu  dürfen  und  ersucht  sie  zugleich,  mit  Herzog 
Leopold  wegen  Freigabe  der  Straße  über  Zeiring^  zu  ver- 
handeln. 

„ Unsem  willigen  dienst  mit  aller  behelligkeit 

zevor.  Besundern  lieben  frewnde,  Euren  Brieif  den  ihr  unns 
mit  dem  Johannes  Potschan,  Euren  Mitbürger  gesandt  habt, 
dass  niemandt  von  unns  die  Strasse  gehn  Wienn  noch  her- 
wider  von  Wienn  zu  uns  mit  kheinerleye  khauf&nanschaffib 
arbeithen  suUe  und  ander  Euer  mainunge  in  demselben  Euren 
Brieffe  begriffen,  den  haben  wir  woU  vernommen  und  besun- 
dern als  wir  in  demselben  Euren  brieffe  empfunden  haben, 
dass  ihr  unsern  frumben  mit  sambt  dem  Euren  umb  ein 
Strasse  gehn  Venedig  gerne  werben  wollet,  dass  wir  die  ohn 
der  Wienner  irrunge  haben  möchten,  das  danckhen  wir  Ewch 


1  Die  Straße  über  den  Rottenmannertauem  und  Zeiring  war  seit 

1351,  Mai   17,  verboten.  Vgl.  „Quellen «  II/l   nr.  378:    „Herzog 

Albrecht  zeigt  dem  Richter  und  den  Bürgern  auf  der  Zeirig  an,  daß 
er  den  Wiener  Bürger  gestattet  habe,  „einen  phleger'  auf  die  Zeirik  zu 
setzen,  der  darüber  zu  wachen  habe,  daß  niemand  „aus  oder  in  über 
die  Zeirikke"  fahre,  ausgenommen  die  fünf  Städte  von  Enns,  Linz, 
Freistadt,  Wels  und  Gmunden  mit  ihrem  eigenen  Gute.  Dazu  vgl.  ebenda 
nr.  590a  und  „Ausgewählte  Urkunden",    a.  a.  0.,  S.  257,  nr.  129. 


f  Von  Dr.  Oskar  Eende.  .45 

mit  ganczem  vleisse  unnd  mit  namen.  als  umis  der  ehe- 
genannte  Johannes  von  Ewren  wegen  fürgeben  hat,  umb  die- 
selben Strassen  das  man  die  ziechen  sollte  von  Brunn  gehn 
Pressburg  unnd  danne  von  Pressburg  über  das  ungarische 
^  zu  Ewch,   ist  unser  mainunge,  dass  wir  Ewch   das   gerne 

folgen-  wellen  unnd  unser  Hilffe  darzue  thuen,  doch  in  solcher 
weise,  dass  ihr  auf  derselben  Strassen  am  Ungarischen,  die 
Ewch  daran  bass  gelegen  sein  denne  unns,  an  Mauthen  unnd 
Zollen  aigentlichen  erfahren  suUet  unnd  unns  daz  lassen 
wissen,  was  auf  die  Khauffmanschaft  gehen  werde,  allso  dass 
ihr  unnd  wir  das  zukhomme  mochten  unnd  obe  die  khüni- 
'  ginne  von  Ungarn^  durch  ihres  besten  willen  dass  man  Sie 

woU  in  den  Sachen  underweisen  wurde  auf  ain  wagen  mit 
khauffmanschaft  ein  genant  gelt  an  ihren  Mauthen  und  Zollen 
sezen  well  das  Ihr  unnd  wir  gewesen  möchten  unnd  solche 
Pfennigwerth  die  Strasse  zu  Lannde  bringen  möchten,  das 
Ewch  unnd  unns  nicht  zu  schwer  wehre.  Und  denne  als  ihr 
begehrt,  dass  wir  Ewch  mit  Ewr  arbeit  unnd  khauffman- 
schafFt  zu  unns  unnd  vor  unns  ungehindert  ziehen  lassen, 
thuen  wir  Ewch  khundt,  dass  wir  Ewch  unnd  den  Ewren 
aller  Strasse  die  ihr  zu  unns  mit  Ewer  khauffmanschaift 
khommen  müget,  gehrne  gönnen  wellen,  allso  lenge  bis  das 
wir  Ewch  dievor  zwey  ganze  monat  mit  unnsern  brieffe  nit 
absagen  werden,  allso  das  ihr  mitsambt  unns  ain  Strasse 
gehn  Venedi  gewinnen  müget  unnd  auch  in  solcher  weise, 
dass  ihr  noch  die  Ewren  kheinerleye  habe  noch  khauffman- 
^  schafft  zu  Wienn  und  in  Österleich  khauffen  suUet  unnd  die 

i  zu  unns  führen,  sunder  Ewer  ieglicher  suU  Ewren  offen  Statt- 

'  brieff  mit  der  haabe   zu  unns   bringen  als   offte  des  Noth 

sein  wirdet  unnd  der  soll  läuthen,  das  der  Kath  bekhennet, 
das  ihr  oder  die  Ewren  die  haabe,  die  ihr  allso  zu  unns 
führen  werdet,  zue  Venedi  gekhaufft  habt  unnd  nicht  zu 
Wienn  oder  zu  Österreich  unnd  kheiner  von  Wienn  oder 
von  Österreich  theil  noch  gemaine  davon  haben,  unnd  wenne 
\  ihr  allso  mit  solcher  haabe  zu  unns  khommet,  welche  Strasse 

ihr  iezundt  müget  als  lange  bis  Ewch  unnd  unns  ain  Strasse 
gehn  Venedi  wirdet,   so  mainen  wir  und  wellen  wir  Ewch 
\  fürderen  unnd  allso  des  gegen  Ewch  halten,   dass  ihr  unns 

zu  danckhen  habt.  Auch  bitten  wir  Ewr  freundtschafft,  dass 
>•  ihr  an  Ewren  Gnedigen  Herrn  Herzog  Leupoldt  von  Öster- 

reich  geruchet  bringen,  obe  Ewch  unnd  unns  die  Strasse 


1  Elisabeth,  Witwe  Ludwig  I.  von  Ungarn,  der  1382  starb. 


46       Zur  Handelsgescbichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

über  Zeierkhe  möchte  werden,  das  er  das  mit  seinem  Bruder 

Albrecht  übereinkhomen  geruche,  wenne  ihr  unnd  wir * 

in  des  Herzog  Albrechts  Lande  die   Strasse  ziehen  wurden; 

unnd  die  wehre  Ewch  unnd  unns  die  neheste  unnd  Ewrem 

herren  als   er  des  an   seinen  Mauthen  woU  erfinden  wurde 

die  nuziste.  Unnd  thuet  in  den  Sachen  Euren  Vleiss  als  wir  . 

Ewch  des  woU  gethrauen,  doch  in  sulcher  weise  allezeit  welche  y  I 

Strasse  ihr  gewinnen  möchtet  unnd  zu  unns  ziehen,  das  wir  ^ 

die  zu  Ewch  wieder  ziechen  mügen  als  ihr  selber.    Geben  \^ 

zu  Prag  an  St.  Elisabethabendt  der  seeligen  wittiben.  Anno 

dom.  MCCC  1  XXXIII. 


Burgermaister  und  der  Kath  der 
grossen  Statt  zu  Prage."*^ 


1  Übersclirieben  und  unleserlich;  wahrscheinlich  soll  es  heißen: 
„wenne  ihr  unnd  wir  vurt  im  Üngrischen  oder  in  wenig  mehr  in  des 
Herzog ..." 

*  Die  Prager  haben  vielleicht  mit  ihrer  Absicht,  die  andere  ge- 
nannte Straße  zu  ziehen,  Ernst  gemacht,  denn  zirka  1386 — 1394  ent- 
standen neue  Streitigkeiten  zwischen  Prager  und  Wiener  Kaufleuten, 
die  schließlich  von  dem  in  dieser  Sache  als  Schiedsrichter  angerufenen 
Jost  von  Mähren  dahin  geschlichtet  wurden,  daß  er  den  böhmischen 
Kaufleuten  das  Recht,  auf  der  „gewöhnlichen"  Straße  über  Wien  und 
den  Semmering,  aber  ohne  Niederlagszwang  in  Wien,  nach  Venedig 
Handel  treiben  zu  dürfen,  zuerkannte.  Damit  aber  waren  die  Zwistig- 
keiten  noch  lange  nicht  zu  Ende. 


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Von  Dr.  Oskar  Kende.  47 


-i  Nr.  2. 


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Bemerkungen  zur  Karte. 

Da  ein  Vergleich  der  zur  Erläuterung  meiner  Arbeit 
bestimmten  Karte  mit  jener,  die  der  Abhandlung  Luschins 
„Wiens  Münzwesens  ..."  beigegeben  ist,  in  einigen  Punkten 
Verschiedenheiten  ergibt,  muß  ich  meine  Darstellung  durch 
einige  Beispiele  begründen. 

Der  Weg  von  der  Pack  über  Voitsberg  nach  Graz 
fehlt  bei  Luschin,  während  diese  Straße  schon  vor  dem  fünf- 
zehnten Jahrhundert  bestand,  ^  Voitsberg  ist  überdies  nicht 
als  Mautort  gekennzeichnet.  ^  Südlich  von  Zeiring  fehlt  der 
Ort  Katzling,  wichtig,  da  sich  hier  eine  Mautstätte  befand, 
ferner  ist  Neumarkt,  nördlich  von  Friesach,  gleichfalls  eine 
Mautstätte,  nicht  angeführt.  ^  Aussee  ist  bei  Luschin  nicht 
durch  einen  Weg  mit  der  durch  das  Ennstal  ziehenden 
Straße  verbunden.^ 

Nach  Lus  chins  Karte  könnte  es  sich  so  darstellen,  als  ob 
vor  1500  kein  Verkehrsweg  von  Breslau  nach  Österreich  gegan- 
gen wäre,  die  Mautordnung  für  Wiener-Neustadt  von  zirka 
1310  erwähnt  aber  schon  Kaulleute  aus  Breslau^.  Der  Weg 
Hartberg — Graz  wird  bei  Luschin  als  erst  seit  1600  nach- 
weisbar angegeben;  doch  wurde  dieser  Weg  sicherlich  späte- 
stens im  dreizehnten  Jahrhundert  vom  Verkehre  benutzt.^ 


•  Vgl.  Krone s  „Landesfürst  .  .  ."  S.  141. 
8  Vgl.  Krpnes  „Verfassung.  .  .",  S.  366. 

3  Daß  Katzling  und  Neumarkl  Mautstätten  besaßen,  belegt 
Krones  „Verfassung  .  .  .",  S.  379  und  461. 

4  Daß  ein  solcher  aber  unzweifelhaft  schon  im  14.  Jahrhundert 
vorhanden  war,  dafür  vergl.  man  die  von  mir  S.  23  erwähnte  Urkunde 
vom  Jahre  1382  (Wiener-Neustädter  Stadtarchiv  Scrin.  XVIII,  Nr.  15  a),, 
daß  die  Wiener-Neustädter  „Laglwein  über  den  Semeringk  gen  Ausse 
füren  suUen." 

8  Winter,  a,  a.  0.,  S.  57. 

*  So  zog  König  Rudolf  I.  im  September  1279  auf  diesem  W^ege 
nach  Graz;  vgl.  die  „Reim ehr onik",  a.  a.  0.,  von  18740 — 60;. 
Böhmer-Redlich,  a.  a.  0.,  nr.  1128  u.  S.  16,  Anm.  1  meiner  Arbeit. 


48       Zur  Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering  etc. 

Schließlich  läßt  Luschin  die  zeitweilig  gesperrte  Straße 
llber  den  Karst  von  Neunkirchen  über  Hartberg, .  Fürsten- 
feld, Radkersburg,  Pettau,  Windisch-Feistritz,  Laibach  und 
Görz  ziehen;  das  Regest  nr.  1172a  in  den  „Quellen  zur 
Oeschichte  der  Stadt  Wien"  II,  1  —  auch  von  Luschin 
in  anderem  Zusammenhange  (in  seiner  Abhandlung  S.  22) 
zitiert  —  dürfte  jedoch  eine  solche  Annahme  ausschließen. 
In  diesem  Regeste  heißt  es :  „Herzog  Albrecht  III.  bringt  zur 
Xenntnis,  daß  er  seinen  Kaufleuten  zu  Wien  und  anderen, 
die  das  Recht  haben,  „gen  Venedi  ze  fahren",  bis  auf 
Widerruf  die  Straße  über  den  Karst  erlaubt  habe,  mit  der 
Bedingung,  daß  sie  „an  dem  gevert  heraus  von  Venedi  die 
recht  Strasse  über  den  Karst  faren  von  Triest  derrichts  gen 
Laibach,  von  Laibach  gen  Marichburg,  von  Marichburg 
gen  Wienn  ..."  u.  s.  w.,  wird  also  gesagt,  daß  die  Straße  über 
Triest  ging,  des  weiteren,  daß  die  Straße  von  Laibach  nach 
Marburg,  von  Mai^burg  nach  Wien  lief;  es  ist  also  wohl 
gewiß,  daß  sie,  da  zwischen  Marburg  und  Radkersburg  in 
jenen  Zeiten  und  sehr  lange  später  keine  Straßenver- 
bindung bestand,  von  Laibach  über  Windisch  -  Feistritz 
nach  Marburg  und  dann  über  Leibnitz,  Graz  bis  Brück 
an  der  Mur  zog,  wo  sie  in  die  Semmeringstraße  einmündete. 


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Die  alten  Handelsbezielinngen  des  Morbodens  mit  dem 


Beiträge   zum  Werden   und  Vergehen   der  Hammer- 

und    Sensenwerke     und     zur    Genealogie     der    alten 

Murbodener  Gewerkenfainilien. 

Von  FraDz  Forcher  Ton  Ainbach. 


Zur  Studie  über  die  Umstände,  welche  den  Murboden  in 
längst  vergangenen  Zeiten  zu  einem  der  blühendsten 
Gaue  Steiermarks  ausgestalteten,  ist  etwas  weit  auszuholen. 

Der  Handel  brachte  Kultur  und  Wohlstand  ins  große 
Alpental  und  seine  Seitengräben  nach  der  Art  seiner  Waren 
aus  dem  fernsten  Auslande.  Der  Export  bestand  aus  Salz, 
Bronze,  Stahl,  Schmiedeeisen,  geschmiedeten  Pfannen,  Sensen 
und  Strohmessem  und  der  duftenden  Alpenpflanze,  dem  Speik, 
der  Valeriana  celtica. 

Das  sonnige  Tal  nahe  der  internationalen  Handelsstraße 
von  der  Adria  zur  Ostsee  (die  Salzstraße  wurde  erwiesener- 
maßen schon  in  der  Steinzeit  begangen),  das  frtihier  viel 
mildere  Klima,  das  die  Landwirtschaft  ertragreicher  betreiben 
ließ,  deren  Früchte  mangels  Verkehrswegen  an  den  nahen 
Industriestätten  mit  größerem  Gewinn  abgesetzt  werden 
konnten,  vereint  mit  der  Verarbeitung  des  Bergsegens  an 
den  vielen  Wassergefällen,  waren  die  Grundbedingungen  zur 
gedeihlichen  Entwicklung. 

Der  SalzhandeL 

^  Zur  Bronzezeit  füllte  sich  das  Lavanttal  und  das  Ge- 

biet um  Eibiswald  mit  zahlreichen  Bewohnern.  Diese  holten 
ihren  Salzbedarf  von  der  Salzstraße  her  und  spedierten  ihn 
über  den  Salzstiegel  und  den  Obdachersattel.  Ob  auch  nach 
Oberitalien,  ist  unbekannt. 

4 


4r. 


V 


50    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Der  Bronzehandel.  ^ 

Der  Handel  mit  Bronze  ist  schon  besser  mit  Beweis-  ^ 

stücken  belegt,  vor  allem  durch  den  Strettwegerfund. 

Vom  Standqunkte  ausgehend,  daß  nur  vergleichendes 
Naturstudium   allein   das   richtige  Bild  von  prähistorischen  ^ 

Funden  geben  kann,  habe  ich  die  für  den  Murboden  maß- 
gebenden Museen  cder -Reihe  nach  besucht  und  gewisse- Typen  y 
vonl  Süditalien  bis  zum  hohen  Norden  verfolgt.  Selbst  die 
besten  Bilder  geben  nicht  den  richtigen  Begriff,  auch  das 
Besehen  reich  illustrierter  Werke,  wie  Montelius\  dienen 
nur  als  Leitfaden  zum  wahren  Betrachten  der  ausgegrabenen 
Gegenstände.  Die  Farbe  der  Patina  (Nickelgehalt  macht 
grau),  die  Art  der  Technik^  die  Stärke  des  Bronzegusses 
oder  Bleches,  die  Tiefe  der  Punze  etc.,  kann  das  beste  Licht- 
bild nicht  wiedergeben. 

Ähnlich  ist  es  mit  Ölgemälden,  das  richtige  Sehen  ist 
Gefühlssache. 

Ich  kenne  einen  Fall,  daß  ein  Bild  von  mehreren 
sogenannten  Autoritäten  einem  berühmten  mittelalterlichen 
italienischen  Maler  zugewiesen  wurde.  Ein  Gelehrter  hatte 
schon  eine  große  Abhandlung  auf  Grund  alter  Stiche  und 
Photographien  geschrieben  und  nach  Urkunden  den  Besteller 
etc.  eruiert  und  die  wechselnden  Schicksale  seit  1540 
illustriert.  Nach  Italien  gebracht,  erkannte  ein  Praktiker 
sofort  das  «Bktu  des  Memmling"  und.  das  nordische  Eichen- 
holz der  Tafel.  Die  italienischen  Kenner  bestimmten  tiiilsono 
das  Bild  fjir  Qine  gleichzeitige  vlämische  Kopie  einer  alten 
italienischen  Tafel,  welches  Urteil  nach  Photographien  ganz 
unmöglich  zu  fö,llen  war. 

Beim  Musealvergleich  fiel  mir  auf,  daß  die  reichs- 
deutschen'  Sammlungen  und  jene  Salzburgs  recht  dürftige 
prähistorigcbe  Bronzen  besitzen,  hingegen  Graz  und  Laibach, 
weniger  Klagenfurt,  den  etruskischen  Funden  nicht  viel 
nachstehen, -^      '  y 

Besonders  auffällig  ist  die  Armut  an  Wehr  und  Waffen 
in  Italien  und  allen  anderen  Nachbarsammlungen  mitsammen 
gegenüber  den  Funden  im  Unterlande  und  Krain,  am  Treff- 
platz der  Kultur  donauaufwärts  und  von  der  Adria  und  dem 
Balkan  in  ihrem  weiteren  Siegeszug. 

1  Oscar  Montelius,   La   ciyilisation   primitive   en   Italie.    Stock-  *^   •* 

holm  1905.  .  ^ 

<  Wien  und  Budapest'  als  Zentralsammlungen  großer  Komplexe  * 

können  nicht  in  Vergleich  gezogen  werden.  :  «^^ 


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M 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  51 

Die  geradezu  einzigen  Funde  von  Helmen  und  Harnischen 
>  in  Kleinglein,  Negau  und  Watscb  deuten  auf  besondere  kriegeri- 

sche Unternehmungen,  bei  denen  die  eindringenden  Römer, 
*  bewehrt  mit  den  herrlichsten  etruskischen  Rüstzeugen,  reihen- 

^  weise  von  den  keltischen  *  Einwohnern  niedergemacht  wurden, 

Oder  sollten  die  Inschriften  auf  die  Einwohner  deuten, 
trotzdem  der  dünne  Metallguß  bestimmt  nur  nach  griechischer 
Anleitung  in  Etrurien  geübt  wurde? 
^-^  Der  Kernguß   war   unseren  Kelten   unbekannt,    seine 

K'unstübung  blühte  in  Volterra,  als  Steiermark  am  nächsten 
gelegen,    wohin  er  von  Griechenland  gekommen  sein  dürfte, 
^  wie  die  Formen  andeuten. 

Vielleicht  haben  die  Begrabenen  von  Kleinglein  die  Ring-^ 
wälle  um  Wies  am  Gewissen.  Ob  diese  Erschlagenen  schon 
181  vor  Christo  ihr  Leben  ließen,  als  sie  gegen  die  Istrier 
zogen,  oder  113—115  gegen  die  Taurisker  über  den  Birn- 
baumerwald  aus  Italien  einbrechend,  oder  59  vor  Christo  in 
der  Expedition  von  Aquileja  aus  gegen  Norden,    wird  wohl 


r. 


Vermutlich  der  dritte  Einfall  brachte  die   echt  etrus- 
kischen Helme,  Schwerter  und  Rüstungen.  Die  Kunst,  Bronze- 
blech in  größeren  Flächen  zu  treiben,  kannte  man  nur  dort 
—    die    getriebenen    Gefäße    stammen    aus   Vetulonia   und 
^  Populonia  im  alten  Etrurien. 

Die  älteren  steirischen  Bronzewaifen,  wie  Kelte  und  soge- 
nannte Paal Stäbe,  entstammen  aber  einer  speziell  keltischen 
Kultur,  deren  Zentrum  das  Poland  mit  seinen  Kapitalen 
Bologna  und  Este  war.  Diese  Formen  zeigen  keine  griechischen 
Linien,  sie  sind  die  metallischen  Nachahmungen  der  Stein- 
waflfen  und  illustrieren  die  früher^  „nordetruskische"  Kultur 
genannte  Gießkunst.  ,  Die  Bronze  kam  auf  drei  Wegen 
i  aus  Mesopotamien   zu  uns,   naturgemäß   brachten  die  Ein- 

wanderer dag  Rohmaterial  mit,  bis  sie  an  den  neuen  Wohn- 
3  sitzen  Kupfererze  fanden.    Das  Zinn  mag  lange  aus  Indien 

.  bezogen  worden  sein,  bis  man  sein  Vorkommen  in  Cornwall 

*  entdeckt  und  ausgebeutet  hat. 

y  Die   alten    Schriftsteller    beschreiben    den   Zinnhandel 

von  Cornwall,  3   wie  es   auf  Karren  zur  Ebbe   auf  die  Insel 

^  Ich  schrieb  im  Manuskript  durchgehends  c,  weil  ich  das  Wort  von 
^  <^  böhm.  deled  =  Gebirgsbewohner  ableite.  Die  Redaktion» verwandelte  es  in  k. 

*  Speck,  Handelsgeschichte  des  Altertums,  3.  Band,  zweite  Hälfte, 
Seite  371,  377,  381.    Leipzig  1906. 

3  Posidonius,  2.  Jahrhundert  vor  Christo,  Diodor,  13  vor  Christo. 
Speck,  Seite  386.  Cassideriden,  um  400  vor  Christo,  Zunkoviö,  Seite  29. 

4* 


52    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Wight,  dann  zu  SchiflF  und  Land  quer  durch  Frankreich  nach 
Marseille  und  dann  weiter  verfrachtet  wurde. 

Trotzdem  wurden  neuester  Zeit  die  Astragali,  die 
Zinnbarren  Diodors  abgeleugnet.  Herr  Emanuel  Green  be- 
wies in  der  british  archäological  Association  am  15.  No- 
vember 1905,  daß  der  cornische  Zinnbergbau  erst  nach  1086 
nach  Christo  wieder  erschlossen  worden  sein  konnte. 

Es  hat  also  dieser  Bergbau  das  gleiche  Schicksal  mit 
den  Mitterberger  Kupfergruben  gehabt,  durch  1000  und 
1600  Jahre  gänzlich  in  Vergessenheit  zu  geraten,  bis  sie 
wieder  neu  entdeckt  wurden.^ 

Der  Südapenninische,  griechische  Einfluß  veredelte  am 
Handelswege  die  primitiven  keltischen  Formen.  Beide  haben 
sich  bis  in  die  Neuzeit  erhalten.  Z.  B.  haben  die  Zimmer- 
mannsbeile in  den  Bergen  am  Gardasee  heute  noch  genau 
die  Formen  der  südetruskischen  Bronzebeile,  während  die 
Bandhacken  die  der  lokalen  Kelte  kopieren. 

Mit  dem  zunehmenden  Bedarf  haben  sich  die  Guß- 
stätten überall  sichtlich  gemehrt,  deren  spezielle  Typen  sich 
wieder  vielerorts  in  den  Funden  genau  verfolgen  lassen. 

Strettweg,  nahe  den  murbodener  Kupferbauen,  hatte 
sicher  eine  Gußstätte,  wie  ich  mit  ziemlicher  Wahrschein- 
lichkeit nachwies.  Von  dort  aus  kamen  die  gedrehten  Trag- 
stäbe bestimmter  Dimension  in  den  Handel,  die  getriebene 
Blechgefäße  aus  Vetulonia  stützten,  und  als  Opferwagen  in 
Strettweg,  Freudenau  in  Steiermark  und  Peccatel  in  Mecklen- 
burg kombiniert  gefunden  wurden. 

In  keiner  italienischen  Sammlung  gibt  es  solche  starke 
gedrehte  Bronzestäbe. '-^  Der  erste  aus  Eisen  findet  sich  1205 
bei  den  Fenstergittern  des  Palastes  Tolomei  in  Siena.  Den 
Ursprung  der  Form  gibt  aber  erst  1435  das  bronzene  Ober- 
lichtgitter der  Taufkapelle  im  einzig  schönen  Dom  von  Siena, 
die  metallene  Nachahmung  eines  Geflechtes  von  Stricken. 
Die  gewundene  Mittelsäule  spitzbogiger  Gewölbe  haben  die 
Gothiker  den  maurischen  Baumeistern  nachempfunden;  denn 
die  erste  Anwendung  gewundener  Säulen  stammt  aus  dem 
Orient.    (Indien,  Turkestan.) 

Der    Strettweger    Opferwagenkünstler   hat   ein    orien- 

*  The  isle  of  Ictis  and  the  early  tin  trade,  by  Em.  Green. 
F.  S.  A.  London  1906,  Bedford  press,  Bedfordbury  W.  C. 

«  Hingegen  dünne,  schwach  profilierte  in  den  ältesten  Opfer- 
wagen aus  mesopotamischen  und  inselsardinischen  Gießereien,  aus 
apulischen  Gräbern. 


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A 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  63 

talisches  Modell  vor  Augen  gehabt  und  seine  Formen  ver- 
edelt nachempfunden. 

Der  älteste  Opferwagen,  *  scheinbar  von  semitischen 
Werkstätten  der  Insel  Sardinien,  ist  jener  aus  Lucera  in 
Apulien,  derzeit  im  Ashmolean  Museum  in  Oxford.  Die  sehr 
archaische  Dekorationsplatte  auf  drei  Rädern  hat  noch  die 
Reste  von  gedrehten  Tragstangen.  Das  sind  aber  rundliche 
dünne  Gebilde,  ähnlich  denen  in  Hallstatt  gefundenen,  deren 
schönste  Anwendung  im  Kohlenbecken*-'  des  Wiener  Hof- 
museums zu  sehen  ist.  Dies  Räuchergefäß  wird  noch  heute  oft 
in  Italien  als  Wärmespender  „Scaldino"  verwendet,  fand  sich 
aber  in  Hallstadt  aus  getriebenen  Flachgefäßen  aus  Vetulonia, 
manches  mit  15  Zentimeter  langen  dünnen  Drehstäben. 

Die  Strettweger  Stäbe  sind  meist  21 — 23  Zentimeter 
lang  und  zeigen  ein  kräftiges  Kreuz  als  Querprofil.  Auch  in 
Strettweg  befand  sich  ein  solcher  Glutständer,  dessen  durch 
Erddruck  zerstörte  Reste  an  das  einzig  erhaltene  schöne 
Vorbild  in  Wien  erinnern.  ^ 

In  Strettweg  und  Hallstadt  gefundene  kleine  Klapperbleche 
dürften  heimische  mißlungene  Versuche  darstellen,  Bronzebleche 
zu  treiben.  Der  Nickelgehalt  des  Kupfers  mußte,  spröde  wir- 
kend, größere  Treibarbeit  in  dünnen  Blechen  verhindern. 

Der  Typus  der  Strettweger  Kelte  war  südlich  nur  in  Frögg 
und  bis  Laibach  und  nördlich  nirgends  zu  verfolgen,  am  ähnlich- 
sten sind  Exemplare  aus  Bologna-S.  Francesco.  Ihre  starke 
Form  war  wohl  durch  die  Rodungsarbeit  beim  Anhacken  alter 
Bäume  bedingt,  die  man  dann  durch  Feuer  zum  Falle  brachte. 

Den  Südapennin  bedeckte  kein  Wald,  nur  zähes  Gestrüpp, 
daher  hatten  die  Etrusker  schwache  Beile  und  besondere  Ein- 
kerbungen zum  Anstielen.  Die  dürftigen  Funde  im  Salz- 
burger Museum  zeigen  aber  den  nordapenninischen  Typus 
und  sind  viel  schwächer  als  die  Strettweger.  Es  hat  also 
merkwürdigerweise  das  nahe  Kupferwerk  Mitterberg  nach 
südlicher  Stärke  gearbeitet,  während  Strettweg  einen  abnorm 
massiven  Typ  in  den  Handel  brachte.  Am  ähnlichsten  sind 
noch  ein  palco  etrusco  aus  Clusium  in  Florenz  und  ein  edler 
Kelt  aus  Tisens  in  Innsbruck,  den  vier  etruskische  Buch- 
staben schmücken.     Die   kleinen  Figuren  aws  Este-Baratela 

*  Dr.  Ingwald  Undset,  antike  Wagengebilde,  Zeitschrift  für 
Ethnologie,  Berlin,  Asher  &  Co.,  deren  Urbild  doch  wohl  nur  in 
Babylon  zu  suchen  ist,  dessen  Charakter  der  Wagen  im  Gregorianischen 
Museum  im  Vatikan  darbietet. 

2  Sacken,  Hallstädter  Grabfeld,  Tafel  XXII,  Gefäß  3. 

*  3.  Saal,  Fensterschrank. 


54    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Mnrbodens  mit  dem  Auslande. 

sind  ganz  verschieden  und  viel  edler  als  die  Strettweger. 
Die  Certosa  situla  ist  so  ähnlich  anderen  Funden,  daß  man 
einen  Erzeugungsort  annehmen  muß.  Ganz  bestimmt  war 
aber  Strettweg  mit  Bologna  in  Handelsverbindung,  denn  die 
Messergriffe  wurden  nur  dort  gegossen,  die  Montelius  auf 
Tafel  78  Nr.  12,  Fund  Benacci,  82  Nr.  16,  Amoaldi,  ganz 
gleich  Strettweg,  Tafel  87  Nr.  2,  Arsenal,  89  Nr.  11,  An- 
hänger und  Opfermesser,  Tafel  82  Nr.  17,  18,  96  Nr.  1  etc. 
abbildet  und  von  denen  Bologna  nur  wenige  Stücke  bewahrt.  Die 
Zeichnung  kopiert  eine  geschmackvolle,  heute  secessionistisch 
genannte  Verschlinguüg  eines  Bindfadens,  die  man  nur  in 
Bologna  Und  Strettweg  fand  und  die  seltsamen  Messergriffe 
ziert,  ^  die  ich  Seite  19  irrtümlicherweise  für  die  Reste  der 
Zier  eines  eisernen  Faltstuhles  hielt,  weil  die  Handhabe  zu 
schwach  aussah.  Die  Messerangel  hingegen  ist  unverhältnis- 
mäßig stark  im  Eisen. 

Beim  Depotfund  am  Platze  S.  Francesco  in  Bologna 
mit  14.800  Stück  war  kein  Nickel  nachweisbar,  Spuren  nur 
bei  einer  Sichel  aus  Casa  Lecchio  (Rimini) ;  das  Kupfer  kam 
wohl  von  Volterra.  Die  Form  der  Bologneser  Opfermesser  ähnelt 
dem  obersteirischen  Brotmesser  in  der  Seitentasche  der  landes- 
üblichen Lederhose  vergangener  Jahrzehnte.  Der  gleiche  Griff 
schmückt  einen  großen  Anhänger  mit  Bernsteineinlage,  viel- 
leicht das  Abzeichen  einer  Würde  —  ferner  ein  schräges 
Guillotinemesser  (vom  Arsenalfunde).  Das  gleichzeitige  Vor- 
kommen in  Gräbern  einer  in  wenigen  Stücken  bekannten  ganz 
bestimmten  Form  an  nur  zwei  weit  auseinanderliegenden 
Orten  beweist  ihren  Zusammenhang  durch  Handel  zwischen 
Völkern  gleicher  Sitten  und  wohl  auch  gleicher  Religion. 
Montelius  (Seite  357)  setzt  zwar  die  Bolognafunde  vor 
1000  vor  Christo,  sagt  aber,  Bologna  sei  erst  durch  die 
Etrusker,  dann  Gallier,*^  endlich  196  vor  Christo  von  den 
Römern  erobert  worden.  Ist  die  Blütezeit  300  gewesen 
(man  behauptet,  die  Kelten  seien  400  vor  Christo  hin- 
gekommen), so  dürfte  die  Kultur  200  Jahre  zum  Über- 
schreiten der  Alpen  gebraucht  haben.  Geradeso  wie  im  ver- 
kehrsreicheren Mittelalter  Gothik  und  Renaissance  genau 
100  Jahre  brauchten,  bis  sie  in  Obersteier  heimisch  wurden. 
Ich  möchte  daher  die  Altersbestimmung  des  Strettweger 
Grabes  für  richtig  halten,  um  so  mehr  Speck,  Seite  374,  die 

»  Urbevölkerungd.  Murbodens,  Steir.Zeitschr.  f.  G.,  III.  Jg.,  S.  166. 
«  Ich  setzte  im  Manuskripte  zu  „Gallier"  in  Klammern  Slaven? 
Die  Redaktion  hat  dies  ausgemerzt. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  55 

Goldfiinde  am  Tauern  um  150  vor  Christo  setzt.  Die  Ge- 
brauchsfähigkeit eines  Werkzeuges  behält  eine  bestimmte 
Form  bei,  aus  dem  Feuersteinsplitter  wurdö  das  Steinbeil, 
der  Kelt,  die  Handhacke.  Auch  heute  noch,  im  Zeitalter  der 
Luftschiffahrt,  benützt  man  noch  ein  Steinwerkzeug,  das 
nicht   verbesserungsfähig   ist.     In  der  toskanischen  Leder- 

V  Y  gärberei  benutzt  man  wie  vor  4000  Jahren  la  Petra,    im 

schönen  Sprachgebrauche  la  pietra  a  pulgare   genannt,   der 

^  Kalkschaber,   einst  aus  Steinplatten  von  la  Croce  sul  arnx) 

'    bei  Empoli,  heute  aus  Schiefer  aus  Frankreich,  „La  coeurse 

^  ardoise,  cintree  ou  a  fiseaux"  von  Kremp  in  Paris,    3  Rue 

>  Dieu,  bezogen. 

Beim  Beweis  gleicher  Bronzen  können  dies  nur  Völker 

•^  gleicher   Sitte   und  Religion  gewesen   sein,   in  Bologna  und 

Strettweg,  und  zwar  die  verschieden  benannten  Nordetrusker 
oder  Kelten.^  . 

Die  Kriege  gaben  Veranlassung,    die  neu '  entdeckten 
Eisenbergbaue   intensiv  auszunützen,  der  Bedarf  an  Bronze 

•  ^  ging  zurück  und  es  verblieb  noch  der  Warenaustausch  zwischen 

>  Südfrüchten  und  Sklaven,    die  von  der  kräftigen  Bergrasse 

sehr  gesucht  waren.  ;    i. 

Eisenhandel. 

Die  Kunst,   das  Eisen  zu  recken,  vervollkommte  sich 
in  der  ersten  Zeit  sehr    langsam  und  die  Verbesserungen 
übertrugen  sich  allmählich  vom  Süden  gegen  die  nordwest- 
»  liehen  Länder  und  anderwärts  durch  die  Zuwanderung  stei- 

rischer  Schmiede,  die  ihre  Zunftgeheimnisse  mitbrachten. 
Die  Blahhausleute^  stammten  vom  steirischen  Erzberg,  die 
Hammerschmiede  aus  seinem  Bannkreis,  die  Klingenschmiede  ^ 
aber  aus  dem  alten  Zentrum  der  Messerer  in  und  um  Stadt 

)  Steyr.    Die  alten   steirischen  Geschäftsgewohnheiten  wurden 

auch  am  Rheine  so  lange  beibehalten,  bis  die  neu^  Zeit  mit 

""  anderen  Ansprüchen  sie  auch. dort  hinwegfegte. 

i  Die  Verbesserungen  waren  teils  technische,  teils  kauf- 

männische,  durch    eine  weitgehende  Arbeitsteilung.    Zuerst 
»  Im  Manuskripte  hieß   es :   ...  Kelten,  die  nach  vielen  italieni- 
schen Ortsnamen  bis  nach  Rom  zu  schließen,  Slaven  waren.  Diesen  Satz 
hat  die  Redaktion  gestrichen. 

«  Beck,  Geschichte  des  Eisens,  I.  754.  1291,  Siebenbürgen. 

••  8  Beck,  II.  410,  beweist  ebenso  wie  der  steirische  Brauch,    daß 

das  Wort  Messerer  für  Waffenschmiede  gebraucht  wurde,  da  im  frühen 

S  Mittelalter  man  mit  Messer    das   Schwert  bezeichnete.    Beck  II.    409. 

Daran  erinnert  der  Bauer  „vulgo  Messerer"  in  Mitterdorf,,  der  Wohnsitz 
eines  Waffenschmiedes  vom  nahen  Möschitzgraben. 


1  Römerstein  in  Traboch  an  der  Kreuzung  der  Salz-  und  Eisen- 
straße. Münichsdorfer,  S.  12,  der  Hüttenberger  Erzberg. 

2  Wie  heute  noch  bei  den  Negern  Zentralafrikas. 

3  Ludwig  Bittner,  Das  Eisenwesen  in  Innerberg -Eisenerz,  89.  Bd. 
des  Archivs  für  Österr.  Geschichte,  1901.  S.  486, 

4  St.  Ürk.-Buch  Nr.  620.  Bittner,  S.  10,  wie  in  Kärnten. 


56    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande.  * 

erzeugte  man  wenig  aber  ausgesucht  gute  Ware,  jetzt  heißt  ^ 

es  nur  möglichst  viel  und  möglichst  billig  zu  erzeugen,  denn  vi 

einst  spielte  der  Preis  keine  Rolle.  Der  Übergang  vom  kleinen 
Handwerksbetrieb  zur  Riesenfiabrikation  hat  in  zirka  17  Jahr- 
hunderten ungeheure  Umwälzungen  hervorbringen  müssen  und 
diesem  Werdegang  ist  das  alte  steirische  Hammerwesen  zum  "^ 

Opfer  gefallen;  der  Kaufmann  hat  den  Schmied  er-  y 

schlagen.  Den  genau  gleichen  Gang  mußten  alle  drei  Eisen- 
glieder separat  überstehen,  vom  Rennherd  am  Erzberg  bis 
zum  Riesenhochofen  in  Donawitz,  der  täglich  4.000  Tonnen, 
also  4000  mal  mehr  Eisen  erzeugt,   der   deutsche  Hammer  ^ 

in  Vordernberg  neben  dem   Blahhaus   bis  zur   elektrischen  * 

Walzenstraße,  wo  dieselben  wenigen  Leute  heute  das  Viel- 
tausendfache aufbringen.  ► 

Die  Eisenverleger  in  Leoben  sind  längst  durch  inter- 
nationales Geld  der  Wiener  Banken  abgelöst  und  der  Klingen-  ^ 
Schmied   des  16.  Jahrhunderts  im  Möschitzgraben  brauchte                \ 
gerade  zwei  Arbeitsjahre,  um  die  tägliche  Sensenmenge  der 
Wittgensteinschen  Konzentration  vieler  Sensenwerke  von  heute,             *^ 
zu  erzeugen.                                                                                          ^ 

In  den  ältesten  Zeiten  war  der  Eisenhandel  nicht  ge- 
trennt, deswegen   ist  es  auch  notwendig  die  Veränderungen  * 
am  Erzberg  zu   erwähnen,    in   deren  Gefolge   die  Hammer-  \ 
gründungen  am  Murboden  erfolgen  mußten. 

Wahrscheinlich  wurde  das  Eisenvorkommen  später  als 
in  Hüttenberg,  am  Erzberg  um  Christi  Geburt  entdeckt  und 
erst  im  zweiten  Jahrhundert  mehr  ausgebeutet.  ^    Das  Eisen  ^ 

wurde  in  Gruben  im  natürlichen  Luftzug,  ^   dann   mit  Ge-  > 

blasen  erschmolzen,    wozu  anfänglich  wohl  nur   der  Flügel  i 

eines  großen  Vogels  dienen  mochte  oder  eine  getretene  oder 
gezogene  Tierhaut  den  Blasebalg  darstellte.    Der  vermehrte  ^ 

Bedarf  konstruierte   die  Rennherde  und   später  daraus  die  i 

Stucköfen.  ^  Nach  dem  Zerfall  des  römischen  Reiches  fehlen  alle  %. 

Kunden  über  den  Erzberg,  der  1138 — 1164  zum  erstenmale  - 

genannt  wird.  ^  Erst  im  13.  Jahrhundert  erscheinen  Stuck- 
öfen mit  Wassergebläse,  1365  der  Name  Radwerk  und  1389 
das  Blahhaus. 


-^ 


Von  l<>anz  Forcher  von  Ainbach.  57 

^  1391  wurden  Eisenblaher  nach  Siebenbürgen,  1525  als 

)^  Abrichter  in  den  Schwarzwald  geschickt.    1650   erstand  in 

Eisenerz  der  erste  Hochofen,  *  das  war  ein  großer  Stuckofen, 

-  bei  dem  nicht  immer  erst  nach  jeder  Charge  die  Brust  zer- 

*  stört  werden  mußte,  sondern  vielmehr,  und  was  die  Haupt- 

^  Sache  war,    billiger    und    kontinuierlich  Roheisen  erblasen 

Y  werden  konnte.    1762  kamen  die  Stucköfen  außer  Betrieb 

und  die  Dimensionen  der  modernen  Hochöfen  stiegen   ins 

/  Riesenhafte. 

Es  war  ein  unbestrittenes  Verdienst  Erzherzog  Johanns, 
daß  er  durch  seine  Verbindungen,  selbst  als  Gewerke,  die 
Befreiung  der  Radwerke  von  mittelalterlichem  Zwange^  und 
die  Gründung  der  Vordernberger  Radwerkskommunität  insze- 
nierte, wodurch  für  alle  die  neue  Zeit  anbrach. 

Die  alten  Stuckofen  erzeugten  schwere  Klötze,  die 
„Masseln",  die  erst  geschrotten  werden  mußten,  und  ein 
Gemisch  von  Roheisen  und  schmiedebarem  Eisen  darstellten. 
Die  Hochöfen  erzeugten  Flossen,  durch  welchen  Fortschritt 
den  Hämmern  Rohstoff  in  geeigneter  Form  geboten  wurde. 
Das  steirische  Eisen   brauchte  Holzkohlen  und  Wasserkraft, 

^  die  Roheisenmengen  wurden    durch   den    rapid    steigenden 

Bedarf  immer  größer,  die  Holzkohlenmengen  und  die  verfüg- 

-^  baren  Wasserkräfte  nahe  der  „Eisenwurzen"  immer  seltener ; 

so  mußten  für  die  Raffinierstätten  passende  Örtlichkeiten 
gefunden  werden,  und  diesem  Beweggrunde  verdanken  die 
^  vielen  Hämmer  in  Murboden  ihre  Gründung. 

Am  Rennherd  und  in  der  ersten  Stuckofenzeit  hat  man 

die  zerschrottenen  Massel  mit  der  Hand  zu  „Zeug"  verarbeitet, 

später    kam  neben  das  Blahhaus   der  „deutsche  Hammer", 

und   als  Kohlen  und  Wasser  mangelten,    verlegte  man  die 

V  deutschen  Hämmer  von  Vordernberg  weg. 


A 


i  Prof.  E.  V.  Ehrenwerth,  Kulturbilder,  Graz  1890,  in  Urtl  bei 
Guttaring  1567—1580.  Münichsdorfer,  S.  263. 

'  Das  Rauheisenprivilegium  für  Leoben  datiert  von  Friedrich  den 
Schönen  1332,  und  wurde  am  29.  Dezember  1781  aufgehoben.  Kaiser 
Josef  II.  löste  die  beengende  Verschleiß widmung,  wodurch  die  Radmeister 
ihren  zugewiesenen  Hammerwerken  bestimmte  Roheisenmengen  zu  liefern 
hatten,  wofBr  die  Hämmer  das  „geschlagene  Zeug"  an  bestimmte  Eisen- 
verleger in  Leoben  zu  liefern  verpflichtet  waren,  die  sie  dafür  mit  Geld 
und  Lebensmitteln  zu  versorgen  hatten.  Der  moderne  Freihandel  wurde 
erst  am  20.  August  1834  eingefl\hrt,  als  die  Beschränkung  im  Roh- 
eisenverkauf aufgehoben  wurde.  Erzherzog  Johann  war  Radgewerke  in 
Vordemberg   seit  1822  bis   1837.    Näheres   „Göth,  Vordernberg  1839.- 


58    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande.  a 

Die   ^deutschen  Hämmer"  y**  waren,  nacU  Hofrat  von  ^ 

Ehrenwerth,  Professors  der  montanistischen  Hochschule  in 
Leoben,  gütiger  Auskunft,  mit  einem  Löschherd  neben  dem 
Stuckofen  zum  Ausheizen  der  geschrottenen  Massel  versehen, 
woraus  sofort  unterm  Wasserhammer  Grobwaren  und  Stahl 
ausgeschmiedet  wurden.  Dieser  erste  Schritt  zur  maschinellen  "" 

Schmiedung  und  Großerzeugung  fraß  viel  Holzkohle,  weshalb  kein  y 

neuer  deutscher  Hammer  mehr  nach  1448  in  Vorder oberg  er-  j 

richtet  werden  durfte.^  1484  erscheinen  schon  zwei  wälsche  ^ 

Hämmer  in  Wasen-Leoben,  wodurch  ein  neuer  Fortschritt  auftrat. 

Die  wälschen  Hämmer^  hatten  einen  schweren  Hammer  ^ 

(hier   Großhammer  genannt)  zum  Ausheizen   der    „Massel"  •. 

und  zur  Scheidung  von  Eisen  und  Stahl.    Zur  weiteren  Be-  | 

arbeitung  aber,  nebstbei  für  feinere  Schmiedearbeiten  kleine  ^j 

raschgehende    Hammer,    Zainhämmer    (hier    Streckhämmer).  \ 

Diese  Kombination  vom  deutschen  Hammer  mit  dem  Streck-  / 

hammer,    „WäUisch-Hammer"    genannt,    brachte  schon  sehr  y 

verschiedene  und  viel  mehr  Eisenwaren  in  den  Handel,  war  ( 

aber  an   eine   große  Wasserkraft  und  gute  Kohlenlage  ge-  ^  . 

bunden,  weshalb  deutsche  und  wälsche  Hämmer  noch  lange  ^ 

nebeneinander  arbeiteten.  Im  kleineren  Betrieb  des  Deutsch- 
hammers scheint  aber  sorgfältiger  gearbeitet  worden  zu  seinS  ^ 
denn  diese  Waren  ließen   sich  durch  die  Schutzmarke,    den  i 
Leobner  „Strauß",  auszeichnen. ' 

Die  deutschen  Hämmer  erzeugten  per  Woche  im  Anfang  , 

des  16.  Jahrhunderts  nur  40  bis  50  Zentner,  die  wälschen 
mehr  als  75  und  später  über  100  Zentner.^  ^ 


*  Beck.  Geschichte  des  Eisens.  IL  S.  165. 

<a  Münichsdorfer,  S.  24,  149,  sagt,  Agriccola  beschreibt  1556  die 
Arbeit,  die  rund  1784  im  holzreichen  Kärnten  um  Hüttenberg  aufhörte. 
«  Bittner,  Das  Eisenwesen  etci,  S.  53,  56,  57. 

*  Den  ..wällischen"  südlichen  Ursprung  beweisen  die.  großen 
Buchenhölbe,  die  alten  Größenverschiedenheiten  zwischen  Groß-  und 
Streckhammer  gibt  das  Bild  von  1698,  Beck,  II.  972.  Im  Murboden 
ist  die  Form  „wällisch"  gebräuchlich. 

4  Tunner  „Hammermeister",  S.  182,  vielleicht  verschiedene  Herd- 
methoden oder  mehrfache  Raffinierung. 

»  Hist.  Ver.  1886,  Dr.  Ilwof,  S.  85,  Deutsche  Hämmer  um 
Leoben,  verordnet  Kaiser  Max  I.  2.  März  1501  an  den  Rat  zu  Leoben, 
sind  gehalten,  den  „Strauß*  zu  schlagen.  Kaiser  Max  I.  scheint  aber 
auch  weiters  besorgt  gewesen  zu  sein,  das  Eisen wesen  zu  heben,  denn 
laut  Hist.  Ver.  XV.  1878,  Zahn,  verlangt  er  am  31.  Dez.  1498  von 
Hall  in  Tirol  Holzknechte  und  Köhler  zum  Kohlflössen  nach  Judenburg. 
Das  waren  die  Vorgänger  der  später  so  vielen  Zillerthaler  Holzleute 
im  Murboden. 

«  Bittner,  S.  70. 


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'   ^ 


Von  Fran2  Forcher  von  Ainbach.  59 

Nach  .dem  Aufkommen  der  Stucköfen  erscheinen  nach- 
einander die  Hammergründungen.  1355  kaufen  Judenburger 
Bürger  eine  Hofstatt  und  Zainhammer  in  Obdach  vom  Stifte 
Admont.y*^  Dies  war  wohl  die  Sulzerau  und  verarbeitete 
Waldeisen  vom  Stuckofen  in  Kathal  oder  Seethal,  dem  öchon 
931  genannten  Eisenwerk  Gammenaron  (wohl  von  Kamen 
Felsen) ;  der  Bau  liegt  in  den  Felsen.  In  der  Zeit  von  1434 
bis  1480  sind  um  Weißenbach,  St.  Gallen  die  Hämmer  von 
3  auf  7  gewachsen  und  1891  waren  nahe  Obdach  schon 
mehrere  Hämmer  mit  einer  Hamnierordnung.  Die  deutschen 
Hämmer  scheinen  anfangs  des  16.  Jahrhunderts  ihre  Exi- 
stenzberechtigung verloren  zu  haben,  nur  nach  1603  bezieht 
die  Saline  Hall  in  Tirol  noch  Blech,  Stahl  und  „Zaggel"  aus 
den  Deutschhämmem  um  Rottenmann,''  dann  verschwindet 
die  Bezeichnung  vollkommen. 

Hochöfen,  Hammerwerke  und  die  seit  dem  17.  Jahr- 
hunderte sich  stetig  mehrenden  Sensenwerke  konsumierten 
ungeheure  Mengen  von  Holzkohle,  deren  BeschaflFung  allen 
Gewerken  die  bösesten  Sorgen  bereiteten.  Großer  Absatz, 
hoher  Gewinn  stand  auf  dem  Spiele,  bis  weitblickende  Geschäfts- 
leute der  kommenden  Stockung  dadurch  entgegenarbeiteten, 
daß  sie  Neuerungen  des  Auslandes  mit  großem  Erfolge  im 
Hammerwesen  einführten  und  binnen  30  Jahren  alle  Hämmer 
von  der  steirischen  Erde,  oft  spurlos,  hinwegfegten.^ 

Merkwürdigerweise  entstammten  diese  genialen  Neuerer 
nicht  der  alten  privilegierten  Kaste  der  k.  k.  Kammerguts- 
beförderer, der  Jahrhunderte  eisenschlagenden  hocharistokra- 
tischen Gewerkenfamilien,  sondern  der  Zeit  ihres  Auftretens 
nach  waren  Erzherzog  Johann,  der  Leobner  Adlerwirt  Franz 
Mayr  senior  I,  der  Weikersdorfer  Postmeister  Josef  Seßler, 
der    Passailer    Wirtssohn    Josef   Pesendorfer    und   andere 


»  Wichner,  Bist.  Ver.  1876,  der  1330  dort  noch  die  slavischen 
Bauern  Janko,  Tenko  und  Nedwed  aufführt. 

«  Eist.  Ver.  1896,  Nekrolog  der  St.  Martinbruderschaft  in  Juden- 
burg von  Dr.  Khull,  erscheint  Ende  des  14.  Jahrhunderts  der  „armiger" 
Sigmund  Weinater  in  Obdach.  Dieser  hat  bestimmt  Hellebarden  ge- 
schmiedet, denn  ich  besitze  eine  gotische  mit  dem  dortigen  noch  ge- 
schlagenen Sensenzeichen,  Solinger  Zeichen  um  1500,  3  Kreuze  (liegend). 

8  Hist.  Ver.  XXL,  Prof.  Bidermann. 

*  Die  Vertreibung  der  protestantischen  Gewerken  erzeugte  eine 
ungeheure  Deroute,  der  erst  nach  1625,  Gründung  der  Innerberger 
Hauptgewerkschaft,  ein  großer  Aufschwung  folgte.  Das  war  der  Anfang 
des  Konkurrenzkampfes. 


60    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

die  Kaufleute  im  großen  Stil,  die  die  mittelalterlichen  Ver- 
hältnisse durch  Mut,  Ausdauer  und  Geld  reformieren  konnten.  * 
Welche  Schwierigkeiten  boten  allein  schon  die  starr- 
köpfigen überkonservativen  obersteirischen  Schmiede  mit 
ihrem  ständigen  „das  geaht  net!"  als  es  galt,  neue  Maschinen, 
neue  Erzeugungsmethoden  mit  noch  unausprobiertem  minera- 
lischen Brennstoff  in  Betrieb  zu  setzen,  um  viel  und  billig 
zu  erzeugen.  Die  alten  Hammerherren  lächelten  über  die 
kühnen  Versuche,  prophezeiten  in  vielen  Briefen  das  Krida- 
machen  der  Neuerer,  aber  der  Erfolg  blieb  nicht  aus,  trotz- 
dem die  Gewerken  spotteten,  der  neue  Wahlspruch  laute: 
„Schmiede  den  Nächsten  so  lange  er  warm  ist  und  liebe 
das  Eisen  wie  dich  selbst!"  Die  Nächsten  (Hämmer!)  wurden 
bald  kalt,  als  der  Roheisenverkauf  frei  war  und  zwar  radikal 
ertötet  durch  die  Einführung  der  die  Gewerken  schwer 
schädigenden  Gewerbefreiheit,  und  Franz  Mayr  der  Älteste*^ 
in  Donawitz  1837  das  erste  Puddlingswerk,  konzessioniert 
17.  Oktober  1838,  mit  Leobner  Kohle  in  Betrieb  setzte. 
1838  folgte  auch  Josef  Seßler  mit  dem  Werke  Krieglach 
und  da  begann  die  Minderung  der  Qualität  des  steirischen 
Stahles,  aber  auch  die  Ersparnis  an  Holzkohle,  die  dem 
Forstwesen  sehr  wohl  tat.  Nun  folgte  eine  Verbesserung  der 
andern  und  die  Mengen  wuchsen  in  nie  geahnter  Höhe. 

Anstatt  der  Hämmer  stellte  Franz  Mayr  1851  in  Dona- 
witz die  erste  Walze  auf,  1858  Neuberg  den  ersten  Dampf- 
hammer, 1863  führte  Turrach  den  Bessemerprozeß  ein, 
1860  Franz  Mayr  den  Gußstahl  in  Kapfenberg,  1870  die 
Südbahn  in  Graz  den  Martinprozeß,  1874  Zeltweg  den 
ersten  Cokehochofen  im  Lande.  Die  neuesten  Methoden  sind 
noch  nicht  überflügelt,  um  schmiedebares  Eisen  zu  erzeugen, 
nur  die  Dimensionen  der  Öfen  und  Zubehör  sind  ins  Große 
gewachsen.  Zweifellos  hat  die  Qualität  verloren,  das  Hämmern, 
das  genaue  Sortieren  und  die  Holzkohle  wirken  doch  anders  auf 
die  Schneidhältigkeit  des  steirischen  Stahles  als  die  Walzen 
und  schwefligen  Steinkohlen,  aber  man  bezahlt  sie  nicht 
mehr.  Der  Zwischenhändler  will  zu  großen  Gewinn  und  der 
sibirische  Bauer  bewahrt  auch  nicht  mehr  die  Stümpfe  der 
steirischen  Sensen  auf,  um  daraus  Messer  zu  machen,  die  er 
hoch  hielt,  weil,  wenn  wirklich  die  alte  Qualität  noch  geliefert 

i  Beck,  II.  607,  kopiert  die  Widmung  Leoben  29.  Juni  1502, 
alles  stahlhältige  Eisen  nach  Knittelfeld  und  Judenburg  zu  verkaufen, 
II.  626,  632,  den  Murbodner  Ein-  und  Verkaufspreis  1564,  I.  752, 
Hauptzollstätte  Judenburg  für  Italien. 

»  Geneal.  Taschenbuch  der  adel.  Häuser  1905,  S.  436. 


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Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  61 

werden  könnte,  es  sich  nicht  mehr  lohnt,  selbst  Messer  zu 
schmieden,  da  die  Solinger  Kaufleute  die  Welt  mit  billigster 
Ware  überschwemmen.  Noch  vor  40  Jahren  wendeten  drei 
Mann  im  Schweiße  ihres  Angesichts  den  „Dächel"  im  Zerenn- 
feuer,  jetzt  sitzt  der  Krahnführer  am  elektrischen  Krahn  und 
hebt  mit  einem  Fingertastendruck  eine  Waggonladung.  Bei 
diesem  Wandel  der  Zeiten  blieben  die  Hämmer  nicht  mehr 
konkurrenzfilhig,  von  vielen  ist  alles  verschwunden,  sogar  der 

y  Name.    Um  aber  noch  die  wenigen  Daten  festzuhalten,    die 

an  die  glücklichste  Zeit  Steiermarks  erinnern,  an  der  alle 
Bewohner  gleich  vorteilhaft  teilnahmen,  soll  diese  Studie 
alle  Kunde  vereinen. 

Wo  die  Roheisenerzeugung  so  große  Veränderungen 
durchmachte,  denen  noch  viel  größere  in  der  Raffinierung 
folgten,  konnte  auch  für  Obersteier  seit  dem  17.  Jahrhundert, 
das  vierte  Glied  des  Eisenwesens,  die  Sensenindustrie  nicht 
stille  stehen.  Der  Klingenschmied  der  frühesten  Zeit  arbeitete 
mit  der  Faust,  als  dann  1585  Konrad  Eisvogl  in  Michldorf, 
Oberösterreich,  ^  den  Wasserbreithammer  erfand,  begann  die 
Arbeitsteilung  und  damit  der  fabrikmäßige  Betrieb,  die 
einigermaßen  schon  unsere  Zeugschmiede  hatten,  die  ja 
schon  vieles  unterm  Wasserhammer  schmiedeten. 

Einst   arbeiteten   viele   Sensengewerke   ihren    eigenen 

"^  „Gärbstahr,    mischten    wieder    mit    anderen    verläßlichen 

Fabrikaten  und  erzielten  so  eine  stets  gleiche  Qualität,  die 
nebst  sorgfältiger  Ausarbeitung  den  Wert  der  Schutzmarke, 
V  „des  Zeichens",  durch  langjährige  gleiche  Arbeit  den  Ver- 

kaufspreis in  die  Höhe  schraubten.    Mit  der  Einführung  des 

"^  allen  gleich  zugänglichen  Bessemerstahles   fiel  die  Qualität 

und  die  Preise,  die  meisten  Zeichen  werten  nun  fast  gleich 
und   sind  nur  in  den  verschiedenen  Provinzen,  meist  Ruß- 

A  lands,  verschieden  eingeführt.    Die  Unkosten  der  Ausstattung 

stiegen,  die  maschinellen  Hilfsmittel  konnten  wehiger  fort- 
schreiten. So  ist  der  Verkaufspreis  der  Sensen  nur  mehr 
ein  Drittel  von  dem  vor  Jahren  und  durch  unsoliden  Zwischen- 
handel und  die  gänzliche  Uneinigkeit  der  Gewerken,  der 
Gewinn  ein  minimaler  geworden.  ^ 

Bei  den  Hämmern,  die  ihren  Betrieb  nicht  einstellten, 

*  Fr.  Schröckenfux,  Österreichische  Sensenindustrie,  zum  Drucke 
in  Vorbereitung. 

«  Der  praktische  Mähder  ist  an  die  altgewohnte  Gewichts- 
verteihmg  gewohnt,  weswegen  die  sonst  schönen  Sensen  aus  ange- 
nietetem Gußstahlblechhlatt  nicht  durchdrangen,  da  er  das  Gewicht  der 
Sense  zum  Schwünge  benötigt. 


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4. 


62    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

kamen  Aktiengesellschaften  und  schließlich  die  Alpine  Montan- 
gesellschaft in  den  Besitz,  bei  den  Sensenwerken  wird  sich  ein 
ähnlicher  Vorgang  abspielen.  Bei  der  Beschreibung  des  Werde- 
gangs im  Murboden  lassen  sich  die  Eisenhämmer  und  die  Sensen- 
werke nicht  trennen,  da  auch  in  den  1850er  Jahren  oft 
Hammergewerken  Sensenschmieden  angliederten,  um  den 
Übergang  vom  alten  zum  neuen  Betrieb  nicht  mit  zu  großen 
Verlusten  aushalten  zu  müssen.  Freilich  ganz  Konservative 
opferten  ihren  Wald,  bis  auch   die   letzte   eigene  Holzkohle  "^ 

die  verheerenden  Wirkungen  der  neuen  Stahlverfahren  nicht 
mehr  aufizuhalten  vermochte. 

Die  älteste  Hammeranlage  im  Murboden,  die  auch 
urkundlich  am  frühesten  erscheint,  befand  sich  in  St.  Marein 
bei  Knittelfeld,  die  dann  nach  Wasserleit  überlegt  wurde. 

Die  Gründung  möchte  ich  mit  ziemlicher  Sicherheit 
ins  2.  Jahrhundert  nach  Christo  anlegen,  als  die  Militär- 
straße Virunum-Ovilabis  dort  vorbeiführend  angelegt  wurde. 

1142  bis  1143  gibt  die  Verlegung  des  Klosters  nach  Seckau 
Kunde,  daß  der  Hammerlärm  die  Siedlung  der  Mönche  zwei 
Jahre  lang  störte  und  sie  die  Einsamkeit  aufsuchten. 

Nach  Anlage  der  römischen  Almwege  zirka  im  3.  Jahr- 
hundert muß  Ainbach  als  Hammerwerk  erbaut  worden 
sein,  denn  spätere  Winden 'fanden  dort  auf  der  „Plemsen" 
die  Schlackenhalden,  wonach  das  Ried  benannt  wurde. 

Von  1242  bis  1355  gibt  es  wieder  keine  Nachweise,  aber 
die  stets  neuen  Kriege,  die  Einführung  des  Schießpulvers  schufen 
großen  Bedarf  an  geschlagenem  Zeug,  dem  durch  viele  Hammer- 
gründungen Genüge  geleistet  wurde.  Eine  weitere  Vermehrung 
begann  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  durch  die  Einwande- 
rung der  oberösterreichischen  Sensenschmiede,  die  meist  be- 
stehende Zeugschmieden  zum  Fabriksbetriebe  ausgestalteten. 

Bis  zur  Höchstblüte  der  Hammerzeit  gab  es  hier  reine 
Hammerwerke,  die  nur  Stahl  und  Schmiedeeisen  schmiedeten, 
dann  solche,  die  auch  Sensen  werke  angliederten,  endlich  reine 
Sensenwerke,  die  allen  Stahl  von  anderen  bezogen. 

Diese  Varianten  änderten  sich  oft  nach  der  Marktlage^ 
nach  der  Intelligenz  des  Gewerken  und  nicht  zuih  geringsten 
Teile  nach  seinem  Betriebsfonds.  Kostete  doch  die  Konzession 
eines  Stahlfeuers  10.000  damaliger  Gulden,  (um  nicht  zu  viele 
der   Hochbesteuerten   aufkommen    zu   lassen)    die    verloren 

»  Den  Satz  „oder  erst  die  im  6.  Jahrhundert  nachgtrömenden 
Kroaten"  fWindischdorf  und  Kraubath  „das  Croatendorf"  sind  Nachbarn) 
hat  die  Redaktion  getilgt. 


Von  Franz  P'orcher  von  Ainbach.  63 

waren,  als  die  Gewerbefreiheit  eingeführt  wurde.  ^  Bet  dieser 
Verquickung  sind  die  einzelnen  Werke  nur  gemeinsam  zu 
behandeln,  wenn  ich  ihre  Besitzer,  die  Zeit  des  Wördens 
und  Vergehens  anführe,  ehe  jede  Erinnerung  verloren  geht, 
wer  und  wo  von  den  alten  Gewerken  dem  ganzen  Mürboden 
Wohlstand  zuführte. 

Die  Erhebung  der  Daten  war  keine  geringe  Arbeit 
und  trotzdem  gelang  es  mir  in  30  Jahren  nicht,  mehr 
er'  Material  zu  sammeln,  als  private  Quellen  und  Kirchenbücher 

allerorts  dürftig  spendeten.  ^ 

Allerdings  gibt  es  noch  unbehobene  Aktenschätze,  aber 
^  sie    schlummern   in   den   Grazer   Archiven   und   in    großen 

Kästen  einiger  weniger  alter  Gewerkenhäuser.  Bichtig  deuten 
i  kann    sie   auch  nur  ein  Fachmann   und  Liebhaber  hütten- 

technischer, 'finanzieller  und  handelspolitischer.  Dinge,  um.  die 
Kämpfe  der  Gewörken  :iftitereinander  oder  miteinander  gegen 
die  stets  mehi*^  Geld  heischenden  Landesfürsten  wahrheits- 
getreu zu  schildern.  Für  Streber  ist  da  nichts  zu  suchen, 
w  denn  da  müßten  gar  harte  Worte   gegen  die  hohen  Obrig- 

keiten wiederholt  werden.  Unter  den  Hämmerherrnschick- 
salen  gab  es  sehr  häufig  variable  Auf  und  Nieder,  meist 
durch  zu  große  Steuerschröpfungen  und  zu  geringem  Be- 
triebsfonds verursacht.  Die  Vermögenszersplitterungen  wurden 
durch  eine  geradezu  phänomenale  Fruchtbarkeit  hervor- 
gerufen,-12  Kinder  häufig  das  Minimum,  die  Unternehmer 
zu  hoch  belastet,  mußten  trotz  kolossaler  Verdienste  zu- 
grunde gehen. -^ 

Selbst  das  luxuriöse  Leben  hätte  nicht  gehindert.  Der 
-K  Mangel   an   kaufmännischer   Intelligenz   war   in  jener   Zeit 

ganz  nebensächlich,  da  immer  mehr  Bedarf  an  Ware  vor- 
handen war  —  als  geliefert  werden  konnte,  aber  die'  Eifer- 
,^  Süchtelei    untereinander    begünstigte    nur    die    Holzkohlen- 

lieferanten  und  in  der  Neuzeit  die  immer  mehr  drückenden 
Abnehmer  und  weniger  konservative  neue  Gewerken. 

Für  alle  Gewerken  waren  die  Holzkohlen  das  Lebens- 
elixier, von  dem  die  alten  Feuer,  samt  den  Hochöfen,  unge- 
heure Mengen  verbrauchten.    Ihnen  verdankte  das  steirische 

1  Jede  Feuerkonzession  repräsentierte  nach  heutigem  Gelde  ein 
A  Vermögen,  das  den  Familien  einfach  verloren  ging,  nachdem  sie  eigentlich 

Obligationen  dafür  gerecht  einweise  zu  erhalten  hatten. 
^  ^'  «  Jede    Quelle  mußte  besucht  und  häufig  resultatlos    erforscht 

werden.    Auf  brieflichem  Wege  "war  .keine  Antwort  zu  erzielen. 

3  Wolfgang  Hiilebrand  in  St.  Peter  ob  Judenbtirg  17,  eine  andere 
Familie  eines  anderen  Tales  von  der  noch  Nachkommen  leben,  gar  22 1 


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64    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Eisen  den  Kuf  und  zweifellos  gaben  die  neuen  Verfahren 
nicht  mehr  die  unerreichte  zähe  Schneidfähigkeit  des  Stahles 
von  einst.  Wer  nicht  selbst  genug  Wald  hatte,  wurde  von 
den  Kohlenbauern  versorgt  und  diese  von  den  Gewerken 
gegenseitig  mit  allerlei  Praktiken  und  vielem  Geld  abtrünnig 
gemacht.  Ja  selbst  der  Hammer  im  Hammergraben  wurde 
vom  Stifte  Seckau  abgekauft,  um  einen  lästigen  Kohlen- 
konsumenten zu  beseitigen  und  noch  1739  schreibt  Bartlmä 
Helml  in  St.  Peter,  „zwei  Bauern  sind  zu  dem  Zeyringer  über- 
gangen, so  doch  ihr  Leben  lang  bei  meinem  Hammer  gewest." 

Vor  1654  ist  urkundlich  im  Murboden  kein  fabriks- 
mäßiges Sensenwerk  nachweisbar,  ^  den  Localbedarf  dürften 
die  Zeugschmiede  gedeckt  haben,  deren  es  ja  tiberall  gab, 
namentlich  an  viel  befahrenen  Straßenzügen.  Stahl  und 
Hamischbleche,  Hakenbüchsen  und  geschmiedete  Kugeln 
kamen  aus  den  Hämmern  ausschließlich  in  der  Zeit  von 
zirka  1423  bis  1679,  dann  erst  kamen  die  Setisen  als 
Exportartikel  dazu.  Der  Ainbacherhammer,  an  der  Mur 
gelegen,  flößte  (mit  dem  Umschlagplatz  in  Radkersburg)  alles 
bis  ins  Schwarze  Meer. 

Der    Stahl   wurde   in   Saumtierladungen   verpackt,    in  , 

sogenannte  „Lagein"    mit  125  Pfund  Inhalt,  und  nach  dem  f 

Orient    durch   Zwischenhändler    in  RadkersWrg  vertrieben.  < 

Das  alte  Eisenhaus  Kodolitsch  lieferte  schon  1719  Wein  in  ^| 

Gegenfracht  2  muraufwärts.  Nach  Deutschland  und  die 
Schweiz  spedierten  die  Salzfuhrleute  über  Aussee  (noch  bis 
in  die  1860er  Jahre  holte  jedes  Hammerwerk  seinen  Bedarf  , 

mit  eigenen  Gespannen)  und  Wels  am  uralten  Handelsw^ege. 
Die   Schweizer   Uhrfedern  vom  18.  Jahrhundert  waren  aus  > 

steirischem  Stahl.  Nach  Italien  gingeü  die  Stahlabfälle  zum 
Veredeln  der  Brescianerprodukte  durch  Kärtner  Spediteure, 
Villach  war  ihr  alter  Stapelplatz. 

Heute  hoch  wäre  Bedarf  an  der  unersetzten  Qualität 
des  alten  „Garbstachels",  aber  niemand  kann  mehr  den 
hohen  Preis  bezahlen,  den  die  enorm  teuere  Erzeugung  ver- 
ursacht; für  die  meisten  Dinge  genügt  auch  da,  das  „billig, 
aber  schlecht". 

1  Nach  Fr.  Schröckenfux  obei'österreichischen  Daten'  halte  ich 
den  Hans  Moser  1654  im  Paßhammer  für  den  ersten  Sensenschmied, 
der  im  Murboden  oberösterreichischen  Fabriksbetrieb  mit  Arbeitsteilung 
einführte.  ^^  ^ 

«  Den  gleichen  Vorgang  dürften  ihre  Vorgänger,  die  Eggenberger, 
eingeführt  haben,  die  ja  Ende  des  15.  Jahrhunderts  vielfache  Geschäfte  >- 

gemeinsam  mit  ihren  Lieferanten,  den  Einpachern,  durchführten. 

1 


i 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  65 

Andererseits  werden  im  Zeitalter  der  sieben  Kilometer- 
Kanonenschüsse  keine  Damascenerklingen  mehr  gebraucht, 
so  ist  nichts  mehr  lebendig  als  die  Erinnerung  an  den  be- 
rühmten steirischen  Stahl,  von  dem  niemand  mehr  weiß,  wie 
er  praktisch  erzeugt  wurde.  Denn  die  Kunst  lag  in  der  Hand 
der  geschulten  Arbeiter,  gegenüber  diesen  Praktikern  war 
der  studierte  Hüttenmann  vollkommen  machtlos.  Allein  Auge 
und  Kraft  beurteilten,  wie  zu  arbeiten  war. 

Die  Hammerakten  vom  15. — 17.  Jahrhundert  handeln 
fast  ausschließlich  von  Beschwerden,  zu  großen  Ansprüchen 
vom  LandesfUrsten,  zu  wenig  Holzkohfe,  Übergriffen  anderer 
Gewerken  in  alte  Absatz-  oder  Eisen-  und  Kohlenbezugsrechte, 
keinem  Schutz  vom  „Regiment",  kurz,  der  ganze  papierene 
Jammer  der  Türkennot  und  des  30jährigen  Krieges  spiegelt 
sich  wieder.  Mit  der  Neuerschließung  des  Statthalterei- 
archives  in  Graz  werden  diese  Fragen  ihre  Bearbeitung  finden. 

Die  häufig  im  15. — 17.  Jahrhundert  vorkommende  arbeit- 
teilende Vergrößerung  „Wälläschhammer"  bezeichnet  die  alte 
italienische  Herkunft  -und  wird  in  späteren  Zeiten  nur  Groß- 
hammer genannt,  der  beim  Zerrennfeuer  stehend  auch 
„Zrenhammer"  hieß.^  Sein  schwerer  Hammerkopf  auf  dickem 
Hölb  verursachte  grobe  und  wenige  Schläge  auf  größere 
Eisenklumpen.  Der  leichte  Streckhammer  auf  dünnem  Hölb 
schlug  rasch  und  wurde  zum  Stangenschmieden,  dem  „Strecken", 
verwendet. 

Beide  Hämmer  zusammen  erzeugten  Grob-  und  Fein- 
streckwaren, die  Wälschhämmer  aber  allein  den  Rohstahl, 
der  starker  Schmiedung  bedurfte  und  wieder  am  Streck- 
hammer in  neuen  Hitzen   umgeformt  und  raffiniert  wurde. 

Die  Gliederung  des  Eisenwesens  geschah  wohl  erst  im 
15.  Jahrhundert.  Wie  einst  die  ersten  Eisenschmelzer  schon  ver- 
bessert arbeiteten,  zeigen  heute  noch  die  Schwarzen  Afrikas  an 
kleinen  Stücköfen,  das  Produkt  verschmieden  sie  an  Ort  und 
Stelle.  Ein  findiger  Kopf  am  Erxberg  mag  das  solidere  Gebläse 
in  Holzrahmen  erfunden  haben,  das  bei  der  zunehmenden  Größe 
der  Stücköfen  nicht  mehr  mit  Menschenkraft  in  Bewegung 
gesetzt  werden  konnte.  Der  Eisenschmelzer  mit  dem  Gebläse 
mit  Wasserbetrieb  wurde  ein  Radmeister  genannt.  Mit  wach- 
sendem Absatz  wurden  die  Ofendimensionen  größer  und  mit 


1  Der  Windische  nennt  heute  noch  den  Italiener  Vlaäko ;  früher 
bezeichnete  man  alles  aus  Italien  Kommende  in  Österreich  und  der 
Schweiz  als  „wällisch".  Die  romanische  Schweiz  heißt  offiziell  die  welsche 
Schweiz  oder  das  Welschland. 


66    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

deren  bedeutenderen  Erzeugung  mußte  eine  Arbeitsteilung 
stattfinden,  indem  das  Raffinieren  an  andere  Wassergefälle 
mit  schweren  Hämmern  am  Wasserrade  verlegt  wurde.  Diese 
Raffineure  waren  die  Hammerherren,  die  später  einen  Ban- 
kier brauchten,  um  den  Verkehr  mit  den  Radmeistern  klar- 
zustellen, das  waren  die  Eisenverläger.  In  Leoben  für  Vor- 
dernberg  und  seine  Hammergewerken,  Stadt  Steyr  für- Eisenerz, 
St.  Veit  für  Hüttenberg.  Als  alte,  reiche  Industrielle  waren 
die  Radmeister,  die  Hammergewerken  und  die  Eisenverleger 
seit  dem  15.  Jahrhu|jdert  sozial  liochgestellte  Leute,  die 
sich  nach  Wunsch  den  Adel  kauften  und  nicht  mehr  manuell 
arbeiteten,  wie  einst  die  ersten  Eisenschmelzer.  Die  im 
i  17.  Jahrhundert   einwandernden   Sensenschmiede   arbeiteten 

[  unterm  Hammer  noch  teilweise  bis  in  die  1850er  Jahre,  bis 

alle  die  soziale  Stufe  der  anderen  Gewerken  erklommen  hatten. 

Die  Urkunden  und  Kirchenbücher  sprechen  dies  ^  deut- 
lich aus,  indem  zuerst  von  Radmeistem,  dann  Radgewerken 
gesprochen  wird,  dann  von  Hammergewerken  und  Hammer- 
herren, gleichzeitig  im  18.  Jahrhundert  von  Sensenschmied- 
meistern  und  erst  um  1800  von  Sensenfabrikanten. *^ 

In  den  Notzeiten  der  früheren  Jahrhunderte  war  vom 
Landesfürsten  der  Adel  willig  gegen  bar  abgegeben,  im 
18.  Jahrhundert  schon  seltener,  und  es  ist  bezeichnend,  daß 
kein  steirischer  Sensenschmiedmeister  während  seiner  Ge- 
schäftsführung den  Adel  suchte  oder  bekam,  sie  hielten  sich 
als  erbgesessene  Schmiede  seit  Jahrhunderten  für  eine  höhere 
Kaste,  die  den  Adel  nicht  suchte,  da  sie  sich  ohne  äußere 
Zeichen  für  gleich  gut  hielten. 

Bei  der  Teilung  in  drei  alte  Eisenglieder  hatten 
die  Hammermeister  auch  die  Zeugschmiede  zu  überwachen, 
unter  die  ja  die  alten  steirischen  „Sengschmiede"  zählten, 
vor  der  Invasion  der  Oberösterreicher  Fabrikanten,  die 
bei  Arbeitsteilung  Sensen  erst  wirklich  fabriksmäßig  er- 
zeugten. In  Judenburg  waren  1580  schon  die  „Messerer" 
Siendl,  Reich,  Gschwendt,  Zeller,  Ofner,  1607  der  Säbel- 
und  Hackenschmidt.  ^ 

In  den  Ainbacher  Hammerakten,  Datum  Pols  9.  July 
1672,   sagt  aber  Dietrich  Freissamb,  kaiserl.  Kammerguts- 

1  Alle  Hammerlierren  wurden  wegen  ihrer  Riesensteuem  k.  k. 
Kammergutsbeförderer  tituliert 

«  Matthias  Hilleprandt  in  Rottenmann  erscheint  in  den  Kirchen- 
büchern i759  als  Hammerherr  und  „Sengschmiedmeister"  genannt. 

3  Histor.  Verein  XVI,  S.  55.  —  XI,  S.  132. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  67 

*  beförderer,  Eisenobmann  im  Murboden  und  Hammermeister 

zu  Pols,   dem  Herrn  Bürgermeister  zu  Judenburg:  „Es  ist 

demselben    ohne    dyß    guett  wissend,    daß  die   Sengschmid 

*         nichts  anderes  befürgt  seyn  zu  machen,  als  den  schneidenden 

Zeug,   nemblich   Sengsen,   Sichl,   Strohmesser,   Hacken   und 

",  dergleich,  was  doch  schneidend  ist  etc.  etc.  Der  Leonhard 
Moser,  Bürger  und  Sengschmid  Meister  zu  Judenburg  dürfe 
daher  keine  ,Reiff'  und  die  eisernen  Schließen  für  die  Pfarr- 
kirche machen."  Die  eingebornen  Sensenschmiede  hatten  nur 
den  gewöhnlichen  Zeughammerbetrieb.  ^ 

Die  besondere  Hochschätzung  der  Regierung  drückt 
sich  in  den  Anreden  an.  ihre  stets  heimgesuchten  Goldmacher 
aus,  indem  „der  kaiserlichen  Majestät  Abgeordneter  Rat  und 

*  Commissari  zu  Eisenärz  1625   die  hoch  und  wohlgeborenen 

Herren,'^  auch  ernveste  fürneme,  deren  im  Viertl  Judenburg 
wohnhaften  Hammerherm  und  Hammermeistern,  unsere  be- 
sonders lieben  herren  und  guten  freundt"  zu  einer  Konferenz 
der  drei  Eisenglieder  nach  Leoben  mit  Separatboten  einlädt. 
Weniger  honorirt  wurden  hundert  Jahre  später  die  „ehren- 
vesten  wohlweisen  Sengschmidmeister",  bis  sie  zu  „herren 
Besitzern  einer  priv.  k.  k.  Sensen  fabrique"  in  der  Napoleoni- 

>  sehen  Zeit  zum  Schröpfen  fleißig  herangezogen  wurden. 

Dies  beweisen  Daten  aus  Zahn,  Zünfte,  S;  123,  Hist. 
Verein  1877,  bei  Knittelfeld,  §  26,  die  bedingte  Gestaltung 
rauher  Arbeit  durch  Hacken-  und  Sensenschmiede  und  Über- 
wachen deren  Arbeit  durch  Hufschmiede.  Ebenso  16.  Febr. 
1650,  Admont,  bei  den  Hufschmieden,  Vertrag  des  Sensen- 
schmiedes Hans  Moser  —  §  1,  er  dürfe  Wagen  beschlagen, 

^  wie    sein  Vorsiedl,   §  3,   Fortführung  des   Geschäftes  durch 

^  seine  Witwe,   falls   sie   einen   Sensen-,  Hacken-   oder  Huf- 

schmied heirate. 

Durch    das    Gebot,     immer    wieder    in    die 

^  Zunft  zu  heiraten,  erklärt  sich  die  allgemeine 

Verwandtschaft    unter    den    Sensengewerken, 

te  die  sich  bei  ihrem  großen   Zeremoniell  wirklich   nicht  nur 

der  Form  wegen  als  „Herrn  Vettern"  ansprachen. 
"^^  Das  Zeremoniell  war  bis   in  die  letzte  Zeit   ein  sehr 

strenges  und  korrektes,  freilich  wurde  mit  der  Zeit  aus  der 


1  Zahn,  Hist.  Beiträge  1877,  erwähnt  die  Zunft  der  Huf-,  Hacken- 
und  Sensenschmiede  in  Knittelfeld  am  14.  Sept.  1458  und  23.  Mai  1540; 
vom  Stadtrat  bestätigt  am  19.  Nov.  1677. 

*  Ainbacher  Hammerakten. 

5* 


68    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Anrede  „Sie  Herr  Vater"  eine  einfachere,  das  „Sie"  des 
Sohnes. 

In  Oberösterreich  wurden  aber  die  starren  Verhältnisse 
von  jeher  viel  genauer  in  den  Familien  erhalten  wie  in  Steier- 
mark, das  Ende  der  alten  Zunftverhältnisse  verwischte  auch 
die  Formen  im  Hause,  die  in  jedem  Gewerkenhause  bis  in  die 
neueste  Zeit  im  theresianischen  Stile  im  Murboden  herrschten. 

Über  die  Sensenindustrie  sind  begreiflicherweise,  als 
aus  jüngerer  Zeit  stammend,  mehr  Daten  zur  Hand. 

Nach  der  Ausbeutung  des  Erzberges  auf  der  Eisen- 
erzerseite  wurde,  vermutlich  erst  um  Christi  Geburt,  das 
Eisen  zur  Verarbeitung  ennsabwärts  verflößt,  denn  in  Lau- 
riacum,  Lorch  bei  der  Stadt  Enns  hatten  die  Römer  eine 
berühmte  Waffenfabrik,  in  der  naturgemäß  nur  Schwerter, 
also  Klingen  geschmiedet  werden  konnten.  Lorch  halte  ich 
für  die  Wiege  der  „Messerer",  die  dann  im  Mittelalter  Stadt 
Steyer,  Kirchdorf,  Michldorf,  Leonstein,  Windischgarsten, 
Mattighofen  und  Gaming  zu  wahren  Zentren  der  Klingen- 
schmiede machten. 

Die  erste  Form  für  die  Römer  nach  den  Bronze- 
sicheln, ^  die  langgezogenen  Eisensicheln  von  großer  Länge 
(in  den  Museen  von  Mainz  und  Laibach),  waren  die  Vorbilder 
für  die  späteren  oberösterreichischen  Sensen,  die  dann  ge- 
treulich von  den  reichsdeutschen  Markenfälschern  nachgeahmt 
wurden.'^ 

Nach  Beendigung  des  dreißigjährigen  Krieges  trat  Ruhe 
und  eine  neue  Blüte  in  Zentraleuropa  ein.  Bis  dahin  scheint 
die  oberösterreichische  Fabrikation  den  Bedarf  vollkommen 
gedeckt  zu  haben.  Einer  Vergrößerung  waren  aber  die  Werke 
nicht  mehr  gewachsen,  vielleicht  wurde  ihnen  auch  zu  wenig 
Eisenerzer  Roheisen  von  Stadt  Steyer  aus  zuteil,  nur  da- 
durch erklärt  sich  die  Schmiedeinvasion  in  den  Murboden 
an  neue  Wasserkräfte  und  nahe  dem  weniger  ausgebeuteten 
Vordemberger  Eisen  mit  seiner  Leobner  Verlagsstätte. 

»  Die  wieder  die  Altägypter  kopierten,  denn  Beck,  Geschichte 
des  Eisens,  I.,  S.  87,  bringt  eiserne  Sicheln,  die  unter  den  Sphinxen 
waren.  Die  Sensen  wurden  allmählich  aus  großen  Sicheln,  ich  halte  sie 
fttr  eine  umbrische  Erfindung,  denn  der  Fund  von  S.  Francesco  in  Bologna 
zeigt  einige  fünf  fäustige  Käfer  sensen  aus  Bronze,  wie  sie  noch  heute 
als  Staudensensen  dienen  und  sonst  in  keinem  Museum  bis  jetzt  zu 
finden  waren.  Das  beweist  das  altitalische  Maaß,  palma  =  Hand 
r^  10  Centim;  nur  Orientale  Importen  der  Kultur,  Sensen  und  Pferde 
werden  heute  noch  überall  nach  Händen  gemessen. 

«  Dr.  Karl  Zeitlinger,  Die  Fälscher  der  Österreichischen  Sensen- 
marken in  Deutschland.  Linz,  1888. 


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Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  69 

Einen  triftigeren  Grund  zur  Auswanderung  1654 — 1709, 
einen  wahren  neuen  ver  sacrum,   gibt  H.  Schröckenfux. 
Zufolge   der    Privilegien   durften   in   Oberösterreich  keine 
^  neuen  Werkstätten  errichtet  werden.    Deshalb  wandte   sich 

*  der    Überfluß    an    Sensenschmiedmeisterssöhnen    mit   ihren 

^     f  tiberreichen  Bestellungen  der  wasser-  und  holzreichen  Steier- 

^  mark  zu,  wobei  noch  die  Frachtkosten  für  Stahl  billiger  waren. 

'•  Mit  Einwilligung  ihrer  Eltern  nahmen  sie  die  gleichen 

^^     ,y  oder  wenig  variierten  Zeichen  mit ;  so  ist  dies  erwiesen,  daß 

;  Andreas  Piesslinger  das    Zeichen    Feinhalbmond   (das 

Wappen  Leyss)  1671  von   seinem  Vater  Christoph  Piess- 
linger, in  der  Kaixen   bei  Windischgarsten,  in  Steiermark 
^'     I  schlug,  als  er  die  Sensen-  und  Hackenschmiede  in  St.  Peter 

^     I  ob  Judenburg  zum  Sensenwerke  umgestaltete, 

r«  ..Seit  den  Urzeiten  bis  zum  heutigen  Tage  bleibt   stets 

^      '  die  Überproduktion  an  Menschen  und  die  Suche  nach  neuen 

It  Existenzorten  der  Anstoß   zu   allen  Völkerwanderungen,   die 

i'  erst  mit  Gewalt  eingriffen,   wenn  auf  friedlichem  Wege  dies 

i-  Ziel  nicht  zu  erreichen  war.   Wie   der   sehr  praktische  Ka- 

thedersozialist Dr.  Ehrenberg  sagt  (Die  Eisenhtittentechnik 
und  der  deutsche  Hüttenarbeiter,  Stuttgart,  bei  Cotta  1906): 
e  „Der  Muskel   wurde   vernachlässigt  und  der  Nerv  erzogen**, 

r  das  war  das  Ende  der  Schmiedezeit  und  für  die  große  Menge 

blieb  nichts,  als  häufig  nur  die  Phrase  im  Liede. 
it  Die   Judenburger    Senseninnung   hat    nur  noch   Reste 

eines  Archivs,   aus  dem  ich  durch  die  Güte  des  derzeitigen 
e      j  Verwahrers   Herrn   Gewerken  Foest  noch  einiges  eruierte, 

it  Es   existiert  eine  Handwerksordnung  für   die  Sensen- 

n      I  und  Hackenschmiede   des  Viertels   Judenburg  vom   27.  De- 

e      i  zember  1617  von  Kaiser  Ferdinand  IL  in  25  Artikeln.    Davon 

?      *  gibt  es  eine  Verbesserung,  9.  Juli  1708,  von  Kaiser  Josef  I., 

und    einige   Varianten    aus  dem   späteren   18.  Jahrhundert. 
D     I  Anfangs  des  18.  Jahrhunderts  gibt  es  noch  ein  „hand- 

n     )  werk"    in   Murau,    1766    ist  noch  die   Rede  von  den  drei 

Zünften  Judenburg,  Murau  und  Kindberg,  die  restlichen  Akten 
je  betreflfen  späte  interne  Angelegenheiten  ohne  weiteren  Interesse. 

B       j  Den  Hauptsitz  der  oberösterreichischen  Sensenschmied- 

innung  war  Kirchdorf-Michldorf,  von   der  eine  Handwerks- 
ordnung  von  1595   schon   die  Bestimmung    über  Vererbung 
a  und  Veräußerung  der  Sensenwerkszeichen  festsetzt  und  der 

d  Kaiser  Rudolf  IL  1608  ein  HandwerksprivUeg  verlieh. 

^  Erwiesenermaßen  exportierte  Oberösterreich  seine  Sensen 

schon  im  16.  Jahrhundert  nach  Deutschland,  Frankreich  und 


/ 

70    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Rußland.*  Zum  Schutze  gegen  Markenfälscher  verordnete 
1Z48  die  große  Kaiserin  Maria  Theresia  den  Beischlag  der 
Innungszeichen  KM.  für  Kirchdorf-Michldorf,  MK.  Mattig- 
hofen ;  J.  Judenburg ;  K.  Kindberg  etc.  neben  den  Werks- 
zeichen. 

Allein  mit  wenig  Erfolg,  denn  schon  1773  begannen 
die  Klagen  über  das  „Zeichennachschlagen"  von  Seite  der 
neu  errichteten  bergischen  Werke,  wodurch  der  niederdeutsche 
Export  verloren  ging.'^ 

Bei  den  alten  „Messerern"  wurde  „das  alte  Handwerk 
der  Sengschmidt"  zum  Fabrikationsbetrieb  ausgebildet  und 
durch  genau  geregelte  Arbeitsteilung  die  Normalarbeitsleistung, 
das  „Tagwerk"  eingeführt.  Je  nach  den  Einrichtungen  hatten 
18—20  „Sengschmidt"  täglich  180—200  Stück  (heute  230 
in  Oberösterreich)  mittelbreite  ungarische  neunhändige  Sensen 
zu  vollenden.  Mit  der  Zeit  machten  die  Werke  je  nach  Bedarf 
mehr  Tagwerke,  um  mit  wenigen  Leuten  mehr  und  billiger 
zu  erzeugen,  z.  B.  konnte  man  mit  18 — 20  Mann  200,  mit 
83—35  Mann  300  Stück  etc.  leisten. 

Um  dem  gewachsenen  Bedarfe  nachkommen  zu  können, 
wanderten  eine  Anzahl  oberösterreichischer  „Sengschraied- 
meistersöhne"  mit  ihren  „Sengschmiedknechten"  nach  dem 
Murboden  und  gründeten  neue  Hämmer.  Die  diversen  Konkurse 
sprechen  dafür,  daß  manche  Einwanderer  finanziell  nicht 
kräftig  genug  waren,  um  den  nur  einmaligen  Geldumsatz 
im  Jahre  aushalten  zu  können. 

Löhne  und  Holzkohle  mußten  meist  schon  vorschuß- 
weise an  die  Schmiede  und  Kohlbauern  vorausgegeben  werden, 
die  drückenden  Kohlschulden  brachten  auch  manchen  Stahl- 
gewerken  böse  Stunden,  die  sich  wieder  seinem  Leobner 
Eoheisenlieferanten  mitteilten,  bis  die  ausländischen  Silber- 
linge  nach  Jahresfrist  wieder  allen  drei  Eisengliedern,  den 
Radmeistern  in  Vordernberg,  den  Eisenverlegern  in  Leoben, 
den  Hammergewerken  im  Murboden  und  den  Sensenschmied- 
meistern  für  ein  neues  Arbeitsjähr  Stärkung  brachten.   Die 


*  1742  wurde  bteirisches  Eisen  auf  dem  Breslauer  Markte  gegen 
russisches  Wachs  vertauscht.  Hist.  Ver.  1864,  3.  Heft,  Prof.  Dr.  Ilwof. 
Beck,  L,  S.  668,  zitiert  schon  Plinius  den  gallischen  Export.  Für  Italien 
gingen  die  kurzen,  leichten  Gebüschsensen,  die  gallischen  großen  für 
die  Steppe. 

*  Die  Zeichen  waren  meist  uralte  Handwerksmarken,  doch  auch 
nahm  man  die  Wappen  der  Dietrichstein  und  der  von  Leiss  (Waffen- 
meister).   Einstige  Beschaumarken? 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  71 

Oberösterreicher  kannten  ihre  uralten  Handwerksgeheimnisse 
aufs  genaueste,^  praktisch  und  persönlich  erlernt,  wodurch 
ihr  Ruf  begründet  und  erhalten  wurde.  Die  neuen  steirischen 
Gewerke  konnten  zumeist  keine  Sense  „breiten",  wenn  aber 
dank  der  besten  Arbeiter  die  gleich  gute  Ware  mit  einem 
neuen  Zeichen  in  die  Welt  ging,  war  es  ihnen  nicht,  möglich, 
oft  kaum  den  halben  Verkaufspreis  der  gleichen  Sensen  mit 
einem  alten  Zeichen  zu  erzielen. 

Die  neuen  Stahlvwfahren  machten  große  Mengen  gleicher 
Qualität,  aber  die  zähe  Schneidfähigkeit  des  teuem  „  Garb- 
stachels **  fehlte.^  Die  skrupellosen  deutschen  Marken&lscher 
wußten  auch  alle  Formen,  die  oft  fllr  jeden  Kreis  anders 
beliebt  wurden.  Aber  trotz  vieler  Ausreißer,  die  das  Zunft- 
geheimnis verrieten,  blieb  der  Stock  der  „Meister  und  Knechte" 
ziemlich  unverändert  im  Handwerk. 

Die  Murbodener  Kirchenbücher  seit  dem  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  bis  heute  weisen  die  alten  Namen,  die 
Helml,  Pieslinger,  Blumauer,  Rettenpacher,  Pammer,  Schröcken- 
fux,  Moser,  Steinhuber,  Fürst,  Zeilinger,  Weinmeister,  Grün- 
auer, Hiezenberger,  Hillebrand,  Stegmüller,  Kaltenbrunner, 
Koller,  Kirchwäger,  Kerschbaumer,  Rapperger  etc. 

Von  diesen  Eingewanderten  ^  meldet  die  nun  auch  schon 
unleserliche  Gedenktafel  meines  Ururgroßvaters  Wolf  Hille- 
brand am  Forcherhammerhaus  in  Möschitzgraben,  1750  von 
Adam  Piesslinjier,  Kaspar  Zeilinger,  Paul  Rettenbacher.  Die  ge- 
nealogischen Daten  der  Sensenschmiede  verdanke  ich  aber 
zum  größten  Teile  dem  oberösterreichischen  Genealogen  Herrn 
Franz  Schröckenfux  in  Windischgarsten.  Die  Meister  kamen 
durch  Kauf  oder  Einheirat  in  den  Murboden  und  nannten 
sich  nach  den  Zeichen.^  So  heiratete  „der  Feinhalbmond 
die  Sonne". 

In  allen  Ländern  hielten  sich  die  Schmiede  für  was 
besseres  und  zwar  von  den  ältesten  Zeiten  bis  heute.  ^  Dieser 

^  Um  Schneide,  Elastizität,  Zähigkeit  zu  erzielen,  mischten  sie 
härteren  und  weicheren  Stahl  oder  Schmiedeeisen,  wie  die  Damasceuer 
und  Javaner,  raffinierten  diese  wie  einst  die  Zentralasiaten.  Beck, 
L,  S.  148. 

«  Von  der  die  Russen  bei  den  polnischen  Revolutionen  gründliche 
Proben  verkosteten. 

3  Kraus,  «Eherne  Mark". 

*  Wie  die  Geschlechter  in  Schwaben  nach  den  Wappen  —  die 
Vetter  v.  d.  Lilie  in  Donauwörth,  die  Vetter  vom  Pantherthier  in  Augs- 
burg, die  Escher  vom  Lux  in  Zürich,  etc. 

I  »  Beck  L,  565,  gibt  die  Schmiedeordnung  der  römischen  Kaiser 
um  390  n.  Ch.    Darin  verlangt  Nr.  4  die  sorgfältige  Auswahl  zur  Zunft, 


72    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Miirbodens  mit  dem  Auslande. 

Korpsgeist  zeigte  sich  in  allem,  sogar  in  einer  eigenen  „Seng- 
schmiedprozession" in  St.  Peter,  wo  sie  sich  nicht  hinter  die 
Bauemfahnen  (zu  Frohnleichnam)  begaben. 

Das  Inventar  nach  Bartlmä  Helml,  Zeichen  Sonne  1750, 
nennt    als    „Handelsfreyhdt"    die    heute    noch   bjBstehenden 
Frankfurterfirmen  J.  A.  Zickwolf,   Passavant  &   Sohn,   Zug-' 
schwerdt,  dann  Frau  Zäsel  Sohn  in  Basel,  1773  noch  Krach- 
mann &  Petecker  in  Nürnberg,  Viering  &  Lutz  in  Speier  etc.  * 

In  späteren  Jahren  ging  der  russische  Export  über 
Brody  durch  Hausner  &  Violand  und  erst  mit  Anfang  des 
19.  Jahrhunderts  kamen  die  Kaufleute  aus  Rylsk  —  die 
Filimonoffs  und  mehrere  andere  mit  ihren  eigenen  Wagen 
und  jüdischen  Dolmetschern  zum  Einkauf. 

Durch  drei  Generationeti  kamen  diese  Versorger  Sibiriens 
als  gute  Freunde  und  blieben  stets  der  weiten  Reise  ent- 
sprechend lang,  mit  schönen  Geschenken  und  bis  in  die 
neuere  Zeit  ohne  Preisvorschriften !  Allmählig  wurden  auch 
die  orthodoxen  Russen  und  Juden  von  der  Kultur  beleckt, 
was  besagt,  Verlust  der  guten  alten  Eigenschaften  und  An- 
erziehung  moderner,  weniger  schöner  Handelspraktiken.  Das 
Sensengeschäft  wurde  modernisiert.  Billige  Massenproduktion 
mit  viel  Mühe  und  weniger  Gewinn,  verursacht  durch  die 
seit  Jahrhunderten  herrschende  Unmöglichkeit,  die  Gewerken 
zu  vereinen,  erschwert  ein  Handwerk  in  größeren  Rahmen 
zu  bringen,  das  nur  durch  die  konservativ  bleibenden  „Seng- 
schmidknecht"  möglich  ist,  bekriegt  durch  ausländische 
Marken-Fälscher,  Zollerhöhungen  und  andere  Scherze:  das 
ist  der  Rückblick  auf  die  200  Jahre,  seit  die  ersten  Ober- 
österreicher ihre  Sensen  selbst  am  Breithammer  breiteten. 
Bei  der  heutigen  unerquicklichen  Lage  lesen  sich  alte  Hammer- 
erinnerungen als  wahre  Romane. 

Im  ganzen  Murboden  gibt  es  nur  noch  vier  Sensen- 
werke von  den  einstigen  gleichzeitigen  neun  Sensenschmied- 
familien.  Die  heutige  Firma  Foest  und  Fischer,  die  Firma- 
nachfolgerin der  Wittgensteinschen  Konzentration  in  Juden- 
burg, erzeugt  täglich  rund  4000  Stück,  also  20  Tagwerk,  die 

Nr.  6  de  fabricensibus  unterstellt  sie  nur  dem  obersten  Gerichte  des 
Oberhofkanzlers.  Sie  hatten  schon  den  Lehrbrief.  Beck  881—83  be- 
tont die  besonderen  Gerechtsamen  und  daß  in  den  deutschen  Zünften 
bis  zum  16.  Jahrhundert  der  Schmied  ehrlicher  Geburt,  von  ehrlichen 
Eltern,  aber  nicht  aus  neun  besonders  angeführten  unehrbaren  Berufen 
stammen  mußte.     Beck  II.,  420,  Zunft  Nürnberg  1298. 

•  Nach  Beck  II.,  424,  hauptsächlich  nach  Spanien  wohl  mit 
dem  Umweg  über  den  uralten  Handelsweg  Wels-Marseille. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  73 

in  alten  Zeiten  20  auseinander  liegende  Werke  ernährt  hätten, 
Leopold  Zeilinger  in  Eppenstein  1000,  Franz  Zeilinger, 
Knittelfeld  1000,  Franz  Wertheim  in  Wasserleit  800  Stücke 
—  aber  zur  Schande  für  das  norische  Eisen  der  Geschichte 
und  der  Poesie  —  aus  schwedischem  Stahl,  der  verar- 
beitet, wieder  zum  kleinen  Teil  an  die  schwedische  Grenze 
Rußlands  zurückwandert,  und  in  Judenburg  aus  böhmischen 
Werken. 

Den  alten  Gesetzen  des  Kampfes  ums  Dasein  konnte 
sich  auch  die  steirische  Sensenindustrie  nicht  mehr  entziehen, 
und  die  Folgen  waren  für  die  abgelegenen  Gräben,  wie 
Möschitzgraben  und  andere,  sehr  einschneidend. 

Alle  Werke,  Stahl-  und  Sensenhämmer.  hatten  ihre 
eigene  Landwirtschaft,  deren  Produkte  in  der  alten  Natural- 
wirtschaft als  Lohn  hauptsächlich  verwertet  wurden.  Die 
Geldbezüge  waren  minimal. 

Beim  allgemeinen  Hang  des  bayrischen  Stammes  zum 
Wohlleben  wurde  die  leibliche  Stärkung  zum  förddichen 
Lebenszweck  ausgebildet.  Die  beobachtete  Kleinheit  der 
Knödel  oder  die  dunkle  Färbung  wegen  schlechteren  Mehls, 
erzeugte  förmliche  Aufstände,  die  durch  Kraftworte  eingeleitet, 
das  Umstürzen  der  großen  Suppenschüssel  sammt  den  bomben- 
artigen, beanständeten  Knödeln  über  das  Haupt  der  verdäch- 
tigten „Kucheldirn'*  veranlaßten.  Die  Beschwerden  beim 
„Herrn  und  der  Frau"  fanden  dann  wieder  durch  die  ge- 
bührenden althergebrachten  Knödel  der  Normalqualität,  ihre 
Erledigung. 

In  jedem  Werke,  wo  überall  die  ■  Schmiede  „auf  der 
Kost"  waren,  gab  es  geheiligte  Vorschriften  des  täglichen 
Speisezettels,  von  denen  nicht  abgewichen  werden  durfte. 
Was  ein  Murbodener  Hammerschmied  leisten  konnte,  erfüllt 
wahrlich  jeden  Dyspeptiker  der  Neuzeit  mit  Bewunderung. 
Nicht  weniger  aber  das  Anpassungsvermögen,  daß  eine 
Generation  ohne  Schaden  soviel  essen  konnte  und  die 
heutige  mit  so  wenig  auskommen  muß,  um  nicht  zu  er- 
kranken und  doch  das  rauhere  Klima  aushalten  soll.  Frei- 
lich die  roten  Wangen  sind  dahin!  Die  kraftstrotzenden 
Gestalten  haben  hageren  Bleichgesichtern  das  Feld  überlassen. 

Die  Menüs  der  Ainbacher  Hammerschmiede,  die  bis 
in  die  1860er  Jahre  eingehalten  werden  mußten,  liegen 
noch  in  einer  Hausordnung  vom  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts vor. 


74    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Das  Diner  am  Neujahrstag  und  allen  hohen  Festtagen 
dauerte  von  11  bis  5  Uhr  und  hatte  als  Teil  des  Lohnes 
zu  bestehen  aus: 

1.  Brodsuppe  mit  Fleischghack, 

2.  Brustkern  mit  Krenn, 

3.  saures  Kraut  mit  Selchfleiseh  oder  Würsten, 

4.  kälbernes  Bratel  mit  Krautsalat, 

5.  Eingemachtes, 

6.  Lungenkoch, 

7.  schweinernes  Bratl  mit  Triät, 

8.  Reissuppe. 

9.  1  Butterkrapfen. 

10.  1  Germkrapfeii,  beide  mit  Weinbeer. 
Getränke : 
bis  zum  Fleisch  jede  Person  (männlich)  eine  Maß  Bier,  her- 
nach jeder  8  Seitel  Wein  mit  Weißbrot. 

Zu  Ostern  mußte  aber  dies  kleine  Essen  noch  mit  einer 
Schüssel  Weichtleisch  und  je  5  Eiern  aufgebessert  werden! 

Am  heiligen  Dreikönigstagvorabend  wurde  noch  die 
„Berchtelmilch"  gereicht,   der  letzte  der  uralten  Gebräuche. 

In  jedem  Werke  waren  andere  Vorschriften,  in  Ainbach 
folgte  aber  dem  Festtagsmahle  die  Defiliercour.  Alle  Tisch- 
pfenossen  erschienen  nach  dem  Range  eingeteilt,  zuerst  die 
Schmiede,  dann  die  Bauemknechte,  dann  die  Küchenmägde, 
endlich  die  anderen  Mägde  zum  Handkuß  bei  der  Gewerkin, 
wobei  diese  durch  kurze  Worte  Lob  und  Tadel  dem  einzelnen 
andeutete,  die  mehr  wirkten  als  lange  Standreden  an  anderem 
Ort.  Neben  den  quasi  Eßberechtigten  war  noch  immer  ein 
Tisch  für  Geladene,  denen  eine  Wohltat  erwiesen  werden  sollte. 

Für  den  Magenkultus  der  Schmiede  wurde  fast  alles 
im  Hause  gezogen,  Ainbach  besaß  für  den  „Leutwein"  noch 
eigene  Weingärten  in  Sandberg  bei  Mureck. 

Die  Gewerken  selbst  huldigten  ähnlichen  aber  viel  raf- 
finierteren Tafelfreuden,  ihre  Produkte  der  Landwirtschaft 
waren  fast  wertlos  und  mangels  Verkehrswegen  nicht  ren- 
tabel in  Geld  umzusetzen. 

Der  Verkehr  mit  den  Reichsdeutschen  bildete  den  Ge- 
schmack am  Luxus,  von  dem  die  alten  Häuser  und  ihre 
Inventare  sprechen.  Der  Nachlaß  und  die  Aussteuer  der 
Töchter  Simon  Stegmüllers  in  Hopfgarten  1760  war  fürstlich. 
Der  verdiente  Genealoge  v.  Beck-Widmannstetter  sammelte 
diverse  solcher  Daten,  da  mir  aber  sein  literarischer  Nach- 
laß nicht  zugänglich  ist,  ich   weiß  gar  nicht,  wer  ihn  hat. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  75 

^  kann  ich  hier  davon  keinen  Gebrauch  machen,  um  so  mehr 

ich  von  meinen  ihm  gegebenen  Nachrichten  keine  Kopie 
besitze. 

;^  Seit  dem    15.  Jahrhundert  gab  die  eigene  Tüchtigkeit, 

der  Besitz,   die  Macht  in  ihrem  Umkreise,  den  Gewerken 

r*-  ohne  Unterschied   eine   Fülle  Standesbewuötsein,    die    sich, 

in    roherer  Weise    äußernd,    auch    ihren  Hammerknechten 

^  mitteilte.    Der  eine  Hammerherr  kaufte  sich  den  Adel,    der 

Knecht  prunkte  vor  den  Bauern,  beide  protzten,  jeder  in 
seiner  Art. 

Der  Hammerherr  war  gegen  Leute,  die  nicht  aus  seiner 
Kaste  waren,  mögen  sie  noch  so  hoch  gestellt  gewesen  sein, 

*^  sehr  reserviert  und  ablehnend.     Der  „Sengschmidknecht"  im 

^  Möschitzgraben  rief  dem  Wirt  zu  —  gib  Wein  her,   i  muaß 

n   Tisch  awaschen,   es   is   a  Gscheerter   (Bauer)  dagsessen! 

In  der  Blütezeit  der  1840  er  Jahre  hat  aber  ein  Fremder 

sich  für  die  geringschätzige  Behandlung  auf  so  witzige  Weise 

gerächt,  daß  dieser  Scherz  hier  verdient,  verewigt  zu  werden. 

m,  Die  vielen  andern  Witze,  die  eine  reiche  und  arglose,  nicht- 

giftige  Zeit  hervorbrachte,  würden  ein  Heft  füllen. 

*  Der  in  Kärnten  einst   berühmte  Gewerke   Franz  von 

Rosthorn,  der  Besitzer  von  Wolfsberg,  kam  in  Obersteier  in 
eine  Versammlung  von  Gewerken  aller  Art,  worunter  sich 
auch  ein  hoher  Herr  befand,  *  der  aus  sehr  praktischen 
Gründen  selbst  Gewerke  wurde  und  dabei  seine  Geschäfts- 
gewandtheit zeigte.  Über  die  Achsel  angesehen,  bemerkte 
Rosthorn:  „Mir  scheint,  meine  Herren,  das  ist  der  Ort,  wo 
man  die  berühmte  Inschrift  fand."  Der  hohe  Herr  frug:  „Was 

:^  ist  das  für  eine?"     Sie  lautet: 

V.  E.  V.  S.  V.  G.  V.  F.    Deren  Lesung  Rosthorn  gab 

^  „Viel  Eisen,    Viel   Schlegel,    Viel   Gwerken,    Viel  Flegel!" 

und  sich  schleunigst  von  dannen  zog.    Es  gab  kaum  einen 

'  Sport,  den  die  alten  Hammerherm  nicht  betrieben  hätten, 

^  fast  jeder  hielt  sich  einen  Hofnarren,  der  die  manchmal  sehr 

derben  Witze  aushalten  mußte.     Die  Gastfreundschaft  wurde 

"  von  allen  großartig  geübt  und  von  den  undankbarsten  Schma- 

^  rotzern  aller  Stände  weidlich  ausgenützt.  Ich  kenne  sogar  zwei 

Fälle,  wo  Besucher  —  einzelne  Herren,  auf  acht  Tage  kamen 

und  faktisch  40  Jahre  bis  zu  ihrem  Tode  zu  Gaste  blieben. 

Während  diese  mittelalterlichen  Sitten  und  Gebräuche 

^  im  Murboden  weiter  herrschten,    schufen  emsige   sparsame 

(  1  Bekannte  Tatsache,    die  vielen   älteren  Leuten   noch   in  Er- 

innerung ist. 


76    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Miirbodens  mit  dem  Auslande. 

Markenfälscher  mit  österreichischen  Arbeitern  neue  Werke  in 
Deutschland,  und  entsandten  durch  schöne  Ausstattung  den 
Steirem  ihre  sich  höchst  rentierenden  Absatzgebiete.  Die 
Eisenbahnen  wuchsen  ins  Riesenhafte,  die  Naturalwirtschaft 
kam  durch  den  erleichterten  Absatz  außer  Kurs,  der  Kinder- 
reichtum zersplitterte  die  Vermögen  der  Arbeitgeber,  die 
Schmiede  verlangten  Bargeld  und  keine  Festessen  mehr,  denn 
sie  begannen  zu  heiraten,  das  nur  den  Vorarbeitern  wie  den 
Eßmeistern  und  Hammerschmieden  gerne  gewährt  wurde.  Die 
kurzsichtige  Eifersüchtelei  der  Gewerken  verteuerte  gegen- 
seitig Löhne  und  Holzkohlen,  kurz  die  neue  Zeit  brach  mit 
Macht  herein.  Ein  Großteil  der  Gewerken  konnte  den  Über- 
gang vom  mittelalterlichen  Handwerk  zur  modernen  Fabrik 
nicht  begreifen  oder  nicht  durchführen  oder  nicht  aushalten, 
denn  an  hohen  Verdienst  und  noble  Lebensauffassung  gewohnt, 
war  es  den  Meisten  schwer,  erst  kleinlich  sparen  zu  lernen 
und  die  Einkaufspreise  zu  drücken.  Genau  dieselbe  bittere 
Zeit  der  Umwandlung  hatten  die  „Messerer"  in  Sheffield  und 
in  Westphalen  schon  Jahrzehnte  früher  durchkosten  müssen,  war 
das  Handwerk  dort  ja  auch  von  den  keltischen  Schmieden, 
mitsamt  ihren  uralten  Gebräuchen,  nach  Norden  verpflanzt 
worden,  deren  Wiege  von  Babylon  nach  Kreta  via  Ägypten 
und  dann  nach  Mittelmeereuropa  übertragen  wurde.  ^ 

Unter  dem  Drucke  der  unerbittlichen  Konkurrenz  wurde 
der  Schmied  vom  Kaufeaann  besiegt.*-*  Einst  brachte  der 
Russe  Zobelpelze  und  bat  um  Sensen,  deren  Preis  der  Ge- 
werke  fixierte,  wofür  nur  neue  Banknoten  in  sofortige  Zah- 
lung genommen  wurden,  jetzt  reist  der  Gewerke  in  Rußland, 
erhält  ein  Drittel  des  alten  Preises  bei  teureren  Gestehungs- 
kosten und  kann  zwölf  Monate  auf  sein  Geld  warten,  wenn 
er  es  überhaupt  bekommt. 

200  Jahre  solcher  Veränderungen  mußten  die  Werke 
dezimieren,  und  folgende  Anlagen  im  Murboden  sind  buch- 
stäblich von  der  Erde  verschwunden. 

1.  Ainbach,  Wälschhammer,  Streckhammer. 

2.  Sachendorf,  Wälschhammer  und  Sensen  werk. 

3.  Paßhammer,  Pfannhammer  und  Sensenwerk. 

4.  Hammerberg,  Wälschhammer. 

5.  Hopfgarten,  Sensenwerk. 

6 — 8.  Möschitzgraben  bei  St.  Peter,  3  Sensenhämmer. 

•  Die  Schneide  aus  ausgesucht  gemischtem  Stahl,  den  Rücken 
aus  Eisen  zu  schmieden. 

*  Der  Umsatz  mußte  erhöht,  die  Regie  verkleinert  werden. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  77 

9.  ßothenthum,  Sensenhammer,  Gußstahlwerk. 
Im   Betriebe    befindet   sich   kein  Hammerwerk   mehr, 
wohl  aber  die  Sensenwerke  der 

1.  Wittgenstein' sehen  Konzentration  in  Judenburg. 

2.  Franz  Zeilinger  in  Knittelfeld  und  Schattenberg. 

3.  Leopold  Zeilinger  in  Eppenstein  mit  den  zwei  Ob- 
dacher Werken  und  dem  Forcherhammer  in  Eppenstein. 

4.  Franz  Wertheim  in  Wasserleit. 

Die  angegel)enen  Gründe  erklären  zur  Genüge,  warum 

•die    alten   Hämmer    und    viele    Sensenwerke    verschwinden 

mußten  und  daß  nicht  die  Gastfreundschaft  gegen  zahllose 

Schmarotzer  die  Hauptursache  gewesen  ist,  wie  gerade  diese 

Dankbaren  am  meisten  hervorhoben. 

Durch  die  außerordentliche  Sparsamkeit  und  Einteilung 
der  Hausfrauen,  den  berühmten  alten  Gewerkinnen,  die  ihren 
Mägdetroß  durch  18  Stunden  im  Tage  in  Atem  hielten, 
wurde  wieder  viel  Bargeld  erspart,  was  damals  hoch  zählte. 
Johanna  v.  Forcher  war  die  letzte  alten  Stiles,  als  sie  1861 
als  dreißigjährige  Witwe  mit  eilf  Kindern  die  Hämmer  über- 
nahm. Die  kulturelle  Bedeutung  der  Gewerkinnen  besagt  ganz 
richtig  Kraus  Eherne  Mark  I.,  Seite  104  und  106. 

Beim  Kampf  ums  Dasein,  wo  der  Große  den  Kleinen  frißt, 
hatten  auch  viele  mit  besonderem  Ungemach  zu  kämpfen, 
während  der  geniale  Neuerer  Franz  Mayr  der  jüngere,  der 
erste  Baron,  der  die  Kunst  besaß,  auch  im  kleinen  groß  zu 
bleiben,  bei  der  Wahl  seiner  Mitarbeiter  und  vielen  Zufällen 
in  späterer  Zeit  von  beispiellosem  Glücke  begünstigt  wurde. 
Er  stürmte  von  Erfolg  zu  Erfolg,  während  viele  alte  Gewerke 
den  Einbruch  der  neuen  Zeit  verschliefen. 

Da  kam  noch  des  Thomas  Gilchrist  Verfahren,  phos- 
phorhältige  Erze  nützlich  zu  verwenden,  um  Steiermark 
indirekt  zu  schädigen;  früher  schützten  reine  Erze,  hohe 
Frachten,  gute  Qualität,  nun  diktiert  die  Billigkeit,  und  die 
Hammerwerke  sind  für  immer  beseitigt.  Einst  war  der  Ge- 
werke der  Großunternehmer  und  Bankier  seiner  nächsten 
Umgebung,  meistens  handelte  er  mit  allem,  was  Gewinn  ver- 
sprach, und  sein  reicher  Verdienst  kam  dem  Lande  zugute. 
Heute  verzehrt  der  konfessionslose  Aktionär  seine  Dividenden 
in  der  Feme,  die  Bauern  bekommen  keine  Vorschüsse  mehr, 
die  Kirchen   keine  prunkvollen  Opfergeräte  mit  Goldemail,' 

«  Mathias  und  Kosina  Hillebrand  spenden  der  Kirche  Kotten- 
mann  laut  Inschrift  1766  die  11  «/j  Pfund  schwere  silberne  Monstranze, 
vergoldet,  mit  Steinen,  die  nebst  dem  Kelche,  mit  ihrem  schönen  Gold- 


78    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

die  den  Goldschmieden  schweres  Geld  einbrachten,  die  einst 
splendiden  Paten  und  modernen  Jagdherren  bevorzugen  nun 
auswärtige  Gewerbsleute,  kurz,  aus  dem  patriarchalischen  Leben 
wurde  ein  sehr  rauhes,  unpersönliches,  das  sich  nur  im  Eufe 
„Gib"  äußert. 

Kraus  hat  in  der  „Ehernen  Mark"  ein  sehr  richtiges 
Wort  gemünzt  „den  Hammeradel". ^ 

Er  steht  durch  Zahl  der  Familien,  die  große  kulturelle 
Pedeutung  durch  Jahrhunderte  für  das  Land  e  i  n  z  i  g  da.  Mir 
sind  nur  drei  Familien  außer  Kärnten,  Steiermark  und  Ober- 
österreich bekannt,  die  ohne  Fideikommissen  sich  durch 
Jahrhunderte  in  einem  bürgerlichen  Geschäfte  erhielten. 

Münichsdorfer,  Geschichte  des  Hüttenberger  Erzberges 
1870,  enthält  die  Stanmibäume  der  alten  Gewerkenfamilie 
Rauscher  1529  bis  1890  der  Aktiengründung,  der  nunmehrigen 
Grafen  Christallnigg  1605  bis  1870  und  der  ihnen  verschwä- 
gerten Lattacher  von  Zossenegg,  zirka  1550  bis  1679. 

Alle  anderen  Gewerken,  wie  die  Weitmoser  in  Gastein, 
die  Enzenberg  in  Tirol  und  ähnliche  Familien  sind  meistens 
rasch  aus  dem  Handwerk  verschwunden,  von  denen  unter 
allen  wohl  die  Fuger,  Füger  und  Hochstetter  in  ihrer 
Blüte  ihren  Reichtum  hauptsächlich  den  Edelmetallen  ver- 
danken. 

Den  alten  „Sengschmiedinnungen"  ähnlich  sind  die  ade- 
ligen Erbsälzer  der  Saline  Werl  in  Westphalen.  Sie  sollen 
schon  zu  Karls  des  Großen  Zeiten  Salz  gesotten  haben.  Die 
älteste  Urkunde  stammt  von  1246,  in  der  Erzbischof  Konrad  IL 
den  Erbsälzern*^  ihr  Privilegium  bestätigt.  Seit  1852  wird 
gemeinschaftlich  die  Saline  Werl  und  Neuwerk  betrieben, 
jeder  männliche  Deszendent  wird  mit  14  Jahren  als  mino- 
rener Erbsälzer  aufgeschworen,  mit  24  Jahren  als  majorener 
vereidet,  dessen  sämtliche  Rechte  aber  mit  seinem  Tode 
erlöschen. 


email  ein  treffliches  Zeugnis  für  ihren  hohen  Geschmack  und  Splendi- 
dität  der  Nachwelt  offenbaren.  Deo  eucharisteo  Mathias  Hillebrand  et 
Rosine  Adamin  conjuges  hoc  pietatis  suae  curarunt  monumentum 
fieri  1766. 

*  Seite  77  und  leider  sehr  unvollständige  und  zum  Teil  irrige 
Fortsetzung. 

2  Gütige  Mitteilung  der  Herren  Sälzeroberst  von  Papen-Koe- 
ningen  und  Salinendirektor  du  Comu,  ferner  Herr  Max  v.  Spiessen  in 
Münster  in  W.,  dann  Leibertz  in  Werl,  „Gewohnheitsrechte  des  Her- 
zogtums Westphalen". 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  79 

Einst  stellten  zwölf  adelige  Familien  die  Erbsälzer,  von 
denen  nur  noch  die  Familien  von  Papen  und  von  Lilien  mit 
35  Mann  übrig  geblieben  sind. 

Die  dritte  Familie  betrifft  die  berühmten  Strozzi  in 
Florenz,  die  heutigen  Herzöge  von  Forano  und  Bagnolo. 
Die  Cerreria  Strozzi  am  Domplatz  in  Florenz  war  nicht,  wie 
behauptet  wird,  die  Quelle  des  älteren  Wohlstandes  des  be- 
rühmten Strozzi,^  aber  die  Wachszieherei  führt  heute  noch 
den  Namen.  Am  4.  Dezember  1671  erhielt  der  Venezianer 
Camillo  Suardi  die  Konzession,  welche  er  1678  an  Karl 
Thomas  Strozzi  zedierte.  Weitere  Privilegien  der  Medici 
zieren  das  Geschäftslokal.  1679  an  den  Senator  Alexander 
Strozzi,  1704  an  dessen  Sohn  Karl,  1759  an  die  Kompanie 
Alessandro  Strozzi  mit  seinen  zwei  Verwandten  Uguccioni, 
1775  wieder  an  Alexander  Strozzi  allein,  1782  der  Senator 
Giovanni  Uguccioni,  Erbe  des  Pier  F.  Uguccioni,  1835 
der  Sohn  Tomaso  Uguccioni  -  Gherardi,  1875  die  Tochter 
Marianne,  1 905  Luigi  und  Tommaso  Roselli  del  Turco,  deren 
Söhne. 

Die  Strozzi  betrieben  also  die  Wachszieherei  nur  von 
1678 — 1782,  vererbten  aber  das  Geschäft  und  die  alte  Firma 
an  ihre  Verwandten,  die  noch  in  ihren  historischen  Palästen 
wohnen,  die  als  Sehenswürdigkeiten  benannt  werden. 

Der  Hammeradel  verdient  der  Vergessenheit  entrissen 
zu  werden,  nachdem  er  jedenfalls  für  Steiermark  und  das 
weitere  Vaterland  mehr  geleistet  hat,  als  manche  später 
Ausgezeichnete. 

Der  Hammeradel  brachte  in  den  verflossenen  Jahrhun- 
derten Hunderte  von  Millionen  ausländischen  Goldes  ins  Land, 
er  versorgte  Generationen  von  fleißigen  Arbeitern  mit  wohl- 
bezahlter Arbeit  und  Zufriedenheit,  und  der  Titel  k.  k.  Kammer- 
gutsbeförderer war  kein  leerer,  da  die  Hammerherren  die 
Goldmacher  der  Landesherren  waren.  ^  Besagt  doch  Christian 
Sulzbacher,  später  von  Sulzberg,  im  Adelsgesuch  1670,  er 
habe  in  zwölf  Jahren  50.000  fl.,  nach  heutigem  Gelde 
500.000  Kronen,  an  die  kaiserliche  Maut  abgeliefert.  Sein 
Vater  Max  aber  in  40  Jahren  als  Radmeister  in  Vordern- 
berg,  Hammerherr  in  Fächern  (Oberwölz)  und  ßoheisen- 
verleger  in  Leoben  300.000  fl.,  also  3  Millionen  Kronen  an 
Gefällen  geleistet.    Sicher  hat  kein  Gutsherr  oder  irgendein 

1  Irrige  Angabe  des  Abbate  Dr.  Senes,  74  Via  Ghlbellina,  Florenz. 
«  Hist.  Landeskommission  f.  Steiermark,  1902,  Dr.  v.  Pantz. 


80    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande.  i 

> 
anderes  Geschäft  je   solche   ständige  Abgaben  geliefert,  die 
allen  zugute  kamen.  ^ 

Dabei   hatte  der  Hammeradel   in   fttnf   Jahrhunderten  , 

die  Unwürde,  *  die  vielen  Pestjahre,  die  20  Türkeneinfälle, 
die  Ungameinfälle,  die  außerordentlich  schädigende  Prote- 
stantenvertreibung, den  30jährigen  Krieg  und  alle  anderen 
folgenden,  am  eigenen  Leibe  und  auch  bei  ihren  aus- 
ländischen Abnehmern  zu  verspüren. 

All  dies  Ungemach  prallte  an  diesen  kleinen  Königen 
ab,  die  als  echte  Aristokraten  oft  nichts  lernten  und  nichts 
vergaßen  und  erst  den  Erfindungen  des  19.  Jahrhunderts 
und   der  modernen,    sehr  dehnbaren  Geschäftsmoral  unter-  ' 

liegen  mußten.    Zur  Erinnerung  erhob  ich  die  positiven  Daten  ' 

über  die  einzelnen  Werke,  die  ich  nach  dem  Gründungsalter  , 

anführe.    Die  Genealogie  der  Gewerkenfamilien  folgt,  soweit  ♦ 

Daten  bisnun  zu  erlangen  waren.  Das  war  allerdings  der 
dornenvollste  Teil  der  Erhebungen. 

Leider  konnte  man  da  selten  in  wohlassortierten,    ge-  , 

heizten  Archiven  arbeiten,  sondern  mußte  unglaubliche  Räume  j 

benützen,  deren  bösester  wohl  der  Krautkeller  des  Herrn 
Dekan  in  Thaur  bei  Hall  in  Tirol  war,  den  mir  die  gestrenge  | 

„Widumshäuserin"  zum  Studium  der  Kirchenbücher  aus  dem 
16.  Jahrhundert  in  den  1870er  Jahren  huldvollst  zuwies. 
Eine  speziell  südösterreichische  Unart  zwang  alles  persönlich 
zu  ergründen,    indem  oft  sogenannte  Gebildete  nicht  zu  be-  i 

wegen   sind,    in  vorgeschriebenen  Antwortkarten  auch    nur  I 

eine  Jahreszahl  einzusetzen. 

Die  Nachrichten  werden  wohl  immer  lückenhaft  bleiben, 
aber  immerhin  sind  die  Filiations-Beweise  bis  ins  14.  und  | 

15.   Jahrhundert   tadellos    bei    den   Familien    Forcher    von  • 

Ainbach,  Fraydt  von  Fraydenegg  und  Hillebrand.  ^ 

Vom  Hammeradel  war  die  Ennsthaler  Familie  v.  Pantz 
von  1487  bis  1868  am  längsten  im  Eisenwesen,    sei  es  als  | 

Hammerherren  oder  Beamte.  Sie  hatte  aber  nichts  mit  dem  1 

Murboden  zu  tun,  man  holte  von  ihr  oft  die  Hammermeister. 

Die   Genealogie   der  Oberösterreicher   Sensengewerken  i 

verdanke  ich  zum  größten  Teile  Herrn  Franz  Schröckenfux,  ] 

«  Das  Eisenwesen  hat  wie  kein  Geschäft  immerdar  von  der 
Konjunktur  abgehangen.    Beck  II,  615   behandelt  besonders   die  guten  I 

Jahre  und  die   lange   Stockung  im  17.  Jahrhundert,   die   „Würde  und  i 

Unwürde'*  des  Eisens  hießen. 

«  Der  Stammbaum  der  Familien  Forcher  und  Hillebrand  ist 
seltenerweise  noch  in  Porträts  bis  1682,  illustriert,  in  Sachendorf  vereint.  j 


*f 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  81 

Bürgermeister  in  Windischgarsten,  der  eine  ausführliche 
Geschichte  der  Sensenindustrie  zum  Drucke  vorbereitet. 

Er  war  in  der  glücklichen  Lage,  bei  den  vielen  streng 
konservativen  Ursensenschmiedfamilien  in  72  Kirchen  und 
Archiven  Erhebungen  pflegen  zu  können.  Die  älteren  Matriken, 
die  in  Steiermark  fehlen,  die  über  Jahrhunderte  reichenden 
Innungsprotokolle  und  der  Zusammenhalt  der  Oberösterreicher 
gaben  ihm  Material,  ein  wirklich  nicht,  dagewesenes  Nach- 
schlagebuch zu  verfassen,  welchen  Zweck  diese  Studie  für 
den  Murboden  zum  Teile  erfüllen  soll. 

Zum  Vergleich  der  analogen  Vorgänge  in  Westfalen* 
ist  es  hier  am  Platze,  die  Daten  aus  Alfons  Thun,  Leipzig 
1879,  „Die  Industrie  am  Niederrhein",  Seite  8  und  113,  zu 
zitieren.  Die  Kunst  der  Klingenschmiede  kam  aus  Stadt  Steyer 
(und  nicht  der  Steiermark)  an  den  Rhein.  Der  dortigen 
Einwanderung  1153  73  folgte  eine  zweite  Invasion 
steyerscher  Schmiede  1190.'  Schon  1240  waren  bei  der 
Hansa  die  Kronenberger  weißen  Sensen  und  Futterklingen 
berühmt.  Die  Eisengewinnung  am  Ehein  begann  aber  schon 
vor  der  Einwanderung  der  Deutschen,    vermutlich  durch  die 

l  Kelten,  wie  die  alten  Halden  bezeugen;    die  gefährlichste 

und  dritte  Invasion  ruinierte  den  steyersehen  Absatz, 
indem  der  märkische  Gefangene  Eöntgen  in  den  steyersehen 
Werken  die  Erzeugung  der  schwarzen  Sensen  und  deren 
Markenfälschung  lernte.  Diese  nicht  geschlififene,  hier  graue 
Kärntner,  Tiroler  oder  Brescianer  Ware  (Käfersensen),  war 
scharf  gehämmert,  daher  sehr  widerstandsfähig,  im  glühenden 
Sand  gebläut  und  von  viel  besserer  Qualität  als  die  häufig 

;  am  Schleifstein   verbrannten   und   wieder  weich   gemachten 

geschliffenen  weißen  Sensen.  1772  erzeugte  Eöntgens  Bruder 

9  die    ersten    schwarzen   Sensen    im   Hammerwerke   Gottlieb 

Hallbach  bei  Müngsten  und  damit  war  der  treffliche  Absatz 
der  Alpen  am  Niederrhein  verloren. 

ii  Die  rheinischen  Sensenschmiede  hatten  untereinander 

ganz  dieselben  Kämpfe,  wobei  die  Markenstreitigkeiten  nicht 

'  die  geringsten  waren,  aber  die  steyersehen  Meister  hatten  den 

Vorteil,    ihre  Arbeiter   anständig  zu  behandeln  und  ordent- 

^  lieh  zu  entlohnen,   während  die  Westfalen  im  grausamsten 

Trucksystem   den  Wucher   in  der  schmählichsten  Form  des 

1  Hier    wie    dort  war  zuerst  das   Eisenschmelzen  eine  Neben- 

►  industrie  der  hauptsächlich  Wald-  und  Viehwirtschaft  treibenden  Bauern, 

und  hier   und   in  Schmalkalden   gab   es   deutsche  Hämmer,    die  auch 

später  den  zehnfach  mehr  produzierenden  Einrichtungen  weichen  mußten. 

-  Beckh  I  848.  —  Durch  Kaiser  Friedrich  Barbarossa. 


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82    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 


^ 


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4       1 

j 


Aufdrängens    von    teurem    Schnaps    und    Waren    bei    den  ^ 

Arbeitern  ausübten. 

Zur  Zeit   der  Faustschmiede    im  15.  Jahrhundert  war         *''* 
genau  dieselbe  Arbeitseinteilung  in  Steyer  wie  in  Passau  und  €. 

Solingen,  die  Schwerter  und  Messer  vollendeten  die  Klingen- 
schmiede, die  Schleifer  und  Messerer.  ^ 

Die  Bruderschaften  der  Härter  und  Schleifer  tauchen 
in  Solingen  1401  auf,  die  Schwertfeger  1412,  die  Schwert- 
schmiede 1472.  *    1 

Der  Verbleibungseid  sollte  zur  Sicherung  dienen,  ein 
Schwertschmied  durfte  nur  vier-  Schwerter,  ein  Messerschmied 
nur  zehn  Stechmesser  richtig  und  gut  per  Tag  schmieden. 
Im  16.  Jahrhundert  kamen  die  Berger  und  Märker  von  der 
Faustschmiede  zum  Reckhammer  und  mit  dem  Breithammer 
am  Wasserbetrieb  schmiedete  man  das  ftlnffache.  Da  be- 
gannen die  Lohnkämpfe  und  mit  den  neuen  Erfindungen  um 
1850    verschwanden     die    aristokratischen    Schwertarbeit^r  v^ 

durch  die  Einführung  der  Klingenwalzen. 

Das  älteste  Privileg  der  Sensenschmiede  und  Schleifer  ^ 
erhielten   am  15.  Juli  1600  die  Ämter  Eberfeld,    Beyerburg  > 

Burg,  Bornefeld  mit  dem  Hauptsitz  in  Kronenberg.  Die  da- 
malige Meisterzahl  war  beschränkt.  Niemand  durfte  aus- 
wandern, es  herrschte  Zeichenzwang  und  erbliche  Zunft. 
1759  waren  im  Kirchspiel  Kronenberg  sieben  Sensenschmieden, 
1770  schon  eine  fünfundzwanzigmal  größere  Produktion  in 
der  Mark  als  in  Berg. 

Schließlich  räumte  die  Gewerbefreiheit,  Freihandel 
und  äußerst  laxe  Moral  alles  Alte  hinweg,  aber  immer  noch  ^  i 

blieb  der  Speisezettel  der  Solinger  ein  Fastenmenü  eines 
Bettelordens    gegenüber    den    protzenden  Kollegen    in    der  ^  i 

steyerschen  Urheimat.'-^  \ 

1  Beck  II  424,  Solingersensen,  II  758,    1551,  Ordnung  Nassauer  \ 
Sensenschmiede.                                                                                                              >• 

2  Dr.  Ehrenberg  (Seite  1),  erwähnt  noch,  daß  erst  1450  der  j 
Kleingewerbsbetrieb  allmählich  erweitert  wurde,  von  1860—1900  Puddeln  >' 
und  Bessemerprozeß  nebeneinander  gingen,  bis  1863 — 73  das  Puddeln  ^ 
tiberwiegte,  das  allmählich  ganz  unterlag.  Beim  Bessemern  wuchsen  die  V 
Dimensionen  und  da  begann  die  Umformung  des  rohen  Muskel-  i 
menschen  zum  denkenden  Nervenbündel,  das  mit  dem  ge-  q 
ringsten  Aufwände  die  größten  Mengen  erzeugte.  Lange  noch  wurde  die  i 
Qualität  überwacht  und  das  Votum  variiert,  das  am  24.  März  1621  die  ^» 
Sensen-  und  Hackenschmiede  zu  Judenburg  beauftragte,  das  Hausieren 

mit  „Khanierisch  und  Hüttenbergerzeug"  zu  kontrollieren,  da  doch  nur  ^ 

Vordernberg  gewidmet  war. 


iL.      1 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  83 

Heute  überschwemmt  der  Niederrhein  die  ganze  Welt 
mit  seinen  erstaunlich  billigen  Produkten,  freilich  billig  aber 
schlecht.  Aber  niemand,  höchstens  die  Japaner,  können  mit 
ihnen  konkurieren. 

Bezüglich  Oberösterreich  sagt  A.  Thun,  daß  die 
Klingenschmiede  in  Raming-Dambach  schon  1373  eine 
Ordnung,  1462  die  Messerer  in  Steinbach  eine  solche  er- 
hielten und  daß  Venedig  schon  1410  mit  Kirchdorf  in 
Handelsverbindung  stand. 

Herr  Schröckenfux  berichtet  über  Oberösterreich 
gleichfalls,  daß  die  Klingenschmiede  aus  den  Zeugschmieden 
an  der  ßömerstraße  entstanden  und  deren  Arbeitsteilung 
erst  mit  dem  zunehmenden  Bedürfnisse  sich  vollzog.  All- 
mählig  schlössen  sich  die  Innungen  zusammen,  die  Waid- 
hofener  Sensenschmiede  erhielten  ihre  erste  Zunftordnung 
1449,  neun  Freistädtern  bestätigte  1502  die  Stadt  ihre 
Zunftartikel,  während  die  Brucker  erst  am  6.  April  1503 
von  Kaiser  Max  die  erste  Freiheit  bekamen.  Die  Kirchdorf- 
Michldorfer  Handwerk  sregeln  von  Kaiser  Rudolf  II,  wurden 
1595  als  Abschrift  der  Waidhofener  Regeln  vom  Dechant 
in  Spital  ausführlich  bezeichnet.  Der  Faustschmiedmeister 
durfte  nur  täglich  13  bis  25  Sensen  vollenden,  der  Breit- 
hammer 1585  schlug  schon  60  bis  70  Stück  und  die  alten 
Ordnungen  mußten  entsprechend  geändert  werden. 

Die  Waidhofener  Sensenschmiede  benützten  aber  bei  dieser 
Gelegenheit  die  Arglosigkeit  der  Behörden,  als  bei  jedem  Regie- 
rungswechsel die  alten  Freiheiten  neu  bestätigt  wer- 
den mußten,  sie  verschwiegen  die  beschränkte  Tages- 
produktion der  Stückzahl  und  die  darauf  vorgeschriebenen 
Strafen,  wodurch  straflos  100  und  mehr  Sensen  täglich 
erzeugt  wurden  und  die  Neuzeit  der  Massenerzeugung  be- 
gann, gegen  die  die  Klagen  vergeblich  waren  und  von  den 
Konkurrenten  der  anderen  Hämmer  rasch  eingeführt  werden 
mußten.  Der  Bedarf  wuchs,  der  Kundenkreis  nicht  minder 
und  die  überzähligen  Meistersöhne  mit  ihrem  Anhang 
wanderten  vorwiegend  in  die  Alpen,  nahe  zu  Eisen,  Holzkohle 
und  Wasser.  Thüringen,  Schlesien,  Bayern.  Ja  1612  wurde 
von  zwei  Michldorfer  Meistern  Polen  besiedelt,  die  wieder 
teilweise  zurückwandern  mußten. 

Die  in  den  Türkenkriegen  verödeten  Hainfelder  Hämmer 
haben  Michldorfer  1679,  1680  neu  aufgerichtet,  aber  1785 
erst  hat  Kaiser  Josef  das  Alte  aufgeräumt. 

6* 


84    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 


H 


Nachdem  in  den  vier  Eisenzünften  auch  die  Hackenschmiede  ^ 

Sensen  und  Strohmesser  erzeugen  durften,  entstanden  abermals        ^ 
neue  Werke,   das  Tagwerk   wurde  vergrößert,  aber  zugleich 
begann  das  Markenfälschen  der  deutschen  Brüder  in  Bayern,  ^ 

Baden,  Württemberg  und  Westfalen,   wodurch  neue  Absatz- 
quellen gesucht  werden  mußten^    da   die    hochrentierenden  "* 
deutschen  Abnehmer  verloren  waren  und  blieben.                         .    , 

1830  nennt  Herr  Schröckenfux  für  Steiermark 
41  Hämmer,  denen  bis  1880  *  neun  zuwuchsen,  die  aus  auf-  ^ 

gelassenen  Stahl-  und  Pfannhämmern  errichtet  wurden. 

Ehrenwerth,  „Kulturbilder"  1890,  nennt  noch  22  Werke, 
in  denen  1010  Arbeiter  2*887.000  Stück  erzeugten,  nachdem  ^ 

schon  die  Konzentration  begann. 

Der  Größe  der  Erzeugung  nach  waren  1890:  Konrad  ) 

von  Forcher,  Judenburg;  Isidor  Trauzl,  Kindberg;  Paul 
Aigners  Erben,    Mürzzuschlag ;    Franz  Zeilinger,  Knittelfeld;  ^ 

Leopold  Zeilinger,  Eppenstein;  Josef  Schmölzer,  Kindberg; 
Kegina  Fränkl,  Spital  a.  S. ;  Anton  Fürst,  Kindberg;  Steier- 
märkische  Eskomptebank,  Krennhof;  Stift  Admont,  Klamm; 
J.  Liebl,  Mühlau ;  AUg.  Bodenkreditanstalt,  Arzberg ;  J.  Kieffer, 
St.  Lorenzen  a.  K.  B. ;    J.  Schaffer,  Breitenau;   A.  Hausers  ^ 

Erben,    Windischgraz;   C.  Greinitz   Erben,    Deutschfeistritz;  ^ 

F.  V.  Wertheim,  Wasserleit ;  J.  Schüler,  Übelbach ;  J.  Steinauer, 
Weitenstein;  J.  Stegmüller,  St.  Peter;  J.  Graf,  St.  Gallen; 
J.  Hilferding,  Schwöbing 

Die  steirischen  Innungsorte  Rottenmann  und  Übelbach, 
dann  Freistadt  sind  rasch  verschwunden  und  für  1906  führt  j 

Herr  Schröckenfux  in  Steiermark  nur  noch  15  Sensen- 
werke an,  die  folgende  Firmen  tragen^ :  Die  Wittgenstein'sche 
Konzentration  in  Judenburg,  heute  Foest  und  Fischer; 
Franz  Zeilinger,  Knittelfeld;    Leopold  Zeilinger,  Eppenstein;  * 

K.  Schmölzer,  Kindberg;  R.  Fränkl,  Spital  a.  S.;  A.  Fürst, 
Kindberg;  C.  Grillmayer,  Möderbruck;  Hausers  Erben, 
Windischgraz;    H.  Kiefer,   St.  Lorenzen  a.  K.  B.;    J.  Liebl,  ^ 

Mühlau;  Mayer  und  Wildenhofer,  St.  Gallen;  J.  Moser, 
St.  Gallen;  J.  Steinauer,  Weitenstein;  F.  v.  Wertheim, 
Wasserleit;  Zdarsky,  Krennhof.  i 

Nur  die  Michldorfer-Kirchdorfer  Gewerken  halten  noch 
an  den  Jahrhunderte  alten  Satzungen  des  Handwerkes.  Wie 
Wittgenstein  in  Steiermark  konzentrierten  die  Rettenbacher- 

*  Oberösterreich  hatte  50,  Nieder  Österreich  30,  Kärnten  10, 
Krain  10,  Tirol  12,  Steiermark  41,  totale  161  Sensenwerke. 

2  In  Kärnten  waren  1906  noch  6,  Krain  4,  Oberösterreich  23, 
Niederösterreich  12,  Tirol  3,  somit  totale  63  Sensenwerke. 


lA 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  86 


^  Blumauer,  Zeitlinger-Micheldorf,   Huber  in  Jenbach  und   so 

erklärt    sich   bei    erhöhter  und  sehr  verbilligter  Produktion 

die   Verminderung   der    161    Sensenwerke    anno    1830   auf 

^  sage  63  anno  1906  in  den  ganzen  österreichischen  Erblanden. 

Weitere  Umänderungen  dürften  noch  folgen.  Steiermark  hatte 

^  1830  41;  1890  22;  1906  15  Sensenwerke  und  naturgemäß 

^  wie  überall  wird  die  Zahl  sinken  und  die  Erzeugung  steigen 

müssen.  Die  Regie  dirigiert  den  Nerv. 

K       .  In  Steiermark  ist  nur  mehr  das  geschichtliche  Interesse 

für  die  Hammerzeit  in  einem  kleinen  Kreise  wach,  in  Ober- 

^  Österreich  ist   es  Ehrensache  des  Landes.    Bei  der  Ver- 

^  quickung  der  Stahl-  und  Sensenhämmer  kann  man  die  Werke 

nicht  sondern. 
i  1624    bestanden   im    Viertel   Murboden    12    wälsche, 

4    deutsche    Hämmer,    ihr    Vertreter    gegenüber   der    stes 
^  schröpfenden  Regierung  war  der  Obmann,   später  Mandatar 

genannt.  V^ 

Der    damalige    untere   Murboden    umfaßte   auch   die 
^  Hämmer  in  Pols,  Obdach,   Scheifling,   Niederwölz,  der  obere 

Murboden  Murau,  Einöd,  Katsch  etc. 

Bis   zum  Ende   der    Hammerzeit   waren   im   heutigen 
^  Murboden  folgende 

Werke. 

Dem  vermutlichen  Alter  ihrer  Gründung  reihen  sie  — 
der  Nachweis  ist  oft  unmöglich  — 
A^  1.  Wasserleit.   Hammer  in   St.  Marein  —  Hammerdorf, 

^  2.  Jahrh.  n.  Gh.,  urkundlich  schon  1140. 

^  2.  Ainbach,  3.  Jahrh.  n.  Gh.,  urk.  1423. 

^  3.  Sachendorf,  altwindisch,  urk.  1160  als  Mühle,  1495 

als  „Wallischhammer". 


1  Hammerakten  im  Schloßarchive  zu  Nechelheim. 

*  Ebendort  meldet  ein  „Verzeichnis,  was  jeder  Hammerherr  und 
Hammermeister  für  ein  Zeichen  bei  seinem  Hammer  führt",  desgleichen 
auch  die  „Sengsen  und  Naglschmitt  im  Viertel  Murboden  von  Vordern- 
berger  oder  Leobner  Eisen",  verfaßt  von  Wiegeleus  Freistinger,  Eisen- 
beschreiber  zu  Leoben.  Leider  undatiert  aus  1660 — 1670  stammend. 
1633 — 60  war  1  Deutschhammer,  4  »wällische  neu,  so  das  Thumbstift 
Seccau  ihre  Freiheit  erhalten",  17.  Jan.  1650  vermutlich  für  Sachendorf?? 
Unter  den  Hammerzeichen  rangieren  auch  4  „Sengsenschmitt** :  Leonhard 
Moser  in  Judenburg,  Kreuz,  4  Dipfel  (dann  Rothenthurm) ;  Hans  Moser, 
Paßhammer,  2  Kreuz,  3  Dipfl  (dann  Rothenthurm);  die  Sonne  bei  V^olf, 
Grienauer  in  St.  Peter;  Herr  Pichler  in  EinÖd-Neumarkt  führt  „ain 
Khampel" ;  der  Nagelschmied  Adam  Max  Zeuß  in  Feistritz  eine  kompli- 
zierte Hausmarke. 


86    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande.  j^ 

4.  Paßhammer,  alt,  mittelalterlich,  urk.  1543.  ^ 

5.  Hammer  am  Hammerberg,  errichtet  1585.  ^, 

6.  Hopfgarten,  Sensenwerk,  urk.  1651,  alt.  ^ 

7.  Wasserwerk,  Möschitzgraben,  alt,  Sensen,  1660.  ^ 

8.  Stegmüller,  Möschgr.,  alt,  Sensen.  1672. 

9.  Forcherwerk,  Möschgr.,  alt,  Sensen  1672.  ^ 

10.  Forcherwerk,  Rothenthurm,  alt,  Sensen,  1677.  ^ 

11.  Zeilinger,  Knittelfeld,  alt,  Sensen,  1716. 

12.  Zeilinger,  Eppenstein,  alt,  Sensen,  1721.  ^ 

13.  Forcher,  Pfannhammer,  Knittelf.,  alt,  Sensen,  1855. 

14.  Zeilinger,  Gaal,  neu,  Sensen,  1859. 

15.  Forcher,  Eppenstein,  alt,  Sensen,  1860.  ^ 
Von  der  noch   einst  zum  Viertel  Murboden  gehörigen 

Werken  in  Obdach  (den  ältesten)  Möderbrugg  und  Pols  waren  ) 

noch  nicht   genügende    Erkundigungen   möglich,    die   nach- 
getragen werden  sollen.  ^ 

Die  anderen  Werke  behandle  ich  einzeln,  nenne  ihre 
bücherlichen  Besitzerreihen,  werde  sie  genealogisch  zerlegen 
und  mit  den  bisherigen  Daten  möglichst  genau  bringen.  Die  > 

nicht  ins  Handwerk  gehörigen  Glieder  und  die  vielen  Töchter 
würden  den  Raum  beschränken,    es   soll   nur  das  Hammer-  ^ 

wesen  des  Murbodens,   der  Hammeradel  mit   seiner  großen  *. 

Vergangenheit   in  den   verflossenen   Jahrhunderten   für   die  < 

raschlebige   und   noch   rascher   vergessende    Zeit   festgelegt 
werden. 

Nr.  1.  Wasserleit. 

Vermutlich  im  2.  Jahrhundert  n.  Ch.  bei  Anlage  der 
Straße  Virunum — Ovilabis  ergab  sich  nahe  der  Eisenwurzen 
die  Anlage  einer  Zeugschmiede*  in  der  Römerstation,  dem 
befestigten  Lager  Sabatinca.  Hufbeschlag,  Waffen  und  Werk-  * 

zeuge  wurden  immer  wichtiger  und  diese  Anlage  dürfte  unter- 
halb der  Kirche  St.  Marein  gewesen  sein.  Die  erste  Klostergrün-  | 
düng   1140  wurde   wegen  des   störenden  Hammerlärmes  in              i 
den  Jahren  1142 — 1143  urkundlich  nach  Seckau  verlegt;  der 
Hammerbesitzer  ist  unbekannt.  St.  Marein  hieß  Hammerdorf. 
1404,  4.  Juni,  verkauft  Fridrich  von  Stubenberg  an  „Gergen              ^ 
Peleyss,  Bürger  in  Judenburg,  den  Hammer,  gelegen  an  der 
Glein  bey  der  wisen,  genannt  die  Wassergleit".  Archiv  Stuben- 
berg S.  98,  Veröffentl.  der  h.  L.-K.  f.  St.,  1906. 

In  der  Glein-Rachau  war  bestimmt  kein  Hammer,  also  muß  ' 

der  Glina  =  Feistritzbach  so  geheißen  haben,   lehmig  ist  er 

^  Meine  zwei  Beiträge  zu  den  Murbodenstudien,  1907  im  Dnick.  . 


A  Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  87 

^  ja  und  an  die  alten  Besitzer  erinnert  im  Talgrund  die  Stuben- 

bergeralm. 

Als  erster  Klingenschmied  erscheint  1424  Peter  Siebn- 
schön,^  über  den  nichts  bekannt  ist.  1463  beweist  das  go- 
thische  Deckenbild  in  St.  Marein  die  Erzeugnisse  ^  des  Ge- 
werken,'-^  Schwerter,  Sensen  und  Zeugware.  Nichts  beweist, 
wo  geschmiedet  wurde,  aber  ein  Hochwasser  veranlaßte  zu 
unbestimmter  Zeit  das  Verlassen  St.  Mareins  und  die  Hammer- 
neuanlage in  Wasserleit,  die  oft  noch  unter  Hoch  wässern  zu 
^  leiden  hatte.    Die  Neuanlage  konnte  nur  eine  Zeugschmiede 

mit  Wasserbetrieb  sein,  und  diese  kaufte  1716  Franz  Pam- 
^  mer,    Sohn  des  Sensenschmiedmeisters  Martin  und  Eleonora 

in  Kindberg,    um   ein   Sensenwerk  zu  errichten.    Gestorben 

16.  September  1736. 
♦  1737,  17.  Febr.,  heiratet  seine  zweite  Witwe  Susanna 

geb.  Steinhuber   aus  Rothenthurm  Johann  Mich,  Zeitlinger, 
auch  Zeyrlinger  geschrieben,  Sohn  des  Sensenschmiedmeisters 
^  Thomas  Zeitlinger,  in  der  Steyerling,  Ober-Österreich,  1769, 

17.  Aug.,  heiratet  deren  Sohn  Josef  die  Klara  Moser,  Tochter 
*^             des  Sensenschmiedmeisters  Johann  Michael  Moser  in  Knittel- 

feld;  geb.  5.  März  1750,  stirbt  er  25.  Sept.  1804. 

1805,  22.  Okt.,  heiratet   seine  Witwe  geb.  Fehberger 

^  Christoph  Weinmeister,     Sohn    des    Sensenschmiedmeisters 

Gottlieb  Weinmeister,   in  Spittal  a/P.,   welcher  den  Ruf  des 

„Tannenbaums"  erweiterte.  Er  stammte  von  den  berühmten 

^  „Traube". 

1845,  17.  Sept.,  schenkte  er  das  Werk  seinem  Neffen 
A  Christoph,  Sensenschmiedmeister  an  der  Brücke  in  Michldorf 

und  kaufte   1860   den  Hoferhammer  dazu,   der   vermutlich 
ein  spät  mittelalterlicher  Zeughammer  des  Seckauer  Stifts- 
<  gutes  Pranck  war. 

1871  übernehmen  nach  seinem  Tode  die  Söhne  Gott- 
lieb, Franz  und  Michael, 
X  1877,  13.  Sept.,  kauften  Josef  Schmölzer  aus  Kindberg 

und  Franz  Freiherr  v.  Wertheim  aus  Wien, 
'^  1886  übernahm  dessen  Sohn  Franz  Edler  v.  Wertheim 

-^  den  ganzen  Besitz. 

1  Chronik  Vinc.  Sonntag,  Pfarrhof  St.  Marein. 
^  *  Vielleicht  der  kunstsinnige  Veit  Pengg,   der  auch   die  Kirche 

St.  Marein  malen  ließ.  Herr  Schröckenfux   erwähnt    ihn  „traditionell** 
y  1480  als  Besitzer  des  alten  Hammers  in  der  Wasserleit. 


^ 


^ 


^     > 


^    w 


A 


»  Beweist  doch  eine  Wiener  Gerichtsverhandlung  vom  24.  Oktober 
1905,  daß  jeder  Bürger  gleich  dem  Adel  ohne  weiteres  zur  Führung 
eines  Wappens  berechtigt  ist;  eine  andere  Entscheidung  lautet  wieder 
anders. 

8  Kraus  „Eherne  Mark"  war  diese  alte  steirische  Familie  un- 
bekannt. 


88    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 


Genealogien. 

Die  oberösterreichischen  Sensenschmiedmeister  hat  Herr 
Schröckenfux  für  seine  Heimat  unerreicht  ausführlich 
behandelt,  deren  Details  für  Steiermark  nicht  mehr  das 
gleiche  Interesse  erzeugen.  Erst  spät  regt  sich  das  Familien- 
interesse und  warf  dann  die  unsinnigen  Theorien  um,  die 
berufsmäßige  Wappenfabrikanten  aufgestellt  haben.  *  Nun  ist 
meine  einst  irrige  Annahme  erwiesen,  daß  keine  Eisen- 
männer aus  Deutschland  kamen,  sondern  umgekehrt 
alles  von  Steyr  aus  befruchtet  wurde  und  bei  ihrer  Ver- 
gangenheit hatten  die  Gewerken  nicht  nötig,  fabelhafte  Ab- 
stammungen zu  kreieren,  denn  sie  bildeten  ja  von  jeher  die 
Schmiedekaste  in  ihrem  Uradel.  Wie  z.  B.  der  erste  Pieß- 
linger  vor  1570   der   Schmied  (Wolf)  auf  der  Pießling  (am  * 

Pießlingbach)  hieß.  1380  wurden  urkundlich  schon  Sensen- 
schmiede in  Guttau  erwähnt,  von  1550  bis  1585  bestanden 
schon  alle  zweiundvierzig  der  Kirchdorf- Michldorfer  Zunft,  ^ 

nur  sind  viele  der  Urschmiede  ausgestorben,  wie  z.  B.  die 
Eggl,   Rotfus,   Eisvogel,  Plözeneder,   Roßtäuscher,   Wimber,  > 

Imbser  etc.,  viele  andere  existieren  noch.  Von  den  urkund- 
lich erwiesenen  Gewerken  der  Wasserleit  gibt  es  Daten,  der 
Reihe  nach  aufgeführt  über  die  ; 

Parnmer. 

1628  ist  Veit  Paumber,  Zöchmeister  der  „  Sengschmied  ^  ^ 

in  Kindberg  (Fürstenhammer),  sein  Sohn  Hans,  Sensenschmied- 
meister am  Schmölzerhammer.  1630  Peter  und  Thomas, 
Sensenschmiedmeister  zu  Krieglach  und  Langenwang.  Veit, 
Sensenschmied,   Sohn  des  Thomas,  kommt  1684  nach  Mat-  *^ 

tighofen. 

1651,  Matthias,  Sohn  des  Hacken-  und  Sensenschmied-  ] 

meisters  Jakob  in  Reichenfels  (Kärnten),  wird  durch  Zu-  ^i 

heirat  Sensenschmiedmeister  in  Hopfgarten.  ^  Franz  kaufte  ^ 

1716  Wasserleit;  von  diesen  Kindberger  Nachkommen  leben 
noch  mehrere  in  den  Alpenländem.  > 


^  Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  89 

<  Zeilinger. 

•^-  Je  nach  Ort  und  Mode  vorkommend   als   Zeitlinger, 

Zeyringer,  Zeyrlinger  geschrieben. 

Möglich,  daß  sie  ursprünglich   aus  Hannoversch  -  Zei- 
lingen kamen,   gewiß  ist  aber  nur,  daß  Katharina  Zeilinger 
den  Sensenschmiedmeister  Haslinger  in  Kirchdorf  heiratete 
und  1590  ihre  Brüder,  Bäckermeisterssöhne,  aus  Kirchdorf 
K  in  das  Handwerk  brachte.    Von   Steyerling  aus  verzweigten 

sich  die  heute  noch  zahlreichen  Gewerken  gleichen  Namens 
in  alle  Alpenländer. 

Weinmeister. 

Der  erste  Sensenschmiedmeister  ist  Wolfgang  1570  in 
Schützenhub  bei  Michldorf. '  1722  heiratet  Elias  W.  aus  Michl- 
dorf  auf  die  Möderbruck,  1750  Joh.  Georg  W.  aus  Michldorf 
ins  Ebnerwerk  St.  Peter,  1805,  Christoph  W.  aus  Spital  a/P. 
in  die  Wasserleit.  Bei  diesem  ebenso  tüchtigen  „  Sengschmied " 
wie  Kaufmann  war  der  Nachweis  erbringbar,  wie  aus  dem 
ehrsamen  Handwerk  eine  „k.  k.  privilegirte  Sensenfabrique** 
wurde,  als  er  1805  in  die  Meisterschaft  der  Judenburger 
Sensenschmiedzunft  eintrat,  66  Gulden  Meistergebühr  zahlte 
und  extra  15  Gulden  zur  Handwerklade,  weil  er  selbst  die 
Essmeisterschaft  nicht  ausübte.'^  Früher  mußte  zunftgemäß 
der  Gewerke  selbst  als  Essmeister  die  Sensen  breiten. 


Wertheim  und  Compagnie. 

Der  Kassenfabrikant  Franz  Freiherr  von  Wertheim  aus 
Wien,  geboren  zu  Krems  a/D.  am  13.  April.  1814,  gestorben 
3.  April  1883,  hatte  zum  Geschäftsteilhaber  den  Gewerken 
Josef  Schmölzer,  geboren  zu  Flitschl  bei  Raibl,  Schwieger- 
sohn des  Gewerken  Franz  Hillebrand  in  Kindberg. 

Wertheim. 

Franz  Edler  von  Wertheim,  Sohn  des  vorigen. 


1  Das  war  das  Stammhaus  aller,  von  denen  schon  einer  1520 
Pfarrer  in  Kirchdorf  war. 

«  Sein  Absatz  war  im  bestzahlenden,  aber  auch  in  Qualität  von 
Form  und  Schneide  anspruchsvollsten  Gebiete  der  Schweiz,  Frankreich 
und  Süddentschland. 


t» 


90     Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande.  v 

Nr.  2.  Ahibach  > 

früher  „Am  Einpach   auf  der  Plembsen  unter  Knittelfeld",  "^ 

erzeugte  1564  Grobware,  Radreifen,  Stahl  aller  Art,  Pflugeisen. 

Die  Erklärung  in  der  „Urbevölkerung  des  Murbodens 
I  und  Nachtrag  II"    läßt   die  Gründung  ins  3.  Jahrhundert  ^ 

n.  Chr.  zur  Werkzeugversorgung  von  Köflach  über  die  rekon- 
struierten Saumwege  der  Rachaualm  setzen.  „Der  Wällisch- 
hammer, insgemein  am  Einpach  genannt"  muß  die  Werkstätte  « 
des  1423  genannten  herzoglichen  Harnischmeisters  Jörg  von 
Knittelfeld  gewesen  sein.  ' 

Bis  1471  erscheint  Hans  Einpacher,  vermutlich  Neife,  ^ 

als  Besitzer. 

.  1540  Michael  E.  stirbt  1569  zu  Graz.  > 

1542  Andreas  E.  unbekannter  Neffe? 

1572  Joachim  und  Georg,    Söhne  Michael  Einpachers. 

26.  April  1579  Franz  Salzmann,  ihr  Schwager. 

1625  erscheint  noch  dieser. 

Bis  1637    Martin  Fürst    (f    1637    laut    Spezialarchiv  ^ 

des  Domstiftes  Seckau). 

1637 — 1650   dessen    Sohn  Johannes  Fürst    (vermählt 
mit  Susanna  geb.  Fraidt)  f  1650. 

1653,  14.  August,  verkauft  dessen  Witwe  Susanna  geb. 
Fraidt  an  Christoph  v.  Fraidt. 

1653—1659  Christoph  v.  Fraidt  (f  1659). 

1660,  24.  Mai,  verkauft  dessen  Witwe  Anna  Maria  geb. 
Schachner,     später    wiederverehelicht    mit    Johann    Kaspar  ^ 

Sturm    (Leoben),    den   Ainpachhammer   an   ihren   Schwager 
Hainrich  Fraidt  (von  Fraydten-Egg). 

1660— 1684  Hainrich  Fraidt  (v.  Fraydten-Egg)  (f  1699?).  ^ 

1684   übernimmt   den   Hammer  dessen  Schwiegersohn 
Hans  Andree  Muehrmayer  (vermählt  Sidonia  Salome  Fraidt).  \ 

1684—1716  Hans  Andrä  Muehrmayr  (f  1716). 

1716    übernimmt   den   Hammer   dessen   Sohn  Johann  ^ 

Maximilian  Muehrmayr.  ^ 

1716 — 1775  Johann  Maximilian  Muehrmayr  (f  1775). 

1775—1781  Karl  Leopold  Fürst,  des  Vorigen  Schwieger-  > 

söhn  (t  1781). 

1782—1790  Josef  Benedikt  Pengg,    zweiter  Gatte  der 
Witwe  Fürst.  . 

1790—1833  Josef  Weninger.  j 

1833—1861  Nikolaus  von  Forcher. 

1861 — 1896  Johanna  von  Forcher,  dessen  Witwe. 


> 
^ 


> 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  91 

1896  zur  Erweiterung  der  Anlagen  an  die  k.  k.  Staats- 
bahnen verkauft. 

1905  demoliert. 

Einpacher. 

Der  urkundlich  zuerst  erwähnte  Ahn  war  wohl  Jörg, 
der  herzogliche  Harnaschmeister  zu  Knittelfeld,  der  am 
14.  August  1423*  für  Herzog  Ernst  von  Österreich  als  Schieds- 

^  richter  handelte.    Er   hatte    sicher  für  Lieferungen  an  das 

Erzhaus  große  Geldforderungen,    denn  am  St.  Margarethen- 

/  tag  1440  schenkt  König  Friedrich  den  landesfürstlichen  Forst 

an  Seckau    „den  einst   der  Harnaschmeister  von  Knittelfeld 

*  zurück  an  die  Kammer  gab"^^  vermutlich  als  Pfand.  Der 
Harnaschmeister  Ulrich  I.  dürfte  sein  Bruder  gewesen  sein, 
denn  die  Veröffentlichung  der  historischen  Landeskommission 

^  *  XVII  nennt  die  Belehnung  1449 — 1452  an  Mert  und  Hans, 

Gebrüder,  die  Harnaschuieister,  mit  dem  Gasthaus  in  Irdning, 
ererbt   von   ihrer    Mutter    Katharina,     Witwe    Ulrichs    des 
I  Harnaschmeisters.     Taufnamen  und  Gewerbe   seltener  Art^ 

*  wenn  auch  ohne  Ortsangabe  deuten  auf  die  Einpacher. 

;  Andererseits    spricht    dafür    der    Wappenbrief   1467, 

I  den    Kaiser  Friedrich   IH.   verlieh,    als   ander    „Edelleuth" 

^  und  Wappens  genoß  im  heyligen  Reich  dem  Grazer  Bürger 

Hans  Einpacher,    seinen  Geschwistern  und  der  Witwe  Mar- 
^  garetha  des  steirischen  Landschreibers  Ulrich  2.  die  Adels- 

bestätigung, die  wieder  das  Diplom  vom  17.  Dezember  1619, 
für   Georg   Einpacher   von   Kaiser   Ferdinand  IL    enthält.^ 
"^  Ukich  2   war  Stadtrichter  von  Graz  1438,    1449,    1451,5/' 

;  avancierte   als   hervorragender  Gläubiger   Kaiser  Friedrichs 

zum  mächtigen  Landschreiber  der  Steiermark.    Dies  wichtige 

*  Amt,  Finanzminister  des  Landesherrn,  begründet  den  Einfluß 
der  neuen  Adeligen,  der  Eggenberger  und  Einpacher,  in  der 
Baumkircherfehde. "' 

^,  Es  ist  nicht  nachgewiesen,  aber  wahrscheinlich,  daß  der 

f  1  Teufenbachregesten  Nr.  317,  Histor.  Ver.  1905. 

2  Dechant  W^interers  Pfarrchronik  im  Pfarrhof  Knittelfeld. 

3  Nur  in  Steyr  kommt  1330  in  der  Nähe    der  einzige  Harnisch- 
^              Schmied  in  den  Akten  vor. 

«  Die  Kärtner  Grafen  von  Ortenburg  der  Neuzeit  als  Pfalz- 
grafen, L.  V.  Beckh-Widmanstetter,  1890,  S.  29. 

*  Landesarchiv-Ürk.    Nr.  5622,    28.   November  1438,    kauft  der 
*'  Stadtrichter  Ulrich  Einpacher  einen  Weingarten  an  der  Platte,  „genant 

der  Zwikchel",  nächst  der  „Nunnen  rayn". 

6  L.  V.  Beckh-Widmanstetter,  Geldbeschaffung  im  Kriege,  1889,  S.  19. 
7  Hist.  Ver.  XVII,  1869,  Krones,  Baumkircher. 


92     Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Domkaplan  Ulrich  3.  ^1476  ein  Sohn  Ulrichs  I.  gewesen  ist.  * 

Hans  Einpacher,  Bürger  zu  Graz,  kämpft  für  den  Kaiser 
1465  wider  die  Türken  vor  Wien,  rüstet  1471  nach  Bamn- 
kirchers  Enthauptung  mit  Beihilfe  der  Eggenberger'^  und 
Weißbriach  die  Söldner  Kaiser  Friedrichs  aus.^  Die  kaiser- 
lichen Schuldbriefe  an  ihn,  sind  bekannt,  z.  B.  12.  Oktober 
1469,  5.  November,  16.  November  1469  über  1000  fl.  für 
Tücher  für  die  Söldner 

Nach  Goeth,  S.  511,  sind  Akten  des  Landschreibers  be- 
kannt vom  15.  April  1456,    27.  Febr.  1457,    5.  Dez.  1458. 

Von  den  nicht  urkundlich  nachweisbaren  Kindern  Hans 
Einpachers,  die  ja  Einpach  im  Erbswege  überkamen,^  scheint 
Siegmund  Eympacher,  ein  Burger  zu  Judenburg  der  älteste 
gewesen  zu  sein.  Er  war  Gesandter  der  Landschaft  gegen 
die  aufständischen  Bauern  in  Irdning  und  Lungau,^  Michael, 
Bürgermeister  von  Graz  1540—1542,  1553,  1560  siegelt 
mit  einem  springenden  Bock  auf  einem  Dreiberg,  hatte  mit 
seiner  Hausfrau  Margarethe  Stürgkh  vier  Kinder. 

Oswald  kauft  1548  den  Paßhammer,  arbeitet  dort  noch 
1558,  ®  1572  erbt  Joachim  von  seinem  Vater  Michael  den  „  Wälsch- 
hammer  an  der  Plembsen  beiKnittelfeld".  1569  erbt  Apollonia 
Salzmann  den  Weingarten  am  obern  Graben  in  Graz.^ 

26.  April  1579  verkaufen  Joachim  für  sich  und  als 
Gewaltsträger  seines  Bruders  Georg,  dann  im  Namen  der 
seel.  Schwester  Eva,  „des  edelvesten  Melchior  Hueber  Haus- 
frau, dem  ersamen,  vürnehmen  Georg  Salzmann,  Rathsbürger 
zu  Judenburg,  ^  Hammermeister  im  Murpach  und  Pölsthal 
(unter  Anführung  der  Grundstücke)  ihr  ererbt  gut,  zunächst 
unter  Knittelfeld  an  der  Plembsen  gelegen,  insgemein  am 
Einpach"  genannt,  unter  dem  Siegel  des  Herrn  Lorenz,  Dom- 
propst  zu  Seckau.     Bei  den  Grundstücken   ist  eine  Wiese 

i  P.  Ant.  Weis,  Pfarre  Gradwein,  Hist.  Ver.  1886. 

2  Peinlich,  CoUect.  Gültbuch  der  Steiermark. 

3  Hist.  Ver.,  XVII.,  Krones. 

■*  Fr.  Schmut-Graz  fand  im  Gültenbuch  1542,  L.-A.  S.  60, 
einen  unbekannten  Andreas,  vielleicht  Sohn  des  Siegmund,  „A.  E.  zu 
Khnütelfeld  schäczt  seinen  Hammer  oder  Werchgaden  zu  Gobenz  (gehörig 
unter  Kirchmayr  Amt)  mitsambt  einen  Zulehen  100  8"  Pfennige." 

5  Hist.  Ver.  XVI,  1868,  S.  43,  Kechnungslegung  des  Feldhanpt- 
mannes  Grasweyn  im  Bauernkriege  1525.  Krones. 

«  Hist.  Ver.  XXII,  1874.  30.  Jänner  1558  verkauft  Klemens 
Körbler  zu  Judenburg  dem  Oswald  Einpacher  den  Hofanger  zu  Dietersdorf  . 

7  Landesarchiv,  Spezialarchiv. 

«  Jedenfalls  verschrieben,  von  Purbach,  den  in  Urkunden  früherer 
Zeit  genannten  Purgbach,  südlich  Judenburgs. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  93 

genannt,  „auch  zu  dem  Einpach"  gehörig,  eine  andere 
zwischen  der  Plembsen  und  dem  Hammerbach  —  worauf 
heute  die  äußersten  Heizhauskohlungsanlagen  stehen. 

Joachim  Einpacher  ^  heiratet  laut  protestantischer  Pfarr- 
matrikel von  Graz  am  21.  Mai  1595.  „Es  hat  Herr  Salo- 
mon  Ehinger,  Prädicant,  copulirt  den  edlen  und  ehrenvesten 
Herrn  Joachim  Einpacher,  einer  ehrsamen  Landschaft  in 
Steier  Einnehmerambts  Gegenschreibern  mit  der  edlen  ehren- 
tugendhafften  Frauen  Susanna,  weylandt  des  Herrn  Georg 
Straylers  einer  Er.  L.  Einnehmeramtsverwalters  seel.  ehel. 
nachgelassene  Wittib.  "^  Joachim  verkauft  den  Weingarten  am 
Graben-Rosenberg  1605  an  die  Jesuiten,  an  den  Pater 
Antonio  Bianco,  Beichtvater  des  Erzherzogs  Ferdinand.  Ver- 
mutlich wegen  seiner  Ausweisung,  die  ihn  mit  Dr.  Johannes 
Keppler  1600  betraf.  (Vielleicht  der  Rosenhof?)  * 

Georg  Einpacher,  Bürger  zu  Graz,  lutherisch,  ehelicht 
Juni  1593  Anna,  Tochter  des  Jacob  Gruber,  Stadtrichter  zu 
Hartberg,  welche  durch  ihre  Weigerung  einer  katholischen 
Trauung  viel  Ungemach  erlitten,  wie  aus  den  Akten  über 
die  Unterdrückung  durch  die  Scurini,  die  späteren  Paar 
gegen  die  Hartberger  zu  erfahren  ist. 

Georg  Einpacher  wird  1599  als  Protestant  aus  Graz 
ausgewiesen,  dem  Kaspar  1586  das  Begräbnis  in  der  Andrä- 
kirche  verweigert.^ 

Kaspars  Schwester  Sofie  war  mit  dem  Grazer  Bürger- 
meister Hans  Marchart,  Ritter,  vermählt. 

Von  den  protestantischen  Einpachern  stammt  auch 
noch  die  lutherische  Kanzel  in  Enittelfeld. 

Der  Mittelturm  der  östlichen  Stadtmauer  zwischen  dem 
Leobner  und  Lobmingertor  mit  einer  hölzernen  Aufgangs- 
treppe gehörte  stets  zu  Ainbach  und  wurde  erst  19.  Mai  1883 
als  öffentlicher  Aufgang  zur  Stadt  an  die  Stadtgemeinde  ver- 
kauft. In  dem  angebauten  Zimmer  befanden  sich  Möbel, 
erzeugt  aus  der  Baumkircherlinde  in  Baumkirchen,  welche 
sich  nun  in  Kainberg  bei  Leibnitz  befinden. 

Der  noch  heute   gebrauchte  Name  lutherische  Kanzel 

1  Baron  Freydenegg  fand  im  Seckauer  Sp.  Arch.  seinen  Kaufbrief 
vom  14.  Januar  1603  um  einen  Wald  in  Graz-Ünterragnitz. 

«  Mitteilungen  des  Hauptmannes  v.  Beckh-Widmanstetter. 

3  Historischer  Verein  XVI.,  S.  188,  Peinlich-Keppler.  Hatten 
vom  31.  August  1600  an  in  45  Tagen  Joachim  und  Georg  Einpacher 
Graz  zu  verlassen. 

4  Staatsarchiv  Wien,  Hofkanzleiakten,  Steiermark  fasc.  V. 


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^  Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  95 

deutet  auf  das  Wirken  der  1586  bekannten  Prediger  Jeremias 
Hornberger  und  Kaspar  Kratzer  und  des  1590  convertierten 
Stadtpfarrers  Putz. ' 

Bei  der  Gegenreformation  wurden  400  Bücher  auf  dem 
Platze  verbrannt,   was  auf  die  Menge  der  Protestanten  der 

''  damals  kleinen  Stadt  schließen  läßt. 

f  Von  den  wieder  katholisch  gewordenen  Söhnen  Kaspar 

Einpachers  starb  Hans  Adam  26.  Dezember  1641,  Georg 
erscheint  1619  als  Hofmeister  der  kaiserlichen  Edelknaben, 
erhält  nebst  seinem  Vetter  Georg  die  Bestätigung  des  Adels- 
diploms von  1467.     Einer  dieser  George'^  besaß  das  Haus 

>»  Herrengasse  7  (Cafe  Europa)  in  Graz,  denn  am  15,  August  1639 

verkauft  Hans  S.  Graf  Wagensberg  sein  Haus  in  der  Herren- 

/  gasse,  welches  „anraint  an  Georg  Einpachers  Behausung  und 

f^  in   der   Stempfergasse   an  die  des   Grafen   Thurn  an  seine 

Tochter  Witwe  Breinerin". 

Egyd  Wolf  Einpacher  stirbt  1715  als  Mautner  zu  Ybbs, 
77  Jahre  alt  als  letzter  seines  Stammes,  seine  Nichte  heiratet 

^  Johann   B.  Wimmer,   kaiserlicher   Hofkammerrat,   nahm  mit 

kaiserlicher  Bewilligung  28.  Februar  1715  das  Prädikat  „Edler 
Herr  von  Einpach"  *  an,   mit  dem  der  Name  erloschen  ist. 

Salzmann, 

Judenburger  Ratsbürger  und  HammerheiTen, 

Als  Schwiegersohn  des  Grazer  Bürgermeisters  Michael 
Einpacher  ließ  Georg  Salzmann  1576  die  seiner  Frau  gehörige 
Mühle  aus  dem  Einpacherbesitz  nächst  Margarethen*  neu 
erbauen.  Ober  der  Haustüre  trägt  der  Inschriftstein  aus 
Köflacher  Marmor  seine  Haus-  und  „Fabriksmarke"  mit 
dem  Mars-Eisenzeichen  in  einem  Wappenschilde,  darunter: 
Georg  Salzmann,  tues  Gott  bevelchen.  1576.^'»   Der  Segens- 


) 


J  Pfarrchronik  Knittelfeld. 

2  Historischer  Verein,  1897,  Zwiedineck,  S.  151. 

3  Hauptmann  v.  Beckh-Widmannstetter. 
*  Nun  Zeilingermühle. 

•■*  Besaß  den  „Thörhof"  im  Weyergraben  bei  Judenburg. 

8  Die  Judenburger  Kirchenbücher  verzeichnen  20.  Mai  1600  die 
Trauung  Davids  mit  Maria  Widmann,  der  noch  1620  als  Pate  vorkommt, 
1620  und  1624  gibt  es  Taufen  beim  Ratsbürger  Ehrenreich  und  seiner 
Hausfrau  Magdalena.  Historischer  Verein  XXII. ,  1874.  31.  Januar  1585 
verkauft  Georg  Bernh.  Urschenbeckh  zu  Pottschach  seinen  Thorhof  an 
Georg  Salzmann,  Ratsbürger  zu  Judenburg  und  Hammermeister  im  Mur- 
boden und  Pölstal. 


96    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

wünsch,   sonst  in  Obersteier  nicht  üblich,  deutet  auf  den 
Protestantismus  hin,  den  die  verwandten   Einpacher  eifrig  I 

verfochten.  *| 

1579  kauft  er  Einpach  von  seinen  Miterben,  worin  er 
als  Judenburger  Ratsbürger  und  Hammermeister  im  Purbach 
(unterhalb  der  Stadt)  und  im  Pölstal  (Paßhammer,  vielleicht 
auch  in  Pols  selbst)  genannt  wird.  Den  Paflhammer  kaufte 
sein  Onkel  Oswald  Einpacher  1548,  besaß  sein  Schwager 
Georg  Einpacher  um  1570,  von  welchem  er  vor  1579  an 
Georg  Sakmann  überging.  Bis  1607  erscheint  dort  ein 
David  Salzmann,  ^  1610—38  Ehrenreich^  und  schon  1617 
der  Schwiegersohn  Georg  Salzmanns,  Balthasar  Heinricher, 
der  Ahnher  der  kurzlebigen  Grafen  von  Heinrichsberg. '^ 

1625  ^  erscheint  Georg  Salzmann  in  den  Hammerakten 
zum  letztenmale,  als  Hammerherr  in  Pols  und  Obmann  der 
Stahlgewerken  des  Viertels  Murboden  bezeichnet,  seitdem  ist 
die  Familie  verschollen. 

Fraydt  von  Fraydenegg  und  Monxello. 

Diese  Familie  zeichnet  sich  dadurch  aus,  daß  sie  eine 
der  wenigen  des  Hammeradels  ist,  die  einen  urkundlich  be- 
legten Stammbaum  bis  ins  15.  Jahrhundert  besitzt  und  noch 
alle  Begnadungen  im  Original  im  Schloßarchiv  zu  Nechel- 
heim  verwahrt. 

Im  wohlgeordneten  Aktenschrank  findet  sich  Inter- 
essantes für  das  Eisenwesen,  in  das  (nach  v.  B  e  c  k  h- 
Widmanstetter)  Thoman  Fraydt  eintrat. ^  Er  soll  Eisen- 
handel in  Tamsweg,  Althofen  und  St.  Veit  betrieben  und 
wird  als  guter  Kaufinann  die  Gelegenheit  benützt  haben,  in 


*  Die  Hufschmiede  Judenburgs  und  Knittelfelds  protestieren  in 
47  Akten  wegen  Erbauung  einer  Schmiede  am  Paßhammer.  1617.  Nach- 
laß V.  Beckh-Widmannstetter.  Verzeichnis  Gillhofer  u.  Ranschburg,  Wien. 

«  Nach  Daten  Baron  Fraydeneggs  hat  Efirenreich,  wahrschein- 
lich in  Ainbach,  die  Salzmanngilt  an  das  Stift  Seckau  verkauft. 

«  L.  T.  Beckh,  Akte  des  Grafen  von  Orten  bürg,  S.  35. 

<  Archiv  Nechelheim.  In  den  Akten  erscheint  auch  Nechelheimb. 

»  Das  von  ihm  aufgefundene  Hauptbuch  des  Wiener  Handels- 
herrn Hans  Pagge,  1646,  Neffen  der  Hainricher,  dürfte  genauere  Aus- 
kunft geben.  Hist.  Verein  XXH ,  1874,  S.  XVHI.  Die  technischen  Daten 
aus  Nechelheim  sollen  später  Verwendung  finden. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  97 

der  großen  Notzeit  der  Eisenhämmer  „in  der  ün würde"  für 
seine  Tochter  Susanne  billig  einen  solchen  zu  erwerben.  Die 
Schutzmarke  BF  wird  von  den  Fraydt  1655 — 1684  am  Einpach 
bei  Knittelfeld  geschlagen,  Wolf  v.  Fraydt  heiratet  1657  die 
Marie  Elise  Monzeli  und  erwirbt  mit  ihr  den  Höllhammer  bei 
Kapfenberg,  ^  diesen  besaßen  die  Pögl,  gesichert  durch  Frei- 
heitsbriefe von  Kaiser  Friedrich  III.  1475,  und  den  anderen 
Hammer  in  der  Lamming,  gesichert  von  Kaiser  Max  L, 
4.  Jänner  1510,  für  Michael  Monzeli  und  Frau  Ursula  vom 
30.  Juli  1642. 

Wolf  V.  Fraydt,  auch  herrschaftlicher  Landgerichts- 
verwalter zu  Unterkapfenberg,  Hammer-  und  Handelsherr. 
Sein  Sohn  Franz  und  Gattin  Rosalie  kaufen  30.  April  1689 
die  Wollsackhube,  Taferne  zu  Mixnitz  mit  allen  Gründen 
und  dem  Streckhammer.  Der  Höllhammer ^  wurde  1658  ver- 
kauft, Mixnitz  1691,  Einpach  erbte  1650  eine  Tochter  Thomas 
Fraydts,  vermählt  mit  Johannes  Fürst.  Durch  die  Einheirat 
Wolfs  kam  das  Monzelische  Fideikommiß  in  die  Familie.^ 
Die  Fraydt  sind  ein  interessantes  Beispiel,  wie  die  Hammer- 
familien aus  den  einfachsten  Verhältnissen,  hier  im  fernen 
Lesach  Winkel  des  abgelegenen  Lungau  allmählich  die  ver- 
schiedensten Geschäfte  betrieben,  mit  zunehmendem  Wohl- 
stande nach  äußeren  Ehren  strebten,  allmählich  wieder  vom 
Geschäftsleben  sich  zu  den  Ämtern  wandten  und  sich  schließ- 
lich ganz  vom  Eisenwesen  trennten,  das  ihnen  durch  zwei 
Jahrhunderte  so  nützlich  war.  Relativ  kleine  Kinderzahl, 
Langlebigkeit  und  Tüchtigkeit  erhielt  die  Familie. 

Einen  großen  Teil  der  Daten  verdanke  ich  dem  liebens- 
würdigen   Entgegenkommen    des    Herrn    Landespräsidenten 
a.  D:    Baron  Fraydt  von  Fraydenegg  auf  Nechelheim,    der 
vielen  Gewerkenfamilien  zur  Feststellung  ihrer  Stammbäume 
^  zur  Nachahmung  dienen  sollte. 

1  Zahn,  Styriaca,  S.  126.  Peter  Kornmeß  verkauft  den  Hammer 
in  der  Lamming  1515  an  Sebald  Pögel,  später  kam  er  an  die 
Fraydts. 

^  2  Histor.  Ver.  IX„  1859,  Nr.  950.  —  Der  Höllhammer  kam  1634 

von  Sebastian  v.  Saupach   an  seinen   Schwiegersohn  Michael  v.  Mon- 

>  zello,   1858  kaufte   ihn  Baron  Franz  Mayr-Melnhof  samt   den  Wäldern 

am  Floning.  Mixnitz  kaufte  samt  Alm  am  Lantsch  und  Wald  in  Tirach 
Franz  Chr.  v.  Weiss,  Hammerherr  in  Mixnitz. 

3  26.  Juni  1711  übernimmt  Franz  Fraydt  Nechelheim  vom  ver- 
storbenen Hans  Adam  v.  Monzello. 


100  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Weninger. 

Im  Traubuch  Knittelfeld  wird  Peter  Weninger,  Sohn 
des  Neubauern  in  Ugendorf  bei  St.  Margarethen  am  22.  No- 
vember 1729  mit  der  reichen  Floßmeisterswitwe  Elise 
Weyrer  als  Hochzeiter  angeführt. 

Peter  errichtet  1735  bei  der  Pfarrkircke  Knittelfeld 
eine  Flösserstiftung  und  stirbt  31.  März  1779,  83jährig. 
Sein  Bruder  Michael,  Floßmeister,  stirbt  22.  Juli  1796.  * 
Josef  Weninger,  2  der  Sohn  Peters  und  der  Elise,  geboren 
23.  Februar  1759,  angehender  Floßmeister,  heiratet  1780 
die  Floßmeisterswitwe  Therese  Steinkellner,  geborene  Steg- 
mtiUer  aus  dem  reichen  Gewerkenhause  in  Hopfgarten.  Ihre 
erste  Ehe  scheint  sie  1769  geschlossen  zu  haben,  denn  ihr 
Grabstein  besagt,  „gestorben  31.  März  1824  im  80.  Jahr, 
gewesene  Stadtrichterin,  Bürger-  und  Floßmeistersgattin, 
Rad-  und  Hammersge werkin  durch  55  Jahre  in  Knittelfeld 
als  Frauenmuster**. 

Josef  Weninger,  3  war  ein  Josefiner  Geist,  Abgeordneter 
der  Bürgerschaft  zum  Landtag  1790,  der  seinerzeit  um 
100  Jahre  vorausdachte,  Mitbegründer  der  steirischen  Land- 
wirtschaftsgesellschaft ^  und  hat  als  solcher  als  erster  Vorsteher 
der  Filiale  Judenburg  die  erste  schottische  Dreschmaschine 
in  Steiermark  aufgestellt,  die  von  1797  bis  1875  ständig 
im  Betriebe  war.^ 

Weninger  betrieb  die  Floßmeisterei  bis  1797,  die  er 
verkaufte,  1790  kaufte  er  Ainbach,  verkaufte  wieder  an 
Sessler  seinen  Hochofen  Nr.  3  in  Vordernberg  und  machte 
1788  als  26jähriger  Bürgermeister  der  Stadt  Knittelfeld  die 
verschiedensten  Schenkungen,  unter  anderem  die  bei  den 
damals  häufigen  Bränden  so  nötigen  Feuerbäche  durch  die 
Straßen  der  Stadt.  Dank  seiner  Studien  war  er  ein  vor- 
züglicher Wasserbaumeister  an  der  Mur.  Die  große  Allee 
am  Ainbacher  Schutzdamm,  gepflanzt  1795,  erinnert  an 
sein  Wirken. 

Sein  Nachfolger  und  Erbe  war  sein  Großneffe  Nikolaus 

>  Dessen  Witwe  heiratete  der  Floßmeister  Josef  Oberranzmaier. 
Nachkommen  in  Graz. 

«  Taufbuchdatum,  das  Grabmal  weist  den  25.  Jänner  1762. 

•  Historischer  Verein  XXI.,  1873,  Prof.  Bidermann,  Verfassungs- 
krisis in  Steiermark  zur  Zeit  der  ersten  französischen  Revolution. 

^  Sein  Porträt  unter  den  46  Gründern.  Sein  Nekrolog  in  der 
steirischen  Zeitschrift  1840. 

5  Steiermärkische  Zeitschrift,  1.  Heft,  VI.,  1840,  Seite  131, 
Biographien  denkwürdiger  Steiermärker,  Nr  37. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  101 

von  Forcher;  Weninger  starb  9.  Mai  1833,  mit  ihm  der 
letzte  Mandator  der  Stahlgewerken  des  Viertels  Murboden, 
denen  er  durch  37  Jahre  präsidierte. 

Forcher  und  später  Forcher  von  Ainbach. 

Diese  Alttiroler  Familie  kam  in  das  Murbodener  Eisen- 
wesen als  Johann  Josef  von  Forcher  am  27.  Oktober  1765 
die  Elise  Weninger  heiratete.  Sie  war  die  Schwester  des 
Josef  Weninger,  des  späteren  Gewerken  von  Ainbach,  der 
seinen  Großneffen  Nicolaus  v.  Forcher  zum  Erben  einsetzte. 
Durch  die  urkundliche  Erbringung  des  Filiationsbeweises  aller 
drei  Erwerber  alten  Adels  bis  an  die  Wurzel  1416  und  bis 
zur  vierten  Adelsbestätigung  1877  wurden  viel  mehr  positive 
und  abnorm  interessante  Daten  erforscht,  wie  bei  allen 
anderen  Gewerkenfamilien,  von  denen  nur  die  das  Eisenwesen 
interessierenden  gebracht  werden  sollen.  Hiebei  berichtige 
ich  die  mir  vorher  unbekannt  gewesenen  neuesten  Veröffent- 
lichungen, denen  scheinbar  unvollständige  Vorarbeiten  L.  von 
Beckh-Widmannstetters  zugrunde  lagen.  * 

Es  ist  nicht  zu  erweisen,  daß  der  Held  der  in  Tirol 
allgemein  verbreiteten  Wappensage  Forcher  am  Finailhof 
der  erste  urkundlich  Genannte  war,  aber  naturgemäß  stammt 
der  Name  von  einem  Bauern,  der  bei  der  Föhre  wohnt.  Die 
schwäbische  Familie  hing  zusammen,  1341  verkauft  Eber- 
hard in  Umhausen  im  Ötzthale  und  1 378  Cunz  in  Elbingeralp 
im  Lechthal  Güter  an  das  Kloster  Chiemsee. '-^ 

Je  nach  Dialekt  und  Kanzleiorthographie  schrieb  man 
Forcher,  Farcher,  Forrer,  Vorherr,  in  Kärnten  auch  Fercher. 

Beim  Zug  in  den  sonnigeren  Süden  suchten  die  Forcher 
jenseits  des  Gletschers  eine  wärmere  Weide  als  das  kalte 
Ötzthal  und  kolonisierten  die  altslavische  Siedlung  Vineid, 
nun  Finail  genannt,  zu  einem  der  höchstgelegenen  Höfe 
Tirols.  In  1947  Meter  überm  Meer  wurden  stets  4  Knechte, 
3  Mägde,  2  Hirten,   30  Rinder  und  60  Schafe  beherbergt.  •* 

Dort  saßen  1416  Cuno  und  Heinz,  die  den  vom  Kon- 
stanzer Konzil  geächteten  und  flüchtigen  Herzog  Friedrich 
mit  der  leeren  Tasche  auf  der  Flucht  vom  Arlberg  nach  der 
Hauptstadt    Meran    führten,     pflegten    und    nach    Goldrein 

1  Kraus,  „Eh.  Mark",  S.  84,  473,  ferner  Genealog.  Taschenbuch 
Österreichs  1905. 

2  Bothe  f.  Tirol,  10.  Jan.  1828,  Nr.  3. 

3  Josef  Ladurner,  „Das  Schnalserthal".  Manuskript  1821,  im 
Ferdinandeum  Innsbruck. 


102  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

retteten.  Als  fürstlichen  Gnadenlohn  erhielten  die  Forcher 
am  Finailhof  Wappenbrief,  Asylrecht,  Steuer-  und  Militär- 
freiheit,   Sie  besaiäeii  ihn  1340-1730.  ^ 

Die  Absetzung  Friedrichs  und  sein  Schutz  durch  die 
Tiroler  Bergbauem  ist  Tatsache,^  speziell  die  Forcher  be- 
handeln eine  zahlreiche  Literatur,  von  denen  die  haupt- 
sächlichsten melden: 

Hormayr,  Taschenbuch  der  vaterl.  Geschichte,  1821. 
IL  Geschichte  der  Grafen  v.  Mtilinen,  S.  33 — 44.  Brandis, 
Tirol  unter  Friedrich  v.  Österreich,  Wien  1821,  ff.  S.  119. 
Thaler,  Geschichte  Tirols,  S.  202.  Staffier,  Tirol,  I,  S.  384, 
489,  767,  791,  IL  S.  612,  657.  Der  Bothe  für  Tirol  vom 
10.  Jan.  1828.  Wilhelm  Blumenhagen,  2.  Aufl.  1844,  Stutt- 
gart, X.  S.  490.  Major  Hans  Weiningers  Wappensage,  Leip- 
ziger ill.  Zeitg.  Nr.  1328,  12.  Dez.  1868,  S.  427,  Archiv  f. 
Geschichte  Tirols,  1865.  V.  103—112.  Beda  Weber  1838. 
III.  S.  375  und  spätere. 

Die  gleiche  Gunst  genossen  herüberm  Hochjoch  die 
Gstrein  in  Rofen,^  deren  Steuerfreiheit  und  Burgfrieden  1358 
Ludwig  V.  Brandenburg,  Kaiser  Ferdinand  IL  1636,  Karl  VI, 
von  Baiem  1806  bestätigten. 

Den  Wappenbrief  .der  Forcher  in  Finail  ^  hatte  noch 
Ende  des  18.  Jahrhdts.  der  Vater  des  bayerischen  Baurates 
Vorherr,  der  handelnd  nach  Franken  wanderte  und  den  seine 
Witwe  in  der  Not  versetzte  und  nicht  mehr  bekam. 

Mit  dem  Finailhofe  war  überall  gleichzeitig  der  Bericht 
verwoben,  Herzog  Friedrich  habe  zur  Erinnerung  an  seine 
Anwesenheit  einen  silbernen  Trinkbecher  und  ein  silbernes 
Eßbesteck  zurückgelasßen.  Um  diese  womöglich  zu  erwerben, 
begab  ich  mich  im  August  1883  nach  Finail  und  fand  dort 
nichts  von  Friedel,  sondern  nur  einen  Lehensbrief  Maria 
Theresias  1771,  dann  von  Max  Josef  von  Baiern  1812  die 
AUodifikationsverhandlung  mit  Forchers  Nachfolger  Desider 
Rainer  des  alttirolischen  Lehens  Vineid.    Der  Silberbecher  ' 

1  Pfaundler,  Tiroler  Familienkunde  im  Ferdinandeum,  Innsbruck. 

2  Über  die  besonders  begnadeten  Bauern  im  Bereiche  des  alten 
Burggrafenamtes  Meran  wurde  ja  sehr  viel  geschrieben,  von  denen  die 
Gstrein  am  Rofenhof  im  Ötz,  die  nördlichen  Nachbarn  der  Finailer 
diesseits  der  Gletscher  sind. 

s  Manuskript  Ladurner,  Benefiziat  zu  Partschins  1821.  Ferdi- 
nandeum. 

4  Bothe  für  Tirol  10.  Jan.  1828.  Monatsblätter  d.  allgem.  Zeitung. 
Ausgsburg,  März  1845,  Seite  81. 

5  Rund,  niedrig,  75  mm  Durchmesser,  auf  vier  Fratzenköpfen 
stehend. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.        -  103 

ist  ein  Reisegefäß  in  eleganten  Renaissanceformen,  graviert, 
teilweise  vergoldet,  mit  den  Buchstaben  J.  P.  1567  am 
Rande  und  einem  Züricher  Taler  als  Boden.  Das  Eßbesteck 
einfacher  Form  mit  Nürnberger  Goldschmiedzeichen,  Oster- 
lamm,  M.  R.  in  Herz,  in  goldgepreßtem  Etui.  Die  Finailer 
Bauern  halten  dies  vermeintliche  Geschenk  Friedeis  hoch  in 
Ehren  und  glauben  fest  daran.  Nach  den  Zeitungen  wurde 
es  im  Herbst  1905  noch  bei  der  Hochzeit  eines  zu  heiratenden 
Nachbars  Spechtenhauser  benützt.  Wie  es  scheint,  sind 
aber  die  Reliquien  das  Weihegeschenk  eines  gutgestellten 
Herrn  des  16.  Jahrhunderts,  der  als  Gletscherwanderer  oder 
Flüchtling  im  often  Engadiner  Krieg  in  Finail  Zuflucht  fand. 
Andere  Akten  mit  Goldbuchstaben  zerstörte  nach  Aussage 
der  Finailer  der  Brand  1808,  die  Steuerfreiheit  endete  1809. 

Der  Familienursprung  in  Finail  nach  der  Einwanderung 
vom  Ötztal  ist  sehr  plausibel  und  nach  der  Begnadung  und 
in  besseren  Verhältnissen  mögen  die  Nachkommen  wieder 
aus  der  Bergeinsamkeit  zur  Stadt  gewandert  sein.  Seit  Cuno 
und  Heinz  1416  wird  nicht  der  Sohn  urkundlich  genannt, 
wohl  aber  ist  es  Andreas,  von  dessen  Stand  und  Wohnort 
nichts  bekannt  ist,  als  daß  das  Adelsdiplom  vom  17.  Sep- 
tember 1593  enthält:  „Verbesserung  ihres  alt  ererbten 
Wappens  und  Clainot  mit  welchen  sein,  Hans  Forchers  Urahn 
Andreas  Forcher  von  weyland  Maxmiliano  dem  ersten,  röm. 
Kaiser  umb  seiner  Verdienste  wfegen  Allergnedigst  begabt 
und  versehen  worden."  Ein  gestümmelter  Föhrenast  und 
Traube,  gold  in  rot,  am  Schild  ein  Stechhelm  mit  rot-gelben 
Decken,  darob  eine  „güldene  Künigliche  Krone"  mit  zwei 
aufgetanen  roten  Adlersflügeln,  auf  dem  jeder  ein  goldener 
Forchenast  wie  im  Schild  erscheint.  Die  „Künigliche  Cron" 
als  Helmzier  düifte  in  jener  Zeit  nur  eine  besondere  Aus- 
zeichnung ausgedrückt  haben,  denn  der  römische  Sönig 
Wenzel  „besserte  und  zierte  damit  1410  das  ererbte 
Wappen  Jacobs  von  Stubenberg".  Es  kann  also  keine  Be- 
deutung für  die  Lehensfähigkeit  dadurch  angezeigt  werden, 
da  die  uredlen  Stubenberger  selbst  Lehen  gaben  und  der 
freie  Tiroler  Bergbauer  Forcher  zur  selben  Zeit  Landes- 
fürstenlehen empflng.    (Archiv  Stubenberg,  S.  187.) 

Die  „Lehenskrone"  im  Diplome  von  1493 — 1519,^  der 
Regierungszeit    Max    L,    deutet    auf   die    Bestätigung    des 


1  Die  ja  das  Lehensrecht  aussprechen  soll,    in  dem  Falle  wohl 
für  ihren  begnadeten  Freihof  in  Fineü. 


104  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Diplomes  Friedeis  von  1416  an  die  Schnalser  Forcher, 
wurden  doch  von  jedem  nachfolgenden  Landesfllrsten,  schon 
der  Taxen  wegen,  die  alten  Freiheiten  formell  neu  bestätigt. 
Das  älteste  Diplom  war  wirklich  ein  Adelsdiplom,  die  Be- 
stätigung Max  I.  desgleichen,  die  Erhebung  von  Ferdinand  II. 
von  Tirol  1593  konfirmierte  nur  die  alten  Rechte.  Die 
Richtigkeit  dieser  Annahme  beweist  L.  von  Beckh  „Die 
Kärntner  Grafen  v.  Ortenburg  und  ihre  Akte  als  erbliche 
Pfalzgrafen".  Wien,  Gerold,  1890.  S.  29.  Dort  erwähnt  er: 
Kaiser  Friedrich  III.  erteilt  1467  dem  Grazer  Bürger  Hans 
Einpacher  (dessen  Söhne  immer  als  Ritter  speziell  benannt 
werden)  ein  Kleinod  und  Wappen,  welches  sie  hiefür  zu  allen 
ritterlichen  Sachen  gebrauchen  mögen,  als  „ander  Edelleuth 
und  Wappensgenoß  im  Heyligen  Reich".  Inseriert  im  Diplom 
Ferdinand  II.  17.  Dec.  1619  für  Georg  Einpacher  (Enkel 
des  Hans)  gegebenen  Bestätigung  „zugleich  im  Fahl  es 
vonnethen",  Neuerhebung  „in  den  Stand  und  Grad  des 
Adels  des  heyl.  Reichs  recht  edelgebohrne  rittermäßige 
Lehen  und  Thurniers  Genoßleuthen."  Die  neuere  Zeit  hatte 
andere  Auffassungen,  die  Einpacher  trauten  aber  nicht  mehr 
dem  „wenn  vonnöthen",  das  alte  Wappendiplom  von  1467 
könne  in  der  Zeit  des  neuen  Briefadels  von  1619  nicht 
mehr  als  vollgültiger  Adel  aufgefaßt  werden. 

Die  Broschüre  sagt  ebendort:  Erzh.  Ferdinand  von 
Tirol  diplomiert  den  Stadtschreiber  Hans  Forcher  18.  Sep- 
tember 1593  „in  den  Stand  und  Grad  des  Adels  als  „recht 
gebornen  Adels-Turniers-  und  Lehensgenossen". 

Den  Nachkommen  Konrad  und  Franz  in  Obersteier 
wurde  in  nachgewiesener  Geschlechtsfolge  am  10.  März  1877 
ihr  Adel  (im  vierten  Adelsdiplom)  anerkannt  und  nach 
ihrem  Hammergute  Ainbach  dies  Prädikat  neu  verliehen.  Es 
ist  anzunehmen,  daß  der  urkundlich  erstere  sichere  Andreas 
Forcher  schon  Hall  besuchte  und  dort  mit  dem  häufig  resi- 
dierenden Kaiser  Max  I.  in  persönliche  Berührung  kam.  Seine 
Enkel  erbten  schon  ein  elterliches  Haus,  denn  Joachim, 
Gerichtsassessor,*  verstorben  an  der  Pest  1565,  besaß  ge- 
meinsam mit  seinem  Bruder  Hans  I.,  Stadtschreiber,  ein 
Haus  in  der  Rosengasse  im  fünften  Viertel.  '^ 

Das  „allzeit  lustig  gebaute  Stadtl  Hall"  war  damals  eine 
der  reichsten  Städte  Tirols   und  die  Juristenfamilie  Forcher 


«  Stubengeselle  1555,  erscheint  in  Akten  1559. 
*  Kundschaftsprotokoll  des  Rates. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbacli.  105 

kam  dorthin  nach  den  Neugründern  der  Stubengesellschaft.  Die 
lange  Anwesenheit  von  Landesfürsten  im  nahen  Innsbruck  und 
deren  Schwestern  im  Haller  Damenstift  schuf  ein  Heer  von 
Beamten  und  auch  damit  Ordnung,  denn  das  Ratsarchiv  im 
stilvollen  Rathaus  zu  Hall  ist  außerordentlich  reichhaltig  und 
harrt  noch  der  Sichtung ;  ^  das  Salinenarchiv  und  die  mittel- 
alterlichen Schriftschätze  Innsbrucks  bieten  reiche  Ausbeute. 

Außer  den  exklusivsten  Zunfthäusem  der  deutschen 
Schweiz  gibt  es  nur  die  einzig  dastehende  Stubengesellschaft 
in  Hall,  die  im  selben  gotischen  Räume  noch  als  „trockener^ 
Lesezirkel  an  die  alten  Erinnerungen  mahnt.  ^  Als  Bürger-^ 
trinkstube  1447  von  den  Haller  Bürgern  gegründet,  hat  sie 
1508  Ritter  Waldauf  von  Waidenstein,  der  geheime  Rat,  Se- 
kretär und  Freund  Max  I.,  der  als  Hirtenknabe  im  Pustertal 
begann,  organisiert. 

Die  zwei  Wappenbücher  der  Gesellschaft  sind  eine 
Fundstätte  für  die  Haller  Familien,  ein  großer  Wappenpokal 
erinnert  an  den  Prunk,  mit  dem  im  16.  Jahrhundert  gezecht 
wurde.  Hall  war  wegen  seiner  Gastereien  stets  berühmt. 
Die  Bücher  beginnen  1527,  nennen  die  Ober-  und  Unter- 
stubenmeister und  die  Mitglieder,  Stubengesellen  genannt, 
und  deren  Wappen  in  Farben  heraldisch  ausgeführt^  beweisen 
eine  ausgesuchte  gewählte  Gesellschaft,  die  1553  80  Per- 
sonen, 1585  40  vereinte.  Die  relativ  gutgeführten,  sehr  alten 
Kirchenbücher  in  und  um  Hall  ergeben  manche  Ausbeute  im 
Geschlechtsbeweis,  der  dadurch  schwierig  war,  daß  es  aus- 
strahlend viele  Forcher  von  Meran  aus  und  djann  Pustertal, 
viele  Höfe  ähnlichen  Namens,  Innerforch,  Außerforch,  Ober- 
forch,  Siebenforch  gibt,  ja  selbst  Forchenmair  in  Kircheur- 
tellisfurt  in  Württemberg.^ 

Urkunden  und  Stubenbücher  schreiben  den  Namen  ab- 
wechselnd mit  a  und  o,  während  der  Dialekt  den  Laut  zwi- 
schen beiden  ausdrückt. 

Der  unbekannte  Sohn  des  Andreas,  von  dem  keine 
Spur  zu  finden  war,  dürfte  noch  1530  in  Hall  ein  Haus  er- 
worben haben.  Dessen  Sohn  Hans  I.  war  Jurist  und  wird 
häufig  in  den  Chroniken  von  Hall  der  Autoren   Schwayger 

*  Vieles  vom  15.  Jahrhundert  und  aus  früherer  Zeit  der  Berg^ 
und  MUnzstadt. 

«  Führer  von  Hall  1899,  S.  33.  Die  prächtige  Waldaufkapelle 
der  Pfarrkirche  ist  eine  der  Hauptsehenswürdigkeiten. 

s  Die  Mitteltiroler  Forchhöfe  in  ihren  Varianten  sind  wohl  alle 
von  Ötzthalem  begründet  worden,  wie  der  letzte  der  vier  im  Schnalsertal, 
Hochfarch  ob  Natumes. 


106  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

und  Mader  genannt.  *  Beide  Bücher  sind  für  Haller  Geschichte 
von  Belang.  Der  Kriegskommissär  Hans  wurde  1552  bei 
Ehrenberg  vom  Churfürst  Moritz  gefangen  und  „umb  etliche 
Thaler  geschätzt",  und  gefänglich  gegen  Innsbruck  geführt, 
dann  freigelassen.  ^  Von  1553  bis  zu  seinem  Tode  1575  war 
er  Stadtschreiber  in  Hall.  ^  In  dieser  wichtigen  Stellung  der 
reichen  Stadt  hatte  er  als  sprachengewandter,  gebildeter 
Jurist  bei  feierlichen  Anlässen  den  „Richter  und  Rat  ge- 
niainer  Stadt"  zu  vertreten,  die  Ansprachen  zu  halten  und 
die  „doppelt  vergulten  Kredenzgeschirr  mit  etlich  Stuck  Guld" 
zu  überreichen.  So  1563  bei  Kaiser  Ferdinand  I. '^  König 
Max  n.  am  20*  Jänner  und  5.  Februar  und  beim  Landesherrn 
Ferdinand  IL*  mit  der  Philippine  Welser  am  17.  Jänner 
1567,^  die  er  in  wohlgesetzter  Rede  „namens  eines  ersamen 
Rats  und  gemainen  Statt"  begrüßte, 

In  der  Residenzstadt  Innsbruck  hingegen  zeigte  sich 
schon  der  österreichische  Sprachenstreit,  indem  der  neue 
Landesfürst  stumm  begrüßt  wurde,  da  niemand  deutsch 
sprechen  konnte  und  Ferdinand  sich  weigerte,  lateinisch  oder 
italienisch  hereinkomplimentiert  zu  werden.  ^  Die  weniger 
vergnügten  Stunden  des  Stadtschreibers  in  den  Zeiten  von 
Pest,  langen  Erdbeben,  Kriegszügen  schildert  Schwayger,  na- 
mentlich S.  138.8 

Hans  I.  verlor  seine  mir  unbekannte  Frau  am  3.  Juni 
1573  und  hinterließ  nach  seinem  Tode  am  23.  Juli  1575 
außer  dem  Hause  in  der  Rosengasse  auch  noch  eines  in  der 
Marktgasse  Nr.  150,  heute  Seidener  Bierhalle,  das  er  am 
12.  Juli  1563  vom  Rat  erkaufte.» 

Sein  Sohn  Hans  IL  heiratete  in  der  Woche  Othmari, 
also  nach  dem  16.  November  1575,  die  Felicitas  Hochstätter, 


*  Schwayger,    herausgegeben   von   Hofrat  Dr.  Schönherr,    1867, 
Laib.  Mader,  im  Ratsarchiv  Hall. 

2  Schwayger,  S.  120,  129. 

'  Wo  er  auch  1553  als  Stubengeselle  auftritt. 

*  Schwayger,  S.  138,  139. 

*  Schwayger,  S.  144. 

6  Die  römischen  Königinnen  auf  der  Reise  und  im  Damenstift 
sehr  häufig. 

7  Dr.  Hirn,   II.  Geschichte  Erzherzog  Ferdinands  II.  von  Tirol, 
I.  S.  64,  65,  der  Forcher  speziell  hervorhebt. 

8  Ebendort  protestiert  Magistrat  Hall  1567  gegen  den  Umbau 
der  dortigen  Ftlrstenburg. 

9  Steuerbuch  1576,  Fol.  230. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.     •  107 

mit  der  er  in  Hall  auftritt  J  1578  bis  1609  war  er  Anwalt 
in  Thaur  nächst  Hall,  der  Pfandherrschaft  seines  Onkels,'-^ 
des  reichen  Franz  Fueger  von  Hirschberg,  ^  die  der  Landes- 
fürst Erzherzog  Ferdinand  1581  zurücklöste.  Seit  24.  Juni 
1589  war  Hans  IL  Stadtschreiber  in  Hall  und  1592  wieder 
Anwalt  im  Fuegerschen  Pitztal,  Herrschaft  Imst,  auf  der 
Felicitas  Geld  liegen  hatte.  Die  kurze  Abwesenheit  aus  Hall 
gibt  die  seltene  aktenmäßige  Erklärung  der  neuesten  Be- 
gnadung durch  die  Habsburger. 

Hans  IL  war  als  Stadtschreiber  einmal  erkrankt  und  in 
seiner  Abwesenheit  disponierte  sein  Bürgermeister  Kaspar 
Prandtmeyr  irrig,  weshalb  Hans  demissionierte.  Auf  die  Be- 
schwerde beim  Landesfürsten  im  nahen  Ambras  entschied  die 
Regierung,^  Hans  IL  sei  wieder  ins  Amt  einzusetzen,  was  zwi- 
schen dem  29.  Jänner  und  9.  März  1593^  geschah,  das  er  bis 
zum  6.  Mai  1599,  seinem  Tode,  führte.  Zur  öffentlichen  Genug- 
tuung für  Unbill  erteilte  der  Landesfürst  (seinem  früheren 
Anwalt  durch  acht  Jahre  in  Thaur)  das  Adelsdiplom  vom 
18.  September  1593.*^  Das  Diplom  besagt  (beschlossen  am 
10.  März,  ausgefertigt  18.  September  in  Innsbruck),  „daß 
Hans  Forcher  wegen  guten  Diensten  uns  und  unseren  Vor- 
fahren geleistet,  von  ihm  und  seinen  Voreltern,  uns  und 
unseren  löblichen  Haus  Österreich  zu  Kriegs-  und  Friedens- 
zeiten, ungespart  Leibs'  und  Vermögens  etc.,^  in  den  Stand 
und  Grad  des  Adels  erhebt,  wobei  sein  alt  Wappen  und 
Clainot  gebessert  ist,  womit  dessen  Urahn  Andreas  von 
unserm  Urahn  Max  I.  begabt  wurde".  Die  Familie  Hoch- 
stetter^  war  Zeit-  und  Geschäftsgenossin  der  Fugger  in  Augs- 
burg und  fallierte  wegen  des  Preisfalls  der  Edelmetalle  durch 


»  Raitbuch,  Fol.  15.  „Dem  Junkher  Petru«  Kripp  und  Herrn 
Schickh  aus  Bevelcli  eines  ersamen  Raths  als  Gesandte  zu  Hans  Forchers 
Hochzeit  geben  zween  doppelt  Ducaten." 

«  Dr.  Hirn,  H.  Der  berühmte  Silbergewerke  Hans  der 
Reiche,  Mtar  der  Bruder  seines  Urgroßvaters. 

3  Deren  Familiengrabsteine  in  Hall  noch  alle  Gotiker  entzücken, 

^  LandgerichtsprotokoU  Innsbruck,  H.  F.  des  Ratsstandes 
Hall  1592,  Fol.  231,  18.  September  1592. 

5  Ebenda  1593,  Fol.  27  d  71. 

fi  Konzept  in  den  Tiroler  Addsbüchern ,  Tom.  IV.  Fol.  175, 
Wien,  wie  Goldegg  anführt.  I,  S.  102.  Zeitschrift  für  Tirol.  III,  XIX,  130. 
Herold.  VII,  62,  und  XU,  571, 

^  Wobei  die  Sicherung  Friedrichs  mit  der  leeren  Tasche  vor 
seinen  Feinden,  der  sächsische  Kriege,  die  Wappenbestätigung  Max  I. 
speziell  gemeint  waren. 

8  Auch  Beck,  Geschichte  des  Eisens,  II.  542. 


108  Die  alten  HÄndelsbezieliungeii  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

die  Entdeckung  Amerikas  und  Almadens.  Noch  heute  ist  im 
Rathause  zu  Augsburg  die  Hochstettersche  Gant  1522  bis  1535 
eine  Fundgrube  fllr  viele  Forscher.  Für  Steiermark  interessant 
ist  noch,  daß  am  2.  Oktober  1534  Katharina  Neumann,  die 
Schwester  der  berühmten  Anna  Neumann  von  Wasserleonburg, 
zuletzt  Gräfin  Schwarzenberg  in  Murau,  den  Ambros  Hoch- 
stetter  in  Augsburg  heiratete,  welcher  der  Vetter  der  Feli- 
citas  Forcher  war.  *  Vom  reichen  Erbe  der  Hochstetters 
lebte  der  Sohn  Hans  Christoff  Forcher  bis  zu  seinem  Ende 
als  Bürgermeister,  wobei  die  großen  Unkosten,'^  der  wirt- 
schaftliche Verfall  Nordtirols  nach  dem  dreißigjährigen  Krieg 
und  der  lange  Prozeß  mit  dem  allmächtigen  Hofarzt  Dr.  Gua- 
rinoni  den  größten  Teil  verschlangen.^  Von  dem  Sohne 
der  ersten  Frau  erhielt  der  Enkel  Ignaz  Rafael  die  Kärntner 
Landstandschaft  1707.  '^  Die  zweite  Frau  aus  der  Zillertaler 
Familie  Wechselberger  gebar  ihm  einen  Sohn  Hans  Dietrich. 
Seine  Mittel  gestatteten  ihm  nicht  mehr,  in  die  Stuben- 
gesellschaft einzutreten.  Seine  Mutter  flehte  am  25.  Oktober 
1669  gar  „armb  und  nothig"  um  die  zukommenden  Zinsen 
aus  ihrem  Pfannhauskapital.  ^ 

Der  lange  Titel  Salinenbauamtsgegenschreiberjunge  be- 
zeichnet die  schwachen  Mittel,  die  er  erst  erhielt,  nachdem 
er  früher  schon  in  der  Not  den  Salzstocksackschneiderdienst 
ergreifen  wollte.^  Unter  Berufung  der  vielen  Verdienste  seiner 
Vorfahren    erhielt    er    diese   Stelle,    wobei  ihm,    da    er  mit 

*  Jakob  Hochstetter,  Geschlechter  und  Kaufherr  in  Augsburg, 
gestorben  vor  1584,  und  Frau  Barbara  Rott  aus  Ulm,  geadelt  1478, 
6.  Oktober,  hatte  sich  der  Sohn  Sebastian  mit  Anna  Vöglin  aus  Augs- 
burg verehelicht  5.  September  1543.  1537  Stubengeselle  Hall,  Glas- 
hüttenbesitzer und  darnach  Prädikat  27.  November  1598  von  und  zu 
Scheibenegg,  dessen  dritte  Tochter  war  Felicitas  Forcher.  Ihr  Bruder 
Dr.  Hieronymus  Hochstetter,  Stubengeselle  1598,  hatte  zur  zweiten  Frau, 
12.  Oktober  1598  Ursula,  die  Tochter  des  Balthasar,  (später  Grafen) 
Fueger  v.  Hirschberg,  dessen  Sohn  Hieronymus  1625  Felicitas  zur  Erbin 
einsetzte;  Georg  Fueger,  Pfandherr  von  Imst,  war  ihrer  Schwägerin  Onkel. 

2  Beckh  II,  S.  542.  Hans  Fueger  ließ  seine  Braut  aus  Bayern 
nach  Hall  mit  4000  (?  Anm.  d.  R.)  Pferden  abholen,  Beispiel  des  Prunks 
der  Silbergewerken  in  Schwaz. 

*  Guarinoni  war  Verfasser  des  damals  weltberühmten  Buches 
„Die  Grewel  der  Verwüstung  menschlichen  Leibs".  Laut  der  Land- 
gerichtsakten konnte  vom  berühmten  Mann,  den  der  Hof  stützte,  die 
Schuld  nicht  eingetrieben  werden, 

^  Die  Fortuna  als  Wappen  im  Saale  ist  nur  ein  Lückenbüßer 
für  das  fehlende  richtige  Bild  im  Klagenfurter  Landhaus. 

5  Salinenberichtbuch,  Bericht  an  die  Hofkammer,  Fol.  255.. 

«  Statth.-Arch.  Innsbruck,  Gem.-Mission  1678,  IL  Fol.  65,  245, 
1059,  Befehle  vom  Hof  1678,  Fol.  450,  687. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  109 

schlechten  Mitteln  vorgesehen  sei,  von  seinem  Pfannhauskapital 
per  2400  fl.,  der  Zins  mit  Roggen  bezahlt  werden  solle.  Von 
seinen  zwei  weltlichen  Söhnen,  ein  anderer  war  Laienbruder 
bei  den  Jesuiten,  folgte  Franz  Anton  im  bescheidenen  Amte 
des  Vaters,  ^  Josef  Anton,  der  jüngste,  wanderte  aus  und  kam 
endlich  als  Bäckermeister  nach  Knittelfeld. 

Die  Not  der  zurückgelassenen  Söhne  schildern  die 
Akten  ;'^  nach  1720  erscheint  der  Name  Forcher  nicht  mehr 
in  Hall,  außer  1719  in  Bitten,  endlich  die  Zinsen  des  Restes 
vom  Pfannhauskapital  von  675  fl.  schlechten  Geldes  zu  er- 
halten, und  dem  Todestag  des  Franz  Anton,  20.  April  1720. 

Josef  Anton  wurde  in  der  Not  Müller  und  Bäcker,  wie 
sein  Vater  einst  Schneider  werden  wollte,  und  wanderte  am 
natürlichen  naheliegendsten  Wege  zu  den  verwandten  Wechsel- 
bergern  ins  Zillerthal,  von  dort  ins  Pongau  und  blieb  in 
Admont,  das  ja  von  Radstatt  bald  erreicht  war.  Dort  heiratet 
er  die  Bäckermeisterstochter  Feimbaum  aus  Rottenmann.  ^ 
Die  Gatten  kauften  die  Rascher  Mühle  und  Bäckerei, 
29.  August  1718,  verkauften  dann  diese  und  erwarben  am 
12.  März  1721  das  Ertlsche  Bäckerhaus  in  Knittelfeld,  dem 
letzten  Wohnbezirke  der  Familie.^  Zu  seiner  Zeit  hatte  das 
Wörtchen  von  noch  nicht  die  angewandte  Bedeutung  wie 
heuzutage,  den  Adel  drückten  nur  spezielle  Bezeichnungen 
aus,  wie  das  Dominus,  der  Herr,  beim  simplen  Raschermüller 
im  Traubuch.  In  Klagenfurt  folgte  man  der  Zeitmode,  nannte 
die  Weber  Webern  und  den  Kriegskommissär  Forcher 
Forchem.  Der  Sohn  Johann  Josef,  in  gute  Verhältnisse  ge- 
langt, wandte  schon  1765  in  den  öffentlichen  Büchern  das 
„von"  wieder  an,  wie  bei  Einverleibung  der  Anna,  und  die 
Stiftsregister  Knittelfeld  u.  a.  beweisen.^ 

Eine  übereifrige  Magistratsperson  hat  aus  Privatrache 
dem  Anton  Forcher  Hindernisse  bereitet,  seinen  alten  Adel 
zu  führen,  der  als  wohlhabender  Bäcker  von  seinem  Rechte 

1  Ausgangene  Schriften  11.  Juni  1704,  Fol.  1218  Insb. 

*  Salinen  -  Bericht  und  Bevelchbücher  1710,  14,  15 — 19,  viele 
Erfasse. 

3  Admont  29.  August  1718,  copulati  sunt  Dominus  Josephus 
Forcher  et  virgo  M.  A.  Felmbaumin,  pistor  et  molitor  apud  den  Röscher 
(heute  Adam). 

4  Gerichtsprotokoll  Knittelfeld,  L.-A.  Graz,  S.  54,  Bürgerrecht  nach 
Beilage  des  Taufscheines  und  Entlassung  von  „Pöckhenhandwerk"  zu 
und  um  Rottenmann,  18.  Mai  1717;    dem  Josef  F.  nationis  tiroliensis. 

*  22.  Februar  1767,  urb  Nr.  45,  1784,  1787,  Inventarien  etc., 
Fol.  223. 


110  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Gebrauch  machen  wollte.  Daraufhin  bat  er  am  20.  Dezember 
1830  das  k.  k.  Fiskalamt  Graz  um  die  provisorische  An- 
erkennung des  alten  Adels,  die  an  den  Magistrat  Knittelfeld 
erlassen  werden  wolle,  bis  die  gehörige  Nachweisung  geschieht. 
Am  24.  Dezember  1830  wurde  er  verwiesen,  den  Magistrat 
zu  bitten,  ihm  Zeit  zur  Erhebung  zu  vergönnen,  „das  Fiscal- 
amt  Graz,  Zahl  7124,  werde  weder  bei  ihm,  noch  seiner 
Descendenz  kein  widriges  Einschreiten  vornehmen." 

Dieselbe  betraute  Magistratsperson  ging  nach  Tirol,* 
beseitigte  die  beweisbringenden  Akten  dort  und  in  Knittel- 
feld,'^ radierte  die  öffentlichen  Bücher,  und  der  Adelsbeweis 
wurde  damals  nicht  erbracht. 

Weitere  Anfechtungen  bewogen  Johanna  von  Forcher 
Kundige  forschen  zu  lassen  und  erst  ein  anonymes  Inserat 
in  einem  Grazer  Tagesblatt,  1875,  bewogen  den  letzten  der 
Familie  selbst  den  Beweis  zu  erbringen.  ^  Die  Akten  waren 
vertilgt,  die  Brände  des  Stammhauses  Knittelfeld  1742, 
1818  verzehrten  den  eigenen  Bestand  und  dennoch  gelang 
der  Nachweis  der  vollen  Filiation,  womit  Kaiser 
Franz  Josef  mit  Diplom  von  12.  Juli  1877  die  adelige 
Eigenschaft  der  Brüder  Konrad  und  Franz  Forcher 
anerkannte  und  ihnen  das  Prädikat  von  Ain- 
bach  neu  verlieh.  Das  weitere  besagt  der  amtlich 
voll  beglaubigte  Stammbaum.  Die  Erben  der  Johanna  betreiben 
heute  noch  auf  der  Thormühle  wie  1721  das  Bäckerhandwerk, 
nachdem  das  Stammhaus  1870  von  der  Witwe  Antons  11.  an 
Frau  C.  Reicher  verkauft  wurde.  Die  Familie  zog  von  der 
schwäbischen  Ebene  in  die  Alpen,  erblühte  durch  die  Ülmerin 
Rott  um  1500  und  endet  nach  600  Jahren  nachweisbaren 
Ringens  wieder  am  Ausgangspunkte .  an  der  schwäbischen 
Donau.  ^  ^ 


1  Brief  des  Magistratssekretärs  Bücher  in  Hall,  7.  März  1883: 
„Es  ist  ein  sonderbares  Verhängnis,  daß  gerade  alle  Forcher- Akten 
ausgehoben  sind."  Am  26.  Juni  1832  waren  sie  vollzählig  vor- 
handen. 

*  Unter  vielen  Buchradierungen  wurden  übersehen,  den  Adels- 
titel zu  radieren.  Grundbuch  Knittelfeld,  Tom.  II,  conscript.  Nr.  2% 
Taufbuch  der  Stadtpfarre  1811,  29.  Mai,  und  andere. 

3  Diese  selten  genaue  Familiengeschichte  verdankt  ihre  Erfor- 
schung nur  den  unlauteren  Motiven  dreier  Personen,  deren  Namen 
wegen  ihrer  hinterlassenen  schuldlosen  Angehörigen  verschwiegen  bleiben 
sollen. 


1341,  r 

Bi 


Wappen   mit 


1555  Stubenge  geselle. 


i  1573. 


1575  Stubengi  leiratet 


1620  Stubenj 
1.  Gattin  M. 


gest.  ll.Jännier 
Innsbruck.  G*nd 


geb.    16. 
,^,  IC^rntt>Ti     hei 


gi  )rhofes. 
( meister 


von 
der 


Dez^-z  1677, 
bf^i  dm 


icty 


.*       U*9   ^        9**f^ 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  111 

Nr.  3.  Sacheiidorf^ 

westlich  von  Knittelfeld  am  Ingering- Werkskanal.  Altes  win- 
disches Wasserwerk  am  Saumweg  Judenburg-Kobenz. 

1160  schenkt  die  Mühle  urkundlich  Frau  Hemma,  ver- 
mutlich aus  dem  Geschlechte  der  heutigen  Grafen  Galler/ 
ans  Stift  Seckau. 

X 1495  Jörg  Murer*  sagt  dem  Dompropst  den  Wälsch- 
hammer  heim,  der  vor  Zeiten  eine  Mühle  war. 

Nach  dem  Hochwasser  Neubau? 

1572  Martha  Pogenschmiedin,'^  unbekannt. 

1600  Veit  Painer,  wahrscheinlich  Kärthner  Protestant. 

1610  Lukas  von  Leuzendorf  aus  dem  ausgestorbenen 
Zweige  der  Vordernberger  Gewerken. 

1625—1647  Augüstin  Kheffer.» 

165Ö  Karl  von  Steineck  aus  Kärnten. 

1672  scheinbar  außer  Betrieb,  Verweser  Thoman  Thin, 
quittiert  ein  Laufschreiber  der  Gewerken  nur  einmal,  ver- 
mutlich für  den  Dompropsthammer  in  Hammerberg. -* 

1674  6.  August  Benedikt  KeflFer^  gestorben,  unbekannt. 

1698  Stillstand,«  dann  bis 

1727  Mathias  Bernhardt  (f  1727),  Gattin  Sophie  Moser. 

1732—1750  t  Anton  Wallner,  unbekannter  Herkunft, 
Schwiegersohn  von  Sophie  Bernhardt. 

1760,  20.  November,  Johann  Jos.  Baron  Egger  kauft 
von  den  Kreditoren  Wallners.  ^ 

1778  Anton  Thadd.  Thaurer. 

1788  Witwe  Josefa  Hochkofler.« 

1791  Jakob  v.  Hochkofler  (Gatte). 

1793  im  Halbbesitz  mit  Christof  Baron  Egger  und 
Frau  Josefa,  geb.  v.  Lierwald.  Sohn  Josefs. 

1  Murboden  Urbevölkerung,  S.  25  u.  26,  Muchar  II,  S.  97, 
prasulat.  Seccovensis  Sachendorf. 

«  Hr.  Schmut  fand  in  den  Gülten s.chätzungen,  L.-A.  1542,  S.  83. 
Krannz  Ambt  schätzt  ihren  Hammer,  Werchgaden  samt  ainem  Zulehen 
umb  45  af  Pf. 

»  Baron  Fraydenegg  fand  L.-A.  Seckauer  Spezialarchiv.  „Khauf- 
briff  des  Augustin  für  Hammer  und  MauthmüH",  8.  Dez.  1625,  gest.  1647. 

*  Ainbacher  Hammerakten. 

5  Hr.  Schmut  fand  in  Seckauer  Inventarien  den  Verlaß  Keffers. 
Hammer,  Müll,  die  Obermüll  genannt,  so  auch  Tafemgerechtigkeit 
um  250  fl.  geschätzt.  Landesarchiv. 

6  Ebendort  kein  Besitzer,  im  Statth.-Arch.  März  Nr.  62.  Amt 
Kobenz. 

7  Hr.  Schmut  fand  Seckau,  Dokomentenbuch,  Sig.  ,4984. 

8  Heir.-Kontrakt  25.  Februar  1788,  Testament  1803. 


112    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

1795, 26.  November,  kauft  J.  v.  Hochkofler  die  zweit  Hälfte. 

1820,  13.  September,  Matthias  Schachner.  . 

1820,  6.  Dezember,  Josef  Seßler.^  -^ 

1827,  23.  März,  Max  Seßler  und  Johanna,  geb.  Hille-  ] 

brand,    aus  Kindberg,  Theile    schon    28.    November    1825.  1 

Sensenwerk  errichtet  1850.. 

1864,  4.  Februar,  Johanna  Seßler,  geb.  Hillebrand. 

1878,  22.  August,  Katharina  Reicher,  geb.  Seßle/. 

1904  Irene  Forcher  von  Ainbach,  verehelichte  Mylius,  j 

fideikommissarische     Nutznießerin     ihre    Mutter     Karoline  , 

Forcher  von  Ainbach,  geb.  Reicher.  ! 

Muren 

Die  sehr  reiche  Familie  blüht,  in  der  zweiten  Hälfte 
des  15.  Jahrhunderts  und  verschwindet  wieder  in  der  ersten 
Hälfte  des  17.,   ohne   daß  man  weiß,  woher  sie  kam.'-'  Ver-  ' 

mutlich  aus  der  Umgegend  Knittelfelds,  denn  es  gibt  einen 
Murerhof  nahe  Großlobming  und  ein  Obermur  bei  St.  Mar-  j 

gareten.  Ersterer  hatte  den  Vulgarnamen  Murmar  und  wird  ' 

nun  Murhof  genannt.  Die  Murer  wirken  zuerst  um  Knittel- 
feld,  dann  Leoben  und  Brück,  stets  im  Geld-  und  Eisenwesen, 
vermutlich  mit  den  Einpachern  zusammen,  in  steter  Verbindung  | 

mit  dem  Stifte  Seckau  und  der  Geistlichkeit. 

Den  Murern  gehörte  das  Werk  Sachendorf  *  und  Hautzen-  I 

bühel,  wahrscheinlich  beide  pfandweise  vom   Stifte  Seckau,  i 

das  Freihaus  am  Stadtplatz,  heute  Nr.  16,  einst  getürmt,  und 
die  Teiche  nebst  Grundbesitz.   An   ihr  Wirken  erinnern  nur  1 

mehr  die  schönen,  stilvollen  Untersberger  Grabmäler  in  der 
Stadtpfarrkirche  Knittelfeld,  gewidmet  den  „Peter  und  Anna 
sein  Hausfrau,  Valentin  Joachim,  Jörg  und  Gotthard  die  Murer, 
ir  Brüder  u.  Sun,  Stiffter  St.  Cathreincapelle  und  Gott  Allen  ' 

gnädig  sey.  1456.  "*  j 

In  brilliantem   roten  Steine  von  250  Zentimeter  Höhe  j 

mit  schwer  leserlicher  und  unbequemer  Randschrift,    unter  ' 

reichem  gotischem  Baldachin,  ist  der  Schild  in  edelsten  Ver- 
hältnissen, drei  Spitzen  nach  rechts,  am  gekrönten  Stech- 
helm ein  barhäuptiger  Mann  mit  gefällter  Saufeder. 

'  Seckauer  Akten,  Sig.  4915,  nach  Fr.  Schmut.  j 

»  Es  gibt  noch  Bauern  mit  dem  Schreibnamen  Murer,  im  18.  Jahr-  I 

hundert  kommen  solche  öfter  in  den  Kirchenbüchern  vor,  so  in  Feistritz  | 

bei  Weißkirchrn  wohnhaft.  ' 

3  Jörg  der  Hammererbauer  von  Sachendorf.  . 

*  29.  September  1552  verkauft  „Joachim  St.  zu  Hautze  das  Haus  ' 
am  Eck  am  Platz  neben  Herl  Weyrer  und  3  Teicht". 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  118 

Gegenüber  ist  an  der  Evangelienseite  ein  schlankerer 
Stein,  das  Wappenbild  als  Gegenstück  nach  links  gekehrt, 

^^  der  Hintergrund  aber  äußerst  geschickt  und  malerisch  als 

^  Korbgeflecht  gehalten.   Die  verschnörkelte  ßandschrift  ent- 

hält, wenn  richtig  gelesen,   „Gotthard  Murer  1505,   St.  Ca- 

I  tharinacapelln**.  Die  anderen  Worte,  als  am  Kopfe  stehend, 

waren  nicht  zu  enträtseln. 

Die   Stadtpferrkirche  wurde    laut   Schlußstein  an  der 

I  Sakristei   1477   gebaut,  nach  der   Chronik   1486  vollendet, 

somit  sind  die  Steine  vom  selben  wirklich  großen  heraldischen 

^  Künstler   als   Gegenstücke^  nach   1505   angefertigt   worden 

und  vielleicht  für  die  Katharinenkapelle,  die  1452  mit 
einem  Benefizium  von  22  Pfund  „herrengült"^  gegründet 
und  1838  demoliert  wurde.  1488  verleihen  Richter  und  Rat 
der  Stadt  Knittelfeld  das  Murerstift  an  Johann  Rottenmanner. 

>  Die  Pfarrkirche  Knittelfeld  kam  im  14.  Jahrhundert  ans  Stift 

Seckau,  bei  dessen  Säcularisation  der  große  Kathreinwald 
in  der  Kleinlobming,*^  der  der  Stiftung  gehörte,  schließlich 
an  italienische  Holzhändler  und  vom  vermeinten  guten 
Werke  verblieb  nichts,  als  die  redenden  Steine,  die  den  treff- 
lichen künstlerischen  Geschmack  der  reichen  Besteller  ver- 
ewigen. 

Unbekannte  Murers   stifteten  noch   ein  Benefizium  in 

?,  St.  Jakob,  Leoben,   vielleicht   gehört  Hans  Murer  dazu,  der 

1616  den  Edelsitz  Ottersbach  neu  erfand  und  konstruierte, 
ein  Murer  war  Kaplan  in  Brück.  ^  1544  verkauft  Joachim 
Muerer  zum  Hautzenbüchl  Gülten  an  Wolf  v.  Stubenberg.  ^ 
Ein  silbernes  Taschenpetschaft  mit  Servati  Murer  ze 
Hautze  1532  beweist  diesen  Pfandbesitz  Seckaus  (Hautzen- 
büchel)  in  ihren  Händen.    Damit  ist  jede  weitere  Nachricht 

'  erloschen.  ^ 


I 


^  1  Vermutlich  als  Deckel  von  freistehenden  Tumben,  in  der  gleichen 

Weise  und  vom  selben  trefflichen  Künstler  in  Adnet  bei  Hallein,  dessen 
Marmor  als  Untersberger  im  Handel  ging,  wie  der  Tumbendeckel  im 
Joanneum  des  Balthasar  Eggenberger,  gest.  1493,  mit  einfacherer  Schrift. 
«  Laut  Pfarrchronik  gab  Gotthard  noch  1477  Gründe  drfzu. 
3  Wichner,  Hist.  Ver.  XVHL,  1882,  S.  30. 
t  «Zahn,  Styriaca,  1896,  S.  173. 

5  Archiv  Stubenberg,  S.  164.  —  Die  L  ambrechter  Urkunde  vom 
\  17.  Juni  1532  (Kirchenfestschrift  von  Zeltweg,    Steiner- Wischenbarts) 

nennt  Joachim  Muerer  zu  Knittelfeld  als  Besitzer  des  Murhofes,  dessen 
von  der  Mur  abgetrennter  Grund  von  der  Nachbarschaft  in  Lind  ge- 
kauft wurde. 

«  Im  Parke  in  Hautzenbttchel  1876  gefunden,  durch  einen  Maul- 
wurf aus  der  Erde  gehoben. 


1 14  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslände. 

Egger, 

Der  Gothaer  Aliuanach  1905  bringt  den  Stammbaum  ^ 

der  Freiherm  und  Grafen  Egger,  die  von  den  reichen  Rad-  j 

gewerken,  Eisenverlegern  und  Hammerherren  in  Vordernberg —  , 

Leoben — Treibach  und  Sachendorf  abstammen,  worin  ange- 
geben ist,  daß  sie  1640  als  Egger  v.  Kapfing  und  Liechtenegg 
aus  Bayern  eingewandert  seien. 

Ein  jüngerer  Enkel  des  ersten  Paul  Egger*  wurde 
zwar  merkwürdigerweise  1770  als  Josef  Paul  Egger  „von 
Eggenwald"  neu  geadelt,  aber  Paul  besaß  schon  1697  adelige 
Güter,  sein  Enkel  Ferdinand  wurde  1751  Kärntner  und 
1752  steirischer  Landstand,  der  Urenkel  Max  1760  Frei- 
herr, 1785  Graf,  der  Urenkel  Josef  1766  Freiherr. 

Die  Kärntner  Grafen  sind  1905  ausgestorben,  die 
steirischen  Freiherrn  blühen  noch  in  Niederösterreich,  Kärnten 
und  Steiermark.  Paul  muß  also  schon  im  17.  Jahrhundert 
adelig  gewesen  sein,   er  hätte  sich   bei  seinem  bedeutenden  | 

Besitz  den  Adel  ohne  weiters  kaufen  können,  der  manchmal 
wie  die  Baronie  der  Ziernfeld  den  Gewerken  recht  teuer  zu 
stehen  kam.'^ 

Hammerherren  Egger  kommen  im  16.  Jahrhundert  um  i 

Weissenbach — St.  Gallen  vor,  andere   im  17.  Jahrhundert  in  i 

Kapfenberg.   Hans  Egger  von  der  Taferne  in  Weißenbach  ' 

besaß   1625    einen  Wälschhammer  und  zwei   Kleinhämmer  1 

und  wurde  nobilitiert.^  1 

Josef  Baron  Egger,  Urenkel  des  reichen  Paul  erscheint 
1772  als  Besitzer  von  Sachendorf  in  den  Knittelfelder  Trau- 
büchern. 

Christoph  Baron  Egger  1793—1795.  1 

Die  widersprechenden  Verleihungen  bezeugen  auch  hier 
wieder,   daß  Wappen   und  Adelstand   im  Laufe   der  Zeiten  I 

anderen  Rechten  und  anderen  Ausdrucksformen  in  den  Gnaden-  1 

briefen  unterlagen,  die  heute  nicht  mehr  richtig  gedeutet 
werden  können,  da  die  Gebräuche  selbst  in  den  Alpenländern 
z.  B.  Steiermark  und  Tirol  ganz  verschiedene  waren.  Ander- 

1  Kraus,  „Eherne  Mark".  J 

«  Historische  Vereinsschriften,   XL.,   1892,  JutmaDn,   anno  1787,  | 

60.000  fl..  damals  eine  sehr  große  Summe.  Kapital  für  Übertragung  des  ^ 

Freiherrnstandes  auf  den  adoptierten  Leopold  Maria  Anreiter  von  Ziern-  | 

feld  auf  Stibich-  uj|d  Friedhöfen. 

5  Pantz,  Gründung  der  Innerberger  Kadgewerkschaft,  der  1625  | 
im  steirischen  Hammerbezirk  von  Eisenerz  18  welsche,  27  kleine  Hämmer 

(Stahlstrecker)  aufzählt,  die  18  Gewerkenfamilien  ernährten.  I 

1 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  115 

seits  war  man  früher  auch  über  die  Abstammung  und  die 
Rechte  der  Vorfahren  nicht  klar,  die  man  in  neuester  Zeit  wieder 
mit  Interesse  zu  studieren  anfängt. 

Thaurer  von  Gallenstein. 

Aus  Bayern^  stammende  Beamtenfamilie  des  Eisen- 
wesens im  Ennstale.  Anton  Thaddäus,  geb.  1732,  Sohn  des 
kaiserlichen  Mautners  Franz  Anton  in  St.  Gallen,  geb.  1698, 
heiratete  in  Knittelfeld  1778   als    „angehender  Besitzer  von 

\.  Sachendorf"     Christine    Stanzinger,    Radmeisterstochter    in 

Vordernberg.  Der  Hammer  in  Sachendorf  kostete  9000  fl. 
Verkäufer  Josef  Baron  Egger. 

Am  29.  April  1796  mit  „von  Gallenstein"  in  den  Ritter- 
stand versetzt,  blüht  die   Familie  noch    in  Kärnten.     Die 

i  Stanzinger  von  GüUingstein  sind  ausgestorben. 

^  Hochkofler. 

Der  k.  Rat  und  Landesbuchhalter  Johann  Siegmund  ^ 
wurde  15.  Dezember  1668  mit  vonHochenfels  geadelt.  Sein  Sohn 
Siegmund,  landschaftlicher  Beamter,  heiratete  7.  Februar  1691 

^  Maria    Konstanzia,   die   Tochter    des    reichen   Paul   Egger, 

Leoben,  wodurch   sie   Gewerken  wurden,  von  denen   Jacob 

c  stammt.     Die  Familie  ist  in  Venedig  ausgestorben. 


Schachner. 

f  Die  Familie  identisch  mit  den  Sensengewerken  in  Hopf- 

garten, stammt   aus  der  Gegend  bei  Rain,  von  denen  Klara 
den  letzten  Stegmüller  beerbte,  die   in  Hopfgarten  zu  ver- 

^  folgen  sind.     Ausgestorben. 

Eine  Verwandtschaft  mit  den  Gewerken  des  16.  Jahr- 

^  hunderts   in  Vordemberg  und  jenem  Schachner    vor   1665 

in  Ainbach,  ist  nicht  zu  erweisen.  .     • 


Sessler. 

Josef  Sessler,'*  geboren  27.  April  1763,  gestorben 
24.   Mai  1842,   war   der  Sohn  des  Postmeisters   in  Nieder- 

*  Kraus  „Eherne  Mark". 

«  Ebenda. 

3  Aus  dem  Nekrolog,  gedruckt  Kienreich  G»az,  anläßlich  der 
Denkmalenthüllung  6.  Oktober  1844,  als  eine  große  Pyramide  mit 
Bronzemedaillon  gegenüber  dem  Friedhof  in  Großlobming  enthüllt 
wurde,  vor  kurzem  aber  demoliert  ist. 

8* 


116  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

österreichisch-Weikersdorf,  ein  weitblickender  Kaufmann  im 
großen  Stile,  der  in  den  napoleonischen  Kriegen  mit  den 
verschiedensten  und  glücklichen  Spekulationen  einen  fürst- 
lichen Besitz  erwarb.  Als  Postmeister  von  Weikersdorf  kaufte 
und  betrieb  er  neben  allen  großen  Unternehmungen  die  Post 
in  Vordernberg,  sein  erster  steirischer  Besitz  war  aber  1792 
der  Hönigtalhof  und  das  Hammerwerk  bei  Krieglach,  welcher 
Industrie  1814  das  Radwerk  Nr.  3  in  Vordemberg  und  die 
weiteren  Erwerbungen  sich  angliederten. 

Seine  Frau  war  Elise  Bierbauer  aus  Wien,  sein  Sohn 
Max  kaufte  28.  November  1825  Sachendorf,  dann  Wasser- 
berg und  Maßweg.  Dieser,  geboren  1.  Mai  1802,  ge- 
storben 9.  Juni  1862,  heiratete  Johanna  Hillebrand  aus 
Kindberg,  geboren  15.  August  1805,  gestorben  2.  De- 
zember 1877.  Deren  Sohn  Max,  geboren  20,  Mai  1846, 
starb  schon  20.  Juni  1870. 

Sachendorf  vererbte  sich  nun  an  die  Tochter  Katharina 
Reicher,  k.  k.  Oberlandesgerichtsratsgattin,  von  dieser  wieder 
an  ihre  Tochter  Karoline  Forcher  von  Ainbach,  als  fidei- 
kommissarische  Nutznießerin  wieder  an  ihre  Tochter  Irene 
Mylius,  geb.  v.  Forcher. 

Der  Name  Sessler  und  der  mit  dem  Substitutionsbande 
belegte  Grundbesitz  im  Mürztal  und  Großlobming  etc.  wird 
von  den  Urenkeln  Josefs  weitergeführt,  die  seit  der  Freiherm- 
standsübertragung  von  ihrem  mütterlichen  Großvater  seit 
11.  Februar  1869  den  Namen  Freiherrn  von  Sessler-Herzinger 
führen,  nachdem  ihr  Vater  schon  1.  September  1866  den 
österreichischen  Adel  und  Ritterstand  erhielt. 

Wohltätigkeitsstiftungen  erinnern  an  den  überaus 
emsigen  Gründer. 

Die  zweite  Tochter  Max  Sesslers  Klara  heiratete  Karl 
Arbesser,  Edlen  von  Rastburg  auf  Spielberg  und  Pichelhofen, 
die  dritte  Anna,  Hans  Händel  Edlen  von  Rebenburg  auf 
Stübichhofen. 

Nr.  4.    Paßhammer. 

Nördlich  von  Judenburg  an  der  Pols  am  Saumweg  zur 
Salzstraße. 

Erst  Zeugschmiede,  Pfannhammer,   1662   Sensenwerk. 

Beck,  IL,  627,  Erzherzog  Karls  Eisensatzung  enthält 
nicht  in  Knittelfeld,  wohl  aber  bei  „Der  Hammermaister 
Khauif  zu  Judenburg   Sengsen   Khnütl  —  der  Centen  umb 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  117 

3  Pfd.,  6  M.  4  Pfg.".  Sie  wurden  wie  in  Waidhofen  zum 
Bedarf  der  Sensenschmiede  gereckt  und  das  konnte  nur  bei 
größerem  Werchgaden  in  Judenburg  an  der  Mur  und  im  Paß- 
hammer geschehen.  Die  Khnütl  waren  Zaine,  denn  nach 
Schröckenfux  wurden  die  Schmiede  „Sengsen-  und  Khnüttel- 
schmiede"  genannt. 

„Der  Khauf  des  Brucker  geschlagenen  Eisens"  unter-^ 
scheidet  schon  „hungrisch  (leichte)  und  teutsch  Sengsen 
Khnütel  (schwere)". 

1548  Oswald  Einpacher,  Ritter. 

Vor  1570  Georg  Einpacher. 

1579  sein  Schwager  Georg  Salzmann,  dann  dessen 
Schwiegersohn, 

1596 — 1617  Balthasar  Hainricher,  Ahnherr  der  kurz- 
lebigen Grafen  Heinrichsberg. 

1648  Anna  Weger,  geb.  Heinrichsberg.* 

1649  3.  Mai  kauft  Hauptmann  Matthias  Pölchinger  zu 
Waschhofen  den  Passhammer,  Mühle,  Säge  und  Paßhof 
um  1700  fl. 

1662  verkauft  Pölchinger  ein  Haus  am  Paßhammer 
dem  Sensenschmied  Hans  Moser  (aus  Judenburg?),  am 
5.  November,  wo  er  schon  1654  ein  Sensenwerk  errichtete. 

1700  Hans  Moser.  2 

1750 — 1780  Balthasar  Hiezenberger,  Sensenschmied- 
meister. 

1803 — 1823  Johann  Georg  Hierzenberger,  Sensen- 
schmiedmeister. 

1850  Franz  Schaffer. 

1860  Beim  Verkauf  kam  das  Werk  an  die  nun  in 
Steiermark  nicht  mehr  existierende  Aktiengesellschaft  Blech- 
werk Johann  Adolfhütte,  das  Zeichen  zwei  Kreuz  an  das 
Forcherwerk  in  Rothenthurm. 

1900  wurde  das  Werk  demoliert,  die  Wasserkraft  be- 
nützt das  Blechwerk  Styria  in  Wasendorf. 

Außer  den  unbekannten  und  schon  früher  behandelten 
Gewerken  waren  noch  und  zwar  chronologisch 

1  Historischer  Verein. 

*  Hammerakten  im  Schloßarchive  zu  Nechelheim. 


118  Die  alten  üandelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Heinricher,  später  Grafen  von  Heinrichsberg. 

Die  Familie  dürfte  aus  der  Umgebung  Judenburgs  stam- 
men, da  außer  den  Ratsbtirgern  Heinricher  in  den  alten 
Kirchenbüchern  auch  Bauern  vorkommen,  z.  B.  1607  Simon 
Heinricher  „ein  Pauer,  in  Reifling**,  und  1605  Christoph 
Heinricher  am  Feberg. 

Als  Paten  in  Verbindung  mit  den  Salzmann,  1602 
Anna  Heinricher,  1602  der  Landrichter  Paul,  1624  Hermann, 
gehören  den  Ratsbürgern  zu. 

Das  Traubuch  meldet  24.  Februar  1609  Balthasar  Hein- 
richer ^  mit  Marie  Winkler  von  Unzmarkt  und  1625  Sattler 
Hans  Heinricher,  Burger  zu  Unzmarkt,  Sohn  des  Hans  Hein- 
richer, Rathsburger  und  Bierbrauer  zu  öttingen  in  Schwaben, 
wohin  vielleicht  ein  Judenburger  wanderte,  da  um  jene  Zeit 
die  Alpenländer  in  vielfacher  Verbindung  mit  Süddeutsch- 
land standen. 

1631  kauft  Hermann  Heinricher  von  Heinrichsberg  ^ 
das  Weyerschloß  von  Dr.  med.  Zolt  von  Zoltenstein. 

1635  wird  der  vom  Schwiegervater  Georg  Salzmann 
ererbte  Thorhof  in  den  adeligen  Sitz  Heinrichsberg  umge- 
tauft.^ Hermann  Heinricher  ^  von  und  zu  Heinrichsberg  adop- 
tierte 1646  den  Hans  Pagge  aus  Tamsweg,  die  aus  Feld- 
kirchen stammend,  13.  März  1601  geadelt  wurden  (Erzherzog 
Ferdinand). 

Hans  Heinricher  von  Heinrichsberg,  vormals  Pagge, 
wurde  1663  Freiherr,  sein  Sohn  Johann  Wihelm  1696  Graf. 

Spielberg  besaßen  sie  von  1668  bis  1736,  desgleichen 
Rottenbach. 

Ihr  Wirken  verewigt  eine  Spitalstiftung  des  Heinrich 
und  Bruder,  bestätigt  vom  Rate  Judenburg  12.  Mai  1617. 
Am  Paßhammer  schmiedeten  sie  um  1617  und  erloschen  im 
Mannesstamm  als  Grafen,  1.  Mai  1783. 

18.  April  1648  verkauft  Gülten  Anna  Weger  am  Paß- 

i  Seine  erste  Frau  war  die  Grazer  Ratsbürgerstochter  Maria 
Lechner,  die  17.  Juni  1585  urkundet.  Hist.  V.  XXII. 

«  L.  V.  Beckh-Widmanstetter:  Wanderungen  um  Judenburg  1890, 
und  desselben:  Die  neuen  Grafen  von  Ortenburg  und  ihre  Akte  als 
Pfalzgrafen.  Gerold,  Wien  1890. 

«  Hist.  V.  XXII.  24.  Januar  1616.  Landeshauptmann  Freiherr 
V.  Ursenpeckh  in  Kärnten  schenkt  seinen  Thorhof  den  Brüdern  Hans 
und  Hermann  Heimicher. 

*  Burggraf  zu  Judenburg.  v.  Beckh :  Die  Grafen  von  Ortenburg 
und  ihre  Akte. 


I  Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  119 

^  hammer  an  ihren  Bruder  Hermann  Hainricher,  3.  Mai  1649 

(i  verkauft  diese   ihren  Paßhof  und  Hammer  an  den  Haupt- 

mann Math.  Pölschinger  zu  Waschhofen. 

Moser. 

1680   übersiedelt   Abraham   Moser  vom   Sensenwerke 
»  Darbach  bei  W.-Garsten  auf  das  Sensenwerk  Griebl  in  Op- 

ponitz,  Zeichen  Posthorn.  1640  wird  Salamon  Sensenschmied- 
meister  in  Freßnitz  bei  Krieglach.  1654  ändert  Hans  den 
Paßhammer  in  eine  Sensenschmiede  um ;  er  wie  sein  Bruder 
Leonhard,  beide  aus  Michldorf,  errichten  1662  eine  Sensen- 
schmiede in  Judenburg  (an  der  Mur??),  Zeichen  dann  in 
Rotenthurm,  Leonhard  errichtet  1675  die  „Möderbruck"  neu. 
Die  Familie  Moser  in  und  um  Judenburg  scheinen 
^  die  oberösterreichishen  Pioniere  gewesen  zu  sein.' 

^     denn  es  ist  doch  auffallend,  daß  zu  ihrer  Zeit  die  drei  Sensen- 
*^  werke  im  Möschitzgraben,  also  in  ihrer  nächsten  Nähe,  ent- 

standen, nachdem  Hans  die  erste  Gründung  wagte. 

Die  Familie  existiert  zwar  nicht  mehr  im  Murtale,  aber 

*  sie  besitzt  seit  1680  das  Sensenwerk  in  Weißenbach-Lietzen, 
^  und  ist  vor  kurzem  dort  ausgestorben.^ 

i^  Hiezenberger. 

1671  wurde  Michael  aus  Michldorf  Sensenschmied- 
meister  in  Admont,  1684  Johann  von  dort  Sensenschmied- 
meister  in  St.  Peter  bei  Scheibbs,  1 686  kauft  Lorenz  von 
der  Pießling  bei  W.-Garsten   Singsdorf  -  Rottenmann.  1750, 

♦  Balthasar  von  Spital  a/S.  erheiratet  als  Sensenschmiedmeister 
den  Paßhammer.  In  Steiermark  ausgestorben,  der  letzte 
Sohn  ist  Gewerke  in  Scharnstein. 

p 

Schaffer. 

1823  kauft  Josef,  ^  Fleischhauersohn  aus  Knittelfeld,  den 

^  Sensenhammer  in  Breitenau  bei  Mixnitz;    er  war  der  Neffe 

des  Sensenschmiedmeisters  Simon  Stegmüller  in  Hopfgarten. 

Sein  Vetter  Josef*  (die   Großväter  waren  Brüder),  Seßler- 

scher  Verweser  in  Stanz,  kaufte  1853  den  Paßhammer  und 

^  starb  1903. 


«  Kraus,  Eherne  Mark.  S.  97.  sagt  irrig  „bei  St.  Gallen". 
«  Großvater  des  heutigen  Gewerken  Josef  in  Breitenau. 
3  Der  Sohn  des  Gewerken  in  Obdach. 


120  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

I 

Nr.  6.   Der  Hammer  am  Hammerberg^ 

westlich  von  Knittelfeld,  wurde  vom  Domstifte  Seckau  um 
das  Jahr  1586  neu  angelegt,  denn  das  Praesul.  Seccoviensis 
meldet  das  Privileg  des  Erzherzogs  Karl  an  den  Dompropst 
Erzpriester  Lorenz  vom  23.  Dezember  1586,  „das  am  neuen 
Hammer  geschlagene  Eisen  sei  nach  dem  welschen  Gebueth  ^ 

ungehindert  passiren  zu  lassen".  Es  ist  nicht  bekannt,  ob  der  i 

stiftische  Verweser  Thomann  Thin  1672  hier  oder  in  Sachen- 
dorf herrschte.  Die  Thin  waren  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
Eisenhändler  und  Gewerke  in  Brück,  Laming,  Kapfenberg,  \ 

Waldstein,  Deutsch-Feistritz,  Kallwang.  t 

Josef  Thinn  aus  Kallwang  war  1694  Chorherr  in  Seckau.  i 

Johann  Adam  baute  1690  den  abgeödeten  Hammer  in  Wald- 
stein und  Feistritz  aus,  als  Filiale   seiner  Brucker  Unter-  j 
nehmungen.    Der  Waldsteinerhammer  wurde  von  Pangratz- 
Windischgrätz  am  7.  Dezember  1575  in  Betrieb  gesetzt.  Die     «         ; 
Thin  wurden  21.  April  1731   geadelt  und  als  von  Thinfeld               J 
am  3.  Oktober  1853  baronisiert,  sind  aber  im  Mannesstamme 
erloschen.                                                                                                ( 

Der  Hammer  am  Hammerberg  wurde  wegen  der  Holz-  '^ 

kohlennot   1823  aufgelassen^  und  gehört  jetzt  zu  Sachen-  | 

dorf,  nicht  ein  Stein  erinnert  an  seine  Existenz.    Beim  An-  j 

kaufe  der  Staatsherrschaft  Seckau,  3.  November  1823,  durch  l 

die  neue  Radmeisterkommunität  Vordernberg  wurde  zur  Sicher-  1 

Stellung  des  Holzkohlenbezuges  und  über  Vorstellung  der  um-  1 

liegenden  Gewerken  die  Auflassung  beschlossen   und  fest-  ' 

gestellt,   daß  kein  neuer  Hammer  in  der  Gegend  mehr  er-  j 

richtet  werden  dürfe. '-^ 

Nr.  6.  Hopfgarten^ 

alte  Schmiede   am  Saumweg  zum  Salzstiegel,  östlich  Weiß- 
kirchen. I 
1651  heiratet  Mathias  Pammer  zur  Witwe  Regina  Rabl.                j 
1688—1812    waren    drei    Generationen    Simon   Steg- 
müller, der  letzte  starb  ledig  1812  in  Graz.  i 

1812 — 1832  Anna  Schachner,  seine  Erbin,  dann  Bruder 
Mat.  S.  I 

1833 — 1852  Mathias  und  Anna  Schachner.  j 

1853—1857  Ferdinand  Schachner  und  Frau  Katharina, 
geb.  Zeilinger. 

<  Lant  Komiteebeschluß.  : 

2  Göth:  „Vordernberg",  1839.  ' 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  121 

1858  Radmeisterkommunität  Vordernberg. 

1890  Franz  Paulus. 

Das  Werk  besteht   seit  1858  als  solches  nicht  mehr. 

Das  Zeichen,  zwei  Krummsäbel,  kam  ans  Forcherwerk 
Eppenstein  und  wurde  nach  Beckh  II,  424,  sehr  in  Amerika 
gesucht. 

Stegmüller. 

Abstammung  unbekannt,  wahrscheinlich  dem  Namen 
nach  Oberösterreicher,  ist  der  älteste  1688  in  Hopfgarten. 
Seine  Söhne:  Johann  kam  1710  nach  Passhammer,  Georg 
1721  nach  Eppenstein,  von  Hopfgarten  1744  nach  Obdach 
(Werk  Warbach),  von  Eppenstein  1754  in  die  Kainach. 

In  Obdach  war  1753  Franz  Hammerherr  in  Obdach 
und  in  der  Stegmühl  Math.  Sulzer,  letzterer  wohl  ein  neuer 
Hammer.  In  Möderbrugg  warl759  Math.  Stegmüller,  1773  Wolf. 

Die  Vordernberger  Radmeister  des  18.  Jahrhunderts 
gehören  wohl  zur  selben  Familie,   die  nun  ausgestorben  ist. 


Die  Sensenwerke  im  Möschitzgraben  hinter  St.  Peter  ob 
Judenburg. 

Die  früh  mittelalterlichen  Waffen-,  Bogen-  und  Zeug- 
schmieden entstanden  am  hohen  Gefälle  des  damals  wasser- 
reichen Möschitzbaches,  umgeben  von  Wäldern,  gespeist  vom 
Eisen  aus  Seethal,  Hüttenberg  und  Leoben.  ^ 


Nr«  7.  Ebnerwerk^  Zeichen  Sonne. 

1660  ändert  diese  Waffenschmiede  Hans  Grienauer  aus 
Klamm  bei  Rottenmannn,  von  wo  er  das  Zeichen'^  seines 
Vaters  mitbrachte,  weshalb  die  Zeichenrolle  Nechelheim 
wohl  den  Wolf  Grienauer  neben  den  zwei  Moser  als  einzige 
Sensenschmiedmeister  um  Judenburg  anführt.  Zeit  1660  -1670. 

1703  erheiratet  das  Werk  Gregor  Blumauer,  Sensen- 
händlerssohn aus  Kirchdorf.  Mit  seiner  Gattin  Juliana  er- 
sterben die  alten  Grienauer.  Er  stirbt  2.  April  1723. 

1723  heiratet  Barthol.  Helml  (ausgestorben),  aus 
Dürnbach,    die  Witwe  Blumauer,  der  1748   als  zweite  Frau 


1  Noch  beweisen  die  kunstvoll  angelegten  Wege  auf  und  über 
die  Alm  ihre  große  Benützung,  namentlich  für  Holzkohlentransport. 

«  Beckh,  II,  397,  führt  auch  die  Sonne  auf  der  Zeichenrolle. 
Solingen,  1600,  Joh.  Wilms. 


122  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Katharina  Stegmüller  aus  Hopfgarten  heimführt.  1750  heiratet 
diese  den  Joh.  Georg  Weinraeister  aus  Michldorf  (Singsdorf  ?). 

1803  übernimmt  der  Sohn  Franz  X.  Weinmeister. 

1823  kauft  Josef  Ebner  und  seine  Frau  Marianne 
Blumauer. 

1845  Josef  Ebner  sen.  und  jun.  zusammen. 

1870—1878  Josef  und  Marianne  Ebner,  geb.  Wagner. 

1878  —  1890  deren  Tochter  Karoline  Forcher  v.  Ainbach. 

1890  Karl  Wittgenstein  und  seine  Firmanachfolger. 

1892  die  Egydier  Stahl-Gewerkschaft. 

1894  die  vereinigten  Sensenwerke  Judenburg,  Kind- 
berg, Mürzzuschlag. 

1902  demoliert. 

1905  das  Zeichen   an  Foest  und  Fischer,  Judenburg. 

Blumauer. 

1706  erheiratete  Gregor  aus  Kirchdorf  die  Sonne, 
1759  kauft  sein  Sohn  Josef  das  Sensenwerk  Rothenthurm, 
dessen  Sohn  Mathias  erheiratet  1745  den  Rösselhammer, 
dort  folgten  1767  der  Sohn  Johann  bis  1791,  1820—1848 
Franz  Anton,  1788 — 1820  Mathias  mit  der  Gattin 
M.  A.  Blumauer  vom  Rössel,  1820  —  1849  Josef  Anton, 
1852—62  Johann  Blumauer  an  Hammer  in  Rothenthurm. 
Der  letzte  lebt  als  Oberlehrer  in  St.  Georgen  ob  Murau. 

Ebner. 

Am  19.  März  1790  wurde  Josef  der  Ältere  in  Hör- 
bach bei  Neumarkt  geboren,  heiratete  die  M.  A.  Blumauer 
13.  März  1818  vom  Rösselhammer,*  starb  10.  Juni  1870. 
Dessen  Sohn  Josef,  geboren  1820,  gestorben  10.  März  1878, 
vererbte  an  die  Tochter  Karoline,  verehelichte  Forcher  von 
Ainbach,  das  Werk  Sonne. 

Wittgenstein. 

Karl,  geboren  1844  in  Wien,  der  erfolgreichste  Eisen- 
gründer der  Neuzeit  Österreichs,  kaufte,  um  seinen  böhmischen 
Stahlabsatz  zu  sichern,  1890  die  vier  Forcherwerke  (zwei 
im  Möschitzgraben,  1  in  Rothenthurm,  1  in  Pols),  1891  Steg- 
müller im  Möschitzgraben,  dann  die  Werke  J.  Trauzl  in 
Kindberg,  Paul  Aigner  in  Mürzzuschlag,  und  konzentrierte 
die  Werke   an    der   vergrößerten  Muranlage   in  Judenburg. 

*  Marianne  Blumauer,    geb.  26.  Juni  1789,    gest.  15.  Juli  1844. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  123 

Die  noch  immer  „vormals  C.  Forcherschen  Werke" 
gingen  an  die  Gesellschaftsfirmen  über,  deren  letzte  heute 
lautet : 

Foest  und  Fischer. 

Geboren  in  Wien  1867,  Rudolf  Foest. 
Geboren  in  Wien  1872,  Hermann  Fischer. 


Nr.  8.  Stegmfillerwerk^  Zeichen  BösseL 

1672  umstaltete  Elias  Grünauer  von  Spital  a.  P.  den 
seit  1662   bestandenen  Zerrennhammer  zur  Sensenschmiede 
und  heiratete  1675  Anna  Moser  vom  Passhammer. 
.,  1690  -  1718    Hans   Georg   Rettenbacher    aus   Kirch- 

dorf heiratet  1710  die  Magdalena  Grienauer  von  der  „Sonne". 

1719-1735  ihr  zweiter  Gatte   Simon  Steinhuber   von 
^  Klaus,  Oberösterreich,   geboren  1697,  stirbt  14.  Juni  1735. 

1740 — 1744  der  Sohn  erster  Ehe,  Josef  Rettenbacher, 
verehelicht  mit  Magdalena  Zeilinger  von  der  Stegerling. 

1745 — 1764  Mathias  Blumauer  aus  Dümbach  heiratet 
"  die  Witwe. 

1767—1791.  Der  Sohn  Johann  Blumauer  heiratet  1774 
die  A.  M.  Weinmeister. 

1820-1848.  Franz  Anton  Blumauer. 

1848-1891.  Dessen  nichtverwandter  Adoptivsohn 
Johann  Stegmüller  aus  Eppenstein,  der  indirekt  von  den 
alten  Gewerken  stammen  kann. 

1891.  Wittgenstein  und  seine  Nachfolger. 
►  1901.  Demoliert. 

1906.  Schlägt  das  Zeichen  Foest  und  Fischer,  Judenburg. 

^  Rettenbacher. 

Der  älteste  bekannte  ist  Peter,  um  1580  geboren, 
seine  Nachkommen  wurden  in  Oberösterreich  Sensenhändler, 
in  Steiermark  Sensenschmiedmeister.  Die  letzten  Retten- 
bacher in  Oberösterreich  sind  Großsensenhändler  und  seit 
25  Jahren  Sensenschmiedmeister,  in  Steiermark  sind  sie  nur 
vorübergehend  erschienen. 

Steinhuber. 

Eines   der  wenigen  Urschmiedegeschlechter,  die  mehr 
»  als  300  Jahre  an  ihrem  Stammsitze  arbeiten.    Der  Steinhub 

^  in  Michldorf.  1677  änderte  Georg  den  Drahtzug  und  die  Nagel- 


124    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

schmiede  im  Feistritzgraben-Rothenthurm  in  ein  Sensenwerk, 
1703  erheiratet  Franz  den  Einöder  Hammer  bei  Neumarkt, 
sein  Neffe  Simon  aus  Klaus  heiratet  1719  die  Witwe  Retten- 
bacher. 

In   Steiermark  leben  noch  Nachkommen  als  Schmiede. 


Nr.  9.  Forcherwerk^  Zeichen  Feinbalbmond^ 

in  Österreich  Semmel  und  Halbmond  genannt.  1672  um- 
staltet die  alte  Hackenschmiede  Andreas  Pießlinger  von  der 
Kaixen  bei  Windischgarsten,  von  wo  er  mit  väterlicher  Be- 
willigung das  Zeichen  mitbringt.  Die  Familie  ist  altberühmt 
und  noch  im  oberösterreichischen  Handwerk  tätig. 

1703 — 1741  arbeiten  sein  Schwiegersohn  Kaspar  und 
Maria  Zeyringer,  geboren  1661. 

1742  -  1759.  Bernhard  Rettenpacher  vom  Rössel  und 
seine  Frau  Magdalene  Kaltenprunner  aus  Schamstein. 

1759 — 1782.  Wolfgang  Hilleprand  aus  Rottenmann. 

1782—1793.  Witwe  und  Stiefsohn  Anton  Hilleprand.  * 

179^—1814.  Einheirat  des  Johann  Fürst. 

1814 — 1827.  Kaufen  Josef  und  Marianne  Ebner. 

1827 — 1852.  Franz  X.  Weinmeister  aus  Singsdorf  und 
Victoria,  geb.  Koller,  aus  Mölln. 

1852.  Nikolaus  v.  Forcher. 

1861—1862.  Dessen  Söhne  Vincenz  und  Konrad. 

1863—1890.  Konrad  Forcher  von  Ainbach. 

1890.  Karl  Wittgenstein  und  Nachfolger. 

1900.  Demoliert. 

1906.  Das  Zeichen  schlagen  Foest  und  Fischer, 
Judenburg. 

Hillebrand. 

In  Deutschland  gibt  es  sehr  viele  Familien  des  Namens 
Hillebrand,  Hilleprandt,  Hildebrand,  Hildenbrand,  so  daß  sich 
einige  dieser  Namensträger  besonders  um  die  Abstammung 
bekümmerten,  zu  welchem  Zwecke  eigens  eine  Fachzeit- 
schrift in  zwanglosen  Heften  erscheint. 

„Die  Geschichtsblätter  der  Familien  vom  Stamme 
Hildebrant"  erschienen  zuerst  1897  in  Stolp  in  Pommern 
und  nun  in  Braunschweig  im  Verlage  Johannes  Hildebrand. 

1  Anton,  das  dritte  Kind  Wolfs,  geb.  2.  Juni  1763,  starb  am 
3.  Juni  1793. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  125 

Sie  enthalten  eine  Reihe  von  Stammhäumen  aus  den  ver- 
schiedensten Teilen  des  'Reiches  und  Österreichs,  letztere 
hauptsächlich  aus  der  Feder  des  Rittergutsbesitzers,  Ritt- 
meister Traugott  Hildebrand  auf  Kokorczyn  bei  Kosten,  Pro- 
vinz Posen.  Speziell  ftir  Steiermark,  behandelt  er  die  wich- 
tigen Hildebrand  in  Eisenerz  und  Vordemberg  und  die  von 
ihnen  ausstrahlenden  v.  Prandegg,  Brandenau,  v.  Prandten- 
berg  und  die  Hillebrand  Rottenmann.  Die  Namensentstehung 
ist  austührlich  erörtert.  Auch  ich  habe  auf  dem  Wege  der 
steirischen  Dorfnamenvergleichung  das  gleiche  Resultat  zu- 
tage gefördert,  daß  der  Name  kein  gotischer,  sondern  ein 
fränkischer  ist,  und  die  Urheimat  nahe  dem  Fundort  des 
Hildebrandliedes  zwischen  Fulda,  Wetzlar  und  Friedberg, 
also  dem  hessischen  Eisenlande  zuzuschreiben  ist;'  wohin 
ja  auch  die  Tradition  deutete.  Ohne  Beweise  war  ich  der 
Meinung,  die  Rottenmanner  Hillebrand  seien  eines  Stammes 
mit  den  Eisenerzern  gewesen,  die  wahrscheinlich  willkürlich 
angenommene  Wappengleichheit  sprach  allein  dafür.  Erst 
die  Notiz  im  Totenbuch  von  Rottenmann,  „1719  ein  Sensen- 
schmied von  Windischgarsten",  veranlaßte  mich,  in  Ober- 
österreich Nachfrage  zu  halten,  die  mir  der  einzige  Kenner, 
Herr  Bürgermeister  Franz  Schröckenfux  in  Windischgarsten, 
in  ausgiebigem  Maße  darbot.  Seine  Auskunft  ist  auch  für 
viele  ganz  willkürlich  im  Dunklen  herumsuchenden  Namens- 
forscher außerordentlich  interessant  und  beweist,  daß  die 
Rottenmanner,  St.  Peter,  Kindberger,  Pölser  Hillebrand  ganz 
echteste  Oberösterreicher  sind  und  ihr  Namen  nichts  mit 
dem  fernen  Franken  Hildebrand  zu  tun  hat.  Herr  Schröcken- 
fux, selbst  ein  Sproß  einer  seit  drei  Jahrhunderten  sensen- 
schmiedenden Familie,  2  gibt  den  Namen  als  tatenbezeichnen- 
den Kombinationsnamen,  wie   er  selbst  und  so  viele  Ober- 


*  Für  uns  südlich  der  Mainlinie  gelten  andere  Gesetze  bezüglich 
rein  germanischer  Namen,  heute  noch  sind  die  Menschen  anderer  Art, 
und  halte  es  ganz  ausgeschlossen,  daß  unsere  gleich  den  fränkischen 
Hildebrands  sich  herleiten  sollten.  Hilt-Prant,  Eist.  Ver.  1881,  Zahn, 
steirischer  Taufnamen,  mag  ja  bei  den  Franken  Kampf-Schwert  be- 
deutet haben,  bei  den  Oberösterreicher  Elingenschmieden  liegt  die 
Heldensprache   zu   ferne    und    die  Handwerksrede  wohl  am  nächsten. 

>  Die  Familie  stammt  aus  Waidhofen  a.  d.  Ybbs,  kam  1590  nach 
Oberösterreich,  Michel  nach  Leonstein.  Außer  diversen  Werken  in  Steier- 
mark (zuletzt  Fresen  bei  Niederwölz)  besaß  eine  Linie  den  Drahtzug 
in  Hall  bei  Admont  1590 — 1842  ohne  Unterbrechung  (laut  Kraus  „Eh. 
Mark").  Johann  Michael  Schröckenfux,  Urenkel  des  Michel,  kaufte  1726 
die  Weilnersche    Sensenschmiede   in   Rottenmann,    benannte   sie   nach 


126    Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslände. 

Österreicher  wie  nirgends  in  heute^  deutschen  Landen  tragen. 
Die  ürschmiede  trugen  Taufhamen,  denen  bezeichnende 
Spitz-  und  Ruftiamen  zugefügt  und  vererbt  wurden,  wie  ja. 
gerade  ihre  Landsleute  heute  noch  durch  ebenso  bezeich- 
nende, wie  vielsilbige,  langatmige  Unterschriften  glänzen. 
Der  erste  Schmie^i  Hillebrand  dürfte  eine  Feuersbrunst  mit 
Decken  oder  Erde  verhüllt  haben  und  wurde  von  seinen. 
Genossen  Hüllebrand  gerufen.  Hülle  ist  der  Dialektausdruck 
für  Bettdecke,  die  alten  Schmiede  sagten  Hüllebrand  oder 
HöUeprand.  Späte  Wappenfabrikanten  benutzten  zwar  kühne 
nordgermanische  Namenshistorien  zum  Ergötzen  vieler  Be- 
steller, aber  die  Richtigkeit  meiner  Erklärung  beweisen  die 
Namen  gleichzeitiger  Michldorfer  Sensenschmiede  1580 — 1615. 
Peter  Löschenbrandt  (Lösche  den  Brand !)  lebt  1580—91, 
der  Admonter  Beichtvater  der  Gößer  Nonnen,  P.  C.  Anger- 
brand 1718  (er  brannte  einen  Anger  ab!),  ^  Georg  Boigen- 
zain  auf  der  Blumau  (Biege  den  Zain,  also  der  bessere  Ar- 
beiter bei  der  Arbeitsteilung,  vielleicht  der  Gehilfe  des 
„Hammerschmied",  oder  des  „Abschiennerer".  ^  Wolfgang^ 
Röckenzain  (Recke  den  Zain,  der  heutige  Hammerschmied,  der 
den  Stahlstab  streckte,  aus  dem  die  Sense  gebreitet  wurde), 
Reisenzain  (der  Hammerschmiedgehilfe)  etc.,  Zaindlmaier  (der 
N.  Mayr,  der  Zaine  schmiedete),  die  Hebentanz,  die  Heben^ 
streit,  sie  alle  gehören  zu  den  immer  einst  lustigen  Schmieden 
und  ihre  Rufnamen  waren  geradeso  begründet  bei  der  Arbeit 
wie  bei  der  Lustbarkeit,  der  wohl  die  Witznamen  der  alten. 
Gewerken  zugehören,  die  heute  noch  blühen  oder  in  Er- 
innerung sind,  wie  die  Weinmeister,  die  Roßtäuscher,  die  Eis- 
vogel, die  Rothfux,  die  Schröckenfux  und  andere.  Die  Hille- 
brand sind  Oberösterreicher  „Ursengschmiede",  die  in  der  Zeit 
von  1580  bis  zu  ihrem  Aussterben,   1891,  nachweisbar  die 

seiner  alten  Heimat,  seit  1687  „Roßleithen"  bei  Windischgarsten. 
1770  verkaufte  sein  Sohn  Adam  das  Werk  mit  dem  gleichen  Zeichen 
an  seinen  Schwager  Franz  Jacob  Hillebrand,  am  Hochzeitstag  9.  Juli, 
als  angehender  Sensenschmiedmeister  im  Traubuch  Rottenmann  ein- 
getragen, Gatte  der  Helene  Schröckenfux. 

Die  Schröckenfuchs  blühen  noch  als  Gewerke  in  Oberösterreicl^. 
Von  der  Roßleithen  kamen  sie  nach  Übelbach,  Obdach,  Fresen, 
Garsten  als  Sensenschmiedmeister.  Die  Drahtzieher  und  Hammerherren 
kamen  auch  nach  Schladming  und  sind  nicht  mehr  in  Obersteier. 

*  Der  Admonter  Profeß  Dominik  Angerbrandt,  1.  Mai  1705,  im 
Hist.  Ver.,  Heft  9,  von  1859.  Der  in  Salzburg  vorkommende  Name 
Neubrand  und  Hausbrand  in  Triest.  Gerstenbrand  in  Wien. 

*  Beckh,  II,  422,  wo  immer  der  Band  der  fünf  großen  Bände- 
Kulturgeschichte  gemeint  ist. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  127 

Schmiedekunst  in  allen  ihren  Stadien  der  Verbesserung  auf 
folgenden  Werken  ausübten :  Michldorf  1580 — 1587,  Scharn- 
stein  1594  auf  vier  Werken  bis  zirka  1700,  Windisch- 
garsten  1606,  Hammerl  bei  St.  Leonhard  im  Mühlviertel 
cirka  1700,  Rottenmann  drei  Werke  1716—1772,  Singsdorf 
bei  Rottenmann  1775 — 1785,  Möschitzgraben  bei  St.  Peter 
ob  Judenburg  1759—1793,  Kindberg  zwei  Werke  1785—1868, 
Schladming  1803,  Pols  1827—1891. 

Nachweisbar  sind  die  Oberösterreicher  Hillebrand 
mit  den  mittelalterlichen  Eisenärzer  und  Vordernberger  Rad- 
meistern samt  ihren  anderen  obersteirischen  stahlschmiedenden 
Verwandten  nicht  im  verwandschaftlichen  Verhältnisse,  wohl 
aber  liegt  es  nahe,  daß  die  Eisenschmiede  Oberösterreichs 
in  Handelsverbindungen  nach  den  Eisenwurzen  zogen  und 
sich  dort  festsetzten,  bis  die  Gegenreformation  einen  Ast 
1600  wieder  bis  nach  der  Provinz  Posen  verschlug. 

Einen  Familienzusammenhang  möchte  ich  aus  der 
großen  Ähnlichkeit  der  steirischen  Hillebrands  mit  denen 
der  Hildebrand  auf  Kokorczyn  ziehen,  die  besonders  die 
Porträts  Ende  des  18.  Jahrhunderts  aufweisen. 

Der  älteste  urkundliche  Petrus  Hillebrand  '  war  1419 
Pfarrer  in  Fraßlau,  1410  in  Praßberg,  1414  öffentlicher 
Notar  „von  Isenach",^  vermutlich  der  gleiche,  der  1395 
de  Isenaco  studierte  und  in  Erfurter  Matriken  vorkommt. 
Um  Aussee  gibt  es  heute  noch  viele  Hillebrand,  meist  Hilt- 
prand  geschrieben.  Die  von  Ottenhausen  und  von  Prandau 
zählen  ja  auch  dazu,  die  ich  an  der  nahen  Grenze  Ober- 
österreichs den  fruchtbaren  Sensenschmieden  von  Micheldorf 
und  Scharnstein  zuschreibe.  Von  der  Eisenverlagsstadt 
Steyer  '  dürfte  wohl  als  erster  an  die  Eisenwurzen  gekommen 
sein  Wolf  ^  1470 — 73,  der  St.  Peter  am  Freiensteine  um 
1452  Pfund  Salz  pflegweis  innehatte,  von  ihm  stammen  wohl 

«  Grozen  Ign.  v.,  Bistum  Lavant,  II.,  1877,  S.  168,  164. 

*  Angabe  der  steirischen  Quellen  in  der  Hildebrandszeitschrift. 

3  Das  Rauheisen  kam  von  Eisenerz  und  Steyer  in  die  Werke 
und. von  dort  zurück  als  „geschlagenes  Zeug"  in  die  Verlegstadt  Steyr 
zum  Geldbeheben. 

*  Ein  öfter  wiederkehrender  Familientaufname,  der  ja  auf  die 
Diözese  Regens  bürg  und  ihren  Gründer  WoKgang  weist,  von  welchem 
Bajuvaren,  gemischt  mit  den  brünetten  keltischen  Schmieden  doch 
wohl  die  Sensenschmiede  stammen.  Um  zirka  1000  n.  Ch.  wurde  noch 
vereinzelt  um  Kremsmünster  windisch  gesprochen.  (Strnadt,  die  Geburt 
des  Landes  ob  der  Enns,  S.  14,  15;  Mon.  boic.  XI.  106;  Kämmel, 
die  Anfänge  deutschen  Lebens  in  Österreich,  S.  160—163). 


128    bie  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

die  später  ausgewanderten  Radmeister,  die  1550 — 1600  in 
Eisenerz  „Flossen"  sotten  und  die  in  Vordernberg  1552  bis 
1700  drei  verschiedene  Radwerke  betrieben. 

Die  immer  wiederkehrenden  Wolf  und  Max  deuten  doch 
auf  gemeinsame  Ureltern,  die  nach  Jahrhunderten  wieder  in 
Erinnerung  kamen,  und  alle  adeligen  Gewerken  Hillebrands 
gehören  ihnen  an,  von  denen  Jacob  1636  als  von  Prandegg, 
1662  Freiherr  auf  Schrattenberg,  Johann  Frid.  1652  als 
von  Prandtenberg  und  Peter  1674  als  von  Prandau  nobilitiert 
wurden. 

Unruhige  Geister  studierten  im  Auslande,  so  1587 
Esaias  Hildebrandus,  Noricus  an  der  Universität  Frankfurt 
an  der  Oder,  wie  ohne  näherem  Herkommen  die  Matrikel 
beweist.  Die  Alpenländer  beherbergten  im  späteren  Mittel- 
alter viele  Hillebrand. 

Über  die  einflußreichen  Radgewerken  Hillebrand  in 
Eisenerz  und  Vordernberg  bringen  die  Familienblätter  die 
Daten  ihrer  Existenz.  In  Eisenerz  erscheinen  sie  um  1547, 
1549  Max  Hilliprandt,  Marktrichter,  und  als  solcher  wohl 
aus  den  Radmeistem.  Hans  1547  Marktschreiber.  Leonhard 
starb  1580  als  Radmeister.  Die  Brüder  Hans  und  Marx 
(vielleicht  einst  Marcus)  erhielten  14.  Jänner  1561  das 
Wappen  „schwarzer  Mann  mit  Brandstock  in  gold".  Hans 
verkaufte  als  vertriebener  Protestant  das  Radwerk  1600  an 
Silbereisen,  dessen  Nachkommen  zogen  nach  Alt-Driebitz  bei 
Glogau  in  Pr.-Schlesien  und  von  dort  auf  die  Güter  in  der 
Provinz  Posen,  wo  sie  noch  blühen.  ^  In  Vordernberg  besaßen 
Max  das  Radwerk  Nr.  7  von  1568—1590,  Georg  1595  bis 
1603,  Max  besaß  1601 — 22  Nr.  9,  dessen  Administration 
1622—24,  Johann  Friedrich  Hilleprandt  besaß  Nr.  2  1700, 
der  schon  1682  Radmeister  dort  war.  In  Eisenerz  erschien 
der  Name  zum  letzten  Male  im  kaiserlichen  Gegenschreiben 
Georg  Hilleprandt,  der  1639  starb.  Der  Stammbaum  der 
steirischen  Sensenschraiedmeister  besagt  aus  den  bisher,  er- 
haltenen Daten,  wie  ein  typischer  Gewerkenstammbaum  sich 
aufbaute,  dem  nichts  weiter  zuzufügen  ist. 

Wegen  Raummangels  wurden  alle  weiblichen  Glieder 
und  der  Sache  wegen  hier  die  Nichtgewerken  weggelassen, 
bis  auf  die  letzten  Stammesglieder,  aber  die  authentischen 
Daten  zeigen,  daß  lange  nach  der  Einführung  des  Frei- 
handels die  alten  Familienverbindungen  stets  fest  im  alten 


1  Auf  Kokorczyn  und  Slivno. 


Von  Franz  Forclier  von  Ainbach.  129 

Zunftwesen  und  seinen  Verbindungen  wurzelten.  Mit  dadurch 
erhielten  sich  die  Hillebrand  Jahrhunderte  im  Handwerk 
und  sicher  schon  lange  vor  Unkundenbeweisen  hänunemd, 
strebten  die  freien  Sensenschmiede  nicht  nach  hohen  Titeln 
und  späteren  Beamtentum,  bei  denen  ihre  Namensvettern, 
von  den  Hammergewerken  abstrebend,  meist  unerfreuliche 
Erfahrungen  machten.  ^ 


Nr.  10.  Das  Sensenwerk  Bothenthurm 

früher   genannt   der   Drahtzug   und   Nagelschmiede   in   der 
Feistritz  unter  Rothenthurm  nächst  Judenburg. 

1677  in  eine  Sensenschmiede  umgewandelt,  1683  in 
Betrieb  gesetzt  von  Georg  Steinhuber  aus  Michldorf  bis 
1730,  der  1681  Marie  Moser  vom  Paßhammer  heiratete. 

1731 — 1759  Martin  Zeyringer  durch  Zuheirat  zur 
Witwe  Steinhuber. 

1759 — 1788  Josef  Gregor  Blumauer,  Sensenhändlers- 
sohn aus  Kirchdorf,  Gattin  Elise  Weinmeister  von  der 
Möderbruck. 

1788—1798  Mutter  und  Sohn  Johann  B. 

1798 — 1830  Matthias  Blumauer,  Gattin  Anna  Blumauer. 

1830 — 1849  Josef,  Gattin  Genovefa  Setznagel. 

1853 — 1863  Johann  Blumauer,  Gattin  Marie  Legen- 
steiner. 

1864  Konrad  Forcher  von  Ainbach,  der  auch  eine 
Tiegelgußstahlhütte  hinzufügte. 

1890  Karl  Wittgenstein  und  seine  Nachfolger. 

1900  demoliert. 

1906  Das  Zeichen^  schlägt  Foest  und  Fischer,  Juden- 
burg. 

Die  Genealogie  aller  dieser  Familien  ist  bekannt,  nach- 
dem fast  nur  zunftmäßige  Abstämmlinge  der  Oberösterreicher 
vorkommen  und  sich  die  Orthographie  allein  mit  dem  Laufe 
der  Zeiten  änderte. 


<  Der  großartige  Konkurs  des  Schrattenberg  prächtig  aus- 
schmückenden Victor  Hillebrand,  seit  1662  Freiherr  von  Prandegg. 

«  Beckh  II.,  397,  führt  das  alte  Zeichen  —  Kreuz  ohne  Tipfei  — 
im  Solinger  Zeichenbuch  anno  1500. 

9 


130  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Nr.  11.  Zellingerwerk  Knittelfeld. 

Nachdem  von  dieser  Familie  leider  keine  speziellen 
Daten  zu  erhalten  waren,  sind  die  Nachrichten  am  unvoll- 
ständigsten. Das  Werk  war  eine  mittelalterliche  Zeug- 
schmiede am  Ingering-Werkskanalbache.  * 

1716  dürfte  der  Oberösterreicher  Sensenschmied  Josef 
Eckl,  hinzuheiratend,  die  Schmiede  umgestaltet  haben. 

23.  Juni  1729  starb  er,  worauf  seine  Witwe  den  Josef 
Steinhuber  heiratete.  Dessen  weitere  Witwe  Barbara 
Heindlerin  aus  Michldorf. 

6.  November  1736  heiratet  den  Johann  Michel  Moser, 
geb.  1716,  aus  Oberösterreich;  der  schmiedete  bis  1758. 

1769  erscheint  Josef  Zeilinger,  Gatte  der  Marie  Moser 
aus  Wasserleit.  5.  August  1810  verkauft  Michael  Moser  an 
Michael  Weinmeister. 

1844  Simon  Weinmeister. 

1845—1850  Christof  Weinmeister. 

1850,  25.  Jänner,  Johann  Alois  Zeilinger  aus  Uebel- 
bach  (aus  Oberösterreich  kommend). 

1861  dessen  Sohn  Franz. 

1903  dessen  Sohn  Otto  Zeilinger,  geb.  26.  Juli  1872. 

Nr.  12.  Zeilingerwerk  Eppenstein.^ 

1721  Simon  Stegmüller  vom  Hopfgarten,  Sensenschmied- 
meister. 

1758—1810  Josef  Stegmüller. 

1810 — 1818  Josef  Weninger  als  Vormund  der  Erben. 

1818—1823  Franz  Stegmüller. 

1823—1859  Johann  Alois  Zeilinger. 

1860—1894  Leopold,  dessen  Sohn. 

1906  dessen  Enkel. 


1  Das  Zeichen  „gekröntes  Haupt"  auf  vielen  Schwertern  führt 
auch  Joh.  Wunde  in  der  Solinger  ZeichenroUe  1554,  das  1774  Peter 
Wezersberger  um  4  Kronentaler  kauft.  Ebenso  das  Eppensteiner  Zeichen, 
der  Reichsapfel,  hier  griech.  Kreuz,  Wappen  Potocki  genannt,  Beckh,  II, 
395,  schlug  der  Waffenschmied  Joh.  Wunde  in  Solingen  schon  1560. 
Die  ersten  Waffenschmiede  kamen  ja  doch  von  hier  und  brachten  das 
Zeichen  mit  nach  Deutschland. 

«  Zweifellos  eine  alte  Zeugschmiede  am  Militärwege  von  Virunum 
nach  Wels,  im  II.  Jahrhundert  angelegt,  wie  römische  Pfeilspitzen  und 
ein  Grabstein  (vielleicht  des  Thurmerbauers  der  Talsperre)  nachweisen. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  131 

Nr.  13.  Pfarnihammer 

am  westlichen  Rande  Knittelfelds. 

Mittelalterliche  Pfannenschmiede. 

1800  Herr  N.  v.  Reindlingen. 

1824  Mathias  Theisbacher. 

1830  Johann  Theisbacher. 

1840,  8.  Mai.  Nikolaus  v.  Forcher. 

1855  in  ein  Sensenwerk  umgewandelt. 

1861  Johanna  v.  Forcher. 

1873  abgebrannt. 

Seitdem  als  Hammer  nicht  mehr  in  Verwendung. 


Nr.  14.  Schattenberg 

Vulgarname  Zeilinger  in  Gaal. 

1860    letzterbautes  neues  Sensenwerk  durch  Johann 
Alois  Zeilinger,  damals  schon  in  Knittelfeld. 
1906  Otto  Zeilinger. 


Nr.  15.  Forcherhammer,  Eppenstein 

vermutlich   spät  mittelalterliche  Hackenschmiede,   die  1860 
von  Nicolaus  v.  Forcher    in    ein    Sensenwerk   umgewandelt 
wurde,  wohin  auch  die  „Zeichen"  vom  aufgelassenen  Hopf- 
garten und  später  vom  Pfannhammer  übertragen  sind. 

1861  Johanna  v.  Forcher. 

1894  verkauft  an  Leopold  Zeilinger. 


Beckh;  I.,  847,  besagt,  daß  die  Sonne  und  Mond  in  ihren  Kom- 
binationen altorientalische  Zeichen  auf  den  Schwertern  waren.  Zuerst 
religiöse  Abzeichen,  wurden  sie  Meisterzeichen,  die  mit  der  Kunst  nach 
Europa  wanderten.  Das  Zeichen  Potocki  —  griechisch  Kreuz  —  war 
der  Stempel  der  Kreuzritter  —  mit  dem  sie  in  Jerusalem  ihre  Schwerter 
zeichnen  ließen.  Es  liegt  also  nahe,  daß  ein  Kreuzfahrer  dem  Waffen- 
schmied den  hohen  Wert  und  Segen  der  Klinge  erklärte  und  dieser 
seine  Ware  als  besonders  gut  und  segenbringend  durch  dies  Zeichen 
leichter  verkaufte.  Immerhin  ist  Wappen  und  Zeichen  dadurch  ver- 
schieden, daß  der  untere  Querbalken  schief  ist  und  nur  die  Ähnlichkeit 
die  jüdischen  Händler  veranlaßte,  Potocki  und  nicht  griechisch  Kreuz 
zu  sagen. 

9* 


132  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

Die  Pffannenschtnieden. 

Die  neue  Art  der  Erzeugung  von  mit  Pressen  ge- 
stanzten Blechgeschirren  ist  die  billige  und  schlechtere  Ver- 
größerung der  alten  steirischen  Pfannenschmiederei. 

In  Obersteier  war  die  Hauptnahrung  der  Brennsterz, 
in  Untersteier  der  Türkensterz,  die  in  gestielten  Pfannen 
gekocht  wurden.  Zum  Schmieden  der  großen  Pfannen,  die 
für  die  Polenta  und  die  Mamaliga  nach  Italien  und  mur- 
abwärts  in  die  Donauländer  gingen,  benötigte  man  tadellose 
„Pfanneisen". 

In  der  alten  steirischen  Herdfrischerei  wurden  diese 
vollkommen  gleichmäßigen,  zähen,  festen  Halbprodukte  er- 
zeugt, die  nur  bei  sorgfältigster  Auswahl  sich  risselos  unter 
dem  Wasserhammer  in  die  gewünschte  Form  treiben  ließen.  ^ 
Mit  dem  Aufhören  der  Herdfrischerei  in  den  1860er  Jahren 
fehlten  die  guten  Pfanneisen  und  damit  endete  diese  alte 
aber  kleine  Exportindustrie.  An  vielen  Orten  entstanden  Fa- 
briken gestanzten  Blechgeschirres,  die  mit  dem  vielgeglühten 
und  gebeizten  Blech  die  alte  Qualität  nie  erreichen  konnten, 
aber  die  großen  Pfannen  waren  bei  den  kleineren  Rationen 
kein  Bedürfnis  mehr  und  die  billigen  dünnen  Blechgeschirre 
entsprechen  den  heutigen  Ansprüchen  besser*-'  und  sind  bei 
der  enorm  zugenommenen  Menge  der  kleinen  Haushaltungen 
viel  ökonomischer. 

Die  älteste  Pfannenschmiede  war  in  Knittelfeld,  die 
heute  noch  der  Pfannhammer  heißt. 

Riednamen  auf  den  Katasterkarten  sind  stets  ein  B^leg 
vielhundertjährigen  Gebrauchs,  auf  dies  Alter  deuten  die 
„  Pfannschmiedwiesen " . 

Urkundlich  ist  nichts  bekannt,  nur  in  den  Kirchen- 
büchern Knittelfelds  erscheinen  Pfannenschmiede  1725,  1771, 
1794.  In  jenen  St.  Peters  ob  Judenburg  1710  Rupp  Fehrner, 
Pfannschmiedmeister  in  Paßhammer.  Beim  neuen  Aufschwung 
wurde  im  Paßhammer  die  Erweiterung  mit  einem  Sensen- 
werk 1654  nachgewiesen.  Der  Pfannhammer  in  Knittelfeld  ge- 
hörte um  1800  Herrn  N.  v.  Reindlingen,  1824  Mathias  Theis- 
bacher,  1830  Johann  Theisbacher,  8.  Mai  1840  Nicolaus  von 


»  Peter  Tunner,   Der  wohlunterrichtete  Hammermeister,   S.  120. 

»  Die  „Kucheldim"  war  eine  Athletin,  die  fUr  60  Schmiede  und 
Hausleute  den  Sterz  zu  stechen  hatte;  mit  der  Einführung  des  Spar- 
herds begann  auch  das  Sparen  beim  Kochen  und  da  entspricht  gerade 
das  dünnste  Stanzgeschirr. 


Von  Franz  Forcher  von  Ainbach.  133 

Forcher,  1861  dessen  Witwe,   1855  in   ein   Sensenwerk  um 
gestaltet,  1873  abgebrannt  und  nun  außer  Betrieb. 

Die  Reindl  von  Reindlingen  besaßen  im  17.  Jahrhun- 
dert das  Hammerwerk  Fächern  bei  Oberwölz,  die  Theisbacher 
waren  Schmiede  aus  Maßweg  bei  Knittelfeld.  Den  alten 
aber  relativ  unbedeutendsten  Export  ins  Ausland  hatte 

Der  Speik. 

Die  Spicanarde  noricorum  der  Römer,  die  Valeriana 
celtica  der  Botaniker  bedeckte  als  stark  riechende  Alpen- 
pflanze die  großen  Flächen  des  Urgebirges,  die  durch  Raub- 
bau ziemlich  dezimiert  wurde.  Ihr  Geruch,  vereint  mit  dem 
der  Fedemelken,  gleicht  dem  der  Macchis  in  Korsika ;  des- 
halb sammelten  wohl  seit  undenklichen  Zeiten  die  Almhalter 
und  Wurzelgräber  die  Wurzeln  für  obersteirische  Händler,  * 
die  große  Fässer  nach  Triest  sandten.  Im  Orient  fllr  die 
Karavanen  entzweigeschnitten,  diente  der  Inhalt  fllr  aroma- 
tische Bäder  und  Räucherungen.* 

Das  Geschäft  hat  aber  sehr  nachgelassen;  einesteils 
verbieten  die  Almbesitzer  die  fortdauernde  Lockerung  des 
Erdreiches,  andemteils  haben  neue,  chemisch  erzeugte  Par- 
füms neue  Moden  auch  im  fernsten  Orient  kreirt  und  die 
modernen  Mediziner  kurieren  die  Hysterie  auf  andere  Weise. 

Mit  diesen  relativ  wenigen  Daten  sind  bis  auf  weiteres 
die  Nachrichten  über  den  Auslandshandel  des  Murbodens 
erschöpft. 

Siebzehn  Jahrhunderte  vergingen,  ehe  der  Nerv  den 
Muskel-  ersetzte.  Die  nivellierende  Zeit  hat  alle  berührten 
Exportindustrien  fast  verwischt  und  so  blieb  fast  nichts  mehr 
als  die  Erinnerung  und  beim  Eisen  die  Aktie. 

Dies  unpersönliche  kalte  Papier  nimmt  nur,  gibt  dem 
Allgemeinen  im  Detail  möglichst  wenig,  und  trotz  aller  un- 

>  Hüttenberg  war  die  Zentrale  für  die  Seetaleralpen,  Oberwölz 
und  St.  Peter  a.  K.  für  die  Tauern,  Turrach  für  die  weiteren  Alm- 
reviere. 

«  Zahn,  Miscellen  1899,  bringt  die  Notiz,  4.  Juni  1460  gewährt 
Kaiser  Friedrich  III.  den  Bürgern  von  Judenburg  das  Monopol  des 
Speikhandels  für  Steiermark  und  auswärts,  „so  man  umb  Judenburg 
und  in  unserm  Fürthenthum  Steier  grabt,  allenthalben  in  welsche  Länder 
vertreiben  mögen  gegen  50  ungar.  Goldgulden  jährlich". 

Dr.  F.  Mart.  Meyer  erwähnt  1892  in  den  bist.  Vereinsbeiträgen 
unter  „geringen  Fiscalitäten"  den  Appalto  von  Speik  und  Loriett  mit 
5000  fl.  per  Jahr.  Es  muß  also  das  Bohren  des  Lärchenpechs  und 
der  Speikhandel  noch  im  XVIII.  Jahrhundert  nicht  unbedeutend  ge- 
wesen sein. 


134:  Die  alten  Handelsbeziehungen  des  Murbodens  mit  dem  Auslande. 

geheuren  Verbesserungen  hat  sich  der  Einzelne  die  Lage 
nicht  verbessert  und  dabei  die  eigene  Zufriedenheit  dem  Fort- 
schritt geopfert. 

Die  Votivtafel  des  Wolf  Hillebrand  von  1759  am  For- 
cherhammer in  St.  Peter  =  Möschitzgraben,  die  das  Werden 
der  Murbodener  Sensengewerken  illustriert,  mag  auch  als 
Grabmal  fllr  alle  alten  Gewerken  dienen. 

Unterm  Sensenzeichen  „Feinhalbmond"  steht: 

A.  P.  1679.  C.  Z.  1732.  P.  R.  P.  1742. 

(Andreas  Pieslinger),  (Caspar  Zeyringer),  (Peter  Rettenbacher). 

All  Obige  seyn  abgewichen 
dheils  durch  Tott^  auch  andern  Oschichten. 

Mihr  war  es  demnach  unbekannt, 

Wann  ich  werd  müssen  von  dean  Haus  und  Land. 

Befillch  also  Gott,  dis  Haus,  mich  und  all  das  Mein 

das  er  der  wahre  Haussvater  mag  wohl  seyn. 

W.  HP.  1759. 
(Wolfgang  Hillebrand.) 


Ein  altes  Mariazeller  Marktsiegel. 

Von  Johann  Schmut* 


Bis  jetzt  war  man  völlig  im  Unklaren  über  die  Gestalt 
und  Bauart  jener  Kapelle  oder  Kirche,  die  zu  Mariazeil  an 
Stelle  der  ursprünglichen  Holzzelle  erbaut  worden  war  und  1266 
zuerst  urkundlich  genannt  wird. 

Der  Verfasser  dieser  Zeilen 
ist  bei  seinen  Forschungen  über 
die  ältere  Geschichte  des  be- 
rühmten Wallfahrtsortes  auf  das 
bisher  übersehene  Bild  des  be- 
zeichneten Kirchleins  aufmerk- 
sam geworden  und  teilt  es 
hiermit  den  Freunden  der  stei- 
rischen  Geschichte  mit. 

An  einer  St.  Lambrechter 
Urkunde  (Orig.-Perg.  No.  502), 
ausgestellt  am  1.  Mai  1389  zu 
Mariazeil,  in  welcher  Kunz  Le- 
bein's  Sohn  in  der  Wazznebn  und 
seine  Hausfrau  sowie  auch  noch 
vier  andere  Parteien  bekennen, 
daß  ihre  Vorfahren  von  dem 
Zeller  Pfarrer  Haidenraich  je  ein  oder  zwei  Rinder  gegen  einen 
jährlichen  Dienst  von  30  alten  Wiener  Pfennigen  in  Bestand 
genommen,  hängt  auch  das  alte  Mariazeller  Marktsiegel,  das 
innerhalb  der  Umschrift  „f  S.  CONMVNITATIS  DE  CELLA«  die 
Darstellung  eines  Kirchengebäudes  enthält,  und  zwar  erblicken 
wir  nach  Deutung  des  k.  k.  Konservators  Monsignore  Graus 
„eine  drei  schiffige  romanische  Basilika  mit  angebautem  gotischen 
Chore".    Anbei   der    fotografische    Abdruck    des  Siegels    selbst. 


136  Ein  altes  Mariazeller  Marktsiegel. 

In  dem  vorliegendem  Siegel  haben  wir  zweifellos  das 
Bild  der  Mariazellerkirche  um  1342,  in  welcher  Zeit  der  Markt 
gegründet  worden  ist,  vor  uns.  Die  Bürger  hatten  jedenfalls 
das  Recht  erhalten,  im  Wappen  und  Siegel  das  Bild  des  Gottes- 
hauses führen  zu  dürfen  und  wie  wir  hier  das  Bild  der  ältesten 
Kirche  sehen,  so  enthalten  Wappen  und  Siegel  der  jüngsten 
Zeit  das  Bild  der  jetzigen   Kirche. 

Das  alte  Siegel  gibt  uns  über  die  bauliclie  Entwicklung 
der  Kirche  in  jener  Zeit  genügend  Aufklärung.  Zuerst  entstand 
eine  dreischiffige  romanische  Basilika,  welche  später  nach  Ab- 
tragung der  Apsis  durch  den  Anbau  eines  gotischen  Chores  wohl 
etwa  um  die  Hälfte  vergrößert  worden  ist. 

Ersteres  geschah  vor  1266,  letzteres  vor  1342. 

Näheres  über  die  Bauzeit  und  den  Bauherrn  folgt  in 
einem  der  nächsten  Hefte  dieser  Zeitschrift. 


Zur  Wappenfühning  „Bürgerlicher". 

Von  Dr.  Ferdinand  KhuU. 


Im  letzten  Hefte  dieser  Zeitschrift  wurde  (S.  252)  der  Prozeß 
erwähnt,  in  dem  der  Wappenmaler  H.  Hermann  in  Wien  im  Spät- 
herbste 1905  zu  mehrmonatlicher  Haft  verurteilt  worden  war.  Infolge 
dieser  Verurteilung  soll,  wie  berichtet  wurde,  die  Anklage  gegen  einen 
Wappenmaler  in  Salzburg  erfolgt  sein,  allwo  der  Staatsanwalt  meinte, 
daß  nicht  allein  eine  Reihe  von  Privatpersonen,  sondern  auch  der 
Staat  in  Ausübung  des  ihm  zustehenden  „Wappenregales"  und  die 
wappenberechtigten  Personen  in  ihrem  Rechte  auf  Alleingebrauch  ihrer 
Wappen  geschädigt  worden  wären.  Daraus  wurde  in  der  Notiz  der 
Schluß  gezogen,  daß  die  freie  Annahme  von  Wappen  verboten  und 
strafbar  sei. 

Zu  diesem  Berichte  glaube  ich  einiges  bemerken  zu  müssen. 
Weder  aus  dem  Wiener  noch  aus  dem  Salzburger  Prozesse  ist  nach  meinem 
Ermessen  der  Schluß  von  der  Strafbarkeit  der  Annahme  selbsterfundener 
Wappen  zu  ziehen.  Hermann  wurde  verurteilt,  weil  er  einzelnen  seiner 
Parteien  zum  Teile  erfundene  Familiengeschichten  oder  Wappen  lieferte, 
für  deren  Echtheit  oder  Altertum  er  sich  angeblich  verbürgte,  und  der 
Salzburger  Wappenmaler  wurde  ganz  und  gar  freigesprochen.  Das,  was 
die  Staatsanwälte  in  Wien  und  Salzburg  über  das  Wappenrecht  behaup- 
teten, war  geschichtlich  und  rechtlich  unhaltbar. 

Wappenprozesse  gab  und  gibt  es  nirgends  sonst  als  in  Österreich. 
Es  ist  nämlich  in  keinem  modernen  Staate  das  Wappenrecht  auf  einen 
gewissen  Stand  beschränkt  und  in  Wirklichkeit  ist  es  auch  in  Österreich 
nicht.  Die  Anschauung,  daß  „rechtmäßig  wappenberechtigte**  Personen  in 
ihrem  Rechte  auf  Alleingebrauch  ihrer  Wappen  beeinträchtigt  würden, 
wenn  andere  andere  Wappen  führen,  enthält  eine  Spitzfindigkeit,  die 
ans  Lächerliche  streift.  Darnach  würde  ja  jeder  auch  an  seinem  Eigen- 
namen beeinträchtigt,  weil  ein  anderer  einen  anderen  Eigennamen  führt  I 
Und  was  das  „Wappenregal",  d.  h.  ein  Monopol  des  Landesherrn,  alle 
von  ihm  nicht  verliehenen  aber  doch  gebrauchten  Wappen  für  ungültig 
zu  erklären  —  also  eine  Art  Wappenmonopol  der  Staatsgewalt  — 
betrifft,  so  hat  ein  solches  gar  nirgends  existiert.  Die  Landesherren 
haben  sich  zwar  das  Recht  genommen,  Wappen  zu  verleihen,  und  zwar 
gleichmäßig  an  Adelige  und  Bürgerliche,  daraus  aber  fioß  wohl  die 
ißefugnis  und  die  Pflicht  für  sie,  diese  von  ihnen  verliehenen  Wappen 
zu  schützen,  d.  h.  deren  Gebrauch  anderen  Personen  und  Familien,  für 
die  sie  nicht  bestimmt  waren,  zu  untersagen,  aber  keineswegs  das 
Recht,  alle  übrigen  Wappen  außer  Gebrauch  zu  setzen  oder  zu  ver- 
bieten.   In  Deutschland  z.  B.  sind  tausende   von  sogenannten   bürger- 


138  Zur  Wappenführung  „Bürgerlicher". 

liehen  Wappen   in  Gebrauch,    die   nie  von  einem   Landesfürsten  oder 
Palatinatgrafen    verliehen    worden    sind.     Das    große    Siebmachersche 
Wappenbuch  verzeichnet  jetzt  schon,    obwohl   es  lange  noch  nicht  ab- 
geschlossen ist,  gegen  24.000  „bürgerliche"  Wappen,    von  denen  kaum 
die  Hälfte  amtliche  Bestätigung  aufweisen.     Und  bei  uns  in  Österreich 
ist  die  Sache  nicht  wesentlich  anders.    Die  Verteidiger  des  beschränkten 
Wappenrechtes  berufen    sich   auf  die   sogenannten  Hofkammerdekrete 
vom  19.  Jänner  und  28.  Juli  1765,  15.  Februar  1805  und  13.  Juni  1833 
und  auch  der  Vertreter  des  Ministeriums  des  Innern  im  Hermannschen 
Prozesse    wies   geheimnisvoll   auf  die   beiden    erstgenannten   hin,    die 
übrigens  dem  gesamten  Gerichtshofe  völlig  unbekannt  geblieben  waren. 
Nun  erklärte   schon  der  Wiener  Rechtsanwalt  Dr.  v.  Korwin  anläßlich 
des  Prozesses,  daß  an  diesen  angeblichen  „Dekreten  mit  Gesetzeskraft" 
vieles  zweifelhaft  sei.   Im  Februarhefte  der  Monatschrift  „Adler"  (Wien) 
teilte  dann  der  kaiserliche  Bat  und  Hofwappenmaler  Ernst  Krahl  die  alten 
Eundschreiben  der  Wiener  Regierung  an  einzelne  Gubernien,   die    die 
Wappenfrage  behandeln,  mit  und  da  stellte  sich  heraus,  daß  das  zweite 
vom  28.  Juli  1765  nur  eine   Art    Anfrage  an  die  Gubernien   ist,    wie 
sie    sich   die    Regelung   des  Wappenwesens   durch    „Konzession"    oder 
„Wappenbriefe"  denken,    und    daß    es    die   Aufstellung  von  „Wappen- 
inspektoren", d.  h.  wohl  Wappenmatrikffthrern,  empfiehlt ;  das  erste  vom 
19.  Jänner  1765   zeigt    äußerlich    die   Form    einer  Verordnung,    deren 
Worte   aber    „daß  ohnbefugter  Wappengebrauch  abgestellet  und  ohne 
erlangter  Konzession  oder  Wappenbrief  deren  Wappen  nicht  gestattet 
werden  soll"   doch  wohl  nur  bedeuten   können,    daß   künftighin   jene, 
welche  Wappen  wünschen,  die  Konzession  (gegen  Geld)  einholen  müssen, 
nicht    aber,    daß   vom  Tage  des    Erlasses     an    alle    konzessionsloseii 
Wappen  ihre  Gültigkeit  verlieren.    Der  Erlaß   vom  15.  Februar  1805 
ist  eine  einfache  Erneuerung   des   vom   19.  Jänner  1765  datierten   und 
das  Dekret  vom  13.  Juni  1833   hat   nur  insofeme  Zusammenhang*  mit 
den    „bürgerlichen*  Wappen,    als    es   auf   die    früheren    Verordnungen 
(darüber  das  Rundschreiben  vom  19.  Jänner  1765)  verweist  und  dessen 
Handhabung  vorschreibt.     Somit  beruht  die  ganze  Frage  nur  auf  dem 
angeführten  Wortlaute,   daß   ohne  erlangte  „Konzession  oder  Wappen- 
brief" die  Einführung  und  Annahme  neuer  Wappen  nicht  gestattet  werden 
soll.    Unser   bürgerliches   Gesetzbuch   schweigt   über   die  Berechtigung 
Wappen  zu  führen  völlig  und  darum  hat  die  alte  Verordnung  nur  mehr 
polizeilichen  Wert,  —  also  könnte  deren  Übertretung  nur  von  der  politi- 
schen Behörde  mit  Geldstrafen  geahndet  werden.   Das  Gericht  hat  sich 
mit   dieser  Frage   überhaupt   nicht  zu  beschäftigen   und    kein   Staats- 
anwalt  kann  im  Ernste  daran  denken,  jemanden  anklagen   zu  wollen 
wegen  „Wappenanmaßung".  Aber  auch  die  politischen  Behörden  scheinen 
mit   der  Verordnung   vom   19.  Jänner   1765  nicht  gerne   auf  den  Plan 
treten  zu  wollen,   wenigstens    haben    sie    anläßlich  des   Hermannschen 
Prozesses    niemanden   von   den  vielen,    die   sich  Wappen  neu  machen 
ließen,  mit  Geldstrafen   belegt,  sondern  sich  begnügt,  die  Malereien  zu 
konfiszieren  und  zwar   nur  bei  denen,   die  freundlich  §enug   waren   sie 
herzugeben.   Die  Sache  ist  also  im  ganzen  durch  beide  Prozesse  völlig 
ungeklärt  geblieben.   Sie   wird  aber  durch  den  modernen  Markenschutz 
noch  viel  bedenklicher.  Denn  es  kommt  oft  genug  vor  und  wurde  bisher 
gar  nie   beanständet  oder  verhindert,   daß   irgend   ein  Warenerzeuger, 
Verlagsbuchhändler,   Patentinhaber   sich   ein   regelrechtes  Wappen     als 
Schutzmarke  eintragen  ließ  oder  daß  Korporationen  und  Vereine  Wappen, 
die  aus  Schild,  Helm,  Ziemier  und  Decken  bestehen,  annahmen.  Damit 


et; 
{■/ 
S 


Von  Dr.  Ferdinand  KhuU.  139 

war  praktiscli  die  Verordnung  von  1833,  die  alle  übrigen  Verordnungen 
in  sich  schloß,  durchlöchert  und  ein  Präzedens  geschaffen,  das  für  das 
ganze  Dekret  tödlich  ist.  Daher  ist  Erahls  Behauptung,  das  Dekret 
von  1833  zerstöre  auch  für  heute  noch  die  Anschauung,  es  gäbe  kein 
anerkanntes  Wappenrecht  mehr  und  man  begehe  durch  Annahme  eines 
Wappens  keine  Rechtsverletzung,  falsch.  Nach  meinem  Dafürhalten 
steht  es  beute  jedermann  in  Österreich  frei,  für  sich  oder  seine  Familie 
als  Eigentums-  oder  Zusammengehörigkeitszeichen  ein  Wappen  zu  wählen. 
Nichtsdestoweniger  stimme  ich  Krahl  zu,  wenn  er  wünscht,  das  Mini- 
sterium des  Innern  möge  die  Ausgabe  von  Wappenbriefen  und  die 
Führung  von  Wappenmatriken  für  Bürgerliche  an  Allerhöchster  Stelle 
vorschlagen.  Die  Gründe  hiefür  sind  für  mich  mehr  ethischer  als  finan- 
zieller Natur,  wenn  ich  auch  überzeugt  bin,  daß  der  geldliche  Ertrag, 
falls  die  Gebühr  für  einen  Wappenbrief  auf  etwa  dreihundert  Kronen 
gestellt  wird,  ein  sehr  ansehnlicher  sein  würde.  Es  würde  nämlich  die 
Einführung  von  Wappenbriefen  einen  bedeutenden  Einfluß  auf  das 
Familien-  oder  Sippegefühl  und  auf  das  geschichtliche  Bewußtsein 
weiter  Kreise  •ausüben.  In  Deutschland  versucht  man  amtlicherseits 
durch  die  Instandhaltung  und  leichte  Zugänglichmachung  der  Standes- 
register, durch  die  kostenlose  Abgabe  von  Familienbüchern,  durch  Sub- 
ventionierung von  Vereinen,  die  der  Familiengeschichte  dienen,  und  durch 
andere  ähnliche  Maßregeln  das  Familiengefühl,  mit  dem  immer  auch 
ein  gewisses  Staatsgefühl  verbunden  ist,  zu  stärken.  Die  Wappenführung 
ist  dort  freigegeben  und  das  Amt  der  Wappenmatrikenführung  hat  der 
Verein  „Herold"  in  Berlin  übernommen,  der  auch  die  Veröffentlichung 
der  Wappen  in  dem  „Großen  Siebmacher"  übernimmt.  Warum  sollte 
unser  Staat  es  nicht  auch  versuchen,  bürgerliche  Familien  vor  dem  Ver- 
sinken im  vaterlandslosen  Proletariate  durch  alle  nur  möglichen  Mittel 
zu  bewahren?  Und  ein  reges  Familiengeföhl  ist  ein  solches  Mittel.» 
Jede  Besonderheit  hebt  und  bewahrt  vor  der  proletarisierenden  Gleich- 
macherei und  es  dünkt  mir  auch  für  die  Staatsleitung  besser  und  sitt- 
licher zu  sein,  die  kleinen  menschlichen  Eitelkeiten,  die  keine  „Auf- 
klärung" und  „Philosophie"  je  wird  vertilgen  können,  zur  Hebung 
und  Festigung  einzelner  sowie  ganzer  Familien  zu  benützen,  als  z.  B. 
durch  die  Entfesselung  der  verderblichen  Spielwut  durch  das  Lotto 
kleine  Familien  zu  vernichten  und  in  das  elendeste  Proletariat  hinab- 
stoßen, um  einige  tausend  Kronen  dabei  zu  „verdienen". 


1  Vergleiche  die  treffliche  Schrift  von  Werner  Sombart  „Das  Proletariat". 


Literaturberichte. 

Die  Herren  yon  Walsee.  Ein  Beitrag  zur  österreichischen  Adels- 
geschichte. Von  Dr.  Max  Doblinger.  Mit  6  Stammtafeln.  Wien  1906. 
(Archiv  für  österreichische  Geschichte,  Bd.  XCV,  II.  Hälfte,  Seite  235 
bis  578.  Auch  in  Sonderabdrücken  erhältlich.) 

Nach  dem  Siege  Rudolfs  von  Habsburg  über  Pfemysl  Ottokar 
auf  dem  Marchfelde  und  nach  der  Belehnung  von  Kudolfs  Söhnen  mit 
den  österreichischen  Herzogtümern  kam  eine  Anzahl  von  Adelsgeschlech- 
tem  aus  Schwaben  in  die  österreichischen  Lande.  Dfie  bedeutendste 
dieser  Familien  waren  die  Herren  von  W  a  1  s  e  e,  welche  in  Österreich 
und  Steiermark  große  Besitzungen  erwarben  und  durch  zwei  Jahrhun- 
derte tief  in  die  Geschichte  dieser  Länder  eingriffen.  Eine  Monographie 
über  dieses  Adelsgeschlecht,  welche  bisher  noch  ausstand,  ist  gewiß 
jedem  Freunde  der  vaterländischen  Geschichte  willkommen  und  da  die 
Walseer  nicht  nur  von  bedeutendem  Einfluß  auf  die  Geschichte  Öster- 
reichs vom  Ende  des  13.  bis  ins  15.  Jahrhundert  waren,  sondern  auch 
eine  besondere  Linie  Walsee -Graz  bestand,  so  mag  ein  kurzer  Be- 
richt über  Doblingers  wertvolle  Arbeit  hier  an  richtiger  Stelle  sein. 

Die  Walseer  stammen  aus  dem  schon  im  10.  Jahrhundert  als 
curtis  dominica  (Herrenhof,  Herrschaft)  bezeichneten,  zwischen  Donau 
und  Bodensee  gelegenen  Waldsee.  Die  ersten  Walseer  erscheinen  ur- 
kundlich 1171;  zur  Zeit  Kudolfs  von  Habsburg  waren  sie  schon  im 
Besitze  ansehnlicher  Güter  in  Schwaben.  Frühzeitig  kamen  sie  von 
dort  in  Beziehungen  zu  Österreich.  Eberhard  IL  betrat  1235  bei  Kaiser 
Friedrichs  IL  Heerfahrt  gegen  den  Babenberger  österreichischen  Boden ; 
Eberhards  III.  Söhne  nahmen  an  dem  Zuge  Rudolfs  von  Habsburg  gegen 
Ottokar  teil,  und  nachdem  Rudolf  (Dezember  1282)  seine  Söhne  mit 
den  österreichischen  Herzogtümern  belehnt  hatte,  wurden  die  Brüder 
Eberhard  IV.  und  Heinrich  in  Öterreich  heimisch  und  Mitglieder  des 
einflußreichen  heimlichen  Rates,  neben  welchem  der  aus  sechzehn 
Österreichern  bestehende  weitere  Bat,  den  der  König  seinem  Sohne 
mitgegeben  hatte,  immer  mehr  zurücktrat.  Damit  eröffiiete  sich  den 
Walseern  ein  großes  Gebiet  zur  Entfaltung  ihrer  Tatkraft.  Waren  in 
Schwaben  ihre  Besitzungen,  „wenn  auch  nicht  unbedeutend",  so  doch 
auf  einen  eng  umgrenzten  Raum  beschränkt,  reichten  die  Beziehungen 
und  Kreise,  in  denen  sich  dort  das  Leben  des  Stammes  abspielte,  nicht 
über  die  Landschaft  zwischen  Donau  und  Bodensee  hinaus,  so  wird 
ihnen  nun  ein  weites  Feld  geöffnet,  auf  dem  sie  sich  in  reichem  Maße 
zur  Geltung  bringen.  Die  treuen  „Schwaben",  die  Walseer  und  Hermann 
von  Landenberg  sowie  Hang  von  Taufers  werden  jetzt  an  der  Seite 
Herzog  Albrechts  die  besten  Stützen  der  habsburgischen  Herrschaft. 
Dienstmannentreue  und  die  schwäbische  Abkunft,  dazu  die  Dankbarkeit 
banden  sie  an  das  neue  Herrscherhaus,  wie  nicht  minder  die  Abnei- 
gung, mit  der  ihnen  der  eifersüchtige  Adel  Österreichs  anfangs  be- 
gegnete. So  war  das  Geschick  ihres  Geschlechtes  an  das  Interesse  der 


Literaturberichte.  141 

Habsburger  geknüpft,  das  sie  auch  jederzeit  und  in  den  schwierigsten 
Lagen  auf  das  nachdrücklichste  verteidigten.  Und  fürwahr,  das  tat  zu- 
nächst um  so  mehr  not,  als  es  langwieriger  innerer  Kämpfe  und  einer 
Anzahl  auswärtiger  Feldzüge  gegen  eine  geschlossene  Reihe  feindlicher 
Nachbarn  bedurfte,  um  die  habsburgische  Herrschaft  in  den  neugewon- 
nenen Gebieten  sicherzustellen. 

Albrecht  hatte  anfänglich  in  Österreich  einen  harten  Stand; 
wollte  er  im  Lande  festen  Fuß  fassen,  seine  Landeshoheit  zur  Geltung 
bringen,  so  mußte  er  gerade  jenen,  die  sich  zu  allererst  seinem  Vater 
angeschlossen  hatten  —  dem  Adel,,  dem  Klerus  —  strenge  entgegen- 
treten; diese  fanden  sich  enttäuscht,  für  eine  feste  Hand  eine  andere 
feste  eingetauscht  zu  haben.  Die  ihn  am  besten  mit  Bat  und  Tat  unter- 
stützten, waren  die  Schwaben,  die  er  ins  Land  mitgebracht  hatte ;  daher 
verlieh  er  ihnen  auch  die  höchsten  Ämter.  Eberhard  IV.  von  Walsee 
wurde  Landrichter  ob  der  Enns,  welches  Amt  durch  fast  zwei  Jahrhun- 
derte in  den  Händen  der  Walseer  blieb,  Ubich  von  Walsee  Landes- 
hauptmann in  Steier.  Eberhard,  der  auf  dem  herzoglichen  Schlosse  in 
Linz  seinen  Wohnsitz  nahm,  wurde  der  Gründer  der  Linie  Walsee -Linz. 
Als  es  zu  Erhebungen  des  österreichischen  und  des  steirischen  Adels 
gegen  Albrecht  kam,  standen  ihm  die  Walseer  treu  und  tatkräftig  zur 
Seite.  In  dem  Kampfe  um  die  deutsche  Krone,  den  Albrecht  gegen 
Adolf  von  Nassau  führte,  taten  sich  die  Brüder  Walsee  in  der  Ent- 
scheidungsschlacht bei  Göllheim  (1298)  rühmlich  hervor.  Auch  gute 
Wirte  waren  sie;  sie  erwarben  ansehnliche  Güter  und  gehörten  binnen 
wenigen  Jahrhunderten  zu  den  reichsten  Familien  des  Landes. 

Der  Verfasser  berichtet  sodann  ausführlich  über  das  Leben  und 
Wirken,  über  die  Erwerbungen,  Verheiratungen  und  Verschwägerungen 
der  Walseer  in  ihren  verschiedenen  Linien :  Walsee -Linz,  Walsee-Ens, 
Walsee-Graz,  Walsee-Drosendorf.  Den  Walsee  -  Ens  fiel  1399  nach 
dem  Aussterben  der  Herren  von  Tibein  (Duino  an  der  Adria)  eine  an- 
sehnliche Erbschaft  zu.  Dieser  große  Güterkomplex  bestand  aus  der 
Hauptherrschaft  Tibein  (Duino)  mit  dem  neuerbauten  Schlosse  Seno- 
setsch,  Prem,  Guteneck  und  Mahrenfels  (jetzt  Lupoglava  auf  dem  Karste), 
den  Lehen  des  Bischofs  von  Pola :  Castua,  Moschenizza,  Veprinaz,  sämt- 
lich am  Quamero,  St.  Veit  am  Pfiaumb  (Fiume),  Mitterburg  mit  dem 
habsburgischen  Istrien,  den  Sätzen  Görtschach  und  Neuburg  auf  dem 
Kanker  in  Oberkrain,  den  Pfandschaften Windischgr atz  und  Mah- 
renberg  und  dem  Satze  auf  Bleiburg  in  Kärnten  —  alles  in  allem 
ein  mächtiger  Besitz,  der  stattlichste  und  bedeutendste  unter  dem  ganzen 
Adel  auf  dem  habsburgischen  Gebiete  an  der  Adria.  Der  Übergang  des 
Tibeiner  Erbes  in  sichere  Hände  lag  in  höchstem  Grade  im  Interesse 
der  Habsburger.  Es  war  einer  der  wichtigsten  Dienste,  welche  die  Wal- 
seer ihnen  leisteten.  Kamen  diese  Gebiete  in  Hände,  die  sich  etwa  den 
Oörzern  oder  gar  den  Venezianern  gefügig  zeigten,  so  war  die  Verbin- 
dung Triests  mit  Krain  abgeschnitten,  den  Habsburgern  das  Hinterland 
von  Triest  versperrt,  diese  Stadt  nicht  zu  halten  und  die  Versuche  der 
Habsburger,  an  der  Adria  festen  Fuß  zu  fassen,  vergeblich. 

Von  den  Söhnen  Eberhards  III.  von  Walsee  war  Ulrich  I.,  der 
Gründer  der  Linie  Walsee-Graz,  der  hervorragendste;  er  darf 
geradezu  als  eine  der  berühmten  Gestalten  aus  der  Ritterschaft  seiner 
Zeit  bezeichnet  werden. 

Ulrich  I.  wurde  1299  im  Einverständnis  mit  den  steirischen 
Ständen  von  König  Albrecht  zum  Hauptmann  von  Steiermark  er- 
nannt und  nahm  seinen  Wohnsitz  in  der  Burg  zu  Graz.    Seiner  Auf- 


142  Literaturberichte. 

gäbe,  das  Land  für  die  Habsburger  zu  betreuen,  kam  er  glänzend  nach. 
Er  gewann  Adel  und  Bürgerschaft  für  sie,  nahm  an  den  Kriegsztigen 
Albrechts  und  Friedrichs  des  Schönen  in  Deutschland  und  Italien  ruhm- 
vollen Anteil,  wurde  1322  in  der  Schlacht  bei  Mühldorf  gefangen  ge- 
nommen und  starb  1329.  Ausgedehnt  waren  die  Besitzungen  derWal- 
seer  in  Steiermark:  Riegers  bürg,  Komberg,  Gleichenberg,  Waldstein, 
Weinburg,  Pfannberg,  Übelbach,  Feldbach  und  andere  kleine  Güter 
gehörten  ihnen. 

Ulrichs  I.  Sohn,  Ulrich  11.,  war  seines  Vaters  würdig ;  er  galt 
bei  seinen  Zeitgenossen  als  Spiegel  aller  ritterlichen  Tugenden.  Von 
Feldzug  zu  Feldzug  neu  bewährt  und  mit  Buhm  bedeckt  war  er  wäh- 
rend der  ganzen  Regierung  Herzog  Albrechts  II.  ein  treuer  Diener  seines 
Herrn,  eine  besonders  wertwolle  Kraft,  einer  der  besten  Männer  des 
Österreich  seiner  Zeit.  Die  Linie  Walsee-Graz  erlosch  1363  mit  Eber- 
hard VIII.,  dem  Sohne  Ulrichs  II. 

Der  gesamte  riesige  Besitz  der  Walseer  und  jener  der  Tibeiner 
war  nun  in  den  Händen  der  drei  Walseer  von  Ens  vereinigt  und  sie 
bildeten  nun  durch  Reichtum  und  durch  ihre  Stellung  am  Hofe  das 
erste  Haus  des  österreichischen  Hochadels.  Der  glänzendste  Vertreter 
der  Walseer- Ens  war  Reinprecht  IL  (gestorben  1422),  dessen  Güter  vom 
Böhmerwalde  bis  zur  Adria  in  zahlreichen  Herrschaften  zerstreut  waren. 
Nicht  lange  währte  der  Glanz  dieses  Geschlechtes.  Schon  unter  Rein- 
prechts  IL  Söhnen,  Wolfgang  und  Heinrich  IV.,  kam  es  zum  Verfalle 
der  wirtschaftlichen  Größe,  viele  Herrschaften  mußten  verpfändet,  ver- 
kauft werden,  und  schon  1483  starb  Reinprecht  IV.,  der  letzte  seines 
Stammes,  und  mit  ihm  erlosch  das  Haus  Walsee, 

Besonders  bemerkenswert  ist  noch  der  vorletzte  Abschnitt  des 
vorliegenden  Buches,  der  von  den  Standes-,  Besitz-  und  Wirtschafts- 
verhältnissen der  Walseer  handelt.  Wir  heben  daraus  nur  hervor,  daß 
sie  dem  Herrenstande  angehörten  und  fast  auf  jeder  ihrer  Herr- 
schaften Lehensleute  hatten,  so  in  Steiermark  die  Steinpeiß,  die  von 
Graben,  die  Auer,  die  Herberstein,  die  Trautmannsdorf,  die 
Gleispach,  die  Glojach,  die  Teuf fenb ach,  die  Narringer,  die  Wel- 
zer,  die  Peßnitzer,  die  Trapp. 

Seit  den  Tagen  König  Albrechts  I.  waren  die  Herren  von  Walsee 
eine  der  mächtigsten  und  reichsten  Familien  des  österreichischen  Adels. 
Hervorragend  tüchtige  Männer  waren  aus  diesem  Hause  hervorgegangen ^ 
die  den  Habsburgern  wiederholt  die  wichtigsten  Dienste  in  schweren 
Zeiten  leisteten.  Gleich  bedeutsam  treten  sie  als  Inhaber  der  höchsten 
Landesämter  wie  durch  ihren  Anteil  an  den  ständischen  Bewegungen 
hervor.  Und  diese  Stellung  unterstützte  ein  überreicher  Besitz,  der  in 
ihrer  Hand  zu  einer  größeren  wirtschaftlichen  Einheit  innerhalb  der 
östeiTeichischen  Länder  vereinigt  wurde,  wodurch  sie  auch  auf  die  terri- 
toriale Gestaltung  Einfluß  nahmen.  Mit  den  edelsten  Geschlechtem  des 
österreichischen  Adels  waren  sie  verwandt  und  verschwägert. 

So  war  ihre  Geschichte  mit  den  Geschicken  der  Habsburger  und 
des  damaligen  Österreich  eng  verbunden.  Und  doch  fiel  die  große  Ver- 
gangenheit des  Hauses  Walsee  rasch  einer  unverdienten  Vergessenheit 
anheim.  —  In  ihrer  einstigen  Heimat  hat  das  schwäbische  Städtchen 
Waldsee,  auf  österreichischem  Boden  haben  die  Ruine  Ober -Walsee 
und  Schloß  Nieder -Walsee,  das  heute  Mitglieder  des  Kaiserhauses  in 
seinen  Mauern  beherbergt,  den  Namen  der  Herren  von  Walsee  der 
Gegenwart  erhalten  —  die  einzige  Erinnerung  an  reichbewegtes  Lebea 
vergangener  Jahrhunderte.  Franz  Ilwof. 


Literaturberichte.  143 

Geschichte   der  Dentschen  in   den  Karpathenländern.    Von 

Raimund  Friedrich  Kaindl,  Professor  der  Universität  Czernowitz. 
Erster  Band.  Geschichte  der  Deutschen  in  Galizien  bis  1772.  Mit  einer 
Karte  (Allgemeine  Staatengeschichte  herausgegeben  von  Karl  Lamprecht, 
III.  Abteilung:  Deutsche  Landesgeschichten,  herausgegeben  von  Armin 
Tille.  Achtes  Werk).  Gotha  1907.  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktien- 
gesellschaft, 369  S.  gr.  8. 

Das  Werk,  dessen  erster  Band  hier  vorliegt,  können  wir  rück- 
haltlos willkommen  heißen.  Es  ist  die  erste  umfassende  Darstellung 
der  Geschichte  des  Deutschtums  in  den  Karpathenländern,  d.  h.  in  Galizien, 
der  Bukowina,  Ungarn  und  Rumänien.  Aber  auch  mancher  Teil  darin 
tritt  überhaupt  zum  erstenmale  in  wissenschaftlicher  Behandlung  vor 
das  deutsche  Publikum.  Das  gilt  gleich  von  dem  ersten  Bande,  der  die 
Geschichte  der  Deutschen  in  Galizien  bis  1772  enthält.  Der  Verfasser, 
dem  die  Kenntnis  der  polnischen  Sprache  zugute  kommt,  hat  sich  der 
mühevollen  Aufgabe  unterzogen,  aus  den  betreffenden,  meist  polnischen 
Urkundenpublikationen  alles  auf  das  Deutschtum  Bezügliche  zusammen- 
zulesen und  so  ein  Bild  von  der  Verbreitung  desselben  in  Galizien  zu 
entwerfen,  das  um  so  wertvoller  ist,  als  dies  Deutschtum  heute  fast 
untergegangen  ist.  In  dem  ersten  Kapitel  wird  die  Geschichte  der  deutschen 
Ansiedlung,  ihrer  Entwicklung  und  ihres  Rückganges,  sowie  die  Ver- 
breitung des  deutschen  Rechtes  in  Polen  geschildert.  Letzteres  hat 
in  der  Magdeburger  Form  dort  besondere  Aufnahme  gefunden.  Was 
Galizien  betrifft,  so  hat  hier  eine  große  Anzahl  von  Orten  deutsches 
Recht  besessen.  Kaindl  führt  über  650  derartige  Orte  an.  Dazu  kommen 
zahlreiche  Orte,  bei  denen  es  nicht  gelungen  ist,  ihre  gegenwärtigen 
Namen  und  ihre  Lage  festzustellen. 

Das  zweite  Kapitel  bringt  die  Herkunft  und  Verbreitung  der 
deutschen  Ansiedler  zur  Darstellung.  Die  erste  bestimmte  Nachricht  von 
der  Begründung  einer  dörflichen  Ansiedlung  auf  galizischem  Boden  stammt 
aus  dem  Jahre  1234.  Kaindl  vermutet,  daß  im  12.  Jahrhundert,  als  das 
östliche  Mitteldeutschland  und  Ungarn  westdeutsche  Einwanderer  er- 
halten haben,  solche  auch  Polen  zuteil  geworden  seien.  Später  wurde 
Polen  namentlich  von  Schlesien  aus  besiedelt.  Übrigens  kamen  auch 
Einwanderer  aus  Österreich,  Norddeutschland,  Süddeutschland  und  der 
Schweiz.  Wertvoll  sind  die  Beziehungen  Krakaus  zu  Nürnberg  seit  dem 
Ende  des  14.  Jahrhunderts.  Es  erklärt  mit  die  eigenartige  Kultur- 
entwicklung Krakaus.  Diese  wurde  übrigens  auch  vom'  Rhein  befruchtet. 
Der  Charakter  von  Krakau  war  deutsch.  Dafür  spricht  die  Verwendung 
der  deutschen  Sprache  in  dieser  Stadt.  Die  erhaltenen  Stadtbücher  waren 
von  1300  —  1312  nur  deutsch.  Seither  erfolgten  die  Eintragungen  latei- 
nisch. In  der  Hauptkirche  (St.  Marise)  wurde  von  ihrer  Gründung  bis 
ins  16.  Jahrhundert  nur  deutsch  gepredigt.  Der  deutsche  Charakter  der 
Stadt  äußert  sich  auch  noch  vielfach  in  der  Topographie.  Eine  der 
Hauptstätten  des  Deutschtums  in  Galizien  war  sodann  Sandec.  Für 
den  deutschen  Charakter  Lembergs  wird  auch  manches  Bezeichnende 
angeführt.  Die  überwiegende  Mehrzahl  der  eingewanderten  Deutschen 
gehörte  dem  Bauern-  und  Bürgerstandp  an.  Doch  gab  es  auch  deutsche 
Dienstmannen,  Beamte,  Soldaten  der  Fürsten  und  Großen,  deutsche 
Mönche  und  Geistliche.  Wie  groß  die  Verbreitung  des  deutschen  Rechtes 
und  der  deutschen  Ansiedlung  in  Galizien  bis  1772  gewesen,  darüber 
belehrt  die  beigegebene  Karte,  die  aber  nur  das  Wichtigere  enthält. 
Vom  16.  Jahrhunderte  an  erfolgte  in  Galizien  ein  Rückgang  des  Deutsch- 
tums. Polen  und  Ruthenen  bedui-ften  der  Deutschen  nicht  mehr;  über- 


144  Literaturberichte. 

dies  waren  sie  ihnen  zu  reich,  zu  mächtig  und  einflußreich  geworden. 
Es  beginnt  das  Eindringen  der  Polen  in  die  deutschen  Gemeinwesen, 
der  Streit  zwischen  Deutschen  und  Polen,  die  Verdrängung  der  deutschen 
Sprache  aus  Kirche  und  Amt,  die  Polonisierung  der  Zünfte,  das  Schwinden 
deutscher  Ortsnamen,  die  Polonisierung  der  deutschen  Ansiedler.  Freilich 
hat  die  Zuwanderung  von  Deutschen  in  Galizien  auch  in  der  Zeit  des 
Niederganges  nicht  aufgehört. 

Das  dritte,  umfangreichste  Kapitel  schildert  in  einer  Menge  von 
Einzelbildern  die  innere  Entwicklung  der  deutschen  Gemeinwesen,  die 
deutsche  Kulturarbeit  und  schließt  mit  den  bedeutsamen  Worten:  „So 
haben  die  deutschen  Ansiedler  in  Galizien  alle  Zweige  der  materiellen 
und  gf istigen  Kultur  erfolgreich  gefördert  und  zur  Entwicklung  dieses 
Landes  sowie  der  polnischen  und  ruthenischen  Bevölkerung  reichlich 
beigetragen.  Ein  untrügliches  Zeugnis  daftlr  bieten  vor  allem  die  in  die 
Sprache  dieser  Völker  aufgenommenen  unzähligen  deutschen  Wörter, 
von  denen  eine  kleine  Auswahl  an  verschiedenen  Stellen  dieses  Kapitels 
mitgeteilt  wurde." 

Wir  glauben  es  dem  Verfasser  gerne,  daß  ihm  das  Werk  viel 
Zeit  und  Mühe  gekostet  hat.  Aber  der  Ertrag  ist  auch  ein  reicher. 
Eine  Fülle  neuer  Erkenntnis  strömt  aus  ihm  entgegen.  Mit  Spannung 
erwarten  wir  die  beiden  folgenden  Bände.  K.  Reissenberger. 

Archiv  fQr  Geschichte  der  Diözese  Linz.  III.  Band,  redigiert 
von  Dr.  K.  Schiffmann  und  Dr.  Franz  Berger.  Linz,  1906.  Kathol. 
Preßverein.  417  S. 

Von  dieser  Zeitschrift,  der  bereits  im  Vorjahre  anerkennend 
Erwähnung  getan  wurde,  liegt  nunmehr  auch  der  3.  Band  vor,  der 
seine  Vorgänger  an  Reichhaltigkeit  noch  tibertrifft.  Der  Kreis 
der  Mitarbeiter  scheint  sich  zu  erweitem  und  hat  auch  eine  Aus- 
gestaltung im  Umfange  zur  Folge.  Der  Band  enthält  drei  wertvolle 
Abhandlungen.  Eingangs  erörtert  der  Herausgeber  Dr.  K.  Schiff  mann 
mit  kritischem  Blicke  die  Aufgaben  der  kirchengeschichtlichen  For- 
schung in  Oberösterreich  mit  genauer  Berücksichtigung  des  heutigen 
Standes  der  landesgeschichtlichen  Forschung  dieses  Territoriums  und 
weist  damit  die  Bahnen  für  das  „DiÖzesanarchiv".  Mustergültig  ist 
femer  Dr.  B.  Pösingers  Aufsatz  über  die  Rechtsstellung  des  Klosters 
Kremsmünster  für  die  Zeit  von  777 — 1325,  die  hier  eine  wohl  ab- 
schließende Darstellung  gefunden  hat.  F.  Krakowitzer  bringt 
schätzenswerte  Nachrichten  über  den  ersten  Linzer  Buchdrucker  Hans 
Plank  (1615 — 27),  den  Verleger  und  Freund  des  Astronomen  Johannes 
Kepler  und  des  Historiographen  Hieronymus  Megiser,  sowie  seiner 
Nachfolger  im  17.  Jahrhundert,  über  welche  die  beigebrachten  Daten 
allerdings  knapp  gehalten  sind.  Aus  dem  Nachlasse  des  verstorbenen 
P.  Otto  Grillnberger  gibt  Schiff  mann  Regesten  und  Urkunden  des 
Stiftes  Engelszeil  von  1293 — 1500,  wodurch  so  manche  Lücken  und 
Ungenauigkeiten  in  der  Geschichte  berichtigt  werden.  Eine  weitere 
Arbeit  K.  Schiffmanns  bringt  Belege  über  mehr  als  1000  oberöster- 
reichische Ortsnamen  und  harrt  weiterer  Fortsetzung.  Damit  wird 
endlich  die  seit  dem  Heimgange  Lamprechts  brachliegende  Forschung 
über  die  so  reichhaltigen  Ortsnamen  Oberösterreichs  weiter  gefördert. 
Eine  Anzahl  kleinerer .  Mitteilungen  und  ein  auch  diesmal  sorgfältig 
gearbeitetes  Register  beschließen  den  Band.  Max  Doblinger. 

Karl  Lacher.  „Altsteirische  Wohnräume  im  Landes- 
museum  zu  Graz."    (Ornamentale    und  kunstgewerbliche  Sammel- 


Literaturberichte.  145 

mappe,  Serie  VIII.)  Leipzig,  K.  W.  Hiersemann,  1906,  Gr.-Fol.  Mit 
32  Lichtdrucktafeln.    (VIII,  8  Seiten  Text.)* 

Das  steiermärkische  kulturhistorische  und  Kunstgewerbemuseum 
besitzt  im  ganzen  acht  geschlossene  Stuben  in  seinen  Schausammlungen. 
Sämtlich  stammen  sie  ikus  Steiermark,  dessen  Wohnungswesen  von  der 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  bis  zum  Empire  in  ihnen  zur  Darstellung 
gebracht  ist.  Lacher  gibt  nun  in  dem  vorliegenden  Werke  jede  einzelne 
derselben  in  mehreren  Abbildungen  wieder,  die  besonders  in  Anbetracht 
der  Schwierigkeiten,  welche  sich  der  photographischen  Aufnahme  solcher 
verhältnismäßig  kleiner  Innenräume  entgegenzustellen  pflegen,  als  vor- 
züglich gelungen  bezeichnet  werden  müssen.  Die  Abbildungen  einiger 
gleichfalls  im  Museum  vorhandener  Portale  sind  hinzugefügt,  und  da 
auch  das  Format  der  Tafein  (22  :  28  cm)  groß  genug  gewählt  ist,  um  die 
Innenarchitektur  in  allen  Teilen  gut  zur  Wirkung  zu  bringen  und  die 
reproduzierten  Einzelheiten  klar  herauskommen  zu  lassen,  so  erfüllt 
das  Werk  durchaus  das  vom  Herausgeber  angestrebte  doppelte  Ziel: 
die  Kenntnis  der  steiermärkischen  Hauskultur,  soweit  sie  in  dem  Grazer 
Museum  zur  Anschauung  gebracht  ist,  einem  breiteren  Publikum  zu 
vermitteln  und  daneben  dem  „Bedürfnisse  nach  Anregung  für  das 
moderne  Schaffen  in  Schule  ui\d  Werkstätte  nachzukommen". 

Diesem  allen  näher  nachzugehen  ist  hier  nicht  unsere  Aufgabe. 
Es  muß  in  dieser  Beziehung  auf  die  Tafeln  selbst  und  auf  die  im 
zweiten  Teil  des  Lacherschen  Textes  gegebene  Beschreibung  der  Ab- 
bildungen verwiesen  werden.  Hier  steht  das  museumtechnische  Interesse 
im  Vordergrunde,  und  über  die  dahin  gehörenden  Einzelfragen,  über 
Art  der  Sammlung  und  der  museologischen  Behandlung  gibt  Lacher  in 
einem  besonderen  Kapitel:  „Die  Aufstellung  der  Wohnräuioae''  Auf- 
schluß. Er  knüpft  dabei  in  vieler  Hinsicht  eng  an  einen  Vortrag  an, 
den  er  in  der  zweiten  Konferenz  österreichischer  Kunstgewerbemuseen 
in  Graz  am  12.  April  1901  gehalten  und  unter  dem  Titel  „Die  Auf- 
gaben der  Kunstgewerbemuseen  auf  kulturhistorischem  Gebiete'^  im 
Selbstverlage  1901  veröffentlicht  hat,  ein  Vortrag,  der  zwar  die  an  sich 
gewiß  sehr  verschiedenartigen  kulturhistorischen,  oder  sagen  wir  lieber 
„ archäologischen '^  Interessen  einerseits  und  die  kunstgewerblichen  anderer- 
seits in  etwas  künstlicher  Weise  zu  verkoppeln  sucht,  der  aber  deshalb 
eine  größere  Beachtung  verdient  hätte,  als  ihm  seinerzeit  scheinbar 
zuteil  geworden  ist,  weil  L.  dort  die  prinzipiellen  Grundlagen  für  die 
Schöpfung  kulturgeschichtlicher  Sammlungen  mit  seltener  Klarheit 
präzisiert  hat.  Er  erklärte,  daß  es  hier  bei  jedem  einzelnen  Gegen- 
stande auf  das  Woher,  zu  welchem  Zwecke  und  in  welchem  Zusammen- 
I^ange  ankomme,  also  nicht  auf  die  Form,  nicht  auf  das  Material, 
sondern  in  erster  Linie  auf  den  Zweck  I  Und  neben  der  geschichtlichen 
Bedeutung  der  Einzelstücke  betonte  er,  daß  sie  der  Heimat  angehören 
sollen, 'indem  er  darauf  hinwies,  daß  eine  wirklich  umfassende  museale 
Darstellung  des  Volkslebens  doch  nur  ein  engeres  Landesgebiet  um- 
fassen kann.    (S.  4.) 

Diesem  Grundsatz  ist  Lacher  bei  der  Sammlung  der  Stuben  treu 
geblieben,  indem  er  nur  solche  Wohnräume  für  sein  Musieum  erwarb, 
die  aus  Steiermark  stammen,  um  auf  diese  Weise  „ein  ethnographisches 
Bild  von  dem  Wohnen,  dem  häuslichen  Leben  und  Schaffen  der  Steier- 
märker  darzubieten".  Um  diesen  Zweck  nun  in  möglichst  vollkommener 
Weise  zu  erreichen,  hat  L.  von  vornherein  darauf  Bedacht  genommen, 

*  Wir  entnehmen  diese  ausgezeichnete  Besprechung  der„HaseTimsknnde**,  heraus- 
gegeben Ton  Dr.  Karl  Eoetschau,  Band  II,  Heft  4,  Seite  2S2. 

10 


146  Literaturberichte. 

die  alten  Wohnräume  in  einer  Weise  zur  Aufstellung  zu  bringen,  die 
den  originellen  häuslichen  Verhältnissen  so  viel  als  möglich  gleich- 
kommt. Darum  hat  er  zu  den  Stuben  auch  gleich  die  zugehörigen 
Tür-  und  Fensterstöcke,  die  Fensterunir ahmungen  und  die  Fenstergitter 
mit  erworben,  sa  daß  jetzt  die  echten  Zugänge  und  die  echten  Licht- 
öffnungen mit  zur  Aufstellung  gelangen  konnten,  und  die  Stuben  sicli 
auch  im  Museum  wieder  mit  der  so  wichtigen  ursprünglichen  Beleuch- 
tung präsentieren. 

Für  die  Aufstellung  der  Stuben  war  es  ein  glücklicher  Umstand^ 
daß  sie  bereits  für  die  Sammlungen  erworben  waren,  als  mit  dem 
Museumsneubau  begonnen  wurde.  Aber  auch  so  ist  es  als  ein  be- 
sonderes Verdienst  anzusprechen,  daß  L.  sich  nicht  zu  der  sonst  so 
häufig  anzutreffenden  Art  verleiten  ließ,  welche  die  Stuben,  so  gut  es 
eben  geht,  in  den  Museumsraum  einbaut.  £r  hat  sie  vielmehr  alle  in 
einen  eigenen  Zubau  verlegt,  der  auf  drei  Seiten  freisteht  und  es  ge- 
stattet, daß  sämmtliche  Fenster  und  Fensterchen  der  alten  Stuben 
wirklich  wieder  ins  Freie  führen  und  auch  so  die  ursprüngliche  Be- 
leuchtung ermöglicht  wurde. 

Diese  Art  der  Unterbringung,  im  allgemeinen  durchaus  lobens- 
wert, hat  dann  freilich  eine  Folge  gehabt,  über  deren  Vorzüge  und 
Nachteile  sich  zum  mindesten  streiten  läßt.  Dieselbe  besteht,  kurz 
gesagt,  darin,  daß  die  Unterbringung  der  Stuben  die  gesamte  Dis- 
position der  übrigen  Museumsabteilungen  bedingt  hat.  Da  für  die 
Stuben  von  drei  Seiten  direktes  Licht  von  außen  ermöglicht  werden  sollte^ 
so  war  es  ausgeschlossen,  sie  aUe  in  einem  Stockwerk  nebeneinander 
aufzustellen.  L.  hat  nun  eine  Dreiteilung  in  vornehme,  in  bürgerliche 
und  bäuerliche  Wohnräume  vorgenommen,  er  hat  diese  drei  Abteilungen 
in  drei  Stockwerken  übereinander  aufgestellt,  und  er  hat  dann  die 
Stuben  dadurch  zum  Kernpunkte  der  Sammlungen  gemacht,  daß  er  die 
Erzeugnisse  der  höfischen,  der  bürgerlichen  und  der  bäuerlichen  Kultur 
zu  ihnen  in  Beziehung  zu  bringen  suchte.  Diese  Anordnung  mag  für 
die  Grazer  Sammlungen  infolge  ihrer  besonderen  Zusammensetzung 
eine  natürliche  sein.  Wenn  L.  aber  auf  Seite  2  die  Ansicht  ausspricht, 
daß  ihr  aus  inneren  und  äußeren  Gründen  der  Vorzug  vor  anderen 
Aufstellungsarten  bei  der  Anordnung  kulturhistorischer  Sammlungen 
gebühre,  so  bleibt  es  doch  fraglich,  ob  sie  wirklich  für  alle  Fälle  un- 
bedingt als  Vorbild  empfohlen  werden  kann.  Ich  sehe  ganz  davon  ab, 
daß  man  in  anderen  Museen  durch  den  vorhandenen  Sammlungsbesitz 
leicht  dazu  geführt  werden  kann,  die  Einteilung  nicht  nach  den  wirt» 
schaftlichen  Verhältnissen  wie  in  Graz,  sondern  nach  stilgeschichtlichen 
Rücksichten  vorzunehmen,  und  daß  damit  dann  aus  inneren  Gründen^ 
die  ganze  auch  von  L.  befolgte  Übrige  Anordnung  ins  Wanken  kommen 
würde.  Vor  allem  ist  m.  E.  darauf  hinzuweisen,  daß  die  Stuben 
als  geschlossene  Repräsentanten  der  Hauskultur  allerdings  den  Mittel- 
punkt für  die  Hiausaltertümer  wohl  selbstverständlich  abgeben  werden 
—  wenigstens  überall,  wo  es  sich  um  die  Stube  des  oberdeutschen 
Haustypus  handelt  —  daß  aber  demgegenüber  die  im  Grazer  Museum 
ihnen  angegliederten  Abteilungen  für  Rechtspflege,  Jagd-  und  Schützen- 
wesen, Zunftwesen  und  kirchliche  Kunst  doch  wohl  eine  selbständigere 
Stellung  beanspruchen  können.  Für  die  allgemeine  Disposition  von 
historischen  Museen  müssen  m.  E.  immer  die  archäologischen  Gesichts- 
punkte den  Ausschlag  geben,  wodurch  die  von  L.  geforderte  „echt  künst- 
lerische Anordnung"  der  Einzelstücke  keineswegs  beeinträchtigt  wird. 
Übrigens  läßt  sich  diese  sehr  wichtige  prinzipielle  Frage  nicht  in  einer 


Literaturberichte.  147 

kurzen  Kezension  mit  ein  paar  Worten  erledigen,  und  es  wird  noch  mancher 
eingehenderen  Besprechung  bedürfen,  ehe  darüber  nur  in  den  allgemeinen 
Grundlinien  eine  Einigung  erzielt  werden  kann.  An  ein  festes  Schema  wird 
sich  der  praktische  Museologe  ja  so  wie  so  niemals  binden  können. 

Unseren  nnbedigten  Beifall  müssen  wir  L.  schließlich  wieder 
hinsichtlich  der  von  ihm  gewählten  Art  der  Ausstattung  der  Stuben 
spenden.  L.  spricht  sich  in  seinem  Texte  mehrfach  unzweideutig  dar- 
über aus,  und  auch  die  Tafeln  lassen  seinen  Standpunkt  überall  deut- 
lich erkennen.  Er  ist  sich  stets  bewuBt  geblieben,  daß  eine  Stube 
durch  Ort,  Zeit  und  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse,  unter  denen  sie 
entstand,  in  ihrer  äußeren  Erscheinung  bedingt  ist,  daß  sie  ein  durch 
die  Einflüsse  der  zugehörigen  Hauswirtschaft  und  Hauskultur  fest  um- 
grenztes kulturgeschichtes  Ensemble  darstellt,  welches  man  ebenso- 
wenig bei  der  museologischen  Aufstellung  willkürlich  erweitern  darf, 
als  man  berechtigt  ist,  es  beliebig  zu  beschneiden.  So  hat  L.  jede  in- 
dividuelle Zutat  sorgfältig  vermieden,  er  ist  der  Versuchung,  zu 
dekorieren,  nicht  erlegen,  sondern  er  hat  nur  das  wieder  aufgebaut, 
was  er  vorgefunden.  Es  mag  infolgedessen  wohl  sein,  daß  der  eine 
oder  andere,  der  gern  in  sogenannter  kulturgeschichtlicher  Ausstattung 
schwelgen  möchte,  die  Stuben  etwas  kahl  finden  wird.  Was  tut  das? 
Echt  sind  sie!  Das  ist  die  Hauptsache,  und  in  diesem  Falle  ist 
die  Echtheit  durchaus  nicht  so  selbstverständlich,  als  es  wohl  scheinen 
könnte.  Sie  ist  Lacher  als  besonderes  Verdienst  anzurechnen,  denn 
man  kann  in  vielen  Museen  Stuben  finden,  deren  Einzelstücke  zwar 
echt  sind,  die  aber  in  ihrer  Gesamtheit  keinen  Anspruch  auf  Echtheit 
erheben  können.  In  dieser  Erkenntnis  hat  L.  denn  auch  darauf  ver- 
zichtet, aus  vorhandenen  Eiiizelstücken  geschlossene  Wohnräume  her- 
zustellen, eine  Entsagung,  die  nur  zur  Nachahmung  empfohlen  werden 
kann.  Otto  Lauffer. 

Styriaca  in  den  Mitteilungen  der  k.  k.  Zentralkommtssion 
für  Erforschnng  nnd  Erhaltnnir  ^^r  Knnst-  nnd  historischen  Denk- 
male. Dritte  Folge,  V.  Band,  Wien  1906. 

Sitzung  am  12.  Jänner.  Die  Pfarrkirche  in  Gröbming  ist  einer 
Außenrestaurierung  bedürftig.  Gegen  die  Erweiterung  der  Pfarrkirche 
werden  keine  Bedenken  erhoben. 

Sitzung  am  9.  Februar.  Die  Wandmalereien  in  der  Bischofskapelle 
in  Goß  werden  bloßgelegt.  Die  mit  wertvollen  Fresken  des  18.  Jahr- 
hunderts geschmückte  Luciakapelle  der  demolierten  Pfarrkirche  in 
Tüchern  muß  in  den  Neubau  einbezogen  werden. 

Sitzung  am  16.  Februar.  Der  Musealverein  in  Cilli  macht  Mitteilung 
über  den  Fortgang  der  Erhaltungsarbeiten  auf  der  Burg  Ober-Cilli. 

Sitzung  am  2.  März.  Die  alten  Fenster  am  sogenannten  Stöckel 
in  der  Hofgasse  in  Graz  sollen  erhalten  bleiben. 

Sitzung  am  23.  März.  Die  Neueindeckung  der  Kreuzkapelle  bei 
der  Hof-  und  Domkirche  zu  Graz  wird  genehmigt. 

Sitzung  am  SO.  März.  Die  Pestsäule  auf  dem  Hauptplatze  in 
Voitsberg  aus  dem  17.  Jahrhundert  bedarf  einer  Restaurierung. 

Sitzung  am  27.  April.  Die  Ruine  Monsperg  bedarf  einer  Siche- 
rungsarbeit. Die  Bloßlegung  der  unter  der  Tünche  verborgenen  Male- 
reien in  der  Friedhofkapelle  zu  Murau  begegnet  großen  Schwierig- 
keiten. Die  Stuccodekorationen  der  demolierten  Luciakapelle  in  Sachsen- 
feld kommen  an  das  „Joanneum".  Die  Fresken  an  der  Außenseite 
der  Pfarrkirche  zu  Spital  a.  S.  wurden  durch  ein  Schutzdach  geschützt. 
Die  Glasmalereien  in  der  Kirche  zu  Tragö  ß  -Unterort  wurden  restauriert. 

10* 


148  Literaturberichte. 

Sitzung  am  11.  Mai.  Gegen  die  Eindeckung  der  Pfarrkirche  in 
Murau  mit  Schiefer  waltet  kein  Anstand  ob.  Ein  gotischer  Erker  an 
einem  zu  demolierenden  Hause  in  Pettau  soll  beim  Neubau  wieder 
Verwendung  finden.  An  der  Nordwand  des  Schiffes  der  Kirche  St.  Rupert 
am  Kulm  in  der  Ramsau  kamen  Gemälde  des  frühen  14.  Jahr- 
hunderts zutage. 

Sitzung  am  18.  Mai.  Die  schlecht  eingemauerten  römischen  In- 
schriftensteine in  der  Kirche  zu  Kerschbach  bei  Prager hof  sollen 
bei  der  bevorstehenden  Restaurienmg  herausgenommen  und  die  Römer- 
steine in  Waltersdorf  vor  mutwilliger  Beschädigung  geschützt  werden. 
Für  die  Wiederherstellung  der  Frauensäule  in  Schillingsdorf  werden 
100  Kronen  bewilligt. 

Sitzung  am  22.  Juni.  Die  projektierten  Restaurierungsarbeiten  an 
der  Pfarrkirche  in  Aflenz  werden  genehmigt,  ebenso  jene  für  die 
St.  Bernhardskirche  in  Murau.  In  Cilli  wurden  Reste  der  mittelalter- 
lichen Stadtmauer  bloßgelegt. 

Sitzung  am  13.  Juli.  Die  Bauherstellungen  an  der  Kirche  am 
Kriechenberg  in  den  Windischbüheln  wurden  nicht  sorgföltig  genug 
durchgeführt.  In  Ober  rann  bei  Pettau  wurden  zwei  römische  Mosaik- 
böden aufgedeckt. 

Tätigkeitsbericht  vom  Juli  bis  September.  Die  Restaurierungen  der 
Pfarrkirche  in  Aflenz  wurden  zur  Zufriedenheit  durchgeführt.  In  der 
Frauendorfer  Pfarrkirche  wurden  die  Fresken  übertüncht.  Das 
Stuben  her  g-Denkmal  dortselbst  muß  einer  Reinigung  unterzogen 
werden.  Die  Glasgemälde  in  der  St.  ülrichskapelle  zu  Utsch  befinden 
sich  in  einem  restaurationsbedürftigen  Zustand.  Die  Restaurierung  der 
Pfarrkirche  in  Leutschach  wird  genehmigt. 

Tätigkeitsbericht  für  Oktober.  In  der  Grazer  Domkirche 
kommt  in  das  alte  Orgelgehäuse  ein  neues  Werk.  Die  G  ö  ß  e  r  Bischofs  - 
kapelle  muß  einer  gründlichen  Restaurierung  unterzogen  werden.  Das 
Jakobskreuz  in  Leoben  wurde  durch  Aufstellung  eines  Mastes  der 
elektrischen  Beleuchtung  entstellt  und  wird  dessen  Entfernung  verlangt. 
Die  abgefallene  Stuckumrahmung  des  Gemäldes  am  Schwammerlturm 
möge  erneuert  werden. 

Tätigkeitsbericht  für  November.  In  der  Pfarrkirche  St.  Georgen 
in  Windischbüheln  kommt  ein  neuer  gotischer  Hochaltar  zur  Aufstellung. 
Die  Pfarrkirche  in  Unzmarkt  wird  einer  sachgemäßen  Restaurierung 
unterzogen. 

Tätigkeitsbericht  für  Dezember.  In  Cilli  wurden  die  Grundfesten 
des  1530  erbauten  Grazer  Tors  aufgedeckt.  Die  Restaurierungsarbeiten 
an  der  Oswaldikirche  in  Eisenerz  sollen  fortgesetzt  werden  und  zwar 
im  Einklänge  mit  den  bereits  vollzogenen.  Dazu  wird  ein  einheitlicher 
Plan  ausgearbeitet.  Inünterpodlosch  an  der  Pulsgau  wurden  die 
Hoch  nicht  aufgegrabenen  drei  Tomuli  durchforscht  und  ergaben  Funde 
aus  der  Hallstätterperiode.  In  Oberhaidin  an  der  Neustifter  Straße 
in  der  Umgebung  des  Hauses  Nr.  103  wurde  (von  Prof.  Ferk)  ein  prä- 
historisches Gräberfeld,  vermutlich  der  früheren  Hallstattperiode,  entdeckt. 

An  größeren  Aufsätzen  finden  sich  in  diesem  Jahrgange  von 
Luschin  von  Ebengreuth:  Neue  Funde  von  Keltenmünzen  aus 
Steiermark.  Mit  zwei  Tafehi  (S.  188—194).  Skrabar:  Fund  römi- 
scher Denare  in  Unterhaidin  (S.  195 — 196).  Graus:  Der  zer- 
störte Hochaltar  der  Pfarrkirche  von  Judenburg  (S.206 — 219). 
Szombathy:  Neuere  Gräberfunde  in  Klein-Glein  (S.  296— 299). 


Zeitschriftenschau. 

Ein  Brnchstück  ans  dem  Bennewart  Ulriclis  Ton  Tttrheim. 

Im  XLYIII.  Bande  der  „Zeitschrift  für  deutsches  Altertum  und  deutsche 
Literatur",  S.  415—418,  veröffentlicht  Hofrat  Anton  E.  Schönbach 
diesen  für  Steiermark  sicherlich  äußerst  interessanten  Fund.  Das  Perga- 
mentblatt, das  aus  dem  Anfange  des  XIV.  Jahrhunderts  stammt,  wurde 
von  Dr.  Kapper  bei  der  Einrichtung  des  Grazer  Statthaltereiarchives  auf- 
gefunden und  diente  als  Umschlag  für  ein  Urbar  der  St.  Martinskirche 
bei  Windischgraz  von  1364. 

Zur  niederösterreicliiselien  gtändisehen  Yerfassnngrs-  nnd 
Terwaltnngsfrage  in  den  Jahren  1848 — 1861.  Von  Dr.  Anton  Mayer. 
(Monatsblatt  des  Vereines  für  Landeskunde  von  Niederösterreich,  Jahr- 
gang 1906,  Nr.  7—9,  auch  S.  A.) 

„Seit  dem  denkwürdigen  13.  März  des  Jahres  1848,  an  welchem 
Tage  infolge  der  stürmischen  Ereignisse  im  Hofe  des  niederösterreichi- 
schen Landhauses,  in  den  Vorräumen  zum  ständischen  Sitzungssaale  und 
dann  in  diesem  selbst  die  hier  eben  unter  dem  Vorsitze  des  Land- 
marschalls zu  einer  allgemeinen  öffentlichen  Sitzung  versammelten  drei 
oberen  politischen  Stände  in  ihrer  Beratung  gestört  und  gezwungen 
waren,  den  Saal  zu  verlassen,  hat  keine  derartige  Sitzung  mehr  statt- 
gefunden; sie  beschloß  die  jahrhundertelange  Reihe  der  niederöster- 
reichischen Ständeversammlungen  oder  Landtage,  da  man  sich  nicht  mehr 
getraute,    solche  der  ungünstigen  Zeitverhältnisse  wegen  einzuberufen." 

Neuere  Berichtigungen  der  Kärntner  Landesgrrenze.  In  der 

„Karinthia",  L,  90.  Jahrgang,  veröffentlicht  Dr.  M.  Wutte  einen  für  die 
historische  Topographie  wertvollen  Aufsatz,  von  dem  namentlich  der 
I.  Teil,  der  die  Grenzstreitigkeiten  vom  Südabhange  der  Koralpe 
behandelt,  (Heft  Nr.  1,  S.  5—34)  und  Nr.  2,  S.  49—61,  für  uns  Steirer 
interessant  ist. 

Die  steirischen  Rezesse  zur  Zeit  Maria  Theresias.  In  der 
Wiener  Zeitung  Nr.  244  und  245  vom  24.  und  25.  Oktober  1906  gibt  Franz 
Martin  Mayer  auf  Grund  von  Akten  des  steiermärkischen  Landesarchivs 
eine  Darstellung  der  Verhandlungen  zwischen  der  Regierung  Maria 
Theresias  und  den  steirischen  Ständen  über  die  von  der  Kaiserin  1748 
in  Angriff  genommenen  Reformen  des  Steuerwesens  und  der  militärischen 
Angelegenheiten.  Die  hierüber  geschlossenen  Rezesse  legten  dem  Lande 
bedeutende  Lasten  auf.  In  den  folgenden  Kriegsjahren  mußten  sich  die 
Stände  außerdepi  mit  ihrem  Kredite  an  den  P'inanzoperationen  der  Re-* 
gierung  beteiligen,  wofür  sie  1767  einen  „General- Schuldbrief"  erhielten, 
der  als  Guthaben  des  Landes  den  Betrag  von  5,287.597  Gulden  auswies. 

Wie  alt  ist  nnser  Österreich  ?  In  einem  Aufsatze  unter  diesem 
Titel  führt  Dr.  Josef  Lampel  im  Abendblatte  der  „Neuen  Freien 
Presse"  vom  19.  November  d.  J.  den  Gedanken  aus,  daß  Karl  dem 
Großen  im  Kapitulare  von  Thionville  am  6.  Februar  806  in  dem  Reiche, 
das  er  seinem  Sohne  Pippin  zuwies,  bereits  ein  „Österreich",  ähnlich 
dem  heutigen,  vorgeschwebt  habe.  Somit  sei  Karl  der  Große  nicht  nur 
als   Schöpfer  der  Ostmark,   sondern  als   „Gründer  des  Ostreiches"   zu 


150  Zeitschriftenschau. 

betrachten.  —  Die  genauere  Darlegung  dieses  Gedankeos  gab  der  Ver- 
fasser in  einem  Feuilleton  der  „Wiener  Zeitung"  Jahrg.  1906,  Nr.  10  und 

14.  —  Zum  gleichen  Gegenstande  bringt  Dr.  Lampel  den  Aufsatz  „Die 
,d re i  Gr a fs cha ft en' der  karolingischen  und  der  Otto ni sehen 
0  s  t  m  a  r  k"  in  der  Wiener  Zeitung  Nr.  263  und  265  vom  15.  und  18.  November 
1906,  sowie  die  Studie  „Ein  Wiener  Denkmal  Kaiser  Karls  des 
Großen"  in  der  „österreichischen  Kundschau",  Band  9,  Heft  2,  vom 

15.  November  1906. 

Fttrst  Metternich  und  die  Staatskonferenz.  Über  diesen 
Gegenstand,  die  Bildung  der  österreichischen  Staatskonferenz  von  1836, 
sclu:eibt  Eduard  v.  Wertheimer  mit  Benützung  ungedruckter  Quellen 
in  der  „österreichischen  Rundschau",  Band  X,  Heft  1,  vom  I.Jänner  1907. 

Die  Ostermair.  Urkunden,  Regesten,  Matrikenauszttge  etc.  von 
1700 — 1799.  Paul  Ostermair,  Prediger  in  Königsberg,  ließ  im  Laufe 
des  Sommers  1906  eine  Fortsetzung  seiner  ^Verstreuten  Nachrichten  über 
die  Ostermair"  erscheinen.  Zugleich  macht  der  Verfasser  dieser  Regesten- 
sammlung, Dr.  H.  Ostermair  in  Ingolstadt,  Mitteilung  von  dem  engeren 
Zusammenschlüsse  der  einzelnen  über  ganz  Deutschland 
zerstreuten  Familien  in  der  Gründung  eines  Verbandes 
von  Trägern  dieses  Familiennamens  ohne  Rücksicht  auf  die 
Namensschreibung  und  Stammesverwandtschaft.  Zweck  des  Verbandes 
ist  die  Sammlung  und  Veröffentlichung  aller  auf  diese  Namensgenossen 
bezüglichen  Nachrichten  aus  ältester,  neuer  und  neuester  Zeit.  Der  Wert 
dieser  in  Deutschland  schon  vielfach  eingerichteten  bürgerlichen  Familien- 
verbände zur  Belebung  des  historischen  Interesses  ist  unverkennbar  und 
sollte  auch  bei  uns  eifrige  Nachahmung  finden. 

Festschrift  des  akademischen  Vereines  deutscher  Historiker 
an  der  Unirersität  in  Graz  anläßlich  der  Feier  seines  30jährigen  Be- 
standes. Die  hübsch  ausgestatte  Schrift  enthält:  Franz  v.  Krone s. 
Festrede,  gehalten  am  19.  Jänner  1907  bei  der  Enthüllung  der  Gedenktafel 
in  der  Aula  der  Grazer  Universität.  Von  Professor  Dr.  Karl  ühlirz.  — 
Eduard  Richter.  Antrittsvorlesung  des  Professors  Dr.  Robert  Sieger, 
gehalten  am  25.  Oktober  1905.  —  Hans  v.  Zwiedineck,  gest.  22.  No- 
vember 1906    Von  A.  Meli.  Abgedruckt  aus  „Deutsche  Geschichtsblätter" . 

Zur  Biographie  „Hans  v.  Zwiedineck-Sttdenhorst"  in 
dieser  Zeitschrift  (IV.  Jahrg.,  S.  101—136)  gibt  Regierungsrat  Fr.  II wo f 
folgende  Berichtigung:  „Zu  S.  102.  Nachdem  Oberst  Ferd.  Zwiedineck 
von  Frankfurt  am  Main  nach  Verona  war  übersetzt  worden  (1848),  begab 
sich  dessen  Gemahlin  mit  dem  Sohne  Hans  nicht  allsogleicli  nach  Graz, 
sondern  mit  ihrem  Gemahle  in  diese  italienische  Stadt,  wo  Hans  die 
erste  Klasse  der  italienischen  Volksschule  besuchte  und  als  Vorzugs- 
schüler bestand.  Erst  18  )2,  als  Oberst  von  Z.  in  Pension  trat,  kam  Hans 
mit  den  Eltern  nach  Graz.  S.  120,  Z.  12  v.  u. :  Der  Titel  des  hier  zitierten 
Autsatzes  heißt:  „Österreich  und  der  deutsche  Bundesstaat**,  nicht 
„Österreich  und  der  österreichische  Bundesstaat",  wie  S.  135,  die  letzten 
Zeilen  v.  u.,  richtig  angegeben  ist.** 

Flngrschrift  1848  für  das  allgremeine  gleiche  Wahlreeht« 
Frau  Gewerke  Ludovika  Zangg  veröffentlicht  anläßlich  der  100.  Wieder- 
kehr des  Geburtsjahres  ihres  Gatten,  August  Zanggs,  des  Freiheits- 
kämpfers von  1848,  einen  Nachdruck  der  damaligen  Flugschrift  des 
ersten  Agitators  und  furchtlosen  Vorkämpfers  für  das  allgemeine 
Wahlrecht. 

Die  Familie  Lederwasch  in  Tamswegr.  Valentin  Hatheyer 
bringt  im  44.  Bande  der  „Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  Salzburger 


Zeitschriftenschau.  151 

Landeskunde"  (auch  S.  A.)  eine  auf  gediegener  archivalischer  Forschung 
beruhende  Biographie  dieser  Eünstlerfamfle.  Uns  interessiert  namentlich 
Johann,  der  dritte  Sohn  Gregors  TV.,  der  Maler  in  Murau  war  und  von 
dem  das  Selbstporträt  nebst  dem  seines  Sohnes  aus  dem  Jahre  1818 
sich  im  steiermärkischen  Landesarchive  befindet.  IJr  war  äußerst  arbeit- 
sam und  unter  dem  Namen  des  steirischen  Teniers  bekannt. 

Oasseil-,  StraSen-  nsd  Plätze-Bneh  der  Stadt  Marburur  a*  1>. 
Dr.  Artur  Mally,  der  lange  Zeit  als  Gemeinderat  wirkte,  hat  den  Mar- 
burgem  ein  äußerst  wertvolles  historisches  Denkmal  geschaffen.  Da  er 
sich  viel  mit  der  Geschichte  der  Stadt  beschäftigt  hatte,  wurde  ihm 
im  Gemeinderate  die  Aufgabe  zuteil,  für  neuentstandene  Straßeft  den 
Namen  vorzuschlagen.  Und  so  reifte  in  ihm  der  Entschluß,  ein  Ver- 
zeichnis aller  Straßen  anzulegen  mit  einer  kurzen  Begründung,  warum 
sie  ihren  Namen  führen.  Und  dabei  kam  er  unwillkürlich  auf  das  Ge- 
schichtliche. So  erzählt  er  denn  alles  Erwähnenswerte,  was  sich  an  die 
Gassen  und  Gebäude  im  Laufe  der  Zeit  knüpfte  und  bietet  uns  so 
einen  willkommenen  historischen  Führer  durch  die  altehrwürdige,  bau- 
lich vielfach  interessante  Stadt  Marburg. 

Zeitschrift  für  Geschichte  nnd  Kulturgeschichte  österrei- 
chisch-Scblesiens.  Seit  190)  gibt  das  städtische  Museum  in  Troppau 
diese  von  Prof.  Dr.  Karl  Knaflitsch  verdienstvoll  geleitete  Zeitschrift 
heraus.  Dieselbe  bringt  Arbeiten  kunst-  und  literarhistorischen,  national- 
ökonomischen, namentlich  aber  volkskundlichen  Charakters  zur  Ver- 
öffentlichung und  will  zunächst  ein  Sammelpunkt  für  Kleinarbeit 
sein,  „eine  Aaeiferung  für  zaghaftere  Forscher,  auch  wenn  sie  nicht 
zünftige,  dagegen  von  Liebe  zur  Heimat  angeregte  Sammler  sind". 

Der  Meldezettel.  Ein  Kapitel  aus  der  Geschichte  der  Stadt 
Wien.  In  „Die  Zeit«  vom  17.  Februar  1907,  Nr.  1581,  S.  4  bis  5,  ver- 
öffentlicht Dr.  A.  Starzer  unter  diesem  Titel  einen  interessanten  Auf- 
satz und  weist  nach,  daß  1597  an  Stelle  der  mündlichen  Fremden- 
anmeldung die  srhriftliche  trat.  Zwei  ungebetene  Gäste  waren  es,  deren 
wiederholtes,  Tod  und  Verderben  bringendes  Erscheinen  die  Einftihrung 
des  jetzt  so  vielfach  im  guten  und  bösen  Sinne  genannten  Meldezettels 
veranlaßten:  die  Pest  und  die  Türken. 

Herzogr  Wilhelm  von  lYUrttembergr*  Anläßlich  der  feierlichen 
Enthüllung  des  Denkmales  des  Herzogs  Wilhelm  von  Württemberg  in 
Graz  am  8.  Juni  erschien  bei  Ulrich  Moser  (J.  Meyerhoff)  eine  äußerst 
gehaltvolle,  hübsch  ausgestattete  Festschrift.  Dieselbe  wird  eingeleitet 
durch  ein  stimmungsvolles  Gedicht  0.  Kernstocks  und  bringt  in  präg- 
nanter Kürze  eine  Lebensbeschreibung  dieses  deutschen  Prinzen,  der 
in  Österreich  eine  zweite  Heimat  gefunden  und  diesem  seinem  Adoptiv- 
vaterlande  so  treue,  hingebungsvolle  Dienste  geleistet  hat.  Mit  schar- 
fem politischen  Blicke  erkannte  er  die  große  Gefahr  filr  den  Bestand 
Österreichs,  der  aus  der  Zurückdrängung  der  deutschen  Staats-  und 
Armeesprache  für  den  Bestand  des  Staates  entstand  und  erhob  er  be- 
reits 1885  warnend  seine  Stimme. 

Friedrich  Marx.  Sein  Leben  und  Dichten.  Den  Freunden  und 
Verehrern  des  Dichters  widmet  Karl  W.  Gawalowski  eine  Erinne- 
rungsgabe. Dieselbe  stellt  einen  Vortrag  dar,  der  vom  Verfasser  in  den 
Zweigvereinen  Graz  und  Klagenfurt  des  allgemeinen  deutschen  Sprach- 
vereines gehalten  wurde  und  der  zuerst  im  „Grazer  Tagblatt"  in  Druck 
erschien.  Der  Reinertrag  dieser  Schrift  ist  der  Errichtung  einer  Marx- 
Gedenktafel  in  Ober-Drauburg  gewidmet. 


152  Aus  Archiven,  Kommissionen,  Museen,  Vereinen. 


Abt  Kn^etan  Hoffmann.  Ig.  H.  Joherl  widmet  seinem  Lands-  . 

manne,  dem  am   13.  März  1907  verstorbenen  verdienstvollen  Abte  von  \ 
Admont  einen  gehaltvollen  Nachruf  unter  dem  Titel:  „Einen  Palmen- 
zweig auf  das  Grab  des  hochw.  Herrn  Eajetan  Hoffmann,  inf.  Abt  von 
Admont". 

Die  Kalsergrräber  in  Speyer.   Über  die  Wiederherstellung  der  | 

Kaisergruft  im  Dome  zu  Speyer  veröffentlicht  Prof.  Grauer  in  der  . 

Beilage  zur  „Münchner  allgem.  Zeitung^  einen  stimmungsvollen  Bericht.  I 

Es  ruhen  hier  die  Kaiser  Konrad  II.,  Heinrich  III.,  IV.,  V.,  die  Kai-  ^ 

serinnen  Gisela  und  Berta,   dann  Beatrix,  die  Gemahlin  Kaiser  Bar-  I 
barotsas,  und   ihr  Kind  Agnes,  femer  Philipp  von  Schwaben,  Eudolf 

von  Habsburg,   Adolf  von  Nassau   und    Albrecht  von  Österreich.   Am  | 
1.  Juni  1689  fiel  auch  der  Dom  der  Zerstörungswut    der  Franzosen 

zum   Opfer   und  wurden   beim  Brande  die   Kaisergräber  teilweise   er-  i 

brochen  und  geschändet.   Die  zerstreuten  Gebeine  wurden  gesammelt  ' 

und  in  neue  Sarkophage  gelegt.    Darüber  wölbt   sich   nun    die   neue,  i 

würdige  Kaisergruft.  s 

i 


Aus  Archiven,  Kommissionen,  Museen,  Vereinen. 

SteiermSrkisches  Landesarchiv.  Der  vorliegende  Bericht  über 
das  Jahr  1906  (S.  A.  aus  dem  XCV.  Joanneumsberichte)  gibt  Zeugnis 
von  einem  erfreulichen  Aufschwung  dieses  Institutes.    Dasselbe  hat  die  . 

Zahl    von  3494  Benützungen  aufzuweisen.    Bezüglich   der   inneren  und  ^ 

äußeren  Ausgestaltung  wäre  zu  erwähnen,  daß  der  Landes-Ausschuß : 
beschloß:  1.  Die  dauernde  Verbindung  der  historischen  Landeskom- 
mission für  Steiermark,  2.  die  Adaptierung  eines  Depotraumes  im  1.  Stocke 
als  zweites  Benutzer-  und  Parteienzimmer  im  Anschlüsse  an  die  bereits 
bestehenden  Kanzleiräume,  und  3.  die  Umwandlung  von  drei  unter  den 
Parterrelokalitäten  des  Archives  gegen  die  Ringstrasse  zu  gelegene 
Kellerräume  zu  feuersicheren  Aktendepots.  Über  Antrag  des  ständigen  ^ 

Ausschusses  der  historischen  Landeskommission  und  Befürwortung  seitens 
der  Archivsdirektion  beschloss  der  Landes-Ausschuß  die  Einführung 
von  Abendstunden   an  jedem  Montag,  Mittwoch   und  Freitag  von  5  bis  I 

7  Uhr.  Die  Ordungsarbeiten  erstreckten  sich  auf  die  Repertorisierung 
von  Originalurkunden  und  Kopien  aus  dem  Schlosse  Greinburg,  von  den  ( 

Städten  Hartberg   und  Fürstenfeld  und   dem  Schloßarchive  von  Guten- 
berg.  Die  Ordnung  der  Familienarchive  Stubenberg  und  Gleispach  wurde  ^ 
zu  Ende  geführt,  die  Stadtarchive  von  Fürstenfeld  und  Hartberg  wurden 
vorgeordnet.  Aus  dem  landschaftlichen  Archive  wurden  die  Abteilungen  i 
Landesgrenzen,    Münz-    und  Geldwesen   und  Befestigungen 
geordnet    und    mit    der  Detailordnung    der    „Ständischen  Verwaltung"                | 
begonnen.  . 

Historische  Landeskommission  fiir  Steiermark.  6.  Vollver- 
Sammlung  am  14.  Februar  1907,  halb  6  Uhr  Abends  im  steiermär- 
kischen  Landesarchive. 

Seine  Exzellenz  der  Herr  Landeshauptmann  Edmund  Graf  A 1 1  e  m  s  I 

begrüßt    die    erschienenen  Mitglieder  und  vor  Allem  das  neu  ernannte  I 

Mitglied,  Landespräsidenten  a.  D.    Otto  Freiherrn  von  Fraydenegg.  ^J 

Freiherr  von  Fr  ay  den  egg    dankt    für   das  Vertrauen^  welches  i 

die  Kommission   und  der  steiermärkische  Landes-Ausschuß  durch  seine 

( 


Aus  Archiven,  Kommissionen,  Museen,  Vereinen.  153 

Wahl  zum  Mitgliede  ihm  entgegengebracht  und  verspricht,  seine  Kräfte 
der  Sache  der  Kommission  zu  widmen. 

Der  Vorsitzende  gedenkt  in  warmen  Worten  ausführlich  der 
großen  Verdienste,  welche  der  leider  zu  früh  dahingeschiedene  ehe- 
malige Sekretär  der  Kommission,  Professor  von  Zwiedinek,  sich 
während  einer  13jährigen  Tätigkeit  um  die  Landeskommisson  er- 
worben hat  und  fordert  die  Anwesenden  auf,  sich  zum  Zeichen  der 
Trauer  von  den  Sitzen  zu  erheben. 

Der  Sekretär  Dr.  Anton  Meli  erstattet  den  Tätigkeits- 
bericht des  ständigen  Ausschusses  über  das   Jahr  1906. 

Durch  die  endgiltige  Vereinigung  der  Kommission  ^it  dem  Landes- 
archive, in  dessen  Bäumen  der  Kommission  ein  eigenes  Arbeitslokal 
zur  Verfügung  gestellt  wurde,  durch  die  Einführung  von  Abendstunden 
am  Archive  und  durch  die  Zuweisung  einer  Reihe  von  Hilfswerken  aus 
der  Landesbibliothek  am  Joanneum  ist  für  die  Zufunft  ein  gedeihliches 
Zusammenwirken  zwischen  Kommission   und  Archiv  ermöglicht  worden. 

An  die  Stelle  des  Verstorbenen  Herrn  Professors  Dr.  Hans  von 
Zwiedineck-Südenhorst  ernannte  der  hohe  Landes -Ausschuß  den 
Archivdirektor  Dr.  Anton  Meli  zum  Sekretär.  Als  ständiger  wissen- 
schaftlicher Hilfsarbeiter  wurde  der  Bibliotheksanspirant  Dr.  Hans 
Unters  weg  bestellt. 

Im  Jahre  1906  wurden  veröffentlicht: 

1.  Panz,  die  Innerberger  Hauptgewerkschaft  (1625 — 1783),  „For- 
schungen" VI/^. 

2.  Loserth,  das  Archiv  des  Hauses  Stubenberg.  „Veröffent- 
lichungen« XXII. 

3.  Meli,  Archive  und  Archivschutz  in  Steiermark  „Veröffent- 
lichungen« XXIII. 

Im  Manuskript  vollendete  Privatdozent  Dr.  Fritz  Byloff  seine 
Studien  über  „Die  steirische  Landgerichtsordnung**  mit  deren  Druck- 
legung als  3.  Heft  des  6.  Bandes  der  „Forschungen**  bereits  begonnen 
wurde.  In  Fortgang  befinden  sich  die  Arbeiten  der  Herren  Vizepräsidenten 
Dr.  Freiherrn  von  Mensi  über  die  „Geschichte  der  direkten  Steuern 
in  Steiermark**,  —  Professor  Dr.  v.  Wretschko  (Innsbruck)  über  die 
„Steirischen  Landeshauptleute'  —  Professor  Otto  von  Zwiedineck 
(Karlsruhe)  über  die  „Steirische  Sozial-^  und  Wirtschaftsgeschichte  im 
15.  und  16.  Jahrhundert**  und  Musealkustos  Dr.  Richard  Meli  über 
„Privaturkundenwesen  in  Steiermark**. 

Über  das  von  der  Tochter  weiland  Hofrates  Kiipelwieser  dem 
Landes-Ausschusse  vorgelegte  Manuskript  ihres  Vaters  über  die  Ge- 
schichte des  steirischen  Eisen-  und  Kohlenwesens  beschloß  der  stän- 
dige Ausschuß,  dasselbe  dem  Professor  an  der  montanistischen  Hoch- 
schule in  Leoben,  K.  A.  Redlich  zur  Überprüfung  anzuvertrauen.  Auf 
Grund  des  von  diesem  erstatteten  Referates  beschhloß  der  ständige 
Ausschuß  Herrn  Professor  Redlich  mit  der  Redaktion  beziehungsweise 
Umarbeitung  der  „Geschichte  des  steirischen  Kohlen wesens**  zu  betrauen 
und  bezüglich  des  zweiten  Teiles  des  Manuskriptes  sich  seinerzeit  mit 
Herrn  Hofsekretär  Hofmeister  (Wien)  in  Verbindung  zu  setzen.  Die 
Drucklegung  des  1.  Teiles  erfolgt  im  Jahre  1908. 

Im  Fortgange  und  für  1907  in  Aussicht  genommene 
Arbeiten  sind: 

a)  Die  Vorarbeiten  für  die  Geschichte  des  steirischen  Finanz- 
wesens aus  den  Beständen  des  steiermärki sehen  Landes-Archives  durch 
Dr.  Freiherm  von  Mensi; 


154  Aus  Archiven,  Kommissionen,  Museen,  Vereinen. 

b)  die  Vorarbeiten  zur  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte  Steier- 
marks  im  15.  und  16.  Jahrhundert  durch  Professor  Otto  von  Zwiedineck 
(Karlsruhe)  i 

c)  die  Umarbeitung  des  Kupelwieser'schen  Manuskriptes  „Ge- 
schichte des  steirischen  Kohlenwesens^  durch  Professor  Dr.  K.  A. 
Eedlich  (Leoben); 

d)  die  Vorarbeiten  zur  Geschichte  des  steirischen  Privaturkunden- 
Wesens  durch  Dr.  Richard  Meli; 

e)  die  Ordnung  des  gräflich  Säur  aussehen  Herrschafts-  und 
Familienarchives  im  steiermärkischen  Landesarchive.  •—  Die  Durch- 
führung derselben  übernimmt  der  Sekretär. 

ß  die  Herausgabe  der  Urkundenregesten  zur  Geschichte  des  Hauses 
Lichtenstein  in  Steiermark  durch  Herrn  Hofrat  Loserth. 

Hofrat  Loserth  erklärt  sich  bereit,  das  Ungnad-Weissen- 
wolfsche  Archiv  in  Steyregg  nach  steirischen  Materialien  zu  durch- 
forschen. 

Im  Sinne  des  Beschlusses  der  Vollversammlung  vom  28.  Juni 
1906  stellte  der  ständige  Ausschuß  folgende  Anträge: 

a)  Da  bis  jetzt  eine  systematische  Durchforschung  des  für  die 
Zwecke  der  Landeskommission  zunächst  in  Betracht  kommenden  Quellen- 
materiales  nicht  eingeleitet  wurde,  wird  die  Veröffentlichung  von  „Quellen 
zur  steirischen  Verfassung-  und  Verwaltungs-Geschichte** 
beschlossen. 

h)  Zunächst  wird  die  Herausgabe  der  „Steirisch^nLandtags- 
akten**  als  dritte  Sonderpublikation  beschlossen  und  mit  der  Einteilung 
und  Durchführung  dieser  Herausgabe  der  ständige  Ausschuß  betraut. 

c)  Die  Kosten  für  Satz,  Druck  und  Honorare  (letztere  nach 
einem  vom  ständigen  Ausschusse  zu  bestimmenden  Schema)  werden  aus 
der  jährlichen  Subvention  des  Unterrichtsministeriums  und  einem  jähr- 
lichen Betrage  von  500  K  aus  der  Landesdotatien  gedeckt. 

d)  Betreffend  die  Drucklegung  der  .Quellen"  hat  der  Sekretär 
seinerzeit  dem  Ausschusse  bestimmte  Anträge  zu  unterbreiten. 

Die  GeseUsehaft  für  Salzburger  Landeskunde  hielt  am 
11.  Oktober  1906  ihre  46.  Generalversammlung  ab.  Die  Mitgliederzahl 
betrug  330.  In  den  Wintermonaten  fanden  je  2  Vcreinnabende  statt.  Die 
„Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  Salzburger  Landeskunde",  redigiert  von 
Dr.  H.  Widm ann ,  enthalten :  P.  Pirmin  L in d n e  r,  0.  S.  B., P r  o  f  e  ß  b u c h 
der  Benediktinerabtei  St,  Peter  (1419— 1856);  Eberhard  Fugger, 
Übersicht  der  Witterung  und  täglichen  Beobachtungen 
der  Wassertemperaturen  der  Salzach  1905;  Dr.  Franz  Martin, 
Die  kirchliche  Vogtei  im  Erzstifte  Salzburg;  Dr.  Paul  Legers, 
Kardinal  Matthäus  Lang,  ein  Staatsmann  im  Dienste 
Kaiser  Maximilians  I. 

Steiermärkischer  Kunstrerein.  Mit  seiner  106.  Ausstellung 
älterer  Kunstwerke  aus  heimischem  Privatbesitz  (April 
1907)  verwirklichte  der  steiermärkische  Kunstverein  den  lang  gehegten 
Plan,  einen  großen  Teil  des  heimischen  Privatbesitzes  an  älteren  Kunst- 
werken der  Öffentlichkeit  zugänglich  zu  machen ;  äußerlich  gliederte  sich 
dieselbe  in  drei  große  Gruppen:  1.  Gemälde  verschiedener  Techniken, 
Plastik,  Kleinkunst;  2.  ein  Ausschnitt  aus  dem  Kunstnachlasse  des  Erz- 
herzogs Johann;  3.  Miniaturen  (diese  Abteilung  im  Verein  mit  der  Direktion 
des  Museums  vorbereitet  und  aufgestellt).  Wir  können  uns  hier  nicht  auf 
eine  nähere  Beschreibung  der  Bilderbestände  einlassen,  uns  interessiert 
vielmehr  die  Tatsache,  daß  in  der  ersten  Abteilung  nur  wenige  Steirer 


Aus  ArchiTen,  Kommissionen,  Museen,  Vereinen.  155 

vertreten  waren:  Fr.  Chr.  Janneck  (geb.  1703  in  Graz,  gest.  1761  in 
Wien),  Ign.  Raff  alt  (geb.  1800  in  Weißkirchen,  Obersteier,  gest.  1857 
in  Hainbach  bei  Wien),  AI.  Jos.  Won  si  dl  er  (geb.  1791  in  Graz,  gest.  1858 
daselbst),  der  Landschaftsmaler  Konr.  Kreutzer  (geb.  1810  in  Graz, 
gest.  1861  daselbst).  Die  groBe  Menge  der  anderen  Bilder  entstammt  ver- 
schiedenen Ländern  und  Meistern;  viele  Holländer,  Franzosen,  Italiener, 
Deutsche,  Österreicher  aus  der  1.  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts,  die  ganze 
Eeihe  selbst  ein  Bild  mit  vielen  Zügen,  mit  fesselnden  Blicken  auf  ver- 
gangene Tage,  auf  Kunstfreunde,  alte  Familienschätze  und  glückliche 
£rwerbungen.  Den  fiintrittsraum  schmückte  die  Kollektion  Wiener 
Schauspielerbildnisse  aus  den  Jahren  1816 — 1827  (Besitzer  Herr 
Jos.  R.  V.  Franck),  über  deren  Entstehung  Schreiber  dieser  Zeilen  in  der 
„Tagespost"  vom  21.  April  d.  J.  einiges  nach  Angaben  des  Ausstellers  mit- 
geteilt hat. 

Die  zweite  Abteilung,  enthaltend  den  zum  erstenmale  öffentlich 
ausgestellten  Kunstnacblaß  des  Erzherzogs  Johann,  regt  an  zu  einer  in- 
tensiven Beschäftigung  mit  der  Wirksamkeit  des  Erzherzogs  als  Kunst - 
förderer;  besonders  berücksichtigt  waren  die  „Kammermaler**  Matthias 
Loder  (geb.  1781  in  Wien,  gest.  1828  auf  dem  Brandhofe)  mit  Land- 
schaften und  einigen  Trachtenbildem,  Karl  Ruß  (geb.  in  Wien  1779, 
gest.  1834  daselbst)  mit  einer  Reihe  weniger  künstlerisch  als  kultur- 
historisch interessanter  Trachtenbilder,  und  Ludw.  Ferd.  Schnorr  von 
Karolsfeld  (geb.  1788  in  Königsberg,  gest.  1853  in  Wien)  mit  dem 
„Taufbilde"  und  den  lebensvollen  Skizzen  dazu 

Unsere  Skizze  wäre  unvollständig,  gedächten  wir  nicht  der  überaus 
reichhaltigen  Miniaturenausstellung,  die  för  unser  Publikum  etwas  Neues 
war;  angeregt  wurde  sie  durch  Beteiligung  von  Grazer  Sammlern  an  der 
Wiener  Miniaturenausstellung  1905  und  erhielt  durch  die  Überlassung 
der  Sammlungen  Emele  und  Perlep  gleichsam  ihren  Grundstock.  Aus- 
gezeichnet vertreten  waren  die  Hauptmeister  dieser  Kunstrichtung  F  ü  g  e  r 
und  Daffinger;  an  sie  schlössen  sich  die  vielen  Österreicher,  treffliche 
Franzosen  und  Engländer,  deren  Aufzählung  uns  zu  weit  führen  würde. 
Von  heimischen  Miniaturisten  erwähnen  wir  Anton  Isser  (gegen  1822 
in  Graz  tätig),  Ignaz  Rungaldier  (geb.  1799  in  Graz,  gest.  1876  da- 
selbst), Ferd.  Mallitsch  (geb.  1820  in  Graz,  gest.  1900  bei  Marburg), 
Leop.  Kuwasseg  (geb.  1804  in  Triest,  gest.  1862  in  Graz)  und  Josef 
Teltscher  (1802--1838),  dessen  Tätigkeit  als  Miniaturist  ausschließlich 
auf  unsere  Stadt  beschränkt  ist;  von  seiner  Hand  stammt  das  bisher 
als  verschollen  gehaltene  Bildnis  Anselm  Hüttenbrenners. 

Alles  in  allem:  eine  wertvolle  Ausstellung  mit  großem  idealen 
Erfolge,  mit  vielen  Anregungen  far  die  Zukunft,  dahingehend,  die  Kunst 
ebenso  treu  zu  pflegen  und  zu  fördern,  wie  es  unsere  Vorfahren  getan 
haben.  Ob  allerdings  der  Kunsthallenfonds,  zu  dessen  Stärkung  das 
Reinerträgnis  bestimmt  war,  bereichert  wird,  ist  eine  Frage  für  sichl 
Mögen  uns  die  verschiedenen  Zeichen,  die  eine  regere  Liebe  zur  bilden- 
den Kunst  voraussagen,  nicht  trügen,  mögen  unsere  Kunstvereine  bald 
in  ihrem  eigenen  Hause  unser  Publikum  versammeln! 

Walter  von  Semetkowski. 

Der  BEnseiimsTerein  tob  Pettau  hielt  am  28.  Jänner  d.  J.  seine 
Hauptversammlung  ab.  Der  Vorsitzende  Herr  A.  Schröffl  erstattete 
den  Kassebericht,  nach  dem  der  Verein  an  Einnahmen  3152  f  61  /t,  an 
Ausgaben  2801  K  2h  aufweist.  Für  den  aufgedeckten  und  aufgestellten 
römischen  Mosaikboden  verausgabte  der  Verein  1330  K,  Herr  Jurist 
V.  Skrabar  berichtet  über  die  Grabungen,  für  die  431  K,  und  über  die 


156  Aus  Archiven,  Kommissionen,  Museen,  Vereinen. 

Funde  und  Ankäufe,  für  die  600  K  ausgegeben  wurden.  Auf  Antrag  des 
Herrn  S  k  r  a  b  a  r  wird  beschlossen,  den  Gemeinderat  zu  ersuchen,  wegen 
der  Stadtwappenfrage  eine  Eingabe  an  das  Landesarchiv  zu  machen. 

Deutscher  Hlstorikertagr«  Der  10.  Historikertag  wird  am  3.  Sep- 
tember in  Dresden  eröffnet  werden.  Die  Tagung  beginnt  mit  einer  zwang- 
losen Zusammenkunft  auf  dem  königlichen  Belvedere.  Am  4.  September 
vormittags  findet  sodann  die  Begrüßungssitzung  in  der  Technischen 
Hochschule  und  abends  städtischer  Begrüßungsabend  im  Ausstellungs- 
palast statt.  Am  5.  September  beginnen  die  Vorträge.  Solche  halten 
Prof.  Dr.  Hangk:  Die  Rezeption  und  Umbildung  der  alten  Synoden  im 
Mittelalter;  Prof.  Dr.  Hintze — Berlin:  Entwicklung  der  modernen  Mini- 
sterialverwaltung;  Ratsarchivar  Prof.  Dr.  Richter  -  Dresden :  Dresdens 
Bedeutung  in  der  Geschichte ;  Prof  Dr.  Kromeyer — Czemowitz :  Hannibal 
und  Antiochus  der  Große,  eine  strategisch-politische  Betrachtung ;  Prof. 
Dr.  Lamprecht— Leipzig:  Probleme  der  Weltgeschichte;  Prof.  Dr.  Jacob — 
Tübingen :  Über  den  großen  Kurfürsten;  Dr.  Caro -Zürich :  Grundherrschaft 
und  Staat;    Prof.  Dr.  Schultes — Bonn:   Thema  ist  noch  nicht  bekannt. 

Der  TU«  Dentscbe  Archiytagr  findet  am  14.  September  in  Karls- 
ruhe statt;  Sonntag  den  15.  erfolgt  ein  gemeinsamer  Ausflug  der  Archivare 
und  Mitglieder  des  Gesamtvereines  nach  Speyer  zur  Besichtigung  des 
Kreisarchives  und  der  Kaisergräber. 

(i^esamtTereiii  der  deutschen  Geschichts«  und  Altertums- 
vereine.  Die  diesjährige  Hauptversammlung  wird  vom  16.  bis  18.  Sep- 
tember in  Mannheim  stattfinden.  Sonntag  den  15.  abends  Yorbegrüßung 
in  Mannheim,  18.  September  Ausflug  nach  Heidelberg.  (Die  auf  beiden 
Tagungen  zu  haltenden  Vorträge  sind  der  Redaktion  noch  nicht  bekannt.) 

Achter  Tag  für  Denkmalpflege  in  Mannheim  am  19.  und 
20.  September  1907.  Aus  der  Reihe  der  angemeldeten  Vorträge  seien 
besonders  erwähnt:  „Baupolizei  und  Denkmalpflege"  (Geh.  Oberregie- 
rungsrat Dr.  Bö  hm -Karlsruhe  und  Regierungspräsident  a.  D.  zur 
Nedden -Koblenz);  „Über  die  Möglichkeit  der  Erhaltung  alter  Städte- 
bilder unter  Berücksichtigung  moderner  Verkehrsanforderungen"  (Landes- 
baurat  C.  Reh  or  st -Merseburg),  mit  Lichtbildern;  „Über  städtische 
Kunstkommissionen"  (Prof  Dr.  P.  Weber- Jena);  „Denkmalpflege  in  der 
Schweiz"  (Architekt  E.  P  r  o  b  s  t-Zürich) ;  „Über  das  Mannheimer  Kaufhaus 
und  dessen  Restaurierung"  (Stadtbaurat  P  e  r  r  e  y-Mannheim) ;  „Die  Grund- 
rißbildungen der  deutschen  Städte  des  Mittelalters  in  ihrer  Bedeutung  für 
Denkmalbeschreibung  und  Denkmalpflege"  (Professor  Dr.  J.  Meier- 
Braunschweig  und  Geh.  Baurat  Dr.  Ing.  S  t  ü  b  b  e  nBerlin) ;  „Über  Me- 
thodik der  Ausgrabungen"   (Prof  Dr.  Dragendorff-Frankfurt  a.  M.). 

Der  internationale  historische  Kongreft  wird  vom  6.  bis  12. 
August  1908  in  Berlin  stattfinden.  Der  Reichskanzler  hat  es  übernom- 
men, die  auswärtigen  Staaten  in  Kenntnis  zu  setzen.  Es  sind  acht  Sek- 
tionen in  Aussicht  genommen:  1.  Geschichte  des  Orients.  2.  Geschichte 
von  Hellas  und  Rom.  3.  Politische  Geschichte  des  Mittelalters  und  der 
Neuzeit.  4.  Kultur-  und  Geistesgeschichte  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit. 
5.  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte.  6.  Kirchengeschichte.  7.  Kunst- 
geschichte. 8.  Historische  Hilfswissenschaften  (Archiv-  und  Bibliothekwesen, 
Chronologie,  Diplomatik,  Epigraphik,  Genealogie,  historische  Geographie, 
Heraldik,  Numismatik,  Paläographie  und  Sphragistik). — Anmeldungen  sind 
an  den  Vorsitzenden  des  Organisationskomitees,  Herrn  Generaldirektor  der 
Königl.  Preuß.  Staatsarchive  Dr.  R.  Koser  zu  richten.  Jedes  Kongreß- 
mitglied zahlt  20  Mark.  Die  Verhandlungen  werden  in  deutscher,  eng- 
lischer, französischer,  italienischer  und  lateinischer  Sprache  geführt. 


Vereinsnachrichten. 

Bericht  fiber  die  Tätigkeit  des  Historischen  Vereines  im  Jahre  1906. 

In  der  am  15.  Februar  1907  abgehaltenen  Jahresversammlung 
gelangte  der  Geschäftsbericht  über  das  abgelaufene  Vereinsjahr  1906 
zur  Kenntnis  der  Mitglieder.  In  der  504.  Ausschußsitzung  war  satzungs- 
gemäß  die  Verteilung  der  Ämter  erfolgt.  Kurze  Zeit  darauf  erfolgten 
einige  Änderungen  in  der  Ämterführung,  so  daß  zum  Schlüsse  der  Aus- 
schuß aus  folgenden  Herren  bestand.  Obmann:  Regierungsrat  Dr.  Karl 
Reißenberge r,  Schriftführer:  Prof.  Dr.  Ferd.  Khull,  Zahlmeister: 
kaiserl.  Rat  Dr.  Anton  K  a  p  p  e  r.  Beisitzer :  Pfarrer  Ig.  H.  J  o  h  e  r  1,  Prof. 
Dr.  0.  Cuntz,  Prof.  Dr.  A.  Meli,  Exz.  Feldzeugmeister  Johann  R.  von 
Samonigg,  Prof.  Dr.  K.  Uhlirz  und  Prof.  Dr.  v.  Zwiedineck- 
Südenhorst.  Als  Dr.  Meli  im  Herbste  v.J.  aus  den  schon  ange- 
führten Gründen  gänzlich  aus  dem  Ausschusse  trat,  Prof  Khull  aber 
gleichfalls  Zeitmangels  wegen  das  Schriftführeramt  niederlegte,  wurde 
der  Statthalterei -Archivleiter  Dr.  Thiel  als  Schriftführer  kooptiert. 
Einen  überaus  schweren  Verlust  erlitt  der  Verein  durch  das  Ableben 
Professor  v.  Zwiedinecks.  Am  Schlüsse  des  Vereinsjahres  ist  — 
infolge  Überhäufung  mit  amtlichen  und  wissenschaftlichen  Arbeiten 
—  Prof.  Uhlirz  zum  allgemeinen  Bedauern  aus  dem  Ausschusse  ge- 
treten, wodurch  dem  Vereine  eine  empfindliche  Einbuße  widerfuhr. 

Sowohl  die  äußere  Entwicklung  des  Vereines  wie  auch  dessen 
finanzielle  Lage  hat  sich  im  Laufe  des  Jahres  erheblich  gebessert.  Der 
Ausschuß  hat  in  12  Sitzungen  die  laufenden  Geschäfte  besorgt,  von 
welchen  besonders  hervorgehoben  seien :  Über  den  in  der  letzten  Haupt- 
versammlung vorgebrachten  Antrag  auf  Fortsetzung  der  Styria  illustrata 
wurde  beschlossen,  aus  finanziellen  Gründen  von  einer  Fortsetzung  der- 
zeit abzusehen.  Die  Leitung  der  Vereinszeitschrift,  an  der  vorteilhafte 
Änderungen  eingeführt  wurden,  hat  Dr.  Kapp  er  übernommen.  Die 
Redaktion  des  diesjährigen  Heftes  der  „Beiträge  zur  Erforschung 
steirischer  Geschichte"  wurde  vom  Regierungsrate  Dr.  Reißen- 
berg er  besorgt.  Am  30.  Juni  und  1.  Juli  v.  J.  hat  der  Verein  in  Wieder- 
belebung einer  alten  Institution  eine  Wanderversammlung  in  Ftirsten- 
feld  abgehalten,  welche  einen  glänzenden  Verlauf  nahm.  Den  Festvor- 
trag über  „Die  bauliche  Entwicklung  und  Bedeutung  Fürstenfelds  als 
Festung"  hielt  Dr.  K  a  p  p  e  r.  Die  gediegene  Arbeit  Kappers  ist  —  wie 
bekannt  —  nunmehr  bedeutend  erweitert,  durch  Druck  allgemein  zu- 
gänglich geworden  unter  dem  Titel:  „Der  Festungsbau  zu  Fürstenfeld. 
1556  bis  1663".  —  Bei  der  Konferenz  landesgeschichtlicher  Publika- 
tionsinstitute in  Stuttgart  im  April  v.  J.  war  der  Verein  durch  Hofrat 
v.  L  u  s  c  h  i  n,  bei  der  Versammlung  der  deutschen  Qeschichtsvereine  in 
Wien  im  September  v.J.  durch  Dr.  Kapp  er  vertreten.  —  Am  16.  November 
V.  J.  fand  im  Anschlüsse  an  einen  lichtvollen,  allgemeines  Interesse  er- 
weckenden Vortrag  des  Regierungsrates  Ilwof  über  „Kaiser  Josef  als 
Volkswirt"  eine  außerordentliche  Vollversammlung  statt,  in  welcher  der 
Stiftsarchivar  von  Rein,  P.  A.  Weiß,  zu  seinem  50jährigen  Priester- 
Jubiläum  zum  Ehrenmitgliede  gewählt  wurde.  —  Das  Bestreben  des 
Ausschusses,  eine  Erhöhung  der  Vereinsdotationen  zu  erwirken,  war 
insofeme  von  Erfolg  begleitet,  als  der  steiermärkische  Landtag  in  dankens- 
werter Weise  die  Subvention  auf  1500  K  und  die  Steiermärkische  Spar- 
kasse von  400  auf  600  Ä" erhöht  hat.  —  Vorträge  fanden  statt:  Am  16.  Ko- 
rember  vom  Regierungsrat  Dr.  Ilwof  über:  „Kaiser  Josef  als  Volkswirt". 


158  Verein  snachrichten. 

Vom  Prof.  Dr.  J.  Loserth,  am  15.  März  über:  ^Kommunisten  im 
16.  Jahrb.".  Vom  Archivdirektor  Prof.  Dr.  A.  Meli  am  4.  Mai  über: 
„Herzog  Wilhelm  von  Württemberg  und  seine  Beziehungen  zur  Steiermark", 

An  der  Enthüllung  der  Gedenktafel  fttr  Franz  v.  Krones  in 
der  Aula  der  Universität  am  19.  Jänner  1907,  eines  ausgezeichneten 
Reliefs  von  der  Hand  Prof  Winklers,  wozu  der  Historische  Verein 
die  ursprüngliche  Anregung  gab,  nahm  der  Verein  aktiv  Anteil,  wobei 
Herr  Prof.  Dr.  K.  ühlirz  die  Festrede  hielt.  Da  der  vorhandene  Fonds 
nicht  aufgebraucht  wurde,  überwies  das  Denkmalkomitee  über  Antrag 
Sr.  Exz.  des  Herrn  Feldzeugmeisters  R.  v.  Samonigg  dem  Historischen 
Vereine  die  Summe  von  K  573*31  als  vinkuliertes  Kapital  für  die 
Erhaltung  von  Grabstätten  heimischer  Geschichtsforscher. 

Der  Ausschuß  für  1907  besteht  aus  Regierungsrat  Dr.  Karl 
Reißenberger  als  Obmann,  Exz.  Feldzeugmeiter  Joh.  R.  v.  Samo- 
nigg als  Stellvertreter,  Dr.  Thiel  als  Schriftführer,  Prof.  Dr.  Karl 
Szankovits  als  Stellvertreter,  kaiserl.  Rat  Dr.  Anton  Kapp  er  als 
Zahlmeister,  Prof.  Dr.  Ferdinand  Khull  als  Stellvertreter,  Hofrat 
Dr.  Anton  Schönbach,  Prof.  Dr.  Robert  Sieger  und  Pfarrer  Ignaz 
H.  Joherl  als  Beisitzer.  —  Was  endlich  den  Mitgliederstand  anlangt, 
so  ist  ein  erfreulicher  Aufschwung  zu  verzeichnen.  Ende  Dezember  1905 
hatten  wir  313  Mitglieder  aufzuweisen.  Durch  Tod  und  Austritt  ver- 
loren wir  1 4,  durch  Neueintritt  gewannen  wir  24  Personen,  so  daß  wir 
am  Ende  des  Jahres  1906  823  Mitglieder  hatten.  Neueingetretfn  sind: 
Josef  Flecker,  Direktor  der  Knabenvolksschule  in  Fürstenfeld,  Theodor 
Grabmayer,  Direktor  der  k.  k.  Tabakhauptfabrik  in  Fürstenfeld,  Dr.  Adal- 
bert  Heinrich,  Stadtarzt  in  Fürstenfeld,  Josef  Hendrich,  Direktor  der 
Landesbürgerschule  in  Fürstenfeld,  Johann  Klaftenegger,  Steueramts- 
adjunkt in  Fürstenfeld,  Peter  Konönik,  Landesschulinspektor  in  Graz, 
Emanuel  Otto,  Vizedirektor  der  k.  k.  Tabakhauptfabrik  in  Fürstenfeld, 
Karl  Pferschy,  Bürgermeister,  Kajetan  Pferschy  sen.,  Brauereibesitzer, 
Anton  Pferschy,  Fabrikant,  Fritz  Pferschy,  sämtliche  in  Fürstenfeld, 
Dr.  Ludwig  Possek,  k.  k.  Statthaltereirat  und  Landes-Sanitätsinspektor 
in  Graz,  Dr.  Robert  Sieger,  Universitätsprofessor  in  Graz,  Dr.  Karl 
Szankovits,  Gymnasialprofessor  in  Graz,  K.  k.  Statthaltereiarchiv  in 
Graz,  Adolf  Stern»  k.  k.  Notar  in  Fürstenfeld,  Dr.  Viktor  Thiel,  Leiter 
des  k.  k.  Statthaltereiarchivs  in  Graz,  Dr.  Franz  Tscherne,  Zahnarzt 
in  Fürstenfeld,  Dr.  Alois  Vill,  Advokat  in  Fürstenfeld,  Dr.  Alfred  R.  von 
Wretschko,  Universitätsprofessor  in  Innsbruck,  Florian  Wiefler  jun., 
Fabrikant  in  Fürstenfeld,  Rudolf  Zoff,  k.  k.  Bezirks-Oberkommissär  in 
Graz,  Dr.  Otto  v.  Zwiedineck- Südenhorst,  Hochschulprofessor  in  Karls- 
ruhe. —  Ausgetreten  sind:  Hofrat  Dr.  v.  Karajan  in  Graz,  Albert  Kraus, 
Bankvorstand  i.  R.,  Wilhelm  Rieger,  Vizedirektör  des  Priesterhauses, 
inf.  Propst  Weinberger  in  Brück  a.  M.,  Professor  Holzer  in  Graz  und  Pfarrer 
Titzegger  in  Niederwölz.  —  Durch  den  Tod  verloren  wir:  Stationschef  Ignaz 
Dickreiter,  Universitätsprofessor  Dr.  Ludwig  Ebner,  Exz.  Johann  Graf 
Gleispach,  k.  u.  k.  Oberstabsarzt  Friedrich  Lackner,  k.  u.  k.  Major  Wilhelm 
Neumann,  k.  u.  k.  Feldmarschalleutnant  Karl  R.  v.  Peche,  Universitats- 
Professor  Dr.  Hans  v.  Zwiedineck-Südenhorst  und  Frau  Marie  v.  Campi. 

Der  Historische  Verein  stand  im  abgelaufenen  Berichtsjahre  mit 
300  Vereinen  und  Körperschaften  im  Schriftentausche,  deren  Veröffent- 
lichungen jährlich  einen  Wert  von  3000  K  darstellen  und  an  die 
steiermärkische  Landesbibliothek  abgegeben  werden.  Darunter  waren 
234  deutsch-holländische,  18  slawische,  22  französische,  10  italienische^ 
6  englisch-amerikanische  und  10  schwedisch-norwegische. 


Verein  snachrichten.  159 

Die  Vermögenslage  des  Vereines  stellt  sich  in  folgender  Weise  dar: 

Qeldgebarung  1906. 

A.  Einnahmen. 

1.  Mitgliederbeiträge ^  1166-95 

2.  Vom  Antiquar  Rohracher  Abschlagszahlung  für  verkaufte 
Muchar,  Geschichte  des  Herzogtumes  Steiermark    .    .    .  „    400- — 

3.  Subvention  des  steiermärkischen  Landtages  ......  1500* — 

4.  „         der  „  Sparkasse „     600* — 

5.  Verkaufte  Vereinspublikationen .    .    .  „       71-80 

6.  V.  Forcher  und  Deutsch  bezahlten  S.  A „       38-10 

7.  Abrechnung  Leuschners  för  1905  und  1906 „     218*35 

8.  Zinsen  der  steiermärkischen  Eskomptebank „       48-53 

9.  „         „  „  Sparkasse „         3*03 

10.  Vermögen  am  Schlüsse  des  Jahres  1905: 

a)  Einlage  in  der  steierm.  Eskoqpiptebank     .   K  710*86 

b)  „         „     „     Handkasse „    163*04 

c)  „         „     „     steierm.  Sparkasse     .    .    .    „     80*99  „     954*89 

B.  Ausgaben.  AT  5001-65 

1.  Gehalt  dem  Vereinsdiener  Kager Z""224- — 

2.  Pension  dem  alten  Diener  Anderl „     120* — 

3.  Remunerationen,  Trinkgelder  an  Diener  und  Briefträger    „       45* — 

4.  Postauslagen „     274-72 

5.  Stempel  Ar  die  Subvention  des  steierm.  Landtages   .    .    „        5* — 

6.  Mitgliedbeitrag  an  das  Germ.  Nationalmuseum    .    .    .    .    „       10* — 

7.  An  Buchbinder   Straßberger „       10- — 

8.  Für  die  Herstellung  von  Klischees  für  die  Zeitschrift  bei 

Angerer  &  Göschl  in  Wien  und  Petz  in  Graz „     141*40 

9.  Reisespesen  für  den  Diener,  Monteur  und  2  Studenten 

zur  Wanderversammlung  nach  Fürstenfeld „  40- — 

10.  Instandhaltung  der  Grabstätten  Muchars  und  Wartingers  „  4-  — 

11.  Für  die   Herstellung  von   22  Diapositiven  für  den  Vor- 
trag bei  der  Wanderversammlung  in  Fürstenfeld    .    .    .  „  38-40 

12.  Dem  Landesarchive  für  die   Herstellung  von  Negativen  „  27*30 

13.  An  Schriftenmaler  Kraus  für  die  Ausführung  des  Ehren- 
diploms an  P.  Weis „  4* — 

14.  Kranz  für  Professor  v.  Zwiedineck- Südenhorst    .    .   .    .  „  35- — 

15.  An  Pappermann  für  Drucksorten „  5-20 

16.  Reisespesen  dem  Vertreter  des  Vereines  zur  Teilnahme 

an  der  Versammlung  des  Gesamtvereines  etc „  70.— 

17.  Dem  Redakteur  der  Zeitschrift K  200-— 

18.  An  die  deutsche  Vereinsdruckerei  für  Drucksorten  .   .   .  „  73-60 

19.  An  die  Druckerei  „Styria" .    .  „  11- — 

20.  „     n  „  „Leykam"  für  den  Druck  jdes  vierten 
Bandes  der  Zeitschrift  und  des  3.  u.  4.  Heftes  des  dritten 

Bandes  sowie  für  Drucksorten „  2169-95 

21.  Zur  Aufstellung  eines  Krones-Denksteines  im  Archive    .    „     100- — 

K  3608-57 
Kassenrest ,   ,   .    K  1393-08 
Kais.  Rat  Dr.  A.  Kap  per, 

derzeit  Zahlmeister. 

Musealdirektor  Proif  K.  Lacher,  Kais.  Rat  Prof.  Fr.  Ferk, 

derzeit  Rechnungsprüfer.  derzeit  Bechnnngi^prafer. 


160 


Vereinsnachrichten. 


Voraneohlag  für  1907. 

A.  Einnahmen. 

1.  Vermögen  am   31.  Dezember  1906 JST 1393-08 

2.  Subvention  des   steiermärki sehen  Landtages „   1500 — 

3.  -  der  „  Sparkasse „     600* — 

4.  Mitgliederbeiträge „  1500.— 

5.  Verkauf  an  Vereins  Schriften •     lOO* — 

6.  Vom  Antiquar  Rohracher  noch  ausständig „     180* — 

7.  Zinsen  für  1907 „       50-— 

8.  Aus  dem  Krones-Denkmalfonds  dem  Vereine  überwiesen   „     573-31 

K  5896-39 
B.  Ausgaben. 

1.  Herstellungskosten  der  Zeitschi-ift K  1600- — 

2.  Druckkosten  an   die   Druckerei  „Leykam**  für  die  Bei- 
träge und  ältere  Forderungen ^  lOOO- — 

3.  Gehalt  dem  Diener  Kager „     240-— 

4.  Pension  dem  Diener  Anderl „     120- — 

5.  Postauslagen,  Trinkgelder „     300- — 

6.  Kanzleierfordemis  (Drucksorten) „     100- — 

7.  Mitgliederbeiträge  an  auswärtige  Vereine,  Museen^  Steuer  „     100  — 

8.  Prämien  für  Ortschronisten „     lOO- — 

9.  Honorare ^     300-^ 

K  3860-— 


Die  diesjährige  Wanderversammlung  fand  am  9.  Juni  in  der  alt- 
ehrwürdigen  Stadt  Brück  a.*M.  statt.  Eine  stattliche  Anzahl  von  Teil- 
nehmern aus  Graz  fuhr  um  7  Uhr  14  Min.  früh  nach  Brück,  die  auf 
dem  Bahnhofe  von  einer  Abordnung  mit  dem  Herrn  Bürgermeister 
Knottinger  ander  Spitze  auf  das  freundlichste  begrüßt  wurden.  So- 
dann folgte  die  Besichtigung  der  Ruine  Landskron  und  ein  Rundgang 
durch  die  Stadt.  Um  11  Uhr  fand  die  Festversammlung  statt,  in  der 
die  Herren  Prof.  Dr.  Szankovits  und  Regierungsrat  Dr.  K.  Reißen- 
berger  zwei  äußerst  interessante  und  lehrreiche  Vorträge  hielten. 
Ersterer  sprach  über  „Die  Bedeutung  der  Stadt  Brück  im  Mittelalter" 
(abgedruckt  im  „  Obers teirer-Blatt"  vom  13.  Juni,  Nr.  47),  letzterer  über 
„Margarete  von  Pfannberg,  ein  Frauenschicksal  aus  der  steiermärki- 
schen  Geschichte  (1355 — 1392)".  —  Ein  gemeinsames  Mittagmahl  int 
Hotel  „Zum  schwarzen  Adler*  und  ein  Ausflug  in  Brucks  herrlichen 
städtischen  Forst  schlössen  die  so  gelungen  verlaufene  und  sicherlich  allen 
Teilnehmern  immer  in  Erinnerung  bleibende  Wanderversammlung. 


In  Kommission  der  Verlagsbuchhandlung  Lenschner  &  Lubenslcy,  Graz. 


Ankündigung. 


Zufolge  Ausschußbeschlusses  werden  die  früher  erschienenen  Publi- 
kationen des  Historischen  Vereines  för  Steiermark  durch  die  jVereinskanzlei 
(Landesarchiv,  Hamerlinggasse  3)  für  Mitglieder  bis  auf  weiteres  zu 
bedeutend  herabgesetzten  Preisen  verkauft,  nämlich: 

1.  Mitteilungen  des  Hietorieclien  Vereines  für  Steiermarlc,  seit  1850. 

Preis  per  Heft  60  Heller.  (Vergriffen  sind  Heft  1,  2,  3.  4,  5.  lO,  11,  12, 
13,  17  und  18,)* 

2.  Beiträge  zur  Kuiide  steiermärldeolier  Gesoliiclitequellen,  seit  1864. 

Preis  per  Heft  60  Heller.  (Vergriffen  sind  Heft    6.  7.  9,  10,  27.)* 

3.  Steirieclie  Zeitsolirift   für  Qesclilchte,   I.,  H.  und  HI.  Jahrgang. 

1903—1905«  Preis  4  Kronen. 

4.  Steiermärlciscties  Landreclit  des  Mittelalters,  bearbeitet  von  Dr.  Fer- 
dinand Bischoff,  Graz  1875.  Preis  1  Krone. 

5.  Ürkundenbuch  des  Herzogtumes  Steiermarl(,  bearbeitet  von  Dr.  Josef 

von  Zahn,  I.  Band,  Graz  1875.  Preis  5  Kronen »H.  Band,  Graz  1879, 
Preis  4  Kronen;  IH.  Band,  Graz  1903,  für  Mitglieder  8  Kronen,  Laden- 
preis 14  Kronen. 

6.  Der  Historische  Verein  für  Steiermarli,  sein  Werden  und  Bestand, 

von  Dr.  Fr.  Krön  es  Ritter  von  Marchland.  Preis  20  Heller. 

7.  Sigismund  Grafen  von  Auerspergs  TagebUOll  zur  Geschichte  der  französi- 
schen Invasion  vom  Jahre  1797.  Veröffentlicht  von  Kratochwill, 
revidiert  und  mit  Erläuterungen  versehen  von  Dr.  Fr.  Krön  es  Ritter 
von  Marchland.  Separatabdruck  aus  dem  28,  Heft  der  „Mitteilungen", 
Graz  1880.  Preis  50  Heller. 

8.  Über  das  angebiiciie  Turnier  von  1194  und  den  „Tummeipiatz^'zuGraz. 

Von  Dr.  Josef  von  Zahn.  Separatabdruck  aus  dem  34.  Hefte  der  „Mit- 
teilungen**  Graz  1887,  Preis  50  Heller. 

9.  Die  Festversammiung  des  Historischen  Vereines  für  Steiermaric 
am  20.  November  1892  zur  Feier  der  700jährigen  Vereinigung  der 
Steiermark  mit  Österreich.  Preis  30  Heller. 

10.  Übersicht  der  In  den  periodischen  Schriften  des  Historischen 
Vereines  fdr  Steiermaric  bis  einschließlich  1892  verStrentlichten 
Aufsätze.  Preis  40  Heller. 


*)  Vergriffene  Hefte  werden  zurückgekauft. 


1 

1^                          Intiilt  fies  Hehes.                                ^ 

Dt,  Offkur  Eoiitie*    Zur  flaiideUge&diklile  des  Paaaes  aUeryj 
d«ii  SdOUBcm)?  von  der  Miö^  de»  I9  hh  na  Mitte  desfl 

10»  Jaiiflmüdiifts* 
Frnn?!  F»rc(it?r  \nn  Ainhatih.  TMi*  ^Um  Handisisfa^wkhwiJgfD     , 

de»)  Marbodeufl  mit  doni    ■ 

Job  nun  ScliuHiL     Km  olicu  :a,-.. -tct  Mjirktsii^gftl. 

Dr.  Ferdfuntid  KliulL    Zur  Wiippimmiining  nBard^örlfcher," 

Llteraturberkliifi: 

TV-              ■   '   :  ■              ■  '                                    '       '        .     ■ 
R,     ■    •             '             -    ■  -  ' 

ULndenu    (K^  Ef  ittieinbergf^r 
Dr.  K.  HcWJfciajm  und  Dr.  Fr   ^v.s;^^J^^    v:                         ■ 

fchitlitft  der  T)i&i\*hti  htm.    (M,  JhihUny                        1 
Karl  Lacher,  AltstciriscL*^  Wohurriam©  iin  liaiidesauiüa^imi     ] 

3tu  tirü/.    (Otto  LütiferJ                                                j 
Siynaoa  m  dm  Mitteilungen  der  k,  k.  '/Miirixi)^ nmmmiim^U 

2eit«chnftimscha.u. 

Aas  Archire»,  Konimlsitioßeo»  Moaeefk^  Yetthitii                          ^ 

Vereinsnathnrliien.                                                                          ^ 

i   1 

lAHROANQ. 


3.  UND  4.  HEFT 


ZEITSCHRIFT 


DES 


STORISCHEN  VEREINES 


rOR 


STEIERMARK. 


^^y 


HERAUSQEQEBEN  VON  DESSEN  AUSSCHUS5. 


REDIOfERT  VON 

OR.  ANTON  KAPPER. 


GRAZ  io«7 


Eine  rätselhafte  Inschrift. 

Ein  Beitrag  zur  Volkskunde  von   Dr.  Viktor  R.  T.  Geramb  (Graz). 


In  den  „Studien  zur  germanischen  Volkskunde"  ^  berichtet 
Prof.  Meringer  im  Jahre  1893,  daß  er  auf  seiner  Wan- 
derung, die  er  damals  zur  Erforschung  des  obersteirischen 
Bauernhauses  unternahm,  auf  einem  dem  Stifte  Admont  ge- 
hörigen Bauernhause  ^  ober  der  Eingangstür  folgende  Zeichen 
„sauber  geschnitzt"  gefunden  habe: 

+  Z+DIA  +  BIZ+ 

SAB+Z+HGF 

BFRS 

Daneben  stehe  ein  großes  Kreuz  mit  Doppelbalken. 
„Was  die  Inschrift,  die  jedenfalls  alt  ist,  bedeutet"  —  sagt 
Meringer  —  „weiß  niemand". 

Die  Sache,  die  ja  schon  an  sich  anregend  ist,  gewann 
für  mich  noch  mehr  an  Interesse,  als  ich  vor  kurzer  Zeit 
nicht  weit  von  Graz,  im  Dobltale,  ober  der  Türe  eines  Bauern- 
hauses ^  wieder  dieselben  Buchstaben  fand.  Es  war  damit 
erwiesen,  daß  wir  es  nicht  mit  einer  einzelnen  Hausinschrift, 
sondern  mit  einem  recht  weit  verbreiteten  Gebrauche  zu  tun 
haben  und  der  Gedanke,  vielleicht  etwas,  das  sowohl  volks- 
kundlich im  allgemeinen  als  auch  für  die  Hausforschung  im 
besonderen  nicht  ohne  Bedeutung  sei,  vor  uns  zu  haben,  ließ 

i  Mitteilungen  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien, 
Bd.  XXIII,  1893,  S.  151. 

8  Schönbichl  (bei  Admont),  Haus  Nr.  91. 

3  Am  Weg  von  Graz  über  die  Piuskapelle  nach  Hitzendorf,  Ge- 
meinde Mitterberg,  Haus  Nr.26. 

11 


i 

i 


162  Eine  rätselhafte  Inschrift. 

sich  nicht  mehr  abweisen.  Meine  Erkundigungen  beim  Be- 
sitzer des  Hauses  und  auch  bei  anderen,  namentlich  alten 
Bauern,  waren  jedoch  vom  selben  Ergebnis  begleitet  wie 
seinerzeit  die  Bemühungen  Prof.  Meringers:  niemand 
wußte,  was  die  Schrift  bedeute. 

Ein  überaus  seltsamer  Zufall  führte  mich  wenige  Tage 
darnach  auf  die  Spuren,  die  zur  Lösung  dieser  so  rätselhaft 
scheinenden,  wie  sich  aber  dann  herausstellte,  auch  heute 
nicht  mehr  ganz  unbekannten  Zeichen  führen.  Ich  arbeitete 
im  hiesigen  Landesarchiv  mit  Herrn  Dr.  Hans  Untersweg 
im  selben  Räume.  Da  fand  Dr.  Untersweg  beim  Studium 
des  Fürstenfelder  Stadtarchives  unter  den  Spitalsrechnungen 
des  Jahres  1690  einen  Zettel,*  der  ihm  ob  seines  eigentüm- 
lichen Aussehens  auffiel.  Er  zeigte  ihn  mir  und  man  be- 
greift meine  fi-eudige  Überraschung,  als  ich  darauf  in  alten 
aber  netten  Schriftzügen  wieder  die  rätselhafte  Inschrift  und 
dazu  noch  einen  Teil  der  Erklärung  fand.  Da  der  ganze 
Inhalt  fllr  das  Folgende  von  Wert  ist,  gebe  ich  ihn  hier 
wörtlich  wieder: 

,+.Z+.DI.A.+.B.LZ.+.SAB. 
+.Z+H.G.F.+.B.F.R.S. 

Dise  obgesezte  Creützel  und  buechstaben  seint  für  oder 
wider  die  Pest.  So  vor  etlich  100.  Jahren  der  H:  Zacharias 
Pischoflf  zu  Jerusalem  gebraucht,  und  mit  eigner  hantschrüflft 
auf  einen  Pargament  verzaichnet  hinterlassen  hat,  und  heu- 
tiges tags  noch  in  einen  Spanischen  Closter  de  Freilis  ge- 
nant, aufbehalten  werden.  Dise  buchstaben  aber  und  Creizel 
halten  nachvolgende  Gebetlein  in  sich. 

T"*      Grux  Christi:  Daß  Creüz  Christi  heyle  mich. 

Zj»     Zehs  domus:   Der  eyfer  des  hauß  gotes  erlöse  mich. 

^  Crux  vincit  Daß  Creuz  überwindet,  daß  Creuz  re- 
gieret, 0  du  zaichen  des  Creizes  erlöse  mich  von 
diser  Pest. 

D.  deus  deus.  0  Gott  mein  Gott  treibe  dise  Pest  von 
disem  orth  und  von  meinem  leib  und  erlöse  mich. 

1  Original  im  steierm.  Landesarchiv,  Fürstenfeld,  Schuber  41,  Nr.  20. 


I. 

A. 

+ 
B. 

J. 


Von  Dr.  Viktor  K.  v.  Geramb.  163 

Jn  manus:  0  herr  in  deine  hent  bevilch  ich  mein 
libe  und  Seel. 

Ante  coelum:  Gott  war  ehe  himel  und  erde  war,  und 
der  welicher  mächtig  ist,  wiert  mich  von  diser 
Pest  erledigen. 

Crux  Christi:  Daß  Creuz  Christi  ist  mächtig  dise  Pest 
von  disen  orth  und  von  meinen  leib  außzutreiben. 

Bonum  est:  Es  ist  gut  daß  man  mit  Stilschweig  und 
in  der  gedult  auf  des  herrn  hilff  und  hayl  wartet, 
und  er  wiert  dise  Pest  von  mir  treiben. 

Jnclina  Cor:  Naige  mein  herz  daß  ich  deine  gerech- 
tigkheit  thue  und  werde  nicht  zuschanden,  dan 
ich  hab  dich  angerueflfen." 


Hier  bricht  die  Erklärung  ab,  obwohl  am  Zettel  nocli 
genug  Raum  gewesen  wäre.  Wir  freuten  uns  aber  trotzdem, 
auf  eine  „so  romantische"  Weise  die  Lösung  dieses  Rätsels 
gefunden  zu  haben,  in  der  Meinung,  daß  man  bisher  über- 
haupt gär  keine  Spur  und  Kenntnis  von  der  Bedeutung  dieser 
Zeichen  gehabt  habe.  Daß  dem  nicht  so  ist,  tut  zwar  der 
Romantik  unseres  Fundes  großen  Eintrag,  ist  aber  an  sicli 
sehr  erfreulich,  da  es  dadurch  möglich  war,  noch  mehr  Licht 
in  die  Sache  zu  bringen. 

Was  ich  nun  in  der  kurzen  Zeit,  die  mir  zur  Verfügung 
stand,  darüber  erfahren  konnte,  möge  als  bescheidener  Beitrag 
zur  leider  ohnedies  viel  zu  wenig  gepflegten  Volkskunde  ent- 
gegen genommen  werden. 

Vor  allem  tat  mir  das  Zettelchen  kund,  daß  wir  es  mit 
einem  Pestsegen,  mit  einer  aus  der  Hilflosigkeit  der  armen, 
von  dieser  Seuche  heimgesuchten  Bevölkerung  entsprungenen, 
dem  Inhalte  nach  frommen  Beschwörung  zu  tun  haben.  Das 
vergilbte  Zettlein  mit  seiner  stellenweise  so  unbeholfenen 
Übersetzung  erzählt  recht  ergreifend  von  derii  verzweifelten 
Rufen  nach  himmlischer  Hilfe,  das  jene  harten  Zeitläufte 
erfüllt  haben  mag. 

Es  lag  nun  für  mich  sehr  nahe,  mich  nach  einer  Ge- 
schichte der  Pest  umzusehen  und  vielleicht  darin  weitere 
Weisungen  zu  erhalten.    Diese  Hoflftiung  wurde  auch  erfüllt, 

11* 


164  Eine  rätselhafte  Inschrift. 

indem  ich  im  zweiten  Bande  der  „Geschichte  der  Pest  in 
Steiermark"  von  Dr.  R.  Peinlich  (Graz  1878)  wirklich 
näheren  Aufschluß  fand.  Ich  erfuhr  dort,  daß  es  bei  den 
Katholiken  üblich  war,  Kreuzlein  aus  Metall  und  ovale  Münzen 
zu  tragen,  die  mit  diesen  Buchstaben  beschrieben  waren. 
Das  älteste  Kreuz  dieser  Art  sei  das  sogenannte  Zacharias- 
kreuz  (auch  Pestkreuz),  das  ein  Patriarch  von  Jerusalem, 
nach  anderen  Papst  Zacharias  (f  752)  eingeführt  habe. 
Peinlich  bringt  dann  eine  Übersetzung  aller  der  Psalmen,  die 
durch  die  Buchslaben  angedeutet  sind  und  die  er,  wie  er 
sagt,  im  Archiv  für  vaterländische  Geschichte  in  Kärnten, 
X.  Bd.,  1866,  in  einer  Arbeit  von  Dr.  K.  Flor  gefunden  habe. 
Flor  selbst  verweist  nun  seinerseits  auf  ein  Büchlein  von 
P.  L  aur.  Hecht  S.  B.,  Einsiedeln  1859,  das  mir  in  dieser 
Auflage  leider  nicht  zugänglich  war.  Nur  durch  die  Liebens- 
würdigkeit des  Bibliothekars  im  Stift  Rein,  des  Hochw.  Herrn 
P.  Anton  Weiß,  gelang  es  mir,  wenigstens  die  neuere  Auf- 
lage dieser  Schrift  (1877)  zu  bekommen,  die  zwar  gerade  die 
Erklärung  unserer  Buchstaben  nicht  mehr  enthält,  wohl  aber 
einige  andere  für  den  weiteren  Zusammenhang  nicht  un- 
wichtige Aufschlüsse  bringt. 

Ich  werde  am  Schlüsse  dieses  Aufsatzes  die  lateinische 
und  deutsche  Reihe  der  betreffenden  Psalmen  und  Bibelstellen 
folgen  lassen.  Vorderhand  aber  muß  es  sich  uns  darum  handeln, 
zu  erfahren,  wer  sonst  noch  von  diesen  Buchstaben  berichtet, 
wo  man  sie  an  anderen  Orten  noch  gefunden  hat  und  was 
sich  über  ihre  Geschichte  noch  erforschen  läßt. 

Woher  das  von  Peinlich  (a.  a.  0.  II,  S.  524)  abgebildete 
Kreuz  stammt,  gibt  er  leider  nicht  an.  Er  sagt  nur,  daß  diese 
Kreuze  schon  zu  seiner  Zeit  (1878)  sehr  selten  geworden  seien. 
Dafür  berichtet  uns  aber  Peinlich,  daß  sich  eine  Erklärung 
unserer  Buchstaben  in  dem  Tagebuch  der  Vordernberger 
Radgewerkin  M.  E.  Stampfer  aus  dem  Jahre  1680  und  die- 
selbe Inschrift  auf  zwei  im  Jahre  1696  gegossenen  Glocken 
der  zum  Stifte  Admont  gehörigen  Pfarre  Gams  finde.  „Beide 
Tatsachen",  meint  Peinlich,  „weisen  geradezu  auf  das  nahe- 
gelegene Benediktinerstift  Admont".  Es  ifreut  uns,  hier  als 
Drittes  auf  dasselbe  Stift  deutende  Argument,  die  von  Meringer 
gefundene  Inschrift  dazufügen  zu  können. 

Es  gibt  danü  noch  eine  andere  Art  von  Kreuzen  und 
Medaillen,  Benediktskreuze  genannt,  die  —  das  sei  aber 
gleich  festgestellt  —  zum  Teil  auch  unsere  Inschrift,    im 


Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geranib.  '  165 

übrigen  aber  eine  andere  enthalten.  ^  Ein  Exemplar  dieser 
Kreuze,  das  auch  unsere  Buchstaben  aufweist,  befindet  sich 
in  der  Antikagliensammlung  zu  Klagenfurt  und  dieses  ist  es, 
über  das  uns  Flor  im  genannten  „Archiv"  Bericht  erstattet. 
Nach  seinen  Mitteilungen  wurde  dieses  Kreuz  nächst  Maria 
am  See  bei  Bleiburg  gefunden,  was,  wie  Flor  mit  Recht 
betont,  wieder  auf  ein  nahes  Benediktinerstift,  nämlich  auf 
St.  Paul  im  Lavanttale,  hindeutet.  Weitere  Anhaltspunkte 
über  die  Verbreitung  der  Zeichen  finden  wir  dann  in  einer 
gründlichen  Arbeit,  die  uns  J.  P.  B eierlein  über  „Münzen 
bayrischer  Klöster,  Wallfahrtsorte  etc."  vorlegt.  ^  Seite  45 
beschreibt  er  uns  eine  Münze  aus  Altötting  (alter  Wall- 
fahrtsort in  Oberbayern),  ^  deren  Rückseite  unsere  Kreuze  und 
Buchstaben  als  Umschrift  um  ein  Bild  der  Stadt  München 
zeigt.  Im  Vordergrunde  des  Bildes  erkennen  wir  Moses,  aut 
die  eherne  Schlange  weisend  und  die  am  Boden  liegenden 
nackten  Gestalten  tröstend.  Sowohl  dieses  Bild,  als  auch  der 
Umstand,  daß  sich  in  Ötting  ein  Spital  für  Unheilbare 
befand,  läßt  deutlich  die  Anwendung  der  Münze  als  Schutz 
gegen  Krankheit  erkennen.  Eine  zweite  Münze  schildert  uns 
Beierlein  Seite  94.^  Sie  stammt  aus  der  Benediktinerabtei 
Scheyern  (an  der  Um  in  Oberbayern)  und  weist  auf  der 
Rückseite  die  gewöhnliche  Inschrift  des  Benediktuskreuzes 
und  darunter  in  einem  kleinen  Schildchen  unseren  Pestsegen, 
dem  am  Schlüsse  noch  die  Namenszüge  IHS  und  MR  bei- 
gefügt sind.  Die  dritte  für  uns  in  Betracht  kommende  Münze 
stammt  aus  Tegernsee,^  also  wieder  aus  Oberbayern, 
und  enthält  wieder  in  einem  kleinen  Schild  der  Reversseite 
ganz  dieselbe  Inschrift  wie  die  vorige.  Ebenfalls  oberbayrischer 
Herkunft  ist  eine  Münze  aus  der  Wallfahrtskirche  Vilgerts- 
h  of  en,  ^  deren  Rückseite  das  Bild  des  heil.  Benedikt  und  die 
Worte  Cmx  S.  Benedidi  und  darunter  in  einem  Schildchen 
unsere  Buchstaben  aufweist.  Unweit  von  Regensburg  liegt 
die  Zisterzienserabtei  W  a  1  d  s  a  s  s  e  n.  Sie  ist  die  Heimat  der 
letzten    für    uns    interessanten  Münze    aus    der  Sammlung 

1  Diese  andere  Inschrift  beginnt  mit  V.  R.  S.  =  Vade  retro 
Satanas  etc.  Vgl.  das  Benediktusbüchlein  von  Dom  Prosper  Gueranger, 
bearb.  von  P.  Laur.  Hecht,  Einsiedeln-New-York  1877,  S.  36  ff. 

«  Im  oberbayr.  Archiv  f.  vaterl.  Gesch.,  XVII.  Bd.,  1.  Heft, 
München  1857. 

3  Dazu  Tafel  I,  Abb.  29. 

4  Dazu  Tafel  II,  Abb.  221. 

ä  Beierlein,  a.  a.  0.,  S.  99,  dazu  Tafel  II,  Abb.  241. 
6  Ebendort,  S.  102,  dazu  Tafel  II,  Abb.  252. 


I<i6  '  Eine  rätselhafte  Inschrift. 

Beierleins.i  Sie  trägt  auf  der  Vorderseite  das  Bild  von 
Waldsassen  und  als  Umschrift  unseren  Spruch  mit  der  Bei- 
fügung MRA. 

Es  muß  auffallen,  daß  alle  bisher  gebrachten  Nach- 
richten unsere  Inschrift  wohl  auf  Münzen,  Kreuzen,  ja  sogar 
Glocken,  nicht  aber  auf  Häusern  kennen,  von  denen  wir 
gerade  ausgegangen  sind.  Nun  erfuhr  ich  durch  die  Güte 
des  Herrn  Professors  Meringer,  der  sich  inzwischen  auch 
der  Sache  angenommen  hatte,  daß  A.  Achleitner  in  seinem 
Romane  „Das  Postfräulein"  ebenfalls  unsere  Inschrift,  und 
zwar  als  Hausinschrift  erwähne.  Ich  fand  die  betreffende 
Stelle  tatsächlich  in  der  „Münchner  allgemeinen  Zeitung" 
1900  und  wandte  mich  an  Herni  Geheimen  Hofrat  Achleitner 
schriftlich  mit  der  Bitte,  mir  über  die  Quellen  zu  dieser 
Stelle  Aufklärung  zu  geben.  Ich  erhielt  sofort  Antwort  und 
wurde  darin  auf  den  Anhang  zum  genannten  Roman  ver- 
wiesen. Dort  fand  ich  wohl  die  Namen  zweier  Gelehrter  und 
die  mir  ohnedies  bekannte  Erklärung,  leider  aber  nicht  die 
Hauptsache,  nämlich  den  Ort,  an  dem  die  erwähnten  Ge- 
lehrten ihre  diesbezüglichen  Publikationen  veröffentlicht  haben. 
Nach  etwas  mühevollem  Suchen  gelang  es  aber  mit  Hilfe  der 
Namen  doch  den  weiteren  Zusammenhang  zu  finden:  Im 
Sommer  1883  entdeckte  der  Geheime  Hofrat  Dr.  A.  B.  Meyer 
über  der  Türe  eines  Wirtshauses  in  Pertisau  (am  Achen- 
see)  auf  einem  angenagelten  Brettchen    folgende  Inschrift: 

!    +Z.+D1.A.+B. 
+f7^^'i^-^^i|Z+S.A.B.+Z.H.C. 
jA.^ö.A.b.  B.+B.F.R.S. 

Hofrat  Meyer  wandte  sich  nun  mit  Anfragen  über  die 
auch  ihm  vollkommen  unverständlichen  Zeichen  an  ver- 
schiedene Gelehrte  in  Deutschland  und  Österreich  und  es 
ist  bezeichnend,  daß  er  trotz  allem  keine  Aufklärung  er- 
halten konnte.  Er  veröffentlichte  nun  die  ganze  Angelegenheit 
in  den  „Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen 
Gesellschaft",  1884,  S.  65  ff.,  worauf  im  Jahre  1885  in  der- 
selben Zeitschrift  (S.  145—147)  die  Antwort  aus  der  Feder 
des  Weimarer  Bibliothekars  Dr.  R    Köhler  folgte.*^    Über 

1  Ebendort,  S.  103,  dazu  Tafel  II,  Abb.  256. 
«  Abgedruckt   auch  in  Dr.  Reinhold  Köhlers   „Kleine  Schriften"? 
Berlin  1900,  3.  Bd.,  S.  572. 


Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geramb.  167 

die  Herkunft  der  Buchstaben  berichtet  dieser  dasselbe  wie 
Peinlich.  Die  Pertisauer  Inschrift  aber  hält  er  für  eine 
schlechte  Überlieferung:  die  in  der  rechtsstehenden  Gruppe 
enthaltenen  Buchstaben  sind  dahin  abzuändern,  daß  man 
aus  dem  senkrechten  Strich  vor  dem  zweiten  Z  ein  J  macht 
und  die  Buchstaben  Z.  H.  C.  B.  in  Z.  f  H.  6.  F.  auszubessern, 
worauf  „man  dann",  fährt  Köhler  fort,  „jene  bekannten, 
ich  weiß  nicht,  ob  schon  im  16.,  jedenfalls  aber  seit  dem 
17.  Jahrhundert  häufig  auf  Kreuzen  und  Medaillen,  an  Glocken 
und  Türen  zur  Abwehr  gegen  die  Pest  angebrachten  sieben 
Kreuze  und  18  Buchstaben  erhält".  Besonders  wichtig  ist  es 
für  uns,  daß  Köhler  auch  eine  Zusamnienstellung  der  von 
ihm  gelegentlich  in  Erfahrung  gebrachten  Nachrichten  über 
das  sonstige  Vorkonnnen  dieses  Pestsegens  beifügt.  Darnach 
findet  sich  zunächst  eine  Besprechung  unter  dem  Titel 
^Buchstaben  zur  Abwehr  der  Pest"  in  der  Monatsschrift  für 
die  Geschichte  Westdeutschlands,  7.  Jahrgang,  Trier  1881, 
S.  270 — 280.  Leider  war  mir  wieder  gerade  diese  Arbeit 
nicht  zugänglich.  L.  Pfeiffer  und  C.  Ruland  erwähnen  in  ihrer 
„Pesülentia  in  nummis'\  Tübingen  1882,  S.  105,  Nr.  298, 
unter  dem  Titel  „Die  deutschen  Pestamulette"  einen  Pest- 
pfennig aus  der  Sebastianikirche  am  Anger  in  München,  der 
unseren  Pestsegen  und  die  Jahrzahl  1637  trägt.  Alois  Scholz 
bringt  in  seiner  Schrift  „Inschriften  und  Häuserzeichen  der 
Stadt  Glogß^u"  ^  die  Beschreibung  eines  Kreuzes  mit  unserer 
Inschrift,  das  er  ober  dem  Portale  eines  Hauses  ^  fand. 
Auch  ihm  war  die  Bedeutung  der  Buchstaben  gänzlich  un- 
bekannt. Diese  Nachricht  ist  um  so  interessanter,  als  der 
Fundort  gänzlich  außer  den  Kreis  der  bisherigen  fällt,  durch 
die  allein  man  wohl  versucht  gewesen  wäre,  das  Vorkommen 
der  Zeichen  auf  die  Ostalpen  zu  beschränken.  Daß  wir  es 
hier  nicht  mit  einer  Ausnahme  zu  tun  haben,  zeigt  der  letzte 
Bericht  unter  denen,  die  ich  alle  der  Arbeit  Köhlers  verdanke. 
J.  Löbl  erzählt  nämlich  in  den  „Mitteilungen  der  Geschichts- 
und Altertumsforschenden  des  Osterlandes",^  daß  er  an 
einem  schon  im  Jahre  1846  über  200  Jahre  alten  Haus 
in  Roda  (Sachsen-Altenburg)  ein  Kreuz  gefunden  habe,  das 
zwar  in  etwas  fehlerhafter  Form,  aber  doch  immerhin  deutlich 
erkennbar  unsere  Inschrift  trug. 

>  Programm   des  königl.  evang.  Gymnas.  zu  Großglogau,    Ostern 
1875,  S.  41. 

«  Glogau  (Preußisch- Schlesien),  Kupferschmiedstraße  Nr.  9. 
3  7.  Bd.,  Altenburg  1874,  S.  457. 


168 


£iDe  rätselhafte  Inschrift. 


Soviel  also  konnte  ich  über  die  Verbreitung  des  Segens 
erfahren  und  füge  dem  außer  der  schon  genannten  Inschrift 
im  Dobltale  aus  eigenem  noch  zwei  bei,  von  denen  sich,  wie 
ich  aus  verläßlicher  Quelle  erfuhr,  die  eine  an  einem  Bauern- 
hause in  Steinberg,  westlich  von  Graz,  befindet,  die  andere  in 
Graz  selbst  an  einem  jetzt  umgebauten  Hause  in  der  Spor- 
gasse befunden  haben  soll  Es  isi  natürlich  kein  Zweifel,  daß 
sich  der  Segen  auch  noch  an  vielen  anderen  Orten  finden 
wird,  und  es  wäre  wohl  interessant,  sie  zu  sammeln. 

Es  soll  nun  noch  versucht  werden,  dasjenige  zusammen- 
zustellen, was  sich  für  die  Geschichte  des  Segens  sagen  läßt. 
Zunächst  wollen  wir  einen  indirekten  Versuch  der  Zeit- 
bestimmung vornetmen,  indem  wir  die  Jahre  zusammen- 
stellen, in  denen  die  Pest  in  den  genannten  Fundorten  auf- 
trat. Da  ergibt  sich  folgende  Übersicht: 


Fundort    |   Pestjahr        Quelle  dafür    ^  Stelle  b.  Peinlich 

Roda 
(Thüringen) 

1582 

Herzog,  Cosmogr.  ]             ^    .^q 
Austr.  II,  69      1^             ^'  ^"^ 

Glogau 
(Schlesien) 

1606,  1613, 
1633,  1634, 
1680,  1706, 
1708,  1714, 
1715 

Dr.  Schnurer, 

Chronik  der 

Seuchen;  Herzog, 

Frari  della  peste 

i    I,   453,   459,   490 
1  II,  7,  155, 163,  231 

1 

Regensburg 

1099,  1371,  1 
1465,    1713  1 

Dr.  Schnurer,  Be- 
richte d.  Regensb. 
Stadtphys.  1714 

I,  113 
II,  394 

München 

1634 

Dr.  Schnurer 

;      I,  113;  II,  422 

OberbayeiTi 

1281, 1462/63,' 
1468,1493- 
1495, 1611/12, 
1619/20,1713, 
1715 

Jurende 
„Pestchronik« 

j  t,  345,   458,  463, 
1                490 

11,  268,  399,  408, 
'                46Ö 

Pertisau 
(Nordtirol) 

1611/12,1618 

Dr.  Schnurer,      i          j    ,-q    Aan 
Jurende          [        ^'  ^^^>  ^^^ 

Admont 

1625 

P.  Urb.  Ecker, 
Chronik 

I,  471 

Bleiburg  i.  K. 

1598,  1601,  , 
1715 

Dr.  K.  Flor, 
Archiv  f.  K. 

Fürstenfeld 

1586 

I,  234 

Hitzendorf 

1680 

V 

II,  109 

Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geramb.  169 

Darnach  ergibt  sich  also  als  allen  gemeinsames  frühestes 
Auftreten  der  Pest  für  die  genannten  Orte  der  Beginn  des 
17.  Jahrhunderts.  Da  aber  zwei  Orte  (Thüringen  und  Fürsten- 
feld) nur  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  Pestzeiten  aufweisen, 
müssen  wir  auch  diese  Zeit  für  das  Auftreten  unseres  Pest- 
segens schon  mit  in  Betracht  ziehen. 

Etwas  deutlicher  und  sicherer  sprechen  wenigstens  zum 
Teil  die  direkten  Quellen.  Hören  wir  vor  allem  die  Ansicht 
Peinlichs  und  sehen  wir  zu,  wie  weit  wir  ihr  folgen  können. 
Das  von  ihm  abgebildete  Zachariaskreuz  ist,  wie  er  sagt, 
das  älteste  dieser  Art,  weil  es  „ein  Patriarch  von  Jerusalem, 
nach  anderen  Papst  Zacharias  (f  752)  eingeführt"  habe. 
Der  Patriarch  Zacharias  von  Jerusalem  regierte  in  den 
Jahren  609 — 631/2,  wir  hätten  es  also,  gleichviel  ob  die 
Überlieferung  den  Patriarchen  oder  den  Papst  meint,  mit 
einem  recht  respektablen  Altertum  zu  tun.  Nun  ist  es  ja  Tat- 
sache —  es  sagt  dies  ja  sowohl  der  Name  des  Kreuzes,  als 
auch  neuerdings  das  von  uns  gefundene  Zettelchen  -  daß 
in  der  Überlieferung  wirklich  ein  Zusammenhang  mit  Zacharias 
besteht.  Ich  konnte  aber  weder  bei  Peinlich,  noch  bei 
P.  Laur.  Hecht,  noch  sonstwo,  am  allerwenigsten  aber  eben 
in  dieser  Überlieferung  einen  Beweis  dafür  finden,  daß  dieser 
Zusammenhang  auch  den  Tatsachen  entspricht.  Ein  solcher 
Beweis  wird  wohl  auch  kaum  zu  erbringen  sein.    . 

S.  529  beschreibt  Peinlich  ein  Benediktuskreuz,  das  unter 
anderen  Buchstaben  auch  unsere  Inschrift  enthält.  Wenn  er 
nun  aber  ausdrücklich  behauptet,  das  dieses  Kreuz  schon 
vom  Papste  Leo  IX.  (1048 — 1054)  eingeführt  worden  sei. 
so  entspricht  dies,  soweit  dabei  unsere  Buchstaben  in  Betracht 
kommen,  einfach  nicht  der  Wahrheit.  Die  Nachricht,  daß  dieser 
Papst  das  Benediktuskreuz  eingeführt  habe,  steht  nämlich 
im  Zusammenhang  mit  einer  hübschen  Legende.  Nun  ist  es 
zwar  Tatsache,  daß  diese,  wie  aus  dem  Benediktusbüchlein 
(S.  41/2)  hervorgeht,  den  hl.  Benedikt  genau  so  schildert, 
wie  er  auf  dem  Bilde  einer  aus  dem  Jahre  1415  stammenden 
Handschrift*  dargestellt  wird.  Wie  Peinlich  berichtet,  findet 
sich  dasselbe  Bild  auch  sonst  noch  auf  alten  Gemälden  in 
Benediktinerklöstern.  Aber  ganz  abgesehen  davon,  daß  damit 
ja  nicht  die  Gleichzeitigkeit  der  Legende  und  damit  des 
Ursprungs  dieses  Bildes  mit  der  Regierungszeit  des  Papstes 
Leo  IX.  erwiesen  ist,   zeigt  das  Bild   den  hl.  Benedikt  auch 

1  Aus  dem  Kloster  St.  Benedicti  in  Metten  (Bayern).  Abgedruckt 
bei  Fez  „Thesaurus  Anecdotorum  noviss.^  1721,  Bd.  I. 


170  Eine  rätselhafte  Inschrift. 

mit  einem  Stabe  in  der  Hand,  auf  dem  man  wohl  die  Worte 
..Crux  Sacra  sit  mihi  lux^^  etc*  und  die  Buchstaben  des  Verses 
Vade  retro  satana  .  . .  nicht  aber  unsere  Inschrift  ersehen 
kann.  Die  Behauptung  also,  daß  ein  Benediktskreuz,  das 
außer  den  gewöhlichen  auch  unsere  Buchstaben  enthält,  schon 
1^15,  geschweige  denn  im  11.  Jahrhundert  vorkomme,  ist 
einfach  unerwiesen.  Es  scheint  übrigens,  daß  Peinlich  hier 
irrtümlicherweise  eine  Verwechslung  unterlaufen  ist. 

Unmittelbar  auf  unsere  Inschrift  bezieht  sich  aber  fol- 
gender, ebenfalls  von  Peinlich*  ausgesprochene  Satz:  „In 
Steiermark  soll  dasselbe  (sc.  Pestkreuz)  schon  bei  der 
Pestilenz  um  das  Jahr  1444  bekannt  gewesen  und  1680  aber- 
mals in  Gebrauch  gekommen  sein."  Diese  Nachricht  bringt 
Peinlich  „nach  Mitteilungen  des  Herrn  Kaplans  Ant.  Meixner". 
Herr  „Kaplan"  Meixner  ist  seither  längst  Pfarrer  im  Ruhe- 
stande und  befindet  sich  in  Graz,  so  daß  ich  ihn  selbst  in 
dieser  Sache  fragen  konnte.  Er  hat  jedoch  damals  soviel 
pestgeschichtliches  Material  für  Peinlich  gesammelt,  daß  er 
sich  durch  die  Reihe  von  seither  vergangenen  Jahren  be- 
greiflicherweise nicht  mehr  entsinnen  kann,  woher  er  diese 
Nachricht  hatte.  Da  aber  auch  Peinlich  selbst  vorsichtig  ein 
„soll"  einschiebt  und  man  aus  seinem  Zitat  auch  nicht  mit 
voller  Bestimmtheit  ersehen  kann,  ob  sich  die  Mitteilung  des 
Hochw.  Herrn  Anton  Meixner  auf  das  Vorkommen  im 
Jahre  1444  oder  auf  die  Wiedereinführung  im  Jahre  1680 
bezogen  hat,  so  können  wir  auch  diese  ganze  Nachricht  hier 
wieder  nur  der  Vollständigkeit  halber  anführen,  leider  aber 
nicht  als  grundlegende  Quelle  benützen. 

Die  nächste  Nachricht  Peinlichs,  ebenfalls  deutlich 
auf  unsere  Inschrift  bezogen,  stammt  nach  seiner  Angabe  ,,€x 
relaiionc  Francisci  Solari  episc.  Salamiae".  Danach  wäre  der 
Bischof  und  Patriarch  von  Antiochia,  Leichard,  1546  auf 
dem  Konzil  von  Trient  erschienen  und  durch  ein  an  einem 
Armband  hängendes  nnd  mit  unserer  Inschrift  beschriebenes 
Zachariaskreuz  von  der  damals  auch  in  Trient  wütenden  Pest 
verschont  geblieben.  Leichard  selbt  habe  angegeben,  daß  er 
das  Kreuz  und  die  Inschrift  samt  Erklärung  in  einem  Kloster 
des  heil.  Benedikt  zu  Antiochia  gefunden  habe.  Peinlich 
hat  übrigens,  wie  ich  mich  überzeugen  konnte,  diese  ganze 
Stelle  aus  dem  noch  später  zu  erwähnenden  „Land-  und 
Stadt-Artzneybuch"    des    Adam    Lebenwald.    Im    Kapitel    II 

i  A.  a.  0.,  II,  528. 


Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geramb.  171 

„Pestchronik"  heißt  es  dort  pag.  18:  „Anno  1546  unter  höchst 
gedachten  glorwürdigsten  Kayser  Carole  V.  und  Paulo  III. 
dem  Papst  fiehl  die  Pest  zu  Trient  ein,  allwo  damahlen  das 
berühmte  Concilium  gehalten  wurde.  Dabey  hat  sich  ein- 
gefunden Leichardus  Bischoff  und  Patriarch  zu  Antiochia, 
welcher  ein  Armband  getragen  darauf  ein  Creutz  mit  Buch- 
staben gestanden,  so  man  anjetzo  das  Creutz  des  heiligen 
Benedicts  nennet ;  solches  hat  er  auch  andern  mitgeteilt  mit 
vermelden,  daß  es  zu  Antiochia  in  deüi  Closter  St.  Benedict 
gefunden  und  von  dem  H.  Zacharias  Bischoffen  zu  Jerusalem 
mit  Auslegung,  Bedeutung  und  Gebät  hinterlassen  worden, 
welches  anjetzo  noch  vielmehr  durch  Miracul  kundbahr  mit 
Andacht  und  guten  effect  gebraucht,  wie  auch  aller  Wieder- 
sacher  Meinung  abgelegt  wird.  Ex  relat  Francisd  Solar, 
Bischoffen  zu  Salamia."  —  Wir  haben  es  hier  mit  einer  für 
die  Geschichte  unseres  Pestsegens  ohne  Zweifel  sehr  inter- 
essanten Stelle  zu  tun;  ja,  wenn  diese  relatio  tatsächlich  zu 
finden  wäre,  so  wäre  damit  —  die  Glaubwürdigkeit  des  Solari 
vorausgesetzt  —  die  ganze  Frage  nach  der  Herkunft  der 
Buchstaben  nahezu  gelöst.  Es  ist  daher  begreiflich,  daß  ich 
alle  denkbaren  Mittel  versuchte,  diese  relatio  zu  finden  und 
es  ist  mir  ein  Bedürfnis,  an  dieser  Stelle  dem  hochw.  Herrn 
Dozenten  Dr.  Fr.  Bliemetzrieder,  der  mich  in  diesem  mühe- 
vollen Suchen  auf  das  kräftigste  unterstützte  und  weit  mehr  als 
seine  Pflicht  als  Bibliotheksbeamter  getan  hat,  herzlichst  zu 
danken.  Leider  war  alles  Suchen  vergebens :  die  gegenwärtig 
zugänglichen,  also  gedruckten  Quellen  zur  Geschichte  des 
Tridentiner  Konzils  enthalten  diese  relatio  nicht.  Aber  auch 
in  der  series  episcoporum  findet  sich  um  diese  Zeit  weder 
ein  Leichard  noch  ein  Solari.  Da  der  Name  Leichard  deutsch 
ist,  durchsuchte  ich  auch  das  Verzeichnis  der  deutschen 
Bischöfe,  leider  aber  ebenfalls  ohne  Ergebnis.  Es  wäre  nun 
nur  noch  möglich,  daß  beide  —  sowohl  Leichard  als  auch 
Solari  —  bloße  Titularbischöfe  „m  partibus  infidelium^^  ge- 
wesen sind  und  deshalb  in  den  Bischofverzeichnissen  keinen 
Platz  fanden.  Dann  aber  ist  die  Nachricht,  daß  Leichard 
das  Amulett  unmittelbar  aus  dem  Benediktinerkloster  zu 
Antiochia  mitgebracht  habe,  viel  weniger  leicht  zu  erklären, 
als  wenn  er  eben  dort  wirklich  seinen  Bischofsitz  gehabt 
hätte.  Wir  würden  uns  sehr  freuen,  wenn  wir  beim  Suchen 
diese  relatio  nur  übersehen  hätten  und  von  anderer  Seite 
Berichtigung  erhielten.  Vorderhand  aber  können  wir  auch 
diese  Stelle  nicht  als  sichere  Quelle  benützen  und  es  bleibt 


172  Eine  rätselhafte  Inschrift. 

somit  die  genannte  Münze  aus  München  mit  der  Jahreszahl 
1637  als  ältestes  Zeugnis  unseres  Pestsegens  übrig. 

Zwei  Jahrzehnte  später  schrieb  P.  Athanasius  Kircher 
S.  J.  sein  ,,Scrutinium  physico  medimm'\  Eovnae  MDCLVIIL 
Die  Sectio  IIL  dieses  Werkes  betitelt  sich  „Je  antidotis  contra 
pestem''  und  enthält  unter  anderem  eine  recht  interessante 
Stelle  über  unsere  Formel.  Pagina  193  heißt  es  nämlich  unter 
der  Überschrift  ,^Amuleta  superstitiosa  vilanda^\  daß  manche 
ihre  Zuflucht  zu  gewissen  Buchstaben  und  Kreuzen  nehmen 
und  damit  gleichsam  Gott  zwingen  wollen,  ein  nach  der  Auf- 
fassung des  gelehrten  Jesuiten  verdammungswürdiges  Ver- 
fahren. 

Um  die  Schlechtigkeit  dieses  Gebrauches  darzutun, 
will  er  nun  dem  Leser  ein  Beispiel  dieser  BeschwörungSr 
formein  vorführen  und  wählt  dafür  glücklicherweise  gerade 
unsere  Inschrift,  die  er  übrigens  alls  allgemein  bekannt  ßam 
notum  vulgatvmque)  bezeichnet.  Es  folgen  dann  ganz  fehlerlos 
die  18  Buchstaben  zwischen  den  sieben  Kreuzen  und  eine  Er- 
klärung bis  zum  vierten  Buchstaben,  die  aber  mit  der  gering- 
schätzigen Bemerkung  „e^  ita  de  reliquis''  abbricht.  Dann 
fährt  er  fort:  „Hoc  itaque  est  celebre  iUud  amtdetum  contra 
pestem,  quod  a  nescio  quo  Graeco  archiepiscopo,  tanqiMm  sacro- 
sanctum  et  mirificae  virtutis  arcanum  evulgatum  aiunt;  quod 
quicunque  poriaverit ,  illum  infällibiU  divinae  gratiae  protec- 
tione  ab  omni  pestifero  afjßatu  immunem  futurum,  perperam 
sibi  persuadent.  Verum  cum  id  scriptum  emsdim  omnino  for- 
ma£  sit,  cum  innumeris  aliis,  quae  hominibus  maleferiatis  et 
cum  Daemone  pactum  habentibus,  ad  alios  effedus  similes, 
impie  cuduntur  et  superstäiose  adhibentur ;  dicendum  id  prorsus 
suspectum  atque  scandcdi  plenum  esse,  eaque  propter,  eius 
amuleti  characteres  per  seipsos  ad  id  indeterminati  sint,  pos- 
sintque  a  Demonis  ministris  eiusmodi  amuleta  cudentibus  in 
senstmi  prorsus  oppositum  detorqueri;  adhtic  tamen  ex  hoc 
talis  amuleti  usus  reprobandus  est,  quod  eo  modo  nudis  charac- 
teribus  d  crucibus  consignatum,  et  in  corpore  gestatum,  exinde 
insignem  et  singularem,  aut  ceriam  vim  ad  effectus  suos  habere 
superstitiosius  existimetur.  Uti  uberrime  in  Magia  Aegyptiorum 
tom.  2  ostendo,  et  scite  quoque  comprodat  in  suo  Medico-poli- 
tico-catholico  fol  150  doäissimus  Hieronymus  Bardius  Theo- 
logiae  et  Medicinae  utriusque  Doctor^^.  Ich  habe  hier  absicht- 
lich die  ganze  Stelle  lateinisch  gebracht,  damit  jedermann 
die  etwas  schwierigen  Satzbildungen  prüfen  und  mit  der 
Übersetzung  vergleichen  kann,  die  ich  nun  in  der  Fonn,  wie 


Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geramb.  173 

sie  mir  vom  Herrn  cand.  phil.  G.  Vodöpiuz  in  freundschaft- 
lichster Weise  besorgt  wurde,  folgen  lasse: 

,,Dies  ist  also  jenes  weit  und  breit  bekannte  (berüch- 
tigte) Pestamulett,  von  welchem  die  Sage  geht,  es  sei  von 
irgendeinem  griechischen  Erzbischofe  her,  gleichsam  als  hoch- 
heiliges Zaubermittel  wundertätiger  Kraft  unter  die  Leute 
gekommen ;  wer  immer  es  (bei  sich)  trage,  der  werde  —  so 
reden  sie  sich  unbegründeter  Weise  ein  —  durch  den  unfehl- 
baren Schutz  der  göttlichen  Gnade  von  jedem  Pesthauch 
unberührt  bleiben.  Auch  die  geschriebene  Spielart  (scriptum 
im  Gegensatz  zu  amuletitm)  weist  im  großen  und  ganzen  den 
gleichen  Inhalt  auf  und  es  werden  mit  ihr  zugleich  unzählige 
andere  (Sprüche),  die  von  Zauberern  und  Teufelsdienern 
(stammen),  zur  Erzielung  gleicher  Wirkungen  in  Fällen  anderer 
Art  in  ruchloser  Absicht  angebracht  und  voll  Aberglauben 
verwendet.  Es  muß  betont  werden,  daß  diese  Unsitte  ver- 
dachtserregend und  voll  des  Ärgernisses  ist,  deshalb  ist 
dieser  Gebrauch  abzustellen.  Es  ist  belanglos,  daß  die  Buch- 
staben dieses  Segens  an  und  für  sich  auf  einen  solchen  Miß- 
brauch keinen  Bezug  haben,  sie  können  aber  immerhin  von 
den  Teufelsdienern,  die  derartige  Amulette  verwenden,  gerade 
im  entgegengesetzten  Sinne  mißbraucht  werden.  Aus  dem 
letztgenannten  Grunde  ist  also  die  Verwendung  eines  solchen 
Segens  außerdem  noch  zu  mißbilligen,  da  man  von  einem 
in  dieser  Weise  mit  bloßen  Anfangsbuchstaben  und  Kreuz- 
zeichen ausgestatteten  Segen,  wie  er  am  (nackten)  Körper 
getragen  wird,  allzu  abergläubisch  glauben  könnte,  er  habe 
demzufolge  eine  hervorragende  und  einzigartige  oder  sogar 
sichere  Kraft  für  die  (beabsichtigten)  Ziele."  Schließlich 
verweist  Kirch  er  auf  die  Magia  Acgyptiorum  und  das  Werk 
des  Hieronymus  Bardius.  Die  erstere  erschien  am  Beginn 
des  17.  Jahrhunderts,  das  letztere  im  Jahre  1643.  Wieder 
deuten  also  auch  diese  ältesten,  sicheren  schriftlichen  Nach- 
richten auf  den  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  hin.  Interessant 
ist  die  Auffassung,  die  der  Jesuit  hier  vertritt.  Sie  wird  voll- 
inhaltlich auch  von  Adam  Lebenwaldt  geteilt,  aus  dessen 
wenige  Jahrzehnte  später  erschienenem  Werk  ^  übrigens  her- 
vorgeht, daß  er  Kirch  er  als  Quelle  benützt  hat.  Deshalb 
klingt  es  auch  fast  wie  eine  freie  Übersetzung  der  von  uns 
gebrachten  Stelle,  wenn  er  im  Kapitel  „von  denen  Amuletis 


»  A.  Lebenwaldt,    „Landt-,   Stadt-  und  Hausartzneybuch",  Kürn- 
berg  1695. 


174  Eine  rätselhafte  Inschrift. 

oder  Anhang-Sachen  wider  die  Pest"  ^  sagt:  „daß  man  oflFt 
denen  Anmieten  gar  zu  viel  Kräflften  zueignet  und  schier  alle 
Krankheiten,  wie  theils  Leute  vermeinen,  damit  curiren  will, 
ist  nicht  zu  trauen,  dann  es  wird  gemeiniglich  Teuflfels  Arbeit 
dabey  vermischt,  dahero  viel  Bücher  verbotten  und  nicht 
ohne  Straff  zu  lesen,  sondern  vielmehr  dem  Vulcano  zu  con- 
secriren  .  .  .  dann  was  können  dergleichen  Buchstaben  und 
Wörter  in  gewieser  Figur  zusammengesetzt,  für  Kraffl  und 
Würkung  haben?  Diese  Teuffelspossen  kommen  von  den- 
jenigen Kötzern,  welche  sich  in  den  ersten  hundert  Jahren 
nach  Christi  Geburt  herfür  gethan,  und  Gnostici  .  .  genannt 
würden." 

Wie  ganz  anders  klingt  dagegen  die  Auffassung,  die 
Dr.  Karlmann  Flor  (a.  a.  0.,  S.  244)  vertritt,  wenn  er  sagt : 
„Die  Andacht  und  das  Vertrauen  gilt  nicht  dem  stofflichen 
Kreuze,  sondern  dem,  der  sich  dem  Kreuzestode  zur  Sühne 
der  Welt  freiwillig  hingegeben  hat.  Auch  nicht  die  Charaktere, 
die  auf  dem  Pestkreuze  geprägt  erscheinen,  werden  als  heil- 
kräftig geglaubt  und  angesehen.  Denn  sie  sind  nicht  auf 
eine  und  dieselbe  Linie  zu  stellen,  wie  die  heidnischen, 
barbarischen  und  unverständlichen  Formeln:  Ähra  kadabfa 
oder  gaudo  statzi  Salphenio  casbou  gorfus  barbasas  hulfrio 
und  dergleichen.  Die  Charaktere  auf  dem  Pestkreuze  haben 
eine  sehr  schöne  Bedeutung,  wodurch  der  Christ  ermahnt 
wird,  sich  mit  dem  andächtigen  Gebete  an  Gott  zu  wenden 
und  zu  bitten,  daß  er  ihn  vor  der  Seuche  bewahren  möchte." 

Die  beiden  Gegensätze,  die  in  diesen  verschiedenen 
Ansichten  zutage  treten,  enthalten  auch  die  Frage,  die  wir 
uns  nun  noch  zu  stellen  haben:  Haben  wir  es  mit  einem 
von  der  Kirche  verworfenen  reinen  Zaubersprüchlein  oder 
haben  wir  es  mit  einem  Gebet  zu  tun  ?  Mit  anderen  Worten : 
Ist  die  Formel  ein  Produkt  des  Volksaberglaubens  oder  ein 
in  kirchlichen  Kreisen  erdachtes  geistliches  Trostmittel? 
Für  die  erstere  Annahme  sprechen:  1.  Der  Schimpf  des 
Jesuiten.  2.  Die  vielleicht  nicht  zufällige  Anordnung  in  der 
Siebenzahl  (7  Buchstabengruppen  zwischen  7  Kreuzen). 
3.  Der  Umstand,  daß  sich  vieles,  was  Wuttke  in  seinem 
Werke  über  den  deutschen  Volksaberglauben  ^  als  Kenn- 
zeichen echt  volkstümlicher  Zauberformeln  angibt,  auch  auf 
unsere  Inschrift  anwenden  läßt.    So  sagt  er,   daß  derartige 

i  A.  Lebenwaldt,  a.  a    0.,  Kap.  IX.,  S.  244. 
2  Dr.  Ad.  Wuttke    „Der    deutsche   Volksaberglaube    der  Gegen- 
wart«, 3.  Aufl.,  hgg.  von  E.  H.  Meyer,  Berlin  1900,  S.  166  flF. 


Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geramb.  175 

Formeln  in  der  Volksüberlieferung  ins  höchste  Altertum 
hinaufgesetzt  und  womöglich  nach  fernen  Ländern  verlegt  werden 
(meist  in  den  Orient).  Tatsächlich  fuhrt  auch  unsere  Über- 
lieferung, wie  wir  aus  den  angeführten  Quellen  und  aus  dem 
Zettel  sahen,  den  Ursprung  dieses  Pestsegens  bis  ins  7.  Jahr- 
hundert und  in  den  Orient  (Jerusalem,  Antiochia)  zurück. 
„Soll  eine  Zauberwirkung  bleibend  tätig  sein",  fährt  Wuttke 
fort,  „so  begnügt  man  sich  gewöhnlich  nicht  mit  der  bloß 
gesprochenen  Formel,  sondern  da  muß  sie  festgehalten,  auf- 
geschrieben sein."  Soll  sie  den  Menschen  schützen,  so  muß 
sie  am  bloßen  Leibe  getragen  werden.  (Vergleiche  dazu  die 
Stelle  bei  Kircher;  vielleicht  war  auch  der  von  uns  bei 
Spitalsrechnungen  gefundene  Zettel  ein  solches  am 
Leibe  getragenes  Amulett.)  Soll  sie  das  Haus  schützen,  so 
muß  sie  ober  der  Türe,  auf  die  Wand  etc.  geschxieben 
w'erden.  —  All'  das  trifft,  wie  man  sieht,  genau  auf  unsere 
Inschrift  zu.  In  einem  Punkte  aber  weicht  sie  von  Wuttkes 
Beobachtungen  ab:  es  fehlt  ihr  die  volkstümliche  Aus- 
gestaltung der  angewendeten  frommen  Sprüche.  Und  zwar 
liegt  das  Entscheidende  nicht  darin,  daß  überhaupt  geistliche 
Sprüche  verwendet  wurden;  das  kommt,  wie  Wuttke  betont, 
sehr  häufig  vor  und  das  allein  „ändert  natürlich  das  heid- 
nische Wesen  nicht  im  mindesten."  Die  Art  und  Weise  aber, 
wie  diese  Stellen  in  unserer  Formel  verwendet  werden,  muß 
uns  trotz  aller  der  angeführten  Gründe  an  der  volkstüm- 
lichen Abstammung  derselben  zweifeln  lassen.  Wuttke  — 
in  diesen  Dingen  gewiß  ein  sicherer  Gewährsmann  —  unter- 
scheidet unter  den  Beschwörungsformeln  zwei  Arten :  die  eine 
tritt  in  der  befehlenden  Form  (z.  B.  „Blut,  steh'  stille  .  ."), 
die  andere  in  der  erzählenden  auf.  Und  zwar  bewegt  sich 
diese  Erzählung  in  einem  Parallelismus  der  Gedanken,  der 
ja  das  Ursprüngliche  in  jeder  volkstümlichen  Poesie  ist,  so 
zwar,  daß  etwas  erzählt  wird,  das  in  einer  gewissen  gleich- 
laufenden Beziehung  zu  dem  zu  besprechenden  Dinge  steht. 
(Z.  B.  man  sagt:  „Christus  hat  gehabt  Wunden  und  doch 
nicht  verbunden"  und  will  dadurch  auch  seine  eigene  Wunde 
zur  Heilung  zwingen.) 

In  unserem  Falle  triift  weder  die  eine  noch  die  andere 
Form  vollständig  zu;  wir  haben  es  mit  reinen  Bibelsprüchen 
imd  Psalmen  zu  tun,  die  nicht  im  geringsten  ins  Volks- 
tümliche abgeändert  sind  und  als  einzigen  selbständigen 
Zusatz  höchstens  die  bittenden  Worte:  „Befreie  mich  von 
dieser  Pest,  o  Herr!"  anfügen.  Hier  weist  sich  uns  keine  be~ 


176  Eine  rätselhafte  luschrift. 

fehlende  und  keine  gleichlaufend  erzählende  Sprache,  sondern 
nur  die  Form  des  flehenden  Gebetes.  Und  darin  Hegt,  glaube 
ich,  das  j^tscheulende. 

Andrerseits  ist  es  aber  auch  klar,  daß  wir  es  trotzdem 
nicht  mit  einer,  auch  in  ihrer  Anwendung  rein  kirchlich  ge- 
bliebenen Sammlung  von  Gebeten  zu  tun  haben.  So  bleibt 
also  als  einzig  möglicher  Ausweg  nur  der,  ebenfalls  von 
Wuttke  angeführte  dritte  Fall  übrig:  „Manchmal  sind  die 
Segenssprüche  ihrem  Inhalte  nach  scheinbar  ganz  christlich, 
bestehen  aus  Bibelsprüchen,  Liederversen  etc.,  sind  also  dann 
aus  rechtmäßigem  Gebet  oder  Segensspruch  entstanden,  er- 
halten aber  durch  die  Art  ihrer  Anwendung  den  Charakter 
abergläubischen  Zaubers". 

Wir  sind  uns  also  jetzt  darüber  klar,  daß  uns.ere  Formel 
in  kirchlichen  Kreisen  entstanden  ist  und  sehen  außerdem, 
daß  auch  diese  Kreise  selbst  die  dem  Volke  gebräuchlichen, 
also  volkstümliche  Form  auf  ihre  Münzen  und  Kreuze  auf- 
genonunen  hat,  ja  es  liegt  sogar  die  Vermutung  nahe,  daß 
diese  Kreise  selbst  schon  die  volkstümliche  Form  gewählt 
haben,  um  die  Sache  unter  das  Volk  zu  bringen. 

Es  handelt  sich  also  nur  noch  darum,  in  welchen  geistlichen 
Kreisen  unsere  Formel  entstanden  sein  könnte.  Und  darauf 
können  wir  wohl  ziemlich  sicher  antworten :  Im  Benediktiner- 
orden. Alle  schriftliche  Überlieferung,  die  vom  Benedikts- 
kloster in  Antiochia,  von  Zacharias,  dem  großen  Verehrer 
des  hl.  Benedikt,  etc.  erzählt  und  in  der  doch  ein  Körnchen 
Wahrheit  stecken  dürfte,  ferner  —  was  Peinlich  schon 
hervorhob  —  das  auffallend  häufige  Auftreten  des  Segens 
in  der  Nähe  von  Benediktinerklöstern,  die  Aufnahme  der 
Inschrift  auf  die  Benediktsmedaillen  und  das  Benediktus- 
kreuz,  das  alles  deutet  darauf  hin,  vielleicht  gerade  auch 
der  —  Schimpf  des  Jesuiten.  Es  mag  wohl  mit  einer  ge- 
wissen Absicht  verbunden  gewesen  sein,  wenn  der  gelehrte 
Jesuit  Ath.  Kirch  er  in  seinem  dem  Papste  gewidmeten 
Buch  jene  gewisse  Gehässigkeit  iühlen  läßt,  die  sich  in  so 
vielen  jesuitischen  Schriften  gegen  die  alten,  besonders  den 
Benediktinerorden  ^  kundgibt.  Es  muß  in  nichtjesuitischen 
Kreisen  wohl  noch  mehrere  derartiger  „  Buchstaben -Segens- 


'  Ob  auch  das  auf  unserem  Zettel  angegebene  spanische  Kloster 
^de  Freilis"  dem  Benediktinerorden  angehört,  weiß  ich  nicht.  Wohl 
aber  gibt  es  in  Spanien,  und  zwar  in  Estremadura  am  Guadiana  (s.  w. 
V.  Badajoz)  ein  casa  de  los  Frailes.  (Stielers  Atlas,  1907,  Karte  34,  F  3/4). 


Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geramb.  177 

formeln"  gegeben  haben,  ^  und  die  Buchstaben  des  Benediktüs- 
kreuzes  selbst  (F.  B.  S.  etc.  etc.)  deuten  wohl  unzweifelhaft 
darauf  hin,  daß  es  gerade  die  Benediktiner  verstanden  haben, 
dem  Volke  das  Volkstümliche  abzulauschen  und  ihm  rein 
kirchliche  Dinge  in  dieser  Form  zugänglich  zu  machen.  Natür- 
lich hat  es  das  Volk  seinerseits  nicht  unterlassen,  die  ihm 
übermittelten  Zeichen  noch  volkstümlicher  zu  verwenden, 
d.  h.  sie  auf  Papierstreifen  geschrieben  als  Amulette  zu  tragen 
oder  nach  altem  Gebrauch  ober  die  Türe  zu  schreiben. 

Es  mag  dahingestellt  bleiben,  ob  nach  streng  kirchlichen 
Satzungen  die  Auffassung  des  Jesuiten  „gesetzlicher"  ist; 
sicher  aber  war  die  der  Benediktiner  trostbringender  für 
das  Volk  und  daher  die  volkstümlichere  —  vielleicht  auch 
christlichere ! 


Ich  lasse  nun  die  Keihentolge  der  lateinischen  Psalm- 
und  Bibelstellen,  wie  sie  bei  Flor  zusammengestellt  sind, 
mit  der  Übersetzung  und  Psalmenangabe  Peinlich s  folgen. 
Es  ist  interessant,  damit  die  Übersetzung  des  Fürstenfelder 
Zettels  zu  vergleichen. 


z 


D. 
I. 


Crux  Christi   salva  me!    (Kreuz  Christi,  rette  mich!) 

Zelus  domus  Dei  libera  me!  (Der  Eifer  für  dein  Haus 
befreie  mich!) 

Crux  Christi  vincit  et  regnai',  per  lignum  crucis  libera 
me  Domine  ab  hoc  peste!  (Das  Kreuz  überwindet, 
das  Kreuz  herrscht;  durch  das  Zeichen  des  Kreuzes 
befreie  mich  von  dieser  Pest,  o  Herr !) 

Deus,  Dens  meus  expelle  pestem  de  loco  isto  et  libera 
me!  (0  Gott,  mein  Gott,  vertreibe  die  Pest  von 
diesem  Orte  und  befreie  mich! 

In  manus  iiias,  Domine,  commendo  animam  meam  et 
corpus  meum!  (In  deine  Hände,  Herr,  empfehle 
ich  meine  Seele   und  meinen  Leib!    Luk.  23.  6.) 


1  So  stellte  mir  Herr  Pfarrer  Meixncr  in  liebenswürdigster  Weise 
ein  etwa  aus  dem  Jahre  1700  stammendes  Zettelchen  zur  Verfügung, 
das  er  in  einem  alten  Gebetbuch  fand  und  das  folgende  Aufschrift 
weist:  fB  tXflGtltKtBRtltCtLtCfWtMt 
JESVS  NAZARENVS  f  REKS  f  IVDEARVM  f  Amen. 

12 


178  Eine  rätselhafte  Inschrift. 

A.  Ante  coelum  et  terram  Bens  erat  ä  Detis  potens  est 
liberare  me  ab  hoc  peste!  (Bevor  Himmel  und 
Erde  waren,  war  Gott,  und  Gott  ist  mächtig,  mich 
von  dieser  Pest  zu  befreien !) 

•^  Crux  Christi  potens  est  ad  expellendam  pestem  a  loco 
isto  et  corpore  meo.  (Das  Kreuz  Christi  ist  mäch- 
tig, die  Pest  von  diesem  Orte  und  auch  von 
meinem  Leibe  zu  vertreiben.) 

D,  Bonum  est  praestolari  auxilium  Bei  cum  silentio  ut 
eapellat  pestem  a  me.  (Gut  ist  es,  ruhig  auf  die 
Hilfe  Gottes  zu  warten,  auf  daß  er  die  Pest  von 
mir  entferne.   Klagelieder,  Jeremias,  3.  26.) 

L  Inclinaho  cor  meum  ad  faciendas  justißcationes  tuas  et 
non  confundar,  quoniam  invocavi  te.  (Ich  will  hin- 
neigen mein  Herz  zur  Haltung  deiner  Satzungen, 
damit  ich  nicht  beschämt  werde,  denn  ich  habe 
dich  angerufen.    Psalm.  118,  112.) 

Zelavi  super  iniquos  paceni  peccaiorum  videns  et  spe- 
ravi  in  te.  (Ich  eiferte  über  die  Ungerechten,  da 
ich  den  Frieden  der  Sünder  sah,  und  ich  hoffte 
auf  dich.    Psalm.  72.  3.) 

T^  Crux  Christi  fugeat  Baeniones,  aerem  corruptum  et 
pestem  expettat.  (Es  jage  das  Kreuz  Christi  die 
bösen  Geister  in  die  Flucht,  es  vertreibe  die 
ansteckende  Luft  und  die  Pest.) 

ö*  Saliis  tua  ego  sum,  dicit  Bominus:  clama  ad  me,  et 
ego  exaudiam  te  et  liberabo  te  ab  hac  peste.  (Ich 
bin  dein  Heil,  spricht  der  Herr,  rufe  zu  mir 
und  ich  will  dich  erhören  und  von  dieser  Pest 
befreien.  Psalm.  34  und  90.) 

A»  Abyssus  abyssum  invocat  et  voce  tua  expulisti  Baenio- 
nes;  libera  me  ab  hac  peste.  (Ein  Abgrund  ruft 
den  andern  und  mit  deiner  Stimme  hast  du  die 
bösen  Geister  vertrieben ;  befreie  mich  von  dieser 
Pest  Psalm.  41,  8.) 


Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geramb.  179 

D.  Beatus  nir,  qui  sperat  in  Domino  et  non  respexit  in 
vanitates  et  insanias  falsas!  (Glückselig  der  Mann, 
der  seine  Hoffnung  auf  den  Herrn  setzt  und  sich 
nicht  umsieht  nach  Eitelkeiten,  nach  Lüge  und 
Torheit.  Psalm.  39,  5.) 

*Tn  Crux  Christi^  qttae  ante  fuit  in  opprohrium  et  con- 
tumeliam  et  nunc  in  gloriam  et  nobüitatem,  sit  mihi 
in  Sdlutem  et  expellat  a  loco  isto  diabolum  et  aerem 
corruptum  et  pestem  a  corpore.  (Das  Kreuz  Christi, 
das  einst  zur  Schande  und  Schmach  diente,  jetzt 
aber  zur  Ehre  und  zum  Kühme  gereicht,  sei  mir 
zum  Heile  und  vertreibe  von  diesem  Orte  den 
Teufel  und  die  verpestete  Luft  und  von  meinem 
Leibe  die  Pest. 

Zelus  honoris  Bei  convertat  me  anteqtiam  moriar  et  in 
nomine  tuo  sdlva  me  ab  hac  peste.  (Es  durchdringe 
mich  der  Eifer  für  Gottes  Ehre,  bevor  ich  sterbe, 
und  in  deinem  Namen  errette  mich  von  dieser 
Pest.) 

T^  Crucis  Signum  liberet  populum  Bei  et  a  peste  eos,  qui 
conßdunt  in  eo.  (Das  Zeichen  des  Kreuzes  rette 
das  Volk  Gottes  und  befreie  von  der  Pest  alle, 
welche  auf  ihn  hoffen.) 

n  Haeccine  reddis  Bomino  popule  stuUe?  redde  vota  tua 
offerens  sa^rificium  laudis  et  fide  Uli,  qui  potens 
est  istum  locum  et  me  ab  hac  peste  liberare^  qtw- 
niam  qui  confidunt  in  eo,  non  confundentur.  (Ver- 
giltst du  dem  Herrn  so,  du  törichtes  und  unver- 
ständiges Volk  ?  erfülle  deine  Gelübde  durch  Dar- 
bringung des  Lobopfers  und  vertraue  auf  ihn,  der 
da  mächtig  ist,  diesen  Ort  und  mich  von  dieser 
Pest  zu  befreien ;  denn  jene,  welche  auf  ihn  ver- 
trauen, werden  nicht  zu  Schanden  werden.  Mos.  6.) 

vJ.  GuUuri  meo  et  faucibtis  meis  adhaeret  lingua  mea,  si 
non  benedixero  tibi,  libera  sperantes  in  te,  in  te 
confido,  libera  me  Deus  ab  ha^  peste  et  locum  istum, 
in  quo  nomen  tuum  invocatur,    (Es   möge  meine 

12* 


180  Eine  rätselhafte  Inschrift. 

Zunge  an  der  Kehle  und  am  Gaumen  kleben,  wenn 
ich  dich  nicht  preisen  werde.  Befreie  jene,  die 
auf  dich  hoffen.  Ich  hoffe  auf  dich,  so  befreie  mich 
denn  von  dieser  Pest  und  auch  diesen  Ort,  an 
!  welchem  dein  Name  angerufen  wird.  Psalm.  136, 6.) 


F. 


+ 


B 


F. 


Fadae  sunt  tenebrae  super  universam  terram  in  motie 
tua.  Domine  Deus  meus,  ficU  lubrica  et  tenebrosa 
diaholi  potestas.  Et  quia  ad  hoc  vemsti^  fUi  Dei 
vivi,  td  dissolvas  opera  diaholi^  expeXle  potmtia  tua 
a  loco  isto  et  a  me  servo  tuo  pestem  istam.  Dts- 
cedat  aer  corruptus  a  me  in  tenebrcLS  eoderiores. 
(Finsternis  entstand  bei  deinem  Tode  auf  dem 
ganzen  Erdboden.  0  Herr,  mein  Gott,  lasse  die 
Macht  des  Teufels  zu  Schanden  werden.  Und  weil 
du,  0  Sohn  des  lebendigen  Gottes,  gekonmien  bist, 
die  Werke  des  Teufels  zu  zerstören,  so  vertreibe 
durch  deine  Macht  diese  Pest  von  mir  und  die- 
sem Orte.  Es  weiche  von  mir  die  verpestete 
Luft  in  die  äußersten  Finsternisse.  Luk.  23,  45. 
Joh.  3,  8.) 

Crux  Christi,  defende  nos  et  expelle  a  loco  isto  pestem 
et  servum  tuum  libera,  quia  benignus  es  et  mise- 
ricors  et  multae  misericordiae  et  verax.  (Kreuz 
Christi,  schütze  uns  und  vertreibe  die  Pest  von 
diesem  Orte  und  beireie  deinen  Diener,  denn  du 
bist  gütig  und  barmherzig,  von  großer  Erbarmung 
bist  du  und  wahrhaft.) 

Beatus  qui  non  respexit  in  vanitaies  et  insanias  foUsas: 
in  die  mala  liberabit  eum  Deus.  Domine,  in  te 
speravi,  libera  me  ab  hac  peste.  (Glückselig  der 
Mann,  der  sich  nicht  umsieht  nach  Eitlem,  nach 
Lüge  und  Torheit ;  am  bösen  Tage  wird  ihn  Gott 
befreien.  Herr,  auf  dich  hoffe  ich,  befreie  mich 
von  dieser  Pest.  Psalm.  39,  5.) 

Fa>€tus  est  Deus  in  refugium  mihi,  quia  in  te  speravi, 
libera  me  ab  hac  peste.  (Der  Herr  ist  mfr  zur  Zu- 
flucht geworden ;  weil  ich  auf  dich  hoffte,  befreie 
mich  von  dieser  Pest.  Psalm.  93.  22.) 


Von  Dr.  Viktor  R.  v.  Geramb.  181 

I\.     Be^nce  in  me  Domine,   Deus  meus  Adonai,   de  Sede 
sancta  Majestatis  tuae,   et  miserere  mei  et  propter 
misericordiam  ttmm  ab  hac  peste  lihera  me,  (Blicke 
auf  mich,  o  Herr,  mein  Gott  Adonai,  vom  heiligen 
I  Throne  deiner  Majestät,  erbarme  dich  meiner  und 

I  befreie  mich  um  deiner  Barmherzigkeit  willen  von 

dieser  Pest.  Psalm.  21,  16.) 

^«  Salus  mea  Tu  es;  sana  me  et  sanabor,  salvum  me 
fac  et  salvus  ero»  (Du  bist  meine  Rettung,  heile 
mich  und  ich  werde  geheilt  werden ;  hilf  mir  und 
es  wird  mir  geholfen.  Jerem.  17,  14.) 


Das  Tajebach  eines  Trompeters  der  großen  Armee. 

Ein  Beitrag  zur  Geschichte  Steiermarks  im  Franzosen- 
zeitalter. 

Von  Dr.  Leo  Meli  (Wien). 


Der  reichen  Memoirenliteratur  aus  der  Zeit  der  Franzosen- 
kriege und  den  mannigfachen  sich  ergänzenden  Nach- 
richten, die  zerstreut  teils  in  alten  Zeitungen  enthalten,  teils 
in  Archiven  verborgen  sind,  danken  wir  es,  daß  uns  jene 
bewegte  Zeit,  deren  Kenntnis  für  uns  von  ganz  besonderem 
Werte  ist,  so  vertraut  geworden.  Ist  es  doch  das  Zeitalter, 
in  dem  die  deutsche  Nation  ihr  Freiheits-  und  Einigkeits- 
gefllhl  wiederfand,  nicht  zum  geringsten  Fichtes  Verdienst, 
dessen  vor  gerade  hundert  Jahren  gehaltene  „Reden  an  die 
deutsche  Nation"  die  Gemüter  erregten.  In  der  ersten  Rede 
charakterisiert  er  die  Zeit  mit  den  treffenden  Worten :  „Mit 
uns  geht,  mehr  als  mit  irgendeinem  Zeitalter,  seitdem  es 
eine  Weltgeschichte  gab,  die  Zeit  Riesenschritte." 

Den  Österreicher  vermag  im  Gegensatze  zu  dem  Reichs- 
deutschen die  Geschichte  des  Jahres  1813  trotz  des  ruhm- 
reichen und  entscheidenden  Eingreifens  der  kaiserlichen 
Truppen  weniger  zu  fesseln,  als  die  des  Jahres  1809.  Dies 
ist  schon  darin  begründet,  daß  sich  1818  nahezu  alle  krie- 
gerischen Ereignisse  außerhalb  der  Monarchie  abspielten. 
So  kommt  es,  daß  unser  Volk  für  den  Feldzug  von  1809 
trotz  des  kriegerischen  Mißgeschickes  tiefwurzelnde  Sympa- 
thien hat :  populärere  Schlachten  wurden  wohl  nie  geschlagen 
als  die  von  Aspern  und  Wagram  ^  und   nichts   griff  so    bis 

^  Das  k.  u.  k.  Heeresmuseum  in  Wien  handelt  daher  im  Geiste 
aller  Österreicher,  wenn  es  sich  zu  einer  Ausstellung  rüstet,  die  das 
Gedächtnis  an  Erzherzog  Karl  und  seine  Zeit  anläßlich  der  hundert- 
jährigen Wiederkehr  des  Jahres  der  Schlacht  von  Aspern  erneuern  soll. 


Das  Tagebuch  eines  Trompeters  der  großen  Armee.  183 

in  die  tiefsten  Schichten  der  Bevölkerung,  als  das  Schicksal 
des  Landes  Tirol  und  seiher  Helden.  Diesen  noch  heute 
fortlebenden  und  sich  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  ver- 
erbenden Sympathien  sind  Monographien  entgegengekommen, 
die  einzelne  Länder  unseres  Vaterlandes  zur  Zeit  der  Fran- 
zoseninvasion und  der  Befreiungskämpfe  schildern.  Auch  für 
die  Steiermark  wurde  bekanntlich  eine  auf  den  eingangs  an- 
geführten Quellen  beruhende  Monographie  geschrieben.* 

Den  in  derselben  benützten  Memoiren  der  be- 
rühmten französischen  Generale  Grouchy,  Marmont  und 
Massena  stellen  sich  neuester  Zeit  die  eines  schlichten  Sol- 
daten der  großen  Armee,  Jacques  Chevillet,  gegen- 
über,^ die  den  ersteren  an  objektivem  Interesse  nachstehen, 
sie  dagegen  an  subjektivem  übertreffen.  Denn  hier  finden 
wir  die  weltgeschichtlichen  Ereignisse  nur  skizzenhaft  an- 
gedeutet und  hören  von  den  Siegen  Napoleons  nur  nebenbei, 
während  das  Hauptgewicht  —  ohne  jegliche  Absicht  —  auf 
das  Leben  und  Treiben  der  Truppen  in  der  Garnison,  auf 
dem  Marsche,  bei  der  Kantonierung  u.  s.  w.  gelegt  er- 
scheint. Wir  erfahren,  wie  die  Korpsverwaltung  und  Zucht 
der  Franzosen  beschaifen  war  und  erhalten  authentische  Be- 
lege für  das  „gute  Benehmen"  der  Truppen,  für  das 
beim  Abzug  der  Feinde  große  Geldbeträge  „als  Er- 
kenntlichkeit" eingefordert  wurden.  Kleine  amüsante  Ge- 
schichten, Scherze  —  „Eulenspiegeleien"  nennt  sie  Chevillet 
—  oft  ungeschlachter  Art,  die  ein  Kamerad  dem  anderen 
zufügt,  gemischt  mit  Bewunderung  und  eigenartiger  Schil- 
derung der  durchzogenen  Gegenden,  bilden  die  weiteren 
Hauptcharakteristika  dieser  bald  an  den  Vater,  bald  an  den 
Freund  gerichteten  Briefe  —  Briefe,  die  ihre  Adressaten 
nicht  erreichten,  da  Chevillet  in  dieser  Form  seine  Tage- 
bücher schrieb.  Lange  genug  blieben  sie  verborgen. 
Erst  des  Verfassers  Enkel,  ein  Offizier,  den  die  Aufzeich- 
nungen des  Großvaters  begeisterten,  hat  sie  nun,  unter- 
stützt von  dem  Mitgliede  der  französischen  Akademie  Henry 
Houssaye,  der  das  Werk  einleitet,  der  Öffentlichkeit  über- 
geben. 


•  Mayer  Franz  Martin,  Steiermark  im  Franzosenzeitalter. 
Graz  1888. 

*  Ma  vie  militaire  1800—1810  par  J.  Chevillet,  trompette  au 
8«  regiment  de  chasseurs  k  cheval.  Publice  d'apräs  le  manuscrit  ori- 
ginal par  Georges  Chevillet,  petit-fils  de  l'auteur.  Paris,  Librairie 
Hachette  et  Cie.  1906. 


18i       *  Das  Tagebuch  eines  Trompeters  der  großen  Armee. 

Zunächst  einiges  über  Jacques  Cheviilet.  Er  war  „als 
Kind  der  Truppe"  1786  in  la  Före  in  der  Picardie  geboren 
worden.  Sein  Vater  stand  bei  der  Grenoble-Artillerie  und 
die  Mutter  folgte  ihm  mit  dem  Knaben  in  die  wechselnden 
Gamisonsorte.  Begreiflich,  daß  Erziehung  und  Unterricht 
vernachlässigt  wurden  und  der  Knabe  frühzeitig  den  Ent- 
schluß faßte,  Soldat  zu  werden.  Der  Vater  brachte  ihn  in 
die  Nationalschule  zu  Versailles  zur  militärischen  Aus- 
bildung. Hier  setzt  der  erste  Teil*  des  Tagebuches  ein.  Wir 
erfahren  von  der  Ausmusterung  des  fünfzehnjährigen  Che- 
viilet als  Trompeter  bei  der  leichten  Kavallerie. 

Als  solcher  macht  er  zunächst  die  Feldzüge  nach 
Holland  und  Deutschland  mit.  In  letzterem  wird  er  Zeuge 
der  Katastrophe  von  Ulm  (20.  Oktober  1805).  Hier  sieht 
er  seinen  Kaiser  —  es  ist  das  erstemal  in  seinem  Leben. 
Diesen  Erlebnissen  und  manchen  gelegentlichen  „Helden- 
taten", wie  der  frechen  Herauslockung  eines  gesunden 
Pferdes  im  Tausche  gegen  sein  verwundetes,  sind  zwei  lange 
fesselnde  Briefe  gewidmet.  Da  Cheviilet  dem  Korps  Mar- 
monts  angehörte,  führte  ihn  der  Weitermarsch  nach  Steyer 
und  über  Weyer,  Altenmarkt,  Mautem  und  Rottenmann  die 
Enns  entlang.  Von  diesem  Durchmarsche  erfahren  wir  nichts 
näheres;  er  begnügt  sich  mit  der  Aufzählung  der  Ort- 
schaften. Während  nun  Marmont,  das  Tal  der  Enns  ver- 
lassend, dem  Erzbache  folgt  und  nach  Leoben  gelangt,  wendet 
sich  Chevillets  Regiment  gegen  Salzburg  und  zieht  über 
Hallstadt,  Werfen  und  Kufstein  nach  Tirol,  über  Hopfgarten, 
Kitzbühel  und  Lienz  nach  Kärnten,  endlich  über  Sachsen- 
burg gegen  Obersteiermark. -^ 

Aus  einer  Kindberg,  6.  Dezember  1805  datierten  Auf- 
zeichnung erfahren  wir,  daß  die  Kompagnie,  der  Cheviilet 
angehörte,^   auf  dem  Zuge   gegen  Obersteier   ihr  Regiment 

4  Das  Tagebuch  ist  in  vier  Teile  geteilt.  Der  erste  (1800—1805) 
enthält  den  holländischen  und  deutschen  Feldzug;  der  zweite  (1805 
bis  März  1809)  die  Fortsetzung  des  deutschen  und  den  Rückzug  nach 
Italien.  Der  dritte  und  vierte  Teil  sind  den  Ereignissen  von  1809  ge- 
widmet. Die  wichtigsten  auf  Steiermark  bezüglichen  Stellen  sind : 
S.  89—94,  S.  104—112  und  S.  227—234. 

5  Cheviilet  gibt  mit  solcher  Richtigkeit  die  Namen  der  durch- 
zogenen Länder  an,  daß  man  sich  mit  Rücksicht  auf  seine  Schlichtheit 
darüber  um  so  mehr  wundem  muß,  wenn  man  in  den  Memoiren 
des  Generals  Grouchy  (II.  S.  204)  liest,  daß  er  von  Eisenerz  nach 
Tirol  hinabzog  und  Leoben  besetzte.  Cheviilet  unterscheidet  z.  B.  sogar 
Unter-  und  Obersteier. 

1  Cheviilet  gehörte  der  4.  Kompagnie  des  8.  Regimentes  der  Jäger 
zu  Pferde  an. 


Von  Dr.  Leo  Meli.  185 

verloren  hatte  und  daher  das  obere  Murtal  und  dessen 
Seitentäler  auf  der  Suche  nach  demselben  durcheilte.  Er 
charakterisiert  diese  Gegenden  als  „von  Gebirgen  umgebene 
Landschaften,  in  denen  wir  an  nichts  Mangel  litten,'*  und 
erzählt,  wie  sie  tiberall  bei  den  Bauern  große  Gelage  hielten 
und  sich,  so  gut  es  eben  ging,  zerstreuten.  In  Judenburg, 
„einer  kleinen  hübschen  Stadt**,  fanden  sie  endlich  ihr  Regi- 
ment nach  zehntägiger  Trennung  wieder.  Nach  kurzem  Auf- 
enthalte zogen  die  Truppen  gegen  Brück.  In  Leoben,  wo  der 
Quartiergeneral  des  Korps  wohnte,  wurde  Rast  gemacht.  Vor 
Brück  bemächtigte  sich  Chevillets  Kompagnie  eines  ansehn- 
lichen mit  Vorräten  gefüllten  Schlosses,  das  die  Besitzer  ver- 
lassen hatten  und  ließen  es  sich  gut  gehen.  „Wir  hatten  eine 
abwechslungsreiche  Menage,  bei  der  jeder  etwas  profitierte. 
Nichts  fehlte,  weder  Hammeln  noch  Geflügel,  weder  Eier 
noch  Früchte  oder  andere  Leckerbissen.  Aber  der  gute  un- 
garische Flaschenwein  war  das  Beste."  Seine  Freude  blieb 
jedoch  nicht  ungetrübt.  Chevillet  hatte  sich  nämlich  einen 
feisten  Truthahn  —  zwölf  Pfund  wog  er  —  bei  Seite  ge- 
schafft, um  am  nächsten  Tage  das  Schmausen  fortsetzen  zu 
können. 

Als  die  Nacht  gekommen  war  und  alles  schlief, 
schlich  er  sich  in  die  Schloßküche,  um  den  Truthahn  zu 
braten.  Von  Müdigkeit  und  dem  ungarischen  Weine  über- 
wältigt, schlief  er,  kaum  daß  der  Truthahn  zu  braten  anfing, 
ein  und  erwachte  erst  nach  einigen  Stunden.  Als  er  das  er- 
loschene Feuer  von  neuem  anfachte  —  wer  beschreibt  seine 
Entrüstung  —  fand  er  an  Stelle  seines  Truthahnes  einen 
alten  Besen. 

Von  Brück  wird  die  Straße  nach  Wien  weiter  verfolgt. 
Im  Mürztale  erhalten  sie  Kunde  von  der  Schlacht  bei 
Austerlitz,  worauf  sie  in  Kindberg  mehrere  Tage  rasten  und 
durch  Lustbarkeiten  aller  Art  den  Sieg  der  Brüder  feiern. 
Der  Weitermarsch  führte  die  Truppen  über  Veitsch  und  den 
Semmering  bis  Neunkirchen,  wo  sie  am  11.  Dezember  1805 
ankamen.  Hier  überrascht  sie  die  Nachricht  vom  Abschlüsse 
des  Friedens    und   sie  treten  den  Rückzug  nach  Italien  an. 

Über  das  Rückzugsjahr  1806  hat  Chevillet  Ausführ- 
licheres in  zwei  Graz,  12.  und  16.  Jänner,  datierten  Briefen 
aufgezeichnet.  „Der  Rückweg  führte  über  Kirchberg,  Kriegla 
und  Brück,  von  wo  wir,  den  Ufern  der  Muehr  folgend, 
weitermarschierten  und  nach  Forley,  Reittlstein,   Pegau  und 


186  Das  Tagebuch  eines  Trompeters  der  großen  Armee. 

endlich  nach  Gratz  kamen."*  Das  achte  Regiment  hatte  zu- 
nächst allein  Graz  zu  besetzen.  „Wir  wurden  bei  den  reich- 
sten Einwohnern  einquartiert  und  fühlten  uns  so  glücklich. 
als  man  es  nur  sein  kann,  wenn  man  alles  hat,  was  man 
sich  nur  wünscht.**  Diese  Herrlichkeit  dauerte  aber  nicht 
lange.  ;,Man  entdeckte  ein  Komplott  unter  den  Einwohnern, 
das  die  Vernichtung  unseres  Regimentes  durch  ein  Massakre 
bezweckte.'^  Wir  ergriffen  Sicherheitsmaßregeln  und  unsere 
Truppen  konzentrierten  sich,  d.  h.  je  10  bis  20  Mann  wurden 
zusammen  in  den  angesehensten  Häusern  der  Stadt  ein- 
quartiert." Bald  rückte  in  Graz  auch  ein  französisches  In- 
fanterieregiment ein,  dem  ein  Quartiergeneral  und  viele 
Militärwagen  folgten. 

Chevillet  ist  voll  des  Lobes  über  die  in  Graz  verlebten 
Tage:  „Man  kann  sich  keinen  lustigeren  und  abwechslungs- 
reicheren Aufenthalt  denken,  als  den  meinen  in  Gratz  während 
mehr  als  14  Tagen.  Da  gab  es  in  Gesellschaft  meiner  Freunde 
neue  Vergnügungen  ohne  Ende.  Geld  fehlte  uns  nie  und  wir 
stürtzten  uns,  die  Viertel  der  Stadt  durchwandernd,  aus  einem 
Abenteuer  in  das  andere."  Dieser  Lobeshymne  auf  Graz 
läßt  er  die  Erzählung  eines  Abenteuers  folgen.  Zur  Haupt- 
wache des  Regimentes,  die  drei  Meilen  von  Graz  stand, 
wurden  abwechselnd  je  100  Mann  kommandiert.  Auch  an 
Clievillet  kam  die  Reihe  und  er  stand  mit  seinen  Kameraden 
in  der  Gegend  von  Wildon.  Die  Nacht  war  so  kalt,  daß  sie 
es  kaum  aushalten  konnten.  Die  Soldaten  legten  sich  deshalb 
auf  Stroh  um  ein  Feuer,  während  er  und  einige  seiner 
Freunde  es  vorzogen,  auf  Patrouille  zu  gehen.  Als  sie  zurück- 
kehrten bemerkten  sie,  daß  sich  das  Stroh  bei  den  Füßen 
ihrer  Kameraden  entzünde.  Sie  weckten  die  Schlafenden  je- 
doch nicht,  sondern  verbargen  sich,  um  das  Weitere  abzu- 
warten. Und  so  wurden  die  Schlafenden  „besser  und  schneller 
aufgeweckt  wie  durch  eine  Trompete."  Sie  spürten  das  Feuer 
bei  ihren  Füßen,  sprangen  auf,  schrien,  rannten  zu  ihren 
scheu  werdenden  Pferden  und  wußten  nicht,  was  zu  tun  ist. 
Da  eilte  Chevillet  mit  seinen  Kumpanen  wie  zufällig  herzu 
und  half  das  Feuer  löschen.    Alles  löste  sich    in  eitel  Har- 


*  Chevülets  Schreibweise  der  deutschen  Orts-  und  Eigennamen 
ist  hier,  weil  leicht  verständlich,  beibehalten  und  dürfte  sich  in  manchen 
Fällen  wohl  durch  die  Aussprache  der  bäuerlichen  Bevölkerung,  mit 
der  er  doch  mehr  oder  minder  in  Berührung  kam,  erklären,  wie  z.  B. 
bei  Muerhr  oder  Muehr  für  Mur. 

2  Bei  Mayer  hierüber  nichts. 


Von  br.  Leo  Meli.  187 

inonie  und  man  lachte  schließlich  über  den  ausgestandenen 
Schrecken.  In  Wildon  frühstückten  sie  gemeinsam  mit  öster- 
reichischen Husaren  und  wetteiferten  mit  diesen  in  Bezeu- 
gungen der  Gastfreundschaft  und  im  Erzählen  von  Husaren- 
stückchen. 

Das  Ende  dieser  Zusammenkunft  war  ein  allgemeiner 
Rausch.  Der  Hauptmann,  der  es  schon  längere  Zeit  wegen 
verschiedener  Streiche  auf  Chevillet  abgesehen  hatte,  nahm 
dessen  Betrunkenheit  zum  Anlaß,  um  ihn,  sobald  sie  nach 
Graz  zurückgekommen  waren,  durch  den  Quartiermeister 
und  vier  Jäger  in  das  Stadtgefängnis  zu  entsenden.  Auf  der 
Murbrücke  brannte  er  den  letzteren  jedoch  durch,  verbarg 
sich  in  einem  Mauervorsprung  der  Befestigungen  und  suchte 
nach  einiger  Zeit  eine  Herberge  auf,  wo  er  seinen  Rausch 
ausschlief.  Am  nächsten  Morgen  ernüchtert,  begreift  er,  daß 
er  seine  Lage  verschlimmere,  je  länger  er  sich  verberge.  Er 
kehrt  daher  zur  Truppe  zurück,  entschuldigt  sich  bei  seinem 
Hauptmann  so  gut  es  geht  und  wandert  in  das  Gefängnis, 
in  dem  er  reichlich  Zeit  findet,  sein  Tagebuch  fortzusetzen. 
Schlecht  ist  es  ihm  auch  hier  nicht  ergangen:  „Ich  fand 
mich  in  guter  und  fröhlicher  Gesellschaft  von  ungefähr 
dreißig  Soldaten  der  Gratzer  Garnison,  unter  denen  sich 
sieben  Jäger  unseres  Regimentes  —  lauter  lose  Kerle  — 
befanden  .  .  .  Obwohl  die  Gefängnisse  zur  Besserung  der  zu 
bestrafenden  Soldaten  da  sind,  so  vergißt  man  doch  bald  die 
plötzliche  Freiheitsberaubung,  indem  man  sich  gemeinsam 
durch  soldatische  Spiele  und  Spässe  die  Zeit  verkürzt . . . 
Daher  unterhielt  ich  mich  ebensogut  im  Gefängnis  wie  in 
der  Stadt  und  gewann  den  Kerkermeister  durch  Trinkgelder 
zum  Freund." 

Das  Regiment  zog,  nachdem  es  fast  einen  Monat  in 
Graz  gelegen  war,  über  Kärnten  nach  Italien.  Damit  hatten 
wohl  die  letzten  Franzosen  Graz  verlassen.^ 

Steirischen  Boden  betritt  Chevillet  wieder  ISOO.'-'  Sein 
Regiment  übersetzte  aus  Kärnten  kommend  am  21.  Mai  bei 
Lavamünde  die  Drau  und  rastete  bei  Mahrenberg.  Am 
folgenden  Tage    zogen    die  Truppen   gegen   Marburg.    „Wir 

1  Mayer  sagt  S.  176,  daß  am  12.  Jänner  1806  die  letzten 
Feinde  Graz  verließen.  Diese  Angabe  stimmt  mit  der  Chevillets  nicht 
ttberein,  denn  dieser  schreibt  zu  Ende  seines  „Gratz  16.  Jänner  1806" 
datierten  Briefes:    „Unser  Regiment  dürfte  bald  von  Gratz  abziehen." 

*  Chevillet,  S.  227  ff.  Der  Brief  ist  Neustadt,  31. Mai  1809,  datiert. 


188  Das  Tagebuch  eines  Trompeters  der  großen  Armee. 

waren,  die  ersten  Franzosen,  die  in  diese  Gegend  kaioen. 
Als  wir  in  der  Nähe  von  Marburg  eine  feste  Stellung  be- 
zogen hatten,  sahen  wir  einige  Bewohner  auf  uns  zukommen, 
allem  Anscheine  nach  als  Deputation,  um  unseren  Oberst  zu 
bitten,  die  Stadt  mit  seinem  Regimen te  nicht  zu  besetzen. 
Ich  weiß  nicht,  welche  Bedingungen  verabredet  wurden,  aber 
einige  Stunden  darnach  sah  man  aus  Marburg  eine  Menge 
von  Bauersleuten  —  Männer,  Weiber  und  Kinder  —  wie  eine 
Prozession  auf  uns  zukommen,  jedes  auf  dem  Kopfe  einen 
Korb  und  in  den  Händen  andere  Körbe,  in  denen  sie  alle 
möglichen  Nahrungsmittel,  wie  Suppe,  Gemüse,  Fleisch,  Brot. 
Wein,  aber  auch  Tischgedecke  u.  s.  w.  hatten.  Jeder  Oflizier, 
Unteroffizier  und  Jäger  bemächtigte  sich  der  Speisen  und 
Getränke  eines  oder  mehrerer  Bauern,  je  nachdem  der  Vor- 
rat reichte.  Es  gab  mehr  als  notwendig  zu  essen.  Auf  dem 
Böden  wurde  gedeckt  und  gute  Ordnung  bei  der  Verteilung 
eingehalten.  Bald  bot  sich  ein  buntes  Bild:  Soldaten  und 
Bauern  vermengt.  Es  war  ein  großes  Festessen  und  wir  be- 
fanden uns  im  Schöße  des  Überflusses  und  der  Völlerei.  — 
Die  Nacht  verbrachten  wir  in  einem  Winzerdorf  der  Um- 
gebung. Am  nächsten  Tag,  dem  23.  Mai,  durchzog  unser 
Regiment  diese  schöne  kleine  Stadt  von  Untersteier,  die  uns 
am  Abend  vorher  so  gut  bewirtet  hatte.  Wir  vergalten  es 
ihr  mit  unserer  kriegerischen  Musik.** 

Es  folgen  nun  bloße  Marschberichte.  23.  Mai:  Zug 
durch  die  Ebene  von  Pettau.  In  der  Ferne  erblicken  die 
Soldaten  „die  berühmte  Stadt  Warasdin  in  Slavonien". 
Stellungnahme  am  rechten  Ufer  der  Mur.  24.  Mai:  Marsch 
bis  Luttenberg,  „einer  kleinen  Stadt  an  der  Muehr,  am  Fu6e 
eines  schönen  und  hohen  Hügels,  von  dem  aus  wir  feind- 
liche Reiterhaufen  und  einen  Infanterievorposten  sahen, 
der  die  Holzbrücke  oberhalb  Luttenberg  zerstörte".  Über- 
schreiten der  Mur  „bei  einer  Burg  namens  Mureck".  25.  Mai: 
Durchmarsch  durch  Weinburg  und  andere  Dörfer.  Hier  äußert 
sich  Chevillet:  „Es  fehlte  uns  nichts.  Wir  sind  in  den 
besten  Ländern  Österreichs.  Niemals  waren  unsere  Pferde 
kräftiger."  Am  gleichen  Tage  brachten  die  Späher  drei 
bayerische,  den  Österreichern  entlaufene  Soldaten  vor  den 
Oberst.  „Sie  kamen  von  Gratz  und  brachten  uns  die  Nach- 
richt, daß  die  Österreicher  in  dieser  Stadt  außergewöhnliche 
Belustigungen  zur  Feier  eines  großen  Sieges  abhielten,  den  die 
österreichische  Armee  über  die  große,  an  der  Donau  von 
Napoleon  geführte  Armee  davongetragen  hatte.  Diese  Neuig- 


Von  Dr.  Leo  Meli.  189 

keit  wird,  wenn  sie  wahr  ist,^  ohne  Zweifel  den  Feind 
unternehmungslustiger  machen,  aber  sie  darf  nicht  unsere 
italienische  Armee  in  ihren  Operationen  behindern  ..." 
In  der  Nacht  vom  25.  auf  den  26.  Mai  führte  Chevillet 
wieder  ein  Husarenstückchen  auf,  das  hier  kurz  erzählt  sei, 
weil  es  durch  das  von  Chevillet  auf  den  Feldzügen  gelernte 
Deutsch  und  dessen  französische  Schreibweise  nicht  ohne 
Komik  ist.  Mit  zwei  Jägern  auf  Patrouille,  bemerkt  er  einige 
hundert  Schritte  vor  sich  einen  feindlichen  Vorposten.  Er 
nähert  sich  dem  Reiter  auf  vierzig  Schritte  und  ruft  ihm 
Wer  da?  zu.  „Der  Vorposten  antwortete  sofort:  ,Kaiser 
Joseph  Huzards  regmintt!'  ,Verdaw'  fragte  er  mich  zurück. 
,Vachgt  maeister  Ferdinand  huzard  Regmintt  patruill  quehn, 
blepto!'  war  meine  Antwort.  Es  war  dunkel  genug,  daß 
man  unsere  Uniformen  nicht  unterscheiden  konnte.  Ich 
fragte  ihn  daher  noch :  ,Sag  mir,  in  welchem  Winkel  ist  det 
Posten  von  unseren  Husaren?  Ich  habe  Befehl,  es  eurem 
Kommandanten  mitzuteilen.  Es  scheint,  daß  morgen  früh 
euer  Regiment  und  das  unsrige  die  Jäger  des  Napoleon  an- 
greifen und  ordentlich  jagen  werden.  Morgen  werden  sie  den 
Unglückstanz  tanzen,  diese  berüchtigten  Hunde.'  —  ,Ah,  das 
ist  gescheit',  erwiderte*  er  mir  gutmütig,  ,sie  sind  hier  in  der 
Nähe,  diese  famosen  Diebe.  Morgen  werden  wir  sie  also 
sehn?'  So  fiel  der  Vorposten  in  meine  Falle."  Nachdem  der 
arme  Husar  den  Franzosen  den  Weg  zur  Hauptwache  be- 
zeichnet hatte,  fielen  diese  über  ihn  her,  nahmen  ihm  seine 
Ausrüstung  und  drohten  ihm  mit  dem  Tode.  In  seinem 
Schrecken  schrie  er  nur:  ,,Ahg,  fransouss  pardun!  macht  ci 
mir  nitt  veh!"  Sie  nahmen  ihn  als  Gefangenen  mit  sich. 
Das  Nachspiel  dieser  wenig  heldenhaften  Geschichte  aber  ist 
traurig:  Der  Husar  wird  bei  einem  Fluchtversuche  ertappt 
und  niedergesäbelt. 

Kehren  wir  nun  wieder  zu  den  kriegerischen  Ereignissen 
zurück.  Am  26.  Mai  bemächtigten  sich  die  Franzosen  „der 
schönen  Besitzung  Ekheinberg.  Das  Schloß,  das  zwei  Meilen 
von  Gratz  entfernt  liegt,  gehört  einem  Prinzen  des  kaiser- 
lichen Hauses  von  Österreich  und  jetzt  unserm  Regiment. 
Wir  fanden  dieses  prachtvolle  Schloß  mit  seinen  großen 
Nebengebäuden  mit  allen  Arten  von  Vorräten  ausgestattet. 
Magazine  mit  Mehl  und  Futter,  Keller  mit  Wein,  die  Höfe 


1  Später  merkt  Chevillet  an,  daß  „tatsächlich  eine  blutige  Schlacht 
am  21.  und   28.  Mai  (statt  22.  Mai)  bei  Eßlingen«  stattgefunden  habe. 


190  Das  Tagebuch  eines  Trompeters  der  großen  Armee. 

voll  mit  Ochsen,  Kühen,  Schafen,  Schweinen,  Geflügel  u.  s.  w. 
Diese  Gegend  ist  auch  reich  an  Wild.  Unsere  Offiziere  nehmen 
die  Gemächer  des  Schlosses  ein  und  sind  wie  Herren  bedient. 
Das  ganze  Regiment  hat  sich  in  den  Baumalleen  des  Parkes, 
die  das  Schloß  umgeben,  ausgebreitet,  wo  auch  unser  Lager 
aufgestellt  und  in  Kompagnien  geteilt  ist.  Das  war  ein  herr- 
liches Lager:  wir  konnten  uns  alles  verschaflFen,  was  wir 
brauchten,  und  hielten  einen  Schmaus  von  morgen  bis  abends. 
Da  konnte  man  sich  eine  Vorstellung  von  Verbrauch  und 
Verschwendung  machen,  die  ein  Kavallerieregiment  von  800 
Mann  in  einem  solchen  Schlosse  innerhalb  zweier  Tage 
verursachte." 

Von  Eggenberg  ritten  sie  gegen  Graz,  aber  blieben 
„außerhalb  der  Kanonenschußweite.  Wir  hatten  keinen  Be- 
fehl einzurücken,  denn  das  Fort  Muehr,  das  die  Stadt  be- 
herrscht, war  bereit,  uns  mit  Schüssen  zu  empfangen. "  ^  — 
Am  28.  Mai  kamen  sie,  die  Mur  durch  Wälder  und  Gebirge 
verfolgend,  „in  Forleyden  an  und  fanden  diese  unglückliche 
kleine  Stadt  vollständig  niedergebrannt.  Die  Trümmer  rauchten 
noch.  Es  war  das  die  Folge  einer  blutigen  Schlacht,  welche 
eine  unserer  Divisionen,  die  von  Leoben  kam,  am  Abend 
vorher  mit  dem  vorbeimarschierenden  Feinde  hatte."  Die 
folgenden  Tage  ziehen  die  Truppen  über  Brück,  durchs  Mürz- 
tal  und  über  den  „herrlichen  Berg  Sommering  oder  Berg 
Calemberg"  nach  Neustadt,  von  da  nach  Ungarn  und  später 
nach  Wien. 

Sein  mihtärisches  Tagebuch  bricht  mit  Ende  1809  ab, 
denn  bei  Wagram  hatte  er  einen  Arm  eingebüßt.  Eine  Notiz 
aus  dem  Jahre  1810  und  ein  Nachwort  Chevillets  von  1811 
schUeßen  das  vorliegende  Werk  ab.  Seinen  Aufzeichnungen 
gab  er  die  Überschrift:    „Zehn  Jahre  Dienst  in  der  Schule 


*  AnmerkuDgsweise  fügt  Chevillet  hinzu:  „Gleichwohl  wurde  Gratz 
von  den  Franzosen  besetzt.  Dies  geschah  durch  die  Unerschrockenheit 
der  Division  des  General  Broussier,  der  an  diesem  Tage  hier  seine 
Stellung  einnahm,  so  daß  in  den  folgenden  Tagen  nach  mehreren 
blutigen  Schlachten  im  Innern  der  Stadt  und  der  Befestigungen  unsere 
Truppen  ihrer  Herr  wurden,  nachdem  sie  die  Österreicher  verjagt  und 
die  Feste  belagert  hatten.  —  Hier  trug  sich  die  schönste  Waffentat 
zu,  die  man  sehen  konnte.  Unser  84.  Regiment  bedeckte  sich  am 
St.  Jakob -Platze  (Jakominiplatz  ?)  mit  Ruhm;  dort  fanden  sie  sich 
eingeschlossen  und  hielten  fechtend  einer  feindlichen  Infanteriedivision 
von  10.000  Mann  stand.  Prinz  Eugen  ließ  sogleich,  um  den  Ruhm  des 
Regimentes  zu  kennzeichnen,  auf  die  Fahne  schreiben:  „Zehn  gegen 
Einen."  Das  ist  eine  WafPentat  der  italienischen  Armee."  Vgl.  hiezu 
Mayer,  S.  206  ff. 


Von  Dr.  Leo  Meli.  191 

der  Erfahrungen  oder  mein  militärisches  Leben.  Zusammen- 
gestellt von  Chevillet  dem  Jüngeren  nach  seiner  Rückkunft  von 
der  Armee.  Zu  Pontoise  im  Jahre  1811.  Alles  mit  der  linken 
Hand  geschrieben."  Ein  Faksimile  dieses  Titels  sowie  einer 
Tagebuchseite  sind  der  solid  ausgestatteten  Ausgabe  bei- 
gegeben. 

Chevillet  hat  seine  Memoiren  jedoch  fortgesetzt  bis  an 
sein  Lebensende.  Dieser  zweite  Teil  seiner  Erinnerungen 
wurde  nicht  veröffentlicht,  da  er  an  allgemeinem  Interesse 
dem  ersten  zu  weit  nachsteht.  Er  würde  jedoch  sicherlich 
die  Physiognomie  des  Autors  vervollständigen. 

Chevillet  starb  am  2.  Februar  1837.  Er  selbst  hatte 
seine  Grabschrift  abgefaßt: 

En  place!  Repos! 

Veteran  de  l'ancienne  armee 

J'ai  assez  vecu  pour  ma  patrie  que  j'ai  bien  servie 

Mais  pas  assez  pour  elever  mes  enfants 

La  providence  fera  le  reste. 

Chevillet. 

Den  im  vorstehenden  teils  wiedererzählten,  teils  in  Über- 
setzung wiedergegebenen,  auf  Steiermark  bezüglichen  Be- 
richten Chevillets  ist  nicht  viel  beizufügen.  Dadurch,  daß  er 
auf  steirischem  Boden  nie  gekämpft  hat,  sondern  ihn  nur 
auf  Durchzügen  betreten  hat,  ergibt  sich  von  selbst,  daß 
seine  Memoiren  über  manches  andere  Kronland  ebensoviel 
oder  sogar  mehr  enthalten  als  über  Steiermark.  Kämpfte  er 
doch  nicht  bloß  bei  Ulm,  sondern  auch  bei  Raab  und 
Wagram.  Es  wird  daher  noch  viel  aus  seinen  Erinnerungen 
.  zu  schöpfen  sein  und  es  wäre  auf  das  wärmste  zu  begrüßen, 
wenn  uns  eine  deutsche  Übersetzung  derselben  beschieden 
würde. 

Den  unbestreitbaren  Wert  der  Tagebücher  habe  ich 
eingangs  schon  hervorgehoben.  Sie  tragen,  wenn  man  von 
kleinen,  zugunsten  des  eigenen  Heldenmutes  begangenen 
Übertreibungen  absieht,  den  Stempel  der  Wahrheit  und  liefern 
daher  für  die  Landes-  und  Ortsgeschichte  sowohl  durch  ihre 
Berichte  über  die  lokalen  kriegerischen  Ereignisse  als  auch 
durch  die  Schilderung  der  durchquerten  Länder  und  ihrer 
Bewohner  vom  Standpunkte  eines  Durchschnittsmenschen, 
der  Augen  und  Herz  am  rechten  Flecke  hat,  nicht  zu  ver- 
achtendes Material. 


Magistrat  und  FleischerinDung  za  Yoitsberg  am  Ende 
des  18.  JabThanderts. 

Eine  volkswirtschaftliche  Studie  von  Friedrieh  Böser. 


ES  ist  nicht  uninteressant,  in  alten  Akten  zu  blättern  und 
dabei  manchmal  auf  Vorfälle  zu  stoßen,  welche,  wenn 
sie  auch  unter  geänderten  Zeitlagen  und  Wjrtschaftsverhält- 
nissen  in  anderen  Formen  auftreten,  doch  im  Wesen  der 
Sache  übereinstimmen. 

Ein  solches  Bild  bieten  uns  die  Amtsschriften  des 
Magistrates  der  Stadt  Voitsberg  am  Ausgange  des  18.  Jahr- 
hunderts auf  dem  Gebiete  der  Versorgung  mit  Fleisch  für 
die  dortige  Bevölkerung.  Wenn  dasselbe  auch  in  einem  recht 
engen  Bahmen  die  Verhältnisse  eines  dem  Hauptverkehre 
entfernter  gelegenen  Ortes  zeigt,  so  dürfte  es  doch  einiger 
Beachtung  wert  sein,  da  uns  auf  gewerblichem  Gebiete  Er- 
scheinungen entgegentreten,  welche  zum  guten  Teile  in  ihrer 
Art  und  namentlich  in  ihrer  volkswirtschaftlichen  Bedeutung 
für  die  Allgemeinheit  bis  heute  nichts  eingebüßt  haben. 

Der  Magistrat  mußte  zu  allen  Zeiten  aufmerksam  dar- 
über wachen,  daß  die  Bäcker  und  Fleischer  bei  dem  Ver- 
kaufe von  Brot  und  Fleisch  sich  an  die  oberbehördlich  fest- 
gesetzten Preise  hielten,  und  geriet  dadurch  mit  diesen 
Gewerbeklassen  nicht  selten  in  Widerwärtigkeiten,  äowie 
manchmal  in  Unannehmlichkeiten  mit  der  vorgesetzten  Be- 
hörde. Namentlich  die  vier  Fleischermeister  der  Stadt  fügten 
sich  seit  geraumer  Zeit  immer  schwerer  in  „den  Satz",  der 
ihnen  vom  Kreisamte  auf  Grund  der  vom  Magistrate  Voits- 
bergs  dorthin  vierteljährig  ausgewiesenen  Viehpreise  be- 
stimmt ward.  Ihre  Gegenvorstellungen  bei  dem  Stadtrate 
und  Gesuche  um  Erhöhung  des  Satzes  mehrten  sich  stetig 
und   gingen  wegen  ihrer  häufigen  Erfolglosigkeit   allmählich 


Magistrat  und  Fleischerinnung  zu  Voitsberg.  193 

in  Drohungen  und  Widersetzlichkeit  über.  Zwar  versuchte 
der  Magistrat,  wo  nur  möglich,  den  Ansprüchen  dieses  Ge- 
werbes bei  der  Staatsbehörde  Berücksichtigung  zu  verschaffen, 
ohne  dabei  jedoch  die  Interessen  der  Bevölkerung  außer  acht 
zu  lassen;  allen  unbegründeten  Forderungen  versagte  er 
aber  offen  und  ohne  Verzug  seine  Zustimmung  und  ging 
gegen  Drohungen  und  deren  Ausführung  mit  rascher  Ent- 
schlossenheit und  Tatkraft  vor. 

So  brachten  die  Fleischer  wieder  einmal  im  Jahre  1784 
ihr  Gesuch  um  Erhöhung  des  Rindfleischpreises  von  4  kr, 
auf  4  kr.  1  Pfennig  für  das  Pfund  vor  die  Ratssitzung,  weil 
sie  sonst  bei  den  hohen  Viehpreisen  zugrunde  gehen  müßten. 
Im  Falle  der  Verweigerung  könnten  sie  nur  mehr  14  Tage  lang 
schlachten.  Der  Rat  gesellte  in  der  Vorlage  vom  7.  August  an 
das  Kreisamt  zu  Graz  diesem  Ansuchen  auch  das  seine  um 
Gewährung,  erhielt  aber  alsbald  einen  am  12.  d.  M.  ergan- 
genen abschlägigen  Bescheid  mit  der  Weisung,  daß  die 
Fleischer,  wenn  sie  den  Betrieb  einstellen,  dieses  beim  Ma-» 
gistrate  zu  Protokoll  geben  sollen  und  letzterer  dann  den- 
selben die  Gerechtsame  abzunehmen  und  „neuen"  Fleischern 
zu  übertragen  habe,  welche  dieselben  gewiß  nicht  wieder 
abtreten  würden.  Auf  dieses  hin  erklärten  Martin  Prechtl, 
Johann  Zandt,  Johann  Reichl  und  Johann  Pahr,  daß  sie  ihre 
Gerechtsame  wegen  damit  verbundener  Entwertung  ihrer 
Häuser  nicht  „auslassen"  können  und  um  die  4  kr.  weiter 
ausschroten.  Es  war  für  sie  eben  von  Belang  zu  jener  Zeit, 
wo  der  Magistrat  den  Wert  einer  Fleischergerechtsame  auf 
400  fl.  schätzte,  wie  aus  einem  von  ihm  im  Jahre  1788 
zusammengestellten  und  an  das  Kreisamt  gesendeten 
Schätzungsverzeichnis  der  bürgerlichen  Gewerberechte  er- 
hellt, und  wo  die  Realitäten  der  Bürger  ohne  dieselben 
im  Preise  tief  standen.  So  wurde  die  Braurealität  samt  Ge- 
rechtsame 1779  um  4450  fl.  gekauft  und  jetzt  ohne  dieselbe 
auf  2450  fl.  bewertet;  der  Besitz,  welchen  der  Gürtler  im 
nämlichen  Jahre  um  724  fl.  erworben  hatte,  ward  ohne  Ge- 
werberecht auf  424  fl.  geschätzt ;  der  Binder  und  Kürschner 
hatten  ihre  Behausungen  seit  1780  um  je  900  fl.  zu  eigen; 
die  des  ersteren  wurde  an  sich  allein  kaum  500  fl.,.  die  des 
zweiten  400  fl.  wert  gehalten  und  „das  Jus"  des  Lebzelters, 
der  seine  Realität  1785  um  3465  fl.  an  sich  gebracht  hatte, 
galt  dem  des  Brauers  gleich. 

Die  Entschiedenheit  des  Kreisamtes  hatte  wohl  ge- 
wirkt,  denn  die  Akten  bekunden  nichts  von  einem  weiteren 

13 


194         Magistrat  und  Fleischerinnung  zu  Voitsberg  am  £nde 

Begehren  der  Fleischer  und  melden  erst  zu  1786,  daß  diese 
am  26.  Mai  den  Magistrat  um  Erhöhung  des  Rindfleisch- 
preises von  4  auf  5  kr.  für  das  Pfund  baten,  welche  min- 
destens bis  Weihnachten  dauern  sollte.  Die  Begründung 
dieses  Gesuches  war  diesmal  recht  ausführlich  und  gewährt 
dadurch  einen  Einblick  in  die  Geschäftsverhältnisse  dieses 
Gewerbes.  Wegen  Futtermangels  sei  gutes  Schlachtvieh,  zu 
dessen  Ausschrotung  sie  doch  verbunden  seien,  seltener  ge- 
worden und  stehe  zum  Satze  von  4  kr.  in  einem  ganz  un- 
verhältnismäßig hohen  Preise.  Durch  die  großen  Einkäufe 
der  Viehhändler  vlg.  Timmel  in  Wolfsberg  (Kärnten)  und 
Stübler  bei  Weißkirchen  werden  die  Preise  auch  in  die  Höhe 
getrieben,  nicht  minder  durch  die  Konkurrenz  der  Fleischer 
in  Klagenfurt  und  Graz,  welche  bei  ihrem  Satze  von  5  kr. 
leichter  kaufen.  Auch  für  ihre  Gewerbegenossen  in  Lanko- 
witz,  Köflach  und  Ligist  seien  diese  Preise  noch  erträglicher, 
weil  ihnen  ihre  Herrschaften  einen  ganz  leidlichen  Fleisch- 
aufschlag (Schlachtsteuer)  auferlegt  hätten.  Sie  dagegen 
müssen  im  hiesigen  kleinen  Orte  —  Stadt  und  Vorstadt 
zählten  damals  in  122  Häusern  770  Bewohner  —  nach  Ab- 
zug des  Beitrages  von  52  fl.  seitens  der  Bürgerschaft  jähr- 
lich noch  380  fl.  Aufschlag  zahlen,  ungeachtet  dessen,  daß 
die  Ausschrotung  wechselweise  auf  einen  nur  in  jeder  zweiten 
Woche  falle,  somit  jeder  sein  Gewerbe  im  Jahre  nur  sechs 
Monate  hindurch  betreibe.  Überdies  sei  der  Preis  der  Häute 
von  772  ^-  ^^f  6  kr.  fllr  das  Pfund  gefallen.  Im  einzelnen 
mochte  diese  Darstellung  manchmal  lebhaft  gefärbt  sein,  im 
allgemeinen  jedoch  wohnte  ihr  bei  der,  wenn  auch  nur  vor- 
übergehend ungünstigen  Geschäftslage,  ein  gewisses  Maß  von 
Berechtigung  inne.  Der  Magistrat  berichtete  am  6.  März 
1788  an  das  Kreisamt,  daß  schon  seit  vielen  Jahren  her 
das  zur  Zucht  bestimmte  und  junge,  ungemästete  Hornvieh  im 
Handel  in  großen  Mengen  nach  Kärnten  und  über  Obersteier 
nach  Österreich  gehe.  Jetzt  sei  der  „Austrieb"  zwar  verboten, 
aber  früher  habe  der  Händler  Stübler  in  den  benachbarten 
Pfarren  und  auch  ganz  nahe  bei  Voitsberg  über  hundert  der 
schönsten  Mastochsen  aufgekauft  und  so  zur  Teuerung  bei- 
getragen. Drei  Bürger  hätten  bezeugt,  daß  während  des  noch 
erlaubten  Viehaustriebes  nach  Wälschland  in  der  Umgebung 
von  Voitsberg  bei  einem  Paar  Ochsen  von  je  10  Zentner 
Gewicht  der  Zentner  durchschnittlich  12  fl.  kostete  mit  In- 
begriff des  Unschlitts,  von  dem  das  Pfund  auf  7%  kr.  ge- 
kommen   sei. 


des  18.  Jahrhunderts.  Von  Friedrich  Böser.  195 

Den    Fleischern    war    also    durch    Verbot    der   Vieh- 
ausfuhr Erleichterung  geschaffen  worden,  aber  der  Satz  von 
4  kr.    bestand   noch   aufrecht.   Die  Steigerung   wurde   den- 
noch erreicht  und  ging  bis  in  das  Jahr  1791  auf  5  kr.  Als 
die    Fleischer    aber    am    7.   Mai    d.   J.   wieder    um    einen 
Satz  von  h^li  kr.  ersuchten  und  vom  Kreisamte  abgewiesen 
wurden,  gingen  Johann  Reichl  und  Johann  Fahr,  an  welche 
die  Schlachtwoche  gekommen  war,  in  Widersetzlichkeit  über. 
Sie  sperrten  ihre  Bänke   und  übergaben   die  Schlüssel  dazu 
den  Abgeordneten  des  Magistrates,  die  zur  Überwachung  der 
Ausschrotung    erschienen   waren.    Da    beschloß    die    Stadt- 
behörde  ungesäumt,    zu   den   zwei  Fleischbänken  je    einen 
„Werkskundigen",  „Berechner"  und  „Einnehmer"  zu  stellen, 
um    den    Fleischverkauf   von    Amts    wegen    durchzuführen. 
„Wenn   die  Fleischhacker  um   5  kr.   ausschroten,    sind   sie 
dabei    zu    überwachen,     wenn    nicht,     sollen    sie    verhaftet 
werden."   Die  Widerspenstigen  ließen  es  darauf  ankommen; 
als  sie  aber  merkten,    daß  der  Verkauf  ohne  ihr  Zutun  be- 
c^nne,  baten  sie  um  Enthaftung  und  fügten  sich  in  die  Taxe. 
Mit  der  am  5.  August  1791  erfolgten  Bestimmung  von  h^l^i  kr. 
für  Rind-  und  Biilbfleisch,  von  ö  kr.  für  Schweinefleisch  und 
5  kr.   für  Schöpsernes   pro   Pfund   nicht   zufrieden,   kamen 
Martin  Prechtl,   Johann  Zandt,   Johann  Fahr  und  Katharina 
Reichl,  Fleischermeisterin  an  Stelle  ihres  verstorbenen  Gatten, 
am  2.  März  1792  mit  der  Bitte  um  den  Satz  von  6  kr.  für 
das  Rindfleisch,  wobei  sie  sich  gewohnheitsmäßig  darauf  be- 
riefen, daß  das  Vieh  so  teuer  sei  wegen  des  Einkaufes  seitens 
der  Grazer  Fleischer  in  der  Gegend  Voitsbergs,  mit  welchen 
sie  wegen  ihres  um  1  kr.  höheren  Satzes  nicht  konkurrieren 
könnten,  und  dann  auch  wegen  der  zu  hohen  Schlachtsteuer; 
sonst  müßten   sie  gänzlich  zugrunde  gehen.    Dazu  gab   der 
Magistrat  am  24.  d.  M.  den  Bericht,  wie  1788,    daß  es  im 
Bezirke   Voitsberg    gar    kein    Schlachtvieh    gebe     und    die 
Fleischer  dieses  deshalb  in  anderen  Bezirken  kaufen  müssen. 
Aus  diesen  aber  werde  ausgeführt,  wie  erst  am  9.  März  aus 
den  umliegenden  Gebirgen  in  den  Pfarren  Edelschrott  und 
Pack  35  Stück  von  der  Wiener  Einkaufsgesellschaft  gekauft 
worden  seien;  auch  von  Eibiswald  seien  deren  13  nach  Wien 
befördert  worden.  Das  Kreisamt  bewilligte  die  Erhöhung  auf 
6  kr.  und  ließ  sie  bis  September  in  Kraft,  vom  6.  an  traten 
wieder    5V2   kr.   ein.    Am  21.  August  1794   bestätigte  der 
Magistrat  an  das  Kreisamt  und  Gubemium  nach  Ratschluß 
vom  15.  Juli  die  volle  Begründetheit  der  Bitte  der  Fleischer 

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196  Magistrat  und  Flelscherinnung  zu  Yoitsberg  am  Ende 

entweder  um  die  Erhöhung  des  Satzes  für  Rindfleisch  auf 
5  kr.  oder  um  Nachlaß  bei  dem  zu  hohen  Aufschlage,  aber 
nicht  das,  daß  die  Bürgerschaft  selbst  erklärt  habe,  fortan 
5  kr.  zu  bezahlen,  was  sie  indes  nur  bis  zur  Entscheidung 
des  Kreisamtes  zugestanden  habe.  Wenn  dieselbe  statt  des 
Beitrages  von  52  fl.  dauernd  für  das  Pfund  y^  kr.  höher 
zahlen  müsse,  sei  sie  zu  stark  benachteiligt.  Die  Fleischer 
haben  nur  ein  mittelmäßiges  Vermögen  und  einen  sehr  ein- 
geschränkten Geschäftsbetrieb.  Einer  habe  in  einer  Woche 
das  „Hauptschlachten",  wo  er  höchstens  3  Stücke  schlachte, 
und  einer  das  „Nachschlachten''  in  der  halben  Woche,  wo 
er  nur  1  Stück  verbrauchen  dürfe,  so  daß  nur  jede  vierte 
Woche  ganz  auf  ihn  komme  und  in  jeder  zwei  von  ihnen 
das  Gewerbe  gar  nicht  betreiben  können.  Man  beschwere 
sich  auch  darüber,  daß  die  Landfleischer  zu  Stainz,  Moos- 
kirchen, Ligist,  Köf lach  und  Lankowitz,  die  teils  mehr,  teils 
ebensoviel  ausschroten,  einen  bei  weitem  geringeren  Auf- 
schlag haben  und  leicht  um  1  kr.  billiger  verkaufen  können. 
Der  Magistrat  erlaubt  sich  daher  den  Vorschlag,  daß  den 
hiesigen  Fleischern  der  Aufschlag  um  130  fl.  herabgesetzt 
und  den  andern  aufgeteilt  werde,  und  zwar  den  Stainzern. 
die  nur  200  fl.  entrichten:  50  fl.,  dem  in  Mooskirchen  zu 
den  90  fl. :  10  fl.,  dem  zu  Ligist  zu  60  fl. :  30  fl.,  den  zwei 
Köflachern  bei  nur  80  fl. :  20  fl.  und  dem  in  Lankowitz  zu 
80  fl. :  20  fl.  Der  Magistrat  bat  das  Gubemium  um  Gewäh- 
rung, erhielt  sie  aber  nicht.  Ein  im  Oktober  d.  J.  erneuertes 
Begehren  der  Fleischer,  unter  dem  Vorwande,  daß  sie  um 
1  kr.  billiger  ausschroten  müssen  als  die  Grazer  Geschäfts- 
genossen, und  der  Aufschlag  zu  hoch  sei,  es  möge  ihnen  daher 
ein  halber  Kreuzer  im  Unterschiede  erlassen  werden,  wurde,  da 
es  ja  Verteuerung  bedeutete,  vom  Kreisamte  in  strenger 
Weise  abgeschlagen  unter  der  Androhung  einer  Strafe  von 
24  Reichstalem  im  Falle  des  Ungehorsams.  Es  sei  nicht 
richtig,  daß  sie  einen  jähriichen  Fleischaufschlag  von  432  fl. 
zahlen,  sondern  nur  von  380  fl.,  weil  die  Bürger  52  fl.  bei- 
tragen; auch  haben  sie  bei  weitem  nicht  solche  Einkaufs- 
und Betriebskosten  zu  tragen  wie  die  Grazer,  wohl  aber  be- 
ziehen sie  Nebenvorteile  und  Einkünfte,  deren  jene  entbehren. 
Auch  wurde  darauf  hingewiesen,  daß  eine  Gubernialverord- 
nung  den  Satz  in  der  Landeshauptstadt  eben  deswegen  um 
1  kr.  höher  bestimmt  habe  als  auf  dem  Lande,  woran  vom 
Kreisamte  nichts  geändert  werden  könne.  Diese  Abstufung 
wurde  im  August  des  nächsten  Jahres  vom  Gubernium  noch 


des  18.  Jahrhunderts.  Von  Friedrich  Böser.  197 

auf  1  Va  kr.  festgestellt.  Die  Schlachtsteuer  betrug  allerdings 
jährlich  432  fl..  aber  die  Bürgerschaft  hatte  sich  in  einer 
mit  den  Fleischern  durch  den  Magistrat  1784  getroffenen 
Vereinbarung  zu  einem  Jahresbeiträge  von  52  fl.  verbindlich 
gemacht,  wogegen  sie  in  ihren  Häusern  für  sich  selbst 
Schweine,  Kälber  und  Schafe  abgabenfrei  schlachten  durfte. 
Betraf  es  aber  ein  Rind,  so  mußten  den  Fleischern  jedesmal 
für  einen  Ochsen  3  fl.  und  für  eine  Kuh  2  fl.  vergütet  werden. 
Der  Rindfleischpreis  war  auf  4  V2  kr.  pro  Pfund  gesunken, 
als  Mart.  Prechtl,  Joh.  Fahr,  Georg  Eckhart  und  Franz  Reichl 
am  3.  März  1796  hei  dem  Magistrate  um  Satzerhöhung  auf 
5  kr.  ansuchten  mit  der  Begründung,  das  Vieh  sei  im  Preise 
gestiegen,  die  Professionisten  hätten  für  ihre  Erzeugnisse  die 
Preise  auch  erhöht,  können  somit  das  Pfund  Fleisch  leicht 
um  ^1  kr.  teurer  bezahlen  und  schließlich,  sie  verlieren  unter 
den  gegenwärtigen  Viehpreisen  und  dem  niedern  Satze  bei 
jedem  Ochsen  20  fl.  Der  Fleischaufschlag  sei  drückend  auch 
bei  einem  Betrage  von  380  fl.  und  im  ganzen  Lande  nirgends 
so  hoch  wie  in  Voitsberg.  Unter  solchen  Umständen  und  den 
während  des  gegenwärtigen  Krieges  so  häufigen  und  hohen 
Abgaben  müssen  sie  zugrunde  gehen,  was  weder  die  Bürger- 
schaft, noch  der  Magistrat  und  ebensowenig  die  höheren  Be- 
hörden verlangen  werden.  Da  sie  beim  Aufschlage  städtisch 
behandelt  werden,  so  erwarten  sie  auch,  bei  ihrer  Bitte  als 
städtische  Fleischermeister  angesehen  zu  werden.  Das  Stadt- 
amt sandte  diese  von  Hohn  nicht  freie  Eingabe  an  das  Kreis- 
amt mit  der  Einbegleitung,  daß  die  vorgegebene  Preissteige- 
rung nicht  bestehe,  daß  diesbezüglich  nur  unter  den  Bauern 
ein  „kleiner  Auflauf"  ausgebrochen  sei  und  das  Fleisch  in 
Köflach,  Lankowitz,  Ligist  und  Mooskirchen  auch  4  V2  kr.  koste. 
Das  Kreisamt  verbot  am  28.  März  die  Erhöhung  und 
wies  den  Magistrat  an,  bei  allfälliger  Widersetzlichkeit  so- 
gleich die  Anzeige  zu  erstatten.  Der  Erlaß,  den  Fleischern 
am  31.  d.  M.  kund  gegeben,  war  aber  zu  spät  gekommen. 
Diese  waren,  ohne  die  kreisämtliche  Entscheidung  abzu- 
warten, wohl  aus  geringer  Hoffnung  auf  einen  günstigen  Er- 
folg, mittlerweile  eigenmächtig  vorgegangen,  wobei  sie  Irre- 
führungen nicht  scheuten.  Nach  der  langen  strengen  Fasten- 
zeit standen  Ostern,  der  Sonntag  fiel  auf  den  27.  März,  vor 
der  Türe  und  man  mußte  zugreifen,  wollte  man  die  günstige 
Gelegenheit  ausnützen.  Sie  hatten  sich  also  an  ihre 
nächsten  Geschäftsgenossen  in  Köflach  und  Lankowitz  um 
deren  gleichen  Vorgang  gewandt,  damit  sie  sich  bei  der  un- 


198  Magistrat  und  Fleischerinnung  zu  Voitsbei'g  am  Ende 

venneidlichen  Rechtfertigung  auf  dieselben  berufen  konnten. 
Vom  Gründonnerstage  an  wurde  das  Fleisch  ohne  weiteres 
von  M.  Prechtl  und  J.  Pahr  um  5  kr.  verkauft.  Dem  Magi- 
strate kam  die  Werbung  der  Voitsberger  zu  Ohren  und  er 
ersuchte  sofort  das  Bezirkskommissariat  zu  Lankowitz  um 
schleunigste  Erhebung  des  Sachverhaltes  und  dessen  Be- 
kanntgabe durch  einen  Expreßboten.  Am  31.  d.  M.  gab 
Georg  Reichl  von  Lankowitz  daselbst  zu  Protokoll,  daß  acht 
Tage  vor  Ostern  M.  Prechtls  Sohn,  vom  Vater  geschickt, 
zu  ihm  gekommen  sei  mit  der  Mitteilung,  er  komme  soeben 
vom  Fleischer  Kerbler  in  Köflach,  dem  er  die  Nachricht  ge- 
bracht habe,  daß  die  Voitsberger  von  ihrem  Magistrate  die 
Erlaubnis  erhalten  hätten,  von  den  nächsten  Ostern  an  das 
Pfund  Rindfleisch  mit  Zuwage  um  5  kr.  auszuschroten.  Da- 
mit diesfalls  im  Bezirke  Gleichförmigkeit  herrsche,  sollen 
auch  sie  als  Nachbarn  ein  Gleiches  tun.  Das  nämliche  sagte 
Kerbler  aus.  Voitsbergs  Fleischer  hatten  es  auch  auf  andere 
Weise  unternommen,  ihren  Rücken  zu  decken.  Mitte  März 
sammelten  sie  bei  der  Bürgerschaft  Unterschriften  zu  einer 
Petition  an  den  Magistrat  um  Erhöhung  des  Satzes.  Dieser 
sandte  am  1.  April  Bericht  und  das  Lankowitzer  Protokoll 
an  das  Kreisamt  und  bemerkte  dazu,  es  gehe  aus  letzterem 
klar  hervor,  daß  die  Forderung  der  Fleicher  nur  der  Ge- 
winnsucht entspringe. 

Nach  dem  am  31.  März  empfangenen  Bescheid  traten 
Franz  Reichl  und  Georg  Eckhart,  welche  nun  die  Schlach- 
tung zu  übernehmen  hatten  —  die  Woche  lief  von  einem  zum 
andern  Donnerstag  —  am  1.  April  in  den  Streik.  Unver- 
zügUch  zeigte  der  Magistrat  dies  dem  Kreisamte  an  und 
griff  dann  für  die  Bevölkerung  energisch  ein.  Am  2.  April 
vor  den  Rat  geladen,  erklärte  Eckhart,  er  könne  um  den 
gegebenen  Satz  nicht  ausschroten,  da  er  sonst  bei  den  schon 
geschlachteten  zwei  Ochsen  13  fl.,  und  Reichl,  daß  er  bei 
einem  auch  schon  geschlachteten  Stück  6  fl.  verlieren  müsse. 
Der  Rat  hielt  fest  an  den  4V2  kr.  und  beschloß,  die  Auf- 
rechthaltung der  Taxe  durch  zwei  Kommissäre  überwachen 
zu  lassen.  Reichl  legte  darauf  mit  den  Worten:  „Ich  hacke 
nicht  aus  um  diesen  Tax,  mag  ausschroten,  wer  will,"  seine 
Bankschlüssel  auf  den  Ratstisch  und  entfernte  sich  und 
Eckhart  schloß  sich  ihm  an.  Sodann  wurde  einhelhg  be- 
schlossen, es  sei  in  jede  Bank  ein  Sachverständiger  zum 
Ausschroten  und  ein  Kommissär  als  Kassier  zu  stellen. 
Hierauf  ließ   man   die    zwei    anderen  Fleischer   holen,    sie 


des  18.  Jahrhunderts.  Von  Friedrich  Böser.  199 

^^aren   aber    samt   ihren  Söhnen   nicht  auffindbar;    aus  der 
gleichen   Ursache    konnte   Reichl    und   Eckhart   der  Rats- 
schluß nicht  kundgetan  werden.  Zugleich  wurden  die  „etwas 
Kundigen",     die    Bürger    Josef   Hochhauser    und    Michael 
Schaffer,  mit  je  einem  Kommissär  zur  Ausschrotung  beordert. 
Prechtl  und  Pahr  sollten,  weil  sie  auf  zweimalige  Vorladung 
nicht  erschienen  waren,  in  den  Arrest  gebracht  werden,  was 
aber    „aus  Mangel    eines   anständigen  Zimmers"  unterblieb. 
Am  5.  April  fanden  dann  zwischen  Rat  und  Fleischern 
im  Rathause  Verhandlungen  statt.     Prechtl,  als  der  älteste, 
erklärte,  sie  glauben  nicht  gefehlt  zu  haben,  denn  sie  haben 
die  Petition  der  Bürgerschaft,   welche,   entgegen  dem  Magi- 
strate,   den   höheren  Satz  bewilligte,    an   das  Kreisamt  ge- 
sendet und  zugleich  angezeigt,  daß  sie  vom  Gründonnerstag 
an  das  Rindfleisch  um  5  kr.  geben.  Übrigens  wolle  er,  wenn 
auch  zu  seinem  Schaden,    bis  Erhalt   des    neuen   kreisämt- 
lichen  Bescheides  um  4  Vi  kr.  aushacken,  wenn  dieser  nicht 
zu  lange  ausbleibe.  Die  anderen  schlössen  sich  dem  an  und 
so  war  der  Streik  beendet.  An  demselben  Tage  auch  wurden 
die  23  Bürger   und  6  Bürgerinnen,    welche    die  nach  magi- 
stratlicher Bezeichnung  „unter  verschiedenen  Vorwänden  er- 
schlichene  Petition"    unterschrieben   hatten,    einvernommen. 
Da    kamen   allerlei  Vorspiegelungen,    der   Partei    angepaßt, 
zum  Vorschein.  Der  einen  sagte  man,  es  werde  zu  Pfingsten 
vrieder   billiger,    der  anderen,    um   diesen  Preis    könne  man 
nur   schlechtes  Fleisch   geben,    für  Ostern   aber  wolle  man 
doch  gutes  haben;    den  Lederern   und  Schustern  wurde  bei 
schwererem  Vieh  gutes  Leder  in  Aussicht  gestellt ;  den  Ver- 
mögenden ward  geschmeichelt,  ihnen  liege  ja  nichts  an  einem 
halben  Kreuzer;    anderen   wieder   wurde   vorgestellt,   Kühe 
seien   nicht   mehr   zu   bekommen    und  Ochsenfleisch  könne 
nicht   so    billig   sein;    denen  aber,    welche  die  Unterschrift 
verweigerten,   ward  gedroht,   daß  sie  dann  gar  kein  Fleisch 
erhalten.  Am  6.  d.  M.  bestätigte  Reichl,  als  Nachschlächter 
in  der  Woche,    dem  Magistrate    den  Empfang    des    bei  der 
Ausschrotung   am  2.,  3.  und  4.  vom  Kommissär   eingenom- 
menen  Geldes   im   Betrage   von    22  fl.    30  kr.    3  Pf.    und 
ebenso   am   7.  Eckhart  als  Hauptschlächter   die  Ausfolgüng 
von  83  fl.  7  kr.  3  Pf.  nach  Abzug  1  fl.  für  den  Ausschroter, 
beide   mit  einem  Verzeichnisse   des   ausgehackten  Fleisches 
verständigt. 

Am  nämlichen  Tage  berichtete  der  Magistrat  dem  Kreis- 
amte ausführlich  über   den  Streik   und  dessen  Verlaut.    Es 


200  Magistrat  und  Fleischerinnung  zu  Yoitsberg  am  Ende 

habe   den  Anschein,    daß    vielmehr    eine  Verabredung     der 
Fleischer  als  wirkliche  Viehteuerung  zugrunde  lag   und  die- 
selben einen  höheren  Satz   aus  übertriebener  Gewinnsucht 
erzwingen  wollten.    Auch  aus  den  zu  Protokoll   gegebenen 
Äußerungen  der  Bürger  über  die  Unterschrift  zur  Petition 
gehe  hervor,    daß  dieselben  nicht  aus  Überzeugung  den  In- 
halt bestätigten,   sondern  die  einen  aus  Besorgnis,    im  Wei- 
gerungsfalle gar  kein  Fleisch  zu  erhalten,   die  andern,    weil 
sie  sich  vor   der  Feindschaft  der  Fleischhacker  fürchteten. 
Der  Magistrat  und  die   gesamte  Bürgerschaft  bitten   daher 
um   den  Bestand   der   gegenwärtigen  Taxe.    Das  Ereisamt 
verfügte  darauf  am  11.  d.  M.,   daß  der  Fleischer  Joh.  Pahr 
wegen  eigenmächtiger  Erhöhung  des  Satzes  um  3  Reichstaler 
und    Mart.    Prechtl    überdies    wegen    Aufhetzung     anderer 
Fleischer   um   6  Reichstaler  zu  bestrafen  seien   und    dieser 
Betrag  von  14  fl.  30  kr.  an  das  Kreisamt  abgeführt  werden 
müsse.    „Falls   sich  die  Voitsberger  Fleischer   noch   einmal 
unterstehen  sollten,  den  Fleischpreis  eigenmächtig  zu  erhöhen, 
werden  sie  mit   doppelter  Strafe  belegt.     Im  Falle   sie  sich 
aber  erkühnen,    das  Ausschroten   um  den  bestimmten  Satz 
zu  unterlassen,   ist  gegen   sie  mit  Abnahme   ihrer  Gerecht- 
same und  Verleihung  dieser  an  solche,   welche  sich  zur  Be- 
obachtung   des  Satzes    bereit   erklären,    vorzugehen.     Wenn 
sich  niemand   hiezu  einfindet,    wird   den  benachbarten  Flei- 
schern  der  Absatz  in  Voitsberg  gestattet."     Der  Magistrat 
schärfte  außerdem  aus  eigenem  Antriebe  mit  Zuschrift  vom 
12.  April  an  M.  Prechtl,  der  sie  seinen  Genossen  mitzuteilen 
hatte,    den  Fleischern    ernstlich    ein,    sich    strenge    an    den 
kreisämtlichen  Erlaß  vom   28.  März  zu  halten.    Aber  diese 
ruhten  nicht,  sondern  gaben  am  30.  Mai  durch  Eckhart  und 
Reichl  ihre  Bitte  um  die  Satzerhöhung  auf   5  kr.  zu  Pro- 
tokoll.  Sonst  könnten   sie  unmöglich  mehr  Rindfleisch  aus- 
schroten und  dürften  vielleicht  schon  in  dieser  Woche  damit 
nicht  ausreichen.   Der  Magistrat  ließ   sich   umstimmen   und 
bestätigte  in  der  Vorlage   des  Protokolls   an  das  Kreisamt. 
daß  der  Vieheinkauf  wirklich  teuer  sei  und   ein  Zwang  zur 
Ausschrotung  um  4%  kr.  bei  dem  Umstände,  daß  in  Ligist, 
Köflach  und  Lankowitz  schon  die  Taxe  von  5  kr.   bestehe, 
unbillig  und  wenig  wirksam  sei,  weil  die  Bittsteller  hiedurch 
gezwungen  würden,  ihr  Gewerbe  niederzulegen.    Um  4Vy  kr. 
pro  Pfund   werde    gewiß   niemand   die  Ausschrotung   über- 
nehmen,   somit  die  Stadt  gar  kein  Fleisch  bekommen.     Der 
Satz  von  5  kr.  möge  daher  bewilligt  werden   mit  dem  Auf- 


des  18.  Jahrhunderts.  Von  Friedrich  Böser.  201 

trage,  daß  die  Bevölkerung  mit  gutem,  hauptsächlich  aus 
Ochsen  gewonnenem  Fleische  versorgt,  das  Schaffleisch  aber 
um  4  kr.  verabfolgt  werde.  Das  wurde  aber  vom  Kreisamte 
am  7.  Juni  zurückgewiesen.  Bis  1798  war  das  Pfund  Rind- 
fleisch auf  5  kr.  gestiegen  und  am  19.  April  d.  J.  bewilligte 
die  Kreisbehörde  den  Preis  von  5  Va  kr.  Die  Fleischer  hatten 
sich  an  das  Gubernium  gewandt  und  dieses  hatte  die  Er- 
ledigung der  Bitte  an  dieselbe  abgetreten  mit  dem,  in  keinem 
Falle  die  Erhöhung  auf  6  kr.  zu  gewähren.  Da  sich  aus  den 
Ausweisen  sämtlicher  Bezirkskommissariate  ergab,  daß  das 
Schlachtvieh  nur  etwas  teuerer  geworden  war,  so  wurde 
y2  kr.  mehr  zugestanden  und  der  Magistrat  beauftragt,  die 
Fleischer  davon  zu  verständigen,  daß  an  eine  weitere  Er- 
höhung, solange  die  Umstände  die  gleichen  bleiben,  gar  nicht 
zu  denken  sei  und  jede  eigenmächtige  Überschreitung  un- 
nachsichtlich  mit  12  Reichstalern  bestraft  werde.  Aber  nach 
kurzer  Zeit  wiederholte  sich  die  Bitte  um  6  kr.  Der  Magi- 
strat wies  die  Gesuchsteller  an  das  Gubernium  und  dieses 
wieder  die  Entscheidung  an  das  Kreisamt.  Dieses  erklärte 
am  6.  Juli,  die  Angabe  im  Gesuche,  daß  der  Satz  im  Brucker 
Kreise  7  kr.  betrage  und  der  Viehpreis  um  ein  Drittel,  auf 
18  bis  19  fl.  pro  Zentner,  gestiegen  sei,  widerspreche  der 
Tatsache.  In  diesem  Kreise  seien  nur  in  den  Städten  6  V2  kr. 
und  auf  dem  Lande  6  kr.  bestimmt  und  der  Viehpreis  stehe 
bei  weitem  nicht  so  hoch.  Die  Grazer  Fleischer  müßten  doch 
das  Fleisch  ohne  Zuwage  um  6V2  kr.  verkaufen  und  dabei 
für  jeden  inländischen  Ochsen  5  fl.  und  für  den  ungarischen 
6  fl.  40  kr.  Schlachtgebühr  zahlen.  Die  Bittsteller  hätten  sich 
an  die  genaue  Befolgung  des  Satzes  zu  halten  und  der 
Magistrat  an  die  Geschäftsordnung,  wonach  er  dieselben 
nicht  an  die  hohe  Landesstelle,  sondern  an  dieses  vorgesetzte 
Kreisamt  zu  weisen  habe. 

Da  der  Magistrat  wiederholt  beauftragt  worden  war, 
das  Gebaren  der  .'Fleischer  strenge  zu  überwachen  und  der- 
selbe am  9.  Jänner  1799  berichtete,  daß  sie  die  genaue 
Beachtung  des  Satzes  zugesichert  hätten,  so  ordnete  das 
Kreisamt,  weniger  vertrauensvoll,  am  16.  Jänner  an,  von 
Zeit  zu  Zeit  aufmerksam  zu  untersuchen,  ob  dieselben  dem 
Versprechen  auch  gewissenhaft  nachkonunen  und  sich  nicht 
etwa  mit  unrichtigem  Gewichte  zu  behelfen  suchen.  Über 
diese  Verordnung  waren  die  Fleischer  sehr  ungehalten,  so 
daß  sie,  auf  den  24.  Jänner  vor  den  Rat  geladen,  sich  recht 
widerwiUig   zeigten.     Reichl   voran   erklärte,   er   werde   die 


202         Magistrat  und  l'leisclierinnung  zu  Yoitsberg  am  Ende 

jetzige  FleischtÄxe  nur  bis  Ostern  halten  und  dann  das  Ge- 
schäft gänzlich  aufgeben,  wenn  nicht*  mittlerweile  der  Satz 
des  Fleisches  und  Unschlitts  erhöht  werde  oder  ein  Nachlaß  im 
Aufschlage  stattfinde.  Trotz  allen  Vorstellungen  der  schwercB 
Folgen,  der  Geldstrafen,  des  Schlachtens  auf  seine  Kostöi 
des  Verlustes  der  Gerechtsame  und  daraus  folgenden  Schadens 
an  seinem  Vennögen,  der  beabsichtigten  Einschränkung  des 
Frettertums  —  Pfuschertums  —  und  Verminderung  des  Auf- 
schlages, beharrte  er  dabei,  denn  das  Vieh  sei  durch  Kärntner 
und  Krainer  Vorkäufer  tatsächlich  ungemein  verteuert  worden. 
Eckhart  fürchtete  sich  nicht  vor  der  Schlachtung,  weil  er 
billige  Abhilfe  hoife,  nur  könne  er  wegen  Mangels  an  Bar- 
schaft allein  nicht  arbeiten.  Prechtl  und  Paar  wollten  sich 
nicht  widersetzen  und  blieben  einstweilen  beim  Satze.  Dar- 
auf beschwerten  sich  alle  über  die  Fretter.  Aufgefordert, 
diese  anzugeben,  baten  sie  um  Bedenkzeit  und  nannten  erst 
am  28.  Februar  deren  vier  in  benachbarten  Pfarren,  dann 
alle  Wirte  in  Kainach  und  überhaupt  alle  größeren  Bauern, 
welche  Vieh  schlachten  und  untereinander  verkaufen.  Der 
Magistrat  aber  meldete  am  2.  Februar  nach  Graz,  daß  sich 
die  Fleischer  nach  vielen  Bemühungen  herbeiließen,  die 
gegenwärtige  Taxe  zu  befolgen,  in  der  Hoffnung  auf  Erhöhung 
des  Satzes  oder  auf  billige  Minderung  des  Aufschlages  und 
Aufteilung  des  Nachlasses  auf  die  benachbarten  Genossen. 
Am  29.  des  nächsten  Monats  jedoch  mußte  er  Reichl  zur 
Verantwortung  ziehen,  weil  er  in  der  Osterwoche  das  Pfund 
Rindfleisch  wirklich  um  6  kr.  verabfolgt  hatte  und  so  auch 
Eckhart.  Der  erstere  berief  sich  auf  die  plötzliche  Preis- 
steigerung des  Hornviehes,  da  das  Paar  Ochsen  seit  Fasching 
um  25  fl.  mehr  koste ;  Eckhart  bekannte  sich  ebenfalls  der 
Übertretung  schuldig  und  gab  an,  daß  sie  beide  dem  Magi- 
strate die  Preiserhöhung  anzeigen  wollten,  dies  aber  aus 
Zufall  unterblieb.  Übrigens  habe  er  als  Nachschlächter  wenig 
verkauft.  Beide  erklärten  in  Zukunft  den  Satz  so  einzuhalten, 
wie  ihre  andern  Mitmeister.  Um  allen  Weiterungen  vorzu- 
beugen, wurden  auch  Prechtl  und  Pahr  vorgeladen.  Ersterer 
erklärte,  er  halte  sich  nur  für  die  Woche  vom  30.  April  an 
auf  acht  Tage  an  die  Taxe  gebunden;  der  andere,  den  Satz 
so  wie  bisher,  so  auch  künftig  halten  zu  wollen.  Darauf 
lenkte  Prechtl  ein  und  versprach,  der  Vorschrift  bis  zum 
Eintreffen  des  kreisämtlichen  Erlasses  zu  entsprechen.  Der 
Magistrat  erstattete  am  30.  März  über  den  Vorfall  Bericht 
ans  Kreisamt   und  dieses  erteilte  demselben  mit  Erlaß  vom 


des  18.  Jahrhunderts.  Von  Friedrich  Böser.  203 

8.  April  den  Auftrag,  daß  er  von  Reichl  und  Eckhart  wegen 
-wiederholter  eigenmächtiger  Satzüberschreitung  die  Strafe 
^von  je  12  Reichstalern  einzubringen  und  binnen  14  Tagen 
A^om  Datum  des  Dekretes  an  dem  Kreisamte  einzusenden 
liabe,  widrigens  am  15.  Tage  dem  Magistrate  ohne  weiters 
^Militärexekution  eingelegt  werde  bis  zur  Einlangung  des 
Strafbetrages.  Übrigens  werde  man  von  nun  an  gegen  die 
^Fleischer  die  strengsten  Maßregeln  ergreifen,  um  den  höch- 
sten und  hohen  Vorschriften  und  den  diesämtlichen  Aufträgen 
<iie  pünktlichste  Folgeleistung  zu  verschaffen.  Bezüglich  der 
Tretter  wurde  der  Magistrat  angewiesen,  sich  an  die  be- 
treffenden Bezirkskommissariate  zu  wenden,  was  er  am 
12.  d.  M.  vollzog,  indem  er  die  von  Greisseneck,  Lankowitz, 
Piber  und  Ligist  ersuchte,  denselben  entweder  das  Handwerk 
zu  legen,  oder  wenn  dies  nicht  leicht  möglich,  sie  zur  Ent- 
richtung eines  verhältnismäßigen  Aufschlages  heranzuziehen. 
Am  17.  April  meldete  der  Magistrat  dem  Kreisamte,  daß 
die  bestraften  Fleischer  zu  Protokoll  erklärten,  dermalen  den 
Strafbetrag  wegen  Unvermögens  nicht  zahlen  zu  können.  Es 
fehle  ihnen  an  Betriebsmitteln,  daher  müssen  sie  das  Vieh 
auf  Kredit  kaufen;  ihr  geringes  Bargeld  brauchen  sie  jetzt 
bei  Beginn  der  Feldarbeiten  für  die  Taglöhner  und  andere 
Erfordernisse.  Sie  bitten  daher  um  Nachlassung  der  ganzen 
Strafe.  Das  Kreisamt  verfügte  am  24.,  daß  die  dortigen 
Fleischer  wegen  ihrer  bisherigen  auffallenden  Widersetzlich- 
keit keine  Nachsicht  verdienen,  die  Strafe  ebenso  gerecht 
wie  billig  sei  und  der  Magistrat  dieselbe  binnen  acht  Tagen 
allenfalls  durch  exekutive  Einlegung  des  Gerichtsdieners  ein- 
zutreiben habe.  Obwohl  dieses  am  10.  Mai  ausgeführt  wurde, 
erfolgte  die  Zahlung  doch  nicht  und  das  Kreisamt  sendete 
daher  dem  Magistrate  am  25.  Mai  einen  Soldaten  als  Exe- 
kutionsmann gegen  die  Tagesgebühr  von  6  kr.  Die  Fleischer 
aber  ließen  sich  nicht  abschrecken  und  baten  mittlerweile 
am  21.  Mai  wieder  um  Erhöhung  des  Rind-  und  Kalbfleisch- 
satzes auf  6  kr.  Am  29.  Mai  darauf  wurde  der  am  26.  be- 
zahlte Strafbetrag  eingesendet  mit  der  Anzeige,  daß  sich 
die  Fleischer  nun  an  das  Gubernium  wenden  wollen,  und 
nun  erfolgte  am  1.  Juni  die  Aufhebung  der  Exekution.  Das 
Gubernium  bewilligte  laut  Erlasses  des  Kreisamtes  vom 
9.  Jänner  1800  auf  Einraten  des  letzteren  für  das  Rind- 
fleisch allein  6  kr.  Kaum  war  dies  erreicht,  erfolgte 
am  12.  Jänner  schon  abermals  das  Gesuch  um  Erhöhung 
des  Preises  für  das  Kalbfleisch.  Diesmal  jedoch  unterstützte 


204    Magistrat  und  Fleischerinniing  zu  Yoitsberg.  Von  Fr.  Böser. 

der  Magistrat  das  Begehren  nicht,  sondern  gah  seinem  aus 
den  letzten  Vorkommnissen  erwachsenen  Unmute  in  der  Vor- 
lage ans  Kreisamt  drastischen  Ausdruck „Was  die  vor- 
geschützten ,Fretter'  betrifft,  so  sind  die  Fleischhacker 
selbst  daran  schuld.  Sie  haben  trotz  \riederholten  Aufträgen, 
dieselben  anzuzeigen,  doch  nur  eine  einzige  Anzeige  gemacht 
und  diese  ganz  unbestimmt  .  .  .  Das  Traurigste  bei  der 
ganzen  Sache  ist,  daß,  wenn  die  Fleischhacker  auf  dem 
Lande  ,im  Tax'  etwas  gedrückt  werden,  sie  die  Mittel 
wissen,  das  Publikum  dafür  auf  eine  weit  empfindlichere  Art 
zu  necken.  Sie  schlachten  entweder  nur  ausgemerzte  Stiere, 
uralte  Ochsen  oder  krachdürre  Kühe,  so  daß  man  fast  Ge- 
fahr läuft,  die  Zähne  zu  verlieren;  noch  nicht  genug,  sie 
stechen  auch  sehr  wenige,  mit  dem  Bedarfe  in  keinem  Ver- 
hältnisse stehende  Kälber.  Dadurch  veranlassen  selbe  bei 
dem  Publikum  nichts  als  Murren  und  Mißvergnügen  gegen 
die  Obrigkeit.  Indessen  werden  durch  die  Fleischhacker  bei 
der  Nacht  durch  einen  zweiten  und  dritten  ganze  Wägen 
voll  Kälber  nach  Grätz  geführt."  So  Andreas  Weißl,  welcher, 
in  Voitsberg  seit  1780  ansässig,  als  Chirurg  seinen  Beruf 
daselbst  ausübte,  als  Ratsherr  seit  1786  wirkte  und  als 
Stadtrichter  seit  1789  amtierte  und  infolgedessen  Leute  und 
Verhältnisse  in  der  Stadt  gewiß  genau  kannte. 


Dentscblandsberg  in  den  Jahren  1848  nnd  1849. 

Von  Br.  Wilhelm  Knaffl. 


Das  Deutschlandsberger  Marktarchiv  fand  zum  größten  Teile 
in  dem  steiermärkischen  Landesarchive  Aufnahme.  Dieses 
und  die  Gemeinderegistratur  Deutschlandsbergs  —  letztere 
nur  in  geringerem  Maße  —  enthalten  einige  Aktenstücke, 
welche  sich  auf  die  Jahre  1848  und  1849  beziehen  und  durch 
die  Erinnerungen  des  Herrn  Josef  Walin  er,  Gemeindevor- 
stehers in  Burgegg,  damaligen  Mitgliedes  der  Nationalgarde, 
von  deren  Errichtung  bis  zur  Auflösung  in  einigen  Punkten 
ergänzt  werden. 

Wenn  auch  nur  einem  kleinen  Kreise  der  Leser  das 
Interesse  für  diese  Aufizeichnungen  zugemutet  werden  kann, 
so  ist  dennoch  anzunehmen,  daß  die  jetzige  und  späteren  Ge- 
nerationen Deutschlandsbergs,  sowie  Freunde  dieses  Marktes, 
den  allerdings  unbedeutenden  Geschehnissen  jener  in  immer 
größere  Ferne  rückenden  Zeit  ihre  Aufmerksamkeit  zuwenden 
werden. 

Die  Nachrichten  über  die  Februarrevolution  in  Paris 
und  die  Märzereignisse  in  Wien  hatten  allgemeine  Erregung 
hervorgerufen  und  sind  auch  an  den  Bewohnern  dieses  zu 
jener  Zeit  von  dem  großen  Verkehre  abseits  gelegenen 
schönen  Erdenwinkels  nicht  spurlos  vorübergegangen. 

Am  Lande  richtete  sich  der  freigewordene  Unmut  in 
erster  Linie  manchmal  mit  Recht,  oft  genug  mit  Unrecht, 
gegen  die  Patrimonialbeamten,  welche  als  Gegner  und  Be- 
drücker angesehen  wurden. 

Schon  am  20.  März  1848  ging  eine  von  15  Deutsch- 
landsberger Bürgern  unterfertigte  Eingabe  an  die  Admini- 
stration der  fürstlich  Franz  und  Friedrich  von  und  zu  Liechten- 
steinschen  Herrschaften  und  Gewerke  in  Graz  mit  dem  Be- 


206  DeutschlandHberg  in  den  Jahren  1848  und  1849. 

gehren  ab :  Der  sonst  hochangesehene  Oberbeamte  der  Hen- 
schaft  Landsberg  möge  wegen  seiner  „Barschheit"  gegen 
Bürger  und  Untertanen  versetzt  werden. 

An  der  Spitze  dieser  Administration  stand  der  fürsthch 
Liechtensteinsche  Rat  Joh.  Mich.  Pfisterer,  eine  biedere, 
konziliante  Natur,  welcher  sofort  den  zur  Beruhigung  der 
Gemüter  zweckdienlichen  Weg  einschlug. 

Er  berief  für  den  1.  April  1848  im  Rathause  zu  Deutsch- 
landsberg  eine  Bürgerversammlung  ein,  verfügte  sich  von 
Graz  zu  derselben  und  hielt  eine  eindrucksvolle  Rede  an  die 
Anwesenden,  deren  Konzept  noch  erhalten  ist.  Auch  wurde 
am  gleichen  Tage  ein  Bericht  verfaßt. 

Der  Redner  machte  geltend,  daß  vielleicht  in  keinem 
Zeitpunkte,  wie  gerade  gegenwärtig,  wegen  der  bedrängten 
Zeitverhältnisse  „inniges  Vertrauen  und  feste  Einigkeit  in 
einem  Orte  so  notwendig  ist".  Mehrere  Bürger  seien  bereits 
von  ihrem  auf  Abberufung  des  Oberbeamten  gerichteten  An- 
suchen abgestanden  und  diese  sowie  der  Marktvorstand  er- 
warten den  gleichen  Schritt  von  den  übrigen  Bürgern,  und 
zwar  um  so  mehr,  als  der  Oberbeamte,  den  Fehler  einsehend, 
vor  dem  Marktvorstande  seine  Hand  zur  Versöhnung  gereicht 
habe.  In  der  Rede  wird  hervorgehoben,  daß  kein  Ajoatsvor- 
steher,  der  seine  Pflichten  erfüllt,  jedem  seine  Wünsche  er- 
füllen kann  und  ein  barsches  Benehmen  noch  nicht  der  ge- 
fährlichste Fehler  sei. 

Als  Wirkung  dieser  Ansprache  ist  der  bezeichnete  Be- 
richt anzusehen,  dessen  Hauptinhalt  dahin  geht:  die  15  Ge- 
suchsteller stehen  mit  Stimmenmehrheit  von  dem  Begehren  auf 
Entfernung  des  Oberbeamten  ab,  erwarten  jedoch,  „daß  dieser 
sonst  so  redliche  und  geschickte  Herr  Oberbeamte  in  Hin- 
kunft gegen  die  Bürger  und  übrigen  Insassen  eine  humane 
Behandlungsweise  beobachte  und  bei  Amtshandlungen  mit 
dem  Gesetze  auch  Billigkeit  verbinde".  In  dem  Berichte  wird 
weiter  erklärt,  die  Bürgerschaft  sei  bereit,  sich  mit  den  forst- 
lichen Herren  Beamten  zu  vereinen  und  „so  bei  der  gegen- 
wärtigen bedenklichen  Zeit"  nicht  nur  zur  Aufrechthaltung 
der  öffentlichen  Ruhe  und  Ordnung  mitzuwirken,  „sondern 
auch  das  Eigentum  Sr.  Durchlaucht  unseres  guten  Herrn 
und  Fürsten  Franz  von  und  zu  Liechtenstein  zu  schützen  "*. 

Die  Administration  beantwortete  diese  Berichte  mit  dem 
an  den  Magistrat  Deutschlandsberg  gerichteten  Schreiben 
vom  18.  April  1848  wie  folgt: 


Von  Dr.  Wilhelm  Knaffl.  207 

Über  das  Einschreiten  vom  20.  März  1848  sprach  sieh 
der  Fürst  mit  Handbillett  ddto.  Prag  am  29.  März  1848 
dahin  aus,  daß  die  begehrte  Transferierung  erfolgen  könne, 
daß  jedoch  die  Bürgerschaft  die  Ursachen  speziell  angeben 
müßte,  und  daß  man  ohne  Überweisung  einen  Beamten  nicht 
kränken  oder  verurteilen  dürfe  und  könne.  Die  Versicherungen 
der  Liebe  und  Anhänglichkeit  werden  mit  Freude  zur  Kenntnis 
genommen,  noch  mehr  sei  der  Fürst  über  die  letzte  Eingabe 
vom  1.  April  1848  erfreut,  mit  welcher  das  Begehren  um 
Übersetzung  des  Oberbeamten  zurückgenommen  wurde.  Der 
gute  Geist  der  Bürgerschaft  und  der  Sinn  für  Menschlichkeit 
und  Gerechtigkeit  wird  freudig  anerkannt  und  in  weiteren 
freundlichen  Worten  die  Haltung   der  Bürgerschaft  belobt. 

Der  Administrator  Pfisterer  teilte  dieses  dem  Magistrate 
luit  Vergnügen  mit,  hält  den  Gegenstand  für  abgetan,  „findet 
sich  aber  gleichzeitig  veranlaßt,  der  ganzen  dortigen  Bürger- 
schaft die  weitere  Versicherung  zu  geben,  daß  Seine  Durch- 
laucht unser  edelster  bester  Fürst  gewiß  immer  jeden  ge- 
rechten und  billigen  Wunsch  und  Begehren  gerne  erfüllen 
werden,  in  welcher  Beziehung  auch  sämtlichen  Herren  Be- 
amten die  nötigen  bestimmten  Verhaltungsmaßregeln,  wie 
bisher  immer,  wiederholt  eingeschärft  worden  sind,  daß  sie 
mit  der  Bürgerschaft  im  guten  Einverständnisse  leben  und 
so  vereint  unserer  Aller  Interessen  fördern  und  die  so  nötige 
Einigkeit  kräftigen  wollen". 

Der  Administrator  schloß  mit  seinem  persönlichen  Dank 
für  das  ihm  geschenkte  Vertrauen,  verspricht  für  die  Inter- 
essen der  Bürgerschaft  sein  Bestes  beizutragen  und  freut 
sich  anläßlich  des  unangenehmen  Falles  sie  „als  rechtliche, 
biedere  und  edle  Bürger"  kennen  gelernt  zu  haben,  ins- 
besondere sei  er  erfreut,  daß  sie  seine  an  die  Bürgerschaft 
gerichteten  Worte  nicht  nur  anhörten,  sondern  auch  befolgten. 

Die  Beziehungen  zwischen  der  Bürgerschaft  und  dem 
Herrschaftsinhaber  und  dessen  Beamten  waren  und  blieben 
die  besten. 

Ohne  daß  feste  Anhaltspunkte  vorliegen,  erzählt  die 
Überlieferung:  Eines  Tages  sei  eine  Gesellschaft  von  Herr- 
schaftsuntertanen aus  der  unteren  Gegend  im  Markte  er- 
schienen, um  den  Beamten  eine  der  damals  beliebten  Katzen- 
musiken darzubringen,  welcher  Versuch  aber  an  dem  energi- 
schen Widerstände  der  Bürger  scheiterte. 

Ein  Beweis  für  das  freundliche  Verhältnis  der  letzterea 
zur  Beamtenschaft   kann  wohl  auch  darin  gefunden  w^erden,. 


208  Deutschlandsberg  in  den  Jahren  1846  und  1849. 

dafi  kurze  Zeit  nach  obigem  Ereignisse  die  Mitglieder  der 
in  Deutschlandsberg  errichteten  Nationalgarde  den  Bezirks- 
kommissär und  Ortsrichter  Egner  zu  ihrem  Hauptmanne 
erwählten. 

Selbstverständlich  hat  die  Nationalgarde  im  Leben  des 
Marktes  eine  bedeutende  Rolle  gespielt.  Die  Beteiligung  an 
derselben  war  mit  Rücksichtnahme  auf  die  geringe  Bevöl- 
kerung von  610  Personen  eine  verhältnismäßig  starke.  Die 
Errichtung  wurde  von  der  Landesstelle  durch  das  k.  k.  Kreis- 
amt Marburg  mit  dem  Schreiben  vom  18.  Mai  1848,  Z.  5722, 
bewilligt  und  unter  der  Bezeichnung  „Sicherheitswache"  für 
ebenso  zweckmäßig  als  lobenswert  anerkannt  und  gebilligt. 

Aus  einem  Berichte  des  Magistrates  an  die  Bezirks- 
obrigkeit vom  4.  Juni  1848  ist  zu  ersehen,  daß  der  Stand 
der  Garde  45  Köpfe  betrug  und  daß  man  auf  eine  Ver- 
mehrung bis  zu  60  Mann  hoffte,  welche  Hoflftiung  auch  in 
ErfttUung  ging. 

Als  Bewaffnung  wurden  einstimmig  Kugelstutzen  mit 
Haubajonett,  jedoch  der  hohen  Kosten  wegen  nur  flir  20 
geübte  Schützen,  für  die  übrigen  Garden  aber  Säbel,  und 
zwar  20  Stück  bestimmt,  welcher  Beschluß  die  Genehmigung 
des  Kreisamtes  erhielt. 

Die  Anzahl  der  Mitglieder  nahm  rasch  zu.  Im  August 
1848  schloß  der  Magistrat  schon  Akkordverträge  ab  mit 
Ignaz  Just,  Gewehrfabrikanten  in  Ferlach,  auf  Lieferung  von 
30  Stück  Gardestutzen  k  13  fl.  30  kr.  Konv.-M.,  mit  Johann 
Feichtinger,  Riemermeister  in  Graz,  wegen  Lieferung  von 
30  Stück  „Gardekartuschen  samt  Steckkuppeln  aus  schwar- 
zem Leder",  die  Kartusche  mit  einem  messingenen  Ketterl 
„samt  Raumendel"*  versehen,  ä  2  fl.  Konv.-M.,  und  30  Stück 
Gewehrriemen  aus  schwarz  lackiertem  Leder  ä  36  kr.  Konv.-M. 

Die  Beistellung  der  20  ordinären  Infanteriesäbel  mit 
Scheiden  und  Umhängriemen  übernahm  Ignaz  SchaflFernagg. 
bürgerlicher  Lederermeister  in  Deutschlandsberg,  zum  Preise 
für  das  Stück  mit  2  fl.  20  kr.  Konv.-M. 

Unterm  23.  September  1848  berichtet  das  Deutsch- 
landsberger  Kommando  an  das  Nationalgarde-Oberkommando 
in  Graz :  Der  Stand  betrage  62  Mann,  wovon  30  mit  Stutzen 
samt  Haubajonett,  die  übrigen  22,  der  Tambour  und  die 
9  Chargen  mit  Säbel  bewaffnet  seien. 

Daß  Fahne  und  Musikerbanda  nicht  fehlten,  bedarf 
keiner  besonderen  Erwähnung.  Sogar  eine  Kanone  bildete 
den  Bestandteil  der  Nationalgarde  von  Deutschlandsberg. 


Von  Dr.  Wilhelm  Knaffl;  209 

Ein  Verzeichnis  der  Garden  vom   27.  Dezember  1848 
ist  noch  erhalten. 

Kommandant  war  Egner  Josef,  Ortsrichter,  Ober- 
ieutnant  Ignaz  Schaffemagg,  Lederermeister  und  Haus^ 
T)esitzer,  Unterleutnant  Alexander  Sladek,  Gericfatsaktuar 
in  Feilhofen,  Arzt  Josef  Millhans,  Kapellmeister  Lorenz 
Strohmayer,  Schullehrer,  Kaplan  Vinzenz  Volkmayer, 
Oberjäger  Michael  Fritzberg  (Friz  Edler  von  Frizberg)* 
und  Johann  Scherdan,  Unterjäger  Josef  Göbel,  Rupert 
Kortschak,  Andrä  Reichmann  und  Karl  Rigold,  Tambour 
Vinzenz  Urrag,  Gardisten  Franz  Alker,  Johann  Baum- 
gartner,  Josef  Bachfischer,  Alois  Dengg,  Matthias  Ehler, 
Michael  Friesacher,  Leopold  Gärtner,  Liberius  Hohl,  Franz 
Hohl,  Anton  Hiras,  Thomas  Kratter,  Josef  Kugler,  Franz 
KoU,  Eduard  Kühn,  Josef  Kowanda,  Matthias  Kasper,  Johann 
Kasper,  Michael  Mayer,  Johann  Mtthlbacher,  Benedikt  Ober- 
länder, Andrä  Reichmann,  Josef  Reichmann,  Anton  Reisinger, 
Josef  Ruderer,  Wilhelm  Schmalz,  Johann  Schweighofer,  Anton 
Slowak,  Josef  Treiber,  Johann  Wohl&hrt,  Josef  Waldherr 
und  Emanuel  Oppelt;  Bandisten  Ignaz  Dengg,  Josef 
Gries,  Anton  Gosche  Liberius  Hohl,  Matthias  Polz,  Johann 
Strohmayer,  Josef  Strohmayer,  Matthias  Strohmayer,  Halb- 
wirtsohn, Karl  Urrag  und  Josef  Wallner. 

Es  werden  noch  5  Mit^eder  angefahrt,  darunter  2  mit 
der  Bezeichnung  übersiedelt,  2  als  ausgestoßen  und  einer 
in  der  Fremde. 

Die  Uniformierung  der  Nationalgarde  in  Deutschlands- 
berg bestand  in  lichtgrauen  Röcken  mit  grünen  Aufschlägen, 
dunklen  Beinkleidern  und  schwarzen,  zur  Hälfte  au%ekrempten 
Federhüten.  Die  Offiziere  hatten  Goldsterne,  der  Kapellmeister 
eine  goldene  Rose,  die  übrigen  Musikanten  eine  Lyra  zur 
Auszeichnung  an  den  Aufschlägen  angebracht,  und  erstere 
trugen  Schlepp-,  letzterer  gewöhnliche  Säbel.  Der  Korpsarzt  war 
zum  Unterschiede  mit  einem  langen  gelben  Rock  bekleidet. 
Deutschlandsberg,  Schwanberg  und  Amfels  bildeten 
Schützenkompagnien  und  hatten  dieselbe  Adjustierung.  In 
St.  Florian  bestand  eine  Nationalgarde  nicht. 

Für  den  größten  Teil  der  Kosten,  insbesondere  der  Be- 
waffiiung,  kam  die  Marktgemeinde  auf,  weshalb  der  Magistrat 

1  Michael  Friz  Edler  von  Frizberg,  der  letzte  Marktrichter  von 
Deutschlandsberg  1848,  1849  und  1850,  entstammte  einem  alten  Vor- 
arlberger  Adelsgeschlechte,  machte  aber  von  dem  ihm  gebührenden 
Prädikate  nach  Ankauf  der  Brauerei  keinen.  Gebrauch. 

14 


210  Deutschlandsberg  in  den  Jahren  1848  und  1849. 

in  dem  Inventar  vom  31.  Dezember  1849  als  Eigentum  der 

Gemeinde 

80  Stück  Gardestutzen  samt  Haubajonett  mit  405  fl.  —  kr.  K.-M. 

20      „     Säbel  mit 46  „  40    „       , 

30      „     Kartuschen  mit 60  „  — '  „      „ 

anführt. 

Auch  Musikinstrumente  sind  aus  dem  Säckel  der  Ge 
meinde  bezahlt  worden.  Zum  Beispiel  bestätigt  der  bürger- 
liche Instrumentenmacher  Ignaz  Mayer  am  6.  Juni  1848  vom 
Magistrate  Deutschlandsberg  für  ein  vom  Schullehrer  Herrn 
Strohmayer  bestelltes  „Baß-Pumperton  von  der  besten  und 
größten  Gattung  samt  Mundstück  und  Fundament"  den  Be- 
trag von  45  fl.  Konv.-M.  erhalten  zu  haben. 

Die  Uniformen  leisteten  sich  die  Garden  selbst,  die 
Auslagen  für  die  Bekleidung  der  „Banda",  Beistellung  der 
Fahne  u.  s.  w.  wurden  durch  Sammlungen  und  Veranstaltung 
von  Unterhaltungen  aufgebracht. 

Nach  einer  undatierten  und  nicht  unterfertigten  Rech- 
nung haben  die  Bürger  und  Honoratioren  des  Marktes  für 
die  Uniformierung  der  Kapelle  129  fl.  20  kr.  Konv.-M.  ge- 
zeichnet. Die  im  Fasching  1849  bei  Fritzberg,  Göbl  und 
Reichmann  veranstalteten  Tanzunterhaltungen  lieferten  zu 
dem  gedachten  Zwecke  ein  Reinerträgnis  mit  33  fl.  20  kr. 
Konv.-M.  und  die  Abtretung  einer  Kurkostenforderung  seitens 
des  Distriktsarztes  Dr.  Rökenzaun  brachte  einen  Betrag  von 
10  fl.  Konv.-M. 

Die  Kapelle  erforderte  einen  nicht  geringen  Aufwand, 
denn  die  15  Stück  Uniformröcke  ä  15  fl.,  16  Federbtlsche 
ä  2  fl.  und  16  Sturmbänder  beanspruchten  eine  Gesamt- 
summe mit  258  fl.  36  kr.  Konv.-M. 

Der  Deutschlandsberger  Hutmacher  Franz  Ehler  lieferte 
für  die  „Banda"  13  Stück  schwarze  „Korsohüte",  wofür  er 
vom  Kommando  26  fl.  Konv.-M.  erhielt. 

Die  zirka  2  Meter  lange  Gardekanone,  deren  Ursprung 
nicht  mehr  festgestellt  werden  konnte,  mußte  in  einen  ent- 
sprechenden Stand  versetzt  werden.  Es  sind  Ausgaben  !für 
das  Beschlagen  des  „Gestelles",  Schlosserarbeiten,  Farben 
und  Firnis  zum  Anstreichen  und  dergleichen  Dinge  verzeichnet 

Pulver  und  auch  Blei  wurden   nicht  wenig  verbraucht. 

Obwohl  die  Opferwilligkeit  der  Bürgerschaft  keine  ge- 
ringe war,  mußten  die  Mitglieder  der  Garde  nicht  nur  für 


Von  Dr.  Wilhelm  Knaffl.  211 

ias  eigene  Institut  monatliche  Beiträge  leisten,  sondern  auch 
LXLr  Bestreitung  der  Kosten  der  Oberkommandokanzlei  aller- 
iings  pro  Mann  nicht  mehr  als  3  kr.  Konv.-M.  subskribieren. 
Ungeachtet  dessen  verschloß  sich  die  Deutschlandsberger 
Nationalgarde  nicht  der  Mildtätigkeit.  Im  Jänner  1849 
schickte  dieselbe  an  das  Kommando  in  Mureck  anläßlich 
eines  Brandunglückes  1 2  fl.  20  kr.  Konv.-M.  und  für  einen 
Garden  in  Burgau,  welcher  durch  Feuer  alles  verlor,  wurde 
ebenfalls  ein  Beitrag  erbeten. 

Das  Selbstbewußtsein  der  Nationalgarden  mußte  durch 
die  behördlichen  Verfügungen  gehoben  worden  sein. 

Die  Kurrende  des  k.  k.  steiermärkischen  Landesprä- 
sidiums gibt  bekannt,  daß  diejenigen,  welche  unbefugt  die 
Uniform  oder  ein  Abzeichen  der  vereinigten  Nationalgarde 
tragen,  nach  §  178  lit.  b  des  I.  und  des  §  88  des  IL  Teiles 
des  Strafgesetzes  und  nach  der  mit  Hofkammerpräsidialdekret 
Yom  29.  März  1816,  Z,  1224L.-G.-S.  kundgemachten  Aller- 
höchsten Entschließung  zu  bestrafen  sind. 

Die  Kurrende  ebendesselben  Präsidiums  vom  14.  Sep- 
tember 1848  erklärt  die  Nationalgarde  als  öffentliches 
Organ  und  behandelt  die  Strafbestimmungen  in  bezug  auf 
etwaige  gegen  diese  vorkommende  Widersetzlichkeiten. 

Der  auch  nach  Deutschlandsberg  an  die  Garde  gelangte 
Tagesbefehl  des  Oberkommandanten  der  vereinigten  National- 
garde in  Steiermark,  General  Pürker  ddto.  Graz  am  9.  August 
1848  hebt  hervor:  Die  Nationalgarde  sei  ein  Staatsinstitut, 
hervorgerufen  durch  die  Konstitution,  sie  habe  die  weitere 
Ausbildung  der  letzteren  und  die  von  ihr  ausgehenden  Ge- 
setze zu  schirmen,  sowie  die  Sicherheit  der  Person  und  des 
Eigentums  zu  erhalten. 

Das  Gardeleben  war  vielfach  insbesondere  in  der  ersten 
Zeit  ein  bewegtes.  Exerzieren,  Scheibenschießen,  Patrouillen- 
I  gänge,    Beteiligung   an  Festlichkeiten   und  Ausflügen  wech- 
I  selten  ab. 

Im  November  1848  berichtete  das  Kommando  an  das 
1  Nationalgardeoberkommando  in  Graz,  die  Mannschaft  sei 
I  mit  den  Kugelstutzen  bereits  einexerziert,  müsse  jedoch  auch 
I  mit  dem  Schießen  vertraut  werden,  weshalb  um  unentgelt- 
i  liehe  Einsendung  von  1000  Patronen  gebeten  wird,  da  die 
t  Gemeinde  für  die  Armierung  schon  600  fl.  ausgegeben  und 
I  die  Garden  die  Kosten  der  TJniformierung  selbst  getragen 
haben.  Das  k.  k.  Generalkommando  erklärte  nur  gegen  Be- 
J  Zahlung   des  Limitopreises    dem  Ansuchen    entsprechen   zu 

14* 


212  Deutschlandsberg  in  den  Jahren  1848  und  1849. 

können.  Die  Nationalgarde  entschloß  sich,  25  Pfund  feinen 
Pulyers  zu  dem  limitierten  Preise  zu  kaufen  und  zur  Kosten- 
ersparung  die  Patronen  selbst  anzufertigen. 

Auf  die  Scheibe  wurde  im  alten  Schlosse  von  der 
Bernauerruhe  hinauf  gegen  den  Wald  geschossen. 

Der  aufgeregte  Zustand  der  Bevölkerung  erforderte  erhöhte 
Wachsamkeit.  Von  dem  k.  k.  Ereisamte  Marburg  war  zwar  der 
Magistratsbeamte  Kortschak  mit  der  Polizeiaufsicht  im 
Markte  betraut  und  beauftragt,  wegen  der  unruhigen  Zeiten 
mit  Umsicht  und  Strenge  für  Ruhe  und  Ordnung  zu  sorgen. 
Allein  derselbe  stellte  die  Patrouillen  ein,  weil  er  mißhandelt 
und  der  Täter  nicht  bestraft  wurde,  Bauern  und  Knechte 
ihn  bedrohten  und  auch  einzelne  Bürger  sich  über  die  Kon- 
trolle der  Gasthäuser  aufhielten.  So  war  es  denn  wohl  Auf- 
gabe der  Garde,  die  Gemüter  zu  beruhigen,  Ausschreitungen 
vorzubeugen  und  dieselben  zu  unterdrücken. 

Daß  zur  Frohnleichnamsprozession  ausgerückt  und  bei 
Festlichkeiten  mitgewirkt  wurde,  ist  selbstverständlich. 

Insbesonders  großartig  gestaltete  sich  die  Feier  des 
Namensfestes  des  Kaisers  am  18.  August  1849.  Die  Bürger- 
schaften von  Deutschlandsberg  und  Schwanberg  versammelten 
sich  in  HoUenegg,  die  Nationalgarden  beider  Orte  zogen  mit 
ihren  Musikchören  in  die  Schloß-  und  Pfarrkirche,  wo  das 
Hochamt  gehalten  wurde.  Nach  demselben  fand  vor  dem 
Schlosse  die  Parade  statt,  welche  durch  ein  in  wenigen 
Bü!  gershäusem  noch  vorhandenes  Bild  verewigt  ist.  Diese 
Aufnahme  ist  in  neuester  Zeit  auch  für  Ansichtskarten  ver- 
wendet. 

Im  Vordergrunde  sind  der  sehr  beleibte  Schwanberger 
Hauptmann  Arzt  Wer  Olli,  dann  der  Landsberger  Gardearzt 
Millhans  und  Hauptmann  Egner  sichtbar,  welchen  der 
Oberleutnant  Schaffernagg  mit  gesenktem  Säbel  Rapport 
erstattet.  Rechts  stehen  in  ansehnlicher  Reihe  die  beiden 
Nationalgarden  mit  Fahne  und  Musik,  links  die  Deutsch- 
landsberger  Gardekanone  und  Publikum.  Abgeschlossen  vrird 
die  Darstellung  durch  das  Schloß  HoUenegg. 

Eine  Aufzeichnung  gibt  Kunde  von  dem  bedeutenden  Ver- 
brauche an  Pulver  bei  diesem  Feste  durch  die  Landsberger  Garde. 
Nicht  weniger  als  230  blinde  Patronen  und  eine  große  Anzahl 
Kanonenpatronen  wurden  verschossen.  Der  als  Vertreter  der 
Landsberger  Artillerie  fungierende  Amtsdiener  Kowanta 
setzte  sich  beim  Abfeuern  der  Kanone  auf  dieselbe  und  be- 


Von  Dr.  Wilhelm  Knaffl.  213 

zahlte  dieses  Unternehmen  durch  den  erlittenen   Stoß  mit 
einem  Falle  zn  Boden,  ohne  übrigens  Schaden  zu  nehmen. 

Nach  der  Parade  wurde  auf  die  körperliche  Stärkung 
nicht  vergessen.  Bei  dieser  Verbrüderung  der  beiden  Garden 
muß  es  hoch  hergegangen  und  dem  Schilcher  stark  zuge- 
sprochen worden  sein,  denn  am  Eückmarsche  der  Deutsch- 
landsberger  gerieten  nicht  wenige  der  Garden  ungeachtet 
des  mahnenden  Kommandos  des  Hauptmannes  „Habt  acht'^ 
mit  dem  Straßengraben   in  eine   bedenkliche  Bekanntschaft, 

Am  11.  September  1849  ergeht  von  dem  Nationalgarde- 
kommando in  Leibnitz  an  das  Deutschlandsberger  Kommando 
die  Einladung,  sich  zum  Emp&nge  Seiner  Majestät  unseres 
ji^endlichen  Kaisers  einzufinden.  Die  Ausrückung  finde  Sonn- 
tag den  16.  September,  7  Uhr  früh,  statt.  „Die  Gelegenheit, 
unseren  jugendlichen  Kaiser  das  erstemal  zu  sehen  und  als 
Landesherm  zu  begrüßen,  wird  kein  wackerer  Patriot  un- 
benutzt vorübergehen  lassen",  heißt  es  in  dem  Schreiben. 
Die  Deutschlandsberger  Garde  beteiligte  sich  am  bestimmten 
Tage  mit  einer  starken  Abordnung  an  der  Huldigung.  Der 
noch  lebende  Gemeindevorsteher  Wallner  versah  das  Amt 
des  Trompeters. 

Doch  nicht  nur  bei  patriotischen  Festen  war  die  National- 
garde immer  zu  finden,  auch  das  Vergnügen  blieb  nicht 
vergessen. 

Außer  den  bereits  erwähnten  Tanzunterhaltungen  ist 
die  Veranstaltung  von  Ausflügen  nachweisbar.  Das  einemal 
wählte  sich  die  Garde  als  Ziel  der  kriegerischen  Operation 
den  Dengg-,  nun  Schleicherschen  Weingarten  in  Burgegg, 
wo  der  Magnet,  die  schöne  Tochter  Elisabeth,  hauste.  Nach 
den  Regeln  der  Taktik  wurde  ein  klug  ausgeheckter  An- 
griff auf  das  Weingartenbaus  inszeniert  und  dasselbe  im 
Sturm  genommen.  Der  Lohn  für  diese  Tat  blieb  nicht  aus. 
Der  Schilcher  floß  in  Strömen.  Dieser  Erfolg  ermutigte  zu 
neuen  Unternehmungen. 

Am  Eingange  der  Klanrni  in  Burgegg,  der  Perle  von 
Dentschlandsberg,  erbaute  Herr  v.  Frizberg  eine  idyllisch 
gelegene  Bierballe,  deren  Umgebung  noch  nicht  durch  In- 
dustriebauten um  den  ländlichen,  stimmungsvollen  Reiz  ge- 
bracht war.  Nichts  lag  näher,  als  auch  diesem  einladenden 
Objekte  die  militärische  Aufinerksamkeit  zuzuwenden.  Die 
beim  Denggschen  Weingarten  durch  die  günstigen  Erfahrungen 


2U  Deutschlandsberg  in  den  Jahren  1848  und  1849. 

erprobten  Operationen  erlebten  eine  neue  Auflage.  Wieder 
Sturm  und  wieder  Sieg  mit  schließlichem  Konsum  von  un- 
endlichen Bierquantitäten. 

Diese  nahen  Ziele  genügten  jedoch  der  Grarde  nicht 
mehr,  es  mußte  weitergestrebt  werden.  Die  Bürgerschaften 
von  Deutschlandsberg  und  6roS-St.  Florian  waren  und  sind 
immer  alliiert  und  in  guter  Freundschaft. 

Daher  erscholl  der  Ruf  „Auf  nach  St.  Florian",  welchem 
Rufe  bereitwilligst  Folge  geleistet  wurde. 

Mit  zahlreicher  Mannschaft  rückte  die  Garde  von  Deutsch- 
landsberg im  Nachbarorte  ein.  Der  Empfang  war  ein  glänzender, 
es  beduifte  keines  Sturmangriffes.  Das  Hauptquartier  wurde 
im  altbekannten  Grasthof  zum  „Weißkopf*  angeschlagen.  Die 
Landsberger  und  Florianer  fanden  es  dort  so  gut  und  an- 
nehmlich, daß  ihnen  die  Vornahme  von  weiteren  Rekognos- 
zierungen ganz  überflüssig  erschien.  Dieses  mußte  aber  ge- 
büßt werden.  Denn  der  Feind  lag  im  Hauptquartier,  im 
Keller  des  Gasthofes  selbst.  Sämtliche  kriegerischen  Recken 
erlitten  eine  jämmerliche  Niederlage.  Nach  stundenlangem 
Pokulieren  erreichte  die  Begeisterung  eine  solche  Höhe,  daß 
nach  der  Sitte  der  damaligen  Zeit  sämtliche  Gläser  den 
Untergang  fanden  und  wegen  Mangels  an  Gefäßen  die  Fort- 
setzung des  Festes  unterbunden  war.  Die  Deutschlandsberger, 
auf  das  Haupt  geschlagen,  waren  genötigt,  den  Heimweg  an- 
zutreten. 

Daß  auch  mit  der  Schwanberger  Nationalgarde  außer 
beim  Kaiserfeste  in  Hollenegg  1849  Zusammenkünfte  statt- 
fanden, kann  bei  der  bestandenen  Eintracht  als  sicher  an- 
genommen werden. 

Ungeachtet  dieser  vielen  teils  ernsten,  teils  harmlosen 
Betätigungen  werden  frühzeitig  Zeichen  der  Sorge  oder  Un- 
lust bemerkbar. 

Schon  unterm  28.  August  1848  berichtet  das  Deutsch- 
landsberger Kommando  an  das  Oberkommando,  es  verbreite  sich 
der  Wahn,  die  Garden,  unter  welchen  viele  Familienväter  und 
Gewerbsleute  sind,  werden  zu  externen  Diensten  verwendet 
werden,  weshalb  um  eine  beruhigende  Erklärung  ersucht  wird. 
Die  Antwort  darauf  erfolgte  dahin,  Ortschaften  unter  1000 
Seelen  seien  nicht  verpflichtet,  eine  Nationalgarde  zu  errichten, 
daher  die  Aufstellung  der  Garde  in  Deutschlandsberg  nur 
guter  Wille  sei  und  deshalb  die  Verwendung  außer  dem  Be- 


Von  Dr.  Wilhelm  Knaffl.  215 

zirke  niöht  stattfinden  könne ;  zudem  sei  dieselbe  ein  lokales 
Institut  und  habe  für  die  Aufrechthaltung  der  Kühe  und 
Ordnung  ausschließlich  im  eigenen  Bezirke  zu  sorgen. 

Ein  gedruckter  Tagesbefehl  des  Oberkommandos  vom 
2.  Dezember  1848,  welcher  auch  an  das  Deütschlandsberger 
Kommando  gelangte,  teilt  den  Beschluß  .  des  Verwaltungs- 
rates mit,  daß,  nachdem  viele  Herren  Garden  durch  Dienst- 
verweigerung die  Last  den  fleißigen  Herren  aufbürden,  der 
•sich  dem  Dienste  Entziehende  vor  die  Kompagniejury  zu 
laden  und  im  ersten  Fälle  üiit  einem  Verweise,  im  zweiten 
Falle  mit  einer  Geldstrafe,  im  dritten  Falle  aber  durch  Aus- 
schluß unter  Anzeige  an  das  Oberkommando  zur  weiteren 
Amtshandlung  zu  bestrafen  sei.  Letzterer  müsse  wegen  des 
öffentlichen  Charakters  des  Wachdienstes  auch  dem  Publikum 
zur  Kenntnis  gebracht  werden. 

Diese  Erscheinungen  standen  offenbar  im  Zusammenhange 
mit  den  politischen  Ereignissen.  Die  Unruhen  in  Wien,  welche 
ihr  Ende  mit  dem  Oktoberaufstande  fanden,  die  Kriege  in 
Italien  und  Ungarn,  die  von  Graz  angestellten  Versuche, 
den  Landsturm  zugunsten  der  Wiener  zu  organisieren,  mögen 
tiuf  die  Garden  deprimierend  und  abkühlend  gewirkt  haben. 
•  Obwohl  die  Rechnungsaufschreibungen  nicht  vollständig 
vorhanden  sind  und  über  die  Geldgebarung  kein  genaues 
Bild  geben,  so  läßt  sich  doch  so  viel  entnehmen,  daß  das 
Hauptbuch,  enthaltend  die  wöchentlichen  Einlagen  der  Garden, 
mit  August  1848  beginnt  und  im  Dezember  1849  schon  endet. 
Wenn  nicht  noch  andere  in  Verlust  geratene  Rechnungen 
in  dieser  Richtung  existierten,  muß  ein  frühzeitiges  Erlahmen 
der  Opferwilligkeit  gefolgert  werden. 

Zu  keinem  anderen  Schlüsse  kommt  man  bei  Betrach- 
tung des  Journals  über  Einnahmen  und  Ausgaben.  Dasselbe 
nimmt  den  Anfang  im  Monate  September  1848  und  endet 
mit  21.  April  1850. 

Die  letzten  Einlagen  der  Garden  sind  im  September 
1849  verzeichnet,  die  weiteren  Einnahmen  stellen  sich  der 
Hauptsache  nach  aus  dem  Verkaufe  von  Pulver  an  Private, 
die  Schützengesellschaft  und  zur  Osterfeier  zusammen. 

Die  Schlußrechnung  vom  21.  April  1850,  an  welchem 
Tage  der  letzte  Verkauf  von  Pulver  eingetragen  erscheint, 
ergibt  eine  Barschaft  von  23  fl.  39  kr.  Konv.-M. 

Da  Kortschak  für  die  „Teller"  (Tschinellen  oder  Becken) 
der  Musikbande  80  fl.  Konv.-M.  zu  fordern  hatte,  blieb  ein 
Abgang  mit  6  fl.  61  kr.  Konv.-M. 


216  Deutschlandsberg  in  den  Jahren  1848  und  1849. 

Der  Tag  der  formellen  Auflösung  der  Nationalgarde  in 
Deutschlandsberg  ist  nicht  bekannt. 

Mit  dem  kaiserlichen  Patente  vom  22.  August  1851, 
Z.  191  R.-Gr.-BL,  wurden  die  unter  dem  Namen  der  National- 
garde bestehenden  bewaffneten  Körper,  wo  sie  innerhalb  des 
Reiches  noch  bestehen,  von  nun  an  außer  Wirksamkeit  gesetzt. 

Nachdem  ein  an  den  Bftrgermeister  von  Deutschlands- 
berg  gerichtetes  Dekret  der  k.  k.  Bezirkshauptmannsehaft 
Stainz  schon  unter  4.  September  1851  auffordert:  Mitglieder 
der  bestandenen  Nationalgarde  namhaft  zu  machen, 
welche  sich  während  der  Wirksamkeit  dieses  Institutes 
durch  patriotischen  Eifer  und  die  Handhabung  der  öffent- 
lichen Ordnung  und  Gesetzlichkeit  mehr  oder  minder  be- 
kannte Verdienste  erworben  haben,  diese  Bezirkshaupt- 
mannsehaft aber  vom  Gemeindevorstande  im  Sinne  obigen 
Patentes  erst  am  20,  Oktober  1851  die  Ablieferung  der 
Waffen,  Fahne  und  Trommel  entweder  an  das  k.  k.  Garni- 
sonsattilleriedistriktskommando  in  Graz  oder  an  erstere^ 
und  die  Übergabe  der  Akten  zur  Aufbewahrung  begehrte, 
dürfte  die  Annahme  nicht  ungerechtfertigt  sein,  die  National- 
garde in  Deutschlandsberg  habe  vor  dem  22.  August  1851  ihr 
Ende  erreicht. 

Nach  dieser  kaiserlichen  Verordnung  war  der  Wert 
der  auf  eigene  Kosten  angeschafften  und  noch  verwendbaren 
Waffen  im  administrativen  Wege  zu  ermitteln  und  den  be^ 
treffenden  Eigentümern  (Gemeinden  oder  einzelnen)  zu  ver- 
güten. 

Ende  November  1851  schickte  die  Marktgemeinde  an 
das  Distriktskommando  29  Stück  Gardestutzen  samt  Hau- 
bajonett  mit  Scheiden  und  fragte  an,  ob  auch  Riemen  und 
Kartuschen  gegen  Entschädigung  übernommen  würden,  was 
verneint  wurde.  Die  k.  k.  Bezirkshauptmannsehaft  Stainz 
reklamierte  unterm  28.  Dezember  1851  beim  Gemeindevor- 
stande  die  Ablieferung  des  noch  fehlenden  einen  Stutzen, 
der  Trommel,  der  Fahne  und  der  Kanone  oder  Nachweis 
der  erlangten  Nachsicht  der  Ablieferung.  Auch  die  Übergabe 
der  Akten  wurde  betrieben. 

Nach  eineiö,  geraume  Zeit  in  Anspruch  nehmenden 
Hin^  und  Herschreiben  erhielt  die  Marktgemeinde  endlich 
von  der  k.k.  Bezirkshauptmannsehaft  Stainz  uhterm  9.  No- 
vember 1858  die  Verständigung,  daß  fllr  die  29  Stücke  in 
Messing  montierte  Stutzen  mit  Bleehbeschlägen  und  glatten 
Läufen,    Haubajonett,    Ladöstöcken    und   Scheiden   für   das 


Von  Dr.  Wilhelm  Knaffl.  217 

Stück  anstatt  der  beanspruchten  10  fl.  nur  4  fl.  30  kr.,  somit 
zusammen  130  fl.  30  kr.  Konv.-M.  zugesichert  seien.  Die 
Auszahlung  dieses  Betrages  erfolgte  gar  erst  am  23.  Mai  1854. 

Die  große  Trommel  blieb  im  Besitze  der  Marktgemeinde 
und  wurde  noch  im  Jahre  1 883  anläßlich  des  Kaiserbesuches 
von  der  Marktmusik  verwendet.  Die  weiß-grttne  Fahne  der 
Nationalgarde  verwandelte  sich  in  zwei  Kirchenfahnen  und 
die  Kanone  nahm  ein  wenig  rühmliches  Ende  als  altes  Eisen 
heim  Hammerschmied  Treiber. 

Die  Wahlbewegung  scheint  in  Deutschlandsberg  keine 
besonders  lebhafte  gewesen  zu  sein,  wenigstens  sind  darüber 
nicht  viel  Aufzeichnungen  zu  finden. 

Interessant  ist  die  Tatsache,  daß  im  Gegensatze  zu 
unserer  Zeit  im  März  1848  das  Konsistorium  den  gesamten 
Klerus  der  Diözesen  Seckau  und  Leoben  aufforderte,  in 
Wort  und  Tat  sich  fem  zu  halten  von  aller  Einmischung 
in  die  politischen  Ereignisse,  und  vorzüglich  sei  dies  in  den 
Predigten  zu  beobachten,  rücksichtlich  welcher  dem  Klerus 
mit  allem  Nachdrucke  nicht  nur  jede  Erwähnung  politischer 
Gregenstände,  sondern  auch  alle  persönlichen  Anspielungen 
und  andere  Ausfälle  emstlichst  untersagt  werden,  (Gatti, 
Ereignisse  des  Jahres  1848  in  der  Steiermark,  pag.  25). 

Der  provisorische  Landtag  wurde,  vom  steiermärkisch- 
ständischen  Ausschusse  unterm  19.  Mai  1848  für  den 
13,  Juni  1848  nach  Graz  ausgeschrieben.  Der  Markt  Deutsch- 
landsberg hatte  einen  Wahlmann  zu  wählen. 

Laut  WahlprotokoUes  des  Magistrates  vom  30.  Mai  1848 
waren  Mitglieder  der  Wahlkommission  Matthias  Jauk,  Dechant, 
Michael  Fritzberg,  Rupert  Kortschak,  Josef  Milhans,  Ignaz 
Schaffemagg,  Liberius  Hohl,  Josef  Göbl  und  Andreas  Reich- 
mann.  Abgegeben  wurden  43  Stimmen,  von  welchen  34 
auf  Michael  Fritzberg  (Friz  Edler  von  Frizberg)  entfielen. 
Behufs  Wahl  des  Abgeordneten  hatte  sich  derselbe  zum 
Kreisamte  Marburg  zu  verfügen.  Die  bürgerlichen  Gemeinden, 
insofeme  sie  nicht  selbst  allein  einen  Abgeordneten  zu  Wählen 
hatten,  wählten  durch  Wahhnänner  kreisweise.  Den  Städten 
und  Märkten  des  Marburger  Kreises,  mit  Ausschluß  von 
Marburg  und  Pettau,  waren  zwei  Abgeordnete  gewährt.  Ge- 
wählt wurden  Dr.  Johann  Gottweiß  und  Dr.  Stefan  Kotschevar, 
als  deren  Ersatzmänner  Jakob  Kruschnik  und  Dr.  ;Peler 
Trümmer. 

Für  die  Wahl  zur  konstituierenden  deutschen  National- 
versammlung in  der  freien  Stadt  Frankfurt  a.  M.  War  Steiert 


218  Deutsclilandsberg  in  den  Jahren  1848  und  1849. 

mark  in    16  Wahlbezirke  mit   durchschnittlich  50.000  Ein- 
wohnern eingeteilt. 

Die  Bezirke  Deutschlandsberg,  EiUswald,  KinnhofeiL 
Mahrenberg,  Amfels,  Trautenburg,  Burgstall,  Schwanberg  mit 
HoUenegg,  Wildbach,  Seckau,  Waldschach,  Harrachegg,  Glein- 
stätten  und  Welsbergl  bildeten  einen  Wahldistrikt  mit  dem 
Hauptorte  Gleinstätten. 

Bei  der  am  8.  Mai  1848  in  Gleinstätten  ebenfalls  durch 
Wahlmänner  stattgefundenen  Wahl  ging  Dr.  Guido  Pattai 
als  Deputierter  hervor.  Derselbe  kehrte  unter  den  Steierem 
als  letzter  von  Frankfurt  a.  M.  zurück. 

Das  größte  Interesse  brachte  man  den  Wahlen  in  den 
österreichischen  Reichstag  entgegen.  Nach  der  Yerfassiings- 
Urkunde  vom  25.  April  1848  hätte  der  Reichstag  aus  einem 
Senate  und  der  Kammer  mit  383  gewählten  Mitgliedern  be- 
stehen sollen.  Infolge  der  Maiereignisse  in  Wien  erschien  die 
Proklamation  vom  16.  Mai  1848,  mit  welcher  bestimmt 
wurde,  daß  fllr  den  ersten  Reichstag  nur  eine  Kammer,  und 
zwar  ohne  Zensus  der  Wähler  behufs  Beratung  der  Verfassung 
vom  25.  April  1848  und  der  Wahlordnung  zu  wählen  sei. 
Mit  dem  Zirkulare  des  Magistrates  Deutschlandsberg  vom 
27.  Mai  1848  erhielt  jeder  Wahlberechtigte  einen  Wahlzettel, 
worauf  er  jene  zwei  Herren  anzusetzen  hatte,  welchen  die  Wahl 
des  Deputierten  fllr  den  Reichstag  oblag.  Die  Wahl  der  Wahl- 
männer erfolgte  am  30.  Mai  1848  in  der  Kanzlei  der  Be- 
zirksobrigkeit in  Feilhofen. 

Die  Namen  der  gewählten  Wahlmänner  sind  nicht  be- 
kannt. 

Im  Marburger  Kreise  waren  Wahlorte:  Marburg, 
Pettau,  Leibnitz  und  St.  Leonhard  in  Windischbtlheln ;  die 
Wahl  fand  am  20.  Juni  1848  statt. 

Der  Markt  Deutschlandsberg  hatte  in  Leibnitz  zu  wählen. 

Als  Reichstagsabgeordneter  wurde  in  diesem  Wahlorte 
Josef  Halm,  Färber  in  St.  Florian,  erkürt. 

Die  Wahlen  in  dem  Markte  Deutschlandsberg  gingen  in 
der  größten  Ordnung  vor  sich,  womit  aber  nicht  gesagt  sein 
soll,  daß  anderwärts  ein  Gesetz  zum  Schutze  der  Wahlfrei- 
heit ganz  unnütz  gewesen  wäre.  So  wurde  beispielsweise  in 
der  Nachbargemeinde  Burgegg  Josef  Wallner,  der  Vater  des 
eingangs  erwähnten  Gewährsmannes  Herrn  Josef  Wallner, 
zum  Wahlmann  gewählt.   Derselbe  war  auch  herrschaftlicher 


Von  Dr.  Wilhelm  Knaffl.  219 

Robotschaffer,  was  das  Mißtrauen  der  bäuerlichen  Wähler 
gegen  ihn  erweckte,  da  sie  unter  der  Reorganisation  Öster- 
reichs nur  die  Abschaflfung  des  Zehents,  der  Robot  etc. 
verstanden. 

Kurz  vor  der  Wahl  erschienen  etwa  dreißig  Bauern  aus 
der  Lebinger  Gegend  bei  der  Behausung  des  Josef  Wallner 
und  erzwangen  die  Herausgabe  der  Legitimation,  so  daß 
derselbe  an  der  Wahl  nicht  teilnehmen  konnte. 

Nach  den  wenigen  aus  der  fraglichen  Zeit  zur  VerjFügung 
stehenden  Akten  und  der  Tradition  dürfte  geschlossen  werden, 
daß  die  Deutschlandsberger  in  ihrer  Mitte  keine  treibenden 
radikalen  Elemente  hatten,  weshalb  die  Vorgänge  mehr  den 
Eindruck  konservativer  Gesinnung  machen.  Anderseits  ist 
aber  nicht  zu  verkennen,  dem  heute  so  sehr  aufblühenden 
Gemeinwesen  standen  auch  damals  leitende  Männer  zur  Ver- 
fügung, welche  den  Erscheinungen  des  beginnenden  öffent- 
lichen Lebens  gegenüber  nicht  teilnahmslos  blieben. 


Zur  Wappendrimg  „Bürgerlicher". 

Berichtigungen  und  Ergl^nzungen  zum  gleichnamigen  Aufsatze   in  dem 

vorigen  Hefte. 


Im  Torigen  Hefte  wurde  des  Prozesses  Erwähnung  getan,  in  dem 
der  Inhaber  eines  heraldischen  Institutes  und  Herausgeber  einer  zwei- 
bändigen Genealogie  bürgerlicher  Familien  Österreichs,  Herm.  Hermann, 
in  Wien  verurteilt  worden  war.  Prozeß  und  Verurteilung  waren  gleich 
merkwürdig  und  schon  die  Zeitungsberichte  ließen  erkennen,  daß  die 
Ankläger  (Ministerium  des  Innern  und  Staatsanwalt)  si^h  nicht  klar 
und  nicht  einig  waren,  wie  vorzugehen  wäre.  So  ließ  letzterer  den 
monatelang  vorbereiteten  Teil  der  Anklage  plötzlich  fallen,  dessentwegen 
sich  das  Ministerium  in  Bewegung  gesetzt  hatte,  so  daß  schon  dadurch 
allein  die  eigentliche  „Wappenfrage"  entschieden  war.  Es  blieb  nur 
mehr  die  Schädigungsanklage  aufrecht  (im  ganzen  handelte  es  sich  um 
2600  Kronen),  die  die  Geschworenen,  die  eine  Menge  Worte  von  der 
Gefährlichkeit  eigenmächtiger  >  Wappenannahme  vorher  gehört  hatten, 
in  ihrer  Mehrheit  mit  „schuldig"  beantworteten.  Der  Verurteilte  hat 
nun  in  einem  ziemlich  umfangreichen  und  lesenswerten  Buche  den 
Prozeß  dargestellt  und  es  wäre  sehr  zu  wünschen,  daß  eine  völlige  und 
befriedigende  Widerlegung  der  in  ihrer  Menge  recht  schwer  wiegenden 
Behauptungen  und  Anklagen  des  Verfassers  in  vielfachem  Interesse 
baldigst  erfolgte.  Der  Verurteilte  hat  aber  auch  Schritte  eingeleitet, 
die  eine  Wiederaufnahme  des  ganzen  Verfahrens  bezwecken.  Nicht  zu 
widerlegen  wird  übrigens  die  Folgerung  trotz  allem  wohl  bleiben  müssen, 
daß  in  ganz  und  gar  unjuristischer  und  laienhafter  Art  und  Weise  zwei 
Fragen  vom  Wiener  Gerichte  miteinander  verschlungen  und  durcheinander 
gewirrt  wurden,  die  gar  nichts  gemeinsam  haben:  die  Frage  nach  der 
Berechtigung  bürgerlicher  Wappen  und  jene  nach  der  Schädigungsabsicht 
des  Angeklagten.  Dadurch  haben  sich  die  Behörden  gerade  kein  glän- 
zendes Zeugnis  ausgestellt.  Die  Frage  nämlich,  ob  Bürgerliche  auch 
ohne  Wappenbrief  berechtigt  sind,  Wappen  zu  führen,  kann  vor  und 
von  einem  Gerichtshofe. —  weil  derartige  Beanständungen  rein  polizei- 
licher Natur  sind  —  überhaupt  nicht  entschieden  werden,  da  ein  solcher 
sich  ja  nur  mit  Gesetzesübertretungen  befassen  darf.  Wozu  erschien 
also  der  Ministerialbeamte  mit  den  hundertundvierzig  Jahre  alten  Hof- 
dekreten? Zur  Überraschung  für  die  anwesenden  Juristen  oder  zur 
Verwirrung  der  Geschworenen?  Jetzt,  wo  diese  bekannt  geworden 
sind,  steht  es  freilich  bombenfest,  daß  sie  auch  polizeilichen  Wert 
durchaus  nicht  besitzen  und  nur  „fromme  Wünsche '^  enthalten.  Das 
ist    das    einzige    positive    Ergebnis.    Denn   der   Verordnung   vom    19. 


Zur  Wappenführung  „Bürgerlicher".  221 

Jänner  1765,  die  die  Führung  bürgerlicher  Wappen  ohne  „Eonzes- 
sion" „eingestellet"  wissen  wollte,  fehlt  nämlich  jegliche  DurchfÜh- 
ningsbestimmnng.  Eine  solche  ist  auch  später  nie  eäossen,  auch  nicht 
infolge  des  Bundschreibens  vom  28.  Juli  1765,  das  eine  gewisse  Taxe 
ftkr  den  Eonzessionswerber  eingeführt  zu  sehen  wünscht.  Infolgedessen 
ist  natürlich  nie  der  Versuch  gemacht  worden,  irgendwelche  Folge- 
i-ungen  aus  dem  „Dekrete"  zu  ziehen,  so  daß  bisher  kein  Mensch  von 
seinem  Basein  etwas  wußte.  —  In  dem  vorigen  Aufsatze  wurde  weiters 
gesagt,  daß  der  Verein  „Herold*  in  Berlin  die  Wappenmatrik  für  das 
Deutsche  Beich  führe.  DieBe  Mitteilung  ist  dahin  richtig  zu  stellen, 
daß  der  Geschäftsführer  des  Vereines  „Herold",  Herr  Professor  Hilde* 
lirandt,  über  Wunsch  die  Eintragung  von  Familienwappen  in  das  große 
l^appenbuch  besorgt,  das  bei  Bauer  und  Baspe  in  Nürnberg  erscheint 
<„  Neuer  Siebmacher").  Von  bürgerlichen  Wappen  sind  bis  heute  gegen 
22.000  darin  erschienen,  die  sieben  große  Bände  füllen,  denn  auch  in 
Deutschland  war  und  ist  die  Annahme  von  Wappen  Beschränkungen 
nicht  unterworfen. 

Dr.  Ferd.  Ehull. 


Literaturberichte. 

König  AlbrecM  U.  (1437—14390  Von  Dr.  Wilhelm  \Vostry. 
Prag,  Rohliöek  und  Sievers,  1907.  196  S.  (Prager  Studien  auf  dem 
Gebiete  ^er  Geschichtswissenschaft,  herausgegeben  von  Prof.  Dr.  A.  Bach- 
mann, Heft  Xm.)  Das  zweite  Heft  von  Wostrys  Arbeit  behandelt  zn* 
nächst  Albrechts  verdienstliche,  aber  erfolglose  Stellungnahme  zur  viel- 
erörterten Beichsreform.  Persönlich  im  Beich  zu  erscheinen,  was  dem 
Beformgedanken  entsprechenden  Nachdruck  gegeben  hätte,  war  dem 
Könige  während  der  zwei  Jahre  seiner  Begierung  nicht  möglich,  dainr 
sorgten  die  Umtriebe  der  tschechisch-polnischen  Partei,  die  ihn  1438 
zu  einem  Zuge  nach  Schlesien  nötigte.  Die  Tttrkengefahr  hieß  ihn 
schleunigst  nach  Ungarn  eilen.  Hier  zeigte  sich  die  ganze  Selbstsucht 
und  geringe  patriotische  Opferwilligkeit  des  imgarischen  Adels,  als  der 
K^nig  1489  gegen  die  Türken  nach  Sttdungam  aufbrach,  dessen  un- 
gesundes Klima  ihn  hinwegraffte.  So  erhalten  wir  ein  abgerundetes 
Bild  von  Albrechts  Tätigkeit  als  König,  das  wesentliche  Ergänzungen 
zu  den  Darstellungen  des  verdienstvollen  Kurz  (K.  Albrecht  H.)  und  in 
Palaökys  „Geschichte  von  Böhmen^  bietet;  fraglos  muß  Wostrys  Arbeit 
zu  den  gehaltvolleren  der  „Prager  Studien"  gezählt  werden. 

M.  Doblinger. 

Geschiehte  der  Dentsehen  in  den  Karpathenlftndern.  Von 
Baimund  Friedrich  Kaindl.  Zweiter  Band.  Geschichte  der  Deutschen 
in  Ungarn  und  Siebenbürgen  bis  1763,  in  der  Walachei  und  Moldau 
bis  1774.  Mit  einer  Karte.  Gotha  1907.  Friedrich  Andreas  Perthes 
Aktiengesellschaft.    421  S.    Gr.  8». 

Das  rühmende  Urteil,  das  wir  in  dieser  Zeitschrift  (V,  1.  u.  2.  Heft, 
S.  143  f.)  über  den  ersten  Band,  beziehungsweise  das  erste  Buch  des 
vorliegenden  Werkes  gefällt  haben,  können  wir  auch  über  den  eben 
erschienenen  zweiten  Band  (zweites  und  drittes  Buch)  abgeben.  Für 
die  Geschichte  der  Deutschen  in  Ungarn  und  Siebenbürgen  hat  der 
Verfasser  wohl  mannigfache  Vorarbeiten  vorgefunden,  aber  trotzdem 
ist  ihm  noch  viel  zu  tun  übrig  geblieben,  sein  Verdienst  ist  auch  diesmal 
ein  großes.  Er  beherrscht  den  weitverzweigten  Stoff  vollständig  und 
weiß  ihn  nach  seinen  Gesichtspunkten  zu  gestalten  und  zu  beleben. 
In  dem  Detail  versteht  er  weise  Auswahl  zu  treffen  und  von  den 
geschichtlichen  Erscheinungen  greift  er  die  zu  näherer  Beleuchtung 
heraus,  in  denen  sich  eine  Idee  oder  Bichtung  besonders  veranschaulicht. 
So  hat  auch  der  neue  Band  durchaus  originellen  Charakter. 

Das  erste  Kapitel  des  zweiten  Buches  bringt  den  äußern  Gang  in 
der  Geschichte  der  deutschen  Ansiedlung  in  Ungarn  und  Siebenbürgen, 
ihre  Entwicklung  und  ihren  Bückgang  zur  Darstellung,  das  zweite 
Kapitel  die  Verbreitung  und  Herkunft  der  deutschen  Ansiedler,  das 
dritte  die  innere  Entvricklung  der  deutschen  Gemeinwesen  und  Gaue, 
die  deutsche  Kulturarbeit. 

Auf  einzelnes  soll  hier  nicht  eingegangen  werden.  Nur  eine  Be- 
merkung sei  gestattet,  die  auf  den  von  dem  Unterzeichneten  in  Heft  1 
und  2  des  vierten  Jahrganges  dieser  Zeitschrift,  S.  48  ff.,  veröffentlichten 


Literaturberichte.  223 

Aufsatz  Ober  die  deutschen  Besiedlungen  Siebenbürgens  Bezug  nimmt.  In 
Übereinstimmung  mit  den  neuesten  sprachwissenschaftlichen  Forschungen 
Über  die  Herkunft  der  Siebenbttrger  Sachsen  leitet  auch  Eaindl  „die  über- 
wiegende Zahl^   der  im  12.   und   13.   Jahrhundert  nach   Siebenbürgen 
eingewanderten  Deutschen  aus  dem  mittelfränkischen  Gebiete  her*  Aber 
S.  206ff.  legt  er  neuerdings  eine  Lanze  für  die  flandrische  Herkunft 
eines,  wenn  auch  kleinen  Teiles  der  Zipser  und  der  Siebenbttrger  Sachsen 
ein.     Die   Möglichkeit   dessen    soll  nicht   in   Abrede   gestellt   werden, 
glaubte  doch  auch  der  Unterzeichnete  in  Nr.  119  der  „Wiener  Zeitung ** 
vom  Jahre  1906  darauf  aufmerksam  machen  zu  sollen,   daß  die  Aus- 
wanderung nach  Siebenbürgen  und  wohl  auch  nach  Nordungam  sich 
nicht   streng  nach  Sprachgrenzen  vollzogen  hat,     „Eine  Mischung  ver- 
scbiedener,   wenn  auch  nicht  weit  auseinanderliegender  Elemente  kann 
auch    hier  stattgefunden  haben. ""     Warum   sollten  denn  Deutsche  der 
Niederlande,  woher  die  ganze  Völkerwanderung  nach  dem  Osten  aus- 
gegangen ist,  nicht  auch  bid  an  den  Fuß  der  Tatra  und  in  das  sieben«- 
bürgische  Hochland  gelangt  sein?    Aber   über  die   bloße  Möglichkeit 
sind  wir  noch  immer  nicht  hinaus.    Der  Beweis  für  die  Tatsache  ist 
auch  durch  Kaindl  noch  nicht  erbracht. 

Pas  dritte  Buch  (S.  351  bis  405)  gibt  die  Geschichte  der  Deutschen 
in  der  Walachei  und  Moldau  bis  zum  Jahre  1774.  Sie  ist  uns  um  so 
willkommener  und  wertvoller,  als  bisher  darüber  nicht  viel  bekannt 
war.  Hiebei  ist  dem  Verfasser  die  Kenntnis  der  rumänischen  Sprache 
und  der  rum&nischen  Quellen  sehr  zugute  gekommen.  Den  Schluß  des 
Bandes  bilden  genaue  Literaturangaben  und  Nachträge  (zu  berichtigen : 
S.  411,  L.  nicht  K.  Reissenberger,  Die  Kerzer  Abtei,  S.  416  und  417, 
Bedens  von  Scharberg,  nicht  Scharfenberg,  S.  419  £.  Filtsch,  nicht 
Flitsch)  und  eine  Übersichtskarte  über  die  Verbreitung  der  deutschen 
Ansiedlung  und  des  deutschen  Bechtes  in  Ungarn,  Siebenbürgen,  Kroatien 
und  Slavonien  bis  1763,  in  der  Walachei  und  Moldau  bis  1774. 
Möchte  das  vorzügliche  Buch  weite  Verbreitung  finden! 

K.  Beissenberger. 
Rudolf  Graf  Khevenhüller-Metsch  und  Dr.  Hanns  Schiit* 
ter:  Ans  der  Zeit  Maria  Theresias.  Tagebuch  des  Fürsten  Johann 
Josef  Khevenhüller-Metsch,  kais.  Obershoäieisters,  1742 — 1776,  Wien 
(Adolf  Holzhausen)  und  Leipzig  (Wilhelm  Engelmann),  1907.  VII  und 
»46  S.  S. 

Mit  großen  Erwartungen  nimmt  man  das  Buch  zur  Hand,  durch 
das  —  nach  den  Worten  der  IJerausgeber  —  „die  Zeit  der  großen  Kai- 
serin einem  besseren  Verständnis  zugeführt*^  werden  soll.  Zwar  staunt 
man  anfangs  ein  wenig  über  die  recht  unwissenschaftliche  Art,  in  der 
—  in  einem  kurzen  Vorworte  —  versucht  wird,  eine  ruhmreiche  Ver- 
gangenheit gegen  das  Zeitalter  des  allgemeinen  Wahlrechtes  auszuspielen. 
Man  wird  vielleicht  sogar  ungeduldig,  da  man  auch  in  der  nahezu 
100  Seiten  langen  Einleitung  —  welche  eine  auf  Grund  eines  reichen 
Materiales  höchst  gründlich  gearbeitete  Geschichte  des  Geschlechtes  dei^ 
Khevenhüller  seit  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  enthält  —  noch 
immer  nicht  findet,  was  man  sucht.  Doch  betrachtet  man  dann  die 
hübsche  Heliogravüre  „J.  J.  Khevenhüller  im  Kreise  seiner  Familie^ 
mit  desto  freundlicherem  Interesse  und  beginnt  mit  neugeweckten  Hoff- 
nungen nun  endlich  des  Tagebuch  selbst  zu  lesen. 

Leider  wird  man  aber  auch  hiebei  bald  arg  enttäuscht.  Denn  in 
den  Aufzeichnungen,  die  sich  einstweilen  freilich  nur  auf  die  Jahre  1742 
bis  1744  beziehen,  fühlt  man  von  dem   Geiste  der  großen  Zeit  kaum 


224  Literaturberichte. 

einen  Hauch.  Wohl  erf&hrt  man  von  jedem  Ausritte  Maria  Theresias,  tob 
jedem  Kirchgange,  von  jedem  Diner.  Auch  ob  sie  dies  alles  ^öffent- 
lich*' tat  oc&r  nicht,  wird  getreulich  berichtet  und  dem  Laien  dabei 
manche  Einzelheit  des  Ho£EeremonielU  enthflllt.  So  wird  a.  B.  (S.  139) 
berichtet,  daft  die  Kaiserin  „öffentlich  speiste,  worbei  ich  in  Abwesen- 
heit des  Christ  •Hoffmeisters  und  angesezten  Obrist  Cammerers,  zu- 
mahlen  meine  Ammts  Functionen  sich  hiermit  geentiget  hatten,  dessen 
Dienste  yersehen  und  der  Königin  das  Hand  Tuch  reichen,  den  Stnhl 
rucken  und  die  Ordonnanz  begehren  maAte^.  Mit  gleicher  Grenani^eit 
werden  gelegentlich  auch  Geburten,  Verlobungen,  Hochzeiten  und  Todes- 
fälle in  einzelnen  adeligen  Häusern  verzeichnet. 

Aber  nur  selten  liest  man  von  der  Regierungstätigkeit  der  groAen 
Kaiserin.  Höchstens  ihre  Ausdauer  lernt  man  bewundern,  wenn  mu 
(S.  285)  erfährt,  dafi  sie  nach  einer  langen  Staatskonferenz,  während 
der  sie  »nichts  dann  etwas  Schwartz  Brod^  gegessen  hatte,  erst  nach 
4  Uhr  speiste  und  dann  am  Nachmittag  noth  ein  ^Appartement"  hidt 
Doch  wird  man  immerhin  —  wenigstens  einigermaften  —  aocb 
darüber  unterrichtet,  wie  Maria  Theresia  ihre  Leute  zu  behandeln  Ter- 
stand.  In  Linz  begeisterte  sie  die  Stände,  indem  sie  ^mit  ihrer  be- 
kannten liebreichen  Stimme  und  hertzigen  Contenance  zu  reden  anfieng 
jedoch  beflissentlich  nur  in  denen  gewöhnlichen  generalibus  verUibe 
und  von  allem  praescendirte  was  die  bei  letzterer  Revolution  Torbei- 
gegangene  Misshandlungen  und  Illegaliteten  berühren  und  rappeliren 
dörfte*^  und  bei  der  Huldigung  zu  Prag  hatte  sie,  „wie  wollen  die  Inqui- 
sition zur  selben  Zeit  am  beigsten  getrieben  wurde,  die  nemmliche 
mildreichste  Moderation  gebraucht,  welche  ihnen  zwar  ....  ein  und 
andere  hitzige  Köpfe  widerrathen  wollen"  (S.  160).  Auch  hatte  sie  bei 
einem  „masquirten  Bai  bei  Hoff  eine  besondere  Finesse  für  die  böh- 
mische Nation  bezeigt,  indem  sie  sich  unvermerkt  an  einem  von  böh- 
mischen Adeligen  im  nationalen  Bauernkostüm  veranstalteten  Einzüge 
gleichfalls  in  diesem  Kostüme  beteiligte".  Ebenso  ward  „einige  Tage 
hernach  auch  eine  dergleichen  Mascherade  von  ungarischen  Bauern 
und  Bäuerinen  angestellet,  um  alle  Jalousie  zwischen  beiden  Nationen 
zu  vermeiden"  (S.  125).  Vor  dem  Preßburger  Kongresse  hatte  sie  gar 
„par  finesse  und  ad  captandam  benevolentiam  ....  die  vornehmeren 
Magnaten  zu  .  .  .  (einer)  Solennitet  einladen  lassen  und  wurden  dise 
leztere  sodann  zu  Schönbmnn  an  die  königliche  Taffei  sämtlichen  ge- 
zogen" (S.  232).  Die  Folge  davon  war  freilich  nur,  daß  daraufhin  zwar 
„die  Reichsstände  der  Königin  die  Insurrection  und  fast  alles  was  sie 
verianget  eingestanden  haben,  so  aber  ausser  des  äusserlichen  Ler- 
mens  ....  sonsten  leider  wegen  übler  Veranstaltung  meistentheüs 
schlechten  Effekt  gehabt"  (S.  238).  (Magyarischer  Patriotismus). 

Ein  besseres  Bild  als  von  der  Regierungstätigkeit  der  großen 
Kaiserin  erhält  man  durch  die  Aufzeichnungen  von  ilurer  Persönlichkeit 
und  dem  Leben  bei  Hofe.  Freilich  werden  auch  hier  nur  altbekannte 
Tatsachen  durch  Mitteilungmi  neuer  Einzelheiten  erhärtet. 

Daß  sie  eine  gute  Tochter  war,  wußte  man  ja  schon,  ehe  man 
aus  dem  Tagebuche  erfuhr,  daß  sie  es  sich  nicht  nehmen  UeQ,  vier- 
zehn Tage  nach  ibrar  Kiederkunfb  „en  sac  und  Neglige  Hauben,  jedoch 
mit  Geschmuck  kn  Kopfi^  über  die  Schnecken  hinauf  all'  incognito^  zb 
ihrer  Mutter  zu  eilen,  weil  diese  ihren  Geburtstag  feierte  (S.  173).  und 
wie  zärtlich  sie  ihre  Kinder  liebte,  war  gleichfalls  bekannt,  ehe  man 
in  den  Khevenhüllerschen  Aufzeichnungen  lesen  konnte,  daß  sie,  als 
ihr  Töchterlein  «wegen   eines   überkommenen  Ohren  Geschwüres  und 


Literäturberichte^  225 

zugestossener  Alteration"  zu  Bette  lag,  „nicht  sichtbar  (war)  ...  und 
.  .  .  meistentheils  bei  den  kranken  Frauen"  blieb  (S.  246). 

Daß  es  ihr  nicht  an  echter  Frömmigkeit  fehlte,  steht  bbenfalls 
schon  seit  langem  fest  und  man  wird  auch  in  den  Glauben  daran 
durch  das  Tasrebuch  nur  bestärkt.  So  wenn  man  liest,  daß  sie  nach 
Erhalt  einer  Siegesnachricht  „sogleich  in  dero  Cammer  Capellen  das 
Te  Deum  Laudamus  anstellen  (ließ)  wie  Sie  es  bei  allen  dergleichen 
wichtigen  erfreulichen  Fahlen  als  eine  christliche  Frau  zu  thun  pflegen^ 
(S.  127),  oder  wenn  man  erfährt,  daß  sie  an  einem  Tage  drei  gesungene 
Ämter  hörte  (S.  151).  Dagegen  war  es  wohl  nicht  in  der  Frömmigkeit 
der  Kaiserin  begründet,  sondern  lediglich  eine  Folge  des  alten  spani- 
schen Hofzeremoniells,  daß  sich  nicht  nur  der  Eid,  den  die  lutherischen 
Kammerherren  ablegen  mußten,  ,.in  der  Formul  selbsten  .  .  .  von  dem 
gewöhnlichen  Eid  unterschiden,  sondern  .  .  .  daß  den  Acatholicis  nur 
der  hooorari  Schlüssel  welcher  von  einer  anderen  Form  und  denen  so 
die  Gammerfreilen  tragen  gleich  ist,  eingehändigt  wird  und  sie  .  .  .  allein 
keinen  Dienst  thun  dörffen**  (S.  166). 

Daß  es  aber  der  Kaiserin  auch  nicht  an  echt  weiblicher  Eitelkeit 
gebrach,  ist  gleichfalls  lange  schon  kein  Gefaeinmis  mehr,  und  so  glaubt 
man  gerne,  daß  es  ihr  schmeichelte,  wenn  der  Landmarschall  Win- 
dischgraz sie  „denen  Königinnen  Berenice  und  Elisabeth  wegen  ihrer 
schönen  Gestalt"  verglich  (S.  100)  und  daß  sie  unter  ihren  Batgebem 
jene  am  meisten  bevorzugte,  von  denen  sie  annahm,  „daß  sie  ihrer 
Person  mehr  als  ihrer  Würde  zugetan  gewesen"  (S.  191,  227), 

Das  Ungezw«ngene  und  Heitere  des  Hoflebens  jener  Zeit  endlich 
wurde  gleichfalls  stets  gerühmt.  Und  wie  berechtigt  dieser  Ruhm  war, 
läßt  sich  schon  daraus  ersehen,  daß  selbst  der  gestrenge  Herr  kaiser- 
liche Obersthofmeister  in  seinem  Tagebuche  gelegentlich  ganz  gemüt- 
lich vom  «Nikerl  Pälffy"  oder  der  „Tonerl  Nostizin"  erzählt.  Was  nicht 
ausschließt,  daß  er  manchmal  gar  bedenklich  den  Kopf  geschüttelt 
haben  mag.  So  wenn  bei  einem  Caroussel  alle  „Frauen  und  Ereilen" 
—  außer  der  Kaiserin,  die  in  anderen  Umständen  war,  und  der  ver- 
witweten Gräün  Nostitz  —  „auf  Männer  Art  placiret"  ritten  (S.  118) 
oder  wenn  bei  den  Maskenbällen  „die  besorgte  üble  Folgen  in  puncto 
sexti  nicht  genugsam  vermieden  werden  (konnten),  als  worzu  die  Frei- 
heit unter  der  Larven  gar  zu  ville  Gelegenheit  gegeben;  es  man- 
gelte .  .  .  nicht  an  sonderbahren  Avanturen  und  Liebsintriguen  die 
mann  weniger  zu  versteken  suchte,  als  bei  voriger  sehr  seriösen  Re- 
gierung weßhalben  dann  auch  die  Prediger  zuletzt  sehr  frei  zu  sprechen 
anfiengen  also  zwar,  daß  die  Faschings-Liebhaber  darüber  sehr  unge- 
halten wurden"  (S.  119).  Viel  genützt  scheinen  die  Predigten  aber  nicht 
zu  haben.  Zum  mindesten  fand  man  sich  nicht  bewogen,  die  Vergnügen 
abzukürzen.  In  der  Fastnacht  1743  wenigstens  wurde  „nach  den  Essen 
.  .  .  biss  gegen  acht  Uhr  abends  gedanzet  und  so  dann  nach  der  Burg 
zurückgekeret  alwo  I.  M.  en  petite  compagnie  soupirten  und  mit  selber 
nach  den  Soup^  sich  in  Maschera  als  Ländler  Bauern  und  Bäuerinnen 
auf  den  Bai  in  den  Baihaus  und  nachdem  sie  sich  zuvor  in  einen  Do- 
mino überkleidet,  auf  die  Meelgruben  verfügten,  alldorten  einige  Gontre- 
dances  danzten,  sodann  widerummen  in  das  Baihaus  zurückkerten  und 
den  Keraus,  welcher  erst  gegen  acht  Uhr  früh  sich  geendiget  bei- 
wohnten" (S.  129).  Außer  den  Bällen  gab  es  aber  natürlich  auch  allerlei 
andere  Unterhaltungen:  Schlittenfahrten,  Theateraufführungen,  Kinder- 
komödien u.  ähnl.  Den  24.  Juni  1744  z.  B.  belustigte  man  sich  „bei  den 
Sonnen  Wendfeuer  .  .  .  und  musten  nicht  allein  alle  Domestiquen,  son- 

15 


226  Literaturberichte. 

dem  (nachdeme  der  Groß  Herzog  gelbsten  den  Anfang  gemacht)  auch 
wir  andere  Hoff-Herren  ttber  das  Feuer,  so  in  der  That  zimmlich  hocli 
brannte,  darüber  springen"  (S.  224). 

Wie  lustig  die  Zeit  damals  war,  kann  man  also  aus  mancher 
Stelle  der  Aufzeichnungen  entnehmen,  wie  groß  sie  war,  kaum  aus  einer. 
Und  so  muß  die  Frage,  ob  die  Herausgabe  dieser  Aufzeichnungen  die 
fleißige,  gewiß  nicht  zu  unterschätzende  wissenschaftliche  Arbeit,  die 
Zeit  und  die  Kosten  lohnte,  die  man  darauf  verwendete,  wohl  ofien 
bleiben.  Beantworten  wird  sie  sich  erst  lassen,  bis  auch  die  weiteren 
—  einen  viel  größeren  Zeitraum  (1745  bis  1776)  umfassenden  —  Teile 
der  Aufzeichnungen  veröffentlicht  sein  werden.  Vielleicht  wird  man  durch 
diese  dann  sogar  angenehm  enttäuscht.  Möglich  wäre  es,  denn  man  wird 
sie  mit  weit  geringeren  Erwartungen  zur  Hand  nehmen  als  den  vor- 
liegenden ersten  Teil.  Julius   Bunzel. 

Traankirchen-Anssee»  Historische  Wanderungen  von  M.  v.  P 1  a  zer. 
Graz,  1907.  Verlag  Ulr.  Mosers  Buchhandlung  (J.  Meyerhoff).  Kleinoktav, 
172  S. 

Eine  Fülle  von  beachtenswerten,  großenteils  durch  emsige  archi- 
valische  Arbeit  gewonnenen  lokalgeschichtlichen,  genealogischen,  kultnr- 
und  kunstgeschichtlichen  Daten  ttber  die  im  Titel  bezeichneten  zwei 
Orte  ist  hier  in  eine  schlichte  Rahmenerzählung  eingefügt.  Mit  Traun- 
kirchen  beschäftigt  sich  nur  das  erste  von  den  acht  Kapiteln;  vom 
dritten  £[apitel  an  bis  zum  Schlüsse  wird  Aussee  behandelt.  Gewisser- 
maßen als  Bindeglied  zwischen  beiden  Orten  erscheint  die  Gestalt  des 
Hans  Herzheimer,  von  dessen  inhaltsreichem  Lebenslaufe  das  zweite 
Kapitel  eine  zusammenhängende  Darstellung  —  unseres  Wissens  die 
erste  ' —  bringt  und  der  mit  seinen  Familienangehörigen  auch  sonst 
im  Buche  häufig  wiederkehrt.  Hans  Herzheimer,  1464  zu  Trostberg  in 
Oberbayem  geboren,  stand  seit  1490  im  Dienste  der  Kaiser  Friedrich  IV. 
und  Maximilian  I.,  welch  letzterer  ihn  1493  zum  Ritter  schlag  und 
ihm  die  Verwaltung  des  Salzamtes  zu  Aussee,  1497  auch  das  XJrbar- 
und  Gäugericht  dortselbst  verlieh.  Nach  Maximilians  Tode  zog  sich 
Herzheimer,  der  eine  Zeitlang  Strechau  im  Ennstale  besafi  und  durch 
seine  zweite  Gemahlin  Walburg  von  Trautmannsdorf  mit  dem  steirischen 
Adel  versippt  war,  auf  seine  bayrischen  Güter  zurück;  1632  starb  er 
zu  Salmanskirchen.  Gerne  verzeihen  wir  dem  tüchtigen  Manne,  einem 
echten  Sohne  des  maximilianischen  Zeitalters,  seine  Sucht,  *  sich  zu  ver- 
ewigen ;  verdanken  wir  ja  dieser  Schwäche  einerseits  ausführliche  chronik- 
artige Aufzeichnungen  von  seiner  Hand,  andererseits  eine  Reihe  schöner 
Denksteine  sowohl  in  Bayern,  als  in  Traunkirchen  und  Aussee.  —  Im 
6.  Kapitel  wird  zwischen  dem  katholischen  Herzheimer  (der  übrigens 
1518  in  Wittenberg,  wo  seine  Söhne  studierten,  Luther  besuchte  und 
ttber  ihn  des  Lobes  voll  ist)  und  dem  späteren  Salzamtsverwalter  von 
Aussee,  Christoph  Praunfalk  (tl545),  einem  energischen  Protestanten, 
die  Parallele  gezogen.  —  Auch  das  Volksleben  in  jetziger  und  halb- 
vergangener Zeit  wird  nicht  vergessen  (7.  Kapitel).  Kulturgeschichtlich 
bemerkenswert  sind  die  Exzerpte  aus  den  Ausseer  Ratsprotokollen 
CS.  147  ff.)  und  die  Schilderung  eines  Gast-  und  Bräuhauses  im  18.  Jahr- 
hundert (S.  152  ff.).  Die  Liebe  der  Verfasserin  zum  Gegenstande  des 
Buches,  dessen  Reinertrag  dem  Grazer  Frauenheim  gewidmet  ist,  tritt 
auch  in  dem  Bemühen  zutage,  dasselbe  mit  zahlreichen  guten  Ab- 
bildimgen  von  wirklich  interessanten,  wenig  bekannten  Objekten  zii 
schmücken.  — i. 


Literatarberichte.  227 

Der  gtaatliche  Exporthandel  österreiehs  yon  Leopold  I.  bis 
Maria  Theresia.  Von  Heinrich  B.  v.  Srbik.  Wien,  1907,  BraumttUer, 
XXXVI  und  432  S. 

Wenige  der  Leser  von  v.  Srbiks  bekannter  Arbeit  „Das  Verhältnis 
von  Staat  und  Kirche  in  Österreich  während  des  Mittelalters **  hätten 
wohl  erwartet,  von  demselben  Verfasser  nach  drei  Jahren  einen  statt- 
lichen Band  zu  Gesicht  zu  bekommen,  der  ein  davon  so  gänzlich  hetero« 
genes  Thema  behandelt  und  uns  eine  der  wichtigsten  und  gehaltvollsten 
Darstellungen  aus  der  österreichischen  Wirtschafts-,  Finanz-  und  Handels- 
geschicbte  des  17.  und  18.  Jahrhunderts,  bietet. 

Wir  gewinnen  dadurch,  in  diesem  Maße  wohl  zum  erstenmale, 
Einblick,  wie  die  österreichische  Handelspolitik  und  -Führung  sich  in 
ihren  Maßnahmen  für  die  eigene  Ausfuhr  in  der  Zeit  des  Merkantilismus 
betätigte.  Da  das  Salz  im  Inlande  verbraucht  wurde,  der  Eisenhandel 
aber  in  den  Händen  der  privaten  Innerberger  Hauptgewerkschaft  lag, 
kamen  als  Objekte  des  staatlichen  Exporthandels  dazumal  fast  aus- 
schließlich Kupfer  und  Quecksilber  in  Betracht,  auf  die  sich  die  Arbeit 
demgemäß  beschränkt 

Als  Kaiser  Leopold  1.  zur  Regierung  kam,  war  auch  hierzulande 
allenthalben  das  Appaltwesen  im  Schwung,  die  Verpachtung  aller  Arten 
von  Kameraleinnahmsquellen,  Domänen,  Begalien,  Monopolen  und  ver- 
schiedenen indirekten  Abgaben.  So  wurden  auch  die  Idriauer  Queck- 
silberwerke an  die  Grafen  Balbi  verappaltiert,  seit  X659  aber  nominell 
in  Kegiebetrieb  geführt,  wobei  Abondio  Inzaghi  eigentlich  Appaltator 
war.  In  gleicher  Weise  hatte  man  die  Kupferbergwerke  zu  Neusohl  und 
in  den  ungarischen  Bergstädten  an  die  Joanelli  verpachtet,  bis  auch 
hier  1680/1  die  Fortführung  des  Appaltsystemes  unmöglich  wurde. 
Unter  dem  Einflüsse  der  merkantilistischen  Ideen  Beckers  ging  man 
dann  im  Quecksilber-  wie  im  Kupferwesen  zur  Kameraladministration 
über.  Die  Handelsführung  wurde  neu  organisiert,  in  Wien  eine  Queck- 
silberkorrespondenz, in  verschiedenen  Städten  Faktoreien  errichtet;  von 
den  Kommissären  im  Ausland  wurde  das  Haus  Deutz  in  Amsterdam 
ein  Jahrhundert  hindurch  von  Bedeutung.  War  schon  die  Handels- 
politik des  Ärars  nicht  immer  eine  glückliche,  so  kam  dazu  die  schlechte 
Lage  der  kaiserlichen  Finanzen,  die  zur  Aufnahme  von  Darlehen  nötigte 
und  schließlich  zur  Aufnahme  von  Staatsanleihen  in  Holland,  1695  auf 
den  Quecksilberfonds,  1700  auf  den  Kupferfonds  führte.  Schon  die  nächsten 
Jahre  brachten  indes  eine  Katastrophe  beider  Handelszweige:  1703 
wurden  Neusohl  und  SchmöUnitz  durch  Rakoczi  besetzt  und  der  dortige 
Bergbau  aufs  schlimmste  geschädigt;  im  Quecksilberhandel  aber  trat 
infolge  englisch-ostindischer  Konkurrenz  ein  starker  Preisfall  auf  dem 
Hauptmarkte  Holland  ein,  der  das  österreichische  Monopol  tatsächlich 
vernichtete. 

Die  letzten  Jahre  Kaiser  Leopolds  brachten  indes  ein  kräftigeres 
Aufleben  volkswirtschaftlicher  Reformideen,  die  unter  Josef  I.  und  be- 
sonders Karl  YI.  weiterhin  vertieft  wurden.  Die  ungarischen  Kupfer- 
bergwerke kamen  1708—10  wieder  in  die  Gewalt  der  Kaiserlichen,  das 
Quecksilberlager  von  Venedig  wurde  auf  österreichischen  Boden  nach 
Triest  und  Fiume  verlegt  und  auch  auf  dem  holländischen  Markte 
besserten  sich  wieder  die  Absatzverhältnisse,  obwohl  sich  dort  die 
Schwierigkeiten  infolge  schlechter  KommissionsÄhrung  des  Hausen  Deutz 
keineswegs  verringerten.  Da  man  indes  seit  1721  den  gesamten  Verkaufs« 
erlös  zur  Tilgung  der  holländischen  Forderungen  verwendete,  kam  1724 
mit  der  Wiener  Stadtbank  ein  Vertrag  behufs  Ablösung  derselben  zu- 

15* 


228  Literaturberichte. 

Stande.  Durch  wirtschaftlichen  Betrieb  und  eine  umsichtige  Handels- 
politik gelang  schlieBlich  die  Amortisation  der  alten  Anleihekapitalien 
und  die  Befreiung  des  Quecksilberfonds  im  Jahre  1734.  Die  ungarischen 
Kupferbergwerke  erholten  sich  nur  langsam  nach  Rakoczis  Okkupation. 
Der  Gegensatz  zwischen  dem  Ärar  und  den  holländischen  Gläubigem 
führte  schlieBlich  1714  zur  Einsetzung  SchreyTOgels  als  Mandatar  der 
Gläubiger,  der  indes  unter  mannigfachen  Schwierigkeiten  und  unter 
beiderseitigen  Kontraktverletzungen  die  Produktion  zu  heben  verstand, 
so  daß  auch  die  lange  verkürzten  holländischen  Interessenten  etwa  seit 
1727  befriedigt  werden  konnten.  Nach  dem  Muster  der  Quecksüber- 
ablösung  wurde  1783  gleichfalls  mit  der  Wiener  Stadtbank  ein  Vertrag 
geschlossen,  der  die  Durchführung  der  Amortisation  ermöglichte. 

Die  Befreiung  vom  holländischen  Monopol  hatte  für  den  öster- 
reichischen Staatsexport  die  wohltätigsten  Folgen,  um  so  mehr,  als  Öster- 
reich unter  Karl  VI.  überhaupt  in  eine  Zeit  mächtigen  Aufschwunges 
von  Handel  und  Industrie  eintrat.  Mit  geringen  Kosten  wurde  die  Pro- 
duktion in  Idria  sowohl,  wie  in  Neusohl  und  SchmöUnitz  sehr  bedeutend 
gehoben  und  auch  der  ärarische  Kupferbergbau  im  neuerworbenen  Banat 
seit  1719  mit  wachsendem  Erfolge  in  Betrieb  genommen,  so  daß  das 
österreichische  Ärar  nun  in  der  europäischen  Kupfergewinnung '  eine 
dominierende  Stellung  einnahm.  Bei  den  gesteigerten  Produktions- 
ziffern wurden  die  Einnahmen  aus  dem  Regalexporthandel  zu  einem 
wichtigen  Posten  der  österreichischen  Kameralgefälle.  Korrekte  Finanz- 
operationen und  das  Ende  des  Hauses  Deutz  fallen  bereits  in  die  ersten 
Regierungsjahre  Maria  Theresias  und  führen  damit  in  eine  neue  !Epoche 
hinüber,  in  welcher  das  gesteigerte  Verantwortungsgefühl,  das  den  ab- 
soluten Staat  beherrschen  soll,  an  der  unermüdlichen  Sorge  der  Kaiserin 
um  die  materielle  Kultur  der  Erblande  zum  Ausdruck  kam. 

Eine  Anzahl  wertvoller  Tabellen  beschließt  die  Arbeit,  die  der 
Verfasser  sprödestem  Aktenmaterial  entnahm,  das  er  mit  anerkennens- 
werter Gestaltungskraft  kritisch  verwendete.  Max  Doblinger. 

Zunkovic  Martin:  Wann  wurde  Miiteleiiropa  Ton  den 
Slawen  besiedelt?  Beitrag  zur  Klärung  eines  Geschichts-  und  Ge- 
lehrtenirrtums. Zweite,  wesentlich  vermehrte  Ausgabe,  Kremsier  1906. 
Druck  und  Verlag  von  H.  Slovak.    Preis  K  2-60. 

In  der  Zeitschrift  des  (slow.)  Geschichtsvereines  in  Marburg,  „Öa- 
sopis  za  zgodovino  in  narodopisje",  im  4.  Bd.,  S.  180 — 185,  erschien  eine 
so  eingehende  und  sachgemäße  Besprechung  obigen  in  Dilettantenkreisen 
vollständig  überschätzten  Buches,  daß  wir  dieselbe  in  wortgetreuer  Über- 
setzung auch  dem  deutschen  Leserpublikum  nicht  vorenthalten  zu  können 
glauben.  Sie  lautet,  wie  folgt: 

Herr  ^^unkovid,  k.  u.  k.  Hauptmann,  arbeitet  seit  einigen  Jahren 
recht  fleißig  auf  literarischem  Gebiete.  Ein  Buch  über  die  Namen  im 
oberen  Pettauer  Felde  hat  er  herausgegeben,  und  jetzt  in  zweiter  Auf- 
lage, das  Buch,  das  wir  rezensieren  wollen.  In  diesem  Buche  vertritt 
der  Autor  die  Meinung,  daß  die  Slawen  in  Mitteleuropa  das 
autochthone  Volk  seien,  das  sich  a  uf  sprachlicher  Spur 
weit  in  die  diluviale  Periode  zurückverfolgen  lasse.  Zu 
dieser  These  ist  er  durch  folgende  Studien  gelangt: 

1.  Er  untersuchte  die  Entstehung  und  Bedeutung  der  topogra- 
phischen Namen  in  Mitteleuropa;  2.  untersuchte  er  die  geographische 
Verbreitung  der  slawischen  Namen  und  verglich  diese  mit  der  natür* 
liehen  Lage-  oder  den  Eigenheiten  des  Ortes,   der   einen   slawischen 


Literaturberichte.  229 

Namen  trägt;  3.  untersuchte  er  den  Zusammenhang  zwischen  den  ein- 
stigen Mythen  und  der  jetzigen  Yolksphantasie. 

Daß  er  hiebei  zu  der  oben  angegebenen  These  gelangt  ist,  dazu 
Iialfen  ihm  die  Autopsie  und,  wie  er  selbst  sagt,  „praktische^  Etymologie. 

Der  Autor  ist  sich  wohl  bewußt,  wie  gewagt  seine  Behauptung 
ist,  und  sagt,  sie  werde  sich  erst  dann  Geltung  verschaffen,  wenn  die 
Macht  der  Gründe  größer  sein  werde  als^die  Macht  der  verschiedenen 
Autoritäten,  Vorurteile  und  Traditionen.  Zunkovid  ärgert  sich  darüber, 
daß  auch  Philologen  (z.  B.  Oblak  im  Arch.  f.  slaw.  Phil.,  XVni,  S.  228  ff.) 
aus  dem  wechselseitigen  Verhältnisse  der  südslawischen  Sprachen  die 
Unmöglicnkeit  nachgewiesen  haben,  daß  die  Slowenen  schon  vor  dem 
6.  Jahrhundert  n.  Chr.  in  ihren  heutigen  Wohnsitzen  gehaust  hätten. 
Darum  wendet  er  sich  gegen  die  verschiedenen  ^Autoritäten'*,  die  sich 
am  grünen .  Tische  diese  Meinungen  gebildet  haben,  und  behauptet,  daß 
ihnen  vor  allem  die  Autopsie  mangle  und  daß  sie  im  Worte  Finessen 
suchen,  die  ein  Name  in  Wirklichkeit  niemals  haben  könne. 

In  Betrachtungen  vom  Standpunkte  des  Historikers  sind  wir  nicht 
geneigt,  uns  einzulassen,  da  uns  dies  nicht  möglich  ist;  nur  den  philo- 
logischen Apparat,  mit  welchem  Herr  i^unkoviö  operiert,  wollen  wir  er- 
örtem  und  imtersuchen,  wie  viel  wirkliche  Beweiskraft  seiner  von  ihm 
so  genannten  „praktischen^  Etymologie  innewohne.  Wir  wollen  uns  nur 
auf  die  hauptsächlichen,  die  Kardinal-Thesen  beschränken,  da  ein 
kritisches  Durchsieben  aller  mißglückten  Etymologien  überflüssig  und, 
wie  aus  allem  hervorgeht,  unfruchtbar,  daher  undankbar  wäre. 

Der  Grund,  warum  Herr  Zunkovic  solches  Gewicht  auf  die  Autopsie 
legt,  ist  uns  verständlich  und  gerne  geben  wir  ihm  zu,  daß  er  als  Hauptmann 
ein  wohlentwickeltes  Gefühl  für  die  Orientierung  im  Terrain  besitzt 
So  hat  ihm  dieses  bei  der  Erklärung  der  Namen  Grmada  und  Straia, 
Stra£i§£e  sehr  gute  Dienste  geleistet.  Damit  aber  hat  er  uns  nichts 
Neues  gesagt,  da  es  solche  Namen  in  Unzahl  gibt  und  da  deren  Ent- 
stehung bekannt  ist.  Östlich  vom  Schlosse  Wurmberg  in  den  Windischen 
Bühebi  ist  der  Hügel  Grmada,  nördlich  von  demselben  der  Weiler 
Strai^i§£e,  Kat.  Gemeinde  Unter- Würz.  Im  alten  Akte:  „GnadliveTherijaske 
Gosposke  Deshelskih  konfinou,  alle  Richtnich  zillou  letno  resglassenie, 
alle  navadiio  Klizanie'^  aus  dem  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  heißt  es, 
die  Grenze  der  Auerspergschen  Besitzungen  gehe  .  .  .  nach  dem  Velku 
Sterfhishe,  nach  der  Germada  .  .  .  etc.  Daß  er  sich  gegen  die  ver- 
schiedenen „Autoritäten'^  wendet,  die  anderer  Ansicht  sind  als  er, 
wundert  uns  auch  nicht.  Docb  müssen  wir  konstatieren,  daß  Herr 
Zunkoviö  mit  den  ernsthaften  Gelehrten  auch  Leute,  die  Vindobona 
von  bonnm  und  vindex,  vindicare  ableiten,  in  einen  und  denselben  Korb 
wirft  und  daß  er  dann  über  die  einen  wie  die  anderen  in  einem  Atem 
loszieht.  Herr  Zunkoviö  ist  so  durchdrungen  von  den  in  der  Tat 
frappierenden  Eesultaten  seiner  „Forschungen,  daß  er  zuweilen  auf 
diesem  Felde  eine  noch  unzugänglichere  „Autorität''  wird  als  sonst 
irgendeine.  Ganz  richtig  sagt  er  auf  Seite  24  von  der  Mythologie,  daß 
man  sich  nicht  auf  sie  verlassen  dürfe,  doch  hat  ihn  dies  nicht  vor 
verschiedenen  halsbrecherischen  Hypothesen  behütet. 

Die  philologischen  Deduktionen  machen  ihm  keinerlei  Kopf- 
zerbrechen; bei  ihm  mengen  sich  Konsonanten  und  Vokale  unter  sich 
und  kreuz  und  quer,  wie  bei  einer  schlecht  getanzten  Quadrille  die 
Manns-  und  Weibsleute.  Die  Hanptregel,  auf  die  er  sich  bei  seinen 
philologischen  Deduktionen  stützt,  hat  er  auf  Seite  20  aufgesteUt.  Dort 
steht  wörtlich  folgendes:   „Die  Ursprache  hatte  einst  offenkundig  nicht 

16** 


230  Literaturberichte. 

den  Yokalreichtum  der  modernen  Sprachen,  was  man  den  Idiomen  der 
heutigen  Naturvölker  noch  immer  ansieht,  die  ältesten  Begriffe  (sie!) 
waren  alle  konsonantenreich  und  sehr  vokalarm.  Die  Vokalo- 
phüje  ist  erst  eine  Errungenschaft  der  Kultur,  bedingt  durch  den  Verkehr 
mit  anderen  Völkern,  welche  die  ihnen  schwerfälligen  Silben  der  Nachbar- 
sprache durch  Yokaleinschiebungen  abtönten.  Jene  Sprachen,  welche 
viel  Mitlaute  haben,  sind  daher  die  älteren  und  dabei  an  Casus-  wie 
Yerbalformen  reicheren  . .  .^  Diese  paar  Sätze  enthalten  so  viel  dOnkel- 
hafte  Unwissenheit  und  unwissenden  DQnkel,  daB  man  sich  rein  an 
den  Kopf  greift.  Unwissenheit,  weil  man  hier  sieht,  dafi  Herr 
Zunkoviö  nicht  einmal  die  primitivsten  Begriffe  von 
der  Entwicklung  der  Sprachen  überhaupt  hat,  und  Dünkel, 
weil  er  sich  erkühnt,  mit  solchen  Thesen  vor  die  Öffentlichkeit  zu 
treten  und  sich  die  Haltung  eines  Mannes  der  Wissenschaft  zu  geben. 

Daß  das,  was  Herr  Zunkovid  mit  so  viel  SelbstbewuBtsein  lehrt, 
vollkommen  falsch  ist,  weiB  wohl  jeder,  der  sich  einigermaften  näher 
mit  der  Geschichte  irgendeiner  Sprache  beschäftigt  hat.  Sanskrit  ist 
gewiß  eine  leidlich  alte  Sprache  und  in  ihm  nnifi  jeder,  der  gesunde 
Augen  und  Ohren  hat,  die  große  Menge  der  Vokale  wahrnehmen.  Das 
Altslowenische  (sit  venia  verbo!)  hatte  immer  offene  Silben  und  in  ihn 
endete  kein  Wort  mit  einem  Mitlaute.  Später  aber,  als  das  nb  und  das 
B  abfielen,  was  für  die  Sprache  eine  wahre  Katastrophe  bedeutete, 
wurde  das  Slowenische  eher  „vokalarm"  und  ..konsonantenreich".  und 
haben  Sie  sich,  Herr  ^unkovid,  schon  einmal  mit  dem  Französischen 
befaßt?  Wahrscheinlich  nicht?  Denn  sonst  wüßten  Sie,  daß  uns  das 
jetzige  geschriebene  Französisch  das  ältere  Stadium  der  Sprache  sehen 
läßt  und  daß  also  das  Französische,  wie  es  heute  gesprochen  wird, 
«vokalärmer''  ist,  als  das  einstige.  Und  hier  wie  dort  vollzieht  sich  die 
Entwicklung  nicht  wie  Sie  es  darstellen,  sondern  gerade  in  entgegen- 
gesetzter Weise. 

Auch  die  Erklärung,  wie  die  Vokale  in  die  Sprache  gekonunen 
sind,  hinkt.  Irgendwo  mußten  sie  doch  wohl  sein  und  vom  Himmel  sM 
sie  nicht  gefallen,  auch  hat  sie  nicht  ein  „Gelehrter"  ersonnen.  Sagen 
Sie  uns  doch  nur,  wie  sie  dort  entstanden  sind,  von  wo  sie,  wie  Sie 
sagen,  in  andere  Sprachen  übergingen. 

Daß  er  den  Begriff,  die  Bedeutung  eines  Wortes  von  der  Lant- 
gruppe,  mit  der  wir  irgendeine  Sache  bezeichnen,  nicht  scheidet  und 
ebensowenig  die  Vokale  von  den  Eoosonanten',  das  sind  im  Vergleiche 
mit  den  obigen  noch  kleine  Sünden,  die  Herrn  Zunkoviö  vorgeworfen 
werden  müssen. 

Bei  der  Erklärung  der  Namen  verfährt  Herr  Zunkoviö  in  folgender 
Weise :  Er  besieht  sich  den  Ort  in  der  Wirklichkeit  oder  auf  der  Karte 
und  sucht  in  einer  slawischen  Sprache  irgendein  Wort  ausfindig  zu 
machen,  welches  wenigstens  einigermaßen  ungeßUir  gleich  lautet  und  das 
er  auf  die  Eigentümlichkeiten  des  Ortes,  die  Lage,  Vegetation  etc.  an- 
wenden kann.  Wenn  er  aber  irgendwelches  derartige  Wort  nicht  findet 
80  erdichtet  er  sich  kurzerhand  eines  und  unterlegt  ihm  die  Bedeutung, 
die  ihm  am  besten  paßt,  z.  B. :  „. .  .  weil  dem  Slowenen  ,zmola'  in  der 
Bedeutung  .Talmulde'  heute  nicht  mehr  bekannt  ist,  er  daher  .  .  .'^ 
Überhaupt  führt  ^unkoviö  seine  Beweise  nur  assertorisch  ex  cathedra 
und  gibt  nirgends  den  detaillierteren  organischen  Zusammenhang,  d.  h., 
er  gibt  nicht  die  vorausgegangenen  Formen,  wie  dies  bei  philologischen 
Deduktionen  üblich  und  nötig  ist.  Er  verläßt  sich  nur  auf  die  zufällige 
äußere  Ähnlichkeit  oder  Gleichheit;   daß   ihn  auch  hier  Öfters  seine 


Literaturberichte.  231 

Sicherheit  im  Stiche  läßt,  beweisen  Sätze,  wie  z.  B.  Seite  25  in  der  An- 
merkung:  n*  •  •  jLui^anje'  (oder  ähnlich),  welche  .  .  .^,  Seite  86  in  der 
Anmerkung:  ». .  .  vermutlich  war  hier  der  vorrömische  Marktplatz  . .  .^, 
Seite  48:  „bezeichnete  anscheinend  einen  Weideplatz  . . .,  der  Älteste  einer 
solchen  Weideplatzgemeinde  dürfte  ,car^  genannt  worden   sein  .  .  .^, 
S.  52:    „Die  Grundlage   zu  diesem  Namen  scheint  den  Slawen  heute 
nicht  mehr  bekannt  zu  sein*^,  Seite  54:  „,Paga  ist  im  allgemeinen  ein 
guter  Weideplatz.  Mit  diesem  Grundworte  scheint  der  ethnographische 
Begriff  ,Basken'   verwandt   zu   sein,   denn  diese  sind  in  sprachlicher 
Hinsicht  zweifellos  ein  Zweig  der  slawischen  Sprachgruppe  , ,  .*  Genügt 
Diese  Proben  sind  nicht  die  einzigen  und  auch  nicht  die  schlimmsten. 
Auf  Seite  15  wirft  er  den  Theoretikern  vor,  daß  sie  in  den  Namen 
Finessen  suchen,  die  einem  Namen  in  Wirklichkeit  nicht  innewohnen 
können.    Sehen   wir   nur,    wie   diese   Sache   bei  Zunkovid   steht.   Auf 
Seite  46  schreibt  er  hinsichtlich  der  Wörter  „Var«,  „Varda",   sie  be- 
deuteten „. . .  einen  Weideplatz  iu  der  Niederung,  namentlich  in  lichten 
Auen  längs  der  Flußläufe,  dann  auf  den  Höhen  mit  etwas  Baumwuchs, 
in  der  Nähe  einer  Quelle. '^  Die  Keltomanen  beschuldigt  er,  daß  sie  mit 
einem  Worte  zuviel  Begriffe  bezeichnen,  so  daß  man  schließlich  nicht 
wisse,    was    so    ein  keltisches  Wort   überhaupt    bedeute.    Und  Herr 
Zunkoviö?  Von  Seite  41  bis  80  hat  er  eine  ganze  „Gruppe  der  Namen 
für  Weideplatz^,  mindestens  etwa  35  verschiedene  Namen.  Um  aber 
diese    von    einander   zu    scheiden,    sucht    er   in    ihnen  Nuancen    und 
Finessen,  die  ein  Name  in  der  Tat  nicht  haben  kann.  Bei  alledem  aber 
wird  et  sich  nicht  einmal  bewußt,  daß  er  dort  die  nämlichen  Sünden  begeht, 
die  er  seinen  Gegnern  zur  Last  legt.  Dieses  Kapitel  ist   zugleich  der 
Gipfel^  seiner  Wissenschaftlichkeit  und  ein  beredter  Zeuge  dafür,  was 
Herr  Zunkoviö  (drücken  wir  es  ohne  Bosheit  aus  I )  für  seltsame  Begriffe 
von  der  Kulturgeschichte  überhaupt  hat. 

Für  den  wissenschaftlichen  Wert  dieses  Buches  ist  noch  die 
folgende  Tatsache  besonders  bezeichnend.  Herr  ^unkovid  erklärt  größten- 
teils alles  aus  der  slowenischen  Sprache,  und  zwar  aus  der  modernen, 
und  vergleicht  die  heutigen  Formen  mit  Wörtern,  welche  um  vieles, 
manche  sogar  um  ein  paar  tausend  Jahre  älter  sind.  Daß  das  „  Slo- 
wenische'^  einstens  anders  war  als  heutzutage,  das  weiß  er  nicht;  sein 
„diluviales^  Slowenisch  ist  dem  heutigen  vollkommen  gleich.  Das  heutige 
Slowenisch  kennt  er  aber  auch  nicht,  sonst  würde  er  nicht  solche 
völlig  unmögliche  Wörter  konstruieren  wie  „zrebro^ie**,  »tridje"  u.  dgl. 
Alle  seine  Etymologien  zu  prüfen  wäre  eine  zwed^lose  Arbeit;  wir 
wollen  uns  also  nur  auf  einige  der  charakteristischen  Beispiele  be- 
schränken. 

Obdinai  hängt  nicht  zusammen  mit  o£e>,  denn  das  Wort  oöe  ist 
entstanden  aus  otko.  Wohl  aber  ist  es  seiner  Genesis  nach  verwandt 
mit  dem  Worte  communio,  Gemeinde.  Hierher  gehört  auch  optina, 
welches  Zunkoviö  unrichtigerweise  mit  dem  Worte  opat*  in  Zusammen- 
hang bringt;  auch  ist  es  unmöglich,  daß  aus  dem  slowenischen  opat 
das  deutsche  Abt  entstanden  sei. 

Die  slowenischen  trijaci  haben  nichts  zu  tun  mit  trg^  und  be- 
deuten nicht  gerade  „Pfingsten'^,  sondern  die  drei  auf  die  Pfingstzeit 
fallenden    Heiligen:    Pankratius,.    Servatius    und    Bonifazius 

*  Qemeinde.  (Noten  1—14  sind  Anmerknnffen  des  Übersetzers.) 
s  Täter, 

»  Abt. 

•  Markt. 


232  Literaturberichte. 

(12.,  13.,  14.  Mai,  mitbin  um  Pfingsten  herum).  Bei  der  Bestimmanf 
der  Jahreszeiten  spielen  überhaupt  die  Heiligen  eine  große  Rolle;  mai 
vergleiche  nur  die  Ausdrücke:  „ob  Mihelovem^*,  „SentjAikievem^^j 
„Ilgovem''  (Elias  ^  Sgo) ;  außerdem  spielen  die  tr^jaci  auch  eine  grofi« 
Bolle  in  unserer  Yolksmeteorologie.  Das  Altböhmische  kennt  „tofäci", 
was  auf  Slowenisch  „tuijaci^  wftre.  Dieses  Wort  lehnte  sieli  aber  an 
das  Zahlwort  „tr^e**'  an  und  so  entstanden  die  ^tryaci^.  Mitgeholfen 
hat  hiebet  die  dialektische  Form  teij^,  Teijak  (für  Tuijak»)  u.  s.w. 
Mikloüö  leitet  das  Wort  von  tur=Aueroch8  ab. 

Üskoki^  sind  „perfiigae^  und  nicht  „.  .  .  Abstockungen  und  zwar 
anscheinend  solche  von  Eichenbeständen^. 

Aus  Hum'o  ist  nicht  Haemus  entstanden,  weil  dies  unmöglich  ist. 
Das  Wort  hum  ist  nämlich  um  eine  gute  Anzahl  von  Jahrhunderten 
jünger  als  das  Wort  Haemus. 

Die  Wörter  Yidem,  Vidmar  habeii  sich  anders  entwickelt,  als 
Herr  ^unkoviö  dies  auf  Seite  66  erklärt.  Sie  sind  zu  uns  ans  dem 
Deutschen  gekommen,  in  welcheku  „Widern'',  „Widum**  imd  fthnliche 
Formen,  wie  Schmeller  (Bayerisches  Wörterbuch,  II.,  S.  859)  sagt,  ,die 
zu  einer  Pfarrkirche  gestifteten  nutzbaren  Gründe"  und  „Dotation  tkber- 
haupt''  bedeuten.  Vidmar  aber  ist  zusammengesetzt  aus  Yideni  +  Migar 
(maior-domus,  Maier,  Meyer,  Mayer  etc.)  und  bedeutet  einen  Pächter; 
der  im  Genüsse  eines  videm'jl  steht. 

Wie  wenig  Sinn  Herr  Zunko?id  für  die  geschichtliche  Entwicklung 
der  Sprachen  hat,  erhellt  aus  Seite  45,  indem  er  die  Wörter  Var, 
Pharao,  Pfarrer,  far  in  Verbindung  bringt.  Aus  diesen  Wörtern  hat  er 
eine  ganze  kulturgeschichtliche  Episode  fabriziert.  Sie  hängen  jedoch 
auBer  den  beiden  letzten  ganz  und  gar  nicht  zusammen  und  selbst  diese 
zwei  sind  sekundär,  jünger,  und  das  jüngste  von  allen  vieren  ist  das 
slowenische  far'<.  Aus  dem  griechischen  rA^oyoz  (Trap-J-eyw,  Vorsteher) 
sind  die  Wörter  parochus,  parafya,  Pfarrer'  hervorgekeunt.  Aus  dem 
deutschen  Pfärr  aber  ist  ganz  regelrecht  der  neueste,  jüngste  Trieb, 
das  slowenische  far,  hervorgesproßt.  Daß  also  die  Lautgruppe  var,  far 
nicht  im  Zusammenhange  mit  irgendeinem  Vorsteher  einer  „paSa*^ 
steht,  das  liegt  sehr  auf  der  Hand;  damit  aber  verflüchtigen  sich  auch 
alle  philologischen  Betrachtungen  des  Herrn  Zunkoviö  ins  leere 
Nichts. 

Hie  und  da  führt  Herrn  Zunkoviö  auch  die  alte  Graphik  aufs 
Eis,  mit  deren  Hilfe  er  mancherlei  zu  deduzieren  weiß,  von  der  er 
aber  wie  aus  allem  zu  ersehen,  recht  wenig  versteht.  ZmoUnig  ist  b 
der  alten  deutschen  Graphik  richtig  geschrieben  für  unser  Smolnik. 
Hierher  gehört  auch  die  Ableitung  Bann  —  pan.  PaSa*«  bringt  er  in  Ver- 
bindung mit  dem  hebräischen  Worte  Pasha,  vielleicht  deshalb,  weil 
man  ^es  auf  deutsche  Art  (so  wie  Schema)  auch  PaSa  lesen  kann.  Die 
Lautgruppe  sh,  sk  aber  ergibt  in  echt  slowenischen  Wörtern  nirg^ends 
ein  S,  sondern  nur  in  Fremdwörtern.  Herr  ^niOcoviö  sagt  uns   auch, 

*  Zu  „Micheli''. 

*  Ztt  ..Johanni**. 
^  Drei. 

»  Uskoken. 

*<*  Die  slowenische  Entsprechung  der  deuischen  topographischen  Bezeichnung  ^tCulm*. 

"  Pfaife. 

«  Weide,  „Half* 

*  In  das  Deutsche  aber  kam  das  Wort  aus  lat.vidua.  Bei  Schmeller  stebt  der  sekun- 
däre Begriff  an  erster  Stelle,  weil  er  das  AVort  als  echt  deutsch  kennzeichnen  wollt«, 
was  es  aber  nicht  ist. 


Zeitschriftenschau.  238 

laß  die  Tataren  Schafe  weideten  und  daß  die  „Kozaki^i^  deswegen 
S^azaki  heißen,  weil  sie  Ziegen ^^  weiden.  Übrigens  deduziert  Herr 
Sunkoviö  aus  diesen  Prämissen  Folgerungen,  die  sogar  ihm  ,, paradox*' 
irscheinen.  Wer  recht  herzlich  lachen  will,  der  lese  das  Verzeichnis 
baskischer  Wörter  auf  Seite  57  und  ich  bin  überzeugt,  daß  auch  er 
oait  Herrn  Zunkoviö  ausrufen  wird:  „Diese  wenigen  Beispiele  müssen 
bereits  jedermann  stutzig  machen  .  .  .** 

Nebenbei  sei  noch  erwähnt,  daß  Herr  2iunkoviö  die  Bedeutung 
der  echten  slawischen  Wörter  entstellt  oder  sich  dieselbe  auf  seine 
Weise  zustutzt,  z.  B.  beim  russischen  Worte  vid-B,  und  daß  er  nicht 
weiß,  wie  aus  dem  russischen  Instrumental  Berindoju  der  Nominativ 
konstruiert  wird  (S.  132).  Daß  auch  ihn  der  Falsifikator  Hanka  mit 
seinen  goldenen  slowenischen  flENAZE  aufs  Eis  geführt  hat,  das  ver- 
zeihen wir  ihm  gerne;  ist  dies  ja  doch  sogar  gelehrten  russischen 
Professoren  passiert.** 

Wir  haben  dies  Buch  deshalb  ausführlicher,  als  es  verdient,  und 
sine  irä  et  studio  rezensiert,  weil  Herr  ^unkoviö  die  Kritik  so  sehnlich 
wünscht  und  geradezu  herausfordert. 

Das  Schlußurteil,  das  wir  über  dieses  Buch  aussprechen  müssen, 
ist    aber   auch   für   uns  kein^  erfreuliches.    Dies  Buch  ist  ein  wahres 
Elstemnest,  in  welches  Herr  Ziunkoviö  alles,  was  ihm  nur  einigermaßen 
geeignet  schien,  zusammengetragen  hat.  Aus  allen  möglichen  Sprachen 
hat  er  Wörter  zusammengesucht,  die  wenigstens  annähernd  gleich  lauten, 
und  auf  diese  Weise  hat  er  seinem  Machwerke  eine  Art  wissenschaft- 
licher Draperie  umgehängt.  Und  mit  solchen  Mitteln  will  er  etwas  be- 
weisen,   was  heute   niemand  mehr  ernstlich  bestreitet.   Er  ärgert  sich 
über  Kritiker  und  Widersacher,  weil  er  nicht  weiß,  daß  ihm  diejenigen 
Leute    am   meisten  Sfchaden   bringen,    die    seinen  Kuhm  in    die  Welt 
posaunen.  Die  Böte  steigt  uns  ins  Angesicht,  weil  die  Fremden  sehen 
werden,  mit  was  für  Mitteln  man  unsere  historische  Priorität  beweisen 
will.  Herr  Zunkoviö  aber  ist  erhaben  Über  jegliche  Fehlbarkeit  und  ist 
sich  nicht  einmal  bewußt,  daß  er  mit  seinem  Buche  der  Sache,  die  er 
,  vertritt,  mehr  geschadet  als  genützt  hat.   Und  um  das  ruhige  Bewußt- 
sein, mit  welchem  er,  überzeugt  von  seiner  Unfehlbarkeit  und  erhaben 
1  über  jegliche  Einwendung,    doppelt  erhaben   Über  die   „verschiedenen 
Autoritäten",  die  dritte  Auflage   seines  Buches  herausgeben  wird,  um 
dieses  ruhige  Gewissen  und  feste   Selbstbewußtsein  beneiden  wir  ihn 
;   aufrichtig.  J.  A.  Glonar. 

Wir  haben  Obigem  nichts  beizufügen. 


Zeitschriftenschau. 

Zur  frühesten  Geschiehte  des  Passes  über  den  Semmering« 

Von  Dr.  Oskar  Ken  de.  Im  33.  Jahresberichte  des  k.  k.  Staatsgymna- 
siums im  XVn.  Bezirke  Wiens  erschien  obiger  Aufsatz,  der  jenem  «Zur 
Handelsgeschichte  des  Passes  über  den  Semmering"  an  erster  Stelle 
dieses  Bandes  der  Zeitschrift  zeitlich  vorangeht. 

**  Kosaken. 

»*  Slov.  koze. 

**  Siehe  hierüber  die  Listy  filologlckä,  XZXIII.,  S.  487. 


284  Zeitschriftenschau. 

Ein  Knrazeneinfftll  in  Steiermurk  im  Jahre  1704.  Darüber  be- 
richtet uns  das  im  steiermärkischen  Landesarchive  liegende  „Diarium 
des  Kaspar  Adleschitsch,  Kaplans  zu  Grofisonntag'^,  welches  K.  Buch- 
berger  (Graz)  im  Hefte  4  und  5  des  85.  Bandes  der  „Österr.-ang. 
Revue"  veröffentlicht. 

Ans  franziseeiseher  Zeit.  Abenteuer  eines  Bamsaaer  Pastors« 

Georg  Loesche  schildert  im  28.  Bande  des  „Jahrbuches  der  Gesell- 
schcft  für  die  Geschichte  des  Protestantismus  in  Österreich^  (S.  27 
bis  89)  die  Amtstätigkeit  des  Pastors  Johann  Georg  Overbeck  und  die 
Verfolgungen,  die  er  auszustehen  hatte.  ^Die  Ironie  der  Geschichte 
dieses  Lebensganges  liegt  zunächst  darin,  daß  ein  evangelischer  Pastor 
seinen  Amtsbruder  denunziert;  daß  dieser  sich  wiederholt  auf  Zeug- 
nisse katholischer  Kleriker  stützt  und  auch  Erzbischof  und  Bischof  lobt 
und  daß  die  Hofstelle  den  zu  Ungunsten  eines  schon  einmal  abge- 
setzt gewesenen  Pastors  abgefaßten  behördlichen  Bericht  rügt. 
Endlich  auch  darin,  daß  hier  vor  110  Jahren  im  katholischen  Österreich 
um  ein  evangelisches  Erbauungsbuch  gerungen  wird,  da$  kürzlich  (1904) 
in  einer  Jubiläumsausgabe  erschien  und  im  klerikalen  Österreich  an- 
standslos verkauft  wird,  während  es  in  Preußen,  das  seine  Größe  dem 
Protestantismus  verdankt,  vom  Feilbieten  im  Umherziehen  ausge- 
schlossen ist." 

Der  Grazer  SehloSberg  1809.  Von  Hauptmann  Veltzö.  Mit 
zwei  Textskizzen.  Der  V.  Band  der  dritten  Folge  der  Mitteilungen  des 
k.  und  k.  Kriegsarchives  bringt  uns  diesen  auf  reichiem  Quellenmaterial 
beruhenden  interessanten  Aufsatz.  Die  kriegerischen  Ereignisse'  dieses 
Jahres,  die  tapfere  Verteidigung  des  Schloßberges  und  die  Heldenti^en 
Hackhers  entrollen  sich  nach  dem  Stande  der  neuesten  Forschungen 
vor  unseren  Augen,  —  Derselbe  Band  enthält  noch:  Johann  Christoph 
Müller.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  vaterländischer  Kartographie.  Von 
Hauptmann  Paldus.  -  Feldzugsreise  des  Kaisers  Franz  I.  von  Öster- 
reich im  Jahre  1809.  Mitgeteilt  von  Hauptmann  Sommeregger.  —  Ge- 
drängtes Journale  zur  Übersicht  der  Ereignisse  bei  der  Armee  ...  des 
Erzherzogs  Johann  in  dem  Feldzuge  vom  Jahre  1809.  Mitgeteilt  vom 
Hauptmann  Veits  e. 

Märztägre  1848.  In  der  „Neuen  Freien  Presse '^  (Morgenblatt  vom 
18.  März  d.  J.)  veröffentlicht  Ed.  v.  Wertheimer  mit  BenlUzung  un- 
gedruckten Quellenmaterials  abermals  Beiträge  zur  Geschichte  derWiener 
Revolution.  Sie  beruhen  auf  Äußerungen  amtlicher  Personen  und  ent- 
halten Aufklärungen  besonders  über  den  Beginn  der  Bewegung,  welche 
die  maßgebenden  Kreise  völlig  unvorbereitet  traf. 

Graz  in  den  März-  nnd  Apriltagen  1848  betitelt  sich  eine  Ab- 
handlung Dr.  S.  M.  Pr.eros  im  38.  Jahresberichte  des  k.  k.  IL  Staats- 
gymnasiums in  Graz,  die  uns  in  übersichtlicher  Weise  die  Ereignisse 
bis  zur  Erlassung  der  neuen  Verfassung  am  25.  April  1848  vor  Augen 
führt.  Über  die  Ereignisse  am  17.  und  18.  November  1847  in  Giaz 
berichtet  Franz  Ilwof'in  der  „Grazer  Tagespost"  vom  15.  und  16.  No- 
vember, die  bereits  die  Märzereignisse  des  kommenden  Jahres  voraus- 
sehen ließen. 

Prinz  Johann«  Ein  kurzer  Lebensabriß  für  das  Volk  von  Klod- 
wig  Thalhammer.  Behandelt  eigentlich  nur  den  Erzherzog  Johann  als 
Hammergewerken  zu  Vordernberg. 


Zeitschriftenschall.  235 

Feldmarsehall  Graf  Badetcky*  ^ach  authentischen  Quellen  be- 
arbeitet von  Hans  von  der  Sann  (Johann  Krainz).  Kurz  vor 
seinem  Tode  erschien  diese  von  wahrer  Begeisterung  für  das  Vater- 
land erftlUte  Biographie  in  der  neuen  volkstümlichen  Sammlung  unter 
dem  Titel  „Dlustrierte  Geschichtsbibliothek  fQr  jung  und  alt^. 

.  MariaielL  Über  diesen  berühmten  Wallfahrtsort  erschienen  im 
Jahre  1907  gleich  zwei  Monographien:  „Geschichte  und  Beschreibung 
der  Gnadenkirche"  etc.  Verfaßt  von  P.  Gerhard  Rodler,  Kapitular 
des  Stiftes  St.  Lambrecht  und  Schatzmeister  der  Kirche  MariazelL  Im 
Selbstverlage.  ^Mariazell.  Geschichte  und  Beschreibung  des  berühmten 
Wallfahrtsortes"  etc.  Von  HansKÖgl.  Im  Selbsverlage.  Der  histo- 
rische Teil  ist  in  ersterer  exakter  gearbeitet. 

Ton  dem  alten  Ooldbergrwerke  im  Posrnekgrebirgre  bei  Mar- 
burg erzählt  Dr.V.  Pogatschnigg,  der  sich  seit  Jahren  mit  der  Ge- 
schichte des  Bergbaues  und  der  Industrie  in  Steiermark,  Kärnten  und 
Krain  beschäftigt,  in  der  „Grazer  Tagespost"  vom  2.  Mai  1907. 

Ausgrrabongr  eines  Gedenksteines   ans  dem  Jalire  1601.  Im 

Hofe  des  Fürstenhauses  in  St.  Gallen,  nach  dem  früheren  Eigentümer 
Fürsten  Montenuovc  so  benannt,  jetzt  im  Besitze  des  Herrn  E.  A.  Son 
P  e  e  z,  ¥rurde  beim  Aufgraben  eine  große  Platte  aus  rötlichem  Marmor 
gefunden.  Die  Platte  ist  mit  dem  sehr  fein  ausgearbeiteten  Wappen 
des  Stiftes  Admont  sowie  seines  Abtes  Hoffmann  geschmückt  und  ent- 
hält folgende  Inschrift: 

Haec  Arx  de  Gallenstein   ad  Admontensem   Abbatiam   pertinens 

per  centum  annos  a  variis  pignoris  löco  dettenta  tandem  in  R.  Pris. 

a.  c.  d.  d.  Joannis  Hoffmani  gubematiohe  redempta  est. 

Anno  D.  MDCI. 

(Diese  Burg  Gallenstein,  zur  Abtei  Admont  gehörig,  durch  hundert 

Jahre   verpfändet,   wurde  endlich   unter  der  Regierung  des  Johannes 

Hoffman  zurückgewonnen.    Im  Jahre  des  Herrn  1601.) 

Es  war  schon  länger  bekannt,  daß  beim  Fürstenhause  ein  schönes 
Marmorwappen  des  Stiftes  Admont  vergraben  sei  und  wurde  diese  inter- 
essante Gedenktafel  nun  n  ehr  ganz  zufällig  gefunden.  Die  Chronik  be- 
richtet von  Johannes  Hoffman,  daß  er,  29  Jahre  alt,  zum  Abte  ge- 
wählt wurde  und  als  eine  seiner  ersten  Amtshandlungen  den  Gregoria- 
nischen Kalender  im  Jahre  1583  (in  Steiermark?)  eingeführt  hat.  Es 
wird  ihm  nachgerühmt,  daß  er  das  Stift  durch  weise  Verwaltung  vor 
dem  Ruine  in  religiöser  und  in  wirtschaftlicher  Hinsicht  gerettet  habe. 
(„Grazer  Tagblatt"  vcm  23.  August  1907.) 

Das  Bflrgerspital  „Zum  heiligen  Geist^  in  Gras.  Zur  Ge- 
schichte dieser  seit  700  Jahren  bestehecden  Anstalt  bringt  das  „Grazer 
Tagblatt**  vom  23.  und  24  August  1907  in  einem  Aufsatze  neue  Mit- 
teilungen. 

Ein  Werk  Peter  Yischers  im  Grazer  Mnsenm.  Im  5.  Hefte 
des  10.  Jahrganges  (1907)  von  „Kunst  und  Kunsthandwerk",  Monats- 
schrift des  k.  k.  österr.  Museums  für  Kunst  und  Industrie,  berichtet 
Herr  Direktor  K a r  1  Lacher  über  eine  Brozestatuette  im  kulturhisto- 
rischen und  Kunstgewerbe-Museum  zu  Graz,  die  er  nach  sorgfältigem 
Vergleiche  mit  anderen  bekannten  Werken  Peter  Vischers  diesem  Nürn- 
berger Meister  zuschreibt.  Zwei  Abbildungen  der  interessanten  Figur, 
eines  nackten  Schwertkämpfers,  bekräftigen  die  Ansicht  Lachers. 


236  Zeitschriftenschau. 

Briefe  MoiitB  t.  Kaiserfelds  an  Karl  t«  Streaiayr,    ht 

„Neuen  Freien  Presse^  (Morgenblatt  vom  1.,  8.  u.  15.  September  1 
teilt  OttokarWeber  37  Briefe  Moritz  v.  Kaiserfelds  mit,  die 
in  den  Jahren  1862  bis  1879   an  seinen  Landsmann  und    pol' 
Freund  Karl  y.  Stremayr  gerichtet  hat.    Die  Briefe  stamnien  Mm\ 
Nachlasse  Stremayr s  und   sind  eine  willkommene  Ergänzung  des 
Krones  in  seiner  Biographie  Kaiserfelds  Terarbeiteten  Materials. 

Ans  Karl  Friedrich  Freiherm  y.  Kttbeeks  Ta|[rebfie]ter%  1 

Der  gewesene  österreichische  Abgeordnete  Max  Freüierr  v.  Kftb^ 
veröffentlicht  im  Septemberhefte  1907  der  ^Deutschen  Revne^ 
stücke  aus  den  Tagebüchern  seines  Vaters,  des  Staatsrates  und 
österreichischen  Finanzministers  Karl  Freiherr  von  Kübeck.    Sie 
ziehen  sich  auf  den  Tod   des  Kaisers   Franz,  den   Regiernngsaal 
des  Kaisers  Ferdinand,  die  Zusammenkunft  der  Kaiser  Ferdinasd 
Nikolaus   mit  König  Friedrich  Wilhelm  III.  in  Teplitz,  Intrignen 
Fürsten  Metternich  und   des   Grafen  Kolowrat,   Erzherzog   Kari 
Kaiser  Ferdinand.  —  Nach  den  mitgeteilten  Proben  dürften  die  i 
nächst    erscheinenden   vollständigen   Tagebücher   manch    interessi 
Beitrag  zur  Zeitgeschichte  bringen. 

Das  österreieblsehe  historische  Institut  in  Rom^  seine  . 
stehung,  bisherige  Wirksamkeit  und  Bedeutung  für  die  Geschkl 
forschung  bespricht  Gustay  Gutmensch  in  der  „Wiener  Zeitü 
Nr.  216  und  217  vom  19.  und  20.  September  1907.  In  dem  Anfti 
werden  auch  die  wichtigsten  Veröffentlichungen  der  Mitglieder  des 
stitutes  verzeichnet. 

Karl  Lamprecht.  Eine  kurze  aber  klare  Würdigung  der  Perfll 
lichkeit  sowie  der  vielumstrittenen  historischen  Methode  des  rasi 
schaffenden  Leipziger  Gelehrten,  von  dessen  „Deutscher  Geschichte* 
Oktober  v.  J.  der  achte  Band  erschien,  gibt  H.  Helmolt  in  der  Li 
ziger  „Illustrierten  Zeitung"  Nr.  3314  vom  3.  Jänner  1907.  Den  iJ 
satz  schmückt  ein  Bildnis  Lamprechts,  der  am  25.  Februar  sein 
zigstes  Lebensjahr  vollendete. 

Dr.  Johann  Grans^  der  in  den  weitesten  Kreisen  bestbej 
Konservator  der  steirischen  Kunstdenkmäler  und  verdienstvolle  Henv 
geber  des  „Kirchenschmuck"  feierte  am  21.  November  1906 
70.  Geburtstag.  Aus  diesem  Anlasse  bringen  die  „Histor. -politisdii 
Blätter"  (139.  Band,  3.  Heft,  1907)  eine  Würdigung  des  Kunstforsdrt 
und  Lehrers  aus  der  Feder  seines  Schülers  Dr.  Johann  Raul 
in  Graz. 

Der  historische  Atlas  der  österreichischen  Alpenl&nder« 

den  „Mitteilungen  der  k.  k.  Geographischen  Gesellschaft  in  Wien*,  IS 
4.  und  5.  Heft,   bespricht  Prof.  Dr.  R.  Sieger  sehr  ausführlich  i 
mit  größter  Sachkenntnis  die  1.  Lieferung  dieses  großangelegten  Weill 
worauf  wir  besonders  aufmerksam  machen. 


In  Kommission  der  Yerlagabnchhandlang  Leaschner  &  Lnbensky,  Qraz. 


Ankündigung. 


Zufolge  Ausschußbeschlusses  werden  die  früher  erschienenen  Publi- 
Icatlonen  des  Historischen  Vereines  für  Steiermark  durch  die  Vereinskanzlei 
(Landesarchiv,  Hamerlinggasse  3)  für  Mitglieder  bis  auf  weiteres  zu 
bedeutend  herabgesetzten  Preisen  verkauft»  nämlich: 

1.  Mitteilangen  des  Historischen  Vereines  für  Steiermarlc,  seit  1850. 

Preis  per  Hefl  60  Heller.  (Vergriffen  sind  Heft  1,  2,  3»  4.  5.  lO,  11,  12, 
13,  17  und  18,)* 

2.  Beiträge  zur  Kunde  stelermärklscher  Geschichtsquellen,  seit  1864. 

Preis  per  Heft  60  Heller.  (Vergriffen  sind  Heft    6,  7.  9»  10,  27.)* 

3.  Stelrlsche  Zeitschrift  für  Geschichte,  I.  bis  V.  Jahrgang.  1903  bis 

1907.  Preis  4  Kronen. 

4.  StelermSrlcISOhes  Landrecht  des  Mittelalters,  bearbeitet  von  Dr.  Fer- 
dinand Bischoff,  Graz   1875.  Preis  l  Krone. 

5.  Urfcundenbuch  des  Herzogtumes  Steiermark,  bearbeitet  von  Dr.  Josef 
von  Zahn,  I.  Band,  Graz  1875.  Preis  5  Kronen;  II.  Band,    Graz  l879, 

^ Preis  4  Kronen;  III.  Band,  Graz  1903,  für  Mitglieder  8  Kronen,  Laden- 
preis 14  Kronen. 

6.  Der  Historische  Verein  für  Steiermark,  sein  Werden  und  Bestand, 
von  Dr.  Fr.  Krön  es  Ritter  von  Marchland.  Preis  20  Heller. 

7.  Slgismund  Grafen  von  Auerspergs  Tagebuch  zur  Geschichte  der  franz(Ssi- 

schen  Invasion  vom  Jahre  1797-  Veröffentlicht  von  Kratochwill, 
revidiert  und  mit  Erläuterungen  versehen  von  Dr.  Fr.  Krön  es  Ritter 
von  Marchland.  Separatabdruck  aus  dem  28.  Hefl  der  „Mitteilungen", 
Graz  1880.  Preis  50  Heller. 

8.  Ober  das  angebliche  Turnier  von  1194  und  den  „Tummelplatz^' zu  Graz. 

Von  Dr.  Josef  von  Zahn.  Separatabdruck  aus  dem  84.  Hefte  der  „Mit- 
,     teilungen«   Graz  1887.  Preis  50  Heller. 

9.  Die  Festversammlung  des  Historischen  Vereines  fdr  Steiermark 
am  20.  November  1892  zur  Feier  der  700jährigen  Vereinigung  der 
Steiermark  mit  Österreich.  Preis  30  Heller. 

10.  Übersicht  der  In  den  periodischen  Schriften  des  Historischen 
Vereines  für  Steiermark  bis  einschlie&llch  1892  verSITentllchten 

Aufsätze.  Preis  40  Heller. 


•)  Vergriffene  Hefte  werden  xunickgekauft.