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1
ZEITSCHRIFT
DES
HISTORISCHEN VEREINES
FÜR
STEIERMARK.
-^n^
HERAUSGEGEBEN VON DESSEN AUSSCHüSS.
REDIGIERT VON
DR. ANTON KAPPER.
IV. JAHRGANG.
GRAZ 1906.
IN KOMMISSION DER VERLAGS-BUCHHANDLUNG „LEYKAM"
Inhalt des IV. Bandes.
I. und IL Heft.
Seite
Oberst Friedrich Marx. Ein Palmenblalt auf sein Grab. Von Ignaz Beck . 1
Die Hausindustrie und Volkskunst in Steiermark. Von Karl Lacher . . 19
Das Haus Stubenberg in Böhmen. Von Professor Johann Loserth ... 33
Die deutschen Besiedlungen Siebenbürgens in älterer und neuerer Zeit.
Von Karl Reissenberger 48
Wallenstein und die deutsche Armeesprache. Von Ferdinand Strobl
V. Ravelsberg 67
Literaturberichte :
Lang, Akta Salzburgo-Aquilejensia (J. Loserth) 76
Schiffmann, Archiv für Geschichte der Diözese Linz, U. Band
(M. Doblinger) 76
Andrian, Die Altausseer (F. Khull) 77
Kekule v. Stradonitz, Ausgewählte Aufsätze aus dem Gebiete, des
Staatsrechtes (F. Khull) 78
V. Pantz, Die Innerberger Hauptgewerkschaft (J. Schmut) .... 79
Styriaca in den Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission ... 81
Historischer Atlas der österreichischen Alpenländer 83
Das deutsche Rechtswörterbuch (E. Freiherr v. KOnssberg) ... 84
Strobl V. Ravelsberg, Metternich und seine Zeit 86
Mayer, Historische Streifzäge durch Klagenfurt 87
Zeitschriftenschau 88 — 90
Wesen und Aufgaben der historischen Geographie (H. Beschomer.)
— Ed. Richter. (G. Lukas.) — Beiträge zur Namenforschung
aus Steiermark. (Fr. Ilwof.) — Von alten steirischen Arbeitsstätten.
(V. Pogatschnigg.) — Altsteirische Wohnräume im Landesmuseum
zu Graz. (K. Lacher.) — Die österreichische Grundsteuer. (Fr.
Freiherr v. Mensi-Klarbach.) — Pettau als Grenzfeste. (H. Pirch-
egger.) — Aus Pettaus Römerzeit. (H. Pirchegger.) — Archiva-
lische Beiträge zur Geschichte Pettaus und des Pettauer Feldes.
(H. Pirchegger.) — Anselm Hüttenbrenners Erinnerungen an
Schubert. (O. E. Deutsch.) — Aus dem Revolutionsjahre (ii. bis
31. Oktober 1848.) — Kaiser Max von Mexiko. (O. Weber.)
— Bosnien. (Ed. Richter.)
v^
S«ite
Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen 90 — 93
Historische Landes-Kommission für Steiermark. — Die IX. Ver-
sammlung deutscher Historiker in Stuttgart. — Die Gesellschaft
für neuere Geschichte Österreichs. — Historische Gesellschaft
an der Wiener Universität. — Historischer Verein in Kufstein.
— Historischer Stadtsaal in Brixen. — Der internationale Kon-
greß für historische Wissenschaften. — Die Badner Fälschungs-
affaren. — Verein für Landeskunde von Niederösterreich. —
Jahresversammlung des Gesamtvereines der deutschen Geschichts-
und Altertumsvereine und VI. deutscher Archivtag. — Archivrat.
— Steiermärkisches Landesarchiv. — Gleispachisches Familien-
archiv. — Das steiermärkische Statthaltereiarchiv. — Deutsches
Ordens-Zentralarchiv. — Malteserordens-Archiv. — Das k. u k.
Kriegsarchiv. — Das städtische Ferk- Museum in Pettau. —
Ausstellung alter Städtebilder des mährischen Gewerbemuseums.
— Der Cillier Museal verein,
Vereinsnachrichten 94
Dr. Johann Nep. Graf zu Gleispach f 99
Nachricht 100
HL und IV. Heft
Hans von Zwiedineck-Südenhorst. Von Franz Ilwof , . 101
Über die Anfange der Blindenfürsorge in Steiermark. Von Alexander Meli 137
Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters. Von Otto Erich Deutsch 172
Literaturberichte :
Ed. Richter, Jul Strnadt, A. Meli und H. Pirchegger, Historischer
Atlas der österreichischen Alpenländer (Hans Vuönik) .... 225
Martin Franz, Dr., Die kirchliche Vogtei im Erzstifte Salzburg
(Richard Meli) 229
Löschner H., Dr., Über Sonnenuhren (Dr. phil. K. Hafner) . . 230
Meli A., Bericht Ober die Vorarbeiten zur Herausgabe des Ergän-
zungsbandes der steirischen Taidinge 234
Wostry W., Dr., König Albrecht II., 1437 — 1439 (Max Doblinger) 234
Stegensek Augustin, Cerkveni spomenicki Lavantinske äkofije (Kirch-
liche Denkmäler der Lavanter DiOzese) 235
Wimbersky H., Dr., Eine obersteirische Bauerngemeinde in ihrer
wirtschaftlichen Entwicklung I498 — 1899 236
Kapper A., Dr., Der Festungsbau zu Fürstenfeld 1556 — 1563 . . 237
Grießl A., Dr., Geschichte des Diözesan-Priesterhauses 237
G. S., Aus Brucks Vergangenheit. — Geschichtliche Streifzüge. —
I. Der Schreckenstag von 1792 (K. Hafner) 237
Lacher K., Führer durch das steiermärkische kulturhistorische und
Kunstgewerbe-Museum zu Graz 238
Seite
Zcritschriftenschau 239 — 244
Maximilian I. (Karl Fuchs.) — Zur Geschichte der Gegenreformation
in Innerosterreich. (J. Loserth.) — Indigenat und Inlcolat.
(v. Luschin.) — Böhmisches aus den steiermSrkischen Archiven.
(J. Loserth.) — Steiermärkische Gvsohichtsschreibung von 1850
bis in die Gegenwart. (Fr. Ihvof.) — Historisch-geographische
Probleme (O. Redlich.) — Beitrage zur neueren Geschichte
Österreichs. — Studien zum älteren österreichischen Urkunden-
wesen. (Freih. v. Mitis.) — Verzeichnis des Kueüsteinschen
Familienarchives in Greillenstein aus dem Jahre 1685. (GrafKuef-
stein.) — Aus der protestantischen Zeit von Leoben (J. Loserth.)
— Erneuerte und erweiterte Weisungen gegen die obersteirischen
Protestanten aus dem Jahre 1764. (K. Reissenberger.) — Ein
Verzeichnis der durch den lO Pfennig in Unterkrain eingezogenen
Strafgelder in den Jahren 161 4 — 1618 (F. Ahn.) — Steirische
Transmigranten in Siebenbürgen. (K. Reissenberger.) — Kaiser
Josef II. als Volkswirt. (Fr. llwof.) — Die Auflösung des
Deutschen Reiches. (O. F. Gensichen.) — Stanimbuchblätter aus
dem Jahre 1848. (Fr. Uwof.) — Kaiserreise vor 50 Jahren (Th.
Arbeiter.) — Franz Graf von Meran. (Fr. Ihvof.) — Die prag-
matische Sanktion. — Ein Rückblick auf 1866. — Aus dem
Tagebuche des Freiherm von Poche. (F. Menöik.) — Biographi-
sches Jahrbuch und deutscher Nekrolog. (A. Bettelheira.) — Die
Kaisergruft im Dome zu Speyer. (H. Granert.) — Die Schlachten
bei Custozza vor 38 und vor 40 Jahren. (E. Nowak.) — Das
historische Interesse der modernen Gesellschaft. (A. Dopsch.) —
Theodor Ritter von Sickel (B. Bretholz.)
Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen 244 — 252
Hauptversammlung des Gesamt verein es der deutschen Geschichts-
und Altertumsvereine und der VI. deutsche Archivtag in Wien,
24. — 28. September 1906. — Bericht der Kommission für neuere
Geschichte Österreichs für das Jahr 1905-06. — Oberösterrei-
chischer Gcschichts verein. — Steiermärkisches Landesarchiv. —
K. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv. — Römische Meilen-
steine bei Deutschfeistritz (Prof. O. Cuntz.) — Hintanhaltung des
Verkaufes und 'der Ausfuhr von Altertümern. — Ein Wappen-
fälschungsprozeß.
IV. JAHRGANG. 1. UND 2. HEFT.
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ZEITSCHRIFT
DES
HISTORISCHEN VEREINES
pÜR
STEIERMARK.
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HERAUSGEGEBEN VON DESSEN AUSSCHUSS.
REDIGIERT VON
( DR. ANTON KAPPER.
GRAZ 1906.
IN KOMMISSION DER VERLAGS-BUCHHANDLUNQ .LEYKAM".
Oberst Friedrich Marx.
Oberst Friedrich Marx.
Ein Palmenblatt auf sein Grab.
Von Ignaz Beck, k. u. k. Oberleutnant
Pax, der Friede, breitet seine Schwingen seit Jahr und Tag
über das Grab eines friedlichen Mannes.: Zwar führte
das Schwert an seiner Seite ehrenvoll ein.;, lichtes Eisenleben "^,
aber ' auch . die Leier war dem Krieger nicht , fremd; So
schmückte . er seine .Tage mit edlem Lied und edler Tat und
wurde im harten Strauß des Lebens ein Greis mit silbernem
Haan' 'Dann schlug auch seihe Uhr. Un^ jetzt , legt, der
Historische. Verein in dankbarer Pietät ein Palmenblatt auf
das Grab des Dichtersoldäten. .: . . . : '
. . ^ Marx hat eine kurze 'Lebensskizze zurückgelassen.*, Seine
Eamflie, Tiroler Ursprungs, war noch Ende 'des 17. Jahr*:
hunderts in Deutschmetz ansässig ^und wanderte .später nach
Kärnten ;aus.2 Der Großvater (väterlicherseits) beklerdete die
Stelle eines Pflegers (Amtmannes) der Fürstbischöfe vonGurk;
er hatte, seinen Amtssitz zu Straßburg im Gurktal. Der Vater
des Dichters war Verweser der Eisengewerkschaften zu St^in-
* Wir besitzen außer der großen Zahl von Nekrologen eret eine des
Dichters -Leben und Schaffen breiter' umfassende 1 Arbelt. * Es sind: zwei _Auf-.
Sätze Sr. Exz. des FZMs. Reichsfreiherrn von Teuffertbach in der „Vedette**.
{1905. Nr. V 758— 9.) . • - : • ,
• * Das 'Wappen besteht aus dem Schild und darüber dem geschlossenen
Visier. Ersterer ist geviert; links oben und rechts unten: rotes Buch und
Feder in goldenem Felde ; in den anderen Zweien : gelbe, aufstehende Löwen
in schwarzem Felde. Über dem Schilde befindet sich ein Löwe,- auf dem
Visier stehend, welcher in einem Buche schreibt. Den Schild umgibt Blatt-
werk. Bogenförmige Überschrift : „Wer auf Gott vertraut, hat woll gebaut."
Unten; „1682, Mathias Marx, Gerichtsschreiber in Teitschmez."
2 Oberst Friedrich Marx.
feld in Oberkärnten, Hier, in dem heute noch bestehenden
Verweserhause, wurde Marx am 20. September 1830 geboren.
Mit sechs Jahren kam er nach Klagenfurt in die Schule ;
1841 — 49 absolvierte er das Gymnasium in Laibach. In einem
Briefe vom 18. Juni 1846 teilt er seinen Eltern mit, daß er
seit 22. April — Dichter sei ! Er übersandte sein erstes Lied
dem „Illyrischen Blatte" ; es wurde nicht angenommen, aber
die Antwort lautete: „Nur vorwärts zum Parnaß!" Der er-
wähnte Brief enthält das Gedichtlein „Röschen und Schmetter-
ling". Aber die Zeit hatte Eisenzähne. „In deinem Lager
ist Österreich!" tönte es mächtig durch die Herzen unserer
Jugend. Da eilte Marx nach Klagenfurt und ließ sich unter die
Fahnen Radetzkys werben: am 10. April 1849 wurde er als
Kadett zum heimischen Jnfanterieregiment Nr. 7, damals Ffei-
herr v. Prohaska, assentiert und beeidet. In mehr als zwanzig
Fußmärschen ging es nun an dem belagerten Venedig vor-
über nach Piacenza am Po, wo die „Siebner" damals in
Garnison lagen : überall Truppen, überall lustiges Soldatenleben.
Auf einem dieser Märsche — es war zu Piadena — sah er
den greisen Marschall, der seinen Gruß mit freundlichem
Kappenschwenken erwiderte.^ Im Dezember wurde Marx
Leutnant, 1857 Oberleutnant. Inzwischen lernte er Lodi,
Cremona, Pizzighettone, Paviä, Como und Mailand durch
längeren und kürzeren Aufenthalt kennen. Hier war es der
kunstsinnige General Wilhelm von Marsano,^ selbst Dichter,
der in dem jungen Offizier den schlummernden Liederfrühling
weckte. 1856 schon konnten die Jugendgedichte gesammelt
werden. Im Jänner 1858 wurde Marx zum 1. Gendarmerie-
regiment nach Wien übersetzt, kam bald nach Komeuburg,
Gmunden, Ischl und 1860 nach Krems. Hier lernte er seine
nachmalige Lebensgefährtin kennen, die zum Besuche ihrer
verheirateten Schwester im Städtchen weilte: es war Therese
Pesendorfer, die Tochter des um die Eisenindustrie Steier-
marks hochverdienten Josef Pesendorfer in Graz. Am 23. No-
vember 1861 führte Marx die Braut in der Grazer Gamisons-
kapelle zum Altar.-^ Bis 1863 weilte der Dichter hier, gab
die Gedichtesammlung „Gemüt und Welt" heraus (i862,
Wien, bei Manz), desgleichen das Trauerspiel „Olympias"
* Brief vom 7, Mai an die Eltern»
2 Vgl, Wurzbach. Biogr. Lex. XVII.
ä Sie befand sich damals in der Bürgergasse. Die Trauung vollzog
d^r unvergeßliche Hebenstreit, Als sein Steinbild ah der Domkirche ent-
hüllt wurde (1903)» hörten wir Marx* Festprolog,
Von Ignaz Beck« 3
(1863, Wien, bei MarkgrafF). Auf seine Bitte wurde er 1864
zum Infanterieregiment Nr. 17 eingeteilt und rückte in Pola
zum Hauptmann vor. Ein Jahr darauf kam seine Übersetzimg
zu Nr. 16. Auf einer Dienstreise von Treyiso nach Mainz,
wo das Regiment als Teil der Besatzungstruppen der damaligen
Bundesfestung gamisonierte, lernte er Süddeutschland und die
Rheingegend kennen. Im Frühjahre 1866 erkrankte er an
einem bösartigen Halsübel, * konnte dem Regiment auf die
böhmischen Schlachtfelder nicht folgen und trat in den zeit-
lichen Ruhestand. Nun vergehen zehn Jahre angestrengter,
vielseitiger literarischer Tätigkeit in Graz. Oft spielt die Sorge
für die große Familie mit.^ Ein echt deutsches Pro aris et
focis! machte den Dichter zeitlebens zum glücklichsten Haus-
vater. Marx war Vorstand des steiermärkischen Schriftsteller-
vereines und stand mit allen Literaten in regem Verkehr. In
den Denkmalkomitees für Walter von der Vogelweide, Ana-
stasius Grün und Hans Gasser wirkte er tätig mit. Am
1. Jänner 1877 wurde er als Hauptmann in die aktive
k. k. Landwehr übernommen, absolvierte den Stabsoffiziers-
kurs, kam abermals nach Krems und fand im Hause des
Dichters Dr. Josef Pollhammer, eines Steiermärkers, freund-
liche Aufnahme. Ende 1878 finden wir ihn in Pisino, 1881
als Major in Mährisch- Weißkirchen, 1884 und drei weitere
Jahre als Land wehrkommando- Adjutant neben FZM. Baron
Kuhn in Graz. Im November 1887 übernahm Marx als
Oberstleutnant das Kommando des Landwehr-Bataillons Nr. 26
in Klagenfurt, 1889 jenes des steirisch-kämtischen Landwehr-
Infanterieregiments Nr. 4 imd wurde 1890 Oberst. Nach
33jähriger Dienstzeit trat er im Juni 1892 in den Ruhestand
und übersiedelte nach Graz. Im Nachlaß befindet sich der letzte
„Gefechtsbericht**, datiert aus Cestiek, nördlich St. Georgen,
den 1. September 1891. Er hat es also doch bis zum Obersten
gebracht: sein gerader Soldatensinn war dadurch redlich be-
lohnt. Er besaß das Militär- Verdienstkreuz, die Verdienst-
medaille am roten Band, die Kriegsmedailje, die Jubiläums-
Erinnerungsmedaille imd das Dienstzeichen. 1894 traf ihn der
herbste Schmerz: er wurde Witwer. Langsamer fielen die
1 Brief vom 13. Mai an die Eltern.
* Die sechs Kinder sind heute: Stephanie: als Frl. Hildburg, Hof-
schauspielerin (Tragödin) zu Hannover; Friederike: Frau Professor Pichler
in Klagenfurt; Helene: Malerin; Viktor: k. u. k. Hauptmann im Pionnier-
bataillon Nr. 7 ; Gisela : Schulschwcster Gonzaga im Mutterhause des Ordens
zu Menzingen (Schweiz); Walter, k. u. k, Oberleutnant im Landwehr-
Ulanenregiment Nr. 3.
4 Oberst Friedrich Marx.
Körhlein im Stundenglase. Aber dem ehrwürdigen Greise
hat der liebe Gott noch manche Stunde reiner Herzensfreude
beschert : im Leben und in seiner Kunst. Es war ein reicher,
goldener Herbst ...
Wer kennt nicht Anastasius Grüns farbenprächtiges
Gedicht „Max und Dürer" ? Zu Augsburg ist's, auf dem Reichs-
tag, da malt Meister Albrecht noch einmal den Kaiser : die Land-
schaft, „vom Spätherbst karg verklärt**, wie sich Max aus-
drückt. Aber es gelingt nicht recht: „Noch bitt ich eins,
mein Kaiser, seht nicht so finster drein!** Das Augenblickliche,
Zufallige, Zeitliche wollte der Meister gebannt wissen: ihm
dürstete nach jenem ^alten** Kaiser, dem er so oft ins treue
Aug lachen durfte. Er hätte ihn gern zurückversetzt, um
aus dieser Entfernung sein Konterfei einer späteren Zeit zu
überliefern. Ihm fehlte also die Zeitdistanz ... Sie mangelt
allen, welche nach dem Tode bedeutender Menschen über
diese schreiben sollen. Das Zu früh ! drückt ihrer Arbeit das
Stigma der Unzulänglichkeit auf. Und so sind wir auch
heute nicht imstande, Friedrich Marx* Stellung in der Geschichte
unseres Schrifttums scharf zu fixieren. Noch ist das letzte
Ährengold vom Emtefelde unseres Dichters nicht eingebracht. *
Noch ist der umfassende Briefwechsel'-* ausständig, der sich
als wohltuender Rahmen um das Lebensbild des Verstorbenen
schließen wird.
Unter den Kärntner Poeten ist er mit dem vergessenen
Tschabuschnigg und dem gelästerten Fercher der Dritte im
Bunde. Besaß der eine viel Form, der andere mehr Kraft,
so hatte Marx am meisten — Herz. Seine Kunst hat er im
Lied, in der Ballade, im Drama und der Erzählung wacker
betätigt. Mit dem ersteren wird er alle anderen überdauern.
Für die Geschichte zeigte er eine besondere Vorliebe ; er ver-
band mit ihr einen rührigen Sammeleifer, dessen Früchte ihm
jederzeit gut zustatten kamen. Durch seine Sprachgewandtheit
1 Der poetische Nachlaß ist in Händen der feinsinnigen Dichterin
Fräulein Irene von Schellander in Triest. Sie war Marx kindlich ergeben
und widmete ihm ihren ersten Gedichtenband „Tannenbruch" (Dresden und
Leipzig, Pierson, 1902). : Eine der letzten großen Freuden des Obersten
war es, als sie bei den heurigen Kölner Blumenspielen zur Königin erwählt
und gekrönt wurde.
* Weit über 300 Briefe sind jetzt bei Hauptmann Marx gesammelt.
Ihm muß ich an dieser Stelle für so manche Förderung dieser Arbeit den auf-
richtigsten Dank sagen.
Von Ignaz Beck. 5
rückt er in die erste Reihe unserer Übersetzer vor. Die edle
Form, die er bei fremden Meistern lernte, blieb ein königliches
Geschenk seiner Muse. Man erinnert sich, daß er als junger
Offizier manches Jahr in unseren italienischen Provinzen zu-
gebracht hat. Welsche Poeten übertrug er zuerst ins Deutsche.
Oft habe ich von Marx gehört, daß er einen Dichter über
alle der Weltliteratur stelle: Dante! . . Wir können dieses
blühende Lebenswerk nicht einer Betrachtung unterziehen,
ohne sein Gewicht mit dem Stein des Ethikers zu prüfen.
Das Ergebnis entzückt. Denn es ist der wunderbare Edel-
stein eines guten und reinen Menschenherzens, welcher unserer
Wagschale das Gleichgewicht hält. Und in seinem märchen-
haften Gefunkel spiegelt sich dies Dichterleben für und für.
Ein Mann, in dessen Brust alle Gefühle der Zuneigung leben
und weben, von der Gottes- imd Nächstenliebe bis zum Mit-
leid mit dem Tiere, 1 ist vor Gott der berufene Künstler. Und
daß es gerade ein kaiserlicher Soldat ist, das erfüllt seine
Kameraden mit gerechtem Stolze . . .
Den Zweig und Bann seiner Lyrik bildet die Gedichten-
sammlung „Gemüt und Welt^. Sie ist 1862 zuerst bei Manz
in Wien erschienen und liegt seit 1877 in 3. Auflage vor
(Leipzig, Ernst Julius Günther). Spätere Gedichte finden sich
zerstreut in allen deutschen Anthologien^ und in etlichen
Zeitschriften ^ (z. B. im ;, Heimgarten"). Einiges aus dem
Nachlasse hat Irene von Schellander in Tagesblättern ver-
öffentlicht.^ Endlich habe ich auch Ungedrucktes benützen
dürfen. In ein Exemplar der ersten Ausgabe (seinem Sohne
Viktor gewidmet) hat Marx zu den einzelnen Gedichten mit
Bleistift Zeit und Ort der Entstehung vermerkt. Zu dem
1 Seit Jahren war Marx Mitglied des Grazer Tierschutzvereines.
« So: Pfeifer, Alpenklänge; Bowitsch, Nach der Flut; Zettel, Edel-
weiß ; Hub, Deutschlands Balladen- und Romanzendichter ; Schrey, Bausteine ;
Fels, Egeria ; Landau, Stammbuchblätter ; Müller-Beilhack, Für den Spessart ;
Freiligrath- Album ; Ballestrem-Lingg, Deutsche Skaldenklänge ; Storm, Deutsche
Lyrik ; Bern, Deutsche Lyrik ; Avenarius, Deutsche Lyrik seit Goethes Tod ;
Gawalowski, Steiermärkisches Dichterbuch; Scherer, Deutscher Dichter-
wald u. a.
3 So : Deutsche Kunst in Bild und Lied ; Deutsches Künstler- Album ;
Dioskuren; Carinthia; Neue illustrierte Zeitung; Im trauten Heim; Heim-
garten; österreichische Gartenlaube u. a.
* „Klagenfurter Zeitung" vom 21. Juli 1. J. ; Lechners Mitteilungen,
Oktoberhett.
6 Oberst Friedrich Marx.
Frühesten gehören die „ Stromlieder* (Krems l86o — 6l).
Schon auf ihnen liegt der Tau eines milden Ernstes, gesunder
Lebensfreude, schlichter Frömmigkeit. So beginnt eines:
Da, horch, im FÖhrengninde
Klang mir zu dieser Frist
Aus holdem Kindermunde:
„Gelobt sei Jesu Christ!"
Ich stand am Ufer sinnend;
Was ich so heiß gefühlt
Hat mir hinunterrinnend
Die Flut hinweggespült!
Vom Zollhaus an der Donau rühmt er:
Zwei holde Schwestern stricken
Und singen ein Lied dazu,
Dort wo die Rosen nicken.
In gold'ner Abendruh'.
Mir däucht, es war* beschieden
So tiefe Ruh* dem Dach,
Seit einst der Herr im Frieden
Sein Brot mit Zöllnern brach.
Aus Krems stammen auch die „Zypressenzweige auf
Mariens Grab" mit dem herrlich -schönen Trostworte am
Schlüsse :
Wer nur ein Grab zu hüten
Auf dieser Erde hat,
Dem fiel von seinen Blüten
Noch nicht das letzte Blatt!
Noch aus Gmunden (1859) ^^^ ^^ ^^^ allerliebste „Wan-
derung" mitgebracht:
Und du im Busch mit dem Silberschall
Wer hat dich her verschrieben?
Sag an, o kleine Nachtigall,
Ob denn von all den Lieben
Nur sie daheim geblieben?
Wehmütig klingen die „Abendlieder" (Wien 1860), von
denen dieses ein Muster der Stimmungsmalerei ist:
Ich ruh' am Silberteich
Gebettet in den Rasen, . .
Indessen Zapfenstreich
Im Dorf Dragoner blasen.
Von Ignaz Beck. 7
Der Töne Vollgenuß
Erregt mich söß und bange,
Hell wiehert seinen Gruß
Mein Rapp' dem trauten Klange.
Einst wird, Soldatenherz,
Wenn sie dich lang begraben,
Der Kriegsdrommeten Erz
Wie Liebchens Sang dich laben.
Bezeichnend ist die Milderung in der 3. Auflage. Dort
folgt nach der zweiten Strophe:
Nun denkst du, treues Tier,
An fliegende Standarten,
An manch ein gut Quartier
Auf unsem welschen Fahrtep.
Und leise klingt ein Ruf
Uns aus entschwund'nen Tagen —
Doch morgen soll dein Huf
Zu neuem Glück mich tragen!
Auch das „Kinderstübchen*' ist noch vom jungen Marx
(Wien 1861):
Wie in Gottes Kirche trete
Ich in's Kinderstübchen traut,
Und zum innigsten Gebete
Wird mir Kindes Stammellaut.
Aug' der Unschuld, fromm erhoben,
Bist mir, was dem dunklen Tal
Heilverkündend, glanzgewoben,
Ist der gold'ne Morgenstrahl!
Himmelssegen auf die Lippe
Führ ich und in's Herz mir tau'n.
Gleich den Hirten an der Krippe,
Hingesenkt in süßes Schau'n!
Demselben Jahr (Krems) gehört ;, Blond!" an, in der
3. Auflage unter „Neue Liebe" 12. Der Dichter preist Liebchens
Haar, vergleicht es mit dem gold nen Rosenkelch, sieht es an
Undinens Gespielinnen, sucht es bei der Engelschar in der
heiligen Nacht:
Blond, o du deutsches Gold,
Laß mich dich singen.
Selig durch deinen Glanz,
Grünenden Myrtenkranz
Dem Liebchen schlingen.
8 Oberst Friedrich Marx.
Zart, rein und hoheitsvoll ist der Ausdruck der Liebe
im Gedichtchen: „Nur von ferne !"
Ob du jemals mir gewogen?
Ob du einmal mein gedacht?
Schöner Traum — du bist entflogen!
Heller Stern — du sankst in Nacht!
Doch ein Duft ist's sondergleichen.
Der in Jahren, still durchlebt.
Über der entsagungsreichen,
Ungestand*nen Liebe schwebt!
Er zeigt den Dichter auf seiner Höhe.
O frage nicht, woher der Stern.
Dir schön durch das Gewölke blinkt.
Wo ihm bestellt sein Vaterhaus,
Und Ruh dereinst dem MQden winkt!
O frage nicht, woher die Macht,
Die aus dem Aug* der Liebe grüßt.
Genug, daß Stern und Auge dir
Die gramumflorte Seele kOßt !
Freudeverheißend schließt das ^Osterlied" :
Und wie am Ostermorgen
Maria ohne Grauen
Im Gärtner, mild verborgen.
Den Heiland durfte schauen:
So sieht vom Blütenthrone
Des Frühlings auf dem Plan
Mit seiner Stemenkrone
Der Herr uns segnend an.
Das letzte Lyrische, das Marx geschrieben hat, dürfte
an abgeklärter Ruhe, Innigkeit und Wohlklang in Österreich
heute kaum seinesgleichen finden:
Duahnstesnicht.
Du ahnst in deiner Demut nicht.
Was dir in Blick und Wort und Lied,
In deiner Seele Himmelslicht
Für Reichtum doch der Herr beschied.
O denke meiner dann noch gern.
Wenn einst die Welt dir Kränze flicht.
Ein süßer Ton, ein holder Stern,
In Gottes großem Weltgedicht! („Heimgarten", 25. Jg.)
Von Ignaz Beck. i
Die Blüteninsel.
Wenn herbstlich schon die Fluren,
Und mOd' des Flüßchens Lauf,
Da steigt aus seinen Fluten
Die Blumeninsel auf.
Mit zarten, weißen Blüten,
So schwimmt im Wasser kühl.
Gleich einem Beet von Myrten,
Der Nymphe HochzeitspfOhl.
Es ist der Traum des Frühlings,
Den sie im Schoß gehegt.
Um den sie noch in Liebe
Die Arme sterbend legt.
So steigt, bevor zu Ende
Des Erdenpilgers Lauf,
Der Traum des Glücks, der Liebe
Aus Menschenherzen auf. (Ebd.)
Mit meinem Bilde.
Rings herbstlich tiefes Schweigen,
Die Wälder braun und fahl,
Doch spielt noch in den Zweigen
Ein milder Sonnenstrahl.
So blieb auch mir im .Innern
Vom Lenz, dem ich geglaubt,
Ein seliges Erinnern
Zum Schnee auf meinem Haupt. (Nachlaß, Okt. 1899.)
Zu erhabener Größe wächst der „Herbst"
Welch ein Wandel auf der Bühne
Dieser schönen Gotteswelt,
Wenn im Büßerhemd zur Sühne
Sich der Herbst ihr zugesellt.
Ja, zur Sühne für das Prangen
Aller Wesen im Verein,
Für das brünstige Verlangen,
Glücklich und geliebt zu sein.
Einsam schmückt die Herbstzeitlose
Noch die Flur am Waldessaum,
Doch des Frühlings schönste Rose,
Ach, entschwand uns wie ein Traum.
10 Oberst Friedrich Marx.
Nahe scheint die Sterbestunde,
Wie des toten Glückes Geist
In der ungeheuren Runde
Klagend dort ein Geier kreist. (Nachlafi, Sept. 1899.)
Nicht minder liebe Blumen, aber nur am Rain der
blühenden Wiese, sind die epischen, „ Soldatenbegräbnis **
stammt noch aus Wien (1859 — 60):
Muß ich schon begraben sein,
Sei 's nach Kriegerart,
Grenadiere, Bart an Bart,
Tragen mich im Schrein.
Bärenmütze, Säbel drauf,
Kreuz und Flor daran;
Schweigend geht der Feldkaplari
Vor dem Kriegerhauf.
Trommelwirbel, Klarinett,
Rechts und links geschwenkt!
Kurz, wenn man ins Grab mich senkt,
Kurz nur das Gebet!
„Kamerad, o schlaf in Ruh,
Der uns treu geliebt!"
Eine Hand voll Erde gibt
Jeder noch dazu.
Schnurrt das Seil, die Salve kracht.
Lustiger Marsch erklingt;
Da im Busch die Drossel singt.
Und der Himmel lacht!
Das ist echt soldatisch, gemütvoll und ohne jede Senti-
mentalität. Auch „Die Ordensschwester* konnte nur ein
ernster, feinfühlender Soldat schreiben. Im „Letzten Sakra-
ment" hat Marx dem Herrn Pfarrer Unterkreuter von Ober-
drauburg, der selbst seiner Mutter die letzte Ölung spenden
mußte, ein dichterisches Denkmal von erschütternder Einfach-
heit gesetzt. An den Großonkel seiner Frau, den hochwürdigen
P. Magnus Roeck O. S. B.^ ist das schöne Poem „Auf den
Tod eines Landgeistlichen" gerichtet. Es schließt:
1 Der gelehrte Admonter, hochverdient um das heimische Schulwesen,
war 1805 Professor der Kirchengeschichte und des kanonischen Rechtes an
der Grazer Universität, 1815 — 27 Direktor des k. k, Konviktes und 181 8 — 39
Präfekt des Staatsgymnasiums. Als greiser Pfarrer zu Frauenberg erhielt er
die Volksschule fast auf eigene Kosten und hinterließ für sie eine Stiftung.
Wichner, Admont u. s. Bez. zur Wiss. u. z. Unterr. 1892. S. I64, i72,
186 u. a,
Von Ignaz Beck. 11
Ruh* denn aus, vielteurer Greis,
Ob dein Name auch verschollen bliebe,
Legt doch auf dein Grabmal leis
Ihren schönsten Kranz die Menschenliebe.
Wenn die Wallfahrt im Gefild
Glocken hoch zürn Frauenberge laden.
Sieht manch feuchtes Aug* dich mild
Mit dem Sakrament auf Waldespfaden
Und im Festgewand dich noch am Bild der Gnaden !
Aus ^Heimat und Fremde" heißen die poetischen Reise-
bilder, von denen wir Heiligenblut, Göttweih, die Certosa
nächst Pavia und Pola anmerken. Phantastisch und grandios
ist »Der Ritt*'. Im »Deutschen General" und „Einem der
Helden von översee" blitzt es von kühnen Taten und Tränen.
Die „Schnitterin" zeigt, was die Modernen so vergeblich ver-
suchen. „Notburga", dem Küstertöchterlein, gebührt das
Kränzlein unter den Balladen.
In Reih imd Glied stehen die patriotischen Gedichte da :
voran die ans liebe Kärtnerland. Aus 1858 wissen wir von:
, Vater Radetzkys Heimgang", „Die Marschallsgruft in Wetzdorf",
„Österreichs Soldat an der Wiege des Kronprinzen"; 1859:
„An Wiens Freiwillige*^, „Am 50. Jahrestage der Schlacht von
Aspem". Bowitsch' Anthologie „Nach der Flut** (1862) ent-
hält ein Gedicht auf den Kaiser bei den Rettungsarbeiten in
der Brigittenau. Zwei prächtige Gedichte („Unser Kaiser auf
dem Königgrätzer Totenfelde", „Das k. u. k. Inf.-Reg. Nr. 20
bei Wysokow") finden sich in Bouvier-Krainz, Episoden aus
den Kämpfen der k. u. k. Nordarmee 1866 (Graz, Styria
1896). Beim 200j ährigen Jubiläum des Infanterieregiments
Nr. 7 (1891) trug Marx selbst sein Festgedicht vor, welches
austönt :
Und gilt's, fährt deine Klinge daher wie Donnerstreich,
Für Gott und unsem Kaiser, für KSmten und fürs Reich,
Und steht die Welt in Flammen und stürzt der Himmel ein,
Soll noch der jüngste Kärntner ein „Khevenhüller" sein!
Der anwesende Korpskommandant, FZM. Herzog von
Württemberg, umarmte den Dichter. Nicht minder wirkungs-
voll hören sich „Die Offizierswaisen von Hernais" an, die
am 25. und 26. April 189I im Klagenfurter Stadtthealer bei
einer Wohltätigkeitsfeier zu Gunsten der „Erzherzogin Marie
Valerie-Stiftung" gesprochen wurden.
Auch die zahlreichen anderen Gelegenheitsgedichte stehen
recht hoch. Niemals hat der Dichter die Brücken mit seinem
12 Oberst Friedrich Marx.
feinempfindenden Ich abgebrochen. Zu Anastasius Grüns
70. Geburtstag schrieb er das Poem „Thum am Hart". Grün
widmete nicht lange vor seinem Tode Marx eine farbige
Handzeichnung des Schlosses mit einigen Zeilen. Der Oberst
hatte sie sehr hoch gehalten. Solche Gedichte hat er zu
Ehren des K. G. Ritter von Leitner, Otto Prechtlers, zur
goldenen Hochzeit der Eltern Robert Hamerlings, zur Ver-
mählung seines Neffen Dr, Rudolf Tyrolt (u. a. m.) verfaßt.
Eines der schönsten ist jenes zur silbernen Hochzeit des Ehe-
paares Hugo und Magdalena Kraupa, die am 12. Juli 1898
in Mariazell gefeiert wurde. Es beginnt:
Festlich flammen euch die Kerzen
Vor Mariens Weihaltar,
Und aus übervollem Herzen
Bringt ihr Dankgebete dar.
Gottes Huld habt ihr erfahren.
Der durch seines Priesters Hand
Heut' vor fünfundzwanzig Jahren
Für das Leben euch verband.
Recht stachelig sind mitunter die Sprüche. Aber sie
treffen den Nagel auf den Kopf. Noch immer zeitgemäß ist
^Spekulative Forschung'* :
Will, was sie uns beleuchten, euch sagen.
Die der Erforschung flackerndes Licht
Hoch durch die irdische Finsternis tragen!
Was sie beleuchten, das ist ihr Gesicht,
Aber das Dunkel erhellen sie nicht!
Es sei noch „Schöpfungstheorie" angeführt:
Also vom Infusorium
Bis zum herrlichen Menschentum
Reichte hinan die stets wachsende Leiter!
Was, ihr Herren, ist da wohl gescheiter,
Als, daß die Form, aus der wir gekrochen.
Daß der Sprossen vorletzte gebrochen —
Weil wir sonst manchmal aus Not und Pein
Flöh'n in die glückliche Tierwelt hinein!
Vor dem Gottesglauben aber sinkt sein Balmung:
Das Menschenherz.
O schmäht's nicht ein klein und gebrechlich Ding,
Das Menschenherz ist dem Mann nicht gering,
Der jemals im Taumel des Glücks sich besann.
Daß Gott nur allein es befriedigen kann!
Von Ignaz Beck. 13
: christlich ir
reich" an:
Echt christlich muten die acht Zeilen „Das Himmel-
Wer wollte sich nicht Gott versöhnen
Noch vor des Grabes dunkler Kluft,
Doch ach, manch sündhaftes Gewöhnen
Begleitet uns bis an die Gruft!
Daß nicht zu spät dann Reu' und Bitte,
Versöhne dich, wenn je, sogleich —
Mit jedem Tag, mit jedem Schritte
Erobre dir das Himmelreich !
Marx hat nur eine Erzählung in Prosa geschrieben :
„Ciarisse", die 1878 bei Endres in Wien erschienen ist.
Aber in Melpomenens Bann geriet der Dichter. Wir
besitzen von ihm zwei Dramen, welche durch die Reclam-
sche Universalbibliothek weite Verbreitung gefunden haben:
„Jakobäa von Bayern" (Nr. 158) und „Olympias" (Nr. 23 1).
Beide wurden am landschaftlichen Theater zu Graz mit großem
Erfolg aufgeführt: ersteres (Hermann Lingg * gewidmet) 1866,
letzteres (Hamerling und Jordan zugeeignet) I870. Zu dem
Schauspiel „Jakobäa" hat Marx den Stoff der holländischen
Geschichte (Mitte des 1 5. Jahrhunderts) entnommen. Es ist die
Zeit des Bürgerkrieges, in welchem sich Hoeks nnd Kabeljaus
grimmig befehden. Im Mittelpunkte stehen Jakobäa, eine
Enkelin Ludwigs des Bayern, und ihr vierter Gemahl, Frank
von Borseil. Der Dichter wollte ein Bild des scheidenden
Mittelalters, des sterbenden Rittertums malen. Mit „Olympias"
ist Marx in die alte Geschichte zurückgegangen. Das Stück
spielt nach dem Tode des großen Alexander, als sein Welt-
reich eben in Brüche geht. Allgemein wurden sowohl die
Technik dieser Bühnenstücke, die feine Charakterzeichnung
als auch die edle Sprache gelobt. Behauptet haben sie sich
auf den Brettern nicht. Man kann hier der Anschauung des
Hofrates Dr. Gnad/^ beipflichten und die Ursache in der Wahl
so entfernter Stoffe erkennen. Einer dankenswerten Wieder-
aufnahme stehen zurzeit fast unüberwindliche Hindernisse im
Wege: vor allem dieses, daß sich unsere Theater von ihrem
Berufe, Heimstätten der Kunst zu sein, zum großen Teil ab-
gewendet haben. Immer hat Marx von seinen Schmerzens-
kindern mit großer Zärtlichkeit gesprochen. In den damaligen
1 Der gute alte Freund verschied einen Tag vor Marx, den 18. Juni
n München.
2 Literarische Essays. N. F. Wien, K. Konegen, I895, S. 229 f.
14 Oberst Friedrich Marx.
Briefen klingt hell und froh die Begeisterung über den ersten
Erfolg. Es war eine bittere Enttäuschung (nach Stifter ist
sie der besseren Menschen Los) und geschrieben hat er für
das Theater nichts mehr.
Diese zwei Dramen dünken uns aber Pförtchen zu einer
vertraulichen Herzenskemenate des Dichters, nämlich zur
Geschichte. Denn sie sind Früchte ihres eingehenden Studiums.
Auch die große Zahl tief empfundener patriotischer Poesien
hat den Geschichtsfreund verraten. Und in der Tat, heimische
Geschichte hat Marx immer mit Vorliebe gepflegt. Seit vielen
Jahren gehörte er dem Historischen Verein für Steiermark an
und manche Anregung dürfte er aus ihm geschöpft haben.
Aber auch seine liebenswürdige, ruhige Art erwarb ihm die
Sympathien aller, die den greisen Poeten gern in ihrer Mitte
sahen. l8g7 begingen die Oberdrauburger ihre 150. Wall-
fahrt nach Maria Luggau im Lesachtale. Einst, in schwerer
Feuersnot, hatten sie das Gelübde dazu getan. Als aus diesem
festlichen Anlasse ein Gedenkbuch am Wallfahrtsorte gestiftet
wurde, betrauten sie Marx, das historische Vorwort zu schreiben.
Der Oberst machte die Wallfahrt mit und trug sein schlichtes
Opusculum, das auch die Weihe der Oberdrauburger an die
Muttergottes enthält, in das Buch ein.^ 1899 wurde er in
den Ausschuß des Historischen Vereines berufen, dem für das
nächste Jahr von Zwiedineck (Obmann), Ferk, Gubo, KhuU,
Ilwof, König, Joherl und Wastler angehörten. Am 2. De-
zember 1900 feierte der Historische Verein den 50. Gedenk-
tag seiner ersten Versammlung, Marx beteiligte sich sehr
lebhaft an den Vorbereitungen dazu. Am Festabend erschien
er in der Uniform seines Landwehr-Infanterieregiments. 1901
bat der Zweiundsiebzigj ährige um seinen Austritt; schweren
Herzens mußte der Ausschuß dem kränklichen Alten die
Bitte gewähren. Von den historischen Schriften Marx' sei an
erster Stelle genannt: „Die Freiherren von TeufFenbach in
Steiermark.* Diese Studie ließ er in der „Öst-ung. Revue*'
XVI. Bd. I. (Heft 5—6) und XIX. Bd. (Heft 1) erscheinen. Die
Anregung dazu mag die enge Freundschaft zu seinem gelehrten
Landsmanne FZM. Reichsfreiherrn von Teuffenbach, dem
Herausgeber des „Vaterländischen Ehrenbuches" gegeben
haben. Als Quelle dienten die Dokumente und Schriften der
freiherrlichen Familie (16 Foliohefte Manuskript), femer die
fachgeschichtlichen Arbeiten von Vinzenz Brandl, Pfarrer
1 Im Nachlaß.
Von Ignaz Beck. 15
Ludwig Stampfer, Christian Ritter d'Elvert uiid Hauptmann
von Beckh-Widmanstetter. Marx verficht hauptsächlich die
Ansicht, daß die Linien TeufFenbach zu Tiefenbach und Maß-
wegg und Teuffenbach - Mayrhofen eines Stammes seien.
Während die Verschiedenheit der Wappen lange im Zweifel
ließ, hat sich die größte Zahl der Historiker heute dazu ent-
schieden, daß hier nur ein Stamm anzunehmen sei.* Est ist
eine liebenswürdige Arbeit mit einem ganz seltenen Vorzuge:
man erkennt, daß auch das Herz die Feder lenkt. Seinem
verehrten Freunde hat Marx noch ein zweites zugedacht:
1897 erschien in der gleichen Revue (XXII. Bd., Heft 4 — 5) :
a Geistiges Leben in Österreich-Ungarn". Das monumentale
Werk des Reichsfreiherm „Neues illustriertes vaterländisches
Ehrenbuch** * erfährt hier auf 25 Seiten die eingehendste Be-
sprechung. Zum Schlüsse widmet Marx dem Herausgeber
und seiner reichen patriotischen imd pädagogischen Schrift-
stellerei ehrliche Lobesworte, welche wie aus unserem Herzen
gesprochen sind. Er leiht dort dem Wunsche Ausdruck, es
möchten diese kleineren Schriften Seiner Exzellenz bald in
Buchform erscheinen. Dies ist auch heute noch — unser
Wunsch ! Als am 14. Februar d. J. der Feldzeugmeister sein
70. Geburtsfest feierte, begrüßte ihn Marx mit einigen Zeilen
in der Grazer „ Tagespost ".^ Für das „Vaterländische Ehren-
buch" hat Marx drei Beiträge geliefert: Johann Georg Fellinger,
Dichter und Soldat (II, 107— 11 o), Hans Gasser, Bildhauer,
(II, 414 — 418) und Anastaisus Grün, Dichter, Staatsmann
(11, 495 — 499). Zu Ersterem, einem talentierten Steiermärker,
mag ihn eine gewisse Wahlverwandtschaft gezogen haben, zu
Gasser und Anastasius Grün freundschaftliche Bande. Im
TeufFenbachischen „Vaterländischen Ehrenbuch, Poetischer
Teil" * ist Marx mit fünf Gedichten („Walter von der Vogel-
weide", „Maria Theresia**, „Hans Gassers Standbild in Villach",
„Prolog zur Vermählung Ihrer k. u. k. Hoheit der Frau Erz-
herzogin Gisela", „Heiligenblut") vertreten. Im Nachlaß fanden
sich Auszüge „Aus Major v. Riegers Briefen 1783 — 86" an
Grafen und Gräfin Strassoldo, desgleichen ein Aufruf zum
Wilhelm Herzog von Württemberg-Denkmal für Graz. Zahl-
1 Vergl. hierüber Wurzbach, Biogr. Lex. XLIV. — A. Meli, Regesten
z. Gesch. d. Familien v. TeufFenbach in Steiermark. I (1074 — 1547). Ver-
öffentlichung d. bist. Landeskomm. f. Steierm. XX. (Die neuesten Forschungen
trennen nun doch beide Zweige. Anin. d. R.)
« 2 Bde.. Wien und Teschen, Karl Prohaska, o. J,
3 Nr. 45, Morgenblatt jenes Tages.
4 Salzburg, Heinrich Dieter, 1879.
16 Oberst Friedrich Marx.
reich sind seine Aufsätze literarhistorischen Inhaltes, so z. B.
„Franz Nissel. Ein Beitrag zur Lebensgeschichte des Dichters in
Briefen" (Heimgarten, 19. Jhg., Heft 12), über Therese, Prin-
zessin von Bayern, Torresani u. a. in der „Tagespost**. Im
Jahre 1868 ließ Marx im Selbstverlage (Graz) ein Lebensbild
des italienischen Dichters Alessandro Poerio erscheinen. ^
Noch ein letzter Meiseistich fehlt zu unseres Dichters
Profil. Ihm beschien nicht nur ein Strahl Poesie die Pfade
(wie Emanuel Geibel singt) : er suchte ihn auch in den fernen
Gärten fremder Völker. Es war eine hohe Schule seines
Kunstkönnens. Die graziösen Formen des Südens, besonders
des Sonetts, wurden ihm bald zu eigen. Er übersetzte Ge-
dichte von Alessandro Poerio und B. Zendrini, die sich ver-
streut in „Gemüt und Welt" finden. Desgleichen übertrug er
das indische Drama „Re Nala" des Angelo de Gubematis
(Hamburg, Richter 1869) ins Deutsche, Der erwähnte Ge-
dichtenband enthält auch Poesien von Edgar Allan Poe und
Longfellow. Die letzteren (in Auswahl: Reklams Univ.-Bibl.,
3. Aufl., Nr. 328) dürften den weitesten Weg im Publikum
gemacht haben. 2 Wie Marx sich zu dem amerikanischen
Dichter hingezogen fühlen mußte, läßt» das letzte Poem der
Sammlung (^Divina Comedia") ahnen.
So schloß sich Kreis um Kreis. Was innen blieb, war
die harte Schule des Lebens. Unseren Poeten hat sie nicht
eingeschüchtert. Von allen Kindern hatte der Greis nur
Helene um sich. Es war ein gar stilles, aber trauliches Heim
in der Goethestraße zu Graz. Der Alte hütete mit Ängstlichkeit
die Erinnerungen seiner siebzig Jahre. Vom Krieg und von
der Muse konnte er sagen und singen. Radetzky imd Grill-
parzer hat er noch gesehen und bewundert. An solchem Eisen
beißt die Zeit schwer. Er blieb Altösterreicher. Oft zeigte er
ims etwas aus seinem Schatz von Briefen und Handschriften.
Von der kunstreichen Pistole bis zu den letzten Gemälden
Helenens, die hundert lieben Gedenkstückchen des Hausrates,
alle sprachen das wehmütige: je m'en souviens encore. Ana-
stasius Grün, K. G, Ritter v. Leitner, Hamerling und. so viele,
die ihm nahe standen, waren vorausgegangen. Drei Lands-
leute im Schnee des Alters hielten noch in Treuen aus:
1 Auch in Karl Fels' „Egeria" (Eger 1875) abgedruckt.
2 Vgl. Rud. Döhn, Aus dem amerikanischen Dichterwald, 1880.
Von Ignaz Beck. 17^
FZM. Reichsfreiherr v. Teuffenbach, Ernst v. Rauscher und
Fritz Pichler. Die FZM. Ritter von Milde und Samonigg
blieben die alten Jugendfreunde. Seit zwei Jahren meldete
sich das böse Asthma und im Winter litt es ihn nur in der
Stube. Er sah jetzt nur mehr voraus mit ahnungsvoller
Poetenlogik. In dieser milden, feierlichen Stimmung bleibt
uns der edle Dichtergreis unvergeßlich . . . Alljährlich ver-
brachte Marx den Sommer mit Kindern und Enkeln in
Kärnten. Heuer zog es ihn früher hin als sonst. Jedermann
fand ihn in diesem letzten Jahre sehr verändert und der alte
Oberst sagte es beinahe ahnungsrichtig, warum sich mancher
Oberdrauburger verwundert nach ihm umsah. Bis zur Nacht
auf den 19. Juni hatte er nicht die geringsten Beschwerden.
Nach 12 Uhr stand er selbst auf, von heftigen Rücken-
schmerzen geplagt und weckte seine Tochter Helene. Die
Schmerzen währten eine Stunde und der Arzt kam zu spät.
Marx rief noch einmal seine Kinder an, blickte lange fragend
nach dem Christusbild über dem Bette, sank zuiück und ver-
schied.^ Der ewige Richter möge ihm gnädig sein! . . . Wie
seltsam : 1860 hat er zu Oberdrauburg diese Verse geschrieben :
Das auf den Knaben mild geschaut.
Der froh das Heimatstal durchlärmte,
Wo sich um die verlorne Braut
Der bleichgezehrte Jüngling härmte;
Zu dem der Mann so Lust als Leid
In trauter Dämmerung getragen:
Laß mich um dich in aller Zeit,
O Gottesbild, die Arme schlagen!
O schau herab so milden Blicks
Wie einst dem Knaben, auch dem Greise,
Wenn er vor dir, o Kruzifix,
Das Bündel schnürt zur letzten Reise!
Das stille Grab in Oberdrauburg deckt nun einen von
<les Landes edelsten Söhnen, einen alten kaisertreuen Soldaten,
einen gottbegnadeten Dichter. Die brave Carinthia wird ihm
fi;erecht werden!*-' Wir aber behalten den liebenswürdigen
1 Die Ärzte konstatierten Herzschlag infolge Arterienverkalkung.
»Die Dichterkrankheit" hat sie Marx oft genannt; er ahnte nicht, daß sie
auch ihn schon befallen hatte.
2 Schon in Ed. Aelschkers „Geschichte Kärntens" (Klagenfurt 1885)
ist Marx (II, 1422 f.) neben Tschabuschnigg, Fercher, Rauscher und
Gasser behandelt.
18 Oberst Friedrich Marx.
Greis, den ausgezeichneten Kameraden, den väterlichen Freund
in dankbarer Erinnerung. Seine Lieder leben und erfreuen
alle Guten, Reinen und Edlen immerdar. So wird das be-
scheidene Leben eines braven Mannes zum unabsehbaren
Plane ! Die Jugend tummelt ihre Rosse und zückt die blanken
Waffen einer neuen Zeit. Möge sie unserer alten Losung:
Gott, Kaiser und Vaterland! zu immer neueren Siegen ver-
helfen ! Ja, darum mußten alle Edlen leben, leiden, kämpfen,,
dichten, singen und sterben — damit wir ihnen nachfolgen.
Die Hausindustrie und Voli^skunst in
Steiermaric.
Von Karl Lacher, Graz.
Schon zu Beginn meiner Sammeltätigkeit zu Ende der
siebziger Jahre für das im Sommer 1895 der Öffentlichkeit
übergebene steiennärkische Kulturhistorische und
Kunstgewerbemuseum war ich bestrebt, den Resten
der alten Hausindustrie und der volkskundlichen Arbeiten
unserer Steiermark die größte Beachtung zuteil werden zu
lassen. Forderte doch das von mir verfaßte und vom steier-
märkischen Landesausschusse genehmigte Programm vom
Jahre 1884, das dieser weiteren Sammeltätigkeit Ziel und
Richtimg gab, von dem zu begründenden neuen Museum:
die Darstellung des Volkslebens in allen seinen Gesellschafts-
schichten. Alles, was zur Illustration des häuslichen Lebens
und Schaffens der Bewohner von Steiermark dienen konnte,
wurde daher eifrigst aufgesammelt. Dabei war es sehr wichtig,
die Gegenstände an Ort und Stelle zu erforschen, sie in ihrer
geschichtlichen Bedeutung für die Heimat, in ihrem Zusammen-
hange mit ihrer ganzen Umgebung kennen zu lernen» Es
mußten daher mühevolle Wanderungen selbst in die entlegen-
sten Bauernhöfe eine lange Reihe von Jahren hindurch zu gründ-
lichen Lokalforschungen unternommen werden, um Material
von wissenschaftlichem Werte zutage zu fördern; daß dabei
unberufene Mitarbeiterschaft nur unermeßlichen Schaden hätte
anrichten können, ist wohl einleuchtend.
Denn bei volkskundlichen Sammlungen kommt es in
erster Linie auf das Woher, den Zweck und den Zusammen-
hang der Gegenstände mit dem Volke, dessen Schaffen cha-
rakterisiert werden soll, an. Besonders für die wissenschaft-
liche Bearbeitung der steirischen Volkskunst ist es daher sehr
20 Die Hausindustrie und Volkskunst in Steiermark.
wichtig, daß das Material für die kulturgeschichtliche Dar-
stellung unseres Museums fast ausschließlich von mir an seinem
ursprünglichen Bestimmungsorte erforscht worden ist. Es sind
daher unsere Sammlungen wohl geeignet, als vollgültige Belege
für das häusliche Leben und Schaffen der Steiermärker zu
dienen. Aber auch nur bei dieser gewissenhaften Aufsammlung
war es möglich, diese unsere ethnographische Sammlung im
neuen kulturhistorischen und Kunstgewerbemuseum in wirklich
lehrhafter Gruppierung, den altsteirischen Originalwohnräumen
entsprechend anzugliedern und zu einem echten Geschichtsbilde
unseres Landes auszugestalten.
Als im Jahre 1894 in Wien der Verein für österrei-
chische Volkskunde ins Leben trat und die österreichische Volks-
kunde durch Haberlandt ein fachmännisch geleitetes Organ,
die „Zeitschrift für Österrreichische Volkskunde*^ erhielt und
gleichzeitig eine ganz Österreich umfassende, auf Sachkenntnis
beruhende Sammeltätigkeit zur Gründung eines. Museums für
österreichische Volkskunde in Wien begann, da hatten wir
den Grundstock zu unseren Sammlungen längst gelegt. Ich
hielt es auch aus diesem Grunde für meine Pflicht, die Wähl
in den Ausschußrat: des Wiener Vereines als Vertreter unseres
Kronlandes anzunehmen. Es ist auch gelungen, die steirische
Gruppe dortselbst ohne schädliche Wirkung für uns ebenfalls
anziehend zu gestalten.
Im Jähre 1898 lieferte unser Museum einige Beiträge
für die ethnographische Gruppe der großen Wiener Jubiläums-
ausstellung. Umfassender gestaltete sich unsere Beteiligung an
der Ausstellung des k. k. österreichischen Museums für Kunst
und Industrie in Wien 1905 — 06 von österreichischer Haus-
industrie und Volkskunst.
In der von mir über Einladung der Direktion des k. k.
österr. Museums für den Katalog dieser Ausstellung verfaßten
Abhandlung über stdrische Hausindustrie und Volkskunst
wurd^ ein erster Versuch unternommen, dieses interessäntie
Gebiet zusammenhängend mit einer Rückschau, dem Stande der
Gegenwart und einem Ausblick in seine Zukunft in kürzen
Zügen zu schildern; Und auf dieser Grundlage beruht die
gegenwärtige Arbeit, in der einzelne Zweige der Hauskunst
eingehendere Behandlung erfahren könnten.
Während also zunächst die Landesmuseen und die klei-
neren • Lokalmuseen mit mehr oder weniger Glück und Sach-
kenntnis den unscheinbaren Dingen des häuslichen, nament-
lich bäuerlichen (Gebrauches ihre Aufmerksamkeit zugewendet
Von Karl Lacher. 21
haben, betraten sie ein Sammelgebiet, das nicht bloß für die
Geschichte der Volkskunde das beste Anschauungsmaterial
darbietet, sondern auch für unsere modernen kunstgewerblichen
Bestrebungen großen Wert besitzt. Und dieser lehrhafte Wert
der volkskundlichen Arbeiten wird nun immer mehr und
mehr erkannt. Gerade die gegenwärtige Ausstellung österrei-
chischer Hausindustrie und Volkskunst im k. k. österr^ Museum
für Kirnst und Industrie in Wien bietet hierfür den nach-
drücklichsten Beweis; sie ist gewiß dazu angetan, weiteren
Kreisen einen neuen Formenkreis zu erschließen und dessen
vielfachen pädagogischen Wert für unser modernes Schaffen
recht eindringlich zu lehren.
Bei meiner Sammeltätigkeit auf dem volkskundlichen
Gebiete war mir auch von allem Anfange an dessen künst-
lerische Bedeutung für unser kunstgewerbliches Schaffen gegen-
wärtig. Es war daher niemals meine Absicht, große Massen
gleichwertiger Gegenstände zusammenzuhäufen, sondern es war
mir darum zu tun, aus jedem Landesteile unserer Steiermark
besonders das für denselben charakteristische und bodenständige
Material nach Möglichkeit auszuwählen.
Die hohe pädagogische Bedeutung dieser volkstümlichen
Sachen selbst für unsere auf die Belebung und Förderung des
modernen Schaffens abzielenden Kunstgewerbemuseen habe
ich bei der Eröffnung unseres neuen Museums im Jahre 1895
im „Führer durch das kulturhistorishe und Kunstgewerbe-
museum" in folgender Weise bezeichnet: „Wenn es auch
schon aus materiellen Gründen ausgeschlossen war, nur
hervorragende Schaustücke für die kunstgewerblichen Muster-
sammlungen zu erwerben, so sprechen gegen ein derartiges
Verfahren auch die pädagogischen Erwägungen, welche
bei den Erwerbungen zunächst als maßgebend anerkannt
werden mußten ; denn gerade die für bescheidene Verhältnisse
geschaflfen Werke aus den Zeiten allgemeiner Kunstblüte sind
es, die dem modernen Schaffen vorzügliches Studienmaterial
darbieten. Poesie und tüchtiges Können sprechen aus so vielen
alten Arbeiten für das bürgerliche Haus und aus vielen Er-
zeugnissen der Hausindustrie, und der künstlerische Geist,
der das gesamte Schaffen des Volkes dereinst beherrschte, soll
ja auch heute wieder Gemeingut des ganzen Volkes werden.
Hierfür aber bieten uns gerade jene bescheidenen Werke
den sichersten Wegweiser. So wie sich aus der Volkssage
die herrlichsten Meisterwerke der deutschen Dichtkunst heraus-
entwickelt haben, so erstanden auch die Perlen der Kunst-
22 Die Hausindustrie und Volkskunst in Steiermark.
Industrie zumeist als die edelsten Tätigkeitsblüten jener Küstler,
welche mit geläutertem Geschmack und größter handwerklicher
Geschicklichkeit in erster Linie für die Bedürfhisse des alltäg-
lichen Lebens arbeiteten. Deshalb kann das moderne gewerb-
liche Schaffen gewiss nur zu dem gewünschten Ziele kommen,
wenn es aus dem kräftigst fließenden Born schöpft, welchen
uns die schlichten Arbeiten unserer kunstgewandten Väter
darbieten."
Die Hausindustrie nun — die neben der bäuerlichen
Beschäftigung betriebene handwerkliche Tätigkeit — welche
zunächst . alles erzeugte, was für den eigenen Bedarf erfor-
derlich war, im weiteren Verlaufe aber auch Tausch- und Ver-
kaufsobjekte lieferte, stand in unserer Steiermark auf breiter
Grundlage und hat auch in einigen Zweigen der häuslichen
Arbeit eine tüchtige Ausbildung und wirtschaftliche Bedeutung
erlangt. Sie ging auf manchen Gebieten auch ganz eigene Wege
und erzeugte originelle und tüchtige Sachen für den Hausgebrauch.
Diese bescheidenen Dinge des Alltags bildeten einerseits die
Grundlage einer späteren bodenständigen Volkskunst und sind
anderseits von größter Bedeutung für die weitere Entwicklung zu
umfangreicher zunftmäßig organisierter Handwerkstätigkeit, und
schließlich zu dem großen Fabriksbetriebe geworden. Unsere
steirischen Gebirgsdörfer betrieben tatsächlich Jahrhunderte
lang einen regen Handel mit den von ihren Bewohnern über
den eigenen Bedarf erzeugten Arbeiten ihres Hausfleißes und
ihrer kleineren handwerklichen Betriebe in die breiten Täler
und Städte, bis das sich Tasch entwickelnde Fabrikswesen an
den Verkehrszentren das umgekehrte Verhältnis schuf und
seine billiger erzeugten Waren durch Reisende und mittels
der Landkrämer allerorts verkaufen ließ, dafür aber vom Lande
nebst dem Rohmateriale hauptsächlich auch das Arbeitsmaterial
des Bauern — seine jungen Burschen — als Fabriksarbeiter
bezog.
War imn auch, wie in den nachbarlichen Alpenländern,
im steirischen Bauernhause die handwerkliche Betätigung während
der von der Landwirtschaft nicht beanspruchten Zeit allgemein
üblich, so haben sich wohl, abhängig von dem Vorkommen
das Rohmaterials, nur einige Zweige dieser handwerklichen
Betätigung über den eigenen Bedarf hinaus zu größerem Export
vmd höherer wirtschaftlicher Bedeutung aufgeschwungen.
Sehen wir nun, was uns die vergangene Zeit vom stei-
rischen Hausfleiße überliefert hat. Da kommt in erster Linie
die Textilindustrie in Betracht. Nicht nur, weil uns von ihren
Von Karl Lacher. 23
Leistungen am meisten erhalten geblieben ist, sondern auch,
weil sie vielfachen Bedürfnissen diente, allgemein reiches Roh-
material vorfand, daher eine große kommerzielle Bedeutung'
erlangte und auch auf dem Gebiete der Hauskunst die tief-
gründigsten Wurzel geschlagen hat.
In ganz Steiermark war die hausindustrielle Erzeugung
von Loden- und Leinenwaren verbreitet, wofür besonders der
Flachsbau in Mittel- und Untersteiermark, sowie die Schaf-
zucht im gebirgigen Oberlande das beste Rohmaterial dar-
geboten haben. Aus dieser allgemein geübten bäuerlichen,
also hausindustriellen Wolle- und Leinenweberei^ die besonders
in den Bezirken Schladming, PöUau, Birkfeld und Praßberg
bei Cilli Berühmtheit erlangte, entwickelte sich zunächst die
kleinindustrielle Erzeugung von Lodenware, deren handwerks-
mäßige Erzeuger sich zu Innungen vereinigten, von denen
z. B. in der östlichen Steiermark jene von Friedberg bis in
das XVI. Jahrhundert zurückreicht. Über den Weberbetrieb
in Hartberg, Voran, Pöllau, Gröbming, Haus, Brück a./M., zu
Rottenmann u. a. O. geben zahlreiche Aktenstücke will-
kommene Kunde. Die Erzeugnisse dieser Innungen erlangten
auch über die Grenzen des Landes hinaus großen Ruf und
erzielten einen bedeutenden Export. Gerade aber diese unsere
gut organisierten Handwerksbetriebe mußten zuerst den an
den Verkehrszentren des Landes entstandenen großen Loden-
fabriken weichen und nur die bäuerliche Erzeugung von Loden
und Leinwand für den Hausbedarf erhielt sich noch teilweise
bis heutigen Tages. Und an diesen Erzeugnissen wird aus
dem Oberlande (Schladming), der Oststeiermark (Pöllau) und
dem Unterlande aus Praßberg jetzt noch Hausloden von der
Landeshauptstadt bezogen. Auch die Leinenweberei liefert
heute noch Arbeiten an Grazer Kauf leute. So erzeugt nament-
lich in Birkfeld der bäuerliche Webstuhl neben der einfachen
Hausleinwand auch feine Damastwebereien, die auch der
städtische Geschmack zu schätzen weiß. Aber auch an an-
deren abgelegenen Orten fertigt die Hausindustrie aus den
beigestellten Garnen Tischzeug, Hand- und Bettücher in vor-
züglicher Weise an. Die heiteren Spinnabende auf dem Lande
aber sind allerdings schon sehr selten geworden und die noch
vorhandenen Spinnräder und Haspeln sind fast nur mehr auf
den Dachböden anzutreffen.
1 Näheres hierüber in: „Kulturbilder aus Steiermark", Graz 189O, „Die
Textilindustrie Steiermarks" von Hans Tauß.
24 Die Hausindustrie und Volkskunst in Steiermark.
Während der Lödenanzug unserer Bauersleute iiut
mäßige Anwendung von Stickerei zuließ, entfaltete die Haus-
kunst auf dem Gebiete der Leinenstickerei wohl ihre umfassendste
Tätigkeit und gelangte zu herrlicher Blüte. Was da an Tisch-
zeug, an Handtüchern und Bettzeug uns erhalten blieb und
im Museum verwahrt wird, muß uns ebenso wie die übrige
Stickerei an den Kleidern der Männer und Frauen mit heller
Freude erfüllen; hauptsächlich ist es die kunstgeübte Frauen-
hand, der wir hier begegnen.
Schon die älteste uns erhalten gebliebene Seidenstickerei,
der berühmte, figurenreiche, noch heute in frischen Farben
prangende Ornat der ehemaligen Nonnenabteikirche zu Goß
rührt von der kunstgeübten Hand der Äbtissin dieses Klosters,
Kunigunde, aus der Mitte des XIII. Jahrhunderts her.
. Diese in den friedlichen Stätten des Landes für . den
kirchlichen Gebrauch gepflegte Kunst des Stickens übertrug
sich später auch in das Bürgers- und Bauernhaus, um Gemein-
gut aller zu werden. Und da entstanden irii XVI. und XVII. Jähr-
hundert die prächtigsten Weiß- und Buntstickereien der deut-
schen Renaissance, welche den Kreuzstich, den Ketten- oder
Zopfstich, den Flachstich allgemein, seltener den Knöttcheri-
stich, «owie die Durchbrucharbeit auf hoher künstlerischer Aus-
bildung zeigen. Während die so allgemein angewendeten Meister
auch noch im XVIII. Jahrhundert der Frauenhand ganz geläufig
geblieben sind, verflächte die technische Ausführung immer
mehr und mehr. Am längsten ist an den bäuerlichen Arbeiten
das Festhalten an dieser Tradition wahrnehmbar; doch sank
ah ihnen die Stickerei überhaupt zu nur mehr sehr bescheidener
Anwendung herab, während im Bürgershause die Stickerei
an den Trachten der Männer und Frauen, der allgemeinen
Stilwändlung folgend, neuerdings prächtige Arbeiten schuf.
Zumal an den Westen der Männer und an den Busentüchern
der Frauen erblühte die Weiß-, Bunt- und Goldstickerei unter
dei: fleißigen Frauenhand, die es auch verstanden hat, selbst
an den gestrickten Strümpfen prächtige Nadelarbeiten zu
schaffen.
Die Goldhauben unserer Frauen, sowie die prächtigen
Posamentierarbeiten an ihren Anzügen dürften hingegen ebenso
wie die teils mit Pfauenfedern-Stickerei, teils mit Zinnieten
gezierten Ledergürtel der Männer, die in den gleichen Stick-
techniken hergestellten Pferdegeschirre u. V. a. handwerklicher
Betätigung angehören.
^PP« steirischer Hausindustrie im Kulturhistorischen und Kunstgewerbe-Museum zu Graz.
Von Karl Lacher. 25
Wie wir des weiteren an vielen Beispielen in unserem
Museum sehen, folgten unsere Frauen und Mädchen dem
damals allgemein üblichen Gebrauche, indem sie sich ihre
eigenen Stick-Mustertücher selbst anfertigten. Sie versehen
dieselben zumeist mit ihren Namen und der Jahreszahl der
Entstehung. Diese gestickten Mastertücher enthalten die ver-
schiedensten figuralen und ornamentalen Motive sowie aUerlei
Schriftproben und Monogramme: sie bewegten sich noch
immer innerhalb der Grenzen der TextUkunst und eines guten
Geschmackes. Gegen die Mitte des XIX. Jahrhunderts aber
wurden auch diese Motivenschätze beiseite gelegt und es währte
nun nicht lange mehr, bis die gesickten Löwen, Pudel und
Windhunde auf Kissen und Decken, sehr oft in Lebensgröße,
die allgemeine Geschmacklosigkeit krönten.
Wie in ganz Mitteleuropa, mußte auch in unserer
Steiermark durch Anschauung und Unterricht das künst-
lerische Empfinden des Volkes wieder geweckt und die Kunst
in den Dienst des Gewerbes gestellt werden, wobei auch der
Hausfleiß neue Belebung fand.
An der neuerrichteten Staat^gewerbeschule zu Graz wurde
eine Fachabteilung für Stickerei errichtet, die seither viele
Mädchen im Bunt- und Weißsticken ausbildete. Alle guten
Techniken kamen dabei ebenso wieder zur Geltung, wie die
der Stickerei entsprechenden bewährten Muster.
Der Privatunterricht schlug alsbald die gleichen Bahnen
ein, wobei unsere damals im Entstehen begriffene und kaum
mehr als deponierte Textilmustersammlung eifrigst benützt
wurde xmd gute Wege vorzeichnete. Die alljährlich im Kunst-
gewerbevereine abgehaltenen Weihnachtsausstellungen kunst-
gewerblicher Erzeugnisse trugen namentlich dazu bei, für
die Bewegung in weiteren Kreisen Interesse zu erwecken.
Heute sehen wir tatsächlich wieder viele Frauen und Mädchen
(namentlich viele Beamtenstöchter) neben ihrer Wirtschafts-
führung für Paramentenvereine und Stickereigeschäfte ständig
beschäftigt und angemessene Entlohnung finden.
Dieser Hausfleiß, der also nicht nur das eigene Heim
schmückt, hat tatsächlich schon eine große Verbreitung und
wirtschaftliche Bedeutung erlangt; er wird unterstützt durch
Zuhilfenahme von Stickereimaschinen, die in richtiger Wür-
digung der wirtschaftlichen Ideen unserer Zeit seit etwa acht
Jahren hier Eingang gefunden haben und in fast allen größeren
Orten der Steiermark, ja selbst in einzelnen Dörfern ver-
breitet sind.
26 Die Hausindustrie und Volkskunst in Steiermark.
Diese Arbeitserleichterung ist auch vom künstlerischen
Gesichtspunkte aus nur zu begrüßen, wenn dabei die Ab-
leitung der Formen aus der Technik gewahrt bleibt. Von der
Geschicklichkeit der Hand hängt dabei ja noch immer das
Gelingen der Arbeit ab.
Mit schönem Erfolge ist seit vielen Jahren schon der
Ausseer Hausindustrieverein betrebt, die alte Leinenstickerei
zu neuen Ehren zu bringen und der Bevölkerung eine lange
verschüttete Einnahmsquelle wieder zu eröffnen.
Unsere Bemühungen, die Hand Weberei zunächst in der
Landeshauptstadt einzuführen und auf künstlerische Wege zu
leiten, hatte bisher freilich nur den Erfolg, daß mehrere Frauen
und Mädchen diese schöne Technik gelernt haben und auch
zum Teile ausüben; zu einem wirtschaftlichen Faktor aber
hat sich diese Art Hauskunst noch nicht aufgeschwungen.
Die Töpferei, an die Tonlager gebunden, hat sich nur
in den Tälern entwickelt und anfänglich war wohl mit jedem
Töpferbetriebe auch der Landwirtschaftsbetrieb verbunden. Es
bestanden in ganz Steiermark verstreut u. a. in Schladming,
Irdning, im Judenburger Kreise, Cilli, Marburg, Pettau, in der
Umgebung von Graz : Seiersberg, Mantscha, Eggersdorf, Weiz,
Passail Töpferwerkstätten verbunden mit landwirtschaftlichem
Betriebe, die neben Öfen auch Fayencegeschirr aller Art er-
zeugten, einen nennenswerten Export über die Landesgrenzen
aber wohl niemals erreicht haben. Vielfach mußte ich mich
bei meinen Hausforschungen davon überzeugen, daß viel-
mehr die auswärtigen Hausierer selbst in den entlegensten
Bauernhäusern wohl schon vom XVII. Jahrhundert an mäh-
risches und oberösterreichisches Fayencegeschirr abgesetzt
haben. Mooskirchen und Premstätten bei Graz bildeten sich,
indem sie Landwirtschaft und Töpferei gleichmäßig betrieben,
zu ganzen Töpferdörfem aus. Neben gewöhnlicher Begußware
wurden auch hier vielfach Schüsseln und Krüge, Weihwasser-
kesselchen u. a. m. erzeugt, die größte Beachtung verdienen.
Die ältesten uns überkommenen Bauerngeschirre sind
sogenannte „Schwarz wäre" und reichen bis zum Jahre l6oo
zurück. Sie sind aus Ton, vermischt mit gemahlenem Stein,
hergestellt. Durch das beigemengte Steinmehl erhielten diese
Geschirre im Scharflfeuer eine große Härte, wobei sie zu-
gleich geschwärzt wurden, so daß sie, wie das Steinzeug,
ohne Glasur in Gebrauch genommen werden konnten.
Dafür fiel dem zeichnerischen Stifte die Aufgabe zu,
dem Kunstgefühle der Zeit Rechnung zu tragen, und die
Von Karl Lacher. 27
in die noch nicht ganz trockenen Tongefäße eingegrabenen
Linien und Ornamente, denen zuweilen auch Sprüche und die
Jahreszahl ihrer Entstehung beigefügt worden sind, erzielten
in der Tat eine gute Wirkung. Die Sgraffitotechnik, die
selbst von unseren steirischen bäuerlichen Maurern im XVI.
und XVII. Jahrhundert ganz allgemein an den Fassaden der
Häuser, ja selbst an Kornspeichern ^ sehr geübt wurde, dürfte
die Anregung zum besprochenen Dekor unserer Schwarz-
geschirre dargeboten haben.
Unsere steirische Fayencemalerei weist auf nahe Ver-
wandtschaft mit jener Oberösterreichs hin, hat aber dennoch
ganz eigene Dekorationsmotive ausgebildet. So finden wir
die Tulpe, Rose und Nelke in zumeist großem Maßstabe,
origineller Stilisierung und kräftiger, tiefer Farbengebung wir-
kungsvollst verwertet, im Gegensatz zu den oberösterreichischen
Fayencen, die ihren bunten Dekor zumeist auf hellem Grunde
darbieten.
In den protestantisch gebliebenen Orten des Oberlandes,
hauptsächlich in Ramsau bei Schladming, wurde das Fayence-
geschirr neben schlichter Ornamentik sehr häufig auch mit
Spruchen aus der Bibel geziert. Aus Mantscha bei Graz haben
wir Fayencekrüge aus dem Jahre 1746, die auch in der
Behandlung des Figuralen große Fertigkeit bekunden.
Das Geschirr (glasierte Tonware), das noch heute von
steirischen Bauerntöpfem in Eggersdorf, Seiersberg, bei St. Ru-
precht, in Passail u. a. O. erzeugt und von ihnen auf den Grazer
Markt gebracht wird, kann keinen Anspruch mehr auf künst-
lerische Beachtung erheben.
Trotzdem überlieferte uns diese bäuerliche Töpferei die Re-
zepte zu mehreren Glasurfarben, da in der Landeshauptstadt
beim städtischen Töpfer nur noch die weiße Glasur im Gebrauche
war, als auf dem Gebiete der Ofenfabrikation die Reform Ende
der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts einsetzte.
Der große Aufschwung, den zunächst die Tonofen-
fabrikation der Steiermark unter dem Einfluße der Schule
und unserer direkten künstlerischen Mitwirkung genommen hat,
führte auch zu dem Versuche, die künstlerische Gefäßbildnerei
neuerdings zu beleben, die im Anschlüsse an die Ofenfabri-
kation als Hauskunst betrieben werden könnte. Die bis vor
kurzem an der Grazer Staatsgewerbeschule bestandene kera-
mische Fachschule bildete junge Männer, namentlich aber viele
* Näheres hierüber mit reichen Abbildungen in : „Lacher, Kunst-
beiträfife aus Steiermark", K. W, Hiersemann, Leipzig, 1893 — 95» 3 Bände.
28 Die Hausindustrie und Volkskunst in Steiermark.
junge Damen und Mädchen im Majolikamalen aus, die die
von einigen unserer Ofenfabrikanten, sowie von der Majolika-
fabrik in Liboje bei Cilli hergestellten Gefäße dekorierten.
Diese Arbeiten, denen zunächst die in unserem Museun^
befindlichen italienischen Majoliken, später aber auch unsere
einheimischen volksthümlichen Fayencen als Grundlage dienten,
fanden freundliche Aufnahme, ob sich aber aus diesen Bestre-
bungen eine Hauskunst von nachhaltiger, wirtschaftlicher Be-
deutung entwickeln wird, muß wohl die Zukunft lehren. Mit
dieser Technik wurde von dem Vorstande der genannten kera-
mischen Fachschule, Prof. Johann Lepuschütz, auch jene
des Emailmalens praktisch gelehrt, und erzielten mehrere
Damen darin eine beachtenswerte künstlerische Fertigkeit; auch
hier wäre, wie bei der Majolikamalerei, wohl sehr zu empfehlen,
das Begonnene emsig weiterzuführen und von selten der
Schule wie früher zu fördern.
Das Mobiliar und auch die Eisenarbeiten, die herrlichsten
Blüten steirischen Kunsthandwerkes, sind wohl zumeist auf hand-
werklicher Grundlage entstanden. Der rege Wagenverkehr auf
der Landstrasse hatte zur Folge, daß sich allerorts Huf- und
Zeugschmiede, Wagner und Schreiner niedergelassen haben,
und in der Tat finden wir bis zur Einführung der Eisen-
bahnen auf dem Lande viel mehr derartige Handwerksbetriebe
als in der Gegenwart. Vor allem aber ließ der Umstand, daß
die genannten Techniker eine größere Anzahl Werkzeuge
beanspruchen, die sich der Bauer nicht beschaffen konnte,
sie für die Hausindustrie minder geeignet erscheinen. Doch
kommt bei den Holzarbeiten für den Hausfleiß alles das in
Betracht, was mit dem Reifmesser auf der sogenannten „Hansel-
bank" erzeugt werden konnte. Es sind dies allerlei Haus- und
Küchengeräte, Teile von Werkzeugen und Landwirtschafts-
geräte, die auch heute noch so ziemlich in allen Teilen des
Landes im Bauernhause hergestellt werden. Einfache Stühle
und Bänke, Löffelkörbchen, wie das aus Ramsau stammende
hier abgebildete Löffelkörbchen unseres Museums und derglei-
chen entstehen auch jetzt noch auf diesem Wege, ebenso das
Bemalen der einfacheren Holzsachen. Bei vielen dieser Arbeiten
kam und kommt noch künstlerische Betätigung zum Ausdruck.
Nicht so allgemein aber doch ziemlich häufig wurden
auch die Drechslerei von bäuerlicher Hand ausgeübt. Auf diese
Weise wurden Haspel und Spinnrad, Holzteller, Schüsseln,
Mörser, Handleuchter u. a. m. erzeugt. Unsere Sammlungen
geben hievon zahlreiche, bis in das XVI. Jahrhundert zurück-
Von Karl Lacher.
29
reichende Proben. An vielen Geräten, wie namentlich an den
Wäscherollen, Mangelbrettern, kleineren Holzkassetten und
Stuhllehnen kam auch die Holzschnitzerei zur Anwendung.
Meistens sind es Kerbschnitzereien, die auf uns gekommen
sind. Diese tragen bis zum Beginne des XVIII. Jahrhunderts
noch gothischen Charakter.
Von den Eisenarbeiten sind hier dennoch zu nennen
die Arbeiten jener kleineren Zeugschmiede in den entlegensten
Gräben, die die Landwirtschaft mit ihrem Gewerbe gleichmäßig
betrieben und sich weniger dem Schaffen ihrer zunftmäßig
organisierten Kollegen angeschlossen haben. Sie fertigen für
das Bauernhaus die orginellsten Dinge, denen künstlerisches
Empfinden unverkennbar eigen ist, das in seiner naiven Aus-
drucksweise Zierformen schuf, die so ganz erst aus der Technik
des Schmiedens herausgewachsen sind. Da sind vor allem die
Küchen- und Herdgeräte, die bei einfachster, nur dem Zweck
des Gegenstandes dienenden Formengebung schlichte Zierformen
tragen, die absolut echt und wahr sind, weil sie weder dem
Gebrauche des Gegenstandes, noch seiner Herstellung zuwider-
laufen. In naivster Art gestalteten wohl nur diese bäuerlichen
Meister die noch heute in einigen Leonhardkirchen unseres
30 Die Hausindustrie und Volkskunst in Steiermark.
Landes gebräuchlichen Weihgeschenke aus Schmiedeeisen. Sie
stellen allerlei Haustiere dar, die von der Landbevölkerung
dem Kirchenpatron auch heute noch gewidmet werden. Unser
Museum besitzt wohl die reichste Sammlung von solchen Weih-
geschenken, die alle steirischen Leonhardskirchen entstammen.
Diese schlichten Gegenstände werden ob ihrer originellen, an
die etruskischen Arbeiten erinnernden Formen wohl zumeist
noch von vielen Forschern zu weit zurückdatiert.
Sie gehören keinem bestimmten Stil an, sind vielmehr
schlichte Blumen, die ausschließlich aus der Technik des
Schmiedens und einem natürlichen, nicht anerzogenen Schön-
heitsgefühl heraus entstanden sind. Unsere ältesten geschmie-
deten Opfertiere dürften wohl kaum über das XVI. Jahr-
hundert zurückreichen, und die jüngsten, die noch ganz die
Naivität der früheren Stücke tragen, hat um die Mitte des
XIX. Jahrhunderts ein bäuerlicher Zeugschmied zu Breitenau
angefertigt. Auch von den bäuerlichen Eßbestecken sind
wohl die meisten und originellsten aus bäuerlichen Schmiede-
werkstätten hervorgegangen. Diese Bestecke, zumeist Messer,
Gabel und Streicher in einem Lederetui enthaltend, waren mit
Hirschhomgriffen versehen, welch letztere häufig mit Messing-,
Silber- oder auch Zinn-Montierungen geschmückt waren, während
die Klingen Sprüche, am häufigsten aber die Namen ihrer
Träger und die Jahreszahl ihrer Erzeugung tragen.
Unsere Sammlung enthält aus allen Landesteilen der-
artige Arbeiten aus dem XVII. und XVIII. Jahrhundert. Der
letzte bäuerliche Schmiedmeister, der an seinen Bestecken
noch diese Formensprache beherrschte, war wohl der in Groß-
sölk ansässig gewesene, um 1850 verstorbene Meister Georg
Meier, dessen eigenes Besteck ich von seinem Sohne für unsere
Sammlungen erwerben konnte.
Viele unserer Tabakdosen aus Hom, sowie die Eßlöffel aus
Hom und Buchenholz sind auch auf hausindustrielle Erzeugung
zurückzuführen. Sie sind häufig geziert mittels eingravierter
Darstellungen aus dem Volksleben, Jagdszenen und Sprüchen.
Auf hausindustrielle Erzeugung ist auch die Pfeifen-
schneiderei zurückzuführen. Viele uns erhaltene Pfeifen lassen
echt künstlerische Betätigung erkennen.
Unser ältestes Exemplar aus dem Jahre 1660 ist also
nicht alzuweit von jener Zeit entfernt, in der das Tabakrauchen
hierzulande Eingang gefunden hat. Zunächst sehen wir Pfeifen
aus Erlen- und Eschenholz geschnitzt, wobei Jagdszenen einen
beliebten Vorwurf gebildet haben. Es folgten im XVIII. Jahr-
Von Karl Lacher. 31
hundert Pfeifen aus Erlenholz mit Perlmutter- und Messing-
einlagen, deren Ornamentik überaus häufig den Doppeladler
verwertet. Das letzte Ausklingen dieser kunstgewerblichen
Hausindustrie fand ich in der Gegend von Rottenmann, wo
ein bäuerlicher Pfeifenschneider bis zu seinem Tode (1890)
kurze Pfeifen, sogenannte Ruepel oder Nasenwärmer erzeugte
und durch einen Rottenmanner Kaufmann verkaufen ließ.
Diese Erzeugnisse sind aus Buchenholz mit einfachen Messing-
einlagen, Metalldeckel und kurzem Homrohr versehen.
In der Korbflechterei kamen neben den gewöhnlichen
Gebrauchskörben wohl selten feinere Arbeiten im Bauern-
hause vor ; es fehlte dafür von jeher an geeignetem Weiden-
material. Auch heute werden noch allgemein Körbe aus
Stroh und Haselnußwurzelholz geflochten und besonders aus
den Gegenden von Weiz bis Feldbach sowie aus Hitzen-
dorf auf den Grazer Markt gebracht. Die Bemühungen
der Fachschule in Brück a/M., die Erzeugung feinerer Korb-
flechtwaren im Bauernhause zu erzielen, die selbst zur Anlage
von Weidenplantagen führten, hatten keinen Erfolg, es man-
gelte schließlich an den nötigen Arbeitskräften. Auch der so
rührige Ausseer Hausindustrieverein, den wir mit guten Korb-
mustem versehen haben, hat auf diesem Arbeitsfelde ebenfalls
noch kein nennenswertes Resultat erzielt. Ob nun durch den
sich immer rationeller gestalteten Obstbau des Landes das
Bedürfnis nach feineren Körbchen für die edleren Obstsorten
wachgerufen werden wird, und ob dann die heimische Erzeu-
gung für diesen Bedarf nicht doch wird aufkommen wollen,
das sind Fragen, auf die wohl die nächsten Jahre schon eine
Antwort zeitigen werden.
Die im Museum aufliegenden steirischen Stammbücher
des XVIII. und XIX. Jahrhunderts mit ihren süßen Poesien,
bekunden, daß unsere galanten Altvordern selbst im Aquarell-
malen, im Tusch- und Federzeichnen geübt waren.
Die Aussichten der Hausindustrie für die Zukunft sind
im allgemeinen wohl nicht günstig. Mag auch dem bäuerlichen
Hausfleiße sich neuerdings Geschmack und Kunstfertigkeit zu-
gesellen, so werden doch kunstgewerbliche Hausindustrien von
einer größeren wirtschaftlichen Bedeutung, die auch für die
Ausfuhr in Betracht kommt, nur in ganz vereinzelten Fällen
herausgebildet werden können. Da, wie schon eingangs an-
gedeutet worden ist, die besten Arbeitskräfte der Landbevöl-
kerung u. zw. beiderlei Geschlechtes, den Verkehrszentren zu-
strömen und die der bäuerlichen Scholle treu bleibenden Einge-
borenen kaum ausreichen zu richtigem Landwirtschaftsbetriebe.
32 Die Hausindustrie und Volkskunst in Steiermark.
Bei der stetig zunehmenden Verarmung der Landbevöl-
kerung dürfte es wohl ein vergebliches Bemühen sein, dessen
Tätigkeit neuerdings auf die erloschene Hausindustrie zu lenken .
Da müßten zuerst wohl andere Faktoren eingreifen, um der
Entvölkerung und Verarmung des Bauernstandes wirksamst
zu begegnen.
Daher wird sich auch vorerst nur in Orten mit größerem
Verkehr, vor allem in den Städten eine künstlerische För-
derung des Hausfleißes als nutzbringend erweisen. Da sind
zahlreiche Familien, deren Angehörige neben der Wirtschafts-
führung noch Zeit genug erübrigen, um sich ernster Arbeit
widmen zu können. Es wurde schon angedeutet, auf welchen
Zweigen des Kunstgewerbes unsere Bemühungen zur Hebung
der Hauskunst schon mit nachhaltigem Erfolge versucht worden
sind. Hier mit allen Mitteln weiter zu bauen, kann nur nach-
drücklichst empfohlen werden.
Was hier über unseren altsteirischen Hausfleiß gesagt
wurde, das haben mir die nunmehr in unserem kulturhistori-
schen und Kunstgewerbe-Museum zusammengestellten Sachen
aus diesem Gebiete, während ich dieselben aufsammelte, ein-
ordnete und beschrieb, gar eindringlich erzählt. Die vergilbten
Dorfchroniken konnte ich seltener befragen. Aber selbst wenn
sie über das so bescheidene Wirken umfassendere Aufzeich-
nungen enthalten sollten, dürfte die Sprache, die die vielfachen
Dinge des Alltags selbst sprechen, für den, der sie enistlich
zu hören bemüht ist, die verständlichere sein.
Jedenfalls aber müßten es alle Freunde der Kultur-
geschichte unseres Landes dankbarst begrüßen, wenn unsere
Archive auch nach der Richtung des künstlerischen und
gewerblichen Schaffens hin systematisch ausgenützt würden
und das so dankbare Gebiet in das Arbeitsprogramm der
historischen Landeskommission einbezogen werden könnte, da
diese nunmehr im Landesmuseum so bequem dargebotenen
Schätze nicht nur zur Belebung des gewerblichen und kunst-
historischen Schaff"ens und zur allgemeinen Geschmacksbildung
eine immer höhere Bedeutung erlangen, sondern auch in Hin-
kunft von dem Geschichtsforscher größere Beachtung als bisher
werden finden müssen.
Das Haus Stubenberg in Böhmen.'
Von Professor J. Loserth.
Sehr verehrte Anwesende!
Sie hatten — es dürfte nun gerade ein Jahr her sein —
die Güte, einen\ Vortrage anzuwohnen, der der Herkunft
und dem Alter, den frühesten Geschicken und der späteren
Geschichte unseres hervorragendsten Adelshauses in Steier-
mark, dem Herr engeschlechte Stubenberg gewidmet war. Sie
haben damals vernommen, wie dies Geschlecht schon im
XII. und XIII. Jahrhundert an den großen Landes- und selbst
Reichsaktionen lebhaften Anteil genommen, welches ihr Ver-
wandtenkreis gewesen und inwieweit dieser die habsburgische
Herrschaft hierzulande aufrichten half. Es konnten schon da-
mals Bemerkungen über den ausgedehnten Grundbesitz des
Hauses gemacht werden und über das große Ansehen, zu dem
es, weit über die Grenzen des engeren Heimatlandes hinaus,
gelangt war und wie es, in raschem Aufschwung begriffen,
selbst mit dem Papst- und Kaisertum in nahe Berührung kam.
Ich durfte damals schon das Versprechen geben, auch
aus der späteren Geschichte dieses Herrenhauses noch eine
und die andere Episode zum Vortrag ' zu bringen. Allerdings
fand sich — als ich an die Einlösung dieses Versprechens
ging — daß es nicht so leicht sei, eine Auswahl aus der
^[roßen Menge interessanter Episoden zu treffen, von denen die
Geschichte des Hauses Stubenberg zu berichten weiß. Schon
unter den Mitgliedern dieses Hauses im XIV. und XV. Jahr-
hundert — und noch mehr unter denen der späteren Zeit —
gibt es viele, die eine eingehende Darstellung ihrer Geschichte
lind Würdigung ihrer Leistungen verdienen würden, da sie
entweder — gewandt und kraftvoll — in die Geschicke der
* Vortrag, gehalten im histor. Verein für Steiermark am lo. Februar 1 906.
8
34 Das Haus Stuben berg in Böhmen.
Steiermark eingreifen oder in engen Beziehungen zu dem
heimischen Fürstenhause oder zu fremden Dynastengeschlecht en"i
stehen oder in die Geschicke anderer interessanter Adelshäuser,
wie die der Baumkircher, verwickelt sind.
Allerdings ist da für die historische Forschung viel zu
tun und es bedarf jahrelanger, unausgesetzter Arbeit, bis alle
diese Dinge richtig dargestellt werden können. Und das ist
ja begreiflich: Nicht immer liegen derlei Beziehungen klar uncJ
deutlich zutage. In manchem Briefe des einen und des anderen
Stubenbefgers finden sich Andeutungen, die zu weiteren
Studien reizen, welche letzteren nicht selten ergebnislos ver-
laufen, da jenes einschlägige Quellenmaterial verloren gegangen
ist, das diese Andeutungen aufzuhellen vermöchte.
Wir haben da z. B. eine Dorothea von Kanischa — wahr-
scheinlich eine Stubenbergerin — die in das angesehene Mag-
natenhaus der Kanischai geheiratet hat. Wir kennen von ihr nur
einen einzigen Brief und da erscheint sie als eine mit hervor-
ragenden politischen Talenten begabte Dame, die eben daran ist»
ihren Geschwistern eine glänzende Zukunft am ungarischen Hofe
zu gründen, als die Schlacht von Mohäcs diesen Plänen ein
jähes Ende bereitet. Wie gern möchte man mehr aus dem
Leben dieser Politikerin hören!
Oder wie reizend wäre es, die Geschichte jenes Wolf
von Stubenberg aus dem Beginne des XVI. Jahrhunderts zu
erzählen, der in seinem schriftlichen, seinen Söhnen hinter-
lassenen Vermächtnisse uns nicht bloß als ein trefflicher
Hauswirt und ausgezeichneter Patriot, sondern auch als ein
Mann von einer geradezu seltenen Lebensklugheit erscheint,
dessen Vermächtnis — ich möchte sie Hausregeln für die
Herren von Stubenberg nennen — in unserer steiermärkischen
Geschichtsliteratur immer einen wichtigen Platz einnehmen
werden.
^Pocht's nicht viel" — sagt er — „auf euren Reichtum.
Gar mancher reitet mit vier und sechs Rossen. Vier und
sechs Jahre später wird er zu Fuß gehen." „Laßt*s niemanden
über Eure Briefe, das war* Euer Ende". „Dient*s enkenii
(eurem) Fürsten, seid's ihm gehorsam und handelt nicht
wider ihn." Diese unentwegte Loyalität ist der Leitstern
seiner Kinder, Enkel und Urenkel gewesen, und wenn da
einer, wie unser Rudolf von Stubenberg, einmal entgleiste,
geschah es unter Umständen, unter denen ein anderes Handeln
schwer möglich gewesen — die Umstände sind eben meist
.stärker als die Menschen. Mit der Geschichte dieses RudoU
Von Prof. J. Losertlu Sb
wollen sich unsere Darlegungen vornehmlich befassen. Gewiß
hätte man im Hause Stubenberg noch mächtigere Persönlich-
keiten gefunden; da ist schon der gleichnamige Sohn jenes
weisen Wolf, vielleicht, der tüchtigste Landwirt seiner Zeit,
dann sein gleichnamiger Enkel, damals wenn nicht die erste,
so doch die beliebteste Persönlichkeit am Hofe Karls II.
(1564 — 1590), aus dessen Verkehr mit der erzherzoglichen
Familie uns eine reizende kleine Korrespondenz erhalten ist,
die uns die Erzherzogin Maria, die bekannte schneidige Geg-
nerin der Protestanten, von ihrer liebenswürdigen rein mensch-
lich-edlen Seite zeigt, da ist endlich dieses Wolfgang Sohn,
der edle Georg der Ältere, ein Mann von unerschütterlicher
Treue seinem evangelischen Glaubensbekenntnisse gegenüber,
der eher als dieses seinen überkommenen Besitz und sein
teures steirisches Vaterland aufgeopfert hat.
Mit Rudolf, einem Vetter dieses Georg, wird sich, wie
bemerkt, unsere Darstellung beschäftigen. Er ist jener Stuben-
berger, der, eben als der große deutsche Krieg in Böhmen
seinen Anfang nahm, in die Geschichte des böhmischen
Winterkönigs verflochten, ein frühzeitiges und tragisches Ende
fand. Das stubenbergische Haus hatte dabei noch schweren
Verlust an Land und, Gut zu tragen. Es verlor den präch-
tigen Herrensitz, den es seit drei Generationen in Böhmen
besaß: Neustadt an der Mettau.
Wie sind die Stubenberger zu diesem Besitz gekommen ?
Das Haus Stubenberg konnte bis in das XV. Jahrhundert als
ein rein steirisches Geschlecht bezeichnet werden, denn wenn
es auch seinen Ausgangspunkt aus der Wiener-Neustädter
Gegend genommen, von wo es über den Semmering und
Wtchsel bis in das Herz der Steiermark eindrang, man darf
doch nicht vergessen, daß diese Neustädter Gegend bis
in die zweite Hälfte des XIII. Jahrhunderts zu Steiermark
gehörte. Mit den Baumkirchern und durch sie gewann es im
XV. Jahrhundert in Ungarn reichen Besitz und als sich die
habsburgische Herrschaft in den böhmischen Landen befestigt
hatte, faßte es auch dort festen Boden. An zwei Punkten:
in Neustadt an der Mettau und in Geiersberg. Nur den Er-
werb der ersteren will ich schildern, denn nur mit Neustadt
an der Mettau ist die Geschichte Rudolfs von Stubenberg auf
das engste verwebt. Bezüglich des erstmaligen Erwerbes von
Geiersberg — denn das Haus Stubenberg ist nach langer
Zwischenzeit ein zweitesmal in dessen Besitz gekommen, fehlt
es leider an hinreichendem Quellenstoflf. Es ist ein höchst
36 Das Haus Stubenberg in Böhmen.
charakteristisches Faktum, daß die berühmte Sommersclie
Topographie von Böhmen kein Wort davon weiß, daß Geiers-
berg schon im XVI. Jahrhunderte den Stubenbergern gehörte.
Wenn es dort heißt : daß Geiersbei^ zu Anfan» des XVII. Jahr-
hunderts den Zierotinen gehörte, dann au die Kolowrat ge-
langte, so weiß man, was davon zu halten ist. Kehren \*rir
zunächst zu Neustadt zurück.
Es ist ein Verwandter des Stubenbergischen Hauses g^e-
wesen, ein Mitglied des kärntnischen Hauses Kreigh, das aber
selbst in Böhmen heimisch geworden war, Wolf von KreigH.
der Oberstburge^raf von Böhmen, der die Aufmerksamkeit
seines Neffen Wolf von Stubenberg auf Neustadt an der
Mettau lenkte — einen prächtigen Besitz, der dem alten Hause
der Pemstein gehörte. Da über die Erwerbung dieses Besitzes
in den böhmischen Topographien viele Irrtümer vorkommen,
so mag hierüber etwas näheres gesagt werden. Die Topo-
graphie Schallers sagt bloß: Zu Anfang des XVII. Jahrhunderts
hielt Rudolf von Stubenberg diese Herrschaft in Besitz. Nach
der Schlacht am weißen Berge wurde sie vom königlichen
Fiskus eingezogen und an Albrecht von Wallenstein gegeben,
der sie der Gräfin Magdalene von Trczka gegen die Herr-
schaft Kopidlno vertauschte ; die große Güterkonfiskation nach
der Ermordung Wallensteins brachte die Herrschaft an das
Haus Leslie. Zu Neustadt gehörten außer der Stadt selbst
nicht weniger als 32 Ortschaften und wie schön die Lage
des Herrensitzes gewesen, davon gibt die Abbildung in der
Sommerschen Topographie Zeugnis.
Die Darstellung in Sommers Topographie ist nun freilich
eine äußerst mangelhafte. Da könnte es leicht den Anschein
gewinnen, als hätte das Haus Stubenberg, wie es später an-
läßlich einer in der europäischen Wirtschaftsgeschichte jener
Zeit unerhörten Güterkonfiskation seinen Neustädter Besitz
eingebüßt hat, ihn vordem auch in gleicher Weise gewonnen.
Sommer sagt nämlich: Nach dem Siege Karls V. bei Mühlberg
im Jahre 1547 wurden nebst anderen auch die Pernsteinschen
Güter eingezogen und die Herrschaft Neustadt kam an Wolf
von Stubenberg, der 1560 starb Rudolf von Stubenberg
blieb in ihrem Besitz bis nach der Schlacht am weißen Berge,
wo ihm als Anhänger des Winterkönigs die Herrschaft Neu-
stadt entzogen wurde. In dieser Darstellung Sommers sind
fast mehr Fehler als Sätze. Ich will hier nur den wesentlichsten
korrigieren. Bei Sommer ist es, wie bemerkt, die große Güter-
konfiskation von 1547, die dem Hause Stubenberg zu seinem
Von Prof. J. Loserth. 87
Neustädter Besitz hilft. Dem ist nicht so. Der Stubenbergsche
Ehrenschild weist da keinen Fleck auf. Die Stubenbergef
hatten für diesen Besitz den rechtmäßigsten Titel, den es
^ibt: durch Kauf. Noch kennen wir die Summe, dife sie für
Neustadt gezahlt haben. Sie kauften es aber schon 1546, also
ein ganzes Jahr vor dem Ausbruche des böhmischen Auf-
standes gegen das Haus Habsburg.
Die Präliminarien für den Kauf wurden 1545 erledigt,
die Erwerbung hat demnach mit dem Aufstand, der fast zwei
Jahre später ausbrach, nicht das mindeste zu tun. Das eine
hatte freilich Wolf von Kreigh zu bedauern, daß sich die
Besitznahme durch die Stubenbergschen Verwandten in so
schwerer Zeit vollzog; doch konnte er im Frühjahre 1547
melden, daß die Fischteiche schon alle besetzt und die Äcker
angebaut seien.
Interessant vom wirtschaftlichen Standpunkte aus ist es
zu sehen, wie außerordentlich praktisch Wolf von Stuben-
berg bei der Einrichtung des neuen Besitzes verfuhr. Man
entnimmt aus ihnen, daß er ein hervorragender Ökonom ge-
wesen, der es verstanden haben muß, auch auf seinen steiri-
schen und österreichischen Gütern deren Erträgnisse aufs
höchste zu steigern. Zwei Bedienstete schickt er nach
Böhmen. Sie haben die Aufgabe, in Neustadt zu dem
rechten zu sehen, wie es mit dem Wasser steht, ob die
Mettau etwa so groß ist als die Mur oder die Mürz,
welche Fische sie führt, ob Ottern (Fischottern) und Biber
vorkommen, welches die Weinpreise sind, ob sich die Wein-
zufuhr lohne, wie es mit den Märkten stehe, ob man jeder-
zeit Fuhrleute haben könne u. s. w. Es sollte demnach
der Absatz österreichischer, vielleicht auch steirischer Weine
in Angriff genommen werden. Die Kaufsummen für die Neu-
stadt, Schloß, Vorstädte, Fisch wässer, Meierhöfe samt Zu-
gehör, das Städtchen Thuditz und die Dörfer betrug
25.000 Schock böhmischer Groschen. Nach vollzogenem
Kaufe erhielt Wolf das böhmische Inkolat und legt den Eid
darüber ab. An dem neu erworbenen Besitz wurden gleich
anfangs große Meliorationen vorgenommen. Ich will da nur
einen Punkt herausheben. Jeder von uns kennt die große Bedeu-
tung, welche der Fischzucht auf den einst Rosenbergschen Gütern
des fürstlichen Hauses Schwarzenberg im südlichen Böhmen
zukommt. Der Begründer der berühmten Teichwirtschaft auf
den alten Rosenbergschen Gütern war der Teich- und Land-
wirt Jakob Kertschin von Jeltschan. Wenn man nun
38 Das Haus Stubenberg in Böhmen.
unter den böhmischen Dienern des Hauses Stubenberg einei:^
Jeltschan findet und Kertschin, nach welchem der Teichwirt:
sich nannte, in der Nähe von Neustadt liegt, wenn wir dann,
weiter erfahren, daß dieser Kertschin von Jeltschan eine^
Zeitlang bei einem Nachbarn des Stubenbergers bedienstet:
war, so liegt es nahe, anzunehmen, daß er die genaue^
Kenntnis der Teichwirtschaft auf dem nunmehr Stubenberg-—
sehen Gute Neustadt erworben und sie dann im Dienste des
Hauses Rosenberg zur Anwendung gebracht hat. — Da das
Haus Stubenberg nunmehr auch großen böhmischen Land-
besitz hatte, dieser in einer Gegend lag, in der das Tschechische
ausschließlich gesprochen wurde, viele der neuen Nachbarn
aber der deutschen Sprache nicht oder nur wenig mächtig-
waren, so sandte Wolf von Stubenberg einen seiner Söhne,
und zwar war es der älteste — Hans — nach Jungbunzlau
in die tschechische Schule, um dort das Tschechische zu er-
lernen. In einem Briefe, der an den genannten Erasann
Jeltschan gerichtet ist, schreibt Wolf: „Laßt mich wissen,
wie's meinem Sohne geht, ob er nun schon seinen Donat
lernt und ob er nun bald mit anderen Knaben wird böhmisch
reden können." Man sieht, es wird von nun an Übung im
Hause, daß mindestens jenes Mitglied, dem die Verwaltung des
böhmischen Güterkomplexes zugewiesen war, der tschechischen
Sprache mächtig sein mußte. Als dann die Verwaltung der
böhmischen Güter von Steiermark aus immer schwieriger
wurde, schien es das beste, einem Mitgliede des Hauses den
böhmischen Besitz ins Eigentum zu geben. Dadurch geschah
es nun freilich, daß dies Mitglied schließlich ganz in den böh-
mischen Adelsinteressen aufging, die alte streng dynastische
Politik des Gesamthauses aufgab, dafür dann aber in die Kata-
strophe des Winterkönigs verflochten wurde. Doch davon später.
Im Jahre 1568 wurden auch Wolfs Söhne: Hans, Wolf,
Jakob und Friedrich für immer zu böhmischen Landleuten
aufgenommen. Es gewann damals den Anschein, als wenn
das Haus seinen böhmischen Besitz stark nach der Glatzischen
Seite hin abrunden wollte. Am 16. Mai 1570 verpfändete ihm
nämlich Rudolf II. die große Herrschaft Humel oder Land-
fried, die nicht weniger als 24 Ortschaften (zum Teile auch
deutsche) umfaßte. Am 12. Juni 1588 schlössen Hansens
Söhne: Rudolf, Friedrich und Georg Hartmann einen Teilungs-
vertrag, nach welchem Rudolf Neustadt an der Mettau und
das kurz zuvor erkaufte Gut Tschermney erhielt. Rudolf
schlug nun seinen Wohnsitz in Neustadt auf. Er ist es^ der
Von Prof. J. Loserth. 89
in die große Katastrophe des Jahres l6l8 verflochten wurde*
Noch kennen wir ein Porträt von ihm: es ist im Besitze
unserer allverehrten Gräfin Anna Buttler, geborenen Herrin
von Stubenberg. Rudolf war danach eine stattliche, kräftige
Erscheinung mit ausdrucksvollem Gesichte, Adlernase und
kräftigem Schurrbart; gekleidet ist er, wie es üblich war, in
nationales Kostüm. Er war dreimal vermählt, zuerst mit Eli-
sabeth von Khevenhüller, dann mit Katharina ans dem Hause
Sm.iritzky, endlich mit Justina von Zelking. Wie wenig die
modernen Genealogen des Hauses Stubenberg mit dessen Ge-
schichte vertraut waren, ersieht man aus ihrer Angabe, daß
das Haus Stubenberg seinen Neustädter Besitz der zweiten
Heirat Rudolfs mit Katharina von Smifitzky zu danken hatte.
Wie die Stubenberg alle — hatte auch Rudolf einen
ausgesprochenen Familiensinn. Die damals schon stark ausge-
breitete Verwandtschaft war mit Recht auf ihre ruhmvolle
Geschichte stolz und suchte des Hauses Glanz in würdigster
Weise aufrechtzuhalten. Das war nun freilich in der Familie
nichts neues. Diesen ganz berechtigten Stolz hatten die
Stubenberger schon ganze drei Jahrhunderte früher. Schon da-
mals — es war im Jahre 1292 — hatten sie ein pactum
gentilicium — einen Hausvertrag — geschlossen. Bei den grauen
Mönchen im Kloster Reun soll man — ist einer gestorlDen —
ihn begraben und sein Leibroß — wer erinnert sich da nicht
an die altgermanische Sitte — dahin geben und seinen Har-
nisch. Dann aber — und auf das kommt es an: keiner soll
ohne der anderen Willen vom Stubenberger Gut etwas — es
sei Lehen- oder Eigengut — verkaufen oder verpfänden. Wir
haben, sagen Ulrich, Friedrich und Heinrich in dem pactum
gentilicium. von 1292, das beschworen, was dieser Brief sagt,
daß es ewig und fest bleiben soll So tat es jetzt — 300
Jahre später — ein Stubenberger. Am 25. März 1598 be-
kennt Friedrich von Stubenberg, seinem Bruder Rudolf zuge-
sagt zu haben, daß er ohne sein Wissen und seinen Willen
von seiner Herrschaft Gutenberg niemandem etwas vergeben,
verschenken, verkaufen oder verpfänden werde. Und geschähe
es doch, so habe es keine Kraft. In solcher Weise allein
konnte eine Verschleuderung des großen, in vier Ländern
— Steiermark, Österreich, Ungarn und Böhmen — gelegenen
Familienbesitzes vorgebeugt werden. Es ist ja gewiß bezeich-
nend, daß in solcher Weise die Hauptgüter des Geschlechtes
durch acht beziehungsweise sechs Jahrhunderte zusammenge-
halten' werden *^ konnten, und wenn im ersten Jahrzehnt des
40 Das Haus Stubenberg in Böhmen.
XIX. Jahrhunderts ünterkapfenberg verloren ging, geschah
es, weil man die Bestimmungen des alten Stubenbergischeii
Erbvertrages erst anrief, als es zu spät war.
Rudolf von Stubenberg ging nun ganz in den politischen
Bestrebungen des böhmischen Hochadels auf. In Steiermarlc
hatten die Stubenberger seit den Tagen Albrechts L, wenn
man von ihrer Verbindung mit dem Baumkircher absieht, in
unverbrüchlicher Treue zum Habsburgischen Hause gehalten.
Wie stand noch Rudolfs einstiger Vormund Wolf und dessen
Sohn, der biedere Georg, der erzherzoglichen Familie in Grass
so nahe. Nun aber hielten nach dem Tode des Kaisers
Matthias die böhmischen Stände dafür, daß ihr Königtum
nicht ein Erb-, sondern ein Wahlkönigtum sei, und trotzdeni
sie 1617 ungeachtet der Opposition einzelner protestantischer
Mitglieder den Erzherzog Ferdinand zum König »angenom-
men'* hatten, wurde er, weil er in Steiermark den Prote-
stantismus unterdrückt, weil er, wie sie sagten, durch List
und Betrug die böhmische Krone erlangt und alles getan
habe, was auf das Verderben des böhmischen Reiches abzielt,
feierlich abgesetzt und an seiner Stelle der Pfalzgraf Friedrich
am 27. August 1619 zum König gewählt und am 4. November
gekrönt Zu den Anhängern Friedrichs von der Pfalz, den
man seiner kurzen Regierung wegen den Winterköni^
nennt, gehörte auch Rudolf von Stubenberg. Er sollte freilich
das Ende des Winterkönigs in Böhmen nicht erleben, denn
er fiel noch früher einem tragischen Geschicke zum Opfer —
einem Geschicke, das in jenen Tagen großes Aufsehen machte.
Es war nämlich zu Anfang P^ebruar 1620, als ein Ereignis,
das sich in Gitschin zutrug, auf den Winterkönig, seine Ge-
mahlin und die ganze habsburgfeindliche Partei in Böhmen
einen erschütternden Eindruck machte. Am 1. Februar 1620
sprengte eine Dame des böhmischen Herrenstandes, Elisabeth
Katharina von Smificky, um sich von ihren ihrer eigenen
Familie angehörigen Peinigern zu befreien, das Schloß von
Gischin in die Luft und fand bei dem Unternehmen ihren
Tod. Die Selbstmörderin war die Tochter Sigmund Smifickys,
des reichsten Edelmannes in Böhmen, der bei seinem Tode
im Jahre 1614 nicht weniger als 17 Güter hinterließ, von
denen einige heute noch den beneidenswerten Besitz der
Fürsten von Liechtenstein ausmachen. Smiricky hatte drei
Söhne und zwei Töchter, von denen die letzteren mit Geld
abgefunden wurden. Nun starb von den drei Söhnen der
älteste noch vor seinem Vater, der zweite war blödsinnig,
Von Pro£ J. Loserth. 41
und SO kam das ganze reiche Erbe auf den jüngsten A 1 b r e c h t
Johann. Dieser aber starb während des böhmischen Aufstandes
infolge der erlittenen Strapazen am l6. November l6l8 und
nun mußte bei der Krankheit des letzten Smificky früher
oder später die weibliche Sukzession eintreten. Von den beiden
Töchtern war die ältere noch bei Lebzeiten ihres Vaters in
den Verdacht eines unehrenhaften Verhältnisses mit einem
Schmied gekommen, dem sie ihre Liebe geschenkt haben
soll. Vielleicht hat die geschäftige Sage mehr aus der Ge-
schichte gemacht als den Tatsachen entsprach — aber der
Vater glaubte an die Schuld der Tochter und brachte sie in
eines seiner Schlösser in Haft, die auch dann nicht gemildert
wurde, als ihr Vater starb. Nun wäre sie nach ihres jüngsten
Bruders Tode die berechtigte Vormünderin ihres blödsinnigen
Bruders gewesen. Da hatte aber ihre jüngere Schwester Herrn
Heinrich Slawata, einen Führer der ständischen Bewegung,
geheiratet und nun blieb nicht bloß die Haft der älteren
Schwester aufrecht, die jüngere und ihr Gemahl erhielten
jetzt auch noch die Vormundschaft über den blödsinnigen
Bruder. Alles ging darauf hinaus, daß ihr und ihrem Gemahl,
also dem Hause Slawata, das ungeheure Smifickysche Erbe
zufiel. Da war es ein junger Sprosse eines alten böhmischen
Herrengeschlechtes, Otto Heinrich von Wartenberg, der den Plan
faßte, in diese Dinge einzugreifen, um wenigstens einen Teil
dieses Smif ickyschen Erbes an sich zu ziehen. Er verstand es, sich
dem gefangenen Edelfräulein zu nähern, trug sich ihr als
Retter an, befreite sie aus der Haft und empfing zum Dank
ihre Hand. Beide gingen nach Gitschin, um sich dieses zum
Nachlasse Smifickys gehörigen Gutes zu bemächtigen und
setzten für alle Fälle das Schloß in Verteidigungszustand.
Nun trat aber für Heinrich Slawata, der — im Gegen-
satz zu seinem Bruder — ein eifriger Parteigänger des Winter-
königs war, die Regierung in die Schranken und Elisabeth
Katharina erhielt die Aufforderung, Gitschin an ihre Schwester
als Vormünderin des Bruders abzutreten. Sie erhob dagegen
Einsprache. Aber diese wurde nicht beachtet, vielmehr ihr
Gemahl — der Wartenberger — in Prag interniert und so-
dann eine Kommission nach Gitschin abgeordnet, die auch
seine Gattin gefangen nehmen, Gitschin aber an deren Schwester
ausliefern sollte. Die Kommission kam am 1. Februar l620
in Gitschin an. An ihrer Spitze stand Heinrich Slawata.
Mitglied der Kommission war nun auch Rudolf von Stuben-
berg. Als sie sich ins Schloß begeben wollte, waren alle Tore
42 Das Haus Stuben berg in Böhmen.
geschlössen. Slawata gelang es, mit einem zu diesem Zwec
mitgebrachten Schlüssel ein Tor zu öffnen. Nun ward mit <
Inventarisierung des Mobiliars begonnen. Die Wartenberge:
geriet in eine große Aufregung. Sie suchte die Soldaten, <
noch ihr Gatte angeworben hatte, gegen die Kommission ai
zuhetzen, es kam zu erregten Auseinandersetzungen und ^
sie schließlich aus dem Schlosse weichen wollte und d
Pferde anzuspannen befahl, wollte Slawata die schönen Ros*
nicht preisgeben. Laut rief sie nun aus, bei solcher Schmacl
die ihr zugefügt werde, könne sie nicht weiterleben. Ws
nun folgte, ist nicht ganz sichergestellt. Die meisten Bericlit '
erzählen, daß die erzürnte Edeldame, die den Soldaten reich
lieh zu trinken gegeben hatte, unter sie Pulver austeilei
wollte und in die Pulverkammer gegangen sei. Ob nun durcl"
eine Unvorsichtigkeit die Vorräte Feuer fingen oder ob Eli-
sabeth selbst den zündenden Funken in das Pulver warf, das
ist nicht sichergestellt. Man weiß nur, daß das Schloß plötz-
lich in die Luft gesprengt und die meisten Personen, die da-
rinnen weilten, ihren Tod fanden, darunter alle Mitglieder der
Kommission : mit Slawata auch Rudolf von Stubenberg. Die
Wartenbergerin selbst — sie befand sich in gesegneten Um-
ständen — hatte man an Händen und Füßen verletzt, aber
noch lebend aufgefunden. Sie wurde nun noch das Opfer der
rohesten Gewalttat.
So hatte der Stubenberger — fern von den Seinen —
ein schreckliches Ende gefunden. Eins war ihm allerdings er-
spart geblieben : den Zusammenbruch der pfälzischen Herr-
schaft in Böhmen und damit auch den Zusammenbruch seines
häuslichen Glückes und Besitzes zu erleben, zu sehen den
mit offenem Zynismus getriebenen Schacher um fremdes Gut
und wie das von dem steirischen Herrenhause teuer erkaufte
und zu hoher Blüte gebrachte Eigengut in die Hände der
Fremden gelangte.
Doch die große böhmische Güterkonfiskation behandelt *
Dinge, die ja allgemein bekannt sind. Sie sollen hier auch nur
soweit erörtert werden, als der Stubenbergische Besitz in Frage
kommt. In dem Augenblicke, als Rudolf von der Katastrophe
in Gitschin ereilt wurde, stand die Herrlichkeit des Winter-
königs selbst noch aufrecht. Am 13. März 1620 schrieb
Justina von Stubenberg einen Brief voll tiefer Trauer um den
Verlorenen an dessen Vetter Georg nach Kap fen berg. Noch
findet sich hier keine Spur einer ihrem Besitz drohenden
Gefahr. Erst sieben Monate später sank in der Schlacht am
Von Prof. J. Loserth. 4S
weißen Berge die ephemere Herrlichkeit des Wiiiterkönigs in
den Staub. Sein ganzer Anhang hatte nun das Vae victis
durchzukosten. Es war fein Ende mit Schrecken für die ganze
Partei, denn da gab es kein Recht, vor dem die Sieger halt
cremacht hätten. Es folgte jene ungjeheure Gütereinziehung,
die den bestehenden Besitzstand in Böhmen von Grund aus
änderte. Die antihabsburgische Opposition und die Herrschaft
der Stände wurde zu Tode getroffen. Selbst so loyale Ge-
schlechter, wie es das Haus Stubenberg gewesen, fanden
vor dem Sieger keine Gnade. Ob die Verschuldung Rudolfs
eine große oder geringe war, darnach wurde wenig gefragt:
man kennt sie im einzelnen nicht. Man weiß nur, daß er
im Auftrage der Direktoren des Königreiches Böhmen mit
schlesischen Fürsten und Ständen verhandelte.
Vier Monate nach dem Sieg am weißen Berge erschien
das Dekret Karls von Liechtenstein, „des regierenden Herrn
des Hauses Liechtenstein*', wie er sich nannte, in welchem die
hinterblieberien Erben der in den böhmischen Aufstand ver-
wickelten Adelspersonen aufjgfefordert wurden, innerhalb vier
Wochen sich in Prag einzufinden, um anzusehen und anzu-
hören, daß und wie wegen der verstorbenen Rebellen dem
Rechte nach prozessiert, ihr Andenken zunichte gemacht und
ihre Güter konfisziert werden sollen. Rudolfs Name steht in
dem verhängnisvollen Dekret an vierter Stelle, Er hinterließ
außer seiner Witwe einen erst einjährigen Sohn - Hans
Wilhelm. Für diesen aus dem großen Schiffbruch zu retten,
was noch zu retten war, das war nun die schwere Aufgabe
seiner Verwandten. Vielleicht gelang es das ganze zu retten.
Man erinnerte sich jetzt in der Stunde der Not an die im
Stubenbergischen Hause von altersher geltende Erbeinigung,
wonach dem einzelnen nur in einer gewissen beschränkten
Weise Besitzrechte eingeräumt sind. Wie hätten die Sieger
aber vor dieser Erbeinigung Halt gemacht ? Es ward vielmehr
eine andere Frage aufgeworfen, ob nicht vielleicht auch die
in der Steiermark sitzenden Stubenberger in diese böhmische
Rebellion verflochten gewesen. Hier konnte nun allerdings ein
Alibi nachgewiesen werden, wie es kaum kräftiger gedacht
werden konnte. . Von den Stubenbergern, die da in Frage
kamen, war zum Glück zur Zeit des böhmischen Aufstandes
keiner in Böhmen, der eine — Georg — hatte eine Reise
nach Spanien göünacht und der andere am Kaiserhofe verweilt.
Die Hoffnung, die böhmische Herrschaft Neustadt auf Grund
der alten Stubenbergischen Erbeinigung zu retten, mußte bald
44 Das Haus Stubenberg in Böhmen.
aufgegeben werden. Denn schon am 11. August erklärt«
Karl von Liechtenstein auf ein Ansuchen der beiden Brüde
Georg und Wolf von Stubenberg: Die in ihrem Hausen
gültige und von Ferdinand II. noch am 29. Dezember 16 iS
bestätigte Erbeinigung beziehe sich nur auf ihre in österreicln
und Steiermark liegenden Güter, da Ferdinand IL damals dit^
Administration in Böhmen noch nicht besaß. Dagegen wurden^
da sie in den Aufstand nicht verwickelt gewesen, ihre auf der-
Herrschaft Neustadt haftenden Schuldforderungen samt der^
ausstehenden Zinsen anerkannt und da die Zinsen bereits zu.
einer ansehnlichen Höhe angewachsen waren, durfte maii
hoffen, durch eine Zuzahlung zu den auf Neustadt haftendei^
Posten, die Herrschaft doch noch zu retten. Aber schon
spitzten, wie Georg von Stubenberg am 7. September 162 3
schreibt, zwei Herren auf die Neustadt als auf eine gute Beute:
Trczka und Wallenstein. Vielleicht, daß ihre gegenseitige
Eifersucht den Stubenbergern zugute kommt. Noch ein
anderer Brief vom 18. Oktober 1622 gewährte einige Aussicht.
Was in dem Briefe sonst noch steht, mahnt daran, daß man
mitten im großen Kriege steht: Aus den Meierhöfen in Neustadt
ist das Vieh gestohlen, so daß man aus Mangel an Pferden
die Felder nicht bestellen kaini. „Bin", schreibt Georg, „keinem
um die Mühe neidig, die es kosten wird, alles wieder in
Ordnung zu bringen." Wie weit da die Konfiskationswut
ging: selbst die Witwengelder Justinais wurden mit Beschlag
belegt.
Georgs Hoffnungen, Neustadt für das Haus Stubenber^
retten zu können, waren vergeblich, und doch waren diese
Hoffnungen nicht unberechtigt gewesen, denn wenn irgend ein
Haus, so konnte sich dieses Stubenbergische auf seine in den
schwierigsten Lagen der Dynastie erprobte Haltung berufen,
eine Haltung, die selbst durch die in jüngster Zeit erfolgte
Stellungnahme Rudolfs nicht beargwöhnt werden darf, um
so weniger, da wir über seine Motive so wenig unterrichtet
sind. So lesen wir in einer Bittschrift der Stubenberger an
den Kaiser auch mit Recht: „Es sei mehr als hinreichend
bekannt, daß einige unruhige Leute der Krone Böhmens den
Versuch gemacht haben, das sanfte und milde Joch des Hauses
Österreich abzuschütteln. Es habe aber, fügen sie hinzu, doch
viele gegeben, ehrliche Leute, die nicht aus Mutwillen oder
Vorsatz, sondern gedrungenerweise mithalten mußten. Zu
ihnen habe auch der Vetter der Bittsteller Rudolf von Stubenberg
gehört. Seine Tat sei nicht zu entschuldigen, noch gutzu-
Von Prof. J. Loserth. 45
heißen, nichtsdestoweniger bitten sie die kaiserliche Majestät,
den gefaßten Unwillen fallen und es die Verwandten vorab
rfie Witwe und den hinterlassenen Sohn nicht entgelten zu
lassen, um so mehr als Rudolf durch seinen erschrecklichen Tod
ohnedies schon seine Strafe erlitt."
Diese Bitte blieb unberücksichtigt.
Die beiden Männer, die sich mit eifersüchtigen Augen be-
wachten, Trczka und Wallenstein, fanden schließlich Mittel und
Wege, sich zu einigen. Neustadt an der Mettau wurde von
Albrecht von Wallenstein erstanden, aber nur um es sofort
gegen die den Trczkas gehörige Herrschaft Kopidlno ein-
zutauschen.
Dem Stubenbergischen Hause blieb von dem reichen
böhmischen Besitz nur noch Geiersberg, das zum Glück nicht
auch in die Hände Rudolfs gekommen war, denn sonst wäre
es so wenig wie Neustadt von der Konfiskation verschont
gebheben. Wie es aber in diesem Geiersberg aussah, entnimmt
man den Stoßseufzern des biederen Stubenbergischen Pflegers
Remigius Ebner, der in einem Briefe vom 30. August 1622
(lie beweglichsten Klagen über die grauenhafte Verwüstung
^Ws Gutes ausspricht. Doch, schreibt er, wollten wir noch nit
verzagen, wan nur Fried* und das Kriegsvolk weg war.
Wann nur Fried' war?! Noch sechsundzwanzig volle Jahre
währte es, bis dieser Wunsch in Erfüllung ging, der schon
jetzt in das dem Kampf entrückte Kapfenberg gesendet wurde.
Mall wird fragen, welches war denn das weitere Geschick
der unglücklichen Justine? Welches das des armen Hans
Wilhelm? Von Justine liegt uns noch ein Brief vor, den sie
am 22. Jänner 1628 an ihren Vetter Georg, Herrn von Stuben-
herg auf Kapfenberg gerichtet hat. Er ist aus Loosdorf in
Niederösterreich gerichtet. Man wird fragen: Wie kommen
diese Stubenberger nach Loosdorf? Da darf ich mich auf einen
Aufsatz beziehen, den Prof. Khull im vorigen Jahre in den
Blättern unserer Vereinszeitschrift niedergelegt hat und will
ich die dortigen sehr sachgemäßen Ausführungen noch durch
einige Bemerkungen ergänzen. Bis zum Jahre 1598 hatten
die Protestanten in Steiermark und Krain ihre vortrefflichen
Schulen in Graz und Laibach, bis 1601 bestand die in Klagen-
furt. Als die Grazer Stiftsschule zerstört war, machten die
protestantischen Stände von Steiermark den Versuch, an
Wenig auffälliger Stelle : in Schwanberg, im dortigen Amtshofe
des Herrn von Galler eine neue Schule protestantischer
Richtung aufzurichten. Wie hätte das aber ein Ferdinand IL
46 Das Haus Stubeqberg in Böhmen.
dulden können? Sie müßte begreiflicherweise in kürzester
Zeit eingehen. Wohin sollten die Protestanten in Steiermark-
— also in erster Linie die protestantischen Adeligen — ilire
Kinder in die Schule schicken? Lange Zeit ward Linz t>e-
vorzugt ; dann gab es aber auch in Loosdorf bei Schallaburg
eine protestantische Schule. Loosdorf liegt in unmittelbarer
Nähe von Schallaburg, das den Stubenbergern gehörte und
diese Loosdorfer Schule war es, der sich Georg von Stuben-
berg in eifrigster Weise annahm. Auch sie hatte freilich nur
kurzen Bestand, denn im Jahre 1628 mußte auch sie aufgelöst
werden. Nun gerade im letzten Jahre weilte unser junger
Stubenberger auf dieser Schule. Er hat am 22, Januar in
seiner noch kindlich unbeholfenen Handschrift als „Vettersohn*'
dem alten Herrn Georg einen Brief mit herzlichen Wünschen
geschickt. Er bildet die Einlage zu einem längeren Schreiben
Justinens. Wir erfahren daraus, daß ihr Georg eine Wohnung
auf seinem Schlosse Schallaburg anwies, wo sie in ihres Sohnes
Nähe war, bis sie schließlich ganz nach Loosdorf übersiedelte.
Sie klagt, sie müsse „fast von nichts" leben. Der Brief sagt
uns auch noch, daß ihr Sohn „weil jetzt ein feiner anständiger
Doktor da ist", eine Kur beginnen wird, denn er ist seit
einer kurzer Zeit ;,an der rechten Schulter und Seiten umb
ein Gutes höher". Zu seinem Alter ist er klein und schwach,
aber frisch und gut gefärbt. Unterrichtet wird er außer im
Lateinischen auch im Böhmischen. Vielleicht darf man daraus
schließen, daß die Hoffnung auf einen Ersatz der Neustädter
Herrschaft damals im Hause Stubenberg noch nicht aufgegeben
war. Sie wünscht schließlich nur eins, ihr lieber Herr Vetter,
Herr Georg, möchte so lange leben, bis ihr armer Bub „seinen
Verstand hat", denn Georg ist nun einmal sein zweiter Vater.
In der Tat das war Herr Georg. Er handelte an dem jungen
Hans Wilhelm wirklich als Vater.
Georg von Stubenberg war in jenen Tagen in unserem
Lande der Typus des vollendeten Edelmanns. Kein anderer
kam ihm gleich. In den Kreisen seiner Standesmitglieder
besaß er ein unvergleichliches Ansehen, unter seinen Glaubens-
genossen — den Protestanten — blieb ihm sein unentwegtes
Eintreten für die verfolgte Konfession für immer unvergessen
und wenn es einen protestantischen Landstand in Steiermark gab,
um den es dem Landesfürsten und jetzigen Kaiser Ferdinand II.
wirklich leid tat, daß er protestantisch blieb „bis in seine
Grube", so war es Georg. Aber er mußte dann im Jahre
1628 — krank wie er war — seines Glaubens wegen doch
Von Prof. J, Loserth. 47
noch das harte Brot der Verbannung essen. Er zog nach
Regensburg. Wie sehr er die Liebe seiner Untertanen genoß,
mag man aus dem Abschied ersehen, den einer seiner Pfleger
Georg Saupach von seinem Herrn genommen : Ich hab', schreibt
er, mit besonderer Betrübnis vernehmen müssen, wie daß Euer
Gnaden morgen früh von hier abzureisen Willens sind. Wenn
es denn schon einmal nicht anders sein kann, und nunma!
ich und andere Untertanen gewünscht hätten, daß Euer Gnaden
die noch übrige Zeit ihres Lebens bei uns, und wir unter
ihrer Herrschaft verbleiben könnten, so kann das nicht ohne
^oße Trauer abgehen. Wie sollte es auch anders sein, wenn
Herr und Untertanen, die solange mit einander gelebt, von
einander scheiden müssen. So möge denn in Gottes Namen
Abschied und Urlaub genommen sein. Nun — als Georg aus
dem Lande schied, machte er in dem Gedanken, wie er
wörtlich sagt, daß er sein Lebenlang in dies Land — die
Steiermark — nicht wieder kommen möchte, Ordnung mit
seiner Habe. Am 27. Juni 1629 stellte er eine Urkunde
aus : Im Begriff, seiner Religion wegen, seinen Abzug aus dem
Vaterland zu nehmen, vermacht er seinen bei !en Vetterni
Georg dem Jüngeren und Wolf von Stubenberg, denen er
schon früher Schallaburg in Niederösterreich und Mureck in
Steiermark eingeräumt hatte, auch noch Kapfenberg und Frauen-
berg. Auch Hans Wilhelm sollte nicht leer ausgehen. Dem
jungen Vetter Hans Wilhelm, dem Sohne des in dem böhmischen
Aufstand verwickelten Rudolf von Stubenberg, soll, da er nach
seinem Vater nichts zu erben hat, wenn er zwanzig Jahre alt
ist, mit Genehmigung des Kaisers die Summe von lOO.OOO fl.
ausgezahlt werden. Sollte er des Kaisers Zustimmung nicht
erhalten, so entfällt diese Verpflichtung, aber seine Vettern
sind gehalten, ihn bis zur Vogtbarkeit gebührlich zu unter-
halten Man weiß, daß der biedere Herr Georg schon im
nächsten Jahre starb. Seine Gemahlin Amalie überlebte ihn noch
Jahrzehnte und mit ihr starb dann die letzte Liechtensteinerin
steierischen Ursprungs. Was aber sollen wir noch von unserem
Hans Wilhelm sagen? Es ist derselbe, der in der Geschichte
der fruchtbringenden Gesellschaft als der „unglückselige Selige'*,
als Dichter und Übersetzer fremder Romane einen wohl-
verdienten Ruf erlangte. Auf seine weitere Geschichte ein-
zugehen, kann aber nicht meine Aufgabe sein, sondern wäre
die eines Literarhistorikers.
Die deutschen Besiedlungen Sieben-
bürgens in älterer und neuerer Zeit. '
Von Karl Reissenberger.
Das von Karpaten rin^s umschlossene Hochland von Sieben-
bürgen ist nicht nur durch die Schönheiten und Schätze
der Natur, sondern auch durch die Völker, die darauf in bun-
tem Wechsel ihre Wohnsitze gehabt und sie dort noch haben,
ein anziehendes Land. Für den Deutschen hat es noch eine
besondere Bedeutung. Denn hier ist eine der ältesten Kolo-
nien seines Volkes, die trotz der heftigen und vielen Stürme,
die in einer Zeit von 8oo Jahren über sie dahingegangen sind,
heldenmütig ihr Deutschtum gewahrt hat, getreu dem Worte
des großen Dichters, den jüngst die ferne, vereinsamte Kolonie
nicht minder begeistert gefeiert hat, denn das Mutterland :
„Was auch draus werde, steh* zu deinem Volk !'* Dem hmer-
österreicher endlich muß das deutsche Volkstum in Sieben-
bürgen noch dadurch von Interesse sein, daß die Verstärkun-
<i?en, die dieses im XVIII. Jahrhundert erhielt, zum Teil aus
Steiermark und Kärnten stammen. So sei es mir gestattet,
über die deutschen Besiedlungen Siebenbürgens in älterer und
neuerer Zeit zu sprechen.
Nach Ungarn kamen die ersten deutschen Einwanderer
unter König Stephan dem Heiligen, welcher als Gemahl einer
deutschen — einer bayrischen — Fürstentochter deren Stammes-
genossen besonders begünstigte. Lange nachher rühmten sich
noch die Deutschen von Szatmar Nemeti, in dem trotz des
deutschen Namens heute der deutsche Laut verklungen ist,
in Begleitung der Königin Gisela ins Land gekommen zu sein.
Von hier haben wohl noch im XL Jahrhundert deutsche Ein-
1 Vortrag, gehalten am 11. Dezember 1905 im Historischen Verein
für Steiermark.
Von Karl Reissenberger. 49
Wanderer den Weg nach Siebenbtirgen ins Gelände der Maros
gefunden, wo sie die Ansiedlungen Rams, Crapundorph, Ka-
rako* gründeten. Diesen Niederlassungen sind in früher Zeit
noch andere gefolgt, so jene von Dees am Zusammenflusse
der beiden Szamos, dann in der Nordostecke Siebenbürgens,
am Fuße des Kuhhorn, die Bergwerkkolonie Rodna, die zur
Zeit des Mongjoleneinfalles (1241) bereits so stark und volk-
reich war, daß sie den Eindringlingen eine stattliche Zahl von
Streitern entgegenstellen konnte. Mit der Gründung des Bis-
tums Weißenburg am Ende des XI. Jahrhunderts hat wohl
auch eine deutsche Besiedlung, der kirchlichen Schöpfung zum
Schutze, stattgefunden. Die heute im Norden noch blühende
Niederlassung, das Nösnerland mit Bistritz als Vorort, ist erst
im XII. Jahrhundert, aber gewiß in dessen erster Hälfte ent-
standen.^
Die wichtigste und größte deutsche Besiedlung Sieben-
bürgens fällt in die Zeit des Königs Geysa II. (II41 — II61).
Eine gleichzeitige Urkunde, die sich auf diese Tatsache bezöge,
ist nicht erhalten. Aber in dem „goldenen Freibriefe**, den
Andreas IL im Jahre 1224 den Ansiedlem Jenseits des Waldes^
ausstellte, 3 sagte er von diesen ausdrücklich: vocati a piissimo
rege Geysa, avo nostro. Also gerufen wurden sie von König
Geysa! Siebenbürgen, damals überhaupt dünn bevölkert, war
im Süden ein desertum, wie es der päpstliche Legat Gregorius *
nennt, eine Öde, eine Wildnis, viel mit Wald bedeckt und
den Einfällen der Petschenegen und Kumanen, die jenseits
des Gebirgswalles wohnten, preisgegeben. Diesen Landesteil
urbar zu machen, zu bevölkern und zu verteidigen, bewarb
sich der König um deutsche Ansiedler. Seinem Rufe folgten
gruppenweise'^ zahlreiche Einwanderer aus Deutschland, die
eine Besserung ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Verhält-
nisse anstrebten, und ließen sich in Dörfern nieder. Dem ein*
zelnen Einwanderer wurde darin je eine Hofstelle zuteil, aber
' Zimmermann in den Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichts-
forschung V, S. 539 ff.
* In dem Eisenbergwerke Toroczk6 arbeiteten im XIII. Jahrhundert
steirische Bergleute aus Eisenerz; wann sie dahin berufen wurden, ist un-
bekannt. Vgl. Zimmermann in den Mitteilungen des Instituts f. Österr. Ge-
schichtsforschung JX, S. 58, u. Ergänzungsbd. VI, S. 725.
3 Zimmermann und Werner, Urkundenbuch zur Gesch. d. Deutschen
in Siebenbürgen, I, Hermannstadt 1892, S. 34.
* Ebenda S, 2.
5 Fr. Teutsch bei Kirchhoff, Beiträge zur Siedelungs- une Volkskunde
der Siebenbürger Sachsen (Forschungen zur Deutschen Landes- und Volks-
kunde). Stuttgart 1895. S. 5 ff.
60 Die deutschen Besiedlungen SiebcnbQrgens in äJterer und neuerer Zeit.
Wald und Wasser, Wiese und Weide und wahrscheinlich zu^
näch3t auch das Ackerland standen zu gemeinsamer Benutzung.
So entstand die ausgedehnte Niederlassung, deren Mittelpunkt
Hermannstadt ist. Früher war man der Ansicht, diese Kolo-
nisten hätten durch den Altdurchbruch, den Rotenturmpaß»
das Land betreten. Dem setzte Franz Zimmermann* die viel
natürlichere, gewiß richtige Auffassung entgegen, daß die Kolo-
nisten der Geysaschen Zeit denselben Weg wie die früheren,
durch das Szamostal, der damals überhaupt von Westen her
den Verkehr zwischen Ungarn und Siebenbürgen vermittelte,
genommen hätten.
Diese Ansicht wurde auch durch die Mitteilung aus dem
Kölner Stadtarchive'^ unterstützt, wonach die rheinischen Kauf-
leute in jener Zeit von dem Donauknie bei Gran und Waitzen
in ziemlich gerader Richtung den Weg nach Großwardein
und von dort zu dem nordwestlichen Passe Siebenbürgens
eingeschlagen haben, wenn sie in dieses Land gelangen wollten.
Die deutschen Einwanderer hatten erfüllt, wozu sie be-
rufen warieri, sie hatten den Boden gerodet und bepflanzt,
Ortschaften nach deutschem Muster gegründet und den Ertrag
der ungarischen Krone gemehrt, das Land gegen die von Süden
her drohenden Feinde geschützt und zu einem sicheren Be-
sitztum der ungarischen Krone gemacht. Das veranlaßte König
Andreas IL auch den Südosten des Landes zu gleichem Zwecke
den deutschen Rittern zu verleihen. Da das heilige Land, in
dem der Orden bisher gewirkt, doch nicht zu halten war,
und er auch in Siebenbürgen, seinem Gelübde getreu, gegen
Heidenschwärme kämpfen konnte, folgte er im Jahre t2ll
gerne der Einladung des Ungarnkönigs und nahm von dem
verliehenen Gebiete, dem Burzenlande, Besitz. Er schützte es
gegen die Kumanen und erbaute darin mehrere Burgen, deren
nördlichste, die Marienburg war. Zur Besiedlung und Bebauung
des Landes aber berief er deutsche Einwanderer. Von den
deutschen Gemeinden, die diese gründeten^ wurde Kronstadt
die bedeutendste. Als der Orden jedoch dem schwachen und
wankelmütigen Könige, der ihm bald reiche Gunst erwies,
bald wieder feindlich begegnete, mißtraute und sein Land unter
den Schutz des Papstes stellte, trieb Andreas ihn mit Waffen-
gewalt aus dem Lande hinaus. Die deutschen Ritter zogen
ab, um nachher an der Ostsee, Wo sie eine andere, berühmt
gewordene Marienburg erbauten, ihre weltgeschichtliche Sen-
' . * Mitteilungen des Instituts f. österr. Geschichtsforschung IX, S. 46 ff.
* Korrespondenzblatt des Vereines für sieb. X.andeskunde 1888, S. 68.
Von Karl Reissenberger, 51
diuig ZU erfüllen. Die • deutschen Ansiedler aber blieben, dem
Lande zum Heil, den deutschen Rittern zur Ehre.
Wohl hat es vor kurzem einem polnischen Gelehrten
gefallen, den deutschen Rittern die Fälschung der Urkunde
von 1222, womit Andreas IL ihre Rechte bedeutend erweiterte,
nachzusagen. Nun hat aber Max Perlbach* in Berlin, einer
der besten Kenner der Geschichte des Deutschen Ordens, den
unumstößlichen Beweis von der Grundlosigkeit der polnischen
Anschuldigung erbracht und gleichzeitig die hohe Bedeutung
der deutschen Ritter für die Ungarn in die Worte zusammen-
gefaßt: ^Unbestreitbar bleibt das Verdienst des Deutschen
Ordens um die Krone Ungarns, um die Sicherung eines vor-
dem mit Ungarn nur lose zusammenhängenden Gebietes gegen
Kumanieneinfälle und dauernden Anschluß des siebenbürgischen
Südostens an das Reich durch Ansiedlung deutscher Kolonnen
unter dem Schutze fester, durch die Ordensritter angelegter
Burgen.**
Auch jener andere Orden, der damals in Deutschland
so glänzende Zeugnisse seiner Bodenbebauung und Besiedlung
ablegte, der der Zisterzienser, 2 fehlte in Siebenbürgen nicht.
Noch stehen am Fuße des höchsten Teiles der siebenbürgischen
Karpaten, des Fogarascher Gebirges, die ernsten Trümmer der
um das Jahr 1200 gestifteten Zisterzienserabtei Kerz, von der
auch deutsche Kolon ist enarbeit ausgegangen ist.^
Daß die frühesten deutschen Ansiedlungen Siebenbürgens,
die (übrigens alle ausgestorbenen) des XI. Jahrhimderts von
dem bayrischen Stamme ausgegangen sind, ist nicht zu be-
zweifeln. Die Ansiedler deis XI. und XII. Jahrhunderts dagegen
sind anderer Herkunft.^ Eine Volkssage, die in Bodendorf bei
Reps aufgelesen wurde, erzählt, daß die Vorfahren, einst am
Meere gesessen, in das vier Flüsse münden, die alle nur aus
einem kommen. Die Sage ist so unbestimmt und unklar, daß
damit nicht ^iel anzufangen ist. Mehr Anhaltspunkte scheinen
zwei Urkunden zu bieten. In der ersteren, um das Jahr 1195
ausgestellten, nennt der päpstliche Legat Gregorius die An-
siedler der Geysa'schen Zeit Flandrenses und in einer Urkunde
des Königs Bela IV. von 1238 wird ihnen der Name Saxones
1 Mitteilungen des Institutes för österr. Geschichtsforschung XXVL,
S. 423 ff. '
2 Lamprecht, Deutsche Geschichte, IV, S. 369 ff.
8 Ludwig Reissenberger, Die Kerzer Abtei, Hermannstadt ! 894.
4 Vgl. meine Abhandlung: Die Forschungen Dber die Herkunft' des
siebenbürgischen Sachsenvolkes im "Archive desVer. f. sieb. .Landeskunde
N. F. XHL (1877).
4*
52 Die deutschen Besiedlungen Siebenbürgens in älterer und neuerer Zeit,
beigelegt. Wie wir heute wissen, ist weder der eine noch der
andere Name zutreffend. Doch war es ein weiter Weg, auf
dem man zu solcher Erkenntnis gelangte. Im XVI. Jahrhunderte
hatte man sogar die Tatsache der Einwanderung außeracht-
gelassen, indem man die siebenbürgischen Deutschen von den
Goten, die einst das Land besetzt hatten, ableitete und diese
sogar mit den Daziern vermengte. Am Ende des XVIH. Jahr-
himderts hielt man sich mehr an den Namen Saxones und
brachte die Siebenbürger Sachsen mit den Niedersachsen in
Zusammenhang;. Die oberdeutschen Elemente darin erklärte
man aus der Beeinflußung durch das Österreichische und die
Schriftsprache. Erst im Jahre 1843 wurde von Friedrich
Marienburg im ganzen und großen das Richtige getroffen.
Seine Abhandlung „Über das Verhältnis der siebenbürgisch-
sächsischen Sprache zu den niedersächsischen und nieder-
rheinischen Dialekten" entbehrt allerdings jenes wissenschaft-
lichen Charakters, wie er seit Jakob Grimm für solche Arbeiten
gefordert werden muß, aber in der Sache hat Marienburg
recht, indem er auf Grund eines längeren Aufenthaltes in dem
Rheinlande die Behauptung aufstellte und durch Beispiele
stützte, dem Siebenbürgisch-sächsischen am meisten verwandt
sei jener Dialekt, welcher im größten Teile der jetzigen
preußischen Provinz Niederrhein in mannigfaltigen Schattierun-
gen sich vorfindet. Die Marken des Gebietes, in welchem er
gesprochen wird, könnte man ungefähr durch die Städte Elber-
feld, Crefeld, Aachen, Trier, Coblenz, den Westerwald und
das Siebengebirge bezeichnen. Marienburg hatte damit auf den
Punkt hingewiesen, an dem die weitere Forschung über die
Herkunft des Sachsenvolkes, die wesentlich germanistischer
Natur sein mußte, einzusetzen habe. Seit den Siebzigerjahren
des vorigen Jahrhunderts lenkte diese nun auch formell in
eine streng wissenschaftliche Bahn ein.
Junge, strebsame Männer, auf deutschen Universitäten
in deutscher Philologie gründlich ausgebildet, traten auf den
Plan:i Johann Roth und Johann Wolff, Adolf Schullerus,
Georg Keintzel, Andreas Scheiner und Gustav Kisch. Johann
Wolff ist nach weitausgreifenden, tiefgehenden Forschungen
auf dem Gebiete der siebenbürgisch-deutschen Volkskunde am
30. Dezember 1893 aus dem Leben geschieden,'-^ die andern
* Scheiner, bei Kirchhoff a. a, O. S. 127 ff. und Archiv d. Ver. f. sieb.
Landesk. N, F. XXVIII.. S. 75 ff.
* Vgl. Ober ihn F. Teutsch im Archiv des Ver. f. sieb, Landeskunde
N. F. XXVll., S. 1 ff.
Von Karl Reissenberger. 63
sind mit Eifer, Geschick, und Erfolg noch tätig. Johann Wolff
war der erste, der Wilhelm Braunes bahnbrechende Abhand-
lung „Zur Kenntnis des Fränkischen" * über die Mundart und
die Herkunft der Siebenbürger Sachsen verwertete und das
Siebenbürgisch-Sächsische dem von Braune mittelfränkisch ge-
nannten Sprachgebiete zuwies. Etessen hervorstechendste Eigen-
tümlickeit besteht darin, daß das germanische t wohl zu ^ (s)
verschoben erscheint, jedoch mit Ausnahme der Neutralformen
dat, wat, dit, it, allet. Das mittelfränkische Sprachgebiet, steckt
Braune von der Mosel und Lahn bis gegen Düsseldorf, gegen
Westen bis nahe zur Maas ab. So stimmt es größtenteils mit
dem von Marienburg als Heimat der Siebenbürger Sachsen
bezeichneten Gebiete überein. Doch wenn Marienburg nur an
die preußische Rheinprovinz als Auswanderungsgebiet dachte,
so muß darunter heute vor allem Luxemburg, ein Teil der
preußischen Rheinprovinz, Deutsch-Belgien und das nordwest-
liche Lothringen verstanden werden. Die Aufmerksamkeit in
besonderer Weise auf Luxemburg gelenkt zu haben, ist das
Verdienst des Bistritzer Gymnasialprofessors Dr. Gustav Kisch.
Fünfmal besuchte er dieses Land und die angrenzenden Ge-
biete zum Zwecke wissenschaftlicher Forschung, deren Ergebnis
er in mehreren Publikationen^ niedergelegt hat. Im Sommer
des Jahres 1905 haben auch andere siebenbürgische Germa^
nisten eine Studienreise in die „Heimat der Väter" unter-
nommen. Aber das Ergebnis ist kein abschließendes. Einer
derselben Dr. A. Schullerus äußert sich in seinem gedruckt
vorliegenden Berichte ähnlich wie Kisch (wenn auch sonst
die Ansichten auseinandergehen), „daß die südsiebenbürgischen
Mundarten mehr dem Norden, die nösnischen Mundarten ihrem
Ursprünge nach mehr dem Süden Luxemburgs zuzuweisen
sind. 3 Vielleicht noch skeptischer war der Bericht, den ein
zweiter der vier Reisenden, Dr. A. Scheiner auf der General-
versammlung des Vereines für siebenbürgische Landeskunde
am 25. August 1905 in Hermannstadt erstattete.^ Als not-
1 Paul und Braune. Beiträge zur Gesch. der deutschen Sprache und
Literatur 1.. S. 1 ff.
« Die Bistritzer Mundart verglichen mit der Moselfränkischen, Beiträge
z. Gesch. d. d. Sp. u. Lit. XVIL, 2. Vergleichendes Wörterbuch der Nösner und
moselfränkisch-luxemburgischen Mundart. Archiv d. Ver. f, sieb. Landesk. N. F.
XXXIII. u. a.
3 Zur Heimat der Väter. Hermanastadt 1905. Vgl. meine Besprechung
der beiden letztgen. Schriften in der „Wiener Zeitung" 1906, Nr. 1.1 9.
'. ** Hiezu und zu dem Folgenden vgl. Korrespondenzblatt 1905.
Nr. 9 — 11.
54 Die deutschen Besiedlungen Siebenbürgens in Älterer und neuerer Zeit.
wendig erwies sich da eine genaue Durchforschung des sieben -
bürgischen Sprachgebietes und so stellte SchuUerus den Antrag,
der Ausschuß wolle eine eingehende Einzelaufnahme der
siebenbürgischen deutschen Dorf- und Stadtmundarten nach
Lautstand und wesentlichem Wörterschatz veranlassen. Der
Antrag wurde einstimmig angenommen und mit der Aus-
führung alsbald begonnen. Als letztes Glied in dieser Ent-
wicklung kann ich dermalen anführen, dafi vom 21 bis
26. Oktober 1905 der bekannte deutsche Ethnograph Prof.
Dr. Otto Brenner aus Halle a. S. in Hermannstadt einen pho-
netischen Kurs abhielt, in welchem die Grundsätze für die
geplante Aufnahme der Mundarten besprochen wurden. Voraus-
gesetzt, daß auch aus der „Urheimat" ausreichendes wissen-
schaftliches Material vorhanden ist, wird es dann wohl einmal
möglich werden, über die Zugehörigkeit der siebenbürgisch-
sächsischen Mundarten und die Herkunft des siebenbürgisch-
sächsischen Volkes Genaues und vielleicht AbschlieJßendes fest-
zustellen.
Was ist denn nun aber mit dem urkundlichen Namen
Flandrenses und Saxones ? Flandrer hat man früher tatsächlich
auch unter den siebenbürgischen Deutschen angenommen.
Noch der hochverdiente Geschichtsschreiber der Siebenbürger
Sachsen, G. D. Teutsch, hielt es für möglich, daß ein Teil
der Ansiedler aus Flandern gekommen sei. Was man zur
Begründung dessen angeführt hat, läßt sich heute nicht mehr
aufrecht halten, so vor allem der Hinweis auf die Seeblumen-
blätter in dem zweiten sächsischen Nationalsiegel und in dem
Hermannstädter Stadtwappen. Wattenbach ^ schloß 1870 aus
den Seeblumenblättem auf Friesen unter den siebenbürgischen
Deutschen und ich habe I877 ^^ einer Besprechung der For-
schungen über die Herkunft des siebenbürgischen Sachseh-
volkes^ hervorgehoben, daß die genannten Blätter auch sonst
vorkommen, in Wappenschildern des bayrischen Hochlandes
und in dem Wappen des MinisterialengeschJ echtes der Wil-
donier in Steiermark, hier sogar in derselben Anordnung wie
in Siebenbürgen. Seither hat Zimmermann ^ nachgewiesen, daß
das Seeblätterdreieck vor dem 14. Jahrhundert in dem sieben-
bürgischen Sachsenlande nicht vorkommt. Flandrenses ist in
Siebenbürgen bloßer Kolonistenname, von den Flanderem auf
> Die Siebenbürger Sachsen. Heidelberfc, 1870, S. 14.
« Archiv des Ver. f. sieb. Laniesk. N. F. Xlll. 3. S. 560.
3 Das Wappen der Stadt Hermannstadt. Archiv des Ver. f. sieb.
Landesk. XVII. 2. S. 338 fF.
Von Karl Reissenbergpr. 66
alle andern Deutschen übertragen, die vom Westen zur Ko-
lonisation des Ostens auszogen.
Flandern und Holland waren, um mit Karl Lamprecht
zu sprechen, die Herde der. auf den Osten gerichteten Kolo-
iiisationsbestrebungen. So erklingt dort auch heute noch das.
alte Auswahdererlied Naer 'Ostland wollen wij rijden im Volks-
munde. Ebenso wie Flandrenses ist der Name Saxones* Ko-
lonistenname. Er ging von den Sachsen, die neben den
Flanderern an der Besiedlung des Ostens hervorragenden
Anteil hatten, auch auf aiidere Kolonisten, die nicht säch-
sischer Herkunft waren, über. Daß die deutsche Namensform
Sachsen nicht in dem Volke selbst entstanden, sondern aus
der Kanzleisprache in die siebenbürgisch-sächsische Mundart
hineingetragen wurde, hat A. Scheiner*^ bereits im Jahre 1886
mit sprachwissenschaftlichen Gründen bewiesen.
Über die Rechte und Freiheiten, die König Geysa IL
den deutschen Ansiedlem bei der Berufung zusicherte, ist eine
Urkunde nicht erhalten. Aber Andreas II. bezieht sich in dem
bereits erwähnten Freibriefe, 3 den er im Jahre 1224 den alten
Ansiedlem gewährt, darauf. Diese hätten ihm geklagt, daß
sie ihres alten Freitums, auf welches sie von dem Könige
Geysa berufen worden seien, völlig verlustig gingen, wenn der
König sich nicht ihrer annähme. So stellt er ihnen ihre alteii
Rechte und Freiheiten wieder her. Doch sollten sie, die bisher
getrennte Gemeinwesen gebildet hätten, von nun ab zu einer
Einheit, zu eiuem Volke zusammengefaßt erscheinen. Der
Boden, auf dem sie wohnen, wird ihnen mit dem Rechte aus-
schließlichen Bürgertums und voller Gleichheit als Eigentum
zugestanden. An der Spitze des Gaues, der Hermannstädter
Provinz, soll der von dem Könige eingesetzte Graf stehen,
des Königs oberster Richter im Frieden, dessen Führer im
Kriege. Die Beamten dürfen sich die Ansiedler selbst wählen,
wie die Pfarrer, denen sie den Zehnten zu geben haben. Sie
gehießen ZolN und Mautfreiheit und haben das Recht, ein
eigenes Siegel zu führen. Doch werden sie auch verpflichtetj,
dem Könige jährlich 500 Mark Silber zu zahlen und Kriegs*
dienste zu leisten. Dies die wesentlichsten Bestimmungen des
goldenen Freibriefes, der zunächst nur den Einwanderern der
Geysa'schen Zeit, denen der : H^rmannstädter Provinz, zuteil
wurde; nachher wurde er auf alle deutschen Kolonisten Sieben-
* Schullerus, Flandrenses, Saxones, Korrespondenzblatt 1901,8. 17 ff.
«.Korrespondenzblatt 1886, S. I27ff •
.. 'Zimmermann und Werner, XJrkundenbuch, S. 34 f. '
66 Die deutschen Besiedlungen Sieb^nbQfgens in Slterer und neuerer Zeit.
bürgens ausgedehnt. Er ist durch alle Jahrhunderte und sturm-
vollen Zeiten, welche diese zu durchleben hatten, das starke
Bollwerk ihrer deutschen Eigenart und Bildung geblieben bis
zu seiner gänzlichen Aufhebung im letzten Drittel des vorigen
Jahrhunderts.
Unter dem Mongoleneinfall (12 14), der weit und breit
alles Verwüstete und die Bewohner in großer Zahl vernichtete,
hatten auch die deutschen Pflanzungen Siebenbürgens sehr
zu leiden.* So kann man sich des Gedankens nicht entschlagen,
daß nach dieser Zeit auch Siebenbürgen wie das nor dungarische
Bergland eine Vermehrung der zusammengeschmolzenen Be-
völkerung erhalten habe. Doch darf zweierlei dabei nicht außer-
acht gelassen werden: die Nachzügler wanderten entweder
aus demselben Sprachgebiete zu, wie die ursprünglichen Ein-
wanderer, oder waren, wenn sie auch aus Mitteldeutschland stamm-
ten, wie jene, die damals nach Nord Ungarn kamen, nicht so stark
wie dort, da sie sonst wohl auch hier den mittelfränkischen
Sprachcharakter umgeistaltet hätten. Vom XV. bis zum XVIII.
Jahrhunderte mögen sich nur einzelne Söhne des deutschen
Mutterlandes in Siebenbürgen ansässig gemacht haben. Das im
Karpatenlande blühende Gewerbe hatte zur Folge, daß nicht
selten Handwerksburschen ihre Wege aus Deutschland nach
Siebenbürgen lenkten. Der eine oder andere mag dann für
immer in dem liebgewonnenen Lande geblieben sein. Nach-
gewiesenermaßen haben die gebildeten Stände wiederholt Volks-
genossen aus Deutschland in sich aufgenommen. So wirkten
an den Schulen Rektoren und Lehrer, die aus dem Mutter-
lande geholt waren, und einer der bedeutendsten Sachsen-
grafen, Markus Pemfflinger, war aus schwäbischem. Geschlechte.
Erst im XVIIL Jahrhunderte erfolgten wieder größere
Besiedlungen Siebenbürgens, freilich nicht in jener Stärke wie
im XII. und XIII. Jahrhunderte. Zu jener Zeit^ bedurfte die
Einwohnerschaft, besonders die deutsche, abermals eines Zu-
wachses. Schlimme Zeiten waren vorausgegangen. In den beiden
Jahrhunderten, die auf die Schlacht bei Mohäcs gefolgt waren,
war unsägliches Elend über das Fürstentum Siebenbürgen ge-
kommen. Krieg und Pest hatten eine reiche Ernte gehalten.
^Ih Schäßburg waren im Jahre 1695 229 aufgelassene Höfe,
der ganze Stuhl hatte deren 704 und 324 verbrannte. In dem
1 Die Literatur hiezu bei G. D. Teutsch im Archiv d. Ver. f. s.
Landes1f.,N. F. XXI. S. 447 ff. .
2 Über die Verhältnisse Sieben iDÖrgens in dieser Zeit vgl. G. D. Teutsch,
Geschichte der Siebenb. Sachsen. 3. Aufl., Hermannstadt l899t S. 437.
Von Karl Reissenberger. 57
Leschkircher Stuhle waren in denselben Jahren 636 Höfe
wüst, Hausväter im ganzen bloß 342 und 88 Witwen. Im
Schenker Stuhl waren von 1687 an in acht Jahren 504 Höfe
zugrunde gegangen und 15 verbrannt; im Hermannstädter
befanden sich 1695 1175 öde Höfe und 82 verbrannte, im
Buzeiiland 1338, im Mediascher Stuhl 549 **, wie G. D. Teutsch
in seiner Sachsengeschichte berichtet. Und womöglich noch
schlechter als sonstwo lagen die Verhältnisse im Unterwald,
der Mühlbacher Gegend. Viele sächsische Dörfer hatten ihre
Bewohner verloren und andere waren stark entvölkert. Die
Stadt Mühlbach, einst so volkreich, hatte nur ein kleines Häuf-
lein behalten. 1 Da trat denn an das Haus Habsburg, nachdem
es die Herrschaft über Siebenbürgen ergriffen hatte, die Pflicht
heran, für neue Besiedlungen Sorge zu tragen, insonderheit
aber die deutsche Bevölkerung des Landes zu stärken, nicht
nur weil diese zumeist gelitten hatte, sondern auch weil sie
die intelligenteste, Österreich am meisten ergebene war. Wie
die Sachsen einst nach dem Aussterben des arpadischen Königs-
hauses für Otto von Bayern^ „den deutschen König", eintraten,
so gut und entschieden sie es konnten, so kämpften sie nach
der Erledigung des Thrones im Jahre 1526 für das Haus
Habsburg aus Gründen des formalen Rechtes, aber auch dem
Zuge ihrer deutschen Herzen folgend. Was sie zunächst er-
langten, war nur eine vorübergehende Besitzergreifung des
Landes durch Ferdinand I. und Rudolf II. Erst am Ende des
XVII. Jahrhunderts erfüllte sich, was sie lange ersehnt hatten :
der Kaiser trat die dauernde Herrschaft in Siebenbürgen an.
Es entspricht vollständig der Stimmung unter den Sachsen
jener Zeit, wenn Michael Albert in seinem Trauerspiele^
„Harteneck" den Bürgermeister von Hermannstadt gehobenen
Herzens sagen läßt:
„Der Türkenkriege Feuer ist erloschen,
Des langen Brandes dunkles Rauchgewölk
Trieb über die Gebirge dort der Sturm,
Erregt vom Flügelschlag des Doppelaars.
Nach Frieden sehnten wir, nach Ordnung uns
Wie nach dem Heiraatstrand der weitverschlagene,
Auf wildem Ozean verirrte Schiffer.
Der Stern, der uns in Stürmen aufgegangen
Und der die Bahn uns zeigt zum Rettungsstrand,
Ist unser Kaiser,"
* Möckel, Die Durlacher und Hanauer Transmigranten in Mühlbach,
Mühlbacher GymnasialproRramm 1884.
■? Hermannstadt 1886. Über Alberts Leben und Dichten vgl. Archiv
des Ver. f. sieb. Landesk. N. F. XXVHI. S. 237 ff.
58 Die deutschen Besiedlungen SiebenbQrgens in älterer und neuerer Zeit.
So gebot denn auch die Staatski agh ei t den Teil der sieben-
börgischen Bevölkerung, auf den sich die österreichische Regierung
am meisten verlassen konnte, durch Zuwanderungzu stärken. Dies
geshah, indem zunächst deutsche Ansiedler aus Ober- und Inner-
österreich nach Siebenbürgen geleitet wurden. * Es war der Wille
des Kaisers Karl VI. und der Kaiserin Maria Theresia, daß in den
österreichischen Alpenländern Glaubenseinheit herrsche. Sie
mußten daher das abgeben, was sich solcher Einheit nicht
fügen wollte, die Protestanten. Durch die Gegenreformation
war das Luthertum in den Alpenländern nicht ausgerottet. In
abgelegenen Alpentälern, in dem oberösterreichischen Salz-
kammergut, in Oberkärnten und Obersteiermark, hi^r namentlich
im Ennstal, auf der Ramsau und auf dem oberen Murboden,
hatte es sich erhalten. Luthers Lehre ging da in gar mancher
Familie vom Vater auf den Sohn über, wie die Lutherischen
Mücher, die an versteckten Orten aufbewahrt wurden. Das ist
die Zeit des Geheim protestantismus, der sich zunächst ziemlich
unbehindert fortpflanzen konnte. Als es jedoch in dem
Fürsterzbistum Salzburg (1731) zu der großen Ausweisung
der Protestanten gekommen war, da hielt es auch die öster-
reichische Regierung für geboten, schärfere Maßregeln gegen
das Luthertum zu ergreifen. Zunächst sollten alle Mittel in
Anwendung gebracht werden, die Abtrünnigen zum katholischen
Glauben zurückzuführen. „Die hartnäckigsten und verstocktesten
Irrgläubigen" aber, an denen eine Bekehrung nicht möglich
sei, sollten nach Ungarn und Siebenbürgen überführt werden.
Dort waren sie dem Staate nicht verloren, vielmehr konnten
sie dort die Lücken in dem Stande der Bevölkerung ausfüllen
helfen und dabei doch ihres Glaubens leben. Namentlich iii
Siebenbürgen, das schon im XVI. Jahrhunderte eine Stätte
religiöser Freiheit war. Denn durch mehrere Landtagsbeschlüsse
waren hier die Evangelischen beider Bekenntnisse und sogar
die Unitarier den Römisch-Katholischen gleichgestellt. In dem
Leopoldinischen Diplome von 1691 hatte Österreich die alten
Rechte der vier „rezipierten Religionen" feierlich bestätigt.
Hatte das doch selbst der eifrig katholische General CarafFa
dem Kaiser besonders . empfohlen, da Siebenbürgen seine
Religionsfreiheit wie seinen Augapfel behüte und bezüglich
I Vergl. hiezu meine Abhandlung „Zur Geschichte der ev. Trans-
migration aus Ober- und InnerOsterreich nach Siebenbürgen** (und die dort
verzeichnete Literatur) im Jahrb. der Gesellsch, f. d. Gesch. d. Protest, in
Osterreich VlI, ferner Ilwof, Der Protestantismus in Steiermark, Kärnten,
Krain. Graz, 1900. . . . , , . ; .
Von Karl Reissenberger. 69
der Sachsen, die er „die Grundkraft Siebenbürgens" nannte,
beigesetzt, der Kaiser sollte ihre evangelische Religion, die
sie bereits in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts an-
genommen hatten, auf keinen Fall antasten. So waren die
Verhältnisse beschaffen, in welche auf Befehl Karls VI. und
seiner Tochter Maria Theresia die bei ihrem Glauben be-
harrenden Protestanten aus - Ober- und Innerösterreich ab-
geführt werden. Die erste Transmigration fand im Sommer
1734 aus Oberösterreich nach Siebenbürgen statt. Dieser
folgten im Jahre 1735 eine zweite und dritte. Zu derselben
Zeit wurden auch aus Kärnten mehrfach Züge von Protestanten
nach Siebenbürgen geleitet. In weiterem Umfange und mit
größerer Entschiedenheit ward die zwangsweise Verpflanzung
österreichischer Protestanten nach Siebenbürgen unter Maria
Theresia durchgeführt. Es entsprang das sowohl der Fürsorge
der Kaiserin für die neuer Besiedlung so bedürftigen Gegenden
ihres Reiches als auch ihrer streng katholischen Gesinnung.
Auch jetzt waren hauptsächlieh Oberösterreich und Kärnten
an den Transmigrationen beteiligt. Die kärntnerischen Aus-
wanderer stammten vornehmlich aus Himmelberg, Paternion,
Spital. Was Steiermark betrifft, berechtigt mich das Material;
das über die Transmigrationsgeschichte bereits veröffentlicht
ist sowie jenes, das ungedruckt aus hiesigen * und sieben-
bürgischen Archiven zu meiner Kenntnis gekommen ist, zu dem
Schlüsse, daß aus diesem Lande die wenigsten Protestanten
nach Siebenbürgen verpflanzt worden sind. Gewiß aber nicht
deshalb, weil hier das Luthertum weniger verbreitet war, da-
Siegen sprechen die auch in Steiermark planmäßig ergriffenen
Hekehrungsmaßregeln und die nach dem Erscheinen des Toleranz-
patentes in Obersteiermark sofort . entstandenen evangelischen
Gemeinden, sondeni weil hier, wie das schon Zwiedineck-
Südenhorst^ hervorgehoben hat, eine mildere Praxis herrschte.
Zudem fürchtete man — es ist mir das in den Akten wiederholt
begegnet — eine zu große Entvölkerung des Landes. Von den aus
Steiermark Abgeführten kam wohl ein Teil nach Ungarn, der
bei weitem größere jedoch — gegen 300 — nach Siebenbürgen.
* Mit Bewilligung Sr. Exzellenz des Herrn Statthalters Grafen Manfred
Gary und Aldringen konnte ich mi Herbste T905 in die bezüglichen Akten
des nun durch den Herrn kaiserl. Rat Dr. A. Kapper fachmännisch geordneten
iriesigen k. k. Statthilterei-Archives Einsicht nehmen. Eine abermalige Benutzung
dieses Archives im Frühling 1906 verdanke ich der Güte, des neuernannten
H^rrii Vorstandes .Dr. Thiel.
* Geschichte der religiösen Bewegung in InnerÖsterreich im XVHI.Jahrh.
A. f. ö. G. B. 53 S. 491..
60 Die deutschen Besiedlungen Siebenbürgens in älterer und neuerer Zeit.
In den Jahren 1752 bis 1772 erfolgten eine ganze Reihe
kleinerer Transmigrationen aus Steiermark, namentlich aus
dem oberen Ennstale und vom oberen Murboden. Aus
letzterer Gegend, besonders der Pfarre StadI, ging auch
die größte sieirische Transmigration aus, die in den April
des Jahres 1774 fiel. Damals griffen 152 Evangelische zum
Wanderstab; 9 waren schon im November des Jahres 1773
nach Siebenbürgen geführt worden und 17 aus derselben
Gegend folgten im Oktober 1776 nach.
In Siebenbürgen wurden die Ankömmlinge aus Österreich
in Hermannstadt, in dessen Umgebung und im Unterwalde,
aber auch sonst im Lande, sogar in dem entfernteren Kron-
stadt angesiedelt. Um von den Steirern im besonderen zu
sprechen, fanden diese in Hermannstadt, mehr aber in dem
benachbarten Neppendorf, in Mühlbach, Großpold und andern
Gemeinden des Unterwaldes ihre neuen Heimstätten. So er-
wähnt ein im hiesigen Statthai terei- Archive liegendes Dekret
der Kaiserin vom 28. Oktober 1752 die Abführung von
4 steirischen Transmigrantinnen aus Pürgg in den Mühlbacher
Stuhl. Die steirischen Transmigranten aus dem Jahren 1773
und 1774 wurden, so viel ich sehen kann, zumeist in Neppen -
dörf und Großpold^ untergebracht. Die sächsischen Stammes-
und Glaubensbrüder nahmen die neuen Landesgenossen freund-
lich auf und taten für sie, was sie tun konnten. „Ihr exem-
plarischer Lebenswandel erwarb ihnen allgemein Liebe und
Achtung", sagt der Kronstädter Chronist Michael Gottlieb
von Herrmann. 2
Wiederholt ist die Frage erörtert worden, wie sich die
Transmigranten in der neuen Heimat fühlten. Darüber liegen
von ihnen selber zweierlei Äußerungen vor, günstige und un-
günstige. Zu den ersteren gehört das Schreiben, worin die in
Siebenbürgen eben angekommenen oberösterreichischen Trans-
liiigranten im Jahre 1734 dem Kaiser für die Anweisung der
neuen Wohnsitze Dank sagen. Ich stimme dem verdienst-
vollen Verfasser der Geschichte des oberösterreichischen Bauern-
krieges'^ gerne bei, wenn er diesem wohl unter einem
gewissen Drucke zustande gekommenen Schriftstücke keine
besondere Beweiskraft beimißt. Anders fasse ich ater die
1 Bisher unbekannte Daten über Großpold verdanke ich dem Pfarrer
dieser Gemeinde, Herrn Bezirksdechanten E. Thullner.
2 Das alte und das neue Kronstadt, her. v. Ü. v, Meltzl I, S. 216.
3 Der Bauernkrieg in Qberösterreich, erzählt von einem Oberöster-
reicher (J. Strnadt), Wels 1902, S. 163, A. 207.,
Von Karl Reissenberger. ßl
Briefe auf, die von Transmigranten ganz aus eigenen Stücken
an ihre entfernten Verwandten abgesendet wurden. So schreibt
Paul Kaiser am 29. August 1734 u.a.: „Wie wir in Siebeii-
burgen in die evangelischen Örter gekommen, haben uns sowohl
weltliche als geistliche Herren mit Freuden empfangen und
höchst gnädig begäbet mit Geld, Brot, Fleisch, Wein, Bier
u, a. m.; haben auch Gott sei dank gute, eifris[e, evangelische
Regenten, die uns in geist- und weltlichen Schutz tragen tun
und auch einem jedweden nach seinem Stand und Vermögen
zu einem Haus helfen. Welcher ein Handwerk oder Kunst
kann, wird dazu aufgenommen» Wer aber eine Bauerschaft
oder Grund verlangt, dem helfen sie zu**. ^ Matthias Fischer
teilt seinen Brüdern unter dem q. September 1734 mit, daß
er sein Stückel Brot hier in Siebenbürgen reichlich zu ge-
winnen habe. Aber es gab auch solche, die mit ihrem Lose
nicht zufrieden waren. Heimweh machte sich wohl unter
den doch ganz fremden Verhältnissen geltend, vielfach auch
die Not. Mancherlei Klagen brachten Transmigranten aus
Siebenbürgen vor das corpus evangelicorum^ in Regensburg und
dieses leitete sie an die Kaiserin weiter, die sie allerdings der
Reihe nach als grundlos bezeichnete. In einer Entschließung
der Kaiserin vom 17, November 1753, die ich im Statthai terei-
Archive gefunden habe,^ eröffnet Maria Theresia der Re-
präsentation und Kammer in Steier, einige von denen, diie
nach Siebenbürgen abgeführt worden seien, hätten sich darüber
beschwert, daß ihre Häuser und Güter daheim nicht nach
dem wahren Wert verkauft, sondern von den Verwaltern an
deren Bekannte um einen wohlfeilen Preis dahin gegeben
worden seien. Die Weisungen, welche die Kaiserin gibt,
zeugen von ihrer auch sonst bewährten Gerechtigkeitsliebe
und Fürsorge. In einer anderen Entschließung (gleichfalls im
Statthalt erei- Archive) vom 22. Oktober 1753 lesen wir ähnlich,
wie sich Maria Theresia auch dem corpus evangelicorum
gegenüber geäußert, daß die Erhaltung der Transmigranten
in Siebenbürgen viel koste. Die Kaiserin hatte bezüglich der
Versorgung der Transmigranten gewiß die besten Absichten,
ob diese aber von den untern und untersten Beamten immer
genau ausgeführt wurden, das ist eine andere Frage. Jeden-
1 Ettinger, Kurze Geschichte der ersten Einwanderung von österr,
Glaubensbrüdern in Siebenbürgen. Hermannstadt 1835, S. 287.
* Zwiedineck a. a. O. S. 497 ff. Friedrich Reissenberger im Jahrbuch
der Gesellschaft f. d. Gesch. d. Protestantismus in Österr. XVII, S. 207 ff.
« Nun von mir im Korrespondenzblatt 1906, S. 8 f. veröffentlicht.
62 Die deutschen Besiedlungen Siebenbürgens in älterer und neuerer Zeit.
falls hat sich auch an diesen Kolonisten das Sprichwort erfüllt
„Aller Anfang ist schwer". Wenn man die Ausweise über
die Barschaften, die denselben nach dem meist schlechten
Verkaufe ihrer Habe in der alten Heimat und nach ver-
schiedenen Abzügen geblieben waren, überblickt, findet man
viel Armut. Sogar Beträge von 5, 3, l Gulden oder auch
gar kein Vermögen! Da war es ihnen denn keineswegs
leicht, in der neuen Heimat ein neues Leben zu beginnen.
Trotzdem möchte ich es nicht für zutreffend erachten, was
Ameth in seiner Geschichte Maria Theresias (IV, 52) sagt, daß
die Auswanderer „nicht selten im Elend versanken". Einige
Existenzen mögen in der Not des Lebens untergegangen sein.
Andere, verhältnismäßig nicht wenige, rafften das ungewohnte
Klima, vielleicht auch Epidemien bald dahin. Von den Steirem,
die im Jahre 1774 in Großpold und Neppendorf sich nieder-
ließen, ist gleich in der nächsten Zeit (1774 und 1775) eine
größere Anzahl gestorben. Nach Erlassung des Toleranz*
patentes (1781) war es den österreichischen Transmigranten
in Siebenbürgen gestattet, in die alte Heimat zurückzukehren.
Pfarrer Gletler in Stadl nennt in seiner Chronik,* die das
Steiermärkische Landesarchiv verwahrt, auch 6, die heim-
kamen, im ganzen sind es jedoch nicht viele gewesen, die
Siebenbürgen wieder verließen. Die aber dort blieben, haben
sich durch ihre Rechtschaflfenheit, durch ihren Fleiß und ihre
Ausdauer ehrlich behauptet. Nicht wenige Transmigranten-
Familien haben sich im Laufe der Zeit zu einer gewissen
Wohlhabenheit emporgearbeitet. Wenn heute (ich spreche da
aus unmittelbarer Erfahrung) Neppendorf und Großpold zwei
Gemeinden sind, auf welche das Sachsenland stolz ist, so ist
das den Transmigranten zu danken, die hier in besonderer
Stärke angesiedelt wurden. In diesen Gemeinden haben die
Österreicher auch ihre Mundart und teilweise ihre Sitten be-.
halten bis auf diesen Tag.
Während Maria Theresia evangelische Österreicher nach
Siebenbürgen überführen ließ, suchte sie auch auf andere
Weise dort ihren Besiedlungsplan zui* Ausführung zu bringen.
Merkwürdig mutet es uns heute an, daß sie in den letzten
Jahren des siebenjährigen Krieges unter -den in Österreich
zurückgehaltenen preußischen Kriegsgefangenen und Fahnen-
flüchtigen Umfrage halten ließ, wer von diesen sich gegen
Gewährung' wohlbemessener Begünstigungen auf einem der
1 Ich werde sie mit Erläuterungen und Ergänzungen aus dfen Akten-,
beständen des k. k.. Statthalterei-Archives an einem anderen Orte hera^isgeben.
Von Karl Rcissenberger. 6S
königlichen . Krongüter in Ungarn oder in einer sächsischen
Gemeinde Siebenbürgens niederlassen woUeJ Für diejenigen,
die sich meldeten, wurde ein „Versicherungsschein" ausgestellt.
Einer der erhalten gebliebenen Versicherungsscheine ist von
Graz datiert. Er lautet: „Nachdeme Christoph Göttling von
Magdeburg im Magdeburgischen gebürtig, 22 Jahre alt.
Lutherischer Religion, Leedigen Standes, ein Bökher seiner
Profession in Siebenbürgen sich ansässig zu machen erkläret
hat; So wird derselbe im Nahmen Ihro Kaiserlich-Königl.-
Apostolische Majestät hiemit versicheret, daß ihme nicht nur
zwei Dukaten auf die Hand gegeben, der bisherige Sold annoch
auf drey Monat continuiret, das freye Burger- und Meister-
Recht für ihn, und respective sein Weib zugestanden, von
allen Gaaben durch die erste fünf Jahre losgesprochen, sondern
auch dreyßig Gulden als die erste Aushülf zur Anhebung
seines Handwerks in loco seiner Ansiedlung abgereichet, nicht
minder dahin gesorget werden wird, daß er die zu seiner
Profession weiters erforderliche Aushülf einen Kredit erlangen
möge und wann er lieber auf ein Dorf als in eine Stadt
ziehen will so wird ihme nebst allen obigen annoch ein ge-
wisses Grundstück angewiesen werden. Wo übrigens ihme
sich zu verheurathen, als auch der Religions-Exercitium nach
Verfassung des Lands, in welchem er seyn wird, gestattet
werden solle. Zu dessen Urkund ist dessen gegenwärtiger
Versicherungsschein von mir hierzu verordneten Kommissäro
aus Allerhöchster KaiserL Königl. Vollmacht angefertigt worden.
Sig. zu Graz den Eylfften Juli 1761 L. S, Müllburg, N. Ö.
Regmts. Rath**'.
Von Steiermark gingen unter militärischer Bewachung
mehrere Züge über St. Gotthard, Ofen, Temesvar nach
Siebenbürgen ab. Auf diese Weise erhielt das Karpatenland
1500 neue Ansiedler. Ein glücklicher Griff war mit solcher
Besiedlung nicht geschehen. Daher hatten die Sachsen über
die neuen Landesgenossen auch keine besondere Freude.
Man findet das begreiflich, wenn man erfährt, daß der
kommandierende General von Siebenbürgen über sie berichtete,
es seien viele von ihnen liederlich und zur Arbeit nicht ge-
eignet. Diese ergriffen denn auch, nachdem das empfangene-
Geld vergeudet war, die nächste Gelegenheit, um über den
Nordosten Ungarns und Polen nach Preußen zu entweichen.
Auch bessere Elemente korinten sich in die Verhältnisse nicht
* Korrespondenzblatt, 1893. S. n6 ff, und 145 ff.
64 Die deutschen Besiedlungen Siebenbflrgens in alterer und neuerer Zeit.
finden und äußerten das Verlangen, heimzukehren. Die Ent-
lassung wurde ihnen auch gewährt, als nach dem Frieden von
Hubertsburg durch die Verabschiedung österreichischer Soldaten
die Arbeitsverhältnisse im Lande ungünstiger wurden. Nur
etwa 100 blieben im Lande und verschmolzen durch ihre
Verheiratung mit den Sachsen. Einer solchen preußisch-
sächsische Familie entsproß auch der am 29. März 1901 ver-
storbene Heinrich Wittstock, ^ ein edler Charakter, ein her-
vorragender, unermOdeter Arbeiter und Kämpfer für die Rechte
und Güter des sächsischen Volkes.
Aber auch vom Oberrhein '^ erhielt Siebenbürgen im
XVIII. Jahrhundert neue Ansiedler. Um die Mitte des Jahr-
hunderts (1747 — 1764) kamen die ersten aus dem Baden-
Durlacher Oberlande. Kriegsnot und dadurch hervorgerufenes
wirtschaftliches Elend zwang sie zur Auswanderung nach dem
Osten, die sich übrigens auch bis nach dem südlichen Rußland
erstreckte. Von 1770 folgten weitere Züge aus den Gemeinden
längs des Rheins in und bei dem sogenannten Hanauer Lande.
Häufige Überschwemmungen, Mißwachs und Teurung trieben
sie aus der Heimat. Sie wurden in Mühlbach und den be-
nachbarten Ortschaften Petersdorf und Deutsch Plan, aber
auch an andern Orten des Sachsenlandes, namentlich im
Mediacher Stuhl angesiedelt. In Mühlbach und wohl auch
sonst erhielten sie ohne Bezahlung Hofstellen, Äcker, Wiesen,
Anteil am Gemeinde wald und Weinberge.
Aus alemannisch-schwäbischem Sprachgebiete ist auch die
deutsche Einwanderung erfolgt, die sich im Jahre 1846 voll-
zog. 3 Schon im Jahre 1844 wurde von dem württembergi-
schen Ministerium in Wien angefragt, ob nicht württembergische
Landeskinder, die infolge der Übervölkerung daheim überflüssig
seien, in Ungarn und Siebenbürgen Unterkunft finden könnten.
Die sächsische Nation erklärte sich bereit, einige Landwirte
und Handwerker aufzunehmen. Namentlich der ersteren be-
durfte der neugegründete sächsische Landwirtschafts verein
für seine Zwecke. Es wurde jedoch die Bedingung gestellt,
daß die schwäbischen Einwanderer nicht mittellos seien. Die
Auswanderung ins Werk zu setzen, begab sich im Jahre 1845
St. L. Roth, einer der wackersten Männer Siebenbürgens,
i Vgl. über ihn den schönen Nachruf von Fr, Teutsch im Archiv
d. Ver. f. sieb. Landesk. N. F. XXXll. S. 205.
* Badische Landeszeitung vom 22. März 1889; Korrespondenzblatt
1889, S. 40 flf. Möckel a. a. O.
3 Czömig, Ethnographie der österr. Monarchie III, S. 89 ; Milner, Schwäbi-
sche Kolonisten in Ungarn. Berlin 1880; K. Obert. St. L. Roth 1. Wifen 1896.
Von Karl Reissenberger, '65
einst ein Lieblingsschüler Pestalozzis, jetzt evangelischer Pfarrer
zu Niemesch, nach Stuttgart, wo er einen Aufruf erjieß, dem
ich die folgenden Stellen entnehme: „Der Unterzeichnete isjt
aus Siebenbürgen hieher gereist, um Auswanderungslustige in
sein Vaterland einzuladen, und zwar ins Sachsenland, wo keine
Untertänigkeit herrscht, sondern freies Bürgertum. Das L^nd
hat große Ähnlichkeit mit dem guten Schwabenland und alles,
was hier gebaut wird, gerät dort auf das vollkommenste;
denn der Boden ist fetter und die Witterung etwas milder.
Weizen, Welschkorn und Wein sind Haupterzeugnisse. Grund
und Boden sind wohlfeil und der Ankauf ist leicht zu be-
werkstelligen, weil von seinen Gründen jeder Bauer so viel
oder wenig verkaufen kann, als er Lust hat Die evangelische
Kirche ist eine der vier Landeskirchen. Es gibt kein deutsches
Dorf, kein einziges, wo nicht Kirchen und Schulen seien.
Holz kaufen die Landleute an den wenigsten Orten. Die Luft
ist gesund und auch das Wasser; nur schmeckt der feurige
und wohlfeile Wein einwandernden Deutschen gewöhnlich zu
gut, woher sich der böse Leumund von Gesundheit herschreiben
mag Die Abgaben sind mäßig; die Landeskonstitution ist
freisinnig. Alle sächsischen Beamten sind Ausdruck des Volks-
willens, weil sie, die Geistlichen nicht ausgenommen, vom
Volkswillen gewählt werden." Dieser Aufruf verfehlte die
Wirkung nicht. Nach einem i^usweise, den der siebenbürgisch-
sächsische Landwirtschaftsverein in seiner am 6. Juni 1846
zu Mühlbach abgehaltenen Jahresversammlung gab, waren bis
Ende Mai dieses Jahres 307 Familien mit 1460 Köpfen in
Siebenbürgen eingewandert, 116 Familien brachten ein Ver-
mögen von 57.582 fi. mit. Sie wurden in die südlichen,
sächsischen Stühle eingeteilt, wo für sie, die meist ordentliche
Menschen waren, soviel als möglich geschah. Mißlich jedoch
war, daß verhältnismäßig zahlreiche Einwanderer ganz mittellos
waren und entweder vom Handwerk oder vom Taglohn leben
wollten. Auch kamen mehr, als man aufnehmen konnte. So sah
sich die Regierung genötigt, die Bedingungen der Zulassung zu
erschweren, infolgedessen die Auswanderung nach Siebenbürgen
bald aufhörte. Ja, es blieben nicht einmal alle, die gekon\men
waren. Diese deutsche Einwanderung kann nicht als geglückt
bezeichnet werden und derjenige, der sie so sehr betrieben hat
— mag mir gestattet sein, das noch beizufügen — St. L. Roth,
ist nachher als Märtyrer der österreichischen und deutschen
Sache am 11. Mai 1849 gestorben, auf der Zitadelle von
Klausenburg, von den ungarischen Aufständischen erschössen.
66 Die deutschen Besiedlungen Siebenbürgens ih Älterer und neuerer Zeit.
Die Schwabeneinwanderung war die letzte deutsche Be-
siedlung Siebenbürgens. Unter den gegenwänigen politischen
Verhältnissen wäre eine neue auch nicht mehr möglich. Da-
gegen hat das siebenbörgische Deutschtum in den letzten
Jahrzehnten durch Auswanderungen eine gewisse Einbuße
erfahren. * Das Ziel derselben ist namentlich ein zweifaches :
Rumänien und Amerika, die Ursache sind Sorgen um die
materielle Existenz. Seitdem der Zollkrieg zwischen Österreich-
Ungarn und Rumänien seinen Anfang genommen, ist das
Gewerbe in den sächsischen Städten, wo es in frühern Zeiten
so sehr geblüht, in stetem Niedergange begriffen. Nicht wenige
Gewerbsleute haben es drum vorgezogen, der Heimat zu ent-
sagen und sich in dem bisherigen Absatzgebiete niederzulassen,
wo für sie das Handwerk wieder einen goldenen Boden zu
gewinnen schien. Trotz dieser Abgänge ist das deutsche
Volkstum in Siebenbürgen noch über 200.CXX) Seelen stark.
Allerdings eine kleine Schar, die aber treu an dem
festhält, was sie an volkstümlichem Gute von den Vätern
ererbt hat. An die alten Rheinfranken haben sich die späteren
deutschen Einwanderer eng angeschlossen. Sie fühlen sich
alle eins und wollen eins bleiben. Von ihnen insgesamt gelten
darum die Worte ihres heimischen Dichters :^
„Dem König Treue ohne Wank und Wandel,
Dem Land, dem Boden Treue immerdar,
Und Treue immerdar dem eignen Volke,
So lang uns Gott läßt dauern hier im Lande!"
1 Schuller, Volksstatistik der Siebenbürger Sachsen bei Kirchhoff a.
a. O. Rechenschaftsbericht Ober die Amtswirksamkeit des neunten Landes-
Konsistoriums. Periode 1899 — 1903. Hermannstadt 1903- Ein neuer Rechen-
schaftsbericht mit neuen Daten dürfte in diesem Jahre erscheinen. Einen
vorlSufigen äiesbezOglichen statistischen Ausweise für das Ende des Jahres
1905 brachte jüngst — augenscheinlich aus sicherer siebenbürgischer Quelle —
die „Kölnische Zeitung" und daraus die Grazer „Tagespost" im Morgenblatt
vom 10. April 1906.
* Michael Albert, Die Flandrer am Alt. Hermannstadt 1883.
Wallenstein und die deutsche Armee-
sprache.'
(Hiezu eine Karte und eine genealogische Tabelle.)
Wallenstein, der Begründer des modernen Heeres, zählt
mit Recht zu den Geistesriesen der europäischen Kultur-
welt. Seine Leistungen als Feldherr und Staatsmann sind zum
Gemeingute aller Gebildeten geworden und je größer die
Strecke wird, die den gewaltigen Mann von uns zeitlich trennt,
desto magischer zieht uns seine Persönlichkeit an.
Der Friedländer stammte aus wohlhabender Familie.
Frühe verlor er die Eltern, er mußte somit bald lernen, auf
eigenen Fußen zu stehen. Sein Oheim Albrecht Slavata ließ
ihn verschiedene Universitäten des In- und Auslandes besuchen,
den Abschluß der Studienzeit bildete eine Reise durch Deutsch-
land nach Frankreich, Spanien, England und Holland. Dabei
erreichte Wallenstein das 21. Lebensjahr. Zu Hause angelangt,
bot sich ihm eine Gelegenheit, Polen, Ungarn und Sieben-
bürgen im Fluge kennen zu lernen. 1603 schickte Kaiser
Rudolf II. aus Böhmen und Mähren einen Staffel Soldaten
nach Siebenbürgen, wo im Augenblicke alles drunter und
drüber ging, da sieben bis acht Parteien sich bemühten, die
ephemere Würde eines Großfürsten zu erlangen. Wallen-
stein bekam ein Hauptmannspatent. In moderne Begriffe über-
tragen, war Wallenstein Eskadronskommandant. Als solcher
gelangte er durch Polen und Oberungarn nach Siebenbürgen.
Was er nun da sah an politischen und militärischen Kämpfen,
waren die letzten Zuckungen einer Geistesrichtung, welche
planmäßig die Zertrümmerung Ungarns vorbereitet und —
man muß sagen — mit großem Geschicke ins Werk gesetzt
hatte. Diese Geistesrichtung ist umso erstaunlicher, wenn man
sich vergegenwärtigt, wie ungeheuer groß der Einfluß Ungarns
um die Mitte des XIV. Jahrhunderts war. Der Ungarkönig
Ludwig d. Gr., aus dem Hause Anjou hervorgegangen,
herrschte nicht nur über Ungarn, sondern auch im Wege
* Nach einem Vortrage, gehalten im Leo-Vereine zu Wien am 26. Fe-
bruar 1906.
5*
68 Wallenstein und die deutsche Armeesprache.
einer Personalunion über das räumlich noch größere König-
reich Polen. Durch Polen wieder waren zugleich Beziehungen
angebahnt, welche später für Ungarn eine Personalunion mit
den Ländern der Wenzelskrone ermöglichten.
Die Zertrümmerung Ungarns erfolgte teils aus inneren
Ursachen, teils durch äußere Ereignisse. Die inneren Ursachen
waren gegeben durch die soziale Struktur des Staates, die
äußeren Ereignisse brachte das rollende Zeitenrad in Gestalt
der Osmanen. Ein Haufe fanatisierter Asiaten brachte sich
in erstaunlich kurzer Zeit derart zur Geltung, daß man ihnen
den Rang einer europäischen Großmacht zuerkennen mußte.
Um die Mitte des XIV. Jahrhunderts längsten die Osmanen,
aus Kleinasien kommend, gegenüber von Konstantinopel an.
Noch stand unversehrt in seinem Glänze das oströmische
Kaisertum, noch herrschte das stolze Byzanz uneingeschränkt
über den nach ihm benannten Kulturkreis. Konstantinopel zu
erobern, war, wie die Dinge lagen, nicht gut möglich, die
Sultane warfen sich daher vorerst auf das Gebiet von Thrazien
und Ostrumelien. Wider Erwarten glückte gleich der allererste
Versuch derart, daß der Padischah 1361 in Adrianopel seine
Residenz aufschlagen konnte. Von hier aus nahm die osma-
nische Hochflut ihren Siegeslauf.
Die Art und Weise, wie die Türkenherrschaft um sich griff,
verdient selbst heute Bewunderung. Hinter sich das Meer,
vor sich das öde und unwegsame Balkangebirge, tastend und
suchend breiteten sich die Türken aus. Die Karte ermöglicht,
das Vordringen der Osmanen graphisch darzustellen. So sehen
wir, daß bald darauf (1382) die Türken schon Sofia in
Besitz genommen haben.
Am Nordabhange des Balkangebirges stellen sich den
Türken zwei Gegner entgegen, die Serben und die Bulgaren.
Mit den Serben werden die Türken fertig in der ersten Schlacht
am Amselfelde (1389) mit den Bulgaren werden sie ohne wesent-
liche Kämpfe fertig, die Hauptstadt Tirnova wird (1393) türkisch.
Angesichts dieser Erfolge erklärt sich das lateinische
Europa, der römische Kulturkreis, solidarisch mit den Byzan-
tinern und es rückt ein Kreuzfahrerheer nach dem Balkan ab.
Bei Nikopoli kommt es zu einer Schlacht (1396), die Türken
bleiben wieder Sieger und wohl oder übel müssen sich die
Nachbarn damit abfinden. Die türkische Herrschaft war aber
ein Schreckensregiment. Zu Hunderten und Tausenden wurden
die Christen der eroberten Länder abgeschlachtet wie die
Kälber. Wer am Leben bleiben wollte, hatte die Wahl, ent-
Von Ferdinand Slrobl v. Ravelsberg. 69
weder Türke zu werden oder auszuwandern. Bei den mannig-
fachen Beziehungen, die zwischen Ungarn und Konstantinopel
bestanden, war es eine logische Folge, daß nun ein Strom
von Auswanderern in Ungarn Schutz und Sicherheit suchte.
Der leitende Staatsmann in Ungarn, Johann Hunyady, griff die
gegebenen Anregungen auf und eröffnete, moralisch wie
materiell durch Papst Eugen IV. unterstützt, einen Feldzug gegen
die Türken. Das Unternehmen verschlang enorme Geldsummen,
kostete sehr viele Menschenleben, hatte aber nicht den
mindesten Erfolg. Einen Offensivstoß vollführte Johann
Hunyady im Sommer 1443 über Belgrad, Nisch, Sofia bis
Philippopel. Man machte Beute und trat dann den Heimweg an.
Im nächsten Jahre ging der Offensivstoß, dem nun auch der
blutjunge König Ladislaus beiwohnte, über Orsova und Widin
entlang der Donau nach Varna Hier kam es 10. November
1444 (wie 1792 bei Valmy) mit verkehrten Fronten zur
Schlacht, wieder blieben die Türken Sieger. Der junge König
fiel im Getümmel. Der dritte Offensivstoß, im Sommer 1448
unternommen, fand in der zweiten Schlacht am Amselfelde
sein Ende. Johann Hunyady brachte von seinem Heere kaum
30 Personen zurück.
Nach solchen Erfolgen mußte den Türken der Kamm
wachsen. Einen längst gehegten Wunsch ausführend, warf
sich der Padischah 1453 auf Konstantinopel und eroberte die
Stadt. Das oströmische Kaisertum verschwand nun von der
Landkarte und Konstantinopel wurde fortan Residenzstadt der
Sultane. Mit der Stadt nahmen die Sieger eine Menge italie-
nischer, insbesonders venezianischer Elemente in sich auf. Aus
diesen Renegaten holte sich das Türkentum seine besten
Staatsmänner und Feldherren, ja seihst eine Sultanin ging aus
diesen Kreisen hervor.
Das Aufsaugen der benachbarten Länder ging nun rasch
und ohne wesentliche Anstrengungen vor sich.
1459 wurde Serbien unterworfen, hierauf folgte 1463
Bosnien und endlich 1465 die Herzegowina und Albanien.
Bis zur Donau waren somit alle Balkanstaaten unter
türkische Herrschaft gelangt. Der Versuch, auch nördlich der
Donau festen Fuß zu fassen, stieß aber auf erhebliche Schwie-
rigkeiten. Walachei und Moldau besaßen soviel innere Wider-
standskraft, daß es den Sultanen erst 1511 gelang, im Wege
von Verträgen diese Länder sich dienstbar zu machen. Walachei
und Moldau wurden durch eigene Fürsten regiert, die Pforte
sorgte aber dafür, daß von staatlicher Unabhängigkeit nicht
viel zu verspüren war.
70 Wallenstein und die deutsche Armeesprache.
Unter Sultan. Soliman IL und dessen Nachfolgern wurde
nun die Zertrümmerung Ungarns in Angriff genommen, inner-
halb von 80 Jahi-en gelang das Werk.
1521 ließ Soliman die Festungen Belgrad und Sabac
erobern. Beide Plätze hatte Serbien früher den Ungarn ver-
tragsmäßig übergeben in der Erwartung, daß man sich der
Sache annehmen werde. Die Kommandanten nahmen zwar die
jährlich ausgeworfenen Geldsummen in Empfang, verpraßten
aber das Geld. Eine Deputation kroatischer Eddleute begab
sich nun eiligst zu Kaiser Karl V. und Agram bekam
spanische Landsknechte.
1524 erwarben die Türken das Banat Macs 6.
152-^ kam die Katastrophe von Mohäcs. Nach errungenem
Siege behielten die Türken den Landstrich zwischen
BelgradundEssek.
1528 besetzten sie Pozega.
Nun kam Wien an die Reihe; 1529 erschien Soliman
zur ersten Türkenbelagerung, ohne aber seinen Zweck zu er-
reichen. Dasselbe war 1532 der Fall, als er bei Güns erfuhr,
das deutsche Reichheer sei in Baden und St. Polten eingetroffen.
Unverrichteter Dinge marschierte Soliman nach Hause zurück.
Knapp vor der Katastrophe von Mohäcs hatte sich Johann
Zäpolya, damals Wojwode von Siebenbürgen, unter türkische
Oberhoheit gestellt. Unmittelbar nach der Katastrophe ließ
sich Zäpolya zum König von Ungarn ausrufen. Soliman setzte
ihm einen Vormund zur Seite, den Italiener Gritti. Dadurch
kam Siebenbürgen in dasselbe Abhängigkeitsverhältnis wie die
Walachei und die Moldau, fortan führte hier die Pforte das
entscheidende Wort.
Johann Zäpolya starb 1540. Nun jeder Rücksicht ent-
bunden, setzte der Padischah 1541 in Ofen einen Statthalter
ein, Namens Suleiman Pascha, Ungar von Geburt und zweifels-
ohne ein Mann von großen Verdiensten sowie erprobter Treue.
Der türkische Statthalter schafft Raum, 1543 fällt der Land-
strich östlich und westlich der Donau in türkische Hände.
Große Vorteile brachte den Türken der Feldzug von
155 1/2, sie eroberten das Gebiet von Temesvär, Veszprim,
Fülek, Auch Erlau hätte genommen werden sollen, doch
leistete die Stadt so hartnäckig Widerstand, daß die Türken
ihr Vorhaben aufgeben mußten. Dem Padischah war der Besitz
von Erlau notwendig ; so lange das Loch da oben offen blieb;
war das Türkenreich gegen Westen nicht abgeschlossen.
Soliman beschloß 1556, in eigener Person vor Erlau zu
rücken. Sein Vortrab passierte die Drau bei Essek, wurde
Von Ferdinand Stroblv. Ravelsberg. 71
unvermutet durch Niklas Zrinyi rmgefallen und der KHeg^as»^
beraubt. Dartiber erbost, wendete sich d^r Sultan gegen S^iget.
Mit dem Falle dieser VQste .kam der angrenzende Landstrich
-in türkische Gewalt.. ; -
Dank . einer 'weitausgreifenden und mit z^her Ausdauer
verfolgten Politik ; hatte .SoKman s^in Ziel fast vollständig, er-
reicht. Binnen 35 Jahren war der größte. Teil Ungarns in
seiner -Gewalt. D^tf Nachfolgern blieb wenig Arbeit übrig.
1592 fällt Bihac, 1596 wird Erl^u erob'ert;
1600 fällt Kanizsa.
Nun wir die äußeren Ereignisse kennen, wollen wir den
inneren Ursachen näher treten, wobei aber das Bild nur in
sehr knappen Umrissen gezeichnet werden soll. Ludwig d. Gn
hinterließ bei seinem Tode zwei Töchter. Die ältere Würde
Erbin des Königreiches Ungarn, die jüngere bekam das König-
reich Polen. Staatsrechtlich war somit die Personalunion er^
loschen, die persönlichen Beziehungen ^yirkten ^ber noch lange
und derart kräftig nach, daß bald wieder eine solche Perspnal-
union zustande kam. Für die eigenartige Logik, die m^n da-
mals bei der Anerkennung von Erbrechten beobachtete, kann
die genealogische Übersicht als Wegweiser dienen. Näher ein-
zugehen, verbietet der Mangel an Raum.
Aus der inneren Struktur der dynastischen Verbindungen
sproßten zur Zeit Wallensteins die Keime .und Triebe natur-
gemäß überaus lebhaft hervor, das gesamte öffentliche Leben
empfing von da aus die mannigfachsten Anregungen, Die da-
mals übliche Wehrverfassung verfolgte Wallenstein mit regem
Interesse. Nachdem er Siebenbürgen verlassen hatte, wohnte er
in Oberungam einer Musterung bei und sein scharfer Blick
erkannte bereits, wo der Sitz des Übels zu suchen war,
1606 befand er sich in der Veste Gran, die durqh Dampierre
verteidigt werden sollte. Die Besatzung meuterte und Daippierre
mußte den Platz den Türken übergeben. Dann kam der
Friedensschluß zu Wien, Wallenstein begab sich auf s^ne
Güter in Böhmen. Durch den Tod seines Oheims Slavata fiel
ihm eine so große Erbschaft zu, daß man Wallenstein zu den
reichsten Kavalieren der Wenzelskrone zählen mußte.
Der 1616 ausbrechende Uskökenkrieg brachte Wallen-
stein in die Gegend von Gradiska. Wieder war er nur Haupt-
mann, das Getriebe im Hauptquartiere beobachtete er aber
weit nüchterner, als zehn Jahre zuvor. Der kaiserlichen Truppen;
die da gegen die Republik Venedig fochten, waren zwar nicht
viele, aber Vertreter all^r Nationen konnte man hier finden;
Spanier und j Italiener, Niederländer und Fran^oseti; Deutsche
^Ö Wallenstein und die deutsche Arraeesprache.
aus dem Reiche, Kroaten, Steirer, Kärtner, Krainer. Dank den
Privilegien, die jeder Heereshaufen ausüben durfte, wurde
eigentlich nichts geleistet. Nicht an Ort und Stelle im Felde
wurden die Entscheidungen getroffen; der oberste Heerführer
mußte immer einen Kurier nach Prag schicken, wenn ein
Zwischenfall eintrat, der bei Beginn des Krieges nicht ver-
mutet worden war.
An den Ereignissen in Böhmen, welche das Jahr 1618
brachte, nahm Wallenstein nicht teil. Die Motive der böhmi-
schen Herren kennend, die mit Waffengewalt Böhmen wieder
in ein Wahlreich verwandeln wollten, stellte sich Wallenstein
auf die entgegengesetzte Seite, er errichtete auf eigene Kosten
ein Kürassierregiment und verfocht mit Nachdruck die Sache
des Kaisers. Der Schlacht am Weißen Berge, 3. November 1620,
brachte den Verteidigern der Erbmonarchie militärisch einen
Sieg, der dann sofort auch auf das wirtschaftliche Gebiet ver-
pflanzt wurde. Eine ausg^iebige Güterkonfiskation fand statt.
Wallenstein allein kaufte 60 Herrschaften.
Auf den europäischen Kontinent übte der Prager Fenster-
sturz dieselbe Wirkung aus, wie 1848 der Fall der Bourbonen
in Frankreich, mit dem Unterschiede jedoch, daß die Revo-
lution damals durch 30 Jahre die Welt in Atem hielt. Von
allen Seiten bedrängt, sah sich Kaiser Ferdinand I. schon 1625
außerstande, den Stürmen Trotz zu bieten. Kein Geld, keine
Soldaten, kein Feldherr — es war ein Ringen um Leben oder
Tod. Wallenstein machte sich erbötig, 50.CXX) Mann auf die
Beine zu bringen, ohne daß die Hofkammer einen Pfennig zu
zahlen brauchte.
Nach damaligen Begriffen war dies jedoch eine Leistung,
die ein Einzelner nicht vollführen konnte. Um 50.OOO Mann
aufzubringen, mußte der Kaiser die Kurfürsten^ die Reichs-
grafen, die Vertreter der Reichsfreiherren und Ritter, die Ab-
gesandten der Reichsstädte einberufen und in wochenlangen
Beratungen das erforderliche Geld ausfindig machen. Unter
der eisernen Not verstand sich der Kaiser zur Erlaubnis, daß
Wallenstein die Hälfte des Kontingents, also 25.OOO Mann,
aufbringen durfte.
Im Besitze dieser Erlaubnis suchte nun Wallenstein die i
ihm passend erscheinenden Männer. Freunde und Verwandte ''
wurden seine Oberste. Militärische Tüchtigkeit allein war noch
keine Empfehlung; Wallenstein sah mehr auf die Gesinnung.
Er machte sich so zum Haupte einer Verbindung, die ihm schon
deshalb anhänglich sein mußte, weil unter seiner Führung
nicht nur Ruhm und Ehre, sondern auch materielle Güter zu i
k
rungen
Zeich en -Erklärung:
^1543
1551-52
1592
Von Ferdinand Strobl v. Ravelsberg. 73
erwerben waren. Sein Heer, das nur durch einen einzigen
Willen beseelt wurde, erwies sich naturgemäß stets als das
stärkere und zuverlässigere. Von selbst stellte sich Vertrauen
zur obersten Führung ein und mit dem Selbstgefühle des Ein-
zelnen wuchs auch die Leistungsfähigkeit der Masse.
Im Gegensatze zu früher, wo der oberste Feldherr keinen
Angriff unternehmen durfte, ohne vorher Kriegsrat abgehalten
zu haben, wurde es nun Sitte, über Pläne und Absichten
möglichst wenig verlauten zu lassen. Wallenstein duldete keine
Vertraulichkeiten, er zeigte sich gewiß mit Absicht nur sehr
selten. Der mystische Zug, der seine Persönlichkeit umwob,
das Ernste, das Geheimnisvolle in seinem Auftreten war wohl
die Hauptursache, daß man sich vor ihm zu fürchten begann.
Er verstand glänzend zu belohnen, er verstand aber auch
fürchterlich zu strafen. Ein gigantischer Geist, war Wallenstein
wie Napoleon I. nicht zu biegen, nur zu brechen.
Geht man die Namensliste der Oberste durch, welche im
Heere Wallensteins dienten, so hat man Vertreter aller Na-
tionen vor sich. Es dienten Spanier, Franzosen, Niederländer
und Italiener; es dienten Schotten und Iren; es dienten
Nord- und Süddeutsche; es dienten Kroaten, Böhmen,
Polen, Mährer und Schlesien Sich hier allgemein ver-
ständlich zu machen, gab es nur einen Weg: man
schuf eine gemeinsame Umgangssprache für die Oberste. Im
Privatleben hat der Einzelne zweifelsohne seine Muttersprache
angewendet, Deutsch zu lernen war aber nicht zu umgehen,
weil das, was wir heute „Dienstgang" nennen, auf deutsche
Grundlage gestellt war. Deutsch waren die Bestallungen für
die Oberste, deutsch die Kriegsartikel, deutsch die Muster-
register. Der Musterschreiber mußte allerdings neben dem
Kanzleideutsch auch die Sprache der Leute beherrschen, die
dem Regimente angehörten.
Wallensteins Schöpfung ist mit seinem Tode nicht unter-
gegangen. Den Grundstock seiner Reformen hat man beibe-
halten, einzelne Bruchstücke bestehen ja selbst heute noch,
weil man eben nichts Besseres an deren Stelle zu setzen
weiß. Sein geistiges Vermächtnis läßt sich mit einem einzigen
Worte abtun: Einheit. Je größer ein Heer ist, das irgendwo
und irgendwann zur Verwendung gelangen soll, desto not-
wendiger ist eine einheitliche Leitung.
Ferdinand Strobl v. Ravelsberg.
Genealogische
der Häuser Anjou in Ungarn, Jagello in Polen, Böhmen vlxh
Regentenreihe in Siebenbürgen:
Johann Zapolya, vgl. Nr. l6 1526" bis 21./7. 1540.
Siegmiind Zapolya „ „ 23 .1540 n U./3. 1571.
Stephan Bäthory „ „ 17 ...... . 1571 » 1576.
. Christoph Bathory „ „ 17 ...... . 1576 „ 1581.
Siegmund Rathory „ „ 25 1581 1602.
Stephan Bocskay 1604 „ 29./11. 1606,
Gabriel Bdthory vgl. Nr. 24 ..... . 1608 ^ ll./io. 1613. .
Gabriel Bethlen 1613 „ 5/ll. 1629.
Töchter Königs Ludwig I. von Ungarn :
1. Marie, 1370, f 1395. verm.
1385 mit Mgfn. Sigismund von
Brandenburg, 1368, f 1437.
Dessen Tochter unter Nr. 3.
2. Hedwig, 1371, t 1399.
verm. 1386 mit Wladislaw II.
Jagiello, 135.. t 1434. Dessen
Söhne unter Nr. 4 u. 5.
3 Elisabeth, 1394. t 1442.
verm. 1422 mit Albrecht von
Österreich, 1 399, f 1439- Dessen
Kinder unter Nr. 6 u. 7.
4. Wladislaw III., I423,
f 1444 bei Varna.
5, Ka.simir IV., 1427. 1 1492.
verm. 1454 mit teiner Cousine
Elisabeth (vgl. Nr. 6), 1439,
f 1505. Deren Kinder unter
Nr. 8 bis 11.
Regentenreihe für Böhmen:
Wenzel IV.- 1378 bis
Sigismund, vgl. Nr. l 1420 „
Ladislaus ., ^ 7 1453 „
Georg von Podebrad 2./3. 1458 „
Wladislaw, vgl. Nr. 8 1471 »
Ludwig „ „13 1516 „
Dann wie Ungarn.
1419.
1437.
1457.
1471.
13./3. 1516.
28./8. 1526.
22./3.
6. Elisabeth, I439, + 15
verm. 1454. mit ihrem Vet
König Kasimir IV. (vgl. Nr.
7. Ladislaus Posthumus, 14.
t 1457.
8. Wladislaw, 1456, + 15
verm. 1 502 mit Anna von K'
dale, 14.., t 1506 im Woch-
bett. Deren Kinder unter Nr.
und 13.
9. Johann Albrecht, 14^
t 1501.
10. Alexander, I461, + 15<3
1 1. Sigismund I., 1467. + 15-^
verm. a) 1512 mit Barbara %
polya, 1489. t 1515. Der
Kinder unter Nr. 13 u. I^
b) 1516 mit Bona Sforza, 14G
t 1557, vergiftet. Deren Kindi
unter Nr. 15 bis 17.
Regentenrethe in Ungarn:
Marie, vgl. Nr. 1 17./9. 1382 bis
dann ihr Gemahl 31. /5. 1387 bis 9./12. 1437.
Albrecht als Gemahl Elisabets, vgl. Nr. 2 .
Ladislaus IVi, vgl. Nr. 4
Regentschaft Johann Hunyady
Ladislaus V., vgl. Nr. 7
Matthias Corvinus (Sohn des Hunyady) . . .
Ladislaus, vgl. Nr. 8
Ludwig II., vgl. Nr. 13
* Ferdinand I. als Gemahl Annas, vgl. Nr. 12
Max II., vgl. Nr. 19
Rudolf IL, vgl. Nr. 26
Matthias, vgl. Nr. 27
Ferdinand IL, vgl. Nr. 29
* Sein Gegenkönl); Johann Zapolya, vgl. Nr. 16, 1536 bis 1540
1385.
l./l.
1438
n
1439.
<
1440
„20./11.
1444.
1444
n Juli
1456.
Okt.
1456
„23./II.
1457.
i
24./ 1.
1458
» 6./4.
1490.
15./6.
1490
^ 13./3.
1516.
1516
„ 29./8.
1526.
ü
1527
« 25./7.
1564.
1564
»12./ 10.
1576.
^
1576
„ 20./1.
1612.
1612
„ 20./3.
1619.
►40-
1619
« 15./2.
1637.
1
1
i
Übersicht
■XJngsLvn, Wasa in Schweden und Habsburg in Österreich.
k|2,Anna, 1 503, 1^543. verm.
1^1 mit Ehg. spät. Kaiser Fer-
jUnd I., 1 503. t ^ 564 Deren
'r der unter Nr. 18 bis 21.
f-l. Ludwig II,. 1 506, f 1 526
iMohacs, verm. 1521 mit sei-
_ Schwägerin, Ehgin. Marie
Oü Österreich, 1505, f 1558.
*^4. Katharina,- 151., f 1583.
EpTB. mit Johann- III., Wasa,
t *;ig von Schweden , f 1 592.
|cs»n Sohn unter Nr. 22.
W-i^.Sigismund August II., 1520,
?572, verm. a) l543m.Ehoin,
isabeth (vgl. Nr. 18), 1526,
t 1540; b) heimlich 1545 und
Ö^'^pntlich 1548 mit Barbara Rad-
filWl, verw.Trocka, ...., f 1551,
M Veranlassung ihrer Schwie-
^utter (vgl. Nr. 1 1 b) vergiftet ;
JN^553 und geschieden 156? mit
£ ^. Katharina (vgl. Nr, 20),
^t 1550 verwitw. Hgin. Gon-
>3a» 1633, t 1572.
^,16. Isabella, 1522, f 1559.
*4rm. 1539 mit ihrem Oheim
'obann Zipolya (des Ferdinand I.
Jögenkönig m Ungarn), 1487,
!• 1540. Dessen Sohn unter Nr. 23.
^7. Anna, 1524, f 1596, verl.
1573 mit Heinrich III., Valois
^.ter Wahl'könig von Polen);
Verl. 1575 u. verm. 1576 mit
Stephan Bathory (zweiter Wahlr
könig von Polen), 1534, f 1586.
'Ö'sscn Sohn unter Nr. 24. Chri-
stoph Bathory (d.StephanBathory
b»der) wurde 1576 Großfürst
von Siebenbürgen; sein Sohn
vger Nr. 25.
18. Elisabeth, 1526, f 1545.
verm. 1543 mit Sigismund
August II. V. Polen (vgl. Nr. 1 5).
19. Max II., 1527, t 1576,
verm. 1548 mit Infantin Marie
von Spanien, 1528, f 1603.
Deren Sohn unter Nr. 26 u. 27.
20. Katharina, 1533. f '572,
verm. a) 1 549 mit Franz HL, Gon-
zags Herzog von Mantua, f 1 550 ;
b) mit ihrem Schwager Sigismund
August II. (vgl. Nr. 15).
21. Karl, 1540, f 1590, verm.
1570 mit Marie von Bayern,
1551. t l6o8. Deren Kinder
unter Nr. 28 bis 30.
22. Sigismund HX., Wasa,
1566, t 1632, verm. a) 1592
mit Ehgin. Anna (des Ehg. Karl
Tochter\ 1573. f 1598 ; b) 1605
mit Ehgin Konstanze (der Vori-
gen Schwester), 1588, f 1631;
vgl. Nr. 28 u. 30.
23 Siegmund Zapolya, 1540,
t 1571.
24. Gabriel Bathory, 15..,
f 1613, ermordet.
25. Siegmund Bathory, 15 m.
f 1613, verm. 1595 und gesch.
1602 mit Ehgin. Marie Christine
(des Kais. Ferdinand II. Tochter),
1574. t 1521.
26. Rudolf IL, 1552, t 1612.
27. Matthias, 1557. t l5l9.
28. Anna, 1 573.11598, verm.
1592 mit Sigismund HL, Wasa
(vgl. Nr. 22).
29.FerdinandIL,1578,tl637.
verm. a) 1600 mit Marie Anna
von Bayern, 1574. t l5l6;
b) 1622 mit Eleonore Gonzaga,
160., t 1655.
30. Konstanze, 1588, f 1631.
verm. mit ihrem -Schwager Sigis-
mund HL, Wasa (vgl. Nr. 22).
Regentenreihe für Polen :
Hedwig, dann ihr Gemahl, vgl. Nr. 2
Wladislaw HI. « » 4
Kasimir IV. „ „ 5
Johann Albrecht .„ „9
Alexander „ „10
Sigismund I. „ „ 11
Sigismund August IL „ „15
Heinrich HL, Valois „ „17
Stephan Bathory „ »17
Sigismund HL, Wasa „ » 22 .
1382 bis 1434.
1434 „ 20./11. 1444.
1444 ry 1492.
1492 „ 1501.
1501 n 1506.
1506 „ I./4. 1548.
1548 „ 7-/7. 1572.
15./1- 1574 V 1875. 1574.
15/9. 1575 „ 15-/9.1586.
I9./8. 1587 „ 3O./4. 1632.
Literaturberichte.
Acta Salzburgo-Aquilejensia. Quellen zur Geschichte
der ehemaligen Kirchenprovinzen Salzburg und Aquileja.
Band l. Die Urkunden über die Beziehungen der päpstlichen
Kurie zur Provinz und Diözese Salzburg (mit Gurk, Chiemsee,
Seckau und Lavant) in der avignonischen Zeit: 13 16—1378.
Gesammelt und bearbeitet von Alois Lang. Zweite Ab-
teilung 1352 — 1378. Graz 1906. Verlagsbuchhandlung Styria.
Selten hat uns das Erscheinen eines Buches eine reinere und auf-
richtigere Freude bereitet, als es bei dem vorliegenden der Fall ist. Gibt
uns doch das Erscheinen dieses Buches eine Gewähr dafür, daß der Autor, der
schwerer Krankheit verfallen gewesen, völliger. Genesung entgegensieht, wozu
ihn seine Kollegen und Freunde zweifellos herzlich beglückwünschen. Mit
diesem zweiten Hefte gelangt die Ausgabe der Urkunden über die Beziehungen
der päpstlichen Kurie zur Provinz und DiOzese Salzburg in der avignonischen
Zeit zum Abschluß. Wir finden hier das gesamte in Archiven und der
entsprechenden Literatur vorfindliche Aktenmaterial hieför in einer voll-
ständigen Reihe abgedruckt. Nachdem wir bereits über die erste Abteilung
dieses Bandes in den Blättern unserer Zeitschrift eine ausführliche Besprechung
gegeben haben, dürfen wir hier, unser Gesamturteil in wenige Worte zu-
sammenfassend, sagen, daß auch die zweite Abteilung die gleichen Vorzüge
besitzt, die wir an der ersten zu rühmen hatten : Beherrschung des gesamten
Materials und dessen kritische Behandlung. Ferner, daß der Ertrag, der auch
hier für die steiermärkische Geschichte abföllt, ein sehr erheblicher ist, daß
endlich wie bei der ersten Abteilung nicht bloß die reichhaltigen römischen,
sondern auch die heimatlichen Archive und Bibliotheken in umsichtiger und
sorgsamer Weise ausgenützt sind. J. Loserth.
Archiv für Geschichte der Diözese Linz. II. Band,
herausgegeben von Dr. Konrad Schiffmann, Linz, Aktien-
Ruchdruckerei des katholischen Press verein es, 1905, 331 S.
Ober6sterreich besitzt als einziges von allen seinen Nachbarländern
bisher weder einen eigenen historischen Verein noch eine historische Zeitschrift.
Die den Jahresberichten des Museums Francisco-Carolinum beigegebenen,
gewiß sehr wertvollen „Beiträge zur Landeskunde" enthalten jährlich meist
nur eine einzige — nicht immer historische — Abhandlung und so fehlt es
an einem Organe für die landeskundliche Literatur, namentlich für kleinere
Detail arbeiten, in welchen z. B. in Niederftsterreich wie in der Steiermark
bereits so vieles geleistet wurde.
Literaturberichte. 77
Diesem heute vielfach empfundenen Mangel wenigstens auf kirchlichem
Gebiet abzuhelfen, ist das „Archiv för Geschichte der Diözese Linz" be-
stimmt, von welchem nun der 2. Jahrgang vorliegt. Als Herausgeber zeichnet
seit dem Tode des um die Landeskunde verdienten Dr. P. Otto Gril In berger
der Leiter des gleichfalls neugegründeten und vorzüglich geordneten Linzer
Diözesan-Archives Prof. Dr. K. Schi ff mann und Prof. Dr. F. Berger.
Voran bringt letzterer eine wertvolle Abhandlung über die kirchlichem
Verhältnisse des Inn vierteis um die Mitte des XVI. Jahrhunderts, wozu er
insbesondere Visitationsprotokolle der Jahre 1558/59 heranzieht. Demnach
I blieb in diesem östlichsten Teile des damaligen Bayerlandes damals die Masse
I der Laien und wohl auch der Geistlichen zwar katholisch, war aber von
protestantischen Anschauungen durchsetzt; die Geistlichkeit lebte zum aller-
größten Teile verheiratet, fast ganz protestantisch war das Schulwesen.
Eine dankenswerte Übersicht über die älteren Bibliotheken und
I Archive Oberösterreichs, vorab jene der Klöster bietet der reichhaltige Aufsatz
' von K. Schiff mann.
I Dr. K. Pammer sucht das östliche Gemärke der einst passauischen
Herrschaft Wildberg im Gegensatze zur Ansicht Handel-Mazzettis („Das Ge-
märke von Wildberg", 57. Bericht des Museums Francisco-Carolinum) weiter
nach Osten zu verlegen — wie es scheint nicht mit Glück. J. Strnadt
wenigstens hat sich erst kürzlich („Das Land im Norden der Donau",
Archiv für Österreichische Geschichte XCIV, S. 1 28), was die wichtige Lokali-
sierung des Sternsteins (Stella mons) anbelangt, im Sinne Handel-Mazzettis
t und Lampeis („Das Gemärke des Landbuches", Blätter des Vereines för
Landeskunde von Niederösterreich, XXX, 330) ausgesprochen.
j Reichbedacht ist ferner in diesem Jahrgange die Monasteriologie.
; P. Lindners Arbeit über das Professbuch der Abtei Mondsee, die älteste
i des Landes bringt ein Verzeichnis aller Angehörigen dieses Klosters und will-
kommene Nachrichten über ihre literarische Tätigkeit. Wilhering, das nun
seinen fleißigen Haushi^toriographen Otto Grillnberger verloren hat, ist
mit einer hinterlassenen Arbeit desselben vertreten, der Ausgabe seines von
Abt Kaspar (1507 — 18) angelegten Stiftungsbuches. Annalistische Auf-
zeichnungen, welche K. Schiff mann, aus mehreren Wilheringer und Sankt
L Florianer Codices, sowie einer Handschrift aus dem Pfarrarchive zu Moosbach
(Innviertel) veröffentlicht, bringen brauchbare Nachrichten zur Lokalgcschichte
aus dem XIV. und XV. Jahrhundert.
Mehrere kleinere Notizen, sowie eine reichhaltige Bücherschau be-
, schließen den Band, welcher der Umsicht der Herausgeber und dem histori-
schen Sinne alle Ehre macht, der vielfach traditionell im oberösterreichischen
Klerus gepflegt wird.
Er könnte manchen Kreisen in der Steiermark zum Vorbilde dienen.
Max Doblinger,
Ferdinand von Andrian. Die Altausseer. Ein Beitrag
zur Volkskunde des Salzkammergutes. Wien. Alfred Holder.
I Preis 6 Kronen.
Einer der gründlichsten Kenner des Volkes, das heute das Salzkammer-
gut bewohnt, legt uns hier Ober dieses Volk ein Buch vor. das geradezu aus-
gezeichnet genannt werden muß. In 23 Kapiteln findet sich hier alles
zusammengetragen, das zur wissenschaftlichen Erkenntnis des Ausseer Landes,
wie es in den letzten Jahrzehnten des abgelaufenen Jahrhunderts beschaffen
f war, gehört. Da die Allweltsnivellierung auch das Ausseer Leben stark
mitnimmt, ist der Wert des Buches Andrians geradezu unschätzbar, denn
i
78 Literaturberichte.
viele der uralten Gebräuche, Sitten, Lebenseinrichtungen und Anschauungen
der Leute dieses bis zum Bau der Eisenbahn sehr abgeschlossenen Erden-
winkels werden in einem Jahrzehnt vergessen sein und der Verfasser ist wohl
einer der letzten, die über die Altausseer etwas Gründliches wissen. Wir
sind ihm deshalb für dies sein Buch zu dem größten Danke verpflichtet.
Aus demselben kann nicht nur der Folklorist, sondern auch der Kultur-
historiker, Statistiker, Germanist sehr viel lernen und die treffliche Anordnung,
die klare Übersicht, die schftne Darstellung, muß jedem Steiermärker, besonders
jedem Kind der obersteirischen Berge das Buch wert machen. An dieser
Stelle, an der wir ins einzelne nicht eingehen können, seien besonders die
Abschnitte über den Salzberg, über das Almleben, die Wilderei und die See-
fischerei, über die Wirtschaftsgebräuche und den Aberglauben hervorgehoben.
Großes Interesse gewähren die zahlreichen technischen Ausdrücke, von denen
eine erhebliche Zahl noch niemals durch den Druck bekannt geworden sind.
Hohes Lob verdient auch die Ausstattung des Buches durch eine große Zahl
trefflicher Bilder aller Art, besonders solcher von Geräten und Werkzeugen,
deren Dasein in raschem Hinschwinden begriffen ist. Daß wir das Buch
allen Landsleuten auf das wärmste empfehlen, ist selbstverständlich.
Dr. Khull.
Stephan Kekule von Stradonitz. Ausgewählte Aufsätze
aus dem Gebiete des Staatsrechtes und der Genealogie.
Berlin. 190 S., Heymann. Preis 5 Mark.
Der bekannte Genealoge und Heraldiker von Kekule vereinigt in dem
vorliegenden Buche neunzehn Aufsätze, die zum Teil schon in verschiedenen
Zeitschriften erschienen sind. Er ist einer der Vorkämpfer der wissenschaft-
lichen Genealogie, die keineswegs noch den Rang in der allgemeinen Wert-
schätzung einnimmt, die ihr gebührt. Das vorliegende Buch erbringt
glänzend in einer Reihe ganz ausgezeichneter Aufsätze den Nachweis, daß in
Genealogicis noch sehr viel nachzuholen ist. Es ist der Genealogie im ab-
gelaufenen Jahrhundert so gegangen wie der Heraldik: beide galten infolge
der demokratisierenden und proletarisierenden Richtung der Zeit als abgetane
Größen. Aber seit Ottokar Lorenz der Genealogie durch sein bekanntes
Buch den Weg zu neuem Aufstieg — allerdings nicht ganz in der alten
Richtung — gebahnt hat, seitdem die umfassende Tätigkeit des Vereines
„Herold" in Berlin auch der Wappenkunde viele bedeutende Freunde ge-
wann und vor allem seitdem die Erforschung der Rassen der Wissenschaft
neue Ziele und Wege absteckte, erhebt sich langsam auch die Genealogie
zu einer der übrigen ebenbürtigen Wissenschaft. Das wird niemand leugnen, der
Kekules 7. und 8. Aufsatz des vorliegenden Buches über „Die Beziehungen
der Genealogie zur wissenschaftlichen Behandlung des Staatsrechtes" und
über die „Ziele und Aufgaben der wissenschaftlichen Genealogie" gelesen hat.
Auch ftir weitere Kreise enthält das Buch sehr lesenswerte Dinge. Wie
wenige sind sich z. B. klar, was das heißt, einen Stammbaum oder eine
Ahnentafel richtig herstellen, wie wenige wissen etwas davon, wie viele
hunderte von bürgerlichen Familien in Europa und Amerika königlicher und
fürstlicher Abstammung sind, oder, was man im Wissenschaftlichen und Staats-
rechtlichen hinter „Ebenbürtigkeit" versteht, wenn sie auch dies Wort schon
tausendmal gebraucht haben. Hohes Interesse dürften auch die Aufsätze
über Kaiser Wilhelms H. Abstammung von Cid und von Karl dem Großen
haben, welch letzterer z.B. in Wilhelms H. Ahnentafel über hunderttausendmal
erscheint. Oder wie. wenige wissen es, daß sie z. B. in ihrer achtzehnten
Ahnenreihe nicht weniger als 2621^4 Ahnen zählen und daß auf der Tafel,
Literaturberichte. 79
die alle diese 18 Ahnenreichen aufstellen würde, nicht weniger als 524287
Personen verzeichnet stehen müßten ? ! Sehr lehrreich ist auch der Aufsatz
Ober die Degeneration der spanischen Habsburger, ihre Ursachen und Folgen.
Mit einem Worte, jeder geschichtlich denkende Leser wird es dem Verfasser
Dank wissen, daß der Verfasser seine wichtigsten in schwer zue;änglichen Zeit-
schriften verstreuten Aufsätze in so handlicher Form hat erscheinen lassen.
Dr. Khull.
Die Innerberger Hauptgewerkschaft 1625—1783. Von
Dr. Allton von Pantz, k. k. Landesregierungsrat. Graz, Verlags-
buchhandlung „Styria*'. I906. (Forschungen zur Verfassungs-
mid Verwaltungsgeschichte der Steiermark. VI. Band. 2. Heft.)
Die beiden Bergorte Vordernberg und Innerberg (Eisenerz) waren von
einander seit alten Zeiten völlig unabhilnsig. Jeder hatte sein eigenes Industrie-
iiiid Absatzgebiet, seinen eigenen Distrikt für die Versorgung von Lebensmitteln,
Holzkohle u. s. w. Trotz der völligen Unabhängigkeit war, der Natur der
Dinge entsprechend, die Entwicklung und Gliederung der an der Produktion
des Eisens, sowie an dem Handel beteiligten Faktoren Jahrhunderte hindurch
in beiden Gebieten im grossen und ganzen die gleiche gewesen. Die Verhüttung
der aus dem Erzberge gewonnenen Erze geschah in Schmelzöfen, die einzelnen
Besitzern gehörten. Der vSchmelzofen samt dem dazugehörigen Anteil am Erzberg
hieß Radwerk, der Besitzer Radmeister. Die weitere Verarbeitung des in den
Schmelzöfen erzeugten rauhen Eisens (Roheisens) zu „geschlagenem Zeug" in
Stahl und Eisen besorgte ein weiteres Glied — die Hammermeister auf ihren
Hämmern. Das dritte Glied waren die Eisenhändler, die den Verschleiß der
von den Hammermeistern erzeugten. Waren besorgten. Die Produkte desVordern-
berger Gebietes wurden zu Leoben, jene von Innerberg in Steyr aufgestapelt
und von da nur in bestimmten Richtungen in den Handel gebracht.
Während im Vordernberger Gebiete diese Organisation aufrecht blieb
und insbesondere sich die Rad- und Hammermeister bis in unsere Tage selb-
ständig erhielten, erlitten die an dem Innerberger Eisenwesen beteiligten
Glieder im Jahre 1625 durch die Gründung der Innerberger Hauptgewerkschaft
eine gänzliche Umgestaltung. Unter diesem Titel w^urden nämlich die 19 Rad-
gewerke zu Eisenerz, die 44 welschen und die dazugehörigen kleinen Hämmer
im ganzeii Gebiete nebst ihrem Besitz in eine einzige .Körperschaft vereinigt,
der auch die Eisenhandlungsgesellschaft in Steyr teilweise beitrat.
Diese, durch die Grtindung von 1625 neugeschaffene Gestaltung des
Innerberger Eisenwesens dauerte bis- zum Verkaufe der Hau ptge werkschaft
an die Innerberger Aktiengesellschaft im Jahre 1868. Gewissermaßen einen
Wendepunkt in der Geschichte der Innerberger Hauptgewerkschaft bildet aller-
dings auch schon das Jahr 1783. weil in diesem Jahre das alte Wirtschafts-
system sein Ende gefunden. Aus diesem Grunde, und weil für die spätere
Zeit bereits Publikationen voi banden, hat der Verfasser seine Arbeit auch mit
1783 geschlossen.
Er bringt jedoch keine eingehende Geschichte der eben bezeichneten
Periode, denn eine solche ließe sich bei der ungeheuren Stoffmenge, die för
dieses Gebiet in den Archiven, namentlich im steiermärkischen Landesarchive
aufgestapelt liegt, nicht in einem Bandfe durchführen. Die Geschichte der
hauptgewerkschaftlichen Finanzgebarung würde wohl allein schon ein stattliches
Bändchen füllen. Der Verfasser hat sich nur zur Aufgabe gestellt, die Organi-
sation des Innerberger Eisen wesehs und seine weitere Entwicklung von d^r
Gründung der Hauptgewerkschaft bis zu dem Zeitpunkte darzustellen, in
80 Literaturberichte.
welchem durch die Aufhebung der „Widmungen" und „Eisensatzordnungen"
Handel und Verkehr umgestaltet und das moderne wirtschaftliche Leben begründet
wurde, und diese Aufgabe hat er trefflich durchgeführt.
Die vorliegende Arbeit füllt nicht nur eine tatsächlich vorhanden ge-
wesene Lücke aus, sie stellt an sich eine gewaltige Leistung dar, namentlich
für den, der die Menge des. zu bewältigenden Stoffes kennt.
Zweckentsprechend schenkt der Verfasser der GrOndungsgeschichte seine
besondere Aufmerksamkeit; zum klaren Verständnis derselben schickt er eine
Darstellung der Organisation sowie der Lage des Tnnerberger Eisenwesens in
den letzten Jahrzenten des XVI. und zu Beginn des XVII. Jahrhunderts voraus ;
durch dieselbe gewinnt man den richtigen Einblick in die Verhältnisse, die zur
einschneidenden Umgestaltung im Jahre 1625 geführt haben. Die Besprechung
der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung wird in drei Zeitabschnitte (I625
bis 1678, 1678 bis 1740 und 174O bis 1783) gegliedert. Hiebei führt uns der
Verfasser, soweit es zweckdienlich ist, in die äußeren und inneren Verhält-
nisse ein und läßt keine der vielen Fragen unberührt. Von besonderem Werte
sind die beigegebenen Tabellen, die uns über verschiedene Gebiete (Lebens-
mittelpreise, Lr)hne, Eisenerzeugung u. s. w.), entsprechende Aufschlüsse geben.
Aus dem reichen Inhalte sei hier nur Einiges hervorgehoben. Die Ober-
leitung der ganzen gewerkschaftlichen Geschäftsführung lag in den Händen
der zwölf Vorgeher, von denen von jedem der Gewerkschaftsmitglieder (Rad-
meister, Hammermeister, Eisenverlag), je vier gewählt wurden. Zur Über-
wachung der gewerkschaftlichen Gebarung wurde 1626 mit dem Amtssitze
in Eisenerz eine landesfürstliche Behörde, das Kammergrafenamt errichtet, dem
1670 die Gewerkschaft vollständig unterstellt wurde; damals fand auch die
Verminderung der Vorgeher auf je zwei aus einem Gliede, dem Obervorgeher
und dem Vorgeher statt. Der Vorstand des Kammergrafenamtes, der ursprünglich
den Titel Kammergraf geführt hatte, hieß seit 1747 Oberkammergraf und
war demselben die Oberaufsicht über das ganze Eisen wesen von Österreich
ob und unter der Enns und Steiermark übertragen worden. Zu seiner
Entlastung wurde 1768 in Eisenerz ein Amtmann bestellt, der die Haupt-
gewerkschaft gemeinsam mit den Vorgehern zu leiten hatte und die Mittel-
person zwischen der Gewerkschaft und dem Oberkammergrafen bildete.
Die Geschichte der gewerkschaftlichen Finanzwirtschjrft füllt manche
Seite. Gerade die Geldgebarung mag den leitenden Kreisen wohl große
Sorgen bereitet haben, besonders, wenn die Schulden sich häuften und die
Zinsen für die aufgenommenen Kapitalien den größten Teil des Ertrages ver-
.schlangen ; so hatte z. B. die Gesamtschuld im Jahre 1 669 die Höhe von einer
Million Gulden erreicht, die Zinsen betrugen über 60.000 Gulden.
Was die Eisenerzeugung selb.st betrifft, so geben uns die Tabellen für
jedes Jahr genauestens Aufschluß. Am Beginne (1626) war die Menge des
jährlich gewonnenen Roheisens 36.000 Zentner, am Schlüsse der Periode (1783)
mit Radmer 130.000 Zentner; in der ganzen Zeit, 1625 bis 1783 wurden über
14 Millionen Zentner 4loheisen gewonnen und dazu bei 40 Millionen Zentner
Erz verschmolzen. Anfänglich wurden 50 bis 60 Gruben in Arbeit gehalten ;
von den IQ Schmelzöfen sollten 15 im Gange bleiben; Hämmer wurden
17 aufgelassen. Es standen jedoch immer nur 10 bis 1 1 Öfen in Arbeit (Höchst-
zahl 1630 14 Öfen, Mindestzahl 1626 7 Öfen), 1678 finden wir 38 Gruben
belegt, 10 Blahäuser in Eisenerz, l in Wildalpen, 22 welsche und 3 kleine
Hämimer. Bis 1761 wurde jeden Samstag um 10 Uhr vormittags der Schmelz«
Öfen ausgeblasen und Sonntag um Mitternacht die Arbeit wieder aufgenommen.
1762 wurde die Floßenerzeugung eingeführt und der Stuckofenbetrieb gänzlich
eingestellt.
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Diese VerfcähriBe w=ra<a wesd-^^i bestrsst^t cxinrh c^ Bett^ua^f: ^Äer
Arbeiter voea MZE^irresste.
Die Haine der Arbeiter war verbeiratet. vv>a »iiett BwsiH»ett«t^ \l?Yi
FönfieL Es tvachten dies däe l rastia^ie mit srch, Dw G<>werk>öob*t> sestATt'H^
jedem defioitivesi Arbeiter. ,der id FaLS«ui^ uim! Lr'hnunj: ^tAisiV tu h^^mlti^.
Dem Kam-nergraüeii war zur besoaden» Pdioht ji^envuchU d4is li^tw^Pcsse
der Arbeiter in jeder Hinsicbt wahnunehaten.
H«¥rfainteTCssa]it sind die Austuhnmssen ober die KohleRbesch«Äk«$ wikI
die in Verbindung siebende Waldwirtschaft. Über die Mautvrrb^^Un^^ei tU^
Markenwesen o. s. w^ doch können wir darauf hier nicht einif^iehim«
Vorlieiseiide Arbeit bildet einen sehr wert\*onen Beitrag lur stt^inA^hew
Berg- nnd HGtteng^scfaichte und infolge der zahlreichen Angaben Über Ihrrv.^
von Lebensmitteln. Löhne u. s. w, eine reiche ijuelle für den Fot-^Jcher «wf
dem Gebiete der heimatlichen Kulturgeschichte. Johann Schmut»
Styriaca in den Mitteilungen der Ic« k» Zentral*
kommission fflr Erforschung und Erhaltung der Kunst*
und historischen Denkmale. Dritte Folge, IV. Band. Wien U)Of>^
Sitzung am 27' Jänner. Die alte morsche Decke im ^-oÄen S«jOt*
des Jesuitenkollegiums in Graz (PriesterhaUvs) wurde duix^h eint»
neue ersetzt und mit den Stuckverzierungen der WÄnde In KinK^«^>^ n^*
bracht. An der Burgruine Cilli sind Sicherungsarbeiten in Aussicht ge-
nommen, ebenso an den Filialkirchen inC&cilienbrücke und S t . L o r c n » r n.
Sitzung am 10. Februar. Über die aufgedeckten Wnndmnlri'rirn M\
der stidlichen Außenseite der Pfarrkirche S t. P e t e r u n d P a u l In \V r 1 1 r u-
stein werden Erhebungen gepflogen.
Sitzung am 24. Februar. An der Kirche St. Anton in W. l<. wrnlrn
nur Sicherungsarbeiten vorgenommen. Die Erwerbung des im Stltlr Srt'knu
autbewahrten Orgelgehäuses durch das Landesmuseum wird subNTntlonlnt.
Sitzung am 3. März. Gymnasialprofessor Dr. Pischingrr Irul ri»
Manuskript vor „Archäologische Studien ftuf dem Cicblrtr von
Pettovio".
Sitzung am 10. März. Die Rekonstruktionsarbeltm brl drr C'lioistlrm» drr
Pfarrkirche in Gonobitz wurden durchgeführt.
Sitzung am 4. April. Dem Musealverein in Cilli wird xu Slt'hrr»inHNWibt»l<rn
an der Burgruine Cilli eine Staatssubvention von 6()(M) Kroiirii IipwIIIIhI,
Der steiermärkische Landtag bewilligt von I906 nb Jährlich f»(M) Kinnpii.
Sitzung am 5. Mai. Das gotische Portal bei (irr PianklrrliP lll
Studenitz wird einer Restaurierung unterzogen,
0
82 Lateräturberichte,
Sitzung aiil 19! Mai. Die Wandmalereien in der Kirche zuNieder"
wölz werden einer Restaurierung unterzogen,
Sitzung am 2. Juni. Die Restaurierungsarbeiten in der Kirche Maria
im Walde (ehem. Minoritenkirche) in Brück a. M, finden im allge-
meinen die Zustiraimung der Zentralkommission.
Sitzung am 9. Juni. Die Durchsuchung des von der Rochus«
kä pelle bekrönten Hügels in Heidin wird befürwortete
Sitzung am 16. Juni. Für die Restaurierung der Filialkirche St.
Lorenzen in der Pfarre St. Georgen obMurau werden 500 Kronen
bewilligt. Die Mariensäule auf dem Hauptplatze in Murau wird
restauriert. Die Kopien der Skulpturen der demolierten St. Luciakapelle
in Sachsenfeld werden in der Taufkapelle in der neuen Kirche verwahrt.
Sitzung am 30. Juni. An der Pfarrkirche St. Peter in Aflenz und
an der Magdalenenkirche in Judenburg werden Sicherungsarbeiten
vorgenommen. Die Zentralkommission spricht sich gegen die geplante
Restaurierung des Rathauses in Knittelfeld aus.
Sitzung am 6. Juli. Der Pettauer Musealverein ersucht um hierämt-
liche Verwendung: l. wegen Abgabe eines in der Sakristei der Pfarr-
kirche zu St. Martin in Haidin eingemauerten römischen Reliefsteines
an das Museum in Pettau; 2. daß das zuerst ausgegrabene Mithraeuna
ebendahin übertragen werde und 3. wegen Erwirkung einer .Staatssubvention
auf Grabungen. Innerhalb der Ringmauer von Uran je wurde ein römischer
Inschriftenstein (vermutlich III. Jahrhundert) nebst Resten von Menschen-
knochen und Tonscherben gefunden. Der Stein kam ins Joanneum.
Sitzung am 7. Juli. Korrespondent Meli legt seine Druckschrift
„Das Archiv der steirischen Stände etc." vor. Das Notdach am
Pavillon im Pfarrgarten zu Radkersburg wird weiter belassen.
Im Hefte 9 und 10 bringt Konservator O. Cuntz eine Anzahl
Nachvergleichungen römischer Inschriften der weiteren
Umgebung, von Graz, also aus dem Gebiete von Flavia Solva (Leib-
nitzerfeld) von den Orten Adriach, Geisttal, Stallhofen und Semriach. Im
selben Hefte berichtet Korrespondent V.. Skrabar über „Römische Funde
aus Pettau", und zwar: l. Über „Zwei Sarkophage von Veteranen der
XIV. Legion und ändere Einzelfunde" ; 2. über „Grabungen aus Oberrann bei
Pettau" und 3. über „Neueste Einzelfunde".
Am gleichen Orte berichtet Konservator Schmidel über einen
Münzenfund im gräflich Lambergischen Familienarchive im Schloß
zu Steyer. Darunter befanden sich für Steiermark aus der Zeit Kaiser
Ferdinands I. 58 Pfennige und 1 Hälbling.
In der Zeit der Unterbrechung der regelmäßigen Sitzungen wurden'
verhandelt: Über die neue Verglasung- der Fenster der Hof- und Dom-
kirche in Graz. Die Restaurierungsarbeiten im Innern der Pfarrkirche zu
Gaishorn wurden beendet. Die romanischen Malereien in der Bischof-
kapelle zu Goeß werden gesichert, an der Pfarrkirche in Pernegg
werden Sicherungsarbeiten vorgenommen, ebenso wurde das gemalte Fenster
ini' St. Nikolauskirchleih in Unterort (Tragöß) aus dem XIII. Jahr-
hundert gesichert. Von der Bloßlegung der Malereien an der Außenseite der
Kirche St. Peter und Paul in Weitenstein wird abgesehen,
Sitzung am 6. Oktober. Die Zentralkommission erhebt gegen die
FlOßigraachung der Staatssubvention für die Restaurierung der Pfarrkirche
in Leibnitz keine Einwendung, Irr Lichtenwald wurde ein Topf mit
zirka 1 000 Silbermünzen gefunden. Die Münzen gehören der 1. Hälfte des
XVI. Jahrhunderts' an und stammen größtenteils aus den österreichischen
Alpenländern. (Wurden vom Cillier Museum erworben.)
Literaturberichte. 83
Sitzung am 13. Oktober. Die Zentralkommission' spricht sich gegen
den beabsichtigten Umbau der gothischen Pfarrkirche in Graben-
dorf bei Polstrau aus. Die Pfarrkirche in Laporje wird erweitert.
Sitzung am 27. Oktober. Gegen den Verkauf zweier Mamorepitaphien
von der Pfarrkirche in Aussee ins Ausland wird Einspruch erhoben.
Die ohne Vorwissen der Zentralkommission vorgenommenen Restaurierungs-
arbeiten an der Pfarrkirche in St. Georgen a. d. Stiefing werden
sistiert. An der St. Rupertskirche in Kulm wurden alte Wand-
malereien aufgedeckt.
Sitzung am 24. November. In der Pfarrkirche St. Leonhard
i. d. W.-B. werden anläßlich der Erneuerung des Fußbodens die daselbst
liegenden Grabsteine an den Wänden aufgestellt. Die Restaurierung der
Leonhard skirche in Murau wird mit Ausschluß aller puristischen
Tendenzen beschlossen,
Sitzung am l. Dezember. "^Von Teilen der jetzigen Decke der
Priesterhauskapelle, des Stiegenhauses im ehemaligen Münzamte und
der Stukkodecke in den Bogengängen des 2. Stockwerkes des zum Abbruche
bestimmten ehemaligen Vorauerhofes in Graz, sowie von Teilen der
Fassade dieses Hauses werden Zeichnungen angefertigt.
Sitzung am 15. Dezember. Die Zentralkommission erhebt gegen die
Abtragung des vorderen Musikchores in der Pfarrkirche in Piber, um
Raum zum Aufstellen einer neuen Orgel zu gewinnen, keine Einwendungen.
Sitzung am 29. Dezember. Das Kupferdach der Kreuz kapeile
bei der Domkirche in Graz wird in der alten Form erneuert. In
Klein-Klein wurde ein gewölbtes Grab mit Rüstungsgegenständen, aufge-
deckt. Kurz vor Steinbrück am rechten Sannufer wurde eine Großbronze
des Kaisers Pupienus gefunden.
^ Historischer Atlas der österreichischen Alpenländer.
Von diesem groß angelegten Kartenwerke gelangt im Herbste
bereits die 1. Lieferung der I. Abteilung zur Ausgabe. Die-
selbe enthäh Salzburg (von Ed. Richter), Oberöster-
reich (von J. Strnadt) und Steiermark (von A. Meli und
H. Pirchegger).
Nach dem Verluste Hofrat Dr. Eduard Richters wurde die
Kommission durch die Zuwahl der wirklichen Mitglieder Hofrat von L u s c h i n
in Graz und Professor von Ottenthai in Wien ergänzt, die Professor Redlich
in "Wien zum Obmann wählte. Die Vorarbeiten zur ersten Abteilung des
historischen Atlas, der Landgerichtskarte, waren glOcklicherweise noch unter
I Richter so weit gediehen, daß die wesentlichen Grundsätze der Bearbeitung
festgelegt waren und die erste Lieferung des Atlas schon der Vollendung
\ entgegenging. Für diese erste Lieferung waren bereits fertig die Landgerichts-
karte von Salzburg mit den Erläuterungen dazu, bearbeitet von Richter, und
die Landgerichtskarte von Oberösterreich samt den Erläuterungen, bearbeitet
von Ober-Landesgerichtsrat Julius Strnadt Die Landgerichtskarte von
j Steiermark, bearbeitet von Archivdirektor Meli in Graz und Professor
I Pirchegger in Pettau, war in bezug auf die kartographische Festlegung
j im wesentlichen fertig, die Erläuterungen dazu wurden von Professor Pirch-
egger im Laufe des Jahres I905 vollendet und sind bereits im Drucke. Die
) einheitliche. Durchführung dieser Arbeiten und der mühsamen Korrekturen
' übernahm in dankenswerter Weise Archivdirektor Meli. Für die übrigen
I österreichischen Alpenländer sind die Arbeiten an der Landgerichtskar.te in
' vollem Gange und teilweise schon weit vorgeschritten. Für das .Gebiet von
) 6*
84 Literaturberichte.
Görz hat Archivdirektor Meli die Feststellung der Landgerichte schon
vollendet, für Kärnten steht die Vollendung der Karte und der Erläuterungen
durch Professor Wutte unter Mitwirkung des Landesarchivars Dr. von
Jaksch im Laufe dieses Jahres in Aussicht. Privatdozent Dr. Grund wird
ebenfalls noch in diesem Jahre die Karte der drei Viertel ob dem Wiener-
wald, ob und unter dem Manhartsberg von Niederösterreich vollenden, mit
dem Viertel unter dem Wiener Walde ist Archivsekretär Dr. Giannoni be-
schäftigt. Für Südtirol ist Professor von Voltelini tätig. Für Nordtirol hat
der verstorbene Professor Josef Egger bedeutend vorgearbeitet, mit Hilfe
dieser Materialien wird Dr. Otto Stolz in Innsbruck die Landgerichtskarte
und die Erläuterungen vollenden. Die Karte von Vorarlberg hat Professor
Zösmair beinahe fertig. Für Krain hat die Vorarbeiten Professor Kaspret
in Graz übernommen. Zu jedem Lande begleiten die Karte „Erläuterungen",
welche die quellenmäßigen Belege für die Karte und eine knapp gefaßte
Geschichte der Entwicklung der Landgerichte zu geben haben. Da aber ge-
rade die intensiven Arbeiten für den historischen Atlas ganz neue Fragen
anregten und zu eingehenden Untersuchungen über Entstehung und Geschichte
der Landgerichte und damit zusammenhängender Dinge führten, konnten der-
artige größere Vorarbeiten nicht in den „Erläuterungen" Platz finden. Sie
werden als „Abhandlungen zum historischen Atlas der österreichischen Alpen-
länder" im „Archiv für Österreichische Geschichte" erscheinen. Die ersten vier
dieser „Abhandlungen" liegen bereits als erste Hälfte des 94. Bandes des
Archivs vor, und zwar:
I. Die Entstehung der Landgerichte im bayrisch-österreichischen Rechts-
gebiete. Von Hans v. Voltelini. S. l — 40.
IL Immunität, Landeshoheit und Waldschenkungen. Von Eduard
Richter. S. 41 — 62.
III. Gemarkungen und Steuergemeinden im Lande Salzburg. Von Eduard
Richter. S. 63—82.
IV. Das Land im Norden der Donau. Mit einer historischen Karte.
Von Julius Stmadt, S. 83—310.
Eine eingehende Würdigung dieser Abhandlungen im Zusammenhange
mit der I. Lieferung des Atlasses wird im nächsten Hefte dieser Zeitschrift
erscheinen.
Das Deutsche Rechtswörterbuch. In den Sitzungsberichten
der Berliner Akademie der Wissenschaften berichtet Heinrich
Brunn er alljährlich über den Stand der Arbeiten am Wörter-
buch der deutschen Rechtssprache. Da dieses Unternehmen nicht
nur für Rechtshistoriker und Philologen, sondern auch für die
allgemeine Geschichte, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte von der
größten Bedeutung ist, so sind einige Worte hierüber an dieser
Stelle vielleicht von Interesse.
Das Bedürfnis nach einem Werke, in dem die deutschen Rechtsausdrücke
aller Zeiten und Mundarten gesammelt und erklärt sind, ist wohl bei allen
Studien auf historischem Gebiete ein lang und lebhaft empfundenes. Die
bereits vorhandenen Glossare und Wörterbücher sind teils recht veraltet i und
lückenhaft, oder sie berücksichtigen die rechtliche Bedeutung der Ausdrücke
zu wenig; andere bringen überhaupt keine Erklärungen oder sie beschränken
1 Ganz abgesehen davon, dafi sich in den letzten Jahrzenten infolge der großen
Zahl von dankenswerten Quellenausgaben unsere Kenntnis des alten Wortschatzes außer-
ordentlich erweitert hat.
Literaturberichtie. 85
sich der Natur der Sache nach zeitlich, Örtlich oder sachlich auf ein begrenztes
Gebiet, wie z. B. die oft vorzüglichen Register der Urkundenausgaben. Du
Gange berücksichtigt das deutsche Sprachgut erst in zweiter Linie.
Bereits 1893 hat Heinrich Brunner auf dieses Bedürfnis nach
einem deutschen Rechtswörterbuche hingewiesen und bereits ausgesprochen,
welche Förderung der historischen Forschungen durch ein derartiges Unter-
nehmen erwachsen würde. Die Berliner Akademie der Wissenschaften nahm sich
dieses Planes an, das Kuratorium der Hermann und Elise geh; Heckmann
W e n t z e 1-Stiftung stellte Mittel hiezu zur Verfügung und 1896 bildete sich
eine Kommission, die aus den Professoren v. A mir a (München), Brunner,
Dümmler, Gierke. Weinhold (Berlin), Frens dor ff (Göttingen) und
Schröder (Heidelberg) bestand. Heute sind in der Kommission die Professoren
Brunner, Gierke, Frensdorff, Huber (Bern, als Vorsitzender der seit
1900 bestehenden Schweizer Kommission), R oethe (Berlin), Schröder und
Freiherr v. Schwind (Wien, als Vorsitzender der 1903 ins Leben getretenen
österreichischen Kommission). Den Vorsitz führt Geheimrat Brunn er, die
Leitung der praktischen Arbeiten liegt in den Händen des Geheimrates
Schröder. Als Hilfsarbeiter standen, beziehungsweise stehen letzterem zur
Seite: 1 898 bis 1901 Professor R. His (jetzt in Königsberg), I90I bis 1904
Dr. jur. et. phil. H. Rott, seit 1901 Dr^phil. G. Wahl, seit 1903 Privatdozent
Dr. jur. L. Pereis und seit 1905 der Unterzeichnete.
Die leitenden Grundsätze bei der Arbeit sind kurz folgende: Es werden
alle Rechtsausdrücke (als solche gelten auch Rechtssymbole, Münzen und
Maße) des deutschen Sprachgebietes vom Beginn der Aufzeichnungen bis um
das Jahr 1750 gesammelt. Auch die angelsächsischen, friesischen und lango-
bardischen Wörter werden aufgenommen ; der skandinavische Wortschatz wird
nur zur Etymologie gemeingermanischer Ausdrücke herangezogen. Aufzeich-
nungen in lateinischer Sprache werden ebenfalls verwertet, jedoch daraus bloß
die eingestreuten germanischen Wörter notiert : z. B. jus quod vulgariter dicitur
spitzreht, oder gualdemannus. Vor allem gilt es, die gesamten Rechts-
aufzeichnungen älterer Zeit zu exzerpieren, weiters werden aber auch Urkunden
und andere Nebenquellen der Reohtserkenntnis verarbeitet.
Die Fülle des Materiales erfordert eine große Zahl von Mitarbeitern
und es sind auch erfreulicherweise Juristen, Historiker und Philologen im
Deutschen Reiche, in Österreich, in der Schweiz, in den Niederlanden und
in Belgien dafür gewonnen worden. Wie den Sitzungsberichten der Berliner
Akademie der Wissenschaften 1 zu entnehmen ist, sind bereits sehr viele
Quellen erledigt, doch ist begreiflicherweise noch ein reichlicher Stoff zu
bewältigen, so daß weitere Meldungen zur Mitarbeit sehr willkommen sind.«
Diejenigen Forscher, welche dem Werke Interesse schenken, aber infolge
Berufspflichten und anderer Arbeiten nicht in der Lage sind, in größerem
Umfange mitzuarbeiten, können der allgemeinen Sache dadurch außerordent-
lich schätzenswerte Dienste leisten, daß sie gelegentliche Funde dem
Rechtswörterbuche zukommen lassen. Für diese gelegentliche Mitteilung von
Notizen handelt es sich vornehmlich um solche deutsche Rechtsausdrücke
und formelhafte Wendungen der Rechtssprache, die entweder überhaupt oder
doch in dieser Zeit und Gegend selten vorkommen; insbesondere sind aber
* Die Wörterbuchherichte werden auch abgedruckt in der Zeitschrift für Rechts-
geschieh te (germ. Abt.).
2 Diesbezügh'che Zuschriften wollen an Geheimrat Professor Dr. Richard
Schröder, Heidelberg, Ziegelhäuser Landstraße Nr. 19 gerichtet werden, worauf Zu-
jtendung einer Instruktion und Zuteilung einer Quelle erfolgt. Betreffs österreichischer
Quellen wolle man sich an Professor Dr. Ernst Freiherr v. Schwind, Wien, Xtll.
PenzingerstraJße 66 wenden.
86 Literäturbcrichtie.
jene AusdrOeke sehr willkommen, die in den landläufigen Glossarien und
Wörterbüchern nicht oder nicht in der gefundenen Bedeutung für jene Zeit
und Geg€tnd verzeichnet sind. Hiebei kommt gedrucktes und ungedrucktes
Material in Betracht. Namentlich wird sich Anlass bieten zu solchen gelegent-
lichen Beiträgen bei Archivstudien, Urkundenausgaben, lokalgeschichtlichen
Untersuchungen u. dgl. Auf diese Weise kommen Kenntnisse des SpeziaU
forschers der Allgemeinheit im weitesten Maße zu gute: Die zeitliche und
räumliche Verbreitung von Recht sausdrQcken und Rechtseinrichtungen kann
genauer festgestellt werden, vijle bisher nicht genügend erklärte Wörter werden
in ihrer Bedeutung erkannt und der reiche Schatz unserer deutschen Rechts-
sprache erhält weiteren. Zuwachs.» Abgesehen von solchen buchstaben-
getreuen Quellenexzerpten wird sich unter Umständen Gelegenheit zu einer
wertvollen Bereicherung des gesammelten Materiales dadurch ergeben, daB
Bemerkungen, Ergänzungen und Berichtigungen zu. bereits vorhandenen Wörter-
büchern dem Archive des Rechtswörterbuches bekanntgegeben werden.
Von der künftigen Einrichtung des Wörterbuches geben einige Probe*
artikel, die von Kommissionsmitgliederh verfasst wurden, ein anschauliches
Bild. So der Artikel Weichbild (von R. Schröder) in der Festschrift für
den 26. deutschen Juristentag 1902, dann makler (von F. Frensdorff),
pflege (von O. Gierke), .walraub (von H. Brunn er), wtze (von
G. R o e t h e) in dem Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissen-
schaften, philosophisch-historische Klasse, 1906.
Dr. jur. Eberhard Freiherr v. Künssberg.
Metternich und seine Zelt 1773—1859. Von Ferdinand
Strobl von Ravelsberg. I. Band. Wien-Leipzig 1906. C. W.
Stern Verlag, XIV und 437 S. Mit einem Kärtchen des west-
lichen Galizien.
Mit dem Namen Metternich sind die verschiedenartigsten und auch
widerstrebendsten Empfindungen verbunden. Wir sind gewohnt, von Metter-
^ Diese Beiträge bitten wir auf Oktavblätter des Kanzleipapieres (löVtXioVsf^)
quer zu schreiben mit Unterstreichung des Stichwortes und rechts mit Freilassung eines
beiläufig zwei Finger breiten Randes. Die betreffende Quellenstelle ist buchstaben-
getreu und in solcher Ausdehnung zu geben,, dafi sich die Bedeutung des Stichwortes
möglichst unzweideutig erkennen läßt. Etwaige Erklärungen des Einsenders oder solche
Notizen, die sich in der Ausgrabe selbst finden, sind sehr erwünscht und mögen auf dem
rechten Rande vermerkt werden mit Angabe des Urhebers der Erklärung, wie aus dem
folgenden Muster ersichtlich ist. Ort, Jahr und Fundstelle (bei Büchern auch Band-
nümmer, Seite und Urkundennummer) sollen möglichst genau angegeben sein. Ferner
wird um deutliche, lateinische Schrift gebeten. Auf Wunsch werden gedruckte Zettcl-
formulare, wi« sie im Archive des Rechtswörterbuches (Heidelberg, Universitätsbibliothek)
verwendet werden, jederzeit unentgeltlich zugeschickt.
Von lugpann.
lugpann
Item, ain ieder rechter lugpann, der erwi
das es ain rechter lugpann ist, darumb ist die
doch auf gnad nach gewonhalt des lugpann.
Niedervint
Österr. Weistümer V, 1. Tirol IV, i, S. 449.
.ist wirdt, 1 Glossar S. 886.
pen L ar» j = strafe für lüge
und diese selbst.
l 1474.
10.
.Liferatutberichtej 87
nichischem Geiste, Metteroichischer Zeit und Regierungskunst zu sprechen und
meinen damit die Zeit, das Wesen und die Verhältnisse des Vormärz. Was
denken wir uns dabei alles? Wenn, meist etwas ziemlich Verworrenes. Es
zeugt gewiß von großem Mute, der Persönlichkeit "Metternichs und seinem
„System", das ja Österreich nicht immer zum Nutzen gereichte, durch die
gerechte Verteilung von Licht und Schatten die gehürende Würdigung zuteil
werden zu lassen. Damit schnitt der Verfasser ein gar gefährliches Gebiet
an und das ist entschieden sein Verdienst. In vier. Bänden, von <ienen nun
der erste, gewissermaßen die Einleitung, die Projektionsfläche aui" der die
übrigen aufgetragen werden sollen, vorliegt, will uns der Verfasser ein Bild
der Zeit von 1773—1859 entrollen und uns, wie wir aus dem vorliegenden
Bande schließen können, einen tiefen Blick in die diplomatischen Werkstätten
dieser Zeit tun lassen. Die Einleitung kann als vollständig gelungen Bezeichnet
'werden. Besonders für die Geschichte des. Jahres 1848 hat der Verfasser viel
Neues beigebracht. Auch der frische prägnante Stil spricht sehr an. Es wird
vielleicht von mancher Seite der Vorwurf erhoben werden,, daß die Bedeutung
der Familienheziehungen etwas stark betont ist. Wenn man aber, so Kapitel
um Kapitel liest, kommt man zur Überzeugung, daß die Frauen in der Be-
stimmung der Völkergeschicke eine weit größere Rolle' spielen als man
gemeinhin glaubt. Man braucht da nur das Kapitel über Rußland zu lesen,
das übrigens dem Verfasser am besten gelungen zu sein scheint. Das Buch
und die darin angewandte Methode wird naturgemäß Aufsehen erregen^
Mögen demselben auch viele Freunde erwachsen.
HistöriscHe StreifzOge durch Kiagenfurt. Unter diesem
Titel ist vor kurzem bei Leon in Klagenfurt ein hübsch, aus-
gestattetes Büchlein erschienen. Der Verfasser, Klemens Mayer,
hat mit wahrem Bienenfleiße alles zusammengetragen, was" sich
an Geschichtlichem über die Stadt ermitteln ließ.
Auf wenigen Seiten wird die allgemeine CJeschichte der Stadt von
der Gründung durch den Sponheimer Herzog Bernhard bis in die neueste
Zeit erzählt: wie der im Jahre I514 durch eine furchtbare Feüersbrunst
eingeäscherte Ort de!i Landständen geschenkt wurde, wie er unter diesen
einen außerordentlichen Aufschwung nahm und in eine Festung verwandelt
wurde, ' wie der Lendkanal enstand usw. Der Verfasser berührt die Zeit der
Türkenkriege, den Einbruch der Franzosen, das Jahr 1848 und geleitet den
I Leser bis in unsere Tage.
Der Wiedergabe einer Schilderung Klagenfurts im XVII. Jahr-
hunderte von Valvasor folgt der wertvollste Teil des Buchleins. Der Ver-
. fasser führt den Leser durch die Straßen der Stadt, erklärt ihm den Namen
jeder Gasse und knüpft daran, wenn er derjenige einer berühmten Persönlich-
keit ist', gleich eine kurze Biographie dieser letzteren. Er führt ihn zu den
IVIonumentalbauten und Denkmälern, zu den Resten der Festungswerke und
bringt geschichtliche Daten nicht allein "einzelner Stadtteile, sondern auch
f vieler Häuser. Von denen am alten Platz und am ''Pfarrplatz, die ,den
ältesten Teil der Stadt bilden, weiß er fast von jedem etwas Interessahfes
zu berichten und ebenso vom Heiligengeistplalz.
8S Zeifschriftenschau.
Zeitschriftenschau.
Wesen und Aufgaben der historischen Geographie. In der
historischen Vierteljahresschrift, herausgegeben von G. Seehger, neue Folge,
Heft I (1906) bespricht in beachtenswerter Weise Hans Beschorner
den Begriff „historische Geographie". Er versucht eine Einigung über die
hier in Frage kommenden Hauptpunkte zu erzielen und die Grenze der
Arbeitsteilung zwischen dem Geographen und dem Historiker zu ziehen. Die
Arbeiten, welche zunächst im Interesse der historischen Geographie zu unter-
nehmen sein werden, kenntzeichnet B. folgendermaßen. „Man gehe in den
einzelnen Landschaften der Geschichte der Kartographie nach und bemühe
sich dabei, festzustellen, was an brauchbaren Kartenwerken aus früheren
Zeiten vorhanden ist. Man sammle femer Überall Flurnamen und Wüstungen.
Man lege gute historisch-topographische Nachschlagewerke an. Man verviel-
föltige Flurkarten, wo solche nicht sowieso schon im Handel sind, und
vervollständige diese oder sonst geeignete Karten mit allen nötigen historisch-
geographischen Einzelheiten. Auch setze man die Grundkarten fort und stelle
schließlich eine Grundkarte für ganz Deutschland in kleinerem Maßstabe her,
mit Hilfe der Grundkarten aber versuche man, die schwierigen Probleme der
kirchlichen Geographie, der Gau- und ßurgward Verfassung, der Ämterein-
teilung u. s. w. zu lösen. Ja, man wage sich schließlich, wo die Vorarbeiten
einigermaßen dazu ausreichen, an große historische Karten und Atlanten
heran. Mit diesen und ähnlichen Arbeiten wird man der Wissenschaft gute
Dienste leisten. Dagegen sehe man zunächst von zusammenfassenden histo-
risch-geographischen Darstellungen ab, die sich bei dem heutigen Stande unserer
Forschungen nur an der Oberfläche bewegen können und uns nicht weiter-
helfen."
Eduard Richter betitelt sich ein Aufsatz Georg A. Lukas' in der
von A. Hettner herausgegebenen Geographischen Zeitschrift, 12. Jahrgang,
5. Heft, der auch als Sonderabdruck vorliegt. In demselben entwirft uns der
Verfasser mit warmer Empfindung ein treffliches Bild des unvergeßlichen Ge-
lehrten und Menschen. Er schildert Richters Lebensgang und dessen wissen-
schaftliche Arbeiten in bezug auf die Gletscherkunde, Seenforschung, dessen
geomorphische Untersuchungen, namentlich dessen Forschungen auf dem Ge-
biete der historischen Geographie, denen das groß angelegte Werk „Der
historische Atlas der österreichischen Alpenländer" seine Entstehung ver-
dankt. Leider sollte er den Abschluß dieses Werkes nicht mehr erleben.
Den Nachruf, der noch nicht abgeschlossen ist, ziert ein wohlgetroffenes
Lichtbild Richters.
Beiträge zur Namenforschung aus Steiermark veröffentlicht
Franz Ilwot im 8. Hefte des VIL Bandes der von A. Tille herausgegebenen
Deutschen Geschichtsblätter, um Josef v. Zahns Darstellungen und Unter-
suchungen Ober „Steiermärkische Taufnamen" (in „Styriaca" I» 1894»
S. 33—85) weiteren Kreisen bekannt zu machen.
Von alten steirischen Arbeitsstätten betiteln sich zwei Auf-
sätze in der Grazer „Tagespost" Nr. 321 von 1905 und Nr. 76 von 1906
von Dr. V. Pogatschnigg, wovon der erste das Gußwerk und die Zeug-
und Waffenschmiede zu Plabutsch und der zweite die Eisenerz-
bergbaue und Schmelzstättcn am Südfuße des Schöckels
behandelt.
Zeitschriftenscbau, 89
.Altsteirische Wohnräume im Landesmuseum zu Graz*
Dem Grazer Kunstgewerbemuseum hat dessen Direktor, Professor K. Lacher,
der die Sammlungen seit dreißig Jahren mit so vieler Liebe und Hingebung
zusammengetragen hat, anläßlich des zehnjährigen Bestandes des Neubaues
durch diese Veröffentlichung ein schönes Denkmal gesetzt. Auf 32 vorzüg-
lichen Lichtdrucktäfeln sieht man hier die Säle und Stuben des Museums
vor sich, unter anderem den Prunksaal aus dem Schlosse Radmannsdorf bei
Weiz von 1563, die Bauern- und Wirtsstuben von 1568, 1577. 1596, 1607
und. 1740, die Grazer Rokokostube von 1782 aus dem Besitze der Leykami-
Ächen Druckerei und das auch aus Grazer Burgerhäusern zusammengestellte
Empirezimmer. Eine kurze Erläuterung der Tafeln vervollständigt dieses
mustergültige Werk.
Die österreichische Grundsteuer. Allen jenen, die sich über
dieses Thema gründlich informieren wollen, ist der ausgezeichnete Artikel
Dr. Franz Freih. v. Mensi-Klarbachs im österreichischen Staat sworterbuche,
7. Auflage, 1906 (auch Separatabdruck) auf das wärmste empfohlen.
Pettau als Grenzfeste« In der Festzeitnng zum XII. Gauturnfeste
des südösterreichischen Turngaues in Pettau behandelt Dr. H, Pirchegger in
einem lesenswerten Aufsatze dieses Thema, in dem er hauptsächlich über
das mittelalterliche Pettau schreibt. Gelungene Abbildungen zieren die Schrift.
In derselben Zeitung findet sich auch ein Aufsatz:
Aus Pettaus Römerzeit, in dem uns die zwei wichtigsten Haupt-
stücke, die das Stadtbild von Pettau charakterisieren, der sogenannte Pranger
und der allerdings erst aus dem frühen Mittelalter stammende Stadtturm,
auf ihren kunsthist Griechen Wert hin beschrieben und gewürdigt w^erden
Archivalische Beiträge zur Geschichte Pettaus und des
Pettauer Feldes von Dr. H. Pirchegger im diesjährigen Gymnasialpro-
gramme sind zum . Teile eine Fortsetzung der in den zwei ersten Aufsätzen,
welche die Geschichte der Stadt Pettau bis I364 behandeln, ent-
haltenen Urkundenauszüge bis 1430. Daran schließen sich Auszuge aus dem
Thurnischer Kopialbuche von 1675 — 1730 und dem „bürgerlichen
Lesebuche" von S. Powoden, betreffend Draulaufänderungen, Besitzungen
der Stadt, Fischerei, Handel, Steuern, Türkenkrieg 1663/4 etc.
Anselm HUttenbrenners Erinnerungen an Schubert teilt uns
der Grazer Literarhistoriker Otto Krich Deutsch im Grillparzer-Jahrbuche
1906 (auch Separatabdruck) mit. Für Steiermark ist der Aufsatz von beson-
derem Interesse, wurde doch Hüttenbrenner am 13. Oktober 1794 in Graz
geboren, erhielt hier seine Ausbildung und heiratete 1821 auch in dieser
I Stadt. Reichhaltige Anmerkungen zeugen von der Gründlichkeit des streb-
I samen Forschers.
Aus dem Revolutionsjahre. Unter dieser Überschrift findet sich
in der „Neue Freie Presse", Morgenblatt vom 13. März d. J., ein mit
^ F. unterzeichneter Beitrag zur Geschichte der Wiener Oktoberrevolution, be-
stehend aus Briefen des damaligen Technikers und Legionärs I. W. Grailich,
I der 1859 als Universitätsprofessor und Mitglied der k. Akademie in Wien
, starb. Die Briefe fanden sich im Nachlasse des 1905 verstorbenen Rektors
Wilhelm Michaelis in Preßburg und schildern mit lebhaften Farben die Er-
eignisse vom 11. bis 31. Oktober 1848.
Kaiser Max von Mexiko. Professor Ottokar Weber gibt in der
Österreichischen Rundschau, Band 5, Heft 65, vom 25. Jänner 1906
) eine klare Darstellung der mexikanischen Tragödie und verbindet damit den
I bestimmten,, sehr dankenswerten Zweck, „alle, die jene Zeit mitgemacht haben,
I .zu bitten, bevor es zu spät wird, ihre Erinnerungen an diese hochinter-
essanten Tage festzuhalten"« Er verweist dabei auf das gute Beispiel», mit
96 Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen.
dem ein Veteran aus dem Österreichischen Freikorps, Oberstleutnant v. Stöhr,
vorangegangen ist. — In derselben Zeitschrift, Heft 75—77, verriffentlicht
Karl Baron V es que ,, Erinnerungen eipes ehemaligen k. mexikanischen
Majors".
Bosnien. Von Hofrat Prof. Dr. Ed. Richter. Aus dem Nachlasse
des verstorbenen Gelehrten veröffentlicht die „österreichische Rund-
schau" im 69. Hefte des 6. Bandes (22. Februar 1906) einen Aufsatz Ober
die geographischen und politischen Verhältnisse Bosniens. Richter arbeitete
seit 1899 an einer großen wissenschaftlichen Landeskunde von Bosnien, die
e»* leider nicht mehr vollenden konnte. Bruchstücke jenes Werkes aber sollen
demnächst veröffentlicht werden.
Aus Kommissionen, Vereinen, Arcliiven,
Museen.
Historische Landeskommission fflr Steiermark. Am 3. März
d, J., 1 1 Uhr vormittags, fand die 4. ordentliche Hauptversammlung in der
3. Geschäftsperiode unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Landes-
hauptmannes Edmund Grafen v. A 1 1 e m s und in Anwesenheit des Referenten
für Unterrichts- und Bildungswesen itn Landes- Ausschuße, Herrn Dr. Leopold
Link, in der Amtskanzlei des I^ndeshauptniannes statt. Nach Begrüßung der
erschienenen Mitglieder und Mitteilung der Tagesordnung durch den Vor-
sitzenden berichtet der Sekretär der Kommission, Prof. Dr. v. Zwiedineck-
Südenhorst über die Tätigkeit derselben im verflossenen Jahre. In
Druck gelegt wurden 1906: Der VI. Band der „Forschungen" mit Abhand-
lungen von J. Loserth „Genealogische Studien zur Geschichte des steiri-
schen'Uradels** (das Haus Stubenberg bis zur Begründung der habsburgischen
Herrschaft in Steiermark) und A. v. Pantz „Die Innerberger Haupt-
gewerkschaft 1625 — 1783«; das XXII. Heft der „Veröffentlichungen" mit
Mells „Regesten zur Geschichte der Familien von Teufenbach in Steier-
-mark I (1074 — 1547)" und von demselben „Das Archiv der steirischen Stände
im steiermärkischen Landesarchive (Bericht über die vorläufige Ordnung des-
selben)". In stetem Fortgange begriffen sind die Vorarbeiten für die Geschichte
-des steirischen Finanzwesens durch Herrn Dr. Franz Freiherrn v. Mensi-
Klarbach. Der 1. Teil (direkte Steuern) dürfte binnen Jahresfrist druck-
fertig sein. Über die Ordnung des reichhaltigen und wertvollen Familien-
archivs der Herren von Stubenberg wird Professor Dr. J. Loserth in dem
-nächsten Hefte der „Veröffentlichungen" eingehend berichten. Die Sammlung
,von Urkunden und Akten zur Geschichte der altsteirischen Familie von
Prank unterzieht Archivsadjunkt Dr. Doblinger einer eingehenden Durch-
sicht und Revision. Die Herstellung von Regesten und Auszügen aus den
Beständen der gräflich Herberstein- und fürstlich Eggenbergischen Archive
wird unter der Aufsicht des Sekretärs fortgesetzt. Die vom verstorbenen
Universitätsprofessor Dr. Karl H i 1 1 e r . begonnenen Studien zur Kodifikation
♦der steirischen Landgerichtsordöung von 1573 hat Privatdozent Dr. Fritz
Byloff beendet
Nach Genehmigung" der Verrechnung über die Landesdotation und den
Adelsfond und des Voranschlages für 1906 erklärt der Sekretär Professor Dr. H.
v. Z wie di neck -Süden hörst, daß er sich mit Rücksicht, auf dringende
Aus Kommissionen,- Vereinen, Archiven, Museen. 91
wisserischäftliche'^Arbeiten leider gezwungen sehe, das Ehrenamt eines Sekretärs
niederzuiegien. Der Vorsitzende nimmt mit größtem Bedauern diesen Entschluß
zur Kenntnis, widmet der dreizehnjährigen Tätigkeit v. Zwiedinecks in der
Landeskommissioh Worte der vollsten Anerkennung und bittet ihn, auch
fernerhin diesem heimatsgeschichtlichen Unternehmen seine Kräfte leihen zu
vrollen. Über Antrag des ständigen Ausschußes wird der Landesarchivsdirektor
Prof. Dr. A. Meli dem Landes-Ausschuße als Sekretär- der Kommission in
Vorschlag gebracht und von demselben als solcher för die restliche Funktions-
dauer bestellt. Nach Erledigung einiger geschäftlicher Angelegenheiten schließt
Se. Exzellenz die Versammlung mit dem Ausdrucke der Befriedigung über
den Fortgang der Arbeiten und mit dem Danke an die Herren Mitglieder,
die sich denselben in uneigennütziger Weise unterzogen.
Die IX* Versammlung deutscher Historiker hat heuer (1906)
vom 17- bis 21. April zu Stuttgart getagt Und einen durchaus gelungenen
Verlauf genommen. Zahlreiche Geschichtsforscher und Geschichtsfreunde von
Nord und Söd — leider jedoch sehr wenige aus Österreich — hatten sich in
der schönen Hauptstadt des Schwabenlandes zusammengefunden : alte Bekannt-
schaften wurden erneuert, neue geschlossen, als am 17. April beim Be-
größungsabend im großen Saale des Museums der Namensaufruf der Ef-
schieftenen erfolgte. Am 1 8. begannen dann die Vorträge, die täglich zwischen
9 bis 1 Uhr die Zeit ausfüllten und bis zum 21. April fortgesetzt wu'deni
<5roße Anregung, die sich in der anschließenden lebhaften Erörterung äußerte,
boten namentlich die Vorträge von Fabricius: Über das römische Heer in
Deutschland, Rietschel: Tausendschaft und Hundertschaft, Mein ecke:
Deutschland und Preußen im XIX, Jahrhundert, Oswald Redlich: Über
historisch-geographische Probleme, Ludwig Hartmann: Wirtschaftsgeschichte
Italiens im früheren Mittelalter. Von den öffentlichen Abendvorträgen siiid
die geistreichen Ausführungen Knapps über die rechtshistorischen. Grund*-
lagen des Geldwesens starkem Widerspruche begegnet und es wurde vielfach
bedauert, daß dieselben nicht als Diskussionsvortrag angemeldet worden waren,
bei welchem auch die Ansichten der Gegner zum Worte gelangt wären.
Neben dem Historikertage hat in den Nachmittagsstunden die VII. Kon-
ferenz landesgeschichtlicher Publikationsinstitute ausgiebige aber auch ergebniss-
reiche Sitzungen abgehalten, in welchen u. a. über die Erschließung agrar-
geschichtlicher Quellen, Ober Veröffentlichung von Quellen zur städtischen
Rechts- und Wirtschaftsgeschichte, über Herausgabe von Münzwerken ver-
handelt wurde. Mein Bericht wäre jedoch nicht vollständig, wenn ich nicht
der Teilnahme gedenken würde, mit welcher die Nachricht von der Er-
krankung und dem Wegbleiben unseres Kollegen Professor v, Zwiedinecks,
eines der Gründer der deutschen Historikertage, allseitig aufgenommen wurde.
Luschin.
Die Gesellschaft für neuere Geschichte Österreichs legt
den Jahresbericht über das zweite Vereinsjahr iQOö-r^lQOö vor. Wegen der
unzulänglichen Geldmittel konnte die Gesellschaft keinen weitreichenden
Arbeitsplan entwickeln.. Trotzdem wußte sie auf andere Weise ihrer Aufgabe
nach verschiedenen Richtungen hin gerecht zu werden. Infolge des Pro-
grammpunktes : ÖrdTiungsarbeiten in Privatarchiven wurde die Inter-
vention der Gesellschaft vom Grafen Heinrich von Lamberg über das Fami-
lienarchiv in Mör in Ungarn erbeten. Ferner verniittelte dieselbe die Be-
nützung privater Afchi Valien für die Weistömer- und ürbarkommissiön der
kais. Akademie der Wissenschaften und veranlaßte die Deponierung kleinerer
Archive in öffentlichen Arcliiven. Da der Gesellschaft wiederholt kleinere
historische Beiträge zur Verwertung angeboten vnirden, wurde vom Vor-
stände die Frage periodischer Veröffentlichungen erwogen und zum Studium
92 Aus Kommissionen, Vereinen, Archivien, Museen.
dieser Angelegenheit in der Sitzung vom 30. Oktober 19Ö5 ein Sonderaus-
schuß eingesetzt. Auch die Frage der wissenschaftlichen Vorträge wurde
bereits erwogen.
Historische Gesellschaft An der Wiener Universität hat sich
eine Historische Gesellschaft gebildet, deren Satzungen am 11. November 1905
genehmigt wurden, deren Wirkungskreis hauptsächlich in der Veranstaltung
von Verträgen liegen soll.
Von regem historischen Interessse zeugt die Gründung eines histo-
rischen Vereines in Kuf stein. In Bnxen entstand ein „historischer
Stadtsaal"*.
Der internationale Kongreß für historische Wissenschaften.
der fQr das Jahr 1906 in Aussicht genommen war, wird erst im Jahre 1908
in Berlin abgehalten werden.
Die Badner Fälschungsaffären. Eine Angelegenheit, die nicht
bloß Fachleute von Archiven und Museen interessiert, kam in diesem Jahre
hoffentlich zu endgültigem Abschlüsse. Man kann dem Vereine für
Landeskunde von Nieder Österreich nur zustimmen, wenn er den
Redakteur seiner. Publikationen ermächtigte, im Monatsblatte Nr. 2 (Februar
1906) die Badener Fälschungsaffären einer eingehenden Kritik zu unterziehen.
Es handelt sich um drei Stücke im Besitze des Museums in Baden: um
den Stadtplan von 1205,. die sogenannte Dreieckersche Stadtansicht von
i486 und den Lobspruch auf Baden von 1505. Der Nachfolger des Stadt-
archivars Dr. Hermann Rollett, Prof. Dr. Rainer von Rainöhl bezeich-
nete die erwähnten drei Stücke als Fälschungen und begründete seine Be-
hauptungen in streng sachlicher und kritischer Weise in der Schrift „Drei
Fälschungen, nachgewiesen durch Dr. Rainer von Rainöhl" (Baden 1905).
Auf die Entgegnung G. Gallianos soll hier nicht näher eingegangen
werden. Beginn und Ausgang der ganzen Streitfrage hat Dr. M. Vancsa im
erwähnten Monatsblatte klargelegt. Dem Leser dieses Aufsatzes wird es
wahrlich nicht schwer fallen, ein Urteil über diese Angelegenheit selbst
zu fällen.
Verein für Landeskunde von Niederösterreich. Nach vierzig-
jähriger Tätigkeit wurde der hochverdiente n.-ö. Landesarchivar Dr. Anton
Mayer über seine Bitte von dem Posten eines Vereinssekretärs und Redak-
teurs der Vereinspublikationen enthoben. An seine Stelle wurde einstimmig
der Kustos des n.-ö. Landesarchives Dr. Max Vancsa gewählt. Die dies-
jährige Sommerversammlung (am 12. Juni) führte die Teilnehmer Ober Loos-
dorf, eine der interessantesten Burgen Niederösterreichs, nach dem historisch
bedeutsamen Stifte Melk.
Vom 24 bis 28. September findet in Wien die Jahresversammlung des
Gesamtvereines der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine
in Verbindung mit dem VI. deutschen Archivstage statt. Dabei halten folgende
Herren Vorträge: Prof. Fournier-Wien: „Österreich und Preußen in den
ersten Jahren des XIX. Jahrhunderts"; Generalmajor von Pfister-Stuttgart :
„Jena 1806'*; Prof. Tragendorf-Frankfurt a. M.: „Alterstumsforschung in
Nordwestdeutschland"; Prof. von Schröder- Wien : „Die Religion der arischen
Urzeit**; Hofrat Piper-München: „Osterreichische Burgen'*, Am 28. September
findet ein Ausflug nach der Burg Kreuzenstein statt.
Teilnehmen kann jedermann, der eine Teilnehmerkarte zu 4 Kronen
löst. Anmeldungen müssen bis spätestens 10. September in der Vereinskanzlei,
Landesarchiv, Hamerlinggasse 3, erfolgen.
Archivrat. Der Minister des Innern hat den Geheimen Rat Dr
Josef Alexander Freiherrn von H eifert, ferner die ordentlichen Professoren
an der Universität in Wien Dr. August Fournier, Dr. Josef Konstantin
Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen, 93
Jirecek. Dr. Emil von Ottenthai und Dr. Oswald R e d 1 i c h, sowie den
ordentlichen Professor an der böhmischen Karl Ferdinands-Universität in
Prag, Dr. Jaromir Celakovsky zu ordentlichen Mitgliedern des Archivs-
rates auf die Dauer von fünf Jahren ernannt. Neueren Nachrichten zufolge
sollen aber keine Sitzungen mehr stattfinden.
Steiermärkisches Landesarchiv. Seit dem. Bestände dieses In-
stitutes (1869) läßt der steiermärkische Landesausschuß demselben weit-
gehendste Förderung angedeihen. Durch die räumliche Verbindung der histo-
rischen Landeskommission mit dem Landesarchive, durch den stetig sich
steigernden Parteienverkehr und durch Übernahme auswärtiger Archivsbestände
ergab sich die Notwendigkeit, neue Depoträume zu .schaifen und die fQr den
Parteienverkehr dienenden Räumlichkeiten zu vergrößern. Zu diesem Zwecke
wurden die gegen die Ringstraße zu gelegenen großen Kellerräume adaptiert und
mit dem. Hauptarchive verbunden. Im Personalstande trat insoferne eine
Änderung ein, als der Aspirant Dr. Max Doblinger zum zweiten Ad-
junkten ernannt wurde. Der oberösterreichische Landesarchivar Dr. -Zieber-
mayer besuchte im Juni d. J. das steiermärkische Landesarchiv, um dessen
Einrichtungen und Erfahrungen besonders auf dem Gebiete der Zentralisation
sämtlicher Archive der Städte, Märkte und Familien des Landes Steiermark
kennen zu lernen. .
Exzellenz Gräfin Johanna Gleispach trat das gräflich Gleispachische
Famillenarchiv und das Herrschaftsarchiv von Pirkwiesen an das steier-
märkische Landesarchiv unter Wahrung des Eigentumsrechtes ab.
Das Steiermärkische Statthaltereiarchiv, dessen Neuaufstellung
in den Räumen der alten Universitätsbibliothek im November 1905 zum Ab-
schluse kam, wurde endlich für den Parteienverkehr eröffnet, indem der
Konzipist des k. k. Archivs für .Niederösterreich, Dr. Viktor Thiel in gleicher
Eigenschaft als Leiter desselben der steiermärkischen Statthalterei zur Dienst-
leistung zugeteilt wurde. Über den Inhalt dieses Archives orientiert die bei
UJ, Moser (J. Meyerhoff) 1906 erschienene Schrift Dr. A. Kappers: „Das
Archiv der k. k. steiermärkischen Statthalterei. Nach der Neuaufstellung im
Sommer 1905.*' Mit 3 Täfeln.
Das Archivs Wesen wurde in erfreulicher Weise gefördert durch die
Ausgestaltung des DeutSCh-OrdenS-ZeiltralarchivS in Wien und durch
die Neugestaltung des MalteserordensarchivS in Prag. Letzteres ist für
Steiermark insoferne von großer Wichtigkeit, als dasselbe auch die Archivalien
der Malteserordenskommerden von F.Orstenfeld.. und Melling teilweise
enthält.
Das k. U. k. Kriegsarchiv übersiedelte mit seinen reichhaltigen
Beständen in das ehemalige Gebäude der technischen Militärakademie, wo-
durch dasselbe eine bedeutend günstigere Aufbewahrung der Archivalien er-
fuhr, was auch der Benützbarkeit zum großen Vorteile gereicht. Von der
Idee eines Neubaues, . der der Wichtigkeit des Archives entsprochen hätte,
mußte man leider wegen Geldmangels absehen.
Das städtische Ferk-Museum in Pettau beschreibt v. skrabar
in der Festzeitung zum XII. Gauturnfest des südösterreichischen Turngaues
in Pettau im Juli 1906.
An der Ausstellung alter Städtebilder des mährischen Ge-
werbemuseums in Brunn beteiligte sich das steiermärkische Landesarchiv mit
29 Grazer Ansichten aus dessen reichhaltiger Ortsbildersammlung.
Der Cillier Musealverein legt seinen Tätigkeitsbericht vor, aus
dem wir entnehmen, daß derselbe im abgelaufenen Jahre eine äußerst er-
sprießliche Arbeit geleistet hat und daß namentlich seine Bestrebungen, dem
Vereine neue Mittel für die Erhaltungsarbeiten auf der Burgruine Obercilli
zuzuführen, von Erfolg begleitet waren.
94 Vereinsnachrichten.
Vereinsnachrichten.
Bericht Ober die Tätigkeit des historischen Vereines im Jahre 1905.
In der am lO. Februar 1905 abgehaltenen Hauptversammlung gelangte
der Geschäftsbericht über das abgelaufene Vereinsjahr zur Kenntnis der Mit-
glieder. In der unmittelbar darauffolgenden 496. Ausschußsitzung wurde
satzungsgemäß die Neuverteilung der Ämter im Ausschusse für 1905 vor*
genommen und wurden unter dem Vorsitze des Obnjann-Stellvertreters Herrn
Universitätsprofessors Dr. O. C u n t z folgende Herren gewählt, und zwar zum
Obmanne Direktor Dr. A.Meli, zu dessen Stellvertreter Universitätsprofessor
Dr. O. Cuntz, zum Schriftführer Gymnasialprofessor Dr. F. Khull, zum Stell-
vertreter Stadtschulinspektor Dr. R. Frettensattel, zum Kassier I» Archivs-
adjunkt Dr. A. Kap per, zum Stellvertreter Se. Exzellenz Feldzeugmeister
J. R. V. Samonigg. Ausschußmitglieder ohne Funktion waren die Herren
Pfarrer H. J. Joherl, Universitätsprofessor Dr. K. Uhlirz und Universitäts-
professor Dr. H. V. Zwiedi neck-Südenh orst.
biowohl die äußere Entwicklung des Vereines wie auch dössen finanzielle
Lage hat sich im Laufe des Jahres erheblich gebessert. Der Ausschuß hat
in acht Sitzungen die laufenden Geschäfte erledigt. Das Wichtigere daraus soll
hier kurz zur Kenntnis der Herren Mitglieder gebracht werden* In der
497. Ausschußsitzung am 2. März wurde beschlossen, an Professor Kaindl
inCzernowitz den 3. Band des Urkundenbuches nicht zu senden ; dem Börger-
mcisteramte in Pettau als Überpröfer der aufgefundenen Akten Professor
Dr. H. Pirchegger in Pettau zu empfehlen; in der Leitung der Zeitschrift
die alte Form noch weiter zu belassen und Dr. Meli zu ersuchen, bis zur end-
gültigen Regelung der Frage den nächsten Jahrgang zu redigieren: in das
Volksblatt wegen dfs Angriffes bezüglich der Erhaltung der Grabstätte
M u c h a r s eine Erwiderung einfließen zu lassen, wie auch im nächsten Hefte
der Zeitschrift diese Angelegenheit aufzuklären.
498. Ausschußsitzung am 10. April. Der. Universitätsbibliothek wird ein
zweites Exemplar des Urkundenbuches geschenkweise überlassen; das Titel-
blatt zum ersten Bande der Zeitschrift nachgeliefert; für die nachträgliche
Zusendung reklamierter Vereinsschriften 52 Kronen bewilligt und der Wort-
laut der Erklärung in der Zeitschrift bezüglich Muchars Grabstätte fest-
gesetzt (Vergl. III. Jahrg., 1. u. 2. Hft., S. 84).
499. Ausschußsitzung am 27. Mai. Dem Herrn Lehrer Krem er in
Spital a: S. wird für die musterhafte Fuhrung der Ortschronik eine Ehren-
gabe von 40 Kronen in Gold zuerkannt. Auf den Antrag des Schriftführers,
die Zeitschrift von nun ab bei der Deutschen Vereinsdruckerei drucken zu
lassen, die ein Heft zu drei Bogen um zirka 30 bis 32 Kronen billiger herstellt,
jerfolgte ein Gegenantrag, an die Druckerei „Ley kam", die die Publikationen
schon 50 Jahre hindurch besorgt, ebenfalls ein Ansuchen um entsprechende
Preisreduktion zu stellen. Zur Klarstellung über Umfang und Inhalt des
„Grazer Straßenbuches" wird ein Unterausschuß gewählt, dem es
auch obliegt, dem Wunsche des Stadtrates nach Angabe passender Straßeu-
bezeichnungen nachzukommen.
500. Ausschußsitzung am 6. Juli. Die Druckerei „Leykam** gewährt
einen Nachlaß von 30 Kronen für das Heft; dem Oberlehrer Franz Krone s
in K.umberg wird für die musterhafte Führung der Ortschronik eine Ehren-
gabe von 40 Kronen zuerkannt; über Wunsch des Bürgermeisteramtes in
Pett.au dem Verfasser einer Chronik von 1873 bis 1905 die Anerkennung
[ausgesprochen; der Straß en buch -Ausschuß infolge der Erklärung des
Vereinsnachrichten'. 95
! Verfassers des. Straßenbuches aufgelöst und zur Namhaftmachung von Straßen-
I namen ein Unteraasschuß eingesetzt, der auf Antrag Professor Uhlirz' ein
j Verzeichnis von Straßennamen ohne Vornamen zusammenstellen soll.
Exzellenz Feldzeugmeister R. v. Samonigg wünscht in das Verzeichnis auch
die Namen Krön es, Richter und Teuffenbach aufgenommen.
501. Ausschußsitzung. Die Grabstätten Muchars und Wartingers
wurden auf Vereinskosten um 180 Kronen instandgesetzt und präsentiere»
sich nach dem Berichte des Obmannes ganz vorteilhaft. Die Stadtgemeinde
Graz wird ersucht, wieder dem Vereine als Mitglied beizutreten.
502. Ausschußsitzung. Die Reihe der in diesem Winter zu haltenden
Vorträge wurde in folgender Weise festgesetzt. Herr Regierungsrat
Dr. K. Reißenberger am 11. Dezember über: „Die deutschen Be-
siedlungen Siebenbürgens in älterer und neuerer Zeit"*,
Universitätsprofessor Dr. J, Losserth, am 10. Februar. 1 906 über: „Das
Haus Stubenberg in Böhmen". Im Laufe des Monats März hätte noch
ein solcher von Seite des Herrn Professors Dr. Meli stattfinden sollen. Derselbe
fiel aber aus und fand dafür am 30. Juni und I.Juli 1906 eine Wander-
yersammlung in Fürstenfeld statt, bei welcher Gelegenheit kais.Rat
Dr. Kapper einen Vortrag hielt über: „Die bauliche Entwicklung
und Bedeutung Fürstenfelds als Grenzfestung". Denä Vereine
wurde als Erinnerung an das langjährige Ausschußmitglied, den Dichter Oberst
Friedrich Marx, von dessen Tochter ein schönes Lichtbild geschenkt. Der
Ausschuß, beschloß, dieses Bild im nächsten Hefte der Zeitschrift, das einen
Lebensabriß des trefflichen Mannes bringen soll, zu reproduzieren.
503 Ausschußsitzung. Der Denkm a lau ssc hu ß für das Krone s-
denkmal, der seinerzeit aus dem Vereinsausschusse hervorgegangen ist, setzt
den Verein in Kenntnis, daß der Entwurf Professor Winkl ers zum Preise yo»
1000 Kronea angenommen wurde. Der Denkstein soll im Herbste 1906 in
der Aula der Universität zur. Aufstellung gelangen. Da durch die mäßige
Honorarforderung Professor Winklers ein Überschuß von zirka 500 Kronen
erzielt wird, beantragte Se. Exzellenz Fei Izeugmeister J. R. v. Samonigg,
diese Summe dem Historischen Verein für Steiermark als vinkuliertes Kapital?
zukommen zu lassen, von dessen Zinsen die Gräber seiner verdienteiv
Mitglieder erhalten werden sollen. Der Ausschuß dankt Sr. Exzellenz,
für diesen Beweis wohlwollender Fürsorge, Das Programm der 59. Jahres-
hauptversammlung (am 10. Februar, ursprünglich war der 26. Jänner be-^
stimmt) wird genehmigt. Satzungsgemäß schieden die Herren Dr. Kap per,.
Professor Khull und Professor v. Zwiedineck-Südenhorst aus dem
Ausschusse. Alle erklärten aber, eine Wiederwahl anzunehmen. An die
Steiermärkische Sparkasse soll ein Ansuchen um Erhöhung der
Subvention auf lOOO Kronen gerichtet werden, Professor Khull und Dr. Kapper
erklärten sich bereit, das Gesuch persönlich zu Oberreichen und bei* de»
Herren Ausschußmitgliedern vorzusprechen. Auch an den Steiermärkischer»
Landtag erging die Bitte um Erhöhung der Subvention auf 1500 Kronen,
da die der Landesbibliothek alljährlich vom Vereine zukommenden Werke
einen Buchwert von 3800 Kronen repräsentieren. Diesem Ansuchen wurde
besonders über Intervention des Herrn Reichsrats- und Landtagsabgeordneten
Dr. Hofmann v. Wellenhof Folge gegeben und auch die S t e i e r-
märkische Sparkasse erhöhte die Subvention auf 600 Kronen»
Es möge gestattet sein, hiefür an dieser Stelle den ergebensten Dank des
I Vereines zum Ausdrucke zu bringen. Direktor Professor Dr. Meli erklärte
infolge seiner Ernennung zum Sekretär der Historischen Landes-Kommvssion
für Steiermark und wegen Arbeitsüberbürdung die Obmannstelle nicht länger
beibehalten zu können. (Damit die Herren Mitglieder von der Zusammen«
96 Vereinsnachrichten.
Setzung des Ausschusses für IQ06 in Kenntnis sind, soll davon, obwohl nicht
mehr in den Rahmen dieses Berichtes fallend, hier Notiz genommen werden.)
Es wurde am 21. März Se. Exzellenz FeldzeuRraeister R. v, Samonigg ein-
stimmig zum Obmanne gewählt. Derselbe erklärte aber, die Wahl nicht an-
nehmen zu können. Aus dem Ausschusse ist Stadtschulinspektor Dr. Fretten-
sattel geschieden und Regierungsrat Dr. K. Reißcnberger. an seine
Stelle gewählt worden. Der Ausschuß besteht nun aus Regierungsrat
Dr. Reißenberger als Obmann, Professor Dr KhuU als Schriftführer
und Dr. Kapper als Zahlmeister. Beisitzer: Pfarrer J. H. Joherl, Professor
Dr. Cuntz, Professor Dr. Meli, Exzellenz Feldzeugmeister R. v. Samonigg,
Professor Dr. Uhlirz und Professor Dr. v. Z wiedineck-SQdenhorst.
Die Herausgabe der Zeitschrift wurde endgültig geregelt, indem sich Dr. K a p p e r
bereit erklärte, dieselbe bis auf weiteres zu übernehmen. Auch wurde be-
schlossen Ober Antrag Professor Uhlirz*, den Titel und die Lettern zu
ändern, so düß sie in einem neuen Kleide als „Zeitschrift des historischen
Vereines für Steiermark** erscheinen wird.
Was endlich die Bewegung unter den Mitgliedern und der Zahl be-
trifft,, so hatte der Verein zu Ende des Jahres 1904 308 Mitglieder, worunter
33 Ehrenmitglieder sind; verloren wurden durch Austritt und Tod 23, ge-
wonnen 12, so. daß sich mit Ende Dezember 1905 die Zahl von 298 Mit-
gliedern ergab. Neu eingetreten sind die Herren : Dr. Fritz Byioff, Privat-
dozent, Graz; Josef Holzer, k. k. Gymnasial-Professor, Graz; Geza Kodeila,
cand. iur., Graz; Anton Kodella, Graz; Dr, Josef Neubauer, Domkapitular,
f.-b. wirkl. Konsistorialrat und Referent etc., Graz; Fräulein Dr. Seraphine
Puchleituer, Hauptlehrerin an der landschaftlichen Lehrerinnenbildungsanstalt,
Marburg a. d. Drau; die Herren: Dr. Paul Puntschart, k. k. o. ö. Universitäts-
professor, Graz; Dr. Moritz Rüp.schl, Amanuen.sis der steiermärkischen
Landesbibliothek, Graz; Josef Winkler, Präfekt am öffentl. f.-b, Gymnasiuna
und Seminar, Graz; .Dr. Max Zaversky, Redaktionsmitglied des „Grazer
Tagblatt", Graz; Dr. Adam Schuh, k. k. Professor an der Staatsrealschute,
Marburg a. d. Drau; Marktgemeinde Ober-Zeiring. .
Im Berichtsjahre sind verstorben: Gottfried Edmund Frieß, Professor,
Seitenstetten ; Dr. Karl Gritz, Regenschori, St. Lambrecht; Dr. Wilhelm
Gurlitt, k. k. o. ö. Universitätsprofessor, Graz; Dr. Karl Hiller, k. k. Regierungs-
rat und o. ö. Universitätsprofessor; Josef Hütter, Kaplan, Deutsch-Landsberg;
Friedrich Marx, k. u. k. Oberst, Graz (dessen Lebensbild leitet dieses Heft
ein); Dr. Eduard Richter, k. k. Hofrat und o. ö. Universitätsprofessor (über
dessen Lebensgang vergl. 1 . und 2. Heft des lU. Bandes dieser Zeitschrift) ;
Johann ROsch, Pfarrer, Vordernberg; Johann R. v. St'-eruwitz, k. u. k. Oberst,
Mies in Böhmen; Juri Zmavc, Pfarrer, St, Georgen bei Mahrenberg.
Am Ende des abgelaufenen Vereinsjahres stand der historische Verein
mit 298 Vereinen und Körperschaften im Schriften tausche, deren Veröffent-
lichungen alljährlich einen Wert von 3800 Kronen darstellen. Darunter
waren 232 deutsch-holländische, 18 slawische, 22 französische, 10 italienische,
6 englisch-amerikanische und 10 schwedisch-norwegische.
In der Hauptversammlung stellte kaiserl. Rat Professor Ferk den An-
trag „Die Versammlung wolle den Wunsch aussprechen, daß der Ausschuß
die Fortsetzung des Werkes ,Styria illustrata* in baldige Beratung ziehe".
Nach den aufklärenden Worten de.s Vorsitzenden, daß das Werk bis zum
30. Bogen gedruckt sei, nimmt die Versammlung den Antrag Ferks an.
Nach dem der Hauptversammlung vorgelegten Kassebericht stellt sich
die Vermögenslage des Vereines in folgender Weise dar:
Vereinsnachrichteri.
97
Geldgebarung im Jahre 1905«
Ausgaben. K
1. An Schriftenmaler Kraus " 16*50
2. Gehalt dem Diener Kager 192 —
3. Pension dem alten Diener
Anderl.. 120-—
4. Remunerationen u.Trink-
gejder an Diener, Brief-
träger etc.-. . •. •. . . 22-19
5. Postauslagen (allein fQr
Nachsendeji der rekla-
mierten Publikationen
aus früheren Jahren
K 111-55) 238-31
6. An Pappermann fOrAuto-
graphien 4*90
7. An Vereinsdruckerei für
Drucksorten 13*10
8. Kranz für Hofrat Richter 34-—
9. Jahresbeiträge an Vereine
und Museen 70*95
10. Photographien und Cli-
ch^s für die Zeitschrift,
hauptsächlich bei Angerer
und Göschl in Wien . 174-50
lU Ehrengaben an die Orts-
chronisten Kremer und
Krones 83-20
1 2. An Steinmetz Schrödl für
Herstellungen am Grabe
Muchars ...... 120-—
1 3. An Steinmetz Schrödl für
Neuherstellung von War-
• tingers Grab 60- —
15. An . Druckerei Leykam
für den Druck der Bei-
tiäge 32, 38 und 34 und
1. u. 2. Heft derZeitschr. 2412'70
Summe 3562-45
Einnahmen. K
1. 1./1. 1905 Kasserest von
1904 ........ 695-33
2. 24./2,VonCieslar für ver-
kaufte Vereinsschriften . 198* —
3. 17./2. Subvention des
steierm. Landtages . . 1Ö50' —
4. 29/3. Subvention der
steierm. Sparkasse . . 400- —
10./5. Vom Antiquar
Rohracher für verkaufte
Vereinsschriften . .
161-
6. 1./6. Vom . Antiquar
Rohracher Abschlags-
zahlung für verkaufte
„Muchar« 300-—
7. l./l.-31./12.Mitglieder-
beiträge mit Abzug von
4% für den Einkassierer 1465-20
8. l./l.— 31./12. Für ein-
zeln verkaufte Vereins-
schriften 141-20
9. 31./12. Zinsen der Es-
komptebank . . ... . 25*62
10. 31./12.Sparkassebuchfttr
Wartingers Graberhal-
tung .... . . 80*99
Summe 4517*34
Rest' 954-89
Kais. Rat Dr. A. Kap per.
derzeit Zahlmeister.
Museäldirektor Prof. K. Lacher,
' derzeit Eechnangsprüfer.
Kais. Rat Prof. Fr. Ferk,
derzeit Rechnungsprüfer.
Vereinsnachrichten.
Voranschlag pro 1906.
Ausgaben. K Bedeckung. K
1. Kasserest von 1905 . . 954*89
2. Subvention des steier-
märkischen Landtages » 1050' —
3. Subvention der steier-
märkischen Sparkasse . 400* —
4. Mitgliederbciträge-. . . 1500- —
5. Verkauf an Vereinsschrif-
ten 100*—
6. Vom Antiquar Rohracher
noch ausständig . . . 580* —
30 —
1. Druckkosten der Zeit-
schrift
2. Druckkt>sten der Beitrage
3. Gehalt dem Diener Kager
4. Pension dem alten Diener
Anderl
5. AnPörtoauslagen.Trink-
gelder etc
6. Kanzleierfordemis . . .
7. Mitgliederbeiträge an aus-
wärtige Vereine und
Museen, Steuer etc. . •.
8. Nachtragszahlung an
Leykam für Schönbachs
Aufsatz in Beitrag 32
(Miszellen aus Grazer
Handschriften) ....
9. Prämien für Orts-
chronisten
K
1100
600
192;
120'
200
200
100-—
300--
100--
Summe 2912'—
7. Zinsen pro 1906 .
Summe 4614 89
Rest 1702-89
Der historische Verein hat, um das Interesse an der Geschichte unseres
lindes zu wecken, die alte Institution der Wanderversammlungen wieder
aufleben lassen und veranstaltete eine solche über Einladung der Stadtgemeinde
Furstenfeld am SO. Juni und 1. Juli in diesem Orte. 40 Teilnehmer, Herren
und Damen, machten die Fahrt von Graz aus mit. Die Festversammlung
aro 30. Juni, 8 Uhr abends im großen Saale des Brauhauses, der kaum die
große Anzahl der Teilnehmer, es dürften an 500 Personen gewesen sein,
zu fassen vermochte, wurde durch begrüßende Worte des Herrn Bürger-
meisters Karl Pferschy eingeleitet. Nach kurzer Erwiderung seitens des
Vereinsobmannes ergriff kaiserl. Rat Dr. A. Kapper das Wort zu seinem
Vortrage: „Die Bedeutung und bauliche Entwicklung Fürstenfelds als Grenz -
festung**. Daran schloß sich ein äußerst gemütlicher, geselliger Abend. Am
nächsten Vormittage fand eine Besichtigung der wichtigsten alten Gebäude
und der Überreste der alten Festungsbauten statt, wobei der Vortragende an
Ort und Stelle im Anschlüsse an das am vorigen Abend Gehörte die Be-
deutung der einzelnen Objekte erklärte.
Die Warderversammlung, über die hier vorläufig dieser kurze Bericht
Platz finden möge, muß in allen ihren Teilen als sehr gut gelungen bezeichnet
werden, wozu wohl in erster Linie das außerordentlich freundliche Ent-
gegenkommen der Stadtvertretung und. die große Liebenswürdigkeit der Be-
wohnerschaft Fürstenfelds das Wesentliche dazu beitrugen, woftlr ihnen allen der
wärmste Dank ausgesprochen sei. Der historische Verein ist einerseits seinem
Zwecke, der auch in der Pflege der Ortsgeschichte, der Weckung des
historischen Interesses überhaupt und in der Volkstümlichmachung der Ge-
schichtswissenschaft besteht, vollinhaltlich nachgekommen, anderseits wuchsen
dem Verein eine Anzahl neuer Mitglieder zu. Möge die nächste Wander-
versammlung von gleichem Erfolge begleitet sein.
Vereinsnachrichten. 99
Im Herbste dieses Jahres ist eine Besichtigung des restaurierten Schlosses
Hollenegg unter fachmännischer Führung des Herrn Direktors K. Lacher ge-
plant. Der Ausflug umfaßt einen Tag. Die Herren Mitglieder werden recht-
zeitig davon durch die Tagesblätter verständigt werden.
t
Dn Johann Nep. Graf zu Gleispach. Am 22. Februar starb
zu Graz der Präsident des Grazer Überlandesgerichtes, Minister a. D.
Dr. Johann Nep. Graf zu Gleispach, Freiherr auf Waldegg und Ober-Rakitsch,
Herr auf Kainberg und Pirkwiesen. Er war am 29. September I840 in
Görz geboren worden und hatte an der Grazer Universität seine juridische
Ausbildung erhalten. Er hatte sich auf archivalischem Gebiete insoferne
große Verdienste erworben, als er die alten Grund- und Urkundenbücher der
steirischen Patrimonialherrschaften vor dem Untergange rettete und dieselben
in einer Anzahl von zirka 6000 Bänden zur dauernden Aufbewahrung dem
steiermärkischen Landesarchive Ober wies.
100
Nachricht.
Im Jahre 1905 trat an Stelle der „Mitteilungen" die „Steirische Zeit-
schrift für Geschichte." Dieselbe wandte sich „nicht nur an Fachmänner und
Gelehrte, sondern an alle, die über den Fortgang der geschichtlichen Studien
in der Steiermark und den Nachbarländern regelmäßig in Kenntnis gesetzt zu
werden wünschen und an Einzelunternehmungen und Geschichtserzahlungen
geringeren Umfanges .Gefallen finden.**
Eine dreijährige Erprobung und Erfahrung ließ nun eine kleine Änderung
im Äußeren dieser Zeitschrift wünschenswert, erscheinen. Am 30. April 1906
wurde in der 508. Ausschußsitzung über Antrag des Herrn Professor Dr.
K. U h 1 i r z beschlossen, den Titel abzuändern und einen solchen zu wählen ,
der dem Wesen der Zeitschrift mehr entspricht Als solcher wurde „Zeit-
schrift des historischen Vereines für Steiermark'* gewählt.
Gleichzeitig wurde beschlossen, diese Zeitschrift von nun ab mit Antiqua-
lettern zu drucken, die Personal nachrichten nur auf Neuanmeldungen und
Todesfälle zu beschränken und den historisch-geneologischen Fragekasten ent-
fallen zu lassen. In der Zeitschrift soll Polemik grundsätzlich vermieden
werden.
Form, Umfang, Inhalt und Tendenz bleiben aufrecht erhalten. Des-
halb wurde auch die alte Numerierung weitergeführt und ist demnach die
„Zeitschrift des historischen Vereines für Steiermark" nichts anderes als die
Fortsetzung der „Steirischen Zeitschrift für Geschichte". Der historische Verein
für Steiermark gibt also nach wie vor zwei Publikationen heraus, die „Bei-
träge etc." und die „Zeitschrift etc.*'
In Kommission der VcrlagsbuchhAndlung „Leykam*.
Druckerei »Leykam", Graz.
Ankündigung.
Zufolge Ausschußbeschlusses werden die früher erschienenen Publi-
kationen des Historischen Vereines für Steiermark durch die Vereinskanzlei
(Landesar chiVy Hamerlinggasse 3) bis auf weiteres zu bedeutend
herabgesetzten Preisen verkauft, nämlich:
1. Mitteilungen des Historischen Vereines fOr Steiermark,
seit 1850. Preis per Heft 60 Heller. (Vergriffen sind Heft 1, 2, 3. 4.
5, 10, 11, 12. 13. 17 und 18.)*
2. Beitrage zur Kunde steierni9rkisclier Gescliiclitsquellen,
seit 1864. Preis per Helt 60 Heller. (Vergriffen sind Heft 6. 7.9.10,27.)*
3. Steirische Zeitsclirift fflr Gesciiiclite, l. n. und m. Jahrgang.
1903 — 1905. Preis 4 Kronen. '
4. SteiermSrkisches Landrecht des Mittelalters, bearbeitet von
Br. Ferdinand Bisch off, Graz 1875. Preis l Krone.
5. Urkundenbuch des Herzogtumes Steiermark, bearbeitet von
Dr. Josef von Zahn, I. Band, Graz 1875. ^reis 5 Kronen; IL Band,
Graz 1879» Preis 4 Kronen; HI. Band. Graz 1903. ftir Mitglieder
8 Kronen. Ladenpreis 14 Kronen.
6. Der Historisclie Verein fOr Steiermark, sein Werden und Bestand,
von Dr. Fr. Krön es Ritter von Marchland. Preis 20 Heller.
7. Sigismund Grafen von Auerspergs Tagebuch zur Geschichte
der französischen Invasion voeq Jahre 1797. Veröffentlicht von Kratoch-
will. revidiert und mit Erläuterungen versehen von Dr. Fr. Krön es
Kitter von Marchland. Separatabdruck aus dem 28. Heft der ,,Mittei-
lungen", Graz 1880; Preis 50 Heller.
8. Ober das angebliche Turnier von 1194 und den Tummel-
platz zu Graz* Von Dr Josef von Zahn. Separatabdruck aus dem
35. Hefte der ..Mitteilungen". Graz 188 7. Preis 50 Heller.
9. Die Festversammlung des Historischen Vereines für Steier-
mark am 20« November 1892 zur Feier der 700jährigen Vereinigung
der Steiermark mit Österreich. Preis 30 Heller.
10. Obersicht der in den periodischen Schriften des Historischen
Vereines fflr Steiermark bis einschließlich 1892 veröffent-
lichten Aufsätze. Preis 40 Heller.
*) Vergriffene Hefte werden lurückgekauft.
Inhalt des Heftes:
Ignaz Beck. Oberst Friedrich Manc
Karl Lacher. Die Hausindustrie und Volkskunst in Steiermark.
J. Loserth. Das Haus Stubenberg in Böhmen«
Karl Reissenberger. Die deutschen Besiedlungen Siebenbürgens
in älterer und neuerer Zeit
Ferdinand Strobl v« Ravelsberg. Wallenstein und die deutsche
Armeesprache.
Literaturberichte : A. Lang« ActaSalzburgo-Aquilejensia. (J. L o s e r t h.)
K. Schiffmann, Dr., Archiv ftlr Geschichte der Diözese Lmz.
(M. Doblinger.)
F. V. Andrian, Die Altausseer. (Dr. KhuH«)
St Kekule v. Stradonitz, Ausgewählte Au&ttie aus dem Gebiete
des Staatsrechtes und der Genealoge. (OTf Khull.)
A. V. PantZ| Die Innerberger Hauptgewerkfchaft (J. Seh mut)
Styriaca aus den Mitteilungen der Zentral-Kommission. IV. Band.
Historischer Atlas der Österreichischen Alpenländer.
Das deutsche Rechtswörterbuch. (Dr. E. Freiherr v. KOnssbe r^ )
F. Strobl V. Ravelsberg, Metternich und seine Zeit
K. Mayer, Historische Streifzüge durch Klagenfurt.
Zeitschriflenschan.
Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen.
Vereinsnachrichten.
Die P. T. Mitglieder werden ersucht, bei ihren Sonimeraufenthalten oder
Wanderungen im Lande das Interesse des Vereines wahrzunehmen durch
Weckung des historischen Sinnes auf dem flachen Lande, durch Werbung
neuer Mitglieder und Verbreitung der Vereinspublikationen.
Drucker«! „Leykam**, Graz.
IV. JAHROANQ. 3. UND 4. HEFT.
'i>l
.Hl
ZEITSCHRIFT
l DES
f
HISTORISCHEN VEREINES
FÜR
STEIERMARK.
^^^
HERAUSGEGEBEN VON DESSEN AUSSCHUSS.
REDIGIERT VON
DR. ANTON KAPPER.
GRAZ 1906.
IN KOMMISSION DER VERLAGS-BUCHHANDLUNG „LEYKAM"
Ml
Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
^^
ffSXMKL^
Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
Von Franz Ilwof. *
Es ist eine gewiß lobenswerte Gepflogenheit des Historischen
Vereines für Steiermark, welche er seit vielen Jahren als
angenehme Pflicht vollzieht, denjenigen seiner Mitglieder,
welche sich um ihn verdient gemacht haben, in seinen Ver-
öffentlichungen nach ihrem Hinscheiden Nachrufe (Biographien,
Nekrologe) zu widmen, um das Andenken an ihr Wirken so
lange als möglich wachzuerhalten und sie und damit auch
sich selbst zu ehren. Es geschah dies, so lange die „Mit-
teilungen** bestanden, in dem eigens zu diesem Zwecke ge-
gründeten „Gedenkbuch** und seither in der „Zeitschrift**.
Wenn irgend jemand um den Verein sich ansehnliche
Verdienste erworben hat, außer bedeutenden Leistungen auf
<lem Gebiete der Geschichte der Neuzeit Vorragendes auch in
der Erforschung und Darstellung der Geschichte ; der Steier-
mark geliefert hat und daher eine eingehende VVürdigung
seiner Person und seines wissenschaftlichen Wirkens vollauf
verdient, so ist es der leider zu früh Hingeschiedene, dessen
Name an der Spitze dieser kleinen Arbeit steht, der aber auch
durch seine Betätigung als Lehrer an der größten Landes-
mittekchule, als Leiter der großen Landesbibliothek am Joan-
neum und als Professor der beiden Hochschulen unserer Stadt
unvergessen bleiben wird. Diesem Manne also sollen die fol-
genden Zeilen gewidmet sein, deren Verfasser dem Verblichenen
durch vierzig Jahre als Freund und durch zwölf Jahre als
Amtsgenosse nahe stand und der deshalb glaubt, nicht un-
geeignet zu sein, ihm Worte des Nachrufes zu widmen.
1 Die mit eckigen Klammern [ ] eingefangenen Stellen sind will-
kommene Ergänzungen von Herrn kais. Rat Dr, Anton Kapp er, I. Adjunkten
Jes stelermärkischen Landesarchives, einem Schüler und Verehrer Zwiedinecks.
<4 8
102 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
Hans von Zwiedineck-Südenhorst wurde als
Sohn des k. k. österreichischen Artillerie-Oberst Ferdinand
Zwiedineck (am 25. Juni 1854 niit dem Prädikate Edler von
Südenhorst in den Adelstand erhoben) am 14. April 1845 zu
Frankfurt am Main geboren, wo der Vater als Mitglied der
Militärkommission beim deutschen Bundestage zugeteilt war;
1848 abberufen, machte Oberst Zwiedineck den Feldzug in
Ungarn mit und stand seit 1850 in leitender Stellung in der
Armee Radetzkys in Italien. Da erregte* sein offenes rück-
haltloses Auftreten gegen die Fehlgriffe und Fahrlässigkeiten
einiger Vorgesetzten, welche ihm im artilleristischen Wissen
weit nachstanden, den Unwillen einer damals im Artillerie-
Oberkommando herrschenden einflußreichen Clique, gegen die
selbst die Anerkennung, welche ihm von seiten Radetzkys zu-
teil wurde, nicht aufzukommen vermochte. Seine Gegner be-
nützten die Erkrankung des Kaisers infolge des Libenyischen
Attentates und erwirkten die Versetzung des Obersten in den
Ruhestand. Er zog sich nach Graz zurück, wohin sich seine
Gemahlin mit den Kindern bereits 1848 begeben hatte. So
wurde Graz und die Steiermark unserem Hans v. Zwie-
dineck zur vollen Heimat, daß wir ihn als unseren echten
und rechten Landesgenossen betrachten können.
Hier besuchte er das Gymnasium, an dessen Lehrer,,
besonders an die hier wirkenden Benediktiner des Stiftes
Admont, er in späteren Jahren noch oft dankbar und in
freudiger Rückerinnerung dachte und dieser in lieben Worten
Ausdruck gab. Er studierte an der juridischen Fakultät
durch vier Semester, [konnte aber dem römischen Rechte kein
Interesse abgewinnen, so sehr ihn das deutsche Recht anzog,
was auch mitbestimmend war, daß er sich ganz der Historie
widmete] und an der philosophischen Fakultät wendete er sich
sodann dem Studium der deutschen Sprache und Literatur
und der Geschichte zu.
Im Jahre 1866 wurde sein Bruder Hauptmann Anton
von Zwiedeneck in der Schlacht bei Königgrätz schwer ver-
wundet; auf diese Nachricht eilte der Vater in Begleitung^
seines jüngsten Sohnes Hans nach Böhmen, um dem Ver-
letzten wenn möglich Hilfe zu bringen. Sie fanden ihn in dem
von den Preußen besetzten Orte HorSiö in einem Bauernhause.
Nach vielfachen Mühen gelang es ihnen, die Erlaubnis zu er-
wirken, den todkranken Bruder nach Prag zu schaffen. Oberst
^ Wurzbach, Biographisches Lexikon des österreichischen Kaiser-
staates. Wien 1891. LX, 337—341.
Von Franz Ilwof. 103
V. Zwiedineck, der greise Vater mußte, von den Anstrengungen
erschöpft, nach Graz zurückkehren. Hans blieb in Prag und
es gelang ihm den Schwerverwundeten in das von der Gräfin
Colloredo errichtete Spital zu bringen. Erst nach vielen Wochen
war er so weit genesen, daß Hans den Bruder nach Graz
geleiten konnte, wo er seitdem bis zu seinem Tode als Major
in Pension lebte. Hans v. Zwiedineck erzählte später oft von
seinen damaligen Erlebnissen mitten im feindlichen Heere, von
den Schwierigkeiten trotz Passierscheines mit dem verwundeten
österreichischen Offizier durch die preußischen Vorposten zu
kommen und da alles Fuhrwerk für Kriegszwecke requiriert
war, doch noch einen Wagen zum Transport des Kranken
aufzubringen.
Im Jahre 1 867 erlangte Zwiedineck die philo-
sophische Doktorwürde und trat als Aspirant in die Landes-
bibliothek am Joanneum ein. Am 15. April 1869 wurde er
zum Supplenten an der Landes-Oberrealschule ernannt, legte
die Lehramtsprüfung für Geschichte, Geographie und deutsche
Sprache mit günstigem Erfolge ab, wurde Lehrer und 1873
Professor an dieser Lehranstalt. Er war ein geborener Lehrer,
warmer Freund der Jugend, ein ausgezeichneter Pädagoge
aus sich selbst, ohne vorhergegangene philosophische und päda-
gogische Studien ; er war es nicht nach dem Buche, aus dem
Leben heraus. Rasch hatte er die Herzen der studierenden
Jugend gewonnen, frisch imd frei strömte ihm beim Unter-
richte das Wort von der Zunge, stets wußte er die Auf-
merksamkeit der Schüler zu fesseln, ihren Eifer anzuspornen ;
an den Schulfesten, an den Ausflügen der Schüler, an musika-
lischen Aufführungen derselben nahm er stets den regsten
Anteil, ja wirkte dabei meistens als Arrangeur und Leiter;
kleine Fehler der studierenden Jugend übersah er, gute
Leistungen wurden von ihm immer voll anerkannt, „wohl-
wollend und gerecht" war der Leitstern seines Wirkens als
Lehrer, so daß jetzt noch viele seiner einstigen Schüler, die
mm in höheren Lebensstellungen sich befinden, ihres einstigen
edelgesinnten und hochgebildeten Lehrers sich freudig und
dankbar erinnern. Nicht bloß Vermehrung des Wissens bei
seinen Schülern, auch Bildung des Charakters, Aneignung
feiner Lebensformen war sein Streben, das auch schöne Er-
gebnisse erzielte.
Am 6. Juni 1872 starb Hans von Zwiedinecks Vater
der Oberst Ferdinand von Zwiedineck (geb. 19. Oktober 1791),
was den Sohn mit tiefer Trauer erfüllte.
8*
104 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
Außer seiner unmittelbaren Lehrtätigkeit an der Landes-
oberrealschule hatte Zwi edineck an ihr auch als Bibliothekar
der Lehrer- und Schülerbibliothek und der Bücher-, der Lehr-
und Lemmittelsammlung des Unterstützungsvereines für dürf-
tige und würdige Studierende der technischen Landeshochschule
und Oberrealschule höchst ersprießlich gewirkt. Bei dem Schul-
feste am 2. Dezember 1873 zur Feier des fünfundzwanzigsten
Jahrestages der Thronbesteigung des Kaisers hielt er eine der
Festreden. Er warf einen Rückblick auf die Geschichte Österreich-
Ungarns seit dem Regierungsantritte des Kaisers, worin er
der vielen Hindernisse gedachte, welche überwunden werden
mußten, bis es gelang, unter der Sonne freiheitlicher Einrich-
tungen, als deren Schirmer der Monarch sich feierlich erklärt
hatte, im fünfundzwanzigsten Jahre seiner Regierung ein Werk
des Friedens ins Leben zu rufen, einen Wettkampf mit allen
Nationen um den Vorrang in der Verbreitung des materiellen
Wohlstandes und der geistigen Blüte (die Wiener Weltaus-
stellung), den die Völker Österreich-Ungarns in der Hauptstadt
des Reiches ehrenvoll mitzukämpfen sich nicht scheuten. —
Als am 11. April 1876 Anton Alexander Graf Auersperg,
der Dichter und Staatsmann in Graz seinen siebzigsten Ge-
burtstag feierte, wurde ihm vom Lehrkörper der Landesober-
realschule eine Glückwunschadresse überreicht, welche der
Jubilar huldvoll und dankend entgegennahm und in einer An-
sprache und später in einer Zuschrift erwiderte. Der Verfasser
dieser glänzend geschriebenen Adresse war Zwiedineck. —
Auch bei der Feier, welche am 24. April 1879 ^^^
Anlaß der silbernen Hochzeit unseres Kaiserpaares von den
Landeslehranstalten im Landtagssaale war veranstaltet worden,
hielt Zwiedineck eine der Festreden. Er hob hervor, daß
bei diesem Feste alle Völker des weiten Reiches von inniger
Vaterlandsliebe beseelt seien, erörterte dann, was man unter
Vaterlandsliebe versteht, daß für den Österreicher Patriotismus
und dynastisches Gefühl untrennbar verbunden sind, daß wir
bei unserem Kaiser das alte Österreich finden, dem unsere
Väter gedient, dem sie soviel Liebe und Treue erwiesen und
das sie auch uns lieben lehrten; in diesem Geiste mögen alle
Völker dieses Fest feiern und sie mö^en es mit ungeteiltem
Jubel in alle Welt ertönen lassen, daß Fürst und Volk sich
liebend die Hände reichen seht hin auf ein in der Freude
einiges Volk, seht den würdigsten Träger der herrlichsten
Kronen, vernehmet die Huldigung, die ihm alle zollen, ver-
nehmet die Rufe der Liebe, des Dankes, die von Millionen
Von Franz llwbf. 105
Lippen ertönen, ohne anderen Antrieb, als das eigene Herz,
vernehmet es und — lernt den Glauben an Österreich. „Wir
aber, die wir in diesem Glauben wirken und schaffen, wie es
uns mit unseren besten Kräften vergönnt ist, wir deutschen
Österreicher, wir wollen eingedenk sein, daß uns unsere Ab-
stammung, unsere Geschichte und die Sitte unseres Volkes
ein Vorrecht gewährt: wir werden als die ältesten Mannen,
die sich zuerst unter allen Völkern des Reiches dem Habs-
burger gelobt, den Ehrenplatz einnehmen, wenn es gilt, mit
Schild und Schwert dem Feinde ins Auge zu blicken, wir
werden als die letzten und immer Getreuen ausharren an der
Seite unseres Kaisers und Herrn."
Im Jahre 1875 hatte sich Zwiedineck als Privatdozent
für neuere und neueste Geschichte an der Karl-Franzens-
Universität habilitiert und 1880 wurde ihm vom steiermärkischen
Landesausschusse die Leitung der Landesbibliothek am Joan-
neum übertragen. Als er infolgedessen 1881 von der Landes-
oberrealschule schied, bedauerten der Direktor, die Professoren
und die Schüler auf das lebhafteste diesen Verlust, denn er
hatte durch zwölf Jahre als vorzüglicher Lehrer, als treuer
Kollege, als Freund der studierenden Jugend von allen hoch
geächtet; von den Schülern innigst geliebt an ihr gewirkt.
Mit Beschluß des steiermärkischen Landesausschüsses
vom 10. Juli 1880 wurde Zwiedineck die provisorische
Leitung der Landesbibliothek am Joanneum mit allen Rechten
und Verpflichtungen eines Bibliothekars übertragen und am
1. August trat er dieses Amt an. Damit war ihm ein großes
und fruchtbares Feld zur Betätigung des Organisationstalentes,
das er in hohem Maße besaß, eröffnet. Mit Ende 1880 zählte
diese Bibliothek 80.410 Bände und Hefte, bis IQOO, als
Zwiedineck als Bibliothekar in den Ruhestand trat, war ihr
Bücherbestand auf 146.OOO gestiegen. Aber nicht bloß diese
Vermehrung erfolgte unter seiner Leitung, auch die innere
Organisation der ihm anvertrauten Bücherei war total umge-
staltet worden. Schon im Jahre 1881 wurde die Bibliothek
in Hinsicht auf ihre Bestimmung und innere Entwicklung auf
eine lieue Grundlage gestellt. Da die technische Hochschule,
welche aus dem Joanneum hervorgegangen war und in innigem
Zusammenhange: mit demselben stand, 1874 vom Staate über-
nommen wurde und eine eigene Bibliothek erhielt, entfiel für
die Jöanneumsbibliothek die Notwendigkeit, den Professoren
und Hörern derselben ihre Literatur zu beschaffen und kqnnte
die Lahdesbibliothek ihrer ursprünglichen Bestimmung wieder
106 Hans von Zwiedineck-SOdenhorst.
zugeführt werden, als Fachbibliothek für die Vorstände, Be-
amten und Benutzer jener Musealabteilungen zu dienen, welche
im Joanneum vereinigt sind und anderseits eine Bildungsanstalt
für die gesamte Bevölkerung des Landes, auch jene, welche
nicht gelehrten Berufszweigen sich widmen, zu sein. Zwiedineck
hatte daher in Hinkunft gewisse Disziplinen an der Bibliothek
nicht mehr zu pflegen, andere jedoch nach Maßgabe ihrer
Wichtigkeit und der Zulänglichkeit der Mittel zu kultivieren.
Hiezu gehören Geschichte, Naturkunde, Naturgeschichte, Land-
wirtschaft, Gewerbewesen, Handel, Hauswirtschaft, Staatswissen-
schaften, Soziologie, Literatur der schönen Künste, Bibliotheks-
kunde, Sammelwerke, Enzyklopädien und Zeitschriften, soweit
sie auf die obengenannten Disziplinen Bezug haben und in
hervorragender Weise Styriaca.
Ein zweites glänzendes Ergebnis für die Landesbibliothek
im Jahre l88l war das großartige Vermächtnis, welches der
k. k. Oberfinanzrat und Gutsbesitzer Dr. Franz Ritter v. Heintl
in Wien ihr hinterließ. Er bestimmte in seinem Testamente,
daß seine Bibliothek dem Joanneum in Graz zufallen solle.
Zwiedineck wurde vom Landesausschusse mit der Inter-
vention bei der Inventarisierung und Schätzung und mit der
Übernahme des Legates betraut, welche Vorgänge 22 Tage
in Anspruch nahmen und für die Bibliothek einen Zuwachs
von 22.856 Bänden und Heften ergaben, und zwar durchaus
wertvollen Inhalts. Nach Graz gebracht, wurden sie der Landes-
bibliothek angereiht, wodurch dem Leiter derselben und seinen
Beamten groiSe Arbeitslasten erwuchsen, die jedoch alle in
relativ kurzer Zeit bewältigt wurden.
Für den 70. Jahresbericht des Joanneums zu Graz über
das Jahr 1881 (Graz 1882) lieferte Zwiedineck eine biogra-
phische Skizze „Dr. Franz Ritter v. Heintl", in welcher
er das Leben und Wirken dieses für das Joanneum so un-
gemein wohlwollenden und großmütigen Erblassers entwarf,
welche mit den Worten schließt: „Am 5. März 1881 verschied der
Mann, der es wie wenige verstanden hatte, sein Leben durch
geistige Arbeit und durch ein offenes Herz für alles, was den
Menschen erfreuen kann, genußreich zu gestalten. Das schönste
Denkmal hat er sich selbst errichtet durch die Stiftung, ver-
möge welcher seine Büchersammlung in die Landesbibiiothek
am Joanneum übergegangen ist, wo ihre Benutzung noch
tausenden Belehrung und künstlerische Befriedigung gewähren
wird. Das Land Steiermark, dem er so viel Liebe und Dank-
barkeit entgegengebracht hat, erfreut sich durch sein Ver-
Von Franz Ilwof. 107
mächtnis eines kostbaren Schatzes, der gewiß dazu beitragen
kaiin, anregend und fördernd für seine Bewohner zu wirken.
Dies wird um so sicherer geschehen, je leichter die auf nahezu
ilO.OOO Bände angewachsene BiWiothek auch den außerhalb
Graz wohnenden Literaturfreunden zugänglich gemacht wird,
je eifriger wir an der Verwirklichung der Ideen arbeiten, von
welchen jetzt die Reformen des Bibliothekswesens ausgehen
und die in dem Bestreben gipfeln, die öffentlichen Bibliotheken
nicht nur als wertvolle Sammlungen zu erhalten und zu er-
weitem, sondern sie zu Bildungsanstalten zu machen, welche
das Volk in seiner Gesamtheit in Verbindung bringen mit der
geistigen Arbeit der einzelnen, die sich derselben widmen.*'
An Zwiedineck trat nun überhaupt und im besonderen
infolge der großartigen Vermehrung der Landesbibliothek
durch Heintls Vermächtnis die Notwendigkeit der Reorgani-
sation der unter seiner Leitung stehenden Bücherschätze heran.
Er unternahm, um auf diesem Gebiete Erfahrungen zu sammeln,
eine Studienreise zur Besichtigung einer Reihe hervorragender
Bibliotheken des In- und Auslandes und schritt dann, da die
noch geltende Instruktion von 1866 längst veraltet war, zur
Abfassung einer neuen für die Verwaltung der Bibliothek;
zunächst wurde eine neue Signierung vorgenommen und ein
systematischer Zettelkatalog angefertigt. Als am 20. Jänner 1882,
dem Tage, an dem hundert Jahre vorher Erzherzog Johann
das Licht der Welt erblickt hatte, in Graz eine große glänzende
Festfeier stattfand, war es Zwiedineck, der in Vertretung
der dem Joanneum angehörigen Landesinstitute die Festrede
hielt. An der zur Feier der Einführung der Buchdruckerkunst
(1482) in Wien veranstalteten Ausstellung von Wiener Drucken
war die Joanneums-Bibliothek mit 18 Werken beteiligt.
An der 1883 in Graz veranstalteten Ausstellung kultur-
historischer Gegenstände zur Feier der öoojährigen Regierung
des Hauses Habsburg in Steiermark beteiligte sich die Joanneums-
Bibliothek in vortretender Weise ; sie stellte aus a) Druck-
werke, welche von Steiermärkem oder in Steiermark her-
gestellt wurden, b) Werke hervorragender Autoren, welche
entweder aus Steiermark stammen oder eine längere Reihe
in Steiermark gewirkt haben, c) seltene Druckwerke aus
steirischen Bibliotheken, d) Manuskripte und Bucheinbände,
e) Auswahl steirischer Zeitschriften, im ganzen Ql Werke;
die Zeitungs-Sammlung war bis auf eine Nummer durchaus
den Beständen der Bibliothek entnommen. Bei der achttägigen
Anwesenheit Sn Majestät des Kaisers Franz Jos^pfh I.
108 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
gelegentlich dieser Feier in Graz, besuchte der Allerhöchste
Herr auch die Landesbibliothek, wobei Zwiedineck die
Ehre der Führerschalt hatte. Der Kaiser geruhte, den Aller-
höchsten Namen in das dort seit l8il aufliegende Gedenkbuch
einzuzeichnen und sprach sich anerkennend über das Gesehene aus.
Am 12. Juli 1883 systemisierte der steiermärkische
Landtag die Stelle eines Bibliothekars am Joanneum und der
Landesausschuß verlieh sie definitiv am 16. Juli dem bis-
herigen provisorischen Vorstande v. Zwiedineck.
Im Jahre 1884 gelang es ihm die längst schon dringend
nötige Vermehrung der Lokalitäten zu erreichen, wodurch es
möglich wurde, die Bibliothek der k. k. Hochschule, welche
noch immer durch die Vorstehung der Landesbibliothek ver-
waltet wurde, in einem von dieser geschiedenen Räume auf-
zustellen, den Lesesaal durch Entfernung von Kästen seiner
ursprünglichen Bestimmung wiederzugeben und in die Auf-
stellung der verschiedenen Abteilungen der Landesbibliothek
bessere Ordnung zu bringen. Die Bibliotheca styriaca erhielt
ein eigenes Zimmer, die politischen und belletristischen Zeitungen
wurden einer besonderen Sichtung unterzogen und in eigenen
Räumen untergebracht. Für die Publikationen der Akademien
und wissenschaftlichen Vereine wurde ein eigener Zettelkatalog
angelegt.
Als im Jahre 1887 die k. und k. Hoheiten Kronprinz
Erzherzog R u d o 1 f und Kronprinzessin Erzherzogin
Stephanie in Steiermark und in Graz weilten, wurde am
26. Oktober der Joanneumsbibliothek die Ehre Ihres Höchsten
Besuches zuteil. Die Höchsten Herrschaften begaben sich in
die Räume der Landesbibliothek, wurden durch Zwiedineck
auf die dort ausgestellten Cimelien, Inkunabeln, steirischen
Kostümbilder, Ortsbilder u. dgl. aufmerksam gemacht und
trugen Höchstihre Nanien in das schon oben erwähnte Ge-
denkbuch ein.
Die Bibliothek der k. k. technischen Hochschule, welche
bisher von dem Vorstande der Landesbibliothek verwaltet
worden war, wurde 1888 in der Stärke von 7000 Bänden
und 2600 Programmen samt allen Katalogen, Protokollen,
Einrichtungen, Drucksorten, Repertorien in das neue Gebäude
der technischen Hochschule übertragen und dadurch die Laiides-
bibliothek einigermaßen entlastet.
Im Sommer des Jahres 1889 wurden im Joanneums-
gebäude große Adaptierungen vorgenonlmen ; wesentliche
Änderungen in der Einrichtung der Bibliothek hinsichtlich
Von Franz Ilwof. 10^
der Leseräume, Kanzleien und Bücherdepots — allerdings
immer noch ein Provisorium bis zu dem bereits beschlossenen
Anbau eines Südflügels an das alte Joanneumsgebäude für die
definitive Unterbringung der Bücherschätze. Bücherdepots, so-
dann Lesesäle und Kanzleien in lichten Zimmern wurden ge-
wonnen. Sieben Säle mit zirka 70.OOO Bänden mußten ge-
räumt und in den neuen Lokalitäten aufgestellt werden —
alles über Anordnung und unter Leitung Zwiedinecks.
Die Adaptierungsarbeiten wurden 189O fortgesetzt; der
große Büchersaal und drei Zimmer mußten gänzlich geräumt,
45.000 Bücher wieder provisorisch untergebracht werden und
dennoch wurden nur zweimal auf je vier Tage die Lesezimmer
gesperrt.
Im Herbste 1890 und im Frühjahre i8q2 hatte Zwie-
di n e c k abermals Studienreisen unternommen, um die modernen
Bibliotheksanlagen zu Leipzig, Halle, Göttingen, Hamburg,
Kassel, Karlsruhe, Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln und
Leyden kennen zu lernen und gegebenenfalls die dort be-
stehenden Einrichtungen auch in Graz in Anwendung zu
bringen. In Leyden wurde das von dem Oberbibliothekar
W. H. du Rien durchgeführte System des gedruckten Zettel-
kataloges eingehend untersucht, als nachahmenswert erkannt
und sodann an der Joanneumsbibliothek in Verwendung ge-
bracht.
Über 'Anregung von seiten des Statthalters und des
Landeshauptmannes von Steiermark wurden zwischen der
Regierung und dem Landesausschusse Verhandlungen einge-
leitet über die Frage, ob eine Vereinigung der beiden in Graz
bestehenden großen öffentlichen Bibliotheken, der der Uni-
versität und der des Joanneums ausführbar wäre; Zwie-
d i n e c k arbeitete einen Organisationsentwurf hierüber aus, der
akademische Senat und der Landesausschuß stimmten dem
Projekte zu, eifrig wurde darüber zwischen diesem und der
Regierung verhandelt, das Ministerum stellte jedoch dem Lande
Steiermark unannehmbare Bedingungen, damit war die An-
gelegenheit erledigt und jede, weitere Erörterung der Ver-
einigimgsfrage zwecklos.
Im Sommer 1892 wurde in Wien eine internationale
Ausstellung für Theater- und Musikwesen veranstaltet; Zwie-
d in eck wurde vom Ausstellungskomitee, zum Ausstellungs-
kommissär für Steiermark, Kärnten, Krain, Triest und Görz
bestellt; dadurch hatte er Gelegenheit, die in den inneröster-
reichischen Ländern vorhandenen Sammlungen, welche die
110 Hans von Zwiedincck-Südenhorst.
Geschichte des Theaterwesens in diesen Ländern betreffen,
kennen zu lernen und zu würdigen. Er sammelte für die
Ausstellung in Wien ein reiches Material, das jedoch dort nur
2um Teile wegen Mangels an Raum verwendet werden konnte.
Hingegen veranstaltete er Ende Oktober 1892 in den Räumen
der Bibliothek eine Spezialausstellung für innerösterreichisches
Theaterwesen, welche sich trefflich präsentierte und zahlreich
besucht wurde.
In diesem Jahre (l8g2) wurde auch der Neubau der
Bibliothek bis auf einige innere Herstellungen vollendet imd
1893 konnte die Übertragung und Neuaufstellung des Bücher-
bestandes im Neubau vorgenommen werden. Es war dies eine
schwierige und sehr komplizierte Arbeit, denn es mußten bau-
liche Rekonstruktionen vorgenommen, Bücherrepositorien ge-
leert, diese zerlegt und teilweise umstaltet wieder aufgestellt
und mit Büchern gefüllt werden. Eine Neusignierung nach
dem numerus currens fand statt, wobei sich die Zahl von
127.633 Bänden ergab. Fünf Beamte, drei Diener und vier
Träger arbeiteten daran unter Zwiedinecks Leitung von An-
fang Juni bis Ende Oktober. Gleichzeitig wurde eine Hand-
bibliothek, die am häufigsten im Lesesaale gebrauchten Werke
enthaltend, ausgesondert, signiert, katalogisiert und aufgestellt.
Die Bibliotheken mehrerer wissenschaftlicher Vereine, so des
Vereines der Ärzte, der Sektion Graz des Deutschen und
Osterreichischen Alpenvereines und des steiermärkischen Lehrer-
bundes unter Wahrung des Eigentumrechtes jener Vereine
übernommen und in der Landesbibliothek aufgestellt. Zwie-
d i n e c k arbeitete sodann den Entwurf der „Bestimmungen
für dieBe nützung der steiermärkischen Landes-
bibliothek" aus, der vom Kuratorium des Joanneums durch-
beraten und vom Landesausschusse provisorisch genehmigt
wurde.
Es war ein großes Stück Arbeit, was mit all dem war
geleistet worden [und für sein persönliches Wesen ist es kenn-
zeichnend, daß er bei den großen Übersiedlungen der Bibliothek
stets selbst mit Hand anlegte und so dem ganzen Beamten-
körper mit mustergültigem Eifer voranging; 8 bis 10 Stunden
im Tage Bücher schleppen, das war wahrlich keine kleine
Arbeit]. Der Landesausschuß anerkannte es auch vollauf
und richtete am l. Dezember 1893 folgendes Dankschreiben
an Zwi edineck.
„Der Landesausschuß hat in seiner heutigen Sitzung
einstimmig beschlossen, anläßlich der am 26. v« M. erfolgten
VoB Fnnz Ilwof. 111
Eröffimng d^ neuen Landesbibliothdc Euer Wohl^boren fär
Ihre bei Verüaissung des Bauplanes und Durchführung des
Baues bewiesene Umsicht und Fachkenntnis sowie für die
Tatkraft, mit welcher die Umiaumun^ und Neuauistellung des
Büchervorrates in kuixer Zeit bewältigt worden ist, überhaupt
für die unomüdliche und vom besten Erfolge begleitete Tätig-
keit, die Sie hiebei entfaltet, seine volle Anerkennung aus-
zusprechen und Euer Wohlgeboren zu ersuchen, auch sämt-
liche Ihnen unterstehende Herren Beamten von der Aner-
kennung ihrer angestrengten Leistung^! in den letzten sechs
Monaten seitens des Landesausschusses zu v^ständigen.^
Als am 26. November 1893 bei dem alljährlich statt-
findenden Stiftungsfeste des Joanneums — am 26. No-
vember 1811 ist die Gründungsurkunde des Joanneums von
Erzherzog Johann ausgestellt worden — gleichzeitig die re-
organisierte Landesbibliothek wieder eröffnet wurde, hielt
Zwiedineck die Festrede, in welcher von der Geschichte
der Bibliothek, dem Neubau, der Aufstellung, den Katalogen
und der Art und Weise der Benützung ausfiihrlich Bericht
erstattet wird.
Im Laufe des Jahres 1894 wurden Vorarbeiten für ein
Verzeichnis der Inkunabeln und Cimelien, welche in den
Schaukästen aufgestellt sind, eingeleitet und die Anlage des
Kataloges der Zeitschriften und Zeitungen fortgesetzt. Sowie
im Vorjahre von drei Vereinen übernahm die Landesbibliothek
dieses Jahr die Bücher- und Kartensammlung des steier-
märkischen Gebirgsvereines.
Am 5. Juni 1894 fand die feierliche Eröff'nung des
kulturhistorischen und Kunstgewerbemuseums statt, welche
durch die Anwesenheit Sr. Majestät des Kaisers verherrlicht
wurde. Bei dieser Gelegenheit besichtigte Er auch die Kanzlei-
räume und Lesesäle der Bibliothek, nahm mit großer Be-
friedigung von der Meldung Zwiedinecks Kenntnis über die
stets wachsende Benützung der Bibliothek durch das Lese-
publikum in Graz und über die Einrichtungen, die getroff'en
worden sind, um die Bestände der Bibliothek allen Bewohnern
des Landes zugänglich zu machen ; über die Anlage des wissen-
schaftlichen Kataloges nach dem Leydener System, von dem
einige Proben vorgezeigt wurden, sprach sich der Kaiser sehr
anerkennend aus. Vor dem Verlassen des Institutes trug der
Kaiser Allerhöchst Seinen Namen in das Gedenkbuch des
Joanneums ein.
112 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
In den Jahren 1895 bis 1900 wurden die Arbeiten an
den Katalogen eifrigst fortgesetzt und bei einzelnen bereits
beendet.
Das war die Wirksamkeit Zwiedinecks während
der zwanzig Jahre, in welchen er an der Spitze der Landes-
bibliothek am Joanneum stand. Im März 1900 richtete er an
den Landtag das Gesuch um Versetzung in den bleibenden
Ruhestand, dem auch stattgegeben wurde und in den er am
1. Jänner 1901 trat. Er schied damit aus seiner Tätigkeit, die
reich an Arbeit und an Erfolgen war. Seinem Amte war er
voll gewachsen^ „ebenso durch die Sorgfalt, die er den Einzel-
heiten der Verwaltung angedeihen ließ, als durch den weiten
Blick, mit dem er das ganze umfaßte. Als den Hauptzweck
einer so erweiterten und in ihrem Werte gesteigerten Bücher-
sammlung, wie sie das Land nun besaß, erkannte er die
weitestgehende Benützung derselben. Darauf war nun seine
ganze Mühewaltung gerichtet. Wenn Steiermark heute eine
Landesbibliothek besitzt, die nicht nur an Reichhaltigkeit,
sondern auch durch die Art ihrer Wirksamkeit als ohne-
gleichen in den österreichischen Provinzen gilt, so ist das
letztere : die Art ihrer Wirksamkeit zum nicht geringen Teile
das Verdienst Professors von Zwiedineck. Durch ihn
ward der hohe Wert, den sie für die Stadt Graz besaß, ge-
steigert zu einem höheren Werte, den sie nun für das ganze
Land Steiermark einnehmen sollte und wirklich auch bald
einnahm. Denn von nun an flössen die Bücherschätze durch
die Leitungen der Schulen wie aus einem unerschöpflichen
Born nach allen Richtungen des Landes. Kein Schullehrer,
kein Jugendbildner, auch in dem entlegensten Gebirgsdorf in
Steiermark war von der Wohltat ausgeschlossen, vom Quell
aller Bildung schöpfen zu dürfen, von der Bibliothek, die den
Menschengeist der Vergangenheit und Gegenwart in Wissen-
schaft, Kunst und Poesie in sich vereinigt. Jetzt erst wurde
sie zur echten und rechten Landesbibliothek und zinste der
ganzen Steiermark geistig reichlich. Weil sie somit auch zu
einer edlen Volksbibliothek geworden ist, hat sie den Adel
ihrer wissenschaftlichen Bedeutung nicht im geringsten ein-
gebüßt. In ihrer Freigebigkeit, in der Art, ihre Mittel allen
zugute kommen zu lassen, die deren bedurften, darin zeigte
sie sich vornehm, nicht aber in der Ausschließung der Belle-
1 LXXXIX. Jahresbericht des steiermärkischen Landesmuseums Joan-
neum über das Jahr 1900. Herausgegeben vom Kuratorium. Graz 1901.
S. 48—50.
Von Franz Ilwof. 113
tristik als ünterhaltungslektüre, wie es in den nur wissen-
schaftlichen Bibliotheken gehandhabt werden muß. Auch die
Belletristik gehört der Kultur einer Zeit an und was ihr jetzt
abgesprochen wird, gewinnt sie nach Jahren doppelt und
mehrfach zurück : die wissenschaftliche Bedeutung. Und durch
die Vereinbarung mit dem Museumvereine, die auch zu
Professor von Zwiedinecks Verdiensten gehört, werden die
Kosten der Werke aus der schöngeistigen Literatur vielfach
bestritten mittelst der Beiträge, die der genannte Verein zu
diesem Zwecke der Landesbibliothek zur Verfügung stellt."
„Daß das ganze Land Steiermark die Bedeutung seiner
Bibliothek voll anerkannte, geht daraus hervor, daß es durch
seine Vertreter die Zustimmung aussprach, ihr ein neues, den
gesteigerten Anforderungen entsprechendes Heim zu erbauen
und die oberste Verwaltung, der Landesausschuß, den Bau
nach allen zeitgemäßen Ansprüchen zur Ausführung brachte.
Sowohl an den Vorarbeiten zur Bauanlage, als auch nach
Vollendung des Gebäudes an dessen innerer Ausstattung be-
teiligte sich Professor vonZwiedineck mit Rat und Tat. Auf
seine Veranlassung wurde auch, der gesteigerten Bedeutung
der Landesbibliothek gemäß, der Beamtenstand vermehrt und
die Dotation erhöht. Die Neusignierung und Neuaufstellung des
gesamten Bücherbestandes war das Ergebnis seines wohl-
erwogenen Entschlusses, die praktische Bedeutung der neuen
Bibliothek über alles andere zuhöchst zu stellen. Dieser Er-
wägung gemäß wurde das sogenannte wissenschaftliche System
in der Aufstellung der Bücher aufgehoben und dafür um so
gründlicher und folgerichtiger den Katalogen einverleibt: das
Äußere wurde damit ins Innere getragen und das notwendig
Schematische in eine vergeistigte Form umgewandelt. Die
Rechtfertigung dieser Umgestaltung hat Professor von Zwie-
d i n e c k selbst in einer von ihm verfaßten verdienstvollen
Schrift dargestellt, deren voller Titel lautet: „Die steier-
märkische Landesbibliothek am Joanneum in Graz. In ihrer
geschichtlichen Entwicklung und neuen Einrichtung aus An-
laß der Eröffnung des neuen Bibliotheksgebäudes am 26. No-
vember 1893 geschildert.** In der Geschichte dieses für alle
Klassen der Bevölkerung segensreichen Landesinstitutes wird
somit Professor von Zwiedineck stets eine hervor-
ragende Stellung einnehmen. Alle, die künftig berufen sein
werden, in dem gleichen Amte zu wirken, wie er, werden
nicht anders können, als in seinem Geiste die praktische Be-
deutung der Bibliothek, die die Frucht der wissenschaftlichen
114 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
ist, ZU pflegen, und durch Zugänglichkeit und Erschließung
der Bücherschätze Kunst und Wissenschaft, Bildung und Er-
kenntnis, und somit die höchsten geistigen Güter des Menschen
im ganzen Lande Steiermark zu verbreiten."
Nachdem Zwiedineck an der Landesoberrealschule
zwölf Jahre und an der Bibliothek am Joanneum zwanzig
Jahre im Dienste des Landes Steiermark gestanden, trat er in
den gewiß wohlverdienten Ruhestand ; aber nicht um fortan
Ruhe zu genießen, sondern um sich nun ganz seinen akade-
mischen Aufgaben als Professor der neueren und neuesten
Geschichte an der Universität und seinen wissenschaftlichen
Arbeiten widmen zu können. 1880 war er zum Ehrenmitglied e
der Historischen Gesellschaft in Berlin gewählt worden, 1885
hatte er den Titel eines außerordentlichen Universitätspro-
fessors, 1898 den eines ordentlichen erhalten, am 29. Mai 1906
wurde er zum korrespondierenden Mitgliede der kaiserlichen
Akademie in Wien erwählt luid im Juli I906 zum wirklichen
ordentlichen Professor an der Universität in Graz ernannt.
Seine Vorlesungen an derselben wurden von den Studenten
der philosophischen und juridischen Fakultät zahlreich be-
sucht, und auch Männer vorgerückten Alters des Zivil- und
Militärstandes wohnten, je nachdem er ein interessantes Thema
behandelte, den Vorträgen bei. [Und wie konnte er vor-
tragen! Er saß nicht auf dem Katheder und las aus
einem Manuskripte, an das er sich ängstlich anklammerte,
oder, wie das ja auch vorkommt, aus einem Buche seiner
Zuhörerschaft vor. Nein, er trug vor und ging dabei auf
und ab oder setzte sich seinen oft wenigen Zuhörern gegen-
über auf die Bank, ab und zu einen Blick in sein Manuskript
werfend, ganz erfüllt von dem Gegenstande, den er mit Hin-
gabe seiner ganzen Persönlichkeit und regen Gestaltungsgabe
den Wissensdurstigen plastisch vor Augen zu stellen wußte.
Im „Taubenkogel" war es, in der Hofgasse im l. Stocke,
dessen einzigen Raum die Geschichtswissenschaft mit der Ger-
manistik teilen mußte und wo auch einträglich auf hohem
Podium das Klavier des akademischen Gesangvereines Platz
fand, wo jahraus jahrein Zwiedineck von 3 — 4 Uhr, oft selbst
der Tertius im Collegium die Ergebnisse seiner Forschungen
kundtat und häufig der Vortrag in ein Zwiegespräch zwischen
Lehrer und Schüler überging. Ob er nun die Wallenstein-
Von Franz Ilwof. 115»
Kriege und die Ergebnisse der neuesten Forschungen auf
diesem Gebiete behandelte, oder mit Eugen v. Savoyen gegen
die Türken zog, den Zuhörer durch die Wirren des Erbfolge-
krieges leitete oder auf die böhmisch-schlesischen Schlacht-
felder des siebenjährigen Krieges führte, die Schrecknisse der
französichen Revolution schilderte und Europas gewaltiges
Ringen gegen Napoleons Kraftgenie und die endliche Nieder-
werfung desselben, sich und die Zuhörer an Deutschlands
Befreiung begeisterte, oder ob er Österreichs Kämpfe um die
Vorherrschaft in Italien besprach und den Bruderkampf im
Jahre 1866, immer wußte er die Ereignisse mit solcher
Lebendigkeit zu schildern, wobei ihm ein eigenes Empfinden
für militärische Dinge zustatten kam, daß der Zuhörer das
Empfinden hatte, der Mann besitzt neben einem eminenten
Gedächtnis eine geradezu plastische Vorstellungskraft. Hatte
er Akten, Briefe u. dgl. durchstudiert, so hatte er sie auch
schon mit allen in ihnen niedergelegten Lebensanschau unge»
vor seinen Augen. Und weil sie so lebendig vor ihm standen,,
haftete auch der Inhalt des Durchforschten so fest in seinem
Gedächtnisse.
Eines blieb ihm zeitlebens versagt, wonach er sich so-
sehr gesehnt hatte: ein Seminar, in dem in persönlicher Aus-
sprache mit dem Hörer seine Lehrtätigkeit die schönsten Früchte
getragen hätte. Und so suchte er sich außerhalb der Univer-
sität für diese vollkommenste Art der Lehrtätigkeit Ersatz
zu schaffen, indem er mit Hilfe des Aktenmateriales, das die
historische Landeskommission verarbeitete, eigene Kurse ein-
richtete zur Lesung und Erklärung der Akten des XVI. — XVIII.
Jahrhunderts. Jenem, der sich ihm anschloß, eröffnete sich da
im trauten Gespräche der ganze Zauber seiner Persönlichkeit
und rührend war er für dessen weiteres Fortbilden und Fort-
kommen bedacht. Oft genug betonte er, daß er seinen Lehrern
gegenüber den Vorwurf erheben müsse — er tat dies ohne
Bitterkeit, wie das so seine Art war — daß seine Studien^
förderung am Mangel der wissenschaftlichen Grundlegung litt.
Er wolle nicht, daß auch ihn dereinst ein gleicher Vorwurf
treffen könnte. Er hat es gefühlt, daß er sich in einem ganz
anderen Tempo zu jener Stufe wissenschaftlicher Arbeit empor-
gefungen haben würde, in methodischer Beziehung, wie
in Hinsicht auf die Gesamtanschauung alles historischen Ge-
schehens, wenn er Lehrer gehabt hätte, die sich für ihre
Schüler und ihren Werdegang interessiert, sich ihrer ange-
nommen hätten. Was war das für eine historische Schulung:
H6 Hans von Zwiedineck-SödenhorsU
an einer österreichischen Universität, wenn die Studenten
nicht einmal erfuhren, daß es in Wien ein Institut für öster-
reichische Geschichtsforschung gibt.
Die Grazer Universität erlangte endlich ihre so dringende
Ausgestaltung und als sie 1896 den Prachtbau in der Halbärth-
gasse bezog, mußte auch Zwiedineck den trauten dämmerigen
Winkel im Taubenkogel verlassen. Die Anzahl der Hörer
wuchs bedeutend, da auch viele Juristen seine Vorlesungen
besuchten und damit schwand auch die Intimität, die früher
seine Vorträge so anziehend machte. Diese Intimität fand sich
aberwieder imKreisedes akademischen Historiker-Klubs, zu dessen
treuesten und anhänglichsten Mitgliedern er neben Vater
Krones zählte. Da gab es keine Veranstaltung, wo Zwiedineck
nicht dabei war und vielfach wirkte er selbst bestimmend auf
Inhalt und Form derselben. Voll köstlichen, echten Humors
wurde da manch heiteres Wort geprägt und flog hinüber und
flog herüber, ohne daß er je eines krumm genommen hätte.
Duckmäuser und Streber, die den Professoren nachkriechen
der Prüfungen willen, die vertrug er in seinem geraden Sinne
nicht. Student sein, d. h. eine harmonische Mischung von
ernstem Studium und heiterem Lebensgenüsse, das war seine
Rede und ein verzeihendes Lächeln hatte er, wenn manchmal
der Becher etwas überschäumte, er, der selbst in seiner Jugend
eine scharfe Klinge führte und noch als gereifter Mann so
gerne die bunte Mütze auf sein graues Haupt drückte].
Schon frühzeitig wendete sich Zwiedineck literarischen
und journalistischen Arbeiten zu; als Jüngling von 18 Jahren
dichtete er ein „Festgedicht zur Feier der Instal-
lierung der medizinischen Fakultät in Graz,
14. November 1863" ^^^ verfaßte die kulturhistorische
Novelle: „Der Aufstand der steirischen Herren im
Jahre 1291. Graz 1863". 1868 und 1869 war er Redakteur
der von Leopold von Sacher-Masoch in Graz herausgegebenen
„Monatshefte für Theater und Musik" und der
„Österreichischen Gartenlaube"; 1869 und 1870
Herausgeber der Zeitschrift „Edelweiß"; im Sommer 1871
übernahm er die Schriftleitung der von der Deutschen Partei
in Steiermark herausgegebenen ,,Deutschen Zeitung",
Welche er bis 1872 führte und 1868 war die Schrift: „Die
Aufgaben und Mittel der Musik. Graz 1868" er-
schienen. Von 1870 an waren es meist wissenschaftliche Ar-
beiten, welche aus seiner Feder flössen; im Anhanj^e sollen
sie soweit als möglich vollständig verzeichnet und im folgenden
teilweise kurz besprochen werden.
Von Franz Ilwof. 117
Wenn wir Zwiedinecks Forschungen und Darstel-
lungen gruppieren und charakterisieren wollen, so [sind es
verschiedene Partien der neueren und neuesten Geschichte,
auf welche sich seine Arbeiten erstrecken. Er behandelte in
mehreren Schriften die Zeit der Gegenreformation und des
XVII. und XVIII. Jahrhunderts, so in „Christian der Andere
von Anhalt", in dem dessen Beziehungen zu den damals
noch größtenteils evangelischen Ständen von Steiermark, Kärnten
und Krain dargestellt werden, in den Biographien „Ruprecht
von Eggenberg, ein österreichischer Heerführer
des XVI. Jahrhunderts", in der des „Haus Ulrich
von Eggenberg"*, des Ministers Kaiser Ferdinands II. und
Freundes, dann Gegners Wallensteins, der auch bei dessen
Katastrophe eine wichtige Rolle spielte, sodann in den
„Venetianischen Gesandschaft sberichten über die
böhmische Rebeilion l6l8 bis 1620" und über
^jWallensteins Feldzug gegen M ans fei d". Die Ge-
schichte der religiösen Bewegung in Inner-
<3st erreich" ist ein wertvoller aus den Akten geschöpfter
Beitrag zur Geschichte des Protestantismus in Österreich und
zerfällt in die zwei Abschnitte: „Religiöse Unruhen in Steier-
mark und in Kärnten 1731 bis 1736 und die Gegenreformation
unter Karl VI." und „Konfessionelle Wirren in Innerösterreich
unter Maria Theresia", worin Zwiedineck nachweist, daß
schon bei Karl VI. und noch mehr bei Maria Theresia die
Verfolgung der Protestanten viel mehr durch politische Inter-
essen als durch religiöse Beweggründe veranlaßt war, daß
auch die große Kaiserin in ihrer letzten Zeit sich milderen
Anschauungen zuneigte; aber doch erst seit Josephs IL Toleranz-
patent wurde der Grundstein zur Freiheit des evangelischen
Bekenntnisses in Österreich gelegt. — In dasselbe Gebiet
schlagen ein: „Innerösterreichische Religionsgra-
vamina im XVII. Jahrhundert" und „Dorfleben im
XVIII. Jahrhundert. Kulturhistorische Skizzen aus
Inner Ost er reich". Diese Schrift beruht ganz auf den
unmittelbaren Quellen, Briefen und Akten, und schildert die
Transmigration, die von der Regierung erzwungene Aus-
wanderung der protestantischen Bauern aus Steiermark und
Kärnten nach Siebenbürgen, das Treiben der katholischen
Missionäre in Innerösterreich und diesem gegenüber die
Charakterfestigkeit der evangelisch gebliebenen Bauern, die
gedrückte Lage des Bauernstandes, den Aufstand der Bauern
ÄU Millstatt in Kärnten 1735 bis endlich durch Joseph II. Er-
118 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
leichterungen eintraten. Ein besonderes Verdienst erwarb sich,
Zwiedineck dadurch, daß er in „Zeitungen und Flug-
schriften aus der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts"
auf die Wichtigkeit der fliegenden Blätter, Einzeldrucke und
politischen Broschüren als Quellen der Geschichte des XVII. Jahr-
hunderts aufmerksam machte und die in der Universitäts- und
Joanneumsbibliothek und im Landesarchive in Graz vorhan-
denen bibliographisch verzeichnete. — Ein gleiches dadurch
daß er die Durchforschung der Privatarchive, besonders die
adeliger Familien nachhaltig anregte und über zwei derselben
eingehenden Bericht erstattete, so über das von Steyersberg,
aus dem sich ergibt, welche reiche Fülle von Urkunden und Akten,
belangreich für die Geschichte von Deutschland, ()sterreich
und Steiermark es enthält, und über das von Schloß Feistritz
bei Ilz, in dem sich umfangreiche Familienkorrespondenzen
aus dem XVIII. Jahrhundert befinden, welche von späteren For-
schem vortrefflich benützt werden können und interessante
Mitteilungen über die sozialen Zustände in Wien, in Inner-
österreich, am kurfürstlichen Hofe zu Mainz, über die Lebens-
verhältnisse der adeligen Gesellschaft auf ihren Gütern und in
ihren Stadtpalästen und Damenstiften und in Klöstern, im
Felde und in Friedensgarnisonen und wichtige Materialien für
die Geschichte der Familien Lamberg und anderer Geschlechter
des alpenländischen Grundadels, sowie für die Landesgeschichte
von Salzburg, Oberösterreich, Steiermark, und Kärnten ent-
halten. In der Abhandlung „Über den Versuch einer
Translation des deutschen Ordens an die ungar-
ische Grenze" legt Zwiedineck im Detail den Plan dar,,
den Kaiser Maximilian IL gefaßt und 1576 dem Reichstage
zu Regensburg vorgelegt hatte, zum Schutze gegen die Türken-
den deutschen Orden an die ungarische Grenze zu verpflanze»
und berichtet über das Scheitern desselben — er wurde vom
Ordenskapitel abgelehnt. — Nicht minder wertvoll ist die
Untersuchung über „Die Obedienz-Gesandtschaften
der deutschen Kaiser an den römischen Hof im
XVI. und XVII. Jahrhundert«. —
Besonders intensiv beschäftigte sich Zwiedineck mit
der Geschichte der großen altehrwürdigen Lagunenstadt; in
„Die Politik der Republik Venedig während!
des 30jährigen Krieges" entwirft er auf Grund der
Protokolle der Senatssitzungen, des Consiglio dd Pregadi und
des engeren CoUegio von S. Marco und der Berichte der am
Icaiserlichen Hof akkreditierten venetianischen Gesandten und
Von Franz llwof. 119
Sekretäre eine eingehende Darstellung der Politik Venedigs
von der Verschwörung des Jahres 1618 an bis zum Falle von
Mantua und in einer eigenen Abhandlung spricht er von „Graf
Heinrich Matthias Thurn in Diensten der Republik
Venedig." Eine glänzende Monographie ist „Venedig als
Weltmacht und Weltstadt"; alles, die politische Ge-
schichte von ihren ersten Anfängen bis zur höchsten Macht-
entfaltung und zum allmählichen Niedergang, wo die Republik
sich den veränderten Zeitverhältnissen nicht mehr anzupassen
vermochte, die Kulturzustände in ihren blendenden Lichtseiten,
denen indessen der Schatten nicht fehlt, die wunderbaren
Schöpfungen menschlicher Phantasie und Gestaltungskraft in
dieser Aristokratie, deren schöne Frauen Tizians Meisterhand
herrlich wiedergegeben hat — all das schildert Z wie di neck
trefflich. — Und in ^Geschichte und Geschichten"
unternimmt er es „die venetianische Inquisition"
darzustellen, die^Sage von der furchtbaren Wirksamkeit dieser
Staatseinrichtung zu widerlegen und berichtet über ihren Ur-
sprung und ihre wichtigsten Prozesse.
Aus derselben Sammlung heben wir noch hervor: „Die
Unglückstage von Mantua^*, worin von der Eroberung
dieser Stadt durch die Kaiserlichen (1630), ihrer Plünderung
und der Zerstreuung der in ihrer Art einzigen Kunstsammlung
der Gonzagas erzählt wird; „Tu renne und die Fronde"
ist eine sehr interessante Darstellung des Verhältnisses des
großen Feldherm zu Mazarin, zur Fronde und des Anteils,
den er an der Begründung des Königtums in Frankreich nahm.
In „Die Geschichte der Prinzessin von Ahlden",
da* unglücklichen Kurprinzessin Sophie Dorothea von Han-
nover und des Grafen Philipp Christoph von Königsmarck
wird nachgewiesen, daß der Charakter der Fürstin viel besser
gewesen, als man bisher annahm und daß Schiller in dem
Entwürfe „Die Prinzessin von Celle" sie viel richtiger gezeichnet,
als die Historiker vor und nach ihm. — Im spanischen Erb-
folgdoriege nach der Schlacht bei Höchstädt wurden die Söhne
Max Emanuels von Bayern von den <)sterreichem gefangen ;
Zwiedineck widerlegt die Fabel von der unwürdigen, ja schimpf-
lichen Behandlung dieser jungen Witteisbacher in Österreich
und legt dar, daß der Kaiser ihre Erziehung auf das genaueste
und gewissenhafteste angeordnet und die damit betrauten
Kavaliere und Priester sie ebenso durchgeföhrt haben ; sie
wurden in jeder Beziehung wie die Prinzen des dgenen
kaiserlichen Hauses gehalten. — „Neue Ergebnisse der
9*
120 Hans von Zwiedineck-SOdenhorst.
Wallensteinforschung" schließen mit den Worten:
„Der Mann, den der Drang nach Erwerb zum Soldaten ge-
macht hat, dessen erstes bedeutendes Projekt der Überfall
und die Brandschatzung von Venedig war, der reichen, aber
damals schon für die Ruhe Europas ungefährlichen Patrizier-
stadt, jener Großsprecher, der mit seinen Worten den Taten
stets weit vorauslief, der Übermütige, der sich in einem un-
vernünftigen Luxus gefiel und dabei einen schwunghaften
Güterschacher trieb, den unsere Börsenjuden bewundern
könnten, der Wortbrüchige, der die Freunde, die er selbst zu
Vertrauten und Vollstreckern seiner geheimsten Pläne machte,
auf unverantwortliche Weise täuschte und zum Narren hielt
— der hat vom deutschen Helden nichts und wird sich die
Liebe unseres Volkes nie erwerben, so wenig er sie je be-
sessen. — Schiller hat dies sehr richtig erkannt und mit der
Eingebung des Dichters den Charakter Wallensteins schon
vor hundert Jahren so sicher erfaßt, wie es alle historische
Kritik sicher nicht besser imstande war". Der Dichter war
auch Seher.
Sehr beachtenswert sind die „Kriegsbilder aus der
Zeit der Landsknechte" und die von Adolf Wolf be-
gonnene und durch dessen Tod unterbrochene Geschichte
„Österreichs unter Maria Theresia, Joseph IL
und Leopold II." wurde von Zwiedineck vollendet.
Zahlreiche am Schlüsse im Verzeichnisse genannte Ab-
handlungen lieferte er für die von ihm herausgegebene „Zeit-
schrift für allgemeine Geschichte", für Helmolts Weltgeschichte
schrieb er „die Entstehung der Großmächte", aus dem Archive
des Reichsverwesers Erzherzoge Johann (jetzt gräflich Meran-
sches Archiv in Graz) gab er „Eine deutsch - österreichische
Bundesakte** heraus und lieferte als einen Beitrag zur
deutschen Verfassungsgeschichte: „Österreich und der öster-
reichische Bundesstaat " .
Biographische Denkmale widmete er Alfred von Ameth,
Franz von Heintl, Karl Hillebrand, Engelbert Mühlbacher,
Theodor von Sickel und Heinrich von Treitschke.
Daß er auch seine Heimat, die Steiermark, die er über
alles liebte, in den Kreis seiner Forschung zog, ist begreiflich
und wertvolle Abhandlungen hat sie ihm zu danken: „Die
Hochzeitfeier Erzherzog Karls IL mit Marie von Bayern*',
„Das steirische Aufgebot von 1565", „Beiträge zur Geschichte
der Verwaltung aus dem Protokolle der Herrschaft Hohen-
wang", „Die Schlacht bei St. Gotthard 1664", „Die Ostalpen
Von Franz llwof. 121
in den Franzosenkriegen'', „Zur Geschichte des ersten Fran-
zosen-Einfalls 1797', »Die politische und militärische Bedeu-
tung des Voririedens von Leoben", »Zur Geschichte des
Krieges von 1809 in Steiermark*, ^Das Gefecht bei Sankt
Michael und die Operationen des Erzherzogs Johann in Steier-
mark 1809", ^^Erinnerungen aus der Franzosen-
zeit", »Die geschichtliche Stellung der Steier-
mark". Für das Kronprinzenwerk „Die österreichisch-unga-
rische Monarchie in Wort und Bild", schrieb er: j,Die
Geschichte der Steiermark von 1564 bis zur
Gegenwart", und der Stadt, in der er erzogen und gebildet
wurde, studierte und sein Berufsleben fand, widmete er eine
Charakteristik „Graz*^ und schilderte „Grazer Feste zu
Zeiten Erzherzog Johanns".
Seine Stellung am Joanneum, seine Studien über die
neueste Geschichte Österreichs und der Umstand, daß das
gräflich Meransche Archiv in Graz ihm zur Benützung offen
stand, führten ihn zu Untersuchungen und Darstellungen über
Leben und Wirken Erzherzogs Johann und daraus entsprang
die Monographie: j,Erzherzog Johann von Öster-
reich im Feldzuge von 1809", welche aus dem oben-
genannten Archive und aus dem k. u. k. Kriegsarchiv ge-
schöpft, einen höchst wichtigen Beitrag zur Kriegsgeschichte
des Jahres 1809 bildet — eine Rechtfertigung Erzherzogs
Johann gegen die Anschuldigung der verzögerten Ankunft
auf dem Schlachtfelde von Wagram, welche nicht die Schuld
Johanns, sondern die Erzherzogs Karl war, der seinem Bruder
zu spät den Befehl zukommen ließ.
Zwiedinecks Hauptwerke, die ausführlichsten und
umfangreichsten, sind die „Deutsche Geschichte im Zeiträume
der Gründung des preußischen Königtums" in zwei Bän-
den und die „Deutsche Geschichte von der Auflösung des
alten bis zur Errichtung des neuen Kaiserreichs (1806
bis 1871)" in drei Bänden. Beide beruhen nicht auf neuen
Forschungen, oder wenn — nur in einigen Teilen, son-
dern bringen das Ergebnis der bisherigen Forschungen in ab-
gerundeter und vollkommen gelungener Darstellung. Für das
erste hat sich Zwiedineck die Jahre 1648 bis 1740 ge-
wählt, obwohl gerade diese Zeit sehr schwierig zu bearbeiten
ist, da für manche in sie fallende Ereignisse, und zwar be-
sonders für die Zustände in den einzelnen deutschen Ländern
noch wenig Vorarbeiten vorliegen ; es war viel und zerstreutes
Material beizubringen und diese Menge in ein gleichartiges
122 Hans von Zwiedlneck-Südenhorst.
Ganze zu verschmelzen, was er auch erreicht hat. Die ge-
druckte Literatur wurde in reichem Mafle benutzt, so dafi
das Werk die Ergebnisse der bisherigen historischen For-
schungen über die deutsche Geschichte von 1648 bis 1740
darbietet Wie Zwiedineck schon früher in mehreren klei-
neren Abhandlungen auf die Flugschriftenliteratur des XVII. und
XVIII. Jahrhunderts aufmerksam gemacht hat, so benützt er
diese auch hier in ausgiebiger und ersprießlicher Weise. Ebenso
wie die kriegerischen Ereignisse werden auch die diplomati-
schen Verhältnisse und die inneren Zustände trefflich dar-
gestellt. Als Held des ersten Bandes tritt der große Kurfürst
hervor, so daß man diesen Teil des Geschichtswerkes nahezu
als eine Apologie des Begründers der preußischen Macht be-
zeichnen kann. — Im zweiten Bande wird von dem dritten
Raubkriege Ludwigs XIV. erzählt und von den Friedens-
schlüssen zu Ryswick und Karlowitz, ein Bild des deutschen
Volkes an der Schwelle des XVIII. Jahrhunderts nach allen
seinen Beziehungen entworfen, sodann die Geschichte des
spanischen Erbfolgekrieges gegeben, aus der wir besonders
die glänzende Schilderung der Taten des Prinzen Eugen von
Savoyen hervorheben, und zuletzt ausführlich über die Regie-
rung des letzten Habsburgers, Kaiser Karls VI,, in Österreich
und im Deutschen Reiche, und des Vaters Friedrichs des
Großen, des Königs Friedrich Wilhelm I. in Preußen, be-
richtet. — Als Resultat seiner Forschungen stellt er hin, daß
die Errichtung und der Ausbau des brandenburgisch - preußi-
schen Staates, die Gründung des hohenzollerischen Königtums
das für die deutsche Geschichte wichtigste Ereignis des Zeit-
raumes von 1648 bis 1740 ist; er verwahrt sich, daß man
seiner Geschichtserzählung politische Tendenzen unterschiebe
und aus ihr Anlaß nehme, ihm seine patriotische Gesinnung
abzusprechen. „Ich erzähle als Deutscher für Deutsche und
äußere, was ich als solcher fühle und denke : auf die Stellung
des kühlen Beobachters und teilnahmslosen Registrators er-
hebe ich keinen Anspruch. Aber ich muß mich allen Ernstes
dagegen verwahren, daß ich wissentlich und absichtlich un-
gerechte Urteile verbreite, daß ich dies- und jenseits der
schwarzgelben Grenzpfähle verschiedenes Maß in Anwendung
bringe, dort ohne Grund lobe und hier hämisch tadle. Ich
kann mich allerdings nicht zu jenen österreichischen Historio-
graphen rechnen, die in der Entstehung des preußischen Staates
ein Attentat auf die wohlerworbenen Rechte des Hauses Habsburg
erblicken und von einem patriotischen Schriftsteller erwarten.
Von Franz Ilwof. 12S
1*
»
daß er in den Veränderungen der Machtverhältnisse das Werk
des Satans erkenne. Diese Art des Patriotismus ver-
stehe ich nicht zu würdigen» ich halte es meinerseits vielmehr
y^ für eine patriotische Pflicht des Geschichtsschreibers, auch auf
die Fehler und Mifigriffe der Staatslenker aufmerksam zu
machen und nachzuweisen, welche Folgen aus denselben für
die Gegenwart erwachsen sind."
i Der erste Band der ^Deutschen Geschichte von der
P Auflösung des alten bis zur Errichtung des neuen Kaiser-
ji^ reichs (l8o6 bis 1871)" behandelt die Zeit von der Grün-
1' düng des Rheinbundes bis zum Ausgange des Wiener Kon-
i grcsses in eingehender kritischer Darstellung, der zweite be-
^ ginnt mit der Gründung des Deutschen Bundes, schliei3t mit
>' dem Frühjahr 1849 und ist außer der gedruckten Literatur
aus der Akten- und Briefsammlung des einstigen Reichs-
verwesers Erzherzog Johann (im gräflish Meranschen Archive
)h zu Graz befindlich) geschöpft. Der dritte Band behandelt
^ Österreichs Wiedergeburt und Preußens Reformversuche seit
1 848/49, die Lösung der deutschen Frage 1866 und die
^^, Gründung des Kaisertums der Hohenzollem 1870/71; das
f ganze Werk macht den Eindruck ernster Arbeit, ist mit pa-
S triotischer Wärme geschrieben und der kundige aufmerksame
s^^ Leser gewinnt den Eindruck, als habe Zwiedineck das Vor-
bild Treitschkes vor Augen gehabt.
Des zu früh Hingeschiedenen letzte Schrift ist die Mono-
graphie »Maria Theresia", in der er das Leben und Wirken
I von ^Österreichs bestem Herrscher" trefflich, ja teilweise
^ glänzend schildert.
^ Außerdem gab Zwiedineck in den Jahren 1884 bis
i; 1888 bei Cotta in Stuttgart die ^Zeitschrift für Allgemeine
Geschichte, Kultur-, Literatur- und Kunstgeschichte", 5 Bände,
f der letzte unter dem Titel ^Zeitschrift für Geschichte und
Politik*', heraus und war der Herausgeber und Leiter des
ebenfalls bei Cotta erscheinenden großen Sammelwerkes „Biblio-
[i thek deutscher Geschichte'^, für welche er die zwei oben be-
sprochenen großen Werke , Deutsche Geschichte im Zeitraum
! der Begründung des preußischen Königtums", 2 Bände, und
5^ ^Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur
Gründung des neuen Reiches", 3 Bände, verfaßte. Endlich
lieferte er durch eine Reihe von Jahren die Berichte „Aus
Österreich" für die ,, Preußischen Jahrbücher **, welche regel-
mäßig in jedem zweiten der jährlich erscheinenden zwölf Hefte
« dieser Zeitschrift erschienen.
124 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
In den letzten Jahren arbeitete er im Auftrage der Erz-
herzoge Friedrich und Eugen an einer großen Biographie des
Erzherzogs Karl, des Siegers von Aspern ; sie sollte drei Bände
umfassen, der erste, bis 1797 reichend, ist nahezu vollendet
und für die folgenden hat Zwiedineck bereits reiches Ma-
terial, auch aus Archiven, so von Wien, Brüssel, Paris,
München u. a. gesammelt.
Zwiedineck war ein Mann von außerordentlicher Be-
gabung, von großem Organisationstalente, gewandt in Schrift
und Wort; er arbeitete ungemein leicht und schnell; nur da-
durch ist es erklärlich, daß er neben der jeden stark in An-
spruch nehmenden Stellung als Vorstand einer großen Biblio-
thek eine so reiche, forschende und darstellende Tätigkeit
entfalten konnte. Stets wußte er seine Gedanken und den
Stoff, der ihm vorlag, vortrefflich zu gestalten, in Worte zu
kleiden, er war gewissermaßen ein Meister des Stils. Die Ge-
schichtschreibung betrachtete er nicht bloß als eine Wissen-
schaft, auch als eine Kunst; jeder Vortrag, den er hielt —
er war auch ein Meister freier Rede — sei es auf der Lehr-
kanzel, sei es in einem wissenschaftlichen Vereine oder in einer
großen Versammlung, war ebenso wie jeder einzelne Aufsatz
und jede größere Arbeit ein abgerundetes Ganzes, wohl durch-
dacht, klar durchgeführt: bei allen Ereignissen und Begeben-
heiten, die er erzählt, bei allen Zuständen, die er schildert,
sind Ursachen, Verlauf und Schlußergebnisse umsichtig heraus-
gearbeitet, alles ist übersichtlich, klar gegliedert, so daß Stu-
dium und Lektüre aller seiner Arbeiten nicht bloß Belehrung,
sondern vielseitige Anregung und Vergnügen darbieten.
Mit dem Wirken an Bibliothek und Universität und mit
seiner Tätigkeit auf dem Gebiete der Wissenschaft sind Z w i e-
dinecks Leistungen nicht erschöpft. In den letzten zwei
Jahren seines Lebens, seit dem Tode des Professors von
Krones trug er als Honorardozent Geschichte an der techni-
schen Hochschule vor und seine Vorlesungen wurden von
vielen Hörern besucht. — Als 1883 ^as 600 jährige Jubiläum
der Herrschaft des Hauses Habsburg in Steiermark zu feiern
unternommen wurde, schlug Zwiedineck in dem maßgeben-
den Kreise die Veranstaltung einer kulturhistorischen Aus-
stellung vor; sie kam zustande, er fungierte in ihr in der
wichtigsten und schwierigsten Stellung, als Sekretär; sie ge-
lang glänzend. Kaiser Franz Joseph besuchte sie und sprach
sich höchst anerkennend und wohlwollend aus. Eine sehr er-
freuliche Folge dieser Ausstellung war das kulturhistorische
\
Von Franz Ilwof. 125
Museum am Joanneum, das aus ihr hervorging und eine der
I glänzendsten Zierden unserer Stadt und unseres Landes ist.
Das Ritterkreuz des Franz-Josephs-Ordens, womit der Kaiser
} Zwiedineck auszeichnete, war der verdiente Lohn seiner
Mühen, nachdem er schon für die Schrift über Christian von
Anhalt das Ritterkreuz des Ordens Albrechts des Bären von
^ dem Herzoge von Anhalt erhalten hatte. Am 29. Mai 1906
wurde er zum korrespondierenden Mitgliede der kaiserlichen
I Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt.
L Der Landeshauptmann der Steiermark Gundaker Graf
' Wurmbrand äußerte sich, es mag 1889 oder 1890 gewesen
sein, zu Zwiedineck, daß die innere Geschichte der Steier-
. mark, insbesondere ihre Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte,
f bisher nur sehr spärlich bearbeitet worden sei; auf das hin
, machte Zwiedineck den Vorschlag, eine historische Landes-
kommission zur Erforschung und Bearbeitung dieses Gebietes
I der Landesgeschichte ins Leben zu rufen. Wurmbrand faßte
diesen Gedanken in seiner bekannten Tatkraft rasch auf, be-
schloß ihn zu verwirklichen, erreichte vom Landtage eine
Subvention, die Kommission wurde 1891 gegründet und
Zwiedineck vom Landesausschusse zu ihrem Sekretär be-
\ stellt; wie sehr diese Schöpfung, als deren Urheber Zwie-
dineck zu betrachten ist, gedieh, beweist das bereits vor-
liegende Ergebnis, indem seither sechs Bände Forschungen
zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark,
23 Hefte Veröffentlichungen der Kommission erschienen sind
und umfangreiche Forschungen und Sammlungen für weitere
Darstellungen veranlaßt und großenteils durchgeführt wurden.
f Nicht minder eifrig und erfolgreich wirkte er im Histori-
schen Verein für Steiermark. Noch als Hörer der Rechte trat
er ihm 1864 bei. In der 14. Vierteljahrs Versammlung dieses
) Vereines am 28. April 1&74 hielt er einen Vortrag: ^Inner-^
österreichische Religionsgravamina im XVII. Jahrhundert",
welcher im 22. Hefte der „Mitteilungen" abgedruckt wurde-
)i — Als der Ausschuß des Vereines in der Sitzung vom 19. No
vember 1875 beschloß, eine Wanderversammlung in Mar"
I bürg a/D. abzuhalten, wurde Zwiedineck in das zu diesem
L Behufe zusammengesetzte Komitee gewählt ; die Versammlung
fand am 4. und 5. Juni 1876 statt, verlief glänzend und
Zwiedineck nahm an ihr teil. — Er war auch 1877 Mit-
glied des Komitees zur Veranstaltung einer Wanderversamm-
^ lung in Judenburg, welche jedoch nicht zustande kam. —
Ebenso gehörte er dem Komitee an, welches den Antrag zu
)
126 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
beraten hatte, betreffend die Veranstaltung von außerordent-
lichen Versammlungen in den Winterraonaten, in welchen nur
Vorträge gehalten werden sollten. — Am 22. Jänner 1878
hielt Zwiedineck in der 30. allgemeinen Versammlung des
Vereines einen Vortrag „über den Erbhuldigungslandtag von
1564, ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der Steiermark";
am 15. März 1879 ^^ ^^^ GeselÜgkeitsabende des Vereines
einen ^über die Gesandtschaftsreise des Freiherrn Adam von
Herberstein nach Konstantinopel im Jahre 1608", am 20. De-
zember 1879 einen „über den Stand der Wallensteinfrage",
wobei eine Übersicht der durch Hallwichs neueste Publika-
tionen gewonnenen Resultate für die Geschichte von 1632
bis 1634 gegeben und dabei insbesondere auf die Stellung
des Fürsten Hans Ulrich von Eggenberg zu Wallenstein hin-
gewiesen wurde. — Dem Ausschusse gehörte er schon seit
1877 an, wurde l88o wieder in denselben gewählt, lehnte
jedoch 1884 ^ine Wiederwahl wegen Überladung mit Berufs-
geschäften ab. — In der 37. Vierteljahrs Versammlung am
28. Oktober 1881 fand Zw iedin eck s Vortrag über „Franz
Ritter von Heintl und sein Vermächtnis an das Joanneum**
statt, der erweitert im 70. Jahresberichte dieses Institutes ab-
gedruckt ist. — In der Jahresversammlung am 30. Jänner
1886 sprach er den Wunsch aus, der Historische Verein möge
in der Angelegenheit des Landesmuseums zur Lösung der
Frage die entsprechenden und gedeihlichen Schritte unter-
nehmen, worauf der Vereinsvorstand erklärte, daß der Aus-
schuß die Bedeutung des Landesmuseums wohl anerkenne
und hochschätze und in der nächsten Ausschußsitzung diesen
Antrag in Beratung ziehen werde. Dies geschah und der Aus-
schuß faßte den Beschluß: „In Erwägung, daß der Historische
Verein seit seinem 35jährigen Bestände nach seinen besten
Kräften bemüht war, die Sammlungen des Joanneums — ins-
besondere die Bibliothek und das Münz- und Antikenkabinett
— durch seine Erwerbungen zu fördern und zu bereichem,
und in Erwägung, daß eine wissenschaftliche Benützung der
jetzt schon in den letzteren und in den Sammlungen des
Musealvereines Joanneum vorhandenen Schätze nur durch eine
Umgestaltung der Landesmuseen möglich ist, richtet der Verein
an den Landesausschuß die Bitte, er möge der Reorganisation
des Landesmuseums seine vollste Aufmerksamkeit zuwenden,
damit diese für die Wissenschaft und das Land Steiermark
so wichtige Angelegenheit sobald als möglich in gedeihlicher
Weise der Lösung zugeführt werde." — In der Jahresversamm-
Van Franz Ilwof. 127
I lung vom 28. Jänner 1889 hielt er einen Vortrag »übor die
Schlacht von St. Gotthard am i. August 1664", als dessen
Veranlassung er einen Prc^rammaufsatz des Gymnasiallehrers
I Wilhelm Nottebohm in Berlin bezeichnet, der sich bemüht,
I die Leistungen des diristlichen Heeres so viel als möglich
herabzusetzen und den Nachweis zu liefern, daß die Schlacht
i nicht von den Christen gewonnen, sondern von den Türköi
freiwillig abgebrochen worden sei, was Zwi edineck aus
I den Kriegsakten des steiermärkischen Landesarchivs entschieden
i widerlegt. — In der Ausschuflsitzung vom 14. Dezember
! 1889 gab Zwi edineck bekannt, daß es bei der Umstaltung
der Kanzlei- und Leseräume der Landesbibliothek möglich
geworden sei, ein besonderes Lese- und Arbeitszimmer für den
I Historischen Verein herzustellen, in dem sämtliche vom Vereine
an die Bibliothek abgelieferten Publikationen, soweit sie nicht
schon gebunden sind, aufliegen und lud zur Benützung dieser
j neuen Einrichtung ein. Der Ausschuß beschloß, der Biblio-
theksverwaltung seinen Dank für diese Einrichtung auszu-
sprechen. — In der Vierteljahrsversammlung vom 29. April
k 1890 hielt Zwiedineck einen Vortrag „über das Gefecht
' von St. Michael am 25. Mai 1809^. In der 49. Jahresversamm-
I lung am 30. Jänner 1895 wurde er wieder in den Ausschuß
und von diesem zum Vereinsvorstande gewählt. — Im Jahre
f 1895 feierte der Historische Verein für Kärnten in Klagenfurt
das Fest seines 50jährigen Bestandes, wozu der Historische
Verein für Steiermark geladen wurde. Der Ausschuß beschloß
' den Vorstand zu ersuchen, an diesem Feste als Vertreter des
steiermärkischen Schwestervereines teilzunehmen , was auch
f geschah und worüber er in der Ausschußsitzung am 25. Ok-
tober 1895 Bericht erstattete. Im Jahre 1903 faßte der Aus-
schuß über Zwiedinecks Antrag den Beschluß, die Reihe
\ der „Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark **,
von welchen bis dahin 50 Hefte erschienen waren, zu schließen
und statt derselben eine „Steirische Zeitschrift für Geschichte*'
i (seit 1906 unter dem Titel: „Zeitschrift des Historischen
' Vereins für Steiermark") herauszugeben und den Titel der
„Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen** vom
I XXXIII. Jahrgange (1904) an in „Beiträge zur Erforschung
' steirischer Geschichte** zu ändern. Dieser Beschluß wurde
durchgeführt. Die Zeitschrift enthält größere und kleinere
Aufsätze und Abhandlungen, und zwar nicht nur landes-
f geschichtliche, sondern auch Erörterungen verschiedener Fragen
aus allen Gebieten der Geschichte, jedoch mit Bevorzugung
128 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
solcher, die entweder die Steiermark und die Alpenländer un-
mittelbar berühren und mit ihren politischen und Kultur-
verhältnissen in näherer Verbindung stehen, dann folgen
Literaturberichte, Nachrichten aus Archiven, Vereinen, Biblio-
theken, Museen, Personalien und ein Fragekasten. Die Bei-
träge sind streng wissenschaftlichen Zwecken gewidmet und
dazu bestimmt, neben den vom Vereine hiezu gewählten Auf-
sätzen auch die Veröffentlichungen der Historischen Landes-
kommission für Steiermark aufzunehmen, was schon seit dem
Jabte 1896 infolge eines Abkommens zwischen Kommission
und Verein geschieht, welches für beide günstige Verhältnis
hergestellt zu haben ein Verdienst Zwiedinecks ist. —
Am 2. Dezember 1900 fand die Feier des 50jährigen Be-
standes des Historischen Vereines für Steiermark statt. Z w i e-
d in eck hatte hiezu die Anregung gegeben, alle Vorarbeiten
geleitet und so zum glänzenden Verlaufe derselben auf das
wesentlichste beigetragen. Sie gelang in ausgezeichneter Weise,
fand in der altehrwürdigen Landstube (dem Sitzungssaale des
steiermärkischen Landtages) im Landhause statt, und was man
in Graz an Autoritäten und Honoratioren zählt, vom Statt-
halter, Landeshauptmann, Korpskommandanten an, wohnte dem
Feste bei. Zwiedineck als Vorstand begrüßte die Fest-
gäste, und hielt die erste Rede. — Der Historische Verein für
Steiermark kann mit Freude und Stolz auf dieses Fest blicken.
Es war daher nur ein Akt der Gerechtigkeit und Dankbarkeit,
daß Herr Prof. Dr. Ferd. KhuU in der Hauptversammlung vom
27. Mai 1903 den Antrag stellte: „Die Vereins Versammlung
wolle den Vorstand Herrn Univ. -Prof Dr. Hans von Zwie-
dineck-Südenhorst in Anbetracht seiner großen Ver-
dienste um den Historischen Verein, dessen Leitung er unter
schwankenden Verhältnissen übernahm und durch fünf Jahre
mit großer Aufopferung führte, in dem Zeitpunkte, in dem
der Verein durch wichtige Änderung seiner Arbeiten an einem
Wendepunkte stehe, zum Ehrenmitgliede ernennen*,
welcher Antrag unter allgemeinem Beifall angenommen wurde.
— In der Hauptversammlung des Vereines am 15. März 1904
legte Zwiedineck die Stelle als Obmann nieder, da er eine
Wiederwahl im Hinblick auf seine wissenschaftlichen Arbeiten
in den nächsten Jahren nicht annehmen könne.
[Für den Historischen Verein kommt freilich, abgesehen
von seiner wissenschaftlichen Bedeutung und wohl mehr noch
als diese eine andere Seite seiner Begabung besonders in
Betracht, seine organisatorische Tätigkeit und vor allem seine
^
Von Franz Ilwof. 129
Lust und Freude an dieser Arbeit. Die Anerkennung seiner
Verdienste auf diesem Gebiete nach seinem Tode ist ein Lohn,
den er im Leben nicht voll geerntet hat, wie er es verdiente.
Aber um Lohn wars ihm nicht zu tun, er ist immer in der
Sache aufgegangen. Und war er eine Persönlichkeit, die m
Verreinssachen eine scharfe Klinge schlug, so muß man immer
seine absolut sachliche Motivation seines Vorgehens heran-
ziehen, wenn man die Schärfe seines Auftretens richtig wür-
digen will. Gerade darüber wissen am besten diejenigen Aus-
kunft zu geben, die Gelegenheit hatten, procul negotiis ihn
über diese seine außerordentlich mühevolle, zeitraubende und
im Hinblicke auf persönliche Gegnerschaften selbstlose Arbeit
sprechen zu können.
Aber ein Sinn war bei ihm über alles entwickelt, der
Gemeinsinn. Daß das Land Steiermark in Hinsicht auf
geschichtswissenschaftliche Tätigkeit die Aufmerksamkeit der
Außenwelt auf sich lenkte, daß es die achtungsvolle Aner-
kennung der deutschen, spezifisch reichsdeutschen Gelehrten-
welt finde, das war sein Ehrgeiz und als dies erreicht war,
\ sein Stolz. Dieser in unserer im Grunde noch blutwenig ge-
meinsinnigen Gesellschaft, in unserer zumeist individual-kapi-
talistischen Zeit so seltene Sinn für die Geltung des Gemein-
wesens verband sich aufs innigste mit dem auch wieder ihm
^ eigentümlichen Maße von Nationalismus. Er kannte nur jenes
nationale Selbstgefühl als berechtigt an, das sich aufbaute auf
positive Arbeit, auf Kulturleistungen, wie sie andere Nationen
p nicht aufzuweisen vermögen. Aber nicht nur Kulturleistungen
' der Vergangenheit ließ er gelten, sondern er forderte, daß,
' wie die Väter, auch die Söhne ihre Gegenwart mit achtung-
gebietenden Leistungen erfüllen. Wie er es selbst gehalten, so
kann und konnte es freilich nicht von allen anderen gefordert
I werden. Arbeit war der Inhalt seines Lebens. Das weiß niemand
1 so sehr wie seine nächsten Angfehörigen und Freunde, die
[• nicht ohne Sorgen seine nächtliche Arbeit Jahr für Jahr und
I Tag für Tag nach 9 Uhr abends bis 1 oder 2 Uhr nachts
! beobachten mußten. Aber er verstand es auch wie wenige
zu genießen. Auch darin war er gerade das Gegenteil eines
I ßavaoao^. In der letzten Zeit war die Arbeit über Erzherzog
I Karl sein Sorgenkind. Da gab es so viele Raupennester von
\j Irrtümern, die er zerstäuben wollte. Er freute sich so sehr
auf die Veröffentlichung verschiedener scharfer Polemiken und
) das lag in seinem Innern knapp beieinander: neben grenzen-
loser Güte die Freude, mit einem scharfen Wort einen wuch-
130 Hans von Zwiedineck-SOdenhorst.
tigen Hieb sitzen zu lassen. Aber den Hauptinhalt seiner Be-
ruli^edanken bildete in letzter Zeit immer mehr sein Lehramt.
Und eine unsagbare Tragik liegt darin, daß eine grausame
Naturgewalt ihn in dem Augenblicke von seinem Posten zerrt,
da er vor die Tatsache des erweiterten Wirkungskreises nach
namenlosem schweren Ringen endlich gestellt war.
Was hätte er für seine Schüler noch wirken wollen und
wirken können! Denn hilfreich und gut war er wie wenige
und an dem „edel**, das Goethe noch für das Menschentum for-
dert, zweifeln und mäkeln auch seine Gegner nicht].
Zwiedineck war auch Mitglied der in Wien seit 1891
bestehenden Kommission für neuere Geschichte Österreichs
und Mitglied des Ausschusses der zur Unterstützung der
Arbeiten dieser Kommission 1904 ebenfalls in Wien errichteten
Gesellschaft für neuere Geschichte Österreichs, in welchen
beiden er auf das eifrigste tätig war.
Den in verschiedenen Städten Deutschlands imd Öster-
reichs stattfindenden Historikertagen und den Generalversamm-
lungen des Gesamtvereines der deutschen Geschichts- und
Altertumsvereine wohnte er regelmäßig als Vertreter des
Historischen Vereines für Steiermark bei und an den Ferial-
vorträgen in Salzburg nahm er tatkräftigen Anteil.
Der holden Frau Musika war er von Jugend auf treu
ergeben, selbst ein trefflicher Violinspieler wirkte er in Konzerten
des steiermärkischen Musikvereins und bei Quartetten in Privat-
zirkeln eifrig mit. Viele Jahre war er Mitglied des Ausschusses
des steiermärkischen Musik Vereines, in dem er eine höchst
ersprießliche Wirksamkeit entfaltete.
Die Ferien brachte er meistens in den Bergen zu; er
war ein Freund der Alpinistik, der er in den Gr«izen, die
Vernunft und Verstand vorschreiben, eifrig huldigte. Noch im
August iy05 bestieg er den Dachstein. Als der Zentral- Ausschuß
des Deutschen und österreichischen Alpen Vereines 1896 — 1^7
den Sitz in Graz hatte, gehörte er ihm sn und wirkte in
demselben mit gewohntem Eifer.
Vom Ferienaufenthalte zurückgekehrt, erkrankte er im
Oktober 1905 an ein«n bösartigen Leiden (Carcinoma recti),
das trotz zwei schwerer Operationen immer heftiger um sidi
griff und das ihn, obwohl er mit der ganzen Kraft seines
Körpers und Geistes dagegen ankämpfte, die schweren Leiden
mit größter Geduld ertrug, noch immer Lebens- und Genesungs-
hoffnungen hegte und an seine wissenschaff liehen Arbeiten und
Von Franz Ilwof. 131
seinen Lehrberuf dachte und Pläne dafür schmiedete, am
22. November 1906 dahinraffte.
Es ist ein geradezu tragisches Verhängnis, von dem
Zwiedi neck noch in den besten Mannesjahren ereilt wurde.
Durch Jahrzehnte seines Lebens war er geistig und körper-
lich vollkräftig gewesen, arbeitete er rastlos und genoß doch
das Leben als heiterer Gesellschafter und als tätiger Freund
der schönen Kunst Musik. Im Leben war er ein Glückskind,
alles was er erstrebte, erreichte er, alles um was er rang^
ward ihm schließlich doch zuteil und in seiner Familie, an
der Seite seiner Gattin, im Kreise seiner Kinder, die den Gemahl
und Vater innig liebten und verehrten, war er glücklich wie
selten jemand. Da ergriff ihn im 60. Jahre seines Lebens
jene furchtbar tückische Krankheit, deren Ursache die. ganze
Ärztewelt nicht kennt und für die es kein Heilmittel gibt und
raffte ihn nach 1 4 monatlicher Dauer dahin. Soviel Glück im
Leben und früh und traurig das Ende.
An seiner Bahre trauerten seine Gattin Anna, geborene
Dettelbach, Töchter Grete und Rosa, letztere vermählt mit
dem Artilleriehauptmann Kreißler und ein Sohn Dr. Otto
von Zwiedineck, der, dem Beispiele des Vaters folgend, die
akademische Laufbahn ergriff und seit mehreren Jahren als
o. ö. Professor der Nationalökonomie an der technischen
Hochschule zu Karlsruhe im Großherzogtum Baden wirkt.
Wie hochgeschätzt und beliebt er in allen Kreisen war,
wie viele Freunde und Verehrer er hatte, bewies das Leichen-
begängnis. Alles, was in Graz durch Rang und Stand her-
vorragt, alle Männer der Wissenschaft und ebenso fast alle
deutschen Studenten und Professoren der beiden Hochschulen,
an denen er gelehrt hatte, wohnten tieftrauemd der Bestattung
bei, denn bei der Vielseitigkeit des Geistes, der Gewandtheit
in Ausdruck und Schrift, bei umfassendem Wissen, hatte er
ein so liebenswürdiges Benehmen, daß jeder, der mit ihm
umging, davon gewonnen werden mußte; trotz der sechs
Jahrzehnte, die er erlebte, war er bis zur letzten schweren
Erkrankung geistig und körperlich jung geblieben, nichts, was
da vorging, auf dem Gebiete der Politik, der Kunst, der
Wissenschaft blieb ihm fremd, alles erfaßte er mit regem
Geiste und bei allem wußte er stets die beste Seite heraus-
zufinden, so daß sein Hinscheiden nicht bloß seinen Freunden,
auch der Wissenschaft, der er sich gewidmet hatte, den Hoch-
schulen und der Gesellschaft ein unersetzlicher Verlust ist.
132 Hans von Zwiedineck-Südenhorst.
Dennoch möchte man fast behaupten, daß das nemo propheta
in patria auch bei ihm einigermaßen zutreffend war, denn
sein Wirken und seine Arbeiten waren außerhalb der schwarz-
gelben Grenzpfahle höher geachtet und geschätzt, als in seiner
Heimat Steiermark und im alten Osterreich.
Friede seiner Asche!
Ehre seinem Andenken!
Zwiedinecks Schriften
in chronologischer Folge.
1863. Festgedicht zur Feier der Installierung der medizinischen Fakultät in
Graz am 14. November 1863. Graz l863-
Der Aufstand der steirischen Herren im Jahre 1291. Kulturhistorische
Novelle. Graz 1863.
1868. Die Aufgaben und Mittel der Musik. Graz 1868.
1870. Die Neugestaltung des deutschen Nationalepos. (Im Jahresbericht der
Landes-Oberrealschule Graz 1870.)
1871. Leitfaden zum Unterrichte in der Geographie von Steiermark für Volks-
schulen. Hiezu : Wandkarte von Steiermark für Volks- und Bürger-
schulen. Graz 1871.
Deutschlands Ringen um Staat und Verfassung. In den politischen
Flugblättern, herausgegeben vom Vereine der Deutschnationalen in
Graz 1871.
1873. Zeitungen und Flugschriften aus der ersten Hälfte des XVII. Jahr-
hunderts. (Im Jahresberichte der Landes-Oberrealschule. Graz 18730
Der Geldschwindel im XVII. Jahrhundert. (Deutsche Zeitung 1873.
Nr. 321.)
Rückblick auf die Geschichte Österreich-Ungarns seit dem Regierungs-
antritte Sr. Maj. des Kaisers Franz Joseph I. Festrede. (In den Erin-
nerungsblättem an das Schulfest der Landes-Oberrealschule zu Graz
zur Feier des 25 jährigen Regierungsjubiläums Sr. Majestät Kaisers
Franz Joseph I. am 2. Dezember 1873- Graz l873.)
1874. E^" merkwürdiges Flugblatt. (Mitteilungen des Historischen Vereines
für Steiermark, XXI )
Zur Vorgeschichte Österreichs. (Im Volkskalender für Kärnten 1874.)
Fürst Christian der Andere von Anhalt und seine Beziehungen zu
Innerösten-eich. Graz 1874.)
1875. Geschichte der religiösen Bewegung in Innerösterreich im XVIII. Jahr-
hundert. (Archiv für österreichische Geschichte, LIII., 457 — 546.)
Innerösterreichische Religionsgravamina im XVII. Jahrhundert. (Mit-
teilungen des Historischen Vereines für Steiermark, XXII.)
Von Franz Ilwof. 133
1876. Zur Geschichte der geistigen Bewegung in Steiermark. (Grazer Tages-
post 1876, Nr. 143).
Das steirische Aufgebot von 1565. (Mitteilungen des Historischen
Vereines för Steiermark, XXV.)
Doi*fleben im XVIII. Jahrhundert. Kulturhistorische Skizzen aus Inner
Österreich. Wien 1876.
1878. Über den Versuch einer Translation des deutschen Ordens an die
ungarische Grenze. (Archiv für Österreichische Geschichte, LVI.,
403—445.)
Ruprecht von Eggenberg. Ein österreichischer Heerführer des XVI. Jahr-
hunderts. (Mitteilungen des Historischen Vereines für Steiermark,
XXVI.)
Wallenstein. Neuntes Bändchen der Hölderschen historischen Bibliothek
für die Jugend. Wien 1878.
1879. Des Freiherrn Adam von Herberstein Gesandtschaftsreise nach Kon-
stantinopel. (Allgemeine Zeitung l879f Nr. 129, 130)
Die Obedienzgesandtschaften der deutschen Kaiser an den römischen
. Hof im XVI. und XVII. Jahrhundert. (Archiv für österreichische
Geschichte, LVHI )
Eine Hochzeitsreise nach Spanien 1598—1599. (Im Morgenblatt der
„Pres.se", Wien, 15. November 1879.)
Rede, gehalten beim Feste der Lande.s-Lehranstalten in Graz am
4. April 1879 zur Feier der silbernen Hochzeit des Österreichischen
Kaiserpaares. (Im Jahresberichte der Landes-Oberrealschule, Graz,
1879.)
Die Resultate der neuesten Forschung über die Wallenstein-Katastrophe.
(Grazer Tagespost, 1879. 28-, 29.. 30. Dezember.)
1880. Hans Ulrich Fürst von Eggenberg, Wien 1880.
„Kulturgeschichte.** (Im I. Jahrgang 1878 der Jahresberichte der
Geschichtswissenschaft. Berlin 1880.)
Venetianische Gcsandtschaftsberichte über die böhmische Rebellion
1618 — 1620. Graz 1880.
1881. Dr. Franz Ritter von Heintl. Eine biographische Skizze. (Im 70. Jahres-
berichte des Joanneums zu Graz, 1882.)
„Kulturgeschichte.** (Im II. Jahrgang der Jahresberichte der Geschichts-
wissenschaft 1879. Berlin 1881.)
1882. Festrede, gehalten bei der Feier des hundertsten Geburtstages Erz-
herzog Johanns am 20. Jänner 1882. (Im 71. Jahresberichte des
Joanneums zu Graz, 1883. Sonderabdruck. Graz 1882.)
Die Politik der Republik Venedig während des 30jährigen Krieges
Zwei Bände. Stuttgart 1882— 1 885.
Beiträge zur Geschichte der Verwaltung aus dem Protokolle der
Herrschaft Hohenwang. (Mitteilungen des Historischen Vereines für
Steiermark, XXX.)
„Kulturgeschichte." (Im III. Jahrgang für 1 880 der Jahresberichte der
Geschichtswissenschaft. Berlin 1882.)
1883. Die Lieblinge. Festspiel zur Feier des 80. Geburtsfestes des Herrn
Johann Dettelbach (Vater von Zwiedinecks Gemahlin), aufgeführt
von .seinen Enkeln am Vorabende des 10. Jänner 1883. Graz 1883.
Kriegsbilder aus der Zeit der Landsknechte. Stuttgart l883.
1884. Graf Heinrich Matthias Thum in Dien.sten der Republik Venedig.
(Archiv für österreichische Geschichte, LXVI.)
10
134 Hans von Zwiedineck-SOdenhorst.
Österreich unter Maria Theresia, Josef II, und Leopold II. Begonnen
von Adam Wolf, vollendet von Zwiedineck. (Oncken, Allgemeine
Geschichte in Einzeldarstellungen, III., 9.)
Der Türkenkrieg von 1683. (Zeitschrift für allgemeine Geschichte, I.)
Die Geschichte als Wissenschaft. (Ebenda.)
Die Einleitung des Herbst feldzuges 1813. (Ebenda.)
Karl Hillebrand. (Ebenda.)
Ein wohlgemeintes Liedlein zur hohen Ehr Ihrer Stammgeigen, aufs-
feinst gespielt von dem Grafen von und zu Aichelburg. Graz 1 884.
1885. Wallensteins Feldzug gegen Mansfeld im Herbste 1626 und die Brucker
Konferenz. (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichts-
forschung, VI.)
Die Unglückstage von Mantua. (Zeitschrift für allgemeine Gesch., II.)
Zur Geschichte des 30jährigen Krieges. (Ebenda.)
Aus den Briefen eines deutschen Diplomaten. (Ebenda, II.)
1886. Turenne und die Fronde. (Ebenda III.)
Politische und Kulturgeschichte. (Ebenda, III , 879 — 883.)
1887. Die neueste Wallenstein-Forschung. (Ebenda. IV.)
Die Denkwürdigkeiten des Grafen Vitzthum. (Ebenda, IV.)
Heinrich von Treitschke. (Ebenda, IV.)
Theodor von Sickel. (iLbenda, IV.)
1887. Festgruß zur Feier des zehnjährigen Bestandes des Streichquartette.«*
im Hause Alfred Graf Aichelburg Graz -1887.
Stammtafel der Familie Dettelbach in Graz. Graz 1887.
1888. Das böhmische Staatsrecht und die deutschnationale Politik in Öster-
reich. (Zeitschrift für Geschichte und Politik, V.)
Deutschnational. (Ebenda.)
Gefahren von Osten. (Ebenda.)
Neue französische Allianzen. (Ebenda.)
Der Bund der mitteleuropäischen Kaiser mächte. (Ebenda.)
Eine böhmische Akademie der Wissen.schaften. (Ebenda.)
Die öffentliche Meinung in Deutschland im Zeitalter Ludwigs XIV.
(Ebenda, nebst Sonderabdruck. Stuttgart 1888.)
1889. Edwina. Eine Bibliotheksgeschichte. (Deutsche Revue 1889, Maiheft.)
Die Schlacht bei St. Gotthard. (Mitteilungen des Instituts für öster-
reichische Geschichtsforschung, X.)
1 890. Der Jäger von Maria-Hof. Eine steirische Geschichte aus der Franzosen-
zeit von Johannes Kohldorfer (Pseudonym für Zwiedineck). Ober-
steirerblatt 1890.
Die Geschichte der Steiermark von 1564 bis zur Gegenwart. (Im
Kronprinzenwerke: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort
und Bild. Steiermark. Wien 1890, S. 11 8— 138.)
Die Augsburger Allianz von 1686. (Archiv für österreichische Ge-
schichte. LXXVl.)
1890 — 1894. Deutsche Geschichte im Zeitraum der Gründung des preußischen.
Königtums. Zwei Bände. Stuttgart 1890 — 1894.
1891. Das Gefecht bei St. Michael und die Operationen des Erzherzogs^
Johann in Steiermark 1809. (Mitteilungen des Instituts für öster-
reichische Geschichtsforschung, XII.)
1892. Erzherzog Johann von Österreich im Feldzuge von 1809. Graz 1892-
1892 und 1893. Zur Geschichte des Krieges von 1809 in Steiermark.
L und II. (Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquelleni.
XXIII. und XXIV. Jahrgang.)
Von Franz llwof. 135
1894. Festrede bei der Stiftungsfeier des Landesmuseums Joanneum und
Eröffnung der Landesbibliothek am 26. November 1893. (Im
82. Jahresberichte des Joanneums. Graz 1894.)
Geschichte und Geschichten. Bamberg 1894.
1895. Das Grafendiplom der Windischgrätz von 1557« (In der Festgabe für
Franz von Krones zum 19. November 1895. Graz 1895.)
1896. Die Brigade Thierry im Gefechte von Abensberg am 19. und
20. April 1809. (Mitteilungen des Instituts för österreichische
Geschichtsforschung. Ergänzungsband V.)
Napoleon in Dresden. (Allgemeine Zeitung, Beilage, 1896, Nr. 43)
Heinrich von Treitschke. (Sonderabdruck aus den Biographischen
Blättern, IL, 6.)
Das Reichsgräflich Wurmbrandsche Haus- und Familienarchiv zu
Steyersberg. (Veröffentlichungen der Historischen Landeskommission
für Steiermark. II.)
l8g7 — 1905. Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Er-
richtung des neuen Kaiserreiches (1806 — 1871). Drei Bände.
Stuttgart 1897» 1903, 1905.
1897 — 1901. Die Ostalpen in den Franzosenkriegen. Zeitschrift des Deutschen
und Österreichischen Alpenvereines. 1897. 1898, 1899. 190t.)
1897 — 1899. Das gräflich Lambergsche Familien archiv zu Schloß Feistritz
bei Uz. (VerÖflfentlichungen der Historischen Landeskommission für
Steiermark. IV., VII., XL Graz 1897, 1898, 1899.)
1897. Die militärische und politische Bedeutung des Vorfriedens von Leoben.
(Gedenkblatt, herausgegeben vom Komitee für das Lokalmuseum in
Leoben. 1897.)
1898. Alfred von Arneth. (Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
Neue Folge. II. Jahrgang 1897-98, Monatsblätter.)
1899. Zur Vermählungsfeier KOnigl-Reininghaus. Graz 1899.
Venedig als Weltmacht und Weltstadt. (Monographien zur Welt-
geschichte, VII. Bielefeld und Leipzig 1899.)
Erinnerungen aus der Franzosenzeit. (Mitteilungen des Historischen
Vereines für Steiermark, XLVIL)
Bericht Ober die von der provisorischen Kommission zur Herausgabe
von Akten und Korrespondenzen zur neueren Geschichte Österreichs
eingeleiteten Erhebungen in öffentlichen und Privatarchiven. Graz 1 899.
Die Hochzeitsfeier Erzherzog Karls II. mit Maria von Bayern. (Mit-
teilungen des Historischen Vereines für Steiermark. XLVII.)
1 900. Die Entstehung der Großmächte. (In Helmolts Weltgeschichte, VII., 1 .
Leipzig 1900.)
1901. Erinnerungen an Franz Schlechta (2. Februar 1832 bis 6. Dezember
1899). Zur Enthüllung seines Gedenksteines auf dem Friedhofe
St. Peter in Graz. Graz 1901.
1902. Graz. Mit 1 3 Abbildungen und Photographien. (Velhagen und Klasings
Monatshefte 1901-1902. S. 689—699.)
Grazer Feste zu Zeiten Erzherzog Johanns. (Im Festblatt für das
VI. Deutsche Sängerbundesfest. Graz 1902.
Die geschichtliche Stellung der Steiermark. (Sonderabdruck aus dem
Festführer für das VI. Deutsche Sängerbundesfest in Graz 1902.)
Österreich und der deutsche Bundesstaat. Ein Beitrag zur deutschen
Verfassungsgeschichte 1 848—1849. (Mitteilungen des Instituts für
österreichische Geschichtsforschung, XXIV.)
10*
136 Hans von Zwiedineck-Südenhorst. Von Franz Ilwof.
1 904. Eine deutsch-Österreichische Bundesakte. Aus dem Archive des Reichs-
verwesers Erzherzog Johann. (Im VII. Ergänzungsbande der Mit-
teilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. Dem
Salzburger Historikertag gewidmet.)
Zur Geschichte des ersten Franzoseneinfalls in Steiermark 1797-
(Steirische Zeitschrift fQr Geschichte, I.)
Engelbert Mühlbacher. (Ebenda.)
1905. Maria Theresia. (In den Monographien zur Weltgeschichte, XXIII.
Bielefeld und Leipzig 1905.)
Außer diesen zahlreichen Werken und Abhandlungen liegen von
Zwiedineck noch viele kleinere Notizen und Besprechungen von Werken
vor, so in den Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichts-
forschung, in der historischen Vierteljahrsschrift, in den Mitteilungen des
Historischen Vereines für Steiermark, in den Steiermärkischen Geschichts-
blättem, in der Grazer Tagespost, im Grazer Tagblatt u. a. a. O., Biographien
in der Allgemeinen Deutschen Biographie u. s. w.
^ret^ ':ui^ ^e^€>
-^i^nay
'■^- -/^..«e«6^^.
fimdm/e^^mtirjcüum^r seuur Rn/tnr-
über die Anfänge der Blindenfürsorge
in Steiermark.
Von Regierungsrat Alexander Meli,
Direktor des k. k. BHnden-Erziehungs-Institutes in Wien.
Ziemlich frühe trat Steiermark in die Reihe jener Länder,
in denen man sich um das Schicksal einer Klasse nicht
vollsinniger Menschen bemühte, welches seit jeher das Mitgefühl
der glücklicheren Mitmenschen im hohen Grade hervorrief; die
Blinden sind es, die hier gemeint sind. Obzwar es richtig ist,
daß das allgemeine Mitleid mit dem Unglücke der Blindheit
ein sehr großes ist, daß jedermann, der mit einem Blinden in
Berührung kommt, die Schwere des Unglückes fühlt, sich der
Tragweite des Verlustes eines so wichtigen Sinnesorgans ohne
weiteres Überlegen bewußt wird, so hat man im allgemeinen
verhältnismäßig spät die richtigen Wege gefunden, eine werk-
tätige, zweckentsprechende Fürsorge für die Nichtsehenden zu
organisieren. Aber auch als die richtigen Wege zur Hilfe für
die Blinden gefunden waren, verbreiteten sich diese Fürsorge-
bestrebungen nur langsam, und in Steiermark erhält man so
;recht ein Bild, durch welche Vorbedingungen sich die inten-
jsive Arbeit für die Blinden den vorbereitenden Boden schaffen
;mußte.
Um die Verhältnisse der Blindenfürsorge in Steiermark
auch demjenigen verstäridlich zu machen, der mit den allge-
melilen Ümstälidth des Blinden wescJns nidht vollständig ver-
traut ist, habe ich folgendes votaüszusetlden : ^ " "
Weit zurück in die „grauesten Zeiten" reicht die Kunde
vofi begabten Blinden, die trotz ihres Üngliickes imstande
waren, sicli eine hervorragende Stellung zu scjiaff^ und dem
» Zur genaueren Orientierung über das gesamte Blinden wesen dient ;
M^ll, Encyklopädisch^s Handbuch des Blinden wesens, Wien, 190Q. 56 Bogen,
mit vielen. Abbildungen und XafeJnj., . , , , . .
138 Ober die Anßlnge der Blindenfürsorge in Steiermark.
Lose des Bettlers zu entrinnen. Mit der Sicherheit, mit welcher
über historische Dinge berichtet wird, wächst auch die Zahl
der Nachrichten über besondere Blinde, die durch Begabung
und durch Betätigung im öffentlichen Leben die Aufmerk-
samkeit der Mitwelt erweckten.
Solche Blinde fanden ihren Biographen, und je mehr wir
uns der neueren Zeit nähern, desto häufiger treten bestimmte
imd beglaubigte Nachrichten über den Unterricht von Blinden
auf, über einen Unterricht, der sich allerdings vorerst nicht
verallgemeinerte, sondern auf einzelne vom Glücke begün-
stigte, mit zeitlichen Gutem gesegnete Blinde beschränkt blieb. *
Erst zu Ende des XVIII. Jahrhunderts wurde der Versuch ge-
macht, dem Blinden im allgemeinen Erziehung und Belehrung
zugänglich zu machen, und darauf hatte eine Österreicherin,
die blinde Maria Theresia von Paradis keinen geringen Einfluß.
Diese hochbegabte Blinde, ein Patenkind der Kaiserin
Maria Theresia, besuchte den Hof in Versailles, um dort ihre
Kunstfertigkeit im Orgelspiele und im Gesänge zu zeigen. Die
junge, sehr gut erzogene Dame erregte begreifliches Aufsehen,
und da die Blinden in Paris eine sehr zweifelhafte Rolle spielten,
in berüchtigten Vergnügungslokalen und sonst noch wahrhaft
mißbraucht wurden, eine förmliche Gilde von blinden Bett-
lern Paris nahezu überschwemmte und die öffentliche Mild-
tätigkeit in fast unverschämter Weise in Anspruch nahm, war
der Kontrast zwischen der blinden Wienerin und dem blinden
Pöbel ein zu großer, als daß er nicht allgemein auffallen
mußte. Der Eindruck veranlaßte denn auch ein Mitglied der
Pariser Philanthropischen Gesellschaft, den Versuch zu machen,
einen Blinden zu unterrichten und im Falle des Gelingens wei-
tere Bestrebungen für das Wohl der Blinden daran zu knüpfen.
Valentin Haüy, Beamter im französischen Ministerium
des Auswärtigen, wagte den Versuch; er glückte und gab den
Anlaß zur Gründung der ersten Blinden-Unterrichtsanstalt in
Pari3, di^ vom Jahre. 1,784 ihr Bestehen datiert^ Das ^eiig)jel
fand zuerst in England, daim auf dem Kontinent Nßchahxnyng.
Hier allerdings erst zwanzig Jahre spät€?r, d. i. I804.
1 Vergleich^: ,Strodtniaiin, Geschichte jetzt lebendec Gelehrter,
Zelle 1745t tezügUch Achilles Öaniel Leopold, der ein isehr cÜarakteristisctes
Beispiel itiefür ist. Ferner: Triiikhaus, M. Georg, Ülssertatmnc'uia de caecis
sapientia ac eruditione claris, mirisque caecorum quorundam actionibus
Gerae MDCLXXII. . '
« Haüy, Valentin, Essai sut l'^ticötiOtt des rfveUgles» Paris 1786.
Höchst wahrscheinlich die erste von Blindeiv gesetite und gedruckte Schrift.
Von Alexander Meli. 189
Von diesem Jahre ab ist die Bewegung zugunsten dtr
Blinden in Osterreich in Fluß und nicht mehr zum Stillstande
gekommen. Für Österreich bildet das Entstehen der Wiener
Blindenanstalt den Kristallisationspunkt für alle Unternehmungen,
die in dieser Richtung auftraten. Die Zeit 1804 bis 1818 muß
für Steiermark als tote Zeit im Blindenwesen betrachtet werden,
doch dürfen wir die Ereignisse innerhalb dieses Zeitraumes
nicht übergehen, damit die Vorkommnisse in Steiermark ver-
I ständlich werden.
I Am 13. Mai 1804 also wurde in Österreich, — in Wien —
! die erste Anstalt für Blinde überhaupt ins Leben gerufen.^
f Die Anregung hiezu mag wohl von Paris in gewissem Sinne
I ausgegangen sein, allein das ist sicher, daß das Vorgehen bei
I Errichtung der ersten deutschen Anstalt — so kann man sie
j nicht nur wegen ihres Gründers, sondern auch wegen der
Sprache beim Unterrichte nennen — dem heutigen k. k. Blinden-
j Erziehungs-Institute, ein selbständiges war. Die zwanzigjährigen
^ Bemühungen in Paris erbrachten wohl den Beweis, daß der
I Blinde einer angemessenen Ausbildung fähig, daß die für ihn
I aufgewendete Mühe keine vergebliche, ja sogar teilweise eine
reich belohnte sei, allein für Österreich war die Sache da-
mals immerhin eine ebenso gewagte, wie sie es seinerzeit für
I Paris war.
Die geborenen Bettler, die Blinden, von denen die Mensch-
' heit nur das wußte, daß sie „die Ärmsten der Armen" seien,
^ sollten nun anders behandelt werden als bisher. Das Beginnen
f war entschieden sehr merkwürdig: Man erzog besonders ge-
artete Menschen in einer für ihren Zustand angemessenen Weise,
brachte sie zur Tätigkeit, zur Arbeit, die der Allgemeinheit
von Nutzen sein konnte, und suchte sie dem Übel zu ent-
ziehen, eine oft höchst widerwärtige Last der Mitbürger zu
sein. Damit hatte Joh. Wilh. Klein, der Begründer des öster-
reichischen Blindenwesens, seine Tätigkeit als eminent sozial-
ökonomische charakterisiert. Das Ziel der Blinden-Bildung und
-Erziehung war: „die bürgerliche Brauchbarmachung^ dernicht
sehenden Menschen. Hunderte bisher unbenutzbarer und un-
brauchbarer Menschen sollten ersprießliche, gewinnbringende
Tätigkeit entfalten, sie sollten der werktätigen, produziereiiden
menschlichen Gesellschaft als Glieder angereiht werde^i; die
Blinden sollten nicht mehr ^Is Bpttjier die Stuf^i. yiv4 XOren
1 AusfQfarlioh. behandelt in.Mell^ >,GeschiehU cües' k;. k; '■ Blitfi^-Erzie-
hungs-IiisUlutes.'*.Wiem 1904. >■'.'■ ..> :»:^ ,,
140 Über die Anfänge der BlindenfOrsorge in Steiermark.
der Kirchen belagern, nicht mehr an den Straßenecken als
verkommene, oft abscheuerregende, aufdringliche Almosen-
heischer stehen, sie sollten arbeiten.*
Daß ein hierauf abzielendes Unternehmen die Aufmerk-
samkeit weiter Kreise auf sich ziehen, daß die schöne Idee
namentlich bei hochgebildeten Personen vollen Beifall und alle
Förderungen finden mußte, ist wohl leicht verständlich, und
als die ersten Erfolge der Erziehung sich deutlich bemerkbar
machten, das zu erstrebende Ziel sich als erreichbar erwiesen,
fehlte die Unterstützung der Sache, ohne welche sie unmög-
lich aufblühen konnte, nicht.^
Diese Unterstützung machte sich begreiflicherweise zuerst
in einem kleinen Kreise, am Orte des Versuches, selbst geltend,
aber mit den fortschreitenden Erfolgen, mit der weiteren Ver-
breitung der Kenntnis hierüber mußte die naturgemäße Ent-
wicklung es mit sich bringen, daß auch an entfernteren Orten
eine Bewegung zugunsten der Blinden sich entwickelte, wenn
auch fast immer der Anstoß vom Zentrum der Bewegung, von
Wien aus erfolgte. Als endlich Kaiser Franz im Jahre 1816
offen und in nachdrücklicher Weise für die Blinden in Wien
Partei nahm, das bereits bestehende und wirkende Privat-
institut Joh, Wilh. Kl eins in Anerkennung seiner Erfolge
zur Staatsanstalt mit eigenem Statute erhob, wurde die Be-
wegung in rascheren Fluß gebracht, die Kreise der Blinden-
freunde erweiterten sich mehr und mehr. Zuwendungen aller
Art fanden sich ein, sie blieben sodann nicht mehr auf Wien
beschränkt, sondern griffen weiter aus und man bedachte auch
die „Provinzen".
Wiewohl Klein nach jeder Richtung beflissen war, die
Öffentlichkeit auf sein Unternehmen aufmerksam zu machen,
er der Wichtigkeit der bestehenden Presse voll bewußt war
und er die Wiener Blätter ganz angemessen benützte, so kann
diesem Bestreben der Heranziehung des Publikums zur Unter-
stützung der Blinden außerhalb Wiens nicht so viel Wert bei-
gemessen werden, wie; den Besuchen der Anstalt durch Rei-
sende aus allen Teilen österreiclis. Das Zeitungswesen war
noch sehr wenig entwickelt, Nachrichten derartiger Qualität
kamen auch weniger in Blätter, dagegen waren Besucher der
* K 1 e i n J. W„ Beschreibung eines ipit einem neunjährigen Knaben
angesteliteli Versuches, blinde Kinder zur bürgerlichen Brauchbarkeit zu bil-
den Wien, 1805.
• * KleinJ. W., Das Blinden-Institut in Wien r wie es entstand, wie
es gegenwärtig besteht und was noch dafür zu wünschen üb^ig ist. Wien; 1822,
Von Alexander Meli. 141
Anstalt stets voll des Lobes über das, was sie dort gesehen
hatten, nahmen die besten Eindrücke, durch Demonstrationen
wohl eingeprägte Lehren aus dem Blindenhause mit und da-
durch kam manche die Sache fördernde Kunde nach den Kron-
ländern der Monarchie
Weiter waren der Sache freundlich gesinnte Männer be-
strebt, neben Klein für die Blinden zu wirken, und manche
jener richteten ihr Augenmerk eben auf die Verhältnisse in
den Provinzen, indem sie dorthin ihre Anregungen wirken
ließen.
Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Bemü-
hungen Kl eins nicht überall gewürdigt wurden, daß ihm
mancher Gegner erstand, der den Nutzen der Blindenbildung
nach den Ideen Kl eins nicht einsehen wollte. Die Gegner-
schaft, auf die bald näher eingegangen werden soll, hatte aber
doch auch etwas Gutes, und zwar das, daß die Maßnahmen
mächtiger Personen in den österreichischen Ländern auf die
Blinden aufmerksam machten, da sie eine gewisse Fürsorge
für die Nichtvollsinnigen eintreten lassen wollten, allerdings
nicht in der Form von Blindenanstalten, sondern, wie später
genauer dargelegt werden wird, auf dem Boden der allge-
meinen Volksschule.
Mit diesen wenigen Worten sind die wichtigsten Wege
bezeichnet, auf denen von Wien aus — und nur von dort
kam mittelbar oder unmittelbar die Anregung — die Lehren
von der Blindenfürsorge nach Steiermark gelangten, und es
ist nun möglich, auf die speziellen Verhältnisse dieses Kronlandes
an der Hand jener Akten einzugehen, die mir zugänglich ge-
macht worden sind.
Durch die mir sehr wertvolle Verbindung mit Herrn
Dr. Anton Kap per, I. Adjunkten des steiermärkischen Landes-
archives, der im Jahre 1905 mit der Neueinrichtung des Ar-
chives der k. k. steiermärkischen Statthalterei in Graz betraut
war, wurde es mir möglich, zunächst einen Überblick über
die Materie in den Akten des genannten, staatlichen Archives
zu erlangen, und auf meine Bitte hatte das Präsidium der Statt-
halterei die besondere Güte, mir das Material besser zugäng-
lich zu machen, daß mir die betreffenden Konvolute^ nach Wien
gesendet wurden. Dadurch wurde mir volle Zeit und Muße,
* Sämtliche benützte Akten über das Blinden wesen in Steiermark sind,
nach den betreffenden Materien geordnet, im Faszikel 44 zusammengelegt,
weshalb Hinweise auf die Akten selbst in nachfolgender Darstellung ent-
fallen können.
142 Über die Anftlnge der Blindenitirsorge in Steiermark.
die Akten durchzugehen und die Verhältnisse in Steiermark
zu studieren, was mir als Vorarbeit ftlr -eine allgemeine Ge-
schichte des Blindenwesens höchst wertvoll erschien. Es ge-
ziemt sich, daß ich dem hohen Statthaltereipräsidium in Graz
sowie Herrn Dr. A. Kapper an dieser Stelle für die mir
zuteil gewordene Arbeitsförderung meinen ergebensten Dank
hiemit abstatte.
Die erste Aktion der Regierung zugunsten der Blinden.
1819.
Es ist bereits ausgesprochen worden, daß die Gegner
des Unternehmens der Blindenbildung durch Joh. W. Klein
die ersten Maßnahmen zugunsten der blinden Schulkinder in
die • Kronländer trugen. Die Bestrebungen des Wiener Blinden-
institutes fanden aus nicht ganz klargestellten Gründen die
Billigung der Behörden nicht. Den Anlaß zur Äußerung
hierüber und zur Verfolgung der Angelegenheit in anderem
Sinne gab die Verhandlung wegen Erhebung der Privatanstalt
Kl eins zur Staatsanstalt. Klein war Ausländer, er war
evangelischer Konfession, und einer dieser beiden Umstände,
vielleicht beide zugleich, hatten gewiß Teil an der Gegner-
schaft gegen seine Arbeit. Die Schulenoberaufsicht in Wien
kritisierte die Anstalt Kl eins in rücksichtsloser, geradezu
verletzender Weise, wobei sogar Spott und Hohn nicht
gespart wurden. Klein, dem ein sehr ungleicher Kampf auf-
gedrängt worden war, verteidigte sich mit großer Ruhe und
Sachlichkeit und fand hiedurch den Weg zur Überzeugung
für die Richtigkeit seiner Anschauungen und siegte hiedurch.
Dabei kam ihm ungemein zustatten, daß Kaiser Franz
während seiner Anwesenheit in Paris das dortige Blinden-
institut besuchte, hiedurch auf Klein mehr als bisher auf-
merksam wurde und dessen Arbeit sehr günstig mit den
Pariser Blindenschutzbestrebungen verglich.
Das Hauptargument der Gegner Kleins bei' der Ober-
aufsicht der deutschen Schulen in Wien bestand aber darin,
daß sie behaupteten, die Erziehung der Blinden in besonderen
Anstalten sei eine zu teure Sache. Der Blinde könne ganz
gut in den Schulen für Sehende, also in der „gemeinen
Schule", unterrichtet und in irgendeiner Arbeit im Hause
seiner Eltern oder Angehörigen abgerichtet werden, da ^r
zu feinen Verrichtungen nicht tauge und grobe Arbeiten im
Kreise seiner Heimat erlernen und betreiben könne. Um diese
f Von Alexander Me]). 143
Gründe recht wirksam zu machen und den Beweis zu liefern,
daß sie richtig seien, erstattete die Landesregierung einen
eingehenden Bericht an die Studienhofkommission (23. Okto-
ber 1818) und regte an, daß auch für die Blinden der Schul-
i besuch obligatorisch erklärt werden möge. Daraufhin ergingen
I die erforderlichen Weisungen an alle Landesstellen, also auch an
! das steiermärkisch-kämtnerische Gubemium durch ein Hofdekret
vom 29. Dezember 1818, durch welches ausgeführt wurde:
„Die n.-ö. Regierung hat sich zu dem Vorschlage ver-
anlaßt gefunden, daß die Vorschriften der politischen Ver-
fassung der deutschen Schulen in Absicht auf den Schulbesuch
\ und die Beschreibung der schulfähigen Kinder, auch auf die
blinden Kinder ausgedehnt werden. Da die Ausführbarkeit
I des öffentlichen Schulbesuches der blinden Kinder, wenn sie
auch geradezu bewiesen werden könnte, dennoch vielen
^ Schwierigkeiten unterliegt, und ein zweckmäßiger Privat-
unterricht derselben, weil er bey blinden Kindern doch sehr
. individuell sein muß, immer noch vorzuziehen ist, so kann
ihnen zwar im allgemeinen der Besuch der öffentlichen
Schulen nicht zur Pflicht gemacht, sie sollen aber bey Be-
schreibung der schulfähigen Kinder nicht übergangen werden,
' teils um diejenigen von ihnen, die keinen Privatunterricht
genießen, zum Besuch der öffentlichen Schule so viel möglich
verhalten, theils daß sie selbe besuchen können und wollen,
in die Lage versetzen zu können. Wie der Lehrer sich in
Behandlung derselben zu benehmen habe, wird ihm theils aus
allgemeinen psychologischen Maximen von selbst bekannt,
j theils gibt ihm das vom Direktor des hiesigen Blindeninstitutes,
Klein, verfaßte Werk mehrere Anleitung."
Der Auftrag, welcher eine strenge Auslegung der Schul-
pflicht des blinden Kindes nicht enthält, hatte übrigens weder
in Steiermark noch in einem der anderen Kronländer irgend-
welchen weiterreichenden Erfolg. Nicht einmal in Nieder-
österreich war er ein nennenswerter, obzwar in Wien be-
reits vor Erscheinen des Erlasses an zwei oder drei Volks-
schulen blinde Kinder unterrichtet worden waren. Gerade in
Steierniärk stand man der Blindensache zu dieser Zeit noch
ganz fremd gegenüber, die Darlegungen der Studienhofkom-
mission fanden begreiflicherweise gar kein Verständnis bei
den Unterbehörden und so kam der Akt in Vergessenheit.
Die erste Regung in Angelegenheit der Blindenfiirsorge in
Steiermark verlief somit völlig resultatlos.
}
144 Über die Anfange der Blindenfürsorge in Steiermark.
Die erste Blindenstiftung in Steiermaric. 1826.
Eine solche Zuwendung, ausdrücklich für Blinde be-
stimmt, kam von Wien, und zwar von einem Manne, der in
engster Fühlung mit Johann Wilhelm Klein stand und das
Bestreben hatte, dem Blindenbildungswesen im Sinne K 1 e i n s
weitere Verbreitung zu geben.
Im Jahre 1826 erschien in Wien eine Zusammenstellung
unter dem Titel: „Erinnerungstafel an die unter der Re-
gierung Seiner Majestät des Kaisers Franz L sowohl auf
Kosten des Staates, als auch durch den Biedersinn einzelner
Staatsbürger und ganzer Vereine neu ins Leben getretenen,
nicht allein die religiöse und intellektuelle Bildung, sondern
aucb die Erhaltung des Lebens und der Gesundheit, dann die
Begründung und Beförderung der Wohlfahrt sämtlicher Unter-
tanen bezweckenden Institute von Johann Georg Megerle
von Mühlfeld, k. k. Rat und Archivsdirektor der k. k.
allgemeinen Hof kämmen^ In der „Ankündigung* über das
Erscheinen der Tafel weist der Verfasser darauf hin, daß
schon im Jahre 1824 in einer Wiener Zeitschrift die beste
Schilderung aller, seit der Regierung Kaiser Franz I. „ge-
schehenen Einrichtungen, Verbesserungen, Verschönerungen, Er-
richtungen von Instituten und Bildungsanstalten etc. zum Gegen-
stand einer öffentlichen Preisaufgabe gemacht", diese aber nicht
gelöst worden ist. Er habe sich der gestellten Aufgabe unter-
zogen, aber nicht um den Preis zu erringen, sondern um
^ einem bereits entstandenen, dem künftigen Wohle unserer
allein nur wahrhaft unglücklichen Mitbrüder gewidmeten
Institute, ^ die so höchst wünschenswerte möglichste Erweiterung
und die allgemeine Anteilnahme* zu verschaffen. Er widmet
den Ertrag „dem Unterrichte und der Erziehung armer blinder
Kinder" in der Weise, dai3 das, was jede Provinz hierzu bei-
getragen, den blinden Landesangehorigen zugute kommen soll.
In Verfolgung . dieses Zweckes sendet , M ^, g e r 1 e eine
undatierte Eingabe an das Gubernium in Graz, die . am
18. September 1826 präsentiert wird, in welcher er bittet,
„seinem gewiß gemeinnützigen Unternehmen die gewohnte
1 J, G, Megerle v. Müh Ife^d, geb. zw Wien am 20. Jupi 1780,
gest. daselbst 1831, fruchlbarer Schriftsteller auf rechtshistorischem Gebiete,
hsft äiich bezüglich der Steiermark Spezialäbhandluhgen uiid Zusammen-
stellungen veröffentlicht. ' ' t- • - / je.'i;? :
* Hier ist das Wiener Institut gemeint.
Von Alexander Meli. 145
Aufmerksamkeit gnädigst zu schenken und dasselbe durch den
Weg der Kreisämter allen Dominien und Magistraten bekannt
machen lassen zu wollen, damit durch diese die gewiß nicht
geringe Zahl wahrer Menschenfreunde erhoben, von denselben
der für die Erinnerungstafel nach Verschiedenheit der Auf-
lage mit 36 kr. und i fl. Konventionsmünze bestimmte Preis
einkassiert, unmittelbar an Eure Excellenz zur allsogleichen
Einlegung in die Grazer Sparkasse eingesendet werden möge."
Noch im September 1826 wird die Angelegenheit durch-
geführt, so daß am 14. Dezember 1826 die steiermärktsche
Provinzial-Staatsbuchhaltung das „Haupttableau über die ein-
gegangenen Pränumerationsbeträge** vorzulegen in der Lage
ist. Es wurden 332 Exemplare der Erinnerungstafel verkauft,
wofür der Betrag von 238 fl. 24 kr. erzielt wurde; hievon
kamen dem Herausgeber 57 fl. 20 kr. zu, so daß der zum
bestimmten Zwecke verwendbare Betrag sich auf 181 fl. 4 kr.
stellte, der in der Sparkasse angelegt wurde. — Nachträglich
kam noch einiges ein, so daß 229 fl. als Erlös in Steiermark
angesehen werden können.
Am 25. März 1827 erging an das k. k. Gubernial-
Haupt-Taxamt der Auftrag, die dort erliegenden Sparkasse-
büchel über die eingelangten Beträije auf den Namen „Stiftung
des Job. Georg Megerle von Mühlfeld zur Erziehung
armer blinder Kinder", umschreiben zu lassen. Nach den im
Archive der steiermärkischen Statthalterei vorfindlichen Akten
ist dies die erste steirische Stiftung zur Erziehung blinder
Kinder, deren Grund hiemit gelegt wurde. Zur Persolvie-
rung kam sie allerdings erst später.
Megerle von Mühlfeld hatte unzweifelhaft einen
anderen Erfolg vom Verkaufe seiner Schrift erwartet; der
Minderertrag mußte ihn enttäuschen.
Darum suchte er durch den Verkauf einer neuen Schrift:
, Erinnerungsblätter an alle, unter der Regierung Kaiser
Franz I. zur Wohlfahrt seiner deutschen Staaten erflossenen
Allerhöchsten Entschließungen" * den Fonds zu stärken ;
allein auch hier blieb der Erfolg aus, die Behörden konnten
mit der Realisierung der Stiftung nicht vorgehen und das
Gubemium beschließt, „die bereits vorhandene Summe und
•die noch eingehenden und bei der Sparkasse anzulegenden
Beträge, bei derselben insolange fruchtbringend liefen zu
lassen, bis mit Hinzurechnung der Zinsen ein Kapitalsbetrag
i Wien 1830, 2. Auflage.
146 Über die Anfänge der BlindenfQrsorge in Steiermark.
von 500 fl. C. M. erreicht sein wird, wovon sodann der
Zinsenertrag zum Unterhalte und zur Erziehung eines armen
blinden Kindes verwendet werden soll." Von diesem Be-
schlüsse wird der Stifter durch die niederösterreichische Statt-
halterei in Wien in Kenntnis gesetzt und gefragt, ob er damit
einverstanden sei. Unter den mir vorgelegten Akten ist eine
Antwort, beziehungsweise Zustimmung des Stifters nicht vor-
handen, doch ist eine solche, wie aus einem späteren Referate
ersichtlich ist, mit Note vom 22, September 1827 erfolgt.
Auf diese Bestimmung betreffs der Kapitalshöhe von
500 fl. wurde bei Verfügungen bezüglich der Stiftung bis spät
Rücksicht genommen.
Die Absichten des Stifters waren sicher ganz andere.
In seiner Ankündigung weist er auf eine bereits entstandene
Anstalt hin, deren inöglichste Erweiterung wünschenswert sei.
Diese Anstalt ist zweifellos das der Erziehung der blinden
Kinder gewidmete Institut Joh. Wilh. Kl eins und aus dem
Zusammenhange des Stifters mit diesem kann mit voller
Berechtigung geschlossen werden, daß die von ihm beab-
sichtigte Stiftung zur Erhaltung von Freiplätzen in dem
genannten Institute bestimmt war, wobei die aus der be-
treffenden Provinz stammenden Blinden aufzunehmen waren.
Dies lag überdies im Sinne des Direktors der Anstalt, der
begreiflicherweise die Teilnahme aller Kronländer an seinem
Institute wünschte und zu fördern suchte.
Der Mißerfolg in der Geldbeschaffung für Stiftplätze in
den verschiedenen Kronländem — es wurde ja auch in
Kärnten, Krain, Istrien auf die angegebene Weise gesanunelt —
mußte die Ansprüche des Stifters auf die Stiftung begreif-
licherweise herabmindern und er nahm daher die Proposition
an, wodurch allerdings die ganze Situation wesentlich ver-
schoben wurde, die Stiftung eigentlich keine solche, wie
Megerle von Mühlfeld wünschte, geworden, nicht voll-
ständig im Interesse der blinden Kinder gelegen war, wie man
später einsah.
Die Gelder ruhen nun, sie vermehren sich durch Zins
und Zinseszins und erst im Jahre 1854 geht die st eier-
märkische Statthalterei an die Errichtung und Realisierung
der Stiftung.
Da ergeben sich nun verschiedene Bedenken. Zu dieser
Zeit mußte ja die Kenntnis von der Erziehung und dem
Unterrichte der blinden Kinder in weitere Kreise gedrungen
Von Alexander Meli. 147
sein. Die in den Jahren 183? bis 1848 unternommenen An-
strengungen, den Blindenunterricht zu verbreiten und auszu-
gestalten, auf die ich weiter unten zurückkomme, haben die
Ansichten der Referenten wesentlich beeinflußt, wie dies aus
dem weiteren Vorgange bei der Durchführung der Stiftung
ersichtlich ist.
Im Jahre 1850 wird endlich der Stiftbrief aufgestellt,
wobei den entwickelten, vorgeschrittenen Verhältnissen des^
Blindenwesens in Niederösterrreich bereits Rechnung getragen
wird. Allerdings stützt sich die Behörde auf den Beschluß,
einen Stiftungsplatz mit den Interessen von 500 fl. zu dotieren,,
aber die Kammerprokuratur wünscht, die Verwendung de»
Stiftungserträgnisses durch den Vater oder durch einen anderen
gesetzlichen Vertreter des Kindes unter die Aufsicht der
Schuldislriktsleitung des Wohnortes zu stellen, damit die
Verwendung wirklich zugunsten des Unterrichtes und der
Erziehung des blinden Kindes geschehe.
Übrigens ist die Kammerprokuratur vorsichtig, indem sie
weiter erklärt: „Hiedurch dürfte einer in späterer Zeit etwa
wünschenswert erscheinenden Modifikation der Stiftungsbedin-
gungen ** kaum ein Hindernis entgegengestellt werden. Als das
Blindeninstitut in Graz errichtet wurde und sich weiter ent-
wickelte, mußte es naturgemäß auf diese Stiftung Anspruch
erheben; dem Begehren konnte Rechnung getragen werden,,
weil die vorausschauende Kammerprokuratur die Möglichkeit
hiefür offengelassen hatte.
Die Professor Klarsehe Blindenstiftung. 1832.
Nach sechsjähriger Pause, während welcher das Banden-
wesen in Österreich manchen Fortschritt machte — es ent-
standen mittlerweile das Blindeninstitut zu Linz, die Klein*
sehe Versorgungsanstalt in Wien und die Versorgungsanstalt
in Prag — wird wieder Steiermarks gedacht. Ein Mann, den
wir einen Schüler Kl eins im Blindenwesen nennen können,
der gleiche Ansichten hatte wie dieser, allerdings auch manche
Ähnlichkeit hat mit Megerle von Mühlfeld, greift mit
seinen Intentionen nach Graz herüber.
Professor Alois Klar* in Prag, der in dieser Stadt im
1 Alois Klar, Philologe Humanist und Ästhetiker, Deutschböhme^
Professor an der Karl Ferdinands-Universität in Prag, war 1808 einer de>
148 Über die Anfänge der Blindenfürsorge in Steiermark.
Jahre 1832 eine Beschäftigungs- und Versorgungsanstalt für
erwachsene Blinde nach dem Muster der 1826 errichteten
Wiener Anstalt gründete, gab im Jahre 1831 eine Druck-
schrift heraus, * durch deren Verkauf einerseits eine Einnahme
erzielt, andererseits auf die Notwendigkeit der ausgiebigen
Fürsorge für die Blinden hingewiesen werden sollte. Er
machte 1832 u. a. auch dem steiermärkischen Gubemium den
Vorschlag, „im ganzen Lande unter allen Ständen, Kommuni-
täten und Korporationen eine allgemeine Beitragsleistung für
diese Anstalt in Prag einzuleiten " Der Gesamtbetrag dieser
Sammlung sollte sodann als Stiftungskapitel behandelt und
von den Interessen sollten so viele Blinde aus dieser Provinz
in der Prager Anstalt bleibende Unterkunft finden, als der
jährliche Unterhaltungsbetrag Bedeckung finden würde. Es
handelte sich diesmal nicht um Unterricht und Erziehung,
sondern um dauernde Versorgung der Blinden.
Diese Unternehmung hatte ähnlichen mindergünstigen
Erfolg wie die Megerle von Mühlfeldsche, denn erst 1864
konnte der Stiftbrief aufgestellt werden, wobei aber schon in
der Voraussicht, daß einmal doch in Steiermark eine eigene
Anstalt für Blinde entstehen müßte, darauf Bedacht genommen
war, das Kapital, das dem Lande entstammte, auch diesem zu
erhalten.
Darum wurde unter die Bedingungen aufgenommen :
^1. daß die steiermärkische Statthalterei als politische Landes-
stelle das Besetzungsrecht auszuüben habe, wobei unter den nach
Steiermark zuständigen Bewerbern die im Lande Steiermark
geborenen den Vorzug haben, und daß ihr (der Statthalterei)
5as Recht gewahrt und vorbehalten bleibe, im Falle in der
Zeitfolge eine ähnliche Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt
für arme Blinde oder überhaupt ein Blinden-Institut in Steier-
mark errichtet werden sollte, diesen Stiftungsplatz und die
allenfalls im Verlaufe der Zeit zugewachsenen mehreren steier-
märkischen Stiftungsplätze, respektive Stiftungsplatz-Renten für
Mitbegründer der Ober Einfluß Job, Wilh. Kl eins in diesem Jahre in Prag er-
richteten Blinden-Erziehungsanstalt. Sodann errichtete er die Blinden versorgungs -
Anstalt auf der Kleinseite in Prag, die heute noch seinen Namen trägt. Für die
Blinden Böhmens war Klar der tätigste Förderer, aber auch nach auswärts
•suchte er — wie oben gezeigt wird — zu wirken.
» „Denkwürdigkeiten des Prager Privat-Institutes für arme blinde
Kinder und Augenkranke. Nebst Ideen zu einer Versorgungs- und Beschäf-
tigungsanstalt für (erwachsene) Blinde , . , Der Ertrag ist zur Begründung
einer Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für arme Blinde in Böhmen
Ijestimmt." In Böhmen hatte der Verkauf der Schrift bedeutenden Erfolg.
Von Alexander Meli. 149
die eigene Anstalt im Lande einzuziehen und folgerecht den
jeweiligen steiermärkischen Stiftung (eventuell Stiftlinge) in der
Prager Anstalt in jener des eigenen Landes unterzubringen und
zu versorgen*'.
1864 war man an den behördlichen Stellen somit der
Blindenfrage in Steiermark bereits so nahe gerückt, daß man
eine eigene Landesanstalt nicht mehr als Ding der Unmög-
lichkeit oder der späten Zukunft erachtete. Allerdings ist von
der Gründung bis zur Errichtung des Stiftbriefes der Klarsehen
Stiftung auch ein Zeitraum von 32 Jahren verflossen, während
dessen in Steiermark sehr vieles geschehen war, was die An-
sichten der Behörden in Ansehung der Blinden -Anstalten
änderte, wie aus den späteren Darlegungen hervorgehen wird.
Als die Odilien- Blinden -Anstalt 1881, beziehungsweise
die vom Odilien -Vereine errichtete Beschäftigungs- und Ver-
sorgungsanstalt für erwachsene Blinde 1891 ins Leben traten,
wurde in einem Nachtrabe zur vorhergenannten Stiftung die
Persolvierung an den Odilien- Verein übertragen.
Ebenausche Stiftung. 1836.
Der am 8. August 1836 in Graz verstorbene pensionierte
Hauptmann Johann Ritter von Ebenau setzte in seinem am
24. Juli 1834 errichteten Testamente unter anderm folgendes fest:
„5. Bestimme ich als ein bleibendes Stiftungskapital
4000 fl., sage Viertausend Gulden CM. 20ger zur Versorgung
für vier arme Blinde seiner Zeit in einem Institute. Ein derlei
Institut besteht dermalen noch nicht allhier, wird jedoch bei
dem bekannten Wohlthäti^keitssinne der hiesigen Bewohner
seinerzeit unfehlbar zu Stande kommen. Einstweilen sollen
von den Zinsen dieses Kapitals vier arme Blinde (Manns- oder
Frauenspersonen) mit besonderer Rücksicht auf kränkliche und
im Alter sehr vorgerückte Individuen beteilt, und nach Ableben
derselben mit anderen ersetzt werden. Sollte in der Folge
nun derlei Institut ins Leben treten, so möge die Versorgung
der Beteilten mit der eben ausgesprochenen Rücksicht auf
Armuth, Alter und Kränklichkeit daselbst stattfinden."
Der Willbrief wurde am 5. Februar 1840 aufjB:estellt
und vom Grafen Wickenburg als Gouverneur unterzeichnet.
Zunächst wurde die Stiftung von der k. k. Versorgungsanstal ten-
Vervvaltung akzeptiert und dabei ausgesprochen, daß die Zinsen
11
150 Über die Anfänge der Blindenfflrsorge in Steiermark.
fortwährend nach dem Willen und Sinne des Herrn Stifters
und, solange kein eigenes Blinden-histitut für Graz errichtet
ist, nach Weisung der hohen Landesstelle verwendet werden
sollen.
Bemerkenswert an der Sache ist die vollste Sicherheit
des Testators bei Erwägung des Umstandes, daß ein Blinden-
Institut in Graz errichtet werden wird. Das gibt völlig den
Beweis dafür, daß in den Kreisen der Gebildeten Steiermarks
in Kenntnis des wohltätigen Wirkens der bestehenden Blinden-
anstalten die Überzeugung sich einwurzelte, es müsse auch in
Steiermark endlich etwas für die Blinden geschehen. Ritter
von Ebenau gibt aber auch das Beispiel, wie man dem Zwecke
nachstreben könne, daß man selbst mit einer verhältnismäßig
geringen Summe der Sache einen Dienst zu leisten vermag.
Es dürfte der Schluß wohl gestattet sein, daß das Vor-
gehen Ritter von Ebenaus nicht ohne Wirkung geblieben, ist,
denn schon ein halbes Jahr nach dem Tode dieses Mannes-
kann man eine neue Zuwendung für die steirischen Blinden
verzeichnen.
Josef Seßlersche Stiftung. 1837.
Am 20. Februar 1837 richtete der Herrschafts- und Eisen-
werksinhaber Josef Seßler folgende Eingabe an das Gubemium:
„hl unserer schönen Hauptstadt Grätz sind unter den^
gnädigsten Schutz dieses hochlöbl. k. k. Gubemiums viele gute und
für die leidende, oft schon von Natur unglückliche Menschheit
durch Zusammenwirken mancher Menschenfreunde und Wohl-
thäter zu ihrer Linderung und Erhaltung nützliche Anstalten
errichtet und ihr Fortbestehen durch den hohen Schutz des^
hochlöbl, k. k. Gubemium gegründet worden ; woraus sich
getrost hofen läßt, daß auch noch künftig Hochselbes manche
derartig neue Anstalten in hohen Schutz zu nehmen geneigt
seyn dürfte, die diesen hinsichtlich ihrer Gemeinnützlich- und
Wohltätigkeit an die Seite gestellt zu werden verdienen, und
dieses dürfte unvorgreiflichermaßen ein für die durch die Natur
oder durch Zufall des Augenlichtes beraubten Unglücklichem
neu errichtetes Blindeninstitut seyn. — - Wenn daher durch
die hohe Gnade und Fürsorge dieses hochlöbl. k. k. Landes-^
Gubemium über kurz oder lang eine solche Anstalt in das-
Leben tretten würde, so unterstehet sich der ehrfurchtsvoll st-
gehorsamst Unterzeichnete, einen Stiftungsplatz auf ewige Welt-
Von Alexander Meli. 151
Zeiten mit 1200 fl., sage Eintaasendzweyhundert Gulden in
Conv. Münz zu jährlichen 5% Interesse somit mit jährlichen
6o fl. CM. Stipendium zu stiften; auch erklärt ersieh gehorsamst
einen zweyten des Augenlichtes Beraubten auf drei Jahre mit jähr-
lichen 6o fl. CM. in diesem Institute zu unterstützen; und da
mehrere biedere Menschen zu diesem edlen Zweck mitzuwirken
nicht abgeneigt seyn dürften, so würde gar bald ein so nütz-
liches Institut in das Leben tretten können . . . ."
Aus dem Schreiben geht hervor, daß der Stifter, so
wie sein Vorgänger v. Ebenau, von der Notwendigkeit der
Errichtung einer Fürsorgeanstalt für Blinde überzeugt war.
S e ß 1 e r wollte gleich jenem eine solche Anstalt in Graz ent-
stehen sehen, einer solchen wollte er ausgiebige Unterstützung
leihen, aber auch nur einer heimischen Anstalt. Er leiht der
Überzeugung Ausdruck, daß sich die Spenden mehren müssen,
wenn Beispiele vorhanden sind.
In der Antwort auf dieses Schreiben wird Herrn Seßler
zur Kenntnis gebracht, daß Klar in Prag eine Anstalt zur
Beschäftigung und Versorgung für Blinde eingerichtet, aus dem
Erträgnisse einer von ihm verfaßten und zugunsten der
Blinden verkauften Schrift auch ein Platz für einen steier-
märkischen Blinden in Prag errichtet werden soll und Herr
Seßler wird aufmerksam gemacht, daß dieses Stiftungskapital
bereits 1237 fl. betrage, jedoch 2000 fl. betragen müsse, um
einen Freiplatz im Prager Institute zu geben. Vielleicht wäre
Herr Seßler, so meint das Gubernium, geneigt, diese Stiftung
auf die erforderliche Höhe zu bringen, und es wird ihm nahe-
gelegt, dies zu tun.
Herr Seßler äußert sich ablehnend, indem er am
26. April 1837 aus Großiobming an das Gubernium schreibt:
„Des ehrfurchtsvollst Unterzeichneten sein Bestreben ist
stets dahin gerichtet, zur Verherrlichung der Provinz Steyermark
und ihrer guten Hauptstadt mitzuwirken, wozu er auch die
edlen Anstalten, in welchen Hilfslos und von Natur Verun-
glückte Unterkunft und Hülfe finden, zählet; daher ist sein
Wunsch nur jener, daß nebst denen vielen bereits bestehenden
rühmlichen Institut auch in der Prov. - Hauptstadt Graz
eine blinden Anstalt ins Leben tretten möchte, wozu er eine
Stiftung zu machen und durch drey Jahre drey arme Blinde
zu unterstützen sich erbothen hat: Jedoch für die sehr weit
entlegene Blindenanstalt zu Prag hat er keinen Sinn; wenn
sich aber in der Zwischenzeit dieses edle Blinden-Institut in
unserer Hauptstadt nicht sollte wieder bestens Vermuthens in
11*
152 Über die Anfänge der Blindenfürsorge in Steiermark.
Ausführung bringen laßen, bis das dermalen in 1237 fl. 8 kr.
C. M. bestehende, nach Prag bestimmte Stiftungs-Kapital auf
1900 fl. CM. anwächst, so erklärt er sich gehorsamst, daß
er sodann hiezu bar 100 fl. C. M. um dieses nach Prag be-
absichtigte Kapital per 2000 fl. C. M. vollzählig zu machen,
beizutragen sich verbindlich machen wolle. Jedoch glaubt der
ehrfurchtsvoUest Gehorsamste in aller Unterthänigkeit bitten zu
dürfen, wenn über kurz oder lang eine Blinden -Anstalt in
unserer Hauptstadt errichtet werden sollte, daß dieses Stiftungs-
kapital zu dem hierländisch bestehenden Institut, etwa mit
lUyrien in Vereinigung, zurückgerufen werden wolle."
Das Gubemium nimmt daraufhin die Anträge Seßlers
dankend zur Kenntnis und erklärt, daß es nicht ermangeln
werde, in dem einen oder dem andern Falle von den gestellten
x^nerbietungen Gebrauch zu machen.
Es wäre höchst interessant zu wissen, woher Seßlers
Interesse für die Errichtung einer Blinden-Anstalt stammte.
Vermutungen sind bereits ausgesprochen worden. Vermuten läßt
sich auch, daß Seßler die Wiener • Anstalt kennen lernte
und dort den Entschluß faßte, ähnliches in Steiermark zu
unterstützen, bezw. anzuregen.
Dr. Josef Piringer. 1838.
Ein Jahr später, 1838, wird von neuer Seite der Frage
der Blindenfürsorge näher getreten. Der Protomedikus Lorenz
V. Vest richtet an das Gubernium eine Eingabe, in welcher
er zunächst darauf hinweist, daß sich in Graz „schon mehrere
Stimmen erhoben haben, welche die Errichtung eines Blinden-
Institutes, beyläufig nach dem Muster des von Wien als sehr
wünschenswert aussprechen". Dr. Piringer* habe sich mit
ihm in nähere Erörterung des Gegenstandes eingelassen. Dieser
sei „aus sehr guten und höchst berücksichtigungswerten Gründen
gegen solche Institute und glaubt, daß der dafür allenfalls ent-
stehende Fonds auf eine andere Weise für arme Blinde viel
zweckmäßiger verwendet werden könne". Dr. Piringer be-
absichtigt, den Gegenstand in einer Druckschrift zu behandeln,
dadurch der öffentlichen Beurteilung zu übergeben und viel-
leicht „allgemeiner das Mitgefühl und die Teilnahme milder
1 Josef Fr, Piringer, damals ordinierender Arzt des k. k. Siechen«
haiises und der okulistischen Abteilung des k. k. Krankenhauses in. Graz. •.
Von Alexander Meli. 153
Menschen anzuregen, um die Hilfe derselben gemeinnütziger
i zu machen, als es durch ein Bildungsinstitut möglich ist."*
Dazu aber wünscht Dr. Piringer durch statistische
Daten über die Zahl der im „ Gouvernement" vorhandenen Blinden
[ zu erhalten, da hievon mit die Dringlichkeit der Untemeh-
^ mung sowie die Art und Weise, wie man den Zweck er-
j reichen könnte, abhängt. Es sollen bereits Jugendblinde von
! später Erblindeten geschieden werden, doch will Piringer
sich mit summarischen Daten zufrieden geben. Es ist hier zum
erstenmale in Steiermark die Erhebung der Zahl der Erblin-
dungen begehrt und die Behörde geht darauf ein, indem sie
i an die fünf Kreisämter Steiermarks am 2. Mai 1838 den Auf-
trag hinausgehen läßt, daß durch die Bezirksobrigkeiten die
Zahl der in jedem Bezirke befindlichen Blinden erhoben werde.
I Dabei soll doch schon etwas differenziert werden, indem nicht
nur von Geburt Blinde und solche, welche später durch Krank-
heit, durch Unglücksfälle erblindeten, unterschieden werden
sollen, sondern auch gleich angegeben werden soll, wie viele
I heilbar oder unheilbar, vermöglich oder dürftig sind.
Eine solche Statistik scheint unter den Akten nicht vor-
handen zu sein. Sie wäre übrigens nur von akademischem
Interesse, da Piringer auf seine Absicht, über die Blinden
seine Meinung abzugeben, verzichtet haben dürfte. Von einer
Druckschrift über den Gegenstand ist mir nichts bekannt, denn
die Nachforschungen darnach haben ein negatives Resultat
ergeben.
\ Piringer war anderweitig in Anspruch genommen
I worden. Im August 1839, also ein Jahr später, als er sich über
die Blinden in Steiermark informieren wollte, überreichte er
dem deutschen ärztlichen Verein in St. Petersburg eine umfang-
reiche Abhandlung unter dem Titel: „Die Blennorrhoe am
Menschenauge". Die Schrift wurde mit einem Preise ausge-
zeichnet und 1841 in Druck gelegt.'-*
f Die Untersuchungen über diese Augenerkrankunor, welche .
trotz eines ausgezeichneten, nunmehr allbekannten Heilungs-
verfahrens heute noch eine hohe Prozentziffer der Erblindungen
hervorruft, mußte Piringer unbedingt auf die Blinden und
in weiterer Folge auf die Frage ihrer Versorgung leiten. Da-
her ist auch sein Interesse für diese Klasse der Nichtvollsin-
* Ein ungenannter Ehrenbürger von Graz spendet in diesem Jahre
zur „Blinden - Instituts - Errichtung" einen Betrag unter der Devise; „Gebel
gern den Unglücklichen — • Vergelt es Gott "
* Grätz, Franz Ferstelsche Buchhandlung, Job. Lorenz Greiner.
154 Über die Anfänge der Blindenfürsorge in Steiermark.
nigen während des Studiums oder gegen Abschluß der Arbeit
über die Blennorrhoe begreiflich. Allein es lagen ihm die Blinden
seiner Klinik am nächsten, Personen, die einem Erziehungs-
Institute meist entwachsen waren, aber doch arme Leute, einer
Unterstützung höchst bedürftig. Wenn daher Piringer sich
gegen Institute ausspricht, so ist es naheliegend ; er wollte für
diese älteren Personen etwas getan sehen, diesen sollte das
Leben einigermaßen erleichtert werden.
Das Werk P i r i n g e r s befaßt sich mit den Blinden
nicht ; es ist darauf für die vorliegende Abhandlung nicht ge-
nauer einzugehen ; andererseits sind doch so interessante Daten
darin enthalten, daß man darüber nicht hinwe^igehen kann.
Vorauszusetzen wäre folgendes: E^ ist usuell geworden, bei
Versammlungen von Blindenlehrern und Blindenfreunden, wie
sie in neuerer und neuester Zeit abgehalten werden, auch der
Prophylaxe zu gedenken, und es werden bei fast jeder Ver-
sammlung sehr belehrende Vorträge von Ärzten gehalten. Fast
immer wird der Ophthalmobblennorrhoe neonatorum als sehr
verbreiteter Erblindungsursache und der Bekämpfung dieser
Krankheit durch das Credesche Verfahren gedacht, wobei reiches
statistisches Material vorgebracht wird. Dieses Verfahren, ^ das
seit zirka l88o in Anwendung ist und die Zahl der Erblin-
dungen durch Blennorrhoe bedeutend zurückgedrückt hat, be-
steht der Hauptsache nach in einer Behandlung des kranken
Auges mit einer schwachen Lapis- (Silbemitrat-) Lösung.
Da das Credesche Verfahren so wichtig ist, so fragt man
sich bei Durchsicht eines älteren Buches über die Blennorrhoe
unwillkürlich, wie hat man damals über die Heilung dieser
weitverbreiteten Krankheit gedacht, wußte man schon etwas
von der Wirksamkeit der Anwendung einer Silberlösung ? —
Also auch hier.
Das Mittel war dem steirischen Augenarzte Piringer
nicht unbekannt, denn er berichtet,^ er wisse von Mitteilungen,
nach denen in England zwei Ärzte jede Blennorrhoe durch
Ätzen der Augenbindehaut mit einer Höllensteinlösung heilten.
Dann berichtet er, daß ein holländischer Arzt namens Kerst
ebenfalls diese Lösung als Heilmittel in Anwendung brachte
und mit so viel Erfolg, daß andere holländische Ärzte sich
dessen bedienten und Heilungen erreichten. Er, Piringer, wolle
* Crede, Karl S. F., „Die Verhütung der Augenentzündung der Neu-
geborenen» der häufigsten und, wichtigsten Ursache der Blindheit**, Berlin, 1884.
Der Verfasser bezieht sich auf einzelne Ausführungen Piringers.
« Piringer a. a. O. § 143.
Von Alexander Meli. 155
über das Mittel kein absprechendes Urteil fällen, aber er könne
sich nicht entschließen, ein Atzmittel anzuwenden. Nur große
Gewissenhaftigkeit und die Sorge, Schaden anzurichten, hielten
Piringer ab, Versuche mit Höllenstein, den er am meisten
für wirksam hält, anzuwenden, und er belegt seine Ansicht
über Ätzmittel im Auge auch mit Beispielen von Erblindung
infolge unvorsichtiger Behandlung dieser Art.i
Piringer geht übrigens in einem zweiten Buche,^ das
der Belehrung junger Mütter gewidmet ist, auf die Gefahren
der Blennorrhoe-Erkrankung ein und gibt einfache Mittel zur
Behebung des Übels an, und dadurch stellt er sich in die
Reihe jener Ärzte und Blindenfreunde, ist vielleicht sogar einer
der ersten, wenn nicht der erste unter ihnen, die in dieser
Richtung mahnende Worte in populärer Form an das Volk
richteten und Warnungen in eindringlichster Art laut werden
iießen.
Bemerkenswert ist ferner, daß er in diesem zweiten
Werke (Seite 198 der zweiten Auflage) mitteilt, es wären im
Jahre 1841 bei gcx) Blennorrhoe - Blinde in Steiermark ge-
wesen. Wie die Zählung erfolgte, auf welcher Basis diese hohe
Zahl aufgestellt wurde, vermag ich nicht zu erkennen.
Was Piringer als Arzt und Forscher bedeutet, zu
"beurteilen, ist nicht meine Sache; zu verzeichnen ist aber
seine Tätigkeit, wenn der Blindenfürsorge in Steiermark ge-
dacht wird.
Der Unterricht der Blinden in der Vollcsschule. 1842.
Nach dreijähriger Pause begegnet man dem Gegenstande
in den Akten wieder. Freunde der Blinden, die sich deren
Förderung zum Lebensberufe gemacht haben, sind eben un-
ermüdlich durch Schrift und Wort tätig, für diese Klasse der
Nichtvollsinnigen zu wirken. Das Beispiel K l e i n s in Wien
ist ja höchst fördernd, aber auch dessen Epigonen wollen
nicht zurückbleiben, darunter lein gewisser Anton Dolezalek,
•ein Schüler Kl eins, der in Preßbwrg, sodann m Ofen ein
Blinden - Institut errichtete und über dje Blindenfürsorge Ver-
schiedene Schriften heraiMgab. Wiejvohl dieser Mann i^ine
nicht durchaus einwandfreie Tätigkeit entwickelt und sich z\xt
1 Piringer a. a. O. § 166. ^
« Piringer, Dr. Josef : „Die richtige Pflege der neugeborenen und
kleinen Kinder.« 1. Aufl. Graz, i«7l. 2. Auß. 1877.
156 Über die Anfönge der Blindenfürsorge in Steiermark.
Erreichung seiner Ziele nicht immer entsprechender Mittel
bedient, 1 so muß man ihm doch zugestehen, daß er für die
Verbreitung der Idee der Blindenfürsorge manches getan hat.
Insbesondere jenen Kronländern, wo eine Anstalt sich zur ge-
gebenen Zeit nicht befand, wandte er sein Augenmerk zu
und sandte u. a. drei seiner Broschüren an das Landes-
gubemium in Graz (20. Juli 1841) mit dem Ersuchen, eine
derselben, „Anweisung, blinde Kinder von der frühesten Jugend
an zweckmäßig zu behandeln ",2 in der „landesüblichen Sprache
drucken und den Seelsorgern und Lehrern im Lande unent-
geltlich verteilen zu lassen*. Gubemialrat Krauß berichtet
hierüber und es wird beschlossen, „die drei Hefte in der Re-
gistratur zu hinterlegen, bis das Vorhandensein hinlänglicher
Fonds den Gebrauch derselben hervorrufen wird".
Wirkungsvoller gestaltete sich eine Aktion Joh. Wilhelm
Kl eins in Wien, mit der wir uns bezüglich ihres Ursprungs
zunächst zu beschäftigen haben.
1836 veröffentlichte der Ebengenannte ein Schriftchen
unter dem Titel: „Anleitung zur zweckmäßigen Behandlung
blinder Kinder von der frühesten Jugend an in dem Kreise
ihrer Familien und in der Schule ihres Wohnortes".^ Es war
dies eine sehr populär gehaltene Schrift, die der Erkenntnis
entsprang, daß es trotz des besten Willens und mancher An-
strengungen mit der Errichtung von Blinden-Unterrichtsanstalten
sehr langsam vorwärts gehe. Infolgedessen und weil sich die
Lehrer auf dem Lande aus begreiflichen Gründen, hauptsäch-
lich aber aus Unkenntnis der Behandlung der Blinden, dieses
gar nicht annehmen, bleiben derartige Kinder in den weitaus
meisten Fällen ganz ohne Erziehung, andererseits werden sie
nicht sehen durch falsche Behandlung noch unglücklicher ge-
macht. Das große, 1819 erschienene Werk Kleins sei zu
teuer, um gerade in den interessierten Kreisen Abnehmer zu
finden, daher es wertvoll sei, eine kleine, dadurch ganz billige
Schrift zu besitzen, die über die Erziehung der Blinden Auf-
schluß gibt. Klein sagt ferner in der Vorrede, diese Anleitung
sei wohl in erster Linie den Eltern blinder Kinder gewidmet,
aber die Mehrzahl solcher Eltern lese derartige Schriften nicht,
und darum mögen Geistliche und Schullehrer den Zweck för-
dern, aus dem Büchlein die wichtigsten Kenntnisse schöpfen und
die Eltern blinder Kinder über deren Behandlung unterrichten.
1 Vgl. Meli» Geschichte des k. k. BUnden-Institutes in Wien. 1904.
» Ofen, 1839'
3 Wien, 1836. Zu haben im k. k. Blinden-Institute.
Von Alexander Meli. 157
Diese Schrift wurde von dem vorhin genannten Dole-
zalek benutzt; er schrieb die oben angeführte Abhandlung,
die er nicht nur nach Steiermark, sondern an verschiedene
Landesstellen einsandte, darunter auch an das Gubernium von
Tirol und Vorarlberg, welches Klein aufforderte, ein Gut-
achten über den Inhalt abzustatten. Dadurch bekam Klein
überhaupt erst Kenntnis, daß seine Arbeit anderweitige und
unerwünschte Nachahmung fand, und diese Erkenntnis ver-
anlaßte ihn, eine Neuauflage der „Anleitung" zu beschleu-
nigen. Das Büchlein wird diesmal von einer rührigen Buch-
handlung ^ verlegt und verbreitet.
Gleichzeitig gibt Klein der Regierung ein Promemoria,
worin er seine Ansichten über den Unterricht blinder Kinder
in der Volksschule darlegt. Alle diese Umstände rufen (10. De-
zember 1842) ein Dekret der Studienhof kommission hervor,
welches anordnet, es sei ein Bericht über die Bedürfnisse
des Blinden -Unterrichtes im betreffenden Kronlande abzu-
geben. Dieses Dekret kommt natürlich auch an das Guber-
nium in Graz.
Das Dekret führt aus: „Nach der Erfahrung reichen
die bestehenden Blinden-Institute nicht hin, um alle vorhan-
denen, eines Unterrichtes bedürftigen Blinden aufzunehmen,
die aufgenommenen selbst aber werden in der Regel aus ihren
eigentümlichen Verhältnissen herausgerissen und mit solchen
Gewohnheiten und Wünschen bekannt gemacht, welche sie
nach ihrem Austritte aus dem Institute nicht weiter befrie-
digen können. Es erscheint daher als ein Bedürfnis, daß für
den Unterricht blinder Kinder und eine ihren Verhältnissen
entsprechende Bildung auch in ihrem elterlichen Hause und
in der Schule ihres Ortes gesorgt und daher der Blinden-
Unterricht möglichst den gewöhnlichen Anstalten zur Volks-
bildung, den Volksschulen einverleibt werde." Dies ist der
Kernpunkt der oberbehördlichen Darlegungen. Die Logik ist
eine unanfechtbare: Es gibt zu wenig Blindenanstalten in
Österreich. Die Blinden sollen aber nicht ohne Unterricht und
Bildung heranwachsen. Daher hat die allgemeine Unterrichts-
anstalt sich ihrer anzunehmen. Dem augenblicklichen Stande
des damaligen Blindenwesens und seiner Entwickelung mag
die Lösung der Blindenfrage in dieser Weise genügend ge-
schienen haben. Für den Moment wäre etwas wenigstens für
die Blinden geschehen, aber man vermißt den weiterschauenden
* A. Pichlers sei. Witwe, Wien.
158 Über die Anftnge der Blindenfürsorge in Steiermark.
Blick der Behörden, die auf dem Standpunkte des Jahres l8l8
stehen geblieben sind und nicht Umschau gehalten haben, wie
der Institutsunterricht in Österreich, trotzdem er seitens der
Unterrichtsbehörden nicht nur keine Förderung erfuhr, son-
dern in manchen Fällen geradezu behind^t wurde, sich ent-
wickelte, wie auch in Deutschland — wenn man nicht noch
weiter ins Ausland blicken will — histitute entstanden, die
in ihrer inneren Organisation unzweifelhafte Fortschritte auf-
wiesen und ihren Zwecken entsprachen.
Die Anregung der Studien - Hofkommission mag ja gut
gewesen sein — aber als oberste Behörde hätte sie wissen
sollen, daß die Hindernisse zum Unterrichte der Blinden in
der Volksschule keine gewöhnlichen sind und daß es kaum
möglich sein würde, diese Hindemisse zu beseitigen.
Der Erfolg hat es gelehrt, daß der Unterricht von Blinden
in der geplanten Weise nur ein Notbehelf sei, und hätte die
Behörde, statt diesem Ziele unverrückbar nachzugehen, die
Errichtung von Anstalten für Blinde zu fördern getrachtet,
insbesondere Anregungen hiezu gegeben und die Bemühungen
der an der Arbeit befindlichen Blindenlehrer unterstützt —
wenn auch nur moralisch — so wäre für die Blinden mehr
geschehen. Daß endlich doch in Steiermark ein Blindcn-Institut
entstand und dieses die Blindenfürsorge in angemessener Weise
in die Hand nahm, ist doch der beste Beweis für die Nutz-
losigkeit der Bestrebungen von i8l8 und 1842.
Indem der Erlaß der Studien-Hofkommission nicht nur
die Notwendigkeit des Blindenunterrichtes anerkennt und etwas
dafür getan haben will, und zwar ganz ausdrücklich ohne Hilfe
von besonderen Anstalten, übt diese Behörde zugleich eine ziem-
lich scharfe Kritik des Erfolges dieser Anstalten, und durch die
Ablehnung bringt sie Voreingenommenheit bei den Unter-
behörden hervor, von denen nach den Ausführungen der
Studien-Hofkommission wohl keine sich für die Errichtung
einer vollständigen Blinden-Anstalt erwärmen konnte. Sind in
Steiermark gewichtige, durch materielle Leistung bekräftigte
Stimmen für die Errichtung solcher Anstalten laut geworden,
mußten sie doch ungehört bleiben, wenn einerseits im Lande
selbst eine Gegnerschaft (Piringer) bestand, der man Gewicht
nicht absprechen kann, wenn andererseits von hoher amtlicher,
also autoritativer Stelle, gegen die Errichtung von Instituten
förmlich Einspruch erhoben wird. Es ist den Blinden Steier-
marks damals ein schlechter Dienst erwiesen worden und es
wird nicht zu viel behauptet sein, wenn man folgert, daß die
Von Alexander Meli. 159
Frage der Errichtung einer Blinden-Anstalt in Graz damals
auf Jahrzehnte zurückgestellt worden ist.
Der Verlauf der durch das Hofdekret vom 10. Dezember 1 842
hervorgerufenen Bewegung unter den Schulaufsichtsorganen —
weiter ist ja die Angelegenheit nicht gedrungen — ist lehr-
reich und interessant. Es sei in folgendem das Wichtigste
darüber mitgeteilt.
Das mehrgenannte Dekret ordnet an: ^Das k. k. Guber-
nium hat daher nach Einvernehmung der Konsistorien in Über-
legung zu nehmen und unter Vorlage eines numerischen Aus-
weises der dort landesbefindlichen schulpflichtigen Blinden bis
Ende März 1843 gutachtlichen Bericht anher zu erstatten, ob
nicht in eben dieser Art, wie dies in Folge der, mit dem
hierortigen Dekrete vom 24. Juni d. J., Z. 3771, eröffneten
allerhöchsten Entschließung vom 11. Juni d. J. rücksichtlich
der Taubstummen geschehen ist, auch dem Blinden-Unterricht
durch eine zweckmäßige Heranbildung von Lehramts-Kandidaten
an einem Blinden -Institute, durch besondere Belohnung der
Lehrer für den Unterricht blinder Kinder, eine erweiterte ent-
sprechende Verbreitung in den Volksschulen verschafft oder
auf welche andere Art vielleicht diesem Zwecke noch besser
entsprochen werden könnte.*
Das Gubernium gibt daraufhin den Auftrag an die beiden
Ordinariate Lavant und Seggau, an die f.-b. Administration
der Leobener Diözese, sowie an die fünf Kreisämter in Steier-
mark, die geforderten Erhebungen zu pflegen, beziehungsweise
\ die geforderten Gutachten in meritorischer Beziehung zu er-
I statten. Man sollte glauben, daß die Berichte sehr genau ge-
' arbeitet sind, denn es vergehen Jahre bis sie an die Landes-
stelle gelangen.
Die Gutachten der Ordinariate sind in vieler Beziehung
interessant, da sie auch bezüglich des Standes des Volksschul-
unterrichtes im allgemeinen Streiflichter enthalten.
i Das Lavanter Ordinariat antwortet bereits am 22. Fe-
I bruar 1846 in der Hauptsache folgendes:
1. Es unterliege keinem Zweifel^ daß der methodische
Unterricht blinder Kinder auf Regeln und Grundsätzen beruhe,
und gewisse Vorteile und Fertigkeiten von Seite des Lehrers
erfordere, die sich letzterer durch eigene Versuche und Er-
I fahrungen oder durch bloße Lektüre von derlei Anleitungen
f nie so sicher und schnell eigen zu machen imstande ist, als
wenn er hiezu eine förmliche sowohl theoretische als praktische
Anweisung erhalte. Es ist daher die Einführung eines solchen
160 Über die Anfange der Blindenfürsorge in Steiermark.
Unterrichtes für angehende Seelsorger und Lehrer nicht bloß
zweckmäßig, sondern dürfte sich auch mit jenen Maßregeln
in Verbindung bringen lassen, die beieüglich des Unterrichtes
für zukünftige Taubstummenlehrer eingeleitet sind.
2. ^Abgesehen von der Beschwerlichkeit, blinde Kinder,
die im elterlichen Hause, oder wie es auf dem Lande der
gewöhnliche Fall ist, sonst vom Schullokale entfernt wohnen,
täglich in die Schule und aus derselben zu führen, kann sich
der eigentliche Schulunterricht solcher Kinder wohl nur auf
solche Gegenstände erstrecken, zu deren Auffassung der Sinn
des Gesichtes entbehrlich ist, somit blos auf Relit[ionslehre
und einige wenige andere Gegenstände, zu deren Auffassung
blos Verstand und Gedächtnis erforderlich sind. Am Lese-
unterrichte können dieselben nur durch Anhörung des Ge-
lesenen und der Erklärungen desselben einen blos entfernten,
am Schreibunterrichte aber gar keinen wirklichen und praktisch
nützlichen Anteil nehmen, da es vom Lehrer nicht gefordert
werden und eine Vernachlässigung der übrigen Schuljugend
auch nicht geschehen kann, daß derlei Kinder allenfalls im
Lesen erhabener Schriften unterwiesen würden, wie es in
Blinden-Instituten wohl zur Verwunderung vollsinniger Zuseher,
aber ohne reellen Nutzen für derlei Kinder, vielleicht blos zur Übung
und Schärfung ihres Tastsinnes zu geschehen pflegt. Diesen
Hindernissen, welche dem förmlichen Schulunterrichte und
einem vollständigen Erfolg desselben bey blinden Kindern
entgegenstehen, dürfte es daher beyzumessen sein, daß die
bestehende Vorschrift wegen Verhalten dieser Kinder zum
Besuche öffentlicher Schulen besonders auf dem Lande nur
in sehr seltenen Fällen befolgt wird, und sich der Unterricht
solcher Blinder anfangs blos auf die häusliche religiöse Unter-
weisung beschränkt, zu der später in den Jahren der Beicht-
fähigkeit solcher Kinder erst des Ortsseelsorgers Religions-
unterricht hinzutritt, der ihnen gleichzeitig mit anderen voll-
sinnigen Kindern ertheilt wird ; welche Anfangsgründe der
religiösen Unterweisung weiterhin durch den Besuch des
kirchlichen Unterrichtes noch mehr erweitert, begründet und
fruchtbringend gemacht werden, wie es bey vielen Vollsinnigen
der Fall ist, die in der Jugend nicht in der Lage sind, einen
förmlichen und gründlichen Schul-Unterricht zu erhalten. Bey
diesem beschränkteren Grade des Blinden -Unterrichtes,- der
übrigens für Kinder des Bauern- oder eines anderen gemeinen
Standes als ganz genügend erachtet werden darf, wird es auf
dem Lande auch dann meistens verbleiben müssen, wenn
Von Alexander Meli. 161
allmählich das Lehrpersonale und die Seelsorger auch in dem
methodischen Verfahren beim Unterrichte blinder Kinder mehr
bewandert se3m werden.*
3. Der Kardinalpunkt der ganzen Blindenbildung, die
Heranziehung des Blinden zu einem Berufe, deren Erziehung
zu einem anständigen Erwerbe, wohin ja vor allem die
Tätigkeit der den Nichtsehenden gewidmeten Anstalten abzielt,
wird vom Ordinariate in ganz richtigjer Weise beantwortet.
Das Ordinariat sagt: ^Die weitere Bildung und eine dem
elterlichen Stande angemessene Tauglichmachung blinder Kinder
zum Erwerbe ihres Unterhaltes kann weder Sache der Schule,
noch der eigentlichen Schullehrer oder Seelsorger seyn.*
Allerdings spricht das Ordinariat, irregeleitet durch die von
der Studien-Hofkommission ausgesprochene Ansicht über die
Blinden-Anstalten, auch diesen die Fähigkeit ab, entsprechend
zu wirken, und meint, es sei dieser Unterricht ^ unter unmittel-
barer Aufsicht und Leitung der Eltern oder Angehörigen der
Blinden, und unter Mitwirkung hiezu geeigneter Lehrer und
Werkmeister oder sonstiger Handarbeiter und Arbeiterinnen*
zu erteilen. — Das läßt sich leicht theoretisch aufstellen, die
Erfahrung von vierzig Jahren hatte aber bereits gezeigt, daß
CS nicht ausführbar sei.
Wenn auch zugegeben werden muß, daß einzelne Blinde
im Hause ihrer Angehörigen zur Arbeitsfähigkeit gelangt sind
I und sich ihren Unterhalt verdienen konnten, so sind dies im
, Verhältnis so seltene Fälle, daß sie nicht zählen und man
) getrost sagen kann, fast alle Blinden sind damals dem Bettel
oder dem Müßiggange in anderer Form verfallen. In der
Richtung auf die Brauchbarmachung des Blinden sind einzig
und allein gut eingerichtete Blinden-Anstalten erfolgreich ge-
wesen und sind es heute noch, trotz des Fortschrittes, den
die Volksschule gemacht hat und so vollkommen sie die ihr
. gestellte Aufj^abe im Hinblicke auf ihre sehenden Schüler
r erfüllt : die Volksschule kann ein Notbehelf für den Unterricht
des Blinden sein, wenn es an Instituten mangelt, aber den
Unterricht, beziehungsweise die Erziehung in einer den Blinden
gewidmeten Anstalt kann sie nicht bieten, daher sie für den
Blinden wertlos ist, wenn nicht das, was sie vorbereitungs-
weise beginnt, in einer wohlgeleiteten Blinden-Anstalt seine
I Fortsetzung findet.
[ Das Seckauer und Leobner Ordinariat zu Graz äußerten
sich unter dem 5. April 1843, ohne auf die einzelnen Punkte,
im besonderen einzugehen, etwas kürzer, wobei ab^r dieselben
162 Ober die Anfänge der Blindenitkrsorge in Steiermark.
Ansichten wie beim Lavanter Ordinariate geäußert werden.
Zuerst wird gemeldet, daß in der Seckauer Diözese 24, in
der Leobner Diözese 2, zusammen 26 lemfahige Kinder im
schulpflichtigen Alter* vorhanden seien. Dann fährt der
Bericht fort:
^Obschon es sehr erwünschlich wäre, daß allen leni-
fähigen blinden Kindern ein ihren Verhältnissen entsprechender
Schulunterricht zugänglich gemacht und hierdurch ihr trauriges
Geschick einigermaßen gemildert werden könnte, so stehen'
doch der allgemeinen Verbreitung eines erweiterten Unter-
richtes der blinden Kinder in den Volksschulen sehr erheb-
liche, zum Teile kaum zu beseitigende Hindemisse entgegen,
und zwar sowohl von der Seite der Lehrindividuen als der
blinden Kinder.
Es befindet sich nämlich dermalen in den beiden Diözesen
noch niemand, der in der eigentlichen Unterrichtsmethode für
Blinde bewandert wäre, und es läßt sich nicht annehmen, daß
Lehramtskandidaten auf ihre eigenen Kosten in ein entferntes
Blindeninstitut sich begeben würden, um sich in der frag-
lichen Lehrmethode theoretisch und praktisch einzuüben. Und
würde sich auch ein oder der andere etwa gegen Ersatz der
diesfälligen Kosten herbeylassen, so würde hiedurch im All-
gemeinen für den Unterricht der Blinden doch wenig ge-
wonnen werden, indem die blinden Kinder in den Pfarren der
Diözese zerstreut sind, daher eine Vereinigung mehrer der-
selben nicht thunlich wäre, und wohl auch der Fall ein-
treten könnte, daß dort, wo ein geeigneter Lehrer sich be-
fände, kein lemfähiges blindes Kind vorhanden wäre, wie sich
dieses im verflossenen Jahre an mehreren Orten in Ansehung
des Taubstummenunterrichtes ereignet hat.
Anbey wohnen mehrere aus den blinden Kindern eine
Stunde und darüber vom Schulorte entfernt. Da hauptsächlich
wegen der großenteils gebirgigen Ortslagen Steyermarks, und
wegen der weiten und beschwerlichen Wege zur Schule laut
der letztjährigen Schulstandsausweise in den Diözesen Seckau
und Leoben ungeachtet der nachdrücklichsten Aufmunterungen
zum Schulbesuche noch nahe an lO.cxx) schulfähige voll-
sinnige Kinder ohne eigentlichen Schulunterrricht verblieben
sind; so ist dieses Hindernis um so mehr in Ansehung der
Blinden in Anschlag zu bringen, da diese auch für die kür»
i Nach einer späteren Darstellung waren in Steiermark zur fraglichen Zeit
nur 32 bildungsfähige Kinder vorhanden ; von denen entfielen auf die Lavanter
Diözese nur 6, was kaum wahrseheinlich ist.
Von Alexander Meli. 163
zeste Strecke eines Führers bedürfen, welchen ihnen ihre meist
mittellosen Altem nicht mitgeben können, gleichwie auch aus
den von den Schuldistrikts-Aufsichten eingereichten Ausweisen
ersehen wird, daß sich unter der oben angegebenen Zahl der
blinden Kinder 23 arme, ja unter diesen 9 Findlinge be-
finden."
Der Bericht meint ferner, es sei nicht tunlich, daß die
Lehrindividuen sich in entfernte Häuser zur Erteilung des
Privatunterrichtes für solche Kinder begeben ; es dürfte anderer-
seits der Unterricht blinder Kinder nicht in Zeiten fallen, wo
der Lehrer durch die Wiederholungsschule oder durch den
Meßner- und Organistendienst in Anspruch genommen ist.
„Endlich würde eine Aufmunterung des Lehrpersonales zur
Erteilung des Blindenunterrichtes durch Gewährung einer be-
sonderen Belohnung um so notwendiger sejm, als dasselbe
durch seine sonstigen Berufsgeschäfte ohnehin so vielfältig in
Anspruch genommen wird, daß demselben kaum eine Zeit
zur notwendigen Erholung erübrigt." — Kurz es wird der
Unterricht des blinden Kindes wohl nicht direkt abgelehnt,
aber es ist herauszulesen, daß der Schwierigkeiten sehr viele
sind, also für das blinde Kind wenig zu erwarten ist.
Die Erhebungen über die Zahl der blinden Kinder in
Steiermark — diese Zahlen sind nicht ohne Interesse für die
Allgemeinheit — dauern längere Zeit; erst im Juli 1843
liefert die Staatsbachhaltung einen Totalausweis an das Gu-
bemium. Darnach wurden Blinde überhaupt gezählt:
Im Kreise
Judenburg
18
n n
Brück
12
rt n
Graz
40 1
r> n
Marburg
10
1
Cilli
15
zusammen
also
95.
BKnde Kinder im schulpflichtigen Alter, oder wie es
dort heißt, Kinder vom 6. bis 12. Jahre, werden 51 gezählt,
davon sollen 32 bildungsfähig, nicht unterrichtsfähig 19 sein,
was ein ganz günstiges Verhältnis bedeutet, wenn man be-
denkt, daß das erhebende Amtsorgan nicht die nötige Erfah-
rung besaß, in seinem Urteil unsicher war und manchen noch
immer bildungsfähigen Blinden als Idioten betrachtet haben
» Die hohe Zahl der blinden Kinder im Kreise Graz ist wohl auf
das erwiesenermaßen häufige Vorkommen der Blennorrhoe in Städten zurück-
zufQhren^
164 Über die Anfänge der Blindenflirsorge in Steiermark.
mag, und ferner auch dann günstig, wenn man erwägt, wie
sehr die Vernachlässigung der Kinder auf deren geistige Fähig-
keiten herabmindernd wirkt.
Von den 51 gezählten Kindern erhielten zusammen
13 Unterricht, und zwar 10 in Graz, 2 in Marburg und 1
in Cilli ; in Obersteiermark war gar keine unterrichtüche Für-
sorge für die Blinden zu verzeichnen.
Wenn auch die vorgenommene Zählung — sowie die
meisten solcher Zählungen — nicht auf absolute Richtigkeit
Anspruch erheben kann, ist doch aus ihr die eine Tatsache
unbedingt zu entnehmen, daß eine solche Zahl von blinden
Kindern schon damals in Steiermark vorhanden war, daß
die Errichtung einer Anstalt für Blinde zumindest nicht über-
flüssig gewesen wäre.
Gerade das erlangte Zahlenmateriale hätte zu weiteren
Erwägungen der Sachlage auffordern müssen, da schon bei
Vorhandensein von 40 Blinden die Erhaltung: einer besonderen
Anstalt höchst notwendig gewesen wäre. Wie schon erwähnt,
ist die Grenze der Bildungsfähigkeit von einem Laien nicht
ohneweiters festzustellen, daher ist es nicht ausgeschlossen,
daß manches als nicht unterrichtsfähig bezeichnete Kind in der
Unterrichtsanstalt, also in sachkundigen Händen, zu einiger
geistiger Tätigkeit und manueller Fertigkeit hätte gebracht
werden können, während es im Elternhause einfach geistig
zugrunde ging. Es hätten ferner noch Blinde über das
12. Lebensjahr hinaus ganz wohl in einer Anstalt Aufnahme
finden und dort entsprechend erzogen werden können. Nach
der Zählung wäre demnach die Errichtung einer Anstalt für
Blinde schon 1843 ^^^ wirkliches Bedürfnis für die Steiermark
gewesen.
Das Gutachten des Guberniums an die Studien-Hof-
kommission bewegt sich begreiflicherweise in dem Rahmen
■der Ordinariatsberichte und stimmt ihren Ausführungen zu,
daraus den Grund zu Anträgen schöpfend. In dem Gutachten,
das Gubernialrat Propst Kraus abgibt und das nach Beschluß
in der Sitzung vom 9. August 1843 an die Studien-Hofkom-
mission hinausgeht, wird folgendes ausgeführt:
Das Ziel des Blindenunterrichtes an der Volksschule ist
ein zweifaches: Jeder Blinde soll ein sittlicher guter Mensch
und ein brauchbares Glied der bürgerlichen Gesellschaft werden.
Wie das erste erreicht werden soll, sagen schon die mit-
geteilten Ordin^riatsberichte, denen sich das Gubernium voll-
inhaltlich anschließt. Das zweite Ziel ist zu erreichen „durch
Von Alexander Meli 166
einen den Fähigjceiten und dem Stande angemessenen Unter-
richt, durch welchen sie (die Blinden) in den Stand gesetzt
werden, zum Erwerbe ihres Lebensunterhaltes mitzuwirken".
Betreffs der Kinder, welche von dem Pfarrorte und jeder
Schule zu weit entfernt und die zugleich ganz mittellos sind
— in Steiermark sollen es nur ig sein, die ohne jeden Unter-
richt geblieben sind — könnte nach Ansicht des Referenten
am besten gesollt werden, „wenn sie einem am Pfarr- oder
Schulorte oder in der Nähe desselben wohnenden Bürger,
Landmann oder Handwerker mit der Verbindlichkeit übergeben
würden, dafür zu sorgen, daß sie täglich oder wenigstens
zweymahl in der Woche zum Schulunterrichte, und an Sonn-
tagen zum Gottesdienste und zur Christenlehre geführt und zu
Hause zur Erlernung häuslicher Arbeiten oder eines Hand-
werkes angeleitet werden. Zur Übernahme eines solchen Kindes
dürften sich Landleute herbeylassen, wenn ihnen für die Zeit
vom 6. bis zum 15. Jahre eine Unterstützung von jährlich
40 bis 50 fl. zugesichert würde.*
„Zur Bedeckung dieser jährlichen Unterstützungen ist
bereits der Grund gelegt durch die zugunsten der Blinden ge-
machten Geschenke und Stiftungen ; nämlich von den 5 Prozent
Interessen eines Kapitals von 4000 fl. CM.* wurden 4 Blinde
jährlich lebenslänglich mit 50 fl. beteilt. Dann besteht ein Ge-
schenk'-* mit einer Domestikalobligation per 350 fl., ferner
300 fl. CM., welehe in der Sparkasse fruchtbringend an-
gelegt und durch teilweise Geschenke entstanden sind . . . ."
„Eis ist nicht zu zweifeln daß ein Aufruf zur Fortsetzung
dieser wohlthätigen Geschenke bei dem guten Sinn der Be-
völkerung Anklang finden und mit der Zeit einen Fond be-
gründen würde, der zur Unterstützung aller mittellosen blinden
Kinder zum Behufe ihres Unterrichtes in der Schule und in
häuslichen Arbeiten hinreichen wird."
Weiter verspricht der Bericht an die Studien-Hof-
kommission, „daß die Seelsorgegeistlichkeit dafür sorgen werde,
daß die schulpflichtigen blinden Kinder, welche im Schulorte
oder in dessen Nähe wohnen, regelmäßig zum Schulunter-
richte, die entfernter wohnenden zum mindesten an Sonn- und
Feiertagen zum Religionsunterrichte geführt werden, worüber
die Schuldistriktsaufseher zu wachen und bei ihren Visitationen
die Überzeugung zu verschaffen und so, wie es in Ansehung
der Taubstummen vorgeschrieben ist, in ihren Visiiations-
* Ebenaiische Stiftung.
' Ungenannter Ehrenbürger von Graz.
12
166 Über die Anfänge der Blindenfürsorge in Steiermark,
berichten über die Zahl, die Bildungsfähigkeit und die wirk-
liche Bildung der in ihren Bezirken befindlichen Blinden ge-
nauen Bericht zu erstatten haben".
Bemerkenswert an dem Berichte des Gubemiums ist
der Vorschlag, blinde Kinder in den Schulort oder doch in
seine Nähe zu bringen, damit der Schulbesuch möglich werde.
Man könnte darin den Keim zu einer Blindenschule (Blinden-
klasse) erblicken, wenn gesagt wäre, daß man einen bestimmten
Schulort wählen, die unterrichlsbedürftigen blinden Kinder dort
sammeln und ihnen den regelmrißigen Unterricht vermitteln wolle.
Bemerkenswert scheint der Vorschlag, weil dieser bereits früher
von Joh. Wilhelm Klein in Wien gemacht worden ist, der
aber weiter geht und sagt, an solchen Schulorten müßten
nicht nur die blinden Kinder gesammelt, es müßte dort auch
ein Lehrer verwendet werden, der die Methode des Blinden-
unterrichtes kennen gelernt und dadurch die Eignung habe,
einen naturgemäßen Unterricht den ihm zugewiesenen blinden
Schülern zu erteilen. Es begegnen sich somit in gewissen
Punkten die Ansichten des Meisters des Blindenunterrichtes
und die des Schulreferenten im Gubemium, was nach allen
Richtungen für die Zweckmäßigkeit der Vorschläge deutlich
spricht.
Die Studien-Hofkommission hat das vorhin bezeichnete
Dekret an sämtliche deutschen Provinzen Österreichs hinaus-
gegeben und es verging begreiflicherweise viel Zeit, ehe die be-
gehrten Berichte einlangten. Alle diese Berichte erhielt nun
Joh. Wilh. Klein zur Begutachtung, bezw. Berichterstattung,
die um die Mitte des Jahres 1845 erfolgte, * worauf neuerlich
eine allerhöchste Entschließung vom 28. April 1846 erfloß,
in welcher die Grundzüge für die Verbreitung des Blinden-
unterrichtes festgesetzt werden.
Das Dekret der Studien-Hofkommission ordnet in allen
„deutschen Provinzen" Österreichs auf Grund der Anträge
Kleins folgenden Vorgang an^:
1. „Da blinde Kinder an Hauptlehrgegenständen des
Elementarunterrichtes teilnehmen können, so ist dafür zu
sorgen, daß derley Kinder, wenn sie keinen Privatunterricht
erhalten, die öffentlichen Schulen so viel es thunlich ist, be-
suchen. Aber auch jene blinden Kinder, welche weder die
öffentlichen Schulen zu besuchen im Stande sind, noch Privat-
> Meli, Geschichte des k. k. B.-E.-I., p. 200 ff., enthält nähere De-
tails Ober dieses Gutachten.
« Dekret vom 7. Mai 1846, Z. 3469.
i
Von Alexander Meli. 167
Unterricht erhalten, sollen eines angemessenen Religionsunter-
richtes nicht entbehren. Es ist daher den Ordinarien zu er-
klären, Seine Majestät habe das Vertrauen zu ihnen, daß sie
ihren Kuratklerus zur Erfüllung dieser seiner Pflicht verhalten
werden.*
2. Werden Winke bezüglich der Lehrgegenstände und
des einzuhaltenden Vorganges gegeben, wobei die Ansichten
der Ordinariate beibehalten werden.
3. Betriff't die Aufmunterung der Schullehrer und es
heißt da: „Damit die Schullehrer zur Erteilung des Unter-
richtes an blinde Kinder mehr aufgemuntert werden, sind den-
selben im Falle erzielter günstiger Erfolge, nach Maßgabe
dieser Erfolge und der dabei gehabten Mühe, Berücksichtigung
bei Anstellungen, Belobungen oder Remunerationen an gedeihen
zu lassen. Remunerationen haben jedoch nur dann stattzufinden,
wenn sich Schullehrer um die Bildung blinder Kinder dadurch
ein Verdienst erwerben, daß sie außer den Schulstunden den-
selben im Lesen, Schreiben, Rechnen mit geschriebenen Zahlen,
in Musik Unterricht erteilen und dieselben auch allenfalls zu
solchen Handarbeiten anleiten, welche ihnen als Mittel zu
einem Erwerbe dienen können. Die Remuneration hat bei
Abgang sonstiger Mittel der Normalschulfond zu tragen.^
4. Auf die Anregung des steirischen Gubemiums bezüg-
lich der Beschaffung yon Geldmitteln zur Unterstützung blinder
Kinder geht die Studien-Hofkommission in der Art ein, daß
sie anordnet: „Zur Ausführung oder doch Erleichterung
der in den Absätzen l und 3 angedeuteten Maßregeln, sind
nebst bestimmten hiezu gewidmeten Beiträgen auch die Er-
trägnisse solcher Spenden zum Besten der Bildung von Blinden
zu verwenden, bei welchen eine ausdrückliche Widmung zu
Stiftplätzen nicht gemacht worden ist, indem durch diese
Maßregeln eben der Zweck der Bildung dieser Unglücklichen,
und zwar auf die naturgemäßeste Weise erlangt wird.**
Punkt 5 bestimmt, daß Seelsorgern und Lehramts-
kandidaten die Möglichkeit gegeben werden solle, sich an den
bestehenden Blinden-Erziehungsinstituten in der Methode des
Blindenunterrichtes zu bilden, wobei die Institutsvorstände an-
zuweisen sind, den Besuchern Unterricht und Anleitung bereit-
willigst zu geben. An den zu dieser Zeit bestehenden Blinden-
anstalten wurden nicht nur auf Grund dieser Bestimmung,
sondern schon früher junge Geistliche und Lehramtskandidaten
mit Anweisungen zum Blindenunterrichte versehen, insbesondere
ging Wien in dieser Richtung als Muster vor; mancher Freund
12*
168 Über die Anfänge der Blindenfürsorge in Steiermark.
der Blinden ist aut diese Art für die edle Mission der Blinden-
fürsorge gewonnen worden.
Im 6. Abschnitt des Dekretes wird in Aussicht gestellt,
daß, da zum Zwecke der Einführung in den Blindenunterricht
auch schon eine theoretische Anleitung viel nützt, eine solche
unentgeltlich verteilt werden wird. Die Studien-Hofkommission
behält es sich vor, von dieser Anleitung der k. k. Landesstelie
eine angemessene Anzahl von Abdrücken zur weiteren Ver-
teilung zuzusenden.
Punkt 7, der letzte, enthält Bestimmungen, durch
welche der Unterricht blinder Kinder im allgemeinen, sowohl
in den bestehenden Anstalten als auch außerhalb derselben
im Auge behalten und über die gemachten Wahrnehmungen
berichtet werden solle.
Schließlich macht das Dekret auf das Buch Direktor
Kleins, das Lehrbuch zum Unterrichte der Blinden (Wien 1819)
aufmerksam und ordnet an, daß es für die Universitäts-, be-
ziehungsweise Lyceal-Bibliotheken angeschafft werde.
Das Gubemium gibt nun dieses Dekret in extenso her-
aus und zwar an das F.-B. Seckauer und das Leobner
Ordinariat und das F.-B. Lavanter Konsistorium, dann er-
geht an die Vorstehung der Universitätsbibliothek in Graz
und an die k. k. Gymnasialdirektionen in Marburg, Cilli,
Judenburg und St. Lambrecht der Auftrag, das vorhingenannte
Lehrbuch des Direktors Klein, „wenn es noch mangeln sollte,
beizuschaffen, und die Benützung desselben zum Selbstuntei-
richte den Seelsorgern, Lehrern und Lehramtskandidaten zu
gestatten". Endlich werden die fünf steirischen Kreisämter
von der an die Ordinariate erlassenen Verordnung betreffend
die Förderung des Unterrichtes der Blinden zur Amtswissen-
schaft mit der Aufforderung verständigt, die Bezirksobrigkeiten
anzuweisen, die Seelsorger in der Förderung dieses Unterrichtes
zu unterstützen und dahin zu wirken, daß ganz mittellose
und vom Pfarr- und Schulorte zu weit entfernte Kinder für
die Dauer des Unterrichtes bei nahe gelegenen Insassen un-
entgeltlich aufgenommen werden.
Das Gubemium geht durch diese Erklärung von dem
Vorschlage ab, für solche Kinder ein wenn auch nur bescheidenes
Kostgeld auszusetzen und dadurch wird die gute Absicht der
Studien-Hofkommission unausführbar gemacht. Man scheut sich
ja in vielen Fällen blinde Kinder selbst gegen Bezahlung aufzu-
nehmen ; wer würde dann ohne jeden Nutzen die Last, ein
blindes Kind zu verpflegen und es in Obhut zu halten, auf
Von Alexander Meli. 169
sich laden? Hätte das Gubemium die gleich anfangs ausge-
sprochene Absicht, Kostorte für blinde Kinder zu schaffen,
festgehalten, so wäre sicher Gutes geschehen, denn es wäre
nicht unwahrscheinlich, daß Lehrer selbst ein solches Kind
zu sich genommen hätten. Ein Hindernis war übrigens nicht
vorhanden, da die Studien-Hofkommission in der Verwendung
von Geldern für Blinde keine die Absicht des Guberniums
verhindernde Bestimmung trifft.
Einige im Gefolge der bisherigen Maßnahmen noch auf-
tretende Umstände sind lediglich nebensächlicher Natur und
die k. k. vereinigte Hofkanzlei empfiehlt auch ihrerseits die
Anschaffung des Kleinschen Lehrbuches.
Klein hat mittlerweile seine „Anleitung*' ^ fertiggestellt
und das Gubemium erhält zunächst 70 Exemplare mit dem
Auftrage, das Büchlein an jene Schulen zu verteilen, wo sich
schulfähige Blinde befinden, und an jene Lehrindividuen,
welche sich die Blinden-Unterrichtsmethode zur allfälligen
künftigen Benützung anzueignen beabsichtigen. ^ Im Dezember
kommen abermals 70 Exemplare zur Verteilung ^ und im
Jahre 1848 wird das erste für die blinden Schulkinder be-
stimmte, in der k. k, Hof- und Staatsdruckerei in Wien her-
gestellte Buch mit tastbaren Lettern, ein „Nahmenbüchlein", das
ist, wie wir es nennen, eine Fibel, zum Gebrauche beim
Blindenunterrichte empfohlen und zu dessen Anschaffung
aufgefordert. 4
In den verfügbaren Akten findet sich keinerlei Anhalts-
punkt dafür, daß in Steiermark auf Grund aller dieser Veran-
lassungen ein blindes Kind in der Volksschule der Sehenden
oder aber auf privatem Wege fachgemäßen Unterricht erhalten
hätte. Das schließt allerdings nicht aus, daß die Anordnungen
der Studien-Hofkommission bezüglich der blinden Kinder von
Erfolg begleitet waren, allein zu einem Eingreifen der Volks-
schullehrer in dem Grade, daß eine Entschädigung für den
Zeitaufwand und die Bemühungen um ein blindes Kind hätte
angesprochen werden können, führte es nicht. Es dürfte auch
der Effekt der Mahnungen der Schulenoberaufsicht zur Für-
1 Anleitung, blinden Kindern die nötige Bildung in den Schulen ihres
Wohnortes und in dem Kreise derer Familien zu verschaffen. Wien 1846.
Im Verlage der k. k. Schulbücher- Verschleiß-Administration bei St. Anna in
der Johannisgasse.
* Studien-Hofkommission. 1 3. Juli 1 846. Das Büchlein wurde an alle
deutschen Kronländer verteilt.
3 Studien-Hof kommission. 22. Dezember 1846.
^ Studien-Hofkommission. 30. März 1848.
170 Über die Anfilnge der Blindenfürsorge in Steiermark.
sorge für die blinden Kinder nur gering gewesen sein, denn ^
während die Fürsorge für die Taubstummen zur damaligen 1
Zeit schon eine sehr intensive war, eine „k. k. Taubstummen-
schule in Graz" bestand und ihre jährlichen Ausweise und ^
Tätigkeitsberichte an die Landesstelle gelangen ließ, hatte sich j
auch ein Lehrer um eine Remuneration für seine Arbeit an . j
taubstummen Kindern gemeldet. Es war dies der Lehrer der j
Elementarklasse an der Judenburger Hauptschule Michael ^
Freydn^ dem bereits 1844 „die Zufriedenheit über seine ent- '
sprechende Betätigung für den Taubstummen-Unterricht zu
erkennen gegeben" worden war, und über dessen Verwendung
bei diesem Spezialunterrichte wird im betreffenden Berichte
gesagt: „ . . . welchen Unterricht derselbe bereits seit fünf *,
Jahren, vorhin an 6, jetzt an 5 taubstummen Kindern wöchentlich ■
durch 10 Stunden mit vielem Fleiße und gutem Erfolg ertheilt, und 1
ungeachtet seines geringen Einkommens per 200 fl. bestreitet
dieser Lehrer auch die zur fruchtbringenden Ertheilung dieses '
Unterrichtes erforderlichen Lehrmittel ..." Freydl erhielt
eine Remuneration von 30 fl. zuerkannt. Leider berichten die ^
Akten über die Bemühungen eines Lehrers zugunsten der
blinden Kinder nichts ähnliches. /
1 In RoÄeks erstem Schematismus der Volksschulen Steiermarks 18 74
ist ein Michael Freydl genannt. Er war kaiserlicher Rat, pensionierter Direktor
der k. k. Lehrerbildungsanstalt in Graz. Dieser Freydl dürfte mit dem
damaligen Judenburger Lehrer identisch sein, Ein Lehrer, der sich derart
betätigte, mußte die gebührende Anerkennung finden.
Was in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundertes in
Steiermark für die Blinden geschah und was als Anfang der
Blindenfürsorge in diesem Kronlande angesehen werden muß, j
ist vielleicht nicht viel, in Ansehung der bestehenden Verhält-
nisse aber genug. Wohltätige Männer haben Stiftungen errichtet, ^
die politischen Behörden haben diese verwaltet ; es wurde von i
außen der Versuch gemacht, Steiermark in den Kreis jener
Kronländer zu ziehen, die ihr Blindenwesen den damaligen
Verhältnissen entsprechend organisiert hatten; der Unterricht
der Blinden sollte von staatswegen sichergestellt und hiebei der 0
Volksschule die Hauptaufgabe zugewiesen werden: Steiermark
ging hiebei fast die gleichen Wege wie jene Alpenländer, die
erst spät eine Blindenerziehungsanstalt erhielten, wenn sie
überhaupt heute schon eine solche haben.
^ ^ Von Alexander Meli. 171
Aus allem aber, was geschehen war, läßt sich eine Tat-
sache erkennen. Das Beispiel und der Einfluß Joh. Wilh.
Kleins in Wien, des Begründers der Blindenfürsorge in Österreich,
»» waren maßgebend. Auf seine Tätigkeit läßt sich fast alles
zurückführen; die Behörden folgen seiner Initiative, wenn sie
^ auch nicht immer sich seiner Ansicht anschließen, manchmal
, sogar dagegen handeln, ohne dabei jedoch das Rechte zu treffen.
'* Durch alles, was in der behandelten Zeit geschehen
war, ist der Boden für das endliche Entstehen einer wohl-
eingerichteten Blindenanstalt nach und nach vorbereitet worden
i^ und darum muß man die Geschehnisse von dem Gesichtspunkte
i ^ aus betrachten, daß sie als notwendige, vorbereitende Schritte
zur Erreichung des Zieles vorangehen mußten. Jede der mit-
J* geteilten Tatsachen bildet einen der Grundsteine zur Errichtung
r des Gebäudes der Blindenfürsorge in Steiermark, wo heute
so vieles für die Blinden erreicht und deren Wohl in die
p Hände tatkräftiger, wahrhaft humaner, edeldenkender Männer
j^ gelegt ist.
K
f
r
I
Beiträge zur Geschichte des Grazer
Theaters.
Von Otto Erich Deutsch.
1824—1825.
2. Die k. k. Hofschauspielerin Sophie Müller in Graz,
In den Memoiren des großen Tragöden Heinrich Anschütz*
findet sich eine treffliche Charakteristik seiner berühmten ^
Kollegin, der „ Liebhaberin und Heldin "SophieMüller,.
der diese Arbeit gewidmet ist: |
„Sophie Müller war einer jener Lieblinge der Natur,
bei deren Schöpfung die gütige Allmutter das Füllhorn ihrer
Gaben ausschüttet, und einem auserkorenen Wesen ein Kumuiat
von Eigenschaften verleiht, die sie sonst mit ausgleichendem
Gerechtigkeitssinne auf eine Reihe von Erdenkindem verteilt. <
Eine blühende Gestalt, von so ebenmäßiger Fülle der |
Formen, mit einem so angenehmen Verhältnisse zwischen '
Klein und Groß, daß sie gemeißelt schien, um sich jeder
Sphäre der ßühnendarstellung anschmiegen zu können ; liebliche
Gesichtszüge und ein Auge, das von sittlicher Reinheit und
geistigem Leben strahlte, machte Sophie Müller zu einer der
reizendsten Frauenerscheinungen, durch welche die deutsche ^
Bühne geweiht und verherrlicht worden ist.
In diesem schönen Körper mit der schönen Seele hatte
eine andere Göttin, die tragische Muse, den belebenden Atem
künstlerischer Weihe gehaucht, den befruchtenden Samen des
Talentes niedergestreut. ]
Sophie Müller gehörte jenen genialen Schauspielematuren ^
an, die, wie Ludwig Devrient, unwillkürlich Wunderbares i
schaffen müssen, die niemals fehlgreifen innerhalb der ^
Grenzen ihres unerschöpflichen Naturells. Sie werfen in fast fl
t
4
Sophie Müller.
Nach einer Lithographie von Josef Kriehuber.
Von Otto Erich Deutsch. 17B
kindlicher Unbefangenheit ihre kostbaren Perlen aus und wissen
selbst nicht, welche Schätze sie der Welt zu Fußen legen.**
Von dieser wunderbaren Blüte deutscher Schauspielkunst^
die aus dem Treibhaus des Hofburgtheaters zweimal für einige
Wochen in den grünen Garten der Steiermark verpflanzt
wurde, von den Beziehungen Sophie Müllers zum Grazer
Theater und zur Grazer Bürgerschaft soll hier ausführlich
berichtet werden.
Es ist, wie Sainte-Beuve sagt, eine mißliche Sache,
plumpe Jahreszahlen anzuführen, wenn man von schönen
Frauen spricht. Und doch muß ich die Lebensgeschichte der
lieblichen Sophie an dieser Stelle wenigstens skizzieren,
bevor ich die Grazer Episoden daraus behandle. Der pedantische
Historiker kann sich damit entschuldigen, daß diese deutsche
Recamier, die ohne Nachblüte im Vollbesitze ihrer unberührten
Jugendpracht dahinging, auch die Jahreszahlen nicht zu
scheuen braucht.
Sophie Müller^ wurde als Tochter des großherzoglich
badischen Hofschauspielers Karl Müller (* 1763 zu Mannheim,
f 1837 zu Wien) und der badischen Hofopernsängerin Maria
Boudet (* 1775, t 1824 zu Wien) am 19. Jänner 1803
in Mannheim geboren. Von ihren vier älteren Geschwistern
war eine Schwester früh verstorben; an den drei Brüdern
Karl, Fritz und Josef („Seppel*') hing sie mit großer Liebe.
Schon im dritten Lebensjahre wurde die kleine Sophie als
Genius auf der Mannheimer Bühne verwendet. Fünf Jahre alt,
betrat das mutige Mädchen als ^ Hännschen" in Kotzebues
„Erbschaft" zum erstenmal in einer Sprechrolle die groß-
herzogliche Hofbühne. Seit damals spielte sie öfters, zunächst
in Knabenrollen. Im Jahre 1816 bewunderte Johanna Schopen-
hauer das Talent des Mädchens und lenkte in einer Reise-
beschreibung die Aufmerksamkeit des deutschen Theater-
publikums auf die junge Künstlerin. Im Jahre 1817 begann
Sophie Müller ihr hochinteressantes, leider oft unterbrochenes
Tagebuch, das der unglückliche Dichter und Historiker Johann
Graf Mailäth später auszugsweise veröffentlicht hat. Es ist
heute, bis auf ein fast unbekanntes Bruchstück aus dem Jahre
1826, verschollen. Im März des Jahres 1818 gastierte Sophie
Müller mit ihrem Vater in Karlsruhe, wo sie mit großem Er-
folge einige bedeutendere Rollen spielte. ^ Kotzebue hatte
sich inzwischen ihres Talentes angenommen, so daß sie am
15. Mai 1820 als ordentliches Mitglied an das Hoftheater in
Mannheim engagiert wurde.* Im März des folgenden Jahres
174 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
unternahm sie mit ihrem Vater eine größere Gastspielreise,
die sie nach München und nach Wien führte. Am Hofburg-
theater trat die 1 8 jährige Künstlerin ' vom 9. Mai bis zum
16. Juni 1821 fünfzehnmal in ihren hervorragendsten Rollen ^
auf und erzielte einen so glänzenden Erfolg, daß schon im
Jahr darauf Unterhandlungen wegen eines Wiener Engagements
eingeleitet wurden. Auch das Braunschweiger Theater bewarb
sich damals um Sophie Müller, die sich aber alsbald für Wien
entschied. Mit schwerem Herzen schied sie im Juli 1822 von
ihrer geliebten Vaterstadt Mannheim, wo sie schon eine
wahrhaft göttliche Verehrung genoß. Die Gage, die die badische
Intendanz ihr gab, und die kärgliche Pension, die man ihrem
Vater zuerkannt hatte, waren doch zu gering, um den glän-
zenden Engagementsantrag aus Wien abzulehnen. Die kunst-
sinnige Großherzogin Stephanie von Baden, Sophiens
mütterliche Freundin, die sie nur widerwillig in die Fremde ziehen
ließ, gab der Künstlerin — wie später auch ^ der berühmten
Luise Neu mann, Amalie Haizingers Tochter — den
Segen der Keuschheit mit auf den Weg. Da die Brüder dem
Elternhause bereits entflogen waren, zogen Vater und Mutter
Müller mit nach Wien. Am 5. August 1822 debütierte Sophie
als „Gräfin Rutland" in Matthäus v. Co Hins „Essex"
am Hofburgtheater. In kurzer Zeit hatte sie sich die Herzen
der Wiener erobert, so zwar, daß die andere Sophie, die
große Schröder — trotz der Verschiedenheit des Rollenfaches
— auf den wachsenden Ruhm der jungen Kollegin eifersüchtig
wurde. Costenoble war zuerst mißtraurisch gegen ihr
Talent, gab aber bald seinen Irrtum zu. Schreyvogel,
später ihr warmer Freund, schätzte sie mit seinem sicheren
Blick sofort richtig ein. Da die Müller auch bei Hofe rasch
beliebt wurde, ernannte sie die Kaiserin Karolina Augusta
zu ihrer Vorleserin. Mit den besten Männern des vormärz-
lichen Wiens stand die junge Künstlerin in freundschaftlichem
Verkehr. Grillparzer, M. v. Collin, Castelli, Pyrker
Seidl, Hammer-Purgstal 1 und Zedlitz zählten bald
zu ihren Getreuen. Mit Schubert, der häufig in ihren Tage-
büchern genannt wird, und dem Hofopemsänger Johann Michael
Vogl musizierte Sophie Müller oft. Der gesellschaftsscheue
Schubert speiste gerne bei den Müllers, verbrachte ganze
Nachmittage in der Gesellschaft der klugen, gebildeten Schönen
und rühmte ihr nach, daß sie nach Baron Alfred Schönstein
seine Lieder am herrlichsten singe. *^ Aber auch die Herzen
aller Frauen flogen dem holden Mädchen zu. Nicht nur die
Von Otto Erich Deutsch. 176
Wiener Aristokratinnen, auch Künstlerinnen wie die Schröder,
die Sontag, Dichterinnen wie die Chezy, die Pich 1er
schwärmten von ihrem Liebreiz. Die Eifersucht schwieg bald
still, da Sophie Müller nicht als Weib, sondern wirklich als
göttliches Wesen verehrt wurde. — Im Jahre 1823 bemühte
sich die badische Intendanz, die gefeierte Künstlerin zur
Rückkehr nach Mannheim zu bewegen. Als Sophie Müller
wegen ihrer Wiener Verpflichtungen diesem Rufe nicht Folge
leistete, entzog man schnöderweise ihrem Vater die spärliche
Pension. — Am 28. Jänner 1824 starb Sophiens teure
Mutter: ein Verlust, den sie nie ganz verwinden konnte. Ein
leichter Schatten umflorte nun ihr sonniges Gemüt.
In den Jahren 1823 und 1824 mußte Sophie Müller,
durch ihre anstrengende Pflicht vollauf in Anspruch genommen,
ihren „Schreibkasten** vernachlässigen, dem sie ihre wertvollen,
keineswegs für die Öffentlichkeit berechneten Tagebuchblätter
gewidmet hat. So vermissen wir denn auch für die Zeit des
ersten Gastspieles in Graz, das in den Juli 1824 fällt, diese
nicht nur als Dokumente für die seltsame Persönlichkeit der
Schreiberin, sondern auch als Beiträge zur Kulturgeschichte
des österreichischen Vormärzes so interessanten Blätter und
müssen uns für diese erste Episode fast ausschließlich mit
dem begnügen, was uns zeitgenössische Berichte bieten.
Der Juli war damals, wie ei wähnt, der Ferialmonat
der Wiener Hoftheater, für die Provinzbühnen also die haute
Saison der Gastspiele. Schon seit dem 24. Juni 1824 gastierte
Heinrich Anschütz im ständischen Aushilfstheater zu Graz. ^
Außerdem erwartete das Grazer Publikum noch drei Hofburg-
schauspieler und eine Hofopemsängerin, die alle in diesem
Sommer auf ein paar Wochen zu Gaste kamen. Am 5. Juli
meldete die amtliche „Grätzer Zeitung" die Ankunft der MUe.
Müller, ihres Vaters und ihres Kollegen Johann Georg Kettel.
Alle drei waren am 3. d M. in dem stark frequentierten
Gasthof „Zum wilden Mann" abgestiegen, der in der Schmied-
gasse (C.-Nr. 355), an der Stelle des neuen städtischen Amts-
hauses, gegenüber der alten Post-, heute Stubenberggasse stand. ^
Bald nach ihrer Ankunft schrieb Sophie Müller an eine Wiener
Freundin folgenden bisher unveröffentlichten Brief^ der theater-
geschichtlich interessant und für die Künstlerin sehr charak-
teristisch ist:
176 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
„An Ihre Hochedelgebohren
Fräulein Sophie von Wedenkind *o
wohnhaft bei Frau von Winterheld
Kohlmeßer Gaße in
Nr. 480 im 3'« Stock. Wien."
j^Meine gute Sophie! Graetz, den 5** Juli 1824,
Glücklich und wohlbehalten sind wir in Graetz am 3'® d.
eingetroffen. Die Beschreibung der herrlichen Gegend verspahre
ich mir mündlich und fange gleich mit meiner großen Bitte
an. Man hat mich nemlich vielfach ersucht die Jungfrau v,
Orleans zu spielen, da ich aber den Anzug nicht mit habe
so wage ich auf Ihre Güte und stets bewiesnen Freundschaft,
Sie zu ersuchen mir denselben zu senden. Die Art wie dieß-
geschehen kann ist sehr leicht : Sie bitten Frau von Seid!
Ihnen unsre Schlüßel einzuhändigen, laßen sich unsre Garde-
robe vom Schloßer aufsperren. Dann nehmen Sie l*'*«" meinen
Blechharnisch, mit den Armschienen die uneinge-
wickelt offen Ihnen gleich in die Augen fallen, wie Sie ins
Zimmer treten, 2**"' den Helm, der keinen Federbusch, nur
ein blechnes Kreuz hat, 3'"» die Schwerdtkupel von
blauen Samt mit silber Börtchen und Schnalle, 4^"*
Waschledeme Handsche mit gelben Blechkappen daran
genäht. Diese genannten Dinge finden Sie im Gestell
am Fenster auf dem zweiten Gefach wo die Gläser und Teller
stehn. Alsdenn nehmen Sie aus dem hellgrauen Gefachschrank
wo die kurzen Theaterkleider liegen, aus dem 2'*" Gefach
von oben, 5*'"* den weißen, merinos** Rock nebst Mieder^
in dem ich zur Ausstellung gemahlt wurde, es ist mit blauen
samt Blumen untenherum gestickt, wie auch das weiße Mieder
mit blauen Samtstreifen geziert ist. 6'*"* das merinos, weiße
Kleid mit langen Ärmeln und Goldfranzen besetzt, darüber
blaue samt Lilien mit Goldschnür gestickt sind. 7'*", das kurze
Panzerröckchen, welches von Goldfäden in Filee^^ genetzt
ist, und auf jedem Netzknöpfchen ein Goldflitter genäht hat»
Sie werden es ohne zu fehlen, linker Hand in dem selben
Gefache unter den ebengenannten Kleidern in Papier finden.
8'*"*, haben Sie die Güte und nehmen aus meiner Schuhlade
im Schrank wo meine Stadtkleider hängen, die hellgelb
ledernen Schuhe mit schwarzen Hutfilzsohlen, 9'*", die
hellgelb leder Stiefelchen mit gold Sporrn; diese letzt genannten
Von Otto Erich Deutsch. 177
sind entweder auch im Gestell wo der Harnisch liegt, oder
sie stehn noch in dem Korbe in der mitten Garderobe. 10*®"*
das Buch die Jungfrau v. Orleans, liegt im kleinen
Gefach wo meine Theaterrollen alle sich befinden gleich oben
rechts, und l !'*"• nehmen Sie aus dem vordem blauen Wohn-
zimmer aus den Musikalien im Büchergestellchen beim Klavier
die geschriebne Musik mit der Überschrift: „Monolog aus
der Jungfrau v. Orleans oder Jeanne d' Are, dem
Fräulein Sophie Müller gewidmet." Der ganze Monolog: ,die
Waffen ruhen etc. ist zwischen den Noten geschrieben.*^
Vielleicht liegt dieses Musikstück sogar auf dem Klavier,
sollte es da aber nicht liegen so finden Sie es unter meinen
Noten sicher. Dann sehen Sie ob alle diese Sachen in unsem
kleinen Koffer gehen den die Franzi in ihrem Zimmer hinten
stehn hat, sollte das nicht sein, so suchen Sie in irgend einem
Gewürzgewölb einen leichten holz Verschlag zu kaufen, wofür
ich dieses Geld eingeschloßen. Legen Sie zuerst eine alte
Serviette aus der Garderobe in den Kasten oder Koffer, dann
die Musik und Buch, so dann legen Sie die Kleider, aber die
Goldfranzen bitte ich wohl mit Papier aus unsrer Garderobe
zu belegen, weil sie leicht verderben und verwetzen können.
Über die Kleider legen Sie so groß der Verschlag ist einen
guten Papendeckel, damit der Blechharnisch der darauf gepackt
werden muß die Kleider nicht zerschneidet auch den Harnisch
und Helm wickeln Sie wohl ein, denn leicht können diese
sich verkritzen. Stiefel, Handschuhe, Kupel und Schuhe gehen
wohl eingewickelt auch in den Harnisch hinein. Jede Lücke
im Koffer bitte ich wohl mit Stroh und Papier aus zu stopfen,
damit kein Schaden geschieht. Vielleicht könnte der Bediente
des Hrn. Schwällbacher Ihnen im Packen behülflich sein. Herr
von Seidl oder Schwallbacher kann Ihnen wegen der Post
die nötige Auskunft geben, damit ich die Sachen noch bis
diesen Samstag*^ hier erhalte was leicht sein kann. Die
Adreße ist : An die k. k. Hof burgschauspielerin Sophie Müller
Wohlgeboren in Graetz wohnhaft im wilden Mann. Bei der
Schnellwagen Expedition müßen Sie Sachen aufgeben. Nun
Iheure Sophie empfehlen Sie mich Frau v. Winterheld, und
Frau V. Seidl und allen theuren Wienerinen aufs Beste, und
vergeben Sie mir meine Bitte und Belästigung ich wage es
auf Ihre Freundschaft und bin zu jedem Gegendienste mit
Freuden bereit. ., ^. r • , .
Ihre Sie aufrichtig
schätzende Sophie Müller."
178 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
Am Dienstag, den 6. Juli 1824, trat Sophie Müller zum
erstenmale in Graz als „Gabriele* in dem gleichnamigen drei-
aktigen Drama auf, das ihr Freund J. F. Castelli nach der
„Valerie* von Scribe und Mellesville ins Deutsche über-
tragen hatte. *5 Dazu wurde das gleichfalls von Castelli ver-
deutschte einaktige Lustspiel „Haß allen Weibern* gegeben,
in dem die Müller die „Amalia, Gräfin v. Ronsberg** spielte.
In der Wiener „Allgemeinen Theaterzeitung**
Adolf Bauer les erschien damals, meist mit großer Verspätung,
das von Joseph Dismas Gottscheer^^ geschriebene, im
folgenden oft zitierte „Tagebuch der Grätzer Bühne*,
das am 9. September 1824 folgendes Referat über das erste
Gastspiel Sophie Müllers enthält:
„Ihre erste Szene in der erstem Rolle zeigte sogleich in einem
ansprechenden Äußern, in einem ungemein wohlklingenden tonreichen
Sprachorgane, und in der genialen Auffassung des darzustellenden
Charakters die physisch und psychisch reich begabte Künstlerin ; die
Durchführung fügte den Beweis eines großen, geübten mimischen
Talentes und eines seltenen Kunsstudiums hinzu. Den früheren Dar-
stellungen dieser Rolle entgegen, sahen wir nun über Gabrielen eine
Heiterkeit ausgegossen, welche um so rührender und ergreifender war,
als sie das gewohnte Mitleiden eines fühlenden Herzens mit dieser
Blinden gleichsam mit großmütiger Selbstverleugnung abzulehnen schien.
Die Momente des entzückenden Wiederfindens (fes Geliebten und des
Wiedersehens, im eigentlichen Sinne genommen, erschütterten jedes
Gemüt. Der Beifall war allgemein. Dem. Müller schien mit dieser
ersten Darstellung das ganze theatralische Grätz erobert zu haben.
— In der zweiten Rolle mochte sich vielleicht geringerer Anlaß zu
gleich stürmischem Beifall finden ; dennoch blieben Situationen, wie
jene, wo Gräfin Amalia eine Probe ihrer gegen Valincour anzunehmenden
Ma.ske liefert, und die Worte: die Muhme lasse um Verzeihung
bitten, daß sie habe sterben müssen, mit liebenswürdiger
Naivetät sprach, nicht ohne die zu erwartende Wirkung, Dem. Müller
ward schon am ersten Abende mehrmals gerufen."
Aus der Parallelkritik des Grazer ^Aufmerksamen"*'
vom 10. Juli 1824, die entweder von Anselm oder von Heinrich
Hüttenbrenner 1^ stammt, seien nur einige Sätze zitiert:
„Unser Theater erfreut sich nebst der Anwesenheit des Hm.
Anschütz eines reuen höchst angenehmen Besuches der bereits durch
den günstigsten Ruf bekannten k. k. Hofschauspielerin Mlle. Müller.
. . . Natur und Kunst haben sich schwesterlich über diesem Kinde
umarmt, und es mit gleichen Rechten auf Bildung und Liebe als ihre
Tochter adoptiert. Beider Pflege ist hier in ein liebliches Ganzes ver-
schmolzen, das alle Vorzüge nur in einem Gepräge, nämlich Aus-
erwählung für die Kunst, an sich trägt. . . Ein Organ, das aus dem
tiefen Schacht des Herzens nur gediegenes reines Gold zu Tage fördert.
Ein Gefühl, welches jedem Eindrucke seine Wirkung, jedem Gegen-
stande seinen Anteil und jedem Worte seinen Ton zumißt. Dies
i Von Otto Erich Deutsch. 179
*■ GefQhl ist in der Kunst ein ebenso unerklärbarer Vorzug, als an
I einem großen Dichter die Macht der Rührung und an einem großen
Maler die Gabe des Ausdrucks jeder Empfindung in seinen Gestalten.**
Am 7. Juli spielte Sophie Müller die „Luise" in „Kabale und
Liebe" ; den „Ferdinand" gab Kettel als erste Gastdarstellung.
y ;,Allgemeine Theaterzeitung" vom 7. Oktober 1824:
L „Bedeutende Künstler gehen oft ihren eigenen, besonderen Weg.
r Auf einem solchen sahen wir heute Dem. Müller als Luise, wo sie
sich im Bewußtsem ihres Reichtums an Mitteln eine höhere Aufgabe
j vorzusetzen schien, als diese Rolle eigentlich ist. Was schon der Ton
in den Worten: ,0, ich bin eine schwere Sünderin, Vater !*^
als Auffassung des Charakters deklamatorisch zu erkennen gab : eine
- etwas fremde Ansicht von dem zwar überspannten, aber nicht heroischen
r Gemüte dieses Bürgermädchens, besiegelte plastisch als Endpunkt der
Durchführung der Moment der Wahrnehmung und Überzeugung Luisens
von ihrer Vergiftung. Kurz, nach strengen Anforderungen konnte
die Rolle einigermaßen zu kräftig, zu hochtragisch genommen scheinen,
doch soll mit allem Diesen nicht gesagt sein, daß die Darstellung
nicht durch großen, einstimmigen Beifall und mehrmaliges Hervorrufen
die verdienteste Auszeichnung erhalten habe und eben ist es nur die
seltene Künstlerin, deren hoher Standpunkt die Hindeutung auf die
Verschiedentieit der Ansichten zuläßt und deren schönes Verdienst
dadurch eher geehrt als verunglimpft werden dürfte."
„Der Aufmerksame" vom lO. Juli 1824 (Schluß):
„Mlle. Müller erschien als ein in sich selbst veredeltes Mädchen,
das der Leidenschaft eine Kraft des Herzens und dem Unglücke eine
Würde der Seele entgegenbringt, um gegen beides in den moralischen
Kampf zu treten . . . Möchten die Thränen, die sie durch ihr seelen-
volles Spiel entlockte, zu Perlen werden und die Kunst in einen Kranz
sie reihen, um sie damit zu schmücken."
Am S.Juli sang Herr Anschütz, von Direktor St ög er
verleitet, den „Don Juan". Samstag den 10., führte man als
Benefizvorstellung für Anschütz den „Wallenstein" auf:
Anschütz gab den „Friedländer", Sophie Müller die „Thekla"
und Kettel den „Max Piccolomini". Über diese Vorstellung
erschien im „Aufmerksamen" kein Referat und auch die
„Theaterzeitung" brachte in der zuletzt genannten Nummer
nur ein allgemeines Lob der drei Künstler. Am 12. Juli trat
Sophie Müller in der ihr noch aus der Mannheimer Zeit (182 1)
geläufigen Titelrolle des vieraktigen Lustspieles „Donna Diana"
oder „Stolz und Liebe" auf, das ihr Freund Josef Schrey-
vogel (Carl August West) nach Don Augustin Moreto
aus dem Spanischen („El desden con el desden") übersetzt
hatte. Neben seiner Umarbeitung des Calderonschen „Das
Leben ein Traum" („La vida es sueno") war diese Übersetzung
die bedeutendste poetische Leistung Schreyvogels. Den „Don
Cäsar, Prinz von ürgel" gab Kettel.
180 Beitrage zur Geschichte des Grazer Theaters
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 7. Oktober 1824
(Fortsetzung) :
„Die Darstellung der Titelrolle war, wie es bei den vielen
sch6nen, Dem. Müller zu Gebote stehenden Mitteln zu erwarten stand,
in hohem Grade glänzend, kunstreich ; nur schien der Grundton des
Lustspiels hier und da durch das aus ihrer Individualität hervorgehende
Eigene der Darstellungsart dieser vortrefflichen Künstlerin etwas ver-
düstert, und die Ansicht, welche uns schon die früheren Darstellungen
von dem schönen Streben und dem seltenen Talente dieses unseres
hochgeachteten Gastes lieferten, daB nämlich das heroische Trauerspiel
der eigentlichste und schönste Wirkungskreis desselben sei, ward hier
völlig festgestellt.**
Am 13. Juli wurde „Don Carlos", der schon vor der
Ankunft der Müller mit Anschütz gegeben worden war, wieder-
h9lt: Kettel spielte den „Infanten", Anschütz den „Marquis Posa"
und Sophie Müller die „Prinzessin Eboli**, eine Rolle, in der
sie noch bei Lebzeiten für die von Kaiser Josef II. ge-
gründete Ehrengalerie berühmter Schauspieler des Hofburg-
theaters von einem mir unbekannten Maler porträtiert wurde ^^-
„Allgemeine Theaterzeitung* vom 7. Oktober 1824
(Fortsetzung):
„Dem. Muller gab ihrer Eboli in Charakter und Situation all
die schöne Wirksamkeit, welche ihr herrliches physisches und aesthe -
tisches Vermögen, kraft- und lebensvolle Naturen, große Affekte und
entscheidende Geföhlsmoraente darzustellen, jederzeit zur Folge haben
muß, Der rauschende Beifall, welchen die ausgezeichnete Ktknstlerin
erwarb, war reines Verdienst ihrer vortrefflichen Leistung.**
Am 14. Juli wurde zu Sophie Müllers Benefize das fünf-
aktigje Trauerspiel „Essex", neubearbeitet von Matthiasv. Collin,
gegeben. Sophie Müller spielte die Hofdame „Gräfin Rutland*,
die Rolle, in der sie zum erstenmal als engagiertes Mitglied
des Hofburgtheaters in Wien aufgetreten war. Anschütz, der
am nächsten Tage Graz verließ, gab zum Abschied den „Grafen
Eissex**.
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 7. Oktober 1824
(Schluß):
„Nie haben zwei große Künstler sich zu einer herrlicheren
Darstellung schöner die Hände geboten als hier. Von beiden ward
Außerordentliches geleistet, welches nicht mit wenigen Worten, also,
wo für mehrere nicht Raum ist, gar nicht geschildert werden kann,
außer man wollte sich zur Bezeichnung derselben der abgebrauchten
Floskel bedienen : ,Sie haben sich selbst übertroffen !* Von Dem.
Muller können wir daher nur bemerken, daß ihre Darstellung absolut
vortrefflich und vorzüglicher als jede ihrer früher hier gegebenen sei . . .
Beide Künstler wurden mit ungeheurem Beifall ausgezeichnet."
Am 16. Juli trat der Hofschauspieler Friedrich W i 1 h e l m i
zum ersten Male als „Hardenstern'* auf, in dem fünfaktigen
,>
?
Von Otto Erich Deutsch, 181
Lustspiel „Glück bessert Torheit", nach dem englischen Ori-
ginal der Miß Lee von Friedrich Ludwig Schröder be-
arbeitet. Samstag den 17. gab Sophie Müller, die inzwischen
die erbetenen Requisiten aus Wien bekommen haben dürfte,
die „Johanna" in der „Jungfrau von Orleans", eine ihr be-
sonders liebe Rolle, die sie zum ersten Male am 8. April 1822
in Mannheim gespielt hatte.
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 26. Okto-
ber 1824:
„Dem. Müller in der Rolle der Johanna ; was bedarf es mehr
um den Genuß, welcher an diesem Abende dem zahlreich versammelten
Publikum zu Teil ward, und den Beifall zu bezeichnen, welcher sich
in dem lärmendsten Enthusiasmus und durch fünfmaliges Hervorrufen
der seltenen Künstlerin als die gerechteste Würdigung ihrer «glanzvollen,
in so vieler Rücksicht ausgezeichneten Darstellung kundgab."
Am ig. Juli trat Sophie Möller wieder als „Gabriele"
auf. Nach dem Schauspiel wurde das zweiaktige Lustspiel
„Die unterbrochene Whistpartie'' oder „Der Strohmann" von
Schall gegeben, in dem Wilhelmi den „Baron Scarabäus",
Kettel den „Landjunker von Bern" spielte.
„Allgemeine .Theaterzeitung" vom 28. Okto-
ber 1824:
„Dem. Müller gab die Gabriele mit dem schon in der ersten
Darstellung dieser Rolle bewunderten und in unserem Tagebuch
besprochenen Verdienste, welchem wiederholt der rauschcndste, die
Künstlerin durch dreimaliges Hervorrufen auszeichnende Beifall ab-
gezollt ward."
Am 21. Juli sollte Sophie Müller als „Johanna" zum
letzten Male auftreten. Das Publikum bestimmte sie aber, noch
zu bleiben. Wilhelmi gab bei der Wiederholung der „Jungfrau
von Orleans'* den „Talbot".
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 28. Ok-
tober 1824 (Fortsetzung):
„Dem. Müller abermals mit Beifall überhäuft und nach jedem
Akte gerufen.**
Am 22. Juli trat Kettel als „Roderich *^ in Calderons
Schauspiel „Das Leben ein Traum**, übersetzt von West,
am 23. Wilhelmi als „Kust** inCunos fünfaktigem Gemälde
„Die Räuber auf dem Culmerberge'' auf. Am 24. gastierte
zum ersten Male die k. k. Hofopernsängerin Henriette Sontag^"
als „Prinzessin von Novarra" in Boieldieus komischer Oper
„Johann von Paris".
^.Allgemeine Theaterzeitung** vom 28. Ok-
tober 1824 (Schluß):
13
182 Beitrage zur Geschichte des Grazer Theaters.
„Unserm hoch geachteten, viel bewunderten weiblichen Gaste-,
Dem. Müller, deren Darstellungen ihrem Ende nahen, konnte Niemand
würdiger folgen als die k. k. Hofopemsängerin Dem. Sontag."
Über das Gastpiel der Sophie Müller berichtet „Der
Aufmerksame" vom 24. Juli 1824 pauschaliter in einem
enthusiastischen, von A. H., d.i. Anselm Hüttenbrenner^
unterzeichneten Referat :
„Die k. k. Hofschauspielerin Dem. Müller beobachtet in ihren
Gastdarstellungen einen gewissen Stufengang, wodurch das Interesse
an ihren Kunstleistungen mächtig gesteigert wird. Still duldend erscheinr
sie uns als Gabriele ; der niedrigen Kabale erliegend als Luise ; mit
Stolz und Liebe kämpfend als Donna Diana ; sirenenhaft und ein
Opfer ihrer gekränkten Selbstliebe als Eboli; dann als unglücklichste
edler Gatinnen in der Lady Rutland. Welch mannigfaltige und große
Aufgaben, und wie herrlich von ihr gelöst! Deklamation, Mimik und
Spiel vereinen sich bei ihr zur reizendsten Harmonie. Bald klingt ihr
Sprachorgan so lieblich, daß man eine Mozartsche Melodie zu hören
wähnt, bald tönt es so schauerlich, als erschallte eine Geisterstimme
in Glucks ernster Weise. Ihren Darstellungen kleben die Spuren des
Studiums nicht an ; kein Zwang kann da sichtbar werden, wo die
Meisterin zum Bilde selbst wird, das ihr der Dichter hingehalten. So
viele Schauspielerinnen haben bereits als Luise und Eboli gefallen,,
begeistert und entzückt. Dem. Müller hat einen noch höheren Grad
von Wirkung hervorgebracht; es fehlt das Wort, um ihn zu bezeichnen.
Sollten ihre Darstellungen nicht die vollendetsten genannt w^erden
dürfen ? In Bezug auf uns, vielleicht ; doch in ihr, der Künstlerin^
lebt gewiß noch ein höher Ideal, das sie zu erreichen strebt. Das ist
eben das Edle an der Kunst, daß sie den Laien beseligt, während
sie den ausübenden Künstler zur Feile anspornt und ihn an seiner
Vollkommenheit zweifeln läßt. Dieses fortwährende rastlose Streben
nach Perfektion ist das eigentliche wahre Kunstleben . . . Die Theater-
untemehmung verdient Dank, daß sie die Zierden des dramatischen
Kunsttempels in Wien in unsere Mauern lud, damit uns nebst dem
Mittelmäßigen und Guten auch das Bessere und Beste zum Genuß
werde."
Der Redakteur Ignatz Kollmann, Skriptor am „Joan-
neum", fügte an diesen Bericht noch folgende Ergänzung:
„Mit Vergnügen sehen wir in vorstehender Notiz eines schätz-
baren, nicht nur beurteilenden, sondern auch wirkenden Kunstkenners
die Würdigung all des Guten ausgesprochen, was unsere Bühne gegen-
wärtig leistet und vom Publikum mit Anerkennung^ufgenommen wird.
Mit Recht muß die Billigkeit des Tadels auch der Billigkeit des Lobes^
den Platz einräumen. — Der vorstehenden Notiz ist auch jene über
die Jungfrau von Orleans anzureihen. Die Leistung der Dem. Müller
hat über den Charakter der Johanna eine schöne Klarheit verbreitet
und die Fugen aufgedeckt, welche die Übergänge von der hohen Be-
geisterung zur Schwermut der Liebe, und von dieser zur tragischen«
Hingebung und Verklärung aneinanderbinden. — Von Seite der Direktion
ward alles auf unserem Aushilflheater nur MÖRÜche für die Dezenz
der Vorstellung aufgeboten. Wohl dirigierte und exekutierte Musik
von Weber und eine Komparserie zum Krönungszuge, welche sicli.
• Von Otto Erich Deutsch. 183
durch Anordnung und Geschmaclc der Garderobe auszeichnete. Das
Pittoreske von einigen Dekorationen, z. B. Luft, Felsen und anderen
Stücken blieb jedoch etwas merklich zurück."
^ Am 25. Juli gab Wilhelmi den „Franz Moor" in den
„Räubern". Zum Vorteil Ketteis wurde am 26. endlich das
' vieraktige Trauerspiel „Baiboa" von H. J. v. Co Hin g^e-
ben,*^* in dem Wilhelmi als „Pedrarias, Statthalter auf Darien",
^ Sophie Müller zum letztenmal als „Maria, seine Tochter" und
der Benefiziant als „Vasco Muncz Baiboa" auftraten. „J. G. - -",
d. i. Joseph D. Gottscheer, hatte schon am 24. Juli im
f „Aufmerksamen" das Publikum auf den „seltenen Genuß",
2 der seiner wartete, vorbereitet.
(^ ;,Allgemeine Theaterzeitung" vom 30. Ok-
> tober 1824:
„Dem. MüUer schlofl an diesem Abende ihre fortan mit den
unzweideutigsten Beweisen des Beifalls und der Bewunderung gekrönteii
Gastdarstellungen. Die treffliche Künstlerin konnte dies nicht ehren-
I voller, als in der Rolle der Maria, in welcher sie noch einmal den
ganzen Reichtum ihres Talentes vor unseren Augen entfaltete. Ergreifend
I * wirkte ihre ganze Darstellung, erschütternd ihre letzte Szene. Der
'^ Wechsel der Affekte wie der Todesmoment beurkundete die Meisterin
y ihrer Kunst und der Beifall stieg hier zum lautesten Enthusiasmus,
mit welchem Dem. Müller jemals gerufen worden war. Sie erschien,
man schwieg und gebot Schweigen, um ihre Abschiedsworte zu ver-
nehmen, während welcher zur sichtbaren Bestürzung der Sprechenden
das in der Beilage zu Nr. 104 dieses Blattes unter der Zahl IV.
abgedruckte Sonett unter das Publikum gestreut wurde ; doch aufs
I Neue erhob sich der lärmende Beifall, als Dem. Müller mit der Zu-
^ Sicherung wiederzukommen schloß und mit schöner ungekünstelter
^ Rührung von der Szene schied."
\ Aus dem begeisterten Referat, das „H. H.", d. i. Hein-
rich Hüttenbrenner, über das letzte Gastspiel Sophie Mülers
am 12. August 1824 im „Aufmerksamen** veröffentlichte,
seien nur einige Sätze zitiert:
„Dem. Müller flocht als letzte Blume in den Maienkranz ihrer
Kunstdarstellungen die Rolle der Maria in dem Trauerspiele Baiboa
von Collin . . . Der Ruf, welcher den Namen Dem. Müller umtönet,
leitet von selbst auf den Reichtum ihrer Kunstgaben, und das Auf-
fallende derselben bedarf so wenig einer besonderen Bemerkung, als
eine Illumination mit einer Laterne besehen zu werden braucht. Nicht
bald verließ eine Künstlerin unsere Bühne, welcher eine so ausge-
zeichnete und allgemeine Anerkennung ihrer Verdienste mit dem innigen
Wunsche eines baldigen Wiedergenusses folget. Nur schwach hat ein
Sonett, welches bei ihrem Scheiden vom Theaterhimmel auf das
Publikum herabflatterte, die ihr gebürende Bewunderung ausgedrückt.
Doch der Regen war von jeher wässerig."
Kettel trat am 27. Juli zum letzten Male als „Haupt-
mann von Linden** in dem Lustspiel „Die Quälgeister" auf
13*
184 Beitrage zur Geschichte des Grazer Theaters.
und verließ am 28. mit seinem zufällig in Graz weilenden
Kollegen Maximilian Korn die Stadt. Wilhelmi spielte noch
am 29. als „Gottlieb Koke" in dem fünfaktigen Original-
schauspiel „Parteiwut" oder „Die Macht des Glaubens" von
F. W. Ziegler, in dem die Sängerin und Schauspielerin
Frau Franziska Sontag (1798 — 1865), die Mutter der Hen-
riette Sontag, die „Lady Johanna Land" gab. Am 31. Juli
Avurde zum Vorteile Wilhelmis ein „großes musikalisch-drama-
tisches Potpourri in drei Abteilungen" aufgeführt, in dem
Henriette Sontag, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester
Nina (1811 — 1879), ^^^^ Schauspielerin, die als Kloster-
schwester starb, mitwirkten. Das überaus erfolgreiche Gast-
spiel der Henriette Sontag, eine Ablösung der Sensation Sophie
Müller, währte bis zum 21. August I824. Auch die Mutter
der Sontag, die ihrer Tochter wegen von Prag nach Wien
übersiedelt war und ans „Theater an der Wien" engagiert
wurde, trat noch einigemal im Schauspiel auf.
Die erwähnten vier, Sophie Müller gewidmeten Gedichte,
als deren Autor sich Moritz Brüxner, ein Praktikant beim
landschaftlichen Obereinnehmeramt, bekannte, erschienen in
einer außerordentlichen „Correspondenz-Nachricht", die die
„Allgemeine Theaterzeitung" am 28. August 1824
in einer Beilage veröffentlichte:
„Dem. Müller in Grätz.
Dem. Müller, k. k. Hof-Schauspielerin, hat ihre Gastspiele bei
uns geendet und uns verlassen. Sie, von welcher unser »Aufmerksamer,
so schön und so treffend sagt: »Möchten die Thränen, die sie durch
ihr seelenvolles Spiel entlockte, zu Perlen werden und die Kunst in
einen Kranz sie reihen, um sie damit zu schmücken.* — Anderen,
Geweihten, sei es aufbehalten, das Hohe, das Schöne, das Liebliche,
das Entzückende jeder einzelnen Darstellung dieser Künstlerin in
breiter Auseinandersetzung zu ehren. Wir begnügen uns, den Ein-
druck, welchen sie auf alle Herzen machte — vom Herzens-
Dank dazu berufen — herzlich auszusprechen:
An Demoiselle
Sophie Müller
in ihren Gastdarstellungen als
Gabriele, Donna Diana, Gräfin Rutland und beim Abschiede.
I.
(Gabriele,)
Mußt Du des Lebens höchste Lust entbehren? —
Dein Auge flieht der Sonne ew'ges Licht
Und finstre Nacht bedecket Dein Gesicht.
Nie soll der Tag Dir leuchtend wiederkehren!
Von Otto Erich Deutsch. 185
Kann ein Gefühl dafür Ersatz gew-ähren? —
Wir ahnden's fast, wenn Deine Lippe spricht!
Das ist der Erde irdisch Fühlen nicht
Und Höheres scheint Dein holder Mund zu lehren.
Doch jetzo dringet mit des Lichtes Schein
Ein neuer Tag in Deinen Busen ein
Und Dich umarmt ein nie geahnt' Entzücken!
Da wird es klarer auch vor unsren Blicken!
Wir seh'n auf Dich und fuhlen*s klar und rein:
Die höchste Lust gewährt das Aug' allein!
II.
(Donna Diana.)
Dich, stolzes Weib, von Liebe nie bezwungen,
Hab' ich erstaunt vor meinem Blick geseh'n.
Du schienst so hoch, so schwindelnd hoch zu steh'n.
Daß — fast — Bewund'rung unsre Brust durchdrungen.
Doch als das Band Dich dennoch fest umschlungen,
Der Liebe Band, das Du gewagt zu schmfth'n.
Und Du nun brennest, ihn gebeugt zu seh'n.
Ihn. der den Sieg durch höh'ren Stolz errungen.
Da fühlten wir, wie Du, so fremd und neu,
Welch seltsam Ding es um die Liebe sei;
Sie fesselt schnell mit unlösbaren Banden.
Du hast das selbt erfahren und verstanden!
Ein Augenblick ruft mächtig sie herbei
Und keine Zeit gibt je sie wieder frei.
III.
(Gräfin Rutland.)
Wenn Du in Essex* Männerarm Dich schmiegest,
Du holdes Weib, das dem GenMihl nur lebt,
Älit ihm sich freut, für ihn allein erbebt.
Wenn Du den Trotz Elisas nicht besiegest. —
Wenn, Du verzweifelnd in den Kerker fliegest.
Wo sich Dein Arm zu seinem Haupte hebt,
Worüber schon das Beil des Henkers schwebt,
Und Du auletzt dem Schmerze unterliegest. —
Da fühl^ wir, wie's keine Sprache nennt.
Was in der Seele Deines Essex brennt,
186 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
Sein ganz Empfinden und sein ganzes Leiden!
Es ist der Schmerz, der Schmerz von Dir zu scheiden.
Von dem, was kaum das frohe Herz erkennt
Und — ach! — zu früh! ein rauhes Schicksal trennt.
IV.
(Beim Abschiede.)
— Wurde im Theater ausgestreut. —
(Grätz, am 26. Julius 1824.)
Die Sonne haucht den Regenbogen
Im Doppelring auf Wolkenmassen,
Und von den bunten Farbenwogen
Will nimmermehr das Auge lassen.
Auch Deine Kunst hat Stemenfunken
In stiller Herzen Grund gesendet;
Und froh entzündet, zaubertrunken
Zur Meisterin sich alles wendet.
Du scheidest, wie der Abend schwindet,
Der Rosen um die Erde windet.
Und Thränentau der Flur entbindet.
Die Freude senkt nun ihr Gefieder,
Die Muse legt die Kränze nieder.
Nur Eines bleibt — der Wunsch: Komm wieder!
Ist es Freude, dem liebgewordenen Freund auch in die Ferne
noch der Freundschaft Fühlen nachzurufen, und ist es Freude, es
weit und weiter zu verkünden: wie sehr wir diesen — diesen
ehren; so haben auch diese Zeilen ihre bescheidene und einzige Be-
stimmung schon erreicht im Augenblick, da sie gelesen werden . . M
Moritz BrQxner."
Die von Johann S c h i c k h herausgegebene „Wi e n e r
Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode", die
nur kurze Berichte über die österreichischen Provinzbühnen
brachte, erwähnte am 4. Dezember 1824 in einer von
„ — er — "23 gezeichneten „Correspondenz-Nachricht von Grätz"
das Gastspiel der Sophie Müller mit flüchtigem Lobe.
Schon hier muß ich der kunstsinnigsten Familie des
vormärzlichen Graz gedenken, der Familie des Advokaten
Dr. Karl Pachler^^^ deren Geschichte ich einmal in anderem
Zusammenhange erzählen will. In seinen „Mein erstes Drama"
Von Otto Erich Deutsch. 187
betitelten Memoiren^s erzählt Dr. Faust Pachler^^ aus seiner
frühesten Kindheit:
„Da mehrere der ersten Mitglieder, wie die Herren Rettich
und Pusch und das Fräulein Friederike Herbst und die Mit-
direktorin Frau Liebich in unserem Hause aus- und eingiengen,
da fast alle durchreisenden, in Graz gastierenden Künstler,
wie z. B. Anschütz, Löwe, Sophie Müller u. A. die Bekannt-
schaft meiner Eltern suchten und natürlich ebenso die ein-
heimischen, wenn auch nur in Geschäftsangelegenheiten, zu
uns kamen, so war ich von frühester Kindheit an gewohnt,
vom Theater reden zu hören.'*
Faust Pachler, der seinen Vater auch einmal den „Alterego
des Theaterdireliiors Stöger" nennt, erzählt dann, daß man
in seinem Eltemhause ein Exemplar der Westschen Be-
arbeitung von Moretos „Donna Diana" verwahrte, ein Band
in rosenrotem Umschlag, der immer unter des Knaben Kopf-
kissen liegen mußte, wenn er krank zu Bette lag. „Vermutlich
war er während eines Gastspieles der Sophie Müller ins Haus
gekommen." Es ist leicht möglich, daß die Künstlerin nach
ihrem Erfolg als „Donna Diana" das Bändchen der gastfreund-
lichen Familie zum Angebinde gab; der rosenrote Umschlag
spricht für Faustens Vermutung. Jedenfalls hat Sophie Müller
schon 1824 bei Pachlers verkehrt. Ja, sie hat Frau Pachler
vielleicht schon 1823 kennen gelernt, da sie im Sommer dieses
Jahres gleichzeitig mit ihr in Baden bei Wien weilte.
Schließlich sei noch erwähnt, daß die Müller, die wirklich
das vielseitigste Interesse für alle mit Kunst und Wissenschaft
zusammenhängenden Dinge bekundete, auch unter den Sub-
skribenten der vom Dezember 1824 an erschienenen „Litho-
graphierten Ansichten der Steyermärkischen Städte, Märkte und
Schlösser, gezeichnet und herausgegeben von J. F. Kaiser,
Gratz", zu finden ist.
Am 24. Februar 1825 begann Sophie Müller, die Ein-
tragungen in ihr Tagebuch wieder regelmäßig fortzusetzen.
Wir erfahren daraus u.a., daß sie vom April, bis Juni d. J.
wegen eines Gastspiels in Berlin mit dem kgl. hitendanten
Grafen Brühl in Unterhandlung stand. Einige in Wien weilende
Berliner, die für die Müller schwärmten, darunter Ludwig
Tieck, bestürmten sie, den Antrag anzunehmen. Nur Schrey-
vogel riet ihr energisch ab. Sophie Müller konnte schließlich
188 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
der Einladung gar nicht folgen, weil eine Einigung über Zeit
und Rollen nicht möglich war. Auch einen anderen Antrag,
in diesem Sommer in Prag zu gastieren, lehnte sie ab. Dagegen
ließ sie sich nach einigem Zaudern von Stöger bestimmen,
wieder nach Graz zu kommen. Das Tagebuch^^ erzählt darüber
folgendes :
1. Mai 1825: „Schreyvogel riet mir abermals ab^^ wenn
ich im Essex oder in Gabriele nicht auftreten könne; Luise
sollte ich nicht spielen, weil er von Wilhelmi, der es so gut
mit mir meine, gehört, diese Rolle sey von allen meinen
tragischen Leistungen die minder bedeutendste in Grätz ge-
wesen. Auch Anschütz und Kettel hätten dasselbe gesagt."
30. M a i : „Stöger begegnete uns, und wollte, ich möchte
in Grätz spielen, nur sechs Rollen. Er ließ uns gar nicht aus.
Ich würde ihm schreiben, wenn ich könnte; sagte ihm aber
nicht zu. Seine Opemgesellschaft ist nun in Preßburg und
gefällt sehr."
I.Juni: „Brühl schrieb ich ab, daß dieses Jahr meine
Zeit mir nicht erlaube, erst Ende Julius die gewünschten
Gastrollen zu geben ... Ich war in der Theater-Loge. Wilhelmi
kam zu mir, und proponirte, nach Prag zu gehen ; da er und
Anschütz, und seine Frau aber dort spielen, ist Eines dem
Andern Schaden, besonders in pecuniärer Hinsicht. Ich gehe
nach Grätz."
Q.Juni: „Dem Stöger schrieb ich heute: den 12. Julius
werde ich nach Grätz kommen ; Diana, Julie, Hedwig, Ahnfrau,
Gabriele, Quälgeister 2», oder Luise^^; Präciosa zu meiner
Einnahme."
27. Juni: „Schreyvogel traf ich Mittags nicht zu Hause,
sagte ihm Abends wegen 300 Gulden Vorschuß, und gab ihm
die zwey Ansuchen, wegen Gastrollen in Grätz den 29. d. M.
abzureisen, Ahnfrau-, Othello-^^und Balboa-Kleider mitzunehmen,
unversiegelt . . . Wilhelmi, Treitschke sprach ich, letzterer
kommt auch nach Grätz."
28. Juni : „Am Sonntage [26.] sagte Löwe^^ dem Vater,
daß er Anfangs Julius in Grätz spielen wird, und bedaure,
daß ich so spät käme, da er gern mit mir geöpielt hätte.
Darum g eben wir früher, weil Vater keine Lust hat, nach
Gmunden und Ischel zu gehen . . . Löwe freute sich, daß
ich früher nach Gf ätz komme. Er sagte mir, Neumann ^^ habe
sich ihm angetragen, in seinem Benefice^^ zu spielen ; kurios !
Schreyvogel sagte mir, daß der Vorschuß mir bewilligt ist."
29. Juni: „Wir nahmen Abschied von der Neumann;
Von Otto Erich Deutsch. 189
wenn ich nach Berlin ginge, sollte ich ihr vorher schreiben,
sie gäbe mir Empfehlungen mit. Im August wäre es am
besten gewesen, da der Hof wieder dort ist. Es reut mich
beynahe, daß ich nicht hinreiste. Schreyvogels Bedenklichkeiten
schreckten mich viel ab.**
30. Juni: „Um 3 Uhr kam der Wagen^^ ans Haus.
Um Einviertel auf 4 Uhr kehrten wir der lieben Stadt den
Rücken, und fuhren nach Grätz. So sind meine hochfliegenden
Pläne zu Wasser geworden ; viel nimmt man sich vor, wenig
wird erfüllt."
Es folgt ein schöner Vergleich des Lebens mit einer
Messe. Dann fährt das Tagebuch fort:
„Um Einviertel auf 5 Uhr waren wir in Neudorf, um
6 Uhr in Ginseisdorf, um 7 Uhr in Neustadt u. s. w. Schade,
daß wir die schönen Gegenden hinter Neunkirchen, Schottwien,
den herrlichen Semmering Nachts passirten; nach 12 Uhr
fuhren wir von Schottwien ab, gegen halb 2 Uhr kamen wir
an die Säule auf dem Semmering; Mondschein, besondere
Beleuchtung. In Krieglach frühstückten wir Kaflfeh um Ein-
viertel auf 6 Uhr."
I.Juli:
Wohl dem ! selig muß ich ihn preisen.
Der in der Stille der ländlichen Flur,
Fern von des Lebens verworrenen Kreisen,
Kindlich liegt an der Brust der Natur!
„Ein freundlicher Morgen, wie nach und nach da?? ge-
schäftige Leben in dem lieblichen Thale von Brück erwachte.
Obgleich einige Wolken in sonderbaren Gestalten die Berge
in Nebel . verhüllten und den blauen Himmel umzogen, ver-
kündigte doch die aufgehende Sonne einen heißen Tag, Die
Gegenden von Mürzhofen sah ich wieder mit Freuden. Die
Poststation von Rötheistein, die im vorigen Jahre ganz ab-
brannte, erhebt sich wieder recht artig; alle Gebäude nun von
Stein mit Ziegeln gedeckt. Endlich kamen wir an Frohnleiten
vorüber, an Straßengel, Gösting über die Weinzierlbrücke auf
den Berg, von wo aus wir die schöne Ebene von Grätz über-
sahen. Ich dachte bey dem Anblicke an Schillers Worte :
Auf den Bergen ist die Freyheit! Der Hauch der Grüfte
Dringt nicht empor in die reineren Lüfte.
Die Welt ist vollkommen überall.
Wo. der Mensch nicht hinkommt hfiit seiner Qual. 34
„Um Einviertel auf 4 Uhr 35 fuhren wir in Grätz ein
zum wilden Mann^ß. Nachdem ich ausgepackt, und wir uns
190 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
etwas erholt hatten, zogen wir uns an, und gingen ins Theater.
Der Schnee37, Stöger und Liebich waren sehr überrascht^^,
und freuten sich, uns zu sehen.
„Ich sagte: Löwe wird auch bald eintreffen, darum wir
früher kamen; sie waren sehr froh darüber, und sagten: sie
ließen uns nicht mehr fort."
Die „Wiener Zeitschrift" vom 9. August 1825
brachte folgende am l. Juli von „ — er — " geschriebene Notiz
über die erwartungsvolle Stimmung des Grazer Publikums:
„Hunderte mußten im vorigen Jahre bei den Gastdarstellungen
des Hrn. Anschütz, der Mlle. Müller, des Hrn. Jäger und der Mlle. Sontag
nach Hause gehen, weil sie nicht mehr in das ganz angepfropfte
Theater eindringen konnten; doch ein Beweis, daß man das Echte
hier zu schätzen versteht. Auch jetzt klopfen wieder alle Herzen
freudig Mlle. Müller vom k. k. Hoftheater entgegen. Sic wird als
Gabriele zuerst erscheinen; eine Rolle, worin die Herrliche uns noch
seit ihrem letzten Hiersein, trotz der gelungenen Darstellung unserer
Mlle. Herbst, besonders unvergeßlich und teuer ist.**
2. Juli : „Stöger kam, fragte nach den Stücken für Löwe
und mich. Ich nannte ihm: Correggio, Mündel, Eduard in
Schottland 3 9, Diana, Ahnfrau, Romeo und Julie, Hedwig,
Gabriele, Quälgeister 3^, Chavansky.
„Regisseur Frey kam, mich wegen Stücken zu fragen,
zeigte mir ein Repertoir auf Stögers Verlangen, doch ich fand
kein mir anständiges Stück.
„Im Theater**^ besprach ichs mit Stöger; er meint
Gabriele und ein Ballet am Montag."
Nach einem Exkurs über Bearbeitungen und Über-
setzungen fremdsprachiger Dichtwerke, zu dem Sophie Müller
durch eine eben gelesene Übertragung des „Othello*^ angeregt
wurde, setzt das Tagebuch fort:
3. Juli: „Stöger und Kinsky holten uns, das neue
Theater zu sehen. Solide Bauart, einfach doch geräumig, der
Eingang sehr geschmackvoll, gleich dem Münchner Theater.^ ^
Viele Kosten und viele Köche, auch viel Salz fehlt nicht.
„Abends im Theater Freyschütz. Maria Grünfest^'-^ machte
die Oper leer ; ein schöner Tag.
„Löwe kam um 10 Uhr Abends in dem Schnell wagen
hier an,^^ gjng zu uns aufs Zimmer, plauderte bis nach
1 1 Uhr, und ging dann hinauf in den dritten Stock zur Ruhe.
Der Schalk sagte, seine Schwester*^ und Resi*^ kämen auch,
und wollten in Diana zu seinem Benefice spielen, Rese als
Fenise den ersten Versuch hier machen **
Von Otto Erich Deutsch. 191
4. J u 1 i : „Löwe sollte um 11 Uhr mit uns in die Probe
von Gabriele fahren, war aber um halb zehn Uhr schon zu
Stöger gegangen. Auf der Probe kamen beyde zu mir und
fragten : ob ich Donna Diana spiele ? ich antwortete bestinunt
ja, da sie mir zugesagt ist.
„Nach der Probe gingen wir zur Gouvemeurinn.*^ Ich
gab ihr den Brief ihrer Schwestern von Wien. Nannte ihr die
Rollen hier zu spielen.
»Als Gabriele eine schöne Aufnahme, Vorrufen nach
jedem Acte. Volles Haus. Zum Schlüsse sagte ich: ,Es ist
mir noch recht lebhaft im Gedächtniß, wie freundlich das
kunstsinnige Publikum meine Darstellungen vor einem Jahre
aufgenommen; wenn dieses Glück mich nun wieder bey
meinen folgenden Gastrollen erfreuen darf, kann ich, dadurch
aufgemuntert, nur die Kräfte meiner Kunst zu verdoppeln
streben, und würde Ihnen also nur wieder geben, was ich
Ihrer Güte verdanke.* Ein Ballet nachher, ^^ beynahe zu viel
für Grätz, sie erkennen es nicht, es mißfällt. Heute war es
zum ersten Male voll im Ballet.
„Jenger, 4 8 Stöger, Löwe, Rettich kamen zu mir, lobten
mein Spiel, auch die Herbst.**
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 8. Sep-
tember 1825:
„Mit einem das Haus erfüllenden Jubel, welcher nicht enden
zu wollen schien, wurde Dem. Müller empfangen, mit erneuertem
Beifallssturme nach jedem der drei Akte gerufen. Wie sollte dies auch
nicht von einer Darstellung bewirkt werden, in welcher das ganze
herrliche Gemälde sich wiederholte, das schon voriges Jahr jeden
Anwesenden zur tiefsten Rührung, zur höchsten Bewunderung hin-
gerissen und jedem Kenner die Oberzeugung gegeben hatte, er sehe
hier Gabriele, an welcher Dem. Müller in der Tat zur Dichterin
wird, in unerreichbarem Urbilde."
Eine ähnlich rühmende Notiz brachte der „Aufmerk-
same" am 9. Juli 1825. Das Tagebuch der Müller be-
richtet weiter:
5. Juli: „Barbier von Sevilla. Preisinger sehr gut, imi-
tierte glücklich Lablache. -** MUe. Beisteiner»« trat als Rosine
auf, gut; verspricht etwas, hübsche Stimme. Gottdank: Ba-
silio, sehr komisch, scheinheilig, andächtig. Krebs: Bartolo,
sang deutsch, alle andern italienisch. Pohl: Almaviva, gut.
Ziemlich volles Haus."
6. Juli: „Löwe zum ersten Male hier als Corregio;*^
leer; wurde nach dem zweyten Acte und am Schlüsse ge-
rufen. Sagte: ,Wie Julio - Romanos Worte den Corregio er-
192 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
hoben, und zum Künstler ernannt, also haben Sie mich be-
glückt durch Ihre Zufriedenheit!*"
7. Juli: „Um il Uhr Regen bis halb 3 Uhr. Um 3 Uhr
fuhren wir zum Gouverneur Graf Hartig^* zum Speisen. Die
Gemälde der Gouverneurinn sind sehr gelungen, besonders
die Landschaften.
„Nach dem Kaflfeh gingen wir in den schönen Garten
zu den Linden, sahen mit dem englischen Femrohre den
Scheckel an, die Hütte der Schweizerinn, die Heerden, alles
sehr deutlich; gingen dann zum Lilienheim in die Acazien-
laube, dann nach Hause. Auch schöne Porzellän-Malerey voll-
endete die Gräfinn ohne Anweisung; eine Tasse mit antiken
Köpfen in Grau, zwey Lilien, zwey Geranium, einen blauen
Rittersporn gab sie mir, die will ich ihren Schwestern in
Wien zeigen.
„Abends die Molinara.^^ Beisteiner gut; Preisinger: Knoll,
recht komisch, er sah Spitzeder^^ in der Rolle, gefiel sehr,
mußte die Arie wiederholen. Fast ein ziemlich kaltes Publikum.
Beisteiner ward zwey Mal gerufen.'*
8. Juli: „Löwe: Mündel heute. ^5 Regenwetter, leeres
Haus. Um lO Uhr^ß gingen wir allein auf den Schloßberg
in den unteren Wirthsgarten. Die Chavansky'^^ richtete ich
nach der Burg ein, Frey schickte mir das gedruckte Buch.
Um Dreiviertel auf 2 Uhr gingen wir herab zur Liebich zum
Speisen.**
Am Samstag den q., spielte Löwe noch einmal „auf
allgemeines Verlangen" den „Corregio**. Der Theaterzettel
dieses Tages zeigt an, daß Löwe am 13. abreisen und noch
am 11. und 12. auftreten werde. Der folgende Tag brachte
die Erstaufführung der einaktigen komischen Pantomime »Har-
lekin als Schustergesell* von Giovanni Gas ort i, Musik von
Joseph Kinsky, vor der das zweiaktige Original - Lustspiel
„Der Bettelstudent" oder „Das Donnerwetter" gegeben wurde.
Nach zweitägiger Unterbrechung setzte Sophie Müller ihr
Tagebuch fort.
11. Juli: „Abends Essex.^"* 1500 Menschen sollen heute
im Theater gewesen seyn, unerhört, über 300 Menschen gingen
ohne Platz zu finden zurück.^® Außerordentlich schöne Auf-
nahme, drey Mal gerufen, führte Löwe heraus, er wollte nicht
gehen. Den dritten, vierten und fünften Act sprach ich nach
Collin,^o schrieb es dem Soufßeur Mittags noch auf. Frey
bat mich, morgen Ahnfrau zu spielen ; ich war voreilig, sagte
es zu; Löwe war unzufrieden damit, sagte es mir heimlich;
Von Otto Erich Deutsch. 193
es ward demnach annoncirt, mit Jubel vom Publikum auf-
genommen. Stöger dankte und jubelte mit. Zu Hause fühlte
ich die Mattigkeit durch die heutige Rolle; Vater verwies
meine schnelle Bereitwilligkeit; ich ließ es absagen, doch der
Bediente konnte es nicht ausrichten, da das Haus bey Stöger
geschlossen war."
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 24. Sep-
tember 1825:
„Grafin Rutland war von Dem. Mtiller, und zwar mit all dem
Aufwände an Kunst, mit all der schönen, ergreifenden Wahrheit
dargestellt, welche auch voriges Jahr alle Gemüter bis in ihre Tiefen
erschüttert hatte und allein hinreichen würde, dieser Künstlerin einen
der ersten Plätze unter den Priesterinnen der tragischen Muse zu sichern."
Auch der „Aufmerksame" brachte am 16. Juli eine
kurze Notiz über diese Wiederholung.
12. Juli: Jn der Früh ließ ich nochmals absagen.
Frey, Stöger, Löwe kamen. Da sie sahen, daß ihre Bitten
nur vergeblich waren, schlugen sie vor, die Neumann ^^ sollte
die Rolle für mich spielen ; mir ist es recht ; die Fatique wäre /
mir zu groß. Es war ziemlich voll, sagte Vater, doch so nicht,
als letzt in Gabriele. Ich richtete meinen Anzug für Diana
morgen. Löwe sollte mit uns bey Leiningen^^ speisen; ich
ließ die Männer allein gehen, und blieb den Tag zu Hause.
Morgen freue ich mich auf die ersehnte Diana."
„Allgemeine Theater zeitung** vom 24. Sep-
tember 1825 (Fortsetzung):
„Der Fleiß und das Gefühl, womit Dem. Neumann die Bertha
darstellt, fand die ehrenvollste Anerkennung, so schmerzlich die den
Genuß, unsern gefeierten Gast, Dem. Müller, in dieser Rolle zu be-
wundern, hindernde Unpäßlichkeit derselben beklagt wurde.**
13. Juli: „Um 10 Uhr Probe von Diana. Löwe spricht
nach West, ich nach Müller; im Souffliren manche Gonfusion.^^
Um 3 Uhr Löwe mit uns zum Gouverneur zum Speisen.
„Nicht alles gelingt, wie man sich es denkt! Diana ge-
lang mir heute nicht. Löwe war gut, trug etwas stark auf;
ich that darin in den zwey ersten Acten zu wenig, der dritte
Act ging besser. Wir wurden nach dem ersten Acte gerufen;
ich konnte nicht erscheinen, da ich mich schon umkleidete.
Zum Schlüsse führte mich Löwe heraus, wie ich ihn im
Essex. Ungeheuer voll ; 900 Gulden W. W. soll er einge-
nommen haben. —
„Nach dem Theater kam Löwe zu uns, nahm Abschied.
Er bekam von der Schauspielergesellschaft einen Lorbeerkranz
und sechs Verse. Freytag entscheidet es sich in Wien bey der
194 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
Zusammenkunft der Direction, ob er engagirt wird, oder nicht.
Er scheint es sehr zu wünschen. ^^ Um 12 Uhr fuhr er mit
Stöger fort nach Wien."
„Allgemeine Theaterzeitung*^ vom 29. Sep-
tember 1825:
„Dem. Möller war Diana; da diese Rolle bereits voriges Jahr
auf der hiesigen Bühne von ihr dargestellt und als solche in diesen
Blättern gewürdigt wurde, so beschränkt sich der Einsender darauf
zu bemerken, daß die Künstlerin diesen Charakter gegenwärtig in
demselben Geiste wie früher, jedoch, wie es schien, womöglich mit
erhöhter Konsequenz und Einheit durchgeführt, und damit eine höchst
brillante Darstellung geliefert habe."
Gottscheer, der dagegen Löwe wenig Lob zuteil werden
läßt, nennt die Müller im weiteren den „Lieblingsgast, an dem
alle Herzen hängen und Aller Blicke hafteten."
14. Juli: „Bey Liebich speisten wir Mittags. Um fünf
Uhr holte uns die Kienreich ^^ mit dem Wagen nach Ecken-
berg ;^® wir sahei\ das Schloß, die Schlachten- und Schar-
mützelgemälde, ^^ einige gute niederländische Landschaften;
beym Anblicke der Wandgemälde in steifen Alongeperücken
und Reifröcken ®^ kann man sich in den Anfang des sieb-
zehnten Jahrhunderts denken. Die Kirche ^^ ist von dem jetzigen
Besitzer ^ö verbessert, und mit dem Grabmale seiner Gattin ^^
verschönert. Notre mort commence avec la mort de nos
amis !
„Wir stiegen bequem hinter dem Schlosse den Wein-
berg hinan, nachdem wir die herrliche Aussicht auf dem Balkon
im großen Marmorsaale "^ 2 ^^^(j ^^n Ausbruch eines Gewitters
hinter der Platte bey Maria Trost recht besehen hatten. Vom
Weinberge hat man eine ausgebreitete Aussicht; das Lust-
schloß Kaiser Karls auf der Ebene nach Johann und Paul ist
jetzt ein Zuchthaus. ^^ Kienreich gab mir Kumars Beschrei-
bung von Grätz.^^ Dann gingen wir herab, als die Sonne
unter war. Auf dem Rückwege ward im neuen Ott'schen
Garten ^5 soupirt; artige geräumige Salons, aber leer. Alles
saß unter den Bäumen, halb im Dunkeln, bei einem Talg-
licht; wir allein waren im Salon. Baron N. N.^^ kam hinein^
setzte sich zu uns; ein gebildeter, artiger junger Mann. Um
11 Uhr brachen wir auf, und fuhren heim."
Im Theater wurde an diesem Tage ;, Harlekin als Schuster-
geselle" und „Der Bettelstudent" wiederholt. Am 15. Juli sang
Cramolini nochmals den „Joconde". — Das Tagebuch setzt
erst nach eintägiger Unterbrechung fort.
Von Otto Erich Deutsch. 195
16. Juli: „Präciosa^^ ging heute zum Erstaunen für
eine Probe. Es war sehr voll. Rettich: Alonzo, Hoffmann:
sein Vater, ^8 Bergmann und Liebich: meine Aeltern,'» Pusch:
<lerBruder,®ö Frey: Zigeunerhauptmann, die Kolb gut alsViarda,^*
Braun und Demmer: zwey Zigeuner,^^ Scholz: Schloßvogt/^
ohne Uebertreibung recht gut. Ballet so ziemlich. ^^ Das Ac-
compagnement der Romanze^^ auf dem Theater: zwey Hörn,
zwei Flöten, eine Guitarre von Kinsky gespielt; ich zitterte
in der ersten Strophe, dann ging es besser, doch etwas kalt
machte mich^die Angst. Ich ward nach jedem Acte gerufen.
Zum Schlüsse sagte ich: ,Ihre Güte rührt mich so sehr, daß
ich nicht Worte finde, Ihnen meinen Dank auszusprechen.*"
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 18. Ok-
tober 1825:
„Wenn der romantische Charakter der Präciosa zu der nicht
sehr großen Anzahl dramatischer Personen gehört, welche sowohl
durch ihre innere originelle Ausbildung, als durch die eigene Wechsel-
beziehung, in welcher der Dichter sie zu ihren Umgebungen wie eine
Zentralkraft in die Mitte der ihr gehorchenden Welt gestellt hat, selbst
bei mancher an ihnen bemerklichen Unvollkommenheit ein unwider-
stehliches Interesse behaupten, so mußte die angekündigte Dastellung
dieser Rolle durch eine Künstlerin wie Demoiselle Müller zu den
höchsten Erwartungen anregen. Und je vielseitiger die Forderungen
sind, welchen die Darstellerin der Präciosa zu entsprechen hat, je
mehr ward hier geleistet. Die angenehme Gestalt der Künstlerin, das
aus ihren Gesichtszügen sprechende innere Leben, das klang- und
tonreiche Organ, die ausdrucksvolle Sprache, die schöne bewegte
Plastik ihres Gebärdenspieles, ihr durch eine kräftige wohlklingende
Stimme unterstütztes musikalisches Talent, der rührende Gesangsvortrag:
diese Vorzüge bildeten jenen seltenen Verein, dem es allein gelingen
kann, das Wunderwesen, als welches Präciosa sich ausspricht, mit
Wahrheit und Klarheit zur Anschauung zu bringen. Einen hohen,
nicht minder seltenen Reiz gewann hier der Charakter dadurch, daß
er, seiner Natur nach, dem Gemüte der Künstlerin, welches sich in
ihren Leistungen so ganz poetisch, als alle Kunst Poesie sein mußr
ausspricht, den geeignetesten Raum, sich zu entfalten, gab ; erhielt er
hiedurch allerdings einen höheren kräftigeren Aufschwung, als welcher
ihm, streng genommen, zukommt, so erscheint dies immerhin als eine
aus der Individualität der Künstlerin fließende, schätzbare, ja interessante
Eigentümlichkeit. Die unzähligen schönen Einzelheiten der Darstellung
zu erwähnen, liegt außer dem Zwecke unserer Einsendungen, in welchen
die kritische Beleuchtung der Kunterscheinungen unserer Bühne nur
als Begleitung der historischen Nachweisung derselben, insoferne sie
davon unzertrennlich ist, stattfindet. In Absicht auf diese letztere darf
daher nicht anzuführen unterlassen werden, daß Dem. Müller hohes
Entzücken erregte; die Rede Präciosas
,Hat mit Gaben und Talenten
Mich Natur nicht reich geschmückt ?*86
war der zündende Funke für den lautesten Ausbruch desselben. Die
Ausstattung der Vorstellung war der Anwesenheit der ausgezeichneten
196 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
Künstlerin würdig, indem selbe durch die Verwendung des gesammten
Ballet- und Chor-Personals einen für Provinzbühnen ganz ungewöhn-
lichen Glanz gewann."
17. Juli: „Um 6 Uhr ^~ fuhren wir nach meinem lieben
Maria Grün.^^ Dem Castelli^^ brachte ich einige Blumen aus
dem Gärtchen, wo Haydns und Mozarts Büsten stehen. ®<>
Einige Landschaften im Gartenhäuschen, Gegenden aus der
Schweiz, des Rüthly, Andreas Hofers und Moreaus^^ kleine
Brustbildchen, gefielen mir an dem Plätzchen; auch des Erz-
herzogs Johann und unserer Kaiserin Bild fand ich dort; der
Stifter und seine Frau, welche die Kirche erbauten, in Oehl
gemalt, sind noch im Wirthschaftsgebäude.^^ pjur sehr ungern
verließ ich das liebe Plätzchen ; gerne wäre ich den Vormittag
über mit Adisons spectator*^ jn dieser lieben Einsamkeit
geblieben. Die kleine Kirche ist für das Gemüth beym Ein-
treten sehr ergreifend.
„Um halb l Uhr verließen wir den herzigen Ort, fuhren
beym Mühlgang herein, an Kienreichs vorüber.^*
„Rettich kam und fragte, ob ich Donnerstag [d. 21.] die
Chawansky in seiner Einnahme spielen wollte, ich willigte ein.
Dienstag muß er in der Hedwig den Julius spielen; er hat
auch die Rolle schon gelernt."
Am Abend dieses Tages wurde vor der Pantomime
„Harlekin als Schustergeselle*' das „neue Quodlibet in sechs
Gemälden" „Sonst und jetzt" oder „So waren Manche einst,
so sind Manche jetzt" aufgeführt. Sophie Müller blieb diesen
Vorstellungen fern, die ihrer hohen Auffassung von der Bühnen-
kunst wenig entsprachen. Am 18. schweigt das Tagebuch
wieder. Das Theater brachte an diesem Tage die große
komische Oper in zwei Akten „Die Italienerin in Algier" von
Rossini. Frl. Beisteiner sang, noch immer als Gast, die
^ Isabella, eine Italienerin". Im ersten Akte legte sie eine große
italienische Arie aus der Oper „Doralice" von Mercadante ein.
19. Juli: „Um 11 Uhr Probe von Hedwig.^^ Ein zu
schönes Wetter und große Hitze scheuchte die Menschen vom
Theater; es war nicht volles Haus, dennoch besetzt. Das Lied^*^
wurde mit der Guitare schlecht accompagnirt. Es gefiel sehr,
<\tr letzte Akt vorzüglich. Ich ward rauschend hervorgerufen.
Der Schluß'**' mißglückte; die Schlüssel waren vergessen, imd
<lurch Bergmann mir verstohlen herausgereicht. Ein Ballet:
das ländliche Fest,^^ war dazu; artig, gefiel aber nicht."
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 18. Ok-
tober 1825 (Fortsetzung):
Von Otto Erich Deutsch. 1*7
„Dem. Müller als Hedwig. Diese Rolle ist zu wenig schwierig,
dabei aber zu dankbar, als daß nicht jede, auch nur einigermaßen
begabte Schau.spie!erin selbst vor dem gebildetsten Publikum sich darin
mit Erfolg bewegen, und als daß sich nicht die Oberzeugung darge>
boten haben sollte. Dem. Möller habe sieh mit derselben eine zu
leichte Aufgabe vorgesetzt ; allein die Ausftkhrung .derselben entsch&digte
für diese, in solcher Rücksicht nicht ganz zu billigende Wahl reichlich
durch den in ihr liegenden Beweis, wie eigen und anziehend selbst
der minder bedeutende Stoff sich in der Hand des wahren Künstlers
gestalten könne, und wie manche schöne Zugabe er aus dem Reichtum
des letzteren in sich aufzunehmen flüiig sei. So schmückte denn audi
— der seelenvollen Sprache, des ausdrucksreichen Gebärdenspiels der
Dem. Müller, wodurch selbst die unwichtigste Rolle, von ihr gegeben,
ungemein gewinnen muß, nicht zu gedenken — der einfach schöne,
zugleich aber das* tie&te Gefühl atm«^nde Vortrag des Liedes im
zweiten Akte die Darstellung mit einem besonderen, seltenen Reize,
welcher allein schon verdient hatte, genossen zu werden, und wie
die ganze Leistung allgemeinen, ausgezeichneten Beifall erwarb.**
Der „Aufmerksame*^ brachte am 23. Juli eiae kurze
Notiz über „Donna Diana", „Präciosa" und »^Hedwig*. Schon
am 19. Juli aber erschien folgende von Gottscheer verfaiite
Ankündigung des vorbereiteten Raupachschen Dramas :
„Den Kunsterscheinungen, in weichen unsere Bühne sich seit
der Anwesenheit der k. k. Hofschauspielerin Mlle. Müller verherrlichet,
wird sich übermorgen, den 24. Juli, die Aufführung von Raupachs
gehaltvollem Trauerspiel : die Fürsten Chawansky, anschließen, wert,
in der Reihe der8elt>en einen Platz einzunehmen und der Aufmerk-
samkeit und Teilnahme des gesammten gebildeten Publikums empfohlen
zu werden. Hr. Rettich, sich vorbehaltend, seine früher vorläufig auf
Grillparzers neues Trauerspiel: „König Ottokars Glück und Knde**öo
gefallene Wahl eines BentfizestOckes einst bei günstiger, der erforder-
lichen szenischen Ausstattung entsprechender Gelegenheit zur Aus-
führung zu bringen, gibt nun zu seinem Benefize das genannte Werjc
Raupachs, zu dessen Vorstellung unser gefeierter Gast aus sch(^ner,
rühmlicher Gefälligkeit für diesen ihren Kunstverwandten ihre Mit-
wirkung zugesagt hat. Wenn aber schon dieses Trauerspiel selbst
durch seinen anerkannten Wert unter den neuern deutschen Dichter-
werken dieser Gattung einen bedeutenden Rang behauptet ; wenn
diesen zugleich das Repertoire des k. k. Hof burRtheaters, auf welchem
es sich fortwährend befindet, hinlänglich verbür^tt ; so knüpfet sich
an die Vorstellung desselben noch ein besonderer Reiz in der sich
darbietenden Gelegenheit, Mlle. Müller in einer ihrem bisher bewunderten
Kunstwirken völlig fremden Sphäre zu erblicken, und das Verdienst
derselben in neuer höherer Glorie strahlen zu sehen. Sie wird Sophi:i
Alexiewna sein ; in Wien von Mad. Schröder gegeben, erscheint dieser
Charakter als eine des s^-ltenen Darstellungstalentes der Mlle. Müller
um so würdigere Aufgabe, als hierin die in den Tiefen des mensch-
lichen Gemütes wohnenden Gewalten in ihrem heftigsten Kampfe zur
Anschauung gebracht werden Die Wahl des Stückes, wie die so
veranstaltete, dem Zuseher einen reichen Genuß verheißende Besetzung
jener bedeutenden Rolle bewähren demnach auf die ehrenvollste Weise
das Kunstgefühl des Herrn Rettich . . ."
14
198 Beitrage zur Geschichte des Grazer Theaters.
20. Juli: „Ich werde glücklich, wenn man dem Glauben
folgen soll, denn heute sah ich eine blühende Aloe. Um halB
10 Uhr gingen wir zu Professor Anker ^^o j^s Johanneum.
Bey dem Garten und Fruchtobstgarten in Wachs aus Wien
ward angefangen ; die Schwämme auch in Wachs, Moose ;
dann natürliche Herbarien, und verschiedene Baumschlag-
gattungen in Bücherformat, mit ihren Blättern, Blüthen, Moosen
und Rinden, nebst Holz darin enthalten. *oi Dann kamen wir
an Ankers Territorium: die Steine von den höchsten Ur-
gebirgen, die höchsten Spitzen der Steine, bis nach und nach
herab, wo schon Wesen sich in diesen gebildet; so sah ich
Stücke durchaus von kleinen Muscheln bestehend, die Stein-
arten bildeten, und bildende Steine sind, woraus hervorgeht,
daß das Wasser erst das Leben brachte; dann finden sich
immer größer werdende Muscheln, dann schon Fische in
weichem Steinarten ganz ausgedrückt, je mehr der Kalkstoff-
Stein zunahm; endlich gelangt man bis hinab in die bildende
Mutter Erde zu den Metallen und Mineralien, die Marmorarten
vorher nicht zu vergessen; besonders an diesen ist Steyermark:
sehr reich; auch eine Alabastergattung besitzt es, doch nicht
an Größe hinreichend; auch schöne Chrisolitarten von zienn-
licher Größe. Anker hat diese Gegenstände mit vieler Umsicht
geordnet, und erinnerte mich an meinen lieben Herder: ,wer
im Studium der Natur nicht das Glück, die Bestimmung des.
Daseyns erkennt, ist wahrhaft zu beklagen.* Neuerdings hat
Anker eine Zusammenstellung der Bergerzeugnisse geordnet ;
nähmlich die Steinarten zum Bauen für Gewölbe, die leichteren
Gattungen von Kalktheilen für Häuser, die festem Steinarten
für Erdgebäude, gleichfalls zu Verschönerungsarbeiten; dann
Marmorarten, eine schöner als die andere ; dann Metalle, und
Thonerden zum Häuserbedarf; alles inländische Erzeugnisse^
erst seit sechs Wochen aufgestellt. ^^^
„Leider war unsere Zeit zu beschränkt, da um 11 Uhr
Probe von den Chawansky war; wir sahen nur noch den
physikalischen Saal,!^^ und aus dessen Fenster im botanischen.
Garten 10^ die Aloe. Die Blüthezeit ist 50 bis 60 Jahre; dann
treibt aus der spitzen Blätter Mitte ein Stamm, der bis zur Höhe
eines Stockwerkes reicht, und oben mehrere kahle Äste hat^
an deren Enden grüne Ballen sich bilden, diese werden nach
ungefähr sechzehn Tagen die schön gefärbte Blüte. Rettich
und Walter waren auch dort; wir gingen zusammen in die
Probe, nachdem wir noch die Lesezimmer der Journale ^^^
besehen hatten; die vorzüglichsten englischen, französischen^
Von Otto Erich Deutsch. 199
italienischen, und alle deutschen, die existieren. Von einer
Erbschaft eines Herrn wird ein neues Gebäude zur
Bibliothek aufgeführt, bald ist es vollendet. *06
„Bey Liebich speisten wir. Nach Tisch um 5 Uhr gingen
wir ins Zeughaus. ^^^ Eine Menge Harnische aus dem dfeyßig-
jährigen Kriege, auch ungrische mit Gelenken durchaus, *°^
Helme, Waffen von seltsamer Art; jeder einzelne Mann hatte
ein Arsenal von Waffen zu tragen, um durch die Eisen-
rüstungen zu dringen; besonders mißfielen mir eine Gattung
eiserner spitzer Hämmer, die beym ersten Hieb gleich tief
durch die Rüstung in den Körper trafen; Lanzen, Spieße,
Partisanen, endlich Schießgewehre, Pistolen in Unzahl. Einige
Rüstungen der Kreuzfahrer und der Herzoge von Steyer ^^^
sind interessant. Vater konnte sich bis 6 Uhr nicht trennen,
die Uebrigen verloren sich früher. Das Zeughaus befindet sich
im ständischen Landhause, was vor zweyhundert Jahren ab-
brannte, und seit dieser Zeit erst wieder neu erbaut ist.^^^^
An diesem Tage wurde im Theater Mozarts „Ent-
führung aus dem Serail** gegeben. Cramolini sang bereits als
engagiertes Mitglied den „Selim", Frl. (Elise?) Schmidt
vom Kärntnertortheater als Gast die ^Constanze".
21. Juli. „Um 10 Uhr Probe von Chawansky.*^»
Rettich : Jury. Ich ward nach dem zweyten Acte gerufen, und
zum Schlüsse. Das Wetter war ungünstig für Rettichs Ein-
nahme, ein starkes Gewitter kam um 5 Uhr, dauerte bis
7 Uhr, und scheuchte die Menschen zurück; jedoch betrug
die halbe Einnahme für Rettich 357 Gulden W. W., also über
700 Gulden. Er bedankte sich zum Schlüsse für die gütige
Teilnahme des Publikums."
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 20. Oktober
1825:
„Dem. Müller spielte die Sophia, und bereitete dadurch dem
Publikum den höchsten Genuß, indem diese Darstellung selbst die
bcwundertsten ihrer bisherigen Leistungen übertraf. Die Idealität,
welche sich in allen Gebilden dieser trefflichen Künstlerin kundgibt,
und wodurch sich selbe so sehr über die Fläche der Gewöhnlichkeit
erheben, erschien ganz als das belebende Prinzip dieser Schöpfung.
Der Charakter der Sophia gewann hier eine Gestaltung, welche ihn
zum Schauspiel im Schauspiele machte, indem seine Darstellung die
gesammten herrlichen Kräfte der seltenen Künstlerin zur Wirksamkeit
hervorrief. Die sonderbare Mischung desselben, die Gefühle, Leiden-
schaften und Verbrechen, welche sich in ihm wechselseitig erzeugen
und verschlingen, die äußeren und inneren Stürme, in welchen seine
Kraft kämpfend untergeht, wurden hier zu Trophäen des glänzendsten
14*
200 BeitrSge zur Geschichte des Grazer Theaters.
Sieges der Kunst über den widerstrebenden Stoflf. Das Geschftft der
Kritik könnte dieser Leistung gegenüber nur eine lobpreisende Schilderung
ihrer vielen und auffallenden Vorzüge sein ; doch diese ist eben als
solche unm6f;lich. Den Erfolg derselben bezeichnen wir — Zweck
und Raum unserer Nachrichten berücksichtigend — gleichfalls kurz :
er war der höchste von dieser seltenen Künstlerin auf unserer Bühne
gefeierter Triumph."
»Der Aufmerksame* vom 30. Juli 1825:
„Mlle, Müller wirkte zu Herrn Rettichs Einnahme in den
Fürsten Chawansky als Regentin mit. Sie betrat dieses Gebiet der
Kunst mit einer solchen Würde und Gediegenheit, daß wir diese
Leistung, obgleich nicht in ihrem Fache, zu den vorzüglichsten zählen
können. Die Hoheit der Re^ntin, die Reizbaikeit des Weibes, der
Schmerz und die höchste Erbitterung getäuschter Liebe und das Gefühl
einer aus Schwäche und Leidenschaft gehäuften Schuld, das waren
Aufgaben, die sie mit solcher Wahrheit in einen Charakter zu ver-
schmelzen wußte, dafi man in selben mehr das Untergeben eines
hoben irregefülH-ten Wesens betrauern, als das Opfer eines strafenden
Geschickes erkennen mußte. Ihr schönes Organ, ihre edle Haltung
und Bewegung gab den Situationen, Stellungen und Szenen eine schöne
poetische und malerische Ausstattung."
22. Juli: „Um 6 Uhr kam Jenger, uns zum Frühstück
bey Pachler auf dem Haller-Schlößchen * ^^ abzuholen ; Vater
hatte einen Wagen bestellt. Der Morgen war wunderschön ;
ich erholte mich bald von der gestrigen Anstrengung in der
heiteren Luft. Nachdem wir im Grünen gefrühstückt, gingen
wir auf den Nußbügel, oder Lustbühl, ^^^ hinter dem Rückerl-
berg. Der Spaziergang war herrlich im Schatten durch den
Wald, die abwechselnden Aussichten herab in die bunten
lebendigen Thäler und auf den Scheckel smd sehr lieblich und
anmutig. Das Gebäude Nußbügel, eine Meierey, befindet
sich auf einer Bergspitze, wo man die schönste Aussicht ge-
nießt; von da gingen wir über den Bergrücken unter einer
Obstbaum- und Rosen-Allee hinauf zu einem allerliebsten
Laubenplätzchen, wo ein frisch grüner Eichenwald die Aus-
sicht nach der Stadtseite beschränkt, und nur den Schloßberg
sichtbar läßt, dagegen man sich süd- und nordwärts der
schönsten Aussicht erfreut. Der Heimweg durch den Tannen-
und Fichtenwald ist bey des Tages Schwüle sehr gut. —
Rettich kam später, sagte, er sey bey mir gewesen, Barbe***
habe ihm erzählt, Gräfinn Saurau**^ habe geschickt, mich und
Vater auf heute Abend um 6 Uhr zum Thee einzuladen.
Pachler ließ meine Musik holen. Es kam starker Regen.
AppeP** und Pachler Doctor, Rettich und Bahn speisten zu
Mittag dort. Die Pachler ist recht lieb, wenn man sie näher
kennt ; wir sprachen lange am Fenster ; sie scheint Gemüth
Von Otto Erich Deutsch. 201
ZU haben. Endlich schlug die Thurmuhr im Dorfe eilf; wir
nahmen etwas Suppe, und brachen aut Es war recht finster.
Pachlers begleiteten uns bis zum Hohlwege."
Am Abend dieses Tages sang Frl. Beisteiner bereits als
engagiertes Mitglied die „Rosine'* im „Barbier von Sevilla".
23. Juli: „Spaß über Spaß! Als Vater von Barbe
gestern die Saurau sehe Einladung erfragte, sagte er gleich,
morgen müssen wir hingehen, uns entschuldigen. Heute trieb
er mich den ganzen Morgen zum Ankleiden; ich entschloß
mich erst spät dazu. Vater hatte keine Ruhe, ward heftig;
um ihn zu beruhigen, schlug ich eine Visite bey Leiningen
vor, aber er fürchtete zu verstoßen, und bestand darauf, gleich
zu Saurau zu gehen. Pachler kam dazu, gab ihm recht. Nach-
dem ich demselben zwey Blätter für mein Stammbuch gegeben,
für ihn und seine Frau, schleifte mich Vater fort. Zum Glücke
sahen wir noch einen Wagen auf dem Platze, der war schnell
erlaufen, eingesetzt und hinausgefahren. Die halbe Liebich
Tischgesellschaft kam aus der Probe, begegnete uns; Vater
gab die Ansichten von Steyermark,*!'' die ich bey Tisch dem
Weigl**® zu zeigen versprach, und darum mitnahm, heraus
dem Kinsky, und sagte, wir fahren nur zur Gräfinn Saurau eine
Visite zu machen, und kommen gleich zurück. Aber wie er-
staunt war er, als ihm die alte Gräfinn Saurau sagte, sie wisse
von nichts, habe nie Gesellschaft, gehe gar nicht ins Theater.
Vater sagte, es sey noch ein Schnitt vom letzten Kleide der
Chawansky begehrt worden ; und was sollte die alte Frau
damit thun ? Ich konnte nur mit Mühe das Lachen ver-
beißen. Was muß die gute alte Dame denken, daß wir so
plötzlich ihr über den Hals kommen? Ich hoffe, Vater wird
in Zukunft mäßiger seyn mit Visiten; — doch wette ich,
Pachler, der Schelm! hat die ganze Pastete verfertigt. Bey
Liebich speisten wir, sie fragte mich, ob wir die Saurau ge-
troffen; ich antwortete ihr, ja, sie sey eine charmante Frau.
Jetzt ist Vater nicht mehr Zeremonienmeister, sondern Pachler,
der ühs' die Einladung sicher heimlich machtei
„Nach Tische gingen wir zu Leiningen; Vater erzählte
die Geschichte, und wir lachten abermals herzlich darüber,
mir Vater nicht. Mit Leiningen fuhren wir ins Theater."
Das Theater brachte an diesem Sainstag die große
romantische Oper in drei Akten „Die Jugend Peter des
Großen" zur ersten Aufführung, „frey nach Bouilli von Herrn
Treitschke, k. k. Hofopem-Dichter und Regisseur, Musik
202 Beitrage zur Geschichte des Grazer Theaters.
von Herrn Josef We i g 1, k. k. Hofopern-Direktor und erster
Kapellmeister der k. k. Hoftheater, unter dessen persönlichen
Leitung und in die Scene gesetzt von dem Herrn Verfasser.
Ihrer Majestät der Kaiserinn aller ReuSen gewidmet von den
beyden Verfassern."
Die beiden Souvenirs, die sich Sophie Müller von dem
Ehepaar Pachler für ihr Stammbuch erbat, sind uns erhalten.
Das reichhaltige Album der Künstlerin wurde mir von der
kgl. Bibliothek in Berlin zur Verfügung gestellt. Die erste der
beiden Eintragungen hat bereits Schmidkunz in seinem
Aufsatze über das Stammbuch a. a. O. veröffentlicht; ^^'^ die
zweite ist bisher unbekannt.
„An Sophie Müller — auch k. k. Hofschauspielerin
in Wien.
Füllen Sie den ganzen Raum aus, und noch ist nicht
Alles darinn, was denkt und empfindet über Sie und für Sie.
Carl Pachler
Dr. Advokat, u. dgl.«
„An Sophie Müller.
Groß in der Kunst — rein und lieblich im Leben —
erfreuest Du Geist, Gemüth und Auge zugleich.
Glücklich bist Du darum — mag auch Dein Herz es venieinen,
glücklich vor Vielen bist Du, ja, vor Allen vielleicht.
Doch nur wir, die dies schauen, empfinden und fassen,
wir nur sind die Beglückten ! Und - mit Stolz Sprech' ichs aus -
ja, im engeren Kreise der Beglücktesten stehend,
wirst Du mich nicht übersehen — und manch Mahl meiner
gedenken.
Grätz am 26. Julius 1825.
Marie L. Pachler-Koschack."
24. Juli: „Präciosa wiederholt. Das anhaltende Regen-
wetter heute füllte das Theater ungewöhnlich, dafür mußten
wir auch eine kaum zu ertragende Hitze dulden. Die, Musik
ging weit schlechter als das erste Mal, und das Accompagne-
ment des Liedes auf dem Theater war mehr als schlecht. Ich
ward drey Mal gerufen; zum Schlüsse sagte ich: ,Ihre Güte
und Nachsicht ist größer, ,als ich Ihnen zu danken vermag.*
Hey so überfüUtem Hause ist es sehr schwer hier zu sprechen."
„Allgemeine T h e a t e r z e i t u n g*' vom 20. Ok-
tober 1825 (Fortsetzung):
Von Otto Erich Deutsch. 208
„Wiederholte Erscheinung der Dem. Müller in der Titelrolle
bey OberfÜlltem Hause und wiederholter glänzender Erfolg derselben."
Am 25. Juli wurde Weigls Oper mit derselben Inszenie-
rung wiederholt. Das Tagebuch schweigt an diesem Tage.
26. Juli: „Um 10 Uhr Probe vom Turnier zu Kron-
stein. 120 welches heute zum Namensfeste aller Annen mit
großem Beyfalle gegeben wurde. Um halb 6 Uhr gingen die
Menschen Schaarenweise zurück, welche keinen Platz mehr
finden konnten. Das Stück ging gut, Garderobe war anständig,
Anordnung gut. Nach dem dritten Acte ward ich gerufen.
Am Schlüsse: ,Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank für
Ihre gütige Aufmunterung, und seyn Sie überzeugt, nie werde
ich die freundliche Theilnahme vergessen, womit Sie meine
Darstellungen würdigten.*"
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 20. Ok-
tober 1825 (Fortsetzung):
„Dem. Müller als Elsbeth. Zwar gleichfalls eine dankbare
Rolle, jedoch von geringem inneren Wert ; aber was jQngst aus Anlaß
dieser Erscheinung unseres ausgezeichneten Gastes als Hedwig von
der Veredlung solcher in die Hand des Meisters gegebenen Stoffe
gesagt ward, gilt auch von dem Charakter der Elsbeth. Dieser bietet
übrigens einem eminenten Talente auch manche Gelegenheit, sich auf
das {glänzendste zu entfalten, was besonders in den Szenen der Braut-
schau im dritten Akte der Fall ist. Diese ward, wie solches das
reiche Talent und der gebildete Geist dieser Künstlerin erwarten
lieBen, eine vorzüglich anziehende Partie der Darstellung ; erschienen
auch an den Wandelbildem, in welche hier Elsbeths Charakter vor
ihren Freiem sich kleidet, in der Farbengebung einzelne vielleicht zu
helle reveillons, so konnte dies die Bewunderung der schönen Freiheit,
mit welcher hier Melpomenens gefeierte Priesterin im Gebiete der
heiteren Muse sich bewegte, im geringsten nicht schmälern. So ward
selbst diese Darstellung ein Triumph für die treffliche Künstlerin,
indem diese nicht nur während derselben mit Beifall überhäuft, sondern
auch in mehreren Zwischenakten gerufen wurde."
„Der Aufmerksame" vom 30. Juli 1825 (Fort-
setzung) :
^Im Turnier zu Kronstein zeigte sie als Gräfin Elsbeth ganz
jene Überlegenheit durch Liebreiz, Adel und Geist, womit sie den
Augenblick beherrschte, die Motive gängelte und ihre Treue für ein
Gefühl und ein Wesen ihrer Neigung standhaft bewährte. In ihren
Charakterproben vor den ungelegenen Freiern vermied sie die Klippe
. der meisten Schauspielerinnen, die Einfalt auf Kosten der Grazie
darzustellen. Das Publikum, das ihr jedesmaliges Auftreten so zahlreich
herbeiführt, überschüttete sie mit Beifallsbezeigungen."
27. Juli: „Nach der Probe fuhren wir ins liebe Thal
nach Maria TrQst;^2t Jer schöne W«g dahin, die abwech-
204 Beiträge zor Geschichte des Grazer Theaters.
selnde lachende Natur, die eiMelnen Baumgruppen und üp-
pigen Felder, das ins Unendliche gehende verschiedene Grün,
die Birken- und Fichtengehölze auf den Bergrücken, endlich
die von der Höhe aus den grünen Aestcn emporragende, hohe
Kirche der trostreichen Madonna, muß jedes Gemüth ergreifen,
und erst, wenn man den Felsen erklimmt, und in die Marmor-
halle tritt, die mit meiner Jesuitenkirche in Mannheim ^^^ jj^
der ganzen Bauart so viel Aehnlichkeit hat, die Kuppel, die
Altäre, alles in gleichem Style gebaut, das schöne Madonnen-
bild am Hochaltare, ^23 und, tritt man aus dem Gotteshause,
die Aussicht in Gottes großen Tempel der Natur, die Thäler
von vier verschiedenen Seiten so sehr verschieden von ein-
ander und doch in so schönem Einklänge, hinter der Kirche
der friedliche Kirchhof auf dem Felsen, der den Müden sanft
zur Ruhe ladet. Maria Trost ist mir dahin, meine Marie^^^
schläft unter dem Grase. Ihr milder Trost erhebt mich nicht
mehr! Ruhe sanft, du liebe, treue Mutter! dein theures sanftes
Bild lebt ewig in deinem armen treuen Kinde fort. — Gerne
wäre ich hinaufgestiegen ins friedliche Gotteshaus, doch die
Zeit drängte.*25 Vater ließ den Wagen umkehren, um vor
2 Uhr zu Liebich zu kommen ; wer weiß, ob ich das schöne
Thal jemals wieder sehe. Zur Liebich kamen wir um 2 Uhr.
Die Schweizerfamilie; ^26 seit vier Jahren hörte ich die liebe
Musik nicht mehr, wie verschieden hörte ich sie jetzt, als
sonst, da mein Mütterchen noch die Gertrude sang, Milder ^2 7
die Emeline, mein guter SeppeH^s (j^^ Jakob."
28. Juli: „Um 10 Uhr Probe von Romeo und Julie. i^^
Ungeheuer volles Haus, dabey aufmerksam; die Gartenscene
ward mit Jubel, die im vierten Acte mit Enthusiasmus auf-
genommen; ich ward darnach gerufen, und ein Regen von
Gedichten flog aufs Theater; zum Schlüsse gleichfalls ein
Regen von Gedichten und Sonnetten ; ich dankte : ,Ich fühle
es tief und mit gerührtem Herzen, was Ihre Huld mir war;
ewig treu bewahrt dieß mein Sinn. Wohl schwindet die Kunst
des Mimen, doch nie die Dankbarkeit; sie geleitet mich zur
Ferne, und eriniiert freudig mich ans theure Steyermark. Doch
vollkommen wäre mein Glück, würde ich auch hier bey Ihnen
nicht ganz vergessen seyn/ — Als ich abgegangen war, und
für Morgen auf vieles Verlangen, die Gabriele von Rettich
annoncirt wurde, rief man mich mit stürmischem Beyfalle noch
ein Mal heraus. — Liebich hatte mich heut Morgens auf der
Probe um die Gabriele gebeten, und unter <lem Stücke sagte
sie: ich möchte morgen den dritten Theil der Einnahme von
Von Otto Erich Deutsch. 205
ihr anzunehmen nicht verschmähen ; ich willigte durchaus nicht
darein; so ließ sie zur Kasse sagen, daß man die Unkosten
für heute mir nicht anrechne. Ich nahm also rein ein: 1023
Gulden 40 Kreuzer, dann Ueberzahlung 103 Gulden 5 Kreuzer,
und vor dem Theater schickte mir der Gouverneur in einem
Blumenstrauße 8 Ducaten; also belief sich die Einnahme auf
1221 Gulden 45 Kreuzer. Ich bin mit den vollen Häusern
und der Aufnahme meiner guten Grätzer vollkommen zu-
frieden. Vater war an der Kasse von 5 Uhr an, doch um
halb 4 Uhr standen schon an dreyhundert Menschen vor der
Theaterthüre. Vater speiste bey Liebich, ich zu Hause. Die
freundliche Schwalbe heute, die in meinem Zimmer die Nacht
auf dem Fenster schlief, hat mir das Glück verkündigt: ein
froher Tag!**
„Allgemeine Theaterzeitung" vom 20. Ok-
tober 1825 (Schluß):
„Seit Jahren nicht auf der Grätzer Bühne zur Vorstellung
gebracht, würde diese Tragödie der Liebe in ihrer Wiedererscheinung
selbst unter anderen Verhältnissen die Teilnahme des Publikums in
einem mehr als gewöhnlichen Grade angeregt haben; die Erscheinung
der Dem. Müller in der ebenso schönen als schweren Rolle der
Julia, die Nähe ihres Scheidens, die Gelegenheit, der Künstlerin in
dem der Benefiziantin schuldigen Tribut die Anerkennung ihres seltenen
Verdienstes auszudrücken, steigerte selbe auf den höchsten. Schon
eine geraume Zeit vor Anfang der Vorstellung hatte sich das Haus
zum Erdrücken gefüllt ; Alles war herausgeeilt, den Liebling noch
einmal zu sehen. In der Tat müßte dieser Enthusiasmus beige-
tragen haben. Dem. Müller zu dem herrlichen Spiele zu begeistern
mittelst welches sie den Charakter der Julia in seinem ganzen süd
liehen Schmelz zur Anschauung brachte, zeigte sich nicht in jedei
ihrer Darstellung derselbe allbeseelende Kunsteifer, — wäre es nicht
eben diese südliche Glut, welche sie den Affekt der Liebe in allen
seinen poetischen Blüten so warm und lebendig darstellen läßt, —
und wüßten wir endlich nicht, daß Shakespeares einzige Julia eine
der vorzüglichsten Leistungen dieser Künstlerin ist. Der ganze Charakter
wurde mit hoher psychologischer Wahrheit ausgeführt; die Szene auf
der Terrasse übertraf alles in dieser Art Gesehene, jene mit Lorenzo,
wo Julia von ihm den Schlaftrank empfängt, war das herrlichste
Phantasiestück der mimischen Kunst. So sollte — hoffentlich nur
für dieses Jahr — Dem. Müller zum letzten Mahle das Entzücken
des Publikums sein ; der mächtige Beifallssturm, welcher sich häufig
während der Vorstellung erhob und sich zugleich in mehrmaligem
Hervorrufen der Künstlerin äußerte, konnte durch das bange Gefühl
des nahen Scheidens nur einen höheren Impuls erhalten haben. Diese
allgemeine Stimmung ward auch in zwei hier folgenden Gedichten
(von zwei verschiedenen Verfassern) ausgesprochen, wovon das I.
bereits nach dem vierten, das II. aber nach dem fünften Akte in dem
Augenblick, wo die Scheidende dem Publikum tiefgerührt Lebewohl
sägte, über Parterre und Bühne hingestreut ward:i»o
206 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
I.
Bey der Abreise
der
Mademoiselle Müller,
k. k. Hofschauspielerinn.
Im Jahre 1825.
Vom Arm' des Lenzes hold umschlungen»
Lacht freundlich die Natur und milde,
Und ihrem hehren Zauberbilde
Strömt Lobgesang von tausend Zungen.
Und ist das FrOhlingslied verklungen.
Und braus't mit hartem Eisesschilde
Der Winter durch das Schneegefilde,
Wird sie gefeyert und besungen.
So wird, wer Deine Kunst erblicket,
Von ihrem Zauber süß berücket,
Mit hoher Himmelslust entzücket.
Mag Jubel Deiner Lipp' entschweben.
Mag Liebeslust den Blick beleben,
Mag Leidessturm die Brust Dir heben.
IL
Des Scheidens Augenblick.
Am Schlüsse der letzten Gastdarstellung der k. k. Hofsehauspielerin
Sophie Müller.
Der Vorhang sinkt ! So sinkt der Wolkenschleyer,
Der abendlich die Sonne uns verhüllt ;
Ob wieder er entschwebe — ach, es füllt
Das Aug* nicht mehr des Lichtes Lust und Feyer !
Denn Sie, die Glänzende ! Sie ist entschwunden.
Die einen hellen hohen Tag gebracht,
Im nassen Blick, entfloh'nen süßen Stunden
Geweiht, stirbt ihres letzten Strahles Pracht ! —
Der weiche Scheidegruß, er ist gespendet !
Doch Eins verheißt dem bangen Herzen Ruh :
Denn still bewegt von Sehnsucht — Hoffen — wendet
Sich jedes Haupt dem dunklen Osten zu !
Doch eine frohe Überraschung erwartete die vielbewegten
Gemüter; nach einer Pause flog der Vorhang wieder empor; Hr. Rettich,
von dem gerechten Publikum in Anerkennung seiner verdienstlichen,
Von Otto Erich Deutsch. 207
auf fleißiges Studium gegrtindeten Darstellung als Romeo gerufen,
erschien, um sogleich anzukündigen, daß Dem. Müller auf vieles
Verlangen den folgenden Tag noch ein Mal als Gahriele auftreten
werde, in dessen Folge sich ein allgemeiner Jubel erhob, und man
selbe sogleich wieder lärmend hervorrief. So wurde denn am 29.
„Gabriele** als Schluß des Gastspieles gegeben und ihre treffliche
Darstellung von den lebhaftesten Beifallsbezeugungen und dem unge-
teilten Wunsche begleitet, den Genuß ihres ausgezeichneten Talentes
bald wieder erneuert zu sehen,"
29. Juli: „Gabriele 131 bey vollem Hause; schöne Auf-
nahme, hervorgerufen bey jedem Acte, zum Schlüsse sagte
ich nichts. Um 12 Uhr*^* gingen wir zu Leiningen; sie waren
sehr freundlich, daß wir noch kamen ; dankten für die gestrige
Vorstellung, und trugen an Wilhelmi und Kettel Grüße auf.^^^
Sie schickten uns drey Flaschen Rheinwein auf die Reise, Lie-
bich fanden wir in unserer Wohnung. Sie bat mich wieder-
holt, nach Preßburg zu kommen, zu der Krönung am 11. Sep-
tember. ^^^ Sie hatte mir ein Nadelpolster von ihrer Toilette
gebracht, was sie vor einigen Tagen erst geschenkt bekam.
Um halb 4 Uhr kam der Separatwagen. Um 4 Uhr stiegen
wir ein, und kehrten der Stadt den Rücken; wer weiß, ob
ich sie jemals wiedersehe! St. Gotthardt mit seinem freund-
lichen Gartenhause auf dem Felsen, die Weinzierlbrücke, Gösting,
Straßengel, Feistritz flogen zum letzten Male mit angenehmen
Erinnerungen an uns vorüber; endlich kamen wir zur ersten
Station Peckau; es war erdrückend warm; oberhalb Peckau,
bey Frauenleiten, *^5 g^ht rechts der Weg nach der bekannten
Teigalpe, die neulich Gouverneurs besuchten. Erst als wir in
die Felsenwände, den eigentlichen Paß von Steyermark, kamen,
wurde es kühler, da die Sonnenstrahlen nicht mehr in diese
Schluchten reichten, und die wilde Mur uns Kühlung zu-
rauschte. Zweite Station, Rötheistein, 1 V^ Post. Der herrlichste
Abend auf diese Tagesschwüle. Nahe vor Brück stieg der
Mond hinter den Alpen hervor in seinem ganzen Silberglanze,
schöner, als er mir je geschienen, denn das Verschwinden des-
selben hinter den hohen Bergen, die plötzliche Nacht, und
dann wieder sein Hereinschauen in die engen Thalschluchten
beym Wenden der Landstraße machte mir ihn doppelt werth;
wunderbar war die Gegend vor Brück erleuchtet, und die rau-
schende Mur gab dreyßig Mal des Mondes Bild zurück, als
unser Wagen über die Brücke vor der Stadt rollte. Es war
1 1 Uhr, als wir an der Post hielten. Dritte Station. Der ganze
Hauptplatz schallte von Nachtmusik des Militärs wieder, welche
gewiß : dem morgenden Ignatius zu Ehren gebracht wurde.
206 Beitrage zur Geschichte des Grazer Theaters.
Die Stadt hat für mich etwas Angenehmes, ihre Lage und
antike Bauart, mit der altergrauen Burg hoch Ober deren
Haupt auf dem sogenannten SchloÄberg. Wir nahmen ein
kleines Nachtmahl, und hatten das Unglück, eine Rheinwein -
flasche sammt ihrem köstlichen hihalte einzubüßen; der gute
Rebensaft erfüllte die Luft, und ward gierig von der Erde
eingesogen. Eine Strecke von Brück ward es ziemlich kalt;
Vater und Barbe wiegte Morpheus sanft ein, sie schnarchten
bald ein Duett durch alle Tonarten, und nickten gravitätisch
mit dem Haupte den Tact dazu. Ich konnte mich zum Schlafen
nicht entschließen, der Abend war zu schön, und die Gegend
nahm sich bey der Beleuchtung so verschieden aus, und hatte
einen so eigenen Reitz, daß ich vor Freude darüber nicht
schlummern mochte. Vierte Station, Mürzhofen. Da machte
mir Vater einen Strich durch meine Extasen ; er ließ die Leder
auf beyden Seiten schließen, weil die Kälte immer mehr zu-
nahm. Nun saß ich im eigentlichen Sinne des Wortes in der
ledernen Nacht, und so währte es nicht lange, als ich ver-
muthlich ein Terzett schnarchte und nickte, denn erst in
Krieglach, der fünften Station, ward ich durch des Postillons
heisere Stimme ins Leben gerufen; da schlug es 2 Uhr im
Posthause. Die Nähe des Semmering verbreitete vor Mürz-
zuschlag eine feuchte neblichte Frostkälte. Ich hüllte mich in
meinen Mantel, und träumte süß. Als wir die sechste Station,
MOrzzuschlag, erreichten, war Nacht und Tag schon im hef-
tigen Streite, Ans Schlafen war nicht mehr zu denken, da
wir meinem lieben Semmering uns näherten. • Nur dann und
wann öffnete ich die Leder und ergötzte mich am Morgen-
roth, das den prangenden Mond endlich bleichte. Der Morgen-
thau perlte auf den grünen Matten, als wir den Semmering
erreichten. Nun wußte ich, woher die Kälte kam, denn drüben
auf den Alpen glänzte der Schnee und hüllte ihre Häupter
in ein reines Negligee. Ein göttlicher Morgen. Kaum hatte ich
dem Steyrerland in Gedanken Lebewohl gesagt, als ich bald
Schottwien tief unten im Thale an den Ruinen der alten
Felsenburg *3^ erkannte. Um halb 6 Uhr kamen wir an der Post
dort an. Ich ließ mir ein Zimmer geben, mich zu waschen
und Wäsche zu wechseln ; als ich zum Frühstück herab in
die Gaststube kam, saß Stöger beym Vater am Tisch. Er kam
mit dem Wiener Eil wagen eben an, um nach Grätz zu reisen.
In Schottwien wird gefrühstückt beym Wiener Eilwagen, so
konnten wir eine Zeit lang plaudern. Stöger sagte, ich müsse
nach Preßburg kommen, zur Krönung ihm spielen ; das Theater
Voji Otto Erich Deutsch. 209
ist schon fertig. Ich erzählte ihm den Erfolg der Opern, meines
Benefices, etc. Endlich ward er zur Abfahrt gerufen; in acht
Tagen ist er wieder in Wien, und will uns besuchen. Um
9 Uhr erreichten wir die achte Station, Neunkirchen. Dort
hat die schöne Gegend ein Elnde. Neunte Station, Wiener
Neustadt; ein unerträglicher Staub, und Hitze. Zehnte Sta-
tion, Günselsdorf, um 12 Uhr. Eilfte Station, Neudorf; der
Staub nahm so zu, daß wir keine Gegenstände unterscheiden
konnten, und in ewiger Wolke fuhren; dieß ward mir die
längste und unangenehmste Station. Endlich hatten wir die
Spienerinn am Kreuze erreicht, und unser liebes Wien breitete
sich vor uns aus. Um halb 4 Uhr hielt der Wagen vor dem
Hause. Alles fanden wir in der schönsten Ordnung und ge-
reinigt." —
^Der Aufmerksame-* brachte über das Gastspiel Sophie
Müllers kein Referat mehr; auch die „Wiener Zeitschrift" er-
wähnte die Gastreise des Jahres 1825 nicht weiter. Ich habe
besonders die Rezensionen der „Allgemeinen Theaterzeitung'*
so ausführlich zitiert, weil sie auch ein gutes Abbild der da-
maligen Kritik geben: sehr blumenreich, nicht immer im besten
Deutsch, aber ehrlich und gründlich.
Außer den oben abgedruckten Gedichten sind noch fol-
gende drei durch das zweite Grazer Gastspiel der Sophie Müller
angeregt worden. Das erste erschien anonym, ^3' die beiden
letzten sind von Karl Gottfried von Leitner:^^®
„Gefühle wahrer Verehrung und Freundschaft
für die k. k. Hof-Schauspielerinn Sophie Müller.
<Diefi Gedicht vrurde von mehreren Kunstfreunden am 27. Juli i625, bei der letzten
Gaatdarstellung dieser Künstlerin auf dem st. Theater zu Grätz, Tertheilt.)
Und wieder scheidest Du aus unsern Mauern,
Und wieder fühlen wir der Trennung Schmerz,
Und wieder füllt mit wehmutvollen Schauem
Der Freunde Seele sich, der Freunde Herz.
Es ward die Thräne, die Dein Künstlerwalten
In unser Aug' gelocket, Seligkeit !
So möge sie auch, wechselnd, sich gestalten
Zur schönen Quelle der Unsterblichkeit !
In unsern Herzen wird Dein Name leben —
Und kehrst Du wieder freundlich einst und mild.
Sieht froh das Auge neu vorüberschweben
Ein unvergessen wohlbewahrtes Bild ! — "
210 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
Blumen der Erinnerung an Sophie Müller.
Als Zaarewna Sophia in Raupachs «Fürsten Chawansky.
Dort! — wer erkennt Sophien in Sophien?
Der eigenen Purpurschleppe, die wie Wogen
Des Blutes rauschend ihr kommt nachgezogen,
Will die Unselige im tollen Wahn entfliehen.
Gemordet hat sie, hu ! — wie groß die Augen glühen !
Entsetzlich ist sie; doch, wie sie, betrogen
Von eitlem Glanz, auch grauser Wuth gepflogen,
Nicht unser Mitleid kann sie sich entziehen.
Und nun, ob ihr das Schwert der Rache strahlet.
Seht! — wie sie knieend, bleich, mit frommem Schweigen
Des Streiches harrt in demuthvollem Neigen.
O eilet, eilt, ihr hohen Meister ! mahiet
Dieß Wunderbild, und haut's in ew'ge Steine ;
So hehre Sünderinn saht ihr noch keine.
Als Julia Capulet in Shakespeares ,Romeo und Julia* bey ihrer letzten
Gastdarstellung in Grats.
Was zankest Du, von zarter Scham geröthet.
Mit Deinem Romeo, ob Nachtigallen-
Ob Lerchenlieder durch die Haine wallen ?
Du selbst bist es, die also lieblich flötet.
Doch ach ! ihr Liebes wonnen, was ihr bötet
Des Süßesten, es flieht. — Von Leichenhallen
Spricht Julie nun mit grauenhaftem Lallen.
Sie selbst ein Nachtgespenst, deß' Anblick tödtet.
In Grüften will sie des Geliebten harren.
Sie trinkt — und still durchfließt ein eis'ger Schauer
Wie sie, auch uns, und wir, wie sie, erstarren.
Nun rauscht der Vorhang, wie ein Sargtuch, nieder.
Mit Wehmuth sehen wir 's und stummer Trauer ;
Ach ! uns're Julia erwacht nicht wieder.
C. G. V. Leitner.«
Noch einmal erwähnt das Tagebuch Sophie Müllers des
Grazer Gastspiels, das wieder 11 Vorstellungen umfaßt hatte.
Am 1. August 1825, einen Tag nach ihrer Ankunft in Wien,
notiert sie über ihr erstes Wiedererscheinen im Burgtheater :
„Die ganze Direction war auf dem Theater. Treitschke hatte
schon erzählt von Grätz."
Von Otto Erich Deutsch. 211
Am 16. August 1825 erkrankte Sophie Müller an einer
Gehirnhautentzündung. Erst Mitte Oktober konnte sie wieder
im Burgtheater auftreten. Aber seit dieser Krankheit verfolgten
häufiger als bisher Todesgedanken die schöne junge Künst-
lerin, deren zahllose Anbeter sich immer noch vermehrten.
Aus dem Jahre 1826 ist in der Handschriften-Sammlung
der k. k. Hofbibliothek ein Tagebuch der Müller vorhanden,
von dem Mailäth nur ein kleines, auf Kaiser Franzens
Erkrankung bezügliches Stück veröffentlicht hat. Die kurzen
Notizen dieses Jahres sind in ein Exemplar des „Neuesten
Schreibkalenders auf das gemeine Jahr von
365 Tagen 1826" eingetragen, „Grätz gedruckt und im Ver-
lage bei Johann Andreas Kienreich, — Gebunden und ge-
stämpelt 2 fl. W.W." Sophie Müller hat diesen Kalender ver-
mutlich in Graz von Kienreich zum Geschenk bekommen.
Einige auf Graz bezügliche, bisher unveröffentlichte Eintragungen
seien hier mitgeteilt:
16. Jänner: „Jenger kam mittags und erzählte Anektode.
Graf Adems*"^^ u. die Landstände tanzen in der Uniform,
Stöger pfeift dazu, Pachler hält die Noten."
19. Februar: „Hüttenbrenner... brachte Kollmanns ^^^
Dante eine Dramamanuscript, in 3 Akten."
11. März: „Jenger kam mittags kündete Grätzer
4 Schinken an zu 30 kr."
17. März: „Jenger 4 Schinken bezahlt — 4 fl. 24 kr."
21. März: „Münich^^^ aus Graetz kommen, 16 Paar
Schuhe geschenkt, geht nach Brunn".
22. März: „Rettich und Pusch mittags kommen aus
Graetz über Preßburg hierher".
3. April: „Jenger kommen, Mittwoch ^^^ geht er nach
Graetz."
13. April: „Adelma. 5'mal, ziemlich voll. Vogl*^^
fliegt hoch! Kramolini, Preisinger durch ganzen Stöger.'*
3. Juni. „Stöger Presburg Brief v. 2*- Juny."
8. Juni: „Stöger, Reinhofer*^^ da, Graetz Gastrollen,
Nein."
13. September: „Kienreichs, Jenger, Gretel da gespeist."
19. Dezember: „ Marie Oper am Kärntnerthor gesehen
2* Mal sehr leer. Gries aus Graetz spielte die Marie."
Die beiden Brüder Anselm und Josef Hü ttenbrenner
kommen wiederholt in diesem Tagebuch vor, das ich auszugs-
weise veröffentlichen werde.
212 BeitrSge zur Geactiichte des Grazer Theaters.
Durdi einen ganz uowahrsdieinlichen Zufall fand ich
vor kurzem in der reichen Autographeosanunlwig des ver-
storbenen Dichters Hermann Rolle tt (Baden bd Wien) den
am 3. Juni verzeidineten Brief Stö^er& Das Billett ist ohoe
Adresse und war bisher unter den namenlosen Autographen
eingereiht, da Rollett« der selbst eine kleine Sammlung von
Briefen an und von Sophie Müller besaß, den Namen der
Adressatin nicht ahnte und den des Adressanten vermutlich
gar nicht kannte:
^Sehr geehrtes Fräulein!
kh giaid>e mit Zuversicht auch auf Ihr diesjähriges Ein-
treffen in Grätz während des Ferial-Monathes rechnen zu dOrfen,
und erbitte nair hierüber Ihre gütige Äußerung, welche da
ich Ihre dießfällig beziehenden Angelegenheiten geordnet glaube,
nicht anders als entsprechend ausfallt! kann.
Nebst vielen Elmpfehl ungen an Ihren schätzbaren Herrn Vater.
Mein sehr verehrtes Fräulein
Ihr stets bereitwillig ergebener
Presburg am 2. Juny 1826. Stöger."
Aus den Briefen des Johann Baptist Jengers an Marie
Ledpoldine Pachler, deren Kenntnis ich der Güte des Frl. Ida
Khünl (Wien — Graz) verdanke, seien hier noch einige Stellen
angeführt, die von Sophie Müller erzählen.
22. Februar 1826: „Von Fräul. Sophie Müller —
welcher ich öfter schöne Lieder accompagniere — den herz-
lichsten Dank für die gütige Erinnerung an sie, so wie von
ihr und ihrem Vater die innigsten Grüße an Sie gnädige Frau
und Alle Bekannten. Wir sprechen sehr viel von Grätz, be-
sonders vom Hallerschlößl und Lustpichel ."
5. Mai 1827: „Fräulein Sophie Müller, welche im Beet-
hovenschen Concert ganz entzüdct war, laßt Ihnen und dem
lustigen Doktor recht viel Schönes sagen. Sie reist mit Anfaa^
Juny nach Berlin."
19. Mai 1827: „Von Fräul. Sophie Müller und ihrem
Vater soll ich wieder Alles erdenkliche Schöne an Sie Alle
entrichten, mit dem Bemerken, daß sie Hoffnung haben, im
nächsten Jahre Sie Alle wieder zu sehen."
16. Juni 1827: „Fräul. Sophie Müller, welche sich Ihnen
imd Ihr^n Angehörigen recht herzlich empfiehlt, ist heute früh
8 Uhr nach Leipzig und Berlin abgereist, imd körnt bis
10 August wieder zurück."
27. September 1827: „Uibrigens soll ich Ihnen Allen von
der Fräul. Sophie Müller und ihrem Vater . . . viel viel Herz-
liches und Schönes entrichten."
Von Otto Erich Deutsch. 213
26. Oktober 1827: „An Ihre Lieblingin Sophie Müller
und Vater werde ich heute Abend Ihre Grüße entrichten.
Wir haben bei ihr eine kleine musikalische Soiree ..."
29 Jänner 1828: „Sophie Müller — welche Ihnen
so wie ihr Vater recht viel Schönes sagen läßt — wird an
jenem Abend [Soiree bei Hofrat Raphael G. Kiese wetter
V. Weissenbrunn] auch etwas singen. Wir sprechen sehr viel
von Ihnen, DSL Karl und Faust, auch vom verstorb. D a u fl,
welchen Freund Pachler aufm Ruckerlberg produzierte, was
die Müllerschen nie vergessen."
26. April 1 828 : „Von Sophie Müller und ihrem Vater
viel viel Schönes.**
6. September 1828: „Sophie Müller und ihr Vater
lassen Ihnen und dem Freunde Pachler alles erdenkliche
Herzliche und Schöne sagen."
30. Dezember 1829: „Sophie Müller welche für die
gütige Erinnerung Ihnen herzh'chen Dank sagen läßt, geht
ihrer vollkommenen Genesung täglich mehr entgegen; doch
vor Ostern ist an ihr Erscheinen auf der Bühne gar nicht zu
denken; und wenn es sich mit ihren Gesundheitsumständen
bis im Frühjahr verträgt, so machen wir vielleicht die Reise
ins Vaterland zusammen."
Alle diese Hoffnungen waren eitel . . . Die Geschichte
der letzten Lebensjahre Sophie Müllers sei hier noch skizziert.
Im Sommer 1826 gastierte die Künstlerin, die, wie
erwähnt, Stögers Einladung für dieses Jahr abgelehnt hatte,
in Prag und in Dresden; 1827 in Leipzig, Berlin und Pots-
dam, 1828 endlich in München und in Berlin, überall mit
steigendem Erfolge. Auch Tieck, Fouque, Aug. Wilhelm
v, Schlegel, Pius Alex. Wolf, Holtei und Raupach
zählten jetzt zu ihren treuen Verehrern.
Für den Sommer 1829 hatte Sophie Müller noch ein
Gastspiel in Hamburg geplant. Aber im Frühling dieses Jahres
erkrankte die Künstlerin, die ihre Gesundheit arg vernach-
lässigte, an einem schweren Lungenleiden.
Es sei in diesem Zusammenhang einmal erwähnt, daß
der ausführliche Bericht Helmina v. Chezys^^^ über die tötliche
Erkältung, die sich Sophie Müller im Sommer 1828 auf der
Rückfahrt von einer ,,Kunstreise in der herrlichen Steiermark"
geholt haben soll, gänzlich erfunden ist. Wer diese scheinbar
sehr genaue Schilderung der gefährlichen Fahrt mit dem
Tatsächlichen*^^ vergleicht, wird sich rasch davon überzeugen,
<laß die Memoiren der Chezy höchst unzuverläßlich sind.
15
214 Beitrage zur Geschichte des Grazer Theaters.
Übrigens war es gerade diese fruchtbare Schriftstellerin, die aus
lauter Diskretion die später oft zitierte Fabel von der diskreten
Abkunft der Sophie Maller aufbrachte.
Glaubwördiger ist der Bericht Anschü tzen-s. Er er-
zählt,'*' daß sich Sophie Mulfer als „Chrimhild" in Raupachs
„Nibelungenhort" wiederholt überanstrengt habe und trotz der
Schwächung ihres Organismus in jener Zeit stets Eis in den
Pausen ihrer schwierigsten Partien zu sich zu nehmen pflegte,,
wodurch dann das letale Lungenleiden heraufbeschworen
worden sei. Am 11. April 1829 trat die Müller zum 717. und
letzten Mal im Burgtheater auf, als „Aurora" in dem Lust-
spiel „Die Stimme des Blutes". Ein ganzes Jahr lang mußte
die Ärmste schweren Herzens ihrer Kunst entsagen, bis sie
endlich am 20. Juni 1830, um 3/412 Uhr vormittags in
Hietzing verschied, wohin sie kurz vorher übersiedelt war.
Am 22» wurde Sophie Müller auf dem berühmten Friedhof
zu Hietzing beigesetzt. Das ganze geistige Wien gab ihr das
Geleite. Costenoble berichtet in seinen Burgtheater- Memoiren,
daß man sogar den Vorschlag in Erwägung zog, im Burgtheater
während eines vollen Monats Trauerkleider zu tragen. Von denn
allgemeinen Verluste erzählt auch ein Brief Anastasi us Grüns
an Gustav Schwab ^^^ vom 25. Juni 1830 aus Wien:
,,Ich weiß nicht, in wie fern Sie an Theaterangelegen-
heiten Intereße nehmen.^ Aber der vor einigen Tagen in denn
Dorfe Hietzing bey Wien erfolgte Todesfall der trefflichen
Sophie Müller, die. Wenn ich nicht irre, auch einmal Mitglied
Ihrer Bühne war,^^^ kann Ihnen nicht gleichgültig seyn, unn
so mehr, da sie auch in ihren häuslichen Verhältnißen un-
tadelhaft, ja musterhaft dastand. Man betrauert ihren Verlust
mit wahrer und allgemeiner Theilnahme."
Nach dem in den Anmerkungen schon erwähnten Büch-
lein Wallishaussers (1830) gab Mailäth 1832 die Biographie
Sophie Müllers heraus, die als Beilage auch einen Entwurf
des ihr zu errichtenden Grabdenkmals brachte. Das Grab der
Künstlerin war lange Zeit eine Wallfahrtstätte ihrer treuen Ver-
ehrer, im Jahre I867 aber schon arg vernachlässigt. Albrecht
Capello Graf v. Wickenburg regte damals die Restaurie-
rung des Grabmals durch die Hoftheater-Intendanz an, aber
seit jener Zeit ist es wieder ungepflegt geblieben, obwohl die
Schloßhauptmannschaft von Schönbrunn nach einer Weisung
des Obersthofmeisteramtes für die Pflege des Grabes zu
sorgen hat.
Von Otto Erich Deutsch. 215
In der Subskribentenliste des Mailäthschen Buches finden
sich auch folgende Namen : Erzherzog Johann, Graf Joseph
Attems, Ludwig Cramolini, Franz Greiner,^*^ Johann
Baptist J e n g e r, Antonie K i e n i* e i c h . Karoline Müller und
Marie P ach 1er. Das Gedächtnis an Sophie Müller ist in Graz
lange wach geblieben; die „Priesterin des Reinen, Hohen,
Schönen**, wie sie Josef Stierle-Holzmeister nannte,
war all denen unvergeßlich, die sie gesehen, gehört, gesprochen
hatten. Von ihren zahlreichen Rollen rühmten die Zeitgenossen
atifier den bereits genannten besonders noch folgende: „Ro-
saura" in Calderons „Das Leben ein Traum**, „Zaire" in
Voltaires gleichnamigem Drama, „Beatrice" in der „Braut
von Messina", „Komtesse Elise" in dem Lustspiel „Die Zu
fälle", „Donna Perside" in Zedlitzens „Liebe findet ihre
Wege", „Ophelia" im „Hamlet", „Amenaide" in Goethes
„Tancred" (nach Voltaire), „Sophie van der Daalen*^ in dem
Stücke gleichen Namens, „Semiramis" in Raupachs „Tochter
der Luft", „Irene" im „Belisar", „Porzia" im „Kaufmann von
Venedig" und „Lady Milfort" in „Kabale und Liebe".
Mit den pathetischen Worten Anschützens, die die
einleitende Charakteristik der Sophie Müller ergänzen, sei
diese Studie beschlossen:
„ . . . Aber das Genie hat sein besonderes Schicksal.
Der Götterfunke, dem Sterblichen im Übermaße verliehen,
wird zum flüssigen Feuer, das statt Blutes die Adern durch-
strömt. Entweder schlagen diese Flammen in die Außenwelt
und der Götterliebling sucht sich an den Genüssen der Sinnen-
welt zu betäuben, oder das überirdische Feuer, ein anderes
Brautgeschenk Kreusas, zerfrisst das Innere des sterblichen
Gefäßes, bis der zerstörte Organismus zerfällt und zerstäubt.
„Es erfüllte sich bei Sophie Müller. Sie hatte in wenigen
Jahren eine Stufe erstiegen, die ihr in der Kunstgeschichte
eine Stelle neben den ersten Größen deutscher Bühnenwelt
sicherte. Aber diese Siegeslaufbahn sollte nur kurz sein, viel-
leicht weil sie zu stürmisch war. Jn hastig schaffender Un-
geduld hatte sie ihre triumphierenden Fahnen nach dem
Norden getragen; das ruhig überlegende Berlin, das kunst-
sinnige Dresden hatte ihr im feurigsten Enthusiasmus gehul-
digt. Aber Sophie ward zur Semele, die Glorie, womit ihre
Göttin sie umgab, verzehrte sie."
15*
216 Beiträge zur Geschichte des Grnzer Theaters.
Anmerkungen.
4 Leipzig. Philipp R^clam jun., Nr. 4108 — 4I10, S. 2Ö1.
«Literatur: 1. „Blätter der Erinnerung an die für die Kunst zu
früh verblichene k. k. Hofschauspielerinn Sophie MQller, einige Blicke auf
deren Leben und künstlerisches Wirken, als biographische Skizze aus den
sichersten und achtbarsten Quellen gesammelt und herausgegeben von Franz
Wallis hausser. Wien 1830, gedruckt bey Anton Straußes sei. Witwe.*'
4«. — 2. „Leben der Sophie Müller, weiland k. k. Hofschauspielerinn, und
nachgelassene Papiere. Herausgegeben von Johann Grafen Mailäth, Wien
1832, gedruckt bey Ferdinand Ulrich.** 8« — 3. Konstantin v. Wurzbachs
„Biogr. Lexikon d. K. Österreich**, Bd. XIX, S. 402, (f.; Wien 1868. —
4. „Allgemeine deutsche Biographie**, Bd. XXH, S. 674; Leipzig I885:
..Sophie Muller** von Josef Kürschner. — 5. „Neue Beiträge zur Chronik
der Stadt Baden bei Wien** von Dr. Hermann Rollett, Stadtarchivar. XI. Teil.
Baden 1898, S. 76. — 6. „Wiener Almanach**. VHL Jahrgang, S. 229 ff.;
Wien 1899: „Sophie Müller in Wien. Mitgeteilt aus meiner Autographen-
Sammlung.*' Von Dr. Hermann Rollett. — 7. Ludwig Eisenbergs „Großes
Biographisches Lexikon der deutschen Bühne im 19- Jahrhundert**, S. 703 f;
Leipzig 1903. — 8. „Neue Freie Presse*, 25. September 1904, Literaturblatt:
„Das Stammbuch der Schauspielerin Sophie Müller.'* Von Dr. Hans Schmid-
kunz. — Weitere Literatur bei Wurzbach.
5 So u. a. den „Savoyarden Joseph*' in ..Die beiden Savoyarden'*, den
„Pagen Paul*' in Kotzebues „Pagenstreit hen", den „Schutzgeist Guido*» in
Kotzebues „Adelheid von Italien** und den „Otto** in MOUners „Schuld**.
^ Ihre ersten weiblichen Rollen waren : die „Amalie" in den „Räubern",
,.Nina** in „Welche ist die Braut?", „Cordelia" in ..König Lear**, „Thekla"
in „Wallenstein", „Donna Diana" in dem gleichnamigen Lustspiel, „Elsbeth"
in „Das Turnier zu Kronstein", „Bertha** in „Die Ahnfrau" und ,,Eboli" in
,,Don Carlos".
ö Außer den früher genannten Rollen spielte die Müller damals die
„Chatinka" in „Das Mädchen von Marienburg**, „Margaretha** in „Die
Hagestolzen", „Elise von Valberg** im Schausfiiel gleichen Namens, „Sophie"
in Schröders „Fähnrich". ..Lisli" in „Das Alpenröslein", „Julie" in
„Besphämte Eifersucht'*, „Isabella" in Becks „Quälgeister", „Lottchen** in
Kotzebues „Bruderzwist", „6 r ä f i n R u 1 1 a n d" in ,,Essex" und „Johanna"
in „Die Junfrau von Orleans".
6 Vgl. „Anselm Hüttenbrenners Erinnerungen an Schubert**. Mit-
geteilt von Otto Erich Deutsch. „Grillparzer - Jahrbuch'*, Wien 1906.
XVLBd., S.45.
7 Vgl. Beitrag I, S. 23.
8 Die „Grätzer Zeitung" vom 8. Juli 1824 meldet, daß am 6. d. M.
„Herr Raymund, Schauspieler von Wien'*, angekommen und bei
der „ungarischen Krone" (Landbausgäßchen, C.-Nr. 343) abgestiegen sei. Es
war meines Wissens bisher in der Raimund-Literatur nur von einem. Gxazer
Aufenthalt im Sommer 1828 die Rede. Deshalb dürfte es von Interesse
sein, zu hören, daß der damals schon kränkliche Dichter auch im Jahre 1 824
in Graz weilte. Er war eben nach dem Erfolg seines Erstlingwerkes „Der
Barometermacher auf der Zauberinsel" (am 16. März 1825 in Graz aufge-
führt) mit dem „Diamant des Geisterkönigs** beschäftigt und hatte sich zu
Von Otto Erich Deutsch. 217
Ausflügen in Niederösterroich Wagen und Pferd gekauft. Vermutlich ist er mit
diesem neuen Gespanne auch zu kurzem Aufenthalt nach Graz gefahren.
9 Aus der Handschriften-Sammlung der k. k. Hofbibliothek.
. 10 Richtig: Wedekind.
11 Aus Merino, der besten spanischen Schafwolle.
1* Filet = Netzgewebe.,
1' Melodram von K. M. v. Weber.
«* 10. Juli.
1* Das Stttck war schon früher in Graz gespielt worden.
1« „J. G.**, Akzessist bei der ständischen Buchhaltung.
17 Belletristische Beilage der amtlichen „Grätzer Zeitung", erschien
jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag.
18 Anselm Hüttenbrenner (l 794 - 1 868). Komponist und Schrift-
steller; Heinrich HOttenbrenner (1799 —1Ö30), dessen jüngster Bruder, Dichter,
Professor des römischen und des Kirchenrechtes am Grazer Lyzeum,
19 Vgl. o. den Brief an Frau v. Wedekind. Die hier zum ersten Male
zusammengestellte Ikonographie umfaßt folgende Bildnisse von Sophie Müller :
1. Aquarell-Miniaturbild von M. M. Daffinger (1790 — 1849). 1821 während
des ersten Wiener Gastspiels entstanden. Reproduziert in Ed. Leisrchings
„Die Bildnisminiatur in Osterreich", Wien 1906. Bes.: Frau Theresia Mayr,
Wien. — 2. Elfenbein-Miniaturbild von Carl Agricola (l779-l852), undatiert,
Freifrau Elisabeth von Exterde, Wien. — 3. Lithographie von Anton Wagner,
(1781 — 1860), k. k. Hofschauspieler r S. M. als Maria in H. J. v. Collins
Trauerspiel „Baiboa". HOftbild, kl. fol. Lithograpisches Institut, Wien.
März 1825 entstanden. Nach dem Urteil der Künstlerin ist die Figur „viel
zu stark" geraten. Kupferstichkabinett der k. k. Hofbibliothek. — 4. Litho-
graphie von Anton Wagner, Brustbild, fol. Lithographisches Institut, Wien.
Koloriert. General-Intendanz der k. k. Hoftheater. — 5. Ölbild von einem
mir unbekannten Maler in der Ehrengalerie des Hofburgtheaters: S. M. als
Prinzessin Eboli in „Don Carlos", Lebensgröße, Halbfigur. Phototypie
danach , fol., J. L 5 w y , Wien Hofbibliothek. — 6. Lithographie in
Crayon-Zeichenmanier von Joseph Telt scher (l802 — 1837). Hüftbild» 40.
März T826 (nach einem mißglückten Versuch im Februar) entstanden. Hof-
bibliothek. — 7. Stahlstich. Johann Nep. Ender (1793 — 1854) del., Franz
Stöber (1795 — 1858) sculp. Hüftbild, 8« und 40. „I827 für Aug. Leo in
Leipzig", wahrscheinlich für ein Taschenbuch geschaffen. Hofbibliothek.
Reproduziert in „Die Theater Wiens*' („Das Burgtheater" von Oskar
T e u b e r und Alexander v. Weilen). II. Bd , Halbband 2, U. Teil,
Doppelheft 1/2, S. 48. — 8. Büste von Kari Wich mann (1775 bis
1836), 1829 entstanden. Gipsabguß im Hoiburgtheater. Photographie da-
nach, fol. Hofbibliothek. — 9. Lithographie von Stein (?) nach
Krüger (?). Beriin, G. Eduard Müller. Brustbild, fol., Hofbibliothek. —
10. Lithographie von Johann Frankenberger (1807—1874): S. M. als
Chrimhild in Raupachs- „Nibelungenhort"; Halbfigur, fol. I830 ent*
standen ; Lithographisches Institut, Wien. Hofbibliothek, — 11. Lithographie
von Josef Kriehuber (1800 — 1876). Halbfigur, sitzetid, 40 und kl. fol.
1830 entstanden. Beilage zu dem Buch von Wallis hausser. General-
Intendanz. Reproduziert in „Das Wiener Burgtheater" von R. Lothar,
S. 43. — 12. Lithographie von Josef Kriehuber. Hüftbild, 8°. Beilage zu
dem Buch von Mailath. Vorlage der beigegebenen Reproduktion in das
Stammbuch der S. M. eingeheftet ; Handschriftensammlung der kgl. Bibliothek,
Berlin. — 13. Stahlstich, „M. R. del. — J. A. sculp." Vermutlich von Josef
Axmann (1793 — 1873) für ein Album gestochen. Halbfigur, 80. Hotbiblio-
218 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
thek. — 14, Lithographie von L, Brand, Steind, von R. Weber, schlechte
Wiederholung des Ender-Stöber- Stiches. Brustbild, kl. fol. Hofbibliothek. —
15. Lithographie von C. Lang, 1855 entstanden; Brustbild» 40. Karlsruhe.
Früher k. k. General-Intendanz. — 16. Marmorbflste von Viktor Tilgner
(1844 — 1896), Zuschauerraum des Hofburgtheaters, Gipsabgud in den
städtischen Sammlungen, Rathaus, Wien — 17, Portrait auf dem Ölbild
Julius Schmids (geb. 1854) «»Kin Schubert- Abend in einem Wiener Bürger-
hause^, Mitte oben. 1897 entstanden. Wien, städtische Sammlungen,
•0 Henriette Sontag wohnte nach dem amtlichen Bericht der
„Grätzer Zeitung'* vom 24. Juli 1824 ^^ Karmeliterplatz C^Nr. 53. also im
Palais Herberstein.
«1 Das Drama war in Graz seit langer Zeit nicht aufgeführt worden.
8« Die ersten drei Gedichte sind ohne den Namen des Autors bei
Wallishausser a. a. O., S. 16 und 17, das vierte ebenso bei Mailäth a. a, O.,
S. 198 und 199 wieder abgedruckt. Mailath liest in der zweiten Zeile des
Poems irrtümlich „Rappelring**.
«> Wieder einer der drei genannten Grazer Schriftsteller.
«* Dr. Karl P achler (1789 — 1850); seine Frau Marie Leopoldine,
geb. Koschak (1794 — '855). war mit Beethoven, beide mit Schubert
befreundet.
•» Herr kais. Rat Dr. Anton Schlossar gewährte mir Einsicht in
das unveröffentlichte Manuskript, über das er am 11. Februar 1900 im
Literaturblatt der „Neuen Freien Presse** referiert hat.
«« Dr. Faust Pachler (1819— 1891), k. k. Regierungsrat, Kustos der
Wiener Hofbibliothek ; als Schriftsteller „C. Paul".
•» Alle aus diesem Jahre stammenden Eintragungen, die hier zitiert
werden, sind von Mailäth in dem erwähnten seltenen Buche, aber ohne jeden
Kommentar veröffentlicht worden.
«* In Berlin zu gastieren.
*» In diesen Stücken („Die Quälgeister**, „Kabale und Liebe** und
„Othello**) trat die Müller damals in Graz nicht auf.
" Ludwig Löwe (1795 — 1871), xu jener Zeit in Kassel engagiert,
gastierte 1816. 1823 und 1825 am Hofburgtheater. Das letzte Gastspiel führte
zum Engagement.
81 Amalie Neumann-Haizipger (1800 — 1884) gaatierte 1825 tum
ersten Mal am Hof bürgt heater Sie gab damals die Rollen der Müller.
*' Vermutlich in Graz.
33 Sophie Müller fuhr mit ihrem Vatpr und ihrer Haushälterin in
einem „Separat rWagen^*, der übrigens auch von der Postverwaltung bei*
gestellt wurde. Der gewöhnliche „Wiener Eilwagen** traf jeden Dienstag.
Freitag und Sonntag abends in Graz ein. Er iuhr „längstens 26 Stunden^\
Der Fahrpreis von Wien nach Graz betrug 10 fl, 29 kr. C.-M.
** Die zitierten Verse sind der Anfang und der Schluß des bekannten
Chores aus der „Braut von Messina** (IV, 7.).
8* Die Fahrt währte also genau 24 Stunden.
3« Das „steiermärkische Amtsblatt" vom 4. Juli meldet, daß Sophie
Müller wieder in diesem Gasthof abgestiegen sei.
3^ Große komische Oper in vier Aufzügen, nach Scribe und Dela-
vigne von Castelli. Musik von Au her.
38 Über die frühe Ankunft der Müller, die erst für den 12. ange
kündigt war.
3» Diese Stücke wurden damals nicht aufgeführt.
Von Otto Erich Deutsch. 219
*^ An diesem Abend sang der bald darauf engagierte Ludwig C r a m o-
lini, frOher Mitglied des Kärntnertor -Theaters, in der dreiaktigen komischen
Oper „Joconde" oder „Die Abenteurer", nach Eticnne von J.R.v. Seyfried,
Musik von Isouard,
4« Die Müller denkt offenbar an das „kgl. Hof- und National-Theater",
^das sie 1821 im Bau gesehen hatte.
<« Das alljährlich in Maria-Grün gefeierte Kirchenfest „Maria Heim-
f>uchung" f^llt auf den 2. Juli, wurde aber erst am Sonntag, den 3- begangen.
*5 Das ,,steiermärkische Amtsblatt" vom 6. Juli meldet „Herrn Löwi,
Schauspieler", der gleichfalls beim „wilden Mann** abgestiegen war.
44 Julie Löw^e (1786— 1852), 1815— 1842 Mitglied des Hofburg-
Iheaters.
«5 Therese Löwe, Tochter der Julie L., versuchte sich erst am
28. März 1826 ohne Erfolg am Hofburgtheater.
46 Juliana Gräfin Ha rtig, geb. Gräfin Grundemann von Falken-
berg (1788-1866).
47 Nach der „Gabriele**, die auch im Jahr vorher das Gastspiel der
Sophie Müller inauguriert hatte, wurde das neue mythologische Ballett in fünf
Abteilungen „Das Urteil des Paris" oder „Der Triumph der Schönheit" von
Josef Kohlnberg, Ballettmeister und erstem Tänzer des Grazer ständischen
Theaters, Musik vom k. k. Hofkapellmeister Adalbert Gyrowetz,. gegeben.
Die Violinsoli von May seder wurden von Herrn Hysel vorgetragen.
48 Johann Baptist Jenger (1792 — 1856), Freund Schuberts und
Anselm HOttcnbrenners, ein trefflicher Klavierspieler ; von cca. 1818 bis 1825
weilte er als. Adjunkt der „k. k. Feldkriegskanzlei" und Sekretär des „steier-
iiiärkischen Musikvereines" (seit 1820) in Graz,
49 Luigi Labia che (l794 — 1858), Bassist, als Mitglied einer italieni-
schen Opemgesellschaft in den Zwanziger-Jahren Gast am Kärntnertor-Theater,
berühmter „Figaro"*
80 Fri, Elise Beisteiner vom Kärntnertor-'Theater wurde bald darauf
in Graz engagiert. Über die anderen Sänger vgl. Beitrag I» Seite 19—21.
5> „Corregio", Schauspiel in vier Akten von Adam Ohlenschläger.
Löwe hatte den „Antonio Allegri" eben auch in Wien gegeben.
M Franz de Paula Graf Hart ig, k. k. Geheimer Rat, Kämmerer,
Landesgouverneur von Steiermark und Kärnten, Exzellenz (1789— 1S65),
53 „Die Müllerin" oder „Die Launen der Liebe", komische Oper in
zwei; Akten, nach dem Italienischen, Musik von Paisello, inszeniert vom
Opernregisseur Gottdank. Frl. Beisteiner sang das „Röschen, eine reiche
Müllerin", Herr Preisinger den „Rechtsanwalt Knoll".
54 Josef Spitzeder (1796-1832), Baßbuffo, zuerst in Wien, dann
in Berlin, endlich in München engagiert.
^^ „Die Mündel", Schauspid in vier Akten von Wilhelm August
Iffl and. Löwe gab den „Philipp Broock".
*8 Vormittags.
*' „Die Fürsten Chawansky", dramatisches Gedicht in fünf Akten von
Ernst Raupach.
^* ijGraf von Essex", Trauerspiel in fünf Akten, diesmal nach Banks
bearbeitet von J. G. Dyk. Sophie Müller gab die „Gräfin Rutland, geheim
mit Essex vermählt", Löwe den „E«i*ex'*, der Sänger Cramolini den.„Grafen
von Southampton^.
s> Im ganzen wollte also ungefähr ein Zwanzigstel der* gesamten
Bevölkerung von Graz an jenem Abend das Theater besuchen.
220 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
. ' «0 Im Jahre vorher war die ganze Bearbeitung von ColUn verwendet
worden.
«* Enrilie Neu mann. Der Theaterzettel kündigte noch das Auftreten
der Müller als Bertha an, eine Rolle, die sie in Wien mit großem Erfolge
gab. Löwe spielte den Jaromir.
•« August Georg Graf Leiningen-Westerburg (l 770— 1849),
Känimerer, Brigadier in Inner-Österreich, wohnte im 1. Sack C.-Nr. 221.
Er war mit CharJotte Sophie, geb von Scholz (*1789). vermählt.
*3 Es wurde ebenso wie im Vorjahr die Bearbeitung Schreyvogels
verwendet. Die Müller scheint einige Partien für sich geändert zu haben.
Löwe gab als Benefiziant den ^Don Cäsar".
6* Löwe wurde engagiert und debütierte am 6. Juni 1826 als Mitglied
des Hofburgtheaters.
«* Antonia Kien reich, die kunstsinnige Gemahlin des Papierfabrikanten
und Verlegers Josef Andreas Kienreich, „Viertelmeisters" für das Viertel
Landhaus und „äußeren Rats" beim Magistrat der Stadt Graz.
«• Schloß Eggenberg am Fuße des Plabutsch im Westen von Graz,
um 1630 erbaut, seit Anfang des 18. Jahrhunderts im Besitz der Grafen von
Herberstein.
•7 Der jetztige Besitzer, Exzellenz Siegmünd Graf zu Herberstein,
hat diese Bilder in sein Palais, Graz, Merangasse 7, schaffen lassen.
68 Verwässerte Watteaus. Auch die vielen Tafelbilder» zum Teil Ko-
pien berühmter Werke, hat keine Meisterhand geschaffen.
*» Im rückwärtigen Trakt des Schlosses.
»0 Johann Hieronymus Graf zu Herberstein (1772—1847). Vgl. Bei-
trag I^ Seite 5.
71 Hieronymus Bonaparte, der einstige König von Westfalen,
weilte im Jahre 1814 unter dem Namen eines Grafen von Harz mit seiner
Gemahlin, einer Prinzessin von Württemberg, mehiere Monate in Egqeriberg,
wo der immer wieder Lustige reges Leben entfachte. Er war es, der im
Jahre darauf der am 28. Jänner 1815 im 86. Lebensjahr verstorbenen
Henriette Gräfin zu Herberstein, geb. Komtesse von Salm-Neuburg,' das schöne
Grabrelief von Canova an der linken Wand der Schloßkapelle errichten
ließ. Die Platte aus Carrara-Marmor trägt zwischen zwei allegorischen
Figuren die französische Grabinschrift, die mit dem von der Müller beiläufig
zitierten Sinnspruch schließt: „La mort de nos amis comnaence notre mprt . . .'*
72 Geschmückt mit Gemälden von Johann Adam Weißenkirchner
(1615—1695).
78 „Karl au", Jagdschloß Herzog Karls IL, l570 erbaut, 1769
auf Befehl Maria Theresias in ein Arbeitshaus, 1 784 auf Weisung
Josefs II. in eine Kaserne umgebaut, in der 1794 die ersten französischen
Kriegsgefangenen untergebracht wurden. 1804 wurde das Gebäude, dessen
herrliche Parkanlagen allmählich verschwanden, zum „Provinzial-Strathaus
für Steiermark" bestimmt; auch die leichteren Arrestanten des Schloßberg-
Gefängnisses wurden 1809 nach Karlau gebracht. 1820 wurde der Komplex
durch einen kleinen Trakt erweitert, 1 869 —1872 in ein Zellengefängnis um-
gebaut. — Das Kirchlein „St. Johann und Paul", oberhalb der „Einöde",
wurde 1590 von der frommen Maria von Bayern, der Witwe Karls IL,
errichtet. , '
7* j. A. Kumär, „Historisch-Mahlerische StreifzOge in den Umgebungen
der Stadt Grätz", 181 6 bei Franz Ferst 1 erschienen.
7» Vielbesuchter öffentlicher Garten im Viertel Mariahilf.
76 Mailäth hat den Namen nicht ' mitgeteilt.
Von Otto Erich Deutsch. 221
7^ ^PrÄciosa**, grofies Schauspiel mit* Gesang, Chftren und Tänzen
von Pius Alexander Wolf, der sich spSter den Verehrern Sophie Müllers
anschloß. Musik von Karl Maria We her« Amalie Neumann-Haizinger hatte
die Rolle der „Präciosa* am 22. Juni 1826 bei ihrem Gastspiele am Hof-
burgtheater zum ersten Male gegeben. Sophie Müller, die die „Präciosa" erst
später in Wien spielte, hatte bereits die Proben am Burgtheater für die un-
päßliche Neumann mitgemacht. — Die Tänze der Grazer Aufführung wurden
vom Ballettmeister Kohlnberg einstudiert.
'8 ,,Don Franzisco de Carcamo."
'» „Don Fernando" und „Donna Clara de Azevedo".
?o ^Don Eugenio**.
"i Die Ziegeunenriutter.
81 ^Lorenz** und „Sebastian".
8» „Pedro."
8* I. Aufzug, 5- Szene.
86 II. Aufzug, 2. Szene: „Einsam bin ich nicht älleine ..."
86 III. Aufzug, 8. Szene.
8» Morgens.
88 Die Klause „Maria-Grün", nördlich von Graz, barg damals
schon das Kirchlein, die Kapelle, • die^ Wohnung des Stationskurators, ein
l8lo eingerichtetes, heute nicht mehr benutztes Schulhaus und die Gast-
wirtschaft samt Garten. Jetzt ist der Ort durch die Neubauten des Kuratör-
und des Schulhauses und einiger Villen angewachsen.
8» J. F. Castelli hat Maria -Grün in zwei Gedichten besungen.
Eines davon ist, ebenso wie die Widmungspoeme von Anastasius Grün.
M. G. Saphir« J.' M. Roquerol, Demetrias und Ludwig Bonaparte
(l8lo — 1814 als- „Graf St.- Leu" in Graz), auf dem 1902 renovierten
steinernen Postament gegenüber der Kirche zu lesen. — Castelli weilte
damals in Wien.
•<> Sie sind längst aus dem Garten entfernt worden.
»> Das Porträt des 1813 verstorbenen französischen Generals Jean
Victor Moreau dürfte Ludwig Bonaparte, der einstige König von Holland,
dort -gelassen haben. Von all den erwähnten Bildern sind nur mehr die
schlechten Porträts der Kaiserin- Karolina Augusta und des Erzherzog Johanns
im Wirtschaftsgebäude zu finden. •
•* Hans Fritz soll das Kirchlein 1668 gegründet haben. Die si^rk
verblaßten Bildnisse des Gründers und seiner zweiten Frau Rosine hängen
jetzt an der Brüstung des Kirchenchores. — Die Erzählung von der Ent-
stehung der Kirche ist im einzelnen unhistorisch. Fritz war kein . Ordensritter,
sondern pin Schneider.
93 Joseph Addison (1672 1719). englischer Dichter, Gelehrter
und Staatsmann. Eine der ersten von den viel verbreiteten „moralischen
Wochenschriften," die sich dem Stoffe nach unseren Feuilletons näherten, war
sein „Spectator" (171 1 ffi,). Die Müller dürfte die von Frau Gottscheed
1739 bis 1743 be.sorgte deutsche Übersetzung des „Spectator" in 9 Bänden
gelesen habep.
9* Die Kienreich sehe Papierfabrik am linksseitigen „Mühlgang",
damals „An der Wehr" C-Nr. 999, jetzt Ecke Langegasse und KörOsistraße,
ging später in den Besitz der Aktien-Gesellschaft „Leykam- Josefstal" über
.und steht nun außer Betrieb.
>* „Hedwig" oder „Die Banditenbraut", Drama in drei Akten von
Theodor Körner.
88 III." Akt, 2. Siene : „Worte such* ich niir vergebens . . »"
222 Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
>7 Mailath las irrtOmlich „Schuft*. Es handelt sich um die 8. und
9 Szene des III. Aktes.
>« «Die Hochxeit auf deni Laude ^, eiu koroisches Ballett in einem
Akt von Aumer, Musik von Kinsky, war am ti. Mai zum ersten Male
aufgeführt worden.
*t Sophie MQller war die allererste Darstellerin der „Kunigunde von
Masovien**,
100 Matthias Anker, Professor der Mineralogie an der Grazer Uni-
versität, Mitarbeiter der „St eiermärkischen Zeitschrift", Kustos des Joanneums.
seit 3. Juni I824 auch wirklicher Professor der Mineralogie am Joanneum.
in dessen Gebäude er wohnte und Vorlesungen hielt.
101 Die Naturaliensammlung im zweiten Stock, die sich äufierlich
nicht sehr verändert hat, war in dreizehn Zimmern untergebracht. — Ein
großer Raum enthielt die botanische Sammlung: ein „Herbarium vivum**
mit ungefthr 15.000 Pflanzen, ein „vaterländisches Herbarium" in sieben
Foliobänden, eine noch kleine Samensammlung, eine reiche HolzbOcher- und
eine Schwammsammlung in Wachs ; auch die wächserne Obstsammlung war
hier aufgestellt.
10* In drei benachbarten Sälen war die Mineraliensammlung unter-
gebracht : erster Saal — vaterländische Mineralien, Gebirgsgesteine, Versteine-
rungen ; zweiter Saal — allgemeine nach dem System M o h s aufgestellte
Mineraliensammlung; dritter Saal — Fortsetzung dieser Sammlung und
technische Sammlung, 1825 von Anker neu aufgestellt.
103 Per folgende große Saal enthielt die physikalischen Instrumente.
104 Vgl. „Zur Geschichte des Joanneumgartens In Graz" von Franz
Ilwof. „Steirischc Zeitschrift f. G." 111. Jahrg., Heft 1 und 2. Graz. 1905.
*o* Das „Journal- und Konversations - Zimmer** des ^Lesevereins*
befand sich damals im ersten Stock des alten Hauptgebäudes.
106 Der ehemalige Statthalter von Galizien, Graf von Brigido, der
am 25. Jänner l8l7 zu Wien verstorben war, vermachte dem „Joanneum**
seine Sammlungen von Büchern, Schmuckgegenständen, Kameen und Antiken
und ein Kapital von 36.OOO fl., das für den im Sommer 1826 vollendeten
Erweiterungsbau verwendet wurde. In diesem neuen Trakt wurde 1827 die
Bibliothek mit den Lesezimmern eingerichtet.
107 Das an das Landhaus 1642 — 1644 angebaute Zeughaus, dessen
innere Einrichtung fast unverändert blieb, enthält im ersten Stockwerke :
Geschütze, Doppelhakcn, Musketen und Fußknecht-Harnischc, im zweiten :
Reiterrüstungen und -Pistolen, im dritten : wertvolle Harnische und leichte
Feuerwaffen, und im vierten : Stangenwaffen, Seitenwehren und Schilde.
108 Im zweiten Stock stehen zwei echte ungarische Panzer mit Gelenken.
109 Diese Bezeichnungen waren falsch. " Die ältesten Rüstungen des
Zeughauses stammen aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts. Der Harnisch
Nr. 15 im dritten Stock wurde irrtümlich dem Erzherzog Karl II. zugeschrieben.
110 Das Landhaus wurde nach dem Brande in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts 1557 bis 1567 wieder aufgebaut.
m Sophie Müller gab die ^Zaarewna und Regentin von Rußland
Sophia**, die sie am 24. März 182 2 zum ersten Male in Mannheim gespielt
hatte, Rettich als Beneflziant den „Fürsten Jury Chawansky, Oberbefehlshaber
der Strelitzen**.
1« Das „H a 1 le r seh Josse 1" (Sparbersbach), am Fuße des Ruckerl-
berges, s.-ö. von Graz gelegen, gehörte -damals dem Advokaten Dr. Franz
Haring. Die mit ihm befreundete Familie Pachler bewohnte das Schloß
als Sommerpartei in den Jahren 1 825— 1 826 und 1828 — l83U
Von Otto Erich Deutsoh. 223
113 Schloß „Lustbühel", höher oben am Ruckcrlberg gelegen, ge-
hörte damals dem Ladislaus Pos s eck; jetzt im Besitt dts Generalmajors i. R.
Wenzel Broschek R. v. Boroglav.
11* Die alte Wirtschafterin der Familie Müller, die Sophie während
ihres ganzen Lebens bei sich hatte.
115 Antonia Gräfin Saurau (1767—1839). geb. Grfn, Lodron
Gemahlin des Grafen Franz Josef Saurau.
*»^ Wahrscheinlich Florian Sales Appel, Professor der Dogmatik
und Pädagogik am Grazer Lyzeum.
117 Die oben erwähnten Lithographien von Kaiser.
u« Josef Weigl weilte in Graz, um »eine Oper „Die Jugend Peter
des Großen** einzustudieren; ebenso der Verfasser des Librettos, Georg
Friedrich Treitschke.
11» Schmidkunz las irrtümlich Sachler.
i«o ,.Zur Feyer des Nahmensfestes aller Nannetten*': „Das Turnier
zu Kronstein, romantisches Ritter - Lustspiel in 5 Acten von Holbein.
Neu in Szene gesetzt.** Sophie Müller gab die „Elsbeth, Witwe des Grafen
Wolkenburg und Herrn von Kronstein*'.
1«! Auch diesen Gnadenort, n.-ö. von Graz, hat . Müllers Freund
Castelli besungen.
1«« Die Kirche des ehemaligen Jesuiten-Kollegiums zu Mannheim
wurde 1737 — 1756, also etwas später als die Maria -Tröster, erbaut. Ihr
Innenraum ist mit prachtvollen Marmordekorationen und Fresko-Decken-
gemälden geschmückt.
1 13 Die einfache hölzerne Marienstatue stand einst im Zisterzienserstift Rein.
1«* Die Mutter Sophiens.
i«6 Sophie Müller beschreibt also aus der Erinnerung; sie dürfte 1824
die Kirche genauer besehen haben.
i«6 Die damals sehr populäre lyrische Oper in drei Akten, nach dem
Französischen frei bearbeitet von J. F.. Castelli, wurde dem Komponisten
Josef Weigl zu Ehren aufgeführt. Herr G n e d vom ständischen Theater in
Linz sang als Gast den Schweizer Bauer „Richard Boll*'.
i«7 Die berühmte Sängerin Anna Milder-Hauptmann(l 785 — 1838)
dürfte um 1815 in Mannheim gastiert haben.
i«8 Sophiens Bruder Josef.
*«• „Zum Vortheil Sophie Müllers: »Romeo und Julie*, Trauerspiel in
fünf Akten von Shakespeare, nach A. W. Schlegels Übersetzung zur
Darstellung für das k. k. Hof^heater eingerichtet von C. A. W e s t.** Sophie
Müller, die auch in Wien die „Julie** gab, hatte eben im Juni mit Genug-
tuung aus einem Aufsatze A. W. Schlegels, den sie früher noch nicht
kannte, festgestellt, daß sich ihre Auffassung des Dramas ganz mit der des
Übersetzers deckte. — Rettich spielte den „Romeo**, Cramolini den „Benvoglio**
130 Die beiden Gedichte sind wiederabgedruckt bei Wallishausser a. a. O.,
Seite 18 und 19.
Hl Der Theaterzettel verkündet : „Mlle. Müller, k. k. Hofschauspielerin,
wird die Ehre haben, auf vieles Verlangen, vor ihrer Abreise noch ein Mahl
als Gabriele aufzutreten.** — Hierauf ,,Harlekin als Schustergeselle**.
13* Am Samstag, den 30. Juli.
133 Die Müller verkehrte also mit ihren beiden Kollegen schon 1824
bei Leiningen.
13* Die Krönung der Kaiserin Karolina Augusta zur Königin von
Ungarn fand erst am 25. September 1825 in Preßburg statt. — Sophie
Müller konnte der Einladung Stöger-Liebiqhs nicht folgen.
224 Beitrage zur Geschichte des Grazer Theaters.
135 = Frohnleiten.
190 Das fürstl. Liechtensteinsche Schloß Klamm.
H7 Veröffentlicht von Wallishausser, a. a, O., Seite 20. Das Datum
ist unrichtig angegeben.
»8« Die beiden Sonette sind in der „Wiener Zeitschrift**, 1831. Nr. 13.
und bei Mailath a. a. O., Seite 200 und 201, mit folgender Anmerkung ab-
gedruckt: „Im Sommer des Jahres 1825 hatte die Unvergeßliche die ständische
Bühne von Grätz durch eine Reihe von Gastdarstellungen verherrlicht. Ein
schwacher Widerhall der allgemeinen Begeisterung, welche ihre Kunstleistungen
erregten, sind obige zwei Sonette, welche der Verfasser ihr damals am Vor-
abende ihrer Abreise in der Handschrift und ohne Unterzeichnung zusendete,
ohne zu ahnen, wdche schmerzliche Vorhersagung die Endstrophe des zweiten
Sonettes enthalten sollte. — Der Verfasser.** — In den bisher erschienenen
Sammlungen der Gedichte Leitners fehlen diese beiden.
*'• Exzellenz Ignatz Graf Attems, Landeshauptmann von Steiermark.
140 Ignatz Kollmann, Skriptor am Joanneum.
**> Marie MQnch, Schauspielerin am Grazer Theater.
*** Am 5. April. — Jenger verbrachte zu jener Zeit fast alljährlich
seinen Sommerurlaub bei der Familie Paohler in Graz.
J*3 Johann Michael Vogl (1768 — 1840), k. k. Hofopernsänger, mit
Schubert und der Möller befreundet.
i4i Garderobier Rein dorfer.
»'** „Unvergessenes, Denkwürdigkeiten aus dem Leben H. v. Chs.**
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1858; II. Teil. Seite 346 ff.
H« Die Müller kam nach 1825 nicht mehr nach Steiermark.
^*f A. a. O., Seite 272.
US Vgl. „Ungedruckte Briefe Anastasius Grüns'*, mitgeteilt von Anton
Schlossar, „Deutsche Revue**, März 1896.
149 Die Müller spielte nie in Stuttgart.
**o Kanzleipraktikant beim k. k. Kreisamt zu Graz.
Literaturberichte.
Historischer Atlas der Osterreichischen Alpenländer.
Herausgegeben von der kais. Akademie der Wissenschaften in
Wien. I. Abteilung: Die Landgerichtskarte, bearbeitet unter
Leitung von weiland Eduard Richter. I.Lieferung: Salzburg
(von Ed. Richter), Oberösterreich (von Julius Stmadt), Steier-
mark (von Anton Meli und Hans Pirchegger). li Blatt mit
Erläuterungen. Wien 1906. 12 K.
Eine Reihe unserer bedeutendsten Geographen hat sich in den letzten
Jahren über Umfang und Aufgaben der historischen Geographie ausgeprochen ;
im Grunde stimmen alle darin überein, daß die historische Geographie dem
Geschichtlichen aller geographischen Erscheinungen nachzugehen habe. Nach-
dem aber Verändemngen des Bodens und Klimas in geschichtlicher Zeit nur
in geringem Maße vorkommen, ist Gegenstand historisch - geographischer
Forschung vornehmlich der Mensch in seinen wechselnden Beziehungen zur
Landschaft. Anthropogeographie und historische Geographie gehören aufs
engste zusammen, mag man nun die erstere der letzteren über- oder unter-
ordnen. Wie bei anderen jungen Wissenschaften werden auch auf dem viel-
fach ungerodeten Boden der historischen Geographie vielmehr Forderungen
aufgestellt, als zahlreiche Forscher in vielen Jahrzehnten zu leisten vermögen.
In einem solchen Falle erscheint derjenige als Führer, der mit scharfem
Auge aus dem Chaos der Fragen jene herausfindet, die zuerst ausgeführt
werden muß, und dadurch der Forschung feste Bahnen weist. Das für die
historisch geographische Erforschung der österreichischen Alpenländer getan
zu haben, ist das bleibende Verdienst Eduard Richters.
Der Gedankengang Richters, wie er für die Gestaltung des Atlasses
maßgebend war, ist kurz folgender: Nicht in der Häufung topographischer
Einzelheiten liegt das Wesen der historischen Karte, das, was sie in ganz
einziger Weise darstellen kann, ist die Teilung des Raumes in seine Einzel-
gebiete. Die historische Karte wird in erster Linie immer ein Abbild der
politischen Karte sein. Die Schwierigkeit für das Mittelalter besteht nun
darin, daß die politischen Mächte sich nicht wie heute räumlich neben-
einander in ihre Rechte teilten, sondern daß verschiedene Mächte durch
einander bestanden, daß der mittelalterliche Lehensstaat fast aufging in einer
Summe von persönlichen Berechtigungen und Verpflichtungen. Für die
Macht eines Markgrafen oder Herzogs konnten Allode, Lehen, Vogteirechte,
Zehnte wichtiger sein als das Reichsamt, das er inne hatte. Man wird also
aus dem Umfange seines Gebietes nicht ohne weiters auf seine Macht
schließen dürfen. Aber die gräfliche Gewalt war, wenn auch nicht maß-
gebend für die Macht eines Fürsten, doch die Grundlage seiner Landes-
herrlichkeit, und die Bildung der größeren Territorien ging so vor sich, daß
einzelne Familien für eine größere Reihe von Grafschaften die Gerichtsbarkeit
226 Literaturberichte.
erwarben. Aus Landgerichten bestehen die Territorien des späteren Mittel-
alters. Man wird dem Atlasproblem auch für die Blütezeit des Lehenswesens
beikommen können, wenn man den Besitz der einzelnen Häuser an Graf-
schaftsrechten feststellt. Nur wird man bei der weitgehenden Ze-splitterun<4
zu Karten eines großen Maßstabes greifen müssen. Aus zeitgenössischen
Quellen lassen sich die Grenzen der Gebiete nicht feststellen, aber ans
späteren. Denn die Grenzen der Sprengel der höheren (Blut-)Gerichtsbarkeit
haben sich, wie für verschiedene Gegenden nachgewiesen wurde, mit außer-
ordentlicher Zähigkeit erhalten. Die alten Grafschaften finden wir noch viel-
fach in den indicia provincialia des XllL Jahrhunderts, später aber wurden
sie in immer kleinere Teile zerschlagen, in die Landgerichte, die sich bei
uns bis 1849 erhalten haben. In Steiermark zahlte man ihrer zuletzt 122.
Aus dieser Beständigkeit der Rechtsverhältnisse vom VIII. Jahrhundert
bis zum Ehde des XVIIl. und Anfang des XIX. Jahrhunderts ergibt sich
der Hauptsatz für kartographische Fragen des Mittelalters und der neueren
Zeit: der historische Atlas muß rückläufig gearbeitet werden und von einem
Forscher. Der mittelalterlich-neuzeitlichen Periode steht als eine Zweite ftir
sich geschlossene die prähistorisch-klassische Periode gegenüber. Die erste
Aufgabe bestand also in der Erstellung der Landgerichtskarte für das Jahr 1848.
Das Hauptziel der ganzen Unternehmung ist es, den Zerstückelungsprozeß
der Landgerichte soweit als möglich nach rückwärts zu vcrfolg»^n und die
ältesten Grenzen (Gau-, Grafschafts-, Mark-Grenzen) mit größerer Wahrschein-
lichkeit als bisher zu erschließen. Mit einem Schlage wollte Richter dieses
ganze Problem lösen. Daß die Lösung möglich sei, zeigte die Text- und
Kartenprobe zum historischen Atlas, die Meli im 21. Bande der Mitteilungen
des Institutes für österreichische Geschichtsforschung veröffentlichte. Er stellte
darin die Aufteilung der Grafschaft um Judenburg (des comitatus Liupoldi)
in die neun Landgerichte des XIX. Jahrhunderts dar und ermöglichte es, auf
einer einzigen Karte die Entwicklung der territorialen Verhältnis«^ e vom
IX. bis ins XIX. Jahrhundert zu verfolgen.
Mit der ersten Lieferung des historischen Atlasses der österreichischen
Alpenländer, die nunmehr vorliegt, beginnt für das zweite deutsche Gebiet
ein historischer Spezialatlas zu erscheinen. Würdig reiht er sich dem geschicht-
lichen Atlas der Rheinprovinz an. Die Landgerichtskarte (l : 200000) ist
eine vorzügliche kartographische Leistung. Sie wird 38 Blätter umfassen,
deren jedes der Hälfte eines Blattes unserer Generalkarte gleichkommt. Von
dieser wurden der Terrain- und der Flußstein benützt. Nachdem der Wald-
aufdruck fehlt, kommt die schöne braune Geländezeichnung recht zur Geltung.
Deutlich heben sich die roten Landgerichtsgrenzen von ihr ab. Die Beigabe
des Terrains erscheint namentlich in unserem Gebirgslande auch für eine
historische Karte unerläßlich, wenn die historische Geographie mehr als bloße
Topographie sein, wenn sie die Beziehungen zwischen den Grenzen und dem
Terrain aufzeigen will. »Das Bild des Landes muß die Abgrenzungen
erläutern und erhält von ihnen wieder die Illustration seiner anthropo-
geographischen Bedeutung." Das ist ein Vorzug unseres Atlasses gegenüber
dem der Rheinprovinz, der, abgesehen von zwei Übersichtskarten, auf die
Geländezeichnung ganz verzichtet und Flächenkolorit anwendet. Er gibt also
eigentlich nur die kartographische Darstellung alter Grenzen, während beim
Atlas der Alpenländer der Grundsatz verwirklicht erscheint, die historischen.
Zustände auf das beste Bild der Erdoberfläche zu projizieren.
Die Landgerichtskarte entspricht nicht einem bestimmten Zeitpunkt,
wiewohl sie den Verhältnissen am Anfang des XIX. Jahrhunderts am nächsten
kommt, sie enthält vielmehr alle Landgerichtsgrenzen, die jemals bestanden
Literalurberichte. 227
haben. Mit Hilfe der beigegebenen E- läutei'ungen ist es möglich, das Ent-
stehen der Landgerichte tu verfolgen und sich den Zustand zu einem beliebigen
Zeitpunkt zu vergegenwärtigen. Die Vereinigung verschiedenaltriger Grenzen
auf einem Blatt stellt für den Benutzer in der Tat eine Erleichterung dar.
Die Landgerichtsgrenzen, die zuletzt bestanden, sind durch roten* Überdruck
hervorgehoben, vergeblich aber suchen wir die Farbbänder, die nach Mells
Karte die Grafschaftsgrenzen hätten bezeichnen sollen. Da mag mancher
enttäu.«;cht seih, das was Richter als das Hauptziel hingestellt hatte, ist nicht
erreicht. In diesem Punkte ist die Forschung noch nicht abgeschlossen,
namentlich im Hügelland .sind die ältesten Grenzen noch unsicher, der Atlas
aber soll nur ganz Sicheres enthalten. So entschloß man sich, einstweilen
von der Eintragung der Grafschaftsgrenzen abzusehen. Diese sollen später
mittels Öleaten (Deckblätter) oder kleinen Obersichtskarten nachgetragen
werden.
Neben den Landgerichten bringt die Karte noch die Hofmarken oder
Burgfriede zur Darstellung, geschlossene Gebiete niederer Kriminalgferichts-
barkeit. Die Burgfriede größeren Umfanges sind nath ihren Grenzen einge-
tragen, die ganz kleinen durch Signaturen ken»tHch gemacht. Auch die
Dominien, die Sitze der Zivil- (Patrimonial-)Gerichtsbarkeit haben ihre eigenen
Signaturen.
Von Ortsnamen sind vornehmlich historisch wichtige aufgenommen.
Einige Worte zur Orthographie der Ortsnamen. Daß man nicht alle möglichen
alten Namensformen aufnehmen konnte, daß man die heute gebräuchlichen
vorzog, ist natürlich. Aber unsere offiziellen Lexica halten vielfach f a 1 6 c h e
Schreibungen fest. Zahn, der sich über diese Frage in der Einleitung zu
seinem steirischen Ortsnamenbuch aussprach, meinte, die Staatsbehörden
wtirden einst daran gehen müssen, in diese Dinge Ordnung zu bringen.
Er selbst machte einen Versuch , die Namen so zu geben, wie sie historisch-
philologischer Forschung richtig erscheinen. Die Bearbeiter der Lan'lgerichts-
karte für Steiermark Sind ihm gefolgt, aber nur zum Teil. Ich finde die
Schreibung Seckau, PeCkau, Bäineck, Stätteck. Eckenberg, Reun statt der
offiziellen Schreibung Seggau, Peggau, Pernegg, Stattegg, Eggenberg, Rein,
während weitergehende Änderungen wie Gesting, Förnitz, Pels statt GÖsting,
Femitz, Pols nicht vorgenommen wurden.
Straßen sind in die Karte nicht eingetragen. Eine Darstellung auch
nur der Straßen von 1750 — 1850 hätte eigene Untersuchungen nötig gemacht,
die Karte soll außerdem die bleibenden Elemente geben. Immerhin wäre
die Einzeichnung der wichtigsten und der Hauptsache nach auch unveränderten
Verkehrslinien zur Orientierung nützlich gewesen.
Sehr wertvoll sini die Erläuterungen zum historischen Atlas. In
außerordentlicher Knappheit sind hier jene Daten vereinigt, die uns über die
Entstehung der einzelnen Landgerichte erhalten sind. Stammbäume gestatten,
den Auflösungsprozeß der Landgerichte zu verfolgen. Besonders hervorheben
möchte ich noch Pircheggers allgemeine Einleitung zu den Erläuterungen,
die eine klare Übersicht über die territoriale Entwicklung der Steiermark
und die Entwicklung des Gerichtswesens daselbst enthält. Noch eine Publi-
kation müßte der Landgerichtskarte zur Seite gehen, die Ausgabe der
I^andgerichtsbeschreibungen. Diese Grenzbeschreibungen aus ver-
schiedenen Zeiten sind die wichtigste Quelle für die Lnndgerichtsgrenzen.
Daneben kommen noch Landgerichtskarten und die topographischen Lexica
in Betracht. Die Landgeri chtsbj'schreibungen müssen gedruckt
werde n^ damit dcfr ortskundige Benutzer in der Lage ist, die Karte nachzu-
prüfen. Zugleich wurden sie für weitere Forschungen rechtshistorischer,
topographischer uud sprachlicher Art eine reiche Fundgrube darstellen.
228 Literaturberichte.
Die Landgerichtskarte wird in erster Linie unsere Kenntnis des
Gerichtswesens fördern. Aber auch eine ganze Menge anderer Piobleme
wird durch sie angeregt. Topographische Untersuchungen sind jetzt erleichtert,
nachdem die Unterteilung des Raumes erfolgt ist, die Frage nach den Verkehrs-
linien ist aufgeworfen, vornehmlich auch die interessante Grenzfrage. Schon
die Landgerichtskarte gibt reiches Material für diesen Gegenstand anthropo-
geographischer Forschung. So finden wir, um nur ein Beispiel zu bringen, neue
Belege fiir die Erkenntnis, daß Gräben und Engpässe sich nicht selten dem
Menschen mehr als Grenzen aufgedrängt haben als Gebirgskämme von
bedeutender Höhe und Schroffheit.
Untersuchungen, die mit dem Atlasproblera in Verbindung stehen.,
werden als Abhandlungen zum historischen Atlas im Archiv für österreichische
Geschichte herausgegeben. Die Titel der vier ersten Abhandlungen (Archiv 94,
Bd. VI u. 310 S.) sind schon im letzten Heft dieser Zeitschrift mitgeteilt.
Voltelini gibt einen Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Landgerichte mit
besonderer Rücksicht auf die Verhältnisse von Welschtirol. Daß die Land-
gerichte Trümmer der alten Grafschaften sind, darüber herrscht kein Zweifel,
die Frage nach den Ursachen, welche zu dieser Zfrsplitterung geführt haben,
hat jedoch noch keine befriedigende Lösung gefunden. Auf die Hundert-
schaften sind die Landgerichte nicht zurückzuführen, in Bayern hajt es keine
Hundertschaften gegeben. ,,Es wird überhaupt nicht gelingen, die Bildung
der Landgerichte mit einer einfachen Formel zu erklären." Ein Faktor ist
die Zunahme der Bevölkerung, dazu kommt der Umstand, daß die Graf-
schaften Lehen wurden und es nun zu Teilungen kam. .Auch die Immunität
konnte Veranlassung sein. Wo Streubesitz vorherrschte,, mußte sich ein
unerträgliches Durcheinander von Kompetenzen ergeben, man drängte auf
räumliche Abgrenzung. Innerhalb dieses geschlossenen Sprengeis konnte dann
auch die öffentliche Gerichtsbarkelt erworben werden. Einen wichtigen
Anstoß zur Teilung der alten Grafschaften sieht V. in der Burgen Verfassung.
„Alle Landgerichtsbarkeit jedoch, mag sie auch auf grundherrlichem Boden
oder selbst auf alter leibherrlicher Gerichtsbarkeit erwachsen sein, ist öffent-
lich-rechtlichen Ursprunges, ist nur durch eine Übertragung oder Usurpation
der Grafschaftsgerichtsbarkeit erwachsen." Zu diesem Ergebnis kommt auch
Eduard Richter in seinem Aufsatz: Immunität. Landeshoheit und
Waldschenkungen. „Niemals kann eine Immunität, die für zerstreuten
Grundbesitz gilt, einer Grafschaftserwerbung gleichzustellen sein, die sich auf
geschlossenes Gebiet bezieht." Geistliche Territorien, wie das Salzburger
entstanden nicht aus Immunitätsbesitz, sondern aus erworbenen Grafschafts-
rechten, Landgerichten. Weiter bespricht Richter in diesem Aufsatz noch die
Waldschenkungen an das Salzburger Hochstift und die Salzburger Urkunden-
fälschungen, In einem zweiten Aufsatz gibt Richter einen Beitrag zur Lösung
der für die historische Geographie so wichti^-en Frage nach dem Alter der
Gemeindegrenzen. Diese Untersuchungen müssen für jedes Land gesondert geführt
werden. Für Salzburg weist Richter nach, daß die heutigen Katastralgemeinde-
grenzen 1828/29 ohne Anlehnung an ältere Gemeindegemarkungen geschaffen
wurden, daß wir hier für das Bestehen von Gemeinden während des XVI.,
XVII, Jahrhunderts überhaupt keinen Anhaltspunkt haben. Im 4. Aufsatze ver-
breitet sich Strnadt auf Grund seiner reichen Materialsammlungen über die
Kolonisations-, Besitz-, Grenz- und Gerichtsverhältnisse des oberösterreichischen
Landes im Norden der Donau. Eine Karte bietet die kartographische
Rekonstruktion des Besitzstandes der weltlichen Grundherrschaften im Uzgau
und im Muhellande zu Beginn des XIII. Jahrhunderts (1:200000).
Wir haben es mit einem weitausschauenden Unternehmen zu tun,
eine bedeutende Arbeit ist in der Landgerichtskarte geleistet. Noch vieles
Literaturberichte. 229
«oll folgen. Die Entwicklung der kirchlichen Einteilung, vielleicht auch die
Kolonisations- und Nationalitätsverhaltnisse sollen dargfestellt, ein Atlas der
römischen Zeit in Angriff genommen werden, Arbeiten, die nur möglieh
sind, wenn der Atlas die gebührende Anerkennug findet. Er will zu weiteren
Forschungen benutzt, er will bei dem geringen Preise auch gekauft werden.
Hans Vuönik.
Die kirchliche Vogtei im Erzstifte Salzburg von
Dr. Franz Martin. (Sonderabdruck aus den „Mitteilungen
der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde", XL VI. Band, 1906.)
Unter den geistlichen Reichsfürstentümern auf heute österreichischem
Boden hat das Erzbistum Salzburg allein bis zum Untergange des „heiligen
römischen Reiches deutscher Nation" volle Landesherrlichkeit bewahrt. Diese
bevorzugte Stellung verdanken die Erzbischöfe neben anderen Umständen wohl
insbesondere ihrem eigenen Bestrel)eD, die erworbenen Grafschaftsrechte in
Händen zu behalten und nicht weiter zu verleihen. Die Bildung eines geschlossenen
Herrschaftsgebietes beginnt mit Anfang des 13. Jahrhunderts. (Histor. Atlas
der österr. Alpenländer. Erläuterungen zur Landgerichtskarte. Salzburg,
Blatt 8, 9. 16 und 17. Von E. Richter.) Eduard Richter (Ebend., und aus-
führlich: Untersuchungen zur historischen Geographie des ehemaligen Hoch-
stiftes Salzburg und seiner Nachbarg^biete, in den Mitteilungen des Instituts
für österreichische Geschichtsforschung, I. Ergänzungsband, S. 10 ff.) wies
nach, dafi sich dieses Gebiet mit dem ehemaligen Immunitätsgebiete nicht
deckt, sondern aus einer Reihe von Grafschaften oder Grafschaftsteilen
{^Gerichten, Schrannen) besteht, in denen die Kirchenftirsten die hohe Gerichts-
barkeit erwarben. Die Grundlage der letzteren war eine zweifache.
Unmittelbar waren es die Grafschaften als solche, durch deren Erwerbung
die Erzbischöfe die hohe Gerichtsbarkeit gewannen. Mittelbar dagegen tat
dies ein Rechtsinstitut, das aus dem Gedanken des Schutzes der Kirche
entstanden war, die Vogtei. Denn häufig erstreckte sich diese nicht bloß auf
die niedere, sondern auch überdies oder auch ganz allein auf die Blut-
■gerichtsbarkeit und so konnten die Inhaber der Vogtei häufig selbst landes-
herrliche Rechte über die bevogteten Kirchengüter ausüben. In beiden Hinsichten
finden wir seit dem 13- Jahrhundert eine eifrige Tätigkeit der Erzbischöfe,
jene für die Ausbildung der Landesherrlichkeit so bedeutungsvollen Gerichts*
rechte in die eigenen Hände zu bekommen. Der Prozeß des allmählichen
Anwachsens des Territoriums durch die Erwerbung von Grafschaften bildete
den Ausgangspunkt zur Herstellung der Blätter: Salzburg des jüngst
erschienenen hist. Atlasses der österr. Alpenländer und sind wir durch die
mustergiltigen Erläuterungen Ed. Richters darüber bestens unterrichtet. Was
-aber die Vogtei anlangt, fehlte es bisher an einer zusammenhängenden
Darstellung. Es ist daher eine dankenswerte Aufgabe, welche sich Martin
stellte, einmal in weiterem Umfange das über die Vogtei des Hochstiftes
Salzburg und der demselben unterworfenen Stifte vorhandene quellenmäßige
Material zu prüfen und die daraus geschöpften Ergebnisse in vorliegender
Abhandlung zu veröffentlichen. Vorerst «ei bemerkt, daß die Quellen für
diese Untersuchung (s. Einleitung S. 5) äußerst gering sind, und auch dort,
wo sie reichlicher fließen, sind es wesentlich nur die Namen der Vögte,
welche bei einer Rechtshandlung intervenierend oder gar bloß als einfache
Zeugen erscheinen. Über die Tätigkeit der Vögte ist so viel wie nichts
Obermittelt (s. S. 7). Aus diesen Gründen war auch schon die Art der
Forschung vorgezeichnet. Sie wird sich hauptsächlich darauf beschränken
zu zeigen, in welcher Reihenfolge die Vögte einander ablösen, in welchem
Zusammenhange gleichnamige, aber zeitlich auseinanderliegende Vögte stehen,
16
230 Litcraturberichte.
welchem Geschlechte sie angehören, u. ä. Die genealogischen Betrachtungen
Richters (Untersuchungen u, s. w.). Wittes (Genealogische Untersuchungen
zur Reichsgeschichte unter den salischen Kaisem, in den Mitt. des Inst. f. österr.
Gesch., V. Ergänzungsband.) und Eggers (Das Aritonenhaus, im Archiv für
österreichische Geschichte, 83. Band.) benutzend, bespricht Martin zunächst,,
und zwar am ausführlichsten die Entwickelung der Vogtei Ober das Hochstift
selbst und widmet einen eigenen Abschnitt dem Verhältnis der Herzoge von
Österreich zum Erzstifte als angebliche Vögte desselben. Als Untervogteien
des Erzstiftes wären jene über Reichenhall und die nördlich und stkdlich der
Stadt Salzburg gelegenen zu nennen, ebenso jene, welche die in Bayern.
Österreich, Steiermark, Kärnten und Tirol gelegenen salzburgischen Orte
und Verwaltungsmittelpunkte betreffen. Von den dem Hochstifte unterworfenen
Stiften findet zuerst das Domkapitel Berücksichtigung. Daran schließen sich:
St. Peter, Nonnberg, Michelbeuren und Högelwört als die im Stiftslande selbst
gelegenen Klöster. Zum Territorium Bayern gehörten: Reichersberg, Au an>
Inn, Gars, Herren- und Frauenchiemsee, Seeon, Attel, St. Zeno, Weyarn.
Suben, Raitenhaslach, Berchtesgaden und Baumburg. Von den, auf landes-
forstlich steirischem Boden befindlichen, Salzburg unterstellten Klöstern unter-
zieht der Verfasser namentlich Admont und Seckau (Chorherrenstift und
Bistum) einer genaueren Betrachtung, Reun, Vorau, Goß und St. Lamprecht
werden bloß gestreift. Für Kärnten sind Gurk, St. Georgen am Längsee und
Viktring hervorgehoben. Ein Überblick beschließt die Untersuchung, welcher
noch Regesten und Urkundeneditionen Ober Vogteiverhältnisse und schließlich
zur Erläuterung der genealogischen Ergebnisse eine Stammtafel der Familie
Erzbischof Odalberts- Aribonen- Spanheimer- Lebenauer- Ortenburger-Peilsteiner-
Burghausener, sowie d^r Hallgrafen-Wasserburg beigegeben ist. Die Arbeit
ist rein geschichtlich gehalten. Rechtsgeschichtlichen Problemen, wie: Aus-
dehnung der Immunität auf bestimmte Grenzen oder Standesklassen, Unter-
suchungen über die soziale Stellung des Vogtes, ob er ferner Ministeriale
oder Freier u. s. w., hat Martin vermieden. Der Verfasser war von dem
richtigen Gedanken geleitet, daß derartige Feststellungen weitergreifende
Sonderuntersuchungen voraussetzen, an denen es noch mangelt Außerdem
dürfte sich auf diesem Gebiete der angeführte Mangel an Quellen noch
fohlbarer machen als bei rein geschichtlichen Betrachtungen. Zum Schlüsse
noch ein Wort über die auf Steiermark bezüglichen Abschnitte. Die ganze
Anlage der Abhandlung rechtfertigt es, d;<ß der Verfasser den dieses Land
betreffenden Vogteiverhältnissen weniger Vertiefung widmete als es bei den
auf salzburgischem Boden gelegenen Klöstern der Fall ist. Nichtsdestoweniger
läßt sich eine Menge von Anregungen aus den Zeilen herauslesen, welche
eine eingehendere Überlegung verdienten. Die Zusammenstellungen bei Martin
würden eine genügende Grundlage bieten. Richard Meli.
Über Sonnenuhren. Beiträge zu ihrer Geschichte und
Konstruktion nebst Aufstellung einer Fehlertheorie. Von
Dr. Hans Löschner, k. k. Statthalterei-higenieur und gew.
Assistent und Supplent für Geodäsie an der technischen Hoch^
schule in Graz. Mit 72 Abbildungen im Texte. Zweite, umge-
arbeitete und vermehrte Ausgabe. Graz, Leuschner & Lubenskys
Universitätsbuchhandlung, 1906. 166 S. S».
Es mag vielfach befremden, daß in einer historischen Revue ein Werk
über Gnomonik zur Besprechung gelangt, da es auf den ersten Blick den
Anschein hat, als ob dieser Gegenstand lediglich zu mathematisch-natur-
wissenschaftlichen Disziplinen (Geodäsie etc.), keinesfalls aber zur Geschichte-
Literaturberichte. 231
und ihren Hilfswissenschaften in Beziehungen stünde. Das wäre nun allerdings
richtig, sofern man unter Historie nur die politische und Verwaltungsgeschichte
-subsumiert, keinesfalls aber, wenn dieser Begriff durch Einbeziehung der
Kultur- und Kunstgeschichte erweitert wird.
Die Sonnenuhren (Sonnenlote) haben — neben den Sand- und Wasser-
uhren — bis tief in die neuere Zeit herein fast ausschließlich als Zeitmesser
im öffentlichen wie im privaten Leben gedient; bei Expeditionen und Forschungs-
reisen können bewegliche (Reise-) Sonnenuhren auch heute noch geradezu
unentbehrlich sein (vgl. Löschner, S. 91). Es ist daher selbstverständlich,
daß die Kulturgeschichte Ober Entstehung und Konstruktion, Vervollkomm-
nung und Anwendung der' Sonnenuhr Aufschluß zu geben hat, während sich
die Geschichte der Künste um so mehr für die Entwicklung der künstlerischen
Ausgestaltung dieses Instrumentes interessieren wird, als neben dem praktischen
Zwecke dasselbe in sehr zahlreichen Fällen — ja heutzutage oft ausschließlich —
als Zier und Schmuck auf Plätzen, an Kirchen und Häuserfronten nicht
minder wie in privaten Gemächern eine bedeutende Rolle spielt. Übrigens
berührt sich naturgemäß die Gnomonik, die Lehre von den Sonnenuhren,
als solche mehrfach mit der historischen Chronologie und bildet derart eines
der GrenzgebiHe der Geschichtswissenschaft überhaupt.
Der Verfasser des vorliegenden Werkes — nebenbei gesagt ein ge-
bürtiger Steirer — gliederte dasselbe in fünf Abschnitte, deren erster, weit
über die Hälfte des Buches füllend, der Geschichte der Sonnenuhren gewidmet
ist, während die übrigen Theorie und Konstruktion dieser Instrumente be-
handeln. Von diesen Abschnitten ist der fünfte („Einfachste Herstellung von
Vertikal- und Horizontal-Sonnenuhren") bei Leuschner und Lubensky I906
als Separatabdruck erschienen. Den Interessen des Leserkreises dieser Zeitschrift
gemäß beschränkt sich die Besprechung hier auf den ersten Abschnitt und
wird bezüglich der rein mathematisch-technischen Kapitel zwei bis fünf auf die in
den entsprechenden Fachblättem erschienenen Kritiken verwiesen, so auf die im
Beiblatt zur Zeitschrift des österr. Ingenieur- und Architekten Vereines, 1905,
Nr. 40 ; Deutsche Literaturzeitung, 1906, Nr. 84; Astronomischer Jahres-
bericht, 1906, Bd. VII; Deutsche Mecbanikerzeitung 1906, S. 130; Kirchen-
schmuck, 36. Jahrg., Nr. 7, 1905; Deutsche Bauzeitung, 1905, Nr. 49; Zeit-
schrift für Architektur und Ingenieur wesen, Jahrgang 1906, Heft 1; Mittei-
lungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, 1906, IL;
Schweizerische Bauzeitung, V, 1. — Heimgarten, 29. Jahrg., 12. Heft, 1905.
Der erste, historische Abschnitt des Buches betitelt sich: „Zur
Geschichte der Zeitbestimmung mittels des Schattens'* und steht den anderen
Kapiteln so selbständig gegenüber, daß man den Verfasser ersuchen möchte,
ihn als Sonderschrift zu veröffentlichen und derart noch schärfer als historische
Abhandlung zu charakterisieren. Einleitend orientiert Verfasser im allgemeinen
über das Wesen der Sonnenuhren als der Meßinstrumente zur Ablesung der
„absoluten Zeit", gibt ihre Abgrenzung gegen die anderen Zeitmesser und
liefert sehr lehrreiche Vergleiche bezüglich der Genauigkeit von Werk- und
Sonnenuhren, wobei dargetan wird, daß selbst im Zeitalter der so überaus
fein und genau gearbeiteten ,, Chronometer" die gute alte Sonnenuhr ein
unter Umständen ganz vorzügliches Requisit geblieben und sehr geeignet ist,
„eine vortrefliche Kontrolle des Ganges der gewöhnlichen Uhren** zu geben.
Hieran schließt sich eine ,, Zusammenstellung der für den historischen
Teil benützten Quellen*', die 77 lateinische, deutsche, französische und
englische Quellenwerke, mit Ausnahme von Vitruvs „Architektur" sämtlich
der Zeit vom XVI. bis zum XX. Jahrhundert an gehörig, aufweist und an
sich geeignet ist den Bienenfleiß und die eindringende Genauigkeit des Autors
IG*
2B2 Literaturberichte.
bei Bearbeitung seines Stoffes in dai schönste Licht zu stellen. Es soll auch
gleich hier bemerkt sein, daft Dr. L6schner das gegenstXndliche Material zum
größten Teile selbst an den Fund-, beziehungsweise Aufstellungsorten auf-
genommen hat. Wie aus der Quellenreihe tu entnehmen, hat namentlich im
XVin. und in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts das theoretische
Interesse an der Gnomonik eine aufterordentliche Fülle darauf bezaglicher
Literatur hervorgerufen; gleichwohl kann auch die Zahl der im XVI. u. XVII.
Sftkulum veröffentlichten Schriften Ober Sonnenuhren nicht als gering be-
zeichnet werden (vergl S. 57 und 64). Derartige Werke, „welche erst so
recht auf wissenschaftlicher Grundlage aufgebaut sind**> gibt es allerdings
vor dem XIX. Jahrhundert nicht (S. 85 — 86). Neben dem Studium der
gnomonischen Denkmäler selbst und der BmQtzung der einschlägigen Fach-
literatur erscheinen durchwegs auch historische und kunsthistorische Werke
in vollkommen entsprechender Art und Weise zur Bearbeitung des Stoffes
herangezogen.
Der Autor hat den historischen Teil seines Buches selbst (S. 9) eine
j.Skizze" genannt. Gewifi wäre es möglich gewesen, im einzelnen noch mehr
illustrierende Beispiele beizubringen ; dennoch wird der Leser sofort erkennen, dafi
der Verfasser in methodisch unanfechtbarer Weise eine zwar gedränjgte ,doch voll-
kommen geschlossene Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Sonnen-
uhren von den primitivsten Anfängen und Versuchen im Kulturkreise der
alten orientalischen Völker bis herauf zu den feinen und künstlerisch voU
endeten Instrumenten der letzten Jahrhunderte geschaffen hat. Deshalb wollen
wir die allzubescheidene Bezeichnung „Skizze" ablehnen und den Abschnitt
lieber als ,, Darstellung der Geschichte und de« Vorkommens der Sonnen-
uhren' benannt wissen. Nicht vergessen sei, daß der Autor die Lesbarkeit
seines Werkes dadurch einem weite» Kreise sicherte, daß er alle nicht un-
bedingt als Belege notwendigen Anmerkungen und Noten zu vermeiden
wußte, eine Wohltat, die bekanntlich in Wissens haftlichen Schriften — histo-
rische nicht ausgenommen — öflers zum Schaden der Autoren und ihrer
Arbeiten außeracht gelassen wird.
Um auf einiKes aus dem reichen Inhalte des Buches hinzuweisen, sei
vor allem die fesselnde Darstellung der in Alt-Griechenland geübten Methoden
zur Messung relativer und absoluter Zeit (S. l8 ff.) erwähnt, weiters die
hochinteressanten Auseinandersetzungen, die sich auf die erste geschichtlich
bekannte Sonnenuhr beziehen: diese „erste" Sonnenuhr finden wir in der
Heiligen Schrift im IV.(II.) Buche der Könige, Kap. 20, 38, 48, dort erwähnt,
wo von dem bei der Heilung des Königs Ezechias durch den Propheten Isaias
geschehenen Sonnenwunder die Rede ist; Löschner weist nach, daß unter
den mancherlei Vcsuchen zur Rekonstruktion dieses Instrumentes der des
Augsburger Kunstlers Christophorus Schiß 1er (1578) der gelungenste ist.
Da hierbei eine natürliche Erklärung des Wunders erreicht wurde, konnte es
nicht ausbleiben, daß Schißlers Werk „einem geschickten Gottesleugner" zu-
geschrieben wurde. Die folgenden (S, 26 bis 43) Darlegungen Über die Sonnen-
uhren der Griechen und Römer bieten sehr beachtenswerte Beiträge zur
Geschichte der Zivilisation, der Wissenschaften und Künste der genannten
Völker sowie anschließend der Araber, als der nächsten Erben des geistigen
Lebens der Antike. Was sodann über die ganz originellen Erfindungen
der nordischen Völker (Angelsachsen und Skandinavier) auf dem Gebiete der
Gnomonik ausgeführt wird, ist überhaupt in deutschen Schriften noch nicht
behandelt worden. Der Theoretiker der Sonnenuhrkunst jenes Kulturkreises
ist Beda Venerabilis, jener Mann, der bekanntlich auch für die historische
Chronologie hohe Bedeutung erlangt hat. Die Leistungen des Mittelalters in
der Gnomonik waren unbedeutend; noch aus dem XV. Jahrhundert kann
Uteraturberichte, 233
der Verfesser uns nur zwei Schriftstelkr auf dem Felde der Sonnenuhrkunde
nennen, allerdings zwei berühmte Namen: Purer und Regiomontan. Aus
der Fülle des hochinteressanten Materials und der immer mehr anschwellen-
den gnomonischen Literatur vom XVI. Jahrhundert bis auf unsere Tage hat
Dr. Löschner all das an klassischen Beispielen einer eingehenden Erörterung
unterzogen, was aur sachlichen und künstlerischen Vervollkommnung der
Sonnenuhren an und für sich sowie zur Ausbildung der Sonnenuhrkunde geführt
und beigetragen hat. Das geschichtlich Bedeutsamste in dieser Periode der
Entwicklung der Gnomonik liegt einerseits in ihrem Zusammenhange mit
den Arbeiten zur gregorianischen Kalenderreform von 1582, worauf übrigens
nach meinem Dafürhalten der Verfasser näher hätte eingehen können, andrer-
seits darin, daß aus der — trotz Verbesserung der Werkuhren — sich immer
mehr steigernden Verwendung von Sonnenuhren den Künstlern , vor allem
der Renaissance und Barockzeit, mannigfache Anregungen und interessante
Probleme erwuchsen: Sonnenuhren gehören mit zu den schönsten und
sinnigsten Erzeugnissen der genannten Kunstperioden. Dr. Löschner hat da
namentlich auch alles im Gegenstande auf Steiermark Bezugliche, soweit es
zugänglich war, gewissenhaft verzeichnet und illustriert. — Die mit der Ent-
wicklung der Eisenbahnen in engem Zusammenhange stehende Verbreitung
des Signal- und Postwesens ließ vielfach im praktischen Leben die Sonnen-
uhr als entbehrlich, ja gewissermaßen als Symbol veralteter Einrichtungen
und hierdurch etwas lächerlich erscheinen; nur als Schmuck von Wänden
schien die ehrwürdige Sonnenuhr noch Berechtigung zu haben und so kam
es, daß in neuerer Zeit auf die Genauigkeit der Konstruktion gar kejn
Gewicht mehr gelegt wurde. Hierorts existiert eine öffentlich angebrachte
Wand-Sonnenuhr von derart falscher Konstruktion, daß sie beispielsweise
anfangs April um 3/48 morgens schon 12 Uhr mittags angibt; man wird
einräumen, daß in solchen Fällen wohl eher die Verständnislosigkeit und
Oberflächlichkeit der modernen Zeit zu belächeln wäre. (Vergl. Löschner,
S. 6. 87 u. 88.)
Mit einer Betrachtung Ober die Nutzanwenwendung von Sonnenuhren,
„die heutzutage größer ist, als mancher von tönenden Zeitsignalen umgebene
Städter glaubt," schließt Dr. Löschner seine lehrreichen, interessanten und —
was ich besonders hervorheben will — in einem sehr guten Deutsch
geschriebenen Ausführungen über die Geschichte der Gnomonik. Es sei hier
gleieh auf einen kurzen aber gut und übersichtlich orientierenden, illustrierten
Aufsatz Löschners hingewiesen in der Zeitschrift »Die Kirche, Zentralorgan
für Bau, Einrichtung und Ausstattung der Kirchen," Steglitz b. Berlin,
IV. Jahrg., I. Heft (Oktober 1906) worin die Sonnenuhr insonders als dekora-
tives Motiv für Kirchen und als pädagogischer Behelf bei Schulgebäuden
behandelt erscheint, hierbei aber auch wertvolle Winke bezüglich der Kon-
struktion gegeben werden. Besonders sei auf die Beschreibung der künst-
lerisch hochinteressanten, aus der Mitte des XVIU, Jahrhunderts stammenden
Sonnenuhr an der Südwand der Mariahilferkirche in Graz aufmerksam ge-
macht. (A. a. O.. S. 6 flf.)
Dieser Besprechung erübrigt nur noch, die schöne und klare Aus-
führung der (zinkographischen) Abbildungen, die vom Autor hergestellte
Zeichnungen und photographische Aufnahmen wiedergeben und von denen
44 zum I. Abschnitte gehören, sowie die sonstige vorzügliche Ausstattung
des Werkes in Papier und Druck anerkennend hervorzuheben. Möchte doch
jedes „Styriacum" bei so geringem Umfapge so gehalt- und wertvoll sein
wie dieses!
Graz, im Dezember 1906. Dr. phil. K, Hafner.
234 Literaturberichte.
Bericht Aber die Vorarbeiten zur Herausgabe des
Ergänzungsbandes der steirischen Taidinge. Erstattet von
Anton Meli, Wien 1906 (S.-A. aus den Sitzungsberichten
der kais. Akad. d W., Phil.-hist. Klasse, Bd. CLIV.)
Als im Jahre 1881 Ferd. Bischoff und Anton Schönbach den Band
„Steirische und Kärnthische Taidinge" herausgaben, schrieben sie in der
Einleitung, daß gegenüber der großen Anzahl von Gemeinden und ehemaligen
Guts- und Gerichtsherrschaften in der Steiermark die Anzahl der Weistümer
eine ziemlich geringe sei und sprachen die Hoffnung aus, daß derlei Rechts-
denkmale sich noch finden werden.
A. Meli hat sich nun seit längerer Zeit intensiv mit der Sammlung
weiterer steirischer Weistümer und verwandter Quellen beschäftigt und zwar
sowohl zur Erforschung der gutsherrlich-untertänigen Verhältnisse, als auch
für die ihm von der akademischen Kommission zur Herausgabe eines histo-
rischen Atlasses der Österreichischen Alpenländer aufgetragenen Sammlung der
Grenzbeschreibungen der früheren Landgerichte, Hofmarken, Freiungen und
Burgfrieden. Derselbe hat noch eine Anzahl von Urkunden und Akten
gefunden, welche in naher Beziehung zu den Taidingen stehen, in denen die
Rechte der einzelnen Herrschaften in bezug auf Gerichts-, Wald-, Jagd-
und Fischereihoheit und die Verpflichtungen der Untertanen aufgezeichnet
sind und die eine Fülle von Nachrichten bringen Ober Beziehungen zwischen
Grundherren und Untertanen, namentlich für jene Gegenden, aus denen Weis-
tümer nicht erhalten sind.
Daran schließen sich Aufzeichnungen über die Bestallungen der herr-
schaftlichen Richter und Amtsleute und deren Instruktionen, über die
Dingung von Dienstboten und deren Besoldung, über die von den Untertanen
zu leistenden Abgaben und persönlichen Dienste etc., Rechtsaufzeichnungen,
die als mit den Weistümern verwandte Quellen bezeichnet werden können.
Die mit großem Eifer und ebensoviel Sachkenntnis gesammelten 139 Stücke
werden nun hier vorläufig beschrieben.
König Albreciit II. (1437—1439) von Dr. Wilhelm
Wostry. Prag, Rohliöek u. Sievers, 1906, III u. 180 S.
(Prager Studien aus dem Gebiete der Geschichtswissen-
schaft, herausgegeben von Prof. Dr. A. Bachmann, Heft XII.)
Die vorliegende, von einer guten Charakteristik dieses tatkräftigen
Herrschers eingeleitete Studie behandelt Albrecht II. (V.) letzte zwei Lebens-
jahre, die ihm mit dem Tode Siegmunds den Anfall der Kronen von Ungarn
und Böhmen, sowie jenem der deutschen Königskrone brachten. Die hier
behandelten Anfänge seiner Regierung waren erfüllt von Sorgen: als eifriger
Katholik und Deutscher begegnet er starker einheimischer Gegnerschaft in
Ungarn und besonders im tiberwiegend utraquistischen Böhmen, wo sich eine
polnische Gegenkanditatur zwar nicht hintanhalten, aber auch ohne allzu
große Mühe aus dem Felde schlagen ließ. Dazwischen verfolgen wir das
RSnkespiel der Kaiserin Witwe Barbara, die als eine geborne Gräfin von
Cilli und Schwester des Grafen Ulrich unser Interesse besonders in Anspruch
nimmt. Albrecht II. Politik war zunächst auf erreichbare Ziele gerichtet, und
suchte in Böhmen und Ungarn Ordnung zu schaffen ; der Erlangung der deutschen
Königs-, bezw. Kaiserkrone stand er nahezu gleichgiltig gegenüber, sie war dem
von Sorgen erfüllten Manne fast eine Last. Das letzte Regierungsjahr und
das frühe Lebensende des Herrschers, durch welches alle diese Verhältnisse
Literaturberichte. 285
gänzlich umgestaltet wurden, sollen ihre Darstellung in einem weiteren (dem
XIII.) Hefte der Prager Studien finden, dessen Erscheinen man mit Inter-
esse entgegensehen darf. M. Doblinger.
Stegenäek Augustin: Cerkveni spomencki Lavantinske
äkofije, I. Dekarija gornjegrajska. (Kirchliche Denkmäler der
Lavanter Diözese, I. Bd. das Dekanat Oberburg. Mit 162 Abb.,
3 Taf. Marburg 1905. Selbstverlag des Verfassers. Groß-Oktav,
XVI u. 240 S.
Der vorliegende Band bildet den ersten Teil eines größeren Werkes,
das die Überreste der kirchlichen Kultur und Kunst aller 24 Dekanate der
Lavanter Diözese vom rein historischen und archäologischen Standpunkte
aus betrachten, sammeln und der Wissenschaft zugänglich machen soll.
Dieser Band behandelt das Dekanat Oberburg und ist in zwei Haupt-
abschnitte eingeteilt: a) Kapitel I— XII; b) XIII- XIV.
Die erste Kapitelgruppe umfaßt das große Material der eigentlichen
Realien, die Denkmäler selbst. Die Methode, nach der der Verfasser die
Denkmäler gruppiert hat, verleiht diesem Teile des Buches eine sehr will-
kommene, einheitliche und das Studium sehr erleichternde Übersichtlichkeit.
Jede der elf Pfarrkirchen des Dekanates erhält nämlich je ein Kapitel, wobei
der Verfasser die bisher übliche Reihenfolge des Ignaz Oroien und den
Schematismus der Lavanter Diözese mangels einer einheitlichen Idee verwarf
und die geographische Lage der einzelnen Pfarren seinem Werke zugrunde
gelegt hat. Vom Sannursprung an schreitet die Darstellung stromabwärts
und behandelt so nacheinander folgende elf Pfarren: I. Maria Schnee in
Sulzbach, II. St. Lorenz in Leutsch, III. St. Xaveri in Strafe samt der
Expositur St. Jakob in Okonina. V. St. Cantius in Riez , VI. Nazareth, VII.
St. Georgen in Praßberg, VIII. St. Michael ob Praßberg, IX. Maria Stift*
X. St. Hermagoras und Fortunatus in Oberburg, XI. St. Martin bei Ober-
burg. Zu jeder Pfarre werden sodann die zahlreichen Filialkirchen und
sogar die Feldkapellen in das betreffende Kapitel einbezogen.
Jede Kirche behandelt der Verfasser nach der gleichen Disposition,
indem er bei einer jeden 1. den Bau selbst bespricht, 2. die vorhandenen
Fresken, 3. die Geschichte der Kirche, wobei er sehr gründlich die bisherigen
Spezial werke sowie das archivalische Material berücksichtigt, 4. die Altäre
und deren Geschichte, 5. die Ausstattung der Kirche, 6. die Ölgemälde
und Statuen, 7. die etwaigen Kleinodien und Meßgewänder und 8. die Grab-
denkmäler.
Das XII. Kapitel bringt als Abschluß dieses ersten Teiles die Resultate
der vorausgegangenen historischen Untersuchungen in acht Übersichtstabellen,
und zwar l . die Übersicht der 1 1 Pfarrkirchen nach dem Verhältnisse ihres
Flächeninhaltes, 2. die chronologische Übersicht der Kirchenbauten, 3. die
historisch-topographische Übersicht der Kirchengemeinden, 4. die Kirchen
und Ihre Ausstattung in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts, 5. die
chronologische Übersicht der bemerkenswerti?sten Skulpturarbeiten des Ober-
burger Dekanates, 6. die Übersicht der datierten Fresken, 7. die der
datierten Ölgemälde und 8. das Künstlerverzeichnis in alphab€^tischer Reihen-
folge mit Lebensskizzen und Werken.
Die den zweiten Teil des Buches bildenden zwei letzten Kapitel bringen
eine geschichtliche und kulturell sehr bemerkenswerte, auf diesem Gebiete
noch gar nicht gepflegte Studie über die Heiligen, die im Oberburger
Dekanate verehrt werden, mit sehr guten Übersichtstabellen (Kap. XIII), und
236 Literaturberichte.
zum Schluß zwei ^Matriculae peractionum in Parochia Lu(e sec. XVIII^,
auf deren Grundlage drei Studien über Feiertage, Prozessionen und einige
rituale Eigentümlichkeiten folgen. (Kap. XII )
Den Text begleiten zahlreiche zweckentsprechende, hie und da viel-
leicht nur zu kleine Reproduktionen, was höchstwahrscheinlich der Ökonomie
des Raumes zuzuschreiben ist. Die Grundrisse sind einhoitlich (l : 400), die
architektonischen Details, die fiußeren Kirchenansichten u. dgl. liegen dem Leser
in meist sehr deutlichen Abbildungen vor.
Sehr schätzenswerte Beiträge sind die Aufnahmen aus der Schatz-
kammer St. Xaveri und der zehn Ölgemälde des bekannten Kremser
Schmidt und die Eingangstafel „der heilige Thomas" von Mencinger (pag,
143 — 151) aus der Pfarre Oberburg, sowie die Beschreibungen dieser Kunst-
werke, wobei besonders die des hl. Thomas hervorzuheben ist. Der Ver-
fasser ließ die Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen, auch den Ästhetischen
Wert der Denkmäler, bei anderen wieder ihren archäologischen zu betonen.
So bedeutet dieser mit großem Fleiße, gründlicher Sachkenntnis und
kritischer Gewissenhaftigkeit verfaßte und auf streng wissenschaftlicher
Forschung beruhende erste Band einen entschiedenen Vorstoß in ein bisher nur
spärlich bebautes Gebiet der Kunst- und Kulturgeschichte SOdsteiermarks.
Wenn der Verfasser noch eine deutsche Inhaltsangabe mit Hervorhebung der
wichtigsten Resultate beigeschlossen hätte, würde das vorzügliche Werk eine
größere Verbreitung finden. Hoffentlich wird A. StcgenSek bei der Heraus-
gabe des zweiten und der folgenden Bände diesem Wunsche der deutsehen
Forscher Rechnung tragen. — n —
Eine obersteirische Bauerngemeinde in ihrer wirt-
schaftlichen Entwicklung 1498—1899. I. Teil. Von Doktor
Hubert Wimbersky. Verlag von Ulrich Mosers Buchhand-
lung (J. Meyerhoff). Graz, IQ07.
Der Verfasser untersucht auf Grund streng statistischer Forschungs-
methode den wirtschaftlichen Entwicklungsgang der unter der ehemaligen
Herrschaft Groß-Sölk gestandenen obersteirischen Ortsgemeinde St Nikolai
in der inneren Groß-Sölk und behaLdelt im vorliegenden Teile das Ehe-
güter- und das Erbrecht in der Gemeinde, Besitz Veränderungen und Besitz-
dauer, die Siumerstraße, die Agrargemeinschaften, Wald und Wild, Besteue-
rung der Untertanen, Preise und Löhne, und berichtet zum Schlüsse an-
hangsweise über die Versuche zum Bergbau auf edle Metalle. Nacti Einlei-
tung S. 2 wird der zweite Teil des Werkes voraussichtlich noch im Laufe
des heurigen Winters erscheinen und die Darstellung der Verteilung von
Grund und Boden, die Besitz- und Urbarialverhältnisse. die Bewegung der
Bevölkerung in der Gemeinde, die auf die Errichtung der Pfarre bezugneh-
menden Daten, sowie eine kurze Darstellung der Geschichte der Herr»chaft
selbst und ihrer Verwaltungstätigkeit enthalten. Schon aus dem vorliegenden
ersten Teile ersieht man, zu welchen für die Wirtachaftsgeschichte bedeu-
tungsvollen Ergebnissen Wimbersky mittelst der statistischen Wissenschaft,
deren Grundsätze er gewissenhaft anwendet und durchfühlt, gelangt ist.
Eine eingehende Besprechung wird nach Erscheinen des zweiten Teiles s^n-
gesichts des ganzen Werkes erfolgen. Soviel kann heute schon gesugt wer-
den, daß der Verfasser mit seiner äußerst wertvollen Arbeit mit viel Glück
ein Gebiet anschnitt, auf dem noch sehr viel wird gearbeitet werden müssen,
bis wir an eine umfassende • Wirtschaftageschichte unseres Landes werden
schreiten können.
Literaturberichte. 237
Der Festungsbau zu FOrstenfeld 1S56~-1563. Von
Dr. Anton Kapp er. Graz, 1906. Ulrich Mosers Buchhand-
lung (J. Meyerhoflf). 75 S.
,,Wer imnier der glänzend verlaufenen Wander Versammlung des histo-
rischen Vereines für Steiermark im Sommer dieses Jahres in FOrstenfeld bei-
wohnte, wird sich des ebenso interessanten als lehrreichen Vortrages (über
die Befestigungen dieser Stadt erinnern, den der Verfasser daselbst, begleitet
von Lichtbildern, hielt, und des Augenscheines, den die zahlreichen Teil-
nehmer, geführt von demselben Forscher, am folgenden Tage von den Resten
der Fortifikationen und von FOrstenfeld nahmen. Dieser Vortrag liegt nun
bedeutend erweitert im Drucke vor und bietet einen wertvollen Beitrag zur
Geschichte dieser Stadt, aber auch zu der des ganzen Landes und des Be-
festigungswesens in diesem."
Geschichte des DiOzesan - Priesterhauses. Mit einem
geschichtlichen Rückblick über die Heranbildung des Klerus
der katholischen Kirche überhaupt und des Seckauer Klerus
insbesondere. Von Dr. Anton G r i e ß 1, Direktor des Priester-
hauses. Graz, 1906. Verlagsbuchhandlung „Styria".
Eine Gelegenheitsschrift nennt der Verfasser bescheiden die vorlie-
gende Schrift, die derselbe, mit großer Gewissenhaftigkeit und geschickter
Ausnützung eines großen Quellenmateriales, getragen von der Liebe zum
Gegenstande, verfaßte und der Öffentlichkeit vorlegt. Bereits 1894 hat der
Verfasser für „die theologischen Studien und Anstalten der katholischen
Kirche in Österreich* einen geschichtlichen Abriß Ober dieses Institut ge-
schrieben. Da derselbe aber nicht allgemein zugänglich ist, hat er sich ent-
schlossen, diese erweiterte Geschichte des von ihm geleiteten Institutes ge-
wissermaßen als schriftliches Denkmal für alle Leiter desselben während des
nun über 150 Jahre währenden Bestandes (1755) seinen Mitbrüdern zu
schenken. Der vorgeschwebte Zweck dürfte dem Autor, dessen persönliche
Liebenswürdigkeit auch im Werke sich wiederspiegelt, in Anbetracht des
reichen Inhaltes vollinhaltlich gelungen sein. Neben dem Kapitel über das
Unterrichtswesen im Mittelalter interessiert uns sehr jenes über die Grün-
dung des Konviktes in Graz, weil darin erschöpfend die Baugeschichte eines
der größten Gebäude der Stadt behandelt ist. Der Bau des Kollegiums wurde
vom Erzh. Karl 1572 begonnen und im nächsten Jahre war bereits der Trakt
in der Bürgergasse an der Stelle des alten Stadt pfarrhofes vollendet. lÖQl
wurde dasselbe erweitert und zum großen Quadrate ausgebaut, das heute
unter dem Namen Priesterhaus bekannt ist, 1097 kam das Haus in der
Hofgasse dazu, das 1617 von den steirischen Klöstern zum heutigen „StÖckel'*
ausgebaut wurde. 1607 wurde das Eck Bürgergasse-Hofgasse (Alte Univ.-
Bibliothek) und der Kefektoriumtrakt erbaut, 1745 wurde auf diesen das
astronomische Observatorium mit der Sternwarte aufgebaut, in der P. Josef
Liesganig den Meridian von Graz berechnete und die I789 abgetragen werden
mußte. Der das Kollegium mit der Domkirche über die Bürgergasse ver-
bindende Gang, die im oberen Stockwerke eine Kapelle beherbergte, fiel 1831.
Außer anderem Buchschmucke finden sich sehr gelungene Abbildungen Erzh.
Karls II., Kaiser Ferdinands IL und der alten Universität von 1700.
„Aus Brucks Vergangenheit. — Geschichtliche Streif-
ztige. — I. Der Schrecicenstag von 1792." Nach Quellen des
238 Literaturbsrichte.
Steiermärkischen Landesarchives und der Landesbibliothek be-
arbeitet von G. S. 1906. Verlag H. Smrczek, Brück a. d. Mur.
KI.-80, 18 S.
In fesselnder, anschaulicher Weise schildert das BQchlein den großen
Brand, der am 8. September 1792 die damalige Kreisstadt Brück a. d. M.
total einäscherte, die für die Bewohner daraus entstandenen harten Folgen,
die von Landesfürst, Behörden und dem Lande Steiermark, besonders der
Stadt Graz, ausgeführte Rettungs- und Hilfsaktion und den Wiederaufbau
der Stadt. — Über fünf Millionen Kronen heutigen Wertes gingen bei der
Katastophe dem Nationalvermögen binnen zwei Stunden verloren ; neben den
Häusern und der Habe der Einwohner hat die Wut des grausen Elementes
damals auch das Verwaltungsarchiv der Kreishauptmannschaft, die Archive
der Kirchen und der Stadt vernichtet ; namentlich der Verlust des Stadtarchives,
das — wie aus spärlichen, bewahrt gebliebenen Resten zu schließen — für
die Ortschronik und ebenso für die steirische Landesgeschichte als Quellen-
sammluDg von hervorragendster Bedeutung gewesen sein muß, ist vom Stand-
punkte des Historikers zu beklagen.
Das vorliegende Werkchen ist besonders deshalb zu begrüßen, weil
der Verfasser hiermit seine wahrhaft glückliche Idee zu realisieren beginnt,
die Geschichte eines bedeutenden steiri.schen Ortes zu Nutz und Frommen
weiter Kreise in Monographien en miniature aufgelöst darzustellen; auf
authentische, zeitgenössische Quellenberichte gegründet, mit wissenschaftlichem
Ernste, aber ohne gelehrten Ballast, in leichtfaßlicher Form und guter Sprache
bearbeitet, dabei nicht umfangreich und daher billig im Preise, wird das
Büchlein — und gewiß auch seine Nachfolger — auf einen großen Leser-
kreis, auch unter den weniger bemittelten Schichten, rechnen dürfen. Die
Abnahme oder das gänzliche Fehlen des „historischen Sinnes** im Volke wird
allerorten beklagt. Hier haben wir einen Fingerzeig, wie die Erweckung,
beziehungsweise Festigung dieses gewiß sehr schätzenswerten „historischen
Sinnes'* u. a. versucht werden kann. Derartige kleine, monographische Bear-
beitungen der Orts- oder Landesgeschichte werden es sein müssen, aus denen
„das Volk" seine Kenntnisse von der historischen Entwicklung der engeren
Heimat, des Landes, des Staates u. s. w. schöpfen soll : sie empfehlen sich
eben durch all das, was vorher an dem Büchlein des Autors rühmend her-
vorgehoben werden mußte. (In mustergiltiger Art und Weise erscheint die
Idee solcher Monographien durchgeführt in Dr. A. Kappers „Der Festungsbau
zu Fürstenfeld*'.) — Diese Bemerkungen richten sich in erster Linie an alle
jene, die hierzulande „Ortsgeschichte** schreiben. Mit großen, gelehrten und
teueren Büchern ist in diesem Belange, der doch meistens zunächst popu-
lären Zwecken zu dienen hat, gar nichts getan: niemand kauft sie, niemand
liest sie, weil sie zu kaufen niemand genug überflüssiges Geld, sie zu lesen
niemand genügend freie Zeit hat. Leider ist hier nicht Platz genug, auf diese
interessante Frage näher einzugehen.
Die nette Ausstattung des vorliegenden Werkchens sei noch hervor-
gehoben; das Format der folgenden Abhandlungen könnte aber wohl etwas
größer ausfallen. K. Hafner.
Führer durch das steiermärkische kulturhistorische
und Kunstgewerbe - Museum zu Graz. Von Karl Lacher.
Graz, 1906. Im Verlage des Museums.
Vor kurzem erschien die vierte Auflage des „Führers durch das
kulturhistorische und Kunstgewerbe-Museum**, verfaßt vom Direktor Pro-
Zeitschriftenschau. 239
fessor Karl Lacher. Diese Auflage kommt nahezu einer Neubearbeitung
gleich, welche durch die in den letzten Jahren erfolgte Ausgestaltung des
Museums und die teilweise Neuaufstellung der Sammlungen notwendig ge-
worden war. Der Führer weist auf alle wichtigsten Stücke der Sammlungen
hin, enthält viele technologische und historische Notizen und ist daher wohl
geeignet, nicht bloß bei flüchtigem Besuche, sondern auch bei eingehen-
dem Studium der Sammlungen als wertvoller Ratgeber zu dienen.
In der Einleitung bietet uns der Verfasser eine üt)er.sichtliche Ge-
schichte der Sammlungen, die über alle wichtigen, die Entwicklung des Mu-
seums seit der Gründung des Joanneums bis auf die jüngste Vergangenheit
betreffenden Ereignisse Aufschluß gibt. Von großem Interesse ist die am
Schlüsse dieser Einleitung dargebotene Statistik über die Erwerbung der Be-
stände des kulturhistorischen und Kunstgewerbe-Museums; sie zeigt das er-
staunlich rasche Anwachsen der Sammlungen, und sprechen die folgenden
trockenen Ziffern klarer, als es die wärmsten Worte vermöchten, was be-
geisterungsvolle Hingabe, verbunden mit größter Sachkenntnis, hier geschaffen
haben. — Nach dieser Statistik „enthielt das kulturhistorische und Kunst-
gewerbe-Museum im Juli 1906 ohne Vorbildersammlung und Handbibliothek
1 1 .023 Musealgegenstände ; von diesen Kunstschätzen sind 1 290 den Bestän-
den des ehemaligen «Historischen Museums* am Joanneum entnommen, 2 106
Objekte lieferte die Sammeltätigkeit des Landesmuseum -Vereines Joanneum
und 1998 jene des Vereines zur Förderung der Kun-tindustrie (jetzt Kunst-
gewerbe-Verein), welche Sammeltätigkeit bekanntlich bei beiden Vereinen von
Professor K. Lacher geleitet ward; seit der Errichtung der Direktion des
kulturhistorischen und Kunstgewerbe-Museums erwarb Lacher als dessen
Vorstand 7629 Gegenstände. Hievon wurden 3172 Gegenstände teils als
hochherzige Widmungen, teils unmittelbar dem Museum übergeben, zum
größten Teile aber aus Anlaß der Bereisungen des Landes durch den Direk-
tor erzielt.'*
Direktor Lacher, der nunmehr die von ihm geschaffenen Samm-
lungen nach seinem Installationsplane so übersichtlich aufstellen konnte,
bietet durch den vorliegenden Führer nun den Besuchern unseres prächtigen
Museums gewiß einen vollkommenen Begleiter dar, und wollen wir es nicht
versäumen, auf dies handliche Werkchen besonders aufmerksam zu machen.
Zeitschriftenschau.
Maximilian L Die Skizze „Ständische Verfassungskärapfe in Öster-
reich vor dreihundert Jahren" von Karl Fuchs in den „Historisch-politi-
schen Blättern", Bd. 138, 9. Heft, schildert die Kämpfe Maximilians I. mit
den Ständen feiner Erblande. Der Verfasser sieht in den Bestrebungen des
Kaisers die Keime der „österreichischen Staatsidee".
Zur Gescliichte der Gegenreformation in Innerösterreich.
Im Anzeiger der philosophisch-historischen Klasse der kaiserlichen Akademie
der Wissenschaften in Wien vom 10. Oktober 1906, Nr. XX, berichtet das
korrespondierende Mitglied Hofrat Prof. Dr. Joh. Loser th über seine mit
Unterstützung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften unternommene
Durchforschung von Archiven in Ungarn und Kroatien behufs Herausgabe
240 Zeitschriftenschau.
des zweiten Teiles der Akten und Korrespondenzen zur Geschichte der Gegen-
reformation in InnerÖsterreich unter Ferdinand II. und macht auf einige im
ungarischen Nationalmuseum befindliche, für die steirische Verwaltungsgeschichte
außerordentlich wichtige Handschriften besonders aufmerksam.
Indigenat und Inkolat. in ungemein fesselnder Darstellung be-
handelte Holrat Dr. A. v. Luschin-Ebengreut im österreichischen Staats-
wörterbuch, II. Band, S, 886 — 897. den Begriff und das Wesen des Indigenats
und des in Österreich meist als gleichwertig behandelten Inkolats in den alt
österreichischen Ländern von den ersten Anfängen, in Steiermark bereits seit
dem Aussterben der Traungauer, um nach eingehender Würdigung der Blüte-
zeit von 1500 bis 1750 und des Verfalles bis 1848 die heutige Bedeutung
des Inkolats darzustellen.
Böhmisches aus steiermflrkischen Archiven. Von Professor
Dr. J. Loser th. In dem Sammelbande, den der Verein für Geschichte der
Deutschen in Böhmen dem VI. deutschen Archivtage und der Hauptversamm-
lung des Gesamtvereines der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine im
September dieses Jahres widmete, findet sich neben anderen interessanten Auf-
sätzen auch ein wertvoller Beitrag zur Geschichte Böhmens aus den Archiven
unserer grünen Mark von Seite unseres bewährten Forschers auf dem Ge-
biete des Protestantismus. Besonders enge wurden die Beziehungen zwischen
Steiermark und Böhmen, als die steirische Linie des Hauses Habsburg nait
Ferdinand II. die böhmische Krone erlangte und der große deutsche Krieg
mit dem böhmischen Aufstande seinen Anfang nahm, dessen Stürme auch das
steirische Land zu erschüttern drohten. In diese Tage des 30jährigen Krieges
versetzen uns einige Briefe und Akten, die teils aus dem steiermärkischen
Landesarchive, teils aus dem Grazer Statthaltereiarchive stammen oder end-
lich dem Archive der gräflichen Familie Stubenberg entnommen sind.
Steiermärlcische Geschichtschreibung von 1850 bis in die
Gegenwart Von Franz II wo f. (Deutsche Geschichtsblätter, VIII. Band.
1. Heft, S. 1 — 19.) Als Schluß der in den von Dr Armin Tille heraus-
gegebenen deutschen Geschichtsblättern erschienenen Artikelreihe, difc sich mit
der steiermärkischen Geschichtschreibung beschäftigt und wovon bis jetzt er-
schienen sind : Steiermärkische Geschichtschreibung im Mittelalter, IV. Band,
S. 89—101 ; Steiermärkische Geschichtschreibung vom XVI — XVIII. Jahr-
hundert, IV. Band, S. 288 — 298, und Steiermärkische Geschichtschreibung
von 1811 — 1850, V. Band, S. 202— 213, hat Ilwof im vorliegenden Auf-
satze diesen Stoff für das letzte halbe Jahrhundert sehr übersichtlich zusam-
mengestellt und in äußerst dankenswerter Weise möglichst erschöpfend be-
handelt.
Historisch-geographische Probleme. Auf dem neunten deut-
schen Historikertag in Stuttgart hielt Oswald Redlich einen Vortrag unter
obigem Titel, der mit einzelnen Änderungen und Zusätzen im vierten Hefte
des XXVII. Bandes der Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsfor-
schung (und auch als Sonderabdruck den Teilnehmern am VI. deutschen Ar-
chivtage in "Wien gewidmet) erschien. Wenn jemand über historisch-geogra-
phische Probleme das Wort ergreifen kann, so ist es sicherlich Oswald Red-
lich, der d rch seine intensive Beschäftigung mit dem historischen Atlas
der österreichischen Alpenländer außer E. Richter das Wesen und die Auf-
gaben der historischen Geographie, die Verknüpfung der Wissensgebiete von
Geschichte und Geographie am meisten erfaßte. Die historische Geographie
soll nicht bei der historischen Topographie stehen bleiben, „Viel zu sehr noch
begnügen wir uns mit der althergebrachten Meinung, daß die Feststellung der
Lage und Namen aller Orte, Flüsse, Berge, Grenzen u. s. w. die ganze histo-
Zeitschrift enschau. 241
rische Geographie ausmache." Unendlichen QuellenstolV, aus dem die histori-
sche Landschafts- und Länderkunde zu schöpfen hat, bieten die historischen
Quellen, so z. B. „ftir die Geschichte des Waldes, die menschliche Besiedlung
lind alle die Veränderungen, die der Mensch durch seine Kultur am Kleide
der Natur hervorbrachte, und umgekehrt für den Einfluß, welchen der Boden,
die Gewässer und die gesamten physisch-geographischen Verhältnisse auf die
Betätigung des Menschen geübt haben.** Aus den historischen Quellen soll
eine allgemeine und kritische Sammlung der Nachrichten
über Elementarereignisse und physisch-geograpilische Ver-
hältnisse derVergangenheit angelegt werden, die nur territorial und
nach und nach verwirklicht werden kann.
Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs* Die „Gesell-
schaft für neuere Geschichte Österreichs** widmete den Teilnehmern an der
Hauptversammlung der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in Wien
im September d. J. eine Festgäbe unter obigem Titel. Dieselbe enthält fol-
tjende Aufsätze: ^Ein unbekannter Brief Hartmuths von Cronberg an den
Statthalter Erzherzog Ferdinand." Von Georg Loesche. — „Ein handels-
politisches Projekt Ferdinands I. aus dem Jahre 1527." Von Wilh. Bauer.
— „Die Frage der Anerkennung Heinrichs IV. durch Rudolf IL** Von Hans
Schütter. — «»Das russisch -österreichische Heiratsprojekt vom Ausgange
des XVI. Jahrhunderts.** Von Hans Übersberger. — „Erzbischof Markus
Sittich beim Ausbruche des 30jährigen Krieges." Dazu einige Aktenstücke.
Mitgeteilt durch Josef Lampe 1. — „Eine Hymne an Wallenstein." Mit-
geteilt von Hermann Ha 11 wich* — „Briefe aus dem Lager vor Ofen 1684.**
Mitgeteilt von Eleonore Gräfin von Lamberg. — ,)Das Achtedikt gegen
Räk/)czy und Bercs^nyi 1709.** Mitgeteilt von Oskar Freih. von Mitis. — *
..Gentzens Übertritt von Berlin nach Wien.** Briefe an den Grafen Philipp
Stadion. Mitgeteilt von August Fournier. — „Das kaiserliche Handbillett
aus Wolkersdorf (29. Mai 1809) für Tirol ** Von losef Hirn. — „Zur An-
lage einer Autographen.sammlung für die Wiener Hofbibliothek 1829 — 1832.
Ein Beitrag zur österreichischen Archivgcschichte. Von M. Mayr. — „Fürst
Kaunitz über die Bedeutung von Staatsarchiven.** Mitgeteilt von Gustav
Winter.
Studien zum älteren österreichischen Uricundenwesen.
Von 0.skar Freiherm von Mitis. Der Verein für Landeskunde von Nieder-
r>sterreich vsridmete diese, das Babenberger Urkundenbuch würdig einleitende
Abhandlung, die das erste Heft einer fortlaufenden Serie darstellt und die in
Archiv.skreisen und in jenen der geschichtlichen Hilfswissenschaften vollste
imd berechtigte Anerkennung finden wird, den Teilnehmern an der heurigen
Hauptversammlung. — Außerdem widmete derselbe Verein auch eine Sonder-
ausgabe des „Monatsblattes**, V. Jahrg., 1906, Nr. 7 — 9, mit Aufsätzen von
Josef La m p e 1 : „Antonio Calvi**, Oswald Red lieh: „Principe.s in com-
pendio*, Anton Mayer: „Zur niederösterreichisch - ständischen Verfassungs-
imd Verwaltungsfrage in den Jahren 1848 — 1861**, Karl Giannoni: „Der
historische Atlas der 6sterr Alpenländer und die Landeskunde**.
Verzeichnis des Kuefsteinschen Famiiienarchives in Greil-
lenstein aus dem Jahre 1615. Herausgegeben von Kari Graf Kuef-
stein. Als Manuskript gedruckt. Gewidmet den Teilnehmern am sechsten
deutschen Archivstage in Wien. Nicht immer vvmrden und werden auch heute
noch in adeligen Häusern die Familienarchive, oft die einzigen Quellen für
die Geschichte des eigenen Hauses, des Schutzes fQr wert erachtet. Eine
rühmliche Ausnahme macht die gräfliche Familie Kuefstein, die bereits zu
Beginn des XVII. Jahrhunderts ihr Archiv gut in Ordnung hielt und inven-
242 Zeitschriftenschau.
tarisierte, ein seltenes, so frühes Beispiel der Katalogisierung eines Privat-
archives. Graf Karl ist der würdige Nachfolger des edlen Freiherm Hans
Georg 111., dessen wohlstudierte Söhne Jakob, Ludwig, Lorenz und Wilhelm
das Archivsinventar von 1615 selbst anfertigten, da er nun dieses der Mit-
welt überlieferte, als Zeugnis edlen Familiensinnes und Wertschätzung der
alten Familiendokumente.
Aus der protestantischen Zeit von Leoben. Von Hofrat Pro-
fessor Dr. J. Loser th. So betitelt sich ein gehaltvoller Aufsatz in dem
Jahrbuche de^ Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Öster-
reich, XXVII. Jahrg., S. 79 — lio, den der Verfasser als Vortrag am 3. De-
zember 1905 in Leoben, gestützt auf ein reiches Quellenmaterial, hielt und
der in dieser Vorlage etwas erweitert wurde.
Erneuerte und erweiterte Weisungen gegen die oberstei-
rischen Protestanten aus dem Jahre 1764. Am selben Orte, s. 111,
findet sich obiges, von Karl Reißenberger mitgeteiltes kaiserliche Patent
vom 3. Oktober 1764 aus dem Grazer Statthaltereiarchive.
Ein Verzeichnis der durch den zehnten Pfennig in Unter-
krain eingegangenen Strafgelder in den Jahren 161^1618 ver-
öffentlicht Dr. Fr. Ahn in demselben Jahrbuche S. 115—122.
Steirische Transmigranten in Siebenbflrgen. im Korrespon-
denzblatt des Vereines für siebenbürgische Landeskunde, XXIX. Jahrg., Nr. 10
und 11 (auch S.-A.), bringt Karl Reißenberger einen äußerst gehalt-
vollen und lesenswerten Aufsatz über dieses Thema. Am 2. August 1752
fanden von Pürgg aus die ersten Transmigrationen statt, denen aus dem
Ennstale noch weitere bis 1772 folgten. Dem Aufsatze, wozu zum größten
Teile das Materiale aus dem Grazer Statthaltereiarchive verarbeitet wurde,
sind interessante Transmigrantenverzeichnisse angeschlossen.
Kaiser Josef 11. als VolllSWirt. Regierungsrat Dr Franz Ilwof
erfreute am 16. November eine zahlreiche Zuhörerschaft im Vortragssaale
der Landesbibliothek durch einen Vortrag über obiges Thema. Die Aufgabe,
welche sich der Gelehrte gestellt hatte, bestand darin, die B^eutung des
großen Kaisers als Volkswirt einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen.
Dieselbe gestaltete sich zu einer äußerst interessanten Studie, die uns das
Wirken des großen Habsburgers lebendig vor Augen führte. Der Vortragende
erörterte zunächst die Grundlagen der Josefinischen Wirtschaftspoltik, besprach
dann eingehend die Maßnahmen, welche der Kaiser zur Hebung der Land-
wirtschaft, jenes wichtigsten Zweiges der Volkswirtschaft getroffen, erinnerte
dabei an die Aufhebung der Leibeigenschaft in den Sudeten ländern etc., an
die Schaffung der Krei^ämter, an die Ausarbeitung des neuen Katasters und
an all das, was Josef II. während der kurzen Zeit seiner Regierung für die
Landwirtschaft geleistet und angestrebt und das erst durch das Jahr 1848
seine volle Verwirklichung gefunden hat. Nicht minder eingehend besprach
Ilwof das segensreiche Wirken des großen Kaisers in allen anderen Zweigen
der Volkswirtschaft, so seine gesunden Maßnahmen zur Hebung des Hand-
werkes, des Handels, der Industrie, sowie seine zollpolitischen Verordnungen
und Erlässe. Der Aufsatz erscheint demnächst in den „Preußischen Jahr-
büchern" in Druck,
Die Auflösung des deutschen Reiches behandelt Otto Franz
Gensich en als eine Säkularerinnerung in einem lesenswerten Aufsatze der
„Grazer Tagespost" vom 5. August 1906, Nr. 213. Dasselbe Thema behan-
delt unter dem Titel „Das Ende des heiligen römischen Reiches
deutscher Nation" Dr. Emil Turau im „Grazer Tagblatt" vom 5.August
1906, Nr. 213.
Zeitschriftenschau. 24S
Stammbuchblfltter aus dem Jahre 1848. Aus dieser Zeit des
echtesten deutschen Idealismus veröirentlicht unser bewährter heimischer
Historiker Dr. Franz Ilwof in der „Grazer Tapespost" vom 24. August
1906 eine Anzahl im Besitze des Herrn Friedr. Formacher v. Lilienberg in
t).-Landsberg befindlicher Stammbuchblätter, welche der Abgeordnete der
Grazer Studenten, stud. med. Wolf, auf dÄn Studentenparlamente zu Eisenacb
in den ersten Tagen des Oktober 1 848 sammelte. Die sechzehn Namen sind :
M. Bardeleben, J, Joel, Isidor Jordan, Fr. Martin, Val. May, G. Meßmer, E. L.
Molke, Ig. Neudorfer, Fr. Oberth, E. Peters, W. Piper, Jos. Preißler. Fr. Re-
chenberg, Gg. A. Schmitt, A, Wagner, Karl Schurz.
Kaiserreise vor 50 Jahren. Volksschullehrer i. R. Thomas Chri-
stian Arbeiter hat zum 19. November seine der Festausgabe der „Ulustr.
österreichischen Alpen zeitung" im August d. J. gewidmete Veröffentlichung r
„Zur 50jahreserinnerung an die Reise Ihrer Majestäten Kaiser Franz Josef I.
und Kaiserin Elisabeth von Österreich durch Kärnten und Steiermark, vom
2. bis 4. September 1856", in mehrfach erweiterter Fassung als besondere
Broschüre im Verlage der „Styria" in Graz erscheinen lassen.
Franz Graf von Meran. In der „Allgemeinen deutschen Biogra-
phie", herausgegeben von der historischen Kommission der kön. bayrischen-
Akademie der Wissenschaften (Leipzig, Duncker & Humblot) ist kürzlich ein
interessanter Aufsatz über Graf Franz von Meran, den Sohn des Erzherzogs
Johann, von Dr. Franz Ilwof, erschienen. Derselbe ist bekanntlich auch
Verfasser der im Gedenkbuche des Historischen Vereines für Steiermark (Mit-
teil., Bd. 39) erschienenen Mitteilungen über den Grafen Franz von Meran.
Die pragmatische Sanktion, über diesen Gegenstand veröffent-
licht ein ungenannter Verfasser (vermutlich Gustav Turba) im 34. Bande-
(1906) der „österr.- Ungar. Revue", Heft 1 ff., eine Darstellung auf Grund
archivalischer Forschungen mit besonderer Rücksicht auf die Länder der
Stephanskrone, die manch „Neues zur Entstehung und Interpretation 1703^
bis 1744** ans Licht bringt.
Ein Rückblick auf 1866. Die Nummern 159— 162 (12.— 15. Juni
d. J.) des „Grazer Tagblatt'* bringen anläßlich des Dienstjubiläums des
Generalstabschefs FZM. Freiherrn v. Beck eine Reihe von Aufsätzen, die sich
mit den noch \\renig aufgeklärten Vorgängen im Hauptquartier der Nordarmee
unmittelbar vor und nach der Katastrophe von Königgrätz sowie mit der Sen-
dung beschäftigen, die der damalige Oberstleutnant v. Beck als Vertrauens-
mann des Kaisers in Königgrätz und Olmütz zu erfüllen hatte. Ebenso finden
sich in der „Neue freie Presse" vom 24. Juni 1906 Erinnerungen an l866-
in Italien vom FZM. Zeno Grafen von Welsershaimb.
Aus dem Tagebuche des Freiherrn von Poche (1862—1864),
des gewesenen Statthalters von Mähren, macht Ferdinand Menöik in der
„österr. Rundschau", Band VII. Heft 86 ff., Mitteilungen, die in bezug auf
die innerpolitischen Vorgänge unter der Ära Schmerling von Interesse sind.
Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog, heraus-
gegeben von Anton Bettelheim. Der IX. Band (1906) dieses Jahrbuches
enthält die Totenliste vom l. Jänner bis 31. Dezember 1904 aber auch-
Nachträge zu den Jahren 1903 und 1902. Wir finden darin eine umfang-
reiche Würdigung Th. Mommsens aus der Feder L. M. H a r t m a n n s, sowie
eine eingehende Biographie Rudolf v. Delbrücks von K. Helfferich. Dem
Staatsmanne und steirischen Volkswirte Adalbert Grafen v. Kottulinsky wid-
met Prof. v. Zwiedineck einen warmen Nachruf, während Prof. U h 1 i r z-
über Paul Scheffer -Boichorst berichtet. Femer enthält das Jahrbuch unter
244 Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen.
anderem Lebensbeschreibungen von Moritz v. Angel! (H. Friedjung), Ottokar
Lorenz (A. Fournier), Friedrich Ratzel (v. Hantzsch), Friedrich W. Schierm-
macher (A. Vorberg), Karl Anton Freih. v. Stremayr (K. Freih. v. Lemayer)
und Alfons Stübel (v. Hantzsch). Eine fein ausgeführte Heliogravere Fried-
rich Ratzeis schmückt das Buch.
Die Kaisergruft im Dome zu Speyer» ihre Geschichte und
ihre Erneuerung in den Jahren IQCK) bis 1905 bespricht H. Grauert in
einem längeren Aufsatze in der „Beilage zur Allgemeinen Zeitung" (München),
Jahrgang 1906, Nummer 246 — 249.
Über „Die Schlachten bei Custozza vor 58 und vor 40 Jahren**
bringt die „Österr.-ungar. Revue**, Band XXXIV, Heft 5 u. 6, eine Abhand-
lung vom Generalkonsul E. Nowak in Wien.
Über „Das historische Interesse der modernen Gesellschaft"
stellt Dr. Alfons Dopsch in der „Österr. Rundschau", Band IX, Heft 2,
vom 15. November 1906, interessante Betrachtungen an.
Theodor Ritter V. Sickel, der am 18. Dezember 1906 seinen
80. Geburstag feierte, widmet der mährische Landesarchivar Dr. B. B ret-
holz ein Gedenkblatt in der „Österr. Rundschau", Band IX, Heft 4, vom
15. Dezember 1906.
Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven,
Museen.
Hauptversammlung des Gesamtvereines der deutschen
Oeschichts- und Altertumsvereine und der VI. deutsche Archiv-
tag in Wien, 24. bis 28. September 1906.
Zum erstenmale hatten die österreichischen Fachgenossen die Freude,
die lieben Kollegen aus dem Reiche auf österreichischem Boden begrüßen zu
können. Wohl kaum eine andere Stadt wie Wien war dazu geeignet, die
Hauptversammlung des Gesamtvereines und den VL deutschen Archivtag in
ihren Mauern zu beherbergen. Die herrliche Kaiserstadt an der Donau verlieh
der imposanten Versammlung so recht den würdigen Rahmen und manch
lieber Genosse aus dem Reiche ging heim voll Bewunderung für die schöne
Stadt und deren gastfreundliche Bewohner wie nicht minder voll Hochachtung
vor dem, was hier deutsche Geistesarbeit Großes und Herrliches geschaffen.
Bei der reichen Geistesarbeit sowohl wie beim frohen Genüsse kam immer
wieder das Gefahl der politischen und wirtschaftlichen Gemeinsamkeit zum
Ausdrucke und die Überzeugung, daß die deutsche Wissenschaft durch keine
Grenzpfahle eingeengt ist.
Den VL deutschen Archivtag leitete ein gemütlich verlaufener
Begrüßungsabend am 23. September im „Riedhof" ein. Um 9 Uhr des nächsten
Tages begann im kleinen Festsaale der Universität die Tagung.
Geheimer Archivrat Dr. Grotefend (Schwerin) eröffnete als ältestes
Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses die Versammlung und schlug
den Direktor des k. u. k. Kriegsarchives Exz. F.-M.-L. E. Woinovich v.
Belobreska zum Vorsitzenden, Hofrat Dr. G. .Winter, Direktor des
k. u. k, Haus-, Hof- und Staatsarchives zum Stellvertreter und den Haus-,
Ans Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen. 245
Hof- und Staatsarchivar Dr. Schütter zum Schriftführer vor. Der Vor-
sitzende wies in einer kurzen Begrüßungsansprache auf die Bedeutung des
Archivtages hin, wodurch auch die Besitzer von Privatarchiven angeregt
werden, ihre Archive nach modernen Grundsätzen zu ordnen und zu er-
schließen. Darnach sprach Archivdirektor Dr. Schneider (Stuttgart) über
„Archivaliens chutz in Württemberg*', wodurch die Zuhörer Einblick
gewannen in eine mustergültige Archivsorganisation eines ganzen Landes. Einen
Oegensatz zu der straffen Organisation in Württemberg bildet das österreichische
Archiv wesen, was wir aus dem nächsten Vortrage des Archivdirektors Prof.
D r. A. Meli aus Graz über „Archive und Archivwesen einer öster-
reichischen Landschaft" ersehen. (Der Vortrag erschien in Druck im
„Korrespondenzblatt des Gesamtvereines"' Nr. 11 u. 12, S. 507 — 5 15, und
-wird demnächst in erweiteter Form in den „Veröffentlichungen der Hist.
T^andes-Kom. f. Steiermark" erscheinen). In Österreich entwickelte sich das
Archiv wesen territorial und getragen von einzelnen Persönlichkeiten, die dem
betreffenden Archive ihr eigentümliches Gepräge verliehen. In Steiermark war
es Erzherzog Johann, der spätere Reichsverweser des Jahre^ 1848, der 181 1
das Joanneumsarchiv in Graz als Zentralstelle der im Lande verstreuten
Archivalien ins Leben rief und auch hier bahnbrechend wirkte. Damit wurde
1868 das Archiv der steirischen Stände vereinigt und so das jetzige Landes-
archiv geschaffen. Das 1906 dem Namen nach errichtete Statthaltereiarchiv
wäre am zweckmäßigsten mit dem Landesarchive zu vereinigen. Meli fordert
die Anlage von Archivkatastern und Inventaren, die Abfassung von Archiv-
geschichten und Ausgabe jährlicher Rechenschaftsberichte. Auch der Zu-
sammenschluß aller österreichischen Archivare zu gemeinsamer Aussprache wäre
wünschenswert
Damach sprachen noch Archivdirektor Dr. V. A. Secher (Kopen-
hagen) über „Ordnungsprinzipien im dänischen Archivwesen"',
Archivrat Prof. Dr. Warschauer (Posen) über „DiePhotographieim
Dienste der archivalischen Praxis", und zum Schlüsse Hofrat Dr.
Winter zur „Einführung in das neue Gebäude des k. u. k.
Haus-, Hof- und Staatsarchi ves", der als Vorbereitung für die nach-
mittags stattfindende Besichtigung galt und der durch seine klassische Form-
vollendung und Klarheit, wie die von idealer Begeisterung für seinen Beruf
zeugende Wärme, mit der Hofrat Dr. Winter sein Thema behandelte, allge-
meine Bewunderung erregte und unauslöschlich im Gedächtnisse der glück-
lichen Zuhörer bleiben wird.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen im „Riedhof", das I40 Teil-
nehmer, viele mit ihren Damen, und Wiener Gäste vereinigte, fand um 3 Uhr
nachmittag die Besichtung des k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchives statt
partienweise unter Führung des Direktors und der Beamten, wobei wir eine
mustergültige moderne Archivanlage kennen lernten. Wer sich darüber noch
genauer unterrichten will, dem empfehlen wir Dr. Winters Werk: Das neue
Gebäude des k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchives in Wien.
Der nächste Archivtag soll getrennt von der Hauptversammlung des
Gesamtvereines der deutschen Geschieht s- und Altertumsvereine in Karlsruhe
abgehalten werden. Es kamen auch Frankfurt und Mannheim in Betracht.
Die Entscheidung wurde dem geschäftsführenden Ausschusse überlassen.
Im Anschlüsse an den Archivtag fand die Hauptversammlung
des Gesamtvereines der deutschen Geschieht s- und Alter-
tumsvereine vom 24. bis 28. September statt. 280 Personen nahmen
daran teil. Von den 172 Vereinen des Gesamtvereines waren 51 vertreten.
Nach einer gemütlichen Vorbegrüßung Montag abend in Palace-Hotel
eröffnete um 9 Uhr des nächsten Tages der Vorsitzende Geheimer Archiv-
17
246 Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen.
rat Dr. P. Bailleu (Berlin) die Versammlung durch Begrüßung der Er-
schienenen und erstattete den Geschäftsbericht über das Vorjahr. Damach
sprach Prof. Dr. Fournier (Wien) Über: Österreich und Preußen-
Deutschland in den ersten Jahrzehnten des XIX. Jahrhunderts,
und bei der allgemeinen Versammlung abends Generalmajor i. R. D r. v.
Pf ister (Stuttgart) über: Der Tag von Jena, seine politischen und
militärischen Voraussetzungen. Daran schloß sich um 8 Uhr ein
gemütlich verlaufener, geselliger Abend im Annahofe mit musikalisch-dekla-
matorischen Vorträgen, wobei der Wiener Volksgesang- Verein verdienstvoll
mitwirkte. Am Mittwoch sprachen um 9 Uhr Prof. Dr. v. Schröder
(Wien) über: Die Religion der arischen UrvÖlker, und Prof. Dr.
Dragendorff (Frankfurt a. M.) über: Altertumsforschungen in
Nordwestdeutschland und führte treffliche Skioptikonbilder vor. Den
letzten öffentlichen Vortrag hielt Hofrat Dr. Piper (München) über:
österreichische Burgen. Um 8 Uhr abends vereinigte das Festmahl
im Hotel Savoy die Teilnehmer zu gemütlicher Runde.
Ebenso mannigfaltig waren die Gegenstände, die in den einzelnen Ab-
teilungssitzungen verhandelt wurden. In der Abgeordnetensitzung am Mittwoch
wurde beschlossen, aus der IV. Abteilung für historische Hilfswissen-
schaften das Archivwesen wegen der nun ständigen Archivtage
auszuscheiden , und diese Abteilung als solche für Numismatik,
Heraldik, Sphragistik und Geneologie zu schaffen. Den Vorsitz
dieser übernahm Dr. E. Bahrfeldt (Berlin). Archivrat Dr. Zimmermann
(Wolfenbüttel) erstattete den Kassebericht. Anschließend beantragte Ge-
heimer Archivrat Dr. Wolfram (Metz) einen ständigen Betrag für
einen Berichterstatter eines großen Korrespondenzbureaus in das ständige
Budget einzustellen. Die satzungsgemäß ausscheidenden Ausschußmitglieder
Geheimer Archivrat Dr. Bailleu, 1. Vorsitzender Generalmajor
Dr. V. P f i s t e r , II. Vorsitzender und Rechnungsführer Archivrat
Dr. Zimmermann wurden wiedergewählt. Für die ausscheidenden Mitglieder
Geh. Archivrat Dr. Grotefend und Prof. Dr. v. Zwiedineck-
Südenhorst wurden Prof. Dr. Redlich (Wien) und Oberregierungsrat
Dr. Ermisch (Dresden) gewählt. Außerdem wurde beschlossen, den Vor-
stand noch um drei Stellen zu vermehren, und fiel die Wahl auf Prof. Dr.
A n t h e s (Darmstadt), Prof. Dr. Brenner (Würzburg) und Prof. Dr.
Dragendorff (Frankfurt a. M.). Die nächste Hauptversammlung soll in
Mannheim stattfinden, von welcher Stadt Prof. Walter eine Einladung
überbrachte.
Die I. und II. Abteilung hielt Dienstag und Mittwoch zwei Sitzungen
ab. In der ersten berichtete Prof. Anthes (Darmstadt): Über die
Organisation der römisch-germanischen Lokal forschung in
Westdeutschland, Prof. Dr. Bormann (Wien) über : Die Arbeiten
der österreichischen Linieskommission. In der zweiten Museums-
direktor Dr. Seger (Breslau) über: Spuren römischer Kultur in
Schlesien, Prof. Dr. Hoernes (Wien) über: Die Stufen und
Gruppen des Gräberfeldes von Hallstadt, und Prof. Dr.
Kubitschek (Wien) über: Wien in römischer Zeit. Im Anschluß
daran bereitete Kustos Dr. Frankfurter durch treffliche Skioptikon-
bilder auf den Ausflug nach Carnuntum vor.
Die V. volkskundliche Abteilung hielt gleichfalls ihre Sitzungen
am Dienstag und Mittwoch ab unter dem Vorsitze Dr. Brenners. Auf
den schriftlich eingebrachten Antrag des Oberlehrers Dr. Wossidlo (Waren
in Mecklenburg) erklärte nach lebhafter Wechselrede die Versammlung ein-
stimmig die Errichtung einer Zentralstelle für volkskund-
Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen. 247
liehe Bibliographie und Stoffsammlung für dringend notwendig.
Der gleichfalls schriftlich eingebrachte Antrag Dr. Lauf fers (Frankftirt a. M.),
die V.Abteilung in Zukunft: Abteilung für Volks- und Altertums-
kunde zu nennen wurde einstimmig abgelehnt. Einen höchst eigenartigen
Abschluß erhielt die I. Sitzung durch den Vortrag von Prof. Dr. Pommer
(Wien) über: Jauchzer und Jodler der deutsch-Österreichischen
Alpenländer. In der Sitzung am Mittwoch nachmittag berichtete Dr.
B r e n n e r über die Ergebnisse der versendeten Fragebogen zur Bauern-
hausforschung. In Österreich ist man bereits daran, einen Atlas der
Bauernhaus formen zu bearbeiten. Prof. Dr. Meringer (Graz) sprach
über die Frage: Woher stammt das oberdeutsche Haus und weiter,
woher stammt die Stube und der Stubenofen. Er beantwortete sie dahin:
Der Ofen stammt daher, woher das Wort Kachel komfht, nämlich aus dem
römischen Wohnhause.
Die III. und IV. Abteilung hielt am Mittwoch eine Sitzung ab, in der
Oberregierungsrat Dr. Ermisch den Vorsitz führte. Privatdozent Dr. Wolf
(Freiburg i. B.) sprach über die Aufgaben und Grundsätze der
deutschen Territorialpolitik in der Reformationszeit.
Die fünf vereinigten Abteilungen hatten am Dienstag und Donnerstag
gemeinsame Sitzungen. Dr. Swarowsky, Geograph des hydrotechnischen
Zentralbureaus in Wien, berichtete übereinesystematischeSammlung
der historischen Nachrichten über Elementarereignisse und
physisch-geographische Verhältnisse, wozu als Korreferent auch
Prof. Redlich das Wort ergrifl' und anknüpfend an seinen Vortrag auf
dem letzten Historikertage über historisch-geographische Probleme
die Wichtigkeit einer solchen Sammlung betonte. Redlich legte auch die
erste Lieferung des historischen Atlasses der österreichischen
Alpenländer vor, wobei er der unvergeßlichen Verdienste E. Richters
gedachte. Daran knüpfte sich, eingeleitet von Grotefend in Anlehnung an
ein eingeschicktes Referat v. Thudichums über den Stand der Grund-
kartenarbeit eine längere Wechselrede über die Anwendbarkeit dieses
Prinzips auf Österreich. Redlich erklärte zum Schlüsse, daß sich die Atlas-
kommission noch einmal mit der Grundkartenfrage beschäftigen werde. Sodann
lag noch ein Bericht A. Tilles über die Archivsinventarisationen
vor, der vom Vorsitzenden kurz mitgeteilt wurde, worauf Prof. Wolfram
über die teils vorhandenen, teils im Entstehen begriffenen historisch-
topographischen Wörterbücher berichtete. Zum Schlüsse sprach
noch Archivrat D r. Beschorner (Dresden) über den Stand der Flur-
namenforschung in Deutschland. Er beantragte die Fassung folgen-
der Resolution: Die vereinigten fünf Abteilungen halten es für
angebracht, daß alle Geschichtsvereine noch einmal auf die
Notwendigkeit desFlurnamens am melnshingewiesenwerden.
Donnerstag lo Uhr fand die Schlußsitzung statt, in der Anthes,
Er misch und Brenner über die Tätigkeit der einzelnen, Bailleu über
die Sitzungen der vereinigten fünf Abteilungen berichteten und der Vorsitzende
mit dem Danke an alle Teilnehmer für den befriedigenden Verlauf der Versamm-
lung dieselbe schloß. Sodann eilte alles zum festlichen Empfange in das Rathaus,
den die gastliche Stadt und ihr Bürgermeister Dr. Lueger den Teilnehmern
am VI. deutschen Archivtage und an der Hauptversammlung bereitete. Die
Festgäste wurden durch die reichen Sammlungen der Stadt Wien geleitet, im
Salon des Bürgermeisters mit einer Ansprache empfangen und zum Festbankette
in großem Festsaale geleitet. Dabei wurden Reden und Trinksprüche gehalten,
wovon einer in der Presse zu heftigen Erörterungen Veranlassung gab. Am
nächsten Tage folgten zahlreiche Teilnehmer einer freundlichen Einladung
17*
248 Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen.
Sr. Exz. des Herrn Grafen Wilczek zur Besichtigung der in historisch-
archäologischer Treue wieder aufgebauten und bis in die kleinsten Einzel-
heiten stilgerecht ausgestatteten Burg Kreuzen stein und ebenso einer des
Stiftes Klosterneuburg zur Besichtigung der Sehenswürdigkeiten des-
selben. Am Samstag schloß ein Ausflug nach Carnuntum die Haupt-
versammlung, die einen so ausnehmend würdigen Verlauf genommen hatte
und die bei allen Teilnehmern einen dauernden Eindruck hinterließ. Da
hatten sich die deutschen Österreicher von der besten Seite gezeigt.
Als Festgabe erhielten die Teilnehmer am Archivtage und der Haupt-
versammlung eine Anzahl Widmungen. So von der „Gesellschaft für
Münz- und Medaillenkunde in Wien" eine schöne Bronzemedaille,
die auf dem Avers die Gestalt Mühlbachers, am Schreibtische sitzend, zeigt,
wie er eine Kaiseruilcunde studiert, und auf dem Revers die Universität Wien,
sodann vom „Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen-*»
von der „Gesellschaft für neuere Geschichte Österreichs", vom
„Altertumsvereine zu Wien", vom „Verein für Landeskunde
vonNiederösterreic h", von der „Gesell schaftfürdie Geschieh te
des Protestantismus in Österreich", von der „Numismatische
Gesellschaft in Wien", der k, k. heraldischen Gesellschaft „Adler*,
ferner „Deutsche Geschichtsblätter", herausgegeben von A. Tille und
der Stadtvertretung ein vornehm ausgestattetes Bilder werk ,, W i e n". Die
Einzelwidmungen wurden bereits auf Seite 240 — 242 angefahrt.
Bericht der Kommission fUr neuere Gescliichte Öster-
reichs für das Jahr 1905/06. Die diesjährige Vollversammlung der Kom-
mission für neuere Geschichte Österreichs fand am 31. Oktober
1906 im Institute für österreichische Geschichtsforschung in Wien unter dem
Vorsitze Sr. Durchlaucht des Prinzen Franz von und zu Liechtenstein statt.
Im Berichtsjahre wurde der erste Band der österreichisch-englischen
Staatsverträge, der die Zeit bis 1748 umfaßt und von A. F. Pribram
bearbeitet wurde, ausgegeben. (Innsbruck, Wagner, 1907.) Die anderen
Arbeiten der Abteilung Staatsverträge haben normalen Fortgang genommen :
Staatsarchivar Hans S c h 1 i 1 1 e r hat die Haupteinleitung der Verträge mit Frank-
reich vollendet und die Einleitungen der Einzelverträge bis zum westfälischen
Frieden gefördert; ebenso hat Dr. Heinrich R. v. Srbik die Haupteinleitung
der Österreichisch-niederländischen Konventionen beendet und die archivalische
Arbeit bis zum Jahre 1716 geführt; die Bearbeitung der Konventionen mit
Siebenbürgen wurde von Dr. Roderich Gooss bis 1 645 durchgeführt, so daß
in Jahresfrist diese Gruppe der Staatsverträge fertiggestellt sein dürfte. Des-
gleichen stellt Dr. Ludwig Bittner die Vollendung des zweiten Teiles des
„Chronologischen Verzeichnisses der Österreichischen Staatsverträge** in Aus-
sicht. Für die Herausgabe der Korrespondenz Ferdinands I. hat Mitarbeiter
Dr. Wilhelm Bauer neues Material im Hofkammerarchive und in dem
Familienarchive des Haus-, Hof- und Staatsarchives gesammelt; er holft, im
nächsten Jahre einen großen Teil der Korrespondenz druckfertig vorlegen zu
können. Leider wurde Dr. Karl G o 1 1 , der ihn in der Arbeit unterstützte, durch
eine Veränderung seiner amtlichen Stellung gezwungen, aus dem Unternehmen
auszuscheiden. Die Vorarbeiten für die Ausgabe der Korrespondenz
Maximilians II. hat Dr. Viktor Bibl begonnen und zu diesem Zwecke
eine Studienreise nach Mantua und Florenz angetreten.
Von Thomas Fellners hin terlassenem Werke „Die österreichische
Zentralverwaltung, I. Abteilung: Von Maximilian I. bis zur Vereinigung
der böhmischen und österreichischen Hofkanzlei (i749). bearbeitet und voll-
endet von Heinrich Kretschmayr", ist der I.Band der Akten beilagen mit
den Dokumenten von 1491 bis 1681 bereits im Diiick vollendet, der 2. Band
Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen. 249
befindet sich unter der Presse, so daß das Erscheinen der ganzen I. Abteilung.
welche aus einer geschichtlichen Übersicht (Bd. l) und zwei Aktenbänden
(Bd. 2 und 3) bestehen wird, im Verlage von Holzhausen, Wien, iro Laufe des
Jahres 1907 mit voller Sicherheit zu erwarten ist. Dem Buchhandel wird das
Werk erst nach Fertigstellung sämtlicher drei Bände übergeben werden. Die
Kommission hat eine Fortführung dieser für die österreichische Verwaltungs-
geschichte so erwünschten Publikation bis zum Jahre 1846 beschlossen und
mit der Bearbeitung Heinrich Kretschmayr betraut.
Die dritte Veröffentlichung in diesem Berichtsjahre. ist das erste Heft
der „Archivalien zur neueren Geschichte Österreichs, verzeichnet
im Auftrage der Kommission für neuere Geschichte Österreichs" (Wien, Holz-
hausen, 1907). Berichte über die ungemein reichhaltigen Privajtarchiye hoch-
adeliger Häuser Österreichs bilden den Inhalt dieser Hefte, die in zwangloser
Folge erscheinen werden ; das eben ausgegebene umfaßt das Lobkowitz'sche
Archiv in Raudnitz, die fürstlich Schwarzenbergischen Archive in Krumau und
Wittingau, das gräflich Buquoysche in Gratzen, das, Archiv des Museum^, des
Königreiches Böhmen und das fürstlich Dietrjchstein'sche Schloßarchiv in
Nikolsburg; Verfasser der Berichte sind M. Dvorak, A, Mörath, J. Susta,
L. Hofmann, W. Schulz und B. Bretholz. Die territoriale Gliederung der
^ Archivalien " wird auch weiterhin eingehalten werden. Die Funktionsdaue.r
der Kommissionsmitglieder wurde vom k. k. Ministerium f\ir Kultus und Unter-
richt auf weitere fünf Jahre (1906 — 1910) erstreckt; efnes der verdientesten
Mitglieder, der Direktor des k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchives Dr. Gustav
Winter, lehnte leider aus Rücksicht auf seine Gesundheit eine Wieder-
ernennung ab.
Oberösterreichischer Geschichtsverein, Unter diesem Namen
wurde in Linz ein Verein gegründet, dessen Zi^l die Volksaufklärung auf
geschichtlichem Gebiete ist. Er will die lautere' geschichtliche Wahrheit durch
Vorträge und volkstümliche Schriften im Volke verbreiten. Wer da weiß, wie
häufig man die Geschichte entstellt und verdunkelt, dem wird die Notwendigkeit
eines solchen Vereines sofort klar sein. Der Verein rechnet darauf, daß sich
auch die Frauen um dieses heimatliche und im schönsten Sinne des Wortes
heimatliche Unternehmen warm annehmen werden, denn dann ist ihm ein
Erfolg in der Familie, gesichert. Eine eingehende Darlegung der Ziele und der
geplanten Betätigung des Vereines wird demnächst ein darauf bezüglicher
Aufruf bringen.
Stelermärkisches Landesarchiv. Der vorliegende Bericht über
das Jahr 1905 gewährt einen vollständigen Einblick ip die Organisierungs- und
Ordnungsarbeiten dieses Institutes. Die Fortschritte und Erfahrungen auf dem
Gebiete des Archivwesens wie auch die gesteigerten Ansprüche, die an das
Landesarchiv gestellt wurdien, ließen eine weitere Ausglestaltung dieses Institutes
als unablässig erscheinen. Auch das Verhältnis zum Kuratorium des Landes-
museums wurde dahin geregelt, daß der Landesausschuß aussprach, das Archiv
unterstehe in dienstlicher Beziehung ^unmittelbar dem steiermärkischen Landes-
ausschusse, sei aber verpflichtet, dem Kuratorium alljährlich einen eingehenden
Bericht über seine Tätigkeit vorzulegen, der apch als Separatabdruck
ausgegeben wird. Namentlich war die aus dem Jahre 1866 stammende „Instruktion
für das historische Museum am landschaftlichen Joanneütii", die auch für das
1869 durch die Vereinigung des Joanneumsarchive.? mit jenem der steier-
märkischen Landschaft geschaffene Landesarchiv galt, vollstäiidig veraltet
und bedurfte einer neuzeitlichen Auffrischung. Die neue Archivs-Ordnung wurde
durch Beschluß des Landesausschusses vom 13. Juni 1906, Z.' IV, 1 3.977/870,
genehmigt und ist sowohl diesem Berichte beigedruckt, als auch , in den
Archivsräumen angeschlagen. •
250 Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen.
An neueren Erwerbungen seien hier jene verzeichnet, welche durch
ihre Masse auffallen. Es sind dies die Stadtarchive von FOrstenfeld und Hart-
berg. In voller Würdigung des Umstandes, daß die Archive der beiden Städte
im Landesarchive besser verwahrt sind, daß sie geordnet und der wissenschaft-
lichen Forschung dadurch zugänglich gemacht werden, beschlossen die beiden
Stadtvertretungen, ihre Archive, und zwar Hartberg bis zum Jahre 1853,
Fürstenfeld bis zum Jahre 1860 dem Landesarchive unter Wahrung des Eigen-
tumsrechtes zur dauernden Aufbewahrung zu übergeben. Das Stadtarchiv von
Fürstenfeld umfaßt (bis l853. der Rest muß erst eingeholt werden) 288
Schuber, 130 Protokolle und 25 Urkunden, jenes von Hartberg 75 Schuber
und 59 Protokolle und 78 Urkunden von 1310 — XVHI. Jahrhundert.
K. U. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv. (Katalog der Archivalien -
Ausstellung.) Neben anderen Sehenswürdigkeiten birgt dieses Institut auch eine
permanente Ausstellung von solchen Archivalien, die nicht bloß für die streng-
wissenschaftlichen Kreise, sondern für das geschichtsfreundliche Publikum
überhaupt von Interesse sind. Nun liegt noch ein ausführlicher Führer durch
diese Ausstellung, deren Anordnung dem Staatsarchivar Alfred Anthony R. v.
Siegenfeld zu danken ist, im Drucke vor. Archivdirektor Hofrat Dr. Winter
und sein Stellvertreter Sektionsrat Dr. v. Karolyi haben sich der dankens-
werten Aufgabe in ausgezeichneter Weise erledigt.
Römische Meilensteine bei Deutschfeistritz. Bei den großen
Erdarbeiten, welche das Elektrizitätswerk Deutschfeistritz — Peggau auf dem
rechten Murufer ausführen läßt, wurde unweit des „Jungfernsprunges" im
September ein interessanter Fund gemacht. Es kamen nämlich, tief in
Schotter eingebettet, zwei römische Meilensteine zutage. Beide tragen
Inschriften, die hier mit den nötigen Ergänzungen wiedergegeben werden. Der
eine.i Im[p(erator) Ca]e[s(ar) | M(arcus) Opelliu]s Se[veru]sJ Ma[c]ri[nus Piu]s
Feli(x) I Aug(ustus) p(ontifex) m(aximus) [trib(unicia)] p[ot(estate)] iterum
p(ater) p(atriae) | co(n)s(ul) pr[oc]o(n)s(ul) [et M(arcus) Opeljius Anton[inu]s
[Diadu]|m[enianus nobilisjsimus f Caes(ar) princeps [iuven]tutis | providen-
[tissimi Au]g(usti) | fecerunt a S[ol(va) m(ilia) p(assuum) XL] d. h. etwa :
die Kaiser Macrinus, Oberpontifex, im zweiten Jahre seiner tribunizischen
Gewalt, Vater des Vaterlandes, Konsul und Prokonsul und Diadumenianus,
edelster Kronprinz, Führer der Jugend, haben fürsorglichst herstellen lassen
von Solva 40 Meilen. Der andere: Imp(erator) Caes(ar) Mar(cus) Aurel(ius)
Severus Alexander | Pius Felix Invictus Aug(ustus) | pont(ifex) max(imus)
trib(unicia) potes(tate) | imp(erator) decimum co(n)s(ul) tertium p(ater)
p(atriae) proco(n)s(ul) | dominus in[dul]gentissi[m]us | a Sol(va) m(ilia)
p(assuum) XL, d. h.: der Kaiser Severus Alexander, Oberpontifex, Inhaber
der tribunizischen Gewalt, Imperator zum zehnten-, Konsul zum drittenmale,
Vater des Vaterlandes, Prokonsul, allergnädigster Herr, von Solva 40 Meilen.
Macrinus und sein Sohn wurden 217 nach der Ermordung des Caracalla
im Orient als Kaiser ausgerufen, unterlagen jedoch schon im Sommer des
folgenden Jahres dem jungen Elagabalus. Ihre Inschrift gehört in das Früh-
jahr 218. In den Donauprovinzen waren ihre eifrigsten Anhänger Statthalter;
so erklärt es sich, daß wir gerade von dieser ephemeren Regierung von
norischen und pannonischen Straßen nicht wenige Meilensteine besitzen. Die
Inschrift des Severus Alexander ist die erste dieses Kaisers, die überhaupt in
Noricum aufgetaucht ist. Sie ist wahrscheinlich im Jahre 231 eingehauen,
etwa gleichzeitig mit einer großen Zahl anderer aus Pannonien, als der
Kaiser, um ein Heer gegen das neuentstandene Sassanidenreich zu sammeln,
* Die eckigen Klammern bezeichnen was am Stein zerstört ist, die runden die auf-
gelösten Abkürzungen. Die senkrechten Striche bezeichnen die Zeilen.
Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen. 251
an die Donau kam. Der besondere Wert der Inschriften liegt darin, daß sie
die ersten und bis jetzt einzigen Zeugnisse für das Vorhanden-
sein einer römischen Staatsstraße im unteren Murtale, von
Judenburg stromab, sind. Sie beweisen zunächst, daß die Fundstelle bei
Feistritz mit Flavia Solva, der römischep Stadt bei Leibnitz, durch eine
40 Meilen (59 Kilometer) lange, vom Staat erhaltene Kunststraße verbunden
war, die über die Orte Klein-Stübing, Gratwein, Judendorf, Gösting, dann
vermutlich über Straßgang nach Wildon und über Grottenhof nach Leibnitz
führte. Da diese Strecke aber nicht isoliert gewesen sein kann, muß sie erstens
nach Süden hin mit Poetovio (Pettau) verbunden gewesen sein, vielleicht
über Marburg; zweitens nach Norden hin über Brück und Judenburg mit der
Staatsstraße, die von Virunum (nördlich von Klagenfurt) über den Rotten-
manner Tauern und den Pyhrn Ovilava (Wels) erreichte. Wenige hundert
Meter nördlich von der Fundstelle berührte die Straße die römische Ansied-
lung auf dem Kugelstein, die 1885/86 von Moritz Heider teilweise aus-
gegraben wurde und ein Heiligtum des Herkules und der Viktoria Augusta
besaß. Ein großes Stück römischer Hauptverkehrsstraßen in Steiermark ist
also durch den Fund bekannt geworden.
Um so größeren Dank werden alle für die Geschichte unseres Landes
interessierten Kreise der Gesellschaft „Elektrizitätswerk Deutsch-
feistritz— Peggau", vertreten durch Herrn Wagersohn, wissen, welche
in liberalster Weise die Steine dem Landesmuseum Joanneum zum Geschenk
gemacht hat. Der Herr Sekretär des Kuratoriums, W. Geßmann, hat die
Überführung der Stücke in umsichtiger Weise besorgt, so daß sie wohlbehalten
im „Lapidarium'* des Museums angelangt sind und dort besichtigt werden
können. Die Bauleitung des Elektrizitätswerkes ist den Wünschen des Kura-
toriums des Museums auch dahin freundlich entgegengekommen, daß sie ver-
sprochen hat, fernere Funde ebenfalls zu beachten und für ihre Erhaltung
Sorge zu tragen. Professor Dr. Otto Cuntz.
Hintanhaltung des Verkaufes und der Ausfuhr von Alter-
tümern. Einen bemerkenswerten Erlaß hat das Ministerium für Kultus und
Unterricht an die Statthai tereien und Landesregierungen gerichtet, der sich
mit dem Verkaufe und der Verschleppung von Altertümern befaßt
und nun von den politischen Bezirksbehörden den Gemeindevorstehungen und
den Gendarmeriepostenkommanden zur Kenntnis gebracht wurde.
„Es ist eine bekannte, in der Öffentlichkeit oft beklagte Tatsache,"
heißt es in dem erwähnten Erlasse, „daß aus dem reichen Schatze von Alter-
tümern und in künstlerischer oder kunstgeschichtlicher Beziehung wertvollen
Denkmalen, die aus einer bedeutungsvollen Vergangenheit auf unsere Tage
gekommen sind, im Laufe der Zeit zahlreiche kostbare Objekte durch Ver-
kauf an das Ausland unwiederbringlich verloren gegangen sind. Es ist zwar
mit dem Erstarken historischen Sinnes und des Verständnisses für das Schaffen
vergangener Kunstepochen eine Änderung zum Besseren eingetreten, indem
zunächst einzelne Personen, dann Vereine und Körperschaften sich in dankens-
werter Weise bemühten, für die Erhaltung der Kunstschätze im Lande ein-
zutreten und solche Objekte, deren Veräußerung nicht hintanzuhalten war,
für heimische Museen zu erwerben. Mancherlei Vorkommnisse aus jüngster
Zeit zeigen aber leider, daß trotz alledem die Fälle nicht selten sind, in denen
es Händlern und Antiquaren gelingt, in den Besitz wertvoller derartiger
Gegenstände zu gelangen und sie außer Landes zu veräußern, bevor noch
die zur Wahrung der diesbezüglichen Interessen berufenen Organe von dem
Kaufe selbst Kenntnis erlangen." Die Gemeinden und Gendarmerieposten-
kommanden sind nun aufmerksam gemacht worden, daß für die beabsichtigte
Ausfuhr von Kunstwerken in das Ausland eine Anzeigepflicht besteht und
252 Ans Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen.
sie wurden aufgefordert, in nachdrücklicher Weise dem Umsichgreifen der
Ausfuhr Entgegenzutreten. Als geeignetes Mittel wird die Belehrung der Be-
völkerung empfohlen. Diese sei bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die
hohe ideale Bedeutung, die alten Einrichtungsgegenstände, wie: Schranken,
Tnihen, Wandtäfelungen u. dgl. iniiewoh*>t, sowie auf den bedeutenden mate-
riellen Schaden aufmerksam tu machen, den die Verkäufer selbst bei schein-
bar günstigen Preisen durch die Veräußerung solcher Gegenstände an pro-
fessionelle Altertumshändler stets und unter allen Umständen erleiden. Schließ-
lich wird den genannten Behörden noch besonders nahegelegt, den reisenden
Antiquität enhändlem und Agenten die schärfste Aufmerksamkeit zuzuwenden,
deren gewerbliche Legitimation sorgHlltig zu prüfen, und namentlich, wenn
der Verdacht einer Verschleppung in das Ausland vorliegt, die erworbenen
Kunstgegenstände sofort sicherzustellen, die Händler selbst aber wegen Unter-
lassung der vorgeschriebenen Anzeige an die politische Behörde bekanntzu-
geben. Auch die Schulleitungen sind von den Bezirksschulräten zwecks
Belehrung der Schulkinder in dieser Sache aufmerksam gemacht worden.
Wenn alle maßgebenden Faktoren zusammenhalten, dürfte der Erlaß
gewiß gute Früchte tragen. Leider wird man aber in manchen Gegenden
unserer Steiermark überhaupt nur mehr wenig Altertümer finden, da es ja
bereits kein Dorf und kein Gehöft gibt, wohin nicht Händler kommen, und daß
diese den Bewohnern ihre Altertümer abzuschachern wissen, ist ja bekannt.
Ein WappenfälschungSprOzeB. Der große Wappenfälschungs-
prozeß, der vor eiriigen Monaten vor dem Wiener Schwurgerichte zur Aus-
tragung 'gelangt ist, war d\t Veranlassung, daß auch gegen einen in Salzburg
ansässigen Dekorations- und Wappenmaler eine umfangreiche Untersuchung ein-
geleitet worden ist, die schließlich zu der Erhebung der Anklage gegen den
Genannten wegen Verbrechens des Betruges führte. Von den zahlreichen Per-
sonen, denen derselbe Wappenbriefe ausstellte, haben sich nur zehn als
geschädigt erklärt, die auch zu der Verhandlung als Zeugen erschienen sind.
Geschädigt sind, ."?o führt die Anklage aus, nicht allein eine Reihe von Privat-
personen, sondern auch der Staat in Ausübung des ihm zustehenden Wappen-
regales, weiters seien auch die rechtmäßig wappen berechtigten Personen in
ihrem Recht auf Alleingebraüch ihrer Wappen beeinträchtigt. Die Anklage-
behörde erklärt, daß der Wappenmaler in seinen Prospekten bekanntgegeben
habe, er besitze die besten alten und neuen Wappenbücher, sowie Werke
adeliger und bürgerlicher Geschlechter und eine große Anzahl gesammelter
Familiennotizen. Außerdem pflege er lebhaften Verkehr mit Archiven, Biblio-
theken und Kirchen am tern, weswegen er Interessenten authentische und mög-
lichst genaue Auskunft erteilen könne. Der Beschuldigte soll sich dadurch des
Verbrechens des Betruges schuldig gemacht haben, daß die Wappen Kopien, jedoch
keine Familien- oder Startimeswappen jener Personen sind, für die der Beschuldigte
sie gemalt hat. Es fehle ihnen weiter die Echtheit und Richtigkeit mit dem in
den Chroniken behaupteten Familienzusammenhange. Besonders schwer wird
es ihm angerechnet, daß er den von einem Wiener Wappenmaler verfertigten
Wappen eine Stampiglie mit der Inschrift „Heraldisch-genealogisches Archiv
Salzburg" aufgedrückt, wodurch der Anschein der größeren Glaubwürdigkeit
erzielt werden sollte. Vom Notar ließ er nur die Richtigkeit der auf einem
separaten Bogen gemachten Abschrift aus dem Siebmacherschen Wappenbuche
bestätigen. Die freie Annahme von Wappen ist verboten, und
zwar mit Hofkati zleiverordnung vom 19. Jänner 1765 und dem
Hofkanzleidekret vom 26. Juli l833.
In Kommission der Verlagsbuchhandlung „Leykam'*. — Druckerei «Leykam", Grar.
Ankündigung.
Zufolge Ausschußbeschlusses werden die früher erschienenen Publi-
kationen des Historischen Vereines für Steiermark durch die Vereinskanzlei
(Landesarchiv, Hamerlinggasse 3) für Mitglieder bis auf weiteres zu
bedeutend herabgesetzten Preisen verkauft, nämlich:
1. Mitteilungen des Historischen Vereines für Steiermaric, seit 1850.
Preis per Heft 60 Heller. (Vergriffen sind Heft 1, 2, 3. 4. 5. 10, 11, 12,
13, 17 und 18,)*
2. Beiträge zur Kunde steiermäricischer Geschichtsquellen, seit 1864.
Preis per Heft 60 Heller. (Vergriffen sind Heft 6, 7, 9, 10, 27.)*
8^ Steirische Zeitschrift für Geschichte, I., H. und HI. Jahrgang.
1903—1905. Preis 4 Kronen.
4. Steiermärkisches Landrecht des Mittelalters, bearbeitet von Dr. Fer-
dinand Bischoff, Graz 1875. Preis 1 Krone.
5. Urkundenbuch des Herzogtumes Steiermark, bearbeitet von Dr. Josef
von Zahn, I. Band, Graz 1875. Preis 5 Kronen; U. Band, Graz 1879,
Preis 4 Kronen; HI. Band, Graz 1903, für Mitglieder 8 Kronen, Laden-
preis 14 Kronen.
6 Der Historische Verein für Steiermark, sein Werden und Bestand,
von Dr. Fr. Krön es Ritter von Marchland. Preis 20 Heller.
7. SigiSmund Grafen von Auerspergs Tagebuch zur Geschichte der französi-
schen Invasion vom Jahre 1797- Veröffentlicht von Kratochwill,
revidiert und mit Erläuterungen versehen von Dr. Fr. Krön es Ritter
von Marchland. Separatabdruck aus dem 28. Heft der „Mitteilungen",
. Graz 1880. Preis 50 Heller.
8. Über das angebliche Turnier von 1194 und den Tummelplatz zu Graz.
Von Dr. Josef von Zahn. Separatabdruck aus dem 35. Hefte der „Mit-
teilungen" Graz 1887. Preis 50 Heller.
9. Die Festversammlupg des Historischen Vereines für Steiermark
am 20. November 1892 zur Feier der 700jährigen Vereinigung der
Steiermark mit Österreich, Preis 30 Heller.
10. Übersicht der in den periodischen Schriften des Historischen
Vereines für Steiermark bis einschließlich 1892 veröfTent lichten
Aufsätze. Preis 40 Heller.
•j Vergriffene Hefte werden aurüclegekauft.
Inhalt des Heftes:
,Franz II wo f. Hans von Zwiedineck- Südenhorst.
Alexander Meli. Über die Anfänge der Blindenfürsorge in Steiermark.
Otto Erich Deutsch. Beiträge zur Geschichte des Grazer Theaters.
Literaturberichte:
Ed. Richter, Jul. Strnadt, A. Meli und H. Pirchegger, Historischer
Atlas der österreichischen Alpenländer. (Hans V u ö n i k.)
F. Martin, Dr., Die kirchliche Vogtei im Erzstifte Salzburg. (Richard
Meli.)
H. Löschner, Dr., Über Sonnenuhren. (Dr. phil. K. Hafner.)
A. Meli, Bericht über die Vorarbeiten zur Herausgabe des Ergän-
zungsbandes der steirischen Taidinge.
W. Wostry. Dr., König Albrecht H. (I437— 1439). (MaxDob-
linger.)
A. Stegensek, Cerkveni spomenicki Lavantinske äkofije. (Kirchliche
Denkmäler der Lavanter Diözese.)
H. Wimbersky, Dr., Eine obersteirische Bauerngemeinde in ihrer
wirtschaftlichen Entwicklung I498 — 1899.
A. Kapper, Dr., Der Festungsbau zu Fürstenfeld 1556 — 1563.
A. Grießl, Dr., Geschichte des Diözesan-Priesterhauses.
G. S., Aus Brucks Vergangenheit. — Geschichtliche Streifzüge. —
I. Der Schreckenstag von 1792. (K- Hafner.)
K. Lacher, Führer durch das steiermärkische kulturhistorische imd
Kunstgewerbe-Museum zu Graz.
Zeitschriftenschau.
Aus Kommissionen, Vereinen, Archiven, Museen.
Das Volkslied in Österreich. Das k. k. Ministerium für Kultus
und Unterricht beabsichtigt, unter diesem Titel die gesamte Volksdichtung und
Volksmusik der einzelnen Völker und Stämme Österreichs aufsammeln, wissen-
schaftlich-kritisch behandeln und in einzelnen, national abgegrenzten geson-
derten Bänden in Druck legen zu lassen. Diesem Zwecke dient eine Anleitung
zur Sammlung und Aufzeichnung dieses wichtigen und vielfach wertvollen
Volksgutes mit einem angeschlossenen Fragebogen, wovon dieser Zeitschrift
für unsere Mitglieder je ein Exemplar beiliegt.
Druckerei „Leykam", Grat.
ZEITSCHRIFT
DES
HISTORlSeHEN VEREINES
FÜR
STEIERMARK.
'^O^
HERAUSGEGEBEN VON DESSEN AUSSCHUSS.
REDIGIERT VON
DR. ANTON KAPPER.
V. JAHRGANG.
GRAZ 1907.
IN KOMMISSION DER VERLAGS-BUCHHANDLUNQ LEUSCHNER & LU6ENSKY.
Inhalt des V. Bandes.
I. und II. Heft. ^..^^
Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering von der
Mitte des IS. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Von
Dr. Oskar Eende 1
Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Von Franz Forcher v. Ainbach 49
Ein altes Mariazeller Marktsiegel. Von Johann Schmut 135
Zur Wappenführung „Bürgerlicher". Von Ferdinand KhuU .... 157
Literaturberichte :
Dr. Max Doblinger, Die Herren von Walsee (Fr. Ilwof) . . .140
K. Fr. Kaindl, Geschichte der Deutschen in den Earpathen-
ländem (E. Reissenberger) 14S
Dr. K. Schiffinann und Dr. Fr. Berger, Archiv für Geschichte
der Diözese Linz (M. Doblinger) 144
Karl Lacher, Altsteirische Wohnräume im Landesmuseum zu
Graz (Otto Laufer) 144
Styriaca in den Mitteilungen der k. k. Zentralkommission,
V. Band 147
Zeitschriftenschau 149—152
Ein Bruchstück aus dem Rennewart Ulrichs von Türheim.
(Anton E. Schönbach.) — Zur niederösterreichischen stän-
dischen Verfassungs- und Verwaltungsfrage in den Jahren
1848—1861. (Dr. A. Mayer.) — Neue Berichtigungen zur
Kärntner Landesgrenze. (Dr. M. Wutte.) — Die steirischen
Rezesse zur Zeit Maria Theresias. (Fr. M Mayer.) — Wie
alt ist unser Österreich? (Dr. J. Lampel.) — Fürst Metter-
nich und die Staatskonferenz (Ed. v. Wertheimer.) — Die
Ostermair. (P, Ostermair.) — Festschrift des akademi-
schen Vereines deutscher Historiker an der Universität in
Seit»
Graz. — Flugschrift 1848 für das allgemeine gleiche Wahl-
recht. (Aug. Zangg.) — Die Familie Lederwasch in Tamsweg.
(Val. Hatheyer.) -— Gassen-, Straßen- und Pl&tze-Buch der
Stadt Marburg a. D. (Dr. A. Mally.) — Zeitschrift fllr
Geschichte und Kulturgeschichte Österreichisch-Schlesiens.
— Der Meldezettel. (Dr. A. Starzer.) — Herzog Wilhelm
von Württemberg. — Friedrich Marx. (K. W. Gawalowsld.)
Abt Eajetan Hoffmann. (Ig. H. Joherl.) — Die Eaisergräber
in Speyer.
Aus Archiven, Kommissionen, Museen, Vereinen 152 — 156
Steiermärkisches Landesarchiv. — Historische Landeskom-
mission fär Steiermark. — Die Gesellschaft für Salzburger
Landeskunde. — Steiermftrkischer Kunstverein. — Der
Mnseumsverein von Pettau. — Deutscher Historikertag. —
Der VIL Deutsche Archivtag. — Gesamtverein der deutschen
Geschichts- und Altertumsvereine. — Achter Tag für Denk-
malpflege in Mannheim. -- Der internationale historische
Kongreß.
Vereinsnachrichten 157
III. und IV. Heft.
Eine rätselhafte Inschrift. Von Dr. Viktor R. v. Geramb .... 161
Das Tagebuch eines Trompeters der großen Armee. Von Dr. Leo Meli 182
Magistrat und Fleischerinnung zu Voitsberg am Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts. Von Friedrich Böser 192
Deutschlandsberg in den Jahren 1848 und 1849. Von Dr. Wilh. KnafE 205
Zur Wappenführung „Bürgerlicher". Von Dr. Ferdinand Khull . . 220
Literaturberichte :
Dr. W. Wostry, König Albrecht II. (M. Doblinger) 222
R. Fr. Kaindl, Geschichte der Deutschen in den Karpathen-
ländem II. Bd. (K. Reissenberger) 222.
Rud. Graf Khevenhüller-Metsch und Dr. H. Schütter, Aus der
Zeit Maria Theresias (Julius Bunzel) 223
M. V. Platzer, Traunkirchen-Aussee 226-
Dr. H. R. V. Srbik, Der staatliche Exporthandel Österreichs
von Leopold I. bis Maria Theresia (Max Doblinger) . . . 227
M. Zunkovid, Wann wurde Mitteleuropa von den Slawen be-
siedelt? (J. A. Glonar) 22&
Seite
ZeitBChriftenschau : 238—236
Zur frühesten Geschichte des Passes über den Senlmering.
(Dr. 0. Kende.) — Ein Kuruzeneinfall in Steiermark.
(K. Buchberger.) ~ Aus franziscelscher Zeit. Abenteuer eines
Ramsauer Pastors. (G. Loesche!) — Der Grazer SchloBberg.
(Hauptmann Veltz^.) — MärZtage 1848. (Ed. v. Wertheimer.)
— Graz in den März- und Apriltagen 1 84B (Dr. S.. M. Prem.)
— Prinz Johann. (Kl. Thalhammer.) — Feldmarschall Graf
Badetzky. (Hans v. d. Sann.) — Mariazell. (P. G. Rodler,
H. Bögl.) — Ausgrabung eines Gedenksteines aus dem Jahre
1601. ~ Das Bürgerspital „zum Heiligen Geist^ in Graz. —
Ein Werk P. Fischers im Grazer Museum. — Briefe Moritz
T. Kaiserfelds an K. v. Stremayr. (Ottokar Weber.) — Aus
Karl Friedr. Frh. v, Kübecks Tagebüchern, 1835. (M. Frh.
T. Kübeck.) — Das österr. histor. Institut in Bom. (G. Gut-
mensch). — Karl Lamprecht. (H. Helmolt.) — Dr. Joh. Graus.
(Dr. J. Ranftl.) — Der histor. Atlas der österr. Alpenländer
(Dr. R. Sieger.)
V. JAHRGANG. 1. UND 2. HEFT.
ZEITSCHRIFT
DES
HISTORISCHEN VEREINES
FÜR
STEIERMARK.
HERAUSGEGEBEN VON DESSEN AüSSCHUSS.
REDIGIERT VON
DR. ANTON KAPPER.
GRAZ 1907.
IN KOMMISSION DER VERLAGS-BUCHHANDLUNG LEUSCHNER & LUBENSKY.
h"^'
Zur HandelsgescMchte des Passes über den Semmering
von der Mitte des dreizehnten bis zur Mitte des
fünfzelinten Jahrhunderts.
Von Br. Oskar Kende.
Die Bedeutung des Semmerings für den Handelsverkehr
von der Mitte des dreizehnten bis zur Mitte des fünf-
zehnten Jahrhunderts möchte ich durch die Beantwortung
zweier Fragen, die sich mir vorzüglich hier zu erheben
scheinen, zu charakterisieren versuchen; erstens, inwiefern
die Handelspolitik der österreichischen Herrscher im Mittel-
alter auf diese Handelsverkehrsbedeutung des Semmerings
eingewirkt hat, und zweitens, wer alles am Handel über den
Paß beteiligt war und in welchem Maße dies geschah. Das
wenige, was wir von der Bedeutung des Semmerings für den
übrigen Warenverkehr wissen, sd an gehöriger Stelle gleich-
falls angeführt.
Die handelspolitischen Maßnahmen der österreichischen
Herrscher nun, welche für uns in Betracht kommen, da sie
den lokalen wie internationalen Handelsverkehr über den
Semmering beeinflußten, sind folgende:
I. Mauten betreffend: 1. Errichtung von Mautstätten.
2. Mautregelungen (Erleichterungen enthaltend). 3. Maut-
befreiungen (gänzliche oder teilweise).
H. Das Niederlagsprivileg Wiens.
III. Das Eingreifen in bestimmte Beziehungen, die sich
beim Ein- und Verkaufe der Waren innerhalb einer Stadt
ergeben.
IV. Das Weinhandelmonopol Wiener-Neustadts in die
Steiermark.
V. Andere, einzelnen Städten und Märkten verliehene
Handelsprivilegien.
VL Handelsverträge.
2 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
Sehen wir uns die Wirkungen jeder dieser handels-
politischen Bestimmungen auf den Handel über den Semmering
und ßofem dies nötig auch im allgemeinen an.
Die Mautstätten, gesetzt aus fiskalischen Rücksichten
hauptsächlich an Orten mit größerem Handel (an bedeutenderen
Verkehrsstraßen), mußten naturgemäß den Handel von Orten
beliebig untereinander erschweren, trugen aber zur weiteren
Stärkung des Handels dieser Mautorte bei. Denn um die
Waren nicht durch Passierung mehrerer Mautstätten zu ver-
teuern, handelten die Orte von geringerer Handelsbedeutung,
die zwischen zwei Mautorten lagen, nach dem einen oder
anderen derselben, von denen somit jeder zum Handels-
mittelpunkt eines bestimmten Umkreises wurde. So war es
für einen Händler aus Unzmarkt in vielen Fällen unpraktisch,
seine Waren selbst nach Wien zu bringen, er konnte sie in
Judenburg, da er keinen so hohen Preis, wie er es an-
sonsten hätte tun müssen, zu fordern brauchte, mit größerem
Gewinne verkaufen.
Mautregelungen schufen der Stadt, für welche sie
Geltung hatten, ein bestimmtes Absatzgebiet ihrer Handels-
waren in einer anderen, indem sie den Verkehr mit ihr er-
leichterten. Hieher gehört in unserem Zusammenhange jenes
Privileg König Rudolfs I. vom 19. Januar 1277 für Juden-
burg, in welchem er u. a. den Handel dieser Stadt mit
Wien durch spezielle Maut- und Zollsätze für die Waren,
mit denen die Bürger derselben Handel trieben, zu steigern
suchte. Namentlich die Bestimmung des Schlußsatzes dieses
Privilegs: „redeundo autem (sc. de Wienna) ipsis civibus
de Judenburch tantundem defalcabitur, quantum primitus in
thelonio persolverunt", das sogenannte Zapfgeld, hat sicherlich
eine rege Beteiligung der Judenburger am Handel nach
Wien ins Leben gerufen.*
Gänzliche Mautbefreiungen aber ermöglichten erst,
indem sie jede Belastung des Handelsverkehrs, wie sie durch
die Entrichtung von Mautgebühren gegeben ist, aufhoben,
einen wirklich freien Handel, förderten den lokalen, wiesen
zugleich auch, sofern nicht andere, ortseinschränkende Be-
stimmungen vorhanden waren, einer internationalen Aus-
dehnung desselben die Richtung. Wiener-Neustadt war es,
* Das Privileg ist u. a. abgedruckt in „Ausgewählte Ur-
kunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch -österreichischen Erb-
länder im Mittelalter" (herausgegeben von Schwind und Dopsch, Inns-
bruck 1895), nr. 53.
f
Von Dr. Oskar Kende. 3
welches sich schon seit 1239 einer solchen Begünstigung
für den Handel mit eigenen Waren zu erfreuen hatte. Herzog
Friedrich H. hatte den Wiener-Neustädtem damals das
Kecht yerliehen, „dass sy durch alle unsre land und gepiet
von iren kaufmanschaftenn kain maut geben sunder In sol
erlaubt sein solich mautstatt ledikleichen für zu wandern,"
und König Ottokar II hatte dies 1253, König Rudolf I. 1277
und 1281, Herzog Albrecht L 1285, König Friedrich III. 1443
bestätigt. ^
Diese Begünstigung ist auch ein Moment, das uns den
ausgebreiteten Handel Wiener-Neustadts, den wir, soweit er
über den Semmering geschah, weiter unten noch näher kennen
lernen werden, leicht verstehen läßt. Die teilweisen Maut-
befreiungen, meist in der Form gegeben, daß die Bürger
einer Stadt in jenen Städten, welche in ihrer Stadt keine
Maut zu entrichten hatten, von der Bezahlung derselben in
gleicher Weise befreit sein sollten, haben ähnliche Wirkungen
wie die gänzlichen, sie bloß mehr oder minder einschrän-
kend, zur Folge gehabt. 1361 war Brück a. M. ein der-
artiges Privileg verliehen worden.*
Ehe ich nun die zweite der oben angeführten handels-
politischen Maßnahmen der österreichischen Herrscher, das
Wien verliehene Niederlagsrecht in seinen Wirkungen auf-
zuzeigen unternehme, möchte ich vorerst einen Exkurs über
die Bedeutung und den Umfang desselben seit 1281 ein-
* Diese und die übrigen im Verlaufe meiner Untersuchung von
mir erwähnten Urkunden, welche Wiener-Neustadt betreffen, befinden
sich im Wiener-Neustädter Stadtarchive, und zwar: Codex AI, nr. 2;
Scrinium A, nr. 1/6; Scr. B, n». 229/4; Scr. E, nr. 20 a, 27, 40 a/ 2;
Scr. P, nr. 229/3; Scr. XK, nr. 1/1; Scr. III, nr. XIV c, 8; Scr. 7,
nr. 361; Scr. XNIU, nr. 15a, 17a, 22a, 24a, 47, 47/1, 47/2, 47/3,
48, 91; Scr. LXVII, nr. 2; Scr. XCV, nr. 20, 22, 28, 24/3; Scr. XCVI,
nr. 59/2. Zu obigem vergl. auch Meiller, im „Archiv für öster-
reichische Geschichte«, X. Bd., S. 129—131, und Winter in „Urkund-
liche Beiträge zur Rechtsgeschichte ober- und niederösterr. Städte,
Märkte ,und Dörfer vom 12. bis zum 15. Jahrb.", Innsbruck 1877,
S. 11—14, 32—87, 38 ff., 96—105.
Übrigens hatten die Wiener-Neustädter in dem Privileg von 1281
(Art. 1) auch die Warenniederlage erhalten. Doch ist von ihr, wie sich
aus den Quellen mit voller Deutlichkeit erschließen läßt, niemals ein
eigentlicher Gebrauch gemacht worden; sie hätte nach 1281, in welchem
Jahre Wien sein Niederlagsrecht in dem im Texte ausgeführten Umfang
bekam, auch nur für den Handel der österreichischen Städte und Märkte
untereinander Gültigkeit haben können.
« Wartinger, „Privilegien der Bjreisstadt Brück a. d. Mur",
Graz 1837, S.. 20.
4 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
schalten, da ich zu etwas anderen Resultaten gekommen bin
als Luschin und Schuster, die einzigen, die ausführlich
und zwar in der vom Altertumsvereine zu Wien herausge-
gebenen „Geschichte der Stadt Wien" zu diesem Gegenstande
Stellung nehmen.
Die Stellen der Quellen, auf deren richtige Auslegung
und Verständnis es vor allem ankommt, besagen: a) in der
Fassung des Niederlagsprivileg von 1281, Juli 24, ^ „daz alle
die choufleut, die in daz laut ze Osterrich arbeitent, mit ir
choufschatz die gemeinen strazze auf wazzer und auf laut
für sich gen Wienne schullen varen u. schuUen ir choufschatz
da niderlegen und nindert anderswo" ; h) in der Fassung
der Verordnung Herzog Albrechts II. von 1351, Mai 17,^
„dass aller choufschatzt, von wann er geffirt wirt auf lande
oder auf wasser in unser lande gen Oesterreich, die rechten
Strasse für sich gen Wienn gefllrt werde u. da nidergelegt,
aufgepunden und verchauft werde u. nindert anderswo." Aus
dem Wortlaut dieser Stellen geht also hervor:
1. Sie beziehen sich nur auf den Handel nach Öster-
reich, nicht innerhalb Österreichs;
2. daß dieser Handel nach Österreich auf der „ge-
meinen" Straße zu geschehen habe;
3. daß alle für solchen Handel nach Österreich be-
stimmten Waren nach Wien gebracht, bis zu dieser Stadt
demnach tiberall durchgeführt werden sollten (das heißt jcSf^
gends unterwegs verkauft werden durften).
Das räumliche Geltungsgebiet dieser Bestimmungen
aber konnte nur gering westlich, nördlich und östlich von
Wien sein, da sich die Grenzen Österreichs in diese Rich-
tungen nicht weit vorschoben, war jedoch bedeutend gegen
Südwesten und Süden, weil dorthin der österreichische Länder-
besitz gravitierte: also im Handel nach Venedig; und tat-
sächlich sind fast alle Verordnungen bezüglich des Wiener
Niederlagsrechtes in Hinsicht auf den Handel mit dieser
Stadt getroffen worden.
Ich will nun zu jedem der drei vorhin aufgezählten
Punkte einiges erläuternd hinzufügen. Was den ersten der-
1 Tomaschek, „Rechte und Freiheiten der Stadt Wien",
I, nr. 19.
* „Quellen zur Geschichte der Stadt Wien", herausgegeben
vom Altertumsvereine zu Wien, Wien 1895, 11/ 1, nr. 379.
I
l
Von Dr. Oskar Eende.
selben betrifft, so mußte nach ihm, was fUr uns von beson-
derer Wichtigkeit ist, der Handel aller österreichischen
Städte und Märkte südlich von Wien nach Venedig als ge*
stattet erscheinen. Und daß er es in Wirklichkeit auch war,
belegen zahlreiche Quellen. So spricht eine Urkunde Herzog
Albrechts HI. ddo. 1366, Oktober 5^ von Wagen „hinein
gegen Venedi u. herwider aus, er gehör an die kaufieut von
Wienn, von der Neunstat, von Judenburg, von Friesach, von
Villach oder wenn die w8gen angehorent", wendet sich eine
weitere Urkunde desselben Herzogs ddo. 1389, März 7^ an
die Kaufleute von Wien und andere, die das Recht haben, „gen
Venedi ze faren", so hebt ferner ein Schreiben König Albrechts IL
BH den Bürgermeister und Rat zu Wien ddo. 1439, Februar 15 ^
I* besonders hervor, daß ^ain michel tail" der Wiener wie
{ anderer österreichischer Untertanen nach Venedig Handel
triebe, und ist schließlich aus dem Beschwerdebrief Wiens
» an König Friedrich III. in Sachen seines Handels von zirka
1450 — mit Punkt 3 verglichen — ersichtlich, daß die darin
erwähnten Kaufleute von Friesach, Knittelfeld, Judenburg
L „und ander**, die mit venetianischer „phenbert" ^ handelten,
f' diese Waren in Venedig gekauft haben mußten. Ja, ich
\ möchte sogar weiter gehen und behaupten, daß es meist den
Wienern sogar darum zu tun gewesen sein dürfte, daß andere
,' österreichische Städte und Märkte nach Venedig handelten
und Waren aus dieser Stadt nach Österreich brachten ; denn
da der Aktivhandel der Wiener den Bedarf an venetianischen
Waren wahrscheinlich nicht decken konnte, hätten sie sich
i auf andere Weise die nötige Quantität solcher nicht ver-
schaffen können. Die Vorteile des Handels aber mit diesen
Waren kamen nach Punkt 3 ohnedies den Wienern zugute,
wobei es allerdings selbstverständlich ist, daß, wenn der
Wiener Händler und Zwischenhändler der venetianischen
Waren zugleich war, er den größten Gewinn hatte.
Nach dem eben Gesagten dürfte es also nicht richtig sein,
wenn Schuster meint, daß das Niederlagsrecht nach 1281
«
U*
\ J „Quellen", U/1, nr. 677a.
« Ebenda, 11/ 1, nr. 1172 a.
'^ 3 Ebenda, II/2, nr. 2674.
* Das Wort ist aus phennincwert zusammengezogen und bedeutet
1. was einen Pfennig wert ist, Kleinigkeit; in geringen Quantitäten,
L en detail, 2. was Geldeswert hat, Verkaufsartikel, Ware. Nach Lex er
M. „Mittelhochdeutsches Handwörterbuch" (Leipzig 1872—78, 3 Bde.),
. 2. Bd., S. 240.
t-
6 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
derart auszudehnen versucht wurde, „dass Wien den Handel ....
insbesondere nach Venedig in die Hand bekam'', da dies den
Glauben erwecken kann, als wären die Wiener allein be-
rechtigt gewesen, nach Venedig Handel zu treiben.
Der Inhalt des zweiten Punktes schuf den sogenannten
Straßenzwang: er bedeutete die Konzentration des von
Venedig nach Österreich gehenden Handels auf gewissen
Wegen. Da sich aber Punkt 3 anfänglich nur auf eine
„gemeine" Straße (Venedig— Villach —Friesach— Judenburg —
Semmering Wien) bezog, mußte der Straßenzwang ergänzt
werden durch das Verbot der Benützung anderer Wege ; denn
der Handel sowohl der an der nunmehr gesperrten Straße
liegenden als überhaupt jener Städte und Märkte, deren
Warenverkehr sich bisher auf dieser Straße vollzogen hatte,
aus Venedig konnte so gleichfalls nur auf der „gemeinen"
Straße erfolgen, mußte also nach Punkt 3 auch nach Wien
gehen. Bei einer dieser verbotenen Straßen, der über den
Karst, suchte man später, als sie 1389 wieder freigegeben
worden war — von 1361 bis zu diesem Jahre war sie gesperrt
gewesen — das gleiche Resultat dadurch zu erzielen, daß
man auch die Karststraße als „rechte" Straße erklärte,
Punkt 3 demnach auch für sie Geltung hatte. ^ Eine zweite
Wirkung der Sperrung einzelner Straßen, die aber für Wien
weiter nicht in Betracht kam, war, daß damit auch der
kürzeste Handel der Städte und Märkte, welche bislang eine
solche benützt hatten, nach Venedig unterbunden wurde:
der Marburger, der nach Venedig Handel treiben wollte,
mußte über Graz, Brück an der Mur, Judenburg u. s. w.
fahren.
Das Verbot der Benützung einzelner Straßen dürfte aber
nicht beweisen können, daß aller Handel der an der gesperrten
Straße liegenden Städte und Märkte ausschließlich in Wien
statthaben mußte, was Schuster anzunehmen scheint, wenn
er^ gelegentlich des speziellen Beispiels der Sperrung der
Karststraße sagt: „es sollte insbesondere den zwischen dem
Karst und dem Semmering liegenden Städten die rechtliche
Möglichkeit eines nicht durch Wien vermittelten Handels
mit Venedig genommen werden"; denn der Marbürger konnte
seine I^ren Wagen j« nach Bnicfc a, d. M. fühlten, dort von
» „Quellen«^ Il/i, nr; ;il72a, auch alr. 1269*.:
2 a. a. 0., S. 421.
Von Dr. Oskar Kende.
■» einem Brucker Händler, der venezianische Waren in Wien
eingekauft hatte, seinen Bedarf decken und damit nun aurUck-
! fahren: nicht immer mochte es, speziell bei größeren Kin-
L kaufen, für ihn einen materiellen Schaden bedeuten, daß
t die Ware so durch die Hände noch eines Zwischenhändlers
gegangen war.
^^ Hinsichtlich des dritten Punktes zunächst einige Be-
t weise für die (wenigstens theoretische) Gültigkeit einer wört-
^ liehen Auffassung der darin enthaltenen Bestimmungen. Es
1 hätte vor allem andernfalls weder der Straßenzwang noch das
r Verbot einzelner Straßen für die Wiener irgendwelchen Wert
I gehabt. Denn hätte der Venezianer oder der aus Venedig
1 handelnde Judenburger seine Waren in Judenburg niederlegen,
^ verkaufen können, hätte der Marburger, wenn er auch durch
, die Sperrung der Karststraße genötigt gewesen wäre, aus
Venedig die Straße über Villach und Friesach zu fahren, bis
Marburg zurückkommen können, ohne Wien jemals berühren
zu müssen und gleichfalls unterwegs schon seine Waren ver-
kaufen dürfen, so wäre wohl niemals viel mehr venezianische
Ware, als die Wiener selbst aus Venedig nach Wien gebracht
hätten, in diese Stadt geführt worden: Straßenzwang und
Straßensperrung hätten also den Wienern keinerlei Vorteil
geschafft. Einen weiteren Beweis bietet uns ferner eine Ur-
0 kuüde Herzog Albrechts HI. ddo. 1393, Juni 20, ^ da in
' derselben der Herzog seiner Erlaubnis, daß bestimmte Kauf leute
die Straße über den Karst nach Venedig benützen dürfen,
ausdrücklich hinzufügte : „also doch daß sie an dem gevert
^ hetaus von Venedi die rechten strass über den Charst faren
** derrichts her gen Wienn und auch da ir kaufmanschaft
t niderlegen und aufpinden und verkaufen, als niderlegunge ze
Wienn recht ist " Und schließlich sei auch noch auf den
1; schon von mir erwähnten Beschwerdebrief Wiens an König
! Friedrich HL von zirka 1450 liingewiesen ; denn in del*
Begründung ihrer Klage, daß sie in ihrem Handel durch die
v^ Wiener-Neustädter geschädigt würden, betohten ^ie Wienef ,
' es sei „wider ^er Niderleg' zu wietm ge'rec'htikait'*, W6nn die
^ Wiener-Neustädter übereingekommen wären : sowohl daß die
Kauf leute ihrer Stadt ydiö^ venfedigi^chö t)hönt)ert gen der
^ NetipStät tto^' 'die'^^^^ Äidertep:en aiifpit^teü und ver;
kautfen, und ^icbt .g^/^viefl». W,?(ü^^^ suUn"; ji^si
Ituch' d^ ;,dfte^ k&ufleiitibv.voii' Fi^iesa^ iK^lveJd JudWhufSg
l
i
^
i „Quellen« II/l, nr. 1264a. Ui' .?.
8 Zar Handelsgeschiclite des Passes über den Semmering etc.
und ander die venedigische phenbert gen der Neunstat film,
die suUen die da auch niderlegen^ aufpinten und verkauffen
und damit handhi und nicht in die niederleg gen wienn film''.
Mit ihrer ersten Behauptung waren die Wiener übrigens
keineswegs im Recht; denn noch 1443, April 7,* hatte König
Friedrich III. den Wiener-Neustädtem unter anderem be-
stätigt : „Item, auch besonder, daz die burger an allen kauf-
lichen dingen großen u. clainen zu kaufen u. verkaufen in
allen der fursten von Osterreich steten und märkhten, wem
und von wem sie wellen, von niemand gehindert noch mit
ichte betmbt werden." Dagegen war letzteres sicherlich
^ein Newung".
Erscheint demnach aus obigem eine wörtliche Auf-
fassung des Punktes 8 bestätigt, so könnte die Wirkung
desselben auch etwa in der Weise formuliert werden, daß
man sagt : Jede venezianische Ware, mit welcher nach Öster-
reich gehandelt wurde, mußte, ehe sie an den Konsumenten
kam, einmal durch die Hände eines Wiener Kaufmannes
gegangen sein. *^ Es ist dies also ein anderes Ergebnis, als
zu dem Luschin über die Geltung des Niederlagsrechtes
von Wien nach 1281 kommt, ^ wenn er sagt: „Das Wiener
Niederlagsrecht bestand im Umfange des so-
genannten jus emporii. Jeder landfremde Kaufmann, der
Österreich betrat und keine Schleichwege einschlagen wollte,
konnte auf der gemeinen Straße zu Wasser oder, zu Lande
nicht über Wien hinausgelangen, wo er sein Kaufgut zum
Verkaufe stellen mußte", denn daß man bis Wien zu fahren
genötigt war, nur dahin fahren durfte, scheint durch Luschin s
Worte nicht vertreten. :
Punkt 3 bedarf jedoch speziell noch einer zweifachen
Ergänzung. Erstens möchte ich nicht unterlassen, ein Be-
denken, daß sich mir gegen die praktische Möglichkeit einer
Durchführung des Punktes 3 in seiner ganzen Schärfe zu I
ergeben scheint, anzuführen: die Schwierigkeiten der Kontrolle, ,
ob seine Bestimmungen auch wirklich strenge eingehalten \
« Winter, a. a. 0., S. 96 ff., art. 13.
* Es sei an dieser Stelle nochmals hervorgehoben, daß diese
Bezugnahme bloß auf venetianische Waren sich aus den Lagebeziehungen
Wiens zu den Grenzen Österreichs erklärt (vgl. oben S. 4). Rechtlich
erstreckten sich natürlich die oben genannten Wirkungen des Punktes 3
auf alle Waren, mit denen nach Österreich gehandfeit wurde.
i
» a. a. 0., S. 22 f. 1
Von Dr. Oskar Kende. 9
Würden. Wer mochte den Angeber spielen, daß der Juden*
burger auf seiner Rückfahrt aus Venedig einen Tag in seiner
Stadt angehalten und einen Teil der Waren seinen Mit-
bürgern verkauft habe, da dies doch vielen Vorteil einschloß
und es sich nur um die Verletzung eines gewiß allen ver-
haßten, weil von allen als Last empfundenen „Rechtes" der
Wiener handelte; daß aber von selten der Landesfürsten
oder der Wiener bestimmte Personen beauftragt worden
wären, solche Übertretungen zur Anzeige zu bringen, um sie
so nach Kräften zu verhüten, davon ist nirgends die Rede.
Nur an die verbotenen Straßen hatte man Wächter
gesetzt, die darauf achten sollten, daß niemand sie befahre ; ^
trotzdem kam es aber vor,^ daß Unberechtigte, „etliche
Gäste und andere Kaufleute" solche gesperrte Straßen be-
nützten. Zumal von 1281 bis 1351, wo zwar schon Straßen-
zwang, noch nicht aber das Verbot bestimmter Straßen
bestand, mögen gar viele Kaufleute, die nach Österreich
Handel trieben, nicht nach Wien gefahren sein; wie häufig
wohl haben z. B. böhmische Kaufleute, die Waren aus
Venedig führten, die Straße über Zeiring, welche ihnen die
„neheste" war, bevor 1351 ihre Sperrung, die u. a. auch
sie betraf, benützt; die Prager hätten sonst ^ nicht noch
1383 an die Wiener-Neustädter das Ersuchen gerichtet, daß
diese sich bei Herzog Leopold IIL für die Freigabe dieser
Straße verwenden sollten.
Zweitens aber ist hervorzuheben, daß die Bestimmungen
de.s Punktes 3 in der Hinsicht eine Schmälerung erfuhren,
daß der Kreis derer, für welche sie Geltung besaßen, sich
verkleinerte; teils waren nämlich Befreiungen von ihnen
gewährt worden, teils kam der Inhalt einzelner anderen ver-
liehener Privilegien, wenn er auch eine solche Befreiung
besonders nicht erwähnte, ihr in der Wirkung doch tat-
sächlich gleich. So hatten die Wiener-Neustädter seit 1338*
das Recht, in allen österreichischen Städten und Märkten
frei handeln zu dürfen. Femer entging ein Teil der vene-
tianischen Waren dadurch den Wienern, daß seit 1389^ die
Kaufleute der Städte und Märkte an der Straße Bnick
« „Quellen«, II/l, nr. 677a, 712, 1172a, 1264a u. s. w.
» Ebenda, II/l, nr. 749.
3 Anhang, nr. 1.
^Notizenblatt, Beilage zum Archiv für österreichische Ge-
schichte, 1853, nr. 14 und 18; auch Tomasch ek, a. a. 0., I, nr. 57.
s „Quellen, II/l, nr. 1172a.
10 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
a. d. Mar— Graz— Marburg— Laibach— Triest, wie jene der
Stadt Pettau die Waren, mit denen sie aus Venedig handelten,
in ihren Häusern und Kramen dem Landvolke verkaufen
durften; zwar nur „phenbertweis und nicht stukchweis",
was aber doch nicht bedeuten dürfte, daß* „jeder darüber
hinausreichende Handel mit venetianischen Waren der
Stadt Wien verblieb", überhaupt aller Großhandel mit vene-
tianischen Waren nur in Wien erfolgen konnte, sondern nur,
daß die aus Venedig über die Karststraße fahrenden Kauf-
leute im großen nur in Wien verkaufen durften. Und schließ-
lich war den böhmischen Kauf leuten durch die österreichischen
Landesfürsten zweimal für ihren Handel mit Venedig gestattet
worden, sich nicht in Wien aufhalten zu müssen. Das erste-
mal durch Herzog Rudolf IV., der am 25. Februar 1364^
den Pragern erlaubte, daß sie mit ihrer Kaufmannschaft
über Wien „gen Venedy und entrichez her wiederum von
Venedy durch dieselben unser Stat ze Wien varn und zihen
sullen an geverde**, aber mit der Beschränkung, daß „allerley
weyn, den wir yn nicht erlaupt haben zu füren" ausgenommen
sein und die Befreiung sich nur bis Weihnachten desselben Jahres
erstrecken sollte. Das zweitemal durch Herzog Albrecht HL
am 12. Mai 1366,3 der „aus Freundschaft" für Karl IV.
den böhmischen Kaufleuten das Privileg erteilte, vier Jahre
lang - also bis 1370 - nach Venedig Handel treiben zu dürfen,
ohne ihre Waren in Wien niederlegen zu müssen, „si tun
es denn gerne und myt irem .guten willen". Daß von der
in diesem Zusätze ausgesprochenen „Erlaubnis" Hera^og
Albrechts von selten der böhmischen Kaufleute kein großer
Gebrauch gemacht worden ist, beweist erstens eine vene^-
tianische Urkunde vom Jahre 1366,^ in der sich der damalige
Doge Marcus Comario an die Bürger von Prag in Sachen
der Beraubung eines Kaufmannes wendet und worin es zum
Schlüsse heißt: „Insuper, quia intelleximus, quod aliquod
dubium facitis de veniendo ad terram nostram cum merca-
toribus vestris, declaramus vobis, quod secure sine aliquo
dubio venire, Stare et uti potestis, iuxta solitum pro libito
vestro". Zweitens wird es durch die schon erwähnte, Woher ui^
veröffentlichte sehr interessante Urkunde des Wiener-Neu-
1 Schuster, a. a. 0., S. 422.
« Pelzel, „Kaiser Karl IV.", Prag 1780, Urkimdenb ach des
TI: Bahdes, S. 3M - . . ^^
• ' »EbenÄa^ S. i346. ^ ■■■ ' '- •
* Ebenda, S. 367. • - - ' ^ ' ' '^ - . .
Von Dr. Oskar Kendc. 11
Städter Stadtarchivs vom Jahre 1383^ bewiesen, da dies^
Schriftstück außer um dem Niederlagszwang Wiens zu entgehen,
wohl auch aus dem Bedürfnis geschrieben wurde, direkten Feind-
seligkeiten, die sich die Wiener erlaubt hatten, fürderhin
aus dem Wege gehen zu können. Wozu man übrigens als
indirekten Beleg die Urkunde Karls IV. aus dem Jahre
1373^ heranziehen wolle, nach welcher Karl IV. den Burg-
grafen und Vorstehern der Städte seines Reiches den Befehl
gibt, daß sie, da einige Prager Kaufleute Beschwerde
erhoben hatten, „quod cives et incole nonnullarum terrarum
et civitatum ipsis stratam de Praga et Boemia versus
Venetias inhibeant", so lange dies andauere, diejenigen, die
dies getan, vom Handel mit Böhmen ausschließen sollten.
So hat also sicherlich der Inhalt des Punktes 3,
dessen theoretisch alleingültige wörtliche Auffassung wir
zuerst vertraten, in Wirklichkeit nicht geringe Beeinträch-
tigung erlitten.
Nach diesen Erörterungen über die Bedeutung und
den Umfang des Wiener Niederlagsrechtes liach 1281 ist es,
zu unserem eigentlichen Thema zurückkehrend, nunmehr
unsere Aufgabe, die Wirkungen dieses Niederlagsrechtes
auf den Handelsverkehr über den Semmering zu unter-
suchen.
Zuvörderst, daß alle österreichischen Städte und Märkte
südlich von Wien nach Venedig handeln durften, mußte, da
sie auf der Rückfahrt ihre Waren nach Wien zu führen ge-
zwungen waren, als bedeutender Aufschwung des Handels-
verkehrs über den Paß sich geltend machen. Nicht minder
hatte der Straßenzwang als Konzentration, des Handels eine
stärkere Benützung des Semmerings zur Folge und in der
gleichen Bichtung wirkte aus früher dargelegten Gründen
auch seine Ergänzung durch das Verbot einzelner Straßen;
selbst die Wiederaufhebung eines solchen Verbotes, z. B. die
Freigabe der Karststraße seit 1389, änderte, da auch sie zur
'^^echten** Straße Würdö, daran nichts, steigerte eher den
Handelsverkehr über d^ Semmering, d« sich foi^ta^ wahr^
scheinlich auch jene Städte, die früher den längeren Weg
gescjieut halten j^Laib^ch, Cifli) am Haride)[ mit ;V\^arei, ^die sie
aus .VJeiiedig' bii^^llteh, beteiligten* , W^as: ic4. fe^^ ,mdv4ßxßi(
Stelie bemerkte: daß der Marburgtr. ^ne .yenetiaaiscfe^n
« Pelzel, a. a. 0., S. 237. -'"
12 Zur Handelsgeschichte des Passes ttber den Semmering etc.
Waren auch in Brück a. d. Mur einkaufen konnte, schmälerte^
unter dem Gesichtspunkte des Einflusses dieses Umstandes
auf die Handelsbedeutung des Semmerings betrachtet, diese
nicht; denn der Brucker mußte ja, um die Bedürfnisse des
Marburgers befriedigen zu können, mehr Waren als sonst
nötig gewesen wären, über den Semmering geführt haben.
Die Tatsache endlich, daß jede venetianische Ware,
mit der nach Österreich gehandelt wurde, ehe sie an den
Konsumenten kam, durch die Hände eines Wiener Kauf-
manns gegangen sein mußte, war selbstverständlich — es
braucht dies nicht weiter ausgeführt zu werden — mit einer
Zunahme der Bedeutung des Semmerings für den Handels-
verkehr verbunden. Von den vorhin erwähnten Ausnahmen
aber, die nicht von dieser Wirkuijg des Niederlagsrechtes
betroffen wurden, trugen alle zu einer Verringerung des
Handels über den Paß, nur eine zu einer Vergrößerung des-
selben bei: die Begünstigung, welche den böhmischen Kauf-
leuten für bestimmte Zeit verliehen worden war, hat gewiß
veranlaßt, daß diese während derselben in größerer Zahl
nach und von Venedig Handel trieben.
Wenig Material kann ich in unserem Zusammenhange
zu der dritten der oben genannten handelspolitischen Maß-
nahmen der österreichischen Herrscher beibringen ; zu sagen
ist nur, daß die Bestimmung jenes Privilegs für Wien von
1281,^ durch welche die Zeitbeschränkung des Aufent-
haltes der Gäste fallen gelassen und ihnen gestattet wurde,
beliebig lange mit ihren Waren in Wien bleiben zu können
— seitdem nicht aufgehoben — gewiß eine Belebung des
gesamten Handels nach Wien, somit auch jenes über den Sem-
mering bedeutete.^
Und des weiteren wäre hier jene Begünstigung zu
nennen, welche die Judenburger 1373 mit Einwilligung Herzog
Leopolds HL von Herzog Albrecht HI. erhielten, ^ daß sie
mit ihren selbst verfertigten Waren nach Wien fahren und
diese daselbst „an Gäste und andere Leute*' verkaufen und
dafür andere Waren einkaufen sollten dürfen; denn mit der
i Tomaschek, a. a. 0., I, S. 64.
« Von 1281—1312 war überdies den Gästen in "Wien auch der
Handel mit ortsfremden Kaufleuten (also untereinander) stets gestattet ;
später nur zur Zeit der Jahrmärkte.
»Lichnowsky, „Geschichte des Hauses Ha'»sburg", ^Quellen-
nachweise und Regesten" dazu, herausgegeben von E. Birk, Wien 1836 ff.,
I, S.680f.
^ Von Dr. Oskar Kende. 13
I erhöhten Absatzmöglichkeit ihrer Waren durch die vermehrte
I Zahl der Käufer, mit der größeren Freiheit im Einkauf war
' für die Judenburger der Antrieb gegeben, häufiger als bisher
j nach Wien Handel zu treiben: ihr Weg dahin aber ging
über den Semmering.
Auf die Wirkungen der vierten, fünften und sechsten
für uns in Betracht kommenden handelspolitischen Maß-
nahmen werden wir später* auf erstere im Zusammenhang,
auf die beiden letzteren gelegentlich zurückzukommen haben.
Ehe ich mich der Beantwortung der zweiten uns zur
Klarlegung der Handelsverkehrsbedeutung des Semmerings
beschäftigenden Fragen zuwende, muß ich noch kurz einer
Einrichtung gedenken, die dazu dienen sollte, den Handels-
verkehr über den Paß zu erleichtern: einer förmlichen
Tran Sportorganisation, die von Seite Schottwiens dort, wo an
der Nordseite der Aufstieg begann, geschaffen wurde. ^ Bis
} dahin war es für das Saumroß nicht schwer, die gewöhnliche
I Traglast fortzubringen : hier aber, wo das eigentliche Gebirge
I anhub, hätte man in vielen Fällen die Last verringern
I müssen. Damit dies nicht notwendig wäre, besorgten nun
Schottwiener die Umladung derselben auf Wagen, welche
I sie wie auch die erforderliche Anzahl von Pferden beistellten,
i und schafften die Waren dann auch über den Paß. Meist
I sind wohl mehrere Händler zugleich über den Semmering
gezogen und haben von dieser Unterstützung durch die
Schott wiener Gebrauch gemacht: „Item, swaz aber einer
nnz gen Schadwienn auf einem ross fürt und legt daz einer
1^ oder meniger ... auf einen wagen, der geit jegleicher 6 den.,**
heißt es in den Rechten der Wiener Bürger an der Maut
zu Neudorf und Sollenau aus ca. 1375.'^
^ Nun zu der Beantwortung jener zweiten Frage selbst. Ich
will sie auf die Weise unternehmen, daß ich, wer alles am
Handel über den Semmering beteiligt war, im einzelnen auf-
zähle und dabei in welchem Maße es geschah, jedesmal so
1^ gut dies möglich ist, angebe.
Zuerst in Hinsicht auf den lokalen Handel. In Be-
tracht kommen hier fast ausschließlich die Bürger von
^ Städten und Märkten; diese waren ja auch im späteren
Mittelalter hauptsächlich die Träger des Handels.
1 Becker, „Niederösterreichische Landschaften**, Wien 1879, S. 12,
* Tomaschek, a. a. 0., I, nr. 88.
14 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
Friesach.
Schon in der von Herzog Friedrich II. 1244 den
Wiener - Neustädtern verliehenen Zollordnung* werden die
„mercatores frisacenses" genannt, die Mautsatzungen Wiener-
Neustadts von ca. 1310* erwähnen sie gleichfalls; aus
späterer Zeit ist aber der lokale Handel Friesachs über den
Semmering nicht weiter bezeugt.
Judenburgr*
Die erste Nachricht darüber, daß Judenburger Kauf-
leute Handel über den Semmering treiben, bietet uns wieder
iene Urkunde von 1244, die auch „mercatores de Juden-
burch" anführt. Bestätigt wird dann dieser Handel durch ein
Weistum der geschworenen Bürger Wiener-Neustadts von
1270 ^ über die Mautgebühren der mit Waren über Wiener-
Neustadt fahrenden Bürger von Judenburg, und zwar erfahren
wir hier, daß sie um diese Zeit speziell Feigen, Öl, Seife,
Wein und Getreide über den Paß brachten. Ferner spricht
auch die Mautordnung Wiener-Neustadts von zirka 1810 von
Kaufleuten aus „Judenwurg**. Nicht minder aber scheint mir
eine stetige Benützung des Semmerings durch den Handels-
verkehr der Judenburger zu beweisen, daß 1273 es ein Bürger
dieser Stadt war, welcher dem Hospize a. S. eine Schwaige
auf dem Berge Orels im Ennstale abkaufte,^ ein solcher
auch, der zirka 1280 „zwei millearii Eisen" demselben Ho-
spize testamentarisch vermachte. ^ Der zwei weiteren Belege,
die uns für den lokalen Handel Judenburgs über den Sem-
mering erhalten sind, habe ich schon in anderem Zusammen-
hange Erwähnung getan: des Privilegs König Rudolfs I»
ddo. 1277, Jan. 19, worin derselbe in den auf den Handel
der Stadt bezüglichen Teilen u. a. die Mautabgaben der
Judenburger im Warenverkehr mit Wien regelte, ^ und ebenso
jener Begünstigungen, welche die Stadt 1373 für ihren Handel
in Wien erhielt. ^
* „Ausgewählte Urkunden", nr. 3.
« Winter, a. a. 0., S. 60.
3 Fontes rerum Austriacarum, II/l, nr. 92.
* Wichner, „Geschichte des Benediktin er Stiftes Admont",
Graz 1874/76, II, S. 123 und 369.
* Steiermärkisches Landesarchiv in Graz, nr. 1182.
. 6 S. 2.
7 S. 12.
Von Dr. Oskar Kende. 15
Leoben.
Auch hier geschieht die früheste Erwähnung der „mer-
catores de Leuben" in jener Urkunde von 1244. „Chaufleut
von Leuben" nennt femer die Mautordnung Wr.-Neustadts
von zirka 1310. Wird auch an diesen beiden Stellen nirgends
eines speziellen Handelsartikels gedacht, den die Leobner zur
Ausfuhr brachten, so mag sich doch zumal seit dem Privileg
Herzog Friedrich des Schönen fUr Leoben ddo. 1314, März 12,
ein solcher allmählich gebildet haben : der Handel mit Eisen.
\ „XJniversis in foro Träeyach (Trofaiach) nee non chatmiariis
I in monte anteriori citra Traueyach in minera ferri residen-
j tibus" wird nämlich hierin befohlen, ihr Eisen ausschließlich
in Leoben zu verkaufen, ^ diese Stadt so zum Zentrum des
* obersteirischen Eisenhandels gemacht. Und der Vertrieb dieses
„leubnisch Eysen" nach Östeixeich scheint ziemlich bedeu^
tend gewesen zu sein, da er sich nicht bloß auf die gewöhn-
^ liehe Straße über den Semmering beschränkte, sondern auch
^ungewentlich Straßen", z. B. durch das Aflenztal hinaus-
geführt wurde, wie eine Urkunde des Wiener-Neustädter
% Stadtarchivs von 1436 dartut. Andere Daten von dem Handel
Leobens über unseren Paß besitzen wir nicht.
I Brück a« d. Mur.
Als Quelle nur das schon genannte Privileg Herzog Ru-
dolfs IV. ddo. 1361, Dezember 20, durch welches Brück a. d. M.
Zoll- und Mautfreiheit in allen Städten erhielt, welche diese
in Brück hätten: was für den Handel dieser Stadt mit
^ Wiener-Neustadt zumal, also über den Semmering, Bedeu-
tung gewinnen mußte.
> Laibach.
Für den lokalen Handel dieser Stadt über den Sem-
mering sei das den Bürgern derselben von Herzog Albrecht III.
I verliehene Privileg vom O.November 1389 angeführt,^ durch
welches der Herzog ihnen „gönnet u. erlaubet" hatte, „daz
si mit Venedigischer hab u. all kaufmanschaft aribaitten und
f die gefftren mögen her gen Wienn" ; die „Venedigische hab"
i Krön es, ^Landesfürst, Behörden und Stände des Herzogtums
Steier, 1283 — 1411" in „Forschungen zur Verfassungs- und Yerwaltungs-
geschichte der Steiermark«, IV. Bd., 1. Heft, Graz 1900, S. 449 f..
2 „Ausgewählte Urkunden", nr. 144.
16 Ziir Handelsgeschichte des Passes Ober den Semmering etc.
war Batürlich nicht in Venedig selbst von den Laibachem
gekauft worden, sonst wäre nicht erst eine „Erlaubnis*^ not-
wendig gewesen, diese Waren nach Wien bringen zu dürfen,
sondern es hätte dies dem Inhalt des Wiener Niederlags-
rechtes zufolge geschehen müssen.
Graz.
Es würde eine eigene Untersuchung nötig machen,
wollte man feststellen, wie viel von dem lokalen Handel, den
Graz im Mittelalter trieb, über den Härtberg, wie viel davon
über den Semmering gegangen ist.* Ich beschränke mich
daher hier auf die Wiedergabe bloß einer urkundlichen Stelle
aus dem Jahre 1401,'^ da sie als einzig mir bekannte aus-
drücklich bezüglich der Waren der Grazer Eaufleute sagt;
^was si aber derselben hab über den Semerink .... fAren."
Kindberg.
Alles was wir vom Handel der Kindberger sagen können,
geht auf ein Regest, das sich bei Krones^ Nr. 375 findet,
zurück, nach welchem Herzog Wilhelm 1396 den Bürgern
dieser Stadt den Verkauf der von ihnen erzeugten Töpfer-
waren allerorten gestattete: was davon im besonderen nun
über den Semmering gebracht worden sein mag, läßt sich
selbstverständlich aus dieser dürftigen Angabe nicht er-
schließen.
Hürzzuschlag*.
1360 war den Bürgern von Mürzzuschlag durch Herzog
Rudolf IV. das Privileg verliehen worden, es sollte, da sie
^ Das Gleiche gilt von dem lokalen Reiseverkehr; z. B. zog
König Rudolf I., als er im September 1279 eine Reise in die Steiermark
unternahm, „daz er des landes phat gewunne kund und aht, wand im
waz niht verdagt gekündet und gesagt von Stir des landes guete",
über den Hartberg nach Graz. („Reimchronik", herausg. von See- ^
m tili er in „Mon. Germ. Deutsche Chron. V, 1 u. 2, 1890/3, von
18740 — 60, und Böhmer-Redlich, „Regesta imperii VI", Innsbruck ^
1898), nr. 1128a.)
* War tinger, „Privilegien der Landeshauptstadt Graz", Graz i
1836, nr. 19.
3 Krones, Urkunden zur Geschichte des Landesftirstentums,
-der Verwaltung und des Ständewesens der Steiermark 1283 — 1411" in I
„Veröffentlichungen der histor. Landeskommission f. Steiermark" IX., i
1899, und in , Beiträgen zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen ** ]
XXVm, nr. 375. I
(
r
f
Von Dr. Oskar Kende. 17
^ander betragBuss und arbeith nicht beten" zwischen Leoben
und dem Semmering nur in ihrem Markte Eisen klein gemacht
werden dürfen. Mit diesem so bearbeiteten Eisen haben die
Mürzzuschlager dann auch über den Semmering nach Wiener-
Neustadt und weiterhin Handel getrieben : „das Eysen so sie
zu Zeiten daselbst hin in die Neustatt zu verkbauilh bringen,
fehrer (= weiter) zu führen und ander Enden zu verkhauffen"
hätten ihnen die Wiener-Neustädter gewehrt, heißt es in
einer Urkunde des Wiener-Neustädter Stadtarchivs, allerdings
erst aus dem Jahre 1462; doch werden wir die Tatsache,
von der hier die Rede ist : den Handel mit Kleineisen über
den Semmering, da die Gelegenheit, bei welcher sie erwähnt
wird, eine zufällige genannt werden muß, in viel frühere
Zeit ansetzen können.
Stainz im Hürztale.
Von der Beteiligung des Marktes Stainz im Mürztale
am Handel über den Semmering gibt uns wieder nur eine
einzelne Nachricht Kenntnis, ein Privileg Herzog Friedrichs IV.
ddo. 1427, Dez. 21, das uns im Regest bei Muchar,*
erhalten ist : hiemach bestimmte der Herzog, „daß die Bürger
von Stainz befugt seien, weiche Eisensorten u. a. Eisen zu
schmieden und unbehindert über den Semmering nach Öster-
reich heraus zu verschleißen, weil diese Eisenfabrikate nicht
Kleineisen seien und daher den alten Privilegien, welche
Herzog Rudolf IV. den Hammerschmieden von Mürzzuschlag,
Brück a. d. Mur usw. verliehen, kein Eintrag getan würde."
Wiener-Neustadt.
In Hinsicht Wiener-Neustadts ist es mir möglich, mehr
Material, als es bei anderen Orten der Fall war, für den
lokalen Handel dieser Stadt über den Semmering zu bieten :
hatte sich ja doch Wiener-Neustadt ungefähr seit der Mitte
des vierzehnten Jahrhunderts allmählich zum ausschließlichen
Zentrum des Weinhandels in die Steiermark entwickelt.
Vielleicht dürfen wir zur Erklärung der Tatsache, daß gerade
Wiener-Neustadt diese Stellung erlangte, heranziehen, daß
hierin die ehemalige Zugehörigkeit dieser Stadt zur Steier-
mark nachwirkte. Der Weinhandel dieser Stadt über den
„G.eschichte des Herzogtums Steiermark", 1846 ff^,
4
i
1 Muchar,
YII, S. 193.
»
18 Zur Handelsgeschichte des Passes Über den Semmering etc.
Semmering scheint übrigens ihren lokalen Handel über diesen
Paß ganz ausgefüllt zu haben; wenigstens finden wir eines
sonstigen lokalen Handels Wiener-Neustadts über den Semme-
ring nirgends Erwähnung getan.
Um so zahlreicher sind dagegen die Urkunden, welche
uns von dem Weinhandel Wiener-Neustadts über unsern
Paß berichten. Die erste derselben betrifft einen Befehl
Herzog Albrechts H. vom 8. November 1342 an seinen
Landeshauptmann in der Steiermark, Ulrich von Walsee, ^
wodurch diesem aufgetragen wird, die Bürger von Wiener-
Neustadt im Handel mit ihren deutschen und ungarischen
Bauweinen über den Semmering nach Brück a. d. Mur, Juden-
burg, Schladming, Rottenmann und Friesach zu schützen. Von
Mitte Dezember dieses Jahres sind dann die Antwort Ulrichs
von Walsee an den Herzog, wie einzelne Weisungen, die er an
die Gemeinden von Mürzzuschlag, Kindberg und Brück a. d. Mur
richtet, alle im Wiener-Neustädter Stadtarchiv befindlich, da-
tiert ; dem Herzog meldet er, er wolle die Wiener-Neustädter
„gern ir pawwein lazzen füren" und den genannten Gemeinden
empfiehlt er, sie sollten die Wiener-Neustädter in ihren
durch den Herzog verliehenen Begünstigungen, wenn diese
sich darüber ausweisen könnten, „daz es ier wein sey
u. ander niemant", nicht beirren. Scheint nun auch der
Weinhandel Wiener-Neustadts über den Semmering durch
jenes Privileg Herzog Albrechts IL nicht erst geschaffen
worden zu sein, mag derselbe auch schon in früheren Zeiten
bestanden haben, so muß doch mit einemmale ein allzu
starker Gebrauch von den Privilegsbestimmungen gemacht
worden sein, denn 1345 sieht sich der Herzog wieder zu
einer Einschränkung seines Privilegs veranlaßt. Es hatten
sich nämlich die „Edelleuthe u. Landleuthe"'-^ der Steier-
mark bei ihm beklagt, „dass Sy vast überladen wären mit
pawwein die mann auf die Steyermarch führet", was ihr
1 Abgedruckt bei W i n t e r „Das Wiener Neustädter Stadtrecht des
13. Jahrhunderts" im Archiv für österreichische Geschichte, 60. Bd., 1879.
* Eine gleichlautende Einteilung der Stände habe ich weder bei
Krone s, Verfassung und Verwaltung der Mark und des Herzogtums
Steier von ihren Anfängen bis zur Herrschaft der Habsburger*' in
„Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steier-
mark", Graz 18»7, S. 305 if, noch in desselben Landesfürst, Behör-
den und Stände etc., S. 75 ff, angegeben gefunden. Übrigens führt
das Regest dieser Urkunde bei Krön es Urkunden zur Geschichte
des Lande sfürsteritums, nr. 17 • auch „Bürger" . als sich Beschwerende
an, die in der Urkunde des Wiener- Neustädter Stadtarchives fehlen.
Von Dr. Oskar Kende. 19
„Verderben" bedeute; wieso wird nicht gesagt, nur als Bei-
spiel angeführt, daß ihnen gleiche „beschwerung und Über-
last" hierdurch bereitet würde, wie sie den Ungarn aus der
Einfuhr österreichischer Weine erwachsen wären, wor^-us ge-
schlossen werden kann, daß wohl der einheimische Wein-
handel die übermächtige Konkurrenz nicht auszuhalten im-
stande war. Und Herzog Albrecht IL kam auch den Wünschen
seiner steirischen Untertanen soweit entgegen, daß er den
Wiener-Neustädtern den Handel mit ihren ungarischen
Bauweinen in die Steiermark nicht weiter erlaubte und zu-
gleich verordnete, daß außer „Herren, Klöstern und anderen
ehrbaren Leuthen", welche zu eigenem Bedarf Wein in ihre
^ Häuser sollten führen dürfen, allein die Wiener-Neustädter
* zur Weineinfuhr in die Steiermark, also zum Handel mit
I Wein in dieses Land berechtigt seien.
Diese letztere Bestimmung mußte allerdings die meisten
} Vorteile für die Wiener-Neustädter selbst einschließen —
I sollte sie auch vielleicht für die Aufgabe der einen Begünsti-
gung entschädigen : denn durch dieselbe war ihr Weinhandel
^ (mit Beschränkung auf deutsche Bauweine) in die Steier-
mark rechtlich monopolisiert worden; zwar, wenn wir das
I nächste durch Herzog Rudolf IV. 1364 den Wiener-Neu-
I Städtern verliehene Privileg^ ins Auge fassen, so mag es
' wenigstens dem Wortlaut dieser Urkunde zufolge den An-
schein haben, als ob jene Bestimmung nicht lange den Wiener-
Neustädtern zugute gekommen wäre, der Umfang ihres Mono-
pols eine Schmälerung erfahren hätte.
Während nämlich in dem Privileg von 1345 gesagt
^ worden war, daß die Wiener-Neustädter zur Weineinfuhr
(näher spezialisiert) in die Steiermark befugt sein sollten,
niemand anderer (mit Ausnahme von „Herren, Klöstern und
' anderen ehrbaren Leuten" zu eigenem Bedarf) Wein in die
Steiermark sollte führen dürfen: also alle Straßen in
dieses Land den Wiener-Neustädtern gestattet, den anderen
^ aber (mit Ausnahme von „Herren etc.") verboten erscheinen
mußten, heißt es in dem Privileg von 1364: „wann wir ew
bey den Rechten und gnaden wellen beleiben lassen, daz
Ir ewr Pauwein über den Semmerinckh füren sult u. daz
nymant ander Wein hinüber füren sol", wurden also die
Wiener-Neustädter bei ihrer Weineinfuhr (näher spezialisiert)
auf den Semmering beschränkt, die Weineinfuhr der anderen
1 Im Wiener-Neustädter Stadtarchiv.
2*
20 Zur Handelsgeschichte des Passes Ober den Semmering etc.
(näher spezialisiert) aber auch nur Ober den Semmering
verboten, was nicht zugleich zu bedeuten brauchte, daß
dieses Verbot sich auch auf die 'Benützung anderer Strafien
bezöge.
Wir müssen nun zunächst klarzulegen versuchen, wie
diese eben berührte Abweichung in den beiden Privilegien
zu verstehen ist, da das Resultat der Stellungnahme zu der-
selben für die Beurteilung der meisten späteren Urkunden
für Wiener-Neustadt ausschlaggebend ist.
Was ich glaube, ist. daß wir es hier wohl mit einer
wörtlichen, nicht aber mit einer sachlichen Verschiedenheit
zu tun haben, daß also die betreffenden Stellen in beiden
Privilegien sich nicht widersprechen, eine die andere nicht
abschwäche, sondern daß sie sich, wörtlich genommen, gegen-
seitig ergänzen, d. h. dem Sinne nach durch jede der beiden
dasselbe ausgedrückt werden sollte : nämlich, daß die Wiener-
Neustädter zwar das ausschließliche Monopol des Wein-
handels (näher spezialisiert) in die Steiermark besitzen sollten
(also niemand anderer zu demselben in dieses Land auf
irgendeinem Wege berechtigt sein sollte), sie aber als Weg
hiezu den Semmering zu benützen hätten. Denn dafür, daß
durch das Privileg von 1364 das Monopol der Wiener-
Neustädter in gleichem Maße aufrechterhalten werden sollte,
daß es also für diesen Punkt dasselbe enthielt, was das
Privileg von 1845 ausgesprochen hatte, dafür spricht schon
der Umstand, daß es fllr die Wiener-Neustädter ein Privileg
von recht zweifelhaftem Werte gewesen wäre, welches ihnen
für ihren Weinhandel nur eine, den andern aber für den
ihrigen alle übrigen Straßen erlaubt hätte.
Was ich vorhin erwähnte, daß nämlich die Auffassung,
zu welcher wir uns in dieser Frage entschließen, für die
Beurteilung der meisten späteren Urkunden ausschlaggebend
ist, sei hier noch kurz ausgeführt : hielte man sich strenge
an den Wortlaut der bisher behandelten Stellen in den
beiden Privilegien, so hätte die Urkunde von 1364 für die
Wiener-Neustädter eine Einschränkung ihres Monopols, für
die anderen die Aufhebung des für sie bestehenden Verbotes
eines Weinliandels in die Steiermark, ausgenommen jenes
über den Semmering, zur Folge gehabt, welches Verbot erst
durch eine Anzahl Privilegien seit 1383 allmählich bis zu
dem Umfange erneuert worden wäre, der schon 1345 fest-
gestellt worden war; dagegen brachte, wie bereits hervor-
f
Von Dr. Oskar Kende. 21
?ik gehoben, nach unserer Ansicht das Privileg von 1364 gegen-
[ über dem von 1345 keine Änderung in dieser Hinsicht mit
sich, jene Urkunden seit 1383 stellen sich für uns als bloß
praktischen Bedürfnissen angepaßte Wiederholungen (Ein-
schärfungeh) eines seit 1345 geltenden Rechtes dar.
Das Ergebnis, zu welchem wir in vorstehenden Erörte-
rungen gelangten, gibt uns auch den Gesichtspunkt, unter
welchem wir den übrigen Inhalt einiger Privilegien der
Wiener-Neustädtjer nacji. 1345 zu betrachten haben : daß wir
nämlich hierin ei]^ Ausgestaltung des im Privileg von 1345
gegebenen Umfarigs des Monopols derselben erblicken dürfen.
Schon 1364 geschah eine solche in doppelter Richtung.
Erstens mochte es, obwohl 1345 von Herzog Albrecht IL
der jeweilige Landeshauptmann der Steiermark „oder wer
an Unnser Statt in dem Lanndt gewalttig ist" mit der Auf-
sicht über die Einhaltung der Privilegsbestimmungen betraut
worden war, ein oder das anderemal vorgekommen sein, daß
außer den Wiener-Neustädtern auch andere aus „Stetten
Merckten dorflfern oder auf dem Lannd" Wein über den
L Semmering gebracht hatten und es erschien deshalb gut, jenen
r ein Mittel gegen die, welche ihre Freiheiten verletzten, an
i die Hand zu geben: „das Ir daz vasst weret und dieselben
l Wein niderslahet", wird damals gleichfalls den Wiener-
) Neustädtern ausdrücklich gestattet. ^ Ein zweites ist, daß
es den Wiener-Neustädtern, die sich wohl darum bemüht
! hatten, gelungen sein muß, jene Beschränkung ihrer Wein-
einfuhr auf deutsche Bauweine zu beseitigen, da in einer
! Urkunde/von diesem Jahre nur mehr allgemein von „Bau-
^ weinen" die Rede ist. Für 1435 läßt es sich sogar belegen,
I daß die Wiener-Neustädter ungarische Weine in die Steier-
mark brachten. Denn in den Beschwerden, welche die
steirischen Stände in dem genannten Jahre vor Herzog
Friedrich V- erhoben und um Abstellung deren Ursachen sie
baten, war auch inbegriffen, daß der Herzog die ungarischen
Weine „über den Semerink ze geen wern" sollte. Und dß,ß
dies vor allem: di^ Wiener-Neustädter anging, erhellt daraus,
^aß der Herzog sich an sie wendete und sie aufforderte,
Bevollmächtigte mit „abschrifft und vidimus" der Privilegien,
welche sie, die Weinfuhr über den Semmering betreffend,
besaßen, zu ihm zu senden.^
I * Im Wiener-Neustädter Stadtarchiv.
« Im Wiener-Neustädter Stadtarchiv.
22 Zur Handelsgeschicbte des Passes ttber den Semmering etc.
Wieder eine Erweiterung des Wiener-Neustädtischen
Monopols bedeutete es, wenn Herzog Albrecht III 137 P
bestimmte, daß niemand fürderhin Wein über den Semmering
sollte bringen dürfen, der nicht seine und der Wiener-Neu-
städter besondere Erlaubnis hiezu durch Urkunde vorzeigen
könnte und somit eine rechtliche Weineinfuhr über den
Paß in die Steiermark zugleich auch von der Bewilligung
der Wiener-Neustädter abhängig machte. Nicht minder, wenn
der Schlußsatz dieses Privilegs, das sich an alle herzogliche
Beamte wie übrige Untertanen wendete, diese aufforderte,
alle, welche Wein über den Semmering führen wollten und
nicht solchen „brief* von ihm und den Wiener-Neustädtem
hatten, zu „verheften" ; es mußte dies die Kontrolle der
letzteren über die richtige Ausführung ihrer Begünstigungen
unterstützen und verstärken.
Zu diesem Privileg sei übrigens folgendes im besonderen
zu bemerken gestattet. Wir besitzen schon vor 1371 ein
Ansuchen um die Erlaubnis zur Weinfuhr über den Semme-
ring, indem sich Bischof Johann von Gurk 1361^ bei den
Wiener-Neustädtem für den Wirt von Schottwien ver-
wendet, sie sollten demselben 4 Faß Wein über den
Semmering bringen lassen. Dies mag sich daraus erklären,
daß der Wirt ja Bürger eines Marktes war und diesen die
Weinfuhr über den Semmering bei Androhung der Konfiskation
ihrer Ware verboten worden war; wollte er sie also nicht
aufs Spiel setzen, so war es gut, sich der Einwilligung der
Wiener-Neustädter zu versichern. Interessant wäre ferner
zu wissen, welche Wirkungen dieses Privileg Herzog
Albrechts III. von 1371 auf jene Bestimmung Herzog
Albrechts II. vom Jahre 1345,3 daß „Herren, Klöster und
andere ehrbare Leute" zu ihrem Eigenbedarf „mugen wein
von Osterreich in Ihr hauss fuhren", hatte. Es ist dies nämlich
nicht klar zu erkennen. Denn daß 1443 in dem Privileg,
m welchem König Friedrich III. alle früheren Rechte und
Freiheiten der Wiener-Neustädter und dabei auch genau das
Privileg von 1345 bestätigte,^ der Zusatz fehlt, diese Wein-
fuhr dürfe nur mit „brief" der Wiener-Neustädter geschehen,
beweist nicht unbedingt, daß dies nicht doch der Fall sein
» Im Wiener-Neustädter Stadtarchiv.
« Im Wiener-Keustädter Stadtarchiv.
3 S. 18 f.
* Winter. „Urkundliche Beiträge«, S. 96 ff.
Von Dr. Oskar Kende. 23
mußte, da 1443 die meisten Privilegien fast im Wortlaut
wiederholt werden, ohne daß man sie in richtige Oberein-
stimmung zu den vorhergehenden und späteren zu bringen
gesucht hätte. Ich möchte sogar um so eher annehmen,
daß die Wiener-Neustädter seit 1371 auf einen besonderen
„brief" bestanden, da schon vor dieser Zeit ein solcher
notwendig gewesen zu sein scheint, wenn in einer Urkunde
König Friedrich in. vom Jahre 1448^ gesagt wird, daß der
Abt von St. Lambrecht von Herzog Rudolf IV. ein Privileg
erhalten hatte, wie viel Wein er „zu NotdurflFt seines Gocz-
haus" jährlich über den Semmering sollte fuhren dürfen, und
auch schon vor 1371 von den Wiener-Neustädtern dem
Kloster Seckau Schwierigkeiten in seiner Weinfuhr über den
Semmering bereitet worden waren. Ferner wird in derselben
Urkunde von 1448 erwähnt, daß einzelne „Edlleuthe" von
früheren Landesfürsten „begnat" worden wären, jährlich . eine
bestimmte Summe Wein „zu Nottür jBFt Irer heuser zu
Speysung" über den Paß bringen zu können; was nicht
minder bei Fortdauer jener Bestimmung von 1345 überflüssig
gewesen wäre.
Eine letzte Vergrößerung erfuhr 'das Monopol der
Wiener-Neustädter durch eine Urkunde Herzog Leopold III.
vom Jahre 1382,^ die uns übrigens auch insofern interessiert,
als sie gegenüber jenen von 1342 unsere Kenntnis von der
örtlichen Ausdehnung des Wiener-Neustädtischen Weinhandels
bereichert. Dieses Privileg verfügte, daß die Wiener-Neu-
städter Wein in Fäßchen (sogenannten Laglwein) „über den
Semerningk gen Ausse oder wohin sy wellent" bringen
durften und stellte hiedurch ihnen wenigstens im Klein-
verkauf den Handel nicht mehr bloß mit ihren Bauweinen
sondern mit Wein überhaupt in die Steiermark frei. Noch
fünf Jahre früher, 1377,^ war die Einführung von Laglwein
in die Steiermark allgemein verboten worden.
Da wir das Verhältnis, in welchem eine Reihe von
Privilegien seit 1383 zu den früheren steht, in dem für uns
in Betracht kommenden Wichtigen schon charakterisiert
haben, sagten, daß sie kein neues Recht fixierten, sondern
nur das alte in Erinnerung zurückrufen sollten, so können
wir uns über ihren sonstigen Inhalt kurz fassen. Immer
i
« Im Wiener-Neustädter Stadtarchiv.
« Im Wiener-Neustädter Stadtarchiv.
» „Ausgewählte Urkunden«, nr. 184.
24 Zur Handelsgeschichte des Passes fiber den Semmering etc.
genauer wird pr&zisiert, was alles Unberechtigten hinsichtlich i
der Weinfiihr in die Steiermark verboten wäre: 1383 wird I
von Herzog Leopold III. befohlen „das nieman dhain .
ungrisch noch frömde wein über den Semeringk noch über '
den Hartperg .... foren suUe'^, 1385 sieht sich dieser i
Herzog auf die Klagen der Wiener*Neustädter hin genötigt,
dieselbe Verordnung etwas ausführlicher zu erlassen,« 1389 j
ergänzt Herzog Albrecht III. wieder die Urkunde von 1383 1
in einzelnem, 1395 erfolgt durch ein Privileg Herzog
Wilhelms eine weitere Spezifizierung sowohl der wider- ■
rechtlich in die Steiermark geführten Weine als der dabei
benützten Straßen, indem der Herzog sich dagegen wendet^ '
daß man zum Schaden der Wiener-tNeustädter „deutsche,
. ungarische und Günser Weine" über den Semmering, Hart- J
berg und durch die Prein in das Mtirztal bringe; 1436 wird '
schließlich auch noch die Straße im Aflenztale genannt,
durch die man keinen Wein aus Österreich in die Steier- i
mark schaffen dürfe.' I
Der übrigen uns erhaltenen Urkunden, die außer den
bisher besprochenen noch auf den Weinhandel Wiener-Neu- |
stadts Bezug habeii, genügt es gaiiz allgemein zu gedenken ^
und zu sagen, daß die einen unter .ihnen von Fällen be-
richten, in denen im besonderen, an Klerus wie Laien die |
Erlaubnis zur Weinfuhr in die Steiermark, meist zu eigenem
Bedarf verliehen wurde — auf diese werden wir weiter unten i
des näheren einzugehen haben — und daß andere bezeugen. j
wie alle Privilegieu nicht imstande waren durchzusetzen, daß
sehr viele, „die des nicht Recht hatten", Wein in die Steier- |
mark brachten, trotzdem, ähnlich wie 1371 auch 1449, • von 4
Künig Friedrich III. bestimmt worden war, daß niemand,- „es 1
sein geistleich oder weltleich", Wein aus Österreich in die
Steiermark führen sollte, der nicht „der Erbern weisen * . . •
des Burgermaister, Richter und Rath, , . . zu der Neuenstat |
b^ief oder wartepichen (wahrscheinlich ein bestimmtes Brand- ,
inal am Fasse) dabej" Mtte. So konnte nicht verhindert I
werden, daß die Wiener-Neustädter, durch den Weinhandel \
wie überhaupt durch die Weineinfuhr Unbefug;ter in die Steier-
mark in ihren Rechten beeinträchtigt wurden; was übrigens,
andererseits auch den Schaden, den. dßr Weihhandel Steier-.
marks selbst durch einen übergroßen Import erleiden mußte,
nur noch vergrößerte : war doch den Ständen dieses Landes
» Die vier Urkunden im Wiener-Neustädter StadtarcMv.
Von Dr. Oskar Kende. 25
^^ sogar der Weinhandel Wiener-Neustadts des öfteren unbe^
f quem.*
k Dennoch aber wird man, glaube ich, behaupten dürfen;
! daß all dies das Ausmaß, in welchem Wiener-Neustadt ain
1^ lokalen Handel über den Semmering beteiligt war, nicht
I wirklich bedeutend zu verringern vermocht hat.
Wien.
f Von Wiens lokalem Handel über den Semmering habe
ich nicht eine völlig sichere Nachricht gefanden; folgende^
f* Beispiel auch nur, wo er vermutet werden kann : ein Befehl
! des Landeshauptmanns der Steiermark, Leutold v. Stadeckj
vom Jahre 1363 an die Wiener-Neustädter ■^, die/ Wiener
[> im Handel mit Eisen und Stahl nicht zu beirren ; dieses aber
' hatten sie wahrscheinlich selbst in der Steiermark eingekauft.
^ Der übrigre Handelsverkehr.*
' Bezeugt ist uns ein solcher, das heißt ein Handels7
verkehr, der nicht durch Städte und Märkte vermittelt wurde;
U durch die Mautordnung für Wiener-Neustadt von zirka 1310,
I deren 31. Artikel besagt:^ „Wist auch, daz die chlöster-
l leut die in dem laude- ze . . . . Steyr gesessen sind,.
j * Im Wiener-Neustädter Stadtarchiv. Krones, „Urkunden etc.",
! nr. 234. Lichnowsky, a. a. 0., II, nr. 494.
* Kröne s, „Urkunden etc.", nr. 235.
3 Daß ich unter diesem Ausdrucke die drei im Text genannten
Beispiele zusammenfasse, muß ich vielleicht mit ein paar Worten
begründen. Ich verstehe unter Handel jeden Warenverkehr zwischen
y [Produzenten und Konsumenten, der zu Zwecken der Erzielung eines.
Gewinnes erfolgt. Sowohl die Definition, die P h i 1 i p p o v i c h E. v., ^ Grund-^
riß der politischen Ökonomie'*. I. Bd. („Allgemeine Volkswirtschaftslehre ")\
Freiburg i. Br. 1899, S. 196, § 83, gibt: „Der Handel ist jene Erwerbs-
? fähigkeit, welche nicht durch selbständige Produktion, sondern durch
Kauf und Verkauf von Gütern, an welchen der Händler selbst .keine
Veränderung mehr vornimmt, einen Gewiim anstrebt", als jene Büchers^
,Die Entstehung der VoUts Wirtschaft" », Tübingen 1901, S. 71, daß Handel
\ im nationalökonomischen Sinne „ein regelmäßiger, beruflich organisierter
Wareneinkauf, zum Zwecke des Wiederverkaufes mit Gewinn" ist, sindza
eng und vermögen die ganzen, historisch gegebenen Kombinationen nicht
in sich zu fassen. Jene von Philip pövich deshalb, da ja auch der
k Wiener-Neustädter Bürger, der seine Eigenbauweine (nicht gekaufte
Weine) über den Semmering führte, um sie irgendwo zu verkaufen^
Handel trieb, die Bücheirsche, da sie, was keineswegs immer der Fall
zu sein braucht, überdies einen eigenen sozialen Stand, der sich aus-
- schließlich mit Handel beschäftigt, voraussetzt,
4 Winter, „Urkundliche Beiträge etc.", S. 60.
l
26 Zur Handelsgeschichte des Passes Über den Semmering etc.
swaz si . . . . auzfurent, da gewent si nicht maut von", da
gewiß viele der Waren auch über den Semmering gingen,
ferner durch zwei Urkunden aus dem Jahre 1448, * aus deren
einer hervorgeht, daß schon in früherer Zeit die „Pfleger" des
Schlosses Klamm das Recht besassen, 18 Lasten Wein „Pau-
zechent und Perckrechts das zu der benannten Herrschaft
gehört" über den Semmering führen und verkaufen zu dürfen,
deren andere die Erlaubnis für den Abt von Neuberg ent-
hält, daß derselbe, was er von den fünfzig Fuder Weins, die
er jährlich allerdings nicht bloß über den Semmering, son-
dern auch über das Gscheid sollte bringen dürfen, nicht zu
eigenem Bedarf verwenden würde, in bestimmte seiner Ta-
bernen geben und an die Landbevölkerung verkaufen könne.
Die beiden Fälle waren möghch, obwohl 1377 von Herzog
Albrecht III.^ ausdrücklich verordnet worden war, daß
„Prälaten, Pfaffen, Herren, Ritter, Knechte, Holden und Juden
keine Kaufmannschaft treiben" dürften.
Der Warenverkehr ohne Angabe des Zweckes, zu welchem
er erfolgte.
An dieser Stelle will ich auch des Warenverkehrs,
welcher nicht zu Zwecken des Handels geschah, Erwähnung
tun, zuvor aber noch jene Nachrichten einfügen, in denen
es nicht mit Bestimmtheit möglich ist, den Zweck, zu dem
der Warenverkehr unternommen wurde, anzugeben. So aus
dem Privileg, welches 1340 das Klarenkloster in Judenburg
durch Herzog Albrecht 11.^ erhalten hatte: weder Maut
hoch Ungeld von Waren, die es z. B. in Wien kaufe, ent-
richten zu müssen, aus der Mahnung auch, die 1363 Herzog
Rudolf IV. an die Wiener-Neustädter richtete,^ sie sollten
die Bauweine des Propstes und der Chorherren von Seckau
iinbehindert aus Österreich über den Semmering führen lassen,
aus dem schon erwähnten Ansuchen ferner des Bischofs Johann
von Gurk an die Wiener-Neustädter von 1361 sie möchten
dem Wirt von Schottwien gestatten, vier Fass Wein über
den Semmering zu bringen, ebenso aus der Weisung
Herzog Wilhelms vom Jahre 1396 an dieselben,^ sie
1 Im Wiener-Neufctädter Stadtarchiv.
« „Ausgewählte Urkunden", nr. 134.
3 Lichnowsky, a. a. 0., I., nr. 1245.
* Krone s, „Urkunden etc.", rir. 234.
« Im Wiener-Neustädter Stadtarchiv.
4
Von Dr. Oskar Kende. 27
^^ sollten nicht wehren, daß ein gewisser Zacharias von Spital
[ seine Bauweine, welche er „doch von langer zeite her vor hat
I gefüret", über den Semmering schaffe. Doch ist es in diesem
Falle wenigstens höchst wahrscheinlich, daß dieser Zacharias
von Spital (am Semmering) den Wein zu eigenem Bedarf über
den Paß brachte, da er mit dem „Zacharias zum Spitell",
^ der 1448 erwähnt wird, identisch sein dürfte ; und hier wird
I* dessen „brief", anderen gleichlautend, dahin angeführt, daß
f der Wein nur in sein Haus ;,zu Speysung" geführt werden
sollte. Unsicher ist aber wieder der Zweck, wenn es in einein
« Schreiben Herzog Ernsts von 1418,* in welchem er sich
zugunsten des Pfarrers zu St. Lorenzen (nordwestlich voii
Neunkirchen) bei den Wiener-Neustädtern verwendet, ihn
;^ ^zechen Puetten sein und seiner khirchen Bau wein .....
über den Berg Semmering" führen zu lassen, bloß heißt „nach
seiner notturft". Und ähnlich wird schließlich, als von König
Friedrich III. '^ Abt und Konvent von Neuberg „von sondrer
^ gnaden vergunet" wurde, die Bauweine dieses Klosters wie
auch Spitals am Semmering „so ihn Jährlich enthalb des
Sembering wachsen Mauthfrey und Zollfrey" über den Paß
^^ zu bringen, nur gesägt, daß sie diese „nach Ihren Not-
, turften" verwenden sollten.
^ Der Warenverkehr ohne Handelszweck. ^
Für den Warenverkehr aber, der nicht zu Zwecken
des Handels geschah, mögen nachstehende Beispiele genannt
werden. Schon aus verhältnismäßig früher Zeit, 1125, wissen
▼ wir,^ daß das Kloster Förmbach aus seinen Besitzungen bei
» Ebenda:
^ « Ebenda.
r 3 Es scheinen mir hier folgende Fälle möglich zu sein: I.Pro-
duzent und Konsument ist derselbe; da aber die Produktion der Ware
an einem anderen Orte als ihre Konsumtion erfolgt, geschieht die
Raumüberwindung über den Semmering. 2. Produzent und Konsument
)i ist nicht derselbe, die Ware gehört aber dem Konsumenten, ihr Bezug
geschieht durch denselben, die Raumüberwindung erfolgt über den
Semmering, da die Ware an einem anderen Orte gekauft wurde als sie
konsumiert wird. 3. Produzent und Konsument ist nicht derselbe, ersterer
^ gibt die Ware ohne den Zweck der Erzielung eines Gewinnes an letzteren
(Geschenk, reiner Warenaustausch li. s. w.), die Raumüberwindung, da die
Ware an einem anderen Orte produziert als konsumiert wird, geschieht
über den Semmering.
ji * Meiller, „Regesten der Salzburger Erzbischöfe", Wiön 1866,
nr. 65.
26 Zur Handelsgeschichte des Passes fiber den Semmering etc.
NeuDkirchen jährlich drei Fässer „guten Weins" zu Kefem ^
hatte, von denen eines in Gloggnitz abzugeben und zwei nacb
Friesach zu schaffen waren. Freilich bleibt dies auch für lange
das einzige, was uns von solchem Warenverkehr über den
Seinmermg bekannt ist. Dennoch ist es als sicher anzu-^
nehmen, daß z. B. nicht wenige steirische Klöster, was sie
zu ihrem Gebrauche bedurften, zumal die Erträgnisse ihrer i
Güter in Österreich, über den Paß brachten. So war z. B; ]
das Hospiz am Semmering nördlich des Passes begütert,
ebenso Seckau u. s. w. Aber erst seitdem vierzehnten Jahr- \
hundert lassen sich derartige Warenbezüge urkundlich be- ^
legen und selbst da spärlich genug. Die Mautordnung fÜF ^
Wiener-Neustadt von zirka 1310^ vermerkte auch, daß die
steirischen Klöster für das, was sie „in furent" mautfrei J
sein sollten, dann hatte die Urkunde Herzog Albrechts II. 1
vom Jahre 1845, welche das Weinhandelmonopol Wiener-Neu-
stadts in die Steiermark schuf, wie in anderem Zusammen* ^
hange bereits ^ hervorgehoben, festgesetzt, daß „Herren,. \
Klöster und andere ehrbare Leute" Wein aus Österreich,
so viel sie zu eigenem Bedarf benötigten, über den Sem- i
mering sollten führen dürfen, konnte hiernach also der ganze i
Herrenstand (Landesministerialen, Dienst^ oder Landherren)
und alle Klöster, bei der weiten Auslegung, die darin, wer |
unter den „ehrbaren Leuten" B^iit begriffen sein sollte, möglich
war, etwa auch Ritter und Knechte wie der gesamte Klerus '
dazu berechtigt erscheinen. Allerdings ob dem in Wirklich-
kdt so war, jene Bestimmung in diesqm Umfange genommen
werden darf, ist ebensowenig deutlich zu ersehen als die 1
Geltungsdauer derselben, mochte ihr Umfang auch eiü viel-* l
mehr begrenzter sein.^ Im besonderen war später von Herzog 1
Rudolf IV. dem Abt von St. Lambrecht das Privileg erteilt
worden, ^ jährlich vierzig Faß deutschen oder ungarischen '
Wein „zu NotdurflFt seines Goczhaus" aus Österreich über i
den Semmering bringen zu können, und 1448 hatte König '
Friedrich III.^ durch Zwistigkeiten „der wein wegen dy.'. ; i
in das fdrstenthumb Steyr geführt werden" veranlaßt, in einer ^
^Ordnung" die Weinfuhr aus Österreich in dieses Land auf
drei Jahre hinaus zu -regeln versucht : da der Handel mit Weinr
« W^inter, „Urkundliche Beiträge etc.", S. 60.
.«•S..18f. ••• ■.'.'. ^ - . '
3 S. 20 f.
-« M Wiener-Neustädter Stadtarchiv. ■- ,
« Ebenda.
Von Dr. Oskar Kende. 29
* in die Steiermark ja Monopol der Wiener-Neustädter war, so
wurde die Weineinfuhr — mit Ausnahme des Abtes von
Neuberg ^ — nicht zu diesem Zwecke gestattet. Es werden
i hierin die Rechte des Abtes von St. Lambrecht fixiert, dem-
selben auf Grundlage des ihm von Herzog Rudolf IV. ver-
liehenen Privilegs erlaubt, vierzig Faß deutschen oder un-
^ garischen Wein aus Österreich über den Semmering zu
führen; er sollte ihn ausschließlich „zu Speisung" des Klosters
wie der zu demselben gehörigen übrigen Häuser verwenden,
auch hätten in dieser Summe „Bauweinzehent und Bergrecht"
des Klosters wie alles, was die Pröpste von Aflenz und in
der Veitsch diesseits des Semmerings an Wein besäßen oder
was sie hier kaufen würden, enthalten zu sein, nicht jedoch
^ jener Wein, dessen der Abt oder seine Leute in Zell (Maria-
zell) bedürften: dieser sollte gleicherweise aus Österreich
eingeführt werden können. Auch Seckau und Goß sollten,
^ und zwar „Ir Bawwein zehennt und Bergrecht, dy Sy ucz
Enhalb des Sembring Im Lannd Osterreich habn"^ zu eigenem
Bedarf über den Paß bringen dürfen, ferner einzelne Pfarrer
und Kapläne im Mürztale, die zu gleichem für den Wein aus
ihren Weingärten in Österreich befugt wurden, so der Pfarrer
, zu St. Lorenzen, der zu Krieglach und Langenwang, der
Kaplan „auf dem Haus zu Hohenwang" und jener der Bürger
k zu Mürzzuschlag und schließlich auch der Pfarrer dieses
Marktes. Im übrigen bestimmte die „Ordnung", daß „all
Edlleut Ritter u. knecht Im Lannd Steir gesessn, dy wein-
gartten Ennhalb des Sembrings Im Lannd Osterreich haben,
. . . mugen solich Ir Bawwein . . . über den Sembring haym
* füren zu Speysung Irer heuser" und nennt unter den „Edel-
leuten" speziell die Fladnitzer^ und die Greißenecker,^
welche wie vormalen erstere zwölf Fuhren Wein zu ihrem
\ Bedarf nach Hohenwang, letztere sechs Fuhren für das Spital
zn Judenburg über den Semmering sollten bringen dürfen.
Und am Schlüsse der „Ordnung" ist noch eine Reihe von
1 S. 26.
« Fladnitz im obersten Kaabtal, östlich von Frohnleiten. Die
Edlen von Fladnitz, ursprünglich Lehensleute der Herren von Stuben-
berg, gelangten seit der Mitte des XIV. Jahrhunderts allmählich zu
immer größerem Ansehen und waren in der Mitte des XVI. Jahr-
hunderts sogar mit den Stubenbergern verschwägert. (Loserth, Das
Arch. des Hauses Stubenberg, Beiträge zur Erforschung steirischer
Geschichte, XXXV. Jahrg.)
» Die Greißenecker (bei Voitsberg, w. von Graz) gehörten zu
den ältesten Ritterfamilien Steiermarks.
30 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
I
„Bürgern und Bauern" erwähnt, deren „brief" und somit
auch die Berechtigung, die sie schon seit längerem besaßen,
ebenfalls den Wein aus ihren Weingärten in Österreich über
den Paß bringen zu können, bestätigt wurde: sie hier auf-
zuzählen aber wäre unnötig und würde zu weit führen.
Schon aus dem bisher Gesagten mag sich ergeben, ^
daß auch der Warenverkehr, der nicht zu Handelszwecken 1
erfolgte, so gering er vielleicht nach den Quellen an und '
fttr sich erscheinen kann, dennoch die lokale Verkehrs- !
bedeutung des Semmerings erhöhte.
Es sei nunmehr, was noch zu tun erübrigt, in Hinsicht '
auf den internationalen Handel über den Semmering gezeigt,
wer alles an demselben beteiligt war und in welchem Maße l
es geschah. Hier kommen wohl nur Personen, deren alleinigen
Erwerb der Kauf und Verkauf von Waren bedeutete, in
Betracht und zwar die Bürger von Städten, wenn wir auch
häufig bloß das Land, aus welchem der Handeltreibende i
stammte, anzugeben imstande sind.
I
Böhmen (Pragr), Mähren (Brunn), Schlesien (Breslau). \
Ich habe schon gelegentlich* hervorgehoben, daß |
vor 1351, in weichem Jahre die Straße über Zeiring für
alle außer fünf oberösterreichische Städte, welche mit ihrem '
eigenen Gute sie befahren sollten dürfen, gesperrt worden
war, die böhmischen Kaufleute, welche Waren aus Venedig '
führten, wahrscheinlich oftmals diese und nicht jene über i
den Semmering, sowohl weil dieselbe für sie die kürzere war j
als um dem Niederlagsrechte Wiens zu entgehen, benützten I
und als Beleg ein Schreiben des Bürgermeisters und Rats
von Prag an die Wiener-Neustädter von 1383 angeführt. *
Daß 1361'^ allen Städten Oberösterreichs die Straße über \
Zeiring zu benützen erlaubt wurde, dies auch eine Urkunde
von 1372-^ bestätigt erscheint, ist in unserem Zusammen- i
hange nicht weiter von Belang. ]
Aus denselben wie vorhin angeführten Gründen aber
mögen nicht bloß die Kaufleute aus Böhmen, sondern
auch aus Mähren und Schlesien, und diese nicht bloß auf
dem Rückwege von Venedig sondern überhaupt auf ihren
« Seite 9.
2 „Quellen, II/l, nr. 590a.
3 „Ausgewählte Urkunden", nr. 129.
Yon Dr. Oskar Kende. 31
l
1^ Handelsreisen nach und aus dem nordöstlichen Italien bis
j zu obigem Jahre die gleiche Straße gezogen sein. Und
deshalb braucht, wo bei den Nachrichten über solchen Handel
I dieser drei Länder bis 1351 nicht direkt geschlossen werden
kann, daß er über den Semmering erfolgte, dies nicht als
notwendig vorausgesetzt zu werden, wenn auch für die An-
i. nähme einer wenigstens teil weisen Benützung unseres Passes
! durch denselben ebenfalls einiges anzugeben möglich ist.
^ Denn erstens hieß es ja doch immerhin, besonders seit 1281,
gegen ein bestehendes Recht verstoßen, wenn Kautleute aus
* Böhmen, Mähren oder Schlesien die Straße über Zeiring
einschlugen und zweitens hätte Herzog Rudolf III. von
Österreich und Steiermark, der wie wir aus anderem *
V wissen, ein Vertreter der typischen Handelspolitik der öster-
reichischen Herrscher im Mittelalter war, nicht ca. 1303
jenen Pragern Bürgern, die „causa merces emendi" nach
1^ Venedig reisen würden, Schutz in seinen Ländern zuge-
sichert, ^ wenn nicht mindestens die Prager Kaufleute
manchmal auch die rechte Straße gefahren wären. Be-
I rücksichtigt man nun die vorausgegangenen Erwägungen,
* so kann nur in einem Falle mit Sicherheit gesagt werden, daß
[ Kaufleute aus zweier der oben genannten Länder über den
Semmering gekommen sind, jene „von Präge oder von Brezzla",
i deren die Mautordnung für Wiener-Neustadt von ca. 1310^
Erwähnung tut, welche über diese Stadt hinausfuhren. Bei
allen folgenden in diesen Zusammenhang gehörigen Nach-
richten muß jedoch hiernach als zweifelhaft bezeichnet werden,
welchen Weg der Händler wählte. Die Nachrichten selbst
y sind diese : In einem Briefe, den Mitte Dezember 1276 König
, Otakar IL an König Rudolf I.^ richtete, wird auch dessen
I gedacht, daß einige Untertanen des Böhmenkönigs „merca-
5 cionis exercentes opera" in Kärnten ausgeraubt worden
seien. Da König Otakar, zugleich mit dem Ersuchen an
König Rudolf die Rückgabe der geraubten Güter zu be-
k treiben, diesen u. a. auch bittet, allen Kaufleuten seiner
^ Länder freien Durchzug in jenen Gebieten zu gestatten, so
trieben diese damals mutmaßlich nicht selten Handel nach
S 1 Luschin V. Ebengreuth, „Die Handelspolitik der österr.
Herrscher im Mittelalter", akadem. Vortrag, Wien 1893. S. 14.
« Erben-Emier, „Begesta diplomata nee non epistol. Boemiae
et Moraviae", Prag 1855—82. II. Bd., nr. 1990.
-• 3 Winter, „Urkundliche Beiträge etc.", S. 57 f.
I 4 Erben-Emier, a. a. 0., II. Bd., nr. 1057.
32 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
Italien. Dann besitzen wir für den 4. Februar 1302 eine i
kurze Notiz über eine Verfügung des großen Rates in
Yenedig, ^ welche uns von Repressalien desselben gegen
Untertanen des Königs von Böhmen berichtet. Auch aus
einer Urkunde vom 28. Mai 1304, in welcher König Wenzel II.
voü Böhmen und Polen die Beschlüsse der Prager Alt- und
Neustadt u. a. über ihren Handel bestätigt,^ geht hervor, j
daß um jene Zeit Kaulleute dieser Stadt nach Venedig I
kamen. Ein Schreiben wieder König Heinrichs von Böhmen,
Herzogs von Kärnten an den Patriarchen Paganus von Aquileja '
vom Jahre 1329 ^ belegt uns den Handel eines Brünner i
Kaufmanns nach Italien, da König Heinrich den Patriarchen
ersucht, gegen jene, welche einem „ Johannis civis Brunne .... i
in strata Portuslatisana ^ 130 Mark Silber geraubt hätten, ^
einzuschreiten; und zum Jahre 1337 wissen wir,^ daß ein
€onradus aus Brtinn und ein Corradus aus Mähren sich zu ,
Handelsgeschäften in Venedig aufhielten. Eine letzte Nach-
richt endlich vor 1351, aus dem Jahre 1341,^ erwähnt 1
einen „Johannes de Praga" als nach Venedig Handel treibend. ,
Seit 1351 nun, da die Straße über Zeiring in dem i
schon erörterten Umfange verboten wurde, waren die Kauf- 1
leute Böhmens, Mährens und Schlesiens für ihren Handel .
nach Italien auf die Straße über den Semmering angewiesen. '
1360 war überdies besonders, zwischen König Karl IV. und i
Herzog Rudolf IV. vereinbart worden, ihre Kaufleute „bei
sulcher Wandlung Strazzen und guter gewohnhait als sie I
mit unsern Vordem von alter herkomen sint" zu lassen;^ 1
ein Handelsvertrag, der allerdings in seinen Wirkungen auf i
den Handel der Untertanen Karl IV. über den Semmering j
nichts Neues schuf. Weil aber nun seit 1351 das Niederlags-
recht Wiens nicht mehr umgangen werden konnte und deshalb I
eine direkte Handelsverbindung dieser Länder nach Italien ^
unmöglich war, mag eine Abnahme dieses Handels eingetreten
i Simonsfeld, „Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig und
<lie deutsch- venetianischen Handelsbeziehungen". Stuttgart 1887. L,nr. 18.
2 Erben -Emier, a. a. 0., II. Bd., nr. 2005.
3 Zahn, „Austro-Friulana 1358—1365" in den „Fontes rer.
^ustr.", IL Abt . 40. Bd. 1877, nr. 24.
4 Latisana, in der Nähe der Mündung des Tagliamento, an der
. Handelsstraße nach Venedig gelegen.
* Simons fei d, a. a. 0., I., nr. 96.
6 Ebenda, I., nr. 799.
7 Steyerer, „Commentarii pro historia Alberti ducis Austriae",
Xeipzig 1725. S. 312.
I
^
Von Dr. Oskar Kende. 33
sein, wurde der Semmering also durch denselben vielleiclat
nicht viel öfters benützt als vor 1351. Wie unangenehm
übrigens das Wiener Niederlagsrecht auch von den Prager
Kaufleuten empfunden wurde, erfahren wir aus der scholl
öfter genannten Urkunde von 1383,* aus der sich ergibt,
daß die Prager ganz ernstlich den Gedanken erwägen, eine
Handelsstraße nach Venedig zu finden, die sie „ohn der
Wienner irrunge haben möchten", etwa von „Brunn gehn
Pressburg unnd denne von Pressburg über das ungarische*^
nach Wiener-Neustadt. Nur während jener Zeiten, wo be-
stimmten Kaufleuten unserer Länder, wenn sie nach Venedig
Handel treiben würden, freier Durchzug durch Wien gestattet
wurde, so denen von Prag durch Herzog Rudolf IV. von
Ende Februar 1364 bis Weihnachten dieses Jahres, allen
böhmischen Kaufleuten durch Herzog Albrecht III. von Mai
, 1366 bis zum Jahre 1370,^ so denen von Prag wahrschein-
j^ lieh auch einmal nach 1386^ mögen diese von ihrem Privileg
\ ausgiebigen Gebrauch gemacht haben, mag ein Aufschwung
des Handels derselben über den Semmering erfolgt sein.
^^ Und wenigstens in einer Quelle scheinen sich diese Ver-
\ hältnisse widerzuspiegeln, wenn nämlich im März 1366, also
\ nach der ersten Begünstigung der Prager Kaufleute, aber vor
I der zweiten, allen böhmischen Kaufleuten verliehenen, wie
j* schon erwähnt, •♦ der venetianische Doge Marcus Comario
die Kaufleute von Prag auffordert, sie sollten doch kein Be-
denken tragen, nach Venedig Handel zu treiben, wie er, daß
es jetzt der Fall sei, wahrzunehmen glaube; denn hieraus
läßt sich tatsächlich eine Stockung der Handelsbeziehungen
f
j 1 Anhang nr. 1.
l « S. 10.
r s Luschin v. Ebengreuth, „Wiens Münzwesen, Handel
und Verkehr im späteren Mittelalter". Separat abdruck aus II/2 der
Geschichte der Stadt Wien. S. 24. Luschin, der bei seiner Er-
^ örterung des Wiener Niederlagsrechtes auch auf die von dem-
* selben gewährten Befreiungen zu sprechen kommt, deutet übrigens,
da er die den böhmischen Kaufleuten durch Herzog Albrecht IH.
verliehene Begünstigung nicht berücksichtigt, den Inhalt einer Urkunde
» vom 28. April 1369 unrichtig. Auch die Bemerkung: „Später (d. h.
} nach 1364) scheinen jedoch die Prager das Durchzugsrecht durch Wien
fljr ihren Eigenhandel nach Venedig in ähnlicher Weise öfter erlangt
zu Laben", dürfte sich in Hinblick auf jenes öfter zitierte Sclireibeu
! des Bürgermeisters und Rats zu Prag von 1383 (Anhang, nr. 1) jetzt
* nicht mehr aufrecht erhalten lassen.
' 4 s. 10.
y
84 Zur Handelsge schichte des Passes über den Semmering etc.
erkennen und gewiß erstreckte sie sich nicht bloß auf die
der Prager sondern im allgemeinen Böhmens, Mährens und
Schlesiens zu Venedig, während jener Zeiten, wo der direkte
Verkehr unterbunden war.
Alle sonstigen Nachrichten aber * erweisen bloß jeweils
den Handel der hier in Frage kommenden Länder über den
Semmering nach Italien, ohne uns näheres mitzuteilen. Am
26. April 1358 verspricht der Doge von Venedig, Johannes
Delphine, unter anderem alle böhmischen Kaufleute in seinen
Gebieten nach Kräften schützen zu wollen, 1363 hören wir
von der Reise eines Prager Kaufmannes namens ßainaldus
nach Venedig, 1373 benützten Prager Kaufleute die „stratam
de Praga et Boemia versus Venetias", für 1389 ist wieder
der Handel Böhmens nach Venedig bezeugt. Und von dieser
Zeit ab sind es überhaupt nur mehr einzelne Kaufleute, von
deren Handel nach Venedig wir Kunde haben : wann er ge-
schah, wie die Namen und Heimat der Kaufleute sind in
nachstehender Tabelle zusammengestellt.
Name
Heimat
Jahr
des Kauf
m a n n e B
1399
1404
j Petrus Cochus
Prag
1407
Nicolo
1409
1410
Jachomo de Linginis
Johannes Grofener
Breslau
1414
Michiel
1416
Nicolo Gebizen
Prag
1417
Zan
Breslau
1420
1426
Guamier
della Gliexia
1427
Chorado Mario
}
Breslau
1429
Johannes Bauch
Johannes
Bautzen
1436
Georg Bauliaw
1
1440
1441
Johannes Bauch
Breslau
1449
Albrecht Scheurl
» Pelzel, a. a. 0., IJrkundenbuch des 2. Bandes, nr. 303 u. 231;
Simonsfeld, L, nr. 196, 290, 303, 358, 434, IL, S. 72; Lichnowsky,
a. a. 0., I., nr. 2182; Sieveking, „Aus venetianischen Handlungs-
büchem" im „Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirt
Schaft im Deutschen Keiche", herausgeg. von Schmoller, 1901.
I
Von Dr. Oskar Kende. 35
Wien.
In ziemlich frühe Zeit gehen die Anfänge des interna-
tionalen Handels Wiens über den Semmering zurück. Schon
in den Bestimmungen über die Wagenmaut in Wien, die vor
1221 abgefaßt erscheinen,* heißt es: „vert ein burger gen
Veneden unde fuert er huet (= Häute)" und schließt man
sich der gewiß höchstwahrscheinlichen Vermutung an, daß der
Name Schottwiens mit dem Handel Wiens in Beziehung
steht, ^ so bietet dessen Entstehungszeit [um 1220, da,
wie wir an anderer Stelle bereits gesehen haben, Wien fast
oder gar keinen lokalen Handel über den Semmering trieb,
gleichfalls einen Beleg für den internationalen Handel dieser
-^ Stadt über unseren Paß. Allerdings setzen die nächsten
r Nachrichten beinahe ein Jahrhundert später erst wieder ein.
1301 werden ein Henghelprettus und ein Fridericus de
Vienna mit Zinn und Kupfer nach Venedig handelnd genannt,
1313 weilte ein Wiener namens Conradus in Venedig, um
hier Waffen einzukaufen, derselbe der sich auch 1316 und
[ 1329 in dieser Stadt aufhielt, von 1316 ist uns noch von
^ einem Wiener Kaufmann Henricus berichtet, der in Venedig
i für Herzog Heinrich von Kärnten schwere wie leichte Seiden-
[ Stoffe besorgt hatte, der nämliche vielleicht, wie der 1319
< erwähnte Henricus, welcher feine Leinenstoffe aus Venedig
1 führte, für 1322 ist uns überliefert, daß ein gewisser
Christanus aus Wien Silber nach Venedig brachte, für 1339,
daß ein Nikolaus de Viena ebendahin Handel trieb und die
Bestimmungen über die Wagenmaut zu Wien aus der Zeit
y vor 1331 berücksichtigen abermals jene Fälle, in denen „ein
^ purger gegen Venedigen vert und fuert heut".^
1 Ungefähr um diese Zeit melden uns die Quellen auch
'- etwas über die Verhältnisse, unter denen der Handel Wiens
nach Italien speziell in Friaul vor sich ging. 1327 war von
Wien mit der Stadt Udine ein Übereinkommen wegen sicheren
^ Geleites seiner Kaufleute getroffen worden* und 1331 hatte
^ Patriarch Paganus v. Aquileja allen deutschen Kauf leuten
» Tomaschek, a. a. 0., L, nr. 4.
« Müller, „Wien und Schottwien^' in den „Blättern des Vereines
f. Landeskunde v. Nö." 1896. S. 21; Grund, „Die Veränderungen der
Topographie im Wiener Walde und Wiener Becken" in Pencks „Geogr.
Abhandl.«, 1901. S. 155.
3 Simonsfeld, a. a. 0., L, nr. 16, 37, 46, 56, 68, 794; Toma-
schek, a. a> 0., L, nr. 29.
* Luschin v. Ebengreuth, ^Wiens Mttnzwesen etc.", S. 8.
>-:
36 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
freien Handelsverkehr durch den Fellakanal bis Gemona *
gewährt. ^ Gerade die Gunst der Patriachen als der Gebiets- ;
herren des größten Teiles Friauls nicht zu verlieren, mochte ^
den Kauf leuten wichtig dünken, und so dürfte es sich er- ^
klären, daß 1339 drei -Wiener Kauf leute, ein Conradus Im-
perger, ein Michael Cholor und ein Henricus Gracomar sich
dem damaligen Patriachen Bertrand gegenüber erbötig ^
machten, demselben, wenn zwischen ihm und den Herzogen
Albrecht H. und Otto von Österreich in den Streitigkeiten
um Stadt und Gebiet von Windischgraz keine Einigung i
erzielt werden könnte, 1000 Mark Schillinge „aut tot mer- 'i
cimonia quot valeant mille marchas dicte monete" zu über-
geben.^ Andererseits hat' es gewiß die Gewogenheit dieses
Patriarchen, wohl den österreichischen Kaufleuten im allge- ^!
meinen gegenüber, wie sie durch derlei geweckt werden '
mußte, veranlaßt, daß derselbe 1341 alle Kaufleute dieses j
Landes, welche durch sein Gebiet Handel trieben, besonders \
aber die Wiener nennend, davon befreite, „mutam seu \
exactionem que unghelt lingua Theotonica appeliatur" ent-
richten zu müssen und ihnen ein Jahr später zusicherte, 4
auch sonst ihren Handelsverkehr schützen zu wollen.
Zumal in einem Punkte war eine solche Unterstützung
wirklich vonnöten, um nämlich die Beseitigung eines Übel-
standes, welcher auch den Handel Wiens in diesen Ländern
stark beeinträchtigte, mindestens zu versuchen: die Un-
sicherheit auf den friaulischen Straßen. Denn bis zu welchem
Grade sie bestand, bezeugt drastisch genug ein förmlicher
Raubvertrag, den 1331 ein Peter von Cividale und ein
Brantner von Tolmein (am mittleren Isonzo) eingingen, des
Inhalts, daß letzterer in Erfahrung zu bringen hätte, wenn
Kauf leute von Villach ins Friaulische zögen, worauf ersterer |
diese dann überfallen und ausrauben sollte. Und in dieser
Hinsicht scheint Patriarch Bertrand sich in der Tat bemüht ^
zu haben, sein 1342 gegebenes Versprechen zu erfüllen, da
er in einem Schreiben an den Dogen von Venedig 1343 ^
bemerkt, daß er für die Gegend von Venzone „que est
fortissima et multis malis hominibus populata", wo es also
am wenigsten geheuer gewesen sein mag, „cum dulcibus l
verbis transitum multis mercatoribus de Vienna" ermöglicht
habe. Deutlich läßt sich aus dieser Urkunde auch das
Interesse erkennen, das Venedig an der Sicherung des
1 Zahn, a. a. 0., nr. 27. ^
2 Ebenda, nr. 38. ^
j
i
1
1
Von Dr. Oskär Kende. 37
V
Handelsverkehres mit Wien besaß. * Übrigens mögen die Be-
ijiühungen der Patriarchen einen Vertrag zwischen den Wienern
V und den Bewohnern von Venzone erleichtert haben, '^ in
\ welchem diese bei Strafe von 100 Mark von allen Gewalt-
I tätigkeiten- gegen W^iener Kauf leute abzustehen sich ver-
pflichtet hatten.
I Allein die Unsicherheit, die in ganz Friaul herrschte,
I ' nahm noch immer zu, wurde so arg, daß die Wiener wie
-* die übrigen Kaufleute, welche bisher hiedurch gezogen waren,
[ für einige Zeit einen anderen Weg einschlagen mußten;
l** 1345 kam es dazu, man benützte nunmehr die Straße über
! Cadore.'^ Aber bald nach 1350 ist der Handel durch Friaul
wieder aufgenommen worden, schon für dieses Jahr wissen
wir, daß drei Wiener Kaufleute über Venzone gekommen
( sind:^ ob der Grund hiefür in einer relativen Besserung
der Sicherheit auf den dortigen Straßen erblickt werden
darf — 1351 hören wir^ für lange Zeit zum letztenmale
f von einem an Kaufleuten vei übten Raube — ob für die
österreichischen Kaufleute in Betracht kam, daß ihnen damals
\ die Grafen von Görz besondere Begünstigungen^ für den
.^ . Durchzug durch deren Gebiete verliehen hatten, oder mehr
i noch, daß die Machtsphäre Österreichs sich in diesen
I Jahren bedeutsam gegen Friaul hin ausdehnte, Herzog Al-
^ brecht II. einen eigenen Handelsvertrag mit dem Patriarchen
' von Aquileja zur Regelung des Verkehres seiner Kauf leute
geschlossen hatte,' ist nicht mit Bestimmtheit zu entscheiden.
Überhaupt geben uns die Quellen für die Folgezeit von den
i im vorhergehenden erörterten Dingen, die ich deshalb in unserem
7 Zusammenhange des internationalen Handels Wiens über
[ den Semmering berührt habe , weil sie auf das Ausmaß des-
I selben sicherlich wirkten, fast gar keine Kunde mehr; sie
^ enthalten, wie die eingangs angeführten, meist zu unserem
Gegenstande nichts weiter als die bloße Tatsache des Handels
Wiens nach Venedig. Als Ausnahme betrachte ich nur zwei
^^ Urkunden; erstens die Aufzeichnungen, die sich zirka 1375
J Die Urkunden ebenda hr. 39, 40, 28 u. 41.
* Kurz, „Österreichs Handel in älteren Zeiten", Linz 1822,
S. 459—63.
8 Zahn, a. a. 0., nr. 43 ff u. nr. 66.
* Ebenda, nr. 46 u. 62.
5 Ebenda, nr. 71.
8 Kurz, a. a. 0., S. 457ff.
7 „Quellen", II/l, nr. 377.
1 Tomaschek, a. a. 0., L, S. 184if.
« Krön es, ^ Landesfürst etc.", S. 282.
3 Simonsfeld, a. a. 0., I, nr. 207,216, 263-66,390,423,815,
821; IL, S. 52; „Quellen«, II/l, nr. 677a, 1172a, 1264a, 2679;
Sieveking, a. a. 0.
38 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
Über die Rechte der Wiener Bürger an der Maut zu Neu-
dorf und Sollenau als notwendig herausstellten,^ da siß
uns über die Bedeutung dieses Handels Aufschlüsse geben;
es werden hier die Abgaben festgesetzt von dem, „swaz ein
purger auf einem wagen auz dem land hinwerts über den
perig gen Venedig flirt", von dem „swaz er auf einem ross
fürt" und von dem „swaz er treit", ebenso von dem „swaz
ein purger . . . auf wegen von Venedi fürt", von dem „swaz
einer auf einem ross fürt" und von dem „swaz' einer traet" ;
und ganz detailliert erscheinen auch die Waren, welche
Wiener Kaufleute nach Venedig zu bringen pflegten, ange-
geben, wenn aufgezählt wird, „ez sei zin, chupher, plei, hutr,
auch hutfei, leineins, woUeins, lampfel, fueder, chaesilber,
spezerei, finer unslit, gewant geiferbts oder ungeferbts, hausen,
bering, visch salz oder ander chaufinanschaft, wie die so
genant ist". Und als zweite Ausnahme nenne ich ein
Schreiben, welches der „vicarius et locumtenens" von Belluno
wie der Richter, Rat und die Gemeinde von Triest am
11. November 1410 an die Wiener sendeten 2, da hier, das
einzig mir bekannte Beispiel, des Handels Wiens nach Triest
Erwähnung getan wird : die Wiener sollten Herzog Leopold IV.
ersuchen, daß er der österreichischen Besatzung des bei '
Triest gelegenen Kastells Mocho, die unlängst einen Wiener 4
Kaufmann namens Henricus Braun seiner Waren beraubt
habe, für die Zukunft ähnliches verweisen, damit ein gesicherter 1
Handelsverkehr in des Hefzogs Ländern möglich sei.
Jene übrigen Nachrichten vom Handel Wiens nach
Venedig aber sind folgende. ^ 1359 stirbt ein Wiener
Kaufmann namens Nikolaus, 13f)0 ein solcher namens Johannes J
Schmanzer in Venedig; 1366 werden Kaufleute aus Wien, 1
die mit Wagen nach Venedig fahren, erwähnt, 1367 befindet
sich ein Kaufmann Henichinus aus Wien mit seinem Diener ^
(oder Geschäftsführer) in Venedig, 1368 bringt ein Wiener i
Kaufmann namens Nikolaus Kupfer nach Venedig; 1376 ist
der Wiener Kaufmann Konrad Gensceler in dieser Stadt, i
1389 und 1393 wird des Handels u. a. der Kaufleute aus ^
Wien nach Venedig gedacht; 1390 und 1391 erscheinen die
Wiener Kaufleute Heinrich und Johann Rock, in letzterem 1
i
Von Dr. Oskar Kende. 89
A Jahre auch die Wiener Kaufleute Martinus Tezara, Bofardus
I und Stephanus in Venedig; 1403 wird von einem Wiener
} Kaufmann Henricus, 1411 von einem Tomaso, 1418 von
\ einem Matthäus Bister gesprochen, 1419 und 1421 machte
I der Wiener Kaufmann Kenaldo, gleichfalls 1419 einer nafiens
' Rigo, 1424 ein Nicolo Sorge Einkäufe von Baumwolle in
[ Venedig; 1425 führten die Kaufleute Zan Longo und Chorado
, * Arrillier aus Wien, ersterer „zinzero", letzterer Pfeffer aus
> Venedig, für 1430 sind die Wiener Kaufleute Nikolaus
i Fenaver und Nikolaus Granata, für 1432 Simon Putel und
'^ Ulrich Carner in Venedig bezeugt; 1439 wird in einer
Urkunde gesagt, daß von den Wienern „ain michel tail"
nach Venedig Handel trieb und für 1441 ist uns schließlich
*^ wieder von dem Handel des schon genannten Simon Puteis
( nach dieser Stadt berichtet.
\ Wiener-Neustadt.
' Die erste Nachricht von dem internationalen Handel
i Wiener-Neustadts über den Semmering stammt aus dem
\ Jahre 1366; ^ als Herzog Albrecht III. damals den Wiener
» Kaufleuten gestattete, von jedem Wagen „hinein gen Venedi
\ und herwider aus" 32 den. einzuheben, damit sie die Kosten
'^ bestreiten könnten, die ihnen daraus entstünden, daß sie die
\ verbotenen Straßen, jene über Zeiring wie Karststraße, be-
setzen hatten dürfen, wird auch der Wagen der „Kaufleut von
der Neunstat** besonders gedacht. Später, 1376,^ erscheint
ein Wiener-Neustädter Kaufmann namens Rudolf in Venedig
genannt, der Zinn und Kupfer dahingeführt hatte.. Ferner
erweist die oft erwähnte Urkunde von 1383, ^ daß die
Wiener-Neustädter nach Venedig Handel trieben, wenn die
Prager an dieselben schreiben, daß so oft die Kaufleute
I* Wiener-Neustadts in Zukunft nach Prag kommen würden,
sie zugleich den „offen Stattbrieff" mitzubringen hätten, des
Inhalts, daß der Rat Wiener-Neustadts bekenne, „daß ihr
oder die Euren die haabe die ihr allso zu unns führen
! werdet zue Venedi gekhaufft habt". 1422 wieder^ waren ein
Ser Rasmo und ein Zan Nuochan aus Wiener-Neustadt in
{ Venedig, letzterer hatte Pfeffer hier eingekauft. Angenommen
?
r
(
'j
» „Quellen", II/l, nr. 677a.
» Simonsfeld, a. a. 0., L, nr. 236.
' Anhang, nr. 1.
^ Sieveking, a. a. 0.
40 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
kann ein internationaler Handel Wiener-Neüstadts über den *
Semmering anch ans einer Urkunde von 1445 * werden, einem i
vöriäufigen Schiedssprüche, welchen König Friedrich III. in ^
den Streitigkeiten der Wiener-Neustädter mit den Juden- i
bnrgern fällte, da aus demselben hervorgeht, daß die ersteren *
mit Eisen über Judenburg hinaus, also vielleicht nach Italien
handelten. Schließlich noch zwei Nachrichten^ für den Handel i
Wiener-Neustadts nach Venedig: in einem Schreiben von *^
1448 antworteten die Wiener, von den Wiener-Neustädterii
um Aufklärung gebeten, warum sie die Waren eines Kauf- j
mannes ihrer Stadt konfisziert hätten, denselben „daz hivor- ^
maln die eurn mit Czin von Gesten zu kauflfen u. hiewider
zu verkauifeü oder gein venedy ze furn nicht gehanndelt
haben"; wobei die Wiener übrigens, wenn sie nicht eine ^"
bloße Tatsache feststellen, sondern das Recht der Wiener- ■
Neustädter, Besagtes zu tun, in Frage ziehen wollten, keines-
wegs die Wahrheit behaupteten. Und zirka 1450 beklagten |
gich die Wiener in einem Gesuche an König Friedrich III., ^
welchen Schaden es für ihren Handel bedeute, wenn die
Wiener-Neustädter übereingekommen wären „item das auch
Ir purger u. kaufleut die venedigische phenbert gen der
Neustadt fürn die daselbs niderlegen aufpinten u.*verkauffen
u. nicht gen wienn in die niederleg fürn suUn**; da die d
Wiener hervorhoben, daß dies „wider der Niderleg zu wienn
gerechtikait" wäre, so konnten unter der „Venedig, phenbert" i
nur Waren verstanden sein, welche die Kaufleute Wiener- I
Neustadt s aus Venedig gebracht hatten.
knittelfeld, Judenburg, Friesach, Villach, Laibach. -'
Ganz kurz nur sei des internationationalen Handels
dieser Städte über den Semmering Erwähnung getan; er er- I
folgte, da alle Waren, welche dieselben in Venedig gekauft \
hatten, dem Wiener Niederlagsrechte zufolge über den
Semmering nach Wien geführt werden mußten. Dafür aber, 4
daß diese Städte nach Venedig Handel trieben, finden sich ^
einige Beispiele bei Simonsfeld^ für Friesach und Villach
aus dem 14., für Judenburg und Laibach aus der ersten j
Hälfte des 15. Jahrhunderts; ich Selbst vermag den Handel :
i
i
1 Im Wiener-Neustädter Stadtarchiv.
« Ebenda.
3 Simonsfeld, a. a. 0., I, nr. 391, 54, 48, 782, 109, 234, 239;
IL, S. 54. ' (
j
r
Von Dr. Oskar Kendd. 41
Judenburgs, Friesachs und Villachs nach Venedig durch eine
Urkunde des Jahres 1366, den Handel Judenburgs und
Friesachs ebendahin auch durch eine solche von zirka 1450
zu belegen, die überdies das gleiche für Knittelfeld bezeugt. *
Daß der Handel der Judenburger aus Venedig über den
Semmering übrigens nicht unbedeutend gewesen sein kann,
erhellt daraus, daß der Handel nach Venedig sogar zur Er-
zeugung eigener Exportartikel geführt hat; 1371 befiehlt
Herzog Albrecht IIL, daß alle, welche sich vor Judenburg
hinausgezogen haben und Kaufwaren für Venedig verfertigen,
dennoch mit den Judenburgern Steuern u. s. w. entrichten
sollten. ^ .
Venedig und Fpiaul.
Was ich zu dem internationalen Händel Böhmensr
( Mährens und Schlesiens über den Semmering einleitend be-
I merkte, daß, wenn auch derselbe durch Österreich ging, er
' doch bis .1351 nicht notwendig über den Semmering ge-
schehen mußte, gilt bis zu diesem Jahre ebenfalls für den
U internationalen Handel, welcher uns von Venedig durch
I Österreich nach den obgenannten Ländern berichtet ist*
k Ich will daher die Nachrichten darüber gesondert von jenen
' betrachten, welche uns von dem Handel Venedigs wie Friauls,
I der sicher als, Verkehrsweg den Semmering benützte, Kunde
I geben. Was erstere betrifft, so finden wir zur Zeit König
Wenzel IL einen venetianischen Kaufmann Balduin Falaster
in Prag 3 und ein Balduin Falaster aus Venedig reiste
auch, als König Johann regierte, mit seinen Waren nach
J Böhmen, wie aus einer Urkunde, in welcher der König
l diesem Kaufmanne weitgehende Begünstigungen für seinen
f Handel in diesem Lande zuteil werden ließ, ersichtlich
i ist.'* Dann geht aus einem bei Erdmannsdörffer „de
commercio quod inter Venetos et Germaniae civitates aevo medio
^ intercessit" (Leipziger Dissertation 1858) S. 33 f mitgeteilten
4 Schreiben des venetianischen Dogen Petrus Gradonico von 1308
hervor, daß venetianische Kaufleute damals nach Böhmen
t Handel trieben; ja Erdmannsdörffer meint sogar annehmen
K ' ^Quellen", II/l, nr. 677a und Wiener-Neustädter Stadtarchiv.
* Lichnowßky, a. a. 0., I, nr. 1067.
3 Tomek, „Geschichte von Prag*', Prag 1856, S. 353.
4 „Summa Gerhardi, ein Formelbüch aus der Zeit König Johanns
^Jk (c. 1336—1345)«, herausgegeben von F.Tadra im „Archiv für öster-
I reichische Geschichtisquellien'*, Bd. 68, S; 54a ' '
42 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
ZU können, es habe in Prag in jenen Zeiten ein eigenes Kaufhaus
fllr italienische Händler bestanden. Für 1337 erfahren wir
ferner, daß ein venetianischer Kaufmann namens Petrus
Vulpe bereits über zwanzig Jahre nach Böhmen^ und für
zirka 1340 endlich, daß ein Kaufmann Baldbinus Lombardus
de Veneciis in Prag weilte/^
Zum Handel Venedigs und Friauls aber, der sicher
über den Semmering erfolgte, kann schon früher, 1244, die
Erwähnung der „mercatores Veneti" in dem von Herzog
Friedrich H. den Wiener Neustädtern verliehenen Zollprivileg
angeführt werden, weiters, daß die Mautordnung Wiener-
Neustadts von zirka 1310 auch die Abgaben der Kaufleute
„von Venedige" jener „von Peuschendorf" (der deutsche
Name für Venzone) und überhaupt aller der, welche „von
Vriawl" sind, regelte; und speziell über den Handel der
Bürger von Venzone nach Wien sind uns auch noch 1343
und 1350 Nachrichten erhalten.^
Daß nun seit 1351 ein direkter Handel der italienischen
Kaufleute durch Österreich in die böhmischen Länder un-
möglich war, brauche ich wohl nach meinen früheren Dar-
legungen ebensowenig des näheren auseinanderzusetzen als
daß die Urkunden, welche wir von 1281 ab über den
Handel jener Kaufleute nach Österreich besitzen, sofern die
Bestimmungen des Wiener Niederlagsrechtes eingehalten
wurden, als Belege für die Benützung des Semmerings in
Anspruch genommen werden dürfen. Leider aber sind die
Nachrichten selbst sehr spärlich. Um 1355 ist von dem
Handel friaulischer Kaufleute nach Österreich die Rede,^
1358 wie 1366 wird des Aufenthaltes venetianischer Kauf-
leute in Böhmen gedacht^ und 1366 wie 1370 verheißen
die Herzoge Albrecht III. und Leopold IIL allen venetianischen
Kaufleuten Schutz in ihren Ländern. ^ Damit erschöpft
sich jedoch auch unsere Kenntnis des internationalen Handels
von Seite Venedigs und Friauls über den Semmering; ich
1 Simonsfeld, a. a. 0., I., nr. 94.
« Summa Gerbardi", a. a. 0., S. 515.
» „Ausgewählte Urkunden" nr. 39; Winter, „Urkundliche
Beiträge etc.", S. 57; Kurz, a. a. 0., S. 460 ff; Zahn, a. a. 0., nr. 46.
4 Z ahn, a. a. 0., nr. 77.
» Pelzel, a. a. 0., S. 337 und 367.
«Lichnowsky, a. a. 0., nr. 742 und 1018.
i
I
^
Von Dr. Oakar Kende. 43
weiß innerhalb der für uns in Betracht kommenden zeit-
lichen Grenze keinen einzigen Beleg mehr beizubringen ; daß
aber der Handel beider, wenngleich zufällig keine Nach-
richten darüber vorhanden sind, weiter fortbestand, ist gewiß
überflüssig, besonders zu betonen.
Wir sind am Schlüsse; ich glaube gezeigt haben, daß
der Semmering zwischen der Mitte des 13. und des 15. Jahr-
hunderts eine wichtige Verkehrsbedeutung besaß. Wir
fanden, daß am Handel über denselben die wichtigsten der
an den Österreich von Südwesten nach Nordosten durch-
■^ ziehenden Straßen gelegenen Handelszentren beteiligt waren,
zumal die handelspolititischen Maßnahmen der österreichischen
Herrscher meist zu einer stärkeren Benützung des Semmerings
^ beitrugen. Ich vermag hinzuzufügen, daß überhaupt die
wirtschaftliche Bedeutung des Semmerings seine politisch-
militärische in den von uns in Untersuchung gezogenen Zeiten
weitaus übertroflfen hat.
! ,
-4
44 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
Anhang.
Nr. 1.
1383, November 19, Prag.
Wr.-Neustädter Stadtarchiv, Scrin 1 XVII, Nr. V,;
Abschrift.
Der Bürgermeister und Bat von Prag schreiben an den
Bürgermeister, Eichter und Bat von Wiener-Neustadt wegen
Verlegung der Handelsstraße von Prag nach Venedig, um
Wien künftighin zu umgehen, gestattet ferner den Wiener-
Neustädtern, mit venetianischen Waren nach Prag Handel
treiben zu dürfen und ersucht sie zugleich, mit Herzog
Leopold wegen Freigabe der Straße über Zeiring^ zu ver-
handeln.
„ Unsem willigen dienst mit aller behelligkeit
zevor. Besundern lieben frewnde, Euren Brieif den ihr unns
mit dem Johannes Potschan, Euren Mitbürger gesandt habt,
dass niemandt von unns die Strasse gehn Wienn noch her-
wider von Wienn zu uns mit kheinerleye khauf&nanschaffib
arbeithen suUe und ander Euer mainunge in demselben Euren
Brieffe begriffen, den haben wir woU vernommen und besun-
dern als wir in demselben Euren brieffe empfunden haben,
dass ihr unsern frumben mit sambt dem Euren umb ein
Strasse gehn Venedig gerne werben wollet, dass wir die ohn
der Wienner irrunge haben möchten, das danckhen wir Ewch
1 Die Straße über den Rottenmannertauem und Zeiring war seit
1351, Mai 17, verboten. Vgl. „Quellen « II/l nr. 378: „Herzog
Albrecht zeigt dem Richter und den Bürgern auf der Zeirig an, daß
er den Wiener Bürger gestattet habe, „einen phleger' auf die Zeirik zu
setzen, der darüber zu wachen habe, daß niemand „aus oder in über
die Zeirikke" fahre, ausgenommen die fünf Städte von Enns, Linz,
Freistadt, Wels und Gmunden mit ihrem eigenen Gute. Dazu vgl. ebenda
nr. 590a und „Ausgewählte Urkunden", a. a. 0., S. 257, nr. 129.
f Von Dr. Oskar Eende. .45
mit ganczem vleisse unnd mit namen. als umis der ehe-
genannte Johannes von Ewren wegen fürgeben hat, umb die-
selben Strassen das man die ziechen sollte von Brunn gehn
Pressburg unnd danne von Pressburg über das ungarische
^ zu Ewch, ist unser mainunge, dass wir Ewch das gerne
folgen- wellen unnd unser Hilffe darzue thuen, doch in solcher
weise, dass ihr auf derselben Strassen am Ungarischen, die
Ewch daran bass gelegen sein denne unns, an Mauthen unnd
Zollen aigentlichen erfahren suUet unnd unns daz lassen
wissen, was auf die Khauffmanschaft gehen werde, allso dass
ihr unnd wir das zukhomme mochten unnd obe die khüni-
' ginne von Ungarn^ durch ihres besten willen dass man Sie
woU in den Sachen underweisen wurde auf ain wagen mit
khauffmanschaft ein genant gelt an ihren Mauthen und Zollen
sezen well das Ihr unnd wir gewesen möchten unnd solche
Pfennigwerth die Strasse zu Lannde bringen möchten, das
Ewch unnd unns nicht zu schwer wehre. Und denne als ihr
begehrt, dass wir Ewch mit Ewr arbeit unnd khauffman-
schafFt zu unns unnd vor unns ungehindert ziehen lassen,
thuen wir Ewch khundt, dass wir Ewch unnd den Ewren
aller Strasse die ihr zu unns mit Ewer khauffmanschaift
khommen müget, gehrne gönnen wellen, allso lenge bis das
wir Ewch dievor zwey ganze monat mit unnsern brieffe nit
absagen werden, allso das ihr mitsambt unns ain Strasse
gehn Venedi gewinnen müget unnd auch in solcher weise,
dass ihr noch die Ewren kheinerleye habe noch khauffman-
^ schafft zu Wienn und in Österleich khauffen suUet unnd die
i zu unns führen, sunder Ewer ieglicher suU Ewren offen Statt-
' brieff mit der haabe zu unns bringen als offte des Noth
sein wirdet unnd der soll läuthen, das der Kath bekhennet,
das ihr oder die Ewren die haabe, die ihr allso zu unns
führen werdet, zue Venedi gekhaufft habt unnd nicht zu
Wienn oder zu Österreich unnd kheiner von Wienn oder
von Österreich theil noch gemaine davon haben, unnd wenne
\ ihr allso mit solcher haabe zu unns khommet, welche Strasse
ihr iezundt müget als lange bis Ewch unnd unns ain Strasse
gehn Venedi wirdet, so mainen wir und wellen wir Ewch
\ fürderen unnd allso des gegen Ewch halten, dass ihr unns
zu danckhen habt. Auch bitten wir Ewr freundtschafft, dass
>• ihr an Ewren Gnedigen Herrn Herzog Leupoldt von Öster-
reich geruchet bringen, obe Ewch unnd unns die Strasse
1 Elisabeth, Witwe Ludwig I. von Ungarn, der 1382 starb.
46 Zur Handelsgescbichte des Passes über den Semmering etc.
über Zeierkhe möchte werden, das er das mit seinem Bruder
Albrecht übereinkhomen geruche, wenne ihr unnd wir *
in des Herzog Albrechts Lande die Strasse ziehen wurden;
unnd die wehre Ewch unnd unns die neheste unnd Ewrem
herren als er des an seinen Mauthen woU erfinden wurde
die nuziste. Unnd thuet in den Sachen Euren Vleiss als wir .
Ewch des woU gethrauen, doch in sulcher weise allezeit welche y I
Strasse ihr gewinnen möchtet unnd zu unns ziehen, das wir ^
die zu Ewch wieder ziechen mügen als ihr selber. Geben \^
zu Prag an St. Elisabethabendt der seeligen wittiben. Anno
dom. MCCC 1 XXXIII.
Burgermaister und der Kath der
grossen Statt zu Prage."*^
1 Übersclirieben und unleserlich; wahrscheinlich soll es heißen:
„wenne ihr unnd wir vurt im Üngrischen oder in wenig mehr in des
Herzog ..."
* Die Prager haben vielleicht mit ihrer Absicht, die andere ge-
nannte Straße zu ziehen, Ernst gemacht, denn zirka 1386 — 1394 ent-
standen neue Streitigkeiten zwischen Prager und Wiener Kaufleuten,
die schließlich von dem in dieser Sache als Schiedsrichter angerufenen
Jost von Mähren dahin geschlichtet wurden, daß er den böhmischen
Kaufleuten das Recht, auf der „gewöhnlichen" Straße über Wien und
den Semmering, aber ohne Niederlagszwang in Wien, nach Venedig
Handel treiben zu dürfen, zuerkannte. Damit aber waren die Zwistig-
keiten noch lange nicht zu Ende.
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4
Von Dr. Oskar Kende. 47
-i Nr. 2.
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Bemerkungen zur Karte.
Da ein Vergleich der zur Erläuterung meiner Arbeit
bestimmten Karte mit jener, die der Abhandlung Luschins
„Wiens Münzwesens ..." beigegeben ist, in einigen Punkten
Verschiedenheiten ergibt, muß ich meine Darstellung durch
einige Beispiele begründen.
Der Weg von der Pack über Voitsberg nach Graz
fehlt bei Luschin, während diese Straße schon vor dem fünf-
zehnten Jahrhundert bestand, ^ Voitsberg ist überdies nicht
als Mautort gekennzeichnet. ^ Südlich von Zeiring fehlt der
Ort Katzling, wichtig, da sich hier eine Mautstätte befand,
ferner ist Neumarkt, nördlich von Friesach, gleichfalls eine
Mautstätte, nicht angeführt. ^ Aussee ist bei Luschin nicht
durch einen Weg mit der durch das Ennstal ziehenden
Straße verbunden.^
Nach Lus chins Karte könnte es sich so darstellen, als ob
vor 1500 kein Verkehrsweg von Breslau nach Österreich gegan-
gen wäre, die Mautordnung für Wiener-Neustadt von zirka
1310 erwähnt aber schon Kaulleute aus Breslau^. Der Weg
Hartberg — Graz wird bei Luschin als erst seit 1600 nach-
weisbar angegeben; doch wurde dieser Weg sicherlich späte-
stens im dreizehnten Jahrhundert vom Verkehre benutzt.^
• Vgl. Krone s „Landesfürst . . ." S. 141.
8 Vgl. Krpnes „Verfassung. . .", S. 366.
3 Daß Katzling und Neumarkl Mautstätten besaßen, belegt
Krones „Verfassung . . .", S. 379 und 461.
4 Daß ein solcher aber unzweifelhaft schon im 14. Jahrhundert
vorhanden war, dafür vergl. man die von mir S. 23 erwähnte Urkunde
vom Jahre 1382 (Wiener-Neustädter Stadtarchiv Scrin. XVIII, Nr. 15 a),,
daß die Wiener-Neustädter „Laglwein über den Semeringk gen Ausse
füren suUen."
8 Winter, a, a. 0., S. 57.
* So zog König Rudolf I. im September 1279 auf diesem W^ege
nach Graz; vgl. die „Reim ehr onik", a. a. 0., von 18740 — 60;.
Böhmer-Redlich, a. a. 0., nr. 1128 u. S. 16, Anm. 1 meiner Arbeit.
48 Zur Handelsgeschichte des Passes über den Semmering etc.
Schließlich läßt Luschin die zeitweilig gesperrte Straße
llber den Karst von Neunkirchen über Hartberg, . Fürsten-
feld, Radkersburg, Pettau, Windisch-Feistritz, Laibach und
Görz ziehen; das Regest nr. 1172a in den „Quellen zur
Oeschichte der Stadt Wien" II, 1 — auch von Luschin
in anderem Zusammenhange (in seiner Abhandlung S. 22)
zitiert — dürfte jedoch eine solche Annahme ausschließen.
In diesem Regeste heißt es : „Herzog Albrecht III. bringt zur
Xenntnis, daß er seinen Kaufleuten zu Wien und anderen,
die das Recht haben, „gen Venedi ze fahren", bis auf
Widerruf die Straße über den Karst erlaubt habe, mit der
Bedingung, daß sie „an dem gevert heraus von Venedi die
recht Strasse über den Karst faren von Triest derrichts gen
Laibach, von Laibach gen Marichburg, von Marichburg
gen Wienn ..." u. s. w., wird also gesagt, daß die Straße über
Triest ging, des weiteren, daß die Straße von Laibach nach
Marburg, von Mai^burg nach Wien lief; es ist also wohl
gewiß, daß sie, da zwischen Marburg und Radkersburg in
jenen Zeiten und sehr lange später keine Straßenver-
bindung bestand, von Laibach über Windisch - Feistritz
nach Marburg und dann über Leibnitz, Graz bis Brück
an der Mur zog, wo sie in die Semmeringstraße einmündete.
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I
Die alten Handelsbezielinngen des Morbodens mit dem
Beiträge zum Werden und Vergehen der Hammer-
und Sensenwerke und zur Genealogie der alten
Murbodener Gewerkenfainilien.
Von FraDz Forcher Ton Ainbach.
Zur Studie über die Umstände, welche den Murboden in
längst vergangenen Zeiten zu einem der blühendsten
Gaue Steiermarks ausgestalteten, ist etwas weit auszuholen.
Der Handel brachte Kultur und Wohlstand ins große
Alpental und seine Seitengräben nach der Art seiner Waren
aus dem fernsten Auslande. Der Export bestand aus Salz,
Bronze, Stahl, Schmiedeeisen, geschmiedeten Pfannen, Sensen
und Strohmessem und der duftenden Alpenpflanze, dem Speik,
der Valeriana celtica.
Das sonnige Tal nahe der internationalen Handelsstraße
von der Adria zur Ostsee (die Salzstraße wurde erwiesener-
maßen schon in der Steinzeit begangen), das frtihier viel
mildere Klima, das die Landwirtschaft ertragreicher betreiben
ließ, deren Früchte mangels Verkehrswegen an den nahen
Industriestätten mit größerem Gewinn abgesetzt werden
konnten, vereint mit der Verarbeitung des Bergsegens an
den vielen Wassergefällen, waren die Grundbedingungen zur
gedeihlichen Entwicklung.
Der SalzhandeL
^ Zur Bronzezeit füllte sich das Lavanttal und das Ge-
biet um Eibiswald mit zahlreichen Bewohnern. Diese holten
ihren Salzbedarf von der Salzstraße her und spedierten ihn
über den Salzstiegel und den Obdachersattel. Ob auch nach
Oberitalien, ist unbekannt.
4
4r.
V
50 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Der Bronzehandel. ^
Der Handel mit Bronze ist schon besser mit Beweis- ^
stücken belegt, vor allem durch den Strettwegerfund.
Vom Standqunkte ausgehend, daß nur vergleichendes
Naturstudium allein das richtige Bild von prähistorischen ^
Funden geben kann, habe ich die für den Murboden maß-
gebenden Museen cder -Reihe nach besucht und gewisse- Typen y
vonl Süditalien bis zum hohen Norden verfolgt. Selbst die
besten Bilder geben nicht den richtigen Begriff, auch das
Besehen reich illustrierter Werke, wie Montelius\ dienen
nur als Leitfaden zum wahren Betrachten der ausgegrabenen
Gegenstände. Die Farbe der Patina (Nickelgehalt macht
grau), die Art der Technik^ die Stärke des Bronzegusses
oder Bleches, die Tiefe der Punze etc., kann das beste Licht-
bild nicht wiedergeben.
Ähnlich ist es mit Ölgemälden, das richtige Sehen ist
Gefühlssache.
Ich kenne einen Fall, daß ein Bild von mehreren
sogenannten Autoritäten einem berühmten mittelalterlichen
italienischen Maler zugewiesen wurde. Ein Gelehrter hatte
schon eine große Abhandlung auf Grund alter Stiche und
Photographien geschrieben und nach Urkunden den Besteller
etc. eruiert und die wechselnden Schicksale seit 1540
illustriert. Nach Italien gebracht, erkannte ein Praktiker
sofort das «Bktu des Memmling" und. das nordische Eichen-
holz der Tafel. Die italienischen Kenner bestimmten tiiilsono
das Bild fjir Qine gleichzeitige vlämische Kopie einer alten
italienischen Tafel, welches Urteil nach Photographien ganz
unmöglich zu fö,llen war.
Beim Musealvergleich fiel mir auf, daß die reichs-
deutschen' Sammlungen und jene Salzburgs recht dürftige
prähistorigcbe Bronzen besitzen, hingegen Graz und Laibach,
weniger Klagenfurt, den etruskischen Funden nicht viel
nachstehen, -^ ' y
Besonders auffällig ist die Armut an Wehr und Waffen
in Italien und allen anderen Nachbarsammlungen mitsammen
gegenüber den Funden im Unterlande und Krain, am Treff-
platz der Kultur donauaufwärts und von der Adria und dem
Balkan in ihrem weiteren Siegeszug.
1 Oscar Montelius, La ciyilisation primitive en Italie. Stock- *^ •*
holm 1905. . ^
< Wien und Budapest' als Zentralsammlungen großer Komplexe *
können nicht in Vergleich gezogen werden. : «^^
/
N
I
M
Von Franz Forcher von Ainbach. 51
Die geradezu einzigen Funde von Helmen und Harnischen
> in Kleinglein, Negau und Watscb deuten auf besondere kriegeri-
sche Unternehmungen, bei denen die eindringenden Römer,
* bewehrt mit den herrlichsten etruskischen Rüstzeugen, reihen-
^ weise von den keltischen * Einwohnern niedergemacht wurden,
Oder sollten die Inschriften auf die Einwohner deuten,
trotzdem der dünne Metallguß bestimmt nur nach griechischer
Anleitung in Etrurien geübt wurde?
^-^ Der Kernguß war unseren Kelten unbekannt, seine
K'unstübung blühte in Volterra, als Steiermark am nächsten
gelegen, wohin er von Griechenland gekommen sein dürfte,
^ wie die Formen andeuten.
Vielleicht haben die Begrabenen von Kleinglein die Ring-^
wälle um Wies am Gewissen. Ob diese Erschlagenen schon
181 vor Christo ihr Leben ließen, als sie gegen die Istrier
zogen, oder 113—115 gegen die Taurisker über den Birn-
baumerwald aus Italien einbrechend, oder 59 vor Christo in
der Expedition von Aquileja aus gegen Norden, wird wohl
r.
Vermutlich der dritte Einfall brachte die echt etrus-
kischen Helme, Schwerter und Rüstungen. Die Kunst, Bronze-
blech in größeren Flächen zu treiben, kannte man nur dort
— die getriebenen Gefäße stammen aus Vetulonia und
^ Populonia im alten Etrurien.
Die älteren steirischen Bronzewaifen, wie Kelte und soge-
nannte Paal Stäbe, entstammen aber einer speziell keltischen
Kultur, deren Zentrum das Poland mit seinen Kapitalen
Bologna und Este war. Diese Formen zeigen keine griechischen
Linien, sie sind die metallischen Nachahmungen der Stein-
waflfen und illustrieren die früher^ „nordetruskische" Kultur
genannte Gießkunst. , Die Bronze kam auf drei Wegen
i aus Mesopotamien zu uns, naturgemäß brachten die Ein-
wanderer dag Rohmaterial mit, bis sie an den neuen Wohn-
3 sitzen Kupfererze fanden. Das Zinn mag lange aus Indien
. bezogen worden sein, bis man sein Vorkommen in Cornwall
* entdeckt und ausgebeutet hat.
y Die alten Schriftsteller beschreiben den Zinnhandel
von Cornwall, 3 wie es auf Karren zur Ebbe auf die Insel
^ Ich schrieb im Manuskript durchgehends c, weil ich das Wort von
^ <^ böhm. deled = Gebirgsbewohner ableite. Die Redaktion» verwandelte es in k.
* Speck, Handelsgeschichte des Altertums, 3. Band, zweite Hälfte,
Seite 371, 377, 381. Leipzig 1906.
3 Posidonius, 2. Jahrhundert vor Christo, Diodor, 13 vor Christo.
Speck, Seite 386. Cassideriden, um 400 vor Christo, Zunkoviö, Seite 29.
4*
52 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Wight, dann zu SchiflF und Land quer durch Frankreich nach
Marseille und dann weiter verfrachtet wurde.
Trotzdem wurden neuester Zeit die Astragali, die
Zinnbarren Diodors abgeleugnet. Herr Emanuel Green be-
wies in der british archäological Association am 15. No-
vember 1905, daß der cornische Zinnbergbau erst nach 1086
nach Christo wieder erschlossen worden sein konnte.
Es hat also dieser Bergbau das gleiche Schicksal mit
den Mitterberger Kupfergruben gehabt, durch 1000 und
1600 Jahre gänzlich in Vergessenheit zu geraten, bis sie
wieder neu entdeckt wurden.^
Der Südapenninische, griechische Einfluß veredelte am
Handelswege die primitiven keltischen Formen. Beide haben
sich bis in die Neuzeit erhalten. Z. B. haben die Zimmer-
mannsbeile in den Bergen am Gardasee heute noch genau
die Formen der südetruskischen Bronzebeile, während die
Bandhacken die der lokalen Kelte kopieren.
Mit dem zunehmenden Bedarf haben sich die Guß-
stätten überall sichtlich gemehrt, deren spezielle Typen sich
wieder vielerorts in den Funden genau verfolgen lassen.
Strettweg, nahe den murbodener Kupferbauen, hatte
sicher eine Gußstätte, wie ich mit ziemlicher Wahrschein-
lichkeit nachwies. Von dort aus kamen die gedrehten Trag-
stäbe bestimmter Dimension in den Handel, die getriebene
Blechgefäße aus Vetulonia stützten, und als Opferwagen in
Strettweg, Freudenau in Steiermark und Peccatel in Mecklen-
burg kombiniert gefunden wurden.
In keiner italienischen Sammlung gibt es solche starke
gedrehte Bronzestäbe. '-^ Der erste aus Eisen findet sich 1205
bei den Fenstergittern des Palastes Tolomei in Siena. Den
Ursprung der Form gibt aber erst 1435 das bronzene Ober-
lichtgitter der Taufkapelle im einzig schönen Dom von Siena,
die metallene Nachahmung eines Geflechtes von Stricken.
Die gewundene Mittelsäule spitzbogiger Gewölbe haben die
Gothiker den maurischen Baumeistern nachempfunden; denn
die erste Anwendung gewundener Säulen stammt aus dem
Orient. (Indien, Turkestan.)
Der Strettweger Opferwagenkünstler hat ein orien-
* The isle of Ictis and the early tin trade, by Em. Green.
F. S. A. London 1906, Bedford press, Bedfordbury W. C.
« Hingegen dünne, schwach profilierte in den ältesten Opfer-
wagen aus mesopotamischen und inselsardinischen Gießereien, aus
apulischen Gräbern.
t
A
Von Franz Forcher von Ainbach. 63
talisches Modell vor Augen gehabt und seine Formen ver-
edelt nachempfunden.
Der älteste Opferwagen, * scheinbar von semitischen
Werkstätten der Insel Sardinien, ist jener aus Lucera in
Apulien, derzeit im Ashmolean Museum in Oxford. Die sehr
archaische Dekorationsplatte auf drei Rädern hat noch die
Reste von gedrehten Tragstangen. Das sind aber rundliche
dünne Gebilde, ähnlich denen in Hallstatt gefundenen, deren
schönste Anwendung im Kohlenbecken*-' des Wiener Hof-
museums zu sehen ist. Dies Räuchergefäß wird noch heute oft
in Italien als Wärmespender „Scaldino" verwendet, fand sich
aber in Hallstadt aus getriebenen Flachgefäßen aus Vetulonia,
manches mit 15 Zentimeter langen dünnen Drehstäben.
Die Strettweger Stäbe sind meist 21 — 23 Zentimeter
lang und zeigen ein kräftiges Kreuz als Querprofil. Auch in
Strettweg befand sich ein solcher Glutständer, dessen durch
Erddruck zerstörte Reste an das einzig erhaltene schöne
Vorbild in Wien erinnern. ^
In Strettweg und Hallstadt gefundene kleine Klapperbleche
dürften heimische mißlungene Versuche darstellen, Bronzebleche
zu treiben. Der Nickelgehalt des Kupfers mußte, spröde wir-
kend, größere Treibarbeit in dünnen Blechen verhindern.
Der Typus der Strettweger Kelte war südlich nur in Frögg
und bis Laibach und nördlich nirgends zu verfolgen, am ähnlich-
sten sind Exemplare aus Bologna-S. Francesco. Ihre starke
Form war wohl durch die Rodungsarbeit beim Anhacken alter
Bäume bedingt, die man dann durch Feuer zum Falle brachte.
Den Südapennin bedeckte kein Wald, nur zähes Gestrüpp,
daher hatten die Etrusker schwache Beile und besondere Ein-
kerbungen zum Anstielen. Die dürftigen Funde im Salz-
burger Museum zeigen aber den nordapenninischen Typus
und sind viel schwächer als die Strettweger. Es hat also
merkwürdigerweise das nahe Kupferwerk Mitterberg nach
südlicher Stärke gearbeitet, während Strettweg einen abnorm
massiven Typ in den Handel brachte. Am ähnlichsten sind
noch ein palco etrusco aus Clusium in Florenz und ein edler
Kelt aus Tisens in Innsbruck, den vier etruskische Buch-
staben schmücken. Die kleinen Figuren aws Este-Baratela
* Dr. Ingwald Undset, antike Wagengebilde, Zeitschrift für
Ethnologie, Berlin, Asher & Co., deren Urbild doch wohl nur in
Babylon zu suchen ist, dessen Charakter der Wagen im Gregorianischen
Museum im Vatikan darbietet.
2 Sacken, Hallstädter Grabfeld, Tafel XXII, Gefäß 3.
* 3. Saal, Fensterschrank.
54 Die alten Handelsbeziehungen des Mnrbodens mit dem Auslande.
sind ganz verschieden und viel edler als die Strettweger.
Die Certosa situla ist so ähnlich anderen Funden, daß man
einen Erzeugungsort annehmen muß. Ganz bestimmt war
aber Strettweg mit Bologna in Handelsverbindung, denn die
Messergriffe wurden nur dort gegossen, die Montelius auf
Tafel 78 Nr. 12, Fund Benacci, 82 Nr. 16, Amoaldi, ganz
gleich Strettweg, Tafel 87 Nr. 2, Arsenal, 89 Nr. 11, An-
hänger und Opfermesser, Tafel 82 Nr. 17, 18, 96 Nr. 1 etc.
abbildet und von denen Bologna nur wenige Stücke bewahrt. Die
Zeichnung kopiert eine geschmackvolle, heute secessionistisch
genannte Verschlinguüg eines Bindfadens, die man nur in
Bologna Und Strettweg fand und die seltsamen Messergriffe
ziert, ^ die ich Seite 19 irrtümlicherweise für die Reste der
Zier eines eisernen Faltstuhles hielt, weil die Handhabe zu
schwach aussah. Die Messerangel hingegen ist unverhältnis-
mäßig stark im Eisen.
Beim Depotfund am Platze S. Francesco in Bologna
mit 14.800 Stück war kein Nickel nachweisbar, Spuren nur
bei einer Sichel aus Casa Lecchio (Rimini) ; das Kupfer kam
wohl von Volterra. Die Form der Bologneser Opfermesser ähnelt
dem obersteirischen Brotmesser in der Seitentasche der landes-
üblichen Lederhose vergangener Jahrzehnte. Der gleiche Griff
schmückt einen großen Anhänger mit Bernsteineinlage, viel-
leicht das Abzeichen einer Würde — ferner ein schräges
Guillotinemesser (vom Arsenalfunde). Das gleichzeitige Vor-
kommen in Gräbern einer in wenigen Stücken bekannten ganz
bestimmten Form an nur zwei weit auseinanderliegenden
Orten beweist ihren Zusammenhang durch Handel zwischen
Völkern gleicher Sitten und wohl auch gleicher Religion.
Montelius (Seite 357) setzt zwar die Bolognafunde vor
1000 vor Christo, sagt aber, Bologna sei erst durch die
Etrusker, dann Gallier,*^ endlich 196 vor Christo von den
Römern erobert worden. Ist die Blütezeit 300 gewesen
(man behauptet, die Kelten seien 400 vor Christo hin-
gekommen), so dürfte die Kultur 200 Jahre zum Über-
schreiten der Alpen gebraucht haben. Geradeso wie im ver-
kehrsreicheren Mittelalter Gothik und Renaissance genau
100 Jahre brauchten, bis sie in Obersteier heimisch wurden.
Ich möchte daher die Altersbestimmung des Strettweger
Grabes für richtig halten, um so mehr Speck, Seite 374, die
» Urbevölkerungd. Murbodens, Steir.Zeitschr. f. G., III. Jg., S. 166.
« Ich setzte im Manuskripte zu „Gallier" in Klammern Slaven?
Die Redaktion hat dies ausgemerzt.
Von Franz Forcher von Ainbach. 55
Goldfiinde am Tauern um 150 vor Christo setzt. Die Ge-
brauchsfähigkeit eines Werkzeuges behält eine bestimmte
Form bei, aus dem Feuersteinsplitter wurdö das Steinbeil,
der Kelt, die Handhacke. Auch heute noch, im Zeitalter der
Luftschiffahrt, benützt man noch ein Steinwerkzeug, das
nicht verbesserungsfähig ist. In der toskanischen Leder-
V Y gärberei benutzt man wie vor 4000 Jahren la Petra, im
schönen Sprachgebrauche la pietra a pulgare genannt, der
^ Kalkschaber, einst aus Steinplatten von la Croce sul arnx)
' bei Empoli, heute aus Schiefer aus Frankreich, „La coeurse
^ ardoise, cintree ou a fiseaux" von Kremp in Paris, 3 Rue
> Dieu, bezogen.
Beim Beweis gleicher Bronzen können dies nur Völker
•^ gleicher Sitte und Religion gewesen sein, in Bologna und
Strettweg, und zwar die verschieden benannten Nordetrusker
oder Kelten.^ .
Die Kriege gaben Veranlassung, die neu ' entdeckten
Eisenbergbaue intensiv auszunützen, der Bedarf an Bronze
• ^ ging zurück und es verblieb noch der Warenaustausch zwischen
> Südfrüchten und Sklaven, die von der kräftigen Bergrasse
sehr gesucht waren. ; i.
Eisenhandel.
Die Kunst, das Eisen zu recken, vervollkommte sich
in der ersten Zeit sehr langsam und die Verbesserungen
übertrugen sich allmählich vom Süden gegen die nordwest-
» liehen Länder und anderwärts durch die Zuwanderung stei-
rischer Schmiede, die ihre Zunftgeheimnisse mitbrachten.
Die Blahhausleute^ stammten vom steirischen Erzberg, die
Hammerschmiede aus seinem Bannkreis, die Klingenschmiede ^
aber aus dem alten Zentrum der Messerer in und um Stadt
) Steyr. Die alten steirischen Geschäftsgewohnheiten wurden
auch am Rheine so lange beibehalten, bis die neu^ Zeit mit
"" anderen Ansprüchen sie auch. dort hinwegfegte.
i Die Verbesserungen waren teils technische, teils kauf-
männische, durch eine weitgehende Arbeitsteilung. Zuerst
» Im Manuskripte hieß es : ... Kelten, die nach vielen italieni-
schen Ortsnamen bis nach Rom zu schließen, Slaven waren. Diesen Satz
hat die Redaktion gestrichen.
« Beck, Geschichte des Eisens, I. 754. 1291, Siebenbürgen.
•• 8 Beck, II. 410, beweist ebenso wie der steirische Brauch, daß
das Wort Messerer für Waffenschmiede gebraucht wurde, da im frühen
S Mittelalter man mit Messer das Schwert bezeichnete. Beck II. 409.
Daran erinnert der Bauer „vulgo Messerer" in Mitterdorf,, der Wohnsitz
eines Waffenschmiedes vom nahen Möschitzgraben.
1 Römerstein in Traboch an der Kreuzung der Salz- und Eisen-
straße. Münichsdorfer, S. 12, der Hüttenberger Erzberg.
2 Wie heute noch bei den Negern Zentralafrikas.
3 Ludwig Bittner, Das Eisenwesen in Innerberg -Eisenerz, 89. Bd.
des Archivs für Österr. Geschichte, 1901. S. 486,
4 St. Ürk.-Buch Nr. 620. Bittner, S. 10, wie in Kärnten.
56 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande. *
erzeugte man wenig aber ausgesucht gute Ware, jetzt heißt ^
es nur möglichst viel und möglichst billig zu erzeugen, denn vi
einst spielte der Preis keine Rolle. Der Übergang vom kleinen
Handwerksbetrieb zur Riesenfiabrikation hat in zirka 17 Jahr-
hunderten ungeheure Umwälzungen hervorbringen müssen und
diesem Werdegang ist das alte steirische Hammerwesen zum "^
Opfer gefallen; der Kaufmann hat den Schmied er- y
schlagen. Den genau gleichen Gang mußten alle drei Eisen-
glieder separat überstehen, vom Rennherd am Erzberg bis
zum Riesenhochofen in Donawitz, der täglich 4.000 Tonnen,
also 4000 mal mehr Eisen erzeugt, der deutsche Hammer ^
in Vordernberg neben dem Blahhaus bis zur elektrischen *
Walzenstraße, wo dieselben wenigen Leute heute das Viel-
tausendfache aufbringen. ►
Die Eisenverleger in Leoben sind längst durch inter-
nationales Geld der Wiener Banken abgelöst und der Klingen- ^
Schmied des 16. Jahrhunderts im Möschitzgraben brauchte \
gerade zwei Arbeitsjahre, um die tägliche Sensenmenge der
Wittgensteinschen Konzentration vieler Sensenwerke von heute, *^
zu erzeugen. ^
In den ältesten Zeiten war der Eisenhandel nicht ge-
trennt, deswegen ist es auch notwendig die Veränderungen *
am Erzberg zu erwähnen, in deren Gefolge die Hammer- \
gründungen am Murboden erfolgen mußten.
Wahrscheinlich wurde das Eisenvorkommen später als
in Hüttenberg, am Erzberg um Christi Geburt entdeckt und
erst im zweiten Jahrhundert mehr ausgebeutet. ^ Das Eisen ^
wurde in Gruben im natürlichen Luftzug, ^ dann mit Ge- >
blasen erschmolzen, wozu anfänglich wohl nur der Flügel i
eines großen Vogels dienen mochte oder eine getretene oder
gezogene Tierhaut den Blasebalg darstellte. Der vermehrte ^
Bedarf konstruierte die Rennherde und später daraus die i
Stucköfen. ^ Nach dem Zerfall des römischen Reiches fehlen alle %.
Kunden über den Erzberg, der 1138 — 1164 zum erstenmale -
genannt wird. ^ Erst im 13. Jahrhundert erscheinen Stuck-
öfen mit Wassergebläse, 1365 der Name Radwerk und 1389
das Blahhaus.
-^
Von l<>anz Forcher von Ainbach. 57
^ 1391 wurden Eisenblaher nach Siebenbürgen, 1525 als
)^ Abrichter in den Schwarzwald geschickt. 1650 erstand in
Eisenerz der erste Hochofen, * das war ein großer Stuckofen,
- bei dem nicht immer erst nach jeder Charge die Brust zer-
* stört werden mußte, sondern vielmehr, und was die Haupt-
^ Sache war, billiger und kontinuierlich Roheisen erblasen
Y werden konnte. 1762 kamen die Stucköfen außer Betrieb
und die Dimensionen der modernen Hochöfen stiegen ins
/ Riesenhafte.
Es war ein unbestrittenes Verdienst Erzherzog Johanns,
daß er durch seine Verbindungen, selbst als Gewerke, die
Befreiung der Radwerke von mittelalterlichem Zwange^ und
die Gründung der Vordernberger Radwerkskommunität insze-
nierte, wodurch für alle die neue Zeit anbrach.
Die alten Stuckofen erzeugten schwere Klötze, die
„Masseln", die erst geschrotten werden mußten, und ein
Gemisch von Roheisen und schmiedebarem Eisen darstellten.
Die Hochöfen erzeugten Flossen, durch welchen Fortschritt
den Hämmern Rohstoff in geeigneter Form geboten wurde.
Das steirische Eisen brauchte Holzkohlen und Wasserkraft,
^ die Roheisenmengen wurden durch den rapid steigenden
Bedarf immer größer, die Holzkohlenmengen und die verfüg-
-^ baren Wasserkräfte nahe der „Eisenwurzen" immer seltener ;
so mußten für die Raffinierstätten passende Örtlichkeiten
gefunden werden, und diesem Beweggrunde verdanken die
^ vielen Hämmer in Murboden ihre Gründung.
Am Rennherd und in der ersten Stuckofenzeit hat man
die zerschrottenen Massel mit der Hand zu „Zeug" verarbeitet,
später kam neben das Blahhaus der „deutsche Hammer",
und als Kohlen und Wasser mangelten, verlegte man die
V deutschen Hämmer von Vordernberg weg.
A
i Prof. E. V. Ehrenwerth, Kulturbilder, Graz 1890, in Urtl bei
Guttaring 1567—1580. Münichsdorfer, S. 263.
' Das Rauheisenprivilegium für Leoben datiert von Friedrich den
Schönen 1332, und wurde am 29. Dezember 1781 aufgehoben. Kaiser
Josef II. löste die beengende Verschleiß widmung, wodurch die Radmeister
ihren zugewiesenen Hammerwerken bestimmte Roheisenmengen zu liefern
hatten, wofBr die Hämmer das „geschlagene Zeug" an bestimmte Eisen-
verleger in Leoben zu liefern verpflichtet waren, die sie dafür mit Geld
und Lebensmitteln zu versorgen hatten. Der moderne Freihandel wurde
erst am 20. August 1834 eingefl\hrt, als die Beschränkung im Roh-
eisenverkauf aufgehoben wurde. Erzherzog Johann war Radgewerke in
Vordemberg seit 1822 bis 1837. Näheres „Göth, Vordernberg 1839.-
58 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande. a
Die ^deutschen Hämmer" y** waren, nacU Hofrat von ^
Ehrenwerth, Professors der montanistischen Hochschule in
Leoben, gütiger Auskunft, mit einem Löschherd neben dem
Stuckofen zum Ausheizen der geschrottenen Massel versehen,
woraus sofort unterm Wasserhammer Grobwaren und Stahl
ausgeschmiedet wurden. Dieser erste Schritt zur maschinellen ""
Schmiedung und Großerzeugung fraß viel Holzkohle, weshalb kein y
neuer deutscher Hammer mehr nach 1448 in Vorder oberg er- j
richtet werden durfte.^ 1484 erscheinen schon zwei wälsche ^
Hämmer in Wasen-Leoben, wodurch ein neuer Fortschritt auftrat.
Die wälschen Hämmer^ hatten einen schweren Hammer ^
(hier Großhammer genannt) zum Ausheizen der „Massel" •.
und zur Scheidung von Eisen und Stahl. Zur weiteren Be- |
arbeitung aber, nebstbei für feinere Schmiedearbeiten kleine ^j
raschgehende Hammer, Zainhämmer (hier Streckhämmer). \
Diese Kombination vom deutschen Hammer mit dem Streck- /
hammer, „WäUisch-Hammer" genannt, brachte schon sehr y
verschiedene und viel mehr Eisenwaren in den Handel, war (
aber an eine große Wasserkraft und gute Kohlenlage ge- ^ .
bunden, weshalb deutsche und wälsche Hämmer noch lange ^
nebeneinander arbeiteten. Im kleineren Betrieb des Deutsch-
hammers scheint aber sorgfältiger gearbeitet worden zu seinS ^
denn diese Waren ließen sich durch die Schutzmarke, den i
Leobner „Strauß", auszeichnen. '
Die deutschen Hämmer erzeugten per Woche im Anfang ,
des 16. Jahrhunderts nur 40 bis 50 Zentner, die wälschen
mehr als 75 und später über 100 Zentner.^ ^
* Beck. Geschichte des Eisens. IL S. 165.
<a Münichsdorfer, S. 24, 149, sagt, Agriccola beschreibt 1556 die
Arbeit, die rund 1784 im holzreichen Kärnten um Hüttenberg aufhörte.
« Bittner, Das Eisenwesen etci, S. 53, 56, 57.
* Den ..wällischen" südlichen Ursprung beweisen die. großen
Buchenhölbe, die alten Größenverschiedenheiten zwischen Groß- und
Streckhammer gibt das Bild von 1698, Beck, II. 972. Im Murboden
ist die Form „wällisch" gebräuchlich.
4 Tunner „Hammermeister", S. 182, vielleicht verschiedene Herd-
methoden oder mehrfache Raffinierung.
» Hist. Ver. 1886, Dr. Ilwof, S. 85, Deutsche Hämmer um
Leoben, verordnet Kaiser Max I. 2. März 1501 an den Rat zu Leoben,
sind gehalten, den „Strauß* zu schlagen. Kaiser Max I. scheint aber
auch weiters besorgt gewesen zu sein, das Eisen wesen zu heben, denn
laut Hist. Ver. XV. 1878, Zahn, verlangt er am 31. Dez. 1498 von
Hall in Tirol Holzknechte und Köhler zum Kohlflössen nach Judenburg.
Das waren die Vorgänger der später so vielen Zillerthaler Holzleute
im Murboden.
« Bittner, S. 70.
>\
<
\J
' ^
Von Fran2 Forcher von Ainbach. 59
Nach .dem Aufkommen der Stucköfen erscheinen nach-
einander die Hammergründungen. 1355 kaufen Judenburger
Bürger eine Hofstatt und Zainhammer in Obdach vom Stifte
Admont.y*^ Dies war wohl die Sulzerau und verarbeitete
Waldeisen vom Stuckofen in Kathal oder Seethal, dem öchon
931 genannten Eisenwerk Gammenaron (wohl von Kamen
Felsen) ; der Bau liegt in den Felsen. In der Zeit von 1434
bis 1480 sind um Weißenbach, St. Gallen die Hämmer von
3 auf 7 gewachsen und 1891 waren nahe Obdach schon
mehrere Hämmer mit einer Hamnierordnung. Die deutschen
Hämmer scheinen anfangs des 16. Jahrhunderts ihre Exi-
stenzberechtigung verloren zu haben, nur nach 1603 bezieht
die Saline Hall in Tirol noch Blech, Stahl und „Zaggel" aus
den Deutschhämmem um Rottenmann,'' dann verschwindet
die Bezeichnung vollkommen.
Hochöfen, Hammerwerke und die seit dem 17. Jahr-
hunderte sich stetig mehrenden Sensenwerke konsumierten
ungeheure Mengen von Holzkohle, deren BeschaflFung allen
Gewerken die bösesten Sorgen bereiteten. Großer Absatz,
hoher Gewinn stand auf dem Spiele, bis weitblickende Geschäfts-
leute der kommenden Stockung dadurch entgegenarbeiteten,
daß sie Neuerungen des Auslandes mit großem Erfolge im
Hammerwesen einführten und binnen 30 Jahren alle Hämmer
von der steirischen Erde, oft spurlos, hinwegfegten.^
Merkwürdigerweise entstammten diese genialen Neuerer
nicht der alten privilegierten Kaste der k. k. Kammerguts-
beförderer, der Jahrhunderte eisenschlagenden hocharistokra-
tischen Gewerkenfamilien, sondern der Zeit ihres Auftretens
nach waren Erzherzog Johann, der Leobner Adlerwirt Franz
Mayr senior I, der Weikersdorfer Postmeister Josef Seßler,
der Passailer Wirtssohn Josef Pesendorfer und andere
» Wichner, Bist. Ver. 1876, der 1330 dort noch die slavischen
Bauern Janko, Tenko und Nedwed aufführt.
« Eist. Ver. 1896, Nekrolog der St. Martinbruderschaft in Juden-
burg von Dr. Khull, erscheint Ende des 14. Jahrhunderts der „armiger"
Sigmund Weinater in Obdach. Dieser hat bestimmt Hellebarden ge-
schmiedet, denn ich besitze eine gotische mit dem dortigen noch ge-
schlagenen Sensenzeichen, Solinger Zeichen um 1500, 3 Kreuze (liegend).
8 Hist. Ver. XXL, Prof. Bidermann.
* Die Vertreibung der protestantischen Gewerken erzeugte eine
ungeheure Deroute, der erst nach 1625, Gründung der Innerberger
Hauptgewerkschaft, ein großer Aufschwung folgte. Das war der Anfang
des Konkurrenzkampfes.
60 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
die Kaufleute im großen Stil, die die mittelalterlichen Ver-
hältnisse durch Mut, Ausdauer und Geld reformieren konnten. *
Welche Schwierigkeiten boten allein schon die starr-
köpfigen überkonservativen obersteirischen Schmiede mit
ihrem ständigen „das geaht net!" als es galt, neue Maschinen,
neue Erzeugungsmethoden mit noch unausprobiertem minera-
lischen Brennstoff in Betrieb zu setzen, um viel und billig
zu erzeugen. Die alten Hammerherren lächelten über die
kühnen Versuche, prophezeiten in vielen Briefen das Krida-
machen der Neuerer, aber der Erfolg blieb nicht aus, trotz-
dem die Gewerken spotteten, der neue Wahlspruch laute:
„Schmiede den Nächsten so lange er warm ist und liebe
das Eisen wie dich selbst!" Die Nächsten (Hämmer!) wurden
bald kalt, als der Roheisenverkauf frei war und zwar radikal
ertötet durch die Einführung der die Gewerken schwer
schädigenden Gewerbefreiheit, und Franz Mayr der Älteste*^
in Donawitz 1837 das erste Puddlingswerk, konzessioniert
17. Oktober 1838, mit Leobner Kohle in Betrieb setzte.
1838 folgte auch Josef Seßler mit dem Werke Krieglach
und da begann die Minderung der Qualität des steirischen
Stahles, aber auch die Ersparnis an Holzkohle, die dem
Forstwesen sehr wohl tat. Nun folgte eine Verbesserung der
andern und die Mengen wuchsen in nie geahnter Höhe.
Anstatt der Hämmer stellte Franz Mayr 1851 in Dona-
witz die erste Walze auf, 1858 Neuberg den ersten Dampf-
hammer, 1863 führte Turrach den Bessemerprozeß ein,
1860 Franz Mayr den Gußstahl in Kapfenberg, 1870 die
Südbahn in Graz den Martinprozeß, 1874 Zeltweg den
ersten Cokehochofen im Lande. Die neuesten Methoden sind
noch nicht überflügelt, um schmiedebares Eisen zu erzeugen,
nur die Dimensionen der Öfen und Zubehör sind ins Große
gewachsen. Zweifellos hat die Qualität verloren, das Hämmern,
das genaue Sortieren und die Holzkohle wirken doch anders auf
die Schneidhältigkeit des steirischen Stahles als die Walzen
und schwefligen Steinkohlen, aber man bezahlt sie nicht
mehr. Der Zwischenhändler will zu großen Gewinn und der
sibirische Bauer bewahrt auch nicht mehr die Stümpfe der
steirischen Sensen auf, um daraus Messer zu machen, die er
hoch hielt, weil, wenn wirklich die alte Qualität noch geliefert
i Beck, II. 607, kopiert die Widmung Leoben 29. Juni 1502,
alles stahlhältige Eisen nach Knittelfeld und Judenburg zu verkaufen,
II. 626, 632, den Murbodner Ein- und Verkaufspreis 1564, I. 752,
Hauptzollstätte Judenburg für Italien.
» Geneal. Taschenbuch der adel. Häuser 1905, S. 436.
y
-^
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Von Franz Forcher von Ainbach. 61
werden könnte, es sich nicht mehr lohnt, selbst Messer zu
schmieden, da die Solinger Kaufleute die Welt mit billigster
Ware überschwemmen. Noch vor 40 Jahren wendeten drei
Mann im Schweiße ihres Angesichts den „Dächel" im Zerenn-
feuer, jetzt sitzt der Krahnführer am elektrischen Krahn und
hebt mit einem Fingertastendruck eine Waggonladung. Bei
diesem Wandel der Zeiten blieben die Hämmer nicht mehr
konkurrenzfilhig, von vielen ist alles verschwunden, sogar der
y Name. Um aber noch die wenigen Daten festzuhalten, die
an die glücklichste Zeit Steiermarks erinnern, an der alle
Bewohner gleich vorteilhaft teilnahmen, soll diese Studie
alle Kunde vereinen.
Wo die Roheisenerzeugung so große Veränderungen
durchmachte, denen noch viel größere in der Raffinierung
folgten, konnte auch für Obersteier seit dem 17. Jahrhundert,
das vierte Glied des Eisenwesens, die Sensenindustrie nicht
stille stehen. Der Klingenschmied der frühesten Zeit arbeitete
mit der Faust, als dann 1585 Konrad Eisvogl in Michldorf,
Oberösterreich, ^ den Wasserbreithammer erfand, begann die
Arbeitsteilung und damit der fabrikmäßige Betrieb, die
einigermaßen schon unsere Zeugschmiede hatten, die ja
schon vieles unterm Wasserhammer schmiedeten.
Einst arbeiteten viele Sensengewerke ihren eigenen
"^ „Gärbstahr, mischten wieder mit anderen verläßlichen
Fabrikaten und erzielten so eine stets gleiche Qualität, die
nebst sorgfältiger Ausarbeitung den Wert der Schutzmarke,
V „des Zeichens", durch langjährige gleiche Arbeit den Ver-
kaufspreis in die Höhe schraubten. Mit der Einführung des
"^ allen gleich zugänglichen Bessemerstahles fiel die Qualität
und die Preise, die meisten Zeichen werten nun fast gleich
und sind nur in den verschiedenen Provinzen, meist Ruß-
A lands, verschieden eingeführt. Die Unkosten der Ausstattung
stiegen, die maschinellen Hilfsmittel konnten wehiger fort-
schreiten. So ist der Verkaufspreis der Sensen nur mehr
ein Drittel von dem vor Jahren und durch unsoliden Zwischen-
handel und die gänzliche Uneinigkeit der Gewerken, der
Gewinn ein minimaler geworden. ^
Bei den Hämmern, die ihren Betrieb nicht einstellten,
* Fr. Schröckenfux, Österreichische Sensenindustrie, zum Drucke
in Vorbereitung.
« Der praktische Mähder ist an die altgewohnte Gewichts-
verteihmg gewohnt, weswegen die sonst schönen Sensen aus ange-
nietetem Gußstahlblechhlatt nicht durchdrangen, da er das Gewicht der
Sense zum Schwünge benötigt.
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4.
62 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
kamen Aktiengesellschaften und schließlich die Alpine Montan-
gesellschaft in den Besitz, bei den Sensenwerken wird sich ein
ähnlicher Vorgang abspielen. Bei der Beschreibung des Werde-
gangs im Murboden lassen sich die Eisenhämmer und die Sensen-
werke nicht trennen, da auch in den 1850er Jahren oft
Hammergewerken Sensenschmieden angliederten, um den
Übergang vom alten zum neuen Betrieb nicht mit zu großen
Verlusten aushalten zu müssen. Freilich ganz Konservative
opferten ihren Wald, bis auch die letzte eigene Holzkohle "^
die verheerenden Wirkungen der neuen Stahlverfahren nicht
mehr aufizuhalten vermochte.
Die älteste Hammeranlage im Murboden, die auch
urkundlich am frühesten erscheint, befand sich in St. Marein
bei Knittelfeld, die dann nach Wasserleit überlegt wurde.
Die Gründung möchte ich mit ziemlicher Sicherheit
ins 2. Jahrhundert nach Christo anlegen, als die Militär-
straße Virunum-Ovilabis dort vorbeiführend angelegt wurde.
1142 bis 1143 gibt die Verlegung des Klosters nach Seckau
Kunde, daß der Hammerlärm die Siedlung der Mönche zwei
Jahre lang störte und sie die Einsamkeit aufsuchten.
Nach Anlage der römischen Almwege zirka im 3. Jahr-
hundert muß Ainbach als Hammerwerk erbaut worden
sein, denn spätere Winden 'fanden dort auf der „Plemsen"
die Schlackenhalden, wonach das Ried benannt wurde.
Von 1242 bis 1355 gibt es wieder keine Nachweise, aber
die stets neuen Kriege, die Einführung des Schießpulvers schufen
großen Bedarf an geschlagenem Zeug, dem durch viele Hammer-
gründungen Genüge geleistet wurde. Eine weitere Vermehrung
begann am Ende des 17. Jahrhunderts durch die Einwande-
rung der oberösterreichischen Sensenschmiede, die meist be-
stehende Zeugschmieden zum Fabriksbetriebe ausgestalteten.
Bis zur Höchstblüte der Hammerzeit gab es hier reine
Hammerwerke, die nur Stahl und Schmiedeeisen schmiedeten,
dann solche, die auch Sensen werke angliederten, endlich reine
Sensenwerke, die allen Stahl von anderen bezogen.
Diese Varianten änderten sich oft nach der Marktlage^
nach der Intelligenz des Gewerken und nicht zuih geringsten
Teile nach seinem Betriebsfonds. Kostete doch die Konzession
eines Stahlfeuers 10.000 damaliger Gulden, (um nicht zu viele
der Hochbesteuerten aufkommen zu lassen) die verloren
» Den Satz „oder erst die im 6. Jahrhundert nachgtrömenden
Kroaten" fWindischdorf und Kraubath „das Croatendorf" sind Nachbarn)
hat die Redaktion getilgt.
Von Franz P'orcher von Ainbach. 63
waren, als die Gewerbefreiheit eingeführt wurde. ^ Bet dieser
Verquickung sind die einzelnen Werke nur gemeinsam zu
behandeln, wenn ich ihre Besitzer, die Zeit des Wördens
und Vergehens anführe, ehe jede Erinnerung verloren geht,
wer und wo von den alten Gewerken dem ganzen Mürboden
Wohlstand zuführte.
Die Erhebung der Daten war keine geringe Arbeit
und trotzdem gelang es mir in 30 Jahren nicht, mehr
er' Material zu sammeln, als private Quellen und Kirchenbücher
allerorts dürftig spendeten. ^
Allerdings gibt es noch unbehobene Aktenschätze, aber
^ sie schlummern in den Grazer Archiven und in großen
Kästen einiger weniger alter Gewerkenhäuser. Bichtig deuten
i kann sie auch nur ein Fachmann und Liebhaber hütten-
technischer, 'finanzieller und handelspolitischer. Dinge, um. die
Kämpfe der Gewörken :iftitereinander oder miteinander gegen
die stets mehi*^ Geld heischenden Landesfürsten wahrheits-
getreu zu schildern. Für Streber ist da nichts zu suchen,
w denn da müßten gar harte Worte gegen die hohen Obrig-
keiten wiederholt werden. Unter den Hämmerherrnschick-
salen gab es sehr häufig variable Auf und Nieder, meist
durch zu große Steuerschröpfungen und zu geringem Be-
triebsfonds verursacht. Die Vermögenszersplitterungen wurden
durch eine geradezu phänomenale Fruchtbarkeit hervor-
gerufen,-12 Kinder häufig das Minimum, die Unternehmer
zu hoch belastet, mußten trotz kolossaler Verdienste zu-
grunde gehen. -^
Selbst das luxuriöse Leben hätte nicht gehindert. Der
-K Mangel an kaufmännischer Intelligenz war in jener Zeit
ganz nebensächlich, da immer mehr Bedarf an Ware vor-
handen war — als geliefert werden konnte, aber die' Eifer-
,^ Süchtelei untereinander begünstigte nur die Holzkohlen-
lieferanten und in der Neuzeit die immer mehr drückenden
Abnehmer und weniger konservative neue Gewerken.
Für alle Gewerken waren die Holzkohlen das Lebens-
elixier, von dem die alten Feuer, samt den Hochöfen, unge-
heure Mengen verbrauchten. Ihnen verdankte das steirische
1 Jede Feuerkonzession repräsentierte nach heutigem Gelde ein
A Vermögen, das den Familien einfach verloren ging, nachdem sie eigentlich
Obligationen dafür gerecht einweise zu erhalten hatten.
^ ^' « Jede Quelle mußte besucht und häufig resultatlos erforscht
werden. Auf brieflichem Wege "war .keine Antwort zu erzielen.
3 Wolfgang Hiilebrand in St. Peter ob Judenbtirg 17, eine andere
Familie eines anderen Tales von der noch Nachkommen leben, gar 22 1
A
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•I
64 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Eisen den Kuf und zweifellos gaben die neuen Verfahren
nicht mehr die unerreichte zähe Schneidfähigkeit des Stahles
von einst. Wer nicht selbst genug Wald hatte, wurde von
den Kohlenbauern versorgt und diese von den Gewerken
gegenseitig mit allerlei Praktiken und vielem Geld abtrünnig
gemacht. Ja selbst der Hammer im Hammergraben wurde
vom Stifte Seckau abgekauft, um einen lästigen Kohlen-
konsumenten zu beseitigen und noch 1739 schreibt Bartlmä
Helml in St. Peter, „zwei Bauern sind zu dem Zeyringer über-
gangen, so doch ihr Leben lang bei meinem Hammer gewest."
Vor 1654 ist urkundlich im Murboden kein fabriks-
mäßiges Sensenwerk nachweisbar, ^ den Localbedarf dürften
die Zeugschmiede gedeckt haben, deren es ja tiberall gab,
namentlich an viel befahrenen Straßenzügen. Stahl und
Hamischbleche, Hakenbüchsen und geschmiedete Kugeln
kamen aus den Hämmern ausschließlich in der Zeit von
zirka 1423 bis 1679, dann erst kamen die Setisen als
Exportartikel dazu. Der Ainbacherhammer, an der Mur
gelegen, flößte (mit dem Umschlagplatz in Radkersburg) alles
bis ins Schwarze Meer.
Der Stahl wurde in Saumtierladungen verpackt, in ,
sogenannte „Lagein" mit 125 Pfund Inhalt, und nach dem f
Orient durch Zwischenhändler in RadkersWrg vertrieben. <
Das alte Eisenhaus Kodolitsch lieferte schon 1719 Wein in ^|
Gegenfracht 2 muraufwärts. Nach Deutschland und die
Schweiz spedierten die Salzfuhrleute über Aussee (noch bis
in die 1860er Jahre holte jedes Hammerwerk seinen Bedarf ,
mit eigenen Gespannen) und Wels am uralten Handelsw^ege.
Die Schweizer Uhrfedern vom 18. Jahrhundert waren aus >
steirischem Stahl. Nach Italien gingeü die Stahlabfälle zum
Veredeln der Brescianerprodukte durch Kärtner Spediteure,
Villach war ihr alter Stapelplatz.
Heute hoch wäre Bedarf an der unersetzten Qualität
des alten „Garbstachels", aber niemand kann mehr den
hohen Preis bezahlen, den die enorm teuere Erzeugung ver-
ursacht; für die meisten Dinge genügt auch da, das „billig,
aber schlecht".
1 Nach Fr. Schröckenfux obei'österreichischen Daten' halte ich
den Hans Moser 1654 im Paßhammer für den ersten Sensenschmied,
der im Murboden oberösterreichischen Fabriksbetrieb mit Arbeitsteilung
einführte. ^^ ^
« Den gleichen Vorgang dürften ihre Vorgänger, die Eggenberger,
eingeführt haben, die ja Ende des 15. Jahrhunderts vielfache Geschäfte >-
gemeinsam mit ihren Lieferanten, den Einpachern, durchführten.
1
i
Von Franz Forcher von Ainbach. 65
Andererseits werden im Zeitalter der sieben Kilometer-
Kanonenschüsse keine Damascenerklingen mehr gebraucht,
so ist nichts mehr lebendig als die Erinnerung an den be-
rühmten steirischen Stahl, von dem niemand mehr weiß, wie
er praktisch erzeugt wurde. Denn die Kunst lag in der Hand
der geschulten Arbeiter, gegenüber diesen Praktikern war
der studierte Hüttenmann vollkommen machtlos. Allein Auge
und Kraft beurteilten, wie zu arbeiten war.
Die Hammerakten vom 15. — 17. Jahrhundert handeln
fast ausschließlich von Beschwerden, zu großen Ansprüchen
vom LandesfUrsten, zu wenig Holzkohfe, Übergriffen anderer
Gewerken in alte Absatz- oder Eisen- und Kohlenbezugsrechte,
keinem Schutz vom „Regiment", kurz, der ganze papierene
Jammer der Türkennot und des 30jährigen Krieges spiegelt
sich wieder. Mit der Neuerschließung des Statthalterei-
archives in Graz werden diese Fragen ihre Bearbeitung finden.
Die häufig im 15. — 17. Jahrhundert vorkommende arbeit-
teilende Vergrößerung „Wälläschhammer" bezeichnet die alte
italienische Herkunft -und wird in späteren Zeiten nur Groß-
hammer genannt, der beim Zerrennfeuer stehend auch
„Zrenhammer" hieß.^ Sein schwerer Hammerkopf auf dickem
Hölb verursachte grobe und wenige Schläge auf größere
Eisenklumpen. Der leichte Streckhammer auf dünnem Hölb
schlug rasch und wurde zum Stangenschmieden, dem „Strecken",
verwendet.
Beide Hämmer zusammen erzeugten Grob- und Fein-
streckwaren, die Wälschhämmer aber allein den Rohstahl,
der starker Schmiedung bedurfte und wieder am Streck-
hammer in neuen Hitzen umgeformt und raffiniert wurde.
Die Gliederung des Eisenwesens geschah wohl erst im
15. Jahrhundert. Wie einst die ersten Eisenschmelzer schon ver-
bessert arbeiteten, zeigen heute noch die Schwarzen Afrikas an
kleinen Stücköfen, das Produkt verschmieden sie an Ort und
Stelle. Ein findiger Kopf am Erxberg mag das solidere Gebläse
in Holzrahmen erfunden haben, das bei der zunehmenden Größe
der Stücköfen nicht mehr mit Menschenkraft in Bewegung
gesetzt werden konnte. Der Eisenschmelzer mit dem Gebläse
mit Wasserbetrieb wurde ein Radmeister genannt. Mit wach-
sendem Absatz wurden die Ofendimensionen größer und mit
1 Der Windische nennt heute noch den Italiener Vlaäko ; früher
bezeichnete man alles aus Italien Kommende in Österreich und der
Schweiz als „wällisch". Die romanische Schweiz heißt offiziell die welsche
Schweiz oder das Welschland.
66 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
deren bedeutenderen Erzeugung mußte eine Arbeitsteilung
stattfinden, indem das Raffinieren an andere Wassergefälle
mit schweren Hämmern am Wasserrade verlegt wurde. Diese
Raffineure waren die Hammerherren, die später einen Ban-
kier brauchten, um den Verkehr mit den Radmeistern klar-
zustellen, das waren die Eisenverläger. In Leoben für Vor-
dernberg und seine Hammergewerken, Stadt Steyr für- Eisenerz,
St. Veit für Hüttenberg. Als alte, reiche Industrielle waren
die Radmeister, die Hammergewerken und die Eisenverleger
seit dem 15. Jahrhu|jdert sozial liochgestellte Leute, die
sich nach Wunsch den Adel kauften und nicht mehr manuell
arbeiteten, wie einst die ersten Eisenschmelzer. Die im
i 17. Jahrhundert einwandernden Sensenschmiede arbeiteten
[ unterm Hammer noch teilweise bis in die 1850er Jahre, bis
alle die soziale Stufe der anderen Gewerken erklommen hatten.
Die Urkunden und Kirchenbücher sprechen dies ^ deut-
lich aus, indem zuerst von Radmeistem, dann Radgewerken
gesprochen wird, dann von Hammergewerken und Hammer-
herren, gleichzeitig im 18. Jahrhundert von Sensenschmied-
meistern und erst um 1800 von Sensenfabrikanten. *^
In den Notzeiten der früheren Jahrhunderte war vom
Landesfürsten der Adel willig gegen bar abgegeben, im
18. Jahrhundert schon seltener, und es ist bezeichnend, daß
kein steirischer Sensenschmiedmeister während seiner Ge-
schäftsführung den Adel suchte oder bekam, sie hielten sich
als erbgesessene Schmiede seit Jahrhunderten für eine höhere
Kaste, die den Adel nicht suchte, da sie sich ohne äußere
Zeichen für gleich gut hielten.
Bei der Teilung in drei alte Eisenglieder hatten
die Hammermeister auch die Zeugschmiede zu überwachen,
unter die ja die alten steirischen „Sengschmiede" zählten,
vor der Invasion der Oberösterreicher Fabrikanten, die
bei Arbeitsteilung Sensen erst wirklich fabriksmäßig er-
zeugten. In Judenburg waren 1580 schon die „Messerer"
Siendl, Reich, Gschwendt, Zeller, Ofner, 1607 der Säbel-
und Hackenschmidt. ^
In den Ainbacher Hammerakten, Datum Pols 9. July
1672, sagt aber Dietrich Freissamb, kaiserl. Kammerguts-
1 Alle Hammerlierren wurden wegen ihrer Riesensteuem k. k.
Kammergutsbeförderer tituliert
« Matthias Hilleprandt in Rottenmann erscheint in den Kirchen-
büchern i759 als Hammerherr und „Sengschmiedmeister" genannt.
3 Histor. Verein XVI, S. 55. — XI, S. 132.
Von Franz Forcher von Ainbach. 67
* beförderer, Eisenobmann im Murboden und Hammermeister
zu Pols, dem Herrn Bürgermeister zu Judenburg: „Es ist
demselben ohne dyß guett wissend, daß die Sengschmid
* nichts anderes befürgt seyn zu machen, als den schneidenden
Zeug, nemblich Sengsen, Sichl, Strohmesser, Hacken und
", dergleich, was doch schneidend ist etc. etc. Der Leonhard
Moser, Bürger und Sengschmid Meister zu Judenburg dürfe
daher keine ,Reiff' und die eisernen Schließen für die Pfarr-
kirche machen." Die eingebornen Sensenschmiede hatten nur
den gewöhnlichen Zeughammerbetrieb. ^
Die besondere Hochschätzung der Regierung drückt
sich in den Anreden an. ihre stets heimgesuchten Goldmacher
aus, indem „der kaiserlichen Majestät Abgeordneter Rat und
* Commissari zu Eisenärz 1625 die hoch und wohlgeborenen
Herren,'^ auch ernveste fürneme, deren im Viertl Judenburg
wohnhaften Hammerherm und Hammermeistern, unsere be-
sonders lieben herren und guten freundt" zu einer Konferenz
der drei Eisenglieder nach Leoben mit Separatboten einlädt.
Weniger honorirt wurden hundert Jahre später die „ehren-
vesten wohlweisen Sengschmidmeister", bis sie zu „herren
Besitzern einer priv. k. k. Sensen fabrique" in der Napoleoni-
> sehen Zeit zum Schröpfen fleißig herangezogen wurden.
Dies beweisen Daten aus Zahn, Zünfte, S; 123, Hist.
Verein 1877, bei Knittelfeld, § 26, die bedingte Gestaltung
rauher Arbeit durch Hacken- und Sensenschmiede und Über-
wachen deren Arbeit durch Hufschmiede. Ebenso 16. Febr.
1650, Admont, bei den Hufschmieden, Vertrag des Sensen-
schmiedes Hans Moser — § 1, er dürfe Wagen beschlagen,
^ wie sein Vorsiedl, § 3, Fortführung des Geschäftes durch
^ seine Witwe, falls sie einen Sensen-, Hacken- oder Huf-
schmied heirate.
Durch das Gebot, immer wieder in die
^ Zunft zu heiraten, erklärt sich die allgemeine
Verwandtschaft unter den Sensengewerken,
te die sich bei ihrem großen Zeremoniell wirklich nicht nur
der Form wegen als „Herrn Vettern" ansprachen.
"^^ Das Zeremoniell war bis in die letzte Zeit ein sehr
strenges und korrektes, freilich wurde mit der Zeit aus der
1 Zahn, Hist. Beiträge 1877, erwähnt die Zunft der Huf-, Hacken-
und Sensenschmiede in Knittelfeld am 14. Sept. 1458 und 23. Mai 1540;
vom Stadtrat bestätigt am 19. Nov. 1677.
* Ainbacher Hammerakten.
5*
68 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Anrede „Sie Herr Vater" eine einfachere, das „Sie" des
Sohnes.
In Oberösterreich wurden aber die starren Verhältnisse
von jeher viel genauer in den Familien erhalten wie in Steier-
mark, das Ende der alten Zunftverhältnisse verwischte auch
die Formen im Hause, die in jedem Gewerkenhause bis in die
neueste Zeit im theresianischen Stile im Murboden herrschten.
Über die Sensenindustrie sind begreiflicherweise, als
aus jüngerer Zeit stammend, mehr Daten zur Hand.
Nach der Ausbeutung des Erzberges auf der Eisen-
erzerseite wurde, vermutlich erst um Christi Geburt, das
Eisen zur Verarbeitung ennsabwärts verflößt, denn in Lau-
riacum, Lorch bei der Stadt Enns hatten die Römer eine
berühmte Waffenfabrik, in der naturgemäß nur Schwerter,
also Klingen geschmiedet werden konnten. Lorch halte ich
für die Wiege der „Messerer", die dann im Mittelalter Stadt
Steyer, Kirchdorf, Michldorf, Leonstein, Windischgarsten,
Mattighofen und Gaming zu wahren Zentren der Klingen-
schmiede machten.
Die erste Form für die Römer nach den Bronze-
sicheln, ^ die langgezogenen Eisensicheln von großer Länge
(in den Museen von Mainz und Laibach), waren die Vorbilder
für die späteren oberösterreichischen Sensen, die dann ge-
treulich von den reichsdeutschen Markenfälschern nachgeahmt
wurden.'^
Nach Beendigung des dreißigjährigen Krieges trat Ruhe
und eine neue Blüte in Zentraleuropa ein. Bis dahin scheint
die oberösterreichische Fabrikation den Bedarf vollkommen
gedeckt zu haben. Einer Vergrößerung waren aber die Werke
nicht mehr gewachsen, vielleicht wurde ihnen auch zu wenig
Eisenerzer Roheisen von Stadt Steyer aus zuteil, nur da-
durch erklärt sich die Schmiedeinvasion in den Murboden
an neue Wasserkräfte und nahe dem weniger ausgebeuteten
Vordemberger Eisen mit seiner Leobner Verlagsstätte.
» Die wieder die Altägypter kopierten, denn Beck, Geschichte
des Eisens, I., S. 87, bringt eiserne Sicheln, die unter den Sphinxen
waren. Die Sensen wurden allmählich aus großen Sicheln, ich halte sie
fttr eine umbrische Erfindung, denn der Fund von S. Francesco in Bologna
zeigt einige fünf fäustige Käfer sensen aus Bronze, wie sie noch heute
als Staudensensen dienen und sonst in keinem Museum bis jetzt zu
finden waren. Das beweist das altitalische Maaß, palma = Hand
r^ 10 Centim; nur Orientale Importen der Kultur, Sensen und Pferde
werden heute noch überall nach Händen gemessen.
« Dr. Karl Zeitlinger, Die Fälscher der Österreichischen Sensen-
marken in Deutschland. Linz, 1888.
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■S
Von Franz Forcher von Ainbach. 69
Einen triftigeren Grund zur Auswanderung 1654 — 1709,
einen wahren neuen ver sacrum, gibt H. Schröckenfux.
Zufolge der Privilegien durften in Oberösterreich keine
^ neuen Werkstätten errichtet werden. Deshalb wandte sich
* der Überfluß an Sensenschmiedmeisterssöhnen mit ihren
^ f tiberreichen Bestellungen der wasser- und holzreichen Steier-
^ mark zu, wobei noch die Frachtkosten für Stahl billiger waren.
'• Mit Einwilligung ihrer Eltern nahmen sie die gleichen
^^ ,y oder wenig variierten Zeichen mit ; so ist dies erwiesen, daß
; Andreas Piesslinger das Zeichen Feinhalbmond (das
Wappen Leyss) 1671 von seinem Vater Christoph Piess-
linger, in der Kaixen bei Windischgarsten, in Steiermark
^' I schlug, als er die Sensen- und Hackenschmiede in St. Peter
^ I ob Judenburg zum Sensenwerke umgestaltete,
r« ..Seit den Urzeiten bis zum heutigen Tage bleibt stets
^ ' die Überproduktion an Menschen und die Suche nach neuen
It Existenzorten der Anstoß zu allen Völkerwanderungen, die
i' erst mit Gewalt eingriffen, wenn auf friedlichem Wege dies
i- Ziel nicht zu erreichen war. Wie der sehr praktische Ka-
thedersozialist Dr. Ehrenberg sagt (Die Eisenhtittentechnik
und der deutsche Hüttenarbeiter, Stuttgart, bei Cotta 1906):
e „Der Muskel wurde vernachlässigt und der Nerv erzogen**,
r das war das Ende der Schmiedezeit und für die große Menge
blieb nichts, als häufig nur die Phrase im Liede.
it Die Judenburger Senseninnung hat nur noch Reste
eines Archivs, aus dem ich durch die Güte des derzeitigen
e j Verwahrers Herrn Gewerken Foest noch einiges eruierte,
it Es existiert eine Handwerksordnung für die Sensen-
n I und Hackenschmiede des Viertels Judenburg vom 27. De-
e i zember 1617 von Kaiser Ferdinand IL in 25 Artikeln. Davon
? * gibt es eine Verbesserung, 9. Juli 1708, von Kaiser Josef I.,
und einige Varianten aus dem späteren 18. Jahrhundert.
D I Anfangs des 18. Jahrhunderts gibt es noch ein „hand-
n ) werk" in Murau, 1766 ist noch die Rede von den drei
Zünften Judenburg, Murau und Kindberg, die restlichen Akten
je betreflfen späte interne Angelegenheiten ohne weiteren Interesse.
B j Den Hauptsitz der oberösterreichischen Sensenschmied-
innung war Kirchdorf-Michldorf, von der eine Handwerks-
ordnung von 1595 schon die Bestimmung über Vererbung
a und Veräußerung der Sensenwerkszeichen festsetzt und der
d Kaiser Rudolf IL 1608 ein HandwerksprivUeg verlieh.
^ Erwiesenermaßen exportierte Oberösterreich seine Sensen
schon im 16. Jahrhundert nach Deutschland, Frankreich und
/
70 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Rußland.* Zum Schutze gegen Markenfälscher verordnete
1Z48 die große Kaiserin Maria Theresia den Beischlag der
Innungszeichen KM. für Kirchdorf-Michldorf, MK. Mattig-
hofen ; J. Judenburg ; K. Kindberg etc. neben den Werks-
zeichen.
Allein mit wenig Erfolg, denn schon 1773 begannen
die Klagen über das „Zeichennachschlagen" von Seite der
neu errichteten bergischen Werke, wodurch der niederdeutsche
Export verloren ging.'^
Bei den alten „Messerern" wurde „das alte Handwerk
der Sengschmidt" zum Fabrikationsbetrieb ausgebildet und
durch genau geregelte Arbeitsteilung die Normalarbeitsleistung,
das „Tagwerk" eingeführt. Je nach den Einrichtungen hatten
18—20 „Sengschmidt" täglich 180—200 Stück (heute 230
in Oberösterreich) mittelbreite ungarische neunhändige Sensen
zu vollenden. Mit der Zeit machten die Werke je nach Bedarf
mehr Tagwerke, um mit wenigen Leuten mehr und billiger
zu erzeugen, z. B. konnte man mit 18 — 20 Mann 200, mit
83—35 Mann 300 Stück etc. leisten.
Um dem gewachsenen Bedarfe nachkommen zu können,
wanderten eine Anzahl oberösterreichischer „Sengschraied-
meistersöhne" mit ihren „Sengschmiedknechten" nach dem
Murboden und gründeten neue Hämmer. Die diversen Konkurse
sprechen dafür, daß manche Einwanderer finanziell nicht
kräftig genug waren, um den nur einmaligen Geldumsatz
im Jahre aushalten zu können.
Löhne und Holzkohle mußten meist schon vorschuß-
weise an die Schmiede und Kohlbauern vorausgegeben werden,
die drückenden Kohlschulden brachten auch manchen Stahl-
gewerken böse Stunden, die sich wieder seinem Leobner
Eoheisenlieferanten mitteilten, bis die ausländischen Silber-
linge nach Jahresfrist wieder allen drei Eisengliedern, den
Radmeistern in Vordernberg, den Eisenverlegern in Leoben,
den Hammergewerken im Murboden und den Sensenschmied-
meistern für ein neues Arbeitsjähr Stärkung brachten. Die
* 1742 wurde bteirisches Eisen auf dem Breslauer Markte gegen
russisches Wachs vertauscht. Hist. Ver. 1864, 3. Heft, Prof. Dr. Ilwof.
Beck, L, S. 668, zitiert schon Plinius den gallischen Export. Für Italien
gingen die kurzen, leichten Gebüschsensen, die gallischen großen für
die Steppe.
* Die Zeichen waren meist uralte Handwerksmarken, doch auch
nahm man die Wappen der Dietrichstein und der von Leiss (Waffen-
meister). Einstige Beschaumarken?
Von Franz Forcher von Ainbach. 71
Oberösterreicher kannten ihre uralten Handwerksgeheimnisse
aufs genaueste,^ praktisch und persönlich erlernt, wodurch
ihr Ruf begründet und erhalten wurde. Die neuen steirischen
Gewerke konnten zumeist keine Sense „breiten", wenn aber
dank der besten Arbeiter die gleich gute Ware mit einem
neuen Zeichen in die Welt ging, war es ihnen nicht, möglich,
oft kaum den halben Verkaufspreis der gleichen Sensen mit
einem alten Zeichen zu erzielen.
Die neuen Stahlvwfahren machten große Mengen gleicher
Qualität, aber die zähe Schneidfähigkeit des teuem „ Garb-
stachels ** fehlte.^ Die skrupellosen deutschen Marken&lscher
wußten auch alle Formen, die oft fllr jeden Kreis anders
beliebt wurden. Aber trotz vieler Ausreißer, die das Zunft-
geheimnis verrieten, blieb der Stock der „Meister und Knechte"
ziemlich unverändert im Handwerk.
Die Murbodener Kirchenbücher seit dem Ende des
17. Jahrhunderts bis heute weisen die alten Namen, die
Helml, Pieslinger, Blumauer, Rettenpacher, Pammer, Schröcken-
fux, Moser, Steinhuber, Fürst, Zeilinger, Weinmeister, Grün-
auer, Hiezenberger, Hillebrand, Stegmüller, Kaltenbrunner,
Koller, Kirchwäger, Kerschbaumer, Rapperger etc.
Von diesen Eingewanderten ^ meldet die nun auch schon
unleserliche Gedenktafel meines Ururgroßvaters Wolf Hille-
brand am Forcherhammerhaus in Möschitzgraben, 1750 von
Adam Piesslinjier, Kaspar Zeilinger, Paul Rettenbacher. Die ge-
nealogischen Daten der Sensenschmiede verdanke ich aber
zum größten Teile dem oberösterreichischen Genealogen Herrn
Franz Schröckenfux in Windischgarsten. Die Meister kamen
durch Kauf oder Einheirat in den Murboden und nannten
sich nach den Zeichen.^ So heiratete „der Feinhalbmond
die Sonne".
In allen Ländern hielten sich die Schmiede für was
besseres und zwar von den ältesten Zeiten bis heute. ^ Dieser
^ Um Schneide, Elastizität, Zähigkeit zu erzielen, mischten sie
härteren und weicheren Stahl oder Schmiedeeisen, wie die Damasceuer
und Javaner, raffinierten diese wie einst die Zentralasiaten. Beck,
L, S. 148.
« Von der die Russen bei den polnischen Revolutionen gründliche
Proben verkosteten.
3 Kraus, «Eherne Mark".
* Wie die Geschlechter in Schwaben nach den Wappen — die
Vetter v. d. Lilie in Donauwörth, die Vetter vom Pantherthier in Augs-
burg, die Escher vom Lux in Zürich, etc.
I » Beck L, 565, gibt die Schmiedeordnung der römischen Kaiser
um 390 n. Ch. Darin verlangt Nr. 4 die sorgfältige Auswahl zur Zunft,
72 Die alten Handelsbeziehungen des Miirbodens mit dem Auslande.
Korpsgeist zeigte sich in allem, sogar in einer eigenen „Seng-
schmiedprozession" in St. Peter, wo sie sich nicht hinter die
Bauemfahnen (zu Frohnleichnam) begaben.
Das Inventar nach Bartlmä Helml, Zeichen Sonne 1750,
nennt als „Handelsfreyhdt" die heute noch bjBstehenden
Frankfurterfirmen J. A. Zickwolf, Passavant & Sohn, Zug-'
schwerdt, dann Frau Zäsel Sohn in Basel, 1773 noch Krach-
mann & Petecker in Nürnberg, Viering & Lutz in Speier etc. *
In späteren Jahren ging der russische Export über
Brody durch Hausner & Violand und erst mit Anfang des
19. Jahrhunderts kamen die Kaufleute aus Rylsk — die
Filimonoffs und mehrere andere mit ihren eigenen Wagen
und jüdischen Dolmetschern zum Einkauf.
Durch drei Generationeti kamen diese Versorger Sibiriens
als gute Freunde und blieben stets der weiten Reise ent-
sprechend lang, mit schönen Geschenken und bis in die
neuere Zeit ohne Preisvorschriften ! Allmählig wurden auch
die orthodoxen Russen und Juden von der Kultur beleckt,
was besagt, Verlust der guten alten Eigenschaften und An-
erziehung moderner, weniger schöner Handelspraktiken. Das
Sensengeschäft wurde modernisiert. Billige Massenproduktion
mit viel Mühe und weniger Gewinn, verursacht durch die
seit Jahrhunderten herrschende Unmöglichkeit, die Gewerken
zu vereinen, erschwert ein Handwerk in größeren Rahmen
zu bringen, das nur durch die konservativ bleibenden „Seng-
schmidknecht" möglich ist, bekriegt durch ausländische
Marken-Fälscher, Zollerhöhungen und andere Scherze: das
ist der Rückblick auf die 200 Jahre, seit die ersten Ober-
österreicher ihre Sensen selbst am Breithammer breiteten.
Bei der heutigen unerquicklichen Lage lesen sich alte Hammer-
erinnerungen als wahre Romane.
Im ganzen Murboden gibt es nur noch vier Sensen-
werke von den einstigen gleichzeitigen neun Sensenschmied-
familien. Die heutige Firma Foest und Fischer, die Firma-
nachfolgerin der Wittgensteinschen Konzentration in Juden-
burg, erzeugt täglich rund 4000 Stück, also 20 Tagwerk, die
Nr. 6 de fabricensibus unterstellt sie nur dem obersten Gerichte des
Oberhofkanzlers. Sie hatten schon den Lehrbrief. Beck 881—83 be-
tont die besonderen Gerechtsamen und daß in den deutschen Zünften
bis zum 16. Jahrhundert der Schmied ehrlicher Geburt, von ehrlichen
Eltern, aber nicht aus neun besonders angeführten unehrbaren Berufen
stammen mußte. Beck II., 420, Zunft Nürnberg 1298.
• Nach Beck II., 424, hauptsächlich nach Spanien wohl mit
dem Umweg über den uralten Handelsweg Wels-Marseille.
Von Franz Forcher von Ainbach. 73
in alten Zeiten 20 auseinander liegende Werke ernährt hätten,
Leopold Zeilinger in Eppenstein 1000, Franz Zeilinger,
Knittelfeld 1000, Franz Wertheim in Wasserleit 800 Stücke
— aber zur Schande für das norische Eisen der Geschichte
und der Poesie — aus schwedischem Stahl, der verar-
beitet, wieder zum kleinen Teil an die schwedische Grenze
Rußlands zurückwandert, und in Judenburg aus böhmischen
Werken.
Den alten Gesetzen des Kampfes ums Dasein konnte
sich auch die steirische Sensenindustrie nicht mehr entziehen,
und die Folgen waren für die abgelegenen Gräben, wie
Möschitzgraben und andere, sehr einschneidend.
Alle Werke, Stahl- und Sensenhämmer. hatten ihre
eigene Landwirtschaft, deren Produkte in der alten Natural-
wirtschaft als Lohn hauptsächlich verwertet wurden. Die
Geldbezüge waren minimal.
Beim allgemeinen Hang des bayrischen Stammes zum
Wohlleben wurde die leibliche Stärkung zum förddichen
Lebenszweck ausgebildet. Die beobachtete Kleinheit der
Knödel oder die dunkle Färbung wegen schlechteren Mehls,
erzeugte förmliche Aufstände, die durch Kraftworte eingeleitet,
das Umstürzen der großen Suppenschüssel sammt den bomben-
artigen, beanständeten Knödeln über das Haupt der verdäch-
tigten „Kucheldirn'* veranlaßten. Die Beschwerden beim
„Herrn und der Frau" fanden dann wieder durch die ge-
bührenden althergebrachten Knödel der Normalqualität, ihre
Erledigung.
In jedem Werke, wo überall die ■ Schmiede „auf der
Kost" waren, gab es geheiligte Vorschriften des täglichen
Speisezettels, von denen nicht abgewichen werden durfte.
Was ein Murbodener Hammerschmied leisten konnte, erfüllt
wahrlich jeden Dyspeptiker der Neuzeit mit Bewunderung.
Nicht weniger aber das Anpassungsvermögen, daß eine
Generation ohne Schaden soviel essen konnte und die
heutige mit so wenig auskommen muß, um nicht zu er-
kranken und doch das rauhere Klima aushalten soll. Frei-
lich die roten Wangen sind dahin! Die kraftstrotzenden
Gestalten haben hageren Bleichgesichtern das Feld überlassen.
Die Menüs der Ainbacher Hammerschmiede, die bis
in die 1860er Jahre eingehalten werden mußten, liegen
noch in einer Hausordnung vom Anfang des 19. Jahr-
hunderts vor.
74 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Das Diner am Neujahrstag und allen hohen Festtagen
dauerte von 11 bis 5 Uhr und hatte als Teil des Lohnes
zu bestehen aus:
1. Brodsuppe mit Fleischghack,
2. Brustkern mit Krenn,
3. saures Kraut mit Selchfleiseh oder Würsten,
4. kälbernes Bratel mit Krautsalat,
5. Eingemachtes,
6. Lungenkoch,
7. schweinernes Bratl mit Triät,
8. Reissuppe.
9. 1 Butterkrapfen.
10. 1 Germkrapfeii, beide mit Weinbeer.
Getränke :
bis zum Fleisch jede Person (männlich) eine Maß Bier, her-
nach jeder 8 Seitel Wein mit Weißbrot.
Zu Ostern mußte aber dies kleine Essen noch mit einer
Schüssel Weichtleisch und je 5 Eiern aufgebessert werden!
Am heiligen Dreikönigstagvorabend wurde noch die
„Berchtelmilch" gereicht, der letzte der uralten Gebräuche.
In jedem Werke waren andere Vorschriften, in Ainbach
folgte aber dem Festtagsmahle die Defiliercour. Alle Tisch-
pfenossen erschienen nach dem Range eingeteilt, zuerst die
Schmiede, dann die Bauemknechte, dann die Küchenmägde,
endlich die anderen Mägde zum Handkuß bei der Gewerkin,
wobei diese durch kurze Worte Lob und Tadel dem einzelnen
andeutete, die mehr wirkten als lange Standreden an anderem
Ort. Neben den quasi Eßberechtigten war noch immer ein
Tisch für Geladene, denen eine Wohltat erwiesen werden sollte.
Für den Magenkultus der Schmiede wurde fast alles
im Hause gezogen, Ainbach besaß für den „Leutwein" noch
eigene Weingärten in Sandberg bei Mureck.
Die Gewerken selbst huldigten ähnlichen aber viel raf-
finierteren Tafelfreuden, ihre Produkte der Landwirtschaft
waren fast wertlos und mangels Verkehrswegen nicht ren-
tabel in Geld umzusetzen.
Der Verkehr mit den Reichsdeutschen bildete den Ge-
schmack am Luxus, von dem die alten Häuser und ihre
Inventare sprechen. Der Nachlaß und die Aussteuer der
Töchter Simon Stegmüllers in Hopfgarten 1760 war fürstlich.
Der verdiente Genealoge v. Beck-Widmannstetter sammelte
diverse solcher Daten, da mir aber sein literarischer Nach-
laß nicht zugänglich ist, ich weiß gar nicht, wer ihn hat.
Von Franz Forcher von Ainbach. 75
^ kann ich hier davon keinen Gebrauch machen, um so mehr
ich von meinen ihm gegebenen Nachrichten keine Kopie
besitze.
;^ Seit dem 15. Jahrhundert gab die eigene Tüchtigkeit,
der Besitz, die Macht in ihrem Umkreise, den Gewerken
r*- ohne Unterschied eine Fülle Standesbewuötsein, die sich,
in roherer Weise äußernd, auch ihren Hammerknechten
^ mitteilte. Der eine Hammerherr kaufte sich den Adel, der
Knecht prunkte vor den Bauern, beide protzten, jeder in
seiner Art.
Der Hammerherr war gegen Leute, die nicht aus seiner
Kaste waren, mögen sie noch so hoch gestellt gewesen sein,
*^ sehr reserviert und ablehnend. Der „Sengschmidknecht" im
^ Möschitzgraben rief dem Wirt zu — gib Wein her, i muaß
n Tisch awaschen, es is a Gscheerter (Bauer) dagsessen!
In der Blütezeit der 1840 er Jahre hat aber ein Fremder
sich für die geringschätzige Behandlung auf so witzige Weise
gerächt, daß dieser Scherz hier verdient, verewigt zu werden.
m, Die vielen andern Witze, die eine reiche und arglose, nicht-
giftige Zeit hervorbrachte, würden ein Heft füllen.
* Der in Kärnten einst berühmte Gewerke Franz von
Rosthorn, der Besitzer von Wolfsberg, kam in Obersteier in
eine Versammlung von Gewerken aller Art, worunter sich
auch ein hoher Herr befand, * der aus sehr praktischen
Gründen selbst Gewerke wurde und dabei seine Geschäfts-
gewandtheit zeigte. Über die Achsel angesehen, bemerkte
Rosthorn: „Mir scheint, meine Herren, das ist der Ort, wo
man die berühmte Inschrift fand." Der hohe Herr frug: „Was
:^ ist das für eine?" Sie lautet:
V. E. V. S. V. G. V. F. Deren Lesung Rosthorn gab
^ „Viel Eisen, Viel Schlegel, Viel Gwerken, Viel Flegel!"
und sich schleunigst von dannen zog. Es gab kaum einen
' Sport, den die alten Hammerherm nicht betrieben hätten,
^ fast jeder hielt sich einen Hofnarren, der die manchmal sehr
derben Witze aushalten mußte. Die Gastfreundschaft wurde
" von allen großartig geübt und von den undankbarsten Schma-
^ rotzern aller Stände weidlich ausgenützt. Ich kenne sogar zwei
Fälle, wo Besucher — einzelne Herren, auf acht Tage kamen
und faktisch 40 Jahre bis zu ihrem Tode zu Gaste blieben.
Während diese mittelalterlichen Sitten und Gebräuche
^ im Murboden weiter herrschten, schufen emsige sparsame
( 1 Bekannte Tatsache, die vielen älteren Leuten noch in Er-
innerung ist.
76 Die alten Handelsbeziehungen des Miirbodens mit dem Auslande.
Markenfälscher mit österreichischen Arbeitern neue Werke in
Deutschland, und entsandten durch schöne Ausstattung den
Steirem ihre sich höchst rentierenden Absatzgebiete. Die
Eisenbahnen wuchsen ins Riesenhafte, die Naturalwirtschaft
kam durch den erleichterten Absatz außer Kurs, der Kinder-
reichtum zersplitterte die Vermögen der Arbeitgeber, die
Schmiede verlangten Bargeld und keine Festessen mehr, denn
sie begannen zu heiraten, das nur den Vorarbeitern wie den
Eßmeistern und Hammerschmieden gerne gewährt wurde. Die
kurzsichtige Eifersüchtelei der Gewerken verteuerte gegen-
seitig Löhne und Holzkohlen, kurz die neue Zeit brach mit
Macht herein. Ein Großteil der Gewerken konnte den Über-
gang vom mittelalterlichen Handwerk zur modernen Fabrik
nicht begreifen oder nicht durchführen oder nicht aushalten,
denn an hohen Verdienst und noble Lebensauffassung gewohnt,
war es den Meisten schwer, erst kleinlich sparen zu lernen
und die Einkaufspreise zu drücken. Genau dieselbe bittere
Zeit der Umwandlung hatten die „Messerer" in Sheffield und
in Westphalen schon Jahrzehnte früher durchkosten müssen, war
das Handwerk dort ja auch von den keltischen Schmieden,
mitsamt ihren uralten Gebräuchen, nach Norden verpflanzt
worden, deren Wiege von Babylon nach Kreta via Ägypten
und dann nach Mittelmeereuropa übertragen wurde. ^
Unter dem Drucke der unerbittlichen Konkurrenz wurde
der Schmied vom Kaufeaann besiegt.*-* Einst brachte der
Russe Zobelpelze und bat um Sensen, deren Preis der Ge-
werke fixierte, wofür nur neue Banknoten in sofortige Zah-
lung genommen wurden, jetzt reist der Gewerke in Rußland,
erhält ein Drittel des alten Preises bei teureren Gestehungs-
kosten und kann zwölf Monate auf sein Geld warten, wenn
er es überhaupt bekommt.
200 Jahre solcher Veränderungen mußten die Werke
dezimieren, und folgende Anlagen im Murboden sind buch-
stäblich von der Erde verschwunden.
1. Ainbach, Wälschhammer, Streckhammer.
2. Sachendorf, Wälschhammer und Sensen werk.
3. Paßhammer, Pfannhammer und Sensenwerk.
4. Hammerberg, Wälschhammer.
5. Hopfgarten, Sensenwerk.
6 — 8. Möschitzgraben bei St. Peter, 3 Sensenhämmer.
• Die Schneide aus ausgesucht gemischtem Stahl, den Rücken
aus Eisen zu schmieden.
* Der Umsatz mußte erhöht, die Regie verkleinert werden.
Von Franz Forcher von Ainbach. 77
9. ßothenthum, Sensenhammer, Gußstahlwerk.
Im Betriebe befindet sich kein Hammerwerk mehr,
wohl aber die Sensenwerke der
1. Wittgenstein' sehen Konzentration in Judenburg.
2. Franz Zeilinger in Knittelfeld und Schattenberg.
3. Leopold Zeilinger in Eppenstein mit den zwei Ob-
dacher Werken und dem Forcherhammer in Eppenstein.
4. Franz Wertheim in Wasserleit.
Die angegel)enen Gründe erklären zur Genüge, warum
•die alten Hämmer und viele Sensenwerke verschwinden
mußten und daß nicht die Gastfreundschaft gegen zahllose
Schmarotzer die Hauptursache gewesen ist, wie gerade diese
Dankbaren am meisten hervorhoben.
Durch die außerordentliche Sparsamkeit und Einteilung
der Hausfrauen, den berühmten alten Gewerkinnen, die ihren
Mägdetroß durch 18 Stunden im Tage in Atem hielten,
wurde wieder viel Bargeld erspart, was damals hoch zählte.
Johanna v. Forcher war die letzte alten Stiles, als sie 1861
als dreißigjährige Witwe mit eilf Kindern die Hämmer über-
nahm. Die kulturelle Bedeutung der Gewerkinnen besagt ganz
richtig Kraus Eherne Mark I., Seite 104 und 106.
Beim Kampf ums Dasein, wo der Große den Kleinen frißt,
hatten auch viele mit besonderem Ungemach zu kämpfen,
während der geniale Neuerer Franz Mayr der jüngere, der
erste Baron, der die Kunst besaß, auch im kleinen groß zu
bleiben, bei der Wahl seiner Mitarbeiter und vielen Zufällen
in späterer Zeit von beispiellosem Glücke begünstigt wurde.
Er stürmte von Erfolg zu Erfolg, während viele alte Gewerke
den Einbruch der neuen Zeit verschliefen.
Da kam noch des Thomas Gilchrist Verfahren, phos-
phorhältige Erze nützlich zu verwenden, um Steiermark
indirekt zu schädigen; früher schützten reine Erze, hohe
Frachten, gute Qualität, nun diktiert die Billigkeit, und die
Hammerwerke sind für immer beseitigt. Einst war der Ge-
werke der Großunternehmer und Bankier seiner nächsten
Umgebung, meistens handelte er mit allem, was Gewinn ver-
sprach, und sein reicher Verdienst kam dem Lande zugute.
Heute verzehrt der konfessionslose Aktionär seine Dividenden
in der Feme, die Bauern bekommen keine Vorschüsse mehr,
die Kirchen keine prunkvollen Opfergeräte mit Goldemail,'
« Mathias und Kosina Hillebrand spenden der Kirche Kotten-
mann laut Inschrift 1766 die 11 «/j Pfund schwere silberne Monstranze,
vergoldet, mit Steinen, die nebst dem Kelche, mit ihrem schönen Gold-
78 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
die den Goldschmieden schweres Geld einbrachten, die einst
splendiden Paten und modernen Jagdherren bevorzugen nun
auswärtige Gewerbsleute, kurz, aus dem patriarchalischen Leben
wurde ein sehr rauhes, unpersönliches, das sich nur im Eufe
„Gib" äußert.
Kraus hat in der „Ehernen Mark" ein sehr richtiges
Wort gemünzt „den Hammeradel". ^
Er steht durch Zahl der Familien, die große kulturelle
Pedeutung durch Jahrhunderte für das Land e i n z i g da. Mir
sind nur drei Familien außer Kärnten, Steiermark und Ober-
österreich bekannt, die ohne Fideikommissen sich durch
Jahrhunderte in einem bürgerlichen Geschäfte erhielten.
Münichsdorfer, Geschichte des Hüttenberger Erzberges
1870, enthält die Stanmibäume der alten Gewerkenfamilie
Rauscher 1529 bis 1890 der Aktiengründung, der nunmehrigen
Grafen Christallnigg 1605 bis 1870 und der ihnen verschwä-
gerten Lattacher von Zossenegg, zirka 1550 bis 1679.
Alle anderen Gewerken, wie die Weitmoser in Gastein,
die Enzenberg in Tirol und ähnliche Familien sind meistens
rasch aus dem Handwerk verschwunden, von denen unter
allen wohl die Fuger, Füger und Hochstetter in ihrer
Blüte ihren Reichtum hauptsächlich den Edelmetallen ver-
danken.
Den alten „Sengschmiedinnungen" ähnlich sind die ade-
ligen Erbsälzer der Saline Werl in Westphalen. Sie sollen
schon zu Karls des Großen Zeiten Salz gesotten haben. Die
älteste Urkunde stammt von 1246, in der Erzbischof Konrad IL
den Erbsälzern*^ ihr Privilegium bestätigt. Seit 1852 wird
gemeinschaftlich die Saline Werl und Neuwerk betrieben,
jeder männliche Deszendent wird mit 14 Jahren als mino-
rener Erbsälzer aufgeschworen, mit 24 Jahren als majorener
vereidet, dessen sämtliche Rechte aber mit seinem Tode
erlöschen.
email ein treffliches Zeugnis für ihren hohen Geschmack und Splendi-
dität der Nachwelt offenbaren. Deo eucharisteo Mathias Hillebrand et
Rosine Adamin conjuges hoc pietatis suae curarunt monumentum
fieri 1766.
* Seite 77 und leider sehr unvollständige und zum Teil irrige
Fortsetzung.
2 Gütige Mitteilung der Herren Sälzeroberst von Papen-Koe-
ningen und Salinendirektor du Comu, ferner Herr Max v. Spiessen in
Münster in W., dann Leibertz in Werl, „Gewohnheitsrechte des Her-
zogtums Westphalen".
Von Franz Forcher von Ainbach. 79
Einst stellten zwölf adelige Familien die Erbsälzer, von
denen nur noch die Familien von Papen und von Lilien mit
35 Mann übrig geblieben sind.
Die dritte Familie betrifft die berühmten Strozzi in
Florenz, die heutigen Herzöge von Forano und Bagnolo.
Die Cerreria Strozzi am Domplatz in Florenz war nicht, wie
behauptet wird, die Quelle des älteren Wohlstandes des be-
rühmten Strozzi,^ aber die Wachszieherei führt heute noch
den Namen. Am 4. Dezember 1671 erhielt der Venezianer
Camillo Suardi die Konzession, welche er 1678 an Karl
Thomas Strozzi zedierte. Weitere Privilegien der Medici
zieren das Geschäftslokal. 1679 an den Senator Alexander
Strozzi, 1704 an dessen Sohn Karl, 1759 an die Kompanie
Alessandro Strozzi mit seinen zwei Verwandten Uguccioni,
1775 wieder an Alexander Strozzi allein, 1782 der Senator
Giovanni Uguccioni, Erbe des Pier F. Uguccioni, 1835
der Sohn Tomaso Uguccioni - Gherardi, 1875 die Tochter
Marianne, 1 905 Luigi und Tommaso Roselli del Turco, deren
Söhne.
Die Strozzi betrieben also die Wachszieherei nur von
1678 — 1782, vererbten aber das Geschäft und die alte Firma
an ihre Verwandten, die noch in ihren historischen Palästen
wohnen, die als Sehenswürdigkeiten benannt werden.
Der Hammeradel verdient der Vergessenheit entrissen
zu werden, nachdem er jedenfalls für Steiermark und das
weitere Vaterland mehr geleistet hat, als manche später
Ausgezeichnete.
Der Hammeradel brachte in den verflossenen Jahrhun-
derten Hunderte von Millionen ausländischen Goldes ins Land,
er versorgte Generationen von fleißigen Arbeitern mit wohl-
bezahlter Arbeit und Zufriedenheit, und der Titel k. k. Kammer-
gutsbeförderer war kein leerer, da die Hammerherren die
Goldmacher der Landesherren waren. ^ Besagt doch Christian
Sulzbacher, später von Sulzberg, im Adelsgesuch 1670, er
habe in zwölf Jahren 50.000 fl., nach heutigem Gelde
500.000 Kronen, an die kaiserliche Maut abgeliefert. Sein
Vater Max aber in 40 Jahren als Radmeister in Vordern-
berg, Hammerherr in Fächern (Oberwölz) und ßoheisen-
verleger in Leoben 300.000 fl., also 3 Millionen Kronen an
Gefällen geleistet. Sicher hat kein Gutsherr oder irgendein
1 Irrige Angabe des Abbate Dr. Senes, 74 Via Ghlbellina, Florenz.
« Hist. Landeskommission f. Steiermark, 1902, Dr. v. Pantz.
80 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande. i
>
anderes Geschäft je solche ständige Abgaben geliefert, die
allen zugute kamen. ^
Dabei hatte der Hammeradel in fttnf Jahrhunderten ,
die Unwürde, * die vielen Pestjahre, die 20 Türkeneinfälle,
die Ungameinfälle, die außerordentlich schädigende Prote-
stantenvertreibung, den 30jährigen Krieg und alle anderen
folgenden, am eigenen Leibe und auch bei ihren aus-
ländischen Abnehmern zu verspüren.
All dies Ungemach prallte an diesen kleinen Königen
ab, die als echte Aristokraten oft nichts lernten und nichts
vergaßen und erst den Erfindungen des 19. Jahrhunderts
und der modernen, sehr dehnbaren Geschäftsmoral unter- '
liegen mußten. Zur Erinnerung erhob ich die positiven Daten '
über die einzelnen Werke, die ich nach dem Gründungsalter ,
anführe. Die Genealogie der Gewerkenfamilien folgt, soweit ♦
Daten bisnun zu erlangen waren. Das war allerdings der
dornenvollste Teil der Erhebungen.
Leider konnte man da selten in wohlassortierten, ge- ,
heizten Archiven arbeiten, sondern mußte unglaubliche Räume j
benützen, deren bösester wohl der Krautkeller des Herrn
Dekan in Thaur bei Hall in Tirol war, den mir die gestrenge |
„Widumshäuserin" zum Studium der Kirchenbücher aus dem
16. Jahrhundert in den 1870er Jahren huldvollst zuwies.
Eine speziell südösterreichische Unart zwang alles persönlich
zu ergründen, indem oft sogenannte Gebildete nicht zu be- i
wegen sind, in vorgeschriebenen Antwortkarten auch nur I
eine Jahreszahl einzusetzen.
Die Nachrichten werden wohl immer lückenhaft bleiben,
aber immerhin sind die Filiations-Beweise bis ins 14. und |
15. Jahrhundert tadellos bei den Familien Forcher von •
Ainbach, Fraydt von Fraydenegg und Hillebrand. ^
Vom Hammeradel war die Ennsthaler Familie v. Pantz
von 1487 bis 1868 am längsten im Eisenwesen, sei es als |
Hammerherren oder Beamte. Sie hatte aber nichts mit dem 1
Murboden zu tun, man holte von ihr oft die Hammermeister.
Die Genealogie der Oberösterreicher Sensengewerken i
verdanke ich zum größten Teile Herrn Franz Schröckenfux, ]
« Das Eisenwesen hat wie kein Geschäft immerdar von der
Konjunktur abgehangen. Beck II, 615 behandelt besonders die guten I
Jahre und die lange Stockung im 17. Jahrhundert, die „Würde und i
Unwürde'* des Eisens hießen.
« Der Stammbaum der Familien Forcher und Hillebrand ist
seltenerweise noch in Porträts bis 1682, illustriert, in Sachendorf vereint. j
*f
Von Franz Forcher von Ainbach. 81
Bürgermeister in Windischgarsten, der eine ausführliche
Geschichte der Sensenindustrie zum Drucke vorbereitet.
Er war in der glücklichen Lage, bei den vielen streng
konservativen Ursensenschmiedfamilien in 72 Kirchen und
Archiven Erhebungen pflegen zu können. Die älteren Matriken,
die in Steiermark fehlen, die über Jahrhunderte reichenden
Innungsprotokolle und der Zusammenhalt der Oberösterreicher
gaben ihm Material, ein wirklich nicht, dagewesenes Nach-
schlagebuch zu verfassen, welchen Zweck diese Studie für
den Murboden zum Teile erfüllen soll.
Zum Vergleich der analogen Vorgänge in Westfalen*
ist es hier am Platze, die Daten aus Alfons Thun, Leipzig
1879, „Die Industrie am Niederrhein", Seite 8 und 113, zu
zitieren. Die Kunst der Klingenschmiede kam aus Stadt Steyer
(und nicht der Steiermark) an den Rhein. Der dortigen
Einwanderung 1153 73 folgte eine zweite Invasion
steyerscher Schmiede 1190.' Schon 1240 waren bei der
Hansa die Kronenberger weißen Sensen und Futterklingen
berühmt. Die Eisengewinnung am Ehein begann aber schon
vor der Einwanderung der Deutschen, vermutlich durch die
l Kelten, wie die alten Halden bezeugen; die gefährlichste
und dritte Invasion ruinierte den steyersehen Absatz,
indem der märkische Gefangene Eöntgen in den steyersehen
Werken die Erzeugung der schwarzen Sensen und deren
Markenfälschung lernte. Diese nicht geschlififene, hier graue
Kärntner, Tiroler oder Brescianer Ware (Käfersensen), war
scharf gehämmert, daher sehr widerstandsfähig, im glühenden
Sand gebläut und von viel besserer Qualität als die häufig
; am Schleifstein verbrannten und wieder weich gemachten
geschliffenen weißen Sensen. 1772 erzeugte Eöntgens Bruder
9 die ersten schwarzen Sensen im Hammerwerke Gottlieb
Hallbach bei Müngsten und damit war der treffliche Absatz
der Alpen am Niederrhein verloren.
ii Die rheinischen Sensenschmiede hatten untereinander
ganz dieselben Kämpfe, wobei die Markenstreitigkeiten nicht
' die geringsten waren, aber die steyersehen Meister hatten den
Vorteil, ihre Arbeiter anständig zu behandeln und ordent-
^ lieh zu entlohnen, während die Westfalen im grausamsten
Trucksystem den Wucher in der schmählichsten Form des
1 Hier wie dort war zuerst das Eisenschmelzen eine Neben-
► industrie der hauptsächlich Wald- und Viehwirtschaft treibenden Bauern,
und hier und in Schmalkalden gab es deutsche Hämmer, die auch
später den zehnfach mehr produzierenden Einrichtungen weichen mußten.
- Beckh I 848. — Durch Kaiser Friedrich Barbarossa.
>
^
WtUfü'^^'^^K^KUm^mmHt/KMKt^tltiftKM^jm^. —.rnrnfm^^tm^* • ■•- • ■ «m .-. . ^ ■
82 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
^
~f
I
4 1
j
Aufdrängens von teurem Schnaps und Waren bei den ^
Arbeitern ausübten.
Zur Zeit der Faustschmiede im 15. Jahrhundert war *''*
genau dieselbe Arbeitseinteilung in Steyer wie in Passau und €.
Solingen, die Schwerter und Messer vollendeten die Klingen-
schmiede, die Schleifer und Messerer. ^
Die Bruderschaften der Härter und Schleifer tauchen
in Solingen 1401 auf, die Schwertfeger 1412, die Schwert-
schmiede 1472. * 1
Der Verbleibungseid sollte zur Sicherung dienen, ein
Schwertschmied durfte nur vier- Schwerter, ein Messerschmied
nur zehn Stechmesser richtig und gut per Tag schmieden.
Im 16. Jahrhundert kamen die Berger und Märker von der
Faustschmiede zum Reckhammer und mit dem Breithammer
am Wasserbetrieb schmiedete man das ftlnffache. Da be-
gannen die Lohnkämpfe und mit den neuen Erfindungen um
1850 verschwanden die aristokratischen Schwertarbeit^r v^
durch die Einführung der Klingenwalzen.
Das älteste Privileg der Sensenschmiede und Schleifer ^
erhielten am 15. Juli 1600 die Ämter Eberfeld, Beyerburg >
Burg, Bornefeld mit dem Hauptsitz in Kronenberg. Die da-
malige Meisterzahl war beschränkt. Niemand durfte aus-
wandern, es herrschte Zeichenzwang und erbliche Zunft.
1759 waren im Kirchspiel Kronenberg sieben Sensenschmieden,
1770 schon eine fünfundzwanzigmal größere Produktion in
der Mark als in Berg.
Schließlich räumte die Gewerbefreiheit, Freihandel
und äußerst laxe Moral alles Alte hinweg, aber immer noch ^ i
blieb der Speisezettel der Solinger ein Fastenmenü eines
Bettelordens gegenüber den protzenden Kollegen in der ^ i
steyerschen Urheimat.'-^ \
1 Beck II 424, Solingersensen, II 758, 1551, Ordnung Nassauer \
Sensenschmiede. >•
2 Dr. Ehrenberg (Seite 1), erwähnt noch, daß erst 1450 der j
Kleingewerbsbetrieb allmählich erweitert wurde, von 1860—1900 Puddeln >'
und Bessemerprozeß nebeneinander gingen, bis 1863 — 73 das Puddeln ^
tiberwiegte, das allmählich ganz unterlag. Beim Bessemern wuchsen die V
Dimensionen und da begann die Umformung des rohen Muskel- i
menschen zum denkenden Nervenbündel, das mit dem ge- q
ringsten Aufwände die größten Mengen erzeugte. Lange noch wurde die i
Qualität überwacht und das Votum variiert, das am 24. März 1621 die ^»
Sensen- und Hackenschmiede zu Judenburg beauftragte, das Hausieren
mit „Khanierisch und Hüttenbergerzeug" zu kontrollieren, da doch nur ^
Vordernberg gewidmet war.
iL. 1
Von Franz Forcher von Ainbach. 83
Heute überschwemmt der Niederrhein die ganze Welt
mit seinen erstaunlich billigen Produkten, freilich billig aber
schlecht. Aber niemand, höchstens die Japaner, können mit
ihnen konkurieren.
Bezüglich Oberösterreich sagt A. Thun, daß die
Klingenschmiede in Raming-Dambach schon 1373 eine
Ordnung, 1462 die Messerer in Steinbach eine solche er-
hielten und daß Venedig schon 1410 mit Kirchdorf in
Handelsverbindung stand.
Herr Schröckenfux berichtet über Oberösterreich
gleichfalls, daß die Klingenschmiede aus den Zeugschmieden
an der ßömerstraße entstanden und deren Arbeitsteilung
erst mit dem zunehmenden Bedürfnisse sich vollzog. All-
mählig schlössen sich die Innungen zusammen, die Waid-
hofener Sensenschmiede erhielten ihre erste Zunftordnung
1449, neun Freistädtern bestätigte 1502 die Stadt ihre
Zunftartikel, während die Brucker erst am 6. April 1503
von Kaiser Max die erste Freiheit bekamen. Die Kirchdorf-
Michldorfer Handwerk sregeln von Kaiser Rudolf II, wurden
1595 als Abschrift der Waidhofener Regeln vom Dechant
in Spital ausführlich bezeichnet. Der Faustschmiedmeister
durfte nur täglich 13 bis 25 Sensen vollenden, der Breit-
hammer 1585 schlug schon 60 bis 70 Stück und die alten
Ordnungen mußten entsprechend geändert werden.
Die Waidhofener Sensenschmiede benützten aber bei dieser
Gelegenheit die Arglosigkeit der Behörden, als bei jedem Regie-
rungswechsel die alten Freiheiten neu bestätigt wer-
den mußten, sie verschwiegen die beschränkte Tages-
produktion der Stückzahl und die darauf vorgeschriebenen
Strafen, wodurch straflos 100 und mehr Sensen täglich
erzeugt wurden und die Neuzeit der Massenerzeugung be-
gann, gegen die die Klagen vergeblich waren und von den
Konkurrenten der anderen Hämmer rasch eingeführt werden
mußten. Der Bedarf wuchs, der Kundenkreis nicht minder
und die überzähligen Meistersöhne mit ihrem Anhang
wanderten vorwiegend in die Alpen, nahe zu Eisen, Holzkohle
und Wasser. Thüringen, Schlesien, Bayern. Ja 1612 wurde
von zwei Michldorfer Meistern Polen besiedelt, die wieder
teilweise zurückwandern mußten.
Die in den Türkenkriegen verödeten Hainfelder Hämmer
haben Michldorfer 1679, 1680 neu aufgerichtet, aber 1785
erst hat Kaiser Josef das Alte aufgeräumt.
6*
84 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
H
Nachdem in den vier Eisenzünften auch die Hackenschmiede ^
Sensen und Strohmesser erzeugen durften, entstanden abermals ^
neue Werke, das Tagwerk wurde vergrößert, aber zugleich
begann das Markenfälschen der deutschen Brüder in Bayern, ^
Baden, Württemberg und Westfalen, wodurch neue Absatz-
quellen gesucht werden mußten^ da die hochrentierenden "*
deutschen Abnehmer verloren waren und blieben. . ,
1830 nennt Herr Schröckenfux für Steiermark
41 Hämmer, denen bis 1880 * neun zuwuchsen, die aus auf- ^
gelassenen Stahl- und Pfannhämmern errichtet wurden.
Ehrenwerth, „Kulturbilder" 1890, nennt noch 22 Werke,
in denen 1010 Arbeiter 2*887.000 Stück erzeugten, nachdem ^
schon die Konzentration begann.
Der Größe der Erzeugung nach waren 1890: Konrad )
von Forcher, Judenburg; Isidor Trauzl, Kindberg; Paul
Aigners Erben, Mürzzuschlag ; Franz Zeilinger, Knittelfeld; ^
Leopold Zeilinger, Eppenstein; Josef Schmölzer, Kindberg;
Kegina Fränkl, Spital a. S. ; Anton Fürst, Kindberg; Steier-
märkische Eskomptebank, Krennhof; Stift Admont, Klamm;
J. Liebl, Mühlau ; AUg. Bodenkreditanstalt, Arzberg ; J. Kieffer,
St. Lorenzen a. K. B. ; J. Schaffer, Breitenau; A. Hausers ^
Erben, Windischgraz; C. Greinitz Erben, Deutschfeistritz; ^
F. V. Wertheim, Wasserleit ; J. Schüler, Übelbach ; J. Steinauer,
Weitenstein; J. Stegmüller, St. Peter; J. Graf, St. Gallen;
J. Hilferding, Schwöbing
Die steirischen Innungsorte Rottenmann und Übelbach,
dann Freistadt sind rasch verschwunden und für 1906 führt j
Herr Schröckenfux in Steiermark nur noch 15 Sensen-
werke an, die folgende Firmen tragen^ : Die Wittgenstein'sche
Konzentration in Judenburg, heute Foest und Fischer;
Franz Zeilinger, Knittelfeld; Leopold Zeilinger, Eppenstein; *
K. Schmölzer, Kindberg; R. Fränkl, Spital a. S.; A. Fürst,
Kindberg; C. Grillmayer, Möderbruck; Hausers Erben,
Windischgraz; H. Kiefer, St. Lorenzen a. K. B.; J. Liebl, ^
Mühlau; Mayer und Wildenhofer, St. Gallen; J. Moser,
St. Gallen; J. Steinauer, Weitenstein; F. v. Wertheim,
Wasserleit; Zdarsky, Krennhof. i
Nur die Michldorfer-Kirchdorfer Gewerken halten noch
an den Jahrhunderte alten Satzungen des Handwerkes. Wie
Wittgenstein in Steiermark konzentrierten die Rettenbacher-
* Oberösterreich hatte 50, Nieder Österreich 30, Kärnten 10,
Krain 10, Tirol 12, Steiermark 41, totale 161 Sensenwerke.
2 In Kärnten waren 1906 noch 6, Krain 4, Oberösterreich 23,
Niederösterreich 12, Tirol 3, somit totale 63 Sensenwerke.
lA
Von Franz Forcher von Ainbach. 86
^ Blumauer, Zeitlinger-Micheldorf, Huber in Jenbach und so
erklärt sich bei erhöhter und sehr verbilligter Produktion
die Verminderung der 161 Sensenwerke anno 1830 auf
^ sage 63 anno 1906 in den ganzen österreichischen Erblanden.
Weitere Umänderungen dürften noch folgen. Steiermark hatte
^ 1830 41; 1890 22; 1906 15 Sensenwerke und naturgemäß
^ wie überall wird die Zahl sinken und die Erzeugung steigen
müssen. Die Regie dirigiert den Nerv.
K . In Steiermark ist nur mehr das geschichtliche Interesse
für die Hammerzeit in einem kleinen Kreise wach, in Ober-
^ Österreich ist es Ehrensache des Landes. Bei der Ver-
^ quickung der Stahl- und Sensenhämmer kann man die Werke
nicht sondern.
i 1624 bestanden im Viertel Murboden 12 wälsche,
4 deutsche Hämmer, ihr Vertreter gegenüber der stes
^ schröpfenden Regierung war der Obmann, später Mandatar
genannt. V^
Der damalige untere Murboden umfaßte auch die
^ Hämmer in Pols, Obdach, Scheifling, Niederwölz, der obere
Murboden Murau, Einöd, Katsch etc.
Bis zum Ende der Hammerzeit waren im heutigen
^ Murboden folgende
Werke.
Dem vermutlichen Alter ihrer Gründung reihen sie —
der Nachweis ist oft unmöglich —
A^ 1. Wasserleit. Hammer in St. Marein — Hammerdorf,
^ 2. Jahrh. n. Gh., urkundlich schon 1140.
^ 2. Ainbach, 3. Jahrh. n. Gh., urk. 1423.
^ 3. Sachendorf, altwindisch, urk. 1160 als Mühle, 1495
als „Wallischhammer".
1 Hammerakten im Schloßarchive zu Nechelheim.
* Ebendort meldet ein „Verzeichnis, was jeder Hammerherr und
Hammermeister für ein Zeichen bei seinem Hammer führt", desgleichen
auch die „Sengsen und Naglschmitt im Viertel Murboden von Vordern-
berger oder Leobner Eisen", verfaßt von Wiegeleus Freistinger, Eisen-
beschreiber zu Leoben. Leider undatiert aus 1660 — 1670 stammend.
1633 — 60 war 1 Deutschhammer, 4 »wällische neu, so das Thumbstift
Seccau ihre Freiheit erhalten", 17. Jan. 1650 vermutlich für Sachendorf??
Unter den Hammerzeichen rangieren auch 4 „Sengsenschmitt** : Leonhard
Moser in Judenburg, Kreuz, 4 Dipfel (dann Rothenthurm) ; Hans Moser,
Paßhammer, 2 Kreuz, 3 Dipfl (dann Rothenthurm); die Sonne bei V^olf,
Grienauer in St. Peter; Herr Pichler in EinÖd-Neumarkt führt „ain
Khampel" ; der Nagelschmied Adam Max Zeuß in Feistritz eine kompli-
zierte Hausmarke.
86 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande. j^
4. Paßhammer, alt, mittelalterlich, urk. 1543. ^
5. Hammer am Hammerberg, errichtet 1585. ^,
6. Hopfgarten, Sensenwerk, urk. 1651, alt. ^
7. Wasserwerk, Möschitzgraben, alt, Sensen, 1660. ^
8. Stegmüller, Möschgr., alt, Sensen. 1672.
9. Forcherwerk, Möschgr., alt, Sensen 1672. ^
10. Forcherwerk, Rothenthurm, alt, Sensen, 1677. ^
11. Zeilinger, Knittelfeld, alt, Sensen, 1716.
12. Zeilinger, Eppenstein, alt, Sensen, 1721. ^
13. Forcher, Pfannhammer, Knittelf., alt, Sensen, 1855.
14. Zeilinger, Gaal, neu, Sensen, 1859.
15. Forcher, Eppenstein, alt, Sensen, 1860. ^
Von der noch einst zum Viertel Murboden gehörigen
Werken in Obdach (den ältesten) Möderbrugg und Pols waren )
noch nicht genügende Erkundigungen möglich, die nach-
getragen werden sollen. ^
Die anderen Werke behandle ich einzeln, nenne ihre
bücherlichen Besitzerreihen, werde sie genealogisch zerlegen
und mit den bisherigen Daten möglichst genau bringen. Die >
nicht ins Handwerk gehörigen Glieder und die vielen Töchter
würden den Raum beschränken, es soll nur das Hammer- ^
wesen des Murbodens, der Hammeradel mit seiner großen *.
Vergangenheit in den verflossenen Jahrhunderten für die <
raschlebige und noch rascher vergessende Zeit festgelegt
werden.
Nr. 1. Wasserleit.
Vermutlich im 2. Jahrhundert n. Ch. bei Anlage der
Straße Virunum — Ovilabis ergab sich nahe der Eisenwurzen
die Anlage einer Zeugschmiede* in der Römerstation, dem
befestigten Lager Sabatinca. Hufbeschlag, Waffen und Werk- *
zeuge wurden immer wichtiger und diese Anlage dürfte unter-
halb der Kirche St. Marein gewesen sein. Die erste Klostergrün- |
düng 1140 wurde wegen des störenden Hammerlärmes in i
den Jahren 1142 — 1143 urkundlich nach Seckau verlegt; der
Hammerbesitzer ist unbekannt. St. Marein hieß Hammerdorf.
1404, 4. Juni, verkauft Fridrich von Stubenberg an „Gergen ^
Peleyss, Bürger in Judenburg, den Hammer, gelegen an der
Glein bey der wisen, genannt die Wassergleit". Archiv Stuben-
berg S. 98, Veröffentl. der h. L.-K. f. St., 1906.
In der Glein-Rachau war bestimmt kein Hammer, also muß '
der Glina = Feistritzbach so geheißen haben, lehmig ist er
^ Meine zwei Beiträge zu den Murbodenstudien, 1907 im Dnick. .
A Von Franz Forcher von Ainbach. 87
^ ja und an die alten Besitzer erinnert im Talgrund die Stuben-
bergeralm.
Als erster Klingenschmied erscheint 1424 Peter Siebn-
schön,^ über den nichts bekannt ist. 1463 beweist das go-
thische Deckenbild in St. Marein die Erzeugnisse ^ des Ge-
werken,'-^ Schwerter, Sensen und Zeugware. Nichts beweist,
wo geschmiedet wurde, aber ein Hochwasser veranlaßte zu
unbestimmter Zeit das Verlassen St. Mareins und die Hammer-
neuanlage in Wasserleit, die oft noch unter Hoch wässern zu
^ leiden hatte. Die Neuanlage konnte nur eine Zeugschmiede
mit Wasserbetrieb sein, und diese kaufte 1716 Franz Pam-
^ mer, Sohn des Sensenschmiedmeisters Martin und Eleonora
in Kindberg, um ein Sensenwerk zu errichten. Gestorben
16. September 1736.
♦ 1737, 17. Febr., heiratet seine zweite Witwe Susanna
geb. Steinhuber aus Rothenthurm Johann Mich, Zeitlinger,
auch Zeyrlinger geschrieben, Sohn des Sensenschmiedmeisters
^ Thomas Zeitlinger, in der Steyerling, Ober-Österreich, 1769,
17. Aug., heiratet deren Sohn Josef die Klara Moser, Tochter
*^ des Sensenschmiedmeisters Johann Michael Moser in Knittel-
feld; geb. 5. März 1750, stirbt er 25. Sept. 1804.
1805, 22. Okt., heiratet seine Witwe geb. Fehberger
^ Christoph Weinmeister, Sohn des Sensenschmiedmeisters
Gottlieb Weinmeister, in Spittal a/P., welcher den Ruf des
„Tannenbaums" erweiterte. Er stammte von den berühmten
^ „Traube".
1845, 17. Sept., schenkte er das Werk seinem Neffen
A Christoph, Sensenschmiedmeister an der Brücke in Michldorf
und kaufte 1860 den Hoferhammer dazu, der vermutlich
ein spät mittelalterlicher Zeughammer des Seckauer Stifts-
< gutes Pranck war.
1871 übernehmen nach seinem Tode die Söhne Gott-
lieb, Franz und Michael,
X 1877, 13. Sept., kauften Josef Schmölzer aus Kindberg
und Franz Freiherr v. Wertheim aus Wien,
'^ 1886 übernahm dessen Sohn Franz Edler v. Wertheim
-^ den ganzen Besitz.
1 Chronik Vinc. Sonntag, Pfarrhof St. Marein.
^ * Vielleicht der kunstsinnige Veit Pengg, der auch die Kirche
St. Marein malen ließ. Herr Schröckenfux erwähnt ihn „traditionell**
y 1480 als Besitzer des alten Hammers in der Wasserleit.
^
^
^ >
^ w
A
» Beweist doch eine Wiener Gerichtsverhandlung vom 24. Oktober
1905, daß jeder Bürger gleich dem Adel ohne weiteres zur Führung
eines Wappens berechtigt ist; eine andere Entscheidung lautet wieder
anders.
8 Kraus „Eherne Mark" war diese alte steirische Familie un-
bekannt.
88 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Genealogien.
Die oberösterreichischen Sensenschmiedmeister hat Herr
Schröckenfux für seine Heimat unerreicht ausführlich
behandelt, deren Details für Steiermark nicht mehr das
gleiche Interesse erzeugen. Erst spät regt sich das Familien-
interesse und warf dann die unsinnigen Theorien um, die
berufsmäßige Wappenfabrikanten aufgestellt haben. * Nun ist
meine einst irrige Annahme erwiesen, daß keine Eisen-
männer aus Deutschland kamen, sondern umgekehrt
alles von Steyr aus befruchtet wurde und bei ihrer Ver-
gangenheit hatten die Gewerken nicht nötig, fabelhafte Ab-
stammungen zu kreieren, denn sie bildeten ja von jeher die
Schmiedekaste in ihrem Uradel. Wie z. B. der erste Pieß-
linger vor 1570 der Schmied (Wolf) auf der Pießling (am *
Pießlingbach) hieß. 1380 wurden urkundlich schon Sensen-
schmiede in Guttau erwähnt, von 1550 bis 1585 bestanden
schon alle zweiundvierzig der Kirchdorf- Michldorfer Zunft, ^
nur sind viele der Urschmiede ausgestorben, wie z. B. die
Eggl, Rotfus, Eisvogel, Plözeneder, Roßtäuscher, Wimber, >
Imbser etc., viele andere existieren noch. Von den urkund-
lich erwiesenen Gewerken der Wasserleit gibt es Daten, der
Reihe nach aufgeführt über die ;
Parnmer.
1628 ist Veit Paumber, Zöchmeister der „ Sengschmied ^ ^
in Kindberg (Fürstenhammer), sein Sohn Hans, Sensenschmied-
meister am Schmölzerhammer. 1630 Peter und Thomas,
Sensenschmiedmeister zu Krieglach und Langenwang. Veit,
Sensenschmied, Sohn des Thomas, kommt 1684 nach Mat- *^
tighofen.
1651, Matthias, Sohn des Hacken- und Sensenschmied- ]
meisters Jakob in Reichenfels (Kärnten), wird durch Zu- ^i
heirat Sensenschmiedmeister in Hopfgarten. ^ Franz kaufte ^
1716 Wasserleit; von diesen Kindberger Nachkommen leben
noch mehrere in den Alpenländem. >
^ Von Franz Forcher von Ainbach. 89
< Zeilinger.
•^- Je nach Ort und Mode vorkommend als Zeitlinger,
Zeyringer, Zeyrlinger geschrieben.
Möglich, daß sie ursprünglich aus Hannoversch - Zei-
lingen kamen, gewiß ist aber nur, daß Katharina Zeilinger
den Sensenschmiedmeister Haslinger in Kirchdorf heiratete
und 1590 ihre Brüder, Bäckermeisterssöhne, aus Kirchdorf
K in das Handwerk brachte. Von Steyerling aus verzweigten
sich die heute noch zahlreichen Gewerken gleichen Namens
in alle Alpenländer.
Weinmeister.
Der erste Sensenschmiedmeister ist Wolfgang 1570 in
Schützenhub bei Michldorf. ' 1722 heiratet Elias W. aus Michl-
dorf auf die Möderbruck, 1750 Joh. Georg W. aus Michldorf
ins Ebnerwerk St. Peter, 1805, Christoph W. aus Spital a/P.
in die Wasserleit. Bei diesem ebenso tüchtigen „ Sengschmied "
wie Kaufmann war der Nachweis erbringbar, wie aus dem
ehrsamen Handwerk eine „k. k. privilegirte Sensenfabrique**
wurde, als er 1805 in die Meisterschaft der Judenburger
Sensenschmiedzunft eintrat, 66 Gulden Meistergebühr zahlte
und extra 15 Gulden zur Handwerklade, weil er selbst die
Essmeisterschaft nicht ausübte.'^ Früher mußte zunftgemäß
der Gewerke selbst als Essmeister die Sensen breiten.
Wertheim und Compagnie.
Der Kassenfabrikant Franz Freiherr von Wertheim aus
Wien, geboren zu Krems a/D. am 13. April. 1814, gestorben
3. April 1883, hatte zum Geschäftsteilhaber den Gewerken
Josef Schmölzer, geboren zu Flitschl bei Raibl, Schwieger-
sohn des Gewerken Franz Hillebrand in Kindberg.
Wertheim.
Franz Edler von Wertheim, Sohn des vorigen.
1 Das war das Stammhaus aller, von denen schon einer 1520
Pfarrer in Kirchdorf war.
« Sein Absatz war im bestzahlenden, aber auch in Qualität von
Form und Schneide anspruchsvollsten Gebiete der Schweiz, Frankreich
und Süddentschland.
t»
90 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande. v
Nr. 2. Ahibach >
früher „Am Einpach auf der Plembsen unter Knittelfeld", "^
erzeugte 1564 Grobware, Radreifen, Stahl aller Art, Pflugeisen.
Die Erklärung in der „Urbevölkerung des Murbodens
I und Nachtrag II" läßt die Gründung ins 3. Jahrhundert ^
n. Chr. zur Werkzeugversorgung von Köflach über die rekon-
struierten Saumwege der Rachaualm setzen. „Der Wällisch-
hammer, insgemein am Einpach genannt" muß die Werkstätte «
des 1423 genannten herzoglichen Harnischmeisters Jörg von
Knittelfeld gewesen sein. '
Bis 1471 erscheint Hans Einpacher, vermutlich Neife, ^
als Besitzer.
. 1540 Michael E. stirbt 1569 zu Graz. >
1542 Andreas E. unbekannter Neffe?
1572 Joachim und Georg, Söhne Michael Einpachers.
26. April 1579 Franz Salzmann, ihr Schwager.
1625 erscheint noch dieser.
Bis 1637 Martin Fürst (f 1637 laut Spezialarchiv ^
des Domstiftes Seckau).
1637 — 1650 dessen Sohn Johannes Fürst (vermählt
mit Susanna geb. Fraidt) f 1650.
1653, 14. August, verkauft dessen Witwe Susanna geb.
Fraidt an Christoph v. Fraidt.
1653—1659 Christoph v. Fraidt (f 1659).
1660, 24. Mai, verkauft dessen Witwe Anna Maria geb.
Schachner, später wiederverehelicht mit Johann Kaspar ^
Sturm (Leoben), den Ainpachhammer an ihren Schwager
Hainrich Fraidt (von Fraydten-Egg).
1660— 1684 Hainrich Fraidt (v. Fraydten-Egg) (f 1699?). ^
1684 übernimmt den Hammer dessen Schwiegersohn
Hans Andree Muehrmayer (vermählt Sidonia Salome Fraidt). \
1684—1716 Hans Andrä Muehrmayr (f 1716).
1716 übernimmt den Hammer dessen Sohn Johann ^
Maximilian Muehrmayr. ^
1716 — 1775 Johann Maximilian Muehrmayr (f 1775).
1775—1781 Karl Leopold Fürst, des Vorigen Schwieger- >
söhn (t 1781).
1782—1790 Josef Benedikt Pengg, zweiter Gatte der
Witwe Fürst. .
1790—1833 Josef Weninger. j
1833—1861 Nikolaus von Forcher.
1861 — 1896 Johanna von Forcher, dessen Witwe.
>
^
>
Von Franz Forcher von Ainbach. 91
1896 zur Erweiterung der Anlagen an die k. k. Staats-
bahnen verkauft.
1905 demoliert.
Einpacher.
Der urkundlich zuerst erwähnte Ahn war wohl Jörg,
der herzogliche Harnaschmeister zu Knittelfeld, der am
14. August 1423* für Herzog Ernst von Österreich als Schieds-
^ richter handelte. Er hatte sicher für Lieferungen an das
Erzhaus große Geldforderungen, denn am St. Margarethen-
/ tag 1440 schenkt König Friedrich den landesfürstlichen Forst
an Seckau „den einst der Harnaschmeister von Knittelfeld
* zurück an die Kammer gab"^^ vermutlich als Pfand. Der
Harnaschmeister Ulrich I. dürfte sein Bruder gewesen sein,
denn die Veröffentlichung der historischen Landeskommission
^ * XVII nennt die Belehnung 1449 — 1452 an Mert und Hans,
Gebrüder, die Harnaschuieister, mit dem Gasthaus in Irdning,
ererbt von ihrer Mutter Katharina, Witwe Ulrichs des
I Harnaschmeisters. Taufnamen und Gewerbe seltener Art^
* wenn auch ohne Ortsangabe deuten auf die Einpacher.
; Andererseits spricht dafür der Wappenbrief 1467,
I den Kaiser Friedrich IH. verlieh, als ander „Edelleuth"
^ und Wappens genoß im heyligen Reich dem Grazer Bürger
Hans Einpacher, seinen Geschwistern und der Witwe Mar-
^ garetha des steirischen Landschreibers Ulrich 2. die Adels-
bestätigung, die wieder das Diplom vom 17. Dezember 1619,
für Georg Einpacher von Kaiser Ferdinand IL enthält.^
"^ Ukich 2 war Stadtrichter von Graz 1438, 1449, 1451,5/'
; avancierte als hervorragender Gläubiger Kaiser Friedrichs
zum mächtigen Landschreiber der Steiermark. Dies wichtige
* Amt, Finanzminister des Landesherrn, begründet den Einfluß
der neuen Adeligen, der Eggenberger und Einpacher, in der
Baumkircherfehde. "'
^, Es ist nicht nachgewiesen, aber wahrscheinlich, daß der
f 1 Teufenbachregesten Nr. 317, Histor. Ver. 1905.
2 Dechant W^interers Pfarrchronik im Pfarrhof Knittelfeld.
3 Nur in Steyr kommt 1330 in der Nähe der einzige Harnisch-
^ Schmied in den Akten vor.
« Die Kärtner Grafen von Ortenburg der Neuzeit als Pfalz-
grafen, L. V. Beckh-Widmanstetter, 1890, S. 29.
* Landesarchiv-Ürk. Nr. 5622, 28. November 1438, kauft der
*' Stadtrichter Ulrich Einpacher einen Weingarten an der Platte, „genant
der Zwikchel", nächst der „Nunnen rayn".
6 L. V. Beckh-Widmanstetter, Geldbeschaffung im Kriege, 1889, S. 19.
7 Hist. Ver. XVII, 1869, Krones, Baumkircher.
92 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Domkaplan Ulrich 3. ^1476 ein Sohn Ulrichs I. gewesen ist. *
Hans Einpacher, Bürger zu Graz, kämpft für den Kaiser
1465 wider die Türken vor Wien, rüstet 1471 nach Bamn-
kirchers Enthauptung mit Beihilfe der Eggenberger'^ und
Weißbriach die Söldner Kaiser Friedrichs aus.^ Die kaiser-
lichen Schuldbriefe an ihn, sind bekannt, z. B. 12. Oktober
1469, 5. November, 16. November 1469 über 1000 fl. für
Tücher für die Söldner
Nach Goeth, S. 511, sind Akten des Landschreibers be-
kannt vom 15. April 1456, 27. Febr. 1457, 5. Dez. 1458.
Von den nicht urkundlich nachweisbaren Kindern Hans
Einpachers, die ja Einpach im Erbswege überkamen,^ scheint
Siegmund Eympacher, ein Burger zu Judenburg der älteste
gewesen zu sein. Er war Gesandter der Landschaft gegen
die aufständischen Bauern in Irdning und Lungau,^ Michael,
Bürgermeister von Graz 1540—1542, 1553, 1560 siegelt
mit einem springenden Bock auf einem Dreiberg, hatte mit
seiner Hausfrau Margarethe Stürgkh vier Kinder.
Oswald kauft 1548 den Paßhammer, arbeitet dort noch
1558, ® 1572 erbt Joachim von seinem Vater Michael den „ Wälsch-
hammer an der Plembsen beiKnittelfeld". 1569 erbt Apollonia
Salzmann den Weingarten am obern Graben in Graz.^
26. April 1579 verkaufen Joachim für sich und als
Gewaltsträger seines Bruders Georg, dann im Namen der
seel. Schwester Eva, „des edelvesten Melchior Hueber Haus-
frau, dem ersamen, vürnehmen Georg Salzmann, Rathsbürger
zu Judenburg, ^ Hammermeister im Murpach und Pölsthal
(unter Anführung der Grundstücke) ihr ererbt gut, zunächst
unter Knittelfeld an der Plembsen gelegen, insgemein am
Einpach" genannt, unter dem Siegel des Herrn Lorenz, Dom-
propst zu Seckau. Bei den Grundstücken ist eine Wiese
i P. Ant. Weis, Pfarre Gradwein, Hist. Ver. 1886.
2 Peinlich, CoUect. Gültbuch der Steiermark.
3 Hist. Ver., XVII., Krones.
■* Fr. Schmut-Graz fand im Gültenbuch 1542, L.-A. S. 60,
einen unbekannten Andreas, vielleicht Sohn des Siegmund, „A. E. zu
Khnütelfeld schäczt seinen Hammer oder Werchgaden zu Gobenz (gehörig
unter Kirchmayr Amt) mitsambt einen Zulehen 100 8" Pfennige."
5 Hist. Ver. XVI, 1868, S. 43, Kechnungslegung des Feldhanpt-
mannes Grasweyn im Bauernkriege 1525. Krones.
« Hist. Ver. XXII, 1874. 30. Jänner 1558 verkauft Klemens
Körbler zu Judenburg dem Oswald Einpacher den Hofanger zu Dietersdorf .
7 Landesarchiv, Spezialarchiv.
« Jedenfalls verschrieben, von Purbach, den in Urkunden früherer
Zeit genannten Purgbach, südlich Judenburgs.
Von Franz Forcher von Ainbach. 93
genannt, „auch zu dem Einpach" gehörig, eine andere
zwischen der Plembsen und dem Hammerbach — worauf
heute die äußersten Heizhauskohlungsanlagen stehen.
Joachim Einpacher ^ heiratet laut protestantischer Pfarr-
matrikel von Graz am 21. Mai 1595. „Es hat Herr Salo-
mon Ehinger, Prädicant, copulirt den edlen und ehrenvesten
Herrn Joachim Einpacher, einer ehrsamen Landschaft in
Steier Einnehmerambts Gegenschreibern mit der edlen ehren-
tugendhafften Frauen Susanna, weylandt des Herrn Georg
Straylers einer Er. L. Einnehmeramtsverwalters seel. ehel.
nachgelassene Wittib. "^ Joachim verkauft den Weingarten am
Graben-Rosenberg 1605 an die Jesuiten, an den Pater
Antonio Bianco, Beichtvater des Erzherzogs Ferdinand. Ver-
mutlich wegen seiner Ausweisung, die ihn mit Dr. Johannes
Keppler 1600 betraf. (Vielleicht der Rosenhof?) *
Georg Einpacher, Bürger zu Graz, lutherisch, ehelicht
Juni 1593 Anna, Tochter des Jacob Gruber, Stadtrichter zu
Hartberg, welche durch ihre Weigerung einer katholischen
Trauung viel Ungemach erlitten, wie aus den Akten über
die Unterdrückung durch die Scurini, die späteren Paar
gegen die Hartberger zu erfahren ist.
Georg Einpacher wird 1599 als Protestant aus Graz
ausgewiesen, dem Kaspar 1586 das Begräbnis in der Andrä-
kirche verweigert.^
Kaspars Schwester Sofie war mit dem Grazer Bürger-
meister Hans Marchart, Ritter, vermählt.
Von den protestantischen Einpachern stammt auch
noch die lutherische Kanzel in Enittelfeld.
Der Mittelturm der östlichen Stadtmauer zwischen dem
Leobner und Lobmingertor mit einer hölzernen Aufgangs-
treppe gehörte stets zu Ainbach und wurde erst 19. Mai 1883
als öffentlicher Aufgang zur Stadt an die Stadtgemeinde ver-
kauft. In dem angebauten Zimmer befanden sich Möbel,
erzeugt aus der Baumkircherlinde in Baumkirchen, welche
sich nun in Kainberg bei Leibnitz befinden.
Der noch heute gebrauchte Name lutherische Kanzel
1 Baron Freydenegg fand im Seckauer Sp. Arch. seinen Kaufbrief
vom 14. Januar 1603 um einen Wald in Graz-Ünterragnitz.
« Mitteilungen des Hauptmannes v. Beckh-Widmanstetter.
3 Historischer Verein XVI., S. 188, Peinlich-Keppler. Hatten
vom 31. August 1600 an in 45 Tagen Joachim und Georg Einpacher
Graz zu verlassen.
4 Staatsarchiv Wien, Hofkanzleiakten, Steiermark fasc. V.
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^ Von Franz Forcher von Ainbach. 95
deutet auf das Wirken der 1586 bekannten Prediger Jeremias
Hornberger und Kaspar Kratzer und des 1590 convertierten
Stadtpfarrers Putz. '
Bei der Gegenreformation wurden 400 Bücher auf dem
Platze verbrannt, was auf die Menge der Protestanten der
'' damals kleinen Stadt schließen läßt.
f Von den wieder katholisch gewordenen Söhnen Kaspar
Einpachers starb Hans Adam 26. Dezember 1641, Georg
erscheint 1619 als Hofmeister der kaiserlichen Edelknaben,
erhält nebst seinem Vetter Georg die Bestätigung des Adels-
diploms von 1467. Einer dieser George'^ besaß das Haus
>» Herrengasse 7 (Cafe Europa) in Graz, denn am 15, August 1639
verkauft Hans S. Graf Wagensberg sein Haus in der Herren-
/ gasse, welches „anraint an Georg Einpachers Behausung und
f^ in der Stempfergasse an die des Grafen Thurn an seine
Tochter Witwe Breinerin".
Egyd Wolf Einpacher stirbt 1715 als Mautner zu Ybbs,
77 Jahre alt als letzter seines Stammes, seine Nichte heiratet
^ Johann B. Wimmer, kaiserlicher Hofkammerrat, nahm mit
kaiserlicher Bewilligung 28. Februar 1715 das Prädikat „Edler
Herr von Einpach" * an, mit dem der Name erloschen ist.
Salzmann,
Judenburger Ratsbürger und HammerheiTen,
Als Schwiegersohn des Grazer Bürgermeisters Michael
Einpacher ließ Georg Salzmann 1576 die seiner Frau gehörige
Mühle aus dem Einpacherbesitz nächst Margarethen* neu
erbauen. Ober der Haustüre trägt der Inschriftstein aus
Köflacher Marmor seine Haus- und „Fabriksmarke" mit
dem Mars-Eisenzeichen in einem Wappenschilde, darunter:
Georg Salzmann, tues Gott bevelchen. 1576.^'» Der Segens-
)
J Pfarrchronik Knittelfeld.
2 Historischer Verein, 1897, Zwiedineck, S. 151.
3 Hauptmann v. Beckh-Widmannstetter.
* Nun Zeilingermühle.
•■* Besaß den „Thörhof" im Weyergraben bei Judenburg.
8 Die Judenburger Kirchenbücher verzeichnen 20. Mai 1600 die
Trauung Davids mit Maria Widmann, der noch 1620 als Pate vorkommt,
1620 und 1624 gibt es Taufen beim Ratsbürger Ehrenreich und seiner
Hausfrau Magdalena. Historischer Verein XXII. , 1874. 31. Januar 1585
verkauft Georg Bernh. Urschenbeckh zu Pottschach seinen Thorhof an
Georg Salzmann, Ratsbürger zu Judenburg und Hammermeister im Mur-
boden und Pölstal.
96 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
wünsch, sonst in Obersteier nicht üblich, deutet auf den
Protestantismus hin, den die verwandten Einpacher eifrig I
verfochten. *|
1579 kauft er Einpach von seinen Miterben, worin er
als Judenburger Ratsbürger und Hammermeister im Purbach
(unterhalb der Stadt) und im Pölstal (Paßhammer, vielleicht
auch in Pols selbst) genannt wird. Den Paflhammer kaufte
sein Onkel Oswald Einpacher 1548, besaß sein Schwager
Georg Einpacher um 1570, von welchem er vor 1579 an
Georg Sakmann überging. Bis 1607 erscheint dort ein
David Salzmann, ^ 1610—38 Ehrenreich^ und schon 1617
der Schwiegersohn Georg Salzmanns, Balthasar Heinricher,
der Ahnher der kurzlebigen Grafen von Heinrichsberg. '^
1625 ^ erscheint Georg Salzmann in den Hammerakten
zum letztenmale, als Hammerherr in Pols und Obmann der
Stahlgewerken des Viertels Murboden bezeichnet, seitdem ist
die Familie verschollen.
Fraydt von Fraydenegg und Monxello.
Diese Familie zeichnet sich dadurch aus, daß sie eine
der wenigen des Hammeradels ist, die einen urkundlich be-
legten Stammbaum bis ins 15. Jahrhundert besitzt und noch
alle Begnadungen im Original im Schloßarchiv zu Nechel-
heim verwahrt.
Im wohlgeordneten Aktenschrank findet sich Inter-
essantes für das Eisenwesen, in das (nach v. B e c k h-
Widmanstetter) Thoman Fraydt eintrat. ^ Er soll Eisen-
handel in Tamsweg, Althofen und St. Veit betrieben und
wird als guter Kaufinann die Gelegenheit benützt haben, in
* Die Hufschmiede Judenburgs und Knittelfelds protestieren in
47 Akten wegen Erbauung einer Schmiede am Paßhammer. 1617. Nach-
laß V. Beckh-Widmannstetter. Verzeichnis Gillhofer u. Ranschburg, Wien.
« Nach Daten Baron Fraydeneggs hat Efirenreich, wahrschein-
lich in Ainbach, die Salzmanngilt an das Stift Seckau verkauft.
« L. T. Beckh, Akte des Grafen von Orten bürg, S. 35.
< Archiv Nechelheim. In den Akten erscheint auch Nechelheimb.
» Das von ihm aufgefundene Hauptbuch des Wiener Handels-
herrn Hans Pagge, 1646, Neffen der Hainricher, dürfte genauere Aus-
kunft geben. Hist. Verein XXH , 1874, S. XVHI. Die technischen Daten
aus Nechelheim sollen später Verwendung finden.
Von Franz Forcher von Ainbach. 97
der großen Notzeit der Eisenhämmer „in der ün würde" für
seine Tochter Susanne billig einen solchen zu erwerben. Die
Schutzmarke BF wird von den Fraydt 1655 — 1684 am Einpach
bei Knittelfeld geschlagen, Wolf v. Fraydt heiratet 1657 die
Marie Elise Monzeli und erwirbt mit ihr den Höllhammer bei
Kapfenberg, ^ diesen besaßen die Pögl, gesichert durch Frei-
heitsbriefe von Kaiser Friedrich III. 1475, und den anderen
Hammer in der Lamming, gesichert von Kaiser Max L,
4. Jänner 1510, für Michael Monzeli und Frau Ursula vom
30. Juli 1642.
Wolf V. Fraydt, auch herrschaftlicher Landgerichts-
verwalter zu Unterkapfenberg, Hammer- und Handelsherr.
Sein Sohn Franz und Gattin Rosalie kaufen 30. April 1689
die Wollsackhube, Taferne zu Mixnitz mit allen Gründen
und dem Streckhammer. Der Höllhammer ^ wurde 1658 ver-
kauft, Mixnitz 1691, Einpach erbte 1650 eine Tochter Thomas
Fraydts, vermählt mit Johannes Fürst. Durch die Einheirat
Wolfs kam das Monzelische Fideikommiß in die Familie.^
Die Fraydt sind ein interessantes Beispiel, wie die Hammer-
familien aus den einfachsten Verhältnissen, hier im fernen
Lesach Winkel des abgelegenen Lungau allmählich die ver-
schiedensten Geschäfte betrieben, mit zunehmendem Wohl-
stande nach äußeren Ehren strebten, allmählich wieder vom
Geschäftsleben sich zu den Ämtern wandten und sich schließ-
lich ganz vom Eisenwesen trennten, das ihnen durch zwei
Jahrhunderte so nützlich war. Relativ kleine Kinderzahl,
Langlebigkeit und Tüchtigkeit erhielt die Familie.
Einen großen Teil der Daten verdanke ich dem liebens-
würdigen Entgegenkommen des Herrn Landespräsidenten
a. D: Baron Fraydt von Fraydenegg auf Nechelheim, der
vielen Gewerkenfamilien zur Feststellung ihrer Stammbäume
^ zur Nachahmung dienen sollte.
1 Zahn, Styriaca, S. 126. Peter Kornmeß verkauft den Hammer
in der Lamming 1515 an Sebald Pögel, später kam er an die
Fraydts.
^ 2 Histor. Ver. IX„ 1859, Nr. 950. — Der Höllhammer kam 1634
von Sebastian v. Saupach an seinen Schwiegersohn Michael v. Mon-
> zello, 1858 kaufte ihn Baron Franz Mayr-Melnhof samt den Wäldern
am Floning. Mixnitz kaufte samt Alm am Lantsch und Wald in Tirach
Franz Chr. v. Weiss, Hammerherr in Mixnitz.
3 26. Juni 1711 übernimmt Franz Fraydt Nechelheim vom ver-
storbenen Hans Adam v. Monzello.
100 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Weninger.
Im Traubuch Knittelfeld wird Peter Weninger, Sohn
des Neubauern in Ugendorf bei St. Margarethen am 22. No-
vember 1729 mit der reichen Floßmeisterswitwe Elise
Weyrer als Hochzeiter angeführt.
Peter errichtet 1735 bei der Pfarrkircke Knittelfeld
eine Flösserstiftung und stirbt 31. März 1779, 83jährig.
Sein Bruder Michael, Floßmeister, stirbt 22. Juli 1796. *
Josef Weninger, 2 der Sohn Peters und der Elise, geboren
23. Februar 1759, angehender Floßmeister, heiratet 1780
die Floßmeisterswitwe Therese Steinkellner, geborene Steg-
mtiUer aus dem reichen Gewerkenhause in Hopfgarten. Ihre
erste Ehe scheint sie 1769 geschlossen zu haben, denn ihr
Grabstein besagt, „gestorben 31. März 1824 im 80. Jahr,
gewesene Stadtrichterin, Bürger- und Floßmeistersgattin,
Rad- und Hammersge werkin durch 55 Jahre in Knittelfeld
als Frauenmuster**.
Josef Weninger, 3 war ein Josefiner Geist, Abgeordneter
der Bürgerschaft zum Landtag 1790, der seinerzeit um
100 Jahre vorausdachte, Mitbegründer der steirischen Land-
wirtschaftsgesellschaft ^ und hat als solcher als erster Vorsteher
der Filiale Judenburg die erste schottische Dreschmaschine
in Steiermark aufgestellt, die von 1797 bis 1875 ständig
im Betriebe war.^
Weninger betrieb die Floßmeisterei bis 1797, die er
verkaufte, 1790 kaufte er Ainbach, verkaufte wieder an
Sessler seinen Hochofen Nr. 3 in Vordernberg und machte
1788 als 26jähriger Bürgermeister der Stadt Knittelfeld die
verschiedensten Schenkungen, unter anderem die bei den
damals häufigen Bränden so nötigen Feuerbäche durch die
Straßen der Stadt. Dank seiner Studien war er ein vor-
züglicher Wasserbaumeister an der Mur. Die große Allee
am Ainbacher Schutzdamm, gepflanzt 1795, erinnert an
sein Wirken.
Sein Nachfolger und Erbe war sein Großneffe Nikolaus
> Dessen Witwe heiratete der Floßmeister Josef Oberranzmaier.
Nachkommen in Graz.
« Taufbuchdatum, das Grabmal weist den 25. Jänner 1762.
• Historischer Verein XXI., 1873, Prof. Bidermann, Verfassungs-
krisis in Steiermark zur Zeit der ersten französischen Revolution.
^ Sein Porträt unter den 46 Gründern. Sein Nekrolog in der
steirischen Zeitschrift 1840.
5 Steiermärkische Zeitschrift, 1. Heft, VI., 1840, Seite 131,
Biographien denkwürdiger Steiermärker, Nr 37.
Von Franz Forcher von Ainbach. 101
von Forcher; Weninger starb 9. Mai 1833, mit ihm der
letzte Mandator der Stahlgewerken des Viertels Murboden,
denen er durch 37 Jahre präsidierte.
Forcher und später Forcher von Ainbach.
Diese Alttiroler Familie kam in das Murbodener Eisen-
wesen als Johann Josef von Forcher am 27. Oktober 1765
die Elise Weninger heiratete. Sie war die Schwester des
Josef Weninger, des späteren Gewerken von Ainbach, der
seinen Großneffen Nicolaus v. Forcher zum Erben einsetzte.
Durch die urkundliche Erbringung des Filiationsbeweises aller
drei Erwerber alten Adels bis an die Wurzel 1416 und bis
zur vierten Adelsbestätigung 1877 wurden viel mehr positive
und abnorm interessante Daten erforscht, wie bei allen
anderen Gewerkenfamilien, von denen nur die das Eisenwesen
interessierenden gebracht werden sollen. Hiebei berichtige
ich die mir vorher unbekannt gewesenen neuesten Veröffent-
lichungen, denen scheinbar unvollständige Vorarbeiten L. von
Beckh-Widmannstetters zugrunde lagen. *
Es ist nicht zu erweisen, daß der Held der in Tirol
allgemein verbreiteten Wappensage Forcher am Finailhof
der erste urkundlich Genannte war, aber naturgemäß stammt
der Name von einem Bauern, der bei der Föhre wohnt. Die
schwäbische Familie hing zusammen, 1341 verkauft Eber-
hard in Umhausen im Ötzthale und 1 378 Cunz in Elbingeralp
im Lechthal Güter an das Kloster Chiemsee. '-^
Je nach Dialekt und Kanzleiorthographie schrieb man
Forcher, Farcher, Forrer, Vorherr, in Kärnten auch Fercher.
Beim Zug in den sonnigeren Süden suchten die Forcher
jenseits des Gletschers eine wärmere Weide als das kalte
Ötzthal und kolonisierten die altslavische Siedlung Vineid,
nun Finail genannt, zu einem der höchstgelegenen Höfe
Tirols. In 1947 Meter überm Meer wurden stets 4 Knechte,
3 Mägde, 2 Hirten, 30 Rinder und 60 Schafe beherbergt. •*
Dort saßen 1416 Cuno und Heinz, die den vom Kon-
stanzer Konzil geächteten und flüchtigen Herzog Friedrich
mit der leeren Tasche auf der Flucht vom Arlberg nach der
Hauptstadt Meran führten, pflegten und nach Goldrein
1 Kraus, „Eh. Mark", S. 84, 473, ferner Genealog. Taschenbuch
Österreichs 1905.
2 Bothe f. Tirol, 10. Jan. 1828, Nr. 3.
3 Josef Ladurner, „Das Schnalserthal". Manuskript 1821, im
Ferdinandeum Innsbruck.
102 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
retteten. Als fürstlichen Gnadenlohn erhielten die Forcher
am Finailhof Wappenbrief, Asylrecht, Steuer- und Militär-
freiheit, Sie besaiäeii ihn 1340-1730. ^
Die Absetzung Friedrichs und sein Schutz durch die
Tiroler Bergbauem ist Tatsache,^ speziell die Forcher be-
handeln eine zahlreiche Literatur, von denen die haupt-
sächlichsten melden:
Hormayr, Taschenbuch der vaterl. Geschichte, 1821.
IL Geschichte der Grafen v. Mtilinen, S. 33 — 44. Brandis,
Tirol unter Friedrich v. Österreich, Wien 1821, ff. S. 119.
Thaler, Geschichte Tirols, S. 202. Staffier, Tirol, I, S. 384,
489, 767, 791, IL S. 612, 657. Der Bothe für Tirol vom
10. Jan. 1828. Wilhelm Blumenhagen, 2. Aufl. 1844, Stutt-
gart, X. S. 490. Major Hans Weiningers Wappensage, Leip-
ziger ill. Zeitg. Nr. 1328, 12. Dez. 1868, S. 427, Archiv f.
Geschichte Tirols, 1865. V. 103—112. Beda Weber 1838.
III. S. 375 und spätere.
Die gleiche Gunst genossen herüberm Hochjoch die
Gstrein in Rofen,^ deren Steuerfreiheit und Burgfrieden 1358
Ludwig V. Brandenburg, Kaiser Ferdinand IL 1636, Karl VI,
von Baiem 1806 bestätigten.
Den Wappenbrief .der Forcher in Finail ^ hatte noch
Ende des 18. Jahrhdts. der Vater des bayerischen Baurates
Vorherr, der handelnd nach Franken wanderte und den seine
Witwe in der Not versetzte und nicht mehr bekam.
Mit dem Finailhofe war überall gleichzeitig der Bericht
verwoben, Herzog Friedrich habe zur Erinnerung an seine
Anwesenheit einen silbernen Trinkbecher und ein silbernes
Eßbesteck zurückgelasßen. Um diese womöglich zu erwerben,
begab ich mich im August 1883 nach Finail und fand dort
nichts von Friedel, sondern nur einen Lehensbrief Maria
Theresias 1771, dann von Max Josef von Baiern 1812 die
AUodifikationsverhandlung mit Forchers Nachfolger Desider
Rainer des alttirolischen Lehens Vineid. Der Silberbecher '
1 Pfaundler, Tiroler Familienkunde im Ferdinandeum, Innsbruck.
2 Über die besonders begnadeten Bauern im Bereiche des alten
Burggrafenamtes Meran wurde ja sehr viel geschrieben, von denen die
Gstrein am Rofenhof im Ötz, die nördlichen Nachbarn der Finailer
diesseits der Gletscher sind.
s Manuskript Ladurner, Benefiziat zu Partschins 1821. Ferdi-
nandeum.
4 Bothe für Tirol 10. Jan. 1828. Monatsblätter d. allgem. Zeitung.
Ausgsburg, März 1845, Seite 81.
5 Rund, niedrig, 75 mm Durchmesser, auf vier Fratzenköpfen
stehend.
Von Franz Forcher von Ainbach. - 103
ist ein Reisegefäß in eleganten Renaissanceformen, graviert,
teilweise vergoldet, mit den Buchstaben J. P. 1567 am
Rande und einem Züricher Taler als Boden. Das Eßbesteck
einfacher Form mit Nürnberger Goldschmiedzeichen, Oster-
lamm, M. R. in Herz, in goldgepreßtem Etui. Die Finailer
Bauern halten dies vermeintliche Geschenk Friedeis hoch in
Ehren und glauben fest daran. Nach den Zeitungen wurde
es im Herbst 1905 noch bei der Hochzeit eines zu heiratenden
Nachbars Spechtenhauser benützt. Wie es scheint, sind
aber die Reliquien das Weihegeschenk eines gutgestellten
Herrn des 16. Jahrhunderts, der als Gletscherwanderer oder
Flüchtling im often Engadiner Krieg in Finail Zuflucht fand.
Andere Akten mit Goldbuchstaben zerstörte nach Aussage
der Finailer der Brand 1808, die Steuerfreiheit endete 1809.
Der Familienursprung in Finail nach der Einwanderung
vom Ötztal ist sehr plausibel und nach der Begnadung und
in besseren Verhältnissen mögen die Nachkommen wieder
aus der Bergeinsamkeit zur Stadt gewandert sein. Seit Cuno
und Heinz 1416 wird nicht der Sohn urkundlich genannt,
wohl aber ist es Andreas, von dessen Stand und Wohnort
nichts bekannt ist, als daß das Adelsdiplom vom 17. Sep-
tember 1593 enthält: „Verbesserung ihres alt ererbten
Wappens und Clainot mit welchen sein, Hans Forchers Urahn
Andreas Forcher von weyland Maxmiliano dem ersten, röm.
Kaiser umb seiner Verdienste wfegen Allergnedigst begabt
und versehen worden." Ein gestümmelter Föhrenast und
Traube, gold in rot, am Schild ein Stechhelm mit rot-gelben
Decken, darob eine „güldene Künigliche Krone" mit zwei
aufgetanen roten Adlersflügeln, auf dem jeder ein goldener
Forchenast wie im Schild erscheint. Die „Künigliche Cron"
als Helmzier düifte in jener Zeit nur eine besondere Aus-
zeichnung ausgedrückt haben, denn der römische Sönig
Wenzel „besserte und zierte damit 1410 das ererbte
Wappen Jacobs von Stubenberg". Es kann also keine Be-
deutung für die Lehensfähigkeit dadurch angezeigt werden,
da die uredlen Stubenberger selbst Lehen gaben und der
freie Tiroler Bergbauer Forcher zur selben Zeit Landes-
fürstenlehen empflng. (Archiv Stubenberg, S. 187.)
Die „Lehenskrone" im Diplome von 1493 — 1519,^ der
Regierungszeit Max L, deutet auf die Bestätigung des
1 Die ja das Lehensrecht aussprechen soll, in dem Falle wohl
für ihren begnadeten Freihof in Fineü.
104 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Diplomes Friedeis von 1416 an die Schnalser Forcher,
wurden doch von jedem nachfolgenden Landesfllrsten, schon
der Taxen wegen, die alten Freiheiten formell neu bestätigt.
Das älteste Diplom war wirklich ein Adelsdiplom, die Be-
stätigung Max I. desgleichen, die Erhebung von Ferdinand II.
von Tirol 1593 konfirmierte nur die alten Rechte. Die
Richtigkeit dieser Annahme beweist L. von Beckh „Die
Kärntner Grafen v. Ortenburg und ihre Akte als erbliche
Pfalzgrafen". Wien, Gerold, 1890. S. 29. Dort erwähnt er:
Kaiser Friedrich III. erteilt 1467 dem Grazer Bürger Hans
Einpacher (dessen Söhne immer als Ritter speziell benannt
werden) ein Kleinod und Wappen, welches sie hiefür zu allen
ritterlichen Sachen gebrauchen mögen, als „ander Edelleuth
und Wappensgenoß im Heyligen Reich". Inseriert im Diplom
Ferdinand II. 17. Dec. 1619 für Georg Einpacher (Enkel
des Hans) gegebenen Bestätigung „zugleich im Fahl es
vonnethen", Neuerhebung „in den Stand und Grad des
Adels des heyl. Reichs recht edelgebohrne rittermäßige
Lehen und Thurniers Genoßleuthen." Die neuere Zeit hatte
andere Auffassungen, die Einpacher trauten aber nicht mehr
dem „wenn vonnöthen", das alte Wappendiplom von 1467
könne in der Zeit des neuen Briefadels von 1619 nicht
mehr als vollgültiger Adel aufgefaßt werden.
Die Broschüre sagt ebendort: Erzh. Ferdinand von
Tirol diplomiert den Stadtschreiber Hans Forcher 18. Sep-
tember 1593 „in den Stand und Grad des Adels als „recht
gebornen Adels-Turniers- und Lehensgenossen".
Den Nachkommen Konrad und Franz in Obersteier
wurde in nachgewiesener Geschlechtsfolge am 10. März 1877
ihr Adel (im vierten Adelsdiplom) anerkannt und nach
ihrem Hammergute Ainbach dies Prädikat neu verliehen. Es
ist anzunehmen, daß der urkundlich erstere sichere Andreas
Forcher schon Hall besuchte und dort mit dem häufig resi-
dierenden Kaiser Max I. in persönliche Berührung kam. Seine
Enkel erbten schon ein elterliches Haus, denn Joachim,
Gerichtsassessor,* verstorben an der Pest 1565, besaß ge-
meinsam mit seinem Bruder Hans I., Stadtschreiber, ein
Haus in der Rosengasse im fünften Viertel. '^
Das „allzeit lustig gebaute Stadtl Hall" war damals eine
der reichsten Städte Tirols und die Juristenfamilie Forcher
« Stubengeselle 1555, erscheint in Akten 1559.
* Kundschaftsprotokoll des Rates.
Von Franz Forcher von Ainbacli. 105
kam dorthin nach den Neugründern der Stubengesellschaft. Die
lange Anwesenheit von Landesfürsten im nahen Innsbruck und
deren Schwestern im Haller Damenstift schuf ein Heer von
Beamten und auch damit Ordnung, denn das Ratsarchiv im
stilvollen Rathaus zu Hall ist außerordentlich reichhaltig und
harrt noch der Sichtung ; ^ das Salinenarchiv und die mittel-
alterlichen Schriftschätze Innsbrucks bieten reiche Ausbeute.
Außer den exklusivsten Zunfthäusem der deutschen
Schweiz gibt es nur die einzig dastehende Stubengesellschaft
in Hall, die im selben gotischen Räume noch als „trockener^
Lesezirkel an die alten Erinnerungen mahnt. ^ Als Bürger-^
trinkstube 1447 von den Haller Bürgern gegründet, hat sie
1508 Ritter Waldauf von Waidenstein, der geheime Rat, Se-
kretär und Freund Max I., der als Hirtenknabe im Pustertal
begann, organisiert.
Die zwei Wappenbücher der Gesellschaft sind eine
Fundstätte für die Haller Familien, ein großer Wappenpokal
erinnert an den Prunk, mit dem im 16. Jahrhundert gezecht
wurde. Hall war wegen seiner Gastereien stets berühmt.
Die Bücher beginnen 1527, nennen die Ober- und Unter-
stubenmeister und die Mitglieder, Stubengesellen genannt,
und deren Wappen in Farben heraldisch ausgeführt^ beweisen
eine ausgesuchte gewählte Gesellschaft, die 1553 80 Per-
sonen, 1585 40 vereinte. Die relativ gutgeführten, sehr alten
Kirchenbücher in und um Hall ergeben manche Ausbeute im
Geschlechtsbeweis, der dadurch schwierig war, daß es aus-
strahlend viele Forcher von Meran aus und djann Pustertal,
viele Höfe ähnlichen Namens, Innerforch, Außerforch, Ober-
forch, Siebenforch gibt, ja selbst Forchenmair in Kircheur-
tellisfurt in Württemberg.^
Urkunden und Stubenbücher schreiben den Namen ab-
wechselnd mit a und o, während der Dialekt den Laut zwi-
schen beiden ausdrückt.
Der unbekannte Sohn des Andreas, von dem keine
Spur zu finden war, dürfte noch 1530 in Hall ein Haus er-
worben haben. Dessen Sohn Hans I. war Jurist und wird
häufig in den Chroniken von Hall der Autoren Schwayger
* Vieles vom 15. Jahrhundert und aus früherer Zeit der Berg^
und MUnzstadt.
« Führer von Hall 1899, S. 33. Die prächtige Waldaufkapelle
der Pfarrkirche ist eine der Hauptsehenswürdigkeiten.
s Die Mitteltiroler Forchhöfe in ihren Varianten sind wohl alle
von Ötzthalem begründet worden, wie der letzte der vier im Schnalsertal,
Hochfarch ob Natumes.
106 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
und Mader genannt. * Beide Bücher sind für Haller Geschichte
von Belang. Der Kriegskommissär Hans wurde 1552 bei
Ehrenberg vom Churfürst Moritz gefangen und „umb etliche
Thaler geschätzt", und gefänglich gegen Innsbruck geführt,
dann freigelassen. ^ Von 1553 bis zu seinem Tode 1575 war
er Stadtschreiber in Hall. ^ In dieser wichtigen Stellung der
reichen Stadt hatte er als sprachengewandter, gebildeter
Jurist bei feierlichen Anlässen den „Richter und Rat ge-
niainer Stadt" zu vertreten, die Ansprachen zu halten und
die „doppelt vergulten Kredenzgeschirr mit etlich Stuck Guld"
zu überreichen. So 1563 bei Kaiser Ferdinand I. '^ König
Max n. am 20* Jänner und 5. Februar und beim Landesherrn
Ferdinand IL* mit der Philippine Welser am 17. Jänner
1567,^ die er in wohlgesetzter Rede „namens eines ersamen
Rats und gemainen Statt" begrüßte,
In der Residenzstadt Innsbruck hingegen zeigte sich
schon der österreichische Sprachenstreit, indem der neue
Landesfürst stumm begrüßt wurde, da niemand deutsch
sprechen konnte und Ferdinand sich weigerte, lateinisch oder
italienisch hereinkomplimentiert zu werden. ^ Die weniger
vergnügten Stunden des Stadtschreibers in den Zeiten von
Pest, langen Erdbeben, Kriegszügen schildert Schwayger, na-
mentlich S. 138.8
Hans I. verlor seine mir unbekannte Frau am 3. Juni
1573 und hinterließ nach seinem Tode am 23. Juli 1575
außer dem Hause in der Rosengasse auch noch eines in der
Marktgasse Nr. 150, heute Seidener Bierhalle, das er am
12. Juli 1563 vom Rat erkaufte.»
Sein Sohn Hans IL heiratete in der Woche Othmari,
also nach dem 16. November 1575, die Felicitas Hochstätter,
* Schwayger, herausgegeben von Hofrat Dr. Schönherr, 1867,
Laib. Mader, im Ratsarchiv Hall.
2 Schwayger, S. 120, 129.
' Wo er auch 1553 als Stubengeselle auftritt.
* Schwayger, S. 138, 139.
* Schwayger, S. 144.
6 Die römischen Königinnen auf der Reise und im Damenstift
sehr häufig.
7 Dr. Hirn, II. Geschichte Erzherzog Ferdinands II. von Tirol,
I. S. 64, 65, der Forcher speziell hervorhebt.
8 Ebendort protestiert Magistrat Hall 1567 gegen den Umbau
der dortigen Ftlrstenburg.
9 Steuerbuch 1576, Fol. 230.
Von Franz Forcher von Ainbach. • 107
mit der er in Hall auftritt J 1578 bis 1609 war er Anwalt
in Thaur nächst Hall, der Pfandherrschaft seines Onkels,'-^
des reichen Franz Fueger von Hirschberg, ^ die der Landes-
fürst Erzherzog Ferdinand 1581 zurücklöste. Seit 24. Juni
1589 war Hans IL Stadtschreiber in Hall und 1592 wieder
Anwalt im Fuegerschen Pitztal, Herrschaft Imst, auf der
Felicitas Geld liegen hatte. Die kurze Abwesenheit aus Hall
gibt die seltene aktenmäßige Erklärung der neuesten Be-
gnadung durch die Habsburger.
Hans IL war als Stadtschreiber einmal erkrankt und in
seiner Abwesenheit disponierte sein Bürgermeister Kaspar
Prandtmeyr irrig, weshalb Hans demissionierte. Auf die Be-
schwerde beim Landesfürsten im nahen Ambras entschied die
Regierung,^ Hans IL sei wieder ins Amt einzusetzen, was zwi-
schen dem 29. Jänner und 9. März 1593^ geschah, das er bis
zum 6. Mai 1599, seinem Tode, führte. Zur öffentlichen Genug-
tuung für Unbill erteilte der Landesfürst (seinem früheren
Anwalt durch acht Jahre in Thaur) das Adelsdiplom vom
18. September 1593.*^ Das Diplom besagt (beschlossen am
10. März, ausgefertigt 18. September in Innsbruck), „daß
Hans Forcher wegen guten Diensten uns und unseren Vor-
fahren geleistet, von ihm und seinen Voreltern, uns und
unseren löblichen Haus Österreich zu Kriegs- und Friedens-
zeiten, ungespart Leibs' und Vermögens etc.,^ in den Stand
und Grad des Adels erhebt, wobei sein alt Wappen und
Clainot gebessert ist, womit dessen Urahn Andreas von
unserm Urahn Max I. begabt wurde". Die Familie Hoch-
stetter^ war Zeit- und Geschäftsgenossin der Fugger in Augs-
burg und fallierte wegen des Preisfalls der Edelmetalle durch
» Raitbuch, Fol. 15. „Dem Junkher Petru« Kripp und Herrn
Schickh aus Bevelcli eines ersamen Raths als Gesandte zu Hans Forchers
Hochzeit geben zween doppelt Ducaten."
« Dr. Hirn, H. Der berühmte Silbergewerke Hans der
Reiche, Mtar der Bruder seines Urgroßvaters.
3 Deren Familiengrabsteine in Hall noch alle Gotiker entzücken,
^ LandgerichtsprotokoU Innsbruck, H. F. des Ratsstandes
Hall 1592, Fol. 231, 18. September 1592.
5 Ebenda 1593, Fol. 27 d 71.
fi Konzept in den Tiroler Addsbüchern , Tom. IV. Fol. 175,
Wien, wie Goldegg anführt. I, S. 102. Zeitschrift für Tirol. III, XIX, 130.
Herold. VII, 62, und XU, 571,
^ Wobei die Sicherung Friedrichs mit der leeren Tasche vor
seinen Feinden, der sächsische Kriege, die Wappenbestätigung Max I.
speziell gemeint waren.
8 Auch Beck, Geschichte des Eisens, II. 542.
108 Die alten HÄndelsbezieliungeii des Murbodens mit dem Auslande.
die Entdeckung Amerikas und Almadens. Noch heute ist im
Rathause zu Augsburg die Hochstettersche Gant 1522 bis 1535
eine Fundgrube fllr viele Forscher. Für Steiermark interessant
ist noch, daß am 2. Oktober 1534 Katharina Neumann, die
Schwester der berühmten Anna Neumann von Wasserleonburg,
zuletzt Gräfin Schwarzenberg in Murau, den Ambros Hoch-
stetter in Augsburg heiratete, welcher der Vetter der Feli-
citas Forcher war. * Vom reichen Erbe der Hochstetters
lebte der Sohn Hans Christoff Forcher bis zu seinem Ende
als Bürgermeister, wobei die großen Unkosten,'^ der wirt-
schaftliche Verfall Nordtirols nach dem dreißigjährigen Krieg
und der lange Prozeß mit dem allmächtigen Hofarzt Dr. Gua-
rinoni den größten Teil verschlangen.^ Von dem Sohne
der ersten Frau erhielt der Enkel Ignaz Rafael die Kärntner
Landstandschaft 1707. '^ Die zweite Frau aus der Zillertaler
Familie Wechselberger gebar ihm einen Sohn Hans Dietrich.
Seine Mittel gestatteten ihm nicht mehr, in die Stuben-
gesellschaft einzutreten. Seine Mutter flehte am 25. Oktober
1669 gar „armb und nothig" um die zukommenden Zinsen
aus ihrem Pfannhauskapital. ^
Der lange Titel Salinenbauamtsgegenschreiberjunge be-
zeichnet die schwachen Mittel, die er erst erhielt, nachdem
er früher schon in der Not den Salzstocksackschneiderdienst
ergreifen wollte.^ Unter Berufung der vielen Verdienste seiner
Vorfahren erhielt er diese Stelle, wobei ihm, da er mit
* Jakob Hochstetter, Geschlechter und Kaufherr in Augsburg,
gestorben vor 1584, und Frau Barbara Rott aus Ulm, geadelt 1478,
6. Oktober, hatte sich der Sohn Sebastian mit Anna Vöglin aus Augs-
burg verehelicht 5. September 1543. 1537 Stubengeselle Hall, Glas-
hüttenbesitzer und darnach Prädikat 27. November 1598 von und zu
Scheibenegg, dessen dritte Tochter war Felicitas Forcher. Ihr Bruder
Dr. Hieronymus Hochstetter, Stubengeselle 1598, hatte zur zweiten Frau,
12. Oktober 1598 Ursula, die Tochter des Balthasar, (später Grafen)
Fueger v. Hirschberg, dessen Sohn Hieronymus 1625 Felicitas zur Erbin
einsetzte; Georg Fueger, Pfandherr von Imst, war ihrer Schwägerin Onkel.
2 Beckh II, S. 542. Hans Fueger ließ seine Braut aus Bayern
nach Hall mit 4000 (? Anm. d. R.) Pferden abholen, Beispiel des Prunks
der Silbergewerken in Schwaz.
* Guarinoni war Verfasser des damals weltberühmten Buches
„Die Grewel der Verwüstung menschlichen Leibs". Laut der Land-
gerichtsakten konnte vom berühmten Mann, den der Hof stützte, die
Schuld nicht eingetrieben werden,
^ Die Fortuna als Wappen im Saale ist nur ein Lückenbüßer
für das fehlende richtige Bild im Klagenfurter Landhaus.
5 Salinenberichtbuch, Bericht an die Hofkammer, Fol. 255..
« Statth.-Arch. Innsbruck, Gem.-Mission 1678, IL Fol. 65, 245,
1059, Befehle vom Hof 1678, Fol. 450, 687.
Von Franz Forcher von Ainbach. 109
schlechten Mitteln vorgesehen sei, von seinem Pfannhauskapital
per 2400 fl., der Zins mit Roggen bezahlt werden solle. Von
seinen zwei weltlichen Söhnen, ein anderer war Laienbruder
bei den Jesuiten, folgte Franz Anton im bescheidenen Amte
des Vaters, ^ Josef Anton, der jüngste, wanderte aus und kam
endlich als Bäckermeister nach Knittelfeld.
Die Not der zurückgelassenen Söhne schildern die
Akten ;'^ nach 1720 erscheint der Name Forcher nicht mehr
in Hall, außer 1719 in Bitten, endlich die Zinsen des Restes
vom Pfannhauskapital von 675 fl. schlechten Geldes zu er-
halten, und dem Todestag des Franz Anton, 20. April 1720.
Josef Anton wurde in der Not Müller und Bäcker, wie
sein Vater einst Schneider werden wollte, und wanderte am
natürlichen naheliegendsten Wege zu den verwandten Wechsel-
bergern ins Zillerthal, von dort ins Pongau und blieb in
Admont, das ja von Radstatt bald erreicht war. Dort heiratet
er die Bäckermeisterstochter Feimbaum aus Rottenmann. ^
Die Gatten kauften die Rascher Mühle und Bäckerei,
29. August 1718, verkauften dann diese und erwarben am
12. März 1721 das Ertlsche Bäckerhaus in Knittelfeld, dem
letzten Wohnbezirke der Familie.^ Zu seiner Zeit hatte das
Wörtchen von noch nicht die angewandte Bedeutung wie
heuzutage, den Adel drückten nur spezielle Bezeichnungen
aus, wie das Dominus, der Herr, beim simplen Raschermüller
im Traubuch. In Klagenfurt folgte man der Zeitmode, nannte
die Weber Webern und den Kriegskommissär Forcher
Forchem. Der Sohn Johann Josef, in gute Verhältnisse ge-
langt, wandte schon 1765 in den öffentlichen Büchern das
„von" wieder an, wie bei Einverleibung der Anna, und die
Stiftsregister Knittelfeld u. a. beweisen.^
Eine übereifrige Magistratsperson hat aus Privatrache
dem Anton Forcher Hindernisse bereitet, seinen alten Adel
zu führen, der als wohlhabender Bäcker von seinem Rechte
1 Ausgangene Schriften 11. Juni 1704, Fol. 1218 Insb.
* Salinen - Bericht und Bevelchbücher 1710, 14, 15 — 19, viele
Erfasse.
3 Admont 29. August 1718, copulati sunt Dominus Josephus
Forcher et virgo M. A. Felmbaumin, pistor et molitor apud den Röscher
(heute Adam).
4 Gerichtsprotokoll Knittelfeld, L.-A. Graz, S. 54, Bürgerrecht nach
Beilage des Taufscheines und Entlassung von „Pöckhenhandwerk" zu
und um Rottenmann, 18. Mai 1717; dem Josef F. nationis tiroliensis.
* 22. Februar 1767, urb Nr. 45, 1784, 1787, Inventarien etc.,
Fol. 223.
110 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Gebrauch machen wollte. Daraufhin bat er am 20. Dezember
1830 das k. k. Fiskalamt Graz um die provisorische An-
erkennung des alten Adels, die an den Magistrat Knittelfeld
erlassen werden wolle, bis die gehörige Nachweisung geschieht.
Am 24. Dezember 1830 wurde er verwiesen, den Magistrat
zu bitten, ihm Zeit zur Erhebung zu vergönnen, „das Fiscal-
amt Graz, Zahl 7124, werde weder bei ihm, noch seiner
Descendenz kein widriges Einschreiten vornehmen."
Dieselbe betraute Magistratsperson ging nach Tirol,*
beseitigte die beweisbringenden Akten dort und in Knittel-
feld,'^ radierte die öffentlichen Bücher, und der Adelsbeweis
wurde damals nicht erbracht.
Weitere Anfechtungen bewogen Johanna von Forcher
Kundige forschen zu lassen und erst ein anonymes Inserat
in einem Grazer Tagesblatt, 1875, bewogen den letzten der
Familie selbst den Beweis zu erbringen. ^ Die Akten waren
vertilgt, die Brände des Stammhauses Knittelfeld 1742,
1818 verzehrten den eigenen Bestand und dennoch gelang
der Nachweis der vollen Filiation, womit Kaiser
Franz Josef mit Diplom von 12. Juli 1877 die adelige
Eigenschaft der Brüder Konrad und Franz Forcher
anerkannte und ihnen das Prädikat von Ain-
bach neu verlieh. Das weitere besagt der amtlich
voll beglaubigte Stammbaum. Die Erben der Johanna betreiben
heute noch auf der Thormühle wie 1721 das Bäckerhandwerk,
nachdem das Stammhaus 1870 von der Witwe Antons 11. an
Frau C. Reicher verkauft wurde. Die Familie zog von der
schwäbischen Ebene in die Alpen, erblühte durch die Ülmerin
Rott um 1500 und endet nach 600 Jahren nachweisbaren
Ringens wieder am Ausgangspunkte . an der schwäbischen
Donau. ^ ^
1 Brief des Magistratssekretärs Bücher in Hall, 7. März 1883:
„Es ist ein sonderbares Verhängnis, daß gerade alle Forcher- Akten
ausgehoben sind." Am 26. Juni 1832 waren sie vollzählig vor-
handen.
* Unter vielen Buchradierungen wurden übersehen, den Adels-
titel zu radieren. Grundbuch Knittelfeld, Tom. II, conscript. Nr. 2%
Taufbuch der Stadtpfarre 1811, 29. Mai, und andere.
3 Diese selten genaue Familiengeschichte verdankt ihre Erfor-
schung nur den unlauteren Motiven dreier Personen, deren Namen
wegen ihrer hinterlassenen schuldlosen Angehörigen verschwiegen bleiben
sollen.
1341, r
Bi
Wappen mit
1555 Stubenge geselle.
i 1573.
1575 Stubengi leiratet
1620 Stubenj
1. Gattin M.
gest. ll.Jännier
Innsbruck. G*nd
geb. 16.
,^, IC^rntt>Ti hei
gi )rhofes.
( meister
von
der
Dez^-z 1677,
bf^i dm
icty
.* U*9 ^ 9**f^
Von Franz Forcher von Ainbach. 111
Nr. 3. Sacheiidorf^
westlich von Knittelfeld am Ingering- Werkskanal. Altes win-
disches Wasserwerk am Saumweg Judenburg-Kobenz.
1160 schenkt die Mühle urkundlich Frau Hemma, ver-
mutlich aus dem Geschlechte der heutigen Grafen Galler/
ans Stift Seckau.
X 1495 Jörg Murer* sagt dem Dompropst den Wälsch-
hammer heim, der vor Zeiten eine Mühle war.
Nach dem Hochwasser Neubau?
1572 Martha Pogenschmiedin,'^ unbekannt.
1600 Veit Painer, wahrscheinlich Kärthner Protestant.
1610 Lukas von Leuzendorf aus dem ausgestorbenen
Zweige der Vordernberger Gewerken.
1625—1647 Augüstin Kheffer.»
165Ö Karl von Steineck aus Kärnten.
1672 scheinbar außer Betrieb, Verweser Thoman Thin,
quittiert ein Laufschreiber der Gewerken nur einmal, ver-
mutlich für den Dompropsthammer in Hammerberg. -*
1674 6. August Benedikt KeflFer^ gestorben, unbekannt.
1698 Stillstand,« dann bis
1727 Mathias Bernhardt (f 1727), Gattin Sophie Moser.
1732—1750 t Anton Wallner, unbekannter Herkunft,
Schwiegersohn von Sophie Bernhardt.
1760, 20. November, Johann Jos. Baron Egger kauft
von den Kreditoren Wallners. ^
1778 Anton Thadd. Thaurer.
1788 Witwe Josefa Hochkofler.«
1791 Jakob v. Hochkofler (Gatte).
1793 im Halbbesitz mit Christof Baron Egger und
Frau Josefa, geb. v. Lierwald. Sohn Josefs.
1 Murboden Urbevölkerung, S. 25 u. 26, Muchar II, S. 97,
prasulat. Seccovensis Sachendorf.
« Hr. Schmut fand in den Gülten s.chätzungen, L.-A. 1542, S. 83.
Krannz Ambt schätzt ihren Hammer, Werchgaden samt ainem Zulehen
umb 45 af Pf.
» Baron Fraydenegg fand L.-A. Seckauer Spezialarchiv. „Khauf-
briff des Augustin für Hammer und MauthmüH", 8. Dez. 1625, gest. 1647.
* Ainbacher Hammerakten.
5 Hr. Schmut fand in Seckauer Inventarien den Verlaß Keffers.
Hammer, Müll, die Obermüll genannt, so auch Tafemgerechtigkeit
um 250 fl. geschätzt. Landesarchiv.
6 Ebendort kein Besitzer, im Statth.-Arch. März Nr. 62. Amt
Kobenz.
7 Hr. Schmut fand Seckau, Dokomentenbuch, Sig. ,4984.
8 Heir.-Kontrakt 25. Februar 1788, Testament 1803.
112 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
1795, 26. November, kauft J. v. Hochkofler die zweit Hälfte.
1820, 13. September, Matthias Schachner. .
1820, 6. Dezember, Josef Seßler.^ -^
1827, 23. März, Max Seßler und Johanna, geb. Hille- ]
brand, aus Kindberg, Theile schon 28. November 1825. 1
Sensenwerk errichtet 1850..
1864, 4. Februar, Johanna Seßler, geb. Hillebrand.
1878, 22. August, Katharina Reicher, geb. Seßle/.
1904 Irene Forcher von Ainbach, verehelichte Mylius, j
fideikommissarische Nutznießerin ihre Mutter Karoline ,
Forcher von Ainbach, geb. Reicher. !
Muren
Die sehr reiche Familie blüht, in der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunderts und verschwindet wieder in der ersten
Hälfte des 17., ohne daß man weiß, woher sie kam.'-' Ver- '
mutlich aus der Umgegend Knittelfelds, denn es gibt einen
Murerhof nahe Großlobming und ein Obermur bei St. Mar- j
gareten. Ersterer hatte den Vulgarnamen Murmar und wird '
nun Murhof genannt. Die Murer wirken zuerst um Knittel-
feld, dann Leoben und Brück, stets im Geld- und Eisenwesen,
vermutlich mit den Einpachern zusammen, in steter Verbindung |
mit dem Stifte Seckau und der Geistlichkeit.
Den Murern gehörte das Werk Sachendorf * und Hautzen- I
bühel, wahrscheinlich beide pfandweise vom Stifte Seckau, i
das Freihaus am Stadtplatz, heute Nr. 16, einst getürmt, und
die Teiche nebst Grundbesitz. An ihr Wirken erinnern nur 1
mehr die schönen, stilvollen Untersberger Grabmäler in der
Stadtpfarrkirche Knittelfeld, gewidmet den „Peter und Anna
sein Hausfrau, Valentin Joachim, Jörg und Gotthard die Murer,
ir Brüder u. Sun, Stiffter St. Cathreincapelle und Gott Allen '
gnädig sey. 1456. "* j
In brilliantem roten Steine von 250 Zentimeter Höhe j
mit schwer leserlicher und unbequemer Randschrift, unter '
reichem gotischem Baldachin, ist der Schild in edelsten Ver-
hältnissen, drei Spitzen nach rechts, am gekrönten Stech-
helm ein barhäuptiger Mann mit gefällter Saufeder.
' Seckauer Akten, Sig. 4915, nach Fr. Schmut. j
» Es gibt noch Bauern mit dem Schreibnamen Murer, im 18. Jahr- I
hundert kommen solche öfter in den Kirchenbüchern vor, so in Feistritz |
bei Weißkirchrn wohnhaft. '
3 Jörg der Hammererbauer von Sachendorf. .
* 29. September 1552 verkauft „Joachim St. zu Hautze das Haus '
am Eck am Platz neben Herl Weyrer und 3 Teicht".
Von Franz Forcher von Ainbach. 118
Gegenüber ist an der Evangelienseite ein schlankerer
Stein, das Wappenbild als Gegenstück nach links gekehrt,
^^ der Hintergrund aber äußerst geschickt und malerisch als
^ Korbgeflecht gehalten. Die verschnörkelte ßandschrift ent-
hält, wenn richtig gelesen, „Gotthard Murer 1505, St. Ca-
I tharinacapelln**. Die anderen Worte, als am Kopfe stehend,
waren nicht zu enträtseln.
Die Stadtpferrkirche wurde laut Schlußstein an der
I Sakristei 1477 gebaut, nach der Chronik 1486 vollendet,
somit sind die Steine vom selben wirklich großen heraldischen
^ Künstler als Gegenstücke^ nach 1505 angefertigt worden
und vielleicht für die Katharinenkapelle, die 1452 mit
einem Benefizium von 22 Pfund „herrengült"^ gegründet
und 1838 demoliert wurde. 1488 verleihen Richter und Rat
der Stadt Knittelfeld das Murerstift an Johann Rottenmanner.
> Die Pfarrkirche Knittelfeld kam im 14. Jahrhundert ans Stift
Seckau, bei dessen Säcularisation der große Kathreinwald
in der Kleinlobming,*^ der der Stiftung gehörte, schließlich
an italienische Holzhändler und vom vermeinten guten
Werke verblieb nichts, als die redenden Steine, die den treff-
lichen künstlerischen Geschmack der reichen Besteller ver-
ewigen.
Unbekannte Murers stifteten noch ein Benefizium in
?, St. Jakob, Leoben, vielleicht gehört Hans Murer dazu, der
1616 den Edelsitz Ottersbach neu erfand und konstruierte,
ein Murer war Kaplan in Brück. ^ 1544 verkauft Joachim
Muerer zum Hautzenbüchl Gülten an Wolf v. Stubenberg. ^
Ein silbernes Taschenpetschaft mit Servati Murer ze
Hautze 1532 beweist diesen Pfandbesitz Seckaus (Hautzen-
büchel) in ihren Händen. Damit ist jede weitere Nachricht
' erloschen. ^
I
^ 1 Vermutlich als Deckel von freistehenden Tumben, in der gleichen
Weise und vom selben trefflichen Künstler in Adnet bei Hallein, dessen
Marmor als Untersberger im Handel ging, wie der Tumbendeckel im
Joanneum des Balthasar Eggenberger, gest. 1493, mit einfacherer Schrift.
« Laut Pfarrchronik gab Gotthard noch 1477 Gründe drfzu.
3 Wichner, Hist. Ver. XVHL, 1882, S. 30.
t «Zahn, Styriaca, 1896, S. 173.
5 Archiv Stubenberg, S. 164. — Die L ambrechter Urkunde vom
\ 17. Juni 1532 (Kirchenfestschrift von Zeltweg, Steiner- Wischenbarts)
nennt Joachim Muerer zu Knittelfeld als Besitzer des Murhofes, dessen
von der Mur abgetrennter Grund von der Nachbarschaft in Lind ge-
kauft wurde.
« Im Parke in Hautzenbttchel 1876 gefunden, durch einen Maul-
wurf aus der Erde gehoben.
1 14 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslände.
Egger,
Der Gothaer Aliuanach 1905 bringt den Stammbaum ^
der Freiherm und Grafen Egger, die von den reichen Rad- j
gewerken, Eisenverlegern und Hammerherren in Vordernberg — ,
Leoben — Treibach und Sachendorf abstammen, worin ange-
geben ist, daß sie 1640 als Egger v. Kapfing und Liechtenegg
aus Bayern eingewandert seien.
Ein jüngerer Enkel des ersten Paul Egger* wurde
zwar merkwürdigerweise 1770 als Josef Paul Egger „von
Eggenwald" neu geadelt, aber Paul besaß schon 1697 adelige
Güter, sein Enkel Ferdinand wurde 1751 Kärntner und
1752 steirischer Landstand, der Urenkel Max 1760 Frei-
herr, 1785 Graf, der Urenkel Josef 1766 Freiherr.
Die Kärntner Grafen sind 1905 ausgestorben, die
steirischen Freiherrn blühen noch in Niederösterreich, Kärnten
und Steiermark. Paul muß also schon im 17. Jahrhundert
adelig gewesen sein, er hätte sich bei seinem bedeutenden |
Besitz den Adel ohne weiters kaufen können, der manchmal
wie die Baronie der Ziernfeld den Gewerken recht teuer zu
stehen kam.'^
Hammerherren Egger kommen im 16. Jahrhundert um i
Weissenbach — St. Gallen vor, andere im 17. Jahrhundert in i
Kapfenberg. Hans Egger von der Taferne in Weißenbach '
besaß 1625 einen Wälschhammer und zwei Kleinhämmer 1
und wurde nobilitiert.^ 1
Josef Baron Egger, Urenkel des reichen Paul erscheint
1772 als Besitzer von Sachendorf in den Knittelfelder Trau-
büchern.
Christoph Baron Egger 1793—1795. 1
Die widersprechenden Verleihungen bezeugen auch hier
wieder, daß Wappen und Adelstand im Laufe der Zeiten I
anderen Rechten und anderen Ausdrucksformen in den Gnaden- 1
briefen unterlagen, die heute nicht mehr richtig gedeutet
werden können, da die Gebräuche selbst in den Alpenländern
z. B. Steiermark und Tirol ganz verschiedene waren. Ander-
1 Kraus, „Eherne Mark". J
« Historische Vereinsschriften, XL., 1892, JutmaDn, anno 1787, |
60.000 fl.. damals eine sehr große Summe. Kapital für Übertragung des ^
Freiherrnstandes auf den adoptierten Leopold Maria Anreiter von Ziern- |
feld auf Stibich- uj|d Friedhöfen.
5 Pantz, Gründung der Innerberger Kadgewerkschaft, der 1625 |
im steirischen Hammerbezirk von Eisenerz 18 welsche, 27 kleine Hämmer
(Stahlstrecker) aufzählt, die 18 Gewerkenfamilien ernährten. I
1
Von Franz Forcher von Ainbach. 115
seits war man früher auch über die Abstammung und die
Rechte der Vorfahren nicht klar, die man in neuester Zeit wieder
mit Interesse zu studieren anfängt.
Thaurer von Gallenstein.
Aus Bayern^ stammende Beamtenfamilie des Eisen-
wesens im Ennstale. Anton Thaddäus, geb. 1732, Sohn des
kaiserlichen Mautners Franz Anton in St. Gallen, geb. 1698,
heiratete in Knittelfeld 1778 als „angehender Besitzer von
\. Sachendorf" Christine Stanzinger, Radmeisterstochter in
Vordernberg. Der Hammer in Sachendorf kostete 9000 fl.
Verkäufer Josef Baron Egger.
Am 29. April 1796 mit „von Gallenstein" in den Ritter-
stand versetzt, blüht die Familie noch in Kärnten. Die
i Stanzinger von GüUingstein sind ausgestorben.
^ Hochkofler.
Der k. Rat und Landesbuchhalter Johann Siegmund ^
wurde 15. Dezember 1668 mit vonHochenfels geadelt. Sein Sohn
Siegmund, landschaftlicher Beamter, heiratete 7. Februar 1691
^ Maria Konstanzia, die Tochter des reichen Paul Egger,
Leoben, wodurch sie Gewerken wurden, von denen Jacob
c stammt. Die Familie ist in Venedig ausgestorben.
Schachner.
f Die Familie identisch mit den Sensengewerken in Hopf-
garten, stammt aus der Gegend bei Rain, von denen Klara
den letzten Stegmüller beerbte, die in Hopfgarten zu ver-
^ folgen sind. Ausgestorben.
Eine Verwandtschaft mit den Gewerken des 16. Jahr-
^ hunderts in Vordemberg und jenem Schachner vor 1665
in Ainbach, ist nicht zu erweisen. . •
Sessler.
Josef Sessler,'* geboren 27. April 1763, gestorben
24. Mai 1842, war der Sohn des Postmeisters in Nieder-
* Kraus „Eherne Mark".
« Ebenda.
3 Aus dem Nekrolog, gedruckt Kienreich G»az, anläßlich der
Denkmalenthüllung 6. Oktober 1844, als eine große Pyramide mit
Bronzemedaillon gegenüber dem Friedhof in Großlobming enthüllt
wurde, vor kurzem aber demoliert ist.
8*
116 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
österreichisch-Weikersdorf, ein weitblickender Kaufmann im
großen Stile, der in den napoleonischen Kriegen mit den
verschiedensten und glücklichen Spekulationen einen fürst-
lichen Besitz erwarb. Als Postmeister von Weikersdorf kaufte
und betrieb er neben allen großen Unternehmungen die Post
in Vordernberg, sein erster steirischer Besitz war aber 1792
der Hönigtalhof und das Hammerwerk bei Krieglach, welcher
Industrie 1814 das Radwerk Nr. 3 in Vordemberg und die
weiteren Erwerbungen sich angliederten.
Seine Frau war Elise Bierbauer aus Wien, sein Sohn
Max kaufte 28. November 1825 Sachendorf, dann Wasser-
berg und Maßweg. Dieser, geboren 1. Mai 1802, ge-
storben 9. Juni 1862, heiratete Johanna Hillebrand aus
Kindberg, geboren 15. August 1805, gestorben 2. De-
zember 1877. Deren Sohn Max, geboren 20, Mai 1846,
starb schon 20. Juni 1870.
Sachendorf vererbte sich nun an die Tochter Katharina
Reicher, k. k. Oberlandesgerichtsratsgattin, von dieser wieder
an ihre Tochter Karoline Forcher von Ainbach, als fidei-
kommissarische Nutznießerin wieder an ihre Tochter Irene
Mylius, geb. v. Forcher.
Der Name Sessler und der mit dem Substitutionsbande
belegte Grundbesitz im Mürztal und Großlobming etc. wird
von den Urenkeln Josefs weitergeführt, die seit der Freiherm-
standsübertragung von ihrem mütterlichen Großvater seit
11. Februar 1869 den Namen Freiherrn von Sessler-Herzinger
führen, nachdem ihr Vater schon 1. September 1866 den
österreichischen Adel und Ritterstand erhielt.
Wohltätigkeitsstiftungen erinnern an den überaus
emsigen Gründer.
Die zweite Tochter Max Sesslers Klara heiratete Karl
Arbesser, Edlen von Rastburg auf Spielberg und Pichelhofen,
die dritte Anna, Hans Händel Edlen von Rebenburg auf
Stübichhofen.
Nr. 4. Paßhammer.
Nördlich von Judenburg an der Pols am Saumweg zur
Salzstraße.
Erst Zeugschmiede, Pfannhammer, 1662 Sensenwerk.
Beck, IL, 627, Erzherzog Karls Eisensatzung enthält
nicht in Knittelfeld, wohl aber bei „Der Hammermaister
Khauif zu Judenburg Sengsen Khnütl — der Centen umb
Von Franz Forcher von Ainbach. 117
3 Pfd., 6 M. 4 Pfg.". Sie wurden wie in Waidhofen zum
Bedarf der Sensenschmiede gereckt und das konnte nur bei
größerem Werchgaden in Judenburg an der Mur und im Paß-
hammer geschehen. Die Khnütl waren Zaine, denn nach
Schröckenfux wurden die Schmiede „Sengsen- und Khnüttel-
schmiede" genannt.
„Der Khauf des Brucker geschlagenen Eisens" unter-^
scheidet schon „hungrisch (leichte) und teutsch Sengsen
Khnütel (schwere)".
1548 Oswald Einpacher, Ritter.
Vor 1570 Georg Einpacher.
1579 sein Schwager Georg Salzmann, dann dessen
Schwiegersohn,
1596 — 1617 Balthasar Hainricher, Ahnherr der kurz-
lebigen Grafen Heinrichsberg.
1648 Anna Weger, geb. Heinrichsberg.*
1649 3. Mai kauft Hauptmann Matthias Pölchinger zu
Waschhofen den Passhammer, Mühle, Säge und Paßhof
um 1700 fl.
1662 verkauft Pölchinger ein Haus am Paßhammer
dem Sensenschmied Hans Moser (aus Judenburg?), am
5. November, wo er schon 1654 ein Sensenwerk errichtete.
1700 Hans Moser. 2
1750 — 1780 Balthasar Hiezenberger, Sensenschmied-
meister.
1803 — 1823 Johann Georg Hierzenberger, Sensen-
schmiedmeister.
1850 Franz Schaffer.
1860 Beim Verkauf kam das Werk an die nun in
Steiermark nicht mehr existierende Aktiengesellschaft Blech-
werk Johann Adolfhütte, das Zeichen zwei Kreuz an das
Forcherwerk in Rothenthurm.
1900 wurde das Werk demoliert, die Wasserkraft be-
nützt das Blechwerk Styria in Wasendorf.
Außer den unbekannten und schon früher behandelten
Gewerken waren noch und zwar chronologisch
1 Historischer Verein.
* Hammerakten im Schloßarchive zu Nechelheim.
118 Die alten üandelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Heinricher, später Grafen von Heinrichsberg.
Die Familie dürfte aus der Umgebung Judenburgs stam-
men, da außer den Ratsbtirgern Heinricher in den alten
Kirchenbüchern auch Bauern vorkommen, z. B. 1607 Simon
Heinricher „ein Pauer, in Reifling**, und 1605 Christoph
Heinricher am Feberg.
Als Paten in Verbindung mit den Salzmann, 1602
Anna Heinricher, 1602 der Landrichter Paul, 1624 Hermann,
gehören den Ratsbürgern zu.
Das Traubuch meldet 24. Februar 1609 Balthasar Hein-
richer ^ mit Marie Winkler von Unzmarkt und 1625 Sattler
Hans Heinricher, Burger zu Unzmarkt, Sohn des Hans Hein-
richer, Rathsburger und Bierbrauer zu öttingen in Schwaben,
wohin vielleicht ein Judenburger wanderte, da um jene Zeit
die Alpenländer in vielfacher Verbindung mit Süddeutsch-
land standen.
1631 kauft Hermann Heinricher von Heinrichsberg ^
das Weyerschloß von Dr. med. Zolt von Zoltenstein.
1635 wird der vom Schwiegervater Georg Salzmann
ererbte Thorhof in den adeligen Sitz Heinrichsberg umge-
tauft.^ Hermann Heinricher ^ von und zu Heinrichsberg adop-
tierte 1646 den Hans Pagge aus Tamsweg, die aus Feld-
kirchen stammend, 13. März 1601 geadelt wurden (Erzherzog
Ferdinand).
Hans Heinricher von Heinrichsberg, vormals Pagge,
wurde 1663 Freiherr, sein Sohn Johann Wihelm 1696 Graf.
Spielberg besaßen sie von 1668 bis 1736, desgleichen
Rottenbach.
Ihr Wirken verewigt eine Spitalstiftung des Heinrich
und Bruder, bestätigt vom Rate Judenburg 12. Mai 1617.
Am Paßhammer schmiedeten sie um 1617 und erloschen im
Mannesstamm als Grafen, 1. Mai 1783.
18. April 1648 verkauft Gülten Anna Weger am Paß-
i Seine erste Frau war die Grazer Ratsbürgerstochter Maria
Lechner, die 17. Juni 1585 urkundet. Hist. V. XXII.
« L. V. Beckh-Widmanstetter: Wanderungen um Judenburg 1890,
und desselben: Die neuen Grafen von Ortenburg und ihre Akte als
Pfalzgrafen. Gerold, Wien 1890.
« Hist. V. XXII. 24. Januar 1616. Landeshauptmann Freiherr
V. Ursenpeckh in Kärnten schenkt seinen Thorhof den Brüdern Hans
und Hermann Heimicher.
* Burggraf zu Judenburg. v. Beckh : Die Grafen von Ortenburg
und ihre Akte.
I Von Franz Forcher von Ainbach. 119
^ hammer an ihren Bruder Hermann Hainricher, 3. Mai 1649
(i verkauft diese ihren Paßhof und Hammer an den Haupt-
mann Math. Pölschinger zu Waschhofen.
Moser.
1680 übersiedelt Abraham Moser vom Sensenwerke
» Darbach bei W.-Garsten auf das Sensenwerk Griebl in Op-
ponitz, Zeichen Posthorn. 1640 wird Salamon Sensenschmied-
meister in Freßnitz bei Krieglach. 1654 ändert Hans den
Paßhammer in eine Sensenschmiede um ; er wie sein Bruder
Leonhard, beide aus Michldorf, errichten 1662 eine Sensen-
schmiede in Judenburg (an der Mur??), Zeichen dann in
Rotenthurm, Leonhard errichtet 1675 die „Möderbruck" neu.
Die Familie Moser in und um Judenburg scheinen
^ die oberösterreichishen Pioniere gewesen zu sein.'
^ denn es ist doch auffallend, daß zu ihrer Zeit die drei Sensen-
*^ werke im Möschitzgraben, also in ihrer nächsten Nähe, ent-
standen, nachdem Hans die erste Gründung wagte.
Die Familie existiert zwar nicht mehr im Murtale, aber
* sie besitzt seit 1680 das Sensenwerk in Weißenbach-Lietzen,
^ und ist vor kurzem dort ausgestorben.^
i^ Hiezenberger.
1671 wurde Michael aus Michldorf Sensenschmied-
meister in Admont, 1684 Johann von dort Sensenschmied-
meister in St. Peter bei Scheibbs, 1 686 kauft Lorenz von
der Pießling bei W.-Garsten Singsdorf - Rottenmann. 1750,
♦ Balthasar von Spital a/S. erheiratet als Sensenschmiedmeister
den Paßhammer. In Steiermark ausgestorben, der letzte
Sohn ist Gewerke in Scharnstein.
p
Schaffer.
1823 kauft Josef, ^ Fleischhauersohn aus Knittelfeld, den
^ Sensenhammer in Breitenau bei Mixnitz; er war der Neffe
des Sensenschmiedmeisters Simon Stegmüller in Hopfgarten.
Sein Vetter Josef* (die Großväter waren Brüder), Seßler-
scher Verweser in Stanz, kaufte 1853 den Paßhammer und
^ starb 1903.
« Kraus, Eherne Mark. S. 97. sagt irrig „bei St. Gallen".
« Großvater des heutigen Gewerken Josef in Breitenau.
3 Der Sohn des Gewerken in Obdach.
120 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
I
Nr. 6. Der Hammer am Hammerberg^
westlich von Knittelfeld, wurde vom Domstifte Seckau um
das Jahr 1586 neu angelegt, denn das Praesul. Seccoviensis
meldet das Privileg des Erzherzogs Karl an den Dompropst
Erzpriester Lorenz vom 23. Dezember 1586, „das am neuen
Hammer geschlagene Eisen sei nach dem welschen Gebueth ^
ungehindert passiren zu lassen". Es ist nicht bekannt, ob der i
stiftische Verweser Thomann Thin 1672 hier oder in Sachen-
dorf herrschte. Die Thin waren Ende des 17. Jahrhunderts
Eisenhändler und Gewerke in Brück, Laming, Kapfenberg, \
Waldstein, Deutsch-Feistritz, Kallwang. t
Josef Thinn aus Kallwang war 1694 Chorherr in Seckau. i
Johann Adam baute 1690 den abgeödeten Hammer in Wald-
stein und Feistritz aus, als Filiale seiner Brucker Unter- j
nehmungen. Der Waldsteinerhammer wurde von Pangratz-
Windischgrätz am 7. Dezember 1575 in Betrieb gesetzt. Die « ;
Thin wurden 21. April 1731 geadelt und als von Thinfeld J
am 3. Oktober 1853 baronisiert, sind aber im Mannesstamme
erloschen. (
Der Hammer am Hammerberg wurde wegen der Holz- '^
kohlennot 1823 aufgelassen^ und gehört jetzt zu Sachen- |
dorf, nicht ein Stein erinnert an seine Existenz. Beim An- j
kaufe der Staatsherrschaft Seckau, 3. November 1823, durch l
die neue Radmeisterkommunität Vordernberg wurde zur Sicher- 1
Stellung des Holzkohlenbezuges und über Vorstellung der um- 1
liegenden Gewerken die Auflassung beschlossen und fest- '
gestellt, daß kein neuer Hammer in der Gegend mehr er- j
richtet werden dürfe. '-^
Nr. 6. Hopfgarten^
alte Schmiede am Saumweg zum Salzstiegel, östlich Weiß-
kirchen. I
1651 heiratet Mathias Pammer zur Witwe Regina Rabl. j
1688—1812 waren drei Generationen Simon Steg-
müller, der letzte starb ledig 1812 in Graz. i
1812 — 1832 Anna Schachner, seine Erbin, dann Bruder
Mat. S. I
1833 — 1852 Mathias und Anna Schachner. j
1853—1857 Ferdinand Schachner und Frau Katharina,
geb. Zeilinger.
< Lant Komiteebeschluß. :
2 Göth: „Vordernberg", 1839. '
Von Franz Forcher von Ainbach. 121
1858 Radmeisterkommunität Vordernberg.
1890 Franz Paulus.
Das Werk besteht seit 1858 als solches nicht mehr.
Das Zeichen, zwei Krummsäbel, kam ans Forcherwerk
Eppenstein und wurde nach Beckh II, 424, sehr in Amerika
gesucht.
Stegmüller.
Abstammung unbekannt, wahrscheinlich dem Namen
nach Oberösterreicher, ist der älteste 1688 in Hopfgarten.
Seine Söhne: Johann kam 1710 nach Passhammer, Georg
1721 nach Eppenstein, von Hopfgarten 1744 nach Obdach
(Werk Warbach), von Eppenstein 1754 in die Kainach.
In Obdach war 1753 Franz Hammerherr in Obdach
und in der Stegmühl Math. Sulzer, letzterer wohl ein neuer
Hammer. In Möderbrugg warl759 Math. Stegmüller, 1773 Wolf.
Die Vordernberger Radmeister des 18. Jahrhunderts
gehören wohl zur selben Familie, die nun ausgestorben ist.
Die Sensenwerke im Möschitzgraben hinter St. Peter ob
Judenburg.
Die früh mittelalterlichen Waffen-, Bogen- und Zeug-
schmieden entstanden am hohen Gefälle des damals wasser-
reichen Möschitzbaches, umgeben von Wäldern, gespeist vom
Eisen aus Seethal, Hüttenberg und Leoben. ^
Nr« 7. Ebnerwerk^ Zeichen Sonne.
1660 ändert diese Waffenschmiede Hans Grienauer aus
Klamm bei Rottenmannn, von wo er das Zeichen'^ seines
Vaters mitbrachte, weshalb die Zeichenrolle Nechelheim
wohl den Wolf Grienauer neben den zwei Moser als einzige
Sensenschmiedmeister um Judenburg anführt. Zeit 1660 -1670.
1703 erheiratet das Werk Gregor Blumauer, Sensen-
händlerssohn aus Kirchdorf. Mit seiner Gattin Juliana er-
sterben die alten Grienauer. Er stirbt 2. April 1723.
1723 heiratet Barthol. Helml (ausgestorben), aus
Dürnbach, die Witwe Blumauer, der 1748 als zweite Frau
1 Noch beweisen die kunstvoll angelegten Wege auf und über
die Alm ihre große Benützung, namentlich für Holzkohlentransport.
« Beckh, II, 397, führt auch die Sonne auf der Zeichenrolle.
Solingen, 1600, Joh. Wilms.
122 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Katharina Stegmüller aus Hopfgarten heimführt. 1750 heiratet
diese den Joh. Georg Weinraeister aus Michldorf (Singsdorf ?).
1803 übernimmt der Sohn Franz X. Weinmeister.
1823 kauft Josef Ebner und seine Frau Marianne
Blumauer.
1845 Josef Ebner sen. und jun. zusammen.
1870—1878 Josef und Marianne Ebner, geb. Wagner.
1878 — 1890 deren Tochter Karoline Forcher v. Ainbach.
1890 Karl Wittgenstein und seine Firmanachfolger.
1892 die Egydier Stahl-Gewerkschaft.
1894 die vereinigten Sensenwerke Judenburg, Kind-
berg, Mürzzuschlag.
1902 demoliert.
1905 das Zeichen an Foest und Fischer, Judenburg.
Blumauer.
1706 erheiratete Gregor aus Kirchdorf die Sonne,
1759 kauft sein Sohn Josef das Sensenwerk Rothenthurm,
dessen Sohn Mathias erheiratet 1745 den Rösselhammer,
dort folgten 1767 der Sohn Johann bis 1791, 1820—1848
Franz Anton, 1788 — 1820 Mathias mit der Gattin
M. A. Blumauer vom Rössel, 1820 — 1849 Josef Anton,
1852—62 Johann Blumauer an Hammer in Rothenthurm.
Der letzte lebt als Oberlehrer in St. Georgen ob Murau.
Ebner.
Am 19. März 1790 wurde Josef der Ältere in Hör-
bach bei Neumarkt geboren, heiratete die M. A. Blumauer
13. März 1818 vom Rösselhammer,* starb 10. Juni 1870.
Dessen Sohn Josef, geboren 1820, gestorben 10. März 1878,
vererbte an die Tochter Karoline, verehelichte Forcher von
Ainbach, das Werk Sonne.
Wittgenstein.
Karl, geboren 1844 in Wien, der erfolgreichste Eisen-
gründer der Neuzeit Österreichs, kaufte, um seinen böhmischen
Stahlabsatz zu sichern, 1890 die vier Forcherwerke (zwei
im Möschitzgraben, 1 in Rothenthurm, 1 in Pols), 1891 Steg-
müller im Möschitzgraben, dann die Werke J. Trauzl in
Kindberg, Paul Aigner in Mürzzuschlag, und konzentrierte
die Werke an der vergrößerten Muranlage in Judenburg.
* Marianne Blumauer, geb. 26. Juni 1789, gest. 15. Juli 1844.
Von Franz Forcher von Ainbach. 123
Die noch immer „vormals C. Forcherschen Werke"
gingen an die Gesellschaftsfirmen über, deren letzte heute
lautet :
Foest und Fischer.
Geboren in Wien 1867, Rudolf Foest.
Geboren in Wien 1872, Hermann Fischer.
Nr. 8. Stegmfillerwerk^ Zeichen BösseL
1672 umstaltete Elias Grünauer von Spital a. P. den
seit 1662 bestandenen Zerrennhammer zur Sensenschmiede
und heiratete 1675 Anna Moser vom Passhammer.
., 1690 - 1718 Hans Georg Rettenbacher aus Kirch-
dorf heiratet 1710 die Magdalena Grienauer von der „Sonne".
1719-1735 ihr zweiter Gatte Simon Steinhuber von
^ Klaus, Oberösterreich, geboren 1697, stirbt 14. Juni 1735.
1740 — 1744 der Sohn erster Ehe, Josef Rettenbacher,
verehelicht mit Magdalena Zeilinger von der Stegerling.
1745 — 1764 Mathias Blumauer aus Dümbach heiratet
" die Witwe.
1767—1791. Der Sohn Johann Blumauer heiratet 1774
die A. M. Weinmeister.
1820-1848. Franz Anton Blumauer.
1848-1891. Dessen nichtverwandter Adoptivsohn
Johann Stegmüller aus Eppenstein, der indirekt von den
alten Gewerken stammen kann.
1891. Wittgenstein und seine Nachfolger.
► 1901. Demoliert.
1906. Schlägt das Zeichen Foest und Fischer, Judenburg.
^ Rettenbacher.
Der älteste bekannte ist Peter, um 1580 geboren,
seine Nachkommen wurden in Oberösterreich Sensenhändler,
in Steiermark Sensenschmiedmeister. Die letzten Retten-
bacher in Oberösterreich sind Großsensenhändler und seit
25 Jahren Sensenschmiedmeister, in Steiermark sind sie nur
vorübergehend erschienen.
Steinhuber.
Eines der wenigen Urschmiedegeschlechter, die mehr
» als 300 Jahre an ihrem Stammsitze arbeiten. Der Steinhub
^ in Michldorf. 1677 änderte Georg den Drahtzug und die Nagel-
124 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
schmiede im Feistritzgraben-Rothenthurm in ein Sensenwerk,
1703 erheiratet Franz den Einöder Hammer bei Neumarkt,
sein Neffe Simon aus Klaus heiratet 1719 die Witwe Retten-
bacher.
In Steiermark leben noch Nachkommen als Schmiede.
Nr. 9. Forcherwerk^ Zeichen Feinbalbmond^
in Österreich Semmel und Halbmond genannt. 1672 um-
staltet die alte Hackenschmiede Andreas Pießlinger von der
Kaixen bei Windischgarsten, von wo er mit väterlicher Be-
willigung das Zeichen mitbringt. Die Familie ist altberühmt
und noch im oberösterreichischen Handwerk tätig.
1703 — 1741 arbeiten sein Schwiegersohn Kaspar und
Maria Zeyringer, geboren 1661.
1742 - 1759. Bernhard Rettenpacher vom Rössel und
seine Frau Magdalene Kaltenprunner aus Schamstein.
1759 — 1782. Wolfgang Hilleprand aus Rottenmann.
1782—1793. Witwe und Stiefsohn Anton Hilleprand. *
179^—1814. Einheirat des Johann Fürst.
1814 — 1827. Kaufen Josef und Marianne Ebner.
1827 — 1852. Franz X. Weinmeister aus Singsdorf und
Victoria, geb. Koller, aus Mölln.
1852. Nikolaus v. Forcher.
1861—1862. Dessen Söhne Vincenz und Konrad.
1863—1890. Konrad Forcher von Ainbach.
1890. Karl Wittgenstein und Nachfolger.
1900. Demoliert.
1906. Das Zeichen schlagen Foest und Fischer,
Judenburg.
Hillebrand.
In Deutschland gibt es sehr viele Familien des Namens
Hillebrand, Hilleprandt, Hildebrand, Hildenbrand, so daß sich
einige dieser Namensträger besonders um die Abstammung
bekümmerten, zu welchem Zwecke eigens eine Fachzeit-
schrift in zwanglosen Heften erscheint.
„Die Geschichtsblätter der Familien vom Stamme
Hildebrant" erschienen zuerst 1897 in Stolp in Pommern
und nun in Braunschweig im Verlage Johannes Hildebrand.
1 Anton, das dritte Kind Wolfs, geb. 2. Juni 1763, starb am
3. Juni 1793.
Von Franz Forcher von Ainbach. 125
Sie enthalten eine Reihe von Stammhäumen aus den ver-
schiedensten Teilen des 'Reiches und Österreichs, letztere
hauptsächlich aus der Feder des Rittergutsbesitzers, Ritt-
meister Traugott Hildebrand auf Kokorczyn bei Kosten, Pro-
vinz Posen. Speziell ftir Steiermark, behandelt er die wich-
tigen Hildebrand in Eisenerz und Vordemberg und die von
ihnen ausstrahlenden v. Prandegg, Brandenau, v. Prandten-
berg und die Hillebrand Rottenmann. Die Namensentstehung
ist austührlich erörtert. Auch ich habe auf dem Wege der
steirischen Dorfnamenvergleichung das gleiche Resultat zu-
tage gefördert, daß der Name kein gotischer, sondern ein
fränkischer ist, und die Urheimat nahe dem Fundort des
Hildebrandliedes zwischen Fulda, Wetzlar und Friedberg,
also dem hessischen Eisenlande zuzuschreiben ist;' wohin
ja auch die Tradition deutete. Ohne Beweise war ich der
Meinung, die Rottenmanner Hillebrand seien eines Stammes
mit den Eisenerzern gewesen, die wahrscheinlich willkürlich
angenommene Wappengleichheit sprach allein dafür. Erst
die Notiz im Totenbuch von Rottenmann, „1719 ein Sensen-
schmied von Windischgarsten", veranlaßte mich, in Ober-
österreich Nachfrage zu halten, die mir der einzige Kenner,
Herr Bürgermeister Franz Schröckenfux in Windischgarsten,
in ausgiebigem Maße darbot. Seine Auskunft ist auch für
viele ganz willkürlich im Dunklen herumsuchenden Namens-
forscher außerordentlich interessant und beweist, daß die
Rottenmanner, St. Peter, Kindberger, Pölser Hillebrand ganz
echteste Oberösterreicher sind und ihr Namen nichts mit
dem fernen Franken Hildebrand zu tun hat. Herr Schröcken-
fux, selbst ein Sproß einer seit drei Jahrhunderten sensen-
schmiedenden Familie, 2 gibt den Namen als tatenbezeichnen-
den Kombinationsnamen, wie er selbst und so viele Ober-
* Für uns südlich der Mainlinie gelten andere Gesetze bezüglich
rein germanischer Namen, heute noch sind die Menschen anderer Art,
und halte es ganz ausgeschlossen, daß unsere gleich den fränkischen
Hildebrands sich herleiten sollten. Hilt-Prant, Eist. Ver. 1881, Zahn,
steirischer Taufnamen, mag ja bei den Franken Kampf-Schwert be-
deutet haben, bei den Oberösterreicher Elingenschmieden liegt die
Heldensprache zu ferne und die Handwerksrede wohl am nächsten.
> Die Familie stammt aus Waidhofen a. d. Ybbs, kam 1590 nach
Oberösterreich, Michel nach Leonstein. Außer diversen Werken in Steier-
mark (zuletzt Fresen bei Niederwölz) besaß eine Linie den Drahtzug
in Hall bei Admont 1590 — 1842 ohne Unterbrechung (laut Kraus „Eh.
Mark"). Johann Michael Schröckenfux, Urenkel des Michel, kaufte 1726
die Weilnersche Sensenschmiede in Rottenmann, benannte sie nach
126 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslände.
Österreicher wie nirgends in heute^ deutschen Landen tragen.
Die ürschmiede trugen Taufhamen, denen bezeichnende
Spitz- und Ruftiamen zugefügt und vererbt wurden, wie ja.
gerade ihre Landsleute heute noch durch ebenso bezeich-
nende, wie vielsilbige, langatmige Unterschriften glänzen.
Der erste Schmie^i Hillebrand dürfte eine Feuersbrunst mit
Decken oder Erde verhüllt haben und wurde von seinen.
Genossen Hüllebrand gerufen. Hülle ist der Dialektausdruck
für Bettdecke, die alten Schmiede sagten Hüllebrand oder
HöUeprand. Späte Wappenfabrikanten benutzten zwar kühne
nordgermanische Namenshistorien zum Ergötzen vieler Be-
steller, aber die Richtigkeit meiner Erklärung beweisen die
Namen gleichzeitiger Michldorfer Sensenschmiede 1580 — 1615.
Peter Löschenbrandt (Lösche den Brand !) lebt 1580—91,
der Admonter Beichtvater der Gößer Nonnen, P. C. Anger-
brand 1718 (er brannte einen Anger ab!), ^ Georg Boigen-
zain auf der Blumau (Biege den Zain, also der bessere Ar-
beiter bei der Arbeitsteilung, vielleicht der Gehilfe des
„Hammerschmied", oder des „Abschiennerer". ^ Wolfgang^
Röckenzain (Recke den Zain, der heutige Hammerschmied, der
den Stahlstab streckte, aus dem die Sense gebreitet wurde),
Reisenzain (der Hammerschmiedgehilfe) etc., Zaindlmaier (der
N. Mayr, der Zaine schmiedete), die Hebentanz, die Heben^
streit, sie alle gehören zu den immer einst lustigen Schmieden
und ihre Rufnamen waren geradeso begründet bei der Arbeit
wie bei der Lustbarkeit, der wohl die Witznamen der alten.
Gewerken zugehören, die heute noch blühen oder in Er-
innerung sind, wie die Weinmeister, die Roßtäuscher, die Eis-
vogel, die Rothfux, die Schröckenfux und andere. Die Hille-
brand sind Oberösterreicher „Ursengschmiede", die in der Zeit
von 1580 bis zu ihrem Aussterben, 1891, nachweisbar die
seiner alten Heimat, seit 1687 „Roßleithen" bei Windischgarsten.
1770 verkaufte sein Sohn Adam das Werk mit dem gleichen Zeichen
an seinen Schwager Franz Jacob Hillebrand, am Hochzeitstag 9. Juli,
als angehender Sensenschmiedmeister im Traubuch Rottenmann ein-
getragen, Gatte der Helene Schröckenfux.
Die Schröckenfuchs blühen noch als Gewerke in Oberösterreicl^.
Von der Roßleithen kamen sie nach Übelbach, Obdach, Fresen,
Garsten als Sensenschmiedmeister. Die Drahtzieher und Hammerherren
kamen auch nach Schladming und sind nicht mehr in Obersteier.
* Der Admonter Profeß Dominik Angerbrandt, 1. Mai 1705, im
Hist. Ver., Heft 9, von 1859. Der in Salzburg vorkommende Name
Neubrand und Hausbrand in Triest. Gerstenbrand in Wien.
* Beckh, II, 422, wo immer der Band der fünf großen Bände-
Kulturgeschichte gemeint ist.
Von Franz Forcher von Ainbach. 127
Schmiedekunst in allen ihren Stadien der Verbesserung auf
folgenden Werken ausübten : Michldorf 1580 — 1587, Scharn-
stein 1594 auf vier Werken bis zirka 1700, Windisch-
garsten 1606, Hammerl bei St. Leonhard im Mühlviertel
cirka 1700, Rottenmann drei Werke 1716—1772, Singsdorf
bei Rottenmann 1775 — 1785, Möschitzgraben bei St. Peter
ob Judenburg 1759—1793, Kindberg zwei Werke 1785—1868,
Schladming 1803, Pols 1827—1891.
Nachweisbar sind die Oberösterreicher Hillebrand
mit den mittelalterlichen Eisenärzer und Vordernberger Rad-
meistern samt ihren anderen obersteirischen stahlschmiedenden
Verwandten nicht im verwandschaftlichen Verhältnisse, wohl
aber liegt es nahe, daß die Eisenschmiede Oberösterreichs
in Handelsverbindungen nach den Eisenwurzen zogen und
sich dort festsetzten, bis die Gegenreformation einen Ast
1600 wieder bis nach der Provinz Posen verschlug.
Einen Familienzusammenhang möchte ich aus der
großen Ähnlichkeit der steirischen Hillebrands mit denen
der Hildebrand auf Kokorczyn ziehen, die besonders die
Porträts Ende des 18. Jahrhunderts aufweisen.
Der älteste urkundliche Petrus Hillebrand ' war 1419
Pfarrer in Fraßlau, 1410 in Praßberg, 1414 öffentlicher
Notar „von Isenach",^ vermutlich der gleiche, der 1395
de Isenaco studierte und in Erfurter Matriken vorkommt.
Um Aussee gibt es heute noch viele Hillebrand, meist Hilt-
prand geschrieben. Die von Ottenhausen und von Prandau
zählen ja auch dazu, die ich an der nahen Grenze Ober-
österreichs den fruchtbaren Sensenschmieden von Micheldorf
und Scharnstein zuschreibe. Von der Eisenverlagsstadt
Steyer ' dürfte wohl als erster an die Eisenwurzen gekommen
sein Wolf ^ 1470 — 73, der St. Peter am Freiensteine um
1452 Pfund Salz pflegweis innehatte, von ihm stammen wohl
« Grozen Ign. v., Bistum Lavant, II., 1877, S. 168, 164.
* Angabe der steirischen Quellen in der Hildebrandszeitschrift.
3 Das Rauheisen kam von Eisenerz und Steyer in die Werke
und. von dort zurück als „geschlagenes Zeug" in die Verlegstadt Steyr
zum Geldbeheben.
* Ein öfter wiederkehrender Familientaufname, der ja auf die
Diözese Regens bürg und ihren Gründer WoKgang weist, von welchem
Bajuvaren, gemischt mit den brünetten keltischen Schmieden doch
wohl die Sensenschmiede stammen. Um zirka 1000 n. Ch. wurde noch
vereinzelt um Kremsmünster windisch gesprochen. (Strnadt, die Geburt
des Landes ob der Enns, S. 14, 15; Mon. boic. XI. 106; Kämmel,
die Anfänge deutschen Lebens in Österreich, S. 160—163).
128 bie alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
die später ausgewanderten Radmeister, die 1550 — 1600 in
Eisenerz „Flossen" sotten und die in Vordernberg 1552 bis
1700 drei verschiedene Radwerke betrieben.
Die immer wiederkehrenden Wolf und Max deuten doch
auf gemeinsame Ureltern, die nach Jahrhunderten wieder in
Erinnerung kamen, und alle adeligen Gewerken Hillebrands
gehören ihnen an, von denen Jacob 1636 als von Prandegg,
1662 Freiherr auf Schrattenberg, Johann Frid. 1652 als
von Prandtenberg und Peter 1674 als von Prandau nobilitiert
wurden.
Unruhige Geister studierten im Auslande, so 1587
Esaias Hildebrandus, Noricus an der Universität Frankfurt
an der Oder, wie ohne näherem Herkommen die Matrikel
beweist. Die Alpenländer beherbergten im späteren Mittel-
alter viele Hillebrand.
Über die einflußreichen Radgewerken Hillebrand in
Eisenerz und Vordernberg bringen die Familienblätter die
Daten ihrer Existenz. In Eisenerz erscheinen sie um 1547,
1549 Max Hilliprandt, Marktrichter, und als solcher wohl
aus den Radmeistem. Hans 1547 Marktschreiber. Leonhard
starb 1580 als Radmeister. Die Brüder Hans und Marx
(vielleicht einst Marcus) erhielten 14. Jänner 1561 das
Wappen „schwarzer Mann mit Brandstock in gold". Hans
verkaufte als vertriebener Protestant das Radwerk 1600 an
Silbereisen, dessen Nachkommen zogen nach Alt-Driebitz bei
Glogau in Pr.-Schlesien und von dort auf die Güter in der
Provinz Posen, wo sie noch blühen. ^ In Vordernberg besaßen
Max das Radwerk Nr. 7 von 1568—1590, Georg 1595 bis
1603, Max besaß 1601 — 22 Nr. 9, dessen Administration
1622—24, Johann Friedrich Hilleprandt besaß Nr. 2 1700,
der schon 1682 Radmeister dort war. In Eisenerz erschien
der Name zum letzten Male im kaiserlichen Gegenschreiben
Georg Hilleprandt, der 1639 starb. Der Stammbaum der
steirischen Sensenschraiedmeister besagt aus den bisher, er-
haltenen Daten, wie ein typischer Gewerkenstammbaum sich
aufbaute, dem nichts weiter zuzufügen ist.
Wegen Raummangels wurden alle weiblichen Glieder
und der Sache wegen hier die Nichtgewerken weggelassen,
bis auf die letzten Stammesglieder, aber die authentischen
Daten zeigen, daß lange nach der Einführung des Frei-
handels die alten Familienverbindungen stets fest im alten
1 Auf Kokorczyn und Slivno.
Von Franz Forclier von Ainbach. 129
Zunftwesen und seinen Verbindungen wurzelten. Mit dadurch
erhielten sich die Hillebrand Jahrhunderte im Handwerk
und sicher schon lange vor Unkundenbeweisen hänunemd,
strebten die freien Sensenschmiede nicht nach hohen Titeln
und späteren Beamtentum, bei denen ihre Namensvettern,
von den Hammergewerken abstrebend, meist unerfreuliche
Erfahrungen machten. ^
Nr. 10. Das Sensenwerk Bothenthurm
früher genannt der Drahtzug und Nagelschmiede in der
Feistritz unter Rothenthurm nächst Judenburg.
1677 in eine Sensenschmiede umgewandelt, 1683 in
Betrieb gesetzt von Georg Steinhuber aus Michldorf bis
1730, der 1681 Marie Moser vom Paßhammer heiratete.
1731 — 1759 Martin Zeyringer durch Zuheirat zur
Witwe Steinhuber.
1759 — 1788 Josef Gregor Blumauer, Sensenhändlers-
sohn aus Kirchdorf, Gattin Elise Weinmeister von der
Möderbruck.
1788—1798 Mutter und Sohn Johann B.
1798 — 1830 Matthias Blumauer, Gattin Anna Blumauer.
1830 — 1849 Josef, Gattin Genovefa Setznagel.
1853 — 1863 Johann Blumauer, Gattin Marie Legen-
steiner.
1864 Konrad Forcher von Ainbach, der auch eine
Tiegelgußstahlhütte hinzufügte.
1890 Karl Wittgenstein und seine Nachfolger.
1900 demoliert.
1906 Das Zeichen^ schlägt Foest und Fischer, Juden-
burg.
Die Genealogie aller dieser Familien ist bekannt, nach-
dem fast nur zunftmäßige Abstämmlinge der Oberösterreicher
vorkommen und sich die Orthographie allein mit dem Laufe
der Zeiten änderte.
< Der großartige Konkurs des Schrattenberg prächtig aus-
schmückenden Victor Hillebrand, seit 1662 Freiherr von Prandegg.
« Beckh II., 397, führt das alte Zeichen — Kreuz ohne Tipfei —
im Solinger Zeichenbuch anno 1500.
9
130 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Nr. 11. Zellingerwerk Knittelfeld.
Nachdem von dieser Familie leider keine speziellen
Daten zu erhalten waren, sind die Nachrichten am unvoll-
ständigsten. Das Werk war eine mittelalterliche Zeug-
schmiede am Ingering-Werkskanalbache. *
1716 dürfte der Oberösterreicher Sensenschmied Josef
Eckl, hinzuheiratend, die Schmiede umgestaltet haben.
23. Juni 1729 starb er, worauf seine Witwe den Josef
Steinhuber heiratete. Dessen weitere Witwe Barbara
Heindlerin aus Michldorf.
6. November 1736 heiratet den Johann Michel Moser,
geb. 1716, aus Oberösterreich; der schmiedete bis 1758.
1769 erscheint Josef Zeilinger, Gatte der Marie Moser
aus Wasserleit. 5. August 1810 verkauft Michael Moser an
Michael Weinmeister.
1844 Simon Weinmeister.
1845—1850 Christof Weinmeister.
1850, 25. Jänner, Johann Alois Zeilinger aus Uebel-
bach (aus Oberösterreich kommend).
1861 dessen Sohn Franz.
1903 dessen Sohn Otto Zeilinger, geb. 26. Juli 1872.
Nr. 12. Zeilingerwerk Eppenstein.^
1721 Simon Stegmüller vom Hopfgarten, Sensenschmied-
meister.
1758—1810 Josef Stegmüller.
1810 — 1818 Josef Weninger als Vormund der Erben.
1818—1823 Franz Stegmüller.
1823—1859 Johann Alois Zeilinger.
1860—1894 Leopold, dessen Sohn.
1906 dessen Enkel.
1 Das Zeichen „gekröntes Haupt" auf vielen Schwertern führt
auch Joh. Wunde in der Solinger ZeichenroUe 1554, das 1774 Peter
Wezersberger um 4 Kronentaler kauft. Ebenso das Eppensteiner Zeichen,
der Reichsapfel, hier griech. Kreuz, Wappen Potocki genannt, Beckh, II,
395, schlug der Waffenschmied Joh. Wunde in Solingen schon 1560.
Die ersten Waffenschmiede kamen ja doch von hier und brachten das
Zeichen mit nach Deutschland.
« Zweifellos eine alte Zeugschmiede am Militärwege von Virunum
nach Wels, im II. Jahrhundert angelegt, wie römische Pfeilspitzen und
ein Grabstein (vielleicht des Thurmerbauers der Talsperre) nachweisen.
Von Franz Forcher von Ainbach. 131
Nr. 13. Pfarnihammer
am westlichen Rande Knittelfelds.
Mittelalterliche Pfannenschmiede.
1800 Herr N. v. Reindlingen.
1824 Mathias Theisbacher.
1830 Johann Theisbacher.
1840, 8. Mai. Nikolaus v. Forcher.
1855 in ein Sensenwerk umgewandelt.
1861 Johanna v. Forcher.
1873 abgebrannt.
Seitdem als Hammer nicht mehr in Verwendung.
Nr. 14. Schattenberg
Vulgarname Zeilinger in Gaal.
1860 letzterbautes neues Sensenwerk durch Johann
Alois Zeilinger, damals schon in Knittelfeld.
1906 Otto Zeilinger.
Nr. 15. Forcherhammer, Eppenstein
vermutlich spät mittelalterliche Hackenschmiede, die 1860
von Nicolaus v. Forcher in ein Sensenwerk umgewandelt
wurde, wohin auch die „Zeichen" vom aufgelassenen Hopf-
garten und später vom Pfannhammer übertragen sind.
1861 Johanna v. Forcher.
1894 verkauft an Leopold Zeilinger.
Beckh; I., 847, besagt, daß die Sonne und Mond in ihren Kom-
binationen altorientalische Zeichen auf den Schwertern waren. Zuerst
religiöse Abzeichen, wurden sie Meisterzeichen, die mit der Kunst nach
Europa wanderten. Das Zeichen Potocki — griechisch Kreuz — war
der Stempel der Kreuzritter — mit dem sie in Jerusalem ihre Schwerter
zeichnen ließen. Es liegt also nahe, daß ein Kreuzfahrer dem Waffen-
schmied den hohen Wert und Segen der Klinge erklärte und dieser
seine Ware als besonders gut und segenbringend durch dies Zeichen
leichter verkaufte. Immerhin ist Wappen und Zeichen dadurch ver-
schieden, daß der untere Querbalken schief ist und nur die Ähnlichkeit
die jüdischen Händler veranlaßte, Potocki und nicht griechisch Kreuz
zu sagen.
9*
132 Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
Die Pffannenschtnieden.
Die neue Art der Erzeugung von mit Pressen ge-
stanzten Blechgeschirren ist die billige und schlechtere Ver-
größerung der alten steirischen Pfannenschmiederei.
In Obersteier war die Hauptnahrung der Brennsterz,
in Untersteier der Türkensterz, die in gestielten Pfannen
gekocht wurden. Zum Schmieden der großen Pfannen, die
für die Polenta und die Mamaliga nach Italien und mur-
abwärts in die Donauländer gingen, benötigte man tadellose
„Pfanneisen".
In der alten steirischen Herdfrischerei wurden diese
vollkommen gleichmäßigen, zähen, festen Halbprodukte er-
zeugt, die nur bei sorgfältigster Auswahl sich risselos unter
dem Wasserhammer in die gewünschte Form treiben ließen. ^
Mit dem Aufhören der Herdfrischerei in den 1860er Jahren
fehlten die guten Pfanneisen und damit endete diese alte
aber kleine Exportindustrie. An vielen Orten entstanden Fa-
briken gestanzten Blechgeschirres, die mit dem vielgeglühten
und gebeizten Blech die alte Qualität nie erreichen konnten,
aber die großen Pfannen waren bei den kleineren Rationen
kein Bedürfnis mehr und die billigen dünnen Blechgeschirre
entsprechen den heutigen Ansprüchen besser*-' und sind bei
der enorm zugenommenen Menge der kleinen Haushaltungen
viel ökonomischer.
Die älteste Pfannenschmiede war in Knittelfeld, die
heute noch der Pfannhammer heißt.
Riednamen auf den Katasterkarten sind stets ein B^leg
vielhundertjährigen Gebrauchs, auf dies Alter deuten die
„ Pfannschmiedwiesen " .
Urkundlich ist nichts bekannt, nur in den Kirchen-
büchern Knittelfelds erscheinen Pfannenschmiede 1725, 1771,
1794. In jenen St. Peters ob Judenburg 1710 Rupp Fehrner,
Pfannschmiedmeister in Paßhammer. Beim neuen Aufschwung
wurde im Paßhammer die Erweiterung mit einem Sensen-
werk 1654 nachgewiesen. Der Pfannhammer in Knittelfeld ge-
hörte um 1800 Herrn N. v. Reindlingen, 1824 Mathias Theis-
bacher, 1830 Johann Theisbacher, 8. Mai 1840 Nicolaus von
» Peter Tunner, Der wohlunterrichtete Hammermeister, S. 120.
» Die „Kucheldim" war eine Athletin, die fUr 60 Schmiede und
Hausleute den Sterz zu stechen hatte; mit der Einführung des Spar-
herds begann auch das Sparen beim Kochen und da entspricht gerade
das dünnste Stanzgeschirr.
Von Franz Forcher von Ainbach. 133
Forcher, 1861 dessen Witwe, 1855 in ein Sensenwerk um
gestaltet, 1873 abgebrannt und nun außer Betrieb.
Die Reindl von Reindlingen besaßen im 17. Jahrhun-
dert das Hammerwerk Fächern bei Oberwölz, die Theisbacher
waren Schmiede aus Maßweg bei Knittelfeld. Den alten
aber relativ unbedeutendsten Export ins Ausland hatte
Der Speik.
Die Spicanarde noricorum der Römer, die Valeriana
celtica der Botaniker bedeckte als stark riechende Alpen-
pflanze die großen Flächen des Urgebirges, die durch Raub-
bau ziemlich dezimiert wurde. Ihr Geruch, vereint mit dem
der Fedemelken, gleicht dem der Macchis in Korsika ; des-
halb sammelten wohl seit undenklichen Zeiten die Almhalter
und Wurzelgräber die Wurzeln für obersteirische Händler, *
die große Fässer nach Triest sandten. Im Orient fllr die
Karavanen entzweigeschnitten, diente der Inhalt fllr aroma-
tische Bäder und Räucherungen.*
Das Geschäft hat aber sehr nachgelassen; einesteils
verbieten die Almbesitzer die fortdauernde Lockerung des
Erdreiches, andemteils haben neue, chemisch erzeugte Par-
füms neue Moden auch im fernsten Orient kreirt und die
modernen Mediziner kurieren die Hysterie auf andere Weise.
Mit diesen relativ wenigen Daten sind bis auf weiteres
die Nachrichten über den Auslandshandel des Murbodens
erschöpft.
Siebzehn Jahrhunderte vergingen, ehe der Nerv den
Muskel- ersetzte. Die nivellierende Zeit hat alle berührten
Exportindustrien fast verwischt und so blieb fast nichts mehr
als die Erinnerung und beim Eisen die Aktie.
Dies unpersönliche kalte Papier nimmt nur, gibt dem
Allgemeinen im Detail möglichst wenig, und trotz aller un-
> Hüttenberg war die Zentrale für die Seetaleralpen, Oberwölz
und St. Peter a. K. für die Tauern, Turrach für die weiteren Alm-
reviere.
« Zahn, Miscellen 1899, bringt die Notiz, 4. Juni 1460 gewährt
Kaiser Friedrich III. den Bürgern von Judenburg das Monopol des
Speikhandels für Steiermark und auswärts, „so man umb Judenburg
und in unserm Fürthenthum Steier grabt, allenthalben in welsche Länder
vertreiben mögen gegen 50 ungar. Goldgulden jährlich".
Dr. F. Mart. Meyer erwähnt 1892 in den bist. Vereinsbeiträgen
unter „geringen Fiscalitäten" den Appalto von Speik und Loriett mit
5000 fl. per Jahr. Es muß also das Bohren des Lärchenpechs und
der Speikhandel noch im XVIII. Jahrhundert nicht unbedeutend ge-
wesen sein.
134: Die alten Handelsbeziehungen des Murbodens mit dem Auslande.
geheuren Verbesserungen hat sich der Einzelne die Lage
nicht verbessert und dabei die eigene Zufriedenheit dem Fort-
schritt geopfert.
Die Votivtafel des Wolf Hillebrand von 1759 am For-
cherhammer in St. Peter = Möschitzgraben, die das Werden
der Murbodener Sensengewerken illustriert, mag auch als
Grabmal fllr alle alten Gewerken dienen.
Unterm Sensenzeichen „Feinhalbmond" steht:
A. P. 1679. C. Z. 1732. P. R. P. 1742.
(Andreas Pieslinger), (Caspar Zeyringer), (Peter Rettenbacher).
All Obige seyn abgewichen
dheils durch Tott^ auch andern Oschichten.
Mihr war es demnach unbekannt,
Wann ich werd müssen von dean Haus und Land.
Befillch also Gott, dis Haus, mich und all das Mein
das er der wahre Haussvater mag wohl seyn.
W. HP. 1759.
(Wolfgang Hillebrand.)
Ein altes Mariazeller Marktsiegel.
Von Johann Schmut*
Bis jetzt war man völlig im Unklaren über die Gestalt
und Bauart jener Kapelle oder Kirche, die zu Mariazeil an
Stelle der ursprünglichen Holzzelle erbaut worden war und 1266
zuerst urkundlich genannt wird.
Der Verfasser dieser Zeilen
ist bei seinen Forschungen über
die ältere Geschichte des be-
rühmten Wallfahrtsortes auf das
bisher übersehene Bild des be-
zeichneten Kirchleins aufmerk-
sam geworden und teilt es
hiermit den Freunden der stei-
rischen Geschichte mit.
An einer St. Lambrechter
Urkunde (Orig.-Perg. No. 502),
ausgestellt am 1. Mai 1389 zu
Mariazeil, in welcher Kunz Le-
bein's Sohn in der Wazznebn und
seine Hausfrau sowie auch noch
vier andere Parteien bekennen,
daß ihre Vorfahren von dem
Zeller Pfarrer Haidenraich je ein oder zwei Rinder gegen einen
jährlichen Dienst von 30 alten Wiener Pfennigen in Bestand
genommen, hängt auch das alte Mariazeller Marktsiegel, das
innerhalb der Umschrift „f S. CONMVNITATIS DE CELLA« die
Darstellung eines Kirchengebäudes enthält, und zwar erblicken
wir nach Deutung des k. k. Konservators Monsignore Graus
„eine drei schiffige romanische Basilika mit angebautem gotischen
Chore". Anbei der fotografische Abdruck des Siegels selbst.
136 Ein altes Mariazeller Marktsiegel.
In dem vorliegendem Siegel haben wir zweifellos das
Bild der Mariazellerkirche um 1342, in welcher Zeit der Markt
gegründet worden ist, vor uns. Die Bürger hatten jedenfalls
das Recht erhalten, im Wappen und Siegel das Bild des Gottes-
hauses führen zu dürfen und wie wir hier das Bild der ältesten
Kirche sehen, so enthalten Wappen und Siegel der jüngsten
Zeit das Bild der jetzigen Kirche.
Das alte Siegel gibt uns über die bauliclie Entwicklung
der Kirche in jener Zeit genügend Aufklärung. Zuerst entstand
eine dreischiffige romanische Basilika, welche später nach Ab-
tragung der Apsis durch den Anbau eines gotischen Chores wohl
etwa um die Hälfte vergrößert worden ist.
Ersteres geschah vor 1266, letzteres vor 1342.
Näheres über die Bauzeit und den Bauherrn folgt in
einem der nächsten Hefte dieser Zeitschrift.
Zur Wappenfühning „Bürgerlicher".
Von Dr. Ferdinand KhuU.
Im letzten Hefte dieser Zeitschrift wurde (S. 252) der Prozeß
erwähnt, in dem der Wappenmaler H. Hermann in Wien im Spät-
herbste 1905 zu mehrmonatlicher Haft verurteilt worden war. Infolge
dieser Verurteilung soll, wie berichtet wurde, die Anklage gegen einen
Wappenmaler in Salzburg erfolgt sein, allwo der Staatsanwalt meinte,
daß nicht allein eine Reihe von Privatpersonen, sondern auch der
Staat in Ausübung des ihm zustehenden „Wappenregales" und die
wappenberechtigten Personen in ihrem Rechte auf Alleingebrauch ihrer
Wappen geschädigt worden wären. Daraus wurde in der Notiz der
Schluß gezogen, daß die freie Annahme von Wappen verboten und
strafbar sei.
Zu diesem Berichte glaube ich einiges bemerken zu müssen.
Weder aus dem Wiener noch aus dem Salzburger Prozesse ist nach meinem
Ermessen der Schluß von der Strafbarkeit der Annahme selbsterfundener
Wappen zu ziehen. Hermann wurde verurteilt, weil er einzelnen seiner
Parteien zum Teile erfundene Familiengeschichten oder Wappen lieferte,
für deren Echtheit oder Altertum er sich angeblich verbürgte, und der
Salzburger Wappenmaler wurde ganz und gar freigesprochen. Das, was
die Staatsanwälte in Wien und Salzburg über das Wappenrecht behaup-
teten, war geschichtlich und rechtlich unhaltbar.
Wappenprozesse gab und gibt es nirgends sonst als in Österreich.
Es ist nämlich in keinem modernen Staate das Wappenrecht auf einen
gewissen Stand beschränkt und in Wirklichkeit ist es auch in Österreich
nicht. Die Anschauung, daß „rechtmäßig wappenberechtigte** Personen in
ihrem Rechte auf Alleingebrauch ihrer Wappen beeinträchtigt würden,
wenn andere andere Wappen führen, enthält eine Spitzfindigkeit, die
ans Lächerliche streift. Darnach würde ja jeder auch an seinem Eigen-
namen beeinträchtigt, weil ein anderer einen anderen Eigennamen führt I
Und was das „Wappenregal", d. h. ein Monopol des Landesherrn, alle
von ihm nicht verliehenen aber doch gebrauchten Wappen für ungültig
zu erklären — also eine Art Wappenmonopol der Staatsgewalt —
betrifft, so hat ein solches gar nirgends existiert. Die Landesherren
haben sich zwar das Recht genommen, Wappen zu verleihen, und zwar
gleichmäßig an Adelige und Bürgerliche, daraus aber fioß wohl die
ißefugnis und die Pflicht für sie, diese von ihnen verliehenen Wappen
zu schützen, d. h. deren Gebrauch anderen Personen und Familien, für
die sie nicht bestimmt waren, zu untersagen, aber keineswegs das
Recht, alle übrigen Wappen außer Gebrauch zu setzen oder zu ver-
bieten. In Deutschland z. B. sind tausende von sogenannten bürger-
138 Zur Wappenführung „Bürgerlicher".
liehen Wappen in Gebrauch, die nie von einem Landesfürsten oder
Palatinatgrafen verliehen worden sind. Das große Siebmachersche
Wappenbuch verzeichnet jetzt schon, obwohl es lange noch nicht ab-
geschlossen ist, gegen 24.000 „bürgerliche" Wappen, von denen kaum
die Hälfte amtliche Bestätigung aufweisen. Und bei uns in Österreich
ist die Sache nicht wesentlich anders. Die Verteidiger des beschränkten
Wappenrechtes berufen sich auf die sogenannten Hofkammerdekrete
vom 19. Jänner und 28. Juli 1765, 15. Februar 1805 und 13. Juni 1833
und auch der Vertreter des Ministeriums des Innern im Hermannschen
Prozesse wies geheimnisvoll auf die beiden erstgenannten hin, die
übrigens dem gesamten Gerichtshofe völlig unbekannt geblieben waren.
Nun erklärte schon der Wiener Rechtsanwalt Dr. v. Korwin anläßlich
des Prozesses, daß an diesen angeblichen „Dekreten mit Gesetzeskraft"
vieles zweifelhaft sei. Im Februarhefte der Monatschrift „Adler" (Wien)
teilte dann der kaiserliche Bat und Hofwappenmaler Ernst Krahl die alten
Eundschreiben der Wiener Regierung an einzelne Gubernien, die die
Wappenfrage behandeln, mit und da stellte sich heraus, daß das zweite
vom 28. Juli 1765 nur eine Art Anfrage an die Gubernien ist, wie
sie sich die Regelung des Wappenwesens durch „Konzession" oder
„Wappenbriefe" denken, und daß es die Aufstellung von „Wappen-
inspektoren", d. h. wohl Wappenmatrikffthrern, empfiehlt ; das erste vom
19. Jänner 1765 zeigt äußerlich die Form einer Verordnung, deren
Worte aber „daß ohnbefugter Wappengebrauch abgestellet und ohne
erlangter Konzession oder Wappenbrief deren Wappen nicht gestattet
werden soll" doch wohl nur bedeuten können, daß künftighin jene,
welche Wappen wünschen, die Konzession (gegen Geld) einholen müssen,
nicht aber, daß vom Tage des Erlasses an alle konzessionsloseii
Wappen ihre Gültigkeit verlieren. Der Erlaß vom 15. Februar 1805
ist eine einfache Erneuerung des vom 19. Jänner 1765 datierten und
das Dekret vom 13. Juni 1833 hat nur insofeme Zusammenhang* mit
den „bürgerlichen* Wappen, als es auf die früheren Verordnungen
(darüber das Rundschreiben vom 19. Jänner 1765) verweist und dessen
Handhabung vorschreibt. Somit beruht die ganze Frage nur auf dem
angeführten Wortlaute, daß ohne erlangte „Konzession oder Wappen-
brief" die Einführung und Annahme neuer Wappen nicht gestattet werden
soll. Unser bürgerliches Gesetzbuch schweigt über die Berechtigung
Wappen zu führen völlig und darum hat die alte Verordnung nur mehr
polizeilichen Wert, — also könnte deren Übertretung nur von der politi-
schen Behörde mit Geldstrafen geahndet werden. Das Gericht hat sich
mit dieser Frage überhaupt nicht zu beschäftigen und kein Staats-
anwalt kann im Ernste daran denken, jemanden anklagen zu wollen
wegen „Wappenanmaßung". Aber auch die politischen Behörden scheinen
mit der Verordnung vom 19. Jänner 1765 nicht gerne auf den Plan
treten zu wollen, wenigstens haben sie anläßlich des Hermannschen
Prozesses niemanden von den vielen, die sich Wappen neu machen
ließen, mit Geldstrafen belegt, sondern sich begnügt, die Malereien zu
konfiszieren und zwar nur bei denen, die freundlich §enug waren sie
herzugeben. Die Sache ist also im ganzen durch beide Prozesse völlig
ungeklärt geblieben. Sie wird aber durch den modernen Markenschutz
noch viel bedenklicher. Denn es kommt oft genug vor und wurde bisher
gar nie beanständet oder verhindert, daß irgend ein Warenerzeuger,
Verlagsbuchhändler, Patentinhaber sich ein regelrechtes Wappen als
Schutzmarke eintragen ließ oder daß Korporationen und Vereine Wappen,
die aus Schild, Helm, Ziemier und Decken bestehen, annahmen. Damit
et;
{■/
S
Von Dr. Ferdinand KhuU. 139
war praktiscli die Verordnung von 1833, die alle übrigen Verordnungen
in sich schloß, durchlöchert und ein Präzedens geschaffen, das für das
ganze Dekret tödlich ist. Daher ist Erahls Behauptung, das Dekret
von 1833 zerstöre auch für heute noch die Anschauung, es gäbe kein
anerkanntes Wappenrecht mehr und man begehe durch Annahme eines
Wappens keine Rechtsverletzung, falsch. Nach meinem Dafürhalten
steht es beute jedermann in Österreich frei, für sich oder seine Familie
als Eigentums- oder Zusammengehörigkeitszeichen ein Wappen zu wählen.
Nichtsdestoweniger stimme ich Krahl zu, wenn er wünscht, das Mini-
sterium des Innern möge die Ausgabe von Wappenbriefen und die
Führung von Wappenmatriken für Bürgerliche an Allerhöchster Stelle
vorschlagen. Die Gründe hiefür sind für mich mehr ethischer als finan-
zieller Natur, wenn ich auch überzeugt bin, daß der geldliche Ertrag,
falls die Gebühr für einen Wappenbrief auf etwa dreihundert Kronen
gestellt wird, ein sehr ansehnlicher sein würde. Es würde nämlich die
Einführung von Wappenbriefen einen bedeutenden Einfluß auf das
Familien- oder Sippegefühl und auf das geschichtliche Bewußtsein
weiter Kreise •ausüben. In Deutschland versucht man amtlicherseits
durch die Instandhaltung und leichte Zugänglichmachung der Standes-
register, durch die kostenlose Abgabe von Familienbüchern, durch Sub-
ventionierung von Vereinen, die der Familiengeschichte dienen, und durch
andere ähnliche Maßregeln das Familiengefühl, mit dem immer auch
ein gewisses Staatsgefühl verbunden ist, zu stärken. Die Wappenführung
ist dort freigegeben und das Amt der Wappenmatrikenführung hat der
Verein „Herold" in Berlin übernommen, der auch die Veröffentlichung
der Wappen in dem „Großen Siebmacher" übernimmt. Warum sollte
unser Staat es nicht auch versuchen, bürgerliche Familien vor dem Ver-
sinken im vaterlandslosen Proletariate durch alle nur möglichen Mittel
zu bewahren? Und ein reges Familiengeföhl ist ein solches Mittel.»
Jede Besonderheit hebt und bewahrt vor der proletarisierenden Gleich-
macherei und es dünkt mir auch für die Staatsleitung besser und sitt-
licher zu sein, die kleinen menschlichen Eitelkeiten, die keine „Auf-
klärung" und „Philosophie" je wird vertilgen können, zur Hebung
und Festigung einzelner sowie ganzer Familien zu benützen, als z. B.
durch die Entfesselung der verderblichen Spielwut durch das Lotto
kleine Familien zu vernichten und in das elendeste Proletariat hinab-
stoßen, um einige tausend Kronen dabei zu „verdienen".
1 Vergleiche die treffliche Schrift von Werner Sombart „Das Proletariat".
Literaturberichte.
Die Herren yon Walsee. Ein Beitrag zur österreichischen Adels-
geschichte. Von Dr. Max Doblinger. Mit 6 Stammtafeln. Wien 1906.
(Archiv für österreichische Geschichte, Bd. XCV, II. Hälfte, Seite 235
bis 578. Auch in Sonderabdrücken erhältlich.)
Nach dem Siege Rudolfs von Habsburg über Pfemysl Ottokar
auf dem Marchfelde und nach der Belehnung von Kudolfs Söhnen mit
den österreichischen Herzogtümern kam eine Anzahl von Adelsgeschlech-
tem aus Schwaben in die österreichischen Lande. Dfie bedeutendste
dieser Familien waren die Herren von W a 1 s e e, welche in Österreich
und Steiermark große Besitzungen erwarben und durch zwei Jahrhun-
derte tief in die Geschichte dieser Länder eingriffen. Eine Monographie
über dieses Adelsgeschlecht, welche bisher noch ausstand, ist gewiß
jedem Freunde der vaterländischen Geschichte willkommen und da die
Walseer nicht nur von bedeutendem Einfluß auf die Geschichte Öster-
reichs vom Ende des 13. bis ins 15. Jahrhundert waren, sondern auch
eine besondere Linie Walsee -Graz bestand, so mag ein kurzer Be-
richt über Doblingers wertvolle Arbeit hier an richtiger Stelle sein.
Die Walseer stammen aus dem schon im 10. Jahrhundert als
curtis dominica (Herrenhof, Herrschaft) bezeichneten, zwischen Donau
und Bodensee gelegenen Waldsee. Die ersten Walseer erscheinen ur-
kundlich 1171; zur Zeit Kudolfs von Habsburg waren sie schon im
Besitze ansehnlicher Güter in Schwaben. Frühzeitig kamen sie von
dort in Beziehungen zu Österreich. Eberhard IL betrat 1235 bei Kaiser
Friedrichs IL Heerfahrt gegen den Babenberger österreichischen Boden ;
Eberhards III. Söhne nahmen an dem Zuge Rudolfs von Habsburg gegen
Ottokar teil, und nachdem Rudolf (Dezember 1282) seine Söhne mit
den österreichischen Herzogtümern belehnt hatte, wurden die Brüder
Eberhard IV. und Heinrich in Öterreich heimisch und Mitglieder des
einflußreichen heimlichen Rates, neben welchem der aus sechzehn
Österreichern bestehende weitere Bat, den der König seinem Sohne
mitgegeben hatte, immer mehr zurücktrat. Damit eröffiiete sich den
Walseern ein großes Gebiet zur Entfaltung ihrer Tatkraft. Waren in
Schwaben ihre Besitzungen, „wenn auch nicht unbedeutend", so doch
auf einen eng umgrenzten Raum beschränkt, reichten die Beziehungen
und Kreise, in denen sich dort das Leben des Stammes abspielte, nicht
über die Landschaft zwischen Donau und Bodensee hinaus, so wird
ihnen nun ein weites Feld geöffnet, auf dem sie sich in reichem Maße
zur Geltung bringen. Die treuen „Schwaben", die Walseer und Hermann
von Landenberg sowie Hang von Taufers werden jetzt an der Seite
Herzog Albrechts die besten Stützen der habsburgischen Herrschaft.
Dienstmannentreue und die schwäbische Abkunft, dazu die Dankbarkeit
banden sie an das neue Herrscherhaus, wie nicht minder die Abnei-
gung, mit der ihnen der eifersüchtige Adel Österreichs anfangs be-
gegnete. So war das Geschick ihres Geschlechtes an das Interesse der
Literaturberichte. 141
Habsburger geknüpft, das sie auch jederzeit und in den schwierigsten
Lagen auf das nachdrücklichste verteidigten. Und fürwahr, das tat zu-
nächst um so mehr not, als es langwieriger innerer Kämpfe und einer
Anzahl auswärtiger Feldzüge gegen eine geschlossene Reihe feindlicher
Nachbarn bedurfte, um die habsburgische Herrschaft in den neugewon-
nenen Gebieten sicherzustellen.
Albrecht hatte anfänglich in Österreich einen harten Stand;
wollte er im Lande festen Fuß fassen, seine Landeshoheit zur Geltung
bringen, so mußte er gerade jenen, die sich zu allererst seinem Vater
angeschlossen hatten — dem Adel,, dem Klerus — strenge entgegen-
treten; diese fanden sich enttäuscht, für eine feste Hand eine andere
feste eingetauscht zu haben. Die ihn am besten mit Bat und Tat unter-
stützten, waren die Schwaben, die er ins Land mitgebracht hatte ; daher
verlieh er ihnen auch die höchsten Ämter. Eberhard IV. von Walsee
wurde Landrichter ob der Enns, welches Amt durch fast zwei Jahrhun-
derte in den Händen der Walseer blieb, Ubich von Walsee Landes-
hauptmann in Steier. Eberhard, der auf dem herzoglichen Schlosse in
Linz seinen Wohnsitz nahm, wurde der Gründer der Linie Walsee -Linz.
Als es zu Erhebungen des österreichischen und des steirischen Adels
gegen Albrecht kam, standen ihm die Walseer treu und tatkräftig zur
Seite. In dem Kampfe um die deutsche Krone, den Albrecht gegen
Adolf von Nassau führte, taten sich die Brüder Walsee in der Ent-
scheidungsschlacht bei Göllheim (1298) rühmlich hervor. Auch gute
Wirte waren sie; sie erwarben ansehnliche Güter und gehörten binnen
wenigen Jahrhunderten zu den reichsten Familien des Landes.
Der Verfasser berichtet sodann ausführlich über das Leben und
Wirken, über die Erwerbungen, Verheiratungen und Verschwägerungen
der Walseer in ihren verschiedenen Linien : Walsee -Linz, Walsee-Ens,
Walsee-Graz, Walsee-Drosendorf. Den Walsee - Ens fiel 1399 nach
dem Aussterben der Herren von Tibein (Duino an der Adria) eine an-
sehnliche Erbschaft zu. Dieser große Güterkomplex bestand aus der
Hauptherrschaft Tibein (Duino) mit dem neuerbauten Schlosse Seno-
setsch, Prem, Guteneck und Mahrenfels (jetzt Lupoglava auf dem Karste),
den Lehen des Bischofs von Pola : Castua, Moschenizza, Veprinaz, sämt-
lich am Quamero, St. Veit am Pfiaumb (Fiume), Mitterburg mit dem
habsburgischen Istrien, den Sätzen Görtschach und Neuburg auf dem
Kanker in Oberkrain, den Pfandschaften Windischgr atz und Mah-
renberg und dem Satze auf Bleiburg in Kärnten — alles in allem
ein mächtiger Besitz, der stattlichste und bedeutendste unter dem ganzen
Adel auf dem habsburgischen Gebiete an der Adria. Der Übergang des
Tibeiner Erbes in sichere Hände lag in höchstem Grade im Interesse
der Habsburger. Es war einer der wichtigsten Dienste, welche die Wal-
seer ihnen leisteten. Kamen diese Gebiete in Hände, die sich etwa den
Oörzern oder gar den Venezianern gefügig zeigten, so war die Verbin-
dung Triests mit Krain abgeschnitten, den Habsburgern das Hinterland
von Triest versperrt, diese Stadt nicht zu halten und die Versuche der
Habsburger, an der Adria festen Fuß zu fassen, vergeblich.
Von den Söhnen Eberhards III. von Walsee war Ulrich I., der
Gründer der Linie Walsee-Graz, der hervorragendste; er darf
geradezu als eine der berühmten Gestalten aus der Ritterschaft seiner
Zeit bezeichnet werden.
Ulrich I. wurde 1299 im Einverständnis mit den steirischen
Ständen von König Albrecht zum Hauptmann von Steiermark er-
nannt und nahm seinen Wohnsitz in der Burg zu Graz. Seiner Auf-
142 Literaturberichte.
gäbe, das Land für die Habsburger zu betreuen, kam er glänzend nach.
Er gewann Adel und Bürgerschaft für sie, nahm an den Kriegsztigen
Albrechts und Friedrichs des Schönen in Deutschland und Italien ruhm-
vollen Anteil, wurde 1322 in der Schlacht bei Mühldorf gefangen ge-
nommen und starb 1329. Ausgedehnt waren die Besitzungen derWal-
seer in Steiermark: Riegers bürg, Komberg, Gleichenberg, Waldstein,
Weinburg, Pfannberg, Übelbach, Feldbach und andere kleine Güter
gehörten ihnen.
Ulrichs I. Sohn, Ulrich 11., war seines Vaters würdig ; er galt
bei seinen Zeitgenossen als Spiegel aller ritterlichen Tugenden. Von
Feldzug zu Feldzug neu bewährt und mit Buhm bedeckt war er wäh-
rend der ganzen Regierung Herzog Albrechts II. ein treuer Diener seines
Herrn, eine besonders wertwolle Kraft, einer der besten Männer des
Österreich seiner Zeit. Die Linie Walsee-Graz erlosch 1363 mit Eber-
hard VIII., dem Sohne Ulrichs II.
Der gesamte riesige Besitz der Walseer und jener der Tibeiner
war nun in den Händen der drei Walseer von Ens vereinigt und sie
bildeten nun durch Reichtum und durch ihre Stellung am Hofe das
erste Haus des österreichischen Hochadels. Der glänzendste Vertreter
der Walseer- Ens war Reinprecht IL (gestorben 1422), dessen Güter vom
Böhmerwalde bis zur Adria in zahlreichen Herrschaften zerstreut waren.
Nicht lange währte der Glanz dieses Geschlechtes. Schon unter Rein-
prechts IL Söhnen, Wolfgang und Heinrich IV., kam es zum Verfalle
der wirtschaftlichen Größe, viele Herrschaften mußten verpfändet, ver-
kauft werden, und schon 1483 starb Reinprecht IV., der letzte seines
Stammes, und mit ihm erlosch das Haus Walsee,
Besonders bemerkenswert ist noch der vorletzte Abschnitt des
vorliegenden Buches, der von den Standes-, Besitz- und Wirtschafts-
verhältnissen der Walseer handelt. Wir heben daraus nur hervor, daß
sie dem Herrenstande angehörten und fast auf jeder ihrer Herr-
schaften Lehensleute hatten, so in Steiermark die Steinpeiß, die von
Graben, die Auer, die Herberstein, die Trautmannsdorf, die
Gleispach, die Glojach, die Teuf fenb ach, die Narringer, die Wel-
zer, die Peßnitzer, die Trapp.
Seit den Tagen König Albrechts I. waren die Herren von Walsee
eine der mächtigsten und reichsten Familien des österreichischen Adels.
Hervorragend tüchtige Männer waren aus diesem Hause hervorgegangen ^
die den Habsburgern wiederholt die wichtigsten Dienste in schweren
Zeiten leisteten. Gleich bedeutsam treten sie als Inhaber der höchsten
Landesämter wie durch ihren Anteil an den ständischen Bewegungen
hervor. Und diese Stellung unterstützte ein überreicher Besitz, der in
ihrer Hand zu einer größeren wirtschaftlichen Einheit innerhalb der
östeiTeichischen Länder vereinigt wurde, wodurch sie auch auf die terri-
toriale Gestaltung Einfluß nahmen. Mit den edelsten Geschlechtem des
österreichischen Adels waren sie verwandt und verschwägert.
So war ihre Geschichte mit den Geschicken der Habsburger und
des damaligen Österreich eng verbunden. Und doch fiel die große Ver-
gangenheit des Hauses Walsee rasch einer unverdienten Vergessenheit
anheim. — In ihrer einstigen Heimat hat das schwäbische Städtchen
Waldsee, auf österreichischem Boden haben die Ruine Ober -Walsee
und Schloß Nieder -Walsee, das heute Mitglieder des Kaiserhauses in
seinen Mauern beherbergt, den Namen der Herren von Walsee der
Gegenwart erhalten — die einzige Erinnerung an reichbewegtes Lebea
vergangener Jahrhunderte. Franz Ilwof.
Literaturberichte. 143
Geschichte der Dentschen in den Karpathenländern. Von
Raimund Friedrich Kaindl, Professor der Universität Czernowitz.
Erster Band. Geschichte der Deutschen in Galizien bis 1772. Mit einer
Karte (Allgemeine Staatengeschichte herausgegeben von Karl Lamprecht,
III. Abteilung: Deutsche Landesgeschichten, herausgegeben von Armin
Tille. Achtes Werk). Gotha 1907. Friedrich Andreas Perthes, Aktien-
gesellschaft, 369 S. gr. 8.
Das Werk, dessen erster Band hier vorliegt, können wir rück-
haltlos willkommen heißen. Es ist die erste umfassende Darstellung
der Geschichte des Deutschtums in den Karpathenländern, d. h. in Galizien,
der Bukowina, Ungarn und Rumänien. Aber auch mancher Teil darin
tritt überhaupt zum erstenmale in wissenschaftlicher Behandlung vor
das deutsche Publikum. Das gilt gleich von dem ersten Bande, der die
Geschichte der Deutschen in Galizien bis 1772 enthält. Der Verfasser,
dem die Kenntnis der polnischen Sprache zugute kommt, hat sich der
mühevollen Aufgabe unterzogen, aus den betreffenden, meist polnischen
Urkundenpublikationen alles auf das Deutschtum Bezügliche zusammen-
zulesen und so ein Bild von der Verbreitung desselben in Galizien zu
entwerfen, das um so wertvoller ist, als dies Deutschtum heute fast
untergegangen ist. In dem ersten Kapitel wird die Geschichte der deutschen
Ansiedlung, ihrer Entwicklung und ihres Rückganges, sowie die Ver-
breitung des deutschen Rechtes in Polen geschildert. Letzteres hat
in der Magdeburger Form dort besondere Aufnahme gefunden. Was
Galizien betrifft, so hat hier eine große Anzahl von Orten deutsches
Recht besessen. Kaindl führt über 650 derartige Orte an. Dazu kommen
zahlreiche Orte, bei denen es nicht gelungen ist, ihre gegenwärtigen
Namen und ihre Lage festzustellen.
Das zweite Kapitel bringt die Herkunft und Verbreitung der
deutschen Ansiedler zur Darstellung. Die erste bestimmte Nachricht von
der Begründung einer dörflichen Ansiedlung auf galizischem Boden stammt
aus dem Jahre 1234. Kaindl vermutet, daß im 12. Jahrhundert, als das
östliche Mitteldeutschland und Ungarn westdeutsche Einwanderer er-
halten haben, solche auch Polen zuteil geworden seien. Später wurde
Polen namentlich von Schlesien aus besiedelt. Übrigens kamen auch
Einwanderer aus Österreich, Norddeutschland, Süddeutschland und der
Schweiz. Wertvoll sind die Beziehungen Krakaus zu Nürnberg seit dem
Ende des 14. Jahrhunderts. Es erklärt mit die eigenartige Kultur-
entwicklung Krakaus. Diese wurde übrigens auch vom' Rhein befruchtet.
Der Charakter von Krakau war deutsch. Dafür spricht die Verwendung
der deutschen Sprache in dieser Stadt. Die erhaltenen Stadtbücher waren
von 1300 — 1312 nur deutsch. Seither erfolgten die Eintragungen latei-
nisch. In der Hauptkirche (St. Marise) wurde von ihrer Gründung bis
ins 16. Jahrhundert nur deutsch gepredigt. Der deutsche Charakter der
Stadt äußert sich auch noch vielfach in der Topographie. Eine der
Hauptstätten des Deutschtums in Galizien war sodann Sandec. Für
den deutschen Charakter Lembergs wird auch manches Bezeichnende
angeführt. Die überwiegende Mehrzahl der eingewanderten Deutschen
gehörte dem Bauern- und Bürgerstandp an. Doch gab es auch deutsche
Dienstmannen, Beamte, Soldaten der Fürsten und Großen, deutsche
Mönche und Geistliche. Wie groß die Verbreitung des deutschen Rechtes
und der deutschen Ansiedlung in Galizien bis 1772 gewesen, darüber
belehrt die beigegebene Karte, die aber nur das Wichtigere enthält.
Vom 16. Jahrhunderte an erfolgte in Galizien ein Rückgang des Deutsch-
tums. Polen und Ruthenen bedui-ften der Deutschen nicht mehr; über-
144 Literaturberichte.
dies waren sie ihnen zu reich, zu mächtig und einflußreich geworden.
Es beginnt das Eindringen der Polen in die deutschen Gemeinwesen,
der Streit zwischen Deutschen und Polen, die Verdrängung der deutschen
Sprache aus Kirche und Amt, die Polonisierung der Zünfte, das Schwinden
deutscher Ortsnamen, die Polonisierung der deutschen Ansiedler. Freilich
hat die Zuwanderung von Deutschen in Galizien auch in der Zeit des
Niederganges nicht aufgehört.
Das dritte, umfangreichste Kapitel schildert in einer Menge von
Einzelbildern die innere Entwicklung der deutschen Gemeinwesen, die
deutsche Kulturarbeit und schließt mit den bedeutsamen Worten: „So
haben die deutschen Ansiedler in Galizien alle Zweige der materiellen
und gf istigen Kultur erfolgreich gefördert und zur Entwicklung dieses
Landes sowie der polnischen und ruthenischen Bevölkerung reichlich
beigetragen. Ein untrügliches Zeugnis daftlr bieten vor allem die in die
Sprache dieser Völker aufgenommenen unzähligen deutschen Wörter,
von denen eine kleine Auswahl an verschiedenen Stellen dieses Kapitels
mitgeteilt wurde."
Wir glauben es dem Verfasser gerne, daß ihm das Werk viel
Zeit und Mühe gekostet hat. Aber der Ertrag ist auch ein reicher.
Eine Fülle neuer Erkenntnis strömt aus ihm entgegen. Mit Spannung
erwarten wir die beiden folgenden Bände. K. Reissenberger.
Archiv fQr Geschichte der Diözese Linz. III. Band, redigiert
von Dr. K. Schiffmann und Dr. Franz Berger. Linz, 1906. Kathol.
Preßverein. 417 S.
Von dieser Zeitschrift, der bereits im Vorjahre anerkennend
Erwähnung getan wurde, liegt nunmehr auch der 3. Band vor, der
seine Vorgänger an Reichhaltigkeit noch tibertrifft. Der Kreis
der Mitarbeiter scheint sich zu erweitem und hat auch eine Aus-
gestaltung im Umfange zur Folge. Der Band enthält drei wertvolle
Abhandlungen. Eingangs erörtert der Herausgeber Dr. K. Schiff mann
mit kritischem Blicke die Aufgaben der kirchengeschichtlichen For-
schung in Oberösterreich mit genauer Berücksichtigung des heutigen
Standes der landesgeschichtlichen Forschung dieses Territoriums und
weist damit die Bahnen für das „DiÖzesanarchiv". Mustergültig ist
femer Dr. B. Pösingers Aufsatz über die Rechtsstellung des Klosters
Kremsmünster für die Zeit von 777 — 1325, die hier eine wohl ab-
schließende Darstellung gefunden hat. F. Krakowitzer bringt
schätzenswerte Nachrichten über den ersten Linzer Buchdrucker Hans
Plank (1615 — 27), den Verleger und Freund des Astronomen Johannes
Kepler und des Historiographen Hieronymus Megiser, sowie seiner
Nachfolger im 17. Jahrhundert, über welche die beigebrachten Daten
allerdings knapp gehalten sind. Aus dem Nachlasse des verstorbenen
P. Otto Grillnberger gibt Schiff mann Regesten und Urkunden des
Stiftes Engelszeil von 1293 — 1500, wodurch so manche Lücken und
Ungenauigkeiten in der Geschichte berichtigt werden. Eine weitere
Arbeit K. Schiffmanns bringt Belege über mehr als 1000 oberöster-
reichische Ortsnamen und harrt weiterer Fortsetzung. Damit wird
endlich die seit dem Heimgange Lamprechts brachliegende Forschung
über die so reichhaltigen Ortsnamen Oberösterreichs weiter gefördert.
Eine Anzahl kleinerer . Mitteilungen und ein auch diesmal sorgfältig
gearbeitetes Register beschließen den Band. Max Doblinger.
Karl Lacher. „Altsteirische Wohnräume im Landes-
museum zu Graz." (Ornamentale und kunstgewerbliche Sammel-
Literaturberichte. 145
mappe, Serie VIII.) Leipzig, K. W. Hiersemann, 1906, Gr.-Fol. Mit
32 Lichtdrucktafeln. (VIII, 8 Seiten Text.)*
Das steiermärkische kulturhistorische und Kunstgewerbemuseum
besitzt im ganzen acht geschlossene Stuben in seinen Schausammlungen.
Sämtlich stammen sie ikus Steiermark, dessen Wohnungswesen von der
Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Empire in ihnen zur Darstellung
gebracht ist. Lacher gibt nun in dem vorliegenden Werke jede einzelne
derselben in mehreren Abbildungen wieder, die besonders in Anbetracht
der Schwierigkeiten, welche sich der photographischen Aufnahme solcher
verhältnismäßig kleiner Innenräume entgegenzustellen pflegen, als vor-
züglich gelungen bezeichnet werden müssen. Die Abbildungen einiger
gleichfalls im Museum vorhandener Portale sind hinzugefügt, und da
auch das Format der Tafein (22 : 28 cm) groß genug gewählt ist, um die
Innenarchitektur in allen Teilen gut zur Wirkung zu bringen und die
reproduzierten Einzelheiten klar herauskommen zu lassen, so erfüllt
das Werk durchaus das vom Herausgeber angestrebte doppelte Ziel:
die Kenntnis der steiermärkischen Hauskultur, soweit sie in dem Grazer
Museum zur Anschauung gebracht ist, einem breiteren Publikum zu
vermitteln und daneben dem „Bedürfnisse nach Anregung für das
moderne Schaffen in Schule ui\d Werkstätte nachzukommen".
Diesem allen näher nachzugehen ist hier nicht unsere Aufgabe.
Es muß in dieser Beziehung auf die Tafeln selbst und auf die im
zweiten Teil des Lacherschen Textes gegebene Beschreibung der Ab-
bildungen verwiesen werden. Hier steht das museumtechnische Interesse
im Vordergrunde, und über die dahin gehörenden Einzelfragen, über
Art der Sammlung und der museologischen Behandlung gibt Lacher in
einem besonderen Kapitel: „Die Aufstellung der Wohnräuioae'' Auf-
schluß. Er knüpft dabei in vieler Hinsicht eng an einen Vortrag an,
den er in der zweiten Konferenz österreichischer Kunstgewerbemuseen
in Graz am 12. April 1901 gehalten und unter dem Titel „Die Auf-
gaben der Kunstgewerbemuseen auf kulturhistorischem Gebiete'^ im
Selbstverlage 1901 veröffentlicht hat, ein Vortrag, der zwar die an sich
gewiß sehr verschiedenartigen kulturhistorischen, oder sagen wir lieber
„ archäologischen '^ Interessen einerseits und die kunstgewerblichen anderer-
seits in etwas künstlicher Weise zu verkoppeln sucht, der aber deshalb
eine größere Beachtung verdient hätte, als ihm seinerzeit scheinbar
zuteil geworden ist, weil L. dort die prinzipiellen Grundlagen für die
Schöpfung kulturgeschichtlicher Sammlungen mit seltener Klarheit
präzisiert hat. Er erklärte, daß es hier bei jedem einzelnen Gegen-
stande auf das Woher, zu welchem Zwecke und in welchem Zusammen-
I^ange ankomme, also nicht auf die Form, nicht auf das Material,
sondern in erster Linie auf den Zweck I Und neben der geschichtlichen
Bedeutung der Einzelstücke betonte er, daß sie der Heimat angehören
sollen, 'indem er darauf hinwies, daß eine wirklich umfassende museale
Darstellung des Volkslebens doch nur ein engeres Landesgebiet um-
fassen kann. (S. 4.)
Diesem Grundsatz ist Lacher bei der Sammlung der Stuben treu
geblieben, indem er nur solche Wohnräume für sein Musieum erwarb,
die aus Steiermark stammen, um auf diese Weise „ein ethnographisches
Bild von dem Wohnen, dem häuslichen Leben und Schaffen der Steier-
märker darzubieten". Um diesen Zweck nun in möglichst vollkommener
Weise zu erreichen, hat L. von vornherein darauf Bedacht genommen,
* Wir entnehmen diese ausgezeichnete Besprechung der„HaseTimsknnde**, heraus-
gegeben Ton Dr. Karl Eoetschau, Band II, Heft 4, Seite 2S2.
10
146 Literaturberichte.
die alten Wohnräume in einer Weise zur Aufstellung zu bringen, die
den originellen häuslichen Verhältnissen so viel als möglich gleich-
kommt. Darum hat er zu den Stuben auch gleich die zugehörigen
Tür- und Fensterstöcke, die Fensterunir ahmungen und die Fenstergitter
mit erworben, sa daß jetzt die echten Zugänge und die echten Licht-
öffnungen mit zur Aufstellung gelangen konnten, und die Stuben sicli
auch im Museum wieder mit der so wichtigen ursprünglichen Beleuch-
tung präsentieren.
Für die Aufstellung der Stuben war es ein glücklicher Umstand^
daß sie bereits für die Sammlungen erworben waren, als mit dem
Museumsneubau begonnen wurde. Aber auch so ist es als ein be-
sonderes Verdienst anzusprechen, daß L. sich nicht zu der sonst so
häufig anzutreffenden Art verleiten ließ, welche die Stuben, so gut es
eben geht, in den Museumsraum einbaut. £r hat sie vielmehr alle in
einen eigenen Zubau verlegt, der auf drei Seiten freisteht und es ge-
stattet, daß sämmtliche Fenster und Fensterchen der alten Stuben
wirklich wieder ins Freie führen und auch so die ursprüngliche Be-
leuchtung ermöglicht wurde.
Diese Art der Unterbringung, im allgemeinen durchaus lobens-
wert, hat dann freilich eine Folge gehabt, über deren Vorzüge und
Nachteile sich zum mindesten streiten läßt. Dieselbe besteht, kurz
gesagt, darin, daß die Unterbringung der Stuben die gesamte Dis-
position der übrigen Museumsabteilungen bedingt hat. Da für die
Stuben von drei Seiten direktes Licht von außen ermöglicht werden sollte^
so war es ausgeschlossen, sie aUe in einem Stockwerk nebeneinander
aufzustellen. L. hat nun eine Dreiteilung in vornehme, in bürgerliche
und bäuerliche Wohnräume vorgenommen, er hat diese drei Abteilungen
in drei Stockwerken übereinander aufgestellt, und er hat dann die
Stuben dadurch zum Kernpunkte der Sammlungen gemacht, daß er die
Erzeugnisse der höfischen, der bürgerlichen und der bäuerlichen Kultur
zu ihnen in Beziehung zu bringen suchte. Diese Anordnung mag für
die Grazer Sammlungen infolge ihrer besonderen Zusammensetzung
eine natürliche sein. Wenn L. aber auf Seite 2 die Ansicht ausspricht,
daß ihr aus inneren und äußeren Gründen der Vorzug vor anderen
Aufstellungsarten bei der Anordnung kulturhistorischer Sammlungen
gebühre, so bleibt es doch fraglich, ob sie wirklich für alle Fälle un-
bedingt als Vorbild empfohlen werden kann. Ich sehe ganz davon ab,
daß man in anderen Museen durch den vorhandenen Sammlungsbesitz
leicht dazu geführt werden kann, die Einteilung nicht nach den wirt»
schaftlichen Verhältnissen wie in Graz, sondern nach stilgeschichtlichen
Rücksichten vorzunehmen, und daß damit dann aus inneren Gründen^
die ganze auch von L. befolgte Übrige Anordnung ins Wanken kommen
würde. Vor allem ist m. E. darauf hinzuweisen, daß die Stuben
als geschlossene Repräsentanten der Hauskultur allerdings den Mittel-
punkt für die Hiausaltertümer wohl selbstverständlich abgeben werden
— wenigstens überall, wo es sich um die Stube des oberdeutschen
Haustypus handelt — daß aber demgegenüber die im Grazer Museum
ihnen angegliederten Abteilungen für Rechtspflege, Jagd- und Schützen-
wesen, Zunftwesen und kirchliche Kunst doch wohl eine selbständigere
Stellung beanspruchen können. Für die allgemeine Disposition von
historischen Museen müssen m. E. immer die archäologischen Gesichts-
punkte den Ausschlag geben, wodurch die von L. geforderte „echt künst-
lerische Anordnung" der Einzelstücke keineswegs beeinträchtigt wird.
Übrigens läßt sich diese sehr wichtige prinzipielle Frage nicht in einer
Literaturberichte. 147
kurzen Kezension mit ein paar Worten erledigen, und es wird noch mancher
eingehenderen Besprechung bedürfen, ehe darüber nur in den allgemeinen
Grundlinien eine Einigung erzielt werden kann. An ein festes Schema wird
sich der praktische Museologe ja so wie so niemals binden können.
Unseren nnbedigten Beifall müssen wir L. schließlich wieder
hinsichtlich der von ihm gewählten Art der Ausstattung der Stuben
spenden. L. spricht sich in seinem Texte mehrfach unzweideutig dar-
über aus, und auch die Tafeln lassen seinen Standpunkt überall deut-
lich erkennen. Er ist sich stets bewuBt geblieben, daß eine Stube
durch Ort, Zeit und die wirtschaftlichen Verhältnisse, unter denen sie
entstand, in ihrer äußeren Erscheinung bedingt ist, daß sie ein durch
die Einflüsse der zugehörigen Hauswirtschaft und Hauskultur fest um-
grenztes kulturgeschichtes Ensemble darstellt, welches man ebenso-
wenig bei der museologischen Aufstellung willkürlich erweitern darf,
als man berechtigt ist, es beliebig zu beschneiden. So hat L. jede in-
dividuelle Zutat sorgfältig vermieden, er ist der Versuchung, zu
dekorieren, nicht erlegen, sondern er hat nur das wieder aufgebaut,
was er vorgefunden. Es mag infolgedessen wohl sein, daß der eine
oder andere, der gern in sogenannter kulturgeschichtlicher Ausstattung
schwelgen möchte, die Stuben etwas kahl finden wird. Was tut das?
Echt sind sie! Das ist die Hauptsache, und in diesem Falle ist
die Echtheit durchaus nicht so selbstverständlich, als es wohl scheinen
könnte. Sie ist Lacher als besonderes Verdienst anzurechnen, denn
man kann in vielen Museen Stuben finden, deren Einzelstücke zwar
echt sind, die aber in ihrer Gesamtheit keinen Anspruch auf Echtheit
erheben können. In dieser Erkenntnis hat L. denn auch darauf ver-
zichtet, aus vorhandenen Eiiizelstücken geschlossene Wohnräume her-
zustellen, eine Entsagung, die nur zur Nachahmung empfohlen werden
kann. Otto Lauffer.
Styriaca in den Mitteilungen der k. k. Zentralkommtssion
für Erforschnng nnd Erhaltnnir ^^r Knnst- nnd historischen Denk-
male. Dritte Folge, V. Band, Wien 1906.
Sitzung am 12. Jänner. Die Pfarrkirche in Gröbming ist einer
Außenrestaurierung bedürftig. Gegen die Erweiterung der Pfarrkirche
werden keine Bedenken erhoben.
Sitzung am 9. Februar. Die Wandmalereien in der Bischofskapelle
in Goß werden bloßgelegt. Die mit wertvollen Fresken des 18. Jahr-
hunderts geschmückte Luciakapelle der demolierten Pfarrkirche in
Tüchern muß in den Neubau einbezogen werden.
Sitzung am 16. Februar. Der Musealverein in Cilli macht Mitteilung
über den Fortgang der Erhaltungsarbeiten auf der Burg Ober-Cilli.
Sitzung am 2. März. Die alten Fenster am sogenannten Stöckel
in der Hofgasse in Graz sollen erhalten bleiben.
Sitzung am 23. März. Die Neueindeckung der Kreuzkapelle bei
der Hof- und Domkirche zu Graz wird genehmigt.
Sitzung am SO. März. Die Pestsäule auf dem Hauptplatze in
Voitsberg aus dem 17. Jahrhundert bedarf einer Restaurierung.
Sitzung am 27. April. Die Ruine Monsperg bedarf einer Siche-
rungsarbeit. Die Bloßlegung der unter der Tünche verborgenen Male-
reien in der Friedhofkapelle zu Murau begegnet großen Schwierig-
keiten. Die Stuccodekorationen der demolierten Luciakapelle in Sachsen-
feld kommen an das „Joanneum". Die Fresken an der Außenseite
der Pfarrkirche zu Spital a. S. wurden durch ein Schutzdach geschützt.
Die Glasmalereien in der Kirche zu Tragö ß -Unterort wurden restauriert.
10*
148 Literaturberichte.
Sitzung am 11. Mai. Gegen die Eindeckung der Pfarrkirche in
Murau mit Schiefer waltet kein Anstand ob. Ein gotischer Erker an
einem zu demolierenden Hause in Pettau soll beim Neubau wieder
Verwendung finden. An der Nordwand des Schiffes der Kirche St. Rupert
am Kulm in der Ramsau kamen Gemälde des frühen 14. Jahr-
hunderts zutage.
Sitzung am 18. Mai. Die schlecht eingemauerten römischen In-
schriftensteine in der Kirche zu Kerschbach bei Prager hof sollen
bei der bevorstehenden Restaurienmg herausgenommen und die Römer-
steine in Waltersdorf vor mutwilliger Beschädigung geschützt werden.
Für die Wiederherstellung der Frauensäule in Schillingsdorf werden
100 Kronen bewilligt.
Sitzung am 22. Juni. Die projektierten Restaurierungsarbeiten an
der Pfarrkirche in Aflenz werden genehmigt, ebenso jene für die
St. Bernhardskirche in Murau. In Cilli wurden Reste der mittelalter-
lichen Stadtmauer bloßgelegt.
Sitzung am 13. Juli. Die Bauherstellungen an der Kirche am
Kriechenberg in den Windischbüheln wurden nicht sorgföltig genug
durchgeführt. In Ober rann bei Pettau wurden zwei römische Mosaik-
böden aufgedeckt.
Tätigkeitsbericht vom Juli bis September. Die Restaurierungen der
Pfarrkirche in Aflenz wurden zur Zufriedenheit durchgeführt. In der
Frauendorfer Pfarrkirche wurden die Fresken übertüncht. Das
Stuben her g-Denkmal dortselbst muß einer Reinigung unterzogen
werden. Die Glasgemälde in der St. ülrichskapelle zu Utsch befinden
sich in einem restaurationsbedürftigen Zustand. Die Restaurierung der
Pfarrkirche in Leutschach wird genehmigt.
Tätigkeitsbericht für Oktober. In der Grazer Domkirche
kommt in das alte Orgelgehäuse ein neues Werk. Die G ö ß e r Bischofs -
kapelle muß einer gründlichen Restaurierung unterzogen werden. Das
Jakobskreuz in Leoben wurde durch Aufstellung eines Mastes der
elektrischen Beleuchtung entstellt und wird dessen Entfernung verlangt.
Die abgefallene Stuckumrahmung des Gemäldes am Schwammerlturm
möge erneuert werden.
Tätigkeitsbericht für November. In der Pfarrkirche St. Georgen
in Windischbüheln kommt ein neuer gotischer Hochaltar zur Aufstellung.
Die Pfarrkirche in Unzmarkt wird einer sachgemäßen Restaurierung
unterzogen.
Tätigkeitsbericht für Dezember. In Cilli wurden die Grundfesten
des 1530 erbauten Grazer Tors aufgedeckt. Die Restaurierungsarbeiten
an der Oswaldikirche in Eisenerz sollen fortgesetzt werden und zwar
im Einklänge mit den bereits vollzogenen. Dazu wird ein einheitlicher
Plan ausgearbeitet. Inünterpodlosch an der Pulsgau wurden die
Hoch nicht aufgegrabenen drei Tomuli durchforscht und ergaben Funde
aus der Hallstätterperiode. In Oberhaidin an der Neustifter Straße
in der Umgebung des Hauses Nr. 103 wurde (von Prof. Ferk) ein prä-
historisches Gräberfeld, vermutlich der früheren Hallstattperiode, entdeckt.
An größeren Aufsätzen finden sich in diesem Jahrgange von
Luschin von Ebengreuth: Neue Funde von Keltenmünzen aus
Steiermark. Mit zwei Tafehi (S. 188—194). Skrabar: Fund römi-
scher Denare in Unterhaidin (S. 195 — 196). Graus: Der zer-
störte Hochaltar der Pfarrkirche von Judenburg (S.206 — 219).
Szombathy: Neuere Gräberfunde in Klein-Glein (S. 296— 299).
Zeitschriftenschau.
Ein Brnchstück ans dem Bennewart Ulriclis Ton Tttrheim.
Im XLYIII. Bande der „Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche
Literatur", S. 415—418, veröffentlicht Hofrat Anton E. Schönbach
diesen für Steiermark sicherlich äußerst interessanten Fund. Das Perga-
mentblatt, das aus dem Anfange des XIV. Jahrhunderts stammt, wurde
von Dr. Kapper bei der Einrichtung des Grazer Statthaltereiarchives auf-
gefunden und diente als Umschlag für ein Urbar der St. Martinskirche
bei Windischgraz von 1364.
Zur niederösterreicliiselien gtändisehen Yerfassnngrs- nnd
Terwaltnngsfrage in den Jahren 1848 — 1861. Von Dr. Anton Mayer.
(Monatsblatt des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich, Jahr-
gang 1906, Nr. 7—9, auch S. A.)
„Seit dem denkwürdigen 13. März des Jahres 1848, an welchem
Tage infolge der stürmischen Ereignisse im Hofe des niederösterreichi-
schen Landhauses, in den Vorräumen zum ständischen Sitzungssaale und
dann in diesem selbst die hier eben unter dem Vorsitze des Land-
marschalls zu einer allgemeinen öffentlichen Sitzung versammelten drei
oberen politischen Stände in ihrer Beratung gestört und gezwungen
waren, den Saal zu verlassen, hat keine derartige Sitzung mehr statt-
gefunden; sie beschloß die jahrhundertelange Reihe der niederöster-
reichischen Ständeversammlungen oder Landtage, da man sich nicht mehr
getraute, solche der ungünstigen Zeitverhältnisse wegen einzuberufen."
Neuere Berichtigungen der Kärntner Landesgrrenze. In der
„Karinthia", L, 90. Jahrgang, veröffentlicht Dr. M. Wutte einen für die
historische Topographie wertvollen Aufsatz, von dem namentlich der
I. Teil, der die Grenzstreitigkeiten vom Südabhange der Koralpe
behandelt, (Heft Nr. 1, S. 5—34) und Nr. 2, S. 49—61, für uns Steirer
interessant ist.
Die steirischen Rezesse zur Zeit Maria Theresias. In der
Wiener Zeitung Nr. 244 und 245 vom 24. und 25. Oktober 1906 gibt Franz
Martin Mayer auf Grund von Akten des steiermärkischen Landesarchivs
eine Darstellung der Verhandlungen zwischen der Regierung Maria
Theresias und den steirischen Ständen über die von der Kaiserin 1748
in Angriff genommenen Reformen des Steuerwesens und der militärischen
Angelegenheiten. Die hierüber geschlossenen Rezesse legten dem Lande
bedeutende Lasten auf. In den folgenden Kriegsjahren mußten sich die
Stände außerdepi mit ihrem Kredite an den P'inanzoperationen der Re-*
gierung beteiligen, wofür sie 1767 einen „General- Schuldbrief" erhielten,
der als Guthaben des Landes den Betrag von 5,287.597 Gulden auswies.
Wie alt ist nnser Österreich ? In einem Aufsatze unter diesem
Titel führt Dr. Josef Lampel im Abendblatte der „Neuen Freien
Presse" vom 19. November d. J. den Gedanken aus, daß Karl dem
Großen im Kapitulare von Thionville am 6. Februar 806 in dem Reiche,
das er seinem Sohne Pippin zuwies, bereits ein „Österreich", ähnlich
dem heutigen, vorgeschwebt habe. Somit sei Karl der Große nicht nur
als Schöpfer der Ostmark, sondern als „Gründer des Ostreiches" zu
150 Zeitschriftenschau.
betrachten. — Die genauere Darlegung dieses Gedankeos gab der Ver-
fasser in einem Feuilleton der „Wiener Zeitung" Jahrg. 1906, Nr. 10 und
14. — Zum gleichen Gegenstande bringt Dr. Lampel den Aufsatz „Die
,d re i Gr a fs cha ft en' der karolingischen und der Otto ni sehen
0 s t m a r k" in der Wiener Zeitung Nr. 263 und 265 vom 15. und 18. November
1906, sowie die Studie „Ein Wiener Denkmal Kaiser Karls des
Großen" in der „österreichischen Kundschau", Band 9, Heft 2, vom
15. November 1906.
Fttrst Metternich und die Staatskonferenz. Über diesen
Gegenstand, die Bildung der österreichischen Staatskonferenz von 1836,
sclu:eibt Eduard v. Wertheimer mit Benützung ungedruckter Quellen
in der „österreichischen Rundschau", Band X, Heft 1, vom I.Jänner 1907.
Die Ostermair. Urkunden, Regesten, Matrikenauszttge etc. von
1700 — 1799. Paul Ostermair, Prediger in Königsberg, ließ im Laufe
des Sommers 1906 eine Fortsetzung seiner ^Verstreuten Nachrichten über
die Ostermair" erscheinen. Zugleich macht der Verfasser dieser Regesten-
sammlung, Dr. H. Ostermair in Ingolstadt, Mitteilung von dem engeren
Zusammenschlüsse der einzelnen über ganz Deutschland
zerstreuten Familien in der Gründung eines Verbandes
von Trägern dieses Familiennamens ohne Rücksicht auf die
Namensschreibung und Stammesverwandtschaft. Zweck des Verbandes
ist die Sammlung und Veröffentlichung aller auf diese Namensgenossen
bezüglichen Nachrichten aus ältester, neuer und neuester Zeit. Der Wert
dieser in Deutschland schon vielfach eingerichteten bürgerlichen Familien-
verbände zur Belebung des historischen Interesses ist unverkennbar und
sollte auch bei uns eifrige Nachahmung finden.
Festschrift des akademischen Vereines deutscher Historiker
an der Unirersität in Graz anläßlich der Feier seines 30jährigen Be-
standes. Die hübsch ausgestatte Schrift enthält: Franz v. Krone s.
Festrede, gehalten am 19. Jänner 1907 bei der Enthüllung der Gedenktafel
in der Aula der Grazer Universität. Von Professor Dr. Karl ühlirz. —
Eduard Richter. Antrittsvorlesung des Professors Dr. Robert Sieger,
gehalten am 25. Oktober 1905. — Hans v. Zwiedineck, gest. 22. No-
vember 1906 Von A. Meli. Abgedruckt aus „Deutsche Geschichtsblätter" .
Zur Biographie „Hans v. Zwiedineck-Sttdenhorst" in
dieser Zeitschrift (IV. Jahrg., S. 101—136) gibt Regierungsrat Fr. II wo f
folgende Berichtigung: „Zu S. 102. Nachdem Oberst Ferd. Zwiedineck
von Frankfurt am Main nach Verona war übersetzt worden (1848), begab
sich dessen Gemahlin mit dem Sohne Hans nicht allsogleicli nach Graz,
sondern mit ihrem Gemahle in diese italienische Stadt, wo Hans die
erste Klasse der italienischen Volksschule besuchte und als Vorzugs-
schüler bestand. Erst 18 )2, als Oberst von Z. in Pension trat, kam Hans
mit den Eltern nach Graz. S. 120, Z. 12 v. u. : Der Titel des hier zitierten
Autsatzes heißt: „Österreich und der deutsche Bundesstaat**, nicht
„Österreich und der österreichische Bundesstaat", wie S. 135, die letzten
Zeilen v. u., richtig angegeben ist.**
Flngrschrift 1848 für das allgremeine gleiche Wahlreeht«
Frau Gewerke Ludovika Zangg veröffentlicht anläßlich der 100. Wieder-
kehr des Geburtsjahres ihres Gatten, August Zanggs, des Freiheits-
kämpfers von 1848, einen Nachdruck der damaligen Flugschrift des
ersten Agitators und furchtlosen Vorkämpfers für das allgemeine
Wahlrecht.
Die Familie Lederwasch in Tamswegr. Valentin Hatheyer
bringt im 44. Bande der „Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger
Zeitschriftenschau. 151
Landeskunde" (auch S. A.) eine auf gediegener archivalischer Forschung
beruhende Biographie dieser Eünstlerfamfle. Uns interessiert namentlich
Johann, der dritte Sohn Gregors TV., der Maler in Murau war und von
dem das Selbstporträt nebst dem seines Sohnes aus dem Jahre 1818
sich im steiermärkischen Landesarchive befindet. IJr war äußerst arbeit-
sam und unter dem Namen des steirischen Teniers bekannt.
Oasseil-, StraSen- nsd Plätze-Bneh der Stadt Marburur a* 1>.
Dr. Artur Mally, der lange Zeit als Gemeinderat wirkte, hat den Mar-
burgem ein äußerst wertvolles historisches Denkmal geschaffen. Da er
sich viel mit der Geschichte der Stadt beschäftigt hatte, wurde ihm
im Gemeinderate die Aufgabe zuteil, für neuentstandene Straßeft den
Namen vorzuschlagen. Und so reifte in ihm der Entschluß, ein Ver-
zeichnis aller Straßen anzulegen mit einer kurzen Begründung, warum
sie ihren Namen führen. Und dabei kam er unwillkürlich auf das Ge-
schichtliche. So erzählt er denn alles Erwähnenswerte, was sich an die
Gassen und Gebäude im Laufe der Zeit knüpfte und bietet uns so
einen willkommenen historischen Führer durch die altehrwürdige, bau-
lich vielfach interessante Stadt Marburg.
Zeitschrift für Geschichte nnd Kulturgeschichte österrei-
chisch-Scblesiens. Seit 190) gibt das städtische Museum in Troppau
diese von Prof. Dr. Karl Knaflitsch verdienstvoll geleitete Zeitschrift
heraus. Dieselbe bringt Arbeiten kunst- und literarhistorischen, national-
ökonomischen, namentlich aber volkskundlichen Charakters zur Ver-
öffentlichung und will zunächst ein Sammelpunkt für Kleinarbeit
sein, „eine Aaeiferung für zaghaftere Forscher, auch wenn sie nicht
zünftige, dagegen von Liebe zur Heimat angeregte Sammler sind".
Der Meldezettel. Ein Kapitel aus der Geschichte der Stadt
Wien. In „Die Zeit« vom 17. Februar 1907, Nr. 1581, S. 4 bis 5, ver-
öffentlicht Dr. A. Starzer unter diesem Titel einen interessanten Auf-
satz und weist nach, daß 1597 an Stelle der mündlichen Fremden-
anmeldung die srhriftliche trat. Zwei ungebetene Gäste waren es, deren
wiederholtes, Tod und Verderben bringendes Erscheinen die Einftihrung
des jetzt so vielfach im guten und bösen Sinne genannten Meldezettels
veranlaßten: die Pest und die Türken.
Herzogr Wilhelm von lYUrttembergr* Anläßlich der feierlichen
Enthüllung des Denkmales des Herzogs Wilhelm von Württemberg in
Graz am 8. Juni erschien bei Ulrich Moser (J. Meyerhoff) eine äußerst
gehaltvolle, hübsch ausgestattete Festschrift. Dieselbe wird eingeleitet
durch ein stimmungsvolles Gedicht 0. Kernstocks und bringt in präg-
nanter Kürze eine Lebensbeschreibung dieses deutschen Prinzen, der
in Österreich eine zweite Heimat gefunden und diesem seinem Adoptiv-
vaterlande so treue, hingebungsvolle Dienste geleistet hat. Mit schar-
fem politischen Blicke erkannte er die große Gefahr filr den Bestand
Österreichs, der aus der Zurückdrängung der deutschen Staats- und
Armeesprache für den Bestand des Staates entstand und erhob er be-
reits 1885 warnend seine Stimme.
Friedrich Marx. Sein Leben und Dichten. Den Freunden und
Verehrern des Dichters widmet Karl W. Gawalowski eine Erinne-
rungsgabe. Dieselbe stellt einen Vortrag dar, der vom Verfasser in den
Zweigvereinen Graz und Klagenfurt des allgemeinen deutschen Sprach-
vereines gehalten wurde und der zuerst im „Grazer Tagblatt" in Druck
erschien. Der Reinertrag dieser Schrift ist der Errichtung einer Marx-
Gedenktafel in Ober-Drauburg gewidmet.
152 Aus Archiven, Kommissionen, Museen, Vereinen.
Abt Kn^etan Hoffmann. Ig. H. Joherl widmet seinem Lands- .
manne, dem am 13. März 1907 verstorbenen verdienstvollen Abte von \
Admont einen gehaltvollen Nachruf unter dem Titel: „Einen Palmen-
zweig auf das Grab des hochw. Herrn Eajetan Hoffmann, inf. Abt von
Admont".
Die Kalsergrräber in Speyer. Über die Wiederherstellung der |
Kaisergruft im Dome zu Speyer veröffentlicht Prof. Grauer in der .
Beilage zur „Münchner allgem. Zeitung^ einen stimmungsvollen Bericht. I
Es ruhen hier die Kaiser Konrad II., Heinrich III., IV., V., die Kai- ^
serinnen Gisela und Berta, dann Beatrix, die Gemahlin Kaiser Bar- I
barotsas, und ihr Kind Agnes, femer Philipp von Schwaben, Eudolf
von Habsburg, Adolf von Nassau und Albrecht von Österreich. Am |
1. Juni 1689 fiel auch der Dom der Zerstörungswut der Franzosen
zum Opfer und wurden beim Brande die Kaisergräber teilweise er- i
brochen und geschändet. Die zerstreuten Gebeine wurden gesammelt '
und in neue Sarkophage gelegt. Darüber wölbt sich nun die neue, i
würdige Kaisergruft. s
i
Aus Archiven, Kommissionen, Museen, Vereinen.
SteiermSrkisches Landesarchiv. Der vorliegende Bericht über
das Jahr 1906 (S. A. aus dem XCV. Joanneumsberichte) gibt Zeugnis
von einem erfreulichen Aufschwung dieses Institutes. Dasselbe hat die .
Zahl von 3494 Benützungen aufzuweisen. Bezüglich der inneren und ^
äußeren Ausgestaltung wäre zu erwähnen, daß der Landes-Ausschuß :
beschloß: 1. Die dauernde Verbindung der historischen Landeskom-
mission für Steiermark, 2. die Adaptierung eines Depotraumes im 1. Stocke
als zweites Benutzer- und Parteienzimmer im Anschlüsse an die bereits
bestehenden Kanzleiräume, und 3. die Umwandlung von drei unter den
Parterrelokalitäten des Archives gegen die Ringstrasse zu gelegene
Kellerräume zu feuersicheren Aktendepots. Über Antrag des ständigen ^
Ausschusses der historischen Landeskommission und Befürwortung seitens
der Archivsdirektion beschloss der Landes-Ausschuß die Einführung
von Abendstunden an jedem Montag, Mittwoch und Freitag von 5 bis I
7 Uhr. Die Ordungsarbeiten erstreckten sich auf die Repertorisierung
von Originalurkunden und Kopien aus dem Schlosse Greinburg, von den (
Städten Hartberg und Fürstenfeld und dem Schloßarchive von Guten-
berg. Die Ordnung der Familienarchive Stubenberg und Gleispach wurde ^
zu Ende geführt, die Stadtarchive von Fürstenfeld und Hartberg wurden
vorgeordnet. Aus dem landschaftlichen Archive wurden die Abteilungen i
Landesgrenzen, Münz- und Geldwesen und Befestigungen
geordnet und mit der Detailordnung der „Ständischen Verwaltung" |
begonnen. .
Historische Landeskommission fiir Steiermark. 6. Vollver-
Sammlung am 14. Februar 1907, halb 6 Uhr Abends im steiermär-
kischen Landesarchive.
Seine Exzellenz der Herr Landeshauptmann Edmund Graf A 1 1 e m s I
begrüßt die erschienenen Mitglieder und vor Allem das neu ernannte I
Mitglied, Landespräsidenten a. D. Otto Freiherrn von Fraydenegg. ^J
Freiherr von Fr ay den egg dankt für das Vertrauen^ welches i
die Kommission und der steiermärkische Landes-Ausschuß durch seine
(
Aus Archiven, Kommissionen, Museen, Vereinen. 153
Wahl zum Mitgliede ihm entgegengebracht und verspricht, seine Kräfte
der Sache der Kommission zu widmen.
Der Vorsitzende gedenkt in warmen Worten ausführlich der
großen Verdienste, welche der leider zu früh dahingeschiedene ehe-
malige Sekretär der Kommission, Professor von Zwiedinek, sich
während einer 13jährigen Tätigkeit um die Landeskommisson er-
worben hat und fordert die Anwesenden auf, sich zum Zeichen der
Trauer von den Sitzen zu erheben.
Der Sekretär Dr. Anton Meli erstattet den Tätigkeits-
bericht des ständigen Ausschusses über das Jahr 1906.
Durch die endgiltige Vereinigung der Kommission ^it dem Landes-
archive, in dessen Bäumen der Kommission ein eigenes Arbeitslokal
zur Verfügung gestellt wurde, durch die Einführung von Abendstunden
am Archive und durch die Zuweisung einer Reihe von Hilfswerken aus
der Landesbibliothek am Joanneum ist für die Zufunft ein gedeihliches
Zusammenwirken zwischen Kommission und Archiv ermöglicht worden.
An die Stelle des Verstorbenen Herrn Professors Dr. Hans von
Zwiedineck-Südenhorst ernannte der hohe Landes -Ausschuß den
Archivdirektor Dr. Anton Meli zum Sekretär. Als ständiger wissen-
schaftlicher Hilfsarbeiter wurde der Bibliotheksanspirant Dr. Hans
Unters weg bestellt.
Im Jahre 1906 wurden veröffentlicht:
1. Panz, die Innerberger Hauptgewerkschaft (1625 — 1783), „For-
schungen" VI/^.
2. Loserth, das Archiv des Hauses Stubenberg. „Veröffent-
lichungen« XXII.
3. Meli, Archive und Archivschutz in Steiermark „Veröffent-
lichungen« XXIII.
Im Manuskript vollendete Privatdozent Dr. Fritz Byloff seine
Studien über „Die steirische Landgerichtsordnung** mit deren Druck-
legung als 3. Heft des 6. Bandes der „Forschungen** bereits begonnen
wurde. In Fortgang befinden sich die Arbeiten der Herren Vizepräsidenten
Dr. Freiherrn von Mensi über die „Geschichte der direkten Steuern
in Steiermark**, — Professor Dr. v. Wretschko (Innsbruck) über die
„Steirischen Landeshauptleute' — Professor Otto von Zwiedineck
(Karlsruhe) über die „Steirische Sozial-^ und Wirtschaftsgeschichte im
15. und 16. Jahrhundert** und Musealkustos Dr. Richard Meli über
„Privaturkundenwesen in Steiermark**.
Über das von der Tochter weiland Hofrates Kiipelwieser dem
Landes-Ausschusse vorgelegte Manuskript ihres Vaters über die Ge-
schichte des steirischen Eisen- und Kohlenwesens beschloß der stän-
dige Ausschuß, dasselbe dem Professor an der montanistischen Hoch-
schule in Leoben, K. A. Redlich zur Überprüfung anzuvertrauen. Auf
Grund des von diesem erstatteten Referates beschhloß der ständige
Ausschuß Herrn Professor Redlich mit der Redaktion beziehungsweise
Umarbeitung der „Geschichte des steirischen Kohlen wesens** zu betrauen
und bezüglich des zweiten Teiles des Manuskriptes sich seinerzeit mit
Herrn Hofsekretär Hofmeister (Wien) in Verbindung zu setzen. Die
Drucklegung des 1. Teiles erfolgt im Jahre 1908.
Im Fortgange und für 1907 in Aussicht genommene
Arbeiten sind:
a) Die Vorarbeiten für die Geschichte des steirischen Finanz-
wesens aus den Beständen des steiermärki sehen Landes-Archives durch
Dr. Freiherm von Mensi;
154 Aus Archiven, Kommissionen, Museen, Vereinen.
b) die Vorarbeiten zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Steier-
marks im 15. und 16. Jahrhundert durch Professor Otto von Zwiedineck
(Karlsruhe) i
c) die Umarbeitung des Kupelwieser'schen Manuskriptes „Ge-
schichte des steirischen Kohlenwesens^ durch Professor Dr. K. A.
Eedlich (Leoben);
d) die Vorarbeiten zur Geschichte des steirischen Privaturkunden-
Wesens durch Dr. Richard Meli;
e) die Ordnung des gräflich Säur aussehen Herrschafts- und
Familienarchives im steiermärkischen Landesarchive. •— Die Durch-
führung derselben übernimmt der Sekretär.
ß die Herausgabe der Urkundenregesten zur Geschichte des Hauses
Lichtenstein in Steiermark durch Herrn Hofrat Loserth.
Hofrat Loserth erklärt sich bereit, das Ungnad-Weissen-
wolfsche Archiv in Steyregg nach steirischen Materialien zu durch-
forschen.
Im Sinne des Beschlusses der Vollversammlung vom 28. Juni
1906 stellte der ständige Ausschuß folgende Anträge:
a) Da bis jetzt eine systematische Durchforschung des für die
Zwecke der Landeskommission zunächst in Betracht kommenden Quellen-
materiales nicht eingeleitet wurde, wird die Veröffentlichung von „Quellen
zur steirischen Verfassung- und Verwaltungs-Geschichte**
beschlossen.
h) Zunächst wird die Herausgabe der „Steirisch^nLandtags-
akten** als dritte Sonderpublikation beschlossen und mit der Einteilung
und Durchführung dieser Herausgabe der ständige Ausschuß betraut.
c) Die Kosten für Satz, Druck und Honorare (letztere nach
einem vom ständigen Ausschusse zu bestimmenden Schema) werden aus
der jährlichen Subvention des Unterrichtsministeriums und einem jähr-
lichen Betrage von 500 K aus der Landesdotatien gedeckt.
d) Betreffend die Drucklegung der .Quellen" hat der Sekretär
seinerzeit dem Ausschusse bestimmte Anträge zu unterbreiten.
Die GeseUsehaft für Salzburger Landeskunde hielt am
11. Oktober 1906 ihre 46. Generalversammlung ab. Die Mitgliederzahl
betrug 330. In den Wintermonaten fanden je 2 Vcreinnabende statt. Die
„Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde", redigiert von
Dr. H. Widm ann , enthalten : P. Pirmin L in d n e r, 0. S. B., P r o f e ß b u c h
der Benediktinerabtei St, Peter (1419— 1856); Eberhard Fugger,
Übersicht der Witterung und täglichen Beobachtungen
der Wassertemperaturen der Salzach 1905; Dr. Franz Martin,
Die kirchliche Vogtei im Erzstifte Salzburg; Dr. Paul Legers,
Kardinal Matthäus Lang, ein Staatsmann im Dienste
Kaiser Maximilians I.
Steiermärkischer Kunstrerein. Mit seiner 106. Ausstellung
älterer Kunstwerke aus heimischem Privatbesitz (April
1907) verwirklichte der steiermärkische Kunstverein den lang gehegten
Plan, einen großen Teil des heimischen Privatbesitzes an älteren Kunst-
werken der Öffentlichkeit zugänglich zu machen ; äußerlich gliederte sich
dieselbe in drei große Gruppen: 1. Gemälde verschiedener Techniken,
Plastik, Kleinkunst; 2. ein Ausschnitt aus dem Kunstnachlasse des Erz-
herzogs Johann; 3. Miniaturen (diese Abteilung im Verein mit der Direktion
des Museums vorbereitet und aufgestellt). Wir können uns hier nicht auf
eine nähere Beschreibung der Bilderbestände einlassen, uns interessiert
vielmehr die Tatsache, daß in der ersten Abteilung nur wenige Steirer
Aus ArchiTen, Kommissionen, Museen, Vereinen. 155
vertreten waren: Fr. Chr. Janneck (geb. 1703 in Graz, gest. 1761 in
Wien), Ign. Raff alt (geb. 1800 in Weißkirchen, Obersteier, gest. 1857
in Hainbach bei Wien), AI. Jos. Won si dl er (geb. 1791 in Graz, gest. 1858
daselbst), der Landschaftsmaler Konr. Kreutzer (geb. 1810 in Graz,
gest. 1861 daselbst). Die groBe Menge der anderen Bilder entstammt ver-
schiedenen Ländern und Meistern; viele Holländer, Franzosen, Italiener,
Deutsche, Österreicher aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, die ganze
Eeihe selbst ein Bild mit vielen Zügen, mit fesselnden Blicken auf ver-
gangene Tage, auf Kunstfreunde, alte Familienschätze und glückliche
£rwerbungen. Den fiintrittsraum schmückte die Kollektion Wiener
Schauspielerbildnisse aus den Jahren 1816 — 1827 (Besitzer Herr
Jos. R. V. Franck), über deren Entstehung Schreiber dieser Zeilen in der
„Tagespost" vom 21. April d. J. einiges nach Angaben des Ausstellers mit-
geteilt hat.
Die zweite Abteilung, enthaltend den zum erstenmale öffentlich
ausgestellten Kunstnacblaß des Erzherzogs Johann, regt an zu einer in-
tensiven Beschäftigung mit der Wirksamkeit des Erzherzogs als Kunst -
förderer; besonders berücksichtigt waren die „Kammermaler** Matthias
Loder (geb. 1781 in Wien, gest. 1828 auf dem Brandhofe) mit Land-
schaften und einigen Trachtenbildem, Karl Ruß (geb. in Wien 1779,
gest. 1834 daselbst) mit einer Reihe weniger künstlerisch als kultur-
historisch interessanter Trachtenbilder, und Ludw. Ferd. Schnorr von
Karolsfeld (geb. 1788 in Königsberg, gest. 1853 in Wien) mit dem
„Taufbilde" und den lebensvollen Skizzen dazu
Unsere Skizze wäre unvollständig, gedächten wir nicht der überaus
reichhaltigen Miniaturenausstellung, die för unser Publikum etwas Neues
war; angeregt wurde sie durch Beteiligung von Grazer Sammlern an der
Wiener Miniaturenausstellung 1905 und erhielt durch die Überlassung
der Sammlungen Emele und Perlep gleichsam ihren Grundstock. Aus-
gezeichnet vertreten waren die Hauptmeister dieser Kunstrichtung F ü g e r
und Daffinger; an sie schlössen sich die vielen Österreicher, treffliche
Franzosen und Engländer, deren Aufzählung uns zu weit führen würde.
Von heimischen Miniaturisten erwähnen wir Anton Isser (gegen 1822
in Graz tätig), Ignaz Rungaldier (geb. 1799 in Graz, gest. 1876 da-
selbst), Ferd. Mallitsch (geb. 1820 in Graz, gest. 1900 bei Marburg),
Leop. Kuwasseg (geb. 1804 in Triest, gest. 1862 in Graz) und Josef
Teltscher (1802--1838), dessen Tätigkeit als Miniaturist ausschließlich
auf unsere Stadt beschränkt ist; von seiner Hand stammt das bisher
als verschollen gehaltene Bildnis Anselm Hüttenbrenners.
Alles in allem: eine wertvolle Ausstellung mit großem idealen
Erfolge, mit vielen Anregungen far die Zukunft, dahingehend, die Kunst
ebenso treu zu pflegen und zu fördern, wie es unsere Vorfahren getan
haben. Ob allerdings der Kunsthallenfonds, zu dessen Stärkung das
Reinerträgnis bestimmt war, bereichert wird, ist eine Frage für sichl
Mögen uns die verschiedenen Zeichen, die eine regere Liebe zur bilden-
den Kunst voraussagen, nicht trügen, mögen unsere Kunstvereine bald
in ihrem eigenen Hause unser Publikum versammeln!
Walter von Semetkowski.
Der BEnseiimsTerein tob Pettau hielt am 28. Jänner d. J. seine
Hauptversammlung ab. Der Vorsitzende Herr A. Schröffl erstattete
den Kassebericht, nach dem der Verein an Einnahmen 3152 f 61 /t, an
Ausgaben 2801 K 2h aufweist. Für den aufgedeckten und aufgestellten
römischen Mosaikboden verausgabte der Verein 1330 K, Herr Jurist
V. Skrabar berichtet über die Grabungen, für die 431 K, und über die
156 Aus Archiven, Kommissionen, Museen, Vereinen.
Funde und Ankäufe, für die 600 K ausgegeben wurden. Auf Antrag des
Herrn S k r a b a r wird beschlossen, den Gemeinderat zu ersuchen, wegen
der Stadtwappenfrage eine Eingabe an das Landesarchiv zu machen.
Deutscher Hlstorikertagr« Der 10. Historikertag wird am 3. Sep-
tember in Dresden eröffnet werden. Die Tagung beginnt mit einer zwang-
losen Zusammenkunft auf dem königlichen Belvedere. Am 4. September
vormittags findet sodann die Begrüßungssitzung in der Technischen
Hochschule und abends städtischer Begrüßungsabend im Ausstellungs-
palast statt. Am 5. September beginnen die Vorträge. Solche halten
Prof. Dr. Hangk: Die Rezeption und Umbildung der alten Synoden im
Mittelalter; Prof. Dr. Hintze — Berlin: Entwicklung der modernen Mini-
sterialverwaltung; Ratsarchivar Prof. Dr. Richter - Dresden : Dresdens
Bedeutung in der Geschichte ; Prof Dr. Kromeyer — Czemowitz : Hannibal
und Antiochus der Große, eine strategisch-politische Betrachtung ; Prof.
Dr. Lamprecht— Leipzig: Probleme der Weltgeschichte; Prof. Dr. Jacob —
Tübingen : Über den großen Kurfürsten; Dr. Caro -Zürich : Grundherrschaft
und Staat; Prof. Dr. Schultes — Bonn: Thema ist noch nicht bekannt.
Der TU« Dentscbe Archiytagr findet am 14. September in Karls-
ruhe statt; Sonntag den 15. erfolgt ein gemeinsamer Ausflug der Archivare
und Mitglieder des Gesamtvereines nach Speyer zur Besichtigung des
Kreisarchives und der Kaisergräber.
(i^esamtTereiii der deutschen Geschichts« und Altertums-
vereine. Die diesjährige Hauptversammlung wird vom 16. bis 18. Sep-
tember in Mannheim stattfinden. Sonntag den 15. abends Yorbegrüßung
in Mannheim, 18. September Ausflug nach Heidelberg. (Die auf beiden
Tagungen zu haltenden Vorträge sind der Redaktion noch nicht bekannt.)
Achter Tag für Denkmalpflege in Mannheim am 19. und
20. September 1907. Aus der Reihe der angemeldeten Vorträge seien
besonders erwähnt: „Baupolizei und Denkmalpflege" (Geh. Oberregie-
rungsrat Dr. Bö hm -Karlsruhe und Regierungspräsident a. D. zur
Nedden -Koblenz); „Über die Möglichkeit der Erhaltung alter Städte-
bilder unter Berücksichtigung moderner Verkehrsanforderungen" (Landes-
baurat C. Reh or st -Merseburg), mit Lichtbildern; „Über städtische
Kunstkommissionen" (Prof Dr. P. Weber- Jena); „Denkmalpflege in der
Schweiz" (Architekt E. P r o b s t-Zürich) ; „Über das Mannheimer Kaufhaus
und dessen Restaurierung" (Stadtbaurat P e r r e y-Mannheim) ; „Die Grund-
rißbildungen der deutschen Städte des Mittelalters in ihrer Bedeutung für
Denkmalbeschreibung und Denkmalpflege" (Professor Dr. J. Meier-
Braunschweig und Geh. Baurat Dr. Ing. S t ü b b e nBerlin) ; „Über Me-
thodik der Ausgrabungen" (Prof Dr. Dragendorff-Frankfurt a. M.).
Der internationale historische Kongreft wird vom 6. bis 12.
August 1908 in Berlin stattfinden. Der Reichskanzler hat es übernom-
men, die auswärtigen Staaten in Kenntnis zu setzen. Es sind acht Sek-
tionen in Aussicht genommen: 1. Geschichte des Orients. 2. Geschichte
von Hellas und Rom. 3. Politische Geschichte des Mittelalters und der
Neuzeit. 4. Kultur- und Geistesgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit.
5. Rechts- und Wirtschaftsgeschichte. 6. Kirchengeschichte. 7. Kunst-
geschichte. 8. Historische Hilfswissenschaften (Archiv- und Bibliothekwesen,
Chronologie, Diplomatik, Epigraphik, Genealogie, historische Geographie,
Heraldik, Numismatik, Paläographie und Sphragistik). — Anmeldungen sind
an den Vorsitzenden des Organisationskomitees, Herrn Generaldirektor der
Königl. Preuß. Staatsarchive Dr. R. Koser zu richten. Jedes Kongreß-
mitglied zahlt 20 Mark. Die Verhandlungen werden in deutscher, eng-
lischer, französischer, italienischer und lateinischer Sprache geführt.
Vereinsnachrichten.
Bericht fiber die Tätigkeit des Historischen Vereines im Jahre 1906.
In der am 15. Februar 1907 abgehaltenen Jahresversammlung
gelangte der Geschäftsbericht über das abgelaufene Vereinsjahr 1906
zur Kenntnis der Mitglieder. In der 504. Ausschußsitzung war satzungs-
gemäß die Verteilung der Ämter erfolgt. Kurze Zeit darauf erfolgten
einige Änderungen in der Ämterführung, so daß zum Schlüsse der Aus-
schuß aus folgenden Herren bestand. Obmann: Regierungsrat Dr. Karl
Reißenberge r, Schriftführer: Prof. Dr. Ferd. Khull, Zahlmeister:
kaiserl. Rat Dr. Anton K a p p e r. Beisitzer : Pfarrer Ig. H. J o h e r 1, Prof.
Dr. 0. Cuntz, Prof. Dr. A. Meli, Exz. Feldzeugmeister Johann R. von
Samonigg, Prof. Dr. K. Uhlirz und Prof. Dr. v. Zwiedineck-
Südenhorst. Als Dr. Meli im Herbste v.J. aus den schon ange-
führten Gründen gänzlich aus dem Ausschusse trat, Prof Khull aber
gleichfalls Zeitmangels wegen das Schriftführeramt niederlegte, wurde
der Statthalterei -Archivleiter Dr. Thiel als Schriftführer kooptiert.
Einen überaus schweren Verlust erlitt der Verein durch das Ableben
Professor v. Zwiedinecks. Am Schlüsse des Vereinsjahres ist —
infolge Überhäufung mit amtlichen und wissenschaftlichen Arbeiten
— Prof. Uhlirz zum allgemeinen Bedauern aus dem Ausschusse ge-
treten, wodurch dem Vereine eine empfindliche Einbuße widerfuhr.
Sowohl die äußere Entwicklung des Vereines wie auch dessen
finanzielle Lage hat sich im Laufe des Jahres erheblich gebessert. Der
Ausschuß hat in 12 Sitzungen die laufenden Geschäfte besorgt, von
welchen besonders hervorgehoben seien : Über den in der letzten Haupt-
versammlung vorgebrachten Antrag auf Fortsetzung der Styria illustrata
wurde beschlossen, aus finanziellen Gründen von einer Fortsetzung der-
zeit abzusehen. Die Leitung der Vereinszeitschrift, an der vorteilhafte
Änderungen eingeführt wurden, hat Dr. Kapp er übernommen. Die
Redaktion des diesjährigen Heftes der „Beiträge zur Erforschung
steirischer Geschichte" wurde vom Regierungsrate Dr. Reißen-
berg er besorgt. Am 30. Juni und 1. Juli v. J. hat der Verein in Wieder-
belebung einer alten Institution eine Wanderversammlung in Ftirsten-
feld abgehalten, welche einen glänzenden Verlauf nahm. Den Festvor-
trag über „Die bauliche Entwicklung und Bedeutung Fürstenfelds als
Festung" hielt Dr. K a p p e r. Die gediegene Arbeit Kappers ist — wie
bekannt — nunmehr bedeutend erweitert, durch Druck allgemein zu-
gänglich geworden unter dem Titel: „Der Festungsbau zu Fürstenfeld.
1556 bis 1663". — Bei der Konferenz landesgeschichtlicher Publika-
tionsinstitute in Stuttgart im April v. J. war der Verein durch Hofrat
v. L u s c h i n, bei der Versammlung der deutschen Qeschichtsvereine in
Wien im September v.J. durch Dr. Kapp er vertreten. — Am 16. November
V. J. fand im Anschlüsse an einen lichtvollen, allgemeines Interesse er-
weckenden Vortrag des Regierungsrates Ilwof über „Kaiser Josef als
Volkswirt" eine außerordentliche Vollversammlung statt, in welcher der
Stiftsarchivar von Rein, P. A. Weiß, zu seinem 50jährigen Priester-
Jubiläum zum Ehrenmitgliede gewählt wurde. — Das Bestreben des
Ausschusses, eine Erhöhung der Vereinsdotationen zu erwirken, war
insofeme von Erfolg begleitet, als der steiermärkische Landtag in dankens-
werter Weise die Subvention auf 1500 K und die Steiermärkische Spar-
kasse von 400 auf 600 Ä" erhöht hat. — Vorträge fanden statt: Am 16. Ko-
rember vom Regierungsrat Dr. Ilwof über: „Kaiser Josef als Volkswirt".
158 Verein snachrichten.
Vom Prof. Dr. J. Loserth, am 15. März über: ^Kommunisten im
16. Jahrb.". Vom Archivdirektor Prof. Dr. A. Meli am 4. Mai über:
„Herzog Wilhelm von Württemberg und seine Beziehungen zur Steiermark",
An der Enthüllung der Gedenktafel fttr Franz v. Krones in
der Aula der Universität am 19. Jänner 1907, eines ausgezeichneten
Reliefs von der Hand Prof Winklers, wozu der Historische Verein
die ursprüngliche Anregung gab, nahm der Verein aktiv Anteil, wobei
Herr Prof. Dr. K. ühlirz die Festrede hielt. Da der vorhandene Fonds
nicht aufgebraucht wurde, überwies das Denkmalkomitee über Antrag
Sr. Exz. des Herrn Feldzeugmeisters R. v. Samonigg dem Historischen
Vereine die Summe von K 573*31 als vinkuliertes Kapital für die
Erhaltung von Grabstätten heimischer Geschichtsforscher.
Der Ausschuß für 1907 besteht aus Regierungsrat Dr. Karl
Reißenberger als Obmann, Exz. Feldzeugmeiter Joh. R. v. Samo-
nigg als Stellvertreter, Dr. Thiel als Schriftführer, Prof. Dr. Karl
Szankovits als Stellvertreter, kaiserl. Rat Dr. Anton Kapp er als
Zahlmeister, Prof. Dr. Ferdinand Khull als Stellvertreter, Hofrat
Dr. Anton Schönbach, Prof. Dr. Robert Sieger und Pfarrer Ignaz
H. Joherl als Beisitzer. — Was endlich den Mitgliederstand anlangt,
so ist ein erfreulicher Aufschwung zu verzeichnen. Ende Dezember 1905
hatten wir 313 Mitglieder aufzuweisen. Durch Tod und Austritt ver-
loren wir 1 4, durch Neueintritt gewannen wir 24 Personen, so daß wir
am Ende des Jahres 1906 823 Mitglieder hatten. Neueingetretfn sind:
Josef Flecker, Direktor der Knabenvolksschule in Fürstenfeld, Theodor
Grabmayer, Direktor der k. k. Tabakhauptfabrik in Fürstenfeld, Dr. Adal-
bert Heinrich, Stadtarzt in Fürstenfeld, Josef Hendrich, Direktor der
Landesbürgerschule in Fürstenfeld, Johann Klaftenegger, Steueramts-
adjunkt in Fürstenfeld, Peter Konönik, Landesschulinspektor in Graz,
Emanuel Otto, Vizedirektor der k. k. Tabakhauptfabrik in Fürstenfeld,
Karl Pferschy, Bürgermeister, Kajetan Pferschy sen., Brauereibesitzer,
Anton Pferschy, Fabrikant, Fritz Pferschy, sämtliche in Fürstenfeld,
Dr. Ludwig Possek, k. k. Statthaltereirat und Landes-Sanitätsinspektor
in Graz, Dr. Robert Sieger, Universitätsprofessor in Graz, Dr. Karl
Szankovits, Gymnasialprofessor in Graz, K. k. Statthaltereiarchiv in
Graz, Adolf Stern» k. k. Notar in Fürstenfeld, Dr. Viktor Thiel, Leiter
des k. k. Statthaltereiarchivs in Graz, Dr. Franz Tscherne, Zahnarzt
in Fürstenfeld, Dr. Alois Vill, Advokat in Fürstenfeld, Dr. Alfred R. von
Wretschko, Universitätsprofessor in Innsbruck, Florian Wiefler jun.,
Fabrikant in Fürstenfeld, Rudolf Zoff, k. k. Bezirks-Oberkommissär in
Graz, Dr. Otto v. Zwiedineck- Südenhorst, Hochschulprofessor in Karls-
ruhe. — Ausgetreten sind: Hofrat Dr. v. Karajan in Graz, Albert Kraus,
Bankvorstand i. R., Wilhelm Rieger, Vizedirektör des Priesterhauses,
inf. Propst Weinberger in Brück a. M., Professor Holzer in Graz und Pfarrer
Titzegger in Niederwölz. — Durch den Tod verloren wir: Stationschef Ignaz
Dickreiter, Universitätsprofessor Dr. Ludwig Ebner, Exz. Johann Graf
Gleispach, k. u. k. Oberstabsarzt Friedrich Lackner, k. u. k. Major Wilhelm
Neumann, k. u. k. Feldmarschalleutnant Karl R. v. Peche, Universitats-
Professor Dr. Hans v. Zwiedineck-Südenhorst und Frau Marie v. Campi.
Der Historische Verein stand im abgelaufenen Berichtsjahre mit
300 Vereinen und Körperschaften im Schriftentausche, deren Veröffent-
lichungen jährlich einen Wert von 3000 K darstellen und an die
steiermärkische Landesbibliothek abgegeben werden. Darunter waren
234 deutsch-holländische, 18 slawische, 22 französische, 10 italienische^
6 englisch-amerikanische und 10 schwedisch-norwegische.
Verein snachrichten. 159
Die Vermögenslage des Vereines stellt sich in folgender Weise dar:
Qeldgebarung 1906.
A. Einnahmen.
1. Mitgliederbeiträge ^ 1166-95
2. Vom Antiquar Rohracher Abschlagszahlung für verkaufte
Muchar, Geschichte des Herzogtumes Steiermark . . . „ 400- —
3. Subvention des steiermärkischen Landtages ...... 1500* —
4. „ der „ Sparkasse „ 600* —
5. Verkaufte Vereinspublikationen . . . „ 71-80
6. V. Forcher und Deutsch bezahlten S. A „ 38-10
7. Abrechnung Leuschners för 1905 und 1906 „ 218*35
8. Zinsen der steiermärkischen Eskomptebank „ 48-53
9. „ „ „ Sparkasse „ 3*03
10. Vermögen am Schlüsse des Jahres 1905:
a) Einlage in der steierm. Eskoqpiptebank . K 710*86
b) „ „ „ Handkasse „ 163*04
c) „ „ „ steierm. Sparkasse . . . „ 80*99 „ 954*89
B. Ausgaben. AT 5001-65
1. Gehalt dem Vereinsdiener Kager Z""224- —
2. Pension dem alten Diener Anderl „ 120* —
3. Remunerationen, Trinkgelder an Diener und Briefträger „ 45* —
4. Postauslagen „ 274-72
5. Stempel Ar die Subvention des steierm. Landtages . . „ 5* —
6. Mitgliedbeitrag an das Germ. Nationalmuseum . . . . „ 10* —
7. An Buchbinder Straßberger „ 10- —
8. Für die Herstellung von Klischees für die Zeitschrift bei
Angerer & Göschl in Wien und Petz in Graz „ 141*40
9. Reisespesen für den Diener, Monteur und 2 Studenten
zur Wanderversammlung nach Fürstenfeld „ 40- —
10. Instandhaltung der Grabstätten Muchars und Wartingers „ 4- —
11. Für die Herstellung von 22 Diapositiven für den Vor-
trag bei der Wanderversammlung in Fürstenfeld . . . „ 38-40
12. Dem Landesarchive für die Herstellung von Negativen „ 27*30
13. An Schriftenmaler Kraus für die Ausführung des Ehren-
diploms an P. Weis „ 4* —
14. Kranz für Professor v. Zwiedineck- Südenhorst . . . . „ 35- —
15. An Pappermann für Drucksorten „ 5-20
16. Reisespesen dem Vertreter des Vereines zur Teilnahme
an der Versammlung des Gesamtvereines etc „ 70.—
17. Dem Redakteur der Zeitschrift K 200-—
18. An die deutsche Vereinsdruckerei für Drucksorten . . . „ 73-60
19. An die Druckerei „Styria" . . „ 11- —
20. „ n „ „Leykam" für den Druck jdes vierten
Bandes der Zeitschrift und des 3. u. 4. Heftes des dritten
Bandes sowie für Drucksorten „ 2169-95
21. Zur Aufstellung eines Krones-Denksteines im Archive . „ 100- —
K 3608-57
Kassenrest , , . K 1393-08
Kais. Rat Dr. A. Kap per,
derzeit Zahlmeister.
Musealdirektor Proif K. Lacher, Kais. Rat Prof. Fr. Ferk,
derzeit Rechnungsprüfer. derzeit Bechnnngi^prafer.
160
Vereinsnachrichten.
Voraneohlag für 1907.
A. Einnahmen.
1. Vermögen am 31. Dezember 1906 JST 1393-08
2. Subvention des steiermärki sehen Landtages „ 1500 —
3. - der „ Sparkasse „ 600* —
4. Mitgliederbeiträge „ 1500.—
5. Verkauf an Vereins Schriften • lOO* —
6. Vom Antiquar Rohracher noch ausständig „ 180* —
7. Zinsen für 1907 „ 50-—
8. Aus dem Krones-Denkmalfonds dem Vereine überwiesen „ 573-31
K 5896-39
B. Ausgaben.
1. Herstellungskosten der Zeitschi-ift K 1600- —
2. Druckkosten an die Druckerei „Leykam** für die Bei-
träge und ältere Forderungen ^ lOOO- —
3. Gehalt dem Diener Kager „ 240-—
4. Pension dem Diener Anderl „ 120- —
5. Postauslagen, Trinkgelder „ 300- —
6. Kanzleierfordemis (Drucksorten) „ 100- —
7. Mitgliederbeiträge an auswärtige Vereine, Museen^ Steuer „ 100 —
8. Prämien für Ortschronisten „ lOO- —
9. Honorare ^ 300-^
K 3860-—
Die diesjährige Wanderversammlung fand am 9. Juni in der alt-
ehrwürdigen Stadt Brück a.*M. statt. Eine stattliche Anzahl von Teil-
nehmern aus Graz fuhr um 7 Uhr 14 Min. früh nach Brück, die auf
dem Bahnhofe von einer Abordnung mit dem Herrn Bürgermeister
Knottinger ander Spitze auf das freundlichste begrüßt wurden. So-
dann folgte die Besichtigung der Ruine Landskron und ein Rundgang
durch die Stadt. Um 11 Uhr fand die Festversammlung statt, in der
die Herren Prof. Dr. Szankovits und Regierungsrat Dr. K. Reißen-
berger zwei äußerst interessante und lehrreiche Vorträge hielten.
Ersterer sprach über „Die Bedeutung der Stadt Brück im Mittelalter"
(abgedruckt im „ Obers teirer-Blatt" vom 13. Juni, Nr. 47), letzterer über
„Margarete von Pfannberg, ein Frauenschicksal aus der steiermärki-
schen Geschichte (1355 — 1392)". — Ein gemeinsames Mittagmahl int
Hotel „Zum schwarzen Adler* und ein Ausflug in Brucks herrlichen
städtischen Forst schlössen die so gelungen verlaufene und sicherlich allen
Teilnehmern immer in Erinnerung bleibende Wanderversammlung.
In Kommission der Verlagsbuchhandlung Lenschner & Lubenslcy, Graz.
Ankündigung.
Zufolge Ausschußbeschlusses werden die früher erschienenen Publi-
kationen des Historischen Vereines för Steiermark durch die jVereinskanzlei
(Landesarchiv, Hamerlinggasse 3) für Mitglieder bis auf weiteres zu
bedeutend herabgesetzten Preisen verkauft, nämlich:
1. Mitteilungen des Hietorieclien Vereines für Steiermarlc, seit 1850.
Preis per Heft 60 Heller. (Vergriffen sind Heft 1, 2, 3. 4, 5. lO, 11, 12,
13, 17 und 18,)*
2. Beiträge zur Kuiide steiermärldeolier Gesoliiclitequellen, seit 1864.
Preis per Heft 60 Heller. (Vergriffen sind Heft 6. 7. 9, 10, 27.)*
3. Steirieclie Zeitsolirift für Qesclilchte, I., H. und HI. Jahrgang.
1903—1905« Preis 4 Kronen.
4. Steiermärlciscties Landreclit des Mittelalters, bearbeitet von Dr. Fer-
dinand Bischoff, Graz 1875. Preis 1 Krone.
5. Ürkundenbuch des Herzogtumes Steiermarl(, bearbeitet von Dr. Josef
von Zahn, I. Band, Graz 1875. Preis 5 Kronen »H. Band, Graz 1879,
Preis 4 Kronen; IH. Band, Graz 1903, für Mitglieder 8 Kronen, Laden-
preis 14 Kronen.
6. Der Historische Verein für Steiermarli, sein Werden und Bestand,
von Dr. Fr. Krön es Ritter von Marchland. Preis 20 Heller.
7. Sigismund Grafen von Auerspergs TagebUOll zur Geschichte der französi-
schen Invasion vom Jahre 1797. Veröffentlicht von Kratochwill,
revidiert und mit Erläuterungen versehen von Dr. Fr. Krön es Ritter
von Marchland. Separatabdruck aus dem 28, Heft der „Mitteilungen",
Graz 1880. Preis 50 Heller.
8. Über das angebiiciie Turnier von 1194 und den „Tummeipiatz^'zuGraz.
Von Dr. Josef von Zahn. Separatabdruck aus dem 34. Hefte der „Mit-
teilungen** Graz 1887, Preis 50 Heller.
9. Die Festversammiung des Historischen Vereines für Steiermaric
am 20. November 1892 zur Feier der 700jährigen Vereinigung der
Steiermark mit Österreich. Preis 30 Heller.
10. Übersicht der In den periodischen Schriften des Historischen
Vereines fdr Steiermaric bis einschließlich 1892 verStrentlichten
Aufsätze. Preis 40 Heller.
*) Vergriffene Hefte werden zurückgekauft.
1
1^ Intiilt fies Hehes. ^
Dt, Offkur Eoiitie* Zur flaiideUge&diklile des Paaaes aUeryj
d«ii SdOUBcm)? von der Miö^ de» I9 hh na Mitte desfl
10» Jaiiflmüdiifts*
Frnn?! F»rc(it?r \nn Ainhatih. TMi* ^Um Handisisfa^wkhwiJgfD ,
de») Marbodeufl mit doni ■
Job nun ScliuHiL Km olicu :a,-.. -tct Mjirktsii^gftl.
Dr. Ferdfuntid KliulL Zur Wiippimmiining nBard^örlfcher,"
Llteraturberkliifi:
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Dr. K. HcWJfciajm und Dr. Fr ^v.s;^^J^^ v: ■
fchitlitft der T)i&i\*hti htm. (M, JhihUny 1
Karl Lacher, AltstciriscL*^ Wohurriam© iin liaiidesauiüa^imi ]
3tu tirü/. (Otto LütiferJ j
Siynaoa m dm Mitteilungen der k, k. '/Miirixi)^ nmmmiim^U
2eit«chnftimscha.u.
Aas Archire», Konimlsitioßeo» Moaeefk^ Yetthitii ^
Vereinsnathnrliien. ^
i 1
lAHROANQ.
3. UND 4. HEFT
ZEITSCHRIFT
DES
STORISCHEN VEREINES
rOR
STEIERMARK.
^^y
HERAUSQEQEBEN VON DESSEN AUSSCHUS5.
REDIOfERT VON
OR. ANTON KAPPER.
GRAZ io«7
Eine rätselhafte Inschrift.
Ein Beitrag zur Volkskunde von Dr. Viktor R. T. Geramb (Graz).
In den „Studien zur germanischen Volkskunde" ^ berichtet
Prof. Meringer im Jahre 1893, daß er auf seiner Wan-
derung, die er damals zur Erforschung des obersteirischen
Bauernhauses unternahm, auf einem dem Stifte Admont ge-
hörigen Bauernhause ^ ober der Eingangstür folgende Zeichen
„sauber geschnitzt" gefunden habe:
+ Z+DIA + BIZ+
SAB+Z+HGF
BFRS
Daneben stehe ein großes Kreuz mit Doppelbalken.
„Was die Inschrift, die jedenfalls alt ist, bedeutet" — sagt
Meringer — „weiß niemand".
Die Sache, die ja schon an sich anregend ist, gewann
für mich noch mehr an Interesse, als ich vor kurzer Zeit
nicht weit von Graz, im Dobltale, ober der Türe eines Bauern-
hauses ^ wieder dieselben Buchstaben fand. Es war damit
erwiesen, daß wir es nicht mit einer einzelnen Hausinschrift,
sondern mit einem recht weit verbreiteten Gebrauche zu tun
haben und der Gedanke, vielleicht etwas, das sowohl volks-
kundlich im allgemeinen als auch für die Hausforschung im
besonderen nicht ohne Bedeutung sei, vor uns zu haben, ließ
i Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien,
Bd. XXIII, 1893, S. 151.
8 Schönbichl (bei Admont), Haus Nr. 91.
3 Am Weg von Graz über die Piuskapelle nach Hitzendorf, Ge-
meinde Mitterberg, Haus Nr.26.
11
i
i
162 Eine rätselhafte Inschrift.
sich nicht mehr abweisen. Meine Erkundigungen beim Be-
sitzer des Hauses und auch bei anderen, namentlich alten
Bauern, waren jedoch vom selben Ergebnis begleitet wie
seinerzeit die Bemühungen Prof. Meringers: niemand
wußte, was die Schrift bedeute.
Ein überaus seltsamer Zufall führte mich wenige Tage
darnach auf die Spuren, die zur Lösung dieser so rätselhaft
scheinenden, wie sich aber dann herausstellte, auch heute
nicht mehr ganz unbekannten Zeichen führen. Ich arbeitete
im hiesigen Landesarchiv mit Herrn Dr. Hans Untersweg
im selben Räume. Da fand Dr. Untersweg beim Studium
des Fürstenfelder Stadtarchives unter den Spitalsrechnungen
des Jahres 1690 einen Zettel,* der ihm ob seines eigentüm-
lichen Aussehens auffiel. Er zeigte ihn mir und man be-
greift meine fi-eudige Überraschung, als ich darauf in alten
aber netten Schriftzügen wieder die rätselhafte Inschrift und
dazu noch einen Teil der Erklärung fand. Da der ganze
Inhalt fllr das Folgende von Wert ist, gebe ich ihn hier
wörtlich wieder:
,+.Z+.DI.A.+.B.LZ.+.SAB.
+.Z+H.G.F.+.B.F.R.S.
Dise obgesezte Creützel und buechstaben seint für oder
wider die Pest. So vor etlich 100. Jahren der H: Zacharias
Pischoflf zu Jerusalem gebraucht, und mit eigner hantschrüflft
auf einen Pargament verzaichnet hinterlassen hat, und heu-
tiges tags noch in einen Spanischen Closter de Freilis ge-
nant, aufbehalten werden. Dise buchstaben aber und Creizel
halten nachvolgende Gebetlein in sich.
T"* Grux Christi: Daß Creüz Christi heyle mich.
Zj» Zehs domus: Der eyfer des hauß gotes erlöse mich.
^ Crux vincit Daß Creuz überwindet, daß Creuz re-
gieret, 0 du zaichen des Creizes erlöse mich von
diser Pest.
D. deus deus. 0 Gott mein Gott treibe dise Pest von
disem orth und von meinem leib und erlöse mich.
1 Original im steierm. Landesarchiv, Fürstenfeld, Schuber 41, Nr. 20.
I.
A.
+
B.
J.
Von Dr. Viktor K. v. Geramb. 163
Jn manus: 0 herr in deine hent bevilch ich mein
libe und Seel.
Ante coelum: Gott war ehe himel und erde war, und
der welicher mächtig ist, wiert mich von diser
Pest erledigen.
Crux Christi: Daß Creuz Christi ist mächtig dise Pest
von disen orth und von meinen leib außzutreiben.
Bonum est: Es ist gut daß man mit Stilschweig und
in der gedult auf des herrn hilff und hayl wartet,
und er wiert dise Pest von mir treiben.
Jnclina Cor: Naige mein herz daß ich deine gerech-
tigkheit thue und werde nicht zuschanden, dan
ich hab dich angerueflfen."
Hier bricht die Erklärung ab, obwohl am Zettel nocli
genug Raum gewesen wäre. Wir freuten uns aber trotzdem,
auf eine „so romantische" Weise die Lösung dieses Rätsels
gefunden zu haben, in der Meinung, daß man bisher über-
haupt gär keine Spur und Kenntnis von der Bedeutung dieser
Zeichen gehabt habe. Daß dem nicht so ist, tut zwar der
Romantik unseres Fundes großen Eintrag, ist aber an sicli
sehr erfreulich, da es dadurch möglich war, noch mehr Licht
in die Sache zu bringen.
Was ich nun in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung
stand, darüber erfahren konnte, möge als bescheidener Beitrag
zur leider ohnedies viel zu wenig gepflegten Volkskunde ent-
gegen genommen werden.
Vor allem tat mir das Zettelchen kund, daß wir es mit
einem Pestsegen, mit einer aus der Hilflosigkeit der armen,
von dieser Seuche heimgesuchten Bevölkerung entsprungenen,
dem Inhalte nach frommen Beschwörung zu tun haben. Das
vergilbte Zettlein mit seiner stellenweise so unbeholfenen
Übersetzung erzählt recht ergreifend von derii verzweifelten
Rufen nach himmlischer Hilfe, das jene harten Zeitläufte
erfüllt haben mag.
Es lag nun für mich sehr nahe, mich nach einer Ge-
schichte der Pest umzusehen und vielleicht darin weitere
Weisungen zu erhalten. Diese Hoflftiung wurde auch erfüllt,
11*
164 Eine rätselhafte Inschrift.
indem ich im zweiten Bande der „Geschichte der Pest in
Steiermark" von Dr. R. Peinlich (Graz 1878) wirklich
näheren Aufschluß fand. Ich erfuhr dort, daß es bei den
Katholiken üblich war, Kreuzlein aus Metall und ovale Münzen
zu tragen, die mit diesen Buchstaben beschrieben waren.
Das älteste Kreuz dieser Art sei das sogenannte Zacharias-
kreuz (auch Pestkreuz), das ein Patriarch von Jerusalem,
nach anderen Papst Zacharias (f 752) eingeführt habe.
Peinlich bringt dann eine Übersetzung aller der Psalmen, die
durch die Buchslaben angedeutet sind und die er, wie er
sagt, im Archiv für vaterländische Geschichte in Kärnten,
X. Bd., 1866, in einer Arbeit von Dr. K. Flor gefunden habe.
Flor selbst verweist nun seinerseits auf ein Büchlein von
P. L aur. Hecht S. B., Einsiedeln 1859, das mir in dieser
Auflage leider nicht zugänglich war. Nur durch die Liebens-
würdigkeit des Bibliothekars im Stift Rein, des Hochw. Herrn
P. Anton Weiß, gelang es mir, wenigstens die neuere Auf-
lage dieser Schrift (1877) zu bekommen, die zwar gerade die
Erklärung unserer Buchstaben nicht mehr enthält, wohl aber
einige andere für den weiteren Zusammenhang nicht un-
wichtige Aufschlüsse bringt.
Ich werde am Schlüsse dieses Aufsatzes die lateinische
und deutsche Reihe der betreffenden Psalmen und Bibelstellen
folgen lassen. Vorderhand aber muß es sich uns darum handeln,
zu erfahren, wer sonst noch von diesen Buchstaben berichtet,
wo man sie an anderen Orten noch gefunden hat und was
sich über ihre Geschichte noch erforschen läßt.
Woher das von Peinlich (a. a. 0. II, S. 524) abgebildete
Kreuz stammt, gibt er leider nicht an. Er sagt nur, daß diese
Kreuze schon zu seiner Zeit (1878) sehr selten geworden seien.
Dafür berichtet uns aber Peinlich, daß sich eine Erklärung
unserer Buchstaben in dem Tagebuch der Vordernberger
Radgewerkin M. E. Stampfer aus dem Jahre 1680 und die-
selbe Inschrift auf zwei im Jahre 1696 gegossenen Glocken
der zum Stifte Admont gehörigen Pfarre Gams finde. „Beide
Tatsachen", meint Peinlich, „weisen geradezu auf das nahe-
gelegene Benediktinerstift Admont". Es ifreut uns, hier als
Drittes auf dasselbe Stift deutende Argument, die von Meringer
gefundene Inschrift dazufügen zu können.
Es gibt danü noch eine andere Art von Kreuzen und
Medaillen, Benediktskreuze genannt, die — das sei aber
gleich festgestellt — zum Teil auch unsere Inschrift, im
Von Dr. Viktor R. v. Geranib. ' 165
übrigen aber eine andere enthalten. ^ Ein Exemplar dieser
Kreuze, das auch unsere Buchstaben aufweist, befindet sich
in der Antikagliensammlung zu Klagenfurt und dieses ist es,
über das uns Flor im genannten „Archiv" Bericht erstattet.
Nach seinen Mitteilungen wurde dieses Kreuz nächst Maria
am See bei Bleiburg gefunden, was, wie Flor mit Recht
betont, wieder auf ein nahes Benediktinerstift, nämlich auf
St. Paul im Lavanttale, hindeutet. Weitere Anhaltspunkte
über die Verbreitung der Zeichen finden wir dann in einer
gründlichen Arbeit, die uns J. P. B eierlein über „Münzen
bayrischer Klöster, Wallfahrtsorte etc." vorlegt. ^ Seite 45
beschreibt er uns eine Münze aus Altötting (alter Wall-
fahrtsort in Oberbayern), ^ deren Rückseite unsere Kreuze und
Buchstaben als Umschrift um ein Bild der Stadt München
zeigt. Im Vordergrunde des Bildes erkennen wir Moses, aut
die eherne Schlange weisend und die am Boden liegenden
nackten Gestalten tröstend. Sowohl dieses Bild, als auch der
Umstand, daß sich in Ötting ein Spital für Unheilbare
befand, läßt deutlich die Anwendung der Münze als Schutz
gegen Krankheit erkennen. Eine zweite Münze schildert uns
Beierlein Seite 94.^ Sie stammt aus der Benediktinerabtei
Scheyern (an der Um in Oberbayern) und weist auf der
Rückseite die gewöhnliche Inschrift des Benediktuskreuzes
und darunter in einem kleinen Schildchen unseren Pestsegen,
dem am Schlüsse noch die Namenszüge IHS und MR bei-
gefügt sind. Die dritte für uns in Betracht kommende Münze
stammt aus Tegernsee,^ also wieder aus Oberbayern,
und enthält wieder in einem kleinen Schild der Reversseite
ganz dieselbe Inschrift wie die vorige. Ebenfalls oberbayrischer
Herkunft ist eine Münze aus der Wallfahrtskirche Vilgerts-
h of en, ^ deren Rückseite das Bild des heil. Benedikt und die
Worte Cmx S. Benedidi und darunter in einem Schildchen
unsere Buchstaben aufweist. Unweit von Regensburg liegt
die Zisterzienserabtei W a 1 d s a s s e n. Sie ist die Heimat der
letzten für uns interessanten Münze aus der Sammlung
1 Diese andere Inschrift beginnt mit V. R. S. = Vade retro
Satanas etc. Vgl. das Benediktusbüchlein von Dom Prosper Gueranger,
bearb. von P. Laur. Hecht, Einsiedeln-New-York 1877, S. 36 ff.
« Im oberbayr. Archiv f. vaterl. Gesch., XVII. Bd., 1. Heft,
München 1857.
3 Dazu Tafel I, Abb. 29.
4 Dazu Tafel II, Abb. 221.
ä Beierlein, a. a. 0., S. 99, dazu Tafel II, Abb. 241.
6 Ebendort, S. 102, dazu Tafel II, Abb. 252.
I<i6 ' Eine rätselhafte Inschrift.
Beierleins.i Sie trägt auf der Vorderseite das Bild von
Waldsassen und als Umschrift unseren Spruch mit der Bei-
fügung MRA.
Es muß auffallen, daß alle bisher gebrachten Nach-
richten unsere Inschrift wohl auf Münzen, Kreuzen, ja sogar
Glocken, nicht aber auf Häusern kennen, von denen wir
gerade ausgegangen sind. Nun erfuhr ich durch die Güte
des Herrn Professors Meringer, der sich inzwischen auch
der Sache angenommen hatte, daß A. Achleitner in seinem
Romane „Das Postfräulein" ebenfalls unsere Inschrift, und
zwar als Hausinschrift erwähne. Ich fand die betreffende
Stelle tatsächlich in der „Münchner allgemeinen Zeitung"
1900 und wandte mich an Herni Geheimen Hofrat Achleitner
schriftlich mit der Bitte, mir über die Quellen zu dieser
Stelle Aufklärung zu geben. Ich erhielt sofort Antwort und
wurde darin auf den Anhang zum genannten Roman ver-
wiesen. Dort fand ich wohl die Namen zweier Gelehrter und
die mir ohnedies bekannte Erklärung, leider aber nicht die
Hauptsache, nämlich den Ort, an dem die erwähnten Ge-
lehrten ihre diesbezüglichen Publikationen veröffentlicht haben.
Nach etwas mühevollem Suchen gelang es aber mit Hilfe der
Namen doch den weiteren Zusammenhang zu finden: Im
Sommer 1883 entdeckte der Geheime Hofrat Dr. A. B. Meyer
über der Türe eines Wirtshauses in Pertisau (am Achen-
see) auf einem angenagelten Brettchen folgende Inschrift:
! +Z.+D1.A.+B.
+f7^^'i^-^^i|Z+S.A.B.+Z.H.C.
jA.^ö.A.b. B.+B.F.R.S.
Hofrat Meyer wandte sich nun mit Anfragen über die
auch ihm vollkommen unverständlichen Zeichen an ver-
schiedene Gelehrte in Deutschland und Österreich und es
ist bezeichnend, daß er trotz allem keine Aufklärung er-
halten konnte. Er veröffentlichte nun die ganze Angelegenheit
in den „Verhandlungen der Berliner Anthropologischen
Gesellschaft", 1884, S. 65 ff., worauf im Jahre 1885 in der-
selben Zeitschrift (S. 145—147) die Antwort aus der Feder
des Weimarer Bibliothekars Dr. R Köhler folgte.*^ Über
1 Ebendort, S. 103, dazu Tafel II, Abb. 256.
« Abgedruckt auch in Dr. Reinhold Köhlers „Kleine Schriften"?
Berlin 1900, 3. Bd., S. 572.
Von Dr. Viktor R. v. Geramb. 167
die Herkunft der Buchstaben berichtet dieser dasselbe wie
Peinlich. Die Pertisauer Inschrift aber hält er für eine
schlechte Überlieferung: die in der rechtsstehenden Gruppe
enthaltenen Buchstaben sind dahin abzuändern, daß man
aus dem senkrechten Strich vor dem zweiten Z ein J macht
und die Buchstaben Z. H. C. B. in Z. f H. 6. F. auszubessern,
worauf „man dann", fährt Köhler fort, „jene bekannten,
ich weiß nicht, ob schon im 16., jedenfalls aber seit dem
17. Jahrhundert häufig auf Kreuzen und Medaillen, an Glocken
und Türen zur Abwehr gegen die Pest angebrachten sieben
Kreuze und 18 Buchstaben erhält". Besonders wichtig ist es
für uns, daß Köhler auch eine Zusamnienstellung der von
ihm gelegentlich in Erfahrung gebrachten Nachrichten über
das sonstige Vorkonnnen dieses Pestsegens beifügt. Darnach
findet sich zunächst eine Besprechung unter dem Titel
^Buchstaben zur Abwehr der Pest" in der Monatsschrift für
die Geschichte Westdeutschlands, 7. Jahrgang, Trier 1881,
S. 270 — 280. Leider war mir wieder gerade diese Arbeit
nicht zugänglich. L. Pfeiffer und C. Ruland erwähnen in ihrer
„Pesülentia in nummis'\ Tübingen 1882, S. 105, Nr. 298,
unter dem Titel „Die deutschen Pestamulette" einen Pest-
pfennig aus der Sebastianikirche am Anger in München, der
unseren Pestsegen und die Jahrzahl 1637 trägt. Alois Scholz
bringt in seiner Schrift „Inschriften und Häuserzeichen der
Stadt Glogß^u" ^ die Beschreibung eines Kreuzes mit unserer
Inschrift, das er ober dem Portale eines Hauses ^ fand.
Auch ihm war die Bedeutung der Buchstaben gänzlich un-
bekannt. Diese Nachricht ist um so interessanter, als der
Fundort gänzlich außer den Kreis der bisherigen fällt, durch
die allein man wohl versucht gewesen wäre, das Vorkommen
der Zeichen auf die Ostalpen zu beschränken. Daß wir es
hier nicht mit einer Ausnahme zu tun haben, zeigt der letzte
Bericht unter denen, die ich alle der Arbeit Köhlers verdanke.
J. Löbl erzählt nämlich in den „Mitteilungen der Geschichts-
und Altertumsforschenden des Osterlandes",^ daß er an
einem schon im Jahre 1846 über 200 Jahre alten Haus
in Roda (Sachsen-Altenburg) ein Kreuz gefunden habe, das
zwar in etwas fehlerhafter Form, aber doch immerhin deutlich
erkennbar unsere Inschrift trug.
> Programm des königl. evang. Gymnas. zu Großglogau, Ostern
1875, S. 41.
« Glogau (Preußisch- Schlesien), Kupferschmiedstraße Nr. 9.
3 7. Bd., Altenburg 1874, S. 457.
168
£iDe rätselhafte Inschrift.
Soviel also konnte ich über die Verbreitung des Segens
erfahren und füge dem außer der schon genannten Inschrift
im Dobltale aus eigenem noch zwei bei, von denen sich, wie
ich aus verläßlicher Quelle erfuhr, die eine an einem Bauern-
hause in Steinberg, westlich von Graz, befindet, die andere in
Graz selbst an einem jetzt umgebauten Hause in der Spor-
gasse befunden haben soll Es isi natürlich kein Zweifel, daß
sich der Segen auch noch an vielen anderen Orten finden
wird, und es wäre wohl interessant, sie zu sammeln.
Es soll nun noch versucht werden, dasjenige zusammen-
zustellen, was sich für die Geschichte des Segens sagen läßt.
Zunächst wollen wir einen indirekten Versuch der Zeit-
bestimmung vornetmen, indem wir die Jahre zusammen-
stellen, in denen die Pest in den genannten Fundorten auf-
trat. Da ergibt sich folgende Übersicht:
Fundort | Pestjahr Quelle dafür ^ Stelle b. Peinlich
Roda
(Thüringen)
1582
Herzog, Cosmogr. ] ^ .^q
Austr. II, 69 1^ ^' ^"^
Glogau
(Schlesien)
1606, 1613,
1633, 1634,
1680, 1706,
1708, 1714,
1715
Dr. Schnurer,
Chronik der
Seuchen; Herzog,
Frari della peste
i I, 453, 459, 490
1 II, 7, 155, 163, 231
1
Regensburg
1099, 1371, 1
1465, 1713 1
Dr. Schnurer, Be-
richte d. Regensb.
Stadtphys. 1714
I, 113
II, 394
München
1634
Dr. Schnurer
; I, 113; II, 422
OberbayeiTi
1281, 1462/63,'
1468,1493-
1495, 1611/12,
1619/20,1713,
1715
Jurende
„Pestchronik«
j t, 345, 458, 463,
1 490
11, 268, 399, 408,
' 46Ö
Pertisau
(Nordtirol)
1611/12,1618
Dr. Schnurer, i j ,-q Aan
Jurende [ ^' ^^^> ^^^
Admont
1625
P. Urb. Ecker,
Chronik
I, 471
Bleiburg i. K.
1598, 1601, ,
1715
Dr. K. Flor,
Archiv f. K.
Fürstenfeld
1586
I, 234
Hitzendorf
1680
V
II, 109
Von Dr. Viktor R. v. Geramb. 169
Darnach ergibt sich also als allen gemeinsames frühestes
Auftreten der Pest für die genannten Orte der Beginn des
17. Jahrhunderts. Da aber zwei Orte (Thüringen und Fürsten-
feld) nur am Ende des 16. Jahrhunderts Pestzeiten aufweisen,
müssen wir auch diese Zeit für das Auftreten unseres Pest-
segens schon mit in Betracht ziehen.
Etwas deutlicher und sicherer sprechen wenigstens zum
Teil die direkten Quellen. Hören wir vor allem die Ansicht
Peinlichs und sehen wir zu, wie weit wir ihr folgen können.
Das von ihm abgebildete Zachariaskreuz ist, wie er sagt,
das älteste dieser Art, weil es „ein Patriarch von Jerusalem,
nach anderen Papst Zacharias (f 752) eingeführt" habe.
Der Patriarch Zacharias von Jerusalem regierte in den
Jahren 609 — 631/2, wir hätten es also, gleichviel ob die
Überlieferung den Patriarchen oder den Papst meint, mit
einem recht respektablen Altertum zu tun. Nun ist es ja Tat-
sache — es sagt dies ja sowohl der Name des Kreuzes, als
auch neuerdings das von uns gefundene Zettelchen - daß
in der Überlieferung wirklich ein Zusammenhang mit Zacharias
besteht. Ich konnte aber weder bei Peinlich, noch bei
P. Laur. Hecht, noch sonstwo, am allerwenigsten aber eben
in dieser Überlieferung einen Beweis dafür finden, daß dieser
Zusammenhang auch den Tatsachen entspricht. Ein solcher
Beweis wird wohl auch kaum zu erbringen sein. .
S. 529 beschreibt Peinlich ein Benediktuskreuz, das unter
anderen Buchstaben auch unsere Inschrift enthält. Wenn er
nun aber ausdrücklich behauptet, das dieses Kreuz schon
vom Papste Leo IX. (1048 — 1054) eingeführt worden sei.
so entspricht dies, soweit dabei unsere Buchstaben in Betracht
kommen, einfach nicht der Wahrheit. Die Nachricht, daß dieser
Papst das Benediktuskreuz eingeführt habe, steht nämlich
im Zusammenhang mit einer hübschen Legende. Nun ist es
zwar Tatsache, daß diese, wie aus dem Benediktusbüchlein
(S. 41/2) hervorgeht, den hl. Benedikt genau so schildert,
wie er auf dem Bilde einer aus dem Jahre 1415 stammenden
Handschrift* dargestellt wird. Wie Peinlich berichtet, findet
sich dasselbe Bild auch sonst noch auf alten Gemälden in
Benediktinerklöstern. Aber ganz abgesehen davon, daß damit
ja nicht die Gleichzeitigkeit der Legende und damit des
Ursprungs dieses Bildes mit der Regierungszeit des Papstes
Leo IX. erwiesen ist, zeigt das Bild den hl. Benedikt auch
1 Aus dem Kloster St. Benedicti in Metten (Bayern). Abgedruckt
bei Fez „Thesaurus Anecdotorum noviss.^ 1721, Bd. I.
170 Eine rätselhafte Inschrift.
mit einem Stabe in der Hand, auf dem man wohl die Worte
..Crux Sacra sit mihi lux^^ etc* und die Buchstaben des Verses
Vade retro satana . . . nicht aber unsere Inschrift ersehen
kann. Die Behauptung also, daß ein Benediktskreuz, das
außer den gewöhlichen auch unsere Buchstaben enthält, schon
1^15, geschweige denn im 11. Jahrhundert vorkomme, ist
einfach unerwiesen. Es scheint übrigens, daß Peinlich hier
irrtümlicherweise eine Verwechslung unterlaufen ist.
Unmittelbar auf unsere Inschrift bezieht sich aber fol-
gender, ebenfalls von Peinlich* ausgesprochene Satz: „In
Steiermark soll dasselbe (sc. Pestkreuz) schon bei der
Pestilenz um das Jahr 1444 bekannt gewesen und 1680 aber-
mals in Gebrauch gekommen sein." Diese Nachricht bringt
Peinlich „nach Mitteilungen des Herrn Kaplans Ant. Meixner".
Herr „Kaplan" Meixner ist seither längst Pfarrer im Ruhe-
stande und befindet sich in Graz, so daß ich ihn selbst in
dieser Sache fragen konnte. Er hat jedoch damals soviel
pestgeschichtliches Material für Peinlich gesammelt, daß er
sich durch die Reihe von seither vergangenen Jahren be-
greiflicherweise nicht mehr entsinnen kann, woher er diese
Nachricht hatte. Da aber auch Peinlich selbst vorsichtig ein
„soll" einschiebt und man aus seinem Zitat auch nicht mit
voller Bestimmtheit ersehen kann, ob sich die Mitteilung des
Hochw. Herrn Anton Meixner auf das Vorkommen im
Jahre 1444 oder auf die Wiedereinführung im Jahre 1680
bezogen hat, so können wir auch diese ganze Nachricht hier
wieder nur der Vollständigkeit halber anführen, leider aber
nicht als grundlegende Quelle benützen.
Die nächste Nachricht Peinlichs, ebenfalls deutlich
auf unsere Inschrift bezogen, stammt nach seiner Angabe ,,€x
relaiionc Francisci Solari episc. Salamiae". Danach wäre der
Bischof und Patriarch von Antiochia, Leichard, 1546 auf
dem Konzil von Trient erschienen und durch ein an einem
Armband hängendes nnd mit unserer Inschrift beschriebenes
Zachariaskreuz von der damals auch in Trient wütenden Pest
verschont geblieben. Leichard selbt habe angegeben, daß er
das Kreuz und die Inschrift samt Erklärung in einem Kloster
des heil. Benedikt zu Antiochia gefunden habe. Peinlich
hat übrigens, wie ich mich überzeugen konnte, diese ganze
Stelle aus dem noch später zu erwähnenden „Land- und
Stadt-Artzneybuch" des Adam Lebenwald. Im Kapitel II
i A. a. 0., II, 528.
Von Dr. Viktor R. v. Geramb. 171
„Pestchronik" heißt es dort pag. 18: „Anno 1546 unter höchst
gedachten glorwürdigsten Kayser Carole V. und Paulo III.
dem Papst fiehl die Pest zu Trient ein, allwo damahlen das
berühmte Concilium gehalten wurde. Dabey hat sich ein-
gefunden Leichardus Bischoff und Patriarch zu Antiochia,
welcher ein Armband getragen darauf ein Creutz mit Buch-
staben gestanden, so man anjetzo das Creutz des heiligen
Benedicts nennet ; solches hat er auch andern mitgeteilt mit
vermelden, daß es zu Antiochia in deüi Closter St. Benedict
gefunden und von dem H. Zacharias Bischoffen zu Jerusalem
mit Auslegung, Bedeutung und Gebät hinterlassen worden,
welches anjetzo noch vielmehr durch Miracul kundbahr mit
Andacht und guten effect gebraucht, wie auch aller Wieder-
sacher Meinung abgelegt wird. Ex relat Francisd Solar,
Bischoffen zu Salamia." — Wir haben es hier mit einer für
die Geschichte unseres Pestsegens ohne Zweifel sehr inter-
essanten Stelle zu tun; ja, wenn diese relatio tatsächlich zu
finden wäre, so wäre damit — die Glaubwürdigkeit des Solari
vorausgesetzt — die ganze Frage nach der Herkunft der
Buchstaben nahezu gelöst. Es ist daher begreiflich, daß ich
alle denkbaren Mittel versuchte, diese relatio zu finden und
es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle dem hochw. Herrn
Dozenten Dr. Fr. Bliemetzrieder, der mich in diesem mühe-
vollen Suchen auf das kräftigste unterstützte und weit mehr als
seine Pflicht als Bibliotheksbeamter getan hat, herzlichst zu
danken. Leider war alles Suchen vergebens : die gegenwärtig
zugänglichen, also gedruckten Quellen zur Geschichte des
Tridentiner Konzils enthalten diese relatio nicht. Aber auch
in der series episcoporum findet sich um diese Zeit weder
ein Leichard noch ein Solari. Da der Name Leichard deutsch
ist, durchsuchte ich auch das Verzeichnis der deutschen
Bischöfe, leider aber ebenfalls ohne Ergebnis. Es wäre nun
nur noch möglich, daß beide — sowohl Leichard als auch
Solari — bloße Titularbischöfe „m partibus infidelium^^ ge-
wesen sind und deshalb in den Bischofverzeichnissen keinen
Platz fanden. Dann aber ist die Nachricht, daß Leichard
das Amulett unmittelbar aus dem Benediktinerkloster zu
Antiochia mitgebracht habe, viel weniger leicht zu erklären,
als wenn er eben dort wirklich seinen Bischofsitz gehabt
hätte. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir beim Suchen
diese relatio nur übersehen hätten und von anderer Seite
Berichtigung erhielten. Vorderhand aber können wir auch
diese Stelle nicht als sichere Quelle benützen und es bleibt
172 Eine rätselhafte Inschrift.
somit die genannte Münze aus München mit der Jahreszahl
1637 als ältestes Zeugnis unseres Pestsegens übrig.
Zwei Jahrzehnte später schrieb P. Athanasius Kircher
S. J. sein ,,Scrutinium physico medimm'\ Eovnae MDCLVIIL
Die Sectio IIL dieses Werkes betitelt sich „Je antidotis contra
pestem'' und enthält unter anderem eine recht interessante
Stelle über unsere Formel. Pagina 193 heißt es nämlich unter
der Überschrift ,^Amuleta superstitiosa vilanda^\ daß manche
ihre Zuflucht zu gewissen Buchstaben und Kreuzen nehmen
und damit gleichsam Gott zwingen wollen, ein nach der Auf-
fassung des gelehrten Jesuiten verdammungswürdiges Ver-
fahren.
Um die Schlechtigkeit dieses Gebrauches darzutun,
will er nun dem Leser ein Beispiel dieser BeschwörungSr
formein vorführen und wählt dafür glücklicherweise gerade
unsere Inschrift, die er übrigens alls allgemein bekannt ßam
notum vulgatvmque) bezeichnet. Es folgen dann ganz fehlerlos
die 18 Buchstaben zwischen den sieben Kreuzen und eine Er-
klärung bis zum vierten Buchstaben, die aber mit der gering-
schätzigen Bemerkung „e^ ita de reliquis'' abbricht. Dann
fährt er fort: „Hoc itaque est celebre iUud amtdetum contra
pestem, quod a nescio quo Graeco archiepiscopo, tanqiMm sacro-
sanctum et mirificae virtutis arcanum evulgatum aiunt; quod
quicunque poriaverit , illum infällibiU divinae gratiae protec-
tione ab omni pestifero afjßatu immunem futurum, perperam
sibi persuadent. Verum cum id scriptum emsdim omnino for-
ma£ sit, cum innumeris aliis, quae hominibus maleferiatis et
cum Daemone pactum habentibus, ad alios effedus similes,
impie cuduntur et superstäiose adhibentur ; dicendum id prorsus
suspectum atque scandcdi plenum esse, eaque propter, eius
amuleti characteres per seipsos ad id indeterminati sint, pos-
sintque a Demonis ministris eiusmodi amuleta cudentibus in
senstmi prorsus oppositum detorqueri; adhtic tamen ex hoc
talis amuleti usus reprobandus est, quod eo modo nudis charac-
teribus d crucibus consignatum, et in corpore gestatum, exinde
insignem et singularem, aut ceriam vim ad effectus suos habere
superstitiosius existimetur. Uti uberrime in Magia Aegyptiorum
tom. 2 ostendo, et scite quoque comprodat in suo Medico-poli-
tico-catholico fol 150 doäissimus Hieronymus Bardius Theo-
logiae et Medicinae utriusque Doctor^^. Ich habe hier absicht-
lich die ganze Stelle lateinisch gebracht, damit jedermann
die etwas schwierigen Satzbildungen prüfen und mit der
Übersetzung vergleichen kann, die ich nun in der Fonn, wie
Von Dr. Viktor R. v. Geramb. 173
sie mir vom Herrn cand. phil. G. Vodöpiuz in freundschaft-
lichster Weise besorgt wurde, folgen lasse:
,,Dies ist also jenes weit und breit bekannte (berüch-
tigte) Pestamulett, von welchem die Sage geht, es sei von
irgendeinem griechischen Erzbischofe her, gleichsam als hoch-
heiliges Zaubermittel wundertätiger Kraft unter die Leute
gekommen ; wer immer es (bei sich) trage, der werde — so
reden sie sich unbegründeter Weise ein — durch den unfehl-
baren Schutz der göttlichen Gnade von jedem Pesthauch
unberührt bleiben. Auch die geschriebene Spielart (scriptum
im Gegensatz zu amuletitm) weist im großen und ganzen den
gleichen Inhalt auf und es werden mit ihr zugleich unzählige
andere (Sprüche), die von Zauberern und Teufelsdienern
(stammen), zur Erzielung gleicher Wirkungen in Fällen anderer
Art in ruchloser Absicht angebracht und voll Aberglauben
verwendet. Es muß betont werden, daß diese Unsitte ver-
dachtserregend und voll des Ärgernisses ist, deshalb ist
dieser Gebrauch abzustellen. Es ist belanglos, daß die Buch-
staben dieses Segens an und für sich auf einen solchen Miß-
brauch keinen Bezug haben, sie können aber immerhin von
den Teufelsdienern, die derartige Amulette verwenden, gerade
im entgegengesetzten Sinne mißbraucht werden. Aus dem
letztgenannten Grunde ist also die Verwendung eines solchen
Segens außerdem noch zu mißbilligen, da man von einem
in dieser Weise mit bloßen Anfangsbuchstaben und Kreuz-
zeichen ausgestatteten Segen, wie er am (nackten) Körper
getragen wird, allzu abergläubisch glauben könnte, er habe
demzufolge eine hervorragende und einzigartige oder sogar
sichere Kraft für die (beabsichtigten) Ziele." Schließlich
verweist Kirch er auf die Magia Acgyptiorum und das Werk
des Hieronymus Bardius. Die erstere erschien am Beginn
des 17. Jahrhunderts, das letztere im Jahre 1643. Wieder
deuten also auch diese ältesten, sicheren schriftlichen Nach-
richten auf den Beginn des 17. Jahrhunderts hin. Interessant
ist die Auffassung, die der Jesuit hier vertritt. Sie wird voll-
inhaltlich auch von Adam Lebenwaldt geteilt, aus dessen
wenige Jahrzehnte später erschienenem Werk ^ übrigens her-
vorgeht, daß er Kirch er als Quelle benützt hat. Deshalb
klingt es auch fast wie eine freie Übersetzung der von uns
gebrachten Stelle, wenn er im Kapitel „von denen Amuletis
» A. Lebenwaldt, „Landt-, Stadt- und Hausartzneybuch", Kürn-
berg 1695.
174 Eine rätselhafte Inschrift.
oder Anhang-Sachen wider die Pest" ^ sagt: „daß man oflFt
denen Anmieten gar zu viel Kräflften zueignet und schier alle
Krankheiten, wie theils Leute vermeinen, damit curiren will,
ist nicht zu trauen, dann es wird gemeiniglich Teuflfels Arbeit
dabey vermischt, dahero viel Bücher verbotten und nicht
ohne Straff zu lesen, sondern vielmehr dem Vulcano zu con-
secriren . . . dann was können dergleichen Buchstaben und
Wörter in gewieser Figur zusammengesetzt, für Kraffl und
Würkung haben? Diese Teuffelspossen kommen von den-
jenigen Kötzern, welche sich in den ersten hundert Jahren
nach Christi Geburt herfür gethan, und Gnostici . . genannt
würden."
Wie ganz anders klingt dagegen die Auffassung, die
Dr. Karlmann Flor (a. a. 0., S. 244) vertritt, wenn er sagt :
„Die Andacht und das Vertrauen gilt nicht dem stofflichen
Kreuze, sondern dem, der sich dem Kreuzestode zur Sühne
der Welt freiwillig hingegeben hat. Auch nicht die Charaktere,
die auf dem Pestkreuze geprägt erscheinen, werden als heil-
kräftig geglaubt und angesehen. Denn sie sind nicht auf
eine und dieselbe Linie zu stellen, wie die heidnischen,
barbarischen und unverständlichen Formeln: Ähra kadabfa
oder gaudo statzi Salphenio casbou gorfus barbasas hulfrio
und dergleichen. Die Charaktere auf dem Pestkreuze haben
eine sehr schöne Bedeutung, wodurch der Christ ermahnt
wird, sich mit dem andächtigen Gebete an Gott zu wenden
und zu bitten, daß er ihn vor der Seuche bewahren möchte."
Die beiden Gegensätze, die in diesen verschiedenen
Ansichten zutage treten, enthalten auch die Frage, die wir
uns nun noch zu stellen haben: Haben wir es mit einem
von der Kirche verworfenen reinen Zaubersprüchlein oder
haben wir es mit einem Gebet zu tun ? Mit anderen Worten :
Ist die Formel ein Produkt des Volksaberglaubens oder ein
in kirchlichen Kreisen erdachtes geistliches Trostmittel?
Für die erstere Annahme sprechen: 1. Der Schimpf des
Jesuiten. 2. Die vielleicht nicht zufällige Anordnung in der
Siebenzahl (7 Buchstabengruppen zwischen 7 Kreuzen).
3. Der Umstand, daß sich vieles, was Wuttke in seinem
Werke über den deutschen Volksaberglauben ^ als Kenn-
zeichen echt volkstümlicher Zauberformeln angibt, auch auf
unsere Inschrift anwenden läßt. So sagt er, daß derartige
i A. Lebenwaldt, a. a 0., Kap. IX., S. 244.
2 Dr. Ad. Wuttke „Der deutsche Volksaberglaube der Gegen-
wart«, 3. Aufl., hgg. von E. H. Meyer, Berlin 1900, S. 166 flF.
Von Dr. Viktor R. v. Geramb. 175
Formeln in der Volksüberlieferung ins höchste Altertum
hinaufgesetzt und womöglich nach fernen Ländern verlegt werden
(meist in den Orient). Tatsächlich fuhrt auch unsere Über-
lieferung, wie wir aus den angeführten Quellen und aus dem
Zettel sahen, den Ursprung dieses Pestsegens bis ins 7. Jahr-
hundert und in den Orient (Jerusalem, Antiochia) zurück.
„Soll eine Zauberwirkung bleibend tätig sein", fährt Wuttke
fort, „so begnügt man sich gewöhnlich nicht mit der bloß
gesprochenen Formel, sondern da muß sie festgehalten, auf-
geschrieben sein." Soll sie den Menschen schützen, so muß
sie am bloßen Leibe getragen werden. (Vergleiche dazu die
Stelle bei Kircher; vielleicht war auch der von uns bei
Spitalsrechnungen gefundene Zettel ein solches am
Leibe getragenes Amulett.) Soll sie das Haus schützen, so
muß sie ober der Türe, auf die Wand etc. geschxieben
w'erden. — All' das trifft, wie man sieht, genau auf unsere
Inschrift zu. In einem Punkte aber weicht sie von Wuttkes
Beobachtungen ab: es fehlt ihr die volkstümliche Aus-
gestaltung der angewendeten frommen Sprüche. Und zwar
liegt das Entscheidende nicht darin, daß überhaupt geistliche
Sprüche verwendet wurden; das kommt, wie Wuttke betont,
sehr häufig vor und das allein „ändert natürlich das heid-
nische Wesen nicht im mindesten." Die Art und Weise aber,
wie diese Stellen in unserer Formel verwendet werden, muß
uns trotz aller der angeführten Gründe an der volkstüm-
lichen Abstammung derselben zweifeln lassen. Wuttke —
in diesen Dingen gewiß ein sicherer Gewährsmann — unter-
scheidet unter den Beschwörungsformeln zwei Arten : die eine
tritt in der befehlenden Form (z. B. „Blut, steh' stille . ."),
die andere in der erzählenden auf. Und zwar bewegt sich
diese Erzählung in einem Parallelismus der Gedanken, der
ja das Ursprüngliche in jeder volkstümlichen Poesie ist, so
zwar, daß etwas erzählt wird, das in einer gewissen gleich-
laufenden Beziehung zu dem zu besprechenden Dinge steht.
(Z. B. man sagt: „Christus hat gehabt Wunden und doch
nicht verbunden" und will dadurch auch seine eigene Wunde
zur Heilung zwingen.)
In unserem Falle triift weder die eine noch die andere
Form vollständig zu; wir haben es mit reinen Bibelsprüchen
imd Psalmen zu tun, die nicht im geringsten ins Volks-
tümliche abgeändert sind und als einzigen selbständigen
Zusatz höchstens die bittenden Worte: „Befreie mich von
dieser Pest, o Herr!" anfügen. Hier weist sich uns keine be~
176 Eine rätselhafte luschrift.
fehlende und keine gleichlaufend erzählende Sprache, sondern
nur die Form des flehenden Gebetes. Und darin Hegt, glaube
ich, das j^tscheulende.
Andrerseits ist es aber auch klar, daß wir es trotzdem
nicht mit einer, auch in ihrer Anwendung rein kirchlich ge-
bliebenen Sammlung von Gebeten zu tun haben. So bleibt
also als einzig möglicher Ausweg nur der, ebenfalls von
Wuttke angeführte dritte Fall übrig: „Manchmal sind die
Segenssprüche ihrem Inhalte nach scheinbar ganz christlich,
bestehen aus Bibelsprüchen, Liederversen etc., sind also dann
aus rechtmäßigem Gebet oder Segensspruch entstanden, er-
halten aber durch die Art ihrer Anwendung den Charakter
abergläubischen Zaubers".
Wir sind uns also jetzt darüber klar, daß uns.ere Formel
in kirchlichen Kreisen entstanden ist und sehen außerdem,
daß auch diese Kreise selbst die dem Volke gebräuchlichen,
also volkstümliche Form auf ihre Münzen und Kreuze auf-
genonunen hat, ja es liegt sogar die Vermutung nahe, daß
diese Kreise selbst schon die volkstümliche Form gewählt
haben, um die Sache unter das Volk zu bringen.
Es handelt sich also nur noch darum, in welchen geistlichen
Kreisen unsere Formel entstanden sein könnte. Und darauf
können wir wohl ziemlich sicher antworten : Im Benediktiner-
orden. Alle schriftliche Überlieferung, die vom Benedikts-
kloster in Antiochia, von Zacharias, dem großen Verehrer
des hl. Benedikt, etc. erzählt und in der doch ein Körnchen
Wahrheit stecken dürfte, ferner — was Peinlich schon
hervorhob — das auffallend häufige Auftreten des Segens
in der Nähe von Benediktinerklöstern, die Aufnahme der
Inschrift auf die Benediktsmedaillen und das Benediktus-
kreuz, das alles deutet darauf hin, vielleicht gerade auch
der — Schimpf des Jesuiten. Es mag wohl mit einer ge-
wissen Absicht verbunden gewesen sein, wenn der gelehrte
Jesuit Ath. Kirch er in seinem dem Papste gewidmeten
Buch jene gewisse Gehässigkeit iühlen läßt, die sich in so
vielen jesuitischen Schriften gegen die alten, besonders den
Benediktinerorden ^ kundgibt. Es muß in nichtjesuitischen
Kreisen wohl noch mehrere derartiger „ Buchstaben -Segens-
' Ob auch das auf unserem Zettel angegebene spanische Kloster
^de Freilis" dem Benediktinerorden angehört, weiß ich nicht. Wohl
aber gibt es in Spanien, und zwar in Estremadura am Guadiana (s. w.
V. Badajoz) ein casa de los Frailes. (Stielers Atlas, 1907, Karte 34, F 3/4).
Von Dr. Viktor R. v. Geramb. 177
formeln" gegeben haben, ^ und die Buchstaben des Benediktüs-
kreuzes selbst (F. B. S. etc. etc.) deuten wohl unzweifelhaft
darauf hin, daß es gerade die Benediktiner verstanden haben,
dem Volke das Volkstümliche abzulauschen und ihm rein
kirchliche Dinge in dieser Form zugänglich zu machen. Natür-
lich hat es das Volk seinerseits nicht unterlassen, die ihm
übermittelten Zeichen noch volkstümlicher zu verwenden,
d. h. sie auf Papierstreifen geschrieben als Amulette zu tragen
oder nach altem Gebrauch ober die Türe zu schreiben.
Es mag dahingestellt bleiben, ob nach streng kirchlichen
Satzungen die Auffassung des Jesuiten „gesetzlicher" ist;
sicher aber war die der Benediktiner trostbringender für
das Volk und daher die volkstümlichere — vielleicht auch
christlichere !
Ich lasse nun die Keihentolge der lateinischen Psalm-
und Bibelstellen, wie sie bei Flor zusammengestellt sind,
mit der Übersetzung und Psalmenangabe Peinlich s folgen.
Es ist interessant, damit die Übersetzung des Fürstenfelder
Zettels zu vergleichen.
z
D.
I.
Crux Christi salva me! (Kreuz Christi, rette mich!)
Zelus domus Dei libera me! (Der Eifer für dein Haus
befreie mich!)
Crux Christi vincit et regnai', per lignum crucis libera
me Domine ab hoc peste! (Das Kreuz überwindet,
das Kreuz herrscht; durch das Zeichen des Kreuzes
befreie mich von dieser Pest, o Herr !)
Deus, Dens meus expelle pestem de loco isto et libera
me! (0 Gott, mein Gott, vertreibe die Pest von
diesem Orte und befreie mich!
In manus iiias, Domine, commendo animam meam et
corpus meum! (In deine Hände, Herr, empfehle
ich meine Seele und meinen Leib! Luk. 23. 6.)
1 So stellte mir Herr Pfarrer Meixncr in liebenswürdigster Weise
ein etwa aus dem Jahre 1700 stammendes Zettelchen zur Verfügung,
das er in einem alten Gebetbuch fand und das folgende Aufschrift
weist: fB tXflGtltKtBRtltCtLtCfWtMt
JESVS NAZARENVS f REKS f IVDEARVM f Amen.
12
178 Eine rätselhafte Inschrift.
A. Ante coelum et terram Bens erat ä Detis potens est
liberare me ab hoc peste! (Bevor Himmel und
Erde waren, war Gott, und Gott ist mächtig, mich
von dieser Pest zu befreien !)
•^ Crux Christi potens est ad expellendam pestem a loco
isto et corpore meo. (Das Kreuz Christi ist mäch-
tig, die Pest von diesem Orte und auch von
meinem Leibe zu vertreiben.)
D, Bonum est praestolari auxilium Bei cum silentio ut
eapellat pestem a me. (Gut ist es, ruhig auf die
Hilfe Gottes zu warten, auf daß er die Pest von
mir entferne. Klagelieder, Jeremias, 3. 26.)
L Inclinaho cor meum ad faciendas justißcationes tuas et
non confundar, quoniam invocavi te. (Ich will hin-
neigen mein Herz zur Haltung deiner Satzungen,
damit ich nicht beschämt werde, denn ich habe
dich angerufen. Psalm. 118, 112.)
Zelavi super iniquos paceni peccaiorum videns et spe-
ravi in te. (Ich eiferte über die Ungerechten, da
ich den Frieden der Sünder sah, und ich hoffte
auf dich. Psalm. 72. 3.)
T^ Crux Christi fugeat Baeniones, aerem corruptum et
pestem expettat. (Es jage das Kreuz Christi die
bösen Geister in die Flucht, es vertreibe die
ansteckende Luft und die Pest.)
ö* Saliis tua ego sum, dicit Bominus: clama ad me, et
ego exaudiam te et liberabo te ab hac peste. (Ich
bin dein Heil, spricht der Herr, rufe zu mir
und ich will dich erhören und von dieser Pest
befreien. Psalm. 34 und 90.)
A» Abyssus abyssum invocat et voce tua expulisti Baenio-
nes; libera me ab hac peste. (Ein Abgrund ruft
den andern und mit deiner Stimme hast du die
bösen Geister vertrieben ; befreie mich von dieser
Pest Psalm. 41, 8.)
Von Dr. Viktor R. v. Geramb. 179
D. Beatus nir, qui sperat in Domino et non respexit in
vanitates et insanias falsas! (Glückselig der Mann,
der seine Hoffnung auf den Herrn setzt und sich
nicht umsieht nach Eitelkeiten, nach Lüge und
Torheit. Psalm. 39, 5.)
*Tn Crux Christi^ qttae ante fuit in opprohrium et con-
tumeliam et nunc in gloriam et nobüitatem, sit mihi
in Sdlutem et expellat a loco isto diabolum et aerem
corruptum et pestem a corpore. (Das Kreuz Christi,
das einst zur Schande und Schmach diente, jetzt
aber zur Ehre und zum Kühme gereicht, sei mir
zum Heile und vertreibe von diesem Orte den
Teufel und die verpestete Luft und von meinem
Leibe die Pest.
Zelus honoris Bei convertat me anteqtiam moriar et in
nomine tuo sdlva me ab hac peste. (Es durchdringe
mich der Eifer für Gottes Ehre, bevor ich sterbe,
und in deinem Namen errette mich von dieser
Pest.)
T^ Crucis Signum liberet populum Bei et a peste eos, qui
conßdunt in eo. (Das Zeichen des Kreuzes rette
das Volk Gottes und befreie von der Pest alle,
welche auf ihn hoffen.)
n Haeccine reddis Bomino popule stuUe? redde vota tua
offerens sa^rificium laudis et fide Uli, qui potens
est istum locum et me ab hac peste liberare^ qtw-
niam qui confidunt in eo, non confundentur. (Ver-
giltst du dem Herrn so, du törichtes und unver-
ständiges Volk ? erfülle deine Gelübde durch Dar-
bringung des Lobopfers und vertraue auf ihn, der
da mächtig ist, diesen Ort und mich von dieser
Pest zu befreien ; denn jene, welche auf ihn ver-
trauen, werden nicht zu Schanden werden. Mos. 6.)
vJ. GuUuri meo et faucibtis meis adhaeret lingua mea, si
non benedixero tibi, libera sperantes in te, in te
confido, libera me Deus ab ha^ peste et locum istum,
in quo nomen tuum invocatur, (Es möge meine
12*
180 Eine rätselhafte Inschrift.
Zunge an der Kehle und am Gaumen kleben, wenn
ich dich nicht preisen werde. Befreie jene, die
auf dich hoffen. Ich hoffe auf dich, so befreie mich
denn von dieser Pest und auch diesen Ort, an
! welchem dein Name angerufen wird. Psalm. 136, 6.)
F.
+
B
F.
Fadae sunt tenebrae super universam terram in motie
tua. Domine Deus meus, ficU lubrica et tenebrosa
diaholi potestas. Et quia ad hoc vemsti^ fUi Dei
vivi, td dissolvas opera diaholi^ expeXle potmtia tua
a loco isto et a me servo tuo pestem istam. Dts-
cedat aer corruptus a me in tenebrcLS eoderiores.
(Finsternis entstand bei deinem Tode auf dem
ganzen Erdboden. 0 Herr, mein Gott, lasse die
Macht des Teufels zu Schanden werden. Und weil
du, 0 Sohn des lebendigen Gottes, gekonmien bist,
die Werke des Teufels zu zerstören, so vertreibe
durch deine Macht diese Pest von mir und die-
sem Orte. Es weiche von mir die verpestete
Luft in die äußersten Finsternisse. Luk. 23, 45.
Joh. 3, 8.)
Crux Christi, defende nos et expelle a loco isto pestem
et servum tuum libera, quia benignus es et mise-
ricors et multae misericordiae et verax. (Kreuz
Christi, schütze uns und vertreibe die Pest von
diesem Orte und beireie deinen Diener, denn du
bist gütig und barmherzig, von großer Erbarmung
bist du und wahrhaft.)
Beatus qui non respexit in vanitaies et insanias foUsas:
in die mala liberabit eum Deus. Domine, in te
speravi, libera me ab hac peste. (Glückselig der
Mann, der sich nicht umsieht nach Eitlem, nach
Lüge und Torheit ; am bösen Tage wird ihn Gott
befreien. Herr, auf dich hoffe ich, befreie mich
von dieser Pest. Psalm. 39, 5.)
Fa>€tus est Deus in refugium mihi, quia in te speravi,
libera me ab hac peste. (Der Herr ist mfr zur Zu-
flucht geworden ; weil ich auf dich hoffte, befreie
mich von dieser Pest. Psalm. 93. 22.)
Von Dr. Viktor R. v. Geramb. 181
I\. Be^nce in me Domine, Deus meus Adonai, de Sede
sancta Majestatis tuae, et miserere mei et propter
misericordiam ttmm ab hac peste lihera me, (Blicke
auf mich, o Herr, mein Gott Adonai, vom heiligen
I Throne deiner Majestät, erbarme dich meiner und
I befreie mich um deiner Barmherzigkeit willen von
dieser Pest. Psalm. 21, 16.)
^« Salus mea Tu es; sana me et sanabor, salvum me
fac et salvus ero» (Du bist meine Rettung, heile
mich und ich werde geheilt werden ; hilf mir und
es wird mir geholfen. Jerem. 17, 14.)
Das Tajebach eines Trompeters der großen Armee.
Ein Beitrag zur Geschichte Steiermarks im Franzosen-
zeitalter.
Von Dr. Leo Meli (Wien).
Der reichen Memoirenliteratur aus der Zeit der Franzosen-
kriege und den mannigfachen sich ergänzenden Nach-
richten, die zerstreut teils in alten Zeitungen enthalten, teils
in Archiven verborgen sind, danken wir es, daß uns jene
bewegte Zeit, deren Kenntnis für uns von ganz besonderem
Werte ist, so vertraut geworden. Ist es doch das Zeitalter,
in dem die deutsche Nation ihr Freiheits- und Einigkeits-
gefllhl wiederfand, nicht zum geringsten Fichtes Verdienst,
dessen vor gerade hundert Jahren gehaltene „Reden an die
deutsche Nation" die Gemüter erregten. In der ersten Rede
charakterisiert er die Zeit mit den treffenden Worten : „Mit
uns geht, mehr als mit irgendeinem Zeitalter, seitdem es
eine Weltgeschichte gab, die Zeit Riesenschritte."
Den Österreicher vermag im Gegensatze zu dem Reichs-
deutschen die Geschichte des Jahres 1813 trotz des ruhm-
reichen und entscheidenden Eingreifens der kaiserlichen
Truppen weniger zu fesseln, als die des Jahres 1809. Dies
ist schon darin begründet, daß sich 1818 nahezu alle krie-
gerischen Ereignisse außerhalb der Monarchie abspielten.
So kommt es, daß unser Volk für den Feldzug von 1809
trotz des kriegerischen Mißgeschickes tiefwurzelnde Sympa-
thien hat : populärere Schlachten wurden wohl nie geschlagen
als die von Aspern und Wagram ^ und nichts griff so bis
^ Das k. u. k. Heeresmuseum in Wien handelt daher im Geiste
aller Österreicher, wenn es sich zu einer Ausstellung rüstet, die das
Gedächtnis an Erzherzog Karl und seine Zeit anläßlich der hundert-
jährigen Wiederkehr des Jahres der Schlacht von Aspern erneuern soll.
Das Tagebuch eines Trompeters der großen Armee. 183
in die tiefsten Schichten der Bevölkerung, als das Schicksal
des Landes Tirol und seiher Helden. Diesen noch heute
fortlebenden und sich von Geschlecht zu Geschlecht ver-
erbenden Sympathien sind Monographien entgegengekommen,
die einzelne Länder unseres Vaterlandes zur Zeit der Fran-
zoseninvasion und der Befreiungskämpfe schildern. Auch für
die Steiermark wurde bekanntlich eine auf den eingangs an-
geführten Quellen beruhende Monographie geschrieben.*
Den in derselben benützten Memoiren der be-
rühmten französischen Generale Grouchy, Marmont und
Massena stellen sich neuester Zeit die eines schlichten Sol-
daten der großen Armee, Jacques Chevillet, gegen-
über,^ die den ersteren an objektivem Interesse nachstehen,
sie dagegen an subjektivem übertreffen. Denn hier finden
wir die weltgeschichtlichen Ereignisse nur skizzenhaft an-
gedeutet und hören von den Siegen Napoleons nur nebenbei,
während das Hauptgewicht — ohne jegliche Absicht — auf
das Leben und Treiben der Truppen in der Garnison, auf
dem Marsche, bei der Kantonierung u. s. w. gelegt er-
scheint. Wir erfahren, wie die Korpsverwaltung und Zucht
der Franzosen beschaifen war und erhalten authentische Be-
lege für das „gute Benehmen" der Truppen, für das
beim Abzug der Feinde große Geldbeträge „als Er-
kenntlichkeit" eingefordert wurden. Kleine amüsante Ge-
schichten, Scherze — „Eulenspiegeleien" nennt sie Chevillet
— oft ungeschlachter Art, die ein Kamerad dem anderen
zufügt, gemischt mit Bewunderung und eigenartiger Schil-
derung der durchzogenen Gegenden, bilden die weiteren
Hauptcharakteristika dieser bald an den Vater, bald an den
Freund gerichteten Briefe — Briefe, die ihre Adressaten
nicht erreichten, da Chevillet in dieser Form seine Tage-
bücher schrieb. Lange genug blieben sie verborgen.
Erst des Verfassers Enkel, ein Offizier, den die Aufzeich-
nungen des Großvaters begeisterten, hat sie nun, unter-
stützt von dem Mitgliede der französischen Akademie Henry
Houssaye, der das Werk einleitet, der Öffentlichkeit über-
geben.
• Mayer Franz Martin, Steiermark im Franzosenzeitalter.
Graz 1888.
* Ma vie militaire 1800—1810 par J. Chevillet, trompette au
8« regiment de chasseurs k cheval. Publice d'apräs le manuscrit ori-
ginal par Georges Chevillet, petit-fils de l'auteur. Paris, Librairie
Hachette et Cie. 1906.
18i * Das Tagebuch eines Trompeters der großen Armee.
Zunächst einiges über Jacques Cheviilet. Er war „als
Kind der Truppe" 1786 in la Före in der Picardie geboren
worden. Sein Vater stand bei der Grenoble-Artillerie und
die Mutter folgte ihm mit dem Knaben in die wechselnden
Gamisonsorte. Begreiflich, daß Erziehung und Unterricht
vernachlässigt wurden und der Knabe frühzeitig den Ent-
schluß faßte, Soldat zu werden. Der Vater brachte ihn in
die Nationalschule zu Versailles zur militärischen Aus-
bildung. Hier setzt der erste Teil* des Tagebuches ein. Wir
erfahren von der Ausmusterung des fünfzehnjährigen Che-
viilet als Trompeter bei der leichten Kavallerie.
Als solcher macht er zunächst die Feldzüge nach
Holland und Deutschland mit. In letzterem wird er Zeuge
der Katastrophe von Ulm (20. Oktober 1805). Hier sieht
er seinen Kaiser — es ist das erstemal in seinem Leben.
Diesen Erlebnissen und manchen gelegentlichen „Helden-
taten", wie der frechen Herauslockung eines gesunden
Pferdes im Tausche gegen sein verwundetes, sind zwei lange
fesselnde Briefe gewidmet. Da Cheviilet dem Korps Mar-
monts angehörte, führte ihn der Weitermarsch nach Steyer
und über Weyer, Altenmarkt, Mautem und Rottenmann die
Enns entlang. Von diesem Durchmarsche erfahren wir nichts
näheres; er begnügt sich mit der Aufzählung der Ort-
schaften. Während nun Marmont, das Tal der Enns ver-
lassend, dem Erzbache folgt und nach Leoben gelangt, wendet
sich Chevillets Regiment gegen Salzburg und zieht über
Hallstadt, Werfen und Kufstein nach Tirol, über Hopfgarten,
Kitzbühel und Lienz nach Kärnten, endlich über Sachsen-
burg gegen Obersteiermark. -^
Aus einer Kindberg, 6. Dezember 1805 datierten Auf-
zeichnung erfahren wir, daß die Kompagnie, der Cheviilet
angehörte,^ auf dem Zuge gegen Obersteier ihr Regiment
4 Das Tagebuch ist in vier Teile geteilt. Der erste (1800—1805)
enthält den holländischen und deutschen Feldzug; der zweite (1805
bis März 1809) die Fortsetzung des deutschen und den Rückzug nach
Italien. Der dritte und vierte Teil sind den Ereignissen von 1809 ge-
widmet. Die wichtigsten auf Steiermark bezüglichen Stellen sind :
S. 89—94, S. 104—112 und S. 227—234.
5 Cheviilet gibt mit solcher Richtigkeit die Namen der durch-
zogenen Länder an, daß man sich mit Rücksicht auf seine Schlichtheit
darüber um so mehr wundem muß, wenn man in den Memoiren
des Generals Grouchy (II. S. 204) liest, daß er von Eisenerz nach
Tirol hinabzog und Leoben besetzte. Cheviilet unterscheidet z. B. sogar
Unter- und Obersteier.
1 Cheviilet gehörte der 4. Kompagnie des 8. Regimentes der Jäger
zu Pferde an.
Von Dr. Leo Meli. 185
verloren hatte und daher das obere Murtal und dessen
Seitentäler auf der Suche nach demselben durcheilte. Er
charakterisiert diese Gegenden als „von Gebirgen umgebene
Landschaften, in denen wir an nichts Mangel litten,'* und
erzählt, wie sie tiberall bei den Bauern große Gelage hielten
und sich, so gut es eben ging, zerstreuten. In Judenburg,
„einer kleinen hübschen Stadt**, fanden sie endlich ihr Regi-
ment nach zehntägiger Trennung wieder. Nach kurzem Auf-
enthalte zogen die Truppen gegen Brück. In Leoben, wo der
Quartiergeneral des Korps wohnte, wurde Rast gemacht. Vor
Brück bemächtigte sich Chevillets Kompagnie eines ansehn-
lichen mit Vorräten gefüllten Schlosses, das die Besitzer ver-
lassen hatten und ließen es sich gut gehen. „Wir hatten eine
abwechslungsreiche Menage, bei der jeder etwas profitierte.
Nichts fehlte, weder Hammeln noch Geflügel, weder Eier
noch Früchte oder andere Leckerbissen. Aber der gute un-
garische Flaschenwein war das Beste." Seine Freude blieb
jedoch nicht ungetrübt. Chevillet hatte sich nämlich einen
feisten Truthahn — zwölf Pfund wog er — bei Seite ge-
schafft, um am nächsten Tage das Schmausen fortsetzen zu
können.
Als die Nacht gekommen war und alles schlief,
schlich er sich in die Schloßküche, um den Truthahn zu
braten. Von Müdigkeit und dem ungarischen Weine über-
wältigt, schlief er, kaum daß der Truthahn zu braten anfing,
ein und erwachte erst nach einigen Stunden. Als er das er-
loschene Feuer von neuem anfachte — wer beschreibt seine
Entrüstung — fand er an Stelle seines Truthahnes einen
alten Besen.
Von Brück wird die Straße nach Wien weiter verfolgt.
Im Mürztale erhalten sie Kunde von der Schlacht bei
Austerlitz, worauf sie in Kindberg mehrere Tage rasten und
durch Lustbarkeiten aller Art den Sieg der Brüder feiern.
Der Weitermarsch führte die Truppen über Veitsch und den
Semmering bis Neunkirchen, wo sie am 11. Dezember 1805
ankamen. Hier überrascht sie die Nachricht vom Abschlüsse
des Friedens und sie treten den Rückzug nach Italien an.
Über das Rückzugsjahr 1806 hat Chevillet Ausführ-
licheres in zwei Graz, 12. und 16. Jänner, datierten Briefen
aufgezeichnet. „Der Rückweg führte über Kirchberg, Kriegla
und Brück, von wo wir, den Ufern der Muehr folgend,
weitermarschierten und nach Forley, Reittlstein, Pegau und
186 Das Tagebuch eines Trompeters der großen Armee.
endlich nach Gratz kamen."* Das achte Regiment hatte zu-
nächst allein Graz zu besetzen. „Wir wurden bei den reich-
sten Einwohnern einquartiert und fühlten uns so glücklich.
als man es nur sein kann, wenn man alles hat, was man
sich nur wünscht.** Diese Herrlichkeit dauerte aber nicht
lange. ;,Man entdeckte ein Komplott unter den Einwohnern,
das die Vernichtung unseres Regimentes durch ein Massakre
bezweckte.'^ Wir ergriffen Sicherheitsmaßregeln und unsere
Truppen konzentrierten sich, d. h. je 10 bis 20 Mann wurden
zusammen in den angesehensten Häusern der Stadt ein-
quartiert." Bald rückte in Graz auch ein französisches In-
fanterieregiment ein, dem ein Quartiergeneral und viele
Militärwagen folgten.
Chevillet ist voll des Lobes über die in Graz verlebten
Tage: „Man kann sich keinen lustigeren und abwechslungs-
reicheren Aufenthalt denken, als den meinen in Gratz während
mehr als 14 Tagen. Da gab es in Gesellschaft meiner Freunde
neue Vergnügungen ohne Ende. Geld fehlte uns nie und wir
stürtzten uns, die Viertel der Stadt durchwandernd, aus einem
Abenteuer in das andere." Dieser Lobeshymne auf Graz
läßt er die Erzählung eines Abenteuers folgen. Zur Haupt-
wache des Regimentes, die drei Meilen von Graz stand,
wurden abwechselnd je 100 Mann kommandiert. Auch an
Clievillet kam die Reihe und er stand mit seinen Kameraden
in der Gegend von Wildon. Die Nacht war so kalt, daß sie
es kaum aushalten konnten. Die Soldaten legten sich deshalb
auf Stroh um ein Feuer, während er und einige seiner
Freunde es vorzogen, auf Patrouille zu gehen. Als sie zurück-
kehrten bemerkten sie, daß sich das Stroh bei den Füßen
ihrer Kameraden entzünde. Sie weckten die Schlafenden je-
doch nicht, sondern verbargen sich, um das Weitere abzu-
warten. Und so wurden die Schlafenden „besser und schneller
aufgeweckt wie durch eine Trompete." Sie spürten das Feuer
bei ihren Füßen, sprangen auf, schrien, rannten zu ihren
scheu werdenden Pferden und wußten nicht, was zu tun ist.
Da eilte Chevillet mit seinen Kumpanen wie zufällig herzu
und half das Feuer löschen. Alles löste sich in eitel Har-
* Chevülets Schreibweise der deutschen Orts- und Eigennamen
ist hier, weil leicht verständlich, beibehalten und dürfte sich in manchen
Fällen wohl durch die Aussprache der bäuerlichen Bevölkerung, mit
der er doch mehr oder minder in Berührung kam, erklären, wie z. B.
bei Muerhr oder Muehr für Mur.
2 Bei Mayer hierüber nichts.
Von br. Leo Meli. 187
inonie und man lachte schließlich über den ausgestandenen
Schrecken. In Wildon frühstückten sie gemeinsam mit öster-
reichischen Husaren und wetteiferten mit diesen in Bezeu-
gungen der Gastfreundschaft und im Erzählen von Husaren-
stückchen.
Das Ende dieser Zusammenkunft war ein allgemeiner
Rausch. Der Hauptmann, der es schon längere Zeit wegen
verschiedener Streiche auf Chevillet abgesehen hatte, nahm
dessen Betrunkenheit zum Anlaß, um ihn, sobald sie nach
Graz zurückgekommen waren, durch den Quartiermeister
und vier Jäger in das Stadtgefängnis zu entsenden. Auf der
Murbrücke brannte er den letzteren jedoch durch, verbarg
sich in einem Mauervorsprung der Befestigungen und suchte
nach einiger Zeit eine Herberge auf, wo er seinen Rausch
ausschlief. Am nächsten Morgen ernüchtert, begreift er, daß
er seine Lage verschlimmere, je länger er sich verberge. Er
kehrt daher zur Truppe zurück, entschuldigt sich bei seinem
Hauptmann so gut es geht und wandert in das Gefängnis,
in dem er reichlich Zeit findet, sein Tagebuch fortzusetzen.
Schlecht ist es ihm auch hier nicht ergangen: „Ich fand
mich in guter und fröhlicher Gesellschaft von ungefähr
dreißig Soldaten der Gratzer Garnison, unter denen sich
sieben Jäger unseres Regimentes — lauter lose Kerle —
befanden . . . Obwohl die Gefängnisse zur Besserung der zu
bestrafenden Soldaten da sind, so vergißt man doch bald die
plötzliche Freiheitsberaubung, indem man sich gemeinsam
durch soldatische Spiele und Spässe die Zeit verkürzt . . .
Daher unterhielt ich mich ebensogut im Gefängnis wie in
der Stadt und gewann den Kerkermeister durch Trinkgelder
zum Freund."
Das Regiment zog, nachdem es fast einen Monat in
Graz gelegen war, über Kärnten nach Italien. Damit hatten
wohl die letzten Franzosen Graz verlassen.^
Steirischen Boden betritt Chevillet wieder ISOO.'-' Sein
Regiment übersetzte aus Kärnten kommend am 21. Mai bei
Lavamünde die Drau und rastete bei Mahrenberg. Am
folgenden Tage zogen die Truppen gegen Marburg. „Wir
1 Mayer sagt S. 176, daß am 12. Jänner 1806 die letzten
Feinde Graz verließen. Diese Angabe stimmt mit der Chevillets nicht
ttberein, denn dieser schreibt zu Ende seines „Gratz 16. Jänner 1806"
datierten Briefes: „Unser Regiment dürfte bald von Gratz abziehen."
* Chevillet, S. 227 ff. Der Brief ist Neustadt, 31. Mai 1809, datiert.
188 Das Tagebuch eines Trompeters der großen Armee.
waren, die ersten Franzosen, die in diese Gegend kaioen.
Als wir in der Nähe von Marburg eine feste Stellung be-
zogen hatten, sahen wir einige Bewohner auf uns zukommen,
allem Anscheine nach als Deputation, um unseren Oberst zu
bitten, die Stadt mit seinem Regimen te nicht zu besetzen.
Ich weiß nicht, welche Bedingungen verabredet wurden, aber
einige Stunden darnach sah man aus Marburg eine Menge
von Bauersleuten — Männer, Weiber und Kinder — wie eine
Prozession auf uns zukommen, jedes auf dem Kopfe einen
Korb und in den Händen andere Körbe, in denen sie alle
möglichen Nahrungsmittel, wie Suppe, Gemüse, Fleisch, Brot.
Wein, aber auch Tischgedecke u. s. w. hatten. Jeder Oflizier,
Unteroffizier und Jäger bemächtigte sich der Speisen und
Getränke eines oder mehrerer Bauern, je nachdem der Vor-
rat reichte. Es gab mehr als notwendig zu essen. Auf dem
Böden wurde gedeckt und gute Ordnung bei der Verteilung
eingehalten. Bald bot sich ein buntes Bild: Soldaten und
Bauern vermengt. Es war ein großes Festessen und wir be-
fanden uns im Schöße des Überflusses und der Völlerei. —
Die Nacht verbrachten wir in einem Winzerdorf der Um-
gebung. Am nächsten Tag, dem 23. Mai, durchzog unser
Regiment diese schöne kleine Stadt von Untersteier, die uns
am Abend vorher so gut bewirtet hatte. Wir vergalten es
ihr mit unserer kriegerischen Musik.**
Es folgen nun bloße Marschberichte. 23. Mai: Zug
durch die Ebene von Pettau. In der Ferne erblicken die
Soldaten „die berühmte Stadt Warasdin in Slavonien".
Stellungnahme am rechten Ufer der Mur. 24. Mai: Marsch
bis Luttenberg, „einer kleinen Stadt an der Muehr, am Fu6e
eines schönen und hohen Hügels, von dem aus wir feind-
liche Reiterhaufen und einen Infanterievorposten sahen,
der die Holzbrücke oberhalb Luttenberg zerstörte". Über-
schreiten der Mur „bei einer Burg namens Mureck". 25. Mai:
Durchmarsch durch Weinburg und andere Dörfer. Hier äußert
sich Chevillet: „Es fehlte uns nichts. Wir sind in den
besten Ländern Österreichs. Niemals waren unsere Pferde
kräftiger." Am gleichen Tage brachten die Späher drei
bayerische, den Österreichern entlaufene Soldaten vor den
Oberst. „Sie kamen von Gratz und brachten uns die Nach-
richt, daß die Österreicher in dieser Stadt außergewöhnliche
Belustigungen zur Feier eines großen Sieges abhielten, den die
österreichische Armee über die große, an der Donau von
Napoleon geführte Armee davongetragen hatte. Diese Neuig-
Von Dr. Leo Meli. 189
keit wird, wenn sie wahr ist,^ ohne Zweifel den Feind
unternehmungslustiger machen, aber sie darf nicht unsere
italienische Armee in ihren Operationen behindern ..."
In der Nacht vom 25. auf den 26. Mai führte Chevillet
wieder ein Husarenstückchen auf, das hier kurz erzählt sei,
weil es durch das von Chevillet auf den Feldzügen gelernte
Deutsch und dessen französische Schreibweise nicht ohne
Komik ist. Mit zwei Jägern auf Patrouille, bemerkt er einige
hundert Schritte vor sich einen feindlichen Vorposten. Er
nähert sich dem Reiter auf vierzig Schritte und ruft ihm
Wer da? zu. „Der Vorposten antwortete sofort: ,Kaiser
Joseph Huzards regmintt!' ,Verdaw' fragte er mich zurück.
,Vachgt maeister Ferdinand huzard Regmintt patruill quehn,
blepto!' war meine Antwort. Es war dunkel genug, daß
man unsere Uniformen nicht unterscheiden konnte. Ich
fragte ihn daher noch : ,Sag mir, in welchem Winkel ist det
Posten von unseren Husaren? Ich habe Befehl, es eurem
Kommandanten mitzuteilen. Es scheint, daß morgen früh
euer Regiment und das unsrige die Jäger des Napoleon an-
greifen und ordentlich jagen werden. Morgen werden sie den
Unglückstanz tanzen, diese berüchtigten Hunde.' — ,Ah, das
ist gescheit', erwiderte* er mir gutmütig, ,sie sind hier in der
Nähe, diese famosen Diebe. Morgen werden wir sie also
sehn?' So fiel der Vorposten in meine Falle." Nachdem der
arme Husar den Franzosen den Weg zur Hauptwache be-
zeichnet hatte, fielen diese über ihn her, nahmen ihm seine
Ausrüstung und drohten ihm mit dem Tode. In seinem
Schrecken schrie er nur: ,,Ahg, fransouss pardun! macht ci
mir nitt veh!" Sie nahmen ihn als Gefangenen mit sich.
Das Nachspiel dieser wenig heldenhaften Geschichte aber ist
traurig: Der Husar wird bei einem Fluchtversuche ertappt
und niedergesäbelt.
Kehren wir nun wieder zu den kriegerischen Ereignissen
zurück. Am 26. Mai bemächtigten sich die Franzosen „der
schönen Besitzung Ekheinberg. Das Schloß, das zwei Meilen
von Gratz entfernt liegt, gehört einem Prinzen des kaiser-
lichen Hauses von Österreich und jetzt unserm Regiment.
Wir fanden dieses prachtvolle Schloß mit seinen großen
Nebengebäuden mit allen Arten von Vorräten ausgestattet.
Magazine mit Mehl und Futter, Keller mit Wein, die Höfe
1 Später merkt Chevillet an, daß „tatsächlich eine blutige Schlacht
am 21. und 28. Mai (statt 22. Mai) bei Eßlingen« stattgefunden habe.
190 Das Tagebuch eines Trompeters der großen Armee.
voll mit Ochsen, Kühen, Schafen, Schweinen, Geflügel u. s. w.
Diese Gegend ist auch reich an Wild. Unsere Offiziere nehmen
die Gemächer des Schlosses ein und sind wie Herren bedient.
Das ganze Regiment hat sich in den Baumalleen des Parkes,
die das Schloß umgeben, ausgebreitet, wo auch unser Lager
aufgestellt und in Kompagnien geteilt ist. Das war ein herr-
liches Lager: wir konnten uns alles verschaflFen, was wir
brauchten, und hielten einen Schmaus von morgen bis abends.
Da konnte man sich eine Vorstellung von Verbrauch und
Verschwendung machen, die ein Kavallerieregiment von 800
Mann in einem solchen Schlosse innerhalb zweier Tage
verursachte."
Von Eggenberg ritten sie gegen Graz, aber blieben
„außerhalb der Kanonenschußweite. Wir hatten keinen Be-
fehl einzurücken, denn das Fort Muehr, das die Stadt be-
herrscht, war bereit, uns mit Schüssen zu empfangen. " ^ —
Am 28. Mai kamen sie, die Mur durch Wälder und Gebirge
verfolgend, „in Forleyden an und fanden diese unglückliche
kleine Stadt vollständig niedergebrannt. Die Trümmer rauchten
noch. Es war das die Folge einer blutigen Schlacht, welche
eine unserer Divisionen, die von Leoben kam, am Abend
vorher mit dem vorbeimarschierenden Feinde hatte." Die
folgenden Tage ziehen die Truppen über Brück, durchs Mürz-
tal und über den „herrlichen Berg Sommering oder Berg
Calemberg" nach Neustadt, von da nach Ungarn und später
nach Wien.
Sein mihtärisches Tagebuch bricht mit Ende 1809 ab,
denn bei Wagram hatte er einen Arm eingebüßt. Eine Notiz
aus dem Jahre 1810 und ein Nachwort Chevillets von 1811
schUeßen das vorliegende Werk ab. Seinen Aufzeichnungen
gab er die Überschrift: „Zehn Jahre Dienst in der Schule
* AnmerkuDgsweise fügt Chevillet hinzu: „Gleichwohl wurde Gratz
von den Franzosen besetzt. Dies geschah durch die Unerschrockenheit
der Division des General Broussier, der an diesem Tage hier seine
Stellung einnahm, so daß in den folgenden Tagen nach mehreren
blutigen Schlachten im Innern der Stadt und der Befestigungen unsere
Truppen ihrer Herr wurden, nachdem sie die Österreicher verjagt und
die Feste belagert hatten. — Hier trug sich die schönste Waffentat
zu, die man sehen konnte. Unser 84. Regiment bedeckte sich am
St. Jakob -Platze (Jakominiplatz ?) mit Ruhm; dort fanden sie sich
eingeschlossen und hielten fechtend einer feindlichen Infanteriedivision
von 10.000 Mann stand. Prinz Eugen ließ sogleich, um den Ruhm des
Regimentes zu kennzeichnen, auf die Fahne schreiben: „Zehn gegen
Einen." Das ist eine WafPentat der italienischen Armee." Vgl. hiezu
Mayer, S. 206 ff.
Von Dr. Leo Meli. 191
der Erfahrungen oder mein militärisches Leben. Zusammen-
gestellt von Chevillet dem Jüngeren nach seiner Rückkunft von
der Armee. Zu Pontoise im Jahre 1811. Alles mit der linken
Hand geschrieben." Ein Faksimile dieses Titels sowie einer
Tagebuchseite sind der solid ausgestatteten Ausgabe bei-
gegeben.
Chevillet hat seine Memoiren jedoch fortgesetzt bis an
sein Lebensende. Dieser zweite Teil seiner Erinnerungen
wurde nicht veröffentlicht, da er an allgemeinem Interesse
dem ersten zu weit nachsteht. Er würde jedoch sicherlich
die Physiognomie des Autors vervollständigen.
Chevillet starb am 2. Februar 1837. Er selbst hatte
seine Grabschrift abgefaßt:
En place! Repos!
Veteran de l'ancienne armee
J'ai assez vecu pour ma patrie que j'ai bien servie
Mais pas assez pour elever mes enfants
La providence fera le reste.
Chevillet.
Den im vorstehenden teils wiedererzählten, teils in Über-
setzung wiedergegebenen, auf Steiermark bezüglichen Be-
richten Chevillets ist nicht viel beizufügen. Dadurch, daß er
auf steirischem Boden nie gekämpft hat, sondern ihn nur
auf Durchzügen betreten hat, ergibt sich von selbst, daß
seine Memoiren über manches andere Kronland ebensoviel
oder sogar mehr enthalten als über Steiermark. Kämpfte er
doch nicht bloß bei Ulm, sondern auch bei Raab und
Wagram. Es wird daher noch viel aus seinen Erinnerungen
. zu schöpfen sein und es wäre auf das wärmste zu begrüßen,
wenn uns eine deutsche Übersetzung derselben beschieden
würde.
Den unbestreitbaren Wert der Tagebücher habe ich
eingangs schon hervorgehoben. Sie tragen, wenn man von
kleinen, zugunsten des eigenen Heldenmutes begangenen
Übertreibungen absieht, den Stempel der Wahrheit und liefern
daher für die Landes- und Ortsgeschichte sowohl durch ihre
Berichte über die lokalen kriegerischen Ereignisse als auch
durch die Schilderung der durchquerten Länder und ihrer
Bewohner vom Standpunkte eines Durchschnittsmenschen,
der Augen und Herz am rechten Flecke hat, nicht zu ver-
achtendes Material.
Magistrat und FleischerinDung za Yoitsberg am Ende
des 18. JabThanderts.
Eine volkswirtschaftliche Studie von Friedrieh Böser.
ES ist nicht uninteressant, in alten Akten zu blättern und
dabei manchmal auf Vorfälle zu stoßen, welche, wenn
sie auch unter geänderten Zeitlagen und Wjrtschaftsverhält-
nissen in anderen Formen auftreten, doch im Wesen der
Sache übereinstimmen.
Ein solches Bild bieten uns die Amtsschriften des
Magistrates der Stadt Voitsberg am Ausgange des 18. Jahr-
hunderts auf dem Gebiete der Versorgung mit Fleisch für
die dortige Bevölkerung. Wenn dasselbe auch in einem recht
engen Bahmen die Verhältnisse eines dem Hauptverkehre
entfernter gelegenen Ortes zeigt, so dürfte es doch einiger
Beachtung wert sein, da uns auf gewerblichem Gebiete Er-
scheinungen entgegentreten, welche zum guten Teile in ihrer
Art und namentlich in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung
für die Allgemeinheit bis heute nichts eingebüßt haben.
Der Magistrat mußte zu allen Zeiten aufmerksam dar-
über wachen, daß die Bäcker und Fleischer bei dem Ver-
kaufe von Brot und Fleisch sich an die oberbehördlich fest-
gesetzten Preise hielten, und geriet dadurch mit diesen
Gewerbeklassen nicht selten in Widerwärtigkeiten, äowie
manchmal in Unannehmlichkeiten mit der vorgesetzten Be-
hörde. Namentlich die vier Fleischermeister der Stadt fügten
sich seit geraumer Zeit immer schwerer in „den Satz", der
ihnen vom Kreisamte auf Grund der vom Magistrate Voits-
bergs dorthin vierteljährig ausgewiesenen Viehpreise be-
stimmt ward. Ihre Gegenvorstellungen bei dem Stadtrate
und Gesuche um Erhöhung des Satzes mehrten sich stetig
und gingen wegen ihrer häufigen Erfolglosigkeit allmählich
Magistrat und Fleischerinnung zu Voitsberg. 193
in Drohungen und Widersetzlichkeit über. Zwar versuchte
der Magistrat, wo nur möglich, den Ansprüchen dieses Ge-
werbes bei der Staatsbehörde Berücksichtigung zu verschaffen,
ohne dabei jedoch die Interessen der Bevölkerung außer acht
zu lassen; allen unbegründeten Forderungen versagte er
aber offen und ohne Verzug seine Zustimmung und ging
gegen Drohungen und deren Ausführung mit rascher Ent-
schlossenheit und Tatkraft vor.
So brachten die Fleischer wieder einmal im Jahre 1784
ihr Gesuch um Erhöhung des Rindfleischpreises von 4 kr,
auf 4 kr. 1 Pfennig für das Pfund vor die Ratssitzung, weil
sie sonst bei den hohen Viehpreisen zugrunde gehen müßten.
Im Falle der Verweigerung könnten sie nur mehr 14 Tage lang
schlachten. Der Rat gesellte in der Vorlage vom 7. August an
das Kreisamt zu Graz diesem Ansuchen auch das seine um
Gewährung, erhielt aber alsbald einen am 12. d. M. ergan-
genen abschlägigen Bescheid mit der Weisung, daß die
Fleischer, wenn sie den Betrieb einstellen, dieses beim Ma-»
gistrate zu Protokoll geben sollen und letzterer dann den-
selben die Gerechtsame abzunehmen und „neuen" Fleischern
zu übertragen habe, welche dieselben gewiß nicht wieder
abtreten würden. Auf dieses hin erklärten Martin Prechtl,
Johann Zandt, Johann Reichl und Johann Pahr, daß sie ihre
Gerechtsame wegen damit verbundener Entwertung ihrer
Häuser nicht „auslassen" können und um die 4 kr. weiter
ausschroten. Es war für sie eben von Belang zu jener Zeit,
wo der Magistrat den Wert einer Fleischergerechtsame auf
400 fl. schätzte, wie aus einem von ihm im Jahre 1788
zusammengestellten und an das Kreisamt gesendeten
Schätzungsverzeichnis der bürgerlichen Gewerberechte er-
hellt, und wo die Realitäten der Bürger ohne dieselben
im Preise tief standen. So wurde die Braurealität samt Ge-
rechtsame 1779 um 4450 fl. gekauft und jetzt ohne dieselbe
auf 2450 fl. bewertet; der Besitz, welchen der Gürtler im
nämlichen Jahre um 724 fl. erworben hatte, ward ohne Ge-
werberecht auf 424 fl. geschätzt ; der Binder und Kürschner
hatten ihre Behausungen seit 1780 um je 900 fl. zu eigen;
die des ersteren wurde an sich allein kaum 500 fl.,. die des
zweiten 400 fl. wert gehalten und „das Jus" des Lebzelters,
der seine Realität 1785 um 3465 fl. an sich gebracht hatte,
galt dem des Brauers gleich.
Die Entschiedenheit des Kreisamtes hatte wohl ge-
wirkt, denn die Akten bekunden nichts von einem weiteren
13
194 Magistrat und Fleischerinnung zu Voitsberg am £nde
Begehren der Fleischer und melden erst zu 1786, daß diese
am 26. Mai den Magistrat um Erhöhung des Rindfleisch-
preises von 4 auf 5 kr. für das Pfund baten, welche min-
destens bis Weihnachten dauern sollte. Die Begründung
dieses Gesuches war diesmal recht ausführlich und gewährt
dadurch einen Einblick in die Geschäftsverhältnisse dieses
Gewerbes. Wegen Futtermangels sei gutes Schlachtvieh, zu
dessen Ausschrotung sie doch verbunden seien, seltener ge-
worden und stehe zum Satze von 4 kr. in einem ganz un-
verhältnismäßig hohen Preise. Durch die großen Einkäufe
der Viehhändler vlg. Timmel in Wolfsberg (Kärnten) und
Stübler bei Weißkirchen werden die Preise auch in die Höhe
getrieben, nicht minder durch die Konkurrenz der Fleischer
in Klagenfurt und Graz, welche bei ihrem Satze von 5 kr.
leichter kaufen. Auch für ihre Gewerbegenossen in Lanko-
witz, Köflach und Ligist seien diese Preise noch erträglicher,
weil ihnen ihre Herrschaften einen ganz leidlichen Fleisch-
aufschlag (Schlachtsteuer) auferlegt hätten. Sie dagegen
müssen im hiesigen kleinen Orte — Stadt und Vorstadt
zählten damals in 122 Häusern 770 Bewohner — nach Ab-
zug des Beitrages von 52 fl. seitens der Bürgerschaft jähr-
lich noch 380 fl. Aufschlag zahlen, ungeachtet dessen, daß
die Ausschrotung wechselweise auf einen nur in jeder zweiten
Woche falle, somit jeder sein Gewerbe im Jahre nur sechs
Monate hindurch betreibe. Überdies sei der Preis der Häute
von 772 ^- ^^f 6 kr. fllr das Pfund gefallen. Im einzelnen
mochte diese Darstellung manchmal lebhaft gefärbt sein, im
allgemeinen jedoch wohnte ihr bei der, wenn auch nur vor-
übergehend ungünstigen Geschäftslage, ein gewisses Maß von
Berechtigung inne. Der Magistrat berichtete am 6. März
1788 an das Kreisamt, daß schon seit vielen Jahren her
das zur Zucht bestimmte und junge, ungemästete Hornvieh im
Handel in großen Mengen nach Kärnten und über Obersteier
nach Österreich gehe. Jetzt sei der „Austrieb" zwar verboten,
aber früher habe der Händler Stübler in den benachbarten
Pfarren und auch ganz nahe bei Voitsberg über hundert der
schönsten Mastochsen aufgekauft und so zur Teuerung bei-
getragen. Drei Bürger hätten bezeugt, daß während des noch
erlaubten Viehaustriebes nach Wälschland in der Umgebung
von Voitsberg bei einem Paar Ochsen von je 10 Zentner
Gewicht der Zentner durchschnittlich 12 fl. kostete mit In-
begriff des Unschlitts, von dem das Pfund auf 7% kr. ge-
kommen sei.
des 18. Jahrhunderts. Von Friedrich Böser. 195
Den Fleischern war also durch Verbot der Vieh-
ausfuhr Erleichterung geschaffen worden, aber der Satz von
4 kr. bestand noch aufrecht. Die Steigerung wurde den-
noch erreicht und ging bis in das Jahr 1791 auf 5 kr. Als
die Fleischer aber am 7. Mai d. J. wieder um einen
Satz von h^li kr. ersuchten und vom Kreisamte abgewiesen
wurden, gingen Johann Reichl und Johann Fahr, an welche
die Schlachtwoche gekommen war, in Widersetzlichkeit über.
Sie sperrten ihre Bänke und übergaben die Schlüssel dazu
den Abgeordneten des Magistrates, die zur Überwachung der
Ausschrotung erschienen waren. Da beschloß die Stadt-
behörde ungesäumt, zu den zwei Fleischbänken je einen
„Werkskundigen", „Berechner" und „Einnehmer" zu stellen,
um den Fleischverkauf von Amts wegen durchzuführen.
„Wenn die Fleischhacker um 5 kr. ausschroten, sind sie
dabei zu überwachen, wenn nicht, sollen sie verhaftet
werden." Die Widerspenstigen ließen es darauf ankommen;
als sie aber merkten, daß der Verkauf ohne ihr Zutun be-
c^nne, baten sie um Enthaftung und fügten sich in die Taxe.
Mit der am 5. August 1791 erfolgten Bestimmung von h^l^i kr.
für Rind- und Biilbfleisch, von ö kr. für Schweinefleisch und
5 kr. für Schöpsernes pro Pfund nicht zufrieden, kamen
Martin Prechtl, Johann Zandt, Johann Fahr und Katharina
Reichl, Fleischermeisterin an Stelle ihres verstorbenen Gatten,
am 2. März 1792 mit der Bitte um den Satz von 6 kr. für
das Rindfleisch, wobei sie sich gewohnheitsmäßig darauf be-
riefen, daß das Vieh so teuer sei wegen des Einkaufes seitens
der Grazer Fleischer in der Gegend Voitsbergs, mit welchen
sie wegen ihres um 1 kr. höheren Satzes nicht konkurrieren
könnten, und dann auch wegen der zu hohen Schlachtsteuer;
sonst müßten sie gänzlich zugrunde gehen. Dazu gab der
Magistrat am 24. d. M. den Bericht, wie 1788, daß es im
Bezirke Voitsberg gar kein Schlachtvieh gebe und die
Fleischer dieses deshalb in anderen Bezirken kaufen müssen.
Aus diesen aber werde ausgeführt, wie erst am 9. März aus
den umliegenden Gebirgen in den Pfarren Edelschrott und
Pack 35 Stück von der Wiener Einkaufsgesellschaft gekauft
worden seien; auch von Eibiswald seien deren 13 nach Wien
befördert worden. Das Kreisamt bewilligte die Erhöhung auf
6 kr. und ließ sie bis September in Kraft, vom 6. an traten
wieder 5V2 kr. ein. Am 21. August 1794 bestätigte der
Magistrat an das Kreisamt und Gubemium nach Ratschluß
vom 15. Juli die volle Begründetheit der Bitte der Fleischer
13*
196 Magistrat und Flelscherinnung zu Yoitsberg am Ende
entweder um die Erhöhung des Satzes für Rindfleisch auf
5 kr. oder um Nachlaß bei dem zu hohen Aufschlage, aber
nicht das, daß die Bürgerschaft selbst erklärt habe, fortan
5 kr. zu bezahlen, was sie indes nur bis zur Entscheidung
des Kreisamtes zugestanden habe. Wenn dieselbe statt des
Beitrages von 52 fl. dauernd für das Pfund y^ kr. höher
zahlen müsse, sei sie zu stark benachteiligt. Die Fleischer
haben nur ein mittelmäßiges Vermögen und einen sehr ein-
geschränkten Geschäftsbetrieb. Einer habe in einer Woche
das „Hauptschlachten", wo er höchstens 3 Stücke schlachte,
und einer das „Nachschlachten'' in der halben Woche, wo
er nur 1 Stück verbrauchen dürfe, so daß nur jede vierte
Woche ganz auf ihn komme und in jeder zwei von ihnen
das Gewerbe gar nicht betreiben können. Man beschwere
sich auch darüber, daß die Landfleischer zu Stainz, Moos-
kirchen, Ligist, Köf lach und Lankowitz, die teils mehr, teils
ebensoviel ausschroten, einen bei weitem geringeren Auf-
schlag haben und leicht um 1 kr. billiger verkaufen können.
Der Magistrat erlaubt sich daher den Vorschlag, daß den
hiesigen Fleischern der Aufschlag um 130 fl. herabgesetzt
und den andern aufgeteilt werde, und zwar den Stainzern.
die nur 200 fl. entrichten: 50 fl., dem in Mooskirchen zu
den 90 fl. : 10 fl., dem zu Ligist zu 60 fl. : 30 fl., den zwei
Köflachern bei nur 80 fl. : 20 fl. und dem in Lankowitz zu
80 fl. : 20 fl. Der Magistrat bat das Gubemium um Gewäh-
rung, erhielt sie aber nicht. Ein im Oktober d. J. erneuertes
Begehren der Fleischer, unter dem Vorwande, daß sie um
1 kr. billiger ausschroten müssen als die Grazer Geschäfts-
genossen, und der Aufschlag zu hoch sei, es möge ihnen daher
ein halber Kreuzer im Unterschiede erlassen werden, wurde, da
es ja Verteuerung bedeutete, vom Kreisamte in strenger
Weise abgeschlagen unter der Androhung einer Strafe von
24 Reichstalem im Falle des Ungehorsams. Es sei nicht
richtig, daß sie einen jähriichen Fleischaufschlag von 432 fl.
zahlen, sondern nur von 380 fl., weil die Bürger 52 fl. bei-
tragen; auch haben sie bei weitem nicht solche Einkaufs-
und Betriebskosten zu tragen wie die Grazer, wohl aber be-
ziehen sie Nebenvorteile und Einkünfte, deren jene entbehren.
Auch wurde darauf hingewiesen, daß eine Gubernialverord-
nung den Satz in der Landeshauptstadt eben deswegen um
1 kr. höher bestimmt habe als auf dem Lande, woran vom
Kreisamte nichts geändert werden könne. Diese Abstufung
wurde im August des nächsten Jahres vom Gubernium noch
des 18. Jahrhunderts. Von Friedrich Böser. 197
auf 1 Va kr. festgestellt. Die Schlachtsteuer betrug allerdings
jährlich 432 fl.. aber die Bürgerschaft hatte sich in einer
mit den Fleischern durch den Magistrat 1784 getroffenen
Vereinbarung zu einem Jahresbeiträge von 52 fl. verbindlich
gemacht, wogegen sie in ihren Häusern für sich selbst
Schweine, Kälber und Schafe abgabenfrei schlachten durfte.
Betraf es aber ein Rind, so mußten den Fleischern jedesmal
für einen Ochsen 3 fl. und für eine Kuh 2 fl. vergütet werden.
Der Rindfleischpreis war auf 4 V2 kr. pro Pfund gesunken,
als Mart. Prechtl, Joh. Fahr, Georg Eckhart und Franz Reichl
am 3. März 1796 hei dem Magistrate um Satzerhöhung auf
5 kr. ansuchten mit der Begründung, das Vieh sei im Preise
gestiegen, die Professionisten hätten für ihre Erzeugnisse die
Preise auch erhöht, können somit das Pfund Fleisch leicht
um ^1 kr. teurer bezahlen und schließlich, sie verlieren unter
den gegenwärtigen Viehpreisen und dem niedern Satze bei
jedem Ochsen 20 fl. Der Fleischaufschlag sei drückend auch
bei einem Betrage von 380 fl. und im ganzen Lande nirgends
so hoch wie in Voitsberg. Unter solchen Umständen und den
während des gegenwärtigen Krieges so häufigen und hohen
Abgaben müssen sie zugrunde gehen, was weder die Bürger-
schaft, noch der Magistrat und ebensowenig die höheren Be-
hörden verlangen werden. Da sie beim Aufschlage städtisch
behandelt werden, so erwarten sie auch, bei ihrer Bitte als
städtische Fleischermeister angesehen zu werden. Das Stadt-
amt sandte diese von Hohn nicht freie Eingabe an das Kreis-
amt mit der Einbegleitung, daß die vorgegebene Preissteige-
rung nicht bestehe, daß diesbezüglich nur unter den Bauern
ein „kleiner Auflauf" ausgebrochen sei und das Fleisch in
Köflach, Lankowitz, Ligist und Mooskirchen auch 4 V2 kr. koste.
Das Kreisamt verbot am 28. März die Erhöhung und
wies den Magistrat an, bei allfälliger Widersetzlichkeit so-
gleich die Anzeige zu erstatten. Der Erlaß, den Fleischern
am 31. d. M. kund gegeben, war aber zu spät gekommen.
Diese waren, ohne die kreisämtliche Entscheidung abzu-
warten, wohl aus geringer Hoffnung auf einen günstigen Er-
folg, mittlerweile eigenmächtig vorgegangen, wobei sie Irre-
führungen nicht scheuten. Nach der langen strengen Fasten-
zeit standen Ostern, der Sonntag fiel auf den 27. März, vor
der Türe und man mußte zugreifen, wollte man die günstige
Gelegenheit ausnützen. Sie hatten sich also an ihre
nächsten Geschäftsgenossen in Köflach und Lankowitz um
deren gleichen Vorgang gewandt, damit sie sich bei der un-
198 Magistrat und Fleischerinnung zu Voitsbei'g am Ende
venneidlichen Rechtfertigung auf dieselben berufen konnten.
Vom Gründonnerstage an wurde das Fleisch ohne weiteres
von M. Prechtl und J. Pahr um 5 kr. verkauft. Dem Magi-
strate kam die Werbung der Voitsberger zu Ohren und er
ersuchte sofort das Bezirkskommissariat zu Lankowitz um
schleunigste Erhebung des Sachverhaltes und dessen Be-
kanntgabe durch einen Expreßboten. Am 31. d. M. gab
Georg Reichl von Lankowitz daselbst zu Protokoll, daß acht
Tage vor Ostern M. Prechtls Sohn, vom Vater geschickt,
zu ihm gekommen sei mit der Mitteilung, er komme soeben
vom Fleischer Kerbler in Köflach, dem er die Nachricht ge-
bracht habe, daß die Voitsberger von ihrem Magistrate die
Erlaubnis erhalten hätten, von den nächsten Ostern an das
Pfund Rindfleisch mit Zuwage um 5 kr. auszuschroten. Da-
mit diesfalls im Bezirke Gleichförmigkeit herrsche, sollen
auch sie als Nachbarn ein Gleiches tun. Das nämliche sagte
Kerbler aus. Voitsbergs Fleischer hatten es auch auf andere
Weise unternommen, ihren Rücken zu decken. Mitte März
sammelten sie bei der Bürgerschaft Unterschriften zu einer
Petition an den Magistrat um Erhöhung des Satzes. Dieser
sandte am 1. April Bericht und das Lankowitzer Protokoll
an das Kreisamt und bemerkte dazu, es gehe aus letzterem
klar hervor, daß die Forderung der Fleicher nur der Ge-
winnsucht entspringe.
Nach dem am 31. März empfangenen Bescheid traten
Franz Reichl und Georg Eckhart, welche nun die Schlach-
tung zu übernehmen hatten — die Woche lief von einem zum
andern Donnerstag — am 1. April in den Streik. Unver-
zügUch zeigte der Magistrat dies dem Kreisamte an und
griff dann für die Bevölkerung energisch ein. Am 2. April
vor den Rat geladen, erklärte Eckhart, er könne um den
gegebenen Satz nicht ausschroten, da er sonst bei den schon
geschlachteten zwei Ochsen 13 fl., und Reichl, daß er bei
einem auch schon geschlachteten Stück 6 fl. verlieren müsse.
Der Rat hielt fest an den 4V2 kr. und beschloß, die Auf-
rechthaltung der Taxe durch zwei Kommissäre überwachen
zu lassen. Reichl legte darauf mit den Worten: „Ich hacke
nicht aus um diesen Tax, mag ausschroten, wer will," seine
Bankschlüssel auf den Ratstisch und entfernte sich und
Eckhart schloß sich ihm an. Sodann wurde einhelhg be-
schlossen, es sei in jede Bank ein Sachverständiger zum
Ausschroten und ein Kommissär als Kassier zu stellen.
Hierauf ließ man die zwei anderen Fleischer holen, sie
des 18. Jahrhunderts. Von Friedrich Böser. 199
^^aren aber samt ihren Söhnen nicht auffindbar; aus der
gleichen Ursache konnte Reichl und Eckhart der Rats-
schluß nicht kundgetan werden. Zugleich wurden die „etwas
Kundigen", die Bürger Josef Hochhauser und Michael
Schaffer, mit je einem Kommissär zur Ausschrotung beordert.
Prechtl und Pahr sollten, weil sie auf zweimalige Vorladung
nicht erschienen waren, in den Arrest gebracht werden, was
aber „aus Mangel eines anständigen Zimmers" unterblieb.
Am 5. April fanden dann zwischen Rat und Fleischern
im Rathause Verhandlungen statt. Prechtl, als der älteste,
erklärte, sie glauben nicht gefehlt zu haben, denn sie haben
die Petition der Bürgerschaft, welche, entgegen dem Magi-
strate, den höheren Satz bewilligte, an das Kreisamt ge-
sendet und zugleich angezeigt, daß sie vom Gründonnerstag
an das Rindfleisch um 5 kr. geben. Übrigens wolle er, wenn
auch zu seinem Schaden, bis Erhalt des neuen kreisämt-
lichen Bescheides um 4 Vi kr. aushacken, wenn dieser nicht
zu lange ausbleibe. Die anderen schlössen sich dem an und
so war der Streik beendet. An demselben Tage auch wurden
die 23 Bürger und 6 Bürgerinnen, welche die nach magi-
stratlicher Bezeichnung „unter verschiedenen Vorwänden er-
schlichene Petition" unterschrieben hatten, einvernommen.
Da kamen allerlei Vorspiegelungen, der Partei angepaßt,
zum Vorschein. Der einen sagte man, es werde zu Pfingsten
vrieder billiger, der anderen, um diesen Preis könne man
nur schlechtes Fleisch geben, für Ostern aber wolle man
doch gutes haben; den Lederern und Schustern wurde bei
schwererem Vieh gutes Leder in Aussicht gestellt ; den Ver-
mögenden ward geschmeichelt, ihnen liege ja nichts an einem
halben Kreuzer; anderen wieder wurde vorgestellt, Kühe
seien nicht mehr zu bekommen und Ochsenfleisch könne
nicht so billig sein; denen aber, welche die Unterschrift
verweigerten, ward gedroht, daß sie dann gar kein Fleisch
erhalten. Am 6. d. M. bestätigte Reichl, als Nachschlächter
in der Woche, dem Magistrate den Empfang des bei der
Ausschrotung am 2., 3. und 4. vom Kommissär eingenom-
menen Geldes im Betrage von 22 fl. 30 kr. 3 Pf. und
ebenso am 7. Eckhart als Hauptschlächter die Ausfolgüng
von 83 fl. 7 kr. 3 Pf. nach Abzug 1 fl. für den Ausschroter,
beide mit einem Verzeichnisse des ausgehackten Fleisches
verständigt.
Am nämlichen Tage berichtete der Magistrat dem Kreis-
amte ausführlich über den Streik und dessen Verlaut. Es
200 Magistrat und Fleischerinnung zu Yoitsberg am Ende
habe den Anschein, daß vielmehr eine Verabredung der
Fleischer als wirkliche Viehteuerung zugrunde lag und die-
selben einen höheren Satz aus übertriebener Gewinnsucht
erzwingen wollten. Auch aus den zu Protokoll gegebenen
Äußerungen der Bürger über die Unterschrift zur Petition
gehe hervor, daß dieselben nicht aus Überzeugung den In-
halt bestätigten, sondern die einen aus Besorgnis, im Wei-
gerungsfalle gar kein Fleisch zu erhalten, die andern, weil
sie sich vor der Feindschaft der Fleischhacker fürchteten.
Der Magistrat und die gesamte Bürgerschaft bitten daher
um den Bestand der gegenwärtigen Taxe. Das Ereisamt
verfügte darauf am 11. d. M., daß der Fleischer Joh. Pahr
wegen eigenmächtiger Erhöhung des Satzes um 3 Reichstaler
und Mart. Prechtl überdies wegen Aufhetzung anderer
Fleischer um 6 Reichstaler zu bestrafen seien und dieser
Betrag von 14 fl. 30 kr. an das Kreisamt abgeführt werden
müsse. „Falls sich die Voitsberger Fleischer noch einmal
unterstehen sollten, den Fleischpreis eigenmächtig zu erhöhen,
werden sie mit doppelter Strafe belegt. Im Falle sie sich
aber erkühnen, das Ausschroten um den bestimmten Satz
zu unterlassen, ist gegen sie mit Abnahme ihrer Gerecht-
same und Verleihung dieser an solche, welche sich zur Be-
obachtung des Satzes bereit erklären, vorzugehen. Wenn
sich niemand hiezu einfindet, wird den benachbarten Flei-
schern der Absatz in Voitsberg gestattet." Der Magistrat
schärfte außerdem aus eigenem Antriebe mit Zuschrift vom
12. April an M. Prechtl, der sie seinen Genossen mitzuteilen
hatte, den Fleischern ernstlich ein, sich strenge an den
kreisämtlichen Erlaß vom 28. März zu halten. Aber diese
ruhten nicht, sondern gaben am 30. Mai durch Eckhart und
Reichl ihre Bitte um die Satzerhöhung auf 5 kr. zu Pro-
tokoll. Sonst könnten sie unmöglich mehr Rindfleisch aus-
schroten und dürften vielleicht schon in dieser Woche damit
nicht ausreichen. Der Magistrat ließ sich umstimmen und
bestätigte in der Vorlage des Protokolls an das Kreisamt.
daß der Vieheinkauf wirklich teuer sei und ein Zwang zur
Ausschrotung um 4% kr. bei dem Umstände, daß in Ligist,
Köflach und Lankowitz schon die Taxe von 5 kr. bestehe,
unbillig und wenig wirksam sei, weil die Bittsteller hiedurch
gezwungen würden, ihr Gewerbe niederzulegen. Um 4Vy kr.
pro Pfund werde gewiß niemand die Ausschrotung über-
nehmen, somit die Stadt gar kein Fleisch bekommen. Der
Satz von 5 kr. möge daher bewilligt werden mit dem Auf-
des 18. Jahrhunderts. Von Friedrich Böser. 201
trage, daß die Bevölkerung mit gutem, hauptsächlich aus
Ochsen gewonnenem Fleische versorgt, das Schaffleisch aber
um 4 kr. verabfolgt werde. Das wurde aber vom Kreisamte
am 7. Juni zurückgewiesen. Bis 1798 war das Pfund Rind-
fleisch auf 5 kr. gestiegen und am 19. April d. J. bewilligte
die Kreisbehörde den Preis von 5 Va kr. Die Fleischer hatten
sich an das Gubernium gewandt und dieses hatte die Er-
ledigung der Bitte an dieselbe abgetreten mit dem, in keinem
Falle die Erhöhung auf 6 kr. zu gewähren. Da sich aus den
Ausweisen sämtlicher Bezirkskommissariate ergab, daß das
Schlachtvieh nur etwas teuerer geworden war, so wurde
y2 kr. mehr zugestanden und der Magistrat beauftragt, die
Fleischer davon zu verständigen, daß an eine weitere Er-
höhung, solange die Umstände die gleichen bleiben, gar nicht
zu denken sei und jede eigenmächtige Überschreitung un-
nachsichtlich mit 12 Reichstalern bestraft werde. Aber nach
kurzer Zeit wiederholte sich die Bitte um 6 kr. Der Magi-
strat wies die Gesuchsteller an das Gubernium und dieses
wieder die Entscheidung an das Kreisamt. Dieses erklärte
am 6. Juli, die Angabe im Gesuche, daß der Satz im Brucker
Kreise 7 kr. betrage und der Viehpreis um ein Drittel, auf
18 bis 19 fl. pro Zentner, gestiegen sei, widerspreche der
Tatsache. In diesem Kreise seien nur in den Städten 6 V2 kr.
und auf dem Lande 6 kr. bestimmt und der Viehpreis stehe
bei weitem nicht so hoch. Die Grazer Fleischer müßten doch
das Fleisch ohne Zuwage um 6V2 kr. verkaufen und dabei
für jeden inländischen Ochsen 5 fl. und für den ungarischen
6 fl. 40 kr. Schlachtgebühr zahlen. Die Bittsteller hätten sich
an die genaue Befolgung des Satzes zu halten und der
Magistrat an die Geschäftsordnung, wonach er dieselben
nicht an die hohe Landesstelle, sondern an dieses vorgesetzte
Kreisamt zu weisen habe.
Da der Magistrat wiederholt beauftragt worden war,
das Gebaren der .'Fleischer strenge zu überwachen und der-
selbe am 9. Jänner 1799 berichtete, daß sie die genaue
Beachtung des Satzes zugesichert hätten, so ordnete das
Kreisamt, weniger vertrauensvoll, am 16. Jänner an, von
Zeit zu Zeit aufmerksam zu untersuchen, ob dieselben dem
Versprechen auch gewissenhaft nachkonunen und sich nicht
etwa mit unrichtigem Gewichte zu behelfen suchen. Über
diese Verordnung waren die Fleischer sehr ungehalten, so
daß sie, auf den 24. Jänner vor den Rat geladen, sich recht
widerwiUig zeigten. Reichl voran erklärte, er werde die
202 Magistrat und l'leisclierinnung zu Yoitsberg am Ende
jetzige FleischtÄxe nur bis Ostern halten und dann das Ge-
schäft gänzlich aufgeben, wenn nicht* mittlerweile der Satz
des Fleisches und Unschlitts erhöht werde oder ein Nachlaß im
Aufschlage stattfinde. Trotz allen Vorstellungen der schwercB
Folgen, der Geldstrafen, des Schlachtens auf seine Kostöi
des Verlustes der Gerechtsame und daraus folgenden Schadens
an seinem Vennögen, der beabsichtigten Einschränkung des
Frettertums — Pfuschertums — und Verminderung des Auf-
schlages, beharrte er dabei, denn das Vieh sei durch Kärntner
und Krainer Vorkäufer tatsächlich ungemein verteuert worden.
Eckhart fürchtete sich nicht vor der Schlachtung, weil er
billige Abhilfe hoife, nur könne er wegen Mangels an Bar-
schaft allein nicht arbeiten. Prechtl und Paar wollten sich
nicht widersetzen und blieben einstweilen beim Satze. Dar-
auf beschwerten sich alle über die Fretter. Aufgefordert,
diese anzugeben, baten sie um Bedenkzeit und nannten erst
am 28. Februar deren vier in benachbarten Pfarren, dann
alle Wirte in Kainach und überhaupt alle größeren Bauern,
welche Vieh schlachten und untereinander verkaufen. Der
Magistrat aber meldete am 2. Februar nach Graz, daß sich
die Fleischer nach vielen Bemühungen herbeiließen, die
gegenwärtige Taxe zu befolgen, in der Hoffnung auf Erhöhung
des Satzes oder auf billige Minderung des Aufschlages und
Aufteilung des Nachlasses auf die benachbarten Genossen.
Am 29. des nächsten Monats jedoch mußte er Reichl zur
Verantwortung ziehen, weil er in der Osterwoche das Pfund
Rindfleisch wirklich um 6 kr. verabfolgt hatte und so auch
Eckhart. Der erstere berief sich auf die plötzliche Preis-
steigerung des Hornviehes, da das Paar Ochsen seit Fasching
um 25 fl. mehr koste ; Eckhart bekannte sich ebenfalls der
Übertretung schuldig und gab an, daß sie beide dem Magi-
strate die Preiserhöhung anzeigen wollten, dies aber aus
Zufall unterblieb. Übrigens habe er als Nachschlächter wenig
verkauft. Beide erklärten in Zukunft den Satz so einzuhalten,
wie ihre andern Mitmeister. Um allen Weiterungen vorzu-
beugen, wurden auch Prechtl und Pahr vorgeladen. Ersterer
erklärte, er halte sich nur für die Woche vom 30. April an
auf acht Tage an die Taxe gebunden; der andere, den Satz
so wie bisher, so auch künftig halten zu wollen. Darauf
lenkte Prechtl ein und versprach, der Vorschrift bis zum
Eintreffen des kreisämtlichen Erlasses zu entsprechen. Der
Magistrat erstattete am 30. März über den Vorfall Bericht
ans Kreisamt und dieses erteilte demselben mit Erlaß vom
des 18. Jahrhunderts. Von Friedrich Böser. 203
8. April den Auftrag, daß er von Reichl und Eckhart wegen
-wiederholter eigenmächtiger Satzüberschreitung die Strafe
^von je 12 Reichstalern einzubringen und binnen 14 Tagen
A^om Datum des Dekretes an dem Kreisamte einzusenden
liabe, widrigens am 15. Tage dem Magistrate ohne weiters
^Militärexekution eingelegt werde bis zur Einlangung des
Strafbetrages. Übrigens werde man von nun an gegen die
^Fleischer die strengsten Maßregeln ergreifen, um den höch-
sten und hohen Vorschriften und den diesämtlichen Aufträgen
<iie pünktlichste Folgeleistung zu verschaffen. Bezüglich der
Tretter wurde der Magistrat angewiesen, sich an die be-
treffenden Bezirkskommissariate zu wenden, was er am
12. d. M. vollzog, indem er die von Greisseneck, Lankowitz,
Piber und Ligist ersuchte, denselben entweder das Handwerk
zu legen, oder wenn dies nicht leicht möglich, sie zur Ent-
richtung eines verhältnismäßigen Aufschlages heranzuziehen.
Am 17. April meldete der Magistrat dem Kreisamte, daß
die bestraften Fleischer zu Protokoll erklärten, dermalen den
Strafbetrag wegen Unvermögens nicht zahlen zu können. Es
fehle ihnen an Betriebsmitteln, daher müssen sie das Vieh
auf Kredit kaufen; ihr geringes Bargeld brauchen sie jetzt
bei Beginn der Feldarbeiten für die Taglöhner und andere
Erfordernisse. Sie bitten daher um Nachlassung der ganzen
Strafe. Das Kreisamt verfügte am 24., daß die dortigen
Fleischer wegen ihrer bisherigen auffallenden Widersetzlich-
keit keine Nachsicht verdienen, die Strafe ebenso gerecht
wie billig sei und der Magistrat dieselbe binnen acht Tagen
allenfalls durch exekutive Einlegung des Gerichtsdieners ein-
zutreiben habe. Obwohl dieses am 10. Mai ausgeführt wurde,
erfolgte die Zahlung doch nicht und das Kreisamt sendete
daher dem Magistrate am 25. Mai einen Soldaten als Exe-
kutionsmann gegen die Tagesgebühr von 6 kr. Die Fleischer
aber ließen sich nicht abschrecken und baten mittlerweile
am 21. Mai wieder um Erhöhung des Rind- und Kalbfleisch-
satzes auf 6 kr. Am 29. Mai darauf wurde der am 26. be-
zahlte Strafbetrag eingesendet mit der Anzeige, daß sich
die Fleischer nun an das Gubernium wenden wollen, und
nun erfolgte am 1. Juni die Aufhebung der Exekution. Das
Gubernium bewilligte laut Erlasses des Kreisamtes vom
9. Jänner 1800 auf Einraten des letzteren für das Rind-
fleisch allein 6 kr. Kaum war dies erreicht, erfolgte
am 12. Jänner schon abermals das Gesuch um Erhöhung
des Preises für das Kalbfleisch. Diesmal jedoch unterstützte
204 Magistrat und Fleischerinniing zu Yoitsberg. Von Fr. Böser.
der Magistrat das Begehren nicht, sondern gah seinem aus
den letzten Vorkommnissen erwachsenen Unmute in der Vor-
lage ans Kreisamt drastischen Ausdruck „Was die vor-
geschützten ,Fretter' betrifft, so sind die Fleischhacker
selbst daran schuld. Sie haben trotz \riederholten Aufträgen,
dieselben anzuzeigen, doch nur eine einzige Anzeige gemacht
und diese ganz unbestimmt . . . Das Traurigste bei der
ganzen Sache ist, daß, wenn die Fleischhacker auf dem
Lande ,im Tax' etwas gedrückt werden, sie die Mittel
wissen, das Publikum dafür auf eine weit empfindlichere Art
zu necken. Sie schlachten entweder nur ausgemerzte Stiere,
uralte Ochsen oder krachdürre Kühe, so daß man fast Ge-
fahr läuft, die Zähne zu verlieren; noch nicht genug, sie
stechen auch sehr wenige, mit dem Bedarfe in keinem Ver-
hältnisse stehende Kälber. Dadurch veranlassen selbe bei
dem Publikum nichts als Murren und Mißvergnügen gegen
die Obrigkeit. Indessen werden durch die Fleischhacker bei
der Nacht durch einen zweiten und dritten ganze Wägen
voll Kälber nach Grätz geführt." So Andreas Weißl, welcher,
in Voitsberg seit 1780 ansässig, als Chirurg seinen Beruf
daselbst ausübte, als Ratsherr seit 1786 wirkte und als
Stadtrichter seit 1789 amtierte und infolgedessen Leute und
Verhältnisse in der Stadt gewiß genau kannte.
Dentscblandsberg in den Jahren 1848 nnd 1849.
Von Br. Wilhelm Knaffl.
Das Deutschlandsberger Marktarchiv fand zum größten Teile
in dem steiermärkischen Landesarchive Aufnahme. Dieses
und die Gemeinderegistratur Deutschlandsbergs — letztere
nur in geringerem Maße — enthalten einige Aktenstücke,
welche sich auf die Jahre 1848 und 1849 beziehen und durch
die Erinnerungen des Herrn Josef Walin er, Gemeindevor-
stehers in Burgegg, damaligen Mitgliedes der Nationalgarde,
von deren Errichtung bis zur Auflösung in einigen Punkten
ergänzt werden.
Wenn auch nur einem kleinen Kreise der Leser das
Interesse für diese Aufizeichnungen zugemutet werden kann,
so ist dennoch anzunehmen, daß die jetzige und späteren Ge-
nerationen Deutschlandsbergs, sowie Freunde dieses Marktes,
den allerdings unbedeutenden Geschehnissen jener in immer
größere Ferne rückenden Zeit ihre Aufmerksamkeit zuwenden
werden.
Die Nachrichten über die Februarrevolution in Paris
und die Märzereignisse in Wien hatten allgemeine Erregung
hervorgerufen und sind auch an den Bewohnern dieses zu
jener Zeit von dem großen Verkehre abseits gelegenen
schönen Erdenwinkels nicht spurlos vorübergegangen.
Am Lande richtete sich der freigewordene Unmut in
erster Linie manchmal mit Recht, oft genug mit Unrecht,
gegen die Patrimonialbeamten, welche als Gegner und Be-
drücker angesehen wurden.
Schon am 20. März 1848 ging eine von 15 Deutsch-
landsberger Bürgern unterfertigte Eingabe an die Admini-
stration der fürstlich Franz und Friedrich von und zu Liechten-
steinschen Herrschaften und Gewerke in Graz mit dem Be-
206 DeutschlandHberg in den Jahren 1848 und 1849.
gehren ab : Der sonst hochangesehene Oberbeamte der Hen-
schaft Landsberg möge wegen seiner „Barschheit" gegen
Bürger und Untertanen versetzt werden.
An der Spitze dieser Administration stand der fürsthch
Liechtensteinsche Rat Joh. Mich. Pfisterer, eine biedere,
konziliante Natur, welcher sofort den zur Beruhigung der
Gemüter zweckdienlichen Weg einschlug.
Er berief für den 1. April 1848 im Rathause zu Deutsch-
landsberg eine Bürgerversammlung ein, verfügte sich von
Graz zu derselben und hielt eine eindrucksvolle Rede an die
Anwesenden, deren Konzept noch erhalten ist. Auch wurde
am gleichen Tage ein Bericht verfaßt.
Der Redner machte geltend, daß vielleicht in keinem
Zeitpunkte, wie gerade gegenwärtig, wegen der bedrängten
Zeitverhältnisse „inniges Vertrauen und feste Einigkeit in
einem Orte so notwendig ist". Mehrere Bürger seien bereits
von ihrem auf Abberufung des Oberbeamten gerichteten An-
suchen abgestanden und diese sowie der Marktvorstand er-
warten den gleichen Schritt von den übrigen Bürgern, und
zwar um so mehr, als der Oberbeamte, den Fehler einsehend,
vor dem Marktvorstande seine Hand zur Versöhnung gereicht
habe. In der Rede wird hervorgehoben, daß kein Ajoatsvor-
steher, der seine Pflichten erfüllt, jedem seine Wünsche er-
füllen kann und ein barsches Benehmen noch nicht der ge-
fährlichste Fehler sei.
Als Wirkung dieser Ansprache ist der bezeichnete Be-
richt anzusehen, dessen Hauptinhalt dahin geht: die 15 Ge-
suchsteller stehen mit Stimmenmehrheit von dem Begehren auf
Entfernung des Oberbeamten ab, erwarten jedoch, „daß dieser
sonst so redliche und geschickte Herr Oberbeamte in Hin-
kunft gegen die Bürger und übrigen Insassen eine humane
Behandlungsweise beobachte und bei Amtshandlungen mit
dem Gesetze auch Billigkeit verbinde". In dem Berichte wird
weiter erklärt, die Bürgerschaft sei bereit, sich mit den forst-
lichen Herren Beamten zu vereinen und „so bei der gegen-
wärtigen bedenklichen Zeit" nicht nur zur Aufrechthaltung
der öffentlichen Ruhe und Ordnung mitzuwirken, „sondern
auch das Eigentum Sr. Durchlaucht unseres guten Herrn
und Fürsten Franz von und zu Liechtenstein zu schützen "*.
Die Administration beantwortete diese Berichte mit dem
an den Magistrat Deutschlandsberg gerichteten Schreiben
vom 18. April 1848 wie folgt:
Von Dr. Wilhelm Knaffl. 207
Über das Einschreiten vom 20. März 1848 sprach sieh
der Fürst mit Handbillett ddto. Prag am 29. März 1848
dahin aus, daß die begehrte Transferierung erfolgen könne,
daß jedoch die Bürgerschaft die Ursachen speziell angeben
müßte, und daß man ohne Überweisung einen Beamten nicht
kränken oder verurteilen dürfe und könne. Die Versicherungen
der Liebe und Anhänglichkeit werden mit Freude zur Kenntnis
genommen, noch mehr sei der Fürst über die letzte Eingabe
vom 1. April 1848 erfreut, mit welcher das Begehren um
Übersetzung des Oberbeamten zurückgenommen wurde. Der
gute Geist der Bürgerschaft und der Sinn für Menschlichkeit
und Gerechtigkeit wird freudig anerkannt und in weiteren
freundlichen Worten die Haltung der Bürgerschaft belobt.
Der Administrator Pfisterer teilte dieses dem Magistrate
luit Vergnügen mit, hält den Gegenstand für abgetan, „findet
sich aber gleichzeitig veranlaßt, der ganzen dortigen Bürger-
schaft die weitere Versicherung zu geben, daß Seine Durch-
laucht unser edelster bester Fürst gewiß immer jeden ge-
rechten und billigen Wunsch und Begehren gerne erfüllen
werden, in welcher Beziehung auch sämtlichen Herren Be-
amten die nötigen bestimmten Verhaltungsmaßregeln, wie
bisher immer, wiederholt eingeschärft worden sind, daß sie
mit der Bürgerschaft im guten Einverständnisse leben und
so vereint unserer Aller Interessen fördern und die so nötige
Einigkeit kräftigen wollen".
Der Administrator schloß mit seinem persönlichen Dank
für das ihm geschenkte Vertrauen, verspricht für die Inter-
essen der Bürgerschaft sein Bestes beizutragen und freut
sich anläßlich des unangenehmen Falles sie „als rechtliche,
biedere und edle Bürger" kennen gelernt zu haben, ins-
besondere sei er erfreut, daß sie seine an die Bürgerschaft
gerichteten Worte nicht nur anhörten, sondern auch befolgten.
Die Beziehungen zwischen der Bürgerschaft und dem
Herrschaftsinhaber und dessen Beamten waren und blieben
die besten.
Ohne daß feste Anhaltspunkte vorliegen, erzählt die
Überlieferung: Eines Tages sei eine Gesellschaft von Herr-
schaftsuntertanen aus der unteren Gegend im Markte er-
schienen, um den Beamten eine der damals beliebten Katzen-
musiken darzubringen, welcher Versuch aber an dem energi-
schen Widerstände der Bürger scheiterte.
Ein Beweis für das freundliche Verhältnis der letzterea
zur Beamtenschaft kann wohl auch darin gefunden w^erden,.
208 Deutschlandsberg in den Jahren 1846 und 1849.
dafi kurze Zeit nach obigem Ereignisse die Mitglieder der
in Deutschlandsberg errichteten Nationalgarde den Bezirks-
kommissär und Ortsrichter Egner zu ihrem Hauptmanne
erwählten.
Selbstverständlich hat die Nationalgarde im Leben des
Marktes eine bedeutende Rolle gespielt. Die Beteiligung an
derselben war mit Rücksichtnahme auf die geringe Bevöl-
kerung von 610 Personen eine verhältnismäßig starke. Die
Errichtung wurde von der Landesstelle durch das k. k. Kreis-
amt Marburg mit dem Schreiben vom 18. Mai 1848, Z. 5722,
bewilligt und unter der Bezeichnung „Sicherheitswache" für
ebenso zweckmäßig als lobenswert anerkannt und gebilligt.
Aus einem Berichte des Magistrates an die Bezirks-
obrigkeit vom 4. Juni 1848 ist zu ersehen, daß der Stand
der Garde 45 Köpfe betrug und daß man auf eine Ver-
mehrung bis zu 60 Mann hoffte, welche Hoflftiung auch in
ErfttUung ging.
Als Bewaffnung wurden einstimmig Kugelstutzen mit
Haubajonett, jedoch der hohen Kosten wegen nur flir 20
geübte Schützen, für die übrigen Garden aber Säbel, und
zwar 20 Stück bestimmt, welcher Beschluß die Genehmigung
des Kreisamtes erhielt.
Die Anzahl der Mitglieder nahm rasch zu. Im August
1848 schloß der Magistrat schon Akkordverträge ab mit
Ignaz Just, Gewehrfabrikanten in Ferlach, auf Lieferung von
30 Stück Gardestutzen k 13 fl. 30 kr. Konv.-M., mit Johann
Feichtinger, Riemermeister in Graz, wegen Lieferung von
30 Stück „Gardekartuschen samt Steckkuppeln aus schwar-
zem Leder", die Kartusche mit einem messingenen Ketterl
„samt Raumendel"* versehen, ä 2 fl. Konv.-M., und 30 Stück
Gewehrriemen aus schwarz lackiertem Leder ä 36 kr. Konv.-M.
Die Beistellung der 20 ordinären Infanteriesäbel mit
Scheiden und Umhängriemen übernahm Ignaz SchaflFernagg.
bürgerlicher Lederermeister in Deutschlandsberg, zum Preise
für das Stück mit 2 fl. 20 kr. Konv.-M.
Unterm 23. September 1848 berichtet das Deutsch-
landsberger Kommando an das Nationalgarde-Oberkommando
in Graz : Der Stand betrage 62 Mann, wovon 30 mit Stutzen
samt Haubajonett, die übrigen 22, der Tambour und die
9 Chargen mit Säbel bewaffnet seien.
Daß Fahne und Musikerbanda nicht fehlten, bedarf
keiner besonderen Erwähnung. Sogar eine Kanone bildete
den Bestandteil der Nationalgarde von Deutschlandsberg.
Von Dr. Wilhelm Knaffl; 209
Ein Verzeichnis der Garden vom 27. Dezember 1848
ist noch erhalten.
Kommandant war Egner Josef, Ortsrichter, Ober-
ieutnant Ignaz Schaffemagg, Lederermeister und Haus^
T)esitzer, Unterleutnant Alexander Sladek, Gericfatsaktuar
in Feilhofen, Arzt Josef Millhans, Kapellmeister Lorenz
Strohmayer, Schullehrer, Kaplan Vinzenz Volkmayer,
Oberjäger Michael Fritzberg (Friz Edler von Frizberg)*
und Johann Scherdan, Unterjäger Josef Göbel, Rupert
Kortschak, Andrä Reichmann und Karl Rigold, Tambour
Vinzenz Urrag, Gardisten Franz Alker, Johann Baum-
gartner, Josef Bachfischer, Alois Dengg, Matthias Ehler,
Michael Friesacher, Leopold Gärtner, Liberius Hohl, Franz
Hohl, Anton Hiras, Thomas Kratter, Josef Kugler, Franz
KoU, Eduard Kühn, Josef Kowanda, Matthias Kasper, Johann
Kasper, Michael Mayer, Johann Mtthlbacher, Benedikt Ober-
länder, Andrä Reichmann, Josef Reichmann, Anton Reisinger,
Josef Ruderer, Wilhelm Schmalz, Johann Schweighofer, Anton
Slowak, Josef Treiber, Johann Wohl&hrt, Josef Waldherr
und Emanuel Oppelt; Bandisten Ignaz Dengg, Josef
Gries, Anton Gosche Liberius Hohl, Matthias Polz, Johann
Strohmayer, Josef Strohmayer, Matthias Strohmayer, Halb-
wirtsohn, Karl Urrag und Josef Wallner.
Es werden noch 5 Mit^eder angefahrt, darunter 2 mit
der Bezeichnung übersiedelt, 2 als ausgestoßen und einer
in der Fremde.
Die Uniformierung der Nationalgarde in Deutschlands-
berg bestand in lichtgrauen Röcken mit grünen Aufschlägen,
dunklen Beinkleidern und schwarzen, zur Hälfte au%ekrempten
Federhüten. Die Offiziere hatten Goldsterne, der Kapellmeister
eine goldene Rose, die übrigen Musikanten eine Lyra zur
Auszeichnung an den Aufschlägen angebracht, und erstere
trugen Schlepp-, letzterer gewöhnliche Säbel. Der Korpsarzt war
zum Unterschiede mit einem langen gelben Rock bekleidet.
Deutschlandsberg, Schwanberg und Amfels bildeten
Schützenkompagnien und hatten dieselbe Adjustierung. In
St. Florian bestand eine Nationalgarde nicht.
Für den größten Teil der Kosten, insbesondere der Be-
waffiiung, kam die Marktgemeinde auf, weshalb der Magistrat
1 Michael Friz Edler von Frizberg, der letzte Marktrichter von
Deutschlandsberg 1848, 1849 und 1850, entstammte einem alten Vor-
arlberger Adelsgeschlechte, machte aber von dem ihm gebührenden
Prädikate nach Ankauf der Brauerei keinen. Gebrauch.
14
210 Deutschlandsberg in den Jahren 1848 und 1849.
in dem Inventar vom 31. Dezember 1849 als Eigentum der
Gemeinde
80 Stück Gardestutzen samt Haubajonett mit 405 fl. — kr. K.-M.
20 „ Säbel mit 46 „ 40 „ ,
30 „ Kartuschen mit 60 „ — ' „ „
anführt.
Auch Musikinstrumente sind aus dem Säckel der Ge
meinde bezahlt worden. Zum Beispiel bestätigt der bürger-
liche Instrumentenmacher Ignaz Mayer am 6. Juni 1848 vom
Magistrate Deutschlandsberg für ein vom Schullehrer Herrn
Strohmayer bestelltes „Baß-Pumperton von der besten und
größten Gattung samt Mundstück und Fundament" den Be-
trag von 45 fl. Konv.-M. erhalten zu haben.
Die Uniformen leisteten sich die Garden selbst, die
Auslagen für die Bekleidung der „Banda", Beistellung der
Fahne u. s. w. wurden durch Sammlungen und Veranstaltung
von Unterhaltungen aufgebracht.
Nach einer undatierten und nicht unterfertigten Rech-
nung haben die Bürger und Honoratioren des Marktes für
die Uniformierung der Kapelle 129 fl. 20 kr. Konv.-M. ge-
zeichnet. Die im Fasching 1849 bei Fritzberg, Göbl und
Reichmann veranstalteten Tanzunterhaltungen lieferten zu
dem gedachten Zwecke ein Reinerträgnis mit 33 fl. 20 kr.
Konv.-M. und die Abtretung einer Kurkostenforderung seitens
des Distriktsarztes Dr. Rökenzaun brachte einen Betrag von
10 fl. Konv.-M.
Die Kapelle erforderte einen nicht geringen Aufwand,
denn die 15 Stück Uniformröcke ä 15 fl., 16 Federbtlsche
ä 2 fl. und 16 Sturmbänder beanspruchten eine Gesamt-
summe mit 258 fl. 36 kr. Konv.-M.
Der Deutschlandsberger Hutmacher Franz Ehler lieferte
für die „Banda" 13 Stück schwarze „Korsohüte", wofür er
vom Kommando 26 fl. Konv.-M. erhielt.
Die zirka 2 Meter lange Gardekanone, deren Ursprung
nicht mehr festgestellt werden konnte, mußte in einen ent-
sprechenden Stand versetzt werden. Es sind Ausgaben !für
das Beschlagen des „Gestelles", Schlosserarbeiten, Farben
und Firnis zum Anstreichen und dergleichen Dinge verzeichnet
Pulver und auch Blei wurden nicht wenig verbraucht.
Obwohl die Opferwilligkeit der Bürgerschaft keine ge-
ringe war, mußten die Mitglieder der Garde nicht nur für
Von Dr. Wilhelm Knaffl. 211
ias eigene Institut monatliche Beiträge leisten, sondern auch
LXLr Bestreitung der Kosten der Oberkommandokanzlei aller-
iings pro Mann nicht mehr als 3 kr. Konv.-M. subskribieren.
Ungeachtet dessen verschloß sich die Deutschlandsberger
Nationalgarde nicht der Mildtätigkeit. Im Jänner 1849
schickte dieselbe an das Kommando in Mureck anläßlich
eines Brandunglückes 1 2 fl. 20 kr. Konv.-M. und für einen
Garden in Burgau, welcher durch Feuer alles verlor, wurde
ebenfalls ein Beitrag erbeten.
Das Selbstbewußtsein der Nationalgarden mußte durch
die behördlichen Verfügungen gehoben worden sein.
Die Kurrende des k. k. steiermärkischen Landesprä-
sidiums gibt bekannt, daß diejenigen, welche unbefugt die
Uniform oder ein Abzeichen der vereinigten Nationalgarde
tragen, nach § 178 lit. b des I. und des § 88 des IL Teiles
des Strafgesetzes und nach der mit Hofkammerpräsidialdekret
Yom 29. März 1816, Z, 1224L.-G.-S. kundgemachten Aller-
höchsten Entschließung zu bestrafen sind.
Die Kurrende ebendesselben Präsidiums vom 14. Sep-
tember 1848 erklärt die Nationalgarde als öffentliches
Organ und behandelt die Strafbestimmungen in bezug auf
etwaige gegen diese vorkommende Widersetzlichkeiten.
Der auch nach Deutschlandsberg an die Garde gelangte
Tagesbefehl des Oberkommandanten der vereinigten National-
garde in Steiermark, General Pürker ddto. Graz am 9. August
1848 hebt hervor: Die Nationalgarde sei ein Staatsinstitut,
hervorgerufen durch die Konstitution, sie habe die weitere
Ausbildung der letzteren und die von ihr ausgehenden Ge-
setze zu schirmen, sowie die Sicherheit der Person und des
Eigentums zu erhalten.
Das Gardeleben war vielfach insbesondere in der ersten
Zeit ein bewegtes. Exerzieren, Scheibenschießen, Patrouillen-
I gänge, Beteiligung an Festlichkeiten und Ausflügen wech-
I selten ab.
Im November 1848 berichtete das Kommando an das
1 Nationalgardeoberkommando in Graz, die Mannschaft sei
I mit den Kugelstutzen bereits einexerziert, müsse jedoch auch
I mit dem Schießen vertraut werden, weshalb um unentgelt-
i liehe Einsendung von 1000 Patronen gebeten wird, da die
t Gemeinde für die Armierung schon 600 fl. ausgegeben und
I die Garden die Kosten der TJniformierung selbst getragen
haben. Das k. k. Generalkommando erklärte nur gegen Be-
J Zahlung des Limitopreises dem Ansuchen entsprechen zu
14*
212 Deutschlandsberg in den Jahren 1848 und 1849.
können. Die Nationalgarde entschloß sich, 25 Pfund feinen
Pulyers zu dem limitierten Preise zu kaufen und zur Kosten-
ersparung die Patronen selbst anzufertigen.
Auf die Scheibe wurde im alten Schlosse von der
Bernauerruhe hinauf gegen den Wald geschossen.
Der aufgeregte Zustand der Bevölkerung erforderte erhöhte
Wachsamkeit. Von dem k. k. Ereisamte Marburg war zwar der
Magistratsbeamte Kortschak mit der Polizeiaufsicht im
Markte betraut und beauftragt, wegen der unruhigen Zeiten
mit Umsicht und Strenge für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Allein derselbe stellte die Patrouillen ein, weil er mißhandelt
und der Täter nicht bestraft wurde, Bauern und Knechte
ihn bedrohten und auch einzelne Bürger sich über die Kon-
trolle der Gasthäuser aufhielten. So war es denn wohl Auf-
gabe der Garde, die Gemüter zu beruhigen, Ausschreitungen
vorzubeugen und dieselben zu unterdrücken.
Daß zur Frohnleichnamsprozession ausgerückt und bei
Festlichkeiten mitgewirkt wurde, ist selbstverständlich.
Insbesonders großartig gestaltete sich die Feier des
Namensfestes des Kaisers am 18. August 1849. Die Bürger-
schaften von Deutschlandsberg und Schwanberg versammelten
sich in HoUenegg, die Nationalgarden beider Orte zogen mit
ihren Musikchören in die Schloß- und Pfarrkirche, wo das
Hochamt gehalten wurde. Nach demselben fand vor dem
Schlosse die Parade statt, welche durch ein in wenigen
Bü! gershäusem noch vorhandenes Bild verewigt ist. Diese
Aufnahme ist in neuester Zeit auch für Ansichtskarten ver-
wendet.
Im Vordergrunde sind der sehr beleibte Schwanberger
Hauptmann Arzt Wer Olli, dann der Landsberger Gardearzt
Millhans und Hauptmann Egner sichtbar, welchen der
Oberleutnant Schaffernagg mit gesenktem Säbel Rapport
erstattet. Rechts stehen in ansehnlicher Reihe die beiden
Nationalgarden mit Fahne und Musik, links die Deutsch-
landsberger Gardekanone und Publikum. Abgeschlossen vrird
die Darstellung durch das Schloß HoUenegg.
Eine Aufzeichnung gibt Kunde von dem bedeutenden Ver-
brauche an Pulver bei diesem Feste durch die Landsberger Garde.
Nicht weniger als 230 blinde Patronen und eine große Anzahl
Kanonenpatronen wurden verschossen. Der als Vertreter der
Landsberger Artillerie fungierende Amtsdiener Kowanta
setzte sich beim Abfeuern der Kanone auf dieselbe und be-
Von Dr. Wilhelm Knaffl. 213
zahlte dieses Unternehmen durch den erlittenen Stoß mit
einem Falle zn Boden, ohne übrigens Schaden zu nehmen.
Nach der Parade wurde auf die körperliche Stärkung
nicht vergessen. Bei dieser Verbrüderung der beiden Garden
muß es hoch hergegangen und dem Schilcher stark zuge-
sprochen worden sein, denn am Eückmarsche der Deutsch-
landsberger gerieten nicht wenige der Garden ungeachtet
des mahnenden Kommandos des Hauptmannes „Habt acht'^
mit dem Straßengraben in eine bedenkliche Bekanntschaft,
Am 11. September 1849 ergeht von dem Nationalgarde-
kommando in Leibnitz an das Deutschlandsberger Kommando
die Einladung, sich zum Emp&nge Seiner Majestät unseres
ji^endlichen Kaisers einzufinden. Die Ausrückung finde Sonn-
tag den 16. September, 7 Uhr früh, statt. „Die Gelegenheit,
unseren jugendlichen Kaiser das erstemal zu sehen und als
Landesherm zu begrüßen, wird kein wackerer Patriot un-
benutzt vorübergehen lassen", heißt es in dem Schreiben.
Die Deutschlandsberger Garde beteiligte sich am bestimmten
Tage mit einer starken Abordnung an der Huldigung. Der
noch lebende Gemeindevorsteher Wallner versah das Amt
des Trompeters.
Doch nicht nur bei patriotischen Festen war die National-
garde immer zu finden, auch das Vergnügen blieb nicht
vergessen.
Außer den bereits erwähnten Tanzunterhaltungen ist
die Veranstaltung von Ausflügen nachweisbar. Das einemal
wählte sich die Garde als Ziel der kriegerischen Operation
den Dengg-, nun Schleicherschen Weingarten in Burgegg,
wo der Magnet, die schöne Tochter Elisabeth, hauste. Nach
den Regeln der Taktik wurde ein klug ausgeheckter An-
griff auf das Weingartenbaus inszeniert und dasselbe im
Sturm genommen. Der Lohn für diese Tat blieb nicht aus.
Der Schilcher floß in Strömen. Dieser Erfolg ermutigte zu
neuen Unternehmungen.
Am Eingange der Klanrni in Burgegg, der Perle von
Dentschlandsberg, erbaute Herr v. Frizberg eine idyllisch
gelegene Bierballe, deren Umgebung noch nicht durch In-
dustriebauten um den ländlichen, stimmungsvollen Reiz ge-
bracht war. Nichts lag näher, als auch diesem einladenden
Objekte die militärische Aufinerksamkeit zuzuwenden. Die
beim Denggschen Weingarten durch die günstigen Erfahrungen
2U Deutschlandsberg in den Jahren 1848 und 1849.
erprobten Operationen erlebten eine neue Auflage. Wieder
Sturm und wieder Sieg mit schließlichem Konsum von un-
endlichen Bierquantitäten.
Diese nahen Ziele genügten jedoch der Grarde nicht
mehr, es mußte weitergestrebt werden. Die Bürgerschaften
von Deutschlandsberg und 6roS-St. Florian waren und sind
immer alliiert und in guter Freundschaft.
Daher erscholl der Ruf „Auf nach St. Florian", welchem
Rufe bereitwilligst Folge geleistet wurde.
Mit zahlreicher Mannschaft rückte die Garde von Deutsch-
landsberg im Nachbarorte ein. Der Empfang war ein glänzender,
es beduifte keines Sturmangriffes. Das Hauptquartier wurde
im altbekannten Grasthof zum „Weißkopf* angeschlagen. Die
Landsberger und Florianer fanden es dort so gut und an-
nehmlich, daß ihnen die Vornahme von weiteren Rekognos-
zierungen ganz überflüssig erschien. Dieses mußte aber ge-
büßt werden. Denn der Feind lag im Hauptquartier, im
Keller des Gasthofes selbst. Sämtliche kriegerischen Recken
erlitten eine jämmerliche Niederlage. Nach stundenlangem
Pokulieren erreichte die Begeisterung eine solche Höhe, daß
nach der Sitte der damaligen Zeit sämtliche Gläser den
Untergang fanden und wegen Mangels an Gefäßen die Fort-
setzung des Festes unterbunden war. Die Deutschlandsberger,
auf das Haupt geschlagen, waren genötigt, den Heimweg an-
zutreten.
Daß auch mit der Schwanberger Nationalgarde außer
beim Kaiserfeste in Hollenegg 1849 Zusammenkünfte statt-
fanden, kann bei der bestandenen Eintracht als sicher an-
genommen werden.
Ungeachtet dieser vielen teils ernsten, teils harmlosen
Betätigungen werden frühzeitig Zeichen der Sorge oder Un-
lust bemerkbar.
Schon unterm 28. August 1848 berichtet das Deutsch-
landsberger Kommando an das Oberkommando, es verbreite sich
der Wahn, die Garden, unter welchen viele Familienväter und
Gewerbsleute sind, werden zu externen Diensten verwendet
werden, weshalb um eine beruhigende Erklärung ersucht wird.
Die Antwort darauf erfolgte dahin, Ortschaften unter 1000
Seelen seien nicht verpflichtet, eine Nationalgarde zu errichten,
daher die Aufstellung der Garde in Deutschlandsberg nur
guter Wille sei und deshalb die Verwendung außer dem Be-
Von Dr. Wilhelm Knaffl. 215
zirke niöht stattfinden könne ; zudem sei dieselbe ein lokales
Institut und habe für die Aufrechthaltung der Kühe und
Ordnung ausschließlich im eigenen Bezirke zu sorgen.
Ein gedruckter Tagesbefehl des Oberkommandos vom
2. Dezember 1848, welcher auch an das Deütschlandsberger
Kommando gelangte, teilt den Beschluß . des Verwaltungs-
rates mit, daß, nachdem viele Herren Garden durch Dienst-
verweigerung die Last den fleißigen Herren aufbürden, der
•sich dem Dienste Entziehende vor die Kompagniejury zu
laden und im ersten Fälle üiit einem Verweise, im zweiten
Falle mit einer Geldstrafe, im dritten Falle aber durch Aus-
schluß unter Anzeige an das Oberkommando zur weiteren
Amtshandlung zu bestrafen sei. Letzterer müsse wegen des
öffentlichen Charakters des Wachdienstes auch dem Publikum
zur Kenntnis gebracht werden.
Diese Erscheinungen standen offenbar im Zusammenhange
mit den politischen Ereignissen. Die Unruhen in Wien, welche
ihr Ende mit dem Oktoberaufstande fanden, die Kriege in
Italien und Ungarn, die von Graz angestellten Versuche,
den Landsturm zugunsten der Wiener zu organisieren, mögen
tiuf die Garden deprimierend und abkühlend gewirkt haben.
• Obwohl die Rechnungsaufschreibungen nicht vollständig
vorhanden sind und über die Geldgebarung kein genaues
Bild geben, so läßt sich doch so viel entnehmen, daß das
Hauptbuch, enthaltend die wöchentlichen Einlagen der Garden,
mit August 1848 beginnt und im Dezember 1849 schon endet.
Wenn nicht noch andere in Verlust geratene Rechnungen
in dieser Richtung existierten, muß ein frühzeitiges Erlahmen
der Opferwilligkeit gefolgert werden.
Zu keinem anderen Schlüsse kommt man bei Betrach-
tung des Journals über Einnahmen und Ausgaben. Dasselbe
nimmt den Anfang im Monate September 1848 und endet
mit 21. April 1850.
Die letzten Einlagen der Garden sind im September
1849 verzeichnet, die weiteren Einnahmen stellen sich der
Hauptsache nach aus dem Verkaufe von Pulver an Private,
die Schützengesellschaft und zur Osterfeier zusammen.
Die Schlußrechnung vom 21. April 1850, an welchem
Tage der letzte Verkauf von Pulver eingetragen erscheint,
ergibt eine Barschaft von 23 fl. 39 kr. Konv.-M.
Da Kortschak für die „Teller" (Tschinellen oder Becken)
der Musikbande 80 fl. Konv.-M. zu fordern hatte, blieb ein
Abgang mit 6 fl. 61 kr. Konv.-M.
216 Deutschlandsberg in den Jahren 1848 und 1849.
Der Tag der formellen Auflösung der Nationalgarde in
Deutschlandsberg ist nicht bekannt.
Mit dem kaiserlichen Patente vom 22. August 1851,
Z. 191 R.-Gr.-BL, wurden die unter dem Namen der National-
garde bestehenden bewaffneten Körper, wo sie innerhalb des
Reiches noch bestehen, von nun an außer Wirksamkeit gesetzt.
Nachdem ein an den Bftrgermeister von Deutschlands-
berg gerichtetes Dekret der k. k. Bezirkshauptmannsehaft
Stainz schon unter 4. September 1851 auffordert: Mitglieder
der bestandenen Nationalgarde namhaft zu machen,
welche sich während der Wirksamkeit dieses Institutes
durch patriotischen Eifer und die Handhabung der öffent-
lichen Ordnung und Gesetzlichkeit mehr oder minder be-
kannte Verdienste erworben haben, diese Bezirkshaupt-
mannsehaft aber vom Gemeindevorstande im Sinne obigen
Patentes erst am 20, Oktober 1851 die Ablieferung der
Waffen, Fahne und Trommel entweder an das k. k. Garni-
sonsattilleriedistriktskommando in Graz oder an erstere^
und die Übergabe der Akten zur Aufbewahrung begehrte,
dürfte die Annahme nicht ungerechtfertigt sein, die National-
garde in Deutschlandsberg habe vor dem 22. August 1851 ihr
Ende erreicht.
Nach dieser kaiserlichen Verordnung war der Wert
der auf eigene Kosten angeschafften und noch verwendbaren
Waffen im administrativen Wege zu ermitteln und den be^
treffenden Eigentümern (Gemeinden oder einzelnen) zu ver-
güten.
Ende November 1851 schickte die Marktgemeinde an
das Distriktskommando 29 Stück Gardestutzen samt Hau-
bajonett mit Scheiden und fragte an, ob auch Riemen und
Kartuschen gegen Entschädigung übernommen würden, was
verneint wurde. Die k. k. Bezirkshauptmannsehaft Stainz
reklamierte unterm 28. Dezember 1851 beim Gemeindevor-
stande die Ablieferung des noch fehlenden einen Stutzen,
der Trommel, der Fahne und der Kanone oder Nachweis
der erlangten Nachsicht der Ablieferung. Auch die Übergabe
der Akten wurde betrieben.
Nach eineiö, geraume Zeit in Anspruch nehmenden
Hin^ und Herschreiben erhielt die Marktgemeinde endlich
von der k.k. Bezirkshauptmannsehaft Stainz uhterm 9. No-
vember 1858 die Verständigung, daß fllr die 29 Stücke in
Messing montierte Stutzen mit Bleehbeschlägen und glatten
Läufen, Haubajonett, Ladöstöcken und Scheiden für das
Von Dr. Wilhelm Knaffl. 217
Stück anstatt der beanspruchten 10 fl. nur 4 fl. 30 kr., somit
zusammen 130 fl. 30 kr. Konv.-M. zugesichert seien. Die
Auszahlung dieses Betrages erfolgte gar erst am 23. Mai 1854.
Die große Trommel blieb im Besitze der Marktgemeinde
und wurde noch im Jahre 1 883 anläßlich des Kaiserbesuches
von der Marktmusik verwendet. Die weiß-grttne Fahne der
Nationalgarde verwandelte sich in zwei Kirchenfahnen und
die Kanone nahm ein wenig rühmliches Ende als altes Eisen
heim Hammerschmied Treiber.
Die Wahlbewegung scheint in Deutschlandsberg keine
besonders lebhafte gewesen zu sein, wenigstens sind darüber
nicht viel Aufzeichnungen zu finden.
Interessant ist die Tatsache, daß im Gegensatze zu
unserer Zeit im März 1848 das Konsistorium den gesamten
Klerus der Diözesen Seckau und Leoben aufforderte, in
Wort und Tat sich fem zu halten von aller Einmischung
in die politischen Ereignisse, und vorzüglich sei dies in den
Predigten zu beobachten, rücksichtlich welcher dem Klerus
mit allem Nachdrucke nicht nur jede Erwähnung politischer
Gregenstände, sondern auch alle persönlichen Anspielungen
und andere Ausfälle emstlichst untersagt werden, (Gatti,
Ereignisse des Jahres 1848 in der Steiermark, pag. 25).
Der provisorische Landtag wurde, vom steiermärkisch-
ständischen Ausschusse unterm 19. Mai 1848 für den
13, Juni 1848 nach Graz ausgeschrieben. Der Markt Deutsch-
landsberg hatte einen Wahlmann zu wählen.
Laut WahlprotokoUes des Magistrates vom 30. Mai 1848
waren Mitglieder der Wahlkommission Matthias Jauk, Dechant,
Michael Fritzberg, Rupert Kortschak, Josef Milhans, Ignaz
Schaffemagg, Liberius Hohl, Josef Göbl und Andreas Reich-
mann. Abgegeben wurden 43 Stimmen, von welchen 34
auf Michael Fritzberg (Friz Edler von Frizberg) entfielen.
Behufs Wahl des Abgeordneten hatte sich derselbe zum
Kreisamte Marburg zu verfügen. Die bürgerlichen Gemeinden,
insofeme sie nicht selbst allein einen Abgeordneten zu Wählen
hatten, wählten durch Wahhnänner kreisweise. Den Städten
und Märkten des Marburger Kreises, mit Ausschluß von
Marburg und Pettau, waren zwei Abgeordnete gewährt. Ge-
wählt wurden Dr. Johann Gottweiß und Dr. Stefan Kotschevar,
als deren Ersatzmänner Jakob Kruschnik und Dr. ;Peler
Trümmer.
Für die Wahl zur konstituierenden deutschen National-
versammlung in der freien Stadt Frankfurt a. M. War Steiert
218 Deutsclilandsberg in den Jahren 1848 und 1849.
mark in 16 Wahlbezirke mit durchschnittlich 50.000 Ein-
wohnern eingeteilt.
Die Bezirke Deutschlandsberg, EiUswald, KinnhofeiL
Mahrenberg, Amfels, Trautenburg, Burgstall, Schwanberg mit
HoUenegg, Wildbach, Seckau, Waldschach, Harrachegg, Glein-
stätten und Welsbergl bildeten einen Wahldistrikt mit dem
Hauptorte Gleinstätten.
Bei der am 8. Mai 1848 in Gleinstätten ebenfalls durch
Wahlmänner stattgefundenen Wahl ging Dr. Guido Pattai
als Deputierter hervor. Derselbe kehrte unter den Steierem
als letzter von Frankfurt a. M. zurück.
Das größte Interesse brachte man den Wahlen in den
österreichischen Reichstag entgegen. Nach der Yerfassiings-
Urkunde vom 25. April 1848 hätte der Reichstag aus einem
Senate und der Kammer mit 383 gewählten Mitgliedern be-
stehen sollen. Infolge der Maiereignisse in Wien erschien die
Proklamation vom 16. Mai 1848, mit welcher bestimmt
wurde, daß fllr den ersten Reichstag nur eine Kammer, und
zwar ohne Zensus der Wähler behufs Beratung der Verfassung
vom 25. April 1848 und der Wahlordnung zu wählen sei.
Mit dem Zirkulare des Magistrates Deutschlandsberg vom
27. Mai 1848 erhielt jeder Wahlberechtigte einen Wahlzettel,
worauf er jene zwei Herren anzusetzen hatte, welchen die Wahl
des Deputierten fllr den Reichstag oblag. Die Wahl der Wahl-
männer erfolgte am 30. Mai 1848 in der Kanzlei der Be-
zirksobrigkeit in Feilhofen.
Die Namen der gewählten Wahlmänner sind nicht be-
kannt.
Im Marburger Kreise waren Wahlorte: Marburg,
Pettau, Leibnitz und St. Leonhard in Windischbtlheln ; die
Wahl fand am 20. Juni 1848 statt.
Der Markt Deutschlandsberg hatte in Leibnitz zu wählen.
Als Reichstagsabgeordneter wurde in diesem Wahlorte
Josef Halm, Färber in St. Florian, erkürt.
Die Wahlen in dem Markte Deutschlandsberg gingen in
der größten Ordnung vor sich, womit aber nicht gesagt sein
soll, daß anderwärts ein Gesetz zum Schutze der Wahlfrei-
heit ganz unnütz gewesen wäre. So wurde beispielsweise in
der Nachbargemeinde Burgegg Josef Wallner, der Vater des
eingangs erwähnten Gewährsmannes Herrn Josef Wallner,
zum Wahlmann gewählt. Derselbe war auch herrschaftlicher
Von Dr. Wilhelm Knaffl. 219
Robotschaffer, was das Mißtrauen der bäuerlichen Wähler
gegen ihn erweckte, da sie unter der Reorganisation Öster-
reichs nur die Abschaflfung des Zehents, der Robot etc.
verstanden.
Kurz vor der Wahl erschienen etwa dreißig Bauern aus
der Lebinger Gegend bei der Behausung des Josef Wallner
und erzwangen die Herausgabe der Legitimation, so daß
derselbe an der Wahl nicht teilnehmen konnte.
Nach den wenigen aus der fraglichen Zeit zur VerjFügung
stehenden Akten und der Tradition dürfte geschlossen werden,
daß die Deutschlandsberger in ihrer Mitte keine treibenden
radikalen Elemente hatten, weshalb die Vorgänge mehr den
Eindruck konservativer Gesinnung machen. Anderseits ist
aber nicht zu verkennen, dem heute so sehr aufblühenden
Gemeinwesen standen auch damals leitende Männer zur Ver-
fügung, welche den Erscheinungen des beginnenden öffent-
lichen Lebens gegenüber nicht teilnahmslos blieben.
Zur Wappendrimg „Bürgerlicher".
Berichtigungen und Ergl^nzungen zum gleichnamigen Aufsatze in dem
vorigen Hefte.
Im Torigen Hefte wurde des Prozesses Erwähnung getan, in dem
der Inhaber eines heraldischen Institutes und Herausgeber einer zwei-
bändigen Genealogie bürgerlicher Familien Österreichs, Herm. Hermann,
in Wien verurteilt worden war. Prozeß und Verurteilung waren gleich
merkwürdig und schon die Zeitungsberichte ließen erkennen, daß die
Ankläger (Ministerium des Innern und Staatsanwalt) si^h nicht klar
und nicht einig waren, wie vorzugehen wäre. So ließ letzterer den
monatelang vorbereiteten Teil der Anklage plötzlich fallen, dessentwegen
sich das Ministerium in Bewegung gesetzt hatte, so daß schon dadurch
allein die eigentliche „Wappenfrage" entschieden war. Es blieb nur
mehr die Schädigungsanklage aufrecht (im ganzen handelte es sich um
2600 Kronen), die die Geschworenen, die eine Menge Worte von der
Gefährlichkeit eigenmächtiger > Wappenannahme vorher gehört hatten,
in ihrer Mehrheit mit „schuldig" beantworteten. Der Verurteilte hat
nun in einem ziemlich umfangreichen und lesenswerten Buche den
Prozeß dargestellt und es wäre sehr zu wünschen, daß eine völlige und
befriedigende Widerlegung der in ihrer Menge recht schwer wiegenden
Behauptungen und Anklagen des Verfassers in vielfachem Interesse
baldigst erfolgte. Der Verurteilte hat aber auch Schritte eingeleitet,
die eine Wiederaufnahme des ganzen Verfahrens bezwecken. Nicht zu
widerlegen wird übrigens die Folgerung trotz allem wohl bleiben müssen,
daß in ganz und gar unjuristischer und laienhafter Art und Weise zwei
Fragen vom Wiener Gerichte miteinander verschlungen und durcheinander
gewirrt wurden, die gar nichts gemeinsam haben: die Frage nach der
Berechtigung bürgerlicher Wappen und jene nach der Schädigungsabsicht
des Angeklagten. Dadurch haben sich die Behörden gerade kein glän-
zendes Zeugnis ausgestellt. Die Frage nämlich, ob Bürgerliche auch
ohne Wappenbrief berechtigt sind, Wappen zu führen, kann vor und
von einem Gerichtshofe. — weil derartige Beanständungen rein polizei-
licher Natur sind — überhaupt nicht entschieden werden, da ein solcher
sich ja nur mit Gesetzesübertretungen befassen darf. Wozu erschien
also der Ministerialbeamte mit den hundertundvierzig Jahre alten Hof-
dekreten? Zur Überraschung für die anwesenden Juristen oder zur
Verwirrung der Geschworenen? Jetzt, wo diese bekannt geworden
sind, steht es freilich bombenfest, daß sie auch polizeilichen Wert
durchaus nicht besitzen und nur „fromme Wünsche '^ enthalten. Das
ist das einzige positive Ergebnis. Denn der Verordnung vom 19.
Zur Wappenführung „Bürgerlicher". 221
Jänner 1765, die die Führung bürgerlicher Wappen ohne „Eonzes-
sion" „eingestellet" wissen wollte, fehlt nämlich jegliche DurchfÜh-
ningsbestimmnng. Eine solche ist auch später nie eäossen, auch nicht
infolge des Bundschreibens vom 28. Juli 1765, das eine gewisse Taxe
ftkr den Eonzessionswerber eingeführt zu sehen wünscht. Infolgedessen
ist natürlich nie der Versuch gemacht worden, irgendwelche Folge-
i-ungen aus dem „Dekrete" zu ziehen, so daß bisher kein Mensch von
seinem Basein etwas wußte. — In dem vorigen Aufsatze wurde weiters
gesagt, daß der Verein „Herold* in Berlin die Wappenmatrik für das
Deutsche Beich führe. DieBe Mitteilung ist dahin richtig zu stellen,
daß der Geschäftsführer des Vereines „Herold", Herr Professor Hilde*
lirandt, über Wunsch die Eintragung von Familienwappen in das große
l^appenbuch besorgt, das bei Bauer und Baspe in Nürnberg erscheint
<„ Neuer Siebmacher"). Von bürgerlichen Wappen sind bis heute gegen
22.000 darin erschienen, die sieben große Bände füllen, denn auch in
Deutschland war und ist die Annahme von Wappen Beschränkungen
nicht unterworfen.
Dr. Ferd. Ehull.
Literaturberichte.
König AlbrecM U. (1437—14390 Von Dr. Wilhelm \Vostry.
Prag, Rohliöek und Sievers, 1907. 196 S. (Prager Studien auf dem
Gebiete ^er Geschichtswissenschaft, herausgegeben von Prof. Dr. A. Bach-
mann, Heft Xm.) Das zweite Heft von Wostrys Arbeit behandelt zn*
nächst Albrechts verdienstliche, aber erfolglose Stellungnahme zur viel-
erörterten Beichsreform. Persönlich im Beich zu erscheinen, was dem
Beformgedanken entsprechenden Nachdruck gegeben hätte, war dem
Könige während der zwei Jahre seiner Begierung nicht möglich, dainr
sorgten die Umtriebe der tschechisch-polnischen Partei, die ihn 1438
zu einem Zuge nach Schlesien nötigte. Die Tttrkengefahr hieß ihn
schleunigst nach Ungarn eilen. Hier zeigte sich die ganze Selbstsucht
und geringe patriotische Opferwilligkeit des imgarischen Adels, als der
K^nig 1489 gegen die Türken nach Sttdungam aufbrach, dessen un-
gesundes Klima ihn hinwegraffte. So erhalten wir ein abgerundetes
Bild von Albrechts Tätigkeit als König, das wesentliche Ergänzungen
zu den Darstellungen des verdienstvollen Kurz (K. Albrecht H.) und in
Palaökys „Geschichte von Böhmen^ bietet; fraglos muß Wostrys Arbeit
zu den gehaltvolleren der „Prager Studien" gezählt werden.
M. Doblinger.
Geschiehte der Dentsehen in den Karpathenlftndern. Von
Baimund Friedrich Kaindl. Zweiter Band. Geschichte der Deutschen
in Ungarn und Siebenbürgen bis 1763, in der Walachei und Moldau
bis 1774. Mit einer Karte. Gotha 1907. Friedrich Andreas Perthes
Aktiengesellschaft. 421 S. Gr. 8».
Das rühmende Urteil, das wir in dieser Zeitschrift (V, 1. u. 2. Heft,
S. 143 f.) über den ersten Band, beziehungsweise das erste Buch des
vorliegenden Werkes gefällt haben, können wir auch über den eben
erschienenen zweiten Band (zweites und drittes Buch) abgeben. Für
die Geschichte der Deutschen in Ungarn und Siebenbürgen hat der
Verfasser wohl mannigfache Vorarbeiten vorgefunden, aber trotzdem
ist ihm noch viel zu tun übrig geblieben, sein Verdienst ist auch diesmal
ein großes. Er beherrscht den weitverzweigten Stoff vollständig und
weiß ihn nach seinen Gesichtspunkten zu gestalten und zu beleben.
In dem Detail versteht er weise Auswahl zu treffen und von den
geschichtlichen Erscheinungen greift er die zu näherer Beleuchtung
heraus, in denen sich eine Idee oder Bichtung besonders veranschaulicht.
So hat auch der neue Band durchaus originellen Charakter.
Das erste Kapitel des zweiten Buches bringt den äußern Gang in
der Geschichte der deutschen Ansiedlung in Ungarn und Siebenbürgen,
ihre Entwicklung und ihren Bückgang zur Darstellung, das zweite
Kapitel die Verbreitung und Herkunft der deutschen Ansiedler, das
dritte die innere Entvricklung der deutschen Gemeinwesen und Gaue,
die deutsche Kulturarbeit.
Auf einzelnes soll hier nicht eingegangen werden. Nur eine Be-
merkung sei gestattet, die auf den von dem Unterzeichneten in Heft 1
und 2 des vierten Jahrganges dieser Zeitschrift, S. 48 ff., veröffentlichten
Literaturberichte. 223
Aufsatz Ober die deutschen Besiedlungen Siebenbürgens Bezug nimmt. In
Übereinstimmung mit den neuesten sprachwissenschaftlichen Forschungen
Über die Herkunft der Siebenbttrger Sachsen leitet auch Eaindl „die über-
wiegende Zahl^ der im 12. und 13. Jahrhundert nach Siebenbürgen
eingewanderten Deutschen aus dem mittelfränkischen Gebiete her* Aber
S. 206ff. legt er neuerdings eine Lanze für die flandrische Herkunft
eines, wenn auch kleinen Teiles der Zipser und der Siebenbttrger Sachsen
ein. Die Möglichkeit dessen soll nicht in Abrede gestellt werden,
glaubte doch auch der Unterzeichnete in Nr. 119 der „Wiener Zeitung **
vom Jahre 1906 darauf aufmerksam machen zu sollen, daß die Aus-
wanderung nach Siebenbürgen und wohl auch nach Nordungam sich
nicht streng nach Sprachgrenzen vollzogen hat, „Eine Mischung ver-
scbiedener, wenn auch nicht weit auseinanderliegender Elemente kann
auch hier stattgefunden haben. "" Warum sollten denn Deutsche der
Niederlande, woher die ganze Völkerwanderung nach dem Osten aus-
gegangen ist, nicht auch bid an den Fuß der Tatra und in das sieben«-
bürgische Hochland gelangt sein? Aber über die bloße Möglichkeit
sind wir noch immer nicht hinaus. Der Beweis für die Tatsache ist
auch durch Kaindl noch nicht erbracht.
Pas dritte Buch (S. 351 bis 405) gibt die Geschichte der Deutschen
in der Walachei und Moldau bis zum Jahre 1774. Sie ist uns um so
willkommener und wertvoller, als bisher darüber nicht viel bekannt
war. Hiebei ist dem Verfasser die Kenntnis der rumänischen Sprache
und der rum&nischen Quellen sehr zugute gekommen. Den Schluß des
Bandes bilden genaue Literaturangaben und Nachträge (zu berichtigen :
S. 411, L. nicht K. Reissenberger, Die Kerzer Abtei, S. 416 und 417,
Bedens von Scharberg, nicht Scharfenberg, S. 419 £. Filtsch, nicht
Flitsch) und eine Übersichtskarte über die Verbreitung der deutschen
Ansiedlung und des deutschen Bechtes in Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien
und Slavonien bis 1763, in der Walachei und Moldau bis 1774.
Möchte das vorzügliche Buch weite Verbreitung finden!
K. Beissenberger.
Rudolf Graf Khevenhüller-Metsch und Dr. Hanns Schiit*
ter: Ans der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann
Josef Khevenhüller-Metsch, kais. Obershoäieisters, 1742 — 1776, Wien
(Adolf Holzhausen) und Leipzig (Wilhelm Engelmann), 1907. VII und
»46 S. S.
Mit großen Erwartungen nimmt man das Buch zur Hand, durch
das — nach den Worten der IJerausgeber — „die Zeit der großen Kai-
serin einem besseren Verständnis zugeführt*^ werden soll. Zwar staunt
man anfangs ein wenig über die recht unwissenschaftliche Art, in der
— in einem kurzen Vorworte — versucht wird, eine ruhmreiche Ver-
gangenheit gegen das Zeitalter des allgemeinen Wahlrechtes auszuspielen.
Man wird vielleicht sogar ungeduldig, da man auch in der nahezu
100 Seiten langen Einleitung — welche eine auf Grund eines reichen
Materiales höchst gründlich gearbeitete Geschichte des Geschlechtes dei^
Khevenhüller seit dem Ende des 14. Jahrhunderts enthält — noch
immer nicht findet, was man sucht. Doch betrachtet man dann die
hübsche Heliogravüre „J. J. Khevenhüller im Kreise seiner Familie^
mit desto freundlicherem Interesse und beginnt mit neugeweckten Hoff-
nungen nun endlich des Tagebuch selbst zu lesen.
Leider wird man aber auch hiebei bald arg enttäuscht. Denn in
den Aufzeichnungen, die sich einstweilen freilich nur auf die Jahre 1742
bis 1744 beziehen, fühlt man von dem Geiste der großen Zeit kaum
224 Literaturberichte.
einen Hauch. Wohl erf&hrt man von jedem Ausritte Maria Theresias, tob
jedem Kirchgange, von jedem Diner. Auch ob sie dies alles ^öffent-
lich*' tat oc&r nicht, wird getreulich berichtet und dem Laien dabei
manche Einzelheit des Ho£EeremonielU enthflllt. So wird a. B. (S. 139)
berichtet, daft die Kaiserin „öffentlich speiste, worbei ich in Abwesen-
heit des Christ •Hoffmeisters und angesezten Obrist Cammerers, zu-
mahlen meine Ammts Functionen sich hiermit geentiget hatten, dessen
Dienste yersehen und der Königin das Hand Tuch reichen, den Stnhl
rucken und die Ordonnanz begehren maAte^. Mit gleicher Grenani^eit
werden gelegentlich auch Geburten, Verlobungen, Hochzeiten und Todes-
fälle in einzelnen adeligen Häusern verzeichnet.
Aber nur selten liest man von der Regierungstätigkeit der groAen
Kaiserin. Höchstens ihre Ausdauer lernt man bewundern, wenn mu
(S. 285) erfährt, dafi sie nach einer langen Staatskonferenz, während
der sie »nichts dann etwas Schwartz Brod^ gegessen hatte, erst nach
4 Uhr speiste und dann am Nachmittag noth ein ^Appartement" hidt
Doch wird man immerhin — wenigstens einigermaften — aocb
darüber unterrichtet, wie Maria Theresia ihre Leute zu behandeln Ter-
stand. In Linz begeisterte sie die Stände, indem sie ^mit ihrer be-
kannten liebreichen Stimme und hertzigen Contenance zu reden anfieng
jedoch beflissentlich nur in denen gewöhnlichen generalibus verUibe
und von allem praescendirte was die bei letzterer Revolution Torbei-
gegangene Misshandlungen und Illegaliteten berühren und rappeliren
dörfte*^ und bei der Huldigung zu Prag hatte sie, „wie wollen die Inqui-
sition zur selben Zeit am beigsten getrieben wurde, die nemmliche
mildreichste Moderation gebraucht, welche ihnen zwar .... ein und
andere hitzige Köpfe widerrathen wollen" (S. 160). Auch hatte sie bei
einem „masquirten Bai bei Hoff eine besondere Finesse für die böh-
mische Nation bezeigt, indem sie sich unvermerkt an einem von böh-
mischen Adeligen im nationalen Bauernkostüm veranstalteten Einzüge
gleichfalls in diesem Kostüme beteiligte". Ebenso ward „einige Tage
hernach auch eine dergleichen Mascherade von ungarischen Bauern
und Bäuerinen angestellet, um alle Jalousie zwischen beiden Nationen
zu vermeiden" (S. 125). Vor dem Preßburger Kongresse hatte sie gar
„par finesse und ad captandam benevolentiam .... die vornehmeren
Magnaten zu . . . (einer) Solennitet einladen lassen und wurden dise
leztere sodann zu Schönbmnn an die königliche Taffei sämtlichen ge-
zogen" (S. 232). Die Folge davon war freilich nur, daß daraufhin zwar
„die Reichsstände der Königin die Insurrection und fast alles was sie
verianget eingestanden haben, so aber ausser des äusserlichen Ler-
mens .... sonsten leider wegen übler Veranstaltung meistentheüs
schlechten Effekt gehabt" (S. 238). (Magyarischer Patriotismus).
Ein besseres Bild als von der Regierungstätigkeit der großen
Kaiserin erhält man durch die Aufzeichnungen von ilurer Persönlichkeit
und dem Leben bei Hofe. Freilich werden auch hier nur altbekannte
Tatsachen durch Mitteilungmi neuer Einzelheiten erhärtet.
Daß sie eine gute Tochter war, wußte man ja schon, ehe man
aus dem Tagebuche erfuhr, daß sie es sich nicht nehmen UeQ, vier-
zehn Tage nach ibrar Kiederkunfb „en sac und Neglige Hauben, jedoch
mit Geschmuck kn Kopfi^ über die Schnecken hinauf all' incognito^ zb
ihrer Mutter zu eilen, weil diese ihren Geburtstag feierte (S. 173). und
wie zärtlich sie ihre Kinder liebte, war gleichfalls bekannt, ehe man
in den Khevenhüllerschen Aufzeichnungen lesen konnte, daß sie, als
ihr Töchterlein «wegen eines überkommenen Ohren Geschwüres und
Literäturberichte^ 225
zugestossener Alteration" zu Bette lag, „nicht sichtbar (war) ... und
. . . meistentheils bei den kranken Frauen" blieb (S. 246).
Daß es ihr nicht an echter Frömmigkeit fehlte, steht bbenfalls
schon seit langem fest und man wird auch in den Glauben daran
durch das Tasrebuch nur bestärkt. So wenn man liest, daß sie nach
Erhalt einer Siegesnachricht „sogleich in dero Cammer Capellen das
Te Deum Laudamus anstellen (ließ) wie Sie es bei allen dergleichen
wichtigen erfreulichen Fahlen als eine christliche Frau zu thun pflegen^
(S. 127), oder wenn man erfährt, daß sie an einem Tage drei gesungene
Ämter hörte (S. 151). Dagegen war es wohl nicht in der Frömmigkeit
der Kaiserin begründet, sondern lediglich eine Folge des alten spani-
schen Hofzeremoniells, daß sich nicht nur der Eid, den die lutherischen
Kammerherren ablegen mußten, ,.in der Formul selbsten . . . von dem
gewöhnlichen Eid unterschiden, sondern . . . daß den Acatholicis nur
der hooorari Schlüssel welcher von einer anderen Form und denen so
die Gammerfreilen tragen gleich ist, eingehändigt wird und sie . . . allein
keinen Dienst thun dörffen** (S. 166).
Daß es aber der Kaiserin auch nicht an echt weiblicher Eitelkeit
gebrach, ist gleichfalls lange schon kein Gefaeinmis mehr, und so glaubt
man gerne, daß es ihr schmeichelte, wenn der Landmarschall Win-
dischgraz sie „denen Königinnen Berenice und Elisabeth wegen ihrer
schönen Gestalt" verglich (S. 100) und daß sie unter ihren Batgebem
jene am meisten bevorzugte, von denen sie annahm, „daß sie ihrer
Person mehr als ihrer Würde zugetan gewesen" (S. 191, 227),
Das Ungezw«ngene und Heitere des Hoflebens jener Zeit endlich
wurde gleichfalls stets gerühmt. Und wie berechtigt dieser Ruhm war,
läßt sich schon daraus ersehen, daß selbst der gestrenge Herr kaiser-
liche Obersthofmeister in seinem Tagebuche gelegentlich ganz gemüt-
lich vom «Nikerl Pälffy" oder der „Tonerl Nostizin" erzählt. Was nicht
ausschließt, daß er manchmal gar bedenklich den Kopf geschüttelt
haben mag. So wenn bei einem Caroussel alle „Frauen und Ereilen"
— außer der Kaiserin, die in anderen Umständen war, und der ver-
witweten Gräün Nostitz — „auf Männer Art placiret" ritten (S. 118)
oder wenn bei den Maskenbällen „die besorgte üble Folgen in puncto
sexti nicht genugsam vermieden werden (konnten), als worzu die Frei-
heit unter der Larven gar zu ville Gelegenheit gegeben; es man-
gelte . . . nicht an sonderbahren Avanturen und Liebsintriguen die
mann weniger zu versteken suchte, als bei voriger sehr seriösen Re-
gierung weßhalben dann auch die Prediger zuletzt sehr frei zu sprechen
anfiengen also zwar, daß die Faschings-Liebhaber darüber sehr unge-
halten wurden" (S. 119). Viel genützt scheinen die Predigten aber nicht
zu haben. Zum mindesten fand man sich nicht bewogen, die Vergnügen
abzukürzen. In der Fastnacht 1743 wenigstens wurde „nach den Essen
. . . biss gegen acht Uhr abends gedanzet und so dann nach der Burg
zurückgekeret alwo I. M. en petite compagnie soupirten und mit selber
nach den Soup^ sich in Maschera als Ländler Bauern und Bäuerinnen
auf den Bai in den Baihaus und nachdem sie sich zuvor in einen Do-
mino überkleidet, auf die Meelgruben verfügten, alldorten einige Gontre-
dances danzten, sodann widerummen in das Baihaus zurückkerten und
den Keraus, welcher erst gegen acht Uhr früh sich geendiget bei-
wohnten" (S. 129). Außer den Bällen gab es aber natürlich auch allerlei
andere Unterhaltungen: Schlittenfahrten, Theateraufführungen, Kinder-
komödien u. ähnl. Den 24. Juni 1744 z. B. belustigte man sich „bei den
Sonnen Wendfeuer . . . und musten nicht allein alle Domestiquen, son-
15
226 Literaturberichte.
dem (nachdeme der Groß Herzog gelbsten den Anfang gemacht) auch
wir andere Hoff-Herren ttber das Feuer, so in der That zimmlich hocli
brannte, darüber springen" (S. 224).
Wie lustig die Zeit damals war, kann man also aus mancher
Stelle der Aufzeichnungen entnehmen, wie groß sie war, kaum aus einer.
Und so muß die Frage, ob die Herausgabe dieser Aufzeichnungen die
fleißige, gewiß nicht zu unterschätzende wissenschaftliche Arbeit, die
Zeit und die Kosten lohnte, die man darauf verwendete, wohl ofien
bleiben. Beantworten wird sie sich erst lassen, bis auch die weiteren
— einen viel größeren Zeitraum (1745 bis 1776) umfassenden — Teile
der Aufzeichnungen veröffentlicht sein werden. Vielleicht wird man durch
diese dann sogar angenehm enttäuscht. Möglich wäre es, denn man wird
sie mit weit geringeren Erwartungen zur Hand nehmen als den vor-
liegenden ersten Teil. Julius Bunzel.
Traankirchen-Anssee» Historische Wanderungen von M. v. P 1 a zer.
Graz, 1907. Verlag Ulr. Mosers Buchhandlung (J. Meyerhoff). Kleinoktav,
172 S.
Eine Fülle von beachtenswerten, großenteils durch emsige archi-
valische Arbeit gewonnenen lokalgeschichtlichen, genealogischen, kultnr-
und kunstgeschichtlichen Daten ttber die im Titel bezeichneten zwei
Orte ist hier in eine schlichte Rahmenerzählung eingefügt. Mit Traun-
kirchen beschäftigt sich nur das erste von den acht Kapiteln; vom
dritten £[apitel an bis zum Schlüsse wird Aussee behandelt. Gewisser-
maßen als Bindeglied zwischen beiden Orten erscheint die Gestalt des
Hans Herzheimer, von dessen inhaltsreichem Lebenslaufe das zweite
Kapitel eine zusammenhängende Darstellung — unseres Wissens die
erste ' — bringt und der mit seinen Familienangehörigen auch sonst
im Buche häufig wiederkehrt. Hans Herzheimer, 1464 zu Trostberg in
Oberbayem geboren, stand seit 1490 im Dienste der Kaiser Friedrich IV.
und Maximilian I., welch letzterer ihn 1493 zum Ritter schlag und
ihm die Verwaltung des Salzamtes zu Aussee, 1497 auch das XJrbar-
und Gäugericht dortselbst verlieh. Nach Maximilians Tode zog sich
Herzheimer, der eine Zeitlang Strechau im Ennstale besafi und durch
seine zweite Gemahlin Walburg von Trautmannsdorf mit dem steirischen
Adel versippt war, auf seine bayrischen Güter zurück; 1632 starb er
zu Salmanskirchen. Gerne verzeihen wir dem tüchtigen Manne, einem
echten Sohne des maximilianischen Zeitalters, seine Sucht, * sich zu ver-
ewigen ; verdanken wir ja dieser Schwäche einerseits ausführliche chronik-
artige Aufzeichnungen von seiner Hand, andererseits eine Reihe schöner
Denksteine sowohl in Bayern, als in Traunkirchen und Aussee. — Im
6. Kapitel wird zwischen dem katholischen Herzheimer (der übrigens
1518 in Wittenberg, wo seine Söhne studierten, Luther besuchte und
ttber ihn des Lobes voll ist) und dem späteren Salzamtsverwalter von
Aussee, Christoph Praunfalk (tl545), einem energischen Protestanten,
die Parallele gezogen. — Auch das Volksleben in jetziger und halb-
vergangener Zeit wird nicht vergessen (7. Kapitel). Kulturgeschichtlich
bemerkenswert sind die Exzerpte aus den Ausseer Ratsprotokollen
CS. 147 ff.) und die Schilderung eines Gast- und Bräuhauses im 18. Jahr-
hundert (S. 152 ff.). Die Liebe der Verfasserin zum Gegenstande des
Buches, dessen Reinertrag dem Grazer Frauenheim gewidmet ist, tritt
auch in dem Bemühen zutage, dasselbe mit zahlreichen guten Ab-
bildimgen von wirklich interessanten, wenig bekannten Objekten zii
schmücken. — i.
Literatarberichte. 227
Der gtaatliche Exporthandel österreiehs yon Leopold I. bis
Maria Theresia. Von Heinrich B. v. Srbik. Wien, 1907, BraumttUer,
XXXVI und 432 S.
Wenige der Leser von v. Srbiks bekannter Arbeit „Das Verhältnis
von Staat und Kirche in Österreich während des Mittelalters ** hätten
wohl erwartet, von demselben Verfasser nach drei Jahren einen statt-
lichen Band zu Gesicht zu bekommen, der ein davon so gänzlich hetero«
genes Thema behandelt und uns eine der wichtigsten und gehaltvollsten
Darstellungen aus der österreichischen Wirtschafts-, Finanz- und Handels-
geschicbte des 17. und 18. Jahrhunderts, bietet.
Wir gewinnen dadurch, in diesem Maße wohl zum erstenmale,
Einblick, wie die österreichische Handelspolitik und -Führung sich in
ihren Maßnahmen für die eigene Ausfuhr in der Zeit des Merkantilismus
betätigte. Da das Salz im Inlande verbraucht wurde, der Eisenhandel
aber in den Händen der privaten Innerberger Hauptgewerkschaft lag,
kamen als Objekte des staatlichen Exporthandels dazumal fast aus-
schließlich Kupfer und Quecksilber in Betracht, auf die sich die Arbeit
demgemäß beschränkt
Als Kaiser Leopold 1. zur Regierung kam, war auch hierzulande
allenthalben das Appaltwesen im Schwung, die Verpachtung aller Arten
von Kameraleinnahmsquellen, Domänen, Begalien, Monopolen und ver-
schiedenen indirekten Abgaben. So wurden auch die Idriauer Queck-
silberwerke an die Grafen Balbi verappaltiert, seit X659 aber nominell
in Kegiebetrieb geführt, wobei Abondio Inzaghi eigentlich Appaltator
war. In gleicher Weise hatte man die Kupferbergwerke zu Neusohl und
in den ungarischen Bergstädten an die Joanelli verpachtet, bis auch
hier 1680/1 die Fortführung des Appaltsystemes unmöglich wurde.
Unter dem Einflüsse der merkantilistischen Ideen Beckers ging man
dann im Quecksilber- wie im Kupferwesen zur Kameraladministration
über. Die Handelsführung wurde neu organisiert, in Wien eine Queck-
silberkorrespondenz, in verschiedenen Städten Faktoreien errichtet; von
den Kommissären im Ausland wurde das Haus Deutz in Amsterdam
ein Jahrhundert hindurch von Bedeutung. War schon die Handels-
politik des Ärars nicht immer eine glückliche, so kam dazu die schlechte
Lage der kaiserlichen Finanzen, die zur Aufnahme von Darlehen nötigte
und schließlich zur Aufnahme von Staatsanleihen in Holland, 1695 auf
den Quecksilberfonds, 1700 auf den Kupferfonds führte. Schon die nächsten
Jahre brachten indes eine Katastrophe beider Handelszweige: 1703
wurden Neusohl und SchmöUnitz durch Rakoczi besetzt und der dortige
Bergbau aufs schlimmste geschädigt; im Quecksilberhandel aber trat
infolge englisch-ostindischer Konkurrenz ein starker Preisfall auf dem
Hauptmarkte Holland ein, der das österreichische Monopol tatsächlich
vernichtete.
Die letzten Jahre Kaiser Leopolds brachten indes ein kräftigeres
Aufleben volkswirtschaftlicher Reformideen, die unter Josef I. und be-
sonders Karl YI. weiterhin vertieft wurden. Die ungarischen Kupfer-
bergwerke kamen 1708—10 wieder in die Gewalt der Kaiserlichen, das
Quecksilberlager von Venedig wurde auf österreichischen Boden nach
Triest und Fiume verlegt und auch auf dem holländischen Markte
besserten sich wieder die Absatzverhältnisse, obwohl sich dort die
Schwierigkeiten infolge schlechter KommissionsÄhrung des Hausen Deutz
keineswegs verringerten. Da man indes seit 1721 den gesamten Verkaufs«
erlös zur Tilgung der holländischen Forderungen verwendete, kam 1724
mit der Wiener Stadtbank ein Vertrag behufs Ablösung derselben zu-
15*
228 Literaturberichte.
Stande. Durch wirtschaftlichen Betrieb und eine umsichtige Handels-
politik gelang schlieBlich die Amortisation der alten Anleihekapitalien
und die Befreiung des Quecksilberfonds im Jahre 1734. Die ungarischen
Kupferbergwerke erholten sich nur langsam nach Rakoczis Okkupation.
Der Gegensatz zwischen dem Ärar und den holländischen Gläubigem
führte schlieBlich 1714 zur Einsetzung SchreyTOgels als Mandatar der
Gläubiger, der indes unter mannigfachen Schwierigkeiten und unter
beiderseitigen Kontraktverletzungen die Produktion zu heben verstand,
so daß auch die lange verkürzten holländischen Interessenten etwa seit
1727 befriedigt werden konnten. Nach dem Muster der Quecksüber-
ablösung wurde 1783 gleichfalls mit der Wiener Stadtbank ein Vertrag
geschlossen, der die Durchführung der Amortisation ermöglichte.
Die Befreiung vom holländischen Monopol hatte für den öster-
reichischen Staatsexport die wohltätigsten Folgen, um so mehr, als Öster-
reich unter Karl VI. überhaupt in eine Zeit mächtigen Aufschwunges
von Handel und Industrie eintrat. Mit geringen Kosten wurde die Pro-
duktion in Idria sowohl, wie in Neusohl und SchmöUnitz sehr bedeutend
gehoben und auch der ärarische Kupferbergbau im neuerworbenen Banat
seit 1719 mit wachsendem Erfolge in Betrieb genommen, so daß das
österreichische Ärar nun in der europäischen Kupfergewinnung ' eine
dominierende Stellung einnahm. Bei den gesteigerten Produktions-
ziffern wurden die Einnahmen aus dem Regalexporthandel zu einem
wichtigen Posten der österreichischen Kameralgefälle. Korrekte Finanz-
operationen und das Ende des Hauses Deutz fallen bereits in die ersten
Regierungsjahre Maria Theresias und führen damit in eine neue !Epoche
hinüber, in welcher das gesteigerte Verantwortungsgefühl, das den ab-
soluten Staat beherrschen soll, an der unermüdlichen Sorge der Kaiserin
um die materielle Kultur der Erblande zum Ausdruck kam.
Eine Anzahl wertvoller Tabellen beschließt die Arbeit, die der
Verfasser sprödestem Aktenmaterial entnahm, das er mit anerkennens-
werter Gestaltungskraft kritisch verwendete. Max Doblinger.
Zunkovic Martin: Wann wurde Miiteleiiropa Ton den
Slawen besiedelt? Beitrag zur Klärung eines Geschichts- und Ge-
lehrtenirrtums. Zweite, wesentlich vermehrte Ausgabe, Kremsier 1906.
Druck und Verlag von H. Slovak. Preis K 2-60.
In der Zeitschrift des (slow.) Geschichtsvereines in Marburg, „Öa-
sopis za zgodovino in narodopisje", im 4. Bd., S. 180 — 185, erschien eine
so eingehende und sachgemäße Besprechung obigen in Dilettantenkreisen
vollständig überschätzten Buches, daß wir dieselbe in wortgetreuer Über-
setzung auch dem deutschen Leserpublikum nicht vorenthalten zu können
glauben. Sie lautet, wie folgt:
Herr ^^unkovid, k. u. k. Hauptmann, arbeitet seit einigen Jahren
recht fleißig auf literarischem Gebiete. Ein Buch über die Namen im
oberen Pettauer Felde hat er herausgegeben, und jetzt in zweiter Auf-
lage, das Buch, das wir rezensieren wollen. In diesem Buche vertritt
der Autor die Meinung, daß die Slawen in Mitteleuropa das
autochthone Volk seien, das sich a uf sprachlicher Spur
weit in die diluviale Periode zurückverfolgen lasse. Zu
dieser These ist er durch folgende Studien gelangt:
1. Er untersuchte die Entstehung und Bedeutung der topogra-
phischen Namen in Mitteleuropa; 2. untersuchte er die geographische
Verbreitung der slawischen Namen und verglich diese mit der natür*
liehen Lage- oder den Eigenheiten des Ortes, der einen slawischen
Literaturberichte. 229
Namen trägt; 3. untersuchte er den Zusammenhang zwischen den ein-
stigen Mythen und der jetzigen Yolksphantasie.
Daß er hiebei zu der oben angegebenen These gelangt ist, dazu
Iialfen ihm die Autopsie und, wie er selbst sagt, „praktische^ Etymologie.
Der Autor ist sich wohl bewußt, wie gewagt seine Behauptung
ist, und sagt, sie werde sich erst dann Geltung verschaffen, wenn die
Macht der Gründe größer sein werde als^die Macht der verschiedenen
Autoritäten, Vorurteile und Traditionen. Zunkovid ärgert sich darüber,
daß auch Philologen (z. B. Oblak im Arch. f. slaw. Phil., XVni, S. 228 ff.)
aus dem wechselseitigen Verhältnisse der südslawischen Sprachen die
Unmöglicnkeit nachgewiesen haben, daß die Slowenen schon vor dem
6. Jahrhundert n. Chr. in ihren heutigen Wohnsitzen gehaust hätten.
Darum wendet er sich gegen die verschiedenen ^Autoritäten'*, die sich
am grünen . Tische diese Meinungen gebildet haben, und behauptet, daß
ihnen vor allem die Autopsie mangle und daß sie im Worte Finessen
suchen, die ein Name in Wirklichkeit niemals haben könne.
In Betrachtungen vom Standpunkte des Historikers sind wir nicht
geneigt, uns einzulassen, da uns dies nicht möglich ist; nur den philo-
logischen Apparat, mit welchem Herr i^unkoviö operiert, wollen wir er-
örtem und imtersuchen, wie viel wirkliche Beweiskraft seiner von ihm
so genannten „praktischen^ Etymologie innewohne. Wir wollen uns nur
auf die hauptsächlichen, die Kardinal-Thesen beschränken, da ein
kritisches Durchsieben aller mißglückten Etymologien überflüssig und,
wie aus allem hervorgeht, unfruchtbar, daher undankbar wäre.
Der Grund, warum Herr Zunkovic solches Gewicht auf die Autopsie
legt, ist uns verständlich und gerne geben wir ihm zu, daß er als Hauptmann
ein wohlentwickeltes Gefühl für die Orientierung im Terrain besitzt
So hat ihm dieses bei der Erklärung der Namen Grmada und Straia,
Stra£i§£e sehr gute Dienste geleistet. Damit aber hat er uns nichts
Neues gesagt, da es solche Namen in Unzahl gibt und da deren Ent-
stehung bekannt ist. Östlich vom Schlosse Wurmberg in den Windischen
Bühebi ist der Hügel Grmada, nördlich von demselben der Weiler
Strai^i§£e, Kat. Gemeinde Unter- Würz. Im alten Akte: „GnadliveTherijaske
Gosposke Deshelskih konfinou, alle Richtnich zillou letno resglassenie,
alle navadiio Klizanie'^ aus dem Anfange des 18. Jahrhunderts heißt es,
die Grenze der Auerspergschen Besitzungen gehe . . . nach dem Velku
Sterfhishe, nach der Germada . . . etc. Daß er sich gegen die ver-
schiedenen „Autoritäten'^ wendet, die anderer Ansicht sind als er,
wundert uns auch nicht. Docb müssen wir konstatieren, daß Herr
Zunkoviö mit den ernsthaften Gelehrten auch Leute, die Vindobona
von bonnm und vindex, vindicare ableiten, in einen und denselben Korb
wirft und daß er dann über die einen wie die anderen in einem Atem
loszieht. Herr Zunkoviö ist so durchdrungen von den in der Tat
frappierenden Eesultaten seiner „Forschungen, daß er zuweilen auf
diesem Felde eine noch unzugänglichere „Autorität'' wird als sonst
irgendeine. Ganz richtig sagt er auf Seite 24 von der Mythologie, daß
man sich nicht auf sie verlassen dürfe, doch hat ihn dies nicht vor
verschiedenen halsbrecherischen Hypothesen behütet.
Die philologischen Deduktionen machen ihm keinerlei Kopf-
zerbrechen; bei ihm mengen sich Konsonanten und Vokale unter sich
und kreuz und quer, wie bei einer schlecht getanzten Quadrille die
Manns- und Weibsleute. Die Hanptregel, auf die er sich bei seinen
philologischen Deduktionen stützt, hat er auf Seite 20 aufgesteUt. Dort
steht wörtlich folgendes: „Die Ursprache hatte einst offenkundig nicht
16**
230 Literaturberichte.
den Yokalreichtum der modernen Sprachen, was man den Idiomen der
heutigen Naturvölker noch immer ansieht, die ältesten Begriffe (sie!)
waren alle konsonantenreich und sehr vokalarm. Die Vokalo-
phüje ist erst eine Errungenschaft der Kultur, bedingt durch den Verkehr
mit anderen Völkern, welche die ihnen schwerfälligen Silben der Nachbar-
sprache durch Yokaleinschiebungen abtönten. Jene Sprachen, welche
viel Mitlaute haben, sind daher die älteren und dabei an Casus- wie
Yerbalformen reicheren . . .^ Diese paar Sätze enthalten so viel dOnkel-
hafte Unwissenheit und unwissenden DQnkel, daB man sich rein an
den Kopf greift. Unwissenheit, weil man hier sieht, dafi Herr
Zunkoviö nicht einmal die primitivsten Begriffe von
der Entwicklung der Sprachen überhaupt hat, und Dünkel,
weil er sich erkühnt, mit solchen Thesen vor die Öffentlichkeit zu
treten und sich die Haltung eines Mannes der Wissenschaft zu geben.
Daß das, was Herr Zunkovid mit so viel SelbstbewuBtsein lehrt,
vollkommen falsch ist, weiB wohl jeder, der sich einigermaften näher
mit der Geschichte irgendeiner Sprache beschäftigt hat. Sanskrit ist
gewiß eine leidlich alte Sprache und in ihm nnifi jeder, der gesunde
Augen und Ohren hat, die große Menge der Vokale wahrnehmen. Das
Altslowenische (sit venia verbo!) hatte immer offene Silben und in ihn
endete kein Wort mit einem Mitlaute. Später aber, als das nb und das
B abfielen, was für die Sprache eine wahre Katastrophe bedeutete,
wurde das Slowenische eher „vokalarm" und ..konsonantenreich". und
haben Sie sich, Herr ^unkovid, schon einmal mit dem Französischen
befaßt? Wahrscheinlich nicht? Denn sonst wüßten Sie, daß uns das
jetzige geschriebene Französisch das ältere Stadium der Sprache sehen
läßt und daß also das Französische, wie es heute gesprochen wird,
«vokalärmer'' ist, als das einstige. Und hier wie dort vollzieht sich die
Entwicklung nicht wie Sie es darstellen, sondern gerade in entgegen-
gesetzter Weise.
Auch die Erklärung, wie die Vokale in die Sprache gekonunen
sind, hinkt. Irgendwo mußten sie doch wohl sein und vom Himmel sM
sie nicht gefallen, auch hat sie nicht ein „Gelehrter" ersonnen. Sagen
Sie uns doch nur, wie sie dort entstanden sind, von wo sie, wie Sie
sagen, in andere Sprachen übergingen.
Daß er den Begriff, die Bedeutung eines Wortes von der Lant-
gruppe, mit der wir irgendeine Sache bezeichnen, nicht scheidet und
ebensowenig die Vokale von den Eoosonanten', das sind im Vergleiche
mit den obigen noch kleine Sünden, die Herrn Zunkoviö vorgeworfen
werden müssen.
Bei der Erklärung der Namen verfährt Herr Zunkoviö in folgender
Weise : Er besieht sich den Ort in der Wirklichkeit oder auf der Karte
und sucht in einer slawischen Sprache irgendein Wort ausfindig zu
machen, welches wenigstens einigermaßen ungeßUir gleich lautet und das
er auf die Eigentümlichkeiten des Ortes, die Lage, Vegetation etc. an-
wenden kann. Wenn er aber irgendwelches derartige Wort nicht findet
80 erdichtet er sich kurzerhand eines und unterlegt ihm die Bedeutung,
die ihm am besten paßt, z. B. : „. . . weil dem Slowenen ,zmola' in der
Bedeutung .Talmulde' heute nicht mehr bekannt ist, er daher . . .'^
Überhaupt führt ^unkoviö seine Beweise nur assertorisch ex cathedra
und gibt nirgends den detaillierteren organischen Zusammenhang, d. h.,
er gibt nicht die vorausgegangenen Formen, wie dies bei philologischen
Deduktionen üblich und nötig ist. Er verläßt sich nur auf die zufällige
äußere Ähnlichkeit oder Gleichheit; daß ihn auch hier Öfters seine
Literaturberichte. 231
Sicherheit im Stiche läßt, beweisen Sätze, wie z. B. Seite 25 in der An-
merkung: n* • • jLui^anje' (oder ähnlich), welche . . .^, Seite 86 in der
Anmerkung: ». . . vermutlich war hier der vorrömische Marktplatz . . .^,
Seite 48: „bezeichnete anscheinend einen Weideplatz . . ., der Älteste einer
solchen Weideplatzgemeinde dürfte ,car^ genannt worden sein . . .^,
S. 52: „Die Grundlage zu diesem Namen scheint den Slawen heute
nicht mehr bekannt zu sein*^, Seite 54: „,Paga ist im allgemeinen ein
guter Weideplatz. Mit diesem Grundworte scheint der ethnographische
Begriff ,Basken' verwandt zu sein, denn diese sind in sprachlicher
Hinsicht zweifellos ein Zweig der slawischen Sprachgruppe , , .* Genügt
Diese Proben sind nicht die einzigen und auch nicht die schlimmsten.
Auf Seite 15 wirft er den Theoretikern vor, daß sie in den Namen
Finessen suchen, die einem Namen in Wirklichkeit nicht innewohnen
können. Sehen wir nur, wie diese Sache bei Zunkovid steht. Auf
Seite 46 schreibt er hinsichtlich der Wörter „Var«, „Varda", sie be-
deuteten „. . . einen Weideplatz iu der Niederung, namentlich in lichten
Auen längs der Flußläufe, dann auf den Höhen mit etwas Baumwuchs,
in der Nähe einer Quelle. '^ Die Keltomanen beschuldigt er, daß sie mit
einem Worte zuviel Begriffe bezeichnen, so daß man schließlich nicht
wisse, was so ein keltisches Wort überhaupt bedeute. Und Herr
Zunkoviö? Von Seite 41 bis 80 hat er eine ganze „Gruppe der Namen
für Weideplatz^, mindestens etwa 35 verschiedene Namen. Um aber
diese von einander zu scheiden, sucht er in ihnen Nuancen und
Finessen, die ein Name in der Tat nicht haben kann. Bei alledem aber
wird et sich nicht einmal bewußt, daß er dort die nämlichen Sünden begeht,
die er seinen Gegnern zur Last legt. Dieses Kapitel ist zugleich der
Gipfel^ seiner Wissenschaftlichkeit und ein beredter Zeuge dafür, was
Herr Zunkoviö (drücken wir es ohne Bosheit aus I ) für seltsame Begriffe
von der Kulturgeschichte überhaupt hat.
Für den wissenschaftlichen Wert dieses Buches ist noch die
folgende Tatsache besonders bezeichnend. Herr ^unkovid erklärt größten-
teils alles aus der slowenischen Sprache, und zwar aus der modernen,
und vergleicht die heutigen Formen mit Wörtern, welche um vieles,
manche sogar um ein paar tausend Jahre älter sind. Daß das „ Slo-
wenische'^ einstens anders war als heutzutage, das weiß er nicht; sein
„diluviales^ Slowenisch ist dem heutigen vollkommen gleich. Das heutige
Slowenisch kennt er aber auch nicht, sonst würde er nicht solche
völlig unmögliche Wörter konstruieren wie „zrebro^ie**, »tridje" u. dgl.
Alle seine Etymologien zu prüfen wäre eine zwed^lose Arbeit; wir
wollen uns also nur auf einige der charakteristischen Beispiele be-
schränken.
Obdinai hängt nicht zusammen mit o£e>, denn das Wort oöe ist
entstanden aus otko. Wohl aber ist es seiner Genesis nach verwandt
mit dem Worte communio, Gemeinde. Hierher gehört auch optina,
welches Zunkoviö unrichtigerweise mit dem Worte opat* in Zusammen-
hang bringt; auch ist es unmöglich, daß aus dem slowenischen opat
das deutsche Abt entstanden sei.
Die slowenischen trijaci haben nichts zu tun mit trg^ und be-
deuten nicht gerade „Pfingsten'^, sondern die drei auf die Pfingstzeit
fallenden Heiligen: Pankratius,. Servatius und Bonifazius
* Qemeinde. (Noten 1—14 sind Anmerknnffen des Übersetzers.)
s Täter,
» Abt.
• Markt.
232 Literaturberichte.
(12., 13., 14. Mai, mitbin um Pfingsten herum). Bei der Bestimmanf
der Jahreszeiten spielen überhaupt die Heiligen eine große Rolle; mai
vergleiche nur die Ausdrücke: „ob Mihelovem^*, „SentjAikievem^^j
„Ilgovem'' (Elias ^ Sgo) ; außerdem spielen die tr^jaci auch eine grofi«
Bolle in unserer Yolksmeteorologie. Das Altböhmische kennt „tofäci",
was auf Slowenisch „tuijaci^ wftre. Dieses Wort lehnte sieli aber an
das Zahlwort „tr^e**' an und so entstanden die ^tryaci^. Mitgeholfen
hat hiebet die dialektische Form teij^, Teijak (für Tuijak») u. s.w.
Mikloüö leitet das Wort von tur=Aueroch8 ab.
Üskoki^ sind „perfiigae^ und nicht „. . . Abstockungen und zwar
anscheinend solche von Eichenbeständen^.
Aus Hum'o ist nicht Haemus entstanden, weil dies unmöglich ist.
Das Wort hum ist nämlich um eine gute Anzahl von Jahrhunderten
jünger als das Wort Haemus.
Die Wörter Yidem, Vidmar habeii sich anders entwickelt, als
Herr ^unkoviö dies auf Seite 66 erklärt. Sie sind zu uns ans dem
Deutschen gekommen, in welcheku „Widern'', „Widum** imd fthnliche
Formen, wie Schmeller (Bayerisches Wörterbuch, II., S. 859) sagt, ,die
zu einer Pfarrkirche gestifteten nutzbaren Gründe" und „Dotation tkber-
haupt'' bedeuten. Vidmar aber ist zusammengesetzt aus Yideni + Migar
(maior-domus, Maier, Meyer, Mayer etc.) und bedeutet einen Pächter;
der im Genüsse eines videm'jl steht.
Wie wenig Sinn Herr Zunko?id für die geschichtliche Entwicklung
der Sprachen hat, erhellt aus Seite 45, indem er die Wörter Var,
Pharao, Pfarrer, far in Verbindung bringt. Aus diesen Wörtern hat er
eine ganze kulturgeschichtliche Episode fabriziert. Sie hängen jedoch
auBer den beiden letzten ganz und gar nicht zusammen und selbst diese
zwei sind sekundär, jünger, und das jüngste von allen vieren ist das
slowenische far'<. Aus dem griechischen rA^oyoz (Trap-J-eyw, Vorsteher)
sind die Wörter parochus, parafya, Pfarrer' hervorgekeunt. Aus dem
deutschen Pfärr aber ist ganz regelrecht der neueste, jüngste Trieb,
das slowenische far, hervorgesproßt. Daß also die Lautgruppe var, far
nicht im Zusammenhange mit irgendeinem Vorsteher einer „paSa*^
steht, das liegt sehr auf der Hand; damit aber verflüchtigen sich auch
alle philologischen Betrachtungen des Herrn Zunkoviö ins leere
Nichts.
Hie und da führt Herrn Zunkoviö auch die alte Graphik aufs
Eis, mit deren Hilfe er mancherlei zu deduzieren weiß, von der er
aber wie aus allem zu ersehen, recht wenig versteht. ZmoUnig ist b
der alten deutschen Graphik richtig geschrieben für unser Smolnik.
Hierher gehört auch die Ableitung Bann — pan. PaSa*« bringt er in Ver-
bindung mit dem hebräischen Worte Pasha, vielleicht deshalb, weil
man ^es auf deutsche Art (so wie Schema) auch PaSa lesen kann. Die
Lautgruppe sh, sk aber ergibt in echt slowenischen Wörtern nirg^ends
ein S, sondern nur in Fremdwörtern. Herr ^niOcoviö sagt uns auch,
* Zu „Micheli''.
* Ztt ..Johanni**.
^ Drei.
» Uskoken.
*<* Die slowenische Entsprechung der deuischen topographischen Bezeichnung ^tCulm*.
" Pfaife.
« Weide, „Half*
* In das Deutsche aber kam das Wort aus lat.vidua. Bei Schmeller stebt der sekun-
däre Begriff an erster Stelle, weil er das AVort als echt deutsch kennzeichnen wollt«,
was es aber nicht ist.
Zeitschriftenschau. 238
laß die Tataren Schafe weideten und daß die „Kozaki^i^ deswegen
S^azaki heißen, weil sie Ziegen ^^ weiden. Übrigens deduziert Herr
Sunkoviö aus diesen Prämissen Folgerungen, die sogar ihm ,, paradox*'
irscheinen. Wer recht herzlich lachen will, der lese das Verzeichnis
baskischer Wörter auf Seite 57 und ich bin überzeugt, daß auch er
oait Herrn Zunkoviö ausrufen wird: „Diese wenigen Beispiele müssen
bereits jedermann stutzig machen . . .**
Nebenbei sei noch erwähnt, daß Herr 2iunkoviö die Bedeutung
der echten slawischen Wörter entstellt oder sich dieselbe auf seine
Weise zustutzt, z. B. beim russischen Worte vid-B, und daß er nicht
weiß, wie aus dem russischen Instrumental Berindoju der Nominativ
konstruiert wird (S. 132). Daß auch ihn der Falsifikator Hanka mit
seinen goldenen slowenischen flENAZE aufs Eis geführt hat, das ver-
zeihen wir ihm gerne; ist dies ja doch sogar gelehrten russischen
Professoren passiert.**
Wir haben dies Buch deshalb ausführlicher, als es verdient, und
sine irä et studio rezensiert, weil Herr ^unkoviö die Kritik so sehnlich
wünscht und geradezu herausfordert.
Das Schlußurteil, das wir über dieses Buch aussprechen müssen,
ist aber auch für uns kein^ erfreuliches. Dies Buch ist ein wahres
Elstemnest, in welches Herr Ziunkoviö alles, was ihm nur einigermaßen
geeignet schien, zusammengetragen hat. Aus allen möglichen Sprachen
hat er Wörter zusammengesucht, die wenigstens annähernd gleich lauten,
und auf diese Weise hat er seinem Machwerke eine Art wissenschaft-
licher Draperie umgehängt. Und mit solchen Mitteln will er etwas be-
weisen, was heute niemand mehr ernstlich bestreitet. Er ärgert sich
über Kritiker und Widersacher, weil er nicht weiß, daß ihm diejenigen
Leute am meisten Sfchaden bringen, die seinen Kuhm in die Welt
posaunen. Die Böte steigt uns ins Angesicht, weil die Fremden sehen
werden, mit was für Mitteln man unsere historische Priorität beweisen
will. Herr Zunkoviö aber ist erhaben Über jegliche Fehlbarkeit und ist
sich nicht einmal bewußt, daß er mit seinem Buche der Sache, die er
, vertritt, mehr geschadet als genützt hat. Und um das ruhige Bewußt-
sein, mit welchem er, überzeugt von seiner Unfehlbarkeit und erhaben
1 über jegliche Einwendung, doppelt erhaben Über die „verschiedenen
Autoritäten", die dritte Auflage seines Buches herausgeben wird, um
dieses ruhige Gewissen und feste Selbstbewußtsein beneiden wir ihn
; aufrichtig. J. A. Glonar.
Wir haben Obigem nichts beizufügen.
Zeitschriftenschau.
Zur frühesten Geschiehte des Passes über den Semmering«
Von Dr. Oskar Ken de. Im 33. Jahresberichte des k. k. Staatsgymna-
siums im XVn. Bezirke Wiens erschien obiger Aufsatz, der jenem «Zur
Handelsgeschichte des Passes über den Semmering" an erster Stelle
dieses Bandes der Zeitschrift zeitlich vorangeht.
** Kosaken.
»* Slov. koze.
** Siehe hierüber die Listy filologlckä, XZXIII., S. 487.
284 Zeitschriftenschau.
Ein Knrazeneinfftll in Steiermurk im Jahre 1704. Darüber be-
richtet uns das im steiermärkischen Landesarchive liegende „Diarium
des Kaspar Adleschitsch, Kaplans zu Grofisonntag'^, welches K. Buch-
berger (Graz) im Hefte 4 und 5 des 85. Bandes der „Österr.-ang.
Revue" veröffentlicht.
Ans franziseeiseher Zeit. Abenteuer eines Bamsaaer Pastors«
Georg Loesche schildert im 28. Bande des „Jahrbuches der Gesell-
schcft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich^ (S. 27
bis 89) die Amtstätigkeit des Pastors Johann Georg Overbeck und die
Verfolgungen, die er auszustehen hatte. ^Die Ironie der Geschichte
dieses Lebensganges liegt zunächst darin, daß ein evangelischer Pastor
seinen Amtsbruder denunziert; daß dieser sich wiederholt auf Zeug-
nisse katholischer Kleriker stützt und auch Erzbischof und Bischof lobt
und daß die Hofstelle den zu Ungunsten eines schon einmal abge-
setzt gewesenen Pastors abgefaßten behördlichen Bericht rügt.
Endlich auch darin, daß hier vor 110 Jahren im katholischen Österreich
um ein evangelisches Erbauungsbuch gerungen wird, da$ kürzlich (1904)
in einer Jubiläumsausgabe erschien und im klerikalen Österreich an-
standslos verkauft wird, während es in Preußen, das seine Größe dem
Protestantismus verdankt, vom Feilbieten im Umherziehen ausge-
schlossen ist."
Der Grazer SehloSberg 1809. Von Hauptmann Veltzö. Mit
zwei Textskizzen. Der V. Band der dritten Folge der Mitteilungen des
k. und k. Kriegsarchives bringt uns diesen auf reichiem Quellenmaterial
beruhenden interessanten Aufsatz. Die kriegerischen Ereignisse' dieses
Jahres, die tapfere Verteidigung des Schloßberges und die Heldenti^en
Hackhers entrollen sich nach dem Stande der neuesten Forschungen
vor unseren Augen, — Derselbe Band enthält noch: Johann Christoph
Müller. Ein Beitrag zur Geschichte vaterländischer Kartographie. Von
Hauptmann Paldus. - Feldzugsreise des Kaisers Franz I. von Öster-
reich im Jahre 1809. Mitgeteilt von Hauptmann Sommeregger. — Ge-
drängtes Journale zur Übersicht der Ereignisse bei der Armee ... des
Erzherzogs Johann in dem Feldzuge vom Jahre 1809. Mitgeteilt vom
Hauptmann Veits e.
Märztägre 1848. In der „Neuen Freien Presse '^ (Morgenblatt vom
18. März d. J.) veröffentlicht Ed. v. Wertheimer mit BenlUzung un-
gedruckten Quellenmaterials abermals Beiträge zur Geschichte derWiener
Revolution. Sie beruhen auf Äußerungen amtlicher Personen und ent-
halten Aufklärungen besonders über den Beginn der Bewegung, welche
die maßgebenden Kreise völlig unvorbereitet traf.
Graz in den März- nnd Apriltagen 1848 betitelt sich eine Ab-
handlung Dr. S. M. Pr.eros im 38. Jahresberichte des k. k. IL Staats-
gymnasiums in Graz, die uns in übersichtlicher Weise die Ereignisse
bis zur Erlassung der neuen Verfassung am 25. April 1848 vor Augen
führt. Über die Ereignisse am 17. und 18. November 1847 in Giaz
berichtet Franz Ilwof'in der „Grazer Tagespost" vom 15. und 16. No-
vember, die bereits die Märzereignisse des kommenden Jahres voraus-
sehen ließen.
Prinz Johann« Ein kurzer Lebensabriß für das Volk von Klod-
wig Thalhammer. Behandelt eigentlich nur den Erzherzog Johann als
Hammergewerken zu Vordernberg.
Zeitschriftenschall. 235
Feldmarsehall Graf Badetcky* ^ach authentischen Quellen be-
arbeitet von Hans von der Sann (Johann Krainz). Kurz vor
seinem Tode erschien diese von wahrer Begeisterung für das Vater-
land erftlUte Biographie in der neuen volkstümlichen Sammlung unter
dem Titel „Dlustrierte Geschichtsbibliothek fQr jung und alt^.
. MariaielL Über diesen berühmten Wallfahrtsort erschienen im
Jahre 1907 gleich zwei Monographien: „Geschichte und Beschreibung
der Gnadenkirche" etc. Verfaßt von P. Gerhard Rodler, Kapitular
des Stiftes St. Lambrecht und Schatzmeister der Kirche MariazelL Im
Selbstverlage. ^Mariazell. Geschichte und Beschreibung des berühmten
Wallfahrtsortes" etc. Von HansKÖgl. Im Selbsverlage. Der histo-
rische Teil ist in ersterer exakter gearbeitet.
Ton dem alten Ooldbergrwerke im Posrnekgrebirgre bei Mar-
burg erzählt Dr.V. Pogatschnigg, der sich seit Jahren mit der Ge-
schichte des Bergbaues und der Industrie in Steiermark, Kärnten und
Krain beschäftigt, in der „Grazer Tagespost" vom 2. Mai 1907.
Ausgrrabongr eines Gedenksteines ans dem Jalire 1601. Im
Hofe des Fürstenhauses in St. Gallen, nach dem früheren Eigentümer
Fürsten Montenuovc so benannt, jetzt im Besitze des Herrn E. A. Son
P e e z, ¥rurde beim Aufgraben eine große Platte aus rötlichem Marmor
gefunden. Die Platte ist mit dem sehr fein ausgearbeiteten Wappen
des Stiftes Admont sowie seines Abtes Hoffmann geschmückt und ent-
hält folgende Inschrift:
Haec Arx de Gallenstein ad Admontensem Abbatiam pertinens
per centum annos a variis pignoris löco dettenta tandem in R. Pris.
a. c. d. d. Joannis Hoffmani gubematiohe redempta est.
Anno D. MDCI.
(Diese Burg Gallenstein, zur Abtei Admont gehörig, durch hundert
Jahre verpfändet, wurde endlich unter der Regierung des Johannes
Hoffman zurückgewonnen. Im Jahre des Herrn 1601.)
Es war schon länger bekannt, daß beim Fürstenhause ein schönes
Marmorwappen des Stiftes Admont vergraben sei und wurde diese inter-
essante Gedenktafel nun n ehr ganz zufällig gefunden. Die Chronik be-
richtet von Johannes Hoffman, daß er, 29 Jahre alt, zum Abte ge-
wählt wurde und als eine seiner ersten Amtshandlungen den Gregoria-
nischen Kalender im Jahre 1583 (in Steiermark?) eingeführt hat. Es
wird ihm nachgerühmt, daß er das Stift durch weise Verwaltung vor
dem Ruine in religiöser und in wirtschaftlicher Hinsicht gerettet habe.
(„Grazer Tagblatt" vcm 23. August 1907.)
Das Bflrgerspital „Zum heiligen Geist^ in Gras. Zur Ge-
schichte dieser seit 700 Jahren bestehecden Anstalt bringt das „Grazer
Tagblatt** vom 23. und 24 August 1907 in einem Aufsatze neue Mit-
teilungen.
Ein Werk Peter Yischers im Grazer Mnsenm. Im 5. Hefte
des 10. Jahrganges (1907) von „Kunst und Kunsthandwerk", Monats-
schrift des k. k. österr. Museums für Kunst und Industrie, berichtet
Herr Direktor K a r 1 Lacher über eine Brozestatuette im kulturhisto-
rischen und Kunstgewerbe-Museum zu Graz, die er nach sorgfältigem
Vergleiche mit anderen bekannten Werken Peter Vischers diesem Nürn-
berger Meister zuschreibt. Zwei Abbildungen der interessanten Figur,
eines nackten Schwertkämpfers, bekräftigen die Ansicht Lachers.
236 Zeitschriftenschau.
Briefe MoiitB t. Kaiserfelds an Karl t« Streaiayr, ht
„Neuen Freien Presse^ (Morgenblatt vom 1., 8. u. 15. September 1
teilt OttokarWeber 37 Briefe Moritz v. Kaiserfelds mit, die
in den Jahren 1862 bis 1879 an seinen Landsmann und pol'
Freund Karl y. Stremayr gerichtet hat. Die Briefe stamnien Mm\
Nachlasse Stremayr s und sind eine willkommene Ergänzung des
Krones in seiner Biographie Kaiserfelds Terarbeiteten Materials.
Ans Karl Friedrich Freiherm y. Kttbeeks Ta|[rebfie]ter% 1
Der gewesene österreichische Abgeordnete Max Freüierr v. Kftb^
veröffentlicht im Septemberhefte 1907 der ^Deutschen Revne^
stücke aus den Tagebüchern seines Vaters, des Staatsrates und
österreichischen Finanzministers Karl Freiherr von Kübeck. Sie
ziehen sich auf den Tod des Kaisers Franz, den Regiernngsaal
des Kaisers Ferdinand, die Zusammenkunft der Kaiser Ferdinasd
Nikolaus mit König Friedrich Wilhelm III. in Teplitz, Intrignen
Fürsten Metternich und des Grafen Kolowrat, Erzherzog Kari
Kaiser Ferdinand. — Nach den mitgeteilten Proben dürften die i
nächst erscheinenden vollständigen Tagebücher manch interessi
Beitrag zur Zeitgeschichte bringen.
Das österreieblsehe historische Institut in Rom^ seine .
stehung, bisherige Wirksamkeit und Bedeutung für die Geschkl
forschung bespricht Gustay Gutmensch in der „Wiener Zeitü
Nr. 216 und 217 vom 19. und 20. September 1907. In dem Anfti
werden auch die wichtigsten Veröffentlichungen der Mitglieder des
stitutes verzeichnet.
Karl Lamprecht. Eine kurze aber klare Würdigung der Perfll
lichkeit sowie der vielumstrittenen historischen Methode des rasi
schaffenden Leipziger Gelehrten, von dessen „Deutscher Geschichte*
Oktober v. J. der achte Band erschien, gibt H. Helmolt in der Li
ziger „Illustrierten Zeitung" Nr. 3314 vom 3. Jänner 1907. Den iJ
satz schmückt ein Bildnis Lamprechts, der am 25. Februar sein
zigstes Lebensjahr vollendete.
Dr. Johann Grans^ der in den weitesten Kreisen bestbej
Konservator der steirischen Kunstdenkmäler und verdienstvolle Henv
geber des „Kirchenschmuck" feierte am 21. November 1906
70. Geburtstag. Aus diesem Anlasse bringen die „Histor. -politisdii
Blätter" (139. Band, 3. Heft, 1907) eine Würdigung des Kunstforsdrt
und Lehrers aus der Feder seines Schülers Dr. Johann Raul
in Graz.
Der historische Atlas der österreichischen Alpenl&nder«
den „Mitteilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft in Wien*, IS
4. und 5. Heft, bespricht Prof. Dr. R. Sieger sehr ausführlich i
mit größter Sachkenntnis die 1. Lieferung dieses großangelegten Weill
worauf wir besonders aufmerksam machen.
In Kommission der Yerlagabnchhandlang Leaschner & Lnbensky, Qraz.
Ankündigung.
Zufolge Ausschußbeschlusses werden die früher erschienenen Publi-
Icatlonen des Historischen Vereines für Steiermark durch die Vereinskanzlei
(Landesarchiv, Hamerlinggasse 3) für Mitglieder bis auf weiteres zu
bedeutend herabgesetzten Preisen verkauft» nämlich:
1. Mitteilangen des Historischen Vereines für Steiermarlc, seit 1850.
Preis per Hefl 60 Heller. (Vergriffen sind Heft 1, 2, 3» 4. 5. lO, 11, 12,
13, 17 und 18,)*
2. Beiträge zur Kunde stelermärklscher Geschichtsquellen, seit 1864.
Preis per Heft 60 Heller. (Vergriffen sind Heft 6, 7. 9» 10, 27.)*
3. Stelrlsche Zeitschrift für Geschichte, I. bis V. Jahrgang. 1903 bis
1907. Preis 4 Kronen.
4. StelermSrlcISOhes Landrecht des Mittelalters, bearbeitet von Dr. Fer-
dinand Bischoff, Graz 1875. Preis l Krone.
5. Urfcundenbuch des Herzogtumes Steiermark, bearbeitet von Dr. Josef
von Zahn, I. Band, Graz 1875. Preis 5 Kronen; II. Band, Graz l879,
^ Preis 4 Kronen; III. Band, Graz 1903, für Mitglieder 8 Kronen, Laden-
preis 14 Kronen.
6. Der Historische Verein für Steiermark, sein Werden und Bestand,
von Dr. Fr. Krön es Ritter von Marchland. Preis 20 Heller.
7. Slgismund Grafen von Auerspergs Tagebuch zur Geschichte der franz(Ssi-
schen Invasion vom Jahre 1797- Veröffentlicht von Kratochwill,
revidiert und mit Erläuterungen versehen von Dr. Fr. Krön es Ritter
von Marchland. Separatabdruck aus dem 28. Hefl der „Mitteilungen",
Graz 1880. Preis 50 Heller.
8. Ober das angebliche Turnier von 1194 und den „Tummelplatz^' zu Graz.
Von Dr. Josef von Zahn. Separatabdruck aus dem 84. Hefte der „Mit-
, teilungen« Graz 1887. Preis 50 Heller.
9. Die Festversammlung des Historischen Vereines fdr Steiermark
am 20. November 1892 zur Feier der 700jährigen Vereinigung der
Steiermark mit Österreich. Preis 30 Heller.
10. Übersicht der In den periodischen Schriften des Historischen
Vereines für Steiermark bis einschlie&llch 1892 verSITentllchten
Aufsätze. Preis 40 Heller.
•) Vergriffene Hefte werden xunickgekauft.