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ZEITSCHRIFT
DES
VEREINS
FÜR HAMBURGISCHE
GESCHICHTE
BAND XIII
HAMBURG
LUCAS GRÄFE & SILLEM
(EDM. SILLEM)
IQOS.
Seite
Ernst Baasch, Quellen zur Geschichte von Hamhurgs Handel und
Schiffahrt im 17., 18. und 19. Jahrhundert Von Heinr. Sieveking 396
Ernst Ton Halle, Die Seemacht in der deutschen Geschichte. Von
K. Hansing 398
Heinr. Gerstenherg, Die hamhurgische Zensur in den Jahren
1819—1848. Von Arthur Ohst 401
Hinweise und Nachrichten 164, 406
Berichtigungen 420
INHALT
Seite
Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. Von
Hermann Joachim 1
Jenaer Studentenhriefe von Johannes Versmann. Mitgeteilt von Adolf
Wohlwill 33
Zur Unehrlichkeit der Leineweher. Von Th. Schrader 67
Der Bildschnitzer Ludwig Münstermann von Hamhurg. Von Wilhelm
Becker 71
Weinakzise und Weinhandel in Hamhurg. Von Ernst Baasch 74
Zur (beschichte der hamburgischen Märkte. Von Hans Nirmheim . . 138
Das Amt Bergedorf. Geschichte seiner Verfassung und Verwaltung
his 1620. Von Hans KeUinghusen 181
Hamburg und der Islam, insbesondere am Ende des 17. Jahrhunderts.
Von Adolf Wohlwill 375
Bezensionen:
W. Melhop, Alt-Hamburgische Bauweise. Von Th. Raspe 142
Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, bearbeitet von G. Dehio.
Bd. n. Nordostdeutschland. Von W. Melhop 147
B. Uetzmann, Die geographische Lage Hamburgs. Von Kurt Ferher 149
G. Hindrichson, Das Einkunftsregister des Hauses Ritzebüttel aus
dem Jahre 1577. — Derselbe, Henrich Stanges Einkunftsregister
des Hauses Ritzebüttel aus dem Jahre 1577. Von Herm. Joachim 152
P. V. Hedemann-Heespen, Der Zustand der Herrschaft Pinneberg
nach der Reunion bis um 1700. Von Herm. Joachim 158
G. Arn. Kiesselbach, Die wirtschaftlichen Grundlagen der deutschen
Hanse und die Handelsstellung Hamburgs bis in die zweite Hälfte
des 14. Jahrhunderts. Von W. Stieda 391
Bad. Häpke, Brügges Entwicklung zum mittelalterlichen Weltmarkt.
Von A. Kiesselbach ^fifi
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Bratt t»B HaIU I*i* hi— rfct la 4rr 4««UrWa iff««ihi'btr. V..b
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ZEITSCHRIFT
DES
VEREINS
FÜR HAMBURGISCHE
GESCHICHTE
BAND XIII
ERSTES HEFT
HAMBURG
LUCAS GRÄFE & SILLEM
(EDM. SILLEM)
igo8.
DRUCK VON LOTCKE* WULFF • HAMBURG.
Die Begründung
der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels.
Von
Hermann Joachim.
Das ehemalige Dorf Döse bildet heute einen Teil der
mit dem 15. März 1907 ins Leben getretenen Stadt Cuxhaven.
Die Gemeinde Döse ist jedoch mit der Gemeinde Cuxhaven
schon vorher, ehe Cuxhaven zur Stadt erhoben ward, am
1. Mai 1905 unter dem gemeinsamen Namen Cuxhaven ver-
einigt worden. Damit hat der Name Döse aufgehört, eine
selbständige Ortsbezeichnung zu sein, und wird künftig nui-
weiterleben als Name eines Stadtteils, als Name des Kirch-
spiels und in den Bezeichnungen von Straßen, eines Deiches
und Außendeiches. Ganz dasselbe Schicksal, als Bezeichnung
einer selbständigen Ortschaft zu verschwinden, hat schon
früher der Name Ritzebüttel gehabt. Ritzebüttel — fem der
Elbe im Binnenlande — und Cuxhaven — der Elbe näher
an der Westseite des Ritzebütteler Schleusenpriels — waren
einst zwei getrennte, in verschiedenen politischen und kirch-
lichen Bezirken belegene Dörfer oder, wie man sagte, Flecken,
bis sie Ende 1872 zu einer neuen Gemeinde Cuxhaven zu-
sammengefaßt wurden. Der Name Ritzebüttel erhielt sich
nur als Bezeichnung für das ganze Amt und für einen kirch-
lichen Pfarrsprengel. Einen Ort, eine Gemeinde Ritzebüttel
gibt es seitdem ebensowenig, wie es seit 1905 einen Ort
Döse gibt. Die bei weitem jüngste Ansiedelung Cuxhaven
hat dank ihrer günstigen Lage und dank der steigenden
Bedeutung von Hamburgs Schiffahrt und Handel den Sieg
*) Vortrag, gehalten im Verein am 11. November 1907.
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Qesch. XTTI.
2 Heimann Joachim,
davongetragen über ihre viel älteren Schwestern und der
Gesamtgemeinde ihren Namen aufgedrückt. Denn während
Ritzebüttel und Döse jedenfalls schon im vierzehnten Jahr-
hundert als Ortschaften bestanden, gab es noch im Anfange
des achtzehnten Jahrhunderts, abgesehen von vereinzelten
Häusern, einen eigentlichen Ort Cuxhaven nicht. Seiner Her-
kunft entsprechend bezeichnete der Name Cuxhaven auch
damals noch in erster Linie den zum Hafen sich erweiternden
und als Haien dienenden Ritzebütteler Schleusenpriel und
nicht eine Ortschaft.^) Cuxhaven ist ursprünglich Name für
ein Gewässer, für den Hafen innerhalb des neuen Koogs,
den man 1570 anzulegen versuchte und dann 1618 wirklich
angelegt hat. Aus Koogshafen ist Cuxhaven geworden.*)
Der typische Prozeß, daß unter benachbarten Gemeinden
die mächtigste die anderen aufsaugt und ihnen ihren Namen
gibt, hat sich nun bei den beteiligten Ortschaften des Amtes
Bitzebüttel in den letzten 25 Jahren nicht zum ersten Male
abgespielt Vielmehr sind gerade die jetzt von Cuxhaven
absorbierten Dörfer Ritzebüttel und Döse durch diesen näm-
lichen Prozeß auch ihrerseits entstanden. Ritzebüttel aus
der Vereinigung des am Fuße der Burg und in ihrem Schutze
erwachsenen, nach der Burg benannten Burgfleckens Ritze-
büttel mit der vermutlich älteren, etwas östlicher belegenen
Ansiedelung Hardewik, deren Name forüebt in den Straßen
Gr. und Kl. Hardewik und im Hardewiker Kamp.*) Döse
aus der Vereinigung des sich ursprünglich nur an der Süd-
seite des Döser Strichwegs entlang ziehenden Döse mit dem
Vgl. z, B. G. y. BOTH, Geograph. Beschreibung der Herzogt. Bremen
u. Verden usw. (1718), gedruckt hn Archiv des Ver. f. Gesch. u. Altert,
d. Herzogt. Bremen u. Verden u. d. L. Hadeln zu Stade VI (1877),
S. 264: Das Flecken (n&mlich Bitzebüttel) oder diejenigen Häuser,
80 an den Deichen bis an Cuxhafen liegen. Bey Cusxhafen stehet auf
der einen Seite eine Backe, auf der andern ist das Tonnenhaus, ....
Der Cuxhafen ist ein guter Hafen für die Schiffe, welche mit der
Fluth bis an die Schleuse kommen können.
') Über die Etymologie vgl. schon D. BOHDE in der Festschrift z. Feier
d. 500 jähr. Vereinigung d. Amtes B. mit Hbg. (1894), 8. 80 ff.
*) Vgl. G. HiNDRiCHSON in d. Wissensch. Beilage zum Bericht der höheren
Staatsschule in C. (1905), 8. 7.
Die BegrOndung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 3
sich nmnittelbar an die Geest anlehnenden, vermutlich älteren
Steinmame oder Steinmarren, dessen Name sich erhalten
hat als Flurbezeichnung, vor allem im Gnmdbuchwesen, und
in den Bezeichnungen Steinmamer Deich und Außendeich.
Und Döse seinerseits ist wieder, jedoch schon vor dem sech-
zehnten Jahrhundert, zusammengewachsen aus Wester- und
OsterdOse.
Die Namen der beiden Dörfer Döse und Steinmame
sind nicht von Hause aus Siedelungsnamen. Es sind viel-
mehr auf die Dörfer erst übertragene Flurnamen. Des zum
Zeichen sagte man noch bis in die neueste Zeit korrekt nicht
„in Döse" und „in Steinmame", sondern „auf der Döse" oder
„zur Döse" und „auf der Steinmame". Beide Namen sind
charakteristische Bezeichnungen für die Beschaffenheit des
Grund und Bodens, auf dem die Dörfer angelegt wurden.
Dose ist ein friesisches Wort*) — ein deutlicher Hinweis auf
die Heimat der ersten zur Besiedelung der Marsch heran-
gezogenen Einwanderer. Es bedeutet den hellfarbigen Moos-
torf, die weiche Moosschicht auf den Torfmooren und kommt
in Ortsnamen vor in Nordholland, im Lande Kehdingen, in
Holstein und als Flurbezeichnung namentlich auch in Dit-
marschen.*) Ja, in Zusammensetzungen hat es sich in Döse
selbst als Flurname erhalten. Man unterscheidet noch heute
die Feldstücke nördlich und südlich des Döser Feldwegs als
Hoch- und als Leydösen, d. h. als hohe und als niedrige
Dösen. Wie überall in den Marschen liegt das höher auf-
geschwemmte Land, das Hochland, flußwärts, in Döse also
nördlicher; das niedriger gebliebene Land, das Siedland, da-
gegen landeinwärts, in Döse also südlicher. Bei dem Worte
Steinmame sodann ist der bestimmende Teil der zweite. Eine
mame ist ein höherer, vielfach sandiger Landstrich in den
Marschen oder Watten. Der Ort Mame in Ditmarschen ist
bekannt. Aber auch sonst begegnet das Wort als Orts-
bezeichnung in Holstein und ebenso auf dem linken Eibufer
') J. TEN DOORNEAAT KOOLMAN, Wörterb. der ostfries. Sprache I 322.
^ ROHDE 8. 88; H. JELLINGHAÜS in d. Ztachr. d. Gesellsch. f. Schlesw.
Holst. Gesch. 29 (1899), 8. 239; Korrespondenzbl. d. Ver. f. nieder-
deutsche 8prachfor8ch. XXVll (1906), 8. 8 f.
4 Hermann Joachim,
an der Oste, im Wesergebiet bei Lehe.^) Eine Steinmame
ist danach ein höherer, steiniger Landstrich der Marsch.
Und eine solche Bedeutung paßt vortrefflich zu der Natur
des Terrains, auf dem das Dorf Steinmame liegt: im unmittel-
baren Anschluß an die Geest stellt es sich als ein letzter
Ausläufer und Vorstoß der Geest in die Marsch dar.*)
Hier, so dürfen wir annehmen, an einer schon von Natur
gegen die Fluten geschützteren Stelle ward das erste Dorf
in der Marsch des Kirchspiels Altenwalde erbaut. Und die
Ausnutzung der gegebenen Terrainerhöhung brachte es mit
sich, daß eine Ansiedelung entstand, die in ihrer Gestalt von
dem gewöhnlichen Aussehen reiner Marschdörfer erheblich
abweicht. Während bei diesen die Höfe in langgestreckter
Eeihe dem Deiche folgend und unmittelbar hinter ihm neben-
einander zu liegen pflegen, macht Steinmame fast den Ein-
dmck eines Haufendorfes, eines in die Marsch gerückten
Geestdorfes. Erst in Döse erkennen wir das echte Marschdorf.
Aber um das recht zu können, müssen wir wissen, wo
der älteste Deich verlief, der doch auch Steinmame trotz
seiner im Verhältnis zu der übrigen Marsch etwas höheren
Lage gegen die Angriffe des Flusses gesichert haben muß.
Die Antwort auf diese Frage ist kürzlich ganz richtig ge-
geben worden. Der älteste Döser Deich verlief da, wo sich
heute die Straße Döser Strichweg befindet: dieser Strichweg
ist an die Stelle der früheren Deichflucht getreten.') Das
lehren mancherlei örtliche Merkmale; das lehrt der Umstand,
daß auch im Lande Wursten die als Striche bezeichneten
Wege aller Wahrscheinlichkeit nach alte Deichlinien sind.*)
Das zeigt endlich schon auf das unzweideutigste das Earten-
bild: die Grenze des angeschwemmten Landes müssen einst
die Hochdösen gebildet haben, und sie enden am Döser Strich-
weg. Das Döser Nordfeld ist insgesamt Neuland. Die Deich-
flucht des Döser Strichwegs aber, ansetzend an die äußerste
Spitze der Geestinsel, auf der Steinmame liegt, muß von hier
Jellinöhaüs S. 282.
^ Vgl. auch HiNDRICHSON S. 8.
') HiNDRICHSON S. 10.
*) G. V. D. Osten, Gesch. d. Landes Wursten I (1900), S. 17 ff.
Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. . 5
nach Norden abgebogen sein, um der Gestalt eben jener
Greestinsel folgend Steinmame mit zu umfassen und den An-
schluß an die eigentliche Geest zu erreichen.
Steinmame lag — entgegen einer neuerdings auf-
gestellten, ganz unbegründeten Behauptung^) — von Anfang
an binnendeichs. Die beschriebene alte Deichlinie aber
wurde, wie es scheint, zuerst im sechzehnten Jahrhundert
verlassen: im Jahre 1530 wurde der Döser Deich vorgerückt.*)
Wie weit, das wissen wir nicht. Jedenfalls so weit, daß nun
auch nördlich des als Verkehrsweg sich erhaltenden alten
Deichs, des Döser Strichwegs, Hofstellen angelegt werden
konnten. Gegenüber Döse, das erst auf diese Weise Raum
zu größerer Ausbreitung erhielt, war Steinmame damals noch
so viel bedeutender, daß hier im südöstlichen Teile des Ortes
der Platz für eine neue Kirche gewählt ward, als verschiedene
Gründe es rätlich erscheinen ließen, dem Marschteil des über-
großen Kirchspiels Altenwalde und den zunächst benachbarten
Geestdörfem Sahlenburg, Duhnen und Stickenbüttel eine
eigene gottesdienstliche Stätte zu bereiten.
Grandauer') erzählt, im Jahre 1543 sei mit Erlaubnis
des Rates in Steinmame eine Kapelle der h. Gertmd erbaut,
die später vergrößert und verschönert wäre. Zu gleicher
Zeit mit dieser Kapellengründung sei auch ein besonderes
Kirchspiel Steinmame von dem Umfang des späteren Döser
Kirchspiels eingerichtet: ein Prediger und ein Küster wären
eingesetzt, zu ihrer und der Kirche Unterhaltung hätten die
Kirchspielsleute eine jährliche Zulage zu den Vierzeiten er-
*) HiNDBiCHSON S. 8; Vgl. die unten folgende Rezension.
^ K. KOFPMANK, K&mmereiredmungen d. St. Hbg. V (1883), S. 414:
Pro diversia materialibuSf lapidibus, lignia rotundia et quadratis
structuralibus, pretio Idbarantium ad usum aggerum novorum,
fossaiorum et fortalitii, fereamentia, cemento et hura navium et
vecHgalibus 540 % 16 ß 6 ^. Dominus Theodericua Lange et eius uxor
receperunt auceessive ex eameraria in promptia pecuniia ultra premiaaa
ad prefatum uaum pro expenaia laborantium iuxta regiatra dicH
caatri et domini Theoderici Langen aummam 655 % 4 ß. Vgl. noch
ebenda S. 612 (unten) u. S. 546 (oben).
*) Gedenkbach des hamb. Amtes Ritzebüttel (1852), neu bearbeitet von
Abthue Obst (1892), 8. I7l f.
6 Hermann Joachim,
legen müssen. GrandaüER veröffentlichte sein Buch im
Jahre 1852. Seine Darstellung des Vorgangs läßt sich jedoch
noch weiter zurückdatieren. Denn sie ist geflossen aus einer
im Döser Kirchenarchiv befindlichen Aufzeichnung, die der
dort von 1776 bis 1812 amtierende Pastor WILHELM Greve
verfaßt^) und in ein von ihm 1786 angelegtes Kirchenbuch
eingetragen hat.*) Aber dadurch wird sie nicht besser. Sie
leidet an einem inneren Widerspruch. Man sieht nicht ein,
warum das Steinmamer Gotteshaus eine Kapelle genannt
wird, wenn es von vornherein eine Kirchspielskirche war.
Man begreift nicht, was die Nachricht von der späteren Ver-
größerung und Verschönerung dieser Kapelle in dem vor-
liegenden Zusammenhange eigentlich bezweckt.
Die Erklärung liefert ein anderer Zweig der chroni-
kalischen Überlieferung. Nach der Chronik des Landes
Hadeln*), die hauptsächlich die Sammlungen des Altenbrucher
Aktuars SCHERDER verwertet, wurde die Kapelle der h.
Gertrud mit Bewilligung des Rates im Jahre 1543 zu einer
Kirche ausgebaut. Sie wurde aus diesem Anlaß erst mit
einem Pastor und Küster versehen, und es wurden ihr von
den Kirchspielsleuten durch eine regelmäßige Umlage die
nötigen Mittel zur Verfügung gestellt. Das heißt also: eine
Kapelle, natürlich als Filiale der Altenwalder Kirche, gab es
in Steinmame'schon vor dem Jahre 1543. Wann sie errichtet
worden ist, wird nicht gesagt. Im Jahre 1543 wurde ledig-
lich die Kapelle zur Pfarrkirche erhoben, wurde das vom
Altenwalder gesonderte Döser Kirchspiel begründet. Daß
diese an sich einleuchtendere Entstehung von Kirche und
Kirchspiel den Tatsachen entsprechen wird, dürfen wir um
so eher vermuten, da ein so kundiger Mann wie der Syndi-
kus Johann Klefeker in dem 1772 erschienenen elften
^) Seine Quelle, außer für die Jahreszahl, war wieder die Einleitung zu
dem später zu erwähnenden, 1582 angelegten Döser Kirchenbuch, die
er jedoch Töllig mißTcrstanden hat.
*) Auszüge aus diesem Kirchenbuche in einem gleichzeitigen KoUekta-
neenband des Amtsarchivs (Ad X Fach 1 Vol. A).
*) (1843), S. 145. D. W. BÜLKAU, Hadeleriologia bist. (1722) erwähnt
die Begründung der Döser Kirche nicht.
Die Begrttndmig der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 7
Bande seiner Sammliing der hamburgischen Gesetze und Ver-
fassungen^) deutlich ausspricht, die Döser Kirche habe an-
fangs nur das Verhältnis einer Tochter oder Filiale zu der
Altenwalder gehabt, sei dann jedoch wegen verschiedener
Land- und Eirchenimmgen von ihr ganz abgetrennt und mit
einem besonderen Eirchensprengel ausgestattet worden. Daten
aUerdings gibt Elefekeb nicht.
Wahrend also die beiden erörterten, einander wider-
spi*echenden Traditionen sich bis in das letzte Viertel des
achtzehnten Jahrhunderts zurückverf olgen lassen, taucht eine
dritte, offenbar lediglich auf Kombination beruhende Dar-
stellung zuerst um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts
fast gleichzeitig bei Neddebmeteb*) und Lappenberg') auf.
Danach ist die St. Gertrudkapelle im Jahre 1543 erbaut, aber
alsbald vom Meere verschlungen worden; die Kirchspiels-
kirche ist erst später, nach LAPPENBEBG freilich gar in dem-
selben Jahre 1543 an die Stelle der zerstörten Kapelle ge-
treten. Mit einer kleinen Variation hat diese Ansicht noch
Gaedeghens^) geteilt. Allein sie ist aus dem einfachen
Grunde nicht haltbar, weil die in der ßitzebütteler Lokal-
literatur, z, B. bei Abendroth*), sich findende Erzählung,
Steinmame sei vom Meere verschlungen, eine Sage ist.
Steinmame existiert, wenn auch nicht dem Namen nach, noch
heute. Andere hamburgische Schriftsteller neuerer Zeit haben
sich mit richtigem Instinkte der durch die Chronik des Landes
Hadeln vermittelten Überlieferung angeschlossen: die schon
vorhandene Kapelle sei im Jahre 1543 in eine Pfarrkirche
umgewandelt worden. Aber sie haben auch das Bedürfnis
gefühlt, ihren Lesern mitzuteilen, wann denn nun die Kapelle
zuerst errichtet sei, und haben schlankweg hinzugedichtet,
was sie in der Überlieferung nicht vorfanden: der eine ^) läßt
') 8. 776.
') Zur Statistik und Topographie d. St. Hbg. (1845), S. 174.
*) Die Eibkarte des Melchior Lorichs (1847), S. 29 f.
*) Histor. Topographie d. fr. u. Hsst. Hbg. (1880), S. 120.
*) Ritzebüttel u. d. Seebad Cuxhaven (1818), S. 187.
^ J. A. R. Janssen, Ausführl. Nachrichten über die . . . Kirchen u. Geistl.
der . . . St. Hbg. (1826), S. 239.
8 Hermann Joachim,
die Kapelle lange vor der Reformation, der andere ^) im Jahre
1534 begründet sein.
Wir werden die gleiche Wißbegierde haben, müssen uns
aber nach besseren Mitteln umsehen sie zu befriedigen.
Wir werden außerdem eine urkundliche Bestätigung dafür
wünschen, daß das Kirchspiel wirklich im Jahre 1543 ein-
gerichtet ist. Und gerade diese Zahl, die überall wieder-
kehrt, erweist sich zu unserer Überraschung als falsch.
In einer Akte des Amtsarchivs Ritzebüttel*), dessen
historische Bestandteile vor längerer Zeit in das Staatsarchiv
überführt sind, ist in einer späteren Abschrift eine undatierte
Eingabe auf uns gekommen, welche die Kirchgeschworenen
und die ganze Gemeinde zur Neuen Kirche an den Hauptmann
auf dem Schlosse Ritzebüttel gerichtet haben. Diese Eingabe
hat zum wesentlichen Inhalt die Bitte an den Hauptmann,
er möge der Gemeinde den Prediger Herrn Heinrich lassen,
den sie jetzt habe; denn die Gemeindemitglieder seien nicht
gesonnen nach Altenwalde zur Kirche zu gehen. Die Gesuch-
steller berufen sich auf die Fürsorge, welche die Amtsvor-
gänger des Hauptmanns und er selbst bisher ihren kirch-
lichen Bedürfnissen hätten angedeihen lassen. Sie nennen
als diese Vorgänger die Herren Dirck Lange, Jürgen
Plaeth und Vincent. Der letztere ist der Ratsherr Vincent
Moller, der nach Georg Plate in den Jahren 1543 bis 1549
die Hauptmannschaft bekleidete.') In die Zeit seines Nach-
folgers, Joachim Moller, der von 1550 bis 1558 in Ritze-
büttel war,^) muß daher die Abfassung der Bittschrift fallen,
und zwar, da auch ihm schon mannigfache Verdienste um
die Gemeinde nachgerühmt werden, jedenfalls nicht in den
Beginn seiner Amtstätigkeit. Nun wissen wir anderweitig^),
daß ein Herr Heinrich, der Pastor zu Steinmame war,
am 22. August 1557 zum Prediger in Altenwalde erwählt
>) F. A. Becker, Caxhaven a. d. Amt Eitzebüttel (1880), S. 232 f.
^ X Fach 10 Vol. A Fase 1.
"^^ KOPPMANN, Kaminereirechn. TU (1894), S. CCJVI.
Ebenda.
AR X Fach 15 Vol. A.
Die Begründimg der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 9
wurde.*) Wir werden also nicht zweifeln, daß es sich um eben
dieses Herrn Heinrich Belassung bei der Neuen Kirche in der
uns beschäftigenden Eingabe handelt, und daß unter der Neuen
Kirche die Kapelle zu Steinmame zu verstehen ist. Wir
können mithin das Datum der Bittschrift mit Sicherheit auf
die Monate Juli oder August des Jahres 1557 bestimmen.
Das Schriftstück verdient im Wortlaute mitgeteilt und
gelesen zu werden.*) Vortrefflich disponiert und abgefaßt
zeichnet es sich vor anderen amtlichen Aktenstücken dadurch
aus, daß es einen ganz persönlichen Ton treuherzigen Vertrauens
und fester Willensentschließung anschlägt und so unmittelbar
zum Menschen spricht. Sachlich aber sind die Ausführungen,
die darin gemacht werden, für uns so wertvoll, weil sie sich
eingehend über die Zeit und die Veranlassung zur Begründung
einer Kapelle in Steinmame verbreiten. Um nämlich zu zeigen,
wie wohlwollend sich die Obrigkeit von Anfang an den
Wünschen der Gemeinde gegenüber verhalten habe, wird
daran erinnert, daß der Rat von Hamburg auf Antrag seiner
Untertanen während der Amtsperiode des Ratsherrn Dirck
Lange die Erbauung einer kleinen Kirche und die Anstellung
eines Predigers gestattet habe, der ihnen Gottes Wort richtig
vortragen könnte. Damit ist die Entstehung der Kapelle
auf die Zeit zwischen 1526 und 1530 ') datiert. Es ist aber
femer durch den Hinweis auf das rechte, reine Wort Gottes,
dessen Predigt sie dienen sollte, der Zusammenhang mit
der Reformation erwiesen.
Allein die Eingabe beschränkt sich nicht auf diese
Andeutung. Sie läßt vielmehr bis ins einzelne die Gründe
Er hieß mit Nachnamen Voß und starb in Altenwalde 1581. Es
folgte ihm dort David Vogt. Am 7. April 1584 war dessen Nach-
folger Hieronymns Wildemann (oder WiUemann) aus Hamburg
bereits erwfthlt Er ist jedoch nach kaum einem Jahre gestorben:
am 14. Mai 1585 ward Heinrich Koep als Pastor eingeführt. Dieser
hat dann Altenwalde schon im Herbst 1586 wieder verlassen. Noch
in demselben Jahre wurde Heinrich Mathfeld eingeführt, der jeden-
falls 1594 noch im Amte war. — Hiemach sind die ungenauen Angaben
bei Grandauer S. 170 zu berichtigen oder zu ergänzen.
^ Siehe den Abdruck im Anhang Nr. 1.
•) Koppmann a. 0.
10 Hermann Joachim,
folgen, aus denen der Rat zu jener Vergünstigung bewogen
sei. Und unter diesen Gründen steht denn gleich an erster
Stelle: in Altenwalde wären damals der katholische Kultus
und die katholische Lehre noch in voller Geltung und Übung
gewesen, während man sich sonst in diesen sächsischen Landen
vom Katholizismus schon hätte abgewandt gehabt und auch
die späteren Kapellenzugehörigen seiner hätten entledigt
werden wollen. Die Begründung eines eigenen Gotteshauses
bezweckte also die Einführung der Reformation in dem
Marschteile des Kirchspiels Altenwalde und den benachbarten
Geestdörf em, und das ist, soviel ich weiß, überhaupt die erste
Nachricht, die wir über ihr Auftreten im Amte Ritzebüttel
erhalten. Nur so konnte man dieses Ziel erreichen; an die
Reformierung des Gottesdienstes in der Altenwalder Pfarr-
kirche selbst war noch nicht zu denken. Denn hier gebot
als Landesherr der Erzbischof Christoph von Bremen, der bis
zu seinem Tode im Jahre 1558 ein erklärter Gegner der
Reformation blieb, wenn er auch deren allmähliche Aus-
breitung in seiner Diözese nicht zu verhindern vermochte.^)
Und hier war der Einfluß des Nonnenklosters Neuenwalde
noch zu mächtig, von dem die Bewohner Altenwaldes und
der fünf Heidedörfer grundherrlich abhängig waren. Das
Kloster blieb noch Jahrzehnte lang, mindestens bis 1570,
dem alten Glauben treu*): als 1557 vor der Wahl des Stein-
mamer evangelischen Predigers Heinrich Voß zum Pastor
der Altenwalder Pfarrkirche auch die Zustimmung der Domina
des Klosters eingeholt ward, gab sie der HofEnung Ausdruck,
daß er Gottes Wort predigen, sich aber des Scheltens auf
die Jungfrauen enthalten werde.*)
Dagegen die übrigen Teile des Kirchspiels Altenwalde —
außer dem Dorf Altenwalde selbst und den fünf Heide-
dörfem — waren von jeder Rücksicht auf geistliche Gewalten,
die am Katholizismus festhielten, frei. Sie waren gerichts-
^) Vgl P. V. KOBBE, GescL u. Landesbeachreibung der Herzogt. Bremen
u. Verden H (1824), S. 214 f., 218; H. RÜTHER im Urkb. des Klosters
Neuenwalde (1905), S. 31.
') RÜTHER S. 32 f.
'; AR. X Fach 15 Vol. A.
Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 1 1
herrlich und gnindherrlich allein der Stadt Hamburg unter-
geben, und wie sie einst zum Lande Hadeln gehört hatten,
so waren sie mit diesem in Sitten, Bechtsgewohnheiten und
Anschauungen noch jetzt auf das engste verbunden.^) Daher
kam denn auch der Anstoß, der sie der Reformation zu-
führte.*) In Hadeln hatte die Predigt des Evangeliums, wie
es scheint, schon 1521 begonnen und hier hatte der Landes-
herr selbst, der Herzog von Sachsen-Lauenburg, aus politischen
Gründen, um dem Einfluß des Bremer Erzbischofs, der An-
sprüche auf das Land erhob, entgegenzuarbeiten, seit 1526
die Beformation in steigendem Maße zugelassen und be-
günstigt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ordnete er bereits
am 2. Juli 1526 eine allgemeine Kirchenvisitation in Hadeln
an, und vermutlich im Jahre 1529 kam dann die refor-
matorische Bewegung durch den Erlaß einer evangelischen
Eirchenordnung zum siegreichen Abschluß.
Wie diese Ereignisse auf das Amt Bitzebüttel die
stärkste Bückwirkung haben mußten, wie wenigstens dessen
Marschbevölkerung mindestens seit Ende 1526 immer
stürmischer auf die Beformation hingedrängt haben wird, so
kam ihrem Streben schließlich die Wendung entgegen, welche
die lutherische Sache in Hamburg selbst nahm. Mit dem
Anfange des Jahres 1528 dürfen die Kämpfe, die dort um
die reine Lehre geführt waren, als zu ihren Gunsten ent-
schieden gelten: am 18. Dezember 1527 hatte der Bat die
Gotteskastenordnung von St. Nikolai als für allcf Kirchspiele
verbindlich anerkannt und im März 1528 berief er mehrere
evangelisch gesinnte Männer in seine Mitte.') Daß der Bat
*) Charakteristisch ist auch, daß in älterer Zeit, soyiel ich sehe, nur
von den heiden Kirchspielen Altenwalde und Groden oder von dem
Gebiet des Rates gesprochen wird. Der Begriff des Amtes Ritze-
büttel, der die Scheidung der Kirchspiele von ihrer Umgebung und
ihre Heraushebung aus dem Zusammenhange mit der Landschaft
stärker betont, scheint erst seit etwa der Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts nachweisbar zu sein.
*) Vgl. für das Folgende Fr. Gerss in der Ztschr. d. histor. Ver. f.
Niedersachsen 1878, bes. S. 305 ff.
*) Vgl W. SILLEM, Die Einführung der Reformation in Hbg. (1880),
8. 82 u. 91 f.
12 Hermann Joachim,
schon vorher seine Erlaubnis zum Bau der Steinmarner
Kapelle und damit zur Einführung der Reformation im Amte
Kitzebüttel sollte gegeben haben, das wird man kaum glauben
können. Mit gutem Rechte werden wir daher als Zeitpunkt
der Begründung der Kapelle, der späteren Döser
Kirche das Jahr 1528 oder 1529 ansetzen dürfen.
Doch wenn auch die Sehnsucht nach dem Evangelium
die Hauptursache der kirchlichen Absonderung von Alten-
walde gewesen war, so kennt die Bittschrift außerdem noch
zwei Nebengründe, die dazu mitwirkten. Der erste bestand
in der Gefahr, die mit dem Besuche der Altenwalder Kirche
verknüpft war. Die dortige Bevölkerung war händelsüchtig
und gewalttätig, so daß die Leute aus der Marsch und den
anliegenden Geestdörfem es vorzogen die Kirche zu meiden.
Sie schrieben den hohen Grad, den die Streitiust der Alten-
walder erreicht hatte, und die Leichtigkeit, mit der sich
diese zu blutigen, wohl gar den Tod veranlassenden Körper-
verletzungen hinreißen ließen, dem Umstände zu, daß es bei
ihnen Rechtens war, jede Art und Zahl von Verwundungen
nur mit zehn Schillingen Strafe zu büßen. Daher seien sie,
wie die Eingabe mit beweglichen Worten schildert, so trotzig
geworden, daß niemand in ihrem Dorfe in Frieden ein Butter-
brot essen oder ein Glas Bier trinken könne, ohne angefallen
und belästigt zu werden; ja zu Mord und Totschlag sei es
schließlich gekommen.
Daß die Altenwalder schon seit Jahrhunderten in einem
schlechten Rufe standen, dafür besitzen wir aus dem Jahre
1282 einen Beleg. Damals sprach Erzbischof Giselbert von
Bremen in einer Urkimde aus, das eben von Midlum nach
Altenwalde verlegte Nonnenkloster befinde sich hier inmitten
einer bösen und verderbten Bevölkerung, die mehr zu Untaten
und Gesetzwidrigkeiten neige als zu dem, was Gott wohl-
gefällig sei.*) Höheres Interesse erheischt und mehr der
Erläuterung bedarf, was als wirksames Beförderungsmittel
dieser Neigung zu Gewalttätigkeiten angeführt wird: die
Urkb. d. Klosters Neuenwalde Nr. 6: ... situm est (sc. monasterium)
in medio naüonis prave et perverse, qw mctgia intendii enormihus
ei ülidtis, quam deo placitis intendere videatur etc.
Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 13
strafrechtliche Bestimmung, wonach Wunden jeder Art
und Zahl lediglich durch ein an den Richter zu zahlendes
Grewette von nur zehn Schillingen bestraft wurden. Der
Sachsenspiegel kennt einen ähnlichen Bechtssatz nicht: nach
ihm werden Lähmung und Wunden mit dem Verlust der
Hand gebüßt.^) Aber einmal hebt der Sachsenspiegel aus-
drucklich hervor, daß im Lande Hadeln, wie in Holstein und
Stormam, besonderes Recht und besonderes Gewette gelte,
das er nicht mit behandele.^ Und sodann haben wir es in
Altenwalde auch innerhalb Hadelns mit einer kleinen
erzbischoflich-bremischen Gerichtsenklave zu tun, wo sich
altertümliche Gewohnheiten leichter erhalten, partikulare
Eigenheiten leichter ausbilden konnten.
Eine Sühne von zehn Schillingen für Wunden erinnert
auf den ersten Blick an das alte Strafrecht der Volksrechte.
Nur besteht der wesentliche Unterschied, daß das volks-
rechtliche Sühnegeld eine Buße war, die zum größeren Teile
dem verletzten Kläger, zum kleineren als Friedensgeld dem
Richter zufiel, daß femer das volksrechtliche Sühnegeld nicht
eine einzige Taxe hatte für alle möglichen Wunden von der
leichten Schramme bis zur todbringenden Verletzung, sondern
mannigfache Abstufungen je nach der Schwere, den besonderen
Merkmalen und der Zahl der Wunden. Dieses Sühnesystem
der alten Volksrechte ist in der Tat in manchen Teilen
Deutschlands lebendig geblieben bis weit über das Mittelalter
hinaus. Die dem Strafrecht zugiimde liegenden Prinzipien
änderten sich vielfach nicht: nur wurden die dem Verletzten
zu zahlenden Bußen, die nach der Verschiedenheit der
Beschädigungen variierten, dem sinkenden Geldwert ent-
sprechend erhöht und auch wohl das jetzt meist in besonderen
Strafsätzen normierte, dem Richter zu leistende Gewette in
seiner Bedeutung als Sühne für den Bruch des öffentlichen
n 16 § 2; ygl. auch y. FRIESE, Das Strafrecht des Sachsensp. (GlERKEs
Unters, z. deutsch. Staats- u. Bechtsgesch. 55), 1898, S. 230 ff., dessen
Erörterungen jedoch zu Zweifeln Anlaß geben.
^ m 64 § 3: Der geindU ist doch gnük binnen deme herzogtüme, die
sunderlich recht wollen haben, cUsd Holzsezen und Sturmere und
Hedelire; von irem rechte noch von irme gewette en aege ich nicht.
14 Hermann Joachim,
Friedens stärker betont. Daneben ist dann freilich in anderen
Gegenden Deutschlands schon früh im zwölften und drei-
zehnten Jahrhundert das volksrechtliche Sühnesystem bei
schwereren Körperverletzungen verlassen. An die Stelle trat
die rein öffentliche Strafe, die Leibesstrafe, die den Ver-
brecher verstümmelte oder tötete. Vor allem die Land-
friedensgesetzgebung und die Städte, in denen sich sehr bald
ein Bedürfnis nach erhöhten Garantien für die Sicherung des
Friedens herausstellte, haben eine führende Rolle gespielt
bei der Einführung und Verbreitung dieser neuen Strafart.
Aber neben ihr verschwand das alte Sühnesystem nicht; zu
gleicher Zeit kann man vor dem Durchdringen des römischen
Rechts auf entgegengesetzten Prinzipien beruhende Straf-
bestimmungen im deutschen Reiche antreffen. Und die örtliche
Verschiedenheit war verwirrend groß: fast jedes Dorf hatte
sein eigenes Strafrecht. ^)
Die Besonderheit des Altenwalder Strafrechts liegt also
nicht darin, daß es keine Leibesstrafen für schwere Körper-
verletzungen kennt, auch nicht darin, daß man auf die Ana-
logie mit den alten Volksrechten geführt wird. Das Merk-
würdige ist vielmehr, daß hier die dem Sühnesystem der
Volksrechte zugrunde liegenden Prinzipien in entstellend
verkürzter und verkümmerter Form auftreten. Was bei der
Sühne die Hauptsache war, ist hier ganz fortgefallen: die
Buße, der Schadensersatz für den Verletzten. Übrig geblieben
ist allein das Gewette; dessen geringer Betrag aber rührt
her von dem niedrigen Range des in Altenwalde amtierenden
Richters, eines erzbischöflichen üntervogtes. Und weil die
Buße fehlt, die nach Art und Zahl der Wunden verschieden
bemessen ward, ist das Resultat ein einziger Strafsatz, der
in sinnloser Verallgemeinerung auf jede Verwundung an-
gewandt wird. Es ist jedoch keineswegs allein Altenwalde,
wo derartige Entartungserscheinungen des alten Sühnesystems
sich zeigen. Ähnliches kommt hier und da überall in Deutsch-
Vgl. auch L. GÜNTHER, über die Hauptstadien d. geschichtl. Ent-
wickelnng d. Verbrechens der Körperverletzung (Erlanger Diss. 1884),
S. 73 ff., 9dfif., 103 ff. Die Schrift liefert in der Hauptsache nur
nützliches Material, ohne selbst zu klaren Ergebnissen zu gelangen.
^ Die Begrttndmig der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 15
land vor. Im Jahre 1518 hob Herzog Friedrich eine Rechts-
gewohnheit der Untersassen des Klosters Bordesholm in
Holstein auf, die sich aller Inanspruchnahme w^en zugefügter
Wunden oder Schläge durch sofortige Entrichtung von acht
Schillingen entledigen zu können glaubten.^ In dem Dorfe Rodt
in Württemberg büßte man nach einer Rechtsauf zeichnung aus
dem Jahre 1483 Schl&ge, bei denen Blut floß, selbst wenn
ae den Tod herbeiführten, der Obrigkeit mit fünf Schillingen.*)
Derselbe Betrag begegnet im Jahre 1539 für jeden Frevel
in der Herrschaft Loßburg in Württemberg.*) Die Untertanen
des Klosters St. Trudbert in Baden zahlten im fünfzehnten
Jahrhundert ein Gewette von neun Schillingen.*) In der
Rhein- und Moselgegend stand an einzelnen Orten in der
ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts auf blutige
Wunden eine Strafe von zehn Weißpfennigen.*) Und diese
Beispiele lassen sich leicht vermehren.
Wenn danach der Altenwalder Strafsatz für uns an
Auffälligkeit viel verliert, so können wir doch andererseits
verstehen, weshalb er den übrigen Einwohnern des Kirch-
spiels absonderlich vorkam. Sie unterstanden, anders als die
Altenwalder, sämtlich der Gerichtsbarkeit des Rates von
Hamburg. Aber darum galt für sie nicht etwa ohne weiteres
Hamburger Stadtrecht. Dies drohte freilich schon seit dem
dreizehnten Jahrhundert für Wunden, die mit scharfen Waffen
beigebracht waren, den Verlust der Hand an und sogar für
unblutige Schläge sehr viel höhere Sühnegelder, die doppelt
und dreifach zu zahlen waren: als Buße dem Kläger, als
Gewette dem Vogt und außerdem dem Rate.*) Die Kirch-
spiele Altenwalde und Groden waren, ehe Hamburg sie
erwarb, gerichtliche Unterbezirke des Landes Hadeln. Es
war Hadeler Gewohnheitsrecht, nach dem Schultheiß und
E. J. V. Westphalen, Monumenta inedita n (1740), Nr. 419 Sp. 510.
Der Text der Urkunde ist im Abdruck unheilbar verderbt.
*) Württembergische Vierteljahrshefte XH (1903), S. 145 I 6.
^ Jacob GuDOf, Weistttmer I 393.
*) Ebenda VI 381, § 2.
^ Ebenda n 392 u. 703.
«) Stadtrecht von 1270 IX 2; von 1497 M VI.
16 Hermann Joachim,
Schöffen in den Kirchspielen richteten, und daran hat der
neue Gerichtsherr, der Rat von Hamburg, zunächst nichts
geändert. Erst mehr als 250 Jahre später in der Mitte des
siebzehnten Jahrhunderts wurden das Hamburger und sub-
sidiär das gemeine Recht als allein maßgebend im Amte
Riteebüttel eingeführt.^) Das Hadeler Landrecht nun ist
in der Gestalt, in der es seit Menschengedenken angewandt
war, im Jahre 1583 kodifiziert worden.*) Und da finden wir
denn einen ausführlichen Titel von leiblichen Schäden und
deren Strafen,*) der uns das Erstaunen und den Unwillen der
hamburgischen Untertanen im Kirchspiel Altenwalde über das
abweichende Strafrecht dieses Dorfes und seine verderblichen
Wirkungen begreiflich macht. Zwar Leibessü-afen für Körper-
verletzungen kennt auch das Hadeler Landrecht nicht: es
hen^scht noch das reine Sühnesystem, aber ein Sühnesystem,
das fein detailliert und reich ausgebildet ist, und das nirgends
einen ähnlich niedrigen Satz für das Gewette aufweist, wie
er in Altenwalde üblich war. Dafür einige Beispiele. Das
Ausstechen eines Auges, das Abhauen von Ohr, Hand, Fuß
oder Nase und jede lebensgefähi-liche Wunde wui'den mit
30 Mark (dem halben Wergeid) Schadensersatz an den Ver-
letzten gebüßt, und die Obrigkeit erhielt ein Gewette von
60 Schillingen, den Betrag des fränkischen Königsbanns. Wurde
ein Zahn ausgeschlagen, Finger oder Zehen abgehauen, so belief
sich die Buße auf 20 Mark; das Gewette von 60 Seh. blieb
dasselbe. Eine Fleischwunde im Gesicht, die mit dem Hut oder
den Haaren nicht bedeckt werden konnte, kostete 100 Seh.
Schadensersatz, und wenn sie nach Jahr und Tag eine große
Narbe hinterließ, abermals 100 Seh.; das Gewette war in diesem
Falle auf 30 Seh., den halben Königsbann, bemessen. Wunden,
die bis auf den Knochen gingen, die eine Ader oder Sehne
zemssen oder freilegten, ohne eine Lähmung hervorzurufen,
Vgl J. Klefeker, Samml. d. hbg. Gesetze XI 774; N. A. WEST-
PHALEN, Hbgs. Verfass. u. Verwaltung ü* (1846), S. 430; H. Bau-
meister, Das Privatarecht der fr. u. Esst. Hbg. I (1856), S. 16.
^ Gedruckt bei E. Spangenbekg, Corpus privileg. et constitut. terrae
Hadeleriae (1823), S. 59 fP.
') Teil IV Tit. 8 (Spanoenbeeg S. 92 ff).
Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 17
galten 5 Mark und 30 Seh. Brüche.*) Noch auf Braun- und
Blauschläge stand ein Gewette von 30 Seh. Alle diese Buß-
und Strafsätze sollten aber nur bei Körperverletzungen An-
wendung finden, die ohne bösen Vorsatz, Frevel und Mut-
willen zugefügt waren; konnte das Gegenteil bewiesen werden,
so wurden die Sätze verdoppelt.
Auch dafür haben wir Belege, daß in der zweiten
Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts die Gewettesätze des
Hadeler Eechts im Amte Ritzebüttel gezahlt sind. So werden
in der Einnahmerechnung des Hauses Bitzebüttel aus dem
Jahre 1578*) unter den Brüchen aufgeführt 4 Mark für eine
Blutwunde und 16 Mark für zwei gefährliche Wunden. Beiden
Beträgen liegt offenbar der Satz von 60 Seh. zugrunde, der
nach oben auf 4 Mark abgerundet und in den zweimal
8 Mark verdoppelt ist. Spricht sieh schon hierin vielleicht
eine leise Tendenz der städtischen Obrigkeit auf Erhöhung
der Strafsätze aus, so läßt sich in einem Falle das Streben
des Rates, die schärferen Strafen des Stadtrechts auch im
Amte Ritzebüttel einzubürgern, in interessanter Weise un-
mittelbar erkennen. Wie im Lande Wursten,*) wie in manchen
Teilen Holsteins*) und anderwärts,*) so bestand auch in
*) In dem Abdruck bei Spanoenbero wird das Gewette in diesem Falle
auf 50 /{ angegeben; das beruht jedoch offenbar auf einem Druckfehler.
^ Erhalten im K&nmiereiarchiv (Staatsarchiv).
*) Vgl. die Wurster WiUkür von 1508 bei v. D. Osten, Gesch. d. Landes
Wursten I 64 ff .
*) Im Jahre 1556 hob Herzog Johann die Totschlagsühne und die Blut-
rache im Gebiete des Klosters Bordesholm auf: Totschläge sollten
künftig am Leibe gestraft werden (Westphalen, Mon. ined. n
Nr. 441 Sp. 599 f.). Fälle von Blutrache in Holstein weist aus dem
sechzehnten Jahrhundert nach P. Fraüenstädt, Blutrache u. Tot-
schlagsühne im deutsch. Mittelalter (1881), S. 18 ff.
*) Vgl. für Schlesien FRAÜENSTÄDT S. 223 ff. ; für Brandenburg Hälschner,
Gesch. d. brandenb.-preuß. Strafrechts (1855), S. 117; für die Groß-
vogtei Celle, wo die Totschlagsühne noch im siebzehnten und acht-
zehnten Jahrhundert geübt ward, v. BÜLOW und Haoemann, Prak-
tische Erörterungen 11' (1807), S. 272; für das kurmainzische Fraucn-
stein in Nassau W. ROTH in der Ztschr. d. Savigny-Stift. XXn (1901),
8. 357 f.; für Tirol Fraüenstädt S. 143. Über die Totschlagsühne
und ihre Verbreitung im allgemeinen vgl. Fraüenstädt bes.
S. 127—142, S. 170 ff.
Ztschr. d. Yereins f. Hamb. Oesch. Xm.
18 Hennaim Joachim,
Hadeln noch im sechzehnten Jahrhundert die Totschlag-
sühne zu Recht.0 Entwich der Täter und entzog er sich
der eingeklagten Wergeldzahlung, so war gegen ihn selbst
Blutrache und Schadloshaltung an seinem Vermögen erlaubt;
seine nächsten Vettern bis ins vierte Glied und überhaupt
alle, die für sein Wergeid aufzukommen oder andererseits es
zu empfangen hatten, hafteten nur mit ihrem Vermögen, das
jedem Mittel der Selbsthülfe außer der Brandstiftung preis-
gegeben war.*) Das Wergeid betrug 60 Mark und ebensoviel
Sie wurde noch im Hadeler Landrecht von 1583 (Teil V Tit. 19;
Spangenberg S. 98) anerkannt. Nur auf vorsätzlichen Totschlag,
verbunden mit Wegelagenmg und Hausfriedensbruch, setzt das Land-
recht Todesstrafe, aber die ehrliche Strafe der Enthauptung mit dem
Schwerte, und sieht lediglich ausnahmsweise bei erschwerenden Um-
ständen die härteren und beschimpfenden Formen der Todesstrafe vor.
Für Totschlag in dem bezeichneten Sinne aber war Todesstrafe im
ganzen Mittelalter überaU üblich. Vgl Frauenstädt S. 4 f., 90 f. —
Eine Eintragung über eine Totschlagsühne im Amte Ritzebüttel aus
dem Jahre 1409, die hier mitgeteilt werden möge, findet sich im Liber
diversorumgenerutn et conditionum (1350 — 1533) fol. 55 b (Staatsarchiv):
Sciendum, quod Andreas Vertingh ocddit quendam Ludekinutn Hanen
familiärem dominorum consulum hamb, in Castro RitzebutteL Propter-
ea dictus Andreas fecit emendam et satisfecit pro dicto honiicidio
secundum iura et constietudines terre Hadelerie. Hermen Hane pater
et Egghardus Hane patruus dicti occisi receperunt emendam et satis-
factionem supradictas tamquam proximiores heredes et amid occisi
supradicti. Item Heine Langhe, Johan Rodenborgh in diikstrate et
Ludeke Walinghe cives hamb, fideiusserunt, quod perpetuis temporibus
nulla amplius fieri debeat monicio tam a iam natis quam a nascituris
occasione homicidii supradicti. Actum Lamberti (17. Sept.) presente
damino Bemardo Borsteid anno 1409,
^ In dieser Weise wurde die Blutrache beschränkt durch eine Willkür
der Kirchspiele Altenbruch, Lüdingworth und Nordleda vom Jahre 1439
(Grimm, Weistümer IV 703 fif.). Die im wesentlichen richtige Inter-
pretation des sprachlich stark modernisierten und auch sonst nicht
korrekten Textes gibt Frauenstädt S. 16. — Erst das Landrecht
von 1583 kennt auch bei vorsätzlichem Totschlag nur die peinliche
Klage auf Leib und Leben des Täters selbst und verbietet ausdrück-
lich, sich an seinem Vermögen zu vergreifen ; Blutrache und Schadlos-
haltung am Vermögen der Verwandten kommen hier überhaupt nicht
mehr in Betracht. Das letztere hatte der Hamburger Bat, als ihm das
Land Hadeln verpfändet war, schon im Jahre 1475 abzuschafifen versucht
(Lappenberg, über ältere Gesch. u. Rechte d. L. H., 1828, S. 66 ff.).
Die Begründmig der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 19
das der Obrigkeit zufallende Friedensgeld/) Der Hamburger
Rat hat nun in den Kirchspielen Altenwalde und Groden im
Jahre 1567 für Totschlag peinliche Strafe eingeführt. Es
kostete allerdings Mühe, die Amtsinsassen zu bestimmen, daß
sie sich diesem Mandat des Rates gutwillig fügten. Sie be-
riefen sich anfangs auf ihre engen Beziehungen zu den
Hadelem, mit denen sie vielfach verschwägert seien, und
auf das dortige Recht, daß man den Toten mit Geld bezahlen
könne, ließen sich dann aber, aus der göttlichen Schrift er-
mahnt und belehrt, schließlich umstimmen.*)
Das Altenwalder Strafrecht hat uns scheinbar weit ab-
geführt, aber die Abschweifung hat uns doch, wie ich hoffe,
nicht nur das Verständnis einer Stelle der Eingabe aus dem
Jahre 1557 erschlossen, von der wir ausgegangen sind, sondern
auch einen lehrreichen Einblick gewährt in Zustände des
Amtes und seiner Umgebung während des sechzehnten Jahr-
hunderts. Kehren wir auf kurze Zeit noch einmal zu der
Bittschrift selbst zurück. Sie weiß neben der Gewalttätigkeit
der Altenwalder endlich einen letzten Grund zu nennen für
die Notwendigkeit einer Kapellengründung zu Steinmame.
Die Marschbevölkerung des Kirchspiels hatte sich gerade in
jener Zeit stark vermehrt: die Zunahme wird in erster Linie
auf Döse entfallen sein und einen der Antriebe zu der Neu-
eindeichung des Jahres 1530 abgegeben haben. Zudem war
durch das Eindringen reformatorischer Gedanken das religiöse
Der Satz von 60 Mark für das „Blutgeld'' findet sich im nördlichen
Dentschland öfter (Frauenstädt S. 136); so namentlich auch in
Holstein, vgL F. Sesstern-PaüLT, Die Neumünsterschen Kirchspiels-
nnd die Bordesholmischen Amtsgehräuche (1824), S. 116 f.
3) KAmmereiprotokoU 1563—1569, S. 666 f.: De kaspelluede hebben
ock angetoeget, dat en E. Rad ehne hefft vor ausser tidt ankundigen
Usthen und gebaden, dat men schal in dem gebeide tho Rytsebuttel
rychten umme hals und hant Datsulvige können se nicht ingaen
und wyüigen, dewyle se sick mgt ohren naberen den Hadeleren
befrundet, und de gebruck und id recht im lande tho Hadelen is, dat
men den doden myt gelde kann betalen; dat un/llen se na older gewaen-
heit ock so geholden hebben, Se syn averst myt velen ummestenden
worden, ock sunst uth godtliger hilliger schryfft vormanet und belert
geworden, dat se van ohrem voememende syn affgestan und in des
Rades mandaet gewylliget.
20 Hermann Joachim,
Leben in seinen Tiefen erregt und entbunden worden; die
religiösen Interessen waren mit einem Male als die wichtigste
Angelegenheit des Menschen wieder in den Vordergrund ge-
schoben. Die Leute bedurften jetzt täglich geistlichen Bei-
standes und drängten sich voller Lust zu dem Worte Gottes,
ohne das sie nicht hoffen konnten selig zu werden. Beide
Umstände aber machten die Beschwerlichkeit des langen
Weges zur Pfarrkirche in Altenwalde, namentlich auch für
alte und kranke Personen, besonders fühlbar: man wünschte
eine leichter erreichbare Predigtstätte mitten unter der an-
gewachsenen Bevölkerung der Marsch.
Mit dem reichen Aufschluß, den uns die Eingabe über
Zeit und Veranlassung der Errichtung einer Kapelle in Stein-
mame verschafft hat, nicht genug, erteilt sie uns noch weiter
auch über deren erste Geschicke bis zum Jahre 1557 einige
Auskunft. Daß die KapeUe, obwohl eine Filiale der Pfarr-
kirche in Altenwalde, von vornherein einen eigenen Prediger
erhielt, war durch den mit der Gründung verfolgten Zweck
bedingt. Aber wie für den Bau des neuen Gotteshauses, so
mußte auch für die Besoldung dieses Predigers in erster
Linie die Gemeinde selbst aufkommen, die die Kapelle ge-
fordert hatte und sich zu ihr hielt. Aus dem Vermögen der
Mutterkirche konnte sie dafür höchstens eine Beisteuer er-
warten. In reformatorischem Glaubenseifer halfen die ham-
burgischen Ratsherrn, die als Hauptleute auf dem Hause
Ritzebüttel saßen, den Kapellenangehörigen mit Rat und Tat
bei der ungewohnten Aufgabe, einen geeigneten Pastor aus-
findig zu machen, mit ihm wegen der Höhe seines Gehaltes
zu verhandeln und vor allem die erforderlichen Geldmittel
zusammenzubringen. Unter der Aufsicht der Hauptleute
legten die Gemeindemitglieder sich selbst eine Kirchensteuer
auf, die nach dem Maße ihres Grundbesitzes verteilt ward.
Für die Erhebung und Verwaltung dieser Umlage waren
Organe nötig: sehr bald fungierten daher bei der Neuen
Kirche eigene Kirchgeschworene. Aber eine Pfarrkirche war
sie trotzdem noch im Jahre 1557 nicht; ein besonderes Döser
Kirchspiel existierte nicht. Noch damals befürchtete die
Kapellengemeinde, daß sie, wenn ihr Pastor Heinrich Voß sie
Die Begründimg der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 21
verließe, wieder an die inzwischen gleichfalls reformierte
Kirche in Altenwalde gewiesen werden könne.
Es bleibt also die Frage: wann ist das selbständige
Döser Kirchspiel eingerichtet, wann ist die in den
Jahren 1528 oder 1529 begründete Kapelle zur Pfarrkirche
erhoben worden? Die Antwort wird uns ermöglicht durch
Abschriften des achtzehnten Jahrhimderts aus dem ältesten
Döser Kirchenbuch,^) das mit dem Jahre 1582 begann und
die Abrechnungen der Kirchenvorsteher über ihre Verwaltung
enthielt Das Buch selbst,*) das der Schultheiß in der
Kirchenlade verwahrte, scheint wie so vieles der Nachlässig-
keit zum Opfer gefallen zu sein, mit der ältere Archivalien
behandelt zu werden pflegen, wenn sie nicht rechtzeitig fach-
männischer Aufsicht unterstellt werden. Aus der Einleitung
zu diesem Bechnungsbuche geht nun hervor, daß jedenfalls
vor dem Jahre 1582 der Rat wegen des besonders für alte
Leute zu weiten Weges nach Altenwalde und aus anderen
Gründen seine Einwilligung dazu gab, die Kapelle zu Stein-
mame zu verbessern und zu einer Kirchspielskirche auszubauen.
Gleichzeitig wurde die Beschaffung der Mittel zur Unter-
haltung des Eirchengebäudes, des Pastors und des Küsters
neu geordnet: von den Kirchspielsleuten ward eine viertel-
jährlich zu erlegende regelmäßige Kirchensteuer zugestanden.*)
AB. X Fach 10 VoL A Fase. 1 and Eollektaneenband des Amtmanns
Matsen über die Kirchen des Amtes aus dem Jahre 1786 (Ad X
Fach 1 VoL A).
^ Es war ein Quartband in rotem Pergament mit messingnen Haken.
*) Nachdem uth bedacht und orMke, dat vast olde bedagede lt*de beide
manne und frowen olders halven in winter und ungetceders tiden
nicht können den wech n<ich der kercken ihom Oldenwolde aj^reken
oder densulvigen tho rechten tiden began ttc, vor radsam angesehen,
ock uth consent, voltoordt und willen eines Erbam, Hoch- und Woll-
wisen Bades der stadt Hamborch bewilliget, de capellen thor Stein-
mame tho verbeterende und eine kercken darvan tho bawende, tho
welcher behoeff ock wege vorgenamen desulvigen und einen pasioren
und koster tho erholdende, derwegen eine jarlike und gemeine contH-
butio und tholage oder uthgifft up alle quartale oder vertidt imjare
van den carspelluden t^ der Doese, Steinmame, Stickenbuttel, Sälen-
barch(I), Dune, Dike und sonsten dartho gehorich bewilligt und an-
genhamen, van welcher tholage und rente und hevinge der kerken de
22 Hennann Joachim,
Es scheint nicht zweifelhaft, daß wir in den hier berichteten
Vorgängen den entscheidenden letzten Schritt zur endgültigen
Konstituierung eines neuen Kirchspiels zu sehen haben. Wir
müssen mithin versuchen zu einer genaueren Datierung zu
gelangen. Bis zum Jahre 1582 hatten, wie der Einleitung
zu dem Kirchenbuche des weiteren zu entnehmen ist, die
Kirchgeschworenen über Einnahme und Ausgabe der Kirche
niemals vor einer Aufsichtsinstanz Rechnung abgelegt. Das
wollte der Amtmann Jacob Sillm auf Befehl des Rates jetzt
nachholen lassen, stieß dabei aber auf manche Schwierig-
keiten. Dennoch gelang es ihm die Rechnungslegung für
die sechs vorhergehenden Jahre von 1576 bis 1581 zu be-
wirken. Solange hatte es also jedenfalls eine Pfarrkirche
und ein Kirchspiel schon gegeben. Und wenn nun Gran-
DAüER^) durch die Inschrift des noch vorhandenen Tauf-
beckens zu belegen imstande ist, daß die Taufe für die
Döser Kirche im Jahre 1573 gegossen ist, so werden wir
dieses zu unserem Resultate der Zeit nach gut passende
Geschehnis mit der Erhebung der Kapelle zur Pfarrkirche
in Zusammenhang bringen und sagen dürfen, daß die Be-
gründung des Döser Kirchspiels in die erste Hälfte
der siebziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts fällt.
Wie aber war es zu dieser endgültigen Abtrennung
von Altenwalde gekommen? Den Schlüssel zum Verständnis
bietet, wie ich glaube, die Tatsache, daß der Altenwalder
Kirchenvorstand selbst ein Interesse daran hatte, die Los-
lösung zu befördern. Er bestand aus dem Schultheißen als
Vorsitzendem und drei Juraten, einem aus der Marsch, einem
von der Geest und einem aus der Wisch.*) Der Altenwalder
Schultheiß war hamburgischer Beamter und zwar ursprünglich
kerke und kerckendener scholen erholden werden, und bellich dorch
de juraten oder geschworen solcher hevinge und uthgave jarlikes be-
acheidt und rekenschap geschieht, darmit de kercke erholden und nicht
verhörtet %oerde: also etc.
>) S. 172, 195 f.
^ Drei Juraten außer dem Schultheiß schon im Jahre 1548; ihre Ver-
teilung nach Marsch, Geest und Wisch hezeugt aus dem Jahre 1698 :
Cl. Vn Lit. H* Nr. 6 VoL 5 Fase, lal (Staatsarchiv).
Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 23
Richter des Kirchspiels Altenwalde als eines politischen
Bezirks, das mit Ausnahme des Dorfes Altenwalde der
Landesherrschaft des Rats von Hamburg unterstand. Und
dieser hamburgische Beamte wiu-de nicht etwa den Be-
wohnern der Heidedörfer oder gar des Dorfes Altenwalde
entnommen, sondern pflegte ein Marschbauer zu sein. Er
wohnte somit in eben dem Bezirke, der sich schon zu der
Kapelle hielt und ihre Gründung veranlaßt hatte.^) Ebenso
waren die Juraten in der Mehrzahl hamburgische Untertanen;
aus Altenwalde selbst hätte im besten Falle nur einer, der
Geestjurat, hervorgehen können. In der Regel wurden auch
sie aus den Dörfern gewählt, welche die Kapellengemeinde
bildeten. Dadurch wird es erklärlich, daß der Altenwalder
Kirchenvorstand nicht nur die Errichtung der Kapelle und
die Anstellung eines eigenen Predigers geschehen ließ, sondern
alsbald auch dazu überging, aus dem Vermögen der Alten-
walder Eirche die Kapelle zu unterstützen. Über diese
Unterstützungen, insbesondere soweit es sich um Zahlungen
in barem Gtelde handelte, ist ein zusammenfassendes Ver-
zeichnis auf uns gekommen, das die Altenwalder Kirch-
geschworenen kurz nach Johanni 1556 haben aufsetzen
lassen, nachdem sie sich geweigert hatten, weiter zu der
Besoldung des Steinmamer Predigers beizutragen*.) Daraus
ist zu ersehen, daß sie gleich anfangs zum Bau der Kapelle
20 Mark lübsch, sowie einen Morgen Landes als Platz für
das Pfarrhaus und als Pfarrland hergegeben hatten. Vor
allem aber leisteten sie dann in der Zeit von ungefähr 1535
bis 1555 regelmäßige Zuschüsse zu dem Gtehalt des Pastors
und des Küsters, die sich etwa auf 10 bis 50 Mark im Jahre
beliefen, und bestritten mehrfach die bei der Einführung
eines neuen Predigers erwachsenden Kosten.*) Wir wissen
*) Aach Westerwisch wurde zu dem neuen Kirchspiel geschlagen; nur
Sttderwisch blieb bei Altenwalde. Vgl. Eollektaneenband des Amts-
archiTS Ritzeb. (Ad X Fach 1 Vol. A), S. 56, 71.
») AR. X Fach 10 Vol. B.
*) Durch die Aufz&hlung in dem Verzeichnis lernen wir eine Reihe von
Steinmamer Pastoren und die ungefähre Zeit ihrer Wirksamkeit
kennen. Es sind Heinrich Gerstenkorn (etwa 1635—1546),
24 Hennaiin Joachim,
ferner, daß sie der Kapelle im Jahre 1553 die Winnung und
die Pacht eines der Altenwalder Kirche gehörenden, in Oster-
döse belegenen Morgen Landes^) und zu einer nicht näher
bekannten Zeit die Einkünfte von vier weiteren Morgen auf
der Döse überwiesen.*) Im Jahre 1557 statteten sie die
der sich seihst in einem von ihm geschriehenen Testament des Peter
Hilvers zu Duhnen aus dem Jahre 1542 (Gl. Vn Lit. H** Nr. 6 Vol.
da Fase. 1) Heinrich Korn nennt; Heinrich Schwerin (etwa
1546—1647); Bartelt Stedingk (etwa 1547—1554); Johann
Matties (etwa 1554 — 1555); Johann Ti es, der etwa 1555 eingeführt
wurde und dessen Nachfolger der 1557 nach Altenwalde herufene
Heinrich Voß war (vgl. auch Anhang Nr. 1). Von diesen Namen
findet man keinen bei Gbandaüer S. 174, aus dessen Liste jedenfalls
Johann Horster und Johann Schrader zu streichen sind.
Konzept des Winnungsbriefes in Cl. Vn Lit. H* Nr. 6 Vol. 3 a Fase. 1.
') Die Urkunde vom 21. März 1482, durch welche die Altenwalder
Kirche diese vier Morgen erwarb, ist in einer Kopie des sechzehnten
Jahrhunderts in die Reineckesche Sammlung der Höheren Staatsschule
in Chixhaven gelangt. Die Kopie trägt den Vermerk, die Ländereien
würden thor kercken thor Steinmam gebruket, d. h. eben ihr Ertrag
diene den Bedürfnissen dieser Kirche. Hindrichson, Wissensch.
Beilage z. Bericht d. Höh. Staatsschule (1905), S. 8 Anm. 1, ist im
Iirtum, wenn er die Notiz dahin deutet, die vier Morgen (!) seien als
Bauplatz für die Kirche verwendet, und des weiteren auch in dieser
Urkunde ein Zeugnis finden will für seine unhaltbare These, daß das
ganze Dorf Steinmame noch in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts
im Außendeich gelegen habe. Eine Abschrift der Kopie hat mir vor
längerer Zeit Herr Dr. Karl Lohmeter, jetzt in Brüssel, freundlichst
mitgeteilt. — Übrigens haben noch andere derartige Überweisungen
seitens des Altenwalder Kirchenvorstandes stattgefunden. Li einer
Klageschrift der Kirchgeschworenen zu Steinmame vom 23. Januar 1604
(AR. X Fach 10 Vol. B), die dadurch veranlaßt war, daß die Alten-
walder Kirchgeschworenen seit mehreren Jahren die ordnungsmäßig
durch Siegel und Briefe des ganzen Kirchspiels vergabten Winnungen
und jährlichen Hebungen wieder an sich gezogen hatten, wird gar
behauptet, die einstige Übereignung dieser Einkünfte bezöge sich auf
alle Altenwalder Kirchengüter. Es kam dann darüber in den Jalu-en
1610 bis 1613 zu einem Prozeß, der in drei Listanzen bis zum Stadt-
gericht in Hamburg durchgeführt ward. Er endete hinsichtlich dreier
durch Urkunden beweisbarer Fälle, von denen zwei sicher von den im
Text besprochenen verschieden waren, zugunsten der Steinmamer
Kirche (AR. X Fach 10 Vol. B und KoUektaneenband Ad X Fach
1 Vol. A, S. 54).
Die B^g^rfindimi? der D(toer Kirehe und des Döser Kirchspiels. 25
Kapelle mit einem Bauernhof aus, dessen Erträgnisse ihr
schon vorher zugeflossen waren: jetzt erhielt sie das Eigen-
tum daran und sollte das Gut als Dia[Lstlehn für einen wenige
Jahre früher eingesetzten Küster^) verwenden. Wenn endlich
der Altenwalder Eirchenvorstand um das Jahr 1550, viel-
leicht aus Anlaß der Einführung der Reformation in der
Pfarrkirche, zum kirchlichen Gebrauch bestimmte Oegen-
st&nde, wie Kelche, Monstranzen und andere Kleinodien, so-
weit sie ihm überflüssig erscheinen mochten, aus dem Gottes-
hause entfernte, so wird er vermutlich mit einem Teile der
noch brauchbaren Geräte und Gte wänder *) auch der Kapelle
zu Hülfe gekommen sein. Domina und Konvent des Klosters
Neuenwalde beschwerten sich in den Jahren 1557 und 1558,
als sie wieder anfingen sich um die Altenwalder Kirche zu
bekümmern, lebhaft über diese angeblichen Entfremdungen^,
und noch in den Verhandlungen zwischen erzbischöflichen
und hamburgischen Abgesandten vom Jahre 1568 spielten
sie eine KoUe.*)
Bei dieser Sachlage kann es nicht Wunder nehmen,
daß der Altenwalder Kirchenvorstand gegen die Abtrennung
eines großen Teiles seines Kirchspiels und gegen die Bildung
eines eigenen Döser Kirchspiels nichts einzuwenden hatte.
Vielmehr hätte er dieses Ziel gewiß gern schon früher ver-
wirklicht gesehen. Sprachen doch auch dafür dieselben Er-
wägungen, welche zur Errichtung einer Kapelle in Steinmame
geführt hatten. Zwar der Grund, daß in Altenwalde der
katholische Ritus aufrechterhalten wurde, war inzwischen
Er hieß Jürgen Wittekop.
^ Anderes befand sich um das Jahr 1558 in einer Lade im Hause des
Torigen Schultheißen yon Altenwalde. Ein um diese Zeit von den
Kirchgeschworenen abgestatteter Bericht über das Vermögen der
Altenwalder Kirche (CL Vn Lit. H* Nr. 6 Vol. 5 Fase. 1 a 1) besagt
darüber: Item so ys noch yn Heyye Tyken hu9e eytie lade, dar ynne
ys eyne korkappe unde eyne vorgulden munstransyen mydt eynem
knuze, dat up de munstransyen hoerth, unde twe thobraken kelcke,
*) AB. X Fach 15 Vol. A. Ein Brief von Domina und Konvent an den
Hauptmann vom 8. Januar 1558 (AB. X Fach 13 Vol. A), der die
übrigen Belege zum Texte enthält, ist abgedruckt im Anhang Nr. 2.
VgL BÜTHER im Urkb. des Klosters Neuenwalde S. 26.
26 Hermann Joachim,
weggefallen. Die hamburgischen Untertanen, die der neuen
Lehre anhingen, hatten schließlich, jedenfalls vor dem Jahre
1557, mit Hülfe des Rats auch die Keformierung des Gottes-
dienstes in der Pfarrkirche durchgesetzt. Aber bestehen
blieb das gespannte Verhältnis zu den wegen ihrer Gewalt-
tätigkeit gefürchteten Altenwalder Bauern, bestehen blieben
die starke Zunahme der Marschbevölkerung und der für diese
allzu weite und beschwerliche Weg nach Altenwalde. Man
wollte, nun man die Kapelle hatte, auch den ferneren Schritt
tun und alle kirchlichen Beziehungen zu dem politisch fremden
Altenwalde lösen; man wollte ein neues, rein hamburgisches
Kirchspiel, von dem, abgesehen von Süderwisch, nur die
Heidedörfer ausgeschlossen waren, die durch die gemeinsame
grundherrliche Abhängigkeit vom Kloster Neuenwalde den
Altenwaldem näher standen.
Der Rat hat, wie es scheint, lange gezögert, ehe er
dem Drängen seiner Untertanen nachgab. Entscheidend
wurden für ihn die immer heftigeren Angriffe, denen seine
Rechte in Altenwalde und in den Heidedörfem von der Mitte
des Jahrhunderts an seitens des Erzstifts und des Klosters
Neuenwalde ausgesetzt waren. Auch Klefeker*) nennt diese
Streitigkeiten als den eigentlichen Grund, weshalb es endlich
zur Konstituierung des Döser Kirchspiels kam. Sie brachten
den Rat zu der Überzeugung, daß seine Untertanen in ihrer
Abneigung gegen die kirchliche Zusammengehörigkeit mit
Altenwalde, wo der Erzbischof Landesherr und das Kloster
Grundherr waren, im Rechte seien. Dem Rate schien es
jetzt gleichfalls besser, diese Verbindung, welche die Quelle
neuen Haders werden konnte, völlig aufzuheben, solange er
sich noch im Besitze der ihm bestrittenen Herrschaft über
die Altenwalder Kirche befand.*)
*) Samml. hbg. Ges. XI 776.
') Diese war dem Säte offenbar wie von selbst zugefaUen, als ihn seine
eyangelisch gewordeneu Untertanen zur Durchführung der Reformation
auch in der Pfarrkirche herbeiriefen, weil sie von den bisher hier
zuständigen geistlichen Gewalten, die katholisch blieben, dem Erlöster
Neuenwalde und dem Archidiakon von Hadehi und Wursten (vgl.
7rkb. d. Klosters Neuenw. Nr. 141), in den Wirren der Zeit im Stiche
gelassen nur so die ErfüUung ihrer Wünsche erreichen konnten.
Die BegrOndimg der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 27
So ist die 1528 oder 1529 begründete Kapelle zu Stein-
mame bald nach dem Jahre 1570 der Mittelpunkt eines
neuen, des Döser Kirchspiels geworden. Und damit ergibt
sich, um auf unseren Ausgangspunkt, die chronikalische Über-
lieferung, zurückzukehren, daß das Jahr 1543 die Bedeutung,
welche ihm diese Überlieferung in allen ihren Variationen
beilegt, für die besprochenen Ereignisse nach keiner Richtung
hin gehabt hat.
Anhang.
1. Eingabe der Kirchgeschworenen und der ganzen Ge-
meinde zur Neuen Kirche an den Hauptmann auf dem
Schlosse Ritzebüttel Joachim MoUer. <1557>.
An den Bändern beschädigte Absehrift im Amtsarchiv Ritzebttttel.
Unsen gantzwilligen denst alletydt <thovom>. Achtbar,
grosgunstige, erbar, wolwy<8e> her. Wy arme lüde unde
gantze gem<ene> thor Nyen kercke mögen J. E. W. nicht
entholden, wo ein E. Raeth der Stadt Ha<mborch>, unse
billike overicheit, by hem Di<rck> Langen tyden hefft unse
hoge noth dorch unse angevent angeszeen unde tho harte<n)
genamen. Wardorch syn sze bewagen und uns vorgunnet,
dat wy mochten ene klene kercke mochte<n> setten unde
eene<n> prediger by uns hebben, de uns Gades wordt recht
mach vordragen. Und tho sodane gunst syn se*) dorch desse
nagescreven orsacke bewagen worden.
Thom ersten dewyle tho Oldenwolde de papistery hog-
lick ym schwänge, dar ander in desse Sassesche landen van
enthaben, wy ock mochten entlediget werden.
Darbeneven hebben de van Oldenwolde de gerechticheit,
dat sze ein mensche<n> mögen beth in den doot vorwunden,
al war dat oecke tho 20 edder 30 wunden, um tein Schillinge
dar allen vor tho brocke tho g<even>. Waruth de vam
Wolde so trotzich worden, dat dar nemand mith freden ene
maeltydt brodes ethen oft ein pot beers drincken — efifte
sze quemen tho den luden invallen unde sochten orsake war
a) Abachr, sie.
28 Hermann Joachim,
se konden; ja da edt thom latesten dartho quam, dat see
ettelike menschen morden, mehr als ein. Unde dat dit war
is, syn ettlike tho Vurden, ettlick tho Kittzebuttel gerichtet.
Daruth quam, dat imse volck de kerck thom Wolde ver-
myden mosten.
Dartho ward unse volck alle dage mer unde mer, unde
dar nu vele Volkes wanet, wanden wandages nemande. So
werdt den luden, de nu dagelykes den prediger bedarven,
den wech lang, oek den olden unde krancken, de so gerne
salich willen wesen als andere, hebben ock so grote lust tho
dem worde Gades alse andere.
So hebben uns nu nicht alleen de uth dem Rade, sunder
ock alle heren van her Dirck Lange, her Jurjen Plaeth unde
her Vincent, nicht alleen uns dese kerck und einen prediger
gegunet, sunder ock mith eren truwen raet gehulpen, dat wy
densulfige<n> mochten besolden*), dar wy de framen und
erbam heren hogelicken vor bedancken. Ja dat mer is,
J. E. W. hefft sulfest uns gehulpen tho sodane gunst beth an
desse tydt. Unde dartho, dath ein groth tecken J. L. gunst
jegen uns is, so hebbe gy uns, do her JohanTeis^) van uns
reisden unde wy neuen rath omme^) einen prediger wussten,
a) Abaehr, versolden. b) Abaehr, domme.
Johann Ties stammte nach Janssen, Ausführl. Nachrichten üher die
. . . Kirchen u. Geistl. der . . . St. Hhg., S. 131, aus Hamburg, war
seit 1561 Pastor zu Wettingstede in Ditmarschen und seit dem
29. Dez. 1565 zu St. Marien Magdalenen üi Hamburg, wo er am
27. Noyember 1586 starb. Die letzteren Angaben werden in der
Hauptsache bestätigt durch das ProtokoU der Oberalten 1565 — 1590
(Archiv des Hospitals zum Heil. G«ist im Staatsarchiy n A I 2).
Pastor an St. Marien Magdalenen war Ties jedoch schon am 18. April
1565 und legte am 30. Mai 1586 sein Amt wegen Gedächtnisschwäche
nieder. Vor dem 21. Januar 1587 ist er gestorben. Sein Nachfolger
wurde der bisherige Pastor in Altenwalde (ygl. S. 9 Anm. 1) M.
Heinrich Koep. Ein auskömmliches Gehalt hatte Ties auch in Ham-
burg nicht: 1567 mußten ihm die Oberalten zu seinem Lebensunterhalt
eine Unterstützung geben. Ebenso gewährten sie seiner Witwe
wöchentlich 6 ß^ verschafften seinem Sohne Cort, als er das Barbierer-
handwerk ausgelernt hatte, im Jahre 1597 eine Beihülfe in Geld und
ließen in demselben und dem folgenden Jahre seine Tochter und
Witwe auf Kosten der Armut beerdigen.
Die BegrOndimg der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 29
do scickede J. E. gunst uns hem Henrich tho, den wy nu
hebben. Unde hebt uns dartho gehadt, dat wy mosten unsen
egen acker beschatten nnde darmede den predicanten besolden.
Dartho hebt gy uns ock geraden unde sulfest an und aver
gewest, do wy hem Henrick up dat nye annemen, und sulf en
geteickent, wat syn besoldinge schal wesen.
Unde dewyle wy nicht geneget thom Oldenwolde tho
kercken tho gan, nachdem gy uns einen prediger hebben
gegunnet, bidden wy juwe E. W. samplick, gy willen doch
omme Gades willen unsen prediger uns lathen. Wente wy
en dencken tho Oldenwolde nicht tho gaen; wente see geven
uns spottsze worde, de wy nicht lyden konen. Unde wat
daruth konde volgen, will wy juw tho bedenckende geven.
Darumme aUe quat tho vormyden unde umme Gades willen
gunnet uns doch, dat uns de vorige heren gegunet hebben*)
unde gy sulfest dartho beth an desse tydt tho. Dar wy uns
gantz tho verlathen, J. E. wardt uns dith nicht weigern.
Willen wy alletydt weer verdenen^) an J. E. W. unde an
juwe kynder in natyden na allen unsem vermögen. Kennet
Godt, deme wy J. E. W. bevelen gesund und salich tho langen
tyden. Anno . . . .°).
J. E. W. gehorsame*) kerckswaren unde gantze gemene
thor Nien kercken.
a) Äbachr, heben. b) Abachr, verdienen. c) JahresMohl fehlt.
d) Absdir. gehorsamer.
2. Brief von Domina und Konvent des Klosters Neuen-
walde an den Hauptmann auf dem Schlosse Ritze-
bOttel Joachim Moller. 1558 Januar 8.
Orig. Papier ohne Siegel, Amtsarchiv Eitzebüttel. Durch Feuchtigkeit
stark beschädigt und verblaßt.
Jesum yn ewygher leffte vor enen fruntlyken grot bef om.
Erbare, <ere>nt<veste> unde grotdadyghe leve her hovetman,
grotgunstighe her unde frund. Ick bedancke juwer leflEte
altohochlyken vor juwe guderterenheyt uns bewyset, sünder-
lyken vor den wyn, den my juwe erbarheyt kortlyken hefft
gesendt. Konde ick juwer grotdadygen leffte, darbeneven
30 Hennann Joachim,
juwer erbaren froüwen wes wedder tho leve unde wyllen
don, dede ick herüyken gerne.
Wyder, leve her hovetman, juwer erbarheyt is ane
twyfel wol enbynnen, wo an den vorgangen herveste jüwe
grotgunstyghe erbarli<e3rt> tho uns sande jüwen leven sone^)
Iheronimus van den Berge nevenst de beyden schulten unde
kerckswaren unde lethen uns begroten der kercken halven
th<om> Oldenwolde dar enen predicanten tho hebben, de de
schape Christi weyde unde lerde den wech der ewygen
salychejrt. Dar wy juwer erbarheyt guden radt ynne horden
unde nemen densulfften an Gades wort tho prediken unde de
lüde tho underwysen.*) Do hadde wy des underredynghe
cL h. Schwiegersohn.
') Die Domina versucht durch diese diplomatische Wendung, die durch
die Reformierung der Pfarrkirche untergegangenen Rechte des Klosters
in einer neuen Gestalt wieder aufzunehmen. Sie stellt es so dar,
als stände dem Hauptmann im Namen des Rats von Hamhurg nur
ein Vorschlagsrecht, ihr aber die Ernennung und Zulassung eines
Pastors in Altenwalde zu. Das entsprach jedoch weder den früheren
noch den jetzigen Verhältnissen und befand sich überdies mit den
wirklichen Vorg^Lngen und den vorjährigen Äußerungen der Domina
selbst nicht in Einklang. Über diese sind wir genau unterrichtet
durch eine gleichzeitige Aufzeichnung über die Wahl des Pastors
Heinrich Voß (AR. X Fach 15 Vol. A). Danach fand die in dem
Briefe angezogene Verhandlung in Neuenwalde am 17. August 1557
statt. Die hamburgischen Abgesandten trugen vor: da der Pastor
zu Altenwalde gestorben wäre, seien die Schultheißen und die Kirch-
geschworenen samt dem Kirchspiel Altenwalde auf eine Neuwahl
bedacht gewesen und hätten dem Hauptmann angezeigt, daß sie den
Steinmamer Pastor wählen wollten. Der Hauptmann habe die erbetene
Einwilligung hierzu gegeben; weil aber die Bewohner Altenwaldes
Keier des Klosters seien, hoffe er, daß auch Domina und Konvent
sich die Wahl gefallen lassen und ihr zustimmen würden, was zu er-
bitten die Abgesandten gekommen wären. Die Domina antwortete:
auch ihre Meier hätten schon um die Wahl eines neuen Predigers
angehalten und gleichfalls gewünscht, Heinrich Voß als Pastor zu
erhalten. Da nun die Erwählung nicht Domina und Konvent,
sondern Kirchgeschworenen und Kirchspiel zustehe,
so dächten sie auch nicht daran, sich die Rechte des
Rats über die AI tenwald er Kirche anzumaßen; sie könnten
es aber wohl leiden, sähen es auch gern, daß Heinrich Voß dort predige.
Die Wahlhandlung wurde dann am 22. August in der Weise vollzogen,
Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 31
myt densolfiten gesanthen, wo ermals van den kerckswaren
aver en jar 7 edder 8 ungheverlyck syn de klenade, kelcke,
monstrantie iinde ander omamentay de na chrisüyck gebruck
thor kercken hoeren, wechghenamen, nnde begerden datsulffte
dar wedder yn tho leveren. Ock were dar en leen unde
itlyck ander gudt van der kercken kamen, dar de kerckher
unde dat kerszpel yn vorkortet ys. Dar jüw leve sone
Iheronimus van den Berge up antworde: he wüste wol, dat
juwe erbarheyt nycht gesynnet were jenigerleye van der
kercken tho nemen, <unde> wes daraf vorkamen were ermals,
dar wolde jüwe erentves<te> erbar<he3rt> dat beste ynne don,
dattet dar alle scholde wedder by kamen; dat de beyden
schulten nevenst den kerckswaren ock vulborden, wor Avy
uns genszlyken tho verleten unde menden, dat sulckes alle
were gesehen. So hoere w<y>, d<at> myt allen van den
klenade nycht sy yn de kercken gekamen unde ock des
l<e>n halten unde ander guder ys noch wydt uth. Wente
wy hoeren, datsulffte leen, welck tho Oldenwolde hört, hebben
dat kerszpel nu nyes thor cappelen genamen unde dar enen
koster uppe seth, de syck dar<van> erholden schal, welck
uns seer vorfromdet unde hadden nycht ged<acht>, dat so-
danes sehen scholde. Unde w<y> vorseen uns <
tho juwer) erenstvesten (!) erbarheyt alse tho <u>nsen grot-
<gunstighen leven) heren unde frunde — went jüwer leffte
recht < > in der warhejrt is — , jüwe
erbarheit kone dat nyc<ht >. Wente wy
hebben uns genszlyken vorlaten up de mylden thosaghen
jüwes leven sones sampt schulten unde kerckswaren unde
hadden gement, dar were nen twyfel yn gewest. Unde als
wy nü hoeren, so isset veme uth.
So is noch unse emstlyke bede unde beger, dat jüwe
grotgünstyghe leffte wyl myt den besten dartho trachten.
daß der Hauptmann beide Schultheißen, sowie die alten und neuen
Kirchgeschworenen zu Altenwalde vor das Haus Ritzebüttel fordern
ließ und sie nach Mitteilung der Antwort der Domina ersuchte, die
Wahl vorzunehmen. Auf Bitten der Wahlmänner gab der Hauptmann
zuerst seine Stimme für Heinrich Yoß ab und sodann die Schultheißen
und Kirchgeschworenen.
32 Hermann Joachim.
dat en yder mochte wedder yn syne rechten stede kamen,
gelyck wo ith van oldes gewest. Unde wor des nycht gesehnt,
so werde wy wyder vororsaket unsen landesheren unde forsten
tho scryven, welck wy node don, dar wy dat vorby gan
konen. Unde wy syn begeren en fruntlyck antwort by jegen-
wardygen, dar wy uns tho vorlaten mögen unde schollen.
Datum Nyenwolde des sonnavendes na der hylgen dree
konynge dage anno etc. 58.
Dorothea van der Hüde unde sampt convent thom
Nyenwolde.
Adresse: Dem erbaren, erentfesten unde wolghehorden
Jochim Müller hovetman tho Ritzebüttel, unsen grotgünstygen
heren unde fründe fr. scr.
Jenaer Studentenbriefe von Johannes Versmann.
Mitgeteilt
von
Adolf Wohlwill.
Johannes Georg Andreas Versmann, vom Dezember 1861
bis zu seinem Tode (28. Juli 1899) Mitglied des Senats, seit
1887 — von den verfassungsmäßig vorgeschriebenen Inter-
vallen abgesehen — Bürgermeister der freien und Hansestadt
Hamburg, gehört der deutschen Geschichte an, weil er in der
Zeit der Kämpfe um den Zollanschluß Hamburgs der benifene
Vertreter seiner Vaterstadt war und wesentlich dazu bei-
getragen hat, daß der aus der geschichtlichen Entwicklung
hervorgegangene wirtschaftliche Gegensatz zwischen Hamburg
und dem übrigen Deutschland überwunden und ein Ausgleich
herbeigeführt ward, der dem allseitigen Interesse und den
Wünschen der Mehrheit des deutschen Volkes entsprach.
Hiervon abgesehen, hat er sich um die besondere Wohlfahrt
seiner Vaterstadt durch so mannigfache Leistungen verdient
gemacht, daß es schwer fällt, seiner Bedeutung vollkommen
gerecht zu werden; denn kaum ist irgend ein Gebiet des
öffentlichen Lebens in Hamburg vorhanden, auf dem sich nicht
Spuren seiner Arbeit oder doch seiner Anregung nachweisen
ließen. Die fachmäßige Vorbildung für diese gesegnete staat-
liche und kommunale Wirksamkeit hatte er durch seine juri-
stischen Studien in Göttingen und Heidelberg wie durch seine
Erfahrungen als Rechtsanwalt und Richter erlangt.
Liegt nun aber in jeder wahrhaft bedeutenden, intensiv
und erfolgreich ausgeübten Berufstätigkeit die Gefahr einer
gewissen Einseitigkeit, so ist es um so erfreulicher, wenn sie
sich, gleichsam wie ein in die Höhe ragender Turm, auf der
breiten Basis einer umfassenden allgemeinen Bildung erhebt.
Dies war in vollem Maße bei Versmann der Fall. Seine un-
ZUchr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. xm.
[
34 ^^^ Adolf WoUwül,
gewöhnlich reiche nll^cmeine Bildung verdankt Vei'smann
dem Altonaer Christianeimi, dem Akademischen GjTnnasium
in Hamburg und ins^besondere seinen vier ersten Hochsehul-
Semestern, die er auf der Universität Jena verbrachte*
Die Wahl der Universität Jena für den Studienbeginn
unseres Johannes Versmann war dem Wunsche seines Vatei's,
Johann Ernst Vei'sraann^), entspningen, alte, auf Yerwandt-
schaft und Jugendfreundschaft begründete Begehungen zu der
Jenaer Gelehrtenfamilie Martin^) zu befestigen. Die hieran
geknüpften Erwartungen gingen jedoch nicht ganz in Erfüllung,
Allerdings \\nirde Johannes von allen Mitgliedern des Mart.in-
schen Familienkreises aufs herzlichste empfangen/) imd er selbst
äußerte sich über manche von ihnen mit Sympathie oder doch
verehrungsvoUer Anerkennung. Immerhin gestaltete sich das
Verhältnis nicht ganz so inüm, wie die Familienhäupter es
gewünscht und Johannes es sich vorher in seiner Phantasie
ausgemalt hatte/) Es machte sich geltend^ daß letzterem
neben jugendlicher Empf äi^lichkeit nnd Begeisterungsfähigkeit
frühzeitig eine gewisse Schärfe des Urteils eigen war,
') Johftim Ernst Versmaim, Basitzer der EmIiorn*Äpotheke in St FauU
tei Hambnrg.
*) Das Oberlmupt der Familie, Christopli Martin (1772—1857), wgj* Ober-
appellatiü nagen cli tarnt und ordentlicher Honorarprofesat^r in Jm^. Sein©
Gatüii Caroline, geb. Wagamann, die in den mitg^eteilten Briefauszügfen
wiederholt als Tante bezeichnet wird^ war eine Enkelin, Johann
Ernat Versmann ein Enkel des Pastora Joh, Georg Wagemann «u
Kirchwehren, Von der jüngeren Generation der Familie Martin war
Gustav Adolph bereits 1831 als Professor der Rechte in Jena gestorben.
Der in den Ver^maumchen Briefen wiederholt genannte Eduard Martin
war Mediziner; er hatte auf seinen Reisen auch Hamburg aufgeaucht,
uro die dortigen vortreff'lkhen Krankaikäuser (Ausdruck von Caroline
Martin in einem Brief vom November 1832) kennen zu lernen, seit
1S37 war er anßerordentticber Professor der Medizin in Jena. Vergl
JOHANKES GÜNTHER^ Lebenssklzzen der Profeasoren der Universität
Jena 1558—1858, 8, 87, 91, 149.
^) Bereits am 1. Milrz IMO hatte die Gattin des älteren Prof. Marlin
an Johann Emat Versmann geschrieben: Recht freue ich mich auf
Ihrefi Johannes f er mtl mir ein Ikher Sohn seyen, mit mütterlicfter
Liehe ieill ich mieh «einer annehmetL
*) Yergl. den Auszug aus dem letzten mitgeteilten Brief an seinea
Bruder Ernst
Jenaer Studentenbriefe von Johannes Versmann. 35
Auch dem, was ilim Jena in wissenschaftlicher Beziehung
zu gewähren vermochte, stand er nicht kritiklos gegenüber. Die
zunächst gebotene Beschäftigung mit den Naturwissenschaften
sowie die Teilnahme an verschiedenen, der allgemeinen Bildung
förderlichen Vorlesungen gereichte ihm zur größten Befriedigung.
Als aber im vierten Semester das eigentliche medizinische
Studium begonnen wurde, eröffnete sich ihm ein Einblick in
den Gegensatz zwischen der älteren und neueren Richtung
der Arzneiwissenschaft. Die medizinische Hauptzelebrität
Jenas, Karl Wilhelm Stark^), der so viele Zuhörer aus aller
Herren Ländern anzog, geholte der ersteren an. So sehr
Versmann ihn persönlich bewunderte und verehrte, fühlte er
sich doch durch seine Vorlesungen über Pathologie und
Therapie ebensowenig befriedigt wie durch die des jüngeren
Martin über Pharmakologie. Daher scheint aUmählich die
Überzeugung in ihm zum Durchbruch gelangt zu sein, daß
er das Studium der Medizin fahren lassen und sich einer
anderen Disziplin zuwenden müsse. Obwohl er zufolge dessen
Ostern 1842 Jena mit Göttingen vertauschte, um Jurisprudenz
zu studieren, so waren doch die Jenaer Semester für die
Bildung seines Geistes und Charakters unverloren. Dies tritt
uns deutlich vor Augen, wenn wir seine aus Jena ins Vater-
haus gerichteten Briefe einer Durchsicht unterziehen.
Aus diesen Briefen ist zugleich zu entnehmen, daß Jena
vom Anfang bis zum Ende seines dortigen Aufenthalts einen
eigenartigen Zauber auf ihn ausübte. Hierzu trug nicht un-
wesentlich bei, daß er Mitglied der Jenaer Burschenschaft
war. Davon ist in den vorliegenden Briefen allerdings
nirgends ausdrücklich die Rede; indessen ist es sicher ver-
bürgt, daß Versmann bereits in seinem ersten Semester dem
Fürsterücdler beigetreten war,*) dessen Mitglieder sich aus
Vergl. über ihn JOH. GÜNTHER, Lebensskizzen der Professoren der
Universität Jena 1568—1858 S. 145.
^ S. (Dr. G. H. Schneider), Die Burschenschaft Germania (Jena 1897)
S. 560. — Eine Notiz ttber die hervorragende SteUung, die Versmann
in der Burschenschaft einnahm, habe ich nach einem Briefe des in-
zwischen leider verstorbenen Jostizrats Salzmann (Weimar) in meinem
Buche: Die hambnrgischen Bürgermeister Kirchenpauer, Peterse
Yersmann (Hamburg 1903) S. 27 f. mitgeteilt
36 Adolf Wohlwül,
Gründen verschiedener Art vom BurgkeUer getrennt hatten,
doch wie dieser das Ziel verfolgten, in einem freien volks-
tümlichen Zusammenleben auf der Hochschule jede geistige und
leibliche Kraft zum Dienste des Vaterlandes auszubilden, und
überhaupt an den patriotischen Idealen der älteren Burschen-
schaft festhielten.^)
Manche Anregungen, die Versmann in Jena zuteil
geworden, haben erst in seinem späteren Wirken erkennbare
Früchte getragen; doch dürften die im folgenden mitgeteilten
Brief auszüge*) — auch abgesehen von dem, was sie an
kulturhistorisch bemerkenswerten Einzelheiten enthalten —
ein gewisses Interesse erwecken, weil sie uns veranschau-
lichen, von wie großer Bedeutung die in Jena verbrachte
Zeit für Versmanns Entwicklung geworden ist.
1. Versmann an seinen Vater.
Jena d. 8. Mai 40.
Geliebter Vater!
Da bin ich denn im lieben Jena, und schreibe den ersten
Brief an Dich, von dem Orte aus, wo ich eine geraume Zeit
meiner Jugend zubringen soll. Gestern Mittag kam ich hier von
*) In § 2 der Allgemeinen Grundsätze der Burschenschaft auf dem
FürstenkeUer heißt es: Das deutsche Vaterland ist es, für das der
Bursch zu ringen und in welchem ein frei und gerecht geordnetes
Volksleben herbeizuführen, er sich für sein ganzes Leben verpflichtet,
Vergl. Die Burschenschaft Germania S. 234. — - Die Abtrennung der
burschenschaftlichen Vereinigung FürstenkeUer vom BurgkeUer ist in
diesem Werk S. 232 ff., außerdem u. a. schon in dem Älteren Buch von
Richard und Robert Keil, Geschichte des Jenaischen Studenten-
lebens S. 560 ff., behandelt worden.
^ Bei der Auswahl war der Wunsch maßgebend, V.'s äußeres und inneres
Leben in Jena möglichst allseitig zu veranschaulichen; es ist daher
selbstverständlich, daß die in den meisten Briefen wiederkehrenden
Äußerungen seiner zärtlichen Gesinnungen für die Seinigen und seiner
wannen Teilnahme an ihren Geschicken hier nur ausnahmsweise eine
SteUe finden konnten.
Jenaer Studentenbriefe Ton Johannes Veramann. 37
Weimar mit 3 aBdem (worunter 2 meiner Hamburger Be-
kannten) an. Ich ging nach Mittag zum jungen Martin, der
mich nicht nur freundlich und herzlich empfing, sondern auch
den angenehmsten Eindruck auf mich machte Darauf
ging es an ein Herumlaufen in der Stadt, um ein Logis zu be-
kommen; die besten waren besetzt, und viele häßliche Löcher,
die wir besahen, machten mir keinen guten Begriff von den
Jenenser Wohnungen, zumal da ich die ausgezeichneten
Göttinger Stuben im Kopfe hatte; zuletzt gelang es uns,
nahe am Markt 2 recht nette und große Stuben zu finden
(bei beiden eine Kammer), wovon ich die eine kleinere für
10 Thlr. halbjährig miethete. Die andere nahm Heibert *),
an den ich mich schon in Hamburg näher angeschlossen, für
12 Thlr.; wir hatten um die Zimmer geloost, da wir sie zu-
sammen besahen, und mir war die größere zugefallen, die
ich jedoch an Heibert überließ, weil er sich ein Fortepiano
miethen wird. Beide sind geräumig, hell und hoch, meine
von 2, die andere von 3 Fenstern; gut möblirt mit Allem,
was man sich wünschen kann, Sopha, Sekretair, Stehpult
u. s. w. Wir zogen sogleich ein und haben die erste Nacht
in unserer Behausung recht gut geschlafen. Der Hauswirth
heißt Kaiser; er hat im Hintergebäude in einem Garten eine
Wirthschaft, die Erholung genannt, und im Hause selbst eine
Speisewirthschaft; nach den Aussagen hiesiger Leute ist es
ein recht gutes Haus. Heute morgen ging ich mit Gustav
Wagemann*), den ich in Göttingen kennen gelernt, zur alten
Martin; ich sah sie zuerst, und kann die Herzlichkeit, mit
der sie mich empfing, nicht genug rühmen, sie sprach mit
vieler Liebe und Lebhaftigkeit von Dir und dem guten Ver-
hältniß, worin Ihr immer zusammen gestanden. Martin sah
ich auch; auch er war liebenswürdig und läßt sich Dir freund-
lich empfehlen. Er sagte mir, daß Ihr beiden Euch im Lebeu
Der in Versmanns Briefen wiederholt genannte (Georg) Heibert, der
ihm in Jena unter seinen Landsleuten am nächsten stand, gehörte
nachmals zu den angesehensten und beliebtesten Ärzten Hamburgs.
Seit 1871 war er auch Physikus. Er starb am 23. Novbr. 1876.
^ GustaT Wagemann gehörte der mit Versmann und Martin ver-
wandten Familie an.
88 ^^^r Adolf WohlwiU, ^^^^^^H
vielleicht noch einmal sehen würdet, da er, wenn auch nicht
in diesem Jahr, doch im folgenden ins Bad nach Helgoland
oder Nordemej reisen wlirde; ich versicherte ihm, und ich
weiß, daß ich es mit Wahiheit und Vei'trauen thun kannte,
daß er Dir durch seinen Besuch eine außerordentliche Freude
bereiten werde. Beide alten Leute sind noch lebenskräftig
und froh; sie hat noch ganz die Lebhaftigkeit und Freund-
lichkeit, von der Du so oft> als von ihrem besondem Erb-
theil, gesprochen hast* — Ich glaube, ich werde mich im
Kreise dieser Leute glücklich ftlhlen. , * * * So sind denn die
Aspekten bis jetzt sehr glücklich für mich ; und wenn es hier
wirklich so und nicht andei-s ist, als es mir bis jetzt er-
scheint, so soU es mir schon gut gefallen. Über meine
CoUe^a weiß ich noch nichts Näheres; morgen berathe ich
mich mit Eduard Martin darüber, und schreibe Dir über diese,
so wie über den Ton, der unter den Studenten herrscht^ etwas
Näheres; bis jetzt bin ich noch mit keinem, außer Verwandten
und alten Bekannten in nähere Berührung gekommen
2. Versmann an seinen Vater,
Freitag d. 15. Mai 40.
Du wirst Dich ^^mdern, mein theurer Vater, daß schon
wieder ein Brief von mir ankommt, und in der That würde
ich auch ei^st einen Brief von Dii^ abgewartet haben, um das
Kreuzen der Briefe zu vermeiden, wenn nicht ein besonderer
Umstand mich zur Eile nöthigte* Trotz aller Vorstellungen
nämlich und aller Einwände, ist meine Matrikel solange beim
Prorektor deponirt, bis ich einen Erlaubnißschein von Dir
erhalten habe, der auf der Kanzlei in Hamburg testirt ist.
Es befinden sich nämlich auf der Kanzlei gedruckte Seheine
der Aj-t, die nur ausgefüllt werden, wie ich bei den übiigen
hier anwesenden Hamburgern gesehen habe; ein solcher,
wiu'de mii' gesagt, müsse es sein; er kostet übrigens 5 ^,
was Wühl ein Hauptgrund sein mag, daß ein simpler nur von
der Polizei beglaubigter Schein nicht genügt.. Da ich meine
Papiere in den ersten Tagen schon beim Pedell abgegeben
Jenaer Studentenbriefe yon Johannes Versmann. 39
hatte, und mir bis jetzt nichts darüber erwähnt war, hoffte
ich schon, daß es glücken würde; bis dann beim Aktus der
Immatrikulation selbst die Sache zur Sprache gebracht wurde. —
Ehegestem kamen auch zu meiner größten Freude meine
Sachen hier an; ich mußte dafür außer 3 Thalem Fracht
noch laut Bescheinigung des Königl. Neben-Zoll-Amts zu
Teistungen^) 1 Thlr. 3 gGr. Eingangszoll bezahlen; sie waren
also visitirt und zwar so, daß die Spuren ziemlich deutlich
zu bemerken waren ; beide Schlösser des Koffers, der meiner
Meinung nach an der Gränze hätte plumbiert werden sollen,
waren gewaltsam erbrochen; der Koffer kam also offen an,
nur durch ein einmal umgeschlagenes Tau zusammengehalten;
die Sachen jedoch sind nicht beschädigt, auch lagen sie in
ziemlich guter Ordnung. Obgleich mir die ganze Sache erst
höchst unangenehm war, so bin ich doch jetzt mit meinem
Schicksal sehr zufrieden, da einem andern Hambuiger, der
seine Sachen ebenfalls erwartete, statt derselben ein Brief
aus Teistungen geschickt ^lU'de, worin der ganze Koffer
wegen einiger nicht angegebenen zollbaren Sachen bis zm-
Einsendung von 20 Thlr. Brüche für konfisziert erklärt wurde.
Du kannst Dir den Schreck des armen Menschen denken, der
auf eine solche Art in solche Unannehmlichkeiten kam
Meine CoUegia haben Montag ihren Anfang genommen;
nach reiflicher Überlegung mit Martin und dessen Schwager
Schmidt*), einem jungen Docenten, der diesen Sommer, aber
erst von Pfingsten an ein publicum über Magnetismus und
Elektrizität lesen wird, höre ich Botanik bei Professor Schieiden,
jeden Morgen von 7 — 8; er selbst hat dieser Vorlesung den
Namen philosophische Botanik gegeben, und allerdings kann
Teistungen lag an der Grenze zwischen dem damals noch außerhalb
des ZoUyereins befindlichen Königreich Hannoyer und dem preußischen
Eichsfeld.
^ Gemeint ist offenbar Ernst Schmid, der zwar noch nicht im Vor-
lesungsTerzeichnis des Sommerhalbjahrs 1840 figuriert, wohl aber vom
folgenden Wintersemester an Vorlesungen über die yerschiedensten
naturwissenschaftlichen Themata, gelegentlich auch über Magnetismus
und Elektrizität ankündigte und 1843 außerordentlicher Profeso
wurde.
40 ^P^ Adolf WoblwiU,
sie im Gegensatz zu der sonst üblichen todten Behandlung
dieser Wissenschaft so genannt werden; Schieiden ^) hat eine
ganz neue und eigne Art, die Botanik anzugreifen, die zu-
gleich sehr instinktiv und interesi^ant ist, • . . .
Nach Schieiden kommt dann jeden Tag von 8^9 die
Chemie hei Doebereiner*), eine Vorlesung, zu der ich immer mit
dem größten Vergnügen gehe; zwar sind die Gegenstände bis
jetzt noch eben nicht interessant, da er noch nichts Anderes, als
die gewöhnlichen Vorbegriffe zum Behuf des Studiums der
Chemie, wie sie eben immer gegeben werden, vorgetragen hat;
aber das ganze Wesen des ziemlich bejahrten, höchst liebens-
würdigen Mannes welches etwas sehr Geniales hat, das
lebendige Interesse, welches er sichtlich an seiner Wissen-
schaft hat, und die hohe Meinung, die seiner Überzeugimg
nach jeder, der die Katur erforschen will, von dieser seiner
Beschäftigung haben muß, nahmen mich gleich in der ersten
Stunde für ihn ein, in der er auseinandersetzte, wie man
mit der reinsten Seelenstimmiuig und der heißesten Wahrheits-
liebe, ohne sich von Eitelkeit u. s. w. verführen zu lassen,
die Natur erforschen müsse, indem dies ein eigner Weg sei,
Gott zu erkennen. Wahrlich, wTr so spricht und dm*ch sein
Leben bewiesen hat, daß er auch so handelt, der kann seine
Schüler wohl für seine Wissenschaft begeistern! Ein 3t es
CoUeg ist Psychologie und Logik bei Prof. Fries ^ fünfmal
d
*) Diese and die weiterhin folgenden Bemerkungeti Versrannns über den
benUimten, aus Hamburg staminenden Botaniker Matthias Jacob
Sehleideüj der erst 1839, aläo nicht lange, ehe V. ihn hört€^ seine
akademiiche Lehrtätigkeit begonnen hatte^ durften für dessen
Biographie nieht ohne Interesse sein. VgL über Schleiden u. a. die
ihm gewidmeten SäkularschrÜten von M. MObius (Leipeig 1904)
und Ton A- Schober (Hamhnrg 1904),
^ Johann Wolfgang Döbereiiier, von ISIO bis mk seinem Tode (34. März
1849) Professor der Cheinie in Jena. YgL JOU. GÜTJTUEK a. a. 0.
S. 231 und KOPP Gesch. der Chemie. Band 4, namentilch B. 226.
^ Jakob Friedr. Fries^ namentlich durch seine philosophischen Schriften
bekannt^ war wegen seiner BeteOiguug am Wartburgfest und seiner
Beziehungen «ur Burscbemchaft überhaupt 1819 von seinem philo-
sophiicben Lehramt in Jena suspendiert, jedoch bereits 18^4 zum
Jenaer Stndentenbriefe Ton Johannes Versmann. 41
Wöchentlich von 11 — 12; Pries ist mir bis jetzt noch etwas
unverständlich, da sein Vortrag monoton und sehr rasch,
seine Gredanken tief und nicht leicht aufzufassen sind; doch
denke ich mich bald an ihn zu gewöhnen. Außerdem werde ich
von Montag an eine öfEentliche Vorlesung von Schieiden über
den Grebrauch des Mikroskops zu naturwissenschaftlichen
Untersuchungen Montags und Donnerstags von 11 — 12 und
dann, freilich erst von Pfingsten an, die von Schmidt über
Magnetismus und Elektrizität hören. — Außerdem wünsche ich
sehr in der Chemie praktische Arbeiten zu machen, weil ich
glaube, daß dies das beste Mittel ist, die Sachen gut zu
behalten. Das practicum bei Doebereiner mitzunehmen räth
mir Martin nicht, und ich habe ebenfalls einen sehr wichtigen
Grund dagegen, den nämlich, daß es 4 Louisd'or kostet.
Daher haben denn Heibert und ich uns verabredet bis zum
Jenenser Jahrmarkt, der den 26sten Mai ist, zu warten und
uns dann einen kleinen Apparat von Glasröhren, Spiritus-
lampe u. s. w. anzuschaffen, wo denn der Pi-of. Schieiden, den
Heibert genau kennt, uns versprochen hat, die Oberaufsicht
über unsere Arbeiten zu führen, uns Salze zum Analysiren
zu geben u. dergl. — Da siehst Du ganz genau, lieber
Vater, womit ich mich beschäftige; es ist, glaube ich, voll-
kommen genug, wenn ich es ordentlich imd gründlich Alles
betreiben will, imd wenn ich auch mehr hören wollte, so
wüßte ich es nicht anzufangen, denn im Ganzen ist es hier
für Mediziner nicht brillant bestellt; auch sind hier meistens
Theologen, die keine bessere Universität finden können, als
Jena. Die Anatomie, die für den Winter meine Hauptsache
ist, wird nach Martins Zeugniß ausgezeichnet gelesen; außer-
dem ist besonders Starck, Martins Schwiegersohn, bedeutend,
der die Klinik hat, für mich also in dieser Hinsicht von
keinem Interesse ist. — Heute Mittag war ich bei Martins
zu Tisch, wo jeden Sonnabend sich die ganze Familie
versammelt
Professor der Mathematik und Physik daselbst ernannt worden. Als
Versmann in Jena studierte, hielt Fries abwechselnd oder auch neben-
einander philosophische, mathematische und physikalische Vorlesungen.
42 Adolf WoMwiU, ^^V^^V
3. Versmami an seinen Bruder HermannO«
Jena d. 16, Mai 40,
. . , Ich fühle mich hier nun freilich sehi- wohl und wüßte
es mir nicht besser zu wünschen Ich stehe des Morgens
so früh wie irgend möglich auf, um noch vor den Collegiis
etwas zu arbeiten; dann trinken Heibert und ich zusammen
Thee und um 7 Uhr gehts ins Co lieg bis 9. Dann zu Hause,
wo wir wieder 1 oder 2 Stündchen arbeiten^ um Schlag 11 Uhr
wieder ins Colleg zu gehen. Die Wege sind hier Gottlob
alle selu' imbedeutendj da man ganz Jena in 10 Minuten
in seiner größten Länge durchgehen kann. Schlag 12 Uhr
wird dann gegessen; wie du weißt, essen wir im Hause, da
Herr Kaiser selbst eine sogenannte Garküche hat, wo täglich
ungefähr lUÜ Studenten essen. Wir essen ebenfalls mit an,
der großen Tafel, weil dies am vortheilhaftesten ist, dj
man immer am Besten selbst für sich sorgt. Hier stehen
nun au einer schwarten Tafel mit Kreide 3^4 Gerichte an-
geschrieben, von denen man sich eins wäMen kann. Suppe
ist stationaii ; alsdann hat man gewöhnlich die Wahl zwischen
Rindfleisch, Kalbfleisch und irgend einem 3ten Fleisch oder Brei
oder Pasteten* Dazu giebts Pellkai'toffeln und, wie jeden Tag
von neuem zu lesen ist: diverse Salad, Man kommt, erobert
einen Platz, dann einen Teller mit Essen und geht möglichst
schnell wieder weg; von den 100, ilie dort mit uns essen,
kennen wir keinen Einzigen; aber ftir 3 gGn^ die jeder
Mittagstisch in ganz Jena kostet, wird man vollkommen satt,
imd das Essen ist auch keineswegs so schlecht* wie es gesagt
wird. Freilich wollen Leute, die den Cyklus schon einige
Male mitgemacht haben, behaupten, es werde gegen die Mitte
des Semestei*s noch schlecht genug werden, und im Anfang
sei es immer sehr gut; doch wir müssen das Beste hoffen.
Genossen wird dann meder erst Abends lun 8 oder 9 etwas,
und zwar von einem großen V* Ellen langen und 1 Hand breiten
Brodt, welches nebst etwas Butter, Zucker und Thee unsere
i
Herrn atin Friedr. Woldemar VersmÄnn. der einzige damals uocb lebende
Sltere Bruder von JohamiesT geb. Hamburg- 17. Septbr* 1819; f in
Mexikg aM ai. Dezbr. 1861.
Jenaer Studentenbriefe von Johannes Versmann. 43
Vorrathskammer ausmacht. Des Nachmittags habe ich bis
jetzt in der Zeit, die ich nicht zum Arbeiten bestimmt hatte,
bei einigen andern Professoren hospitirt, bin beim jungen
Martin gewesen, oder auch wir gingen des Abends um 6,
halb 7 etwas zum Thore hinaus, um uns die Gegend zu
besehen. — Diese ist wirklich hübsch, oft sogar reizend, ob-
gleich man ihr meiner Ansicht nach erst Geschmack ab-
gewinnen muß; man mag nämlich hinsehen, wohin man will,
so trifft man auf Berge, die kahl und unbewachsen, höchstens
mit einigen Tannen versehen sind. Als Hintergrund machen
sie sich nun freilich immer schön, wenn etwas Hübsches
in der Nähe ist, wie z. B. die Saale, an deren beiden Ufern
die üppigsten Wiesen, dicht mit Weiden und einigen andern
Bäumen bewachsen sind, aber nicht, wenn man auf sie be-
schränkt ist. Die Saale ist ein Flüßchen, so breit wie eine
recht breite Chaussee, das ziemlich schnell fließt und ganz mit
Treibholz bedeckt ist; beide Ufer sind reizend, und überhaupt
giebt es Punkte in der Umgegend, von denen aus man eine
weite, herrliche Aussicht genießt; aber, wenn man irgend
etwas der Art erreichen will, so muß man immer erst Berge
ersteigen. — Das Leben hier in Jena ist im Ganzen gemüthlich
und höchst ungenirt; des Nachmittags trinken oft 50 Studenten
auf dem Markt ^) an langen Tischen Kaffe und rauchen ihi*e
Pfeife dazu; Schlafröcke spielen dabei immer eine große
Bolle, so wie Rapiere; denn der Markt ist den Studirenden
gleichsam als Fechtplatz angewiesen, da das Stoßen auf den
Stuben und in den übrigen Straßen verboten ist und nicht füi-
ein anderes passendes Lokal gesorgt wird. Dies Alles fällt
hier auch so wenig auf, daß kein Mensch auch nur einen
Augenblick hinsieht. Abends in der Kühle ist auch häufig
über die damalige Bedeutung des Marktplatzes in Jena für das dortige
Stndentenleben vergl. u. a. Felix Schnabels Uniyersitätsjahre. Ein
Beitrag zur Sittengeschichte des 19. Jahrh. von A. v. S. (1835). Neu-
druck von Otto Julius Bierbaum (Berlin 1907) S. 148 f. Das im
folgenden wiederholt erwähnte^ in Jena damals besonders beliebte
Stoßfechten wird in dem angeführten Buch S. 155 ff. besprochen. —
Über das Jenaer Stoßfechten in älterer Zeit und dessen Begründer,
den Jenaer Fechtmeister Wilhelm Kreußler, vgl. EDUARD KELTER^
Ein Jenaer Student um 1630 (Jena 1908).
44 Adolf Wohlwül, ^^^^^B^
auf dem Markt große Promenade, indem Jeder mit seinen
Bekannten auf und abwandelt und sieh unterhält. So vergeht
ein Tag, wie der andere; heute sind 70— 80 Studenten nach
Weimar gefahren, geritt^en und gegangen, um die Sehroeder-
Devrient, die ziiin letzten Mal auftrittj zu hören; die CoUegia
werden allgemein sehr fleißig besucht, obgleich außerdem
wohl die meisten, oder viele wenigstens, nieht ganz \iel mit
dem Arbeiten sich befassen, sondem den Nachmittag und Abend
so ganz gemüthJich und jfaiü hiubringen Noch habe ich
vergessen, Dich zu bitten^ ob Du nicht Ernst \) von mir
grüßen und ihn bitten wallest, mit Vater darüber zu sprechen,
ob er es der Mühe werth hält, mir einige Reagenzien, oder
sonst Apparate zu chemischen Arbeiten mit der Frachtpost
zu schicken, oder nicht; jedenfalls bitte ich um Bescheid
darauf und wenn es angeht, was ich zu erwarten habe; hier
ist Alles theuer; die geriihmte Wohlfeilheit Jenas besteht
wahrhaftig nur in Wohnungen^ Bier und darin, daß man in
Jena nichts bekommen kann, wofiir man Geld ausgeben
könnte. Leb wohl und schreibe bald recht ausführlich über
alle doi*tigen Verhältnisse
Deinem Hans.
4. Versmann an seinen Vater.
Jena d, 6. Juni 40,
Mein theiu^er Vater!
Eine Beruhigung bei aller Unruhe, der Du jetzt ausge-
setzt bist, wird Dir die Versicherung sein, daß ich, soweit es
sich voraussehen läßt, die feste Überzeugung habe, daß ich
mich Mer, so lange ich hier sein werde, geistig und körper-
lich sehr wohl befinden werde* Meine Arbeiten gehen gut
und glücklich von Statten; die Umgebung, in der ich mich
befinde, ist nicht allein von Seiten Martins, sondem auch
von der meiner CommlHtonen eine anerkannt tüchtige und
') Eniit August Otto VeTsroann^ jüngerer Bruder you Johaimeö, war
bestimmt^ m den pharm azeutischen Beruf des Vaters eißzutreten. Er
hat sich später im kommunalen Leben Hamburgs, spezieU auch als
lli-gerschaft«mitg:Ued, vielfach verdient gemacht.
Jenaer Studentenbriefe yon Johannes Versmann. 45
brave, und was wahrlich nicht das Geiingste ist, auch mein
körperlicher Zustand ist so, daß ich damit zufrieden bin,
vorausgesetzt natürlich, daß ich weiß, wie ich mich in dieser
Bücksicht zu benehmen habe
Am 26sten Mai . ., als hier Markt war, ein für Jena
sehr wichtiges Ereigniß, kauften Heibert und ich uns eine
Portion Gläser, Röhren u. s. w. zum Reagiren und andern
kleinen Experimenten; auch sind wir mit den gewöhnlichsten
Reagenzien versehen durch Herrn Prof. Schleiden, den Heibert
sehr genau kennt, und der ein niedliches Laboratorium hat;
er ist es auch, an den wir uns ganz zutrauensvoll um Rath
wenden können, wenn unsere eigene Weisheit und die der
Bücher nicht mehr aushilft. Bei so bewandten Umständen
bitte ich Dich denn, lieber Vater, mir von Reagenzien nur
die weniger gewöhnlichen und billigen zu senden, damit das
Porto nicht zu theuer wird
Heute gehen die Pflngstferien an, die bis Sonntag über
8 Tage dauern, ich werde in dieser Zeit die Umgegend recht
genießen, vielleicht auch kleine Touren in benachbarte Städte
oder an den Anfang des Thüringer Waldes machen. Die
gewöhnliche Pfingsttour, wo in 8 Tagen der ganze Thüringer
Wald bereist wird, ist natürlich nicht für mich; denn wenn
meine Gesundheit auch recht gut jetzt ist, so ist die Zeit,
wo sie es nicht war, noch viel zu nahe, als daß ich sie auf
eine Probe irgend einer Art stellen sollte
5. Versmann an seinen Bruder Hermann.
Daß V. ungeachtet der zuletzt mitgeteilten Äußerung, die wohl
zur Beruhigung des besorgen Vaters dienen sollte, die ersten
akademischen Pfingstferien doch noch für eine umfassendere Tour
durch Thüringen verwertete, beweist der von ihm Ende Juni an
seinen Bruder Hermann gerichtete Brief, in dem es heißt:
Jena, d. 29»*«'» Juni 40.
. . . Ich schrieb Euch zuletzt, als ich im Begriff war, mit
einigen Bekannten eine kleine Tour ins Thüringische zu
machen. Nun, diese ist sehr nett ausgefallen, hat mir aber,
obgleich ich sie sehr billig gemacht, meine letzten Thaler
gekostet; sodaß ich seit der Zeit keinen rothen Heller mehi*
46
Ä^lolf WoUwill,
gehabt habe; was hier in Jena freilich weni^ gcnirt, da kein
Mensch, er mag Bein, wer er wiü, biiare Bezahhiiig gewohnt
ist, und da ich keine besondem Angaben gehabt habe, seit der
Zeit, Nun, mr trafen in Ilmenau den Herrn Prof. KochO aus
Jena^ der mit mehreren Studenten eine botanische Excursion
in den Thüringer Wald machte, me er jedes Jahr um Pfingsten
thnt. Wir hatten an ihm einen heiTlichen Fiihier, der jeden
schönen Punktj jeden Fußweg, jede Merkwürdigkeit kannte. Wir
haben durch ihn den Felsenkeller und die berühmten Wasser-
bäder nach der neuen Mode in Ilmenau gesehen, haben Eisen-
hütten^ Sehmelzhütten, GJashütten, eine Gewehrfabrik und
manches Andere gesehen, wozu wir sonst nie gekommen wären.
Auch auf der Wartburg sind wii* gewesen, wo es herrlich ist.
Von Eisenach aus fuhren wir den ganzen Rückweg alle zu-
sanmien, 12 Mann, den geraden Weg über Gotha, Erfmt
und Weimar nach Hause. Wir sind 10 Tage abwesend
gewesen. . . .
6. Versmann an seinen Vater.
J'ena d. 21«*«^ Juli m40%
.... auf einem gsxm andern FuBe dagegen stehe ich mit
dem jungen M[artinJ. Durch diesen bin ich auch beim Ge-
heimrath Schmidt^), seinem SchwiegeiTater, eingeführt, und eine
Einladung von diesem oder vielmehr seiner Frau war es, die
mich gestern meinen Brief nicht beenden ließ. Es war dort
ein Thee im Garten, wo sehr viele Herren und Damen sich
einige Stunden bedeutend laogweüten. Dagegen habe ich eine
recht interessante Bekanntschaft mit Prof. Koch gemacht auf
der Thihinger Eeise; er ist großer Botaniker und Entoraolog-
dabei ein sehr zuvorkommender, einfacher Mann. Obgleich
ich die Botanik nicht bei ilun, sondern bei Schieiden höre^
^) £* H, E. Kocli| seit 1SB6 außerordentL Professor in Jena^ hielt im
SommerseiBeater 1840 Vorlesungen Über Botanik und Entomologie, die
er mit ExkuTflionefl vertatid. Er wurde später auch als Reisebeaehreibe?
bekazmt
^ Die folgenden Zeilen sind dem fiegiime des Briefen am 22. hiu*
sugefügL
*) Karl Ernst Scjiniid, Professor des Staatsreebts.
1
Jenaer Studentenbriefe Ton Johanaes Versmann. 47
bat ich ihn doch ganz frei, seine wöchentlichen Excursionen
mitmachen zu dürfen, was er mir mit der größten Bereit-
willigkeit zugestand. Du siehst also, daß es mir hier in jeder
Beziehung sehr gut geht; auch mit meiner Gesundheit muß
ich zufrieden sein
Auf demselben Bogen befindet sich ein kleiner Brief an V.'s
Bruder Ernst, aus dem folgender Satz hervorgehoben werden möge:
Besonders interessirt mich die Chemie; Doebereiner ist
ein sehr geistreicher Mann und dazu mit den schönsten Sachen
zum Experimentiren versehen; Helbert's und mein kleines
Laboratorium ist freilich noch sehr im Fötuszustande, macht
uns aber doch viel Spaß; die meisten qualitativen unorga-
nischen Analysen können wir damit vornehmen, und Manches
wird noch mit der Zeit vervollständigt
7. Versmann an seinen Vater.
Jena d. 16. Aug. 1840.
Vorausgeht u. a. der Dank für die ihm vom Vater gewährte
Ferienreise.
Daß ich, wie Du mir schreibst, Rücksichten
auf meine Gesundheit voranstelle, und vor allem Uebrigen^
es beziehe sich auf Nutzen oder Vergnügen, erwäge, versteht
sich von selbst; übrigens kann ich mit Wahrheit sagen, daß
die viele körperliche Bewegung, die ich mir auf Martins
Rath mit Turnen, Gehen, ganz besonders aber und vor allem
Andern mit Stoßen und Bergsteigen gemacht habe, meiner
Brust ausgezeichnet wohlthut, sodaß ich die Berge um Jena^
die ich zuerst langsam und mit Beschwerde erstieg, jetzt in
gewöhnlichem Schritt und ohne Anstrengung hinauf gehe. Auch
das Stoßfechten, dem ich zuerst gar keinen Geschmack ab-
gewinnen konnte, übt jetzt, da ich nach 2monatlichem Unter-
richt ziemlich geübt darin bin, auf meinen Körper und besonders
auf meine Brust einen äußerst wohlthätigen Einfluß aus, so
daß ich es jeden Tag Vs Stunde thue, entweder auf dem
Fechtboden oder nach Tisch mit Heibert auf der Stube; und
es so liebgewinne, daß ich es, ich möchte glauben, in meinem
Leben nicht ganz aufgeben werde
48 Adolf WohlwiU,
üeberhaupt gefällt es mir hier in Jena jetzt ganz vor-
trefflich; der Hauptvorzug von Jena scheint mir zu sein, daß
es Keinen in seiner Art zu sein und zu handeln stört, und wenn
das der Fall ist, hat ja Jeder das üebrige von sich selbst
zu erwarten und sich selbst zuzuschreiben. Auffallend ist es
und doch jetzt mir ganz natürlich, daß ich den großen Schritt
von der Schule zur Universität eigentlich erst jetzt recht
selbst erkenne und fühle; es ist mir jetzt erklärlich, weil er
für mich nicht in Aeußerlichkeiten bestehen konnte, da ich das,
was zuerst immer am meisten imponiren soll, die akademische
Freiheit im Gegensatz zum eben [verjlassenen Schulzwang
nicht empfinden konnte, da in dieser Hinsicht fast schon in
Selekta^), im voll[konminen] Maaße aber auf dem Hamburger
Gymnasium eine Freiheit und üngebundenheit herrschte, die ich
auf der Universität nicht so wiederfinde; das eigentliche Wesen
einer Sache aber stellt sich nicht auf einmal und plötzlich
uns dar, sondern will erfahren und erkannt sein. —
Es folgen dann eine Reihe von Briefen, die uns ein Bild von
Yersmanns achtwöchentlicher Ferienreise über Nürnberg und Augs-
burg nach München, von dort durch Tirol bis nach Mailand und
zurück durch Graubünden, Vorarlberg usw. gewähren, auf deren
mannigfaltigen Inhalt hier aber nicht näher eingegangen werden kann.
8. Versmann an seinen Vater.
Jena d. 14. Novb. 1840.
Da empfängst Du denn, mein theurer Vater, den ersten
Brief eigentlich aus Jena von mir, denn der erste, der von
hier datirt war*), war eigentlich mehr vom Endpunkt meiner
Reise aus geschrieben, als daß er Dir irgend etwas von Jena
und den Verhältnissen, in denen ich in diesem Semester dazu
stehe, erzählt hätte. Damals war das freilich auch noch
nicht möglich, denn ich war noch zu voll von allen Eindrücken
der Reise, die sich gerade damals am Ende derselben alle
noch einmal zusammendrängten, und von der Ankunft in
Jena, als daß ich meinem Herzen in etwas Andern hätte
*) Nämlich des Altonaer Cbristianeums.
^ Vom 29. Oktober 1840.
Jenaer Stadentenbriefe toh Johannes Veramann. 49
Luft machen können, und freilich war es ja auch das, was
Dich und Euch Alle damals unter meinen Angelegenheiten
am meisten interessirte. Jetzt sind 2V« Wochen verflossen,
die mir schon sehr viel länger vorkommen, ich bin in der ganzen
alten Ordnung, und ein Tag verstreicht wieder wie der andere.
Doch in den magern Jahren lebt man von dem Ueberfluß
der fetten; drängten sich bei mir in den verflossenen Monaten
die Genüsse und Eindrücke und erschienen in immer neuer
Gestalt, so genieße ich jetzt in der Erinnerung oft und gern,
entweder im Gespräch mit Heibert, meinem treuen Reise-
gefährten, oder geleitet von den todten, und doch für mich
so beredten Andenken, — einer Menge theils von mir selbst
gezeichneter, theils gekaufter Ansichten, und einem treu ge-
führten Tagebuche*). Besonders des Sonntags reise ich, und
halte mich denn bei den einzelnen Punkten länger auf, als es
damals anging, und suche mich über manche, besonders
historische Sachen näher zu unterrichten, von denen ich den
Ort sah, wo sie geschahen. Wirklich es giebt ein ganz
anderes, eigenes Interesse für die Verhältnisse der Zeit, wenn
man den Ort sah, wo dieselben sich entspinnen; ich interessire
mich z. B. in den Zeitungen am meisten für die Artikel, die
aus mir bekannten G^enden und Städten kommen, und manche
Dinge, die früher nicht das geringste Interesse für mich haben
konnten, haben jetzt ein großes für mich, indem sie zur Be-
stätigung oder Berichtigung mancher gemachten Bemerkungen
dienen. So genieße ich noch lange die Nachfreuden meiner
Reise und lasse sie mir noch recht nützlich werden. — Hier
in Jena habe ich mich so bald und ganz wieder eingelebt,
daß mir die ganze Reise oft wie ein Traum vorkonunt; und
dies ist ganz natürlich, denn was kann eigentlich wohl auf-
fallender sein, wenn man die Sache einigermaaßen von ent-
ferntem Gesichtspunkt auffaßt, als daß man, nachdem man
ein halbes Jahr nicht aus einer kleinen Stadt gekommen ist,
plötzlich in 8 Wochen vieler Herren Länder durchläuft, um
dann wieder für lange Zeit nicht vom Fleck zu konmien, und
in seinen Beschäftigimgen gerade da wieder anzufangen, wo
*) Dieaes Tagebuch ist leider nicht mehr Torhanden.
Ztoclir. d. Vereins f. Hamb. Gesch. xm.
60 ^^W Adolf Wolilwili, ^^^^^^H
mafl vor 8 Wochen stehen blieb, als ob das Intermezzo gar
nicht Statt getiinden hätte? Doch das ist auch wieder gut für
den Hauptzweck meiner jetzigen Zeit, denn sobald ich das
alte Colle^engebäiide in Jena wieder sah und den ganzen
andern Zubehör der Uiüvensität, befand ich mich >^ieder
mittendj inn, und an ein Zer^treutsein von der Keiae her war
nicht KU denken. Freilich wurde meine Zeit auch gleich
Montag in Anspruch genommen, denn da begannen die Collegia.
Ich höre jeden Morgen von 8 — 9 Mineralogie bei Dv, Schmidt'),
einem Privatdozentenj dem Sohne unseres jetzigen Prorektors;
dies CoUeg ist fast eine Privatstunde, wir sind nur 3, und
können daher die Sache mehr konversatorisch abmachen.
Dann von 9—10 und 11—12 jeden Tag (mit Ausnahme des
Sonnabends) Anatomie bei Prof. Huschke^< Dies ist das Haupt-
kolleg für diesen Winter, und erfordert außer den 2 Stunden
täglich noch sehr viel Nacharbeiten zu Hause, Von sehr großer
Wichtigkeit ist mir dabei der Winter auf der Hamburger
Anatomie, da ich doch nun gleich anfangen konnte zu arbeiten,
und nicht erst, wie es allen Andern geht, das halbe Semester
hingehn lasse, um nur einigeimaaßen Begriffe von der Sache
zu bekommen. Ueberhaupt sehe ich immer mehr und mehr
ein, wie mchtig eine solche Uebergangsanstalt*) ist, denn die
Physik bei Prof, Fries, die die Stunde von 10—11 ausfüllt^
würde mir bei seiner ganz philosophischen Behandlung der-
selben ungeheure Schwierigkeiten machen, wenn mir nicht
durch Prof, Wiebels*) herrlichen Unterricht die facta aus der-
selben bekannt wären; so geht es denn jetzt recht gut. Die
Osteologie, die bis Weihnacht jeden Tag von 2—3 gelesen
wii*d, und die ich erst hörte, habe ich wieder aufgegeben^ da
sie meinen Erwartungen nicht entsprach, weil er nur ganz
^) Gemeint lit der bereits genoiuite Dr. Eniflt Schmidt Sohn des Ge-
heimrata £. E. Schmtd.
^ Emil Huachke (1797—1858), ordenü. Profeüor der Anatomie in Jena.
Vergl. JOH, OÜHTHEE a. a, 0., S. 147,
*) GemeiDt ist daa Äkadem. Gymnasium in Hamburg; die 2um Stndium
der Medkin bestimmten akad. Gymnaaiaäten pflegten die Hambui-ger
Anatomie tu besuchen.
*) Der in diesen Briefen öfters g-enannte (Carl) Wiebel war seit 1837
Profeasof der Pbysik und Chemie am Akad. Gjmnasiiun in Hamburg,
1
Jenaer Studentenbriefe von Johannes Veranann. 51
dasselbe vorträgt, was ich in Hamburg in einem eigenen
privatissimum viel besser gelernt habe, als ich es jetzt mit
20 — 30 andern Zuhörern zugleich lernen würde. Dafür höre
ich denn nun Prof. Wolf*), der 5mal wöchentlich des Abends
publice über die neueste deutsche Litteratur vor einem auditorio
von 80 — 100 Studenten sehr geistreiche Vorträge hält. —
9. Versmann an seinen Bruder Ernst.
Jena d. 16. Nov. 40.
.... Ganz besonders freut es mich, daß Du Prof.
Wiebel in diesem Winter hören kannst; freilich würde es
wohl Wünschenswerther gewesen sein, wenn Du im Sommer
den Anfang gemacht hättest, da er dann, früher wenigstens,
unorganische, und im Winter organische Chemie las; aber
jedenfalls halte es für ein großes Glück, einen solchen
Dozenten zu hören; was Du vielleicht nie wieder können
wirst, denn selbst in Jena wüßte ich sehr wenige, die in
Hinsicht seiner Gabe des Vortrags, seinem angenehmen und
liebenswürdigen Wesen, womit er Jeden für seine Wissen-
schaft zu gewinnen weiß, ihm an die Seite zu stellen wären, und
wenn Döbereiner, als älterer Mann und einer der berühmtesten
deutschen Chemiker der Gegenwart, ihn an Ruf und Menge
neuer Erfindungen übertrifft, so halte ich doch Wiebel für
einen ungleich bessern Lehrer, da jener nur mit Mühe und
selten von Leuten verstanden wird, denen der Gegenstand
des Vortrags noch ganz fremd ist; durch die Bekanntschaft
mit Doebereiner hat Wiebel in meinen Augen erst seinen
rechten Werth bekommen
10. Versmann an seinen Vater.
Jena, d. 20**«" December 40.
Zum letzten Male in diesem Jahre, mein innig geliebter
Vater, ergreife ich die Feder, um mich Dir noch einmal recht
Oakar Ludw. BemL Wolff, der bekannte SchriftsteUer und Imp'
YiBator, der (am 26. Juli 1799 in Altona geboren) auch einige Ze
4*
62 Adolf Wohlwül,
innig und fest anzuschließen, und dann mit Gott das neue
Jahr beginnen zu lassen, überzeugt, daß liebe, theure Seelen
in der Heimath auch femer an mii- so warmen Antheil
nehmen. — 0, mein Vater, ich kann Dir meine Stimmung
und mag sie Dir nicht beschreiben; ich werfe mich in Gedanken
an Deine Brust, und ein stummer Kuß sagt uns beiden, was
wir fühlen. 0, ich freue mich so recht von Herzen auf die
Zeit, wo ich wieder mündlich mit Dir mich unterhalte
ich habe Dir dann so Manches zu sagen . . . , was man dem
Papier und der langen Zeit, die dann zwischen Frage und
Antwort bleibt, nicht anvertrauen mag; es ist wahr, aber
auch nur in dieser Beziehung wahr, daß große Entfernung
leicht entfremdet; denn man kann nicht jeden Eindruck und
jede Begung des Herzens sogleich mittheilen, und es ist so
schwer, von Zeit zu Zeit ein Bild davon zu entwerfen, weil
wir selbst uns oft unbewußt und nach und nach verändern.
So hat mich oft der Gedanke beunruhigt, daß Du aus meinen
Briefen und Nachrichten Dir doch noch keine ganz vollständige
Vorstellung davon machen könntest, wie ich eigentlich meinen
Geist hier in jeder Beziehimg befriedige, und womit ich z. B.
außer meiner Fachwissenschaft mich beschäftige. Ich kannDir da
freilich erzählen, wie ich mich viel und gern mit der deutschen
Litteratui-, unter Anleitung der Vorlesungen von Wolff, und
jetzt auch mit Astronomie beschäftige, wie ich bald bei der
Tante Martin, bald beim jungen Martin mich sehr angenehm
unterhalte, wie ich schon mehrere Male auf den sogenannten
akademischen Bällen, die aus lauter Professoren und den
von ihnen eingeladenen Damen und Studenten gebildet werden,
gewesen bin, mich aber jedes Mal tüchtig ennüyirt habe;
aber das Eigentliche, was das Leben der Studenten in Jena
würzt, und Jeden so an Jena fesselt, das kann ich Dir nicht
so schriftlich wieder geben, und daher freue ich mich so
darauf, dies einmal mündlich mit Dir zu besprechen; es ist
dies das Verhältniß, worin die Studenten zu einander und zu
den Professoren stehen, und welches so einzig und allein in
Hamburg als Lehrer gewirkt hatte, war zufolge des Interesses, das
'^ethe an ihm genommen, 1826—1830 am Gymnasium in Weimar»
itdem aber an der Univenität in Jena angestellt
Jenaer Stndentenbriefe ¥oa Johannes Versmann. 53
Jena herrscht So z. B. nennen sich alle Jenenser Studenten
ohne ii^end einen Unterschied oder eine Ausnahme „Du,^
und dies schon giebt ein anderes Verhältniß, als das steife
„Sie*'. Dabei lernt man nun Leute aus allen G^enden des
deutschen Reiches, aus Ungarn und der Schweiz kennen, und
zum Theil sehr genau kennen, ohne darum gleich eine Freund-
schaft, die man vielleicht nicht will, auf dem Halse zu haben;
Keiner fühlt sich hier allein, sondern immer als Glied des
Ganzen, ohne darum irgend in seiner Buhe oder Einsamkeit
gestört zu werden. Ebenso das Verhältniß mit den
Professoren; man geht ohne alle Umstände, wie man ist,
zu Urnen hin und fragt sie um Bath und wird mit einer
Freundlichkeit und Vertraulichkeit behandelt, die man ander-
wärts in solcheni Verhältniß gewiß vergebens sucht, sowohl
in Art der Gegenstände, als auch der Behandlung derselben;
und so ist ja Jena auch im Auslande förmlich berühmt
wegen dieses Verhältnisses, worin Lehrer und Studenten
hier stehen. —
Dieser Brief wird gerade am Tage des heiligen Abends
eintreffen, wo Du denn zum ersten Male nur 4 von Deinen
Söhnen um Dich hast; aber die andern Beiden werden im
Geiste gewiß den Abend bei Euch sein, unser alter Herrmann
reist in Gedanken von seinem Bordeaux und ich von Jena aus
in die alte Heimath, um das liebe Christfest zu begehn. Ich
weiß nichts Besseres, mein theurer Vater, Dir an dem Abend
zu bringen, als die Versicherung, daß ich glaube hier meinen
Zweck zu erfüllen, und dies einst, wenn Rechenschaft darüber
von mii- gefordert wird, beweisen zu können; das Andere
versteht sich von selbst. Ich werde den Weihnachtabend
theils einer Einladung zu Folge bei den versammelten Martins
zubringen, theils im Kreise froher Bekannten. Wii' haben
nämlich durch kleine Beiträge eine ziemliche Summe zu-
sammengebracht und eine Commission ernannt, welche einen
Ungeheuern Tannenbaum mit kleinen Geschenken, die zu dem
Beschenkten in irgend einer Beziehung stehen, und passenden
Reimen dazu versieht, um Allen die Erinnerung an die Jugend-
zeit, auch fem von den Aeltem, recht lebhaft zu machen.
Davon schreibe ich Dir später einmal mehr
54
Adolf Wohlwül,
11, Versmann an seinen Vater.
Eine Ergänzung su den letzten Äutzügen aus dem vorigen
Brief bildet der vom 3L Januar 18-llt in deio ea u* a. heißt:
Das Weüinaclitsfest habt Ihr — ich kann mir es ganz
genau vorstellen ~ gewiB ziemlich stiU nnd nihig hin-
gebracht; Du mit den 4 Brüdern allein; oh! wie schnell hat
sich doch unser schöner und großer Kreis aufgelöst; ich habe
mieh recht zu Euch hingedacht, und so laut und lärmend ich
auch den Abend verlebt habe, überkam mich doch oft eine
Wehmuth, die ich nicht zurückdrängen konnte* — Den
heiligen Abend nämlich verlebte ich mit vielen andern
Studenten, die alle nicht nach Hause gehen können in den
kurzen Ferien. Da ward denn eine Coramission ei^^ähJt, die
einen großen Tannenbaum, mit lauter, natürlich höchst un-
bedeutenden Geschenken aufputsste; und dabei fitr Jeden einen
kleinen Vers, der meist eine vei^teckte Malice, oder sonstige
ziun Geschenk passende Anspielung enthielt. Einer, in der
Maske eines Braunschweiger FrachtfuhnnannSj — deren
Grobheit hier sprichwörtlich ist^ las die Verse vor und über-
reichte dabei die Geschenke \ oft von unei*müdlichem Gelächter
über einen passenden Witis, eine pikante Anspielung unter-
brochen. So ging der Abend im Ganzen recht hübsch hin, —
Dann waixl noch am Isten Festtag bei den alten, und am
2ten bei den jungen Martins, nach hiesiger Sitte, ein recht
steifer langweiliger Weihnacht in großer Gesellschaft ein-
geladener Gäste gehalten; da dachte ich mm fi^eilich oft ans
Vaterhaus* und die Bemerkung drängte sich mir mit Macht
auf, daß dei^leichen Sachen allein Bedeutnng bekommen durch
den Geist, aus dem sie hervorgehen, und in dem sie aus-
geführt werden. —
12, Versmann an seinen Bruder Ernst,
Jena d. 1, Febn 41.
.... Die schöne Hamburger Revolution, die, da sie
aus dem Geiste hei^orging, mit so viel Begeistenmg anfing, ist
wohl spurlos verschwunden?*) Ich habe die ganze Geschichte
'^ Die ironische Betnerlstmg V,s bezieht ^ich auf einen Krawall, der
prdi eine flffeutliche Versammlong des Hamburger Miißigkeitsvereina
Jenaer Stndeiitenbriefe yon Johanne« Veramann. 56
in allen möglichen Blättern weitläuftig gelesen. Nun wül ich
Dir aber auch etwas erzählen, was Du wohl in keinem Blatte
lesen wirst, was darum aber weit interessanter zu hören ist,
als wenn Hamburger Revolution anfangen wollen. Wir hatten
hier nämlich am letzten Freitag einen prächtigen Auszug,
der halb Jena auf die Beine brachte, und von dem man in
ganz Jena noch heute spricht. Es existirt hier nämlich seit
undenklichen Zeiten in irgend einem der umliegenden Dörfer
ein sogenannter Bierstaat mit einem Herzog, Bittem, Knappen
u. s. w., einer heiligen Kirche, bestehend aus einem Erzbischof,»
einem Burgpfaff und Schinderknecht. Dieser Bierstaat sollte
verlegt werden von Zwätzen nach Wöllnitz; daher wurden alle
Sachen hach Jena geschafft, um im feierlichen Auszuge sie nach
Wöllnitz zu bringen. Nun sind solche Auszüge freilich ver-
boten, aber wir hatten mit einigen Professoren vorher darüber
gesprochen, und da sie meinten, wir könnten uns dies un-
schuldige Vergnügen gern machen, so geschah es. Vorauf ritt
auf einem schrecklichen Jenenser Miethgaul der Reichsherold;
dann folgte der Insignienwagen, worauf das große Reichs-
wappen nebst Zepter und Reichsapfel und den 2 Reichs-
baronen; ihm folgte der herzogliche Wagen, worin der Herzog
im Purpurmantel mit der Krone von Papp; bei ihm saß sein
Leibmedikus, ihm gegenüber der Thronfolger und ich als sein
Leibknappe; in einem Tritt stand ein Mohr, im andern ein
Page, hintenauf 2 Kammerherm, in Kniehosen, mit Degen,
gepuderten Haaren und Ungeheuern goldenen Schlüsseln;
nebenbei ritt der 2te Leibknappe mit der Fahne; dann
kamen lauter Schlitten; auf einem der Zeitungsschreiber mit
einer in Ketten gelegten Presse; dann der Erzbischof, in
hervorgerufen wurde. Durch die Worte atM dem Geiste hervor-
gegangen wird darauf angespielt, daß der Branntwein (Spiritus)
in den Beden und dem gesamten Gebahren der Tumultuanten die
Parole war. Vergl. GALLOIS, Chronik der Stadt Hamburg Band 4
S. 904, femer die Notizen von Dr. Heckscher und Dr. Bud. Ferber
in dieser Zeitschr. Bd. 12 S. 367 ff und &00 f. — Es dürfte sich vielleicht
lohnen, den tiefer liegenden Ursachen der erwähnten Revolution
nachzuspüren, da sie nicht nur in die Abstinenzbewegung eingriff,
sondern auch für die Geschichte der sozialen Gegensätze eine gewisse
symptomatische Bedeutung hat
56 Adolf Wohlwm, ^^^^^B
ErmangeluBg eines Esels, auf einem, dem Esel sehr äbnlichen
EößleiD, im weißen Gewand, mit der Bischofsmütze und dem
Krummstab^ mit dem er das Volk segnete; hinterher die
übrigen Diener der Kirche; dann Bacehng auf einer Tonne
mit einigen verkleideten Damen (eine war Heibert trot^s
seines Bartes) und niancherlei andere Schlitten und zuletzt
eine große 4 spännige Postblamage mit Knappen und Barbaren.
So ging der Zug durch die ganze Stadt nach WöUnitZp 1 Stunde
von Jena ; hier hielt der Bischof eine aus Unsinn, Witz nnd
mancherlei Anspielungen zusammengesetzte Krönungsrede, bei
der man wirklich in Gefahr war, vor Lachen krank zu werden;
und am Abend fuhren wir im Schneegestöber zuiiick. Die
Geschichte hat die Jenenser sehr amüsirt; auch die meisten
Professoren hatten sich sehr darUber amüsirt, und ging Alles
zur allgemeinen Freude ab
13. Versmann an seinen Vater,
Jena d. 8. Mäi^ 184L
H
Wenn ich jetzt am Ende des Semesters auf
dasselbe zurücksehe, so kann ich das mit ziemlicher Ruhe und
Zufriedenheit; freilich hätte noch unendlich viel mehr ge-
schehen können, das wird nie Jemand wagen von sich zu
läugnen; aber ich möchte doch nicht, daß es andei-s gewesen
wäre, als es war; denn Manches, was nicht vom Katheder
gelehrt wiid und nicht in Büchern steht, wäre mh^ dafür ver-
loren gegangen, — Die Anatomie j mein Hauptkolleg, 10
Stunden wöchentlich, oft 12, habe ich tüchtig durchgearbeitet,
und ich hatte die beste Gelegenheit und Hülfsraittel, theüs,
weil Heibert, der in einem Hause mit mir wohnt, sich herr-
liche Tafeln in Lebensgröße angeschafift hat, theUs dadurch,
daß Martin mich zu vielen Sektionen mitnahm, und mich
meistens selbst Hand anlegen ließ. Ihm verdanke ich von
dieser Seite viel, und seine Fi-eundlichkeit werde ich nie ver-
gessen* Einen zweiten Protektor der Art habe ich in seinem
Schwager, dem Dr, Schmidt, Piivatdozenten der Natur\^1ssen-
^^aften, gefunden, der mit der größten Freundlichkeit und
raütät mir Vieles gezeigt und erklärt hat, was man nur
ilb
Jenier Stadmtenbrieffi Ton Johannes Venmann. Ö7
durch Privatmittheilimg keimen lernt Ich höre dies Semester
bei ihm nur mit Heibert und einem Dritten Mineralogie und
Geologie, und er hat nicht allein fOr uns 3 dies GoUeg ge-
lesen, sondern l&ßt uns jetzt noch 3 mal wöchentlich zu sich
kommen, um Löthrohnrersuche auf Analyse der Mineralien zu
machen. So stehe ich hier sehr gut, und kann noch unendlich
viel hier lernen; besonders freue ich mich auf den nächsten
Sommer, wo ich interessante CoUegia habe: Physiologie und
vergleichende Anatomie, und außerdem werde ich wahrschein-
lich noch einmal Botanik bei Schieiden hören, der durch
seinen geistreichen Vortrag bald eine große Anzahl Schuler
um sich sammelii wird. Ueberhaupt bin ich immer mehr mit
ganzer Seele Mediziner
14. Versmann an seinen Vater.
Jena d. 12. Juni 1841.
Mir geht es denn, wie immer, in Jena vor-
trefflich; die Pfingstferien waren fi-eilich etwas sehr lang-
weilig für mich, da ich fast allein zu Hause blieb, während
Alles in den Thüringer Wald, die sächsische Schweiz und
unter Andern Heibert in den Harz zog. Aber ich hatte es
mir vorgenommen, und jetzt ist es mir auch sehr angenehm,
daß ich es gethan, da ich in der Zeit fleißig gewesen und
Manches gelernt und dazu jetzt um 15 Thlr. reicher bin. —
Am meisten Vergnügen von den Sachen, womit ich mich in
diesem Semester beschäftige, macht mir die Botanik, die mir
erst durch Schieiden interessant, ja im höchsten Grade an-
ziehend geworden ist; die Ikkursionen, die wir wöchentlich
mit ihm machen, sind so belehrend wie angenehm; die gute
Gesellschaft gleichgestimmter Freunde, die schöne Gegend,
Schleidens gute Unterhaltung und sein überaus ungenirtes
Wesen machen sie uns so angenehm, daß keine eigends zum
Vergnügen arrangirte Landparthie mehr Genuß gewähren
könnte; dazu ist die Flora hier eine der reichsten in Deutsch-
land, da das Klima sowohl als der fruchtbare Boden des
Saalethals und der vielen sanften Bergabhänge, so wie der
an einigen Stellen sumpfige, an andern mit dichtem Laub-
58 Adolf Wohlwill,
und Nadelholz bewachsene Boden die verschiedensten Pflanzen,
die sonst selten in einer Gegend vorkommen, hervorbringt.
Außerdem höre ich bei Huschke Physiologie; dieser hat eine
unerträgliche Weise, seine Disziplin zu handhaben; er diktirt
fast die ganze Stunde hindurch; aber dennoch kann er dieser
Wissenschaft das Belebende und Interessante, was sie vor fast
allen andern medizinischen Disziplinen auszeichnet, selbst
durch seine eigne Geistlosigkeit nicht nehmen. Die ver-
gleichende Anatomie, die ich ebenfalls täglich 1 Stunde bei ihm
höre, ist interessant, weil er nur gesammelten Stoff zu geben
hat, dessen Zusammenstellung oft zu den überraschendsten
Resultaten führt, obgleich auch sie viel interessanter und
geistreicher vorgetragen werden müßte. —
Im zweiten Teile des Briefes erwägt V. u. a. die Frage, ob
es richtiger sei, im kommenden Semester eine andere Universität
zu beziehen oder noch länger in Jena zu bleiben. Daß er zu dem
letzteren Entschluß neigte, zeigt der Schluß des betreffenden Absatzes:
Zu dem Allen kommt, daß ich die größte Celebrität
unter unsem hiesigen Medizinern, den Prof. Stark, der die
allgemeine Pathologie höchst geistreich liest, erst im nächsten
Winter hören kann, und also, wie Martin mir mit Recht vor-
hält, den unserer Professoren, der so viele Fremde anzieht,
nicht hören, sondern gerade vorher weglaufen würde. Nun
noch dazu genommen, daß ich hier aus den angenehmsten,
behaglichsten Verhältnissen scheide, um in neue, die ich gar
nicht kenne, und die gar nicht so gut, wie die hiesigen sein
können, trete, so wirst Du glauben, daß ich mich in einer
mißlichen Lage befinde; ich tröste mich damit, daß ich es
immer noch aufschiebe und denke, es ist noch lange hin, und
mich noch freue, so lange ich in Jena bin; aber es macht
mir manchmal den Kopf warm.
Unmittelbar hieran schließt sich die folgende Notiz:
Gestern wurden in Weimar Schillers Räuber gegeben;
es waren ungefähr 300 Studenten aus Jena dort, und es soll
eine rasende Wirthschaft gewesen sein; ich war nicht in der
'^mmung und blieb zu Hause; überdies habe ich die Touren
1 Weimar abgeschworen, da sie theuer und doch eigentlich
Jenaer Studentenbriefe von Johannes Venmann. 59
nicht interessant sind; übrigens hätte das gestrige Stück wohl
zu einer Ausnahme führen können, denn es ist von jeher
Sitte, daß zu den B&ubem ganz Jena hinüberzieht und das
Parterre allein einnimmt; dann singt man nach dem Liede:
Ein freies Leben etc. den ersten Vers vom Gaudeamus igitur,
auch eigentlich nur, weil es ein altes Herkommen ist, und in
der Nacht geht und fährt man nach Jena zurück^) ....
Am Schloß des Briefes bemerkt V. u. a., daß er mit Heibert
und einem dritten einen italienischen Kursus bei Prof. Wolff zu
nehmen beabsichtige, und fögt dann hinzu:
In der letzten Zeit habe ich mich auch etwas mehr auf
das Zeichnen, und zwar nach der Natiu-, gelegt, wozu hier
schöne Gelegenheit ist; auch habe ich einige solche Sachen
nachher schwarz getuscht, was mir ziemlich geglückt ist und
mir vielen Spaß machte; besonders 2 Ansichten von der
Rudelsburg, einer der schönsten Ruinen im Saalethal, 6 Stunden
von Jena, die ich mit mehreren Bekannten eine Woche vor
Pfingsten besuchte
15. Versmann an seinen Vater.
Jena d. 25. Juli 41.
Endlich nun noch das große Musikfest; das
mag herrlich gewesen sein; da hat sich die alte Reichsstadt
einmal recht wieder im alten Glänze gezeigt; so etwas ist
ihrer würdig.*) Ich habe die dazu gehörigen Sachen, die Du
mir schicktest, und die ich in den verschiedenen Zeitungen
fand, mit einem Interesse gelesen, als wäre ich selbst dabei
gewesen, und habe mich in der Hamburger Seele über die
ganze Geschichte gefreut. Eine Rezension meinte zwar, das
Metall, was für die vielen Feste verwendet worden, sei dem
Metall der Stimmen der Solosänger abgegangen, und die vielen
Schmause u. s. w. hätten dem Fest bedeutenden Eintrag ge-
Vergl. hierzu: (G. H. SCHNEIDER), Die Burschenschaft Germania S.239 f.
') Den glänzenden Verlauf des Hamburger Musikfestes vom 5. bis 8. Juli
1841 veranschaulicht am besten die Schrift von B. Ay£ — ^LAllemant,
Rückblicke auf das dritte norddeutsche Musikfest in Hamburg (Lübeck
1841).
60 Adolf Wohlwill,
than; das mag auch wohl wahr sein, und ist ein neuer Beweis,
daß man bei uns nicht den Geist erfreuen kann, ohne den
Magen zu bedenken
16. Versmann an seinen Vater.
Jena d. 23»*«» Oct. 1841.
Die Ferien sind jetzt fast vorbei, und schon
wird es lebhafter im alten Jena; die Leute kehren vom Hause
und von den Reisen zurück und täglich finden sich alte Be-
kannte wieder. Mir sind sie ruhig und still hingegangen;
ich habe tüchtig gearbeitet, außer meinen Fachwissenschaften,
neueste Geschichte und Italiänisch zusammen mit einem
Schweizer, der eigentlich ein halber Italiäner ist und mir
daher bedeutend voraus, was mich sehr förderte; ich helfe
ihn dagegen im Englischen weiter. In Weimar war ich
8 Tage in der Familie eines hiesigen Studenten Genast, den
ich sehr achte. Es waren angenehme Tage, besonders sprach
mich das Leben in einem Familienkreis an, und ich kann
nicht läugnen, daß mir zuweilen etwas wehe ums Herz ward,
wenn ich das schöne Verhältniß zwischen der Mutter, einer
sehr gebildeten, liebenswürdigen Frau, und den erwachsenen
Kindern, 2 Töchtern und einem Sohne sah, und doch that es
mir so wohl/) Einige Landparthien in sehr zahlreicher Ge-
sellschaft waren sehr unterhaltend; dergleichen kennt man in
Jena nicht, denn hier giebt es kaum ein Familienleben; außer-
dem habe ich denn nun auch Alles gesehen, was sich nur im
Entferntesten auf Göthe, Schiller und Karl August bezieht;
die Weimaraner sind eitel auf diese Schätze und treiben die
Verehrung besonders gegen Göthe bis zur lächerlichen Ab-
götterei; ich glaube, die Stadt ist zu klein für diesen großen
Geist, wenigstens kommt es mir immer so vor, als wenn
Weimar an Göthe leidet. —
Tante Martin ist von ihi-er Heidelberger Reise zurück-
gekehrt und grüßt Dich herzlich; sie ist wohlauf sammt dem
Onkel und ihren lündem Ihren Schwiegersohn Stark
lerne ich diesen Winter auch kennen; ich höre „Allgemeine
Versmann hatte seine Matter bereits als Knabe (21. Juni 1833) verloren.
Jenaer Studentenbriele von Johannes Versmann. 61
Pathologie*' nach seinem eignen, sehr berühmten Lehrbuche
bei ihm, wöchentlich 9 und bald, wenigstens von Weihnachten
an, 12 Stunden wöchentlich. Ebenfalls bei Martin werde ich
hören, und zwar Pharmacologie; außerdem präparire ich, was
ich mit weniger MOhe, als ich erwartete, durchgesetzt habe,
da hier nach einer ganz willkührlichen Einrichtung von
Huschke sonst nur die zugelassen werden, die schon 2 Mal
Anatomie gehört haben. Bei diesem Präpariren kommen mir
die nächtlichen Touren vom Deichthor nach Hause vom
Winter 1839/40 wieder zu Gute, da ich dadurch in Stand
gesetzt bin, gleich ordentlich bei der Sache anzufangen, und
nicht erst einige Monate damit hinbringen muß, mich einzu-
üben, was mir doppelt angenehm ist, da ich weder mit
Huschke, wie du weißt, noch mit dem Prosector, einem ganz
unwissenschaftlichen, trägen Kerle, der kaum richtig deutsch
spricht, im besten Verhältniß stehe. . . .
17. Versmann an seinen Vater.
Jena d. 11. Dec. 1841.
Meinen Gebiu-tstag brachte ich still zu; ich
hatte die Absicht, nach Tisch meinen Bekannten der Merk-
würdigkeit wegen einen Kaffe auf dem Markt zu geben; denn
die Witterung ist hier noch immer lau, vor einigen Tagen
sogar frühlingsmäßig; aber es fing an zu regnen und der Spaß
mußte unterbleiben, den ich sonst wahrlich nie wieder ver-
gessen hätte. Über meine Collegia bin ich Dir noch eine
genauere Rechenschaft schuldig. Mit diesem Semester nämlich
hat bei mir das Studium der eigentlichen Medizin, die Be-
schäftigung mit dem kranken Menschen erst begonnen; da
ich bis jetzt mich ja theils nur mit allgemeinen Naturwissen-
schaften, theils mit der Kenntniß der Theile und der Funktionen
des gesunden Menschen in Anatomie imd Physiologie beschäftigte.
Die Pathologie, und zwar für dies Semester erst die allgemeine,
wendet nun zuerst diese Kenntnisse zur Heilung an oder vielmehr
lehrt mich die Erscheinungen des kranken Lebens erst kennen.
Stark liest sie täglich 1 Stunde und außerdem wöchentlich 3 St.
die allgemeine Therapie. Sein zu Grunde liegendes Handbuch
62
Adolf WühlwiLt,
ist jedenfalls ein geistreiches Werk und das bedeutendste, waj?
die mediziiiische Litteratur nach dem Urtheil Sachverständiger
aiilziiweisen hat; aber die Kichtung, die er darin verfolgt,
findet selbst hier viele Gegner, besonders unter den jungern
Gelehrten, Martin, Schieiden u» s, w» Stark nämlich» mehr
Theoretiker als Praktiker, liebt es Systeme aufzustellen,
überhaupt die Sachen oft sehr apriorisch aufzufassen, während
jene in Naturwissenschaften eine rein empiiische Behandlung
verlangen, da sie behaupten^ wii^ ständen in allen Erfahrungs-
wissenschaften noch 80 sehr im Anfang, daß von einem
System noch gar nicht die Rede sein könne j und mit dem
Mikroskop in der Hand woDen sie die Natur sehen und messen.
Daß diese letztere Richtung die der neuem Schule überhaupt
ist, läßt ^ich nicht verkennen, ebenso wenig, daß sie besonders
der Physiologie und Pathologie schon bedeutende Aufschlüsse
geschafft hat. Ebenso wiU Martin als Mediziner nur von
Beobachtung, von gewissenhafter, getreuer Beobachtung der
Natur wisseUt und ich fühle mich daher zu ihm mehr hin-
gezogen als zu Stark, der uns bis vor wenigen Wochen mit
Begiiffsbestimmungen der Krankheit, mit Beweisen dafür,
daß sie ein mrklicher Parasit, ein Organismus im Orga-
nismus sei u. s, w,, beschäftigt und hingehalten hat, —
Doch gehe ich gern in Starks Vorlesungen, da er mit Geist'
und Scharfsinn redet, obgleich oft nicht viel mehr sagt, als
sein Lehrbuch. Diese Vorlesung ist von 10—11; also kann
ich jeden Morgen von 7 — 10 für mich arbeiten; eine herrliche
Zeit; um U gehe ich dann auf den Fechtboden; das Stoßen
ist eine Bewegung, die ich gar nicht mehr entbehren kann,
und die ich daher keinen Tag versäume, obgleich ich es zur
Uebung eigentlich nicht mehr nöthlg hätte; aber es ersetzt 1
mir Spatzierengehen u, dergl-, wozu man hier, besondei-s ich in
diesem Semester, wenig kommt, außer Sonnabend Nachmittag,
wo Alles auf die umliegenden Dörfer zieht, und zugleich macht
es mii* Vergnügen jüngei^ Leute einzuüben. Von 12 — 1 wird
gegessen und Zeitungen gelesen; von 1 — 3 gehe ich zum Prä-
pariien auf die Anatomie; von 3 — 4 3 mal wöchentlich Therapie |
' ^ Stark und von 4^5 täglich Materia medica bei Martin,
Lbend Nachmittag aber ruhen alle Collegia. In der
Jeoaer Stndentenbriefe von Johannes Versmaun. 63
Materia medica sehe ich bis jetzt noch keinen Grund und
kein Land, da geht Alles wild durcheinander; bei jedem Mittel
sind eine halbe Seite Erankheitsnamen aufgezählt, die es
heilen soll, eine ganze Reihe von Mitteln heilt dieselben Krank-
heiten; man sollte darnach wahrhaftig denken, jede Krankheit
müßte besiegt werden können; und doch ist noch nicht ein-
mal ein Grundprinzip da, wonach alle Mittel eingetheilt sind;
da ist eine Hasse nach ihrer Wirkung, eine andere nach dem
Geschmack und eine 3te nach den Bestandtheilen zusammen-
gefügt, so daß das Ganze gar buntscheckig aussieht. Neben-
bei weiß man noch gar nicht, wie die Wirkung von diesem
oder jenem Mittel zu Stande kömmt, und warum es so wirken
muß; dieser ganze Zweig scheint überhaupt noch ungeheuer
zurück zu sein, und doch ist er einer der wichtigsten Theile der
ganzen Medizin. Freilich kann ich ja noch kein gediegenes
ürtheil darüber fällen, aber ich gestehe, daß mich zuweilen
ein heimliches Grauen überfällt, wenn ich daran denke.
Martin sucht solchen Gesprächen zu entgehen; er zieht sich
immer mehr auf Geburtshülfe, sein Hauptfach, zurück, wo
er allerdings auf festerem Boden steht; auch wird er vom
nächsten Semester an nur noch dahin gehörige CoUegia
lesen und zugleich eine Polyklinik für Geburtshij^e anlegen.
Mir machen diese Dinge viel Sorge und manche schlaflose
Nacht. Bei Martin fällt mir ein, daß der alte M. um seine
Entlassung eingekommen ist und nur noch bis Ostern lesen
will. Jena wird dadurch unendlich viel leiden, denn sein
Name zog viele ältere Juristen von fremden Universitäten
herbei und auch in diesem Semester hat er noch ein volles
CoUeg und sein Lob tönt, wie immer, aus dem Munde aller
seiner Zuhörer
Die Nachrichten von der alten und neuen Börse *) haben mich
sehr interessirt; ich hatte davon nichts in den Zeitungen gelesen,
es war für Hamburg allerdings ein merkwürdiger Tag
In einer Nachschrift findet sich die Notiz:
Gestern sezirte ich mit einem Bekannten eine junge
ICatze, die von einem Hunde todtgebissen war.
IMe neue Börse in Hamburg war am 2. Dezember 1841 feierlich ein-
geweiht worden.
64 Adolf Wohlwül,
Am Rande der ersten und zweiten Seite des Briefes findet
sich folgende Mitteilung:
Freitag vor acht Tagen war hier Bußtag; ich benutzte
diesen Tag nebst dem folgenden Sonnabend und Sonntag zu
einer Exkursion in die tannenreiche Umgegend; das Wetter
war so schön, daß wir uns bei der frisch aufsprießenden
Wintersaat und dem Giün der Tannen mehrmals gegenseitig
daran erinnerten, daß wir im December seien. — In Paulinzelle,
dem Endpunkt unserer Tour, lernten wir den Thüringischen
Botaniker Schmidt, einen alten würdigen Prediger, kennen.
Er steht mit Botanikern in ganz Deutschland in Verbindung;
unter Andern auch mit Herrn Sonder in Hamburg.
18. Versmann an seinen Vater.
Jena d. 21. Febr. 1842.
. . . Das Leben auf deutschen Hochschulen kenne ich
jetzt und habe mich darin versucht, ich behaupte es und werde
es immer behaupten — zu meinem größten Vortheil. Denn
der Universität Jena werde ich mein ganzes Leben lang
danken, besonders das, was sie mir außer der Wissenschaft
gegeben hat, ich bin fest überaeugt, daß dies keine andere
Hochschule so hätte geben können, wie ich denn überhaupt in
Beziehung auf den unter den Studenten herrschenden Ton,
auf ihre MoralitÄt und ihr Streben nach wahrer Wissenschaft,
nicht bloßem Brotstudium, Jena für die am höchsten stehende
unter allen deutschen Hochschulen halte. Mir war diese Art
der Ausbildimg höchst nöthig; hier habe ich meine Grund-
sätze gekräftigt, hier meine Richtung fiu-'s Leben bekommen,
und es ist einer meiner Lieblingsgedanken, daß mein theurer
Ernst in spätem Jahren noch einmal dieselbe Schule durch-
gehen kann, die ihm durch nichts Anderes zu ersetzen ist.
Bis jetzt habe ich meinen Abgang von hier als ausgemacht
angesehen und thue dies auch noch, schon aus pekuniären
Bücksichten, die mich nach Göttingen rufen, welches mir sonst
sehr verhaßt ist; Martin muß das einsehen und mir daher
in dieser Handlungsweise Recht geben, trotz seines früher
«^teilten Grundsatzes, daß man nämlich den theoretischen
Jenaer Studentenbriefe von Johannes Versmann. 65
Kursus auf einer Universität durchmachen müsse, und zwar
auf einer kleinem, und die Praxis nachher auf großem
treiben. ....
19. Versmann an seinen Vater.
(Ende Febraar oder Anfang März.)^)
Theurer Vater!
Das letzte Mal, wohl in meinem Leben, komme ich vom
lieben Jena aus mit einigen Zeilen zu Dir! Es bewegen mich
bei dem Gedanken ganz eigne Gefühle, denen ähnlich, die
Einer empfinden mag, der seine Heimath auf immer verläßt;
denn Jena ist der Boden, in dem meine Bildung für die
spätem Jahre eigentlich wurzelt. Hier habe ich mich 2 Jahre
lang so heimisch, so wohl gefühlt, daß ich jetzt immer nur
mit wehmütigen Gefühlen die schönen Punkte besuche, die
dies liebe Thal so zahlreich darbietet; immer denke ich dabei,
es ist das letzte Mal, und was wirst Du dafür wieder finden?
Es ist dies Schwäche, das weiß ich, aber, ich glaube, eine
natürliche und verzeihliche, es mischt sich immer ein Gefühl
von Dankbarkeit mit hinein; und ein solches thut dem Herzen
wohl. Ich habe mir vorgenommen, wenn ich hier ganz fertig
bin, sogleich abzuziehn aus der alten Musenstadt, und nicht
noch von einem Tage zum andem zu zögern, wie ich es so
Manchen habe thun sehen, dem Jena ans Herz gewachsen
war. Vor Kurzem schrieb mir ein Bekannter aus Kiel: Wer
das weite, bequeme IQeid des Jenenser Lebens gewohnt ist,
dem wiU der enge holsteinische Schnitt gar nicht anstehen.
Jetzt fühle ich die Wahrheit dieser Worte erst recht
20. Versmann an seinen Bruder Ernst.
(Ende Febr. oder Anfang März, Jena.)
Die folgenden Sätze finden sich in einem Brief, der dem letzten
aus Jena an den Yater gerichteten (Nr. 19) angebogen ist.
.... Am löten d. M. werden die CoUegia geschlossen
und dann werde ich wohl nur wenige Tage mehr weilen, um
Der Brief ist versehentlich vom 29. Febraar 1842 datiert
Ztoelur. d. Vereins f. Hamb. Oesch. Xm.
66 Adolf WohlwiU.
meine Angelegenheiten hier in Ordnung zu bringen, zu packen,
einige Besuche zu machen u. s. w. Mit schwerem Herzen
werde ich dann Jena Lebewohl sagen, wo ich so viel mehr
gefunden, als ich dort suchte. Es muß eine gute Ahnung
gewesen sein, die mich immer früher nach Jena zog; denn
bedeutend tiberwiegende Gründe sprachen nicht dafür; der
Grund, der Vater die Sache besonders lieb machte, der Ge-
danke einer Annäherung zwischen Gliedern vor Alters nahe-
stehender Familien, hat nicht Stich gehalten; dieses Ver-
hältniß ist nie so geworden, wie es mir meine Phantasie
früher ausmalte und wie ich es wünschte
Für den, der Versmanns weitere Laufbahn zu über-
schauen imstande ist, erhellt aus diesen Briefen zur Genüge,
wieviel er Jena zu verdanken hatte.
Wenn eine fröhlich und angeregt verbrachte akademische
Jugendzeit eine köstliche Mitgift für das gesamte weitere
Leben bildet, so ist unserem Versmann solche Wohltat durch
seine Jenaer Semester im höchsten Maße zuteil geworden.
In Jena erlangte, wie er selbst angedeutet hat, seine gesamte
Persönlichkeit ihr eigenartiges Gepräge. Hier erweiterte er
seine Bildung in bedeutsamster Weise. Hier gewann oder
befestigte er den ihm stets eigen gebliebenen Respekt vor
der Wissenschaft und denen, die ihr selbstlos dienen. Über-
dies trugen Jena und die Jenaer Burschenschaft unzweifelhaft
nicht wenig dazu bei, die nationalen Gesinnungen Versmanns
zu befeuern, die er ebensowohl 1848 als Freischärler der
schleswig-holsteinischen Armee, wie während seines übrigen
inhaltsreichen Lebens stets aufs neue bekundet hat. Nicht
nur Erinnerung an vergangene Zeit, sondern Zukunftsahnung
möchten wir darin erblicken, wenn er in seinen Jenaer Briefen
von 1840/41 die nur durch das lockere Band der Bundesakte
zusammengehaltenen deutschen Lande als deutsches Reich und
»eine Heimatstadt Hamburg als alte deiitscfie Reichsstadt
bezeichnete.
Zur Unehrlichkeit der Leineweber.
Von
Th. Schrader.
Über die nach den Anschauungen des Mittelalters
unehrlichen Gtewerbe hat Benbke in seinem Buch Van unehr-
lichen Leuten (Hamburg 1863) und neuerdings Feensdorff
in seinem vorzüglichen Aufsatz Das Zunftrecht insbesondere
Ncrddeutschiands und die Handwerkereiire (Hansische Ge-
schichtsblätter, Jahrgang 1907) ausführlich gehandelt. Beide
beschäftigen sich auch mit der Unehrlichkeit der Leineweber
und mit den Gründen des diesem Gewerbe anhaftenden Makels.
Für den letzteren ist eine genügende Erklärung bis jetzt nicht
gefunden, denn die bisweilen hervorgehobene Versuchung,
einen Teil des zur Verarbeitung erhaltenen Rohmaterials zu
unterschlagen, lag auch bei anderen Gewerben nahe, und es
ist z. B. nicht recht einzusehen, warum aus demselben Grunde
nicht auch die Schneider, denen man doch nachsagte, daß in
ihrer HöUe manches erübrigte Stück Tuch verschwinde, mit
dem Makel der Unehrlichkeit belegt wurden.
Tatsache ist jedenfalls, daß das Gewerbe der Leine-
weber schon frühzeitig und vor manchen anderen Gewerben
als unehrlich gegolten hat. Bereits der Reichsabschied von
1548 (Tit. XXXVn) erwähnt, daß an etlichen Orten der
Gebrauch sei, daß die Leineweber, Barbierer, Schäfer, Müller
und dergleichen Handwerker in den Zünften zu andern, dann
ihrer Eltern Handwerk nicht aufgenommen, noch gezogen werden,
und bestimmt dann, daß die Leineweber, Barbierer, Schäfer,
MÜUer, Zöllner, Pfeifer, Trummeter, Bader [d. h. die Kinder
dieser Gewerbetreibenden} hinführo in Zünften etc. keineswegs
ausgeschlossen sein sollen. Im Reichsabschied von 1577
(Tit. XXXVm) wird diese Bestimmung wörtlich wiederholt,
und in dem Reichsschluß von 1731 wird die genaue Befolgung
der Vorschriften von 1548 und 1577 nochmals eingeschärft,
68 Th. Schröder,
dabei auch noch eine Reihe von anderen Berufsarten auf-
gezählt,*) deren Ausübung nicht den Ausschluß der Kinder
der Betreffenden von Zünften, Gilden usw. zur Folge haben
dürfe. Es ist vielleicht nicht Zufall, daß man es unterließ,
die anrüchigen Berufsarten gradezu für ehrlich zu erklären,
sondern nur die Folgen der Unehrlichkeit, soweit die Kinder
davon betroffen wurden (unehrliche Herkunft), beseitigte.
Praktischen Wert hat allerdings diese Unterscheidung wohl
kaum gehabt.
Daß die erwähnte Bestimmung des Reichsschlusses von
1731, soweit die Leineweber in Frage kommen, keineswegs
gegenstandslos war, zeigt ein Vorfall, der vier Jahre vorher
das Amt der Leineweber in Hamburg in erhebliche Auf-
regung versetzte. Ein Kupferschmiedegeselle aus Kurland
hatte mehrere Jahre in Hamburg gearbeitet, war schließlich
mit einer Meisterswitwe einig geworden und gedachte nun
in das Amt hineinzuheiraten. Um das Amt zu gewinnen,
mußte er Geburtsschein und Lehrbrief vorlegen. Letzterer
war in Ordnung und ergab, daß er in Königsberg das Hand-
werk erlernt hatte. In dem Geburtsbrief aber stand, daß er
ein Zeuchnerssohn sei. Die Älterleute der Kupferschmiede
wußten zwar nicht sicher, was ein Zeuctiner sei, es erhob
sich aber der Verdacht, daß man darunter einen Leineweber
zu verstehen habe. Um Gewißheit zu erlangen, wurde ein
Amtsmeister beauftragt, in unauffälliger Weise einen Meister
der Leineweber nach der Bedeutung des rätselhaften Wortes
zu befragen. Die Antwort lautete : ein Zeuchner sei ein Leine-
weber.*) Als dies den Älterleuten der Kupferschmiede berichtet
wurde, verweigerten sie die Aufnahme des jungen Gesellen,
Land Gerichts- und Stadtknechte, Gerichts-, Frohn-, Thüm-, Holtz-
und Feldhüter, Todtengräher, Nachtwächter, Bettelvögte, Gassenkehrer,
Bachfeger, Schäfer und dergleichen. Ausgenommen sind nur die
Schinder bis auf die zweite Generation, insofern allenfalls die ersteren
eine andere ehrliche Lehensart erwählet und darin mit den ihrigen
wenigstens 30 Jahr lang continuiret hätten,
^ *) Zeuchner = Ziechner, abgeleitet von Zieche, Bett- oder Kissenüberzug.
VergL Sanders, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 112 (1865),
S. 1741: Ziechner (schles,): Weher der karierten Ziechen -Leinwand;
khner heißen in Breslau die mit Bettziechen handein.
Zur Unehrlichkeit der Leineweber. 69
da er als Sohn eines Leinewebers von unehrlicher Herkunft
sei. Von diesem Vorfall erhielten die Leineweber Kunde,
und sie verlangten nun von den Kupferschmieden Genugtuung
wegen der ihnen widerfahrenen Beleidigung.^) Die Patrone
beider Ämter sind dann wohl veranlaßt worden, sich der
Sache anzunehmen, denn es fanden zwei Sitzungen im Bat-
hause statt, um einen Ausgleich herbeizuführen. Die Kupfer-
schmiede befanden sich offenbar im Unrecht, da sie. gegen
den klaren Wortlaut der oben angeführten Beichsgesetze
gehandelt hatten, und der Schluß war, daß sie schriftlich
Abbitte tun und dem Leineweberamt eine Buße von 400^ Ct.
zahlen mußten. Ob der abgewiesene Geselle dann die Auf-
nahme in das Amt erlangt hat, erfahren wir nicht; es ist
aber wohl anzunehmen. Der Betrag der von den Kupfer-
schmieden erlegten Buße kam übrigens nicht in die Amts-
kasse, sondern wurde unter die Amtsbrüder verteilt.
Der geschilderte Vorgang erschien den Ältermännem
der Leineweber wichtig genug, um ihn in eine Art Gedenk-
buch*), das beim Amt geführt wurde, einzutragen. Ich lasse
den Wortlaut dieser Eintragung hier folgen:
Anno 1727 hat ein Ehrbar Ampt streit bekommen
mit die Kopfferschmide wegen eines Leinwebbers Sohn
aus Kiihi*landt mit nahmen Johan Bitzloff, welcher wegen
seines früzeitigen absterbens seiner Eltern zu Königsberg
bey die Kopferschmide in die Lehr gekommen und seines
Handwercks erlich ausgelemet, und darauf etzliche Jahr
vor gesell bey seinen Handwerck herümb gereiset xmd
zuletz in Hamborg gekommen und etzlich Jahr alhier
gearbeitet. Weil es ihm den alhier gefallen, hat er sich
*) In Des geöffneten Ritter-Platzes dritter Teil (Hamburg 1705) wird
anf S. 243 ausgeführt, daß die Polizei-Ordnung von 1548 bezw. 1577
mit Recht die Schinder und ähnliche Gewerbe von den ehrlichen Hand-
werken ausschließen. Ein anders^ fährt der Verfasser fort, ist es mit
den Söhnen der Schtoein-Schneider, der Schäffer, der Müller y Leinen-
web er, Bader, Zollner, Spiel-Leute und dergleichen Persohnen, welchen
eigentlich zu gut obbemeldte Policey- Ordnung publiciret, also dass sie
heutiges Tages diejenige Zunfft Injuriarum würden belangen
können, welche ihnen den Zutritt verwehren wollte.
*) Archiy der Leineweber im Hamb. Staatsarchiv, n. 2, Bl. 83.
70 Th. Schrader.
mit einer Witwe seines Handwercks niederlassen wollen.
Weil Seins Handwerks darauf gedrungen, daß er seinen
erlichen Geburtsbrief und seinen Ehrlichen Lehrbrief
zeigen muß, also ist wegen seinen Ehrlichgen Geburtsbrief
ein heftiger streit veruhrsachet, weil darin enthalten, daß
er ein Zeuchnerssohn wehre, sie aber nicht eines werden
können, was es recht in sich hatte, darauf einer von die
Kopf erschmiede zu unsem Leinwebermeister gegangen, mit
nahmen Peter Duffe, wohnet in der Marienstraß, und ge-
fraget was Zeuchners vor leute weren, er der Meister
Peter Dufe darauf geantwortet, das wem Leinweber,
darauf der Kopferschmidt zu seinen Mitmeistem gangen
und gesagt, das wem Leinwebber, darauf sie geantwortet,
die nehmen wir nicht an, darauf der junge RitzlofE zu
unsem Amp Zuflucht genommen, daß wir ihm mögen
darinnen beystehen, welches wir haben billiglichen müssen
und haben ihnen also geschrieben, daß sie haben eine
hertzliche Abbitte tuhn müssen, daß es ihnen von hertzen
leid wehre, was sie gegen ihn und den Webber Amp ge-
handelt hetten, und ist solche Sache auf den Rathause
durch zweymahlige Kommissiohn geendiget und vor unser
mühwaltung und Unkosten 400 -^ Ct. erlegen müssen,
welches sie Anno 1728 ach Tage vor Fastlaben [Fastel-
abend] durch ihi-en Alten Möller, wohnet auf dem Hopmark,
in seiner Hausung an unseren worthalter Opferman, voromter
Adolph Jopmann auszahlen müssen. Den Dingtag in Fastl-
aben entStunde darauf einen heftigen streit in unsem
Amps Colegio über das geltien (!), das die Herren Alten
wolten sich solches anmaßen und in Colegio austeilen so
viel sie ihnen gönten, aber es ist ihnen wiederstanden
worden durch die Worthalter und Verorten vom Ampt,
daß sie nicht befugt werden, solches zu tuhn ohn Consents
des gantzen Colegio und haben darvor 1 ^ in die Armen-
büsse geben müssen und einhelliget beschlossen, daß solches
den eltesten voromten zukehme auszuzahlen, welches denn
auch geschehen.
Der Bildschnitzer Ludwig Münstermann
von Hamburg.
Von Wilhelm Becker.
In Band XI, S. 349 ff. dieser Zeitschrift hat G. Sello
eine Übersicht über die Werke des Bildschnitzers Ludwig
Münstermann von Hamburg und seiner Söhne im Großherzog-
tum Oldenburg gegeben. Als Nachtrag dazu sind vielleicht
einige biographische Notizen über den bisher wenig beachteten
Meister und seine Familie von Interesse.^)
Ludwig oder, wie er in den gleichzeitigen Quellen genannt
wird, Lutke (Lütke, Lutje) Münstermann (Munstermann) ist
am 13. Juni 1599 Meister des hiesigen Drechsleramts geworden.
Bei der Bewerbung um seine Aufnahme hat er einen Geburts-
brief über seine eheliche Geburt vorgelegt. Daraus ergibt
sich, daß er nicht in Hamburg geboren ist, da hier Geborene
ihre eheliche Geburt durch Zeugen darzutun pflegten. Leider
erfahren wir nicht, wo der Geburtsbrief ausgestellt worden
ist, und wer seine Eltern waren. Ebensowenig ist das Jahr
seiner Geburt bekannt.
Lutke Münstermann war Bürger. Am 5. Januar 1604
hat er den im Jahre 1603 festgesetzten neuen Bürgereid
geleistet. Wann er das Bürgerrecht erworben hat, ist nicht
bekannt, wahrscheinlich ist es gleichzeitig mit seinem Eintritt
in das Drechsleramt als Meister geschehen. In den seit dem
Jahre 1596 vorhandenen Listen neu aufgenommener Bürger
kommt sein Name nicht vor. Vielleicht ist bereits der Vater,
Die Angaben sind anläßlich eines im Staatsarchive gestellten Aus-
kunftsersuchens ermittelt worden und werden einer Anregung des
Vorstandes der Archivyerwaltung zufolge hier mitgeteilt. Sie stammen
zum größten Teil aus dem im Staatsarchiv aufbewahrten Archiv des
vormaligen Drechsleramtes.
72 Wilhelm Becker,
von aaswärts mit seiner Familie hier eingewandert, hiesiger
Bürger gewesen. Dann würde sich das Fehlen des Sohnes
in den Bürgerlisten erklären, da in diesen vor dem Jahre 1603
nur diejenigen unter den neuen Bürgern verzeichnet sind, die
als Söhne Auswärtiger eine Gebühr für die Erwerbung des
Bürgerrechts zu entrichten hatten, wovon damals die Söhne
hiesiger Bürger befreit waren.
Im Drechsleramt hat Lutke Münstermann eine ange-
sehene Stellung eingenommen. Er war Worthalter, d. h. Wort-
führer der Amtsmeister in den Morgensprachen gegenüber den
Amtspatronen und Älterleuten. In der Morgensprache des
2. September 1624 wurde er mit Jochim Borgeest als zukünf-
tiger Ältermann den beiden damaligen altersschwachen Älter-
leuten beigeordnet. Als alleinige Älterleute treten die genannten
beiden zuerst in der Morgensprache vom 30. Oktober 1628
auf. Während seiner Amtsführung als Ältermann hat Lutke
Münstermann häufig für junge Meister des Drechsleramts die
bei der Erlangung des Bürgerrechts erforderliche Bürgschaft
geleistet.
Sein Todesjahr hat sich nicht feststellen lassen. Als
Ältermann erscheint er zuletzt in der Morgensprache vom
1. September 1635 und noch im Jahre 1637 hat er bekannt-
lich eine Kanzel für die Kirche in Holle bei Oldenburg i. Gr.
geschnitzt.*) Dagegen hat die Bürgschaft für den Bürgers-
sohn Jürgen Munstermann, ersichtlich einen Sohn Lutkes,
am 4. Juli 1639 der Ältermann Johann Schar (Schart) geleistet,
der auch in der Morgensprache vom 19. November 1640, der
nächsten nach der soeben erwähnten vom 1. September 1635,
von der wir Kunde haben, vorkommt. Lutke Münstermann
scheint also im Jahre 1640, vielleicht auch schon im Jahre
1639, nicht mehr am Leben gewesen zu sein.
Angaben über hiesige Werke von ihm sind bisher im
Staatsarchive nicht bekannt geworden. In der Stadt und im
Landgebiete finden wir vielmehr in den ersten vier Jahr-
zehnten des 17. Jahrhunderts andere Bildschnitzer tätig: Hein
Baxmann, der nicht nur für die St. Petrikirche, die Kirche
*) Sello, a. a. 0. S. 355.
Der Bildschnitzer Ludwig Hflnstermaim yon Hamburg. 73
ZU Moorfleth *) und diejenige zu Allermöhe *) arbeitete, sondern
im Jahre 1633 auch für die Ochsenwärder Kirche einen neuen
Altar geschnitzt hat;') Johann Moltzan, der 1611 den Deckel
der Kanzel in St. Jakobi schnitzte;*) Heinrich Gise, der im
Jahre 1641 an der Orgel in der Kirche des Hospitals zum
Heiligen Geist und im Jahre 1630, zusammen mit seinem
Gesellen Johann Bruhn, an derjenigen von St. Marien-Magda-
lenen das Schnitzwerk fertigte.*) Danach scheint Münstermann
in Hamburg nicht eine so ausgebreitete Tätigkeit entfaltet zu
haben wie in Oldenburg.
Am 3. Mai 1633 hat der Drechsler und Bürgerssohn
Johann Münstermann, am 19. Februar 1641 der Drechsler
und Bürgerssohn Lutje Münstermann das hiesige Bürgerrecht
erworben. Auch der, wie erwähnt, am 4. Juli 1639 Bürger
gewordene Jürgen Munstermann wird Amtsmeister gewesen
sein, da der Ältermann Johann Schar sich für ihn verbürgte.
Ersichtlich haben wir es bei allen dreien mit Söhnen von
Lutke Münstermann zu tun. Der Sohn Johann ist ja schon
durch SellOs Mitteilungen^ als Gehilfe seines Vaters bekannt.
Dagegen finden sich über den ebendort vorkommenden Sohn
Claus in den Büchern des Drechsleramts keine Nachrichten.
Vielleicht ist er früh gestorben. Endlich wird der am
27. September 1667 Bürger gewordene Drechsler und Bürgers-
sohn Heinrich Münstermann ein Enkel Lutkes sein.
Hamburgisches Kttnstlerlexikon.
^ MittelL d. Ver. f. Hamb. GescL 8. Jahrg. 1885, 8. 104 f.
*) Rechnongsbuch der Ochsenwärder Kirche im Staatsarchiv.
*) Mitteü. d. Ver. f. Hamb. Gesch. 4. Jahrg. 1881, 8. 139; 8. Jahrg. 1885,
8. 107£.
*) Archiv des Hospitals z. Heil. Geist III B 3. Archiv des Klosters
St. Marien-Magdalenen IV B 3.
•) Ztschr. d. Ver. f. Hamb. Gesch. XI, S. 354 ff.
74 Ernst Baasch,
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg.
Von
Ernst Baasch.
Die Finanzen eines Landes haben mit seinem Handel
stets in enger Verbindung gestanden. Namentlich aber hat
der Teil des Finanzwesens, den man unter dem Gesamtausdruck
Steuerwesen begreift, zum Handel nahe Beziehungen. Ab-
gaben, mögen sie nun auf das allgemeine Einkommen aller
Bürger oder auf einzelne Gewerbszweige oder den Konsum
einzelner Artikel gelegt sein, berühren den Handel sehr nahe.
Unter den Steuern und Abgaben, die in früherer Zeit,
wie auch an vielen andern Orten, so in Hamburg bestanden,
nimmt einen hervon-agenden Platz ein die Akzise. Schon im
14. Jahrhundert erwähnt, erstreckte sich diese Abgabe zuerst
nur auf Bier^), dann auch auf Getreide, Vieh, Wein, Brannt-
wein, Essig und Kombranntwein,^- zeitweise auch auf Holz,
Torf, Kohlen und Salz. Was von diesen Waren die Akzise-
linie, die die Stadt eng umschloß, passieren wollte, hatte die
vorgeschriebene tarifmäßige Abgabe zu entrichten.
Besonderes Interesse erweckt von den verschiedenen
Akzisen diejenige auf Wein und Branntwein. *) Ihre Geschichte
hängt eng zusammen mit der des Wein- und Branntwein-
handels, d. h. des Handels mit Artikeln, die für den allge-
*) KOPPMAKN, Kämmereirechn. der Stadt Hamburg I, S. LIX., weiter
m, S. L; Vn, S. LXIX. ; vergl. im allgemeinen Westphalen, Hamburgs
Verfassung u. Verwaltung. 2. Aufl. ü, 81 ff. Eine Lübecker Akzise-
Ordnung von 1350/70 im Lüb. ÜB. HI, Nr. 769.
^ Auf Kombranntwein ist in Hamburg eine Akzise gelegt erst im
Jahre 1710. In obiger Darstellung ist mit Branntwein stets der aus
Wein destillierte Branntwein (Franzbranntwein) gemeint. Über Ein-
fuhr von Branntwein in Hamburg vergl. Baabch in Ztschr. des V.
f. Hamb. Gesch. IX, 8. 351 f.
^ Die Bedeutung der Weinakzise hebt u. a. hervor SCHÄFER, Hanse-
recesse DI, Nr. 548 ff.
Weinakzise and Weinhandel in Hamburg. 75
meinen Handel der Stadt lange Zeit hindurch eine nicht zu
unterschätzende Bedeutung gehabt haben. Wenn wir deshalb
die Weinakzise hier etwas näher betrachten, so geschieht
das nicht nur im finanzgeschichtlichen, sondern auch im
handelsgeschichtlichen Interesse. Allerdings, das möge hier
gleich bemerkt werden, hat man in Hamburg offenbar behörd-
licherseits dem Wein in erster Linie Aufmerksamkeit geschenkt
vom fiskalischen Standpunkt aus; es ist bezeichnend, daß es
in Hamburg Weinordnungen wie in Bremen ^ nie gegeben
hat, sondern daß die meisten Bestimmungen über Wein etc.
sich in den Weinakzise-Ordnungen finden; das fiskalische
Moment überwiegt eben weit das kommerzielle.
Die Entstehung der hamburgischen Weinakzise steht in
naher Beziehung zum Ratsweinkeller. Es gehörte zu den
alten Privilegien dieses Kellers, daß hier allein Rhein- und
Moselweine im kleinen verkauft werden durften. Französische
Rotweine wurden dort überhaupt nicht geschenkt.*) Nun ward
im Bürgerrezeß von 1529^ die Errichtung von Privatschenken
freigegeben, vorläufig freilich nur auf ein Jahr; denen aber,
die dieser Freiheit sich bedienen wollten, wurde eine Akzise
auferlegt, die vom Einkaufspreise der auszuzapfenden Weine
von jedem Gulden 4 Schillinge lüb. betrug. Dies ist die erste
Erwähnung der Weinakzise. Sie hat seitdem fortbestanden;
und der Pächter des Ratsweinkellers war verpfiichtet, denen,
die von ihm deutsche und sog. heiße Weine kauften, um sie
wieder zu verkaufen, die Akzise abzufordern, d. h. nach dem
Verpachtungskontrakt von 1565 von jedem Ahm Rheinwein
l^/i Taler, von dem Ahm heißen Weins 2 Taler. Einen Ahm
Wein durfte aber jeder Bürger für seinen Hausgebrauch
akzisefrei verwenden.*) Die erhobene Akzise hatte der Rats-
kellermeister an die Stadt abzuliefern.
Kohl, Der Raths-WeinkeUer in Bremen, S. 27 ff.; über die Weiu-
akzise in Bremen ebendort, S. 42 ff.
*) Vergl. Meyer, Das Eimbecksche Haus in Hamburg, S. 98.
') Art 82, in (Bartels), SuppL-Bd. zu d. neuen Abdrucke der Hamb.
Verfassung, S. 87.
*) Rheinwein ward nach Fässern oder Fudern zu 8 Ahmen berechnet«.
1 Ahm =: 40 Stübchen. Spanischer und französischer Wein giv
76 Ernst Baasch^
Das Auszapfen der rheinischen und heißen Weine, außer
dem des französischen Weins (Poitou), wurde aber doch später
wieder verboten; die Bursprake auf Petri 1594 setzt das
Bestehen eines solches Verbots voraus und rügt es, daß ihm
zuwider Bürger und Einwohner solche Weine zu 1, 2 oder
3 Ahmen verkauften und in ihren Häusern ausschenken ließen;
der Rat verbot damals, daß ein Bürger oder Einwohner
rheinische Weine unter 3 Ahmen verkaufte und rheinische
und sonstige heiße Weine, außer Poitou, verzapfte. Aus-
drücklich wurden in dieser Bursprake die fremden Einwohner
gemahnt, von den rheinischen Weinen, die sie in ihren Häusern
niederlegten und zu Behuf ihres Tisches gebrauchten, die
Akzise zu bezahlen.^) Die Bursprake auf Thomae 1596 ge-
bot femer im Art. 44: Nur im Raths^veinkeUer sollen Weine
gezapfet und geschenket werden})
Der Weinakzise unterlag also damals der französische
Wein (Poit<ni)j soweit er in der Stadt verzapft wurde; femer
die Rhein- und heißen Weine, die man im Ratsweinkeller
kaufte in Maßen, die 1 Ahm überstiegen; bis zu einem Ahm
waren diese Weine für den Hausgebrauch der Bürger frei,
während für den Hausgebrauch der Fremden überhaupt kein
Wein akzisefrei war. Kaufte aber der Bürger mehr als ein
Ahm ein, etwa ein Stück, und erklärte er, er wolle dieses
mit andern Bürgern ahmweise teilen, so hatte man ein Ein-
sehen und erhob die Akzise nicht.
Im allgemeinen scheint in dieser Zeit Praxis und Kon-
troUe der Weinakzise ziemlich formlos gewesen zu sein. Mit
dem 17. Jahrhundert wurde das anders.
Zunächst gestattete man auf dringenden Wunsch der
Weinhändler durch Rat- und Bürgerschluß vom 11. Mai 1604
den Bürgern wieder das Auszapfen von Rheinweinen im
Bothen, Pipen und Oxhoften, das Faß zu 4 Oxhoft oder 3 Pinsohnen,
die Pipe zu 2 Oxhoften. Über die hamburgischen Weinmaße vergl.
Gaedechens in Mitt. d. V. f. Hamb. Gesch. 1889, S. 433 ff.; Baasch
in Ztsch. d. V. f. Hamb. Gesch. IX, S. 348.
*) Handschrift dieser Bursprake in der Kommerzbibliothek, vergl. BARTELS,
Nachtrag z. neuen Abdruck der Hamb. Verfassung, S. 249.
») Bartels, Nachtrag, S. 257.
Weinakzige and Weinhandel in Hamburg. 77
eignen Hause, während dem, der dies tat, andererseits ver-
boten wurde, gleichzeitig französischen Wein auszuzapfen
oder Ehein- und französische Weine auf Lager zu haben,
in einem Hause oder Keller zu legen.^) Als Voraussetzung
jener Konzession wird die treuliche Entrichtung der Wein-
Äccise gefordert. Schon vorher war von Seiten des Rats
auf die Schädigung hingewiesen, die der Weinhandel duixh
die Akzise erleide; Anfang September 1603 äußerte er sich
dahin, daß der Stapel der spanisc/ien Weine für wenig Jahren
fast allein hey dieser Stadt geivesen und damals durch Auf-
satz der Äccise von dieser Stadt an andere Örter ist verwiesen.
Wenn es wahr ist, daß durch die Akzise der Handel
mit heißen Weinen geschädigt wurde, so nahm jedenfalls der
Ertrag der Weinakzise in jener Zeit erheblich zu.
Für das Ende des 16., den Anfang des 17. Jahrhunderts
stehen uns einige Zahlen über den Ertrag der Weinakzise
zur Verfügung. Für die 4 Jahre 1597—1600 brachte die
Weinakzise insgesamt 11356 Mk., von rheinischem Wein:
9752 Mk., von französischem und heißem Wein: 1604 Mk.
8 Schill., d. h. pro Jahr 2839 Mk.*) In diesen Jahren aber,
das wird bei diesen Ziffern ausdrücklich von dem Schreiber
bemerkt, hingen noch die Kränze, dewile de Krentze hengeden.
Das Aushängen des Weinkranzes war bei den Weinschenken,
die sitzende Gäste hatten, ein alter Brauch; wir begegnen
ihm auch an andern Orten, so in Bremen, Lübeck, Wismar.^
Es scheint, daß auch in Hamburg, wie in Bremen und Lübeck,
die Weinkranzgerechtigkeit — wir würden heute sagen:
Schankkonzession — vielleicht auf Grund einer Abgabe ver-
Das gemeinsame Lagern von Weinen verschiedener Herkunft war auch
an andern Orten verhoten; so in Bremen, vergl. KOHL, S. 27; das Verbot
soUte die Konsumenten vor Mischung yerschiedener Weinsorten bewahren.
') Die Bedenken wegen des Weinkellers vom 30. Mai 1604, die den
Bürgern vorgelegt wurden, nennen als Durchschnittsziffer 2726 Mk.
Obige Ziffern sind den Aufzeichnungen des Akziseschreibers DiTMER
BUBMESTER entnommen.
») KOHL, ^. 53ff.; Wehrmann in Ztschr. d. V. f. lüb. Gesch. II, S. 106;
GrüLL in Jahrbüchern d. V. f. meckl. Gesch. YXYTn , S. 74, 76; auch
Meyer, S. 83, weiß über die hamburgische Weinkranzgerechtigkeit
nichts Genaues.
78
Knut Baasch,
liehen worden zu sein; um 1600 hat man diese Einrichtung
au^ehoben; und es sank der Ertrag der Akzise, sodder de
Krentze sin ingenamen; in den drei Jahren von 1601 — 1603
trug die Weinakzise insgesamt 2357 Mk. ein, d. h. pro Jahr
nur 786 Mk.; der Rheinwein brachte hiervon 318 Mk. ein,
der französische 374 Mk., der heiße Wein 94 Mk.
Mit dem Jahre 1604, offenbar infolge der erwähnten
Freigabe des häuslichen Ausschankes, stieg auch die Wein-
akzise wieder. Sie brachte ein:')
Jahr
1604
1605
1606
1607
1608
1609
1610
1611
1612
1613
Jahr
3288 -|i
-ß
1614
6664 „
n
1615
7578 „
5„
1617
6343 „
»
1618
6023 „
3„
1619
4955 „
9«
1620
4524 „
12 „
1621
4726 „
1«
1622
5714 „
15 „
1623
5581 „
8„
5112-^ bß
5924 „ 14 „
5500 „ 6 „ •)
5315 „ 1 „
5605 „ 4„
6484 „ 12 „
8234 „ 2 „
8367 „ 10 „
9088 „ 14„
Doch ist in diesen Ziffern auch die Niederlage enthalten,
die Abgabe, die die Fremden von den lagernden Weinen zu
entrichten hatten. Diese Abgabe hatte in den 4 Jahren
1597/1600 insgesamt 4736 Mk. eingebracht; in den 3 Jahren
1601/03 aber nur noch 1839 Mk.; sie hat auch weiterhin
an Bedeutimg verloren, da die im Premdenkontrakt stehenden
Niederländer imd sonstigen Fremden zwar die Weinakzise
zu zahlen hatten, nicht aber die Niederlage.*) Die Mitglieder
der englischen Court wurden infolge des Kontrakts von 1611
von der Weinakzise ganz befreit.*)
Die ZifFern sind auf Schillinge abgerundet, Pfennige weggelassen.
^ Die Zahl für 1616 fehlt.
*) Notiz BURMESTERs: De Nederlender und Frömbde, so keine Borger
und itzo im Contract sein, geven keine nedderlage mehr,»
*) Art. 22 des Kontrakts, s. Elefeker, Sammlung U, 347; femer Notis
BüBMESTERs: De Engehchen im groten und kleinen Ihigelschen Huse
geven kein accise.
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 79
Wie bei allen indirekten Abgaben, wurde auch bei der
Weinakzise bald über unrichtige Angaben geklagt. Schon
am 3. Mai 1604 erklärte der Rat, er sähe, daß für Akzise
und Niederlage der Weine dasjene, was sich vermöge vormals
hdiebter Ordnung gebühret, nimmer wird geleistet und also
das gemeine Out merklich veruntretiet und benachtheilet wird.
Später wird dann dem Gedanken Raum gegeben, die Akzise
zu verpachten, um sie ertragsfähiger zu gestalten; der Rat
war aber diesem Plan, wie er am 16. August 1610 erklärte,
aus vielen bedenklic/ien Ursachen abgeneigt. Dann scheinen
diese Bedenken aber geschwunden zu sein; nachdem der
Vorschlag des Rats vom 28. April 1620, die Weinakzise zu
erhöhen, den Beifall der Bürger nicht gefunden hatte, schlug
im Dezember 1621 der Rat, wenn auch nur beiläufig, die
Verpachtung der Bier- und Weinakzise vor. Im August 1624
wiederholte er, und diesmal in dringenderer Form, seinen
Vorschlag; die Bürger gingen nun darauf ein und meinten,
der Pächter solle sich durch zwei Herren des Rats die Er-
hebung der Weinakzise erleichtem. Nun wurde sie also ver-
pachtet. Doch machten die Bedingungen, mit denen man die
Verpachtung verknüpfte, viele Schwierigkeiten; der Rat
wünschte, daß neben zwei Ratsherren auch die Oberalten und
die Kämmereibürger sich an der Aufsicht beteiligen möchten.
Man kam doch bald wieder von der Verpachtung zurück.
Der Pächter, Hans vomHoltze, zahlte 11000 Mk. Pacht. Er
klagte aber, daß weder Schiffer noch Weinhändler den be-
stehenden Bestimmungen nachlebten, daß erstere ihre Kontent-
zettel nicht auf der Weinakzise angäben und daß die Wein-
händler es verabsäumten, ihre Rechnungen vorzulegen; täten
sie es aber endlich, so berechneten sie zuviel Leckage usw.
Er machte verschiedene Vorschläge, die diesen Mißständen
abhelfen sollten.^)
Mögen diese Klagen berechtigt sein oder nicht, die
Einnahme aus der Weinakzise war besser als früher. Die
Einfuhr von Wein ist in jener Zeit manchmal recht erheblich
gewesen; im Jahre 1629 wurden allein an spanisch-poT
Vergl. Beilage I.
80 Ernst Baasch,
gisisch-italienischen Weinen rund 30000 Oxhoft eingeführt.^)
Eine Erhöhung des Tarifs, wie der Rat sie im März 1628
vorschlug, lehnten die 48 er ab.
Am 13. September 1632 beschlossen aber die Bürger,
die Verpachtung der Weinakzise wieder aufzuheben. Der
Grund ist nicht klar ersichtlich. Schon im April des folgenden
Jahres brachte der Rat in Vorschlag, sie de novo an gute
Leute wieder zu verpachten, da sie jetzt lange nicht so viel
einbringe, wie vorher. Die Bürgerschaft wollte aber nichts
davon wissen, sondern empfahl gute und fleißige Aufsicht^
scharfe Executiones, und blieb trotz mehrfacher Gegen-
vorstellungen des Rats bei dieser Ansicht.
Wenn nun auch die Verpachtung allerdings aufgegeben
war, schien es doch notwendig, die Bestimmungen über die
Erhebung der Weinakzise in eine festere Form, als bisher
der Fall gewesen, zu bringen. Sowohl der finanzielle Zweck,
den man mit dieser Abgabe verfolgte, wie auch wohl die An-
fechtung, die sie von außerhalb Hamburgs erlitten hatte,*)
nötigte dazu, an Stelle der bisherigen Ordnung, die wohl
kaum über den Rahmen eines primitiven Schragens hinaus-
gegangen ist, eine umfassende Weinakzise-Ordnung zu setzen.
Diese, vom 31. Mai 1633*) bildet die Grundlage aller nachher
in dieser Frage erlassenen Verfügungen. Der Hauptinhalt
dieser Ordnung war folgender:
Jeder Schiffer, der Wein an die Stadt brachte, hatte
die Kontentzettel mit dem Verzeichnis der Weine bei der
Weinakzise zu übergeben und durfte keinen Wein löschen,
der nicht vorher verzollt war (Art. 1). Namentlich wurde
den Führern der kleinen Logger oder Schmacken verboten, an
die Häuser der Kaufleute zu legen und ihre Weine dort zu
löschen, sondern ihnen zur Pflicht gemacht, im großen Fahr-
») Baasch in Ztschr. d. V. f. Hamb. Gesch. IX, S. 350.
') So beschwerte sich im Mai 1628 der Rostocker Rat über die Erhebung:
der Weinakzise von spanischem Wein, den er über Hamburg für seinen
RatskeUer bezogen hatte, weil leider hei itziger Kriegs- Unruhe un9er
haven zu wasser fast verschlossen ist
^ Nur handschriftlich vorhanden, aber aufgenommen in den Druck der Ord-
nung von 1643, vergl. unten S. 84, Anm. 1. Eine Weinakzise -Verordnung,
' vor dieser von 1633 erlassen ist, ist mir nicht bekannt geworden.
Wemakzue und Weinhandel in Hamburg. 81
wasser zu bleiben und ihre Fahrzeuge durch die beeidigten
Ewerführer löschen und wegführen zu lassen (Art. 2). Den
Eaufleuten, Schiffern und Bootsleuten wurde das Löschen von
Weinen verboten,, bevor sie diese auf der Weinakzise ange-
geben und Freizettel dagegen erhalten hätten (Art. 3). Kein
Kaufmann, Schiffer oder Bootsmann durfte einkommenden
Wein in Schuten usw. löschen; dies stand nur den beeidigten
Ewer- und Leichterführem zu (Art. 4). Diese aber durften
Weine nicht ohne Zollzettel einführen und hatten sich gleich
nach Empfang der Weine auf die Weinakzise zu verfügen
und hier die eidliche Erklärung über die empfangenen Quan-
titäten abzugeben. Stoßen diese Ewer- und Leichterführer
auf Weinverlasser, Bootsleute und sonstige Unbefugte, die
Wein in Schuten etc. wegführen und an der Kaufleute Lager-
häuser schaffen, so sind sie befugt und berechtigt, solche
Schuten anzuhalten und auf der Weinakzise anzuzeigen (Art. 5).
Zur Kontrolle der Zufuhr von Weinen auf dem Landwege
ward den Fuhrleuten vorgeschrieben, am Tor anzugeben,
wieviel Wein sie führten, für wen er bestimmt sei, und, im
Falle er noch unverkauft, bei welchem Wirte sie einzukehren
gedächten (Art. 7). Auch die Ausfuhr wurde kontrolliert und
deshalb angeordnet, daß kein Wein aus der Stadt zu Wasser
oder zu Lande gelassen werden dürfe, über den nicht ein
Akziseausweis vorlag mit genauer Angabe der Quantität, des
Ziels der Ausfuhr und des Namens des Schiffers bezw. Fuhr-
manns (Art. 8).
Scharfer Aufsicht wurde der Weinhändler unterstellt.
Vermutete er bei Wein, den er erhielt, Leckage, so hatte er
innerhalb 8 Tagen den Wein aufzufiUlen und den Umfang der
Leckage der Weinakzise mitzuteilen; im Unterlassungsfall
wurde ihm die Leckage nicht berechnet; wer gar zu unbillige
Leccagie angab, hatte sie nachzuweisen oder eidlich zu er-
härten (Art. 6).
Die Freizettel auf ausgehende Weine hatte der Wein-
händler von der Weinakzise abzuholen, worauf der Wein binnen
zweimal 24 Stunden fortgeschafft werden mußte; andernfalls
war der Freizettel wieder zurückzulief em (Art. 9). Die Frei-
zettel auf ausgehende Weine hatte der Weinhändler den B
Zttdir. d. Verdiis f. Hamb. Qesoh. XDI.
82 Emat Bmsch, ^^^B^^^^^f
atnten an den Bäumen zu zeigen zur Konti olle, ob der Name
mit dem Zettel überemstimme {Art, 10), Die betrügerische
Benutzung solcher Freizettel zum Zweck der Umgehung der
Akzise oder die Füllung von ausgehenden Weinfässern mit
Wasser oder andern Waren ^Mu-de mit schweren Strafen be-
droht (Ai-t. 11),
Den Beamten der Akzise wurde die Freiheit eingeräumt^
in die Keller der Weinhändler und Weinschenken in der
ganzen Stadt zu gehen, so oft sie es für nötig erachteten,
und dort ihre Register mit den vorhandenen Vorräten zu
vergleichen. Widerstand hiergegen, Beleidigungen, Kränkungen
der Akzisebeamten in Ausübung dieser ihrer Pflicht waren
mit Strafe bedroht (Art. 12),
Die Verzapfung von Weinen innerhalb und vor der
Stadt war niu^ g<?ge*n vorherige Anzeige und Biirgschafts-
leistung bei der Weinakzise erlaubt* Ebenso war es ver-
boten, bei kleineren Gemäßen als ganzen Fässern, Pipeu und
Oxhoften zu verzapfen (Art. 13), Auch dem Weinhändler
oder Grossierer war verboten, Wein in kleineren Maßen
außer dem Hause zu verzapfen oder in kleineren FiLßchen
mi Frmmd oder Frmibde iu verfiUleUf als in ganzen Pipen
und Oxhoften, zum mindesten in ganzen Ahmen. Grossierer
und WeinhändJer aber, die nicht Bürger waren oder nicht
im Kontrakt standen, hatten sich allen Detailverkaufs (Ver-
fiiUefis und Verbret'Jtmi^) zu enthalten (Art. 14). Kein W^ein-
schenk duiite Wein in sein Haus oder seinen Keller einlegen
oder einlegen lassen, bevor dieser Wein richtig auf der
Weinakzise angegeben und hier die Personen, von denen er
die Weine gekauft und empfangen, notiert worden. Jede
Übertretung dieser Vorschrift sollte als vorsätzlicher Unter-
schleif angesehen und bestraft werden, zum erstenmal mit
so viel Geld^ als die eingelegten Weine Akzise entrichtet
hätten^ zum zweitenmal mit dem Doppelten, zum drittenmal
aber als Meineid gerichtlich geahndet werden (Art* 15).
Jeder Weinhändler und jeder, der Weine empfing, hatte,
sobald er Weine verkaufte, eine Mitteilung hierüber, noch
ehe er den Wein aus seinem Keller gehefert, an die Wein-
machen, damit man wußte, ob solcher verkaufter
Weinaludse und Weinhandel in Hamburg. 83
Wein in der Stadt verbliebe und konsumiert werde oder aus
der Stadt gegangen sei (Art. 16). Und halbjährlich hatte
jeder Weinhändler und Weinschenker eine genaue Schluß-
rechnung über die noch in seinem Keller lagernden Weine
der Weinakzise einzureichen. Weine, die hierbei verschwiegen
wurden, verfielen der Konfiskation (Art. 17). Weine an Bürger
oder Eingesessene akzisefrei zu verkaufen, war den Wein-
händlem verboten; sie hatten sich die Akzise von den Käufern
entrichten zu lassen (Art. 18). Die Weinschenken hatten die
Akzise vierteljährlich zu zahlen; wer sonst für sich Weine,
Branntweine, Essig einlegte, hatte die Akzise 8 Tage nach
erfolgter Mitteilung zu entrichten. Die Akzise für den nach
außerhalb der Stadt -Jurisdiktion in kleineren Fäßchen als
eine Ahm gehenden Wein war vom Verkäufer zu bezahlen.
Eine Taxe stellte die Beträge, die die einzelnen Wein-
sorten, zu denen nicht nur die eigentlichen Weine, sondern
auch Franzbranntwein, Wein- und Cideressig gezählt wurden,
in der Akzise zu zahlen hatten, fest.
Aber auch über die Niederlage enthält die Ordnung
Bestimmungen. Von allem Wein usw., der durch Fremde
nach Hamburg gebracht oder an Bürger factorsweise über-
schickt war, mußte, wenn diese Weine 8 Tage unverkauft
im Flet gelegen, ein Niederlagsgeld bezahlt werden; nur die
Bürger und im Kontrakt befindlichen Einwohner waren von
diesem Niederlagsgeld frei. Wer Faktoreiweine, d. h. fremdes
Gut, als eigenes Bürgergut angab, um sich dieser Abgabe zu
entziehen, ward mit Strafe bedroht.^)
Wir sehen aus den Artikeln der Akziseordnung von
1633, daß die Kontrolle über diese Abgabe eine sehr genaue
war, daß sie tief eingriff in die Geschäftsverhältnisse eines
Weinhändlers. Namentlich die den Beamten erteilte Befugnis
persönlicher Kellerkontrolle konnte zu großen Belästigungen
Anlaß geben. Das mehrfach ausgesprochene Verbot des
Verschenkens von Wein in kleineren Gemäßen war eine zum
Im Februar 1632 beklagte sich der Gölner Rat, daß einem seiner
Bürger Niederlage von dem Rheinwein abgefordert sei, der sein^
Faktoren nach Hamburg geschickt sei; das verstoße gegen die gew^
liehe, verirewliche Correspondentz nnd sei aliem Herkommen zuw
M
EiBst Ba&sch,
Zweck des Schlitzes des Ratsweinkellers getroffene MaßregeL
Besonders lästig aber mußten die Bestimmimgen der Ai't. 2
bis 5 wii*ken, da sie den Transport und die Einfuhr des Weins
unnötig erschwerten* — Nachdem am 3L Mai 1643 die Ord-
nung von 1633 mir erneuert worden war, Änderungen aber
nicht vorgenommen waren/) schritt der Rat schon im Jahre
1648 dazu, eine revidierte Weinakzise- Ordnung heraus-
zugeben* Er fand sich dazu veranlaßt, weil die Ordnung
von 1633 wege^i vider darin enthalUmen punvfeti m volUger
observanf^ nicht gehra^'At werden konnmif dennoch aber denen
dahey eififfertssenmi Gebrechefi und üntersiMeifen, me Inllkh^
gewdiret werden muß. Die Ordnung vom 6. September 1648,*)
kürzer und knapper gefaßt als die von 1633, schrieb im Art. 1
den Schiffern vor, gleich nach ihrer Ankuuft die Kontentzettel
über die cingcffdirt/en Weine auf der Weinakzise abzugeben ;
die lästige Anordnung, daß die Weine vorher nicht gelöscht
werden durften, hatte man fallen lassen. Auch die im Art, 5
der Oininung von 1633 enthaltene Vorschrift, daß die Anzeige
über die Quantität usw, der akzisbaren Weine imveriiiffticli
erfolgen müsse^ war fortgelassen; die Bestimmung über die
Leckage im alten Art* 6 war ganz ausgefallen. Die Art, 7,
8j 11, 12 der alten Ordnung waren als Art, 3 — 6 wieder
aufgenommen; im Art, 7 wnrde nun bestunmt, daB die Wein-
handlet imd Großhändler jedes Vierteljahr Eechnung über
allen Wein, den sie hier verkauft hatten, ablegen mußten;
dies war eine wesentliche Neuerung gegen die Ordnung von
1633, deren Art. 17 die halbjährliche Schlußrechnung über
die Wein best an de gefordert hatte; diese Forderung war
aufgegeben. Das Verbot des Vcrzapfens von Weinen in
kleineren Maßen als eine Ahme usw, fehlt in der Ordnung
von 1648 ganz; dagegen war im Art* 7 den Weinhändlem
und Großhändlern ausdiücklich die Quartiilsrechnimg von
■
*) Die Angabe von Wkstphalbn a. il 0., S. 86, dÄß in def Ordnung
von 1643 die Taie anf spanischen und französisclien Wein von 3 auf
4 Taler erhöht wurde, iit irrig. Fortgelassen wurden aber 1643 die
B estimmun geu ühcr das Niederlagsgeld; sie aind auch in die ipäteren
luigen nicht wieder aufgenommen,
wie die Ordnung von 1643 nur teparat gedruckt.
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 85
allen und jeden Weinen, sosiehey ganzen Stücken, Pipen, Ahmen
oder Väßlein, groß und klein, aUhie in dieser Stadt oder deren
Jurisdiction verkaufet, vorgeschrieben. Die Beschränkung des
Weinhandels auf gewisse Gemäße war aufgegeben.
Die Taxe blieb dieselbe.
Die Ordnungen von 1633 und 1648 sind vom Rat er-
lassen; die Bürgerschaft ist bei ihnen nicht beteiligt gewesen,
überhaupt nicht befragt worden. Bei der Unbeliebtheit, der
die Weinakzise im allgemeinen sich erfreute, war es begreiflich,
daß man, auf jeneu Mangel sich berufend, ihre Rechtskraft
anzweifelte. Am 15. Oktober 1651 bestätigte aber auf An-
trag des Rats die Bürgerschaft die Ordnung von 1648, wobei
ausdrücklich noch der Art. 7, der die Weinhändler zu Quartals-
rechnungen über alle verzapften Weine verpflichtete^), be-
kräftigt wurde.
Wenn für die Weinakzise-Ordnung erst nachträglich die
Zustimmung der Bürger eingeholt wurde, so wurde dagegen
die Frage der Verpachtung um jene Zeit mit Hinzuziehung
der Bürgerschaft erledigt; in jenem Falle handelte es sich
freilich um eine reine Verordnungsfrage, in diesem um eine
finanzielle Angelegenheit. Im März 1643 und August 1644
hatten die Bürger Anträge des Rats über die Verpachtung
der Weinakzise wiederum abgelehnt; als am 20. Oktober 1645
aber der Rat seinen Antrag abermals einbrachte und darauf
hinwies, daß die Wein-, Essig- und Branntweinakzise, wie
auch die Viehakzise lange so viel nicht einbringen, als da
diesdhige verpachtet gewesen, stimmten die Bürger endlich bei*)
und fügten hinzu, daß der Brantewein, so von Außen herein-
* kömmt, gute Accise geben möge, damit den hiesigen Bürgeryi
die Nahrung nicht entzogen tvird; mit diesem fremden Brannt-
wein waren die von Altena, Bergedorf und Harburg herein-
gebrachten und in Hamburg verzapften Spirituosen gemeint.
') Vielleicht bezieht sich auf diesen Punkt die Supplik der Weinhändler,
die am 22. September 1647 der Bürgerschaft vorlag, in den Acta
conventuum aber nicht enthalten ist und auch im Staatsarchiv nicht
zu ermitteln war.
») Der erste Pächter, Albert MoUer, zahlte für ein Jahr 20050 Mark
Cour. Pacht.
86 Ernst Baasch,
Wie alle den Geldbeutel der Konsumenten belastenden
und den Geschäftsbetrieb des Kaufmanns störenden gesetz-
lichen Vorschriften, so wurde auch die Weinakzise-Ordnung stets
als drückend und mangelhaft empfunden. Am 27. August 1662
stimmte deshalb die Bürgerschaft einem Antrage des Rats,
eine Revision der Weinakzise-Ordnung vorzunehmen, zu.
Das Ergebnis war die Revidierte Weinakzise-Ordnung
vom 13. Mai 1663*). Wieder wimien im Art. 1 die Schiffer
zur Übergabe der Kontentzettel über die mitgebrachten Weine
veri)flichtet, hinzugefügt war aber, daß die sog. Führung —
d. h. der dem Schiffer und den Schiffsleuten zustehende, frei
zu befördernde Teil der Ladung*) — akzisefrei sein solle, und
zwar, wie von AUets her gebrätidUicJi, dem Schiffer 2 Last,
dem Steuermann 1, dem Hauptbootsmann, dem Schimmann
und Konstabel je V« Last, den Botsgesellen je 1 Oxhoft*
Zur besseren KonüoUc der Weinzufuhr aber ward bestimmt,
daß jeder Schiffer seine Weine nur zwischen den beiden Bäumen
(Ober- und Niederbaum) löschen und an das Zollhaus anlegen
müsse, damit die Zollbedient^n die Quantitäten zählen könnten.
Mit ihren eigenen Sclmten und Boten sollten die Schiffer
keinen Wein aus ihi-en Schiffen holen und ihn nur durch
Ewer- und Leichterführer abführen lassen. Die Frist, inner-
halb der bei der Weinakzise der Wein anzugeben war, wurde
dahin festgesetzt, daß die Anzeige am nächsten Tage oder
doch am 2. oder 3. Tage, nachdem der Wein abgeführt sei,
zu geschehen habe. Im Art. 5 findet sich hinzugefügt, daß
derjenige, der Wein verkauft und für ihn, wenn er aus der
Stadt gehe, einen Freizettel erhalten habe, wenn nach-
träglich dieser Wein doch in der Stadt bliebe, dies binnen
4 Tagen anzumelden und den Zettel zurückzuliefem habe.
Im Art. 6 wurde hinsichtlich der Leckage, die in der Ordnung
von 1648 ganz unerwähnt geblieben war, kurz festgestellt,
daß einem jeden für Leckage 10 Prozent freigegeben werden
sollten. Eine ganz neue Bestimmung bracht« Art. 7: jeder,
der Wein auszapfe, habe sich bei dem Weinheim einschreiben
*) Nur separat gedruckt.
') YeTfr\. über die Führung: L^'GENBKCK, Anmerkungen über das hamb.
Schiff- und Seerecht (2. Aufl.), S. 47 ff.
Weinakzise und Weinliaiidel in Hamburg. 87
ZU lassen und dafür jährlich 1 Taler zu entrichten; wer das
nicht tue, dürfe nicht auszapfen. Dem Art. 9, der dem
Art. 7 von 1648 entspricht, ist die Bestimmung hinzugefügt,
daß alle Grossierer und überhaupt alle Weinhändler jährlich
eine Schlußrechnung über die Quantitäten, die sie in der Stadt
verkauft, verzapft und noch auf Lager hätten, einreichen und
dies eventuell beeidigen müßten; eine Visitierung ihrer Keller
zur Kontrolle war gestattet. Ein neuer Art. 13 versprach
jedem Bedienten, der Verstöße angäbe, den 4. Teil der sich
daraus ergebenden Strafen.
Da die Weinakzise in erster Linie eine fiskalischen
Motiven entsprungene Abgabe war, eine Abgabe, bei der
der Ertrag die Hauptsache war, so beeinflußten naturgemäß
fiskalische, finanzielle Gründe die Technik dieser Akzise in
hohem Grade. So ist es begreiflich, daß den immer und
immer wieder sich erhebenden Klagen über den unbefriedigen-
den Ertrag der Weinakzise, dieser vornehmen Intrade der
Stadt, gegenüberstehen die Klagen der Großhändler, die sich
der Kontrolle, namentlich der Visitation nicht unterwerfen
wollten. Am 18. September 1666 schlug deshalb der Rat
der Bürgerschaft vor, man möge mit den Großhändlern wie
Weinschenken sich auf einen bestimmten Ertrag der Akzise
einigen; wer von jenen sich nicht zu einer erklecklichen Taxe,
seiner Handlung entsprechend, verstehen wollte, habe sich
ohne Unterschied der Person der Visitation zu fügen. Die
Bürgerschaft erklärte sich damit einverstanden und wünschte
nur, daß einige Kämmereibürger und Oberalte hinzugezogen
würden.
Wie nun diese Taxe gehandhabt worden ist, läßt sich
nicht erkennen; wahrscheinlich ist es im wesentlichen beim
alten geblieben. Auf alle Fälle waren die Vertreter und
Interessenten des Handels stets auf der Hut, daß der Wein-
handel durch die Akzise möglichst wenig belastet und er-
schwert werde. Als eine unerträgliche Form, den Weinhandel
zu drücken, sah die Kommerzdeputation, die schon bald
nach ihrer Gründung mit dieser Frage sich zu beschäftigen
hatte, einen Vorschlag an, der im Jahre 1674 in der Bürger-
schaft auftauchte und der dahin ging, daß für jeden ei
88
Ernst Baasch,
geführten Oxhoft Wein bei der Einfuhr zwei Taler zu
deponieren seien, die dann bei der eventuellen Ausfuhr zurück-
erstattet werden sollten; wenn man, meinten die Kommerz-
deputierten, dies einrichtej wurde man Hamburg zum Dorje
und Atio7ia m emer großen Stadi madmu^)
Dieser derartig angefochtene Vorschlag ist nicht Gesetz
geworden; aber die nächste Zeit sollte doch eher eine Ver-
gchärfung als eine Mildenmg der Weinakzise nach der
fijikalischen Richtung bmigen. Die Einnahmen aus der Wein-
akzise^ die an sich sehr starken Schwankungen unterworfen
waren, waren einmal wieder zurückgegangen,*) so daß am
4. Dezember 1684 der Hat der Bürgerschaft eine abermalige
Eefonn vorschlug ziu- Verbesserung dieser Stadt Iniraden,
Im Februar 1685 erklärte sich die Büigerschaft einver-
st^inden; einige Bürger wurden zur Beratung über die Frage
abgeordnet; am 24, September 1685 nahm die Bürgerschaft
den neuen Entwurf an, setzte aber die Beschlußfassung
Über den 10. Artikel aus. Doch bestand der Rat auf der
Annahme dieses Artikels, ohne den die ganze Ordnung kraft-
los werden wüi'de. Über diesen Aiiikel wurde dann weiter
beraten, und endlich am 22, September 1687 die ganze
Ordnung mit dem revidiei-ten Art. 10 angenommen.
Diese Ordnung von 16B5/8T unterscheidet sich von ihren
Vorgängerinnen namentlich dui^ch folgende Zusätze,
Den Scliiffern wui-de verboten, ihren Bootsleuten Heuer
zu zahleuj bevor sie richtig angegeben, an wen sie ihi^e mit-
gebrachten Weine usw* verkanft hätten, und bevor solche
Käufer persönlich auf der Weinakzise erscliienen (A. 1.)
Hinsichtlich der Leckage bestimmte Art. 7 nicht nui', wie
schon fiiiher Art* 6, daß 10 Prozent ü-ei sein, sondern daß
8 Prozent Keller-Leckage Akzisefreiheit genießen sollten;
ausdrücklich wurde dagegen verboten, die Weine etc. an
Bord der Schiffe autzufüllen. Im Art, 9 wurde festgesetzt,
daß m besserer Befoderimg dieses Werics noch drei Visitierer
angestellt werden sollten* Am wichtigsten war der bereits
•) Eomm. Dep. an Ädmirftlitat IL März 1674.
^ Yergl die Liste der Betrage von 1674 ab in Beilage YL
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 89
erwähnte Art. 10, der dem alten Art. 9 entspricht. Er be-
schäftigte sich mit der Rechnungsablage aller derer, die mit
Wein etc. im großen oder im kleinen handelten. Die
Quartalsrechnung über alle Weine, die in Partien bis herab
zu einer Ohm (Ahme) in der Stadt verkauft waren, war auch
jetzt wieder vorgeschrieben; die Richtigkeit dieser Rechnung
sollte von den Bürgern auf ihren Bürgereid, von Fremden
und Einwohnern auf ihre eidliche Erklärung bestätigt werden.
Über den Verkauf kleinerer Gemäße, unter V« Ohm, sollte
monatlich Rechnung abgelegt werden. Den Grossierem oder
Weinhändlem wurde verboten, Wein in kleineren Maßen als
10 Stübchen zu verkaufen, während andererseits die Wein-
schenken oder Zäpfer, d. h. Detaillisten, in der Stadt nicht
höher als 10 Stübchen verkaufen durften. Doch wurde aus-
drücklich bemerkt, daß man damit den Weinschenken die
Handlung mit Fremden oder das Versenden von größeren
Partien nicht verwehren wolle. Der akzisefreie Verkauf
wurde, wie früher, verboten und die jährliche Schlußrechnung
über alle verkauften, empfangenen und noch lagernden Weine
vorgeschrieben. Kontrollvisitationen hatte jeder sich zu
unterwerfen. Damit, wie es in der Ordnung heißt, dieser
Punctus in richtiger Usance möge gebracht werden, hatte jeder
Weinhändler 14 Tage nach der Veröffentlichung dieser Ord-
nung ein genaues Verzeichnis über alle bei ihm lagernden
Weine einzureichen.
Hinsichtlich der Durchführung der Ordnung, über die
die früheren Ordnungen keine Bestimmungen enthalten, wurde
nun festgesetzt, daß den Herren und Bürgern der Weinakzise
Vollmacht erteilt wurde, alle in der Ordnung vorgesehenen
Strafen ohne gerichtliches Verfahren zu vollziehen, wie auch
einem Widerspenstigen das Weinschenken zu legen und den
Keller zu schließen. Ratsmandate vom 16. November 1687
und 12. Dezember 1688^) schärften die genaue Einhaltung
aller Bestimmungen der Weinakzise-Ordnung nochmals ein.
Die Weinakzise-Ordnung von 1685/87 bezeichnet den
Höhepunkt der rein fiskalischen Auffassung, die man von der
V Beide nur in Sonderdrucken.
90
Emst Baaadi,
Weinakzise hatte* Die zahlreichen Kauteleüj die man ge-
schaffen hatte, um Hinterziehungen und Umgehungen dieser
Abgabe zu verhindern, könnten dem Weinhandel nur schädlich
sein nnd erreichten andererseits auch nicht den Hauptzweck,
eine Steigenmg der Einnahmen* Allein der Ums^tand, daß
nicht nur die Schiff skontentzettel für die Mehrheit der neii-
gefiihrten Quantitäten Zeugnis abzulegen hatten, sondern daß
auch die zahheichen Hilfsbedienten — die Ewerführer, Kran-
träger, Kneveler — eine KontroUe über die den Weinhändlem
zuzuführenden und von ihnen abgesandten Weine auszuüben
hatten, daß femer auch den Bedienten bei den Bäiunen und
an den Toren eine Aufsicht über die Weinakzise oblag, machte
den ganzen Apparat furchtbar umständlich. Die verschiedene
Größe der Gebinde, in denen der Wein einti-af, die aber doch
einen und denselben Namen führten, gab sodann treffliche
Gelegenheit zum Unterschleif. Hehr seltsam war femer die
Berechnung der Leckage; die Seeleckage betnig beim fran-
zösischen Wein tat-sächlich nur 2—3 Prozent, während sie
mit 10 berechnet wurde; auch die 8 Prozent Keüerleckage
war zu hoch. Kein Wunder deshalb, daß die Weinakzise
schlechte Erträge lieferte; sie nahm vom Jahre 1689 an dauernd
ab. und das war um so eigentümlicher, als ohne Frage der
Weiiikonsuni in Hamburg sehr zunahm und namentlich die
französischen Weine seit der zweiten Hälfte des J7- Jahr-
hunderts hier eine immer mehr wachsende Beliebtheit fanden;
nicht ohne Einfluß \\ird dabei der neue Handelsvertrag gewesen
seiDj den die Hansestädte im Jahre 1655 mit Frankreich ge-
schlossen hatten.
Im April 1699 setzte deshalb das Kollegium zur Wein-
akzise eine Kommission ein, zur Beratung dariiber, wie diese
Abgabe in mnem h&sem Stande zu bringen. Am 7, August
genehmigte das Kollegium die yon dieser Kommission aus-
gearbeitete neue Ordnung, Aus den Beratungen über diesen
Entwurf M ging dann eine Vorlage hervor, die der Rat im
^) B& Bülimen daran teil äi% Weinliändler Johatm Warner, Johann
Wifjchhoff, Kann Ja^^olj v<:^n der Porten, Joli* Hinr. AlphuäiuB,
Nicolana Danueoberg, Albert Bernhard Elüera, Christoffer Drefiea,
ChiiBtopli Änton Lutterloh.
1
Weinakzise nnd Weinhandel in Hamburg. 91
Mätz 1701 an die Bürgerschaft brachte. Dieser Entwurf
enthält eine sehr erhebliche Änderung gegenüber den früheren
Ordnungen. Bisher war die Weinakzise eine Abgabe auf
den Weinkonsum innerhalb der Stadt gewesen, eine reine
Konsumtionsabgabe; die wieder ausgeführten Weine waren
akzisefrei. Der Art. 4 des neuen Entwurfs bestimmte aber,
daß alle, die Wein, Branntwein und Essig zugeführt erhielten,
sofort davon die Akzise nach der Taxe zu entrichten
hätten gegen Abzug von 10 Prozent Seeleckage; die Auf-
füllung am SchifEsbord war verboten. So trat an Stelle der
Akzise ein Zoll, an Stelle der Konsiuntionsabgabe eine
Handelsauflage.
Im übrigen unterscheidet sich der Entwurf namentlich
dadurch von den früheren Ordnungen, daß nach Art. 6 alle
Weinschenken je nach der Größe ihres Konsiuns in 3 Klassen
geteilt wurden, die 25 bezw. 50 und 100 Mk. jährlich an
Konsumabgabe zu entrichten hatten. Jeder aber, und das
war wichtig, der diese Abgabe zahlte, hatte das Recht des
Weinschenkens; eine Begrenzung nach den Maßen gab es
nicht; wer mehr ausschenkte als früher, rückte eventuell in
die höher belastete Klasse auf. Noch die Ordnung von 1685
[1687] hatte dem Orossirer oder WeinhäncUer verboten, in
kleineren Maßen und unter 10 Stübchen zu verkaufen,
während der Weinschenk oder Zäpfer in der Stadt nicht
mehr als 10 Stübchen verkaufen durfte. An Stelle dieser
Beschränkung war jene Klassifikation getreten.
Hatte man so durch die Ausdehnimg der Abgabe auf
den gesamten Weinhandel der Stadt jene zu einer allgemeinen
Steuer gemacht, so war andererseits freilich der Tarif er-
heblich herabgesetzt. Sekt oder Vino tinto, der bisher
24 Mk. bezahlt, sollte nur noch 4 zahlen, spanischer und
französischer Wein war von 24 auf 2 Mk. herabgesetzt,
französischer und spanischer Branntwein von 40 auf 6,
Weinessig von 8 auf 1, Rheinwein von 18 auf 4 Mk. Es
unterlagen jetzt aber auch die in Hamburg aus Zuckerwasser,
Moder (Weinhefe), Rosinen und andern Dingen hergestellten
Branntweine einer Abgabe, imd zwar von 3 Mk. pro Oxhoft,
während der Kombranntwein frei blieb.
92
Enrnt Baascb,
Die Erreichung des Zwecks, eine Steigerung der Er-
träge der Weinakzise, scMen dieser Entwurf allerdings zu
gewährleisteiL Besteuerte man allen einkommenden Wein, so
waren Defraudationen sehr viel schwieriger; man vermied
ferner zwar die lästige Kontrolle nicht ganz, erleichterte sich
diese aber doch erheblich; man traf das Steucrohjekt in
größerer Ausdelmimg; dafür war der Tarif herabgesetzt.
Ohne Widerspnich vollzog sich diese eingi^eifende
Änderung nicht, Schon der Rat hatte, als der Entwurf zu-
erst an ihn gelangte, im September 1699 p:emeint, er sei
detn Cmnmef'do sehr nachttmUg; der Rat hat auch später
gi'oße Bedenken gehabt und sich nur dem Drängen der Bürger-
schafty die Oeld herbeischaffen wollte, gefugt. Am schärfsten
wandten sich gegen den Entwurf die Verti-eter der Kaufmann-
schaft, die Kommerzdeputierten* Schon bei den Vür\^erhand-
hingen erklärten sie im Einvei^tändnis mit den Oberalten
den Entw^u-f für nicht annehmbar, am dm' Ursache, daß
frmnhde Pukmncefi mch dariilm' beschivet'eH ^mcM^m. Dann
riefen die Kommei^deputierten den Ehrbaren Kaufmann zu-
sammen, der am B. April 1701 f?e)ir stark erschien und seine
Zustimmung zu einer Eingabe an den Rat aussprach. Die
projektierte Taxe, so legten sie hier dar, sei nichts als ein
neuer ZoU. Ein solcher aber werde bei den benachbarten
Mächten Anstoß erregen, um so mehr, als Dänemark jetzt
wieder in Wien den Glih'.k^tädter Zoll betreibe, Die Depu-
tierten wiesen darauf hin, daß neue Zölle wiederholt zu gi^oßen
Konflikten Anlaß gegeben, so zwischen Frankreich und
Holland. Überdies werde insbesondere Frankreich die all-
gemeine Auflage auf alle französischen Weinej Branntweine
und Essige sehr übelnehmen^ was um so bedenklicher sei,
als man doch gerade dahin strebe, in Frankreich eine gleiche
Stellung im Zoll wie die Holländer zu erreichen. Ebenso
sei es mit Spanien hinsichtlich der Belastimg seiner Weine;
Eepressalien gegen den nach jenem Lande betriebenen Lein-
wandhandel seien zu befürchten. Das werde wieder Schlesien
in Mitleidenschaft ziehen und den Kaiser erbittera. über-
haupt, so meinten die KommerzdeputierteUj müsse Hamburg
seinen Handel möglichst mit neuen Auflagen vei-schonen, da-
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 93
mit er nicht noch mehr nach Altona sich wende. Im Wein-
handel werde Altona nach Einführung dieser neuen Auflage
3 — 6 Prozent vor Hamburg bevorzugt sein, ein Vorsprung,
der den hamburgischen Weinhandel ruinieren werde. Was
das heiße, schilderten die Kommerzdeputierten mit grellen
Farben. Sie konnten allerdings auf Grund der allgemeinen
damaligen Handelslage der Stadt und der Konkurrenz Altonas
nicht mit Unrecht gegen weitere Belastungen Gründe genug
anführen.
So sehr schnell ging die Sache denn auch nicht von-
statten. Es erhob sich Widerspruch auf allen Seiten. Auf
Antrag des Rats vom 22. September 1701 ward eine Kommission
zur Verbesserung der Bier- und Wein-Accise eingesetzt; die
Bierakzise war noch reformbedürftiger. Die Kommission
freUich kam zu dem Resultat, daß die Hauptneuerung des
Entwurfs zu verwerfen sei, da es sich um einen neuen Zoll
handle, dessen Einführung beyFrembden viele Anstößigkeiten und
Verdrießlidüceiten erwecken, den Kommissionshandel mit Wein
von Hamburg ablenken, die wirkliche Weinakzise ganz auf-
heben und eine Ungerechtigkeit dadurch herbeiführen werde,
daß derjenige, der viel Wein wieder expoiüere, schwer leiden,
während derjenige, der in der Stadt viel verkaufe, ein an-
sehnliches prosperiren ivürde. Die Vorschläge der Kommission
liefen schließlich auf nichts anderes hinaus als eine weitere
Erschwerung und Belästigung des Weinhandels.
Die Verhandlungen und Vorschläge dieser Kommission
haben es ohne Frage bewirkt, daß der neue Entwurf doch
günstiger beurteilt wurde; seine Väter, das CoUegium zur
Weinakzise, drängten auf seine Annahme. Ein Punkt des
Entwurfs erfuhr allerdings noch eine Änderung selbst auf
Vorschlag jenes KoUegiiuns. Im Entwurf war von den Wein-
händlem eine Generalabrechnung über die bei ihnen lagernden
Weine verlangt; die Weinhändler fürchteten, daß man dadurch
in ihre Geschäftstätigkeit einen zu intimen Einblick gewinnen
werde, und sie setzten es durch, daß diese Bestimmung aus-
geschieden wurde. Trotzdem hatte der Rat noch immer große
Bedenken. Als es endlich am 4. Februar 1706 zur Ver-
hasdlung in der Bürgerschaft über den Entwurf, der iiü
94
Ernst ßaaäcb,
wesentlichen der Vorlage von 1701 entsprach, kam, wanite
der Rat und wies darauf hin, daß, wenn erst die ordentliche
Weinakzise durch Annahme des Entwurfs abgeschafft sei und
der neue Zoll künftig einmal nicht beibehalten werden könne,
man schwerlich zrii der ordentlichen Akzise wieder gelangen
werde* Widerspruch von auswärts werde aber wohl nicht
ausbleiben. Für die Bürgei'schaft wogen die finanziellen Aus-
sichten, die der Entwurf versprach, schwerer als diese Be-
fiirchtungen; sie bewilligte die neue Ordnung vorläufig iiuf
ein Jahr und ziuii Versuch und ließ sich hiervon auch nicht
abbringen durch die Bemerkung des Rats, daß in einem Jahre
der Handel wohl der Stadt entfremdet werden und die Stadt
von auswärtigen Mächten viele Ungelegenheiten erleiden könne.
War die Ordnung vom 4, Februar 1706 *) auch nur ver-
suchsweise auf ein Jahr angenommen, so blieb sie stÜl-
flchweigend weiterhin in Ki^aft,. Selbst die Kommerzdeputieitt^n
waren bei der Annahme der Ordnung nicht mehr so eifrige
Gegner; am L Februar hatten sie dem Ehrbaren Kaufmann
gegenüber gemein t^ sie sähen nichts darin, ivas dtmi Kauf mann
7iicht sollte {/(if allen. Der Ehrbare Kaufmann aber war weniger
zuüieden und warnte, wenn f^ einmal emgerm^n iverBf wlb^da
es woll perpefuirlkh hleihmi^ und hetmach der Kaufmann mit
Srhadmh erfahren.
Die Kanfmaimschaft miLßte namentlich Wert darauf
legen^ daß die durchgehenden Weine nach wie vor zollfi-ei
blieben und ihre Durchfuhr möglichst wenig belästigt w^rde.
Der Art. 7 der neuen Ordnung bestimmte ausdrücklich, daß
die ankommenden dardigelmiden Weine, Branntweine und
Essige (illfne nkJd aufgdegei werden sollen, daß aber die
Schifi'cr oder Fuhrleute ein Verzeichnis dieser Güter einreichen
müßten. Doch führte die Praxis hinsichtlich der frei passieren-
den Weine bald zu Mißbräuchen» Von 1711 an begannen die
Schreiber und Bedienten auf der Weinakzise i^on allen durch-
gebenden Weinen und Branntweinen jeder Quantität Trink-
gelder zu fordern und die Passierzettel nicht eher auszuliefern,
bis ihnen jene Trinkgelder gezahlt waren. Auch über
n
tickt: Klefekkr, Sammliing H, S. 500 ff.
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 95
Rigorosität und Bureaukratismus ward geklagt. Es kam
wohl vor, daß für einen Kaufmann in einem Schiff zur Durch-
fuhr bestimmte Weine ankamen, daß aber, wenn der Kauf-
mann dies erfuhr, das Schiff bereits an die Stadt gekommen
war, worauf dann die Beamten den Wein nicht mehr als
Durchfuhrgut anerkennen und behandeln wollten. Überhaupt
gaben Härte und Unbilligkeit der Weinakzise-Beamten Ur-
sache zu schweren Klagen.
Im Jahre 1717 kam es infolgedessen zu Vorstellungen
der Kommerzdeputierten an den Rat; dieser erkannte diese
Beschwerden zum Teil als berechtigt an und setzte in einer
Verfügung vom 30. März 17180 die Bestimmungen fest, nach
denen bei der Durchfuhr der Weine und Branntweine zu
verfahren sei. Auch wurde der Eid*) für diejenigen, die
Weine usw. als Durchfuhrgut angaben, festgesetzt. Um endlich
auch den Beamten der Weinakzise entgegenzukommen und
ihrer vermehrten Arbeitslast Rechnung zu tragen, bestimmte
der Rat am 30. März 1718, daß, solange es mit den durch-
gehenden Weinen im Oange verbleibet, dem Schreiber jährlich
öORtlr. und den Bedienten je 10 Rtl. zuteil werden sollten;
dafür sollten sie von der Forderung der Trinkgelder abstehen.
Alle Beschwerden der Kaufleute waren damit freilich
nicht erledigt. So hatten viele Schiffe, die aus den Wein-
ländem Portugal und Spanien kamen, neben der Hauptladung
wohl ein paar Fäßchen Wein an Bord, die Regale, Geschenke,
waren, und für die keine Fracht bezahlt wurde. Nun durften die
Weinakzise-Beamten von jedem Schiff, das mit Wein, Brannt-
wein und Essig befrachtet war, ein Voy-Oeld fordern, nämlich
ein Schreiber 1 ^ 8 /J, jeder seiner beiden Knechte 12 ß;
war auch nur ein Fäßchen Wein an Bord, dieses Geld wurde
doch rücksichtslos eingefordert. Dieser Gebrauch blieb be-
stehen. Überhaupt hat das Voy-Geld viel böses Blut bei den
Weinimporteuren gemacht. Die Beschlüsse von 1718 hatten
doch nur einen Teil der bestehenden Mißbräuche beseitigt.
Die Erwartung, daß die Reform von 1706 den Ertrag
der Weinakzise steigern werde, erfüllte sich zunächst voll;
^) Gedruckt: Elefeker, Sammlung VI, S. 400 ff.
^ Ebenda S. 399 f.
I
B6 ^^^^P Kxust Baa^ch^
von 10905 4^^ ^^^ ^i*? ™ Jahre 1705 eingebracht hatte, stieg
schon 1706 der Ertrag aiif 58951 ^. Dann aber sank er
wieder schnell; im Jahre 1709 waren es nur noch 30921 ^.
Der Rat sah den Grund dieses Rückgangs in Defraudationen
und meinte, man könnte getrost wit^der zu dem alten Satz
von 4 TaleiTi pro Oxhoft fi'anzösischen Weins ziuiickkehren,
nachdem im Jahre 1706 die Taxe auf 1 Mk. herabgesetzt war,
Schwerlich, so stellt« er dar, habe trotz der vemngerten Akzise
ein Weinhändler seinen Wein billiger abgegeben, aondera er
habe lediglich 11 Äfk, in seinen Beutet ffesterkei; auf jeden
Fall seien bei einer Akzise von 4 Talern pro Oxhoft die
3 Schill, auf das Stübchen keine Last fiü- die, die Wein trinken
wollten. Daß allerdings stark defraudiert worden war und
noch wurde, schien aus einem Vergleich der Erträge, die bei
der höheren Taxe eingegangen, nüt denen, die jetzt bei der
geringeren Taxe eingingen, allerdings mit W^ahrscheinüchkeit
zu vermuten. Man nahm im allgemeinen an, daß V» bis */*
des eingehenden Weins (außer dem Durchfuhrgut) in der Stadt
konsumiert wiude; da nun der vierte Teil des im Jahre 1709
eingeführten Weins zu der geringeren Taxe 7500 Mk. einge-
bracht hattCj so hätte filr diese Quantität nach der friiheren
Taxe der Gesamtertrag der Akzise mindestens das Dreifache,
d. h. 30000 Mk.j einbringen müssen; in Wirklichkeit ist diese
Summe zwischen den Jahren 1691^1705 nie auch nur an-
nähernd erreicht worden.
Der Kat beantragte deshalb am 20. Februar 1710 bei
der Bürgerschaft die Wiederherstellung der alten Taxe von
4 Talern (^^12 Mk.) auf den französischen W^ein, Aber erst
als die kaiserliche Kommission drängte, fügte sich die Bürger*
Schaft dem Antrage am 3* Aprih Die vom Rat vorgeschlagene
Verpachtung der Akzise wuide jedoch von der Bürgerschaft
wiederholt abgelehnt. Zur Ausführung ist der Beschluß vom
3, April 1710 nicht gekommen, wohl in erster Linie infolge
der unruhigen inneren Zustände der Stadt, Ob die Opposition
der Großweinhändler, die sich in mehreren Schriftstücken
Luft machte, zu der Suspension des Beschlusses beigetragen^
mag dahingestellt bleiben. Übrigens stieg die W^einakzise
ohnedem in den nächsten Jahren* Ohne Zweifel hat
j
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 97
hierbei auch die Zunahme des Weinkonsums mitgewirkt. Sie
hat die Weinhändler auch wohl getröstet über die Belastung,
die dem Weinhandel durch die Ausdehnung der Akzise auf
die Weine, die von Hamburg weiterversandt wurden, bereitet
wurde. Von einem Widerstand gegen diese Ausdehnung hört
man nichts. Dagegen wurde geklagt über die Akzise auf
die Sektweine, die 4 Mk. betrug; im Februar 1713 fanden
sich die Kommerz-Deputierten veranlaßt, dem Ehrb. Kauf-
mann eine Herabsetzung auf 2 Mk., wie die spanischen
Weine zahlten, vorzuschlagen; auch die Akzise auf spanische
Branntweine müsse von 6 auf 4 Mk. herabgesetzt werden.
Doch lehnte der Ehrb. Kaufmann es ab, hierauf einzugehen,
und beschloß, es solle beim alten bleiben.
Dagegen machte sich um diese Zeit eine Reaktion
geltend gegen die durch die Ordnung von 1706 herbeigeführte
Beseitigung des Unterschiedes zwischen Groß- und Klein-
händlern. Die Großhändler sahen sich naturgemäß benach-
teiligt durch die starke Zunahme der Kleinbetriebe; nicht
nur SchifEer und Bootsleute, selbst städtische Beamte er-
richteten Ausschänke und Verkaufsstellen und machten dem
Großhandel lebhafte Konkurrenz. Mochte auch der Wein-
konsum an sich dadurch zunehmen und den Bierkonsum
zurückdrängen^) und mochte auch die Weinakzise dadurch
erheblich profitieren, der reelle Großhandel, der die Weine
im großen bezog, sie sachgemäß behandelte und im kauf-
männischen Betriebe weitergab, sah sich doch schwer ge-
schädigt durch jene Kleinhändler, um so mehr als die Groß-
händler mit weit größeren Geschäftsspesen arbeiteten als die
Kleinhändler, bei denen viele nicht verakzisbare Weine ver-
schenkt wurden. So machten denn im Jahre 1710 die Groß-
händler den Vorschlag, daß ein behöriger Unterscheid zxmschen
denen Orossirern und Zäpfern gemachet würde, und daß zu
dem Zweck jeder zu Protokoll geben solle, wovor e?- gef^cUten
Bemerkenswert ist der Rückgang der Bierakzise, die eine Konsam-
abgabe war. Vom 1. März 1686 bis alt. Februar 1687 hatte sie
270 058 Mk. eingebracht, im nächsten Jahre 243 444 Mk.; von 1710—19
brachte sie darchschnittlich jährlich 191732 Mk., von 1740—49 aber
nur noch 90000 Mk.
Ztsohr. d. Vereins /. Hamb. Oeacb, XHI.
98
Ernst Baaschf
sein walk; ein Großhändler dtü-fe dann nicht unter einem
Anker verkaufen; die Großhändler, die unter einem Anker
verkauften, miißten flir solche Hohlmaß-FreykeiU (ils auch
vor ihr Haus und Mund alljährlich ein Gewisses stahlen;
aller sitzenden Gäste müßten sie sich aber enthalten; alle
Schiffer etc. müßten ihre mitgebrachten Weine verakzisen,
Den Stadtheamten müsse der Zapf und Verkauf van Weinen
ganz untersagt, werden; die Wirtshäuser, Gastgeber, Kaffee-
häuser, Apotheken, Kombranntweinbreiiner und Krämer müßten
hinsichtlich ihres Verbrauchs auf ein Jährliches taxiert werden.
Ändere Großhändler machten den Vorschlag, Groß-
händler dürften überhaupt nicht weniger als ^/s Oxhoft ver-
kaufen. Alle Großhändler aber waren sich offenbar darin
einig, daß eine scharfe Abgrenzung zwischen Groß- imd
Kleinhändlern, wie sie nach den früheren Bestimmungen
bestanden hatte, wiederhergestellt werden müsse, da von der
jetzt henschenden Freiheit nur die ca. 150 Zapf er den Vor-
teilj den Nachteil aber nur die ca. 55 Großhändler hätten.
Man hat damals diesen Anträgen keine Folge gegeben;
eine Reihe von Jahren später wiu'den sie in ähnlicher Form
wieder vorgebracht,
Zuerst, wie es schcintj wurde in einer kleinen Druck-
schrüft, betitelt KurUe^ dm'h gründfkhe Yorstelhmy, daß sowol
die HambnrgLsche jeimge Wein-Acdse ah die mtf^erissene
Wanren-Attcffönes ode^^ Aim^uffe dmn wahrefi Conifnerdo und
dieset' Stadt mm f/roßen Vm^derh g&^ekhen^ in Eü tmtworßm
vofh einmi dieser Stadt verbundenen Kauffmann. Hamburff
1731 im Monakt Jimio^^) die bestehende Weinakzise offenbar
von einem Welnliändler scharf angegriffen. Er lobt die alte
Zeit, Wie sehr bei der alten Konsumtions-Akzise» so schreibt
er, unser gdiehies Vaterland im tmrigen Sendo und bis tu der
gemarkten Veränderung [von 1706] floriret, hat der Äugenschein
erwiesen; infolge der dann eingetretenen Veränderung, die
auch den Weinen, die von hier an andei^c örter verkauft
würden, Akzise auferlege, sei diese Handlung voti ufiserer
*) In memeü Foracbungen z. hamb. Handels-Gescbichte m, S. 76 f. ist
'lese Schrift, soweit sk die Auitionen behandelt, bereitg gewürdigt
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 99
Stadt an andere Örter verwiesen. Der daraus der Stadt er-
wachsene Schaden bestehe im folgenden:
1. alle andern Plätze könnten diese Weine um 4 — 6 Prozent
billiger verkaufen.
2. Da die Akziseordnung einem jeden die Freiheit gebe,
seine Weine im kleinen zu verzapfen, und der Konsum
frei sei, werde hier jetzt fast mehr Wein als Bier kon-
sumiert, da ersterer beinahe so billig wie dieses; dadurch
würden die Bierinteressen (Brauerben, Bierakzise) ge-
schädigt. Der Umstand, daß
3. nur die durchgehenden Weine zollfrei seien, schädige die
Stadt und die Besitzer der Packräume, Keller und Böden.
Dieselben und ähnliche Motive finden sich denn auch
in den Schriftstücken, mit denen die Weinhändler sich in
nächster Zeit an die Behörden wandten. Noch im September
desselben Jahres beantragten die Weinhändler ^) beim Rat
eine Veränderung der Weinakzise -Ordnung. Die heutige
Ordnung, so legten sie dar, habe dahin geführt, daß jeder
Krüger und Matrose, der auf 30 Mk. Miete wohne, jetzt
Weinhandel treibe, und daß der reelle Weinhandel der
größeren und mittleren Händler, die 1200 oder 500 Mk. Miete
zahlten, in Verfall geraten sei. Nach dem von den Antrag-
stellern vorgelegten Entwurf*) sollte die Land- und Seeinfuhr
aller Weine und Weinessige akzisefrei sein; ebenso sollten alle
Kaufleute, die mit Weinen in gewissen Mengen — 5 Oxhoft
Franzwein oder Weinessig, 2 Stück Branntwein, 1 Stück Rhein-
wein usw. — handelten, von der Akzise frei sein; wer aber
1. Wein in geringeren Mengen bis zu V« Oxhoft abwärts
als diese verkaufe, solle jährlich 100 Mk. zahlen; bei 20
solchen Weinhändlem ergab dies 2000 Mk.
Es waren Albert Meyer Jacobson, Hinrich Eding, Hermann Jürgensen,
Job. Hinr. Bojen, Wilbelm Jantzen & Consorten. Im März 1724
baten die Weinhändler die Kommerzdeputierten am Zahlung der Un-
kosten, die erstere zu Errichtung ihrer Schriften wegen Declinirung
der aufs Tapet seynden Consumtion van Wein und Brantewein
gehabt hatten. Die Kommerzdeputierten lehnten es ab, ujeilln ein
solches bis dato ohne Exempeln wäre und auch inskünftige von böser
Consequence sey.
^ Siehe Beilage ü.
1*
100
EntBt Ba&schf
2. Weinhändler, die in kleiüeren (remäßen und Flaschen
diese Weine verkauften, sollten jährlich 150 Mk. zahlen;
solcher Weinhändler gab es 60; der Ertrag war also
9000 Mk.
3. Wer überdies, also zu dem Besitz der Freiheit ad 1)
oder ad 2), noch die Weinschenk-Freiheit genießen wallte,
sollte jährlich von jedem Keller oder Haus, wo er sitzende
Gäste habe, 200 Mk* zahlen; die Zahl solcher Wein-
händler ward auf 140 g^eschätat; der Ertrag wiu'de also
28000 Mk. sein.
4. Für den Allein- und Detailverkauf von französischem,
holländischem oder hiesigem Cideressig sollte jeder jähr-
lieh 15 Mk, zahlen, was bei 40 Interessenten 600 Mk.
bringen mußte.
5. Jeder Weinsehenk auf dem Hamburger Berg, in St. Georg,
auf dem Deich, den Schweinköfen/) vor dem Dammthor
sollte 100 Mk. zalilen; deren gab es 10, was also 1000 Mk.
einbrachte, —
Alle Seefahrenden, Ewerführer, Makler, Handwerker,
Krüger und Stadtbediente soUten dem Commerrio mun Bestefi
vom Weinhandel ausgeschlossen werden; ein Seefahrer, der
Wein mitgebracht, hatte ihn auf dem Zoll anzugeben. Jene
fünf Klassen von akzisepflichtigen Weinhändlern usw* hatten
die Namen aller ihrer Mitinteressenten anzugeben. Die Anüag-
steller wünschten die Annahme dieser Ordnung auf vorläufig
10 Jahre.
Dieser Entwurf zeichnet sich aus durch die detaillierte
Klasseneinteilung, wie durch das sichtbare Bestreben, den
Weinhandel den Weinhändleiii vorzubehalten, ihn den Leuten
zu entziehen, die im Grunde nichts mit ihm zu tun hatten
und seine Solidität in Mißkredit zu bringen geeignet waren.
Zu den Großhändlern und W^einschenken, die man früher
unterschied, waren die Krüger und Kleinhändler gekommen;
diese wollte man durch die scharfe Besteuerung der Wcin-
schenkfreiheit neben dem Weinhandel einschränken-
*) SahweineköTen hieß der zwischen der jeUigeu BreuneT- und Rostocker-
straße belegene Teil St. üeorgs.
lAi
Wemakriiie und Weinhandel in Hamburg. 101
Unmittelbaren Erfolg hat dieser Antrag nicht gehabt;
es ist auch nie wieder von ihm die Rede. Aber der Aus-
gangspunkt der weiteren Entwicklung ist er doch gewesen^
und im Schöße des Rats ist er auch zur Sprache und zur
Verhandlung gekommen. Denn den Erwägungen, die zu ihm
gefOhrty konnte man sich doch nicht verschließen. Ende des
Jahres 1723 kam ein Gerücht über obschwebende Beratungen
auch den Eommerzdeputierten zu Ohren; in einer Eingabe
vom 13. Dezember stellten sie dem Rat vor, er möge ihnen doch
von solchen Plänen Mitteilung machen, da durch Einführung
einer solchen Neuerung E. E. Kaufmann, der fast durcJigehends
in diesem Handel interessiret ist, heftig würde graviret und
folglich die Aufnahme des Commerdi gehindert werden, weil
viele tausend Menschen von diesem Handel leben, und unsere
Schiffahrt dadurch großen Stoß bekommen würde, wenn darinnen
einige Neuerung vorgenommen werden sollte. Der Rat hatte
aber offenbar keine Neigung, den Kommerzdeputierten Einblick
in noch nicht abgeschlossene Erwägungen zu gewähren, und
erklärte noch an demselben Tage jenen kurzweg, er werde
den Punct wegen der Wein-Accise mit denjenigen Deputationen
und CoUegiis, mit welchen es hiesigen Verfassungen nach sich
gebührte, zu überlegen nicht ermangeln. Diese Abweisung ver-
anlaßte die Kommerzdeputierten zu einer Vorstellung, in der
sie an ihre Begründung 1665 und die Bestätigung von 1674
erinnerten und darauf hinwiesen, daß in Sachen des Commercii
niemals etwas Erhebliches ohne vorhergehende Überlegung
mit ihnen vorgenommen wäre. Sachlich fügten sie hinzu,
daß uns das gar zu nahe gelegene Altona, als welches ohnedem
keine Gelegenheit verabsäumet, worin es dieser guten Stadt Nach-
theil an ihrer NaJirung verursachen könne, durch eine neue
Weinakzise viele so hiesiger als auswärtiger Kauf leute an sich
ziehen würde, au>ch viele tausend Menschen, die in dieser Stadt
von der Weinhandlung ihren Unterhalt haben, dadurcJi um ihr
täglich Brodt gebracht werden.
Der Rat antwortete hierauf nicht, verhandelte aber
unter sich und mit den Oberalten weiter über die Weinakzise.
Aber daß etwas vorging, war doch ruchbar geworden, und
Anfang Februar 1724 wandte sich der französische Gesandte
102
Enisl Baaach,
an den Rat: er habe gehört^ daß jener beabsichtige, eine]
Auflage auf alle Weine zu legen; da dadurch die fi^anzösischen
Weine hauptsächlich getroffen werden würden, so en^tichte er
den Rat, in dieser Sache nicJd au gesvhwiyide zk verfahren;
es könne sonst leicht der Erlaß der Tonnenabgabe von.
50 Sous, der im Handelsvertrag von 1716 den HansestädtenJ
bewilligt seij zurückgezogen werden. Es war dies das erste- J
mal, daß eine fremde Macht sich in die Frage der Wein-
akzise einmischte ; bereite Anfang des Jahrhunderts war eine^
Einmischung Frankreichs, wie wir oben sahen, befürchtet,!
aber nicht eingetreten; allerdings verbot der damalige Kriegs-
zustand ein Eingreifen Frankreichs. Die Drohung der Zurück-
Ziehung des Erlasses der Tonnenabgabc war aber bedenklich;'
mit großen Opfera hatte man im Jahre 1716 diesen Erlaß
erhalten;*) als später, 1760, Hamburg mit Franki^eich ini
Konflikt geriet^ fiel mit der Äufhebimg des Vertrags auch
jene Vergünstigung weg, und Hamburg hat große Mühe
gehabt, sie später wiederzuerlangen. Der Rat beeilte sich des-
halb am 7* Februar diüch Syndikus Surland den Gesandten zu be-
ruhigen imd zu antworten, daß man auf kam amgel^ende Weine
etwas geleget und also dm Crnnmercium nicJii graviretf sondern
nur auf hies^ige C&rmimtitm dim Impmi m legeyi inkmdire.
Nun trat aber am 9. Febmar auch der Ehrbare Kauf-
mann zusammen und forderte von den Kommerzdeputierten
eine Aufklarung. Da sie eine solche zu geben nicht imstande
wareUj wurden sie vom Ehrbaren Kaufmann veranlaßt, dem
Rat nochmals die Sache vorzutragen. Das tatesn sie am
12, Februar, indem sie dem Rat die gegen die Einfühlung
einer Konsumtionsauflage sprechenden Gründe darlegten. Zoll
und Einjfuhrakzise di'ücke den Kaufmann schon genug; eine
Konsumakzise weixie dahinführen, daß Fremde ihre Wein-
lager aus der Stadt in die Nachbarschaft verlegten. Nament-
lich aber verstoße eine Konsumtionsakzise gegen den Vertrag
mit Frankreich^ der jede Neuerung in Zoll und Akzise von
Wein imd Branntwein verbiete; denn wenn die Konsumakzise
*) TergL Baasch, QueUeti z. Gescli, v. Hamb. Haudel u, ScUiffahrt,
Heft 1, S. 108 ff. (Haink 1908.)
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 103
auch direkt nur die Einheimischen treffe, schädige sie doch
den Weinhandel, und es sei Gefahr, daß dieser sich nach
anderen Plätzen ziehen werde. Das werde dann wieder die
Schiffahrt und die Reederei schwer benachteiligen.
Elar war es somit offenbar allen, ohne daß sie genau
über die Pläne des Rats unterrichtet waren, daß es sich um
die Wiedereinführung der Konsumakzise handle; diese war
ja 1706 insofern abgeschafft worden, als nunmehr alle ein-
geführten Weine usw. der Akzise unterworfen wurden. Nicht
nur die Kommerzdeputierten übrigens, auch die Oberalten
hatten schwere Bedenken; eine Erhöhung der Einfuhrabgabe
war nach ihrer Ansicht infolge des Traktats mit Frankreich
unzulässig; auch war sie geeignet, den Weinhandel Frank-
reichs zu schädigen; die geplanten Visitationen und Kontroll-
maßregeln femer waren ihnen nicht annehmbar, weil in einer
freyen Repuhlic und Handelsstadt ein Kaufmann sich nicJit
dergestalt, urie in dem Protect intendiret unrd, visitiren und
sein Vermögen, so er in Wahren stecken hat, untersuchen oder
seine Kunden und Correspondence offenbaren lassen kann.
Überhaupt betonten die Oberalten, daß die Weinhändler wohl
eine Verkaufsabgabe füi* den eventuellen Detailverkauf ent-
richten, daß sie aber von der eigentlichen Konsumakzise frei
sein müßten; denn durch diese werde der Weinhändel und
die Kommissionen von der Stadt gezogen.*)
Der Rat erklärte hierauf,*) daß er den Weinhandel
nicht treffen wolle, wohl aber den Konsum der in der Stadt
und ihrem Gebiet verzapften Weine; beides seien zwei grund-
verschiedene Dinge. Nun einigten sich Rat und Oberalte im
Juni 1725 auf ein Projekt,*) das als Anhang der Ordnung
von 1706 dienen sollte. Die Gedanken des Projekts von 1721
haben bei der Abfassung dieses Projekts von 1725 offenbar
stark mitgewirkt. Die allzu unbeschränkte Schenkfreiheit
sollte eingedämmt, es sollte verhindert werden, daß ein jeder
nach Belieben Wein und Branntwein verzapfte. Nirgendswo,
so heißt es in dem Entwurf der Vorlage des Rats an die
*) Oberalte an den Rat 11. Februar 1724; 3. Januar 1725.
*) 6. Juni 1725.
*) Siehe Beilage m.
104
Ernst Baa^icb,
Bürgerschaft, sei es sonst erlaubt, daß ein jeder nach eigenem
Gefaileii die Freiheit des Weitisdietikefis und df^eti Verkaufs
in Kleinigkeiten sich anmassen durfte^ ohne dafür dem pnhlico
eine gehirliche Eef^gnition m rrlegenj insonderfmt dergleichen
Schenken und Vtreapßmg allMer m die^t^ guten Stadt m
stark geiriehen ivirdy daß dahero atteh die Brmwr sich der-
halien öftef^H zii bescfiwereti Geiegefiheit gefionijjiefi und, weil
die Leute tkm Wein fast umhlfeiler als dm Bier frinl^f^i,
diesem den Abbrudi der ukralten Brmi^Naltrung und (Moffe
nicht ohne allefi Gh'mid mit heg gemessen hahmi. Dem Wein-
handel werde mit der vorgeschlagenen Konsum-Abgabe kein
Abbruch geschehen^ und die, ivelvhe dm Vermögeti habmj
Wein zu Mneken, würden ebensowenig als die^ die ihn ver-
zapften und in kleinem verkauften, heg ihren stadfkimdig
gesegnetmi großen Verdiemt ffraviri m segn m'adäen kmmcn.
Im einüelnen wunle in dem Entwurf vorgesehen, daß
nun von jedem Hause ete., wo Wein verzapft wurde, jährlich
25 — 150 Taler Courant bezahlt werden sollten j und zw^ar
nach 4 Klassen 25 bezw. 50, 100 imd 150 Taler.
Die Weinschenken imd Zapfer sollten ein ihr Geweibe
deutlich kimd gebendes Zeichen — eine Traube oder ein
Weinglas — vor ihrem Ausschank führen, ebenso die Wein-
händler, die in kleinen* Quantitäten verzapfen wollten, ein
anderes Zeichen, das ihren Unterschied von den übrigen
Weinhändlem imzweideutig vor Äugen stellte* (Art, 1, 2.)-)
Jeder Weinhändler, der innerhalb der Stadt und ihres Gebiets
Wein in Flaschen und kleinen Gefäßen unter Vi Oxhoft ver-
kaufte oder verabfolgt«, soUt-e dafür jährlich 150 Taler
zahlen. (Art. 3.) Gegen letztere Bestimmung waren natürlich
besonders die Großhändler^ denen^ nachdem sie schon bei
Die Oberalten hatten dagegen eingewandt, man möge nur die Wein-
hljidkr^ die sitzende Gäste hatten^ zur Fuhniug solcher ttuüeren Ab-
Keichen verpÜiehfcen ; der Rnl liiitte auf seiner Ansicht bestanden^ daß,
ipic ohnedem dtrffieicken Zechen gthräueMich sind und rar alle
Weinschenken von jehero ajff'iffiret worden, also golchfi^ (kstomehr hty*
zubehaiien «c^, damit keine heimliche Schenken *»t:A einnchleivhen,
iondem die prittilegirte man mfori erkennen und die Defraudankn
entdecken könne.
■
Weinakzise und Weinhaiidel in Hamburg. 105
der Einfuhr von Wein die Einfuhrabgäbe zahlen mußten,
nun auch noch beim Verkauf in kleineren Mengen eine
Konsumakzise auferlegt wurde.
Schon am 27. Juni beschäftigte sich der Ehrbare Kauf-
mann mit der Sache; den Kommerzdeputierten war zwar das
Projekt noch nicht vom Rat mitgeteilt; aber was es enthielt,
war offenes Geheimnis, und die Vorstellung, die im Auftrage
des Ehrbaren Kaufmanns die Kommerzdeputierten am 9. Juli
dem Rat überreichten, zeigt, daß sie über den Inhalt des
Projekts gut unterrichtet waren. Nachdem, so legten sie dar,
im Jahre 1706 die allgemeine Akzise eingeführt sei, könne
selbstverständlich von einer außerdem aufzuerlegenden Kon-
sumabgabe nicht mehr die Rede sein. Eine Auflage von
150 Talern jährlich müsse den Wein verteuern imd treibe
namentlich die kleinen Konsumenten in die Nachbarschaft,
wo der Wein billiger sei. Femer würden junge, angehende
Kaufleute, die mit Wein handelten und nicht gleich Groß-
händler sein könnten, sondern auf den kleinen Betrieb sehen
müßten, durch solche Auflage abgeschreckt, sich dem Wein-
handel zu widmen. Der Weinhandel im kleinen werde sich dann
beschränken auf 6, 7 oder 8 Personen, da sonst kein Weinhändler
in kleinen Partien in der Stadt 10 — 20 Oxhoft absetzen
könne. Durch diese Einschränkung der Händler werde aber
auch der Konsument in der Auswahl der Weine beschränkt
und naturgemäß darauf verwiesen, sich selbst seinen Wein
aus Frankreich kommen zu lassen. Diu-ch alles dies werde
aber jedenfalls der Zweck, den Ertrag der Weinakzise zu
steigern, nicht erreicht.
Der Rat kümmerte sich aber um diese Vorstellung nicht
und beantwortete ein abermaliges Gesuch vom 15. August mit
dem Bescheid: es wäre eine Stadt-Sache, die mit denen Ober-
alten und Collegiis tractiret würde, umb nach der BürgerscJiaft
m gellen. Es knüpfte sich hieran noch eine Erörterung, in
der der Rat seine Verpflichtung, hierüber mit den Vertretern
der Kaufmannschaft zu verhandehi, bestritt. Dies ist einer
der wenigen Fälle in der Geschichte der Kommerzdeputation,
in denen der Rat ihre Mitwirkung bei Vorbereitimg gesetz-
licher Maßnahmen entbehren zu können glaubte. In allen
106
Enist BäAscU,
diesen Fällen ist für diese Haltung neben pei*sönlichen Gründen
meist die Erw^ägung maßgebend gewesen, daß der Widerstand
der Kommerzdeputiert^n die geplante Maßregel, ehe der Vor-
schlag an die Bürgerschaft gelangte, vereiteln möchte*
Was die Weinakzise betraf, so drang doch dei* Wille
des Ehrbaren Kaufmanns durch. Die Kommerzdeputierteu
bewirkten durch ihre Eingaben bei den Kollegien der Ober-
alten und der 60 cr^ daß das Pi'ojekt nicht weiter verfolgt,
ja nicht einmal an die Bürgerschaft gebracht wurde. Die
Befürchtung, die der Rat im Jahre 1706 ausgesprochen, daß^
wenn einmal die reine Kansumakzise aufgehoben sei, man sie
schwerlich wieder einführen werde, hatte sich bewahrheitet*
Eine Reihe von Jahren ist es still über die Weinakzise.
Von dem im Jahre 1727 eingefiihrt^n allgemeinen Transite,
d. h. der Zollfreiheit aller nur durchgehenden Güter, waren
neben Holz und Kom auch Wein, Branntwein und Essig
ausgenommen; doch beschränkte sich diese Ausnahme nur
auf Weine usw., die nicht wirklieh schon vor ihrer Ankunft
nach anderen Orten bestimmt waren; solche Weine konnten
also auch weiter zollfiei passieren, während die Weine usw*,
die erst nach ihrer Ankunft hier verkauft wurden und dann
weiter gingen, die Trausitofreiheit nicht genossen/)
Im übrigen machte man mit der Weinakzise auch weiter
die Erfahnmgen, die man in den letzten Jahrzehnten seit
der Refoim von 1706 gemacht hatte. Die Erträge schwankten
stark. Die kleinen illegitimen Weinzapfer und Weinverkäufer,
namentlich Schiffer imd Wein-MutUr-PtesserBf^ die nicht wie
die Weinschenken, die sitzende Gäste hatten, auf einen be-
stimmten Akzisebetrag taxiert, waren» sondem nichts der-
gleichen bezahlten, schädigten nach wie voi- nicht nur die
ordentlichen Weinschenken, sondem auch die Einkünfte der
Akzii*e. Auch manche angesehenen Privatleute, die sich ihren
n Vergl KLEi-'EKER XU, S, 607.
^) Diesen Ausdruck ^brauclit eme Ratsrelation Tom 24. April 1741,
Gemeint sind dauiit diejenie:en^ die aus der Weinmutter (— Moder,
Hefe) Wein bereiten oder, wie esj in derselben Relation beißt, von
der Mutier ihn pressen. Auch der Ana druck Drutt^tresifer (Trauben*
presser) kommt vor.
.&,
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 107
Wein in kleineren Partien direkt aus Frankreich kommen
ließen und ihre Familie und Freunde auf solche Weise damit
versorgten, entzogen einen Teil des Stadtkonsums der Akzise,
während die Weinhändler durch solche direkten Bezüge be-
nachteiligt wurden. Hauptsächlich das finanzielle Interesse
bewog dann den Rat im Jahre 1741 dazu, abermals einer
Reform der Weinakzise näherzutreten. Er plante *) zuerst eine
Verdoppelung der Akzise für alle einkommenden Weine usw. ;
um aber den legitimen Weinhandel nicht zu sehr zu be-
schweren, sollten die Weinhändler für alle verakzisierten
Weine usw., die von ihnen von Hamburg nach auswärts oder
in Hamburg an andere Kaufleute verkauft wurden, die Hälfte
der erlegten Akzise rückvergütet erhalten. Anker und halbe
Anker sollten hierbei nicht gerechnet werden. Auch wurde
erwogen, die Privatbezüge von Wein und die kleinen
illegitimen Zapfer dadurch zu treffen, daß alle, die weniger
als 50 oder 25 Oxhoft einführten, von jedem Oxhoft fran-
zösischen Weins statt 2-^:2 Taler, also das Dreifache,
zahlen sollten.
Was der Rat schließlich der Bürgerschaft am 27. Juli
1741 vorschlug, war aber doch mäßig hiergegen; es wurde
vorgeschlagen eine Erhöhung der Akzise für Wein usw. ohne
Unterschied der Gattung um 8 /J, während bisher der fran-
zösische Wein 1 Mk. gezahlt hatte; femer eine Erhöhung
der Akzise auf Cideressig um 6 /{ ; alles zum Versuch auf
2 Jahre. Trotz der schlechten Finanzlage der Stadt lehnte
die Bürgerschaft dies rundweg ab. Der Rat gab seine Pläne
damit aber nicht auf. Im Oktober 1744 beauftragte er den
Syndikus Surland und die Ratsherren Brokes imd Otte, zti-
sammemutreten und die rationes pro et contra in Ueherlegung
zu nehmen, oh eine Art von einer Consumtions-Taxa füglidi
auf den Wein gdeget werden könne.
Die Sache scheint aber nicht weiter ernsthaft verfolgt
zu sein. Doch wurde im Jahre 1752 in der Kämmerei über
eine Reform der Weinakzise beraten; die Nähe Altenas schien
gegen eine stärkere Belastung des Weins zu sprechen. In
In der oben enväliuten Ratsrelation.
108 Einet Baa^cK ^^^Hi^^^l
den nächsten Jahren spielt in den Er^rtenmgen, die zwischen
dem Rat und den Kommerzdeputierten über die Zollsache
gepflogen wurden/) auch die Weinakzise eine Rolle« Die
Deputierten schlugen am 20. Oktober als Äquivalent für ZoU-
einnahmen^ die man preisgeben wollte, u, a, eine Akzise auf
Lebensmittel und zwar fiirnernlkh auf tlen Wein vor; am
L März 1762 wiederholten sie diesen Vorschlag; es sei den
BemiUelten eine Auflage o^f Wein und andere etdbehrlivhe
Waarmf den Oeringen aber eine Erhöhung der Matten odei'
eine Verdoppelung der Vieh-Äcdse usw. aufzuerlegen» Nur
die Aussicht imd Hoffnung, daß mit den Zöllen erheblich
aufgeräumt werde, hat offenbar den Koraraerzdeputierten
diesen Vorschlag, den Konsum m besteuern, eingeben können;
imd nie mußten sich von der Kämmerei*) sagen lassen^ daß
der Wein wohl kaum beg jetziger Lebetisart zu den enthehr-
Ikheti Siidmi f/crerknet werden hönney da diem9 Oeiränke Jmt
durchgeliends in die Stella des Biers getreten üt.
Noch ein anderer Gnind sprach gegen eine stärkere
Belastimg des Weins* Man verhandelte damals mit Frank-
reich wegen Wiederherstellung eines Handelsvertrags.^) Frank-
reich forderte volle Gleichstellimg mit England, namentlich
begehrte es für seine sich in Hambiug niederlassenden Kaiif-
leute dieselben Vorteile, wie sie die Kaitfleutc der englischen
Coiu^t hier genossen. Wollte man diesen und anderen
Forderungen Frankreichs sich entziehen, so diuite man es
nicht reizen durch Erhöhung der Lasten, die auf einem der
wichtigsten französischen Produkte ruhten; man mußte so-
gar eher auf eine Herabsetsomg dieser Belastung denken.
Der BevoUmächtigte Hamburgs in Paris schlug im Jahre 1761
in dieser Erwägung euie Verminderung der Akzise auf Wein,
Branntwein und Essig um die Hälfte vor; der Verlust werde
etwal6— 18 000 Mk. betragen, sei aber geringfügig, wennnuiu
dagegen den genannten Foi-derimgen der Franzcjsen entgehe.
Auch die Kämmerei ver\\ies die Kommerzdeputierten auf
dies Bedenken und meinte, man solle nicht offmhar und
') Ich behalte mir vor, llber sie an anderer Stelle zm berichten.
^) 19. Januar 17ö3.
^ Vergl Bäascu, Quellen ubw. H. 1, S. 114 ff.
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 109
eigentlich, sondern nur unvermerkt gelegentlich der Erhöhung
des Zolls auf Tee und Kaffee auch die Weinakzise erhöhen.
Die Kämmerei war um jene Zeit die Behörde, die am
energischsten darauf drang, den Wein mehr als bisher zu
belasten. Ganz unrecht hatte man ja nicht, wenn man be-
dachte, daß das Oxhoft Bier mit 4, das Oxhoft Wein mit
nur 1 Mk. Akzise beschwert war. Prozentual ergab sich
folgende Belastung:
Das Hamburger Bier war beschwert bei
einem Wert von 8 Mk. per Tonne mit 36V« Prozent
Französischer Wein, das Oxhoft zu 20 Talern, mit 1 Vs ,,
Weizen zum Backen, die Last zu 100 Talern
(die Übermaße abgerechnet), mit ca S^js „
Roggen zum Backen, die Last zu 60 Talern, mit 16V8 „
Rindfleisch mit ca 6Vi „
Danach schien der Wein allerdings eine höhere Be-
lastung wohl vertragen zu können. Auch das Bedenken
der Nähe von Altona traf nach Ansicht der Kämmerei nicht
zu; auch in Altona hatte man für jeden eingeführten Wein
4 Mark Akzise zu zahlen; bezogen die Altonaer den Wein
aus Hamburg, so hatten sie überdies noch den Schauenburger
Zoll und die Transportkosten zu tragen; schwerlich konnten
die Altonaer den Wein billiger ausschenken als in Hamburg.
Aber wie wollte man die Weinakzise in Hamburg ein-
richten, ohne den Weinhandel zu schädigen, was kein ver-
ständiger Mensch wünschen konnte? Nach den Darlegungen
des Kämmereibürgers F. N. LÜTJENS,^ der sich sehr ein-
gehend mit dieser Frage beschäftigt hat, ließen sich die
hamburgischen Weinhändler in 5 Klassen teilen:
1. Kauf leute, wdcJie, wie andere Wahre, also auch Weine pei'
SpeaUation für ihre Rechnung verschrieben und engros
oder hey OxJiofden an Weinhändler, Tappers oder, was
den roten Wein betrifft, auch zum Hausgebrauch an
Particuliers verkaufen; ja sie werfen den weißen audi wohl
auf Stücken und pfuscJiern so gut damit, wie sie können.
^ Promemoria, am 19. Oktober 1764 der Kämmerei vorgelegt, i
29. November verlesen.
HO
Ernst Baäsch,
2, Kaufimte, wddien Weifw in Commmion gmandt tmnlen^^
die verkanfe^i soIrJie a/n andere oder an sich selbst^ imd
da gehts im leMern Falle eben ime vorhin-
3, Äfkrhand Lmtfe, wdelie ^tm eiffermi Cojmmw vtm ihrem
Lager tiehmen oder von andern hier kanjm oder aueh 1
tmd meJirere Oxkofdefi Biim Haus-Gebraudt vm^'^chrmlmi,
4, Qroß-Weinhändler, weirJie iausefide von Oxhofden auf
Stüekmi liegen haben tmd grüßen Yetl'efir damit nach
Außen treibefij dennoch aber aurJt bey fMlwfdmtf Ohmefu
Anker und Bonteiüen, es sm/ zum Versetiden oder mim
himgen Cormimo nicht nur an Tappern, smidern amh an
andere ßilrger-Leat^ verkmtfen^
5, Haben wir hier ^dtr woldltabe^uk Weinschetickerj die
sitzende OtUie hahm, dennoch aber große Lager halfen und
mti^t füM ehensö, wie ifei efivehiie Wein-Händler ^ wa^ den
Debil anbetrifft, zu cmmderirefi muL
Niemand von diesen, so meint« Lütjens, wolle mch
von mner NaJirung wah' nehmen lassen; Haus- imd Keller-
visitation wolle sich niemand unterwciien. In gewisse
Kategforien sie zii bringen, sei ganx vergebliche Arbeit
Andererseits müsse die un.ierm Commerciö so notwe^iAige Ex-
portation ai{f' alk Art und Weijse beordert tmd tvie ein Aug-
apfel, betvahret werden. Wir wiiren ilbel daran, wann miser
Wein-Handd nur ein Commerce de luxe bliebe. Die friiber
vorgesehlagene Riickakzise venv^arf Lütjens als 2U um-
ständlich und zu kostspielig; welche Pratiquen und Unter-
siMetfe^ weldie Wassermi^chmig mußte man nicht befürchten^
die der ExportaHon einen tödlichefi Stoß beg})ringen köfiten.
Dagegen nahm Lütjens ausdrücklich den Kaufmann in
Schutz und bekämpfte die Ansicht, der Kaufmann iibervar-
teiU (dlemal dm Staat; nirgends in der Welt werde der Zoll
weniger defraudiert als hien
Positiv machte LÜTJENS folgende Vorschläge: die alte
Taxe von 1 Mk, müsse bleiben^ weil sie gleichmäßig auf allen
Weinen ohne Ausnahme liege; wegfallen müsse die Abgabe
von 25—30 Mk., die ein Weinschenk jährlich fitr die Taxe
gebe. Dagegen müsse eine Additional-Konsumakzise für Wein
und Branntwein eingeführt w^erden, nämlich 2^^ Taler pro
^
Weinakzise and Weinhandel in Hamburg.
111
I
N
iott oder Vi SchilL pro Quartier, für Essig l Schill, pro
tbchen. Der Branntwein, der schon jetzt eine hohe Akzise
zahle, dürfe mehr nicht belastet werden; kh möchte nlvM gern
dem fferingmi arbeitsamen Manne sein iiotwendige^ Labsal gar
gu thetier machen. Bei den ca, 20 000 Oxhoft. Wein und
Branntwein, die jährlich in Hamburg konsumiert wui-den,
werde jene Akzise schon eine hübsche Einnahme gewähren,
ohne den Konsum zu Yerringem. Exemtionen der Geistlichen,
Fremden usw. von der Akzise müßten aber aufhören,')
Die Kämmerei trat diesen Vorschlägen im wesentlichen
bei. Im Eat hatte der Referent, Syndikus Klefeker, manche
Bedenken; er fürchtete namentlich die Opposition der Kommerz-
deputierten, für die jetzt nicht mehr, wie im vorigen Jahr-
zehnt, eine Konsumakzise sich empfehlen werde als Äquivalent
für die damals erstrebte Herabsetzung der ZöUe, Der Rat
trat doch der Kämmerei bei^ imd es wurde eine neue Wein-
akzise-Ordnimg ausgearbeitet.
Der neue Entwurf^ hob für die auf Transito angegebenen
Weine usw. den bisherigen Zoll und die Akzise auf und er-
laubte sogar ihre AuffüUuug ohne Beisein der Beamten. Doch
hatte jeder seine Angaben über solche Auffüllungen in ein
Buch auf dem Weinakzise-Kontor einzutragen. Es wiu^de
ferner allen Weinhändleni, Weinschenken und Zapfem Handel
und Verkauf im großen und kleinen freigegeben und die
bisherige Zahlung für die Freiheit des Verzapfens an sitzende
Gäste aufgehoben. Man nahm an, daß die Bürger jetzt nicht
mehr so viel wie früher zum Abendtmnk in die Schenke gingen;
der LeutCj die sitzende Gäste hatten, waren weniger geworden ;
dagegen hatte der Konsum zugenommen; man trank eben
mehr Wein in den Häusern, Aus diesen Gründen und auch,
weil es unbillig schien, den meist wenig bemittelten kleinen
*) Nach RatsbeächluB vom 28. November 1729 genoBsen auch die Witwen
frrmbder Qencrah- Mnd Stande^ersonen die Acdsefreihdi fjkich als
bey Lebzeiten ihrer Männer.
*) 9p in BeÜAge lY den Plan. Der eigentliclie Entwurf enthielt noch eüie
Reihe 7on sehr umständlichen Bestiinmiingen Über die Kontrolle uaw. ;
die Art. 6 — 16 finden sich in den Acta Conv. Sen. et Civ. 1772,
März 23.
112 Ernst Baasch,
Weinschenken noch die Zahlung für die Zapffreiheit abzu-
nehmen, wollte man jene ganz aufheben. Weinhändler und
Weinschenken gab es in Hamburg ca. 220, von denen 100 je
30, 50 je 50, 140 je 25 Mk. zu zahlen hatten. Diese 9 000 Mk.
fielen also aus. Dafür sollte aber von allem in der Stadt und
ihrem Gebiet konsumierten Wein und fremden Branntwein
für das Stübchen 2 Schill., von fremdem Essig 1 Schill, er-
legt werden. Diese Zahlung hatte stets der letzte Verkäufer
zu entrichten, also nicht der Konsument, und nicht nach einer
Taxe, sondern auf Eid und Gewissen.
Endlich wurde die Taxe der Weine den neuen Verhält-
nissen entsprechend mehr spezialisiert und umgearbeitet, wobei
die Unterschiede uni Eigenart der einzelnen Gebinde berück-
sichtigt wurden.^) Im allgemeinen waren die Sätze aber
durchgängig gegen die frühere Taxe herabgesetzt, die fran-
zösischen Weine teilweise bis zu 8 Schill.; nur die teuren
spanischen Weine, die übrigens jetzt weit weniger getrunken
wurden als fi-üher, behielten im wesentlichen ihre alte Taxe.
Bei dem weitaus alle andern Weine überragenden Konsum
der französischen Weine und Branntweine — von Frankreich
wurden im Jahre 1760 eingeführt und verakziset 35560 Ox-
hoft, die nach Abzug der 10 Prozent Leckage 32 161 Mk.
Akzise brachten — spielte nui- die Reduktion der Akzise
auf diese Weine eine Rolle. Abgesehen von dem Abgang
der 9000 Mk. für die Zapffreiheit wurde der Abgang an der
Akzise auf französische Weine, Branntweine und Essig auf
etwa 21 000 Mk. geschätzt.
Was die deutschen Weine betraf, so war die Stadt
durch den Ratsweinkeller im Hauptbesitz des Handels mit
diesen Weinen; eine Reduktion oder Erhöhung der Akzise auf
sie war ziemlich irrelevant; was die Stadt hier an Akzise
mehr zahlte, verdiente sie andererseits weniger. Die Akzise
blieb deshalb unverändert.
Der Entwurf fand die Zustimmung nicht nur der Kommerz-
deputierten, sondern auch der Oberalten. Erstere hielten frei-
^) Die dem Plan beigegebene Taxe ist in der Hauptsache das Werk des
schon genannten Lütjens.
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 113
lieh die Herabsetzung der Taxe nicht für durchaus nötig, da
sie den Handel und die Schiffahrt nicht beeinflusse; dagegen
begrüßten sie mit Freude die für Wein einzuführende Tran-
sitofreiheit, während sie meinten, daß die kleineren Partien
unter einem Oxhoft, die wieder ausgeführt wurden, wohl eine
kleine Eonsumabgabe entrichten könnten. Der Plan scheiterte
aber schließlich an dem Widerspruch des Kollegiums der 60 er.
Diese*) leugneten nicht, daß der Wein bisher wenig belastet
sei, meinten aber, eine neue Eonsumakzise passe nicht in die
Verfassung hinein; die Ausführung werde zu unvermeidlichen
Meineiden führen; die Fremden würden den Wein aus der
Fremde verschreiben; den kleinen Weinzapf em würde die
Nahrung entzogen werden; die Herabsetzung der bisherigen
Akzise und die Aufhebung des Zolls werde dem Handel
wenig nützen, dagegen die Stadtkasse schädigen.
Mit diesem Einspruch war die Sache vorläufig wieder
erledigt. Aber die steigenden Finanznöte der Stadt zwangen
doch bald wieder, auch auf diese Einnahmequelle zurückzu-
kommen. Das Projekt von 1765 ward wieder herbeigeholt
und trotz der Bedenken der Oberalten, die es für zu kom-
pliziert und für die Ausführung unpraktisch hielten,*) abermals
an die Büi'gerschaft gebracht. Diese lehnte am 23. März 1772
den Plan nicht direkt ab, verlangte aber einen einfacheren
Plan. Der Rat beauftragte nun die Ratsherren Clamer, Schulte,
von Graffen und Ritter mit der Ausarbeitung eines ein-
facheren Projekts, wohey nach wie vor das Principium zum
Orunde gelegt verbleibe, dem Weinhandel keinen Eintrag zu
Oiun, sondern ihn vielmehr nach Möglichkeit zu favorisiren.
Die Sachlage hatte gegen 1765 sich nun doch sehr ver-
ändert. Die finanziellen Schwierigkeiten der Stadt hatten sich
derartig vermehrt, daß man an eine Reduktion der Weinakzise
nicht mehr denken konnte. Die Oberalten schlugen eine
Eonsumakzise von 5 Talern, also 15 Mk., auf das Oxhoft vor.
Dagegen erhob sich nun freilich sofort von innen und von
außen die Opposition. Das Amt der Weinverlasser und die
Beschluß vom 29. Januar 1766.
^ Beschluß vom 19. Februar 1772.
Zteelor. d. Vereins f. Hamb. Gesch. Xm.
114
Einst BaascK
Weinhändler vereinig^ea sich bereits am L Apiü zu einer
gemeinsamen, von 30 Namen ^) unterzeiclineten Eingabe aii
den Rat, in der sie die Kümmernisse, denen der Weinhandel
unterworfen sei, schilderten und sich gegen die Erhöhung der
Wemakzise auf 7 Mk. 8 Schill. — den Plan der Erhöhung
auf 16 Mk. scheinen sie nicht gekannt zu haben — wandten,
Sie beklagten mit gmkhrtem Herzm die Notwendigkeit, in die
der Staat versetzt seiy neue Einnahmen zu suchen^ meinten
aber, daß KatEee, Tee, Wildpret, Austern usw. sich als
Steuerobjekte viel besser eigneten als der Wein usw.
Diese Einrede scheint zunächst kaum beachtet worden
zu sein. Wirksamer hingegen war der Einspruch, der von
selten Frankreichs erfolgte. Schon bei den friilieren Ver-
handlungen über die Weinak^isc hatte man ja des öfteren
die Befürchtung vor einer Einmischimg Fi-anki^eichs in diese
Angelegenheit ausgesprochen; eine solche Einmischung war
bisher nur einmal, 1724, erfolgt. Nun wurde Ende Mai
seitens des französischen Gesandten Baron de la House
gegenüber dem Syndikus Faber eine direkte Warnung vor
der Einführung einer Auflage auf Wein ausgesprochen, da
der französische Hof eine solche sicher sehr übelnehmen
werdej und der Weiterbestand des erst im Jahre 1769 ab-
geschlossenen Vertrages dadurch stark gefährdet werden würde.
Aus den weiteren Unterredungen mit dem Gesandten erhielt
der Rat jedenfalls den Eindruck, daß man eine Weinkonsum-
akzise vorläufig nicht weiter betreiben dürfe, wollte man
nicht wirklich des mühsam errungenen Handelsvertrags wieder
verlustig gehen. Bereits am 22, Juü gab deshalb der Rat
*) Es waren dies: Gottlieb Balthasar Ni^nchen; Jacob Stephan Becker;
Mich. Harmensen für mieh u. ah letzter Deputirier des iübl, Amtsi
der Weifiverlmser ; Caapar Diederich Wetter; Vincent Mimdt ; DiedericU
Jürgen Pries; Stephan Phil, KJapmeyer; Jacöb WiUL Lenfer; Peter
JoacJum Wolters; Erdmaim Mundt; Johann ürooten; Georg" Herai,
Miindt; Georg Emr. Busch; Nicolana Gerckens; Job, Benedict Uter-
marck; Carl Sack; Caspar yonLengerke; Andreas Lucas Löckennann;
Fr. Diedr. Bortheau; Georg Caspar Enderea; Ernst Gottlieb Krohn-
berg; Heinr. Conr. Richter j Hinr, tTill; Nicolauä Andreas Frauenstein:
Hinr, Schröder; Kicol. WunderUcb; Hinr* Lor. Hejer^ Joh* Valentin
Meyer; Berend Job. Rodde; Job, Jacob Berkenbotit
■
Weinakzise und Weiuhandel in Hamburg. 115
den 60em zu erkennen, daß er die Einführung der Weinakzise
nicht mehr empfehlen könne; den Hauptgrund — die Fuixht,
Frankreich zu verletzen — führte er nur vorübergehend an
und motivierte seine ablehnende Haltung namentlich mit rein
technischen Gründen, Bedenken wegen der Defraudationen.
Auch der Bürgerschaft gegenüber wurden am 16. November
diese letzteren Gründe angeführt. Als die Bürgerschaft aber
auf der Weinkonsumtionsabgabe sehr entschieden bestand,
legte der Rat am 27. November den 60em seine Oeheime
Bewegungsgründe^) dar und bat die 60er um ihre Mitwirkung,
die Bürgerschaft von weiterem Drängen abzuhalten. Am
15. März 1773 stimmte endlich die Bürgerschaft dem Rat,
obwohl ungern, bei.
Die Furcht des Rats könnte uns übertrieben scheinen.
Das war sie aber doch nicht. Mindestens hätte ein Schritt,
wie die Einführung einer solchen Auflage Frankreich zu
irgend einem Gegenzug, irgend einer Schikane veranlaßt, wo-
durch die finanziellen Vorteile der Auflage stark herab-
gemindert worden wären. Schon wenige Jahre später stieß
man auf ähnlichen Widerspruch. Im Kollegium der 60 er kam
man im August 1775 auf jenen Plan zurück; man bezeichnete
die Befürchtungen, die an die Äußerungen des Gesandten
geknüpft waren, als übertrieben und meinte, verständige Vor-
stellungen würden den französischen Hof überzeugen, daß
eine Auflage von 6 Pfennigen auf die Flasche Wein nicht
geeignet sei, den Konsum zu verringern.
Infolge dieser Anregung trat man der Frage wieder
näher, was denn aber auch sogleich bewirkte, daß
de la House Anfang Februar 1776 dem Syndikus Schuback
seine UnzuMedenheit über die neuen Weinkonsumtionspläne
kundgab. Der Rat war übrigens entschieden gegen die
weitere Verfolgung der Sache; in seiner Mitte bestand die
Ansicht, daß von einer Präjudizierung der Autonomie der
Stadt nicht die Rede sein könne; der Geist des Handelsvertrags
von 1769 spreche gegen die Einführung einer solchen Abgabe
ohne Zustimmung Frankreichs. Wenn man Bremen anführte,
*) S. Beilage V.
116 ^^^^^V Dmst Baasch. ^^^^^^^H
das doch auch Weinhandel mit Frankreich hatte und gleich-
zeitig eine Weinkonsurasteuer besaß, so war die Stellung
Bremens gegenüber Frankreich doch eine andere* Für Bremeü
war noch der alte Vertrag mit Frankreich von 1716 in Kraft ^
es besiiß keine englische Court, die st^ts Frankreichs Eifer-
sucht erregte.
Da aber die 60 er auf ihrer Ansicht von der Ausfilhr-
barkeit der Sache bestanden, so verhandelte im Februar 1777
Syndikus Schuback mit de la House. Dieser verhielt sich
aber vollkommen ablehnend und erklärte, die französischen
Handelsstädte würden alsbald Lämi machen. Auch in Lübeck
habe man eine solche Auflage machen wollen, auf Vorstellung
der Kaufmannschaft aber davon abgesehen. Auch seien an
ihn schon Anträge ergangen in der Richtimg auf einen Traktat
mit Dänemark zugunsten Altonas. Der Handel Frankreichs
mit Hambmg leide schon infolge der vielen hiesigen Fallis-
semente. Wolle man direkt in Paris anfragen, so werde die
Antwort wahrscheinlich lauteUj Hamburg könne ja tun, was
es wolle; doch würden wohl Gegenmaßregeln gegen Hambm-g
ergiififen werden. Der Gesandte zeigte auch Schuback die
an ihn im Jahre 1772 ergangenen Briefe der französischen
Regiemng, und Schuback konnte sich überzeugen, daß diese
an Schärfe nichts zu wünschen übrig ließen»
Infolgedessen stand man nun von weiteren Schritten ab;
der hanseatische Agent in Paris, d'Hugier, faßte allerdings
die Sache nicht so bedenklich aufj glaubte auch nicht, daß
der Hof viel Wesens machen werde aus der Einführung einer
Weinkonsumabgabe. Der Rat zog es doch vor, die Sache
ruhen zu lassen, womit denn auch die 60 er einverstanden
waren.
Merkwürdig ist es nun aber, daß man noch in dem-
selben Jahre, in dem man eine finanzielle Bela.stung des Weins
geplant hatte, dazu schritt, den Weinhandel in freiere Bahnen
zu lenken. Die bereits im Jahre 1772, wie erwähnt, laut-
gewordenen Klagen der Weinhändler hatten doch gezeigt,
daß man dieser Branche des Geschäfts auf rationelle Weise
m Hilfe kommen mußte. Der hambujgische Weinhandel
ohne Frage im Rückgang begriffen; namentlich hatte
^
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 117
auch die Spedition der nach anderen Orten bestimmten Weine,
Branntweine und Essige sich zum größten Teile von der
Stadt gewandt, meist nach Altona. Die Abnahme des Wein-
handels war nun 2um Teil die Folge der Tatsache, daß die
französischen Häfen jetzt direkte Verbindungen mit Gegenden
hatten, mit denen sie früher nur über Hamburg verkehrten,
so mit den Ostseehäfen, Skandinavien, Rußland. An dieser
Tatsache und ihren natürlichen Folgen ließ sich schwer etwas
ändern. Wohl aber ließ sich die Spedition wieder an die
Stadt ziehen. Wie oben erwähnt, waren Wein, Branntwein
und Essig von der 1727 eingerichteten allgemeinen Transito-
freiheit ausgenommen; sie zahlten Zoll, auch wenn sie wieder
ausgeführt wurden. Beseitigte man dies, hob man diesen
Zoll auf, so war zu hoffen, daß die Spedition von Wein sich
wieder heben werde, was denn auch dem Kommissionshandel
schließlich zugute kommen mußte.
Der Entwurf von 1765 hatte bekanntlich die Einführung
der Transitofreiheit für Weine usw. vorgesehen. Er war
nicht angenommen worden, und der Weinhandel hatte in-
zwischen weitere Einbußen zu beklagen. Am 5. Juni 1776
hatten deshalb die Kommerzdeputierten die Transitofreiheit
für die durchpassierenden Weine usw., d. h. die Aufhebung
des Zolles und der Akzise für diese Weine usw., beantragt.
Der Rat ging darauf ein; sein Antrag an die Bürgerschaft
ward am 27. November 1777 von dieser genehmigt. Wie
vorsichtig aber und wie ängstlich man beflissen war, alles
zu vermeiden, was Hamburg in den Ruf setzen konnte, als
ob es bestrebt sei, einen Handelszweig zum Nachteil anderer
an sich ziehen zu wollen, lehrt die Antwort, die der Rat
den Kommerzdeputierten, die um Veröffentlichung jenes Be-
schlusses baten, gab; er lehnte die Veröffentlichung ab, um
unseren Nachbarn nichts in den Mund zu legen, was uns nacfi-
theüig seyn könnte, Den Weinhändlem war damit überlassen,
selbst für die Verbreitung jenes Beschlusses Sorge zu tragen.
Die Finanzlage der Stadt führte doch stets wieder auf
die Weinkonsumakzise zurück. Andererseits bestanden die
Auch in der Sammlung der Hamb. Verordnungen usw. von AndersO
feUt der Beschluß.
118
Eniflt fiaasch,
alten Bedenken weiter fort, ünö Frankreich hielt stets sein
Augenmerk auf diese Frage geriehtet. Als Hambui*g im Jahre
1788/89 mit Frankreich über die Emeuermig des Ver-
trags von 1769 verhandelte, war die Hauptbedingung Frank-
reichs, daß Hamburg weder direkt noch indirekt irgend eine
neue Auflage auf französische Waren legen dürfe, ^ Der
Rat sah freilich bald, daß diese Forderung lediglich auf die
Weinkonsumtionsakzise ziele, und beruhigte deshalb in einer
Note vom 2. März 1789 den Gesandten Bourgoing,') Doch
wurde in der Konvention, die über die Verlängerung des
Veiirags abgeschlossen wurde, diese Frage weder speziell
noch allgemein berührt*
Nicht am wenigsten die Rücksicht auf Frankreich war
es denn auch, die die seit langer Zeit notwendig gewordene
Revision derWeinakziseordnimgvon 1706 verhinderte. Nament-
lich war es dringend nötig, das Verhältnis der Maße zur
Weinakzise zu regeln; es war so weit gekommen, daß Stücke
Wein, die aus Cette kames, 70 — 90 Viertel enthielten, aber
als V» Stück verakzist wurden, während Va Stück sonst auf
30 Viertel gerechnet wurde; beim Branntwein herrschten
ähnliche Mißstände* Auch hieran mochte man aus Rücksicht
auf Franki'eich nicht rühren. Ein guter Kenner dieses Landes,
Gr. H* Sieveking, war damals der Ansicht,^) daß Frankreich
durchaus nichts gegen eine Weinkonsumakzise haben werde.
Die Notw^endigkeit, Finanzquellen zu schaffen, und die (Tber-
zeugimg, daß der Wein bluten könne, ließ die Frage nicht
zur Ruhe kommen. Als Syndikus Doormann sich im Sommer
1802 in Paris aufhielt, sondierte er hier die französische
Regierung über diesen Pimkt, Der Erfolg scheint nicht un-
') VergL Baasch, Quellen, Heft 1^ S- 161-
^ Es heilt daselbst: qae le S^nat ait pour h präsent la müindre in-
tention (k mettre un impot de consQtnmation mr aucunes d«
marchandise^ et denrSes de l^imporiation de Franc«; totd au contraire
U prometf qu* au cm qu%ne pareiUe imposition put jamaü avoir
iiefij ks ini^Üi de la France serimi mma§is k plus qne pondblt.
Föur ftiire prcuve. de cette intenthn iineuie, il se demie de l impot
de cojisomniatmi sntr ks vina autre/QVS pr&jeUf jusqu^ ä cc que la
Cour de. France y domura «öh ac^iescement
*" Au Beinen Bruder^ Syndikus Sieveking, 1795 Febr. 16.
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 119
günstig gewesen zu sein; denn der Senat beantragte wirklich
im Jahre 1804 eine Weinkonsumakzise von höchstens 1 Schill,
auf die Flasche von den in Gebinden und von 2 Schill, von
den in Flaschen von auswärts kommenden Weinen und Brannt-
weinen, wobei die Modalität der Erhebung der Abgabe
weiteren Beratungen überlassen wurde. Dieser Vorschlag
rief, noch ehe er in der Bürgerschaft beraten wurde, den
Widerspruch der Weinhändler hervor. Sie stellten in einer
Eingabe vom 20. Dezember 1803 dem Senat vor, daß der
hiesige Weinhandel bei einer solchen Auflage zugrunde gehen
müsse, schilderten die Konkurrenz Altonas, die zu befürchtende
Zunahme des Schmuggels usw.^)
Die Bürgerschaft lehnte am 9. Februar 1804 und aber-
mals am 28. Februar 1805 die Vorlage ab. Bedenken be-
standen übrigens nicht nur im Senat, sondern auch bei den
Oberalten. Diese hatten in ihrem Gutachten vom 14. November
1804 auf die Schädigungen hingewiesen, die der Weinhandel
erleiden werde, ebenso auf den zu befürchtenden Einspruch
Frankreichs. Im Senat hatte sich der Weinhändler J. V.
Meyer dagegen ausgesprochen und betont, daß der Wein-
handel in den letzten 30 — 40 Jahren erheblich abgenommen
habe und sich nur noch durch die großen Kredite erhalte, die
man auswärts gebe.
Die Finanzkalamität nötigte schließlich den Bürgern doch
die so lange Zeit von der Hand gewiesene Weinkonsum-
akzise auf. Ein erneuter Antrag des Senats wurde am
10. Dezember 1807 endlich angenommen. Es blieb bei der
alten Weinakzise; außerdem aber wurde auf alle hier konsu-
mierten Weine und Branntweine eine Auflage gelegt, die
1 Schill, pro Flasche betrug für die in Flaschen ankommenden
Weine usw. und 5 Taler auf die in Gebinden ankommenden.*)
Doch gelang es nachträglich noch den Weinhändlem, die
Vgl. auch die Druckschriften: Gedanken üher die im Februar 1804
für Hamburg vorgeschlagene Weinkonsumtionsabgabe, im August
1804, und: Verhältnisse einer neuen ZoUeinrichtung, von dem Wein-
händler J. H. HOLTZ (er hat auch die Eingabe vom 2a Dez. 1803
unterzeichnet).
*) Andeeson, Sammlung hamb. Verordnungen VQ, S. 217 ff.
130
Ernst Baascli^
AbändeniBg mehrerer besonders lästigen Bestimmungen der
neuen Verordnung zu erwirken ;0 so wiirden ^ie befreit von
der vorgeschriebenen Einreiehtmg des Lagerbestandes, ferner
von der Notwendigkeit, die Personen, die von ihnen Wein
und Branntwein gekauft^ namentlieh anzugeben; sodann sollten
die Weinschenker und Zapfer nicht wegen ihres Konsums
taxiert werden, sondern sie hatten diesen vierteljährlich auf
ihren Biirgereid zu deklarieren; endlich T^Tirden auch die
Weinhändler, Weinschenken und Wirte des übrigen Stadt-
geMetes genau denselben Bestimmungen der Weinkonsum-
akzise unterworfen, wie die in der eigentlichen Stadt wohnen-
den* Hierdurch sollte jenen das Interesse genommen werden,
ihre Vorräte auf nichthambiu^gischem Gebiet zu kaufen.
Der Ertrag dieser Abgabe entsprach freilich nicht den
Erwartungen, In den 20 Monaten vom 1. Januar 1808 bis
ultimo August 1809 hatte sie niu* 730(X) Mk. Coun einge-
bracht, was 2iun TeD allerdings eine Folge des durch die
hohen Weinpreise herabgeminderten Konsums war, zum größeren
Teil aber dem Umstände zugeschrieben wuj^de, daß man sich
der Abgabe widerrechtlich zu entziehen wußte. Doch wurde
sie am 23. November 1809 auf weitere zwei Jahre bewilligt
Wir* können hier abschließen. Die Weinakzise hat auch
nach der fianzösischen Zeit weiter bestanden. Näheres hier-
über ist bereits von anderer Seite dargestellt worden.^ End-
gültig aufgehoben ist die Weinkonsumabgabe erst mit dem
3L Au^st 1888, nachdem die letzte, sie regelnde Verordnung
27 Jalue in Kraft gewesen war.
Nur das möge hier bemerkt werden: Diese Abgabe hat
im 19r Jahrhundert sowohl in ihrem Ertrage wie in der
Modalität ihrer Veranlagung ähnliche Schwankungen und
Modifikationen erfahren, wie in den Zeiten, die wir geschildert
haben, Rücksichten auf das Wein produzierende Ausland
sind ficiüch im 19, Jahrhundert wohl überhaupt nicht, jeden-
falls nicht in dem Maße, wie ehemals, genommen worden.
Aber keine unset-er Ahgahe^i hat vonjdier^ mid ttoeJi in nemstm-
*) EbendMelbat S. 272 ff; LOHMANN, Hamb, Rat u, Biir^eraehlüise I, 68 f.
WestphäLEN, Hamburgs Verfassung und Verwaltung. 2. Aufl. n, S. 87 E
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 121
Zeitf der Chsetzgebimg größere Schwierigkeiten^) bereitet als
die Wein- und Branntweinakzise. Es ist aber von jeher, und
nicht nur bei der Akzise, sehr schwer gewesen, fiskalische
Forderungen und Bedürfnisse mit den Lebensbedingungen des
Handels zu vereinigen. Wenn der Weingroßhandel nicht dabei
zugrunde gegangen ist, so verdankt er es wohl in erster
Linie sich selbst; er wehrte sich stets kräftig seiner Haut.
Allerdings hat der Weingroßhandel in Hamburg niemals so,
wie in Bremen, gelitten unter der erdrückenden Konkurrenz
eines privilegierten Batsweinkellers; in Bremen selbst hat
man das schon im 17. Jahrhundert anerkannt und auf die
freisinnigen Grundsätze, mit denen man in Hamburg den Wein-
handel pflegte, hingewiesen.*)
In der ganzen Geschichte der hamburgischen Weinakzise
tritt aber neben der Sorge für die städtischen Finanzen auch
das Bestreben hervor, einerseits dem Großhandel nicht zu
schaden, andererseits auch die Detaillisten zu ihrem Recht
kommen zu lassen; am wenigsten die Rede ist schon damals
vom Konsumenten. Die Schwierigkeit, zwischen diesen
Interessen zu lavieren, erklärt die große Mühewaltung, die
diese Abgabe allen bereitet hat, die mit ihr zu tun hatten,
erklärt aber auch, daß keiner, weder Staatssäckel noch Groß-
handel noch Kleinhandel, mit der Abgabe je zufrieden ge-
wesen ist. Wo es einzeln anscheinend doch der Fall gewesen
ist, hatte man auf der anderen Seite Besseres eingetauscht
oder Schlimmeres abgewandt.
*) Ebenda S. 84.
^ Kohl, Der Raths-Weinkeller in Bremen, S. 35.
122 EfMt Baäsch,
Beilagen.
L i
Memorial, was vor mängel und gebrechen bey der Weinaccise
anitzo noch vorhanden^ nebenst angehenkter erinnerungj wie
dieselben verhoffentlich remedyrt werden konten.
Von Hunfl Tom Holtze.
1629, Jan, 16.
Aiifenglich ist zu wifiseu, daü das gantze ftmdiiTOetit der Weinaücise
auf diese beideu michfolgende P^uucta beruhen tliueti
L Als daß zum Ersten auf aUe und jede aufgehende Weine fleißige
achtung ge gehen werde^ dergestalt, ob auch mehr Weine^ iilae der Schiffer
in aeinem Content aiig^egebeu> herf^inkommen, dan anch ob auch weniger
Wfeinei alse auf der Accise angegeben , hinaus gehen tbueu.
2, Vors andßr, daß alle und jede Weiiihändeler richtige Eechnnngen
übergehen müssen, 1) was sie Tor lackagie auf ihre empfangene Weine
gehabt. 2) wie viel Weine sie verkauft* B) wer dieselbe entfangeu.
Ob nun wol wegen dieser Puncte in den» gemachten Weinacciae
Schrägen gute Anordnung gethan^ wirdt doch tou mehrentheila der Schüfem
und Weinhändeleni deraelbeii wenig nacbgelebet, derogeatalt, daß gar
aelten ein Schiffer sich auf der Wemacciae angibt und sein übergebenea
Content- ZettuS mit der Kaufieute Einverzollung ilb ereinstimmet, imgleichen,
daß man der Weinhand eler Rechnungen, ob schon oft- und vielmals da>
rumb Anfoderung geschieht, nicht bekommen oder habhaft werden kau,
und wan sie eoüich Reebnung übergeben, sie alsdan m viel Weine, als
ihnen nur selbst geliebet, in die lackagie rechnen und an frembde MuRUi
verkauft schreiben Ümeu^ welches man ihnen dan bishero also brit glauben
und hinpasslren lassen müssen.
1. Damit aber diesem vorgebawet werden möchte^ wolte bochuötig
sein» das zufoderst der Schiffer, der Weine eiuhriugetT sobalt er mit semem
Scliiffe albie anlanget, und sich auf dem Niedem Baume angiebett Ton dem
alda bestelten Officirer crustlicb vermahnet wurde, sich anf der Weinaccise
in Persohne anzugeben und von seinen einhabenden Weinen alda Anzeige
äu thuen.
2. Vors Ander, daß der Officirer aufm Niedeni Baume alle und jede
Weinen 8o durch Ewer- und Lucbterführer oder andere Persohnen in Ewern,
Lucbtem, Prahmen, Öcbuten oder wie es Nabmeu haben magk, in dem
Baume gebracht werden, richtig annotiren moste, mit Voraeeicbnusse, aus
elchem Schiffe die Weine gelosset und wehme sie solten werden geliefert.
Weinakzise und Weiahandel in Hamburg. 123
3. Zum dritten, daß auch alle und jede OMcirer auf Bäumen und
Döhren keine Weine ohne richtige Visitation ein und aus der Stadt
passiren lassen mosten, wehre derowegen auch hoch nötig, das sie laut
beigefugter Copey in eidt genommen, auch ihnen vor solche Mühewaltung
eine billigmeßige recompens zur Ergetzligkeit gereichet, insonderheit der
dritte Theil der Strafe davon zugekehret werden möchten, und solches aus
dieser ührsache, daß oftmaels wol Ahmen und halbe Ahmen, weiln die-
selbe zum ausgehende anitzo auch Accise geben müssen, vor Uxhövede
auf der Accise angegeben werden und hinaus gehen können, welche Visi-
tation dan durch niemanden besser dan durch die Officirer auf Bäumen
und Döhren verrichtet werden magk, in Erwegung, weiln solches durch
die Accise-Enechte nicht wol geschehen, und von ihnen in Acht genommen
werden kan, aus Uhrsache, daß die Accise -Zettul in ziemblicher Menge
teglich abgeholet, und theils Weine darauf alsofort, theils auch wol über
2, 3, 4 und mehr Tagen erst hinaus gehen thuen.
4. Daß nun fürs Vierdte auch der Weinhändeier Unterschleif mit
der lackagie vorgebawet werden möchte, so ist zufoderst zu wissen, daß
mehrentheils der Weinhändeier Weine im Einkommen in ihren Kellern zu
visitiren unmüglich fallen wolle, aus nachfolgender Uhrsache, daß, wan
eine hispanische Schiffsflota alhie anlanget, dieselbe 5, 6, 7 oder 8000 und '
mehr Pipen Weine mit sich bringet, davon dan oftmaln über die hundert
Persohnen Weine bekommen thuen. Damit aber gleichwoln hierauf Achtung
gegeben, und man hievon gewisse Bechnung bekommen konte, wehre kein
besser Mittel zu finden, dan daß die Küpere oder Weinverlassere (dehrer
kaum 20 in der Zahl sein mügen) in Eidt genommen werden mosten,
darogestaldt, daß ein jeder auf der Wein- Accise wahre eigentliche Anzeige
thuen wolte, welches Weinhändelers Weine er in Vorwahrung und wie-
viel Weine er mit seinen Knechten einem jeden seiner Kaufleute aufge-
fnllet bette. Und konten nun diese Küpere ebenso wol in Eidt genommen
werden, alse es mit den Schlächtern und Spundem alhie geschehen; dan
die Schiachtere haben geschworen, das sie kein Viehe ohne Vorzeigung
des wahren Accise-Zettuls schlachten und ins Saltz hawen oder durch die
ihrige ins Saltz hawen lassen wollen, die Spundere aber, das sie wöchent-
lich auf der Bieraccise anmelden müssen, wieviel Tonnen sie belegt und
gespundet. Es konte auch diesen Küpem oder Weinvorlassem vor solche
ihre Mühewaltung und damit sie sich dessen nicht zu beschweren betten,
eine Gerechtigkeit gemachet werden, daß niemand solch Weinvorlasser-
oder Küper -Ambt alhie zu gebrauchen Macht haben solte, deme solches
nicht von den Deputirten Herren der Weinaccise oder Einem Hochweisen
.Bähte concedirt und frey gegeben wehre, inmassen dan die Schiachtere
wegen solches geleisteden Eides mit dieser Gerechtigkeit, daß sie und
keine andere alhie schlachten mügen, vom Hochw. Bähte privilegirt
worden sein.
Da nun obgesetzte Puncta solchergestalt ins werck gesetzet un«*
denselben also nachgelebet werden möchte, ist nicht zu zweifeln, von d<
Weinen gute, richtige Bechnung gehalten und die Accise dsAvxx^ 'si
124 Ernst Baasch,
hoffentlich merklich verbessert werden konte, auf welche Puncta auch
Vorpachtere, wan die Accise verpachtet werden solte, zweifelsohne sehen
und fleissige Achtung haben würden. Dann soll die Accise richtig ein-
konunen, so kan nicht zu fleissige Aufsicht geschehen. Stelle nun oben-
gesetzte Puncta meinen großgonstigen, gebietenden Herren zu erwegen
anheimb. Datum den 16. January Anno 1629.
Meiner Herrn dienstwilliger und gehorsamer
Hans vom Holtze.
Hamb. Staatsarchiv Cl. Vn Lit D« Nr 2 Vol 5».
II.
Project einer neuen Wein-Accise-Ordnung, von den Wein-
händlern dem Rath übergeben. 1721. Sept. 17.
Project veränderter Wein-Accise, darin von einkommenden Wein,
Brantwein etc. die Accise abgenommen, hingegen auf sehr leidliche Weise
von den Grossirer, Wein-Händler und Weinschenken gehoben wird, bei
jetzt augenscheinlicher Gefahr der überhand nehmenden Contagion in
Vranckreich dieser Stadt zum besten entworfen.
Art. 1.
Alle Sorten Fransche, Reinische, Land- und Spanische Weine,
Seckten und Wein-Essig, See- oder landwerts kommende, sind Accisefrey
und zahlen davor nichtes.
Art. 2.
Dergleichen welcher Kaufmann bei Parthey darunter 5 üxhoft
allerhand Fransch Wein, 5 Uxhöften Wein-Essig, 2 Stücken Branntwein,
2 Stücken Picordan *), 2 Bothen Seresche und Canarie Seckten, item Portsche
und Alicant, 2 Piepen Spanische, 1 Stück Eeinisch oder Landwein das
geringste handelt, zahlet gleichfalls nichtes.
Art. 3.
Welcher aber ein Grossirer und bey entzelen bis äusserst halben
Uxhöften aller gedachter Wein etc. dabey verkaufen will, zahlet vor
diese Freiheit der Wein-Accise jährlich 100 -^, und da deren nur 20, ist
2000 -*.
Art. 4.
Der Weinhandler der zu vorigen in kleineren Fustagie oder
Butteljen bei der Hohl-Maaß gedachte Weine etc. zu verkaufen Freyheit
haben will, zahlet jährlich davor 150 ^, und da deren nur 60, ist 9000 ^.
Picordan, Piccardan, ein weißer, süßer französischer Wein.
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 125
Art. 5.
Wer dazu die Weinschencks-Freiheit haben will, so, daß er alle
vorige Freiheiten mit besitzet, giebet jährlich vor jedem Keller oder Haus,
worin er sitzende C^äste haben will, der Accise 200 -^, und da deren nur
140, sind es 28000 ^.
Art. 6.
Vor die alleinige Verkaufungs-Freiheit von franschen, holländischen
oder hiesig gemachten Zitter-Essig bey Kleinigkeiten giebt jeder jährlich
der Wein- Accise 15 -^, und da deren 40 sich angeben, ist 600 -^.
Art 7.
Endlich jeder der Weinschencken aufn Hamburger Berg, St. Jürgen,
Teich, Schweinköfen, Damthor giebt jährlich 100-^, und da deren 10,
ist — 1000 ^.
Art. 8.
Wer nicht in 1 Monat von dem Tag der Publication dieses Projecta
auf dem Wein- Accise Gontor sich mit seinem Bürger-Zettul, daß völlig
bezahlet, in einer gedachter Freiheiten sich verzeichnen lassen, kann in
einem ganzen Jahr nicht wieder dazu gelangen.
Art. 9.
Dem Commercio zum Besten werden davon ausgeschlossen alle
Seefahrende, Everführer, Makler, Handwerker, Krüger und Stadt-Bediente.
So aber ein Seefahrender vor sich in Kaufmannschaft Wein etc. mit-
gebracht, ist er schuldig, solche unter seines Schiffers oder eines der
Befrachter als Kaufleute Nahmen aufn Zoll mit anzugeben und durch selben
auch zu verkaufen lassen, in Partheien als Art. 2 verordnet.
Art 10.
Den letzten Tag obgedachten Monats calculiret der p. t. Bürger
und Schreiber, wie viel in jeder Glasse sich angegeben, und machet die
Ausrechnung, ob jedem mehr oder weniger als gesetzte 100 ^, 150 •^,
200 -^j 15 -^ und 100 -^ vor 1 Jahr heraus zu zahlen zu kompt, also da&
der Camerey netto 40 600 ^ bleiben.
Art. 11.
Die ausgerechnete Summa jeder Glassis wird den folgenden Tag^
an dem Wein-Accise-Gontor von 10 bis 12 Uhr diesen Monat herdurch
angehenget, und hat jeder der eingeschriebenen in solcher Zeit sein
Quantum in grob Gourant Geld dahin zu bringen, bey Strafe 20 oder
mehr Bthlr.
Art. 12.
Welcher Bürger in einer zu nehmenden Freiheit, davor er der
Wein-Accise nicht contentiret, überzeuget wird, ist zum ersten mal i
90, zun andern mal in 50 1|^, zum dritten mal aber in wilkürliche StaM
126
EniBt Ba&sch,
verfallen; da aber nur ein gegründeter Verdacht auf selbigen zu bringen,
muß er sich eidlich vor einen der Wein-Äcciae-Herren davon purgiren
oder gedachte Strafe erlegen.
Art. 13.
Alle Werne etc^ so von ob gedachten exclndirten als auch unge*
aesaenen Leuten in einer Zeit zn nehmenden Freiheit gefunden werden,
sind sofort der Confiscation unterworfen und werden von den itzigen und
noch 5 anzunehmenden Bedienten dem Weysen-Hause oder Pestbofe ein-
geliefert, wobey die Wache bey Tag und Nacht zu asÄiatiren gehalten,
Art. 14.
Zu den jetzigen Bedienten werden noch 5 erfodert^ so redlich^
denen auch die Fustagien der Weine etc, bekandt; jeder der letzteren
hat bey redlicher und üe issiger Vens'altung seines Dienstes 500 ^ aus
der Oämerey mit den Vs Theü der anzugebenden Strafe^ muß aber dabey
1500 ^ Caution der Cämerey stellen, daß| da er faul, verdrossen oder
untreu befunden, also daß er mit jemanden colludiret, nicht allein seines
Dienstes, sondern auch gedachter Cautions-Sumraa verlustig.
Art. 15,
Zu melirerer Verhütung alles Unterschleifea wird einei» jeden der
gedachten 5 Classeu alle Namen der Mitintereasirten bey Zahlung seines
Quoti vor ein Jahr unter des Wein-Accise-Sckreibers Hand gegebeuj davor
derselbe mit dem (-ontor- Bedienten 12 ß zu empfangen* und daß ein
jeder auf seinen Nachbarn nicht allein Acht geben, sondern auch sehen
kann^ daß lUeses Jabres Ausrechunng richtig, dermaEen daß lÖbL CÄmerey
nicht mehr oder weniger als 40 600 ^ einpfangen.
Art. le.
Von den einaukommenden Strafen hat löbliche Clmmerey, ohne auf
gedachter Haupt- Summa zu kürzen, den \'3 Theü, der Schreiber und Contor-
Bedienle ^l:y und der Angeber den letzten Vs Tbeil zu empfangen,
Art, IL
Da auch durch dieses Project dem Wein-Accise-SchreibefT und
jetzigen Bedienten alle ihr übrige Intraden als Zähl-^ Weinnacht-, Visier-,
Voye-Geld und anders gant^ abgenommen werden, wird erstem mit seinem
ordentlichen Salario jährlicb 2600 ^ und leta^teni 1500 ^ aus der CiLmerey
EM geben aein, welcher beider nebst obiger 254X) ^ der 5 Bedienten
Bezahlung der f-ämerey jiüirlich 6600 4^ betr>, daß also selbiger
34000 -^ frey bleiben.
Art, 18.
So wol die Vergebung obged»cht«r b Bedienten-Stellen, deren Eides-
Einrichtung, Bestrafung und Entsetzung, als auch aller in diesem Project
tbaltenen anderen Bestrafungen, sogar die Wein-Verkauf- oder Schenkungs-
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 127
Verbietung wird extrajudicialiter und ohne gerichtlichen Proceü denen
Herrn dabey verordneten und 10 deputirten Bürgern der Wein-Accise
gelassen. Also da6 da alle Montag, Mittwoch und Frejtag von 10 bis
12 Uhr eine Klage kompt, selbige der Wein-Accise-Schreiber zu Protocoll
bringet, in Gegenwart oder bei Verhinderung in Abwesenheit des sitzenden
Bürgers, da denn Beklagter von dem Contor-Bedienten citiret wird, davor
selben 4 ß zukommen. Bey Erscheinung wird Beklagten Antwort eben-
mäßig protocolliret. Da nun selbiger schuldig, wird ihme die Strafe vor-
gelesen, bey Gestehung und Zahlung derselben hat es seine Richtigkeit
Verstehet Schuldiger sich nicht dazu, wird der älteste oder in dessen
Abwesenheit der folgende Wein-Accise-Herr aufs Rahthaus zu treten er-
suchet, dabey der Bürger und Schreiber mit Beklagten treten, wo möglich
den Casum zu ventiliren. Da aber Beklagter ans groüe Collegium appelliren
sollte, wird dessen Hartnäckigkeit nach befundeneu Umständen mit höherer
Strafe zu belegen sein.
Art. 10.
Bey Vermeidung willkürlicher Strafe soll sich niemand an denen
Bedienten mit Worten oder Werken vergreifen, auch kein Bedienter einen
Bürger unbillig molestiren.
Art. 20.
Dieses Project wird auf 10 Jahr fest zu stellen sein, also dafi
jährlich umb selbe Zeit die Einschreibung und Anticipations-Zahlung, wie
oben verordnet, von einem jeden geschehen muß und dazu desselben Besten
(:waun es angenommen:) in solcher Zeit ein mehreres zu observiren sein
möchte, solches würde E. Hochw. Rath und Erbgesessene Bürgerschaft zu
gedachten löblichen CoUegii Disposition, wie vorhin, zu überlassen haben,
aber dabey sich vorbehaltende, nach Verfliessung derselben solches zu ver-
ändern oder gar davon abzustehen.
Hamb. Staatsarchiv Cl. VE Lit Db No 2 Vol 5o
IIL
Anhang zu der Wein-Accise Ordnung de A4 1706.
Zwischen Rath und Oberalten vereinbart im Juni 1725.
Nachdem wahrgenommen worden, welchergestalt die Stadt in der
Wein-Accise bishero sehr verkürzet worden, insonderheit die Schenck-
Freyheit aUenthalben dermaßen zugenommen, dafi ein jeder nach Belieben
sich dieselbe zueignen und fast in aUen Bier- und Brandweins-Kellem
Wein verzapfet und geschencket werden woUen: als hat E. E. Raht die
alte Wein-Accise-Ordnung nachsehen und an einigen Orten besser einrichten
lassen, welche Einrichtung, nachdem sie von Erbgesess. Bürgerschaft in
dem Gonvent d. d. . . . mit beliebet worden, derselbe durch den Drnc^
hiemit pnbliciret und wiU aUe und jede dieser Stadt Bürger und Eil
128
Ernst BaascJi,
wohMer ermaJmet und denenselben ernstlich geboten hataen, sich daimcb
zu richten uud für Schaden und Strafe zn hüten.
1. Soll TOT jedem Hause, SaW, Eaum oder Keller^ all wo innerhalb
der Stadt Wein verzapfet wird, jährlich wegen der Zapffrejheit 25 bis
150 8!^ Cour. beÄalüet werden, auch die Weinschenkeu und Zapf er ihr
volles Bürgrer-Geld bezahlet haben, und diese entweder einen Schild oder
anderes Zeichen, worauf eine Traube und Glaa-Wein deutlich geraalet oder
von HoltJEG geschnitten ist, die Weinhft-ndler aber, so sich des Verzapf ena
in kleiner quantitaet bedienen wollen, eine andere marque, wodurch sie
von den übrigen Weinhändlem unterschieden wfirdeo, bej 20 Jtf Strafe
vor ibren Häusern ansicnbängen verbunden seyu, damit es von allen Yorbey*
gehenden könne erkannt werden.
2. Obgedachte Uxa der 25 bis lof) *ä* soll in vier Classen von 25^
50y 100 und 150 t^ eingetheilet^ und diese Claaaihkation durch die Depu-
tation zur Wein-Aceise reguliret und roit denen Weinschenken von der
Deputation darüber accordiret werden,
3. AUe Weinhändler uud Grossireri bo an Leuten innerhalb dieser
Stadt und deren Gebiete in bouteillen oder kleinen Gef&ßen nnter einem
halben Oxhoft auf einmal Weine verkaufen oder an dieselbe dergleichen
kleine quantitaet aus ihrem Hause oder Raunie oder Keller abfolgen lassen,
müssen ein jeder dafür jährlich 150 ^^f?: bezahlen und vorhero sogleich in
dem nuten ang-e setzten Termin nach publication dieser Verordnung mit
der Depntaiioji zur Wein-Acciae sich des falls abfinden-
4. Würde aber ein Weiuh&ndler und Grossirer, der solche taxa
jährlich nicht bezahlet, dennoch Wein in Kleinigkeiten verkaufen, wie
vorhin gemeldet worden, soU derselbe vor jedesmai, daß er dergestalt
Weine verkauft hat^ 100 3# Strafe erl^en, und der Angeber den 4, Theü
davon ku gemessen haben,
5. Dafeme auch sonst jemand in dieaer Stadt, ohne mit der Depu-
tation zur WeiU'Accise accordirt und zu einer der g-edachten 4 Classen
sich erklärt zu haben, in Kellern, Buden oder auf Sahlen Wein verzapfeui
schenken oder verkaufen würde, sollen nicht unr die sich bey ihm behud-
liehe Weine dem gemeinen Oute heimgefallen und confiacirt seyn, der
Angeber den 4. Theil davon für sich haben, sondern auch ein solcher
Uebertreter dieser Verordnung überdem in Strafe gebogen werden. Wie
dann len desto mehrer Aufsicht denen Weinaccise- Knechten alles Ernstes
bey Verlust ihres Dienstes, auch nach Befinden härterer Leibes -Strafe an-
befohlen wird, nach Einhalt des XL Articuls der Wein-Accise-Ordnung
von A" 1706 ihres Amts und Schuldigkeit wahrzunehmen und, wann sie
dergleichen heimliche Weinschenken und Zapf er erfahren oder wissen,
solche nngesänmt gehörigen Ort» anzugeben, dagegen von denen Strafen»
Bo sie durch ihre Anzeige einbringen^ ihnen der 3* Theil snHiesseu soll.
6. Innerhalb 4 Wochen nach publication dieser Verordnung soll ein
jeder, der, eratangefüluter ma5en, des Weinschenkens und Zapfens in
dieser Stadt aich gebrauchen will, bey der äut Wein-Acciae verordneten
Deputation aich anmelden und die taia derjenigen Clasae, worunter er»
Weinakzise und Weinhaudel in Hamburg. 129
dem Befinden nach, gesetzet werden mögfe, sofort baar entrichten, auch
jährlich damit continuiren, übrigens aber, was in vorgesetzten Articuln
ausdrücklich nicht geändert worden, es bey der Wein-Accise-Ordnung von
dem Jahr 1706 alles Einhalts gelassen werden.
Hamb. Staatsarchiv Cl. VE Lit Db Nr. 2 Vol. 5c
IV.
Plan zu einer neuen Wein-Accis-Ordnung,
am 12. Juni 1765 vom Rath den Comm. Dep. mitgeteilt.
§ 1. Um zuförderst und vor allen den Wein-Handel mit aus-
wärtigen Königreichen und allermeist mit Frankreich, wohin das stärkste
Commercium mit selbigem getrieben wird, %|if alle Art und Weise noch
ferner zu favorisiren, soll die eingehende Accise auf Brandtewein, Wein
und Essig großentheils auf die Hälfte, überhaupt aber solchergestalt her-
untergesetzet werden, als der hiebey gehende Entwurf einer neuen Taxa,
welche, da die vorige undeutlich und mangelhaft sind, auch die Gattungen
der Weine sich vermehret haben, ganz unumgänglich ist, in mehrerm
ausweiset. Und bleibet es bey dem Abzug von 10 Procentum Leccage.
§ 2. Um hiemächst zweytens die Ausfuhr der Brandte weinen, Weine
und Essig, sowohl see- als landwärts, zu erleichtem und zu befördem, wird
a) bey denen als Transito angegebenen der bisherige Zoll gleich der
Accise ein- und ausgehend cessiren, auch die Auffüllung ohne Bey-
seyn der Bedienten, da nöthig, erlaubet seyn, und will man es darin
auf den Eid der zum Transito sich qualificirenden, als wobey es sein
unveränderliches Verbleiben hat, lediglich ankommen lassen.
b) Bey denen Brandteweinen, Weinen etc, welche zwar in die Stadt
kommen und darin aufgeleget werden, die aber nicht zur Consumtion
darinbleiben, sondem aus derselben Gebiete zu Lande oder zu Wasser,
es sey in Quantitäten oder bey Kleinigkeiten wieder ausgehen, wird
ausser dem Zolle und der Accise, welcher eingehend davon erleget
worden, weiter nichts bezahlet. Und stehet nicht nur den Wein-
händlem, sondern auch den Wein-Schenken und Auszapfem solcher
Handel und Verkauf im Großen und Kleinen frey. Es soll auch hin-
führo niemand für die Zapf-Freyheit an sitzende Gäste die bisher
gewöhnliche jährliche Hecognition bezahlen.
§ 3. Um aber drittens den Abgang zu ersetzen, welchen die
Cämmerey bey allen vorgedachten Freyheiten leidet, und der bey andern
Consumptibilien, besonders bei dem Bier sich jährlich vergrößert: so so^'
auf den in der Stadt und deren Gebiete consumirten Wein solcherge*
ein leidlicher und niemand empfindlich seyn könnender Impost ge
werden, daß von einem Stübgen fremden Weins und Brandteweins
Unterschied 2 ß und von fremden Essig 1 ß bezahlet werde.
Ztschr. d. Yereins f. Hamb. Gesch. XIII. ^
130 Ernst Baasch,
§ 4. Um hierin auch in der ModalitÄt der Bequemlichkeit hiesiger
Bürger und Einwohner alles mögliche angedeihen zu lassen und um allen
Zwang und Weitläufigkeit zu vermeiden, soll die erste und allgemeine
Regel diese seyn, daü nicht der Gonsument, sondern der Verkäufer so-
thanes Consumtions-Geld zu erlegen hahe, und die zweyte, daß es nicht
nach einer persönlichen Taxa und öffentlich bezahlet, sondern auf Eid
und Gewissen, so wie ein Quart Procentum auf dem Wein-Accise-Comtoir
zu einer dazu anzusetzenden Zeit, nämlich von einem Weinhändler alle
Jahr, von denjenigen aber, welche nur schenken und sitzende Gäste haben,
Quartalsweise entrichtet werden.
§ 5. Die erste Regel betreffend, entrichtet der Weinhändler die
Consumtions-Gebühr sowohl von dem, was er selbst consumiret als aus
seinem Lager und Hause zum einheimischen Consumo verkauft, es sey au
wen es wolle, nur die weiter ihr Gewerbe damit treibende, als andere
Wein-Händler, Wein-Schenker, Auszapfer und überhaupt Enrollirte (: wo-
von bald ein mehreres folgen soll:) ausgenommen, als welche letztere, da
sie aus Käufern Verkäufer wieder werden, für das in der Stadt und deren
Gebiete durch ihre Hand consumirte die Erlegung der Accise auf sich
nehmen und also ihren vorigen Verkäufer davon entbinden.
§ 6. Anlangend aber das heimliche Einschütten, so muß, um sich
hiezu zu qualificiren, ein jeder auf Art und Weise, wie beym Trausito,
jedoch nicht durch einen cörperlichen Eid, sondern nur vermittelst einer
Unterzeichnung auf Eid und Gewissen in einem auf dem Wein-Accisc-
Comtoir vorhandenen Buche sich dazu einschreiben, und zu dieser EnroUiniug
sind alle Weinhändler, sowohl deren Handlung darin alleine oder nur zum
Theil bestehet, als die auf Speculation für ihre Reclmung etwas ver-
schreiben oder kaufen, desgleichen die einen Lager-KeUer von vielen oder
wenigen Stücken errichten, nicht weniger die Weinschenken und Gast-
wirthe in der Stadt verbunden. Die aber kein eigentliches Wein-Gewerbe
im Großen oder Kleinen noch Lager-Keller haben, sondern welche nur
für sich oder ftlr gute Freunde zur Haus-Provision etwas verschreiben
oder die einige Weine und dergleichen in Commission erhalten und in
die Fremde wieder schicken, sind ausdrücklich dazu nicht verbunden,
sondern es stehet ihnen frey, jedesmal nach dem Content-Zettel die Accise
von den nicht wieder versandten, sondern hier gebliebenen Quantitäten
offenbar zu erlegen. Wollen sie aber aus freyem Willen sich einschreiben
lassen, so geniessen sie auch des Beneficii des heimlichen Einschüttens.
§ 7. Und da schließlich nicht wohl alle Wein- Versender nach
aussen Enrollirte seyn können, so ist im Voraus auf ein Mittel gedacht,
wodurch allenfalls der jedesmalige Verkäufer wegen Bestimmung solcher
Weine, ob zum hiesigen Consumo oder nach der Fremde zur Gewißheit
könne gebracht und allen Unterschleifen gewehret werden.
§ 8. Alles obige verstehet sich nur zum Versuch auf etwa 4 oder
5 Jahre, jedoch in einer solchen unzertrennlichen Verbindung, daß eines
ohne das andere weder continuiret noch aufgehoben werden solle.
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 131
Taxa der reducirten Wein- und ßrandtweins-Accise.
Brandtwein aus Frankreich, Spanien oder woher er kommen, auch in
welchen Foustagien er sey, die 30 hiesige Viertel 1 -^ 8 /J.
a) Der Unterschied der Gebinden und die Vergrösserung derselben
verursachet diese Benennung von Vierteln. Man hat aber auch
spanische und andere, als Fi'antz-Brandteweine, sowie vorhin,
parificiret.
Spriet, wie oben, die 30 hiesige Viertel 2 -^.
b) Spriet von Frankreich zahlt itzo ebenso wie Brandtewein.
da er doch allemal wenigstens Vs Wasser vertragen kann. Man
hat demnach durch Kath- und Bürger-Schluß den hiesigen und
Land — , auch Elbwärts eingehenden Spriet in der Accise ver-
doppelt.
Arrac, wie oben, die 30 Viertel 3 -^.
c) Arrac giebt auch nicht mehr wie Brandtewein, da er doch
weit mehr werth ist, es mögen ohngefehr 50 Oxhoft jährlich in
der Stadt consumiret werden.
Rum, wie Brandtwein, 30 Viertel 1 -^ 8 /J.
Weine, weisse von Bourdeaux und andern Ortem aus der Bucht von
Frankreich, per Oxhoft 8 ß.
dito, rothc per Oxhoft 10 ß,
d) Diese Weine verdienen in Ansehung unserer eigenen Schiff-
farth mehr wie die folgende begönstiget zu werden, und dahero
sind sie auf die Hälfte reduciret.
dito, weisse, von Bajonne, per Oxhoft 10 ß.
e) die Oxhofte sind größer, und die Weine sind besser.
Muscat- Weine von Cette oder über Bourdeaux per Oxh. 12 ß»
Diese haben bisher nicht mehr wie die vorhergehende Weine
bezahlt, ob sie gleich mit mehrerem Rechte zu den Seckten,
welche 2 -^ per Oxhoft geben, zu rechnen ; die hier gesetzte
Taxa ist also der Mittelweg. Aus eben dieser Ursache hat man
bey den folgenden 1 -^ gesetzet.
Ein Stück Piccardan von IV2 Oxhoft von Cette oder über Bourdeaux 1 -^.
Ein Stück von 7 Anker Vin de Rhone, Roquemore, Tanelle, rothe Clairet,
weisse Cette rottie und andere dergleichen Weine von Cette oder
Bourdeaux 1 -^. Kommen diese letztgenannte Weine in größeren
Foustagien, so wird die Accise nach Proportion bezahlet.
Champagner- Wein die 100 Bouteillen 1 -^ 8 /J.
g) Da dieser Wein in Körben kömmt, welche nach Gutdünken
zu Oxhöfteu reduciit zu werden pflegen, so ist wolil nichts
billiger, als daß die Reduction nicht auf die Hälfte, sondern,
wie geschehen, auf 1 ^ 8 /J von 100 Bouteillen gesetzet werde.
*) Gemeint sind wohl die Weine von Cote-rotie, die vom Rhone her-
kamen, aber über Cette ins Ausland gingen.
9*
132 Ernst Baasch,
Und eben dieser Umstand hat auch bey dein Bourgogne-Wein
zum Grunde gedienet.
Bourgogne 1 Stück von ohngefehr 1 Oxhoft 2 ^ 8 /J.
dito eine Feulliette von circa einen halben dito 1 ^ i ß.
Ein Bot Greco-Wein von 2V2 Oxhoft 3 ^.
h) Diese und alle folgende Weine haben noch keine Taxa,
sondern sind unter einer allgemeinen Rubrique und sehr undeut-
lich in den vorigen Wein-Accise-Ordnungen benennet. Sie sind
aber von unterschiedenem Werthe, und man hat sie insgesamt
auf eine propDrtionirte Weise heruntergesetzet, um nicht bey
denen Staaten, aus deren Ländern sie kommen, einen Unwillen
daher zu erwecken, daß man alleine der Crone Frankreich in den
daher kommenden Weinen favorisiren wollen.
Ein Bot Gorsica-Wein von 2 dito 2 -fL S ß.
Ein Bot Mallaga-Seckt von 2 dito 3 4^,
Eine Pipe Spanischer Wein oder Ximenes von iVa Oxhoft 2 -^.
Ein Bot Tinto Wein und Xereser Seckt von 13 k 14 Anker 4 ■^.
Ein Bot rother Benecarlos von 2 Oxhoft 3 ■^.
Ein halbe Bot Port und Lissabonsche Wein von 7 Anker 2 -^.
Ein Bot Canarien-Seckt, Madera-Wein und andern Sorten von den Canarischen
Inseln von circa 2 Oxhoft 4 ■^.
Gyprischer, sogenannter Egyptischer, Zanthe und Ungaiische Weine die
60/4 — 4 -*.
Siracuser, Florentiner, Monte pulicano und andere dergleichen Italiänische
Weine in Kisten, St. Hubes in allerhand fustagien, wie auch Liqueurs,
wohlriechende Wasser etc. die 60/4 — 4 -^.
Ein Ohm Rhein-, Mosel- oder Necar-Wein — 4 -^.
Ein Ohm allerhand Korn und aus andern Speciebus verfertigter und
gestackter Brandtweine aus der Fremde, sowohl über Land als
See 8 ^,
Gyder- oder Zyther-Essig von aussen das Oxhoft 12 ß.
Ein Terschen Franschen Wein Essig 6 ß,
Akten der Kommerzdeputierten in der Kommerzbibliothek.
V.
Geheime Bewegungsgründe, warum Senatus es höchst
bedenklich finde, die Wein-Consumptions-Accisc hier
einzuführen. 1772. November 27.
Sobald es nilr das erstemahl war bekannt geworden, daß man die
Einführung der Wein-Consumptions-Accise bey der Erbges. Bürgerschaft
in Vorschlag gebracht hatte, so regte sich schon der hier befindliche
königl. französische bevollmächtigte Minister, Herr Baron de la Houze.
.de ir.xcellenz steUten unter der Hand freundschaftlich vor: wie Sie hofften,
Weinakzise und Weinhandel in Bamburg. 133
daß dieses Project, wegen der damit verbundenen vielen Schwierigkeiten,
nicht würde zum Stande kommen.
Sie wußten zwar wohl, daß ein freyer Staat in seinem Gebiete zur
Verbesserung seiner Finantzen diejenigen Einrichtungen machen könnte,
welche ihm am zuträglichsten zu seyn schienen, ohne daß ein fremder
Minister sich darein zu mischen hätte; allein Sie hielten es jedoch für
ihre unumgängliche Pflicht, über das Interesse ihres Souverains zu wachen
und wolmeinend zu ersuchen, daß man sich doch ja in Acht nehmen mögte,
um nicht gegen den zwischen Frankreich und Hamburg subsistirenden
Commerce - Tractat anzustoßen. Die quaest. Consumptions-Accise müßte
hauptsächlich die frantzösischen Weine betreffen, als welche hier am meisten
gebraucht würden. Nun wäre es ein unstreitiger Grundsatz, daß, je mehr
eine Waare mit Auflagen beschwert seyn sollte, je weniger davon würde
consumirt werden. Der Vertrieb der französischen Weine machte einen
der größesten Handlungszweige in Absicht auf Hamburg aus. Ihr Hof
könnte also bey der hier abgezielten neuerlichen Contribution auf die
Weine nicht gleichgültig bleiben; er müßte sie dem Tractate zum Nach-
theile anrechnen, welchen S® Königl. Majestät Ihrerseits aufs genaueste zu
erfüllen gemeint wären. Mithin würde die betrübte Folge daraus ent-
stehen, daß wir unsem Commerce-Tractat wieder verlieren würden.
Dem Herrn Minister, der ein sehr lebhaftes Temperament hat, ward,
um das erste Feuer zu dämpfen und ihn von einer widrigen Relation
zurückzuhalten, gleichfalls unter der Hand eröffnet: wie man glaubte,
daß die Wein-Consumptions-Accise ohnehin noch vielen Hindernissen unter-
worfen wäre, dazu müßte sie noch erst auf die thunlichste Weise regulirt
werden, und man würde von des Herrn Ministers Vertraulichkeit den
besten Gebrauch zu machen suchen.
Er muß inzwischen doch davon, wiewol auf eine gantz günstige Art,
an seinen Hof Bericht erstattet haben. Und zwar hat er dabey, wie aus
dem Erfolge erhellt, einen andern Gegenstand zugleich mit berührt. Es
war ihm nemlich zu Ohren gekommen, daß das gestämpelte Papier bey
uns würde eingefülirt werden. Hiegegen hatte er so wenig einzuwenden,
daß er es vielmehr ungemein lobte. Nur verbat er den Stämpel auf die
Connossementen, als woran Frankreich abermals einen sehr großen Anstoß,
mit allem Rechte, finden würde, indem dadurch eine sehr beschwerliche
Last vorzüglich auf die frautzösische Handlung fallen müßte. In Frank-
reich hätte man dergleichen nicht, und die Reciprocität wäre der Grund
unsers Tractats. Würde man dieses nicht in Betrachtung ziehen, so würde
unser Tractat alsofort für null und nichtig geschätzt werden. Auch auf
dieses Anbringen ward ihm sogleich zu erkennen gegeben, daß man gar
nicht Willens wäre, die Connossementen unter den Stämpel mit zu begreifen.
Der Herr Minister ward nun völlig beruhigt; doch fügte er noch
die Ausnehmung der Frachtbriefe und kurtz Alles dessen hinzu, was dem
eigentlichen Commerce beschwerlich werden könnte.
Am 14. November dieses Jahres zeigte er jemanden vom Senat an,
daß er ausdrückliche Order von seinem Hofe bekommen hätte, der Stadt
IM fimst Baascli,
dafür besonders zu danken, „daß hier (:wie es anfänglich geheissen:)
keine neue Auflage auf die Wein-Consumption und auth kein Stämpel-
papier in Ansehung der sämmtlichen Gegenstände des Gommercii wären
verfügt worden. Se Allerchristlichste Majestät hätten daraus mit dem
größesten Vergnügen bemerkt, wie scrupuleuseraent Senatus alles das
beobachtete, was dem Sinne des zwischen Frankreich und Hamburg ob-
waltenden Gommerce-Tractats gemäß wäre. S® Majestät versicherten daher,
wie Sie auch Ihrerseits nie aufhören würde, über die genaueste Gultivirung
des gedachten Tractats scrupuleusement zu halten."
Der Herr Minister führte davon folgenden Beweis an:
„Es wäre S« Majestät unlängst der Vorschlag geschehen, auf
die Exportation der Denr4es einigen Impost zu legen. Sie hätten
aber, des Nutzens für Ihre Finanzen ungeachtet, nicht darein willigen
wollen, mit der Erklärung, daß solches nicht tractatenmässig, mithin
unrecht und Ihrer Gloire zu wider seyn würde.
Gleich nach der letztem Bürgerschaft vom 16. Novemb. erkundigte
sich der Herr Minister abermals mit großem Empressement, ob die Accise
quaest. wäre bewilliget worden?
Ob es nun gleich sehr unangenehm an und für sich selbst ist, daß
man einigermaßen gebundene Hände haben muß, so läßt es sich jedoch
in dem gegenwärtigen Vorfalle um desto minder ändern, je näher wir
mit Frankreich in Verbindung stehen, und je mehr Grund selbiges daher
hat, allen Neuerungen, die seinem Gommerce mit uns zum Präjuditz ge-
reichen, zu wiedersprechen.
Was man sonst schon nach dem Völker-Rechte und nach der Politik
zu vermeiden schuldig ist, um seine mächtigen Freunde bey guten Ge-
sinnungen zu erhalten, das verlangt jetzt die zwischen Frankreich und
ims vermöge des Commerce-Tractats obwaltende gantz genaue AUiantz
gedoppelt von uns.
Wir haben z. E. mit dem Könige von Preussen keinen Handlungs-
Tractat. Gleichwol würden wir ein großes Bedenken hegen, auf Seine
Landesprodukten, wovon etwa sehr vieles hier consumirt würde, einen
ausserordentlichen Impost zu verfügen. Er könnte es uns freylich nicht
verbieten. Aber die Klugheit würde doch lehren, es dabey nicht auf die
verdrießlichen Folgen ankommen zu lassen.
Frankreich hat durch den mit uns errichteten Tractat ein völliges
begründetes Recht, darauf zu bestehen, daß dem Sinne des Tractats nach-
gelebet werde. Der wahre Endzweck davon ist ja die wechselweise mög-
lichste Beförderung des gemeinnützigen Commerce-Wesens. Beide Nationen
sollen dadurch, so viel es nur immer geschehen kann, gleicher Vorrechte,
Freyheiten und Vortheile gemessen. Unternimmt nun eine Parthey etwas,
welches einem solchen Vertrage entgegen ist, so muß die andere sich noth-
wendig für beleidigt achten, und ist diese die mächtigste, so ist es noch
ein Glück, wenn sie vorher warnet und nicht mit einem plötzlichen Bruche
hervortritt.
Das Andenken an Spaniens Beyspiel ist bey uns noch nicht ver*
Weinakzise nnd Weinhandel in Hamburg. idö
altet. Wir wurden beschuldigt^ mit seinen unversöhnlichen Feinden, den
Algierern, ein Bttndniß gestiftet zu haben, da wir doch mit ihm von un-
denklichen Zeiten her in besonderer Verbindung waren. Was geschähe?
Wider alles Vermutheu ward unsere spanische Handlung durch einen
schnellen Entschluß aufgehoben.
Man setzt es als eine unstreitige Wahrheit zum voraus: daß es
uns gamicht gleichgültig seyn kann, ob wir den Commerce Tractat mit
Frankreich behalten oder nicht. Ein sehr beträchtlicher Theil unserer
Rheder und Negocianten würde ja sonst während der Zeit, da wir ihn
verloren hatten, vergebliche Klagen geführt und unnöthige Wünsche vor-
gebracht haben, um ihn je eher, je lieber wieder hergestellt zu sehen ! Die
Acten beweisen es zur Genüge, wie sehnlichst der Ehrb. Kaufmann danach
verlangt habe. Die Acten beweisen es femer, durch was für saure Mühe
das Werk endlich beglückt zum Stande gekommen sey.
Und die Erfahrung dererjenigen, welche auf Frankreich ihre Navi-
gation und Handlung betreiben, wird es am besten beweisen, wieviel
Schüfe jetzt hin und her gehen, wieviel nun am Lastgelde erspart werde
und wie vortheilhaft überhaupt der Tractat für Hamburg sey.
Man hat vorhin erwehnt, daß die Reciprocität den Grund unsera
Tractats ausmache. Ehedem beschwerte sich Frankreich, daß seine Unter-
thanen derselben nicht von uns genössen; es drang daher auf mehrere
Begünstigungen, ja sogar auf eine völlige Pariücation mit der hiesigen
Englischen Societät. Letzteres ward jedoch durch eine langwierige und
höchst mühsame Negociation gäntzlich abgelehnt, und die hier sich nieder-
lassenden Franzosen würden möglichstermassen in Betracht der Commerce-
Erleichterungen unsem Bürgern gleichgestellet. Und was die Frantzosen
durch einige Veränderungen in dem neuen Tractat gewonnen haben,
dasselbe haben unsere Bürger zugleich mitgewonnen. Unter andern ist
es bekannt, wie man zur Facilitirung des Tractats anstatt der vorhin
üblich gewesenen 10 Procent Leccage 20 Procent (: welches an sich eine
wahre Kleinigkeit ist:) zugestanden habe.
Wollte man nun jetzt 5 Rthlr. Consumptions-Gebühren für ein
Oxhoft einführen, so würde diese neue Auflage das gedachte Leccage-
beneficium sehr übersteigen. Und Frankreich würde sagen: Was mir mit
der einen Hand ist gegeben worden, das wird mir mit der andern vielfach
wieder genommen.
Und gesetzt, man wollte auch noch eine so geringe Abgabe auf
ein Oxhoft legen, so würde die Stadt auf der einen Seite keinen beträcht-
lichen Gewinn davon ziehen, auf der andern Seite aber wäre es gleichwol
immer ein neuer Impost, der die frantzösischen Producte vorzüglich be-
träfe, und Frankreich würde daher gleich einreden, daß wir gegen unsem
Tractat gehandelt hätten. Sollte dann unser Commerz-Tractat (:wie es
jedoch nach des vorgedachten Herrn Ministers Aeusserung gewiß geschehen
wttrde :) für null und nichtig erklärt werden, so wäre wol keine HofEnunP'
übrig, ihn nachher wieder zu erlangen, oder Frankreich würde n
größere Vortheile für sich bedingen, und wiederum auf die Parificii
136 Ernst B&asch,
der Frantzoseu mit der Englischen Societät insistiren, ohne alsdann davon
abgehen zu wollen.
Dächte man etwa, Frankreich sey doch aach an der Beybehaltung
des Tractats gelegen, so muß man sich dabey immer die hohen Gesinnungen
eines großen Monarchen vorstellen, mit welchen Er auf eine Stadt herab-
sieht, wovon Er beleidigt zu seyn glaubet. Dann helfen alle Remon-
strationen nichts : Der Monarch nimmts vielmehr noch übel, wann man sich
um das Interesse seiner Unterthanen bekümmern will. Die Erfahrung hat
solches sattsam gelehret!
Aus allen den berührten Umständen und Gründen wird demnach
überzeuglich erhellen, daß die Beliebung einer Wein-Cousumptions-Accise
uns abseiten Frankreich einen unersetzlichen Schaden zu Wege bringen
würde, und daß es daher durchaus nicht rathsara sey, diese Contribution
hier einzuführen.
Da es, nach der Natur der Sache, sehr bedenklich war, alle die
bemerkten Umstände und Gründe in öffentlicher Raths- und Bürger- Ver-
sammlung vorzutragen, so konnte man nichts weiter sagen als daß, ausser
andern Schwierigkeiten, auch einige politische Ursachen die quaest.
Consumptions-Accise wiederriethen. Man kann auch ebenso wenig in
einer ferneren Bürgerschaft gantz offenbar von dieser Materie schriftlich
handeln. Es bleibt nicht verschwiegen; und dann könnte es hie und da
einen wiedrigen Eindruck machen. Alles angeführte soll nur bloß ge-
heimer und vertraulichster Information des löbl. CoUegii der LXger dienen.
Und gleichwie Senatus nicht zweifelte. Es werde die beregten Gründe
völlig einleuchtend und höchst wichtig finden, also ersucht Er dasselbe,
um davon nach dessen bewährten Klugheit dienlicher Orten einen solchen
mündlichen Gebrauch zu machen, daß Erbges. Bürgerschaft nicht weiter
auf die Accise quaest. dringen möge.
Wann übrigens in der Resolution Civium vom 16. Nov. gesagt
wird: Daß E. Bürgerschaft von dem Rath- und Bürger-Schlüsse vom
23. März dies. Jahres wegen Einführung einer Wein-Consumptions Abgabe
nicht abgehen könnte, so will man nur zur Erläuterung anzeigen : daß noch
neulich wegen der 10 /<& Ordnung ein Rath- und Bürger Schluß mit all-
gemeiner Zufriedenheit sey abgeändert worden. Wo die Macht ist, Ge-
setze zu geben, da ist sie auch, solche wieder abzuschaffen!
Hamb. Staatsarchiv Ol. VH Lit Db Nr 2 Vol. 5^.
VI.
Erträge der Wein-Accise 1674—1781.
Nachstehende Ziffern sind von mir aus zwei Oktavheften ausgezogen,
die sich im Hamb. Staatsarchiv, Gl. Vn Lit. Db Nr2 Vol. 5», befinden.
Jedes Jahr sind 4 — 6 Eingänge verzeichnet, die teilweise schon in jenen
^-»^«n addiert sind, teilweise von mir addiert wurden. Nicht immer ist
Weinakzise und Weinhandel in Hamburg.
137
in den ersten Jahrzehnten ganz klar, ob die im Januar gebuchten Beträge
zu dem laufenden oder dem vorigen Jahre zu rechnen sind. Pfennige sind
in nachstehender Liste nicht mitgerechnet.
Jahr
Ertrug
Jahr
Ertra^^
Jahr
ErtraiT
1674
15 294 ^
8/1
1710
23 269 ^ 13 ß
1746
50165^ 12 /t
1Ö75
15 097 „
12 „
1711
43131 ,
1 r
1747
63 044 ,
13 r
1676
12849 „
10 „
1712
60 459 .
12 .
1748
42 600 .
12 «
1677
12 286 ^
12 ,
1713
53 333 „
15 „
1749
54 635 „
10 „
ia78
5 724 „
3 «
1714
33 028 „
9 «
1750
47 802 „
1 1.
1679
n 893 „
12 n
1716
37 128 ^
ö .
1751
39 847 „
2„
1G80
17 824 ^
12 „
1716
66614 „
6 .
1752
42 653 „
10. .
lt>81
16 097 .
~ n
1717
56 817 ^
8 „
1753
60128 ^
8 n
1682
12 777 „
15 „
1718
70 932 ^
9 .
1754
5^1088 „
11 .
1683
12 085 „
14 „
1719
52 611 ^
U „
1755
55 740 „
3 n
1^84
10939 „
12 ,
1720
69 520 n
6 „
1756
43 964 ^
11 .
mm
12 232 „
6 ,
1721
58405 ,
11 «
1757
61 215 ^
13 «
168ß
11435 n
3,
1722
43162 ^
10 „
1758
74 096 rt
H ,
1687
16 071 .
t> .
1723
Dl 364 .
4 «
1759
53 308 ^
2 „
1688
25 921 „
2 n
1724
56 569 ^
7 .
1760
56 540 ^
14^
1689
26 515 „
3 „
1725
53 602 „
2 „
1761
60469 ^
14 «
1690
26 006 ^■
10 „
1726
43179 ^
8 „
1762
69 436 „
14 „
1691
20 047 „
IS.
1727
47 434 „
7 «
1763
48 582 „
9 «
1692
19817 n
G »
172S
36 836 „
14 ,
1764
39 511 „
14 „
169R
17 022 ,
7 ,
1729
60199 „
2 n
1765
67 643 „
14 n
1694
15 631 „
7 „
1730
50 217 ^
9 .
1766
51948 „
5 «
1695
13906 „
3„
1731
58 475 ^
13 n
1767
37 060 n
15 ^
1696
14 763 ,
n
1732
39 403 ^
1 »
1766
32 701 ^
10 „
1697
13 919 „
5 „
1733
56 578 ,,
9 .
1769
40 922 ^
2^
1698
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39 762 „
12 ,
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31603 „
1 n
1699
12 589 ^
11 „
173;^
36 365 „
13 „
1771
33 769 „
14 „
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45 205 „
10 „
1772
34825 „
10.,
1701
10 992 „
2 „
1737
49 499 „
6 «
1773
38 075 „
11 n
1702
14 463 ,,
13 „
1738
56 778 „
5 „
1774
37 366 „
8 n
1703
16 875 ,
2 .
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36 673 „
13 ,
1775
36 490 „
6 n
1704
14829 ,
5n
1740
47 479 „
1 n
1776
30 867 «
7 «
1705
10 905 „
3 „
1741
47179 „
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1777
28926 n
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1706
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FT
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43 954 ^
14 „
1778
30 893 „
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1707
52 5H4) ,
10 .
1743
78 808 ^
3 „
1779
49 744 „
11 n
1708
42 880 „
1 .
1744
64 702 „
U „
1780
35 327 „
2 „
1709
30 921 ,,
15 „
1745
43 915 n
n
1781
38547 „
9 n
A
138 Hans Nirrnheim,
Zur Geschichte der hamburgischen Märkte.
Von
Hans Nirrnheim.
Der nachstehend abgedruckte, vom 22. April 1471 datierte
Brief des Hamburger Rats an die Büi-germeister und Rat-
mannen der Stadt Schleswig enthält einige bemerkenswerte
Mitteilungen über die Zahl und die Termine der im Mittel-
alter in Hamburg abgehaltenen Jahrmärkte. Er wird in der
Universitätsbibliothek zu Kiel aufbewahrt^) und ist mir zum
Zwecke der Abschriftnahme von der Bibliotheksverwaltung
freundlichst zur Verfügung gestellt worden.
In dem Freibrief Adolfs HI. von Schauenbiu^ war be-
kanntlich der jungen hamburgischen Ansiedlung die Erlaubnis
zur Abhaltung zweier Jahrmärkte gegeben w^orden. Der eine
sollte am Tage des heiligen Vitus (15. Juni), der zweite am
Tage der Himmelfahrt Maria (15. August) stattfinden.*)
Später, im Jahre 1365, hatte Kaiser Karl IV. dui'ch
Privilegien vom 25. und 29. Januar'^) die Abhaltung eines
Jahrmarkts in Hambui^g angeordnet, der vierzehn Tage vor
Pfingsten lieginnen und bis acht Tage nach Pfingsten dauern
sollte.*) Er hatte dabei, wie es scheint, hauptsächlich das
^) Vergl. H. Rat JEN, Verzeichnis der Handschriften der Kieler Universitäts-
bihUothek m, S. 502.
*) Bis in anno forum hahebunt, scilicet in assiimptione sancte Marie
et festo aancti Viti preter forum quod qualibet ebdomada die qua
decretum fuerit fiet.
^ Originale in deutscher und lateinischer Sprache im Hamburger Staats-
archiv. Das lateinische Privileg ist gedruckt in Lünigs Reichsarchiv
Pars spec. Contin. IV 1. Teil, S. 939.
*) eynen etdgen jarmarkt der sich alle jare heben sol
an dem sunntage virtzen tag vor phingsten und sol wem acht tage
nach phingsten.
annis singulis duabus septimanis ante festum penthecostes
et octo diebuspost dictum festum continue sequentihus nundinas
annuales que aliter annuale forum vocantur.
Zur Greschichte der hamburgfisclien Märkte. 139
Interesse seiner mit Hamburg durch die Elbe verbundenen
böhmischen Lande und seines weiteren Hausbesitzes im Auge.
In Hambui-g aber scheint man diesem Jahrmarkte von des
Kaisers Gnaden keine große Sympathie entgegengebracht zu
haben. Denn schon wenige Jahre nach Karls IV. Tod, im
Jahre 1383, ließ der Rat in der- Bursprake seine Aufhebung
verkünden:
Dar nüd willen mer hmghere is de raad to rade
worden, dat ze den nyen market, de eer kimdighet was vor
pinxsten to holdende, willet entholden, also dat di^ nicht
wesen schal also langhe went de raad anders wes to
rade wert^)
Daß der Rat diesen Beschluß zu irgend einer Zeit
wieder rückgängig gemacht hat, ist nicht bekannt.
Aus dem Handlungsbuche Vickos von Geldersen*) wußten
wir femer, daß auch um den Tag des heiligen Felicianus
(20. Oktober) ein Jahrmarkt in Hamburg abgehalten wurde.
Dagegen darf der im Handlungsbuche sehr häufig vorkommende
Michaelismarkt nicht, wie es in der Einleitung S. XXIX ge-
schehen ist, für Hambiwg in Anspruch genommen werden.
Weitere Untersuchungen haben mich vielmehr belehrt, daß
unter ihm stets die besuchte Michaelismesse in Lüneburg zu
verstehen ist. Der St. Vitusmarkt wird auch im Handlungs-
buch häufiger genannt, des Jahrmarkts um Himmelfahrt Maria
geschieht aber an keiner Stelle ausdrücklich Erwähnung.
Daß er trotzdem keineswegs verschwunden war, zeigt der hier
abgedruckte Brief, dem zu entnehmen ist, daß Hamburg noch
am Ende des 15. Jahrhunderts die drei alten Jahrmärkte,
die beiden von Adolf IQ. festgesetzten und den St. Felicianus-
markt, den wir aus dem Handlungsbuch kannten, besaß.*)
Der Brief ist zugleich ein neues Zeugnis dafür, daß der von
Kaiser Karl IV. angeordnete Pflngstmarkt nicht mehr ab-
gehalten wurde.
*) Hamb. Staatsarchiv Cl. VII Lit. La Nr. 1 Vol. 1.
^ Hamburg und Leipzig 1895.
•) Das etc. hinter Feliciani ist, wie der Wortlaut ergibt, natürlich nicht
auf weitere Märkte zu beziehen, sondern soU yermutlich die Beiwörter
zu FeUciani (episcopi martiris) ersetzen.
140 Hans Nirrnheim.
Den drei allgemeinen Jahrmärkten \Muden, me aus
dem Briefe hervorgeht, im Jahre 1471 durch Rat- und
Bürgerschluß vier besondere Pferdemärkte hinzugefügt, die
am diitten Sonntag vor Estomihi, am Sonntag Oculi, am
Palmsonntag und am 15. Juli (Divisio apostolorum) beginnen
und je vier Tage währen sollten.
Der Hamburger Rat teilt dem Schleswiger Rat die
Einrichtung von jährlich vier Pferdemärkten mit und
bittet ihn, dies in Schleswig und Umgegend bekannt
zu machen. 1471 April 22.
Original auf Pergament in der Kgl. Universitätsbibliothek zu Kiel.
Das brief schließ ende Siegel ist nicht mehr vorhanden.
Unsen fruntliken grut tovoren. Ersamen guden fiiinde,
deme gemenen beste to gude unde proflte unde na sunder-
liker begeringe itliker vi^amer coplude, de ere neringe mit
peerden to kopende unde to vorkopende plegen to sokende,
hebben wy eendrechtigen mit unsen leven borgeren up-
genomen, ingesettet unde geslaten, dat men in unser stad
boven de gemenen vryen margket uppe Viti, assumpcionis
Marie unde Feliciani etc., so wente hereto is wondlik
gewesen, noch uppe veer tyde hir nagescreven vryhe
perdemargkede schal holden, nemeliken enen dree weken
vor deme sondage to vastelavend esto michi, den anderen
up den sondagh oculi, den drudden up den palmensondagh
unde den veerden uppe den dagh aller apostell, alse
divisionis apostolorum genomet, welkere veere erbenomede
vrye perdemargkede up de erbenomcden dage anstan unde
waren scholen veer dage dar negestvolgende. In den
sulven margkeden alle vrome coplude, de denne unse stad,
mit peerden und anderen eren coppenschoppen besoken,
vor andere gaste unde vi'omede coplude, alse gast vor
gaste, scholen geleydet unde velich sin, welk wy juw so
vorkundigen und witlik don mit desseme unseme breve.
Sint darumme an juw vruntliken begerende, gy eynsodanet
juwen borgeren unde anderen juwen näheren, dar juw
Zur üeschichte der haniburgischeu Märkte. 141
des duncket van noden wesen, opcmbarcn und witlik
don ^Villen, iirame sik dar ok na mögen weten imde hebben
to richtende unde siilke erbenomede \Tye raargkede to
vorsokende, vorscluilden wy iimme jiiw allewege ghenie.
Gode bevolen. Screven under imnser stad secret arame
mandage na quasimodogeniti anno etc. 71.
Borgenneistere und radraaime
der stad Haraborgh.
Adresse: Den einsamen borghermeisterenn unde radmannen der
stad Sleszwygk, luisen guden frimden.
142 Bezensionen.
Rezensionen.
W. Melhop, Alt-Hamburgisclie Bauweise. Kurze geschicht-
liclie Enhvicklung der Baustile in Hamburg dargestellt am
Profanbau bis zum Wiedererstehen der Stadt nach dem
großen Brande von 1842 nebst chronistisch-biographischen
Notizen. Mit 274 Abbildungen. XVI und 351 Seiten.
Hamburg 1908. Boysen & Maasch. Lexikonformat. Mk. 16.
Das gut ausgestattete Buch ist eines der erfreulichsten Er-
gebnisse jener Zeitbewegung, die unseren Sinn auf das schlichte,
natürliche Wesen der Vergangenheit lenken und der Heimatsliebe
damit eine breitere und gesundere Grundlage schaffen will. Wenn
auch fraglos dieses Bestreben schon in weitere Ki'eise gedrungen
ist, als eine gegen die Philologm und Kunsthistoriker gerichtete
Bemerkung im Vorwort annimmt, so kann doch von einer völligen
Erneuerung unserer Kultur in diesem Sinne noch nicht die Rede
sein. Den Verfasser begleitet daher auch bei seiner Schildenmg
der Nebenzweck, den Leser selbst zum Vergleich der älteren
charakterstarken Bauweise mit der Verfallszeit anzuregen.
Die Abbildungen sind überraschend zahlreich. Der Verfasser
hat das Verdienst, selber eine Auslese von etwa hundert Ansichten
oder Bauteilen photographiert und damit wenigstens im Bilde für
die Zukunft gerettet zu haben. Allein diese sehr bezeiclmende Aus-
wahl genügt, um ihm ein feines Verständnis für die vielen unschein-
baren, aber bau- oder kulturgescliichtlich höchst bemerkenswerten
EinzeUieiten naclizurühmen. Vor allem eine Durchsicht des letzten
Kapitels, in dem die Ausluchten, Klevelappen, Höfe, Gänge, Treppen
und Kellereingänge behandelt werden, liefert dafür den Beweis.
Die wertvollste Ergänzung zu den Pliotographien bilden die Zeich-
nungen und Litliographien (von E. Niese, Th. Riefeseil, Ebba Tes-
dorpf und Marie Zacharias), die das Museum für Kimst und Gewerbe
zur Reproduktion hergelielien hat, und die für die Bedeutung des
Dilettantismus das beste Zeugnis ablegen. Ihnen reiht sich ferner
eine große Anzahl von Photographien, Sticlien, Lithographien, Hand-
zeichnungen imd Aquarellen an, die das Staatsarchiv, die Bau-
deputation, die Kunsthalle und der Verein für Hamburgische Ge-
schichte zur Verfügung gestellt haben.
Die Einteilung gliedert das Material in übersichtlicher Wdun.
Rezensionen. 143
Das Schwei^ewicht ist auf den Backstein- bezw. Hausteinbau geloggt,
während die Fachwerkliäuser, von denen nicht jedes mehr ein Dokument
bedeutet, geschlossen in einem Kapitel untergebracht sind.
Für die Periode der mittelalterlkheti Bauweise (Kapitel III)
genügen die wenigen Beispiele nicht einmal, um die Stilentwicklung
näher als durch die bekannte Feststellung anzudeuten, daß die Gotik
bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts hinaus vorgeherrscht hat.
Es scheint indessen, als ob der Einfluß einer zur Einfachheit
neigenden Eeaktionsströmung allmählich der Gotik ihren Grund-
charakter genommen und einen Übergangsstil geschaffen hat, älinlich
wie es im 18. Jalirhundert beim Eindringen der klassizistischen
Strömung geschah. Blieb auch die Vorliebe für den Treppengiebcl
erhalten, so kam doch die Lisenengliederung aus der Mode, um einer
glatten oder längsgeteilten Giebelwand Platz zu machen.
Erst in der Periode der Renaissance und ilirer Abw^andlungen,
des Barock und Eokoko, haben andere Städte nichts mehr vor Ham-
burg voraus. Die allerdings recht schwierigen Vergleichsunter-
suchnngen und eine Spezialisierung der lokalen Stileigentumliclikeiten,
wovon im Anfange de« dritten Kapitels verheißungsvoll gesprochen
wird, sind leider fast ganz unterblieben.
Die Gruppierung des reichen, für das vierte Kapitel bestimmten
Stoffes gehört unleugbar zum schwierigsten Teile der Textbearbeitung.
Gerade dieses Kapitel lelirt, wie uneinlieitlich oft in einer Periode
gebaut wurde, und wie schon früh fremdartige Häuser neben boden-
ständigen Neubauten zu sehen waren. Nicht nur dringen alle mög-
lichen Einflüsse, stark vermisclit, von außen her ein, es findet auch
eine Kreuzung mannigfachster Art innerhalb der Stadtgrenze statt.
Aber auch ganz abgesehen davon, daß ein Zusammenspiel mehrerer
Stilschattierungen eine scharfe Scheidung der Hauptströmungen un-
möglich macht, wollen allzu viele Gesichtspunkte berücksichtigt
werden. Bald war es wünschenswert, Bauten ihrer Zweckbestimmung
oder des gemeinsamen Architekten wegen im Zusammenhang zu
besprechen, bald galt es, sie der Portale wegen in eine andere
Rubrik zu bringen, und ein anderes Mal wieder verdienten Giebel-
typen oder Dacliausbildungen verwandter Art eine gesonderte Er-
wähnung. Bei der tTbermacht dieser EinzeUieiten ist die Leistung
des Verfassei's doppelt anzuerkennen. Nur der Mangel von Daten
unter den Abbildungen erschwert die Übersicht und Nachprüfung.
Ein bestimmtes Baujahr ist im Text häufig angegeben, ebenso
nianclie Datierung, die sich zuweilen nocli (z. B. Abb. 199) auf
Grund des oniamentalen Schmuckes enger begrenzen läßt. Zu dieser
Bescliränkung in der leichten Benutzung des Buches kommt noch,
daß der Text meist mehrere Seiten vom Bilde entfernt stellt, ohne
daß für eine Angabe der Seitenzahl bei der Abbildung gesorgt ist.
Ein Versehen ist dem Verfasser nur einmal unterlaufen; es wird
nämlich der Beginn des sogen, holländischen Barocks zuerst (S. 73)
144 Rezeusionen.
in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, an spät<?rer Stelle (S. 84)
aber in die erste Hälfte verlegt.
Die verschiedenen Modeströmungen charakterisiert der Ver-
fasser stets mit kurzen und treffenden Worten. Sie liefern ihm
zugleich praktische Unterabteilungen für das vierte Kapitel; doch
leiden einmal die Tatsachen etwas unter diesem Schema. So folgt
auf die Periode des holländischen Barocks (S. 73 ff.) eine durch die
Pilastergliederung deutlich gekennzeichnete Gruppe. Da aber der
Beginn dieser Stilrichtung, nach dem 1650 erbauten Herrn- Logiment
(Abb. 83) zu urteilen, nicht erst in das letzte Drittel des 17. Jahr-
hundert« fällt, so ergibt sich ein ziemlich gleichzeitiges Bestehen
beider Stilrichtungen, und es wäre in diesem Falle gut gewesen,
wenn auch der Anschein einer liistorischen Reihenfolge vermieden
worden wäre.
Bei allen Stilabwandlungen des Barocks spielt der holländische
Einfluß zweifellos die größte Rolle. Man möchte ihn schon auf
das 16. Jahrhundert, das leider durch kein einzige« Beispiel ver-
treten wird, zurückführen, weil er gleich am Anfange des 17. Jahr-
hunderts auftritt. Deutliche Spuren hat er u. a. an dem 1642 er-
bauten Hause Gr. Reichenstraße 9/11 (Abb. 33) hinterlassen,
während er im übrigen auffallend rein an zalilreichen Barockportalen
zu bemerken ist. Weniger zweckmäßig sind die Bezeichnungen
holländischer Barock und französische oder ifalietiische Richtung. Was
z. B. (S. 83) als französischer Stil angesprochen wird, jene Gruppe
mit der Pilastergliederung, erinnert zuweilen mehr an Amsterdamer
Bauten aus der Zeit des Architekten Vingboons, was also höchstens
indirekten französischen oder itAlienisclien Einfluß bedeuten würde.
Deshalb trifft der übliche allgemeine Name klassizierender Barock
besser als jede Herkunftsbezeiclmnng den Inhalt des Zeitgeschmacks.
Das Görzische Palais (Abb. 86) möchte man, olme seine hohe
Bedeutung als Bauwerk zu schmälern, doch als einen Fremdkörper
mit wenig gutem Einfluß auf die Bauweise des 18. Jalirhunderts
ansehen. Hier findet sich zuerst die Rustikaquaderung, die sich
nur schwierig dem Wesen des Backsteinbaus anpassen will. Hier
sind die alten nordischen Breitfenster durch die neumodisch-italie-
nischen ersetzt, wodurch wesentlich das Aussehen der Fassade wie
das Innere verändert wurde. Sonnin, dem Lichtwark einen AbfaU
von der guten Tradition vorwirft (vergl. Breitfenster und Hecke,
1906, S. 10), kann sich danach auf frühere Beispiele berufen.
Daß die Architekten, die im 18. und 19. Jahrhundert mit
ihrem persönlichen Geschmack in das Stadtbild eingreifen, ausführ-
liche Erwähnung finden, steht ganz mit ihrer Tüchtigkeit und der
Wichtigkeit ihrer Stilmerkmale im Einklang. Der Klassizismus
(Kapitel V) scheint sich in Hamburg wesentlich unter Kopenhagener
Einfluß abgewandelt zu haben, da die führenden Architekten Arens,
'^ nsen, Bundsen dort ihre Ausbildung genossen hatten.
Rezensionen. 145
In den kürzeren oder längeren historischen Notizen, die einigen
Banbeschreibnngen beigegeben sind, steckt ebenfalls viel sorgfältige
nnd nützliche Arbeit. Wenn anch Lücken zu füllen sind, anderer-
seits die Abschweifongen manchmal zu weit führen, so bietet doch
diese Vereinigung von Bau- und Ortsgeschichte erheblich mehr als
nnr einen Beitrag zur Festigung des HeimatsgefÜMs,
Zum Schimmelmanfischen Palais (8. 160 ff.) mögen hier nacli
Winzer, Die Wegelysche Porzellanfabrik in Berlin (Schriften des
Vereins für die Geschichte Berlins, 1898, XXXV), einige beachtelis-
werte Ergänzungen angefügt werden, die geeignet sind, den Besitzer
dieses vornehmen Hauses in ein anderes Licht zu rücken. Ob das
dem Verfasser unverständliche Wort berüchtigt darauf zu beziehen
ist, soll dahingestellt bleiben, jedenfalls ist es kaum zu milde für
diese Persönlichkeit. Schimmelmann hat es in genial-raffinierter
Weise verstanden, durch ein zweideutiges Spiel Vertrauen und
Wertschätzung zu gewinnen, um daraus lediglich für sich Vorteile
herauszuschlagen. Auf diesem System beruhte sein ungeheurer
Reichtum, den er erst als sächsischer Akzisenrat, dann — während
des Siebenjährigen Krieges — als Pächter der Meißener Porzellan-
fabrik ansanmielte. Die Vertrauensstellung bei Friedrich dem Großen
wußte er so zu befestigen, daß der König große Zukunftspläne, wie
die Begründung einer Berliner Porzellanmanufaktur, einzig im Hin-
blick auf den reichen Kaufmann ausgestaltete und dadurch eine
schon bestehende Fabrik, die Wegelysche, ins Unglück stürzte.
Der Verkauf von Meißener Porzellan führte Schimmelmann etwa
1757/58 nach Hamburg, wo er alsbald das Palais erbauen ließ.
Als Berichtigung einer Angabe des Verfassers sei nach Winzer
bemerkt, daß der Kauf von Ahrensburg schon 1759 stattfand,
dieser aber ein dänisches Untertanenverhältnis ohne weiteres mit
sich brachte. Damit wurde zugleich das sichere Doppelspiel ein-
geleitet, das, mit heuchlerischem Schein geführt, als offener Treu-
bruch gegen Friedrich den Großen endigte. Die charakteristischen
Einzelheiten und die Tatsache, daß Schimmelmann auch in dänischer
Stellung seiner bewährten Methode treu blieb und dem Staate
großen Schaden brachte, sind in der bei Winzer genannten Literatur
nachzulesen.
Die Fachwerkbauten (Kapitel VI) hat der Verfasser nur zum
kleineren Teil chronologisch geordnet, um den Entwicklungsgang
von der offenen, gediegenen Konstruktionsart der Renaissanceperiode
bis zur verhtQlenden, unsoliden Bauweise des 18. und 19. Jahr-
hunderts zu skizzieren. Dafür wurde ein Zusammenschluß der
wertvollsten, durch Holzschnitzereien ausgezeichneten Häuser mög-
lich, die sich mit den Besten in Hannover, Westfalen und Braun-
schweig messen können oder konnten.
Über den Holzbau hat Lachner in seiner Gesdüchte der
Holzbaukunst in Deutschland (Leipzig 1885) grundlegende, wex
Ztschr. d Vereins f. Hamb. Gesch. XIU, '^^
146 Rezensionen.
auch zum Teil anfechtbare Stadien gemacht. Danach ist das auf
Seite 213 beg^ründete Vorkragen der Geschosse weder aus wirt-
schaftlichen Eticksichten, am größeren Eaam in der engen mittel-
alterlichen Straße zu gewinnen, noch aus ästhetischen Ursachen
entstanden, sondern im Zusammenhang mit einem konstruktiven
Zwang, der das Herausragen der Balken aus Festigkeitsgründen
fordert. Daß Entstehungsursachen oft schnell über die sie begleitenden
Vorteile vergessen werden, lehren ja zahlreiche Parallelen aus
anderen Gebieten. Die späte Erbauungszeit der Hamburger Fach-
werkhäuser verbietet, nach dieser Richtung hin Studien zu machen.
Aber auch die erhaltenen Häuser liefern in Konstruktionswechsel
und Innengliederung so viel Vergleichsmaterial und Anhaltspunkte
für die Entwicklung oder für irgend welche Beeinflussungen, daß
hier genauere Untersuchungen manches Unbekannte zutage fördern
würden. Gerade das Innere der Gebäude, von dem wir — außer
dem Kaufmannshaus mit Grundriß und anschaulicher Beschreibung
(Kapitel Vn) — nur auf Seite 325 ff. einiges kennen lernen, gibt
ergänzende Aufschlüsse, die für die Entwicklungsgeschichte aus-
genutzt werden können. So fanden sich z. B. im Abbruchsviertel
zwischen Schweine- und Pferdemarkt auffallend merkwürdige
Wohnungseinteilungen, unter anderem ein nach der Hofseite zu
gelegenes Halbetagenzimmer, das an Hollands üpkamer erinnert.
Da häufig von holländischen Baumeistern und Einwanderungen die
Rede ist, verdienen auch die Facliwerkbauten daraufhin angesehen
zu werden, zumal wenn schöne Vertäfelungen von einstigem "Wohl-
stand zeugen.
Seltener als in anderen Gegenden sind die schräggestellten
Zierbretter zwischen den Kopfbändem; in späterer Zeit scheinen
sie zuweilen, wie ein Beispiel in der Steinstraße lehrt, die ge-
schwungene Kehlform ihrer Kopfbänder angenommen zu haben.
Endlich sei noch zu der lehrreichen und eingehenden Über-
sicht der vorhandenen Donnerbesen und Windmühlen bemerkt, daß
an den Windmühlen — wie schon Seite 223 angedeutet — das
Wesentliche des Symbols die Schrägstellung der Flügel zu sein
scheint. Noch heute gilt es z. B. in Mecklenburg als glückbringend,
wenn man Windmühlenflügel zuerst in dieser Stellimg erblickt.
Jedenfalls wird die etwas gesuchte Erklärung, daß die Mühle Brot
ins Haus bringen soll, hinfällig sein.
Gewiß läßt sich noch mancher Beitrag liefern. Das ist ganz
im Sinne des Buches, das reichste Anregung gibt. Der Verfasser
aber hat seine Absicht vollkommen erreicht: Die Althamburger
Bauweise ersteht aufs neue vor unseren Augen, die einzelnen
Teile werden auch dem Femerstehenden in ihrem praktischen
Werte klar und sclüießen sich zu einem wirkungsvollen Kulturbild
zusammen. -^ _
Th. Raspe.
Bezensionen. 147
Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Im Auftrage des
Tages für Denkmalpflege bearbeitet von GEORG DEHIO.
Band ü. Nordostdeutschland. Berlin. Verlegt bei Ernst
Wasrauth A.-G. 1906.
Hamburg besitzt bis jetzt kein zasammenhängendes Inventariom
seiner Konstdenkmäler, weder derjenigen in der Stadt noch der auf
dem hambnrgischen Landgebiet erhaltenen; das vorstehend genannte
Buch fiQlt diese Lücke in vorzüglicher Weise aus. Wenn in nach-
stehenden Zeilen auch namentlich das gewürdigt werden wird, was
das Handbuch über die Kunstdenkmäler auf Hamburger Gebiet bringt,
so darf dabei doch nicht imerwähnt bleiben, was sich sonst noch
alles in diesem umfangreichen und dabei auf kleinem Baum zusammen-
gedrängten, mit erstaunlichem Fleiß aufgebauten Werk findet. Die
Ausdrucksweise ist kurz und treffend, die gut überlegten Abkürzungen
sind leicht verständlich und der Text trotz seiner Knappheit aus-
reichend klar. Außer den städtischen Kunstdenkmälem Nord-
deutschlands östlich der Elbe finden wir in dem Buche jedes architek-
tonisch beachtenswerte alte Dorfkirchlein, wie auch die darin etwa-
noch erhaltenen Schnitzereien, Skulpturen usw. erwähnt. Dadurch
erhält das Buch auch für den abseits der großen Heerstraße
wandernden Kunstfreund besondere Bedeutung, denn es setzt ihn
in den Stand, manche Perle alten Kunstschaffens zu bewundem, in
deren Nähe er sonst wahrscheinlich vorübergehen würde, ohne ihr
Vorhandensein zu almen. Gerade hierin liegt meines Erachtens ein
ganz besonderer Wert dieser Zusammenstellung und ich kann den
Freunden alter Kunst nur dringend raten, bei Ausflügen in unsere
Umgegend das Handbuch einzuselien; sie werden es nicht bereuen.
Was mm unser Altliamburg, sowohl Stadt als Landgebiet,
anlangt, so hat dies, wie aus der Vorrede des Buches ersichtlich,
Herr Dam^iann bearbeitet, und über Stil der Bauwerke, Bauzeit,
Künstler usw. wertvolle Angaben gemacht. Jeder Kenner der
hamburgischen Kimstdenkmäler wird sich an der mit Eifer und
Verständnis zusammengetragenen Übersicht freuen, wennschon es
ihn andererseits gewiß mit Wehmut erfüllt, feststellen zu müssen, daß
von den dort aufgeführten Architekturdenkmälem seit dem Erscheinen
des Handbuches bereits vieles gefallen, verändert oder »renoviert«
ist. Aber man erliält doch den Eindruck, daß in und um Hamburg
noch manche Sehenswürdigkeit erhalten geblieben ist.
Voran stehen unsere alten Hauptkirchen mit ihren hervor-
ragenden Kunstdenkmälem ; ihnen folgt die bürgerliche Architektur,
wobei die wenigen noch erhaltenen Fachwerkbauten nicht vergessen
wurden. Auch die alten Brücken in Hamburg, Ellemthorsbrücke
und Zollenbrücke, vne unsere nicht zahlreichen Denkmäler aus älterer
Zeit sind aufgeführt. Weiter finden wir alle nennenswerten Kürchen
des hamburgischen Landgebiets mit ihren Kunstschätzen; iii ^<b\
148 Bezensiouen.
Altengammer Kirche sind die originellen geschmiedeten Hathalter
namhaft gemacht, wie in Allermöhe der Schnitzaltar; in Bergedorf
finden wir neben Kürche and Scliloß das alte Gasthaus Stadt Hamburg
erwähnt; auch sonstige ansehnliche Fachwerkbauten auf dem Land-
gebiet sind gewissenhaft vermerkt, wie z. B. das Haus Billwärder
an der Bille Nr. 122 und das alte Bullenhuser Schleusenhaus.
Auf Waltershof ist das Domänenliaus, in Wohldorf das Herrenhaus,
im Amte Bitzebüttel sind Kirchen und Schloß erwälmt, und auch
der Turm auf Neuwerk felilt als Baudenkmal nicht. Überall finden
wir baugeschichtliche und chronistische Notizen dabei.
Nebenher sei es im Interesse der guten Sache gestattet, auf
einige kleine Unstimmigkeiten hinzuweisen, die bei einer Neuauflage
zu beseitigen wären. Das Stadthaus ist von J. H. Kuhn um 1710,
nicht 1717 erbaut, wie auch im Hamburger Ktinsüerlexikon irrtümlich
zu lesen ist; 1717 war der Bauherr des Stadthauses Baron Görz
bereits nicht mehr in Hamburg. — Das Seefahrerarmenliaus
(Trosthaus) ist- 1774 erbaut, nicht 1556! — Für die St. Georger
Kirche ist heute allein der Name Dreieinigkeitskirche, nicht Drd-
faltigkeitskirche (S. 171 und 174) gebräuchlich. — Seite 172 ist
statt Simmi Wagener zu setzen Simoii Waghevens und Seite 176
statt Vogtei richtiger Schleusenvogtei, — Die Häuserreihe Eeimers-
twiete Nr. 23 — 30 (statt 28) ist nach einer Inschrift an einem der
Häuser bereits im Jahre 1541, nicht erst um 1600 erbaut worden.*)
Es sind dies jedoch kleine Ausstellungen, die dem hohen Wert
des Werkes keinen Abbruch tun sollen.
Sehen wir uns nun auch die nähere Umgebung außerhalb des
Hamburger G^ebietes an, so sind die Angaben da nicht weniger
Auch einige Druckfehler würden bei einer zweiten Auflage zu ver-
bessern sein: S. 171 Melhop statt Mellrop, Dreifaltigkeitskirche in
Hamm statt Hamburg, Spitalertor statt Spitalerstor, S. 175 Löwen-
köpf statt Löwinkopf y S. 177 Deichstraße statt Reichstraße, Kajen
statt Kojen, Schopenstehl statt Schoppenstehl, Zollenbrücke statt
Zollembrücke, Bacchus statt Bachus, Busch statt Busch. — Femer
macht Herr Dr. Joachim darauf aufmerksam, daß es Curslack statt
Kurslack, Kirchwärder statt Kirchenwärder heißen muß, daß Ritze^
bilttel zu streichen ist, da es einen Ort dieses Namens nicht gibt,
daß demgemäß die Martinskirche, deren schöne Kestaurierung durch
den Architekten F. LORENZEN jetzt ebenso hervorzuheben sein würde,
wie es bei der St. Paulikirche geschehen ist, und das Schloß neben dem
Leuchtturm unter Cuxhaven einzureihen sind, daß endlich die Grodener
Kirche 1700 nicht emgreifend restauriert ist, ihr Turm vielmehr erst
aus dem Jahre 1784 stammt und das Kirchengebäude selbst 1868 eine
gründliche Erneuerung erfahren hat, bei der u. a. der ganze Chor be-
seitigt wurde (vergl. GrandaüER-Obst, Gedenkbuch des hbg. Amtes
Ritzebüttel S. 163 f.). Anm. der Redaktion.
Rezensionen. 149
reichhaltig und interessant. Bei Ahrensburg ist Schloß und Kirche
erwähnt; unsere Nachbarstadt Lübeck ist besonders eingehend be-
handelt, wir finden aber auch Lauenburg an der Elbe, Mölln,
Beinbek mit seinem Schloß, Kellingen mit seiner interessanten
Kirche, und das historisch interessante Segeberg verzeichnet; auch
wird öfters auf noch erhaltene alte sächsische Bauernhäuser auf-
merksam gemacht.
Kurz man wird gewahr, an wie vielen Orten noch Bau-
denkmäler erhalten sind, wo der Laie sie gar nicht vermutet.
Als kleine Vervollständigungen wären erwünscht u. a.: die
Kirche in Niendorf bei Lokstedt, ein Eundbau in Sonninscher Art,
femer die Kirche in Sülfeld mit ihrem Treppengiebelturm sowie
das nahe dabei gelegene Schloß Borstel.
Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß dem Buch eine
Zusammenstellung aller im Text erwähnten Orte sowie ein alpha-
betisches Künstlerverzeichnis angefügt ist, so daß es als bequemes
und übersichtliches Nachschlagewerk nach keiner Eichtung zu
wünschen übrig läßt.
Wennschon das Buch sich nur zum Teil auf Hamburg be-
zieht, so muß es doch als wertvolle Ergänzung der Hamburgensien-
literatur bezeichnet werden; es sollte nicht allein bei Arcliitekten
und Künstlern, sondern bei allen denen, die für unsere heimatlichen
Baureste Interesse haben, Beachtung finden; ihnen allen wird es
sich als höchst nützlicher Wegweiser erzeigen.
Melhop.
Richard Uetzmann, Die geographische Lage Hamburgs.
Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde bei der
philos. Fakultät der Universität zu Gießen. Hamburg 1906.
8". 55 S.
Die vorliegende Arbeit besteht aus drei Hauptteilen, von
denen der erste die allgemeine Verkehrslage, der zweite die Orts-
lage und der dritte Hafen und Fahrrinne der Elbe behandelt.
Wenn der Verfasser zu Anfang seiner Untersuchung sagt, er wolle
wesentlich die geographischen Verhältnisse darlegen, so trifft dies
nur für den ersten Teil zu, in dem er zeigt, wie das Zusammen-
treffen einer Keihe von günstigen geographischen Verhältnissen die
jetzige Bedeutung Hamburgs ermöglicht hat. Von einer Bestimmung
zur Welthandelsstadt ist in diesem ganzen ersten Teil, und zwar mit
Recht, nicht die Eede. Um so auffallender ist es, daß der Ver-
fasser am Anfang des zweiten Teiles (8. 19 ff.) versucht, diese**
angeblich mehrfach gebrauchten Ausdruck zu rechtfertigen. W^
aber, wie er selbst zugibt (S. 21), ein volles Jahrtausend seit
Oründung vergehen mußte, ehe Hamburg aus ixx Guivst ^ät d
1 50 Bezensionen.
meinen Lage den ihm gebührenden Nutzen zu ziehen vermochte, und
wenn, wie im dritten Teil ansgeföhrt wird, zahlreiche knltorelle
Eingriffe nötig waren, am den Zugang zum Meere offen zu halten,
so spricht das doch nicht gerade dafür, daß die Entstehung einer
großen Handelsstadt an der Stelle, wo Hamburg liegt, eine geo-
graphische Notwendigkeit war.
Der zweite Teil trägt mehr einen historischen Charakter.
Der Verfasser will nachweisen (S. 19), wie infolge der (Ertlichen
topographischen Verhältnisse gerade die Stelle, wo jetzt Hamburg liegt,
und keine andere im weiteren Umkreise zur Trägerin einer Weltstadt
geworden ist. Diesen Nachweis bleibt er jedoch schuldig und führt
anstatt dessen aus, daß die erste Periode Hamburgs nichts von den
Vorteilen seiner jetzigen Ortslage zeige (S. 28). Er spricht zwar
wiederholt (8. 28, 29, 37 und 44) von der Gunst der Ortslage,
doch hören wir erst im dritten Teil (S. 46), worin diese Gunst
eigentlich besteht (Zusammentreffen von See- und Flußschiffahrt).
Sonst beschäftigt sich der dritte Teil vorwiegend mit den technischen
und politischen Erfolgen Hamburgs im Gebiet der Unterelbe, hinter
denen die rein geographischen Faktoren wesentlich zurücktreten. So
läßt schon der ganze Aufbau die für eine solche Arbeit erforder-
liche Klarheit und Gründlichkeit vermissen, und diese oberflächliche
und flüchtige Arbeitsweise verrät sich noch mehr in den Einzelheiten.
So z. B. verschiebt der Verfasser S. 18 die Besprechung der Be-
ziehungen Hamburgs zu Harburg und Altona auf einen späteren
Abschnitt. Aber von Altona hören wir im folgenden gar nichts
(außer, daß es 1338 zuerst genannt sein soll [S. 37], statt 1538),
und Harburg wird nur zweimal (S. 25 und S. 50) ganz kurz ge-
streift. An andern Stellen wieder geht der Verfasser zu sehr in
die Breite und bringt Dinge vor, die mit der geographischen Lage
Hamburgs kaum etwas zu tun haben.
Im ersten Teil, der verhältnismäßig noch am besten gelungen
ist, folgt der Verfasser im wesentlichen Deckert, Haage, Krümmel,
Partsch, Beinhard, Peuk, Wiedenfeld und Buchheister. Die
vorkommenden Abweichungen, besonders bei Zahlenangaben, sind
jedenfalls unbeabsichtigt und lassen sich durch Flüchtigkeit erklären.
Allerdings ist es nicht gleichgültig, ob z. B. die kleinste Tiefe der
Elbe unterhalb Magdeburgs 160 cm (S. 16) beträgt oder 116 cm,
wie Büchheister angibt.
Im zweiten Teil macht der Verfasser zunächst einige Angaben
über den Untergrund Hamburgs (nach Gottsche) und gibt dann
ein ziemlich ausführliches Exzerpt aus Hindrichson (Zur geogr.
Lage des älteren Hamburg), wo es genügt haben würde, die Eesul-
tate der HiNDRiCHSONschen Untersuchungen anzugeben. Darauf
folgt eine ziemlich wertlose Darstellung von der Entwickelung des
hamburgischen Handels, untermischt mit nicht immer zuverlässigen
x)ri8ch-topographischen Exkursen über die allmähliche Ausdehnung
Rezensionen. 151
der Stadtgrenzen, und schließlich eine Untersachimg über die Ab-
hängigkeit der Topographie Hamburgs von lokalen geographischen
VertiältnisBen (im wesentlichen nach Eeinhard, Die deutschen
Seehandelsstädte). Dieser zweite Teil ist als gänzlich mißlangen
za bezeichnen, was wohl zom Teil daran liegt, daß der Verfasser
sich auf ein Gebiet gewagt hat, wo er nicht za Haase ist. Er hat
zom Teil die Angaben seiner Quellen kritiklos übernommen, darunter
solche sehr zweifelhafter Art. Gelegentlich stellt er auch bloße
Vermutungen seiner Gewährsmänner ohne Begründung als Facta hin.
Dieser ganze historische Teil strotzt überhaupt von Fehlem, die
von sehr geringem historischen Verständnis zeugen. Aber aucli die
neueren Verhältnisse sind dem Verfasser vielfach unbekannt, und
er scheint sich gar nicht die Mühe gegeben zu haben, sich genügend
za informieren. Denn manches hätte er in den von ihm zitierten
Werken von Gaedechens und Melhop finden können. Wie flüchtig
er gearbeitet hat, dafür mag ein Beispiel genügen. Bei Auf-
zählung der vier großen Hamburger Manufakturen (S. 35) passiert
es ihm, daß er aus der Gold- und Silbermanufaktur zwei, nämlich
eine Goldmanufaktur und eine Silbermanufaktur, macht und aus den
beiden völlig heterogenen Industrien der Sammetfabrikation und
der Kattundruckerei eine vollständig neue, die Herstellung von
Samtkattun,
Im dritten Teil lehnt sich der Verfasser ziemlich eng an
BucJHHEisTER an und benutzt daneben besonders Wiedenfeld und
Nehls-Bubendey. Er bringt auch hier nichts Neues. Trotzdem
finden sich auch hier recht wunderliche Fehler, so daß er in der
Eile mitunter seine Quellen gar nicht verstanden zu haben scheint.
Charakteristisch für seine ganze Arbeitsweise ist es, daß er (S. 49)
aof Eibkarten des 15. Jahrhunderts Beobachtungen gemacht haben
will, während unsere ältesten Eibkarten erst aus dem 16. Jahr-
hundert stammen.
Durchaus zu verurteilen ist die Art und Weise, wie der
Verfasser seine Quellen zitiert. Hindrichson und Buchheister,
die er am ausgiebigsten benutzt und stellenweise fast wörtlich
ausschreibt, zitiert er zwar einige Male, aber doch nicht überall
und auch nicht so, daß man erkennen kann, was er von ihnen
entlehnt hat. Auch seine andern Quellen wie Haage, Beinhard,
Wiedenfeld, Partsch, Bubendey, Gottsche hat er ausgiebiger
benutzt, als er angibt, und wo er sie zitiert, geschieht es meist
ohne Angabe der Seitenzahl. Für den historischen Teil fehlen
Quellenangaben fast ganz, denn die Fußnote auf S. 29 kann nicht
als Quellennachweis gelten und soll es wohl auch gar nicht sein.
Dagegen hat er Aufsätze von Otto Beneke (Ein Blick auf
Hamburgs Vei^angenheit) und von Gaedechens (Entstehung und
Wachstum der Stadt) in Hamburg, hisior.-topographische und bau-
geschichtliche Mitteilungen (Hbg. 1869) mehrfach benutzt, ohne dies
152 Rezensionen.
anzugeben, und von Koppmann (Zeitsclir. d. Ver. f. Hamb.
Gesch. VI, S. 426) hat er sogar einige Zeilen wörtlich entnommen
(S. 31), ohne ein Wort darüber zu erwähnen. Ebenso hat er für die
Weltlage Europas (S. 3 — 5) E. Deckert, Über die geogr. Grund-
voraussetzungen der Hauptbahnen des Weltverkehrs (Leipz. 1883),
benutzt, während er auf Partsch, Kirchhoff und Philippson
verweist.
So hinterläßt die Arbeit in jeder Beziehung einen ungünstigen
Eindruck; sie bedeutet nicht nur keine Bereicherung der Wissen-
schaft, sondern verdient auch kaum, als eine wissenschaftliche Arbeit
angesehen zu werden.
Kurt Ferber.
1. Georg Hindrichson, Das Einkunftsregister des Hauses
Kitzebüttel aus dem Jahre 1577 (Wissensch. Beilage zum
Bericht d. Höheren Staatsschule in Cuxhaven, 1905),
15 S. 4^
2. Henrich Stanges Einkunftsregister des Hauses Ritzeb.
aus d. J. 1577, herausg. von Prof. GEORG HINDRICHSON
(Wissensch. Beilage zum Bericht derselben Schule, 1907),
50 S. 8^
Hindrichson verdanken wir mit das Beste, was bisher über
die Entstehung und älteste Entwickelung Hamburgs vorgetragen ist
(Progr. d. Neuen Höheren Bürgerschule zu Hbg., 1889). Später
hat er sich der Geschichte des Amtes Bitzebüttel zugewandt
und eine reizvolle Schilderung der Tätigkeit des Amtmanns und
Dichters Barthold Heinrich Brockes (1735 — 1741) entworfen (Bei-
lagen zu den Berichten d. Höh. Staatsschule in Cuxhaven 1897,
1898, 1899). Mit seinen neuesten Arbeiten erwirbt er sich das
Verdienst, eine für das Verständnis der inneren Verhältnisse des
Amtes wichtige Quelle allgemein zugängig zu machen und ihre
Benutzung durch einleitende Bemerkungen zu erleichtem. Freilich
wie schon seine Darstellung der Wirksamkeit von Brockes sich im
engsten Anschluß an die Akten mehr auf eine Beschreibung der
damaligen Zustände und Geschehnisse beschränkt, als daß sie darauf
ausginge, deren Stellung innerhalb der Gesamtentwickelung zu
charakterisieren und die ursächlichen Zusammenhänge aufzusuchen,
so lassen auch die hier zu besprechenden Veröffentlichungen manclie
Wünsche unerfüllt.
Einmal kann man überhaupt zweifelhaft sein, ob der voll-
ständige Abdruck des sog. Roten Buches die geeignetste Form war,
weitere Kreise mit seinem Inhalte bekannt zu machen. M. E. wäre
Rezensionen. 153
eine sachliche Bearbeitung dieses Inhalts nnter Heranziehung anderer
gleichzeitiger Quellen und des späteren Inventars von 1621 vorzu-
ziehen gewesen. Zudem gibt es, was H. nicht wissen konnte,
in einer Abschrift aus dem Jahre 1727 ein zweites, dem Staats-
archive kürzlich überwiesenes amtliches Exemplar des Boten Buches,
das sich durch viel reichere Zusätze und Nachträge aus den folgenden
Jahrhunderten auszeichnet.
Empfindlicher benihrt, daß der Herausg. sich, wie es scheint,
über die Natur der Aufzeichnung, die er ein Einkunftsregister
nennt, nicht klar geworden ist. Viel deutlicher wäre gewesen,
wenn er sie mit dem üblichen Terminus ein Urbar genannt
hätte. Denn darum handelt es sich: um ein Verzeichnis der Ein-
ktinfte und Hechte der Grundherrschaft Eitzebüttel, in dem natür-
lich hier und da auch Abgaben und Pflichten öffentlich-rechtlichen
Charakters gebucht werden. Deshalb werden Groden und die Heide-
dörfer, die nicht zu jener Grundherrschaft gehörten, nur gestreift.
Die Erkenntnis dieses Sachverhalts hätte den Herausg. in Fühlung
bringen müssen mit der gerade jetzt blühenden allgemeinen Urbar-
forschung; ich verweise dafür nur auf den orientierenden Aufsatz
von G. Caro in der Histor. Vierteljahrschr. IX (1906), S. 153 ff.
Dadurch würde er Vorbilder und Bichtlinien erhalten haben für die
Edition, sowie für die Forderungen, die an die Bearbeitung und
Einleitung zu stellen sind. Ansporn und Befriedigung zugleich
könnte ihm gewähi-t haben, so die lokale Einzelleistung als Glied
in ein größeres Ganzes eingereiht zu sehen, dem er Belehrung ver-
dankte, aber womöglich auch zurückzugeben sich bestrebte.
Die Ausgabe selbst (Nr. 2) steht auf dem veralteten Stand-
punkt der genauen Eeproduktion und Nachahmung des Originals
von der Anordnung des Druckes und der Überschriften an bis zu
jeder Zufälligkeit der verwilderten Schreibweise und Interpunktion
des 16. Jahrhunderts. Dem Leser wird mehr genützt mit der heute
gebräuchlichen Gestaltung des Textes, die zu vereinfachen und zu
vereinheitlichen sucht, die sich, wo es olme Schaden geschehen kann,
in Äußerlichkeiten den jetzigen Gewohnheiten angleicht. Schon
dordi die Edition soll eben ein Teil der Interpretation geleistet
und dem Benutzer abgenommen werden. In dem vorliegenden Falle
ist es, wie eine Vergleichung zeigt, dem Herausg. nicht einmal
gelungen, das selbstgesteckte Ziel zu erreichen. Es finden sich
zahlreiche ortliographische und sonstige Abweichungen von dem
Original, bei denen im einzelnen nicht immer zu entscheiden ist,
inwieweit sie auf Lese- oder Druckfehlem beruhen; von letzteren
«ind jedenfalls mehr stehen geblieben, als das Verzeichnis am
Schlüsse angibt. Ich ftihre hier nur an, was von einigem Belange
ist, und lasse rein orthographische Nebensächlichkeiten außer Be-
tracht. Es muß heißen: S. 3 und fol. 2^ upkumpste statt upkumpfte;
fol. 1* Dose statt Dese; fol, 1** tvisdctoere sVäXX W\scW)W^'^
154 Rezensionen.
fol. 2*^ Johan statt Johs; fol. 3* veerdehalven morgen statt veerde-
halve; fol. 3** Hinricus Capsius statt Hinrici Capsii; fol. 5* und ^
Meinke statt Manike oder Mamke; fol. 6^ Henrich statt Henrich
fol. 9* füisdnoere statt Wischwere; fol. 10* drvdde statt eirwtte
fol. 11*» TFmcÄ statt TFmcÄ; fol. 17» Schirholt statt Schirhoff;
fol. 25* flTMdem statt ^rtwfere; fol. 29* Bartold statt Bertold
fol. 31* ^^ Ä. sae< WTKf ^ /erei. statt ^ö Ä. Saetland 2 ferd.
fol. 32* i rocÄÄo« statt i JSocÄ-; fol. 32^ DorleU statt Cor^
fol. 34* averst statt aver; fol. 38** söhne statt 5oÄn, Bramhagen
statt Bramhagen; fol. 40* tn»K^ statt finden; fol. 42^ hoffstede
statt Hoff sie; fol. 44^ jBrM€5 statt Brwns; fol. 56* m^nwtflrem statt
menningem; fol. 58 ** Sickstede statt Sirkstede; fol. 61* fieZt<?orf statt
Heltoert; fol. 61** Koldenmeiger statt Koldenmeigen ; fol. 62** van
statt vow; fol. 64* toispelen statt Wispeln; fol. 67* m?^ statt t<Ä;
fol. 68* e^n statt de»; fol. 73* vordragen statt verdragen; fol. 84** zwei-
mal Meimersen statt Meinersen; fol. 85* zweimal Koldemeyer statt
Koldenmeyer; fol. 86** zweimal Hinrick statt Henrick; fol. 92*
schepende statt schopende; fol. 94* a^sc^n« dejennen de statt ofe-
(^w^ (fe^ gepubliceret statt geplublicerei ; fol. 96* Brader statt Broders;
fol. 101* vam Orimmers stucke statt van, tnfÄ norde» statt Jn(Ä
O^fen Norden; fol. 103* dem fte^e statt de« J5eZ:e; fol. 105* ^e-
ordenten statt geordneten, upt statt «p. Eine nicht vorhandene
Lücke wird 8. 21 Z. 4 bezeichnet, während eine vorhandene S. 24
Ende nicht angemerkt ist. Zweimal waren Schreibfehler des
Originals zu verbessern: fol. 20* darvan he (statt se) ^j^f und
fol. 77* gri^f jahrlichs 1 ^ (statt 5 ^). Zwecklos ist der Abdruck
des dem Original vorangeschickten Registers (S. 3 — 6), das Jdie
Personennamen nach Vornamen alphabetisch ordnet, was nicht, wie
H. meint, etwas Auffallendes, sondern noch für spätere Zeiten sehr
gewöhnlich ist. Statt dessen hätte man von dem Herausg. neben
dem Ortsregister ein ausreichendes Personen- und Sachregister er-
warten dürfen.
Die zuerst und für sich veröffentlichten einleitenden Be-
merkungen zu der Ausgabe (Nr. 1) leiden natürlich darunter, daß
der Zweck, dem die ganze Aufzeichnung dient, nicht klar erkannt
ist. Es würde sonst die Hauptaufgabe gewesen sein, die Geschichte
und Organisation der Grundherrschaft zu behandeln, auf die sich
das Urbar bezieht. Auch daß von der Beigabe einer Karte und
einer genaueren topographischen Erläuterung Abstand genommen ist,
wird nichthamburgischen Benutzem sehr störend sein. Nach einigen
orientierenden Notizen über die Zusammensetzung des Amts und
seine Geschichte bis zur Erwerbung durch Hamburg macht der
Verf. in drei Abschnitten Mitteilungen über die Entstehung und
Einrichtung des Registers, sowie über seinen Verfasser; alsdann
das Amt, seine Grenzen, Ortschaften und Deiche; sclüießlicli
ie Einkünfte des Hauses Ritzebüttel.
Bezensionen. 155
So gern und ausdrücklich ich nun hervorhebe, daß seine Aus-
führungen manche nützliche und fördernde Einzelheiten enthalten,
so kann ich sie als Ganzes doch nicht als gelungen ansehen. Was
dem Verf. mangelt, ist vor allem die richtige und scharfe Erfassung
der rechtlichen Bedeutung der Vorgänge und der rechtlichen Struktur
der agrarischen Zustände, die doch überall die Bedingung für das
Verständnis seiner Quelle ist, wie das deren Eigenart eben mit sich
bringt. Dieser Mangel aber ist dadurch mit hervorgerufen, daß
der Verf. seinen Blick über das kleine Amt Bitzebüttel kaum
hinausrichtet, daß er die analogen Verhältnisse, wie sie zum
wenigsten in ganz Niedersachsen bestanden, nicht zu kennen scheint,
und daß er die reiche agrargeschichtliche Literatur der neueren
Zeit sich nirgends zunutze macht. Und doch hat es der Forscher
heute so leicht, mit Htilfe der Ergebnisse allgemeinerer Arbeiten
auch auf seinem Spezialgebiete zu besseren Einsichten zu gelangen.
Bei H. ist nicht einmal von dem Werke Werner Wittichs, Die
Grundherrschaft in Nordwestdeutschland (1896), aus dem er in erster
Linie hätte lernen können, ein Einfluß zu spüren. Gerade Lokal-
geschichte kann wirklich fruchtbringend nur betrieben werden in
steter Verbindung mit den umfassenderen Problemen, welche die
Wissenschaft beschäftigen. So hat der Verf. für die G^esamtan-
schauung der Dinge, die er bespricht, nicht den sicheren Grund
gelegt, um zu einer selbständigen Beurteilung, zu einer Entscheidung
in Fragen, um die man sich im 16. Jahrhundert stritt, vorzudringen:
er läßt es vielfach bei einem bloßen Keferat über die damaligen
Meinungen aus den von ihm benutzten Archivalien bewenden.
Das Gesagte bedarf der Begründung und der Belege im
einzelnen. Die richtige Auffassung von der Verfassung und
Rechtslage, wie sie sich im 14. Jahrhundert in den Kirchspielen
Altenwalde und Groden ausbildeten, ist für das Verständnis der
Folgezeit bestimmend. H. entgeht, worauf sich die Verpfändungen
der beiden Klirchspiele aus den Jahren 1324, 1372 (diese wichtigste
berücksichtigt er überhaupt nicht) und 1394 beziehen, und worin
sie sich von dem Verkauf der Grundherrschaft Bitzebüttel im Jahre
1394 unterscheiden (S. 3). Er läßt die Gerichtsbarkeit über das
Dorf Altenwalde anfangs hamburgisch sein, im 16. Jahrhundert
streitig werden und dann erst durch den Buxtehuder Rezeß von
1586 dem Erzstift zufallen (S. 3, 6 f.); dabei scheint er das hier
erwähnte Notgericht mit dem ordentlichen Gericht überhaupt zu
identifizieren (S. 6 f.). Den Wirrwarr der Zwistigkeiten des
16. Jahrhunderts vermag er nicht aufzulösen, weil er die Tatsache
and ihre Bedeutung nicht würdigt, daß die fünf Heidedörfer grund-
herrlich dem Kloster Neuenwalde, gerichtsherrlich seit der Ver-
pfiLndung von 1372 Hamburg gehörten (S 6, 9 f.). Infolgedessen
kann er zu keinem Urteil darüber gelangen, wer mit seiivex^ ^^s\r
Sprüchen, u. a. auch auf den unbebauten Boden Tmd daü& k]o&^\A^\Oosi»-
156 Rezensionen.
land dieser Dörfer, Recht gehabt hat, Hamburg oder das Kloster.
Für die meisten der berührten Fragen vgl. jetzt Mitteil. d. Ver. f.
Hbg. Gesch. IX (1906), S. 353 ff.
Der dritte Abschnitt (S. 11 — 15) über die Einkünfte des
Hauses Eitzebüttel, der das Wesentliche zur Erklärung des
TJrbars beitragen müßte, konmit über eine äußerliche Aufzählung
kaum liinaus und läßt den Leser trotz aller gewiß unterrichtenden
Einzelangaben kein in sich zusammenhängendes Bild gewinnen. Der
Begriff des Meierrechts wird nicht in den Mittelpunkt gerückt und
auf seinen Inhalt für die Grundherrschaft Bitzebüttel untersucht;
das Wesen der Winnung wird verkannt. Daß neben dem Meiergut
sich in Stickenbüttel noch eine andere Form ursprünglich abhängigen
Besitzrechts erhalten hat, das Zinsgut, kommt nicht zum Ausdruck.
IJnd hinsichtlich der Natur des Zinsgutes, das erblich war, dessen
Inhaber zum Gute geboren, adscripHcii gkbae waren und nur einen
jährlichen Geldzins von 1^/a ^ leisteten, braucht man sich nicht
mit der falschen Vermutung Heinrich Stanges aufzuhalten. Dieser
Typus kommt auch anderswo vor und stammt aus dem ältesten
unfreien Besitzrecht, dem Latenrecht: das Zinsgut ist die um-
gebildete Form des alten Latguts; vgl. darüber am besten die
Zusammenstellung des Materials und der Literatur bei Philipp
Heck, Der Sachsenspiegel u. die Stände der Freien (1905), S. 278 f.,
282 ff., 291 ff., 294 Anm. Dieses Zinsgut scheint nach dem Roten
Buche (fol. 38*, 40*) in Ritzebüttel schon damals als Eigengut
gegolten zu haben, diesem ununterscheidbar gleichgesetzt zu sein.
Damit ist denn ein Weg aufgedeckt, auf dem innerhalb der Grund-
herrschaft Ritzebüttel bäuerliches Eigentum entstehen konnte, dessen
Existenz man noch für das Jahr 1394 wird leugnen müssen. Einen
anderen Weg, über dessen Betreten noch im 18. Jahrhundert immer
wieder geklagt wird, bahnte die traditionsarme Verwaltung durch
die zu liäufig wechselnden städtischen Ratsherrn selbst: es war das
die Usurpation. Wir haben somit die interessante Erscheinung vor
uns, daß die Grundherrschaft, die im übrigen Niedersachsen noch
lange mit allen Mitteln zusammengehalten ward, hier bereits vor
dem Jahre 1577 sich zu zersetzen, und daß schon damals abhängiges
Besitzrecht sich in freies Eigentum umzuwandeln begann.
Auch in den Erörterungen über die einzelnen Dörfer der
Grundherrschaft Ritzebüttel und über die Deiche (S. 7 f., 10 f.)
finden sich neben guten Beobachtungen unhaltbare Aufstellungen.
Steinmarne soll noch um die Mitte des 16. Jahrhunderts nicht
eingedeicht gewesen sein: der Deich habe südlich von der dortigen
Kirche gelegen, so daß diese und das Dorf fast unmittelbar vor dem
Deiche gelassen wurden. Beweis : die Kirche werde in dem Kämmerei-
protokoll von 1564 als Kapelle im Außendeich bezeichnet. Nun
«jchieht die Erwähnung dieser Kapelle innerhalb eines Inventars
Tauses Ritzebüttel, das zum Zwecke der Übergabe des Schlosses
Rezensionen. 157
an den Vogt Baltzer Meinsen im Jalire 1564 aufgenommen ward,
nnd zwar in einem Abschnitte des Inventars, der die Geräte nnd
Bücher der Schloßkapelle namhaft macht: bei einigen dieser Greräte
wird notiert, sie gehörten in die AniSendeichskapelle. Gemeint ist
also eine Filiale der Schloßkapelle im Eltzebütteler Anßendeich, der
damals etwa eine Meile breit war, aber nicht die Steinmamer
Kirche. Es ist ja überdies eine unvollziehbare Vorstellung, daß
überhaupt ein Dorf, geschweige denn der älteste und wichtigste
Ort der Altenwalder Marsch jahrhundertelang im Außendeich ge-
legen habe.
Aus der vielfach gemeinsamen Nutzung der Odländereien
seitens verschiedener Dorfschaften der Geest folgert der Verf. mit
Recht, daß es feste Grenzen zwischen ihnen noch am Ausgang des
16. Jahrhunderts nicht gegeben habe. Allein sein weiterer Schluß
auf einen engeren Zusammenhang, der unter den fraglichen Ghemeinden
in älterer Zeit bestanden habe, ist irrig. Die Dörfer waren eben
noch wie in Urzeiten von weiten ödstrecken umgeben; diese und
nicht bestimmte Grenzlinien schieden sie von einander, wie das auch
anderwärts, z. B. auf der Geest der Herrschaft Rnneberg (vgl.
S. 160), noch bis ins 18. und 19. Jahrhundert eine nicht seltene
Erscheinung ist.
Endlich die Deiche. Zutreffend identifiziert der Verf. den
Grodener Alten Deich des TJrbars (fol. 72^) mit dem zum Teil noch
erhaltenen Hadeler Seebandsdeich. Ebenso zutreffend sieht er in
dem jetzigen Döser Strichweg die älteste Deichflucht der Alten-
walder Marsch. Aber im übrigen ist ihm die Aufhellung der Deich-
geschichte vor dem Jahre 1618 schon deshalb nicht gelungen, weil
er die Angaben des TJrbars nicht richtig interpretiert. Aus diesem
ergibt sich nämlich deutlich, daß außerhalb des Deiches, der auf
der Grodener Seite als Alter Deich (fol. 72^), auf der Döser Seite
jedoch als Neuer Deich (fol. 71**, 72*) bezeichnet wird, so beträcht-
Udies Vorland vorhanden war, daß an die Existenz einer der Neu-
eindeichung von 1618 im wesentlichen gleichkommenden Deichlinie
für das Jahr 1577 nicht gedacht werden kann. Andererseits ist
im G^ensatze zu dem Grodener der Döser Alte Deich des TJrbars
(fol. 21*, 25**) teilweise Privaten überlassen, dient also nicht mehr
als Deich; an seine Stelle ist vielmehr der Döser Neue Deich
getreten, der nördlich vom Döser Strichweg, der Flucht des Alten
Deidis, gelegen hat und im Jahre 1530 hergestellt worden ist (vgl.
oben S. 5). Dagegen wird von einem Grodener Neuen Deich, der,
wie gesagt, den Alten Deich hier nicht ersetzt haben und mit dem
Deiche von 1618 nicht fast identisch gewesen sein kann, nur er-
wähnt, daß er sich über einen Morgen weit am Altenbrucher Tief
entlang erstrecke (fol. 92*). Dieser Neue Deich, der an der einen
Sldle, wo er vorkommt, in der Tat mit der Deichlinie von 161^
flMammenfällt, muß demnach ein Deichstummel gevi^^Ti ^^\x\.. ^ti\
158 Bezensionen.
wirklich ist er der Best einer den Koog von 1618 an Umfang
noch übertreffenden Neneindeichnng, die in den Jahren 1569 und
1570 vorgenommen, aber am 31. Oktober 1570 durch eine Stnrm-
flnt vollständig wieder zerstört ward (vgl. auch Grandauer -Obst,
Gedenkbuch des hbg. Amtes R., S. 33, 197). Die Karte Melchior
Lorichs, die diesen Deich als vorhanden darstellt, stammt in ihrem
Entwurf nachweisbar eben aus der Zeit seiner Erbauung, enthält
dann aber sicher noch einen Nachtrag frühestens aus dem Jahre
1587 und mag im Jahre 1594 herausgegeben sein; die Deichlinie
des Neuen Deichs von 1570, welche sie zeigt, existierte damals
ebensowenig mehr wie nach Ausweis des Boten Buches im Jahre
1577. Der Versuch einer Eindeichung des weiten Vorlandes,
soweit es seitdem nicht wieder abgebrochen war, ward nach 1570
zum ersten Male im Jahre 1618 mit etwas besserem Erfolg
wiederholt.
Man scheidet von der Einleitung H.'s mit dem Eindruck,
daß er die Arbeit, welche zum Eindringen in den Inhalt des TJrbars
erforderlich ist, unterschätzt hat. Ungeschmälert bleibt ihm das
Verdienst, diese wichtige Quelle durch seine Ausgabe der Allgemein-
heit ersclilossen zu haben. Möge der beste Dank dafür, eine viel-
seitige Benutzung und Verwertung, nicht ausbleiben.
Hermann Joachim.
Paul v. Hedemann -Heespen, Der Zustand der Herrschaft
Pinneberg nach der Reunion bis um 1700 (Ztsclir. d.
Gesellsch. f. Schleswig -Holsteinische Gesch. 37, 1907),
S. 1—140.
Der Verf. handelt nach einander von der Bevölkerung, der
Wirtschaft und dem Volksleben (S. 9 ff.), von Deichen und Vorland
(S. 32 ff.), von Domanium und Regale (S. 39 ff.), von Abgaben (S. 42 ff.),
von Kirchen (S. 70 ff.), von Altena (S. 80 ff.), von- dem Verhältnis der
Herrschaft Pinneberg zu Hamburg (S. 82 ff.), von Beamten, Behörden
und Justiz (S. 105 ff.), von der Landkommission in Pinneberg (S. 11 3 ff.).
Er hat sich eine schwierige, aber verdienstvolle Aufgabe gestellt, die
nur bei umfassender Einzelkenntnis und auf der breiten Grundlage
des vorhandenen Materials wirklich gelöst werden könnte. Das muiSte
ihm schon deshalb versagt bleiben, weil er sich als einzige Quelle auf
die Akten des G^eh. Rats Christoph Gensch v. Breitenau im
öffentlichen Archiv des adligen Gutes Deutsch-Nienhof
aus der Zeit von etwa 1648 bis 1706 beschränkt und daneben nicht
einmal die Literatur herangezogen hat.
Daß V. H. versucht hat, die an öffentlichen Akten, wie es
scheint, reichen Bestände zu erschlieiSen, die im Archive dieses seiner
Familie gehörenden Gutes beruhen, ist gewiß außerordentlich dankens-
BezensiouexL 159
wert. Aber die Art, wie es geschieht, gibt leider zu Bedenken
Yeranlassnng. Es fehlt an jeder Bearbeitung des Eohmaterials.
Der Verf. reiht im wesentlichen in geordneter Folge Aktenauszüge
an einander, die zwar manches Interesse erwecken und vielfach nütz-
liche Nachrichten bringen, aber doch ein volles Bild meist nicht zu
vermitteln vermögen und in den seltensten Fällen für eine wissen-
schaftliche Verwertung das Zurückgehen auf die Originale überfltissig
machen werden. Dann ist schließlich der vollständige Abdruck aus-
gewählter Stücke noch vorzuziehen.
Und innerhalb dieser Aktenauszüge hat sich v. H. nicht einmal
die Mtihe genommen, Schreibweise und Wortformen seiner Quellen
einheitlich zu gestalten und in heutiges Deutsch umzusetzen. Ohne
weitere Kenntlichmachung begegnen in seinem Texte: Damienholz
(S. 14), frembde Wälder (S. 15), in währender Vertrawung (S. 25),
Hewland (S. 34), Buumann, Tome (S. 35), Thumbherm (S. 43),
Dreyer statt Drechsler (S. 54) usw. Fast durchgängig redet er
von Teichen, wo er Deiche meint (S. 43, 44, 47, 48, 61, 65 usf.).
Nach S. 84 beklagen sich die Altonaer Seidenfischer im Jahre 1656
über ihre Hamburger Berufsgenossen und schneiden ihnen gelegentlich
ihre Linien ab. Welcher unvorbereitete Leser soll das verstehen,
zumal auch das beigefügte Sachregister keine Auskunft darüber gibt,
daß es sich um Fischer mit Zug- oder Schleppnetzen (ursprünglich
mnd. seinen) handelt, die den anderen ihre Leinen zerschneiden. Dieses
Verfahren, das dem Leser die Arbeit aufbürdet, die er von dem Verf.
erwarten darf, wird sogar auf Orts- und Personennamen angewandt:
statt Eidelstedt heißt es fast immer Eilstedt oder Eilstede (S. 18, 89),
statt Nenendeich wird Neuenteich geschrieben (S. 32, 34, 62), Aller-
möhe erscheint als Allermoye (S. 89), Spitzerdorf als Spitzendorf
(S. 95 f.). Der Rliin bei Glückstadt heißt bald so, bald aber Rhein
(S. 33). Dazu kommen Sclireibungen, wie Hartz (S. 72), Ottmarschen,
Barenfelt (S. 114). Der Landdrost C. H. v. Perckentin (S. 19) wird
an den meisten anderen Stellen (S. 21, 46, 96) Berckentin genannt.
Der Name des Amtmanns Gregorius Kroger kommt S. 49 plötzlich in
der Form Cröger vor. Das sind nicht nur Schönheitsfehler, sondern
Charakteristika für den Mangel an Akribie und eine dilettantische
Bewertung der kleinen Zufälligkeiten der Quellen.
Und mit dieser falschen Hochachtung vor allem, was die be-
nutzten Akten gerade darbieten, hängt es auch zusammen, wenn man
bei manchen Mitteilungen, so wie sie gemacht werden, vergebens nach
dem Zweck fragt, der damit verfolgt, dem Nutzen, der damit gestiftet
werden soll. Das gilt z. B. für vieles aus dem Abschnitt über private
Rechtssachen (S. 22 — 32) und für die breiten Erörterungen über den
bekannten und überall wiederkehrenden G^egensatz zwischen Bauleuten
und Kätnern (S. 49 ff.).
Von Interessanterem, was mir aufgefallen ist, hebe ich das
Folgende heraus. Über eine Reihe von Bauerschaften werdftw ^«^t^^qj^
160 Bezensionen.
statistische Angaben mitgeteilt (S. 9 ff.)- Von den Waldungen und
ihrer Benutzung, insbesondere auch für die Bedürfnisse der Beamten,
erhält man eine lehrreiche Vorstellung (S. 11 — 17). Moor und Heide
waren Eigentum der Herrschaft, wie alle Odländereien. Die Unter-
tanen hatten nur die freie Nutzung daran, aber die Flächen, auf
welche sich diese Nutzungsrechte der einzelnen Dorfschaften bezogen,
waren, wie z. B. auch im Amte Eitzebüttel und anderswo, nicht fest
gegen einander abgegrenzt, so daß des Streites kein Ende war (S. 17 f.).
Solche Zwistigkeiten tobten lange Zeit zwischen Altena und Ottensen
(S. 17 — 21). In den Heiden hauste noch am Ende des 17. Jahr-
hunderts der Wolf (8. 21 f.). Außendeiche und Neuland waren
üskalisch. Das Meierrecht Niedersachsens wurde in Holstein nur in
der Herrschaft Pinneberg als eine Form der Erbpacht vor allem zur
Vergabung von Außendeichsländereien angewandt (S. 40). In anderen
Fällen hielten schon die letzten Schanenburger das staatliche Eigentum
an den Außendeichen unbeschränkt aufrecht und suchten durch kurz-
fristige Verpachtung die Einnahmen daraus zu steigern (S. 39).
Die Verhältnisse der Mühlen, u. a. der Ottenser, werden S. 40 ff.
behandelt. Instruktiv sind die Zusammenstellungen der Kriegs- und
Einquartierungslasten für einen Hof in Sommerland (S. 44 f.). In
Schneisen wurde 1*694 das alte Dorffeld, der Esch, als ewiges
Komland von dem aufgeteilten Außenlande als der ewigen Weide
unterschieden (S. 56). Reiche Aufschlüsse werden gegeben über die
Ottenser Kirche und ihre ersten Pastoren von der Mitte des
16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts (S. 70 — 74); über Arnold
Schepler, der zugleich Pastor an der ersten Kirche in Altena
war, vgl. auch E. H. Wichmann, Gesch. Altenas (1865), S. 53 f.
E3iniges erfahren wir über die Gherichtsverfassung der Herrschaft
(8. 105 f.); die Drosten und Amtmänner werden in zeitlicher Folge
aufgezählt (S. 107 f.). Im Jahre 1702 revidierte eine Königl.
Kommission die gesamte Verwaltung (S. 113 f.) und deckte zahllose
Mißstände in allen ihren Zweigen auf. In Altena ließen die Geist-
lichen die Kommunikanten mit einer silbernen Röhre aus dem Kelch
saugen, um an Wein zu sparen (S. 119). Aus der Darstellung v. H.'s
(S. 119) muß man den Eindruck gewinnen, als habe dort überhaupt
noch keine ordentliche Schule bestanden. Das war aber schon seit
dem Anfange des 17. Jahrhunderts der Fall; jetzt handelte es sich
lediglich um die 1689 wieder eingegangene Lateinschule (vgl.
Wichmann, S. 44, 91 f.; R. Ehrenbero u. B. Stahl, Altenas
topograph. Entwickelung, Text S. 7, 12). Besonders sclilecht hatte
der erste Präsident der Stadt (1664—1681), Rudolf Roland,
gewirtschaftet (S. 118 f.), dessen Name ja fortlebt in der Rolands-
burg, während die Bezeichnung der Rolandsmühle wahrscheinlich
älteren Ursprungs ist (vgl. Otto Beneke in d. Mitt. d. Ver. f. Hbg.
Gesch. n 3, 153). Infolge der Revision erließ dann Friedrich IV.
am 15. September 1705 drei lange Instruktionen, die Reformen an-
BezensioneiL 161
bahnten (S. 121 ff.)* Ich hebe daraus hervor die Anweisung an den
Drosten, er solle auf die Fischer und Seefahrer in Blankenese Acht
geben, daß sie nicht schiffbrüchiges Out raubten oder unsinnigen
Bergelohn forderten, er solle vielmehr den Eigentümern auf alle
Weise behülflich sein (S. 122). Mit Recht konstatiert v. H., daß
im Gegensatze zu anderen reunierten Gebieten der Eintritt der
königlichen Verwaltung in Pinneberg eher einen Eückschritt gegen
die schauenburgische Zeit bedeutet habe, was in erster Linie dem
Eigennutz und der Gewissenlosigkeit mehrerer Landdrosten zuzu-
schreiben sei (S. 126 f.).
Speziell für Hamburg kommen einmal manche verstreute
Einzelheiten in Betracht. In der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts hören wir von den Geschicken einer Tuchhändlerfirma
Key Holländer und Märten Möller (S. 26 f.). Dominions,
Johann und Peter von üfflen machten um dieselbe Zeit Geld-
geschäfte mit einem Amtmann und verschiedenen Gemeinden (S. 27, 65).
Der Syndikus Broder Pauli hatte bis 1642 einen Lusthof in
Ottensen, der an einen Weinberg grenzte (S. 29). Die Nienstedtener
Mühle war 1644 an Hamburg verpachtet (S. 42). Der Goldschmied
Jacob Moers kaufte 1605 einen Hof in Sommerland (S. 42). Das
Land des Blankeneser Fährmanns in Dockenhuden war 1704 wegen
seiner angenehmen Lage an der Elbe an reiche Hamburger zu Villen
und Lustgärten ausgetan (S. 46). Um 1693 wird von einem Brink-
sitzer in Schneisen gesagt, er verkaufe jährL>h 40 Faden EUemholz
an die Drechsler und Wappenschneider in Haihburg (S. 54). Ham-
burger hatten Besitz in Pinnebergischen Dörfern: so um 1658 der
Major Otto v. Brühl in B;ellingen, so seit 1652 der Makler Peter
Vincke in Ottensen (S. 61). Im Jahre 1702 wird ein hamburgischer
Bürger und kaiserlicher Notar Stephany de Martiniere erwähnt
(S. 117). Daß Christian IV. dem Hamburger Peter Hoeckel im
Jahre 1642 den an der Palmaille endenden Strand von Ottensen
her für eine Mühle und ein Haus auf dem Berge verliehen* hat
(S. 119 f.), war bekannt aus Wichmann, S. 65, wo auch die Ver-
leihungsurkunde abgedruckt ist. Die Verzeichnung dieser Einzel-
heiten schien um so erwünschter, da im Sachregister v. H.'s, welches
das Stichwort Hamburg überhaupt vermissen läßt, eine ähnliche
Zusammenstellung fehlt.
Ein eigener Absclmitt beschäftigt sich außerdem mit dem Ver-
hältnis der Herrschaft Pinneberg zu Hamburg (S. 82 — 105).
Der Verf. zeigt an guten Beispielen, eine wie unangenehme Verän-
derung dieses Verhältnis erfuhr, als an Stelle des politisch schwachen
Schauenburger Grafen der mächtige Dänenkönig hier der unmittel-
bare Nachbar Hamburgs wurde (S. 82 f., 85). Er berichtet eingehender
über die Beschwerden der Altonaer gegen Hamburg (S. 83 f.), über
die dänischen Ansprüche auf die TerritoriaUioheit und das Episkopal-
recht an der Eppendorfer Kirche (S. 85 — 95), über die Streitigkeiten
Ztochiw <L Vereins U HamU Gesch. Xm. ^^
162 Rezensionen.
wegen der Gerichtsbarkeit des Domkapitels in Spitzerdorf nnd
Poppenbtittel (S. 95 — 97), wegen des Gries- und Finkenwärders
(8. 97 f.), wegen des schanenburgischen und Mühlenhofes (S. 98 — 105),
endlich über den Schauenburger Zoll (S. 105). Niemand, der sich
mit den hier berührten Gegenständen beschäftigen will, wird das von
y. H. gesammelte Material ungenutzt lassen dürfen, zumal sich die
einschlägigen hamburgischen Akten zum Teil nicht erhalten haben.
Das gilt z. B. für den Eppendorfer Kirchenstreit, über den
ausführliche, sehr dankenswerte Mitteilungen gemacht werden. Dabei
wird eine Beschwerde des Drosten Hans Bern er an den Bat aus
dem Jahre 1546, in der es sich um eine bisher nicht gebräuchliche
Appellation von dem Gericht des Klosters Harvestehude an den Bat
von Hamburg anstatt an das Pinneberger Amt handelt, vollständig
abgedruckt. Aus einer als interessant bezeichneten Ordnung des
Bechnungswesens der Kirche zu Eppendorf aus dem 16. Jahrhundert
erhalten wir leider nur einige Auszüge. Ein Mißgeschick ist dem
Verf. begegnet, wenn er eine als solche leicht kenntliche nieder-
deutsche Übersetzung der Urkunde vom 23. Februar 1343, mittelst
der Graf Adolf von Holstein dem Kloster Harvestehude Eppendorf
verkauft, als die Originalfassung angesehen und sie aus einer im
Deutsch -Nienhof er Gutsarchiv befindlichen Abschrift vom Ende des
17. Jahrhunderts als Beilage (S. 129 f.) veröffentlicht hat. Dieser
Abdruck ist wertlos; nach dem lateinischen Original ist die Urkunde
längst gedruckt bei Klefeker, Samml. hbg. Ghesetze u. Verfass.
X (1771), S. 127 f. Der eigentliche Streit um die Ernennung und
Einsetzung des Pastors und des Küsters (S. 88 — 95) begann im
Jahre 1662 und wird in seinen verschiedenen Phasen anschaulicli
geschildert. In den Jahren 1690 und 1693 kam es zu Vergleichen:
Pfarre und Küsteramt sollten abwechselnd von beiden Seiten besetzt
werden (das für die dänische Begierung bestimmte Original des Ver-
gleichs über die Küsterstelle wird im Deutsch -Nienhof er Archiv ver-
wahrt!). Dieser Zustand ist dann bestehen geblieben, bis der König
im Gottorper Vertrag von 1768 auf die in Anspruch genommenen
Bechte verzichtete, was der Verf. nicht erwähnt. Damals wurden
zugleich die Pinneberger Dörfer von Eppendorf ausgepfarrt und die
Niendorfer Kirche begründet.
Von ähnlicher Wichtigkeit ist die Darstellung des Streites, der
um die Hoheitsrechte über den schanenburgischen und den
Mühlen hof geführt ward (vgl. auch die hauptsächlich auf Grund
der Streitschriften gemachten Zusammenstellungen J. Lieboldts in
d. Ztschr. d. Ver. f. Hbg. Gesch. Vn, 1883, S. 401 ff.). Zwar was
der Verf. über die Entstehung dieses landesherrlichen Hofes vorträgt
im Anschluß an Bübels Buch über die Franken, das ja vielfach
gefälirliche Wirkungen gehabt hat (vgl. jetzt die eingehende und
berechtigte Kritik von K. Brandi in den G^tt. Ghelehrten Anz. 1908,
Jan.), ist trotz des richtigen Grundgedankens, der ihm vorgeschwebt
Bezensionen.
163
haben mag, in der von ihm gegebenen Formulierung, die an Präzision
zu wünschen läßt, kaunt brauchbar. Aus Peter Lambeck macht er
dabei einen Petrus Lambertus und redet vom Petridom. Anders
steht es mit den Mitteilungen aus den ihm zur Verfügung stehenden
Archivalien. Hinweisen will ich nur auf den teilweise abgedruckten
scharfen Bericht des dänischen Residenten und Dichters Friedrich
V. Hagedorn an den König vom Jahre 1711 (S. 103 f.), in dem
nicht gerade freundliche Mittel empfohlen werden, um die Stadt
mürbe zu machen (im Texte S. 104 lies Wallfisch-Trahn statt -Erahn),
In einem Anhange (S. 137 — 140) sind Hausmarken abge-
bildet, deren sich Bewohner der Herrschaft Pinneberg in der Zeit
von 1650 bis 1704 bedienten.
Hermann Joachim.
164 Hinweise und Nachrichten.
Hinweise und Nachrichten.
Hamburgs Bedeatnng als zeitweiliger Mittelpunkt der diplo-
matischen Verhandlungen zwischeü den europäischen Großmächten
zur Zeit des 30 jähr. Krieges ist von E. Stehmann in einem Aufsatz
über die auswärtige Politik des Herzogs Adolf Friedrich I
von Mecklenburg-Schwerin in den Jahren 1636 — 1644 (Jahr-
bücher und Jahresberichte des Vereins f. mecklenb. Gesch.,
Jahrg. 72, S. 1 ff.) hervorgehoben. N.
In dem von Hans Schulz herausgegebenen Briefwechsel des
im Jahre 1814 verstorbenen Herzogs Friedrich Christian zu
Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg mit König
Friedrich VE von Dänemark und dem Thronfolger Christian
Friedrich (Leipzig, Avenarius, 1 908) fallen einige Streiflichter auch
auf die bedrängte politische Lage der Hansestädte und Hamburgs
im Anfange des 19. Jahrhunderts. N.
Ein Tagebuch aus dem Belagerungsjahre 1813/14,
geftihrtvon dem Makler Georg Christian Hönert, hat Heinr. Christensen
in der Beilage zum Osterprograjnm 1908 des Wilhelm-Gymnasiums
veröffentlicht und damit den verschiedenen lebendigen Zeugnissen
aus jener Epoche ein neues liinzugefügt, das uns in der Zeit vom
Dezember 1813 bis zum 5. Mai 1814 die wichtigsten Vorgänge
in Hamburg und die Eindrucke des Schreibers fast Tag für Tag
vor Augen führt. N.
In einer Hallenser Dissertation hat Hans Chr. Cordsen unter
dem Titel Beiträge zur Geschichte der Vitalienbrüder
(Halle 1907) als Vorarbeit für eine zusanunenhängende Geschichte
der Vitalienbrüder einige kritische Quellenuntersuchungen zusammen-
gestellt. Als besonders wichtig merken wir daraus den überzeugenden
Nachweis an, daß die gewöhnliche Annahme, die Vitalienbrüder
hätten ihren Namen von dem ihnen im Kampf um die schwedische
Herrschaft im ausgehenden 14. Jahrhundert von mecklenburgischer
Seite erteilten Auftrag, die belagerte Festung Stockholm mit Vik-
tualien zu versehen, nicht zutreffend ist. Der Verfasser macht
darauf aufmerksam, daß die Vitalienbrüder schon vor der Belagerung
Stockholms genannt werden, und führt ihren Namen darauf zurück,
Hinweise und Nachrichten. 165
daß sie als Söldner und Seeräuber ihren Unterhalt durch den Raub
von Lebensmitteln (\atalien), die sie den Küstenbewohnem und See-
fahrern fortnahmen, sich verschafüten. Er stützt seine Hypothese
durch den Nachweis, daß das Wort vitailleur in der Bedeutung^ von
Fouragierer schon früh im Französischen vorkommt, und um 1300
ins Englische, etwas später auch ins Niederländische und wohl auch
ins Niederdeutsche eingedrungen ist. N.
Über die Organisation der Hanse in ihrem letzten
Jahrhundert hat sich in einem umfangreichen Aufsatze (Hans.
Geschichtsblätter Xm, S. 207— 244 und 380— 438) Paul SiMSON
verbreitet. Hauptsächlich schöpfend aus dem von Höhlbaum heraus-
gegebenen Kölner Inventar und aus Akten des Danziger Archivs,
die vom Jahre 1625 an seine alleinige Quelle bilden, bespriclit er
die Einteilung der Hanse in Quartiere, die Zahl der zugehörigen
Städte, die Hansetage, ihren Besuch und den Gang ihrer Ver-
handlungen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts. Des weiteren
\^ird die Stellung Lübecks als Haupt der Hanse in dem fraglichen
Zeitraum charakterisiert, die amtliche Tätigkeit der hansischen
Syndici Suderman« und Doman sowie der sonstigen unmittelbaren
und mittelbaren Beamten der Hanse kurz beleuchtet und ausführ-
licher dargelegt, wie die Städte seit der Mitte des 16. Jahrhunderts
vergebens versuchten, durch Vereinbarungen zu gegenseitigem Schutz
und Trutz, sog. Konföderationsnoteln, die Macht der Hanse zu
heben. Ein Abschnitt über ihre verfahrene Finanzwirtschaft schließt
den Aufsatz ab. Wenn in ihm, entsprechend dem benutzten Material,
von einzelnen Hansestädten natürlich namentlich Danzig hervortritt
und Hamburg nur gelegentlich genannt wird, so werden die allge-
meinen Ergebnisse der Arbeit doch auch einer Betrachtung der
Stellung Hamburgs in der Hanse im 16. und 17. Jahrhundert
vielfach fördernd zugute kommen. N.
Eine Berliner Dissertation von Richard Boschan (1907, Druck
von E. Ehering, Berlin) beschäftigt sich mit dem Handel Ham-
burgs mit der Mark Brandenburg bis zum Ausgang des
14. Jahrhunderts. Dem Bilde, das wir von diesem Handel hatten,
wesentlich neue Züge einzufügen, gestattete zwar das zu Gebote
stehende, vielfach dürftige Quellenmaterial nicht. Der Nutzen der
Arbeit besteht vielmehr darin, daß der Verfasser mit Umsicht alle
ihm erreichbaren Nachrichten über den hamburgisch-märkischen Handel
der bezeichneten Epoche herangezogen und zusammengestellt hat.
Freilich hat die Spärlichkeit des Materials ihn bisweilen verleitet,
Einzelheiten mitzuteilen und sich in Auseinandersetzungen zu ver-
lieren, die nicht eigentlich zum Thema gehören. Die Arbeit hätte
durch eine straffere Zusammenfassung unzweifelhaft gewonnen. Auch
eine präzisere Ausdrucksweise und ein sorgfältigerer Stil wätesa.
166 Hinweise nnd Nachrichten.
nicht selten wünschenswert gewesen. Was den Inhalt anbetrifft,
so behandelt der Verfasser eingehend die für den märkischen Handel
in Hamburg wichtigen Zollrollen, von denen eine in das Jahr 1236
(von neuem bestätigt 1262) fällt, drei weitere wahrscheinlich der
Zeit zwischen den Jahren 1254 and 1263 angehören. Er bespricht
die wichtigsten Bestimmungen dieser Zollrollen, sucht ihr Verhältnis
zueinander festzustellen und weist darauf hin, daß von den drei
zuletzt genannten zwei, die in lateinischer Sprache abgefaßt sind
(Hamb. HB. Nr. 665 u. 666), nur diejenigen Zollsätze aufführen,
die eine Begünstigung für die Märker bedeuten, während die dritte,
niederdeutsche (Hamb. ÜB. Nr. 668), den allgemeinen Tarif für den
gräflichen Zoll in Hamburg darstellt. Im weiteren Verlauf seiner
Arbeit gibt der Verfasser eine Zusammenstellung der ihm erreichbar
gewesenen Nachrichten über den Verkehr Hamburgs mit den einzelnen
märkischen Städten sowie eine Übersicht über ^e im hamburgisch-
märkischen Handel vorkommenden Waren. Exkurse behandeln Ham-
burgs Handelsverkehr mit Magdeburg und Meißen, die Seefahrer-
gilde in Stendal und hamburgische Handelsverbindungen mit dem
Westen. N.
Auf die große Bedeutung der im dänischen Reichsarchiv auf-
bewahrten Sundzollregister für die europäische Handelsgescliichte und
auf die von dänischer Seite in Angriff genommene Bearbeitung dieser
Register hat schon vor einigen Jahren in den Hans. Geschichts-
blättern (Jahrg. 1899, S. 93 ff.) Deetrich Schäfer hingewiesen.
Jetzt liegt als erste Frucht dieser Bearbeitung ein stattlicher Band
vor unter dem Titel: Tabeller over Skibsfart og Varetrans-
port gennem 0resund 1497 — 1660. Ferste del: Tabeller
over Skibsfarten (Kopenhagen u. Leipzig 1906). Er wird dem
ausdauernden Fleiße von Frau Dr. Nina Ellinger Bang verdankt.
In Tabellenform sind in ihm aus der Zeit bis 1660 für jedes Jahr,
aus dem die Zollisten vorhanden sind, die aus einer Durcharbeitung
der letzteren sich ergebenden Zahlen der Schiffe, die den Sund passiert
haben, mit Angabe ihrer Heimatsorte, ihres Raumgehalts und vom
Jahre 1557 an auch ihrer Ausgangshäfen zusammengestellt. Voll-
ständig erhalten sind die Listen aus den Jahren 1497, 1503, 1528,
1536—1548, 1557, 1558, 1560, 1562—1569, 1574—1631, 1633,
1635 — 1657. Um zu ermessen, von welchem Werte ihr Inhalt
für die Geschichte der Seeschiffahrt ist, zugleich aber auch, was
für ein Stück Arbeit in der Bewältigung dieses Inhalts steckt, muß
man sich vergegenwärtigen, daß der Sund seit dem Mittelalter zu
den belebtesten Schiffahrtstraßen gehört. Daß die Listen auch für
die Geschichte der hamburgischen Schiffahrt und des hamburgischen
Handels von großem Werte sind, liegt auf der Hand. Ihren Inhalt
in dieser Beziehung auszuschöpfen, muß vorbehalten bleiben. Hier
' nur kurz auf einige Ergebnisse für Hamburg hingewiesen.
Jfinweise und Nachrichten. 167
Während die Zahl der hamburgischen Schiffe, die den Sund passierten,
im Jahre 1497 mit 16, 1503 mit 12, 1528 mit 16, im Verhältnis
zu der Zahl der Schiffe anderer Städte, wie Amsterdam, Enkhuizen,
Terschelling, Stralsund, Danzig, gering ist, ändert sich dieses Ver-
hältnis seit dem Jahre 1536, in dem Hamburg mit 90 Schiffen
bereits alle anderen Städte mit Ausnahme von Danzig geschlagen
hat. In den Jahren 1538—1546, 1557—1559 und 1569 steht
Hamburg an der Spitze. Den Höhepunkt erreicht es im Jahre
1557 mit 309 Schiffen. Seitdem nimmt die Zahl der hamburgischen
Schiffe langsam ab, während die der niederländischen durchaus in
den Vordergrund tritt. In den Jahren 1575 — 1578 passierte kein
hamburgisches Schiff den Sund, was als eine Folge des zwischen
Hamburg und dem König von Dänemark über das hamburgische
Stapelrecht ausgebrochenen Streites anzusehen ist, in dessen Verlauf
der König den hamburgischen Handel in seinem Keiche verbot.
1579 wurde die Schiffahrt mit 4 Schiffen wieder aufgenommen.
Sie hielt sich auf schwankender Höhe, erreichte ihren höchsten Stand
mit 201 Schiffen im Jahre 1587. Seit dem Jahre 1630 machen
sich die Folgen der Differenzen mit König Christian IV. bemerkbar.
1630 passieren noch 8, 1631 17 hamburgische Schiffe den Sund,
1633 nur noch 1, 1635 verschwinden die hamburgischen Schiffe
völlig, und dieser Zustand dauert bis zum Jahre 1642 an. Erst
1643 tritt Hamburg mit 18 Schiffen wieder in die Reihe der Städte,
deren Schiffe den Sund befahren. — Vergl. auch den eben er-
scliienenen Aufsatz: Die Sundzoll-Listen von Dietrich Schäfer
in den Hans. Geschichtsblättern, Jahrg. 1908, S. 1 ff. N.
Lübecks Versuche, dem Sinken seiner Handelsstellung seit dem
Anfang des 17. Jahrhunderts durch das Verbot, die von der See
ankommenden Waren durch die Stadt hindurchzuftUiren, und durch
die Forderung, daß sie an lübeckische Bürger verkauft werden müßten,
mitliin nur diese sie wieder ausftihren dürften, vorzubeugen, hat
Ernst Baasch in einem, Die Durchfuhr in Lübeck betitelten
Aufsatze (Hans. Geschichtsblätter, Jahrg. 1907, S. 109—152)
erörtert, der zugleich für die hamburgische Handelsgeschichte von
erheblichem Werte ist. Denn bei der Wichtigkeit, die Lübeck für
den hamburgischen Handelsverkehr mit der Ostsee als Durchgangs-
station hatte, wurde Hamburg durch derartige Versuche Lübecks
natürlich schwer betroffen. Der Verfasser verfolgt die durch das
ganze 17. und einen Teil des 18. Jahrhunderts sich hinziehenden
Konflikte zwischen den beiden Städten, die aus diesen Verhältnissen
entstanden. Er findet dabei reichliche Gelegenheit, gegenüber dem
verderblichen Festhalten der Lübecker an den herkömmlichen Handels-
formen und ihrer Abneigung gegen den Kommissions- und Speditions-
handel den beneideten Aufschwung der glücklicheren Schwesterstadt
seit der Wende des 16. Jahrhunderts hervortreten zu lassen. N»
168 Hinweise und Nachrichten»
In der Vierteljahrschrift f. Social- u. Wirtschafts-
gesch. V (1907), S. 401 ff. gibt S. van Brakel Gz. (Amsterdam)
eine Übersicht über die Entwickelnng u. Organisation der
Merchant Adventnrers auf Grund der bisherigen Literatur, nämlich
vor allem Schanz, Die englische Handelspolitik gegen Ende des
Mittelalters; Lingelbach, The internal Organisation of the M. A. of
England in Transactions of the Eoyal Hist. Soc, new Series XVI;
ders., The M. A. of Engl.» their laws and ordinances with other
documents (Philadelphia 1902); ders., The M. A. at Hamburgh in
American Hist. Review IX; Dendy, Records of the M. A. of New
Castle upon Tyne I (1895), n (1899) [Publicat. of the Surtees Soc.
of New Castle vol. 93, 101]; Latimer, The history of the Soc. of
M. A. of the City of Bristol (1903); Te Lintum, De M. A. in de
Nederlanden. B. behandelt ausführlicher die Entstehung und ältere
EntWickelung der Gesellschaft, die erst im J. 1564 zum Abschluß
gelangte. Hinsichtlich ihrer Organisation schließt er sich gegen
Te Lintum in allen Teilen den Ergebnissen Lingelbachs an, wonach
der Sitz der Ghesellschaft sich nicht in London befand, sondern an
ihrem Hauptverkehrsplatze in den Niederlanden, seit 161 1 in Hamburg.
Nur hier konnten bindende Beschlüsse fassende Generalversammlungen
abgehalten werden, die auch den Vorstand wählten und neue Mitglieder
aufnahmen, und nur hier fungierte der Vorstand. Eingehender werden
dann noch die Umgestaltungen dargelegt, welche seit dem 16. Jahr-
hundert die veränderte Betriebsweise im Handel mit sich brachte.
Jetzt erst bildeten sich Kolonien von Engländern im Auslande, die
sich dauernd dort niederließen und auf eigene Kechnung oder als
Faktoren Geschäfte mit dem Mutterlande machten. Und eine weitere
Folge dieses Umschwungs war es, daß die Londoner Mitglieder einen
immer größeren Einfluß gewannen, der sich im J. 1688 dem G^eneral
Court in Hamburg gegenüber voll durchsetzte. — Die besondere
Geschichte der Aufnahme und des Wirkens der Gesellschaft in
Hamburg wird nicht berührt. H. J.
Zum Gegenstand eines kurz zusammenfassenden Vortrages
(abgedr. in der Internationalen Wochenschrift für Wissen-
schaft, Kunst und Technik v. 4. April 1908) ist die Company
of Merchant Adventnrers und der Ausgang ihrer Nieder-
lassung in Hamburg 1807 von Ernst von Halle gewählt worden.
Der Verfasser teilt seine Betrachtung in vier Abschnitte. Er verfolgt
zunächst die Entstehung der Kompagnie und ihre Ausbildung bis zur
Gewinnung eines Monopols für die gesamte englische Wollwaren-
ausfuhr nach dem Westen im Jahre 1564, erörtert sodann die Ereig-
nisse, die zur Verlegung des Stapels der Kompagnie von Antwerpen
nach Hamburg ftLhrten, zeigt sie im Genüsse weitgehender hambur-
gischer und englischer Privilegien während des 17. Jahrhunderts auf
dem Höhepunkte ihrer Macht und schildert endlich ihren mit der
Hinweise nnd Nachrichten« 169
Entziehnng des englischen Monopols einsetzenden nnanflialtsamen
Niedergang bis zor Auflösung ihrer hambnrgischen Niederlassung,
der Court, im Jahre 1807. Zum Schlüsse richtet der Verfasser
einen Appell an die Öffentlichkeit, die Nachforschungen nach den
Archivalien der Londoner und der Hamburger Niederlassung, die
zum weitaus größten Teil verschollen sind, zu fördern. Die Ham-
burger Archivalien waren bei der Auflösung der Court in das
Eigentum der Familie Thomton gelangt. N.
In der Ztschr. der üesellsch. f. Schlesw.-Holstein.
Gesch., Bd. 37, hat A. Kiesselbach Schleswigs Bedeutung als
Handelsstadt in der Zeit vom 9. bis in das 13. Jahr-
hundert dargelegt. Er findet die Bedeutung darin, daß Schleswig
in dieser Epoche ein Umschlagsplatz für den Warenaustausch zwischen
den Ostseeländem und dem Westen war, zeigt, daß im Schleswigschen
Handelsverkehr die niederrheinischen Händler eine wichtige Rolle
spielten, und führt aus, daß dieser Handelsverkehr sich im wesent-
lichen auf dem Wasserwege vollzogen haben muß. Letzteres ist
zwar, wenn auch vielfach tibersehen, doch nicht völlig unbekannt
gewesen. So definiert Höhlbaüm im Hansischen TJrkundenbuch II
Nr. 666 die Schleswiger Bruderschaft in Soest ausdrücklich als die
Bruderschaft der überseeischen Kaufleute, und in Soest selbst
wird die schiffsartige Gestalt der St. Nicolaikapelle damit erklärt,
daß sie eine Stiftung der Schleswiger Bruderschaft sei, die sie dem
Patron der Schiffer als Geschenk dargebracht habe. Immerhin sind
die Zeugnisse für diese Art des Verkehrs meines Wissens bisher
nirgends so vollständig gesammelt und so überzeugend interpretiert,
wie in dem genannten Aufsatze. Daß auch Hamburg schon im
9. Jahrhundert mit Schleswig im Handelsverkehr gestanden hat,
wissen wir aus der Vita Anskarii cap. 24, doch ist Näheres über
diesen Verkehr nicht bekannt. N.
Das Seerecht von Olöron (die röles d'Olöron) imd seine
flämische G^estalt, das Seerecht von Danmie, haben für die hansische
Schiffahrt eine große Bedeutung gehabt. Einzelne seiner Sätze sind
auch in das revidierte Schiffsrecht des hamburgischen Stadtrechts
von 1497 aufgenommen worden. In einem interessanten Aufsatz in
den Hans. Geschichtsblättern, Jahrg. 1906, S. 1—44 hat
Theodor Kiesselbach überzeugend dargetan, daß die frachtrecht-
lichen Bestimmungen, welche den größten Teil dieses Seerechts aus-
machen, veranlaßt sind hauptsächlich durch den regen Weinhandel
nach Flandern, der anfangs in La Kochelle — dem gegenüber die
Insel Olöron liegt — , dann in Bordeaux seinen Mittelpunkt hatte,
und daß sie entstanden sind aus der B,echtssprechung der Gilde
von Kaufleuten aus der Gascogne und Poitou, welche in Bnigge
und seinen Nebenstädten — zu ihnen gehört auch Damme — ü«
170
llinweiÄe imd Nachrit^Jites»
Ritz hatte. Das so festgestellte »achtreeht fand dann als Seereelii
von Damme aucli anf die Weitervei'seliiifnjig des Weines von Flandern
nach dem Norden Anwendung. — Die Überlief erring des Seerechts
von Ol^ron ist eine selir reiche» aber die Texte der verschiedenen
Handßchrifteü weichen je nach der Zeit ihrer Niedersduift und dem
Ort ihres Oebrauchs %4elfach voneinander ab. Eine Hekonstiniktion des
uriprüngUchen Wortlauts ist nocli nicht versucht worden. Dagegen
sind die Teste einzelner Handschriften schon mehrfach gedruckt;
die Nachweise findet man bei Kik8öklbach. Audi dieser hat im
Anhange zu seinem Anfsat^e (S. 44^60) die Textgestalt einer Hand-
schrift der Bodleiana in Oxford aus dem Anfange des 14. Jahr-
hunderts vollständig mitgeteilt. — Gleidizeitig hat Dr. ini-. Heinrich
Lirnwia Zeller eine Sammlung' Hl lerer Seerecbtsquellen
eröffnet, in deren erstem Heft (Mainz 1906} der Text der Hand-
schrift von Troyes (Ende des 14. Jim.) und in deren zweitem Heft
(1907) derjenige der Handschrift der Pariaer Natioualbibliotbek
Nn 5330 (Mitte de« 15. Jhs.) jetzt bequem ziigänglieb sind. Diese
Ausgaben sind mit Ol ossären und je einer Handschriftenprobe ver-
sehen. Leider erstreben sie einen ,, diplomatischen'* Abdruck mit
genaner Wiedergabe aller Zufälligkeiten des Ori spinale und ohne
Auflosnng der Al>bre\äaturen, was besonders die Lektüre des ersten
Heftes sehr erschwert. Über dieses vergL noch die Bespredinng
von Max Pappoheim in der Ztsehr. der Ravigny- Stiftung XXVXU
(ierm, Abt., 1907, 8. 493 ff. — Das flämische Seerecht von
Damme und die ihm als zweiter Teil angefüi^e Ordinancie, die
zusammen als Wisbysehes Seerecht bezeichnet werden, und die
für das nordeuropäische Verkehrsleben eine besondei's große unmittel*
bare Bedentung gehabt haben» sind neuerdings in Uii^eu wichtigsten,
Ä, T. liier znm ersten Male gedinckten Textformen synoptisch lierans-
gegeben worden von A. Teltiso, Die altniederiändisclien See-
rechte (Haag 1907). Für das Seere^ht, die sog. Vonnesse von
Damme stellt T* (S. 2^B5) außer dem vorangeschickten Text des
Originals, der Rollen von 014ron, nach der Ausgabe von J. M. Paä-
BEseua (Collection des lois maritimes I, 1828, S. 323 ü.) neben-
einander die flämischen Texte aus einer im Stadtarchiv zu Knln
be&idllcheu, ans dem hansischen Kontor in Brügge stammenden
Hdschr., femer aus einer von Umi in Btavei-en anfgefundenen Hdsehr,
und den Text der Den TEXschen (Bijdrageu tot regtsgeleerdlieid en
wetgeving Y, 1830, 8, 33 ff. ii. S. 170 ff.), anf Hdsehr. von Doni-
recht, Amsterdam und Houm beruhenden Ausgabe, den er noeli
mit einer Brieller Hdschr. verglichen hat. Für die Ordinancie
läßt T. (S. 26^ — 45) aufeinander folgen den Staverener Text, von
dem er glaubt, er stelle der Originalfassung am nächsten, weil
'"^veren als Mnttei*stadt dieser Reehtsqnelle zu betrachten sei,
(in den nahe verwandten Brtigger Text, den walirschemlich 1413
ctragenen Text de^ Privilegienbuchs der Stadt Amsterdam nacli
Hinweise und Nachrichten. 171
der Ausgabe von Jon. C. Breen (Rechtsbronnen der stad A.,
S. 618 ff.) und endlich wiederum den Text von Den Tex. Die
Einleitung (8. V — XVI), die auch reiche Literaturangaben zu den
behandelten seerechtlichen Fragen enthält, beschäftigt sich haupt-
sächlich mit dem Alter und dem Ursprungsort der Ordinancie. Im
Gegensatze zu der herrschenden Meinung, die diese Aufzeiclmung
in Amsterdam entstehen läßt, entscheidet sich T. für Staveren, zu
einer Ansicht zurückkehrend, die schon J. M. Lappenberq aus-
gesprochen hat. Die richtigere Lösung scheint mir jedoch Walther
Stein in einer wertvollen Rezension des T.schen Buches in den
Hans. Geschichtsbl., Jahrg. 1908, S. 252 ff. gefunden zu haben.
Danach ist von zwei Tatsachen auszugehen, einmal davon, daß als
Entstehungsgebiet der Ordinancie in den überlieferten Texten selbst
sich deutlich die Zuyder-Zee kund gibt, und zweitens von der großen
Wichtigkeit, die der alte Verkehr Hamburgs mit diesen Gegenden
und insbesondere mit den Städten Amsterdam und Staveren, die im
14. Jahrhundert als Hafenplätze für Hamburg an die Stelle Utrechts
traten, gehabt hat. An beiden Orten hatten die Hamburger Hansen,
Genossenschaften ihrer Kaufleute und Schiffer. Diese hamburgischen
Hansen in Amsterdam und Staveren werden als die Haupturheber
der Ordinancie gelten müssen, wie eine ähnliche Entstehungsart aus
den Bedürfnissen und der Rechtssprechung der fremden Kaufmanns-
genossenschaften in Flandern und Holland für Teile des ältesten
hamburgischen Schiffsrechts (s. Hans. Geschbl., Jahrg. 1900,
S. 49 ff.) und für die roles d'016ron Th. Kiesselbach nachgewiesen
hat. Als Zeit der Aufzeichnung nimmt Stein das dritte Viertel des
14. Jahrhunderts an. H. J.
In der Zt sehr, der Sa vigny- Stiftung f. Recht sge seh.
XXVm Germ. Abt. (1907), S. 1—62 behandelt Wilhelm von
Brünneck sorgfältig und anziehend den Schloßglauben als
Bezeichnung des an einem anvertrauten Schloß dem Treuliänder
eingeräumten Rechts. Den Ursprung dieses Kunstausdrucks der
Rechtssprache findet v. B. in Dänemark, zumal auch das einfache
Glaube in Anwendung auf das Institut der Treuhand in Deutsch-
land erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts vorzukommen scheine.
Er fragt daher zunächst nach den Rechten und Pflichten des
dänischen Schloßglaubens, dessen Gegenstand nicht beliebige Burgen
gewesen seien, sondern die zur Landesverteidigung errichteten Reichs-
schlösser. An diesen habe der Schloßglaube nicht Eigentum verliehen,
vielmehr lediglich ein unvererbliches und widerrufliches Leimrecht
im dänischen Sinne, das einem bestimmt beschränkten Nießbrauch an
dem Schloß und seinen Räumen, dem zugehörigen Hof und seinen
Ländereien gleichkam. Daneben aber war der zu Schloßglauben
Belehnte als Verwalter der königlichen Einkünfte aus dem
liegenden Landbezirk auch Beamter und daher nicht nur i^i
172
Hmweiae und NachrichtoE.
rechtlich znr Rückgabe der Feste na^h erfolgtem Widerruf verpflichtet,
sondam aucJi nach öffentlichem IE«cht 211 Lelmsdienst, der haiipt-
ßäcMieh in den Funktionen eines 8clüoßlmiiptmanns nnd in der
Verteidig^iig der anvertrauten Burg bis aufs äußerste bestand.
Bei den engen Beziehungen Dänemarks zu Me<;klenbür^ und Pommern,
so glaubt V. B., wurde diese Einricbtimg in der zi^^eiten Killfte des
14. Jalirhnndeils von dort bierlier libertrageii. Es kam dabei zu
einer Lösunis^ des Zusanimenliangs mit dem dänischen Leimswesen
«nd zu der Au&gestalttmg eines Treuverhältnisse^ besonderer Art,
dm dann aucli auf andere als landeaherrlicbe Schlösser angewandt
ward, aber im übrigen doch dein dänischen Schloßglauben inhaltlich
sfihr nahe stand. Im Laufe der Zeit traten einzelne Änderimg^n
eiu. Als tue Schlösser seit dem Ende des 15, Jahrhunderts nicht
mejjr in erster Linie als Festungen, eondera als Amtshäuser galt«n,
enipiingen aneh nichtiitter liehe Personen, ja Gtiistliehe BcMoßglauben.
An Htelle der Hingabe aaf Widerruf ftir imbestimmte Zeit wurden
gegenseitige Kündigimgsfristen oder eine bemessene Zeit vereinbart,
vim denn zur Folge hatte, daß bei vorzeitigem Tode des Treuhänders
dessen Erben bis zum Ablauf der bedungenen Frist im Scldoßi^-lauben
eitzen blieben. Vor allem aber übertrug auch der deutselie Bcldoß-
glaube weder fiduziarisches Eigentum noch das nutzbare Eigentum
des deutschen LehnrechU^. Hechte und Pflichten des Treuhänders
konnten je nach den bei seiner Einsetxung verfolgten Zwecken
verschieden bestimmt werden. Voran standen in älterer Zeit auch
liier seine militärischen Aufgaben» und als Gegenleistung erhielt er,
anders als in Dänemark, den vollen Nießbraucli nicht nur an dem
Schloß und den unmittelbar dazu gehörigen Ländereien ^ sondern
ebenso an allen dem Schloßberrn zustehenden gerichtsherrlichen und
gntuhen'lichen Einkünften ans dem mit dem Schlosse verbundenen
Gebiet; er durfte darin die Holieitsrechte in eigenem Namen nnd
zu eigenem Vorteil ausüben. Mit dem Sinken der Bedeutung, welche
ilie Schlösser als Festungen hatten, gewannen dann die amtüchen
Fimktionen des Beliehenen die Oberhand: aus dem BeldoBhauptmann
wurde der Amtmann, dem vielfach nicht melir die Verwaltung des
ganzen .Ajuts für eigene Rechnung gewährt ward. Einzeln ent-
wickelten sich auch Formen der Verpachtung und des Verkaufs zu
BchloBglanben. — Für Hamburg sind diese Darlegungen deshalb
von Interesse, weil auch die hamburgischen oder hamburgischlübischein
Schlösser, wie Eitzebüttel nnd Bergedorf, Katsherren zu Schloßglauben
eingetan zu werden pflegten, and dabei begegnet ein großer Teil
der besprochenen Erscheinungen gleichfalls. Das Verständnis des
auf diese Weise begründeten Rechtsverhältnisses wird durch die
allgemeinen Erörterungen v. B/s erheblicli gefördert, nnd anderer-
seits wird die spezielle Oe^chiclite dej Instituts ftir die Hansestädte
noch manclie Ergänzungen liefern können. Hat es sicli docli in
'^mrg, wenn nicht dem Namen nach» so sicherlieh in deutlichen
Hinweise und Nachrichten. 173
Spuren mit einer Zähigkeit sondergleichen bis ins 19. Jahi'hundert
erhalten, während v. B. nur von einem besonderen Anwendongsfalle
im pommerschen Lehnrecht weiß, der es dort bis ins 18. Jahrhundert
fortleben ließ. — Zweifelhaft kann man sein, ob v. B. mit der
Herleitnng der ganzen Einrichtung aus Dänemark im Eechte ist,
mag auch der technische Ausdruck daher stammen. Es würde darauf
ankommen, ob sich nicht sachlich identische ältere Zeugnisse aus
Deutschland finden lassen. Im einzelnen ist bei der Interpretation
des hier zuerst mitgeteilten Vertrages zwischen dem Herrn von Putbus
und dem Bäte von Stralsund aus dem Jahre 1416 ein Versehen
untergelaufen: mit überwiesen wird aUe Fischerei mit Ausnahme
der Herrenzüge (ane der heren toghe)^ nicht „ausgeschlossen die
Häringszüge" (S. 52). H.J.
E. y. Hippel hatte in der Ztschr. f. d. gesamte Straf-
rechtswissensch. XVm (1897), S. 419—494 u. 608—666 zum
ersten Male den sicheren Nachweis geführt, daß die im Anfange des
17. Jahrhunderts in Lübeck, Bremen, Hamburg und Danzig ent-
standenen Zuchthäuser auf das Vorbild des im Jahre 1595 zu
Amsterdam eingerichteten Zuchthauses zurückgehen. Er hatte ge-
zeigt, wie man mit diesen Anstalten die Absicht einer Eeform des
Strafvollzuges verfolgte und erreichte: an die Stelle von Leibes-
und Lebensstrafen trat für Bettler, Vagabonden und leichtere Ver-
brecher die Freiheitsstrafe mit dem Zwecke der Besserung durch
Zwangsarbeit. Für diesen wichtigen Fortschritt in der Sti^afrechts-
pflege, der den Niederlanden verdankt wird, bildeten die genannten
Hansestädte das Einfallstor nach Deutschland; seit etwa 1660 folgten
die übrigen deutschen Länder allmählich dem gegebenen Beispiel. —
Speziell für Hamburg läßt sicli die Darstellung v. Hippels, der
sich hier lediglich auf Adolf Strengs unkritische G^chichte der
Gefängnisverwaltung stützte, während er für Lübeck und Bremen
archivalisches Material benutzte, berichtigen und ergänzen. So wurde
in Hamburg schon im Jahre 1603 die Errichtung eines Zuchthauses
erwogen und zwar genau nach dem Muster der Amsterdamer Anstalt
ohne Verbindung mit Zwecken reiner Armenfürsorge, die in Lübeck
durchaus im Vordergrunde standen, als dort im Jahre 1601 das St.
Annen-Kloster als Armen -Werkhaus von der Bürgersdiaft in Ver-
waltung genommen ward. Die Nachahmung holländischer Institutionen
in diesem Falle ist für Hamburg nichts Singnläres. Schon im Mittel-
alter bestanden enge Beziehungen zu den Niederlanden und ein reger
Austausch hinüber und herüber. Dann wuchs der Einfluß dieses
Landes auf Hamburg seit dem Ende des 16. Jahrhunderts durch die
niederländischen Einwanderer stark an. Aber im einzelnen nach-
gewiesen ist er bisher nur bei wenigen Erscheinungen; genannt sa^
Kurt Perbers Arbeit über die hamburgischen Lotsenordnung
(Wissensch. Beilage zum Bericht der Höheren Staatsschule Idl O
174 Hinweise und Nachrichten.
haven, 1904). Es würde gewiß eine lolinende Aufgabe sein, den
kulturellen Einwirkungen, die hier stattgefunden haben, einmal in
größerem Zusammenhange erschöpfend nachzugehen. Abgelöst ist
der holländische Einfluß erst im 18. Jahrhundert vor allem durch
England. — Zu v. Hippels Abhandlung hat jetzt Ernst Rosenfeld
in derselben Ztschr. XXVI (1906), S. 1—18 einige Nachträge ins-
besondere über die Zuchthäuser in Berlin, Spandau und Amsterdam
geliefert, die jedoch wenig austragen. Erwähnenswert sind sie
wegen des neuen Materials, das aus der niederländischen Literatur
für die Amsterdamer Häuser für Männer und für Frauen, das Basp-
und das Spinnhaus, beigebracht wird, und wegen der beigegebenen
B,eproduktionen von sechs interessanten Stichen, welche diese Häuser
und ihre innere, gleichfalls von den deutschen Anstalten übernommene
Einrichtung darstellen. H. J.
In den Mitteil, aus dem German. Nationalmuseum (1906),
S. 60 — 78 hat Dr. Fritz Traügott Schulz eine resiimierende Be-
trachtung über Meister Bertram an der Hand der LiCHTWARKschen
Studie veröffentlicht. Sie will sich durchaus in den von Lichtwark
vorgezeichneten Bahnen halten und sieht in Bertram einen wichtigen
Angelpunkt ftir die deutsche Kunstgeschichte überhaupt. Seine Kunst
und deren Herkunft seien ein Rätsel. Vielleicht führe er eine lokal-
hamburgische Tradition fort. Eher erscheine er als eine völlig selb-
ständige Persönlichkeit ohne Lehrer und Vorbild. Seine künstlerischen
und techpischen Ausdrucksmittel seien für seine Zeit etwas ganz
Exzeptionelles; er werde dann zwar nachgeahmt, aber von seinen
Nachfolgern, insbesondere von Meister Francke, nicht erreicht. Die
für ihn angenommene Begründung eines neuen Stils wird erklärt
aus der zum BewulStsein gelangten Eigenart des Bürgertums und
als realistische Wirkung der deutschen Mystik. In alledem zeige
sich, daß die hanseatische Produktion am Ende des 14. Jahrhunderts
nicht ein Ausläufer der kölnisch -westfälischen Wurzel sei, sondern
etwas Autochthones, wobei nicht darauf eingegangen wird, daß, wie
Lichtwark ausführt, Bertram selbst aus Minden stammte und bis
an sein Lebensende engere Beziehungen zu Westfalen hatte. So sehr
diese Anschauungen den Historiker zu befremden geeignet sind, so
sehr muß man anstatt eines bloßen Eeferats, das zudem durch straffere
Zusammenfassung die vorsichtigeren Formulierungen Lichtwarks zu-
weilen allzu sehr ins Extreme zu treiben scheint, eine Nachprüfung
und Klärung der in der LiCHxwARKschen Studie angeregten Fragen
von kunstgeschichtlich sachverständiger Seite wünschen. H. J.
Über den in Hamburg um die Mitte des 17. Jahrhunderts
hergestellten Silberaltar in der Großen Kirche zu Stockholm
und seine Verfertiger, den hamburgischen Juwelier Eustachius Erd-
«»HUer und den augsburgischen Ebenholztischler Johann Georg Hertel,
Hinweise und Nachrichten. 175
liat Dr. J. RoosvAL (TJpsala) in Samfundet S:t. Eriks Ärsbok
1907 Mitteilungen gemacht. — Derselbe Verfasser hat sich bereits in
einer früheren Arbeit — Hofbildhuggaren Burchardt Precht,
Stockholm 1905 — mit hamburgischer Kunst im 17. Jahrhundert
beschäftigt und zusammengestellt, was sich über den hamburgischen
Bildhauer Christian Precht, den Bruder und Lehrer des schwedischen
Hofbildhauers Burchardt Precht und den Verfertiger von Skulpturen
am Orgelgehäuse in der St. Jakobikirche, hat ermitteln lassen.
N.
Der bronzenen Kreuzigungsgruppe auf dem St. Georgs-
kirchhof hat Th. Raspe in der Ztschr. f. christliche Kunst,
Jahrg. 1907, S. 174 — 180, eine Studie gewidmet, in der er
besonnen und vorsichtig den ästhetischen Wert und die kunst-
historische Bedeutung dieses seltenen Denkmals der deutschen Gießer-
kunst aus dem frühen 16. Jahrhundert zu würdigen sucht. Er
kommt zu dem Ergebnis, daß die Gruppe zwar kein Meisterwerk
ist und einen Vergleich mit den Werken eines Peter Vischer nicht
aushält, daß sie aber, an den übrigen zeitgenössischen Gußarbeiten
gemessen, doch eine beachtenswerte Leistung darstellt, die wohl ver-
dient, auch außerhalb der hamburgischen Lokalliteratur berück-
sichtigt zu werden. N.
In einer bei Gelegenheit der Speckterausstellung im Jahre
1907 gehaltenen Ansprache, abgedruckt unter dem Titel Die
Familie Speckter und Hamburg in dem Jahrbuch d. Ges.
Hamb. Kunstfreunde Xm. Bd. hat Alfred Liohtwark die Be-
deutung der Familie Speckter in ihren drei Generationen für hambur-
gische Kunst und Kultur mit einigen Strichen charakterisiert.
N.
Die Inschrift der mit dem Turm der großen St. Michaelis-
kirche am 3. Juli 1906 zugrunde gegangenen Vollstundenglocke,
eines im Jahre 1487 angefertigten Meisterwerkes des Kampener
Glockengießers Geert van Wou, hat nach eigener, im Jahre 1891
aufgenommener Lesung Herm. Wrede veröffentlicht. (Die Dom-
glocke Benedicta im Michaelisturme zu Hamburg. Jahrbuch
d. Ges. Hamb. Kunstfreunde XTTT, S. 65 — 70). Seine Lesung,
der er eine Interpretation der Inschrift folgen läßt, weicht in einigen
wichtigen Punkten von den bisherigen Lesarten ab (vergl. darüber
zuletzt R. KÖRNER in den Mitt. d. Ver. f. Hamb. Gesch. VlLL,
S. 26 ff., und desselben Verfassers Schrift Zur Geschichte der
Glockengießer in Hamburg, 1905). N.
In einem Aufsatze, betitelt: Ein Beitrag zum Werdegang
der mittelalterlichen Pergamenthandschriften — Ztschr.
f. Bücherfreunde XI, Heft 8 (Nov. 1907), S. 329—335 — hat
Axel Anthon B jörnbo in Kopenhagen eine Beihe höchst interessantfi^i:
176 Hinweise und Nachrichten.
Miniaturen besprochen, die in einer vor 1255 auf Anregung des
Domherrn Bertold von dem Schreiber Karolus zu Hamburg ge-
schriebenen, ehemals in der Bibliothek des Hamburger Domkapitels,
jetzt in der Kgl. Bibliothek zu Kopenhagen befindlichen Bibel-
handschrift enthalten sind. Die Miniaturen, von denen Reproduk-
tionen dem Aufsatze beigegeben sind, führen in bildlichen Darstel-
lungen die Entstehung einer mittelalterlichen Pergamenthandschrift
von der Bereitung des Pergaments bis zur Fertigstellung der Hand-
schrift durch den schreibenden und illustrierenden Mönch vor Augen.
N.
Ein Lebensbild des hamburgischen Syndikus Karl
Sieveking (1787 — 1847) hat Heineich Sleveking entworfen
(Hans. Geschichtsblätter Jahrg. 1907, S. 343— 380). Indem er in
gedrängter Kürze die persönlichen Schicksale und die beruflichen
Leistungen des Syndikus schildert, und betont, wie sich sein Schaffen
zwischen wissenschaftlicher Forschung, politischer Tätigkeit und
christlicher Liebesarbeit teilte, läßt er in seiner Darstellung nament-
lich die Verdienste hervortreten, die Karl Sieveking sich um die
Wiederherstellung der von den Franzosen zertrümmerten Selbständig-
keit der Hansestädte und später um die Kräftigung ihrer Handels-
stellung erworben hat. N.
In dem Jahrbuch d. Ver. f. Vierländer Kunst und
Heimatkunde für das Jahr 1908 entwirft Ernst Finder ein kultur-
historisch interessantes Bild von den Zuständen der Kirchen und
Schulen in den Vierlanden in dem Jahrhundert von 1550
bis 1650. Seine Schilderungen, für die neben Akten des Bergedorf er
Amtsarchivs und der Vierländer Kirchenarchive, die im Staatsarchiv
aufbewahrt werden, namentlich vier in der Kommerzbibliothek
befindliche Protokolle der Kirchenvisitationen von Wert waren, zeigen,
daß das kirchliche und sittliche Leben in den Vierlanden während
des angegebenen Zeitraums auf einer bedenklicli niedrigen Stufe stand.
N.
Für unsere volkskundlichen Arbeiten, soweit sie das Bauern-
haus, z. B. in den Vierlanden und in Hadeln, betreffen, wird es
von entscheidender Wichtigkeit sein, daß sie in Fühlimg bleiben
mit den Ergebnissen der allgemeinen Hausforschung, daß sie diese
an dem lokalen Material nachprüfen, ergänzen und von ilmen lernen.
Deshalb sei hier hingewiesen auf das kurze Referat über einen
Vortrag von Fr. Kaüftmann, Aus der Geschichte des holsteinischen
Bauernhauses, in der Ztschr. d. Gesellsch. f. Schlesw. -Holstein.
Gesch. 37 (1907), S. 471—475, wo auch das Wertvollste aus
der umfangreichen Literatur angegeben ist. Das holsteinische
Bauernhaus ist im wesentlichen identisch mit dem niedersächsischen
westlich der Elbe, während dieses östlich der Elbe die Ausnahme
bildet. Es reicht nördlich über die Eidergrenze liinaus bis zu einer
Hinweise und Nftchrichten. 177
Linie Hnsom-Scbleimünde, jenseita der das dänische Hans herrscht.
Btidlich der hochdentsch-niederdentschen Sprachgrenze liegt das Gebiet
468 fränkischen Hauses, das in der Hauptsache noch das alte römische
Haus ist. Der niedersächsische Typus wird durch folgende Eigen-
heiten charakterisiert. Er ist ein Einhaus für Menschen, Vieh und
Feldfrüchte. Er ist ein Fachwerkbau, bei dem das Dach nicht wie
beim fränkischen Hause auf den Hauswänden ruht, sondern auf dem
Erdboden, bis es dann in die Höhe gehoben und von besonderen
Ständern getragen wird. Das niedersächsische Haus hat neben dem
für die Wirtschaft benutzten Teile, der Boos, nur einen einzigen
Wohnraum, das Flett. Am Ende des Flett, das im Gegensatz zum
friesischen Hause als Mittelschiff mit Giebeleinfahrt erbaut ist, steht
der Herd. Das niedersächsische Haus ist also ursprünglich Ein-
feuerhaus, während das fränkische Küche und Stube hat. Durch
das Eindringen der Stuben entstehen neue Spielarten. Die alten
Stuben, die Siddels, liegen rechts und links vom Herde. Die ein-
gebauten Betten in ihnen sind späteren und französischen Ursprungs.
Als dann die Sitte aufkam, die Stuben mit einem Beilegerofen zu
heizen, ward ein neuer Eaum geschaffen, der mit einer slavischen
Bezeidmung die Dömse oder Dönse hieß. Diese scheint sich erst
im 17. Jahrhundert in Holstein allgemeiner verbreitet zu haben.
Hinter der Herdwand war an das Flett eine heizbare Kammer an-
gebaut, die in Hannover und sonst nach dem lat. camera caminaia
Kemenate genannt wird. In Holstein sagt man dafür Pesel, ein
Wort, das herstammt von lat. pensilis, franz. poile, Ofen. Der
Pesel ist aus Holland eingeführt. Soweit Kaüffmann. — Im
übrigen wird jetzt das beste Yergleichsmaterial und die reichste
Belehrung die Darstellung der lokalen Hausformen aus den ver-
schiedenen deutschen Staaten und Provinzen bieten, die von einer
grofien Zahl berufener Bearbeiter in dem mit einem Tafelbande aus-
gestatteten Werke des deutschen Architekten- und Ingenieurvereins :
Das Bauernhaus im Deutschen Beiche und in seinen Grenz-
gebieten (1906) niedergelegt ist. Die Yierlande und das Gebiet
der Eibmündung hat hier J. Faulwasser behandelt. Eine nähere
Besprechung dieses Werkes, sowie der sonstigen neueren Literatur
über den Hausbau aus den Jahren 1906 und 1907, unter der das
Buch Meringers, Das deutsche Haus und sein Hausrat (1906
in der Teubnerschen Sammlung: Aus Natur und Geisteswelt Bd. 116)
hervorragt, gibt Otto Lauttkr in der Ztschr. d. Ver. f. Volks-
kunde 18. Jahrg. (1908), S. 104 ff. und S. 196 ff. Aus diesem
Berichte ersieht man zugleich, wie viele offene und streitige Fragen
auf diesem Gebiete trotz aller schon aufgewandten Arbeit noch der
Lösung harren. H. J.
Die Beiträge zur Geschichte der Eibinseln vor Hamburg
von Oberstleutnant Freiherm Grqte-Ebstorp (her. und vetV^ ^^^jö.
Cistkr. 4. Vereins f. Hamb. Gesch. Xm. *^
178 Hinweise und Nachrichten.
Verein für Heimatkonde in Wilhelmsburg, 110 S.) weisen in dankens-
werter Weise darauf hin, einen wie reichen Schatz von Urkunden zur
Geschichte des heutigen Wilhelmsburgs und der benachbarten Inseln
I und Werder das Archiv der Familie Grote, der einstigen Besitzer
dieser Gegenden, enthält. Der Verfasser fühlt sich nicht berufen,
* eine Geschichte der EUnnseln zu schreiben, deren Geschicke durch
\ Jahrhunderte hindurch in den Händen eines lüneburgischen Geschlechts
' lagen, er wül nur Beiträge zu einer solcheti liefern, für deren Ver-
öffentlichung er die Nachsicht des Berufshistorikers zu erbitten hat.
Es darf daher nicht wundernehmen, daß die verschiedenen abge-
druckten Urkunden zu manchen Fragezeichen Veranlassung geben ,
* und den Wunsch entstehen lassen, es möchte das gesamte, auch für
die hamburgische Geschichte so wertvolle Material des Familienarchivs
j einmal von fachmännischer Seite durchgearbeitet werden. N.
t. In dem Jahresbericht der Männer vom Morgenstern,
\ Heft 9 (1907) finden sich zwei, hier interessierende Aufsätze.
i EoBRA schildert als Teilnehmer den Befund bei den Ausgrabungen
der Altenwalder Burg und zieht die Folgerungen, die sich für
Gestalt und Einrichtung, sowie Bedeutung der Anlage ergeben
(S. 45 — 57). Danach handelt es sich um eine karolingische Befestigung;
ob um ein castellum oder eine curiis, sei nicht zu entscheiden.
Das erstere erscheint jedoch — zumal da Beste von Gebäuden
nicht festgestellt werden konnten — als wahrscheinlicher: aus der
neben dem Kastell liegenden curtis, von der wir im 1 1 . Jahrhundert
hören, wird sich das spätere Dorf entwickelt haben. — Ed. Rüther
gibt eine Übersicht über die Quellen zur Geschichte des
Landes Hadeln (S. 80 ff.). Er bespricht die Urkunden, ältereii
Handschriften und besonders eingehend und lehrreich die Chroniken.
Dabei erfahren wir auch Genaueres über das Leben des Altenbrucher
Kirchspielsaktuars Scherder und des Ottemdorfer Bürgermeisters
Schmeelke, der ein Sohn der Schwester des Geographen Carsten
Niebuhr war (S. 90 ff.)- Beider Sammlungen werden noch als Scherder-
und Schmeelke-Archiv an den Stätten ihrer Wirksamkeit verwahrt.
H.J.
In einer lesenswerten Skizze hat Cur. Aug. Volqüardsen
in klaren Linien ein Bild von dem verwickelten Verlauf der Geschiclite
Schleswig-Holsteins entworfen. (Aus schleswig-holsteinischer
Geschichte, Umrisse entworfen von Chr. A. V., Leipzig 1907.)
N.
In seinem der Ztschr. der Gesellsch. f. Schleswig-
Holstein. Gesch. 37 (1907) beigegebenen Literaturbericht für
1906/7, auf den hierdurch aufmerksam gemacht sei, lehnt
R. V. Fischer-Benzon S. 482 f. die neue Topographie des
Herzogtums Schleswig (1906) von Henning Oldekop vom
Hinweise und Nachrichten. 179
wissenschaftlichen Standpunkt aus ab; sie könne sich in dieser
Beziehung mit der ScHRÖDERschen nicht vergleichen. Lediglich
praktischen Anforderungen für dieKenntnis gegenwärtiger Verhältnisse
könne das Buch genügen. H.J.
Unter der Redaktion von Dr. 6. Pauli ist in Bremen eine
neue Zeitschrift ins Leben getreten, von der der 1. Halbband des
1. Jahrganges vorliegt. Sie nennt sich Jahrbuch der bremischen
Sammlungen und beabsichtigt, das Interesse für die bremischen
Museen, Bibliotheken und Archive, zunächst der staatlichen, dann
aber auch der privaten, in weitere Kreise hineinzutragen. Zu diesem
Zwecke sollen in dem Jahrbuche Aufsätze veröffentlicht werden, die,
in einer dem Gebildeten ohne weiteres verständlichen Sprache ge-
schrieben, von dem in den bremischen Sammlungen enthaltenen
Material ihren Ausgang nehmen. N.
Die zahlreichen historischen Kommissionen deutscher
Staaten sind um eine solche für das Großherzogtum Hessen
vermehrt worden. Auf Grund von Verhandlungen mit den hessischen
Geschichtsvereinen und der Universität Gießen hat die Regierung
13 staatliche Mitglieder der Kommission ernannt: darunter zwei
Darmstädter Archivare, einen Pfarrer, zwei Bibliotheksdirektoren,
drei Gynmasialprofessoren und fünf Universitätsprofessoren. Die
Konmiission erhält für 1908 einen größeren staatlichen Zuschuß und
will auch von den Städten und Provinzen Mittel zur Durchführung
ihrer Aufgaben erbitten. Als solche sind zunächst in Aussicht
genommen die Bearbeitung eines Mainzer Urkundenbuchs, die Heraus-
gabe des Codex Laureshamensis, ein hessisches Kartenwerk, die
Neubearbeitung einer hessischen historischen Bibliographie u. a.
H.J.
Für die Stadt Frankfurt a. M. ist im Jahre 1906 eine
lediglich aus städtischen Mitteln dotierte Historische Kommission
ins Leben gerufen (vergl. Mitt. des Ver. f. Hbg. G^sch. IX, S. 247),
die aus dem Schulrat Stadtrat Dr. Ziehen, dem Archivdirektor Prof.
Jung und dem Historiker der Akademie Prof. Kuentzel besteht.
Diese Kommission scheint die ihr gestellten Aufgaben zur Förderung
der stadtgeschichtlichen Forschungen mit systematischer Gründlichkeit
nnd großer Energie in Angriff zu nehmen. Zunächst beabsichtigt
sie das geschriebene und gedruckte Material zur städtischen Geschichte
zusammenzustellen durch die Neubearbeitung des 1896 erschienenen
Werkes von Jcno über das Stadtarchiv, seine Bestände und Geschichte,
sowie durch die Bearbeitung einer Bibliographie zur Geschichte der
Stadt. Dann will sie einige besonders wichtige Epochen der städtischen
Geschichte des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, die bisher nicht oder
ungenügend behandelt sind, zusammenhängend und unter Veröffent-
lichung des wichtigsten Aktenmaterials darstellen lassen in. ^<i
ii
DRUCK VON LOTCKE ft WULFF * HAMBURG.
Das Amt Bergedorf.
Geschichte seiner Verfassung und Verwaltung
bis zum Jahre 1620.^)
Von
Hans Kellinghusen.
Quellen und Literatur.
Die Quellen zur Geschichte des Amtes Bergedorf geben
im wesentlichen ein deutliches Bild seiner Verfassung und
Verwaltung. Für ihre gute Überlieferung war es schon an
sich günstig, daß das Amt seit 1420 städtischer Besitz war
und einer Mehrheit von Herren, dem Rate, unterstand. Infolge-
dessen war der mündliche Verkehr zwischen der Obrigkeit
und den Lokalbehörden mehr als in landesfürstlichen Ämtern
ei-schwert und die schriftliche Anordnung und Berichterstattung
das Gewöhnliche. Dazu kam zweitens, daß das Amt ein ge-
meinsamer Besitz zweier Städte war. Denn wenn auch die
Verwaltung zwischen Lübeck und Hamburg abwechselte, so
geschah doch nichts Wichtiges ohne Wissen und Willen beider
Städte, wozu denn oft langwierige Korrespondenzen nötig
waren. So kann man für das Amt Bergedorf eine besonders
reichhaltige Überlieferung erwarten, sie müßte sogar in der
Hauptsache doppelt in den Archiven beider Städte vor-
handen sein.
Das erstere trifft zu, von letzterem ist das gerade
Gegenteil der Fall. Beide Archive haben große Verluste
erlitten, das Lübecker mehr im Laufe der Zeit durch un-
praktische Aufbewahrung und Verzettelung der Akten in
verschiedenen Registraturen,*) das Hamburger durch den
großen Brand des Jahres 1842, der einen bedeutenden Teil
Die Arbeit ist als Göttinger Dissertation entstanden; als solche
gedruckt ist mit Erlaubnis der Fakultät der 1. und 2. Teil.
^ Wehrmann, Das Lübecker Archiv in Ztschr. f. Lüb. Gesch. m, S. l
ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XUI.
182 Hans Kellinghusen,
der Bergedorfer Akten vernichtete. Wenn sich trotzdem im
großen und ganzen die Geschichte der inneren Entwicklung
des Amts klar erkennen läßt, so liegt es daran, daß beide
Archive sich in glücklichster Weise ergänzen, indem das eine
gerade das bewahrt hat, was dem anderen fehlt.
Da Lübeck zur Zeit der Eroberung des Amtes und in
den folgenden Jahrhunderten die mächtigere Stadt war, auch
das ältere Recht auf Bergedorf hatte, ^) so galt sein Archiv
als das Hauptarchiv des gemeinschaftlichen Amts, in dem
die allerdings wenig zahlreichen Urkunden aufbewahrt wurden,
während Hamburg sich mit beglaubigten Abschriften begnügen
mußte.*) Neben kirchlichen waren es hauptsächlich Urkunden
aus der Zeit vor 1420; denn alle Verträge, die die Städte
gemeinsam abschlössen, wurden natürlich in doppelter Aus-
fertigung hergestellt. Unter den 50 bis 60 jetzt in der
Abteilung Bergedorfien^ia in der Trese aufbewahrten Urkunden
sind aber für die vorliegende Arbeit wichtiger die Bestallungen
Lübscher Amtmänner und mehrere Verträge beider Städte
über die Verwaltung des Amts.
Die Bergedorfer Akten des Lübecker Archivs, eine große
Zahl umfangi-eicher Volumina, sind im Jahre 1757 von dem
Syndikus J. C. H. Dreyer geordnet und in einem Registranten
verzeichnet worden.
Die chronologische Anordnung ist hier fast gänzlich zu-
gunsten der sachlichen aufgegeben. Es wurden von Dreyer
etwa 40 Hauptabteilungen geschaffen, die je nach ihrem
Umfang ein oder mehrere Volumina enthalten. Sie gliedern
sich in zahlreiche Unterabteilungen, die häufig noch wieder
geteilt sind. Auf diese Weise wurden die gesamten Akten,
die bis zur Zeit der Ordnung vorlagen, verarbeitet, und es
ist sehr wahrscheinlich, daß spätestens damals ein großer
Teil der Korrespondenz, der keinen praktischen Wert mehr
Vergl. meine Arbeit über die Eroberung des Amts in den Mitt. d. V.
f. Hamb. Gesch. IX, S. 258 ff.
') Die Orig.'Docum^nte sind immer in unsemi Archiv aufhewahrU zumal
weil auch das Amt Bergedorf zum ersten hei dieser Stadt geicesen.
Lübsche Instruktion v. 31. Okt. 1607, betr. die beim Ankauf des
Warwischer Zehntens erhaltenen Urkunden.
Das Amt Bergedorf. 183
hatte, vernichtet ist. Denn während aus dem 15. Jahrhundert
ziemlich viele Briefe vorliegen, die wohl wegen ihres Altei-s
aufbewahrt wurden, ist von der regelmäßigen Korrespondenz
aus dem ganzen 16. Jahrhundert fast gar nichts erhalten.
Dagegen wird man über die meisten wichtigen Vorgänge und
Veränderungen im Amt gut unterrichtet. Für die vorliegende
Arbeit kamen besonders folgende Volumina in Betracht:
Von den Amtmännern I. Von dem Amtschreiber. Von
den Amtbedienten. Von den Contributionen und Schätzungen
I u. n. Von den Diensten der Untertanen. Von den Vier-
landen I — V. Vom Polizeiwesen. Von der Riepenburg. Vom
Schloß und Haus zu Bergedorf. Von den Visitationen: a) Vis.-
Recesse I, b) Vis.-Instructionen I, c) Vis.-Correspondence I,
d) Vis.-Protocolle I. Vom Zoll zu Eislingen I, VI. Kleine
Ergänzungen lieferten die Volumina: Stadt Hamburg n und IV,
sowie: Sachsen-Lauenburg III.
Von besonderer Wichtigkeit sind die Visitationsakten,
da in den Visitationen seit dem Ende des 16. Jahrhunderts
allein die Fortbildung der Verwaltung erfolgte. Sie sind in
Lübeck gut erhalten, während in Hamburg der Brand alles
vernichtet hat.
Was in Lübeck fehlt, ist in Hamburg erhalten: die
chronologisch geordnete Korrespondenz der Amtmänner (Hamb.
Staatsarchiv Cl. m Lit. Q^ Nr. 1—20). Und merkwürdig, schlecht
für die Zeit seit etwa 1572,*) für die gerade in Lübeck die Quellen
reichlich fließen, gut dagegen füi- die ifitte des 16. Jahrhunderts;
wo in Lübeck alles fehlt, liegt hier häufig für ganze Jahre die
vollständige Korrespondenz vor.^ Während in Lübeck nur
das sachlich bedeutende aufbewahrt wurde, gewinnt man hier
einen Einblick in alles, was die Amtmänner beschäftigte.
In diese Akten ist auch das wenige, was in Hamburg aus
der Korrespondenz beider Städte bewahrt geblieben ist, ein-
geordnet. Es ist sehr zu bedauern, daß der große Brand
*) Seit 1578 alle Kezesse und Instruktionen, der größte Teil der Korre-
spondenz und mehrere Protokolle. Näheres siehe Abschn. ü, 3.
*) Aus der Zeit Franz von Stitens 1584 — 90 nur drei Briefe.
^ Zum Beispiel aus der Zeit Ditmar Koels 1542 — 48 in Hamburg 117,
in Lübeck drei Schreiben.
184 Hans Kellinghosen,
das Archiv, das anscheinend eine viel reichhaltigere Über-
lieferung als das Lübecker besaß, so mitgenommen hat. Außer
der Korrespondenz geben die Kämmereirechnungen ^) und der
einzige füi- diese Zeit erhaltene Band der Kämmereiprotokolle
(1563—68) wichtige Beiträge namentlich über den Amtshaushalt.
Die Bedeutung des Hamburger Staatsarchivs als Quelle
für die Geschichte des Amts hat sich sehr erhöht, seitdem
in den letzten Jahren auf Veranlassung des Vorstandes der
hamburgischen Archiwerwaltung die gesamten Archivalien aus
dem Amts- und dem Stadtarchiv Berge dorf dorthin überwiesen
sind. Diese Archive haben wieder einen ganz anderen Inhalt
als die vorigen. Korrespondenzen sind aus älterer Zeit gar
nicht erhalten, da die Amtmänner die Briefe, die in der Zeit
ihrer Verwaltung eingekommen waren, mit sich hinwegnahmen.
Erst 1618 wurde bestimmt, daß hinfort alle Briefe vom Amt-
schreiber in eine Registratur gebracht und dorthin auch die
noch vorhandenen Briefe früherer Amtmänner eingeliefert
werden sollten.*) Seit 1596 liegen die Konzeptbücher der Amt-
männer vollständig in neun starken Involuten vor. Wichtiger
sind die Amtsbücher und Amtsrechnungen, die einen deut-
licheren Einblick in den Gang der inneren Verwaltung ge-
lyähren, als alles Bisherige. Für Einzelheiten verweise ich
auf die Arbeit selbst. Ich zähle hier nur das von mir Benutzte auf :
1. Amts- oder Borchbücher, erhalten 1590—96, 1601—02 imd
1605—20 (6 Bde.). Das Amtsbuch von 1601—02 ist be-
sonders wertvoll durch mehrere eingefügte Landgerichts-
protokolle.
2. Zerstreute Akten der vormaligen Landgerichte.
3. Klagebücher 1597—1608 und 1614—20 (4 Bde.).
4. 2 Übersichten über die Abgaben und Hofdienste 1570 und
ca. 1580.
5. Amtsrechnungen 1561 — 1610.
6. Land- und Häuserregister von 1570 imd 1621. Morgen-
buch von 1646.
7. Bergedorfer Stadtbücher 1437—1620.
Von 1420— 1562 higg, yonKOPPMAKN, Kämmerei-Rechnungen der Stadt
Hamburg, Bd. ü— Vn. Die folgenden Rechnungen sind ungedruckt.
*) Lüb. an Hbg. 1617 Dez. 15. Hbg. an Lüb. 1618 Jan. 9.
Das Amt Bergedorf. 185
So liefert jedes der verschiedenen Archive seine be-
sonderen Beiträge ; erst in ihrer Vereinigung ergeben sie ein
klares Bild der Verfassung und Verwaltung des Amts unter
den Amtmännern.
Eine Reihe von Quellen — und das leitet zur Literatur
über — sind schließlich nur in dem zehnten Teil von
Klefekers Sammlung der hamburgischen Gesetze und Ver-
fassungen erhalten, der von Seite 241 — 798 die Landesver-
fassung in dem gemeinschaftlichen Amt Bergedorf enthält.^)
Das Werk, das hauptsächlich praktischen Bedürfnissen ent-
sprang, ist besonders wichtig erat für die Zeit nach 1620;
die Regieiomg und Verwaltung des Amts unter den Haupt-
männern wird Seite 316 — 412 behandelt. Der Verfasser
schöpft aus zum Teil seitdem verloren gegangenen Urkunden
und Akten des Hamburger Archivs.
Während das Lübecker Archiv noch so gut wie gar nicht
benutzt ist, hat aus dem Hamburger Dr. VOIGT, der gründ-
liche Kenner des Landgebiets, eine Reihe von Quellen nament-
lich in den Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Ge-
schichte herausgegeben und eine Menge von Beiträgen zur
Geschichte des Amts, leider sehr zerstreut, in den Mitteilungen,
in Zeitungen und als Gelegenheitsschriften geliefert. Was
sonst über das Amt geschrieben ist, fußt größtenteils auf
seinen Arbeiten. Auf umfassender selbständiger Forschung be-
ruht die für die Kulturgeschichte wertvolle Schrift Dr. FiNDERs,
Die Vierlande um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts
(Wissenschaftliche Beilage zum Osterprogi-amm der Realschule
in Eilbeck zu Hamburg 1907). Alle diese Publikationen geben
Einzelheiten, eine zusammenhängende Darstellung der inneren
Entwicklung des Amts ist noch nicht versucht worden.
Dem verstorbenen Staatsarchivar Professor Dr. HASSE
in Lübeck, vor allem aber Herrn Senatssekretär Dr. HAGEDORN,
dem Vorstand des hamburgischen Staatsarchivs, danke ich
für die Ermöglichung meiner Arbeit durch die bereitwilligste
Eröffnung der vorhandenen archivalischen Quellen.
Hamburg 1771 ; danach zitiere ich. Auch gesondert erschienen Ham-
burg 1772; um hier, die Seiten zu finden, ist von der angegebenen
Zahl 240 abzuziehen.
186 Hans Kellinghusen,
Verzeichnis einiger öfter abgekürzt zitierter Bücher.
P. Hasse, Schleswig-Holstein-Lanenbnrgische Urkunden und Regesten.
3 Bde. 1886—96.
J. Klefeker, Der Kaiserl. freyen Eeichsstädte Lübeck und Hamburg
angeordnete Landes-Verfassungen in dem gemeinschaftlichen Amte
und Städtgen Bergedorf. Hamburg 1771 (Sammlung der ham-
burgischen Gesetze und Verfassungen 10. Teil).
K. Koppmann, Kämmerei-Rechnungen der Stadt Hamburg. 7 Bde.
M. V. H. G., Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte.
R. Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte. 5. Aufl. 1907.
Z. V. H. G., Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte.
I. Das Amt und seine Bewohner.
1. Besiedelung der Vierlande.
Eine erste Ei-wähnung der Eibmarschen vor Hamburg*)
mag man darin sehen, daß das Erzbistum Hamburg bei der
Erweiterung der Fälschung seiner Stiftungsurkunde kurz vor
1123 alles bewohnte und unbewohnte Marschland in und zur
Seite der Elbe in die Grenzen seines Sprengeis einschloß.*)
über die Besiedelung der Eibmarschen handeln: Grupen, Origines
Gcrmaniae H, S. 79 ff., de paludibus et insulis Albiae, Lemgo 1766;
Lappenberg, Hamburger Rechtsaltertümer, Einl. S. 152 ff. (1845),
und Melchior Lorichs Eibkarte S. 7 ff. (1847); am ausführlichsten der
Wasserbaudirektor HÜBBE, Einige Erläuterungen zur historisch-topo-
graphischen Ausbildung des Eibstroms und der Marschinseln bei Ham-
burg, 1869. Technisch wohl bewandert, legte er seiner historischen
Darstellung eine Beihe seitdem als falsch erkannter Urkunden zu-
grunde und gewährte bei dem Mangel an Quellen seiner Phantasie^
einen zu großen Spielraum. Da seine Schrift oft benutzt wurde (z. B.
von Meitzen, Siedelung und Agrarwesen), sind manche seiner Lrtümer
in andere Werke übergegangen. E. 0. Schulze, Niederländische
Siedelungen in den Marschen an der unteren Weser imd Elbe (Ztschr. d.
bist. Vereins f. Niedersachsen 1889), fußt für die Vierlande ganz auf
Lappenberg.
*) Hasse I, 4: omnes quoque paludes infra sive iuxta Älbiam positM
cultas et incultas infra terminos eiusdem parrochie panimus. Zur
Ansetzung der Fälschung vergL Dehio, Gesch. d. Erzbistums Hamburg-
Bremen n, Anm. S. 38. Palus heißt einfach Marschland, noch 1302 und
1335 werden die Vierlande so bezeichnet, Mecklenb. U. B. V, 2794;
Vn, 5612; 1315 wird palus mit „mersch" übersetzt, HASSE HI, 317.
Der Gegensatz ist aridum: Geest.
Das Amt Bergedorf. 187
Deutlich aber treten die Eibmarschen zuerst bei der
Gebietsabgrenzung zwischen den Diözesen Hamburg, Verden
und dem neugegründeten Ratzeburg hervor. Der zwischen
1155 und 1157 gefälschte Stiftungsbrief Karls des Großen
für das Bistum Verden nahm die Bille von ihrer Mündung
bis zur Quelle als dessen Grenze in Anspruch,^) schloß also
den hier in Frage kommenden Teil der Eibmarschen in sein
Gebiet ein. Für alle dadurch erhobenen Ansprüche auf rechts-
elbisches Gebiet wurde Verden mit den Eibinseln Gorgers-
werder und Reinerswerder, heute nicht mehr bestimmt erkenn-
baren Orten, entschädigt.*)
Zwischen Hamburg und Ratzeburg aber wurde 1162 auch
die Bille als Grenze festgesetzt und infolgedessen wurden
neun im Marschlande belegene Orte, die bisher kraft des vor
1123 usurpierten Rechts zu Hamburg gehört hatten, an das
Bistum Ratzeburg überwiesen.^ Von diesen Orten sind einige
nicht mehr zu identifizieren, die meisten lassen sich in der
Gegend des heutigen Billwärders nachweisen.
Diese einfache Grenzbestimmung hat doch dadurch lange
Zeit große Verwirrung hervorgerufen, daß man den 1443 von
Bergedorf zur Dove-Elbe gegrabenen Schleusengraben*) für
eine alte östliche Mündung der Bille ansah, die sich bei
Bergedorf geteilt und mit ihren beiden Armen den Billwärder
umflossen hätte. Eine solche Annahme Danckwerts*) wurde
von Grüpen*) aufgenommen, der mit völlig nichtssagenden
Gründen bewies, daß der östliche Arm der Hauptfluß der Bille,
also die Grenze, gewesen sei. Ihm folgte LAPPENBERG ^, der,
den Verdenschen Stiftungsbrief von 786 für echt haltend, nur
so sich erklären konnte, daß der Billwärder bis 1162 zur
Diözese Hamburg gehört habe. HÜBBE®) geht zwar hierauf
Angeblich von 786, Mon. Germ. Hist., Urk. der Karolinger I, 240.
^ In der Fälschung Heinrichs des Löwen für Ratzeburg von 1158 (s. u.),
an sich wohl nicht zu bezweifeln.
^ Hasse I, 109, llO. Namensdeutung im Hamb. U. B. I, 224.
*) Lüb. U. B. Vn, 298.
*) Landesbeschreibung von Schleswig-Holstein 1652, S. 242.
•) GrüPEN, Origines Germaniae ü, S. 79 ff.
^ Rechtsaltert. I, Einl. S. 152 ff.
") Erl. zur Ausb. d. Eibstroms, S. 14 ff.
188 Hans Kellinghusen,
nicht ein, konstruiert aber aus den bekannten Grenzen des
13. Jahrhunderts eine Bille-Seeve- Linie von Bergedorf zur
Mündung der Seeve als kirchliche und politische Grenze,
zwischen Erzbistum Hamburg — Grafschaft Holstein einer-
seits und Bistümer Verden und Ratzeburg — Herzogtum
Sachsen mit Sachsenmark andererseits, die sich für das 12. Jahr-
hundert schlechterdings nicht urkundlich begründen läßt.
Eine Spaltung der Bille bei Bergedorf in eine östliche
und westliche Mündung hat es nachweislich nicht gegeben,
sondern die eine Bille floß zwischen Billwärder und dem Geest-
rande in die Elbe; als sie 1162 als Grenze festgesetzt wurde,
wurde folgerichtig der Billwärder von Hamburg abgetreten.
Aber auch die Bille -Seeve -Linie HÜBBEs hat nie be-
standen. Durch sie wäre ein innerlich zusammengehöriges
Gebiet schon vor seiner Kolonisation geteilt worden, und zwar
durch eine nur auf der Landkarte existierende Grenzlinie.
Die einzige Erwähnung dieser Linie wäre ein Abweichen von
ihr durch den Vertrag von 1162.^)
Diese Feststellung ist deswegen wesentlich, weil die
Bille auch die politische Grenze zwischen der Grafschaft
Holstein und der unmittelbar unter dem Herzog von Sachsen
stehenden Sachsenmark bildete. Zur Zeit seiner Besiedelung
war also das Marschland vor Hamburg ein einheitliches Gebiet;
die Grafschaft Holstein hatte noch keinen Teil daran.
Die Elbe durchfloß es in drei Armen, von denen der
Hauptstrom schon früh die große Elbe südlich von Kirch-
wärder*) war, während die beiden anderen, Gammelbe ge-
nannten, versandeten und im 14. und 15. Jahrhundert an
ihren oberen Enden abgedeicht wurden.^)
Die Elbe teilte also das Marschland hier anfänglich
vierfach. In ihrer Mitte bildete sie zwei Inseln, zu ihi-en
') HÜBBE kommt tatsäclilich zu der wunderlichen Konsequenz, der Erz-
bischof habe 1162 die Mündung des Billetals bei Bergedorf mit der
Mündung des Billestroms in die Elbe verwechselt und so ohrie An-
schauung der örtlichkeit den Vertrag abgeschlossen (S. 16).
^ Das beweist die Anlage der Zollstätten zu Krauel und Eislingen an
ihr; HASSE I, 329.
') Darüber vergl. unten III, 4; falsche Angaben bei HÜBBE S. 35.
Das Amt Bergedorf. 189
Seiten erstreckte sich sumpfiges Land bis zum Rande der
Geest. Es war nur natürlich, daß dies letztere zuerst der
Kultur gewonnen wurde.
Im Billwärder und den anschließenden Gebieten waren,
wie wii' sahen, schon 1162 neun Siedelungen, die zu dem
damals zuerst erwähnten Kirchspiel Bergedorf gehörten. Im
Jahre 1180 bildeten fünf andere, jetzt ganz unbekannte Orte,
die in derselben Gegend zu suchen sind, das Kirchspiel, der
Billwärder scheint damals bereits ausgeschieden zu sein.^
Wenn der größte Teil dieser Namen völlig untergehen konnte,
so ist klar, daß die Besiedelung am Ende des Jahrhunderts
noch keineswegs gefestigt war. Die große Zahl von Namen
auf kleinem Gebiet spricht überhaupt nicht für planmäßige Ko-
lonisation, um so leichter mußten große Sturmfluten, wie die vom
16. Febmar 1164,*) verheerende Wirkungen ausüben können.
An Billwärder schloß sich das Land Gamma, in dem
Curslack und Altengamme unter einem Deichverband liegen.
Hier schenkte Heinrich der Löwe drei Hufen an das Bistum
Eatzeburg,aberdiebeidenUrkunden angeblich vonll58 und 1174,
die diese Schenkung erwähnen, sind zurückdatiert und stammen
aus der letzten Zeit Heinrichs,') das Jahr 1158 als das der ersten
Erwähnung der Vierlande ist also nicht haltbar. Des Löwen
Sohn Pfalzgraf Heinrich gab sein Patrimonium drca fliivium,
qiä Oamme didtiir im Jahre 1200 an den Grafen Adolf von
Holstein zu Lehen, bei welcher Gelegenheit er 700 Mark von
diesem empfing.*) Darunter müssen die ganzen zu beiden
Hasse I, 138; doch steht in der Urkunde kein Wort davon, daß der Bill-
wärder schon damals an Hamhurg zurückgegeben sei, wie LAPPENBERG,
Rechtsalt. S. 154, HÜBBE S. 16 wollen.
') Hehnold 11, 1 § 4, bei LAPPENBERG, Rechtsalt., S. 154. HÜBBE macht
daraus ein Zitat Hehnold I, 4 und läßt diesen berichten, daß durch
die Flut ^anze Landesteile des Billwärder verschlungen seien, beides
ist von Meitzen m, S. 389 übernommen.
^ Hasse I, 103, 132. Vergl. v. Büchwald, Bischöfe- und Fürsten-
urkunden, S. 182 f. Hasse I, 124 Note.
^) Arnold von Lübeck VI, 12 ; die Lokalhistoriker, ebenso Meitzen ü, S. 356
sehen in dieser Summe eine Bezahlung für das Lehen, auch setzen sie
den Vorgang, Lappenberg folgend, in das Jahr 1197, nach dem
Zusammenhang fällt er ins Jahr 1200.
190 Hans Kellinghusen,
Seiten der Gammelbe liegenden Eibmarschen verstanden
werden, nämlich die besiedelten Lande Gamme und Bill-
wärder und die wohl noch unbesiedelten beiden Inseln.
Doch nicht lange sollte sich der Graf dieses Lehens
freuen; bald wurde er vom Dänenkönig vertrieben, von 1202
bis 1227 unterstand alles Land bis zur Elbe Waldemar dem
Sieger und seinem Statthalter Graf Albrecht von Orlamünde.
Unter ihm wurde die Besiedelung der Eibmarschen vollendet.
Vor 1212 wurde die nova insida versus villatn que dicitur
Gamme, die zu Herzog Heinrichs Zeit noch eine hisida nondum
cidta war, mit Deichen umzogen.*) Neuengamme und Reitbrook
lagen auf ihr. Wahrscheinlich ist unter ihm auch erst die zweite,
größere Insel, auf der Kirchwärder und Ochsenwärder lagen,
bedeicht. Wenigstens wird Kirchwärder zuerst 1217 erwähnt.*)
Als 1227 nach der Schlacht von Bomhöved die alte
Herrschaft wieder eingerichtet wurde, da müssen sowohl Graf
Adolf rV. von Holstein als Lehnsnachfolger seines Vaters wie
Herzog Albrecht I. von Sachsen als Rechtsnachfolger des
Grafen Albrecht, der ja das besiedelte Land bedeutend ver-
mehrt hatte, Ansprüche auf die Marschen erhoben haben. Das
Resultat war eine Teilung, die den Billwärder und den nörd-
lichen Teil der beiden Inseln, nämlich Reitbrook und Ochsen-
wärder, Holstein zuwies, während der Rest, das spätere Amt
Bergedorf, bei Sachsen - Lauenburg verblieb. Erst dadurch
entstand die keineswegs gerade Grenzlinie, die HÜBBE schon
für das 12. Jahrhundert annehmen wollte.
Fassen wir das Ergebnis noch einmal zusammen, so
bestanden die Vierlande im Jahre 1227 aus drei gesonderten
Deichverbänden. Die Jahre der ersten Erwähnung sind für
Altengamme ca. 1188, Curslack 1217, Neuengamme 1212 und
Kirchwärder 1217.*) Sicher ist nui-, daß Neuengamme erst
von Graf Albrecht von Orlamünde besiedelt wurde, während
Altengamme und damit Curslack schon früher bestanden.
Über Kirchwärder läßt sich nichts Gewisses sagen. Da nun
*) Hasse I, 103, 288. über die Besiedelungsgesch. Neuengammes gibt
einen Exkurs Meitzen m, Anl. 118.
*) Hasse I, 338, 340.
^ Curslack, Hasse I, 336.
Das Amt Bergedorf. 191
in den erwähnten Bergedorf er Urkunden von 1162 und 1180
eine Reihe seitdem untergegangener Ortsnamen vorkommen,
die in der Gegend von Curslack zu suchen sind, so möchte
ich annehmen, daß diese örtiichkeiten durch den Eibstrom
wieder vernichtet wurden und erst dann, etwa in den Jahren
1180 — 90 die erste dauernde Besiedelung der Vierlande mit der
Gründung Altengammes und Curslacks vor sich gegangen ist.
Eolonisationsurkunden, wie sie aus dem Marschlande des
Erzbistums Hamburg -Bremen und anderen Marschgegenden
mehrfach erhalten sind,0 liegen für das Gebiet der Eib-
marschen vor Hamburg nicht vor. Man ist daher, um die
wichtige Frage nach der Art der Besiedelung und im Zu-
sammenhang damit nach Stand und Besitzrecht der Marsch-
bewohner zu lösen, auf spätere Urkunden angewiesen.
Ob die ersten bäuerlichen Siedler Holländer, Flamen,
Friesen oder Sachsen waren, ist zurzeit noch nicht ausge-
macht. Man kann darauf hinweisen, daß Heinrich der Löwe
in dem unmittelbar anschließenden Marschland bei ArÜen-
burg 1163 tres mansos hollandrenses an das neugegründete
Bistum Lübeck schenkte*) und diese Schenkung mit der später
bezeugten von drei Hufen in Gamma an das Bistum Ratzeburg
zu korrespondieren scheint. Immerhin würde damit nur be-
wiesen sein, daß die Ansiedlung nach Holländer- Art erfolgte,
die für die gesamten Eibmarschen angenommen werden muß.*)
Doch ist zunächst hervorzuheben:*) Von Mittelpersonen,
sogenannten Lokatoren oder Unternehmern, denen der Landes-
herr das Land zur weiteren Aufteilung an die Siedler über-
gab und die dafür das erbliche Schulzenamt, hervonagenden
Grundbesitz oder Befreiung von Grundlasten erhielten, ist
keine Spur zu finden. Aber das zu bedeichende Land wurde
überhaupt nicht von dem Herrn an Siedlungsgenossenschaften
vergeben, vielmehr war der Landesherr selbst der Deich-
Vergl. die Zusammenstellung bei y. Schwind, Zur Entstehungsgesch.
der freien Erbleihe, S. 129 ff.
*) Hasse I, 112.
*) Meitzen m, S. 389.
^) Vergl. zu dem Folgenden: GlEREE, Gesch. d. Deichrechts I, S. 133 ff.,
145, 156 ff.
192 Hans Eellinghnsen,
bauherr, der das Land nicht nur an freie Bauern ausgab,
sondern von vornherein einen Teil für sich behielt, anderes
an seine Ritter und an Kirchen und Klöster verkaufte oder
verschenkte. Das beweisen die ältesten Urkunden:*)
1158 — 88. Herzog Heinrich schenkt drei Hufen in Gamme
an das Bistum Ratzeburg.
1212. Ritter Reiner von Pinnow schenkt sein Erbe (here-
ditatem), nämlich zweiHufen in Neuengamme, die er von
Graf Albrecht kaufte, an dasDomkapitd zu Hamburg.
1212. Truchseß Dietrich des Grafen Albrecht schenkt von
seinen drei Hufen in Kirchwärder eine an das Dom-
kapitel zu Hamburg.
1217. Graf Albrecht selbst schenkt dem Bischof von Verden
zwei Hufen in Kirchwärder, während der Bischof drei
Äcker dazu kauft.
1217. Graf Albrecht schenkt der Kirche zu Bergedorf unter
anderem eine Hufe im Dorfe Curslack mit dem darauf
wohnenden Kolonen.*)
Besonders zu beachten ist der Besitz des Ritters Reiner
von Pinnow auf der neuen Insel, der gleichzeitig mit der
Besiedelung erworben sein muß. Deutlich geht femer aus
den Urkunden hervor, daß diese Ritt^^r und Kirchen nicht
über, sondern neben den anderen Siedlern standen; denn alle
Grundlasten, von denen zu sprechen sein wird, lagen auf ihren
Gütern und wurden nur aus besonderer Gunst des Landes-
hcrm, besonders wenn der Besitz in geistliche Hände über-
ging, teilweise aufgehoben.^
Das Land wiu-de in großen, rechteckigen, in langen
Streifen nebeneinanderliegenden Marschhufen vergeben, die sich
durch das ganze Land erstreckten, also mit beiden Schmalseiten
an die Deiche stießen. Die Seite, an der die AVohnhäuser
lagen, hieß der Hausdeich, die andere der Achterdeich. Bei der
breiten Insel Kirchwärder lagen an beiden Deichseiten Häuser,
*) Wie meistens sind wir auch hier für die ältere Zeit nur auf kirch-
liche Archive angewiesen.
2) Hasse I, 103, 288, 340, 338, 336.
*) Über die Beteiligung von Adel und Klöstern am Ausbau von gnmd-
herrlichem Lande vergl. auch Lamprecht, Wirtschaftsleben I, S. 137.
Das Amt Bergedorf. 195
man schied daher eine Norder- und eine Süderseite. In der
Mitte der Insel, die durch eine Landscheide bezeichnet wurde,
stießen hier die Hufen von beiden Seiten zusammen.^)
Meitzen macht darauf aufmerksam,*) daß das Land in
Neuengamme vor der Besiedelung nach Königshufen vermessen
und danach der Heerweg ^ und die Hauptwetterung in der
Mitte des Landes angelegt sei. Auch Pfarrer- und Organisten-
hufe, die nach der Sitte vom Grundherrn vorweg angewiesen
seien, hätten zusammen noch jetzt die Größe der alten Königs-
hufe (49,2 Morgen = 47,52 ha).*) Nach der Bedeichung sei
das Land dann in kleineren Hufen vergeben. Aber warum
diese Verteilung nicht vom Grundherrn selbst, sondern von
Unternehmern vorgenommen sein soll, ist nicht ersichtlich.
Im übrigen paßt die Annahme, daß das Land nach dem
Plane des Grundherrn bedeicht und die eigentliche Verteilung
des Landes erst nach der Bedeichung vorgenommen sein soll,
vortrefflich zu den Urkunden.
Über diese Verteilung stellt RÖHR*) eine ansprechende
Theorie auf. Er schließt aus der Zahl der Hufen und der Bauer-
schaften in den einzelnen Landen auf die ursprünglich bei der
Besiedelung ausgelegten Hufen, nämlich daß in Curslack, Alten-
gamme und Kirchwärder jede Bauerschaft mit neun, in Neuen-
gamme mit sieben Hufen ausgelegt sei. Das Ergebnis ist dann:
Altengamme ... 3 Bauerschaften mit 9 Hufen = 27
Curslack 3 „ „9 „ =27
Kirchwärder ... 6 „ „ 9 „ = 54
Neuengamme . . 5 „ „7 „ =35
zusammen 143 Hufen. ^
HÜBBE, S. 18 ff.; GlERKE, S. 151 f. Weitere technische Einzelheiten
bei HÜBBE.
^ Meitzen m, S. 392 f.
^ Der Curslacker Heerweg ist übrigens erst 1570 gebaut, s. n. m, 4.
*) Die Pfarrhufen der andern drei Lande sind bedeutend kleiner, s. HÜBBE,
Z.V.H.G.V, S.446.
^ Die Entwickelung der Landwirtschaft in den Yierlanden bei Hamburg
(Gießener Diss. 1907), S. 2.
*) Daß diese Zahl sich mit der der wirklich vorhandenen Hufen ziemUch
genau deckt (vergl. Abschn. 3), darf nicht als Bestätigung genommen
werden. Denn letztere ist die Voraussetzung der ganzen Berechnung..
194 Hans Eellinghusen,
Die abweichende Hufenzahl Neuengammes würde wieder
seine spätere Besiedelung bezeugen, doch stimmt hier die
Theorie nicht ganz zur Wirklichkeit. Die Größe des ein-
gedeichten Landes der einzelnen Bauerschaften kann nach
dem Morgenbuch von 1646 berechnet werden; es sind 289,
265, 218, 307 und 282 Morgen. Da die Einheit der Hufe
40 Morgen beträgt,^) so läßt sich die Morgenzahl der vier
äußeren Bauerschaften ungefähr mit der Annahme RÖHBs
vereinigen; die mittelste Bauerschaft aber hatte, wie auch
ein Blick auf die Karte zeigt,*) augenscheinlich nur fünf Hufen,
je zwei zu selten der Pfarrhufe. Die Theorie ist also nicht so
sicher, wie sie auf den ersten Blick scheint.
2. Besitzrecht in den Vierlanden; Grundherrschaften.
Für die Verfassung und Verwaltung des Landes grund-
legend ist das Besitzrecht der Siedler an Grund und Boden.
Sie bestanden zwar hauptsächlich aus freien Bauern, aber
auch geistliche und weltliche Grundheiren beteiligten sich,
wie wir sahen, in größerer Zahl an der Besiedelung. Alle
standen als Siedler dem Landesheirn als dem A^ergaber de»
Landes gegenüber. Mit eigener Ki-aft oder durch ihre Hörigen
hatten sie das Land, das vor der Besiedelung für den Herrn
wertlos war, dem Strome abgewonnen und täglich mußten
sie bereit sein, in schwerer Deicharbeit es gegen seine An-
griffe zu verteidigen. Das konnten mit der nötigen Sorgfalt
nur Leute tun, die ein eigenes Interesse am Lande hatten.
Ein direktes Abhängigkeitsverhältnis vom Herni, etwa organi-
siert in einer Grundherrschaft, war demnach ausgeschlossen;*)
um ein solches Verhältnis zu begründen, hätten sich auch
wohl keine Siedler gefunden. Andererseits waren die mittel-
alterlichen Grundherren der definitiven Veräußerung von
Grund und Boden abgeneigt.*) Das Gegebene war daher die
Überlassung des Landes in freien, dem Eigentum gleichkommen-
S. Abschnitt 3.
2) Vergl. die Karte bei Meitzen, a. a. 0.
') Natürlich konnten sich mit der Zeit drückende Abhängigkeitsveriillt"
nisse herausbilden, wie es in Ostdeutschland oft vorgekommen ist
*) V. Schwind, S. 164.
Das Amt Bergedorf. 195
den Leiheformen. In der Tat läßt sich in allen Marschkolonien,
aus denen Kolonisationsurkunden erhalten sind, die aus den
Markt- und Stadtgründungeu übernommene Gründerleihe nach-
weisen, durch die die Siedler gegen einen jährlichen Aner-
kennungszins von einem Pfennig ein vererbliches und ver-
äußerliches Recht an der Hufe erhielten.*) Als Vorbild diente
die Übertragung von Rottland gegen Landrecht, eine Abgabe,
die ihren Ursprung in dem königlichen, später landesherrlichen
Bodenregal hatte und auch unter dem Namen Königszins
vorkommt.^ Die Gründerleihe ist auch als Besitzrecht
der Siedler in den Vierlanden vorauszusetzen, und es findet
sich in der Tat die Abgabe, die als der Anerkennungs-
zins erklärt werden muß, der Königszins oder Königspfennig
(talis censm gut didtur Konigspenni7ig, censt(s regis, regcUis
cermis, census qui didtur Koningestyns),^ Der Königszins
bestand als Hauszins (censm arearum) auch in der Neustadt
Hamburg, die von den Grafen von Holstein gegründet war.
1253 wurde er den Bürgern von den Grafen erlassen mit der
AViikung, daß ihre Häuser nunmehr nach Erbrecht besessen
wurden,*) war hier also ohne Zweifel ein Rekognitions-
zins; in den Vierlanden blieb er, ohne daß man seine Be-
deutung mehr kannte, bis ins 19. Jahrhundert bestehen.^)
Als der Amtmann 1603 berichtete, daß die Lüneburger Fischer,
die die Kirchwärder Fischvöhrden befischten, von jeder
Vöhrde in recognitionem superioritatis et dominii jährlich
dem Hause Bergedorf 1/J, den Vohrdschilling, gäben, dessen
V. Schwind, S. 169; Rietschel, Ztschr. f. Rechtsgesch. 35, S. 187 ff.
^ Schröder, R. G. S. 544, 627, 740.
5) Hamb. ü. B. I, 884b; HASSE m, 507, 598.
*) Hamb. U. B. I, 574.
^) Auch im Hammerbrook bestand der Königspfennig als geringe Abgabe
(der Ertrag aus dem ganzen Lande 15 — 16 ^ jährlich), und doch verlor
der, welcher ihn nicht zu rechter Zeit by des Werdes Sunne unde der
anstickenden Kerszen bezahlte, nach einer Findung von 1525 sein Land
an die Herrschaft. Man erkennt daran deutlich den Anerkennungszins.
HÜBBE, Das Hammerbröker Recht (1843) S. 77. HÜBBE kennt die
Bedeutung nicht, zu seiner Zeit bestand die Zahlung des Zinses noch.
Falck, Schleswig -Holsteinisches Privatrecht in, S. 506, identifiziert
Xönigszins und Grafenschatz, ohne Zweifel zu Unrecht
196 Hans Eellinghusen,
Nichtbezahlung eine hohe Strafe an den Hauptmann zur
Folge hätte, da fügte er hinzu, daß der Vordtschäling fast
eben mit deni Kuninghspfening dieses Falk eine Oleidüieit haben
sollte?) Der Vergleich sollte sich wohl auf die Kleinheit des
Zinses und doch hohe Strafe beziehen, unbewußt hatte der
Amtmann aber auch auf die Entstehung des Königspfennigs
hingewiesen; denn daß die Städte in dieser Zeit noch irgend
ein Eigentum an den Hufen der Vierländer Bauern beanspruch-
ten, läßt sich nirgends nachweisen.
Der Königszins lastete auf allem Grund und Boden, auch
dem der geistlichen und weltlichen Grundherren, imd nur be-
sondere Privilegien des Landesherm konnten von ihm befreien:
so wurden die Güter des Klosters Reinfeld 1295 für ewig
vom Königspfennig befreit und diese Befreiung 1323 auch
auf neuerworbenen Besitz ausgedehnt.*) Auch das Kloster
Schamebeck erlangte für seine Güter in Kirchwärder Frei-
heit vom Königszins.^ Dieser Zins hat natürlich mit dem
sonst vorkommenden Königszins, der der Heersteuer, dem
Grafenschatz oder Schoß gleichgesetzt wird, nichts zu tun/)
Eine kurze Übersicht über die auf dem Grundbesitss
liegenden Abgaben und Leistungen, über die in der Geschichte
der Verwaltung ausführlich zu handeln sein wird, bestätigt
das freie Besitzrecht der Siedler. Die Hauptabgabe war der
große und kleine Zehnte von Korn und Schmalvieh. Heinrich
der Löwe beanspruchte die Zehnten in Gamma mit Erlaubnis
des Bischofs von Ratzeburg ohne Lehnspflicht (s^ine feodo) zu
besitzen, doch sollten sie jederzeit dem Bischof auf sein Ver-
langen wieder frei sein.^) Später war die Verteilung folgende:
der Zehnte wurde in Kirchwärder, das zum Bistum Verden
gehörte, auch von diesem erhoben; in Bergedorf, Altengamme^
Curslack und Geesthacht stand er dem Bistum Ratzeburg zu;
in Neuengamme war der Herzog selbst der Zehntberechtigte^
Joachim Brandt an Hamburg 1603 Aug. 3.
^ Hasse n, 855; m, 507.
^ Hasse in, 549; ungedr. Urkunden von 1325 und ir53 (StÄatsardÜT
Hannover, Kloster Schamebeck, Nr. 279).
*> Vergl. V. MaüEER, Fronhöfe m, S. 356 ff.
Nach der Fälschung von 1158 für Ratzeburg, HASSE I, 103.
Das Amt BergedorL 197
doch hatte er den Zehnten hier in vielen Fällen seinen Rittern
zu Lehn gegeben.^) Es ist dies übrigens in älterer Zeit die
einzige Art des Lehns, die in den Vierlanden begegnet Der
Herzog verkaufte auch sein Zehntrecht: so erwarb das
Kloster Beinfeld zu den übrigen Freiheiten seiner Güter in
Neuengamme 1286 und 1306 den Zehnten hinzu.*)
Der Landesherr hatte femer das Recht, Beden im Lande
auszuschreiben, und zwar von Anfang an: schon 1212 wird
das Land des Hamburger Domkapitels in dem neubesiedel-
ten Neuengamme von jeder Bede befreit.') Später schied
man von kleinen die große und allgemeine Bede, die das
gemeine Land gab; diese behielt der Herzog sich allein von
allen seinen Rechten an den Grütem des Klosters Schame-
beck vor.*) Sie wurde am Martinstag erhoben*) und ist noch
zur Zeit der Städte unter dem Namen Martinsschatz die ein-
zige allgemeine Steuer, während andere Schätzungen, die
wohl teilweise mit den kleinen oder speziellen Beden des
14. Jahrhunderts gemeint sind, auch damals nur auf einzelnen
Hufen ruhten.^
Die wichtigsten Dienste sind Deichbau, Landwehr und
Burgwerk. Als Herrendienst ist nur die letzte Pflicht auf-
zufassen, doch wurde von den einzelnen wohl nie mehr als
ein bis zwei Tage im Jahr verlangt. Auf alle Einzelheiten
ist bei der Schilderung der Verwaltung näher einzugehen,
hier ist nur festzustellen, daß aus keiner der Abgaben und
Dienste auf ein beschränktes Eigentum geschlossen werden
^) Schon 1212 an Reiner von Pinnow, Hasse I, 288; ferner y. d. Berge
1284, Schorlemorle 1309, Holste 1312; HASSE H, 658; m, 211, 258.
^ Hasse n, 658; m, 116.
^ Hasse I, 288.
*) Der Herzog darf sich zu keiner Zeit quicquam iuris aut exacHonia
aut etiam censum regis an den Gütern des Klosters aneignen maiori
(IC generali praecaria, quam cum communiter terra dederit, . . nohis
tantummodo reservata 1325 HASSE m, 549. Ebenso für das Kloster
Lüne 1326: wir reservieren uns kein Recht |>ra€fer petitionem maiorem
ah Omnibus personis ibidem bona habentibus generaliter dandam
Hasse m, 587.
*) Urk. V. 1353 (ungedr. Hannover).
•) Vergl. den Abschnitt Amtshaushalt.
Ztschr. d. YereiüB f. Hamb. Oesch. Xm.
198 Hans Kellinghnsen,
kann. Besonders fehlt jede Abgabe, die beim Übergang einer
Hufe in neuen Besitz oder beim Todfall des Besitzers zu
leisten war.
Dagegen wird die Hufe schon 1212 und wieder 1295
liereditas: Erbe genannt,^) und dieser Ausdruck ist bis ins
18. Jahrhundert der gewöhnliche. Die freie Veräußerlichkeit
der Hufen, die bei der Gründerleihe möglich war, ist schon
in den ältesten Urkunden bezeugt: Ritter Reiner von Pinnau
hatte, wie man annehmen muß, seinen Besitz in Neuengamme
bei oder gleich nach der Besiedelung vom Grundherrn, dem
Grafen Albrecht, gekauft und ihn schon nach wenigen Jahren
weiter vergeben; andere Güterübertragungen weltlicher und
geistlicher Herren aus der Zeit von 1212 bis 1217 sind oben
(S. 192) zusammengestellt. Ebenso aber war bäuerlicher Grund-
besitz frei veräußerlich, schon vor 1228 verkaufte ein sicher
bäuerlicher Besitzer Hartwig von Alerberghe seine halbe Hufe
in Neuengamme an eine Frau Ottilia.*) Nur die Zustimmung
des Herzogs scheint, solange man sich der Bedeutung des
Königspfennigs bewußt war, bei einem Verkauf notwendig
gewesen zu sein. Als das Kloster Reinfeld 1295 ein Erbe
in Neuengamme kaufte, erhoben die Herzöge Einspruch da-
gegen, weil es ohne ihre Lizenz und ihren Konsens usurpiert
sei.*) Und 1264 wurde ein Landkauf zwischen Bauern von
der Herrschaft ratifiziert.*) Die erste Besitzübertragung ohne
eine Spur herzoglicher Zustimmung ist aus dem Jahre 1307.')
Die Siedler, insbesondere die Bauern, besaßen also voe
Anfang an ihre Hufen im wesentlichen schon zu demselbea
Recht, zu dem sie sie noch heute haben. Es war oder wurde
wenigstens unmerklich ein nur mit Reallasten beschwertes
Eigentum. Nicht sicher läßt sich entscheiden, ob auch das
>) Hasse I, 288; n, 855.
^ Diese schenkte sie an die Kirche in Bergedorf, Hasse I, 549; der
AnssteUer der undatierten Urkunde ist ein Bischof L. von Batzebui]^.
Nach den Zeugen kann sie spätestens in das erste Jahr des Bischofo
Ludolf (1236) faUen ; wahrscheinlicher gehört sie dem Bischof Lambert»
der 1228 nur wenige Monate regierte.
») Hasse n, 855.
*) Hasse n, 285.
*) Hasse m, 146.
Das Amt Bergedorf. 199
jin die Hufe stoßende Außendeichsland von jeher wie heute
zu ihr gehörte.
Mit ganz gleichem Recht stand an sich auch der
Besitz der geistlichen und weltlichen Grundherren dem Landes-
herrn gegenüber, auch von ihm waren Königspfennig und
aUe Abgaben und Dienste zu entrichten. Freilich gelang
es besonders den geistlichen Grundherren, allmählich durch
Kauf oder Schenkung den Zins sowie alle oder den größten
Teil der öfEentlichen Rechte, vor allem das Gericht, an sich
zu bringen. So lösten sie sich aus der herzoglichen Gewalt
und wurden selbst zu Landesherren. Auf das Besitzrecht der
von ihnen abhängigen Bauern ist daher noch etwas näher
einzugehen.
Zuerst muß betont werden, daß, wenn auch fast alle
aus dem 13. und 14. Jahrhundert erhaltenen Urkunden sich
auf die Güter dieser Grundherren beziehen, doch ihr Besitz
nur einen kleinen Teil des gesamten Landes ausmachte und
sich im Laufe der Zeit wenig mehrte.*) Ein Land, in dem
die Hauptlast, die Unterhaltung der Deiche, von allem Besitz
gleichmäßig nach dem Verhältnis seiner Größe geleistet werden
mußte, war nicht geeignet zur Bildung von Grundherrschaften.
Besitzv^erschiebungen machten sich trotzdem bemerkbar: die
weltlichen Grundherren bis auf einen stießen schon vor 1420
ihren Besitz an die Geistlichen ab und bei diesen läßt sich
eine gewisse Tendenz zur Arrondierung beobachten: so ver-
kaufte 1329 das Kloster Lüne seinen ganzen Besitz in Kirch-
wärder an das schon vorher hier begüterte Kloster Schamebeck,*)
so tauschte 1323 das Kloster Reinfeld mit dem Herzog, um
seinen Besitz in Neuengamme zu arrondieren*) usw. Immer-
hin vergrößerte sich dadurch der grundherrliche Besitz nicht
und blieb doch in einer Reihe von Händen zersplittert, ein
*) An den Gütern des Klosters Schamebeck behielt der Herzog nur das
Recht der Martinsbede (s. o.), an denen des Klosters Beinfeld 1295 nur
das der Landwehr und des Burgwerks; HASSE n, 855.
^ Man vergl. die nachfolgende Übersicht über die Verteilung des Grund-
besitzes.
5) Hasse m, 673.
*) Hasse m, 507, 512.
14*
200 Hans Kellinghusen,
Übergang von bäuerlichem Besitz in grundheirliche Hände
läßt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. So konnten die
Gnindherren zwar landesherrliche Rechte an sich bringen,
aber auf die Verfassung des Landes keinen Einfluß gewinnen
und sie etwa wie die Großgrundhen-en der Karolingerzeit zu
ihren Gunsten umgestalten. Vom Landesherm konnten sie sich
lösen, vom Lande nicht: stets blieb auch auf ihrem Grund-
besitz die Deichpflicht, die ihn mit dem ganzen Lande verband.
Daher konnte auch das Besitzrecht ihrer Bauern sich
auf die Dauer nicht wesentlich von dem der freien bäuerlichen
Eigentümer untei-scheiden. Ursprünglich mögen ihre Güter
teilweise von Unfreien bewirtschaftet sein: 1229 schenkte
Graf Adolf IV. von Holstein eine halbe Hufe in Gamma, die
ihn von einem Liten heimgefallen war, an das Kloster
Reinfeld.*) Aber schon die Kolonen der von Graf Albrecht 1217
an das Bistum Verden geschenkten Hufen müssen freie Leute
gewesen sein : denn es wurde ihnen auferlegt, dreimal im Jahr zum
echten Ding zu kommen.*) Interessant ist, daß das Hamburger
Domkapitel 1310 seine Hufe in Kirchwärder, die bis dahin
vielleicht von Hörigen bewirtschaftet war, an einen Bauer
Peter von Crowele (Krauel) für 300 Mark verkaufte, wobei
es sich hohes und niederes Gericht und einen jährlichen
Zins von 8 Schilling vorbehielt.^) Dadurch wurde also eine
freie Zinsleihe begründet, dasselbe Besitzrecht, das die freien
Bauern hatten,*) nur war der Zins etwas höher (8 /? ist an
heutigem Silberwert etwa 7 Mark, an Geldwert etwa 50 Mark).
In dieser Weise mag mancher grundherrliche Besitz in bäuerliche
Hände übergegangen sein. Hierher gehört auch wohl die
Urkunde, in der Ritter Hartwig von Ritzerow bezeugt, daß
er an den Gütern, die Grube in Altengamme besitzt und
bebaut, kein Eigentums- oder Herrschaftsrecht habe.*)
^) Hasse I, 445. Laten sind iiicht selten im Besitz einer halben Lat-
hufe; Wittich, Grundherrschaft S. 280.
*) Hasse I, 338.
=0 Hasse m, 221.
*) Freilich hat die private Erbleihe rein vermögensrechtliche Wirkimgen.
^) 1303 V. Westphalen, Mon. ined. II, 2288 (von HASSE nicht auf-
genommen) : nulluni dominium aut 2>ro]>rietatem aut imperium.
Das Amt Bergedorf. 201
Dagegen besaßen die Bauern der Klöster Schamebeck
und Reinfeld ihr Land im 14. Jahrhundert als Zeitpächter
nach Meierrecht wie im übrigen Niedersaehsen.^) Die Hufe
war Eigentum des Herrn, Haus und Ernte gehörten dem Meier.
Seine Leistung war ein Getreidezins.*) Zog der Meier ab,
80 wurde ihm der Wert seines Eigentums vom Herrn ersetzt,
andernfalls brach er sein Haus ab und lud es auf seinen
Wagen. Das letztere war aber in den Vierlanden durch
herzogliche Ausfuhrverbote unmöglich gemacht. Herzog Erich
gestattete nun 1318 den Eolonen und Hintersassen des Klosters
Schamebeck, das sich bei seinem Loskauf aus der Gefangen-
schaft freigebig erwiesen hatte, bei ihrem Abzüge von den
Gütern des Klosters zu Kirchwärder und Gamme ihre Gebäude,
die ja ihr Eigentum waren, abzubrechen und frei auszuführen,
wohin sie wollten. Abt und Konvent sollten von den herzoglichen
Beamten nicht mehr genötigt werden, den Kolonen den Wert
ihrer Gebäude zu bezahlen, was notwendig gewesen war, solange
die Ausfuhrverbote bestanden. •) In derselben Urkunde wurde
dem Kloster die Ausfuhr seines Getreidezinses ohne besondere
Erlaubnis der herzoglichen Vögte und Amtleute zugestanden.
Das Kloster Reinfeld hatte das Recht, seinen Meiern
in Neuengamme am Tage Kathedra Petri (Febr. 22) zu
kündigen und den Zins neu zu bestimmen, dabei durften die
oberhalb der Kirche wohnenden auch keinen Anspruch auf
den grunthwert, das ist auf die Hufe mit allem Zubehör,
erheben, während die Meier unterhalb der Kirche für alle
sichtbaren Bauten, nämlich Häuser, Zäune, horrea genannt
fter^rÄe (Komberge) und Weidengesträuch (scUices)^) Ersatz nach
Landeswert fordern konnten. Weiteren Anspruch auf den
grunthwert hatten auch sie nicht. Dies machten die Pro-
Wittich, Grundherrsch. in Nordwestdeutschland S. 332 ff., 340.
^ Getreidezins erwähnt 1318 für Schamebeck und Lttne HASSE III,
371, 373.
') damus ipsis . . . , quod ai quemqam colonorum aut subditorum dicti
conventua in Kirchwerder et in Gamma commorantium ab ipso con-
ventu et bonis eiusdem cedere contingeret, edificia sua infringere et
libere deducere possit, quocumque placet. Nee abbas aut conventus
ipsa edificia eisdem colonis solvere compelletur, Hasse HL, 371.
*) Über dessen Verwendung vergl. Finder, Die Vierlande S. 13.
202 Haus Eellinghusen,
visoren des Klosters mit den Bewohnern ihrer Güter 1324
vor dem Herzog ab.*)
Das Besitzrecht der Bauern war hier also eine Zeit-
pacht mit jährlicher Kündigung. Auch die Begründung eines
Erbpachtverhältnisses kommt schon 1332 vor. Das Ham-
burger Domkapitel lag mit dem Bauern Dittmar Passert in
Streit über einige Morgen Ackers in Altengamme, die dem
Kapitel gehörten. Durch den Herzog und seine Vögte wurde
der Streit dahin beigelegt, daß das Kapitel auf alle Heuer-
oder Zinsabgaben von dem Acker, die von dem Bauern viele
Jahre zurückbehalten waren, verzichtete. Dagegen wollte
der Bauer weder für grunthura noch füi' slusepenning}ie%
noch für andere Ausgaben und Lasten, die er wegen der
Äcker ausgelegt hatte, Ersatz fordern. Er versprach für
sich und seine Erben von nun an jährlich 3 Mark Pfennige
für die Äcker zu zahlen, bei Säumigkeit aber von ihnen zu
weichen und alle Gebäude dem Kapitel zu lassen, das dann
Äcker und Gebäude, wem es wolle, verpachten könne.*) Zu
beachten ist, daß bis dahin der Zinsmann rechtlich nur zur
Bezahlung seines Zinses verpflichtet war, während die öfEent-
lichen Lasten vom Kapitel getragen werden mußten.
Schließlich konnte auch grundherrliches Land in freies
bäuerliches Eigentum übergehen. 1408 hatte das Kloster
Schamebeck unter seinem Gut in Kirchwärder 4V2 Morgen
frei von aller Landpflicht außer der Martinsbede, während
vier andere Morgen dem Herzog landpflichtig waren. Das
Kloster verkaufte nun die 4V2 Morgen zu Erbkauf an Heyneke
Sybems, an dessen Land sie stießen, und dieser verpflichtete
sich gegenüber dem Herzog zu Dienst und Landpflicht. Dafür
befreite der Herzog die vier Morgen des Klosters von allem
Dienst, Schatz und Recht.*)
Die Bauern auf grundherrlichem Land hatten also die
verschiedenartigsten Besitzrechte; im allgemeinen wird der
Gang der Entwicklung auch hier wie im übrigen Nordwest-
*) Hasse m, 534.
*) Wohl Beiträge zum Bau einer Schleuse.
^ Hasse m, 792.
*) 1408 Febr. 24, ungedr., St.-A. Hannover, Kloster Schamebeck Nr. 419.
Das Amt Bergedorf. 203
deutschland gewesen sein: von der Unfreilieit mit erblichem
dinglichen Recht an der Hufe zur Freiheit, und zwar zuerst
zur Zeitpacht, dann zur Erbpacht.^) Aber die Entwicklung
ging hier schon früh noch einen Schritt weiter zum Eigentum.
Wie die Grundherren zu Landesherren, so wurden die Zins-
leute und Zeitpächter zu Eigentümern, die dann ihrem Herrn
dieselben Abgaben und Dienste schuldeten, wie die anderen
Bauern dem Herzog. Wann und wie das geschehen ist, läßt
sich aus den Archiven der Städte nicht feststellen. Im
16. Jahrhundert war dieser Prozeß jedenfalls vollendet.
Zur Zeit der Städte gab es folgende fremde Herr-
schaften im Amt:*)
1. Bistum Ratzeburg, später Herzog-
tum Mecklenburg,
in Curslack 42 Morgen
in Altengamme 100 „
2. Kloster Reinbek, später Herzogtum
Holstein
in Curslack 38 „
in Altengamme 155 „
3. Kirche in Lauenburg, später Her-
zogtum Sachsen-Lauenburg,
in Curslack 30 „
4. Kloster Reinfeld, später ziunGut
Wandsbek,
in Neuengamme 200 „
5. Kloster Schamebeck, später Her-
zogtum Braunschweig-Lüneburg,
in Kirchwärder 235 „
6. die Herren v. d. Berge, später Her-
zogtum Holstein,
in Krauel 175 „
zusammen 975 Morgen (=942 ha).
Die ganzen Vierlande waren nach dem Morgenbuche
von 1646 6898 Morgen groß. Das fremde Land betrug
Vergl. WriTlCH, Gnmdherrschaft
2) Nach der Vermessung von 1644/45, VOIGT, M.V.H.G. VI, S. 217«L
204 Hans EeUinghnsen,
also 14,13% der Gesamtfläche. In Bergedorf und Geesthacht
gehörte alles Land den Städten.
Die einzige adelige Grundherrschaft war die der Herren
von dem Berge auf Krauel, die Lehnsleute der Herzöge von
Braunschweig-Lüneburg und Sachsen-Lauenburg waren. Der
Krauel, einst von drei Eibarmen durchschnitten, deren Läufe
sich noch erkennen lassen, ist, wie die Deichanlagen beweisen,
später eingedeicht als die übrigen Vierlande, nämlich als die
Q^se-Elbe abgedeicht wurde. Er schließt sich unmittelbar an
das herrschaftliche Land der Riepenburg an, gehört aber
politisch bis heute zu Neuengamme.
Daß die Eindeichung mindestens ein Menschenalter
vor 1344, und zwar von Neuengamme aus, geschah, geht aus
einer Urkunde dieses Jahres hervor, in der von den Kirch-
wärdem festgestellt wurde, daß weder sie noch ihre Eltern
den Neuengammem zum Deichen des Eibdammes geholfen
hätten.^) Daraus erklärt sich auch die politische Zugehörig-
keit des Krauel. Wie die Herren von dem Berge, ohne
Zweifel ein Zweig des Lüneburger Rittergeschlechts, zu dem
Besitz des größeren Teiles des Krauel gekommen sind, läßt
sich nicht mehr nachweisen.*)
*) VOIGT, M.V.H.G. IV, S. 83. 1314 war der Krauel noch eine Ingel,
Hasse m, 306.
^ Man könnte versucht sein, die Begründung dieser Herrschaft in einer
Urkunde von 1284 zu sehen, in der Herzog Albrecht ü. seinem getreuen
Johann von Berghe, dessen Gemahlin und Kindern fünf Hufen und
drei Stücke Land in Neuengamme schenkte, zumal die Größe dieses
Landes zu der der Grundherrschaft paßt (HASSE U, 658). Aber dieser
Johann von Berghe gehörte einer anderen Hamburger Familie des
Namens an und war selbst Eatsherr in Hamburg. Und das hier
genannte Land ist identisch mit dem später vom Kloster B^infeld
besessenen. Denn 1551 yersuchten die von Bergenschen Erben mit
Berufung auf diese Urkunde dem Kloster Beinfeld seinen Besitz streitig
zu machen. Die Übersetzung des in der Urkunde vorkommenden 2Vi
und Va pars agri hat ihren Herausgebern LAPPENBERG und HassB
Schwierigkeiten gemacht Hasse berechnet Vs und Va Acker; aber
Acker ist gar kein bestimmtes Maß. Es wird wörtlich Stück Land
zu übersetzen sein, ein im 16. Jahrhundert oft vorkommendes Maß, unter
dem vier Morgen verstanden werden. Der Besitz betrug also fünf
Hufen und zwölf Morgen.
Das Amt fiergedorf. 205
Die Grundherrschaft Ost-Krauel nun, den größten
geschlossenen Besitz in grundherrlichen Händen, vermochten
die Städte trotz vieler Verhandlungen nicht unter ihre Hoheit
zu bringen.*) Sie mußten vielmehr zusehen, wie der Besitz
von dem ungefährlichen Adelsgeschlecht an den Herzog von
Schleswig-Holstein überging, der ihnen bald ein unbequemer
Nachbar wurde. Auch der geistliche Grundbesitz, über den
die Hoheit wieder zu gewinnen die Städte ebenfalls vergeblich
versuchten, kam nach der Reformation an weltliche Fürsten;
durch Unaufmerksamkeit der Amtmänner gingen allmählich
auch die letzten Rechte darüber verloren. Die Folge war,
daß die Städte von dem größten Mißtrauen gegen jeden fremden
Landesherm und jeden Adeligen erfüllt wurden. Kein Adeliger,
überhaupt keiner, der unter einem fremden Herrn stand,
durfte Grundbesitz im Amt erwerben.*)
Wo aber kein Adel war, gab es auch keine adeligen
Rechte. Und im 16. und 17. Jahrhundert, wo so viele freie
Bauern durch den Adel in die Untertänigkeit herabgedrückt
wurden, behielten sie hier ihre alten Rechte: allezeit unter-
standen nur freie Leute mit vollem Eigentum den beiden Städten.
3. Bauernklassen.
Die freien Grundbesitzer wurden im 16. Jahrhundert
Bauleute oder Hufner, ihr Land das Erbe oder die Hufe
genannt. Die volle Marschhufe (mansus) enthielt wie in den
übrigen Eibmarschen auch in den Vierlanden 40 Marschmorgen,
ungerechnet das Außendeichland'), und noch im 17. Jahrhundert
wird dieser Ansatz bei der Berechnung der Deichlasten zugrunde
gelegt.*) Aber damals gab es die größten Abstufungen, von
10 bis über 100 Morgen, und es ist nicht nötig anzunehmen,
daß die Hufen ursprünglich gleich groß gewesen sind; es ist
Vergl. Beneke, Der Krauel. Z.V.H.G. VI, S. Iff.
^ Mandate von 1568, 71, 72, 78 und oft eraenert
^ Der Morgen = 96,58 a, die Hufe also = 38,6 ha; MEITZEN m, 391.
Der Marschmorgen hat die vierfache Größe des Kalenberger gewöhn-
lichen Morgen.
*) Vertrag der großen und kleinen Erbe in Neuengamme 1617 Sept.
206 Hans Kellinghusen,
sehr gut denkbar, daß der Landesherr von vornherein an
Bauern, die nur über wenige Wirtschaftskräfte verfügten,
kleinere Stücke gab. Doch auch aus der historischen Ent-
wicklung läßt sich die vorhandene Besitzverschiebung erklären,
die Möglichkeiten dazu waren durchaus gegeben. Erbteilungen
mögen schon im 13. Jahrhundert die Entstehung der Halb- und
Viertelhufen bewirkt haben, die uns in den Quellen, letztere
unter dem Namen quadrayis oder frtistum, begegnen.^) Doch muß
schon frühzeitig die Schädlichkeit dieser Teilungen erkannt und
von der Herrschaft oder aus dem Volke selbst dagegen ein-
geschritten sein. Seit dem 16. Jahrhundert wurden die Hufen
regelmäßig in Individualsukzession vererbt, scheinbar mehr aus
Tradition als infolge von Verboten der Städte.*) Aber das
Schuldrecht gab häufig Anlaß zu Besitzverschiebungen: oft
wiu-den Hufenteile verkauft und einem anderen Erbe zugelegt,
in älterer Zeit bewirkte die Landverpfändung, die dem Gläu-
biger die Pfandnutzung ließ, dasselbe, wenn der Schuldner
nicht wieder in die Lage geriet, das verpfändete Land ein-
zulösen. Bei einem Vermögensverfall war eine Aufteilung der
Hufe unter die Gläubiger möglich. Von den 36 über zehn
Morgen großen Hufen, in die Neuengamme 1570 zerfiel, ist
eine bald nachher zwischen zwei benachbarten aufgeteilt,
von einer anderen mußte der Besitzer 1662 den größten Teil
(44 Morgen) an seine Gläubiger überlassen und sich selbst
mit 18 Morgen begnügen; Besitzverschiebungen innerhalb der
Hufen kamen später häufiger vor, weitere Hufenauflösungen
fanden seitdem nicht melir statt, es sind also heute wieder 36.
Neun dieser Hufen bestanden schon 1646 aus nicht zusammen-
hängenden Stücken. Wer daher eine ursprüngliche Gleichheit
der Hufen annehmen will, muß für die ersten vier Jahrhunderte
nach der Besiedelung eine weit größere Besitzverschiebung
voraussetzen, als sie sich in den letzten drei vollzogen hat.
») Hasse n, 711; UI, 778, 998. Dort sind eine halbe Hufe und secha
frusta zusammen zwei Hufen. DucANOE und Brinckmeykr kennen
eine bestimmte Größe des frustum nicht.
^ Ein Verbot im Rezeß von 1593, vollkommene Erben zu teilen, will
mehr die Abteilung von Katen verbieten.
Das Amt Bergedorf. 207
Wie überall gab es neben den Hufnern auch in den
Vierlanden einen Stand von Kleinbesitzern, den Kätnern oder
Hausleuten, die nur eine Hausstelle mit gar keinem oder
nur wenig meist zum Gartenbau benutzten Lande ihr Eigen
nannten. Die Entstehung dieses Standes verlegt WimCH
für Niedersachsen in die Zeit des Übergangs zum Meierrecht,
als der Grundherr ihnen die bei der Zusammenlegung mehrerer
Lathufen übrigbleibenden Hausstellen gab.*) Aber woher
kamen plötzlich die nötigen Leute? In den Vierlanden
wenigstens hat sich der Stand nicht durch einen solchen
Zufall, sondern ganz natürlich entwickelt.
Zur Bewirtschaftung der Hufen waren von vornherein
abhängige Leute nötig, Knechte und Mägde, die auf dem
Wirtschaftshof lebten. Dies Gesinde war sein Leben lang
auf den Dienst angewiesen. Doch hatte ein großer Teil von
ihnen aus allgemein menschlichen Gründen das Bedürfnis,
einen eigenen Hausstand zu gründen; dem kam das Verlangen
des Hufners nach Nachwuchs an Gesinde entgegen; das
Gegebene war, daß er ihnen ein kleines Stück der Hufe zum
Bau eines Häuschens, einer Kate, an die sich vielleicht noch
etwas Land schloß, anwies. So entstand wohl schon bald
nach der Besiedelung ein Stand von Kleinbesitzern, der sich
freilich aus den Quellen nicht so früh erschließen läßt, weil
sie keine Veranlassung haben, ihn zu nennen.
Die ei-ste Urkunde, in der Kätner vorkommen, berichtet
augenscheinlich von auf Kirchenland angesiedelten Leuten.
Herzog Erich I. bestätigte 1334 dem Pfarrer in Neuengamme
alles Recht und Eigentum über vier Katen over deme dyke
(auf Außendeichland) sowie über einige Katen hinnen deme
dyke, die alle der Kirche schon vorher gehört hatten und
höchstwahrscheinlich auf der Kirchenhufe belegen waren.*)
Die Leute (villani), die in den Katen wohnten, schuldeten
der Kirche jährliche Pacht (pensio) und Dienst, dem Landes-
herm dagegen waren sie zu keinem Dienst oder Abgaben
verpflichtet. Das Gericht über diese Katen stand dem Rektor
Grundherrschaft S. 352.
^ Noch heute zahlen diese Kätner der Kirche besondere Abgaben.
208 Hans Eellinghosen,
der Kirche und dem herzoglichen Vogt gemeinsam zu, die
Strafgelder fielen an den Rektor. Wurden die Kätner bei
der Bezahlung der schuldigen Pacht oder bei Leistung der
schuldigen Dienste lässig befunden, so durfte der Pleban ohne
Kränkung der herzoglichen Gerichtsgewalt sie pfänden oder
ihre Güter mit Arrest belegen. ^ Diese Kätner wurden also
ganz und gar als Hintersassen der Kirche angesehen.
Auf Außendeichland der Hufen wurden die Kätner vor-
zugsweise angesiedelt: 1363 überließen die Schacks ihrem
Herrn, Herzog Erich ü., ihre Rechte, namentlich das Gericht^
über alle Katen außer Deichs in der Neuengamme, die zu
dem Gut gehört hatten, mit dem ihr Herr sie belehnt hatte.")
Hufner und Kätner waren bis in die Neuzeit sozial
scharf geschieden; ein Hufner, der im Besitz einer vollen
Hufe war, heiratete sehr selten die Tochter eines Kätners.
Aber immerhin, die durch nichts gehinderte Abtrennung
von Hufenteilen ermöglichte auch dem Kätner, kleinere
Stücke zu erwerben, ebenso wie sie den verschuldeten Hufner
auf einen kleinen Teil seines Erbes beschränken konnte. So
ist es zu erklären, daß der Besitz von Hufnem und Kätnern
ineinander übergeht, ohne daß man aus den Quellen eine
bestimmte Grenze ziehen kann. Als Hufner galt wohl von
jeher wie heute der, welcher zu seinem landwirtschaftlichen
Betrieb Pferde gebraucht. Man wird aber kaum fehlgehen,
wenn man als Grenze zwischen Hufnem und Kätnern einen
Besitz von zehn Morgen setzt.
Die Verteilung des Grundbesitzes in den Vierlanden ist
nach der ersten Vermessung von 1644/45 in dem Morgenbuch
von 1646 aufgezeichnet.*) Die Zahl der Besitzer, nach der
Größe ihres Gesamtbesitzes einschließlich des Außendeichlands
geordnet, gestaltet sich danach folgendermaßen:
Hasse III, 846. Die richtige Lesart ist: casas sitas proprie (statt
prope) over deme dyke cum non nullis cdsis aitis proprie binnen deme
dyke (nach einer von Herrn Eegierungsrat Hach freundlichst über-
sandten Pause). Über proprie zur Einführung eines deutschen Ter-
minus siehe FrensdoRFF, Hansische Geschichtsquellen I, S. LXVL
^ SüDENDORF IX, 131,12.
*) Vergl. VOIGT, M. V. H. G. VI, S. 213.
Das Amt Bergedorf. 209
iff^,«^« Kätoer v^^^« Hufner
^^'8^®^ zus. ^^'^^^ zus.
in -1 -5-10 10—20 30 40 60 60 70 80 90 100 110
Curslack. . 24 14 10 48 5 46831 — ^
Alteng. ...682 16 3 652232— 11 25
Neueng. ..6082 70 2 16 13 57— 1— — 35
W.-Krauel 10 32 15 2 — 2
Kirchw.-N. 15 24 8 47 5 975231 — 32
Kirchw.- S . 19 27 15 61 9 5 3 4 3 — 24
zusammen .... 257 26 25 27 32 15 14 3 1 1 1 143
Der größte Wohlstand herrschte, wie auch sonst bezeugt
ist, in Neuengamme, wo 32 Hufner einen Besitz von 30 bis
70 Morgen hatten, das ärmste Land war Kirchwärder und
besonders seine dem Eibstrom stets ausgesetzte Südseite.
Der Kleinbesitz dominierte hier durchaus schon im 16. Jahr-
hundert.^)
Die Zahl der Hufner läßt sich seit dieser Zeit genau an-
geben und war stets nur geringen Schwankungen unterworfen;
sie war durch das verfügbare Land gegeben. Und wenn die
Zahl der Geburten größer als heute war, so war die Sterb-
lichkeitsziflfer viel höher. Der Hufner, der mehrere Söhne
hatte, konnte sie fast regelmäßig bei Erbtöchtem oder Witwen
unterbringen, die ihnen eine Hufe als Morgengabe mitbrachten.
Ein nicht in den Hufen unterzubringender Überschuß war
wenig oder gar nicht vorhanden. Dagegen stieg die Zahl der
Kätner ununterbrochen. Nach dem Mai-tinsschatzregister von
1570, das jedoch zu den Hufen vereinzelt, namentlich in
Kirchwärder-Süd, auch Besitz unter zehn Morgen rechnete,*)
war das Verhältnis so:
Hufner Kätner
Altengamme 27 30
Curslack 27 28
Neuengamme 39 48
Kirchwärder-N 34 1
J
zus. ... 171 170
64
Kirchwärder-S 44 f
Finder, Die Vierlande S. 3, steUt dies für heute fest und prophezeit
eine vollständige Auflösung des Großbesitzes innerhalb 50 Jahren.
') Vergl. RÖHR, Entwicklung der Landwirtschaft in den Vierlanden S. 1 ff.
210 Hans Eellinghusen,
Hufner und Kätner standen sich also ziemlich gleich
gegenüber. Dann aber stieg die Zahl der Kätner rasch»
Bereits 1593 sahen sich die Stadt« genötigt, die Vermehrung
der Katenstellen zu verbieten, weil sie dadurch eine Schwächung-
der Erben befürchteten.*) Doch Verbote fruchteten nichts*
1616 schied man in Kirchwärder Großkätner, die Land bei
ihren Katen hatten, und Kleinkätner, von denen oft zwei bis
drei in einem Katen wohnten. Dieser Kleinkätner gab es
damals 63.*) Zur Zeit der Anlage des Morgenbuches über-
stieg schon die Zahl der grundbesitzenden Kätner die der
Hufner bei weitem. Ein mächtiges Anwachsen der Bevölke-
nmg war die Folge.
Es ist aber ganz unmöglich, aus den angegebenen
Zahlen, etwa denen des Jahres 1570, einen Schluß auf die
Volkszahl zu ziehen. Wir wissen nicht, wie viele Per-
sonen durchschnittlich in einem Hufnerhaushalt waren, wie
viele davon unter den Kätnern noch einmal wieder vor-
kommen. Den Haushalt nach städtischem Vorbild auf fünf
Personen anzusetzen, würde viel zu geringe Zahlen er-
geben, in Curslack z. B. 275 Einwohner. Als aber dort
1599 eine Umlage nach Menschenzahl zum Bau der Ejrche
erhoben wurde, zahlten 447 Menschen') und 1603 wurde
das Kirchspiel auf 500 Einwohner geschätzt.*) Unter Zu-
grundelegung dieser Zahl würde man die Bevölkerung
der Vierlande um 1600 etwa auf 3100 Menschen angeben
können.
Die Kätner waren größtenteils Landarbeiter, entweder
dauernd auf einer Hufe beschäftigt oder Lohnarbeiter. Aber
auch Gewerbetreibende waren im 16. Jahrhundert schon in
größerer Zahl vorhanden. Deutlich erkennbar sind nur die
Fischer, Krüger und Händler (Kopschleger), die für ihr Ge-
werbe eine jährliche Abgabe an das Amt zahlten. Nach den
Amtsrechnungen gab es:
Prot, und Rezeß von 1593.
*) Amtsbuch S. 115: Vertrag wegen Hof dienst.
') Brandt an Hbg. 1603 Sept. 12, vergl. M.V.H.G. X, S. 5ff.
*) Landvogt Timm an Hbg. 1603 Aug. 13.
Das Amt Bergedorf.
211
Fischer
1573 1577 1589 1602
in Kirchwärder . . 6 8 10 6
„ Neuengamme .25 27 30 24
„ Altengamme . . — — — 1
„ Curslac k 7 7 10 7
zns 38 42 50 38
Krüger
1573 1574 1577 1578 1589 1602
10 11 12 13 8 6
4 6 7 7 6 8
4 4 4 4 3 2
1 1 1 1 1 —
19 22 24 25 18 16
Händler
1573 1578 1589 1602
in Kirchwärder 12 8 9 13
„ Neuengamme 19 26 11 15
„ Altengamme 8 7 6 4
„ Curslack 2 5 4 6
zus 41 46 30 38
Der Gemüsebau, dem jetzt der Hauptteil der selb-
ständigen Kätner obliegt, hat sich erst später ausgebildet.
4. Bergedorf und Geesthacht.
Bergedorf ^) wird zuerst 1162 erwähnt als Kirchspiel,
dessen Grenzen sich über den Billwärder und den damals
besiedelten Teil der Vierlande ausdehnten. Neun zu diesem
Kirchspiel gehörige Orte in den Marschen werden namentlich
aufgezählt, 1180 werden fünf andere Orte augenscheinlich
auch in den Marschen genannt,*) doch keiner von ihnen hat
sich erhalten, alle scheinen mehr zufällige Siedelungen gewesen
zu sein, die durch Veränderungen des Eibstroms wieder ver-
nichtet wurden. Zugleich mit der planmäßigen Besiedelung
der Vierlande werden auch die dortigen Kirchspiele gegründet
sein, der Bergedorfer Pfarrsprengel dehnte sich seitdem nur
über die Geest aus; bis 1598 gehörten, indem die kirchliche
Zugehörigkeit die politische Trennung überdauerte, die lauen-
burgischen Dörfer Wentorf, Woltorf, Bömsen und Escheburg
dazu. Seitdem war das Kirchspiel auf den Umfang des
Städtchens beschränkt.
Bis ins 17. Jahrhundert stets Bergerdorf geschrieben. Der Name be-
deutet Dorf der Berger, d. i. Bergbewohner. Freundliche Mitteilung
von Herrn Prof. Dr. Edw. Schröder.
^ Hasse I, 110, 138, vergl. S. 189.
212 Hans Eellinghosen,
Das Schloß in Bergedorf ist vermutlich durch den
dänischen Statthalter Graf Albrecht von Orlamünde gebaut,
der zuerst 1224 eine Urkunde in Bergedorf ausstellt.^) Es
wurde von den Lauenburger Herzögen übernommen, Herzog
Albrecht I. urkundet schon 1229 hier.*)
Im Jahre 1275 verlieh Herzog Johann I. von Sachsen
dem Ort das Recht der Stadt Mölln,*) damit wurde er recht-
lich vom Lande abgesondert. An seine Spitze trat ein Rat,
der nach lübschem Recht Stadt und Gericht verwaltete.
Diese Verwaltung wird unten im Rahmen der allgemeinen
Amtsverwaltung zu schildern sein, hier beschäftigt uns nur.
das Besitzrecht und die berufliche Gliederung seiner Bewohner.
1217 wurde auf die Klage des Priesters Arnold in
Bergedorf, daß die Kirchspielseingesessenen von ihren Hof-
stellen kein Rauchhuhn gäben, wozu sie von Rechts wegen
verpflichtet wären, auf der Bistumsynode zu Ratzeburg ge-
funden, daß, wer den großen Zehnten vom Getreide auf dem
Acker und den kleinen vom Zugvieh gäbe, auch zur Lieferung
des Rauchhuhns verpflichtet sei.^) Man kann daraus nur
entnehmen, daß in dieser Zeit die bäuerliche Ackerwirtschaft
in Bergedorf noch durchaus vorherrschend war. Auch die
Angabe aus dem Jahre 1228, daß zwei Frauen, die ihr
Patrimonium der Kirche in Bergedorf geschenkt hatten, dafflr
auf Lebenszeit als Lehen unter anderem im Dorfe Bergedorf
ein Haus mit Hofstätte und Obstgarten empfingen,*) gibt für
unsere Fragen keine Aufschlüsse. Von da ab bis zur Eroberung
des Amtes durch die Städte sind uns überhaupt keine Auf-
zeichnungen über Bergedorfer Besitzverhältnisse erhalten.
Das älteste Stadtbuch, dessen Hauptinhalt Verkäufe und
Verpfändungen von Grundbesitz sind, beginnt 1437.^ Die
Bewohner Bergedorfs waren damals, wie es nicht anders zu
erwarten ist, freie Eigentümer, die Stadt hatte eigenen Grund-
*) Hasse I, 421.
^ Hasse I, 473.
5) Hasse U, 490.
*) Hasse I, 339.
») Hasse I, 549, über die Datierung S. 198, Anm. 2.
^ Das älteste Bergedorfer Stadtbuch 1437—1495, von mir hsg. 1906.
Das Amt Bergedorf. 213
besitz, den sie teilweise zur Bebauung mit städtischen Häusern
vergab, unter Vorbehalt eines geringen Wortzinses.^) Der
Ort macht im 15. Jahrhundert einen ganz ärmlichen Eindruck,
größeren Besitz gab es damals wohl überhaupt nicht.*) Seine
Bewohner, die sich in angesessene Bürger und Einwohner
schieden,*) waren kleine Ackerbürger und Gewerbetreibende.
Mindestens im Nebenberufe übten alle die Landwirtschaft aus.
Eine erste Feststellung der Zahl der Bewohner Bergedorfs
ist schon für das Jahr 1518 möglich. In diesem Jahre wurde
den Bürgern und Einwohnern Bergedorfs von den beiden
Städten die südwestlich des Ortes gelegene Gemeinweide, der
Kamp, überlassen, um ihn jährlich vom 1. Mai bis 8. September
zu ihrem Nutzen zu gebrauchen, während er in der übrigen
Zeit Gemeinweide für das Vieh der Burg und des Blekes
bleiben sollte. Einem jeden Bürger und Einwohner wurde
sein Teil ausgesteckt, zugeteilt und zu seinem Haus und
Erbe gelegt, von dem er durch Versetzung, Verkauf oder
Verpfändung nicht getrennt werden durfte.*) Es erhielt also
damals jedes Haus einen Teil des Kampes, andererseits war
das Land nunmehr vergeben. Wer später ins Städtchen kam
und kein Haus erwarb, mit dem ein Anteil am Kamp ver-
bunden war, der ging leer aus; nur in der offenen Zeit konnte
er sein Vieh auf die Weide schicken. An der Verleihung
des Jahres 1518 nahmen 46 Häuser teil, danach hießen die
an der Gemeinweide berechtigten bis ins 19. Jahrhundert die
Sechsundvierziger.*) Das damalige Bergedorf bestand also
aus 46 Häusern, das ergibt, auf das Haus 6,5 Personen ge-
rechnet,^ als Einwohnerzahl 299. Zu dieser Zahl sind nun
») StÄdtbuch, Nr. 31, 42.
') Vergl. Stadtbuch, S. 21.
^ Besetene Borger und Intoaner, Stadtbach 11 (oft). Bürger war nur,
wer städtischen Grundbesitz hatte, alle Mieter wurden als Einwohner
bezeichnet, Schröder R.G.5, S. 647 ff.
*) Die Urkunde ist veröffentlicht von VOIGT, M.V.H.G. IV, S. 93.
*) 1608 gerieten die Besitzer der kleinen Häuser in Bergedorf mit den
46 Bürgern^ welche die Bauhäuser besitzen, in In*ung über die Weide,
Rezeß § 11. Seitdem werden die Sechsundvierziger oft erwähnt.
•) Nach Jastrow, Volkszahlen deutscher Städte im Mittelalter, S. ^'
sind in verschiedenen Städten auf das Haus sechs bis sieben Einwol
Ztachr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. Xin.
214 Hans Kellinghusen,
noch einzelne Personen, wie der Pastor, Küster mit ihren
Familien, hinzuzurechnen, femer die Bewohnerschaft des
Schlosses, aber über 350 Einwohner wird man kaum hinaus-
kommen/) Die Stadtgemeinde stand also damals an Größe
hinter den Landgemeinden der Vierlande zurück. Man sieht
wieder einmal deutlich, nicht die Zahl der Bewohner machte
das Wesen der mittelalterlichen Stadt aus.
Die Einwohnerzahl wuchs im 16. Jahrhundert bedeutend.
Seit der Mitte des Jahrhunderts etwa war der Raum inner-
halb des Stadtgrabens im wesentlichen ausgebaut. 1561 wurde
geklagt, daß der Rat zu viele Einwohner aufnehme, die mit
anderen Leuten zusammen wohnten, was nicht allein Feuer%
halben gefährlich, sondern atich den andern Bürgern, der
Weide und sonst schädlich sei.*) Es begann daher die von
der Herrschaft begünstigte Ansiedelung vor den Toren der
Stadt, die wieder dem Bergedorfer Rat nicht recht war.
1571 beschwerte er sich, daß viele neue Gebäude außerhalb
des Fleckens gebaut würden, denen Höfe zum Abbruch
gemeiner Weide zugeeignet würden. Doch hielten die Ab-
gesandten der Städte diese Beschwerden für unerheblich, da
man der Leute, die auf diesem Lande säßen, zu des Hauses
Arbeit nicht entraten könne und sie auch dem Hause jährlich
etwas gäben. Es solle aber hinfort ohne Bewilligung beider
Städte niemandem gestattet sein, der Weide zum Nachteil za
bauen.*^) In der Tat wuchs die Zahl der Vorstädter schnell,
wie aus den Amtsrechnungen hervorgeht. Es waren 1561 : 3,
1570: 13, 1573: 17, 1589: 38, 1601: 48, 1627: 77 Personen.*)
gezählt. Bergedorf hatte 1885 5209 Einwohner in 800 Häusern, du
ergibt genau 6,5 Einwohner auf das Haus. VOIGT, Top. Nachr. über
die Stadt Bergedorf 1888, S. 28 f.
*) Voigt, M. V. H. G. IV, S. 92, nimmt an, daß elf Besitzer kleinerer Häuser,
denen später ein beschränktes Recht am Kamp zustand, das aber in
dem Streit 1608 noch nicht erwähnt wird, ihr Hecht schon seit der
Verteilung des Kampes hatten. Dann hätte es 1518 57 H&user mit
371 Einwohnern gegeben, die Gesamtzahl der Stadtbevölkerung wir»
etwa 420 gewesen.
^ Bergedorfer Beschwerden, Nr. 9 ; 1561 Nov. 7.
^) Bezeß von 1571, Neben- Abschied § 3.
*) M.V.H.G. IV, S. 7f.
Das Amt BergedorL 215
Das Wachstum des Städtchens kommt zum Ausdruck
in dem ersten Verzeichnis der Grund- und Hausbesitzer, das,
zui' Zeit Johann Mollers verfertigt, in das Jahr 1570 oder
kurz vorher zu setzen ist.^) Es enthält 122 Namen; Berge-
dorf zählte danach 793 Einwohner,*) unter Zurechnung der
oben genannten Personen etwa 850. Bis 1620 läßt sich ein
weiteres Anwachsen der Bevölkerung verfolgen, die Zahl der
Häuser betrug damals etwa 173, die Einwohnerzahl also 1125.
Zum allgemeinen Nachweis der Steigerung der Be-
völkerung mögen noch einige weitere Zahlen dienen, ohne
daß aus ihnen bestimmte Schlüsse gezogen werden könnten.
Die Zahl der Neubürger betrug 1579—1600: 174, 1601—10:
120, 1611 — 19: 142.^ Zu den Kosten eines Orgelbaues trugen
1598 104 Hausbesitzer, 36 Budenbesitzer, 55 Mietsleute, zu-
sammen 195 Haushaltungen bei; zu den Kosten des Kirchturm-
baues 1608 131 Hausbesitzer, 29 Budenbesitzer, 54 Miets-
leute, 22 Witwen, zusammen 236 Haushaltungen.*) Das würde
für die genannten Jahre, die Haushaltung zu 4,5 Personen
gerechnet, als Mindestzahlen 878 und 1062 Einwohner ergeben.
Die Neubürger waren zum großen Teil Bürgerkinder.
Der Zuwachs entstammte hauptsächlich den nahe gelegenen
Oeestdörfem des Herzogtums Lauenburg, die, wie gesagt,
bis 1598 zum Kirchspiel gehörten, weniger den Vierlanden und
hier wohl besonders dem geringeren Stand der Kätner.
Das Verzeichnis von 1570 nennt 49 Handwerker, nämlich
7 Schuhmacher und Altflicker, 6 Schiffer, je 4 Schmiede und
Schneider, je 3 Bäcker, Rademacher, Tischler und Zimmerer,
je 2 Kramer, Säger und Weber, je 1 Goldschmied, Kiemer,
Korbmacher, Krüger, Messermacher, Pelzmacher, Schlachter,
Stellmacher, Steinbrügger und Pferdearzt, außerdem 14 Arbeits-
leute und 2 Schäfer.^) Doch befanden sich sicher unter den
Abgedruckt von VOIGT, M. V. H. G. IV, S. 11—20. (Anno 1570) zu Be-
ginn des Textes ist Zusatz von VOIGT.
^ Voigt nimmt einschließlich der zur Miete wohnenden und der Amts-
personen, wohl etwas zu hoch, 200 Haushaltungen und danach
900 Einwohner an.
^ Voigt, a. a. 0. S. 8.
^) VOIGT, a. a. 0. S. 3.
^) VOIGT, a. a. 0. S. 5f.
216 Hans Kellinghusen,
zur Miete Wohnenden noch Handwerker, die hier nicht mit
aufgenommen sind.
Mehrere Gewerbe waren zu Zünften zusammengeschlossen :
Schuster, Schneider und Schmiede bildeten zusammen ein
Amt, ein Zeichen, daß die einzelnen Handwerke zum selb-
ständigen Zusammenschluß zu schwach waren. Aber auch
hier erkennt man die Entwicklung der Stadt; 1574 traten
die Schmiede, doch wohl um ein eigenes Amt zu begründen,
mutwillig von der gemeinsamen Zunft ab, den beiden anderen
wurde von den Städten gestattet, eine neue Gilde wieder
aufzurichten.^) Außerdem ist aus der Zeit vor 1620 nur die
Gründung eines Amtes der Barbiere und Wundärzte überliefert,
das die beiden Städte Michaelis 1562 vier Bergedorfer Meistern
als geschlossene Zunft auf 20 Jahre gestatteten; schon 1569
wurde aber trotz Protestes der übrigen ein fünfter Meister
zugelassen, in dieser Zahl hat das Amt bis 1850 bestanden.*)
Trotz der Kleinheit des Ortes bestanden in ihm seit alters
elf Krüge, deren Bedienung freilich wohl meistens im Neben-
gewerbe ausgeübt wurde, denn das Verzeichnis von 1570
zählt nur einen Krüger. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung
wurde ihre Zahl noch erheblich vermehrt. Die Städte be-
schlossen 1581: Ohvohl beide Städte die vielfältige Kruegerei
zxi BergerdorJ abziiscJiaffe^i und nacJi altem Oebraucfi die
elf Kruege wieder amuoi'dnen gut Fug und Macht getuibt, so
haben sie dennoch etzlicJier des Orts unvormugenden, xvdche
sicJi bistier des BierscJienkens daselbst notwendig ernähren
müssen, angenommen und dem Hauptmann auferlegt, daß die
Kruegerei zu Bergerdorf männigliclien frei bleiben, jedoch die
fleißige Äufsic/it gescheiten soll, daß kein unzüchtig leben dabei
*) Eingabe der Schuster und Schneider an Bgm. Heinr. Plonnies ia
Lübeck 1574 März 23, Hbg. an Lüb. 1574 April 16. § 9. ProtocoU-
u. Lehrlingsbuch von 1581—1640 im Bergedorfer Museum. Älteste
Erwähnung des Amts 1500 siehe VOIQT, Ältere urkundliche Nachrichta
über die Handwerker im Städtchen Bergedorf, M. V. H. G. m, 2, S. 38.
^ Extract aus dem Protocollbuch Christoffer Thodes yon 1562 S^t 29.
Verhandlungen zwischen den Städten und den yier Meisten 1569
Nov., Dez. Zunftrolle von 1562. Die Eintragung in das Stadt-
buch 1562 gedruckt von VOIGT, M.V.H.G. IH, 2, S. 39.
Das Amt Bergedorf. 217
getrieben werde, ein in der Zeit der zünftigen Abschließung
immerhin bemerkenswerter Beschluß.^)
Die Bevölkerung Bergedorfs setzte sich bis ins 17. Jahr-
hundert ausschließlich aus kleinen Ackerbürgern, Handwerkern
und Händlern zusammen, Schuster und Barbiere saßen im Rat,
in jeder Hinsicht ti-at das Städtchen bis 1620 hinter den Vier-
landen zurück.
Ein ganz unbeachtetes Dasein fristete während der
Amtmannszeit Geesthacht, die lauenburgische Enklave an
der Elbe. Einige Spuren scheinen darauf hinzudeuten, daß
die Herzöge einst eine Stadtgründung hier beabsichtigten
und dem Ort ähnliche Privilegien wie Bergedorf gaben.
1322 nennt Herzog Albrecht IV. seine Parochie Corslak
und seine beiden Städte (oppida) Bergedorf und Geesthacht,*)
1451 erfahren wir, daß an Geesthacht dieselbe Gerechtigkeit
wie an Mölln verliehen war, ein Drittel der geringen Gerichts-
brüche für sich zu erheben.*) Jedenfalls ist diese Gründung
mißlungen. Geesthacht blieb ein kleines Dorf, wohl von dem-
selben Umfange virie die übrigen Geestdörfer. Das Schatz-
register von 1570 gibt neun Namen, 1598 waren acht Hufner
und elf Kätner, 1618 acht Hufner und 13 Kätner vorhanden.*)
Der Ort wird also ungefähr 100 Einwohner gehabt haben.
Alles in allem zählte das Amt um 1570 etwa 4000 bis
4500 Einwohner. Da das Amt 89,9 Quadratkilometer ent-
hält, kamen auf den Quadratkilometer 45 bis 50 Menschen.
5. Die Entstehung des Amtes Berge dorf.
Von 1227 bis 1420 gehörte das Gebiet des späteren
Amtes Bergedorf den Herzögen von Sachsen aus askanischem
Stamm, seine Entstehung hängt mit den Teilungen in diesem
Hause eng zusammen. Es ist daher kurz darauf einzugehen,
zumal diese Teilungen bisher ganz falsch dargestellt sind.
Rezeß Yon 1581, Neben-Abschied § 2.
Hasse m, 488.
5) Lüb. U. B. IX, 15.
*) Voigt, M.V.H.G. m, 3, S. 22 ff.
218 Hans Kellinghusen,
Nach dem Tode des Herzogs Albrecht I. am 8. No-
vember 1260^) spalteten sich keineswegs schon die beiden
Linien Lauenburg imd Wittenberg*), vielmehr regierten seine
Söhne Johann I. und Albrecht ü. gemeinsam bis zum 1285
erfolgten Tode Johanns.^ Auch dann setzte Herzog Albrecht
die gemeinsame Regierung mit den drei Söhnen seines Bruders^
deren Vormund er war, noch bis 1295 fort;*) erst in diesem
Jahre erfolgte — aus welchen Gründen oder ob der Teilungs-
plan schon früher gefaßt war, ist hier nicht zu untersuchen —
die erste tatsächliche Scheidung, durch die Herzog Albrecht ü.
das Haus Obersachsen oder S. -Wittenberg, seine Neffen das
Haus Niedersachsen oder S.- Lauenburg begründeten.*) Ein
Bestandteil des damals geschaffenen Herzogtums war das
Gebiet des Amtes Bergedorf.
Die drei Brüder Johann 11., Albrecht HI. und Erich I. be-
hielten anfänglich die gemeinsame Herrschaft bei, angeblich im
Jahre 1305 sollen sie aber zu einer zweiten Teilung geschritten
sein, die dem ältesten, Johann 11., die Herrschaften Mölln und
Bergedorf, dem mittleren Ratzeburg und dem jüngsten, Erich L,
Lauenburg zuwies.
Diese Behauptung^ enthält eine ganze Reihe von Un-
richtigkeiten. Schon im Jahre 1302 oder 1303 entzweiten
*) Vergl. VON HODENBERö, Calenberger Urk. DI, 339; falsches Datum in
COHNs Stammtafeln, Taf. 57.
^ So COHN, Taf. 57 u. 58, und in allen allgemeinen Geschichtswerken.
^ V. DUVE, Mitt. zur Staatsgesch. Lauenburgs (1857), S. 98, 100.
*) 1295 sicut res et bona ducatua Saxonie communiter possidemua et pro
indiviao tenenius, Meckl. U. B. XU, 2307. Die letzte genau datierte
gemeinsame Urkunde, in der die Herzöge noch unter Vormundschaft
ihres Oheims stehen, ist yom 30. Juni 1295, V. HEINEMANN, Cod. dipL
Anhaltinus ü, 793.
^) Am 30. September 1295 treten die Herzöge zuerst selbständig nr-
kundend auf, indem sie ihre Zustimmung zu einer Schenkung ihres
Oheims für das Nikolai-Kloster zu Coswig (also im Wittenberger Teil)
erklären, V. HEINEMANN, ü, 796. Am 20. September 1296 war die
Teilung vollzogen, die Herzöge Johann II. und Albrecht UL best&tigesL
den Lübeckern ein Privileg annis legitimis constituti post divigianem
cum dicto patmo nostro factam, Lüb. U. B. 1, 602, vergl. V. DüYB S. 102.
•) COHN, Taf. 58, V. KOBBE, 41 f., im allgemeinen richtig V. DUVB»
S. 110 ff.
Das Amt Bergedorf. 219
sich die beiden jüngeren mit dem ältesten Bnider,^) und damit
wurde die gemeinsame Herrschaft faktisch unterbrochen. Auch
eine rechtliche Scheidung scheint schon damals vorgenommen
zu sein, denn am 6. August 1303 verpfänden die Herzöge
Albrecht IQ. und Erich I. in der ersten Urkunde, in der sie
allein handelnd auftreten, ihren Teil (partem, que nos contingit)
vom Zoll zu Mölln.*) Ob die damalige Teilung schon end-
gültig war, steht dahin. Die herzoglichen Brüder blieben
oder gerieten wieder in Zwist, "^ erst 1305 wurde eine Sühne
und feste Freundschaft wieder hergestellt.*) Der anscheinend
unterlegene und vielleicht schon damals erblindete Herzog
Johann n. wurde, wie aus den Urkunden hervorgeht, mit der
Herrschaft Mölln und dem ziemlich illusorischen Besitz des
Landes Hadeln*^) abgefunden, während die beiden jüngeren
Brüder die gemeinsame Herrschaft über das ganze übrige
Land behielten.^) In dem größten Teil des Herzogtums blieb
also immer noch ein Condominium bestehen, erst durch den
unbeerbten Tod Herzog Albrechts DI. im Jahre 1308 fiel dem
jungen Herzog Erich I. die alleinige Herrschaft in diesem Teil
zu.^) Insbesondere gehörte die Herrschaft Bergedorf nicht,
wie bisher behauptet wurde, Herzog Johann, sondern seinen
jüngeren Brüdern. Herzog Erich urkundet 1309 in Bergedorf,
bestätigt 1315 das Bergedorfer Stadtrecht und entschädigt in
demselben Jahre das Kloster Reinbek für Schaden, den es
durch das am Mühlendamm zu Bergedorf aufgestaute Wasser
*) Die letzte gemeinsame Urkunde yom 21. Mai 1302, Mecklenb. U. B. V,
2794 (bei HASSE ausgelassen), noch am 7. Okt. 1303 schreibt Bischof
Ludolf von Minden an Johann ü. und Albrecht m.
2) Mecklenb. U. B. V, 2881.
') Am 14. Dez. 1303 standen Johann L, die Grafen von Schwerin und der
edle Herr von Mecklenburg einerseits Albrecht m. und den Markgrafen
von Brandenburg andererseits gegenüber. Mecklenb. ü. B. V, 2894.
Hasse m, 98: Einsetzung eines Schiedsgerichts für künftige Streitig-
keiten 1305 April 25.
^) An dem übrigens später auch die jüngere Linie Rechte hatte.
^) Das geht aus den Urkunden unzweifelhaft hervor, siehe unten.
^) V. DüVE, S. 114. COHN, Taf.58, bezeichnet also Albrecht HI. fälschlich
als Herzog von Batzeburg, die beiden ihm zugewiesenen Söhne sind
zu streichen.
220 Hans Kellinghusen,
erlitten hatte.*) Dagegen ergeben die Urkunden Herzog
Johanns keine Beziehungen zu Bergedorf.
Der blinde Herzog Johann ü. hatte aus seiner Ehe mit
einer Schwester des Grafen Gerhard des Großen von Holstein
einen einzigen Sohn, Albrecht IV. Dieses Neffen sich anzu-
nehmen, fand sich Graf Gerhard veranlaßt, als Herzog Erich I.
nach dem Tode Königs Erich Menveds von Dänemark sich
seinem Gegner, dem neuen König Christoph ü., 1320 anschloß.*)
Der große Graf überzog verwüstend Herzog Erichs Land,*)
von ihm und seiner Schwester angetrieben, mußte Herzog
Johann 1321 wider Willen Ansprüche gegen Herzog Erich
auf die Herausgabe eines Teils des Nachlasses ihres gemein-
samen Bruders Albrecht DI. erheben. Da aber Herzog Erich
beweisen konnte, daß er sein Land mit seinem verstorbenen
Bruder ungeteilt und über zehn Jahre ohne Widerspruch
besessen habe, während Herzog Johann ein von ihnen ge-
schiedener Mann war, sprachen die Schiedsleute das Land
ihm zu.*) Anders das Oberschiedsgericht unter dem edlen
Herrn Heimich von Mecklenburg. Es urteilte nach be-
schriebenem Kaiserrecht, daß an einem Lehen ein jeder
Bruder Folge behielte, wenn ein anderer ohne Söhne ver-
sterbe; zu einer Verjährung seien an Lehngut 30 Jahre
erforderlich. Der deutschrechtliche Grundsatz, daß durch
Teilung die gesamte Hand gebrochen und alle Lehusfolge
aufgehoben werde, wurde hier zugunsten des langobardischen
Lehnrechts beseitigt. Im übrigen sprach das Schiedsgericht
dem Herzog Erich wegen des Überfalls seiner Lande durch
den Grafen Gerhard Schadensersatz zu, wenn Graf Gerhard
nicht widerlegen könne, daß er ihn während gelobter Sühne
und ohne Absage überfallen habe.^) Schließlich einigte man
') MiCHELSEN, Schleswig-Holst. U. B. U, 312; HASSE m, 314, 317.
*) Vertrag zwischen König Christoph und Herzog Erich 1320 April 8,
SüDENDORF VII, 197,4.
3) Ann. Lubicenses M. G. Script. XVI, 428 zu 1321 : Item Gherardui
comes Holtsatiae, volente 8ua sorore ducissüf sed dolente «wo genere
Johanne duce Saxoniae Ericum fratrem Johannis compulU 9uam
terram devastando.
*) Spruch vom 31. Okt. 1321, Sudendorf VE, 197,5.
•) SüDENDORF Vn, 197,6.
Das Amt Bergedori 221
sich dahin, daß Herzog Erich seinem Bruder vier Kirchspiele
abtrat.^) Das müssen die die Herrschaft Bergedorf bildenden
vier Kirchspiele Bergedorf, Curslack, Altengamme und Geest-
hacht gewesen sein, die sich erst von nun an im Besitz der
älteren Linie des Hauses Sachsen-Lauenburg befinden.
Dagegen verblieben die auch zu den Marschlanden
gehörenden Kirchspiele Neuengamme und Kirchwärder bei der
jüngeren Linie und bildeten spätestens seitdem die Vogtei
Eipenburg. Sie tritt als besonderes Gebiet schon in der
Leibgedingsverschreibung für die Witwe Hei-zog Albrechts DI.
hervor: König Ludwig der Bayer bestätigte ihr 1314 unter
anderem den Besitz von Neuengamme und Kirchwärder mit
der Insel Krauel und dem Zoll zu Eislingen, also die Vogtei
Ripenbui-g in ihrem ganzen Umfange.*)
Ein 1322 beabsichtigter Austausch der Vogteien Berge-
dorf und Ripenburg zwischen beiden Linien,*) den Graf
Gerhard der Große dem jungen Herzog angeraten hatte, ist
nicht zur Ausführung gekommen.
Herzog Albrecht IV. war vollständig von seinem großen
Oheim abhängig. Bereits 1322 verpfändete er ihm seine
Herrschaft Mölln mit seinem ganzen Gebiete für 6000 Mark
lötigen Silbers, 1330 seine Herrschaften Mölln und Bergedorf
und das Land Hadeln für die riesige Summe von 10 000 Mark
lötigen Silbers (eine lötige Mark = heutigen 40 Mark, also
die ganze Siunme an heutigem Silberwert 400 000 Mark, an
Geldwert etwa 2 800 000 Mark), die der Graf bei der Wieder-
verheiratung seiner Mutter mit dem jungen König Erich von
Dänemark als Aussteuer verauslagt haben wollte.*)
Das Verhältnis der beiden Urkunden zueinander ist nicht
ganz klar; schon in der ersten hatte der junge Herzog alle
seine Herrschaften verpfändet, die zweite zählt diese Hen--
schaften und Rechte genauer auf, führt überhaupt die Be-
stimmungen der ersten Verschreibung klarer aus und ergänzt
^) Ann. Lubicenses S. 428: quatuor parrochias suae terrae cum vülxa
adiacentibus.
") SüDENDORF Vn, 60,4.
^ Sudendorf VU, 60,5.
*) Hasse m, 485, 716.
222 Hans Kellinghusen,
sie. Doch läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob durch sie
die erste Urkunde ungültig gemacht wurde. Der Zweck
beider ist ziemlich durchsichtig. Der Herzog und seine
Erben behielten die vollkommene Nutzung über ihr Land,
Graf Gerd versprach ausdrücklich, sie an ihren Herrschaften
imd Landen nicht zu hindern noch zu pfänden; erst nach dem
Aussterben der männlichen Nachkommenschaft des Herzogs
trat das Pfandrecht des Grafen und seiner Erben in Kraft,
dann aber so lange, bis die Pfandsumme von dem dazu Be-
rechtigten voll luid ganz bezahlt war. Graf Gerd übernahm
auch noch die Verpflichtung, nachgelassene Töchter auszu-
statten und Witwen bei den ihnen verschriebenen Leibzuchten
zu lassen, so daß dem Herzog und seinen Nachkommen überall
keine Nachteile aus den Verschreibungen entstanden. Es
sollte aber duixh die Verträge das Erbrecht der jüngeren
Linie des Lauenburger Hauses zugunsten der Holsteiner aus-
geschaltet werden, die Pfandsiunmen waren vielleicht mit
Absicht so hoch gesetzt, daß eine Einlösung kaum möglich war.
Über diese verlautet nichts, die beiden Urkunden sind
im Geheimarchiv zu Kopenhagen überliefert. Gleichwohl
müssen die Holsteiner mit ihren Ansprüchen in irgend einer
Weise abgefunden sein, als die Länder der älteren Linie,
zuerst Mölln 1359, dann der übrige Besitz 1370 an Lübeck
verpfändet wurden.^) Das Wahrscheinlichste ist wohl, daß
die hohen Pfandsummen (zusammen 26 000 Mark Pfennige,
an heutigem Silberwert fast 300 000 Mark, an Geldwert 1,8
bis 2 Millionen Mark), die die Herzöge von Lübeck bar
erhielten, größtenteils zur Befriedigung der Holsteiner gedient
haben. Herzog Erich III. gab 1370 an, daß er mit dem
Gelde seine Lande, Schlösser und Festen gebessert und
wiederhergestellt, seine und seines verstorbenen Bruders
Schulden bezahlt, sowie seine Zehrung und Kost gehalten
habe. Man darf wohl nicht sagen, daß durch Verabredung
zwischen Lübeck, welches auf schlaue Weise dauerhaft in
den Besitz des Landes kommen wollte, und den kinderlosen
Herzögen die Pfandsumme absichtlich so hoch gesetzt sei.
>) Lüb. U. B. m, 323/24, 707.
Das Amt Bergedorf. 223
daß eine Einlösung* durch die jüngere Linie unmöglich gemacht
wurde. Will man diesen Vorwui-f erheben, so muß man es
den Grafen von Holstein gegenüber tun, die zuerst eine
ungeheure Schuldenlast auf das kleine Herzogtum gehäuft
haben; Lübeck düi-fte nur die Gelegenheit, die ihm vielleicht
von den geldbedürftigen Holsteinem selbst geboten wurde,
benutzt haben, um namentlich durch die Erwerbung Möllns
einen Stützpunkt für den Schutz der großen Handelsstraße
über die Elbe nach Innerdeutschland zu gewinnen.*) Im
Grunde aber rächte sich hier die unglückliche Teilungspolitik,
die von den Herzögen selbst hervorgerufen war.')
Die Verpfändungen von 1359 und 1370 waren die
Grundlage, aus der sich die Ereignisse entwickelten, die zu
der Erwerbung des Amtes durch die beiden Städte Lübeck
und Hamburg führten,*) darum ist auf ihren Inhalt noch etwas
einzugehen. 1359 verpfändeten die Herzöge an Lübeck die
Stadt Mölln mit der Hoheit und der Vogtei, die zur Stadt
gehörten.*) Doch bezeichnet hier Vogtei nicht nur, wie es
auf den ersten Blick scheint, den Inbegriff der landesherrlichen
Rechte in der Stadt, sondern das zur Stadt gehörende Herr-
schaftsgebiet oder Amt. Denn es huldigte dem Rat von
Lübeck außer der Einwohnerschaft Möllns auch der land-
V. DüVE, S. 240. v. DüVE, der Lauenburger Patriot, leitet alle
Handlungen der Städte aus schlechten Motiven, kaufmännischer Ge-
winnsucht, ab, während er den Herzögen nur edle Absichten zuschreibt.
^ Der Schutz der gemeinen Königsstraße wird wiederholt in der Urkunde
von 1359 als Grund des Erwerbes angegeben.
^ Carstens, Bericht von der Schwester des Grafen Gerhard des Großen
(Hist. Abhd. der Kgl. Ges. d. Wiss. zu Kopenhagen, aus dem Dänischen
von V. A. Heinze [1782] Bd. I, 314, 329), glaubt an keine Bezahlung
der Holsteiner, da die Verschreibungen in ihren Händen geblieben
seien; an dem Antritt der Pfandschaft nach dem Aussterben der
Lauenburger Linie 1401 seien die Holsteiner gehindert, weil Lübeck
damals schon im Pfandbesitz war. Mir scheint eine doppelte Ver-
pfändung unmöglich zu sein. Übrigens geschah die Verpfändung
Möllns 1359 mit Zustimmung aller, quorwn ad hoc consensua fuerant
requirendi.
*) Vergl. zum folgenden meine Arbeit über die Eroberung, M. V. H. G. IX,
S. 258-274.
*) Cum dominio et advocada, que ad opidum Molne pertinent
224 Hans Kellinghusen,
sässige Adel, insgesamt zwölf Herren, für seinen in der Vogtei
belegenen Besitz unter Vorbehalt der Rechte an seinen
anderen Gütern extra advocatiam in Molne situatis}) Lübeck
erhielt alle landesherrlichen Rechte in der Vogtei, doch ver-
sprach es, nicht mehr als 940 -^ jährlich daraus zu erheben,*)
sondern etwaigen Überschuß den Herzögen zuzuwenden. In
derselben Weise verpfändete der letzte Herzog dieser Linie,
Erich ni., 1370 seinen übrigen Besitz: sein Schloß und
Weichbild Bergedorf mit der Vogtei, dem Landgut: Marsch
und Geest, sein Dorf Geesthacht mit dem Zoll, seine Dörfer
Nüsse und Duvensee und sein ganzes Land mit allen Rechten
und Zubehör, femer den Herzogenwald (Sachsenwald) und das
Land Hadeln. Zu diesem Vertrag hat Lübeck augenscheinlich
den Herzog veranlaßt, um nach seinem Tode Hand auf sein
ganzes Herzogtum legen zu können. Denn nicht nur behielt
er, wie in einem Nebenvertrag ausgemacht wurde, auf
Lebenszeit die Nutznießung seiner Residenz Bergedorf und
des ganzen neuverpfändeten Landes, sondern auch in der
Vogtei Mölln wurden ihm auf Lebenszeit wieder gewisse
Rechte eingeräumt, die er bisher nicht hatte : die Einnahmen
aus Zoll, Mühle und Schleuse zu Mölln, doch wohl der
Hauptteil der Gesamteinnahme, sollten nun ihm zukommen,
während die Unterhaltung der Schleuse, die bisher ihm
oblag, nunmehr von Lübeck übernommen wurde. Einige
kleinere Geldhebungen wurden ihm noch dazu überwiesen.
Man könnte den Herzog einem Rentner vergleichen, der
behaglich von seinen Zinsen lebt, indes andere sein Vermögen
verwalten. Sein Schloß Bergedorf stand Lübeck jederzeit
offen, ein vom Herzog und Lübeck gemeinsam eingesetzter
Vogt leitete hier die Verwaltung, die in seiner Herrschaft
angesessenen Mannen und die Bürger Bergedorfs leisteten
Lübeck die Huldigung. So war das ganze Land im tat-
sächlichen Besitz Lübecks.
Aber es hatte nicht mit der jüngeren Linie des Hauses
Lauenbui'g gerechnet. Nach dem Tode des Herzogs 1401
' ') Ltib. U. B. m, 326, 338, 363.
') Lab. U. B. m, 324, das sind 10 % der Pfandsamme, entsprechend dem
damaligen Zinsfuß.
Das Amt Bergedorf. 225
setzte sich ihr Haupt, Erich IV., durch einen Handstreich in
den Besitz Bergedorfs, und Lübeck mußte sich dazu bequemen,
daß die ganze Pfandsumme auf die Herrschaft Mölln gelegt
wurde. Auch dieser suchte sich der Herzog durch einen
raschen Überfall zu bemächtigen, als in Lübeck 1408 innere
Unruhen ausbrachen; der neue Rat wurde zu einem ungünstigen
Frieden gezwungen. Weil der 1416 wieder eingesetzte alte
Rat die Friedensbedingungen nicht anerkennen wollte, klagte
Herzog Erich V. beim Kaiser, Auf eine Vermittelung, die
die 1418 in Lübeck versammelten Hansestädte versuchten,,
ging er zum Schein ein, und umfangreiche Klagen und Klage-
beantwortimgen wurden ausgetauscht. Hier schloß sich
zuerst Hamburg an Lübeck an, das seinerseits eine Reihe
allerdings nicht so bedeutender Streitpunkte mit dem Herzog
hatte, die es nun beizulegen hoffte. Aber der Herzog setzte
zugleich seinen Prozeß vor dem Kaiser fort und erwirkte im
November 1418 unvermutet die Reichsacht über Lübeck, aus
der die Stadt sich nur mit großen Mühen und Kosten zu
lösen vermochte. Er hatte auf der ganzen Linie gesiegt, doch
nur besondere Umstände hatten ihm die Möglichkeit dazu
gegeben.
Und nim wandte sich das Blatt. Der Herzog erlitt
ki-iegerische Mißerfolge gegenüber dem neuen Kurfürsten
von Brandenburg, Friedrich I. Diese günstige Lage benutzte
Lübeck, dessen Bestreben darauf gerichtet sein mußte, den
gewalttätigen Herzog, wie es irgend möglich war, zu demütigen,
um künftige Übergriffe unmöglich zu machen. Es schloß mit
Hamburg im Februar 1420 ein Bündnis gegen den Herzog,
das den für die Folgezeit wichtigen Artikel enthielt: wer et
oh, dat ivy in desseme Kryge jenige lande, siede, slote eddei'
veste zamenttiken edder besunderen umnnen, de schole tvy in
heyden syden Jiebben unde beholden. Zui- Bekräftigung und
zum eigentlichen Rückhalt dieses Bündnisses diente ein zweites
mit dem Kurfürsten von Brandenburg, dessen Bedeutung sich
bei den Friedensverhandlimgen erwies. Ein kurzer, glänzend
durchgeführter Feldzug der Städte im Juli 1420 ließ de?
Herzog ihre Macht fühlen. J^u Perleberg wurden Herz(
Erich V. und seine Brüder durch Vermittelung des Kurfürst
226 Hans Kellin^husen,
und des Herzogs Wilhelm von Braunschweig am 23. August
1420 gezwungen, die von Lübeck und Hamburg in ehi'licher
Fehde eroberten Vogteien Bergedorf und Ripenburg an diese
abzutreten.
Die Vogtei Ripenburg war immer in den Händen der
jüngeren Linie des Hauses Sachsen-Lauenburg geblieben. Vor
der Eroberung Avar sie an die Marschalk von Hitzacker ver-
pfändet,^) über deren Entschädigung nichts bekannt ist. Sie
hatte bisher in der Politik der Städte keine Rolle gespielt,
nun aber wird die Möglicheit, an der Elbe festen Fuß zu
fassen und den wichtigen Eislinger Zoll zu erwerben, aus-
schlaggebend gewesen sein.
Die Einteilung des Landes in die Vogteien Bergedorf
und Ripenburg ließen die beiden Städte bestehen, als sie sich
am 18. August 1422 auf einem Tage zu Bergedorf, der von
je einem Bürgermeister und zwei Ratsherren besandt war,
über die Verwaltung einigten.*) Man Avollte an dem Vor-
gefundenen möglichst wenig ändern, zugleich ergab sich
durch die Zweiteilung eine glückliche Lösung der Frage
des Kondominiums. Denn wenn auch durch den Vertrag
von 1420*) das gemeinsame Eigentum alles in der Fehde
eroberten Landes festgesetzt war, der Gedanke einer gemein-
samen Verwaltung war dieser ganzen Periode bis 1620 noch
fremd. Erst allmählich ging man von scharfer Trennung zu
größerer Gemeinsamkeit über.
Aus den herzoglichen Vogteien Avurden also städtische
Ämter. Jede Stadt erhielt ein Amt zur Verwaltung und
besetzte es mit einem nur von ihr abhängigen Amtmann.
Da aber der Wert der Ämter verschieden war — die jähr-
lichen Einkünfte Bergedorfs wurden in dem Vertrage von
1422 auf 800 ^, diejenigen Ripenbiu^gs auf 470 -^ geschätzt
— und um überhaupt das gemeinsame Eigentum zu wahren,
wurde eine Abwechslung in der Verwaltung der Ämter, ur-
sprünglich nach jedesmal vier, später nach sechs Jahren
Vergl. M.V.H.G. IX, S. 269.
') Lüb. U. B. VI, 434, nach dem Druck in WiLLEBRANDs Hansischer
Chronik (1748). Orig. jetzt verloren.
3) Lüb. U. B. VI, 171.
Das Amt Bergedorf. 227
(siehe unten) festgesetzt. Über die erste Zuteilung entschied
das Los.
Die Hauptaufgabe des Schlosses Ripenburg war, die
Eibhoheit und den Zoll zu Eislingen zu schützen. Seitdem
nun die Gammelbe durch die Abdeichung am Gammerorte zu
einem tauben Strom gemacht war, konnte dieser Schutz auch
von Bergedorf ausgeübt werden.^) Da femer bei der Klein-
heit der Ämter die Kosten der Unterhaltimg zweier Festen
und zweier Amtmänner zu groß waren, erschien eine Verei-
nigung zweckmäßig. Die einzige Schwierigkeit wird die
dadurch notwendig gewordene Änderung der Verwaltung
geboten haben.
Da gab die Baufälligkeit der Ripenburg den Ausschlag.
Weil sie umme szwackheyt mllen eres gebuwetes nicht szunder
grothe vare unde eventur in Jcrygeszlvfften zu halten war,*)
beschlossen die Städte, sie zu brechen, d. h. zu entfestigen, und
nur die Wii-tschaftsgebäude stehen zu lassen. Damit konnte
sie auch kein Amtmannssitz mehr sein, so erfolgte die Ver-
einigung der beiden Ämter durch Vertrag vom 10. No-
vember 1512.*)
Darin wurde die ganze Vogtei Ripenburg mit allem
Zubehör und aller Gerechtigkeit im Lande und über die zu-
gehörige Elbe zur Vogtei Bergedorf gelegt. Der Besitzer
Daß die Abdeichung mit der Vereinigxmg der Ämter in unmittelbarem
ursächlichen Zusammenhange steht (HÜBBE, Top. des Eibstroms S. 35;
ihm folgend Gaedechens, Top. ü, S. 511), ist wegen der zwischen beiden
Ereignissen liegenden langen Zeit Yon 40 Jahren nicht wahrscheinlich.
^ Dies der im Vertrag von 1512 angegebene Grund.
^ Über die Vorverhandlungen ist uns nichts überliefert. Als das Jahr
der Vereinigung gibt Klefeker S. 317, dem die späteren folgen,
1506 an, nach Tratzigers Chronik S. 243. Dort heißt es über den
Hamburger Amtmann auf Bipenburg, Matthias Schiphower: naclidem
die zeit seines ampts geendiget, ließen die von Lübeck und Hamburg
das haus abbrechen und wurden die zubehorige lant und leute zum
hause Bergedorf gelegt, Schiphower war allerdings der letzte Ham-
burger Amtmann, ihm folgte aber noch der Lübecker Hermann Meßman
(1506—12), der auch vorher und nachher Amtmann zu Bergedorf war
(1500—06 und 1512—18). Lübecker Kämmereirolle 1508 (für das
Jahr 1507) : untfangen van Berger dorpe ttce iaer unde 1 iar Rypenbord
van her Hermen Mesman 800 -^.
228 Hans Kellinghusen,
des Schlosses Bergedorf, dem es die eine der Städte nach seiner
Gebühr überantwortet hatte, sollte beiden Vogteien vorstehen^
sie regieren, verteidigen und wie bisher gebrauchen, und zwar
beide im Namen seiner Stadt. Er sollte kein gemeinschaftlicher
Amtmann beider Städte sein, indem er das eine Amt für
Lübeck, das andere für Hamburg verwaltet hätte. Der
sechsjährliche Wechsel in der Verwaltimg blieb bestehen. Damit
nun die nichtregierende Stadt während dieser Zeit eine Ent-
schädigung für die ausfallenden Einkünfte erhielt, zahlte ihr
der Amtmann, für den auch seine Stadt selbst eintreten konnte,
wegen der Vogtei Ripenburg jährlich die Siunme von 400 ^.
Von diesem Vertrag wurden zwei gleichlautende Ausfertigungen,
für jede Stadt eine, hergestellt.^)
Also strenge Trennung der Einkünfte war noch immer
Grundsatz, aber der erste Schritt zu größerer Vereinigung
war doch getan: fortan gab es nur ein Gesamtamt Bergedorf.
II. Die Behörden.
1. Der Amtmann.
Das Gebiet des Amts Bergedorf war kein altes Volks-
land, sondern größtenteils erst um die Wende des 12. Jahr-
hunderts besiedelt, zu einer Zeit, als sich der Begriff der
Landesherrschaft bildete und durchsetzte. Die gesamte Ver-
waltung, soweit sie nicht von den Eingesessenen selbst
genossenschaftlich ausgeübt wurde, lag daher von vornherein
in den Händen des Landeshemi und seiner Beamten.
Die herzoglichen Amtleute und Vögte (officiales et ad-
vocati, voghede iinde amchtlude) werden in den Urkunden in
dieser Zusammenstellung oft erwähnt,*) auch der Vogt in
einzelnen Amtshandlungen tritt uns entgegen,^ ohne daß die
Stellung dieser Beamten im einzelnen, besonders ihr Wii'kimgs-
kreis, klar ist. Doch ist anzimehmen, daß mit der Bildimg der
*) Nur in Lübeck erhalten.
2) Hasse n, 855 (1295); m, 371, 372 (1318), 549 (1325), 846 (1334);
1408 Sept 21 ungedr. St-A. Hann. Kloster Schamebeck 419.
*) 1306 gerichtliche Auflassung vor dem Vogt, HASSE XU, 114; TergL
femer S. 208.
Das Amt Bergedorf. 229
Herrschaften Bergedorf und Ripenburg, die sich spätestens im
Anfang des 14. Jahrhunderts bei den Lauenburger Erbteilungen
vollzog, auch die Vogteien als territorial abgegrenzte Gebiete
geschaffen wurden. Ein Bergedorfer Vogt, Vicke Marschalk
von Hitzacker, begegnet zuerst 1357,^) der Amtmann von
Ripenburg wird zuerst 1382 genannt.*)
Der Name Vogt, der zur Bezeichnung dieser Beamten
in herzoglicher Zeit der gewöhnliche ist, geht unter den
Städten auf niedere Beamte über, sie bevorzugen den Titel
Hauptmann (Capitaneiis), daneben kommt während der ganzen
Zeit der Name Amtmann vor, in dem die Befugnisse seines
Trägers am klarsten ausgedrückt sind. Das Wort Amts-
hauptmann ist erst eine spätere Bildung und den in Frage
kommenden Beamten selbst nie beigelegt.
[Erwählung.] Die Herzöge nahmen die Vögte aus
den Geschlechtem des Landesadels, •) zur Zeit der Städte
gehörte der Amtmann in der Regel dem Rat der regierenden
Stadt an.*) Als Lübeck im Jahre 1548 von dieser alten
Sitte abwich, wurde sie für die Folgezeit ausdrücklich fest-
gelegt.'^) Seit der Vereinigung der beiden Ämter 1512 hatte
sich die Gewohnheit herausgebildet, daß eine bestimmte Person
des Rats das Recht auf den sogenannten Turnus hatte: in
Lübeck war es der dienstälteste Ratsherr, der nicht Bürger-
meister war, in Hamburg ebenso der im Dienstalter an dritter
Stelle stehende Ratsherr.^ Eine keineswegs glückliche Ein-
richtung; oft mußten Ratsherren, die wegen ihres Alters nicht
mehr fähig waren, auf ihren Turnus verzichten^ und auch
Hansisches U. B. HI, 379/80.
^ 1382 April 13, ungedr. Urk. Herzog Erichs IV. im hamh. St.-A.
•) Vergl. die Liste: Anhang Nr. 1.
^ Nicht Ratsherren waren: von Lübeck Engelbrecht Vickinghusen
1482—1500 (in drei Perioden) und Dietrich von Elthen (1548—54);
von Hamburg Johan Moller (1566—72).
^ Rezeß vom 28. Sept. 1548, erhalten in der Ausfertigung Hamburgs
für Lübeck, wiederholt bestätigt: in den Visit. -Rezessen von 1572,
1577 und dem Vertrag über die Verwaltung vom 20. Sept. 1608.
^ Erkennbar an den Ratslisten seit 1512, nachweisbar in Lübeck für
die Jahre 1584 und 1596, in Hamburg für 1566.
^ In Lübeck waren es 1596 vier.
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XIII.
230 Hans Kellinghusen,
dann kamen, da die nächstältesten an ihre Stelle trat^n^
noch häufig olde, krancice und schwache menne^) in das Amt^
die auf die Amtshoheit nicht genügend acht gaben, wodurch
dem Amt manches wichtige Recht verloren ging. Männer^
wie Ditmar Koel, brachte der Zufall nicht immer dorthin.
Einzelheiten über die Erwählung der Amtmänner geben,
zwei Lübecker Protokolle aus den Jahren 1584 und 1596.
Danach begannen einige Monate, bevor das Amt neu zu
besetzen war, im Rat die Verhandlungen mit einer Anfrage
bei den zum Turnus Berechtigten. Hatte sich ein Ratsherr
zur Annahme bereit erklärt, so verließ er seinen Platz und
ging in die Hörkammer.*) Der Rat beriet nun über die
besonderen Bedingungen, die dem neuen Amtmann zu machen
seien; so heißt es von Franz von Stiten 1584: DocJi weä er fast
liberalich, soU man mit Uim reden, daß er keine Fürsten oder
andere Personen inlasse, damit er keine Gefahr auf sich lade,,
auch das Amt unederum, une ers wird empfangen, liefernr
könnte. Zeigte sich der Ratsherr mit den Bedingungen ein-
verstanden, so erhielt er vom Bürgermeister den Bescheid,
daß der Rat ihm das Amt gönnen wolle. Eine allgemeine
Beglückwünschung beschloß die Handlung.')
[Bestallung.] Die Bedingungen, unter denen dem Amt-
mann das Amt anvertraut wurde, wurden gemäß der mit
ihm getroffenen Verabredung in seiner Bestallung zusammen-
gefaßt.*) Es handelte sich in den Bestallungen vorwiegend
Ditmar Koel an Hamburg 1545 Nov. 19.
') Auch Verhörkammer genannt; v. Melle, Gründliche Nachricht voa
Lübeck, S. 257.
*) Protokoll über die Belehnung Franz von Stitens 1584 Mai 30. Eigen-
händiges Protokoll Gerd Grenzins über seine Wahl 1596 Juli 10. In
Hamburg sind die älteren Ratsprotokolle nicht mehr vorhanden, nur
über die Verhandlungen des Rats mit Johan MoUer 1566 sind Nach-
richten in dem EämmereiprotokoU erhalten.
*) Erhalten: in Lübeck für Johan Lüneburg 1430 (Lüb. U.B. VII, 411),
Johan Hoveman auf Ripenburg 1446 (Lüb. U. B. Vn, 364 nach dem Druck
in Willebrands Chronik), femer für 1548, 1560, 1572, 1596, 1608;
in Hamburg für Johan Moller 1566 (M. V. H. G. m 2, 42), Nicolau»
Vogeler 1578, Johan Schulte 1590 (nur im Druck bei Klefeker
8. 342), Erert Esich 1614, zusammen 11 Bestallungen.
Das Amt Bergedorf. 231
und in älterer Zeit, soweit wir sehen, ausschließlich um die
für den städtischen Haushalt wichtigste Frage nach der
Tragung der Verwaltungskosten, der Entschädigung des Amt-
manns und damit zusammenhängend der Verwendung der
Amtseinnahmen, die man auf verschiedene Weisen zu lösen
versuchte: vorherrschend war die Verpachtung des Amts an
den Amtmann, von der Lübeck seit 1548, Hamburg erst 1614
zu der den modernen Staat kennzeichnenden Wirtschaft mit
besoldeten Beamten überging. In die späteren Bestallungen
drangen daneben allmählich andere Bestimmungen, meist aus
einzelnen Anlässen, ein, die den Rechtsschutz der Untertanen
bezweckten oder die Verfügungsgewalt des Amtmanns be-
schränkten.^) So wich jede neue Bestallung in Einzelheiten
von ihrer Vorlage ab, besonders zu bemerken aber ist, daß
in beiden Städten Form und Inhalt der voreinander als
Geheimnis behüteten Bestallungen*) ganz verschieden war,
zumal in Hamburg noch so lange an dem System der Amts-
verpachtung festgehalten wurde.
Aber gerade daß dies geschehen konnte, zeigt uns, daß
die Verschiedenheit der finanziellen Verwaltung auf die Rechte
des Amtmanns keinen oder nur einen untergeordneten Einfluß
hatte. Denn keine Stadt konnte doch der anderen Befugnisse
ihres Amtmanns zugestehen, die sie dem ihrigen nicht gegönnt
hätte. Da die Rechte des Amtmanns dem Amt gegenüber
traditionell feststanden und nur durch gemeinsame Beschlüsse
beider Städte geändert werden konnten, war es auch nicht
nötig und nicht möglich, darüber Bestimmungen in die Be-
stallungen aufzunehmen, oder sie lauteten negativ, vne in den
späteren lübischen. Hier mußte der Amtmann versprechen,
daß er das Amt mit Gerichten und Rechten nach Gewohnheit
des Landes regieren und verwalten und einen jeden Ein-
gesessenen bei seiner alten Gerechtigkeit schützen und bleiben
lassen und se mit keiner nierung heschwerden offie beladen
^) Z. B. wurde in die Bestallimg des Lübecker Amtmanns 1596 das
Verbot aufgenommen, Ellembäume, Buchen, Eichen und dergl. im
Amt abzuhauen, weil sein Vorg&nger sehr dagegen verfehlt hatte.
^) Lübeck schlägt 1572 vor, einander die Konditionen der Auflassung
des Amts zu vertrauen, Hamburg nimmt ad ref. an (Bezeß § 2).
16*
232 Hans Eellinghusen,
wolle. ^) Konservativ ist überhaupt der Grundzug der Verwaltung
und mußte es sein in einem Amt, in dem jede Änderung durch
das Kondominium erschwert wurde.
Wenn daher die Bestallungen an positiven Bestimmungen
nur so viel enthielten, als die eine Stadt ohne Zustimmung
der anderen anordnen konnte, so stellte sich doch auf die
Dauer die Notwendigkeit heraus, auch hier und namentlich
für die Finanzverwaltung gemeinsame Bestimmungen zu treffen.
Denn es konnte nicht ausbleiben, daß ein Amtmann, der das
Amt als Pächter innehatte, größere Rechte beanspruchen zu
dürfen glaubte als ein Administrator des Amts.*) Deswegen
war es lange Lübecks Bestreben, diese Unzuträglichkeiten
durch Aufstellung gemeinsamer Konditionen zu beseitigen.
1590 wurde sein Antrag, die Verpachtung aufzuheben, in den
Visitationsrezeß aufgenommen,*) aber von Hamburg nicht
ratifiziert.*) Die Rezesse von 1596 und 1605 hatten keinen
^) Bestallung y. Elthens 1548 und der folgenden.
^ Wenn eine Stadt ihren Hauptmann dermaßen angenommen, daß er
die Leute bei Gleich, Recht und ihrer Nahrung müßte bleiben lassen,
zur Unbilligkeit nicht beschioeren, dadurch die Leute unter ihm bei
Zunehmen und Gedei bleiben, und dann die andere Stadt einen Haupt-
mann verordnet, der den Leuten die Masfedern ziehen und wieder
arm machen wollte, so würde das zu nachbarlicher Einigkeit wenig
verträglich sein, Lüb. Instr. 1572 Sept. 27. Johan Schulte schreibt
an Hamburg 1594 Januar 5. So sitze ich auch je alhir nicht vor
einen schlechten (= schlichten) Amptsvorwalter und bestalten Diener
oder gemieteten Knecht, den seine Besoldung und deputat verordnet
und zugesagt und auf eines andern beuttel zehret und nichts mehr
auß dem Ampt sonst zugenießen oder zugewarten haben solle; sondern
habe des hoves pensionweiß und einesteils conductitio titulo mit ein,
mit allen hebungen und auskünften, auch meo periculo et commodo
und darauß nicht allein nudum usum, sondern auch usum fructum
zugewarten, wie andere vor mir.
') Obwohl das Amt nach früherem Abschiede einem Ratsverwandten
amtsweise eingetan werden solle, werde es doch von Hamburg aufs
höchste angeschlagen und verpachtet, dazu die armen Untertanen in
Bruchfällen oft ivider die Billigkeit übemomtyien und jämmerlich
ausgesogen würden, Lübische Instr. 1590 Sept. 22; im Eezeß: die
Verpachtung bringe Inkonvenientien, Ungleichheit und hohe Beschwerung,
Hbg. verspricht Erklärung in Monatsfrist.
*) Innerhalb der nächsten zwölf Jahre werde man sich wohl vergleichen,
Hbg. an L. 1590 Nov. 5.
Das Amt Bergedorf. 233
besseren Erfolg. Erst 1607 zeigte Hamburg sich willfährig,
nachdem Lübeck erklärt hatte, daß es auch seine Konditionen
nicht für die besten halte und bereit wäre, sich über neue
zu vergleichen.^) Nach manchen Verhandlungen kam am
20. September 1608 ein Vertrag zustande, der durch die ein-
heitliche Ordnung der Finanzverwaltung besonders wichtig
ist.*) Sein erster Absatz bestimmte, daß das Amt künftig niur
von einer Person des Rats ohne einige Verehrung oder Ver-
pachtung verwaltet werden solle. Auf Grund dieses Vertrages,
der in der Entwicklung der Verwaltung eine wichtige Rolle
spielt und darum noch oft herangezogen werden muß, erhielten
die beiden letzten Amtmänner ihre Bestallungen ausgefertigt.
[Amtsantritt] Die abtretende Stadt überließ der
andern das Amt, wie es im Vertrag von 1512 heißt, na older
hergebrochter geivonheyt in guden loven unde truwen, also auf
Schloßglauben, d. h. zur treuen Hand mit dem Vertrauen, es
nach Ablauf der Verwaltungszeit in gleichem Zustand zurück-
zuerhalten.^) Die regierende Stadt wiederum trug ihrem
Amtmann seit alters das Amt auf Schloßglauben auf. In der
Bestallung Lüneburgs von 1430 steht freilich nur, er erhalte
das Amt weddeschaties tvyse (pfandweise), aber als er 1435
Bergedorf einem Lübecker Bürger in Afterschloßglauben gibt,
sagt er ausdrücklich, dat ik eme unde synen erven dat slot
Bergherdorpe Iiebbe geantwortet unde upgdaten uppe slotrec/it
tmde loven in alsodaner wise, alse my de erliken heran van
Lubeke unde van Hamborch dat uppe sloüoven hebben geanU
wordet}) Die Übertragung auf Schloßglauben blieb in allen
späteren Bestallungen bestehen.*^) Ob der Amtmann einen
besonderen Amtseid leistete, ist nicht auszumachen. Ditmar
Koel erklärt einmal, nicht gegen seinen Eid handeln zu
wollen,^ Johann Schulte (1590 — 96) wird wiederholt an
Rezeß 1607 August 26.
^ Gedr. Klefekeb, S. 368—73, der erste Lübecker Entwurf 1607 Kle-
FEKER S. 349 ff.
^ Vergl. V. BrÜNECK, Der Schloßglaube, Z. R. G. Bd. 28 (41).
*) Lüb. U.B. Vn, 411; 661.
*) Auch im Vertrag von 1608 § 2: auf rittermäßigen Schloßglauben.
«) An Hbg. 1545 Nov. 19.
234 Hans Eellinghiisen,
seinen Eid erinnert. Doch sind damit wie im Vertrage von
1608/) so auch wohl schon vorher die Eide gemeint, die der
Amtmann als Bürger und als Ratsherr geschworen hatte.
Die feierliche Umwechselung der Herrschaft, mit der
der Amtsantritt der Amtmänner verbunden war, erfolgte zu
Michaelis, ursprünglich alle vier Jahre, seit 1446, wohl um
die mit dem häufigen Wechsel verbundenen Nachteile etwas
auszugleichen, alle sechs Jahre.*) Dazu erschienen mit den
neuen Amtmännern aus jeder Stadt zwei bis vier Ratsherren.
Seit 1512 wurde in gleicher Weise durch die Überlieferung
des Schlosses Bergedorf (die arcis traditio) die Obhut für das
Gesamtamt von der einen Stadt aus den Händen der anderen
entgegengenommen.
Nicht ünmer ging die Überlieferung glatt vonstatten.
1536 drohte Hamburg, das damals im Besitz des Hauses wai-,
es nicht an Lübeck zu überantworten, weil anderweitige
Irrungen zwischen beiden Städten nicht beigelegt waren,
und mußte von Lübeck daran erinnert werden, daß es vann
uns in averanthwordynge des huszes den slotzgeloven entfangen
und noch van uns hebbe, den es zu halten schuldig sei.
Daher sprachen die beiden lübischen Ratsherren, die nach
Bergedorf gesandt waren, die bestimmte Erwartung aus, daß
Hamburg mit overleveringe des huses B, na older kastume
nicht brechen, sondern diese spätestens am Tage nach
Michaelis vornehmen werde.^ Daraufhin scheint Hamburg
nachgegeben zu haben.
Eine viel tiefer gehende Spaltung entstand 1548, als
wieder Hamburg das Amt abzutreten hatte. Lübeck hob
damals die Verpachtung des Amts auf und machte dabei,
abweichend von der alten Gewohnheit, einen Adeligen, Dietrich
Klefeker S. 369.
*) Vertrag von 1422, Lüb. ü. B. VI, 434; die Vereinbarung von 1446 ist
verloren gegangen; das Jahr ergibt sich aus Berechnung: 1434 — 38
war Hans Lüneburg Amtmann zu Bergedorf, Lüb. U. B. VII, 661 ; 1446
wurde Kipenburg auf sechs Jahre ausgetan, Lüb. ü. B. Vlil, 364;
dazwischen liegen acht, also zweimal vier Jahre.
') Lüb. an Hbg. 1536 Sept. 27; Godert van Hovelen und Cordt Wibbe-
kinck an Hbg. Sept. 28.
Das Amt Bergedorf. 235
von Elthen, der aber zum Lübecker Rat in verwandtschaftiichen
Beziehungen stand/) zum Amtmann. Ob die Verwaltungs-
Änderung der Grund war, daß sich kein Ratsherr bereit fand*)
und man daher einen Fremden mit dem Amt betrauen mußte,
steht nicht fest. Jedenfalls hatte der Rat ihm Brief und
Siegel gegeben, Hamburg aber war auf keine Weise zu be-
wegen, ihm, der nicht einmal der Stadt durch Bürgereid
verwandt war, das Schloß anzuvertrauen. Die Verhandlungen
der Ratsgesandten in Bergedorf am 28. September 1548 ergaben
schließlich das Resultat, daß Lübeck sich verpflichtete, das
Haus Bergedorf nur einem Ratsherrn einzutun, der es keinem
andern überliefern solle, es seien denn beide Städte mit dem-
selben vom Adel (hier verliert der Vertrag auf einmal den
allgemein gehaltenen Ton) einig, worunter zu verstehen war,
daß er auf die von Hamburg gemachten Bedingungen ein-
gehen müsse. Künftig aber solle das Amt nur an Ratsherren
gegeben werden.') In diesen Bedingungen sicherte sich
Hamburg gegen jede Änderung des Zustandes des Amts und
seiner Bewohner, die von einem Adeligen zu befürchten waren,
und machte Lübeck für allen Schaden, Nachteil und Be-
schwerung, die durch seine Verursachung oder Versäumnis
entständen, haftbar.*) Lübeck stimmte in allem zu, Hamburg
aber war noch nicht zufrieden. Da protestierte Lübeck:*)
Laut der übergebenen Artikel sei es erbötig, alle Gefahr zu
tragen, die Freiheit der Untertanen sei in der Bestallung
Elthens genügend gesichert, er erhielte das Haus nicht pfand-
weise, sondern /ür einen genannten Pfennig, schließlich Elthen
erbiete sich, mit seinem körperlichen Eide beiden Städte diese
6 Jahre verwandt zu sein, die Gelegenheit und Heimlichkeit
^) Er war vorher Amtmann des lüneburgischen Amts Schamebeck; als
solcher heiratete er 1538 Elisabeth, die Witwe des Lübecker Dietrich
Brömse, Tochter von Herman Bardowiecks; BENECKE, Kloster Schame-
beck, S. 27.
^ Wie 1566 in Hamburg s. u.
^ Rezeß 1548 Sept. 28.
^) Hamburgs ungeferliche Vorschlage, woruff N, das hus B. eingethan
werden mocht ; Bedenken Lübecks auf die vorgeschlagenen Artikel der
von Hamburg B, belangende,
^) Konzept in Lübeck, undatiert.
236 Hans Eellinghusen,
des Hauses zeitlebens für sich zu behalten, sich Lübeck mit
bürgerlichem Eid verwandt zu machen und die obigen Artikel
zu halten. Ti-otzdem hindere Hamburg ihnen zu Schimpf^
Schande und Spott sie an der Besetzung des Hauses. So
müßten sie Hamburgs Willen dieser Zeit weichen.
Und tatsächlich erhielt zunächst der Ratsherr Hinrich
Brömse das Schloß.^) Über die endliche Einigung mit Elthen
fehlen die Nachrichten,*) im Juli 1549 ist er im Besitz des
Amts, ') doch noch über ein Jahr nannte Hamburg ihn in seinen
Briefen nur Befehlshaber des Hauses B., erst seit August 1550
gab es ihm den Titel Amtmann.
Für gewöhnlich aber ging die Überlieferung des Amtes
in friedlicher Weise vor sich. Ein ausführlicher Bericht über
die Abtretung Uegt aus dem Jahre 1590 von der Hand des
hamburgischen Sekretärs Sebastian v. Bergen vor.*) Die
Lübecker, die damals das Amt abzutreten hatten, nehmen ihre
Wohnung auf dem Hause, die Hamburger in ihrer gewöhn-
lichen Herberge. Am Morgen des Michaelistages hält der neue
Amtmann Johan Schulte mit Komitat, bestehend aus Reitern
imd Wagen und den reitenden Dienern, bei denen auch Musiker
nicht fehlen, seinen Einzug in das Städtchen. Um 10 Uhr
findet eine gemeinsame Mahlzeit statt. Um 12 Uhr mittags
geht die feierliche Übergabe des Schlosses vor sich, nachdem
sich der neue Amtmann mit dem alten über die Erträge der
Hofwirtschaft auseinandergesetzt hat (s. u.). Die Hamburger
Abgesandten mit ihren Dienern gehen zu Fuß von ihrer
Herberge bis mitten auf die Schloßbrücke beim Zwinger neben
dem Marstall. Am oberen Ende der Brücke stehen die lübschen
mit ihrem Amtmann. Der lübsche Bürgermeister mit den
Schlüsseln in der Hand tritt vor und hebt an, daß ihm vor
*) Brief Hbgs. an ihn 1548 Okt 15; wohl ein Verwandter Elthens,
vergl. S. 235 n. 1.
^ Leider sind wir für diese interessanten Verhandlungen, die für das
Mißtrauen gegen den Adel sowie der Städte gegeneinander bezeich-
nend sind, nur auf das Lübecker Archiv angewiesen, aus dem die
• Hamburger Beweggründe im einzelnen nicht klar genug hervorgehen.
^ Brief anHbg. 1549 Juli 16; aus der Zwischenzeit ist kein Brief erhalten.
*) Klefeker S. 348 ff. ; der Bericht ist nach der Gewohnheit v. Bergens
anfangs deutsch, am Schluß lateinisch.
Das Amt Bergedorf. 237
sechs Jahren das Haus mit allem Recht, Frei-, Hoch-Gerech-
tigkeiten übergeben sei. In demselben Zustande liefere er es
jetzt an Hamburg unter der Bedingung der Rückgabe nach
sechs Jahren. Damit gibt er dem Ältesten der Hamburger die
Schlüssel und wünscht dem neuen Amtmann omnia fausta et
fdida. Nunmehr wechseln die Parteien ihre Plätze auf der
Brücke und der Hamburger Senior antwortet, im Namen des
Rats von Hamburg nehme er das Amt mit allen Rechten
an sich und verspreche, es nach sechs Jahren an Lübeck zu-
rückzuliefem. Dann vertraut er dem neuen Amtmann das
Amt dum sedtda exhortatione an. Danach nehmen die Lübecker
ihren Abtritt, die Hamburger aber gehen aufs Schloß, während
alle Geschütze auf Wällen und Zwingern abgefeuert werden,
und erst, nachdem sie gehörig traktieret sind, kehren sie nach
Hause zurück.^) In dieser Weise wird sich die Einführung
des Amtmanns immer abgespielt haben.
[Aufgaben.] Die Aufgabe des Amtmanns war, nach
außen das Amt vor Angriffen zu bewahren, nach innen Recht
und Verwaltung zu leiten. Er vereinigte also in seiner Person
militärische, richterliche und Verwaltungsbefugnisse, in ihm
konzentrierte sich die gesamte Verwaltung innerhalb der
Grenzen des Amts, sie unterstand zum mindesten seiner Auf-
sicht. In dieser Hinsicht kann man sagen, daß sich die
Geschichte der Verwaltung des Amts mit der der Aufgaben
des Amtmanns deckt. Freilich war das nur möglich, solange
die Amtsverfassung auf der Grundlage der Selbstverwaltung
aufgebaut war, solange die Amtsregierung nach alter Tradition
vor sich ging und jede Neuerung schon in den Bestallungen
verboten war, solange der Staatsgedanke noch gar nicht oder
wenig sich entwickelt hatte, solange der Amtmann Pächter der
Amtseinnahmen war. Da standen unter ihm nur seine per-
sönlichen Diener, über ihm nur die beiden Städte, deren Ein-
mischung in innere Amtsangelegenheiten kaum zu spüren war.
*) Ein zweiter Bericht v. Bergens aus dem Jahre 1614, als er selbst
Ältester der Hamburger Abgesandten war, gibt seine köstliche Rede bei
Empfang des Schlosses wörtlich wieder, in der er Gott und dem
Erzengel Michael dankt, daß sie das Amt in Frieden und vor Feuen-
brunst und Wassersnot bewahrt hätten, Elefeker S. 354 ff.
238 Hans Kellinghusen,
Dann aber brach im Verfolg der Reformation eine neue
Zeit an. Die Selbstverwaltung ging allmählich unter, der
Beamtenstaat bildete sich, damit wuchsen die Au^aben
bedeutend. Schon im 15. Jahrhundert hatte Hamburg den
Eislinger Zoll in eigene Verwaltung genommen, seit der Mitte
des 16. Jahrhunderts schieden aus den persönlichen Dienern
des Amtmanns die ersten von den Städten eingesetzten und
nach einer Übergangszeit auch besoldeten Beamten aus; der
durch die regelmäßigen Visitationen seit 1560 etwa geübte
Einfluß der Städte schränkte die Selbständigkeit des Amt-
manns immer mehr ein, schließlich wuchsen die Visitationen
zu einer Behörde aus, die die eigentliche Regierung des Amts
an sich nahm und damit die Bekleidung des Amtmannspostens
durch einen Ratsherrn übei-flüssig machte. Den Ausschlag
für die Verwaltungsänderung gaben, wie gewöhnlich, finanzielle
Gründe (1620).
[Einkünfte.] Die Amtmannswürde war anfänglich mit
nicht unwesentlichen privaten Vorteilen verknüpft. Nicht um-
sonst vertauschten die Ratsherren ihre behaglichen Wohnungen
in der Stadt mit dem immerhin nicht ungefährlichen, unruhigen
Aufenthalt auf dem Hause Bergedorf, über dessen Baufälligkeit
stets geklagt wird, obwohl die Städte fortwährend Ausgaben
für Bauten und Ausbesserungen hatten.^) In der Tat konnte
die Aussicht auf bedeutende Einnahmen den Amtmannssitz
wenigstens bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts wohl
begehrenswert machen, und darin wird man auch die
Erklärimg für die Berechtigung bestimmter Personen des Rats
sehen müssen. Die Interessen der städtischen Kämmerei wurden
erst spät in gebührender Weise wahrgenommen, in Hamburg
erst, als die Bürgerschaft im Jahre 1563 die Kämmerei-
verwaltung in ihre Hände gebracht hatte. Denn vorher sah
der Rat, wenn er auch nicht mehr, wie die sächsischen
Landesherren, öffentliche Rechte veräußerte, in dem Amt doch
eigentlich seinen privatrechtlichen Besitz und verfügte darüber
mehr zugunsten seiner Mitglieder als der Stadt.
*) Eine Baugeschichte des Schlosses wäre gewiß nicht uninteressant,
einiges dazu wird in dem Abschnitt III, 3 beigebracht werden.
Das Amt Bergedorf. 239
Doch ist es nicht leicht, die Höhe der Einkünfte des
Amtmanns, die zum großen Teil aus Naturalien bestanden,
einigermaßen zu bestimmen. Einen ersten Anhaltspunkt geben
die Verwaltungsvorschläge in dem Vertrage von 1422 (S. 226).
Obwohl die Städte die Kosten für Bau und Instandhaltung
der beiden Schlösser übernahmen, verzichteten sie für sich
selbst auf alle Einkünfte aus dem Amt, die übrigens sehr
niedrig, für Bergedorf auf 800 -^ (ca. 30 000 Mark), für Ripen-
burg auf 470-^ (ca. 17 000 Mark) jährlich, geschätzt wurden,^)
zugunsten der Amtmänner, die nur verpflichtet waren, damit
die von ihnen zu haltenden Leute (außer dem Gesinde in
Bergedorf 12, in Ripenburg 8 wehrhaftige Leute) zu besolden
und zu beköstigen. Wenn noch hinzugefügt wurde, daß dabei
entstehende Mehrkosten von den Amtmännern selber getragen
werden sollten, so folgt daraus, daß sie berechtigt waren,
alle Überschüsse in die eigene Tasche zu stecken. Die ganze
Verwaltung geschah zu finanziellem Nutzen der Amtmänner,
den Städten brachte der Besitz der Ämter nur Kosten, der
beste Beweis, daß die Eroberung aus fiskalischen Gründen, wie
man ihnen später vorgeworfen hat, nicht unternommen wurde.
Diese Verwaltungsgrundsätze werden sofort ausgeführt
sein. Denn unter den Ratsherren, die den Rezeß abschlössen,
befanden sich die beiden ersten Amtmänner.*)
Aber man erkannte bald, daß man die Amtseinnahmen
unterschätzt hatte, die wohl imstande waren, noch einen
Überschuß für die städtische Kämmerei abzuwerfen, und ging
zur Verpfändung und dann zur Verpachtung des Amts über.
Doch waren die Pachtsummen so niediig •) (in Lübeck z. B.
für das Amt Bergedorf 250, für Ripenburg 300-^), daß sich
daraus Anhaltspunkte für das Einkommen des Amtmanns nicht
gewinnen lassen. Eine wirkliche Verpachtung erwirkte die
Hamburger Bürgerschaft gegen den Willen des Rats erst 1566,
zu einer Zeit, wo Lübeck bereits aus dem Amtmann einen
Herzog Erich V. von Sachsen schätzte 1420 in seinem Protest die ihm
jährlich verlustig gehenden Einkünfte aus dem Amt auf 3000-^
(Lüh. ü. B. VI, 267).
») Claus von Stiten und Johan Cletze, Lüb. U. B, VI, 769.
^ Einzelheiten im Abschnitt Amtshaushalt.
240 Hans Kellinghusen,
besoldeten Beamten gemacht hatte. Johann Moller (1566 — 72)
zahlte für die Pachtung aller Amtseinnahmen mit Ausnahme
des Eislinger Zolls jährlich 2000-^ (16—20000 Mark). Durch
diese Summe werden die Amtseinkünfte ziemlich aufgewogen
sein, da seine Nachfolger eine Herabsetzung der Pacht auf
1500 -^ durchsetzten. Jedenfalls floß zum mindesten ein solcher
Reinertrag in die Taschen von Mollers hamburgischen Vor-
gängern, die das Amt imter denselben Bedingungen wie er,
aber ohne jede Zahlung an die Kämmerei hatten.
Schon die wechselnde Höhe der Pachtsummen zeigt, daß
die Einkünfte der Amtmänner zu den verschiedenen Zeiten
nicht gleich waren. Am günstigsten war ihre finanzielle
Stellung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als trotz
des bedeutend sinkenden Geldwertes die alten Pachtsummen
aus der Mitte des 15. Jahrhunderts beibehalten wurden. Damit
brach Lübeck 1548, indem es fortan das Amt zu eigenem
Nutzen verwalten ließ und dem Amtmann feste Bezüge über-
wies. Freilich gelang die Durchführung modemer Verwaltungs-
gnmdsätze noch nicht vollkommen, da dem Amtmann neben einem
Sold von 800 -^ die sämtlichen Naturalabgaben des Amts und
außerdem, was die Hauptsache war, die Bewirtschaftung der
Amtsländereien überlassen wurden. Dafür war er verpflichtet,
die ihm auferlegte Dienerschaft zu unterhalten. Alle übrigen
Kosten — in Betracht kamen eigentlich nur die Ausgaben für
Bau und kriegsmäßige Instandhaltung des Schlosses — trugen
wie immer die Städte. Ein Rückschritt war es, daß später
dem Amtmann statt des Soldes, der 1560 auf 900-^ erhöht
wurde, 1572 ganz fortfiel, die Hälfte der oft recht bedeutenden
Gerichtsbrüche übertragen wurde. ^)
In dem Vertrage von 1608 endlich behielt der Amtmann
die Hofwirtschaft mit allem Zubehör, die Naturalabgaben und
die Hälfte der Gerichtsbrüche. Neu war nur, daß er künftig
jährlich 300^ zum Unterhalt des Schlosses beitrug, damit
nicJit die Reparieriiny und Verbesserung der Hauptgebäude
von eitlem Amtmann zum andern verschoben und allerharid
Ungelegenheit daraus erfolgen würde (§ 16).^
*) Siehe den Abschnitt III, 2.
^ Klefeker S. 372.
Das Amt Bergedorf. 241
[Hofwirtschaft.] Der größte Teil der Einnahmen und
gerade der am schwersten zu fassende stammte, nachdem
den Amtmännern der Ertrag des Eislinger Zolls ge-
nommen war, aus ihrer Hofwirtschaft; sicher wurde auch
ein bedeutender Teil ihrer Zeit mit der Verwaltung dieser
ihrer Privatwirtschaft ausgefüllt. Um gute Beziehungen
zwischen beiden Schlössern aufrechtzuerhalten, wurde
schon 1422 bestimmt, daß die Amtmänner sich zu Michaelis
gegenseitige Geschenke zu machen hätten: der Ripenburger
zehn jährige Schweine, der Bergedorfer zehn Vlicken (Speck-
seiten).*) Der Bergedorfer Amtmann gab also sein Geschenk,
nachdem er es gemästet hatte, im folgenden Jahr zur Hälfte
zurück; ob es aber wirklich geschah, steht dahin. Als die
Ripenburg 1512 niedergelegt wurde, blieben die Wirt-
schaftsgebäude stehen. Die Hofwirtschaft mit den zu ihr
gehörenden Ländereien (119 Morgen 548 Ruten = 115 ha
8085,95 qm) *) wurde dem Bergedorfer Amtmann zur eigenen
Nutzung überlassen, der sie jedoch nicht selbst bewirt-
schaftete, sondern für die Dauer seiner Amtmannschaft ver-
pachtete. Über die Höhe der Pacht wurde 1607 berichtet,
daß sie von 700 und 800 jetzt auf 900 -^ gesteigert sei.*)
Die zu Bergedorf gehörenden Amtsländereien wurden
dagegen vom Amtmann unter Zuhilfenahme von Diensten
der Amtseingesessenen selbst bewirtschaftet.*) Sie bestanden
aus zerstreuten Stücken in der Bergedorfer Feldmark und
dem in der (üurslacker Marsch belegenen Lehfeld.
Die Hofwirtschaft konnte durch den alle sechs Jahre
zu Michaelis erfolgenden Abzug der Amtmänner nicht unter-
brochen werden, das für ihren Betrieb notwendige Inventar
mußte auf dem Schlosse bleiben. Daher wurde schon im
^) Lüb. U. B. VI, 434.
^ Nach der Vermessung von 1646, vergl. VOIOT, M. V.H. G. VI, S.213.
^ Vorschläge, die Intraden des Amts zu erhöhen, Lübecker Visit.-Prot.
*) Voigt, Aus der Hofwirtschaft des Amtmanns zu Bergedorf, M. V. H. G.
IV, S. 107. Da Bergedorf 1646 nicht mit vermessen wurde, läßt sich
die Größe des Landes nicht angeben. Zu deren Berechnung können
vielleicht die von VOIGT (a. a. 0.) mitgeteilten Zahlen der Korn-
aussaat im Jahre 1596 (zusammen 207 Scheffel) dienen.
242 Hans Eellinghusen,
Vertrag von 1422 bestimmt, daß über das, was dem neuen
Amtmann an Were, Viktualien, Korn, Gerätschaft und fahrender
Habe zu des Schlosses Behuf überantwortet wurde, eine
Schrift aufgesetzt und es nach deren Inhalt dem Nachfolger
ausgeliefert werden solle. ^) Die zur Verteidigung des Amts
nötige Kriegsausrüstung (Were) wurde immer von den Städten
geliefert und kommt hier nicht in Betracht. Dagegen wurde
der zum Wirtschaftsbetrieb gehörende Vorrat von einem
Amtmann an den andern nach feststehenden Inventaren über-
tragen, wie der Vertrag es vorschrieb, und, wenn es nötig
war, durch die Städte ergänzt. 1470 lieferten die Städte
dem Amtmann für 336 -^ Viktualien, die künftig ein Amt-
mann dem andern im gleichen Werte erstatten sollte.*) Doch
erst aus dem Jahre 1570 liegen zwei Inventare über die zu
liefernden Lebensmittel und Hausgeräte vor, die aber sicher
auf alte Vorlagen zurückgehen.*)
Damals gab es für Korn keine durch Inventar vor-
geschriebene Menge mehr, und es ist zweifelhaft, ob die
Vorschrift von 1422 überhaupt jemals ausgeführt ist. Viel-
mehr wurde der ganze wechselnde Ertrag der Ernte dem
Nachfolger überlassen. Das konnte nur durch Verkauf ge-
schehen. Zuerst aus der Bestallung Dietrichs von Elthen
(1548) erfahren wir, daß er Fahrhabe, Höfe, Korn, Gerät-
schaft und anderes von seinem Vorgänger gekauft und aus
eigenem Beutel bezahlt hatte. Seitdem spielen die Verträge,
die die Amtmänner untereinander abschlössen, in den Ver-
handlungen vor Antritt des Amts eine wichtige Rolle.*)
Über die Lieferung des Kornes, das nach Garben bezahlt
wurde, erhob sich mancher Streit, da ein Amtmann von dem
andern übervorteilt zu werden fürchtete. Daher bildete sich
') Lüb. U. B. VI, 434.
') Koppmann, Kämm. Rechn. U, S. 458.
^ Im ersten Inventar wird am Schlüsse bei zwei Posten (Buchenholz
und Seimhonig) bemerkt, daß sie lange nicht geliefert seien. Das
Inventar ist abgedruckt von VOIGT, M. V. H. G. IV, S. 112; das andere
sich unmittelbar daran anschließende Inventar ist ungedruckt.
*) Erhalten sind die Berichte des Amtschreibers Andreas Grim an den
kommenden Amtmann Gerd Grantzin 1596 Juli 31, Aug. 3, 10, 17,
28, Sept. 7, 12. Vergl. VOIGT, M. V. H. G. IV, S. 107 ff.
Das Amt Bergedorf. 245
die Gewohnheit, beim Amtswechsel durch beiderseitige Freunde
aus dem Gesamthaufen einen Bimd Garben herausziehen zu
lassen, der in eine Kiste gelegt, versiegelt und nach sechs
Jahren zum Vergleich mit den neuen Garben wieder heraus-
geholt wurde/) Auch hierdurch wurden die Unzuträglich-
keiten nicht gelöst. Deswegen wurde 1596 festgesetzt, daß
der Handel um das Getreide künftig aufhören und der Preis
sich nach der Aussaat richten solle, die immer gleich bUeb^
während die Früchte wohl oder übd geraten konnten.*)
Vom Heu wurden nach altem Gebrauch die ersten
30 Fuder zu einem Vorzugspreis von 20 ß, die weiteren zum
Preise von 2 ^ geliefert. Pflüge, Kähne, Milchbutten und
was sonst zum Bau und Fuhrwerk gehörte, sollte von
Unparteiischen geschätzt werden.*)
Bis zum Jahre 1566 wurde auch das Vieh zu einem
billigen Preise (Kühe das Stück für 5 ^ 8 /J, Schweine für
24 ß) dem Nachfolger überlassen. Bitter beklagte sich
Kerkiing, daß ihm dies Vorrecht genommen sei. Denn sein
Vieh, das er sich teuer von allen Seiten habe kaufen müssen,
sterbe massenhaft, weil es die Bergedorfer Luft nicht ver^
tragen könne.*)
Zu alledem kamen noch die sogenannten Meliorationen,.
Verbesserungen in der Wirtschaft, hinzu. Johan Moller hatte
1566 seinem Vorgänger für zwei Mühlensteine, ein Häuschen
auf dem Wall und etliche Rodungen 595 -^ \ ß bezahlt,
dann hatte er selbst während seiner Regierung einen Fisch-
teich und Garten angelegt, sowie Wiesen und Äcker aus-^
gerodet, wofür er seinem Nachfolger 1600 -^ 2 /J 6 ^ be-
rechnete.*^) Diese Summe (2195 4^ 3 ß 6 ^) schleppt sich
durch alle späteren Verträge hindurch, jeder mußte sie seinem
Vorgänger wieder erstatten.
') Entwurf eines Vertrages zwischen Eerkring und Vogeler 1578 Sept. 27^
ebenso 1590 geschildert in S. y. Bergens Bericht, Elefeker S. 348.
^ Bestallung Gerd Grantzins. Darauf bezieht sich die Nota in y. Bergens.
Bericht a. a. 0.
') Vertrags-Entwurf von 1578, siehe Anm. 1.
*) Schreiben vom 5. April 1575, 11. Nov. 1577; damit wird die Bitte
um Verlängerung der Amtszeit begründet.
*) Rezeß von 1572 § 15.
244 Hans Kellinghusen,
Insgesamt bezahlte Vogeler 1578:^)
für Korn 3948-^ 11 /J
« Heu 423 „ 8 „
„ Meliorationen . . . 2195 „ 3^6^
6567-^ 6/J 6^
(= ca. 50000 Mk.)
Schulte 1590:^
für Korn 3620-^
„ Heu 205 „ Sß
„ Meliorationen . . . 2195 „ 3 „ 6 .^J
„ Gerätschaft . 1000 „
7020-^ 11 /J 6^
(= ca. 53000 Mk.)
Mit der Hofwirtschaft war eine Reihe weiterer Rechte
des Amtmanns verbunden: zunächst, um seine Einnahmen zu
verstärken, das Monopol des Roggenhandels. Dies Recht,
über dessen Auslegung Streit zwischen Amtmann und Unter-
tanen entstanden war, wurde im Rezeß von 1568 dahin
geregelt, daß allen Einwohnern frei stand, zu eignem Gebrauch
Korn und Roggen zu kaufen, von wem sie wollten, nur unter
der Bedingung des Mahlzwangs in der herrschaftlichen Mühle.
Auch ihr eigenes Gewächs durften sie verkaufen. Nur der
Handel mit Korn wurde verboten, solange der Amtmann
Vorrat hatte, andernfalls durften die Leute auch mit Roggen
Handel treiben.^ Der Amtmann war also ein privilegierter
Komhändler im Amt. Es war aber niemand gezwungen, zu
seinem Hausgebrauch von ihm zu kaufen, doch konnten dann
die Amtseingesessenen nur vom Produzenten selbst oder von
auswärts kaufen. Damit waren Monopolpreise des Amtmanns
verhindert, bei billigem Preis ihm aber eine reiche Einnahme
gesichert, da dann jeder am bequemsten von ihm kaufte.
Getroffen wui'den von diesem System also nicht die Bauern,
die meistens nach Hamburg und Lübeck verkauften,*) auch
Rechnungs-Entwurf vom 29. Sept. 1578, Lüb. St.-A.
') Voigt, M. V. H. G. IV, S. 108.
^) Rezeß von 1568 Aug. 13 § 11.
*) Voigt, M. V. H. G. IV, S. 67.
Das Amt Bergedoil 245
nicht die Konsumenten, sondern die Bürger im Städtchen,
die einen ertragreichen Handelszweig sich genommen sahen
und daher immer aufs neue in ihren Supplikationen um Auf-
hebung dieses Vorrechts baten, das sich übrigens nur auf
Roggen bezog: mit Gerste und Hafer war der Handel frei-
gegeben.^)
Über den Umfang des Handels gibt ein Roggenregister
aus dem Jahre 1570*) erwünschten Aufschluß. Der Vorrat
an Roggen bestand aus dem eigenen Gewächs (448 Scheffel)*)
und den Naturalbezahlungen für Mahlen des Korns in
den herrschaftlichen Mühlen zu Bergedorf und Ripenburg
(511 Scheffel); der größte Teil aber (1500 Scheffel) war zu
Hamburg und Braunschweig gekauft. Davon worden allein
1500 Scheffel in Bergedorf untergebracht. Der Umsatz
betrug 2500 Scheffel (= 4125 hl). Kein Wunder, daß der
Amtmann Schulte dies Recht als Regal aufgefaßt sehen
wollte. Aber Lübeck, das ihm nicht wohlgesinnt war, lehnte
ab; denn die Städte hätten keinen Vorteil davon.*) Doch
wurde das Recht auch den folgenden Amtmännern bestätigt.
Weitere Beschwerden der Bergedorfer erreichten nur, daß
ihnen auferlegt wurde, das Korn zu dem in Hamburg üblichen
Preise zu verkaufen.*) Erst die große Änderung vom Jahre
1620 beseitigte auch dies Recht.*)
Weiter gehörten die herrschaftlichen Mühlen, eine
Wassermühle in Bergedorf imd eine Windmühle in Ripenburg,
ziu* ständigen Ausstattung des Amtmanns. Müller und Mühlen-
steine mußte er auf seine Kosten unterhalten,^ die Instand-
*) Schulte an Hbg. 1694 Jan. 5.
') Gedr. VOIGT a. a. 0.
5) 1 Scheffel = 1,65 hl.
*) Lüb. an Hbg. 1594 Febr. 6.
*) Kezeß von 1617 § 16.
•) Vergl. zu dem Ganzen VOIGT, Vom Eomhandel der Amtmänner,
M. V. H. G. IV, S. 62; ob aber dies Recht aus der ersten Zeit nach
Erbauung der Burg stammt mit dem Zweck, seine Bewohner und
Besatzung mit Korn zu versorgen, oder nicht vielmehr eine fiskaUsche
Maßregel der Städte zugunsten des Amtmanns ist, lasse ich dahin-
gestellt. Seit 1568 war es unzweifelhaft das letztere.
') Bestallung 1548 u. f.
w
Ztsohr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XTTT.
246 Hans Kellinghusen,
haltung der Mühlen selbst war Aufgabe der Städte. Wie
schon erwähnt wurde, bestand für die Amtseingesessenen
Mahlzwang. *)
Auch die Fischerei im Amt war ein zum Hause
gehörendes Regal, dessen Nutzung dem Amtmann zustand.
Die Befischung der großen Elbe, Doveelbe und der durch
Eibeinbrüche entstandenen Bracks war an die anliegenden
Landschaften oder an einzelne verpachtet, teilweise erblich.*)
Über den Fischfang auf der großen Elbe herrschte 1448 — 50
zwischen den Vogteien Ripenburg und Winsen Streit. Die
beiden Städte gestanden den Untertanen der Vogtei Winsen
wohl das Recht, in einer durch das Los gefundenen Abgrenzung
zu fischen, zu, forderten aber die Ablieferung aller auf der
Elbe gefangenen Störe an das Haus Ripenburg und wollten
keine Übergriffe dulden.*) Nur auf der Bille wurde der
Fischfang unmittelbar vom Hause ausgeübt.
In Summa: Die Einkünfte des Amtmanns lassen sich
zwar nicht genau angeben, aber so viel ist sicher, daß sie
eines Ratsherrn würdig bemessen waren. Und so begreift
sich, daß die Städte, als der senatorische Amtmann unnötig
geworden war, mit seiner Beseitigung die große Verwaltungs-
reform von 1620 einleiteten.
[Tod.) Es erübrigt noch auf einen Fall einzugehen,
der nach der oben geschilderten Wahlordnung gar nicht so
selten war: den Tod des Amtmanns. Auch für ihn trafen
die Bestallungen Vorsorge, wurden doch alle Bestimmungen
für den Amtmann und seine Erben abgeschlossen. Als Herr
Johann Berskamp auf Bergedorf 1490 im zweiten Jahr seiner
Verwaltung starb, folgte ihm daher der Ratsherr Christian
Berskamp. Zu dreien Malen jedoch trat, soviel wir sehen,
die Witwe des Amtmanns an seine Stelle und übte alle
1471 wird mit Otto Schack auf Basthorst über die Lieferung von
Zimmerholz zum Grundwerk (Wasserzuleitung) der Mühle verhandelt.
Lüb. an Hbg. 1471 Jan. 26.
') Vergl. Voigt, Von der Windmühle bei der Ripenburg im Kirch-
wärder, M. V. H. G. IV, S. 106.
') Verzeichnis der Vischerei dem Hatise gehörig, um 1590.
*) Lüb. U. B. Vin, 546, 551, 555, 579, 586, 590, 596, 599, 600, 680—83, 697.
Das Amt Bergedorf. 247
ihm gebührenden Rechte und Pflichten aus. Sie führte die
Korrespondenz mit den Städten, erließ Gebote und Verbote,
beaufsichtigte z. B. einen Schleusenbau und verhandelte
darüber mit dem Ratsbaumeister und scheint auch den
Vorsitz im Gericht gehabt zu haben. ^) Es scheint eine
Analogiebildung zu den fürstlichen Regentinnen, aber selt-
sam ist es doch, zumal wenn man an die sonstige recht-
liche Stellung der mittelalterlichen Frau denkt. In des
Lübeckers Elthen Bestallung (1548) heißt es: Stirbt er inner-
halb der sechs Jahre, so gelangt dieser Vertrag auf seine
Erben, die uns (dem Rat) einen tüchtigen Mann, der uns
gefällig ist, vorstellen sollen. Und der gemeinsame Vertrag
von 1608 bestimmte (§18): Beim Tode des Amtmannes soll
die Witwe eine Ratsperson vorschlagen, welche ihr auf ihre
Unterhaltung (d. h. Kosten) zur Aufsicht zugeordnet werden
soll.*) Dieser Fall trat ein, als 1616 der letzte Amtmann
Eberhard Esich starb. Sofort wurde damals ein Ratsherr
(Albrecht Ostman) zur Beaufsichtigung des Hauses bis auf
weitere Verordnung nach Bergedorf gesandt.*) Die Erben
aber verglichen sich mit dem Ratsherrn Albrecht v. Eitzen,
der am 23. Januar 1617 das Haus bezog, das ihm im sitzenden
Rat auf seinen geleisteten Ratseid anvertraut wurde. Denn
da er nur an die Stelle des verstorbenen Amtmanns trat,
hielt man eine feierliche Einführung durch Abgesandte für
unnötig.*)
[Vertretung.] Auch vorher kannte man schon eine
Vertretung des Amtmanns, aber im allgemeinen nur durch
Unterbeamte. Ein Ausnahmefall ist es, daß der Amtmann
^) Anna Mesman an Lüb. 1516 Febr. 28, Barbara Reder an Hbg. 1522
Sept. 25, an Lüb. 1523 Dez. 2, Cecilia von Holte an Hbg. 1559—60
in mehreren Briefen. KOPPBIANN, Känun. Kechn. Vn, S. CLXXXVI
sagt allerdings, daß nach Georg von Holtens Tode 1559 Georg Tamme
und 1560 Conrad Soest Capitaneua genannt werden, aber diese waren
Söldnerhauptleute, die zum Schutze des Schlosses zeitweise darauf
gelegt wurden, wie es auch sonst oft geschah. Mit der Verwaltung
hatten sie nichts zu tun, die lag in den Händen der Witwe von Holtens.
^ Klefeker S. 373.
^) Hbg. an Lüb. 1616 Sept. 2.
*) Desgl. 1617 Jan. 4. L. an H. Jan. 8. Amtsbuch Jan. 23.
IT»
248 Hans Eellinghusen,
Erich von Tzeven sich 1463 bei seiner Abwesenheit durch
den Ratsherrn Nicolaus Remstede vertreten ließ.*) Denn
der Amtmann war verpflichtet, Tag und Nacht auf dem
Hause zu sein. Bei Abwesenheit, die sich über drei Tage
erstreckte, mußte er einen den Städten genehmen Stellver-
treter beschaffen.*) So bat Ditmar Koel den Rat, ihm den
Alstervogt Marcus Holste als Statthalter zu senden, als er
in Geschäften nach Hamburg verreisen mußte.*) Für gewöhn-
lich übernahm der Amtschreiber die Vertretung. Die Stell-
vertretung konnte auch eine dauernde werden: Claus Brömse^
der ausnahmsweise als lübscher Bürgermeister Amtmann
wurde (1536 — 1542), ernannte einen dauernden Statthalter
oder Befehlshaber, da er selbst wegen seiner übrigen Amts-
geschäfte nur auf kurze Zeiten ins Amt kommen konnte.*)
Von der einmal 1435 vorgekommenen Übertragung zu
Afterschloßglauben ist schon gesprochen.*)
2. Beamte im Dienst des Amtmanns.
Eigentlich staatliche Beamte gab es außer dem Amt-
mann anfänglich im Amte nicht. Was noch vorhanden war^
waren erstens seine direkten Diener, die er mit sich aufs
Schloß brachte, zweitens die Vertreter der Untertanen, die
er im Städtchen und auf dem Lande vorfand. Die ersteren
wurden ursprünglich allein von ihm ausgewählt und ein-
gesetzt, erst allmählich, als einzelne dieser Ämter wichtiger
wurden, gewannen die Städte Einfluß auf ihre Besetzung,
entstanden Beamte im eigentlichen Sinne, halbabhängig und
endlich unabhängig vom Amtmann.
Wir betrachten zuerst die Entwickelung dieser Be-
amtenreihe.
') Koppmann, Kämm. Rechn. 11, S. 185
^ Hbgs. Vorschläge und Lüb. Antwort 1548 § 2: vergl. S. 235 n. 4:
Bestallung 1566, M. V. H. G. in,2 S. 50. Johan MoUer verreiste während
seiner Amtmannschaft 1569 nach den Niederlanden.
^ Koel an Hbg. 1543 April 20.
*) Den Johan Grotejan, der später 1544 Vogt zu Lauenburg war (an
Hbg. 1544 Juni 18).
«) Lüb. Ü.B. VI, 661; vergL S. 233.
Das Amt Bergedori 249
Als 1422 die Verwaltung der Ämter geordnet wurde,
da kümmerten sich die Städte hauptsächlich um die Ver-
teidigung der neu gewonnenen Schlösser und überließen den
Amtmännern, die Verwaltung nach alter Gewohnheit fort-
zuführen. Diese wurden daher angehalten, zu Bergedorf
zwölf, zu Ripenburg acht wehrhaftige, fromme Leute und
außerdem andere Diener, die sie für das Schloß nötig
hätten, von den Amtseinkünften zu unterhalten und zu be-
köstigen.^) Diese anderen Diener werden in Bergedorf 1435
und 1457 näher bestimmt: Koch, Schließer, Wächter, Fischer
und Pförtner*) (mit den Kriegsknechten 17 Leute). Es
waren also lauter Personen, die für die Wirtschaft und
Bewachung des Schlosses nötig waren, keine Verwaltungs-
beamte.
Aus den folgenden hundert Jahren, in denen sich die
Vereinigung beider Ämter vollzog, fehlen uns Nachrichten
über die Zahl und Zusammensetzung der Amtsbedienten.
Erst 1548 in der Bestallung Dietrich von Elthens werden
sie wieder aufgezählt. Dort verspricht Elthen vier reisige
Knechte, einen Jungen und den Hausvogt mit sieben reisigen
guten Pferden auf seine Belehnung, Kost und Kleidung und
die Pferde auf sein Eveniur zu halten. Was außerdem an
gemeinem Volke beim Haus zu sein gebührt: Wächter,
Pförtner, Lieger (ligger), Fischer, Koch, Schließer und
Schreiber, will er nach alter Gewohnheit und auch einen
Büchsenschützen mit Lohn, Kleidung und freier Kost auf
eigene Kosten haben. Das sind zusammen 14 Personen.
Die gleiche Zahl finden wir in den späteren Bestallungen.*)
Eine letzte Regelung gibt der gemeinsame Vertrag von 1608.
Jetzt sind es 16 Leute: Amtschreiber, Hausvogt, drei reisige
Knechte, Stalljunge, Koch, Schließer, Fischer, Wächter,
zwei Pförtner, zwei Lieger und zwei Büchsenschützen.*)
1) Lüb. ü. B. VI, 434.
^ Lüb. Ü.B. Vn, 661; IX, 445.
') 1560, 1566 (M. V. H. G. m, 2 S. 50), 1572, 1578 (seitdem zwei Büchsen-
Schützen, dafür nor drei reisige Knechte), 1590 (Elefeker, S. 343 f.),
1596.
*) Klefekee, S. 369.
250 Hans Kellinghosen,
[Amtschreiber.] Als den Städten verantwortlicher
Verwaltungsbeamter ist am Schluß der Periode neben den
Amtmann der Amtschreiber getreten, dessen Stellung sich
aus kleinen Anfängen entwickelte. Ursprünglich wird unter
den Dienern des Amtmanns überhaupt kein Schreiber genannt,
und die Korrespondenz scheint auch im 15. Jahrhundert von
den Amtmännern größtenteils eigenhändig geführt zu sein.
Zum erstenmal wird ein Schreiber des Amtmanns (Albert
V. Essen) 1536 erwähnt. Zwei Jahre darauf kommt zuerst
der Name Amtschreiber vor, als dem Amtmann Claus Brömse,
Ritter und Bürgermeister von Lübeck, über jviwer Oe. L.
amptschriver tho Bergerdorp Valentin Midi geklagt wird.*)
Vielleicht hat die bedeutendere Stellung, die der Amtschreiber
seitdem einzunehmen beginnt, in den Verhältnissen ihren Grund,
die durch die Abwesenheit des eigentlichen Amtmanns Brömse
und seine dauernde Stellvertretung gegeben waren.^ Auch
unter den folgenden Amtmännern sind die Namen einzelner
Schreiber bekannt: Johannes Bere unter Koel*), Luder und
Johan Schonen gleichzeitig unter von Holten, von denen er
den ersten seinen alten Schreiber nannte, dem 1555 der Titel
Amtschi-eiber beigelegt wird, während der zweite mehi- ein
persönlicher Schreiber des Amtmannes war.^)
Aus den jeweils mit den Verwaltungsperioden wechselnden
Namen geht zur Genüge hervor, daß damals der Schreiber ein
persönlicher Diener seines Herrn war, der mit ihm das Amt
bezog und verließ.^ Seine Aufgabe war, allerlei Schreib-
arbeit, die im Amt nötig war, insbesondere die Korrespondenz
des Amtmanns, zu leisten, seine Berichte an den Rat auch
wohl selbst zu überbringen und dessen Befehle entgegen-
Hbg. an Gerd v. Hutlem 1536 Juni 14.
*) Hbg. an Brömse 1538 Jan. 20; Mull wird auch 1537 in den Kämm.
Rechn. V, 626 erwähnt.
3) Vergl. S. 248.
*) Ditmar Koel an Joh. Rodenburg 1545 Jan. 24. In den Kämm. Rechn.
1544 wird er graphiarius genannt (VI, S. 155).
*) Die Kämm. Rechn. VII, S. 35 unterscheiden Luder acriba curiae und
Joh. Schonen, scriba eins (v. Holtens).
•) Auch die Nennung des Schreibers an letzter Stelle unter den Dienern
1548 spricht für die untergeordnete Bedeutung.
Das Amt Bergedorf. 251
zunehmen. Zu dieser Arbeit gehörte auch die Führung der
Amtsrechnungen, mit der die Verwaltung der Amtskasse ver-
bunden war.^) Mehrfach erfahren wir, daß der Schreiber zur
Rechnungsablage über die von den Städten aufzubringenden
Ausgaben nach Lübeck oder Hamburg reiste. Dies alles tat
er im Dienste des Amtmanns, die Städte hatten damals kein
Interesse an der Person des Amtschreibers.
Das wurde anders, als Lübeck 1548 begann, das Amt
zu eigenem Nutzen verwalten zu lassen. Der Amtschreiber
blieb der Verwalter der Amtskasse, der Amtmann versprach
nur, ein getreulich und fleißig Aufsehen darauf zu haben, daß
alle Amtseinnahmen mit treuem Ernst aufgeschrieben, be-
rechnet und dem Lübecker Rat zugestellt würden.*) Der
Amtschreiber, bisher ausschließlich ein Diener des Amtmanns,
trat nunmehr in verantwortliche Beziehungen zu den Städten,
halbjährlich legte er der Lübecker Kämmerei Rechnung über
die Amtseinnahmen und -ausgaben ab,*) eine zweite Rechnung
für beide Städte enthielt die im Auftrage dieser geschehenen
Ausgaben.
Freilich gab das hierdurch entstehende Interesse der
Städte an der Person des Amtschreibers anfänglich zu einer
rechtlichen Änderung seiner Stellung noch keinen Anlaß,
besonders da er in allen seinen anderen Aufgaben Diener
des Amtmanns blieb. Und während der hamburgischen Ver-
waltungszeit war der Amtschreiber nach wie vor nur der
Diener seines Herrn. Er hatte den Städten dann gar keine
Rechnung abzulegen, da auch die sonst von ihm halbjährlich
geleistete Abrechnung über die von den Städten zu tragenden
Ausgaben mit dem Amtmannpächter persönlich gewöhnlich
am Schluß seiner Verwaltungszeit geschah. Aber tatsächlich
wurde das Amtschreiberamt ohne Zweifel durch die Be-
rührung mit den Städten wichtiger, zumal auch mit der
*) 1538 (siehe S. 250 Anm. 2) beklagt sich Hamburg, daß der Amtschreiber
dem Besitzer einer Kommende zu St. Nikolai seine Rente voir32^
aus dem Martinsschatz zu Ripenburg nicht gezahlt habe.
^ BestaUung 1548.
^ Zuerst erhalten die Rechnung Claus Grotes von Mich. 1561
Ostern 1562.
252 Hans Kellinghasen,
Zunahme schriftlicher Aufzeichnung seine übrigen Aufgaben
sich steigerten, Gerichtsprotokolle und Amtsregister zu führen
waren. Eine erste Folge der erhöhten Bedeutung seines
Postens war es, daß er in eine festere Verbindung zum Amt
trat. Während bisher, soviel wir sehen, die Schreiber st€ts
mit ihrem Herrn das Amt verlassen hatten, so wurde es jetzt
ratsam, einen in den Geschäften erfahrenen Mann im Amt
zu behalten. So blieb zuerst der 1560 angenommene Claus
Grote auch unter den Nachfolgern seines ersten Herrn im
Amt, und dies hatte eine weitere Festigung seiner Stellung
zur Folge. Denn er hatte nun die wichtige Aufgabe, die
neuen Herren in die Geschäfte einzuführen, durch seine Ver-
mittelung blieb der Zusammenhang in der Verwaltung bestehen,
und er war der genaue Kenner des Amts, bei dem man sich
in Zweifelsfällen informierte. Gleichwohl blieb seine rechtliche
Stellung die alte, den Anstoß zur Fortentwickelung gaben
erst bestimmte einzelne Vorfälle. Claus Grote mußte am
31. Mai 1577 dem Lübecker Rat mitteilen, daß er ihm von
den Ostern fällig gewesenen Einnahmen (972 ^3/J)773^11/J
zurzeit nicht bezahlen könne, und der Amtmann wußte darauf
nur zu sagen: er hätte nicht gedacht, daß Grote so viel
schuldig geblieben wäre.^ Man sah erst jetzt ein, daß der
tatsächlich Verantwortliche auch in ein rechtliches Verhältnis
zu den Städten treten müsse, seine Auswahl überließ man
zunächst wohl noch dem Amtmann, aber er wurde von nun
an auch von den Städten in Eid und Pflicht genommen.^
Damit wurde er ein dem Amtmann untergeordneter Beamter
der Städte, dessen Stellung freilich noch nicht klar abgegrenzt
und vielfach noch zu abhängig vom Amtmann war. Sie mußte
zu Unzuträglichkeiten führen bei dem von Hamburg befolgten
Pachtsystem, da hier der Amtschreiber zwar rechtlich Beamter
der Städte blieb, tatsächlich aber aufhörte es zu sein und
Grote an die Kämmereiherren 1577 Mai 31. Lüb. an Kerkring Juni 5,
Antw. Juni 9.
^ Es ist anzunehmen, daß die Verpflichtung durch die Städte damals
zuerst erfolgte; 1591 wird der Amtschreiber Grim als lange im Amt
und beiden Städten mit Eiden und Pflichten verwandt bezeichnet,
Lüb. an Schulte 1591 Juni 7.
Das Amt Bergedorf. 253
auch seine Besoldung vom Pächter empfing. Wieder gab ein
Mißbrauch diesmal der Amtsgewalt des Amtmanns Anlaß zu
Änderungen.
Der Amtmannpächter Schulte hatte 1591 den lang-
jährigen Amtschreiber Andreas Grim kurzerhand entlassen,
als wenn er nur sein persönlicher Diener gewesen wäre, und
seinen eigenen Sohn an dessen Stelle gesetzt, auch trotz
mehrfacher Aufforderung der Städte an diesem Zustand nichts
geändert. Sein einziges Bestreben war, aus der Verwaltung
möglichst viele Vorteile für sich herauszuschlagen, auch auf
unerlaubten Wegen. So hatte er, wie sich auf der Visitation
von 1593 herausstellte, Ausgaben, die ihm von den Städten
ersetzt werden mußten, doppelt angeschrieben, vieles zu teuer
berechnet, ganz persönliche Ausgaben in die Amtsrechnung
gesetzt.^) Das konnte nicht weiter gehen. Darum wurde
nun von den Visitatoren der alte Amtschreiber feierlich wieder
in sein Amt eingesetzt und hierdurch zuerst als Beamter der
Städte dem Amtmann auch wider seinen Willen aufgezwungen.
Dabei erfuhren seine Befugnisse wichtige Erweiterungen:
ihm wurde nunmehr die Wahrung der Baurechnung (d. h. der
von den Städten zu tragenden Ausgaben) übertragen. Zugleich
leistete er einen neuen Eid, in dem er versprach, beiden
Ehrbaren Städten und dem Herrn Amtmann treu, hold und
gehorsam zu sein. Insbesondere wolle er die Amts- und
Gerichtsbücher verwahren, des Amts ordentliche Einnahme
und Ausgabe registrieren und seinen Herren gute Rechnung
davon tun, alle und jede Baukosten von Holz, Steinen,
Arbeitslohn und sonsten ordentlich verzeichnen und richtig
berechnen und keine Hestem (juiige Bäume) abhauen oder
abhauen lassen.^ Indem die im Auftrage der Städte
gemachten Ausgaben jetzt auch während der hambui'gischen
Z. B. ein Posten aus der Amtsrechnung: 28, Juni 1592 ist der
H, Licentiate Eberhardt Ttvestrenge vom Rahte ahn mich geschickt
worden, den nelb dritten hey mir gehabt, und vortruncken toorden
2 Stuebchen Wein, kostet 2^ 12 ß, wozu der revidierende lübsche
Ratsherr die Randbemerkung Filtzlaus nicht unterdrücken kao
Ähnliches oft.
^ Vergl. zu diesem Punkt S. 231 n. 1.
254 Hans EelUnghusen,
Regierung unter seine Aufsicht kamen, wurde er auch hier
mitverantwortlicher Beamter der Städte.
Freilich war der Amtmann nicht sofort geneigt, dem
Amtschreiber seinen Platz einzuräumen. Er lieferte ihm die
Amtsbücher nicht aus und stellte auf Vorhaltungen der Städte
bewegliche Klagen an, der Amtschreiber sei ihm wider alle
Gewohnheit aufgezwungen, er stelle sich nicht als sein Diener^
sondern als sein Oberherr. Wenn seine eigenen Diener in
Vorwerk oder Mühlen etwas nötig hätten, getrauten sie sich
nicht, ihn darum anzusprechen, sondern hätten allen Befehl
vom Amtschreiber nehmen müssen, so daß seine Diener und
Untertanen nunmehr im Zweifel ständen, zu wem sie sich
halten sollten. Alle früheren Amtleute hätten den Befehl
des Hauses allein gehabt.^)
Das Schreiben charakterisiert die Lage, früher war es
allerdings anders gewesen. Aber das neue Amt war aus
dem Bedürfnis heraus entstanden und hatte sich daher sozu-
sagen von selbst entwickelt. Aus dem Schreiber des Amt-
manns war ein Schi-eiber des Amts geworden, als die Führung
einer Amtskasse notwendig wurde und gleichzeitig die
Schreibtätigkeit in Gerichts- und Verwaltungsakten sich aus-
zubreiten begann. Dies hatte wieder zur Folge, daß aus
dem Privatangestellten des Amtmanns ein neuer Beamter im
Rechtssinne wurde, zwar dem Amtmann untergeordnet, aber
mehr als von ihm von den Städten abhängig. Denn von
diesen wurde er, wie es zuerst in der feierlichen Neu-
einsetzung Grims zum Ausdruck kam, künftig eingesetzt und,
als 1608 die Verpachtung aufhörte, auch allein besoldet.
Bezeichnend ist, daß sich nun auch das Eindringen gelehiler
Bildung bemerkbar machte. Schon Grim erwähnt einmal
seine Studien,*) Knöcker (seit 1601) war zugleich kaiser-
licher Notar.
Nur war es notwendig, daß der Amtschreiber jetzt auch
ganz aus dem persönlichen Dienstverhältnis zum Amtmann
*) Lüb. an Hbg. 1594 März 22, Schultes Suppl. April 7.
*) Archiv f. d. Gesch. d. Herzogtums Lauenburg IV, 2 S. 34; eiuen
akademischen Qrad besaß er nicht.
Das Amt Bergedoil 255
ausschied. Denn noch gehörte er zur herrschaftlichen
familia, der mit am Tisch des Amtmanns saß, also von ihm
Essen und Trinken und wohl auch Wohnung empfing. Da
waren Konflikte leicht möglich, da Niemandt zweien kern
dienen kan, das er beider gunst hohe}) Aber die Trennung
geschah erst 1620.
Außer Wohnung und Beköstigung erhielt der Amt-
schi'eiber seine Besoldung, die aus festem Gehalt und Sportein
bestand. Das Gehalt war ursprünglich sehr gering: 12 Taler
(= ca. 200 Mark),*) und wurde erst bei der Vermehrung
seiner Befugnisse 1593 auf das Doppelte (24 T.) erhöht.
Dazu kamen die Sportein:
1. 3 7o der Amtsbrüche (von jedem Taler [= 33 /J] 1 ß\
Ihr Ertrag war:
MichaeUs 1576—77: 39-^ 12 /J 6^
1577—78: 26 „ 15 „ 6 „
Ostern 1589—90: 17 „ 1 „
Michaelis 1601—02: 57 „ 6 „ 3 „
1608—09: 19 „ 1 „
1574 hatte der Amtschreiber diese Einnahme noch
nicht, wie aus den Amtsrechnungen hervorgeht.
2. Die Gebühr von den Botzetteln, Verträgen, Will-
küren und anderen Akzidentalien,*) besonders bei Misse-
taten (1 Witte = 4/J von jeder Feuerstätte)*) und ürteils-
schelte. Diese Gebühren, deren Summe sich nicht mehr
feststellen läßt, haben jedenfalls sein festes Gehalt bedeutend
überstiegen.
[Hausvogt.] Von den übrigen Dienern des Amtmanns
kommt für die Verwaltung wesentlich in Betracht nur noch
der Hausvogt. Er wird schon im 15. Jahrhundert wiederholt
erwähnt,*) obwohl er in den damaligen Verzeichnissen der
*) Amtachreiber Meyer an Lüb. 1601 Jan. 23.
^ Amtsrechnungen 1574—78, 1589.
^ Rezeß von 1593 § 11.
*) Knöcker an Lüb. 1608 Aug. 14.
^) Zuerst Andreas Gronenberg, Vogt von Johan Vos auf Bipenbv
(1434 — 38) in und. Schreiben; der Name Hausvogt zuerst 8. Juni 14
(Cord Brekewold an Lüb.).
256 Hans Kellinghusen,
Diener noch nicht vorkommt (s. o.), und war wohl i-egelmäßig
auf jedem Schloß vorhanden. Er wurde zwar vom Amt-
mann eingesetzt, aber für gewöhnlich vom Nachfolger über-
nommen und blieb, solange er den Dienst verrichten konnte.*)
Daher ließ sich der Amtmann von ihm über Amtsangelegen-
heiten unterrichten und er genoß in dieser Beziehung wohl
dieselbe Vertrauensstellung wie später der Amtschreiber.*)
Seine eigentlichen Aufgaben scheinen immer gleich geblieben
zu sein. Er hatte die Aufsicht auf das Haus, das er früh
und spät bewachen sollte, auf Scheiden und Grenzen des
Amts zur Erhaltung von uralter Freiheit und Gerechtigkeit,
auf Holzungen und namentlich auf Deiche und Dämme. Er
beaufsichtigte femer das Vorwerk, daß zur rechten Zeit gesät
und geemtet würde, und besonders, daß die Dienste von den
Untertanen richtig geleistet wurden, tüchtige Personen und
keine Kinder zum Dienst geschickt, auch niemand damit
yerschont und überhaupt fleißig gearbeitet wurde. Dies
alles nach bestem Vermögen zu tun, schwur er in seinem
Amtseid.*) Dafür erhielt er Wohnung und Nahrung vom
Hauptmann, außerdem 20 Taler Besoldung, für zwei Kühe
fi-eie Weide, zwei Fuder Heu, das Gras auf den Huckwällen (?)
zwischen dem Hafer und am Schleusengraben, das alte Holz
;iuf dem Haus und die Windbrüche.^)
[Andere Diener.] Auch von allen Dienern, die sonst
noch vorhanden waren, mußte ein jeder seinen Eid leisten.
Die reisigen Knechte schwuren, Tag und Nacht zu Lande
und Wasser mit Leib und Leben bereit zu sein. Der
Schließer, ein \ielseitiger Mann, wollte backen und brauen,
niemand von Bier und Brot mehr, als ihm gebührte, folgen
lassen, sich der Sparsamkeit befleißigen imd die Gefangenen
*) Beide Vögrte erwähnt 1472 (Anm. 3).
^) Der alte Burgvogt Peter Snor hat wohl unter vier Herren hier auf
dem Hause gedient, Koel an Hbg. 1543 Nov. 7, 1547 Sept. 14.
Claus Vagedty der den Städten in die 73 (?) Jahr gedient hat,
Kerkring an Lüb. 1578 Dez. 6.
^ Grawert an Lüb. 1472 Okt. 26; von Calven an Ltib. 1483 Okt. 3.
'•) Erhalten in zwei Formen 1593 und 1617.
*) Rezeß von 1693 § 11.
Das Amt Bergedoil 257
fleißig warten. Der Wächter versprach, solange die Nacht
währte, zu blasen, und auf dem Wall herumzugehen, des-
gleichen Pförtner und Ligger ihre Wachtpflichten zu erfüllen.
Der Fischer schwur, stets einen Vorrat an Fischen vorhanden
zu halten, keinen Unterschleif mit Fischen zu machen und
auf die Fischereigerechtigkeit des Amtmanns zu achten.
Sogar der Koch leistete einen Eid, das Essen zu rechter
Zeit bereit zu halten, damit ein jeder das Seine bekomme^
und sparsam mit Feuer zu sein.^
[Zöllner.] Zu den Dienern des Amtmanns gehörte
auch noch der Zöllner zu Bergedorf, der jedoch einer der
beiden 1608 genannten Pförtner war.^ Vom Amtmann an-
genommen, war er seit 1548 während Lübecker Regierungs-
zeit unmittelbarer Beamter der Städte, der seine Besoldung^
aus der Amtskasse empfing, während der hamburgische Amt-
mann-Pächter ihn selbst besoldete. Er erhob nach einer
alten Zollrolle den Zoll für Ein-, Aus- und Durchfuhr und,
seitdem die Akzise eingeführt war, auch diese (s. u.). Der
Amtschreiber beaufsichtigte, daß die Register richtig gehalten
wurden. Jeden Sonnabend mußte ihm der Zöllner über die
erhobenen Gelder Rechnung tun. Zur Zollkiste, in die die
Einnahmen gelegt wurden, hatten Amtschreiber und Zöllner
je einen Schlüssel. Außerdem besorgte der Zöllner die
öfEnung und Schließung der Tore.*) Durch Beschluß der
Städte vom Jahre 1614 wurde dem Amtmann das Recht der
Einsetzung genommen und auf sie selbst übertragen.*) Sein
Jahreslohn war 12 4^.^)
Dagegen war der Zöllner zu Eislingen an der Elbe
schon früh aus dem Dienste des Amtmanns ausgeschieden,
da Hamburg wenigstens seit 1446 (s. u.) den Zoll für
eigene Rechnung erhob. Wie aus den Kämmereirechnungen
hervorgeht, war er schon im 15. Jahrhundert auf un-
Die Eide aUe aus dem Jahre 1617.
^ Schon 1678 in der Amtsrechnung; Zol- und Portener.
^ Pasche an Lttb. 1614 April; Eid aus dem Amtsbuch 1614 April 30
*) Kezeß § 7; Lüb. an Hbg. Nov. 7, H. an L. Dez. 29.
^ Nach den Amtsrechnungen seit 1577.
258 Hans Kellinghosen,
bestimmte Zeit, vielleicht aber auch auf Lebenszeit angesteUt.
Im 16. Jahrhundert wurde die Stelle von der Stadt, in deren
Regierung die Vakanz fiel, neu besetzt.^) Sie scheint teil-
weise als Versorgungsposten gedient zu haben: 1530 — 1533
war ein Priester Mauritius von Minden Zöllner.*) Da die
Vakanz mehrfach hintereinander in die Hamburger Regierungs-
zeit fiel, wurde Lübeck ungehalten; daher entstand durch
Vergleich von 1584 eine Gewohnheit, die sich nach 1620
auf alle von den Städten zu ernennenden Beamten ausdehnte:
die Stellen wurden abwechselnd von Lübeck und Hamburg
besetzt,^ auch vmi-de damals verabschiedet, daß der Zöllner
beiden Städten mit Eiden und Pflichten verwandt sei und zur
Verbürgung einer guten Verwaltung Kaution stellen solle.
Dementsprechend leisteten die neuen Zöllner vor der Visitation
ihren Eid.*)
Im Zollenspieker hatte der Zöllner seine Amtswohnung;
sein Gehalt erhellt aus den Hamburger Kämmereirechnungen,
es betrug:
1470—1476: 10-^,
1482—1488: 15 „
1494—1500: 14 „
1555—1572: 275 „ und eine Tonne Butter zu 46-^,
1579—1620: 340 „„ „ „ „ r 46 „ .
Der Gehaltssteigerung seit 1555 (über die Jahre 1500 — 55
fehlen Nachrichten) steht der Verlust von Einnahmen aus
dem Zoll gegenüber: bis dahin hatte der Zöllner von jeder
Last groben Salzes 1 /J für sich erhoben, was nun fortfiel,*)
und ebenso scheint es mit allen früheren Hebungen gegangen
zu sein. Später lieferten ihm nur noch die Landleute als
^) 1556 ist von Hamburg der Katsherr Laurentiua Niehur missiM ad
praesentandum Ericum Soltowen tlieolonarium, Kämm. Rechn. VII, 82.
*) Kämm. Rechn. V, S. 491.
^ Vertrag vom I.Juli 1584. (Lübeck, Trese): Es soll die Besetzung
tmd Bestellung altemis vicibus, es sei die Regierung auch, bei wem
sie wolle, erfolgen.
*) Rezesse von 1584, 1596, 1602.
*) Westede am Thode 1565 Okt. 14.
Das Amt Bergedorf. 259
Entgelt für freie Überfuhr über die Elbe den Ffthrhafer, der
jährlich 3 Wispel (= ca. 50 hl) betrug.*)
Nach seinem Tode wurde der Witwe ein Gnadenjahr
gewährt, während dessen sie die Einkünfte ihres Mannes
weiter bezog.*)
Zu bemerken ist noch, daß 1455 der Zöllner das höchste
und niederste Gericht über einen Krug bei der Kirche in
Kirchwärder und drei Katen auf dem Krauel beanspruchte,
ein Recht, das ihm aber vom Amtmann streitig gemacht
wurde und von dem sich später keine Spur findet.')
Der Zöllner hatte einen Zollschreiber, der die Zoll-
register führte und seit 1607 von beiden Städten in Eid
genommen wurde,*) und drei Knechte unter sich, deren Auf-
gabe die Bedienung der bei dem Zoll befindlichen Fähre
war. Diese Diener erhielten von der regierenden Stadt zu-
sammen 30-^ Besoldung.^)
Damit sind die Vertreter der Herrschaft im Amt er-
schöpft. Zwar sind es noch wenige entsprechend der Einfach-
heit der Verwaltung, namentlich Schreibarbeit tritt noch sehr
zurück, aber immerhin ist in den zweihundert Jahren der
beiderstädtischen Herrschaft eine Entwicklung aus dem patri-
archalischen Regiment eines einzigen Herrn zur Teilung der
Gewalten und zu modernem Beamtentiun unverkennbar. Ein-
zelne Beamte wie der Amtschreiber und Zöllner lösen sich
vom Amtmann los, und bei letzterem erkennt man schon klar
die Weiterentwickelung: neue Diener gruppieren sich imi ihn,
bald wird auch der Amtschreiber für die eigentliche Schreib-
arbeit andere um sich sammeln und selbst der Mittelpunkt
einer neuen Beamtenreihe werden. Ebenso entwickelt sich
die Stellung des Hausvogts und anderer Diener des Amt-
manns, überall sind die Grundlagen für den modernen Be-
amtenapparat vorhanden, alle aber sind sie aus den persön-
lichen Dienern des Amtmanns hervorgegangen.
*) Bezeß 1600: über ihn war Streit zwischen der Witwe des alten und
dem neuen Zöllner; Grentzin an Lüb. 1601 Joni 26.
^ Grentzin an Lüb. 1601 Juni 26.
3) Lüb. ü. B. rX, 257.
*) Bezeß 1607.
^) Nachweisbar in Hamburg seit 1568.
260 Hans Eellinghusen,
3. Die Beamten der Selbstverwaltung
in Stadt und Land.
Während sich die Beamtenverwaltung langsam ausbildete^
ging in demselben Maße die Selbstverwaltung zurück, nicht
gerade, daß den Untertanen ihre Rechte genommen wären,
aber sie traten an Bedeutung zurück, da sie sich im Lauf
der Jahrhunderte nicht mehrten. Die Vertreter der Unter-
tanen waren verschieden in Stadt und Land.
[Rat zu Bergedorf.] Im Städtchen Bergedorf, dessen
Bewidmung mit dem lübischen Recht nach dem Vorbild Möllns
im Jahre 1^75 wir oben erwähnten, war wohl schon damals
vom Herzog ein Rat eingesetzt worden.^) Jedenfalls war die
Institution 1437, als das erste Stadtbuch angelegt wurde,*)
völlig ausgebildet, vorher läßt sie sich nicht nachweisen, die
^) Bergedorf erhält vom Herzog Johann I. tale ius, quäle cives de Molne
(Hasse II, 490). Das bezieht sich auf das Privileg der Herzöge für
Mölln von 1272 (HASSE n, 440), in dem sie der Stadt schon von
ihrem Vater geschenkte Freiheiten und auch die Rechte der Stadt
Lübeck verliehen. Die Urkunde Herzog Alberts I., auf die sie sich
dabei beziehen, ist verloren. Es liegt allerdings ein Privileg des
Herzogs von 1254 vor (HASSE ü, 58), in dem der Stadt zwei Dörfer,
Pinnau und Gülzow, das VVeichbildsrecht und ein Rat aus vier Mit-
gliedern verliehen werden, dessen Einsetzung umständlich geschildert
ist. Erhalten ist es nur in vidimierter Kopie des 16. Jahrhunderts,
in rein niederdeutscher Sprache, bei der eine Übersetzung aus dem
Lateinischen, die vorliegen müßte, nach meiner Überzeugung aus-
geschlossen ist. Das in ihm geschenkte Dorf Pinnau kommt erst
1263 in den Besitz der Stadt (HASSE U, 253), ohne daß dort von
einer Schenkungsbestätigung irgendwie die Rede ist. Dagegen war
das andere Dorf, Gülzow, tatsächlich eine Schenkung Herzog Albrechts,
die 1262 von seiner Witwe bestätigt wird (HASSE II, 240). Wären
nun beide Dörfer vom Herzog geschenkt gewesen, so würde doch wohl
die Bestätigung beider Schenkungen in das Diplom aufgenommen sein.
Der angeblichen Urkunde von 1254 fehlen überdies Arenga und Zeugen.
Sie muß also eine Fälschung sein, die in ihr beschriebene Ratsein-
setzung kann daher für Bergedorf nicht in Betracht kommen. Sie
stimmt auch in ihren Hauptpunkten — jährlicher Wechsel des Rats,
BesteUung zuerst durch Wahl der Bürger, dann durch Selbst-
ergänzung — gar nicht mit den in Bergedorf bekannten Formen über-
ein, nur die Vierzahl der Ratsmitglieder ist gleich.
^ Bergedorfs ältestes Stadtbuch S. 3.
Das Amt Bergedorf. 261
uns erhaltenen Urkunden geben auch keine Gelegenheit dazu.
Damals bestand der Rat — und so blieb es bis ins 19. Jahr-
hundert — aus vier Mitgliedern: zwei Bürgermeistern und
zwei Eatmännem, die den Kreisen der Bürger entstammten,
also meistens Handwerker oder Ackerbürger waren. Dieser
Rat wurde weder durch Wahl der Bürgerschaft, noch durch
Selbstergänzung gebildet, sondern von der Herrschaft ein-
gesetzt, aber regelmäßig aus den Bürgern genommen. Es
scheint sich dabei im 15. Jahrhundert die Gewohnheit heraus-
gebildet zu haben, erst das Ausscheiden zweier Mitglieder, das
wohl meistens durch den Tod erfolgte, abzuwarten, ehe man
zu einer Neubesetzung schritt.') Dies geschah im 16. Jahr-
hundert durch die Abgesandten der Städte auf den Visitationen,
wohl nach dem Vorschlag des Amtmanns. Nur vereinzelt
sind Nachrichten darüber erhalten. Im Jahre 1563 stellte
es sich als nötig heraus, den Rat wieder zu besetzen, da
nur ein Bürgermeister, der noch dazu wegen seines Alters
untauglich zur ferneren Bekleidung des Postens war, und ein
Ratmann vorhanden waren. Es wurden daher durch die
Gesandten drei Personen erkoren, in Eid genommen und ein-
gesetzt.*) 1593 dagegen war es dem Lübecker Rat trotz
einer Petition der Bergedorfer Bürger bedenklich, den
Ältesten ihres Rats wegen Unvermögens des Amts zu ent-
setzen, sondern, weil die oberste Gewalt doch dem Amt-
mann zustehe, wollte er es beim alten lassen.*) Wie
schon aus diesen Worten des Lübecker Schreibens hervor-
geht, waren die Rechte des Rats nach oben hin nicht groß,
sondern die meisten seiner Handlungen an den Konsens des
Amtmanns gebunden.
Der Rat war der Herrschaft gegenüber der Vertreter
der Bürgerschaft. Li seinen Supplikationen brachte er deren
Wünsche dem Amtmann oder den Städten vor; zum Empfang
von Befehlen beider Städte wurde er vor den Amtmann be-
schieden, um sie dann weiter der Bürgerschaft mitzuteilen;*)
') Vergl. Stadtbuch S. 22.
') Bergedorfer Artikel § 10, 1563 Okt. 16.
^ Bedenken Lübecks auf die Gravamina der Berg. Bürger von 1593 Nov. 16.
*) Pasche an L. 1611 Mai 22.
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XUI. ^^
262 Hans Eellinghuseu,
doch wurden obrigkeitliche Anordnungen auch Rat und Bürger-
schaft gemeinsam vom Amtmann vorgelesen.*)
Der Bürgerschaft gegenüber standen dem Rat folgende
Rechte unter Aufsicht des Amtmanns zu:
1. Er erteilte das Bürgerrecht, empfing den Bürgereid
und erhob dafür ein Bürgergeld; doch machte er von seinem
Rechte, auch fremde Einwohner in das Blek aufzunehmen,
zuzeiten zu gi-oßen Gebrauch.*) Über das seit 1579 vor-
handene Bürgerbuch, die Zahl und Herkunft der Neubürger
ist schon gesprochen, auch das Wachstum des Ortes, der
sich damals über die alten vom Blekgraben bezeichnetea
Grenzen auszudehnen begann, wurde schon oben erwähnt.
2. Er verwaltete das städtische Eigentum, erwarb Land
für die Gemeinde*) und verkaufte städtische Grundstücke
unter Vorbehalt eines Wortzinses,*) doch scheint er bei Ver-
äußerungen an die Zustimmung der Herrschaft gebunden
gewesen zu sein.
3. Er hatte zusammen mit dem Amtmann den Vorsitz
im Stadtgericht.^) Bei rechten Schuldforderungen der Bürger
gegen Einheimische und Fremde hatte er gemäß den Privi-
legien von 1275 und 1315^ das Pfändungsrecht, das ihm
nach Vorlegung dieser Urkunden im Rezeß von 1596 bestätigt
wurde, obwohl Hamburg es nur von kleinen Forderungen bis
zu 5 -^ verstehen wollte. Doch wurde dem Rat vorgeschrieben,
einem jeglichen gleichmäßiges und unparteiisches Recht unver-
züglich mitzuteilen; denn wenn dem Amtmann beständige
Klage wegen Justizverweigerung oder -Verzögerung vor-
gebracht würde, solle er einzugreifen befugt sein.^ Außerdem
wurden vor dem Rat Rechtsgeschäfte der Bürger abgeschlossen,
durch deren Aufzeichnung das Stadtbuch entstand.
V. Holte an H. 1559 März 31; Pasche an L. 1609 Aug. 30.
^ Yergl. S. 42; auch 1563 hatte er etliche Einwohner ohne des Amt-
manns Konsens aufgenommen, Prot. 1563 Nov. 16.
3) Stadtbuch Nr. 44.
*) A. a. 0. Nr. 31, 42.
») A. a. 0. Nr. 57, 58.
•) Hasse n, 490; UI, 314.
') Rezeß 1596 § 4.
Das Amt Bergedorf. 263
4. Er hatte eine gewisse Polizeigewalt im Städtchen,
insbesondere die Marktpolizei, die sich in der Revidierung
von Maß und Gewicht äußerte.
5. Er erhob Gebühren, Steuern und Strafgelder.
Erwähnt wurden schon das Bürgergeld und der Wortzins
von städtischen Grundstücken. Der Martinsschatz, eine an
die Herrschaft zu zahlende Summe von jährlich 10-^, die
dem Städtchen als Entgelt für die verliehenen Rechte 1275
vom Herzog auferlegt war, wurde von ihm aufgebracht. Von
Leuten, die aus dem Städtchen wegzogen, erhob er den
Abschoß oder Zehntenpfennig, eine damals vielfach gebräuch-
liche Vermögenssteuer. Auch von den dem Amtmann
im Städtchen gebührenden Strafgeldern stand ihm ein Teil,
nämlich der 3. Pfennig (d. h. Vs), der Brüche zu.*) Femer
erhob er das Grobbäckergeld und eine Reihe kleinerer
Gebühren bei Versiegelung von Urkunden und bei Haus-
verkäufen. Wegen der Ratschaft besaß er vier Stücke
Landes.")
Diese Einnahmen, die aber geringe Erträge brachten,
verbrauchte der Rat zu eigenem Nutzen und nicht zum ge-
meinen Besten. Sie waren ihm als Entschädigung für seine
Mühewaltung eben genug; wemx sie ihm genommen würden,
bat er, ihn seiner Eide und Ämter zu entlassen.*) So blieb
es dabei: auch ein Vorschlag, daß er alle drei Jahre den
Städten Rechnung ablegen und im übrigen sich mit einem
Honorar begnügen solle, wurde fallen gelassen.*^)
Bezeß von 1611: den Städten war es zweifeUiaft, ob diese Steuer
nicht ein Regal sei, doch wurde sie dem Bat gelassen.
^ Er beanspruchte dies Recht nach dem Vorbild Möllns, H. an L. 1451
März 27; Lüb. U. B. IX, 15. Im Vertrag zwischen Amtmann und
Bürgerschaft vom 13. Aug. 1568 § 8 wurde das Recht bestätigt
^ AUe diese Einnahmen zählt der Amtmann von Eitzen, dem vom Bat
mangelnde Mildtätigkeit gegen die Armen vorgeworfen war, mit der
zornigen Frage auf, ob denn davon Almosen gegeben würde? Und
man kann annehmen, daß er, der sogar die Einziehung falscher
Gewichte als Einnahme des Bats auffaßte, trotz des am Schluß hinzu-
gefügten etc. nichts vergessen hat. Eitzen an Hbg. 1617 Sept 25.
*) Bezeß von 1611.
*) Bezeß von 1617, § 6.
18*
264 Hans Kellinghusen,
Besoldete Beamte hatte das Städtchen nicht; viel weniger
war von sozialen Pflichten des Eats die Rede. Die Einnahmen
fielen an die Ratsmitglieder, also war auch keine Stadtkasse
nötig. Das für die Stadt Notwendige geschah durch ge-
meinsames Handeln oder gemeinsame Beiträge der Bürger.
Der Rat war somit eine Instanz, die sich zwischen
Amtmann und Untertanen schob und dem ersteren eine Reihe
von Funktionen abnahm. Ähnlich war es mit der Selbst-
verwaltung auf dem Lande.
[Landvogt.] Die Vierlande zerfielen, wie schon ihr
Name besagt, in vier Kirchspiele. An der Spitze eines jeden
stand im 14. Jahrhundert der Schulze (saUtetus), zugleich
neben dem herrschaftlichen Vogt der Vorstand des Kirchspiel-
gerichts.O Dieser Name verschwindet dann, seit dem 15. Jahr-
hundert heißt der Vorstand des Kirchspiels Vogt oder mit
vollem Namen, der sich zuerst 1449 nachweisen läßt, Land-
vogt.*) Die Eingesessenen selbst erkoren den Landvogt auf
dem Kirchhof aus den Hufnem des Kirchspiels, der Amtmann
bestätigte die Wahl.*) Doch hatte diese Wahl im 17. Jahr-
hundert nur noch formale Bedeutung, über die zum Landvogt
geeignete Person einigte sich der Amtmann vorher mit den
übrigen Landvögten.*) Sein Amt war lebenslänglich, abge-
setzt werden konnte er nur mit Zustimmung beider Städte.*)
Seine Aufgabe war auch in städtischer Zeit die Hegung des
Landgerichts, dazu war er verpflichtet, dem Amtmann aUe
in seinem Lande vorgefallenen Bußesachen anzuzeigen und
zur Zeit des Landgerichtes, das in seinem Hause stattfand,
ihn und sein Gesinde, Knechte und Pferde mit Essen, Trinken
>) Hasse m, 114; vergl. u. Abschnitt lU, 2.
2) Lüb. ü. B. Vm, 579.
^ 29. Mai 1614 ist Harnien Kroger in der Nyengam up dem Karckhave
darsulves thom Landvagede erkaren. Hbg. an Lüb. 1601 Febr. 18.
*) Brandt au Hbg. 1603 Mai 12 über die Neubesetzung der erledigten
Vogtei in Kirchwärder.
*) Landvögte und Pastoren können nicht ohne beider Städte Cognition
und beliebung wieder abgesetzt werden, Amtschreiber Meyer an Lüb.
1600 Okt. 17. Lübeck stimmt der Absetzung des Curslacker Vogts
wegen hohen Alters zu, an Hbg. 1601 Jan. 28, worauf der Amt-
mann einen neuen Vogt einsetzt (Anm. 5).
Das Amt Bergedorf. 265
und Putter zu versorgen, überhaupt ihn bei Aufenthalt im
Lande gastlich aufzunehmen. Die daraus entstehenden jähr-
lichen Aufwendungen schätzte man auf 150-^.^)
Seine Hauptaufgabe aber lag auf einem anderen Gebiet
und in Erkenntnis ihrer Wichtigkeit wurde sie in dem Eid,
den er den Städten und dem Hauptmann zu leisten hatte,
vorangestellt. Da schwur er zuerst, auf Deiche und Dämme
bei Tag und Nacht fleißig Aufsicht zu haben, daß sie zu
Genüge gemacht, gebessert und imterhalten würden.*) Von
der Sicherheit der Deiche hing das Dasein der Marsch-
bewohner ab, und ihre Instandhaltung war wesentlich Auf-
gabe der Lande selbst. Hier konnte also der Landvogt, der
an der Spitze der Deichgeschworenen stand, eine nur wenig
eingeschränkte Selbständigkeit entwickeln; besondere Deich-
grafen gab es in den Vierlanden, wie in den benachbarten
Marschländern nicht.
Die Amtseinnahmen der Landvögte waren gering: für
die Beaufsichtigung von Deicharbeit wurden ihnen 6 ß täglich
gegeben,') für jede in Bußesachen eingebrachte Klage erhielten
sie 2 ß, femer als letzten Rest ihrer einstigen Gerichtshoheit
die kleinen Bußen im Betrage von 10 ß. Wenn der Amt-
mann zirni Landgericht in ihrem Hause aufgenommen wurde,
gab er den Vögtinnen ein Trinkgeld: 1561 von 8 ß, 1573—89
von 10 /J, seit 1601 ein Markstück (= 22 ß) für die Vögtin
und 4 ß für die Magd.*) Die Landvögte waren femer von
der Zahlung der Bierakzise befreit,*) endlich waren mit der
Vogtei in Curslack 87« Morgen, in Kirchwärder 10 Morgen
Landes verbunden.*) Hier gab 1614 der neue Landvogt der
Witwe des alten für dies de Oerman genannte Land 40 ^,
2 Fohlen imd 2 Ochsen, die seine Erben ebenso von seinem Nach-
folger wieder erhalten sollten, jedenfalls eine sehr alte Abgabe. ')
*) Suppl. 1608 Jan. 19, 1609 Juni 15.
*) Landvog^seid von 1614, Lübeck. Ähnlich der Eid des Bmw&rder Vogts,
Landrecht Art. 84, LAPPENBERG, Hamb. Bechtsaltertümer I, S. 344.
5) Rezeß von 1607 § 9.
*) Aus den Amtsrechnungen.
*) Suppl. 1593 Aug. 23, bestätigt im Rezeß von 1608 § 7.
•) Prot. 1607 Aug. 18.
') Amtsbuch 1614 S. 126.
266 Hans Kellinghusen,
[Hauptleute.] Die Kirchspiele zerfielen in Bauern-
schaften/) an deren Spitze Hauptleute standen. Die Wahl
eines Hauptmanns geschah durch den Amtmann in Gegen-
wart des Landvogtes und der anderen Hauptleute des Kirch-
spiels und jedenfalls auf deren Vorschlag*) aus den Hufnem
der betreffenden Bauernschaft. Das Amt war lebenslänglich.
Vögte und Hauptleute waren die Vertreter der Lande, mit
denen die Städte und der Amtmann über Einführung von
Anordnungen der Obrigkeit, Einquartierung, Deichbauten und
anderes verhandelten. Über das Amt der Deichgeschworenen
wird im Zusammenhang mit dem Deichwesen die Rede sein.
[Bauernvogt in Geesthacht.] In dem kleinen Dorf
Geesthacht stand, wie in den umliegenden Geestdörfem, an
der Spitze ein Bauemvogt, der Mittelsperson in allen das
Dorf betreffenden Angelegenheiten war und besonders dem
Amtmann die vorgefallenen Gerichtssachen zu melden hatte.
An Bedeutung tritt er natürlich hinter den Landvögten
ganz zurück.
4. Die Visitationen.
Wie die meisten staatlichen Institutionen im Amt sich
im Gegensatz zu den Organen der Selbstverwaltung erst
allmählich und besondei-s seit der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts entwickeln, so auch die Visitationen. Ihren Aus-
gangspunkt haben sie in den Zusammenkünften, die Rats-
gesandte beider Städte von der ersten Ordnung der Verwaltung
im Jahre 1422 an zu allen Zeiten im Amte abhielten. Diesen
oder noch allgemeiner der Anwesenheit von Ratsmitgliedem
überhaupt wenden mr daher zimächst unsere Aufmerk-
samkeit zu.
Wie oft Hamburger Ratsgesandtschaften im Amte waren,
läßt sich mit ziemlicher Sicherheit aus der Rubrik Ad reisas
dominorum der Hambiu-ger Kämmereirechnungen feststellen.')
Curslack und Altengamme in je 3, Neuengamme in 5, Kirch wärder in 6.
') Wahl eines Hauptmanns 1619, Amtsbuch S. 233.
^ Ganz genau scheinen die Aufzeichnungen nicht zu sein; ein paarmal
fanden sich in den Akten Angaben, die sich in den Kechnungen nicht
nterbringen ließen.
Das Amt Bergedorf. 267
Nach dieser war ihre Zahl in den verschiedenen Jahrzehnten
folgende :
1461—70: 61 1521—30: 18
1471—80: 49 1531—40: 21
1481—90: 26 1541—50: 16
1491—1500: 27 1551—60: 16
Der auffallende Rückgang der Zahl der Gesandtschaften
ist wohl aus der Zunahme der schriftlichen Erledigung und
der Vereinigung mehrerer Aufträge auf eine Gesandtschaft
zu erklären.
Auch die Größe, besonders der ersten Zahlen, darf nicht
wundem. Die Gesandtschaften, die häufig nur von einem
Mitglied des Rats ausgeführt wurden, dienten den ver-
schiedensten Zwecken. Bei einem großen Teil war das Amt
nur der Ort, an dem die Städte oder Hamburg allein^) mit
auswärtigen Nachbarn, besonders der Stadt Lüneburg und
den Herzögen von Lüneburg und Sachsen-Lauenburg, zu Tag-
fahrten zusanmientrafen, die dann allerdings oft wieder Amts-
angelegenheiten betrafen. Häufig waren es Grenzstreitig-
keiten: mit den Herren v. d. Berge auf Krauel und ihren
Nachfolgern, mit Holstein und Sachsen. Auch die Streitsache
mit dem Herzogtum Lüneburg wegen der Abdeichung der
Elbe am Gammerort erforderte viele Besichtigungen und Tag-
fahrten an Ort und Stelle. Ebenso gaben in der Mitte des
16. Jahrhunderts die Ansprüche Sachsen-Lauenbui-gs auf Berge-
dorf und den Sachsenwald zu manchen Besprechungen Anlaß.
Der größere Teil, bei dem aber Einzelgesandtschaften
aus einer Stadt überwogen zu haben scheinen,*) betraf doch
interne Amtsangelegenheiten. Hier lassen uns die Hamburger
Kämmereirechnungen bei der Angabe des Zweckes meistens
im Stich, und das Aktenmaterial gibt nur selten Ei-gänzungen.
Alle sechs Jahre um Michaelis versammelte man sich zur
transpositio der Schlösser, seit 1512 zu der mit der üm-
Lübeck aUein wird zu solchen Tagfahrten das Amt wegen seiner ent-
fernten Lage kaum gewählt haben; die obigen Nachrichten sind durch-
weg aus den hamb. Kämm. Rechn. entnommen.
^ Da die Kämm. Rechn. keine Veranlassung hatten, Lübecks Beteiligung
jedesmal zu verzeichnen, läßt sie sich nicht mehr feststellen.
268 Hans Eellinghusen,
wechselung des Amts verbundenen traditio des Hauses Berge-
dorf, die öfter erst nach längeren Verhandlungen erfolgte
(vergl. S. 234 f.). Doch ist uns nirgends überliefert, daß auch
noch anderes derzeit beraten wäre. Zahlreich waren die
Besichtigungen von Bauten, die das Amt schützen sollten
teils vor feindlichen Angriffen: die Schlösser zu Bergedorf
(1469, 75, 78) und Eipenburg (1469), teils vor Wassersgefahr:
die in die Elbe geschlagenen Stacks (1462, 66, 71, 78, 85, 90)
und die Schleuse in Curslack (1471, 1530). Auch zur Er-
hebung von außerordentlichen Kontributionen, die zur Ver-
teidigung des Amts in Kriegszeiten benötigt wurden, schickte
man Ratsherren ins Amt (1534, 59).
Meistens hatten also die Gesandtschaften einen be-
stimmten Auftrag. Aber selbstverständlich und besonders
bei gemeinsamen Zusammenkünften konnten diese sich häufen*
Das geht aus einer uns erhaltenen lübschen Instruktion zu
einer Tagfahrt mit Hamburg nach Bergedorf am 4. März 1467
hervor.*) Es standen 21 Punkte zur Verhandlung, unter
denen hervorzuheben sind: eine Streitsache Altengammes und
(]!urslacks mit dem Hamburger Domherrn Hinrich Lüneburg,
die Befestigung des Bleks Bergedorf mit Zaun imd Graben
und seine Bewachung, Vereidigung der Untersassen, Erhebung
des Schatzes in Neuengamme und Curslack, verschiedene
Aufträge für Bauten am Schloß und schließlich eine Streit-
sache zwischen den Städten und dem Bistum Eatzeburg über
das Patronat der Bergedorfer Kirche. Mehrere Punkte betrafen
auch andere (hansische) Angelegenheiten. Die Kämmerei-
rechnungen verzeichnen zu dieser Gesandtschaft nur cnm
Lubicensihis.
In allem, es waren Gesandtschaften und Zusammenkünfte,
die im Interesse der Städte nach dem Bedürfnis abgehalten
wurden. In die Verwaltung des Amtmanns griffen sie nicht ein.
Aus diesen Zusammenkünften lassen sich nun einzelne
noch nicht erwähnte absondern, bei denen die weitere Ent-
wicklung einsetzt: es sind die Gerichtstage, die beide Städte
*) Bevel her Hinrik Kastorpp und her Hinrik van Stilen horgermestem
*o Bergedorppe medegedan.
Das Amt Bergedorf. 269
als dritte Entscheidungsinstanz im Amt abhielten. Da die
gemeinsame Gerichtshoheit nicht gestattete, die Sachen vor
den Rat einer Stadt zu ziehen, war es das Gegebene, die
Urteile durch Ratsgesandte im Amte selbst fällen zu lassen.
Doch sind darüber aus älterer Zeit nur wenige Nachrichten
vorhanden. 1478 forderte Lübeck den Bergedorfer Amtmann
auf, eine Streitsache in seinem Amt bis vor das Gericht der
Städte schelten zu lassen.^) Ebenso werden ins Amt Ripen-
bürg fallende Sachen dort entschieden sein, erhalten ist darüber
nichts. Denn die Befriedung der Einwohner des Kirchspiels
Kirchwärder mit ihrem Vizepleban, die im Jahre 1480 in
Eislingen stattfand, war wohl mehr eine freundschaftliche
Vermittlung.*) Überhaupt steht dahin, ob damals schon häufig
von dem Rechtsmittel der dritten Instanz Gebrauch gemacht
wurde. Erst aus dem Jahre 1523 liegt wieder eine Angabe
vor. Damals bat die Witwe des Amtmanns (vergl. S. 246) die
Städte dringend, etliche gescholtene Urteile zu entscheiden,
da die Untertanen ihr kein Recht gestatten wollten, bevor
die Sachen, in denen an Lübecks und Hamburgs Erkenntnis
appelliert sei, ausgefunden wären.*) Dieser Umstand scheint
auf eine arge Verzögerung der Gerichtspflichten der Städte
hinzudeuten. 1536 erfahren wir aus den Kämmerei-Rechnungen^
daß vier Ratsmitglieder nach Bergedorf gereist waren, ad cog-
noscendum de appellationihus quorundam, und gleichzeitig aus
einem Briefe Hamburgs, daß in einer Sache nu unlanges
hinnen Bergerdorpe neffens anderen ordelen dorch der Er.
van Lubegk und unsen Radessendebaden was erkent worden.^)
Aus der Zeit der beiden folgenden Amtmänner — besonders
von Ditmar Koel (1542 — 48) liegt eine ausführliche Korre-
spondenz vor — findet sich dagegen keine Spur von Gerichts-
tagen oder Zusanunenkünften der Städte, die sich darauf be-
ziehen könnten. Sicher ist jedenfalls, daß bis 1548 die
Gerichtstage selten waren, vielleicht regelmäßig unter jedem
*) Lüb. an v. Calven 1478 Juni 3.
^ Kämm. Rechn. HI, S. 389.
^ Barbara Reder an Lüb. 1523 Dez. 2.
*) B'bg. an y. Hutlem 1536 Aug. 9; die Zusammenkunft war auf
2. Juli angesetzt, Sehr. v. Juni 25.
mO Hans Kellinghusen,
Amtmann einmal am Ende seiner Verwaltung vor der feier-
lichen Abtretung des Hauses.
Eine Änderung setzt unter Dietrich von Elthen (1548 bis
1554) ein, aus dessen Zeit sich die Nachrichten über Grerichts-
tage mehren. 1550 wird erwähnt, daß die Herren zur Ent-
scheidung von Rechtssachen da waren. ^) Am 7. Oktober 1552
schreibt Lübeck an Hamburg, daß zu dieser Zeit nach ge-
wohnter Weise die Gerichte im Amt Bergedorf gehalten
werden müßten und auch etliche Sachen und Parteien vor-
handen wären, und bittet daher Ratsgesandte abzuordnen,
damit den Parteien zu Recht verholten werden möge.*) Im
folgenden Jahre waren wieder um Michaelis Gesandte in
Bergedorf, denen diesmal auch eine Besichtigung in einer
Orenzstreitigkeit aufgetragen wurde.*)
Lübeck hatte 1548 die Verwaltung des Amts nach neuen
finanziellen Grundsätzen begonnen, der neue Amtmann Dietrich
von Elthen war aber von Hamburg zunächst nicht anerkannt
worden (vergl. S. 234 ff.). In den damaligenVerhandlungen müssen,
vielleicht zur Kontrolle des Amtmanns, zuerst Gerichtstage
in gewisser Regelmäßigkeit vereinbart sein. Die Absicht war,
wohl jährlich um Michaelis eine solche Zusammenkunft abzu-
halten. So ist wenigstens das Schreiben von 1552 zu verstehen.
Es war natürlich, mit diesen regelmäßigen Gerichtstagen
auch Besichtigungen und andere Aufgaben zu verbinden, die
früher besonderen Gesandtschaften überwiesen waren. Daß
das geschah, zeigt außer obiger Nachricht, wie diese Zusammen-
künfte in den Kämmerei-Rechnungen verzeichnet werden:
1549 ad considendiim de munienda arce
1551 ohne Angabe
1553 ad insjndendiim arcis 2>^oimffnaada
1554 ad hispedionem arcis.
») V. Elthen an Hbg. 1550 März 12.
^ Der gemeinsame Tag kam damals nicht zustande; Hbg. schrieb am
10. Okt. an des Rats zu Lübeck Verordneten itzund zu Bergerdorp,
wegen wichtiger Sachen sei es verhindert, etliche Beschickung zu tun,
und bat, die Sachen etwas zu yerschieben.
^ Lüb. an Hbg. 1553 Sept. 13; Johann Rantzau an der Städte L. und H,
zu Bergerdorp verordnete 1553 Okt. 4 teilt mit, daß sein Diener durch
ehafte Not verhindert sei, der Zitation in seiner Rechtssache zu folgen.
Das Amt Bergedorf. 271
Jetzt war man auf dem Wege, eine neue regelmäßig
zusammentretende Behörde zu bilden, deren Befugnisse sich
bald erweitem mußten, da sie dem Bedürfnis entgegenkam.
Denn es setzte die Zeit ein, in der sich der Staat in die
Verhältnisse der Untertanen zu mischen begann, um sie
obrigkeitlich zu ordnen, während der mittelalterliche Staat
möglichst viel den einzelnen und den wirtschaftlichen Ver-
bänden, hier den Kirchspielen, Zünften und Gilden, über-
lassen hatte.
Bald diente die in der Bildung begriffene Behörde nicht
nur dem Interesse der Städte, sondern zog überhaupt die
Verhandlimg und Entscheidung der im Amt vorgefallenen
Gebrechen an sich. Damit erhielt sie Verwaltungsbefugnisse,
die bisher entweder der Amtmann oder das Plenum des Rats
ausgeübt hatten, die nun aber von selbst der neuen Behörde
zufielen. Die Visitation war, wenn auch nicht dem Namen,
so doch der Tat nach entstanden und entwickelte sich in
kurzer Zeit zu einer Behörde in festumgrenzten Foimen und
mit stets sich mehi-enden Befugnissen.
Die eigentliche Entstehungszeit der Visitationen ist in
die Jahre 1560 — 78 zu setzen. In dieser Zeit fand jährlich
eine Zusammenkunft meist um Michaelis statt, als deren
Aufgabe noch 1570 die Verrichtung des Amtsrechts bezeichnet
wird,^ ein Beweis, daß die Visitationen aus den regelmäßigen
Gerichtstagen hervorgegangen sind. Die erste Aufstellung
von Bergedorfer Beschwerdeartikeln, im ganzen neun Punkte,
stammt aus dem Jahre 1561.*) Eine ausführliche Nachricht,
überschrieben Gebreke to Bergerdorp, liegt über einen Visi-
tationstag vom 16. Oktober 1563 vor. Es ist ein Mittelding
zwischen Instruktion, Protokoll und Rezeß, bezeichnend für
die in der Bildung begriffene Institution.
») Wir wissen von Visitationstagen im Nov. 1561, (Okt. 1562), Okt. 1563,
(1564), JuU 1567, JuU 1568, (JuU 1569), Okt. 1571, Mich. 1572, (1573),
April 1574, Okt. 1574, Aug. 1575, (1576), Sept. 1577, Mich. 1578.
(Von den eingeklammerten sind keine eignen Akten erhalten.)
^ . . . 80 yharlichs zu Bergerdorff umh das amptrecht daselhsten zu
vorrichten, gehalten werden, Bericht des LÜhschen Gesandten in Spey
an Kaiser Maximilian 11. 1570 Aug. 5.
^ Von Lüb. an Hbg. am 7. Nov. 1561 übersandt.
272 Hans Kellinghusen,
Von den Zusammenkünften der Jahre 1567 und 1568
sind nur zwei Verträge erhalten, die das Verhältnis des Amt-
manns zu dem Stadtchen Bergedorf (1567) und zu den Vier-
landen (1568) in einigen Punkten regeln, namentlich aber
bestimmte vorgefallene Irrungen beilegen. Im Jahre 1571
endlich sehen wir die Hauptformen der Visitationen heraus-
gebildet: der Amtmann sowie die Lande stellen ihre Be-
schwerden auf, denen die Städte die ihrigen hinzufügen (die
letzteren machten früher allein den Inhalt der Gresandt-
Schäften aus). Am Schluß der Beratung wurde ein Rezeß
verfaßt, der im Original mit sechs Siegeln erhalten ist. Das
ist höchst wahrscheinlich der erste in der nunmehr üblich
gewordenen Form abgefaßte Rezeß, wozu die Verträge von
1567 und 1568 noch nicht zu rechnen sind, die andererseits,
wenn es damals schon einen Rezeß gegeben hätte, in diesen
aufgenommen wären. Und aus Hamburg haben wir 50 Jahre
später das ausdrückliche Zeugnis, daß dort die Rezesse von
1572 an vollständig, vorher aber keine vorhanden waren,^
Die Hamburger Visitationsakten sind 1842 verbrannt, in
Lübeck liegen zunächst nur die Rezesse von 1572 und 1578
vor, von da an ist die vollständige Reihe erhalten.
Im Jahre 1578 beschwerte sich Hamburg, daß die
Visitation (hier kommt zuerst der Name vor) in den Landen
wider alten Gebrauch jährlich geschähe, was nicht nötig
und den Leuten beschwerlich sei. Es wurde beschlossen,
sich künftig nur alle drei Jahre zu versammeln.*) Dabei
ist es bis 1620 geblieben. Die wichtigste Neubildung in der
inneren Geschichte des Amts war zur Vollendimg gebracht
und eine Behörde geschaffen, die für 300 Jahre die ausschlag-
gebende Bedeutung in der Verwaltung des Amts haben sollte.
Denn diese zogen die Visitationstage mehr und mehr an
sich. Dementsprechend bildeten sich auch die Formen der
Versammlungen aus.
Der eigentlichen Visitation ging eine Reihe von Vor-
handlungen voraus. Ein bis zwei Monate vorher über-
sandte der Amtmann an die regierende Stadt, von der er
*) Hbg. an Lüb. 1617 Nov. 3, 1618 Jan. 9.
^ Rezeß von 1578 § 5.
Das Amt Bergedorf. 273
eingesetzt war, oft auf deren Aufforderung die Akten der
rechtshängigen Sachen und seine Gravamina oder Beschwe-
rungsartikel, denen er die ihm von den Untertanen mitgeteilten
Beschwerden beifügte.*) Doch richteten diese, besonders
wenn sie sich über den Amtmann zu beklagen hatten, ihre
Supplikationen auch an die Städte selbst.*) Die Akten, die
schon vom Amtmann doppelt übersandt waren,") und alle
Beschwerungsartikel wurden dann von der regierenden Stadt
unter Hinzufügung der Vorlagen, die sie selbst machen wollte,
der anderen mitgeteilt und gleichzeitig ein Visitationstag
vorgeschlagen.*) In mehrfachen Korrespondenzen, in denen
die nicht regierende Stadt auch die ihr vorgekommenen
Beschwerden übermittelte, wurde dieser endgültig festgestellt.^)
Schließlich wurde im Rat jeder Stadt die Instruktion für die
Gesandten verfertigt, die, ursprünglich kurz gefaßt, sich haupt-
sächlich auf die Eatsvorlagen bezog, später zu allen Ver-
handlungspunkten Stellung nahm.^ Damit waren im 16. Jahr-
hundert die Vorhandlungen erledigt. In der Folgezeit pflegte
man zur Erleichterung der eigentlichen Verhandlungen sich
auch die Instruktionen zu übersenden, namentlich aber über
die Urteile der Appellationssachen Vereinbarungen zu treffen.^)
Die Visitation fand auch nach 1578 gewöhnlich um
Michaelis statt. Man reiste nicht gern später, da die Tage
*) Lüb. an v. Stiten, 1587 Aug. 27, bittet, faUs jenige Amtssachen vor-
handen, in denen zu deliberiren und konsultiren ist, sie zeitig zuzu-
fertigen. Grantzin an Lüb. 1599 Sept. 11; 1602 Sept. 7.
^ Suppl. Garslacks, Altengammes und Borchhorsts an Lüb. 1593
Aug. 24 und 28.
^ Hbg. an Lüb. 1602 Sept. 17; Brandt an Hbg. 1608 Juli 28; Pasche an
Lüb. 1611 Juü 18.
*) Hbg. an Lüb. 1593 Sept. 18 u. oft.
*) Lüb. an Hbg. 1577 Aug. 18 u. oft.
^) Die älteste lübsche Listruktion vom 26. Okt. 1571, fast aUe folgenden
Yorhanden. Hamburger L sind nicht erhalten.
'') Hbg. an Lüb. 1605 Aug. 27; Lüb. an Hbg. 1607 Okt. 31: entschuldigt
sich, das versprochene Konzept der Listruktion nicht übersandt zu
haben, hat die Hamburger mit Dank empfangen; Hbg. an Lüb. 1608
Sept. 16; 1611 Sept. 27: die regierende Stadt kommuniziert der anderen
in den Appellationssacheu ihre Meinung und fordert deren Besolution,
damit man sich desto leichter über die Urteile vergleichen könne.
274 Hans Kellinghusen,
kurz wuiden und das Einsetzen von Kälte und üngewitter
zu befürchten war.O Die Dauer der Visitationen, die ursprüng-
lich auf einen Tag festgesetzt war, erstreckte sich bald auf
mehrere, zuweilen beanspruchten die Verhandlungen gar zehn
Tilge.') Der alte Versammlungsraum war der Kirchensaal.*)
Wiederholt wurde man aber aus ihm durch die Kälte ver-
trieben; dann kam man wohl in den beiden einander gegen-
überliegenden Herbergen abwechselnd zusammen, die den
Gesandten als Quartiere dienten und davon die Namen
Lübsche und Hamburger Herberge erhielten.*) 1611 ver-
sammelte man sich zuerst wegen des rauhen und bösen
Wetters auf dem großen Saal des Hauses; seitdem wurde
dieser, weil er bequemer war, als Ort der Zusammenkunft
beliebt.^)
Für die Beteiligung des Rats an der Besendung gab es
noch keine feste Regel. Bei 16 unter 19 Visitationen war
Lübeck durch drei Ratsgesandte, bei den übrigen durch vier
vertreten. Die gewöhnliche Kombination (neunmal) war: ein
Bürgermeister, ein Syndikus und ein Ratsherr. Ein Bürger-
meister fehlte nur einmal (1608). Von 1593 bis 1608 war
teils an Stelle des Syndikus, teils mit ihm ein Sekretär
zugegen. Eine noch größere Mannigfaltigkeit zeigte Hamburg.
Es entsandte zu den 19 Visitationen zweimal zwei, neunmal
drei, siebenmal vier und eiiunal (1593) gar fünf Abgeordnete*
Auch hier fehlte nur einmal ein Bürgermeister, dreimal waren
zwei anwesend. Ein Sekretär nahm seit 1583 immer teil.
Seit 1605 entsandte man je einen Bürgermeister, Syndikus»
Ratsherrn und Sekretär.^)
Streit erhob sich 1605 über die Rangordnung der
Gesandten. Lübeck beanspruchte, auch wenn die Regierung
') Hbg. an Lüb. 1605 Sept. 27.
^ In den Jahren 1593 und 1605. Im Jahre 1607 fanden zwei außer^
ordentliche Zusammenkünfte statt, eine von zehn, die andere von
acht Tagen.
^ Erwähnt zuerst im Rezeß von 1577.
*) Prot. 1607 Nov.; heute Hotel Stadt Lübeck und Stadt Hamburg.
*) Rezesse von 1611 ff.
^ Die Angaben sind den Rezessen entnommen, die am Anfang die Namen
der Gesandten haben.
Das Amt Bergedorf. 27&
bei Hamburg war, das Direktorium und die Obersession. ^>
Letztere gestand Hamburg zu, im übrigen wandte es mit
Recht ein, daß die diredio ein pertinens administrationis^
sei; wie die Vorhandlungen der Visitation immer durch die
regierende Stadt geführt würden, der der Amtmann die
Beschwerden einzuliefern habe, so gebühre ihr auch das
Direktorium.*) Da eine Einigung nicht zu erzielen war, gab
Hamburg nach, daß Lübeck für diesmal dirigiere, die Sachen
proponiere und zuerst sein Votum abgäbe.*) Auf der folgenden
Visitation war der Zwist zugunsten Hamburgs, das seine alte
Berechtigung nachweisen konnte, beigelegt. Unklarheit war
dadurch entstanden, daß es 1593 und 1596 sein Recht an
Lübeck übertragen hatte, weil damals der Amtmann, der
selbst Hambui*ger Ratsherr war, wegen seiner schlechten
Verwaltung scharf zur Rede gestellt wurde.
Denn der Amtmann wurde zu den Beratungen der Visi-
tation außer als Berichterstatter nicht hinzugezogen. Darin
lag zum großen Teil gerade ihre Bedeutung, daß hier die
Untertanen unparteiisches Recht finden konnten, auch gegen
den Amtmann. Ein Schalten und Walten nach Laune und
Willkür, wie es oft aus fürstlichen Ämtern berichtet wird,
war in Bergedorf nicht möglich. Ein schlechter Amtmann^
wie Johan Schulte (1590 — 96), mußte als Angeklagter vor den
Visitatoren erscheinen und wurde von ihnen erbärmlich her-
untergemacht. Den Herzog Franz von Sachsen hatte er
Hoheitsrechte im Amt ausüben lassen. Da mußte er unter
vielen anderen folgende Worte hören: Statt die Hoheit dea
Amtes zu wahren, hätte er lieber in der warmen stieben sitzen
und apfel braten wollen, der haut gefürchtet und lieber gdd
unterdes vergaddern wollen. Einem Brudermörder hatte er
gegen eine hohe Geldsumme Geleit gegeben: ob er sich durch
den leidigen Oeizteufd soweit habe verführen lassen, daß er
Ehr und Eid vergessen habe? Dagegen hatte er versäumt^
die Königin von Dänemark gebührend durch das Amt zu
Lübsche Instr. 1605 Okt 26.
^ Lüb. Prot. 1605.
^ Rezeß von 1605 § 1.
276 Hans Kellin^husen,
geleiten. Darauf wurde ihm ein Ausspruch der hohen Frau
vorgehalten, die ihn für einen groben vheU und ttdpdl ge-
schidtm, so daß sie sich wundere, wie die Herren von Lübeck
einen solcJi unbescJiickten Mann dahier zum Hauptmann ver-
ordnet hätten. Er hatte nämlich die Zeit vei-schlafen, wodurch
die Königin über zwei Stunden vorm Tor warten mußte.
Schließlich teilte der Hamburger Bürgermeister noch mit, da£
Schultes Mutter von ihm schon in seinem zehnten Jahr ge-
sagt habe, er würde wegen seines Geizes ohne alle Zweifel
mit Leib und Seel zum Teufel fahren.') Diese kleinen
Anekdoten, die uns der lübsche Sekretär in seinem Protokoll
autl)ewahrt hat, charakterisieren die Stellung des Amtmanns
zur Visitation genügend. Doch muß gleich hinzugefugt werden,
daß Schulte eine umnihmliche Ausnahme unter den Amt-
männern bildet, die sonst durchweg ihre Pflicht taten. Von
seinem Vorgänger, dem Lübecker Franz von Stiten, rühmt
Hamburg zum Beispiel: er hat sich christlich und friedfertig
verhalten, vernünftig und ohne Schinderei hausgehalten, so
daß in der ganzen Zeit seiner Verwaltung nicht eine Klage
aus allen Vierlanden an uns gelangt ist.*)
Auf dem Visitationstag — die Verhandlungen begannen
um 8 Uhi- moi-gens, wurden durch das Frühstück (prandium),
auch Mittagsmahlzeit genannt, unterbrochen, und dauerten
dann von 2 Uhr wohl bis zum Einbruch der Dunkelheit •) —
wiu-den gewöhnlich zuerst die Appellationssachen vorge-
nommen.*) Dann folgte die Erörterung der Beschwerden in
der vorher vereinbarten Reihenfolge. Die einzelnen Artikel
wurden abgelesen, den Instruktionen gemäß ausführlich be-
raten und schließlich ziu* Abstimmung gebracht. Wurde dabei
eine Einigung nicht erzielt, oder ergab die Instniktion einer
Stadt wesentlich neue Gesichtspunkte, auf die die Gesandten
der anderen nicht vorbereitet waren, so wurden diese Artikel
vorläufig ad referendum angenommen. Manche Beschwerden
*) Prot, von 1593 von der Hand des lübschen Sekretärs Johan BrambacL
2) Hbg. an Lüb. 1588 Dez. 21.
^ P*rot. von 1593; einmal wird ausdrücklich erwähnt, daß der Beieft
bei Licht abgelesen sei.
*) Darüber Näheres im nächsten Abschnitt.
Das Amt Bergedorf. 277
erfordei-ten Besichtigungen an Ort und Stelle, zu denen ge-
wöhnlich ein oder mehrere Tage angesetzt wurden. Dann
nahmen die würdigen Herren auch auf dem Lande in der
Landvögte Häuser ihre Mahlzeiten ein*) und kamen so mit
den Untertanen direkt in Berührung, die auch sonst überall,
wo die Sache es ergab, selbst gehört wurden. Und wenn
man auch nicht auf all ihre Wünsche einging, ihr Recht
wurde ihnen immer zuteil. Dieser schon erwähnte Schutz
gegen Übergriffe des Amtmanns war freilich ein Vorzug nicht
nur der Visitationen, sondern im Grunde des Kondominiums
überhaupt: gegen Unrecht, das eine Stadt vielleicht zuge-
lassen hätte, fand man immer Hilfe bei der anderen.
So dienten die Visitationen einer gerechten Verwaltung
des Landes; doch lag darin schon eine Erweiteinmg ihrer
Befugnisse, indem sie nicht nur Rechtsbeugung verhinderten,
sondern selbst gesetzgeberisch hervortraten. Das setzte bei
kleinen Einzelfällen ein, die im Rezeß geordnet wurden ; bald
folgte etwas Neues, bisher Unbekanntes: Mandate, die zuerst
in das Gewohnheitsrecht eingriffen, vielfach freilich es nur
bestätigten oder besonders einschärften, allmählich sich auch
auf Sitten und Gebräuche ausdehnten. Indem die Visitationen
so in alle Gebiete des Lebens der Untertanen eingriffen,
bekamen sie für diese eine immer größere Bedeutung.
Daneben traten auch die alten Aufgaben der Gesandt-
schaften nicht zurück. Freilich andere als Amtsangelegen-
heiten kamen nur im Anfang, als die neue Einrichtung noch
nicht völlig ausgebildet war, noch zur Besprechung. Aber
Grenz- und andere Streitigkeiten mit den Nachbarn bildeten
noch immer einen wichtigen Teil der Verhandlungen. Dazu
kamen andere schon erwähnte Aufgaben, die im Interesse
der Städte lagen: Besichtigung von allerlei Bauten, die
gemacht oder gebessert werden sollten. Namentlich aber
fand auf den Visitationen die endgültige Abrechnung zwischen
beiden Städten über die füreinander ausgelegten Gelder
statt, soweit die Ausgaben gemeinsam waren.*) Auch hier-
Prot, von 1593.
^ Vergl. den Abschnitt*: Amtshaushalt.
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesoh. XIII. ^^
278 Hans Kellinghusen,
Über nahmen die Beratungen, besonders wenn zweifelhaft
war, was als gemeinsame Ausgabe anzusehen sei, manchmal
mehrere Tage in Anspruch.
Ausführliche Protokolle sind uns nur von lübischer
Seite aus den Jahren 1593, 1605 und 1607 erhalten. Sie
sind von dem lübischen Sekretär während der Verhandlungen
aufgenommen. Den Charakter nachträglicher Berichte haben
die Hamburger Relationen aus den Jahren 1590 und 1614.')
Im übrigen sind kurze Notizen zur Vorbereitung des Rezesses
im Lübecker Archive zahlreich vorhanden.
Der Rezeß wurde, wie es das Natürliche war, in älterer
Zeit wirklich als Abschied angesehen; daher faßte er die
Beschlüsse, wie sie im Augenblick des Auseinandergehens
vorlagen, zusammen. Doch sollte in ihm vorgesehen werden,
daß beide Städte ihn in genannter Zeit — meist waren es
14 Tage — konfirmierten und ratifizierten.*) Auch trat man
baldmöglichst in eine Erörterung der ad referendum an-
genommenen Punkte ein, die dann spätestens im nächsten
Rezeß ihre Regelung erhielten.^ Sonst wurde im vollen Rat
darüber beschlossen.*) Es wurden aber gar nicht alle zur
Verhandlung gestandenen Artikel in den Rezeß aufgenommen.
1583 proponierte Hamburg mehrere Artikel, deren Erledigung
von Lübeck in 14 Tagen versprochen wurde, weiteres wurde
im Rezeß nicht vermerkt. Das hängt wohl damit zusammen,
daß die Redaktion des Rezesses in der Lübecker Kanzlei
erfolgte, während Hamburg an seiner Abfassung zunächst
unbeteiligt war.**) Noch 1587 bat Hamburg um ein schrift-
liches Verzeichnis einiger verglichener Punkte, über die seine
Gesandten nur mündlich berichtet hätten.®) Man wundert
sich darüber, zumal wenn man weiß, daß ein Hamburger
Sekretär der Verhandlung beiwohnte.
Klefeker S. 346 ff., 352 ff.
^ Lübsche Instr. 1.572 Sept. 27; Rezesse von 1583 u. 1587.
^ Lüb. an Hbg. 1571 Nov. 9; der Rezeß von 1572 bestimmt über die
1571 ad referendum angenommenen Pmikte.
*) Prot, von 1577.
*) Rezeß von 1584.
•) Hbg. an Lüb. 1587 Okt. 18.
Das Amt Bergedorf. 279
Genauer sind wir über die Entstehung des Eezesses in
späterer Zeit unterrichtet. Er wurde von dem Sekretär der
regierenden Stadt verfaßt, am Schlüsse der Versammlungen
abgelesen und von den Gesandten approbiert.^) Dann wurde
zwischen den Städten über seine Annahme korrespondiert,
doch nahm man keine wesentlichen Änderungen mehr vor,
höchstens daß Hamburg am Wortlaut etwas auszusetzen
hatte.*) Gleichzeitig wechselte man die Erklärungen auf die
ad referendum angenommenen Artikel, die aber auf die
Fassung des Eezesses keinen Einfluß hatten. Die Reinschrift
des Rezesses, die stets in der Lübecker Kanzlei erfolgte,
wurde von hier in zwei oder drei Exemplaren nach Hamburg
zur Unterschrift und UnterSiegelung durch die Ratsmitglieder,
die an der Visitation teilgenommen hatten, gesandt.') Damit
war er in Hamburg vollzogen; er wurde zurückgesandt und
in Lübeck gleichfalls unterschrieben und untersiegelt.*) Ein
Exemplar des nunmehr rechtskräftigen Rezesses erhielt Ham-
biu-g, das zweite blieb in Lübeck, ein drittes oder auch eine
Kopie wurde dem Amtmann zur Publizierung im Amt mit-
geteilt. Das geschah mit dem Befehl an die Untertanen,
sich hinfort danach zu richten.*) Über alles das ging
meistens ein Jahr und mehr hin.®) Schon 1596 wurde ange-
ordnet, daß in Bergedorf ein Buch zur Aufnahme aller vor-
handenen und künftigen Rezesse angelegt werden solle. Aber
wie so mancher Befehl der Behörden, der eine Vermehrung
der schriftlichen Aufzeichnung bezweckte, blieb auch dieser
zunächst auf dem Papier stehen. 1617 wurde er erneuert,
und mit besserem Erfolg. Die noch jetzt erhaltenen Bücher
enthalten die Rezesse von 1602 ab vollständig. "0
Da sich hier wie in anderen Dingen herausstellte, daß
den Beschlüssen der Rezesse nicht immer nachgelebt wurde,
Prot von 1593, 1605.
^ Hbg. an Lüb. 1601 Febr. 18.
*) Hbg. an Lüb. 1594 Jan. 12.
*) Hbg. an Lüb. 1609 Aug. 27.
*) Hbg. an Lüb. 1603 Juli 4, Lüb. an Pasche 1609 Nov. 1.
^) Der Rezeß von 1608 wurde erst im Nov. 1609 zur Publikation ins
Amt gesandt, Lüb. an Pasche 1609 Nov. 1, Antw. Nov. 22.
") Hbg.: Archiv des Amtes Bergedorf Pars I 3.
19*
280 Hans Kellinghaseu,
geschah 1611 die Bestimmung, die bei der folgenden Visitatioii
zuerst in Kraft trat, daß künftig mit der Verlesung des
jüngsten Rezesses der Anfang gemacht werden solle, damit
man sich überzeugen könne, ob er auch ausgeführt sei.
So wirkten viele Anordnungen, die an sich oft unbe-
deutend waren, zusammen, um die Visitationen zu einer immer
fester mit dem Amt verbundenen Einrichtung zu machen.
Die Macht des Amtmanns wurde durch sie stark herab-
gemindert; ihre höchste Bedeutung erlangten sie aber erst in
der folgenden Periode, als die eigentliche Eegierung des Amts
auf sie überging.
IIL Die Verwaltung.
1. Obrigkeit und Untertanen.
Was Georg Hanssen von Schleswig-Holstein sagt^*) gilt
ebenso für das Amt Bergedorf: es war entsprechend dwa
Volkscharakter seiner Bewohner und der Art und Weise, wie
es regiert wiu*de, das Land des Herkonmiens und der Gewohn-
heiten in den bürgerlichen wie in den öffentlichen Angelegen*
heiten geblieben.
Die Amtseingesessenen waren sämtlich persönlich und
dinglich frei, der Obrigkeit gegenüber war keiner bevorzugt
und keiner benachteiligt, es gab keine mittelbaren Staats-
untertanen. Das war für die Gestaltung der Verwaltung
wesentlich. Denn auf der Beteiligung der Untertanen war
die ganze Verwaltung aufgebaut. Daher waren die Steuern
entsprechend dem Bedarf ganz gering; erst als gegen Ende
der Periode die staatlichen Aufgaben und Ausgaben wuchsen,.
schritt man zu den ersten wirklichen Steuern. Durch pei-sönliche
Dienste der Gesamtheit, nicht arbeitsteilig durch vom Staate
bezahlte Beamten und Arbeiter, wurde der größte Teil der
öffentlichen Aufgaben ausgeführt, bis ins 17. Jahrhundert lagen
so Gerichtswesen und die meisten Verwaltungszweige in den
Händen des Volkes unter Aufsicht des Amtmanns, der Staat
über die seit 1574 mit den Visitatiouen verbundenen geistlichen VLnta-
tiouen vergl. den Abschnitt: Kirche und Schule.
*) Agrarhist. Abb. U, S. 536.
Das Amt Bergedorf. ' 281
griff nur ein, wo die genossenschaftliche Ordnung versagte.
Die allmähliche Übernahme der Verwaltung durch den Staat
äußert sich in der amtsweisen Bestellung der Amtmänner,
der Vermehrung der Beamten und ihrer Befugnisse und in
der Entstehung regelmäßiger Visitationen. Doch geschah sie
hauptsächlich in der Weise, daß der Staat nunmehr obrig-
keitlich das anordnete, was vorher von selbst geschehen war.
Das alte Herkommen blieb dabei unangetastet.
Da also dieTätigkeitder Amtseingesessenen von dergrößten
Bedeutung für die gesamte Verwaltung war, ist es sehr wichtig
festzustellen, wie ihre Stellung der Obrigkeit gegenüber war.
Persönliche oder dingliche Abhängigkeitsverhältnisse der
Untertanen von der Herrschaft gab es nicht, das einzige
Band zwischen ihnen war der allgemeine Eid, der den Unter-
tanen von Zeit zu Zeit abgenommen wurde.^) Im 15. Jahr-
hundert versprachen sie darin, den Räten zu Lübeck und
Hamburg und ihren Hauptleuten, die sie zu Bergedorf oder
Ripenburg setzen würden, treu, hold und gehorsam zu sein
imd ihr Bestes zu betreiben. Und wenn sie etwas erführen,
das gegen die Städte und ihre Schlösser gerichtet sei, es
treulich der Herrschaft zu melden, dazu ihnen Gott und seine
Heiligen helfen möchten.*) Großer Wert wurde aber anscheinend
auf die Ableistung des Eides nicht gelegt, denn 1593 erfahren
wir, daß den Untersassen von den Städten seit vielen Jahren
kein Eid vorgehalten sei und daß nun täglich alte Leute
abstürben und Junge zuwüchsen, die von keiner Eidesleistung
wüßten und daher dem Hause Bergedorf keine Dienste leisten
wollten.^ Doch kam es auch jetzt zu keiner allgemeinen
Vereidigung, sondern nur der Bergedorfer Rat und die Haupt-
leute in den Vierlanden als Vertreter der Eingesessenen wurden
am 23. Oktober 1593 von den Visitatoren in die gewonigliche
Eidesleistung genommen.*) Erst 1598 wurde dem Amtmann
So lautete ein Punkt der den lübschen Gesandten 1467 mitgegebenen
Instruktion: item dat de undersaten eede dan, de der noch nicht hebben
gedaen,
^ Gedr. Voigt, M, V. H. G. m 2, S. 127.
^) Gravamina des Amtmanns Schulte 1593 Aug. 23.
*) Vis.-Prot
282 Hans Kellinghusen,
befohlen, auch die einzehien Einwohner Bergedorfe, die bisher
nur dem Eat ihren Bürgereid geleistet hatten, für beide Städte
in Eid zu nehmen. Und 1602 wurde auch die Vereidigung
der Geesthachter, die man derzeit vergessen zu haben scheint^
nachgeholt. Gleichzeitig wurde dem Hauptmann auferlegt,
künftig alle Neubürger (die sich ins Land Befreienden) zu
vereidigen.*) Eine Erweiterung des Eides wurde nach dem
Vorschlag des Rezesses von 1608 im Jahre 1611 formuliert
An das allgemeine Versprechen von Treue und Grehorsam
schloß sich seitdem das sehr reale Gelöbnis, Schoß, Bierakzise
und Türkensteuer nach Anordnung beider Städte zu bezahlen,
auch wurde, um endlich Ordnung in die Eidesleistung zu
bringen, für den einzelnen ein bestimmter Termin, nämlich
die Zeit der Begründung eines eigenen Hausstandes durch
die Verheiratung, bestimmt.*) Den neuen Eid nahm der Amt-
mann von den einzelnen Untertanen entgegen. Wir wissen,
daß er zu diesem Zweck die Altengammer am 17., die Curs-
lacker am 18. Juli 1612 vor sich beschied, daß aber die
Eingesessenen, die Land unter fremder Herrschaft hatten,
die Eidesleistung verweigerten.*) Auch Neuzugekommene
wurden seitdem sofort in Eid genommen.^)
Der Eid, namentlich in seiner älteren aUgemein gehaltenen
Form und in der ungeregelten Abforderung begründete also
kein starkes AbhängigkeitÄverhältnis der Untertanen von der
Obrigkeit.
Im Gegenteil, aUe Leistungen der Untertanen beruhten
auf altem festen Herkommen, an dem zu rütteln dem Ajnt-
mann ausdrücklich verboten war. Er mußte in seiner Be-
stallung versprechen, die alte Freiheit und Gerechtigkeit der
Eingesessenen vor Neuenmgen zu schützen.^ Und nicht
genug damit, im ersten Landgericht, das er im Amte abhielt,
wurde ihm von den Landleuten selbst, ehe sie ein Urteil
Grantzin an Lüb. 1598 Juni 14.
^ Rezeß von 1602.
^ Rezeß von 1608 § 8; Hbg. an Lüb. 1610 März 16, 1611 April 19.
*) Lüb. an Hbg. 1611 Dez. 24. Pasche an Lüb. 1612 Juli 23.
•) Rezeß von 1617, Aussage des Amtsschreibers.
•) Vergl. S. 231 f. Noch im Vertrage von 1608 § 6. KLEFEKER S. 37a
Das Amt Berg;edorf. 283
•
sprachen, die Frage vorgelegt, ob er sie bei ihrer Freiheit
und altem Gebrauche lassen wollte, worauf er sich mit Ja
erklären mußte. Schon dieser kleine Vorgang ist bezeichnend
für das Selbstbewußtsein der Amtseingesessenen.
Jede auf dem Herkommen beruhende Pflicht stand fest und
wurde von den Untertanen ohne Widerspruch geleistet. Dagegen
neue regelmäßige oder außerordentliche Leistungen konnten auch
die Städte nur mit Einwilligung der Amtseingesessenen aufer-
legen. Daran hielt man unverbrüchlich fest, mochte auch die
Einwilligung in vielem allmählich zu einer Form herabsinken.
Ein sehr bezeichnendes Beispiel ist es, wie 1443 der
Vertrag über den Bau des Schleusengrabens abgeschlossen
wurde. Am 1. Juli 1443 traten auf dem Kirchhof zu Berge-
dorf sechs Ratsgesandte der beiden Städte, darunter drei
Bürgermeister mit den Eingesessenen der Lande Billwärder,
Curslack, Altengamme und Achterschlag zusammen. Doch
erscheinen diese nicht als Untertanen, denen der Staat seinen
Willen auferlegt, sondern mit den Vertretern der Lande wird
gehandelt, geschlossen und beliebt, und zur Bestätigung des
geschlossenen Vertrages hängen acht Bauern an die Urkunde
neben den Siegeln der Städte ihre eigenen an.*) Es sind
zwei vertragschließende Parteien, die sich gegenüberstehen,
wenigstens in der Fiktion, denn tatsächlich konnte die stärkere
Partei der schwächeren doch wohl ihren Willen auflegen.
Aber die Fiktion wurde auch in der Folgezeit gewahrt.
In wichtigeren Angelegenheiten unterhandelten die Städte
selbst mit den Vertretern der Lande, sonst war es, wie 1 609
berichtet wird, seit undenklichen Jahren Brauch, wenn vo7i
beiden Städten dem Hauptmann ein BefeJd zugeschrieben tvird,
ihn zu verrichten und den Landleuten anzumelden, daß je und
alleivege die Vögte und Hauptteute hierher ins Pforthaxis vor-
bescJiieden, die es dann den andern Landleuten wieder ange-
zeigt und eine Antwort und Erklärung darauf hernach ein-
gebracht habend)
*) Amtsprotokoll 1602, S. 142; Bericht der großen Erbe in Neuenganune
an Lüb. 1613 März 6.
^ Lüb. U. B. Vn, S. 298.
^ Pasche an Lüb. 1609 Dez. 5.
284 Hans Kellinghusen,
•
Verhandlungen von Ratsgesandten mit den Untertanen
erfolgten, wenn es sich um Erhebung einer KontributioiL,^)
Einführung neuer regelmäßiger Steuern, um Erlangung von
Einquartierungsleistungen handelte (s. u.). Am bezeichnendsten
aber sind die lange beibehaltenen Beden (Bitten) der Herr-
schaft an die Eingesessenen, zumeist in außerordentlichen
Fällen. Als 1571 der Ripenburger Amtsacker infolge eines
Deicheinbruches mit Sand überschwemmt war, schlug der
Amtmann vor und die Städte gingen darauf ein, nach alter
Gewohnheit eine Bitte an die Vierlande zu tun, den Sand
wieder abzubringen.*) Ebenso wurde die Hilfe der Landleute
in der Hofwirtschaft der Amtmänner während der Saat- und
Erntezeit bis zum Jahre 1596 als eine freiwillige, auf Bitte
des Amtmanns beruhende Last angesehen, die die Leute gern
geleistet hätten; erst als sie sich weigerten, dem Amtmann
Schulte Dienste zu leisten, wurde sie ihnen als Pflicht auf-
erlegt.*) Aber noch 1602, als sich die Ausbesserung des den
Städten gehörenden Kraueldeichs als nötig erwies, konnten
sich die Landleute weigern, die ihnen auferlegte Arbeit zu
leisten, ebenfalls mit der Begründung, ihre Hilfe sei bisher
nur zur Bitte geschehen. Sie forderten den Amtmann auf,
nf der Riege herumzuschicken und bitten zu lassen. Und auf
Befehl der Städte wurde der Hausvogt vom Amtmann von
Haus zu Haus geschickt. Erst dann leisteten die Landleute
die in erster Linie dem Schutz ihres Landes dienende Arbeit
Aber noch wiederholt mußte der Amtmann bitten, daß die
Arbeit vollendet werden möchte.*)
Man versteht die klagenden Worte des Amtmanns Schulte,
die Leute, großer Freiheit gewohnt, glaubten, zu nichts ver-
pflichtet zu sein, sondern meinten, daß alles eine Bitte sei,
die sie zu verweigern Macht hätten. Beim Antritt der Amt-
leute würden sie nicht an diese verwiesen und ihnen nicht
besonders befohlen, denen Gehorsam zu leisten. Daher hätten
die Amtleute ihnen nichts zu gebieten, sondern lebten allein
*) Kämmereirechnungen VII, S. 209.
*) Rezeß von 1571 § 10; Lüb. au Hb§r. 1571 Nov. 5.
^ Grim an Grantzin 1596 Aug. 10; Rezeß § 11.
*) Brandt an Hbg. 1602 Okt. 19, Nov. 16.
Das Amt Bergedorf. 285
von ihrer Gnade. Es müßte den Untertanen ihre Pflicht
einmal erneuert werden. In vorfallenden Sachen müßten sie
an ihre Amtleute verwiesen werden, sonst sei hier ein Amt
überhaupt nicht vonnöten.O Doch war das übertrieben;
dem Amtmann war es freilich unbequem, daß seiner Willkür
feste Schranken gezogen waren.
Aber ebenso war es den Untertanen verboten, ihre
Freiheiten zu mißbrauchen. Nach dem Vertrage der Vier-
lande mit dem Amtmann von 1568 sollten sie sich aller zu
Recht verbotenen Rottierungen und Konventikeln enthalten,
doch war ihnen unbenommen, ehrliche, christliche und ge-
wöhnliche Zusammenkünfte zu halten.*) Und als die Unter-
tanen sich 1571 beschwerten, daß sie bei Strafe von 100 Talern
keine Zusammenkunft oder Dingstede mehr halten dürften,
außer wenn sie sich über Deichen und Dämmen zu bereden
hätten, wurden sie von den Gesandten auf diesen Vertrag
gewiesen, dessen Freiheiten genügend seien.*)
Aber trotz aller Freiheit — leicht war die Stellung
der Untertanen gewiß nicht. Das Korrelat der Freiheit war
schwere Arbeit für das Gemeinwesen. Freilich Herren- und
Hofdienste waren viel geringer als anderswo, aber schwer
waren alle die dem Lande zu leistenden Dienste, besonders
die, welche mit dem Deichwesen in Zusammenhang standen.
Wie im einzelnen die Verwaltung auf der Mitarbeit der
Untertanen begründet war, das werden die folgenden Ab-
schnitte zeigen.
2. Gericht und Recht.
Die Besiedeier der Vierlande hatten nicht wie in anderen
Marschländern eigene Gerichtsbarkeit erlangt, sondern zu den
Rechten, die dem Landesherm geblieben waren, gehörte auch
die Gerichtshoheit.*) Doch betrachteten die Herzöge von
Sachsen-Lauenburg diese im Geiste ihrer Zeit nicht als Hoheits-
recht, durch das die Justiz im Lande gewahrt werden sollte.
') Grayamina des Amtmanns 1593 Aug. 23.
^ Vertrag 1568 Juli 22 § 9.
^ Rezeß Ton 1571, Beschwerden der Untertanen § 5.
*) Hasse I, 338. Verpflichtung, zum echten Ding zu kommen.
286 Hans Kellinghusen,
sondern als nutzbares Becht, aus dem Geld zu gewinnen war.
Infolgedessen trugen sie kein Bedenken, sie mit anderen
Bechten aus ihren Händen zu geben, durch Verkauf, Schenkung,
Verpfändung oder als Lehen. Schon 1228 verlieh Herzog
Albrecht I. der Domkirche in Hamburg Immunität über ihre
Güter in den Vierlanden; als die Domherren davon 1310
ihre Hufe in Kirchwärder zu Erbzinsrecht verkauften, behielten
sie sich hohes und niederes Gericht vor, sahen sich aber
aus Not schon 1326 gezwungen, auch dieses an das Kloster
Lüne für 24 ^ zu verkaufen, von dem die Gerichtshoheit
mit den übrigen klösterlichen Gütern in den Vierlanden 1329
an das Kloster Schamebeck gelangte,^) ein Beispiel, wie die
öffentlichen Bechte im Mittelalter privatrechtlich behandelt
wurden. Auch Schamebeck kaufte 1325 vom Herzog für
seine Güter in Kirchwärder Freiheit von hohem und niederem
Gericht binnen und außen Deiches und über den Deich auf
gemeiner Straße,*) ebenso waren die Klöster Lüne und Bein-
feld, wahrscheinlich auch Beinbek im Besitz des hohen und
niederen Gerichts.^ Auch weltliche Grundherren besaßen
die Gerichtshoheit: die von dem Berge über ihren Hof in
Altengamme zu Eigentum,*) die Schack über alle Außendeichs-
katen in Neuengamme zu Lehen,*) der Marschall Vicke von
Hitzacker über seinen Hof in Kirchwärder zu Pfandbesitz.*)
Die Städte sahen in dem Gericht ein Hoheitsrecht:
Verpfändungen und Verleihungen des Gerichts kamen unter
ihnen nicht vor. Aber die von ihren Vorgängern weg-
gegebenen Bechte mußten auch sie anerkennen. Die an sich
') Hasse I, 459, m, 221, 605, 673.
') Hasse m, 549 : libertatem omnimodam maioris et minaria iudicii ei
omnium coherentium infra et extra aggerem et super aggerem in
communi strata,
3) Lüne: HASSE HI, 587, 598. Reinfeld: HASSE II, 855, IH, 507. Rein-
bek: v. Westphalen (Mon. ined. IV, 3423) verzeichnet unter den
Urkunden des Klosters : lii39 proprietas et libertas perpetua antiquae
Gammae et Kurslacke. Bisher nicht gedruckt.
*) V. Westphalen n, 2294.
*) Sudendorf rx, 131, 12.
•) SUDENDORF IX, 131, 9. Über den Pfandbesitz der von Hitzacker am
Amt Ripenburg vergl, M. V. H. G. IX, S. 269.
Das Amt Bergedorf. 287
einfache Eechtslage wurde schon insofern verwickelt, als
nicht aller Besitz der Grundherrn gefreit war,^) besonders
aber dadurch, daß das grundherrliche Land vielfach, nament-
lich in Altengamme und Curslack, Streubesitz war, der mit
städtischem Land in einer Hufe verbunden von den Bauern
besessen wurde.*) Man kann ihnen nun nicht verdenken,
daß sie jeweils den ihren Herrn nannten, der ihnen am
bequemsten war. Zwar nahmen sie den Schutz der Städte
gern hin, aber allen von ihnen auferlegten Lasten suchten
sie sich möglichst zu entziehen und fanden dabei wieder
den Schutz ihrer anderen Herren. Es waren unhaltbare
Zustände.
Tatsächlich übten die Städte doch in den meisten Fällen
das Gericht über diese Leute aus. Denn sie hatten die Macht.
Bezeichnend ist, wie der Amtmann Kerkring die Eeinfelder
Bauern zwang, seiner Jurisdiktion zu gehorchen. Er verbot
ihnen Kirchen, Mühlen, Wege und Stege, bis sie ihm zu
Willen waren.*) So mag es auch im allgemeinen richtig
sein, wenn Johann Moller 1568 behauptete, daß zu seiner
Vorfahren Zeit die Leute der Herren und Prälaten in den
Vierlanden immer vor das Gericht zu Bergedorf gegangen
seien und da ihr Eecht hätten suchen müssen.*) Aber die
weltlichen Herren, die den geistlichen nach der Reformation
folgten, hatten andere Repressionsmittel in der Hand,
um ihre verbrieften Rechte durchzusetzen. Jahrzehntelang
schlugen sich die Städte mit ihnen herum, die Prozesse am
Reichskammergericht häuften sich, schließlich, als beide Par-
teien des Haders müde geworden waren, griffen die Städte
zu dem alten Mittel, durch das sie einst zu ihrer Macht
emporgestiegen waren: sie kauften den geldbedürftigen
Fürsten ihre Rechte ab. Doch das geschah erst seit der
*) Das Kloster Schamebek hatte 1408 vier landpflichtige Morgen Landes,
vergl. oben S. 202.
^ Von einer Hufe in Curslack (Grundbuch foL 2) gehörten z. B. 23 Morgen
den Städten, 12 Morgen Ratzeburg und 8 Morgen dem Kloster Reinbek.
^ Bericht von fünf Bauern an Grantzin 1601 Okt. 13.
*) Johann MoUer an den bischöflichen Hauptmann Matthias Chuis zu
Schönberg 1568 Febr. 9.
"288 Hans Kellinghusen,
Mitte des 17. Jahrhunderts und hat uns hier nicht zu be-
schäftigen.
Der grundhen-liche eximierte Besitz machte nur einen
kleinen Teil des Amtes aus, in der Hauptsache unterstanden
seine Bewohner den ordentlichen Gerichten, über deren
Tätigkeit freilich aus herzoglicher Zeit nur wenige Nach-
richten erhalten sind. Die Kolonisation der Vierlande fallt
in eine Zeit der Umbildung der deutschen Gerichtsyerfassung.
Bisher war das Landgericht, das echte Ding, ihre Grundlage
gewesen, das dreimal im Jahr unter dem Vorsitz des Grafen
abgehalten wurde. In der nordalbingischen Sachsenmark
übte der Landesherr als Markgraf selbst die gräflichen Rechte
aus. Zum Landgericht mußten alle mündigen Freien der
Grafschaft kommen, daher wurde diese Pflicht auch den
Bewohnern der Hufen in Kirchwärder auferlegt, die Graf
Albrecht 1217 an das Bistum Verden schenkte, w&hrend
sie zu den gebotenen Dingen nur pro mis excessihus, d, L
wenn sie selbst beklagt waren, zu erscheinen brauchten.*)
Seitdem wird das Landgericht im Gebiet des späteren Amts
Bergedorf nicht mehr erwähnt. Wo es abgehalten wurde,
ist nicht bekannt.
Seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts lösten sich mit der
Grafschaftsverfassung auch die Landgerichte auf. Sie hatten
die hohe Gerichtsbarkeit hauptsächlich über Leib und Leben
und über Erbe und p]igen ausgeübt, während die unter ihnen
stehenden Niedergerichte, deren es regelmäßig mehrere in einer
Grafschaft gab, nur für Klagen um Schuld und um Fahrhabe
zuständig waren.') Nun aber begannen die Gerichte sich
nicht mehr nach Sachen, sondern nach Personen zu scheiden.
Die Landgerichte, die bald an den Hof der Territorialfürsten
gezogen wurden, blieben dem Adel vorbehalten, die Nieder-
gerichte erhielten den Blutbann und damit volle Gerichts-
barkeit über die ganze übrige Bevölkerung. Da im Gebiet
des Amts Bergedorf die adeligen und geistlichen GrundherreD
») Schröder, RG* S. 572.
^ Hasse I, 338: ad sollempnia placita ter in anno veniant, non d
alia venturi nisi pro suis excessibua,
^ Schröder, RG* S. 614 ff.
Das Amt Bergedorf. 28&
für ihr wohl meist von Bauern bewirtschaftetes Land Gerichts-^
exemtionen erhielten und die übrigen Amtseingesessenen ihren
Gerichtsstand vor den Niedergerichten hatten, verior hier das
Landgericht, das an den herzoglichen Hof zu Lauenburg^
überging,') seine Bedeutung; ob es in herzoglicher Zeit Be-
rufungsinstanz für die Niedergerichte war, wissen wir nicht.
Der Niedergerichtsbezirk war im nordalbingischen Sachsen
das Kirchspiel,*) für das Gebiet des Amts Bergedorf ist es
nachweisbar in einer Urkunde aus dem Jahre ISOB.*) Nach«
dem aber auf die Kirchspielsgerichte als Erben der alten
Landgerichte die volle Gerichtsbarkeit übergegangen war,,
bildeten sich hier nicht neue üntergerichte für geringere
Sachen, das war auch bei der Kleinheit der Gerichtssprengel,,
in den Vierlanden wenigstens, nicht möglich. Es gab daher
für die Kirchspielseingesessenen nur ein Gericht erster Instanz,,
das für alle ihi-e rechtlichen Angelegenheiten zuständig war.
Im Bereich des späteren Amts Bergedorf gab es sechs
Pfarrkirchen: zu Bergedorf, Ciu^lack, Altengamme, Neuen-^
gamme, Kirchwärder und Geesthacht, ebensogroß war also
auch die Zahl der Gerichtsbezirke. Bei der Eroberung des
Amts durch die Städte verblieben aber die zu Bergedorf und
Geesthacht eingepfarrten Dörfer außer den beiden Kirchorten
selbst beim Herzogtum Lauenburg; die kirchliche Zugehörigkeit
dieser Dörfer blieb zwar bis 1598 bestehen,*) aber die Ge-
richtsgewalt, das wichtigste Hoheitsrecht über sie, gaben die
Herzöge natüi-lich nicht aus den Händen. Für Bergedorf, daa
schon 1275 durch die Verleihung städtischen Rechts aus dem
ländlichen Gerichtsverband ausgeschieden war, machte das
nichts aus, der Geesthachter Gerichtsbezirk jedoch, nunmehr
auf ein kleines Dorf beschränkt, blieb zwar bestehen, ver-
kümmerte aber: im 16. Jahrhundert wurde nur alle sechs Jahre
^) Der Herzog entschied nach dem Gutachten seiner Bäte, erst 1578'
wurde ein besonderes Hofgericht eingeführt; V. DUVE, Staatsgesch.
Lauenburgs, S. 464.
^ Schröder, Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels (ZRG 18, S. 67).
Vergl. V. Seestern-PaüLI, Neumünstersche Kirchspielsgebräuche 182^
') Hasse m, 114.
^) Voigt, M. V. H. G. m 3, S. 22 ff.
290 Hans Eellinghusen,
dort Gericht gehalten (s. u.). Die übrigen vier Gerichtsbezirke
bestanden bis 1620 unverändert fort; sie hießen im 16. Jahr-
hundert Landgerichte, vielleicht in Anklang an die alten
Gaugerichte, oder es benihte der Name auf derselben Um-
bildung, die aus den vier Kirchspielen (seit etwa 1500) die
Vierlande machte. Doch hatten die beiden kleinsten Lande
ein gemeinsames Landgericht, das abwechselnd in Curslack
und Altengamme gehalten wurde. Es gab also im 16. Jahr-
hundert im Amt Bergedorf folgende Gerichte:
1. das Stadtgericht in Bergedorf,
2. das gemeinsame Landgericht von Curslack und AI tengamme,
3. das Landgericht in Neuengamme,
4. das Landgericht in Kirchwärder,
5. das Landgericht in Geesthacht.
Bei der Besetzung der Gerichte schied das deutsche Recht
Gerichtsverwaltung und Urteilsfindung. Zu den gericht-
lichen Verwaltungsbeamten gehörte in erster Linie der Vorstand
des Gerichts. Das war im holsteinischen Kirchspielsgerichte
der Schulze (praefecttis, scidtetus), den wir auch in zwei Ur-
kunden der Vierlande aus den Jahren 1237 und 1306 vor-
finden.*) Ohne Zweifel ist es derselbe Beamte, der seit dem
15. Jahrhundert unter dem Namen Vogt oder Landvogt, von
den Kirchspielsleuten selbst erkoren, an der Spitze des Kirch-
spiels stand. '^) An seine Stelle trat in Bergedorf, als es
1275 mit dem Stadtrecht bewidmet wurde, der Rat, der auch
in die gerichtlichen Befugnisse des Schulzen folgte. Doch
ist fraglich, ob er diese noch selbständig ausgeübt hat. Denn
als die Kirchspielsgerichte die volle Gerichtsbarkeit über
die ganze nicht eximierte Bevölkerung erhielten, mußte es
das Bestreben der Landesherren sein, auf sie veenigstens
durch ihre Beamten den Einfluß zu gewinnen, den sie früher
Klefeker S. 357: Vom Rechthalten zur Zeit der Amtmäimer.
^ Hasse I, 553; in, 114. Man könnte hei der ersten Urkunde, einer
Auflassung von Grundbesitz in Altengamme, schahinis pre9efUibu$ ei
prefecto, auch noch an eine Handlung vorm Landgerichte denko.
Vergl. Schröder, Ostfälischer Schultheiß und holsteinischer Oyeii>ode
(ZRG 20).
3) Vergl. S.264f.
Du Amt Ber^edort
291
^
im Grafengericht ausgeübt hatten. Dem Schulzen trat daher
der herrschaftliche Vo^ an die Seite und bald ilbemahm
dieser die eigentliche Leitung des Gerichts, dem andern zwar
die formelle Leitung, in Wahrheit aber nur eine untergeordnete
Tätigkeit belassend. Bereits 1.334 wird der Vogt als der
Inhaber der Gerichtsgewalt bezeichnet. M Einen besonderen
Büttel oder Frohnhoten hat es wenigstens in späterer Zeit
nicht gegeben* Seine Aufgaben, auf die noch zurückzukommen
sein wird, besorgte damals der Landvogt.
Weit länger als die Gerichtsverwaltung blieb die Urteils-
findung ganz in den Händen des Volks. Im 14. Jahrhundert
dingte der Richter mit Schöffen^ die übrigen Kiixhspiels-
eingesessenen büdeten den Umstand. 1306 gehörten in Curs-
lack ziir ordentlichen Gerichtsbe*setzung Vogt, Schulze, Schöffen
und Kirchspielsleute.*) Im 16, Jahrhundert wurde das Urteil
von allen Landleuten gefunden und von einem Uiteilsmann
verkündet, nur in Bergedorf fimgierten zwei, manchmal auch
drei Urteilsleute.
Das Gericht %vuide, wie sein Name aussagt, auf dem
Kirchhof abgehalten, der noch bis ins 17. Jahrhundert als
Gerichts- und Versammlnngsort diente. 1438 wurden auf
dem Bergedorf er, 1491 auf dem Altengammer Kirchhof gericht-
liche Handlungen vorgenommen, '^J und als seit dem 16* Jahr-
hundert die regelmäßigen Landgerichte nicht mehr imter freiem
Himmel stattfanden, diente der Kirchhof weiter zu Zusammen-
künften der Eingesessenen, die hier Befehle der Herrschaft
entgegennahmen,*) sowie zu feierlichen Gerichtshand lungen:
die Wahl des Landvogts wurde noch 1614 hier vorgenommen,^)
Friedloslegungen mußten auf dem Kirchhof geschehen,^) laer
auch erfolgte die Erteilung von Friede und Bann, der einzige
') Hasse m, 846,
*) Hasse 111^ 114; coram advocato, schutirto, BcHepent et parrocMaim
mckme Eurslake publice,
^ Das älteste Ber/^edorfer Stadtbuch Nr. 7^ 62.
*) Barbara Reder an Ebg. 1522 Sept. 25: Will das Verbot der Korn-
auäfuhr am komm enden Sonntage auf allen vier Kirchhöfen bieten lassen
bei Strafe tou öÜ Maxk und Verlust des Korns.
») Siehe S, 264.
«) KLEPEKER S. a&9t und oft in den KLagebüchem.
292 Hans Eellinghusen,
Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der sich im 16. Jahr-
hundert erhalten hatte.*) Die regelmäßigen Landgerichte
waren dagegen im 16. Jahrhundert in die Häuser der Land-
vögte verlegt, ebenso dingte das Bergedorfer Stadtgericht
in der Hamburger oder Lübecker Herberge.*)
Die Amtleute, die Nachfolger der herzoglichen Vögte^
hielten in den verschiedenen Kirchspielen vier bis fünfmal im
Jahre Recht. ^ Nach einer Sitte, die aber erst nach der
Vereinigung der beiden Ämter im Jahre 1512 aufgekommen
sein kann, begann eine Gerichtsperiode am Montag einer
Woche in Neuengamme, am Dienstag schloß sich daran das
Gericht in Kirchwärder, am Mittwoch alternierend in Curslack
oder Altengamme, am Donnerstag wurde die Periode in
Bergedorf beendigt.*) Doch kamen auch Abweichungen vor.
Erst unter dem letzten Amtmann, als man wohl schon an
eine Ändeining des Gerichtswesens dachte, fanden die Ge-
richte niu- zweimal im Jahre, um Ostern und Michaelis, statt^)
In Geesthacht dagegen wurde nur einmal am Schluß der
Amtszeit eines Hauptmanns Gericht gehalten, in dem aDe
während der sechs Jahre vorgefallenen Klagen erledigt
A\iu*den,®) es kam sogar vor, daß eine Gerichtshegong
t^ber das Bergedorfer Privatrecht beabsichtige ich demnächst in Beyebles
deutsch-rechtlichen Beiträgen eine Zusammenstellung zu geben.
^ Landgerichtliche Urteile sind im Hamburger Staatsarchiv aus der Zeit
von 1594—1620 in größerer Zahl erhalten, ein Bergedorfer Urteil
vom 12. Mai 1608 in der Hamborger Harharge Johan VagU hum
und öfter, am 3. Aug. 1609 Recht geholden tho Bergerdorff in der
Lubischen harberge, auch Klefeker S. 320 vom Jahre 1610. Drei
vollständige Landgerichtspro tokolle aus dem Jahre 1601.
^ Das geht aus den Amtsrechnungen und Klagebüchem hervor. Unter
Joachim Brandt (1602—08) waren 26 Gerichtsperioden.
*) Zuerst festzustellen an zwei Urteilen der Altengammer und CursUcker
von Mittwoch, den 18. März 1556, und Mittwoch, den 3. Febr. 1557.
Aber noch 1531 wurde das lübsche Recht in Bergedorf am Montaf
(6. Febr.) abgehalten.
*) Danach sind Staünau, Anfänge und Entwickelung des Gruni'
besitzes usw., S. 29, und FINDER, Die Vierlande, S. 33 u. 86, m be
richtigen. Immerhin war das Verfaliren langsam.
^ Am 20. August 1608 wurde über alle zur Zeit Joachim Brandts i^
gefallenen Klagen geurteilt (Klagebuch).
Das Amt Bergedorf. 293
überhaupt unterlassen wurde und die Sachen ganz unerledigt
blieben. ^) Bei besonderen Fällen konnten in den ein-
zelnen Gerichtsbezirken Notgerichte eingeschoben werden.*)
Eegelmäßig geschah es in peinlichen Sachen (s. u.).
Eine Ausnahme bildeten die auf dem Haus Bergedorf
und im Pforthaus, also die auf herrschaftlichem Grund vor-
fallenden Sachen. Über sie mußte Burgrecht gehalten werden,
augenscheinlich war hier der Amtmann alleiniger Bichter,
sein Urteilsrecht wird ein Ausfluß seiner militärischen Gewalt
gewesen sein.*)
Vorbereitungen zu den ordentlichen Gerichtstagen gab
6S von Amts wegen nicht. Nur die Sachen, in denen der
Herrschaft eine Strafe verfallen war, waren überhaupt dem
Amte schon vorher bekannt.
Denn jeder Landvogt hatte die Rügepflicht, d. h. er mußte
die in seinem Kii'chspiel vorgekommenen Bußesachen (Be-
leidigungen durch Wort und Tat, kleine Diebstähle, Unzucht,
Friedensbruch und ähnliches) dem Amtmann anzeigen. In
Bergedorf geschah dies durch den Rat. Die Klagen wurden,
nach Kirchspielen geordnet, im Klagebuch kurz, aber prägnant
') Lübeck beschwert sich, daß zu Cfeesthacht vom jetzigen Hauptmann
bisher kein Gericht gehalten ist. Dieser sagt, es sei früher üblich
gewesen, alle 6 Jahre im letzten Jahr der Hauptmannschaft das
Landgericht zu JuUten; obwoM es aus bewußten Ursachen unter Ger-
hard Orentzin unterblieben sei, wolle er es halten, Bezeß v. 1607 § 10.
Auch das Klagebuch zeigt, daß auf die von 1596 — 1602 eingebrachten
Klagen nichts erfolgt ist.
^ 1602 und 1617 wurden in Bergedorf Notrechte gehalten; 1603 erboten
sich die Curslacker, denen vom Amtmann eine ihnen unbillig er-
scheinende Strafe auferlegt war, erstes Tages wegen dieser Strafe ein
Notrecht zu dulden und was erkannt, gewärtig zu sein, was aber der
Amtmann nicht annehmen wollte (Suppl. der Curslacker an Lüb. 1603
Sept. 24).
^ Der Amtschreiber Christoffer Meyer, der auf dem Hause tätlich be-
leidigt ist, bittet, ein Burgrecht darüber zu halten (an Lüb. 1600
Okt 17). Ein landgerichtliches Urteil vom 9. Sept. 1601 in einer Be-
leidigungsklage lautet: Dewil idt , , . in der Borten gesecht, so ist
der gebruck, dat de Landlude daruff nicht finden dorffen. Sinai
averst de worde in der Porten gesecht, so schal der her hovetman ida
ock in der Porten richten (Amtsbuch).
2t8chr. d. VereiiiB f. Hamb. Gesch. XIH. ^^
294 Hans Eellinghusen,
verzeichnet. Klagebücher, zuei*st erwähnt 1594/) sind aus
den Jahren 1594—1608 und 1614—20 in vier Bänden er-
halten. Die Zahl der in Bußesachen eingebrachten Klagen
war sehr verschieden groß. Der jährliche Durchschnitt war:
1573/78 ') 1696/1602 1602/08 1614/20
19 30 23 13
Neuengamme
Kirchwärder.
Altengamme .
Curslack
Bergedorf . . .
Geesthacht . .
27 54 44 24
17 14 9
24
21 17 10
37 28 20
7 5 1
Die Kirchspielseingesessenen erschienen von selbst zum
Landgericht, das ihnen eine Woche vorher von den Vögten
am Sonntag auf dem Kirchhof angesagt wurde;*) standen
dagegen Kläger oder Zeugen nicht unter dem Gericht des
Beklagten, so wurde diesen durch ihren Vogt im Auftrage
des Amtmanns der Gerichtstag, an dem ihre Sache verhanddt
werden sollte, besonders angezeigt.*)
Das Gericht wurde in den bekannten feierlichen Formen
des deutschen Rechts eröffnet und geschlossen. Nachdem de*
Amtmann sich im Hause des Landvogts am Gerichtstisck
niedergelassen hatte, an dem ihm gegenüber Amtschreiber
und Hausvogt, ihm zur Seite der Landvogt selber ihren Plat»
hatten, ließ dieser die Landleute vor den Tisch kommen.
Einen unter ihnen rief er beim Namen und fragte ihn zu
dreien Malen, ob es so viel am Tage wäre, daß er Recht hegen
*) Suppl. A. Falckenbergs an Hbg. 1594 Aug. 28.
^ Aus den Amtsrechnungen.
^ Klefeker S. 357.
*) Ein solcher Botzettel an den Vogt in Ochsenwärder aus dem Jaliie
1599 hat sich erhalten. Er lautet:
Chunsiiger gutter freundtt Arent Hogetopff. Wollet Ütnrtdb IVarf
vnd Jochim Ärens vnd Jacob des Pastoren Sohn dat recht ansegf»
hunfftigenn Donnersdach vmb 9 Vhr v/s Bar gertor ff recht zu eracktme»*
hierbei sein 8 ß. Dat. Bar gertor ff 1. Septembris 99.
GerhardU GraiMm.
Der Zettel wurde vom Vogt mit folgendem Vermerk vaztär
geschickt:
Ick Arendtt Hogetop bekenne, dat ick dysse dre parsanne (fdnd»
hebhe by brocke 10 dalcr.
Das Amt Bergedorf. 295
und halten möge. Zu drei Malen wurde ihm geantwortet:
Herr Vogt, IJir möget wohl Recht hegen und halten, wofern
Ihr Erlaubnis habt von unser m Herrn Hauptmann})
Der Zusatz ist bemerkenswert. Die Formel für die Schließung
des Gerichts ist aus der Zeit vor 1620 nicht erhalten.*)
Sachlich war das Gericht an den ordentlichen Gerichts-
tagen zuständig: 1. für die Bußesachen^ bei denen in jedem
Falle, entweder vom verurteilten Beklagten oder vom abge-
wiesenen Kläger der Herrschaft eine Strafe verwirkt war,
2. für die bürgerlichen Klagen.*)
Die Bußesachen, des Hauptmanns Sachen genannt, weil
ihm die Strafe zukam, wurden zuerst vorgenommen. Der
Amtschreiber verlas aus dem Klagebuch, in das er auch
weiterhin kurze Bemerkungen über den Fortgang der Sache
eintrug, die Klage. Ein Urteil, dem meistens ein Beweis-
verfahren voranging, konnte jedoch erst im dritten Recht
gefunden werden, d. h. nachdem die Klage an drei Gerichts-
tagen angedingt worden war.*) Es stand den Beklagten aber
frei, sich außergerichtlich mit dem Amtmann und den Klägern
gütlich zu vertragen. Und das geschah in der Mehrzahl der
Fälle. Nur selten wurden Klagen, die nicht gutwillig bei-
gelegt waren, schon am dritten Gerichtstag nach ihrer Ein-
bringung durch Endurteil erledigt. Oft wurde die Verhand-
lung ausgesetzt, weil eine Partei nicht erschienen war.'^) So
verging bis zum Endurteil meist über ein Jahr.
Die durch Urteil zuerkannten Bußen waren, was das
Alter ihrer Festsetzung bezeugt, größtenteils in Pfunden
bemessen (1 S' = 20 /f).
Nur selten wurden sie jedoch wirklich bezahlt. Schon
ihre Festsetzung in Kechnungsgeld machte eine Umrechnung
') Klefeker S. 358.
^) Klefekers Bericht vom Rechthalten (S. 357 f.) bricht in der Mitte ab.
') Über die Einteilung der Klagen im Mittelalter vergl. Schröder,
KG* S. 788 ff.
Im Elagebuch durch Ding L 2. 3. unter der Klage bezeichnet. Steht
unter der Klage nichts oder nur Ding L, so heißt das, daß sie vor
einem Urteil gütlich beigelegt ist.
*) Im Klagebuch steht dann wohl steit beth thom negesten recht; <\<^>s^
auch nichts vermerkt.
296
Hans Eellinghasen,
notwendig. Aber auch nach dem Urteil konnten sich die
Beklagten mit dem Hauptmann über eine geringere Strafe
einigen; oft wurde sie wohl ihren Vermögensumständen
entsprechend herabgesetzt. Die gütliche Festsetzung und
Bezahlung der Bußen erfolgte, wie es scheint, in der Zeit
von 1560 — 1620 fast durchweg in Talern.^) Die Praxis der
einzelnen Amtleute war übrigens verschieden. Auch das Be-
streben, in besonderen Fällen hohe Bußen herauszuschlagen,
ist zu erkennen. Zumal den von Hamburg eingesetzten, die
seit 1566 für das Amt eine hohe Pacht zahlen mußten, dafür
aber alle Einnahmen für sich erhoben, wurde von Lübeck
wiederholt vorgeworfen, daß sie die Strafen übermäßig
steigerten.*) Von Joachim Brand (1602 — 08) — über
hamburgische Amtmänner vor ihm liegen keine Nachrichten
vor — kann man nur sagen, daß er mehr als sein Vorgänger
darauf sah, die durch Urteil verwirkte Buße in ihrem vollen
Werte zu erlangen. Dagegen haben lübische Amtmänner,
denen die Hälfte der Brüche zukam, auch mehrfach recht
hohe Bußen erhoben, wie die Amtsrechnungen zeigen, be-
sonders Johan Kerkring (1572 — 78). Einer, der seine
Tochter hatte beschlafen lassen, mußte ihm 1573 mit 50,
ein anderer gar mit 100 Talern büßen. Ebenso zahlte ein
Bauer wegen seiner Tochter 1577 200 -^. Von zwei anderen
Leuten erhob er in demselben Jahr, wir wissen nicht wofür,
je 300 ^ Buße. Die Höhe der in jedem Halbjahr erhobenen
Bußen wechselt ganz merkwürdig, wie die nachstehende
Übersicht zeigt :^
M.
1561
bis 0.
62
59-^
0.
1578 bis M,
78:
693^
0.
1573
„ M.
73
502 „
0.
1589 „ M.
89:
274 „
M.
1573
„ 0.
74
337 „
M.
1589 „ 0.
90:
288 „
0.
1574
„ M.
74
508 „
M.
1601 ^ 0.
02:
952,
M.
1576
„ 0.
77
103 „
0.
1602 „ M.
02:
867 r
0.
1577
„ M.
77
1171 „
M.
1608 „ 0.
09:
49,
M.
1577
„ 0.
78
168 „
0.
1609 „ M.
09:
466,
') Nach den Amtsrechnungen: ein Taler galt 1561 1 ^ 15 >3, 1577—89
2 -iC, seit 1601 2 -^' 1 /J.
') Lühsche Instr. von 1572 Sept. 14, 1590 Sept. 22.
^ Die Beträge in ß und j^ sind dabei ausgelassen.
Das Amt Bergedorf. 297
Da die Amtmänner die Brüche entweder ganz oder zur
Hälfte für sich erhoben, suchten sie die während ihrer Amts-
zeit vorgefallenen Bußesachen möglichst zu erledigen und
hielten deswegen während der letzten Monate ihrer Amts-
führung meist mehrere Gerichtstage ab. Der Nachfolger
kümmerte sich scheinbar nicht um die aus der Zeit seines
Vorgängers ausstehenden Brüche. Der Rezeß von 1611
bestimmte daher, daß der abgehende und ankommende Amt-
mann die ihnen davon zustehende Hälfte unter sich teilen
sollten, ne ddida maneant impunita.
Interessant ist, daß die geringen Strafen von 10 ß und
10 /f 4 ^, die auf trockene Wunden (braun und blau) und
auf Scheltworte gesetzt waren, nicht dem Amtmann, sondern
dem Landvogt gebessert wurden. Man darf hierin wohl einen
Rest der ehemaligen niederen Gerichtsgewalt der Vögte er-
kennen. Ebenso darf man einen Rest der Selbstverwaltung
der Gerichte darin sehen, daß noch im 15. Jahrhundert den
Eingesessenen von Bergedorf und Geesthacht neben der Herr-
schaft ein Teil der Brüche zustand. Bergedorf beanspruchte
1451 den dritten Pfennig (d. i. V«) aller im Gerichtsbezirk
fälligen Bußen und begründete sein Recht durch eine Beziehung
auf die Gerechtigkeit der Bürger von MöUn. Ebendarauf
bezog auch Geesthacht sein Recht, diesem stand aber nur
V« der geringeren Bußen, die nicht höher als 3 ^ waren, zu.')
Über dies Recht der Geesthachter verlautet später nichts
mehr, dagegen behielt in Bergedorf der Rat das Recht auf
einen Teil der Bußen. Nach dem Vertrag zwischen Amt-
mann und Bürgerschaft von 1568 fiel den Bergedorfem die
Broke des dritdden Pennings von Blutwunden nach altem
Gebrauch zu, die Gerechtigkeit war also damals auf einen
Teil der Bußesachen beschränkt.*) 1617 wurde dem Rat
von den beiden Städten sein Teil an den Brüchen von blutigen
Wunden bestätigt.^
Nach den Bußesachen wurden die bürgerlichen Klagen
verhandelt. An diesen hatte der Amtmann kein finanzielles
Lüb. U. B. EX, 15.
^ Vertrag von 1568 Aug. 13 § 8.
3) Rezeß § 6.
298 Haus Kellinghusen,
Interesse, sie wurden daher weder beim Amt angezeigt, noch
ein Klagebucli über sie geführt. Es waren besonders Klagen
lim Erbe und Eigen und um Gut, weniger um Schuld ; Schuld-
sachen, die an sich nicht streitig waren, \\au-den schneller
und einfacher außergerichtlich vor dem Amtmann erledigt (s. u.).
Auch alle Deichstreitigkeiten verhandelte man nicht in Sonder-
gerichten, sondern vor den ordentlichen Landgerichten. In
mündlicher Verhandlung vertraten Kläger und Beklagte selbst
oder durch ihre Vorsprachen*) ihre Sache und stellten ihre
Anträge. Dann 7ia angehörter Klage undt Antwordt, ok all^n
gesclienen Vorbringen na wurde von den Landleuten, die in
die Acht und Findung gegangen waren, erkannt, was Rechtens
sei, und durch ihren Urteilsmann gerichtlich ein Urteil ein-
gebracht. Bei den meisten Sachen lag der Tatbestand so
einfach, daß sie durch ein Urteil erledigt wurden, bei
schwierigeren schritt die Verhandlung von Urteil zu Urteil
fort, die häufig aus Fragen an die Parteien bestanden, bis
schließlich das Endurteil erging.
Ein Vorzug der Volksgerichte, durch den auch dem
Ärmsten ermöglicht wurde, sein Recht vor ihnen zu suchen,
war ihre Unentgeltlichkeit. Die Kosten, die durch die Ver-
pflegimg des Amtmanns, seines Gesindes und seiner Pferde
im Hause der Landvögte entstanden, wurden von diesen selbst
getragen.*) Dafür erhielten die Frauen der Landvögte ein
Trinkgeld aus der Amtskasse. ^) Außerdem waren die einzigen
Gerichtskosten der Lohn für dfis Herren Vorspradien (den
aus den Eingesessenen genommenen Voi-sprecher des Amt-
manns), dem für alle vier Rechtstage zusammen IV« -^ zu-
standen.*) Der Amtmann selbst hatte keinerlei Gebühren
oder Sportein für seine Beteiligung an der Rechtspflege
zu fordern.
Ein alter Rechtsbrauch war es, daß vor Abtretung des
Hauses die Ratsgesandten selbst in den Vierlanden einen
Gerichtstag abhielten, dadurch viell toirechtikeit so xvoU dem
*) über das Institut der Fürsprecher vergl. SCHRÖDER RG», S. 787.
^ Suppl. der Vierlande an Hbg. 1608 Jan. 19.
^ Siehe S. 265.
^) Nach den Amtsreclmungeii scvX. \b^\.
Das Amt Bergedorf. 299
ankommenden cUss gewesenen amptleuten vorhiittet und auch die
Stedt mit vielen dagen verschonet werden. Das geschah zuletzt
1560; ein Versuch, es 1578 wieder einzuführen, mißlang.^)
Von allen vor den ordentlichen Gerichten verhandelten
Sachen war eine Appellation möglich, wenn sie nicht
besonders im Urteil ausgeschlossen wurde;*) doch scheint
man bei Bußesachen selten von ihr Gebrauch gemacht zu
haben, überhaupt wurden weitaus die meisten Sachen in der
ersten Instanz erledigt. Die Berufung war verschieden im
Lande und im Städtchen. Wer sich in den Vierlanden durch
ein Urteil ufs höchste graveret und beschweret fühlte, mußte
sofort in rechtsförmlicher Weise Standes votes mit levendiger
stemme undt dallegung eines Ridergidden an die andern drei
(resp. zwei für Curslack und Altengamme) Lande und Kirch-
spiele vor den Schlagbaum zu Bergedorf appellieren.*)
Dann mußte er seine Sache innerhalb sechs Wochen und ehe
wiederum Landrecht gehalten wurde, achterfolgen und beim
Amtmann anhalten, daß ihm ein Tag angesetzt und die
Landleute zum Appellationsrecht nach Landesgebrauch ge-
bührlich gefordert und geboten wurden. Wer diese Rechts-
formen versäumte, ging seiner Appellationsrechte verlustig.*)
Vor dem Schlagbaum, also nicht in ihren heimischen Be-
zirken, traten dann die anderen Lande zusammen,*) es mußte
daher für die Verpflegung der Landleute gesorgt werden.
So erklärt sich die merkwürdige Appellationssumme, die von
dem Appellanten zu entrichten war: zwei Tonnen Hamburger
Biers, zwei Seiten Speck und zwei Mark zu Brod.^ Diese
*) Kerkring an Lübeck 1578 Sept. 18; Rezeß § 1.
^ Am 15. Juni 1597 beschlossen die Altengammer und Curslacker, in
einer Sache bei dem yor 6 Jahren gesprochenen Urteil zu bleiben
und keinem Teil die Appellation zu gestatten.
^ Diese Formel ist wiederholt im Anschluß an Urteüsausfertigungen
überliefert. Der Eidergulden hat seinen Namen von einem auf ihm
dargestellten Reiter, sein Wert war (nach Finder a. a. 0. S. 36) 12 #.
*) Pasche an Lüb. 1614 Juni 29.
^) Elefeker, S. 322, steUt Nachrichten über das Vorkommen des Schlag-
baumgerichts in Holstein, Sachsen, Pommern und Brandenburg i
sammen.
«) Bezeß von 1614 § 28.
300 Hans Kellinghuaen,
übermäßigen Sportein abzuschaffen, waren die Städte 1614
geneigt. Doch meinte Hamburg, es werde wegen der Menge
der Landleute, die dort in die Findung gefordert würden
und die neben ihrer Versäumnis ungern etwas spondieren^
schwer durchzusetzen sein.^) Das Schlagbaumgericht hatte
noch andere Merkwürdigkeiten: die Lande gingen nicht ge-
meinsam, sondern gesondert in die Findung (nur Corslack
und Altenganune blieben zusammen) und brachten durch ihre
Urteilsmänner besondere Urteile ein, die sich in der Fassang
unterschieden, wenn sie auch materiell übereinsUnunten. Es
waren aber auch zwei auseinandergehende Urteile möglich,
und sie ergingen tatsächlich bisweilen.*) Dann war es selbst-
verständlich, weiter an die beiden Städte als die dritte Instanz
zu appellieren, was auch sonst, wenn das Mittelgericht das
Urteil der ersten Instanz bestätigte, wohl meistens zu ge-
schehen pflegte.
Nicht minder eigentümlich nach unseren Begriffen war
das Mittelgericht für die im Bergedorfer Gerichtsbezirk
gescholtenen Urteile. Bergedorf hatte, wie bereits mehrfach
erwähnt wurde, 1275 das Recht der Stadt Mölln erhalten,
daher wurde hier nach lübischem Recht gerichtet. Aber
Mölln, nicht Lübeck, war die Mutterstadt Bergedorfs, das war
auch im 16. Jahrhundert noch nicht vergessen. Wer daher
von Bergedorf appellieren wollte, mußte dies alsbald nach
gesprochenem Urteil Standes voetes inva voce an den gewohnr
liehen und gebohrenden Ort al^s na Mollen tun.*) Er mußte
weiter um Äpostolos bitten, die ihm vom Amtmann erteilt
A/vTu-den, und selbst seine Klage innerhalb 30 Tagen in Mölln
anhängig machen, während der Amtmann die Akten über-
sandte.*) Das alte Herkommen, entsprungen zu einer Zeit,
») Hbg. an Lüb. 1614 Dez. 29.
^ 17. Jan. 1605 Neuengamme und Altengamme-Curslack auseinander-
gehend, 12. Dez. 1616 Neuengamme und Kirch wärder (Rezesse too
1605 u. 1617).
') Ein Bergedorfer Urteil von 1610 mit angehängter Appellation, gedr.
bei Klefeker S. 320, andere vom 3. Okt. 1616 u. 17. Mai 1617 im
Hamburger St.-A.
^) Pasche an Mölln 1009 3\xiä ^ u. ci.
Das Amt Bergedorf. 301
WO Bergedorf und Mölln dem Herzogtum Lauenburg angehörten^
wäre gewiß längst von den Städten abgeschafft, wenn nicht
Mölln seit 1359 in lübeckischem Pfandbesitz gewesen wäre, aus
dem es erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wieder gelöst
wurde. So ließ man es bestehen, obwohl Hamburg sich
gelegentlich dagegen aussprach.*) Das Gericht fand vor
Hauptmann, Bürgermeister und Rat von Mölln statt,*) vor
denen die Parteien persönlich erscheinen mußten. Die
Umständlichkeiten, die damit verbunden waren, mögen be-
wirkt haben, daß von diesem Rechtsmittel nicht allzuoft
Gebrauch gemacht wurde; aber seine Beibehaltung durch
die Jahrhunderte, nur weil es alter Gebrauch war, ist
bezeichnend für den konservativen Grundzug der Zeit.
Einzelheiten über das Verfahren vor diesem Gericht
sind aus den Hamburger und Lübecker Archiven nicht
bekannt.
Die dritte Instanz für alle im Amt vorgefallenen Sachen^
die die beiden ersten Instanzen durchlaufen hatten, bildete
das Gericht beider Städte, das ursprünglich in besonderen
durch Ratsgesandte der Städte beschickten Gerichtstagen,
seit 1548 wahrscheinlich jährlich abgehalten, später mit den
seit 1578 dreijährigen Visitationen verbunden wurde.*) Es
fand vor der Zingel statt, die als Platz für das Gericht
beider Städte zuerst 1478 genannt wird.*) Die Zingel war
ein eingefriedigter Raum vor der ersten Brücke des Schlosses,*)
1593 wurde sie hier abgebrochen und vor dem Waldgrafen-
turm wieder errichtet.*) Man appellierte vom Schlagbaum
Visit-Prot. 1596 Sept 28.
^ Bericht dieser an Lüb. über eine Sache, in der die Beklagten, die
die durch den Amtmann in Bergedorf vermittelte Zitation nicht an-
nehmen wollten, in contumaciam yerurteilt wurden, 1592 Aug. 8.
Über die Besetzung des Möllner Gerichts vergl. v. DüVE, S. 502.
^ Vergl. über seine Entwicklung S. 268 ff.
Lüb. an v. Calven 1478 Juni 3; die Zingel zur Befestigung de»
Schlosses gehörig schon 1457, Lüb. U. B. IX, 445.
^) Die Zingel vor der ersten Brücke ist 1583 bau^Lllig, lübsche Instr.
V. 24. Aug. ; vergl. SCHILLER-LÜBBEN s. v. singeL
«) Baurechnung von 1593 Okt. 20.
302 Hans Kellin^huBen^
oder von Mölln an die Zingel wieder durch Darlegung eines
Geldstücks.^)
Hier im Obergericht bildete sich zuerst im Amt eine
gelehrte Rechtsprechmig aus, deren Entwicklung wir zu
verfolgen vermögen. Auch die Abgeordneten der Städte
waren zimächst Laien; seitdem aber die Visitationen regel-
mäßig wurden, befanden sich unter ihnen immer ein oder
mehrere gelehrte Juristen. Noch 1571 wurde den lübischen
Gesandten in ihrer Instruktion nur aufgetragen, die vor-
handenen Jiisiifienhändel nach Recht, Gewohnheit, üblichem
Brauch und Herkommen der Lande zu verrichten.*) Eine
vorherige Bekanntschaft mit den einzelnen Fällen, die zm*
Entscheidung standen, ist danach nicht anzunehmen. Bald
wiu*de es jedoch Sitte, die Appellationssachen in den Städten
vorzubereiten; die Akten wurden dazu vom Amtmann an die
regierende Stadt geschickt, die sie weiter der anderen mit-
teilte.^ Zuerst in der lübschen Instruktion von 1581 wurde
den Gesandten vorgeschrieben, wie die einzelnen Sachen zn
entscheiden seien; in demselben Jahre wurden zuerst km-ze
Bemerkungen über die entschiedenen Appellationen in den
Rezeß aufgenommen, die sich dann in den folgenden Rezessen
stets finden. Während in Lübeck die Bearbeitung der berge-
dorfischen rechtshängigen Sachen durch die SjTidici geschah,
hatte Hamburg diese Arbeit einem Jiuisten, der dafür eine
jährliche Besoldung empfing, übertragen; erst 1615 entschloß
es sich, ebenfalls seine Syndici damit zu betrauen.*) Seit
') Die rein symbolische Bedeutung dieser Handlung geht aus der
Schilderung einer Gurslacker Suppl. hervor: der Amtmann benutzte
einen Orth vom Thaler CU Taler), durch dessen Darlegung vorher
der gegnerische Prokurator prote^stiert hatte, um nach MöUn zu
appellieren, indem er ihn dem Bergedorfer Bürgermeister vorschob
(Cursl. an Lüb. 1593 Aug. 24). Das Aufi^'erfen von Denkelpfennigen,
um den Zeugen ein Ereignis in Erinnerung bleiben zu lassen, wird
öfter erwähnt.
^ Instrukt. v. 1571 Okt. 26.
^ Vergl. S. 272 ff.
*) Lüb. an Hbg. 1615 April 22: stimmt dem zu, hält aber für unnötig,
die bisher dem Dr. Stambler gezahlte Besoldung den Syndieis zu
überweisen, die in Lübeck auch keine besondere Ergötzung für diese
Arbeit erhielten.
Das Amt Bergedorf. 303
dem Anfang des 17. Jahrhunderts pflegten die Städte sich
sogar ihre Meinung über die Appellationssachen vorher zu
übersenden.^) So wurde das Gericht vor der Zingel allmählich
nur die Verkündigung der von den Juristen beider Städte
wohl vorbereiteten Urteile. Diese wurden publiziert, indem
der Sekretär der regierenden Stadt sie vor der Zingel verlas.*)
An und für sich waren der Appellation bis vor das
Gericht beider Städte keine Schranken gezogen, doch wurden
ganz geringfügige Sachen wohl zurückgewiesen.*) Mit dem
Urteil der Städte aber, an deren Unparteilichkeit nicht zu
zweifeln war, gab man sich fast immer zufrieden. Möglich
war indes für Streitsachen, die den vorgeschriebenen Appella-
tionswert hatten, noch die Berufung an eine vierte Instanz,
das Reichskammergericht. Und sie kam auch vor,*) doch
zogen sich die Prozesse dann durch Jahrzehnte hin.
Ganz im Gegensatz zu dieser Verschleppung, die bei
der Zivilrechtspflege möglich war, stand das schleunige Ver-
fahren im Strafprozeß. Wurde ein Mörder auf handhafter
Tat ertappt, so war es denkbar, daß er schon am folgenden
Tage rechtsförmlich verurteilt und hingerichtet wurde.
Von den eigentlichen peinlichen Gerichten ist zunächst
zu scheiden das Fahrrecht oder Goding,*) das über jeden
Entleibten in rechtsförmlicher Weise gehalten wurde, mochte
er nun in offener Tat gemordet oder innerhalb der Fahrtage
an einer ihm beigebrachten Fahrwunde gestorben oder mit
dem Zeichen eines gewaltsamen Endes tot aufgefunden sein.
Das Eintreten eines solchen Ereignisses bewirkte, daß am
*) Zuerst im Schreiben Bhgs, an Lüb. v. 1605 Aug. 27.
^ Dies Recht machte Lübeck 1605 den Hamburgern streitig; da damals
keiner nachgab, konnten die fertigen Urteile erst auf der nächsten
Visitation 1607 durch Hamburg publiziert werden.
^ Im Vis.-Prot. v. 1596 heißt es: ztoei geringschätzige Sachen, eine
Hand voll Hopfen und ein Schwein betreffend ist propter causae
tenuitatem zur Vergleichung verwiesen, dum praetor modicum non curet
*) Aus der Zeit vor 1620 gibt es zwei Fälle, einen Streit um eine Hufe
und eine Erbschaftssache. Ersterer wurde von Auswärtigen erhoben.
Häufig dagegen waren Prozesse der Städte mit Auswärtigen über
Hoheitsrechte im Amt.
^) Diese Unterscheidung vermißt man bei Klefeker S. 323.
304 Hans Kellinghusen,
Tage darauf das Fahrrecht gehalten wurde, zunächst der Tat,
nicht des Täters wegen. Es brauchte dabei die Person
weder des Täters noch des Toten bekannt zu sein. Ent-
sprechend den uralten Formen seiner Hegung wurde das
Goding in den Vierlanden auf dem Kirchhof, in Bergedorf
auf offener Straße abgehalten, wovon es hier auch Straßen-
recht hieß.*) Kläger war neben des Entleibten Freundschaft
die königliche Gewalt, in deren Namen der herrschaftliche
Vorsprache auftrat. Auf seinen Antrag foi-derte der Land-
vogt, in Bergedorf der Bürgermeister, den bekannten oder
unbekannten Täter zu dreien Malen auf, vor diesem Gericht
zu erscheinen. Erschien der Geforderte nicht, so wurde der
Tote auf Begehr seiner Freundschaft vom Vorsprachen mit
aufgehobenem bloßen Schwert, das ihm dazu vom Vog^ zu-
gestellt war, und mit folgenden Worten dreimal beschrieen:
tfw Jodt uth tiber diesen morder, der diesen mordt begangen
und diesen man vom lebende ziim thode gebracht, und tho Jodt
uth über alle die Jennigen, die hir tJio raeth und daett gegdten
habefu Daran schloß sich die Friedloslegung des Täters und
aller, die ihn hausen oder hegen wi'u*den, wieder zu drei Malen.
Durch ein letztes Urteil wiu*de schließlich gestattet, den
Leichnam christlich zur Erde zu bestätigen.*)
Das war der gewöhnliche Verlauf des Fahrgerichts,
auch wenn der Beklagte durch seinen Vorsprachen seine
Schuld leugnen oder die Tat als Ungefährwerk hinstellen
ließ. Das zu beweisen, stand ihm in dem peinlichen Gericht
frei, das über sechs Wochen nach der Friedloslegung statt-
finden sollte.^ Nur einmal, als der an einer Verwundung
*) Erhalten sind Protokolle über Godinge in Bergedorf von 1595 Dez. 21,
1598 Jan. 27, 1601 Mai 4, 1611 April 20, in Neuenganmie von 1611
Jan. 29 (gedr. Klefeker S. 359 fif.), in Kirchwärder von 1601 Mai 29,
in Altengammc von 1601 Sept. 23, Kurze Eintragungen über Abhaltung
eines Fahrrechts finden sich wiederholt in den Klagebüchem.
^ Ähnlich das Fahrgericht in Lübeck, Hamburg, Holstein, dem Land
Hadeln, in Bremen und Verden usw., vergl. PETERSEN, Zioter oder
Jiodute (Forschungen zur deutschen Geschichte VI, S. 256 ff.). Der
Vorsprache erhielt nach lübschen Recht (II, 215) für die Beschreiung
2 ß (Hach, Das alte lübische Recht, S. 359).
■^ Bergedorfer Protokoll von 1611.
Das Amt Bergedorf. 305
Gestorbene sich vor seinem Tode mit dem Täter vertragen
hatte, erkannten die Landleute, trotzdem sie zweimal vom
Amtmann in die Findung geschickt wurden, daß die Tat
unversehens geschehen, daher Friedloslegung und Beschreiung
zu unterlassen seien.*) Bemerkenswert ist, daß sowohl das
Gerüfte als die Friedloslegung oder Verfestung*) sich nur in
dieser Verbindung erhalten haben.
Während diese feierlichen Totengerichte ganz in den über-
lieferten Formen aufgingen, bildeten die peinlichen Not- oder
Halsgerichte, in denen hauptsächlich über Mord, Diebstahl und
Zauberei geurteilt wurde, zuerst ein inquisitorisches Verfahren
aus. Denn der eigentlichen Gerichtshandlung, deren Zweck die
Urteilsfindung war, gingen, wie bisweilen auch in bürgerlichen
Sachen, außergerichtliche Verhöre des oder der Beklagten
voraus, die im Zwinger des Schlosses in Haft gehalten wurden.*)
In Gegenwart des Hauptmanns, des ehrsamen Rats zu Berge-
dorf und des Hausvogts wurden sie gütlich und unter Beihilfe
des aus Hamburg geholten Frohns peinlich verhört und ihre
Aussagen in der sog. Urgicht zu Protokoll gegeben.*)
Dann erst trat das peinliche Gericht unter Vorsitz des
Amtmanns und des Rats meistens beim Kak in Bergedorf
zusammen.*) Auf Grund der vom herrschaftlichen. Fürsprecher
Zufällig gerade in dem gedr. N.-G. Prot. ; dagegen in den Eintragungen
der Klagebacher ist immer die erfolgte Friedloslegung verzeichnet.
^ In Bergedorf herrscht nach lübschem Recht der Ausdruck friedlos
legen; im sächsischen Bechtsgebiet wird yerfesten gebraucht, Frrns-
DORFF, Hansische GeschichtsqueUen I, S. XV.
^ Prot, von 1603 Febr. 1.
*) Zwei Prot, von 1603, später mehrere. Erbetung des Frohns zu pein-
lichem Verhör wegen eines Diebstahls schon 1557 Mai 23 (v. Holte anHbg.).
*) Kak = Pranger. Vogeler schreibt an Hbg. 1582 Juli 6: und alhir
gewänlich in Criminal sacken der amptmann und radt tzu Bergerdarff
das gerichte besietzen und die burger uff gehörte dag und antwort
erkennen und urtheil feilen. Das Gericht fand wohl meistens in
Bergedorf statt, weil hier die Beklagten gefangen gehalten wurden.
Darin den Best eines Hochgerichts für das gesamte Amt zu sehen,
ist deswegen nicht angängig, weil nur den Bürgern von Bergedorf
die Urteilsfindung zustand. Außerdem ist bezeugt, daß 1599 jemand
im zu Kirchwärder gehegten Landrecht wegen begangener Missetat
von den Landleuten zum Schwert verurteilt wurde (Grantzin an die
Gerichtsherren in Hbg. 1599 Juli 16).
306 Hans Kellinghusen,
verlesenen Urgicht, zu der sich der Beklagte durch seinen
Fürsprecher äußern durfte, wurde von den Bürgern das
Urteil gefunden. Ihre Strafen lauteten auf Tod in ver-
schiedener Form oder auf Landesverweisung/) der bei ehr-
losen Handlungen wohl eine Schaustellung am Pranger vor-
herging. Gefängnisstrafen gab es noch nicht. Da eine Be-
rufung gegen das Urteil unmöglich war, folgte sofort die
Vollstreckung (die Rechtfertigung);*) in zweifelhaften Fällen
pflegte man im Urteil der Obrigkeit die Begnadigung anheim-
zustellen und dazu die Vollstreckung 14 Tage aufzuschieben,
um sich inzwischen durch die regierende Stadt belehren zu
lassen. *) Ein Fall, ersichtlich aber eine Ausnahme, ist mis
auch überliefert, in dem das Volksgericht vollkommen ver-
sagte: die Bürger überwiesen die Sache an die beid^
Städte, die darüber auf der Visitation entschieden.*) Be-
merkenswert ist, daß noch 1619 die Wasserprobe vor-
genommen wurde.*)
Die Rechtsquelle, aus der das Volk seine Urteile schöpfte,
war für die Vierlande das in den Akten öfter erwähnte alte
Landrecht, ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, das
mit dem Sachsenrecht nicht identisch war.*) Von einer Be-
nutzung des Sachsenspiegels als Rechtsquelle') ist in dieser
Zeit keine Rede. Zu den Grundsätzen des Landrechts gehörte,
daß ein jeder nur in dem Gericht, in dem er ansässig war,
beklagt werden konnte; daran war auch der Amtmann ge-
Die Landesverweisung ist eine Strafe gegen den anwesenden, die
Friedloslegung ein Kontumazialurteil gegen den abwesenden Ange-
klagten, Frensdorff, Hans. Geschichtsquellen I, S. XXIV.
') Vogeler an Hbg. 1582 Juli 6.
^ Urteile von 1582 Juli 20, 1603 August 9.
*) Urteil Bergedorfs von 1611 Juli 24, der Städte von 1611 Okt 11.
Die Friedloslegung des Täters, dessen Schuld aber nicht feststand,
am 20. April 1611.
*) Finder, Die Vierlande, S. 40.
^ Bei einer Appellationssaehe wird festgestellt, daß für diesen Fall d»
alte Landrecht und das sächsische Recht gleiche Bestimmun^n hitta
(lübsche Instr. 1581 Sept.).
"^ Was man aus FINDER S. 32 herauslesen könnte.
Das Amt Bergedorf. 307
bunden.^) Ebenso durfte niemand, der in den Vierlanden zu
Erbe und eigenem Haus gesessen war, von ihm ins Gefängnis
geworfen, noch gefangen oder gebunden werden.*) Überhaupt
konnte der Amtmann zwar Gebote bei Strafe bis zu 60 ^
erlassen, aber die im Lande Seßhaftigen, die die Strafzahlung
verweigerten, nicht pfänden, bevor er sie wegen des Gebotes
mit Urteil und Recht ilberumnden hatte, d. h. bevor ihnen nicht
die Strafe durch gerichtliches Urteil der Eingesessenen selbst
zuerkannt war.') Zu einer Aufzeichnung dieses Gewohnheits-
rechts, die im benachbarten Billwärder schon um 1400 er-
folgte,*) ist es nicht gekommen, durch die einzelnen in den Ge-
richten gefundenen Weistümer lebte und entwickelte es sich fort.
In Bergedorf galt, wie bereits mehrfach erwähnt wurde,
seit 1275 lübisches Recht. Doch bildete auch dieses sich
Lüb. an Bhg. 1592 Ang. 18: Der Amtmann hatte einen Curslacker
Hufner in Bergedorf verklagt, so daß die Sache in prima et secunda
instantia (Mölln) vor fremde Gerichte gezogen war. Daher soU aUes,
als an sich nichtig, kassiert und dem Amtmann auferlegt werden,
tcofem er den Sievert Timm worum zu besprechen hat, solche Klage
coram ordinario et competenti iudice anzustellen, Vergl. Sachsen-
spiegel m, 25 § 2.
*) Cursl. Suppl. an Lüb. 1593 Aug. 24: Sievert Timm war vom Amt-
mann 18 Tage ins Gefängnis geworfen, als ob er ein Schelm, Dieb
oder Mörder wäre (er war des Ehebruchs bezichtigt) unde is ock
wedder unse olde wolgehrachte landtrecht, dat men ticmannt schal in
gefencknisse warpen, fei weninger fangen effte binden late, de dar
tho arve unde egen huß geseten is.
Ähnlich heißt es im Vertrage der Bergedorfer mit dem Amtmann
von 1568: In Bürgerlichen Sachen soll niemand, der da pfandbar ist
oder Bürgen aufzubringen hat, ohne vorhergegangene rechtliche Er-
kenntnis in Haftung und Verstrickung genommen werden, alle pein-
lichen Sachen ausbeschieden,
') Als die Curslacker sich 1603 weigerten, eine Umlage für die Kirche
in der geforderten Höhe zu entrichten, hatte der Amtmann wider
Landesgebrauch, ohne den rechtlichen Austrag der Sache abzuwarten,
neun Pferde von den Pflügen pfänden und später noch elf Landleute
Einlager halten lassen. Ein Notrecht, das die Lande ihm anboten,
wollte er nicht annehmen. Als die Lande sich beschwerdeführend an
den Lübecker Kat wandten, forderte dieser Hamburg auf, dem Amt-
mann in seinen Unfug gebührlich einzureden (Suppl. an Lüb. 1603'
Sept. 8 u. 24; Brandt an Hbg. 1603 Dez. 7).
*) Hrsg. V. Lappenbebg, Hamb. Eechtsaltertümer I, S. 321—344.
308 Hans Kellinghusen,
aus dem Volk heraus fort,0 eine Beziehung ai
des geschriebenen Stadtrechts findet sich niemals.
Wenn bisher über die Pflege der freiwilligen
barkeit nichts bemerkt ist, so hat das darin sein
daß sie an den ordentlichen Gerichten im 16. Ja
nicht mehr existierte, eine Erscheinung der Verwild
Kechtspflege, die man auch sonst beobachten kai
sind wie überall auch in den Vierlanden zimächst
freiwilligen Gerichtsbarkeit (1237 Auflassung vo
eigentum, 1306 einer Rente) bezeugt.*) Im 16. Ja
war sie den Landgerichten völlig entzogen.*)
Man hat den alten Volksgerichten vorgeworfe
sich in dieser Zeit überlebt hätten,*) und in der T
die Vemachlässigimg der freiwilligen Gerichtsbark
Aber man sollte die Schuld nicht nur bei ihnen su<
freie Selbstverwaltung paßte nicht mehr in die En
hinein, die Staat und Recht seit der Reformation
■ Das war die Hauptsache, nicht die geringe Zahl
■ richtstage, noch die Schwerfälligkeit des Verfahrens
das Fehlen der nötigen Schulung bei den Landle
i'* wiu-de schon betont, daß nicht zweimal, wie man 1
v^ nahm, sondern vier- bis fünfmal im Jahre Gericht
'Z. wurde. Im ganzen dauerten die Prozesse nicht 1
|;;;]lli heute; auch der Formalismus des Verfahrens war i
die gefundenen Uiteile sind oft und gerade in sc
Fällen nach Inhalt und Fonn voitrefElich;*) soviel
waren die Eingesessenen selbst mit ihrer Recht
zufrieden; nur selten wurde an die Städte'^) und
einzelt noch weiter appeUicrt. Ein Einfluß des A
^) Eine solche seltfiame Bürgerfindung aus dem zweiten
Studtbuch (1554), gedr. v. VOIGT, M. V. H. G. III, 2, S. 9;
^ Hasse 1,553; m, 118.
^ Über sonstige Reste, z. B. das Friedebannwirken, werde
angekündigten Arbeit handeln.
*) Voigt, ßergedorfer Zeitung v. 25. Sept. 1884; P'INDER S,
*) Vergl. die bei Voigt (Bgd. Zt. v. 2. Okt. 1884) angeführte
." i ; *^) Zu jeder Visitation standen durchschnittlich etwa drei g
']j;ij;-: ",; aus jedem Jahr eine, zur Entscheidung. Man vergleiche i
^'ü.qi , oben angegebenen Zahlen allein der Bußesachen.
Das Amt Bergedorf. 309
den man häufig schon für diese Zeit als den eigentlichen
Urteilfinder hinstellt, war in legitimer Weise nicht möglich-/)
im Gegenteil sehen wir wiederholt, daß die Landleute bei
ihrem Urteil bleiben, wenn er versucht, es zu ändern, indem
er sie nochmals in die Findung schickt. Bezeichnend ist
femer, daß einem adeligen Herrn, der den ihm angesetzten
Gerichtstag in Bergedorf versäumt hatte und gegen das er-
gangene Urteil beim Amtmann die Appellation anmeldete,
von diesem geantwortet wurde, er könne für seine Person
an dem Urteil nichts ändern, auch die Appellation extra-
judicialiter nicht annehmen, vielmehr müsse sie vor öfEent-
lichem Gericht gebührend eingebracht werden.*) Die Haupt-
sache aber war, daß jeder einzelne an der Rechtsprechung
beteiligt war; daher lebte das Rechtsbewußtsein in ganz
anderer Weise als heute im Volk. Alles in allem: das freie
Gericht der Genossen war das beste, solange die Verhältnisse
einfach lagen, die soziale Differenzierung gering war und
das Recht und mit ihm die Sitte im Volke lebte und sich
organisch aus ihm heraus fortentwickelte.
Aber über dem Volke konsolidierte sich, besonders durch
die Reformation begünstigt, die Hoheit des Staats; eine feste
Staatsverwaltung faßte überall die zerstreuten Kräfte zu-
sammen und trat an die Stelle der genossenschaftlichen Selbst-
verwaltung. Groß waren die Vorteile für die Entwicklung
des Ganzen, doch manches Eigentümliche und noch Lebens-
kräftige wurde dabei zerstört. Ln Verlauf dieses Prozesses
— und er brachte es mit Notwendigkeit mit sich — wurde
auch die Rechtsprechung verstaatlicht, nicht plötzlich, ganz
allmählich ging sie aus den Händen des Volks in die zünftiger
Juristen über. Die Vorboten dieser Änderung, die erst in
die Zeit nach 1620 fällt, zeigten sich einmal in der schon
erwähnten größeren Bedeutimg, die das Gericht beider Städte
gewann, als sich in ihm eine gelehrte Rechtsprechung aus-
*) Dem Amtmann Schulte, von dessen übler Verwaltung schon die Rede
war, wird z. B. als großes Unrecht vorgeworfen, daß er die Urteils-
leute vorher informiert habe, was sie erkennen soUten. Vis.-Prot.
1593 Okt. 16.
^ Orantzin an Heinrich v. Bmel 1599 Aug. 31.
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Oesch. Xm. ^
310 Hans Kellinghasen,
bildete, zweitens und im Zusammenhang damit in gesetz-
geberischen Eingriffen der Obrigkeit in Recht und Sitte des
Volks, endlich in der erweiterten Tätigkeit des Amtmanns,
die sich auf die Ordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit
auszudehnen begann und diese auf dem Umwege über die
Verwaltung wieder an das ordentliche Gericht zurückführte.
Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts überließen die
Städte die Ordnung der innem Amtsangelegenheiten den Be-
wohnern selbst, solange sie damit fertig werden konnten. In
nähere Fühlung mit den Untertanen traten die Städte erst,
seit sie auf den Visitationen ihre Beschwerden entgegen-
nahmen und verhandelten.') Ganz allmählich bildete sich
nun eine gesetzgeberische Tätigkeit der Städte aus.
Sie eriolgte in den Mandaten; das Wort findet sich
zuerst im Rezeß von 1571.*) Das erste Mandat vom 28. Ok-
tober 1571 besagte, daß man keinem Fremden, sonst aber
jedermann sein Gut verkaufen und verpfänden dürfe nach
üblichem Gebrauch und mit Wissen des Amtmanns. *) Das
Mandat erging aus politischen und wirtschaftlichen Gründen.
Hervorgerufen wiu*de es einmal durch ein Bestreben benach-
barter Landesherren, das in den Jahren vorher wiederholt
hervorgetreten war, selbst oder durch ihre Untertanen Land
anzukaufen, um sich die Hoheit darüber anzumaßen, zweitens
aber wirkte die wirtschaftliche Absicht mit, die ordnungs-
mäßige Ableistung aller Grundlasten, besonders der Deich-
pflichten, zu sichern. Dies letztere zeigte sich in dem 1587
hinzugefügten Anhang, auch keinem Bürger von Lübeck oder
Hamburg, der nicht selbst Feuer und Rauch im Amt unter-
halten wollte, Land zu verkaufen.*) Das Bestreben, die wirt-
schaftliche Leistungsfähigkeit der einzelnen und der Gesamt-
Siehe S. 271 f.
^ Art. 4 und 16.
^ Hbg. an Kerkring 1572 Dez. 8, Antw. Dez 9: verspricht, die Ab-
schiede der Gesandten beider Städte darüber von den Jahren 68, 71
und 72 zu halten. In den erhaltenen Akten von 1568 und 72 steht
nichts über das Mandat. Erneuerung im Rezeß v. 1578 § 2 und öfter.
*) Hbg. an Lüb. 1587 Okt. 18; Beschluß des Lüb. Rats vom 20. Okt,
das Mandat am 29. November im Amt zu publizieren.
Dm Amt Bergedori 311
heit intakt zu erhalten, geht aus noch zwei anderen Mandaten
hervor: dem Verbot der Teilung der Bauemerben (1593), dem
Mandat, nichts mehr von gemeinem Gut zu verkaufen (1590).
Zur ersten wirklichen Einmischung der Obrigkeit in
das Volksrecht gab jedoch die Reichsgesetzgebung den
Anstoß; merkwürdig spät, über ein halbes Jahrhundert nach
ihrer Entstehung, fanden mehrere wichtige Gesetze Karls V.
Eingang ins Amt. Es wurde nämlich erst im Jahre 1581
das allgemeine Kepräsentationsrecht der Erben gemäß den
Reichsabschieden von 1498, 1521 und 1529 eingeführt, ver-
anlaßt durch einen Einzelfall, in dem nach den alten Land-
rechten erkannt, aber zu befürchten war, daß er ans Eammer-
gericht gescholten würde. Damals wurde sämtlichen Gerichts-
und Dingsleuten des Amts die neue Konstitution Kaiser
Karls vorgelesen und ihnen eingeschärft, sich in künftigen
Fällen danach zu dirigieren und zu verhalten}) In Ergänzung
dieser Bestimmungen, über deren Auslegung Zweifel ent-
standen waren, wurde 1594 angeordnet, daß künftig nicht
nur die Erbgüter, sondern auch Heergewät und Frauengerade
nach Kaiserrecht vererbt werden sollten.*)
In dieselbe Zeit erst fällt die Einführung der Carolina.
Bis ins 16. Jahrhundert konnte in Bergedorf ein Totschlag
durch einen freundlichen Handel mit den Erben des Er-
schlagenen vertragen werden.*) Alsdann gelobte die Freund-
schaft des Ermordeten für sich und ihre Erben, geboren und
ungeboren, daß sie diese Tat gegen den Täter, der sie dafür
Vi8.-Instr. und -Prot. 1581 Sept. 18.
^ Lübsche Instr. 1593 Sept. ; Polizeimandat von 1594, gedr. Elbfeker
S. 367 £F. Nach obigem sind FINDERS Angaben (S. 32 f.) richtigzu-
stellen.
^ Y. Holte an Ditmar Koel 1556 Febr. 24: Ein Bürger in Bergedorf
hat einen andern erschlagen, des Toten Brüder fordern den Amtmann
auf, den Mörder nach königlicher Gewalt zu richten, dieser aber sucht
einen freundlichen Handel und Eontrakt zwischen ihnen herzustellen,
und im Landrecht wird erkannt, daß der Mörder sich mit den
Freunden vertragen solle; doch sind die Freunde nicht dazu zu
bewegen, nur so viel geloben sie, der T&ter möge seine Werungf Hand-
zerung und Heise tun, wohin es ihm beliebe, aber sich dieses Orts
enthalten.
312 Hans Kellinghusen,
entschädigt hatte, und seine Erben nicht yfern noch ivreken
und im ergesten nicht gedencken, ock nemands dartho vermögen
oder kopen wollten. Von beiden Seiten wurden für Inne-
haltung des Vertrages Bürgen bestellt. Solcher Totschlags-
sühnen haben sich mehrere erhalten.*) Außer der Ent-
schädigung an die Erben hatte der Täter nur eine Geldbuße
an den Amtmann zu entrichten, die 60^, scheinbar noch
den alten Königsbann, betrug.*)
Daß diese Geldsühne nicht mehr dem Rechtsempfinden
der Zeit entsprach, empfand man endlich in Hamburg.*) Von
hier gingen daher die Versuche zur Beseitigung des Miß-
braucfies aus, während gewöhnlich Lübeck zu Änderungoi
im Amt die Initiative ergriff. In die Bestallungsurkunde
des Hamburger Amtmanns wurde 1578, freilich noch ohne
Erfolg, die Bestimmung aufgenommen, Kriminalsachen künftig
nicht mit Odd, sondern am Leibe nach beschriebenem Bedd
zu strafen. Erst als Hambiu*g 1584 einen Antrag auf der
Visitation einbrachte und sich die Zustimmung Lübecks
sicherte, erreichte es 1587 den von nun an befolgten Visi-
tationsbeschluß, daß freventlidie Totschläger vom Amtmann
hinfort nicht geleitet, auch nicht an Gelde, sondern nach der
peinlichen Halsgerichtsordnimg bestraft werden sollten.*) Am
29. November 1587 wurde dies, als zweites Mandat verbunden
mit dem erweiterten Güterverkaufsmandat, im Amt publiziert*)
Nun schritt man auf dem einmal betretenen Wege der
Fürsorge für die Untertanen rasch weiter. Die seit 1575
angeordneten geistlichen Visitationen^ brachten arge Miß-
*) Das Original einer derartigen Gerte vom 7. Febr. 1581 im Hamk
Staatsarchiv; eine andere von 1565 hat VOIGT, M. V. H. G., nil.
S. 101, veröffentlicht.
^ In der Amtsrechnung von 1573 steht unter den Bußen zweiiml:
wegen eines dodtalages 30 daler (1 T. = 2 -^) ; in derselben Hecbnimf
büßt jemand wegen eines perdes, so he dodt geworpen 70 daler, (!)
') In Bülwärder war schon um 1400 auf Mord Todesstrafe gesetit,
Landrecht Art. 27.
^ Hbgs. übergebene Artikel 1584 Sept. 29 § 2; Hbg. an Lüb. 1687
Okt 18.
•) Protokoll des Lübecker Rats v. 20. Okt. 1587.
^ Vergl. Abschnitt 5.
Das Amt Bergedorf. 313
stände im sittlichen Leben zutage/) daher wurde 1590
beschlossen, daß der Amtmann wegen der Üppigkeit bei Hoch-
zeiten und Kindelbieren eine Ordnung machen und den Städten
ad revidendum zuschicken solle;*) 1593 wurde der Beschluß
erneuert, überhaupt wollte man gegen Laster und Schande
einschreiten. Die Frucht dieser Bestrebungen war das am
31. Januar 1594 erschienene Polizeimandat, das als erstes
in fonna patenti gedruckt wurde, um von Zeit zu Zeit an
die Kirchtüren angeschlagen zu werden.*) In bunter Mannig-
faltigkeit mischte es rechtliche Anordnimgen mit der Rügung
von Unsitten: Fluchen, Zaubern, Trunkenheit, besonders
während der Predigt, Ungehorsam gegen die Eltern, Tot-
schlag, Unzucht, falsches Maß, Komverfälschung, Bettelei,
Dobbeln und Spielen, Verwandtenheirat wurden verboten,
schließlich die Verordnung von 1581 über das Erbrecht in
der schon erwähnten Weise erläutert.
Die beiden Mandate, das geschriebene von 1587 und
das gedruckte von 1594, wurden in der Folgezeit halbjähr-
lich von den Kanzeln abgelesen,*) während die weiteren in
den Rezessen gegebenen Verordnungen und Ermahnungen
über Hochzeiten und Kindtaufen, Kleiderunwesen, Spiel und
anderes bald wieder vergessen wurden. Es erübrigt sich
daher ein Eingehen auf sie, zumal derartige Luxusgesetze
überall wiederkehren. Wichtig ist dagegen, daß im Rezeß
von 1611 das Vormundschaftswesen eine Regelimg erfuhr
und 1615 auf Grund der Reichsgesetze, nach anfänglichem
Widerstreben Lübecks, der Vormündereid eingeführt wurde.*)
Alle diese Verordnungen griffen mehr oder minder in die
bisherige Autonomie des Volkes ein, im ganzen ließen sie
den Polizeistaat des 18. Jahrhunderts ahnen.
Der Übergang in eine neue Zeit zeigt sich schließlich
in der mehr und mehi- aufkommenden Tätigkeit des Amt-
Finder S. 29 ff.
^ Rezeß V. 1590 § 7.
') Gedr. Klefeker S. 364 ff. Origmaldrucke sind nicht erhalten.
*) Pasche an die Pastoren 1608 Dez. 16, Lüh. an Esich 1615 Fehr. 11,
Antw. März 11.
^) Rezeß V. 1611 § 2 ; 1614 § 24 ; Hbg. an Lüb. 1615 März 10, Antw. April 29.
314 Hans Kellinghiuen,
manns auf dem Gebiet der freiwilligen Grerichtsbarkeit, die
die Gerichte völlig vernachlässigten. Vorangegangen war
ihm hierin schon früh der Rat von Bergedorf durch die An-
lage eines Stadtbuches (höh des blekes) im Jahre 1437,^ in
dem alle vor dem Rat vollzogenen Rechtsakte, hauptsächlich
Verpfändungen und Übertragungen von städtischem ESgentom,
verzeichnet wurden. Die Eintragung erfolgte ursprünglich
nur wegen des Beweises,*) eine rechtliche Verpflichtung,
bestimmte Rechtsgeschäfte vor dem Rat abzuschließen, bestand
nicht. Daraus erklärt sich die geringe Zahl der Au&eich-
nungen sowie ihre völlige Formlosigkeit, die namentlich im
ersten Stadtbuch hervortritt.*)
Offenbar erst sehr viel später bildete sich eine dem-
entsprechende Tätigkeit des Amtmanns aus. Die Möglichkeit^
sein Zeugnis zur Sicherung rechtlicher Akte hinzuzuziehen,
war freilich, nachdem einmal ihre Gerichtlichkeit beseitigt
war, immer gegeben, scheint aber selten benutzt zu sein.
Eine weitergreifende und regelmäßige Tätigkeit von Amts
wegen war überhaupt erst möglich, seitdem Amtsbücher ott
Aufzeichnung von Rechtsgeschäften angelegt wurden. Der
erste, der das tat, war wohl Christofifer Thode. Von ihm
wird mehrfach ein Protucol bock erwähnt, das er bei seinem
Amtsantritt 1560 dem hme und ampte Bergerdorpe thotn besteig
anrichten ließ.*) Die nachfolgenden Amtmänner behielten den
Gebrauch bei, ein Amtsbuch anzulegen, in das alle wissen^
werten Amtssachen aus ihrer Regierungszeit aufgenommen
wurden.'^) Erhalten ist nur das Borchbiich (Burgbuch) Johann
. Schultes (1590—96). Sein Inhalt zeigt deutlich, daß die
*) Bergedorfs ältestes Stadtbuch 1437—95, von mir hrg. 1906. Über
Stadtbücher vergl. Stobbe, Privatr. I § 67.
2) Stobbe I, S. 640.
^ Vergl. Stadtbuch S. 20.
*) Erhalten nur der Extrakt über das Bergedorfer Barbieramt, s. a
S. 216 n. 2 ; das Protokollbuch enthielt auch landgerichtüclie ürteflfi,
war 1605 noch erhalten; das damalige AmtsprotokoU (S. 2) xiticft
zwei Urteile aus dem Amtsprotokoll von 1560 und 1561.
*) 1578 wird eine Verpfändung, die im Amtbuch bei Zeiten Johta»
Mollers (1566 — 72) gehalten aufgezeichnet sei, erwähnt (Kerkring ai
Lüb. 1578 Dez. 6).
Das Amt Bergedorf. 315
Untertanen noch nicht gewohnt waren, Verpfändungen und
Eigentumsübertragungen vor dem Amt vorzunehmen, nur
ganz vereinzelt kommen solche Rechtsgeschäfte vor. Dagegen
brauchte man die Unterstützung des Amts in Schuldsachen,
den Hauptinhalt des Borchbuches bilden WilOmre, d. h. Ver-
pflichtungen von Schuldnern vor dem Amtmann, ihre Gläubiger
innerhalb bestimmter Frist bei Strafe^) zu befriedigen. Durch
diese Einrichtung wurden Klagen um Schuld möglichst ver-
mieden.
Aber die Verwilderung gerade in den wichtigsten Akten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit war auf die Dauer unhaltbar.
Wo das Gericht versagte, mußte das Amt eingreifen. Schon
1571 hatten die Städte angeordnet, daß Besitzveränderungen
nur mit Vorwissen des Amtmanns geschehen sollten,*) ohne
Erfolg. Vogeler konnte 1579 klagen: Die Leute tragen ihr
Out auf, ohne dem Amtmann das geringste davon zu sagen,
da es doch an keinem Ort gestattet ist, der Untertanen Haus,
Hof und Acker ohne Vorwissen der Obrigkeit zu überlassen.*)
Doch nichts änderte sich. Erst 1602 wurde im Rezeß be-
stimmt: da die Landleute bis jetzt ihre Erben in Privat-
schriften verpfändeten, häufig unter großem Betrug auf das
Dreifache ihres Wertes, so sollten die Verpfändungen hinfort
vorm Hauptmann geschehen und ins Amtsbuch oder Protokoll,
das zu dem Behuf sonderlich gehalten werden solle, ein-
geschrieben werden, doch solle der Hauptmann nichts dafür
nehmen, nur dem Amtschreiber ein Schreibgeld von vier
Schilling etwa entrichtet werden. 1611 hieß es: Jeder Ver-
kauf , Verpfändung und andere Contract muß vor dem Haupt-
mann geschehen, 1617: Wenn hinfort Erben verkauft werden,
soll der Kauf in das Amtsbuch auf dem Hause verzeichnet
werden, andernfalls der Kauf unverbindlich ist.
Wurden diese Verordnungen auch durchaus noch nicht
befolgt, so ist doch eine gewisse Wirkimg unverkennbar.
Der Charakter des Ambtshichs oder Protocol im Ambt Berger-
Ich notierte mir als gelobte Strafen zehn Taler, eine Tonne Bier,
Auspfändung und Einlager.
Rezeß V. 1571.
^ Vogeler an Hbg. 1579 Aug. 9.
316 Hans Kellinghusen,
torffy das seit 1605 in fortlaufenden Bänden erhalten ist,
änderte sich allmählich. Blieben auch noch lange Willküre
der Hauptinhalt, so drangen doch immer steigend andere
Rechtsgeschäfte ein, namentlich Verpfändungen und Erb- und
Hauskäufe. Im Jahre 1615 endlich wurde neben dem Amts-
buch das schon 1602 beschlossene Pfandprotokoll angelegt')
So war auch auf diesem Gebiete manches zur Vor-
bereitung geschehen, das Entscheidende, die Wiedereinführung
gerichtlicher Verlassungen und die Anlage von Grundbücheni
erfolgte erst nach der Verwaltungsänderung.
3. Kriegswesen und Herrendienste.
Friedens- und Rechtsschutz nach innen und außen, das
waren die ältesten und lange Zeit die einzigen Angaben des
Staats. Aber wie die Untertanen das Gericht unter der
rechtschützenden Hand des Staates selbst verwalteten, so
unterstützten sie auch bei der Verteidigung, soweit das zweck-
mäßig war, die Herrschaft durch persönliche Dienste; Landwehr
und Burgwerk waren altbekannte Pflichten. Doch gerade
das Kriegswesen führte schon früh zu einer so komplizierten
Entwicklung, daß hier zuerst das Prinzip der Arbeitsteilung
über das der Beteiligung der Gesamtheit an den öffentlichen
Angelegenheiten siegte. Das Amt Bergedorf machte keine
Ausnahme. Darum waren der Bau und Unterhalt der beiden
Burgen Bergedorf und Ripenburg sowie die Sicherung des
Amts vor feindlichen Angriffen und Diu*chzügen unzweifelhaft
die Aufgaben, die sich die Städte bis tief in das 16. Jahr-
hundert hinein am meisten angelegen sein ließen.
Schon der Vergleich von 1422 bestimmte, daß die Städte
notwendige Bauten oder Verbesserungen an den Schlössern
auf gemeinsame Kosten ausführen lassen sollten,*) und danach
ist in aller Folgezeit verfahren. Für die Ripenburg wendete
Hamburg gleich 1420 376®^ (etwa 25 000Mk.) auf, aber
ofEenbar legte man auf ihre Unterhaltung wenig Wert, in
den Jahren 1465 — 71 wurden zuletzt für ihren Ausbau 1680^
Ein Band 1615—20.
' Lüb. U. B. VI, 434.
I
i
Das Amt Bergedorf. 317
(ca. 50 000 Mk.) ausgegeben, seitdem geschah nichts Bedeu-
tendes mehr, 1512 wurde sie wegen Baufälligkeit niedergelegt.^)
Die Höhe der Aufwendungen beider Städte für das
Haus Bergedorf läßt sich aus der Rubrik ad structuram
Bergherdorp der erhaltenen Hamburger Kämmereirechnungen
genau feststellen, den besten Überblick wird eine Zusammen-
stellung nach den Verwaltungsperioden ergeben:*)
1464 bis 70: 5011 -^ 1524 bis 30: 485 ^
1470 „ 76: 3020 „ 1530 „ 36: 1614 „
1476 „ 82: 1139 „ 1536 „ 42: 1912 „
1482 „ 88: 1272 „ 1542 „ 48: 2223 „
1488 „ 94: 462 „ 1548 „54: ? „
1494 „ 1500: 1987 „ 1554 „ 60: 1629 „
Die 1464 — 76 ausgegebene Summe entspricht heutigen 250000
Mark. Seitdem wurde nur das für Verteidigung und Wirt-
schaftsbetrieb unumgänglich Nötige angeschafft, an Neubauten
werden nur ein Blockhaus (1478) und ein Turm (1486) erwähnt.
Auch hier zeitigte das 16. Jahrhundert eine Periode der
Vernachlässigung der Verwaltung.
Das Haus geriet infolgedessen je länger, je mehr in
«inen jämmerlichen Zustand. 1553 schrieb der Amtmann an
die Städte: Ihr wißt, daß im Hause die Mauer sich getrennt
hat, auch der Giebel über meiner Kammer sich in kurzem
voneinander geben wird, und als 1554 ein Überfall Herzog
Heinrichs von Braunschweig drohte: Ich habe sofort die
Mauern von dem blauen Gange bis an die banniten (?) mit
13 oder 14 Stützen stützen lassen. Die Mauer hinter dem
Backhaus ist einen Fuß auseinandergegangen und wan J. Erb. W.
nicht anders dartho dhon wolden, mochte gi fehl lever Ovulen,
dat idt hir vor ein Ittsthuss stede, alse dat dar ein whall
tüimme gheitt. Und daran knüpfte er die zu Herzen gehende
Koppmann, K&mm. Rechn. n, S. 35. Vergl. S. 227.
*) Die Pfundw&hnmg der Hechnungen ist in die MarkwÄhrung umge-
rechnet, Bruchteile von Mark sind ausgelassen, um die Übersicht zu
erleichtem. Zu dem hamburgischen ist der lübsche Anteil hinzuge-
rechnet, unter Berücksichtigung dessen, was sich als von Lübeck auf
hamburgische Auslagen zurückgezahlt in den Rechnungen findet
318 Hans Kellinghnsen,
Mahnung: Leven Jieren, gi weiden Iw up de van Liiphe vor-
lathen, und de van LtipJce vorleilien sich up Iw, daracer seihe
ick twisschen twen stolen dahl}) Mehrfach waren die Vorteile
des Kondominiums hervorzuheben, mit knapperen Worten
konnte man seine Nachteile nicht schildern.
Der Verfall des Hauses ging weiter; 1571 war ein
großer Teil der alten Mauer eingefallen und der Graben fast
ganz damit gefüllt; die Städte erkannten endlich selbst, daß
es ihnen schimpflich und schädlich sei, das Haus dergestalt
in Grund verfallen zu lassen. Für die Erneuerung stellte
Lübeck folgende Grundsätze auf: Das Haus als Festung auf-
zurichten widerspricht der natürlichen Lage und die Unter-
haltung macht dann große Unkosten. Doch ist es auch nicht
gut, es ganz abzuschaffen, zu schleifen und zu verwüsten.
Die Hauptleute müssen dort sicher und vor einem plötzlichen
Überfall befriedigt wohnen. Deswegen ist das Gebäude als
ein verwahrter Edelmannshof anzustellen.*) Demzufolge wurde
im Rezeß vorgeschlagen, den Wall zu schleifen und damit
den äußersten Graben zu füllen, im übrigen die Geb&ude
gründlich zu erneuern.') Aber nirgends zeigte sich so deut-
lich wie hier die ungeheure Schwerfälligkeit der gemeinsamen
Verwaltung. In deren Erkenntnis hatte Johann Moller ohne
ausdrückliche Zustimmung der Städte schon 1567/68 ein
neues Gebäude mit 6000 -^ Kosten (ca. 60000 Mark) aufrichten
lassen, um wenigstens eine feste Wohnstätte zu haben. Die
Bezahlung dieser Summe spielt in den Verhandlungen der
folgenden Jahre eine Hauptrolle, im übrigen geschah noch nichte.
1583 stellte man wieder fest, daß die mangelhaften
Gebäude einer geringen Reparatur bedürften, damit sie nicht
gänzlich einfielen (!)/) Und endlich unter Franz von Stiten
(1584 — 90) schritt man zu größeren Neubauten. Das Mittel-
gebäude, dessen Einsturz zu befürchten war, wurde ganz
abgetragen, und der Neubau nach den Plänen der städtischen
Baumeister an Zimmer- und Mauerleute kontraktlich über-
') V. Elthen an Lüb. 1553 März 16; au Hbg. 1554 April 25, 26.
^ Moller an Hbg. 1571 Mai 24, Lübsche Instr. 1571 Okt. 26 § 2.
*) Im Rezeß 1571 ad ref. angenommen.
*) Lübsche Instr. 1583 Aug. 24, Rezeß § 3.
Das Amt Bergedorf. 319
tragen. Die Untertanen wurden, wie ausdrücklich hervor-
gehoben wurde, zu den ihnen dabei wohl gebührenden Diensten
nicht herangezogen.^) Mit einem Aufwand von 15 980 -^
(etwa 125 000 Mark) wurde das neue große Haus aufgeführt,
weiteres geschah auch damals noch nicht. Erst 1610 erfolgte
wieder ein gründlicher Neubau des Wohnhauses oder Ritter-
saals, von dem eine in das Schloßtor eingelassene Tafel noch
heute Kunde gibt.*)
Zur kriegsmäßigen Instandhaltung der Schlösser gehörte
ihre Ausrüstung mit den nötigen Verteidigungswerkzeugen.
Einiges wurde auf gemeinsame Kosten der Städte ange-
schafft,*) das meiste aus dem Arsenal der verwaltenden Stadt
geliefert und im 15. Jahrhundert bei der Umwechselung der
Ämter von einer Burg zur andern mitgenommen.*) Nach der
Niederlegung der Ripenburg scheint es durcheinander gekommen
zu sein. Denn 1556 wurde von Hamburg vorgeschlagen und
von Lübeck angenommen, das Geschütz auf dem Haus zu
teilen, damit jeder sein Teil in sein Gewahrsam bringe.*)
Künftig achtete man auf eine gleiche Verteilung der Lasten.*)
Nach einem von Jürgen v. Holte bei seinem Amtsantritt 1554
aufgenommenen Inventar waren damals vorhanden (verteilt
im Zwinger, im langen Hause, über der Kapelle, unter der
Banitzen, im Zwinger hinter dem Stall, auf dem langen und
auf dem kurzen Wall, auf dem Blauen Turm und im Wald-
graf entum): 8 Büchsen, klein und groß, 8 Steinbüchsen (Ge-
schütze, aus denen Steine geschossen wurden), 6 Stücke,
5 gegossene Stücke, davon 3 mit dem Mörser, 2 halbe Schlangen
(Geschütze mit langem Rohr), 20 Scherpentiner (Feldschlangen),
30 Haken (schwere Feuergewehre), 6 doppelte Haken, 12 halbe
Lübsche Instr. 1587 Okt. 4, Rezeß § 2, Hbg. an Ltib. 1588 Dez. 21,
Kontrakte mit dem Zimmenneister Hans y. Rode 1588 Aug. 29 und
Mauenneister Peter Dames 1588 Aug. 22 im Orig. zu Lübeck.
*) Pasche an Visit. 1614 Sept.
^ 1474 zwei Bombarden im Werte von 107 und 92 -^ mit 277 großen
Steinen, Kämm. Rechn. m, S. 162.
*) Lüb. U. B. rX, 143; Brekewold an Lüb. 1464 Sept. 4.
») Lüb. an Hbg. 1556 Mai 15.
«) Rezeß V. 1578 § 10.
320 Hans Kellinghnsen,
Haken, 2 Sturmhaken, 1 Gießkelle, 3 kleine Mulden Blei,
7 Tonnen Kraut.
Die gewöhnliche Besatzung der Schlösser war nicht
stark: außer der Dienerschaft in Bergedorf zwölf, in Ripen-
burg acht wehrhafte Leute. ^) Sobald aber Krieg" oder Über-
fall drohte und namentlich zum Schutz gegen unbeschäftigte
plündernd umherziehende Söldnerscharen, die Landplage des
16. Jahrhunderts, wurden von den Städten Verstärkungen
geschickt und aufs Haus oder in die Lande gelegt.*) War
ihre Zahl auch nicht gerade groß, so reichte sie doch aus,
das Land vor allen Plünderungen bei Söldnerdurchzögen za
schützen, während die benachbarten herzoglichen Lande oft
schwer unter dem Gesindel zu leiden hatten. Die Bewachung
der Elbe durch Schiffe mit Bewaffneten hinderte überdies alle
umherziehenden Landsknechte, vom jenseitigen Ufer bei Eis-
lingen überzusetzen. Nur einmal im Jahre 1545 mußten 2O00
Landsknechte, die vom König von Dänemark angeworben
w^aren, mehrere Wochen lang im Amt verpflegt werden.*)
Die Einquartierung war noch keine dem Staat geschuldete
Naturalleistung. Als 1550 bei Kriegsgefahr 20 Landsknechte
ins Amt gelegt werden sollten, wurde der Amtmann beauftragt,
mit den Bürgern in Bergedorf zu handeln, daß sie sie unter
sich verteilten und eine Zeitlang versorgten. Wären sie
jedoch nicht dazu zu bewegen, dann müßten die Knechte
auf Kosten beider Städte besoldet werden.*) 1556 wurde
den Untersassen ein Kostgeld bewilligt, und als es 1557
noch nicht bezahlt war, weigerten sie sich, schon wieder
Knechte aufzunehmen.'^)
Vergl. S. 249.
') 6 gute Schützen nach Bergedorf erbeten, Hans Haveman an Lüb. 1436
Okt. 20; 10 Knechte nach Bgd. gesandt 1457, Lüb. U. B. IX, 466;
26 Soldaten dorthin 1471, Kämm. Rechn. HI, S. 35; 14 wehrhafte
Söldner nach Ripenburg erbeten, Lüb. an Hbg. 1474 Dez. 26 ; 20 Mann
gesandt, v. Hutlem an Hbg. 1532 Sept. 2, Koel an Hbg. 1544 Juni 27;
60 Mann, darunter wenigstens 2 Büchsenschützen, erbeten, Koel aa
Hbg. 1547 Febr. 27.
^ Koel an Hbg. 1545 Okt 6, 9, 24.
^) Lüb. an Hbg. 1550 März 29.
*) V. Holte an Hbg. 1557 März 31.
Das Amt Bergedorf. 321
Lag SO der Schutz des Amts vor Kriegsgefahren wesent-
lich in den Händen der Städte, erloschen war die Beteiligung
der Untertanen keineswegs. In Zeiten der Not wurde noch
immer die alte Pflicht der Landwehr gefordert. Der Bauer
in den Landen war wohl von jeher mit Waffen versehen und
das Heergewät erbte von Geschlecht zu Geschlecht fort.
Schlechter stand es im Städtchen. Hier waren nach der
Schilderung des Amtmanns v. Stiten 1454 nur blutarme Leute,
die keine Were hatten, von denen aber doch wohl jeder sich,
eine Armbrust und einen Schild anschaffen könnte.^) Hundert
Jahre später waren im Blecke auch nur 40 bis 50 Leute, die
man zur Wehr gebrauchen konnte.*) Aber der alte Kriegsheld
Ditmar Koel gab sich alle Mühe, die Kriegstüchtigkeit seiner
Untersassen zu heben. Als 1545 plündernde Söldner ins
Amt zu ziehen drohten und Hamburg befahl, den Untertanen
anzusagen, daß sie mit Wehr und Rüstung gefaßt sein möchten,,
da bot er sie sofort ungefähr 800 Mann stark auf und legte
sie längs der Elbe, wo sie vier Tage Wache halten mußten.*)
1547 und 1548 berichtet er gar von Heerschauen, die er
abgehalten habe. Wieder fanden sich die Insassen des Amts
mit ziemlich guter Wehre, Geschütz und Spießen ein.*) Auch
1579 wurde, als ein Überfall drohte, in großer Eile alles, was
in den Vierlanden wehrhaftig war, aufgeboten.*) Eine Vor-
schrift von 1593 lautete: Da jetzt sehr gefährliche Zeitläufte
sind, sollen alle Bürger und Einwohner zu Bergedorf, in-
gleichen die Untertanen in den Vierlanden, besonders die
Hufner, mit langen Röhren und tüchtigen Gewehren sich ver-
sorgen.^ Als aber der Amtmann 1601 die Landleute durch
die Landvögte fragen ließ, ob sie in einem Notfall, wenn er
sie bitten oder die gewöhnlichen Lose schießen ließe, mit
ihren Wehren nach Bergedorf kommen würden, konnten die
') Lüb. ü. B. IX, 445, 466.
^ Koel an Hbg. 1544 Juni 26.
^ Hbg. an Koel 1545 Mai 30, Antwort Mai 31, ebenso 1545 Sept. 23,
1547 Mai 11.
Koel an Hbg. 1547 März 2, 1548 Apr. 22.
») Vogeler an Hbg. 1579 Dez. 20.
^ Rezeß V. 1593 § 13.
322 Hans Kellinghusen,
Vögte nur den Bescheid einbringen, daß sie von den auf den
Kirchhöfen versammelten Landleuten gar keine Antwort be-
kommen hätten.^) Zur Übung der Untertanen diente das Ab-
schießen des Papagoyen oder Vogels, das in den einzelnen
Kirchspielen jährlich um Pfingsten stattfand.*) Zu demselben
Zwecke wiu-de ihnen die Jagd auf Federwild gegönnt.*)
Großen Widerstand erregte die Forderung an die Unter-
tanen, in gefährlichen Zeiten auf den Wällen des Hauses
Nachtwachen zu leisten, und das unkriegerische Wesen be-
sonders der Stadtbewohner tritt hier klar zutage. Zwar
rühmten sie sich wohl, wie sie bereit wären, ihr Leben für
die Städte in die Schanze zu schlagen, aber die Amtmänner
dachten anders darüber. Von Elthen meinte 1550: Sollte
ich Leute aus den Landen zur Nacht auf das Haus fordern,
würde es großes Geschrei geben. Und 1554 klagte er:
Gestern konnte ich mit unseren Bürgern kaiun so viel küren,
daß 10 am Abend auf den Wall kamen. Dat is ein motwiUich
unde vorzaget folck, tröste mi godt, wan ick mit ohne scholde
wat uthrichten}) Und die Bergedorfer Gemeinde gestand 1567
selbst ihre Feigheit ein: zu unserm großen Verderb und zu
unvermeidlicher Flucht und Wegziehen von dannen wird uns
zugemutet, dem Hause Bergedorf Nachtwachen zu leisten.
Trotzdem gelobte sie im Vertrag mit dem Amtmann, sich im
Falle der Not willig zu erzeigen.*) Der Wert dieser Hilfe
war jedenfalls sehr geling.
Neben der Landwehr bestand die alte Pflicht des Burg-
Werks fort. Die Hufner in den Vierlanden leisteten Spann-
dienste mit Pferd und Wagen, die Kätner Handdienste.
Die Bewohner Bergedorfs waren vom Burgv^'erk nicht befreit,
AmtsprotokoU 1601 Aug. 3 (S. 46).
2) Rezeß V. 1593 § 13, Bgd. Suppl. an Lüb. 1617 Sept. 8 § 7. In Curslack,
wo der Vogel am Montag in den Pfingsten geschossen wurde, schlug
die geistliche Visitation 1578 vor, das Fest auf den Dienstag zu ver-
legen, um das Predigtamt nicht zu verhindern.
^ Rezeß V. 1571 Beschwerung der Untertanen § 4; Lüb. an Hbg. 1671
Nov. 6: es sei nach Gelegenheit zu gönnen, damit es nicht zu gemein
wird und uns auch was davon bleibt; Rezeß v. 1572 § 11.
*) V. Elthen an Lüb. 1550 März 9, 1554 April 26.
*^ Bgd.^ Suppl. an Lüb. 1567 Juni 20, Vertrag § 2.
Das Amt Bergedorf. 323
auch sie mußten Handdienste tun. So bestimmte es der Ver-
trag zwischen Amtmann und Blek aus dem Jahre 1568: Wenn
zu Notdurft des Hauses nach Ermessen des Hauptmanns oder
aus Befehl beider Städte gebaut, gegraben, gewallt oder
gearbeitet wii-d, dann sollen die Bürger und Einwohner im
Blek, wenn die Ordnung an sie kommen wird, gleich andern
Untertanen in den Vierlanden getreulich die Arbeit mit der
Hand leisten. Die Mieter waren gleich ihren Hauswirten
verpflichtet. 6 ß Strafe traf den, der den angesagten Dienst
versaß.^) Als es über die Auslegung dieses Vertrages zu
Mißverständnissen kam, wurde 1575 ausdrücklich hervor-
gehoben, daß die Bürger nur Handarbeit und Hilfe tun sollten,
wenn etwas auf dem Haus an Wällen und Graben vorfalle,
damit unter den Hausleuten (den Vierländer Hufnem) und
Bürgern ein gebührlicher Unterschied sei.*)
An das eigentliche Burgwerk hatten sich nämlich im
Laufe der Zeit andere Hofdienste angeschlossen, deren Ver-
schiedenheit von den öffentlich rechtlichen Leistungen nicht
mehr empfunden wurde. Man hob wohl gelegentlich aus den
Herrendiensten die Dienste zur hohen Burg heraus,*) aber
praktisch gingen alle Herrenhofdienste ineinander über.
Aus der Zeit der beiden Ämter war beibehalten, daß
die Curslacker und Altengammer zur Burg Bergedorf, die
Neuengammer und Kirchwärder zur Ripenburg dienten. Eine
») Vertrag 1568 Aug. 18 § 1.
^ Bat und Gemeine zu Bgd. an Hbg. 1571 Febr. 11: es sei immer
Gebrauch gewesen, daß die Ligger, Wächter und Diener den Graben
um das Haus geeist hätten, die armen Einwohner des Blekes seien
niemals damit beschwert Um Neujahr habe der Hauptmann, weil
das Eis dicht wurde und böse Zeitung kam, den Bürgermeister ge-
beten, die Bürger einmal zum Eisen zu bereden, er wolle es auch
nicht wieder fordern. Aber nach 3 Tagen habe er es schon wieder
geboten. Bezeß v. 1571 § 6: die Leute sollen über den Vertrag von
1568 nicht beschwert werden; Nebenabschied § 2: wenn im Winter
der Hauptmann und sein Volk mit dem Eisen ums Haus nicht fertig
werden können, sollen die, welche in des Fleckens Graben (im Blick-
graben) nicht eisen, auf des Hauptmanns Erfordern um das Haus zu
eisen schuldig sein. Lübsche Instr. 1575 Aug. 6.
^ Hofdienste zur Hohenburg und zum Haus Bergedorf, Pasche an
Lüb. 1610 Aug. 31.
324 Hans Kellinghusen,
Gegenüberstellung, wie die Lande selbst sie 1602 gaben,
zeigt, daß dadurch die beiden kleinen Lande bedeutend schwerer
belastet waren. Die gewöhnlichen Hofdienste der Curslaeker
und Altengammer waren: 1. die eigentlichen Frondienste:
Misten und Mähen in der Hofwirtschaft des Amtmanns;
2. Dienste am Wall und Burggraben (das alte Burgweit),
dazu an Vorwerk, Scheunen, Kombergen, Höfen und Kom-
mühlen; 3. Deichdienste an den herrschaftlichen Deichen vor
der großen Elbe, in der Borghorst und am Brockdeich längs
des Hauses Bergedorf Land, schließlich gemeinsam mit den
beiden andern Ländern am Zollenspieker. Dem konnten die
Neuengammer und Kirchwärder nur gegenüberstellen: 1. Fron-
und Hofdienst am Vorwerk, Scheunen, Kombergen und Wind-
mühlen der Ripenburg; 2. Pflügen und Mähen auf dem Ripen-
burger Acker; 3. die Beihilfe zum Deich am Zollenspieker/)
Eigentliches Burgwerk gab es für sie seit der Niederlegung der
Ripenburg nicht mehr, das Amtsland war nur 120 Morgen
groß. Dem wiederholten Bestreben der beiden kleinen Lande,
die andern zu ihren Diensten heranzuziehen, gegenüber konnten
freilich besonders die Kirchwärder mit Recht auf die schwerere
Arbeit an ihren eigenen Deichen verweisen.*) Die Hofdienste
wurden nicht nach Morgenzahl geleistet, sondern nach uraltem
Herkommen regelte sich die Pflicht des einzelnen,^ d. h. jeder
hatte, wenn der Dienst gefordert wiu-de, eine bestimmte
Leistung; z. B. kam es vor, daß der eine den Wagen, der
zweite das Pferd, der dritte den Knecht stellte; denn bei
Hufenteilungen \\nirden auch die Dienste zerlegt. Der Kätner
dagegen hatte stets mit seiner Hand gegenwärtig zu sein.
Der Dienst, der so für jeden einzelnen feststand, wurde
offenbar nach dem Bedürfnis in einer bestimmten Reihenfolge
von allen Amtseingesessenen gleichmäßig gefordert;*) der
*) Beschwerden der Curslaeker und Altengammer, der Neuengammer mid
der Kirchwärder o. D. (1602).
^ Weigerung zur Besserung der Bergedorfer Mühle zu helfen, Hbg. ai
beide Kirchspiele 1539 Mai 6, Beschwerden der Alteng-, und GuzsL
1550 Juli 22, 1602 (Anm. 1), 1617 Sept. 22.
*) Pasche an Lüb. 1610 Aug. 31.
*) Vergl. im Bergedorfer Vertrag 1568 (S. 323): wenn die Ordnung ai
sie kommt.
Das Amt Bergedorf. 325
Hausvogt hatte die Aufsicht, daß niemand übergangen und
tüchtige Personen, keine Kinder geschickt wurden.^ Von
dieser gleichmäßigen Pflicht erwirkten sich 1616 die Klein-
kätner in Kirchwärder, die zu zweien oder dreien in einer
Kate ohne Land wohnten, 63 an der Zahl, eine Ausnahme:
sie brauchten nur eine Reise um die andere dem Hause
Bergedorf mit der Hand zu arbeiten.*)
Der Amtmann war verpflichtet, den Dienstleistenden
Kost und Bier zu verabreichen — als Mahlzeit wurden 1571
zwei Wecken, ein Hering oder ein Käse oder ein Stück Speck
festgesetzt*) — , durfte aber für jeden Dienst 1 ß Entschädigung
aus der Amtskasse erheben. Das gab Veranlassung zur
Führung von Handdienstregistem. Aus ihnen und den Amts-
rechnungen läßt sich die Höhe der dem Haus Bergedorf ge-
leisteten Handdienste feststellen:
1568 Dez. 8 bis 1569 Febr. 26: 781 Handdienste
1569 Nov. 23 „ 1571 Dez. 21 : 7465 „ jährUch 3600
1572 Neuj. „ Mich. 1398 „ \
1572 Mich. „ 1573 Ostern 1473 „ ) "
1574 Ostern „ Mich. 1750 „ „ 3500
1589 Ostern „ 1590 Ostern 2857 „ „ 2850
1601 Mich. „ 1602 Mich. 2760 „ „ 2750
Die Handdienste verteilen sich vornehmlich auf Bergedorf,
Curslack und Altengamme, die 1570 zusammen etwa 300 Haus-
haltungen hatten. Das ergibt für den einzelnen 8 — 10 Tage
Dienst jährlich. Zu dem Resultat stimmt, daß einem Alten-
gammer Hufner, dessen durch Deicheinbruch geschädigte Hufe
den vollen Hofdienst nicht tragen konnte, dieser auf vier
Tage nacheinander im Jahr ermäßigt wurde.*) Die Dienste
waren nicht drückend, zumal für den Hufner, der ein Gespann
abgebend noch genügend Kräfte für die eigene Wirtschaft
Vergl. S. 256.
') Landgerichtliches Urteil vom 14. Juni 1616; im Amtehuch (S. 115)
eingetragen 1618 Aug. 19. Dieser dem Haus Bergedorf geleistete
Dienst kann sich nach obigem nur auf den Deich am Zollenspieker
beziehen.
3) Kezeß V. 1571.
*) AmtsprotokoU 1610 Febr. 26 (S. 210).
2t8chr. d. Vereins f. Hamb. (}e8ch. Xm. *^
326 Hans Kellinghiueiif
behielt. Man vergleiche damit die 104 Spann- und Hand-
tage, die die grundherrlichen Meier und K&tner im Lflne-
burgischen leisten mußten.') Hinzu kommt, daß die eigent-
lichen Frondienste nur einen ganz kleinen Teil der Dienste
ausmachten, während das Burgwerk und die Arbeit an den
herrschaftlichen Deichen*) eine direkte Beteiligung der Unter-
tanen an der Verwaltung bezeichnete, die heute durch Steuern
ersetzt ist.
Gelegentlich verzichtete man schon damals auf die Dienste
der Untertanen: so beim Neubau des Hauses 1584 (s. o.\
Eine besondere Bemerkung verdient der Holzfuhrdienst, der
bereits 1593 von einer Naturallast in eine Greldzahlung vct-
wandelt wurde, zwar nicht aus wirtschaftlichen Gründen,
sondern weil der Holzbestand im Amt erschöpft war. Das
Haus verbrauchte jährlich in der Küche 120 Faden,*) an den
übrigen 14 FeuerstMten auch 120 Faden, zum Backen und
Brauen 64 Faden Eichenholz, außerdem für die Darre, an!
der das Malz getrocknet wurde, 8 Faden gutes Buchenholz.^
Das Holz war ursprünglich aus dem den St&dten zur Hälfte
gehörenden Sachsenwald, seitdem die Lauenburger Herzögt
seine Benutzimg verhinderten, aus den Holzungen des Amts,
namentlich dem Vaßmerstal am Gojenberg, genonunen; seine
Zufuhr oblag den Curelackem und Altengammem als Hof-
dienst. Nach dem Register von 1570 mußten in Altengamme
22 Fahrer 240 Fuder, in Curslack 26 Fahrer 452 Fuder an
Hofholz fahren, nach Angaben aus dem Jahre 1593 waren
in Altengamme 228, in Curslack 394V« Fuhren zu leisten.
Schon früh konnte die Pflicht durch Geld abgelöst werden:
Johann Möller (1566—72) erhob statt des Fuders V« Gkdden,
ebenso seine Nachfolger 12 /?, 1583 wurde die Sunune auf
10 ß, 1590 weiter auf 8 /? herabgesetzt.*) Inzwischen war
Wittich, Gnmdherrschaft.
^ Näheres im nächsten Abschnitt
*) Ein Faden = 2,09 cbm.
*) Bericht Schultes 1593 Aug. 23: da der Faden Buchenhols 2 ^, Eichel-
hobs 3 -^ 14 /{ kostete, wären zum Ankauf des Hokes 689 ^ nöti^
gewesen.
*) Lflbsche Instr. 1581 Sept. 18, Rezeß Ton 1583 § 10 und 1690 § Ifi.
Das Amt Bergedorf. 327
das verfügbare Holz völlig aufgebraucht. Da verwandelte
die Visitation von 1593 die Naturalleistung in eine Geld-
zahlung, für die auch die Kirchwärder und Neuengammer
durch das Versprechen, dafür von allem früheren Hofdienst
und anderer Arbeit gänzlich eximiert zu sein, gewonnen wurden.
1596 wiu-de das Holzgeld endgültig auf 1 /? von jedem Morgen
Landes festgesetzt, nachdem ursprünglich 2 ß geplant waren.
Der jährliche Ertrag war 494 -^ 14 /J 3 ^.')
4. Deichwesen, Wasser- und Wegebau.
Die Herrenpflichten bezeichneten nur den kleineren Teil
der Verwaltungsaufgaben, an denen sich die Untertanen durch
eigene Leistungen beteiligten. Wichtiger waren die Pflichten,
die der einzelne Eingesessene im Lande seinem Nachbar gleich^
leisten mußte. Sie werden einmal dahin charakterisiert, daß
jeder in Wassers-, Feindes- und Feuersnöten recht und
seinem Nachbar gleich tun müsse.*) Die eigentlichen genossen-
schaftlichen Aufgaben, die gerade in den Marschländern ganz
in den Vordergrund treten, sind darin mu* angedeutet: es
sind Deichbau, Wasserableitung und Wegebau, die in ihrer
Gesamtheit ebensosehr dem Schutz des Landes wie dem Verkehr
dienten. Eben wegen ihrer Wichtigkeit konnte eine Beteiligung
der Herrschaft an diesen Verwaltungsaufgaben nicht aus-
bleiben, doch ging sie über ein Aufsichtsrecht im allgemeinen
nicht hinaus; nicht nur die eigentliche Arbeitsleistimg, auch
die Leitung lag wesentlich in den Händen der Eingesessenen
xmd ihrer Beamten. Es war ein merkwürdiger Gegensatz zur
Gegenwart. Gerade die einzige Pflicht, die, wie man heute
erkannt hat, allen gemeinsam sein muß, die Landesverteidigung,
hatte der Staat damals der Gesamtheit entzogen und in die
Hände weniger Söldner gelegt, alle anderen Staatsaufgaben,
die heute arbeitsteilig von besoldeten Beamten und vom Staate
angestellten Arbeitern ausgeführt werden, waren damals noch
der Gesamtheit überlassen, und die wenigen staatlichen Beamten
übten in der Hauptsache nur ein Aufsichtsrecht aus.
Rezesse Ton 1593 und 1596.
^ Brandt an Hbg. 1606 Mai 4.
3) Brandt an Hbg. 1603 Dez. 20.
328 Hans Kellinghiueiif
Peichwesen.]^) Der Bau und die Erhaltung der Deiche
ist für alle Marschländer die wichtigste, ihre Existenz be-
gründende und bewahrende Aufgabe. Über die erste Anlage
der Vierländer Deiche wissen wir nichts. Die ersten Siedler,
die sich durch ihre Arbeit das Recht auf das gewonnene
Land erwarben, sind vermutlich von Heinrich dem Löwen
und später von Graf Albrecht von Orlamünde herbeigezogoi
worden.*) Ihre heutige Gestalt erhielten die Vierlande erst
durch die Abdeichungen der beiden nunmehr Doye(Taabe)-
und Gose(Trockene)-Elbe genannten Eibanne. Wann ge-
schahen diese für den Ausbau des Landes wichtigsten Werke,
die erst aus ihm ein zusammenhängendes Gebiet machten?
HObbe gibt, freilich ohne jede Begründung, als Zeit für die
Abdeichung der Doveelbe am Gammerort 1482, fOr die Grose-
elbe am Krauel gar erst 1488 — 92 an*) und hat damit viele
Nachfolger gefunden. Doch sind das unhaltbare Zahlen. DaS
der Kraueldeich zwischen Ncuengamme und Kirch wärder bereits
ein Menschenalter vor 1344 gebaut ist, hat VOIGT festgestellt*)
Aufschlüsse über die Entstehung des Gammerdeichs gibt em
Schreiben Herzog Heinrichs von Braunschweig-Lüneburg an
Hamburg von 1482, das nach einem Vorschlag des Rats von
Lüneburg vom Jahre vorher verfaßt wurde.*) Darin heißt
es, daß die beiden Städte den Deich zu einer Zeit hätten
legen lassen, als die Herrschaft dem Rat zu Lüneburg Schloß
und Vogtei Winsen verpfändet hatte. Zur selben Zeit sei
verabredet, den Deich wieder zu beseitigen, wenn er dem
Lande Lüneburg Schaden bringen werde. Das sei auch
sonderlich durch den verstorbenen Herzog Otto den Sende-
boten der Städte auf einem Tage zu Stockte verkündigt
*) Vergl. J. GlERKE, Geschichte des deutschen Deichrechts I (1901); Art.
Deichfoesen im Handw. d. Staatsw. Die letzte zusammenftiaaeiide
Darstellung des Deichhaus bei LiNDE, die Niederelbe (1908) S. 56 ff.
^ Vergl. S. 190 f.
^ Erläut. z. Ausbildung des Eibstroms S. 35.
*) Vergl. S. 204.
^) Beide Schreiben, von 1481 Okt. 24 und 1482 Jan. 27, merkwürdiger
weise bisher übersehen, sind abgedruckt in der hamburgischen De-
duktionsschrift über den Gammerort von 1620 S. 52 ff. Schon du
Datum dieser Schreiben macht HÜBBEs Annahme unhaltbar.
Das Amt Berg^edorf. 329
Als Herzog Otto (1464 — 71) dies tat, muß er also noch im
Ungewissen gewesen sein, welche Wirkung der Deich haben
würde, der Tag zu Stockte muß also vor oder während des
Baues stattgefunden haben. Die Vogtei Winsen wurde nun
erst einige Monate nach dem Tode Herzog Ottos 1471 von
seinem Vater Friedrich, der die Regentschaft für seinen Enkel
übernahm, an die Stadt Lüneburg verpfändet.^) Man darf
also aus dem Briefe schließen, daß Verhandlungen über den
Bau wahrscheinlich am Ende der Regierungszeit Herzog Ottos
stattfanden, der Bau selbst bald nachher ausgeführt wurde.
Bestätigungen liefern die hamburgischen Quellen. Zu Michaelis
1470 berichten die Eänunereirechnungen von einer Zusammen-
kunft mit Herzog Otto zu Eislingen, das Stockte gerade
gegenüber lag, und unter der wohl der fragliche Tag zu
verstehen sein wird.*) 1470 und 1471 waren Zusammenkünfte
mit Lübeck am Gammerort, eben hier war Ende 1471 ein
Ratsherr ex parte hüages^) Diese Einlage am Gammerort
wird der neuerbaute Deich gewesen sein, dessen Errichtung
danach in das Spätjahr 1471 fällt. Die Kosten des Baues
scheinen von den Eingesessenen getragen zu sein, nur 1475
verzeichnen die Kämmereirechnungen 10 S" 16 /? ad usum
novi dammonis fa^ti apud Älbeam.*)
Es ist bedauerlich, daß über diesen für die Vierlande
außerordentlich wichtigen Deichbau keine eingehenderen Nach-
richten erhalten sind.*^) Die nunmehrige Dove-Elbe war ein
ungefährlicher Fluß geworden, den Bewohnern von Neuen-
gamme, Altengamme und Curslack eine bedeutende Deichlast
genommen, die hierdurch freigewordenen Kräfte konnten
wirtschaftlich genutzt werden. Die Verteidigung des großen
Eibdeiches war seitdem die wichtigste Deichaufgabe des
Landes.
Manecke, Top.-hist. Beschr. d. Fürstentums Lüneburg I S. 288.
') K. R. n, S. 442, 7. Das Datum Mich, ergibt sich aus der durch die-
selbe Gesandtschalt erfolgten Umwechselung der Ämter Bergedorf
und Ripenburg.
*) K. R. m, S. 18.
*) K. R. m, S. 209.
') Vergl. GlERKE, S. 169 ff. über das Durchschlagen von Strömen.
330 Hans Kellinghusen,
Nach einer Aufstellung aus dem Jahre 1602 betrog die
Länge der Deiche:
1. in Curslack und Altengamme
an der großen Elbe von Borg-
horst bis zum Gammerort . 1140 Ruten^
an der Dove-Elbe 1500 „
am Neuen Deich 460 „
am Brockdeich 2400 „
5500 Ruten = ca, 22 km,
2. in Neuengamme
an der großen Elbe vom
Gammerort zur Bipenburg. 1100 Ruten
an der Dove-Elbe 2125 ,,
an der Gose-Elbe 2400 ,,
5625 Ruten = ca. 22,5 km,
3. in Kirchwärder
an der großen Elbe von Ripen-
burg bis Ochsenwärder . . . 2500 Ruten
an der Gose-Elbe 2100 ^
4600 Ruten = ca. 18,5 km.
Auf jeden Morgen Landes fällt danach eine Deichlast
von am großen
insgesamt Eibdeich
in Curslack und Altengamme 8,7 m 1,8 m
Neuengamme 10,8 m 2,1 m
Kirchwärder 8,1 m 4,4 m
Kirchwärder hatte also im ganzen die kleinste, tat-
sächlich aber bei weitem die größte Deichlast wegen der
langen Strecke am großen Eibdeich. *) Und doch drohte,
zumal man sich bei den Arbeiten nicht weit voraussehend
auf das Notwendigste beschränkte, gerade diesem Lande am
meisten ein Einbruch der Elbe. Erst hierdurch läßt sich die
^) Davon hatten die Curslacker 200 Ruten, die Altengammer 1000 Bntei
zu halten, Alteng. Suppl. v. 1593 Aug. 28.
^ Die drei undatierten ins Jahr 1602 fallenden Beschwerden im Lflb.
Staatsarchiv.
Das Amt Bergedorf. 331
Bedeutung der Abdeichung ganz ermessen, die die Dove-
imd Gose-Elbe zu ungefährlichen Armen machte.
In den Vierlanden waren die Deichverbände, wie schon
die obige Aufstellung zeigt, Gemeindedeichverbände, sie fielen
mit den Kirchspielsverbänden zusammen.*) Es gab daher kein
besonderes Deichgericht, der Landvogt war zugleich höchster
Gemeinde- und Deichbeamter. Curslack und Altengamme
lagen, wie unter einem gemeinsamen Landgericht, auch in
einem Deichverband.*)
Ein jeder war nach seinem Besitz zu deichen ver-
pflichtet.^ Als 1604 Zweifel entstand, ob man auch von
Außendeichland Deichdienste zu leisten schuldig sei, wurde
im Landgericht ein urteil gefunden und bestätigt, das diese
Pflicht, wie es schon bisher geschehen war, von jedem he
sy woU he tvill forderte.*)
Die Größe des dem einzelnen Hufner zugeteilten Deich-
stückes bemaß sich seit undenklicher Zeit, wie es 1613 heißt,
nach der Zahl der in seinem Besitz befindlichen Stücke Landes
(ein Stück Land = 4 Morgen): wer viel Land hatte, mußte
auch viele Ruten Deich halten.*) Über diese vor undenklicher
Zeit erfolgte Aufteilung hat uns ein glücklicher Zufall einen
Bericht erhalten. Sie geschah im Jahre 1437. Am IQ. Juni
dieses Jahi^es schrieb der Ripenburger Amtmann Johan Vos
an den Rat zu Hamburg, daß my Clawes Schulte, ywe dener,
den gy tippe den dik to dem Oammerorde gheschikket hebben,
underrichtet heft, wo de ut der Olden Oamme unde tit der
Kurslake nenerleye urys in der Borchhorst dyken unllen, er en
de dyk ghedelet sy. Ok so vorvare ik wol, dat de ut der
Nigengamme unde ok ut dem Kerkwerder nicht gherne dik
antasten unllen, de dike en syn en ghedelet. So wet maOc,
wat he antasten schal. Wieviel der Stadt an den Deichen
Ebenso in Ostfriesland, V^ursten, Dithmarachen, Hadeln; GlERKE,
S. 190, 193 f.
') Grantzm an Hbg. 1600 Febr. 24: Cursl. und Alteng., die beide unier
ein Recht gehören und ihre Deiche unter einander liegen haben.
^ GlERKE, S. 239.
*) AmtsprotokoU 1605 Nov. 18.
^) Bericht der großen Erbe in Neuenganune 1613 M&rz 6.
332 Hans KeUingfaiueii,
besonders in Borghorst gelegen sei, wisse man in Hamburg
wohl. Da im Rat beschlossen sei, Batsherren zur Besichtigmig
und Teilung der Deiche* abzusenden, so schlage er daza
St. Margarethentag (13. Juli) Vormittags vor, so weide ik de
sworen tinde de hoveüude der lande darby verboden, desse m^
den kern umme dat lani reden (reiten) unde heseghen der d^
Idglielicheydf tippe dat se sik duste bei an dem ddende dar
mochten na richten, wente id doch en mnnavende, en sondag
xinde en manda^ III vireldaghe (Feiertage) st/n, so dat ywe
radesctimpane xmde 6k de lanüude des wol wesen mochten aBe
dingh gutlichen to vligende (ordnen). Andernfalls befOrchte
er, daß die Leute unwillig zu deichen würden, worüber die
Lande verloren gehen könnten. Die Landleute würden gerne
sehen, daß unter den Ratsgesandten ein Bürgermeister wäre,
damit das Landvolk desto gehorsamer wäre.O
Daß die Aufteilung der Deiche von den Landlentoi
lebhaft verlangt wiu-de und ihnen bereits versprochen war,
geht auch aus einem Antwortschreiben hervor, das der
Bergedorf er Amtsverweser Tideke Bramstede am 1. Februar
1437 an den Hamburger Rat richtete. Dieser hatte ihm mit-
geteilt, daß Boten der Ciu^lacker sich beklagt hätten, Bram-
stede hielte nicht, was er vor ihren Ratskumpanen gelobt
habe. Darauf antwortete Bramstede, er sei bisher verhindert
gewesen, in der Borghorst müsse notwendig ein Brack zu-
geschüttet werden, um weiteren Deicheinbruch zu verhüten.
Wan dat hrak to is, so ivill ivi de lantsivoren dar to nemen;
Werne se den dik dari to seggen dene holden, sal dat de en to
sik nemen (dann soll ein jeder die Erhaltung der Deichstrecke,
die sie ihm zuerteilen, auf sich nehmen).*) Wir werden
sonach annehmen können, daß die lange versprochene Deich-
verteilung an den von Johan Vos vorgeschlagenen Tagen,
vom 13. bis 15. Juli 1437, erfolgt ist. Und zwar kann es
sich nicht etwa um einen bestimmten, etwa neuangelegten Deich
*) Vos an Hbg. (1437) Juli 10. Vos war Amtmann 1434 — 88. Da nach
dem Schreiben der St. Margarethentag ein Sonnabend war, fäUt der
Brief ins Jahr 1437. Die drei Festtage sind: St. Margarethen, VHIp.
Pent., Divisio Apostolorum.
^ JBramstede an H\)g. in unser woven ooenl lo \v^VNv\m««v "XXXTTO..
Bas Amt Bergedorf.
333
handeln, da ja ausdrücklich gesagt wird^ daß alle vier Lande
die Aufteilung wünschten. Man kann nur annehmen — und
das könnte allerdings für die ursprüngliche Gleichheit aller
Hufen angeführt werden — , daß bis dahin die Deicharbeit
von allen Deicbgenossen gemeinsam ohne Unterschied geleistet
wurde. So haben wir hier ein wichtiges Zeugnis dafür, daß
nicht immer von vornherein der Deich unter den Siedlern
aufgeteilt war.
Neben den aufgeteilten Kabeldeichen gab es auch später^
abgesehen von den heiTSchaftlichen Deichen, noch Kommunion-
deiche. Denn ein Vertrag zwischen den großen und kleinen
Erben in Nenengamme von 1617 bestimmte, daß, so oft auf
Gebot der Vögte und Deichgeschworenen allein (d» h, ohne
Mitwirkung der Herrschaft) wegen des Landes gedeicht oder
in den Heerwegen gearbeitet werde, kinfüro nicht nmh Zahl
der Erbefif sofide^m nach advenant der Ländereiefij die ein
jeder m seinem Erbe hat und (d^o nach Morgensafü ein jeder
die Arbeit verridii&n solle. Wenn also die ganze Hufe, deren
Größe auf 40 Morgen angesetzt wurde^ zwei, dann stellte
die halbe von 20 Morgen einen Wagen. Für gi^ößeren oder
geringeren Besitz iMirde die Pflicht nach diesem Normalmaß
berechnet.') Die Kätner waren zu Handdiensten verpflichtet*
Zu den herrschaftlichen Deichen (vergL S. 324) lieferten
die Städte das Material, Holz zum Pfählen und Busch; die
ünteitanenj die diese Arbeit als Hof dienst ansahen^ mußten
Spann- und Handdienste, auch Fuhrdienste ohne Rucksicht
auf die Entfernung leisten,*)
Die Beaufsichtigung der Deicharbeiten lag in den Händen
der Deichgeschworenen (oben 1437 lantstvoren genannt), an
deren Spitze die Landvögte standen» Jede Bauerschaft stellte
aus ihren Hufnem einen Deichgeschworenen, ^) es muß also
^) Aintsbuch S. 25.
^ 1540 wurde ihneii befohlen, 60 Eicbbäume (44 — 46 Fuß laitg), die Ton
CbriBtof er von Veiten, Inhaber des Gerichts zu TrittaUf gekauft waren,
von der Hahnheide bei Tnttau herheizufahren, dazu 500 Fuder Buach,
Hb^, an Joban Grotejan 1640 Julia Rezeß 1600 § 2,
*) Vertrag über Dickitchwarenschaft in einer Neueiigauinier Bauernschaft
Ton 1619 Juli 24.
334 Hans KeUinghasen^
in den Vierlanden 17 gegeben haben, woza dann noch die
vier Landvögte kamen. Das Amt wechselte jährlich mito
den Hufnem, jeder war zu seiner Übernahme verpflichtetl
Schon 1466 war, als ein Untersasse des Klosters Beinbd:
sich weigerte, wegen seines Ackers, der mit in dem Deich-
bande in der Marsch lag, die Geschworenenschaft za übernehmen,
von den 27 Geschworenen*) über ihn gefunden, daß kein
Acker so frei sein solle, stmder lie schale holden enen amu,
utgenamen de Jierschupp unde voghede.*)
Der Wechsel im Geschworenendienst fand j&hrlich am
Petritag (Febr. 22) statt, an dem die neuen Oeschworenea
ihren Eid über Deiche und Dämme vorm Landvog^ leisteten.')
Es war Sitte, daß an Stelle des gewesenen Geschworenen
sein Nachbar in der Bauerschaft das Amt übernahm.^ Di
jedoch diu-ch den gleichmäßigen Wechsel die Eleinlinfner zn
sehr belastet wurden, wurde in Neuengamme 1617 festgesetzt,
daß die Oesctmarschup nach Morgenzahl umgehen solle, indem
auch hier die Hufe von 40 Morgen als Grundlage genommen
wurde. Der kleine Hufner wurde nun so lange übergangoi,
bis seine Pflicht auf 40 Morgen angewachsen war. Ebenso
wurde größerer Besitz angerechnet. Ein (Jeschworener sollte
auch nur fi'u* 40 Morgen von Deichen und Dämmen frei sein
und für das übrige Land seine Arbeit mit Wagen und Pferden
verrichten helfen.®) Ob diese umständlichen Bestimmungen,
die in den andern Ländern keine Nachahmung fanden, genan
innegehalten wurden, steht dahin.
Jährlich wurden zwei Deichschauungen, eine von den
Vögten und Landleuten allein, die zweite vom Hauptmann
Vergl. Billwärder Landrecht Art. 2, LAPPENBERG, S.323. Qebrke, S.28i
') XXVII steht im Original. Ob Schreibfehler für 17?
^ Werf, den Ratsseudcboten an den Herzog von Laaenbnrg* su Groß-
Sarau mitgegeben 1466 Okt. 30; Lübeck, Lauenburger Akten.
^) Grantzin an Hbg. 1600 Febr. 24; zur Eidesleistung enchienen n«^
altem Landesgebrauch Vogt und Geschworene von Alten^amme tot
des Landyogts in der Curslak Tür, 1600 weigerte der Aitengamma
Vogt sich dessen. Die Eidesformel bei Klefeker XI, S. 260, GlEBEB,
S. 280 n. 149 u. 151.
*) Brandt an Hbg. 1604 März 1, «i\i^iva<i vhv MtÄnUade^ GlERKB, S. 277.
Das Amt Bergedorf. 335
nebst Vögten und Deichgeschworenen, gehalten, die nach dem
Eezeß von 1602 zwischen Jacobi und Bartholomäi stattfinden
sollten.^ Zu Gerd Grantzins (1596 — 1602) Zeit war außerdem
eine gemeine Deichschauung zusammen mit Bill- und Ochsen-
wärder festgesetzt, zu der die Billwärder Landherren (zwei
HamburgerRatsherren) hinzugezogen wurden. 1607 beschwerte
sich Lübeck über diese Neuerung und die Kosten, die der
Amtskasse namentlich dadurch entstanden, daß man am
Schluß der Besichtigung zusammen zum Zollenspieker zur
Deichmahlzeit einzog. Es schlug vor, dies Ablager wenigstens
alternierend abzuhalten.*) Im Rezeß beschloß man, daß die
Unkosten künftig von den Untertanen getragen werden sollten,
die andern Fragen schob man für später auf, ist dann aber
nicht darauf zurückgekommen.*) Die Generaldeichschauung
wurde beibehalten.*)
Gegen Säumige standen den Deichgeschworenen leichte
und schwere Strafmittel zu Gebote: das Pfandrecht und das
Spatenrecht. Es war alter Gebrauch und Landrecht, wie
1597 festgestellt wurde, daß die Landleute den, der seinen
Deich nicht gefertigt hatte oder zu gemeinen Wegen und
Stegen, besonders zu den Heerwegen, nicht nachbarlich helfen
wollte, allewege ohne Vorwissen der Obrigkeit zu pfänden
die Macht hatten.*) Das innerhalb 4 Wochen nicht eingelöste
Pfand wurde, nachdem sein Wert durch ein landgerichtliches
Urteil festgestellt war — nur hierbei trat das Gericht in
Tätigkeit — verkauft.
Lübsche Instr. 1607 Okt 31.
') Prot. 1607 Aug. 18.
^ Rezeß von 1607 Nov. 9 § 3.
*) Esich an Hbg. 1615 Okt. 6: yerspricht, sich am 12. Okt 9 Ulir an dem
gewöhnlichen Ort auf dem Dördeich, der die Grenze zwischen Kirch-
wärder und Ochsenw^der bildet, zur Generaldeichschau einzufinden.
^) 1597 wurde dem Hamburger Patrizier Caspar Anckelmann, dem Be-
sitzer einer der drei Ober Hufen, wegen nicht gefertigten Deiches ein
Pferd gepfändet und, als er es nicht einlöste, durch Urteil und Becht
taxiert und verkauft, Grantzin an Anckelmann 1597 Okt. 15, Dez. 3, 14;
Lüb. an Hbg. 1601 Jan. 28. Femer Thode an Hbg. 1562 Sept. 12.
Bestätigt wurde das Becht in einem Sc,YdÄg\i«Affii\ss\ÄA^«t£v\^.'^^
(Amtsprotokoü 1605 Nov. 18).
336 Hans KeLUnghaseHy
Das Spatenrecht, jene feierliche Ezekatioiishandliiiig,
bei der der Betroffene durch das Symbol eines in sein Land
gesteckten Spatens enteignet wurde, wurde mehrfach denen,
die sich der Deichpflicht entziehen wollten, gedroht.^) Auch
als 1590 von den Städten die Erhöhung des neugemachten
Deichs an der Borghorst angeordnet wurde, hieß es: Wer
von den Untertanen sich weigert, in dessen Land soll so lange
der Spate gesteckt werden, bis er zu Gehorsam gebracht ist*)
Beispiele, daß das Spatenrecht ausgeführt sei, sind nicht
bekannt.
Zu dem Deichbau kamen an der großen Elbe andere
Strombauten: die zum Schutz der Deiche in die ESbe ge-
schlagenen Stacks, an denen die Gewalt des Stromes sich
brach. Auch diese Bauten wurden auf Anordnung und unter
Aufsicht der Obrigkeit von den Landleuten selbst ausgeführt
Über die Anlage von Stacks erhält ein Schreiben des Ripen-
bwger Amtmanns Vritze Grawert einen reizenden Widerstreit
zwischen Theorie und Praxis. Im Lübecker Rat hatte mai
vorgeschlagen, die Pfähle für das Stack im Winter ins Es
zu stoßen, aber Herr Vritze ließ sich von seinem Vogt und
andern belehren, daß damit nicht gedient sein würde. Sobald
das Stack geschlagen sei, müsse man sofort Gnmdwasen
senken und in großer Zahl vor das Stack werfen, da es sonst
wieder lostreibe. Die Wasen würden aus großem Ellem- oder
Weidenstrauch, gefüllt mit Erde, gemacht; im Winter könne
man das nicht, auch müßten die Wasen aus einem Prahm
in offenes Wasser gesenkt werden. Man benötige zu einem
Stack 80 Holzstämme und 70—80 große Fuder Strauch.*) Eine
eifrige Bautätigkeit entwickelte sich in den Jahren 1460—80,
oft wai'en in diesen Jahren Ratsherren, pro parte des stadts,
ad respiciendam faduram starkes und wie die Wendungen
lauten, in Eislingen.*) Zahlreich waren die Zusammenkünfte
und Korrespondenzen mit Lüneburg, das in diesen Jahren im
Pfandbesitz des Amtes Winsen war. Denn auch auf der
Bezeß 1571, ProtokoU 1577 Sept 3.
^ Rezeß 1590 § 8.
^ Grawert an Lüb. 1472 OU. 2^.
^ Kämm. Recbn. 1L\i\>t\\l ad re\»a% dow\ncyrum.
Das Amt Bergedorf. 337
Lüneburger Seite wurden Stacks gebaut, die den Strom wieder
nach den Vierländer Deichen trieben und zu Vergrößerung
der Anlagen und Neubauten veranlaßten.') Zur Arbeit an
den Stacks, zu denen die Städte das Material lieferten, wurden
alle vier Kirchspiele herangezogen,*) 1478 mußten sogar die
Bergedorfer und Geesthachter helfen.*) Auffallenderweise
hören mit dem Jahre 1480 die Berichte über Stackbauten
fast völlig auf;*) sicher ist, daß die Städte sich später viel
weniger um den Strombau gekümmert haben, wahrscheinlich
wird auch von den Landleuten der Stackbau, der für sie eine
schwere Last war, vernachlässigt worden sein.
Überhaupt waren die Deiche zwar für gewöhnliche
Verhältnisse ausreichend, aber doch so niedrig, daß jedes
Hochwasser ihnen Gefahr brachte. Das beweisen die zahl-
reichen großen und kleinen Deichbrüche, die häufig in ein-
fachem Überlaufen der Deiche bestanden. Die Wiederherstellung
der Deiche war Angelegenheit der Lande, die Amtsakten
berichten daher im allgemeinen wenig über Deichbrüche.
Im Januar 1497 hatte eine gewaltige Flut im Amt Kipenburg
Häuser weggetrieben, Leute jung und alt und viel Vieh waren
ertrunken, das Wasser hing über allen Deichen, und man
konnte nichts anderes tun als warten, bis es wieder verlief.
Man fürchtete sogar das Forttreiben des ZoUenspiekers.*)
Ein anderer Deichbruch verwüstete am 15. Jan. 1584 die
Borghorst, acht Hufner wurden aufs schwerste getroffen, von
167 Morgen, die sie insgesammt besaßen, blieben nur 46 gut.
Einer von ihnen sagte sogar sein Erbe, nachdem er das Haus
davon verkauft hatte, dem ganzen Kirchspiel auf und zog
von dannen. Da niemand das Land annehmen wollte, kaufte es
*) Hbg. an Lüneburg 1462 Juni 25 (Lüneburger Stadtarchiv), das
Lübecker Schreiben gedr. Lüb. ü. B. X, 187, 188; Hbg. an Lüneb.
1471 Aug. 30, 1479 Juli 22 (Lüneburger Stadtarchiv).
') Grawert an Lüb. 1472 Okt. 26: es sei nötig, dat me de IUI Kerspel
dar mede hy varbade, also id wontlik is umme des landes beste willen,
') Hbg. an Lüb. 1478 Sept. 4.
^) 1535/36 wurde ein Stack beim ZoUenspieker d)^ch die Untersassen
der Häuser Bergedorf und Ripenburg gebaut, Hbg. an v. Hutlem 1535
Sept. 18, 1536 Sept. 23.
^) Yickingbüsen an die KämmeTeiheTreTi m XÄXi.\^an ^w^*^»
338 Hans Kellmgliasei^
der Vogt für 1000 -^ und baute ein neues Hans daraul^
Am 31. Jan. 1610 brach der Deich auf der Hove in Kirch-
wärder fünf Stücke breit, drei Häuser trieben weg, Kireh-
wärder und, weil der Achterdeich nicht standhielt, auch
Neuengamme liefen voll Wasser. Der Eraueldeich wurde
durch die fleißige Arbeit der Landleute erhalten, w&hrend
die Borghorst nur dadurch gerettet wurde, daß der Deick
durch vier Deichbrüche im Lüneburgischen Erleichterung
bekam. Die Hove wurde vorläufig durch einen Churdanm
notdürftig geschützt; ob aber das Brack überdeicht oder n
Felde umdeicht werden sollte, darüber waren sich die Land-
leute nicht einig. Obwohl die Vögte und Deichgeschworenen der
andern drei Lande sowie die Reitbrocker und Billwärder,
die auf Bitten des Landes vom Amtmann zu Schiedsrichtai
erwählt waren, sich einstimmig für Überdeichung erklärteD,*)
wurde doch endlich, wie der Augenschein noch heute zeigt
die Umdeichung ausgeführt
[Kanal- und Schleusenbau.]*) Der Kampf mit des
Wasser, sei es vorbeugend, sei es abwehrend, das ist die
Lebensaufgabe des Marschbewohners. Außer dem Flutwas^
hat er zu rechnen mit dem Grundwasser und Niederschlagwasser,
das durch zahllose Gräben und Schleusen von den Acim
abgeleitet werden muß. Das ist Sache des einzelnen, der
Gesamtheit aber bleibt noch eine Pflicht: der Schutz des
Landes vor dem Flußwasser aus der G^est. Die £lbmarscha
vor Hamburg wurden namentlich durch die bei Bergedorf ins
Elbtal tretende Bille gefährdet. Ihre Ableitung war daher
für die Entwickelung der Marsch ein Werk von hervor-
ragender Bedeutung. Ein Staudamm in Bergedorf, quer vor
die Bille gezogen, bestand wohl schon seit Anlage der Mühle
im Jahre 1208. Als das Kloster Reinbek 1315 infolge ai
großer Wasseraufstauung beim Mühlendamm in Bergedorf, der
hier zum erstenmal erwähnt wird, Schaden durch Über-
Borghorster Suppl. 1593 Aug. 28. Das Datum in einem Denkxettd
aus Neuengamme, der über Deichbrüche von 1584 — 1648 berichtet
») Pasche an Lüb. 1610 Febr. 5, Juni 8.
*) Voigt, Einige Urkunden ^het ILltAt^ Deich- und SchlenseiÜMHiteii ia
Amt Bergedoil 01.^.11. 0. IN, ^.«i^:^.
Das Amt Bergedorf. 339
schwemmung erlitten hatte, setzte Herzog Erich I., um dem
vorzubeugen, fest, daß das Wasser künftig nur bis zu einem
an einer Holzstange angebrachten Zeichen aufgelassen werden
dürfe.') Mochte nun durch den Damm der Mühlenbetrieb
geregelt sein, immer blieben die an die Billeniederung stoßen-
den Marschlande, namentlich Billwärder, Überschwemmungen
ausgesetzt, und durch eine Wasserableitung konnte bedeutende
Deicharbeit gespart werden. Daher vereinbarten die Städte
mit den Landen Curslack, Altengamme und Billwärder im
Jahre 1443, den Schleusengraben, einen Kanal, der die Bille
vom Staudamm durch die Amtsländereien der Kandesweide
direkt zur Elbe führte, durch die sämtlichen Eingesessenen
der Lande morghen morghene gdyk bauen zu lassen. Am
Staudamm regulierte der Serran*), eine Wasserstauung mit
Freischütten, den Wasserzufluß, beim Einfluß in die Dove-Elbe
wurde als Hauptwerk eine schiffbare Schleuse gebaut, deren
Errichtung und erbliche Verwaltung der Hamburger Bürger-
meister Dietrich Lüneburg gegen Bezahlung durch die Lande
übernahm. Jeder Hufner trug zu dem Schleusenbau 5 -^ bei.*)
Mit dem Erben des Bürgermeisters, dem Domherrn Lüneburg,
gerieten die Lande vermutlich wegen Unterhaltung der Schleuse
in einen schweren Konflikt, in dessen Verlauf 20 Landleute
in Curslack und Altengamme durch den Abt des Klosters Berge
bei Magdeburg nach kanonischem Recht mit dem Baune belegt
wurden.*) Der Vertrag von 1443 wird in diesem Streit gelöst
sein, denn besondere Verweser der Schleuse kamen seit der
Zeit nicht mehr vor.
Durch den Kanal wurde eine Wasserverbindung mit
Hamburg geschaffen, die nicht nur für das Schloß Bergedorf
von Bedeutung war, sondern auch den Handel der Bergedorfer
Büi-ger, namentlich die Verschiffung von Holz aus dem
Hamburger ü. B. I, 372, Hasse m, 317.
^ Vergl. SCHILLER-LÜBBEN 8. Y. seran, ceran.
») Lüb. ü. B. Vm, 298, X, 611 ; VOIGT S. 85, 88.
^) Lübsche Instr. 1467 M&rz 4. Drei undat Lübecker Konzepte an
Nikolaus Kulenhaghen, Bektor der Kirche in Curslack, an den Amt-
mann Cord Brekewold und an Hbg. m d\&««t ^«j(^^. '^ius^.''%i&3SEB
Bechn. n, S. 463, 464 (147Ö), m, S.U, ^, ^ V^Vl\^.
340 Hans KeUinghosen^
Sachscnwaldy förderte. Begreiflich ist daher, daß man im
Lande die, die den unmittelbaren Vorteil vom £[anal hatten,
zu seinen Unterhaltungskosten heranzuziehen suchte. Aus-
besserungen des Serrans mit Hilfe der Altengammer und
Curslacker fanden in den Jahren 1532 und 1550 statt, ^) yoll-
ständige Neubauten der Schleuse waren 1481, 1516, 1543,
1568 imd 1617 notwendig.*)
Der Schleusenbau blieb eine Pflicht der beteiligten Lande
und wurde, soweit es möglich war, durch ihre persönlichei
Dienste ausgeführt. Zwar gab es keine feste Tradition, jeder
Neubau zeitigte eine andere Lastenverteilung. Die Haiq»t-
last blieb mehr und mehr auf den Curslackem und Alten-
gammem haften. Ihre Pflicht war zunächst die Zufuhr des
nötigen Holzes. 1568 vom 19. Februar bis 25. Mai leisteten
sie 814 Handdienste zum Heranfahren des Holzes und Behauen
der Pfähle, 1617 gaben sie statt dessen 240 -^ Holzfahrgeld.')
Die Beteiligung der Billwärder dagegen, die die eigentliche
Handarbeit an der Schleuse leisten sollten, war schwankeni
Zwar 1453 arbeiteten sie unter ihrem Vogt und Deich-
geschworenen mit, Ditmar Koel, der damals den Bau persönlich
leitete, erhielt von Hambm-g Befehl und Macht über sie;*l
aber bei den folgenden Neubauten verlautet über ihre Be-
tciligimg nichts. Auch zu den Kosten, die durch größere
Hbg. an v. Hutlem 1532 Juli 31, Antw. Aug. 8; v. Elthen an Hbg. 1550
Juli 22, Aug. 12.
^ Die von VoiOT (S. 89 f.) beigebrachten Urkunden über die Ausbesserung
des Grundwerks in Bergedorf 1464 — 66 beziehen sich wohl auf die
Mühle. Auch 1471 wurde iymmerholi tom grünt werke der moUn to
Bargerdarppe von Otto Schack zur Basthorst gekauft (T^üb. an Hbf.
1471 Jan. 26).
^) Handdienstregister von 1568, Rezeß v. 1617 § 15. t. Calven an Lüb.
1481 Jan. 5: Cursl. u. Alteng. hätten zur Schleuse niemals Holi ge-
fahren. Als sie das letzte Mal gemacht sei, hätten die Ersamen von
Hamburg vom Propst zu Reinbek 100 Eichenbäume für 100 ^ gekauft
Anna Mesman an Lüb. 1516 Febr. 28: Die Leute von Billwärder seiea
die eigentlich Verpflichteten.
*) Hbg. an Koel 1543 Sept. 15. An Zehrungskosten wurden ihiem Vogt
und Geschworenen 40 -// ersetzt, Hbg. an Lüb. 1544 Febr. 1. 1610.
als die Schleuse schon sehr baulik.Ui^ ^«x mid^ie für ihr Land fürehtetea.
erboten sie »ich heimUig tmx Uwi^Äx\i^\\:,^^Oö& «a.XÄ^^'^sj^^^,^^^^^
Das Amt Bergedorf. 341
Verwendung von Handwerkern und Kunstmeistem wuchsen,
trugen sie nichts bei. Die Aufsicht über den Bau führten '
1617 ein Landvogt, der Hausvogt und vier Deichgeschworene,
sogar an den Sonntagen waren 2 Geschworene Tag und Nacht
gegenwärtig, gearbeitet wurde vom 16. Mai bis 19. Juli, femer
nach einer Unterbrechung durch die Ernte vom 25. August
bis 4. Oktober.^) Die Kosten, die 1568 etwa 1500 -^ betrugen,
1617 noch höher waren, wurden größtenteils durch Umlagen
auf die Lande angebracht, die Städte leisteten nur geringe
Zuschüsse (1543 je 150 -^, 1568 nichts, 1617 Hamburg 200,
Lübeck 250 -^). Statt des Billwärder^ wurde seit 1568 Neuen-
gamme und 1617 gar Kirchwärder zu Beiträgen herangezogen.
1568 gaben Curslack, Alten- und Neuengamme von jedem
Morgen Landes 6 /f, die Bergedorfer den 100. Pfennig (l7o)
ihres Vermögens, 1617 wurden den einzelnen Gemeinden, die
sich über eine Kontribution nicht einigen konnten, von den
Städten feste Beträge auferlegt: Bergedorf 400, Neuen-
gamme 550, Kirchwärder 200, Altengamme und Curslack
zusammen 520, im ganzen 1670 -^. Weil damit die Kosten
nicht gedeckt wurden, legte man auf das von Bergedorf aus
verschiffte Holz eine Abgabe.*)
Neben diesen außerordentlichen Leistungen war es regel-
mäßige genossenschaftliche Pflicht, den Schleusengraben sowie
die übrigen öffentlichen Wasserläufe, besonders die Land-
scheiden, auszuräumen, d. h. von Unkraut zu säubern.*)
[Wegebau.]*) Wie die natürlichen Wasserstraßen war
auch der Schleusengraben für den Verkehr von höchster
*) Verzeichnis dessen, toas hei der Aufrichtung der Newen Schleuse
verzehrt ist 1617. Jede der 6 aufsichtführenden Personen verzehrte
wöchentlich an Kost und Bier 3 ^, femer verzehrten die Zinunerleute,
die die Schleuse aufhoben und Tttren einhilngten, 3 ^ und der Eunst-
meister, als er die Suecke (Saugpumpen) setzte, 3 ^, insgesamt 313 ^ 12 ß.
^ Rezeß V. 1617 § 15. Die Abgabe betrug von jedem Faden Holz, der
von der Hude abgeführt wurde, 6 ^, der vom Damme abgeschifft
wurde, 1 ß,
') Die Bergedorfer verpflichten sich im Vertrag von 1668 § 5 zur Auf-
räumung des Schleusengrabens, soweit es ihnen gebühre, sich willig
finden zu lassen.
*) Vergl. Gasner, Zum deutschen Straßenwesen, Lpz. 1889.
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Oesch. XIH.
342 Hans Kellrnghusen,
Bedeutung. Sogar nach Lübeck war durch die Elbe und den
Stecknitzkanal ein direkter Schiffsverkehr möglich. Ohne
Zweifel überwog im Mittelalter der Verkehr auf dem Wasser
den zu Lande bedeutend. Auf dem Lande waren anfänglich
die Deiche die Hauptverbindungswege, erst später wurden
andere Wege angelegt. Den Neuengammer Heerweg bringt
Meitzen freilich mit der Besiedelung des Landes in Zn-
sammenhang und über sein Alter steht nichts fest,*) der
Curslacker wurde nachweislich erst 1568 gebaut. Der Nene
Deich, bis dahin die einzige Verbindung von Bergedorf znr
Dove-Elbe, befand sich in so bösem Zustand, daß jedermann,
hohen und niederen Standes, über ihn klagte und die Ochs^
lieber zu Wedel als zu ZoUenspieker über die Elbe gesellt
wurden, wodurch der Zoll in Eislingen keinen geringoi
Nachteil erlitt. Der Amtmann Johann Moller beschloß daher,
einen neuen Weg m die BicJite von der Oeest/i an Strucks hk
an die taube Elbe zu legen. Da ^iel Sand dafür nötig war,
bat er den Hamburger Rat, auch die Ochsen- und Billwäider
auf zwei Tage mit Wagen zu Hilfe zu schicken.*) Die vom
Amtmann zusammenberufenen Vierlande beschlossen, den Weg
nach seinen Vorschlägen zu bauen; der Grund zum Heerweg
wurde von vier Hufnem für 1130^ gekauft. Die Städte
trugen zu den Kosten 400 ^ bei, die Landleute bewilligten
von jeder Hufe 5-^.') Diese Umlage mußten, weil der Bao
ein Landbau war, auch die Altengammer mit aufbringen,
während sie sich an der Anlage selbst nicht beteiligten und
auch von der Beihilfe an seiner Instandhaltung befreit wurden,*)
denn sie hatten ihre eigenen Wege und von dem neuen Heer-
weg keinen Nutzen. Freilich wurden sie später wiederholt
imter der Versicherung, fortan verschont zu bleiben zur
Beihilfe herangezogen.^) Zur Ausbesserung waren den andern
*) Vergl. S. 193.
*) Moller an Uhg. 1568 Jan. 31, Febr. 28; vergl. die Anla^ des Her-
wegs in der Krempermarsch 1391, GASNER, S. 95.
^ Moller an Lüb. 1568 Okt. 28, Vierlande an Kerkring 1573 ^/^ n
*) Rezeß V. 1571: Beschwerden der Untertanen §8.
^) So in den Rezeaaen nou \^%1 %^, \^^?» ^^, V^^ \ V.
Das Amt Bergedorf. 343
drei Landen bestimmte Flege zugeteilt.^) Die Pflicht, die
anfänglich für jede Hufe gleich war, wurde, wie 1614 fest-
gestellt wurde, seit einigen Jahren nach Landzahlen, der
Deichunterhaltung entsprechend, gemacht.*) Die Aufsicht
über die Arbeit führten die Vögte und Deichgeschworenen,
die von den Säumigen auch hier Strafen fordern und Pfänder
nehmen konnten.*)
Noch gab es keine Brücken über die abgedeichten
Eibarme. Zwar schien es den Visitatoren 1593 wohl taug-
lich, nach dem Wunsch des Landes eine Brücke über die
Dove-Elbe zu bauen, aber man sah wegen der überaus großen
Kosten davon ab.*)
Bei hoher und schwerer Pön wurde dagegen 1460 den
Marschbewohnem geboten, die Specken*) und Brücken, die
sie über die Landwehr gemacht hatten, fortzunehmen und
keine wieder zu bauen, damit dem Lande keine Gefahr
entstände.^
5. Kirche und Schule.
Von den sechs Pfarrkirchen des Amtes Bergedorf gehörten
Bergedorf, Curslack, Alten- und Neuengamme und Geesthacht
zum Bistum Ratzeburg, Kirchwärder zum Bistum Verden.
Ein Filial der Bergedorfer Pfarrkirche war die Heiligkreuz-
kapelle vor Bergedorf.
Schon Heinrich der Löwe übertrug die in Alten- und
Neuengamme zu gründenden Kirchen an den Bischof von
Katzeburg, 1261 verzichteten die Herzöge von Sachsen
1603 teilte der Amtmann von den bisher von den Altengammem ge-
machten Flegen den Neueng. und Kirchw. je zwei Teile, Curslack
als einem halben Lande einen Teil zu, doch besserten nur die Cursl.
ihren Teil aus, während die andern sich weigerten; Brandt an Hbg.
1603 Sept. 1.
^ So in Curslack nach dem Berichte der kleinen Hufen in Neuengamme
an Lüb. 1614 Sept. 21 ; ebenso in Neuengamme 1617 eingeführt, o. S. 333.
') Brandt an Hbg. 1606 Mai 4.
*) Vi8it.-Prot. 1593 Okt. 18, Rezeß § 11.
^) Specke: ein aus Buschwerk, Erde und Basen durch sumpfige Gegenden
aufgeworfener Weg (SCHILLER-LÜBBEN).
«) Hbg. an Ltib. 1460 Okt. 4.
344 Hans Kellingfanien,
endgültig auf das Patronatsrecht in Neuengamme.^ Vermutlich
hatten auch in den anderen Pfarrkirchen die Bischöfe das
alleinige Besetzungsrecht, ausführliche Nachrichten liegen nur
über Bergedorf vor.
Auch hier stand die Pfarrkirche ursprünglich ohne
Zweifel zur alleinigen Verfügung des Bischofs, 1282 übertn«
Bischof Ulrich den Patronat an das Domkapitel in Satze-
burg,*) später war er wieder in bischöflichen Händen, and
als Herzog Albrecht IV. 1334 eine Vikarie in der Kirche
stiftete, überließ er das Patronatsrecht dem Bischof von
Ratzeburg, nur auf sein und seiner Gemahlin Lebenszeit äA
die Präsentation des Vikars vorbehaltend.*) Dagegen bean-
spnichten die Herzöge das Patronatsrecht in der Heiligkrem-
kapelle, weil sie auf Grund und Boden ihrer Herrschaft
Bergedorf gebaut wäre, während die Bischöfe behaupteten,
die Kapelle gehöre als innerhalb des Pfarrsprengels belega
ziu- l^arrkirche. Die Herzöge Albrecht V. und Erich IIL
nahmen 1359 bei der Stiftung einer Vikarie in der KapeDe
das erbliche Patronatsrecht in Anspruch, und Bischof Wipert
bestätigte die Schenkungsurkunde.*) Doch blieb das Recht,
iiber das wohl schon vorher Streit geherrscht hatte, noch
lange ungeklärt; im Verlauf dieses Streites ließ Herzog
Erich III. in unzweifelhaften Übergriffen den vom Bischof von
ßatzeburg eingesetzten und von Papst Urban V. bestätigtfli
Rektor der Pfankirche und Kapelle nicht zu, sondern ver-
wandte die Opfer und Almosen der Heiligkreuzkapelle a
seinem Nutzen imd vergab Kirche und Kapelle eigenmächtig
an ihm genehme Priester.*) 1376 wiutle der Streit dadurch
beigelegt, daß Bischof Heinrich dem Herzog den Patronat
über Pfarrkirche und Kapelle tauschweise überließ.*) Aber
noch kurz vor seinem Tode, 1397, schenkte der alte Herzog
Erich III. das Patronatsrecht über Kirche und Kapelle in
') Hasse I, 103; II, 222.
^ Hasse II, 620.
') Meckl. U. B. VUI, 5526.
*) SüDENDORF Vm, 157, 2.
*) Meckl. U. B. XVIII, 10539.
•) Meckl. XI.B. XDL, ICÄAA.
Das Amt Bergedorf. 345
Bergedorf dem Domkapitel in Ratzeburg zurück.^) Diese
Schenkung wurde von seinen Nachfolgern, den Herzögen der
jüngeren Linie, nicht anerkannt. Als bei der nächsten Vakanz
eine doppelte Präsentation zur Pfarrkirche erfolgte, entschied
«ich der als alleiniger Schiedsrichter erwählte Propst Johann
von Lüne 1407 zu Gunsten der herzoglichen Kandidatur, und
das Kapitel erklärte sich damit zufrieden.*) 1418 dagegen be-
stätigten die Herzöge Erich V. und Bernd die Schenkung
ihres verstorbenen Vetters von 1397, nunmehr war also wieder
das Domkapitel im Besitze des Präsentationsrechts.^ Doch
war der Streit damit nicht beendet. Noch 1427, als die
Herzöge offenbar gar kein Recht mehr auf die Herrschaft
Bergedorf hatten, versuchten sie, auch ihre eigenen Verzicht-
leistungen ignorierend, ihr Patronatsrecht auf die Vikarie
in der Heiligkreuzkapelle geltend zu machen. Natürlich
weigerte sich der Bischof Johann, dem von ihnen Präsen-
tierten die Institution zu gewähren, aber der Erzbischof
Nikolaus von Bremen, an den er appellierte, gab sie ihm und
beauftragte den Propst des Klosters Reinbek und den Rektor
der Kirche in Marschhacht mit seiner Introduktion.*) Das
geschah, und als bei einer neuen Erledigung 1438 die Herzöge
wieder von ihrem Präsentationsrecht Gebrauch machten, ge-
währte Bischof Pardam sofort die Investitur.^) Höchst eigen-
artig, daß die Städte Lübeck und Hamburg dieses Recht, in
das sie doch eigentlich bei der Eroberung hätten sukzedieren
müssen, den Herzögen zugestanden. Sie selbst freilich waren
gleichzeitig bestrebt, das Patronatsrecht über die Bergedorfer
Pfarrkirche in ihre Hände zu bekommen. Denn als Besitzer
der Vogtei Bergedorf mit allem geistlichen und weltlichen
Zubehör hielten sie sich auch für die Kirchenpatrone.*) Bereits
V. Westphalen, Monum. inedita n, 2321; MiCHELSEN, Schl.-H.-L.
ü. B. n, S. 550.
^ Schiedssprach. 1407 April 5, ungedr., Urk. des Kapitels von demselben
Tage, Lüb. U. B. V, 165.
3) Lüb. U. B. VI, 6.
*) Lüb. ü. B. Vn, 55, 148, 152.
^) Lüb. U. B. VU, 770, 772.
«) Lüb. Ü.B. IX, 560.
346 Hans KellingliiiBeiiy
1436 hatten sie in einem vor dem päpstlichen Stuhl anhängig
gemachten Prozeß zwei günstige Sententien gewonnen/) in
weiteren ihnen günstigen Bullen beauftragten Calixt IH. 1457
den Propst von Schwerin, Pius ü. 1459 den Erzbischof von
Bremen und die Bischöfe von Verden und Schwerin, Paul IL
1470 den Bischof von Lübeck, Abt von Reinfeld und Archi-
diakon in Schleswig mit der Entscheidung.^ Für die Aus-
übung des Patronats durch die Städte fehlen Belege.
Es kam die Zeit der großen kirchlichen Umwälzong.
1528 siegte die Reformation in Hamburg, 1530 auch m
Lübeck. Länger blieb das Amt Bergedorf der alten Eirche
treu. Die Amtmänner sollen das Verlangen des Volks nach
Einführung der lutherischen Lehre hintangehalten haben,^
aber über die damalige Volksstimmung berichten die Quellen
nichts, und es ist nicht abzusehen, warum das Volk, wenn
sein Verlangen wirklich groß war, es nicht dui-chgesetzt hat
auch gegen den Willen der Amtmänner. Anzunehmen ist
vielmehr, daß dtas Volk sich passiv verhielt und in Friedet
mit seinen Pfarrern lebte.*) Aber in der Tat wird man den
Grund für die lange Beibehaltung der alten Lehre im Amt
in den leitenden Persönlichkeiten suchen müssen, denn sobald
ein Freund der Refoimation Amtmann wurde, ging ihre
Durclifühnmg vonstatten, ohne beim Volk Entgegenkommen
noch Widerstand zu finden.
Gerd von Hutlem (1530-36) hielt am katholischen
Glauben fest, er war d^^m eiangelyo veyni, wie die Chronik
sagt, wurde deswegen 1531 des Ratsstuhls entsetzt und ge
langte erst wieder zu seinen vorigen Ehren, als er 1536 von
Bergedorf zurückkam.^) Bekannt ist sein Nachfolger, der
Lübsche Bürgermeister Nikolaus Brömse (1536 — 42), als An-
») Lüb. IJ. B. VII, 711.
2) Lübeck: Bergedorfiensia 15a— c, Lüb. U.E. IX, 505, 688.
^ Finder, Vierlande S. 27. Was dort über Brömse und die Volb-
Stimmung gesagt ist, läßt sich aus den Akten nicht erweisen.
^) In einer undatierten Eintragung des Bergedorfer Stadtbuchs (zwischei
1535 Juli 6 und 1537 Mai 8) heißt es: so nhu Lutke Franc in »ynemt
dothbedde lach, Jtejft gefordert st/nen Kergkheren hy nhamen kff%
Claices, umnie syne bicht und sacramentte to vorrekende,
*) LAPPENBERO, Haii\\)\Mrg« C\\iQ\i\^^w ^."iJ^, ^a&.
Das Amt Bergedorf. 347
bänger Karls V. und scharfer Gegner der Reformation.*)
Dann fiel der Turnus auf Ditmar Koel (1542—48), der 1528,
schon als Anhänger der neuen Lehre, in den Rat gewählt
war.*) Der Ruf, daß er oder Hamburg eine Änderung ein-
führen würden, muß ihm vorhergegangen sein. Denn schon
am 28. August 1542 schrieb der Dompropst Johann von
Ratzebiu-g, Herzog zu Sachsen und ehemaliger Bischof von
Hildesheim ^ im Namen des Kapitels an die beiden Städte,
er habe erfahren, daß das Haus und Amt Bergedorf zu
Michaelis mit einer neuen Herrschaft von selten der Ham-
burger besetzt werden solle, weichere vellichte de Ceremonien
und gotJüiche ampte, de tvy cUdar to Bergerdorpe na gesette
der hilligen cristhlidien Kerchen holden taten, voranderen
mochte. Er wies auf die Rechte des Kapitels hin, Ordnung
und Gottesdienst der Kirche nach seinem Ermessen zu leiten,
und auf den Beistand, den es bisher immer bei der weltlichen
Obrigkeit gefunden habe. Darum bat er, den von ihm ver-
ordneten Kapellan in seinem göttlichen Amte nicht zu stören
und keine anderen Prädikanten durch Hambui^ einführen zu
lassen in Wahrung des jüngsten Reichsabschiedes zu Regensburg.
Zwei Briefentwürfe, über dies bischöfliche Schreiben von
Hamburg an Lübeck gerichtet, lassen an seinen Absichten
keine Zweifel: Weil die Verbesserung der Religion und Kirchen-
gebräuche, so wie sie in Lübeck, Hamburg und anderen Orten
eingeführt ist, recht, unstrafbar und dem göttlichen Wort
gemäß, auch von der Kaiserlichen Majestät auf mehr als
einem Reichstage erlaubt ist, so fühlen wir uns verpflichtet,
die gottselige, reine Lehre und christlichen Zeremonien in
Bergedorf wie in unserem übrigen Gebiete einzuführen unter
Abschaffung dessen, was gotteslästerlich, dem Seelenheil zu-
wider und ärgerlich ist. Darum bitten wir Euch um Ver-
fassung einer rechtschaffenen, christlichen und billigen Ant-
wort an das Domkapitel, damit die armen Untertanen des
göttlichen Worts teilhaftig und von der verführerischen Lehre
M. Hoffmann, Geschichte der Stadt Lübeck (1891) n, S. 27, 41 f
') SiLLEM, Einführung der Reformation in HaiafexÄ^ (JÄÄßi^ %.^'V.
^ Yergl über Um Masch, Gesch. de8B\at\fflÄ^BÄ\as3B\a^ V^^S^ ^^»
348 Hans Kellinghoseii,
und den Mißbräuchen hinfort befreit werden.^) Das zweite,
wahrscheinlich nicht abgesandte Antwortkonzept gibt die
hamburgischen Absichten noch deutlicher wieder: die papi-
stischen Kirchengebräuche in Administration der Sakramente
sind wider Gottes Befehl und Worte, darum in Lübeck- und
auch im Fürstentum Sachsen, unter dem die Kapitelsherren
gesessen sind, abgeschafft. Auch hat die Kaiserliche Majestät
nachgegeben, daß jeder in seinem Gebiete handele, wie er es
vor Gott und den Menschen verantworten könne. Damm
haben wir nicht erwartet, daß das Kapitel zu Eatzeburg
etwas fordert, was den unsem zu Verderb der Seelen Selig-
keit werden möchte. Unser künftiger Befehlshaber wird den
Amtsuntertanen seinem Befehl nach treulich vorstehen und
sich in dem, was Gottes Wort belangt, christlich verhalten,
damit unter seiner Regierung die Untertanen mit Gottes Wort
belehrt und mit unchristlicher Lehre nicht verführt werden.
Deswegen bitten wir^ dem Kapitel zu antworten, diesmal
keine Verhinderung zu tun, und obwohl der jetzige Pastor
zu Bergedorf Gottes Wort entgegen ist und bei seiner Lehre
bleiben wül, so hoffen wir doch, daß das Kapitel dem Wort
Gottes entspricht, damit unser künftiger Befehlshaber sich
mit einem christlichen Prädikanten und Pastor versorgen kann.
Welch ein Unterschied gegen früher! Damals jahrzehnte-
langes Bemühen um ein kleines kirchliches Recht, jetzt der An-
spruch auf die Kirchenhoheit in ihrem ganzen Umfange. FreiUch
beabsichtigte Hamburg, mit dem Domkapitel, wenn es möglich
war, eine gütliche Einigung über die Einführung der neuen Lehre
zu treffen, und in der Tat trat man in Verhandlungen mit ihm
ein. Unterdes bezog Ditmar Koel das Haus und ließ zuerst
zur Förderung des Ootteswartes einen Prädikanten von Hamburg,
nämlich den Kapellan zu St. Nikolai, etliche Male herüber-
holen und predigen, nahm dann einen andern Blasius Manschke
genannten, auf seine Kosten an, der ihn jedoch im Dezember
1542 wieder verließ. Da das Domkapitel die Kirchenrenten und
-hebungen inzwischen für sich eingezogen hatte, war zu
besorgen, daß sich kein neuer Prädikant finden werde. Koel
Hbg. an Lüb. 154*2 Sfe^t. \\, ^«^?» i^^Vi^ ^^\aÄ\\. ^aÄ36^as8e^»,
Das Amt BergedorL 349
schlug daher vor, das Domkapitel aufzufordern, einen auf-
richtigen und gelehrten Mann nach Bergedorf zu setzen, der
Gottes Wort lauter und rein, wie in den beiden Städten und
den benachbarten Fürstentümern, dem Volke verkündigen und
predigen würde, so würde er diesem in allem Tun beipflichten.
Wenn aber das Domkapitel das nicht wolle, so würde daraus
folgen, daß man dem, der zur Verkündigung Gottes Wortes
verordnet würde, die Pension und Kirchengüter ausfolgen
müsse. ^)
Das Kapitel ging nicht darauf ein, auf Befehl der beiden
Städte wurde daher dem Prädikanten in Bergedorf im nächsten
Frühjahr der Kirchenacker zugewiesen, damit war der Bruch
mit den alten Verhältnissen endgültig vollzogen. Zwei
Schreiben des Bischofs Johann zu Hildesheim, Herzogs zu
Sachsen, Dompropstes samt dem Kapitel zu Ratzeburg vann
der packt und hure des wedem ackers alhir vor Bergerdorpe
belegen vom April und September 1543 ließen sie, wie es
scheint, unbeantwortet.*)
Doch blieben die Dinge vorläufig noch im Fluß, auch
im Domkapitel errang die lutheiische Lehre die Oberhand,*)
und der Anspruch auf die Patronatsrechte wurde wieder auf-
genommen. Noch 1573 wurde ein Pastor in Curslack, nach
seiner im Jahre 1594 abgegebenen Erklärung, nicht von den
Städten, sondern vom bischöflichen Administrator in Ratzeburg
eingesetzt, und noch 1594 protestierte dieser gegen die
Visitation der Kirchen im Amt durch Abgeordnete beider
Städte, da sie zum bischöflichen Patronat gehörten. Ein
bezeichnender Versuch, seine Rechte zu verkaufen, mißlang,
es kam 1597 zum Prozeß vorm Reichskammergericht, und
erst durch den Vergleich von 1653 verzichtete der Herzog
von Mecklenburg als Administrator des Bistums Ratzeburg
auf alle geistlichen und weltlichen Rechte und Gerechtig-
Koel an Hbg. 1542 Dez. 27.
^ Koel an Hbg. 1543 Apr. 14, Sept. 14: übersendet beide Schreiben,
die nicht erhalten sind.
') Doch kann die Nachricht bei Masgh (S. 473), daß schon 1639 die
leitenden Domherren Intherisch gewesen seien, nach obigem nicht
richtig sein.
350 Hans Kellini^huseii,
keiten, die seine Vorgänger, die Ratzeburger Bischöfe, jemals
in den Vierlanden prätendiert hatten.*)
Es war ein vergebliches Festhalten an einem erstorbenen
Recht gewesen. Der Einfluß des Domkapitels war zu einer
leeren Form geworden, seitdem die Macht der Kirche nicht
mehr hinter ihm stand. Wie soDte der Staat einem fremden
protestantischen Domkapitel die Besetzung der Stellen in
seinem Lande gestatten, deren Inhaber in erster Linie be-
rufen waren, den neuen Gedanken der von Gott verordneten
christlichen Obrigkeit unter den Untertanen auszubreiten?
Mit dem Übertritt des Domkapitels zum Protestantismus war
jede innere Berechtigung, gerade diesen einen Punkt aus den
fiüheren Verhältnissen festzuhalten, erloschen.
Ein erster Ausfluß der Kirchenhoheit des Staats war
die 1544 auf Betreiben Ditmar Koels vom hamburgischen
Superintendenten Aepinus verfaßte Kirchenordnung für das
Amt Bergedorf, die über ein Jahrhundert in Geltung blieb.*)
Sie handelte von der Annahme der Prediger, von der Messe
und Predigt, vom Katechismus, von Festtagen, von der Ehe
und von der Ki-ankenverschung. Die Wahl der Pastoren
stand beim Amtmann und den Kirchengeschworenen des
Kirchspiels, ein Verhör durch den Superintendenten in Ham-
burg (die zweite Handschrift fügt Lübeck oder H, hinzu)
mußte vorhergehen. Der Gottesdienst schloß sich äußerlich
noch ganz an die Messe an, deren Name beibehalten
wiu-de. Introitus, Kyrie, Gloria durfte der Pastor lateinisch
oder deutsch singen; auf die Verlesung von Epistel und
Evangelium folgte die Predigt und als neues die Katechismus-
erklärung. Dann nahm die Messe ihren Fortgang, sogar die
Präfation mit dem Sanctus lateinisch zu singen, war ge-
stattet; freilich das AVesentliche, der Meßkanon, fiel fort, an
') Masch S. 556, Klefeker S. 299.
^ Gedruckt Z. V.H. G. I, S. 589 ff. KLEFEKER (S. 738) bestreitet ihre
Einführung im Amt. Aber zwei Abschriften fanden sich in Berge-
dorf er Kirchenrechnungsbüchem : HOLM, Monatsschrift für die evang.-
luth. Kirche im haraburgischen Staat V, S. 295. Femer berichtet Eaicli
an Lüb. am 11. März 1615, daß nach Aussage der Pastoren des £ptm
Kirche^wrdnung hier im Lande v(yrhanden sei. SiLLEM (S. 92, 169)
gibt fälschlich 1540 a\a EYJilvv\ii\i\i^«\^iJM.
Das Amt Bergedorf. 351
seine Stelle traten die deutsch gesprochenen Einsetzungsworte;
und zu kommunizieren war den Pastoren nur erlaubt, wenn
andere Kommunikanten da waren. Aber man sieht doch,
kein schroffer Bruch mit dem Alten, sondern aUmähliche
Überleitung in das Neue, das war die Tendenz der Ordination.
Offenbar haben die Städte in den nächsten Jahrzehnten
auf die Kirchenhoheit wenig acht gegeben, so daß das Stift Ratze-
burg noch fernerhin kirchliche Rechte ausüben konnte. Erst 1587
erfolgte ein gemeinsamer Beschluß, daß hinfort das iits vocandi
beim Amtmann bleiben, dagegen das ins nominandi voApraesen-
tandi bei den beiden Städten sei.*) Die Formulierung ist nicht
glücklich gewählt, der Sinn ist, daß der Amtmann ein Vor-
schlagsrecht hatte, während dem Rat der regierenden Stadt,
in deren Zeit die Vakanz fiel, also nicht beiden Städten, die Be-
stätigung zustand. 1597 hieß es: der Amtmann voziert, der Rat
ordiniert, 1610 der Hauptmann nominiert, der Rat der regie-
renden Stadt konfirmiert.*) Die eigentliche EntscTieidung lag
beim Amtmann: wenn er auch die Stimmung in der Gemeinde
berücksichtigen sollte, so vermochte er doch seinen Kandidaten
vor dem von der Gemeinde gewünschten durchzusetzen.*)
Zuerst in Bergedorf wurde 1602 eine Änderung beliebt:
als damals der Pastor während Lübscher Regierungszeit starb
und Lübeck von seinem Recht der Neubesetzung Gebrauch
machen wollte, setzte Hamburg durch, daß der bisherige
Schuhneister, der den altersschwachen Pastoren schon seit
Jahren in allen Amtshandlungen vertreten hatte, aber ein
Hamburger war, zum Pastoren bestellt wurde. Damit dies
nun Lübeck an seinem Recht nicht präjudizierlich würde,
bewilligte Hamburg, daß bei der nächsten Erledigung der
Stelle Lübeck den Pastoren bestellen solle, es sei die Herr-
schaft gleich bei wem sie wolle, und daß dann abwechselnd
fortgefahren würde.*) Damit war ein Prinzip, das schon 1584
bei der Besetzung der Zollstelle in Eislingen aufgestellt war,
Hbg. an Lüb. 1587 Okt. 18: Erklärung auf die ad ref. angenommenen
Punkte § 1.
*) Grantzin an Lübeck 1597 Apr. 21, Pasche an Lübeck 1610 Aug. 22.
^ Pasche an Lüb. 1609 Juni— Dez.
*) Vertrag von 1602 Aug. 18, Ltibeck, TVff^^\ "a«^<fc\QÄKöss«. '^^
352 Hans Kellinghiisen,
zum zweiten Mal durchgesetzt. Nach 1620 fand es auf alle
Pastoren, wie auf alle Beamten Anwendung.
Die Einkünfte der Pastoren waren auf den Eirchen-
ländereien und -renten fundiert, der Staat gab ihnen keine
Besoldung. Aber während in den Vierlanden das Kirchenland
eine große zusammenhängende Hufe war, deren Zugehörigkeit
zur Kirche nie in Zweifel gezogen werden konnte, bestand
das Bergedorfer Kirchenland aus zerstreuten Stücken in der
ganzen Feldmark. Es war in kleinen Teilen an die Bürger
verpachtet, und da es der Kirche nur auf die Rente ankam,
ließ sie zu, daß der Grund und Boden ihr allmählich ent-
fremdet wiu-de und in den erblichen Besitz der Bürger über-
ging. Das Eigentum der Kirche wandelte sich in eine feste
Grundrente. Dieser Prozeß war im 16. Jahrhundert schon
im vollen Gange, aber doch war es den Städten noch möghch,
mit dem steigenden Wert des Bodens auch die Grundrente
zu erhöhen. Im Jalire 1575 betrug das Bergedorfer Kirchen-
land 357 Himpten Aussaat (= 98,175 hl). Die Städte forderten
für jeden Himpten Aussaat 10 ß, die Leute wollten nur 4 ß
geben, nach manchem Handeln einigte man sich schließlich
auf 7 ß. Der Ertrag des Kirchenlandes war also 156 -^ 3 ß})
Im Jahre 1600 wurde eine weitere Erhöhung auf 8 ß vom
Himpten Saat durchgesetzt. (Ertrag: 178 -^ 6 /?).*)
Im übrigen waren die Pastoren auf die Abgaben ihi-er
Gemeindeniitglieder angewiesen. Nur in Geesthacht, das 1598
der vier bis dahin eingepfarrten sächsischen Dörfer beraubt
wurde, ^ war es den Pastoren und dem Küster ganz unmöglich,
sich von den übrigen wenigen Hebungen mit Weib und Kindern
zu erhalten. Es wiu'dc vorgeschlagen, ihnen das Dienstland,
das bisher die Landvögte in den Vierlanden gehabt, oder eine
jährliche Hebung, die den Pastoren in Lauenburg aus Neuen-
ganime zustand, zu überweisen;*) während sich die Verhand-
lungen darüber hinzogen, wurden dem Pastor von Hambui;^
einmal 6 Reichstaler, von Lübeck 20 Taler verehrt, endlich
*) Bericht der Abgesandten der Städte 1575 Aug. 27.
2) Rezeß von 1600 § 6.
3) Vergl. VOIGT, M. V. H. G. III, 3, S. 22 ff.
*) Kezeß von 1005 § 11.
Das Amt Bergedorf. 353
wurde 1611 beschlossen, dem Pastor jährlich 60-^, dem Küster
15^ aus den Amtseinnahmen zu entrichten.*)
Beim Tode eines Pastors wurde seiner Witwe nach den
Beschlüssen der Hezesse von 1593 und 1611 ein Gnadenjahr
gestattet, in dem sie die Einkünfte der Pfarre weiter bezog,
während die Pastoren aus den Nachbargemeinden die Amts-
obliegenheiten verrichteten. Die Ausführung dieses Beschlusses,
zu dem sich die Pastoren gegenseitig verpflichteten, ist mehr-
fach bezeugt.
Das Kirchenvermögen verwalteten die Kirchgeschworenen,
in Bergedorf waren es schon im 15. Jahrhundert vier, zwei
aus dem Städtchen, zwei aus den eingepf arrten lauenburgischen
Dörfern,*) in den Vierlanden gab es bei jeder Kirche zwei
Geschworene.
Der sittliche Zustand im Volk war wohl nicht ohne
Schuld der Städte, die die ihnen durch die Reformation zu-
gewachsenen Pflichten vernachlässigten, tief gesunken.*) Ihn
Wieder zu heben, beabsichtigten die Städte durch die geist-
lichen Visitationen, über deren Entstehung wir ziemlich genau
unterrichtet sind. Als auf einer Zusammenkunft in Bergedorf
am 25. Oktober 1574 von den Geistlichen der drei Städte
Lübeck, Hamburg und Lüneburg über die Renovation und
Konfirmation des Gottesdienstes beraten wurde, schlug Ham-
burg vor, im nächsten Frühling oder Sommer eine Visitation
der Kirchen des Amts durch beider Städte Prediger auszu-
richten, und Lübeck stimmte in einem Schreiben vom 6. No-
vember 1574 zu. Von der ersten geistlichen Visitation sind
keine Akten erhalten, dagegen visitierten auf ihren Vorschlag
der Amtmann als Vertreter Lübecks und ein Hamburger
Sekretär vom 25. bis 27. August 1575 die Kirchen des Amts,
nahmen Inventare über die vorhandenen Kirchenbücher (Briefe
und Siegel fanden sich nirgends) und Kirchengeräte auf und
verzeichneten die Kircheneinkünfte.*)
») Hamb. Kämm.-Reclin. IGOO, Lüb. an Hbg. 1606 Aug. 17, 1611 Okt. 22,
Antw. Nov. 15.
^ Das älteste Bergedorfer Stadtbach S. 23.
^ Vergl. FiNDEE, Vierlande S. 29 ff.
*) Bericht von 1576 Aug. 27.
354 Hans Kellinghiueii,
Die nächste Kirchcn\isitation war 1578^') seitdem fand
alle drei Jahre einige Tage vor der politischen eine geistliche
Visitation statt. Die Städte entsandten je einen oder zwei
Geistliche, die die einzelnen Kirchspiele aufsuchten und die
Pastoren, Küster und Kirchgeschworenen vor sich zitierten.
von denen es 1578 heißt: se liebheii alle tJiemeJick geantwarUU
wat vor gehrvvhm syn vorgefdileii; dar syn se alle flytig in
vcnnalinet Pastoren. Kostere und Jurateii ufid Iiehben heteringe
angelaret. 15H7 hielten die Visitatoren ein allgemeines Examen
aller Gemeindemitglieder aus dem Katechismus ab, nachdem
vorher der Amtmann verkündet hatte, sie sollten placide ant-
woilen imd de Een den a^idern nkh belachen edder bespotten.
Dann ermahnte sie der Lübsche Superintendent Puchenios,
sich nicht zu fürchten, man wolle sie nicht vexieren, sondern
frei aus dem Katechismus sich unterreden, und was sie nicht
wüßten, das wi'uden sie lernen, dat se siilvest enen gefallen
daran s(hohh*7i dregen. Zu rühmen war Geesthacht, wo
die Kinder ihren Katechismus und die Gebete fein wußten;
denn sie hatten dort einen jungen Gesellen, der die Kinder
untoniclitete und den sie wechselseitig in Kost nahmen.
Sogar die Alten gaben hier nach Gelegenheit ziemliche Ant-
wollen.^)
Die A'isitationsbcrichte der Geistlichen vnirden den
Städten eingeliefert. Diese nahmen, was ihnen geeignet
schien, in die Rezesse auf. So geht die ganze Sittengesetz-
gebung (vergl. S. 312) auf die geistlichen Visitationen zurücL
Eine wirkliche Hebimg des Volkes konnte nur von
einem geordneten Schulwesen ausgehen. Doch damit stand
es noch nicht gut. In den Vierlanden waren die Küster zu-
gleich Schullehrer, aber die Jugend wurde von ihren Elteni
nicht zum Besuch der Schule angehalten. *) Erst 1617 vnxrie
den Landleuten auferlegt, ihre Kinder sonderlich im Sommer
zum Küster in die Schule zu schicken.*)
Die Protokolle von 1578. 81, 84 iind 87 in der Commerz-Bibliothek
zu Hamburg (Finder S. 28), seit 1584 vollständig: im Lübecker St-A.
2) Vis. Prot. V. 1587.
^ Bericht der Visitatoren 1578 Sept. 23 und 24. Vergl. Finder S. 31 1
Beze& von 1611 § ^%
Das Amt Bergedori 355
Dagegen wurde 1582 in Bergedorf eine neue Schule
eingerichtet, die als Stadtschule noch heute besteht.
Ein aus Schlesien vertriebener Geistlicher der Augs-
burgischen Konfession, Johannes Hempelius, erklärte sich bereit,
den Schuldienst anzunehmen, wurde aber schon vor seinem Amts-
antritt vom Herzog Adolf von Schleswig- Holstein zum Hof-
prediger voziert. Zu Ostern 1583 kam als Ersatz Johann Rosen-
meiger aus Lüneburg, der schon 27 Jahre zu Artlenburg und zu
Lütau den Schul- und Kirchendienst versehen hatte. Außer dem
Unterricht der Jugend mußte er einmal wöchentlich den Katechis-
mus in der Kirche predigen. Schlecht war es um die Besoldung
bestellt. Die Städte versprachen je 10 -^ jährlich, in Bergedorf
waren an Zinsen nur 6 -^ vorhanden, und eine Kapitalsammlung
unter den Bürgern, die man auf 200 -^ zu bringen hoffte,
machte nur geringe Fortschritte. Die Einnahme aus dem
Schulgeld schätzte man auf 30 -^.^) Nicht einmal diese Ein-
nahmen gingen ordentlich ein. So wechselten die Lehrer
zunächst rasch*) und betrachteten die Stelle nur als Durch-
gangspunkt, eine Pfarre im Amt zu erhalten. Der Schul-
meister wurde vom Amtmann und dem Rat zu Bergedorf
gemeinsam bestellt.^)
Die Sorge für Kirche und Schule war eine neue Auf-
gabe der Verwaltung, deren Bedeutung erst allmählich er-
kannt wurde, die daher noch nicht überaD zu einer befriedigenden
Lösung führte.
6. Der Amtshaushalt.
Da die Verwaltungsaufgaben im 16. Jahrhundert sehr
viel einfacher als im modernen Staat waren und größtenteils
durch die persönlichen Dienste der Untertanen erfüllt wurden.
*) Lüb. an Hbg. 1582 Nov. 7, Vogeler an Hbg. 1583 April 30.
^ Es folgten: 1583 Herman Holting (1586 Pastor in Neuengamme),
Franciscus Grüngenius, Joachim Cortum (angesteUt unter Johan Schulte
1590—96, 1602 Pastor in Bergedorf), 1604 Rütger vom Felde (1609
Pastor in Curslack), 1610 Christian Schröder, Johan Goersen (resignierte
1625, wurde Pastor zu Estebrügge im Bremischen) ; v. Felde an Lüb.
1609 Juli 1, Register der Rektoren im Lübecker St,-A^.
3) Rezeß V. 1600 § 1.
356 Hans Kellin^iueii,
80 war der Bedarf für den Amtshaushalt nicht bedeutend imd
die Steuern lu-sprQnglich ganz gering.
Denn die Hauptdnnahmen flössen aus Zollen, die die
Bewohner des Amts selbst so gut wie gar nicht tsrafen. Von
den drei Zollstätten des Amts war bei weitem die wichtigste
die zu Zollenspieker an der Elbe. Der hier erhobene Eis-
lingcr Zoll hatte anfänglich wie alle Einnahmen zur Aus-
stattung des Amtmanns gehört, seit 1446 war es die einzige,
die Hamburg sich vorbehielt,^ während Lübeck sie bis 1548
seinem Amtmann gelassen zu haben scheint.*) Der Ertrag
des Zolls, der schon 1422 auf 380 ^ geschätzt wurde,*) war
in den hamburgischen Amtsperioden:
1461—1464: 1916 8', der jährliche Durchschnitt 599^*)
760 ^
820 -
961 .
1280 .
1356 ^
1149 -.
1379 .
1335 .
1654 -
1892 .
2152 .
2587 -
') Die Kämni.-Rechn., die für die für uns in Betracht kommende Zrit
vor 14B1 nur in den Auszügen Laurents erhalten sind, aher alle
zehn Jahre eine Übersicht über Einnahmen und Ausgaben geben, Te^
zeichnen den Eislinger Zoll zuerst 1450 (ü, S. 83), aber noch niclit
1440. Beide Male unterstand das Amt Bergedorf, zu dem der Zoll
gelegt war, hamburgischer Verwaltung. Hamburg wird den ZoD
daher bei Beginn der Amtsperiode 1446 zuerst für sich erhoben hab«9.
In demselben Jahre 1446 wurde die Amtsperiode auf sechs Jahre
ausgedehnt (8. 234).
^ In den Lübecker KämmerciroUen wird der Eislinger Zoll durch du
ganze 15. Jahrhundert nicht erwähnt (freundliche Mitteilung von Hem
Dr. Bruns).
^ Lüb. U. B. VI, 434.
*) Der leichteren Übersicht halber in Mark umgerechnet; hier wie übenD
sind die ß- und A-Belxi&^fe «Xi%ct\MA^\.,
1470-
-1476:
3646 .
1482-
-1488:
3 924 ^
1494-
-1500:
4 615 ..
1506-
-1512:
6145 .
1518-
-1524:
6 521 ^
1530-
-1536:
5 512 .
1542-
-1548:
6 621 ..
1554-
-1560:
6 408 ,
156Ü-
-1572:
9 923 A
1578-
-1584:
11 351 .,
1590-
-1596:
12 915 ,.
1602-
-1608:
15 519 „
Das Amt Bergedori 357
Es läßt sich eine beständige, wenn auch nicht regel-
mäßige Steigerung beobachten, da aber gleichzeitig das Geld
von 1460 — 1600 auf etwa V4 seines Wertes sank, war der
wahre Ertrag am Ende nicht höher als am Anfang.
Der Bergedorfer Zoll,*) hauptsächlich ein Durch-
gangszoll für Güter, die die Landstraße zwischen Lauenburg
und Hamburg passierten, betrug:
Ostern 1573—74: 663-^ MichaeUs 1601—02: 419-^
1577—78: 317 „ „ 1608—09: 259 „
1589—90: 269 „
Der Geesthachter Zoll, der vom Vogt in Geesthacht
erhoben und abgeliefert wurde, betrug:
1573: 22-^ 1589: 28-^
1574: 24 „ 1602: 19 „
1577: 30 „ 1609: 25 „
Von dem Bergedorfer Zoll gesondert angeführt wird
zeitweise der Ochsenzoll, der vielleicht erst bei der Anlage
des Curslacker Heerwegs 1568 eingerichtet wurde. Der
Durchtrieb muß bisweilen sehr groß gewesen sein: in dem
auf Michaelis 1608 folgenden Halbjahr passierten 11 148 Ochsen,
wie ausdrücklich angegeben wird, den ZoD. Der Ertrag
(von jedem Ochsen 3^) war:
1577: 153-^ 1602: 13-^
1578: 66 „ 1609: 187 „
Gegenüber diesen Einnahmen waren die ursprünglichen
Abgaben der Untertanen gering. Die älteste war der Königs-
Pfennig, der auf jeder Hufe lastende Anerkennungszins
(vergl. S. 195 f.). Das Register von 1570 verzeichnet: De
Koninges penning is alle jar up s. Martens dag hy schinender
sumie tähthogeven hedagt, wert in allen 4 landen van den
landtvogeden entfangen und iss Pfarrgdt *), dregt ungdidc, dar
den den vogeden tip to sehende geboret und de vogede bringen
idt tlio Bargerdorff. In die Amtskasse floß die Einnahme nicht.
Vergl. S. 257.
^ Wohl Schreibfehler für Fahrgeld (dessen Nichtbezahlung mit Gefahr
verbunden war), vergl. S. 1% u. 359.
ZUchr. d. Vereins f. Uamb. Gesch. XIU.
358 Hans Kellinghniien,
Die einzige allgemeine alte Schätzung war der Martins-
schatz (S. 197), eine von allen Hufnem gezahlte feste Abgabe,
ursprünglich wohl nach der Morgenzahl bestimmt.^) Bei
Hufenteilungen und bei Überlassang von Land an Kätner
wurde den Neubesitzem ein Teil des Martinsschatzes über-
tragen.^ Im übrigen zahlten die Kätner statt dessen das
Verbiddelgeld, ein Schutzgeld in Höhe von Aß. Seine
Zahlung dehnte die Visitation von 1617 auch auf die Hufner
aus, indem sie bestimmte, daß hinfort jeder, 6b er schon km
Fmer und Rauch hiUf, auch den Marienscliatz für sich allein
enf richtet od^^r mitdandcgt, das Vorbiddegeld entrichten solle,
und trotz des Widerspnichs der Hufner setzte man das otms
personale durch. ^) Der Martinsschatz samt dem Verbiddel-
geld \^airde in Neuengamme und Kirchwärder Martini, in
Altengamme und Ciu-slack auf St. Catherinen (Nov. 25) bezahlt
Sein Ertrag war:
1561 1570 1573 1589*) 1608
in Kirchwärder 163^' 177-^ 175-^ 192-^ 187-^
,. Xeucngamme 139 ^ 153 „ 147 „ 188 „ 145 ^
„ Altongamme 103 ,. 114 „ 105 „ 122 „ 97 .
„ Cui-slark 75 . 81 „ 81 „ 87 „ 91 ^
\\>itore Abgaben, deren Urspiung sich nicht mehr fest-
stellen läßt, waren in Neuengamme und Kirchwärder der
Pascheschatz (89 resp. 95 ^A in der Osterwoche fällig,
und der Wo It schätz (7 resp. 12 ^x) auf Johanni, femer nur
in Kirchwärder der Laterenschatz (52 — 54-^) auf Marien
Geburt (Sei)t. 8). Die Dienste in der Hof Wirtschaft zu Ripen-
burg hatten einzelne Hufner beider Lande seit 1512 duith
den Plochschatz (14 resp. 20^) auf Weihnachten abgelöst
Ihn erhob die alte Heirschaft im letzten Jahre zweimal, auf
') Der höchste auf einer Hufe lastende Betrag war 1570 in Klrchw.
G^ 6/J, Neueng. 11-^' 12 /J, Alteng. u. Cursl. je 7-^ 10 /J.
^ Rezeß V. 1G17 § 9.
^ V. Eitzen an Hbg. 1G18 Jan. 8, Hbg. an Lüb. Jan. 10.
Die höheren Zahlen in diesem Jahr rühren daher, daß der Martiss-
schatz von einigen lt^ut.^\i*\m\^ViX%?ft.^i8^ ^^^ ^^'ö. Herrschaft doppelt
gegeben werden mu^te.
Das Amt Bergedori 359
Weihnachten und Lateran (Sept. 8), dafür mußte ihn die neue
im ersten Jahre missen.
Curslack und Altengamme zahlten nur noch das Hof-
schweingeld (je 9 ^) am Heiligkreuztag (Sept. 14) auf dem
Bergedorf er Markt. Wie der Königspfennig war e^fargdt und
mußte bei scheinender Sonne nach Bergedorf gebracht werden.
Bergedorf zahlte überhaupt nur den Martinsschatz im
Betrage von 10 -^, der den Biu-gem 1275 als Erstattung für
das verliehene Stadtrecht auferlegt war. Seine Erhebung lag
in den Händen des Bergedorfer Rats. Dazu kam seit 1560
etwa die Steuer der Vorstädter (je 4 ß, vergl. S. 214).
Geesthacht gab Schatz oder Dienstgeld auf Aller-
heiligen (4-^) imd Dreikönige (24-^).
Von den Naturalabgaben war die wichtigste der Zehnte
in Neuengamme, der von Anfang an der weltlichen Herrschaft
gebührt hatte (S. 196 f.), während er in Altengamme und
Curslack dem Bistum Ratzeburg zustand, in Kirchwärder vom
Bistum Verden an das Kloster Schamebeck und von diesem
ans Herzogtum Lüneburg gekommen war. Auch in Neuen-
gamme waren durch herzogliche Verleihungen das Bistum
Ratzeburg, die Klöster Reinbek und Reinfeld und das Ham-
burger Domkapitel in Zehntenbesitz. Dem Haus Bergedorf
blieben nur 19 Leute zehntpflichtig. Als Komzehnte stand
der Herrschaft von allem Korn die 11. Dieme, die 11. Hocke
und die 11. Garbe zu, als Schmalzehnte van iderem fcUen
1 ^j, von iderem kcUve 1 schefi'ff und dat elffte verken, item de
goeße Jieihen, der sin wenig oder vele, gifft ein ider eine goeß.
Statt des Komzehntens nahmen die Amtmänner von Holten
und Thode (1554—66) 160 ^, Johann Moller forderte wieder
rein Korn, und zwar von 11 Diemen Weizen und Roggen
3 Himpten, Gerste und Hafer 5 Himpten. Vogeler bean-
spruchte gar 360 ^ und 3 Wispel Hafer, auf die Beschwerde
der Neuengammer wurde ihre Pflicht 1583 fortan auf 300 -^
und 2 Wispel Hafer fixiert.')
Weitere Naturalabgaben waren die Rauchhühner,
Hofhühner, Pfingsthühner und Michaelishühner, nach Johann
») Register v. 1570. Rezeß 1583 § 9.
360 Hans KellinghiueB,
Mollers Register von 1570 zusammen 681 Stflck. Lieferungen
von Butter, Flachs und Eiern verzeichnen die Bestallungen.^
Von unbekanntem Alter sind endlich einige Gewerbe-
abgaben in den Vierlanden, das Kopschlagegeld, Erögergeld
und Fischergeld (vergl. S. 210 f.). Es betrug:
1573
1574
1577
1589
1602
das Kopschlagegeld 154 ^
135^
143 i^
73-^
79^
„ Krftgergeld ... 58 ^
66 „
76 „
41 „
4U
„ Fischergeld ... 120 ^
119 „
109 „
107 „
93,
Statt des Krügergeldes (von jedem Krüger 1 Taler oder
3 Orttaler jährlich*) gab man im St&dtchen eine geringe
Akzise (von der Tonne Hamburger Biers 1 ß\ deren Ertrag
1577: 75, 1578: 91, IKK): 64, 1602: 109 ^ war.») Die Rech-
nungen von 1590 und 1602 verzeichnen außerdem ein Brauer-
geld (28 und 84 -^').
Die ganze Summe der Steuern wurde oft von den
üerichtsbrüchen, der dritten Einnahmequelle^ übertroffen
(vergl. S. 296).
Insgesamt betmgen die Amtseinnahmen ohne den g^
sondert erhobenen Eislinger Zoll:
M.
1561 bis 0. 1562:
600-^
0.
bisM.
1573:
1578 4.
1573 „ „ 1574:
1116 „
r
n r
1574:
1345 „
1576 ,. ,. 1577:
876 „
r
n r»
1577:
2038 .
1577 ,. ^ 1578:
980 ^
r
r r
1578:
1648 „
1589 „ ^ 1590:
1133 „
?•
r n
1589:
979 ,
1601 „ ,. 1602:
1921 „
Vf
r. n
1602:
1712 .
Sie genügten in älterer Zeit zur Deckung des Bedarfs;
in außerordentlichen Fällen behalf man sich mit Kon-
tributionen, deren Auferlegung beide Städte sich vor-
behielten.^) Umlagen für den Schleusenbau aus den Jahren
Bestallung v. Elthens 1548; Vertrag: v. 1608 § 10, Klefrker S. 371.
2) Aufstellung der Amtseinnahmen 1607. Dagegen 1573 zahlten die
meisten Krüger 3 -^ 8 /J.
'') In den Amtsrechnungen von 1573 und 74 findet sich die Akzise nicht
*) Bestallung Mollers 1566 (VOIGT, M. V. H. G. HI 2, S. 42) und seiner
Nachfolger.
Das Amt Bergedorf. 361
1443, 1568 und 1617 und zum Heerwege 1568 wurden schon
erwähnt. Im 16. Jahrhundert wurden femer erhoben:
1534 Nov. 15 von jeder Hufe 2 Gulden zur Verteidigung des
Amts, zusammen 316 S* 4 /f,
1547 zur Verteidigung der reinen evangelischen Lehre von
jeder Hufe 9 ^, zusammen 1335 ^,
1556 zum Unterhalt der Knechte, die den Einfall der in
Mecklenburg ausgehobenen Landsknechte verhinderten,
1040-^.
1559 vom Morgen 1 Taler, eine hohe Schätzung, deren
Ertrag 4970 ^ war,
1561 vom Morgen V* Taler, Ertrag 835 -^,
1572 in den Vierlanden vom Morgen 6 /f, in Bergedorf
der halbhundertste Pfennig. Ertrag: in Neuengamme 428,
Kirchwärder 241, Curslack 276, Altengamme 210, Berge-
dorf 119, zusammen 1274 ^.^)
Aus einer Eontribution zu einer regelmäßigen Steuer
wurde allmählich die Türkensteuer, die zum erstenmal
auf Grund des 1542 ergangenen und von den Reichsstädten
gebilligten kaiserlichen Mandats 1544 erhoben wurde. In
Hamburg forderte man V* % des Vermögens, aus dem Amt
Bergedorf, dessen Eingesessene wegen schlechter Ernte 1542
Dilation erbeten hatten, wurden nur etwa 300 ^ abgeliefert.*)
Als 1566 die Tüi'kensteuer von neuem auferlegt wurde,
gaben die Vierlande vom Morgen Landes 8 ß, von geringerem
Land 6 /f, die Geesthachter und Bergedorfer den hundertsten
Pfennig (1%) ihres Vermögens, der Ertrag war 2206 ^\ die
große Summe erklärte man sich 1607 durch den drohenden
Hbg. an v. Hutiem 1534 Nov. 4, Kämm. Rechn. V, S. 528; VI, S. 256;
Vn, S. 56, Lüb. an Hbg. 1559 Febr. 21, Kämm. Rechn. VH, S. 201,
300 nnd 1572 (ungedr.)
^ Hbg. an Brömse 1542 Aug. 11, Hamb. Kämm. Rechn. VI, S. 129. Das
Lübecker St.-A. bewahrt eine ausführliche Erhebungsordnung für das
Amt Bergedorf nach einem Formular, das auch für das Gebiet des
Lübecker St. Johannisklosters verwandt wurde (gedr. G. H. Schmidt,
Zur Agrargeschichte Lübecks und Ostholsteins S. 115 ff.). In Bergedorf
kam diese Ordnung, die V^ 7o des gesamten beweglichen und unh^
weglichen Vermögens forderte, a\xgeii&c^\ie\i^O[i mOoX i^oi k&:«^^^sQEfiS|
362 Hans Kellinghiiaeii,
Türkeneinfall.') Zum drittenmal wurde eine Turkenstena
auf Fordening des Reichs 1577 — 82 sechs Jahre hintereinander
auf Trium Regum (Jan. 6) erhoben, von den Hufnem als
Landschatz, von den Landlosen als Kopfsteuer; ihr Ertrag
schwankte zmschen 1050 und 1092 ^.*)
Endlich wurde den Untertanen im Rezeß von 1593 auf-
erlegt, die Türkensteuer hinfort jährlich zu geben; seitdem
verlor sie den Charakter der außerordentlichen Eontributioi
und wm-de bald auch nicht mehr für den Türkenkrieg, sondern
im Haushalt der Städte verwandt. Der alte Name aber blieb
bis ins 19. Jahrhundert haften. Ein Mandat der Städte von
14. Dez. 1594, das sich noch auf die von allen Kurfürsten
und Ständen des Reichs bewilligte große TOrkensteuer berief,
bestimmte die Ausdehnung der Kopfsteuer auch auf die Hofner
und ihre Weiber, Kinder und Gesinde. Erwachsene gaben 6ß,
Kinder 3 ß. eximiert waren die Prediger und der Amtmann,
bei Unvennögenden konnte die Kopfsteuer herabgesetzt werden.
Daneben blieb der Landschatz der Hufner (2 ß vom Morgen)
trotz ihres heftigen Widerspruchs bestehen.*) Der Ertrag
schwankte zwischen 1000 und 1100 ^. Die Türkensteuer
wurde zu Neujahr oder Dreikönige durch Ratsgesandte der
Städte, seit 1GÜ8, um Kosten zu sparen, durch den Amtmann
erhoben.*)
Gleichzeitig mit der Festlegung der Türkensteuer wurde
das Holzgeld (1 ß vom Morgen, 495 ^) eingeführt-, zunächst
als ])ersönliche Entschädigung des Amtmanns (siehe S. 3271
Je mehr der Staat die Vei-waltung an sich nahm, desto
mehr \\'uchsen seine Bedürfnisse. Daher stand man jetzt
auch in der Finanzverwaltung vor einem Wendepunkt. Auf
der Visitation von 1605 überzeugte man sich, daß bei den
stets steigenden Ausgaben auch die Amtsintraden verbessen
werden müßten, sonst müsse notwendig eine Veränderung
Die Leute uuterm Haus Bgd. an Hbg. (1566) bitten, die Stener tob
S ß auf 6 /{ herabzusetzen. Auf der Visitation von 1607 wurde eis
Extrakt von 15G6 wegen der Türkensteuer vorgelegt (Vis.-Prot)
^ Hamb. Kämm. Rechn. (ungedr.)
^) Mandat v. 1594 Dez. 14; Alteng. u. Cursl. an Lüb. 1597 Okt 25.
*) Lüb. an PascTie 1^0^ D^i.W.
Das Amt Bergedorf. 363
mit dem Amt vorgenommen werden.^) Zunächst versuchte
man den ersten Weg, eine außerordentliche Zusammenkunft
im Amt wurde 1607 angesetzt. Lübeck stellte hier fest, daß
die von den Untertanen gezahlten Pachte und Zinse aUmählich
wohl auf die Hälfte ihres ursprünglichen Geldwertes gesunken
seien (in Wahrheit auf Vs bis Vio) und, was dasselbe war,
der Grundbesitz den doppelten Wert von früher erhalten habe.
Für die Erhöhung der Einnahmen stellte es mehrere Vor-
schläge zur Auswahl: nach dem Vorbild der hamburgischen
Untertanen einen Schoß (4 ß von 100 -^) vom Vermögen, das
die Eingesessenen eidlich selbst einschätzen sollten, eine Er-
höhung der Türkensteuer, die Verdoppelung aller Amtseinnahmen
entsprechend dem gesunkenen Wert, eine Erhöhung der Akzise,
die Verpachtung der Ripenburg zum Besten der Städte, endlich
kleine Ersparnisse bei der Besatzung des Schlosses und den
Deichschauungen.*) In eingehenden Besprechungen einigte
man sich auf die Einführung des Schosses und die Erhöhung
der nunmehr auch auf die Vierlande ausgedehnten Akzise.
Beides geschah im Rezeß von 1608. Ohne größere Schwierig-
keit wurde die Akzise (4/f von der Tonne Bier), von der
die Landvögte befreit blieben, bei den Untertanen durch-
geführt, seit Michaelis 1608 wurde sie erhoben und brachte
schon im ersten Jahr von Hamburger Bier 382 ^, von Lüne-
burger Bier 119 -^^) Nachhaltigen Widerstand fand dagegen
der Schoß. Zunächst setzten die Untertanen im Rezeß von
1608 eine Ermäßigung des Schosses auf 2 /f von 100 -^, also
auf Vs 7o des Vermögens, durch ; aber auch dann noch ergingen
sie sich in furchtbaren Klagen über die Unmöglichkeit dieser
Forderung.*) Inzwischen war der Beschluß durch Unter-
Rezeß von 1605 § 15.
^ Lübsche Instr. 1607 Aug. 14.
^) Einwilligung der Bergedorfer, Pasche an Ltib. 1609 Aug. 30; 1611
Mai 22. Der Rezeß von 1614 (§ 5) fügte hinzu, vom Magdeburgischen,
Zerbischen, Gardelebischen und Braunschweigischen Bier, weil die
Fässer zweieinhalbmal so viel als die Hamburger enthielten, 10 ß zu
nehmen, der Rezeß von 1617 (§ 4) erhöhte die Akzise für sie auf 2 -U-
Gleichfalls wurde 1617 den Brauern in Bergedorf, die priyilegi
Brauerben besaßen, iß von jeder Tonne auferlegt (§ 5).
*) Vierlande an Lüb. 1609 Aug. 23, Dez. 7, Bergedort «s.\^^. ks
364 Hans Kellinghaaen,
Siegelung des Rezesses im Oktober 1609 yerbindlich gewordeo,
lind dem Amtmann wurde befohlen^ den Schoß nötigenfalls
durch Rechtszwang einzutreiben. Da bewirkte der schwere
Deicheinbruch auf der Hove im Frühjahr 1610 (S. 338) einen
letzten Aufschub. Auf der Visitation von 1611 erklärten die
Landleute noch einmal, es wäre ihnen unmOglichy den SchoB
auszugeben, wollten die Städte ihnen das Ihrige nehmen, so
müßten sie es geschehen lassen. Auch die Erinnenmg an
benachbarte Marschländer, die höheren Schoß geben müßten,
wollte nicht verfangen. Endlich befahlen ihnen die Gesandten
bei poeiia dupli und Ausjyfändtoig, den Schoß bis Martini zn
erlegen. Daraufhin bezahlte zuerst Bergedorf am 28. Oktober,
dann Kirchwärder am 13. November den Schoß, die andere
Lande weigerten sich, wurden gepfändet und fanden sich erst
im Oktober 1612 bereit.*) Aber schon 1612 stellte man fest,
daß die Leute ihre Güter nicht richtig verschoßten, und in
der Tat betrug der im Oktober 1616 eingenonunene Schoß
imd danach das geschätzte Vermögen nur:
in Bergedorf —
• 146^
10 A
Vermögen 117 300^
.. Neucngamme .
. 144 ,
14 .
v>
115 900 ^
^ Kirchwärder .
. 166 ^
14 ^
r
133 500 ^
.. Altengamme .
. 58 -
6 .
r
46 700 .
.. Curslack
. 87 ,
2 .
-
69 700 ,
603 „
14 .
r
483 100 -
Im ganzen hatte die Finanzreform nicht das gebracht,
was man ei-wartet hatte; nunmehr griff man den zweiten im
Rezeß von 1605 vorgeschlagenen Weg an, er führte zur Ver-
waltungsänderung von 1620.
Bis zu dieser Zeit waren die im Amt erhobenen
Einnahmen keineswegs mit den Einkünften der städtischen
Kämmereien aus dem Amt identisch. Ursprünglich erhielten
die Kämmereien nichts, nach dem Vertrage von 1422 flössen
die auf 800 und 470-^ geschätzten Einkünfte der beiden
Ämter in die Taschen der Amtmänner (S. 239). Bald forderte
') Rezeß von 1611 § 7.
') Pasche an Lüb. 1611 Nov. 5, 20.
Das Amt Bergedorf. 365
man von ihnen wenigstens ein Pfand, das verfallen sein sollte,
wenn ihnen die Schlösser durch eigene Schuld heimlich ab-
geschlichen würden. Das Pfand konnte als zinsfreies Kapital
im städtischen Haushalt verwendet werden. In dieser Weise
übertrug Lübeck 1430 beide Ämter nacheinander für eine
Pfandsumme von 4000 ^, Hamburg die Vogtei Ripenburg 1434
für 1500 ^ und 1452 für 3000 ^.')
Von der Verpfändung war nur ein Schritt weiter zur
Verpachtung, die den Amtmann überhob, eine große Summe
bei seinem Amtsantritt flüssig zu machen, während den Städten
hauptsächlich an der daraus gezogenen Rente gelegen war.
Dies System wandte Lübeck schon 1438 an, indem es beide
Ämter acht Jahre nacheinander an Timm Hadewerk für 250 ^
jährlich verpachtete.*) Sein Nachfolger gab dem Rat für die
Vogtei Ripenburg mit allen Nutzungen jährlich 300 ^,
10 Störe und 200 Hühner.*) Seitdem bezahlten alle Lübschen
Amtmänner bis zur Vereinigung der Ämter für Bergedorf 250,
für Ripenburg 300 ^ Pacht.*)
Auch Hamburg verpachtete die Ripenburg seit 1464
bis zu ihrer Aufhebung für 160 S* (= 200 ^). Aus den
Bergedorfer Einkünften dagegen sonderte der Rat 1446 den
Eislinger Zoll für sich aus und schuf sich damit die erste
direkte Einnahme aus dem Amt (S. 356). Dem so seiner Haupt-
einnahme beraubten Amtmann mutete man keine Pachtzahlung
mehr zu, im Gegenteil, bis 1536 erhielt er nach Ausweis der
Kämmereirechnungen pro aira et custodia castri jährlich
300 ^ ausbezahlt. Erst unter den beiden folgenden Amt-
männern (1542—60) fiel diese Zuzahlung fort.
Schon 1548 forderte die Bürgerschaft, daß bei der Ver-
waltung des Amts mehr auf der Stadt Wohlfahrt als auf den
Profit und Vorteil der Amtmänner gesehen würde. Und der
Rat versprach, bis die Stadtschulden getilgt seien, das Amt
dem Ratsmitglied oder Bürger, der das höchste Gebot abgäbe,
zu verpfänden oder zu verpachten oder es auf Rechnung zu
») Lüb. Ü.B. Vn, 411; Kämm.-Rechn. H, S. 60, 96.
^ Lübecker KämmereiroUe (freundl. Mitt. von Dr. Bruns).
3) Lüb. U. B. Vm, 364.
♦) S. 227 n. 3.
366 Hans KeHinghnaeii,
vergeben, wenn es gelinge, ni der Stadt Vorteil einen Vogt zu
hekonxmm}) Aber eine Änderung trat erst ein, als die Böi^-
schaft 1563 die Kämmereiverwaltung in ihre Hände brachte.
Nur hatten die Kämmereibürger jetzt ebenso einseitig fiska-
lische Interessen im Auge und vergaßen darüber das Wohl
der Untertanen. Bereits in einer Proposition vom 7. März 1564
erklärten sie dem Rat, sie wiUJten einen Mann in der Stadt
der jährlich 2000 ^' für das Amt Bergedorf geben würde,
wenn er es zu denselben Bedingungen wie die bisherigen
Amtsleute erhielte. Der Rat bat, es hi dem olden tumo zn
lassen, schließlich gab er nach, nur sollte eine PersoB
des Rats vor allen in gleicher Höhe bietenden das Vorrecht
haben. Die Forderung der Bürger, schon jetzt mit ihrem
Mann abzuschließen, wurde trotz ihres Protestes bis zur Zdt
des Heimfalls des Amts vei-schoben.*) Am 28. Dezember 1565
zeigte der Bürgenneister Reder den Kämmereibörgem an.
daß Herr Jürgen Vilter, detn wie thor tidt sodann Ahät
htthohchbrndf wolde gchorm (vergl. S. 229), das Haus und
alle Gelegenheit besichtigt, aber gefunden habe, daß es ilm
und den Seinen für das gebotene Geld nicht zum Vortdl
gereichen kOuno; er habe daher auf Bitten des Rats gui-
willip: verzichtet, die Bürger möchten mit dem sich anbietenden
Pächter Johann Moller in Verhandlungen treten. Doch da
erhob sich HeiT Nikolaus Vogeler, der langjährige Rats-
sokretär. d(Mn ab(»r nun, weil er zum Ratsherrn aufgerückt
von den Kämmeroiverordneten seine Besoldung entzogen war:
er wolle das von Johann Moller gebotene Geld geben, man
niöfre ihn nehmen, da er die Untertanen und das Haus viel
blosser als ein Bürger regieren könne. Als aber der Bat
erklärte, Vogeler nach einstimmigem Beschluß zurzeit nicht
aus seiner Mitte entbehren zu können, verzichtete auch er
aus Freundschaft zu Moller und seinem verstorbenen Vater.
Unterdessen war Johann Möller, dessen Bruder und Stiefvater'i
im Rat saßen, mit zwei weiteren Freunden auf dem Rathaus
Rezeß von 1548 g 17, ffedr.-LÜKIG, Reiclisarchiv P. Spec. Cont. IV, S.99U
2) Käiiiinerei-Prot. 15(54 März 7—22, Seite 8, 38, 45, 53, 55, 68.
') Everdt MoUer und AUjreiiVvt Kviekemami.
Das Amt Bergedorf. 367
erschienen; ihm wurde in Gegenwart der Kämmereibürger
vom Rat das Haus für 2000 ^ jährlicher Pacht zugeschlagen,
unter denselben Bedingungen, wie seine Vorgänger es gehabt
hatten. Füi* die im voraus zu entrichtende Pacht stellte er
vier Bürgend) Im Januar 1566 wurde seine Bestallung an-
gefertigt, außerdem liegt zu einem Nebenvertrag ein Entwurf
vor, in dem sich Moller verpflichtete, dem Rat zu einer
gemeinen Distribution jährlich 200 ^, sowie dem Ratsherrn
Vilter als Entschädigung für den Turnus eine im Konzept
nicht angegebene Summe zu zahlen.*)
Obwohl sich sofort zahlreiche Unzuträglichkeiten heraus-
stellten, die sich in Beschwerden der Untertanen und Lübecks
äußerten, hielt Hamburg doch durch vier Amtsperioden bis
1608 an der Verpachtung fest, nur daß seit 1572 wieder
Ratsherren Pächter waren, und die Pachtsumme auf 1500 ^
herabgesetzt win-de.*) In die Kämmerei flössen damals die
Pacht, der Eislinger Zoll und die Türkensteuer.
Indessen war Lübeck schon 1548 zur modernen Finanz-
verwaltung übergegangen (vergl. S. 234 f., 240), indem es die
Amtseinkünfte, abgesehen von den Naturalabgaben und der
Hälfte der Gerichtsbrüche, für sich erhob. Halbjährlich
legte der Amtschreiber der Kämmerei Rechnung ab.*) 1608
folgte endlich auch Hamburg.
Bis zu dieser Zeit hatte jede Stadt und ihr Amtmann
die Amtseinnahmen während ihrer Regierung allein gehabt.
Nach der Vereinigung beider Ämter hätte also die nicht-
regierende Stadt gar keine Einkünfte aus dem Amt gehabt,
wenn nicht 1512 ausgemacht wäre, daß ihr von der regierenden
jährlich 400 Mark wegen der Ripenhirg entrichtet werden
sollten.*^) Dagegen waren alle von den Städten aufzubringenden
Ausgaben, namentlich für Bauten und zur Verteidigung, von
jeher gemeinsam, mußten also stets von der nichtregierenden
>) Kämmerei-Prot. 1565, S. 148, 165, 181, 216.
^) Gedr. Voigt, M. V. H G. m 2, S. 42 ff.
^ Nach den Kämm. Rechn.
*) Aus den erhaltenen Amtsrechnungen sind die obigen Einzelasgabea
sowie die Zusammenfassung (S. 360) genommen.
^) Anlage 2; wie die Kämm. BecbxL a\iswelmI^ «^i^\& X^^sa^^^X*.
368 iTftii« KeUinghiueii,
Stadt mit entrichtet werden. Schon im 15. Jahrhundert
pflegte man bei der Umsetzung der Ämter gegenseitig abzu-
rechnen/) später geschah es hauptsächlich auf den Visita-
tionen. Je gi*Oßer die Ausgaben wurden, desto langwieriger
waren die Abrechnungen; 1607 gebrauchte man zur Liqui-
dierung der Rechnungen von Michaelis 1602 — 1606 acht Tage.
Und nicht nur das, bei der Schwerfälligkeit der Bewillignug
wurden die notwendigsten Ausgaben fast zur Unmöglichkeit
gemacht, die Zustände forderten gebieterisch eine Änderung.
Endlich wurde in dem Reformjahr 1608 bestinmit, was
nun die gemeinsamen Verwaltungsgrundsätze ermöglichten:
daß die Oeniessung des Ämbts jerlichen zunschen beiden JErbaren
StetMi gleich sein und nicJit, wie hißhero bretichlich gewesen,
alle seclis Jahre umbgetvecJiselt werden soll. Jährlich schickte
die regierende Stadt der andern ihr Quotum nebst der Beck-
nung zu.*) Damit war der Grundsatz der völligen Trennung
der Verwaltung, der so lange geherrscht hatte, überwunden,
der Weg zur gänzlichen Vereinigung war auch von dieser
Seite aus gebahnt.
Von den Einnahmen und Ausgaben Hamburgs im ganzen
geben die Kämmeroirechnungen folgendes Bild:
Einnahmen
Ausgaben
Überschuß
mPi
zent
4^ ß 4
4 ß A
^ ß 4
1465—1476:
5557 3 2
8245 6 7
— 2488 3 5
— 43
1477—1488:
6055 2
4 144 3
1 910 15
32
1489-1500:
6 669 2 4
5645 15 5
1323 2 11
19
1501—1512:
8 881 6 8
1513—1524:
9 752 8
1525—1536:
9 289 8 4
1537—154«:
10 895 2 7V2
2 651 2
8 244 2 5V2
76
1560—1572:
23 186 12 2
9 959 11 3
13 227 11
57
1572-1584:
20350 11 3
11 254 7
9096 10 8
45
1584-1596:
24 314 8 3
22 148 11 9V2
2 165 12 5Va
9
1597—1608:
27 490 7 2
25 976 14 7
1513 8 7
5,5
Bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts übei-wiegen di
Ausgaben; auffallend ist, daß trotz der günstigen Bedii
') Hbg. an Lüb. 1464 8ept 22.
') Vertrag § 13, ^liEFBiM?». S.?ri\.
Das Amt Bergedorf.
369
gungen für die Amtmänner die Mitte des 16. Jahrhunderts
die Zeit der größten Überschüsse ist; die Städte taten eben
damals gar nichts für das Amt. Dann beginnt ein rasches
Sinken des Überschusses, vor allem aber zeigen die Zahlen
selbst, die sich doch in sehr bescheidenen Grenzen halten,
die Notwendigkeit einer Reform,
370
Hans Kellin^hasen^
1374
Anlage 1.
Die Amtmänner auf Bergedorf und Ripenburg.
A. Bergedorf. B. Hlpenbnrg.
Vicke Marschall von Hitzacker Lndolf and Hans Marschall yod
1357. Hitzacker 1406 (Pfandbe-
Ritter Johann Wulf. sitzer).
Otto Schack 1401.
Hinrich Mildehovet 1418.
1422—26 Johann Cletze (H.)
1426—30 Johann Gerwer (L.)
1 430 — 34 Johann von Alverdinge (H.)
1434—38 Hans Lüneburg (L.)
1435—38 Tideke Bramstede
1438-42 Johan Vos (H.)
1442—46 Timm Hadewerk (L.)
1446—52
1452
1458
1464
1470
1476
1482
1488-
1494—
1500
1506
1512-
1518-
1524-
1530-
1536-
1542-
1548-
1554-
1560-
1566-
— 58 Hinrich von Stiten (L.)
—64 Erich von Tzeven (H.)
-70 Oord Brekewold (L.)
— 76 Jakob Struve {H.)
—82 Hinrich von Calven (L.)
—88 Christian Berskamp (H.)
—94 En*>-elbroclit Vickin^husen
1500 Johann Berskamp (H.)
T 1496
44 () — 1 500 Christian I^erskamp
-06 Herman Meßraan (L.)
-12 Cord Moller (H.)
Nicolaus von Stiten (L.)
Märten Swart^op (H.)
Hans Lüneburg (L.)
Johan Vos (H.)
Timm Hadewerk (L.)
Hildebrand Brandes (H.)
Johann Hovemann (L.)
Hinrich Cnimvot 1449
Hinrich I^esemann (H.)
Cord Brekewold (L.)
Hans Lesemann (H.)
lYitz Grawer (Li.)
Hans I^semann (H.)
Engreibrecht Vickinghusen (L^
Ench von Tzeven (H.)
En«:ell)recht Vickinghusen X'
Matthias Schiphower (H.)
Herman Meßman (L.)
C. (4esamtamt Bergedorf.
-18 Herman Meßman (L.)
-24 Micliel Keder (H.)
-30 Bartold Kerkring- (L.)
-36 Gerd von Hutlem (H.)
-42 Nicolaus Bromse (L.)
-48 Ditmar Koel (H.)
-54 Dietrich von Elthen (L.)
-60 Jürgen von Holte (H.)
-66 Christoffer Thode (L.)
-72 Johann Moller (H.)
1572—78 Johann Kerkring (L.)
1578—84 Nikolaus Vogeler (H.)
1584—90 Franz von Stiten (L.)
1590—96 Johann Schulte J.Ü.L.
(H.)
1596—1602 Gerd Grantzin (L.)
1602 — 08 Joachim Brandt (H.)
1608—14 Hinrich Pasche (L.)
1614—20 Eberhard Esich (E)
t 1616
1^17 — 20 Albrecht von EitieD.
Das Amt Bergedorf. 371
Anlage 2.
Vertrag über die Vereinigung der beiden Ämter Bergedorf
und RIpenburg 1512 Nov. 10.
Wy Burgermeistere unde Rathmanne der Stede Lubeke unde
Hambarg bekennen nnde betugen apenbare vor nns, nnsze nakome-
linge, ock unszer stede borgere unde alszweme: nach deme unde
alsz wy unlanges der borch offte slotheszhaluen Kypenborch, de
umme szwackheyt willen eres gebuwetes nicht szunder grothe vare
unde eventur in krygeszlufften tho holden gewest, uns undereynander
vordragen, alszo dat wy deszulven umme merer szekerheyt unde
weyniger vare willen hebbenn lathen breken, unde alszo nach
malkander vorgehattem bewage unde radtslage de helen unde gantzen
vogedie myt alle den dar tho behorende, idt sy van rechte, gerichte,
upkumpft unde aller gerechticheyt, beyde ym lande offt ock van
wegen der Elve dar tobehorende, nychtes buthen bescheden, to unser
beyder vogedie unde slothe to Bergerdorppe gelecht, dar by vorbath
unde szo lange wy allenthalven wes anders unde beters beraden
mochten werden, to blyven unde dorch den besitter tor tydt desszulven
unszes slotes Bergerdorppe, deme ydt denne van unser eynen nach
szynen geborte averantwordet unde bevalen, myt deme slothe unde
der vogedie to Bergerdorppe tovorstanden, toregeren, tovorbidden
unde yn aller mathe, wu idt szust beth her gewest togebruken.
Doch also, dat wy dat sloth unde vogedie to Bergerdorpp vorgerort
vortan aver alle sosz jare na older hergebrochter gewonheyt in guden
loven unde truwen unser eyn dem andern, wo ock am jungesten
Michaelis lestleden gescheen, scholen unde willen overgeven unde
vorantworden inne to hebben unde togebruken. Unde by weme tor
tydt datsulve also myt syner tobehorunge in bewaringe unde gebrukynge
ys, de schall sick ock gemelter vogedie to Rypenborch myt all orer
tobehoringe alse vorgerort dorch den amptman, szo eyn iszlyck van
uns steden dar to synen tyden wert vororden, undermaten unde
szunder myddel togebruken hebbenn. Unde des schall de amptman,
so wy offt de yenne van uns, deme idt to synen tyden gebort, dar
bestellet, der anderen van uns beyden steden, de sdszdenn dat sloth
Bergerdorpp unde de vogedie Rypenborch nicht enhefft, van derszulven
vogedie wegen tho Rypenborch iarliks de vorschreven szofs jarlanck
unde alszo eyne tydt umme de andern, na vorlope eynes isliken jars
upp Michaelis unvorlettet edder tom hogesten vor Martini dar
negestfolgende veerhundert marck lub. bynnen orer Stadt an guden
graven darsulvest ganckbam golde edder gelde vomogen unde to
fruntliken willen woll betalen. Woraver de amptman also yn d
betalynge inwendich vorberurder tydt vorsumich unde von
werde unde de wo vorgemelt nicht endede, aLazdexmi^ «fik^\si9BL
willen wy vorbenante stede unser eyn. deoie wAtsra. ^ä36ä\«»ä
372 Hans Kellinghi
liken welker van uns de vogedie Rypenborch myt deme slothe nnde
vogedie to Bargerdorpp tor tydt inne heBt, der andern sodann gdx
to entrichten and npp ere forderinge szonder wyder vortoch to
betalen schnldich szyn. Unde des scholen onde willen wy to beydeo
szyden, so vaken onde wanner wy eyn iszlick to sjnaer tydt de
borch Bergerdorpp myt beyden vogedien also vorgerortli innhemen
nnde dorch uns offt nnsem amptman in gebroke unde geneting«
hebben, van deme solven amptman tor tydt nnde er he dar to
gestadeth, nmme merer szekerheyt nnde mynder entschnldinge willen,
nochafftighe borgen nnde vomvisszinge soUiks wol toholdenn nnde
dermathe ans allenthalven to rechten tyden tobenhemen nnde schadeloen
toholden, annhemen nnde entfanghen, nnde dar mede nonandes
overszeen noch vorschonen, allet sznnder behelpp, list nnde gefeide.
Unde hebben des to orknnde der warheyt nnszer stede secrete ai
dussze breve, der twee szyn alleyns ladende (dar van eyn jewelick
van uns eynen by sick in vomaringe hebben) witliken laten hangen,
de gegeven unde schreven syn, nach Cristi anszes hem gebortt im
dusent vyfQinndert unde twolfften jare am avende Martini des hüligoi
bisschoppes.
(Orig., Lübeck, Threse, Bergedorfiensia Nr. 36).
INHALTSÜBERSICHT.
Seite
Quellen und Literatur 181
I. Das Amt und seine Bewohner.
1. Besiedelnng der Yierlande 186
2. Besitzrecht in den Vierlanden; Qnmdherrschaften ... 194
3. Bauemklassen 205
4. Bergedorf und Geesthacht 211
5. Die Entstehung des Amtes Bergedorf 217
n. Die Behörden.
1 . Der Amtmann 228
2. Beamte im Dienst des Amtmanns 248
3. Die Beamten der Selbstverwaltung in Stadt und Land 260
4. Die Visitationen 266
m. Die Verwaltung.
1. Obrigkeit und Untertanen 280
2. Gericht und Recht 285
3. Kriegswesen und Herrendienste 316
4. Deichwesen, Wasser- und Wegebau 327
5. Kirche und Schule 343
6. Der Amtshaushalt 355
Anlage 1. Die Amtmänner auf Bergedorf und Bipenburg . . . 370
Anlage 2. Vertrag über die Vereinigung der beiden Ämter
Bergedorf und Bipenburg. 1512 November 19 371
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. Xm.
Hamburg und der Islam,
insbesondere am Ende des 17. Jahrhunderts.
Von
Adolf Wohlwill.
Es ist mehrfach als ein Wunder bezeichnet worden, daß
Hamburg während der leidenschaftlich geführten bürgerlichen
Kämpfe am Ausgange des 17. Jahrhunderts seine Unabhängig-
keit nicht eingebüßt habe. Kaum minder staunenswert er-
scheint es, daß Hamburg in dieser Zeit innerer und äußerer
Bedrängnisse in geistiger Beziehung einen besonders hohen
Rang unter den deutschen Städten zu behaupten vermochte.
Beides zu erklären, muß einer zusammenhängenden Darstellung
der hamburgischen Verhältnisse während der angedeuteten
Periode vorbehalten bleiben. Hier genüge es festzustellen,
daß kaum ein gründlicheres Werk die Geschichte des deutschen
Geisteslebens am Ende des 17. Jahrhunderts behandelt, ohne
in der einen oder anderen Hinsicht auf Hamburg Bezug zu
nehmen. So hat denn auch J. MINOR in seinem Pfingsten 1907
für die Goethegesellschaft gehaltenen, im Druck auf Grund
des ursprünglichen Konzepts erweiterten Festvortrage 0, in
dessen erstem Teil er die ehedem in Deutschland vorwaltenden
Anschauungen über den Islam darlegt, Anlaß gefunden, auf
zwei bemerkenswerte hamburgische Publikationen vom Ende
des 17. Jahrhunderts hinzuweisen, nämlich auf Happels
Thesaurus exoticorum und auf die von Pastor Hinckehnann
veranstaltete arabische Ausgabe des Korans.
Ehe ich im Anschluß an MINOR diese beiden Erzeugnisse
hamburgischen Gelehrtenfleißes etwas näher ins Auge fasse,
möchte ich an ein noch etwas früher hervorgetretenes lite-
rarisches Werk erinnern, das ebenfalls vorzugsweise der
J. MiKOR, Goethes Mahomet, ein Vottc^. ^«&»b \^Rf\.
376 Adolf Wohlwül,
Sphäre des Islams angehört, nämlich den aus zwei Teilen
oder Spielen bestehenden und mit Vorbericht und historischer
Einleitung versehenen Opemtext des vielseitig begabten und
verdienten hamburgischen Rechtsgelehrten (späteren Syndikus
und Bürgermeisters) Lucas von Bostel, „Cara Mustapha", der
von Franck komponiert worden ist.^) K. Th. Gaedebtz
erwähnt in seinem Buch: Das niederdeutsche Drama von den
Anfängen bis ziu- Franzosenzeit (S. 81 ff.), diese von E. 0.
Lindner*) allzu abfällig beurteilte Dichtung namentlich wegen
der plattdeutschen Ana, die dem Diener Cara Mustaphas,
Barac, der lustigen Person des Stückes, in den Mund gelegt
wird.*) Nicht zum wenigsten aber verdient es Beachtung,
daß Lucas von Bostel einen Vorgang aus der jüngsten Ver-
gangenheit, der die Geschicke des Deutschen Reichs aufs
Die Angabe im Lexikon der Hamb. Schriftsteller, Band 1, S. 354, die
auf Mollers Cimbria literata, Band 1, S. 60, zurückzuführen sein
dürfte: Aus dem Französischen übersetzt, ist irreführend. Gleich im
Beginn des Vorberichts bezeichnet sich Lucas von Bostel als Verfctsser
dieser Singespiele, Der weitere Verlauf des Vorberichts und vor aUem
die Dichtung selbst bestätigen, daß er dies in Wirklichkeit war,
mochte er auch die Liebesmotive und sonstige Episoden der in
Frantzösischer Sprache beschriebenen und zeithero von einem vor-
nehmen Ministro an benachbarten Hoch-Gräß, Hofe Teutsch über^
setzten Liebes- und Lebens-Geschicht des Groß- Veziers Cara Mustaphas
entlehnet haben.
*) Die erste stehende deutsche Oper (Berlin 1855) S. 17 ff.
^ Zu Minor, a. a. 0. S. 17 und 76, sei beiläufig bemerkt, daß das in
Pontoppidans „Der reisende Prinz Menoza" verzeichnete Lied, das
von den Jenenser Studenten um 1730 gesungen sein soll:
Hat uns nicht Muhammed schändlich betrogen.
Da er den Wein in Verachtung gebracht usw.
von dem besagten Barac mit einer Weinflaschen und einem Olase
bereits in der angeführten Oper (Teil 1, Akt 3, Auftritt 8) vor-
getragen wird. — Da Lucas von Bostel in dieser Strophe gewisser-
maßen als feuchtfröhlicher Vorläufer Hagedoms erscheint, möge sie
hier voUständig in ihrer ursprünglichen Gestalt zum Abdruck gelangen:
Hat uns nicht Mahomet schändlich betrogen,
Wann er den Wein in Verachtung gebracht,
Hat der Verfährer nicht heßlich gelogen,
Wann er Wein-Trincken zur Sünde gemacht?
Wer so verachtet den edelen Wein,
Muß icol ein Narre mit MaJvomd w^j-«.
Hamburg und der Islam. 377
tiefste berührte, dem hamburgischen Theaterpublikum vor-
zuführen kein Bedenken trug. Er glaubte, sein Verfahren
rechtfertigen zu können, indem er sich in seinem Vor-
bericht auf die Autorität des berühmten, in seinen Schau-
spielen fast tüie unvergleichlich, also unfehlbar jetzo angesehenen
Mr. de Racine berief, nach dessen Ausspruch die Näfie der
Zeit durch Entfernung des Orthes ersetzet, was einige Hundert
Meilen von uns, als wäre es einige Hundert Jahre vor uns
geschehen, gehalten, und derohalben ein Tiircke, absonderlich
aus dem Set^aiUe, bey seinem Leben unsers Orths, ob wäre Er
gleichsam längst verstorben, betrachtet udrd^) Von dem Stand-
punkt des Verfassers ist diese Entschuldigung allerdings etwas
sophistisch, da er neben den türkischen Hauptfiguren auch
verschiedene Deutsche und andere Abendländer, wenn auch
zum Teil nur als stumme Pei-sonen, auftreten läßt, und die
Handlung nicht in der Türkei, sondern zwischen OriechiscJi-
Weißenburg (d. i. Belgrad) imd Wien vor sich geht. Von
unserem Standpunkt scheint es dagegen höchst anerkennens-
wert, daß Lucas von Bostel das erfreuliche Ereignis der
Befreiung Wiens wenige Jahre später auf die hamburgische
Bühne brachte.*) Obwohl die dem Cara Mustapha beigelegten
rein persönlichen Motive gar sehr in den Vordergrund treten,
Der Verfasser hat folgende SteUe aus Racines Vorrede zu seiner
Tragödie Bajazet im Auge : Uilaignement des pays ripare en quelqut
Sorte la trop grande proximiU des temps, car le peuple ne met guhre
de diffhrence entre ce qui est, si j^oae ainsi parier, ä mille ans de lui,
et ce qui en est ä mille lieues, Cest ce qui faii, par exemple, que lea
personnages turcs, quelques modernes qu^ils soient, ont de la digniU
8ur notre thSätre: on les regarde de bonne heure comme anciens usw.
') Es dürfte sich lohnen, dem Zeitpunkt, in dem die beiden Singspiele
zur Aufführung gelangten, etwas näher nachzuforschen. Die gewöhn-
lich, u. a. in der Sammlung A. der hamburgischen Opemtexte (auf
der hamb. Stadtbibliothek), angegebene Jahreszahl 1686 findet sich
nicht auf dem Titelblatt der Opemtexte yermerkt, sondern beruht auf
Überlieferung. Vergl. diese Zeitschr. Bd. 3 S. 38 und Gaedertz a. a. 0.
S. 82. Jedenfalls könnten nur der Januar und Juli des Jahres 1686 in
Betracht kommen, da während der übrigen Monate, teils wegen der
unruhigen Zeitrerhältnisse (hey den trouhelhafften Leufften, wie es
im Konvent vom 28. Januar 1686 in der Nebenproposition der EsV
gesessenen Bürgerschaft hieß), teila ^^^u ksl<^^\:QS^ ^Kt ^^"«. "^^sa
878 AMf WtUvM,
könnt dorh die wHthUtoriiicke Bedrat
VorKAnge voUkomnen nir UHtuair.
<flrirh im rmten Auftritt dr« enira Ak«ff»'i
Makomrt IV. durrh rine Aria, raf dftrm
Ta&i von Janitjirharrn folft, nir
Krdr anfrfcurrt:
ittUßt MNlfT dIrtiK* itmeki,
Ihr IV /an^ ^'^Mjy rtrlofkU
Mnhamri. hmmngm wfrdm,
Ihu ä»e Wfii wirk dar «rfpfe,
Mahmei Irht!
siUm mUm^ fi& dir wnrkm^
fW md SrhanAn Miilrr^rA«,
S%rhlnt mHate wnJUrwkkn
thnnm SäbrU iapffrm Sfrrtrhtn^
Ikiß iU^n Arm d$e HWf MmipMu
ilitßkttmrt viff/r'
Narhdrm dl«* Turkrn und Tartarrn bt« in dar N4W i
Wim VfirirHninjr«*n «ind und in Urfrrht run iVfru^tfl
rkn«tlirhr Knlrrn in dir Murkt ffrj«irt k«bm. krtAi r«
swntrn Auftntt dr% dnttrn Akt» tdm rmtrn Tr&Ui
Iht NtHfir f'hnairnMrtt.
Ihi miU^f HHH mti drf Xrtt
Fu9 Fut^ht unJ Sikrr^krn iifirrn.
/äiii /'ii// iif NuAf m-'Ar Mrif
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1lAmiKA<*% livff MMikakMk« l*alr%^ <« IIV »4 tat K. O
!•»# t««!! Akt »^fff AbU^
Hamburg und der Islam. 379
Fast wichtiger noch erscheint es, daß bereits im Vor-
spiel die welthistorische Tragweite des Kampfes um Wien
und die von ihm erhofften Folgen angedeutet werden, nament-
lich in der dritten Szene (Vorstellung), wo der Prophet Ma-
homet die christliche Kirche verfolgt und fast unterdrückt
und an sie die spöttische Aria richtet:
Wütu dicfi noch auff deinen Gott,
Du thörichte, mehr gründen,
Warumb wird Er mit dir ein Spott,
Und lasset sicJi nicht finden,
Warumb nimmt Er sich dein nicht an.
Wofern sein' Hand dir hdffen kan,
worauf aber ein Engel aus den Wolken die Kirche mit einem
Schilde bedeckt und den Arm Mahomets zurückhält und
letzterer schließlich durch einen Blitz in den Abgrund ge-
stürzt wird.
Im Personenverzeichnis wird Mahomeih als der Türeken
falscher Prophet bezeichnet. Auch der Titelheld Cara Musta-
pha sollte offenbar den Abscheu derer erwecken, die das
Stück lasen oder im Hamburger Opemhause an sich vorüber-
ziehen sahen. Andrerseits darf nicht unerwähnt bleiben,
daß die übrigen Türken in dieser Dichtung keineswegs durch-
weg als hassenswerte Unholde erscheinen. Die von Cara
Mustapha umworbene Baschlari, des Sultans Schwester und
Ibrahims Gattin, bewahrt aller Versuchungen ungeachtet die
eheliche Treue; Ibrahim, der Bassa Beglerbeg in Ofen, ist
eine durchaus achtbare Persönlichkeit, der türkische Sultan
Mahomet IV. wird nur durch Cara Mustaphas selbstsüchtige
Vorspiegelungen und Ränke in den Krieg getrieben, während
der Mufti sogar wiederholt davor warnt, den mit den Christen
abgeschlossenen Waffenstillstand treu- und eidbrüchig zu
verletzen.
Nur wenige Jahre nach der Abfassung der erwähnten
Oper erschien in Hamburg in dem bekannten Verlage von
Wiering (im Goldenen ABC) der Thesaurus exoticorum von
Eberhard Werner Happel, der sich nach der Unsitte der
Zeit Everardus Guemerus Happelius zu nennen liebte.
380 Adolf Wohlwül,
Während der erwähnte Vielschreiber, der gegen Ende des
17. Jahrhunderts längere Zeit seinen Wohnsitz in Hamburg
hatte, es sich sonst meist angelegen sein ließ, historische,
geographische und ethnographische Belehrung in das Grewand
romanhafter Erzählung zu kleiden,*) ist sein Thesaurus exo-
ticorum der Belehrung schlechthin gewidmet. Er enthält
einleitungsweise Angaben über die verschiedensten außer-
europäischen Länder, in seinem Hauptteile aber die Be-
schreibung und Geschichte des Türkischen Beichs, seiner
Herrscher, seiner Begierungsweise, seiner Institutionen
und Untertanen, durch viele Abbildungen illustriert. Mit
besonderer Vorliebe und patriotischem Stolz behandelt
Happel die jüngsten Türkenkriege und ihre Folgen von
der Entsetzung Wiens bis zu der Erhebung des Erzherzogs
Joseph zum König von Ungarn. Den Schluß bildet ein
Lebensbild Mahomets und sein verßnchtes Oesetzhicli oder
Älkoran.
Wenn Happel es auch nicht für geboten erachtete, die
herühmtesten Skribenten einzeln zu nennen, aus deren Büchern
er sein umfangreiches kompilatorisches Werk zusammen-
getragen, so gibt er doch über den Ursprung der mitgeteilten
Koran-Übersetzung genauere Angaben. Der weitschweifige und
etwas marktschreierische Titel lautet: Vollständiges Türkisches
Oesetz-Budi oder des Ertzhetrügers Mahoniets Alkoran welcher
vm'hin nimmer vollkommen heraußgegeben noch im Drtick aup-
gefertiget worden. Auß der Ardbischen in die Frantzösische
Sprache übergesetzet durch Herrn Dr. Ryer, miß dieser aber
in die Niederländische durch H. J. Blasemacker und jetzo
zum cdlersten mahl in die HocJiteiitsche Spraelie versetzet durch
Johan Lange, Medicinae Candidatum.
Die Laufbahn und Wirksamkeit Joh. Langes, der hier
1670 in das Amt der Barbierer und Wundärzte aufgenommen
wurde und als Schriftsteller, namentlich als Übersetzer von
Werken des verschiedensten Inhalts, dazu beitmg, den Hori-
zont seiner Zeitgenossen zu erweitem, verdient wohl einmal
7ergL Karl Jacoby in dem Sammelwerk: Hamburg vor 200 Jahren,
Ulff.
Hamburg und der Islam. 381
zum Gegenstand genauerer Nachforschungen gemacht zu
werden. Obschon seine für jene Zeit leidlich lesbare, doch
aus dritter Hand geschöpfte Übertragung begreiflicherweise
kein sonderlich getreues Bild des Originals bieten konnte,
so werden doch sicher zahlreiche Wißbegierige in Deutsch-
land zuerst durch Lange eine ungefähre Vorstellung von dem
Koran erhalten haben.
Die in dem angeführten Titel enthaltene Behauptung,
der Koran sei durch Joh. Lange zuerst ins Hochdeutsche über-
tragen worden, dürfte wohl kaum als absichtliche Täuschung
aufzufassen, sondern eher durch die Annahme zu erklären
sein, daß die im Anfang des 17. Jahrhunderts unternommene
Arbeit des Nürnberger Predigers SaJomon Schweigger, der
den Koran aus dem Italienischen in ein schwerflüssiges *) Deutsch
tibertragen hatte, weder dem Joh. Lange selbst, noch Happel
bekannt geworden.
Dienten Happels und Langes Arbeiten der populären
Belehrung, so war die arabische Koranausgabe, die D. Abraham
Hinckelmann, seit 1688 Pastor (Hauptpastor) zu St. Gatharinen
in Hamburg, hier im Jahre 1694 erscheinen ließ, eine Leistung,
die in wissenschaftlicher Hinsicht Epoche machte.^ Aller-
dings war die Zahl derjenigen, die den Wert solcher Arbeiten
zu würdigen vermochten, zu Hinckelmanns Lebzeiten noch
sehr gering. Aus der lateinischen Vorrede zu seiner Aus-
gabe ist zu entnehmen, daß er bei dem Hervortreten seines
Werks auf Angriffe aus drei verschiedenen Gründen gefaßt
war. Manche — so meinte er — würden behaupten, seine
Ausdruck J. MiNORs, a. a. 0. S. 7.
^ Vergl. Senior D. Behrmanns Schrift: Hamburgs Orientalisten S. 51—54.
— Nebenher sei bemerkt, daß die in Hamburg in der officina
SchultziO'Schilleriana (vergl. J. M. Lappenbero, Zur Geschichte der
Buchdruckerkunst in Hamburg S. LII und UH) hergestellte Koranaus-
gabe Hinckelmanns, ungeachtet ihrer typographischen Mängel, auch
auf technischem Gebiete einen Fortschritt bedeutete. Es genüge hier
daran zu erinnern, daß die von einem älteren hamburgischen Orien-
talisten, Heinrich Rump (f 1626), kurz vor seinem Tode handschriftlich
ausgearbeitete arabische Grammatik yerloren gegangen sein soU, weil
er sie ob defectum Hamhurgi typarum Arahicorum in Leiden drucken
lassen woUte. FABRICIUS, Memoriae Hamb. Band 6 S. d94.
382 Adolf WohlwUl,
Ausgabe verdiene die auf sie verwandte Mühe nichts manche
würden geltend machen, daß solche Mühwaltung anderen
eher als einem Theologen zukomme, und daß insbesondere ein
derartiges Unternehmen eines hamburgischen Pastors gerügt
zu werden verdiene, wieder andere würden sich daran stoßen,
daß dem arabischen Text nicht Kommentar, Übersetzung und
Widerlegung beigefügt worden seien. Gegen diese zu gewärti-
genden Anfechtungen suchte Hinckelmann sich im voraus zu
rechtfertigen. Zu seiner Verteidigung führte er teils religiöse,
teils literarhistorisch-philologische Motive an. In ersterer
Hinsicht betonte er stets aufs neue, wie notwendig es sei,
den Koran gründlich zu kennen, um imstande zu sein, ihn
zu bekämpfen und dem Christentum im Orient Bahn zu
brechen. Ein sowohl in religiöser wie in wissenschaftlicher
Beziehung bedeutsames Argument war es, wenn Hinckelmann
auf die Verwandtschaft des Arabischen mit dem Hebräischen
hinwies und demgemäß die Wichtigkeit einer genauen Ver-
trautheit mit der Sprache des Korans für das Verständnis der
Bibel hervorhob.^) Über das religiöse Interesse der von ihm
befürworteten Beschäftigung mit dem Koran und dem Ara-
bischen überhaupt ging Hinckelmann hinaus, indem er, der
am Koran nicht viel Gutes ließ, die arabische Literatur im
übrigen, sowohl die poetische wie die wissenschaftliche, in
ein überaus günstiges Licht stellte. Femer betonte er den
Wert des Arabischen für die Sprachvergleichung, wobei er
seine Ansicht allerdings durch Etymologien, die uns heute
recht wundersam erscheinen müssen, zu beki'äftigen suchte.
Gegenüber den Angriffen derjenigen, die bemängeln würden,
daß dem arabischen Text keine (lateinische) Übersetzung bei-
gegeben sei, machte er geltend, daß ihm dies in Anbetracht
der einander widerstreitenden Auslegungen so mancher SteDen
des Korans bedenklich voi^ekommen wäre, ganz abgesehen
davon, daß eine solche Übertragung den Anreiz zu dem ihm
^) In der Vorrede, die JOH. WiNCKLER seiner Ausgabe auserlesener
Predigten von Hinckelmann (Hbg. 1697) yorausschickte, ließ er nicht
unerwähnt, daß dieser im Interesse tieferen Verständnisses der Bibel
großen Fleiß an die Morgenländische Sprachen gewandt habe.
JSamborg und der Islam. 383
SO empfehlenswert erscheinenden Studium des Arabischen
eher mindern als verstärken würde.*)
Besonders scharf wandte sich Hinckelmann gegen die-
jenigen, von denen er annahm, daß sie seine Arbeit als
eines hamburgischen Geistlichen unwürdig bezeichnen würden.
Es lohnt, auf diesen Punkt etwas näher einzugehen, zumal
solche Ansichten schon vor der Veröffentlichung seiner Aus-
gabe zum Ausdruck gekommen zu sein scheinen und die
Überlieferung hierüber dazu führte, daß man Hinckehnann
später als eine Art von Märtyrer seiner orientalischen Studien
hinstellte.
Gleich auf der ersten Seite der Vorrede hatte Hinckel-
mann bei der Wiedei-gabe des zu erwartenden zweiten Ein-
wurfs: Si quid operae in Jwc libro ponendum fuisset, ab alio
potius quam homine Theölogo expectandum fuisse, certe in
Pastore Hamhirgensi tale instittitum merito improbari zu den
letzten Worten in Parenthese hinzugefügt: quod nonnemo
publice scripsit Weiterhin bemerkte er behufs Abfertigung
derartiger Widersacher, sein Unternehmen sei von einem her-
vorragenden Gelehrten ^ als eines Theologen nicht unwürdig
bezeichnet worden, und er fügte hinzu: Ejusmodi ingeniis
placere malo quam ioti istorum gregi, qui nisi quod ipsi faciunt
nihil rectum putant Es wäre von Interesse, festzustellen,
^) Das letztere Argument ist bereits in den weiterhin anzuführenden,
im wesentlichen das H.8che Unternehmen gutheißenden Monatlichen
Unterredungen 1694 (Septemberheft) S. 742 f. angefochten worden.
Übrigens ist zu beachten, daß, wie aus dem Novemberheft 1692 der-
selben Zeitschrift hervorgeht, Hinckelmann ursprünglich dem arabischen
Text unter Benutzung von Arbeiten anderer gelehrter Männer eine
Übersetzung der wichtigeren und schwierigeren Abschnitte hinzuzu-
fügen beabsichtigte. Vergl. die folgende Anmerkung.
^ Wenn Hinckelmann schreibt: Laudo potius et grata animo agnosco
Viri aolida eruditione ceUberrimi Dn, Teszelii candorem usw., so
dürfen wir wohl annehmen, daß Teszelii yerdruckt ist statt Tentzelii,
da der thüringische Polyhistor Wilhelm Ernst Tentzel in seinen
Monatlichen Unterredungen der Hinckelmannschen Koranausgabe mehr-
fach in achtungsvoller Weise gedenkt. Schon im Heft vom November
1692 war mit Rücksicht auf die Voranzeige in dem letzten Leipziger
Meßkatalog das Unternehmen Hinckelmanns freudig begrüßt und zum.
Beweis der Unverfänglichkeit einet «x«XAäO\<^^ '^^c^^x^ ^^'^ ^^Lss«böä
384 Adolf WohlwiU,
an wen Hinckelmann bei den allgemeinen Bezeichnungen
nonnemo und isiorum gregi usw. gedacht hat, und ob die-
jenigen, von denen er Angriffe der erwähnten Art erfahren
oder in Zukunft erwartete, sich in Hamburg oder anderswo
befanden.
Hinckelmanns Veröffentlichung des Korans fiel in die Zeit
des hamburgischen Priesterstreits. Nicht nur die Geistlichen,
sondern die weitesten Kreise der ohnehin durch politische
Gegensätze entzweiten hamburgischen Bevölkerung waren
aufs tiefste durch die Erörterung der Frage erregt, ob die
Religion in Hamburg dadui-ch in Gefahr geraten sei, daß
einige Pastoren der durch Spener ins Leben gerufenen
pietistischen Richtung zuneigten. D. Joh. Priedr. Mayer, der
bekannte streitbare, rede- und schriftgewaltige Vertreter der
strengsten Orthodoxie, bejahte diese Frage und hielt sich
demgemäß für verpflichtet, die Gegenpartei, insbesondere
Joh. Heinrich Horb zu St. Nikolai, Speners Schwager, mit
allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen.
Hinckelmann nahm während dieses Streits anfänglich eine
vermittelnde Stellung ein; indessen sein Bestreben, nicht durch
entschiedenere Parteinahme Öl ins Feuer zu gießen, hatte
zur Folge, daß Mayer ihn auf der Kanzel, freilich ohne
seinen Namen zu nennen, aber doch verständlich genug, als
ein wankend Rohr und als Imdichten Priester bezeichnete,
ja ihn zu den Vertretern der Spenerschen Fraktion rechnete,
die aus der Stadt vertrieben zu werden verdienten.^) Von
anderer Seite erfolgte eine Veröffentlichung, auf deren Titel-
blatt es hieß, daß Hinckelmann in seiner Lehre nicht um
einen Dreüing hesser, ja weit ärger und irriger als eben der
weltbekannte Schwärmer Hmhim sei. Sicher ist, daß er in den
betont worden, daß ztceene xvackere noch Übende Theologi, die ja dem
Göttlichen Willen sich nimmermehr so praefracte widersetzen würden
(außer Hinckelmann auch D. Augustus Pfeiffer in Lübeck), eine solche
zu veranstalten versprochen hätten.
^) Dies und das Folgende nach den theologischen Streitschriften jener
Zeit und insbesondere nach Hinckelmanns Rechtfertigungs- und
Angriffsschrift, Auffrichtige Fürstellung des wahren Ursprungs der in
Hamburg entstandenen und annoch währenden ärgerlichen und gefähr-
lichen Unruhe, Anno 1G94.
Hamburg und der Islam. 385
Jahren 1693 und 1694 eine Zeitiang in das Mitteltreffen der
theologischen Streitigkeiten geriet. Da die Polemik jener
Tage nicht wählerisch in ihren Mitteln war, so erscheint es
nicht völlig ausgeschlossen, daß Hinckelmann von einzelnen
Heißspornen der Mayerschen Partei auch wegen seiner Be-
schäftigung mit dem Lehrbuche des Islams angegriffen wurde. ^)
Von erheblichen Folgen ist dies aber sicher nicht geworden.
^) Wenn D. Mayer nach Hinckelmanns angeführter Schrift S. 8 gegen
diesen die Beschuldigung erhohen, er wäre mit von der Art Priestern,
die, wenn die Zeit der AnfeMung komme, könten so leicht Päbstisch,
Jüdisch, Türckisch, Heydnisch als Calvinisch werden, so soUte dadurch
der aUerdings ungerechte Vorwurf der Gesinnungslosigkeit zu mög-
lichst drastischem Ausdruck gelangen. Es liegt aher kein Grund yor,
das Wort Türckisch gleichsam zu unterstreichen und auf Hinckel-
manns Beschäftigung mit dem Islam zu heziehen. In den Streit-
schriften vom Anfang des Jahres 1694, in denen Mayer sich hestreht
zeigt, Hinckelmann in jeder Weise herabzusetzen, wird allerdings
gelegentlich einmal auf dessen Koranstudien angespielt, doch keines-,
wegs auf eine Weise, aus der man auf theologische Bedenken gegen
solche Studien schUeßen könnte. Im Gefühl seiner linguistischen
Überlegenheit hatte Hinckelmann in seiner mit Pastor Winckler ge-
meinsam herausgegebenen Schrift: Abgenöthigte Entdeckung der un-
christlichen Sophistereien usw. (Hamburg 1694) S. 29 Mayer etwas
spöttisch aufgefordert, seine einst in Wittenberg gehaltenen Vor-
lesungen über den Propheten Zacharias der Welt schriftUch oder
durch den Druck mitzuteilen, da doch anzunehmen sei, daß er sich
mit großem Fleiß und nicht als ein gelahrter Charlatan mit diesem
Thema befaßt habe. Darauf entgegnete Mayer in seiner Schrift:
Herrn M. Johann Wincklers und D. Abraham Hinckelmanns über-
zeugte böse Gewissen usw. (vom 23. April d. J.) S. 7, er habe nur
deswegen jene Vorlesungen nicht so schneU yeröffentlicht, um D.
Hinckelmann die Ehre zu lassen, seine lateinische Version über den
Alcoran erst^ heraußzugeben, worauff mit so großem Lachen die gelehrte
Welt gewartet hat Man sieht, daß es Mayer bei dieser Auslassung
mehr darum zu tun war, einen Angriff seines Widersachers zu parieren,
als einen tiefer begründeten Vorwurf gegen diesen zu erheben. Zur
Abwehr seinerseits durfte Hinckelmann in seinem „(Christlichen Ent-
schuldigungsschreiben an die ihm anvertraute Gemeine" (vom 25. April
1694) S. 24 auf die (im Druck allerdings erst vom 10. Mai d. J.
datierte) Vorrede zu seiner Koranausgabe verweisen. Der tatsäch-
lichen Richtigstellung fügte er die Worte hinzu : Wer solche Troubles
auff dem Halse hat, als ich durch X>. Mayem bisher mit auaÄ*Ä.K«iw
müssen, der lasset Versiones wohl ungemocKt. N «i^.^.^ää^ kssöss^ssa^'J
386
Adolf Wohlwill,
Der Kaiser mahnte bereits im April 1694,
berigen Streit unter den Geistlichen beizulegen. ]
und Bürgerschluß vom 8. Juni desselben Jahres verfc
selbe Ziel. Wenn dieses auch nicht völlig erreich
konnte, so wurden doch die Gegensätze gemildert. Es £
daß Hinckehnann nicht lange nach der Fertigstellui
Koranausgabe, am 8. November 1694, dem Senior 6
liehen Ministeriums in Hamburg, D. Samuel Schu
Exemplar überreichte, und daß letzterer diese Ge
benutzte, um Hinckehnann einer Aussöhnung mit ]
geneigt zu machen. Den Erfolg konnte Schnitze kon
indem er seinen Bericht über den Ministerialkon\
9. November d. J. mit den Worten abschloß: Wie der (
Bum ende, gab Oott gnade, daß durch meine ver
M, D. Meier und H. D. Hinkelmann wieder vereinigt
und einander die Hand gaben, dabei zugegen H. D. 1
Der Vorgang war um so wichtiger, als neben Mayer
letzterwähnte Domprediger D. Christian Sigismund
den entschiedensten Gegnern Hinckelmanns gehört 1
War der herbeigeführte Ausgleich dem yevsi
Gemüte Hinckelmanns zweifelsohne höchst willkon
wurde doch die schmerzliche Erinnerung an die
gegangenen Kämpfe bei ihm nicht völlig ausgetilj
Unheil, das der kirchliche Hader dem hamburgischen
Wesen gebracht hatte und weiter zu bringen drohte,
er als ein persönliches Leid.*) Insbesondere aber
ihm verhängnisvoll geworden sein, daß er, der fri
Seelsorger und Gelehrte — obschon widerwillig*)
seiner Bahn gewichen war. Mochte er auch im
*) Des sei. H. Senioris Schultz eigenhändiges Diarium von ]
(im Hamb. Staatsarchiv) S. 269.
*) Zeugnis dafür, wie sehr dieser Streit sein Gemüt bekümi
u. a. die ergreifende Neujahrspredigt, die er wenige ^
seinem Tode gehalten. Vergl. A. Hinckelmanns Auserlesene
S. 355—386.
^ In HlNCKELHANNs Schrift: Aufbrichtige Fürstellung usw., he
er habe D. Mayers Maßnahmen offl mit Iieimlichen Leyd
gesehen und angehöret, aus Liebe aber zum Kirchen-Friedi
biß er mich bey den Haaren au ff andere Rtsolution gezogen
\
Hamburg und der Islam. 387
gelegentlich geäußert haben, er frage nach Mayers (wider
ihn gerichteten) Schriften so wenig wie nach dem Zischen
einer Fliege, so hatte doch die damals mit dem kampfgeübten
Widersacher geführte Fehde sein Inneres aufs tiefste er-
schüttert. Als in der zweiten Februarwoche 1695 der trotz
vorübergehender Kränklichkeit in rüstiger Manneskraft wir-
kende Mann von einem Blutsturz betroffen wurde, soll er
die Worte gesprochen haben: Da liegt das 1694ste JaJir})
Er starb am 11. Februar 1695 gegen Mittemacht.
Es scheint nun, daß die spätere Überlieferung zwischen
den Angriffen, die Hinckelmann wegen seiner Haltung in
dem sogenannten hamburgischen Priesterstreit erfuhr, und
den gelegentlich erfolgten Anfechtungen seiner Beschäftigung
mit dem Koran nicht immer genau zu unterscheiden ver-
mochte und letzteren eine übergroße Bedeutung beimaß. So
erklärt es sich, daß im Jahre 1774, also achtzig Jahre nach
dem Erscheinen des Hinckelmannschen Korans, einer Kritik
von Boysens Koranübersetzung in der sogenannten Lemgoer
Bibliothek*) zur Charakteristik des veränderten Zeitgeistes
die von MINOR*) zitierte Angabe eingefügt werden konnte:
dem Pastor Hinckehnann habe sein arabischer Koran beinahe
Amt und Ehre gekostet.*)
Obwohl Hinckelmann, eine Zierde der hamburgischen
Gelehrtenwelt, zu seinen Koranstudien offenbar vorzugsweise
durch wissenschaftliche Beweggründe veranlaßt worden war,
Vergl. JOH. Geffgken, Johann Winckler und seine Zeit S. 140 und
das erwähnte Diarium des Seniors Schnitze S. 288.
^) Vergl. Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Literatur.
Sechster Band (Lemgo 1774) S. 200.
') a. a. 0. S. 8.
*) Im Zusammenhang lautet die betreffende SteUe am Eingang der er-
wähnten Kritik: GOit Lob, deutsche Leser, daß unser Jahrhundert
lächelnd auf jene Menschenalter zurücksieht, wo zu aller Zeit gegen
arge Kätzer rüstige Polemiker der Stolz der orthodoxen Kirche waren!
GOtt Lob ! Sonst würde Herr Boysen, unbesorgt für eure und seines
Verlegers Finanzen, und klüger als Hinkelmann, dem sein arabischer
Koran beinahe And und Ehre kostete, ganze Alphabete um dee
arabischen Schwärmers willen zu Makulatur gemacht haben.
388 Adolf Wohlwül,
so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß in den hambur-
gischen Publikationen, die sich gegen Ende des 17. Jahr-
hunderts mit Mahomet, dem Islam, den Arabern und Türken
befaßten, die islamfeindliche Tendenz überwog. Eine etwas
veränderte Stimmung machte sich allmählich im 18. Jahr-
hundert geltend. Nach den ruhmvollen Türkenschlachten des
Prinzen Eugen waren die Grenzen des Deutschen Reiches ge-
sichert. Dadurch wurden allerdings insbesondere die Hansestädte
keineswegs aller Besorgnis vor Angriffen von mahomedanischer
Seite überhoben. Die Raubzüge der Barbaresken dauerten
bekanntlich noch geraume Zeit fort. Doch zog man speziell
in Hamburg stets von neuem in Erwägung, ob man sich
nicht nach dem Muster seemächtigerer Staaten vor solchen
Anfechtungen lieber durch Verträge als, wie früher, durch
Aussendung von Convoy schiffen schützen solle.*)
In besonderer Weise trug der Einfluß des von England
nach Deutschland verpflanzten Deismus oder der sogenannten
natürlichen Religion zur Minderung des Hasses gegen den
Islam und seine Bekenner bei.
Bemerkenswert ist eine Äußerung in der bekannten von
Hermann Samuel Reimarus verfaßten Schutzschrift für die
vernünftigen Verehrer Gottes, die Lessing in den Fragmenten
eines Unbekannten hervorgehoben hat.*) Reimarus verwahrt
sich dort zwar dagegen, daß er dem türkischen Glauben das
Wort reden oder gar ihn der christlichen Religion zum Nach-
teil erheben wolle; er deutet jedoch an, daß die meisten
abfälligen Urteile über den Koran auf Unkenntnis oder Ober-
flächlichkeit beruhten, und fügt hinzu : Ich getraute mir, wetin
dieses mein HauptabseJven wäre, das vornehmste der natürlicJien
Bdigion atis dem Alkoran gar deutlich und z\im TJiede gar
scliön ausgedrückt darzuthun, und glaube, daß ich heg Ver-
ständigen leicht darinn Beyfall finden werde, daß fast alles
wesentlic/ie in MaJiomets Lehre auf natürliche Reiig^ion
hinauslaufe.
Vergl. £. Baasch, Die Hansestädte und die Barbaresken, Kassel 1893.
^ Vergl. Lessings SämtL Schriften. Ausgabe Lachhakn-Mukcker. Band 12,
S. 268.
4er Mol 3^
Weniger koamt es in diesem Znfiasmnexiliaiir in Betradn,
daß berats im Desember 17OT in Rmimr^ eine ron Jok
Friedr. Löwen in finiffnSipen Jamben angefertigte Cber^etzang
von Voltaires Mabomet rar Auffübrung gdangte^^j da — vk
MIKOR (a. a. O^ S. 14 ff. n. 39 ff. j eingebend dari«^ —
Voltaires Anffassimg und Dramaääenmg llabomete dnreiuui«
keinen Fortschritt in da* Beurteilmiig des arabifidbea Fnn
pbeten bedeutet.
Erst eine spatere Zeit brarhüs; ein tieferes ErUm^m d^
Islams und zom Tdl aoch in weiteren Kreusea Bewnsderiittg
dessen, was der Koran und andere Sebrift» der mabo-
medanischen Literatur an poetischer Seh<inbeit und Wet»bdti^
lehren enthalten.
Goethes west- östlicher Diran, dnreb den die mab^i-
medanische Welt für die deutsche Dichtong erobert wurde^
hat unzweifelhaft auch in Hamburg riele Verehrer gefnnd^i.
Dagegen ist es kaum anzunehmen^ daß Georg Friedr. I^aumem
Behauptung, daß der Islam eine — obschon mit Mängeln
behaftete — Vorstufe der Bdigif/n den nmen WdUdUfrn hihi^^
eine Ansicht, der er u. a« in seinem 1848 bier bei H^iffmann
und Campe erschienenen Buch: Mah^nned und »ein Werk^
Ausdruck gegeben, in hamboigischen KreiJien lebbafter^ni
Anklang zu finden vermochte.
Sicher ist, daß man hier seit dem VI. Jahrhundert d^fm
Koran sowie anderen Werken der mahomedaniiM!;hen LiUrratur
stets aufs neue lebhafte Teilnahme gewidmet hat Professoren,
Geistliche, Orientalisten von Beruf und andere Freunde de»
orientalischen Geisteslebens bekundeten dabei regen Wett-
eifer.*) Seit den Zeiten Kumps und Gutbiers im 17. Jahr-
hundert haben es die Professoren der biblischen Philologie am
(Akademischen) Gymnasium meist als ihre Pflicht betrachtet,
neben dem Studium des Hebräischen auch das anderer orienta-
lischer Sprachen zu fördern.*) Im Laufe des 19. Jahrhunderts
*) Vergl. Minor, a. a. 0., S. 42 u. 89 sowie R. Schlösser, im Euphoriou,
Band 4, S. 476 ff.
^ Vergl. darüber insbesondere die erwähnte Schrift von Senior BEHBHANy
^ Die ältere Amtsbezeichnung lautete vielfach : Hebraicae ceterarumq
orientalium linguarum Professor,
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XIH. *^
390 Adolf WoUwilL
hat sich namentlich Prof. G. M. Bedslob als Kenner und Lehr-
meister der Sprache des Korans hochverdient gemacht. Seit
seinem Tode (im Jahre 1882) und der ein Jahr später er-
folgten Auflösung des Akademischen Gymnasiums gab es hier
ein Vierteljahrhundert hindurch niemand, der berufsmäßig zu
umfassender wissenschaftlicher Beschäftigung mit den orienta-
lischen Sprachen verpflichtet gewesen wäre. Um so an-
erkennenswerter ist es, daß auch in dieser Zeit die erwähnten
Studien nicht völlig geruht haben. Es sei hier nur auf die
im Jahre 1889 veröffentlichte, auch für Laien höchst an-
regende Arbeit von Martin Klamroth, Die fünfzig ältesten
Suren des Korans in gereimter deutscher Übersetzung, und
auf den glänzenden Verlauf des Orientalistenkongresses vom
Herbst 1902 hingewiesen.
Je vielseitiger sich das wissenschaftliche Leben Ham-
burgs in Zukunft gestaltet, je mehr Deutschlands politische
und Kulturinteressen alle Erdteile umfassen und der Islam ein
wichtiger Faktor für die Maßnahmen der deutschen Kolonial-
politik wird, um so mehr ist mit Sicherheit darauf zu rechnen,
daß die einst von Hinckehnann in so rühmlicher Weise be-
triebenen Studien in Hamburg auch fernerhin ihre würdigen
Vertreter finden werden.
Rezensionen.
G. Arn. Kiesselbach, Die wirtschaftlichen Grundlagen der
deutschen Hanse und die Handelsstellung Hamburgs bis
in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Berlin, Georg
Reimer, 1907. V und 244 Seiten. Mk. 6.
Grestützt in erster Linie auf ein sorgfältiges nnd eindringendes
Qnellenstndinm, wie es durch die hansischen TJrkimdenbücher und
Hanserezesse möglich ist, erörtert der Verfasser die kommerzielle
Bedeutung des Hansebundes nnd die Stellung Hamburgs in ihm.
Er beschränkt sich dabei auf die Charakteristik der Anfänge bis
in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Nach einer Einleitung,
die den baltisch-deutschen Verkehr vom Beginn des 9. Jahrhunderts
bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts darstellt, gliedert sich die
weitere Ausftihrung in zwei chronologische Abschnitte: die Darstellung
der Zustände im 13. Jahrhundert und in den beiden ersten Dritteln
des 14. Jahrhunderts. Die vorherrschende Absicht ist, die werdende
Wichtigkeit Hamburgs zu verfolgen, die von dem breiten Hinter-
grund der allgemeinen Entwicklung der Lage sich abhebt. Die
hansische Literatur, und nicht nur die deutsche, sondern auch die
holländische und belgische, beherrscht der Verfasser in hohem Maße.
Er hat viel gelesen in Büchern, Aufsätzen, Quellenwerken und weiß
von allem guten und kritischen Gebrauch zu machen. Seine Er-
gebnisse gipfeln in dem Nachweis der zentralen Bedeutung Flanderns
für den Hansehandel, sowie der bescheidenen, untergeordneten Stellung
Hamburgs, die das heutige Ansehen allerdings nicht ahnen läßt.
Hamburg wird als Umschlagsplatz in dem baltisch -flandrischen
Handelsaustausch wohl anerkannt. Den Hamburger Kaufleuten und
B,eedem floß bereits ein Anteil des von Brügge und dem Zwin
ausgehenden Welthandels zu. Sie erscheinen als Exporteure der
englischen Wolle, die sie nach dem Zwin bringen. Indes eine
Stadt von etwa 6 — 7000 Einwohnern konnte selbst in dem damals
innerhalb engerer Grenzen sich abspielenden Welthandel es doch
noch zu keiner hervorragenden Wichtigkeit bringen.
Mit dem am Schlüsse seines Buches stehenden Kapitel über
den Ursprung der Städtehanse geht der Verfasser über sein sich
selbst gestelltes Thema hinaus. In ihm entwickelt er bemerkens-
werte Ansichten und ist wohl origineller als in den vorhergehenden
392 Rezensionen.
Betrachtungen, die im Grande bekannte Auffassungen bestätigen.
Der Verfasser legt der aus der flandrischen Interessengemeinschaft
hervorwachsenden Verbindung der Städte für die Bildung der Hanse
besondere Bedeutung bei. Sie ist wichtiger geworden als die Organi-
sation der Deutschen auf Grothland oder die Vereinigung der Deutschen
in England. Für die weitere Entwicklung der deutschen Hanse ist
dann der Krieg gegen Dänemark und Norwegen maßgebend geworden,
insofern er die Städte zum Bewußtsein der großen politischen Macht
ihrer vereinigten Streitkräfte brachte und damit die Wichtigkeit des
Anschlusses an den Bund klarlegte. Der Hauptnachdruck im Hanse-
bunde liegt dann auf der Pflege des russischen Handels. Sein
Monopol bildete die Scheidewand zwischen den Deutschen und
Niederländern. Offenbar liegt in dieser Auffassung viel Wahres,
wenn auch immerhin die Verbindungen der Deutschen im Auslande
überhaupt vorbildlich für die Begründung der Hanse gewesen sein
mögen. Die Wichtigkeit aber des Handels mit Nowgorod, der auch
später einmal als der Brunnquell des hansischen Handels anerkannt
worden ist, hat der Verfasser, wie mir scheint, sehr richtig betont.
Da zum ersten Male das Material unter dem erwähnten G^ichts-
punkte, die Stellung Hamburgs näher zu beleuchten, zusammengefaßt
worden ist und das fünfte Kapitel neue Gesichtspunkte auMellt,
mit denen die zukünftige Geschichtsschreibung der Hanse zu rechnen
haben wird, so bedeutet das Buch unzweifelhaft einen dankenswerten
Fortschritt. Ein zweckmäßiges Orts-, Personen- und Sachregister
erhöht den Wert des fleißigen Buches.
Leipzig. Wilhelm Stieda.
Brügges Entwicklung zum mittelalterlichen Weltmarkt, von
Rudolf Häpke, Dr. phil. Mit einem Plan. (Abhand-
lungen zur Verkehrs- und Seegeschichte im Auftrage des
Hansischen Geschichtsvereins her. von Deetbich SCHÄFER,
Bd. I). Verlag von Karl Curtius, Berlin, 1908. XXIV,
296 S. Mk. 9.
Die außerordentliche Bedeutung Brügges für den mittelalter-
Jchen Handel Hamhurgs wird es rechtfertigen, die vorliegende
Arheit zur Besprechung in dieser Zeitschrift heranzuziehen.
Der Verfasser hat seinen Stoff in die drei Abschnitte einge-
teilt: Die Frühzeit, der Handel und Brügge um 1300. Was
zunächst die Darstellung der Brügger Handelsgeschichte anlangt,
so ist der Verfasser der Ansicht, daß Brügge in der Hauptsache
durch den Aktivhandel seiner Bürger nach dem Auslande seine Welt-
handelsstellung sich erobert habe; seine Ausführungen über die Ent-
pdcklnng Brügges zum Weltmarkt sind überall von diesem Gesichts-
Rezensionen. 393
punkte beherrscht. Für den Verkehr Brügges nach England, nach
der Gascogne und nach Deutschland glaubt der Verfasser diese
Theorie beweisen zu können. Bichtig ist hieran eigentlich nur, daß
am Handel mit England die Vlamen als Eigenhändler stark beteiligt
waren. Außer im flandrisch-englischen Verkehre tritt ihr Eigenhandel
früh, und zwar schon im 12. Jahrhundert, im Verkehre nach der
Champagne hervor, wie u. a. Bourqüelot nachgewiesen hat; im
Widerspruche hiermit hat der Verfasser das Unglück, gerade im
Verkehre mit der Champagne die Proven^alen und Italiener als die
ursprünglichen Träger des Verkehrs nach Flandern zu vermuten.
Aber auch die Behauptung des Verfassers, daß im englischen Handel
die Kaufleute der anderen Nationen, die schon im 11. und 12. Jahr-
hundert in England auftreten, weder an der Ausfuhr der englischen
Wolle noch an der Einfuhr der flandrischen Tuche irgend einen
Anteil gehabt hätten, hätte bei der Dürftigkeit des Quellenmaterials
für die älteren Zeiten bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts selbst
dann nicht aufgestellt werden dürfen, wenn die Zollrolle König
Ethelrets aus dem 10. oder 11. Jahrhundert uns nicht erhalten
wäre, welche schon für eine so viel frühere Zeit bekundet, daß die
Deutschen in England Wolle ausführen und Tuche einführen. Was
aber den Seeverkehr mit der Gtiscogne, mit Rochelle, anlangt, so
darf durch die hierüber vorliegende Abhandlung in den hansischen
Gbschichtsblättem von 1906 übrigens in Übereinstimmung mit dem
Verfasser als erwiesen angesehen werden, daß der Seeverkehr der
Kauflente von der Gascogne und Poitou die unter der Bezeichnung
des ol^ronensischen Seerechtes bekannte Satzung ausgebildet hat und
daß wir in dieser Urkunde ein auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage
erwachsenes, den Seeverkehr der Hanse dieser französischen Kauf-
leute mit Weinen von Bochelle nach Flandern regelndes Gildestatut
zu sehen haben. Dieses Becht ist schon in der Mitte des 13. Jahr-
hunderts in das ICastilianische übersetzt worden und nicht minder
für den Verkehr der Kastilianer wie der Vlamen maßgebend ge-
worden. Ist somit nicht ein vlämisches oder ein kastilianisches,
sondern ein französisches im abgeschlossenen Kreise der Hanse der
französischen Kauffahrer und Schiffer entstandenes Becht die Bechts-
grundlage für diesen Verkehr geworden, so ist dies ein deutlicher
Hinweis darauf, daß diese französischen Kauffahrer und Schiffer die
ursprünglichen Träger dieses Verkehrs gewesen sein müssen, daß
also weder die Vlamen noch die Bayonner oder Spanier, die wir
später an diesem Verkehre alle beteiligt sehen, die ursprünglichen
Begründer und Träger desselben gewesen sein werden. Wenn der
Verfasser seine entgegengesetze Ansicht damit begründet, vielleicht
hätten die Bayonner bei der großen Flottenfahrt 1147 die großen
vlämischen Koggen zu Bochelle, wohin sie also wohl schon vorher
Schiffahrt getrieben haben sollen, angestaunt und hätten daraufhin
nicht nur diese nordische Schiffsform nachgeahmt, sondern seien
394 Resensionen.
ihrerseits den fremden Handelsgästen in ihr Land g:efolgt, so kann
diesen Aasföhrongen den oben angeführten Gründen gegenüber kein
Glewicht beigelegt werden. Was endlich den Handel der Deutschen
in Flandern anlangt, so kennzeichnet der Verfasser denselben sehr
treffend, wenn er aasspricht, daß das Maß der Bedentong, welche
Brügge für die verschiedenen deutschen Städte besessen habe, sich
danach bestimmte, inwieweit die betreffende Stadt an dem Zwischen-
handel zwischen Brügge nnd der Ostsee teilnahm. Nicht der Handel
zwischen Brügge nnd dem deutschen Binnenlande, sondern die Ver-
mittlung des Verkehrs mit den Ostseeländem war der Grundstock
dieses Handels. Daß aber ein vlämischer Aktivhandel in diesem
Verkehre nach Rußland und den übrigen baltischen Ländern dem
deutschen Handel vorangegangen sei, nimmt auch der Verfasser
nicht an. Um so weniger kann auch für den Austausch Flanderns
mit dem deutschen Binnenlande durch einige Stellen, welche auf
ein frühes Vorkommen flandrischer Händler in Deutschland hinweisen,
als bewiesen erachtet werden, daß dieser Verkehr zuerst durch den
Aktivhandel der Vlamen ins Leben gerufen sei, wie denn übrigens
nach der hierin zutreffenden Darstellung des Verfassers auch im
13. Jahrhundert nicht etwa Brügger, sondern Gunter Kaufleute in
diesem Handel unter den Vlamen voranstanden, so daß also auf den
Brügger Aktivhandel nach den eigenen Ausführungen des Verfassers
die Handelsbedeutung Brügges für den Verkehr mit Deutschland
jedenfalls nicht zurückgeführt werden kann.
Das Aufsteigen Brügges zum Weltmarkt legt der Verfasser
in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die von dem Verfasser
übergangene Darstellung des Brügger Handelsverkelirs bei Wilhelm
dem Bretagner aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts, die uns
Brügge schon an der Schwelle des 13. Jahrhunderts als Weltmarkt
zeigt und in der Brügge gepriesen wird als Mittelpunkt des Handels
und der Schiffahrt, wohin die Waren aus Phönicien, Syrien, den
Cykladen, aus Ungarn, von Rochelle und der Gascogne, England
nnd allen sonstigen Teilen des Erdkreises zusammenströmen, damit
sie von dort nach allen Teilen der Welt wieder ausgesandt werden,
zeigt klar, daß Brügge bereits bei Beginn des 13. Jahrhunderts
die Stellung als Weltmarkt innehatte und daß die Entwicklung zu
dieser Stellung in früherer Zeit liegen muß. Andere Zeugnisse,
wie z. B. das Bayonner Statut von 1214, bestätigen dies durchaus.
Wenn der Verfasser die vielumstrittene Frage nach der Zeit der
Entstehung des ol^ronensischen Seerechtes ohne jede weitere Be-
gründung dahin entscheidet, daß es „zweifellos" im Kerne dem 13. Jahr-
hundert angehöre, so dürfte er sich dabei seines Widerspruches mit
Goldschmidt und andern Gelehrten wohl kaum bewußt sein; jeden-
falls kann solch willkürlicher Datierung kein Wert beigemessen
werden, zumal sehr viel dafür spricht, daß der diesem Eechte zu
Grunde liegende Verkehr schon in wesentlich frühere Zeiten zurück-
Rezensionen. 395
reicht. Aach der Ansicht des Verfassers, daß die sog. Londoner
Hanse, welche nnter Brügges Föhrnng stand und ans deren Bestehen
deshalb auf Brügges Bedeutung geschlossen wird, noch nicht im
12. Jahrhundert bestanden haben könne, da, solange eine energische
Qrafengewalt vorhanden gewesen sei, diese die Vereinigung größerer
Hanseverbände nicht gestattet habe, können wir keine durchschlagende
Beweiskraft beimessen, denn die Londoner Hanse wird ebenso, wie
die Hansen der Deutschen im Auslande, aus dem Zusammenschlüsse
der vlämischen Kauf leute in London entstanden sein und nur gegen
politische Rückwirkungen eines solchen im Auslande bestehenden
Zusammenschlusses von Kaufleuten verschiedener flandrischer Städte
auf die heimatlichen Verhältnisse könnte die Grafengewalt etwa
Einspruch erhoben haben. Ebensowenig scheint es uns zutreffend,
wenn der Verfasser meint, aus der Stelle bei Ghdbert über Brügge
aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, in der Brügge gepriesen wird
als der weithin bekannte Sammelpunkt der Kaufleute, wo alles zu
kaufen sei, was den Menschen köstlich dünkt, sei weiter nichts
herauszulesen, als daß „man*' dort bei den Handelsleuten gekauft habe,
wenn klösterliche, grundherrliche und bäuerliche Wirtschaft nicht
genügt habe, wobei es übrigens dunkel bleibt, wer eigentlich mit
dem „man** gemeint ist. Warum suchten denn die Kaufleute gerade
diesen Platz so oft auf und warum führten sie dorthin zum Verkaufe
alles, was begehrenswert ist? Die Worte weisen denn doch deutlich
auf die Eigenschaft Brügges als weithin bekannten Handelsplatz hin.
Freilich nennt die Stelle „streng genommen die Brügger selbst nicht
eigentlich als Händler** und wohl aus diesem Grunde glaubt der
Verfasser die Stelle als unerheblich bei Seite schieben zu müssen;
denn für seine Theorie, nach welcher Brügge seine Entwicklung
dem Aktivhandel seiner Bürger in der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts verdankt, paßt sie freilich nicht. Bichtig ist, daß vor dem
13. Jahrhundert andere flandrische Plätze in bezug auf ihre in-
dustrielle Entwicklung und ihren Aktivhandel Brügge überragten.
Nichtsdestoweniger besaß Brügge aber schon eine hohe Handels-
bedeutung. Sein Aktivhandel war eben nicht die Grundlage seiner
Handelsstellung.
Beizupflichten ist dem Verfasser, wenn er betont, daß der
Handel in Brügge keineswegs nur in dem Austausche fremder
Nationen untereinander auf dem Brügger Markt, sondern in erster
Linie in dem Austausche mit den Vlamen, welche ihre Tuche ver-
kauften, bestanden habe, wenngleich es uns scheinen will, daß der
Verfasser den daneben vorsichgehenden Austausch der fremden Kauf-
leute untereinander doch in mancher Hinsicht unterschätzt. Von be-
sonderem Interesse sind auch die Ausführungen über das G^ästerecht
in Brügge.
Eine sehr viel glücklichere Hand als manchmal bei der Er-
örterung der wirtschaftsgeschichtlichen Probleme hat der Verfasser
396 Reseusionen.
bei seinen Ansföhrnngen über die Brügger Lokalgeschichte gehabt,
welche fast die Hälfte des Baches fällen. Das Stadtbild, die
städtische Yerwaltong, insbesondere die Finanzverhältnisse, die Zu-
sammensetzung der Bürgerschaft, die örtlichen Verhältnisse des
Zwin usw. werden uns anschaulich vor Augen gefiUirt. Auszüge
aus einer Anzahl Meßbriefe, vor allem aber ein Kartenblatt, welches
das Zwin nach einem flandrischen Ölgemälde aus der Mitte oder
dem Anfange des 16. Jahrhunderts darstellt und einen \iichtigen
Beitrag für die Kenntnis dieses für die Handelsgeschichte so be-
deutenden, jetzt völlig verschwundenen Meereseinschnittes bildet,
sind wertvolle Beilagen des Werkes.
Können wir zwar der Darstellung der Entwicklung Brügges
zum Weltmarkt in ihren Orundzügen vielfach nicht zustimmen, so
bieten auf der anderen Seite die Ausführungen über die Brüggische
Ortsgeschichte eine wertvolle Bereicherung der Literatur, welche
dankbar zu begrüßen ist.
A. Kiesselbach.
Eenst Baasch, Quellen zur Geschichte von Hamburgs Handel
und Schiffahrt im 17., 18. und 19. Jahrhundert. Hamburg,
Gräfe und Sillem, 1908. Heft 1 und 2, je Mk. 5.50.
Der durch so manche handelsgeschichtliche Arbeit bekannte
Bibliothekar der Kommerzbibliothek veröffentlicht hier mit Unter-
stützung der hamburgischen Handelskammer eine Beihe nichtiger
Denkschriften aus den Akten der Kommerzdeputation. Dem 17. Jahr-
hundert gehört nur ein Frachttarif der Rouener Fahrt von 1649
an. Die meisten Aktenstücke stammen aus dem 18. Jahrhundert.
So sehr es zu begrüßen ist, daß der Editor eine inhaltlich-syste-
matische Gliederung des Stoffes der rein chronologischen vorgezogen
hat, so hätte doch die geographische Einteilung schärfer durch-
geführt werden können. Die Abschnitte VH und YlLL über die
„Eibschiffahrt zwischen Hamburg und Magdeburg (und Berlin)'',
und über die „Fahrt zwischen Hamburg und Ronen, Havre, Dün-
kirchen'' gehören zu lY und HI, „handelspolitische Beziehungen
mit Preußen" und „Handelsverträge und andere Beziehungen mit
Frankreich". Neben den Dokumenten hat der Verfasser dankens-
werte Regesten und Hinweise eingestreut.
In dem ersten Abschnitt über Schiffahrt und Reederei hören
wir allerhand von der Unbotmäßigkeit des Schiffsvolkes (1755), von
den Schwierigkeiten der nur mühsam sich gegen die subventionierten
Engländer und Holländer behauptenden Grönlandsfahrer, von der
Anteilnahme der Juden an der Reederei (1801), von dem Plan einer
Vktiengesellschaft für die Huller Fahrt 1806, der aber als unter
m damaligen Zeitumständen zu gefährlich abgelehnt \i'urde. Be-
Rezensionen. 397
sonders bemerkensweit ist der Aufsatz des Senators Westphalen
„Über die Hamborgische Schiffahrt mit eigenen Schiffen" von 1827.
Es wird hier ein Vergleich gezogen zwischen den Verhältnissen vor
und nach der Franzosenzeit. Während der Handel 1827 bereits
wieder die Ziffern der 90er Jahre des 18. Jalirhnnderts erreicht
hatte, war die eigene Schiffahrt Hamburgs damals noch nicht halb
so groß wie vor der Kontinentalsperre. Dies Zurücktreten der
Eeederei vor dem Handel ist ein wichtiges Merkmal der hamburgischen
Verhältnisse in jener Zeit und erklärt die Verschiedenheit der ham-
burgischen Handelspolitik von der bremischen bis in die 40er Jahre.
Der Verkehr mit England litt im 18. Jahrhundert unter der
merkantilistischen Handelspolitik des Parlaments, während vor 1688
der König mit Rücksicht auf die Privilegien der Merchant-Adven-
tnrers in Hamburg den Hamburgern 1661 und 1663 Befreiung von
der Navigationsakt« gewährt hatte.
Günstiger gestalteten sich im 18. Jahrhundert die Beziehungen
zu Frankreich, die durch einen Handelsvertrag von 1716 geregelt
waren, der nach einigen Schwierigkeiten 1769 erneuert wurde.
Nach einem Memoire von 1790 gingen damals Via der Kaffee-
produktion und Vö der Zuckerproduktion der französischen Kolonien
nach Hamburg, dazu Wein, Branntwein und andere Artikel, so daß
der gesamte Import Hamburgs von Frankreich auf 56 Millionen
Li\Tes geschätzt wurde.
In klassischer Weise werden die Argumente für Freihandel
und Schutzzoll vorgebracht in einer Debatte, die sich 1769 zwischen
dem Vizepräsidenten der Kommerzdeputation, Schuback, und einem
preußischen Vertreter, vielleicht v. d. Horst, entspann. Schuback
will die natürliche Handelsfreiheit und legt an dem Beispiel Hollands
die Vorzüge derselben dar, während die merkantilistischen Maßnahmen
Schwedens den Euin des Landes herbeigeführt hätten. Sachsen
beweise, daß mäßige Zölle auch für die Staatsfinanzen ergiebiger
wären. Der Gegner stellt diesem Standpunkt als einem kosmo-
politischen die besonderen Erfordernisse des preußischen Staates ent-
gegen. In für die damalige Technik bezeichnender Weise meint er,
nur ein Verbot könne wirksamen Schutz gewähren, während ein Zoll
bei der Ungunst der preußischen Grenzen doch umgangen würde.
Der Magdeburger Stapel habe nur den Lüneburger Stapel ersetzt,
der bis 1611 durchgeführt sei. Im übrigen wird die Bedeutung
Hamburgs für den Leinenhandel anerkannt. Zum Schluß stellt der
Verfasser der Denkschrift zwei Grundsätze der Handelspolitik auf,
die ihn als Vertreter der historischen Schule erscheinen lassen:
1. dass ein einzelner Kaufmann niemals leicht im Stande seyn unrd,
der Handlung einen ganz neuen Lauf zu geben, dass aber dies durch
eine gemeinschaftliche Veranstaltung einer handelnden Republic leicht
geschehen könne; 2, dass allemal ein neuer Zeit-Lauf und, so zu
sagen, ein jedes Welt-Alter auch neue Maassregeln erfordern.
398 Rezensionen.
Durch die preußische Handelspolitik hatte besonders der ham-
bnrgische Znckerhandel gelitten. Während Österreich hierin die
gleichen Maßnahmen wie Preußen ergriff, hatte es wegen des Exportes
besonders von böhmischem Holze ein Literesse an der Beseitigung
des Magdeburger Stapels. Ein wichtiges Dokument ist der Bericht
des preußischen Schiffahrtsinspektors Behrens in Hambui^ von 1804,
der die Bedeutung des hamburgischen Platzes für Preußen schildert.
Stettin könne bei der Blockade Hamburgs keinen Ersatz gewähren.
Es wäre zu wünschen, daß bei der geplanten Fortsetzung
dieser Quellen auch die Protokolle der Hamburger Bank berück-
sichtigt würden, die ja nicht nur für Hamburg als Bankplatz wichtig
«nd, sondern auch für den Getreidehandel.
Zürich. H. Sieveking.
Die Seemacht in der deutschen Geschichte von Dr. Ernst
VON Halle. Sammlung Göschen. Leipzig, G.J.Göschensche
Verlagshandlung, 1907. Mk. —.80.
Der Verfasser wül die Frage beantworten, welchen Einfluß
die Seemacht, die öfter eine Seeohnmacht war, auf den Gang der
deutschen Geschichte gehabt hat, er sucht die sich aus der neuesten
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ergebende Forderung,
unsere überseeischen Interessen kräftig zu pflegen und sie unter den
Schutz einer starken Flotte zu stellen, auch durch geschichtliche
Betrachtungen zu stützen. Man kann mit Anlage imd Grund-
gedanken des Büchleins durchaus einverstanden sein, doch erhebt
sich eine Beihe von Bedenken im einzelnen, die ich um so weniger
unterdrücken möchte, weil die bestrittenen Behauptungen den Gesamt-
eindruck im Sinne des Grundgedankens eher schwächen als stärken.
Karl der Große ersclieint dem Verfasser im Lichte de«
Gründers der B^ichsseegewalt. S. 1 5 heißt es : Er hai deii universal-
monarchischen Gedanken nicht nur zu Lande, sondern auch zur See
dauernd verwirklicht; S. 18: Die Kaiser waren unter den Karolin-
gern zuerst seeheherr sehend; S. 109: Nach Aufhören des Kriegs-
zustandes gewährte das ganze Weltmeer einen ÄrU>lick, der seit der
Bömerzeit und Karl dem Großen auf keinem Ozean zur Tatsache
geworden ivar. Was Verfasser an tatsächlichem Material beibringt,
scheint diese Ansicht einigermaßen zu rechtfertigen. Aber was
die Geltung des Eeichs auf dem Mittelmeer anlangt, so stellt der
neueste Geschichtsschreiber Italiens fest: Sicherheit wurde also den
italienischen Meeren mid Küsten nicht mehr gewährleistet; die vene-
'nsche Flotte, die Schiffe der auf sich selbst angewiesenen Seestädte,
die byzantinische Flotte tcaren hier mächtiger, als der große Kaiser
Bezensionen. 399
Karl. Einzelne kleine Erfolge konnten über diese Tatsache nicht
hinioegtäuschen (L. M. Hartmann, Gresch. Italiens i. M. A. m, 1
S. 76). Im Norden beschränkte sich Karl auf rein defensive
Maßregeln, und sie konnten nicht einen furchtbaren Plündemngszug
der Dänen im Jahre 810 verhindern. Da freilich wurde der Bau
einer Flotte mit Energie betrieben, zur Verwendung ist sie nicht
mehr gekommen: der Tod befreite Karl von seinem gefährlichen
Gegner im Norden. Die Nachfolger hielten zunächst Frieden, sie
vnirden zudem durch inneren Zwist gelähmt. Von der Ostsee war
das Frankenreich naturgemäß ganz ausgeschlossen. Von einer
eigentlichen Seeherrschaft kann also wohl kaum die Bede sein,
wenngleich die Zeit Karls sich von der späteren glänzend abhebt.
8. 144 tritt Verfasser der Behauptung der Flottengegner ent-
gegen, daß Deutschland mit Aufstellung einer Kriegsmarine auf
einem Wege sich befinde, der seiner innersten Natur fremd sei und
ihm verhängnisvoll werden müsse. Er läßt sich zu dem Satze fort-
reißen: Das alte Reich und das alte Kaisertum haben geblüht in den
Zeiten, too Deutschland au^ch zur See stark toar. Das steht im
Widerspruch mit des Verfassers eigenen, sehr richtigen Ausführungen,
wonach gerade die Kaiser in der großen Zeit des alten B^ichs es
völlig versäumten, sich die Machtmittel zu verschaffen, um ihren
Anspruch auf Seegeltung durchzuführen (S. 17 — 19). Die Blütezeit
der Hanse fällt in die Zeit, wo die Kaisermacht als solche tief
darnieder lag. Es läßt sich also wohl kaum bestreiten, daß die
Grundlage des alten B^ichs seit Karl dem Großen eine durchaus
territoriale war. Andererseits ist gerade diese Beschränkung vor
allem für die Herrschaft über Italien verhängnisvoll geworden (s.
auch S. 18), und es ließen sich darüber noch weitergehende Be-
trachtungen anknüpfen, wobei auch auf das veränderte Bild unter
den letzten Staufem einzugehen wäre. Schließlich kann man die
Gegner immer darauf hinweisen, daß für die Frage, ob uns Seefahrt
und Kriegsflotte nottnn, die moderne Entwicklung maßgebend ist
und nicht eine Entwicklungsstufe, die um 800 — 1000 Jahre
zurückliegt.
Ein weiteres Bedenken betrifft die Stellung der Hansestädte
gegenüber den habsburgisch-spanischen Flottenplänen im 16./17. Jahr-
hundert. Verfasser macht es ihnen eigentlich zum Vorwurf, daß
sie durch ihre ablehnende Haltung die deutschen Küsten den Fremden
ausgeliefert hätten (S. 42 — 47). Sie hätten sich von den Schweden
einfangen lassen (S. 47), deren Erscheinen vom nationalen Standpunkt
aus nicht minder hedavemswert war, als dasjemge der Spanier, und
verhängnisvoller , weil sie sich für lange Zeit an den wichtigsten
Teilen der deutschen Küste festzusetzen vermochten. Es ist hier nicht
der Ort, die ganze Streitfrage nach den Zielen der kämpfenden
Parteien aufzurollen. Was auch Gustav Adolf nach Deutschland
führte, tatsächlich ist er der Eetter der bedrohten Glewissensfreihei^
400 BezensioneiL
geworden. Audi darüber dürfte Einigkeit herrschen, daß es vom
nationalen Standpunkte ans vor allem bedauerlich war, daß dies
nnersetzliche Gut nur durch ungeheure Einbuße an materieller
Wohlfahrt und an Macht zu erhalten war, aber die Schuld trifft
die Hansestädte nicht in erster Linie. Sollte man nun die spanische
Herrschaft der schwedischen vorziehen? Man kann dabei nicht, wie
Verfasser will, vom konfessionellen Standpunkte absehen, aber es
ist überdies doch mehr als fraglich, ob der Bund mit Spanien zu
einem neuen maritimen Aufschwünge geführt hätte. Hätten nicht
die Spanier, wenn sie mit deutscher Hilfe Holland bezwungen hätten,
erst recht im Interesse des jetzt von ihnen beherrschten Landes die
schärfsten Konkurrenten der Deutschen in Nord- und Ostsee werden
müssen? Andererseits hat doch die schwedische Herrschaft gar nicht
80 lange in Deutschland gedauert, und ich weiß auch nicht, wie
ohne ihr Erscheinen das polnische Übergewicht hätte gebrochen
werden können.
Doch genug des Widerspruchs, die Ausführungen über die
neuere und neueste Zeit geben ohnehin keinen Anlaß dazu, auch
das schöne Kapitel über die Hanse sei noch ausdrücklich hervor-
gehoben. Das Büchlein ist reich an Anregungen und fruchtbaren
Gesichtspunkten und enthält zugleich eine in ihrer Kürze vortrefOich
orientierende Geschichte der deutschen Schiffahrt und Seemacht.
Daß auch für die hamburgische Geschichte vieles dabei heraus-
kommt, ist bei dem Stoffe nicht verwunderlich. Das Buch wird
dazu beitragen, daß auch in weiteren Kreisen ein rechtes Verständnis
der Stellung Hamburgs zum Ausland und Inland erweckt wird.
Lehrreich ist besonders die Schilderung der Neutralitäts- und TJn-
abhängigkeitsbestrebungen am Ende des 18. Jahrhunderts, und in
diesem Zusammenhange gewinnt eine kürzlich veröffentlichte Denk-
schrift des damaligen ProtokoUisten der Commerz-Deputation,
späteren Senators Mönckeberg über dies Thema erhöhtes Interesse
(vergl. E. Baasch, Quellen zur Gesch. v. Hamburgs Handel und
Schiffahrt. Heft 2, S. 224 ff.). Die damalige Blüte des Handels
ohne den Schutz einer Flotte beruhte auf einer ganz besonderen
Konstellation der Weltverhältnisse. Um so härter war der Rückschlag
in der Zeit der Not.
Lehrreich ist auch, daß die Vernachlässigung der Seeinteressen
durch den deutschen Bund eine völlige Entfremdung der Küstenlande
vom Hinterlande zur Folge hatte (S. 108). Wieder täuschte die
günstige Welthandelslage über das Gefährliche der Isolierung, bis die
durch unangenehme Erfahrungen im Auslande beförderte praktische
Erkenntnis immer siegreicher durchdrang, daß nur im Anschluß an
das Ganze dauernde Sicherheit und wirkliches Gedeihen zu finden sei.
K. Hansing.
Rezensionen. 401
Die hamburgische Zensur in den Jahren 1819 — 1848. Von
Prof. Dr. Heinrich Gerstenberg. (Wissenschaftliche
Beilage zum Jahresbericht der Realschule an der Bismarck-
straße in Hamburg 1908).
Die Bücherzensur ist nicht viel neuer als die Erfindung der
Buchdru^erkunst, sagt Lappenberg in seinem Werke : Zur Geschichte
der Buchdruckerkmist in Hamburg. Es wäre eine interessante Auf-
gabe die gesamte Entwicklung dieses Ztcing-Üri des Geistes dar-
zustellen, sei es zunächst auch nur für einzelne Staaten oder Städte.
Bisher liegen nur einzelne Arbeiten über zeitlich oder sachlich be-
grenzte Abschnitte, so namentlich in Hoffmanns Geschichte der
Bücherzensur und in Geigers Werk über das Junge Deutschland
und die preußische Zensur vor. Im Anhang dieses interessanten
Buches sind auch die hamburgischen Verhältnisse mit behandelt
worden. Lappenberg selbst hat dieser Materie in seinem erwähnten
Werke nur wenige Seiten gewidmet, die sich in der Hauptsache auf
die ältesten Beichsabschiede in dieser Frage und die Handhabung
der Zensur durch den Hamburger Bat beziehen. Das zur Be-
sprechung vorliegende Werk behandelt die letzte Lebensperiode
dieser Institution in Hamburg, von der Einrichtung einer Bundes-
zensur im Jahre 1819 bis zur Aufhebung dieser Knebelung der
Literatur im Völkerfrühling des Jahres 1848. Der Verfasser hat
bei seiner Arbeit völliges Neuland betreten. Zur Hauptsache aus
den im hamburgischen Staatsarchiv aufbewahrten Akten der Zensur-
kommission schöpfend, hat Dr. Gerstenberg es auf der andern
Seite nicht unterlassen, eine große Anzahl anderer Quellen, so
namentlich zeitgenössische Darstellungen, Protokolle der Deutschen
Bundesversammlung, Tagebuchblätter und Briefe heranzuziehen, die
es ihm ermöglichten, eine interessante und wohlbegründete Dar-
stellung der hamburgischen Zensur während der knapp 30 Jahre,
die sie in dieser Form bestanden hat, zu geben. Es ist aus dieser
Abhandlung deutlich zu ersehen, wie diese Fessel des gedruckten
Wortes lähmend auf die Entwicklung des Geisteslebens wie in
Deutschland überhaupt so in Hamburg im besonderen gewirkt hat,
aber auch wie die Zensur in der Freien Hansestadt immer noch
liberaler gehandhabt wurde als in den andern Deutschen Staaten
und daß im Hamburger Senat schon lange vor der Aufhebung der
Zensur Männer saßen, die dieses Institut als das erkannt hatten,
was es war: den Schutz einer feigen und unfähigen Begierung.
Namentlich drei Männer sind in diesem Zusammenhang als ihrer
Zeit voran zu nennen: zunächst der kluge und vornehme Syndikus
Dr. Sieveking, der als Vorsitzender der Zensurkommission von 1837
bis 1847 in Erkenntnis des Unwertes der Zensur oft genug ihr
Ende herbeisehnte, femer der Senator Hudtwalcker, der obwohl
konservativ und strenggläubig, doch infolge seiner eigenen publi-
402 BezensioneiL
zistischen Tätigkeit oft die ünbiUen der Zensor kennen lernen mnßte
nnd ihr so ans der Praxis heraas eine gründliche Abneigung widmete,
endlich der Senator Blnmenthal, der die Zensor 1846 geradezu für
eine Feigheit erklärte. Eine Verstärkung erfuhren diese Ansichten
im Senat, als Kirchenpauer in ihn eintrat. Wie er, der als aktiver
Bedakteur gewiß genug Erfeüirungen auf diesem Gebiet gesammelt
hatte, über die Zensur dachte, hat er in seinen von von Melle
veröfEentlichten Tagebüchern aus dem Jahre 1848 deutlich genug
ausgesprochen. Wenn trotz dieser Erkenntnis, die sich auch im
Schöße des Senats selbst geltend machte, es nicht schon vor dem
9. März 1848 zu einer Aufhebung der Zensur kam, so lag das
mindestens mit an der Rücksicht auf die andern deutschen Bundes-
staaten und die Nachbarreiche, die schon so wie so an der liberalen
Handhabung der Zensur in Hamburg genug auszusetzen hatten.
Es war für einen kleinen Staat wie Hamburg, der immer zwischen
den Großmächten lavieren mußte, schlechterdings unmöglich, allein
die Zensur aufzuheben.
Alle diese auf politischem wie kommunalem Gebiet liegenden
Erwägungen finden in Gerstenberqs Arbeit vorzüglich Berück-
sichtigung. Namentlich hat die Zensur der nicht periodischen Literatur
eine eingehende Darstellung gefunden. Nicht ganz dasselbe kann
von der periodischen Literatur, namentlich von den Zeitungen, gesagt
werden. Freilich ohne eigene Schuld des Verfassers. Denn während
über die literarischen Erscheinungen, z. B. aus dem Verlag von
Hoffmann & Campe, aus der Zeit des Verfassungskonfliktes usw.
schon ein reiches Material vorliegt, aus dem man schöpfen kann,
ja auch die Schriften selbst zu Bäte gezogen werden konnten und
schließlich die Memoirenliteratur eine Fülle von Stoff bot, um einen
einwandfreien Standpunkt zu gewinnen, ist das ganze weite Gebiet
des Zeitungswesens des 19. Jahrhunderts trotz einiger dankenswerten
Vorarbeiten von Kowalewski u. a. sozusagen noch unbestelltes
Feld. Es fehlt daher die Möglichkeit einer richtigen Einschätzung
der Zeitungen, namentlich der nicht privilegierten, und ihrer Stellung-
nahme zu den die Zeit bewegenden Fragen. Leider hat man ja
auch namentlich im Beginn und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts
hinein der periodischen Literatur nicht die Beachtung geschenkt,
die sie als Quelle der zeitgenössischen Greschichte verdient, so daß
die Sammlungen, wenn wir von den privilegierten Zeitungen absehen,
große Lücken aufweisen, die erst allmählich durch Ergänzung aas
Privatsammlungen ausgefüllt werden. Vollends fehlt es an einer
Arbeit, die den Zeitungen, sie vom Standpunkt des Historikers be-
trachtend, den richtigen Platz nach Maßgabe der politischen Auf-
fassung ihrer Herausgeber und des Bildungsniveaus ihrer Mitarbeiter
^^. Es kann daher dem Verfasser nicht als Schuld angerechnet
wenn er sich nur einseitig auf die Akten der Zensur-
en gestützt und die Zeitungen und Zeitschriften selbst nur
Bezensionen. 403
in Aasnahmefällen zu Rate gezogen hat. Beim jetzigen Stande
der Arbeiten wäre es ein zn weitgehendes Verlangen, zu fordern,
daß jedesmal nachgeprüft werden müßte, ob denn die Zensnr-
kommission oder der Zensor auch die richtige Auffassung von dem
gehabt hat, was ihrer Beorteilong unterlag. Daß bei den Strichen,
die gemacht wurden, bisweilen Ungeheuerlichkeiten vorkamen, hebt
auch GrSBSTENBERG hcrvor, und ein Blick in einen beliebigen Band
der Zeitungen jener Zeit bestätigt diese Beobachtung.
Die nachfolgenden Bemerkungen konnten auch nur infolge
davon gemacht werden, daß die Durchsicht der Jahrgänge der
Menckschen Zeitungsgründungen seit dem Jahre 1817, zu der sich
der Eeferent vor einigen Monaten veranlaßt sah, ihm Gelegenheit
genug zur Beobachtung des Zensurverfahrens jener Zeit bot.
Zur Charakteristik des politischen Zensors Syn^us von Sienen
ist da eine • Bemerkung interessant, die Menck in dem Nekrologe
dieses Mannes (1837) fallen läßt und die um so unverdächtiger ist,
als der Hamburger (nicht „Hamburgischer*', wie Gerstenberq
wiederholt wohl nach den Akten der Zensurkommission schreibt)
Beobachter nicht von dem politischen, sondern von dem berufsmäßigen
Zensor Dr. Hoffmann zensoriert wurde. Es ist, schreibt Menck,
wahrlich kein Geringes, die Woche hindurch 24 Zeitungen, cUs:
6 toöchentliche Nachrichten, 6 Correspondenten, 6 Abendzeitungen^) und
6 Börsenhallen Listen, also täglich ihrer vier so genau durchzusehen,
daß er jeden, ja selbst den kleinsten Gedanken darin verantworten
kann. Und am Schluß des Nachrufes heißt es: alle hätten von
Sienen das Lob eines fleißigen, unverdrossenen, höchst aufgeklärten,
liberalen und von aller Ängstlichkeit fernen Zensors erteilt. Viel-
leicht sollte in dieser Anerkennung ein Stich gegen Dr. HofEmann
liegen, mit dem man in den Kreisen der Nichtprivilegierten keines-
wegs so einverstanden war. In der Nr. 46 des Jahrganges 1847
des Beobachters heißt es:^ Es ist uns schon längst aufgefallen,
daß unsere Herren Zensoren, namentlich für die Lokalblätter, in
gewissen Beziehungen ein so ungemein zartes Gewissen haben, daß
jede, auch die leiseste Andeutung einer Person in tadelnder Art, ihr
Bedenken erregt und Versagen der Druckerlaubnis veranlaßt, während
in andern Fällen die gröbsten Beleidigungen ungetilgt ihren Weg ins
Publikum finden dürfen, und zwar ist der Casus um so at^ffallender,
als die Geschützten allemal reiche oder sogenannte angesehene Personen,
die Ungeschützten aber schlichte einfache Bürger sind, die im Schweiße
ihres Angesichts ihr Brot essen, Ist das nun schon an sich sehr
unrepublikanisch, so ist es noch etwas mehr als dies, wenn hier in
einer gebildeten und gesitteten Stadt in Blättern, die der Zensurbehörde
vorgelegen, die empörendsten Injurien gegen Leute, die im AusUmd
*) Hamburgische Neue Zeitung und Adreß-Gomptoir-Nachrichten.
^ Vergl. meine Gesch. des Hamb. Fremdenblattes, S. 54.
404 Rezensionen.
leben, gedruckt icerden dürfen. Solches war z. B. der Fall in der
Nr, 182 des hiesigen ^^Telegraphen von und J^r Deutschland^*, tco
der Prof, Daumer in Nürnberg den Dr, Mentzel in Stuttgart einen
Schurken nennt, tceil er des Schimpfenden neuestes Buch „Geheimnisse
des christluJien Altertums'* in einer Kritik hart mitgenommen. Be-
zeichnend für den Freimut Hoffmanns ist es, daß er diese scharfe
öffentliche Rüge über sein Verhalten passieren ließ, denn er hätte
sie ebensogut streichen können wie so manche andere Notiz über
die Schleswig-Holsteinische Frage jener Tage, die der Hamburgischen
Neuen Zeitung den Garaus machte.
Über die Zahl der Wochenblätter, die Dr. Hoffmann zu zen-
sieren hatte, macht er in einem Gesuch um Gehaltserhöhung an den
Senat die Angabe, daß sie von 1822 bis 1837 von acht auf 22
gestiegen seien. Ganz richtig scheint diese Angabe nicht zu sein,
denn sechs Blätter waren auch noch während der Franzosenzeit
„admittiert*' worden; wenn auch einige eingingen, so erschienen doch
nach dem Abzüge der Franzosen die vier Privilegierten gleich
wieder. Dazu kam dann 1817 der Beobachter an der Alster, der
sich bald darauf in den Hamburger Beobachter und den Beobachter
an der Alster (später Bonaventurus) teilte. Im Jahre 1820 zählte
man schon wieder 14 Blätter,') die schwerlich zwei Jahre später
bis auf acht reduziert worden sein dürften. Dr. Hoffmann wird
also wohl aus ungenauer Erinnerung heraus die Anzalil der 1822
erscheinenden Blätter niedriger angegeben haben, als sie in Wirk-
lichkeit war. Für die spätere Zeit hatte Hoffmann dagegen Re^iht,
denn 1828 bezeichnete Saphir Hamburg als die zeitungsreichste
Stadt, die er kenne.
Sehr merkwürdig ist die Anweisung des Senats an die Zensur-
behörde vom 30. Mai 1823, nach der man die Winkelblätter,
namentlich den Neuigkeitsträger und den Hamburger Beobachter
besser überwachen sollte. Diese Instruktion wird dann in einer
Anmerkung in Zusammenhang gebracht mit der Petition der Buch-
drucker vom 16. November 1824 gegen das Überhandnehmen der
Winkeldruckereien. Der Hauptbetreiber und der eigentliche Ver-
fasser dieser Petition, die übrigens schon von Köhler, Die Buch-
druckerkunst von Hamburg- Altena (Hamburg 1895), abgedruckt ist,
war gerade Menck, und es ist nicht gerade anzunehmen, daß er
gegen sein eigenes Blatt gewütet hat. In jenem ganz vom zünft-
lerischen Geiste diktierten Gesuch handelt es sich um ein anderes
Blatt, das Neue Hamburgische Wochenblatt des Herrn Carstens, der
sich, obwolil er einem anderen Berufe angehörte, doch als Buch-
drucker bezeichnet hatte. Ebenso muß die Stellung Mencks zu
Senator Hudtwalcker einer kleinen Konjektur unterzogen werden,
wie es denn überhaupt wünschenswert wäre, von diesem auJJerordeut-
'ufgezählt in Gesch. des Fremdenblattes S. 27.
Rezensionen. 405
lieh interessanten Senator eine auf zuverlässigen Quellen beruhende
Biographie zu erhalten. Die ganze religiöse Bewegung jener Zeit
und auch ein gut Teil Zensur- und Zeitungsgeschichte würde dadurch
eine besondere Beleuchtung erhalten. Obwohl Menck von Hudt-
waicker sagt, daß er neben der amtlichen, noch eine polizeiliche
Zensur einführen wolle, so war doch gerade der Herr Senator selbst
als Publizist besonders empfindlich für Zensurstriche. Übrigens ist
sein Verhältnis zu Menck trotz der diametralen G^egensätze in ihren
politischen und namentlich religiösen Anschauungen stets sehr freund-
lich geblieben. Ja, Hudtwalcker hat sogar in ein Exemplar des
Beobachters, das auf der Stadtbibliothek aufbewahrt wird, eigen-
händig folgende Bemerkung eingetragen: Die Jahrgänge 1834 bis
1838 (utid 1839 bis Himmelfahrt) des Hamburger Beobachters haben
das besondere Interesse, daß alle Mitteilungen über üntersuchungs-
und Polizeisachen authenüsch sind und tcährend ich Polizeiherr toar,
unter meiner Aufsicht erschienen.
Wie aus den Zeitungen, die Friedrich Menck gegründet hat,
ließe sich selbstverständlich aus den vier privilegierten Blättern, aus
der großen Schaar der Nichtprivilegierten manches Interessante hin-
zutragen, das sonderlich die Zensur der Zeitungen in Hamburg neu
beleuchtet, aber wesentliches wird dadurch wohl kaum noch geändert
werden, so daß wir es in GtErstenbergs Schrift mit einer grund-
legenden und zuverlässigen Arbeit zu tun haben, auf die alle weiteren
Forschungen auf diesem Gebiet zurückgreifen müssen.
Arthur Obst
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Oesoh. XIII.
Hinweise und Nachrichten.
Urknndenwerke. Der im Jahre 1842 von Jon. Martin
Lappenbero herausgegebene 1. Band des Hambnrgischen TJr-
knndenbnchs, von dessen Auflage nur eine kleine Anzahl
Exemplare dem kurz nach seiner Vollendung ausgebrochenen Ham-
burger Brande entgangen war, ist im Jahre 1907 durch eine
anastatische Beproduktion (Hamburg. Leopold Yoß) der allgemeinen
Benutzung wieder zugängig gemacht worden. In dem Vorworte za
der auf Kosten des hamburgischen Staates hergestellten neuen Aus-
gabe führt A. Hagedorn aus, daß, nachdem er an&ngs eine völlige
Neubearbeitung des ersten Bandes des TJrkundenbuchs in Aussicht
genommen habe, es zweckmäßiger erschienen sei, diese Neubearbeitung
zurückzustellen, um zunächst den noch unbekannten urkundlichen
Stoff des hamburgischen Staatsarchivs der Forschung zu erschließen.
Es solle daher mit der Herausgabe der Urkunden des 14. Jahrhunderts
begonnen werden. Die Überzeugung von der Notwendigkeit, gerade
die ältesten hamburgischen Urkunden bis zum Ausgang des 13. Jahr-
hunderts der historischen Forschung und dem akademischen Unterricht
bequem zugängig zu machen, habe dann jedoch dazu geführt, die
vorliegende anastatische Reproduktion zu veranstalten, durch die
dem hervorgetretenen Bedürfnisse in ausreichender Weise genügt
werde. Der Band enthält die städtisclien Urkunden und die
Urkunden des hamburgischen Domkapitels bis zum Jahre 1300,
diejenigen des Erzbistums Hamburg bis 1224. — In dem gleich-
falls 1907 erschienenen, von Walter Stein bearbeiteten 10. Bande
des Hansischen Urkundenbuchs (Leipzig. Duncker & Humblot),
der die Jahre 1471 — 85 umfaßt, ist eine Fülle von Urkunden,
Korrespondenzen und Aufzeichnungen veröffentlicht, die für die poli-
tische und die Handelsgeschiclite Hamburgs während jenes Zeitraums
von erheblichem Interesse sind. Insbesondere werden Hamburgs
Handelsbeziehungen zu den Niederlanden und England, ferner das
Eingreifen der Stadt in den hansisch-englischen Seekrieg und die
rücksichtslose städtische Stapelrechtspolitik durch zahlreiche Beiträge
scharf beleuchtet. Dagegen bringt der neueste, 22. Band des
Mecklenburgischen Urkundenbuchs (Schwerin. Baerenspning.
1907) nur eine bisher noch unbekannte Urkunde, die sich unmittel-
bar auf Hamburg bezieht. Sie enthält einen Vertrag Lübecks nnd
Hamburgs mit den Herren von Züle, die versprechen, den beiden
Städten im Interesse der Sichenmg der Landstraße die Stadt Boizen-
**nrg offenhalten zu wo l<-n (1391, Sept. 8). N.
Hmweise und Nachrichten. 407
An Eezensionen und Anzeigen des vom Verein herausgegebenen
Werkes von Th. Schrader, Die Eechnongsbücher der hamborgischen
Gesandten in Avignon 1338—1355 (1907), die zum Teil weiter«
wertvolle Erläuterungen und Ergänzungen bieten, verzeichnen wir
diejenigen von K. H. Schaefer in der Böm. Quartalschrift XYT
(1907), S. 151 ff., von Bruno Kuskb in den Hans. G^eschichtsbl.
Jahrg. 1908, S. 249 ff., von Adolf Schaube in der Histor. Ztschr. 101
(1908), S. 378 f. und von Heinrich Werner in den Mitteil, aus d.
histor. Lit XXXVI (1908), S. 691 H. J.
Von dem großangelegten Werke August Sachs, Das Herzog-
tum Schleswig in seiner ethnographischen u. nationalen
EntWickelung, dessen erste Abteilung (143 S.) 1896, die zweite
(336 S.) 1899 erschienen waren, ist 1907 die dritte, abschließende
Abteilung (510 S.) herausgekommen. Es sind die ethnographischen
Probleme, die Besiedelung durch verschiedene Volksstämme, der
Jahrhunderte lang dauernde Kampf dieser Stämme um ihr Volkstum,
es sind die Sprachen- und Nationalitätsfragen, welche den Inhalt
des Buches bilden und ihm ein über das rein historische hinaus-
gehendes Interesse auch für die Gegenwart verleihen. Während die
erste Abteilung mehr einleitend die Namen des Landes und seiner
Bewohner in ihrer geschichtlichen Entwickelung, die Entstehung des
Herzogtums, seine Naturbeschaffenheit und endlich den Stand der
Besiedelung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts behandelt,
will die zweite den Nachweis erbringen, daß ursprünglich in dieser
Landschaft die ingwäonisclien Sachsen, Angeln und Warnen saßen,
daß dann seit dem 5. und 6. Jahrhundert ihr Abzug nach den
G^egenden des Niederrheins und nach England Baum schaffte für
die kaum vor dem 8. und 9. Jahrhundert erfolgende Einwanderung
einerseits der Juten von Norden her, andererseits der Friesen, die
auf dem Seewege kommend vor allem Utland (Nordfriesland) be-
siedelten und hier im Laufe der Jahrhunderte von den Juten im
Norden nur wenig zurückgedrängt, aber im Süden von dem nieder-
deutschen Volkstum in weiten Glebieten bezwungen in neuer Mischung
ihre Sprache und Eigenart vielfach einbüßten. Der dritte Teil stellt
sich nun zur Au^be, die merkwürdige Entwickelung der nationalen
und sprachlichen Verhältnisse des Herzogtums vom Mittelalter bis
in die neueste Zeit zu verfolgen und hauptsächlich den Kampf
zwischen dem jütischen und dem von Süden her vordringenden nieder-
deutschen Volkstum in dem eigentlichen Südjütland darzustellen.
Die Juten, ein von den Dänen verschiedener, sprachlich den West-
germanen näher stehender Stamm, haben früh ihre politische Selb-
ständigkeit verloren und sind in langem geschichtlichen Prozeß in
Nordjütland danisiert, In Südjütland germanisiert worden. DIt
Grenze zwischen der jütischen und der niederdeutschen Besiedeliii
lag ursprünglich in der Landschaft zwischen Schlei und EUk
408 Hinweise und Nachrichten.
Während diese durch eigentliche Kolonisation dem Dentechtom ge-
wonnen ward, fand nördlich vom Danewirk nicht sowohl ein Be-
völkenmgswechsel, als ein Sprachwechsel statt. Durch den über-
mächtigen Einfloß, den die niederdeutsche Sprache seit dem 14. Jahr-
hundert im Norden erlangte, wurden zunächst die mit deutschen
Kaufleuten und Handwerkern sich füllenden, einst rein jütischen
Städte und sodann auch große Strecken des platten Landes zwei-
sprachig, wurde das Jütische zur bloß mundartlichen Nebehsprache
herabgedrückt, die jedoch allmählich in dem größten Teile des Herzog-
tums vor dem Niederdeutschen mehr und mehr zurückwich. Diese
Entwickelung wurde zwar gehemmt, aber doch nicht völlig aus-
hoben, als im 17. Jahrhundert ein zweiter Sprachwechsel eintrat
und Hochdeutsch Amtssprache, - Sprache der Gerichte, der Kirche
und der Schule wurde. Grehemmt deshalb, weil nun auch das
Niederdeutsche seinerseits zur Mundart herabsank und der Unter-
stützung entbehrte, die seinem Vordringen die Herrschaft in allen
amtlichen Beziehungen bisher gewährt hatte. Allein es blieb doch
noch lange Umgangssprache und machte in zweisprachigen Gemein-
den seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als Kindersprache erneute
Fortschritte, da man einsah, wie wichtig seine Förderung für das
bessere Verständnis des hochdeutschen Schulunterrichts werden mußte.
War bis dahin eine nationale Tendenz der Volkssprache fem ge-
blieben, so erwachte das Niederdeutsche zu dentschnationalem Bewußt-
sein, als seit 1848 und insbesondere durch die dänischen Sprach-
reskripte von 1851 die jütische Mundart für echtes altes Dänisch
erklärt und zum Zeichen dänisclier Gesinnung gestempelt wurde.
In der Zeit des dänischen Spracllz^vanges von 1851 bis 1863
gewann die deutsche Sprache in den gemischten Distrikten mehr
Terrain, als in dem ganzen vorliergehenden Jahrhundert. So tritt
die hohe nationale Bedeutung des Niederdeutschen als des eigentlichen
Trägers des deutschen Volkstums im Herzogtum auch für die
Gegenwart überraschend hervor. Auf dem Plattdeutschen, dem sich
die jütische Volkssprache nirgends gewachsen gezeigt hat, beruht
die weitere Germanisiemng der Nordmark. Demgegenüber verblaßt
die Wichtigkeit des Kampfes zwischen den Amtssprachen, dem
Hochdeutschen und der dänischen Literatursprache. — Im dritten
Teile des Werkes stehen die sprachlichen Gesichtspunkte obenan. Über-
all werden die Ortsnamen, die Fluniamen, die Straßen* und Personen-
namen in eingehender Weise als historische Zeugnisse verwertet.
Aus der Fülle des in dem ganzen Buche zusammengetragenen Ma-
terials kann man reiche Belehrung schöpfen. Auch für hambur-
gische Verhältnisse, z. B. den Namen der Stadt und die Straßen-
bezeichnungen, ergeben sich hier und da die Erklärung fördernde
Parallelen. In den beiden ersten Teilen werden neben den sprach-
lichen Erscheinungen in ausgedehntem Maße die Besultate der an-
tiquarischen und archaeologischen Forschung (Grabhügel, Urnen-
Hinweise und Nachrichten. 409
friedhöfe, Bauernhaus) herangezogen. Ansführlich bespricht der
Verf. an verschiedenen Stellen (153—63; n 36 f., 109—113;
m 137 — 142) die Beziehungen, die zwischen den Namen Haithabu
und Schleswig bestehen, sowie die Bedeutung der „Hohburg'' und
der „Oldenburg''. Er entscheidet sich m. E. mit Eecht dafür, daß
Haithabu „Ort an den Heiden'' lediglich der vom 9. bis zum Ende
des 14. Jahrhunderts vorkommende nordische Name für die Stadt
Schleswig sei, nicht eine ursprünglich selbständige Ansiedelung
innerhalb der 28 ha (!) umfassenden Ringwälle der Oldenburg, deren
Name erst später auf Schleswig übertragen sei. In der Oldenburg
sieht er ein befestigtes Lager als Stützpunkt für eine Flotte, die
im HMdebyer Noor einen sicheren Ankerplatz fand; in der Hohburg
will er das nach Thietmar von Otto n. errichtete Grenzkastell er-
kennen. — Naturgemäß bietet ein so umfangreiches Werk der
Kritik manche Angriffsmöglichkeiten. Sonderbar berührt der
„ägyptische" Geograph Ptolemäus (1 1 ; n 71) und der „Schleswiger"
Thraziger (n 112). Wenn es n 196 heißt, Herzog Friedrich m.
von Gottorp habe im J. 1652 über den Grundbesitz seiner
Nordstrander Untertanen willkürlich zu Gunsten einer nieder-
ländischen Gesellschaft verfügt, so ist das nicht richtig. Die Unter-
tanen hatten die durch die Flut von 1634 zerstörten Deiche nicht
wiederherzustellen vermocht: damit waren sie nach Deichrecht ihres
von ihnen selbst abandonnierten Grundeigentums verlustig gegangen
und dieses als Ödland dem Landesherm verfallen, der es völlig recht-
mäßig zur Eindeichung und Kultivierung an dazu bereite und fähige
Unternehmer erneut ausweisen konnte. Daß feststände, Anskar sei bei
seiner ersten Missionsreise von Dorstede über Hamburg zu Lande
nach den Grenzgebieten der Dänen gelangt (m 171), ist ein Lrtnm.
Schon die Schilderung in der Vita Änskari c. 7, in der Hamburg
nicht erwähnt wird, zeigt, daß die ganze Beise von Köln aus zu
Schiff zurückgelegt ward. Endlich hätte die Figur des Schwert
und Buten haltenden Büttels auf dem Kaak der schleswigschen Städte
nicht mehr als Boland ausgegeben und zum Wahrteichen nieder-
deutschen Wesens und der Marktfreiheit (m 212, 228, 244, 286,
310) gemacht werden dürfen. Doch diese und andere Ausstellungen
können den hohen Wert des interessanten Werkes in keiner Weise
beeinträchtigen. H. J.
Eine Bibliographie der Hannoverschen und Braun-
schweigischen Geschichte hat Victor Löwe veröffentlicht. Sie
erstrebt, „die in selbständigen Schriften oder in Zeitschriften nieder-
gelegten Arbeiten, soweit sie seit ungefähr 1815 erschienen sind,
mit Ausscheidung der rein populären Darstellungen, möglichst voll-
ständig zu verzeichnen'', und „aus der früher erschienenen Literatur
dasjenige aufzunehmen, was in irgend einer Hinsicht heute noch vw
Bedeutung ist". Bei den engen Beziehungen Hamburg zn. ^
410 HinweiBe und Nachrichten.
hannoverschen Territorien wird die mühsame nnd sehr dankenswerte
Arbeit häufig auch den hambnrgischen Geschichtsforschern wesent-
liche Unterstützung leisten können. N.
Der Hansische Oeschichtsverein hat eine neue Serie von Ver-
öffentlichungen begonnen unter dem Titel: Abhandlungen zur
Verkehrs- und Seegeschichte, im Auftrage des Hansischen
G^chichtsvereins herausgegeben von Dietrich Schäfer. Dieses
Unternehmen ist eine Frucht der neuen weitausschauenden Ziele, die
der Verein sich dadurch gesteckt hat, daß er sein Arbeitsfeld nicht
auf die hansische Geschichte beschränken, sondern ganz allgemein
auf die deutsche Seegeschichte und alles, was damit zusammenhängt,
ausdehnen will. Die Beihe der Abhandlungen eröffnet Rudolf
Hapke mit einer Arbeit über Brügges Entwickelung zum
mittelalterlichen Weltmarkt (vergl. oben S. 392). N.
Der nicht nur auf das Slstorische gerichteten, aber dieses
doch auch einschließenden Absicht, das Verständnis für Meer nnd
Seewesen beim deutschen Volke zu beleben, soll die vom Institut
für Meereskunde zu Berlin herausgegebene Zeitschrift Meeres-
kunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Ver-
ständnis der nationalen Bedeutung von Meer und See-
wesen dienen. Aus dem ersten 1907 im Verlage von Ernst
Mittler & Sohn zu Berlin erschienenen Jahrgang notieren wir
Vorträge von Albrecht Peück über das Museum für Meeres-
kunde zu Berlin, von Kobert Hoenioer über die Kontinental-
sperre in ihrer geschichtlichen Bedeutung, von W. Vogel
über Nordische Seefahrten im früheren Mittelalter, von
Fr. Solger über die deutschen Seeküsten in ihrem Werden
und Vergehen, endlich von Walter Stahlberg über den Ham-
burger Hafen und das Modell des Hamburger Hafen-
betriebes und über den Hamburger Hafen, seine Gliede-
rung nnd seinen Betrieb. N.
Die Normannen und das fränkische Reich bis zur
Gründung der Normandie (799 — 911) hat Waltedsr Vogel zum
Gegenstand einer ausführlichen Darstellung gemacht, die den etwas
eintönigen Stoff durch glückliche Gliederung und eine frische, manch-
mal allzu flotte Schreibart interessant und lehrreich zu gestalten
weiß (Heidelberger Abhdl. z. mittleren u. neueren Gesch., hrsg^. von
Karl Hampe, Erich Marcks n. Dietrich Schäfer, Heft 14,
1906, 442 S.). — Die Dänen haben bekanntlich auch Hamburg
zerstört. V. (S. 101 f.) setzt das am eingehendsten in der Vita
Anskari c. 16 geschilderte Ereignis mit Ernst Dümmler (Gesch.
d. ostfränk. Reichs I*, 1887, S. 281 A. 1) m. E. mit Recht in das
r 845 und verwirit die Datierung Adams von Bremen auf
Hinweise und Nachrichten. 411
839/40; die z. B. von Eudolf Ballhximer (Zeittafeln z. hbg.
G^esch., Progr. d. Gelehrtensch. d. Johannenms 1895, S. 6) dagegen
geltend gemachten Gründe können nicht als durchschlagend angesehen
werden. Die Erzählung V.'s folgt, wie billig, der Hanptquelle, der
Viin Anskari, Sie gibt jedoch in einigen nicht unwichtigen Punkten
zu Beanstandungen Veranlassung. — Einmal macht Y. aus dem
comes, qui eo tempore praefecturam loci illius tenebat, einen Burg-
grafen Bemhar, wälirend es einen Burggrafen von Hamburg nie
gegeben hat (vgl. auch S. Bietschel, Das Burggrafenamt, 1905,
S. 271) und dieses Amt für die Mitte des 9. Jahrhunderts über-
haupt ein Anachronismus sein dürfte (vgl. ebenda, S. 321, 327). —
Sodann spricht V. stets von der Stadt Hamburg, wo Bimbert
civitas oder urbs schreibt, und versteht dementsprechend unter dem
suburbium, dessen Identität mit dem vicus proocimus ihm entgeht
(die verlassene Stadt „mitsamt der Umgebung"), eine Vorstadt. Nun
ist aber der Sprachgebrauch Bimberts ganz unzweifelhaft: civitas
und das synonyme urbs bezeichnen bei ihm, wie auch sonst in der
Karolingerzeit, eine Burg und zwar, da es sich nicht um die alten
Bömerstädte und befestigten Bischofssitze des Südens handelt, in
derselben Bedeutung wie castellum oder castrum (vgl. Bietschel,
Die Civitas, 1894, S. 44 — 58). So werden aulSer Hamburg, dessen
Name ja schon seine Entstehung als Kastell bezeugt, die in dem
schwedischen Birka am Mälarsee belegene Burg (c. 19), eine slavische
Feste (c. 19) und fünf Burgen der Cori (Kurländer), von denen eine
die Seeburg heißt (c. 30), civitas oder urbs genannt. Dagegen
bedeutet suburbium an der einzigen SteUe (eben in c. 16), wo es
bei Bimbert vorkommt und wo es mit vicus gleichgesetzt wird, die
offene Handelsniederlassung am Fuße des Kastells. Denn vicus und
synonym portus (für letzteren Terminus vgl. H. Pirenne in der
Bevue historique 67, 1898, S. 62 f. und Festgabe für Anton
Hagedom, 1906, S. 29 A. 2) werden von Bimbert im G^egensatze
zum Dorf {villa: c. 12, 35) nur gebraucht von Hafenplätzen und
kaufmännischen Ansiedelungen, nämlich von Birka (c. 11, 19,
27, 28), Schleswig (c. 24, 31, 32, 33) und Bipen (c. 32). Und
bei Birka findet sich (c. 19) dieselbe Ghegenüberstellung von civitas
oder urbs und vicus wie bei Hamburg, weil beide Orte (was für
Birka auch anderweitig feststeht) aus einem Kastell und einem als
Hafen und Handelsplatz dienenden unbefestigten Burgflecken bestan-
den (vgl. für Hamburg schon Bietschel, Die Civitas, S. 102). Die
Anwendung des Wortes vicus in dieser Bedeutung war so allgemein
verbreitet, daß es auch in die germanischen Sprachen überging: an.
wie (worauf die Bezeichnung der Wikinger als der Leute des Hafen-
platzes zurückgeht), ahd. u;(ch (von dem Weichbild, d. h. Stadtrecht,
abzuleiten ist; vgl. F. Kluge in der Vierteljahrschr. f. Sozial- n.
Wirtschaftsgesch. VI, 1908, S. 79), und daß es dann zur Bilda
von Ortsnamen benutzt ward, wie Bardaenowic, Brunsunc, Hamu
412 Hinweise und Nachrichten.
(das freilich bei Nithard lY 3 nicht, wie noch Ristschel a. O. einer
Angabe von Pertz folgend angenommen hat, Hamburg bezeichnet,
sondern einen mit Sicherheit nicht zu bestimmenden englischen Ort),
QuerUawic, Sliaswich. Das eigentliche Hamburg war also in der
Mitte des 9. Jahrhunderts und noch lange Zeit nachher ein Kastell,
in dem schon Karl d. Or. eine Kirche und sein Sohn dieii erz-
bischöflichen Sitz für den Norden errichtet hatten (über die Neu-
begründung von Bistümern in Kastellen vgl. Rietschel S. 55), aber
keine Stadt. Wird es doch auch in der Notiz der Ann. Fnld. über
eben die Zerstörung von 845, die uns hier angeht, ausdrücklich ein
Kastell genannt (castellum etiam in Saoconia, quod vocatur Hamma-
btirg, populaH , . . sunt). Von Städten kann man bekanntlich in
dem Deutschland des 9. Jahrhunderts überhaupt noch nicht reden;
höchstens mag man in den suburbia, viel und parius die Keime der
späteren Städtebildung sehen. — Endlich übernimmt Y. eine An-
merkung C. F. Dahlmanns in seiner Ausgabe der Vita Änskari
(MG. Scr. n 700; Waitz in den Script, rerum German. S. 37 tat
das wohlweislich nicht), indem er das sttburbium Hamburgs, das er
fölschlich als Vorstadt bezeichnet, mit dem Kirchspiel St. Nikolai
identifiziert. Das ist natürlich unmöglich, da dieses Kirchspiel erst
durch die Gründung der Neustadt Ende 1188 oder Anfang 1189
entstand. Aber auch an der Stelle der nachmaligen Nikolaiparocfaie,
was Dahlmann wohl gemeint hat, wird man den Hafen Hamburgs
nicht suchen dürfen. Denn abgeselien davon, daß er dann von dem
schützenden Kastell durch die Alster getrennt gewesen wäre, war
das dortige Terrain tiefliegendes Marsch- und Sumpfland, das erst
der Eindeichung bedurfte, um bewohnbar zu werden, und offenbar
zuerst in den fünfziger Jahren des 11. Jahrhunderts zur Errichtung
einer herzoglichen Wasserburg verwendet worden ist (Adam m 26).
Ans ähnlichen Gründen wird aber auch die Gegend der Reichen-
straße (Ballheimer a. 0. S. 5) für eine so frühe Zeit kaum in
Betracht kommen. Die Handelsniederlassung am Fuße des Kastells
kann vielmehr, wie ich glaube, nur auf derselben Greestzunge gelegen
haben, an deren Ende vor dem Abfall zum Flusse das Kastell selbst
sich befand, und zwar entweder auf dem Abhang westlich von diesem
oder östlich von ihm an der Stelle des späteren Kirchspiels St. Jakobi.
Für die zweite Möglichkeit scheint mir die Vermutung darum zu
sprechen, weil man aus der Schilderung des Überfalls der Normannen
bei Eimbert den Eindruck ge\vinnt, daß diese mit ihren Schiffen
zuerst, ehe sie sich des viais bemächtigen konnten, die Burg er-
reichten und sie zu Wasser auf drei Seiten einschlössen.
Hermann Joachim.
In der Ztschr. f. d. gesamte Handels- und Konkurs-
recht, Bd. LXn (1908) S. 289—327 beschäftigt Karl Lehmann
eich mit Altnordischen und hanseatischen Handelsgesell-
Hinweise und Nachrichten. 413
Schäften. Seine gehaltvollen Aosfühiningen sind ein wichtiger
Beitrag znrOeschichte des mittelalterlichen Handelsrechts, insbesondere
des OeseUschaftsrechts im Norden, d. h. im skandinavischen und
im hansischen Oebiete. Er nntersncht, inwieweit es in diesen
Oebieten Gestaltangen von Handelsgesellschaften gab, die sich den
im romanischen Mittelalter vorkommenden offenen nnd stillen Oesell-
Schäften vergleichen lassen. In anziehender Darstellung zeigt er,
wie sich die ältesten erkennbaren Formen der nordischen Handels-
gesellschaft aas dem Kriegs- nnd Beaterecht der Wikinger ent-
wickelt haben nnd wiq das skandinavische B.echt eine an die Beate-
gesellschaft sich anknüpfende Gelegenheitsgesellschaft nnd eine stille
Partnerschaft herausgebildet hat, ehe es vom hansischen Gesellschafts-
recht verdrängt wmrde. Als typische Formen des letzteren, dessen
Mittelpunkt ^durchaus in Lübeck lag, werden die tcedderleggin^e und
die sendeve besprochen. Die senäeve (= Sendgut) war im Grunde
Kommission (Anvertrauung an einen selbständigen Kaufmann zum
Handel im eigenen Namen, aber auf Eechnung des Auftraggebers),
bei der das sozietätsmäßige Element in der Mehrzahl der Fälle in
der Gewährung einer Gewinnquote an den Beauftragten lag, dagegen
wird die tcedderleggiiige (beiderseitige Kapitaleinlage auf Gewinn
und Verlust mit gleicher oder ungleicher Größe der Beteiligung)
als richtige (^sellscliaft charakterisiert, die ganz vorwiegend die
Kennzeichen der stillen Gesellschaft zeigt. Entgegen den Aos-
führungen anderer Forscher, zuletzt Friedrich Kbutoens in seinen
eingehenden Untersuchungen über Hansische Handelsgesell-
schaften im Mittelalter (Yierteljahrsschrift für Sozial-
und Wirtschaftsgeschichte Bd. IV) sucht Vf. mit guten Gründen
zu erweisen, daß das hansische Mittelalter mindestens bis in die
Mitte des 15. Jahrhunderts hinein die offene Firmengesellschaft mit
Gesamthaftung und mit gesetzlichem Vertretungsrecht jedes (j^esell-
schafters nicht gekannt habe. — Die Erörterungen des Verfassers
werden natürlich auch für Untersuchungen über hamburgische
Handelsgesellschaften im M. A. von wesentlicher Bedeutung sein.
Das Material, das über solche bisher veröffentlicht ist, ist allerdings
nur gering und gibt nur ein unvollkommenes Bild von diesem Institut
des Handelsrechts. So ist das Vorkommen der sendeve für Hamburg
bisher überhaupt noch nicht bezeugt. Es wird aber einem Zweifel
nicht unterliegen, daß sie auch hier ihre Anwendung gefunden hat,
wenn sie auch, wie Vf. hervorhebt, ganz vorwiegend in Lübeck
heimisch gewesen ist. N.
Die Handlungsgehilfen des hansischen Kaufmanns
hat Karl Friedrich Beug zum (j^enstand einer der Universität
Rostock vorgelegten juristischen Doktordissertation (Stralsund 1907)
gewählt, in der er auf Grund des reichen urkundlichen Quellen-
materials die rechtliche Stellung und die Obliegenheiten dieser kA»Sr
414 Hinweise und Nachrichten.
männischen Hilfspersonen im M. A. nntersncht. Die hambnrgischen
Bechtsstatnten und das Handlangsbnch des hambnrgischen Kauf-
manns Vicko von Geldersen geben ihm Veranlassung, dabei wieder-
holt auch auf hamburgische Verhältnisse einzugehen. N.
Die Dissertation von Bichard Bobchan, Hamburgs Handel
mit der Mark Brandenburg bis zum Ausgang des 14. Jahr-
hunderts (vergl. oben S. 165) ist besprochen von E. Baasch in
den Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte
Bd. 20 S. 544 f. und von W. v. Sommerfeld in Schmollers Jahr-
buch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Jahrg. 32
(1908) S. 289 ff. N.
In der Zeitschrift des Historischen Vereins für Nieder-
sachsen, Jalirg. 1908, S. 228 — 264, hat Ernst Baasch auf Grund
von Akten des Staatsarchivs zu Hannover die Pläne dargelegt, die im
4. und 5. Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts zur Begründung ost-
indischer Kompagnien in Hamburg und Stade verfolgt wurden.
Sie wurden auf Betreiben oder unter wesentlicher Teilnahme ham-
burgischer Kaufleute gefaßt, führten aber bei dem Widerstände der
englisch-ostindischen Kompagnie und ihren engen Beziehungen zu der
englischen Eegiemng sowie dem vorsichtigen Zurückhalten in Han-
nover zu keinem Gelingen. Die einschlägigen Aktenstücke aus den
Jahren 1 736 — 1750 sind von dem Vf. anliangsweise abgedruckt. N.
Über die Entwickelung der drei hanseatischen Na-
vigationsschulen gibt Joseph Krauss, Lehrer an der Navigations-
schule in Lübeck, auf Grund der neueren Literatur, die verzeichnet
wird, einen kurzen zusammenfassenden Überblick in den von der
Deutschen See warte herausgegebenen Annalen der Hydrographie
XXXVI (1908), S. 300—307. Die hamburgische AdmiraUtät
richtete zuerst in Deutschland im Jahre 1749 einen öffentlichen
nautischen Unterricht ein. Das Vorbild dafür ist offenbar wiederum
in Holland zu suchen, von dem unmittelbar, wie es scheint, sonst
nur noch Emden beeinflulSt ward, als es 1782 einen Navigations-
lehrer aus Amsterdam berief, während für das übrige Deutschland,
insbesondere für Preußen, später die Hamburger und die Lübecker
Schule als Muster dienten. H.J.
Die im übrigen das moderne volkswirtschaftliche Problem
behandelnde Schrift von Marie Heller über das Submissions-
wesen in Deutschland (Jena 1907) geht im ersten Kapitel der
Frage nach dem Ursprünge dieses Verfahrens in Deutschland nach.
Im Gegensatze zu der herrschenden Meinung, daß es hier erst im
Anfange der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aufgekommen
ermittelt die Verf. sein Bestehen für sehr viel ältere Zeiten.
Hinweise und Nachrichten. 415
Und zwar will sie die erste Spar in Hamburg finden, wo durch
die Banhofsordnung vom 5. April 1617 (Kxefeker, Samml. hbg.
Gesetze u. Verfass. n 21 ff.) die „Verdingung" aller öffentlichen
Bauarbeiten nach Maßgabe im einzelnen iormulierter Bestimmungen
eingeführt wurde. Die Verf. nimmt an, leider ohne sich auf einen .
näheren Nachweis einzulassen, daß Hamburg die Einrichtung aus
Holland übernommen habe, was an sich gewiß glaublich erscheint
und zu den vielen Entlehnungen daher gerade zu Anfang des
17. Jahrhunderts gut passen würde. Wie lange die Verdingung
in Hamburg in Gebrauch geblieben sei, lasse sich nicht feststellen;
jedenfalls sei das Verfahren mit der Zeit wieder in Vergessenheit
geilten und erst im Jahre 1814 nach französischem Muster von
neuem eingeführt worden. In diesen Punkten werden eingehendere
Nachforschungen sicherlich zu einem präziseren Ergebnis führen
können. Auch der Interpretation der Bauhofsordnung von 1617
zeigt sich die Verf. nicht überall gewachsen, wie sie denn den
Begriff der Sperrmaße verkennt und die wunderliche Behauptung
aufstellt, Gerüste seien damals in Hamburg Treppen genannt.
H.J.
Mit der Entwicklung der Lotterie in Hamburg be-
schäftigt sich in einer Doktordissertation (Druck von Lütcke & Wulff,
Hamburg 1908) Max G. A. Predöhl. Vorwiegend auf Grund
von Akten des hamburgischen Staatsarchivs verfolgt er die Geschichte
der staatlichen und der privaten Lotterien in Hamburg seit dem
17. Jahrhundert und wirft zum Schluß einen Blick auf die liam-
burgische Gesetzgebung auf dem Gebiete des Lotterierechts. Aus
dem Inhalte der Schrift sei der Nachweis hervorgehoben, daß, während
die erste nach holländischem Muster eingerichtete Klassenlotterie in
Hamburg bekanntermaßen im Jahre 1721 stattfand (vergl, H. Jacu-
BOWBKY, Die Hamburgische Stadt-Lotterie, Hamburg 1891), ein
freilich mißglückter Versuch, eine solche ins Leben zu rufen, schon
im Jahre 1719 gemacht worden ist, daß aber die Annahme, Ham-
burg besitze die älteste Klassenlotterie in Deutschland, nicht zutrifft.
N.
Eine interessante Zusammenstellung von Bildnissen des nicht
nur um seine Vaterstadt, sondern um die Hansestädte überhaupt
hervorragend verdienten bremischen Bürgermeisters JohannSmidt hat
E. Waldmann im 2. Halbbande des 1. Jahrganges des Jahrbuchs
der bremischen Sammlungen S. 66 ff. veröffentlicht. N.
In seiner hamburgischen Antrittsrede, Hamburg und das
bürgerliche Geistesleben in Deutschland (Hamburg, Leopold
Voß, 1907) hat Erich Marcks in großen Zügen ein Bild von der
Bedeutung der Städte für die Entwicklung der deutschen Geistes-
knltur entworfen und insbesondere die Bolle veranschaulicht^ die
416 Hinweise und Nachrichten.
Hamburg dabei gespielt hat. Die Betrachtang läßt klar die glänzende
Stellung hervortreten, die Hamburg als Sammelpankt vielfacher
geistiger Interessen im 17. und 18. Jahriiundert eingenommen hat^
und geht sodann, den Zusammenhang mit der allgemeinen deutschen
Kulturgeschichte stetig wahrend, auf die Kulturaufgaben ein, deren
Erfüllung der Stadt seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts als
Ergebnis ihrer Lage, ihrer Verbindungen und ihrer Geschichte
zugeMlen ist. N.
In seinem Buche Weltbürgertum und Nationalstaat.
Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaates
(München u. Berlin 1908), dessen zweiter TeU die Ideen über das
Verhältnis des preußischen zum deutschen Nationalstaate in ihrer
geschichtlichen Entwicklung während des 19. Jahrhunderts feinsinnig
und mit kundigem Blick verfolgt und darlegt, führt Friedrich
Meinecke eine Stelle aus der berühmten Kaiserrede des Hamburgers
Gabriel Blosser zum Zeugnis für den Gedankenkreis an, in dem
die um Heinrich von Gagem geschalte Erbkaiserpartei der deutschen
Nationalversammlung sich bewegte. Die Worte, die Biesser am
21. März 1849 in der Paulskirche sprach, zeigen, daß er und seine
Gesinnungsgenossen in jenem Augenblick, da ihnen alles darauf an-
kam, das preußische Erbkaisertum durchzusetzen, auf die vorher
laut geforderte Auflösung Preußens verzichteten, vielmehr unter
dem Eindrucke der eben in Preußen oktroyierten Verfassung und
im Hinblick auf die gefährlichen Ziele der oppositionellen Linken
den Bestand Preußens nicht im mindesten anzutasten wünschten,
wohl aber das Aufgehen Preußens in Deutschland als eine ge-
schichtliche Notwendigkeit ansahen, die sich in der Zukunft von
selbst vollziehen werde. N.
In der Zeitschrift für Bücherfreunde 12. Jahrg.
S. 213 — 243 veröffentlicht Friedrich E. Hirsch einen Aufsatz Zur
Biographie Johann Peter Lysers, der die im vorigen Jahre von
Heckscher und von Hirschfeld verfaßten Arbeiten über diesen talent-
vollen und vielseitigen Künstler und Schriftsteller in erheblichem Maße
ergänzt. Seine Ausführungen enthalten eine Beihe neuer Beiträge
zur Lebensgeschichte Lysers, insbesondere während seiner Wiener
Zeit; außerdem vermag er das von Heckscher und Hirschfeld
aufgestellte Verzeichnis seiner Werke um mehr als 300 Nununem
zu bereichem. N.
Im Anfange des Jahres ist die erste Hälfte des zweiten Bandes
von Max Kalbecks Johannes Brahms erschienen (Berlin 1908),
die Jahre 1862 bis 1868 umfassend. Wird uns in dieser Dar-
stellung von Brahms' Leben und Werken auch keine Biographie
^oßen Stils etwa im Sinne des Mozart von Otto Jahn und des
Hinweise und Nachrichten. 417
Johann Sebastian Bach von Philipp Spitta oder auch des Wlnckel-
mann von Carl Jüsti geschenkt, für die die Zeit noch nicht ge<
kommen sein mag, so haben wir doch alle Ursaclie, ans des Eifers
und G^escliicks zu freuen, mit dem K. zum ersten Male in größerem
Maßstabe das Material für die Lebensgeschichte zusammengebracht
und verwertet hat. Einige Überschwenglichkeiten, insbesondere auch
in den doch nicht ganz zu entbehrenden Versuchen, den Stimmungs-
gehalt der Werke in Worten wiederzugeben, sowie einen Mangel
an Oeschlossenheit der Darstellung muß man freilich mit in den
Kauf nehmen. — Hamburg spielt in diesem Halbbande keine
ehrenvolle Eolle. Zu dem Kultus, der Brahms hier gewidmet wurde
und gewidmet wird, nachdem er der weltberühmte Meister geworden
war, der der besonderen Anerkennung durch seine Vaterstadt nicht
mehr bedurfte, tritt in bezeichnenden Oegensatz, wie man ihn be-
handelte, ehe er sich allgemein durcligesetzt, ehe die Autorität Hans
von Bülows das Publikum zur Bewimdenmg seiner Werke erzogen
hatte. Mit tiefer Liebe, die ihm das herrliche Quartett „An die
Heimat** eingab, hing Brahms an seiner Vaterstadt und wünschte
nichts lieber, als Dirigent der Philharmonischen Konzerte und der
Singakademie zu werden, um damit auch in eine gesicherte Lebens-
bahn, in der ihm Heimat, Amt und eigener Herd bescliieden ge-
wesen wären, einzulenken. Zweimal bot sich die Gelegenheit dazu.
Trotz oberflächlicher Versprechungen, die man ihm gemacht hatte,
überging man ihn beide Male. Mit berechtigter Härte urteilte
Joseph Joachim über dieses Verhalten. Im Jahre 1863 schrieb er,
die Wahl hätte Brahms' Natur die Herbheit genommen, während es
ihn bei seinem Patriotismus für Hamburg,, der fast kindlich rührend
sei, immer bitterer machen ' müsse, sich einem viel Geringeren an
Talent und Charakter hintangesetzt zu sehen ; seine engeren Lands-
leute hätten die Mittel aus der Hand gegeben, ihn befriedigter,
milder und seine genialen Leistungen genießbarer zu machen ; diese
Kränkung Brahms' werde die Kunstgeschichte nicht vergessen. Und
1867: daß sich die Philharmonische G^esellschaft nun aufraffe und
dem größten Musiker jener Tage (er wisse, was er schreibe) die
gebührende Stelle anweise, sei nicht anzunehmen ; ein Stück Misere
und Verkennung scheine zur Entwickelnng großer Geister immer zu
gehören und vielleicht halte die Gesellschaft es für landesväterliche
Verpflichtung, der Zukunft von Brahms durch Entsagung ein
patriotisches Opfer zu bringen. H. J.
J. Jung hat als Beitrag zur deutschen Gelehrtengeschichte eine
Darstellung des Lebensganges und vor allem der wissenschaftlichen
Tätigkeit von Julius Ficker (1826—1902) veröffentUcht (552 S.,
Innsbruck 1907). Handelt es sich auch nicht um eine völlig aus-
geglichene und in künstlerische Form gebradite Biographie, so bieten
doch Leben und Forschung des charakterfesten, streitbaren Mannes
418 Hinweise und Nachrichten.
ond des um die deutsche und italienische Reichs- und Rechtsgeschichte,
um die TJrkundenlehre und endlich um die germanische Rechtsgeschichte
hochverdienten Gelehrten genug des sachlichen Interesses, das in um-
sichtiger Weise unter Benutzung des brieflichen und sonstigen hand-
schriftlichen Nachlasses befriedigt wird. Ficker aus West&den stammend
und im Jahre 1852 als Professor nach Innsbruck berufen hatte hier
an der Unterrichts- und TJniversitätsreform des Orafen Leo Thun
starken Anteil und ward neben Theodor Sickel der eigentliche Be-
gründer der neueren österreichischen historischen Schule. Als Groß-
deutscher und Katholik ward er in den Jahren 1859 bis 1862 in
den berühmten Streit mit Heinrich v. Sybel über die Beurteilung und
Werteinschätzung des römischen Reichs deutscher Nation verwickelt.
Als Schüler und Freund Johann Friedrich Böhmers wurde er nach
dessen Tode im Jahre 1863 der Hauptträger für die Fortaetzong*
und Vollendung der Arbeiten Böhmers, insbesondere auch des großen
Werkes der Kaiserregesten, dessen Neubearbeitung noch heute nicht
zum völligen Abschluß gelangt ist. — Über Hamburg findet sich
eine Äußerung des jungen Ficker gelegentlicli eines zweitä^gen
Besuchs im Jahre 1850 (S. 103). Ihm fiel die überaU zu Tage
tretende Wohlhabenheit und Gediegenheit auf, gegen die Berlin einen
scharfen Gegensatz bilde. „Es ist eine Stadt im eigentlichsten Sinne,
eine Bürgerstadt, niclit ein Residenzschloß mit einer Stadt als Zubehör."
H.J,
Als 11. Heft derMitteil. derK. preuß. Archivverwaltung
(1908, 348 S.) hat Bruno Krusch in eingehender Weise die
Geschichte des Staatsarchivs zu Breslau bearbeitet. Mit
Recht bezeiclmet er sie als in vielfaclier Hinsicht anregend und
belehrend. Sie ist es auch für den, der Schlesien ganz fernsteht;
sie ist es insbesondere für jeden öitliclien Geschichtsverein, dessen
Mitglieder über die Bedeutung, Zusammensetzung und innere Or-
ganisation von Staatsarchiven überhaupt sich unterrichten sollten,
um dadurch in der Bildung eines richtigen Urteils über die Auf-
gaben und die Stellung des Archivs auch ilires heimatlichen Staates
oder ihrer Provinz unterstützt zu werden. Als eines der ältesten
Provinzialarchive Preußens (nur das Königsberger ist älter) wurde
das schlesische zu Breslau aus Veranlassung der Säkularisation der
geistlichen Stifter imd Klöster im J. 1810 auf Anregung von Johann
Gustav Gott lieb Büschin g, dem Solme des berühmten Geographen,
begründet und zwar, wie die gleichfalls damals entstandene Universitäta-
bibliothek und das Museum, zunächst als ein akademisches, der Uni-
versität angegliedertes Institut. Es diente anfangs der Aufnahme der
großen Massen von Urkunden und Akten, die durch die Säkularisation
in den Besitz des Staates kamen. Es sollte in erster Linie die Unter-
richtszwecke der Univei*sität fördern und einen vorwiegend wissenschaft-
lichen Charakter tragen. In Wirklichkeit freilich wurde es von vom-
Hinweise und Nachrichten. 419
herein in höherem Maße für die Zwecke der Justiz- nnd Yerwaltongs-
behörden in Ansprach genommen. Diese seine administrative Bedentong
kam zur vollen Geltung nnd auch äußerlich zum Ausdruck erst durch
die Archivreform Hardenbergs (vgl. R. Koser, Die Neuordnung des
preuß. Archivwesens durch den Staatskanzler Fürsten von Hardenberg,
Mitteil. Heft 8), der das gesamte Archivwesen seinem, dem Eessort
der obersten Zentralbehörde unterstellte. Aus der wissenschaftlichen,
akademischen Anstalt wurde nun (1821) eine K. Landesbehörde und
zugleich ward das bisherige „Zentralklosterarchiv'' auch inlialtlich
dadurch zum Landesarchiv ausgestaltet, daß ihm die staatlichen, in
der Provinz bei den einzelnen (^richts- und Verwaltungsbehörden
zerstreuten Archivalien aus der österreichischen Zeit vor dem J. 1740
überwiesen wurden, eine Maßregel, die im vollen Umfange nur all-
mählich zur Ausführung gelangte. Seit etwa 1840 begann dann auch
die Ablieferung der älteren Bestände aus der preußischen Zeit. —
Die Schilderungen, die K. mit freiem Urteil und in oft sarkastisch
gefärbtem Tone entwirft von den Schicksalen der geistlichen und
der kaiserlichen Archive, von den fruchtlosen, meist die Verwirrung
steigernden Versuchen, die letzteren bei ihrer Erwerbung nach preu-
ßischer Methode umzuordnen und an die preußischen Verwaltungs-
behörden zu verteilen, endlich von den im Staatsarchive selbst unter-
nommenen Ordnungsarbeiten, die ganz richtig vom Provenienzprinzip,
von der Zusammenhaltung und Rekonstruktion der alten, historisch
erwachsenen Begistraturen ausgingen, um schließlich doch beim reinsten
Sachprinzip, der Ordnung nach Materien ohne Bücksicht auf die
Herkunft und Entstehungsart der einzelnen Bestände, zu enden —
das alles ist in der Tat von typischer Bedeutung und darum gani
im allgemeinen überaus lehrreich. Nicht minder typisch sind die
Verwahrlosung, der ältere Archivalien anheimfallen, wenn sie bei den
Oerichten und Verwaltungsbehörden verbleiben; die unermeßlichen und
unersetzlichen Verluste an durchaus nicht allein für die Wissenschaft
wertvollen Dokumenten, die dadurch herbeigeführt werden; die bei
den übrigen Behörden und selbst bei den höheren juristischen Be-
amten in der Begel herrschende Unkenntnis des Lihalts und der
Einrichtung von Staatsarchiven, sowie des praktischen Nutzens, den
sie, im rechten Augenblicke in richtiger Weise befragt, durch Aus-
künfte und Outachten, die mit den Methoden und Mitteln historischer
Forschung erstattet sind, für die laufenden (Geschäfte gewähren können;
die darauf beruhende Unterschätzung, der der archivalische Beruf meist
begegnet; das naive Vertrauen andererseits darauf, daß jedermann
das archivalische Rohmaterial älterer Zeit, wenn es ihm zugängig
gemacht würde, ohne spezielle VorbUdung und Übung nun auch zu
verstehen und richtig zu verwerten vermöge; die Seltenheit endlich von
Männern an leitender Stelle, die, wie der Staatskanzler Hardenberg
oder der Direktor der preußischen Staatsarchive von Lancizolle
die hohe Bedeutung des Archivwesens sowohl für die Erledigu
420 Hiuweii^e und Xadurichten.
wichti^r Staats- und Pi-ivatgetH-liäfte wie für die historische Forschang'
wirklich keimen und zu würdigen wissen. — Ebenfalls von ejoßem
Interesse sind die Beiträge, welche das empfehlenswerte Bach zur
Charakteristik und Lebensgeschichte der lien^orragenden Breslaaer
Archivare: Stenzel (1822—1854). Wattenbach (1855—1862)
und Grünhagen (1862—1901) enthält. H.J.
Am 14. und 15. Juni 1908 stattete der Heraldische Verein
,,Zum Kleeblatt'' in Hannover Hamburg einen BesucJi ab. In
Veranlassung dieses Besuches veranstalteten das Staatsarchiv und
das Museum für Kunst und Gewerbe heraldische Ausstellungen;
außer ihnen wui-den vom Verein das Museum für hamborgische
Geschichte, sowie die Privatsammlungen von P. H. Trümmer und
Georg Hulbe, endlich in Bergedorf das Schloß, die Kirche und von
Georg Hulbe und Andi-eas Spiering aus Privatbesitz bereitgestellte
heraldische Sammlungen besichtigt. Ein ausführlicher BericJit über
den Ausflug des AVreins nach Hamburg findet sich in Nr. 7 und 8
des 19. Jahrgangs (1908) der vom Verein herausgegebenen Heral-
dischen Mitteilungen. N.
Berichtigungen.
Zu S. 15 7: Die Aner.ilM-n des Roten Buches über die Deiche
sind zum Teil noch anders zu deuten. Da auf der Döser Seite sich
Außendeich sowohl innerhalb als außerhalb des Neuen Deiches
befindet (fol. 71**, 72*, 99*), so kann mit diesem der Deich von 1530
nicht gemeint sein, andererseits aber auch der Neue Deich nicht mehr
einen wirklichen Dciohschutz gewährt haben. Unter dem Nenen
Deiche sind viehnehr auch hier, wie auf der Grodener Seite, die
erhaltengebliebenen Reste des gebroclienen ]')eichs von 1570 zn ver-
stehen. Die daduivh markierte und noch sichtbare Linie des Neuen
Deichs benutzte man eben, um den höher zu bewertenden Außen-
deich innerhalb dieser Linie von demjenigen zu unterscheiden, der
außerhalb lag und geringere Erträgnisse brachte. — Die übrigen
S. 157 f. über die Deiche gemachten Ausführungen bleiben onbe-
rühi-t; insbesondere kann der fol. 21* envähnte Döser Alte Deich
nicht der Deich von 1530 sein.
S. 158 Z. 9 lies ahgescMossen statt herausgegeben.
Zu S. 163: Der Verfasser des Berichts ist nicht der Dichter
Friedrich, sondeni sein Vater Hans Stats v. Hagedorn.
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