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Full text of "Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte"

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ZEITSCHRIFT 



DES 



VEREINS 

FÜR HAMBURGISCHE 

GESCHICHTE 



BAND XIII 



HAMBURG 

LUCAS GRÄFE & SILLEM 

(EDM. SILLEM) 

IQOS. 



Seite 
Ernst Baasch, Quellen zur Geschichte von Hamhurgs Handel und 

Schiffahrt im 17., 18. und 19. Jahrhundert Von Heinr. Sieveking 396 
Ernst Ton Halle, Die Seemacht in der deutschen Geschichte. Von 

K. Hansing 398 

Heinr. Gerstenherg, Die hamhurgische Zensur in den Jahren 

1819—1848. Von Arthur Ohst 401 



Hinweise und Nachrichten 164, 406 



Berichtigungen 420 



INHALT 



Seite 
Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. Von 

Hermann Joachim 1 

Jenaer Studentenhriefe von Johannes Versmann. Mitgeteilt von Adolf 

Wohlwill 33 

Zur Unehrlichkeit der Leineweher. Von Th. Schrader 67 

Der Bildschnitzer Ludwig Münstermann von Hamhurg. Von Wilhelm 

Becker 71 

Weinakzise und Weinhandel in Hamhurg. Von Ernst Baasch 74 

Zur (beschichte der hamburgischen Märkte. Von Hans Nirmheim . . 138 
Das Amt Bergedorf. Geschichte seiner Verfassung und Verwaltung 

his 1620. Von Hans KeUinghusen 181 

Hamburg und der Islam, insbesondere am Ende des 17. Jahrhunderts. 

Von Adolf Wohlwill 375 



Bezensionen: 

W. Melhop, Alt-Hamburgische Bauweise. Von Th. Raspe 142 

Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, bearbeitet von G. Dehio. 

Bd. n. Nordostdeutschland. Von W. Melhop 147 

B. Uetzmann, Die geographische Lage Hamburgs. Von Kurt Ferher 149 
G. Hindrichson, Das Einkunftsregister des Hauses Ritzebüttel aus 

dem Jahre 1577. — Derselbe, Henrich Stanges Einkunftsregister 

des Hauses Ritzebüttel aus dem Jahre 1577. Von Herm. Joachim 152 
P. V. Hedemann-Heespen, Der Zustand der Herrschaft Pinneberg 

nach der Reunion bis um 1700. Von Herm. Joachim 158 

G. Arn. Kiesselbach, Die wirtschaftlichen Grundlagen der deutschen 

Hanse und die Handelsstellung Hamburgs bis in die zweite Hälfte 

des 14. Jahrhunderts. Von W. Stieda 391 

Bad. Häpke, Brügges Entwicklung zum mittelalterlichen Weltmarkt. 

Von A. Kiesselbach ^fifi 



Bratt B«*«rk. s^irlWa rar «ff««rki<-ku tn* lluBWarr« llftB<lr| ud>I 

Bratt t»B HaIU I*i* hi— rfct la 4rr 4««UrWa iff««ihi'btr. V..b 
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ZEITSCHRIFT 



DES 



VEREINS 

FÜR HAMBURGISCHE 

GESCHICHTE 



BAND XIII 

ERSTES HEFT 



HAMBURG 

LUCAS GRÄFE & SILLEM 
(EDM. SILLEM) 

igo8. 



DRUCK VON LOTCKE* WULFF • HAMBURG. 



Die Begründung 
der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 

Von 
Hermann Joachim. 



Das ehemalige Dorf Döse bildet heute einen Teil der 
mit dem 15. März 1907 ins Leben getretenen Stadt Cuxhaven. 
Die Gemeinde Döse ist jedoch mit der Gemeinde Cuxhaven 
schon vorher, ehe Cuxhaven zur Stadt erhoben ward, am 
1. Mai 1905 unter dem gemeinsamen Namen Cuxhaven ver- 
einigt worden. Damit hat der Name Döse aufgehört, eine 
selbständige Ortsbezeichnung zu sein, und wird künftig nui- 
weiterleben als Name eines Stadtteils, als Name des Kirch- 
spiels und in den Bezeichnungen von Straßen, eines Deiches 
und Außendeiches. Ganz dasselbe Schicksal, als Bezeichnung 
einer selbständigen Ortschaft zu verschwinden, hat schon 
früher der Name Ritzebüttel gehabt. Ritzebüttel — fem der 
Elbe im Binnenlande — und Cuxhaven — der Elbe näher 
an der Westseite des Ritzebütteler Schleusenpriels — waren 
einst zwei getrennte, in verschiedenen politischen und kirch- 
lichen Bezirken belegene Dörfer oder, wie man sagte, Flecken, 
bis sie Ende 1872 zu einer neuen Gemeinde Cuxhaven zu- 
sammengefaßt wurden. Der Name Ritzebüttel erhielt sich 
nur als Bezeichnung für das ganze Amt und für einen kirch- 
lichen Pfarrsprengel. Einen Ort, eine Gemeinde Ritzebüttel 
gibt es seitdem ebensowenig, wie es seit 1905 einen Ort 
Döse gibt. Die bei weitem jüngste Ansiedelung Cuxhaven 
hat dank ihrer günstigen Lage und dank der steigenden 
Bedeutung von Hamburgs Schiffahrt und Handel den Sieg 



*) Vortrag, gehalten im Verein am 11. November 1907. 
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Qesch. XTTI. 



2 Heimann Joachim, 

davongetragen über ihre viel älteren Schwestern und der 
Gesamtgemeinde ihren Namen aufgedrückt. Denn während 
Ritzebüttel und Döse jedenfalls schon im vierzehnten Jahr- 
hundert als Ortschaften bestanden, gab es noch im Anfange 
des achtzehnten Jahrhunderts, abgesehen von vereinzelten 
Häusern, einen eigentlichen Ort Cuxhaven nicht. Seiner Her- 
kunft entsprechend bezeichnete der Name Cuxhaven auch 
damals noch in erster Linie den zum Hafen sich erweiternden 
und als Haien dienenden Ritzebütteler Schleusenpriel und 
nicht eine Ortschaft.^) Cuxhaven ist ursprünglich Name für 
ein Gewässer, für den Hafen innerhalb des neuen Koogs, 
den man 1570 anzulegen versuchte und dann 1618 wirklich 
angelegt hat. Aus Koogshafen ist Cuxhaven geworden.*) 

Der typische Prozeß, daß unter benachbarten Gemeinden 
die mächtigste die anderen aufsaugt und ihnen ihren Namen 
gibt, hat sich nun bei den beteiligten Ortschaften des Amtes 
Bitzebüttel in den letzten 25 Jahren nicht zum ersten Male 
abgespielt Vielmehr sind gerade die jetzt von Cuxhaven 
absorbierten Dörfer Ritzebüttel und Döse durch diesen näm- 
lichen Prozeß auch ihrerseits entstanden. Ritzebüttel aus 
der Vereinigung des am Fuße der Burg und in ihrem Schutze 
erwachsenen, nach der Burg benannten Burgfleckens Ritze- 
büttel mit der vermutlich älteren, etwas östlicher belegenen 
Ansiedelung Hardewik, deren Name forüebt in den Straßen 
Gr. und Kl. Hardewik und im Hardewiker Kamp.*) Döse 
aus der Vereinigung des sich ursprünglich nur an der Süd- 
seite des Döser Strichwegs entlang ziehenden Döse mit dem 



Vgl. z, B. G. y. BOTH, Geograph. Beschreibung der Herzogt. Bremen 
u. Verden usw. (1718), gedruckt hn Archiv des Ver. f. Gesch. u. Altert, 
d. Herzogt. Bremen u. Verden u. d. L. Hadeln zu Stade VI (1877), 
S. 264: Das Flecken (n&mlich Bitzebüttel) oder diejenigen Häuser, 
80 an den Deichen bis an Cuxhafen liegen. Bey Cusxhafen stehet auf 
der einen Seite eine Backe, auf der andern ist das Tonnenhaus, .... 
Der Cuxhafen ist ein guter Hafen für die Schiffe, welche mit der 
Fluth bis an die Schleuse kommen können. 

') Über die Etymologie vgl. schon D. BOHDE in der Festschrift z. Feier 
d. 500 jähr. Vereinigung d. Amtes B. mit Hbg. (1894), 8. 80 ff. 

*) Vgl. G. HiNDRiCHSON in d. Wissensch. Beilage zum Bericht der höheren 
Staatsschule in C. (1905), 8. 7. 



Die BegrOndung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 3 

sich nmnittelbar an die Geest anlehnenden, vermutlich älteren 
Steinmame oder Steinmarren, dessen Name sich erhalten 
hat als Flurbezeichnung, vor allem im Gnmdbuchwesen, und 
in den Bezeichnungen Steinmamer Deich und Außendeich. 
Und Döse seinerseits ist wieder, jedoch schon vor dem sech- 
zehnten Jahrhundert, zusammengewachsen aus Wester- und 
OsterdOse. 

Die Namen der beiden Dörfer Döse und Steinmame 
sind nicht von Hause aus Siedelungsnamen. Es sind viel- 
mehr auf die Dörfer erst übertragene Flurnamen. Des zum 
Zeichen sagte man noch bis in die neueste Zeit korrekt nicht 
„in Döse" und „in Steinmame", sondern „auf der Döse" oder 
„zur Döse" und „auf der Steinmame". Beide Namen sind 
charakteristische Bezeichnungen für die Beschaffenheit des 
Grund und Bodens, auf dem die Dörfer angelegt wurden. 
Dose ist ein friesisches Wort*) — ein deutlicher Hinweis auf 
die Heimat der ersten zur Besiedelung der Marsch heran- 
gezogenen Einwanderer. Es bedeutet den hellfarbigen Moos- 
torf, die weiche Moosschicht auf den Torfmooren und kommt 
in Ortsnamen vor in Nordholland, im Lande Kehdingen, in 
Holstein und als Flurbezeichnung namentlich auch in Dit- 
marschen.*) Ja, in Zusammensetzungen hat es sich in Döse 
selbst als Flurname erhalten. Man unterscheidet noch heute 
die Feldstücke nördlich und südlich des Döser Feldwegs als 
Hoch- und als Leydösen, d. h. als hohe und als niedrige 
Dösen. Wie überall in den Marschen liegt das höher auf- 
geschwemmte Land, das Hochland, flußwärts, in Döse also 
nördlicher; das niedriger gebliebene Land, das Siedland, da- 
gegen landeinwärts, in Döse also südlicher. Bei dem Worte 
Steinmame sodann ist der bestimmende Teil der zweite. Eine 
mame ist ein höherer, vielfach sandiger Landstrich in den 
Marschen oder Watten. Der Ort Mame in Ditmarschen ist 
bekannt. Aber auch sonst begegnet das Wort als Orts- 
bezeichnung in Holstein und ebenso auf dem linken Eibufer 



') J. TEN DOORNEAAT KOOLMAN, Wörterb. der ostfries. Sprache I 322. 

^ ROHDE 8. 88; H. JELLINGHAÜS in d. Ztachr. d. Gesellsch. f. Schlesw. 
Holst. Gesch. 29 (1899), 8. 239; Korrespondenzbl. d. Ver. f. nieder- 
deutsche 8prachfor8ch. XXVll (1906), 8. 8 f. 



4 Hermann Joachim, 

an der Oste, im Wesergebiet bei Lehe.^) Eine Steinmame 
ist danach ein höherer, steiniger Landstrich der Marsch. 
Und eine solche Bedeutung paßt vortrefflich zu der Natur 
des Terrains, auf dem das Dorf Steinmame liegt: im unmittel- 
baren Anschluß an die Geest stellt es sich als ein letzter 
Ausläufer und Vorstoß der Geest in die Marsch dar.*) 

Hier, so dürfen wir annehmen, an einer schon von Natur 
gegen die Fluten geschützteren Stelle ward das erste Dorf 
in der Marsch des Kirchspiels Altenwalde erbaut. Und die 
Ausnutzung der gegebenen Terrainerhöhung brachte es mit 
sich, daß eine Ansiedelung entstand, die in ihrer Gestalt von 
dem gewöhnlichen Aussehen reiner Marschdörfer erheblich 
abweicht. Während bei diesen die Höfe in langgestreckter 
Eeihe dem Deiche folgend und unmittelbar hinter ihm neben- 
einander zu liegen pflegen, macht Steinmame fast den Ein- 
dmck eines Haufendorfes, eines in die Marsch gerückten 
Geestdorfes. Erst in Döse erkennen wir das echte Marschdorf. 

Aber um das recht zu können, müssen wir wissen, wo 
der älteste Deich verlief, der doch auch Steinmame trotz 
seiner im Verhältnis zu der übrigen Marsch etwas höheren 
Lage gegen die Angriffe des Flusses gesichert haben muß. 
Die Antwort auf diese Frage ist kürzlich ganz richtig ge- 
geben worden. Der älteste Döser Deich verlief da, wo sich 
heute die Straße Döser Strichweg befindet: dieser Strichweg 
ist an die Stelle der früheren Deichflucht getreten.') Das 
lehren mancherlei örtliche Merkmale; das lehrt der Umstand, 
daß auch im Lande Wursten die als Striche bezeichneten 
Wege aller Wahrscheinlichkeit nach alte Deichlinien sind.*) 
Das zeigt endlich schon auf das unzweideutigste das Earten- 
bild: die Grenze des angeschwemmten Landes müssen einst 
die Hochdösen gebildet haben, und sie enden am Döser Strich- 
weg. Das Döser Nordfeld ist insgesamt Neuland. Die Deich- 
flucht des Döser Strichwegs aber, ansetzend an die äußerste 
Spitze der Geestinsel, auf der Steinmame liegt, muß von hier 



Jellinöhaüs S. 282. 

^ Vgl. auch HiNDRICHSON S. 8. 
') HiNDRICHSON S. 10. 

*) G. V. D. Osten, Gesch. d. Landes Wursten I (1900), S. 17 ff. 



Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. . 5 

nach Norden abgebogen sein, um der Gestalt eben jener 
Greestinsel folgend Steinmame mit zu umfassen und den An- 
schluß an die eigentliche Geest zu erreichen. 

Steinmame lag — entgegen einer neuerdings auf- 
gestellten, ganz unbegründeten Behauptung^) — von Anfang 
an binnendeichs. Die beschriebene alte Deichlinie aber 
wurde, wie es scheint, zuerst im sechzehnten Jahrhundert 
verlassen: im Jahre 1530 wurde der Döser Deich vorgerückt.*) 
Wie weit, das wissen wir nicht. Jedenfalls so weit, daß nun 
auch nördlich des als Verkehrsweg sich erhaltenden alten 
Deichs, des Döser Strichwegs, Hofstellen angelegt werden 
konnten. Gegenüber Döse, das erst auf diese Weise Raum 
zu größerer Ausbreitung erhielt, war Steinmame damals noch 
so viel bedeutender, daß hier im südöstlichen Teile des Ortes 
der Platz für eine neue Kirche gewählt ward, als verschiedene 
Gründe es rätlich erscheinen ließen, dem Marschteil des über- 
großen Kirchspiels Altenwalde und den zunächst benachbarten 
Geestdörfem Sahlenburg, Duhnen und Stickenbüttel eine 
eigene gottesdienstliche Stätte zu bereiten. 

Grandauer') erzählt, im Jahre 1543 sei mit Erlaubnis 
des Rates in Steinmame eine Kapelle der h. Gertmd erbaut, 
die später vergrößert und verschönert wäre. Zu gleicher 
Zeit mit dieser Kapellengründung sei auch ein besonderes 
Kirchspiel Steinmame von dem Umfang des späteren Döser 
Kirchspiels eingerichtet: ein Prediger und ein Küster wären 
eingesetzt, zu ihrer und der Kirche Unterhaltung hätten die 
Kirchspielsleute eine jährliche Zulage zu den Vierzeiten er- 



*) HiNDBiCHSON S. 8; Vgl. die unten folgende Rezension. 

^ K. KOFPMANK, K&mmereiredmungen d. St. Hbg. V (1883), S. 414: 
Pro diversia materialibuSf lapidibus, lignia rotundia et quadratis 
structuralibus, pretio Idbarantium ad usum aggerum novorum, 
fossaiorum et fortalitii, fereamentia, cemento et hura navium et 
vecHgalibus 540 % 16 ß 6 ^. Dominus Theodericua Lange et eius uxor 
receperunt auceessive ex eameraria in promptia pecuniia ultra premiaaa 
ad prefatum uaum pro expenaia laborantium iuxta regiatra dicH 
caatri et domini Theoderici Langen aummam 655 % 4 ß. Vgl. noch 
ebenda S. 612 (unten) u. S. 546 (oben). 

*) Gedenkbach des hamb. Amtes Ritzebüttel (1852), neu bearbeitet von 
Abthue Obst (1892), 8. I7l f. 



6 Hermann Joachim, 

legen müssen. GrandaüER veröffentlichte sein Buch im 
Jahre 1852. Seine Darstellung des Vorgangs läßt sich jedoch 
noch weiter zurückdatieren. Denn sie ist geflossen aus einer 
im Döser Kirchenarchiv befindlichen Aufzeichnung, die der 
dort von 1776 bis 1812 amtierende Pastor WILHELM Greve 
verfaßt^) und in ein von ihm 1786 angelegtes Kirchenbuch 
eingetragen hat.*) Aber dadurch wird sie nicht besser. Sie 
leidet an einem inneren Widerspruch. Man sieht nicht ein, 
warum das Steinmamer Gotteshaus eine Kapelle genannt 
wird, wenn es von vornherein eine Kirchspielskirche war. 
Man begreift nicht, was die Nachricht von der späteren Ver- 
größerung und Verschönerung dieser Kapelle in dem vor- 
liegenden Zusammenhange eigentlich bezweckt. 

Die Erklärung liefert ein anderer Zweig der chroni- 
kalischen Überlieferung. Nach der Chronik des Landes 
Hadeln*), die hauptsächlich die Sammlungen des Altenbrucher 
Aktuars SCHERDER verwertet, wurde die Kapelle der h. 
Gertrud mit Bewilligung des Rates im Jahre 1543 zu einer 
Kirche ausgebaut. Sie wurde aus diesem Anlaß erst mit 
einem Pastor und Küster versehen, und es wurden ihr von 
den Kirchspielsleuten durch eine regelmäßige Umlage die 
nötigen Mittel zur Verfügung gestellt. Das heißt also: eine 
Kapelle, natürlich als Filiale der Altenwalder Kirche, gab es 
in Steinmame'schon vor dem Jahre 1543. Wann sie errichtet 
worden ist, wird nicht gesagt. Im Jahre 1543 wurde ledig- 
lich die Kapelle zur Pfarrkirche erhoben, wurde das vom 
Altenwalder gesonderte Döser Kirchspiel begründet. Daß 
diese an sich einleuchtendere Entstehung von Kirche und 
Kirchspiel den Tatsachen entsprechen wird, dürfen wir um 
so eher vermuten, da ein so kundiger Mann wie der Syndi- 
kus Johann Klefeker in dem 1772 erschienenen elften 



^) Seine Quelle, außer für die Jahreszahl, war wieder die Einleitung zu 

dem später zu erwähnenden, 1582 angelegten Döser Kirchenbuch, die 

er jedoch Töllig mißTcrstanden hat. 
*) Auszüge aus diesem Kirchenbuche in einem gleichzeitigen KoUekta- 

neenband des Amtsarchivs (Ad X Fach 1 Vol. A). 
*) (1843), S. 145. D. W. BÜLKAU, Hadeleriologia bist. (1722) erwähnt 

die Begründung der Döser Kirche nicht. 



Die Begrttndmig der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 7 

Bande seiner Sammliing der hamburgischen Gesetze und Ver- 
fassungen^) deutlich ausspricht, die Döser Kirche habe an- 
fangs nur das Verhältnis einer Tochter oder Filiale zu der 
Altenwalder gehabt, sei dann jedoch wegen verschiedener 
Land- und Eirchenimmgen von ihr ganz abgetrennt und mit 
einem besonderen Eirchensprengel ausgestattet worden. Daten 
aUerdings gibt Elefekeb nicht. 

Wahrend also die beiden erörterten, einander wider- 
spi*echenden Traditionen sich bis in das letzte Viertel des 
achtzehnten Jahrhunderts zurückverf olgen lassen, taucht eine 
dritte, offenbar lediglich auf Kombination beruhende Dar- 
stellung zuerst um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts 
fast gleichzeitig bei Neddebmeteb*) und Lappenberg') auf. 
Danach ist die St. Gertrudkapelle im Jahre 1543 erbaut, aber 
alsbald vom Meere verschlungen worden; die Kirchspiels- 
kirche ist erst später, nach LAPPENBEBG freilich gar in dem- 
selben Jahre 1543 an die Stelle der zerstörten Kapelle ge- 
treten. Mit einer kleinen Variation hat diese Ansicht noch 
Gaedeghens^) geteilt. Allein sie ist aus dem einfachen 
Grunde nicht haltbar, weil die in der ßitzebütteler Lokal- 
literatur, z, B. bei Abendroth*), sich findende Erzählung, 
Steinmame sei vom Meere verschlungen, eine Sage ist. 
Steinmame existiert, wenn auch nicht dem Namen nach, noch 
heute. Andere hamburgische Schriftsteller neuerer Zeit haben 
sich mit richtigem Instinkte der durch die Chronik des Landes 
Hadeln vermittelten Überlieferung angeschlossen: die schon 
vorhandene Kapelle sei im Jahre 1543 in eine Pfarrkirche 
umgewandelt worden. Aber sie haben auch das Bedürfnis 
gefühlt, ihren Lesern mitzuteilen, wann denn nun die Kapelle 
zuerst errichtet sei, und haben schlankweg hinzugedichtet, 
was sie in der Überlieferung nicht vorfanden: der eine ^) läßt 



') 8. 776. 

') Zur Statistik und Topographie d. St. Hbg. (1845), S. 174. 
*) Die Eibkarte des Melchior Lorichs (1847), S. 29 f. 
*) Histor. Topographie d. fr. u. Hsst. Hbg. (1880), S. 120. 
*) Ritzebüttel u. d. Seebad Cuxhaven (1818), S. 187. 
^ J. A. R. Janssen, Ausführl. Nachrichten über die . . . Kirchen u. Geistl. 
der . . . St. Hbg. (1826), S. 239. 



8 Hermann Joachim, 

die Kapelle lange vor der Reformation, der andere ^) im Jahre 
1534 begründet sein. 

Wir werden die gleiche Wißbegierde haben, müssen uns 
aber nach besseren Mitteln umsehen sie zu befriedigen. 
Wir werden außerdem eine urkundliche Bestätigung dafür 
wünschen, daß das Kirchspiel wirklich im Jahre 1543 ein- 
gerichtet ist. Und gerade diese Zahl, die überall wieder- 
kehrt, erweist sich zu unserer Überraschung als falsch. 

In einer Akte des Amtsarchivs Ritzebüttel*), dessen 
historische Bestandteile vor längerer Zeit in das Staatsarchiv 
überführt sind, ist in einer späteren Abschrift eine undatierte 
Eingabe auf uns gekommen, welche die Kirchgeschworenen 
und die ganze Gemeinde zur Neuen Kirche an den Hauptmann 
auf dem Schlosse Ritzebüttel gerichtet haben. Diese Eingabe 
hat zum wesentlichen Inhalt die Bitte an den Hauptmann, 
er möge der Gemeinde den Prediger Herrn Heinrich lassen, 
den sie jetzt habe; denn die Gemeindemitglieder seien nicht 
gesonnen nach Altenwalde zur Kirche zu gehen. Die Gesuch- 
steller berufen sich auf die Fürsorge, welche die Amtsvor- 
gänger des Hauptmanns und er selbst bisher ihren kirch- 
lichen Bedürfnissen hätten angedeihen lassen. Sie nennen 
als diese Vorgänger die Herren Dirck Lange, Jürgen 
Plaeth und Vincent. Der letztere ist der Ratsherr Vincent 
Moller, der nach Georg Plate in den Jahren 1543 bis 1549 
die Hauptmannschaft bekleidete.') In die Zeit seines Nach- 
folgers, Joachim Moller, der von 1550 bis 1558 in Ritze- 
büttel war,^) muß daher die Abfassung der Bittschrift fallen, 
und zwar, da auch ihm schon mannigfache Verdienste um 
die Gemeinde nachgerühmt werden, jedenfalls nicht in den 
Beginn seiner Amtstätigkeit. Nun wissen wir anderweitig^), 
daß ein Herr Heinrich, der Pastor zu Steinmame war, 
am 22. August 1557 zum Prediger in Altenwalde erwählt 



>) F. A. Becker, Caxhaven a. d. Amt Eitzebüttel (1880), S. 232 f. 

^ X Fach 10 Vol. A Fase 1. 

"^^ KOPPMANN, Kaminereirechn. TU (1894), S. CCJVI. 

Ebenda. 

AR X Fach 15 Vol. A. 



Die Begründimg der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 9 

wurde.*) Wir werden also nicht zweifeln, daß es sich um eben 
dieses Herrn Heinrich Belassung bei der Neuen Kirche in der 
uns beschäftigenden Eingabe handelt, und daß unter der Neuen 
Kirche die Kapelle zu Steinmame zu verstehen ist. Wir 
können mithin das Datum der Bittschrift mit Sicherheit auf 
die Monate Juli oder August des Jahres 1557 bestimmen. 

Das Schriftstück verdient im Wortlaute mitgeteilt und 
gelesen zu werden.*) Vortrefflich disponiert und abgefaßt 
zeichnet es sich vor anderen amtlichen Aktenstücken dadurch 
aus, daß es einen ganz persönlichen Ton treuherzigen Vertrauens 
und fester Willensentschließung anschlägt und so unmittelbar 
zum Menschen spricht. Sachlich aber sind die Ausführungen, 
die darin gemacht werden, für uns so wertvoll, weil sie sich 
eingehend über die Zeit und die Veranlassung zur Begründung 
einer Kapelle in Steinmame verbreiten. Um nämlich zu zeigen, 
wie wohlwollend sich die Obrigkeit von Anfang an den 
Wünschen der Gemeinde gegenüber verhalten habe, wird 
daran erinnert, daß der Rat von Hamburg auf Antrag seiner 
Untertanen während der Amtsperiode des Ratsherrn Dirck 
Lange die Erbauung einer kleinen Kirche und die Anstellung 
eines Predigers gestattet habe, der ihnen Gottes Wort richtig 
vortragen könnte. Damit ist die Entstehung der Kapelle 
auf die Zeit zwischen 1526 und 1530 ') datiert. Es ist aber 
femer durch den Hinweis auf das rechte, reine Wort Gottes, 
dessen Predigt sie dienen sollte, der Zusammenhang mit 
der Reformation erwiesen. 

Allein die Eingabe beschränkt sich nicht auf diese 
Andeutung. Sie läßt vielmehr bis ins einzelne die Gründe 

Er hieß mit Nachnamen Voß und starb in Altenwalde 1581. Es 
folgte ihm dort David Vogt. Am 7. April 1584 war dessen Nach- 
folger Hieronymns Wildemann (oder WiUemann) aus Hamburg 
bereits erwfthlt Er ist jedoch nach kaum einem Jahre gestorben: 
am 14. Mai 1585 ward Heinrich Koep als Pastor eingeführt. Dieser 
hat dann Altenwalde schon im Herbst 1586 wieder verlassen. Noch 
in demselben Jahre wurde Heinrich Mathfeld eingeführt, der jeden- 
falls 1594 noch im Amte war. — Hiemach sind die ungenauen Angaben 
bei Grandauer S. 170 zu berichtigen oder zu ergänzen. 

^ Siehe den Abdruck im Anhang Nr. 1. 

•) Koppmann a. 0. 



10 Hermann Joachim, 

folgen, aus denen der Rat zu jener Vergünstigung bewogen 
sei. Und unter diesen Gründen steht denn gleich an erster 
Stelle: in Altenwalde wären damals der katholische Kultus 
und die katholische Lehre noch in voller Geltung und Übung 
gewesen, während man sich sonst in diesen sächsischen Landen 
vom Katholizismus schon hätte abgewandt gehabt und auch 
die späteren Kapellenzugehörigen seiner hätten entledigt 
werden wollen. Die Begründung eines eigenen Gotteshauses 
bezweckte also die Einführung der Reformation in dem 
Marschteile des Kirchspiels Altenwalde und den benachbarten 
Geestdörf em, und das ist, soviel ich weiß, überhaupt die erste 
Nachricht, die wir über ihr Auftreten im Amte Ritzebüttel 
erhalten. Nur so konnte man dieses Ziel erreichen; an die 
Reformierung des Gottesdienstes in der Altenwalder Pfarr- 
kirche selbst war noch nicht zu denken. Denn hier gebot 
als Landesherr der Erzbischof Christoph von Bremen, der bis 
zu seinem Tode im Jahre 1558 ein erklärter Gegner der 
Reformation blieb, wenn er auch deren allmähliche Aus- 
breitung in seiner Diözese nicht zu verhindern vermochte.^) 
Und hier war der Einfluß des Nonnenklosters Neuenwalde 
noch zu mächtig, von dem die Bewohner Altenwaldes und 
der fünf Heidedörfer grundherrlich abhängig waren. Das 
Kloster blieb noch Jahrzehnte lang, mindestens bis 1570, 
dem alten Glauben treu*): als 1557 vor der Wahl des Stein- 
mamer evangelischen Predigers Heinrich Voß zum Pastor 
der Altenwalder Pfarrkirche auch die Zustimmung der Domina 
des Klosters eingeholt ward, gab sie der HofEnung Ausdruck, 
daß er Gottes Wort predigen, sich aber des Scheltens auf 
die Jungfrauen enthalten werde.*) 

Dagegen die übrigen Teile des Kirchspiels Altenwalde — 
außer dem Dorf Altenwalde selbst und den fünf Heide- 
dörfem — waren von jeder Rücksicht auf geistliche Gewalten, 
die am Katholizismus festhielten, frei. Sie waren gerichts- 



^) Vgl P. V. KOBBE, GescL u. Landesbeachreibung der Herzogt. Bremen 
u. Verden H (1824), S. 214 f., 218; H. RÜTHER im Urkb. des Klosters 
Neuenwalde (1905), S. 31. 

') RÜTHER S. 32 f. 

'; AR. X Fach 15 Vol. A. 



Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 1 1 

herrlich und gnindherrlich allein der Stadt Hamburg unter- 
geben, und wie sie einst zum Lande Hadeln gehört hatten, 
so waren sie mit diesem in Sitten, Bechtsgewohnheiten und 
Anschauungen noch jetzt auf das engste verbunden.^) Daher 
kam denn auch der Anstoß, der sie der Reformation zu- 
führte.*) In Hadeln hatte die Predigt des Evangeliums, wie 
es scheint, schon 1521 begonnen und hier hatte der Landes- 
herr selbst, der Herzog von Sachsen-Lauenburg, aus politischen 
Gründen, um dem Einfluß des Bremer Erzbischofs, der An- 
sprüche auf das Land erhob, entgegenzuarbeiten, seit 1526 
die Beformation in steigendem Maße zugelassen und be- 
günstigt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ordnete er bereits 
am 2. Juli 1526 eine allgemeine Kirchenvisitation in Hadeln 
an, und vermutlich im Jahre 1529 kam dann die refor- 
matorische Bewegung durch den Erlaß einer evangelischen 
Eirchenordnung zum siegreichen Abschluß. 

Wie diese Ereignisse auf das Amt Bitzebüttel die 
stärkste Bückwirkung haben mußten, wie wenigstens dessen 
Marschbevölkerung mindestens seit Ende 1526 immer 
stürmischer auf die Beformation hingedrängt haben wird, so 
kam ihrem Streben schließlich die Wendung entgegen, welche 
die lutherische Sache in Hamburg selbst nahm. Mit dem 
Anfange des Jahres 1528 dürfen die Kämpfe, die dort um 
die reine Lehre geführt waren, als zu ihren Gunsten ent- 
schieden gelten: am 18. Dezember 1527 hatte der Bat die 
Gotteskastenordnung von St. Nikolai als für allcf Kirchspiele 
verbindlich anerkannt und im März 1528 berief er mehrere 
evangelisch gesinnte Männer in seine Mitte.') Daß der Bat 



*) Charakteristisch ist auch, daß in älterer Zeit, soyiel ich sehe, nur 
von den heiden Kirchspielen Altenwalde und Groden oder von dem 
Gebiet des Rates gesprochen wird. Der Begriff des Amtes Ritze- 
büttel, der die Scheidung der Kirchspiele von ihrer Umgebung und 
ihre Heraushebung aus dem Zusammenhange mit der Landschaft 
stärker betont, scheint erst seit etwa der Mitte des sechzehnten 
Jahrhunderts nachweisbar zu sein. 

*) Vgl. für das Folgende Fr. Gerss in der Ztschr. d. histor. Ver. f. 
Niedersachsen 1878, bes. S. 305 ff. 

*) Vgl W. SILLEM, Die Einführung der Reformation in Hbg. (1880), 
8. 82 u. 91 f. 



12 Hermann Joachim, 

schon vorher seine Erlaubnis zum Bau der Steinmarner 
Kapelle und damit zur Einführung der Reformation im Amte 
Kitzebüttel sollte gegeben haben, das wird man kaum glauben 
können. Mit gutem Rechte werden wir daher als Zeitpunkt 
der Begründung der Kapelle, der späteren Döser 
Kirche das Jahr 1528 oder 1529 ansetzen dürfen. 

Doch wenn auch die Sehnsucht nach dem Evangelium 
die Hauptursache der kirchlichen Absonderung von Alten- 
walde gewesen war, so kennt die Bittschrift außerdem noch 
zwei Nebengründe, die dazu mitwirkten. Der erste bestand 
in der Gefahr, die mit dem Besuche der Altenwalder Kirche 
verknüpft war. Die dortige Bevölkerung war händelsüchtig 
und gewalttätig, so daß die Leute aus der Marsch und den 
anliegenden Geestdörfem es vorzogen die Kirche zu meiden. 
Sie schrieben den hohen Grad, den die Streitiust der Alten- 
walder erreicht hatte, und die Leichtigkeit, mit der sich 
diese zu blutigen, wohl gar den Tod veranlassenden Körper- 
verletzungen hinreißen ließen, dem Umstände zu, daß es bei 
ihnen Rechtens war, jede Art und Zahl von Verwundungen 
nur mit zehn Schillingen Strafe zu büßen. Daher seien sie, 
wie die Eingabe mit beweglichen Worten schildert, so trotzig 
geworden, daß niemand in ihrem Dorfe in Frieden ein Butter- 
brot essen oder ein Glas Bier trinken könne, ohne angefallen 
und belästigt zu werden; ja zu Mord und Totschlag sei es 
schließlich gekommen. 

Daß die Altenwalder schon seit Jahrhunderten in einem 
schlechten Rufe standen, dafür besitzen wir aus dem Jahre 
1282 einen Beleg. Damals sprach Erzbischof Giselbert von 
Bremen in einer Urkimde aus, das eben von Midlum nach 
Altenwalde verlegte Nonnenkloster befinde sich hier inmitten 
einer bösen und verderbten Bevölkerung, die mehr zu Untaten 
und Gesetzwidrigkeiten neige als zu dem, was Gott wohl- 
gefällig sei.*) Höheres Interesse erheischt und mehr der 
Erläuterung bedarf, was als wirksames Beförderungsmittel 
dieser Neigung zu Gewalttätigkeiten angeführt wird: die 

Urkb. d. Klosters Neuenwalde Nr. 6: ... situm est (sc. monasterium) 
in medio naüonis prave et perverse, qw mctgia intendii enormihus 
ei ülidtis, quam deo placitis intendere videatur etc. 



Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 13 

strafrechtliche Bestimmung, wonach Wunden jeder Art 
und Zahl lediglich durch ein an den Richter zu zahlendes 
Grewette von nur zehn Schillingen bestraft wurden. Der 
Sachsenspiegel kennt einen ähnlichen Bechtssatz nicht: nach 
ihm werden Lähmung und Wunden mit dem Verlust der 
Hand gebüßt.^) Aber einmal hebt der Sachsenspiegel aus- 
drucklich hervor, daß im Lande Hadeln, wie in Holstein und 
Stormam, besonderes Recht und besonderes Gewette gelte, 
das er nicht mit behandele.^ Und sodann haben wir es in 
Altenwalde auch innerhalb Hadelns mit einer kleinen 
erzbischoflich-bremischen Gerichtsenklave zu tun, wo sich 
altertümliche Gewohnheiten leichter erhalten, partikulare 
Eigenheiten leichter ausbilden konnten. 

Eine Sühne von zehn Schillingen für Wunden erinnert 
auf den ersten Blick an das alte Strafrecht der Volksrechte. 
Nur besteht der wesentliche Unterschied, daß das volks- 
rechtliche Sühnegeld eine Buße war, die zum größeren Teile 
dem verletzten Kläger, zum kleineren als Friedensgeld dem 
Richter zufiel, daß femer das volksrechtliche Sühnegeld nicht 
eine einzige Taxe hatte für alle möglichen Wunden von der 
leichten Schramme bis zur todbringenden Verletzung, sondern 
mannigfache Abstufungen je nach der Schwere, den besonderen 
Merkmalen und der Zahl der Wunden. Dieses Sühnesystem 
der alten Volksrechte ist in der Tat in manchen Teilen 
Deutschlands lebendig geblieben bis weit über das Mittelalter 
hinaus. Die dem Strafrecht zugiimde liegenden Prinzipien 
änderten sich vielfach nicht: nur wurden die dem Verletzten 
zu zahlenden Bußen, die nach der Verschiedenheit der 
Beschädigungen variierten, dem sinkenden Geldwert ent- 
sprechend erhöht und auch wohl das jetzt meist in besonderen 
Strafsätzen normierte, dem Richter zu leistende Gewette in 
seiner Bedeutung als Sühne für den Bruch des öffentlichen 



n 16 § 2; ygl. auch y. FRIESE, Das Strafrecht des Sachsensp. (GlERKEs 
Unters, z. deutsch. Staats- u. Bechtsgesch. 55), 1898, S. 230 ff., dessen 
Erörterungen jedoch zu Zweifeln Anlaß geben. 

^ m 64 § 3: Der geindU ist doch gnük binnen deme herzogtüme, die 
sunderlich recht wollen haben, cUsd Holzsezen und Sturmere und 
Hedelire; von irem rechte noch von irme gewette en aege ich nicht. 



14 Hermann Joachim, 

Friedens stärker betont. Daneben ist dann freilich in anderen 
Gegenden Deutschlands schon früh im zwölften und drei- 
zehnten Jahrhundert das volksrechtliche Sühnesystem bei 
schwereren Körperverletzungen verlassen. An die Stelle trat 
die rein öffentliche Strafe, die Leibesstrafe, die den Ver- 
brecher verstümmelte oder tötete. Vor allem die Land- 
friedensgesetzgebung und die Städte, in denen sich sehr bald 
ein Bedürfnis nach erhöhten Garantien für die Sicherung des 
Friedens herausstellte, haben eine führende Rolle gespielt 
bei der Einführung und Verbreitung dieser neuen Strafart. 
Aber neben ihr verschwand das alte Sühnesystem nicht; zu 
gleicher Zeit kann man vor dem Durchdringen des römischen 
Rechts auf entgegengesetzten Prinzipien beruhende Straf- 
bestimmungen im deutschen Reiche antreffen. Und die örtliche 
Verschiedenheit war verwirrend groß: fast jedes Dorf hatte 
sein eigenes Strafrecht. ^) 

Die Besonderheit des Altenwalder Strafrechts liegt also 
nicht darin, daß es keine Leibesstrafen für schwere Körper- 
verletzungen kennt, auch nicht darin, daß man auf die Ana- 
logie mit den alten Volksrechten geführt wird. Das Merk- 
würdige ist vielmehr, daß hier die dem Sühnesystem der 
Volksrechte zugrunde liegenden Prinzipien in entstellend 
verkürzter und verkümmerter Form auftreten. Was bei der 
Sühne die Hauptsache war, ist hier ganz fortgefallen: die 
Buße, der Schadensersatz für den Verletzten. Übrig geblieben 
ist allein das Gewette; dessen geringer Betrag aber rührt 
her von dem niedrigen Range des in Altenwalde amtierenden 
Richters, eines erzbischöflichen üntervogtes. Und weil die 
Buße fehlt, die nach Art und Zahl der Wunden verschieden 
bemessen ward, ist das Resultat ein einziger Strafsatz, der 
in sinnloser Verallgemeinerung auf jede Verwundung an- 
gewandt wird. Es ist jedoch keineswegs allein Altenwalde, 
wo derartige Entartungserscheinungen des alten Sühnesystems 
sich zeigen. Ähnliches kommt hier und da überall in Deutsch- 



Vgl. auch L. GÜNTHER, über die Hauptstadien d. geschichtl. Ent- 
wickelnng d. Verbrechens der Körperverletzung (Erlanger Diss. 1884), 
S. 73 ff., 9dfif., 103 ff. Die Schrift liefert in der Hauptsache nur 
nützliches Material, ohne selbst zu klaren Ergebnissen zu gelangen. 



^ Die Begrttndmig der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 15 

land vor. Im Jahre 1518 hob Herzog Friedrich eine Rechts- 
gewohnheit der Untersassen des Klosters Bordesholm in 
Holstein auf, die sich aller Inanspruchnahme w^en zugefügter 
Wunden oder Schläge durch sofortige Entrichtung von acht 
Schillingen entledigen zu können glaubten.^ In dem Dorfe Rodt 
in Württemberg büßte man nach einer Rechtsauf zeichnung aus 
dem Jahre 1483 Schl&ge, bei denen Blut floß, selbst wenn 
ae den Tod herbeiführten, der Obrigkeit mit fünf Schillingen.*) 
Derselbe Betrag begegnet im Jahre 1539 für jeden Frevel 
in der Herrschaft Loßburg in Württemberg.*) Die Untertanen 
des Klosters St. Trudbert in Baden zahlten im fünfzehnten 
Jahrhundert ein Gewette von neun Schillingen.*) In der 
Rhein- und Moselgegend stand an einzelnen Orten in der 
ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts auf blutige 
Wunden eine Strafe von zehn Weißpfennigen.*) Und diese 
Beispiele lassen sich leicht vermehren. 

Wenn danach der Altenwalder Strafsatz für uns an 
Auffälligkeit viel verliert, so können wir doch andererseits 
verstehen, weshalb er den übrigen Einwohnern des Kirch- 
spiels absonderlich vorkam. Sie unterstanden, anders als die 
Altenwalder, sämtlich der Gerichtsbarkeit des Rates von 
Hamburg. Aber darum galt für sie nicht etwa ohne weiteres 
Hamburger Stadtrecht. Dies drohte freilich schon seit dem 
dreizehnten Jahrhundert für Wunden, die mit scharfen Waffen 
beigebracht waren, den Verlust der Hand an und sogar für 
unblutige Schläge sehr viel höhere Sühnegelder, die doppelt 
und dreifach zu zahlen waren: als Buße dem Kläger, als 
Gewette dem Vogt und außerdem dem Rate.*) Die Kirch- 
spiele Altenwalde und Groden waren, ehe Hamburg sie 
erwarb, gerichtliche Unterbezirke des Landes Hadeln. Es 
war Hadeler Gewohnheitsrecht, nach dem Schultheiß und 



E. J. V. Westphalen, Monumenta inedita n (1740), Nr. 419 Sp. 510. 

Der Text der Urkunde ist im Abdruck unheilbar verderbt. 
*) Württembergische Vierteljahrshefte XH (1903), S. 145 I 6. 
^ Jacob GuDOf, Weistttmer I 393. 
*) Ebenda VI 381, § 2. 
^ Ebenda n 392 u. 703. 
«) Stadtrecht von 1270 IX 2; von 1497 M VI. 



16 Hermann Joachim, 

Schöffen in den Kirchspielen richteten, und daran hat der 
neue Gerichtsherr, der Rat von Hamburg, zunächst nichts 
geändert. Erst mehr als 250 Jahre später in der Mitte des 
siebzehnten Jahrhunderts wurden das Hamburger und sub- 
sidiär das gemeine Recht als allein maßgebend im Amte 
Riteebüttel eingeführt.^) Das Hadeler Landrecht nun ist 
in der Gestalt, in der es seit Menschengedenken angewandt 
war, im Jahre 1583 kodifiziert worden.*) Und da finden wir 
denn einen ausführlichen Titel von leiblichen Schäden und 
deren Strafen,*) der uns das Erstaunen und den Unwillen der 
hamburgischen Untertanen im Kirchspiel Altenwalde über das 
abweichende Strafrecht dieses Dorfes und seine verderblichen 
Wirkungen begreiflich macht. Zwar Leibessü-afen für Körper- 
verletzungen kennt auch das Hadeler Landrecht nicht: es 
hen^scht noch das reine Sühnesystem, aber ein Sühnesystem, 
das fein detailliert und reich ausgebildet ist, und das nirgends 
einen ähnlich niedrigen Satz für das Gewette aufweist, wie 
er in Altenwalde üblich war. Dafür einige Beispiele. Das 
Ausstechen eines Auges, das Abhauen von Ohr, Hand, Fuß 
oder Nase und jede lebensgefähi-liche Wunde wui'den mit 
30 Mark (dem halben Wergeid) Schadensersatz an den Ver- 
letzten gebüßt, und die Obrigkeit erhielt ein Gewette von 
60 Schillingen, den Betrag des fränkischen Königsbanns. Wurde 
ein Zahn ausgeschlagen, Finger oder Zehen abgehauen, so belief 
sich die Buße auf 20 Mark; das Gewette von 60 Seh. blieb 
dasselbe. Eine Fleischwunde im Gesicht, die mit dem Hut oder 
den Haaren nicht bedeckt werden konnte, kostete 100 Seh. 
Schadensersatz, und wenn sie nach Jahr und Tag eine große 
Narbe hinterließ, abermals 100 Seh.; das Gewette war in diesem 
Falle auf 30 Seh., den halben Königsbann, bemessen. Wunden, 
die bis auf den Knochen gingen, die eine Ader oder Sehne 
zemssen oder freilegten, ohne eine Lähmung hervorzurufen, 



Vgl J. Klefeker, Samml. d. hbg. Gesetze XI 774; N. A. WEST- 
PHALEN, Hbgs. Verfass. u. Verwaltung ü* (1846), S. 430; H. Bau- 
meister, Das Privatarecht der fr. u. Esst. Hbg. I (1856), S. 16. 

^ Gedruckt bei E. Spangenbekg, Corpus privileg. et constitut. terrae 
Hadeleriae (1823), S. 59 fP. 

') Teil IV Tit. 8 (Spanoenbeeg S. 92 ff). 



Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 17 

galten 5 Mark und 30 Seh. Brüche.*) Noch auf Braun- und 
Blauschläge stand ein Gewette von 30 Seh. Alle diese Buß- 
und Strafsätze sollten aber nur bei Körperverletzungen An- 
wendung finden, die ohne bösen Vorsatz, Frevel und Mut- 
willen zugefügt waren; konnte das Gegenteil bewiesen werden, 
so wurden die Sätze verdoppelt. 

Auch dafür haben wir Belege, daß in der zweiten 
Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts die Gewettesätze des 
Hadeler Eechts im Amte Ritzebüttel gezahlt sind. So werden 
in der Einnahmerechnung des Hauses Bitzebüttel aus dem 
Jahre 1578*) unter den Brüchen aufgeführt 4 Mark für eine 
Blutwunde und 16 Mark für zwei gefährliche Wunden. Beiden 
Beträgen liegt offenbar der Satz von 60 Seh. zugrunde, der 
nach oben auf 4 Mark abgerundet und in den zweimal 
8 Mark verdoppelt ist. Spricht sieh schon hierin vielleicht 
eine leise Tendenz der städtischen Obrigkeit auf Erhöhung 
der Strafsätze aus, so läßt sich in einem Falle das Streben 
des Rates, die schärferen Strafen des Stadtrechts auch im 
Amte Ritzebüttel einzubürgern, in interessanter Weise un- 
mittelbar erkennen. Wie im Lande Wursten,*) wie in manchen 
Teilen Holsteins*) und anderwärts,*) so bestand auch in 

*) In dem Abdruck bei Spanoenbero wird das Gewette in diesem Falle 
auf 50 /{ angegeben; das beruht jedoch offenbar auf einem Druckfehler. 

^ Erhalten im K&nmiereiarchiv (Staatsarchiv). 

*) Vgl. die Wurster WiUkür von 1508 bei v. D. Osten, Gesch. d. Landes 
Wursten I 64 ff . 

*) Im Jahre 1556 hob Herzog Johann die Totschlagsühne und die Blut- 
rache im Gebiete des Klosters Bordesholm auf: Totschläge sollten 
künftig am Leibe gestraft werden (Westphalen, Mon. ined. n 
Nr. 441 Sp. 599 f.). Fälle von Blutrache in Holstein weist aus dem 
sechzehnten Jahrhundert nach P. Fraüenstädt, Blutrache u. Tot- 
schlagsühne im deutsch. Mittelalter (1881), S. 18 ff. 

*) Vgl. für Schlesien FRAÜENSTÄDT S. 223 ff. ; für Brandenburg Hälschner, 
Gesch. d. brandenb.-preuß. Strafrechts (1855), S. 117; für die Groß- 
vogtei Celle, wo die Totschlagsühne noch im siebzehnten und acht- 
zehnten Jahrhundert geübt ward, v. BÜLOW und Haoemann, Prak- 
tische Erörterungen 11' (1807), S. 272; für das kurmainzische Fraucn- 
stein in Nassau W. ROTH in der Ztschr. d. Savigny-Stift. XXn (1901), 
8. 357 f.; für Tirol Fraüenstädt S. 143. Über die Totschlagsühne 
und ihre Verbreitung im allgemeinen vgl. Fraüenstädt bes. 
S. 127—142, S. 170 ff. 

Ztschr. d. Yereins f. Hamb. Oesch. Xm. 



18 Hennaim Joachim, 

Hadeln noch im sechzehnten Jahrhundert die Totschlag- 
sühne zu Recht.0 Entwich der Täter und entzog er sich 
der eingeklagten Wergeldzahlung, so war gegen ihn selbst 
Blutrache und Schadloshaltung an seinem Vermögen erlaubt; 
seine nächsten Vettern bis ins vierte Glied und überhaupt 
alle, die für sein Wergeid aufzukommen oder andererseits es 
zu empfangen hatten, hafteten nur mit ihrem Vermögen, das 
jedem Mittel der Selbsthülfe außer der Brandstiftung preis- 
gegeben war.*) Das Wergeid betrug 60 Mark und ebensoviel 



Sie wurde noch im Hadeler Landrecht von 1583 (Teil V Tit. 19; 
Spangenberg S. 98) anerkannt. Nur auf vorsätzlichen Totschlag, 
verbunden mit Wegelagenmg und Hausfriedensbruch, setzt das Land- 
recht Todesstrafe, aber die ehrliche Strafe der Enthauptung mit dem 
Schwerte, und sieht lediglich ausnahmsweise bei erschwerenden Um- 
ständen die härteren und beschimpfenden Formen der Todesstrafe vor. 
Für Totschlag in dem bezeichneten Sinne aber war Todesstrafe im 
ganzen Mittelalter überaU üblich. Vgl Frauenstädt S. 4 f., 90 f. — 
Eine Eintragung über eine Totschlagsühne im Amte Ritzebüttel aus 
dem Jahre 1409, die hier mitgeteilt werden möge, findet sich im Liber 
diversorumgenerutn et conditionum (1350 — 1533) fol. 55 b (Staatsarchiv): 
Sciendum, quod Andreas Vertingh ocddit quendam Ludekinutn Hanen 
familiärem dominorum consulum hamb, in Castro RitzebutteL Propter- 
ea dictus Andreas fecit emendam et satisfecit pro dicto honiicidio 
secundum iura et constietudines terre Hadelerie. Hermen Hane pater 
et Egghardus Hane patruus dicti occisi receperunt emendam et satis- 
factionem supradictas tamquam proximiores heredes et amid occisi 
supradicti. Item Heine Langhe, Johan Rodenborgh in diikstrate et 
Ludeke Walinghe cives hamb, fideiusserunt, quod perpetuis temporibus 
nulla amplius fieri debeat monicio tam a iam natis quam a nascituris 
occasione homicidii supradicti. Actum Lamberti (17. Sept.) presente 
damino Bemardo Borsteid anno 1409, 

^ In dieser Weise wurde die Blutrache beschränkt durch eine Willkür 
der Kirchspiele Altenbruch, Lüdingworth und Nordleda vom Jahre 1439 
(Grimm, Weistümer IV 703 fif.). Die im wesentlichen richtige Inter- 
pretation des sprachlich stark modernisierten und auch sonst nicht 
korrekten Textes gibt Frauenstädt S. 16. — Erst das Landrecht 
von 1583 kennt auch bei vorsätzlichem Totschlag nur die peinliche 
Klage auf Leib und Leben des Täters selbst und verbietet ausdrück- 
lich, sich an seinem Vermögen zu vergreifen ; Blutrache und Schadlos- 
haltung am Vermögen der Verwandten kommen hier überhaupt nicht 
mehr in Betracht. Das letztere hatte der Hamburger Bat, als ihm das 
Land Hadeln verpfändet war, schon im Jahre 1475 abzuschafifen versucht 
(Lappenberg, über ältere Gesch. u. Rechte d. L. H., 1828, S. 66 ff.). 



Die Begründmig der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 19 

das der Obrigkeit zufallende Friedensgeld/) Der Hamburger 
Rat hat nun in den Kirchspielen Altenwalde und Groden im 
Jahre 1567 für Totschlag peinliche Strafe eingeführt. Es 
kostete allerdings Mühe, die Amtsinsassen zu bestimmen, daß 
sie sich diesem Mandat des Rates gutwillig fügten. Sie be- 
riefen sich anfangs auf ihre engen Beziehungen zu den 
Hadelem, mit denen sie vielfach verschwägert seien, und 
auf das dortige Recht, daß man den Toten mit Geld bezahlen 
könne, ließen sich dann aber, aus der göttlichen Schrift er- 
mahnt und belehrt, schließlich umstimmen.*) 

Das Altenwalder Strafrecht hat uns scheinbar weit ab- 
geführt, aber die Abschweifung hat uns doch, wie ich hoffe, 
nicht nur das Verständnis einer Stelle der Eingabe aus dem 
Jahre 1557 erschlossen, von der wir ausgegangen sind, sondern 
auch einen lehrreichen Einblick gewährt in Zustände des 
Amtes und seiner Umgebung während des sechzehnten Jahr- 
hunderts. Kehren wir auf kurze Zeit noch einmal zu der 
Bittschrift selbst zurück. Sie weiß neben der Gewalttätigkeit 
der Altenwalder endlich einen letzten Grund zu nennen für 
die Notwendigkeit einer Kapellengründung zu Steinmame. 
Die Marschbevölkerung des Kirchspiels hatte sich gerade in 
jener Zeit stark vermehrt: die Zunahme wird in erster Linie 
auf Döse entfallen sein und einen der Antriebe zu der Neu- 
eindeichung des Jahres 1530 abgegeben haben. Zudem war 
durch das Eindringen reformatorischer Gedanken das religiöse 

Der Satz von 60 Mark für das „Blutgeld'' findet sich im nördlichen 
Dentschland öfter (Frauenstädt S. 136); so namentlich auch in 
Holstein, vgL F. Sesstern-PaüLT, Die Neumünsterschen Kirchspiels- 
nnd die Bordesholmischen Amtsgehräuche (1824), S. 116 f. 

3) KAmmereiprotokoU 1563—1569, S. 666 f.: De kaspelluede hebben 
ock angetoeget, dat en E. Rad ehne hefft vor ausser tidt ankundigen 
Usthen und gebaden, dat men schal in dem gebeide tho Rytsebuttel 
rychten umme hals und hant Datsulvige können se nicht ingaen 
und wyüigen, dewyle se sick mgt ohren naberen den Hadeleren 
befrundet, und de gebruck und id recht im lande tho Hadelen is, dat 
men den doden myt gelde kann betalen; dat un/llen se na older gewaen- 
heit ock so geholden hebben, Se syn averst myt velen ummestenden 
worden, ock sunst uth godtliger hilliger schryfft vormanet und belert 
geworden, dat se van ohrem voememende syn affgestan und in des 
Rades mandaet gewylliget. 



20 Hermann Joachim, 

Leben in seinen Tiefen erregt und entbunden worden; die 
religiösen Interessen waren mit einem Male als die wichtigste 
Angelegenheit des Menschen wieder in den Vordergrund ge- 
schoben. Die Leute bedurften jetzt täglich geistlichen Bei- 
standes und drängten sich voller Lust zu dem Worte Gottes, 
ohne das sie nicht hoffen konnten selig zu werden. Beide 
Umstände aber machten die Beschwerlichkeit des langen 
Weges zur Pfarrkirche in Altenwalde, namentlich auch für 
alte und kranke Personen, besonders fühlbar: man wünschte 
eine leichter erreichbare Predigtstätte mitten unter der an- 
gewachsenen Bevölkerung der Marsch. 

Mit dem reichen Aufschluß, den uns die Eingabe über 
Zeit und Veranlassung der Errichtung einer Kapelle in Stein- 
mame verschafft hat, nicht genug, erteilt sie uns noch weiter 
auch über deren erste Geschicke bis zum Jahre 1557 einige 
Auskunft. Daß die KapeUe, obwohl eine Filiale der Pfarr- 
kirche in Altenwalde, von vornherein einen eigenen Prediger 
erhielt, war durch den mit der Gründung verfolgten Zweck 
bedingt. Aber wie für den Bau des neuen Gotteshauses, so 
mußte auch für die Besoldung dieses Predigers in erster 
Linie die Gemeinde selbst aufkommen, die die Kapelle ge- 
fordert hatte und sich zu ihr hielt. Aus dem Vermögen der 
Mutterkirche konnte sie dafür höchstens eine Beisteuer er- 
warten. In reformatorischem Glaubenseifer halfen die ham- 
burgischen Ratsherrn, die als Hauptleute auf dem Hause 
Ritzebüttel saßen, den Kapellenangehörigen mit Rat und Tat 
bei der ungewohnten Aufgabe, einen geeigneten Pastor aus- 
findig zu machen, mit ihm wegen der Höhe seines Gehaltes 
zu verhandeln und vor allem die erforderlichen Geldmittel 
zusammenzubringen. Unter der Aufsicht der Hauptleute 
legten die Gemeindemitglieder sich selbst eine Kirchensteuer 
auf, die nach dem Maße ihres Grundbesitzes verteilt ward. 
Für die Erhebung und Verwaltung dieser Umlage waren 
Organe nötig: sehr bald fungierten daher bei der Neuen 
Kirche eigene Kirchgeschworene. Aber eine Pfarrkirche war 
sie trotzdem noch im Jahre 1557 nicht; ein besonderes Döser 
Kirchspiel existierte nicht. Noch damals befürchtete die 
Kapellengemeinde, daß sie, wenn ihr Pastor Heinrich Voß sie 



Die Begründimg der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 21 

verließe, wieder an die inzwischen gleichfalls reformierte 
Kirche in Altenwalde gewiesen werden könne. 

Es bleibt also die Frage: wann ist das selbständige 
Döser Kirchspiel eingerichtet, wann ist die in den 
Jahren 1528 oder 1529 begründete Kapelle zur Pfarrkirche 
erhoben worden? Die Antwort wird uns ermöglicht durch 
Abschriften des achtzehnten Jahrhimderts aus dem ältesten 
Döser Kirchenbuch,^) das mit dem Jahre 1582 begann und 
die Abrechnungen der Kirchenvorsteher über ihre Verwaltung 
enthielt Das Buch selbst,*) das der Schultheiß in der 
Kirchenlade verwahrte, scheint wie so vieles der Nachlässig- 
keit zum Opfer gefallen zu sein, mit der ältere Archivalien 
behandelt zu werden pflegen, wenn sie nicht rechtzeitig fach- 
männischer Aufsicht unterstellt werden. Aus der Einleitung 
zu diesem Bechnungsbuche geht nun hervor, daß jedenfalls 
vor dem Jahre 1582 der Rat wegen des besonders für alte 
Leute zu weiten Weges nach Altenwalde und aus anderen 
Gründen seine Einwilligung dazu gab, die Kapelle zu Stein- 
mame zu verbessern und zu einer Kirchspielskirche auszubauen. 
Gleichzeitig wurde die Beschaffung der Mittel zur Unter- 
haltung des Eirchengebäudes, des Pastors und des Küsters 
neu geordnet: von den Kirchspielsleuten ward eine viertel- 
jährlich zu erlegende regelmäßige Kirchensteuer zugestanden.*) 



AB. X Fach 10 VoL A Fase. 1 and Eollektaneenband des Amtmanns 
Matsen über die Kirchen des Amtes aus dem Jahre 1786 (Ad X 
Fach 1 VoL A). 

^ Es war ein Quartband in rotem Pergament mit messingnen Haken. 

*) Nachdem uth bedacht und orMke, dat vast olde bedagede lt*de beide 
manne und frowen olders halven in winter und ungetceders tiden 
nicht können den wech n<ich der kercken ihom Oldenwolde aj^reken 
oder densulvigen tho rechten tiden began ttc, vor radsam angesehen, 
ock uth consent, voltoordt und willen eines Erbam, Hoch- und Woll- 
wisen Bades der stadt Hamborch bewilliget, de capellen thor Stein- 
mame tho verbeterende und eine kercken darvan tho bawende, tho 
welcher behoeff ock wege vorgenamen desulvigen und einen pasioren 
und koster tho erholdende, derwegen eine jarlike und gemeine contH- 
butio und tholage oder uthgifft up alle quartale oder vertidt imjare 
van den carspelluden t^ der Doese, Steinmame, Stickenbuttel, Sälen- 
barch(I), Dune, Dike und sonsten dartho gehorich bewilligt und an- 
genhamen, van welcher tholage und rente und hevinge der kerken de 



22 Hennann Joachim, 

Es scheint nicht zweifelhaft, daß wir in den hier berichteten 
Vorgängen den entscheidenden letzten Schritt zur endgültigen 
Konstituierung eines neuen Kirchspiels zu sehen haben. Wir 
müssen mithin versuchen zu einer genaueren Datierung zu 
gelangen. Bis zum Jahre 1582 hatten, wie der Einleitung 
zu dem Kirchenbuche des weiteren zu entnehmen ist, die 
Kirchgeschworenen über Einnahme und Ausgabe der Kirche 
niemals vor einer Aufsichtsinstanz Rechnung abgelegt. Das 
wollte der Amtmann Jacob Sillm auf Befehl des Rates jetzt 
nachholen lassen, stieß dabei aber auf manche Schwierig- 
keiten. Dennoch gelang es ihm die Rechnungslegung für 
die sechs vorhergehenden Jahre von 1576 bis 1581 zu be- 
wirken. Solange hatte es also jedenfalls eine Pfarrkirche 
und ein Kirchspiel schon gegeben. Und wenn nun Gran- 
DAüER^) durch die Inschrift des noch vorhandenen Tauf- 
beckens zu belegen imstande ist, daß die Taufe für die 
Döser Kirche im Jahre 1573 gegossen ist, so werden wir 
dieses zu unserem Resultate der Zeit nach gut passende 
Geschehnis mit der Erhebung der Kapelle zur Pfarrkirche 
in Zusammenhang bringen und sagen dürfen, daß die Be- 
gründung des Döser Kirchspiels in die erste Hälfte 
der siebziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts fällt. 
Wie aber war es zu dieser endgültigen Abtrennung 
von Altenwalde gekommen? Den Schlüssel zum Verständnis 
bietet, wie ich glaube, die Tatsache, daß der Altenwalder 
Kirchenvorstand selbst ein Interesse daran hatte, die Los- 
lösung zu befördern. Er bestand aus dem Schultheißen als 
Vorsitzendem und drei Juraten, einem aus der Marsch, einem 
von der Geest und einem aus der Wisch.*) Der Altenwalder 
Schultheiß war hamburgischer Beamter und zwar ursprünglich 



kerke und kerckendener scholen erholden werden, und bellich dorch 
de juraten oder geschworen solcher hevinge und uthgave jarlikes be- 
acheidt und rekenschap geschieht, darmit de kercke erholden und nicht 
verhörtet %oerde: also etc. 

>) S. 172, 195 f. 

^ Drei Juraten außer dem Schultheiß schon im Jahre 1548; ihre Ver- 
teilung nach Marsch, Geest und Wisch hezeugt aus dem Jahre 1698 : 
Cl. Vn Lit. H* Nr. 6 VoL 5 Fase, lal (Staatsarchiv). 



Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 23 

Richter des Kirchspiels Altenwalde als eines politischen 
Bezirks, das mit Ausnahme des Dorfes Altenwalde der 
Landesherrschaft des Rats von Hamburg unterstand. Und 
dieser hamburgische Beamte wiu-de nicht etwa den Be- 
wohnern der Heidedörfer oder gar des Dorfes Altenwalde 
entnommen, sondern pflegte ein Marschbauer zu sein. Er 
wohnte somit in eben dem Bezirke, der sich schon zu der 
Kapelle hielt und ihre Gründung veranlaßt hatte.^) Ebenso 
waren die Juraten in der Mehrzahl hamburgische Untertanen; 
aus Altenwalde selbst hätte im besten Falle nur einer, der 
Geestjurat, hervorgehen können. In der Regel wurden auch 
sie aus den Dörfern gewählt, welche die Kapellengemeinde 
bildeten. Dadurch wird es erklärlich, daß der Altenwalder 
Kirchenvorstand nicht nur die Errichtung der Kapelle und 
die Anstellung eines eigenen Predigers geschehen ließ, sondern 
alsbald auch dazu überging, aus dem Vermögen der Alten- 
walder Eirche die Kapelle zu unterstützen. Über diese 
Unterstützungen, insbesondere soweit es sich um Zahlungen 
in barem Gtelde handelte, ist ein zusammenfassendes Ver- 
zeichnis auf uns gekommen, das die Altenwalder Kirch- 
geschworenen kurz nach Johanni 1556 haben aufsetzen 
lassen, nachdem sie sich geweigert hatten, weiter zu der 
Besoldung des Steinmamer Predigers beizutragen*.) Daraus 
ist zu ersehen, daß sie gleich anfangs zum Bau der Kapelle 
20 Mark lübsch, sowie einen Morgen Landes als Platz für 
das Pfarrhaus und als Pfarrland hergegeben hatten. Vor 
allem aber leisteten sie dann in der Zeit von ungefähr 1535 
bis 1555 regelmäßige Zuschüsse zu dem Gtehalt des Pastors 
und des Küsters, die sich etwa auf 10 bis 50 Mark im Jahre 
beliefen, und bestritten mehrfach die bei der Einführung 
eines neuen Predigers erwachsenden Kosten.*) Wir wissen 



*) Aach Westerwisch wurde zu dem neuen Kirchspiel geschlagen; nur 
Sttderwisch blieb bei Altenwalde. Vgl. Eollektaneenband des Amts- 
archiTS Ritzeb. (Ad X Fach 1 Vol. A), S. 56, 71. 

») AR. X Fach 10 Vol. B. 

*) Durch die Aufz&hlung in dem Verzeichnis lernen wir eine Reihe von 
Steinmamer Pastoren und die ungefähre Zeit ihrer Wirksamkeit 
kennen. Es sind Heinrich Gerstenkorn (etwa 1635—1546), 



24 Hennaiin Joachim, 

ferner, daß sie der Kapelle im Jahre 1553 die Winnung und 
die Pacht eines der Altenwalder Kirche gehörenden, in Oster- 
döse belegenen Morgen Landes^) und zu einer nicht näher 
bekannten Zeit die Einkünfte von vier weiteren Morgen auf 
der Döse überwiesen.*) Im Jahre 1557 statteten sie die 



der sich seihst in einem von ihm geschriehenen Testament des Peter 
Hilvers zu Duhnen aus dem Jahre 1542 (Gl. Vn Lit. H** Nr. 6 Vol. 
da Fase. 1) Heinrich Korn nennt; Heinrich Schwerin (etwa 
1546—1647); Bartelt Stedingk (etwa 1547—1554); Johann 
Matties (etwa 1554 — 1555); Johann Ti es, der etwa 1555 eingeführt 
wurde und dessen Nachfolger der 1557 nach Altenwalde herufene 
Heinrich Voß war (vgl. auch Anhang Nr. 1). Von diesen Namen 
findet man keinen bei Gbandaüer S. 174, aus dessen Liste jedenfalls 
Johann Horster und Johann Schrader zu streichen sind. 

Konzept des Winnungsbriefes in Cl. Vn Lit. H* Nr. 6 Vol. 3 a Fase. 1. 

') Die Urkunde vom 21. März 1482, durch welche die Altenwalder 
Kirche diese vier Morgen erwarb, ist in einer Kopie des sechzehnten 
Jahrhunderts in die Reineckesche Sammlung der Höheren Staatsschule 
in Chixhaven gelangt. Die Kopie trägt den Vermerk, die Ländereien 
würden thor kercken thor Steinmam gebruket, d. h. eben ihr Ertrag 
diene den Bedürfnissen dieser Kirche. Hindrichson, Wissensch. 
Beilage z. Bericht d. Höh. Staatsschule (1905), S. 8 Anm. 1, ist im 
Iirtum, wenn er die Notiz dahin deutet, die vier Morgen (!) seien als 
Bauplatz für die Kirche verwendet, und des weiteren auch in dieser 
Urkunde ein Zeugnis finden will für seine unhaltbare These, daß das 
ganze Dorf Steinmame noch in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts 
im Außendeich gelegen habe. Eine Abschrift der Kopie hat mir vor 
längerer Zeit Herr Dr. Karl Lohmeter, jetzt in Brüssel, freundlichst 
mitgeteilt. — Übrigens haben noch andere derartige Überweisungen 
seitens des Altenwalder Kirchenvorstandes stattgefunden. Li einer 
Klageschrift der Kirchgeschworenen zu Steinmame vom 23. Januar 1604 
(AR. X Fach 10 Vol. B), die dadurch veranlaßt war, daß die Alten- 
walder Kirchgeschworenen seit mehreren Jahren die ordnungsmäßig 
durch Siegel und Briefe des ganzen Kirchspiels vergabten Winnungen 
und jährlichen Hebungen wieder an sich gezogen hatten, wird gar 
behauptet, die einstige Übereignung dieser Einkünfte bezöge sich auf 
alle Altenwalder Kirchengüter. Es kam dann darüber in den Jalu-en 
1610 bis 1613 zu einem Prozeß, der in drei Listanzen bis zum Stadt- 
gericht in Hamburg durchgeführt ward. Er endete hinsichtlich dreier 
durch Urkunden beweisbarer Fälle, von denen zwei sicher von den im 
Text besprochenen verschieden waren, zugunsten der Steinmamer 
Kirche (AR. X Fach 10 Vol. B und KoUektaneenband Ad X Fach 
1 Vol. A, S. 54). 



Die B^g^rfindimi? der D(toer Kirehe und des Döser Kirchspiels. 25 

Kapelle mit einem Bauernhof aus, dessen Erträgnisse ihr 
schon vorher zugeflossen waren: jetzt erhielt sie das Eigen- 
tum daran und sollte das Gut als Dia[Lstlehn für einen wenige 
Jahre früher eingesetzten Küster^) verwenden. Wenn endlich 
der Altenwalder Eirchenvorstand um das Jahr 1550, viel- 
leicht aus Anlaß der Einführung der Reformation in der 
Pfarrkirche, zum kirchlichen Gebrauch bestimmte Oegen- 
st&nde, wie Kelche, Monstranzen und andere Kleinodien, so- 
weit sie ihm überflüssig erscheinen mochten, aus dem Gottes- 
hause entfernte, so wird er vermutlich mit einem Teile der 
noch brauchbaren Geräte und Gte wänder *) auch der Kapelle 
zu Hülfe gekommen sein. Domina und Konvent des Klosters 
Neuenwalde beschwerten sich in den Jahren 1557 und 1558, 
als sie wieder anfingen sich um die Altenwalder Kirche zu 
bekümmern, lebhaft über diese angeblichen Entfremdungen^, 
und noch in den Verhandlungen zwischen erzbischöflichen 
und hamburgischen Abgesandten vom Jahre 1568 spielten 
sie eine KoUe.*) 

Bei dieser Sachlage kann es nicht Wunder nehmen, 
daß der Altenwalder Kirchenvorstand gegen die Abtrennung 
eines großen Teiles seines Kirchspiels und gegen die Bildung 
eines eigenen Döser Kirchspiels nichts einzuwenden hatte. 
Vielmehr hätte er dieses Ziel gewiß gern schon früher ver- 
wirklicht gesehen. Sprachen doch auch dafür dieselben Er- 
wägungen, welche zur Errichtung einer Kapelle in Steinmame 
geführt hatten. Zwar der Grund, daß in Altenwalde der 
katholische Ritus aufrechterhalten wurde, war inzwischen 



Er hieß Jürgen Wittekop. 

^ Anderes befand sich um das Jahr 1558 in einer Lade im Hause des 
Torigen Schultheißen yon Altenwalde. Ein um diese Zeit von den 
Kirchgeschworenen abgestatteter Bericht über das Vermögen der 
Altenwalder Kirche (CL Vn Lit. H* Nr. 6 Vol. 5 Fase. 1 a 1) besagt 
darüber: Item so ys noch yn Heyye Tyken hu9e eytie lade, dar ynne 
ys eyne korkappe unde eyne vorgulden munstransyen mydt eynem 
knuze, dat up de munstransyen hoerth, unde twe thobraken kelcke, 

*) AB. X Fach 15 Vol. A. Ein Brief von Domina und Konvent an den 
Hauptmann vom 8. Januar 1558 (AB. X Fach 13 Vol. A), der die 
übrigen Belege zum Texte enthält, ist abgedruckt im Anhang Nr. 2. 

VgL BÜTHER im Urkb. des Klosters Neuenwalde S. 26. 



26 Hermann Joachim, 

weggefallen. Die hamburgischen Untertanen, die der neuen 
Lehre anhingen, hatten schließlich, jedenfalls vor dem Jahre 
1557, mit Hülfe des Rats auch die Keformierung des Gottes- 
dienstes in der Pfarrkirche durchgesetzt. Aber bestehen 
blieb das gespannte Verhältnis zu den wegen ihrer Gewalt- 
tätigkeit gefürchteten Altenwalder Bauern, bestehen blieben 
die starke Zunahme der Marschbevölkerung und der für diese 
allzu weite und beschwerliche Weg nach Altenwalde. Man 
wollte, nun man die Kapelle hatte, auch den ferneren Schritt 
tun und alle kirchlichen Beziehungen zu dem politisch fremden 
Altenwalde lösen; man wollte ein neues, rein hamburgisches 
Kirchspiel, von dem, abgesehen von Süderwisch, nur die 
Heidedörfer ausgeschlossen waren, die durch die gemeinsame 
grundherrliche Abhängigkeit vom Kloster Neuenwalde den 
Altenwaldem näher standen. 

Der Rat hat, wie es scheint, lange gezögert, ehe er 
dem Drängen seiner Untertanen nachgab. Entscheidend 
wurden für ihn die immer heftigeren Angriffe, denen seine 
Rechte in Altenwalde und in den Heidedörfem von der Mitte 
des Jahrhunderts an seitens des Erzstifts und des Klosters 
Neuenwalde ausgesetzt waren. Auch Klefeker*) nennt diese 
Streitigkeiten als den eigentlichen Grund, weshalb es endlich 
zur Konstituierung des Döser Kirchspiels kam. Sie brachten 
den Rat zu der Überzeugung, daß seine Untertanen in ihrer 
Abneigung gegen die kirchliche Zusammengehörigkeit mit 
Altenwalde, wo der Erzbischof Landesherr und das Kloster 
Grundherr waren, im Rechte seien. Dem Rate schien es 
jetzt gleichfalls besser, diese Verbindung, welche die Quelle 
neuen Haders werden konnte, völlig aufzuheben, solange er 
sich noch im Besitze der ihm bestrittenen Herrschaft über 
die Altenwalder Kirche befand.*) 

*) Samml. hbg. Ges. XI 776. 

') Diese war dem Säte offenbar wie von selbst zugefaUen, als ihn seine 
eyangelisch gewordeneu Untertanen zur Durchführung der Reformation 
auch in der Pfarrkirche herbeiriefen, weil sie von den bisher hier 
zuständigen geistlichen Gewalten, die katholisch blieben, dem Erlöster 
Neuenwalde und dem Archidiakon von Hadehi und Wursten (vgl. 
7rkb. d. Klosters Neuenw. Nr. 141), in den Wirren der Zeit im Stiche 
gelassen nur so die ErfüUung ihrer Wünsche erreichen konnten. 



Die BegrOndimg der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 27 

So ist die 1528 oder 1529 begründete Kapelle zu Stein- 
mame bald nach dem Jahre 1570 der Mittelpunkt eines 
neuen, des Döser Kirchspiels geworden. Und damit ergibt 
sich, um auf unseren Ausgangspunkt, die chronikalische Über- 
lieferung, zurückzukehren, daß das Jahr 1543 die Bedeutung, 
welche ihm diese Überlieferung in allen ihren Variationen 
beilegt, für die besprochenen Ereignisse nach keiner Richtung 
hin gehabt hat. 



Anhang. 

1. Eingabe der Kirchgeschworenen und der ganzen Ge- 
meinde zur Neuen Kirche an den Hauptmann auf dem 
Schlosse Ritzebüttel Joachim MoUer. <1557>. 

An den Bändern beschädigte Absehrift im Amtsarchiv Ritzebttttel. 

Unsen gantzwilligen denst alletydt <thovom>. Achtbar, 
grosgunstige, erbar, wolwy<8e> her. Wy arme lüde unde 
gantze gem<ene> thor Nyen kercke mögen J. E. W. nicht 
entholden, wo ein E. Raeth der Stadt Ha<mborch>, unse 
billike overicheit, by hem Di<rck> Langen tyden hefft unse 
hoge noth dorch unse angevent angeszeen unde tho harte<n) 
genamen. Wardorch syn sze bewagen und uns vorgunnet, 
dat wy mochten ene klene kercke mochte<n> setten unde 
eene<n> prediger by uns hebben, de uns Gades wordt recht 
mach vordragen. Und tho sodane gunst syn se*) dorch desse 
nagescreven orsacke bewagen worden. 

Thom ersten dewyle tho Oldenwolde de papistery hog- 
lick ym schwänge, dar ander in desse Sassesche landen van 
enthaben, wy ock mochten entlediget werden. 

Darbeneven hebben de van Oldenwolde de gerechticheit, 
dat sze ein mensche<n> mögen beth in den doot vorwunden, 
al war dat oecke tho 20 edder 30 wunden, um tein Schillinge 
dar allen vor tho brocke tho g<even>. Waruth de vam 
Wolde so trotzich worden, dat dar nemand mith freden ene 
maeltydt brodes ethen oft ein pot beers drincken — efifte 
sze quemen tho den luden invallen unde sochten orsake war 

a) Abachr, sie. 



28 Hermann Joachim, 

se konden; ja da edt thom latesten dartho quam, dat see 
ettelike menschen morden, mehr als ein. Unde dat dit war 
is, syn ettlike tho Vurden, ettlick tho Kittzebuttel gerichtet. 
Daruth quam, dat imse volck de kerck thom Wolde ver- 
myden mosten. 

Dartho ward unse volck alle dage mer unde mer, unde 
dar nu vele Volkes wanet, wanden wandages nemande. So 
werdt den luden, de nu dagelykes den prediger bedarven, 
den wech lang, oek den olden unde krancken, de so gerne 
salich willen wesen als andere, hebben ock so grote lust tho 
dem worde Gades alse andere. 

So hebben uns nu nicht alleen de uth dem Rade, sunder 
ock alle heren van her Dirck Lange, her Jurjen Plaeth unde 
her Vincent, nicht alleen uns dese kerck und einen prediger 
gegunet, sunder ock mith eren truwen raet gehulpen, dat wy 
densulfige<n> mochten besolden*), dar wy de framen und 
erbam heren hogelicken vor bedancken. Ja dat mer is, 
J. E. W. hefft sulfest uns gehulpen tho sodane gunst beth an 
desse tydt. Unde dartho, dath ein groth tecken J. L. gunst 
jegen uns is, so hebbe gy uns, do her JohanTeis^) van uns 
reisden unde wy neuen rath omme^) einen prediger wussten, 

a) Abaehr, versolden. b) Abaehr, domme. 



Johann Ties stammte nach Janssen, Ausführl. Nachrichten üher die 
. . . Kirchen u. Geistl. der . . . St. Hhg., S. 131, aus Hamburg, war 
seit 1561 Pastor zu Wettingstede in Ditmarschen und seit dem 
29. Dez. 1565 zu St. Marien Magdalenen üi Hamburg, wo er am 
27. Noyember 1586 starb. Die letzteren Angaben werden in der 
Hauptsache bestätigt durch das ProtokoU der Oberalten 1565 — 1590 
(Archiv des Hospitals zum Heil. G«ist im Staatsarchiy n A I 2). 
Pastor an St. Marien Magdalenen war Ties jedoch schon am 18. April 
1565 und legte am 30. Mai 1586 sein Amt wegen Gedächtnisschwäche 
nieder. Vor dem 21. Januar 1587 ist er gestorben. Sein Nachfolger 
wurde der bisherige Pastor in Altenwalde (ygl. S. 9 Anm. 1) M. 
Heinrich Koep. Ein auskömmliches Gehalt hatte Ties auch in Ham- 
burg nicht: 1567 mußten ihm die Oberalten zu seinem Lebensunterhalt 
eine Unterstützung geben. Ebenso gewährten sie seiner Witwe 
wöchentlich 6 ß^ verschafften seinem Sohne Cort, als er das Barbierer- 
handwerk ausgelernt hatte, im Jahre 1597 eine Beihülfe in Geld und 
ließen in demselben und dem folgenden Jahre seine Tochter und 
Witwe auf Kosten der Armut beerdigen. 



Die BegrOndimg der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 29 

do scickede J. E. gunst uns hem Henrich tho, den wy nu 
hebben. Unde hebt uns dartho gehadt, dat wy mosten unsen 
egen acker beschatten nnde darmede den predicanten besolden. 
Dartho hebt gy uns ock geraden unde sulfest an und aver 
gewest, do wy hem Henrick up dat nye annemen, und sulf en 
geteickent, wat syn besoldinge schal wesen. 

Unde dewyle wy nicht geneget thom Oldenwolde tho 
kercken tho gan, nachdem gy uns einen prediger hebben 
gegunnet, bidden wy juwe E. W. samplick, gy willen doch 
omme Gades willen unsen prediger uns lathen. Wente wy 
en dencken tho Oldenwolde nicht tho gaen; wente see geven 
uns spottsze worde, de wy nicht lyden konen. Unde wat 
daruth konde volgen, will wy juw tho bedenckende geven. 
Darumme aUe quat tho vormyden unde umme Gades willen 
gunnet uns doch, dat uns de vorige heren gegunet hebben*) 
unde gy sulfest dartho beth an desse tydt tho. Dar wy uns 
gantz tho verlathen, J. E. wardt uns dith nicht weigern. 
Willen wy alletydt weer verdenen^) an J. E. W. unde an 
juwe kynder in natyden na allen unsem vermögen. Kennet 
Godt, deme wy J. E. W. bevelen gesund und salich tho langen 
tyden. Anno . . . .°). 
J. E. W. gehorsame*) kerckswaren unde gantze gemene 
thor Nien kercken. 

a) Äbachr, heben. b) Abachr, verdienen. c) JahresMohl fehlt. 
d) Absdir. gehorsamer. 

2. Brief von Domina und Konvent des Klosters Neuen- 
walde an den Hauptmann auf dem Schlosse Ritze- 
bOttel Joachim Moller. 1558 Januar 8. 

Orig. Papier ohne Siegel, Amtsarchiv Eitzebüttel. Durch Feuchtigkeit 
stark beschädigt und verblaßt. 

Jesum yn ewygher leffte vor enen fruntlyken grot bef om. 
Erbare, <ere>nt<veste> unde grotdadyghe leve her hovetman, 
grotgunstighe her unde frund. Ick bedancke juwer leflEte 
altohochlyken vor juwe guderterenheyt uns bewyset, sünder- 
lyken vor den wyn, den my juwe erbarheyt kortlyken hefft 
gesendt. Konde ick juwer grotdadygen leffte, darbeneven 



30 Hennann Joachim, 

juwer erbaren froüwen wes wedder tho leve unde wyllen 
don, dede ick herüyken gerne. 

Wyder, leve her hovetman, juwer erbarheyt is ane 
twyfel wol enbynnen, wo an den vorgangen herveste jüwe 
grotgunstyghe erbarli<e3rt> tho uns sande jüwen leven sone^) 
Iheronimus van den Berge nevenst de beyden schulten unde 
kerckswaren unde lethen uns begroten der kercken halven 
th<om> Oldenwolde dar enen predicanten tho hebben, de de 
schape Christi weyde unde lerde den wech der ewygen 
salychejrt. Dar wy juwer erbarheyt guden radt ynne horden 
unde nemen densulfften an Gades wort tho prediken unde de 
lüde tho underwysen.*) Do hadde wy des underredynghe 



cL h. Schwiegersohn. 

') Die Domina versucht durch diese diplomatische Wendung, die durch 
die Reformierung der Pfarrkirche untergegangenen Rechte des Klosters 
in einer neuen Gestalt wieder aufzunehmen. Sie stellt es so dar, 
als stände dem Hauptmann im Namen des Rats von Hamhurg nur 
ein Vorschlagsrecht, ihr aber die Ernennung und Zulassung eines 
Pastors in Altenwalde zu. Das entsprach jedoch weder den früheren 
noch den jetzigen Verhältnissen und befand sich überdies mit den 
wirklichen Vorg^Lngen und den vorjährigen Äußerungen der Domina 
selbst nicht in Einklang. Über diese sind wir genau unterrichtet 
durch eine gleichzeitige Aufzeichnung über die Wahl des Pastors 
Heinrich Voß (AR. X Fach 15 Vol. A). Danach fand die in dem 
Briefe angezogene Verhandlung in Neuenwalde am 17. August 1557 
statt. Die hamburgischen Abgesandten trugen vor: da der Pastor 
zu Altenwalde gestorben wäre, seien die Schultheißen und die Kirch- 
geschworenen samt dem Kirchspiel Altenwalde auf eine Neuwahl 
bedacht gewesen und hätten dem Hauptmann angezeigt, daß sie den 
Steinmamer Pastor wählen wollten. Der Hauptmann habe die erbetene 
Einwilligung hierzu gegeben; weil aber die Bewohner Altenwaldes 
Keier des Klosters seien, hoffe er, daß auch Domina und Konvent 
sich die Wahl gefallen lassen und ihr zustimmen würden, was zu er- 
bitten die Abgesandten gekommen wären. Die Domina antwortete: 
auch ihre Meier hätten schon um die Wahl eines neuen Predigers 
angehalten und gleichfalls gewünscht, Heinrich Voß als Pastor zu 
erhalten. Da nun die Erwählung nicht Domina und Konvent, 
sondern Kirchgeschworenen und Kirchspiel zustehe, 
so dächten sie auch nicht daran, sich die Rechte des 
Rats über die AI tenwald er Kirche anzumaßen; sie könnten 
es aber wohl leiden, sähen es auch gern, daß Heinrich Voß dort predige. 
Die Wahlhandlung wurde dann am 22. August in der Weise vollzogen, 



Die Begründung der Döser Kirche und des Döser Kirchspiels. 31 

myt densolfiten gesanthen, wo ermals van den kerckswaren 
aver en jar 7 edder 8 ungheverlyck syn de klenade, kelcke, 
monstrantie iinde ander omamentay de na chrisüyck gebruck 
thor kercken hoeren, wechghenamen, nnde begerden datsulffte 
dar wedder yn tho leveren. Ock were dar en leen unde 
itlyck ander gudt van der kercken kamen, dar de kerckher 
unde dat kerszpel yn vorkortet ys. Dar jüw leve sone 
Iheronimus van den Berge up antworde: he wüste wol, dat 
juwe erbarheyt nycht gesynnet were jenigerleye van der 
kercken tho nemen, <unde> wes daraf vorkamen were ermals, 
dar wolde jüwe erentves<te> erbar<he3rt> dat beste ynne don, 
dattet dar alle scholde wedder by kamen; dat de beyden 
schulten nevenst den kerckswaren ock vulborden, wor Avy 
uns genszlyken tho verleten unde menden, dat sulckes alle 
were gesehen. So hoere w<y>, d<at> myt allen van den 
klenade nycht sy yn de kercken gekamen unde ock des 
l<e>n halten unde ander guder ys noch wydt uth. Wente 
wy hoeren, datsulffte leen, welck tho Oldenwolde hört, hebben 
dat kerszpel nu nyes thor cappelen genamen unde dar enen 
koster uppe seth, de syck dar<van> erholden schal, welck 
uns seer vorfromdet unde hadden nycht ged<acht>, dat so- 

danes sehen scholde. Unde w<y> vorseen uns < 

tho juwer) erenstvesten (!) erbarheyt alse tho <u>nsen grot- 
<gunstighen leven) heren unde frunde — went jüwer leffte 

recht < > in der warhejrt is — , jüwe 

erbarheit kone dat nyc<ht >. Wente wy 

hebben uns genszlyken vorlaten up de mylden thosaghen 
jüwes leven sones sampt schulten unde kerckswaren unde 
hadden gement, dar were nen twyfel yn gewest. Unde als 
wy nü hoeren, so isset veme uth. 

So is noch unse emstlyke bede unde beger, dat jüwe 
grotgünstyghe leffte wyl myt den besten dartho trachten. 



daß der Hauptmann beide Schultheißen, sowie die alten und neuen 
Kirchgeschworenen zu Altenwalde vor das Haus Ritzebüttel fordern 
ließ und sie nach Mitteilung der Antwort der Domina ersuchte, die 
Wahl vorzunehmen. Auf Bitten der Wahlmänner gab der Hauptmann 
zuerst seine Stimme für Heinrich Yoß ab und sodann die Schultheißen 
und Kirchgeschworenen. 



32 Hermann Joachim. 

dat en yder mochte wedder yn syne rechten stede kamen, 
gelyck wo ith van oldes gewest. Unde wor des nycht gesehnt, 
so werde wy wyder vororsaket unsen landesheren unde forsten 
tho scryven, welck wy node don, dar wy dat vorby gan 
konen. Unde wy syn begeren en fruntlyck antwort by jegen- 
wardygen, dar wy uns tho vorlaten mögen unde schollen. 

Datum Nyenwolde des sonnavendes na der hylgen dree 
konynge dage anno etc. 58. 

Dorothea van der Hüde unde sampt convent thom 
Nyenwolde. 

Adresse: Dem erbaren, erentfesten unde wolghehorden 
Jochim Müller hovetman tho Ritzebüttel, unsen grotgünstygen 
heren unde fründe fr. scr. 



Jenaer Studentenbriefe von Johannes Versmann. 



Mitgeteilt 
von 

Adolf Wohlwill. 



Johannes Georg Andreas Versmann, vom Dezember 1861 
bis zu seinem Tode (28. Juli 1899) Mitglied des Senats, seit 
1887 — von den verfassungsmäßig vorgeschriebenen Inter- 
vallen abgesehen — Bürgermeister der freien und Hansestadt 
Hamburg, gehört der deutschen Geschichte an, weil er in der 
Zeit der Kämpfe um den Zollanschluß Hamburgs der benifene 
Vertreter seiner Vaterstadt war und wesentlich dazu bei- 
getragen hat, daß der aus der geschichtlichen Entwicklung 
hervorgegangene wirtschaftliche Gegensatz zwischen Hamburg 
und dem übrigen Deutschland überwunden und ein Ausgleich 
herbeigeführt ward, der dem allseitigen Interesse und den 
Wünschen der Mehrheit des deutschen Volkes entsprach. 
Hiervon abgesehen, hat er sich um die besondere Wohlfahrt 
seiner Vaterstadt durch so mannigfache Leistungen verdient 
gemacht, daß es schwer fällt, seiner Bedeutung vollkommen 
gerecht zu werden; denn kaum ist irgend ein Gebiet des 
öffentlichen Lebens in Hamburg vorhanden, auf dem sich nicht 
Spuren seiner Arbeit oder doch seiner Anregung nachweisen 
ließen. Die fachmäßige Vorbildung für diese gesegnete staat- 
liche und kommunale Wirksamkeit hatte er durch seine juri- 
stischen Studien in Göttingen und Heidelberg wie durch seine 
Erfahrungen als Rechtsanwalt und Richter erlangt. 

Liegt nun aber in jeder wahrhaft bedeutenden, intensiv 
und erfolgreich ausgeübten Berufstätigkeit die Gefahr einer 
gewissen Einseitigkeit, so ist es um so erfreulicher, wenn sie 
sich, gleichsam wie ein in die Höhe ragender Turm, auf der 
breiten Basis einer umfassenden allgemeinen Bildung erhebt. 
Dies war in vollem Maße bei Versmann der Fall. Seine un- 

ZUchr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. xm. 



[ 



34 ^^^ Adolf WoUwül, 

gewöhnlich reiche nll^cmeine Bildung verdankt Vei'smann 
dem Altonaer Christianeimi, dem Akademischen GjTnnasium 
in Hamburg und ins^besondere seinen vier ersten Hochsehul- 
Semestern, die er auf der Universität Jena verbrachte* 

Die Wahl der Universität Jena für den Studienbeginn 
unseres Johannes Versmann war dem Wunsche seines Vatei's, 
Johann Ernst Vei'sraann^), entspningen, alte, auf Yerwandt- 
schaft und Jugendfreundschaft begründete Begehungen zu der 
Jenaer Gelehrtenfamilie Martin^) zu befestigen. Die hieran 
geknüpften Erwartungen gingen jedoch nicht ganz in Erfüllung, 
Allerdings \\nirde Johannes von allen Mitgliedern des Mart.in- 
schen Familienkreises aufs herzlichste empfangen/) imd er selbst 
äußerte sich über manche von ihnen mit Sympathie oder doch 
verehrungsvoUer Anerkennung. Immerhin gestaltete sich das 
Verhältnis nicht ganz so inüm, wie die Familienhäupter es 
gewünscht und Johannes es sich vorher in seiner Phantasie 
ausgemalt hatte/) Es machte sich geltend^ daß letzterem 
neben jugendlicher Empf äi^lichkeit nnd Begeisterungsfähigkeit 
frühzeitig eine gewisse Schärfe des Urteils eigen war, 

') Johftim Ernst Versmaim, Basitzer der EmIiorn*Äpotheke in St FauU 
tei Hambnrg. 

*) Das Oberlmupt der Familie, Christopli Martin (1772—1857), wgj* Ober- 
appellatiü nagen cli tarnt und ordentlicher Honorarprofesat^r in Jm^. Sein© 
Gatüii Caroline, geb. Wagamann, die in den mitg^eteilten Briefauszügfen 
wiederholt als Tante bezeichnet wird^ war eine Enkelin, Johann 
Ernat Versmann ein Enkel des Pastora Joh, Georg Wagemann «u 
Kirchwehren, Von der jüngeren Generation der Familie Martin war 
Gustav Adolph bereits 1831 als Professor der Rechte in Jena gestorben. 
Der in den Ver^maumchen Briefen wiederholt genannte Eduard Martin 
war Mediziner; er hatte auf seinen Reisen auch Hamburg aufgeaucht, 
uro die dortigen vortreff'lkhen Krankaikäuser (Ausdruck von Caroline 
Martin in einem Brief vom November 1832) kennen zu lernen, seit 
1S37 war er anßerordentticber Professor der Medizin in Jena. Vergl 
JOHANKES GÜNTHER^ Lebenssklzzen der Profeasoren der Universität 
Jena 1558—1858, 8, 87, 91, 149. 

^) Bereits am 1. Milrz IMO hatte die Gattin des älteren Prof. Marlin 
an Johann Emat Versmann geschrieben: Recht freue ich mich auf 
Ihrefi Johannes f er mtl mir ein Ikher Sohn seyen, mit mütterlicfter 
Liehe ieill ich mieh «einer annehmetL 

*) Yergl. den Auszug aus dem letzten mitgeteilten Brief an seinea 
Bruder Ernst 



Jenaer Studentenbriefe von Johannes Versmann. 35 

Auch dem, was ilim Jena in wissenschaftlicher Beziehung 
zu gewähren vermochte, stand er nicht kritiklos gegenüber. Die 
zunächst gebotene Beschäftigung mit den Naturwissenschaften 
sowie die Teilnahme an verschiedenen, der allgemeinen Bildung 
förderlichen Vorlesungen gereichte ihm zur größten Befriedigung. 
Als aber im vierten Semester das eigentliche medizinische 
Studium begonnen wurde, eröffnete sich ihm ein Einblick in 
den Gegensatz zwischen der älteren und neueren Richtung 
der Arzneiwissenschaft. Die medizinische Hauptzelebrität 
Jenas, Karl Wilhelm Stark^), der so viele Zuhörer aus aller 
Herren Ländern anzog, geholte der ersteren an. So sehr 
Versmann ihn persönlich bewunderte und verehrte, fühlte er 
sich doch durch seine Vorlesungen über Pathologie und 
Therapie ebensowenig befriedigt wie durch die des jüngeren 
Martin über Pharmakologie. Daher scheint aUmählich die 
Überzeugung in ihm zum Durchbruch gelangt zu sein, daß 
er das Studium der Medizin fahren lassen und sich einer 
anderen Disziplin zuwenden müsse. Obwohl er zufolge dessen 
Ostern 1842 Jena mit Göttingen vertauschte, um Jurisprudenz 
zu studieren, so waren doch die Jenaer Semester für die 
Bildung seines Geistes und Charakters unverloren. Dies tritt 
uns deutlich vor Augen, wenn wir seine aus Jena ins Vater- 
haus gerichteten Briefe einer Durchsicht unterziehen. 

Aus diesen Briefen ist zugleich zu entnehmen, daß Jena 
vom Anfang bis zum Ende seines dortigen Aufenthalts einen 
eigenartigen Zauber auf ihn ausübte. Hierzu trug nicht un- 
wesentlich bei, daß er Mitglied der Jenaer Burschenschaft 
war. Davon ist in den vorliegenden Briefen allerdings 
nirgends ausdrücklich die Rede; indessen ist es sicher ver- 
bürgt, daß Versmann bereits in seinem ersten Semester dem 
Fürsterücdler beigetreten war,*) dessen Mitglieder sich aus 

Vergl. über ihn JOH. GÜNTHER, Lebensskizzen der Professoren der 
Universität Jena 1568—1858 S. 145. 

^ S. (Dr. G. H. Schneider), Die Burschenschaft Germania (Jena 1897) 
S. 560. — Eine Notiz ttber die hervorragende SteUung, die Versmann 
in der Burschenschaft einnahm, habe ich nach einem Briefe des in- 
zwischen leider verstorbenen Jostizrats Salzmann (Weimar) in meinem 
Buche: Die hambnrgischen Bürgermeister Kirchenpauer, Peterse 
Yersmann (Hamburg 1903) S. 27 f. mitgeteilt 



36 Adolf Wohlwül, 

Gründen verschiedener Art vom BurgkeUer getrennt hatten, 
doch wie dieser das Ziel verfolgten, in einem freien volks- 
tümlichen Zusammenleben auf der Hochschule jede geistige und 
leibliche Kraft zum Dienste des Vaterlandes auszubilden, und 
überhaupt an den patriotischen Idealen der älteren Burschen- 
schaft festhielten.^) 

Manche Anregungen, die Versmann in Jena zuteil 
geworden, haben erst in seinem späteren Wirken erkennbare 
Früchte getragen; doch dürften die im folgenden mitgeteilten 
Brief auszüge*) — auch abgesehen von dem, was sie an 
kulturhistorisch bemerkenswerten Einzelheiten enthalten — 
ein gewisses Interesse erwecken, weil sie uns veranschau- 
lichen, von wie großer Bedeutung die in Jena verbrachte 
Zeit für Versmanns Entwicklung geworden ist. 



1. Versmann an seinen Vater. 

Jena d. 8. Mai 40. 
Geliebter Vater! 

Da bin ich denn im lieben Jena, und schreibe den ersten 
Brief an Dich, von dem Orte aus, wo ich eine geraume Zeit 
meiner Jugend zubringen soll. Gestern Mittag kam ich hier von 



*) In § 2 der Allgemeinen Grundsätze der Burschenschaft auf dem 
FürstenkeUer heißt es: Das deutsche Vaterland ist es, für das der 
Bursch zu ringen und in welchem ein frei und gerecht geordnetes 
Volksleben herbeizuführen, er sich für sein ganzes Leben verpflichtet, 
Vergl. Die Burschenschaft Germania S. 234. — - Die Abtrennung der 
burschenschaftlichen Vereinigung FürstenkeUer vom BurgkeUer ist in 
diesem Werk S. 232 ff., außerdem u. a. schon in dem Älteren Buch von 
Richard und Robert Keil, Geschichte des Jenaischen Studenten- 
lebens S. 560 ff., behandelt worden. 

^ Bei der Auswahl war der Wunsch maßgebend, V.'s äußeres und inneres 
Leben in Jena möglichst allseitig zu veranschaulichen; es ist daher 
selbstverständlich, daß die in den meisten Briefen wiederkehrenden 
Äußerungen seiner zärtlichen Gesinnungen für die Seinigen und seiner 
wannen Teilnahme an ihren Geschicken hier nur ausnahmsweise eine 
SteUe finden konnten. 



Jenaer Studentenbriefe Ton Johannes Veramann. 37 

Weimar mit 3 aBdem (worunter 2 meiner Hamburger Be- 
kannten) an. Ich ging nach Mittag zum jungen Martin, der 
mich nicht nur freundlich und herzlich empfing, sondern auch 

den angenehmsten Eindruck auf mich machte Darauf 

ging es an ein Herumlaufen in der Stadt, um ein Logis zu be- 
kommen; die besten waren besetzt, und viele häßliche Löcher, 
die wir besahen, machten mir keinen guten Begriff von den 
Jenenser Wohnungen, zumal da ich die ausgezeichneten 
Göttinger Stuben im Kopfe hatte; zuletzt gelang es uns, 
nahe am Markt 2 recht nette und große Stuben zu finden 
(bei beiden eine Kammer), wovon ich die eine kleinere für 
10 Thlr. halbjährig miethete. Die andere nahm Heibert *), 
an den ich mich schon in Hamburg näher angeschlossen, für 
12 Thlr.; wir hatten um die Zimmer geloost, da wir sie zu- 
sammen besahen, und mir war die größere zugefallen, die 
ich jedoch an Heibert überließ, weil er sich ein Fortepiano 
miethen wird. Beide sind geräumig, hell und hoch, meine 
von 2, die andere von 3 Fenstern; gut möblirt mit Allem, 
was man sich wünschen kann, Sopha, Sekretair, Stehpult 
u. s. w. Wir zogen sogleich ein und haben die erste Nacht 
in unserer Behausung recht gut geschlafen. Der Hauswirth 
heißt Kaiser; er hat im Hintergebäude in einem Garten eine 
Wirthschaft, die Erholung genannt, und im Hause selbst eine 
Speisewirthschaft; nach den Aussagen hiesiger Leute ist es 
ein recht gutes Haus. Heute morgen ging ich mit Gustav 
Wagemann*), den ich in Göttingen kennen gelernt, zur alten 
Martin; ich sah sie zuerst, und kann die Herzlichkeit, mit 
der sie mich empfing, nicht genug rühmen, sie sprach mit 
vieler Liebe und Lebhaftigkeit von Dir und dem guten Ver- 
hältniß, worin Ihr immer zusammen gestanden. Martin sah 
ich auch; auch er war liebenswürdig und läßt sich Dir freund- 
lich empfehlen. Er sagte mir, daß Ihr beiden Euch im Lebeu 



Der in Versmanns Briefen wiederholt genannte (Georg) Heibert, der 
ihm in Jena unter seinen Landsleuten am nächsten stand, gehörte 
nachmals zu den angesehensten und beliebtesten Ärzten Hamburgs. 
Seit 1871 war er auch Physikus. Er starb am 23. Novbr. 1876. 

^ GustaT Wagemann gehörte der mit Versmann und Martin ver- 
wandten Familie an. 



88 ^^^r Adolf WohlwiU, ^^^^^^H 

vielleicht noch einmal sehen würdet, da er, wenn auch nicht 
in diesem Jahr, doch im folgenden ins Bad nach Helgoland 
oder Nordemej reisen wlirde; ich versicherte ihm, und ich 
weiß, daß ich es mit Wahiheit und Vei'trauen thun kannte, 
daß er Dir durch seinen Besuch eine außerordentliche Freude 
bereiten werde. Beide alten Leute sind noch lebenskräftig 
und froh; sie hat noch ganz die Lebhaftigkeit und Freund- 
lichkeit, von der Du so oft> als von ihrem besondem Erb- 
theil, gesprochen hast* — Ich glaube, ich werde mich im 
Kreise dieser Leute glücklich ftlhlen. , * * * So sind denn die 
Aspekten bis jetzt sehr glücklich für mich ; und wenn es hier 
wirklich so und nicht andei-s ist, als es mir bis jetzt er- 
scheint, so soU es mir schon gut gefallen. Über meine 
CoUe^a weiß ich noch nichts Näheres; morgen berathe ich 
mich mit Eduard Martin darüber, und schreibe Dir über diese, 
so wie über den Ton, der unter den Studenten herrscht^ etwas 
Näheres; bis jetzt bin ich noch mit keinem, außer Verwandten 
und alten Bekannten in nähere Berührung gekommen 

2. Versmann an seinen Vater, 

Freitag d. 15. Mai 40. 

Du wirst Dich ^^mdern, mein theurer Vater, daß schon 
wieder ein Brief von mir ankommt, und in der That würde 
ich auch ei^st einen Brief von Dii^ abgewartet haben, um das 
Kreuzen der Briefe zu vermeiden, wenn nicht ein besonderer 
Umstand mich zur Eile nöthigte* Trotz aller Vorstellungen 
nämlich und aller Einwände, ist meine Matrikel solange beim 
Prorektor deponirt, bis ich einen Erlaubnißschein von Dir 
erhalten habe, der auf der Kanzlei in Hamburg testirt ist. 
Es befinden sich nämlich auf der Kanzlei gedruckte Seheine 
der Aj-t, die nur ausgefüllt werden, wie ich bei den übiigen 
hier anwesenden Hamburgern gesehen habe; ein solcher, 
wiu'de mii' gesagt, müsse es sein; er kostet übrigens 5 ^, 
was Wühl ein Hauptgrund sein mag, daß ein simpler nur von 
der Polizei beglaubigter Schein nicht genügt.. Da ich meine 
Papiere in den ersten Tagen schon beim Pedell abgegeben 



Jenaer Studentenbriefe yon Johannes Versmann. 39 

hatte, und mir bis jetzt nichts darüber erwähnt war, hoffte 
ich schon, daß es glücken würde; bis dann beim Aktus der 
Immatrikulation selbst die Sache zur Sprache gebracht wurde. — 
Ehegestem kamen auch zu meiner größten Freude meine 
Sachen hier an; ich mußte dafür außer 3 Thalem Fracht 
noch laut Bescheinigung des Königl. Neben-Zoll-Amts zu 
Teistungen^) 1 Thlr. 3 gGr. Eingangszoll bezahlen; sie waren 
also visitirt und zwar so, daß die Spuren ziemlich deutlich 
zu bemerken waren ; beide Schlösser des Koffers, der meiner 
Meinung nach an der Gränze hätte plumbiert werden sollen, 
waren gewaltsam erbrochen; der Koffer kam also offen an, 
nur durch ein einmal umgeschlagenes Tau zusammengehalten; 
die Sachen jedoch sind nicht beschädigt, auch lagen sie in 
ziemlich guter Ordnung. Obgleich mir die ganze Sache erst 
höchst unangenehm war, so bin ich doch jetzt mit meinem 
Schicksal sehr zufrieden, da einem andern Hambuiger, der 
seine Sachen ebenfalls erwartete, statt derselben ein Brief 
aus Teistungen geschickt ^lU'de, worin der ganze Koffer 
wegen einiger nicht angegebenen zollbaren Sachen bis zm- 
Einsendung von 20 Thlr. Brüche für konfisziert erklärt wurde. 
Du kannst Dir den Schreck des armen Menschen denken, der 

auf eine solche Art in solche Unannehmlichkeiten kam 

Meine CoUegia haben Montag ihren Anfang genommen; 
nach reiflicher Überlegung mit Martin und dessen Schwager 
Schmidt*), einem jungen Docenten, der diesen Sommer, aber 
erst von Pfingsten an ein publicum über Magnetismus und 
Elektrizität lesen wird, höre ich Botanik bei Professor Schieiden, 
jeden Morgen von 7 — 8; er selbst hat dieser Vorlesung den 
Namen philosophische Botanik gegeben, und allerdings kann 



Teistungen lag an der Grenze zwischen dem damals noch außerhalb 
des ZoUyereins befindlichen Königreich Hannoyer und dem preußischen 
Eichsfeld. 

^ Gemeint ist offenbar Ernst Schmid, der zwar noch nicht im Vor- 
lesungsTerzeichnis des Sommerhalbjahrs 1840 figuriert, wohl aber vom 
folgenden Wintersemester an Vorlesungen über die yerschiedensten 
naturwissenschaftlichen Themata, gelegentlich auch über Magnetismus 
und Elektrizität ankündigte und 1843 außerordentlicher Profeso 
wurde. 



40 ^P^ Adolf WoblwiU, 

sie im Gegensatz zu der sonst üblichen todten Behandlung 
dieser Wissenschaft so genannt werden; Schieiden ^) hat eine 
ganz neue und eigne Art, die Botanik anzugreifen, die zu- 
gleich sehr instinktiv und interesi^ant ist, • . . . 

Nach Schieiden kommt dann jeden Tag von 8^9 die 
Chemie hei Doebereiner*), eine Vorlesung, zu der ich immer mit 
dem größten Vergnügen gehe; zwar sind die Gegenstände bis 
jetzt noch eben nicht interessant, da er noch nichts Anderes, als 
die gewöhnlichen Vorbegriffe zum Behuf des Studiums der 
Chemie, wie sie eben immer gegeben werden, vorgetragen hat; 
aber das ganze Wesen des ziemlich bejahrten, höchst liebens- 
würdigen Mannes welches etwas sehr Geniales hat, das 
lebendige Interesse, welches er sichtlich an seiner Wissen- 
schaft hat, und die hohe Meinung, die seiner Überzeugimg 
nach jeder, der die Katur erforschen will, von dieser seiner 
Beschäftigung haben muß, nahmen mich gleich in der ersten 
Stunde für ihn ein, in der er auseinandersetzte, wie man 
mit der reinsten Seelenstimmiuig und der heißesten Wahrheits- 
liebe, ohne sich von Eitelkeit u. s. w. verführen zu lassen, 
die Natur erforschen müsse, indem dies ein eigner Weg sei, 
Gott zu erkennen. Wahrlich, wTr so spricht und dm*ch sein 
Leben bewiesen hat, daß er auch so handelt, der kann seine 
Schüler wohl für seine Wissenschaft begeistern! Ein 3t es 
CoUeg ist Psychologie und Logik bei Prof. Fries ^ fünfmal 



d 



*) Diese and die weiterhin folgenden Bemerkungeti Versrannns über den 
benUimten, aus Hamburg staminenden Botaniker Matthias Jacob 
Sehleideüj der erst 1839, aläo nicht lange, ehe V. ihn hört€^ seine 
akademiiche Lehrtätigkeit begonnen hatte^ durften für dessen 
Biographie nieht ohne Interesse sein. VgL über Schleiden u. a. die 
ihm gewidmeten SäkularschrÜten von M. MObius (Leipeig 1904) 
und Ton A- Schober (Hamhnrg 1904), 

^ Johann Wolfgang Döbereiiier, von ISIO bis mk seinem Tode (34. März 
1849) Professor der Cheinie in Jena. YgL JOU. GÜTJTUEK a. a. 0. 
S. 231 und KOPP Gesch. der Chemie. Band 4, namentilch B. 226. 

^ Jakob Friedr. Fries^ namentlich durch seine philosophischen Schriften 
bekannt^ war wegen seiner BeteOiguug am Wartburgfest und seiner 
Beziehungen «ur Burscbemchaft überhaupt 1819 von seinem philo- 
sophiicben Lehramt in Jena suspendiert, jedoch bereits 18^4 zum 



Jenaer Stndentenbriefe Ton Johannes Versmann. 41 

Wöchentlich von 11 — 12; Pries ist mir bis jetzt noch etwas 
unverständlich, da sein Vortrag monoton und sehr rasch, 
seine Gredanken tief und nicht leicht aufzufassen sind; doch 
denke ich mich bald an ihn zu gewöhnen. Außerdem werde ich 
von Montag an eine öfEentliche Vorlesung von Schieiden über 
den Grebrauch des Mikroskops zu naturwissenschaftlichen 
Untersuchungen Montags und Donnerstags von 11 — 12 und 
dann, freilich erst von Pfingsten an, die von Schmidt über 
Magnetismus und Elektrizität hören. — Außerdem wünsche ich 
sehr in der Chemie praktische Arbeiten zu machen, weil ich 
glaube, daß dies das beste Mittel ist, die Sachen gut zu 
behalten. Das practicum bei Doebereiner mitzunehmen räth 
mir Martin nicht, und ich habe ebenfalls einen sehr wichtigen 
Grund dagegen, den nämlich, daß es 4 Louisd'or kostet. 
Daher haben denn Heibert und ich uns verabredet bis zum 
Jenenser Jahrmarkt, der den 26sten Mai ist, zu warten und 
uns dann einen kleinen Apparat von Glasröhren, Spiritus- 
lampe u. s. w. anzuschaffen, wo denn der Pi-of. Schieiden, den 
Heibert genau kennt, uns versprochen hat, die Oberaufsicht 
über unsere Arbeiten zu führen, uns Salze zum Analysiren 
zu geben u. dergl. — Da siehst Du ganz genau, lieber 
Vater, womit ich mich beschäftige; es ist, glaube ich, voll- 
kommen genug, wenn ich es ordentlich imd gründlich Alles 
betreiben will, imd wenn ich auch mehr hören wollte, so 
wüßte ich es nicht anzufangen, denn im Ganzen ist es hier 
für Mediziner nicht brillant bestellt; auch sind hier meistens 
Theologen, die keine bessere Universität finden können, als 
Jena. Die Anatomie, die für den Winter meine Hauptsache 
ist, wird nach Martins Zeugniß ausgezeichnet gelesen; außer- 
dem ist besonders Starck, Martins Schwiegersohn, bedeutend, 
der die Klinik hat, für mich also in dieser Hinsicht von 
keinem Interesse ist. — Heute Mittag war ich bei Martins 
zu Tisch, wo jeden Sonnabend sich die ganze Familie 
versammelt 



Professor der Mathematik und Physik daselbst ernannt worden. Als 
Versmann in Jena studierte, hielt Fries abwechselnd oder auch neben- 
einander philosophische, mathematische und physikalische Vorlesungen. 



42 Adolf WoMwiU, ^^V^^V 

3. Versmami an seinen Bruder HermannO« 

Jena d. 16, Mai 40, 

. . , Ich fühle mich hier nun freilich sehi- wohl und wüßte 

es mir nicht besser zu wünschen Ich stehe des Morgens 

so früh wie irgend möglich auf, um noch vor den Collegiis 
etwas zu arbeiten; dann trinken Heibert und ich zusammen 
Thee und um 7 Uhr gehts ins Co lieg bis 9. Dann zu Hause, 
wo wir wieder 1 oder 2 Stündchen arbeiten^ um Schlag 11 Uhr 
wieder ins Colleg zu gehen. Die Wege sind hier Gottlob 
alle selu' imbedeutendj da man ganz Jena in 10 Minuten 
in seiner größten Länge durchgehen kann. Schlag 12 Uhr 
wird dann gegessen; wie du weißt, essen wir im Hause, da 
Herr Kaiser selbst eine sogenannte Garküche hat, wo täglich 
ungefähr lUÜ Studenten essen. Wir essen ebenfalls mit an, 
der großen Tafel, weil dies am vortheilhaftesten ist, dj 
man immer am Besten selbst für sich sorgt. Hier stehen 
nun au einer schwarten Tafel mit Kreide 3^4 Gerichte an- 
geschrieben, von denen man sich eins wäMen kann. Suppe 
ist stationaii ; alsdann hat man gewöhnlich die Wahl zwischen 
Rindfleisch, Kalbfleisch und irgend einem 3ten Fleisch oder Brei 
oder Pasteten* Dazu giebts Pellkai'toffeln und, wie jeden Tag 
von neuem zu lesen ist: diverse Salad, Man kommt, erobert 
einen Platz, dann einen Teller mit Essen und geht möglichst 
schnell wieder weg; von den 100, ilie dort mit uns essen, 
kennen wir keinen Einzigen; aber ftir 3 gGn^ die jeder 
Mittagstisch in ganz Jena kostet, wird man vollkommen satt, 
imd das Essen ist auch keineswegs so schlecht* wie es gesagt 
wird. Freilich wollen Leute, die den Cyklus schon einige 
Male mitgemacht haben, behaupten, es werde gegen die Mitte 
des Semestei*s noch schlecht genug werden, und im Anfang 
sei es immer sehr gut; doch wir müssen das Beste hoffen. 
Genossen wird dann meder erst Abends lun 8 oder 9 etwas, 
und zwar von einem großen V* Ellen langen und 1 Hand breiten 
Brodt, welches nebst etwas Butter, Zucker und Thee unsere 



i 



Herrn atin Friedr. Woldemar VersmÄnn. der einzige damals uocb lebende 
Sltere Bruder von JohamiesT geb. Hamburg- 17. Septbr* 1819; f in 
Mexikg aM ai. Dezbr. 1861. 



Jenaer Studentenbriefe von Johannes Versmann. 43 

Vorrathskammer ausmacht. Des Nachmittags habe ich bis 
jetzt in der Zeit, die ich nicht zum Arbeiten bestimmt hatte, 
bei einigen andern Professoren hospitirt, bin beim jungen 
Martin gewesen, oder auch wir gingen des Abends um 6, 
halb 7 etwas zum Thore hinaus, um uns die Gegend zu 
besehen. — Diese ist wirklich hübsch, oft sogar reizend, ob- 
gleich man ihr meiner Ansicht nach erst Geschmack ab- 
gewinnen muß; man mag nämlich hinsehen, wohin man will, 
so trifft man auf Berge, die kahl und unbewachsen, höchstens 
mit einigen Tannen versehen sind. Als Hintergrund machen 
sie sich nun freilich immer schön, wenn etwas Hübsches 
in der Nähe ist, wie z. B. die Saale, an deren beiden Ufern 
die üppigsten Wiesen, dicht mit Weiden und einigen andern 
Bäumen bewachsen sind, aber nicht, wenn man auf sie be- 
schränkt ist. Die Saale ist ein Flüßchen, so breit wie eine 
recht breite Chaussee, das ziemlich schnell fließt und ganz mit 
Treibholz bedeckt ist; beide Ufer sind reizend, und überhaupt 
giebt es Punkte in der Umgegend, von denen aus man eine 
weite, herrliche Aussicht genießt; aber, wenn man irgend 
etwas der Art erreichen will, so muß man immer erst Berge 
ersteigen. — Das Leben hier in Jena ist im Ganzen gemüthlich 
und höchst ungenirt; des Nachmittags trinken oft 50 Studenten 
auf dem Markt ^) an langen Tischen Kaffe und rauchen ihi*e 
Pfeife dazu; Schlafröcke spielen dabei immer eine große 
Bolle, so wie Rapiere; denn der Markt ist den Studirenden 
gleichsam als Fechtplatz angewiesen, da das Stoßen auf den 
Stuben und in den übrigen Straßen verboten ist und nicht füi- 
ein anderes passendes Lokal gesorgt wird. Dies Alles fällt 
hier auch so wenig auf, daß kein Mensch auch nur einen 
Augenblick hinsieht. Abends in der Kühle ist auch häufig 

über die damalige Bedeutung des Marktplatzes in Jena für das dortige 
Stndentenleben vergl. u. a. Felix Schnabels Uniyersitätsjahre. Ein 
Beitrag zur Sittengeschichte des 19. Jahrh. von A. v. S. (1835). Neu- 
druck von Otto Julius Bierbaum (Berlin 1907) S. 148 f. Das im 
folgenden wiederholt erwähnte^ in Jena damals besonders beliebte 
Stoßfechten wird in dem angeführten Buch S. 155 ff. besprochen. — 
Über das Jenaer Stoßfechten in älterer Zeit und dessen Begründer, 
den Jenaer Fechtmeister Wilhelm Kreußler, vgl. EDUARD KELTER^ 
Ein Jenaer Student um 1630 (Jena 1908). 



44 Adolf Wohlwül, ^^^^^B^ 

auf dem Markt große Promenade, indem Jeder mit seinen 
Bekannten auf und abwandelt und sieh unterhält. So vergeht 
ein Tag, wie der andere; heute sind 70— 80 Studenten nach 
Weimar gefahren, geritt^en und gegangen, um die Sehroeder- 
Devrient, die ziiin letzten Mal auftrittj zu hören; die CoUegia 
werden allgemein sehr fleißig besucht, obgleich außerdem 
wohl die meisten, oder viele wenigstens, nieht ganz \iel mit 
dem Arbeiten sich befassen, sondem den Nachmittag und Abend 

so ganz gemüthJich und jfaiü hiubringen Noch habe ich 

vergessen, Dich zu bitten^ ob Du nicht Ernst \) von mir 
grüßen und ihn bitten wallest, mit Vater darüber zu sprechen, 
ob er es der Mühe werth hält, mir einige Reagenzien, oder 
sonst Apparate zu chemischen Arbeiten mit der Frachtpost 
zu schicken, oder nicht; jedenfalls bitte ich um Bescheid 
darauf und wenn es angeht, was ich zu erwarten habe; hier 
ist Alles theuer; die geriihmte Wohlfeilheit Jenas besteht 
wahrhaftig nur in Wohnungen^ Bier und darin, daß man in 
Jena nichts bekommen kann, wofiir man Geld ausgeben 
könnte. Leb wohl und schreibe bald recht ausführlich über 

alle doi*tigen Verhältnisse 

Deinem Hans. 

4. Versmann an seinen Vater. 

Jena d, 6. Juni 40, 

Mein theiu^er Vater! 

Eine Beruhigung bei aller Unruhe, der Du jetzt ausge- 
setzt bist, wird Dir die Versicherung sein, daß ich, soweit es 
sich voraussehen läßt, die feste Überzeugung habe, daß ich 
mich Mer, so lange ich hier sein werde, geistig und körper- 
lich sehr wohl befinden werde* Meine Arbeiten gehen gut 
und glücklich von Statten; die Umgebung, in der ich mich 
befinde, ist nicht allein von Seiten Martins, sondem auch 
von der meiner CommlHtonen eine anerkannt tüchtige und 



') Eniit August Otto VeTsroann^ jüngerer Bruder you Johaimeö, war 
bestimmt^ m den pharm azeutischen Beruf des Vaters eißzutreten. Er 
hat sich später im kommunalen Leben Hamburgs, spezieU auch als 
lli-gerschaft«mitg:Ued, vielfach verdient gemacht. 



Jenaer Studentenbriefe yon Johannes Versmann. 45 

brave, und was wahrlich nicht das Geiingste ist, auch mein 
körperlicher Zustand ist so, daß ich damit zufrieden bin, 
vorausgesetzt natürlich, daß ich weiß, wie ich mich in dieser 
Bücksicht zu benehmen habe 

Am 26sten Mai . ., als hier Markt war, ein für Jena 
sehr wichtiges Ereigniß, kauften Heibert und ich uns eine 
Portion Gläser, Röhren u. s. w. zum Reagiren und andern 
kleinen Experimenten; auch sind wir mit den gewöhnlichsten 
Reagenzien versehen durch Herrn Prof. Schleiden, den Heibert 
sehr genau kennt, und der ein niedliches Laboratorium hat; 
er ist es auch, an den wir uns ganz zutrauensvoll um Rath 
wenden können, wenn unsere eigene Weisheit und die der 
Bücher nicht mehr aushilft. Bei so bewandten Umständen 
bitte ich Dich denn, lieber Vater, mir von Reagenzien nur 
die weniger gewöhnlichen und billigen zu senden, damit das 
Porto nicht zu theuer wird 

Heute gehen die Pflngstferien an, die bis Sonntag über 
8 Tage dauern, ich werde in dieser Zeit die Umgegend recht 
genießen, vielleicht auch kleine Touren in benachbarte Städte 
oder an den Anfang des Thüringer Waldes machen. Die 
gewöhnliche Pfingsttour, wo in 8 Tagen der ganze Thüringer 
Wald bereist wird, ist natürlich nicht für mich; denn wenn 
meine Gesundheit auch recht gut jetzt ist, so ist die Zeit, 
wo sie es nicht war, noch viel zu nahe, als daß ich sie auf 
eine Probe irgend einer Art stellen sollte 

5. Versmann an seinen Bruder Hermann. 

Daß V. ungeachtet der zuletzt mitgeteilten Äußerung, die wohl 
zur Beruhigung des besorgen Vaters dienen sollte, die ersten 
akademischen Pfingstferien doch noch für eine umfassendere Tour 
durch Thüringen verwertete, beweist der von ihm Ende Juni an 
seinen Bruder Hermann gerichtete Brief, in dem es heißt: 

Jena, d. 29»*«'» Juni 40. 
. . . Ich schrieb Euch zuletzt, als ich im Begriff war, mit 
einigen Bekannten eine kleine Tour ins Thüringische zu 
machen. Nun, diese ist sehr nett ausgefallen, hat mir aber, 
obgleich ich sie sehr billig gemacht, meine letzten Thaler 
gekostet; sodaß ich seit der Zeit keinen rothen Heller mehi* 



46 



Ä^lolf WoUwill, 



gehabt habe; was hier in Jena freilich weni^ gcnirt, da kein 
Mensch, er mag Bein, wer er wiü, biiare Bezahhiiig gewohnt 
ist, und da ich keine besondem Angaben gehabt habe, seit der 
Zeit, Nun, mr trafen in Ilmenau den Herrn Prof. KochO aus 
Jena^ der mit mehreren Studenten eine botanische Excursion 
in den Thüringer Wald machte, me er jedes Jahr um Pfingsten 
thnt. Wir hatten an ihm einen heiTlichen Fiihier, der jeden 
schönen Punktj jeden Fußweg, jede Merkwürdigkeit kannte. Wir 
haben durch ihn den Felsenkeller und die berühmten Wasser- 
bäder nach der neuen Mode in Ilmenau gesehen, haben Eisen- 
hütten^ Sehmelzhütten, GJashütten, eine Gewehrfabrik und 
manches Andere gesehen, wozu wir sonst nie gekommen wären. 
Auch auf der Wartburg sind wii* gewesen, wo es herrlich ist. 
Von Eisenach aus fuhren wir den ganzen Rückweg alle zu- 
sanmien, 12 Mann, den geraden Weg über Gotha, Erfmt 
und Weimar nach Hause. Wir sind 10 Tage abwesend 
gewesen. . . . 

6. Versmann an seinen Vater. 

J'ena d. 21«*«^ Juli m40% 

.... auf einem gsxm andern FuBe dagegen stehe ich mit 
dem jungen M[artinJ. Durch diesen bin ich auch beim Ge- 
heimrath Schmidt^), seinem SchwiegeiTater, eingeführt, und eine 
Einladung von diesem oder vielmehr seiner Frau war es, die 
mich gestern meinen Brief nicht beenden ließ. Es war dort 
ein Thee im Garten, wo sehr viele Herren und Damen sich 
einige Stunden bedeutend laogweüten. Dagegen habe ich eine 
recht interessante Bekanntschaft mit Prof. Koch gemacht auf 
der Thihinger Eeise; er ist großer Botaniker und Entoraolog- 
dabei ein sehr zuvorkommender, einfacher Mann. Obgleich 
ich die Botanik nicht bei ilun, sondern bei Schieiden höre^ 



^) £* H, E. Kocli| seit 1SB6 außerordentL Professor in Jena^ hielt im 
SommerseiBeater 1840 Vorlesungen Über Botanik und Entomologie, die 
er mit ExkuTflionefl vertatid. Er wurde später auch als Reisebeaehreibe? 
bekazmt 

^ Die folgenden Zeilen sind dem fiegiime des Briefen am 22. hiu* 
sugefügL 

*) Karl Ernst Scjiniid, Professor des Staatsreebts. 



1 



Jenaer Studentenbriefe Ton Johanaes Versmann. 47 

bat ich ihn doch ganz frei, seine wöchentlichen Excursionen 
mitmachen zu dürfen, was er mir mit der größten Bereit- 
willigkeit zugestand. Du siehst also, daß es mir hier in jeder 
Beziehung sehr gut geht; auch mit meiner Gesundheit muß 
ich zufrieden sein 

Auf demselben Bogen befindet sich ein kleiner Brief an V.'s 
Bruder Ernst, aus dem folgender Satz hervorgehoben werden möge: 

Besonders interessirt mich die Chemie; Doebereiner ist 
ein sehr geistreicher Mann und dazu mit den schönsten Sachen 
zum Experimentiren versehen; Helbert's und mein kleines 
Laboratorium ist freilich noch sehr im Fötuszustande, macht 
uns aber doch viel Spaß; die meisten qualitativen unorga- 
nischen Analysen können wir damit vornehmen, und Manches 
wird noch mit der Zeit vervollständigt 

7. Versmann an seinen Vater. 

Jena d. 16. Aug. 1840. 

Vorausgeht u. a. der Dank für die ihm vom Vater gewährte 
Ferienreise. 

Daß ich, wie Du mir schreibst, Rücksichten 

auf meine Gesundheit voranstelle, und vor allem Uebrigen^ 
es beziehe sich auf Nutzen oder Vergnügen, erwäge, versteht 
sich von selbst; übrigens kann ich mit Wahrheit sagen, daß 
die viele körperliche Bewegung, die ich mir auf Martins 
Rath mit Turnen, Gehen, ganz besonders aber und vor allem 
Andern mit Stoßen und Bergsteigen gemacht habe, meiner 
Brust ausgezeichnet wohlthut, sodaß ich die Berge um Jena^ 
die ich zuerst langsam und mit Beschwerde erstieg, jetzt in 
gewöhnlichem Schritt und ohne Anstrengung hinauf gehe. Auch 
das Stoßfechten, dem ich zuerst gar keinen Geschmack ab- 
gewinnen konnte, übt jetzt, da ich nach 2monatlichem Unter- 
richt ziemlich geübt darin bin, auf meinen Körper und besonders 
auf meine Brust einen äußerst wohlthätigen Einfluß aus, so 
daß ich es jeden Tag Vs Stunde thue, entweder auf dem 
Fechtboden oder nach Tisch mit Heibert auf der Stube; und 
es so liebgewinne, daß ich es, ich möchte glauben, in meinem 
Leben nicht ganz aufgeben werde 



48 Adolf WohlwiU, 

üeberhaupt gefällt es mir hier in Jena jetzt ganz vor- 
trefflich; der Hauptvorzug von Jena scheint mir zu sein, daß 
es Keinen in seiner Art zu sein und zu handeln stört, und wenn 
das der Fall ist, hat ja Jeder das üebrige von sich selbst 
zu erwarten und sich selbst zuzuschreiben. Auffallend ist es 
und doch jetzt mir ganz natürlich, daß ich den großen Schritt 
von der Schule zur Universität eigentlich erst jetzt recht 
selbst erkenne und fühle; es ist mir jetzt erklärlich, weil er 
für mich nicht in Aeußerlichkeiten bestehen konnte, da ich das, 
was zuerst immer am meisten imponiren soll, die akademische 
Freiheit im Gegensatz zum eben [verjlassenen Schulzwang 
nicht empfinden konnte, da in dieser Hinsicht fast schon in 
Selekta^), im voll[konminen] Maaße aber auf dem Hamburger 
Gymnasium eine Freiheit und üngebundenheit herrschte, die ich 
auf der Universität nicht so wiederfinde; das eigentliche Wesen 
einer Sache aber stellt sich nicht auf einmal und plötzlich 
uns dar, sondern will erfahren und erkannt sein. — 

Es folgen dann eine Reihe von Briefen, die uns ein Bild von 
Yersmanns achtwöchentlicher Ferienreise über Nürnberg und Augs- 
burg nach München, von dort durch Tirol bis nach Mailand und 
zurück durch Graubünden, Vorarlberg usw. gewähren, auf deren 
mannigfaltigen Inhalt hier aber nicht näher eingegangen werden kann. 

8. Versmann an seinen Vater. 

Jena d. 14. Novb. 1840. 

Da empfängst Du denn, mein theurer Vater, den ersten 
Brief eigentlich aus Jena von mir, denn der erste, der von 
hier datirt war*), war eigentlich mehr vom Endpunkt meiner 
Reise aus geschrieben, als daß er Dir irgend etwas von Jena 
und den Verhältnissen, in denen ich in diesem Semester dazu 
stehe, erzählt hätte. Damals war das freilich auch noch 
nicht möglich, denn ich war noch zu voll von allen Eindrücken 
der Reise, die sich gerade damals am Ende derselben alle 
noch einmal zusammendrängten, und von der Ankunft in 
Jena, als daß ich meinem Herzen in etwas Andern hätte 



*) Nämlich des Altonaer Cbristianeums. 
^ Vom 29. Oktober 1840. 



Jenaer Stadentenbriefe toh Johannes Veramann. 49 

Luft machen können, und freilich war es ja auch das, was 
Dich und Euch Alle damals unter meinen Angelegenheiten 
am meisten interessirte. Jetzt sind 2V« Wochen verflossen, 
die mir schon sehr viel länger vorkommen, ich bin in der ganzen 
alten Ordnung, und ein Tag verstreicht wieder wie der andere. 
Doch in den magern Jahren lebt man von dem Ueberfluß 
der fetten; drängten sich bei mir in den verflossenen Monaten 
die Genüsse und Eindrücke und erschienen in immer neuer 
Gestalt, so genieße ich jetzt in der Erinnerung oft und gern, 
entweder im Gespräch mit Heibert, meinem treuen Reise- 
gefährten, oder geleitet von den todten, und doch für mich 
so beredten Andenken, — einer Menge theils von mir selbst 
gezeichneter, theils gekaufter Ansichten, und einem treu ge- 
führten Tagebuche*). Besonders des Sonntags reise ich, und 
halte mich denn bei den einzelnen Punkten länger auf, als es 
damals anging, und suche mich über manche, besonders 
historische Sachen näher zu unterrichten, von denen ich den 
Ort sah, wo sie geschahen. Wirklich es giebt ein ganz 
anderes, eigenes Interesse für die Verhältnisse der Zeit, wenn 
man den Ort sah, wo dieselben sich entspinnen; ich interessire 
mich z. B. in den Zeitungen am meisten für die Artikel, die 
aus mir bekannten G^enden und Städten kommen, und manche 
Dinge, die früher nicht das geringste Interesse für mich haben 
konnten, haben jetzt ein großes für mich, indem sie zur Be- 
stätigung oder Berichtigung mancher gemachten Bemerkungen 
dienen. So genieße ich noch lange die Nachfreuden meiner 
Reise und lasse sie mir noch recht nützlich werden. — Hier 
in Jena habe ich mich so bald und ganz wieder eingelebt, 
daß mir die ganze Reise oft wie ein Traum vorkonunt; und 
dies ist ganz natürlich, denn was kann eigentlich wohl auf- 
fallender sein, wenn man die Sache einigermaaßen von ent- 
ferntem Gesichtspunkt auffaßt, als daß man, nachdem man 
ein halbes Jahr nicht aus einer kleinen Stadt gekommen ist, 
plötzlich in 8 Wochen vieler Herren Länder durchläuft, um 
dann wieder für lange Zeit nicht vom Fleck zu konmien, und 
in seinen Beschäftigimgen gerade da wieder anzufangen, wo 



*) Dieaes Tagebuch ist leider nicht mehr Torhanden. 
Ztoclir. d. Vereins f. Hamb. Gesch. xm. 



60 ^^W Adolf Wolilwili, ^^^^^^H 

mafl vor 8 Wochen stehen blieb, als ob das Intermezzo gar 
nicht Statt getiinden hätte? Doch das ist auch wieder gut für 
den Hauptzweck meiner jetzigen Zeit, denn sobald ich das 
alte Colle^engebäiide in Jena wieder sah und den ganzen 
andern Zubehör der Uiüvensität, befand ich mich >^ieder 
mittendj inn, und an ein Zer^treutsein von der Keiae her war 
nicht KU denken. Freilich wurde meine Zeit auch gleich 
Montag in Anspruch genommen, denn da begannen die Collegia. 
Ich höre jeden Morgen von 8 — 9 Mineralogie bei Dv, Schmidt'), 
einem Privatdozentenj dem Sohne unseres jetzigen Prorektors; 
dies CoUeg ist fast eine Privatstunde, wir sind nur 3, und 
können daher die Sache mehr konversatorisch abmachen. 
Dann von 9—10 und 11—12 jeden Tag (mit Ausnahme des 
Sonnabends) Anatomie bei Prof. Huschke^< Dies ist das Haupt- 
kolleg für diesen Winter, und erfordert außer den 2 Stunden 
täglich noch sehr viel Nacharbeiten zu Hause, Von sehr großer 
Wichtigkeit ist mir dabei der Winter auf der Hamburger 
Anatomie, da ich doch nun gleich anfangen konnte zu arbeiten, 
und nicht erst, wie es allen Andern geht, das halbe Semester 
hingehn lasse, um nur einigeimaaßen Begriffe von der Sache 
zu bekommen. Ueberhaupt sehe ich immer mehr und mehr 
ein, wie mchtig eine solche Uebergangsanstalt*) ist, denn die 
Physik bei Prof, Fries, die die Stunde von 10—11 ausfüllt^ 
würde mir bei seiner ganz philosophischen Behandlung der- 
selben ungeheure Schwierigkeiten machen, wenn mir nicht 
durch Prof, Wiebels*) herrlichen Unterricht die facta aus der- 
selben bekannt wären; so geht es denn jetzt recht gut. Die 
Osteologie, die bis Weihnacht jeden Tag von 2—3 gelesen 
wii*d, und die ich erst hörte, habe ich wieder aufgegeben^ da 
sie meinen Erwartungen nicht entsprach, weil er nur ganz 

^) Gemeint lit der bereits genoiuite Dr. Eniflt Schmidt Sohn des Ge- 

heimrata £. E. Schmtd. 
^ Emil Huachke (1797—1858), ordenü. Profeüor der Anatomie in Jena. 

Vergl. JOH, OÜHTHEE a. a, 0., S. 147, 
*) GemeiDt ist daa Äkadem. Gymnasium in Hamburg; die 2um Stndium 

der Medkin bestimmten akad. Gymnaaiaäten pflegten die Hambui-ger 

Anatomie tu besuchen. 
*) Der in diesen Briefen öfters g-enannte (Carl) Wiebel war seit 1837 

Profeasof der Pbysik und Chemie am Akad. Gjmnasiiun in Hamburg, 



1 



Jenaer Studentenbriefe von Johannes Veranann. 51 

dasselbe vorträgt, was ich in Hamburg in einem eigenen 
privatissimum viel besser gelernt habe, als ich es jetzt mit 
20 — 30 andern Zuhörern zugleich lernen würde. Dafür höre 
ich denn nun Prof. Wolf*), der 5mal wöchentlich des Abends 
publice über die neueste deutsche Litteratur vor einem auditorio 
von 80 — 100 Studenten sehr geistreiche Vorträge hält. — 



9. Versmann an seinen Bruder Ernst. 

Jena d. 16. Nov. 40. 

.... Ganz besonders freut es mich, daß Du Prof. 
Wiebel in diesem Winter hören kannst; freilich würde es 
wohl Wünschenswerther gewesen sein, wenn Du im Sommer 
den Anfang gemacht hättest, da er dann, früher wenigstens, 
unorganische, und im Winter organische Chemie las; aber 
jedenfalls halte es für ein großes Glück, einen solchen 
Dozenten zu hören; was Du vielleicht nie wieder können 
wirst, denn selbst in Jena wüßte ich sehr wenige, die in 
Hinsicht seiner Gabe des Vortrags, seinem angenehmen und 
liebenswürdigen Wesen, womit er Jeden für seine Wissen- 
schaft zu gewinnen weiß, ihm an die Seite zu stellen wären, und 
wenn Döbereiner, als älterer Mann und einer der berühmtesten 
deutschen Chemiker der Gegenwart, ihn an Ruf und Menge 
neuer Erfindungen übertrifft, so halte ich doch Wiebel für 
einen ungleich bessern Lehrer, da jener nur mit Mühe und 
selten von Leuten verstanden wird, denen der Gegenstand 
des Vortrags noch ganz fremd ist; durch die Bekanntschaft 
mit Doebereiner hat Wiebel in meinen Augen erst seinen 
rechten Werth bekommen 

10. Versmann an seinen Vater. 

Jena, d. 20**«" December 40. 

Zum letzten Male in diesem Jahre, mein innig geliebter 
Vater, ergreife ich die Feder, um mich Dir noch einmal recht 



Oakar Ludw. BemL Wolff, der bekannte SchriftsteUer und Imp' 
YiBator, der (am 26. Juli 1799 in Altona geboren) auch einige Ze 

4* 



62 Adolf Wohlwül, 

innig und fest anzuschließen, und dann mit Gott das neue 
Jahr beginnen zu lassen, überzeugt, daß liebe, theure Seelen 
in der Heimath auch femer an mii- so warmen Antheil 
nehmen. — 0, mein Vater, ich kann Dir meine Stimmung 
und mag sie Dir nicht beschreiben; ich werfe mich in Gedanken 
an Deine Brust, und ein stummer Kuß sagt uns beiden, was 
wir fühlen. 0, ich freue mich so recht von Herzen auf die 

Zeit, wo ich wieder mündlich mit Dir mich unterhalte 

ich habe Dir dann so Manches zu sagen . . . , was man dem 
Papier und der langen Zeit, die dann zwischen Frage und 
Antwort bleibt, nicht anvertrauen mag; es ist wahr, aber 
auch nur in dieser Beziehung wahr, daß große Entfernung 
leicht entfremdet; denn man kann nicht jeden Eindruck und 
jede Begung des Herzens sogleich mittheilen, und es ist so 
schwer, von Zeit zu Zeit ein Bild davon zu entwerfen, weil 
wir selbst uns oft unbewußt und nach und nach verändern. 
So hat mich oft der Gedanke beunruhigt, daß Du aus meinen 
Briefen und Nachrichten Dir doch noch keine ganz vollständige 
Vorstellung davon machen könntest, wie ich eigentlich meinen 
Geist hier in jeder Beziehimg befriedige, und womit ich z. B. 
außer meiner Fachwissenschaft mich beschäftige. Ich kannDir da 
freilich erzählen, wie ich mich viel und gern mit der deutschen 
Litteratui-, unter Anleitung der Vorlesungen von Wolff, und 
jetzt auch mit Astronomie beschäftige, wie ich bald bei der 
Tante Martin, bald beim jungen Martin mich sehr angenehm 
unterhalte, wie ich schon mehrere Male auf den sogenannten 
akademischen Bällen, die aus lauter Professoren und den 
von ihnen eingeladenen Damen und Studenten gebildet werden, 
gewesen bin, mich aber jedes Mal tüchtig ennüyirt habe; 
aber das Eigentliche, was das Leben der Studenten in Jena 
würzt, und Jeden so an Jena fesselt, das kann ich Dir nicht 
so schriftlich wieder geben, und daher freue ich mich so 
darauf, dies einmal mündlich mit Dir zu besprechen; es ist 
dies das Verhältniß, worin die Studenten zu einander und zu 
den Professoren stehen, und welches so einzig und allein in 

Hamburg als Lehrer gewirkt hatte, war zufolge des Interesses, das 
'^ethe an ihm genommen, 1826—1830 am Gymnasium in Weimar» 
itdem aber an der Univenität in Jena angestellt 



Jenaer Stndentenbriefe ¥oa Johannes Versmann. 53 

Jena herrscht So z. B. nennen sich alle Jenenser Studenten 
ohne ii^end einen Unterschied oder eine Ausnahme „Du,^ 
und dies schon giebt ein anderes Verhältniß, als das steife 
„Sie*'. Dabei lernt man nun Leute aus allen G^enden des 
deutschen Reiches, aus Ungarn und der Schweiz kennen, und 
zum Theil sehr genau kennen, ohne darum gleich eine Freund- 
schaft, die man vielleicht nicht will, auf dem Halse zu haben; 
Keiner fühlt sich hier allein, sondern immer als Glied des 
Ganzen, ohne darum irgend in seiner Buhe oder Einsamkeit 
gestört zu werden. Ebenso das Verhältniß mit den 
Professoren; man geht ohne alle Umstände, wie man ist, 
zu Urnen hin und fragt sie um Bath und wird mit einer 
Freundlichkeit und Vertraulichkeit behandelt, die man ander- 
wärts in solcheni Verhältniß gewiß vergebens sucht, sowohl 
in Art der Gegenstände, als auch der Behandlung derselben; 
und so ist ja Jena auch im Auslande förmlich berühmt 
wegen dieses Verhältnisses, worin Lehrer und Studenten 
hier stehen. — 

Dieser Brief wird gerade am Tage des heiligen Abends 
eintreffen, wo Du denn zum ersten Male nur 4 von Deinen 
Söhnen um Dich hast; aber die andern Beiden werden im 
Geiste gewiß den Abend bei Euch sein, unser alter Herrmann 
reist in Gedanken von seinem Bordeaux und ich von Jena aus 
in die alte Heimath, um das liebe Christfest zu begehn. Ich 
weiß nichts Besseres, mein theurer Vater, Dir an dem Abend 
zu bringen, als die Versicherung, daß ich glaube hier meinen 
Zweck zu erfüllen, und dies einst, wenn Rechenschaft darüber 
von mii- gefordert wird, beweisen zu können; das Andere 
versteht sich von selbst. Ich werde den Weihnachtabend 
theils einer Einladung zu Folge bei den versammelten Martins 
zubringen, theils im Kreise froher Bekannten. Wii' haben 
nämlich durch kleine Beiträge eine ziemliche Summe zu- 
sammengebracht und eine Commission ernannt, welche einen 
Ungeheuern Tannenbaum mit kleinen Geschenken, die zu dem 
Beschenkten in irgend einer Beziehung stehen, und passenden 
Reimen dazu versieht, um Allen die Erinnerung an die Jugend- 
zeit, auch fem von den Aeltem, recht lebhaft zu machen. 
Davon schreibe ich Dir später einmal mehr 



54 



Adolf Wohlwül, 



11, Versmann an seinen Vater. 

Eine Ergänzung su den letzten Äutzügen aus dem vorigen 
Brief bildet der vom 3L Januar 18-llt in deio ea u* a. heißt: 

Das Weüinaclitsfest habt Ihr — ich kann mir es ganz 
genau vorstellen ~ gewiB ziemlich stiU nnd nihig hin- 
gebracht; Du mit den 4 Brüdern allein; oh! wie schnell hat 
sich doch unser schöner und großer Kreis aufgelöst; ich habe 
mieh recht zu Euch hingedacht, und so laut und lärmend ich 
auch den Abend verlebt habe, überkam mich doch oft eine 
Wehmuth, die ich nicht zurückdrängen konnte* — Den 
heiligen Abend nämlich verlebte ich mit vielen andern 
Studenten, die alle nicht nach Hause gehen können in den 
kurzen Ferien. Da ward denn eine Coramission ei^^ähJt, die 
einen großen Tannenbaum, mit lauter, natürlich höchst un- 
bedeutenden Geschenken aufputsste; und dabei fitr Jeden einen 
kleinen Vers, der meist eine vei^teckte Malice, oder sonstige 
ziun Geschenk passende Anspielung enthielt. Einer, in der 
Maske eines Braunschweiger FrachtfuhnnannSj — deren 
Grobheit hier sprichwörtlich ist^ las die Verse vor und über- 
reichte dabei die Geschenke \ oft von unei*müdlichem Gelächter 
über einen passenden Witis, eine pikante Anspielung unter- 
brochen. So ging der Abend im Ganzen recht hübsch hin, — 
Dann waixl noch am Isten Festtag bei den alten, und am 
2ten bei den jungen Martins, nach hiesiger Sitte, ein recht 
steifer langweiliger Weihnacht in großer Gesellschaft ein- 
geladener Gäste gehalten; da dachte ich mm fi^eilich oft ans 
Vaterhaus* und die Bemerkung drängte sich mir mit Macht 
auf, daß dei^leichen Sachen allein Bedeutnng bekommen durch 
den Geist, aus dem sie hervorgehen, und in dem sie aus- 
geführt werden. — 

12, Versmann an seinen Bruder Ernst, 

Jena d. 1, Febn 41. 
.... Die schöne Hamburger Revolution, die, da sie 
aus dem Geiste hei^orging, mit so viel Begeistenmg anfing, ist 
wohl spurlos verschwunden?*) Ich habe die ganze Geschichte 

'^ Die ironische Betnerlstmg V,s bezieht ^ich auf einen Krawall, der 
prdi eine flffeutliche Versammlong des Hamburger Miißigkeitsvereina 



Jenaer Stndeiitenbriefe yon Johanne« Veramann. 56 

in allen möglichen Blättern weitläuftig gelesen. Nun wül ich 
Dir aber auch etwas erzählen, was Du wohl in keinem Blatte 
lesen wirst, was darum aber weit interessanter zu hören ist, 
als wenn Hamburger Revolution anfangen wollen. Wir hatten 
hier nämlich am letzten Freitag einen prächtigen Auszug, 
der halb Jena auf die Beine brachte, und von dem man in 
ganz Jena noch heute spricht. Es existirt hier nämlich seit 
undenklichen Zeiten in irgend einem der umliegenden Dörfer 
ein sogenannter Bierstaat mit einem Herzog, Bittem, Knappen 
u. s. w., einer heiligen Kirche, bestehend aus einem Erzbischof,» 
einem Burgpfaff und Schinderknecht. Dieser Bierstaat sollte 
verlegt werden von Zwätzen nach Wöllnitz; daher wurden alle 
Sachen hach Jena geschafft, um im feierlichen Auszuge sie nach 
Wöllnitz zu bringen. Nun sind solche Auszüge freilich ver- 
boten, aber wir hatten mit einigen Professoren vorher darüber 
gesprochen, und da sie meinten, wir könnten uns dies un- 
schuldige Vergnügen gern machen, so geschah es. Vorauf ritt 
auf einem schrecklichen Jenenser Miethgaul der Reichsherold; 
dann folgte der Insignienwagen, worauf das große Reichs- 
wappen nebst Zepter und Reichsapfel und den 2 Reichs- 
baronen; ihm folgte der herzogliche Wagen, worin der Herzog 
im Purpurmantel mit der Krone von Papp; bei ihm saß sein 
Leibmedikus, ihm gegenüber der Thronfolger und ich als sein 
Leibknappe; in einem Tritt stand ein Mohr, im andern ein 
Page, hintenauf 2 Kammerherm, in Kniehosen, mit Degen, 
gepuderten Haaren und Ungeheuern goldenen Schlüsseln; 
nebenbei ritt der 2te Leibknappe mit der Fahne; dann 
kamen lauter Schlitten; auf einem der Zeitungsschreiber mit 
einer in Ketten gelegten Presse; dann der Erzbischof, in 



hervorgerufen wurde. Durch die Worte atM dem Geiste hervor- 
gegangen wird darauf angespielt, daß der Branntwein (Spiritus) 
in den Beden und dem gesamten Gebahren der Tumultuanten die 
Parole war. Vergl. GALLOIS, Chronik der Stadt Hamburg Band 4 
S. 904, femer die Notizen von Dr. Heckscher und Dr. Bud. Ferber 
in dieser Zeitschr. Bd. 12 S. 367 ff und &00 f. — Es dürfte sich vielleicht 
lohnen, den tiefer liegenden Ursachen der erwähnten Revolution 
nachzuspüren, da sie nicht nur in die Abstinenzbewegung eingriff, 
sondern auch für die Geschichte der sozialen Gegensätze eine gewisse 
symptomatische Bedeutung hat 



56 Adolf Wohlwm, ^^^^^B 

ErmangeluBg eines Esels, auf einem, dem Esel sehr äbnlichen 
EößleiD, im weißen Gewand, mit der Bischofsmütze und dem 
Krummstab^ mit dem er das Volk segnete; hinterher die 
übrigen Diener der Kirche; dann Bacehng auf einer Tonne 
mit einigen verkleideten Damen (eine war Heibert trot^s 
seines Bartes) und niancherlei andere Schlitten und zuletzt 
eine große 4 spännige Postblamage mit Knappen und Barbaren. 
So ging der Zug durch die ganze Stadt nach WöUnitZp 1 Stunde 
von Jena ; hier hielt der Bischof eine aus Unsinn, Witz nnd 
mancherlei Anspielungen zusammengesetzte Krönungsrede, bei 
der man wirklich in Gefahr war, vor Lachen krank zu werden; 
und am Abend fuhren wir im Schneegestöber zuiiick. Die 
Geschichte hat die Jenenser sehr amüsirt; auch die meisten 
Professoren hatten sich sehr darUber amüsirt, und ging Alles 
zur allgemeinen Freude ab 



13. Versmann an seinen Vater, 

Jena d. 8. Mäi^ 184L 



H 



Wenn ich jetzt am Ende des Semesters auf 

dasselbe zurücksehe, so kann ich das mit ziemlicher Ruhe und 
Zufriedenheit; freilich hätte noch unendlich viel mehr ge- 
schehen können, das wird nie Jemand wagen von sich zu 
läugnen; aber ich möchte doch nicht, daß es andei-s gewesen 
wäre, als es war; denn Manches, was nicht vom Katheder 
gelehrt wiid und nicht in Büchern steht, wäre mh^ dafür ver- 
loren gegangen, — Die Anatomie j mein Hauptkolleg, 10 
Stunden wöchentlich, oft 12, habe ich tüchtig durchgearbeitet, 
und ich hatte die beste Gelegenheit und Hülfsraittel, theüs, 
weil Heibert, der in einem Hause mit mir wohnt, sich herr- 
liche Tafeln in Lebensgröße angeschafift hat, theUs dadurch, 
daß Martin mich zu vielen Sektionen mitnahm, und mich 
meistens selbst Hand anlegen ließ. Ihm verdanke ich von 
dieser Seite viel, und seine Fi-eundlichkeit werde ich nie ver- 
gessen* Einen zweiten Protektor der Art habe ich in seinem 
Schwager, dem Dr, Schmidt, Piivatdozenten der Natur\^1ssen- 
^^aften, gefunden, der mit der größten Freundlichkeit und 
raütät mir Vieles gezeigt und erklärt hat, was man nur 



ilb 



Jenier Stadmtenbrieffi Ton Johannes Venmann. Ö7 

durch Privatmittheilimg keimen lernt Ich höre dies Semester 
bei ihm nur mit Heibert und einem Dritten Mineralogie und 
Geologie, und er hat nicht allein fOr uns 3 dies GoUeg ge- 
lesen, sondern l&ßt uns jetzt noch 3 mal wöchentlich zu sich 
kommen, um Löthrohnrersuche auf Analyse der Mineralien zu 
machen. So stehe ich hier sehr gut, und kann noch unendlich 
viel hier lernen; besonders freue ich mich auf den nächsten 
Sommer, wo ich interessante CoUegia habe: Physiologie und 
vergleichende Anatomie, und außerdem werde ich wahrschein- 
lich noch einmal Botanik bei Schieiden hören, der durch 
seinen geistreichen Vortrag bald eine große Anzahl Schuler 
um sich sammelii wird. Ueberhaupt bin ich immer mehr mit 
ganzer Seele Mediziner 

14. Versmann an seinen Vater. 

Jena d. 12. Juni 1841. 

Mir geht es denn, wie immer, in Jena vor- 
trefflich; die Pfingstferien waren fi-eilich etwas sehr lang- 
weilig für mich, da ich fast allein zu Hause blieb, während 
Alles in den Thüringer Wald, die sächsische Schweiz und 
unter Andern Heibert in den Harz zog. Aber ich hatte es 
mir vorgenommen, und jetzt ist es mir auch sehr angenehm, 
daß ich es gethan, da ich in der Zeit fleißig gewesen und 
Manches gelernt und dazu jetzt um 15 Thlr. reicher bin. — 
Am meisten Vergnügen von den Sachen, womit ich mich in 
diesem Semester beschäftige, macht mir die Botanik, die mir 
erst durch Schieiden interessant, ja im höchsten Grade an- 
ziehend geworden ist; die Ikkursionen, die wir wöchentlich 
mit ihm machen, sind so belehrend wie angenehm; die gute 
Gesellschaft gleichgestimmter Freunde, die schöne Gegend, 
Schleidens gute Unterhaltung und sein überaus ungenirtes 
Wesen machen sie uns so angenehm, daß keine eigends zum 
Vergnügen arrangirte Landparthie mehr Genuß gewähren 
könnte; dazu ist die Flora hier eine der reichsten in Deutsch- 
land, da das Klima sowohl als der fruchtbare Boden des 
Saalethals und der vielen sanften Bergabhänge, so wie der 
an einigen Stellen sumpfige, an andern mit dichtem Laub- 



58 Adolf Wohlwill, 

und Nadelholz bewachsene Boden die verschiedensten Pflanzen, 
die sonst selten in einer Gegend vorkommen, hervorbringt. 
Außerdem höre ich bei Huschke Physiologie; dieser hat eine 
unerträgliche Weise, seine Disziplin zu handhaben; er diktirt 
fast die ganze Stunde hindurch; aber dennoch kann er dieser 
Wissenschaft das Belebende und Interessante, was sie vor fast 
allen andern medizinischen Disziplinen auszeichnet, selbst 
durch seine eigne Geistlosigkeit nicht nehmen. Die ver- 
gleichende Anatomie, die ich ebenfalls täglich 1 Stunde bei ihm 
höre, ist interessant, weil er nur gesammelten Stoff zu geben 
hat, dessen Zusammenstellung oft zu den überraschendsten 
Resultaten führt, obgleich auch sie viel interessanter und 
geistreicher vorgetragen werden müßte. — 

Im zweiten Teile des Briefes erwägt V. u. a. die Frage, ob 
es richtiger sei, im kommenden Semester eine andere Universität 
zu beziehen oder noch länger in Jena zu bleiben. Daß er zu dem 
letzteren Entschluß neigte, zeigt der Schluß des betreffenden Absatzes: 

Zu dem Allen kommt, daß ich die größte Celebrität 
unter unsem hiesigen Medizinern, den Prof. Stark, der die 
allgemeine Pathologie höchst geistreich liest, erst im nächsten 
Winter hören kann, und also, wie Martin mir mit Recht vor- 
hält, den unserer Professoren, der so viele Fremde anzieht, 
nicht hören, sondern gerade vorher weglaufen würde. Nun 
noch dazu genommen, daß ich hier aus den angenehmsten, 
behaglichsten Verhältnissen scheide, um in neue, die ich gar 
nicht kenne, und die gar nicht so gut, wie die hiesigen sein 
können, trete, so wirst Du glauben, daß ich mich in einer 
mißlichen Lage befinde; ich tröste mich damit, daß ich es 
immer noch aufschiebe und denke, es ist noch lange hin, und 
mich noch freue, so lange ich in Jena bin; aber es macht 
mir manchmal den Kopf warm. 

Unmittelbar hieran schließt sich die folgende Notiz: 

Gestern wurden in Weimar Schillers Räuber gegeben; 

es waren ungefähr 300 Studenten aus Jena dort, und es soll 

eine rasende Wirthschaft gewesen sein; ich war nicht in der 

'^mmung und blieb zu Hause; überdies habe ich die Touren 

1 Weimar abgeschworen, da sie theuer und doch eigentlich 



Jenaer Studentenbriefe von Johannes Venmann. 59 

nicht interessant sind; übrigens hätte das gestrige Stück wohl 
zu einer Ausnahme führen können, denn es ist von jeher 
Sitte, daß zu den B&ubem ganz Jena hinüberzieht und das 
Parterre allein einnimmt; dann singt man nach dem Liede: 
Ein freies Leben etc. den ersten Vers vom Gaudeamus igitur, 
auch eigentlich nur, weil es ein altes Herkommen ist, und in 
der Nacht geht und fährt man nach Jena zurück^) .... 

Am Schloß des Briefes bemerkt V. u. a., daß er mit Heibert 
und einem dritten einen italienischen Kursus bei Prof. Wolff zu 
nehmen beabsichtige, und fögt dann hinzu: 

In der letzten Zeit habe ich mich auch etwas mehr auf 
das Zeichnen, und zwar nach der Natiu-, gelegt, wozu hier 
schöne Gelegenheit ist; auch habe ich einige solche Sachen 
nachher schwarz getuscht, was mir ziemlich geglückt ist und 
mir vielen Spaß machte; besonders 2 Ansichten von der 
Rudelsburg, einer der schönsten Ruinen im Saalethal, 6 Stunden 
von Jena, die ich mit mehreren Bekannten eine Woche vor 
Pfingsten besuchte 

15. Versmann an seinen Vater. 

Jena d. 25. Juli 41. 

Endlich nun noch das große Musikfest; das 

mag herrlich gewesen sein; da hat sich die alte Reichsstadt 
einmal recht wieder im alten Glänze gezeigt; so etwas ist 
ihrer würdig.*) Ich habe die dazu gehörigen Sachen, die Du 
mir schicktest, und die ich in den verschiedenen Zeitungen 
fand, mit einem Interesse gelesen, als wäre ich selbst dabei 
gewesen, und habe mich in der Hamburger Seele über die 
ganze Geschichte gefreut. Eine Rezension meinte zwar, das 
Metall, was für die vielen Feste verwendet worden, sei dem 
Metall der Stimmen der Solosänger abgegangen, und die vielen 
Schmause u. s. w. hätten dem Fest bedeutenden Eintrag ge- 



Vergl. hierzu: (G. H. SCHNEIDER), Die Burschenschaft Germania S.239 f. 

') Den glänzenden Verlauf des Hamburger Musikfestes vom 5. bis 8. Juli 
1841 veranschaulicht am besten die Schrift von B. Ay£ — ^LAllemant, 
Rückblicke auf das dritte norddeutsche Musikfest in Hamburg (Lübeck 
1841). 



60 Adolf Wohlwill, 

than; das mag auch wohl wahr sein, und ist ein neuer Beweis, 
daß man bei uns nicht den Geist erfreuen kann, ohne den 
Magen zu bedenken 

16. Versmann an seinen Vater. 

Jena d. 23»*«» Oct. 1841. 

Die Ferien sind jetzt fast vorbei, und schon 

wird es lebhafter im alten Jena; die Leute kehren vom Hause 
und von den Reisen zurück und täglich finden sich alte Be- 
kannte wieder. Mir sind sie ruhig und still hingegangen; 
ich habe tüchtig gearbeitet, außer meinen Fachwissenschaften, 
neueste Geschichte und Italiänisch zusammen mit einem 
Schweizer, der eigentlich ein halber Italiäner ist und mir 
daher bedeutend voraus, was mich sehr förderte; ich helfe 
ihn dagegen im Englischen weiter. In Weimar war ich 
8 Tage in der Familie eines hiesigen Studenten Genast, den 
ich sehr achte. Es waren angenehme Tage, besonders sprach 
mich das Leben in einem Familienkreis an, und ich kann 
nicht läugnen, daß mir zuweilen etwas wehe ums Herz ward, 
wenn ich das schöne Verhältniß zwischen der Mutter, einer 
sehr gebildeten, liebenswürdigen Frau, und den erwachsenen 
Kindern, 2 Töchtern und einem Sohne sah, und doch that es 
mir so wohl/) Einige Landparthien in sehr zahlreicher Ge- 
sellschaft waren sehr unterhaltend; dergleichen kennt man in 
Jena nicht, denn hier giebt es kaum ein Familienleben; außer- 
dem habe ich denn nun auch Alles gesehen, was sich nur im 
Entferntesten auf Göthe, Schiller und Karl August bezieht; 
die Weimaraner sind eitel auf diese Schätze und treiben die 
Verehrung besonders gegen Göthe bis zur lächerlichen Ab- 
götterei; ich glaube, die Stadt ist zu klein für diesen großen 
Geist, wenigstens kommt es mir immer so vor, als wenn 
Weimar an Göthe leidet. — 

Tante Martin ist von ihi-er Heidelberger Reise zurück- 
gekehrt und grüßt Dich herzlich; sie ist wohlauf sammt dem 

Onkel und ihren lündem Ihren Schwiegersohn Stark 

lerne ich diesen Winter auch kennen; ich höre „Allgemeine 



Versmann hatte seine Matter bereits als Knabe (21. Juni 1833) verloren. 



Jenaer Studentenbriele von Johannes Versmann. 61 

Pathologie*' nach seinem eignen, sehr berühmten Lehrbuche 
bei ihm, wöchentlich 9 und bald, wenigstens von Weihnachten 
an, 12 Stunden wöchentlich. Ebenfalls bei Martin werde ich 
hören, und zwar Pharmacologie; außerdem präparire ich, was 
ich mit weniger MOhe, als ich erwartete, durchgesetzt habe, 
da hier nach einer ganz willkührlichen Einrichtung von 
Huschke sonst nur die zugelassen werden, die schon 2 Mal 
Anatomie gehört haben. Bei diesem Präpariren kommen mir 
die nächtlichen Touren vom Deichthor nach Hause vom 
Winter 1839/40 wieder zu Gute, da ich dadurch in Stand 
gesetzt bin, gleich ordentlich bei der Sache anzufangen, und 
nicht erst einige Monate damit hinbringen muß, mich einzu- 
üben, was mir doppelt angenehm ist, da ich weder mit 
Huschke, wie du weißt, noch mit dem Prosector, einem ganz 
unwissenschaftlichen, trägen Kerle, der kaum richtig deutsch 
spricht, im besten Verhältniß stehe. . . . 

17. Versmann an seinen Vater. 

Jena d. 11. Dec. 1841. 

Meinen Gebiu-tstag brachte ich still zu; ich 

hatte die Absicht, nach Tisch meinen Bekannten der Merk- 
würdigkeit wegen einen Kaffe auf dem Markt zu geben; denn 
die Witterung ist hier noch immer lau, vor einigen Tagen 
sogar frühlingsmäßig; aber es fing an zu regnen und der Spaß 
mußte unterbleiben, den ich sonst wahrlich nie wieder ver- 
gessen hätte. Über meine Collegia bin ich Dir noch eine 
genauere Rechenschaft schuldig. Mit diesem Semester nämlich 
hat bei mir das Studium der eigentlichen Medizin, die Be- 
schäftigung mit dem kranken Menschen erst begonnen; da 
ich bis jetzt mich ja theils nur mit allgemeinen Naturwissen- 
schaften, theils mit der Kenntniß der Theile und der Funktionen 
des gesunden Menschen in Anatomie imd Physiologie beschäftigte. 
Die Pathologie, und zwar für dies Semester erst die allgemeine, 
wendet nun zuerst diese Kenntnisse zur Heilung an oder vielmehr 
lehrt mich die Erscheinungen des kranken Lebens erst kennen. 
Stark liest sie täglich 1 Stunde und außerdem wöchentlich 3 St. 
die allgemeine Therapie. Sein zu Grunde liegendes Handbuch 



62 



Adolf WühlwiLt, 



ist jedenfalls ein geistreiches Werk und das bedeutendste, waj? 
die mediziiiische Litteratur nach dem Urtheil Sachverständiger 
aiilziiweisen hat; aber die Kichtung, die er darin verfolgt, 
findet selbst hier viele Gegner, besonders unter den jungern 
Gelehrten, Martin, Schieiden u» s, w» Stark nämlich» mehr 
Theoretiker als Praktiker, liebt es Systeme aufzustellen, 
überhaupt die Sachen oft sehr apriorisch aufzufassen, während 
jene in Naturwissenschaften eine rein empiiische Behandlung 
verlangen, da sie behaupten^ wii^ ständen in allen Erfahrungs- 
wissenschaften noch 80 sehr im Anfang, daß von einem 
System noch gar nicht die Rede sein könne j und mit dem 
Mikroskop in der Hand woDen sie die Natur sehen und messen. 
Daß diese letztere Richtung die der neuem Schule überhaupt 
ist, läßt ^ich nicht verkennen, ebenso wenig, daß sie besonders 
der Physiologie und Pathologie schon bedeutende Aufschlüsse 
geschafft hat. Ebenso wiU Martin als Mediziner nur von 
Beobachtung, von gewissenhafter, getreuer Beobachtung der 
Natur wisseUt und ich fühle mich daher zu ihm mehr hin- 
gezogen als zu Stark, der uns bis vor wenigen Wochen mit 
Begiiffsbestimmungen der Krankheit, mit Beweisen dafür, 
daß sie ein mrklicher Parasit, ein Organismus im Orga- 
nismus sei u. s, w,, beschäftigt und hingehalten hat, — 
Doch gehe ich gern in Starks Vorlesungen, da er mit Geist' 
und Scharfsinn redet, obgleich oft nicht viel mehr sagt, als 
sein Lehrbuch. Diese Vorlesung ist von 10—11; also kann 
ich jeden Morgen von 7 — 10 für mich arbeiten; eine herrliche 
Zeit; um U gehe ich dann auf den Fechtboden; das Stoßen 
ist eine Bewegung, die ich gar nicht mehr entbehren kann, 
und die ich daher keinen Tag versäume, obgleich ich es zur 
Uebung eigentlich nicht mehr nöthlg hätte; aber es ersetzt 1 
mir Spatzierengehen u, dergl-, wozu man hier, besondei-s ich in 
diesem Semester, wenig kommt, außer Sonnabend Nachmittag, 
wo Alles auf die umliegenden Dörfer zieht, und zugleich macht 
es mii* Vergnügen jüngei^ Leute einzuüben. Von 12 — 1 wird 
gegessen und Zeitungen gelesen; von 1 — 3 gehe ich zum Prä- 
pariien auf die Anatomie; von 3 — 4 3 mal wöchentlich Therapie | 
' ^ Stark und von 4^5 täglich Materia medica bei Martin, 
Lbend Nachmittag aber ruhen alle Collegia. In der 



Jeoaer Stndentenbriefe von Johannes Versmaun. 63 

Materia medica sehe ich bis jetzt noch keinen Grund und 
kein Land, da geht Alles wild durcheinander; bei jedem Mittel 
sind eine halbe Seite Erankheitsnamen aufgezählt, die es 
heilen soll, eine ganze Reihe von Mitteln heilt dieselben Krank- 
heiten; man sollte darnach wahrhaftig denken, jede Krankheit 
müßte besiegt werden können; und doch ist noch nicht ein- 
mal ein Grundprinzip da, wonach alle Mittel eingetheilt sind; 
da ist eine Hasse nach ihrer Wirkung, eine andere nach dem 
Geschmack und eine 3te nach den Bestandtheilen zusammen- 
gefügt, so daß das Ganze gar buntscheckig aussieht. Neben- 
bei weiß man noch gar nicht, wie die Wirkung von diesem 
oder jenem Mittel zu Stande kömmt, und warum es so wirken 
muß; dieser ganze Zweig scheint überhaupt noch ungeheuer 
zurück zu sein, und doch ist er einer der wichtigsten Theile der 
ganzen Medizin. Freilich kann ich ja noch kein gediegenes 
ürtheil darüber fällen, aber ich gestehe, daß mich zuweilen 
ein heimliches Grauen überfällt, wenn ich daran denke. 
Martin sucht solchen Gesprächen zu entgehen; er zieht sich 
immer mehr auf Geburtshülfe, sein Hauptfach, zurück, wo 
er allerdings auf festerem Boden steht; auch wird er vom 
nächsten Semester an nur noch dahin gehörige CoUegia 
lesen und zugleich eine Polyklinik für Geburtshij^e anlegen. 
Mir machen diese Dinge viel Sorge und manche schlaflose 
Nacht. Bei Martin fällt mir ein, daß der alte M. um seine 
Entlassung eingekommen ist und nur noch bis Ostern lesen 
will. Jena wird dadurch unendlich viel leiden, denn sein 
Name zog viele ältere Juristen von fremden Universitäten 
herbei und auch in diesem Semester hat er noch ein volles 
CoUeg und sein Lob tönt, wie immer, aus dem Munde aller 
seiner Zuhörer 

Die Nachrichten von der alten und neuen Börse *) haben mich 
sehr interessirt; ich hatte davon nichts in den Zeitungen gelesen, 
es war für Hamburg allerdings ein merkwürdiger Tag 

In einer Nachschrift findet sich die Notiz: 

Gestern sezirte ich mit einem Bekannten eine junge 
ICatze, die von einem Hunde todtgebissen war. 

IMe neue Börse in Hamburg war am 2. Dezember 1841 feierlich ein- 
geweiht worden. 



64 Adolf Wohlwül, 

Am Rande der ersten und zweiten Seite des Briefes findet 
sich folgende Mitteilung: 

Freitag vor acht Tagen war hier Bußtag; ich benutzte 
diesen Tag nebst dem folgenden Sonnabend und Sonntag zu 
einer Exkursion in die tannenreiche Umgegend; das Wetter 
war so schön, daß wir uns bei der frisch aufsprießenden 
Wintersaat und dem Giün der Tannen mehrmals gegenseitig 
daran erinnerten, daß wir im December seien. — In Paulinzelle, 
dem Endpunkt unserer Tour, lernten wir den Thüringischen 
Botaniker Schmidt, einen alten würdigen Prediger, kennen. 
Er steht mit Botanikern in ganz Deutschland in Verbindung; 
unter Andern auch mit Herrn Sonder in Hamburg. 

18. Versmann an seinen Vater. 

Jena d. 21. Febr. 1842. 

. . . Das Leben auf deutschen Hochschulen kenne ich 
jetzt und habe mich darin versucht, ich behaupte es und werde 
es immer behaupten — zu meinem größten Vortheil. Denn 
der Universität Jena werde ich mein ganzes Leben lang 
danken, besonders das, was sie mir außer der Wissenschaft 
gegeben hat, ich bin fest überaeugt, daß dies keine andere 
Hochschule so hätte geben können, wie ich denn überhaupt in 
Beziehung auf den unter den Studenten herrschenden Ton, 
auf ihre MoralitÄt und ihr Streben nach wahrer Wissenschaft, 
nicht bloßem Brotstudium, Jena für die am höchsten stehende 
unter allen deutschen Hochschulen halte. Mir war diese Art 
der Ausbildimg höchst nöthig; hier habe ich meine Grund- 
sätze gekräftigt, hier meine Richtung fiu-'s Leben bekommen, 
und es ist einer meiner Lieblingsgedanken, daß mein theurer 
Ernst in spätem Jahren noch einmal dieselbe Schule durch- 
gehen kann, die ihm durch nichts Anderes zu ersetzen ist. 
Bis jetzt habe ich meinen Abgang von hier als ausgemacht 
angesehen und thue dies auch noch, schon aus pekuniären 
Bücksichten, die mich nach Göttingen rufen, welches mir sonst 
sehr verhaßt ist; Martin muß das einsehen und mir daher 
in dieser Handlungsweise Recht geben, trotz seines früher 
«^teilten Grundsatzes, daß man nämlich den theoretischen 



Jenaer Studentenbriefe von Johannes Versmann. 65 

Kursus auf einer Universität durchmachen müsse, und zwar 
auf einer kleinem, und die Praxis nachher auf großem 
treiben. .... 

19. Versmann an seinen Vater. 

(Ende Febraar oder Anfang März.)^) 
Theurer Vater! 
Das letzte Mal, wohl in meinem Leben, komme ich vom 
lieben Jena aus mit einigen Zeilen zu Dir! Es bewegen mich 
bei dem Gedanken ganz eigne Gefühle, denen ähnlich, die 
Einer empfinden mag, der seine Heimath auf immer verläßt; 
denn Jena ist der Boden, in dem meine Bildung für die 
spätem Jahre eigentlich wurzelt. Hier habe ich mich 2 Jahre 
lang so heimisch, so wohl gefühlt, daß ich jetzt immer nur 
mit wehmütigen Gefühlen die schönen Punkte besuche, die 
dies liebe Thal so zahlreich darbietet; immer denke ich dabei, 
es ist das letzte Mal, und was wirst Du dafür wieder finden? 
Es ist dies Schwäche, das weiß ich, aber, ich glaube, eine 
natürliche und verzeihliche, es mischt sich immer ein Gefühl 
von Dankbarkeit mit hinein; und ein solches thut dem Herzen 
wohl. Ich habe mir vorgenommen, wenn ich hier ganz fertig 
bin, sogleich abzuziehn aus der alten Musenstadt, und nicht 
noch von einem Tage zum andem zu zögern, wie ich es so 
Manchen habe thun sehen, dem Jena ans Herz gewachsen 
war. Vor Kurzem schrieb mir ein Bekannter aus Kiel: Wer 
das weite, bequeme IQeid des Jenenser Lebens gewohnt ist, 
dem wiU der enge holsteinische Schnitt gar nicht anstehen. 
Jetzt fühle ich die Wahrheit dieser Worte erst recht 

20. Versmann an seinen Bruder Ernst. 

(Ende Febr. oder Anfang März, Jena.) 

Die folgenden Sätze finden sich in einem Brief, der dem letzten 
aus Jena an den Yater gerichteten (Nr. 19) angebogen ist. 

.... Am löten d. M. werden die CoUegia geschlossen 
und dann werde ich wohl nur wenige Tage mehr weilen, um 



Der Brief ist versehentlich vom 29. Febraar 1842 datiert 
Ztoelur. d. Vereins f. Hamb. Oesch. Xm. 



66 Adolf WohlwiU. 

meine Angelegenheiten hier in Ordnung zu bringen, zu packen, 
einige Besuche zu machen u. s. w. Mit schwerem Herzen 
werde ich dann Jena Lebewohl sagen, wo ich so viel mehr 
gefunden, als ich dort suchte. Es muß eine gute Ahnung 
gewesen sein, die mich immer früher nach Jena zog; denn 
bedeutend tiberwiegende Gründe sprachen nicht dafür; der 
Grund, der Vater die Sache besonders lieb machte, der Ge- 
danke einer Annäherung zwischen Gliedern vor Alters nahe- 
stehender Familien, hat nicht Stich gehalten; dieses Ver- 
hältniß ist nie so geworden, wie es mir meine Phantasie 
früher ausmalte und wie ich es wünschte 



Für den, der Versmanns weitere Laufbahn zu über- 
schauen imstande ist, erhellt aus diesen Briefen zur Genüge, 
wieviel er Jena zu verdanken hatte. 

Wenn eine fröhlich und angeregt verbrachte akademische 
Jugendzeit eine köstliche Mitgift für das gesamte weitere 
Leben bildet, so ist unserem Versmann solche Wohltat durch 
seine Jenaer Semester im höchsten Maße zuteil geworden. 
In Jena erlangte, wie er selbst angedeutet hat, seine gesamte 
Persönlichkeit ihr eigenartiges Gepräge. Hier erweiterte er 
seine Bildung in bedeutsamster Weise. Hier gewann oder 
befestigte er den ihm stets eigen gebliebenen Respekt vor 
der Wissenschaft und denen, die ihr selbstlos dienen. Über- 
dies trugen Jena und die Jenaer Burschenschaft unzweifelhaft 
nicht wenig dazu bei, die nationalen Gesinnungen Versmanns 
zu befeuern, die er ebensowohl 1848 als Freischärler der 
schleswig-holsteinischen Armee, wie während seines übrigen 
inhaltsreichen Lebens stets aufs neue bekundet hat. Nicht 
nur Erinnerung an vergangene Zeit, sondern Zukunftsahnung 
möchten wir darin erblicken, wenn er in seinen Jenaer Briefen 
von 1840/41 die nur durch das lockere Band der Bundesakte 
zusammengehaltenen deutschen Lande als deutsches Reich und 
»eine Heimatstadt Hamburg als alte deiitscfie Reichsstadt 
bezeichnete. 



Zur Unehrlichkeit der Leineweber. 

Von 
Th. Schrader. 



Über die nach den Anschauungen des Mittelalters 
unehrlichen Gtewerbe hat Benbke in seinem Buch Van unehr- 
lichen Leuten (Hamburg 1863) und neuerdings Feensdorff 
in seinem vorzüglichen Aufsatz Das Zunftrecht insbesondere 
Ncrddeutschiands und die Handwerkereiire (Hansische Ge- 
schichtsblätter, Jahrgang 1907) ausführlich gehandelt. Beide 
beschäftigen sich auch mit der Unehrlichkeit der Leineweber 
und mit den Gründen des diesem Gewerbe anhaftenden Makels. 
Für den letzteren ist eine genügende Erklärung bis jetzt nicht 
gefunden, denn die bisweilen hervorgehobene Versuchung, 
einen Teil des zur Verarbeitung erhaltenen Rohmaterials zu 
unterschlagen, lag auch bei anderen Gewerben nahe, und es 
ist z. B. nicht recht einzusehen, warum aus demselben Grunde 
nicht auch die Schneider, denen man doch nachsagte, daß in 
ihrer HöUe manches erübrigte Stück Tuch verschwinde, mit 
dem Makel der Unehrlichkeit belegt wurden. 

Tatsache ist jedenfalls, daß das Gewerbe der Leine- 
weber schon frühzeitig und vor manchen anderen Gewerben 
als unehrlich gegolten hat. Bereits der Reichsabschied von 
1548 (Tit. XXXVn) erwähnt, daß an etlichen Orten der 
Gebrauch sei, daß die Leineweber, Barbierer, Schäfer, Müller 
und dergleichen Handwerker in den Zünften zu andern, dann 
ihrer Eltern Handwerk nicht aufgenommen, noch gezogen werden, 
und bestimmt dann, daß die Leineweber, Barbierer, Schäfer, 
MÜUer, Zöllner, Pfeifer, Trummeter, Bader [d. h. die Kinder 
dieser Gewerbetreibenden} hinführo in Zünften etc. keineswegs 
ausgeschlossen sein sollen. Im Reichsabschied von 1577 
(Tit. XXXVm) wird diese Bestimmung wörtlich wiederholt, 
und in dem Reichsschluß von 1731 wird die genaue Befolgung 
der Vorschriften von 1548 und 1577 nochmals eingeschärft, 



68 Th. Schröder, 

dabei auch noch eine Reihe von anderen Berufsarten auf- 
gezählt,*) deren Ausübung nicht den Ausschluß der Kinder 
der Betreffenden von Zünften, Gilden usw. zur Folge haben 
dürfe. Es ist vielleicht nicht Zufall, daß man es unterließ, 
die anrüchigen Berufsarten gradezu für ehrlich zu erklären, 
sondern nur die Folgen der Unehrlichkeit, soweit die Kinder 
davon betroffen wurden (unehrliche Herkunft), beseitigte. 
Praktischen Wert hat allerdings diese Unterscheidung wohl 
kaum gehabt. 

Daß die erwähnte Bestimmung des Reichsschlusses von 
1731, soweit die Leineweber in Frage kommen, keineswegs 
gegenstandslos war, zeigt ein Vorfall, der vier Jahre vorher 
das Amt der Leineweber in Hamburg in erhebliche Auf- 
regung versetzte. Ein Kupferschmiedegeselle aus Kurland 
hatte mehrere Jahre in Hamburg gearbeitet, war schließlich 
mit einer Meisterswitwe einig geworden und gedachte nun 
in das Amt hineinzuheiraten. Um das Amt zu gewinnen, 
mußte er Geburtsschein und Lehrbrief vorlegen. Letzterer 
war in Ordnung und ergab, daß er in Königsberg das Hand- 
werk erlernt hatte. In dem Geburtsbrief aber stand, daß er 
ein Zeuchnerssohn sei. Die Älterleute der Kupferschmiede 
wußten zwar nicht sicher, was ein Zeuctiner sei, es erhob 
sich aber der Verdacht, daß man darunter einen Leineweber 
zu verstehen habe. Um Gewißheit zu erlangen, wurde ein 
Amtsmeister beauftragt, in unauffälliger Weise einen Meister 
der Leineweber nach der Bedeutung des rätselhaften Wortes 
zu befragen. Die Antwort lautete : ein Zeuchner sei ein Leine- 
weber.*) Als dies den Älterleuten der Kupferschmiede berichtet 
wurde, verweigerten sie die Aufnahme des jungen Gesellen, 



Land Gerichts- und Stadtknechte, Gerichts-, Frohn-, Thüm-, Holtz- 
und Feldhüter, Todtengräher, Nachtwächter, Bettelvögte, Gassenkehrer, 
Bachfeger, Schäfer und dergleichen. Ausgenommen sind nur die 
Schinder bis auf die zweite Generation, insofern allenfalls die ersteren 
eine andere ehrliche Lehensart erwählet und darin mit den ihrigen 
wenigstens 30 Jahr lang continuiret hätten, 
^ *) Zeuchner = Ziechner, abgeleitet von Zieche, Bett- oder Kissenüberzug. 
VergL Sanders, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 112 (1865), 
S. 1741: Ziechner (schles,): Weher der karierten Ziechen -Leinwand; 
khner heißen in Breslau die mit Bettziechen handein. 



Zur Unehrlichkeit der Leineweber. 69 

da er als Sohn eines Leinewebers von unehrlicher Herkunft 
sei. Von diesem Vorfall erhielten die Leineweber Kunde, 
und sie verlangten nun von den Kupferschmieden Genugtuung 
wegen der ihnen widerfahrenen Beleidigung.^) Die Patrone 
beider Ämter sind dann wohl veranlaßt worden, sich der 
Sache anzunehmen, denn es fanden zwei Sitzungen im Bat- 
hause statt, um einen Ausgleich herbeizuführen. Die Kupfer- 
schmiede befanden sich offenbar im Unrecht, da sie. gegen 
den klaren Wortlaut der oben angeführten Beichsgesetze 
gehandelt hatten, und der Schluß war, daß sie schriftlich 
Abbitte tun und dem Leineweberamt eine Buße von 400^ Ct. 
zahlen mußten. Ob der abgewiesene Geselle dann die Auf- 
nahme in das Amt erlangt hat, erfahren wir nicht; es ist 
aber wohl anzunehmen. Der Betrag der von den Kupfer- 
schmieden erlegten Buße kam übrigens nicht in die Amts- 
kasse, sondern wurde unter die Amtsbrüder verteilt. 

Der geschilderte Vorgang erschien den Ältermännem 
der Leineweber wichtig genug, um ihn in eine Art Gedenk- 
buch*), das beim Amt geführt wurde, einzutragen. Ich lasse 
den Wortlaut dieser Eintragung hier folgen: 

Anno 1727 hat ein Ehrbar Ampt streit bekommen 
mit die Kopfferschmide wegen eines Leinwebbers Sohn 
aus Kiihi*landt mit nahmen Johan Bitzloff, welcher wegen 
seines früzeitigen absterbens seiner Eltern zu Königsberg 
bey die Kopferschmide in die Lehr gekommen und seines 
Handwercks erlich ausgelemet, und darauf etzliche Jahr 
vor gesell bey seinen Handwerck herümb gereiset xmd 
zuletz in Hamborg gekommen und etzlich Jahr alhier 
gearbeitet. Weil es ihm den alhier gefallen, hat er sich 



*) In Des geöffneten Ritter-Platzes dritter Teil (Hamburg 1705) wird 
anf S. 243 ausgeführt, daß die Polizei-Ordnung von 1548 bezw. 1577 
mit Recht die Schinder und ähnliche Gewerbe von den ehrlichen Hand- 
werken ausschließen. Ein anders^ fährt der Verfasser fort, ist es mit 
den Söhnen der Schtoein-Schneider, der Schäffer, der Müller y Leinen- 
web er, Bader, Zollner, Spiel-Leute und dergleichen Persohnen, welchen 
eigentlich zu gut obbemeldte Policey- Ordnung publiciret, also dass sie 
heutiges Tages diejenige Zunfft Injuriarum würden belangen 
können, welche ihnen den Zutritt verwehren wollte. 

*) Archiy der Leineweber im Hamb. Staatsarchiv, n. 2, Bl. 83. 



70 Th. Schrader. 

mit einer Witwe seines Handwercks niederlassen wollen. 
Weil Seins Handwerks darauf gedrungen, daß er seinen 
erlichen Geburtsbrief und seinen Ehrlichen Lehrbrief 
zeigen muß, also ist wegen seinen Ehrlichgen Geburtsbrief 
ein heftiger streit veruhrsachet, weil darin enthalten, daß 
er ein Zeuchnerssohn wehre, sie aber nicht eines werden 
können, was es recht in sich hatte, darauf einer von die 
Kopf erschmiede zu unsem Leinwebermeister gegangen, mit 
nahmen Peter Duffe, wohnet in der Marienstraß, und ge- 
fraget was Zeuchners vor leute weren, er der Meister 
Peter Dufe darauf geantwortet, das wem Leinweber, 
darauf der Kopferschmidt zu seinen Mitmeistem gangen 
und gesagt, das wem Leinwebber, darauf sie geantwortet, 
die nehmen wir nicht an, darauf der junge RitzlofE zu 
unsem Amp Zuflucht genommen, daß wir ihm mögen 
darinnen beystehen, welches wir haben billiglichen müssen 
und haben ihnen also geschrieben, daß sie haben eine 
hertzliche Abbitte tuhn müssen, daß es ihnen von hertzen 
leid wehre, was sie gegen ihn und den Webber Amp ge- 
handelt hetten, und ist solche Sache auf den Rathause 
durch zweymahlige Kommissiohn geendiget und vor unser 
mühwaltung und Unkosten 400 -^ Ct. erlegen müssen, 
welches sie Anno 1728 ach Tage vor Fastlaben [Fastel- 
abend] durch ihi-en Alten Möller, wohnet auf dem Hopmark, 
in seiner Hausung an unseren worthalter Opferman, voromter 
Adolph Jopmann auszahlen müssen. Den Dingtag in Fastl- 
aben entStunde darauf einen heftigen streit in unsem 
Amps Colegio über das geltien (!), das die Herren Alten 
wolten sich solches anmaßen und in Colegio austeilen so 
viel sie ihnen gönten, aber es ist ihnen wiederstanden 
worden durch die Worthalter und Verorten vom Ampt, 
daß sie nicht befugt werden, solches zu tuhn ohn Consents 
des gantzen Colegio und haben darvor 1 ^ in die Armen- 
büsse geben müssen und einhelliget beschlossen, daß solches 
den eltesten voromten zukehme auszuzahlen, welches denn 
auch geschehen. 



Der Bildschnitzer Ludwig Münstermann 
von Hamburg. 

Von Wilhelm Becker. 



In Band XI, S. 349 ff. dieser Zeitschrift hat G. Sello 
eine Übersicht über die Werke des Bildschnitzers Ludwig 
Münstermann von Hamburg und seiner Söhne im Großherzog- 
tum Oldenburg gegeben. Als Nachtrag dazu sind vielleicht 
einige biographische Notizen über den bisher wenig beachteten 
Meister und seine Familie von Interesse.^) 

Ludwig oder, wie er in den gleichzeitigen Quellen genannt 
wird, Lutke (Lütke, Lutje) Münstermann (Munstermann) ist 
am 13. Juni 1599 Meister des hiesigen Drechsleramts geworden. 
Bei der Bewerbung um seine Aufnahme hat er einen Geburts- 
brief über seine eheliche Geburt vorgelegt. Daraus ergibt 
sich, daß er nicht in Hamburg geboren ist, da hier Geborene 
ihre eheliche Geburt durch Zeugen darzutun pflegten. Leider 
erfahren wir nicht, wo der Geburtsbrief ausgestellt worden 
ist, und wer seine Eltern waren. Ebensowenig ist das Jahr 
seiner Geburt bekannt. 

Lutke Münstermann war Bürger. Am 5. Januar 1604 
hat er den im Jahre 1603 festgesetzten neuen Bürgereid 
geleistet. Wann er das Bürgerrecht erworben hat, ist nicht 
bekannt, wahrscheinlich ist es gleichzeitig mit seinem Eintritt 
in das Drechsleramt als Meister geschehen. In den seit dem 
Jahre 1596 vorhandenen Listen neu aufgenommener Bürger 
kommt sein Name nicht vor. Vielleicht ist bereits der Vater, 



Die Angaben sind anläßlich eines im Staatsarchive gestellten Aus- 
kunftsersuchens ermittelt worden und werden einer Anregung des 
Vorstandes der Archivyerwaltung zufolge hier mitgeteilt. Sie stammen 
zum größten Teil aus dem im Staatsarchiv aufbewahrten Archiv des 
vormaligen Drechsleramtes. 



72 Wilhelm Becker, 

von aaswärts mit seiner Familie hier eingewandert, hiesiger 
Bürger gewesen. Dann würde sich das Fehlen des Sohnes 
in den Bürgerlisten erklären, da in diesen vor dem Jahre 1603 
nur diejenigen unter den neuen Bürgern verzeichnet sind, die 
als Söhne Auswärtiger eine Gebühr für die Erwerbung des 
Bürgerrechts zu entrichten hatten, wovon damals die Söhne 
hiesiger Bürger befreit waren. 

Im Drechsleramt hat Lutke Münstermann eine ange- 
sehene Stellung eingenommen. Er war Worthalter, d. h. Wort- 
führer der Amtsmeister in den Morgensprachen gegenüber den 
Amtspatronen und Älterleuten. In der Morgensprache des 
2. September 1624 wurde er mit Jochim Borgeest als zukünf- 
tiger Ältermann den beiden damaligen altersschwachen Älter- 
leuten beigeordnet. Als alleinige Älterleute treten die genannten 
beiden zuerst in der Morgensprache vom 30. Oktober 1628 
auf. Während seiner Amtsführung als Ältermann hat Lutke 
Münstermann häufig für junge Meister des Drechsleramts die 
bei der Erlangung des Bürgerrechts erforderliche Bürgschaft 
geleistet. 

Sein Todesjahr hat sich nicht feststellen lassen. Als 
Ältermann erscheint er zuletzt in der Morgensprache vom 
1. September 1635 und noch im Jahre 1637 hat er bekannt- 
lich eine Kanzel für die Kirche in Holle bei Oldenburg i. Gr. 
geschnitzt.*) Dagegen hat die Bürgschaft für den Bürgers- 
sohn Jürgen Munstermann, ersichtlich einen Sohn Lutkes, 
am 4. Juli 1639 der Ältermann Johann Schar (Schart) geleistet, 
der auch in der Morgensprache vom 19. November 1640, der 
nächsten nach der soeben erwähnten vom 1. September 1635, 
von der wir Kunde haben, vorkommt. Lutke Münstermann 
scheint also im Jahre 1640, vielleicht auch schon im Jahre 
1639, nicht mehr am Leben gewesen zu sein. 

Angaben über hiesige Werke von ihm sind bisher im 
Staatsarchive nicht bekannt geworden. In der Stadt und im 
Landgebiete finden wir vielmehr in den ersten vier Jahr- 
zehnten des 17. Jahrhunderts andere Bildschnitzer tätig: Hein 
Baxmann, der nicht nur für die St. Petrikirche, die Kirche 



*) Sello, a. a. 0. S. 355. 



Der Bildschnitzer Ludwig Hflnstermaim yon Hamburg. 73 

ZU Moorfleth *) und diejenige zu Allermöhe *) arbeitete, sondern 
im Jahre 1633 auch für die Ochsenwärder Kirche einen neuen 
Altar geschnitzt hat;') Johann Moltzan, der 1611 den Deckel 
der Kanzel in St. Jakobi schnitzte;*) Heinrich Gise, der im 
Jahre 1641 an der Orgel in der Kirche des Hospitals zum 
Heiligen Geist und im Jahre 1630, zusammen mit seinem 
Gesellen Johann Bruhn, an derjenigen von St. Marien-Magda- 
lenen das Schnitzwerk fertigte.*) Danach scheint Münstermann 
in Hamburg nicht eine so ausgebreitete Tätigkeit entfaltet zu 
haben wie in Oldenburg. 

Am 3. Mai 1633 hat der Drechsler und Bürgerssohn 
Johann Münstermann, am 19. Februar 1641 der Drechsler 
und Bürgerssohn Lutje Münstermann das hiesige Bürgerrecht 
erworben. Auch der, wie erwähnt, am 4. Juli 1639 Bürger 
gewordene Jürgen Munstermann wird Amtsmeister gewesen 
sein, da der Ältermann Johann Schar sich für ihn verbürgte. 
Ersichtlich haben wir es bei allen dreien mit Söhnen von 
Lutke Münstermann zu tun. Der Sohn Johann ist ja schon 
durch SellOs Mitteilungen^ als Gehilfe seines Vaters bekannt. 
Dagegen finden sich über den ebendort vorkommenden Sohn 
Claus in den Büchern des Drechsleramts keine Nachrichten. 
Vielleicht ist er früh gestorben. Endlich wird der am 
27. September 1667 Bürger gewordene Drechsler und Bürgers- 
sohn Heinrich Münstermann ein Enkel Lutkes sein. 



Hamburgisches Kttnstlerlexikon. 

^ MittelL d. Ver. f. Hamb. GescL 8. Jahrg. 1885, 8. 104 f. 

*) Rechnongsbuch der Ochsenwärder Kirche im Staatsarchiv. 

*) Mitteü. d. Ver. f. Hamb. Gesch. 4. Jahrg. 1881, 8. 139; 8. Jahrg. 1885, 

8. 107£. 
*) Archiv des Hospitals z. Heil. Geist III B 3. Archiv des Klosters 

St. Marien-Magdalenen IV B 3. 
•) Ztschr. d. Ver. f. Hamb. Gesch. XI, S. 354 ff. 



74 Ernst Baasch, 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 

Von 
Ernst Baasch. 



Die Finanzen eines Landes haben mit seinem Handel 
stets in enger Verbindung gestanden. Namentlich aber hat 
der Teil des Finanzwesens, den man unter dem Gesamtausdruck 
Steuerwesen begreift, zum Handel nahe Beziehungen. Ab- 
gaben, mögen sie nun auf das allgemeine Einkommen aller 
Bürger oder auf einzelne Gewerbszweige oder den Konsum 
einzelner Artikel gelegt sein, berühren den Handel sehr nahe. 

Unter den Steuern und Abgaben, die in früherer Zeit, 
wie auch an vielen andern Orten, so in Hamburg bestanden, 
nimmt einen hervon-agenden Platz ein die Akzise. Schon im 
14. Jahrhundert erwähnt, erstreckte sich diese Abgabe zuerst 
nur auf Bier^), dann auch auf Getreide, Vieh, Wein, Brannt- 
wein, Essig und Kombranntwein,^- zeitweise auch auf Holz, 
Torf, Kohlen und Salz. Was von diesen Waren die Akzise- 
linie, die die Stadt eng umschloß, passieren wollte, hatte die 
vorgeschriebene tarifmäßige Abgabe zu entrichten. 

Besonderes Interesse erweckt von den verschiedenen 
Akzisen diejenige auf Wein und Branntwein. *) Ihre Geschichte 
hängt eng zusammen mit der des Wein- und Branntwein- 
handels, d. h. des Handels mit Artikeln, die für den allge- 



*) KOPPMAKN, Kämmereirechn. der Stadt Hamburg I, S. LIX., weiter 
m, S. L; Vn, S. LXIX. ; vergl. im allgemeinen Westphalen, Hamburgs 
Verfassung u. Verwaltung. 2. Aufl. ü, 81 ff. Eine Lübecker Akzise- 
Ordnung von 1350/70 im Lüb. ÜB. HI, Nr. 769. 

^ Auf Kombranntwein ist in Hamburg eine Akzise gelegt erst im 
Jahre 1710. In obiger Darstellung ist mit Branntwein stets der aus 
Wein destillierte Branntwein (Franzbranntwein) gemeint. Über Ein- 
fuhr von Branntwein in Hamburg vergl. Baabch in Ztschr. des V. 
f. Hamb. Gesch. IX, 8. 351 f. 

^ Die Bedeutung der Weinakzise hebt u. a. hervor SCHÄFER, Hanse- 
recesse DI, Nr. 548 ff. 



Weinakzise and Weinhandel in Hamburg. 75 

meinen Handel der Stadt lange Zeit hindurch eine nicht zu 
unterschätzende Bedeutung gehabt haben. Wenn wir deshalb 
die Weinakzise hier etwas näher betrachten, so geschieht 
das nicht nur im finanzgeschichtlichen, sondern auch im 
handelsgeschichtlichen Interesse. Allerdings, das möge hier 
gleich bemerkt werden, hat man in Hamburg offenbar behörd- 
licherseits dem Wein in erster Linie Aufmerksamkeit geschenkt 
vom fiskalischen Standpunkt aus; es ist bezeichnend, daß es 
in Hamburg Weinordnungen wie in Bremen ^ nie gegeben 
hat, sondern daß die meisten Bestimmungen über Wein etc. 
sich in den Weinakzise-Ordnungen finden; das fiskalische 
Moment überwiegt eben weit das kommerzielle. 

Die Entstehung der hamburgischen Weinakzise steht in 
naher Beziehung zum Ratsweinkeller. Es gehörte zu den 
alten Privilegien dieses Kellers, daß hier allein Rhein- und 
Moselweine im kleinen verkauft werden durften. Französische 
Rotweine wurden dort überhaupt nicht geschenkt.*) Nun ward 
im Bürgerrezeß von 1529^ die Errichtung von Privatschenken 
freigegeben, vorläufig freilich nur auf ein Jahr; denen aber, 
die dieser Freiheit sich bedienen wollten, wurde eine Akzise 
auferlegt, die vom Einkaufspreise der auszuzapfenden Weine 
von jedem Gulden 4 Schillinge lüb. betrug. Dies ist die erste 
Erwähnung der Weinakzise. Sie hat seitdem fortbestanden; 
und der Pächter des Ratsweinkellers war verpfiichtet, denen, 
die von ihm deutsche und sog. heiße Weine kauften, um sie 
wieder zu verkaufen, die Akzise abzufordern, d. h. nach dem 
Verpachtungskontrakt von 1565 von jedem Ahm Rheinwein 
l^/i Taler, von dem Ahm heißen Weins 2 Taler. Einen Ahm 
Wein durfte aber jeder Bürger für seinen Hausgebrauch 
akzisefrei verwenden.*) Die erhobene Akzise hatte der Rats- 
kellermeister an die Stadt abzuliefern. 



Kohl, Der Raths-WeinkeUer in Bremen, S. 27 ff.; über die Weiu- 

akzise in Bremen ebendort, S. 42 ff. 
*) Vergl. Meyer, Das Eimbecksche Haus in Hamburg, S. 98. 
') Art 82, in (Bartels), SuppL-Bd. zu d. neuen Abdrucke der Hamb. 

Verfassung, S. 87. 
*) Rheinwein ward nach Fässern oder Fudern zu 8 Ahmen berechnet«. 

1 Ahm =: 40 Stübchen. Spanischer und französischer Wein giv 



76 Ernst Baasch^ 

Das Auszapfen der rheinischen und heißen Weine, außer 
dem des französischen Weins (Poitou), wurde aber doch später 
wieder verboten; die Bursprake auf Petri 1594 setzt das 
Bestehen eines solches Verbots voraus und rügt es, daß ihm 
zuwider Bürger und Einwohner solche Weine zu 1, 2 oder 
3 Ahmen verkauften und in ihren Häusern ausschenken ließen; 
der Rat verbot damals, daß ein Bürger oder Einwohner 
rheinische Weine unter 3 Ahmen verkaufte und rheinische 
und sonstige heiße Weine, außer Poitou, verzapfte. Aus- 
drücklich wurden in dieser Bursprake die fremden Einwohner 
gemahnt, von den rheinischen Weinen, die sie in ihren Häusern 
niederlegten und zu Behuf ihres Tisches gebrauchten, die 
Akzise zu bezahlen.^) Die Bursprake auf Thomae 1596 ge- 
bot femer im Art. 44: Nur im Raths^veinkeUer sollen Weine 
gezapfet und geschenket werden}) 

Der Weinakzise unterlag also damals der französische 
Wein (Poit<ni)j soweit er in der Stadt verzapft wurde; femer 
die Rhein- und heißen Weine, die man im Ratsweinkeller 
kaufte in Maßen, die 1 Ahm überstiegen; bis zu einem Ahm 
waren diese Weine für den Hausgebrauch der Bürger frei, 
während für den Hausgebrauch der Fremden überhaupt kein 
Wein akzisefrei war. Kaufte aber der Bürger mehr als ein 
Ahm ein, etwa ein Stück, und erklärte er, er wolle dieses 
mit andern Bürgern ahmweise teilen, so hatte man ein Ein- 
sehen und erhob die Akzise nicht. 

Im allgemeinen scheint in dieser Zeit Praxis und Kon- 
troUe der Weinakzise ziemlich formlos gewesen zu sein. Mit 
dem 17. Jahrhundert wurde das anders. 

Zunächst gestattete man auf dringenden Wunsch der 
Weinhändler durch Rat- und Bürgerschluß vom 11. Mai 1604 
den Bürgern wieder das Auszapfen von Rheinweinen im 



Bothen, Pipen und Oxhoften, das Faß zu 4 Oxhoft oder 3 Pinsohnen, 

die Pipe zu 2 Oxhoften. Über die hamburgischen Weinmaße vergl. 

Gaedechens in Mitt. d. V. f. Hamb. Gesch. 1889, S. 433 ff.; Baasch 

in Ztsch. d. V. f. Hamb. Gesch. IX, S. 348. 
*) Handschrift dieser Bursprake in der Kommerzbibliothek, vergl. BARTELS, 

Nachtrag z. neuen Abdruck der Hamb. Verfassung, S. 249. 
») Bartels, Nachtrag, S. 257. 



Weinakzige and Weinhandel in Hamburg. 77 

eignen Hause, während dem, der dies tat, andererseits ver- 
boten wurde, gleichzeitig französischen Wein auszuzapfen 
oder Ehein- und französische Weine auf Lager zu haben, 
in einem Hause oder Keller zu legen.^) Als Voraussetzung 
jener Konzession wird die treuliche Entrichtung der Wein- 
Äccise gefordert. Schon vorher war von Seiten des Rats 
auf die Schädigung hingewiesen, die der Weinhandel duixh 
die Akzise erleide; Anfang September 1603 äußerte er sich 
dahin, daß der Stapel der spanisc/ien Weine für wenig Jahren 
fast allein hey dieser Stadt geivesen und damals durch Auf- 
satz der Äccise von dieser Stadt an andere Örter ist verwiesen. 

Wenn es wahr ist, daß durch die Akzise der Handel 
mit heißen Weinen geschädigt wurde, so nahm jedenfalls der 
Ertrag der Weinakzise in jener Zeit erheblich zu. 

Für das Ende des 16., den Anfang des 17. Jahrhunderts 
stehen uns einige Zahlen über den Ertrag der Weinakzise 
zur Verfügung. Für die 4 Jahre 1597—1600 brachte die 
Weinakzise insgesamt 11356 Mk., von rheinischem Wein: 
9752 Mk., von französischem und heißem Wein: 1604 Mk. 
8 Schill., d. h. pro Jahr 2839 Mk.*) In diesen Jahren aber, 
das wird bei diesen Ziffern ausdrücklich von dem Schreiber 
bemerkt, hingen noch die Kränze, dewile de Krentze hengeden. 
Das Aushängen des Weinkranzes war bei den Weinschenken, 
die sitzende Gäste hatten, ein alter Brauch; wir begegnen 
ihm auch an andern Orten, so in Bremen, Lübeck, Wismar.^ 
Es scheint, daß auch in Hamburg, wie in Bremen und Lübeck, 
die Weinkranzgerechtigkeit — wir würden heute sagen: 
Schankkonzession — vielleicht auf Grund einer Abgabe ver- 



Das gemeinsame Lagern von Weinen verschiedener Herkunft war auch 
an andern Orten verhoten; so in Bremen, vergl. KOHL, S. 27; das Verbot 
soUte die Konsumenten vor Mischung yerschiedener Weinsorten bewahren. 

') Die Bedenken wegen des Weinkellers vom 30. Mai 1604, die den 
Bürgern vorgelegt wurden, nennen als Durchschnittsziffer 2726 Mk. 
Obige Ziffern sind den Aufzeichnungen des Akziseschreibers DiTMER 
BUBMESTER entnommen. 

») KOHL, ^. 53ff.; Wehrmann in Ztschr. d. V. f. lüb. Gesch. II, S. 106; 
GrüLL in Jahrbüchern d. V. f. meckl. Gesch. YXYTn , S. 74, 76; auch 
Meyer, S. 83, weiß über die hamburgische Weinkranzgerechtigkeit 
nichts Genaues. 



78 



Knut Baasch, 



liehen worden zu sein; um 1600 hat man diese Einrichtung 
au^ehoben; und es sank der Ertrag der Akzise, sodder de 
Krentze sin ingenamen; in den drei Jahren von 1601 — 1603 
trug die Weinakzise insgesamt 2357 Mk. ein, d. h. pro Jahr 
nur 786 Mk.; der Rheinwein brachte hiervon 318 Mk. ein, 
der französische 374 Mk., der heiße Wein 94 Mk. 

Mit dem Jahre 1604, offenbar infolge der erwähnten 
Freigabe des häuslichen Ausschankes, stieg auch die Wein- 
akzise wieder. Sie brachte ein:') 



Jahr 
1604 
1605 
1606 
1607 
1608 
1609 
1610 
1611 
1612 
1613 







Jahr 


3288 -|i 


-ß 


1614 


6664 „ 


n 


1615 


7578 „ 


5„ 


1617 


6343 „ 


» 


1618 


6023 „ 


3„ 


1619 


4955 „ 


9« 


1620 


4524 „ 


12 „ 


1621 


4726 „ 


1« 


1622 


5714 „ 


15 „ 


1623 


5581 „ 


8„ 





5112-^ bß 
5924 „ 14 „ 
5500 „ 6 „ •) 
5315 „ 1 „ 
5605 „ 4„ 
6484 „ 12 „ 
8234 „ 2 „ 
8367 „ 10 „ 
9088 „ 14„ 



Doch ist in diesen Ziffern auch die Niederlage enthalten, 
die Abgabe, die die Fremden von den lagernden Weinen zu 
entrichten hatten. Diese Abgabe hatte in den 4 Jahren 
1597/1600 insgesamt 4736 Mk. eingebracht; in den 3 Jahren 
1601/03 aber nur noch 1839 Mk.; sie hat auch weiterhin 
an Bedeutimg verloren, da die im Premdenkontrakt stehenden 
Niederländer imd sonstigen Fremden zwar die Weinakzise 
zu zahlen hatten, nicht aber die Niederlage.*) Die Mitglieder 
der englischen Court wurden infolge des Kontrakts von 1611 
von der Weinakzise ganz befreit.*) 



Die ZifFern sind auf Schillinge abgerundet, Pfennige weggelassen. 

^ Die Zahl für 1616 fehlt. 

*) Notiz BURMESTERs: De Nederlender und Frömbde, so keine Borger 

und itzo im Contract sein, geven keine nedderlage mehr,» 
*) Art. 22 des Kontrakts, s. Elefeker, Sammlung U, 347; femer Notis 

BüBMESTERs: De Engehchen im groten und kleinen Ihigelschen Huse 

geven kein accise. 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 79 

Wie bei allen indirekten Abgaben, wurde auch bei der 
Weinakzise bald über unrichtige Angaben geklagt. Schon 
am 3. Mai 1604 erklärte der Rat, er sähe, daß für Akzise 
und Niederlage der Weine dasjene, was sich vermöge vormals 
hdiebter Ordnung gebühret, nimmer wird geleistet und also 
das gemeine Out merklich veruntretiet und benachtheilet wird. 
Später wird dann dem Gedanken Raum gegeben, die Akzise 
zu verpachten, um sie ertragsfähiger zu gestalten; der Rat 
war aber diesem Plan, wie er am 16. August 1610 erklärte, 
aus vielen bedenklic/ien Ursachen abgeneigt. Dann scheinen 
diese Bedenken aber geschwunden zu sein; nachdem der 
Vorschlag des Rats vom 28. April 1620, die Weinakzise zu 
erhöhen, den Beifall der Bürger nicht gefunden hatte, schlug 
im Dezember 1621 der Rat, wenn auch nur beiläufig, die 
Verpachtung der Bier- und Weinakzise vor. Im August 1624 
wiederholte er, und diesmal in dringenderer Form, seinen 
Vorschlag; die Bürger gingen nun darauf ein und meinten, 
der Pächter solle sich durch zwei Herren des Rats die Er- 
hebung der Weinakzise erleichtem. Nun wurde sie also ver- 
pachtet. Doch machten die Bedingungen, mit denen man die 
Verpachtung verknüpfte, viele Schwierigkeiten; der Rat 
wünschte, daß neben zwei Ratsherren auch die Oberalten und 
die Kämmereibürger sich an der Aufsicht beteiligen möchten. 

Man kam doch bald wieder von der Verpachtung zurück. 
Der Pächter, Hans vomHoltze, zahlte 11000 Mk. Pacht. Er 
klagte aber, daß weder Schiffer noch Weinhändler den be- 
stehenden Bestimmungen nachlebten, daß erstere ihre Kontent- 
zettel nicht auf der Weinakzise angäben und daß die Wein- 
händler es verabsäumten, ihre Rechnungen vorzulegen; täten 
sie es aber endlich, so berechneten sie zuviel Leckage usw. 
Er machte verschiedene Vorschläge, die diesen Mißständen 
abhelfen sollten.^) 

Mögen diese Klagen berechtigt sein oder nicht, die 
Einnahme aus der Weinakzise war besser als früher. Die 
Einfuhr von Wein ist in jener Zeit manchmal recht erheblich 
gewesen; im Jahre 1629 wurden allein an spanisch-poT 



Vergl. Beilage I. 



80 Ernst Baasch, 

gisisch-italienischen Weinen rund 30000 Oxhoft eingeführt.^) 
Eine Erhöhung des Tarifs, wie der Rat sie im März 1628 
vorschlug, lehnten die 48 er ab. 

Am 13. September 1632 beschlossen aber die Bürger, 
die Verpachtung der Weinakzise wieder aufzuheben. Der 
Grund ist nicht klar ersichtlich. Schon im April des folgenden 
Jahres brachte der Rat in Vorschlag, sie de novo an gute 
Leute wieder zu verpachten, da sie jetzt lange nicht so viel 
einbringe, wie vorher. Die Bürgerschaft wollte aber nichts 
davon wissen, sondern empfahl gute und fleißige Aufsicht^ 
scharfe Executiones, und blieb trotz mehrfacher Gegen- 
vorstellungen des Rats bei dieser Ansicht. 

Wenn nun auch die Verpachtung allerdings aufgegeben 
war, schien es doch notwendig, die Bestimmungen über die 
Erhebung der Weinakzise in eine festere Form, als bisher 
der Fall gewesen, zu bringen. Sowohl der finanzielle Zweck, 
den man mit dieser Abgabe verfolgte, wie auch wohl die An- 
fechtung, die sie von außerhalb Hamburgs erlitten hatte,*) 
nötigte dazu, an Stelle der bisherigen Ordnung, die wohl 
kaum über den Rahmen eines primitiven Schragens hinaus- 
gegangen ist, eine umfassende Weinakzise-Ordnung zu setzen. 
Diese, vom 31. Mai 1633*) bildet die Grundlage aller nachher 
in dieser Frage erlassenen Verfügungen. Der Hauptinhalt 
dieser Ordnung war folgender: 

Jeder Schiffer, der Wein an die Stadt brachte, hatte 
die Kontentzettel mit dem Verzeichnis der Weine bei der 
Weinakzise zu übergeben und durfte keinen Wein löschen, 
der nicht vorher verzollt war (Art. 1). Namentlich wurde 
den Führern der kleinen Logger oder Schmacken verboten, an 
die Häuser der Kaufleute zu legen und ihre Weine dort zu 
löschen, sondern ihnen zur Pflicht gemacht, im großen Fahr- 

») Baasch in Ztschr. d. V. f. Hamb. Gesch. IX, S. 350. 

') So beschwerte sich im Mai 1628 der Rostocker Rat über die Erhebung: 
der Weinakzise von spanischem Wein, den er über Hamburg für seinen 
RatskeUer bezogen hatte, weil leider hei itziger Kriegs- Unruhe un9er 
haven zu wasser fast verschlossen ist 

^ Nur handschriftlich vorhanden, aber aufgenommen in den Druck der Ord- 
nung von 1643, vergl. unten S. 84, Anm. 1. Eine Weinakzise -Verordnung, 
' vor dieser von 1633 erlassen ist, ist mir nicht bekannt geworden. 



Wemakzue und Weinhandel in Hamburg. 81 

wasser zu bleiben und ihre Fahrzeuge durch die beeidigten 
Ewerführer löschen und wegführen zu lassen (Art. 2). Den 
Eaufleuten, Schiffern und Bootsleuten wurde das Löschen von 
Weinen verboten,, bevor sie diese auf der Weinakzise ange- 
geben und Freizettel dagegen erhalten hätten (Art. 3). Kein 
Kaufmann, Schiffer oder Bootsmann durfte einkommenden 
Wein in Schuten usw. löschen; dies stand nur den beeidigten 
Ewer- und Leichterführem zu (Art. 4). Diese aber durften 
Weine nicht ohne Zollzettel einführen und hatten sich gleich 
nach Empfang der Weine auf die Weinakzise zu verfügen 
und hier die eidliche Erklärung über die empfangenen Quan- 
titäten abzugeben. Stoßen diese Ewer- und Leichterführer 
auf Weinverlasser, Bootsleute und sonstige Unbefugte, die 
Wein in Schuten etc. wegführen und an der Kaufleute Lager- 
häuser schaffen, so sind sie befugt und berechtigt, solche 
Schuten anzuhalten und auf der Weinakzise anzuzeigen (Art. 5). 
Zur Kontrolle der Zufuhr von Weinen auf dem Landwege 
ward den Fuhrleuten vorgeschrieben, am Tor anzugeben, 
wieviel Wein sie führten, für wen er bestimmt sei, und, im 
Falle er noch unverkauft, bei welchem Wirte sie einzukehren 
gedächten (Art. 7). Auch die Ausfuhr wurde kontrolliert und 
deshalb angeordnet, daß kein Wein aus der Stadt zu Wasser 
oder zu Lande gelassen werden dürfe, über den nicht ein 
Akziseausweis vorlag mit genauer Angabe der Quantität, des 
Ziels der Ausfuhr und des Namens des Schiffers bezw. Fuhr- 
manns (Art. 8). 

Scharfer Aufsicht wurde der Weinhändler unterstellt. 
Vermutete er bei Wein, den er erhielt, Leckage, so hatte er 
innerhalb 8 Tagen den Wein aufzufiUlen und den Umfang der 
Leckage der Weinakzise mitzuteilen; im Unterlassungsfall 
wurde ihm die Leckage nicht berechnet; wer gar zu unbillige 
Leccagie angab, hatte sie nachzuweisen oder eidlich zu er- 
härten (Art. 6). 

Die Freizettel auf ausgehende Weine hatte der Wein- 
händler von der Weinakzise abzuholen, worauf der Wein binnen 
zweimal 24 Stunden fortgeschafft werden mußte; andernfalls 
war der Freizettel wieder zurückzulief em (Art. 9). Die Frei- 
zettel auf ausgehende Weine hatte der Weinhändler den B 

Zttdir. d. Verdiis f. Hamb. Qesoh. XDI. 



82 Emat Bmsch, ^^^B^^^^^f 

atnten an den Bäumen zu zeigen zur Konti olle, ob der Name 
mit dem Zettel überemstimme {Art, 10), Die betrügerische 
Benutzung solcher Freizettel zum Zweck der Umgehung der 
Akzise oder die Füllung von ausgehenden Weinfässern mit 
Wasser oder andern Waren ^Mu-de mit schweren Strafen be- 
droht (Ai-t. 11), 

Den Beamten der Akzise wurde die Freiheit eingeräumt^ 
in die Keller der Weinhändler und Weinschenken in der 
ganzen Stadt zu gehen, so oft sie es für nötig erachteten, 
und dort ihre Register mit den vorhandenen Vorräten zu 
vergleichen. Widerstand hiergegen, Beleidigungen, Kränkungen 
der Akzisebeamten in Ausübung dieser ihrer Pflicht waren 
mit Strafe bedroht (Art. 12), 

Die Verzapfung von Weinen innerhalb und vor der 
Stadt war niu^ g<?ge*n vorherige Anzeige und Biirgschafts- 
leistung bei der Weinakzise erlaubt* Ebenso war es ver- 
boten, bei kleineren Gemäßen als ganzen Fässern, Pipeu und 
Oxhoften zu verzapfen (Art. 13), Auch dem Weinhändler 
oder Grossierer war verboten, Wein in kleineren Maßen 
außer dem Hause zu verzapfen oder in kleineren FiLßchen 
mi Frmmd oder Frmibde iu verfiUleUf als in ganzen Pipen 
und Oxhoften, zum mindesten in ganzen Ahmen. Grossierer 
und WeinhändJer aber, die nicht Bürger waren oder nicht 
im Kontrakt standen, hatten sich allen Detailverkaufs (Ver- 
fiiUefis und Verbret'Jtmi^) zu enthalten (Art. 14). Kein W^ein- 
schenk duiite Wein in sein Haus oder seinen Keller einlegen 
oder einlegen lassen, bevor dieser Wein richtig auf der 
Weinakzise angegeben und hier die Personen, von denen er 
die Weine gekauft und empfangen, notiert worden. Jede 
Übertretung dieser Vorschrift sollte als vorsätzlicher Unter- 
schleif angesehen und bestraft werden, zum erstenmal mit 
so viel Geld^ als die eingelegten Weine Akzise entrichtet 
hätten^ zum zweitenmal mit dem Doppelten, zum drittenmal 
aber als Meineid gerichtlich geahndet werden (Art* 15). 

Jeder Weinhändler und jeder, der Weine empfing, hatte, 
sobald er Weine verkaufte, eine Mitteilung hierüber, noch 
ehe er den Wein aus seinem Keller gehefert, an die Wein- 
machen, damit man wußte, ob solcher verkaufter 



Weinaludse und Weinhandel in Hamburg. 83 

Wein in der Stadt verbliebe und konsumiert werde oder aus 
der Stadt gegangen sei (Art. 16). Und halbjährlich hatte 
jeder Weinhändler und Weinschenker eine genaue Schluß- 
rechnung über die noch in seinem Keller lagernden Weine 
der Weinakzise einzureichen. Weine, die hierbei verschwiegen 
wurden, verfielen der Konfiskation (Art. 17). Weine an Bürger 
oder Eingesessene akzisefrei zu verkaufen, war den Wein- 
händlem verboten; sie hatten sich die Akzise von den Käufern 
entrichten zu lassen (Art. 18). Die Weinschenken hatten die 
Akzise vierteljährlich zu zahlen; wer sonst für sich Weine, 
Branntweine, Essig einlegte, hatte die Akzise 8 Tage nach 
erfolgter Mitteilung zu entrichten. Die Akzise für den nach 
außerhalb der Stadt -Jurisdiktion in kleineren Fäßchen als 
eine Ahm gehenden Wein war vom Verkäufer zu bezahlen. 

Eine Taxe stellte die Beträge, die die einzelnen Wein- 
sorten, zu denen nicht nur die eigentlichen Weine, sondern 
auch Franzbranntwein, Wein- und Cideressig gezählt wurden, 
in der Akzise zu zahlen hatten, fest. 

Aber auch über die Niederlage enthält die Ordnung 
Bestimmungen. Von allem Wein usw., der durch Fremde 
nach Hamburg gebracht oder an Bürger factorsweise über- 
schickt war, mußte, wenn diese Weine 8 Tage unverkauft 
im Flet gelegen, ein Niederlagsgeld bezahlt werden; nur die 
Bürger und im Kontrakt befindlichen Einwohner waren von 
diesem Niederlagsgeld frei. Wer Faktoreiweine, d. h. fremdes 
Gut, als eigenes Bürgergut angab, um sich dieser Abgabe zu 
entziehen, ward mit Strafe bedroht.^) 

Wir sehen aus den Artikeln der Akziseordnung von 
1633, daß die Kontrolle über diese Abgabe eine sehr genaue 
war, daß sie tief eingriff in die Geschäftsverhältnisse eines 
Weinhändlers. Namentlich die den Beamten erteilte Befugnis 
persönlicher Kellerkontrolle konnte zu großen Belästigungen 
Anlaß geben. Das mehrfach ausgesprochene Verbot des 
Verschenkens von Wein in kleineren Gemäßen war eine zum 



Im Februar 1632 beklagte sich der Gölner Rat, daß einem seiner 
Bürger Niederlage von dem Rheinwein abgefordert sei, der sein^ 
Faktoren nach Hamburg geschickt sei; das verstoße gegen die gew^ 
liehe, verirewliche Correspondentz nnd sei aliem Herkommen zuw 



M 



EiBst Ba&sch, 



Zweck des Schlitzes des Ratsweinkellers getroffene MaßregeL 
Besonders lästig aber mußten die Bestimmimgen der Ai't. 2 
bis 5 wii*ken, da sie den Transport und die Einfuhr des Weins 
unnötig erschwerten* — Nachdem am 3L Mai 1643 die Ord- 
nung von 1633 mir erneuert worden war, Änderungen aber 
nicht vorgenommen waren/) schritt der Rat schon im Jahre 
1648 dazu, eine revidierte Weinakzise- Ordnung heraus- 
zugeben* Er fand sich dazu veranlaßt, weil die Ordnung 
von 1633 wege^i vider darin enthalUmen punvfeti m volUger 
observanf^ nicht gehra^'At werden konnmif dennoch aber denen 
dahey eififfertssenmi Gebrechefi und üntersiMeifen, me Inllkh^ 
gewdiret werden muß. Die Ordnung vom 6. September 1648,*) 
kürzer und knapper gefaßt als die von 1633, schrieb im Art. 1 
den Schiffern vor, gleich nach ihrer Ankuuft die Kontentzettel 
über die cingcffdirt/en Weine auf der Weinakzise abzugeben ; 
die lästige Anordnung, daß die Weine vorher nicht gelöscht 
werden durften, hatte man fallen lassen. Auch die im Art, 5 
der Oininung von 1633 enthaltene Vorschrift, daß die Anzeige 
über die Quantität usw, der akzisbaren Weine imveriiiffticli 
erfolgen müsse^ war fortgelassen; die Bestimmung über die 
Leckage im alten Art* 6 war ganz ausgefallen. Die Art, 7, 
8j 11, 12 der alten Ordnung waren als Art, 3 — 6 wieder 
aufgenommen; im Art, 7 wnrde nun bestunmt, daB die Wein- 
handlet imd Großhändler jedes Vierteljahr Eechnung über 
allen Wein, den sie hier verkauft hatten, ablegen mußten; 
dies war eine wesentliche Neuerung gegen die Ordnung von 
1633, deren Art. 17 die halbjährliche Schlußrechnung über 
die Wein best an de gefordert hatte; diese Forderung war 
aufgegeben. Das Verbot des Vcrzapfens von Weinen in 
kleineren Maßen als eine Ahme usw, fehlt in der Ordnung 
von 1648 ganz; dagegen war im Art* 7 den Weinhändlem 
und Großhändlern ausdiücklich die Quartiilsrechnimg von 



■ 



*) Die Angabe von Wkstphalbn a. il 0., S. 86, dÄß in def Ordnung 

von 1643 die Taie anf spanischen und französisclien Wein von 3 auf 

4 Taler erhöht wurde, iit irrig. Fortgelassen wurden aber 1643 die 

B estimmun geu ühcr das Niederlagsgeld; sie aind auch in die ipäteren 

luigen nicht wieder aufgenommen, 

wie die Ordnung von 1643 nur teparat gedruckt. 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 85 

allen und jeden Weinen, sosiehey ganzen Stücken, Pipen, Ahmen 
oder Väßlein, groß und klein, aUhie in dieser Stadt oder deren 
Jurisdiction verkaufet, vorgeschrieben. Die Beschränkung des 
Weinhandels auf gewisse Gemäße war aufgegeben. 

Die Taxe blieb dieselbe. 

Die Ordnungen von 1633 und 1648 sind vom Rat er- 
lassen; die Bürgerschaft ist bei ihnen nicht beteiligt gewesen, 
überhaupt nicht befragt worden. Bei der Unbeliebtheit, der 
die Weinakzise im allgemeinen sich erfreute, war es begreiflich, 
daß man, auf jeneu Mangel sich berufend, ihre Rechtskraft 
anzweifelte. Am 15. Oktober 1651 bestätigte aber auf An- 
trag des Rats die Bürgerschaft die Ordnung von 1648, wobei 
ausdrücklich noch der Art. 7, der die Weinhändler zu Quartals- 
rechnungen über alle verzapften Weine verpflichtete^), be- 
kräftigt wurde. 

Wenn für die Weinakzise-Ordnung erst nachträglich die 
Zustimmung der Bürger eingeholt wurde, so wurde dagegen 
die Frage der Verpachtung um jene Zeit mit Hinzuziehung 
der Bürgerschaft erledigt; in jenem Falle handelte es sich 
freilich um eine reine Verordnungsfrage, in diesem um eine 
finanzielle Angelegenheit. Im März 1643 und August 1644 
hatten die Bürger Anträge des Rats über die Verpachtung 
der Weinakzise wiederum abgelehnt; als am 20. Oktober 1645 
aber der Rat seinen Antrag abermals einbrachte und darauf 
hinwies, daß die Wein-, Essig- und Branntweinakzise, wie 
auch die Viehakzise lange so viel nicht einbringen, als da 
diesdhige verpachtet gewesen, stimmten die Bürger endlich bei*) 
und fügten hinzu, daß der Brantewein, so von Außen herein- 
* kömmt, gute Accise geben möge, damit den hiesigen Bürgeryi 
die Nahrung nicht entzogen tvird; mit diesem fremden Brannt- 
wein waren die von Altena, Bergedorf und Harburg herein- 
gebrachten und in Hamburg verzapften Spirituosen gemeint. 



') Vielleicht bezieht sich auf diesen Punkt die Supplik der Weinhändler, 
die am 22. September 1647 der Bürgerschaft vorlag, in den Acta 
conventuum aber nicht enthalten ist und auch im Staatsarchiv nicht 
zu ermitteln war. 

») Der erste Pächter, Albert MoUer, zahlte für ein Jahr 20050 Mark 
Cour. Pacht. 



86 Ernst Baasch, 

Wie alle den Geldbeutel der Konsumenten belastenden 
und den Geschäftsbetrieb des Kaufmanns störenden gesetz- 
lichen Vorschriften, so wurde auch die Weinakzise-Ordnung stets 
als drückend und mangelhaft empfunden. Am 27. August 1662 
stimmte deshalb die Bürgerschaft einem Antrage des Rats, 
eine Revision der Weinakzise-Ordnung vorzunehmen, zu. 
Das Ergebnis war die Revidierte Weinakzise-Ordnung 
vom 13. Mai 1663*). Wieder wimien im Art. 1 die Schiffer 
zur Übergabe der Kontentzettel über die mitgebrachten Weine 
veri)flichtet, hinzugefügt war aber, daß die sog. Führung — 
d. h. der dem Schiffer und den Schiffsleuten zustehende, frei 
zu befördernde Teil der Ladung*) — akzisefrei sein solle, und 
zwar, wie von AUets her gebrätidUicJi, dem Schiffer 2 Last, 
dem Steuermann 1, dem Hauptbootsmann, dem Schimmann 
und Konstabel je V« Last, den Botsgesellen je 1 Oxhoft* 
Zur besseren KonüoUc der Weinzufuhr aber ward bestimmt, 
daß jeder Schiffer seine Weine nur zwischen den beiden Bäumen 
(Ober- und Niederbaum) löschen und an das Zollhaus anlegen 
müsse, damit die Zollbedient^n die Quantitäten zählen könnten. 
Mit ihren eigenen Sclmten und Boten sollten die Schiffer 
keinen Wein aus ihi-en Schiffen holen und ihn nur durch 
Ewer- und Leichterführer abführen lassen. Die Frist, inner- 
halb der bei der Weinakzise der Wein anzugeben war, wurde 
dahin festgesetzt, daß die Anzeige am nächsten Tage oder 
doch am 2. oder 3. Tage, nachdem der Wein abgeführt sei, 
zu geschehen habe. Im Art. 5 findet sich hinzugefügt, daß 
derjenige, der Wein verkauft und für ihn, wenn er aus der 
Stadt gehe, einen Freizettel erhalten habe, wenn nach- 
träglich dieser Wein doch in der Stadt bliebe, dies binnen 
4 Tagen anzumelden und den Zettel zurückzuliefem habe. 
Im Art. 6 wurde hinsichtlich der Leckage, die in der Ordnung 
von 1648 ganz unerwähnt geblieben war, kurz festgestellt, 
daß einem jeden für Leckage 10 Prozent freigegeben werden 
sollten. Eine ganz neue Bestimmung bracht« Art. 7: jeder, 
der Wein auszapfe, habe sich bei dem Weinheim einschreiben 

*) Nur separat gedruckt. 

') YeTfr\. über die Führung: L^'GENBKCK, Anmerkungen über das hamb. 
Schiff- und Seerecht (2. Aufl.), S. 47 ff. 



Weinakzise und Weinliaiidel in Hamburg. 87 

ZU lassen und dafür jährlich 1 Taler zu entrichten; wer das 
nicht tue, dürfe nicht auszapfen. Dem Art. 9, der dem 
Art. 7 von 1648 entspricht, ist die Bestimmung hinzugefügt, 
daß alle Grossierer und überhaupt alle Weinhändler jährlich 
eine Schlußrechnung über die Quantitäten, die sie in der Stadt 
verkauft, verzapft und noch auf Lager hätten, einreichen und 
dies eventuell beeidigen müßten; eine Visitierung ihrer Keller 
zur Kontrolle war gestattet. Ein neuer Art. 13 versprach 
jedem Bedienten, der Verstöße angäbe, den 4. Teil der sich 
daraus ergebenden Strafen. 

Da die Weinakzise in erster Linie eine fiskalischen 
Motiven entsprungene Abgabe war, eine Abgabe, bei der 
der Ertrag die Hauptsache war, so beeinflußten naturgemäß 
fiskalische, finanzielle Gründe die Technik dieser Akzise in 
hohem Grade. So ist es begreiflich, daß den immer und 
immer wieder sich erhebenden Klagen über den unbefriedigen- 
den Ertrag der Weinakzise, dieser vornehmen Intrade der 
Stadt, gegenüberstehen die Klagen der Großhändler, die sich 
der Kontrolle, namentlich der Visitation nicht unterwerfen 
wollten. Am 18. September 1666 schlug deshalb der Rat 
der Bürgerschaft vor, man möge mit den Großhändlern wie 
Weinschenken sich auf einen bestimmten Ertrag der Akzise 
einigen; wer von jenen sich nicht zu einer erklecklichen Taxe, 
seiner Handlung entsprechend, verstehen wollte, habe sich 
ohne Unterschied der Person der Visitation zu fügen. Die 
Bürgerschaft erklärte sich damit einverstanden und wünschte 
nur, daß einige Kämmereibürger und Oberalte hinzugezogen 
würden. 

Wie nun diese Taxe gehandhabt worden ist, läßt sich 
nicht erkennen; wahrscheinlich ist es im wesentlichen beim 
alten geblieben. Auf alle Fälle waren die Vertreter und 
Interessenten des Handels stets auf der Hut, daß der Wein- 
handel durch die Akzise möglichst wenig belastet und er- 
schwert werde. Als eine unerträgliche Form, den Weinhandel 
zu drücken, sah die Kommerzdeputation, die schon bald 
nach ihrer Gründung mit dieser Frage sich zu beschäftigen 
hatte, einen Vorschlag an, der im Jahre 1674 in der Bürger- 
schaft auftauchte und der dahin ging, daß für jeden ei 



88 



Ernst Baasch, 



geführten Oxhoft Wein bei der Einfuhr zwei Taler zu 

deponieren seien, die dann bei der eventuellen Ausfuhr zurück- 
erstattet werden sollten; wenn man, meinten die Kommerz- 
deputierten, dies einrichtej wurde man Hamburg zum Dorje 
und Atio7ia m emer großen Stadi madmu^) 

Dieser derartig angefochtene Vorschlag ist nicht Gesetz 
geworden; aber die nächste Zeit sollte doch eher eine Ver- 
gchärfung als eine Mildenmg der Weinakzise nach der 
fijikalischen Richtung bmigen. Die Einnahmen aus der Wein- 
akzise^ die an sich sehr starken Schwankungen unterworfen 
waren, waren einmal wieder zurückgegangen,*) so daß am 
4. Dezember 1684 der Hat der Bürgerschaft eine abermalige 
Eefonn vorschlug ziu- Verbesserung dieser Stadt Iniraden, 
Im Februar 1685 erklärte sich die Büigerschaft einver- 
st^inden; einige Bürger wurden zur Beratung über die Frage 
abgeordnet; am 24, September 1685 nahm die Bürgerschaft 
den neuen Entwurf an, setzte aber die Beschlußfassung 
Über den 10. Artikel aus. Doch bestand der Rat auf der 
Annahme dieses Artikels, ohne den die ganze Ordnung kraft- 
los werden wüi'de. Über diesen Aiiikel wurde dann weiter 
beraten, und endlich am 22, September 1687 die ganze 
Ordnung mit dem revidiei-ten Art. 10 angenommen. 

Diese Ordnung von 16B5/8T unterscheidet sich von ihren 
Vorgängerinnen namentlich dui^ch folgende Zusätze, 

Den Scliiffern wui-de verboten, ihren Bootsleuten Heuer 
zu zahleuj bevor sie richtig angegeben, an wen sie ihi^e mit- 
gebrachten Weine usw* verkanft hätten, und bevor solche 
Käufer persönlich auf der Weinakzise erscliienen (A. 1.) 
Hinsichtlich der Leckage bestimmte Art. 7 nicht nui', wie 
schon fiiiher Art* 6, daß 10 Prozent ü-ei sein, sondern daß 
8 Prozent Keller-Leckage Akzisefreiheit genießen sollten; 
ausdrücklich wurde dagegen verboten, die Weine etc. an 
Bord der Schiffe autzufüllen. Im Art, 9 wurde festgesetzt, 
daß m besserer Befoderimg dieses Werics noch drei Visitierer 
angestellt werden sollten* Am wichtigsten war der bereits 



•) Eomm. Dep. an Ädmirftlitat IL März 1674. 

^ Yergl die Liste der Betrage von 1674 ab in Beilage YL 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 89 

erwähnte Art. 10, der dem alten Art. 9 entspricht. Er be- 
schäftigte sich mit der Rechnungsablage aller derer, die mit 
Wein etc. im großen oder im kleinen handelten. Die 
Quartalsrechnung über alle Weine, die in Partien bis herab 
zu einer Ohm (Ahme) in der Stadt verkauft waren, war auch 
jetzt wieder vorgeschrieben; die Richtigkeit dieser Rechnung 
sollte von den Bürgern auf ihren Bürgereid, von Fremden 
und Einwohnern auf ihre eidliche Erklärung bestätigt werden. 
Über den Verkauf kleinerer Gemäße, unter V« Ohm, sollte 
monatlich Rechnung abgelegt werden. Den Grossierem oder 
Weinhändlem wurde verboten, Wein in kleineren Maßen als 
10 Stübchen zu verkaufen, während andererseits die Wein- 
schenken oder Zäpfer, d. h. Detaillisten, in der Stadt nicht 
höher als 10 Stübchen verkaufen durften. Doch wurde aus- 
drücklich bemerkt, daß man damit den Weinschenken die 
Handlung mit Fremden oder das Versenden von größeren 
Partien nicht verwehren wolle. Der akzisefreie Verkauf 
wurde, wie früher, verboten und die jährliche Schlußrechnung 
über alle verkauften, empfangenen und noch lagernden Weine 
vorgeschrieben. Kontrollvisitationen hatte jeder sich zu 
unterwerfen. Damit, wie es in der Ordnung heißt, dieser 
Punctus in richtiger Usance möge gebracht werden, hatte jeder 
Weinhändler 14 Tage nach der Veröffentlichung dieser Ord- 
nung ein genaues Verzeichnis über alle bei ihm lagernden 
Weine einzureichen. 

Hinsichtlich der Durchführung der Ordnung, über die 
die früheren Ordnungen keine Bestimmungen enthalten, wurde 
nun festgesetzt, daß den Herren und Bürgern der Weinakzise 
Vollmacht erteilt wurde, alle in der Ordnung vorgesehenen 
Strafen ohne gerichtliches Verfahren zu vollziehen, wie auch 
einem Widerspenstigen das Weinschenken zu legen und den 
Keller zu schließen. Ratsmandate vom 16. November 1687 
und 12. Dezember 1688^) schärften die genaue Einhaltung 
aller Bestimmungen der Weinakzise-Ordnung nochmals ein. 

Die Weinakzise-Ordnung von 1685/87 bezeichnet den 
Höhepunkt der rein fiskalischen Auffassung, die man von der 



V Beide nur in Sonderdrucken. 



90 



Emst Baaadi, 



Weinakzise hatte* Die zahlreichen Kauteleüj die man ge- 
schaffen hatte, um Hinterziehungen und Umgehungen dieser 
Abgabe zu verhindern, könnten dem Weinhandel nur schädlich 
sein nnd erreichten andererseits auch nicht den Hauptzweck, 
eine Steigenmg der Einnahmen* Allein der Ums^tand, daß 
nicht nur die Schiff skontentzettel für die Mehrheit der neii- 
gefiihrten Quantitäten Zeugnis abzulegen hatten, sondern daß 
auch die zahheichen Hilfsbedienten — die Ewerführer, Kran- 
träger, Kneveler — eine KontroUe über die den Weinhändlem 
zuzuführenden und von ihnen abgesandten Weine auszuüben 
hatten, daß femer auch den Bedienten bei den Bäiunen und 
an den Toren eine Aufsicht über die Weinakzise oblag, machte 
den ganzen Apparat furchtbar umständlich. Die verschiedene 
Größe der Gebinde, in denen der Wein einti-af, die aber doch 
einen und denselben Namen führten, gab sodann treffliche 
Gelegenheit zum Unterschleif. Hehr seltsam war femer die 
Berechnung der Leckage; die Seeleckage betnig beim fran- 
zösischen Wein tat-sächlich nur 2—3 Prozent, während sie 
mit 10 berechnet wurde; auch die 8 Prozent Keüerleckage 
war zu hoch. Kein Wunder deshalb, daß die Weinakzise 
schlechte Erträge lieferte; sie nahm vom Jahre 1689 an dauernd 
ab. und das war um so eigentümlicher, als ohne Frage der 
Weiiikonsuni in Hamburg sehr zunahm und namentlich die 
französischen Weine seit der zweiten Hälfte des J7- Jahr- 
hunderts hier eine immer mehr wachsende Beliebtheit fanden; 
nicht ohne Einfluß \\ird dabei der neue Handelsvertrag gewesen 
seiDj den die Hansestädte im Jahre 1655 mit Frankreich ge- 
schlossen hatten. 

Im April 1699 setzte deshalb das Kollegium zur Wein- 
akzise eine Kommission ein, zur Beratung dariiber, wie diese 
Abgabe in mnem h&sem Stande zu bringen. Am 7, August 
genehmigte das Kollegium die yon dieser Kommission aus- 
gearbeitete neue Ordnung, Aus den Beratungen über diesen 
Entwurf M ging dann eine Vorlage hervor, die der Rat im 

^) B& Bülimen daran teil äi% Weinliändler Johatm Warner, Johann 
Wifjchhoff, Kann Ja^^olj v<:^n der Porten, Joli* Hinr. AlphuäiuB, 
Nicolana Danueoberg, Albert Bernhard Elüera, Christoffer Drefiea, 
ChiiBtopli Änton Lutterloh. 



1 



Weinakzise nnd Weinhandel in Hamburg. 91 

Mätz 1701 an die Bürgerschaft brachte. Dieser Entwurf 
enthält eine sehr erhebliche Änderung gegenüber den früheren 
Ordnungen. Bisher war die Weinakzise eine Abgabe auf 
den Weinkonsum innerhalb der Stadt gewesen, eine reine 
Konsumtionsabgabe; die wieder ausgeführten Weine waren 
akzisefrei. Der Art. 4 des neuen Entwurfs bestimmte aber, 
daß alle, die Wein, Branntwein und Essig zugeführt erhielten, 
sofort davon die Akzise nach der Taxe zu entrichten 
hätten gegen Abzug von 10 Prozent Seeleckage; die Auf- 
füllung am SchifEsbord war verboten. So trat an Stelle der 
Akzise ein Zoll, an Stelle der Konsiuntionsabgabe eine 
Handelsauflage. 

Im übrigen unterscheidet sich der Entwurf namentlich 
dadurch von den früheren Ordnungen, daß nach Art. 6 alle 
Weinschenken je nach der Größe ihres Konsiuns in 3 Klassen 
geteilt wurden, die 25 bezw. 50 und 100 Mk. jährlich an 
Konsumabgabe zu entrichten hatten. Jeder aber, und das 
war wichtig, der diese Abgabe zahlte, hatte das Recht des 
Weinschenkens; eine Begrenzung nach den Maßen gab es 
nicht; wer mehr ausschenkte als früher, rückte eventuell in 
die höher belastete Klasse auf. Noch die Ordnung von 1685 
[1687] hatte dem Orossirer oder WeinhäncUer verboten, in 
kleineren Maßen und unter 10 Stübchen zu verkaufen, 
während der Weinschenk oder Zäpfer in der Stadt nicht 
mehr als 10 Stübchen verkaufen durfte. An Stelle dieser 
Beschränkung war jene Klassifikation getreten. 

Hatte man so durch die Ausdehnimg der Abgabe auf 
den gesamten Weinhandel der Stadt jene zu einer allgemeinen 
Steuer gemacht, so war andererseits freilich der Tarif er- 
heblich herabgesetzt. Sekt oder Vino tinto, der bisher 
24 Mk. bezahlt, sollte nur noch 4 zahlen, spanischer und 
französischer Wein war von 24 auf 2 Mk. herabgesetzt, 
französischer und spanischer Branntwein von 40 auf 6, 
Weinessig von 8 auf 1, Rheinwein von 18 auf 4 Mk. Es 
unterlagen jetzt aber auch die in Hamburg aus Zuckerwasser, 
Moder (Weinhefe), Rosinen und andern Dingen hergestellten 
Branntweine einer Abgabe, imd zwar von 3 Mk. pro Oxhoft, 
während der Kombranntwein frei blieb. 



92 



Enrnt Baascb, 



Die Erreichung des Zwecks, eine Steigerung der Er- 
träge der Weinakzise, scMen dieser Entwurf allerdings zu 
gewährleisteiL Besteuerte man allen einkommenden Wein, so 
waren Defraudationen sehr viel schwieriger; man vermied 
ferner zwar die lästige Kontrolle nicht ganz, erleichterte sich 
diese aber doch erheblich; man traf das Steucrohjekt in 
größerer Ausdelmimg; dafür war der Tarif herabgesetzt. 

Ohne Widerspnich vollzog sich diese eingi^eifende 
Änderung nicht, Schon der Rat hatte, als der Entwurf zu- 
erst an ihn gelangte, im September 1699 p:emeint, er sei 
detn Cmnmef'do sehr nachttmUg; der Rat hat auch später 
gi'oße Bedenken gehabt und sich nur dem Drängen der Bürger- 
schafty die Oeld herbeischaffen wollte, gefugt. Am schärfsten 
wandten sich gegen den Entwurf die Verti-eter der Kaufmann- 
schaft, die Kommerzdeputierten* Schon bei den Vür\^erhand- 
hingen erklärten sie im Einvei^tändnis mit den Oberalten 
den Entw^u-f für nicht annehmbar, am dm' Ursache, daß 
frmnhde Pukmncefi mch dariilm' beschivet'eH ^mcM^m. Dann 
riefen die Kommei^deputierten den Ehrbaren Kaufmann zu- 
sammen, der am B. April 1701 f?e)ir stark erschien und seine 
Zustimmung zu einer Eingabe an den Rat aussprach. Die 
projektierte Taxe, so legten sie hier dar, sei nichts als ein 
neuer ZoU. Ein solcher aber werde bei den benachbarten 
Mächten Anstoß erregen, um so mehr, als Dänemark jetzt 
wieder in Wien den Glih'.k^tädter Zoll betreibe, Die Depu- 
tierten wiesen darauf hin, daß neue Zölle wiederholt zu gi^oßen 
Konflikten Anlaß gegeben, so zwischen Frankreich und 
Holland. Überdies werde insbesondere Frankreich die all- 
gemeine Auflage auf alle französischen Weinej Branntweine 
und Essige sehr übelnehmen^ was um so bedenklicher sei, 
als man doch gerade dahin strebe, in Frankreich eine gleiche 
Stellung im Zoll wie die Holländer zu erreichen. Ebenso 
sei es mit Spanien hinsichtlich der Belastimg seiner Weine; 
Eepressalien gegen den nach jenem Lande betriebenen Lein- 
wandhandel seien zu befürchten. Das werde wieder Schlesien 
in Mitleidenschaft ziehen und den Kaiser erbittera. über- 
haupt, so meinten die KommerzdeputierteUj müsse Hamburg 
seinen Handel möglichst mit neuen Auflagen vei-schonen, da- 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 93 

mit er nicht noch mehr nach Altona sich wende. Im Wein- 
handel werde Altona nach Einführung dieser neuen Auflage 
3 — 6 Prozent vor Hamburg bevorzugt sein, ein Vorsprung, 
der den hamburgischen Weinhandel ruinieren werde. Was 
das heiße, schilderten die Kommerzdeputierten mit grellen 
Farben. Sie konnten allerdings auf Grund der allgemeinen 
damaligen Handelslage der Stadt und der Konkurrenz Altonas 
nicht mit Unrecht gegen weitere Belastungen Gründe genug 
anführen. 

So sehr schnell ging die Sache denn auch nicht von- 
statten. Es erhob sich Widerspruch auf allen Seiten. Auf 
Antrag des Rats vom 22. September 1701 ward eine Kommission 
zur Verbesserung der Bier- und Wein-Accise eingesetzt; die 
Bierakzise war noch reformbedürftiger. Die Kommission 
freUich kam zu dem Resultat, daß die Hauptneuerung des 
Entwurfs zu verwerfen sei, da es sich um einen neuen Zoll 
handle, dessen Einführung beyFrembden viele Anstößigkeiten und 
Verdrießlidüceiten erwecken, den Kommissionshandel mit Wein 
von Hamburg ablenken, die wirkliche Weinakzise ganz auf- 
heben und eine Ungerechtigkeit dadurch herbeiführen werde, 
daß derjenige, der viel Wein wieder expoiüere, schwer leiden, 
während derjenige, der in der Stadt viel verkaufe, ein an- 
sehnliches prosperiren ivürde. Die Vorschläge der Kommission 
liefen schließlich auf nichts anderes hinaus als eine weitere 
Erschwerung und Belästigung des Weinhandels. 

Die Verhandlungen und Vorschläge dieser Kommission 
haben es ohne Frage bewirkt, daß der neue Entwurf doch 
günstiger beurteilt wurde; seine Väter, das CoUegium zur 
Weinakzise, drängten auf seine Annahme. Ein Punkt des 
Entwurfs erfuhr allerdings noch eine Änderung selbst auf 
Vorschlag jenes KoUegiiuns. Im Entwurf war von den Wein- 
händlem eine Generalabrechnung über die bei ihnen lagernden 
Weine verlangt; die Weinhändler fürchteten, daß man dadurch 
in ihre Geschäftstätigkeit einen zu intimen Einblick gewinnen 
werde, und sie setzten es durch, daß diese Bestimmung aus- 
geschieden wurde. Trotzdem hatte der Rat noch immer große 
Bedenken. Als es endlich am 4. Februar 1706 zur Ver- 
hasdlung in der Bürgerschaft über den Entwurf, der iiü 



94 



Ernst ßaaäcb, 



wesentlichen der Vorlage von 1701 entsprach, kam, wanite 
der Rat und wies darauf hin, daß, wenn erst die ordentliche 
Weinakzise durch Annahme des Entwurfs abgeschafft sei und 
der neue Zoll künftig einmal nicht beibehalten werden könne, 
man schwerlich zrii der ordentlichen Akzise wieder gelangen 
werde* Widerspruch von auswärts werde aber wohl nicht 
ausbleiben. Für die Bürgei'schaft wogen die finanziellen Aus- 
sichten, die der Entwurf versprach, schwerer als diese Be- 
fiirchtungen; sie bewilligte die neue Ordnung vorläufig iiuf 
ein Jahr und ziuii Versuch und ließ sich hiervon auch nicht 
abbringen durch die Bemerkung des Rats, daß in einem Jahre 
der Handel wohl der Stadt entfremdet werden und die Stadt 
von auswärtigen Mächten viele Ungelegenheiten erleiden könne. 

War die Ordnung vom 4, Februar 1706 *) auch nur ver- 
suchsweise auf ein Jahr angenommen, so blieb sie stÜl- 
flchweigend weiterhin in Ki^aft,. Selbst die Kommerzdeputieitt^n 
waren bei der Annahme der Ordnung nicht mehr so eifrige 
Gegner; am L Februar hatten sie dem Ehrbaren Kaufmann 
gegenüber gemein t^ sie sähen nichts darin, ivas dtmi Kauf mann 
7iicht sollte {/(if allen. Der Ehrbare Kaufmann aber war weniger 
zuüieden und warnte, wenn f^ einmal emgerm^n iverBf wlb^da 
es woll perpefuirlkh hleihmi^ und hetmach der Kaufmann mit 
Srhadmh erfahren. 

Die Kanfmaimschaft miLßte namentlich Wert darauf 
legen^ daß die durchgehenden Weine nach wie vor zollfi-ei 
blieben und ihre Durchfuhr möglichst wenig belästigt w^rde. 
Der Art. 7 der neuen Ordnung bestimmte ausdrücklich, daß 
die ankommenden dardigelmiden Weine, Branntweine und 
Essige (illfne nkJd aufgdegei werden sollen, daß aber die 
Schifi'cr oder Fuhrleute ein Verzeichnis dieser Güter einreichen 
müßten. Doch führte die Praxis hinsichtlich der frei passieren- 
den Weine bald zu Mißbräuchen» Von 1711 an begannen die 
Schreiber und Bedienten auf der Weinakzise i^on allen durch- 
gebenden Weinen und Branntweinen jeder Quantität Trink- 
gelder zu fordern und die Passierzettel nicht eher auszuliefern, 
bis ihnen jene Trinkgelder gezahlt waren. Auch über 



n 



tickt: Klefekkr, Sammliing H, S. 500 ff. 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 95 

Rigorosität und Bureaukratismus ward geklagt. Es kam 
wohl vor, daß für einen Kaufmann in einem Schiff zur Durch- 
fuhr bestimmte Weine ankamen, daß aber, wenn der Kauf- 
mann dies erfuhr, das Schiff bereits an die Stadt gekommen 
war, worauf dann die Beamten den Wein nicht mehr als 
Durchfuhrgut anerkennen und behandeln wollten. Überhaupt 
gaben Härte und Unbilligkeit der Weinakzise-Beamten Ur- 
sache zu schweren Klagen. 

Im Jahre 1717 kam es infolgedessen zu Vorstellungen 
der Kommerzdeputierten an den Rat; dieser erkannte diese 
Beschwerden zum Teil als berechtigt an und setzte in einer 
Verfügung vom 30. März 17180 die Bestimmungen fest, nach 
denen bei der Durchfuhr der Weine und Branntweine zu 
verfahren sei. Auch wurde der Eid*) für diejenigen, die 
Weine usw. als Durchfuhrgut angaben, festgesetzt. Um endlich 
auch den Beamten der Weinakzise entgegenzukommen und 
ihrer vermehrten Arbeitslast Rechnung zu tragen, bestimmte 
der Rat am 30. März 1718, daß, solange es mit den durch- 
gehenden Weinen im Oange verbleibet, dem Schreiber jährlich 
öORtlr. und den Bedienten je 10 Rtl. zuteil werden sollten; 
dafür sollten sie von der Forderung der Trinkgelder abstehen. 

Alle Beschwerden der Kaufleute waren damit freilich 
nicht erledigt. So hatten viele Schiffe, die aus den Wein- 
ländem Portugal und Spanien kamen, neben der Hauptladung 
wohl ein paar Fäßchen Wein an Bord, die Regale, Geschenke, 
waren, und für die keine Fracht bezahlt wurde. Nun durften die 
Weinakzise-Beamten von jedem Schiff, das mit Wein, Brannt- 
wein und Essig befrachtet war, ein Voy-Oeld fordern, nämlich 
ein Schreiber 1 ^ 8 /J, jeder seiner beiden Knechte 12 ß; 
war auch nur ein Fäßchen Wein an Bord, dieses Geld wurde 
doch rücksichtslos eingefordert. Dieser Gebrauch blieb be- 
stehen. Überhaupt hat das Voy-Geld viel böses Blut bei den 
Weinimporteuren gemacht. Die Beschlüsse von 1718 hatten 
doch nur einen Teil der bestehenden Mißbräuche beseitigt. 

Die Erwartung, daß die Reform von 1706 den Ertrag 
der Weinakzise steigern werde, erfüllte sich zunächst voll; 

^) Gedruckt: Elefeker, Sammlung VI, S. 400 ff. 
^ Ebenda S. 399 f. 



I 



B6 ^^^^P Kxust Baa^ch^ 

von 10905 4^^ ^^^ ^i*? ™ Jahre 1705 eingebracht hatte, stieg 
schon 1706 der Ertrag aiif 58951 ^. Dann aber sank er 
wieder schnell; im Jahre 1709 waren es nur noch 30921 ^. 
Der Rat sah den Grund dieses Rückgangs in Defraudationen 
und meinte, man könnte getrost wit^der zu dem alten Satz 
von 4 TaleiTi pro Oxhoft fi'anzösischen Weins ziuiickkehren, 
nachdem im Jahre 1706 die Taxe auf 1 Mk. herabgesetzt war, 
Schwerlich, so stellt« er dar, habe trotz der vemngerten Akzise 
ein Weinhändler seinen Wein billiger abgegeben, aondera er 
habe lediglich 11 Äfk, in seinen Beutet ffesterkei; auf jeden 
Fall seien bei einer Akzise von 4 Talern pro Oxhoft die 

3 Schill, auf das Stübchen keine Last fiü- die, die Wein trinken 
wollten. Daß allerdings stark defraudiert worden war und 
noch wurde, schien aus einem Vergleich der Erträge, die bei 
der höheren Taxe eingegangen, nüt denen, die jetzt bei der 
geringeren Taxe eingingen, allerdings mit W^ahrscheinüchkeit 
zu vermuten. Man nahm im allgemeinen an, daß V» bis */* 
des eingehenden Weins (außer dem Durchfuhrgut) in der Stadt 
konsumiert wiude; da nun der vierte Teil des im Jahre 1709 
eingeführten Weins zu der geringeren Taxe 7500 Mk. einge- 
bracht hattCj so hätte filr diese Quantität nach der friiheren 
Taxe der Gesamtertrag der Akzise mindestens das Dreifache, 
d. h. 30000 Mk.j einbringen müssen; in Wirklichkeit ist diese 
Summe zwischen den Jahren 1691^1705 nie auch nur an- 
nähernd erreicht worden. 

Der Kat beantragte deshalb am 20. Februar 1710 bei 
der Bürgerschaft die Wiederherstellung der alten Taxe von 

4 Talern (^^12 Mk.) auf den französischen W^ein, Aber erst 
als die kaiserliche Kommission drängte, fügte sich die Bürger* 
Schaft dem Antrage am 3* Aprih Die vom Rat vorgeschlagene 
Verpachtung der Akzise wuide jedoch von der Bürgerschaft 
wiederholt abgelehnt. Zur Ausführung ist der Beschluß vom 
3, April 1710 nicht gekommen, wohl in erster Linie infolge 
der unruhigen inneren Zustände der Stadt, Ob die Opposition 
der Großweinhändler, die sich in mehreren Schriftstücken 
Luft machte, zu der Suspension des Beschlusses beigetragen^ 
mag dahingestellt bleiben. Übrigens stieg die W^einakzise 

ohnedem in den nächsten Jahren* Ohne Zweifel hat 



j 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 97 

hierbei auch die Zunahme des Weinkonsums mitgewirkt. Sie 
hat die Weinhändler auch wohl getröstet über die Belastung, 
die dem Weinhandel durch die Ausdehnung der Akzise auf 
die Weine, die von Hamburg weiterversandt wurden, bereitet 
wurde. Von einem Widerstand gegen diese Ausdehnung hört 
man nichts. Dagegen wurde geklagt über die Akzise auf 
die Sektweine, die 4 Mk. betrug; im Februar 1713 fanden 
sich die Kommerz-Deputierten veranlaßt, dem Ehrb. Kauf- 
mann eine Herabsetzung auf 2 Mk., wie die spanischen 
Weine zahlten, vorzuschlagen; auch die Akzise auf spanische 
Branntweine müsse von 6 auf 4 Mk. herabgesetzt werden. 
Doch lehnte der Ehrb. Kaufmann es ab, hierauf einzugehen, 
und beschloß, es solle beim alten bleiben. 

Dagegen machte sich um diese Zeit eine Reaktion 
geltend gegen die durch die Ordnung von 1706 herbeigeführte 
Beseitigung des Unterschiedes zwischen Groß- und Klein- 
händlern. Die Großhändler sahen sich naturgemäß benach- 
teiligt durch die starke Zunahme der Kleinbetriebe; nicht 
nur SchifEer und Bootsleute, selbst städtische Beamte er- 
richteten Ausschänke und Verkaufsstellen und machten dem 
Großhandel lebhafte Konkurrenz. Mochte auch der Wein- 
konsum an sich dadurch zunehmen und den Bierkonsum 
zurückdrängen^) und mochte auch die Weinakzise dadurch 
erheblich profitieren, der reelle Großhandel, der die Weine 
im großen bezog, sie sachgemäß behandelte und im kauf- 
männischen Betriebe weitergab, sah sich doch schwer ge- 
schädigt durch jene Kleinhändler, um so mehr als die Groß- 
händler mit weit größeren Geschäftsspesen arbeiteten als die 
Kleinhändler, bei denen viele nicht verakzisbare Weine ver- 
schenkt wurden. So machten denn im Jahre 1710 die Groß- 
händler den Vorschlag, daß ein behöriger Unterscheid zxmschen 
denen Orossirern und Zäpfern gemachet würde, und daß zu 
dem Zweck jeder zu Protokoll geben solle, wovor e?- gef^cUten 



Bemerkenswert ist der Rückgang der Bierakzise, die eine Konsam- 
abgabe war. Vom 1. März 1686 bis alt. Februar 1687 hatte sie 
270 058 Mk. eingebracht, im nächsten Jahre 243 444 Mk.; von 1710—19 
brachte sie darchschnittlich jährlich 191732 Mk., von 1740—49 aber 
nur noch 90000 Mk. 

Ztsohr. d. Vereins /. Hamb. Oeacb, XHI. 



98 



Ernst Baaschf 



sein walk; ein Großhändler dtü-fe dann nicht unter einem 
Anker verkaufen; die Großhändler, die unter einem Anker 
verkauften, miißten flir solche Hohlmaß-FreykeiU (ils auch 
vor ihr Haus und Mund alljährlich ein Gewisses stahlen; 
aller sitzenden Gäste müßten sie sich aber enthalten; alle 
Schiffer etc. müßten ihre mitgebrachten Weine verakzisen, 
Den Stadtheamten müsse der Zapf und Verkauf van Weinen 
ganz untersagt, werden; die Wirtshäuser, Gastgeber, Kaffee- 
häuser, Apotheken, Kombranntweinbreiiner und Krämer müßten 
hinsichtlich ihres Verbrauchs auf ein Jährliches taxiert werden. 

Ändere Großhändler machten den Vorschlag, Groß- 
händler dürften überhaupt nicht weniger als ^/s Oxhoft ver- 
kaufen. Alle Großhändler aber waren sich offenbar darin 
einig, daß eine scharfe Abgrenzung zwischen Groß- imd 
Kleinhändlern, wie sie nach den früheren Bestimmungen 
bestanden hatte, wiederhergestellt werden müsse, da von der 
jetzt henschenden Freiheit nur die ca. 150 Zapf er den Vor- 
teilj den Nachteil aber nur die ca. 55 Großhändler hätten. 

Man hat damals diesen Anträgen keine Folge gegeben; 
eine Reihe von Jahren später wiu'den sie in ähnlicher Form 
wieder vorgebracht, 

Zuerst, wie es schcintj wurde in einer kleinen Druck- 
schrüft, betitelt KurUe^ dm'h gründfkhe Yorstelhmy, daß sowol 
die HambnrgLsche jeimge Wein-Acdse ah die mtf^erissene 
Wanren-Attcffönes ode^^ Aim^uffe dmn wahrefi Conifnerdo und 
dieset' Stadt mm f/roßen Vm^derh g&^ekhen^ in Eü tmtworßm 
vofh einmi dieser Stadt verbundenen Kauffmann. Hamburff 
1731 im Monakt Jimio^^) die bestehende Weinakzise offenbar 
von einem Welnliändler scharf angegriffen. Er lobt die alte 
Zeit, Wie sehr bei der alten Konsumtions-Akzise» so schreibt 
er, unser gdiehies Vaterland im tmrigen Sendo und bis tu der 
gemarkten Veränderung [von 1706] floriret, hat der Äugenschein 
erwiesen; infolge der dann eingetretenen Veränderung, die 
auch den Weinen, die von hier an andei^c örter verkauft 
würden, Akzise auferlege, sei diese Handlung voti ufiserer 



*) In memeü Foracbungen z. hamb. Handels-Gescbichte m, S. 76 f. ist 
'lese Schrift, soweit sk die Auitionen behandelt, bereitg gewürdigt 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 99 

Stadt an andere Örter verwiesen. Der daraus der Stadt er- 
wachsene Schaden bestehe im folgenden: 

1. alle andern Plätze könnten diese Weine um 4 — 6 Prozent 
billiger verkaufen. 

2. Da die Akziseordnung einem jeden die Freiheit gebe, 
seine Weine im kleinen zu verzapfen, und der Konsum 
frei sei, werde hier jetzt fast mehr Wein als Bier kon- 
sumiert, da ersterer beinahe so billig wie dieses; dadurch 
würden die Bierinteressen (Brauerben, Bierakzise) ge- 
schädigt. Der Umstand, daß 

3. nur die durchgehenden Weine zollfrei seien, schädige die 
Stadt und die Besitzer der Packräume, Keller und Böden. 

Dieselben und ähnliche Motive finden sich denn auch 
in den Schriftstücken, mit denen die Weinhändler sich in 
nächster Zeit an die Behörden wandten. Noch im September 
desselben Jahres beantragten die Weinhändler ^) beim Rat 
eine Veränderung der Weinakzise -Ordnung. Die heutige 
Ordnung, so legten sie dar, habe dahin geführt, daß jeder 
Krüger und Matrose, der auf 30 Mk. Miete wohne, jetzt 
Weinhandel treibe, und daß der reelle Weinhandel der 
größeren und mittleren Händler, die 1200 oder 500 Mk. Miete 
zahlten, in Verfall geraten sei. Nach dem von den Antrag- 
stellern vorgelegten Entwurf*) sollte die Land- und Seeinfuhr 
aller Weine und Weinessige akzisefrei sein; ebenso sollten alle 
Kaufleute, die mit Weinen in gewissen Mengen — 5 Oxhoft 
Franzwein oder Weinessig, 2 Stück Branntwein, 1 Stück Rhein- 
wein usw. — handelten, von der Akzise frei sein; wer aber 
1. Wein in geringeren Mengen bis zu V« Oxhoft abwärts 
als diese verkaufe, solle jährlich 100 Mk. zahlen; bei 20 
solchen Weinhändlem ergab dies 2000 Mk. 

Es waren Albert Meyer Jacobson, Hinrich Eding, Hermann Jürgensen, 
Job. Hinr. Bojen, Wilbelm Jantzen & Consorten. Im März 1724 
baten die Weinhändler die Kommerzdeputierten am Zahlung der Un- 
kosten, die erstere zu Errichtung ihrer Schriften wegen Declinirung 
der aufs Tapet seynden Consumtion van Wein und Brantewein 
gehabt hatten. Die Kommerzdeputierten lehnten es ab, ujeilln ein 
solches bis dato ohne Exempeln wäre und auch inskünftige von böser 
Consequence sey. 

^ Siehe Beilage ü. 

1* 



100 



EntBt Ba&schf 



2. Weinhändler, die in kleiüeren (remäßen und Flaschen 
diese Weine verkauften, sollten jährlich 150 Mk. zahlen; 
solcher Weinhändler gab es 60; der Ertrag war also 
9000 Mk. 

3. Wer überdies, also zu dem Besitz der Freiheit ad 1) 
oder ad 2), noch die Weinschenk-Freiheit genießen wallte, 
sollte jährlich von jedem Keller oder Haus, wo er sitzende 
Gäste habe, 200 Mk* zahlen; die Zahl solcher Wein- 
händler ward auf 140 g^eschätat; der Ertrag wiu'de also 
28000 Mk. sein. 

4. Für den Allein- und Detailverkauf von französischem, 
holländischem oder hiesigem Cideressig sollte jeder jähr- 
lieh 15 Mk, zahlen, was bei 40 Interessenten 600 Mk. 
bringen mußte. 

5. Jeder Weinsehenk auf dem Hamburger Berg, in St. Georg, 
auf dem Deich, den Schweinköfen/) vor dem Dammthor 
sollte 100 Mk. zalilen; deren gab es 10, was also 1000 Mk. 
einbrachte, — 

Alle Seefahrenden, Ewerführer, Makler, Handwerker, 
Krüger und Stadtbediente soUten dem Commerrio mun Bestefi 
vom Weinhandel ausgeschlossen werden; ein Seefahrer, der 
Wein mitgebracht, hatte ihn auf dem Zoll anzugeben. Jene 
fünf Klassen von akzisepflichtigen Weinhändlern usw* hatten 
die Namen aller ihrer Mitinteressenten anzugeben. Die Anüag- 
steller wünschten die Annahme dieser Ordnung auf vorläufig 
10 Jahre. 

Dieser Entwurf zeichnet sich aus durch die detaillierte 
Klasseneinteilung, wie durch das sichtbare Bestreben, den 
Weinhandel den Weinhändleiii vorzubehalten, ihn den Leuten 
zu entziehen, die im Grunde nichts mit ihm zu tun hatten 
und seine Solidität in Mißkredit zu bringen geeignet waren. 
Zu den Großhändlern und W^einschenken, die man früher 
unterschied, waren die Krüger und Kleinhändler gekommen; 
diese wollte man durch die scharfe Besteuerung der Wcin- 
schenkfreiheit neben dem Weinhandel einschränken- 



*) SahweineköTen hieß der zwischen der jeUigeu BreuneT- und Rostocker- 
straße belegene Teil St. üeorgs. 



lAi 



Wemakriiie und Weinhandel in Hamburg. 101 

Unmittelbaren Erfolg hat dieser Antrag nicht gehabt; 
es ist auch nie wieder von ihm die Rede. Aber der Aus- 
gangspunkt der weiteren Entwicklung ist er doch gewesen^ 
und im Schöße des Rats ist er auch zur Sprache und zur 
Verhandlung gekommen. Denn den Erwägungen, die zu ihm 
gefOhrty konnte man sich doch nicht verschließen. Ende des 
Jahres 1723 kam ein Gerücht über obschwebende Beratungen 
auch den Eommerzdeputierten zu Ohren; in einer Eingabe 
vom 13. Dezember stellten sie dem Rat vor, er möge ihnen doch 
von solchen Plänen Mitteilung machen, da durch Einführung 
einer solchen Neuerung E. E. Kaufmann, der fast durcJigehends 
in diesem Handel interessiret ist, heftig würde graviret und 
folglich die Aufnahme des Commerdi gehindert werden, weil 
viele tausend Menschen von diesem Handel leben, und unsere 
Schiffahrt dadurch großen Stoß bekommen würde, wenn darinnen 
einige Neuerung vorgenommen werden sollte. Der Rat hatte 
aber offenbar keine Neigung, den Kommerzdeputierten Einblick 
in noch nicht abgeschlossene Erwägungen zu gewähren, und 
erklärte noch an demselben Tage jenen kurzweg, er werde 
den Punct wegen der Wein-Accise mit denjenigen Deputationen 
und CoUegiis, mit welchen es hiesigen Verfassungen nach sich 
gebührte, zu überlegen nicht ermangeln. Diese Abweisung ver- 
anlaßte die Kommerzdeputierten zu einer Vorstellung, in der 
sie an ihre Begründung 1665 und die Bestätigung von 1674 
erinnerten und darauf hinwiesen, daß in Sachen des Commercii 
niemals etwas Erhebliches ohne vorhergehende Überlegung 
mit ihnen vorgenommen wäre. Sachlich fügten sie hinzu, 
daß uns das gar zu nahe gelegene Altona, als welches ohnedem 
keine Gelegenheit verabsäumet, worin es dieser guten Stadt Nach- 
theil an ihrer NaJirung verursachen könne, durch eine neue 
Weinakzise viele so hiesiger als auswärtiger Kauf leute an sich 
ziehen würde, au>ch viele tausend Menschen, die in dieser Stadt 
von der Weinhandlung ihren Unterhalt haben, dadurcJi um ihr 
täglich Brodt gebracht werden. 

Der Rat antwortete hierauf nicht, verhandelte aber 
unter sich und mit den Oberalten weiter über die Weinakzise. 
Aber daß etwas vorging, war doch ruchbar geworden, und 
Anfang Februar 1724 wandte sich der französische Gesandte 



102 



Enisl Baaach, 



an den Rat: er habe gehört^ daß jener beabsichtige, eine] 
Auflage auf alle Weine zu legen; da dadurch die fi^anzösischen 
Weine hauptsächlich getroffen werden würden, so en^tichte er 
den Rat, in dieser Sache nicJd au gesvhwiyide zk verfahren; 
es könne sonst leicht der Erlaß der Tonnenabgabe von. 
50 Sous, der im Handelsvertrag von 1716 den HansestädtenJ 
bewilligt seij zurückgezogen werden. Es war dies das erste- J 
mal, daß eine fremde Macht sich in die Frage der Wein- 
akzise einmischte ; bereite Anfang des Jahrhunderts war eine^ 
Einmischung Frankreichs, wie wir oben sahen, befürchtet,! 
aber nicht eingetreten; allerdings verbot der damalige Kriegs- 
zustand ein Eingreifen Frankreichs. Die Drohung der Zurück- 
Ziehung des Erlasses der Tonnenabgabc war aber bedenklich;' 
mit großen Opfera hatte man im Jahre 1716 diesen Erlaß 
erhalten;*) als später, 1760, Hamburg mit Franki^eich ini 
Konflikt geriet^ fiel mit der Äufhebimg des Vertrags auch 
jene Vergünstigung weg, und Hamburg hat große Mühe 
gehabt, sie später wiederzuerlangen. Der Rat beeilte sich des- 
halb am 7* Februar diüch Syndikus Surland den Gesandten zu be- 
ruhigen imd zu antworten, daß man auf kam amgel^ende Weine 
etwas geleget und also dm Crnnmercium nicJii graviretf sondern 
nur auf hies^ige C&rmimtitm dim Impmi m legeyi inkmdire. 
Nun trat aber am 9. Febmar auch der Ehrbare Kauf- 
mann zusammen und forderte von den Kommerzdeputierten 
eine Aufklarung. Da sie eine solche zu geben nicht imstande 
wareUj wurden sie vom Ehrbaren Kaufmann veranlaßt, dem 
Rat nochmals die Sache vorzutragen. Das tatesn sie am 
12, Februar, indem sie dem Rat die gegen die Einfühlung 
einer Konsumtionsauflage sprechenden Gründe darlegten. Zoll 
und Einjfuhrakzise di'ücke den Kaufmann schon genug; eine 
Konsumakzise weixie dahinführen, daß Fremde ihre Wein- 
lager aus der Stadt in die Nachbarschaft verlegten. Nament- 
lich aber verstoße eine Konsumtionsakzise gegen den Vertrag 
mit Frankreich^ der jede Neuerung in Zoll und Akzise von 
Wein imd Branntwein verbiete; denn wenn die Konsumakzise 



*) TergL Baasch, QueUeti z. Gescli, v. Hamb. Haudel u, ScUiffahrt, 
Heft 1, S. 108 ff. (Haink 1908.) 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 103 

auch direkt nur die Einheimischen treffe, schädige sie doch 
den Weinhandel, und es sei Gefahr, daß dieser sich nach 
anderen Plätzen ziehen werde. Das werde dann wieder die 
Schiffahrt und die Reederei schwer benachteiligen. 

Elar war es somit offenbar allen, ohne daß sie genau 
über die Pläne des Rats unterrichtet waren, daß es sich um 
die Wiedereinführung der Konsumakzise handle; diese war 
ja 1706 insofern abgeschafft worden, als nunmehr alle ein- 
geführten Weine usw. der Akzise unterworfen wurden. Nicht 
nur die Kommerzdeputierten übrigens, auch die Oberalten 
hatten schwere Bedenken; eine Erhöhung der Einfuhrabgabe 
war nach ihrer Ansicht infolge des Traktats mit Frankreich 
unzulässig; auch war sie geeignet, den Weinhandel Frank- 
reichs zu schädigen; die geplanten Visitationen und Kontroll- 
maßregeln femer waren ihnen nicht annehmbar, weil in einer 
freyen Repuhlic und Handelsstadt ein Kaufmann sich nicJit 
dergestalt, urie in dem Protect intendiret unrd, visitiren und 
sein Vermögen, so er in Wahren stecken hat, untersuchen oder 
seine Kunden und Correspondence offenbaren lassen kann. 
Überhaupt betonten die Oberalten, daß die Weinhändler wohl 
eine Verkaufsabgabe füi* den eventuellen Detailverkauf ent- 
richten, daß sie aber von der eigentlichen Konsumakzise frei 
sein müßten; denn durch diese werde der Weinhändel und 
die Kommissionen von der Stadt gezogen.*) 

Der Rat erklärte hierauf,*) daß er den Weinhandel 
nicht treffen wolle, wohl aber den Konsum der in der Stadt 
und ihrem Gebiet verzapften Weine; beides seien zwei grund- 
verschiedene Dinge. Nun einigten sich Rat und Oberalte im 
Juni 1725 auf ein Projekt,*) das als Anhang der Ordnung 
von 1706 dienen sollte. Die Gedanken des Projekts von 1721 
haben bei der Abfassung dieses Projekts von 1725 offenbar 
stark mitgewirkt. Die allzu unbeschränkte Schenkfreiheit 
sollte eingedämmt, es sollte verhindert werden, daß ein jeder 
nach Belieben Wein und Branntwein verzapfte. Nirgendswo, 
so heißt es in dem Entwurf der Vorlage des Rats an die 

*) Oberalte an den Rat 11. Februar 1724; 3. Januar 1725. 

*) 6. Juni 1725. 

*) Siehe Beilage m. 



104 



Ernst Baa^icb, 



Bürgerschaft, sei es sonst erlaubt, daß ein jeder nach eigenem 
Gefaileii die Freiheit des Weitisdietikefis und df^eti Verkaufs 
in Kleinigkeiten sich anmassen durfte^ ohne dafür dem pnhlico 
eine gehirliche Eef^gnition m rrlegenj insonderfmt dergleichen 
Schenken und Vtreapßmg allMer m die^t^ guten Stadt m 
stark geiriehen ivirdy daß dahero atteh die Brmwr sich der- 
halien öftef^H zii bescfiwereti Geiegefiheit gefionijjiefi und, weil 
die Leute tkm Wein fast umhlfeiler als dm Bier frinl^f^i, 
diesem den Abbrudi der ukralten Brmi^Naltrung und (Moffe 
nicht ohne allefi Gh'mid mit heg gemessen hahmi. Dem Wein- 
handel werde mit der vorgeschlagenen Konsum-Abgabe kein 
Abbruch geschehen^ und die, ivelvhe dm Vermögeti habmj 
Wein zu Mneken, würden ebensowenig als die^ die ihn ver- 
zapften und in kleinem verkauften, heg ihren stadfkimdig 
gesegnetmi großen Verdiemt ffraviri m segn m'adäen kmmcn. 

Im einüelnen wunle in dem Entwurf vorgesehen, daß 
nun von jedem Hause ete., wo Wein verzapft wurde, jährlich 
25 — 150 Taler Courant bezahlt werden sollten j und zw^ar 
nach 4 Klassen 25 bezw. 50, 100 imd 150 Taler. 

Die Weinschenken imd Zapfer sollten ein ihr Geweibe 
deutlich kimd gebendes Zeichen — eine Traube oder ein 
Weinglas — vor ihrem Ausschank führen, ebenso die Wein- 
händler, die in kleinen* Quantitäten verzapfen wollten, ein 
anderes Zeichen, das ihren Unterschied von den übrigen 
Weinhändlem imzweideutig vor Äugen stellte* (Art, 1, 2.)-) 
Jeder Weinhändler, der innerhalb der Stadt und ihres Gebiets 
Wein in Flaschen und kleinen Gefäßen unter Vi Oxhoft ver- 
kaufte oder verabfolgt«, soUt-e dafür jährlich 150 Taler 
zahlen. (Art. 3.) Gegen letztere Bestimmung waren natürlich 
besonders die Großhändler^ denen^ nachdem sie schon bei 



Die Oberalten hatten dagegen eingewandt, man möge nur die Wein- 
hljidkr^ die sitzende Gäste hatten^ zur Fuhniug solcher ttuüeren Ab- 
Keichen verpÜiehfcen ; der Rnl liiitte auf seiner Ansicht bestanden^ daß, 
ipic ohnedem dtrffieicken Zechen gthräueMich sind und rar alle 
Weinschenken von jehero ajff'iffiret worden, also golchfi^ (kstomehr hty* 
zubehaiien «c^, damit keine heimliche Schenken *»t:A einnchleivhen, 
iondem die prittilegirte man mfori erkennen und die Defraudankn 
entdecken könne. 



■ 



Weinakzise und Weinhaiidel in Hamburg. 105 

der Einfuhr von Wein die Einfuhrabgäbe zahlen mußten, 
nun auch noch beim Verkauf in kleineren Mengen eine 
Konsumakzise auferlegt wurde. 

Schon am 27. Juni beschäftigte sich der Ehrbare Kauf- 
mann mit der Sache; den Kommerzdeputierten war zwar das 
Projekt noch nicht vom Rat mitgeteilt; aber was es enthielt, 
war offenes Geheimnis, und die Vorstellung, die im Auftrage 
des Ehrbaren Kaufmanns die Kommerzdeputierten am 9. Juli 
dem Rat überreichten, zeigt, daß sie über den Inhalt des 
Projekts gut unterrichtet waren. Nachdem, so legten sie dar, 
im Jahre 1706 die allgemeine Akzise eingeführt sei, könne 
selbstverständlich von einer außerdem aufzuerlegenden Kon- 
sumabgabe nicht mehr die Rede sein. Eine Auflage von 
150 Talern jährlich müsse den Wein verteuern imd treibe 
namentlich die kleinen Konsumenten in die Nachbarschaft, 
wo der Wein billiger sei. Femer würden junge, angehende 
Kaufleute, die mit Wein handelten und nicht gleich Groß- 
händler sein könnten, sondern auf den kleinen Betrieb sehen 
müßten, durch solche Auflage abgeschreckt, sich dem Wein- 
handel zu widmen. Der Weinhandel im kleinen werde sich dann 
beschränken auf 6, 7 oder 8 Personen, da sonst kein Weinhändler 
in kleinen Partien in der Stadt 10 — 20 Oxhoft absetzen 
könne. Durch diese Einschränkung der Händler werde aber 
auch der Konsument in der Auswahl der Weine beschränkt 
und naturgemäß darauf verwiesen, sich selbst seinen Wein 
aus Frankreich kommen zu lassen. Diu-ch alles dies werde 
aber jedenfalls der Zweck, den Ertrag der Weinakzise zu 
steigern, nicht erreicht. 

Der Rat kümmerte sich aber um diese Vorstellung nicht 
und beantwortete ein abermaliges Gesuch vom 15. August mit 
dem Bescheid: es wäre eine Stadt-Sache, die mit denen Ober- 
alten und Collegiis tractiret würde, umb nach der BürgerscJiaft 
m gellen. Es knüpfte sich hieran noch eine Erörterung, in 
der der Rat seine Verpflichtung, hierüber mit den Vertretern 
der Kaufmannschaft zu verhandehi, bestritt. Dies ist einer 
der wenigen Fälle in der Geschichte der Kommerzdeputation, 
in denen der Rat ihre Mitwirkung bei Vorbereitimg gesetz- 
licher Maßnahmen entbehren zu können glaubte. In allen 



106 



Enist BäAscU, 



diesen Fällen ist für diese Haltung neben pei*sönlichen Gründen 
meist die Erw^ägung maßgebend gewesen, daß der Widerstand 
der Kommerzdeputiert^n die geplante Maßregel, ehe der Vor- 
schlag an die Bürgerschaft gelangte, vereiteln möchte* 

Was die Weinakzise betraf, so drang doch dei* Wille 
des Ehrbaren Kaufmanns durch. Die Kommerzdeputierteu 
bewirkten durch ihre Eingaben bei den Kollegien der Ober- 
alten und der 60 cr^ daß das Pi'ojekt nicht weiter verfolgt, 
ja nicht einmal an die Bürgerschaft gebracht wurde. Die 
Befürchtung, die der Rat im Jahre 1706 ausgesprochen, daß^ 
wenn einmal die reine Kansumakzise aufgehoben sei, man sie 
schwerlich wieder einführen werde, hatte sich bewahrheitet* 

Eine Reihe von Jahren ist es still über die Weinakzise. 
Von dem im Jahre 1727 eingefiihrt^n allgemeinen Transite, 
d. h. der Zollfreiheit aller nur durchgehenden Güter, waren 
neben Holz und Kom auch Wein, Branntwein und Essig 
ausgenommen; doch beschränkte sich diese Ausnahme nur 
auf Weine usw., die nicht wirklieh schon vor ihrer Ankunft 
nach anderen Orten bestimmt waren; solche Weine konnten 
also auch weiter zollfiei passieren, während die Weine usw*, 
die erst nach ihrer Ankunft hier verkauft wurden und dann 
weiter gingen, die Trausitofreiheit nicht genossen/) 

Im übrigen machte man mit der Weinakzise auch weiter 
die Erfahnmgen, die man in den letzten Jahrzehnten seit 
der Refoim von 1706 gemacht hatte. Die Erträge schwankten 
stark. Die kleinen illegitimen Weinzapfer und Weinverkäufer, 
namentlich Schiffer imd Wein-MutUr-PtesserBf^ die nicht wie 
die Weinschenken, die sitzende Gäste hatten, auf einen be- 
stimmten Akzisebetrag taxiert, waren» sondem nichts der- 
gleichen bezahlten, schädigten nach wie voi- nicht nur die 
ordentlichen Weinschenken, sondem auch die Einkünfte der 
Akzii*e. Auch manche angesehenen Privatleute, die sich ihren 



n Vergl KLEi-'EKER XU, S, 607. 

^) Diesen Ausdruck ^brauclit eme Ratsrelation Tom 24. April 1741, 
Gemeint sind dauiit diejenie:en^ die aus der Weinmutter (— Moder, 
Hefe) Wein bereiten oder, wie esj in derselben Relation beißt, von 
der Mutier ihn pressen. Auch der Ana druck Drutt^tresifer (Trauben* 
presser) kommt vor. 



.&, 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 107 

Wein in kleineren Partien direkt aus Frankreich kommen 
ließen und ihre Familie und Freunde auf solche Weise damit 
versorgten, entzogen einen Teil des Stadtkonsums der Akzise, 
während die Weinhändler durch solche direkten Bezüge be- 
nachteiligt wurden. Hauptsächlich das finanzielle Interesse 
bewog dann den Rat im Jahre 1741 dazu, abermals einer 
Reform der Weinakzise näherzutreten. Er plante *) zuerst eine 
Verdoppelung der Akzise für alle einkommenden Weine usw. ; 
um aber den legitimen Weinhandel nicht zu sehr zu be- 
schweren, sollten die Weinhändler für alle verakzisierten 
Weine usw., die von ihnen von Hamburg nach auswärts oder 
in Hamburg an andere Kaufleute verkauft wurden, die Hälfte 
der erlegten Akzise rückvergütet erhalten. Anker und halbe 
Anker sollten hierbei nicht gerechnet werden. Auch wurde 
erwogen, die Privatbezüge von Wein und die kleinen 
illegitimen Zapfer dadurch zu treffen, daß alle, die weniger 
als 50 oder 25 Oxhoft einführten, von jedem Oxhoft fran- 
zösischen Weins statt 2-^:2 Taler, also das Dreifache, 
zahlen sollten. 

Was der Rat schließlich der Bürgerschaft am 27. Juli 
1741 vorschlug, war aber doch mäßig hiergegen; es wurde 
vorgeschlagen eine Erhöhung der Akzise für Wein usw. ohne 
Unterschied der Gattung um 8 /J, während bisher der fran- 
zösische Wein 1 Mk. gezahlt hatte; femer eine Erhöhung 
der Akzise auf Cideressig um 6 /{ ; alles zum Versuch auf 
2 Jahre. Trotz der schlechten Finanzlage der Stadt lehnte 
die Bürgerschaft dies rundweg ab. Der Rat gab seine Pläne 
damit aber nicht auf. Im Oktober 1744 beauftragte er den 
Syndikus Surland und die Ratsherren Brokes imd Otte, zti- 
sammemutreten und die rationes pro et contra in Ueherlegung 
zu nehmen, oh eine Art von einer Consumtions-Taxa füglidi 
auf den Wein gdeget werden könne. 

Die Sache scheint aber nicht weiter ernsthaft verfolgt 
zu sein. Doch wurde im Jahre 1752 in der Kämmerei über 
eine Reform der Weinakzise beraten; die Nähe Altenas schien 
gegen eine stärkere Belastung des Weins zu sprechen. In 



In der oben enväliuten Ratsrelation. 



108 Einet Baa^cK ^^^Hi^^^l 

den nächsten Jahren spielt in den Er^rtenmgen, die zwischen 
dem Rat und den Kommerzdeputierten über die Zollsache 
gepflogen wurden/) auch die Weinakzise eine Rolle« Die 
Deputierten schlugen am 20. Oktober als Äquivalent für ZoU- 
einnahmen^ die man preisgeben wollte, u, a, eine Akzise auf 
Lebensmittel und zwar fiirnernlkh auf tlen Wein vor; am 
L März 1762 wiederholten sie diesen Vorschlag; es sei den 
BemiUelten eine Auflage o^f Wein und andere etdbehrlivhe 
Waarmf den Oeringen aber eine Erhöhung der Matten odei' 
eine Verdoppelung der Vieh-Äcdse usw. aufzuerlegen» Nur 
die Aussicht imd Hoffnung, daß mit den Zöllen erheblich 
aufgeräumt werde, hat offenbar den Koraraerzdeputierten 
diesen Vorschlag, den Konsum m besteuern, eingeben können; 
imd nie mußten sich von der Kämmerei*) sagen lassen^ daß 
der Wein wohl kaum beg jetziger Lebetisart zu den enthehr- 
Ikheti Siidmi f/crerknet werden hönney da diem9 Oeiränke Jmt 
durchgeliends in die Stella des Biers getreten üt. 

Noch ein anderer Gnind sprach gegen eine stärkere 
Belastimg des Weins* Man verhandelte damals mit Frank- 
reich wegen Wiederherstellung eines Handelsvertrags.^) Frank- 
reich forderte volle Gleichstellimg mit England, namentlich 
begehrte es für seine sich in Hambiug niederlassenden Kaiif- 
leute dieselben Vorteile, wie sie die Kaitfleutc der englischen 
Coiu^t hier genossen. Wollte man diesen und anderen 
Forderungen Frankreichs sich entziehen, so diuite man es 
nicht reizen durch Erhöhung der Lasten, die auf einem der 
wichtigsten französischen Produkte ruhten; man mußte so- 
gar eher auf eine Herabsetsomg dieser Belastung denken. 
Der BevoUmächtigte Hamburgs in Paris schlug im Jahre 1761 
in dieser Erwägung euie Verminderung der Akzise auf Wein, 
Branntwein und Essig um die Hälfte vor; der Verlust werde 
etwal6— 18 000 Mk. betragen, sei aber geringfügig, wennnuiu 
dagegen den genannten Foi-derimgen der Franzcjsen entgehe. 
Auch die Kämmerei ver\\ies die Kommerzdeputierten auf 
dies Bedenken und meinte, man solle nicht offmhar und 

') Ich behalte mir vor, llber sie an anderer Stelle zm berichten. 

^) 19. Januar 17ö3. 

^ Vergl Bäascu, Quellen ubw. H. 1, S. 114 ff. 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 109 

eigentlich, sondern nur unvermerkt gelegentlich der Erhöhung 
des Zolls auf Tee und Kaffee auch die Weinakzise erhöhen. 
Die Kämmerei war um jene Zeit die Behörde, die am 
energischsten darauf drang, den Wein mehr als bisher zu 
belasten. Ganz unrecht hatte man ja nicht, wenn man be- 
dachte, daß das Oxhoft Bier mit 4, das Oxhoft Wein mit 
nur 1 Mk. Akzise beschwert war. Prozentual ergab sich 
folgende Belastung: 

Das Hamburger Bier war beschwert bei 

einem Wert von 8 Mk. per Tonne mit 36V« Prozent 

Französischer Wein, das Oxhoft zu 20 Talern, mit 1 Vs ,, 
Weizen zum Backen, die Last zu 100 Talern 

(die Übermaße abgerechnet), mit ca S^js „ 

Roggen zum Backen, die Last zu 60 Talern, mit 16V8 „ 

Rindfleisch mit ca 6Vi „ 

Danach schien der Wein allerdings eine höhere Be- 
lastung wohl vertragen zu können. Auch das Bedenken 
der Nähe von Altona traf nach Ansicht der Kämmerei nicht 
zu; auch in Altona hatte man für jeden eingeführten Wein 
4 Mark Akzise zu zahlen; bezogen die Altonaer den Wein 
aus Hamburg, so hatten sie überdies noch den Schauenburger 
Zoll und die Transportkosten zu tragen; schwerlich konnten 
die Altonaer den Wein billiger ausschenken als in Hamburg. 
Aber wie wollte man die Weinakzise in Hamburg ein- 
richten, ohne den Weinhandel zu schädigen, was kein ver- 
ständiger Mensch wünschen konnte? Nach den Darlegungen 
des Kämmereibürgers F. N. LÜTJENS,^ der sich sehr ein- 
gehend mit dieser Frage beschäftigt hat, ließen sich die 
hamburgischen Weinhändler in 5 Klassen teilen: 
1. Kauf leute, wdcJie, wie andere Wahre, also auch Weine pei' 
SpeaUation für ihre Rechnung verschrieben und engros 
oder hey OxJiofden an Weinhändler, Tappers oder, was 
den roten Wein betrifft, auch zum Hausgebrauch an 
Particuliers verkaufen; ja sie werfen den weißen audi wohl 
auf Stücken und pfuscJiern so gut damit, wie sie können. 



^ Promemoria, am 19. Oktober 1764 der Kämmerei vorgelegt, i 
29. November verlesen. 



HO 



Ernst Baäsch, 



2, Kaufimte, wddien Weifw in Commmion gmandt tmnlen^^ 
die verkanfe^i soIrJie a/n andere oder an sich selbst^ imd 
da gehts im leMern Falle eben ime vorhin- 

3, Äfkrhand Lmtfe, wdelie ^tm eiffermi Cojmmw vtm ihrem 
Lager tiehmen oder von andern hier kanjm oder aueh 1 
tmd meJirere Oxkofdefi Biim Haus-Gebraudt vm^'^chrmlmi, 

4, Qroß-Weinhändler, weirJie iausefide von Oxhofden auf 
Stüekmi liegen haben tmd grüßen Yetl'efir damit nach 
Außen treibefij dennoch aber aurJt bey fMlwfdmtf Ohmefu 
Anker und Bonteiüen, es sm/ zum Versetiden oder mim 
himgen Cormimo nicht nur an Tappern, smidern amh an 
andere ßilrger-Leat^ verkmtfen^ 

5, Haben wir hier ^dtr woldltabe^uk Weinschetickerj die 
sitzende OtUie hahm, dennoch aber große Lager halfen und 
mti^t füM ehensö, wie ifei efivehiie Wein-Händler ^ wa^ den 
Debil anbetrifft, zu cmmderirefi muL 

Niemand von diesen, so meint« Lütjens, wolle mch 
von mner NaJirung wah' nehmen lassen; Haus- imd Keller- 
visitation wolle sich niemand unterwciien. In gewisse 
Kategforien sie zii bringen, sei ganx vergebliche Arbeit 
Andererseits müsse die un.ierm Commerciö so notwe^iAige Ex- 
portation ai{f' alk Art und Weijse beordert tmd tvie ein Aug- 
apfel, betvahret werden. Wir wiiren ilbel daran, wann miser 
Wein-Handd nur ein Commerce de luxe bliebe. Die friiber 
vorgesehlagene Riickakzise venv^arf Lütjens als 2U um- 
ständlich und zu kostspielig; welche Pratiquen und Unter- 
siMetfe^ weldie Wassermi^chmig mußte man nicht befürchten^ 
die der ExportaHon einen tödlichefi Stoß beg})ringen köfiten. 
Dagegen nahm Lütjens ausdrücklich den Kaufmann in 
Schutz und bekämpfte die Ansicht, der Kaufmann iibervar- 
teiU (dlemal dm Staat; nirgends in der Welt werde der Zoll 
weniger defraudiert als hien 

Positiv machte LÜTJENS folgende Vorschläge: die alte 
Taxe von 1 Mk, müsse bleiben^ weil sie gleichmäßig auf allen 
Weinen ohne Ausnahme liege; wegfallen müsse die Abgabe 
von 25—30 Mk., die ein Weinschenk jährlich fitr die Taxe 
gebe. Dagegen müsse eine Additional-Konsumakzise für Wein 
und Branntwein eingeführt w^erden, nämlich 2^^ Taler pro 



^ 



Weinakzise and Weinhandel in Hamburg. 



111 



I 



N 



iott oder Vi SchilL pro Quartier, für Essig l Schill, pro 
tbchen. Der Branntwein, der schon jetzt eine hohe Akzise 
zahle, dürfe mehr nicht belastet werden; kh möchte nlvM gern 
dem fferingmi arbeitsamen Manne sein iiotwendige^ Labsal gar 
gu thetier machen. Bei den ca, 20 000 Oxhoft. Wein und 
Branntwein, die jährlich in Hamburg konsumiert wui-den, 
werde jene Akzise schon eine hübsche Einnahme gewähren, 
ohne den Konsum zu Yerringem. Exemtionen der Geistlichen, 
Fremden usw. von der Akzise müßten aber aufhören,') 

Die Kämmerei trat diesen Vorschlägen im wesentlichen 
bei. Im Eat hatte der Referent, Syndikus Klefeker, manche 
Bedenken; er fürchtete namentlich die Opposition der Kommerz- 
deputierten, für die jetzt nicht mehr, wie im vorigen Jahr- 
zehnt, eine Konsumakzise sich empfehlen werde als Äquivalent 
für die damals erstrebte Herabsetzung der ZöUe, Der Rat 
trat doch der Kämmerei bei^ imd es wurde eine neue Wein- 
akzise-Ordnimg ausgearbeitet. 

Der neue Entwurf^ hob für die auf Transito angegebenen 
Weine usw. den bisherigen Zoll und die Akzise auf und er- 
laubte sogar ihre AuffüUuug ohne Beisein der Beamten. Doch 
hatte jeder seine Angaben über solche Auffüllungen in ein 
Buch auf dem Weinakzise-Kontor einzutragen. Es wiu^de 
ferner allen Weinhändleni, Weinschenken und Zapfem Handel 
und Verkauf im großen und kleinen freigegeben und die 
bisherige Zahlung für die Freiheit des Verzapfens an sitzende 
Gäste aufgehoben. Man nahm an, daß die Bürger jetzt nicht 
mehr so viel wie früher zum Abendtmnk in die Schenke gingen; 
der LeutCj die sitzende Gäste hatten, waren weniger geworden ; 
dagegen hatte der Konsum zugenommen; man trank eben 
mehr Wein in den Häusern, Aus diesen Gründen und auch, 
weil es unbillig schien, den meist wenig bemittelten kleinen 



*) Nach RatsbeächluB vom 28. November 1729 genoBsen auch die Witwen 

frrmbder Qencrah- Mnd Stande^ersonen die Acdsefreihdi fjkich als 

bey Lebzeiten ihrer Männer. 
*) 9p in BeÜAge lY den Plan. Der eigentliclie Entwurf enthielt noch eüie 

Reihe 7on sehr umständlichen Bestiinmiingen Über die Kontrolle uaw. ; 

die Art. 6 — 16 finden sich in den Acta Conv. Sen. et Civ. 1772, 

März 23. 



112 Ernst Baasch, 

Weinschenken noch die Zahlung für die Zapffreiheit abzu- 
nehmen, wollte man jene ganz aufheben. Weinhändler und 
Weinschenken gab es in Hamburg ca. 220, von denen 100 je 
30, 50 je 50, 140 je 25 Mk. zu zahlen hatten. Diese 9 000 Mk. 
fielen also aus. Dafür sollte aber von allem in der Stadt und 
ihrem Gebiet konsumierten Wein und fremden Branntwein 
für das Stübchen 2 Schill., von fremdem Essig 1 Schill, er- 
legt werden. Diese Zahlung hatte stets der letzte Verkäufer 
zu entrichten, also nicht der Konsument, und nicht nach einer 
Taxe, sondern auf Eid und Gewissen. 

Endlich wurde die Taxe der Weine den neuen Verhält- 
nissen entsprechend mehr spezialisiert und umgearbeitet, wobei 
die Unterschiede uni Eigenart der einzelnen Gebinde berück- 
sichtigt wurden.^) Im allgemeinen waren die Sätze aber 
durchgängig gegen die frühere Taxe herabgesetzt, die fran- 
zösischen Weine teilweise bis zu 8 Schill.; nur die teuren 
spanischen Weine, die übrigens jetzt weit weniger getrunken 
wurden als fi-üher, behielten im wesentlichen ihre alte Taxe. 
Bei dem weitaus alle andern Weine überragenden Konsum 
der französischen Weine und Branntweine — von Frankreich 
wurden im Jahre 1760 eingeführt und verakziset 35560 Ox- 
hoft, die nach Abzug der 10 Prozent Leckage 32 161 Mk. 
Akzise brachten — spielte nui- die Reduktion der Akzise 
auf diese Weine eine Rolle. Abgesehen von dem Abgang 
der 9000 Mk. für die Zapffreiheit wurde der Abgang an der 
Akzise auf französische Weine, Branntweine und Essig auf 
etwa 21 000 Mk. geschätzt. 

Was die deutschen Weine betraf, so war die Stadt 
durch den Ratsweinkeller im Hauptbesitz des Handels mit 
diesen Weinen; eine Reduktion oder Erhöhung der Akzise auf 
sie war ziemlich irrelevant; was die Stadt hier an Akzise 
mehr zahlte, verdiente sie andererseits weniger. Die Akzise 
blieb deshalb unverändert. 

Der Entwurf fand die Zustimmung nicht nur der Kommerz- 
deputierten, sondern auch der Oberalten. Erstere hielten frei- 



^) Die dem Plan beigegebene Taxe ist in der Hauptsache das Werk des 
schon genannten Lütjens. 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 113 

lieh die Herabsetzung der Taxe nicht für durchaus nötig, da 
sie den Handel und die Schiffahrt nicht beeinflusse; dagegen 
begrüßten sie mit Freude die für Wein einzuführende Tran- 
sitofreiheit, während sie meinten, daß die kleineren Partien 
unter einem Oxhoft, die wieder ausgeführt wurden, wohl eine 
kleine Eonsumabgabe entrichten könnten. Der Plan scheiterte 
aber schließlich an dem Widerspruch des Kollegiums der 60 er. 
Diese*) leugneten nicht, daß der Wein bisher wenig belastet 
sei, meinten aber, eine neue Eonsumakzise passe nicht in die 
Verfassung hinein; die Ausführung werde zu unvermeidlichen 
Meineiden führen; die Fremden würden den Wein aus der 
Fremde verschreiben; den kleinen Weinzapf em würde die 
Nahrung entzogen werden; die Herabsetzung der bisherigen 
Akzise und die Aufhebung des Zolls werde dem Handel 
wenig nützen, dagegen die Stadtkasse schädigen. 

Mit diesem Einspruch war die Sache vorläufig wieder 
erledigt. Aber die steigenden Finanznöte der Stadt zwangen 
doch bald wieder, auch auf diese Einnahmequelle zurückzu- 
kommen. Das Projekt von 1765 ward wieder herbeigeholt 
und trotz der Bedenken der Oberalten, die es für zu kom- 
pliziert und für die Ausführung unpraktisch hielten,*) abermals 
an die Büi'gerschaft gebracht. Diese lehnte am 23. März 1772 
den Plan nicht direkt ab, verlangte aber einen einfacheren 
Plan. Der Rat beauftragte nun die Ratsherren Clamer, Schulte, 
von Graffen und Ritter mit der Ausarbeitung eines ein- 
facheren Projekts, wohey nach wie vor das Principium zum 
Orunde gelegt verbleibe, dem Weinhandel keinen Eintrag zu 
Oiun, sondern ihn vielmehr nach Möglichkeit zu favorisiren. 

Die Sachlage hatte gegen 1765 sich nun doch sehr ver- 
ändert. Die finanziellen Schwierigkeiten der Stadt hatten sich 
derartig vermehrt, daß man an eine Reduktion der Weinakzise 
nicht mehr denken konnte. Die Oberalten schlugen eine 
Eonsumakzise von 5 Talern, also 15 Mk., auf das Oxhoft vor. 
Dagegen erhob sich nun freilich sofort von innen und von 
außen die Opposition. Das Amt der Weinverlasser und die 



Beschluß vom 29. Januar 1766. 
^ Beschluß vom 19. Februar 1772. 

Zteelor. d. Vereins f. Hamb. Gesch. Xm. 



114 



Einst BaascK 



Weinhändler vereinig^ea sich bereits am L Apiü zu einer 
gemeinsamen, von 30 Namen ^) unterzeiclineten Eingabe aii 
den Rat, in der sie die Kümmernisse, denen der Weinhandel 
unterworfen sei, schilderten und sich gegen die Erhöhung der 
Wemakzise auf 7 Mk. 8 Schill. — den Plan der Erhöhung 
auf 16 Mk. scheinen sie nicht gekannt zu haben — wandten, 
Sie beklagten mit gmkhrtem Herzm die Notwendigkeit, in die 
der Staat versetzt seiy neue Einnahmen zu suchen^ meinten 
aber, daß KatEee, Tee, Wildpret, Austern usw. sich als 
Steuerobjekte viel besser eigneten als der Wein usw. 

Diese Einrede scheint zunächst kaum beachtet worden 
zu sein. Wirksamer hingegen war der Einspruch, der von 
selten Frankreichs erfolgte. Schon bei den friilieren Ver- 
handlungen über die Weinak^isc hatte man ja des öfteren 
die Befürchtung vor einer Einmischimg Fi-anki^eichs in diese 
Angelegenheit ausgesprochen; eine solche Einmischung war 
bisher nur einmal, 1724, erfolgt. Nun wurde Ende Mai 
seitens des französischen Gesandten Baron de la House 
gegenüber dem Syndikus Faber eine direkte Warnung vor 
der Einführung einer Auflage auf Wein ausgesprochen, da 
der französische Hof eine solche sicher sehr übelnehmen 
werdej und der Weiterbestand des erst im Jahre 1769 ab- 
geschlossenen Vertrages dadurch stark gefährdet werden würde. 
Aus den weiteren Unterredungen mit dem Gesandten erhielt 
der Rat jedenfalls den Eindruck, daß man eine Weinkonsum- 
akzise vorläufig nicht weiter betreiben dürfe, wollte man 
nicht wirklich des mühsam errungenen Handelsvertrags wieder 
verlustig gehen. Bereits am 22, Juü gab deshalb der Rat 



*) Es waren dies: Gottlieb Balthasar Ni^nchen; Jacob Stephan Becker; 
Mich. Harmensen für mieh u. ah letzter Deputirier des iübl, Amtsi 
der Weifiverlmser ; Caapar Diederich Wetter; Vincent Mimdt ; DiedericU 
Jürgen Pries; Stephan Phil, KJapmeyer; Jacöb WiUL Lenfer; Peter 
JoacJum Wolters; Erdmaim Mundt; Johann ürooten; Georg" Herai, 
Miindt; Georg Emr. Busch; Nicolana Gerckens; Job, Benedict Uter- 
marck; Carl Sack; Caspar yonLengerke; Andreas Lucas Löckennann; 
Fr. Diedr. Bortheau; Georg Caspar Enderea; Ernst Gottlieb Krohn- 
berg; Heinr. Conr. Richter j Hinr, tTill; Nicolauä Andreas Frauenstein: 
Hinr, Schröder; Kicol. WunderUcb; Hinr* Lor. Hejer^ Joh* Valentin 
Meyer; Berend Job. Rodde; Job, Jacob Berkenbotit 



■ 



Weinakzise und Weiuhandel in Hamburg. 115 

den 60em zu erkennen, daß er die Einführung der Weinakzise 
nicht mehr empfehlen könne; den Hauptgrund — die Fuixht, 
Frankreich zu verletzen — führte er nur vorübergehend an 
und motivierte seine ablehnende Haltung namentlich mit rein 
technischen Gründen, Bedenken wegen der Defraudationen. 
Auch der Bürgerschaft gegenüber wurden am 16. November 
diese letzteren Gründe angeführt. Als die Bürgerschaft aber 
auf der Weinkonsumtionsabgabe sehr entschieden bestand, 
legte der Rat am 27. November den 60em seine Oeheime 
Bewegungsgründe^) dar und bat die 60er um ihre Mitwirkung, 
die Bürgerschaft von weiterem Drängen abzuhalten. Am 
15. März 1773 stimmte endlich die Bürgerschaft dem Rat, 
obwohl ungern, bei. 

Die Furcht des Rats könnte uns übertrieben scheinen. 
Das war sie aber doch nicht. Mindestens hätte ein Schritt, 
wie die Einführung einer solchen Auflage Frankreich zu 
irgend einem Gegenzug, irgend einer Schikane veranlaßt, wo- 
durch die finanziellen Vorteile der Auflage stark herab- 
gemindert worden wären. Schon wenige Jahre später stieß 
man auf ähnlichen Widerspruch. Im Kollegium der 60 er kam 
man im August 1775 auf jenen Plan zurück; man bezeichnete 
die Befürchtungen, die an die Äußerungen des Gesandten 
geknüpft waren, als übertrieben und meinte, verständige Vor- 
stellungen würden den französischen Hof überzeugen, daß 
eine Auflage von 6 Pfennigen auf die Flasche Wein nicht 
geeignet sei, den Konsum zu verringern. 

Infolge dieser Anregung trat man der Frage wieder 
näher, was denn aber auch sogleich bewirkte, daß 
de la House Anfang Februar 1776 dem Syndikus Schuback 
seine UnzuMedenheit über die neuen Weinkonsumtionspläne 
kundgab. Der Rat war übrigens entschieden gegen die 
weitere Verfolgung der Sache; in seiner Mitte bestand die 
Ansicht, daß von einer Präjudizierung der Autonomie der 
Stadt nicht die Rede sein könne; der Geist des Handelsvertrags 
von 1769 spreche gegen die Einführung einer solchen Abgabe 
ohne Zustimmung Frankreichs. Wenn man Bremen anführte, 



*) S. Beilage V. 



116 ^^^^^V Dmst Baasch. ^^^^^^^H 

das doch auch Weinhandel mit Frankreich hatte und gleich- 
zeitig eine Weinkonsurasteuer besaß, so war die Stellung 
Bremens gegenüber Frankreich doch eine andere* Für Bremeü 
war noch der alte Vertrag mit Frankreich von 1716 in Kraft ^ 
es besiiß keine englische Court, die st^ts Frankreichs Eifer- 
sucht erregte. 

Da aber die 60 er auf ihrer Ansicht von der Ausfilhr- 
barkeit der Sache bestanden, so verhandelte im Februar 1777 
Syndikus Schuback mit de la House. Dieser verhielt sich 
aber vollkommen ablehnend und erklärte, die französischen 
Handelsstädte würden alsbald Lämi machen. Auch in Lübeck 
habe man eine solche Auflage machen wollen, auf Vorstellung 
der Kaufmannschaft aber davon abgesehen. Auch seien an 
ihn schon Anträge ergangen in der Richtimg auf einen Traktat 
mit Dänemark zugunsten Altonas. Der Handel Frankreichs 
mit Hambmg leide schon infolge der vielen hiesigen Fallis- 
semente. Wolle man direkt in Paris anfragen, so werde die 
Antwort wahrscheinlich lauteUj Hamburg könne ja tun, was 
es wolle; doch würden wohl Gegenmaßregeln gegen Hambm-g 
ergiififen werden. Der Gesandte zeigte auch Schuback die 
an ihn im Jahre 1772 ergangenen Briefe der französischen 
Regiemng, und Schuback konnte sich überzeugen, daß diese 
an Schärfe nichts zu wünschen übrig ließen» 

Infolgedessen stand man nun von weiteren Schritten ab; 
der hanseatische Agent in Paris, d'Hugier, faßte allerdings 
die Sache nicht so bedenklich aufj glaubte auch nicht, daß 
der Hof viel Wesens machen werde aus der Einführung einer 
Weinkonsumabgabe. Der Rat zog es doch vor, die Sache 
ruhen zu lassen, womit denn auch die 60 er einverstanden 
waren. 

Merkwürdig ist es nun aber, daß man noch in dem- 
selben Jahre, in dem man eine finanzielle Bela.stung des Weins 
geplant hatte, dazu schritt, den Weinhandel in freiere Bahnen 
zu lenken. Die bereits im Jahre 1772, wie erwähnt, laut- 
gewordenen Klagen der Weinhändler hatten doch gezeigt, 
daß man dieser Branche des Geschäfts auf rationelle Weise 
m Hilfe kommen mußte. Der hambujgische Weinhandel 

ohne Frage im Rückgang begriffen; namentlich hatte 



^ 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 117 

auch die Spedition der nach anderen Orten bestimmten Weine, 
Branntweine und Essige sich zum größten Teile von der 
Stadt gewandt, meist nach Altona. Die Abnahme des Wein- 
handels war nun 2um Teil die Folge der Tatsache, daß die 
französischen Häfen jetzt direkte Verbindungen mit Gegenden 
hatten, mit denen sie früher nur über Hamburg verkehrten, 
so mit den Ostseehäfen, Skandinavien, Rußland. An dieser 
Tatsache und ihren natürlichen Folgen ließ sich schwer etwas 
ändern. Wohl aber ließ sich die Spedition wieder an die 
Stadt ziehen. Wie oben erwähnt, waren Wein, Branntwein 
und Essig von der 1727 eingerichteten allgemeinen Transito- 
freiheit ausgenommen; sie zahlten Zoll, auch wenn sie wieder 
ausgeführt wurden. Beseitigte man dies, hob man diesen 
Zoll auf, so war zu hoffen, daß die Spedition von Wein sich 
wieder heben werde, was denn auch dem Kommissionshandel 
schließlich zugute kommen mußte. 

Der Entwurf von 1765 hatte bekanntlich die Einführung 
der Transitofreiheit für Weine usw. vorgesehen. Er war 
nicht angenommen worden, und der Weinhandel hatte in- 
zwischen weitere Einbußen zu beklagen. Am 5. Juni 1776 
hatten deshalb die Kommerzdeputierten die Transitofreiheit 
für die durchpassierenden Weine usw., d. h. die Aufhebung 
des Zolles und der Akzise für diese Weine usw., beantragt. 
Der Rat ging darauf ein; sein Antrag an die Bürgerschaft 
ward am 27. November 1777 von dieser genehmigt. Wie 
vorsichtig aber und wie ängstlich man beflissen war, alles 
zu vermeiden, was Hamburg in den Ruf setzen konnte, als 
ob es bestrebt sei, einen Handelszweig zum Nachteil anderer 
an sich ziehen zu wollen, lehrt die Antwort, die der Rat 
den Kommerzdeputierten, die um Veröffentlichung jenes Be- 
schlusses baten, gab; er lehnte die Veröffentlichung ab, um 
unseren Nachbarn nichts in den Mund zu legen, was uns nacfi- 
theüig seyn könnte, Den Weinhändlem war damit überlassen, 
selbst für die Verbreitung jenes Beschlusses Sorge zu tragen. 

Die Finanzlage der Stadt führte doch stets wieder auf 
die Weinkonsumakzise zurück. Andererseits bestanden die 

Auch in der Sammlung der Hamb. Verordnungen usw. von AndersO 
feUt der Beschluß. 



118 



Eniflt fiaasch, 



alten Bedenken weiter fort, ünö Frankreich hielt stets sein 
Augenmerk auf diese Frage geriehtet. Als Hambui*g im Jahre 
1788/89 mit Frankreich über die Emeuermig des Ver- 
trags von 1769 verhandelte, war die Hauptbedingung Frank- 
reichs, daß Hamburg weder direkt noch indirekt irgend eine 
neue Auflage auf französische Waren legen dürfe, ^ Der 
Rat sah freilich bald, daß diese Forderung lediglich auf die 
Weinkonsumtionsakzise ziele, und beruhigte deshalb in einer 
Note vom 2. März 1789 den Gesandten Bourgoing,') Doch 
wurde in der Konvention, die über die Verlängerung des 
Veiirags abgeschlossen wurde, diese Frage weder speziell 
noch allgemein berührt* 

Nicht am wenigsten die Rücksicht auf Frankreich war 
es denn auch, die die seit langer Zeit notwendig gewordene 
Revision derWeinakziseordnimgvon 1706 verhinderte. Nament- 
lich war es dringend nötig, das Verhältnis der Maße zur 
Weinakzise zu regeln; es war so weit gekommen, daß Stücke 
Wein, die aus Cette kames, 70 — 90 Viertel enthielten, aber 
als V» Stück verakzist wurden, während Va Stück sonst auf 
30 Viertel gerechnet wurde; beim Branntwein herrschten 
ähnliche Mißstände* Auch hieran mochte man aus Rücksicht 
auf Franki'eich nicht rühren. Ein guter Kenner dieses Landes, 
Gr. H* Sieveking, war damals der Ansicht,^) daß Frankreich 
durchaus nichts gegen eine Weinkonsumakzise haben werde. 
Die Notw^endigkeit, Finanzquellen zu schaffen, und die (Tber- 
zeugimg, daß der Wein bluten könne, ließ die Frage nicht 
zur Ruhe kommen. Als Syndikus Doormann sich im Sommer 
1802 in Paris aufhielt, sondierte er hier die französische 
Regierung über diesen Pimkt, Der Erfolg scheint nicht un- 

') VergL Baasch, Quellen, Heft 1^ S- 161- 

^ Es heilt daselbst: qae le S^nat ait pour h präsent la müindre in- 
tention (k mettre un impot de consQtnmation mr aucunes d« 
marchandise^ et denrSes de l^imporiation de Franc«; totd au contraire 
U prometf qu* au cm qu%ne pareiUe imposition put jamaü avoir 
iiefij ks ini^Üi de la France serimi mma§is k plus qne pondblt. 
Föur ftiire prcuve. de cette intenthn iineuie, il se demie de l impot 
de cojisomniatmi sntr ks vina autre/QVS pr&jeUf jusqu^ ä cc que la 
Cour de. France y domura «öh ac^iescement 

*" Au Beinen Bruder^ Syndikus Sieveking, 1795 Febr. 16. 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 119 

günstig gewesen zu sein; denn der Senat beantragte wirklich 
im Jahre 1804 eine Weinkonsumakzise von höchstens 1 Schill, 
auf die Flasche von den in Gebinden und von 2 Schill, von 
den in Flaschen von auswärts kommenden Weinen und Brannt- 
weinen, wobei die Modalität der Erhebung der Abgabe 
weiteren Beratungen überlassen wurde. Dieser Vorschlag 
rief, noch ehe er in der Bürgerschaft beraten wurde, den 
Widerspruch der Weinhändler hervor. Sie stellten in einer 
Eingabe vom 20. Dezember 1803 dem Senat vor, daß der 
hiesige Weinhandel bei einer solchen Auflage zugrunde gehen 
müsse, schilderten die Konkurrenz Altonas, die zu befürchtende 
Zunahme des Schmuggels usw.^) 

Die Bürgerschaft lehnte am 9. Februar 1804 und aber- 
mals am 28. Februar 1805 die Vorlage ab. Bedenken be- 
standen übrigens nicht nur im Senat, sondern auch bei den 
Oberalten. Diese hatten in ihrem Gutachten vom 14. November 
1804 auf die Schädigungen hingewiesen, die der Weinhandel 
erleiden werde, ebenso auf den zu befürchtenden Einspruch 
Frankreichs. Im Senat hatte sich der Weinhändler J. V. 
Meyer dagegen ausgesprochen und betont, daß der Wein- 
handel in den letzten 30 — 40 Jahren erheblich abgenommen 
habe und sich nur noch durch die großen Kredite erhalte, die 
man auswärts gebe. 

Die Finanzkalamität nötigte schließlich den Bürgern doch 
die so lange Zeit von der Hand gewiesene Weinkonsum- 
akzise auf. Ein erneuter Antrag des Senats wurde am 
10. Dezember 1807 endlich angenommen. Es blieb bei der 
alten Weinakzise; außerdem aber wurde auf alle hier konsu- 
mierten Weine und Branntweine eine Auflage gelegt, die 
1 Schill, pro Flasche betrug für die in Flaschen ankommenden 
Weine usw. und 5 Taler auf die in Gebinden ankommenden.*) 
Doch gelang es nachträglich noch den Weinhändlem, die 



Vgl. auch die Druckschriften: Gedanken üher die im Februar 1804 
für Hamburg vorgeschlagene Weinkonsumtionsabgabe, im August 
1804, und: Verhältnisse einer neuen ZoUeinrichtung, von dem Wein- 
händler J. H. HOLTZ (er hat auch die Eingabe vom 2a Dez. 1803 
unterzeichnet). 

*) Andeeson, Sammlung hamb. Verordnungen VQ, S. 217 ff. 



130 



Ernst Baascli^ 



AbändeniBg mehrerer besonders lästigen Bestimmungen der 
neuen Verordnung zu erwirken ;0 so wiirden ^ie befreit von 
der vorgeschriebenen Einreiehtmg des Lagerbestandes, ferner 
von der Notwendigkeit, die Personen, die von ihnen Wein 
und Branntwein gekauft^ namentlieh anzugeben; sodann sollten 
die Weinschenker und Zapfer nicht wegen ihres Konsums 
taxiert werden, sondern sie hatten diesen vierteljährlich auf 
ihren Biirgereid zu deklarieren; endlich T^Tirden auch die 
Weinhändler, Weinschenken und Wirte des übrigen Stadt- 
geMetes genau denselben Bestimmungen der Weinkonsum- 
akzise unterworfen, wie die in der eigentlichen Stadt wohnen- 
den* Hierdurch sollte jenen das Interesse genommen werden, 
ihre Vorräte auf nichthambiu^gischem Gebiet zu kaufen. 

Der Ertrag dieser Abgabe entsprach freilich nicht den 
Erwartungen, In den 20 Monaten vom 1. Januar 1808 bis 
ultimo August 1809 hatte sie niu* 730(X) Mk. Coun einge- 
bracht, was 2iun TeD allerdings eine Folge des durch die 
hohen Weinpreise herabgeminderten Konsums war, zum größeren 
Teil aber dem Umstände zugeschrieben wuj^de, daß man sich 
der Abgabe widerrechtlich zu entziehen wußte. Doch wurde 
sie am 23. November 1809 auf weitere zwei Jahre bewilligt 

Wir* können hier abschließen. Die Weinakzise hat auch 
nach der fianzösischen Zeit weiter bestanden. Näheres hier- 
über ist bereits von anderer Seite dargestellt worden.^ End- 
gültig aufgehoben ist die Weinkonsumabgabe erst mit dem 
3L Au^st 1888, nachdem die letzte, sie regelnde Verordnung 
27 Jalue in Kraft gewesen war. 

Nur das möge hier bemerkt werden: Diese Abgabe hat 
im 19r Jahrhundert sowohl in ihrem Ertrage wie in der 
Modalität ihrer Veranlagung ähnliche Schwankungen und 
Modifikationen erfahren, wie in den Zeiten, die wir geschildert 
haben, Rücksichten auf das Wein produzierende Ausland 
sind ficiüch im 19, Jahrhundert wohl überhaupt nicht, jeden- 
falls nicht in dem Maße, wie ehemals, genommen worden. 
Aber keine unset-er Ahgahe^i hat vonjdier^ mid ttoeJi in nemstm- 



*) EbendMelbat S. 272 ff; LOHMANN, Hamb, Rat u, Biir^eraehlüise I, 68 f. 
WestphäLEN, Hamburgs Verfassung und Verwaltung. 2. Aufl. n, S. 87 E 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 121 

Zeitf der Chsetzgebimg größere Schwierigkeiten^) bereitet als 
die Wein- und Branntweinakzise. Es ist aber von jeher, und 
nicht nur bei der Akzise, sehr schwer gewesen, fiskalische 
Forderungen und Bedürfnisse mit den Lebensbedingungen des 
Handels zu vereinigen. Wenn der Weingroßhandel nicht dabei 
zugrunde gegangen ist, so verdankt er es wohl in erster 
Linie sich selbst; er wehrte sich stets kräftig seiner Haut. 
Allerdings hat der Weingroßhandel in Hamburg niemals so, 
wie in Bremen, gelitten unter der erdrückenden Konkurrenz 
eines privilegierten Batsweinkellers; in Bremen selbst hat 
man das schon im 17. Jahrhundert anerkannt und auf die 
freisinnigen Grundsätze, mit denen man in Hamburg den Wein- 
handel pflegte, hingewiesen.*) 

In der ganzen Geschichte der hamburgischen Weinakzise 
tritt aber neben der Sorge für die städtischen Finanzen auch 
das Bestreben hervor, einerseits dem Großhandel nicht zu 
schaden, andererseits auch die Detaillisten zu ihrem Recht 
kommen zu lassen; am wenigsten die Rede ist schon damals 
vom Konsumenten. Die Schwierigkeit, zwischen diesen 
Interessen zu lavieren, erklärt die große Mühewaltung, die 
diese Abgabe allen bereitet hat, die mit ihr zu tun hatten, 
erklärt aber auch, daß keiner, weder Staatssäckel noch Groß- 
handel noch Kleinhandel, mit der Abgabe je zufrieden ge- 
wesen ist. Wo es einzeln anscheinend doch der Fall gewesen 
ist, hatte man auf der anderen Seite Besseres eingetauscht 
oder Schlimmeres abgewandt. 



*) Ebenda S. 84. 

^ Kohl, Der Raths-Weinkeller in Bremen, S. 35. 



122 EfMt Baäsch, 



Beilagen. 

L i 

Memorial, was vor mängel und gebrechen bey der Weinaccise 

anitzo noch vorhanden^ nebenst angehenkter erinnerungj wie 

dieselben verhoffentlich remedyrt werden konten. 

Von Hunfl Tom Holtze. 

1629, Jan, 16. 

Aiifenglich ist zu wifiseu, daü das gantze ftmdiiTOetit der Weinaücise 
auf diese beideu michfolgende P^uucta beruhen tliueti 

L Als daß zum Ersten auf aUe und jede aufgehende Weine fleißige 
achtung ge gehen werde^ dergestalt, ob auch mehr Weine^ iilae der Schiffer 
in aeinem Content aiig^egebeu> herf^inkommen, dan anch ob auch weniger 
Wfeinei alse auf der Accise angegeben , hinaus gehen tbueu. 

2, Vors andßr, daß alle und jede Weiiihändeler richtige Eechnnngen 
übergehen müssen, 1) was sie Tor lackagie auf ihre empfangene Weine 
gehabt. 2) wie viel Weine sie verkauft* B) wer dieselbe entfangeu. 

Ob nun wol wegen dieser Puncte in den» gemachten Weinacciae 
Schrägen gute Anordnung gethan^ wirdt doch tou mehrentheila der Schüfem 
und Weinhändeleni deraelbeii wenig nacbgelebet, derogeatalt, daß gar 
aelten ein Schiffer sich auf der Wemacciae angibt und sein übergebenea 
Content- ZettuS mit der Kaufieute Einverzollung ilb ereinstimmet, imgleichen, 
daß man der Weinhand eler Rechnungen, ob schon oft- und vielmals da> 
rumb Anfoderung geschieht, nicht bekommen oder habhaft werden kau, 
und wan sie eoüich Reebnung übergeben, sie alsdan m viel Weine, als 
ihnen nur selbst geliebet, in die lackagie rechnen und an frembde MuRUi 
verkauft schreiben Ümeu^ welches man ihnen dan bishero also brit glauben 
und hinpasslren lassen müssen. 

1. Damit aber diesem vorgebawet werden möchte^ wolte bochuötig 
sein» das zufoderst der Schiffer, der Weine eiuhriugetT sobalt er mit semem 
Scliiffe albie anlanget, und sich auf dem Niedem Baume angiebett Ton dem 
alda bestelten Officirer crustlicb vermahnet wurde, sich anf der Weinaccise 
in Persohne anzugeben und von seinen einhabenden Weinen alda Anzeige 
äu thuen. 

2. Vors Ander, daß der Officirer aufm Niedeni Baume alle und jede 
Weinen 8o durch Ewer- und Lucbterführer oder andere Persohnen in Ewern, 
Lucbtem, Prahmen, Öcbuten oder wie es Nabmeu haben magk, in dem 
Baume gebracht werden, richtig annotiren moste, mit Voraeeicbnusse, aus 

elchem Schiffe die Weine gelosset und wehme sie solten werden geliefert. 



Weinakzise und Weiahandel in Hamburg. 123 

3. Zum dritten, daß auch alle und jede OMcirer auf Bäumen und 
Döhren keine Weine ohne richtige Visitation ein und aus der Stadt 
passiren lassen mosten, wehre derowegen auch hoch nötig, das sie laut 
beigefugter Copey in eidt genommen, auch ihnen vor solche Mühewaltung 
eine billigmeßige recompens zur Ergetzligkeit gereichet, insonderheit der 
dritte Theil der Strafe davon zugekehret werden möchten, und solches aus 
dieser ührsache, daß oftmaels wol Ahmen und halbe Ahmen, weiln die- 
selbe zum ausgehende anitzo auch Accise geben müssen, vor Uxhövede 
auf der Accise angegeben werden und hinaus gehen können, welche Visi- 
tation dan durch niemanden besser dan durch die Officirer auf Bäumen 
und Döhren verrichtet werden magk, in Erwegung, weiln solches durch 
die Accise-Enechte nicht wol geschehen, und von ihnen in Acht genommen 
werden kan, aus Uhrsache, daß die Accise -Zettul in ziemblicher Menge 
teglich abgeholet, und theils Weine darauf alsofort, theils auch wol über 
2, 3, 4 und mehr Tagen erst hinaus gehen thuen. 

4. Daß nun fürs Vierdte auch der Weinhändeier Unterschleif mit 
der lackagie vorgebawet werden möchte, so ist zufoderst zu wissen, daß 
mehrentheils der Weinhändeier Weine im Einkommen in ihren Kellern zu 
visitiren unmüglich fallen wolle, aus nachfolgender Uhrsache, daß, wan 
eine hispanische Schiffsflota alhie anlanget, dieselbe 5, 6, 7 oder 8000 und ' 
mehr Pipen Weine mit sich bringet, davon dan oftmaln über die hundert 
Persohnen Weine bekommen thuen. Damit aber gleichwoln hierauf Achtung 
gegeben, und man hievon gewisse Bechnung bekommen konte, wehre kein 
besser Mittel zu finden, dan daß die Küpere oder Weinverlassere (dehrer 
kaum 20 in der Zahl sein mügen) in Eidt genommen werden mosten, 
darogestaldt, daß ein jeder auf der Wein- Accise wahre eigentliche Anzeige 
thuen wolte, welches Weinhändelers Weine er in Vorwahrung und wie- 
viel Weine er mit seinen Knechten einem jeden seiner Kaufleute aufge- 
fnllet bette. Und konten nun diese Küpere ebenso wol in Eidt genommen 
werden, alse es mit den Schlächtern und Spundem alhie geschehen; dan 
die Schiachtere haben geschworen, das sie kein Viehe ohne Vorzeigung 
des wahren Accise-Zettuls schlachten und ins Saltz hawen oder durch die 
ihrige ins Saltz hawen lassen wollen, die Spundere aber, das sie wöchent- 
lich auf der Bieraccise anmelden müssen, wieviel Tonnen sie belegt und 
gespundet. Es konte auch diesen Küpem oder Weinvorlassem vor solche 
ihre Mühewaltung und damit sie sich dessen nicht zu beschweren betten, 
eine Gerechtigkeit gemachet werden, daß niemand solch Weinvorlasser- 
oder Küper -Ambt alhie zu gebrauchen Macht haben solte, deme solches 
nicht von den Deputirten Herren der Weinaccise oder Einem Hochweisen 

.Bähte concedirt und frey gegeben wehre, inmassen dan die Schiachtere 
wegen solches geleisteden Eides mit dieser Gerechtigkeit, daß sie und 
keine andere alhie schlachten mügen, vom Hochw. Bähte privilegirt 
worden sein. 

Da nun obgesetzte Puncta solchergestalt ins werck gesetzet un«* 
denselben also nachgelebet werden möchte, ist nicht zu zweifeln, von d< 
Weinen gute, richtige Bechnung gehalten und die Accise dsAvxx^ 'si 



124 Ernst Baasch, 

hoffentlich merklich verbessert werden konte, auf welche Puncta auch 
Vorpachtere, wan die Accise verpachtet werden solte, zweifelsohne sehen 
und fleissige Achtung haben würden. Dann soll die Accise richtig ein- 
konunen, so kan nicht zu fleissige Aufsicht geschehen. Stelle nun oben- 
gesetzte Puncta meinen großgonstigen, gebietenden Herren zu erwegen 
anheimb. Datum den 16. January Anno 1629. 

Meiner Herrn dienstwilliger und gehorsamer 

Hans vom Holtze. 

Hamb. Staatsarchiv Cl. Vn Lit D« Nr 2 Vol 5». 



II. 

Project einer neuen Wein-Accise-Ordnung, von den Wein- 
händlern dem Rath übergeben. 1721. Sept. 17. 

Project veränderter Wein-Accise, darin von einkommenden Wein, 
Brantwein etc. die Accise abgenommen, hingegen auf sehr leidliche Weise 
von den Grossirer, Wein-Händler und Weinschenken gehoben wird, bei 
jetzt augenscheinlicher Gefahr der überhand nehmenden Contagion in 
Vranckreich dieser Stadt zum besten entworfen. 

Art. 1. 
Alle Sorten Fransche, Reinische, Land- und Spanische Weine, 
Seckten und Wein-Essig, See- oder landwerts kommende, sind Accisefrey 
und zahlen davor nichtes. 

Art. 2. 
Dergleichen welcher Kaufmann bei Parthey darunter 5 üxhoft 
allerhand Fransch Wein, 5 Uxhöften Wein-Essig, 2 Stücken Branntwein, 
2 Stücken Picordan *), 2 Bothen Seresche und Canarie Seckten, item Portsche 
und Alicant, 2 Piepen Spanische, 1 Stück Eeinisch oder Landwein das 
geringste handelt, zahlet gleichfalls nichtes. 

Art. 3. 
Welcher aber ein Grossirer und bey entzelen bis äusserst halben 
Uxhöften aller gedachter Wein etc. dabey verkaufen will, zahlet vor 
diese Freiheit der Wein-Accise jährlich 100 -^, und da deren nur 20, ist 
2000 -*. 

Art. 4. 
Der Weinhandler der zu vorigen in kleineren Fustagie oder 
Butteljen bei der Hohl-Maaß gedachte Weine etc. zu verkaufen Freyheit 
haben will, zahlet jährlich davor 150 ^, und da deren nur 60, ist 9000 ^. 



Picordan, Piccardan, ein weißer, süßer französischer Wein. 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 125 

Art. 5. 
Wer dazu die Weinschencks-Freiheit haben will, so, daß er alle 
vorige Freiheiten mit besitzet, giebet jährlich vor jedem Keller oder Haus, 
worin er sitzende C^äste haben will, der Accise 200 -^, und da deren nur 
140, sind es 28000 ^. 

Art. 6. 

Vor die alleinige Verkaufungs-Freiheit von franschen, holländischen 
oder hiesig gemachten Zitter-Essig bey Kleinigkeiten giebt jeder jährlich 
der Wein- Accise 15 -^, und da deren 40 sich angeben, ist 600 -^. 

Art 7. 

Endlich jeder der Weinschencken aufn Hamburger Berg, St. Jürgen, 

Teich, Schweinköfen, Damthor giebt jährlich 100-^, und da deren 10, 

ist — 1000 ^. 

Art. 8. 

Wer nicht in 1 Monat von dem Tag der Publication dieses Projecta 
auf dem Wein- Accise Gontor sich mit seinem Bürger-Zettul, daß völlig 
bezahlet, in einer gedachter Freiheiten sich verzeichnen lassen, kann in 
einem ganzen Jahr nicht wieder dazu gelangen. 

Art. 9. 
Dem Commercio zum Besten werden davon ausgeschlossen alle 
Seefahrende, Everführer, Makler, Handwerker, Krüger und Stadt-Bediente. 
So aber ein Seefahrender vor sich in Kaufmannschaft Wein etc. mit- 
gebracht, ist er schuldig, solche unter seines Schiffers oder eines der 
Befrachter als Kaufleute Nahmen aufn Zoll mit anzugeben und durch selben 
auch zu verkaufen lassen, in Partheien als Art. 2 verordnet. 

Art 10. 
Den letzten Tag obgedachten Monats calculiret der p. t. Bürger 
und Schreiber, wie viel in jeder Glasse sich angegeben, und machet die 
Ausrechnung, ob jedem mehr oder weniger als gesetzte 100 ^, 150 •^, 
200 -^j 15 -^ und 100 -^ vor 1 Jahr heraus zu zahlen zu kompt, also da& 
der Camerey netto 40 600 ^ bleiben. 

Art. 11. 

Die ausgerechnete Summa jeder Glassis wird den folgenden Tag^ 
an dem Wein-Accise-Gontor von 10 bis 12 Uhr diesen Monat herdurch 
angehenget, und hat jeder der eingeschriebenen in solcher Zeit sein 
Quantum in grob Gourant Geld dahin zu bringen, bey Strafe 20 oder 
mehr Bthlr. 

Art. 12. 

Welcher Bürger in einer zu nehmenden Freiheit, davor er der 
Wein-Accise nicht contentiret, überzeuget wird, ist zum ersten mal i 
90, zun andern mal in 50 1|^, zum dritten mal aber in wilkürliche StaM 



126 



EniBt Ba&sch, 



verfallen; da aber nur ein gegründeter Verdacht auf selbigen zu bringen, 
muß er sich eidlich vor einen der Wein-Äcciae-Herren davon purgiren 
oder gedachte Strafe erlegen. 

Art. 13. 
Alle Werne etc^ so von ob gedachten exclndirten als auch unge* 
aesaenen Leuten in einer Zeit zn nehmenden Freiheit gefunden werden, 
sind sofort der Confiscation unterworfen und werden von den itzigen und 
noch 5 anzunehmenden Bedienten dem Weysen-Hause oder Pestbofe ein- 
geliefert, wobey die Wache bey Tag und Nacht zu asÄiatiren gehalten, 

Art. 14. 
Zu den jetzigen Bedienten werden noch 5 erfodert^ so redlich^ 
denen auch die Fustagien der Weine etc, bekandt; jeder der letzteren 
hat bey redlicher und üe issiger Vens'altung seines Dienstes 500 ^ aus 
der Oämerey mit den Vs Theü der anzugebenden Strafe^ muß aber dabey 
1500 ^ Caution der Cämerey stellen, daß| da er faul, verdrossen oder 
untreu befunden, also daß er mit jemanden colludiret, nicht allein seines 
Dienstes, sondern auch gedachter Cautions-Sumraa verlustig. 

Art. 15, 

Zu melirerer Verhütung alles Unterschleifea wird einei» jeden der 
gedachten 5 Classeu alle Namen der Mitintereasirten bey Zahlung seines 
Quoti vor ein Jahr unter des Wein-Accise-Sckreibers Hand gegebeuj davor 
derselbe mit dem (-ontor- Bedienten 12 ß zu empfangen* und daß ein 
jeder auf seinen Nachbarn nicht allein Acht geben, sondern auch sehen 
kann^ daß lUeses Jabres Ausrechunng richtig, dermaEen daß lÖbL CÄmerey 
nicht mehr oder weniger als 40 600 ^ einpfangen. 

Art. le. 
Von den einaukommenden Strafen hat löbliche Clmmerey, ohne auf 
gedachter Haupt- Summa zu kürzen, den \'3 Theü, der Schreiber und Contor- 
Bedienle ^l:y und der Angeber den letzten Vs Tbeil zu empfangen, 

Art, IL 

Da auch durch dieses Project dem Wein-Accise-SchreibefT und 
jetzigen Bedienten alle ihr übrige Intraden als Zähl-^ Weinnacht-, Visier-, 
Voye-Geld und anders gant^ abgenommen werden, wird erstem mit seinem 
ordentlichen Salario jährlicb 2600 ^ und leta^teni 1500 ^ aus der CiLmerey 
EM geben aein, welcher beider nebst obiger 254X) ^ der 5 Bedienten 
Bezahlung der f-ämerey jiüirlich 6600 4^ betr&gt, daß also selbiger 
34000 -^ frey bleiben. 

Art, 18. 

So wol die Vergebung obged»cht«r b Bedienten-Stellen, deren Eides- 

Einrichtung, Bestrafung und Entsetzung, als auch aller in diesem Project 

tbaltenen anderen Bestrafungen, sogar die Wein-Verkauf- oder Schenkungs- 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 127 

Verbietung wird extrajudicialiter und ohne gerichtlichen Proceü denen 
Herrn dabey verordneten und 10 deputirten Bürgern der Wein-Accise 
gelassen. Also da6 da alle Montag, Mittwoch und Frejtag von 10 bis 
12 Uhr eine Klage kompt, selbige der Wein-Accise-Schreiber zu Protocoll 
bringet, in Gegenwart oder bei Verhinderung in Abwesenheit des sitzenden 
Bürgers, da denn Beklagter von dem Contor-Bedienten citiret wird, davor 
selben 4 ß zukommen. Bey Erscheinung wird Beklagten Antwort eben- 
mäßig protocolliret. Da nun selbiger schuldig, wird ihme die Strafe vor- 
gelesen, bey Gestehung und Zahlung derselben hat es seine Richtigkeit 
Verstehet Schuldiger sich nicht dazu, wird der älteste oder in dessen 
Abwesenheit der folgende Wein-Accise-Herr aufs Rahthaus zu treten er- 
suchet, dabey der Bürger und Schreiber mit Beklagten treten, wo möglich 
den Casum zu ventiliren. Da aber Beklagter ans groüe Collegium appelliren 
sollte, wird dessen Hartnäckigkeit nach befundeneu Umständen mit höherer 
Strafe zu belegen sein. 

Art. 10. 
Bey Vermeidung willkürlicher Strafe soll sich niemand an denen 
Bedienten mit Worten oder Werken vergreifen, auch kein Bedienter einen 
Bürger unbillig molestiren. 

Art. 20. 
Dieses Project wird auf 10 Jahr fest zu stellen sein, also dafi 
jährlich umb selbe Zeit die Einschreibung und Anticipations-Zahlung, wie 
oben verordnet, von einem jeden geschehen muß und dazu desselben Besten 
(:waun es angenommen:) in solcher Zeit ein mehreres zu observiren sein 
möchte, solches würde E. Hochw. Rath und Erbgesessene Bürgerschaft zu 
gedachten löblichen CoUegii Disposition, wie vorhin, zu überlassen haben, 
aber dabey sich vorbehaltende, nach Verfliessung derselben solches zu ver- 
ändern oder gar davon abzustehen. 

Hamb. Staatsarchiv Cl. VE Lit Db No 2 Vol 5o 



IIL 

Anhang zu der Wein-Accise Ordnung de A4 1706. 
Zwischen Rath und Oberalten vereinbart im Juni 1725. 

Nachdem wahrgenommen worden, welchergestalt die Stadt in der 
Wein-Accise bishero sehr verkürzet worden, insonderheit die Schenck- 
Freyheit aUenthalben dermaßen zugenommen, dafi ein jeder nach Belieben 
sich dieselbe zueignen und fast in aUen Bier- und Brandweins-Kellem 
Wein verzapfet und geschencket werden woUen: als hat E. E. Raht die 
alte Wein-Accise-Ordnung nachsehen und an einigen Orten besser einrichten 
lassen, welche Einrichtung, nachdem sie von Erbgesess. Bürgerschaft in 
dem Gonvent d. d. . . . mit beliebet worden, derselbe durch den Drnc^ 
hiemit pnbliciret und wiU aUe und jede dieser Stadt Bürger und Eil 



128 



Ernst BaascJi, 



wohMer ermaJmet und denenselben ernstlich geboten hataen, sich daimcb 
zu richten uud für Schaden und Strafe zn hüten. 

1. Soll TOT jedem Hause, SaW, Eaum oder Keller^ all wo innerhalb 
der Stadt Wein verzapfet wird, jährlich wegen der Zapffrejheit 25 bis 
150 8!^ Cour. beÄalüet werden, auch die Weinschenkeu und Zapf er ihr 
volles Bürgrer-Geld bezahlet haben, und diese entweder einen Schild oder 
anderes Zeichen, worauf eine Traube und Glaa-Wein deutlich geraalet oder 
von HoltJEG geschnitten ist, die Weinhft-ndler aber, so sich des Verzapf ena 
in kleiner quantitaet bedienen wollen, eine andere marque, wodurch sie 
von den übrigen Weinhändlem unterschieden wfirdeo, bej 20 Jtf Strafe 
vor ibren Häusern ansicnbängen verbunden seyu, damit es von allen Yorbey* 
gehenden könne erkannt werden. 

2. Obgedachte Uxa der 25 bis lof) *ä* soll in vier Classen von 25^ 
50y 100 und 150 t^ eingetheilet^ und diese Claaaihkation durch die Depu- 
tation zur Wein-Aceise reguliret und roit denen Weinschenken von der 
Deputation darüber accordiret werden, 

3. AUe Weinhändler uud Grossireri bo an Leuten innerhalb dieser 
Stadt und deren Gebiete in bouteillen oder kleinen Gef&ßen nnter einem 
halben Oxhoft auf einmal Weine verkaufen oder an dieselbe dergleichen 
kleine quantitaet aus ihrem Hause oder Raunie oder Keller abfolgen lassen, 
müssen ein jeder dafür jährlich 150 ^^f?: bezahlen und vorhero sogleich in 
dem nuten ang-e setzten Termin nach publication dieser Verordnung mit 
der Depntaiioji zur Wein-Acciae sich des falls abfinden- 

4. Würde aber ein Weiuh&ndler und Grossirer, der solche taxa 
jährlich nicht bezahlet, dennoch Wein in Kleinigkeiten verkaufen, wie 
vorhin gemeldet worden, soU derselbe vor jedesmai, daß er dergestalt 
Weine verkauft hat^ 100 3# Strafe erl^en, und der Angeber den 4, Theü 
davon ku gemessen haben, 

5. Dafeme auch sonst jemand in dieaer Stadt, ohne mit der Depu- 
tation zur WeiU'Accise accordirt und zu einer der g-edachten 4 Classen 
sich erklärt zu haben, in Kellern, Buden oder auf Sahlen Wein verzapfeui 
schenken oder verkaufen würde, sollen nicht unr die sich bey ihm behud- 
liehe Weine dem gemeinen Oute heimgefallen und confiacirt seyn, der 
Angeber den 4. Theil davon für sich haben, sondern auch ein solcher 
Uebertreter dieser Verordnung überdem in Strafe gebogen werden. Wie 
dann len desto mehrer Aufsicht denen Weinaccise- Knechten alles Ernstes 
bey Verlust ihres Dienstes, auch nach Befinden härterer Leibes -Strafe an- 
befohlen wird, nach Einhalt des XL Articuls der Wein-Accise-Ordnung 
von A" 1706 ihres Amts und Schuldigkeit wahrzunehmen und, wann sie 
dergleichen heimliche Weinschenken und Zapf er erfahren oder wissen, 
solche nngesänmt gehörigen Ort» anzugeben, dagegen von denen Strafen» 
Bo sie durch ihre Anzeige einbringen^ ihnen der 3* Theil snHiesseu soll. 

6. Innerhalb 4 Wochen nach publication dieser Verordnung soll ein 
jeder, der, eratangefüluter ma5en, des Weinschenkens und Zapfens in 
dieser Stadt aich gebrauchen will, bey der äut Wein-Acciae verordneten 
Deputation aich anmelden und die taia derjenigen Clasae, worunter er» 



Weinakzise und Weinhaudel in Hamburg. 129 

dem Befinden nach, gesetzet werden mögfe, sofort baar entrichten, auch 
jährlich damit continuiren, übrigens aber, was in vorgesetzten Articuln 
ausdrücklich nicht geändert worden, es bey der Wein-Accise-Ordnung von 
dem Jahr 1706 alles Einhalts gelassen werden. 

Hamb. Staatsarchiv Cl. VE Lit Db Nr. 2 Vol. 5c 



IV. 

Plan zu einer neuen Wein-Accis-Ordnung, 
am 12. Juni 1765 vom Rath den Comm. Dep. mitgeteilt. 

§ 1. Um zuförderst und vor allen den Wein-Handel mit aus- 
wärtigen Königreichen und allermeist mit Frankreich, wohin das stärkste 
Commercium mit selbigem getrieben wird, %|if alle Art und Weise noch 
ferner zu favorisiren, soll die eingehende Accise auf Brandtewein, Wein 
und Essig großentheils auf die Hälfte, überhaupt aber solchergestalt her- 
untergesetzet werden, als der hiebey gehende Entwurf einer neuen Taxa, 
welche, da die vorige undeutlich und mangelhaft sind, auch die Gattungen 
der Weine sich vermehret haben, ganz unumgänglich ist, in mehrerm 
ausweiset. Und bleibet es bey dem Abzug von 10 Procentum Leccage. 

§ 2. Um hiemächst zweytens die Ausfuhr der Brandte weinen, Weine 
und Essig, sowohl see- als landwärts, zu erleichtem und zu befördem, wird 

a) bey denen als Transito angegebenen der bisherige Zoll gleich der 
Accise ein- und ausgehend cessiren, auch die Auffüllung ohne Bey- 
seyn der Bedienten, da nöthig, erlaubet seyn, und will man es darin 
auf den Eid der zum Transito sich qualificirenden, als wobey es sein 
unveränderliches Verbleiben hat, lediglich ankommen lassen. 

b) Bey denen Brandteweinen, Weinen etc, welche zwar in die Stadt 
kommen und darin aufgeleget werden, die aber nicht zur Consumtion 
darinbleiben, sondem aus derselben Gebiete zu Lande oder zu Wasser, 
es sey in Quantitäten oder bey Kleinigkeiten wieder ausgehen, wird 
ausser dem Zolle und der Accise, welcher eingehend davon erleget 
worden, weiter nichts bezahlet. Und stehet nicht nur den Wein- 
händlem, sondern auch den Wein-Schenken und Auszapfem solcher 
Handel und Verkauf im Großen und Kleinen frey. Es soll auch hin- 
führo niemand für die Zapf-Freyheit an sitzende Gäste die bisher 
gewöhnliche jährliche Hecognition bezahlen. 

§ 3. Um aber drittens den Abgang zu ersetzen, welchen die 
Cämmerey bey allen vorgedachten Freyheiten leidet, und der bey andern 
Consumptibilien, besonders bei dem Bier sich jährlich vergrößert: so so^' 
auf den in der Stadt und deren Gebiete consumirten Wein solcherge* 
ein leidlicher und niemand empfindlich seyn könnender Impost ge 
werden, daß von einem Stübgen fremden Weins und Brandteweins 
Unterschied 2 ß und von fremden Essig 1 ß bezahlet werde. 
Ztschr. d. Yereins f. Hamb. Gesch. XIII. ^ 



130 Ernst Baasch, 

§ 4. Um hierin auch in der ModalitÄt der Bequemlichkeit hiesiger 
Bürger und Einwohner alles mögliche angedeihen zu lassen und um allen 
Zwang und Weitläufigkeit zu vermeiden, soll die erste und allgemeine 
Regel diese seyn, daü nicht der Gonsument, sondern der Verkäufer so- 
thanes Consumtions-Geld zu erlegen hahe, und die zweyte, daß es nicht 
nach einer persönlichen Taxa und öffentlich bezahlet, sondern auf Eid 
und Gewissen, so wie ein Quart Procentum auf dem Wein-Accise-Comtoir 
zu einer dazu anzusetzenden Zeit, nämlich von einem Weinhändler alle 
Jahr, von denjenigen aber, welche nur schenken und sitzende Gäste haben, 
Quartalsweise entrichtet werden. 

§ 5. Die erste Regel betreffend, entrichtet der Weinhändler die 
Consumtions-Gebühr sowohl von dem, was er selbst consumiret als aus 
seinem Lager und Hause zum einheimischen Consumo verkauft, es sey au 
wen es wolle, nur die weiter ihr Gewerbe damit treibende, als andere 
Wein-Händler, Wein-Schenker, Auszapfer und überhaupt Enrollirte (: wo- 
von bald ein mehreres folgen soll:) ausgenommen, als welche letztere, da 
sie aus Käufern Verkäufer wieder werden, für das in der Stadt und deren 
Gebiete durch ihre Hand consumirte die Erlegung der Accise auf sich 
nehmen und also ihren vorigen Verkäufer davon entbinden. 

§ 6. Anlangend aber das heimliche Einschütten, so muß, um sich 
hiezu zu qualificiren, ein jeder auf Art und Weise, wie beym Trausito, 
jedoch nicht durch einen cörperlichen Eid, sondern nur vermittelst einer 
Unterzeichnung auf Eid und Gewissen in einem auf dem Wein-Accisc- 
Comtoir vorhandenen Buche sich dazu einschreiben, und zu dieser EnroUiniug 
sind alle Weinhändler, sowohl deren Handlung darin alleine oder nur zum 
Theil bestehet, als die auf Speculation für ihre Reclmung etwas ver- 
schreiben oder kaufen, desgleichen die einen Lager-KeUer von vielen oder 
wenigen Stücken errichten, nicht weniger die Weinschenken und Gast- 
wirthe in der Stadt verbunden. Die aber kein eigentliches Wein-Gewerbe 
im Großen oder Kleinen noch Lager-Keller haben, sondern welche nur 
für sich oder ftlr gute Freunde zur Haus-Provision etwas verschreiben 
oder die einige Weine und dergleichen in Commission erhalten und in 
die Fremde wieder schicken, sind ausdrücklich dazu nicht verbunden, 
sondern es stehet ihnen frey, jedesmal nach dem Content-Zettel die Accise 
von den nicht wieder versandten, sondern hier gebliebenen Quantitäten 
offenbar zu erlegen. Wollen sie aber aus freyem Willen sich einschreiben 
lassen, so geniessen sie auch des Beneficii des heimlichen Einschüttens. 

§ 7. Und da schließlich nicht wohl alle Wein- Versender nach 
aussen Enrollirte seyn können, so ist im Voraus auf ein Mittel gedacht, 
wodurch allenfalls der jedesmalige Verkäufer wegen Bestimmung solcher 
Weine, ob zum hiesigen Consumo oder nach der Fremde zur Gewißheit 
könne gebracht und allen Unterschleifen gewehret werden. 

§ 8. Alles obige verstehet sich nur zum Versuch auf etwa 4 oder 
5 Jahre, jedoch in einer solchen unzertrennlichen Verbindung, daß eines 
ohne das andere weder continuiret noch aufgehoben werden solle. 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 131 

Taxa der reducirten Wein- und ßrandtweins-Accise. 

Brandtwein aus Frankreich, Spanien oder woher er kommen, auch in 
welchen Foustagien er sey, die 30 hiesige Viertel 1 -^ 8 /J. 

a) Der Unterschied der Gebinden und die Vergrösserung derselben 
verursachet diese Benennung von Vierteln. Man hat aber auch 
spanische und andere, als Fi'antz-Brandteweine, sowie vorhin, 
parificiret. 

Spriet, wie oben, die 30 hiesige Viertel 2 -^. 

b) Spriet von Frankreich zahlt itzo ebenso wie Brandtewein. 
da er doch allemal wenigstens Vs Wasser vertragen kann. Man 
hat demnach durch Kath- und Bürger-Schluß den hiesigen und 
Land — , auch Elbwärts eingehenden Spriet in der Accise ver- 
doppelt. 

Arrac, wie oben, die 30 Viertel 3 -^. 

c) Arrac giebt auch nicht mehr wie Brandtewein, da er doch 
weit mehr werth ist, es mögen ohngefehr 50 Oxhoft jährlich in 
der Stadt consumiret werden. 

Rum, wie Brandtwein, 30 Viertel 1 -^ 8 /J. 

Weine, weisse von Bourdeaux und andern Ortem aus der Bucht von 

Frankreich, per Oxhoft 8 ß. 
dito, rothc per Oxhoft 10 ß, 

d) Diese Weine verdienen in Ansehung unserer eigenen Schiff- 
farth mehr wie die folgende begönstiget zu werden, und dahero 
sind sie auf die Hälfte reduciret. 

dito, weisse, von Bajonne, per Oxhoft 10 ß. 

e) die Oxhofte sind größer, und die Weine sind besser. 
Muscat- Weine von Cette oder über Bourdeaux per Oxh. 12 ß» 

Diese haben bisher nicht mehr wie die vorhergehende Weine 
bezahlt, ob sie gleich mit mehrerem Rechte zu den Seckten, 
welche 2 -^ per Oxhoft geben, zu rechnen ; die hier gesetzte 
Taxa ist also der Mittelweg. Aus eben dieser Ursache hat man 
bey den folgenden 1 -^ gesetzet. 

Ein Stück Piccardan von IV2 Oxhoft von Cette oder über Bourdeaux 1 -^. 

Ein Stück von 7 Anker Vin de Rhone, Roquemore, Tanelle, rothe Clairet, 
weisse Cette rottie und andere dergleichen Weine von Cette oder 
Bourdeaux 1 -^. Kommen diese letztgenannte Weine in größeren 
Foustagien, so wird die Accise nach Proportion bezahlet. 

Champagner- Wein die 100 Bouteillen 1 -^ 8 /J. 

g) Da dieser Wein in Körben kömmt, welche nach Gutdünken 
zu Oxhöfteu reduciit zu werden pflegen, so ist wolil nichts 
billiger, als daß die Reduction nicht auf die Hälfte, sondern, 
wie geschehen, auf 1 ^ 8 /J von 100 Bouteillen gesetzet werde. 



*) Gemeint sind wohl die Weine von Cote-rotie, die vom Rhone her- 
kamen, aber über Cette ins Ausland gingen. 

9* 



132 Ernst Baasch, 

Und eben dieser Umstand hat auch bey dein Bourgogne-Wein 
zum Grunde gedienet. 

Bourgogne 1 Stück von ohngefehr 1 Oxhoft 2 ^ 8 /J. 

dito eine Feulliette von circa einen halben dito 1 ^ i ß. 

Ein Bot Greco-Wein von 2V2 Oxhoft 3 ^. 

h) Diese und alle folgende Weine haben noch keine Taxa, 
sondern sind unter einer allgemeinen Rubrique und sehr undeut- 
lich in den vorigen Wein-Accise-Ordnungen benennet. Sie sind 
aber von unterschiedenem Werthe, und man hat sie insgesamt 
auf eine propDrtionirte Weise heruntergesetzet, um nicht bey 
denen Staaten, aus deren Ländern sie kommen, einen Unwillen 
daher zu erwecken, daß man alleine der Crone Frankreich in den 
daher kommenden Weinen favorisiren wollen. 

Ein Bot Gorsica-Wein von 2 dito 2 -fL S ß. 

Ein Bot Mallaga-Seckt von 2 dito 3 4^, 

Eine Pipe Spanischer Wein oder Ximenes von iVa Oxhoft 2 -^. 

Ein Bot Tinto Wein und Xereser Seckt von 13 k 14 Anker 4 ■^. 

Ein Bot rother Benecarlos von 2 Oxhoft 3 ■^. 

Ein halbe Bot Port und Lissabonsche Wein von 7 Anker 2 -^. 

Ein Bot Canarien-Seckt, Madera-Wein und andern Sorten von den Canarischen 
Inseln von circa 2 Oxhoft 4 ■^. 

Gyprischer, sogenannter Egyptischer, Zanthe und Ungaiische Weine die 
60/4 — 4 -*. 

Siracuser, Florentiner, Monte pulicano und andere dergleichen Italiänische 
Weine in Kisten, St. Hubes in allerhand fustagien, wie auch Liqueurs, 
wohlriechende Wasser etc. die 60/4 — 4 -^. 

Ein Ohm Rhein-, Mosel- oder Necar-Wein — 4 -^. 

Ein Ohm allerhand Korn und aus andern Speciebus verfertigter und 
gestackter Brandtweine aus der Fremde, sowohl über Land als 
See 8 ^, 

Gyder- oder Zyther-Essig von aussen das Oxhoft 12 ß. 

Ein Terschen Franschen Wein Essig 6 ß, 

Akten der Kommerzdeputierten in der Kommerzbibliothek. 

V. 

Geheime Bewegungsgründe, warum Senatus es höchst 

bedenklich finde, die Wein-Consumptions-Accisc hier 

einzuführen. 1772. November 27. 

Sobald es nilr das erstemahl war bekannt geworden, daß man die 
Einführung der Wein-Consumptions-Accise bey der Erbges. Bürgerschaft 
in Vorschlag gebracht hatte, so regte sich schon der hier befindliche 
königl. französische bevollmächtigte Minister, Herr Baron de la Houze. 
.de ir.xcellenz steUten unter der Hand freundschaftlich vor: wie Sie hofften, 



Weinakzise und Weinhandel in Bamburg. 133 

daß dieses Project, wegen der damit verbundenen vielen Schwierigkeiten, 
nicht würde zum Stande kommen. 

Sie wußten zwar wohl, daß ein freyer Staat in seinem Gebiete zur 
Verbesserung seiner Finantzen diejenigen Einrichtungen machen könnte, 
welche ihm am zuträglichsten zu seyn schienen, ohne daß ein fremder 
Minister sich darein zu mischen hätte; allein Sie hielten es jedoch für 
ihre unumgängliche Pflicht, über das Interesse ihres Souverains zu wachen 
und wolmeinend zu ersuchen, daß man sich doch ja in Acht nehmen mögte, 
um nicht gegen den zwischen Frankreich und Hamburg subsistirenden 
Commerce - Tractat anzustoßen. Die quaest. Consumptions-Accise müßte 
hauptsächlich die frantzösischen Weine betreffen, als welche hier am meisten 
gebraucht würden. Nun wäre es ein unstreitiger Grundsatz, daß, je mehr 
eine Waare mit Auflagen beschwert seyn sollte, je weniger davon würde 
consumirt werden. Der Vertrieb der französischen Weine machte einen 
der größesten Handlungszweige in Absicht auf Hamburg aus. Ihr Hof 
könnte also bey der hier abgezielten neuerlichen Contribution auf die 
Weine nicht gleichgültig bleiben; er müßte sie dem Tractate zum Nach- 
theile anrechnen, welchen S® Königl. Majestät Ihrerseits aufs genaueste zu 
erfüllen gemeint wären. Mithin würde die betrübte Folge daraus ent- 
stehen, daß wir unsem Commerce-Tractat wieder verlieren würden. 

Dem Herrn Minister, der ein sehr lebhaftes Temperament hat, ward, 
um das erste Feuer zu dämpfen und ihn von einer widrigen Relation 
zurückzuhalten, gleichfalls unter der Hand eröffnet: wie man glaubte, 
daß die Wein-Consumptions-Accise ohnehin noch vielen Hindernissen unter- 
worfen wäre, dazu müßte sie noch erst auf die thunlichste Weise regulirt 
werden, und man würde von des Herrn Ministers Vertraulichkeit den 
besten Gebrauch zu machen suchen. 

Er muß inzwischen doch davon, wiewol auf eine gantz günstige Art, 
an seinen Hof Bericht erstattet haben. Und zwar hat er dabey, wie aus 
dem Erfolge erhellt, einen andern Gegenstand zugleich mit berührt. Es 
war ihm nemlich zu Ohren gekommen, daß das gestämpelte Papier bey 
uns würde eingefülirt werden. Hiegegen hatte er so wenig einzuwenden, 
daß er es vielmehr ungemein lobte. Nur verbat er den Stämpel auf die 
Connossementen, als woran Frankreich abermals einen sehr großen Anstoß, 
mit allem Rechte, finden würde, indem dadurch eine sehr beschwerliche 
Last vorzüglich auf die frautzösische Handlung fallen müßte. In Frank- 
reich hätte man dergleichen nicht, und die Reciprocität wäre der Grund 
unsers Tractats. Würde man dieses nicht in Betrachtung ziehen, so würde 
unser Tractat alsofort für null und nichtig geschätzt werden. Auch auf 
dieses Anbringen ward ihm sogleich zu erkennen gegeben, daß man gar 
nicht Willens wäre, die Connossementen unter den Stämpel mit zu begreifen. 

Der Herr Minister ward nun völlig beruhigt; doch fügte er noch 
die Ausnehmung der Frachtbriefe und kurtz Alles dessen hinzu, was dem 
eigentlichen Commerce beschwerlich werden könnte. 

Am 14. November dieses Jahres zeigte er jemanden vom Senat an, 
daß er ausdrückliche Order von seinem Hofe bekommen hätte, der Stadt 



IM fimst Baascli, 

dafür besonders zu danken, „daß hier (:wie es anfänglich geheissen:) 
keine neue Auflage auf die Wein-Consumption und auth kein Stämpel- 
papier in Ansehung der sämmtlichen Gegenstände des Gommercii wären 
verfügt worden. Se Allerchristlichste Majestät hätten daraus mit dem 
größesten Vergnügen bemerkt, wie scrupuleuseraent Senatus alles das 
beobachtete, was dem Sinne des zwischen Frankreich und Hamburg ob- 
waltenden Gommerce-Tractats gemäß wäre. S® Majestät versicherten daher, 
wie Sie auch Ihrerseits nie aufhören würde, über die genaueste Gultivirung 
des gedachten Tractats scrupuleusement zu halten." 

Der Herr Minister führte davon folgenden Beweis an: 

„Es wäre S« Majestät unlängst der Vorschlag geschehen, auf 
die Exportation der Denr4es einigen Impost zu legen. Sie hätten 
aber, des Nutzens für Ihre Finanzen ungeachtet, nicht darein willigen 
wollen, mit der Erklärung, daß solches nicht tractatenmässig, mithin 
unrecht und Ihrer Gloire zu wider seyn würde. 

Gleich nach der letztem Bürgerschaft vom 16. Novemb. erkundigte 
sich der Herr Minister abermals mit großem Empressement, ob die Accise 
quaest. wäre bewilliget worden? 

Ob es nun gleich sehr unangenehm an und für sich selbst ist, daß 
man einigermaßen gebundene Hände haben muß, so läßt es sich jedoch 
in dem gegenwärtigen Vorfalle um desto minder ändern, je näher wir 
mit Frankreich in Verbindung stehen, und je mehr Grund selbiges daher 
hat, allen Neuerungen, die seinem Gommerce mit uns zum Präjuditz ge- 
reichen, zu wiedersprechen. 

Was man sonst schon nach dem Völker-Rechte und nach der Politik 
zu vermeiden schuldig ist, um seine mächtigen Freunde bey guten Ge- 
sinnungen zu erhalten, das verlangt jetzt die zwischen Frankreich und 
ims vermöge des Commerce-Tractats obwaltende gantz genaue AUiantz 
gedoppelt von uns. 

Wir haben z. E. mit dem Könige von Preussen keinen Handlungs- 
Tractat. Gleichwol würden wir ein großes Bedenken hegen, auf Seine 
Landesprodukten, wovon etwa sehr vieles hier consumirt würde, einen 
ausserordentlichen Impost zu verfügen. Er könnte es uns freylich nicht 
verbieten. Aber die Klugheit würde doch lehren, es dabey nicht auf die 
verdrießlichen Folgen ankommen zu lassen. 

Frankreich hat durch den mit uns errichteten Tractat ein völliges 
begründetes Recht, darauf zu bestehen, daß dem Sinne des Tractats nach- 
gelebet werde. Der wahre Endzweck davon ist ja die wechselweise mög- 
lichste Beförderung des gemeinnützigen Commerce-Wesens. Beide Nationen 
sollen dadurch, so viel es nur immer geschehen kann, gleicher Vorrechte, 
Freyheiten und Vortheile gemessen. Unternimmt nun eine Parthey etwas, 
welches einem solchen Vertrage entgegen ist, so muß die andere sich noth- 
wendig für beleidigt achten, und ist diese die mächtigste, so ist es noch 
ein Glück, wenn sie vorher warnet und nicht mit einem plötzlichen Bruche 
hervortritt. 

Das Andenken an Spaniens Beyspiel ist bey uns noch nicht ver* 



Weinakzise nnd Weinhandel in Hamburg. idö 

altet. Wir wurden beschuldigt^ mit seinen unversöhnlichen Feinden, den 
Algierern, ein Bttndniß gestiftet zu haben, da wir doch mit ihm von un- 
denklichen Zeiten her in besonderer Verbindung waren. Was geschähe? 
Wider alles Vermutheu ward unsere spanische Handlung durch einen 
schnellen Entschluß aufgehoben. 

Man setzt es als eine unstreitige Wahrheit zum voraus: daß es 
uns gamicht gleichgültig seyn kann, ob wir den Commerce Tractat mit 
Frankreich behalten oder nicht. Ein sehr beträchtlicher Theil unserer 
Rheder und Negocianten würde ja sonst während der Zeit, da wir ihn 
verloren hatten, vergebliche Klagen geführt und unnöthige Wünsche vor- 
gebracht haben, um ihn je eher, je lieber wieder hergestellt zu sehen ! Die 
Acten beweisen es zur Genüge, wie sehnlichst der Ehrb. Kaufmann danach 
verlangt habe. Die Acten beweisen es femer, durch was für saure Mühe 
das Werk endlich beglückt zum Stande gekommen sey. 

Und die Erfahrung dererjenigen, welche auf Frankreich ihre Navi- 
gation und Handlung betreiben, wird es am besten beweisen, wieviel 
Schüfe jetzt hin und her gehen, wieviel nun am Lastgelde erspart werde 
und wie vortheilhaft überhaupt der Tractat für Hamburg sey. 

Man hat vorhin erwehnt, daß die Reciprocität den Grund unsera 
Tractats ausmache. Ehedem beschwerte sich Frankreich, daß seine Unter- 
thanen derselben nicht von uns genössen; es drang daher auf mehrere 
Begünstigungen, ja sogar auf eine völlige Pariücation mit der hiesigen 
Englischen Societät. Letzteres ward jedoch durch eine langwierige und 
höchst mühsame Negociation gäntzlich abgelehnt, und die hier sich nieder- 
lassenden Franzosen würden möglichstermassen in Betracht der Commerce- 
Erleichterungen unsem Bürgern gleichgestellet. Und was die Frantzosen 
durch einige Veränderungen in dem neuen Tractat gewonnen haben, 
dasselbe haben unsere Bürger zugleich mitgewonnen. Unter andern ist 
es bekannt, wie man zur Facilitirung des Tractats anstatt der vorhin 
üblich gewesenen 10 Procent Leccage 20 Procent (: welches an sich eine 
wahre Kleinigkeit ist:) zugestanden habe. 

Wollte man nun jetzt 5 Rthlr. Consumptions-Gebühren für ein 
Oxhoft einführen, so würde diese neue Auflage das gedachte Leccage- 
beneficium sehr übersteigen. Und Frankreich würde sagen: Was mir mit 
der einen Hand ist gegeben worden, das wird mir mit der andern vielfach 
wieder genommen. 

Und gesetzt, man wollte auch noch eine so geringe Abgabe auf 
ein Oxhoft legen, so würde die Stadt auf der einen Seite keinen beträcht- 
lichen Gewinn davon ziehen, auf der andern Seite aber wäre es gleichwol 
immer ein neuer Impost, der die frantzösischen Producte vorzüglich be- 
träfe, und Frankreich würde daher gleich einreden, daß wir gegen unsem 
Tractat gehandelt hätten. Sollte dann unser Commerz-Tractat (:wie es 
jedoch nach des vorgedachten Herrn Ministers Aeusserung gewiß geschehen 
wttrde :) für null und nichtig erklärt werden, so wäre wol keine HofEnunP' 
übrig, ihn nachher wieder zu erlangen, oder Frankreich würde n 
größere Vortheile für sich bedingen, und wiederum auf die Parificii 



136 Ernst B&asch, 

der Frantzoseu mit der Englischen Societät insistiren, ohne alsdann davon 
abgehen zu wollen. 

Dächte man etwa, Frankreich sey doch aach an der Beybehaltung 
des Tractats gelegen, so muß man sich dabey immer die hohen Gesinnungen 
eines großen Monarchen vorstellen, mit welchen Er auf eine Stadt herab- 
sieht, wovon Er beleidigt zu seyn glaubet. Dann helfen alle Remon- 
strationen nichts : Der Monarch nimmts vielmehr noch übel, wann man sich 
um das Interesse seiner Unterthanen bekümmern will. Die Erfahrung hat 
solches sattsam gelehret! 

Aus allen den berührten Umständen und Gründen wird demnach 
überzeuglich erhellen, daß die Beliebung einer Wein-Cousumptions-Accise 
uns abseiten Frankreich einen unersetzlichen Schaden zu Wege bringen 
würde, und daß es daher durchaus nicht rathsara sey, diese Contribution 
hier einzuführen. 

Da es, nach der Natur der Sache, sehr bedenklich war, alle die 
bemerkten Umstände und Gründe in öffentlicher Raths- und Bürger- Ver- 
sammlung vorzutragen, so konnte man nichts weiter sagen als daß, ausser 
andern Schwierigkeiten, auch einige politische Ursachen die quaest. 
Consumptions-Accise wiederriethen. Man kann auch ebenso wenig in 
einer ferneren Bürgerschaft gantz offenbar von dieser Materie schriftlich 
handeln. Es bleibt nicht verschwiegen; und dann könnte es hie und da 
einen wiedrigen Eindruck machen. Alles angeführte soll nur bloß ge- 
heimer und vertraulichster Information des löbl. CoUegii der LXger dienen. 
Und gleichwie Senatus nicht zweifelte. Es werde die beregten Gründe 
völlig einleuchtend und höchst wichtig finden, also ersucht Er dasselbe, 
um davon nach dessen bewährten Klugheit dienlicher Orten einen solchen 
mündlichen Gebrauch zu machen, daß Erbges. Bürgerschaft nicht weiter 
auf die Accise quaest. dringen möge. 

Wann übrigens in der Resolution Civium vom 16. Nov. gesagt 
wird: Daß E. Bürgerschaft von dem Rath- und Bürger-Schlüsse vom 
23. März dies. Jahres wegen Einführung einer Wein-Consumptions Abgabe 
nicht abgehen könnte, so will man nur zur Erläuterung anzeigen : daß noch 
neulich wegen der 10 /<& Ordnung ein Rath- und Bürger Schluß mit all- 
gemeiner Zufriedenheit sey abgeändert worden. Wo die Macht ist, Ge- 
setze zu geben, da ist sie auch, solche wieder abzuschaffen! 

Hamb. Staatsarchiv Ol. VH Lit Db Nr 2 Vol. 5^. 



VI. 

Erträge der Wein-Accise 1674—1781. 

Nachstehende Ziffern sind von mir aus zwei Oktavheften ausgezogen, 
die sich im Hamb. Staatsarchiv, Gl. Vn Lit. Db Nr2 Vol. 5», befinden. 
Jedes Jahr sind 4 — 6 Eingänge verzeichnet, die teilweise schon in jenen 
^-»^«n addiert sind, teilweise von mir addiert wurden. Nicht immer ist 



Weinakzise und Weinhandel in Hamburg. 



137 



in den ersten Jahrzehnten ganz klar, ob die im Januar gebuchten Beträge 
zu dem laufenden oder dem vorigen Jahre zu rechnen sind. Pfennige sind 
in nachstehender Liste nicht mitgerechnet. 



Jahr 


Ertrug 


Jahr 


Ertra^^ 


Jahr 


ErtraiT 


1674 


15 294 ^ 


8/1 


1710 


23 269 ^ 13 ß 


1746 


50165^ 12 /t 


1Ö75 


15 097 „ 


12 „ 


1711 


43131 , 


1 r 


1747 


63 044 , 


13 r 


1676 


12849 „ 


10 „ 


1712 


60 459 . 


12 . 


1748 


42 600 . 


12 « 


1677 


12 286 ^ 


12 , 


1713 


53 333 „ 


15 „ 


1749 


54 635 „ 


10 „ 


ia78 


5 724 „ 


3 « 


1714 


33 028 „ 


9 « 


1750 


47 802 „ 


1 1. 


1679 


n 893 „ 


12 n 


1716 


37 128 ^ 


ö . 


1751 


39 847 „ 


2„ 


1G80 


17 824 ^ 


12 „ 


1716 


66614 „ 


6 . 


1752 


42 653 „ 


10. . 


lt>81 


16 097 . 


~ n 


1717 


56 817 ^ 


8 „ 


1753 


60128 ^ 


8 n 


1682 


12 777 „ 


15 „ 


1718 


70 932 ^ 


9 . 


1754 


5^1088 „ 


11 . 


1683 


12 085 „ 


14 „ 


1719 


52 611 ^ 


U „ 


1755 


55 740 „ 


3 n 


1^84 


10939 „ 


12 , 


1720 


69 520 n 


6 „ 


1756 


43 964 ^ 


11 . 


mm 


12 232 „ 


6 , 


1721 


58405 , 


11 « 


1757 


61 215 ^ 


13 « 


168ß 


11435 n 


3, 


1722 


43162 ^ 


10 „ 


1758 


74 096 rt 


H , 


1687 


16 071 . 


t> . 


1723 


Dl 364 . 


4 « 


1759 


53 308 ^ 


2 „ 


1688 


25 921 „ 


2 n 


1724 


56 569 ^ 


7 . 


1760 


56 540 ^ 


14^ 


1689 


26 515 „ 


3 „ 


1725 


53 602 „ 


2 „ 


1761 


60469 ^ 


14 « 


1690 


26 006 ^■ 


10 „ 


1726 


43179 ^ 


8 „ 


1762 


69 436 „ 


14 „ 


1691 


20 047 „ 


IS. 


1727 


47 434 „ 


7 « 


1763 


48 582 „ 


9 « 


1692 


19817 n 


G » 


172S 


36 836 „ 


14 , 


1764 


39 511 „ 


14 „ 


169R 


17 022 , 


7 , 


1729 


60199 „ 


2 n 


1765 


67 643 „ 


14 n 


1694 


15 631 „ 


7 „ 


1730 


50 217 ^ 


9 . 


1766 


51948 „ 


5 « 


1695 


13906 „ 


3„ 


1731 


58 475 ^ 


13 n 


1767 


37 060 n 


15 ^ 


1696 


14 763 , 


n 


1732 


39 403 ^ 


1 » 


1766 


32 701 ^ 


10 „ 


1697 


13 919 „ 


5 „ 


1733 


56 578 ,, 


9 . 


1769 


40 922 ^ 


2^ 


1698 


13 272 ^ 


2, 


1734 


39 762 „ 


12 , 


1770 


31603 „ 


1 n 


1699 


12 589 ^ 


11 „ 


173;^ 


36 365 „ 


13 „ 


1771 


33 769 „ 


14 „ 


1700 


11493 ^ 


8 , 


173G 


45 205 „ 


10 „ 


1772 


34825 „ 


10., 


1701 


10 992 „ 


2 „ 


1737 


49 499 „ 


6 « 


1773 


38 075 „ 


11 n 


1702 


14 463 ,, 


13 „ 


1738 


56 778 „ 


5 „ 


1774 


37 366 „ 


8 n 


1703 


16 875 , 


2 . 


1739 


36 673 „ 


13 , 


1775 


36 490 „ 


6 n 


1704 


14829 , 


5n 


1740 


47 479 „ 


1 n 


1776 


30 867 « 


7 « 


1705 


10 905 „ 


3 „ 


1741 


47179 „ 


jt 


1777 


28926 n 


■~^ n 


1706 


58 961 . 


FT 


1742 


43 954 ^ 


14 „ 


1778 


30 893 „ 


I» 


1707 


52 5H4) , 


10 . 


1743 


78 808 ^ 


3 „ 


1779 


49 744 „ 


11 n 


1708 


42 880 „ 


1 . 


1744 


64 702 „ 


U „ 


1780 


35 327 „ 


2 „ 


1709 


30 921 ,, 


15 „ 


1745 


43 915 n 


n 


1781 


38547 „ 


9 n 



A 



138 Hans Nirrnheim, 



Zur Geschichte der hamburgischen Märkte. 

Von 
Hans Nirrnheim. 



Der nachstehend abgedruckte, vom 22. April 1471 datierte 
Brief des Hamburger Rats an die Büi-germeister und Rat- 
mannen der Stadt Schleswig enthält einige bemerkenswerte 
Mitteilungen über die Zahl und die Termine der im Mittel- 
alter in Hamburg abgehaltenen Jahrmärkte. Er wird in der 
Universitätsbibliothek zu Kiel aufbewahrt^) und ist mir zum 
Zwecke der Abschriftnahme von der Bibliotheksverwaltung 
freundlichst zur Verfügung gestellt worden. 

In dem Freibrief Adolfs HI. von Schauenbiu^ war be- 
kanntlich der jungen hamburgischen Ansiedlung die Erlaubnis 
zur Abhaltung zweier Jahrmärkte gegeben w^orden. Der eine 
sollte am Tage des heiligen Vitus (15. Juni), der zweite am 
Tage der Himmelfahrt Maria (15. August) stattfinden.*) 

Später, im Jahre 1365, hatte Kaiser Karl IV. dui'ch 
Privilegien vom 25. und 29. Januar'^) die Abhaltung eines 
Jahrmarkts in Hambui^g angeordnet, der vierzehn Tage vor 
Pfingsten lieginnen und bis acht Tage nach Pfingsten dauern 
sollte.*) Er hatte dabei, wie es scheint, hauptsächlich das 



^) Vergl. H. Rat JEN, Verzeichnis der Handschriften der Kieler Universitäts- 

bihUothek m, S. 502. 
*) Bis in anno forum hahebunt, scilicet in assiimptione sancte Marie 

et festo aancti Viti preter forum quod qualibet ebdomada die qua 

decretum fuerit fiet. 
^ Originale in deutscher und lateinischer Sprache im Hamburger Staats- 
archiv. Das lateinische Privileg ist gedruckt in Lünigs Reichsarchiv 

Pars spec. Contin. IV 1. Teil, S. 939. 
*) eynen etdgen jarmarkt der sich alle jare heben sol 

an dem sunntage virtzen tag vor phingsten und sol wem acht tage 

nach phingsten. 

annis singulis duabus septimanis ante festum penthecostes 

et octo diebuspost dictum festum continue sequentihus nundinas 

annuales que aliter annuale forum vocantur. 



Zur Greschichte der hamburgfisclien Märkte. 139 

Interesse seiner mit Hamburg durch die Elbe verbundenen 
böhmischen Lande und seines weiteren Hausbesitzes im Auge. 
In Hambui-g aber scheint man diesem Jahrmarkte von des 
Kaisers Gnaden keine große Sympathie entgegengebracht zu 
haben. Denn schon wenige Jahre nach Karls IV. Tod, im 
Jahre 1383, ließ der Rat in der- Bursprake seine Aufhebung 
verkünden: 

Dar nüd willen mer hmghere is de raad to rade 
worden, dat ze den nyen market, de eer kimdighet was vor 
pinxsten to holdende, willet entholden, also dat di^ nicht 
wesen schal also langhe went de raad anders wes to 
rade wert^) 
Daß der Rat diesen Beschluß zu irgend einer Zeit 
wieder rückgängig gemacht hat, ist nicht bekannt. 

Aus dem Handlungsbuche Vickos von Geldersen*) wußten 
wir femer, daß auch um den Tag des heiligen Felicianus 
(20. Oktober) ein Jahrmarkt in Hamburg abgehalten wurde. 
Dagegen darf der im Handlungsbuche sehr häufig vorkommende 
Michaelismarkt nicht, wie es in der Einleitung S. XXIX ge- 
schehen ist, für Hambiwg in Anspruch genommen werden. 
Weitere Untersuchungen haben mich vielmehr belehrt, daß 
unter ihm stets die besuchte Michaelismesse in Lüneburg zu 
verstehen ist. Der St. Vitusmarkt wird auch im Handlungs- 
buch häufiger genannt, des Jahrmarkts um Himmelfahrt Maria 
geschieht aber an keiner Stelle ausdrücklich Erwähnung. 
Daß er trotzdem keineswegs verschwunden war, zeigt der hier 
abgedruckte Brief, dem zu entnehmen ist, daß Hamburg noch 
am Ende des 15. Jahrhunderts die drei alten Jahrmärkte, 
die beiden von Adolf IQ. festgesetzten und den St. Felicianus- 
markt, den wir aus dem Handlungsbuch kannten, besaß.*) 
Der Brief ist zugleich ein neues Zeugnis dafür, daß der von 
Kaiser Karl IV. angeordnete Pflngstmarkt nicht mehr ab- 
gehalten wurde. 



*) Hamb. Staatsarchiv Cl. VII Lit. La Nr. 1 Vol. 1. 

^ Hamburg und Leipzig 1895. 

•) Das etc. hinter Feliciani ist, wie der Wortlaut ergibt, natürlich nicht 

auf weitere Märkte zu beziehen, sondern soU yermutlich die Beiwörter 

zu FeUciani (episcopi martiris) ersetzen. 



140 Hans Nirrnheim. 

Den drei allgemeinen Jahrmärkten \Muden, me aus 
dem Briefe hervorgeht, im Jahre 1471 durch Rat- und 
Bürgerschluß vier besondere Pferdemärkte hinzugefügt, die 
am diitten Sonntag vor Estomihi, am Sonntag Oculi, am 
Palmsonntag und am 15. Juli (Divisio apostolorum) beginnen 
und je vier Tage währen sollten. 



Der Hamburger Rat teilt dem Schleswiger Rat die 
Einrichtung von jährlich vier Pferdemärkten mit und 
bittet ihn, dies in Schleswig und Umgegend bekannt 
zu machen. 1471 April 22. 

Original auf Pergament in der Kgl. Universitätsbibliothek zu Kiel. 
Das brief schließ ende Siegel ist nicht mehr vorhanden. 

Unsen fruntliken grut tovoren. Ersamen guden fiiinde, 
deme gemenen beste to gude unde proflte unde na sunder- 
liker begeringe itliker vi^amer coplude, de ere neringe mit 
peerden to kopende unde to vorkopende plegen to sokende, 
hebben wy eendrechtigen mit unsen leven borgeren up- 
genomen, ingesettet unde geslaten, dat men in unser stad 
boven de gemenen vryen margket uppe Viti, assumpcionis 
Marie unde Feliciani etc., so wente hereto is wondlik 
gewesen, noch uppe veer tyde hir nagescreven vryhe 
perdemargkede schal holden, nemeliken enen dree weken 
vor deme sondage to vastelavend esto michi, den anderen 
up den sondagh oculi, den drudden up den palmensondagh 
unde den veerden uppe den dagh aller apostell, alse 
divisionis apostolorum genomet, welkere veere erbenomede 
vrye perdemargkede up de erbenomcden dage anstan unde 
waren scholen veer dage dar negestvolgende. In den 
sulven margkeden alle vrome coplude, de denne unse stad, 
mit peerden und anderen eren coppenschoppen besoken, 
vor andere gaste unde vi'omede coplude, alse gast vor 
gaste, scholen geleydet unde velich sin, welk wy juw so 
vorkundigen und witlik don mit desseme unseme breve. 
Sint darumme an juw vruntliken begerende, gy eynsodanet 
juwen borgeren unde anderen juwen näheren, dar juw 



Zur üeschichte der haniburgischeu Märkte. 141 

des duncket van noden wesen, opcmbarcn und witlik 
don ^Villen, iirame sik dar ok na mögen weten imde hebben 
to richtende unde siilke erbenomede \Tye raargkede to 
vorsokende, vorscluilden wy iimme jiiw allewege ghenie. 
Gode bevolen. Screven under imnser stad secret arame 
mandage na quasimodogeniti anno etc. 71. 

Borgenneistere und radraaime 
der stad Haraborgh. 

Adresse: Den einsamen borghermeisterenn unde radmannen der 
stad Sleszwygk, luisen guden frimden. 



142 Bezensionen. 



Rezensionen. 



W. Melhop, Alt-Hamburgisclie Bauweise. Kurze geschicht- 
liclie Enhvicklung der Baustile in Hamburg dargestellt am 
Profanbau bis zum Wiedererstehen der Stadt nach dem 
großen Brande von 1842 nebst chronistisch-biographischen 
Notizen. Mit 274 Abbildungen. XVI und 351 Seiten. 
Hamburg 1908. Boysen & Maasch. Lexikonformat. Mk. 16. 

Das gut ausgestattete Buch ist eines der erfreulichsten Er- 
gebnisse jener Zeitbewegung, die unseren Sinn auf das schlichte, 
natürliche Wesen der Vergangenheit lenken und der Heimatsliebe 
damit eine breitere und gesundere Grundlage schaffen will. Wenn 
auch fraglos dieses Bestreben schon in weitere Ki'eise gedrungen 
ist, als eine gegen die Philologm und Kunsthistoriker gerichtete 
Bemerkung im Vorwort annimmt, so kann doch von einer völligen 
Erneuerung unserer Kultur in diesem Sinne noch nicht die Rede 
sein. Den Verfasser begleitet daher auch bei seiner Schildenmg 
der Nebenzweck, den Leser selbst zum Vergleich der älteren 
charakterstarken Bauweise mit der Verfallszeit anzuregen. 

Die Abbildungen sind überraschend zahlreich. Der Verfasser 
hat das Verdienst, selber eine Auslese von etwa hundert Ansichten 
oder Bauteilen photographiert und damit wenigstens im Bilde für 
die Zukunft gerettet zu haben. Allein diese sehr bezeiclmende Aus- 
wahl genügt, um ihm ein feines Verständnis für die vielen unschein- 
baren, aber bau- oder kulturgescliichtlich höchst bemerkenswerten 
EinzeUieiten naclizurühmen. Vor allem eine Durchsicht des letzten 
Kapitels, in dem die Ausluchten, Klevelappen, Höfe, Gänge, Treppen 
und Kellereingänge behandelt werden, liefert dafür den Beweis. 
Die wertvollste Ergänzung zu den Pliotographien bilden die Zeich- 
nungen und Litliographien (von E. Niese, Th. Riefeseil, Ebba Tes- 
dorpf und Marie Zacharias), die das Museum für Kimst und Gewerbe 
zur Reproduktion hergelielien hat, und die für die Bedeutung des 
Dilettantismus das beste Zeugnis ablegen. Ihnen reiht sich ferner 
eine große Anzahl von Photographien, Sticlien, Lithographien, Hand- 
zeichnungen imd Aquarellen an, die das Staatsarchiv, die Bau- 
deputation, die Kunsthalle und der Verein für Hamburgische Ge- 
schichte zur Verfügung gestellt haben. 

Die Einteilung gliedert das Material in übersichtlicher Wdun. 



Rezensionen. 143 

Das Schwei^ewicht ist auf den Backstein- bezw. Hausteinbau geloggt, 
während die Fachwerkliäuser, von denen nicht jedes mehr ein Dokument 
bedeutet, geschlossen in einem Kapitel untergebracht sind. 

Für die Periode der mittelalterlkheti Bauweise (Kapitel III) 
genügen die wenigen Beispiele nicht einmal, um die Stilentwicklung 
näher als durch die bekannte Feststellung anzudeuten, daß die Gotik 
bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts hinaus vorgeherrscht hat. 
Es scheint indessen, als ob der Einfluß einer zur Einfachheit 
neigenden Eeaktionsströmung allmählich der Gotik ihren Grund- 
charakter genommen und einen Übergangsstil geschaffen hat, älinlich 
wie es im 18. Jalirhundert beim Eindringen der klassizistischen 
Strömung geschah. Blieb auch die Vorliebe für den Treppengiebcl 
erhalten, so kam doch die Lisenengliederung aus der Mode, um einer 
glatten oder längsgeteilten Giebelwand Platz zu machen. 

Erst in der Periode der Renaissance und ilirer Abw^andlungen, 
des Barock und Eokoko, haben andere Städte nichts mehr vor Ham- 
burg voraus. Die allerdings recht schwierigen Vergleichsunter- 
suchnngen und eine Spezialisierung der lokalen Stileigentumliclikeiten, 
wovon im Anfange de« dritten Kapitels verheißungsvoll gesprochen 
wird, sind leider fast ganz unterblieben. 

Die Gruppierung des reichen, für das vierte Kapitel bestimmten 
Stoffes gehört unleugbar zum schwierigsten Teile der Textbearbeitung. 
Gerade dieses Kapitel lelirt, wie uneinlieitlich oft in einer Periode 
gebaut wurde, und wie schon früh fremdartige Häuser neben boden- 
ständigen Neubauten zu sehen waren. Nicht nur dringen alle mög- 
lichen Einflüsse, stark vermisclit, von außen her ein, es findet auch 
eine Kreuzung mannigfachster Art innerhalb der Stadtgrenze statt. 
Aber auch ganz abgesehen davon, daß ein Zusammenspiel mehrerer 
Stilschattierungen eine scharfe Scheidung der Hauptströmungen un- 
möglich macht, wollen allzu viele Gesichtspunkte berücksichtigt 
werden. Bald war es wünschenswert, Bauten ihrer Zweckbestimmung 
oder des gemeinsamen Architekten wegen im Zusammenhang zu 
besprechen, bald galt es, sie der Portale wegen in eine andere 
Rubrik zu bringen, und ein anderes Mal wieder verdienten Giebel- 
typen oder Dacliausbildungen verwandter Art eine gesonderte Er- 
wähnung. Bei der tTbermacht dieser EinzeUieiten ist die Leistung 
des Verfassei's doppelt anzuerkennen. Nur der Mangel von Daten 
unter den Abbildungen erschwert die Übersicht und Nachprüfung. 
Ein bestimmtes Baujahr ist im Text häufig angegeben, ebenso 
nianclie Datierung, die sich zuweilen nocli (z. B. Abb. 199) auf 
Grund des oniamentalen Schmuckes enger begrenzen läßt. Zu dieser 
Bescliränkung in der leichten Benutzung des Buches kommt noch, 
daß der Text meist mehrere Seiten vom Bilde entfernt stellt, ohne 
daß für eine Angabe der Seitenzahl bei der Abbildung gesorgt ist. 
Ein Versehen ist dem Verfasser nur einmal unterlaufen; es wird 
nämlich der Beginn des sogen, holländischen Barocks zuerst (S. 73) 



144 Rezeusionen. 

in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, an spät<?rer Stelle (S. 84) 
aber in die erste Hälfte verlegt. 

Die verschiedenen Modeströmungen charakterisiert der Ver- 
fasser stets mit kurzen und treffenden Worten. Sie liefern ihm 
zugleich praktische Unterabteilungen für das vierte Kapitel; doch 
leiden einmal die Tatsachen etwas unter diesem Schema. So folgt 
auf die Periode des holländischen Barocks (S. 73 ff.) eine durch die 
Pilastergliederung deutlich gekennzeichnete Gruppe. Da aber der 
Beginn dieser Stilrichtung, nach dem 1650 erbauten Herrn- Logiment 
(Abb. 83) zu urteilen, nicht erst in das letzte Drittel des 17. Jahr- 
hundert« fällt, so ergibt sich ein ziemlich gleichzeitiges Bestehen 
beider Stilrichtungen, und es wäre in diesem Falle gut gewesen, 
wenn auch der Anschein einer liistorischen Reihenfolge vermieden 
worden wäre. 

Bei allen Stilabwandlungen des Barocks spielt der holländische 
Einfluß zweifellos die größte Rolle. Man möchte ihn schon auf 
das 16. Jahrhundert, das leider durch kein einzige« Beispiel ver- 
treten wird, zurückführen, weil er gleich am Anfange des 17. Jahr- 
hunderts auftritt. Deutliche Spuren hat er u. a. an dem 1642 er- 
bauten Hause Gr. Reichenstraße 9/11 (Abb. 33) hinterlassen, 
während er im übrigen auffallend rein an zalilreichen Barockportalen 
zu bemerken ist. Weniger zweckmäßig sind die Bezeichnungen 
holländischer Barock und französische oder ifalietiische Richtung. Was 
z. B. (S. 83) als französischer Stil angesprochen wird, jene Gruppe 
mit der Pilastergliederung, erinnert zuweilen mehr an Amsterdamer 
Bauten aus der Zeit des Architekten Vingboons, was also höchstens 
indirekten französischen oder itAlienisclien Einfluß bedeuten würde. 
Deshalb trifft der übliche allgemeine Name klassizierender Barock 
besser als jede Herkunftsbezeiclmnng den Inhalt des Zeitgeschmacks. 

Das Görzische Palais (Abb. 86) möchte man, olme seine hohe 
Bedeutung als Bauwerk zu schmälern, doch als einen Fremdkörper 
mit wenig gutem Einfluß auf die Bauweise des 18. Jalirhunderts 
ansehen. Hier findet sich zuerst die Rustikaquaderung, die sich 
nur schwierig dem Wesen des Backsteinbaus anpassen will. Hier 
sind die alten nordischen Breitfenster durch die neumodisch-italie- 
nischen ersetzt, wodurch wesentlich das Aussehen der Fassade wie 
das Innere verändert wurde. Sonnin, dem Lichtwark einen AbfaU 
von der guten Tradition vorwirft (vergl. Breitfenster und Hecke, 
1906, S. 10), kann sich danach auf frühere Beispiele berufen. 

Daß die Architekten, die im 18. und 19. Jahrhundert mit 
ihrem persönlichen Geschmack in das Stadtbild eingreifen, ausführ- 
liche Erwähnung finden, steht ganz mit ihrer Tüchtigkeit und der 
Wichtigkeit ihrer Stilmerkmale im Einklang. Der Klassizismus 
(Kapitel V) scheint sich in Hamburg wesentlich unter Kopenhagener 
Einfluß abgewandelt zu haben, da die führenden Architekten Arens, 
'^ nsen, Bundsen dort ihre Ausbildung genossen hatten. 



Rezensionen. 145 

In den kürzeren oder längeren historischen Notizen, die einigen 
Banbeschreibnngen beigegeben sind, steckt ebenfalls viel sorgfältige 
nnd nützliche Arbeit. Wenn anch Lücken zu füllen sind, anderer- 
seits die Abschweifongen manchmal zu weit führen, so bietet doch 
diese Vereinigung von Bau- und Ortsgeschichte erheblich mehr als 
nnr einen Beitrag zur Festigung des HeimatsgefÜMs, 

Zum Schimmelmanfischen Palais (8. 160 ff.) mögen hier nacli 
Winzer, Die Wegelysche Porzellanfabrik in Berlin (Schriften des 
Vereins für die Geschichte Berlins, 1898, XXXV), einige beachtelis- 
werte Ergänzungen angefügt werden, die geeignet sind, den Besitzer 
dieses vornehmen Hauses in ein anderes Licht zu rücken. Ob das 
dem Verfasser unverständliche Wort berüchtigt darauf zu beziehen 
ist, soll dahingestellt bleiben, jedenfalls ist es kaum zu milde für 
diese Persönlichkeit. Schimmelmann hat es in genial-raffinierter 
Weise verstanden, durch ein zweideutiges Spiel Vertrauen und 
Wertschätzung zu gewinnen, um daraus lediglich für sich Vorteile 
herauszuschlagen. Auf diesem System beruhte sein ungeheurer 
Reichtum, den er erst als sächsischer Akzisenrat, dann — während 
des Siebenjährigen Krieges — als Pächter der Meißener Porzellan- 
fabrik ansanmielte. Die Vertrauensstellung bei Friedrich dem Großen 
wußte er so zu befestigen, daß der König große Zukunftspläne, wie 
die Begründung einer Berliner Porzellanmanufaktur, einzig im Hin- 
blick auf den reichen Kaufmann ausgestaltete und dadurch eine 
schon bestehende Fabrik, die Wegelysche, ins Unglück stürzte. 
Der Verkauf von Meißener Porzellan führte Schimmelmann etwa 
1757/58 nach Hamburg, wo er alsbald das Palais erbauen ließ. 
Als Berichtigung einer Angabe des Verfassers sei nach Winzer 
bemerkt, daß der Kauf von Ahrensburg schon 1759 stattfand, 
dieser aber ein dänisches Untertanenverhältnis ohne weiteres mit 
sich brachte. Damit wurde zugleich das sichere Doppelspiel ein- 
geleitet, das, mit heuchlerischem Schein geführt, als offener Treu- 
bruch gegen Friedrich den Großen endigte. Die charakteristischen 
Einzelheiten und die Tatsache, daß Schimmelmann auch in dänischer 
Stellung seiner bewährten Methode treu blieb und dem Staate 
großen Schaden brachte, sind in der bei Winzer genannten Literatur 
nachzulesen. 

Die Fachwerkbauten (Kapitel VI) hat der Verfasser nur zum 
kleineren Teil chronologisch geordnet, um den Entwicklungsgang 
von der offenen, gediegenen Konstruktionsart der Renaissanceperiode 
bis zur verhtQlenden, unsoliden Bauweise des 18. und 19. Jahr- 
hunderts zu skizzieren. Dafür wurde ein Zusammenschluß der 
wertvollsten, durch Holzschnitzereien ausgezeichneten Häuser mög- 
lich, die sich mit den Besten in Hannover, Westfalen und Braun- 
schweig messen können oder konnten. 

Über den Holzbau hat Lachner in seiner Gesdüchte der 
Holzbaukunst in Deutschland (Leipzig 1885) grundlegende, wex 
Ztschr. d Vereins f. Hamb. Gesch. XIU, '^^ 



146 Rezensionen. 

auch zum Teil anfechtbare Stadien gemacht. Danach ist das auf 
Seite 213 beg^ründete Vorkragen der Geschosse weder aus wirt- 
schaftlichen Eticksichten, am größeren Eaam in der engen mittel- 
alterlichen Straße zu gewinnen, noch aus ästhetischen Ursachen 
entstanden, sondern im Zusammenhang mit einem konstruktiven 
Zwang, der das Herausragen der Balken aus Festigkeitsgründen 
fordert. Daß Entstehungsursachen oft schnell über die sie begleitenden 
Vorteile vergessen werden, lehren ja zahlreiche Parallelen aus 
anderen Gebieten. Die späte Erbauungszeit der Hamburger Fach- 
werkhäuser verbietet, nach dieser Richtung hin Studien zu machen. 
Aber auch die erhaltenen Häuser liefern in Konstruktionswechsel 
und Innengliederung so viel Vergleichsmaterial und Anhaltspunkte 
für die Entwicklung oder für irgend welche Beeinflussungen, daß 
hier genauere Untersuchungen manches Unbekannte zutage fördern 
würden. Gerade das Innere der Gebäude, von dem wir — außer 
dem Kaufmannshaus mit Grundriß und anschaulicher Beschreibung 
(Kapitel Vn) — nur auf Seite 325 ff. einiges kennen lernen, gibt 
ergänzende Aufschlüsse, die für die Entwicklungsgeschichte aus- 
genutzt werden können. So fanden sich z. B. im Abbruchsviertel 
zwischen Schweine- und Pferdemarkt auffallend merkwürdige 
Wohnungseinteilungen, unter anderem ein nach der Hofseite zu 
gelegenes Halbetagenzimmer, das an Hollands üpkamer erinnert. 
Da häufig von holländischen Baumeistern und Einwanderungen die 
Rede ist, verdienen auch die Facliwerkbauten daraufhin angesehen 
zu werden, zumal wenn schöne Vertäfelungen von einstigem "Wohl- 
stand zeugen. 

Seltener als in anderen Gegenden sind die schräggestellten 
Zierbretter zwischen den Kopfbändem; in späterer Zeit scheinen 
sie zuweilen, wie ein Beispiel in der Steinstraße lehrt, die ge- 
schwungene Kehlform ihrer Kopfbänder angenommen zu haben. 

Endlich sei noch zu der lehrreichen und eingehenden Über- 
sicht der vorhandenen Donnerbesen und Windmühlen bemerkt, daß 
an den Windmühlen — wie schon Seite 223 angedeutet — das 
Wesentliche des Symbols die Schrägstellung der Flügel zu sein 
scheint. Noch heute gilt es z. B. in Mecklenburg als glückbringend, 
wenn man Windmühlenflügel zuerst in dieser Stellimg erblickt. 
Jedenfalls wird die etwas gesuchte Erklärung, daß die Mühle Brot 
ins Haus bringen soll, hinfällig sein. 

Gewiß läßt sich noch mancher Beitrag liefern. Das ist ganz 

im Sinne des Buches, das reichste Anregung gibt. Der Verfasser 

aber hat seine Absicht vollkommen erreicht: Die Althamburger 

Bauweise ersteht aufs neue vor unseren Augen, die einzelnen 

Teile werden auch dem Femerstehenden in ihrem praktischen 

Werte klar und sclüießen sich zu einem wirkungsvollen Kulturbild 

zusammen. -^ _ 

Th. Raspe. 



Bezensionen. 147 

Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Im Auftrage des 
Tages für Denkmalpflege bearbeitet von GEORG DEHIO. 
Band ü. Nordostdeutschland. Berlin. Verlegt bei Ernst 
Wasrauth A.-G. 1906. 

Hamburg besitzt bis jetzt kein zasammenhängendes Inventariom 
seiner Konstdenkmäler, weder derjenigen in der Stadt noch der auf 
dem hambnrgischen Landgebiet erhaltenen; das vorstehend genannte 
Buch fiQlt diese Lücke in vorzüglicher Weise aus. Wenn in nach- 
stehenden Zeilen auch namentlich das gewürdigt werden wird, was 
das Handbuch über die Kunstdenkmäler auf Hamburger Gebiet bringt, 
so darf dabei doch nicht imerwähnt bleiben, was sich sonst noch 
alles in diesem umfangreichen und dabei auf kleinem Baum zusammen- 
gedrängten, mit erstaunlichem Fleiß aufgebauten Werk findet. Die 
Ausdrucksweise ist kurz und treffend, die gut überlegten Abkürzungen 
sind leicht verständlich und der Text trotz seiner Knappheit aus- 
reichend klar. Außer den städtischen Kunstdenkmälem Nord- 
deutschlands östlich der Elbe finden wir in dem Buche jedes architek- 
tonisch beachtenswerte alte Dorfkirchlein, wie auch die darin etwa- 
noch erhaltenen Schnitzereien, Skulpturen usw. erwähnt. Dadurch 
erhält das Buch auch für den abseits der großen Heerstraße 
wandernden Kunstfreund besondere Bedeutung, denn es setzt ihn 
in den Stand, manche Perle alten Kunstschaffens zu bewundem, in 
deren Nähe er sonst wahrscheinlich vorübergehen würde, ohne ihr 
Vorhandensein zu almen. Gerade hierin liegt meines Erachtens ein 
ganz besonderer Wert dieser Zusammenstellung und ich kann den 
Freunden alter Kunst nur dringend raten, bei Ausflügen in unsere 
Umgegend das Handbuch einzuselien; sie werden es nicht bereuen. 

Was mm unser Altliamburg, sowohl Stadt als Landgebiet, 
anlangt, so hat dies, wie aus der Vorrede des Buches ersichtlich, 
Herr Dam^iann bearbeitet, und über Stil der Bauwerke, Bauzeit, 
Künstler usw. wertvolle Angaben gemacht. Jeder Kenner der 
hamburgischen Kimstdenkmäler wird sich an der mit Eifer und 
Verständnis zusammengetragenen Übersicht freuen, wennschon es 
ihn andererseits gewiß mit Wehmut erfüllt, feststellen zu müssen, daß 
von den dort aufgeführten Architekturdenkmälem seit dem Erscheinen 
des Handbuches bereits vieles gefallen, verändert oder »renoviert« 
ist. Aber man erliält doch den Eindruck, daß in und um Hamburg 
noch manche Sehenswürdigkeit erhalten geblieben ist. 

Voran stehen unsere alten Hauptkirchen mit ihren hervor- 
ragenden Kunstdenkmälem ; ihnen folgt die bürgerliche Architektur, 
wobei die wenigen noch erhaltenen Fachwerkbauten nicht vergessen 
wurden. Auch die alten Brücken in Hamburg, Ellemthorsbrücke 
und Zollenbrücke, vne unsere nicht zahlreichen Denkmäler aus älterer 
Zeit sind aufgeführt. Weiter finden wir alle nennenswerten Kürchen 
des hamburgischen Landgebiets mit ihren Kunstschätzen; iii ^<b\ 



148 Bezensiouen. 

Altengammer Kirche sind die originellen geschmiedeten Hathalter 
namhaft gemacht, wie in Allermöhe der Schnitzaltar; in Bergedorf 
finden wir neben Kürche and Scliloß das alte Gasthaus Stadt Hamburg 
erwähnt; auch sonstige ansehnliche Fachwerkbauten auf dem Land- 
gebiet sind gewissenhaft vermerkt, wie z. B. das Haus Billwärder 
an der Bille Nr. 122 und das alte Bullenhuser Schleusenhaus. 
Auf Waltershof ist das Domänenliaus, in Wohldorf das Herrenhaus, 
im Amte Bitzebüttel sind Kirchen und Schloß erwälmt, und auch 
der Turm auf Neuwerk felilt als Baudenkmal nicht. Überall finden 
wir baugeschichtliche und chronistische Notizen dabei. 

Nebenher sei es im Interesse der guten Sache gestattet, auf 
einige kleine Unstimmigkeiten hinzuweisen, die bei einer Neuauflage 
zu beseitigen wären. Das Stadthaus ist von J. H. Kuhn um 1710, 
nicht 1717 erbaut, wie auch im Hamburger Ktinsüerlexikon irrtümlich 
zu lesen ist; 1717 war der Bauherr des Stadthauses Baron Görz 
bereits nicht mehr in Hamburg. — Das Seefahrerarmenliaus 
(Trosthaus) ist- 1774 erbaut, nicht 1556! — Für die St. Georger 
Kirche ist heute allein der Name Dreieinigkeitskirche, nicht Drd- 
faltigkeitskirche (S. 171 und 174) gebräuchlich. — Seite 172 ist 
statt Simmi Wagener zu setzen Simoii Waghevens und Seite 176 
statt Vogtei richtiger Schleusenvogtei, — Die Häuserreihe Eeimers- 
twiete Nr. 23 — 30 (statt 28) ist nach einer Inschrift an einem der 
Häuser bereits im Jahre 1541, nicht erst um 1600 erbaut worden.*) 

Es sind dies jedoch kleine Ausstellungen, die dem hohen Wert 
des Werkes keinen Abbruch tun sollen. 

Sehen wir uns nun auch die nähere Umgebung außerhalb des 
Hamburger G^ebietes an, so sind die Angaben da nicht weniger 



Auch einige Druckfehler würden bei einer zweiten Auflage zu ver- 
bessern sein: S. 171 Melhop statt Mellrop, Dreifaltigkeitskirche in 
Hamm statt Hamburg, Spitalertor statt Spitalerstor, S. 175 Löwen- 
köpf statt Löwinkopf y S. 177 Deichstraße statt Reichstraße, Kajen 
statt Kojen, Schopenstehl statt Schoppenstehl, Zollenbrücke statt 
Zollembrücke, Bacchus statt Bachus, Busch statt Busch. — Femer 
macht Herr Dr. Joachim darauf aufmerksam, daß es Curslack statt 
Kurslack, Kirchwärder statt Kirchenwärder heißen muß, daß Ritze^ 
bilttel zu streichen ist, da es einen Ort dieses Namens nicht gibt, 
daß demgemäß die Martinskirche, deren schöne Kestaurierung durch 
den Architekten F. LORENZEN jetzt ebenso hervorzuheben sein würde, 
wie es bei der St. Paulikirche geschehen ist, und das Schloß neben dem 
Leuchtturm unter Cuxhaven einzureihen sind, daß endlich die Grodener 
Kirche 1700 nicht emgreifend restauriert ist, ihr Turm vielmehr erst 
aus dem Jahre 1784 stammt und das Kirchengebäude selbst 1868 eine 
gründliche Erneuerung erfahren hat, bei der u. a. der ganze Chor be- 
seitigt wurde (vergl. GrandaüER-Obst, Gedenkbuch des hbg. Amtes 
Ritzebüttel S. 163 f.). Anm. der Redaktion. 



Rezensionen. 149 

reichhaltig und interessant. Bei Ahrensburg ist Schloß und Kirche 
erwähnt; unsere Nachbarstadt Lübeck ist besonders eingehend be- 
handelt, wir finden aber auch Lauenburg an der Elbe, Mölln, 
Beinbek mit seinem Schloß, Kellingen mit seiner interessanten 
Kirche, und das historisch interessante Segeberg verzeichnet; auch 
wird öfters auf noch erhaltene alte sächsische Bauernhäuser auf- 
merksam gemacht. 

Kurz man wird gewahr, an wie vielen Orten noch Bau- 
denkmäler erhalten sind, wo der Laie sie gar nicht vermutet. 

Als kleine Vervollständigungen wären erwünscht u. a.: die 
Kirche in Niendorf bei Lokstedt, ein Eundbau in Sonninscher Art, 
femer die Kirche in Sülfeld mit ihrem Treppengiebelturm sowie 
das nahe dabei gelegene Schloß Borstel. 

Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß dem Buch eine 
Zusammenstellung aller im Text erwähnten Orte sowie ein alpha- 
betisches Künstlerverzeichnis angefügt ist, so daß es als bequemes 
und übersichtliches Nachschlagewerk nach keiner Eichtung zu 
wünschen übrig läßt. 

Wennschon das Buch sich nur zum Teil auf Hamburg be- 
zieht, so muß es doch als wertvolle Ergänzung der Hamburgensien- 
literatur bezeichnet werden; es sollte nicht allein bei Arcliitekten 
und Künstlern, sondern bei allen denen, die für unsere heimatlichen 
Baureste Interesse haben, Beachtung finden; ihnen allen wird es 
sich als höchst nützlicher Wegweiser erzeigen. 

Melhop. 



Richard Uetzmann, Die geographische Lage Hamburgs. 
Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde bei der 
philos. Fakultät der Universität zu Gießen. Hamburg 1906. 

8". 55 S. 

Die vorliegende Arbeit besteht aus drei Hauptteilen, von 
denen der erste die allgemeine Verkehrslage, der zweite die Orts- 
lage und der dritte Hafen und Fahrrinne der Elbe behandelt. 
Wenn der Verfasser zu Anfang seiner Untersuchung sagt, er wolle 
wesentlich die geographischen Verhältnisse darlegen, so trifft dies 
nur für den ersten Teil zu, in dem er zeigt, wie das Zusammen- 
treffen einer Keihe von günstigen geographischen Verhältnissen die 
jetzige Bedeutung Hamburgs ermöglicht hat. Von einer Bestimmung 
zur Welthandelsstadt ist in diesem ganzen ersten Teil, und zwar mit 
Recht, nicht die Eede. Um so auffallender ist es, daß der Ver- 
fasser am Anfang des zweiten Teiles (8. 19 ff.) versucht, diese** 
angeblich mehrfach gebrauchten Ausdruck zu rechtfertigen. W^ 
aber, wie er selbst zugibt (S. 21), ein volles Jahrtausend seit 
Oründung vergehen mußte, ehe Hamburg aus ixx Guivst ^ät d 



1 50 Bezensionen. 

meinen Lage den ihm gebührenden Nutzen zu ziehen vermochte, und 
wenn, wie im dritten Teil ansgeföhrt wird, zahlreiche knltorelle 
Eingriffe nötig waren, am den Zugang zum Meere offen zu halten, 
so spricht das doch nicht gerade dafür, daß die Entstehung einer 
großen Handelsstadt an der Stelle, wo Hamburg liegt, eine geo- 
graphische Notwendigkeit war. 

Der zweite Teil trägt mehr einen historischen Charakter. 
Der Verfasser will nachweisen (S. 19), wie infolge der (Ertlichen 
topographischen Verhältnisse gerade die Stelle, wo jetzt Hamburg liegt, 
und keine andere im weiteren Umkreise zur Trägerin einer Weltstadt 
geworden ist. Diesen Nachweis bleibt er jedoch schuldig und führt 
anstatt dessen aus, daß die erste Periode Hamburgs nichts von den 
Vorteilen seiner jetzigen Ortslage zeige (S. 28). Er spricht zwar 
wiederholt (8. 28, 29, 37 und 44) von der Gunst der Ortslage, 
doch hören wir erst im dritten Teil (S. 46), worin diese Gunst 
eigentlich besteht (Zusammentreffen von See- und Flußschiffahrt). 
Sonst beschäftigt sich der dritte Teil vorwiegend mit den technischen 
und politischen Erfolgen Hamburgs im Gebiet der Unterelbe, hinter 
denen die rein geographischen Faktoren wesentlich zurücktreten. So 
läßt schon der ganze Aufbau die für eine solche Arbeit erforder- 
liche Klarheit und Gründlichkeit vermissen, und diese oberflächliche 
und flüchtige Arbeitsweise verrät sich noch mehr in den Einzelheiten. 
So z. B. verschiebt der Verfasser S. 18 die Besprechung der Be- 
ziehungen Hamburgs zu Harburg und Altona auf einen späteren 
Abschnitt. Aber von Altona hören wir im folgenden gar nichts 
(außer, daß es 1338 zuerst genannt sein soll [S. 37], statt 1538), 
und Harburg wird nur zweimal (S. 25 und S. 50) ganz kurz ge- 
streift. An andern Stellen wieder geht der Verfasser zu sehr in 
die Breite und bringt Dinge vor, die mit der geographischen Lage 
Hamburgs kaum etwas zu tun haben. 

Im ersten Teil, der verhältnismäßig noch am besten gelungen 
ist, folgt der Verfasser im wesentlichen Deckert, Haage, Krümmel, 
Partsch, Beinhard, Peuk, Wiedenfeld und Buchheister. Die 
vorkommenden Abweichungen, besonders bei Zahlenangaben, sind 
jedenfalls unbeabsichtigt und lassen sich durch Flüchtigkeit erklären. 
Allerdings ist es nicht gleichgültig, ob z. B. die kleinste Tiefe der 
Elbe unterhalb Magdeburgs 160 cm (S. 16) beträgt oder 116 cm, 
wie Büchheister angibt. 

Im zweiten Teil macht der Verfasser zunächst einige Angaben 
über den Untergrund Hamburgs (nach Gottsche) und gibt dann 
ein ziemlich ausführliches Exzerpt aus Hindrichson (Zur geogr. 
Lage des älteren Hamburg), wo es genügt haben würde, die Eesul- 
tate der HiNDRiCHSONschen Untersuchungen anzugeben. Darauf 
folgt eine ziemlich wertlose Darstellung von der Entwickelung des 
hamburgischen Handels, untermischt mit nicht immer zuverlässigen 
x)ri8ch-topographischen Exkursen über die allmähliche Ausdehnung 



Rezensionen. 151 

der Stadtgrenzen, und schließlich eine Untersachimg über die Ab- 
hängigkeit der Topographie Hamburgs von lokalen geographischen 
VertiältnisBen (im wesentlichen nach Eeinhard, Die deutschen 
Seehandelsstädte). Dieser zweite Teil ist als gänzlich mißlangen 
za bezeichnen, was wohl zom Teil daran liegt, daß der Verfasser 
sich auf ein Gebiet gewagt hat, wo er nicht za Haase ist. Er hat 
zom Teil die Angaben seiner Quellen kritiklos übernommen, darunter 
solche sehr zweifelhafter Art. Gelegentlich stellt er auch bloße 
Vermutungen seiner Gewährsmänner ohne Begründung als Facta hin. 
Dieser ganze historische Teil strotzt überhaupt von Fehlem, die 
von sehr geringem historischen Verständnis zeugen. Aber aucli die 
neueren Verhältnisse sind dem Verfasser vielfach unbekannt, und 
er scheint sich gar nicht die Mühe gegeben zu haben, sich genügend 
za informieren. Denn manches hätte er in den von ihm zitierten 
Werken von Gaedechens und Melhop finden können. Wie flüchtig 
er gearbeitet hat, dafür mag ein Beispiel genügen. Bei Auf- 
zählung der vier großen Hamburger Manufakturen (S. 35) passiert 
es ihm, daß er aus der Gold- und Silbermanufaktur zwei, nämlich 
eine Goldmanufaktur und eine Silbermanufaktur, macht und aus den 
beiden völlig heterogenen Industrien der Sammetfabrikation und 
der Kattundruckerei eine vollständig neue, die Herstellung von 
Samtkattun, 

Im dritten Teil lehnt sich der Verfasser ziemlich eng an 
BucJHHEisTER an und benutzt daneben besonders Wiedenfeld und 
Nehls-Bubendey. Er bringt auch hier nichts Neues. Trotzdem 
finden sich auch hier recht wunderliche Fehler, so daß er in der 
Eile mitunter seine Quellen gar nicht verstanden zu haben scheint. 
Charakteristisch für seine ganze Arbeitsweise ist es, daß er (S. 49) 
aof Eibkarten des 15. Jahrhunderts Beobachtungen gemacht haben 
will, während unsere ältesten Eibkarten erst aus dem 16. Jahr- 
hundert stammen. 

Durchaus zu verurteilen ist die Art und Weise, wie der 
Verfasser seine Quellen zitiert. Hindrichson und Buchheister, 
die er am ausgiebigsten benutzt und stellenweise fast wörtlich 
ausschreibt, zitiert er zwar einige Male, aber doch nicht überall 
und auch nicht so, daß man erkennen kann, was er von ihnen 
entlehnt hat. Auch seine andern Quellen wie Haage, Beinhard, 
Wiedenfeld, Partsch, Bubendey, Gottsche hat er ausgiebiger 
benutzt, als er angibt, und wo er sie zitiert, geschieht es meist 
ohne Angabe der Seitenzahl. Für den historischen Teil fehlen 
Quellenangaben fast ganz, denn die Fußnote auf S. 29 kann nicht 
als Quellennachweis gelten und soll es wohl auch gar nicht sein. 
Dagegen hat er Aufsätze von Otto Beneke (Ein Blick auf 
Hamburgs Vei^angenheit) und von Gaedechens (Entstehung und 
Wachstum der Stadt) in Hamburg, hisior.-topographische und bau- 
geschichtliche Mitteilungen (Hbg. 1869) mehrfach benutzt, ohne dies 



152 Rezensionen. 

anzugeben, und von Koppmann (Zeitsclir. d. Ver. f. Hamb. 
Gesch. VI, S. 426) hat er sogar einige Zeilen wörtlich entnommen 
(S. 31), ohne ein Wort darüber zu erwähnen. Ebenso hat er für die 
Weltlage Europas (S. 3 — 5) E. Deckert, Über die geogr. Grund- 
voraussetzungen der Hauptbahnen des Weltverkehrs (Leipz. 1883), 
benutzt, während er auf Partsch, Kirchhoff und Philippson 
verweist. 

So hinterläßt die Arbeit in jeder Beziehung einen ungünstigen 
Eindruck; sie bedeutet nicht nur keine Bereicherung der Wissen- 
schaft, sondern verdient auch kaum, als eine wissenschaftliche Arbeit 
angesehen zu werden. 

Kurt Ferber. 



1. Georg Hindrichson, Das Einkunftsregister des Hauses 
Kitzebüttel aus dem Jahre 1577 (Wissensch. Beilage zum 
Bericht d. Höheren Staatsschule in Cuxhaven, 1905), 
15 S. 4^ 

2. Henrich Stanges Einkunftsregister des Hauses Ritzeb. 
aus d. J. 1577, herausg. von Prof. GEORG HINDRICHSON 
(Wissensch. Beilage zum Bericht derselben Schule, 1907), 
50 S. 8^ 

Hindrichson verdanken wir mit das Beste, was bisher über 
die Entstehung und älteste Entwickelung Hamburgs vorgetragen ist 
(Progr. d. Neuen Höheren Bürgerschule zu Hbg., 1889). Später 
hat er sich der Geschichte des Amtes Bitzebüttel zugewandt 
und eine reizvolle Schilderung der Tätigkeit des Amtmanns und 
Dichters Barthold Heinrich Brockes (1735 — 1741) entworfen (Bei- 
lagen zu den Berichten d. Höh. Staatsschule in Cuxhaven 1897, 
1898, 1899). Mit seinen neuesten Arbeiten erwirbt er sich das 
Verdienst, eine für das Verständnis der inneren Verhältnisse des 
Amtes wichtige Quelle allgemein zugängig zu machen und ihre 
Benutzung durch einleitende Bemerkungen zu erleichtem. Freilich 
wie schon seine Darstellung der Wirksamkeit von Brockes sich im 
engsten Anschluß an die Akten mehr auf eine Beschreibung der 
damaligen Zustände und Geschehnisse beschränkt, als daß sie darauf 
ausginge, deren Stellung innerhalb der Gesamtentwickelung zu 
charakterisieren und die ursächlichen Zusammenhänge aufzusuchen, 
so lassen auch die hier zu besprechenden Veröffentlichungen manclie 
Wünsche unerfüllt. 

Einmal kann man überhaupt zweifelhaft sein, ob der voll- 
ständige Abdruck des sog. Roten Buches die geeignetste Form war, 
weitere Kreise mit seinem Inhalte bekannt zu machen. M. E. wäre 



Rezensionen. 153 

eine sachliche Bearbeitung dieses Inhalts nnter Heranziehung anderer 
gleichzeitiger Quellen und des späteren Inventars von 1621 vorzu- 
ziehen gewesen. Zudem gibt es, was H. nicht wissen konnte, 
in einer Abschrift aus dem Jahre 1727 ein zweites, dem Staats- 
archive kürzlich überwiesenes amtliches Exemplar des Boten Buches, 
das sich durch viel reichere Zusätze und Nachträge aus den folgenden 
Jahrhunderten auszeichnet. 

Empfindlicher benihrt, daß der Herausg. sich, wie es scheint, 
über die Natur der Aufzeichnung, die er ein Einkunftsregister 
nennt, nicht klar geworden ist. Viel deutlicher wäre gewesen, 
wenn er sie mit dem üblichen Terminus ein Urbar genannt 
hätte. Denn darum handelt es sich: um ein Verzeichnis der Ein- 
ktinfte und Hechte der Grundherrschaft Eitzebüttel, in dem natür- 
lich hier und da auch Abgaben und Pflichten öffentlich-rechtlichen 
Charakters gebucht werden. Deshalb werden Groden und die Heide- 
dörfer, die nicht zu jener Grundherrschaft gehörten, nur gestreift. 
Die Erkenntnis dieses Sachverhalts hätte den Herausg. in Fühlung 
bringen müssen mit der gerade jetzt blühenden allgemeinen Urbar- 
forschung; ich verweise dafür nur auf den orientierenden Aufsatz 
von G. Caro in der Histor. Vierteljahrschr. IX (1906), S. 153 ff. 
Dadurch würde er Vorbilder und Bichtlinien erhalten haben für die 
Edition, sowie für die Forderungen, die an die Bearbeitung und 
Einleitung zu stellen sind. Ansporn und Befriedigung zugleich 
könnte ihm gewähi-t haben, so die lokale Einzelleistung als Glied 
in ein größeres Ganzes eingereiht zu sehen, dem er Belehrung ver- 
dankte, aber womöglich auch zurückzugeben sich bestrebte. 

Die Ausgabe selbst (Nr. 2) steht auf dem veralteten Stand- 
punkt der genauen Eeproduktion und Nachahmung des Originals 
von der Anordnung des Druckes und der Überschriften an bis zu 
jeder Zufälligkeit der verwilderten Schreibweise und Interpunktion 
des 16. Jahrhunderts. Dem Leser wird mehr genützt mit der heute 
gebräuchlichen Gestaltung des Textes, die zu vereinfachen und zu 
vereinheitlichen sucht, die sich, wo es olme Schaden geschehen kann, 
in Äußerlichkeiten den jetzigen Gewohnheiten angleicht. Schon 
dordi die Edition soll eben ein Teil der Interpretation geleistet 
und dem Benutzer abgenommen werden. In dem vorliegenden Falle 
ist es, wie eine Vergleichung zeigt, dem Herausg. nicht einmal 
gelungen, das selbstgesteckte Ziel zu erreichen. Es finden sich 
zahlreiche ortliographische und sonstige Abweichungen von dem 
Original, bei denen im einzelnen nicht immer zu entscheiden ist, 
inwieweit sie auf Lese- oder Druckfehlem beruhen; von letzteren 
«ind jedenfalls mehr stehen geblieben, als das Verzeichnis am 
Schlüsse angibt. Ich ftihre hier nur an, was von einigem Belange 
ist, und lasse rein orthographische Nebensächlichkeiten außer Be- 
tracht. Es muß heißen: S. 3 und fol. 2^ upkumpste statt upkumpfte; 
fol. 1* Dose statt Dese; fol, 1** tvisdctoere sVäXX W\scW)W^'^ 



154 Rezensionen. 

fol. 2*^ Johan statt Johs; fol. 3* veerdehalven morgen statt veerde- 
halve; fol. 3** Hinricus Capsius statt Hinrici Capsii; fol. 5* und ^ 
Meinke statt Manike oder Mamke; fol. 6^ Henrich statt Henrich 
fol. 9* füisdnoere statt Wischwere; fol. 10* drvdde statt eirwtte 
fol. 11*» TFmcÄ statt TFmcÄ; fol. 17» Schirholt statt Schirhoff; 
fol. 25* flTMdem statt ^rtwfere; fol. 29* Bartold statt Bertold 
fol. 31* ^^ Ä. sae< WTKf ^ /erei. statt ^ö Ä. Saetland 2 ferd. 
fol. 32* i rocÄÄo« statt i JSocÄ-; fol. 32^ DorleU statt Cor^ 
fol. 34* averst statt aver; fol. 38** söhne statt 5oÄn, Bramhagen 
statt Bramhagen; fol. 40* tn»K^ statt finden; fol. 42^ hoffstede 
statt Hoff sie; fol. 44^ jBrM€5 statt Brwns; fol. 56* m^nwtflrem statt 
menningem; fol. 58 ** Sickstede statt Sirkstede; fol. 61* fieZt<?orf statt 
Heltoert; fol. 61** Koldenmeiger statt Koldenmeigen ; fol. 62** van 
statt vow; fol. 64* toispelen statt Wispeln; fol. 67* m?^ statt t<Ä; 
fol. 68* e^n statt de»; fol. 73* vordragen statt verdragen; fol. 84** zwei- 
mal Meimersen statt Meinersen; fol. 85* zweimal Koldemeyer statt 
Koldenmeyer; fol. 86** zweimal Hinrick statt Henrick; fol. 92* 
schepende statt schopende; fol. 94* a^sc^n« dejennen de statt ofe- 
(^w^ (fe^ gepubliceret statt geplublicerei ; fol. 96* Brader statt Broders; 
fol. 101* vam Orimmers stucke statt van, tnfÄ norde» statt Jn(Ä 
O^fen Norden; fol. 103* dem fte^e statt de« J5eZ:e; fol. 105* ^e- 
ordenten statt geordneten, upt statt «p. Eine nicht vorhandene 
Lücke wird 8. 21 Z. 4 bezeichnet, während eine vorhandene S. 24 
Ende nicht angemerkt ist. Zweimal waren Schreibfehler des 
Originals zu verbessern: fol. 20* darvan he (statt se) ^j^f und 
fol. 77* gri^f jahrlichs 1 ^ (statt 5 ^). Zwecklos ist der Abdruck 
des dem Original vorangeschickten Registers (S. 3 — 6), das Jdie 
Personennamen nach Vornamen alphabetisch ordnet, was nicht, wie 
H. meint, etwas Auffallendes, sondern noch für spätere Zeiten sehr 
gewöhnlich ist. Statt dessen hätte man von dem Herausg. neben 
dem Ortsregister ein ausreichendes Personen- und Sachregister er- 
warten dürfen. 

Die zuerst und für sich veröffentlichten einleitenden Be- 
merkungen zu der Ausgabe (Nr. 1) leiden natürlich darunter, daß 
der Zweck, dem die ganze Aufzeichnung dient, nicht klar erkannt 
ist. Es würde sonst die Hauptaufgabe gewesen sein, die Geschichte 
und Organisation der Grundherrschaft zu behandeln, auf die sich 
das Urbar bezieht. Auch daß von der Beigabe einer Karte und 
einer genaueren topographischen Erläuterung Abstand genommen ist, 
wird nichthamburgischen Benutzem sehr störend sein. Nach einigen 
orientierenden Notizen über die Zusammensetzung des Amts und 
seine Geschichte bis zur Erwerbung durch Hamburg macht der 
Verf. in drei Abschnitten Mitteilungen über die Entstehung und 
Einrichtung des Registers, sowie über seinen Verfasser; alsdann 
das Amt, seine Grenzen, Ortschaften und Deiche; sclüießlicli 
ie Einkünfte des Hauses Ritzebüttel. 



Bezensionen. 155 

So gern und ausdrücklich ich nun hervorhebe, daß seine Aus- 
führungen manche nützliche und fördernde Einzelheiten enthalten, 
so kann ich sie als Ganzes doch nicht als gelungen ansehen. Was 
dem Verf. mangelt, ist vor allem die richtige und scharfe Erfassung 
der rechtlichen Bedeutung der Vorgänge und der rechtlichen Struktur 
der agrarischen Zustände, die doch überall die Bedingung für das 
Verständnis seiner Quelle ist, wie das deren Eigenart eben mit sich 
bringt. Dieser Mangel aber ist dadurch mit hervorgerufen, daß 
der Verf. seinen Blick über das kleine Amt Bitzebüttel kaum 
hinausrichtet, daß er die analogen Verhältnisse, wie sie zum 
wenigsten in ganz Niedersachsen bestanden, nicht zu kennen scheint, 
und daß er die reiche agrargeschichtliche Literatur der neueren 
Zeit sich nirgends zunutze macht. Und doch hat es der Forscher 
heute so leicht, mit Htilfe der Ergebnisse allgemeinerer Arbeiten 
auch auf seinem Spezialgebiete zu besseren Einsichten zu gelangen. 
Bei H. ist nicht einmal von dem Werke Werner Wittichs, Die 
Grundherrschaft in Nordwestdeutschland (1896), aus dem er in erster 
Linie hätte lernen können, ein Einfluß zu spüren. Gerade Lokal- 
geschichte kann wirklich fruchtbringend nur betrieben werden in 
steter Verbindung mit den umfassenderen Problemen, welche die 
Wissenschaft beschäftigen. So hat der Verf. für die G^esamtan- 
schauung der Dinge, die er bespricht, nicht den sicheren Grund 
gelegt, um zu einer selbständigen Beurteilung, zu einer Entscheidung 
in Fragen, um die man sich im 16. Jahrhundert stritt, vorzudringen: 
er läßt es vielfach bei einem bloßen Keferat über die damaligen 
Meinungen aus den von ihm benutzten Archivalien bewenden. 

Das Gesagte bedarf der Begründung und der Belege im 
einzelnen. Die richtige Auffassung von der Verfassung und 
Rechtslage, wie sie sich im 14. Jahrhundert in den Kirchspielen 
Altenwalde und Groden ausbildeten, ist für das Verständnis der 
Folgezeit bestimmend. H. entgeht, worauf sich die Verpfändungen 
der beiden Klirchspiele aus den Jahren 1324, 1372 (diese wichtigste 
berücksichtigt er überhaupt nicht) und 1394 beziehen, und worin 
sie sich von dem Verkauf der Grundherrschaft Bitzebüttel im Jahre 
1394 unterscheiden (S. 3). Er läßt die Gerichtsbarkeit über das 
Dorf Altenwalde anfangs hamburgisch sein, im 16. Jahrhundert 
streitig werden und dann erst durch den Buxtehuder Rezeß von 
1586 dem Erzstift zufallen (S. 3, 6 f.); dabei scheint er das hier 
erwähnte Notgericht mit dem ordentlichen Gericht überhaupt zu 
identifizieren (S. 6 f.). Den Wirrwarr der Zwistigkeiten des 
16. Jahrhunderts vermag er nicht aufzulösen, weil er die Tatsache 
and ihre Bedeutung nicht würdigt, daß die fünf Heidedörfer grund- 
herrlich dem Kloster Neuenwalde, gerichtsherrlich seit der Ver- 
pfiLndung von 1372 Hamburg gehörten (S 6, 9 f.). Infolgedessen 
kann er zu keinem Urteil darüber gelangen, wer mit seiivex^ ^^s\r 
Sprüchen, u. a. auch auf den unbebauten Boden Tmd daü& k]o&^\A^\Oosi»- 



156 Rezensionen. 

land dieser Dörfer, Recht gehabt hat, Hamburg oder das Kloster. 
Für die meisten der berührten Fragen vgl. jetzt Mitteil. d. Ver. f. 
Hbg. Gesch. IX (1906), S. 353 ff. 

Der dritte Abschnitt (S. 11 — 15) über die Einkünfte des 
Hauses Eitzebüttel, der das Wesentliche zur Erklärung des 
TJrbars beitragen müßte, konmit über eine äußerliche Aufzählung 
kaum liinaus und läßt den Leser trotz aller gewiß unterrichtenden 
Einzelangaben kein in sich zusammenhängendes Bild gewinnen. Der 
Begriff des Meierrechts wird nicht in den Mittelpunkt gerückt und 
auf seinen Inhalt für die Grundherrschaft Bitzebüttel untersucht; 
das Wesen der Winnung wird verkannt. Daß neben dem Meiergut 
sich in Stickenbüttel noch eine andere Form ursprünglich abhängigen 
Besitzrechts erhalten hat, das Zinsgut, kommt nicht zum Ausdruck. 
IJnd hinsichtlich der Natur des Zinsgutes, das erblich war, dessen 
Inhaber zum Gute geboren, adscripHcii gkbae waren und nur einen 
jährlichen Geldzins von 1^/a ^ leisteten, braucht man sich nicht 
mit der falschen Vermutung Heinrich Stanges aufzuhalten. Dieser 
Typus kommt auch anderswo vor und stammt aus dem ältesten 
unfreien Besitzrecht, dem Latenrecht: das Zinsgut ist die um- 
gebildete Form des alten Latguts; vgl. darüber am besten die 
Zusammenstellung des Materials und der Literatur bei Philipp 
Heck, Der Sachsenspiegel u. die Stände der Freien (1905), S. 278 f., 
282 ff., 291 ff., 294 Anm. Dieses Zinsgut scheint nach dem Roten 
Buche (fol. 38*, 40*) in Ritzebüttel schon damals als Eigengut 
gegolten zu haben, diesem ununterscheidbar gleichgesetzt zu sein. 
Damit ist denn ein Weg aufgedeckt, auf dem innerhalb der Grund- 
herrschaft Ritzebüttel bäuerliches Eigentum entstehen konnte, dessen 
Existenz man noch für das Jahr 1394 wird leugnen müssen. Einen 
anderen Weg, über dessen Betreten noch im 18. Jahrhundert immer 
wieder geklagt wird, bahnte die traditionsarme Verwaltung durch 
die zu liäufig wechselnden städtischen Ratsherrn selbst: es war das 
die Usurpation. Wir haben somit die interessante Erscheinung vor 
uns, daß die Grundherrschaft, die im übrigen Niedersachsen noch 
lange mit allen Mitteln zusammengehalten ward, hier bereits vor 
dem Jahre 1577 sich zu zersetzen, und daß schon damals abhängiges 
Besitzrecht sich in freies Eigentum umzuwandeln begann. 

Auch in den Erörterungen über die einzelnen Dörfer der 
Grundherrschaft Ritzebüttel und über die Deiche (S. 7 f., 10 f.) 
finden sich neben guten Beobachtungen unhaltbare Aufstellungen. 
Steinmarne soll noch um die Mitte des 16. Jahrhunderts nicht 
eingedeicht gewesen sein: der Deich habe südlich von der dortigen 
Kirche gelegen, so daß diese und das Dorf fast unmittelbar vor dem 
Deiche gelassen wurden. Beweis : die Kirche werde in dem Kämmerei- 
protokoll von 1564 als Kapelle im Außendeich bezeichnet. Nun 
«jchieht die Erwähnung dieser Kapelle innerhalb eines Inventars 
Tauses Ritzebüttel, das zum Zwecke der Übergabe des Schlosses 



Rezensionen. 157 

an den Vogt Baltzer Meinsen im Jalire 1564 aufgenommen ward, 
nnd zwar in einem Abschnitte des Inventars, der die Geräte nnd 
Bücher der Schloßkapelle namhaft macht: bei einigen dieser Greräte 
wird notiert, sie gehörten in die AniSendeichskapelle. Gemeint ist 
also eine Filiale der Schloßkapelle im Eltzebütteler Anßendeich, der 
damals etwa eine Meile breit war, aber nicht die Steinmamer 
Kirche. Es ist ja überdies eine unvollziehbare Vorstellung, daß 
überhaupt ein Dorf, geschweige denn der älteste und wichtigste 
Ort der Altenwalder Marsch jahrhundertelang im Außendeich ge- 
legen habe. 

Aus der vielfach gemeinsamen Nutzung der Odländereien 
seitens verschiedener Dorfschaften der Geest folgert der Verf. mit 
Recht, daß es feste Grenzen zwischen ihnen noch am Ausgang des 
16. Jahrhunderts nicht gegeben habe. Allein sein weiterer Schluß 
auf einen engeren Zusammenhang, der unter den fraglichen Ghemeinden 
in älterer Zeit bestanden habe, ist irrig. Die Dörfer waren eben 
noch wie in Urzeiten von weiten ödstrecken umgeben; diese und 
nicht bestimmte Grenzlinien schieden sie von einander, wie das auch 
anderwärts, z. B. auf der Geest der Herrschaft Rnneberg (vgl. 
S. 160), noch bis ins 18. und 19. Jahrhundert eine nicht seltene 
Erscheinung ist. 

Endlich die Deiche. Zutreffend identifiziert der Verf. den 
Grodener Alten Deich des TJrbars (fol. 72^) mit dem zum Teil noch 
erhaltenen Hadeler Seebandsdeich. Ebenso zutreffend sieht er in 
dem jetzigen Döser Strichweg die älteste Deichflucht der Alten- 
walder Marsch. Aber im übrigen ist ihm die Aufhellung der Deich- 
geschichte vor dem Jahre 1618 schon deshalb nicht gelungen, weil 
er die Angaben des TJrbars nicht richtig interpretiert. Aus diesem 
ergibt sich nämlich deutlich, daß außerhalb des Deiches, der auf 
der Grodener Seite als Alter Deich (fol. 72^), auf der Döser Seite 
jedoch als Neuer Deich (fol. 71**, 72*) bezeichnet wird, so beträcht- 
Udies Vorland vorhanden war, daß an die Existenz einer der Neu- 
eindeichung von 1618 im wesentlichen gleichkommenden Deichlinie 
für das Jahr 1577 nicht gedacht werden kann. Andererseits ist 
im G^ensatze zu dem Grodener der Döser Alte Deich des TJrbars 
(fol. 21*, 25**) teilweise Privaten überlassen, dient also nicht mehr 
als Deich; an seine Stelle ist vielmehr der Döser Neue Deich 
getreten, der nördlich vom Döser Strichweg, der Flucht des Alten 
Deidis, gelegen hat und im Jahre 1530 hergestellt worden ist (vgl. 
oben S. 5). Dagegen wird von einem Grodener Neuen Deich, der, 
wie gesagt, den Alten Deich hier nicht ersetzt haben und mit dem 
Deiche von 1618 nicht fast identisch gewesen sein kann, nur er- 
wähnt, daß er sich über einen Morgen weit am Altenbrucher Tief 
entlang erstrecke (fol. 92*). Dieser Neue Deich, der an der einen 
Sldle, wo er vorkommt, in der Tat mit der Deichlinie von 161^ 
flMammenfällt, muß demnach ein Deichstummel gevi^^Ti ^^\x\.. ^ti\ 



158 Bezensionen. 

wirklich ist er der Best einer den Koog von 1618 an Umfang 
noch übertreffenden Neneindeichnng, die in den Jahren 1569 und 
1570 vorgenommen, aber am 31. Oktober 1570 durch eine Stnrm- 
flnt vollständig wieder zerstört ward (vgl. auch Grandauer -Obst, 
Gedenkbuch des hbg. Amtes R., S. 33, 197). Die Karte Melchior 
Lorichs, die diesen Deich als vorhanden darstellt, stammt in ihrem 
Entwurf nachweisbar eben aus der Zeit seiner Erbauung, enthält 
dann aber sicher noch einen Nachtrag frühestens aus dem Jahre 
1587 und mag im Jahre 1594 herausgegeben sein; die Deichlinie 
des Neuen Deichs von 1570, welche sie zeigt, existierte damals 
ebensowenig mehr wie nach Ausweis des Boten Buches im Jahre 
1577. Der Versuch einer Eindeichung des weiten Vorlandes, 
soweit es seitdem nicht wieder abgebrochen war, ward nach 1570 
zum ersten Male im Jahre 1618 mit etwas besserem Erfolg 
wiederholt. 

Man scheidet von der Einleitung H.'s mit dem Eindruck, 
daß er die Arbeit, welche zum Eindringen in den Inhalt des TJrbars 
erforderlich ist, unterschätzt hat. Ungeschmälert bleibt ihm das 
Verdienst, diese wichtige Quelle durch seine Ausgabe der Allgemein- 
heit ersclilossen zu haben. Möge der beste Dank dafür, eine viel- 
seitige Benutzung und Verwertung, nicht ausbleiben. 

Hermann Joachim. 



Paul v. Hedemann -Heespen, Der Zustand der Herrschaft 
Pinneberg nach der Reunion bis um 1700 (Ztsclir. d. 
Gesellsch. f. Schleswig -Holsteinische Gesch. 37, 1907), 
S. 1—140. 

Der Verf. handelt nach einander von der Bevölkerung, der 
Wirtschaft und dem Volksleben (S. 9 ff.), von Deichen und Vorland 
(S. 32 ff.), von Domanium und Regale (S. 39 ff.), von Abgaben (S. 42 ff.), 
von Kirchen (S. 70 ff.), von Altena (S. 80 ff.), von- dem Verhältnis der 
Herrschaft Pinneberg zu Hamburg (S. 82 ff.), von Beamten, Behörden 
und Justiz (S. 105 ff.), von der Landkommission in Pinneberg (S. 11 3 ff.). 
Er hat sich eine schwierige, aber verdienstvolle Aufgabe gestellt, die 
nur bei umfassender Einzelkenntnis und auf der breiten Grundlage 
des vorhandenen Materials wirklich gelöst werden könnte. Das muiSte 
ihm schon deshalb versagt bleiben, weil er sich als einzige Quelle auf 
die Akten des G^eh. Rats Christoph Gensch v. Breitenau im 
öffentlichen Archiv des adligen Gutes Deutsch-Nienhof 
aus der Zeit von etwa 1648 bis 1706 beschränkt und daneben nicht 
einmal die Literatur herangezogen hat. 

Daß V. H. versucht hat, die an öffentlichen Akten, wie es 
scheint, reichen Bestände zu erschlieiSen, die im Archive dieses seiner 
Familie gehörenden Gutes beruhen, ist gewiß außerordentlich dankens- 



BezensiouexL 159 

wert. Aber die Art, wie es geschieht, gibt leider zu Bedenken 
Yeranlassnng. Es fehlt an jeder Bearbeitung des Eohmaterials. 
Der Verf. reiht im wesentlichen in geordneter Folge Aktenauszüge 
an einander, die zwar manches Interesse erwecken und vielfach nütz- 
liche Nachrichten bringen, aber doch ein volles Bild meist nicht zu 
vermitteln vermögen und in den seltensten Fällen für eine wissen- 
schaftliche Verwertung das Zurückgehen auf die Originale überfltissig 
machen werden. Dann ist schließlich der vollständige Abdruck aus- 
gewählter Stücke noch vorzuziehen. 

Und innerhalb dieser Aktenauszüge hat sich v. H. nicht einmal 
die Mtihe genommen, Schreibweise und Wortformen seiner Quellen 
einheitlich zu gestalten und in heutiges Deutsch umzusetzen. Ohne 
weitere Kenntlichmachung begegnen in seinem Texte: Damienholz 
(S. 14), frembde Wälder (S. 15), in währender Vertrawung (S. 25), 
Hewland (S. 34), Buumann, Tome (S. 35), Thumbherm (S. 43), 
Dreyer statt Drechsler (S. 54) usw. Fast durchgängig redet er 
von Teichen, wo er Deiche meint (S. 43, 44, 47, 48, 61, 65 usf.). 
Nach S. 84 beklagen sich die Altonaer Seidenfischer im Jahre 1656 
über ihre Hamburger Berufsgenossen und schneiden ihnen gelegentlich 
ihre Linien ab. Welcher unvorbereitete Leser soll das verstehen, 
zumal auch das beigefügte Sachregister keine Auskunft darüber gibt, 
daß es sich um Fischer mit Zug- oder Schleppnetzen (ursprünglich 
mnd. seinen) handelt, die den anderen ihre Leinen zerschneiden. Dieses 
Verfahren, das dem Leser die Arbeit aufbürdet, die er von dem Verf. 
erwarten darf, wird sogar auf Orts- und Personennamen angewandt: 
statt Eidelstedt heißt es fast immer Eilstedt oder Eilstede (S. 18, 89), 
statt Nenendeich wird Neuenteich geschrieben (S. 32, 34, 62), Aller- 
möhe erscheint als Allermoye (S. 89), Spitzerdorf als Spitzendorf 
(S. 95 f.). Der Rliin bei Glückstadt heißt bald so, bald aber Rhein 
(S. 33). Dazu kommen Sclireibungen, wie Hartz (S. 72), Ottmarschen, 
Barenfelt (S. 114). Der Landdrost C. H. v. Perckentin (S. 19) wird 
an den meisten anderen Stellen (S. 21, 46, 96) Berckentin genannt. 
Der Name des Amtmanns Gregorius Kroger kommt S. 49 plötzlich in 
der Form Cröger vor. Das sind nicht nur Schönheitsfehler, sondern 
Charakteristika für den Mangel an Akribie und eine dilettantische 
Bewertung der kleinen Zufälligkeiten der Quellen. 

Und mit dieser falschen Hochachtung vor allem, was die be- 
nutzten Akten gerade darbieten, hängt es auch zusammen, wenn man 
bei manchen Mitteilungen, so wie sie gemacht werden, vergebens nach 
dem Zweck fragt, der damit verfolgt, dem Nutzen, der damit gestiftet 
werden soll. Das gilt z. B. für vieles aus dem Abschnitt über private 
Rechtssachen (S. 22 — 32) und für die breiten Erörterungen über den 
bekannten und überall wiederkehrenden G^egensatz zwischen Bauleuten 
und Kätnern (S. 49 ff.). 

Von Interessanterem, was mir aufgefallen ist, hebe ich das 
Folgende heraus. Über eine Reihe von Bauerschaften werdftw ^«^t^^qj^ 



160 Bezensionen. 

statistische Angaben mitgeteilt (S. 9 ff.)- Von den Waldungen und 
ihrer Benutzung, insbesondere auch für die Bedürfnisse der Beamten, 
erhält man eine lehrreiche Vorstellung (S. 11 — 17). Moor und Heide 
waren Eigentum der Herrschaft, wie alle Odländereien. Die Unter- 
tanen hatten nur die freie Nutzung daran, aber die Flächen, auf 
welche sich diese Nutzungsrechte der einzelnen Dorfschaften bezogen, 
waren, wie z. B. auch im Amte Eitzebüttel und anderswo, nicht fest 
gegen einander abgegrenzt, so daß des Streites kein Ende war (S. 17 f.). 
Solche Zwistigkeiten tobten lange Zeit zwischen Altena und Ottensen 
(S. 17 — 21). In den Heiden hauste noch am Ende des 17. Jahr- 
hunderts der Wolf (8. 21 f.). Außendeiche und Neuland waren 
üskalisch. Das Meierrecht Niedersachsens wurde in Holstein nur in 
der Herrschaft Pinneberg als eine Form der Erbpacht vor allem zur 
Vergabung von Außendeichsländereien angewandt (S. 40). In anderen 
Fällen hielten schon die letzten Schanenburger das staatliche Eigentum 
an den Außendeichen unbeschränkt aufrecht und suchten durch kurz- 
fristige Verpachtung die Einnahmen daraus zu steigern (S. 39). 
Die Verhältnisse der Mühlen, u. a. der Ottenser, werden S. 40 ff. 
behandelt. Instruktiv sind die Zusammenstellungen der Kriegs- und 
Einquartierungslasten für einen Hof in Sommerland (S. 44 f.). In 
Schneisen wurde 1*694 das alte Dorffeld, der Esch, als ewiges 
Komland von dem aufgeteilten Außenlande als der ewigen Weide 
unterschieden (S. 56). Reiche Aufschlüsse werden gegeben über die 
Ottenser Kirche und ihre ersten Pastoren von der Mitte des 
16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts (S. 70 — 74); über Arnold 
Schepler, der zugleich Pastor an der ersten Kirche in Altena 
war, vgl. auch E. H. Wichmann, Gesch. Altenas (1865), S. 53 f. 
E3iniges erfahren wir über die Gherichtsverfassung der Herrschaft 
(8. 105 f.); die Drosten und Amtmänner werden in zeitlicher Folge 
aufgezählt (S. 107 f.). Im Jahre 1702 revidierte eine Königl. 
Kommission die gesamte Verwaltung (S. 113 f.) und deckte zahllose 
Mißstände in allen ihren Zweigen auf. In Altena ließen die Geist- 
lichen die Kommunikanten mit einer silbernen Röhre aus dem Kelch 
saugen, um an Wein zu sparen (S. 119). Aus der Darstellung v. H.'s 
(S. 119) muß man den Eindruck gewinnen, als habe dort überhaupt 
noch keine ordentliche Schule bestanden. Das war aber schon seit 
dem Anfange des 17. Jahrhunderts der Fall; jetzt handelte es sich 
lediglich um die 1689 wieder eingegangene Lateinschule (vgl. 
Wichmann, S. 44, 91 f.; R. Ehrenbero u. B. Stahl, Altenas 
topograph. Entwickelung, Text S. 7, 12). Besonders sclilecht hatte 
der erste Präsident der Stadt (1664—1681), Rudolf Roland, 
gewirtschaftet (S. 118 f.), dessen Name ja fortlebt in der Rolands- 
burg, während die Bezeichnung der Rolandsmühle wahrscheinlich 
älteren Ursprungs ist (vgl. Otto Beneke in d. Mitt. d. Ver. f. Hbg. 
Gesch. n 3, 153). Infolge der Revision erließ dann Friedrich IV. 
am 15. September 1705 drei lange Instruktionen, die Reformen an- 



BezensioneiL 161 

bahnten (S. 121 ff.)* Ich hebe daraus hervor die Anweisung an den 
Drosten, er solle auf die Fischer und Seefahrer in Blankenese Acht 
geben, daß sie nicht schiffbrüchiges Out raubten oder unsinnigen 
Bergelohn forderten, er solle vielmehr den Eigentümern auf alle 
Weise behülflich sein (S. 122). Mit Recht konstatiert v. H., daß 
im Gegensatze zu anderen reunierten Gebieten der Eintritt der 
königlichen Verwaltung in Pinneberg eher einen Eückschritt gegen 
die schauenburgische Zeit bedeutet habe, was in erster Linie dem 
Eigennutz und der Gewissenlosigkeit mehrerer Landdrosten zuzu- 
schreiben sei (S. 126 f.). 

Speziell für Hamburg kommen einmal manche verstreute 
Einzelheiten in Betracht. In der zweiten Hälfte des 17. Jahr- 
hunderts hören wir von den Geschicken einer Tuchhändlerfirma 
Key Holländer und Märten Möller (S. 26 f.). Dominions, 
Johann und Peter von üfflen machten um dieselbe Zeit Geld- 
geschäfte mit einem Amtmann und verschiedenen Gemeinden (S. 27, 65). 
Der Syndikus Broder Pauli hatte bis 1642 einen Lusthof in 
Ottensen, der an einen Weinberg grenzte (S. 29). Die Nienstedtener 
Mühle war 1644 an Hamburg verpachtet (S. 42). Der Goldschmied 
Jacob Moers kaufte 1605 einen Hof in Sommerland (S. 42). Das 
Land des Blankeneser Fährmanns in Dockenhuden war 1704 wegen 
seiner angenehmen Lage an der Elbe an reiche Hamburger zu Villen 
und Lustgärten ausgetan (S. 46). Um 1693 wird von einem Brink- 
sitzer in Schneisen gesagt, er verkaufe jährL>h 40 Faden EUemholz 
an die Drechsler und Wappenschneider in Haihburg (S. 54). Ham- 
burger hatten Besitz in Pinnebergischen Dörfern: so um 1658 der 
Major Otto v. Brühl in B;ellingen, so seit 1652 der Makler Peter 
Vincke in Ottensen (S. 61). Im Jahre 1702 wird ein hamburgischer 
Bürger und kaiserlicher Notar Stephany de Martiniere erwähnt 
(S. 117). Daß Christian IV. dem Hamburger Peter Hoeckel im 
Jahre 1642 den an der Palmaille endenden Strand von Ottensen 
her für eine Mühle und ein Haus auf dem Berge verliehen* hat 
(S. 119 f.), war bekannt aus Wichmann, S. 65, wo auch die Ver- 
leihungsurkunde abgedruckt ist. Die Verzeichnung dieser Einzel- 
heiten schien um so erwünschter, da im Sachregister v. H.'s, welches 
das Stichwort Hamburg überhaupt vermissen läßt, eine ähnliche 
Zusammenstellung fehlt. 

Ein eigener Absclmitt beschäftigt sich außerdem mit dem Ver- 
hältnis der Herrschaft Pinneberg zu Hamburg (S. 82 — 105). 
Der Verf. zeigt an guten Beispielen, eine wie unangenehme Verän- 
derung dieses Verhältnis erfuhr, als an Stelle des politisch schwachen 
Schauenburger Grafen der mächtige Dänenkönig hier der unmittel- 
bare Nachbar Hamburgs wurde (S. 82 f., 85). Er berichtet eingehender 
über die Beschwerden der Altonaer gegen Hamburg (S. 83 f.), über 
die dänischen Ansprüche auf die TerritoriaUioheit und das Episkopal- 
recht an der Eppendorfer Kirche (S. 85 — 95), über die Streitigkeiten 
Ztochiw <L Vereins U HamU Gesch. Xm. ^^ 



162 Rezensionen. 

wegen der Gerichtsbarkeit des Domkapitels in Spitzerdorf nnd 
Poppenbtittel (S. 95 — 97), wegen des Gries- und Finkenwärders 
(8. 97 f.), wegen des schanenburgischen und Mühlenhofes (S. 98 — 105), 
endlich über den Schauenburger Zoll (S. 105). Niemand, der sich 
mit den hier berührten Gegenständen beschäftigen will, wird das von 
y. H. gesammelte Material ungenutzt lassen dürfen, zumal sich die 
einschlägigen hamburgischen Akten zum Teil nicht erhalten haben. 
Das gilt z. B. für den Eppendorfer Kirchenstreit, über den 
ausführliche, sehr dankenswerte Mitteilungen gemacht werden. Dabei 
wird eine Beschwerde des Drosten Hans Bern er an den Bat aus 
dem Jahre 1546, in der es sich um eine bisher nicht gebräuchliche 
Appellation von dem Gericht des Klosters Harvestehude an den Bat 
von Hamburg anstatt an das Pinneberger Amt handelt, vollständig 
abgedruckt. Aus einer als interessant bezeichneten Ordnung des 
Bechnungswesens der Kirche zu Eppendorf aus dem 16. Jahrhundert 
erhalten wir leider nur einige Auszüge. Ein Mißgeschick ist dem 
Verf. begegnet, wenn er eine als solche leicht kenntliche nieder- 
deutsche Übersetzung der Urkunde vom 23. Februar 1343, mittelst 
der Graf Adolf von Holstein dem Kloster Harvestehude Eppendorf 
verkauft, als die Originalfassung angesehen und sie aus einer im 
Deutsch -Nienhof er Gutsarchiv befindlichen Abschrift vom Ende des 
17. Jahrhunderts als Beilage (S. 129 f.) veröffentlicht hat. Dieser 
Abdruck ist wertlos; nach dem lateinischen Original ist die Urkunde 
längst gedruckt bei Klefeker, Samml. hbg. Ghesetze u. Verfass. 
X (1771), S. 127 f. Der eigentliche Streit um die Ernennung und 
Einsetzung des Pastors und des Küsters (S. 88 — 95) begann im 
Jahre 1662 und wird in seinen verschiedenen Phasen anschaulicli 
geschildert. In den Jahren 1690 und 1693 kam es zu Vergleichen: 
Pfarre und Küsteramt sollten abwechselnd von beiden Seiten besetzt 
werden (das für die dänische Begierung bestimmte Original des Ver- 
gleichs über die Küsterstelle wird im Deutsch -Nienhof er Archiv ver- 
wahrt!). Dieser Zustand ist dann bestehen geblieben, bis der König 
im Gottorper Vertrag von 1768 auf die in Anspruch genommenen 
Bechte verzichtete, was der Verf. nicht erwähnt. Damals wurden 
zugleich die Pinneberger Dörfer von Eppendorf ausgepfarrt und die 
Niendorfer Kirche begründet. 

Von ähnlicher Wichtigkeit ist die Darstellung des Streites, der 
um die Hoheitsrechte über den schanenburgischen und den 
Mühlen hof geführt ward (vgl. auch die hauptsächlich auf Grund 
der Streitschriften gemachten Zusammenstellungen J. Lieboldts in 
d. Ztschr. d. Ver. f. Hbg. Gesch. Vn, 1883, S. 401 ff.). Zwar was 
der Verf. über die Entstehung dieses landesherrlichen Hofes vorträgt 
im Anschluß an Bübels Buch über die Franken, das ja vielfach 
gefälirliche Wirkungen gehabt hat (vgl. jetzt die eingehende und 
berechtigte Kritik von K. Brandi in den G^tt. Ghelehrten Anz. 1908, 
Jan.), ist trotz des richtigen Grundgedankens, der ihm vorgeschwebt 



Bezensionen. 



163 



haben mag, in der von ihm gegebenen Formulierung, die an Präzision 
zu wünschen läßt, kaunt brauchbar. Aus Peter Lambeck macht er 
dabei einen Petrus Lambertus und redet vom Petridom. Anders 
steht es mit den Mitteilungen aus den ihm zur Verfügung stehenden 
Archivalien. Hinweisen will ich nur auf den teilweise abgedruckten 
scharfen Bericht des dänischen Residenten und Dichters Friedrich 
V. Hagedorn an den König vom Jahre 1711 (S. 103 f.), in dem 
nicht gerade freundliche Mittel empfohlen werden, um die Stadt 
mürbe zu machen (im Texte S. 104 lies Wallfisch-Trahn statt -Erahn), 
In einem Anhange (S. 137 — 140) sind Hausmarken abge- 
bildet, deren sich Bewohner der Herrschaft Pinneberg in der Zeit 
von 1650 bis 1704 bedienten. 

Hermann Joachim. 



164 Hinweise und Nachrichten. 



Hinweise und Nachrichten. 



Hamburgs Bedeatnng als zeitweiliger Mittelpunkt der diplo- 
matischen Verhandlungen zwischeü den europäischen Großmächten 
zur Zeit des 30 jähr. Krieges ist von E. Stehmann in einem Aufsatz 
über die auswärtige Politik des Herzogs Adolf Friedrich I 
von Mecklenburg-Schwerin in den Jahren 1636 — 1644 (Jahr- 
bücher und Jahresberichte des Vereins f. mecklenb. Gesch., 
Jahrg. 72, S. 1 ff.) hervorgehoben. N. 

In dem von Hans Schulz herausgegebenen Briefwechsel des 
im Jahre 1814 verstorbenen Herzogs Friedrich Christian zu 
Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg mit König 
Friedrich VE von Dänemark und dem Thronfolger Christian 
Friedrich (Leipzig, Avenarius, 1 908) fallen einige Streiflichter auch 
auf die bedrängte politische Lage der Hansestädte und Hamburgs 
im Anfange des 19. Jahrhunderts. N. 

Ein Tagebuch aus dem Belagerungsjahre 1813/14, 
geftihrtvon dem Makler Georg Christian Hönert, hat Heinr. Christensen 
in der Beilage zum Osterprograjnm 1908 des Wilhelm-Gymnasiums 
veröffentlicht und damit den verschiedenen lebendigen Zeugnissen 
aus jener Epoche ein neues liinzugefügt, das uns in der Zeit vom 
Dezember 1813 bis zum 5. Mai 1814 die wichtigsten Vorgänge 
in Hamburg und die Eindrucke des Schreibers fast Tag für Tag 
vor Augen führt. N. 

In einer Hallenser Dissertation hat Hans Chr. Cordsen unter 
dem Titel Beiträge zur Geschichte der Vitalienbrüder 
(Halle 1907) als Vorarbeit für eine zusanunenhängende Geschichte 
der Vitalienbrüder einige kritische Quellenuntersuchungen zusammen- 
gestellt. Als besonders wichtig merken wir daraus den überzeugenden 
Nachweis an, daß die gewöhnliche Annahme, die Vitalienbrüder 
hätten ihren Namen von dem ihnen im Kampf um die schwedische 
Herrschaft im ausgehenden 14. Jahrhundert von mecklenburgischer 
Seite erteilten Auftrag, die belagerte Festung Stockholm mit Vik- 
tualien zu versehen, nicht zutreffend ist. Der Verfasser macht 
darauf aufmerksam, daß die Vitalienbrüder schon vor der Belagerung 
Stockholms genannt werden, und führt ihren Namen darauf zurück, 



Hinweise und Nachrichten. 165 

daß sie als Söldner und Seeräuber ihren Unterhalt durch den Raub 
von Lebensmitteln (\atalien), die sie den Küstenbewohnem und See- 
fahrern fortnahmen, sich verschafüten. Er stützt seine Hypothese 
durch den Nachweis, daß das Wort vitailleur in der Bedeutung^ von 
Fouragierer schon früh im Französischen vorkommt, und um 1300 
ins Englische, etwas später auch ins Niederländische und wohl auch 
ins Niederdeutsche eingedrungen ist. N. 

Über die Organisation der Hanse in ihrem letzten 
Jahrhundert hat sich in einem umfangreichen Aufsatze (Hans. 
Geschichtsblätter Xm, S. 207— 244 und 380— 438) Paul SiMSON 
verbreitet. Hauptsächlich schöpfend aus dem von Höhlbaum heraus- 
gegebenen Kölner Inventar und aus Akten des Danziger Archivs, 
die vom Jahre 1625 an seine alleinige Quelle bilden, bespriclit er 
die Einteilung der Hanse in Quartiere, die Zahl der zugehörigen 
Städte, die Hansetage, ihren Besuch und den Gang ihrer Ver- 
handlungen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts. Des weiteren 
\^ird die Stellung Lübecks als Haupt der Hanse in dem fraglichen 
Zeitraum charakterisiert, die amtliche Tätigkeit der hansischen 
Syndici Suderman« und Doman sowie der sonstigen unmittelbaren 
und mittelbaren Beamten der Hanse kurz beleuchtet und ausführ- 
licher dargelegt, wie die Städte seit der Mitte des 16. Jahrhunderts 
vergebens versuchten, durch Vereinbarungen zu gegenseitigem Schutz 
und Trutz, sog. Konföderationsnoteln, die Macht der Hanse zu 
heben. Ein Abschnitt über ihre verfahrene Finanzwirtschaft schließt 
den Aufsatz ab. Wenn in ihm, entsprechend dem benutzten Material, 
von einzelnen Hansestädten natürlich namentlich Danzig hervortritt 
und Hamburg nur gelegentlich genannt wird, so werden die allge- 
meinen Ergebnisse der Arbeit doch auch einer Betrachtung der 
Stellung Hamburgs in der Hanse im 16. und 17. Jahrhundert 
vielfach fördernd zugute kommen. N. 

Eine Berliner Dissertation von Richard Boschan (1907, Druck 
von E. Ehering, Berlin) beschäftigt sich mit dem Handel Ham- 
burgs mit der Mark Brandenburg bis zum Ausgang des 
14. Jahrhunderts. Dem Bilde, das wir von diesem Handel hatten, 
wesentlich neue Züge einzufügen, gestattete zwar das zu Gebote 
stehende, vielfach dürftige Quellenmaterial nicht. Der Nutzen der 
Arbeit besteht vielmehr darin, daß der Verfasser mit Umsicht alle 
ihm erreichbaren Nachrichten über den hamburgisch-märkischen Handel 
der bezeichneten Epoche herangezogen und zusammengestellt hat. 
Freilich hat die Spärlichkeit des Materials ihn bisweilen verleitet, 
Einzelheiten mitzuteilen und sich in Auseinandersetzungen zu ver- 
lieren, die nicht eigentlich zum Thema gehören. Die Arbeit hätte 
durch eine straffere Zusammenfassung unzweifelhaft gewonnen. Auch 
eine präzisere Ausdrucksweise und ein sorgfältigerer Stil wätesa. 



166 Hinweise nnd Nachrichten. 

nicht selten wünschenswert gewesen. Was den Inhalt anbetrifft, 
so behandelt der Verfasser eingehend die für den märkischen Handel 
in Hamburg wichtigen Zollrollen, von denen eine in das Jahr 1236 
(von neuem bestätigt 1262) fällt, drei weitere wahrscheinlich der 
Zeit zwischen den Jahren 1254 and 1263 angehören. Er bespricht 
die wichtigsten Bestimmungen dieser Zollrollen, sucht ihr Verhältnis 
zueinander festzustellen und weist darauf hin, daß von den drei 
zuletzt genannten zwei, die in lateinischer Sprache abgefaßt sind 
(Hamb. HB. Nr. 665 u. 666), nur diejenigen Zollsätze aufführen, 
die eine Begünstigung für die Märker bedeuten, während die dritte, 
niederdeutsche (Hamb. ÜB. Nr. 668), den allgemeinen Tarif für den 
gräflichen Zoll in Hamburg darstellt. Im weiteren Verlauf seiner 
Arbeit gibt der Verfasser eine Zusammenstellung der ihm erreichbar 
gewesenen Nachrichten über den Verkehr Hamburgs mit den einzelnen 
märkischen Städten sowie eine Übersicht über ^e im hamburgisch- 
märkischen Handel vorkommenden Waren. Exkurse behandeln Ham- 
burgs Handelsverkehr mit Magdeburg und Meißen, die Seefahrer- 
gilde in Stendal und hamburgische Handelsverbindungen mit dem 
Westen. N. 

Auf die große Bedeutung der im dänischen Reichsarchiv auf- 
bewahrten Sundzollregister für die europäische Handelsgescliichte und 
auf die von dänischer Seite in Angriff genommene Bearbeitung dieser 
Register hat schon vor einigen Jahren in den Hans. Geschichts- 
blättern (Jahrg. 1899, S. 93 ff.) Deetrich Schäfer hingewiesen. 
Jetzt liegt als erste Frucht dieser Bearbeitung ein stattlicher Band 
vor unter dem Titel: Tabeller over Skibsfart og Varetrans- 
port gennem 0resund 1497 — 1660. Ferste del: Tabeller 
over Skibsfarten (Kopenhagen u. Leipzig 1906). Er wird dem 
ausdauernden Fleiße von Frau Dr. Nina Ellinger Bang verdankt. 
In Tabellenform sind in ihm aus der Zeit bis 1660 für jedes Jahr, 
aus dem die Zollisten vorhanden sind, die aus einer Durcharbeitung 
der letzteren sich ergebenden Zahlen der Schiffe, die den Sund passiert 
haben, mit Angabe ihrer Heimatsorte, ihres Raumgehalts und vom 
Jahre 1557 an auch ihrer Ausgangshäfen zusammengestellt. Voll- 
ständig erhalten sind die Listen aus den Jahren 1497, 1503, 1528, 
1536—1548, 1557, 1558, 1560, 1562—1569, 1574—1631, 1633, 
1635 — 1657. Um zu ermessen, von welchem Werte ihr Inhalt 
für die Geschichte der Seeschiffahrt ist, zugleich aber auch, was 
für ein Stück Arbeit in der Bewältigung dieses Inhalts steckt, muß 
man sich vergegenwärtigen, daß der Sund seit dem Mittelalter zu 
den belebtesten Schiffahrtstraßen gehört. Daß die Listen auch für 
die Geschichte der hamburgischen Schiffahrt und des hamburgischen 
Handels von großem Werte sind, liegt auf der Hand. Ihren Inhalt 
in dieser Beziehung auszuschöpfen, muß vorbehalten bleiben. Hier 
' nur kurz auf einige Ergebnisse für Hamburg hingewiesen. 



Jfinweise und Nachrichten. 167 

Während die Zahl der hamburgischen Schiffe, die den Sund passierten, 
im Jahre 1497 mit 16, 1503 mit 12, 1528 mit 16, im Verhältnis 
zu der Zahl der Schiffe anderer Städte, wie Amsterdam, Enkhuizen, 
Terschelling, Stralsund, Danzig, gering ist, ändert sich dieses Ver- 
hältnis seit dem Jahre 1536, in dem Hamburg mit 90 Schiffen 
bereits alle anderen Städte mit Ausnahme von Danzig geschlagen 
hat. In den Jahren 1538—1546, 1557—1559 und 1569 steht 
Hamburg an der Spitze. Den Höhepunkt erreicht es im Jahre 
1557 mit 309 Schiffen. Seitdem nimmt die Zahl der hamburgischen 
Schiffe langsam ab, während die der niederländischen durchaus in 
den Vordergrund tritt. In den Jahren 1575 — 1578 passierte kein 
hamburgisches Schiff den Sund, was als eine Folge des zwischen 
Hamburg und dem König von Dänemark über das hamburgische 
Stapelrecht ausgebrochenen Streites anzusehen ist, in dessen Verlauf 
der König den hamburgischen Handel in seinem Keiche verbot. 
1579 wurde die Schiffahrt mit 4 Schiffen wieder aufgenommen. 
Sie hielt sich auf schwankender Höhe, erreichte ihren höchsten Stand 
mit 201 Schiffen im Jahre 1587. Seit dem Jahre 1630 machen 
sich die Folgen der Differenzen mit König Christian IV. bemerkbar. 
1630 passieren noch 8, 1631 17 hamburgische Schiffe den Sund, 
1633 nur noch 1, 1635 verschwinden die hamburgischen Schiffe 
völlig, und dieser Zustand dauert bis zum Jahre 1642 an. Erst 
1643 tritt Hamburg mit 18 Schiffen wieder in die Reihe der Städte, 
deren Schiffe den Sund befahren. — Vergl. auch den eben er- 
scliienenen Aufsatz: Die Sundzoll-Listen von Dietrich Schäfer 
in den Hans. Geschichtsblättern, Jahrg. 1908, S. 1 ff. N. 

Lübecks Versuche, dem Sinken seiner Handelsstellung seit dem 
Anfang des 17. Jahrhunderts durch das Verbot, die von der See 
ankommenden Waren durch die Stadt hindurchzuftUiren, und durch 
die Forderung, daß sie an lübeckische Bürger verkauft werden müßten, 
mitliin nur diese sie wieder ausftihren dürften, vorzubeugen, hat 
Ernst Baasch in einem, Die Durchfuhr in Lübeck betitelten 
Aufsatze (Hans. Geschichtsblätter, Jahrg. 1907, S. 109—152) 
erörtert, der zugleich für die hamburgische Handelsgeschichte von 
erheblichem Werte ist. Denn bei der Wichtigkeit, die Lübeck für 
den hamburgischen Handelsverkehr mit der Ostsee als Durchgangs- 
station hatte, wurde Hamburg durch derartige Versuche Lübecks 
natürlich schwer betroffen. Der Verfasser verfolgt die durch das 
ganze 17. und einen Teil des 18. Jahrhunderts sich hinziehenden 
Konflikte zwischen den beiden Städten, die aus diesen Verhältnissen 
entstanden. Er findet dabei reichliche Gelegenheit, gegenüber dem 
verderblichen Festhalten der Lübecker an den herkömmlichen Handels- 
formen und ihrer Abneigung gegen den Kommissions- und Speditions- 
handel den beneideten Aufschwung der glücklicheren Schwesterstadt 
seit der Wende des 16. Jahrhunderts hervortreten zu lassen. N» 



168 Hinweise und Nachrichten» 

In der Vierteljahrschrift f. Social- u. Wirtschafts- 
gesch. V (1907), S. 401 ff. gibt S. van Brakel Gz. (Amsterdam) 
eine Übersicht über die Entwickelnng u. Organisation der 
Merchant Adventnrers auf Grund der bisherigen Literatur, nämlich 
vor allem Schanz, Die englische Handelspolitik gegen Ende des 
Mittelalters; Lingelbach, The internal Organisation of the M. A. of 
England in Transactions of the Eoyal Hist. Soc, new Series XVI; 
ders., The M. A. of Engl.» their laws and ordinances with other 
documents (Philadelphia 1902); ders., The M. A. at Hamburgh in 
American Hist. Review IX; Dendy, Records of the M. A. of New 
Castle upon Tyne I (1895), n (1899) [Publicat. of the Surtees Soc. 
of New Castle vol. 93, 101]; Latimer, The history of the Soc. of 
M. A. of the City of Bristol (1903); Te Lintum, De M. A. in de 
Nederlanden. B. behandelt ausführlicher die Entstehung und ältere 
EntWickelung der Gesellschaft, die erst im J. 1564 zum Abschluß 
gelangte. Hinsichtlich ihrer Organisation schließt er sich gegen 
Te Lintum in allen Teilen den Ergebnissen Lingelbachs an, wonach 
der Sitz der Ghesellschaft sich nicht in London befand, sondern an 
ihrem Hauptverkehrsplatze in den Niederlanden, seit 161 1 in Hamburg. 
Nur hier konnten bindende Beschlüsse fassende Generalversammlungen 
abgehalten werden, die auch den Vorstand wählten und neue Mitglieder 
aufnahmen, und nur hier fungierte der Vorstand. Eingehender werden 
dann noch die Umgestaltungen dargelegt, welche seit dem 16. Jahr- 
hundert die veränderte Betriebsweise im Handel mit sich brachte. 
Jetzt erst bildeten sich Kolonien von Engländern im Auslande, die 
sich dauernd dort niederließen und auf eigene Kechnung oder als 
Faktoren Geschäfte mit dem Mutterlande machten. Und eine weitere 
Folge dieses Umschwungs war es, daß die Londoner Mitglieder einen 
immer größeren Einfluß gewannen, der sich im J. 1688 dem G^eneral 
Court in Hamburg gegenüber voll durchsetzte. — Die besondere 
Geschichte der Aufnahme und des Wirkens der Gesellschaft in 
Hamburg wird nicht berührt. H. J. 

Zum Gegenstand eines kurz zusammenfassenden Vortrages 
(abgedr. in der Internationalen Wochenschrift für Wissen- 
schaft, Kunst und Technik v. 4. April 1908) ist die Company 
of Merchant Adventnrers und der Ausgang ihrer Nieder- 
lassung in Hamburg 1807 von Ernst von Halle gewählt worden. 
Der Verfasser teilt seine Betrachtung in vier Abschnitte. Er verfolgt 
zunächst die Entstehung der Kompagnie und ihre Ausbildung bis zur 
Gewinnung eines Monopols für die gesamte englische Wollwaren- 
ausfuhr nach dem Westen im Jahre 1564, erörtert sodann die Ereig- 
nisse, die zur Verlegung des Stapels der Kompagnie von Antwerpen 
nach Hamburg ftLhrten, zeigt sie im Genüsse weitgehender hambur- 
gischer und englischer Privilegien während des 17. Jahrhunderts auf 
dem Höhepunkte ihrer Macht und schildert endlich ihren mit der 



Hinweise nnd Nachrichten« 169 

Entziehnng des englischen Monopols einsetzenden nnanflialtsamen 
Niedergang bis zor Auflösung ihrer hambnrgischen Niederlassung, 
der Court, im Jahre 1807. Zum Schlüsse richtet der Verfasser 
einen Appell an die Öffentlichkeit, die Nachforschungen nach den 
Archivalien der Londoner und der Hamburger Niederlassung, die 
zum weitaus größten Teil verschollen sind, zu fördern. Die Ham- 
burger Archivalien waren bei der Auflösung der Court in das 
Eigentum der Familie Thomton gelangt. N. 

In der Ztschr. der üesellsch. f. Schlesw.-Holstein. 
Gesch., Bd. 37, hat A. Kiesselbach Schleswigs Bedeutung als 
Handelsstadt in der Zeit vom 9. bis in das 13. Jahr- 
hundert dargelegt. Er findet die Bedeutung darin, daß Schleswig 
in dieser Epoche ein Umschlagsplatz für den Warenaustausch zwischen 
den Ostseeländem und dem Westen war, zeigt, daß im Schleswigschen 
Handelsverkehr die niederrheinischen Händler eine wichtige Rolle 
spielten, und führt aus, daß dieser Handelsverkehr sich im wesent- 
lichen auf dem Wasserwege vollzogen haben muß. Letzteres ist 
zwar, wenn auch vielfach tibersehen, doch nicht völlig unbekannt 
gewesen. So definiert Höhlbaüm im Hansischen TJrkundenbuch II 
Nr. 666 die Schleswiger Bruderschaft in Soest ausdrücklich als die 
Bruderschaft der überseeischen Kaufleute, und in Soest selbst 
wird die schiffsartige Gestalt der St. Nicolaikapelle damit erklärt, 
daß sie eine Stiftung der Schleswiger Bruderschaft sei, die sie dem 
Patron der Schiffer als Geschenk dargebracht habe. Immerhin sind 
die Zeugnisse für diese Art des Verkehrs meines Wissens bisher 
nirgends so vollständig gesammelt und so überzeugend interpretiert, 
wie in dem genannten Aufsatze. Daß auch Hamburg schon im 
9. Jahrhundert mit Schleswig im Handelsverkehr gestanden hat, 
wissen wir aus der Vita Anskarii cap. 24, doch ist Näheres über 
diesen Verkehr nicht bekannt. N. 

Das Seerecht von Olöron (die röles d'Olöron) imd seine 
flämische G^estalt, das Seerecht von Danmie, haben für die hansische 
Schiffahrt eine große Bedeutung gehabt. Einzelne seiner Sätze sind 
auch in das revidierte Schiffsrecht des hamburgischen Stadtrechts 
von 1497 aufgenommen worden. In einem interessanten Aufsatz in 
den Hans. Geschichtsblättern, Jahrg. 1906, S. 1—44 hat 
Theodor Kiesselbach überzeugend dargetan, daß die frachtrecht- 
lichen Bestimmungen, welche den größten Teil dieses Seerechts aus- 
machen, veranlaßt sind hauptsächlich durch den regen Weinhandel 
nach Flandern, der anfangs in La Kochelle — dem gegenüber die 
Insel Olöron liegt — , dann in Bordeaux seinen Mittelpunkt hatte, 
und daß sie entstanden sind aus der B,echtssprechung der Gilde 
von Kaufleuten aus der Gascogne und Poitou, welche in Bnigge 
und seinen Nebenstädten — zu ihnen gehört auch Damme — ü« 



170 



llinweiÄe imd Nachrit^Jites» 



Ritz hatte. Das so festgestellte »achtreeht fand dann als Seereelii 
von Damme aucli anf die Weitervei'seliiifnjig des Weines von Flandern 
nach dem Norden Anwendung. — Die Überlief erring des Seerechts 
von Ol^ron ist eine selir reiche» aber die Texte der verschiedenen 
Handßchrifteü weichen je nach der Zeit ihrer Niedersduift und dem 
Ort ihres Oebrauchs %4elfach voneinander ab. Eine Hekonstiniktion des 
uriprüngUchen Wortlauts ist nocli nicht versucht worden. Dagegen 
sind die Teste einzelner Handschriften schon mehrfach gedruckt; 
die Nachweise findet man bei Kik8öklbach. Audi dieser hat im 
Anhange zu seinem Anfsat^e (S. 44^60) die Textgestalt einer Hand- 
schrift der Bodleiana in Oxford aus dem Anfange des 14. Jahr- 
hunderts vollständig mitgeteilt. — Gleidizeitig hat Dr. ini-. Heinrich 
Lirnwia Zeller eine Sammlung' Hl lerer Seerecbtsquellen 
eröffnet, in deren erstem Heft (Mainz 1906} der Text der Hand- 
schrift von Troyes (Ende des 14. Jim.) und in deren zweitem Heft 
(1907) derjenige der Handschrift der Pariaer Natioualbibliotbek 
Nn 5330 (Mitte de« 15. Jhs.) jetzt bequem ziigänglieb sind. Diese 
Ausgaben sind mit Ol ossären und je einer Handschriftenprobe ver- 
sehen. Leider erstreben sie einen ,, diplomatischen'* Abdruck mit 
genaner Wiedergabe aller Zufälligkeiten des Ori spinale und ohne 
Auflosnng der Al>bre\äaturen, was besonders die Lektüre des ersten 
Heftes sehr erschwert. Über dieses vergL noch die Bespredinng 
von Max Pappoheim in der Ztsehr. der Ravigny- Stiftung XXVXU 
(ierm, Abt., 1907, 8. 493 ff. — Das flämische Seerecht von 
Damme und die ihm als zweiter Teil angefüi^e Ordinancie, die 
zusammen als Wisbysehes Seerecht bezeichnet werden, und die 
für das nordeuropäische Verkehrsleben eine besondei's große unmittel* 
bare Bedentung gehabt haben» sind neuerdings in Uii^eu wichtigsten, 
Ä, T. liier znm ersten Male gedinckten Textformen synoptisch lierans- 
gegeben worden von A. Teltiso, Die altniederiändisclien See- 
rechte (Haag 1907). Für das Seere^ht, die sog. Vonnesse von 
Damme stellt T* (S. 2^B5) außer dem vorangeschickten Text des 
Originals, der Rollen von 014ron, nach der Ausgabe von J. M. Paä- 
BEseua (Collection des lois maritimes I, 1828, S. 323 ü.) neben- 
einander die flämischen Texte aus einer im Stadtarchiv zu Knln 
be&idllcheu, ans dem hansischen Kontor in Brügge stammenden 
Hdschr., femer aus einer von Umi in Btavei-en anfgefundenen Hdsehr, 
und den Text der Den TEXschen (Bijdrageu tot regtsgeleerdlieid en 
wetgeving Y, 1830, 8, 33 ff. ii. S. 170 ff.), anf Hdsehr. von Doni- 
recht, Amsterdam und Houm beruhenden Ausgabe, den er noeli 
mit einer Brieller Hdschr. verglichen hat. Für die Ordinancie 
läßt T. (S. 26^ — 45) aufeinander folgen den Staverener Text, von 
dem er glaubt, er stelle der Originalfassung am nächsten, weil 
'"^veren als Mnttei*stadt dieser Reehtsqnelle zu betrachten sei, 
(in den nahe verwandten Brtigger Text, den walirschemlich 1413 
ctragenen Text de^ Privilegienbuchs der Stadt Amsterdam nacli 



Hinweise und Nachrichten. 171 

der Ausgabe von Jon. C. Breen (Rechtsbronnen der stad A., 
S. 618 ff.) und endlich wiederum den Text von Den Tex. Die 
Einleitung (8. V — XVI), die auch reiche Literaturangaben zu den 
behandelten seerechtlichen Fragen enthält, beschäftigt sich haupt- 
sächlich mit dem Alter und dem Ursprungsort der Ordinancie. Im 
Gegensatze zu der herrschenden Meinung, die diese Aufzeiclmung 
in Amsterdam entstehen läßt, entscheidet sich T. für Staveren, zu 
einer Ansicht zurückkehrend, die schon J. M. Lappenberq aus- 
gesprochen hat. Die richtigere Lösung scheint mir jedoch Walther 
Stein in einer wertvollen Rezension des T.schen Buches in den 
Hans. Geschichtsbl., Jahrg. 1908, S. 252 ff. gefunden zu haben. 
Danach ist von zwei Tatsachen auszugehen, einmal davon, daß als 
Entstehungsgebiet der Ordinancie in den überlieferten Texten selbst 
sich deutlich die Zuyder-Zee kund gibt, und zweitens von der großen 
Wichtigkeit, die der alte Verkehr Hamburgs mit diesen Gegenden 
und insbesondere mit den Städten Amsterdam und Staveren, die im 
14. Jahrhundert als Hafenplätze für Hamburg an die Stelle Utrechts 
traten, gehabt hat. An beiden Orten hatten die Hamburger Hansen, 
Genossenschaften ihrer Kaufleute und Schiffer. Diese hamburgischen 
Hansen in Amsterdam und Staveren werden als die Haupturheber 
der Ordinancie gelten müssen, wie eine ähnliche Entstehungsart aus 
den Bedürfnissen und der Rechtssprechung der fremden Kaufmanns- 
genossenschaften in Flandern und Holland für Teile des ältesten 
hamburgischen Schiffsrechts (s. Hans. Geschbl., Jahrg. 1900, 
S. 49 ff.) und für die roles d'016ron Th. Kiesselbach nachgewiesen 
hat. Als Zeit der Aufzeichnung nimmt Stein das dritte Viertel des 
14. Jahrhunderts an. H. J. 

In der Zt sehr, der Sa vigny- Stiftung f. Recht sge seh. 
XXVm Germ. Abt. (1907), S. 1—62 behandelt Wilhelm von 
Brünneck sorgfältig und anziehend den Schloßglauben als 
Bezeichnung des an einem anvertrauten Schloß dem Treuliänder 
eingeräumten Rechts. Den Ursprung dieses Kunstausdrucks der 
Rechtssprache findet v. B. in Dänemark, zumal auch das einfache 
Glaube in Anwendung auf das Institut der Treuhand in Deutsch- 
land erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts vorzukommen scheine. 
Er fragt daher zunächst nach den Rechten und Pflichten des 
dänischen Schloßglaubens, dessen Gegenstand nicht beliebige Burgen 
gewesen seien, sondern die zur Landesverteidigung errichteten Reichs- 
schlösser. An diesen habe der Schloßglaube nicht Eigentum verliehen, 
vielmehr lediglich ein unvererbliches und widerrufliches Leimrecht 
im dänischen Sinne, das einem bestimmt beschränkten Nießbrauch an 
dem Schloß und seinen Räumen, dem zugehörigen Hof und seinen 
Ländereien gleichkam. Daneben aber war der zu Schloßglauben 
Belehnte als Verwalter der königlichen Einkünfte aus dem 
liegenden Landbezirk auch Beamter und daher nicht nur i^i 



172 



Hmweiae und NachrichtoE. 



rechtlich znr Rückgabe der Feste na^h erfolgtem Widerruf verpflichtet, 
sondam aucJi nach öffentlichem IE«cht 211 Lelmsdienst, der haiipt- 
ßäcMieh in den Funktionen eines 8clüoßlmiiptmanns nnd in der 
Verteidig^iig der anvertrauten Burg bis aufs äußerste bestand. 
Bei den engen Beziehungen Dänemarks zu Me<;klenbür^ und Pommern, 
so glaubt V. B., wurde diese Einricbtimg in der zi^^eiten Killfte des 
14. Jalirhnndeils von dort bierlier libertrageii. Es kam dabei zu 
einer Lösunis^ des Zusanimenliangs mit dem dänischen Leimswesen 
«nd zu der Au&gestalttmg eines Treuverhältnisse^ besonderer Art, 
dm dann aucli auf andere als landeaherrlicbe Schlösser angewandt 
ward, aber im übrigen doch dein dänischen Schloßglauben inhaltlich 
sfihr nahe stand. Im Laufe der Zeit traten einzelne Änderimg^n 
eiu. Als tue Schlösser seit dem Ende des 15, Jahrhunderts nicht 
mejjr in erster Linie als Festungen, eondera als Amtshäuser galt«n, 
enipiingen aneh nichtiitter liehe Personen, ja Gtiistliehe BcMoßglauben. 
An Htelle der Hingabe aaf Widerruf ftir imbestimmte Zeit wurden 
gegenseitige Kündigimgsfristen oder eine bemessene Zeit vereinbart, 
vim denn zur Folge hatte, daß bei vorzeitigem Tode des Treuhänders 
dessen Erben bis zum Ablauf der bedungenen Frist im Scldoßi^-lauben 
eitzen blieben. Vor allem aber übertrug auch der deutselie Bcldoß- 
glaube weder fiduziarisches Eigentum noch das nutzbare Eigentum 
des deutschen LehnrechU^. Hechte und Pflichten des Treuhänders 
konnten je nach den bei seiner Einsetxung verfolgten Zwecken 
verschieden bestimmt werden. Voran standen in älterer Zeit auch 
liier seine militärischen Aufgaben» und als Gegenleistung erhielt er, 
anders als in Dänemark, den vollen Nießbraucli nicht nur an dem 
Schloß und den unmittelbar dazu gehörigen Ländereien ^ sondern 
ebenso an allen dem Schloßberrn zustehenden gerichtsherrlichen und 
gntuhen'lichen Einkünften ans dem mit dem Schlosse verbundenen 
Gebiet; er durfte darin die Holieitsrechte in eigenem Namen nnd 
zu eigenem Vorteil ausüben. Mit dem Sinken der Bedeutung, welche 
ilie Schlösser als Festungen hatten, gewannen dann die amtüchen 
Fimktionen des Beliehenen die Oberhand: aus dem BeldoBhauptmann 
wurde der Amtmann, dem vielfach nicht melir die Verwaltung des 
ganzen .Ajuts für eigene Rechnung gewährt ward. Einzeln ent- 
wickelten sich auch Formen der Verpachtung und des Verkaufs zu 
BchloBglanben. — Für Hamburg sind diese Darlegungen deshalb 
von Interesse, weil auch die hamburgischen oder hamburgischlübischein 
Schlösser, wie Eitzebüttel nnd Bergedorf, Katsherren zu Schloßglauben 
eingetan zu werden pflegten, and dabei begegnet ein großer Teil 
der besprochenen Erscheinungen gleichfalls. Das Verständnis des 
auf diese Weise begründeten Rechtsverhältnisses wird durch die 
allgemeinen Erörterungen v. B/s erheblicli gefördert, nnd anderer- 
seits wird die spezielle Oe^chiclite dej Instituts ftir die Hansestädte 
noch manclie Ergänzungen liefern können. Hat es sicli docli in 
'^mrg, wenn nicht dem Namen nach» so sicherlieh in deutlichen 



Hinweise und Nachrichten. 173 

Spuren mit einer Zähigkeit sondergleichen bis ins 19. Jahi'hundert 
erhalten, während v. B. nur von einem besonderen Anwendongsfalle 
im pommerschen Lehnrecht weiß, der es dort bis ins 18. Jahrhundert 
fortleben ließ. — Zweifelhaft kann man sein, ob v. B. mit der 
Herleitnng der ganzen Einrichtung aus Dänemark im Eechte ist, 
mag auch der technische Ausdruck daher stammen. Es würde darauf 
ankommen, ob sich nicht sachlich identische ältere Zeugnisse aus 
Deutschland finden lassen. Im einzelnen ist bei der Interpretation 
des hier zuerst mitgeteilten Vertrages zwischen dem Herrn von Putbus 
und dem Bäte von Stralsund aus dem Jahre 1416 ein Versehen 
untergelaufen: mit überwiesen wird aUe Fischerei mit Ausnahme 
der Herrenzüge (ane der heren toghe)^ nicht „ausgeschlossen die 
Häringszüge" (S. 52). H.J. 

E. y. Hippel hatte in der Ztschr. f. d. gesamte Straf- 
rechtswissensch. XVm (1897), S. 419—494 u. 608—666 zum 
ersten Male den sicheren Nachweis geführt, daß die im Anfange des 
17. Jahrhunderts in Lübeck, Bremen, Hamburg und Danzig ent- 
standenen Zuchthäuser auf das Vorbild des im Jahre 1595 zu 
Amsterdam eingerichteten Zuchthauses zurückgehen. Er hatte ge- 
zeigt, wie man mit diesen Anstalten die Absicht einer Eeform des 
Strafvollzuges verfolgte und erreichte: an die Stelle von Leibes- 
und Lebensstrafen trat für Bettler, Vagabonden und leichtere Ver- 
brecher die Freiheitsstrafe mit dem Zwecke der Besserung durch 
Zwangsarbeit. Für diesen wichtigen Fortschritt in der Sti^afrechts- 
pflege, der den Niederlanden verdankt wird, bildeten die genannten 
Hansestädte das Einfallstor nach Deutschland; seit etwa 1660 folgten 
die übrigen deutschen Länder allmählich dem gegebenen Beispiel. — 
Speziell für Hamburg läßt sicli die Darstellung v. Hippels, der 
sich hier lediglich auf Adolf Strengs unkritische G^chichte der 
Gefängnisverwaltung stützte, während er für Lübeck und Bremen 
archivalisches Material benutzte, berichtigen und ergänzen. So wurde 
in Hamburg schon im Jahre 1603 die Errichtung eines Zuchthauses 
erwogen und zwar genau nach dem Muster der Amsterdamer Anstalt 
ohne Verbindung mit Zwecken reiner Armenfürsorge, die in Lübeck 
durchaus im Vordergrunde standen, als dort im Jahre 1601 das St. 
Annen-Kloster als Armen -Werkhaus von der Bürgersdiaft in Ver- 
waltung genommen ward. Die Nachahmung holländischer Institutionen 
in diesem Falle ist für Hamburg nichts Singnläres. Schon im Mittel- 
alter bestanden enge Beziehungen zu den Niederlanden und ein reger 
Austausch hinüber und herüber. Dann wuchs der Einfluß dieses 
Landes auf Hamburg seit dem Ende des 16. Jahrhunderts durch die 
niederländischen Einwanderer stark an. Aber im einzelnen nach- 
gewiesen ist er bisher nur bei wenigen Erscheinungen; genannt sa^ 
Kurt Perbers Arbeit über die hamburgischen Lotsenordnung 
(Wissensch. Beilage zum Bericht der Höheren Staatsschule Idl O 



174 Hinweise und Nachrichten. 

haven, 1904). Es würde gewiß eine lolinende Aufgabe sein, den 
kulturellen Einwirkungen, die hier stattgefunden haben, einmal in 
größerem Zusammenhange erschöpfend nachzugehen. Abgelöst ist 
der holländische Einfluß erst im 18. Jahrhundert vor allem durch 
England. — Zu v. Hippels Abhandlung hat jetzt Ernst Rosenfeld 
in derselben Ztschr. XXVI (1906), S. 1—18 einige Nachträge ins- 
besondere über die Zuchthäuser in Berlin, Spandau und Amsterdam 
geliefert, die jedoch wenig austragen. Erwähnenswert sind sie 
wegen des neuen Materials, das aus der niederländischen Literatur 
für die Amsterdamer Häuser für Männer und für Frauen, das Basp- 
und das Spinnhaus, beigebracht wird, und wegen der beigegebenen 
B,eproduktionen von sechs interessanten Stichen, welche diese Häuser 
und ihre innere, gleichfalls von den deutschen Anstalten übernommene 
Einrichtung darstellen. H. J. 

In den Mitteil, aus dem German. Nationalmuseum (1906), 
S. 60 — 78 hat Dr. Fritz Traügott Schulz eine resiimierende Be- 
trachtung über Meister Bertram an der Hand der LiCHTWARKschen 
Studie veröffentlicht. Sie will sich durchaus in den von Lichtwark 
vorgezeichneten Bahnen halten und sieht in Bertram einen wichtigen 
Angelpunkt ftir die deutsche Kunstgeschichte überhaupt. Seine Kunst 
und deren Herkunft seien ein Rätsel. Vielleicht führe er eine lokal- 
hamburgische Tradition fort. Eher erscheine er als eine völlig selb- 
ständige Persönlichkeit ohne Lehrer und Vorbild. Seine künstlerischen 
und techpischen Ausdrucksmittel seien für seine Zeit etwas ganz 
Exzeptionelles; er werde dann zwar nachgeahmt, aber von seinen 
Nachfolgern, insbesondere von Meister Francke, nicht erreicht. Die 
für ihn angenommene Begründung eines neuen Stils wird erklärt 
aus der zum BewulStsein gelangten Eigenart des Bürgertums und 
als realistische Wirkung der deutschen Mystik. In alledem zeige 
sich, daß die hanseatische Produktion am Ende des 14. Jahrhunderts 
nicht ein Ausläufer der kölnisch -westfälischen Wurzel sei, sondern 
etwas Autochthones, wobei nicht darauf eingegangen wird, daß, wie 
Lichtwark ausführt, Bertram selbst aus Minden stammte und bis 
an sein Lebensende engere Beziehungen zu Westfalen hatte. So sehr 
diese Anschauungen den Historiker zu befremden geeignet sind, so 
sehr muß man anstatt eines bloßen Eeferats, das zudem durch straffere 
Zusammenfassung die vorsichtigeren Formulierungen Lichtwarks zu- 
weilen allzu sehr ins Extreme zu treiben scheint, eine Nachprüfung 
und Klärung der in der LiCHxwARKschen Studie angeregten Fragen 
von kunstgeschichtlich sachverständiger Seite wünschen. H. J. 

Über den in Hamburg um die Mitte des 17. Jahrhunderts 
hergestellten Silberaltar in der Großen Kirche zu Stockholm 
und seine Verfertiger, den hamburgischen Juwelier Eustachius Erd- 
«»HUer und den augsburgischen Ebenholztischler Johann Georg Hertel, 



Hinweise und Nachrichten. 175 

liat Dr. J. RoosvAL (TJpsala) in Samfundet S:t. Eriks Ärsbok 
1907 Mitteilungen gemacht. — Derselbe Verfasser hat sich bereits in 
einer früheren Arbeit — Hofbildhuggaren Burchardt Precht, 
Stockholm 1905 — mit hamburgischer Kunst im 17. Jahrhundert 
beschäftigt und zusammengestellt, was sich über den hamburgischen 
Bildhauer Christian Precht, den Bruder und Lehrer des schwedischen 
Hofbildhauers Burchardt Precht und den Verfertiger von Skulpturen 
am Orgelgehäuse in der St. Jakobikirche, hat ermitteln lassen. 

N. 
Der bronzenen Kreuzigungsgruppe auf dem St. Georgs- 
kirchhof hat Th. Raspe in der Ztschr. f. christliche Kunst, 
Jahrg. 1907, S. 174 — 180, eine Studie gewidmet, in der er 
besonnen und vorsichtig den ästhetischen Wert und die kunst- 
historische Bedeutung dieses seltenen Denkmals der deutschen Gießer- 
kunst aus dem frühen 16. Jahrhundert zu würdigen sucht. Er 
kommt zu dem Ergebnis, daß die Gruppe zwar kein Meisterwerk 
ist und einen Vergleich mit den Werken eines Peter Vischer nicht 
aushält, daß sie aber, an den übrigen zeitgenössischen Gußarbeiten 
gemessen, doch eine beachtenswerte Leistung darstellt, die wohl ver- 
dient, auch außerhalb der hamburgischen Lokalliteratur berück- 
sichtigt zu werden. N. 

In einer bei Gelegenheit der Speckterausstellung im Jahre 
1907 gehaltenen Ansprache, abgedruckt unter dem Titel Die 
Familie Speckter und Hamburg in dem Jahrbuch d. Ges. 
Hamb. Kunstfreunde Xm. Bd. hat Alfred Liohtwark die Be- 
deutung der Familie Speckter in ihren drei Generationen für hambur- 
gische Kunst und Kultur mit einigen Strichen charakterisiert. 

N. 

Die Inschrift der mit dem Turm der großen St. Michaelis- 
kirche am 3. Juli 1906 zugrunde gegangenen Vollstundenglocke, 
eines im Jahre 1487 angefertigten Meisterwerkes des Kampener 
Glockengießers Geert van Wou, hat nach eigener, im Jahre 1891 
aufgenommener Lesung Herm. Wrede veröffentlicht. (Die Dom- 
glocke Benedicta im Michaelisturme zu Hamburg. Jahrbuch 
d. Ges. Hamb. Kunstfreunde XTTT, S. 65 — 70). Seine Lesung, 
der er eine Interpretation der Inschrift folgen läßt, weicht in einigen 
wichtigen Punkten von den bisherigen Lesarten ab (vergl. darüber 
zuletzt R. KÖRNER in den Mitt. d. Ver. f. Hamb. Gesch. VlLL, 
S. 26 ff., und desselben Verfassers Schrift Zur Geschichte der 
Glockengießer in Hamburg, 1905). N. 

In einem Aufsatze, betitelt: Ein Beitrag zum Werdegang 
der mittelalterlichen Pergamenthandschriften — Ztschr. 
f. Bücherfreunde XI, Heft 8 (Nov. 1907), S. 329—335 — hat 
Axel Anthon B jörnbo in Kopenhagen eine Beihe höchst interessantfi^i: 



176 Hinweise und Nachrichten. 

Miniaturen besprochen, die in einer vor 1255 auf Anregung des 
Domherrn Bertold von dem Schreiber Karolus zu Hamburg ge- 
schriebenen, ehemals in der Bibliothek des Hamburger Domkapitels, 
jetzt in der Kgl. Bibliothek zu Kopenhagen befindlichen Bibel- 
handschrift enthalten sind. Die Miniaturen, von denen Reproduk- 
tionen dem Aufsatze beigegeben sind, führen in bildlichen Darstel- 
lungen die Entstehung einer mittelalterlichen Pergamenthandschrift 
von der Bereitung des Pergaments bis zur Fertigstellung der Hand- 
schrift durch den schreibenden und illustrierenden Mönch vor Augen. 

N. 
Ein Lebensbild des hamburgischen Syndikus Karl 
Sieveking (1787 — 1847) hat Heineich Sleveking entworfen 
(Hans. Geschichtsblätter Jahrg. 1907, S. 343— 380). Indem er in 
gedrängter Kürze die persönlichen Schicksale und die beruflichen 
Leistungen des Syndikus schildert, und betont, wie sich sein Schaffen 
zwischen wissenschaftlicher Forschung, politischer Tätigkeit und 
christlicher Liebesarbeit teilte, läßt er in seiner Darstellung nament- 
lich die Verdienste hervortreten, die Karl Sieveking sich um die 
Wiederherstellung der von den Franzosen zertrümmerten Selbständig- 
keit der Hansestädte und später um die Kräftigung ihrer Handels- 
stellung erworben hat. N. 

In dem Jahrbuch d. Ver. f. Vierländer Kunst und 
Heimatkunde für das Jahr 1908 entwirft Ernst Finder ein kultur- 
historisch interessantes Bild von den Zuständen der Kirchen und 
Schulen in den Vierlanden in dem Jahrhundert von 1550 
bis 1650. Seine Schilderungen, für die neben Akten des Bergedorf er 
Amtsarchivs und der Vierländer Kirchenarchive, die im Staatsarchiv 
aufbewahrt werden, namentlich vier in der Kommerzbibliothek 
befindliche Protokolle der Kirchenvisitationen von Wert waren, zeigen, 
daß das kirchliche und sittliche Leben in den Vierlanden während 
des angegebenen Zeitraums auf einer bedenklicli niedrigen Stufe stand. 

N. 

Für unsere volkskundlichen Arbeiten, soweit sie das Bauern- 
haus, z. B. in den Vierlanden und in Hadeln, betreffen, wird es 
von entscheidender Wichtigkeit sein, daß sie in Fühlimg bleiben 
mit den Ergebnissen der allgemeinen Hausforschung, daß sie diese 
an dem lokalen Material nachprüfen, ergänzen und von ilmen lernen. 
Deshalb sei hier hingewiesen auf das kurze Referat über einen 
Vortrag von Fr. Kaüftmann, Aus der Geschichte des holsteinischen 
Bauernhauses, in der Ztschr. d. Gesellsch. f. Schlesw. -Holstein. 
Gesch. 37 (1907), S. 471—475, wo auch das Wertvollste aus 
der umfangreichen Literatur angegeben ist. Das holsteinische 
Bauernhaus ist im wesentlichen identisch mit dem niedersächsischen 
westlich der Elbe, während dieses östlich der Elbe die Ausnahme 
bildet. Es reicht nördlich über die Eidergrenze liinaus bis zu einer 



Hinweise und Nftchrichten. 177 

Linie Hnsom-Scbleimünde, jenseita der das dänische Hans herrscht. 
Btidlich der hochdentsch-niederdentschen Sprachgrenze liegt das Gebiet 
468 fränkischen Hauses, das in der Hauptsache noch das alte römische 
Haus ist. Der niedersächsische Typus wird durch folgende Eigen- 
heiten charakterisiert. Er ist ein Einhaus für Menschen, Vieh und 
Feldfrüchte. Er ist ein Fachwerkbau, bei dem das Dach nicht wie 
beim fränkischen Hause auf den Hauswänden ruht, sondern auf dem 
Erdboden, bis es dann in die Höhe gehoben und von besonderen 
Ständern getragen wird. Das niedersächsische Haus hat neben dem 
für die Wirtschaft benutzten Teile, der Boos, nur einen einzigen 
Wohnraum, das Flett. Am Ende des Flett, das im Gegensatz zum 
friesischen Hause als Mittelschiff mit Giebeleinfahrt erbaut ist, steht 
der Herd. Das niedersächsische Haus ist also ursprünglich Ein- 
feuerhaus, während das fränkische Küche und Stube hat. Durch 
das Eindringen der Stuben entstehen neue Spielarten. Die alten 
Stuben, die Siddels, liegen rechts und links vom Herde. Die ein- 
gebauten Betten in ihnen sind späteren und französischen Ursprungs. 
Als dann die Sitte aufkam, die Stuben mit einem Beilegerofen zu 
heizen, ward ein neuer Eaum geschaffen, der mit einer slavischen 
Bezeidmung die Dömse oder Dönse hieß. Diese scheint sich erst 
im 17. Jahrhundert in Holstein allgemeiner verbreitet zu haben. 
Hinter der Herdwand war an das Flett eine heizbare Kammer an- 
gebaut, die in Hannover und sonst nach dem lat. camera caminaia 
Kemenate genannt wird. In Holstein sagt man dafür Pesel, ein 
Wort, das herstammt von lat. pensilis, franz. poile, Ofen. Der 
Pesel ist aus Holland eingeführt. Soweit Kaüffmann. — Im 
übrigen wird jetzt das beste Yergleichsmaterial und die reichste 
Belehrung die Darstellung der lokalen Hausformen aus den ver- 
schiedenen deutschen Staaten und Provinzen bieten, die von einer 
grofien Zahl berufener Bearbeiter in dem mit einem Tafelbande aus- 
gestatteten Werke des deutschen Architekten- und Ingenieurvereins : 
Das Bauernhaus im Deutschen Beiche und in seinen Grenz- 
gebieten (1906) niedergelegt ist. Die Yierlande und das Gebiet 
der Eibmündung hat hier J. Faulwasser behandelt. Eine nähere 
Besprechung dieses Werkes, sowie der sonstigen neueren Literatur 
über den Hausbau aus den Jahren 1906 und 1907, unter der das 
Buch Meringers, Das deutsche Haus und sein Hausrat (1906 
in der Teubnerschen Sammlung: Aus Natur und Geisteswelt Bd. 116) 
hervorragt, gibt Otto Lauttkr in der Ztschr. d. Ver. f. Volks- 
kunde 18. Jahrg. (1908), S. 104 ff. und S. 196 ff. Aus diesem 
Berichte ersieht man zugleich, wie viele offene und streitige Fragen 
auf diesem Gebiete trotz aller schon aufgewandten Arbeit noch der 
Lösung harren. H. J. 

Die Beiträge zur Geschichte der Eibinseln vor Hamburg 
von Oberstleutnant Freiherm Grqte-Ebstorp (her. und vetV^ ^^^jö. 

Cistkr. 4. Vereins f. Hamb. Gesch. Xm. *^ 



178 Hinweise und Nachrichten. 

Verein für Heimatkonde in Wilhelmsburg, 110 S.) weisen in dankens- 
werter Weise darauf hin, einen wie reichen Schatz von Urkunden zur 
Geschichte des heutigen Wilhelmsburgs und der benachbarten Inseln 
I und Werder das Archiv der Familie Grote, der einstigen Besitzer 

dieser Gegenden, enthält. Der Verfasser fühlt sich nicht berufen, 

* eine Geschichte der EUnnseln zu schreiben, deren Geschicke durch 
\ Jahrhunderte hindurch in den Händen eines lüneburgischen Geschlechts 
' lagen, er wül nur Beiträge zu einer solcheti liefern, für deren Ver- 
öffentlichung er die Nachsicht des Berufshistorikers zu erbitten hat. 
Es darf daher nicht wundernehmen, daß die verschiedenen abge- 
druckten Urkunden zu manchen Fragezeichen Veranlassung geben , 

* und den Wunsch entstehen lassen, es möchte das gesamte, auch für 
die hamburgische Geschichte so wertvolle Material des Familienarchivs 

j einmal von fachmännischer Seite durchgearbeitet werden. N. 

t. In dem Jahresbericht der Männer vom Morgenstern, 

\ Heft 9 (1907) finden sich zwei, hier interessierende Aufsätze. 

i EoBRA schildert als Teilnehmer den Befund bei den Ausgrabungen 

der Altenwalder Burg und zieht die Folgerungen, die sich für 
Gestalt und Einrichtung, sowie Bedeutung der Anlage ergeben 
(S. 45 — 57). Danach handelt es sich um eine karolingische Befestigung; 
ob um ein castellum oder eine curiis, sei nicht zu entscheiden. 
Das erstere erscheint jedoch — zumal da Beste von Gebäuden 
nicht festgestellt werden konnten — als wahrscheinlicher: aus der 
neben dem Kastell liegenden curtis, von der wir im 1 1 . Jahrhundert 
hören, wird sich das spätere Dorf entwickelt haben. — Ed. Rüther 
gibt eine Übersicht über die Quellen zur Geschichte des 
Landes Hadeln (S. 80 ff.). Er bespricht die Urkunden, ältereii 
Handschriften und besonders eingehend und lehrreich die Chroniken. 
Dabei erfahren wir auch Genaueres über das Leben des Altenbrucher 
Kirchspielsaktuars Scherder und des Ottemdorfer Bürgermeisters 
Schmeelke, der ein Sohn der Schwester des Geographen Carsten 
Niebuhr war (S. 90 ff.)- Beider Sammlungen werden noch als Scherder- 
und Schmeelke-Archiv an den Stätten ihrer Wirksamkeit verwahrt. 

H.J. 

In einer lesenswerten Skizze hat Cur. Aug. Volqüardsen 
in klaren Linien ein Bild von dem verwickelten Verlauf der Geschiclite 
Schleswig-Holsteins entworfen. (Aus schleswig-holsteinischer 
Geschichte, Umrisse entworfen von Chr. A. V., Leipzig 1907.) 

N. 

In seinem der Ztschr. der Gesellsch. f. Schleswig- 
Holstein. Gesch. 37 (1907) beigegebenen Literaturbericht für 
1906/7, auf den hierdurch aufmerksam gemacht sei, lehnt 
R. V. Fischer-Benzon S. 482 f. die neue Topographie des 
Herzogtums Schleswig (1906) von Henning Oldekop vom 



Hinweise und Nachrichten. 179 

wissenschaftlichen Standpunkt aus ab; sie könne sich in dieser 
Beziehung mit der ScHRÖDERschen nicht vergleichen. Lediglich 
praktischen Anforderungen für dieKenntnis gegenwärtiger Verhältnisse 
könne das Buch genügen. H.J. 

Unter der Redaktion von Dr. 6. Pauli ist in Bremen eine 
neue Zeitschrift ins Leben getreten, von der der 1. Halbband des 
1. Jahrganges vorliegt. Sie nennt sich Jahrbuch der bremischen 
Sammlungen und beabsichtigt, das Interesse für die bremischen 
Museen, Bibliotheken und Archive, zunächst der staatlichen, dann 
aber auch der privaten, in weitere Kreise hineinzutragen. Zu diesem 
Zwecke sollen in dem Jahrbuche Aufsätze veröffentlicht werden, die, 
in einer dem Gebildeten ohne weiteres verständlichen Sprache ge- 
schrieben, von dem in den bremischen Sammlungen enthaltenen 
Material ihren Ausgang nehmen. N. 

Die zahlreichen historischen Kommissionen deutscher 
Staaten sind um eine solche für das Großherzogtum Hessen 
vermehrt worden. Auf Grund von Verhandlungen mit den hessischen 
Geschichtsvereinen und der Universität Gießen hat die Regierung 
13 staatliche Mitglieder der Kommission ernannt: darunter zwei 
Darmstädter Archivare, einen Pfarrer, zwei Bibliotheksdirektoren, 
drei Gynmasialprofessoren und fünf Universitätsprofessoren. Die 
Konmiission erhält für 1908 einen größeren staatlichen Zuschuß und 
will auch von den Städten und Provinzen Mittel zur Durchführung 
ihrer Aufgaben erbitten. Als solche sind zunächst in Aussicht 
genommen die Bearbeitung eines Mainzer Urkundenbuchs, die Heraus- 
gabe des Codex Laureshamensis, ein hessisches Kartenwerk, die 
Neubearbeitung einer hessischen historischen Bibliographie u. a. 

H.J. 

Für die Stadt Frankfurt a. M. ist im Jahre 1906 eine 
lediglich aus städtischen Mitteln dotierte Historische Kommission 
ins Leben gerufen (vergl. Mitt. des Ver. f. Hbg. G^sch. IX, S. 247), 
die aus dem Schulrat Stadtrat Dr. Ziehen, dem Archivdirektor Prof. 
Jung und dem Historiker der Akademie Prof. Kuentzel besteht. 
Diese Kommission scheint die ihr gestellten Aufgaben zur Förderung 
der stadtgeschichtlichen Forschungen mit systematischer Gründlichkeit 
nnd großer Energie in Angriff zu nehmen. Zunächst beabsichtigt 
sie das geschriebene und gedruckte Material zur städtischen Geschichte 
zusammenzustellen durch die Neubearbeitung des 1896 erschienenen 
Werkes von Jcno über das Stadtarchiv, seine Bestände und Geschichte, 
sowie durch die Bearbeitung einer Bibliographie zur Geschichte der 
Stadt. Dann will sie einige besonders wichtige Epochen der städtischen 
Geschichte des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, die bisher nicht oder 
ungenügend behandelt sind, zusammenhängend und unter Veröffent- 
lichung des wichtigsten Aktenmaterials darstellen lassen in. ^<i 



ii 



DRUCK VON LOTCKE ft WULFF * HAMBURG. 



Das Amt Bergedorf. 

Geschichte seiner Verfassung und Verwaltung 

bis zum Jahre 1620.^) 

Von 
Hans Kellinghusen. 



Quellen und Literatur. 

Die Quellen zur Geschichte des Amtes Bergedorf geben 
im wesentlichen ein deutliches Bild seiner Verfassung und 
Verwaltung. Für ihre gute Überlieferung war es schon an 
sich günstig, daß das Amt seit 1420 städtischer Besitz war 
und einer Mehrheit von Herren, dem Rate, unterstand. Infolge- 
dessen war der mündliche Verkehr zwischen der Obrigkeit 
und den Lokalbehörden mehr als in landesfürstlichen Ämtern 
ei-schwert und die schriftliche Anordnung und Berichterstattung 
das Gewöhnliche. Dazu kam zweitens, daß das Amt ein ge- 
meinsamer Besitz zweier Städte war. Denn wenn auch die 
Verwaltung zwischen Lübeck und Hamburg abwechselte, so 
geschah doch nichts Wichtiges ohne Wissen und Willen beider 
Städte, wozu denn oft langwierige Korrespondenzen nötig 
waren. So kann man für das Amt Bergedorf eine besonders 
reichhaltige Überlieferung erwarten, sie müßte sogar in der 
Hauptsache doppelt in den Archiven beider Städte vor- 
handen sein. 

Das erstere trifft zu, von letzterem ist das gerade 
Gegenteil der Fall. Beide Archive haben große Verluste 
erlitten, das Lübecker mehr im Laufe der Zeit durch un- 
praktische Aufbewahrung und Verzettelung der Akten in 
verschiedenen Registraturen,*) das Hamburger durch den 
großen Brand des Jahres 1842, der einen bedeutenden Teil 



Die Arbeit ist als Göttinger Dissertation entstanden; als solche 

gedruckt ist mit Erlaubnis der Fakultät der 1. und 2. Teil. 
^ Wehrmann, Das Lübecker Archiv in Ztschr. f. Lüb. Gesch. m, S. l 

ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XUI. 



182 Hans Kellinghusen, 

der Bergedorfer Akten vernichtete. Wenn sich trotzdem im 
großen und ganzen die Geschichte der inneren Entwicklung 
des Amts klar erkennen läßt, so liegt es daran, daß beide 
Archive sich in glücklichster Weise ergänzen, indem das eine 
gerade das bewahrt hat, was dem anderen fehlt. 

Da Lübeck zur Zeit der Eroberung des Amtes und in 
den folgenden Jahrhunderten die mächtigere Stadt war, auch 
das ältere Recht auf Bergedorf hatte, ^) so galt sein Archiv 
als das Hauptarchiv des gemeinschaftlichen Amts, in dem 
die allerdings wenig zahlreichen Urkunden aufbewahrt wurden, 
während Hamburg sich mit beglaubigten Abschriften begnügen 
mußte.*) Neben kirchlichen waren es hauptsächlich Urkunden 
aus der Zeit vor 1420; denn alle Verträge, die die Städte 
gemeinsam abschlössen, wurden natürlich in doppelter Aus- 
fertigung hergestellt. Unter den 50 bis 60 jetzt in der 
Abteilung Bergedorfien^ia in der Trese aufbewahrten Urkunden 
sind aber für die vorliegende Arbeit wichtiger die Bestallungen 
Lübscher Amtmänner und mehrere Verträge beider Städte 
über die Verwaltung des Amts. 

Die Bergedorfer Akten des Lübecker Archivs, eine große 
Zahl umfangi-eicher Volumina, sind im Jahre 1757 von dem 
Syndikus J. C. H. Dreyer geordnet und in einem Registranten 
verzeichnet worden. 

Die chronologische Anordnung ist hier fast gänzlich zu- 
gunsten der sachlichen aufgegeben. Es wurden von Dreyer 
etwa 40 Hauptabteilungen geschaffen, die je nach ihrem 
Umfang ein oder mehrere Volumina enthalten. Sie gliedern 
sich in zahlreiche Unterabteilungen, die häufig noch wieder 
geteilt sind. Auf diese Weise wurden die gesamten Akten, 
die bis zur Zeit der Ordnung vorlagen, verarbeitet, und es 
ist sehr wahrscheinlich, daß spätestens damals ein großer 
Teil der Korrespondenz, der keinen praktischen Wert mehr 



Vergl. meine Arbeit über die Eroberung des Amts in den Mitt. d. V. 

f. Hamb. Gesch. IX, S. 258 ff. 
') Die Orig.'Docum^nte sind immer in unsemi Archiv aufhewahrU zumal 

weil auch das Amt Bergedorf zum ersten hei dieser Stadt geicesen. 

Lübsche Instruktion v. 31. Okt. 1607, betr. die beim Ankauf des 

Warwischer Zehntens erhaltenen Urkunden. 



Das Amt Bergedorf. 183 

hatte, vernichtet ist. Denn während aus dem 15. Jahrhundert 
ziemlich viele Briefe vorliegen, die wohl wegen ihres Altei-s 
aufbewahrt wurden, ist von der regelmäßigen Korrespondenz 
aus dem ganzen 16. Jahrhundert fast gar nichts erhalten. 
Dagegen wird man über die meisten wichtigen Vorgänge und 
Veränderungen im Amt gut unterrichtet. Für die vorliegende 
Arbeit kamen besonders folgende Volumina in Betracht: 

Von den Amtmännern I. Von dem Amtschreiber. Von 
den Amtbedienten. Von den Contributionen und Schätzungen 
I u. n. Von den Diensten der Untertanen. Von den Vier- 
landen I — V. Vom Polizeiwesen. Von der Riepenburg. Vom 
Schloß und Haus zu Bergedorf. Von den Visitationen: a) Vis.- 
Recesse I, b) Vis.-Instructionen I, c) Vis.-Correspondence I, 
d) Vis.-Protocolle I. Vom Zoll zu Eislingen I, VI. Kleine 
Ergänzungen lieferten die Volumina: Stadt Hamburg n und IV, 
sowie: Sachsen-Lauenburg III. 

Von besonderer Wichtigkeit sind die Visitationsakten, 
da in den Visitationen seit dem Ende des 16. Jahrhunderts 
allein die Fortbildung der Verwaltung erfolgte. Sie sind in 
Lübeck gut erhalten, während in Hamburg der Brand alles 
vernichtet hat. 

Was in Lübeck fehlt, ist in Hamburg erhalten: die 
chronologisch geordnete Korrespondenz der Amtmänner (Hamb. 
Staatsarchiv Cl. m Lit. Q^ Nr. 1—20). Und merkwürdig, schlecht 
für die Zeit seit etwa 1572,*) für die gerade in Lübeck die Quellen 
reichlich fließen, gut dagegen füi- die ifitte des 16. Jahrhunderts; 
wo in Lübeck alles fehlt, liegt hier häufig für ganze Jahre die 
vollständige Korrespondenz vor.^ Während in Lübeck nur 
das sachlich bedeutende aufbewahrt wurde, gewinnt man hier 
einen Einblick in alles, was die Amtmänner beschäftigte. 
In diese Akten ist auch das wenige, was in Hamburg aus 
der Korrespondenz beider Städte bewahrt geblieben ist, ein- 
geordnet. Es ist sehr zu bedauern, daß der große Brand 



*) Seit 1578 alle Kezesse und Instruktionen, der größte Teil der Korre- 
spondenz und mehrere Protokolle. Näheres siehe Abschn. ü, 3. 

*) Aus der Zeit Franz von Stitens 1584 — 90 nur drei Briefe. 

^ Zum Beispiel aus der Zeit Ditmar Koels 1542 — 48 in Hamburg 117, 
in Lübeck drei Schreiben. 



184 Hans Kellinghosen, 

das Archiv, das anscheinend eine viel reichhaltigere Über- 
lieferung als das Lübecker besaß, so mitgenommen hat. Außer 
der Korrespondenz geben die Kämmereirechnungen ^) und der 
einzige füi- diese Zeit erhaltene Band der Kämmereiprotokolle 
(1563—68) wichtige Beiträge namentlich über den Amtshaushalt. 
Die Bedeutung des Hamburger Staatsarchivs als Quelle 
für die Geschichte des Amts hat sich sehr erhöht, seitdem 
in den letzten Jahren auf Veranlassung des Vorstandes der 
hamburgischen Archiwerwaltung die gesamten Archivalien aus 
dem Amts- und dem Stadtarchiv Berge dorf dorthin überwiesen 
sind. Diese Archive haben wieder einen ganz anderen Inhalt 
als die vorigen. Korrespondenzen sind aus älterer Zeit gar 
nicht erhalten, da die Amtmänner die Briefe, die in der Zeit 
ihrer Verwaltung eingekommen waren, mit sich hinwegnahmen. 
Erst 1618 wurde bestimmt, daß hinfort alle Briefe vom Amt- 
schreiber in eine Registratur gebracht und dorthin auch die 
noch vorhandenen Briefe früherer Amtmänner eingeliefert 
werden sollten.*) Seit 1596 liegen die Konzeptbücher der Amt- 
männer vollständig in neun starken Involuten vor. Wichtiger 
sind die Amtsbücher und Amtsrechnungen, die einen deut- 
licheren Einblick in den Gang der inneren Verwaltung ge- 
lyähren, als alles Bisherige. Für Einzelheiten verweise ich 
auf die Arbeit selbst. Ich zähle hier nur das von mir Benutzte auf : 

1. Amts- oder Borchbücher, erhalten 1590—96, 1601—02 imd 
1605—20 (6 Bde.). Das Amtsbuch von 1601—02 ist be- 
sonders wertvoll durch mehrere eingefügte Landgerichts- 
protokolle. 

2. Zerstreute Akten der vormaligen Landgerichte. 

3. Klagebücher 1597—1608 und 1614—20 (4 Bde.). 

4. 2 Übersichten über die Abgaben und Hofdienste 1570 und 
ca. 1580. 

5. Amtsrechnungen 1561 — 1610. 

6. Land- und Häuserregister von 1570 imd 1621. Morgen- 
buch von 1646. 

7. Bergedorfer Stadtbücher 1437—1620. 

Von 1420— 1562 higg, yonKOPPMAKN, Kämmerei-Rechnungen der Stadt 
Hamburg, Bd. ü— Vn. Die folgenden Rechnungen sind ungedruckt. 
*) Lüb. an Hbg. 1617 Dez. 15. Hbg. an Lüb. 1618 Jan. 9. 



Das Amt Bergedorf. 185 

So liefert jedes der verschiedenen Archive seine be- 
sonderen Beiträge ; erst in ihrer Vereinigung ergeben sie ein 
klares Bild der Verfassung und Verwaltung des Amts unter 
den Amtmännern. 

Eine Reihe von Quellen — und das leitet zur Literatur 
über — sind schließlich nur in dem zehnten Teil von 
Klefekers Sammlung der hamburgischen Gesetze und Ver- 
fassungen erhalten, der von Seite 241 — 798 die Landesver- 
fassung in dem gemeinschaftlichen Amt Bergedorf enthält.^) 
Das Werk, das hauptsächlich praktischen Bedürfnissen ent- 
sprang, ist besonders wichtig erat für die Zeit nach 1620; 
die Regieiomg und Verwaltung des Amts unter den Haupt- 
männern wird Seite 316 — 412 behandelt. Der Verfasser 
schöpft aus zum Teil seitdem verloren gegangenen Urkunden 
und Akten des Hamburger Archivs. 

Während das Lübecker Archiv noch so gut wie gar nicht 
benutzt ist, hat aus dem Hamburger Dr. VOIGT, der gründ- 
liche Kenner des Landgebiets, eine Reihe von Quellen nament- 
lich in den Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Ge- 
schichte herausgegeben und eine Menge von Beiträgen zur 
Geschichte des Amts, leider sehr zerstreut, in den Mitteilungen, 
in Zeitungen und als Gelegenheitsschriften geliefert. Was 
sonst über das Amt geschrieben ist, fußt größtenteils auf 
seinen Arbeiten. Auf umfassender selbständiger Forschung be- 
ruht die für die Kulturgeschichte wertvolle Schrift Dr. FiNDERs, 
Die Vierlande um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts 
(Wissenschaftliche Beilage zum Osterprogi-amm der Realschule 
in Eilbeck zu Hamburg 1907). Alle diese Publikationen geben 
Einzelheiten, eine zusammenhängende Darstellung der inneren 
Entwicklung des Amts ist noch nicht versucht worden. 

Dem verstorbenen Staatsarchivar Professor Dr. HASSE 
in Lübeck, vor allem aber Herrn Senatssekretär Dr. HAGEDORN, 
dem Vorstand des hamburgischen Staatsarchivs, danke ich 
für die Ermöglichung meiner Arbeit durch die bereitwilligste 
Eröffnung der vorhandenen archivalischen Quellen. 

Hamburg 1771 ; danach zitiere ich. Auch gesondert erschienen Ham- 
burg 1772; um hier, die Seiten zu finden, ist von der angegebenen 
Zahl 240 abzuziehen. 



186 Hans Kellinghusen, 

Verzeichnis einiger öfter abgekürzt zitierter Bücher. 

P. Hasse, Schleswig-Holstein-Lanenbnrgische Urkunden und Regesten. 
3 Bde. 1886—96. 

J. Klefeker, Der Kaiserl. freyen Eeichsstädte Lübeck und Hamburg 
angeordnete Landes-Verfassungen in dem gemeinschaftlichen Amte 
und Städtgen Bergedorf. Hamburg 1771 (Sammlung der ham- 
burgischen Gesetze und Verfassungen 10. Teil). 

K. Koppmann, Kämmerei-Rechnungen der Stadt Hamburg. 7 Bde. 

M. V. H. G., Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte. 

R. Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte. 5. Aufl. 1907. 

Z. V. H. G., Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte. 



I. Das Amt und seine Bewohner. 

1. Besiedelung der Vierlande. 

Eine erste Ei-wähnung der Eibmarschen vor Hamburg*) 
mag man darin sehen, daß das Erzbistum Hamburg bei der 
Erweiterung der Fälschung seiner Stiftungsurkunde kurz vor 
1123 alles bewohnte und unbewohnte Marschland in und zur 
Seite der Elbe in die Grenzen seines Sprengeis einschloß.*) 



über die Besiedelung der Eibmarschen handeln: Grupen, Origines 
Gcrmaniae H, S. 79 ff., de paludibus et insulis Albiae, Lemgo 1766; 
Lappenberg, Hamburger Rechtsaltertümer, Einl. S. 152 ff. (1845), 
und Melchior Lorichs Eibkarte S. 7 ff. (1847); am ausführlichsten der 
Wasserbaudirektor HÜBBE, Einige Erläuterungen zur historisch-topo- 
graphischen Ausbildung des Eibstroms und der Marschinseln bei Ham- 
burg, 1869. Technisch wohl bewandert, legte er seiner historischen 
Darstellung eine Beihe seitdem als falsch erkannter Urkunden zu- 
grunde und gewährte bei dem Mangel an Quellen seiner Phantasie^ 
einen zu großen Spielraum. Da seine Schrift oft benutzt wurde (z. B. 
von Meitzen, Siedelung und Agrarwesen), sind manche seiner Lrtümer 
in andere Werke übergegangen. E. 0. Schulze, Niederländische 
Siedelungen in den Marschen an der unteren Weser imd Elbe (Ztschr. d. 
bist. Vereins f. Niedersachsen 1889), fußt für die Vierlande ganz auf 
Lappenberg. 

*) Hasse I, 4: omnes quoque paludes infra sive iuxta Älbiam positM 
cultas et incultas infra terminos eiusdem parrochie panimus. Zur 
Ansetzung der Fälschung vergL Dehio, Gesch. d. Erzbistums Hamburg- 
Bremen n, Anm. S. 38. Palus heißt einfach Marschland, noch 1302 und 
1335 werden die Vierlande so bezeichnet, Mecklenb. U. B. V, 2794; 
Vn, 5612; 1315 wird palus mit „mersch" übersetzt, HASSE HI, 317. 
Der Gegensatz ist aridum: Geest. 



Das Amt Bergedorf. 187 

Deutlich aber treten die Eibmarschen zuerst bei der 
Gebietsabgrenzung zwischen den Diözesen Hamburg, Verden 
und dem neugegründeten Ratzeburg hervor. Der zwischen 
1155 und 1157 gefälschte Stiftungsbrief Karls des Großen 
für das Bistum Verden nahm die Bille von ihrer Mündung 
bis zur Quelle als dessen Grenze in Anspruch,^) schloß also 
den hier in Frage kommenden Teil der Eibmarschen in sein 
Gebiet ein. Für alle dadurch erhobenen Ansprüche auf rechts- 
elbisches Gebiet wurde Verden mit den Eibinseln Gorgers- 
werder und Reinerswerder, heute nicht mehr bestimmt erkenn- 
baren Orten, entschädigt.*) 

Zwischen Hamburg und Ratzeburg aber wurde 1162 auch 
die Bille als Grenze festgesetzt und infolgedessen wurden 
neun im Marschlande belegene Orte, die bisher kraft des vor 
1123 usurpierten Rechts zu Hamburg gehört hatten, an das 
Bistum Ratzeburg überwiesen.^ Von diesen Orten sind einige 
nicht mehr zu identifizieren, die meisten lassen sich in der 
Gegend des heutigen Billwärders nachweisen. 

Diese einfache Grenzbestimmung hat doch dadurch lange 
Zeit große Verwirrung hervorgerufen, daß man den 1443 von 
Bergedorf zur Dove-Elbe gegrabenen Schleusengraben*) für 
eine alte östliche Mündung der Bille ansah, die sich bei 
Bergedorf geteilt und mit ihren beiden Armen den Billwärder 
umflossen hätte. Eine solche Annahme Danckwerts*) wurde 
von Grüpen*) aufgenommen, der mit völlig nichtssagenden 
Gründen bewies, daß der östliche Arm der Hauptfluß der Bille, 
also die Grenze, gewesen sei. Ihm folgte LAPPENBERG ^, der, 
den Verdenschen Stiftungsbrief von 786 für echt haltend, nur 
so sich erklären konnte, daß der Billwärder bis 1162 zur 
Diözese Hamburg gehört habe. HÜBBE®) geht zwar hierauf 

Angeblich von 786, Mon. Germ. Hist., Urk. der Karolinger I, 240. 
^ In der Fälschung Heinrichs des Löwen für Ratzeburg von 1158 (s. u.), 

an sich wohl nicht zu bezweifeln. 
^ Hasse I, 109, llO. Namensdeutung im Hamb. U. B. I, 224. 
*) Lüb. U. B. Vn, 298. 

*) Landesbeschreibung von Schleswig-Holstein 1652, S. 242. 
•) GrüPEN, Origines Germaniae ü, S. 79 ff. 
^ Rechtsaltert. I, Einl. S. 152 ff. 
") Erl. zur Ausb. d. Eibstroms, S. 14 ff. 



188 Hans Kellinghusen, 

nicht ein, konstruiert aber aus den bekannten Grenzen des 
13. Jahrhunderts eine Bille-Seeve- Linie von Bergedorf zur 
Mündung der Seeve als kirchliche und politische Grenze, 
zwischen Erzbistum Hamburg — Grafschaft Holstein einer- 
seits und Bistümer Verden und Ratzeburg — Herzogtum 
Sachsen mit Sachsenmark andererseits, die sich für das 12. Jahr- 
hundert schlechterdings nicht urkundlich begründen läßt. 

Eine Spaltung der Bille bei Bergedorf in eine östliche 
und westliche Mündung hat es nachweislich nicht gegeben, 
sondern die eine Bille floß zwischen Billwärder und dem Geest- 
rande in die Elbe; als sie 1162 als Grenze festgesetzt wurde, 
wurde folgerichtig der Billwärder von Hamburg abgetreten. 

Aber auch die Bille -Seeve -Linie HÜBBEs hat nie be- 
standen. Durch sie wäre ein innerlich zusammengehöriges 
Gebiet schon vor seiner Kolonisation geteilt worden, und zwar 
durch eine nur auf der Landkarte existierende Grenzlinie. 
Die einzige Erwähnung dieser Linie wäre ein Abweichen von 
ihr durch den Vertrag von 1162.^) 

Diese Feststellung ist deswegen wesentlich, weil die 
Bille auch die politische Grenze zwischen der Grafschaft 
Holstein und der unmittelbar unter dem Herzog von Sachsen 
stehenden Sachsenmark bildete. Zur Zeit seiner Besiedelung 
war also das Marschland vor Hamburg ein einheitliches Gebiet; 
die Grafschaft Holstein hatte noch keinen Teil daran. 

Die Elbe durchfloß es in drei Armen, von denen der 
Hauptstrom schon früh die große Elbe südlich von Kirch- 
wärder*) war, während die beiden anderen, Gammelbe ge- 
nannten, versandeten und im 14. und 15. Jahrhundert an 
ihren oberen Enden abgedeicht wurden.^) 

Die Elbe teilte also das Marschland hier anfänglich 
vierfach. In ihrer Mitte bildete sie zwei Inseln, zu ihi-en 



') HÜBBE kommt tatsäclilich zu der wunderlichen Konsequenz, der Erz- 
bischof habe 1162 die Mündung des Billetals bei Bergedorf mit der 
Mündung des Billestroms in die Elbe verwechselt und so ohrie An- 
schauung der örtlichkeit den Vertrag abgeschlossen (S. 16). 

^ Das beweist die Anlage der Zollstätten zu Krauel und Eislingen an 
ihr; HASSE I, 329. 

') Darüber vergl. unten III, 4; falsche Angaben bei HÜBBE S. 35. 



Das Amt Bergedorf. 189 

Seiten erstreckte sich sumpfiges Land bis zum Rande der 
Geest. Es war nur natürlich, daß dies letztere zuerst der 
Kultur gewonnen wurde. 

Im Billwärder und den anschließenden Gebieten waren, 
wie wii' sahen, schon 1162 neun Siedelungen, die zu dem 
damals zuerst erwähnten Kirchspiel Bergedorf gehörten. Im 
Jahre 1180 bildeten fünf andere, jetzt ganz unbekannte Orte, 
die in derselben Gegend zu suchen sind, das Kirchspiel, der 
Billwärder scheint damals bereits ausgeschieden zu sein.^ 
Wenn der größte Teil dieser Namen völlig untergehen konnte, 
so ist klar, daß die Besiedelung am Ende des Jahrhunderts 
noch keineswegs gefestigt war. Die große Zahl von Namen 
auf kleinem Gebiet spricht überhaupt nicht für planmäßige Ko- 
lonisation, um so leichter mußten große Sturmfluten, wie die vom 
16. Febmar 1164,*) verheerende Wirkungen ausüben können. 

An Billwärder schloß sich das Land Gamma, in dem 
Curslack und Altengamme unter einem Deichverband liegen. 
Hier schenkte Heinrich der Löwe drei Hufen an das Bistum 
Eatzeburg,aberdiebeidenUrkunden angeblich vonll58 und 1174, 
die diese Schenkung erwähnen, sind zurückdatiert und stammen 
aus der letzten Zeit Heinrichs,') das Jahr 1158 als das der ersten 
Erwähnung der Vierlande ist also nicht haltbar. Des Löwen 
Sohn Pfalzgraf Heinrich gab sein Patrimonium drca fliivium, 
qiä Oamme didtiir im Jahre 1200 an den Grafen Adolf von 
Holstein zu Lehen, bei welcher Gelegenheit er 700 Mark von 
diesem empfing.*) Darunter müssen die ganzen zu beiden 



Hasse I, 138; doch steht in der Urkunde kein Wort davon, daß der Bill- 
wärder schon damals an Hamhurg zurückgegeben sei, wie LAPPENBERG, 
Rechtsalt. S. 154, HÜBBE S. 16 wollen. 

') Hehnold 11, 1 § 4, bei LAPPENBERG, Rechtsalt., S. 154. HÜBBE macht 
daraus ein Zitat Hehnold I, 4 und läßt diesen berichten, daß durch 
die Flut ^anze Landesteile des Billwärder verschlungen seien, beides 
ist von Meitzen m, S. 389 übernommen. 

^ Hasse I, 103, 132. Vergl. v. Büchwald, Bischöfe- und Fürsten- 
urkunden, S. 182 f. Hasse I, 124 Note. 

^) Arnold von Lübeck VI, 12 ; die Lokalhistoriker, ebenso Meitzen ü, S. 356 
sehen in dieser Summe eine Bezahlung für das Lehen, auch setzen sie 
den Vorgang, Lappenberg folgend, in das Jahr 1197, nach dem 
Zusammenhang fällt er ins Jahr 1200. 



190 Hans Kellinghusen, 

Seiten der Gammelbe liegenden Eibmarschen verstanden 
werden, nämlich die besiedelten Lande Gamme und Bill- 
wärder und die wohl noch unbesiedelten beiden Inseln. 

Doch nicht lange sollte sich der Graf dieses Lehens 
freuen; bald wurde er vom Dänenkönig vertrieben, von 1202 
bis 1227 unterstand alles Land bis zur Elbe Waldemar dem 
Sieger und seinem Statthalter Graf Albrecht von Orlamünde. 
Unter ihm wurde die Besiedelung der Eibmarschen vollendet. 

Vor 1212 wurde die nova insida versus villatn que dicitur 
Gamme, die zu Herzog Heinrichs Zeit noch eine hisida nondum 
cidta war, mit Deichen umzogen.*) Neuengamme und Reitbrook 
lagen auf ihr. Wahrscheinlich ist unter ihm auch erst die zweite, 
größere Insel, auf der Kirchwärder und Ochsenwärder lagen, 
bedeicht. Wenigstens wird Kirchwärder zuerst 1217 erwähnt.*) 

Als 1227 nach der Schlacht von Bomhöved die alte 
Herrschaft wieder eingerichtet wurde, da müssen sowohl Graf 
Adolf rV. von Holstein als Lehnsnachfolger seines Vaters wie 
Herzog Albrecht I. von Sachsen als Rechtsnachfolger des 
Grafen Albrecht, der ja das besiedelte Land bedeutend ver- 
mehrt hatte, Ansprüche auf die Marschen erhoben haben. Das 
Resultat war eine Teilung, die den Billwärder und den nörd- 
lichen Teil der beiden Inseln, nämlich Reitbrook und Ochsen- 
wärder, Holstein zuwies, während der Rest, das spätere Amt 
Bergedorf, bei Sachsen - Lauenburg verblieb. Erst dadurch 
entstand die keineswegs gerade Grenzlinie, die HÜBBE schon 
für das 12. Jahrhundert annehmen wollte. 

Fassen wir das Ergebnis noch einmal zusammen, so 
bestanden die Vierlande im Jahre 1227 aus drei gesonderten 
Deichverbänden. Die Jahre der ersten Erwähnung sind für 
Altengamme ca. 1188, Curslack 1217, Neuengamme 1212 und 
Kirchwärder 1217.*) Sicher ist nui-, daß Neuengamme erst 
von Graf Albrecht von Orlamünde besiedelt wurde, während 
Altengamme und damit Curslack schon früher bestanden. 
Über Kirchwärder läßt sich nichts Gewisses sagen. Da nun 

*) Hasse I, 103, 288. über die Besiedelungsgesch. Neuengammes gibt 

einen Exkurs Meitzen m, Anl. 118. 
*) Hasse I, 338, 340. 
^ Curslack, Hasse I, 336. 



Das Amt Bergedorf. 191 

in den erwähnten Bergedorf er Urkunden von 1162 und 1180 
eine Reihe seitdem untergegangener Ortsnamen vorkommen, 
die in der Gegend von Curslack zu suchen sind, so möchte 
ich annehmen, daß diese örtiichkeiten durch den Eibstrom 
wieder vernichtet wurden und erst dann, etwa in den Jahren 
1180 — 90 die erste dauernde Besiedelung der Vierlande mit der 
Gründung Altengammes und Curslacks vor sich gegangen ist. 

Eolonisationsurkunden, wie sie aus dem Marschlande des 
Erzbistums Hamburg -Bremen und anderen Marschgegenden 
mehrfach erhalten sind,0 liegen für das Gebiet der Eib- 
marschen vor Hamburg nicht vor. Man ist daher, um die 
wichtige Frage nach der Art der Besiedelung und im Zu- 
sammenhang damit nach Stand und Besitzrecht der Marsch- 
bewohner zu lösen, auf spätere Urkunden angewiesen. 

Ob die ersten bäuerlichen Siedler Holländer, Flamen, 
Friesen oder Sachsen waren, ist zurzeit noch nicht ausge- 
macht. Man kann darauf hinweisen, daß Heinrich der Löwe 
in dem unmittelbar anschließenden Marschland bei ArÜen- 
burg 1163 tres mansos hollandrenses an das neugegründete 
Bistum Lübeck schenkte*) und diese Schenkung mit der später 
bezeugten von drei Hufen in Gamma an das Bistum Ratzeburg 
zu korrespondieren scheint. Immerhin würde damit nur be- 
wiesen sein, daß die Ansiedlung nach Holländer- Art erfolgte, 
die für die gesamten Eibmarschen angenommen werden muß.*) 

Doch ist zunächst hervorzuheben:*) Von Mittelpersonen, 
sogenannten Lokatoren oder Unternehmern, denen der Landes- 
herr das Land zur weiteren Aufteilung an die Siedler über- 
gab und die dafür das erbliche Schulzenamt, hervonagenden 
Grundbesitz oder Befreiung von Grundlasten erhielten, ist 
keine Spur zu finden. Aber das zu bedeichende Land wurde 
überhaupt nicht von dem Herrn an Siedlungsgenossenschaften 
vergeben, vielmehr war der Landesherr selbst der Deich- 



Vergl. die Zusammenstellung bei y. Schwind, Zur Entstehungsgesch. 

der freien Erbleihe, S. 129 ff. 
*) Hasse I, 112. 
*) Meitzen m, S. 389. 
^) Vergl. zu dem Folgenden: GlEREE, Gesch. d. Deichrechts I, S. 133 ff., 

145, 156 ff. 



192 Hans Eellinghnsen, 

bauherr, der das Land nicht nur an freie Bauern ausgab, 
sondern von vornherein einen Teil für sich behielt, anderes 
an seine Ritter und an Kirchen und Klöster verkaufte oder 
verschenkte. Das beweisen die ältesten Urkunden:*) 
1158 — 88. Herzog Heinrich schenkt drei Hufen in Gamme 

an das Bistum Ratzeburg. 
1212. Ritter Reiner von Pinnow schenkt sein Erbe (here- 
ditatem), nämlich zweiHufen in Neuengamme, die er von 
Graf Albrecht kaufte, an dasDomkapitd zu Hamburg. 
1212. Truchseß Dietrich des Grafen Albrecht schenkt von 
seinen drei Hufen in Kirchwärder eine an das Dom- 
kapitel zu Hamburg. 
1217. Graf Albrecht selbst schenkt dem Bischof von Verden 
zwei Hufen in Kirchwärder, während der Bischof drei 
Äcker dazu kauft. 
1217. Graf Albrecht schenkt der Kirche zu Bergedorf unter 
anderem eine Hufe im Dorfe Curslack mit dem darauf 
wohnenden Kolonen.*) 
Besonders zu beachten ist der Besitz des Ritters Reiner 
von Pinnow auf der neuen Insel, der gleichzeitig mit der 
Besiedelung erworben sein muß. Deutlich geht femer aus 
den Urkunden hervor, daß diese Ritt^^r und Kirchen nicht 
über, sondern neben den anderen Siedlern standen; denn alle 
Grundlasten, von denen zu sprechen sein wird, lagen auf ihren 
Gütern und wurden nur aus besonderer Gunst des Landes- 
hcrm, besonders wenn der Besitz in geistliche Hände über- 
ging, teilweise aufgehoben.^ 

Das Land wiu-de in großen, rechteckigen, in langen 
Streifen nebeneinanderliegenden Marschhufen vergeben, die sich 
durch das ganze Land erstreckten, also mit beiden Schmalseiten 
an die Deiche stießen. Die Seite, an der die AVohnhäuser 
lagen, hieß der Hausdeich, die andere der Achterdeich. Bei der 
breiten Insel Kirchwärder lagen an beiden Deichseiten Häuser, 



*) Wie meistens sind wir auch hier für die ältere Zeit nur auf kirch- 
liche Archive angewiesen. 

2) Hasse I, 103, 288, 340, 338, 336. 

*) Über die Beteiligung von Adel und Klöstern am Ausbau von gnmd- 
herrlichem Lande vergl. auch Lamprecht, Wirtschaftsleben I, S. 137. 



Das Amt Bergedorf. 195 

man schied daher eine Norder- und eine Süderseite. In der 
Mitte der Insel, die durch eine Landscheide bezeichnet wurde, 
stießen hier die Hufen von beiden Seiten zusammen.^) 

Meitzen macht darauf aufmerksam,*) daß das Land in 
Neuengamme vor der Besiedelung nach Königshufen vermessen 
und danach der Heerweg ^ und die Hauptwetterung in der 
Mitte des Landes angelegt sei. Auch Pfarrer- und Organisten- 
hufe, die nach der Sitte vom Grundherrn vorweg angewiesen 
seien, hätten zusammen noch jetzt die Größe der alten Königs- 
hufe (49,2 Morgen = 47,52 ha).*) Nach der Bedeichung sei 
das Land dann in kleineren Hufen vergeben. Aber warum 
diese Verteilung nicht vom Grundherrn selbst, sondern von 
Unternehmern vorgenommen sein soll, ist nicht ersichtlich. 
Im übrigen paßt die Annahme, daß das Land nach dem 
Plane des Grundherrn bedeicht und die eigentliche Verteilung 
des Landes erst nach der Bedeichung vorgenommen sein soll, 
vortrefflich zu den Urkunden. 

Über diese Verteilung stellt RÖHR*) eine ansprechende 
Theorie auf. Er schließt aus der Zahl der Hufen und der Bauer- 
schaften in den einzelnen Landen auf die ursprünglich bei der 
Besiedelung ausgelegten Hufen, nämlich daß in Curslack, Alten- 
gamme und Kirchwärder jede Bauerschaft mit neun, in Neuen- 
gamme mit sieben Hufen ausgelegt sei. Das Ergebnis ist dann: 
Altengamme ... 3 Bauerschaften mit 9 Hufen = 27 

Curslack 3 „ „9 „ =27 

Kirchwärder ... 6 „ „ 9 „ = 54 

Neuengamme . . 5 „ „7 „ =35 

zusammen 143 Hufen. ^ 



HÜBBE, S. 18 ff.; GlERKE, S. 151 f. Weitere technische Einzelheiten 

bei HÜBBE. 
^ Meitzen m, S. 392 f. 

^ Der Curslacker Heerweg ist übrigens erst 1570 gebaut, s. n. m, 4. 
*) Die Pfarrhufen der andern drei Lande sind bedeutend kleiner, s. HÜBBE, 

Z.V.H.G.V, S.446. 
^ Die Entwickelung der Landwirtschaft in den Yierlanden bei Hamburg 

(Gießener Diss. 1907), S. 2. 
*) Daß diese Zahl sich mit der der wirklich vorhandenen Hufen ziemUch 

genau deckt (vergl. Abschn. 3), darf nicht als Bestätigung genommen 

werden. Denn letztere ist die Voraussetzung der ganzen Berechnung.. 



194 Hans Eellinghusen, 

Die abweichende Hufenzahl Neuengammes würde wieder 
seine spätere Besiedelung bezeugen, doch stimmt hier die 
Theorie nicht ganz zur Wirklichkeit. Die Größe des ein- 
gedeichten Landes der einzelnen Bauerschaften kann nach 
dem Morgenbuch von 1646 berechnet werden; es sind 289, 
265, 218, 307 und 282 Morgen. Da die Einheit der Hufe 
40 Morgen beträgt,^) so läßt sich die Morgenzahl der vier 
äußeren Bauerschaften ungefähr mit der Annahme RÖHBs 
vereinigen; die mittelste Bauerschaft aber hatte, wie auch 
ein Blick auf die Karte zeigt,*) augenscheinlich nur fünf Hufen, 
je zwei zu selten der Pfarrhufe. Die Theorie ist also nicht so 
sicher, wie sie auf den ersten Blick scheint. 

2. Besitzrecht in den Vierlanden; Grundherrschaften. 

Für die Verfassung und Verwaltung des Landes grund- 
legend ist das Besitzrecht der Siedler an Grund und Boden. 
Sie bestanden zwar hauptsächlich aus freien Bauern, aber 
auch geistliche und weltliche Grundheiren beteiligten sich, 
wie wir sahen, in größerer Zahl an der Besiedelung. Alle 
standen als Siedler dem Landesheirn als dem A^ergaber de» 
Landes gegenüber. Mit eigener Ki-aft oder durch ihre Hörigen 
hatten sie das Land, das vor der Besiedelung für den Herrn 
wertlos war, dem Strome abgewonnen und täglich mußten 
sie bereit sein, in schwerer Deicharbeit es gegen seine An- 
griffe zu verteidigen. Das konnten mit der nötigen Sorgfalt 
nur Leute tun, die ein eigenes Interesse am Lande hatten. 
Ein direktes Abhängigkeitsverhältnis vom Herni, etwa organi- 
siert in einer Grundherrschaft, war demnach ausgeschlossen;*) 
um ein solches Verhältnis zu begründen, hätten sich auch 
wohl keine Siedler gefunden. Andererseits waren die mittel- 
alterlichen Grundherren der definitiven Veräußerung von 
Grund und Boden abgeneigt.*) Das Gegebene war daher die 
Überlassung des Landes in freien, dem Eigentum gleichkommen- 

S. Abschnitt 3. 

2) Vergl. die Karte bei Meitzen, a. a. 0. 

') Natürlich konnten sich mit der Zeit drückende Abhängigkeitsveriillt" 

nisse herausbilden, wie es in Ostdeutschland oft vorgekommen ist 
*) V. Schwind, S. 164. 



Das Amt Bergedorf. 195 

den Leiheformen. In der Tat läßt sich in allen Marschkolonien, 
aus denen Kolonisationsurkunden erhalten sind, die aus den 
Markt- und Stadtgründungeu übernommene Gründerleihe nach- 
weisen, durch die die Siedler gegen einen jährlichen Aner- 
kennungszins von einem Pfennig ein vererbliches und ver- 
äußerliches Recht an der Hufe erhielten.*) Als Vorbild diente 
die Übertragung von Rottland gegen Landrecht, eine Abgabe, 
die ihren Ursprung in dem königlichen, später landesherrlichen 
Bodenregal hatte und auch unter dem Namen Königszins 
vorkommt.^ Die Gründerleihe ist auch als Besitzrecht 
der Siedler in den Vierlanden vorauszusetzen, und es findet 
sich in der Tat die Abgabe, die als der Anerkennungs- 
zins erklärt werden muß, der Königszins oder Königspfennig 
(talis censm gut didtur Konigspenni7ig, censt(s regis, regcUis 
cermis, census qui didtur Koningestyns),^ Der Königszins 
bestand als Hauszins (censm arearum) auch in der Neustadt 
Hamburg, die von den Grafen von Holstein gegründet war. 
1253 wurde er den Bürgern von den Grafen erlassen mit der 
AViikung, daß ihre Häuser nunmehr nach Erbrecht besessen 
wurden,*) war hier also ohne Zweifel ein Rekognitions- 
zins; in den Vierlanden blieb er, ohne daß man seine Be- 
deutung mehr kannte, bis ins 19. Jahrhundert bestehen.^) 
Als der Amtmann 1603 berichtete, daß die Lüneburger Fischer, 
die die Kirchwärder Fischvöhrden befischten, von jeder 
Vöhrde in recognitionem superioritatis et dominii jährlich 
dem Hause Bergedorf 1/J, den Vohrdschilling, gäben, dessen 



V. Schwind, S. 169; Rietschel, Ztschr. f. Rechtsgesch. 35, S. 187 ff. 

^ Schröder, R. G. S. 544, 627, 740. 

5) Hamb. ü. B. I, 884b; HASSE m, 507, 598. 

*) Hamb. U. B. I, 574. 

^) Auch im Hammerbrook bestand der Königspfennig als geringe Abgabe 
(der Ertrag aus dem ganzen Lande 15 — 16 ^ jährlich), und doch verlor 
der, welcher ihn nicht zu rechter Zeit by des Werdes Sunne unde der 
anstickenden Kerszen bezahlte, nach einer Findung von 1525 sein Land 
an die Herrschaft. Man erkennt daran deutlich den Anerkennungszins. 
HÜBBE, Das Hammerbröker Recht (1843) S. 77. HÜBBE kennt die 
Bedeutung nicht, zu seiner Zeit bestand die Zahlung des Zinses noch. 
Falck, Schleswig -Holsteinisches Privatrecht in, S. 506, identifiziert 
Xönigszins und Grafenschatz, ohne Zweifel zu Unrecht 



196 Hans Eellinghusen, 

Nichtbezahlung eine hohe Strafe an den Hauptmann zur 
Folge hätte, da fügte er hinzu, daß der Vordtschäling fast 
eben mit deni Kuninghspfening dieses Falk eine Oleidüieit haben 
sollte?) Der Vergleich sollte sich wohl auf die Kleinheit des 
Zinses und doch hohe Strafe beziehen, unbewußt hatte der 
Amtmann aber auch auf die Entstehung des Königspfennigs 
hingewiesen; denn daß die Städte in dieser Zeit noch irgend 
ein Eigentum an den Hufen der Vierländer Bauern beanspruch- 
ten, läßt sich nirgends nachweisen. 

Der Königszins lastete auf allem Grund und Boden, auch 
dem der geistlichen und weltlichen Grundherren, imd nur be- 
sondere Privilegien des Landesherm konnten von ihm befreien: 
so wurden die Güter des Klosters Reinfeld 1295 für ewig 
vom Königspfennig befreit und diese Befreiung 1323 auch 
auf neuerworbenen Besitz ausgedehnt.*) Auch das Kloster 
Schamebeck erlangte für seine Güter in Kirchwärder Frei- 
heit vom Königszins.^ Dieser Zins hat natürlich mit dem 
sonst vorkommenden Königszins, der der Heersteuer, dem 
Grafenschatz oder Schoß gleichgesetzt wird, nichts zu tun/) 

Eine kurze Übersicht über die auf dem Grundbesitss 
liegenden Abgaben und Leistungen, über die in der Geschichte 
der Verwaltung ausführlich zu handeln sein wird, bestätigt 
das freie Besitzrecht der Siedler. Die Hauptabgabe war der 
große und kleine Zehnte von Korn und Schmalvieh. Heinrich 
der Löwe beanspruchte die Zehnten in Gamma mit Erlaubnis 
des Bischofs von Ratzeburg ohne Lehnspflicht (s^ine feodo) zu 
besitzen, doch sollten sie jederzeit dem Bischof auf sein Ver- 
langen wieder frei sein.^) Später war die Verteilung folgende: 
der Zehnte wurde in Kirchwärder, das zum Bistum Verden 
gehörte, auch von diesem erhoben; in Bergedorf, Altengamme^ 
Curslack und Geesthacht stand er dem Bistum Ratzeburg zu; 
in Neuengamme war der Herzog selbst der Zehntberechtigte^ 



Joachim Brandt an Hamburg 1603 Aug. 3. 

^ Hasse n, 855; m, 507. 

^ Hasse in, 549; ungedr. Urkunden von 1325 und ir53 (StÄatsardÜT 

Hannover, Kloster Schamebeck, Nr. 279). 
*> Vergl. V. MaüEER, Fronhöfe m, S. 356 ff. 

Nach der Fälschung von 1158 für Ratzeburg, HASSE I, 103. 



Das Amt BergedorL 197 

doch hatte er den Zehnten hier in vielen Fällen seinen Rittern 
zu Lehn gegeben.^) Es ist dies übrigens in älterer Zeit die 
einzige Art des Lehns, die in den Vierlanden begegnet Der 
Herzog verkaufte auch sein Zehntrecht: so erwarb das 
Kloster Beinfeld zu den übrigen Freiheiten seiner Güter in 
Neuengamme 1286 und 1306 den Zehnten hinzu.*) 

Der Landesherr hatte femer das Recht, Beden im Lande 
auszuschreiben, und zwar von Anfang an: schon 1212 wird 
das Land des Hamburger Domkapitels in dem neubesiedel- 
ten Neuengamme von jeder Bede befreit.') Später schied 
man von kleinen die große und allgemeine Bede, die das 
gemeine Land gab; diese behielt der Herzog sich allein von 
allen seinen Rechten an den Grütem des Klosters Schame- 
beck vor.*) Sie wurde am Martinstag erhoben*) und ist noch 
zur Zeit der Städte unter dem Namen Martinsschatz die ein- 
zige allgemeine Steuer, während andere Schätzungen, die 
wohl teilweise mit den kleinen oder speziellen Beden des 
14. Jahrhunderts gemeint sind, auch damals nur auf einzelnen 
Hufen ruhten.^ 

Die wichtigsten Dienste sind Deichbau, Landwehr und 
Burgwerk. Als Herrendienst ist nur die letzte Pflicht auf- 
zufassen, doch wurde von den einzelnen wohl nie mehr als 
ein bis zwei Tage im Jahr verlangt. Auf alle Einzelheiten 
ist bei der Schilderung der Verwaltung näher einzugehen, 
hier ist nur festzustellen, daß aus keiner der Abgaben und 
Dienste auf ein beschränktes Eigentum geschlossen werden 



^) Schon 1212 an Reiner von Pinnow, Hasse I, 288; ferner y. d. Berge 
1284, Schorlemorle 1309, Holste 1312; HASSE H, 658; m, 211, 258. 

^ Hasse n, 658; m, 116. 

^ Hasse I, 288. 

*) Der Herzog darf sich zu keiner Zeit quicquam iuris aut exacHonia 
aut etiam censum regis an den Gütern des Klosters aneignen maiori 
(IC generali praecaria, quam cum communiter terra dederit, . . nohis 
tantummodo reservata 1325 HASSE m, 549. Ebenso für das Kloster 
Lüne 1326: wir reservieren uns kein Recht |>ra€fer petitionem maiorem 
ah Omnibus personis ibidem bona habentibus generaliter dandam 
Hasse m, 587. 

*) Urk. V. 1353 (ungedr. Hannover). 

•) Vergl. den Abschnitt Amtshaushalt. 

Ztschr. d. YereiüB f. Hamb. Oesch. Xm. 



198 Hans Kellinghnsen, 

kann. Besonders fehlt jede Abgabe, die beim Übergang einer 
Hufe in neuen Besitz oder beim Todfall des Besitzers zu 
leisten war. 

Dagegen wird die Hufe schon 1212 und wieder 1295 
liereditas: Erbe genannt,^) und dieser Ausdruck ist bis ins 
18. Jahrhundert der gewöhnliche. Die freie Veräußerlichkeit 
der Hufen, die bei der Gründerleihe möglich war, ist schon 
in den ältesten Urkunden bezeugt: Ritter Reiner von Pinnau 
hatte, wie man annehmen muß, seinen Besitz in Neuengamme 
bei oder gleich nach der Besiedelung vom Grundherrn, dem 
Grafen Albrecht, gekauft und ihn schon nach wenigen Jahren 
weiter vergeben; andere Güterübertragungen weltlicher und 
geistlicher Herren aus der Zeit von 1212 bis 1217 sind oben 
(S. 192) zusammengestellt. Ebenso aber war bäuerlicher Grund- 
besitz frei veräußerlich, schon vor 1228 verkaufte ein sicher 
bäuerlicher Besitzer Hartwig von Alerberghe seine halbe Hufe 
in Neuengamme an eine Frau Ottilia.*) Nur die Zustimmung 
des Herzogs scheint, solange man sich der Bedeutung des 
Königspfennigs bewußt war, bei einem Verkauf notwendig 
gewesen zu sein. Als das Kloster Reinfeld 1295 ein Erbe 
in Neuengamme kaufte, erhoben die Herzöge Einspruch da- 
gegen, weil es ohne ihre Lizenz und ihren Konsens usurpiert 
sei.*) Und 1264 wurde ein Landkauf zwischen Bauern von 
der Herrschaft ratifiziert.*) Die erste Besitzübertragung ohne 
eine Spur herzoglicher Zustimmung ist aus dem Jahre 1307.') 
Die Siedler, insbesondere die Bauern, besaßen also voe 
Anfang an ihre Hufen im wesentlichen schon zu demselbea 
Recht, zu dem sie sie noch heute haben. Es war oder wurde 
wenigstens unmerklich ein nur mit Reallasten beschwertes 
Eigentum. Nicht sicher läßt sich entscheiden, ob auch das 

>) Hasse I, 288; n, 855. 

^ Diese schenkte sie an die Kirche in Bergedorf, Hasse I, 549; der 

AnssteUer der undatierten Urkunde ist ein Bischof L. von Batzebui]^. 

Nach den Zeugen kann sie spätestens in das erste Jahr des Bischofo 

Ludolf (1236) faUen ; wahrscheinlicher gehört sie dem Bischof Lambert» 

der 1228 nur wenige Monate regierte. 
») Hasse n, 855. 
*) Hasse n, 285. 
*) Hasse m, 146. 



Das Amt Bergedorf. 199 

jin die Hufe stoßende Außendeichsland von jeher wie heute 
zu ihr gehörte. 

Mit ganz gleichem Recht stand an sich auch der 
Besitz der geistlichen und weltlichen Grundherren dem Landes- 
herrn gegenüber, auch von ihm waren Königspfennig und 
aUe Abgaben und Dienste zu entrichten. Freilich gelang 
es besonders den geistlichen Grundherren, allmählich durch 
Kauf oder Schenkung den Zins sowie alle oder den größten 
Teil der öfEentlichen Rechte, vor allem das Gericht, an sich 
zu bringen. So lösten sie sich aus der herzoglichen Gewalt 
und wurden selbst zu Landesherren. Auf das Besitzrecht der 
von ihnen abhängigen Bauern ist daher noch etwas näher 
einzugehen. 

Zuerst muß betont werden, daß, wenn auch fast alle 
aus dem 13. und 14. Jahrhundert erhaltenen Urkunden sich 
auf die Güter dieser Grundherren beziehen, doch ihr Besitz 
nur einen kleinen Teil des gesamten Landes ausmachte und 
sich im Laufe der Zeit wenig mehrte.*) Ein Land, in dem 
die Hauptlast, die Unterhaltung der Deiche, von allem Besitz 
gleichmäßig nach dem Verhältnis seiner Größe geleistet werden 
mußte, war nicht geeignet zur Bildung von Grundherrschaften. 
Besitzv^erschiebungen machten sich trotzdem bemerkbar: die 
weltlichen Grundherren bis auf einen stießen schon vor 1420 
ihren Besitz an die Geistlichen ab und bei diesen läßt sich 
eine gewisse Tendenz zur Arrondierung beobachten: so ver- 
kaufte 1329 das Kloster Lüne seinen ganzen Besitz in Kirch- 
wärder an das schon vorher hier begüterte Kloster Schamebeck,*) 
so tauschte 1323 das Kloster Reinfeld mit dem Herzog, um 
seinen Besitz in Neuengamme zu arrondieren*) usw. Immer- 
hin vergrößerte sich dadurch der grundherrliche Besitz nicht 
und blieb doch in einer Reihe von Händen zersplittert, ein 



*) An den Gütern des Klosters Schamebeck behielt der Herzog nur das 
Recht der Martinsbede (s. o.), an denen des Klosters Beinfeld 1295 nur 
das der Landwehr und des Burgwerks; HASSE n, 855. 

^ Man vergl. die nachfolgende Übersicht über die Verteilung des Grund- 
besitzes. 

5) Hasse m, 673. 

*) Hasse m, 507, 512. 

14* 



200 Hans Kellinghusen, 

Übergang von bäuerlichem Besitz in grundheirliche Hände 
läßt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. So konnten die 
Gnindherren zwar landesherrliche Rechte an sich bringen, 
aber auf die Verfassung des Landes keinen Einfluß gewinnen 
und sie etwa wie die Großgrundhen-en der Karolingerzeit zu 
ihren Gunsten umgestalten. Vom Landesherm konnten sie sich 
lösen, vom Lande nicht: stets blieb auch auf ihrem Grund- 
besitz die Deichpflicht, die ihn mit dem ganzen Lande verband. 
Daher konnte auch das Besitzrecht ihrer Bauern sich 
auf die Dauer nicht wesentlich von dem der freien bäuerlichen 
Eigentümer untei-scheiden. Ursprünglich mögen ihre Güter 
teilweise von Unfreien bewirtschaftet sein: 1229 schenkte 
Graf Adolf IV. von Holstein eine halbe Hufe in Gamma, die 
ihn von einem Liten heimgefallen war, an das Kloster 
Reinfeld.*) Aber schon die Kolonen der von Graf Albrecht 1217 
an das Bistum Verden geschenkten Hufen müssen freie Leute 
gewesen sein : denn es wurde ihnen auferlegt, dreimal im Jahr zum 
echten Ding zu kommen.*) Interessant ist, daß das Hamburger 
Domkapitel 1310 seine Hufe in Kirchwärder, die bis dahin 
vielleicht von Hörigen bewirtschaftet war, an einen Bauer 
Peter von Crowele (Krauel) für 300 Mark verkaufte, wobei 
es sich hohes und niederes Gericht und einen jährlichen 
Zins von 8 Schilling vorbehielt.^) Dadurch wurde also eine 
freie Zinsleihe begründet, dasselbe Besitzrecht, das die freien 
Bauern hatten,*) nur war der Zins etwas höher (8 /? ist an 
heutigem Silberwert etwa 7 Mark, an Geldwert etwa 50 Mark). 
In dieser Weise mag mancher grundherrliche Besitz in bäuerliche 
Hände übergegangen sein. Hierher gehört auch wohl die 
Urkunde, in der Ritter Hartwig von Ritzerow bezeugt, daß 
er an den Gütern, die Grube in Altengamme besitzt und 
bebaut, kein Eigentums- oder Herrschaftsrecht habe.*) 



^) Hasse I, 445. Laten sind iiicht selten im Besitz einer halben Lat- 
hufe; Wittich, Grundherrschaft S. 280. 

*) Hasse I, 338. 

=0 Hasse m, 221. 

*) Freilich hat die private Erbleihe rein vermögensrechtliche Wirkimgen. 

^) 1303 V. Westphalen, Mon. ined. II, 2288 (von HASSE nicht auf- 
genommen) : nulluni dominium aut 2>ro]>rietatem aut imperium. 



Das Amt Bergedorf. 201 

Dagegen besaßen die Bauern der Klöster Schamebeck 
und Reinfeld ihr Land im 14. Jahrhundert als Zeitpächter 
nach Meierrecht wie im übrigen Niedersaehsen.^) Die Hufe 
war Eigentum des Herrn, Haus und Ernte gehörten dem Meier. 
Seine Leistung war ein Getreidezins.*) Zog der Meier ab, 
80 wurde ihm der Wert seines Eigentums vom Herrn ersetzt, 
andernfalls brach er sein Haus ab und lud es auf seinen 
Wagen. Das letztere war aber in den Vierlanden durch 
herzogliche Ausfuhrverbote unmöglich gemacht. Herzog Erich 
gestattete nun 1318 den Eolonen und Hintersassen des Klosters 
Schamebeck, das sich bei seinem Loskauf aus der Gefangen- 
schaft freigebig erwiesen hatte, bei ihrem Abzüge von den 
Gütern des Klosters zu Kirchwärder und Gamme ihre Gebäude, 
die ja ihr Eigentum waren, abzubrechen und frei auszuführen, 
wohin sie wollten. Abt und Konvent sollten von den herzoglichen 
Beamten nicht mehr genötigt werden, den Kolonen den Wert 
ihrer Gebäude zu bezahlen, was notwendig gewesen war, solange 
die Ausfuhrverbote bestanden. •) In derselben Urkunde wurde 
dem Kloster die Ausfuhr seines Getreidezinses ohne besondere 
Erlaubnis der herzoglichen Vögte und Amtleute zugestanden. 

Das Kloster Reinfeld hatte das Recht, seinen Meiern 
in Neuengamme am Tage Kathedra Petri (Febr. 22) zu 
kündigen und den Zins neu zu bestimmen, dabei durften die 
oberhalb der Kirche wohnenden auch keinen Anspruch auf 
den grunthwert, das ist auf die Hufe mit allem Zubehör, 
erheben, während die Meier unterhalb der Kirche für alle 
sichtbaren Bauten, nämlich Häuser, Zäune, horrea genannt 
fter^rÄe (Komberge) und Weidengesträuch (scUices)^) Ersatz nach 
Landeswert fordern konnten. Weiteren Anspruch auf den 
grunthwert hatten auch sie nicht. Dies machten die Pro- 

Wittich, Grundherrsch. in Nordwestdeutschland S. 332 ff., 340. 

^ Getreidezins erwähnt 1318 für Schamebeck und Lttne HASSE III, 
371, 373. 

') damus ipsis . . . , quod ai quemqam colonorum aut subditorum dicti 
conventua in Kirchwerder et in Gamma commorantium ab ipso con- 
ventu et bonis eiusdem cedere contingeret, edificia sua infringere et 
libere deducere possit, quocumque placet. Nee abbas aut conventus 
ipsa edificia eisdem colonis solvere compelletur, Hasse HL, 371. 

*) Über dessen Verwendung vergl. Finder, Die Vierlande S. 13. 



202 Haus Eellinghusen, 

visoren des Klosters mit den Bewohnern ihrer Güter 1324 
vor dem Herzog ab.*) 

Das Besitzrecht der Bauern war hier also eine Zeit- 
pacht mit jährlicher Kündigung. Auch die Begründung eines 
Erbpachtverhältnisses kommt schon 1332 vor. Das Ham- 
burger Domkapitel lag mit dem Bauern Dittmar Passert in 
Streit über einige Morgen Ackers in Altengamme, die dem 
Kapitel gehörten. Durch den Herzog und seine Vögte wurde 
der Streit dahin beigelegt, daß das Kapitel auf alle Heuer- 
oder Zinsabgaben von dem Acker, die von dem Bauern viele 
Jahre zurückbehalten waren, verzichtete. Dagegen wollte 
der Bauer weder für grunthura noch füi' slusepenning}ie% 
noch für andere Ausgaben und Lasten, die er wegen der 
Äcker ausgelegt hatte, Ersatz fordern. Er versprach für 
sich und seine Erben von nun an jährlich 3 Mark Pfennige 
für die Äcker zu zahlen, bei Säumigkeit aber von ihnen zu 
weichen und alle Gebäude dem Kapitel zu lassen, das dann 
Äcker und Gebäude, wem es wolle, verpachten könne.*) Zu 
beachten ist, daß bis dahin der Zinsmann rechtlich nur zur 
Bezahlung seines Zinses verpflichtet war, während die öfEent- 
lichen Lasten vom Kapitel getragen werden mußten. 

Schließlich konnte auch grundherrliches Land in freies 
bäuerliches Eigentum übergehen. 1408 hatte das Kloster 
Schamebeck unter seinem Gut in Kirchwärder 4V2 Morgen 
frei von aller Landpflicht außer der Martinsbede, während 
vier andere Morgen dem Herzog landpflichtig waren. Das 
Kloster verkaufte nun die 4V2 Morgen zu Erbkauf an Heyneke 
Sybems, an dessen Land sie stießen, und dieser verpflichtete 
sich gegenüber dem Herzog zu Dienst und Landpflicht. Dafür 
befreite der Herzog die vier Morgen des Klosters von allem 
Dienst, Schatz und Recht.*) 

Die Bauern auf grundherrlichem Land hatten also die 
verschiedenartigsten Besitzrechte; im allgemeinen wird der 
Gang der Entwicklung auch hier wie im übrigen Nordwest- 

*) Hasse m, 534. 

*) Wohl Beiträge zum Bau einer Schleuse. 

^ Hasse m, 792. 

*) 1408 Febr. 24, ungedr., St.-A. Hannover, Kloster Schamebeck Nr. 419. 



Das Amt Bergedorf. 203 

deutschland gewesen sein: von der Unfreilieit mit erblichem 
dinglichen Recht an der Hufe zur Freiheit, und zwar zuerst 
zur Zeitpacht, dann zur Erbpacht.^) Aber die Entwicklung 
ging hier schon früh noch einen Schritt weiter zum Eigentum. 
Wie die Grundherren zu Landesherren, so wurden die Zins- 
leute und Zeitpächter zu Eigentümern, die dann ihrem Herrn 
dieselben Abgaben und Dienste schuldeten, wie die anderen 
Bauern dem Herzog. Wann und wie das geschehen ist, läßt 
sich aus den Archiven der Städte nicht feststellen. Im 
16. Jahrhundert war dieser Prozeß jedenfalls vollendet. 

Zur Zeit der Städte gab es folgende fremde Herr- 
schaften im Amt:*) 

1. Bistum Ratzeburg, später Herzog- 
tum Mecklenburg, 

in Curslack 42 Morgen 

in Altengamme 100 „ 

2. Kloster Reinbek, später Herzogtum 
Holstein 

in Curslack 38 „ 

in Altengamme 155 „ 

3. Kirche in Lauenburg, später Her- 
zogtum Sachsen-Lauenburg, 

in Curslack 30 „ 

4. Kloster Reinfeld, später ziunGut 
Wandsbek, 

in Neuengamme 200 „ 

5. Kloster Schamebeck, später Her- 
zogtum Braunschweig-Lüneburg, 

in Kirchwärder 235 „ 

6. die Herren v. d. Berge, später Her- 
zogtum Holstein, 

in Krauel 175 „ 

zusammen 975 Morgen (=942 ha). 

Die ganzen Vierlande waren nach dem Morgenbuche 

von 1646 6898 Morgen groß. Das fremde Land betrug 



Vergl. WriTlCH, Gnmdherrschaft 

2) Nach der Vermessung von 1644/45, VOIGT, M.V.H.G. VI, S. 217«L 



204 Hans EeUinghnsen, 

also 14,13% der Gesamtfläche. In Bergedorf und Geesthacht 
gehörte alles Land den Städten. 

Die einzige adelige Grundherrschaft war die der Herren 
von dem Berge auf Krauel, die Lehnsleute der Herzöge von 
Braunschweig-Lüneburg und Sachsen-Lauenburg waren. Der 
Krauel, einst von drei Eibarmen durchschnitten, deren Läufe 
sich noch erkennen lassen, ist, wie die Deichanlagen beweisen, 
später eingedeicht als die übrigen Vierlande, nämlich als die 
Q^se-Elbe abgedeicht wurde. Er schließt sich unmittelbar an 
das herrschaftliche Land der Riepenburg an, gehört aber 
politisch bis heute zu Neuengamme. 

Daß die Eindeichung mindestens ein Menschenalter 
vor 1344, und zwar von Neuengamme aus, geschah, geht aus 
einer Urkunde dieses Jahres hervor, in der von den Kirch- 
wärdem festgestellt wurde, daß weder sie noch ihre Eltern 
den Neuengammem zum Deichen des Eibdammes geholfen 
hätten.^) Daraus erklärt sich auch die politische Zugehörig- 
keit des Krauel. Wie die Herren von dem Berge, ohne 
Zweifel ein Zweig des Lüneburger Rittergeschlechts, zu dem 
Besitz des größeren Teiles des Krauel gekommen sind, läßt 
sich nicht mehr nachweisen.*) 



*) VOIGT, M.V.H.G. IV, S. 83. 1314 war der Krauel noch eine Ingel, 
Hasse m, 306. 

^ Man könnte versucht sein, die Begründung dieser Herrschaft in einer 
Urkunde von 1284 zu sehen, in der Herzog Albrecht ü. seinem getreuen 
Johann von Berghe, dessen Gemahlin und Kindern fünf Hufen und 
drei Stücke Land in Neuengamme schenkte, zumal die Größe dieses 
Landes zu der der Grundherrschaft paßt (HASSE U, 658). Aber dieser 
Johann von Berghe gehörte einer anderen Hamburger Familie des 
Namens an und war selbst Eatsherr in Hamburg. Und das hier 
genannte Land ist identisch mit dem später vom Kloster B^infeld 
besessenen. Denn 1551 yersuchten die von Bergenschen Erben mit 
Berufung auf diese Urkunde dem Kloster Beinfeld seinen Besitz streitig 
zu machen. Die Übersetzung des in der Urkunde vorkommenden 2Vi 
und Va pars agri hat ihren Herausgebern LAPPENBERG und HassB 
Schwierigkeiten gemacht Hasse berechnet Vs und Va Acker; aber 
Acker ist gar kein bestimmtes Maß. Es wird wörtlich Stück Land 
zu übersetzen sein, ein im 16. Jahrhundert oft vorkommendes Maß, unter 
dem vier Morgen verstanden werden. Der Besitz betrug also fünf 
Hufen und zwölf Morgen. 



Das Amt fiergedorf. 205 

Die Grundherrschaft Ost-Krauel nun, den größten 
geschlossenen Besitz in grundherrlichen Händen, vermochten 
die Städte trotz vieler Verhandlungen nicht unter ihre Hoheit 
zu bringen.*) Sie mußten vielmehr zusehen, wie der Besitz 
von dem ungefährlichen Adelsgeschlecht an den Herzog von 
Schleswig-Holstein überging, der ihnen bald ein unbequemer 
Nachbar wurde. Auch der geistliche Grundbesitz, über den 
die Hoheit wieder zu gewinnen die Städte ebenfalls vergeblich 
versuchten, kam nach der Reformation an weltliche Fürsten; 
durch Unaufmerksamkeit der Amtmänner gingen allmählich 
auch die letzten Rechte darüber verloren. Die Folge war, 
daß die Städte von dem größten Mißtrauen gegen jeden fremden 
Landesherm und jeden Adeligen erfüllt wurden. Kein Adeliger, 
überhaupt keiner, der unter einem fremden Herrn stand, 
durfte Grundbesitz im Amt erwerben.*) 

Wo aber kein Adel war, gab es auch keine adeligen 
Rechte. Und im 16. und 17. Jahrhundert, wo so viele freie 
Bauern durch den Adel in die Untertänigkeit herabgedrückt 
wurden, behielten sie hier ihre alten Rechte: allezeit unter- 
standen nur freie Leute mit vollem Eigentum den beiden Städten. 

3. Bauernklassen. 

Die freien Grundbesitzer wurden im 16. Jahrhundert 
Bauleute oder Hufner, ihr Land das Erbe oder die Hufe 
genannt. Die volle Marschhufe (mansus) enthielt wie in den 
übrigen Eibmarschen auch in den Vierlanden 40 Marschmorgen, 
ungerechnet das Außendeichland'), und noch im 17. Jahrhundert 
wird dieser Ansatz bei der Berechnung der Deichlasten zugrunde 
gelegt.*) Aber damals gab es die größten Abstufungen, von 
10 bis über 100 Morgen, und es ist nicht nötig anzunehmen, 
daß die Hufen ursprünglich gleich groß gewesen sind; es ist 



Vergl. Beneke, Der Krauel. Z.V.H.G. VI, S. Iff. 

^ Mandate von 1568, 71, 72, 78 und oft eraenert 

^ Der Morgen = 96,58 a, die Hufe also = 38,6 ha; MEITZEN m, 391. 
Der Marschmorgen hat die vierfache Größe des Kalenberger gewöhn- 
lichen Morgen. 

*) Vertrag der großen und kleinen Erbe in Neuengamme 1617 Sept. 



206 Hans Kellinghusen, 

sehr gut denkbar, daß der Landesherr von vornherein an 
Bauern, die nur über wenige Wirtschaftskräfte verfügten, 
kleinere Stücke gab. Doch auch aus der historischen Ent- 
wicklung läßt sich die vorhandene Besitzverschiebung erklären, 
die Möglichkeiten dazu waren durchaus gegeben. Erbteilungen 
mögen schon im 13. Jahrhundert die Entstehung der Halb- und 
Viertelhufen bewirkt haben, die uns in den Quellen, letztere 
unter dem Namen quadrayis oder frtistum, begegnen.^) Doch muß 
schon frühzeitig die Schädlichkeit dieser Teilungen erkannt und 
von der Herrschaft oder aus dem Volke selbst dagegen ein- 
geschritten sein. Seit dem 16. Jahrhundert wurden die Hufen 
regelmäßig in Individualsukzession vererbt, scheinbar mehr aus 
Tradition als infolge von Verboten der Städte.*) Aber das 
Schuldrecht gab häufig Anlaß zu Besitzverschiebungen: oft 
wiu-den Hufenteile verkauft und einem anderen Erbe zugelegt, 
in älterer Zeit bewirkte die Landverpfändung, die dem Gläu- 
biger die Pfandnutzung ließ, dasselbe, wenn der Schuldner 
nicht wieder in die Lage geriet, das verpfändete Land ein- 
zulösen. Bei einem Vermögensverfall war eine Aufteilung der 
Hufe unter die Gläubiger möglich. Von den 36 über zehn 
Morgen großen Hufen, in die Neuengamme 1570 zerfiel, ist 
eine bald nachher zwischen zwei benachbarten aufgeteilt, 
von einer anderen mußte der Besitzer 1662 den größten Teil 
(44 Morgen) an seine Gläubiger überlassen und sich selbst 
mit 18 Morgen begnügen; Besitzverschiebungen innerhalb der 
Hufen kamen später häufiger vor, weitere Hufenauflösungen 
fanden seitdem nicht melir statt, es sind also heute wieder 36. 
Neun dieser Hufen bestanden schon 1646 aus nicht zusammen- 
hängenden Stücken. Wer daher eine ursprüngliche Gleichheit 
der Hufen annehmen will, muß für die ersten vier Jahrhunderte 
nach der Besiedelung eine weit größere Besitzverschiebung 
voraussetzen, als sie sich in den letzten drei vollzogen hat. 



») Hasse n, 711; UI, 778, 998. Dort sind eine halbe Hufe und secha 
frusta zusammen zwei Hufen. DucANOE und Brinckmeykr kennen 
eine bestimmte Größe des frustum nicht. 

^ Ein Verbot im Rezeß von 1593, vollkommene Erben zu teilen, will 
mehr die Abteilung von Katen verbieten. 



Das Amt Bergedorf. 207 

Wie überall gab es neben den Hufnern auch in den 
Vierlanden einen Stand von Kleinbesitzern, den Kätnern oder 
Hausleuten, die nur eine Hausstelle mit gar keinem oder 
nur wenig meist zum Gartenbau benutzten Lande ihr Eigen 
nannten. Die Entstehung dieses Standes verlegt WimCH 
für Niedersachsen in die Zeit des Übergangs zum Meierrecht, 
als der Grundherr ihnen die bei der Zusammenlegung mehrerer 
Lathufen übrigbleibenden Hausstellen gab.*) Aber woher 
kamen plötzlich die nötigen Leute? In den Vierlanden 
wenigstens hat sich der Stand nicht durch einen solchen 
Zufall, sondern ganz natürlich entwickelt. 

Zur Bewirtschaftung der Hufen waren von vornherein 
abhängige Leute nötig, Knechte und Mägde, die auf dem 
Wirtschaftshof lebten. Dies Gesinde war sein Leben lang 
auf den Dienst angewiesen. Doch hatte ein großer Teil von 
ihnen aus allgemein menschlichen Gründen das Bedürfnis, 
einen eigenen Hausstand zu gründen; dem kam das Verlangen 
des Hufners nach Nachwuchs an Gesinde entgegen; das 
Gegebene war, daß er ihnen ein kleines Stück der Hufe zum 
Bau eines Häuschens, einer Kate, an die sich vielleicht noch 
etwas Land schloß, anwies. So entstand wohl schon bald 
nach der Besiedelung ein Stand von Kleinbesitzern, der sich 
freilich aus den Quellen nicht so früh erschließen läßt, weil 
sie keine Veranlassung haben, ihn zu nennen. 

Die ei-ste Urkunde, in der Kätner vorkommen, berichtet 
augenscheinlich von auf Kirchenland angesiedelten Leuten. 
Herzog Erich I. bestätigte 1334 dem Pfarrer in Neuengamme 
alles Recht und Eigentum über vier Katen over deme dyke 
(auf Außendeichland) sowie über einige Katen hinnen deme 
dyke, die alle der Kirche schon vorher gehört hatten und 
höchstwahrscheinlich auf der Kirchenhufe belegen waren.*) 
Die Leute (villani), die in den Katen wohnten, schuldeten 
der Kirche jährliche Pacht (pensio) und Dienst, dem Landes- 
herm dagegen waren sie zu keinem Dienst oder Abgaben 
verpflichtet. Das Gericht über diese Katen stand dem Rektor 



Grundherrschaft S. 352. 

^ Noch heute zahlen diese Kätner der Kirche besondere Abgaben. 



208 Hans Eellinghosen, 

der Kirche und dem herzoglichen Vogt gemeinsam zu, die 
Strafgelder fielen an den Rektor. Wurden die Kätner bei 
der Bezahlung der schuldigen Pacht oder bei Leistung der 
schuldigen Dienste lässig befunden, so durfte der Pleban ohne 
Kränkung der herzoglichen Gerichtsgewalt sie pfänden oder 
ihre Güter mit Arrest belegen. ^ Diese Kätner wurden also 
ganz und gar als Hintersassen der Kirche angesehen. 

Auf Außendeichland der Hufen wurden die Kätner vor- 
zugsweise angesiedelt: 1363 überließen die Schacks ihrem 
Herrn, Herzog Erich ü., ihre Rechte, namentlich das Gericht^ 
über alle Katen außer Deichs in der Neuengamme, die zu 
dem Gut gehört hatten, mit dem ihr Herr sie belehnt hatte.") 

Hufner und Kätner waren bis in die Neuzeit sozial 
scharf geschieden; ein Hufner, der im Besitz einer vollen 
Hufe war, heiratete sehr selten die Tochter eines Kätners. 

Aber immerhin, die durch nichts gehinderte Abtrennung 
von Hufenteilen ermöglichte auch dem Kätner, kleinere 
Stücke zu erwerben, ebenso wie sie den verschuldeten Hufner 
auf einen kleinen Teil seines Erbes beschränken konnte. So 
ist es zu erklären, daß der Besitz von Hufnem und Kätnern 
ineinander übergeht, ohne daß man aus den Quellen eine 
bestimmte Grenze ziehen kann. Als Hufner galt wohl von 
jeher wie heute der, welcher zu seinem landwirtschaftlichen 
Betrieb Pferde gebraucht. Man wird aber kaum fehlgehen, 
wenn man als Grenze zwischen Hufnem und Kätnern einen 
Besitz von zehn Morgen setzt. 

Die Verteilung des Grundbesitzes in den Vierlanden ist 
nach der ersten Vermessung von 1644/45 in dem Morgenbuch 
von 1646 aufgezeichnet.*) Die Zahl der Besitzer, nach der 
Größe ihres Gesamtbesitzes einschließlich des Außendeichlands 
geordnet, gestaltet sich danach folgendermaßen: 



Hasse III, 846. Die richtige Lesart ist: casas sitas proprie (statt 
prope) over deme dyke cum non nullis cdsis aitis proprie binnen deme 
dyke (nach einer von Herrn Eegierungsrat Hach freundlichst über- 
sandten Pause). Über proprie zur Einführung eines deutschen Ter- 
minus siehe FrensdoRFF, Hansische Geschichtsquellen I, S. LXVL 

^ SüDENDORF IX, 131,12. 

*) Vergl. VOIGT, M. V. H. G. VI, S. 213. 



Das Amt Bergedorf. 209 

iff^,«^« Kätoer v^^^« Hufner 

^^'8^®^ zus. ^^'^^^ zus. 

in -1 -5-10 10—20 30 40 60 60 70 80 90 100 110 

Curslack. . 24 14 10 48 5 46831 — ^ 

Alteng. ...682 16 3 652232— 11 25 

Neueng. ..6082 70 2 16 13 57— 1— — 35 

W.-Krauel 10 32 15 2 — 2 

Kirchw.-N. 15 24 8 47 5 975231 — 32 

Kirchw.- S . 19 27 15 61 9 5 3 4 3 — 24 

zusammen .... 257 26 25 27 32 15 14 3 1 1 1 143 

Der größte Wohlstand herrschte, wie auch sonst bezeugt 
ist, in Neuengamme, wo 32 Hufner einen Besitz von 30 bis 
70 Morgen hatten, das ärmste Land war Kirchwärder und 
besonders seine dem Eibstrom stets ausgesetzte Südseite. 
Der Kleinbesitz dominierte hier durchaus schon im 16. Jahr- 
hundert.^) 

Die Zahl der Hufner läßt sich seit dieser Zeit genau an- 
geben und war stets nur geringen Schwankungen unterworfen; 
sie war durch das verfügbare Land gegeben. Und wenn die 
Zahl der Geburten größer als heute war, so war die Sterb- 
lichkeitsziflfer viel höher. Der Hufner, der mehrere Söhne 
hatte, konnte sie fast regelmäßig bei Erbtöchtem oder Witwen 
unterbringen, die ihnen eine Hufe als Morgengabe mitbrachten. 
Ein nicht in den Hufen unterzubringender Überschuß war 
wenig oder gar nicht vorhanden. Dagegen stieg die Zahl der 
Kätner ununterbrochen. Nach dem Mai-tinsschatzregister von 
1570, das jedoch zu den Hufen vereinzelt, namentlich in 
Kirchwärder-Süd, auch Besitz unter zehn Morgen rechnete,*) 

war das Verhältnis so: 

Hufner Kätner 

Altengamme 27 30 

Curslack 27 28 

Neuengamme 39 48 

Kirchwärder-N 34 1 

J 

zus. ... 171 170 



64 
Kirchwärder-S 44 f 



Finder, Die Vierlande S. 3, steUt dies für heute fest und prophezeit 

eine vollständige Auflösung des Großbesitzes innerhalb 50 Jahren. 

') Vergl. RÖHR, Entwicklung der Landwirtschaft in den Vierlanden S. 1 ff. 



210 Hans Eellinghusen, 

Hufner und Kätner standen sich also ziemlich gleich 
gegenüber. Dann aber stieg die Zahl der Kätner rasch» 
Bereits 1593 sahen sich die Stadt« genötigt, die Vermehrung 
der Katenstellen zu verbieten, weil sie dadurch eine Schwächung- 
der Erben befürchteten.*) Doch Verbote fruchteten nichts* 
1616 schied man in Kirchwärder Großkätner, die Land bei 
ihren Katen hatten, und Kleinkätner, von denen oft zwei bis 
drei in einem Katen wohnten. Dieser Kleinkätner gab es 
damals 63.*) Zur Zeit der Anlage des Morgenbuches über- 
stieg schon die Zahl der grundbesitzenden Kätner die der 
Hufner bei weitem. Ein mächtiges Anwachsen der Bevölke- 
nmg war die Folge. 

Es ist aber ganz unmöglich, aus den angegebenen 
Zahlen, etwa denen des Jahres 1570, einen Schluß auf die 
Volkszahl zu ziehen. Wir wissen nicht, wie viele Per- 
sonen durchschnittlich in einem Hufnerhaushalt waren, wie 
viele davon unter den Kätnern noch einmal wieder vor- 
kommen. Den Haushalt nach städtischem Vorbild auf fünf 
Personen anzusetzen, würde viel zu geringe Zahlen er- 
geben, in Curslack z. B. 275 Einwohner. Als aber dort 
1599 eine Umlage nach Menschenzahl zum Bau der Ejrche 
erhoben wurde, zahlten 447 Menschen') und 1603 wurde 
das Kirchspiel auf 500 Einwohner geschätzt.*) Unter Zu- 
grundelegung dieser Zahl würde man die Bevölkerung 
der Vierlande um 1600 etwa auf 3100 Menschen angeben 
können. 

Die Kätner waren größtenteils Landarbeiter, entweder 
dauernd auf einer Hufe beschäftigt oder Lohnarbeiter. Aber 
auch Gewerbetreibende waren im 16. Jahrhundert schon in 
größerer Zahl vorhanden. Deutlich erkennbar sind nur die 
Fischer, Krüger und Händler (Kopschleger), die für ihr Ge- 
werbe eine jährliche Abgabe an das Amt zahlten. Nach den 
Amtsrechnungen gab es: 



Prot, und Rezeß von 1593. 

*) Amtsbuch S. 115: Vertrag wegen Hof dienst. 

') Brandt an Hbg. 1603 Sept. 12, vergl. M.V.H.G. X, S. 5ff. 

*) Landvogt Timm an Hbg. 1603 Aug. 13. 



Das Amt Bergedorf. 



211 



Fischer 

1573 1577 1589 1602 

in Kirchwärder . . 6 8 10 6 

„ Neuengamme .25 27 30 24 

„ Altengamme . . — — — 1 

„ Curslac k 7 7 10 7 

zns 38 42 50 38 



Krüger 

1573 1574 1577 1578 1589 1602 

10 11 12 13 8 6 

4 6 7 7 6 8 

4 4 4 4 3 2 

1 1 1 1 1 — 

19 22 24 25 18 16 



Händler 

1573 1578 1589 1602 

in Kirchwärder 12 8 9 13 

„ Neuengamme 19 26 11 15 

„ Altengamme 8 7 6 4 

„ Curslack 2 5 4 6 

zus 41 46 30 38 



Der Gemüsebau, dem jetzt der Hauptteil der selb- 
ständigen Kätner obliegt, hat sich erst später ausgebildet. 



4. Bergedorf und Geesthacht. 

Bergedorf ^) wird zuerst 1162 erwähnt als Kirchspiel, 
dessen Grenzen sich über den Billwärder und den damals 
besiedelten Teil der Vierlande ausdehnten. Neun zu diesem 
Kirchspiel gehörige Orte in den Marschen werden namentlich 
aufgezählt, 1180 werden fünf andere Orte augenscheinlich 
auch in den Marschen genannt,*) doch keiner von ihnen hat 
sich erhalten, alle scheinen mehr zufällige Siedelungen gewesen 
zu sein, die durch Veränderungen des Eibstroms wieder ver- 
nichtet wurden. Zugleich mit der planmäßigen Besiedelung 
der Vierlande werden auch die dortigen Kirchspiele gegründet 
sein, der Bergedorfer Pfarrsprengel dehnte sich seitdem nur 
über die Geest aus; bis 1598 gehörten, indem die kirchliche 
Zugehörigkeit die politische Trennung überdauerte, die lauen- 
burgischen Dörfer Wentorf, Woltorf, Bömsen und Escheburg 
dazu. Seitdem war das Kirchspiel auf den Umfang des 
Städtchens beschränkt. 



Bis ins 17. Jahrhundert stets Bergerdorf geschrieben. Der Name be- 
deutet Dorf der Berger, d. i. Bergbewohner. Freundliche Mitteilung 
von Herrn Prof. Dr. Edw. Schröder. 

^ Hasse I, 110, 138, vergl. S. 189. 



212 Hans Eellinghosen, 

Das Schloß in Bergedorf ist vermutlich durch den 
dänischen Statthalter Graf Albrecht von Orlamünde gebaut, 
der zuerst 1224 eine Urkunde in Bergedorf ausstellt.^) Es 
wurde von den Lauenburger Herzögen übernommen, Herzog 
Albrecht I. urkundet schon 1229 hier.*) 

Im Jahre 1275 verlieh Herzog Johann I. von Sachsen 
dem Ort das Recht der Stadt Mölln,*) damit wurde er recht- 
lich vom Lande abgesondert. An seine Spitze trat ein Rat, 
der nach lübschem Recht Stadt und Gericht verwaltete. 
Diese Verwaltung wird unten im Rahmen der allgemeinen 
Amtsverwaltung zu schildern sein, hier beschäftigt uns nur. 
das Besitzrecht und die berufliche Gliederung seiner Bewohner. 

1217 wurde auf die Klage des Priesters Arnold in 
Bergedorf, daß die Kirchspielseingesessenen von ihren Hof- 
stellen kein Rauchhuhn gäben, wozu sie von Rechts wegen 
verpflichtet wären, auf der Bistumsynode zu Ratzeburg ge- 
funden, daß, wer den großen Zehnten vom Getreide auf dem 
Acker und den kleinen vom Zugvieh gäbe, auch zur Lieferung 
des Rauchhuhns verpflichtet sei.^) Man kann daraus nur 
entnehmen, daß in dieser Zeit die bäuerliche Ackerwirtschaft 
in Bergedorf noch durchaus vorherrschend war. Auch die 
Angabe aus dem Jahre 1228, daß zwei Frauen, die ihr 
Patrimonium der Kirche in Bergedorf geschenkt hatten, dafflr 
auf Lebenszeit als Lehen unter anderem im Dorfe Bergedorf 
ein Haus mit Hofstätte und Obstgarten empfingen,*) gibt für 
unsere Fragen keine Aufschlüsse. Von da ab bis zur Eroberung 
des Amtes durch die Städte sind uns überhaupt keine Auf- 
zeichnungen über Bergedorfer Besitzverhältnisse erhalten. 
Das älteste Stadtbuch, dessen Hauptinhalt Verkäufe und 
Verpfändungen von Grundbesitz sind, beginnt 1437.^ Die 
Bewohner Bergedorfs waren damals, wie es nicht anders zu 
erwarten ist, freie Eigentümer, die Stadt hatte eigenen Grund- 



*) Hasse I, 421. 

^ Hasse I, 473. 

5) Hasse U, 490. 

*) Hasse I, 339. 

») Hasse I, 549, über die Datierung S. 198, Anm. 2. 

^ Das älteste Bergedorfer Stadtbuch 1437—1495, von mir hsg. 1906. 



Das Amt Bergedorf. 213 

besitz, den sie teilweise zur Bebauung mit städtischen Häusern 
vergab, unter Vorbehalt eines geringen Wortzinses.^) Der 
Ort macht im 15. Jahrhundert einen ganz ärmlichen Eindruck, 
größeren Besitz gab es damals wohl überhaupt nicht.*) Seine 
Bewohner, die sich in angesessene Bürger und Einwohner 
schieden,*) waren kleine Ackerbürger und Gewerbetreibende. 
Mindestens im Nebenberufe übten alle die Landwirtschaft aus. 
Eine erste Feststellung der Zahl der Bewohner Bergedorfs 
ist schon für das Jahr 1518 möglich. In diesem Jahre wurde 
den Bürgern und Einwohnern Bergedorfs von den beiden 
Städten die südwestlich des Ortes gelegene Gemeinweide, der 
Kamp, überlassen, um ihn jährlich vom 1. Mai bis 8. September 
zu ihrem Nutzen zu gebrauchen, während er in der übrigen 
Zeit Gemeinweide für das Vieh der Burg und des Blekes 
bleiben sollte. Einem jeden Bürger und Einwohner wurde 
sein Teil ausgesteckt, zugeteilt und zu seinem Haus und 
Erbe gelegt, von dem er durch Versetzung, Verkauf oder 
Verpfändung nicht getrennt werden durfte.*) Es erhielt also 
damals jedes Haus einen Teil des Kampes, andererseits war 
das Land nunmehr vergeben. Wer später ins Städtchen kam 
und kein Haus erwarb, mit dem ein Anteil am Kamp ver- 
bunden war, der ging leer aus; nur in der offenen Zeit konnte 
er sein Vieh auf die Weide schicken. An der Verleihung 
des Jahres 1518 nahmen 46 Häuser teil, danach hießen die 
an der Gemeinweide berechtigten bis ins 19. Jahrhundert die 
Sechsundvierziger.*) Das damalige Bergedorf bestand also 
aus 46 Häusern, das ergibt, auf das Haus 6,5 Personen ge- 
rechnet,^ als Einwohnerzahl 299. Zu dieser Zahl sind nun 



») StÄdtbuch, Nr. 31, 42. 

') Vergl. Stadtbuch, S. 21. 

^ Besetene Borger und Intoaner, Stadtbach 11 (oft). Bürger war nur, 

wer städtischen Grundbesitz hatte, alle Mieter wurden als Einwohner 

bezeichnet, Schröder R.G.5, S. 647 ff. 
*) Die Urkunde ist veröffentlicht von VOIGT, M.V.H.G. IV, S. 93. 
*) 1608 gerieten die Besitzer der kleinen Häuser in Bergedorf mit den 

46 Bürgern^ welche die Bauhäuser besitzen, in In*ung über die Weide, 

Rezeß § 11. Seitdem werden die Sechsundvierziger oft erwähnt. 
•) Nach Jastrow, Volkszahlen deutscher Städte im Mittelalter, S. ^' 

sind in verschiedenen Städten auf das Haus sechs bis sieben Einwol 

Ztachr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. Xin. 



214 Hans Kellinghusen, 

noch einzelne Personen, wie der Pastor, Küster mit ihren 
Familien, hinzuzurechnen, femer die Bewohnerschaft des 
Schlosses, aber über 350 Einwohner wird man kaum hinaus- 
kommen/) Die Stadtgemeinde stand also damals an Größe 
hinter den Landgemeinden der Vierlande zurück. Man sieht 
wieder einmal deutlich, nicht die Zahl der Bewohner machte 
das Wesen der mittelalterlichen Stadt aus. 

Die Einwohnerzahl wuchs im 16. Jahrhundert bedeutend. 
Seit der Mitte des Jahrhunderts etwa war der Raum inner- 
halb des Stadtgrabens im wesentlichen ausgebaut. 1561 wurde 
geklagt, daß der Rat zu viele Einwohner aufnehme, die mit 
anderen Leuten zusammen wohnten, was nicht allein Feuer% 
halben gefährlich, sondern atich den andern Bürgern, der 
Weide und sonst schädlich sei.*) Es begann daher die von 
der Herrschaft begünstigte Ansiedelung vor den Toren der 
Stadt, die wieder dem Bergedorfer Rat nicht recht war. 
1571 beschwerte er sich, daß viele neue Gebäude außerhalb 
des Fleckens gebaut würden, denen Höfe zum Abbruch 
gemeiner Weide zugeeignet würden. Doch hielten die Ab- 
gesandten der Städte diese Beschwerden für unerheblich, da 
man der Leute, die auf diesem Lande säßen, zu des Hauses 
Arbeit nicht entraten könne und sie auch dem Hause jährlich 
etwas gäben. Es solle aber hinfort ohne Bewilligung beider 
Städte niemandem gestattet sein, der Weide zum Nachteil za 
bauen.*^) In der Tat wuchs die Zahl der Vorstädter schnell, 
wie aus den Amtsrechnungen hervorgeht. Es waren 1561 : 3, 
1570: 13, 1573: 17, 1589: 38, 1601: 48, 1627: 77 Personen.*) 



gezählt. Bergedorf hatte 1885 5209 Einwohner in 800 Häusern, du 
ergibt genau 6,5 Einwohner auf das Haus. VOIGT, Top. Nachr. über 
die Stadt Bergedorf 1888, S. 28 f. 

*) Voigt, M. V. H. G. IV, S. 92, nimmt an, daß elf Besitzer kleinerer Häuser, 
denen später ein beschränktes Recht am Kamp zustand, das aber in 
dem Streit 1608 noch nicht erwähnt wird, ihr Hecht schon seit der 
Verteilung des Kampes hatten. Dann hätte es 1518 57 H&user mit 
371 Einwohnern gegeben, die Gesamtzahl der Stadtbevölkerung wir» 
etwa 420 gewesen. 

^ Bergedorfer Beschwerden, Nr. 9 ; 1561 Nov. 7. 

^) Bezeß von 1571, Neben- Abschied § 3. 

*) M.V.H.G. IV, S. 7f. 



Das Amt BergedorL 215 

Das Wachstum des Städtchens kommt zum Ausdruck 
in dem ersten Verzeichnis der Grund- und Hausbesitzer, das, 
zui' Zeit Johann Mollers verfertigt, in das Jahr 1570 oder 
kurz vorher zu setzen ist.^) Es enthält 122 Namen; Berge- 
dorf zählte danach 793 Einwohner,*) unter Zurechnung der 
oben genannten Personen etwa 850. Bis 1620 läßt sich ein 
weiteres Anwachsen der Bevölkerung verfolgen, die Zahl der 
Häuser betrug damals etwa 173, die Einwohnerzahl also 1125. 

Zum allgemeinen Nachweis der Steigerung der Be- 
völkerung mögen noch einige weitere Zahlen dienen, ohne 
daß aus ihnen bestimmte Schlüsse gezogen werden könnten. 
Die Zahl der Neubürger betrug 1579—1600: 174, 1601—10: 
120, 1611 — 19: 142.^ Zu den Kosten eines Orgelbaues trugen 
1598 104 Hausbesitzer, 36 Budenbesitzer, 55 Mietsleute, zu- 
sammen 195 Haushaltungen bei; zu den Kosten des Kirchturm- 
baues 1608 131 Hausbesitzer, 29 Budenbesitzer, 54 Miets- 
leute, 22 Witwen, zusammen 236 Haushaltungen.*) Das würde 
für die genannten Jahre, die Haushaltung zu 4,5 Personen 
gerechnet, als Mindestzahlen 878 und 1062 Einwohner ergeben. 

Die Neubürger waren zum großen Teil Bürgerkinder. 
Der Zuwachs entstammte hauptsächlich den nahe gelegenen 
Oeestdörfem des Herzogtums Lauenburg, die, wie gesagt, 
bis 1598 zum Kirchspiel gehörten, weniger den Vierlanden und 
hier wohl besonders dem geringeren Stand der Kätner. 

Das Verzeichnis von 1570 nennt 49 Handwerker, nämlich 
7 Schuhmacher und Altflicker, 6 Schiffer, je 4 Schmiede und 
Schneider, je 3 Bäcker, Rademacher, Tischler und Zimmerer, 
je 2 Kramer, Säger und Weber, je 1 Goldschmied, Kiemer, 
Korbmacher, Krüger, Messermacher, Pelzmacher, Schlachter, 
Stellmacher, Steinbrügger und Pferdearzt, außerdem 14 Arbeits- 
leute und 2 Schäfer.^) Doch befanden sich sicher unter den 

Abgedruckt von VOIGT, M. V. H. G. IV, S. 11—20. (Anno 1570) zu Be- 
ginn des Textes ist Zusatz von VOIGT. 

^ Voigt nimmt einschließlich der zur Miete wohnenden und der Amts- 
personen, wohl etwas zu hoch, 200 Haushaltungen und danach 
900 Einwohner an. 

^ Voigt, a. a. 0. S. 8. 

^) VOIGT, a. a. 0. S. 3. 

^) VOIGT, a. a. 0. S. 5f. 



216 Hans Kellinghusen, 

zur Miete Wohnenden noch Handwerker, die hier nicht mit 
aufgenommen sind. 

Mehrere Gewerbe waren zu Zünften zusammengeschlossen : 
Schuster, Schneider und Schmiede bildeten zusammen ein 
Amt, ein Zeichen, daß die einzelnen Handwerke zum selb- 
ständigen Zusammenschluß zu schwach waren. Aber auch 
hier erkennt man die Entwicklung der Stadt; 1574 traten 
die Schmiede, doch wohl um ein eigenes Amt zu begründen, 
mutwillig von der gemeinsamen Zunft ab, den beiden anderen 
wurde von den Städten gestattet, eine neue Gilde wieder 
aufzurichten.^) Außerdem ist aus der Zeit vor 1620 nur die 
Gründung eines Amtes der Barbiere und Wundärzte überliefert, 
das die beiden Städte Michaelis 1562 vier Bergedorfer Meistern 
als geschlossene Zunft auf 20 Jahre gestatteten; schon 1569 
wurde aber trotz Protestes der übrigen ein fünfter Meister 
zugelassen, in dieser Zahl hat das Amt bis 1850 bestanden.*) 
Trotz der Kleinheit des Ortes bestanden in ihm seit alters 
elf Krüge, deren Bedienung freilich wohl meistens im Neben- 
gewerbe ausgeübt wurde, denn das Verzeichnis von 1570 
zählt nur einen Krüger. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung 
wurde ihre Zahl noch erheblich vermehrt. Die Städte be- 
schlossen 1581: Ohvohl beide Städte die vielfältige Kruegerei 
zxi BergerdorJ abziiscJiaffe^i und nacJi altem Oebraucfi die 
elf Kruege wieder amuoi'dnen gut Fug und Macht getuibt, so 
haben sie dennoch etzlicJier des Orts unvormugenden, xvdche 
sicJi bistier des BierscJienkens daselbst notwendig ernähren 
müssen, angenommen und dem Hauptmann auferlegt, daß die 
Kruegerei zu Bergerdorf männigliclien frei bleiben, jedoch die 
fleißige Äufsic/it gescheiten soll, daß kein unzüchtig leben dabei 



*) Eingabe der Schuster und Schneider an Bgm. Heinr. Plonnies ia 
Lübeck 1574 März 23, Hbg. an Lüb. 1574 April 16. § 9. ProtocoU- 
u. Lehrlingsbuch von 1581—1640 im Bergedorfer Museum. Älteste 
Erwähnung des Amts 1500 siehe VOIQT, Ältere urkundliche Nachrichta 
über die Handwerker im Städtchen Bergedorf, M. V. H. G. m, 2, S. 38. 

^ Extract aus dem Protocollbuch Christoffer Thodes yon 1562 S^t 29. 
Verhandlungen zwischen den Städten und den yier Meisten 1569 
Nov., Dez. Zunftrolle von 1562. Die Eintragung in das Stadt- 
buch 1562 gedruckt von VOIGT, M.V.H.G. IH, 2, S. 39. 



Das Amt Bergedorf. 217 

getrieben werde, ein in der Zeit der zünftigen Abschließung 
immerhin bemerkenswerter Beschluß.^) 

Die Bevölkerung Bergedorfs setzte sich bis ins 17. Jahr- 
hundert ausschließlich aus kleinen Ackerbürgern, Handwerkern 
und Händlern zusammen, Schuster und Barbiere saßen im Rat, 
in jeder Hinsicht ti-at das Städtchen bis 1620 hinter den Vier- 
landen zurück. 

Ein ganz unbeachtetes Dasein fristete während der 
Amtmannszeit Geesthacht, die lauenburgische Enklave an 
der Elbe. Einige Spuren scheinen darauf hinzudeuten, daß 
die Herzöge einst eine Stadtgründung hier beabsichtigten 
und dem Ort ähnliche Privilegien wie Bergedorf gaben. 
1322 nennt Herzog Albrecht IV. seine Parochie Corslak 
und seine beiden Städte (oppida) Bergedorf und Geesthacht,*) 
1451 erfahren wir, daß an Geesthacht dieselbe Gerechtigkeit 
wie an Mölln verliehen war, ein Drittel der geringen Gerichts- 
brüche für sich zu erheben.*) Jedenfalls ist diese Gründung 
mißlungen. Geesthacht blieb ein kleines Dorf, wohl von dem- 
selben Umfange virie die übrigen Geestdörfer. Das Schatz- 
register von 1570 gibt neun Namen, 1598 waren acht Hufner 
und elf Kätner, 1618 acht Hufner und 13 Kätner vorhanden.*) 
Der Ort wird also ungefähr 100 Einwohner gehabt haben. 

Alles in allem zählte das Amt um 1570 etwa 4000 bis 
4500 Einwohner. Da das Amt 89,9 Quadratkilometer ent- 
hält, kamen auf den Quadratkilometer 45 bis 50 Menschen. 

5. Die Entstehung des Amtes Berge dorf. 

Von 1227 bis 1420 gehörte das Gebiet des späteren 
Amtes Bergedorf den Herzögen von Sachsen aus askanischem 
Stamm, seine Entstehung hängt mit den Teilungen in diesem 
Hause eng zusammen. Es ist daher kurz darauf einzugehen, 
zumal diese Teilungen bisher ganz falsch dargestellt sind. 



Rezeß Yon 1581, Neben-Abschied § 2. 

Hasse m, 488. 

5) Lüb. U. B. IX, 15. 

*) Voigt, M.V.H.G. m, 3, S. 22 ff. 



218 Hans Kellinghusen, 

Nach dem Tode des Herzogs Albrecht I. am 8. No- 
vember 1260^) spalteten sich keineswegs schon die beiden 
Linien Lauenburg imd Wittenberg*), vielmehr regierten seine 
Söhne Johann I. und Albrecht ü. gemeinsam bis zum 1285 
erfolgten Tode Johanns.^ Auch dann setzte Herzog Albrecht 
die gemeinsame Regierung mit den drei Söhnen seines Bruders^ 
deren Vormund er war, noch bis 1295 fort;*) erst in diesem 
Jahre erfolgte — aus welchen Gründen oder ob der Teilungs- 
plan schon früher gefaßt war, ist hier nicht zu untersuchen — 
die erste tatsächliche Scheidung, durch die Herzog Albrecht ü. 
das Haus Obersachsen oder S. -Wittenberg, seine Neffen das 
Haus Niedersachsen oder S.- Lauenburg begründeten.*) Ein 
Bestandteil des damals geschaffenen Herzogtums war das 
Gebiet des Amtes Bergedorf. 

Die drei Brüder Johann 11., Albrecht HI. und Erich I. be- 
hielten anfänglich die gemeinsame Herrschaft bei, angeblich im 
Jahre 1305 sollen sie aber zu einer zweiten Teilung geschritten 
sein, die dem ältesten, Johann 11., die Herrschaften Mölln und 
Bergedorf, dem mittleren Ratzeburg und dem jüngsten, Erich L, 
Lauenburg zuwies. 

Diese Behauptung^ enthält eine ganze Reihe von Un- 
richtigkeiten. Schon im Jahre 1302 oder 1303 entzweiten 



*) Vergl. VON HODENBERö, Calenberger Urk. DI, 339; falsches Datum in 
COHNs Stammtafeln, Taf. 57. 

^ So COHN, Taf. 57 u. 58, und in allen allgemeinen Geschichtswerken. 

^ V. DUVE, Mitt. zur Staatsgesch. Lauenburgs (1857), S. 98, 100. 

*) 1295 sicut res et bona ducatua Saxonie communiter possidemua et pro 
indiviao tenenius, Meckl. U. B. XU, 2307. Die letzte genau datierte 
gemeinsame Urkunde, in der die Herzöge noch unter Vormundschaft 
ihres Oheims stehen, ist yom 30. Juni 1295, V. HEINEMANN, Cod. dipL 
Anhaltinus ü, 793. 

^) Am 30. September 1295 treten die Herzöge zuerst selbständig nr- 
kundend auf, indem sie ihre Zustimmung zu einer Schenkung ihres 
Oheims für das Nikolai-Kloster zu Coswig (also im Wittenberger Teil) 
erklären, V. HEINEMANN, ü, 796. Am 20. September 1296 war die 
Teilung vollzogen, die Herzöge Johann II. und Albrecht UL best&tigesL 
den Lübeckern ein Privileg annis legitimis constituti post divigianem 
cum dicto patmo nostro factam, Lüb. U. B. 1, 602, vergl. V. DüYB S. 102. 

•) COHN, Taf. 58, V. KOBBE, 41 f., im allgemeinen richtig V. DUVB» 
S. 110 ff. 



Das Amt Bergedorf. 219 

sich die beiden jüngeren mit dem ältesten Bnider,^) und damit 
wurde die gemeinsame Herrschaft faktisch unterbrochen. Auch 
eine rechtliche Scheidung scheint schon damals vorgenommen 
zu sein, denn am 6. August 1303 verpfänden die Herzöge 
Albrecht IQ. und Erich I. in der ersten Urkunde, in der sie 
allein handelnd auftreten, ihren Teil (partem, que nos contingit) 
vom Zoll zu Mölln.*) Ob die damalige Teilung schon end- 
gültig war, steht dahin. Die herzoglichen Brüder blieben 
oder gerieten wieder in Zwist, "^ erst 1305 wurde eine Sühne 
und feste Freundschaft wieder hergestellt.*) Der anscheinend 
unterlegene und vielleicht schon damals erblindete Herzog 
Johann n. wurde, wie aus den Urkunden hervorgeht, mit der 
Herrschaft Mölln und dem ziemlich illusorischen Besitz des 
Landes Hadeln*^) abgefunden, während die beiden jüngeren 
Brüder die gemeinsame Herrschaft über das ganze übrige 
Land behielten.^) In dem größten Teil des Herzogtums blieb 
also immer noch ein Condominium bestehen, erst durch den 
unbeerbten Tod Herzog Albrechts DI. im Jahre 1308 fiel dem 
jungen Herzog Erich I. die alleinige Herrschaft in diesem Teil 
zu.^) Insbesondere gehörte die Herrschaft Bergedorf nicht, 
wie bisher behauptet wurde, Herzog Johann, sondern seinen 
jüngeren Brüdern. Herzog Erich urkundet 1309 in Bergedorf, 
bestätigt 1315 das Bergedorfer Stadtrecht und entschädigt in 
demselben Jahre das Kloster Reinbek für Schaden, den es 
durch das am Mühlendamm zu Bergedorf aufgestaute Wasser 



*) Die letzte gemeinsame Urkunde yom 21. Mai 1302, Mecklenb. U. B. V, 
2794 (bei HASSE ausgelassen), noch am 7. Okt. 1303 schreibt Bischof 
Ludolf von Minden an Johann ü. und Albrecht m. 

2) Mecklenb. U. B. V, 2881. 

') Am 14. Dez. 1303 standen Johann L, die Grafen von Schwerin und der 
edle Herr von Mecklenburg einerseits Albrecht m. und den Markgrafen 
von Brandenburg andererseits gegenüber. Mecklenb. ü. B. V, 2894. 

Hasse m, 98: Einsetzung eines Schiedsgerichts für künftige Streitig- 
keiten 1305 April 25. 

^) An dem übrigens später auch die jüngere Linie Rechte hatte. 

^) Das geht aus den Urkunden unzweifelhaft hervor, siehe unten. 

^) V. DüVE, S. 114. COHN, Taf.58, bezeichnet also Albrecht HI. fälschlich 
als Herzog von Batzeburg, die beiden ihm zugewiesenen Söhne sind 
zu streichen. 



220 Hans Kellinghusen, 

erlitten hatte.*) Dagegen ergeben die Urkunden Herzog 
Johanns keine Beziehungen zu Bergedorf. 

Der blinde Herzog Johann ü. hatte aus seiner Ehe mit 
einer Schwester des Grafen Gerhard des Großen von Holstein 
einen einzigen Sohn, Albrecht IV. Dieses Neffen sich anzu- 
nehmen, fand sich Graf Gerhard veranlaßt, als Herzog Erich I. 
nach dem Tode Königs Erich Menveds von Dänemark sich 
seinem Gegner, dem neuen König Christoph ü., 1320 anschloß.*) 
Der große Graf überzog verwüstend Herzog Erichs Land,*) 
von ihm und seiner Schwester angetrieben, mußte Herzog 
Johann 1321 wider Willen Ansprüche gegen Herzog Erich 
auf die Herausgabe eines Teils des Nachlasses ihres gemein- 
samen Bruders Albrecht DI. erheben. Da aber Herzog Erich 
beweisen konnte, daß er sein Land mit seinem verstorbenen 
Bruder ungeteilt und über zehn Jahre ohne Widerspruch 
besessen habe, während Herzog Johann ein von ihnen ge- 
schiedener Mann war, sprachen die Schiedsleute das Land 
ihm zu.*) Anders das Oberschiedsgericht unter dem edlen 
Herrn Heimich von Mecklenburg. Es urteilte nach be- 
schriebenem Kaiserrecht, daß an einem Lehen ein jeder 
Bruder Folge behielte, wenn ein anderer ohne Söhne ver- 
sterbe; zu einer Verjährung seien an Lehngut 30 Jahre 
erforderlich. Der deutschrechtliche Grundsatz, daß durch 
Teilung die gesamte Hand gebrochen und alle Lehusfolge 
aufgehoben werde, wurde hier zugunsten des langobardischen 
Lehnrechts beseitigt. Im übrigen sprach das Schiedsgericht 
dem Herzog Erich wegen des Überfalls seiner Lande durch 
den Grafen Gerhard Schadensersatz zu, wenn Graf Gerhard 
nicht widerlegen könne, daß er ihn während gelobter Sühne 
und ohne Absage überfallen habe.^) Schließlich einigte man 

') MiCHELSEN, Schleswig-Holst. U. B. U, 312; HASSE m, 314, 317. 
*) Vertrag zwischen König Christoph und Herzog Erich 1320 April 8, 

SüDENDORF VII, 197,4. 
3) Ann. Lubicenses M. G. Script. XVI, 428 zu 1321 : Item Gherardui 

comes Holtsatiae, volente 8ua sorore ducissüf sed dolente «wo genere 

Johanne duce Saxoniae Ericum fratrem Johannis compulU 9uam 

terram devastando. 
*) Spruch vom 31. Okt. 1321, Sudendorf VE, 197,5. 
•) SüDENDORF Vn, 197,6. 



Das Amt Bergedori 221 

sich dahin, daß Herzog Erich seinem Bruder vier Kirchspiele 
abtrat.^) Das müssen die die Herrschaft Bergedorf bildenden 
vier Kirchspiele Bergedorf, Curslack, Altengamme und Geest- 
hacht gewesen sein, die sich erst von nun an im Besitz der 
älteren Linie des Hauses Sachsen-Lauenburg befinden. 

Dagegen verblieben die auch zu den Marschlanden 
gehörenden Kirchspiele Neuengamme und Kirchwärder bei der 
jüngeren Linie und bildeten spätestens seitdem die Vogtei 
Eipenburg. Sie tritt als besonderes Gebiet schon in der 
Leibgedingsverschreibung für die Witwe Hei-zog Albrechts DI. 
hervor: König Ludwig der Bayer bestätigte ihr 1314 unter 
anderem den Besitz von Neuengamme und Kirchwärder mit 
der Insel Krauel und dem Zoll zu Eislingen, also die Vogtei 
Ripenbui-g in ihrem ganzen Umfange.*) 

Ein 1322 beabsichtigter Austausch der Vogteien Berge- 
dorf und Ripenburg zwischen beiden Linien,*) den Graf 
Gerhard der Große dem jungen Herzog angeraten hatte, ist 
nicht zur Ausführung gekommen. 

Herzog Albrecht IV. war vollständig von seinem großen 
Oheim abhängig. Bereits 1322 verpfändete er ihm seine 
Herrschaft Mölln mit seinem ganzen Gebiete für 6000 Mark 
lötigen Silbers, 1330 seine Herrschaften Mölln und Bergedorf 
und das Land Hadeln für die riesige Summe von 10 000 Mark 
lötigen Silbers (eine lötige Mark = heutigen 40 Mark, also 
die ganze Siunme an heutigem Silberwert 400 000 Mark, an 
Geldwert etwa 2 800 000 Mark), die der Graf bei der Wieder- 
verheiratung seiner Mutter mit dem jungen König Erich von 
Dänemark als Aussteuer verauslagt haben wollte.*) 

Das Verhältnis der beiden Urkunden zueinander ist nicht 
ganz klar; schon in der ersten hatte der junge Herzog alle 
seine Herrschaften verpfändet, die zweite zählt diese Hen-- 
schaften und Rechte genauer auf, führt überhaupt die Be- 
stimmungen der ersten Verschreibung klarer aus und ergänzt 



^) Ann. Lubicenses S. 428: quatuor parrochias suae terrae cum vülxa 

adiacentibus. 
") SüDENDORF Vn, 60,4. 
^ Sudendorf VU, 60,5. 
*) Hasse m, 485, 716. 



222 Hans Kellinghusen, 

sie. Doch läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob durch sie 
die erste Urkunde ungültig gemacht wurde. Der Zweck 
beider ist ziemlich durchsichtig. Der Herzog und seine 
Erben behielten die vollkommene Nutzung über ihr Land, 
Graf Gerd versprach ausdrücklich, sie an ihren Herrschaften 
imd Landen nicht zu hindern noch zu pfänden; erst nach dem 
Aussterben der männlichen Nachkommenschaft des Herzogs 
trat das Pfandrecht des Grafen und seiner Erben in Kraft, 
dann aber so lange, bis die Pfandsumme von dem dazu Be- 
rechtigten voll luid ganz bezahlt war. Graf Gerd übernahm 
auch noch die Verpflichtung, nachgelassene Töchter auszu- 
statten und Witwen bei den ihnen verschriebenen Leibzuchten 
zu lassen, so daß dem Herzog und seinen Nachkommen überall 
keine Nachteile aus den Verschreibungen entstanden. Es 
sollte aber duixh die Verträge das Erbrecht der jüngeren 
Linie des Lauenburger Hauses zugunsten der Holsteiner aus- 
geschaltet werden, die Pfandsiunmen waren vielleicht mit 
Absicht so hoch gesetzt, daß eine Einlösung kaum möglich war. 
Über diese verlautet nichts, die beiden Urkunden sind 
im Geheimarchiv zu Kopenhagen überliefert. Gleichwohl 
müssen die Holsteiner mit ihren Ansprüchen in irgend einer 
Weise abgefunden sein, als die Länder der älteren Linie, 
zuerst Mölln 1359, dann der übrige Besitz 1370 an Lübeck 
verpfändet wurden.^) Das Wahrscheinlichste ist wohl, daß 
die hohen Pfandsummen (zusammen 26 000 Mark Pfennige, 
an heutigem Silberwert fast 300 000 Mark, an Geldwert 1,8 
bis 2 Millionen Mark), die die Herzöge von Lübeck bar 
erhielten, größtenteils zur Befriedigung der Holsteiner gedient 
haben. Herzog Erich III. gab 1370 an, daß er mit dem 
Gelde seine Lande, Schlösser und Festen gebessert und 
wiederhergestellt, seine und seines verstorbenen Bruders 
Schulden bezahlt, sowie seine Zehrung und Kost gehalten 
habe. Man darf wohl nicht sagen, daß durch Verabredung 
zwischen Lübeck, welches auf schlaue Weise dauerhaft in 
den Besitz des Landes kommen wollte, und den kinderlosen 
Herzögen die Pfandsumme absichtlich so hoch gesetzt sei. 



>) Lüb. U. B. m, 323/24, 707. 



Das Amt Bergedorf. 223 

daß eine Einlösung* durch die jüngere Linie unmöglich gemacht 
wurde. Will man diesen Vorwui-f erheben, so muß man es 
den Grafen von Holstein gegenüber tun, die zuerst eine 
ungeheure Schuldenlast auf das kleine Herzogtum gehäuft 
haben; Lübeck düi-fte nur die Gelegenheit, die ihm vielleicht 
von den geldbedürftigen Holsteinem selbst geboten wurde, 
benutzt haben, um namentlich durch die Erwerbung Möllns 
einen Stützpunkt für den Schutz der großen Handelsstraße 
über die Elbe nach Innerdeutschland zu gewinnen.*) Im 
Grunde aber rächte sich hier die unglückliche Teilungspolitik, 
die von den Herzögen selbst hervorgerufen war.') 

Die Verpfändungen von 1359 und 1370 waren die 
Grundlage, aus der sich die Ereignisse entwickelten, die zu 
der Erwerbung des Amtes durch die beiden Städte Lübeck 
und Hamburg führten,*) darum ist auf ihren Inhalt noch etwas 
einzugehen. 1359 verpfändeten die Herzöge an Lübeck die 
Stadt Mölln mit der Hoheit und der Vogtei, die zur Stadt 
gehörten.*) Doch bezeichnet hier Vogtei nicht nur, wie es 
auf den ersten Blick scheint, den Inbegriff der landesherrlichen 
Rechte in der Stadt, sondern das zur Stadt gehörende Herr- 
schaftsgebiet oder Amt. Denn es huldigte dem Rat von 
Lübeck außer der Einwohnerschaft Möllns auch der land- 



V. DüVE, S. 240. v. DüVE, der Lauenburger Patriot, leitet alle 
Handlungen der Städte aus schlechten Motiven, kaufmännischer Ge- 
winnsucht, ab, während er den Herzögen nur edle Absichten zuschreibt. 

^ Der Schutz der gemeinen Königsstraße wird wiederholt in der Urkunde 
von 1359 als Grund des Erwerbes angegeben. 

^ Carstens, Bericht von der Schwester des Grafen Gerhard des Großen 
(Hist. Abhd. der Kgl. Ges. d. Wiss. zu Kopenhagen, aus dem Dänischen 
von V. A. Heinze [1782] Bd. I, 314, 329), glaubt an keine Bezahlung 
der Holsteiner, da die Verschreibungen in ihren Händen geblieben 
seien; an dem Antritt der Pfandschaft nach dem Aussterben der 
Lauenburger Linie 1401 seien die Holsteiner gehindert, weil Lübeck 
damals schon im Pfandbesitz war. Mir scheint eine doppelte Ver- 
pfändung unmöglich zu sein. Übrigens geschah die Verpfändung 
Möllns 1359 mit Zustimmung aller, quorwn ad hoc consensua fuerant 
requirendi. 

*) Vergl. zum folgenden meine Arbeit über die Eroberung, M. V. H. G. IX, 
S. 258-274. 

*) Cum dominio et advocada, que ad opidum Molne pertinent 



224 Hans Kellinghusen, 

sässige Adel, insgesamt zwölf Herren, für seinen in der Vogtei 
belegenen Besitz unter Vorbehalt der Rechte an seinen 
anderen Gütern extra advocatiam in Molne situatis}) Lübeck 
erhielt alle landesherrlichen Rechte in der Vogtei, doch ver- 
sprach es, nicht mehr als 940 -^ jährlich daraus zu erheben,*) 
sondern etwaigen Überschuß den Herzögen zuzuwenden. In 
derselben Weise verpfändete der letzte Herzog dieser Linie, 
Erich ni., 1370 seinen übrigen Besitz: sein Schloß und 
Weichbild Bergedorf mit der Vogtei, dem Landgut: Marsch 
und Geest, sein Dorf Geesthacht mit dem Zoll, seine Dörfer 
Nüsse und Duvensee und sein ganzes Land mit allen Rechten 
und Zubehör, femer den Herzogenwald (Sachsenwald) und das 
Land Hadeln. Zu diesem Vertrag hat Lübeck augenscheinlich 
den Herzog veranlaßt, um nach seinem Tode Hand auf sein 
ganzes Herzogtum legen zu können. Denn nicht nur behielt 
er, wie in einem Nebenvertrag ausgemacht wurde, auf 
Lebenszeit die Nutznießung seiner Residenz Bergedorf und 
des ganzen neuverpfändeten Landes, sondern auch in der 
Vogtei Mölln wurden ihm auf Lebenszeit wieder gewisse 
Rechte eingeräumt, die er bisher nicht hatte : die Einnahmen 
aus Zoll, Mühle und Schleuse zu Mölln, doch wohl der 
Hauptteil der Gesamteinnahme, sollten nun ihm zukommen, 
während die Unterhaltung der Schleuse, die bisher ihm 
oblag, nunmehr von Lübeck übernommen wurde. Einige 
kleinere Geldhebungen wurden ihm noch dazu überwiesen. 
Man könnte den Herzog einem Rentner vergleichen, der 
behaglich von seinen Zinsen lebt, indes andere sein Vermögen 
verwalten. Sein Schloß Bergedorf stand Lübeck jederzeit 
offen, ein vom Herzog und Lübeck gemeinsam eingesetzter 
Vogt leitete hier die Verwaltung, die in seiner Herrschaft 
angesessenen Mannen und die Bürger Bergedorfs leisteten 
Lübeck die Huldigung. So war das ganze Land im tat- 
sächlichen Besitz Lübecks. 

Aber es hatte nicht mit der jüngeren Linie des Hauses 
Lauenbui'g gerechnet. Nach dem Tode des Herzogs 1401 

' ') Ltib. U. B. m, 326, 338, 363. 
') Lab. U. B. m, 324, das sind 10 % der Pfandsamme, entsprechend dem 
damaligen Zinsfuß. 



Das Amt Bergedorf. 225 

setzte sich ihr Haupt, Erich IV., durch einen Handstreich in 
den Besitz Bergedorfs, und Lübeck mußte sich dazu bequemen, 
daß die ganze Pfandsumme auf die Herrschaft Mölln gelegt 
wurde. Auch dieser suchte sich der Herzog durch einen 
raschen Überfall zu bemächtigen, als in Lübeck 1408 innere 
Unruhen ausbrachen; der neue Rat wurde zu einem ungünstigen 
Frieden gezwungen. Weil der 1416 wieder eingesetzte alte 
Rat die Friedensbedingungen nicht anerkennen wollte, klagte 
Herzog Erich V. beim Kaiser, Auf eine Vermittelung, die 
die 1418 in Lübeck versammelten Hansestädte versuchten,, 
ging er zum Schein ein, und umfangreiche Klagen und Klage- 
beantwortimgen wurden ausgetauscht. Hier schloß sich 
zuerst Hamburg an Lübeck an, das seinerseits eine Reihe 
allerdings nicht so bedeutender Streitpunkte mit dem Herzog 
hatte, die es nun beizulegen hoffte. Aber der Herzog setzte 
zugleich seinen Prozeß vor dem Kaiser fort und erwirkte im 
November 1418 unvermutet die Reichsacht über Lübeck, aus 
der die Stadt sich nur mit großen Mühen und Kosten zu 
lösen vermochte. Er hatte auf der ganzen Linie gesiegt, doch 
nur besondere Umstände hatten ihm die Möglichkeit dazu 
gegeben. 

Und nim wandte sich das Blatt. Der Herzog erlitt 
ki-iegerische Mißerfolge gegenüber dem neuen Kurfürsten 
von Brandenburg, Friedrich I. Diese günstige Lage benutzte 
Lübeck, dessen Bestreben darauf gerichtet sein mußte, den 
gewalttätigen Herzog, wie es irgend möglich war, zu demütigen, 
um künftige Übergriffe unmöglich zu machen. Es schloß mit 
Hamburg im Februar 1420 ein Bündnis gegen den Herzog, 
das den für die Folgezeit wichtigen Artikel enthielt: wer et 
oh, dat ivy in desseme Kryge jenige lande, siede, slote eddei' 
veste zamenttiken edder besunderen umnnen, de schole tvy in 
heyden syden Jiebben unde beholden. Zui- Bekräftigung und 
zum eigentlichen Rückhalt dieses Bündnisses diente ein zweites 
mit dem Kurfürsten von Brandenburg, dessen Bedeutung sich 
bei den Friedensverhandlimgen erwies. Ein kurzer, glänzend 
durchgeführter Feldzug der Städte im Juli 1420 ließ de? 
Herzog ihre Macht fühlen. J^u Perleberg wurden Herz( 
Erich V. und seine Brüder durch Vermittelung des Kurfürst 



226 Hans Kellin^husen, 

und des Herzogs Wilhelm von Braunschweig am 23. August 
1420 gezwungen, die von Lübeck und Hamburg in ehi'licher 
Fehde eroberten Vogteien Bergedorf und Ripenburg an diese 
abzutreten. 

Die Vogtei Ripenburg war immer in den Händen der 
jüngeren Linie des Hauses Sachsen-Lauenburg geblieben. Vor 
der Eroberung Avar sie an die Marschalk von Hitzacker ver- 
pfändet,^) über deren Entschädigung nichts bekannt ist. Sie 
hatte bisher in der Politik der Städte keine Rolle gespielt, 
nun aber wird die Möglicheit, an der Elbe festen Fuß zu 
fassen und den wichtigen Eislinger Zoll zu erwerben, aus- 
schlaggebend gewesen sein. 

Die Einteilung des Landes in die Vogteien Bergedorf 
und Ripenburg ließen die beiden Städte bestehen, als sie sich 
am 18. August 1422 auf einem Tage zu Bergedorf, der von 
je einem Bürgermeister und zwei Ratsherren besandt war, 
über die Verwaltung einigten.*) Man Avollte an dem Vor- 
gefundenen möglichst wenig ändern, zugleich ergab sich 
durch die Zweiteilung eine glückliche Lösung der Frage 
des Kondominiums. Denn wenn auch durch den Vertrag 
von 1420*) das gemeinsame Eigentum alles in der Fehde 
eroberten Landes festgesetzt war, der Gedanke einer gemein- 
samen Verwaltung war dieser ganzen Periode bis 1620 noch 
fremd. Erst allmählich ging man von scharfer Trennung zu 
größerer Gemeinsamkeit über. 

Aus den herzoglichen Vogteien Avurden also städtische 
Ämter. Jede Stadt erhielt ein Amt zur Verwaltung und 
besetzte es mit einem nur von ihr abhängigen Amtmann. 
Da aber der Wert der Ämter verschieden war — die jähr- 
lichen Einkünfte Bergedorfs wurden in dem Vertrage von 
1422 auf 800 ^, diejenigen Ripenbiu^gs auf 470 -^ geschätzt 
— und um überhaupt das gemeinsame Eigentum zu wahren, 
wurde eine Abwechslung in der Verwaltung der Ämter, ur- 
sprünglich nach jedesmal vier, später nach sechs Jahren 



Vergl. M.V.H.G. IX, S. 269. 

') Lüb. U. B. VI, 434, nach dem Druck in WiLLEBRANDs Hansischer 

Chronik (1748). Orig. jetzt verloren. 
3) Lüb. U. B. VI, 171. 



Das Amt Bergedorf. 227 

(siehe unten) festgesetzt. Über die erste Zuteilung entschied 
das Los. 

Die Hauptaufgabe des Schlosses Ripenburg war, die 
Eibhoheit und den Zoll zu Eislingen zu schützen. Seitdem 
nun die Gammelbe durch die Abdeichung am Gammerorte zu 
einem tauben Strom gemacht war, konnte dieser Schutz auch 
von Bergedorf ausgeübt werden.^) Da femer bei der Klein- 
heit der Ämter die Kosten der Unterhaltimg zweier Festen 
und zweier Amtmänner zu groß waren, erschien eine Verei- 
nigung zweckmäßig. Die einzige Schwierigkeit wird die 
dadurch notwendig gewordene Änderung der Verwaltung 
geboten haben. 

Da gab die Baufälligkeit der Ripenburg den Ausschlag. 
Weil sie umme szwackheyt mllen eres gebuwetes nicht szunder 
grothe vare unde eventur in Jcrygeszlvfften zu halten war,*) 
beschlossen die Städte, sie zu brechen, d. h. zu entfestigen, und 
nur die Wii-tschaftsgebäude stehen zu lassen. Damit konnte 
sie auch kein Amtmannssitz mehr sein, so erfolgte die Ver- 
einigung der beiden Ämter durch Vertrag vom 10. No- 
vember 1512.*) 

Darin wurde die ganze Vogtei Ripenburg mit allem 
Zubehör und aller Gerechtigkeit im Lande und über die zu- 
gehörige Elbe zur Vogtei Bergedorf gelegt. Der Besitzer 



Daß die Abdeichung mit der Vereinigxmg der Ämter in unmittelbarem 
ursächlichen Zusammenhange steht (HÜBBE, Top. des Eibstroms S. 35; 
ihm folgend Gaedechens, Top. ü, S. 511), ist wegen der zwischen beiden 
Ereignissen liegenden langen Zeit Yon 40 Jahren nicht wahrscheinlich. 

^ Dies der im Vertrag von 1512 angegebene Grund. 

^ Über die Vorverhandlungen ist uns nichts überliefert. Als das Jahr 
der Vereinigung gibt Klefeker S. 317, dem die späteren folgen, 
1506 an, nach Tratzigers Chronik S. 243. Dort heißt es über den 
Hamburger Amtmann auf Bipenburg, Matthias Schiphower: naclidem 
die zeit seines ampts geendiget, ließen die von Lübeck und Hamburg 
das haus abbrechen und wurden die zubehorige lant und leute zum 
hause Bergedorf gelegt, Schiphower war allerdings der letzte Ham- 
burger Amtmann, ihm folgte aber noch der Lübecker Hermann Meßman 
(1506—12), der auch vorher und nachher Amtmann zu Bergedorf war 
(1500—06 und 1512—18). Lübecker Kämmereirolle 1508 (für das 
Jahr 1507) : untfangen van Berger dorpe ttce iaer unde 1 iar Rypenbord 
van her Hermen Mesman 800 -^. 



228 Hans Kellinghusen, 

des Schlosses Bergedorf, dem es die eine der Städte nach seiner 
Gebühr überantwortet hatte, sollte beiden Vogteien vorstehen^ 
sie regieren, verteidigen und wie bisher gebrauchen, und zwar 
beide im Namen seiner Stadt. Er sollte kein gemeinschaftlicher 
Amtmann beider Städte sein, indem er das eine Amt für 
Lübeck, das andere für Hamburg verwaltet hätte. Der 
sechsjährliche Wechsel in der Verwaltimg blieb bestehen. Damit 
nun die nichtregierende Stadt während dieser Zeit eine Ent- 
schädigung für die ausfallenden Einkünfte erhielt, zahlte ihr 
der Amtmann, für den auch seine Stadt selbst eintreten konnte, 
wegen der Vogtei Ripenburg jährlich die Siunme von 400 ^. 
Von diesem Vertrag wurden zwei gleichlautende Ausfertigungen, 
für jede Stadt eine, hergestellt.^) 

Also strenge Trennung der Einkünfte war noch immer 
Grundsatz, aber der erste Schritt zu größerer Vereinigung 
war doch getan: fortan gab es nur ein Gesamtamt Bergedorf. 



II. Die Behörden. 

1. Der Amtmann. 

Das Gebiet des Amts Bergedorf war kein altes Volks- 
land, sondern größtenteils erst um die Wende des 12. Jahr- 
hunderts besiedelt, zu einer Zeit, als sich der Begriff der 
Landesherrschaft bildete und durchsetzte. Die gesamte Ver- 
waltung, soweit sie nicht von den Eingesessenen selbst 
genossenschaftlich ausgeübt wurde, lag daher von vornherein 
in den Händen des Landeshemi und seiner Beamten. 

Die herzoglichen Amtleute und Vögte (officiales et ad- 
vocati, voghede iinde amchtlude) werden in den Urkunden in 
dieser Zusammenstellung oft erwähnt,*) auch der Vogt in 
einzelnen Amtshandlungen tritt uns entgegen,^ ohne daß die 
Stellung dieser Beamten im einzelnen, besonders ihr Wii'kimgs- 
kreis, klar ist. Doch ist anzimehmen, daß mit der Bildimg der 

*) Nur in Lübeck erhalten. 

2) Hasse n, 855 (1295); m, 371, 372 (1318), 549 (1325), 846 (1334); 

1408 Sept 21 ungedr. St-A. Hann. Kloster Schamebeck 419. 
*) 1306 gerichtliche Auflassung vor dem Vogt, HASSE XU, 114; TergL 

femer S. 208. 



Das Amt Bergedorf. 229 

Herrschaften Bergedorf und Ripenburg, die sich spätestens im 
Anfang des 14. Jahrhunderts bei den Lauenburger Erbteilungen 
vollzog, auch die Vogteien als territorial abgegrenzte Gebiete 
geschaffen wurden. Ein Bergedorfer Vogt, Vicke Marschalk 
von Hitzacker, begegnet zuerst 1357,^) der Amtmann von 
Ripenburg wird zuerst 1382 genannt.*) 

Der Name Vogt, der zur Bezeichnung dieser Beamten 
in herzoglicher Zeit der gewöhnliche ist, geht unter den 
Städten auf niedere Beamte über, sie bevorzugen den Titel 
Hauptmann (Capitaneiis), daneben kommt während der ganzen 
Zeit der Name Amtmann vor, in dem die Befugnisse seines 
Trägers am klarsten ausgedrückt sind. Das Wort Amts- 
hauptmann ist erst eine spätere Bildung und den in Frage 
kommenden Beamten selbst nie beigelegt. 

[Erwählung.] Die Herzöge nahmen die Vögte aus 
den Geschlechtem des Landesadels, •) zur Zeit der Städte 
gehörte der Amtmann in der Regel dem Rat der regierenden 
Stadt an.*) Als Lübeck im Jahre 1548 von dieser alten 
Sitte abwich, wurde sie für die Folgezeit ausdrücklich fest- 
gelegt.'^) Seit der Vereinigung der beiden Ämter 1512 hatte 
sich die Gewohnheit herausgebildet, daß eine bestimmte Person 
des Rats das Recht auf den sogenannten Turnus hatte: in 
Lübeck war es der dienstälteste Ratsherr, der nicht Bürger- 
meister war, in Hamburg ebenso der im Dienstalter an dritter 
Stelle stehende Ratsherr.^ Eine keineswegs glückliche Ein- 
richtung; oft mußten Ratsherren, die wegen ihres Alters nicht 
mehr fähig waren, auf ihren Turnus verzichten^ und auch 



Hansisches U. B. HI, 379/80. 

^ 1382 April 13, ungedr. Urk. Herzog Erichs IV. im hamh. St.-A. 

•) Vergl. die Liste: Anhang Nr. 1. 

^ Nicht Ratsherren waren: von Lübeck Engelbrecht Vickinghusen 

1482—1500 (in drei Perioden) und Dietrich von Elthen (1548—54); 

von Hamburg Johan Moller (1566—72). 
^ Rezeß vom 28. Sept. 1548, erhalten in der Ausfertigung Hamburgs 

für Lübeck, wiederholt bestätigt: in den Visit. -Rezessen von 1572, 

1577 und dem Vertrag über die Verwaltung vom 20. Sept. 1608. 
^ Erkennbar an den Ratslisten seit 1512, nachweisbar in Lübeck für 

die Jahre 1584 und 1596, in Hamburg für 1566. 
^ In Lübeck waren es 1596 vier. 

Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XIII. 



230 Hans Kellinghusen, 

dann kamen, da die nächstältesten an ihre Stelle trat^n^ 
noch häufig olde, krancice und schwache menne^) in das Amt^ 
die auf die Amtshoheit nicht genügend acht gaben, wodurch 
dem Amt manches wichtige Recht verloren ging. Männer^ 
wie Ditmar Koel, brachte der Zufall nicht immer dorthin. 

Einzelheiten über die Erwählung der Amtmänner geben, 
zwei Lübecker Protokolle aus den Jahren 1584 und 1596. 
Danach begannen einige Monate, bevor das Amt neu zu 
besetzen war, im Rat die Verhandlungen mit einer Anfrage 
bei den zum Turnus Berechtigten. Hatte sich ein Ratsherr 
zur Annahme bereit erklärt, so verließ er seinen Platz und 
ging in die Hörkammer.*) Der Rat beriet nun über die 
besonderen Bedingungen, die dem neuen Amtmann zu machen 
seien; so heißt es von Franz von Stiten 1584: DocJi weä er fast 
liberalich, soU man mit Uim reden, daß er keine Fürsten oder 
andere Personen inlasse, damit er keine Gefahr auf sich lade,, 
auch das Amt unederum, une ers wird empfangen, liefernr 
könnte. Zeigte sich der Ratsherr mit den Bedingungen ein- 
verstanden, so erhielt er vom Bürgermeister den Bescheid, 
daß der Rat ihm das Amt gönnen wolle. Eine allgemeine 
Beglückwünschung beschloß die Handlung.') 

[Bestallung.] Die Bedingungen, unter denen dem Amt- 
mann das Amt anvertraut wurde, wurden gemäß der mit 
ihm getroffenen Verabredung in seiner Bestallung zusammen- 
gefaßt.*) Es handelte sich in den Bestallungen vorwiegend 



Ditmar Koel an Hamburg 1545 Nov. 19. 

') Auch Verhörkammer genannt; v. Melle, Gründliche Nachricht voa 
Lübeck, S. 257. 

*) Protokoll über die Belehnung Franz von Stitens 1584 Mai 30. Eigen- 
händiges Protokoll Gerd Grenzins über seine Wahl 1596 Juli 10. In 
Hamburg sind die älteren Ratsprotokolle nicht mehr vorhanden, nur 
über die Verhandlungen des Rats mit Johan MoUer 1566 sind Nach- 
richten in dem EämmereiprotokoU erhalten. 

*) Erhalten: in Lübeck für Johan Lüneburg 1430 (Lüb. U.B. VII, 411), 
Johan Hoveman auf Ripenburg 1446 (Lüb. U. B. Vn, 364 nach dem Druck 
in Willebrands Chronik), femer für 1548, 1560, 1572, 1596, 1608; 
in Hamburg für Johan Moller 1566 (M. V. H. G. m 2, 42), Nicolau» 
Vogeler 1578, Johan Schulte 1590 (nur im Druck bei Klefeker 
8. 342), Erert Esich 1614, zusammen 11 Bestallungen. 



Das Amt Bergedorf. 231 

und in älterer Zeit, soweit wir sehen, ausschließlich um die 
für den städtischen Haushalt wichtigste Frage nach der 
Tragung der Verwaltungskosten, der Entschädigung des Amt- 
manns und damit zusammenhängend der Verwendung der 
Amtseinnahmen, die man auf verschiedene Weisen zu lösen 
versuchte: vorherrschend war die Verpachtung des Amts an 
den Amtmann, von der Lübeck seit 1548, Hamburg erst 1614 
zu der den modernen Staat kennzeichnenden Wirtschaft mit 
besoldeten Beamten überging. In die späteren Bestallungen 
drangen daneben allmählich andere Bestimmungen, meist aus 
einzelnen Anlässen, ein, die den Rechtsschutz der Untertanen 
bezweckten oder die Verfügungsgewalt des Amtmanns be- 
schränkten.^) So wich jede neue Bestallung in Einzelheiten 
von ihrer Vorlage ab, besonders zu bemerken aber ist, daß 
in beiden Städten Form und Inhalt der voreinander als 
Geheimnis behüteten Bestallungen*) ganz verschieden war, 
zumal in Hamburg noch so lange an dem System der Amts- 
verpachtung festgehalten wurde. 

Aber gerade daß dies geschehen konnte, zeigt uns, daß 
die Verschiedenheit der finanziellen Verwaltung auf die Rechte 
des Amtmanns keinen oder nur einen untergeordneten Einfluß 
hatte. Denn keine Stadt konnte doch der anderen Befugnisse 
ihres Amtmanns zugestehen, die sie dem ihrigen nicht gegönnt 
hätte. Da die Rechte des Amtmanns dem Amt gegenüber 
traditionell feststanden und nur durch gemeinsame Beschlüsse 
beider Städte geändert werden konnten, war es auch nicht 
nötig und nicht möglich, darüber Bestimmungen in die Be- 
stallungen aufzunehmen, oder sie lauteten negativ, vne in den 
späteren lübischen. Hier mußte der Amtmann versprechen, 
daß er das Amt mit Gerichten und Rechten nach Gewohnheit 
des Landes regieren und verwalten und einen jeden Ein- 
gesessenen bei seiner alten Gerechtigkeit schützen und bleiben 
lassen und se mit keiner nierung heschwerden offie beladen 



^) Z. B. wurde in die Bestallimg des Lübecker Amtmanns 1596 das 
Verbot aufgenommen, Ellembäume, Buchen, Eichen und dergl. im 
Amt abzuhauen, weil sein Vorg&nger sehr dagegen verfehlt hatte. 

^) Lübeck schlägt 1572 vor, einander die Konditionen der Auflassung 
des Amts zu vertrauen, Hamburg nimmt ad ref. an (Bezeß § 2). 

16* 



232 Hans Eellinghusen, 

wolle. ^) Konservativ ist überhaupt der Grundzug der Verwaltung 
und mußte es sein in einem Amt, in dem jede Änderung durch 
das Kondominium erschwert wurde. 

Wenn daher die Bestallungen an positiven Bestimmungen 
nur so viel enthielten, als die eine Stadt ohne Zustimmung 
der anderen anordnen konnte, so stellte sich doch auf die 
Dauer die Notwendigkeit heraus, auch hier und namentlich 
für die Finanzverwaltung gemeinsame Bestimmungen zu treffen. 
Denn es konnte nicht ausbleiben, daß ein Amtmann, der das 
Amt als Pächter innehatte, größere Rechte beanspruchen zu 
dürfen glaubte als ein Administrator des Amts.*) Deswegen 
war es lange Lübecks Bestreben, diese Unzuträglichkeiten 
durch Aufstellung gemeinsamer Konditionen zu beseitigen. 
1590 wurde sein Antrag, die Verpachtung aufzuheben, in den 
Visitationsrezeß aufgenommen,*) aber von Hamburg nicht 
ratifiziert.*) Die Rezesse von 1596 und 1605 hatten keinen 

^) Bestallung y. Elthens 1548 und der folgenden. 

^ Wenn eine Stadt ihren Hauptmann dermaßen angenommen, daß er 
die Leute bei Gleich, Recht und ihrer Nahrung müßte bleiben lassen, 
zur Unbilligkeit nicht beschioeren, dadurch die Leute unter ihm bei 
Zunehmen und Gedei bleiben, und dann die andere Stadt einen Haupt- 
mann verordnet, der den Leuten die Masfedern ziehen und wieder 
arm machen wollte, so würde das zu nachbarlicher Einigkeit wenig 
verträglich sein, Lüb. Instr. 1572 Sept. 27. Johan Schulte schreibt 
an Hamburg 1594 Januar 5. So sitze ich auch je alhir nicht vor 
einen schlechten (= schlichten) Amptsvorwalter und bestalten Diener 
oder gemieteten Knecht, den seine Besoldung und deputat verordnet 
und zugesagt und auf eines andern beuttel zehret und nichts mehr 
auß dem Ampt sonst zugenießen oder zugewarten haben solle; sondern 
habe des hoves pensionweiß und einesteils conductitio titulo mit ein, 
mit allen hebungen und auskünften, auch meo periculo et commodo 
und darauß nicht allein nudum usum, sondern auch usum fructum 
zugewarten, wie andere vor mir. 

') Obwohl das Amt nach früherem Abschiede einem Ratsverwandten 
amtsweise eingetan werden solle, werde es doch von Hamburg aufs 
höchste angeschlagen und verpachtet, dazu die armen Untertanen in 
Bruchfällen oft ivider die Billigkeit übemomtyien und jämmerlich 
ausgesogen würden, Lübische Instr. 1590 Sept. 22; im Eezeß: die 
Verpachtung bringe Inkonvenientien, Ungleichheit und hohe Beschwerung, 
Hbg. verspricht Erklärung in Monatsfrist. 

*) Innerhalb der nächsten zwölf Jahre werde man sich wohl vergleichen, 
Hbg. an L. 1590 Nov. 5. 



Das Amt Bergedorf. 233 

besseren Erfolg. Erst 1607 zeigte Hamburg sich willfährig, 
nachdem Lübeck erklärt hatte, daß es auch seine Konditionen 
nicht für die besten halte und bereit wäre, sich über neue 
zu vergleichen.^) Nach manchen Verhandlungen kam am 
20. September 1608 ein Vertrag zustande, der durch die ein- 
heitliche Ordnung der Finanzverwaltung besonders wichtig 
ist.*) Sein erster Absatz bestimmte, daß das Amt künftig niur 
von einer Person des Rats ohne einige Verehrung oder Ver- 
pachtung verwaltet werden solle. Auf Grund dieses Vertrages, 
der in der Entwicklung der Verwaltung eine wichtige Rolle 
spielt und darum noch oft herangezogen werden muß, erhielten 
die beiden letzten Amtmänner ihre Bestallungen ausgefertigt. 
[Amtsantritt] Die abtretende Stadt überließ der 
andern das Amt, wie es im Vertrag von 1512 heißt, na older 
hergebrochter geivonheyt in guden loven unde truwen, also auf 
Schloßglauben, d. h. zur treuen Hand mit dem Vertrauen, es 
nach Ablauf der Verwaltungszeit in gleichem Zustand zurück- 
zuerhalten.^) Die regierende Stadt wiederum trug ihrem 
Amtmann seit alters das Amt auf Schloßglauben auf. In der 
Bestallung Lüneburgs von 1430 steht freilich nur, er erhalte 
das Amt weddeschaties tvyse (pfandweise), aber als er 1435 
Bergedorf einem Lübecker Bürger in Afterschloßglauben gibt, 
sagt er ausdrücklich, dat ik eme unde synen erven dat slot 
Bergherdorpe Iiebbe geantwortet unde upgdaten uppe slotrec/it 
tmde loven in alsodaner wise, alse my de erliken heran van 
Lubeke unde van Hamborch dat uppe sloüoven hebben geanU 
wordet}) Die Übertragung auf Schloßglauben blieb in allen 
späteren Bestallungen bestehen.*^) Ob der Amtmann einen 
besonderen Amtseid leistete, ist nicht auszumachen. Ditmar 
Koel erklärt einmal, nicht gegen seinen Eid handeln zu 
wollen,^ Johann Schulte (1590 — 96) wird wiederholt an 



Rezeß 1607 August 26. 

^ Gedr. Klefekeb, S. 368—73, der erste Lübecker Entwurf 1607 Kle- 

FEKER S. 349 ff. 
^ Vergl. V. BrÜNECK, Der Schloßglaube, Z. R. G. Bd. 28 (41). 
*) Lüb. U.B. Vn, 411; 661. 

*) Auch im Vertrag von 1608 § 2: auf rittermäßigen Schloßglauben. 
«) An Hbg. 1545 Nov. 19. 



234 Hans Eellinghiisen, 

seinen Eid erinnert. Doch sind damit wie im Vertrage von 
1608/) so auch wohl schon vorher die Eide gemeint, die der 
Amtmann als Bürger und als Ratsherr geschworen hatte. 

Die feierliche Umwechselung der Herrschaft, mit der 
der Amtsantritt der Amtmänner verbunden war, erfolgte zu 
Michaelis, ursprünglich alle vier Jahre, seit 1446, wohl um 
die mit dem häufigen Wechsel verbundenen Nachteile etwas 
auszugleichen, alle sechs Jahre.*) Dazu erschienen mit den 
neuen Amtmännern aus jeder Stadt zwei bis vier Ratsherren. 
Seit 1512 wurde in gleicher Weise durch die Überlieferung 
des Schlosses Bergedorf (die arcis traditio) die Obhut für das 
Gesamtamt von der einen Stadt aus den Händen der anderen 
entgegengenommen. 

Nicht ünmer ging die Überlieferung glatt vonstatten. 
1536 drohte Hamburg, das damals im Besitz des Hauses wai-, 
es nicht an Lübeck zu überantworten, weil anderweitige 
Irrungen zwischen beiden Städten nicht beigelegt waren, 
und mußte von Lübeck daran erinnert werden, daß es vann 
uns in averanthwordynge des huszes den slotzgeloven entfangen 
und noch van uns hebbe, den es zu halten schuldig sei. 
Daher sprachen die beiden lübischen Ratsherren, die nach 
Bergedorf gesandt waren, die bestimmte Erwartung aus, daß 
Hamburg mit overleveringe des huses B, na older kastume 
nicht brechen, sondern diese spätestens am Tage nach 
Michaelis vornehmen werde.^ Daraufhin scheint Hamburg 
nachgegeben zu haben. 

Eine viel tiefer gehende Spaltung entstand 1548, als 
wieder Hamburg das Amt abzutreten hatte. Lübeck hob 
damals die Verpachtung des Amts auf und machte dabei, 
abweichend von der alten Gewohnheit, einen Adeligen, Dietrich 



Klefeker S. 369. 

*) Vertrag von 1422, Lüb. ü. B. VI, 434; die Vereinbarung von 1446 ist 
verloren gegangen; das Jahr ergibt sich aus Berechnung: 1434 — 38 
war Hans Lüneburg Amtmann zu Bergedorf, Lüb. U. B. VII, 661 ; 1446 
wurde Kipenburg auf sechs Jahre ausgetan, Lüb. ü. B. Vlil, 364; 
dazwischen liegen acht, also zweimal vier Jahre. 

') Lüb. an Hbg. 1536 Sept. 27; Godert van Hovelen und Cordt Wibbe- 
kinck an Hbg. Sept. 28. 



Das Amt Bergedorf. 235 

von Elthen, der aber zum Lübecker Rat in verwandtschaftiichen 
Beziehungen stand/) zum Amtmann. Ob die Verwaltungs- 
Änderung der Grund war, daß sich kein Ratsherr bereit fand*) 
und man daher einen Fremden mit dem Amt betrauen mußte, 
steht nicht fest. Jedenfalls hatte der Rat ihm Brief und 
Siegel gegeben, Hamburg aber war auf keine Weise zu be- 
wegen, ihm, der nicht einmal der Stadt durch Bürgereid 
verwandt war, das Schloß anzuvertrauen. Die Verhandlungen 
der Ratsgesandten in Bergedorf am 28. September 1548 ergaben 
schließlich das Resultat, daß Lübeck sich verpflichtete, das 
Haus Bergedorf nur einem Ratsherrn einzutun, der es keinem 
andern überliefern solle, es seien denn beide Städte mit dem- 
selben vom Adel (hier verliert der Vertrag auf einmal den 
allgemein gehaltenen Ton) einig, worunter zu verstehen war, 
daß er auf die von Hamburg gemachten Bedingungen ein- 
gehen müsse. Künftig aber solle das Amt nur an Ratsherren 
gegeben werden.') In diesen Bedingungen sicherte sich 
Hamburg gegen jede Änderung des Zustandes des Amts und 
seiner Bewohner, die von einem Adeligen zu befürchten waren, 
und machte Lübeck für allen Schaden, Nachteil und Be- 
schwerung, die durch seine Verursachung oder Versäumnis 
entständen, haftbar.*) Lübeck stimmte in allem zu, Hamburg 
aber war noch nicht zufrieden. Da protestierte Lübeck:*) 
Laut der übergebenen Artikel sei es erbötig, alle Gefahr zu 
tragen, die Freiheit der Untertanen sei in der Bestallung 
Elthens genügend gesichert, er erhielte das Haus nicht pfand- 
weise, sondern /ür einen genannten Pfennig, schließlich Elthen 
erbiete sich, mit seinem körperlichen Eide beiden Städte diese 
6 Jahre verwandt zu sein, die Gelegenheit und Heimlichkeit 



^) Er war vorher Amtmann des lüneburgischen Amts Schamebeck; als 
solcher heiratete er 1538 Elisabeth, die Witwe des Lübecker Dietrich 
Brömse, Tochter von Herman Bardowiecks; BENECKE, Kloster Schame- 
beck, S. 27. 

^ Wie 1566 in Hamburg s. u. 

^ Rezeß 1548 Sept. 28. 

^) Hamburgs ungeferliche Vorschlage, woruff N, das hus B. eingethan 
werden mocht ; Bedenken Lübecks auf die vorgeschlagenen Artikel der 
von Hamburg B, belangende, 

^) Konzept in Lübeck, undatiert. 



236 Hans Eellinghusen, 

des Hauses zeitlebens für sich zu behalten, sich Lübeck mit 
bürgerlichem Eid verwandt zu machen und die obigen Artikel 
zu halten. Ti-otzdem hindere Hamburg ihnen zu Schimpf^ 
Schande und Spott sie an der Besetzung des Hauses. So 
müßten sie Hamburgs Willen dieser Zeit weichen. 

Und tatsächlich erhielt zunächst der Ratsherr Hinrich 
Brömse das Schloß.^) Über die endliche Einigung mit Elthen 
fehlen die Nachrichten,*) im Juli 1549 ist er im Besitz des 
Amts, ') doch noch über ein Jahr nannte Hamburg ihn in seinen 
Briefen nur Befehlshaber des Hauses B., erst seit August 1550 
gab es ihm den Titel Amtmann. 

Für gewöhnlich aber ging die Überlieferung des Amtes 
in friedlicher Weise vor sich. Ein ausführlicher Bericht über 
die Abtretung Uegt aus dem Jahre 1590 von der Hand des 
hamburgischen Sekretärs Sebastian v. Bergen vor.*) Die 
Lübecker, die damals das Amt abzutreten hatten, nehmen ihre 
Wohnung auf dem Hause, die Hamburger in ihrer gewöhn- 
lichen Herberge. Am Morgen des Michaelistages hält der neue 
Amtmann Johan Schulte mit Komitat, bestehend aus Reitern 
imd Wagen und den reitenden Dienern, bei denen auch Musiker 
nicht fehlen, seinen Einzug in das Städtchen. Um 10 Uhr 
findet eine gemeinsame Mahlzeit statt. Um 12 Uhr mittags 
geht die feierliche Übergabe des Schlosses vor sich, nachdem 
sich der neue Amtmann mit dem alten über die Erträge der 
Hofwirtschaft auseinandergesetzt hat (s. u.). Die Hamburger 
Abgesandten mit ihren Dienern gehen zu Fuß von ihrer 
Herberge bis mitten auf die Schloßbrücke beim Zwinger neben 
dem Marstall. Am oberen Ende der Brücke stehen die lübschen 
mit ihrem Amtmann. Der lübsche Bürgermeister mit den 
Schlüsseln in der Hand tritt vor und hebt an, daß ihm vor 

*) Brief Hbgs. an ihn 1548 Okt 15; wohl ein Verwandter Elthens, 
vergl. S. 235 n. 1. 

^ Leider sind wir für diese interessanten Verhandlungen, die für das 
Mißtrauen gegen den Adel sowie der Städte gegeneinander bezeich- 
nend sind, nur auf das Lübecker Archiv angewiesen, aus dem die 
• Hamburger Beweggründe im einzelnen nicht klar genug hervorgehen. 

^ Brief anHbg. 1549 Juli 16; aus der Zwischenzeit ist kein Brief erhalten. 

*) Klefeker S. 348 ff. ; der Bericht ist nach der Gewohnheit v. Bergens 
anfangs deutsch, am Schluß lateinisch. 



Das Amt Bergedorf. 237 

sechs Jahren das Haus mit allem Recht, Frei-, Hoch-Gerech- 
tigkeiten übergeben sei. In demselben Zustande liefere er es 
jetzt an Hamburg unter der Bedingung der Rückgabe nach 
sechs Jahren. Damit gibt er dem Ältesten der Hamburger die 
Schlüssel und wünscht dem neuen Amtmann omnia fausta et 
fdida. Nunmehr wechseln die Parteien ihre Plätze auf der 
Brücke und der Hamburger Senior antwortet, im Namen des 
Rats von Hamburg nehme er das Amt mit allen Rechten 
an sich und verspreche, es nach sechs Jahren an Lübeck zu- 
rückzuliefem. Dann vertraut er dem neuen Amtmann das 
Amt dum sedtda exhortatione an. Danach nehmen die Lübecker 
ihren Abtritt, die Hamburger aber gehen aufs Schloß, während 
alle Geschütze auf Wällen und Zwingern abgefeuert werden, 
und erst, nachdem sie gehörig traktieret sind, kehren sie nach 
Hause zurück.^) In dieser Weise wird sich die Einführung 
des Amtmanns immer abgespielt haben. 

[Aufgaben.] Die Aufgabe des Amtmanns war, nach 
außen das Amt vor Angriffen zu bewahren, nach innen Recht 
und Verwaltung zu leiten. Er vereinigte also in seiner Person 
militärische, richterliche und Verwaltungsbefugnisse, in ihm 
konzentrierte sich die gesamte Verwaltung innerhalb der 
Grenzen des Amts, sie unterstand zum mindesten seiner Auf- 
sicht. In dieser Hinsicht kann man sagen, daß sich die 
Geschichte der Verwaltung des Amts mit der der Aufgaben 
des Amtmanns deckt. Freilich war das nur möglich, solange 
die Amtsverfassung auf der Grundlage der Selbstverwaltung 
aufgebaut war, solange die Amtsregierung nach alter Tradition 
vor sich ging und jede Neuerung schon in den Bestallungen 
verboten war, solange der Staatsgedanke noch gar nicht oder 
wenig sich entwickelt hatte, solange der Amtmann Pächter der 
Amtseinnahmen war. Da standen unter ihm nur seine per- 
sönlichen Diener, über ihm nur die beiden Städte, deren Ein- 
mischung in innere Amtsangelegenheiten kaum zu spüren war. 



*) Ein zweiter Bericht v. Bergens aus dem Jahre 1614, als er selbst 
Ältester der Hamburger Abgesandten war, gibt seine köstliche Rede bei 
Empfang des Schlosses wörtlich wieder, in der er Gott und dem 
Erzengel Michael dankt, daß sie das Amt in Frieden und vor Feuen- 
brunst und Wassersnot bewahrt hätten, Elefeker S. 354 ff. 



238 Hans Kellinghusen, 

Dann aber brach im Verfolg der Reformation eine neue 
Zeit an. Die Selbstverwaltung ging allmählich unter, der 
Beamtenstaat bildete sich, damit wuchsen die Au^aben 
bedeutend. Schon im 15. Jahrhundert hatte Hamburg den 
Eislinger Zoll in eigene Verwaltung genommen, seit der Mitte 
des 16. Jahrhunderts schieden aus den persönlichen Dienern 
des Amtmanns die ersten von den Städten eingesetzten und 
nach einer Übergangszeit auch besoldeten Beamten aus; der 
durch die regelmäßigen Visitationen seit 1560 etwa geübte 
Einfluß der Städte schränkte die Selbständigkeit des Amt- 
manns immer mehr ein, schließlich wuchsen die Visitationen 
zu einer Behörde aus, die die eigentliche Regierung des Amts 
an sich nahm und damit die Bekleidung des Amtmannspostens 
durch einen Ratsherrn übei-flüssig machte. Den Ausschlag 
für die Verwaltungsänderung gaben, wie gewöhnlich, finanzielle 
Gründe (1620). 

[Einkünfte.] Die Amtmannswürde war anfänglich mit 
nicht unwesentlichen privaten Vorteilen verknüpft. Nicht um- 
sonst vertauschten die Ratsherren ihre behaglichen Wohnungen 
in der Stadt mit dem immerhin nicht ungefährlichen, unruhigen 
Aufenthalt auf dem Hause Bergedorf, über dessen Baufälligkeit 
stets geklagt wird, obwohl die Städte fortwährend Ausgaben 
für Bauten und Ausbesserungen hatten.^) In der Tat konnte 
die Aussicht auf bedeutende Einnahmen den Amtmannssitz 
wenigstens bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts wohl 
begehrenswert machen, und darin wird man auch die 
Erklärimg für die Berechtigung bestimmter Personen des Rats 
sehen müssen. Die Interessen der städtischen Kämmerei wurden 
erst spät in gebührender Weise wahrgenommen, in Hamburg 
erst, als die Bürgerschaft im Jahre 1563 die Kämmerei- 
verwaltung in ihre Hände gebracht hatte. Denn vorher sah 
der Rat, wenn er auch nicht mehr, wie die sächsischen 
Landesherren, öffentliche Rechte veräußerte, in dem Amt doch 
eigentlich seinen privatrechtlichen Besitz und verfügte darüber 
mehr zugunsten seiner Mitglieder als der Stadt. 



*) Eine Baugeschichte des Schlosses wäre gewiß nicht uninteressant, 
einiges dazu wird in dem Abschnitt III, 3 beigebracht werden. 



Das Amt Bergedorf. 239 

Doch ist es nicht leicht, die Höhe der Einkünfte des 
Amtmanns, die zum großen Teil aus Naturalien bestanden, 
einigermaßen zu bestimmen. Einen ersten Anhaltspunkt geben 
die Verwaltungsvorschläge in dem Vertrage von 1422 (S. 226). 
Obwohl die Städte die Kosten für Bau und Instandhaltung 
der beiden Schlösser übernahmen, verzichteten sie für sich 
selbst auf alle Einkünfte aus dem Amt, die übrigens sehr 
niedrig, für Bergedorf auf 800 -^ (ca. 30 000 Mark), für Ripen- 
burg auf 470-^ (ca. 17 000 Mark) jährlich, geschätzt wurden,^) 
zugunsten der Amtmänner, die nur verpflichtet waren, damit 
die von ihnen zu haltenden Leute (außer dem Gesinde in 
Bergedorf 12, in Ripenburg 8 wehrhaftige Leute) zu besolden 
und zu beköstigen. Wenn noch hinzugefügt wurde, daß dabei 
entstehende Mehrkosten von den Amtmännern selber getragen 
werden sollten, so folgt daraus, daß sie berechtigt waren, 
alle Überschüsse in die eigene Tasche zu stecken. Die ganze 
Verwaltung geschah zu finanziellem Nutzen der Amtmänner, 
den Städten brachte der Besitz der Ämter nur Kosten, der 
beste Beweis, daß die Eroberung aus fiskalischen Gründen, wie 
man ihnen später vorgeworfen hat, nicht unternommen wurde. 

Diese Verwaltungsgrundsätze werden sofort ausgeführt 
sein. Denn unter den Ratsherren, die den Rezeß abschlössen, 
befanden sich die beiden ersten Amtmänner.*) 

Aber man erkannte bald, daß man die Amtseinnahmen 
unterschätzt hatte, die wohl imstande waren, noch einen 
Überschuß für die städtische Kämmerei abzuwerfen, und ging 
zur Verpfändung und dann zur Verpachtung des Amts über. 
Doch waren die Pachtsummen so niediig •) (in Lübeck z. B. 
für das Amt Bergedorf 250, für Ripenburg 300-^), daß sich 
daraus Anhaltspunkte für das Einkommen des Amtmanns nicht 
gewinnen lassen. Eine wirkliche Verpachtung erwirkte die 
Hamburger Bürgerschaft gegen den Willen des Rats erst 1566, 
zu einer Zeit, wo Lübeck bereits aus dem Amtmann einen 



Herzog Erich V. von Sachsen schätzte 1420 in seinem Protest die ihm 
jährlich verlustig gehenden Einkünfte aus dem Amt auf 3000-^ 
(Lüh. ü. B. VI, 267). 

») Claus von Stiten und Johan Cletze, Lüb. U. B, VI, 769. 

^ Einzelheiten im Abschnitt Amtshaushalt. 



240 Hans Kellinghusen, 

besoldeten Beamten gemacht hatte. Johann Moller (1566 — 72) 
zahlte für die Pachtung aller Amtseinnahmen mit Ausnahme 
des Eislinger Zolls jährlich 2000-^ (16—20000 Mark). Durch 
diese Summe werden die Amtseinkünfte ziemlich aufgewogen 
sein, da seine Nachfolger eine Herabsetzung der Pacht auf 
1500 -^ durchsetzten. Jedenfalls floß zum mindesten ein solcher 
Reinertrag in die Taschen von Mollers hamburgischen Vor- 
gängern, die das Amt imter denselben Bedingungen wie er, 
aber ohne jede Zahlung an die Kämmerei hatten. 

Schon die wechselnde Höhe der Pachtsummen zeigt, daß 
die Einkünfte der Amtmänner zu den verschiedenen Zeiten 
nicht gleich waren. Am günstigsten war ihre finanzielle 
Stellung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als trotz 
des bedeutend sinkenden Geldwertes die alten Pachtsummen 
aus der Mitte des 15. Jahrhunderts beibehalten wurden. Damit 
brach Lübeck 1548, indem es fortan das Amt zu eigenem 
Nutzen verwalten ließ und dem Amtmann feste Bezüge über- 
wies. Freilich gelang die Durchführung modemer Verwaltungs- 
gnmdsätze noch nicht vollkommen, da dem Amtmann neben einem 
Sold von 800 -^ die sämtlichen Naturalabgaben des Amts und 
außerdem, was die Hauptsache war, die Bewirtschaftung der 
Amtsländereien überlassen wurden. Dafür war er verpflichtet, 
die ihm auferlegte Dienerschaft zu unterhalten. Alle übrigen 
Kosten — in Betracht kamen eigentlich nur die Ausgaben für 
Bau und kriegsmäßige Instandhaltung des Schlosses — trugen 
wie immer die Städte. Ein Rückschritt war es, daß später 
dem Amtmann statt des Soldes, der 1560 auf 900-^ erhöht 
wurde, 1572 ganz fortfiel, die Hälfte der oft recht bedeutenden 
Gerichtsbrüche übertragen wurde. ^) 

In dem Vertrage von 1608 endlich behielt der Amtmann 
die Hofwirtschaft mit allem Zubehör, die Naturalabgaben und 
die Hälfte der Gerichtsbrüche. Neu war nur, daß er künftig 
jährlich 300^ zum Unterhalt des Schlosses beitrug, damit 
nicJit die Reparieriiny und Verbesserung der Hauptgebäude 
von eitlem Amtmann zum andern verschoben und allerharid 
Ungelegenheit daraus erfolgen würde (§ 16).^ 

*) Siehe den Abschnitt III, 2. 
^ Klefeker S. 372. 



Das Amt Bergedorf. 241 

[Hofwirtschaft.] Der größte Teil der Einnahmen und 
gerade der am schwersten zu fassende stammte, nachdem 
den Amtmännern der Ertrag des Eislinger Zolls ge- 
nommen war, aus ihrer Hofwirtschaft; sicher wurde auch 
ein bedeutender Teil ihrer Zeit mit der Verwaltung dieser 
ihrer Privatwirtschaft ausgefüllt. Um gute Beziehungen 
zwischen beiden Schlössern aufrechtzuerhalten, wurde 
schon 1422 bestimmt, daß die Amtmänner sich zu Michaelis 
gegenseitige Geschenke zu machen hätten: der Ripenburger 
zehn jährige Schweine, der Bergedorfer zehn Vlicken (Speck- 
seiten).*) Der Bergedorfer Amtmann gab also sein Geschenk, 
nachdem er es gemästet hatte, im folgenden Jahr zur Hälfte 
zurück; ob es aber wirklich geschah, steht dahin. Als die 
Ripenburg 1512 niedergelegt wurde, blieben die Wirt- 
schaftsgebäude stehen. Die Hofwirtschaft mit den zu ihr 
gehörenden Ländereien (119 Morgen 548 Ruten = 115 ha 
8085,95 qm) *) wurde dem Bergedorfer Amtmann zur eigenen 
Nutzung überlassen, der sie jedoch nicht selbst bewirt- 
schaftete, sondern für die Dauer seiner Amtmannschaft ver- 
pachtete. Über die Höhe der Pacht wurde 1607 berichtet, 
daß sie von 700 und 800 jetzt auf 900 -^ gesteigert sei.*) 

Die zu Bergedorf gehörenden Amtsländereien wurden 
dagegen vom Amtmann unter Zuhilfenahme von Diensten 
der Amtseingesessenen selbst bewirtschaftet.*) Sie bestanden 
aus zerstreuten Stücken in der Bergedorfer Feldmark und 
dem in der (üurslacker Marsch belegenen Lehfeld. 

Die Hofwirtschaft konnte durch den alle sechs Jahre 
zu Michaelis erfolgenden Abzug der Amtmänner nicht unter- 
brochen werden, das für ihren Betrieb notwendige Inventar 
mußte auf dem Schlosse bleiben. Daher wurde schon im 



^) Lüb. U. B. VI, 434. 

^ Nach der Vermessung von 1646, vergl. VOIOT, M. V.H. G. VI, S.213. 

^ Vorschläge, die Intraden des Amts zu erhöhen, Lübecker Visit.-Prot. 

*) Voigt, Aus der Hofwirtschaft des Amtmanns zu Bergedorf, M. V. H. G. 
IV, S. 107. Da Bergedorf 1646 nicht mit vermessen wurde, läßt sich 
die Größe des Landes nicht angeben. Zu deren Berechnung können 
vielleicht die von VOIGT (a. a. 0.) mitgeteilten Zahlen der Korn- 
aussaat im Jahre 1596 (zusammen 207 Scheffel) dienen. 



242 Hans Eellinghusen, 

Vertrag von 1422 bestimmt, daß über das, was dem neuen 
Amtmann an Were, Viktualien, Korn, Gerätschaft und fahrender 
Habe zu des Schlosses Behuf überantwortet wurde, eine 
Schrift aufgesetzt und es nach deren Inhalt dem Nachfolger 
ausgeliefert werden solle. ^) Die zur Verteidigung des Amts 
nötige Kriegsausrüstung (Were) wurde immer von den Städten 
geliefert und kommt hier nicht in Betracht. Dagegen wurde 
der zum Wirtschaftsbetrieb gehörende Vorrat von einem 
Amtmann an den andern nach feststehenden Inventaren über- 
tragen, wie der Vertrag es vorschrieb, und, wenn es nötig 
war, durch die Städte ergänzt. 1470 lieferten die Städte 
dem Amtmann für 336 -^ Viktualien, die künftig ein Amt- 
mann dem andern im gleichen Werte erstatten sollte.*) Doch 
erst aus dem Jahre 1570 liegen zwei Inventare über die zu 
liefernden Lebensmittel und Hausgeräte vor, die aber sicher 
auf alte Vorlagen zurückgehen.*) 

Damals gab es für Korn keine durch Inventar vor- 
geschriebene Menge mehr, und es ist zweifelhaft, ob die 
Vorschrift von 1422 überhaupt jemals ausgeführt ist. Viel- 
mehr wurde der ganze wechselnde Ertrag der Ernte dem 
Nachfolger überlassen. Das konnte nur durch Verkauf ge- 
schehen. Zuerst aus der Bestallung Dietrichs von Elthen 
(1548) erfahren wir, daß er Fahrhabe, Höfe, Korn, Gerät- 
schaft und anderes von seinem Vorgänger gekauft und aus 
eigenem Beutel bezahlt hatte. Seitdem spielen die Verträge, 
die die Amtmänner untereinander abschlössen, in den Ver- 
handlungen vor Antritt des Amts eine wichtige Rolle.*) 

Über die Lieferung des Kornes, das nach Garben bezahlt 
wurde, erhob sich mancher Streit, da ein Amtmann von dem 
andern übervorteilt zu werden fürchtete. Daher bildete sich 



') Lüb. U. B. VI, 434. 

') Koppmann, Kämm. Rechn. U, S. 458. 

^ Im ersten Inventar wird am Schlüsse bei zwei Posten (Buchenholz 
und Seimhonig) bemerkt, daß sie lange nicht geliefert seien. Das 
Inventar ist abgedruckt von VOIGT, M. V. H. G. IV, S. 112; das andere 
sich unmittelbar daran anschließende Inventar ist ungedruckt. 

*) Erhalten sind die Berichte des Amtschreibers Andreas Grim an den 
kommenden Amtmann Gerd Grantzin 1596 Juli 31, Aug. 3, 10, 17, 
28, Sept. 7, 12. Vergl. VOIGT, M. V. H. G. IV, S. 107 ff. 



Das Amt Bergedorf. 245 

die Gewohnheit, beim Amtswechsel durch beiderseitige Freunde 
aus dem Gesamthaufen einen Bimd Garben herausziehen zu 
lassen, der in eine Kiste gelegt, versiegelt und nach sechs 
Jahren zum Vergleich mit den neuen Garben wieder heraus- 
geholt wurde/) Auch hierdurch wurden die Unzuträglich- 
keiten nicht gelöst. Deswegen wurde 1596 festgesetzt, daß 
der Handel um das Getreide künftig aufhören und der Preis 
sich nach der Aussaat richten solle, die immer gleich bUeb^ 
während die Früchte wohl oder übd geraten konnten.*) 

Vom Heu wurden nach altem Gebrauch die ersten 
30 Fuder zu einem Vorzugspreis von 20 ß, die weiteren zum 
Preise von 2 ^ geliefert. Pflüge, Kähne, Milchbutten und 
was sonst zum Bau und Fuhrwerk gehörte, sollte von 
Unparteiischen geschätzt werden.*) 

Bis zum Jahre 1566 wurde auch das Vieh zu einem 
billigen Preise (Kühe das Stück für 5 ^ 8 /J, Schweine für 
24 ß) dem Nachfolger überlassen. Bitter beklagte sich 
Kerkiing, daß ihm dies Vorrecht genommen sei. Denn sein 
Vieh, das er sich teuer von allen Seiten habe kaufen müssen, 
sterbe massenhaft, weil es die Bergedorfer Luft nicht ver^ 
tragen könne.*) 

Zu alledem kamen noch die sogenannten Meliorationen,. 
Verbesserungen in der Wirtschaft, hinzu. Johan Moller hatte 
1566 seinem Vorgänger für zwei Mühlensteine, ein Häuschen 
auf dem Wall und etliche Rodungen 595 -^ \ ß bezahlt, 
dann hatte er selbst während seiner Regierung einen Fisch- 
teich und Garten angelegt, sowie Wiesen und Äcker aus-^ 
gerodet, wofür er seinem Nachfolger 1600 -^ 2 /J 6 ^ be- 
rechnete.*^) Diese Summe (2195 4^ 3 ß 6 ^) schleppt sich 
durch alle späteren Verträge hindurch, jeder mußte sie seinem 
Vorgänger wieder erstatten. 

') Entwurf eines Vertrages zwischen Eerkring und Vogeler 1578 Sept. 27^ 
ebenso 1590 geschildert in S. y. Bergens Bericht, Elefeker S. 348. 

^ Bestallung Gerd Grantzins. Darauf bezieht sich die Nota in y. Bergens. 
Bericht a. a. 0. 

') Vertrags-Entwurf von 1578, siehe Anm. 1. 

*) Schreiben vom 5. April 1575, 11. Nov. 1577; damit wird die Bitte 
um Verlängerung der Amtszeit begründet. 

*) Rezeß von 1572 § 15. 



244 Hans Kellinghusen, 

Insgesamt bezahlte Vogeler 1578:^) 

für Korn 3948-^ 11 /J 

« Heu 423 „ 8 „ 

„ Meliorationen . . . 2195 „ 3^6^ 
6567-^ 6/J 6^ 
(= ca. 50000 Mk.) 
Schulte 1590:^ 

für Korn 3620-^ 

„ Heu 205 „ Sß 

„ Meliorationen . . . 2195 „ 3 „ 6 .^J 

„ Gerätschaft . 1000 „ 

7020-^ 11 /J 6^ 
(= ca. 53000 Mk.) 
Mit der Hofwirtschaft war eine Reihe weiterer Rechte 
des Amtmanns verbunden: zunächst, um seine Einnahmen zu 
verstärken, das Monopol des Roggenhandels. Dies Recht, 
über dessen Auslegung Streit zwischen Amtmann und Unter- 
tanen entstanden war, wurde im Rezeß von 1568 dahin 
geregelt, daß allen Einwohnern frei stand, zu eignem Gebrauch 
Korn und Roggen zu kaufen, von wem sie wollten, nur unter 
der Bedingung des Mahlzwangs in der herrschaftlichen Mühle. 
Auch ihr eigenes Gewächs durften sie verkaufen. Nur der 
Handel mit Korn wurde verboten, solange der Amtmann 
Vorrat hatte, andernfalls durften die Leute auch mit Roggen 
Handel treiben.^ Der Amtmann war also ein privilegierter 
Komhändler im Amt. Es war aber niemand gezwungen, zu 
seinem Hausgebrauch von ihm zu kaufen, doch konnten dann 
die Amtseingesessenen nur vom Produzenten selbst oder von 
auswärts kaufen. Damit waren Monopolpreise des Amtmanns 
verhindert, bei billigem Preis ihm aber eine reiche Einnahme 
gesichert, da dann jeder am bequemsten von ihm kaufte. 
Getroffen wui'den von diesem System also nicht die Bauern, 
die meistens nach Hamburg und Lübeck verkauften,*) auch 

Rechnungs-Entwurf vom 29. Sept. 1578, Lüb. St.-A. 

') Voigt, M. V. H. G. IV, S. 108. 

^) Rezeß von 1568 Aug. 13 § 11. 

*) Voigt, M. V. H. G. IV, S. 67. 



Das Amt Bergedoil 245 

nicht die Konsumenten, sondern die Bürger im Städtchen, 
die einen ertragreichen Handelszweig sich genommen sahen 
und daher immer aufs neue in ihren Supplikationen um Auf- 
hebung dieses Vorrechts baten, das sich übrigens nur auf 
Roggen bezog: mit Gerste und Hafer war der Handel frei- 
gegeben.^) 

Über den Umfang des Handels gibt ein Roggenregister 
aus dem Jahre 1570*) erwünschten Aufschluß. Der Vorrat 
an Roggen bestand aus dem eigenen Gewächs (448 Scheffel)*) 
und den Naturalbezahlungen für Mahlen des Korns in 
den herrschaftlichen Mühlen zu Bergedorf und Ripenburg 
(511 Scheffel); der größte Teil aber (1500 Scheffel) war zu 
Hamburg und Braunschweig gekauft. Davon worden allein 
1500 Scheffel in Bergedorf untergebracht. Der Umsatz 
betrug 2500 Scheffel (= 4125 hl). Kein Wunder, daß der 
Amtmann Schulte dies Recht als Regal aufgefaßt sehen 
wollte. Aber Lübeck, das ihm nicht wohlgesinnt war, lehnte 
ab; denn die Städte hätten keinen Vorteil davon.*) Doch 
wurde das Recht auch den folgenden Amtmännern bestätigt. 
Weitere Beschwerden der Bergedorfer erreichten nur, daß 
ihnen auferlegt wurde, das Korn zu dem in Hamburg üblichen 
Preise zu verkaufen.*) Erst die große Änderung vom Jahre 
1620 beseitigte auch dies Recht.*) 

Weiter gehörten die herrschaftlichen Mühlen, eine 
Wassermühle in Bergedorf imd eine Windmühle in Ripenburg, 
ziu* ständigen Ausstattung des Amtmanns. Müller und Mühlen- 
steine mußte er auf seine Kosten unterhalten,^ die Instand- 



*) Schulte an Hbg. 1694 Jan. 5. 

') Gedr. VOIGT a. a. 0. 

5) 1 Scheffel = 1,65 hl. 

*) Lüb. an Hbg. 1594 Febr. 6. 

*) Kezeß von 1617 § 16. 

•) Vergl. zu dem Ganzen VOIGT, Vom Eomhandel der Amtmänner, 
M. V. H. G. IV, S. 62; ob aber dies Recht aus der ersten Zeit nach 
Erbauung der Burg stammt mit dem Zweck, seine Bewohner und 
Besatzung mit Korn zu versorgen, oder nicht vielmehr eine fiskaUsche 
Maßregel der Städte zugunsten des Amtmanns ist, lasse ich dahin- 
gestellt. Seit 1568 war es unzweifelhaft das letztere. 

') Bestallung 1548 u. f. 

w 

Ztsohr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XTTT. 



246 Hans Kellinghusen, 

haltung der Mühlen selbst war Aufgabe der Städte. Wie 
schon erwähnt wurde, bestand für die Amtseingesessenen 
Mahlzwang. *) 

Auch die Fischerei im Amt war ein zum Hause 
gehörendes Regal, dessen Nutzung dem Amtmann zustand. 
Die Befischung der großen Elbe, Doveelbe und der durch 
Eibeinbrüche entstandenen Bracks war an die anliegenden 
Landschaften oder an einzelne verpachtet, teilweise erblich.*) 
Über den Fischfang auf der großen Elbe herrschte 1448 — 50 
zwischen den Vogteien Ripenburg und Winsen Streit. Die 
beiden Städte gestanden den Untertanen der Vogtei Winsen 
wohl das Recht, in einer durch das Los gefundenen Abgrenzung 
zu fischen, zu, forderten aber die Ablieferung aller auf der 
Elbe gefangenen Störe an das Haus Ripenburg und wollten 
keine Übergriffe dulden.*) Nur auf der Bille wurde der 
Fischfang unmittelbar vom Hause ausgeübt. 

In Summa: Die Einkünfte des Amtmanns lassen sich 
zwar nicht genau angeben, aber so viel ist sicher, daß sie 
eines Ratsherrn würdig bemessen waren. Und so begreift 
sich, daß die Städte, als der senatorische Amtmann unnötig 
geworden war, mit seiner Beseitigung die große Verwaltungs- 
reform von 1620 einleiteten. 

[Tod.) Es erübrigt noch auf einen Fall einzugehen, 
der nach der oben geschilderten Wahlordnung gar nicht so 
selten war: den Tod des Amtmanns. Auch für ihn trafen 
die Bestallungen Vorsorge, wurden doch alle Bestimmungen 
für den Amtmann und seine Erben abgeschlossen. Als Herr 
Johann Berskamp auf Bergedorf 1490 im zweiten Jahr seiner 
Verwaltung starb, folgte ihm daher der Ratsherr Christian 
Berskamp. Zu dreien Malen jedoch trat, soviel wir sehen, 
die Witwe des Amtmanns an seine Stelle und übte alle 



1471 wird mit Otto Schack auf Basthorst über die Lieferung von 
Zimmerholz zum Grundwerk (Wasserzuleitung) der Mühle verhandelt. 
Lüb. an Hbg. 1471 Jan. 26. 

') Vergl. Voigt, Von der Windmühle bei der Ripenburg im Kirch- 
wärder, M. V. H. G. IV, S. 106. 

') Verzeichnis der Vischerei dem Hatise gehörig, um 1590. 

*) Lüb. U. B. Vin, 546, 551, 555, 579, 586, 590, 596, 599, 600, 680—83, 697. 



Das Amt Bergedorf. 247 

ihm gebührenden Rechte und Pflichten aus. Sie führte die 
Korrespondenz mit den Städten, erließ Gebote und Verbote, 
beaufsichtigte z. B. einen Schleusenbau und verhandelte 
darüber mit dem Ratsbaumeister und scheint auch den 
Vorsitz im Gericht gehabt zu haben. ^) Es scheint eine 
Analogiebildung zu den fürstlichen Regentinnen, aber selt- 
sam ist es doch, zumal wenn man an die sonstige recht- 
liche Stellung der mittelalterlichen Frau denkt. In des 
Lübeckers Elthen Bestallung (1548) heißt es: Stirbt er inner- 
halb der sechs Jahre, so gelangt dieser Vertrag auf seine 
Erben, die uns (dem Rat) einen tüchtigen Mann, der uns 
gefällig ist, vorstellen sollen. Und der gemeinsame Vertrag 
von 1608 bestimmte (§18): Beim Tode des Amtmannes soll 
die Witwe eine Ratsperson vorschlagen, welche ihr auf ihre 
Unterhaltung (d. h. Kosten) zur Aufsicht zugeordnet werden 
soll.*) Dieser Fall trat ein, als 1616 der letzte Amtmann 
Eberhard Esich starb. Sofort wurde damals ein Ratsherr 
(Albrecht Ostman) zur Beaufsichtigung des Hauses bis auf 
weitere Verordnung nach Bergedorf gesandt.*) Die Erben 
aber verglichen sich mit dem Ratsherrn Albrecht v. Eitzen, 
der am 23. Januar 1617 das Haus bezog, das ihm im sitzenden 
Rat auf seinen geleisteten Ratseid anvertraut wurde. Denn 
da er nur an die Stelle des verstorbenen Amtmanns trat, 
hielt man eine feierliche Einführung durch Abgesandte für 
unnötig.*) 

[Vertretung.] Auch vorher kannte man schon eine 
Vertretung des Amtmanns, aber im allgemeinen nur durch 
Unterbeamte. Ein Ausnahmefall ist es, daß der Amtmann 



^) Anna Mesman an Lüb. 1516 Febr. 28, Barbara Reder an Hbg. 1522 
Sept. 25, an Lüb. 1523 Dez. 2, Cecilia von Holte an Hbg. 1559—60 
in mehreren Briefen. KOPPBIANN, Känun. Kechn. Vn, S. CLXXXVI 
sagt allerdings, daß nach Georg von Holtens Tode 1559 Georg Tamme 
und 1560 Conrad Soest Capitaneua genannt werden, aber diese waren 
Söldnerhauptleute, die zum Schutze des Schlosses zeitweise darauf 
gelegt wurden, wie es auch sonst oft geschah. Mit der Verwaltung 
hatten sie nichts zu tun, die lag in den Händen der Witwe von Holtens. 

^ Klefeker S. 373. 

^) Hbg. an Lüb. 1616 Sept. 2. 

*) Desgl. 1617 Jan. 4. L. an H. Jan. 8. Amtsbuch Jan. 23. 

IT» 



248 Hans Eellinghusen, 

Erich von Tzeven sich 1463 bei seiner Abwesenheit durch 
den Ratsherrn Nicolaus Remstede vertreten ließ.*) Denn 
der Amtmann war verpflichtet, Tag und Nacht auf dem 
Hause zu sein. Bei Abwesenheit, die sich über drei Tage 
erstreckte, mußte er einen den Städten genehmen Stellver- 
treter beschaffen.*) So bat Ditmar Koel den Rat, ihm den 
Alstervogt Marcus Holste als Statthalter zu senden, als er 
in Geschäften nach Hamburg verreisen mußte.*) Für gewöhn- 
lich übernahm der Amtschreiber die Vertretung. Die Stell- 
vertretung konnte auch eine dauernde werden: Claus Brömse^ 
der ausnahmsweise als lübscher Bürgermeister Amtmann 
wurde (1536 — 1542), ernannte einen dauernden Statthalter 
oder Befehlshaber, da er selbst wegen seiner übrigen Amts- 
geschäfte nur auf kurze Zeiten ins Amt kommen konnte.*) 
Von der einmal 1435 vorgekommenen Übertragung zu 
Afterschloßglauben ist schon gesprochen.*) 

2. Beamte im Dienst des Amtmanns. 

Eigentlich staatliche Beamte gab es außer dem Amt- 
mann anfänglich im Amte nicht. Was noch vorhanden war^ 
waren erstens seine direkten Diener, die er mit sich aufs 
Schloß brachte, zweitens die Vertreter der Untertanen, die 
er im Städtchen und auf dem Lande vorfand. Die ersteren 
wurden ursprünglich allein von ihm ausgewählt und ein- 
gesetzt, erst allmählich, als einzelne dieser Ämter wichtiger 
wurden, gewannen die Städte Einfluß auf ihre Besetzung, 
entstanden Beamte im eigentlichen Sinne, halbabhängig und 
endlich unabhängig vom Amtmann. 

Wir betrachten zuerst die Entwickelung dieser Be- 
amtenreihe. 



') Koppmann, Kämm. Rechn. 11, S. 185 

^ Hbgs. Vorschläge und Lüb. Antwort 1548 § 2: vergl. S. 235 n. 4: 

Bestallung 1566, M. V. H. G. in,2 S. 50. Johan MoUer verreiste während 

seiner Amtmannschaft 1569 nach den Niederlanden. 
^ Koel an Hbg. 1543 April 20. 
*) Den Johan Grotejan, der später 1544 Vogt zu Lauenburg war (an 

Hbg. 1544 Juni 18). 
«) Lüb. Ü.B. VI, 661; vergL S. 233. 



Das Amt Bergedori 249 

Als 1422 die Verwaltung der Ämter geordnet wurde, 
da kümmerten sich die Städte hauptsächlich um die Ver- 
teidigung der neu gewonnenen Schlösser und überließen den 
Amtmännern, die Verwaltung nach alter Gewohnheit fort- 
zuführen. Diese wurden daher angehalten, zu Bergedorf 
zwölf, zu Ripenburg acht wehrhaftige, fromme Leute und 
außerdem andere Diener, die sie für das Schloß nötig 
hätten, von den Amtseinkünften zu unterhalten und zu be- 
köstigen.^) Diese anderen Diener werden in Bergedorf 1435 
und 1457 näher bestimmt: Koch, Schließer, Wächter, Fischer 
und Pförtner*) (mit den Kriegsknechten 17 Leute). Es 
waren also lauter Personen, die für die Wirtschaft und 
Bewachung des Schlosses nötig waren, keine Verwaltungs- 
beamte. 

Aus den folgenden hundert Jahren, in denen sich die 
Vereinigung beider Ämter vollzog, fehlen uns Nachrichten 
über die Zahl und Zusammensetzung der Amtsbedienten. 
Erst 1548 in der Bestallung Dietrich von Elthens werden 
sie wieder aufgezählt. Dort verspricht Elthen vier reisige 
Knechte, einen Jungen und den Hausvogt mit sieben reisigen 
guten Pferden auf seine Belehnung, Kost und Kleidung und 
die Pferde auf sein Eveniur zu halten. Was außerdem an 
gemeinem Volke beim Haus zu sein gebührt: Wächter, 
Pförtner, Lieger (ligger), Fischer, Koch, Schließer und 
Schreiber, will er nach alter Gewohnheit und auch einen 
Büchsenschützen mit Lohn, Kleidung und freier Kost auf 
eigene Kosten haben. Das sind zusammen 14 Personen. 

Die gleiche Zahl finden wir in den späteren Bestallungen.*) 
Eine letzte Regelung gibt der gemeinsame Vertrag von 1608. 
Jetzt sind es 16 Leute: Amtschreiber, Hausvogt, drei reisige 
Knechte, Stalljunge, Koch, Schließer, Fischer, Wächter, 
zwei Pförtner, zwei Lieger und zwei Büchsenschützen.*) 



1) Lüb. ü. B. VI, 434. 

^ Lüb. Ü.B. Vn, 661; IX, 445. 

') 1560, 1566 (M. V. H. G. m, 2 S. 50), 1572, 1578 (seitdem zwei Büchsen- 
Schützen, dafür nor drei reisige Knechte), 1590 (Elefeker, S. 343 f.), 
1596. 

*) Klefekee, S. 369. 



250 Hans Kellinghosen, 

[Amtschreiber.] Als den Städten verantwortlicher 
Verwaltungsbeamter ist am Schluß der Periode neben den 
Amtmann der Amtschreiber getreten, dessen Stellung sich 
aus kleinen Anfängen entwickelte. Ursprünglich wird unter 
den Dienern des Amtmanns überhaupt kein Schreiber genannt, 
und die Korrespondenz scheint auch im 15. Jahrhundert von 
den Amtmännern größtenteils eigenhändig geführt zu sein. 
Zum erstenmal wird ein Schreiber des Amtmanns (Albert 
V. Essen) 1536 erwähnt. Zwei Jahre darauf kommt zuerst 
der Name Amtschreiber vor, als dem Amtmann Claus Brömse, 
Ritter und Bürgermeister von Lübeck, über jviwer Oe. L. 
amptschriver tho Bergerdorp Valentin Midi geklagt wird.*) 
Vielleicht hat die bedeutendere Stellung, die der Amtschreiber 
seitdem einzunehmen beginnt, in den Verhältnissen ihren Grund, 
die durch die Abwesenheit des eigentlichen Amtmanns Brömse 
und seine dauernde Stellvertretung gegeben waren.^ Auch 
unter den folgenden Amtmännern sind die Namen einzelner 
Schreiber bekannt: Johannes Bere unter Koel*), Luder und 
Johan Schonen gleichzeitig unter von Holten, von denen er 
den ersten seinen alten Schreiber nannte, dem 1555 der Titel 
Amtschi-eiber beigelegt wird, während der zweite mehi- ein 
persönlicher Schreiber des Amtmannes war.^) 

Aus den jeweils mit den Verwaltungsperioden wechselnden 
Namen geht zur Genüge hervor, daß damals der Schreiber ein 
persönlicher Diener seines Herrn war, der mit ihm das Amt 
bezog und verließ.^ Seine Aufgabe war, allerlei Schreib- 
arbeit, die im Amt nötig war, insbesondere die Korrespondenz 
des Amtmanns, zu leisten, seine Berichte an den Rat auch 
wohl selbst zu überbringen und dessen Befehle entgegen- 



Hbg. an Gerd v. Hutlem 1536 Juni 14. 

*) Hbg. an Brömse 1538 Jan. 20; Mull wird auch 1537 in den Kämm. 

Rechn. V, 626 erwähnt. 
3) Vergl. S. 248. 
*) Ditmar Koel an Joh. Rodenburg 1545 Jan. 24. In den Kämm. Rechn. 

1544 wird er graphiarius genannt (VI, S. 155). 
*) Die Kämm. Rechn. VII, S. 35 unterscheiden Luder acriba curiae und 

Joh. Schonen, scriba eins (v. Holtens). 
•) Auch die Nennung des Schreibers an letzter Stelle unter den Dienern 

1548 spricht für die untergeordnete Bedeutung. 



Das Amt Bergedorf. 251 

zunehmen. Zu dieser Arbeit gehörte auch die Führung der 
Amtsrechnungen, mit der die Verwaltung der Amtskasse ver- 
bunden war.^) Mehrfach erfahren wir, daß der Schreiber zur 
Rechnungsablage über die von den Städten aufzubringenden 
Ausgaben nach Lübeck oder Hamburg reiste. Dies alles tat 
er im Dienste des Amtmanns, die Städte hatten damals kein 
Interesse an der Person des Amtschreibers. 

Das wurde anders, als Lübeck 1548 begann, das Amt 
zu eigenem Nutzen verwalten zu lassen. Der Amtschreiber 
blieb der Verwalter der Amtskasse, der Amtmann versprach 
nur, ein getreulich und fleißig Aufsehen darauf zu haben, daß 
alle Amtseinnahmen mit treuem Ernst aufgeschrieben, be- 
rechnet und dem Lübecker Rat zugestellt würden.*) Der 
Amtschreiber, bisher ausschließlich ein Diener des Amtmanns, 
trat nunmehr in verantwortliche Beziehungen zu den Städten, 
halbjährlich legte er der Lübecker Kämmerei Rechnung über 
die Amtseinnahmen und -ausgaben ab,*) eine zweite Rechnung 
für beide Städte enthielt die im Auftrage dieser geschehenen 
Ausgaben. 

Freilich gab das hierdurch entstehende Interesse der 
Städte an der Person des Amtschreibers anfänglich zu einer 
rechtlichen Änderung seiner Stellung noch keinen Anlaß, 
besonders da er in allen seinen anderen Aufgaben Diener 
des Amtmanns blieb. Und während der hamburgischen Ver- 
waltungszeit war der Amtschreiber nach wie vor nur der 
Diener seines Herrn. Er hatte den Städten dann gar keine 
Rechnung abzulegen, da auch die sonst von ihm halbjährlich 
geleistete Abrechnung über die von den Städten zu tragenden 
Ausgaben mit dem Amtmannpächter persönlich gewöhnlich 
am Schluß seiner Verwaltungszeit geschah. Aber tatsächlich 
wurde das Amtschreiberamt ohne Zweifel durch die Be- 
rührung mit den Städten wichtiger, zumal auch mit der 



*) 1538 (siehe S. 250 Anm. 2) beklagt sich Hamburg, daß der Amtschreiber 
dem Besitzer einer Kommende zu St. Nikolai seine Rente voir32^ 
aus dem Martinsschatz zu Ripenburg nicht gezahlt habe. 

^ BestaUung 1548. 

^ Zuerst erhalten die Rechnung Claus Grotes von Mich. 1561 
Ostern 1562. 



252 Hans Kellinghasen, 

Zunahme schriftlicher Aufzeichnung seine übrigen Aufgaben 
sich steigerten, Gerichtsprotokolle und Amtsregister zu führen 
waren. Eine erste Folge der erhöhten Bedeutung seines 
Postens war es, daß er in eine festere Verbindung zum Amt 
trat. Während bisher, soviel wir sehen, die Schreiber st€ts 
mit ihrem Herrn das Amt verlassen hatten, so wurde es jetzt 
ratsam, einen in den Geschäften erfahrenen Mann im Amt 
zu behalten. So blieb zuerst der 1560 angenommene Claus 
Grote auch unter den Nachfolgern seines ersten Herrn im 
Amt, und dies hatte eine weitere Festigung seiner Stellung 
zur Folge. Denn er hatte nun die wichtige Aufgabe, die 
neuen Herren in die Geschäfte einzuführen, durch seine Ver- 
mittelung blieb der Zusammenhang in der Verwaltung bestehen, 
und er war der genaue Kenner des Amts, bei dem man sich 
in Zweifelsfällen informierte. Gleichwohl blieb seine rechtliche 
Stellung die alte, den Anstoß zur Fortentwickelung gaben 
erst bestimmte einzelne Vorfälle. Claus Grote mußte am 
31. Mai 1577 dem Lübecker Rat mitteilen, daß er ihm von 
den Ostern fällig gewesenen Einnahmen (972 ^3/J)773^11/J 
zurzeit nicht bezahlen könne, und der Amtmann wußte darauf 
nur zu sagen: er hätte nicht gedacht, daß Grote so viel 
schuldig geblieben wäre.^ Man sah erst jetzt ein, daß der 
tatsächlich Verantwortliche auch in ein rechtliches Verhältnis 
zu den Städten treten müsse, seine Auswahl überließ man 
zunächst wohl noch dem Amtmann, aber er wurde von nun 
an auch von den Städten in Eid und Pflicht genommen.^ 
Damit wurde er ein dem Amtmann untergeordneter Beamter 
der Städte, dessen Stellung freilich noch nicht klar abgegrenzt 
und vielfach noch zu abhängig vom Amtmann war. Sie mußte 
zu Unzuträglichkeiten führen bei dem von Hamburg befolgten 
Pachtsystem, da hier der Amtschreiber zwar rechtlich Beamter 
der Städte blieb, tatsächlich aber aufhörte es zu sein und 



Grote an die Kämmereiherren 1577 Mai 31. Lüb. an Kerkring Juni 5, 

Antw. Juni 9. 
^ Es ist anzunehmen, daß die Verpflichtung durch die Städte damals 

zuerst erfolgte; 1591 wird der Amtschreiber Grim als lange im Amt 

und beiden Städten mit Eiden und Pflichten verwandt bezeichnet, 

Lüb. an Schulte 1591 Juni 7. 



Das Amt Bergedorf. 253 

auch seine Besoldung vom Pächter empfing. Wieder gab ein 
Mißbrauch diesmal der Amtsgewalt des Amtmanns Anlaß zu 
Änderungen. 

Der Amtmannpächter Schulte hatte 1591 den lang- 
jährigen Amtschreiber Andreas Grim kurzerhand entlassen, 
als wenn er nur sein persönlicher Diener gewesen wäre, und 
seinen eigenen Sohn an dessen Stelle gesetzt, auch trotz 
mehrfacher Aufforderung der Städte an diesem Zustand nichts 
geändert. Sein einziges Bestreben war, aus der Verwaltung 
möglichst viele Vorteile für sich herauszuschlagen, auch auf 
unerlaubten Wegen. So hatte er, wie sich auf der Visitation 
von 1593 herausstellte, Ausgaben, die ihm von den Städten 
ersetzt werden mußten, doppelt angeschrieben, vieles zu teuer 
berechnet, ganz persönliche Ausgaben in die Amtsrechnung 
gesetzt.^) Das konnte nicht weiter gehen. Darum wurde 
nun von den Visitatoren der alte Amtschreiber feierlich wieder 
in sein Amt eingesetzt und hierdurch zuerst als Beamter der 
Städte dem Amtmann auch wider seinen Willen aufgezwungen. 
Dabei erfuhren seine Befugnisse wichtige Erweiterungen: 
ihm wurde nunmehr die Wahrung der Baurechnung (d. h. der 
von den Städten zu tragenden Ausgaben) übertragen. Zugleich 
leistete er einen neuen Eid, in dem er versprach, beiden 
Ehrbaren Städten und dem Herrn Amtmann treu, hold und 
gehorsam zu sein. Insbesondere wolle er die Amts- und 
Gerichtsbücher verwahren, des Amts ordentliche Einnahme 
und Ausgabe registrieren und seinen Herren gute Rechnung 
davon tun, alle und jede Baukosten von Holz, Steinen, 
Arbeitslohn und sonsten ordentlich verzeichnen und richtig 
berechnen und keine Hestem (juiige Bäume) abhauen oder 
abhauen lassen.^ Indem die im Auftrage der Städte 
gemachten Ausgaben jetzt auch während der hambui'gischen 



Z. B. ein Posten aus der Amtsrechnung: 28, Juni 1592 ist der 
H, Licentiate Eberhardt Ttvestrenge vom Rahte ahn mich geschickt 
worden, den nelb dritten hey mir gehabt, und vortruncken toorden 
2 Stuebchen Wein, kostet 2^ 12 ß, wozu der revidierende lübsche 
Ratsherr die Randbemerkung Filtzlaus nicht unterdrücken kao 
Ähnliches oft. 

^ Vergl. zu diesem Punkt S. 231 n. 1. 



254 Hans EelUnghusen, 

Regierung unter seine Aufsicht kamen, wurde er auch hier 
mitverantwortlicher Beamter der Städte. 

Freilich war der Amtmann nicht sofort geneigt, dem 
Amtschreiber seinen Platz einzuräumen. Er lieferte ihm die 
Amtsbücher nicht aus und stellte auf Vorhaltungen der Städte 
bewegliche Klagen an, der Amtschreiber sei ihm wider alle 
Gewohnheit aufgezwungen, er stelle sich nicht als sein Diener^ 
sondern als sein Oberherr. Wenn seine eigenen Diener in 
Vorwerk oder Mühlen etwas nötig hätten, getrauten sie sich 
nicht, ihn darum anzusprechen, sondern hätten allen Befehl 
vom Amtschreiber nehmen müssen, so daß seine Diener und 
Untertanen nunmehr im Zweifel ständen, zu wem sie sich 
halten sollten. Alle früheren Amtleute hätten den Befehl 
des Hauses allein gehabt.^) 

Das Schreiben charakterisiert die Lage, früher war es 
allerdings anders gewesen. Aber das neue Amt war aus 
dem Bedürfnis heraus entstanden und hatte sich daher sozu- 
sagen von selbst entwickelt. Aus dem Schreiber des Amt- 
manns war ein Schi-eiber des Amts geworden, als die Führung 
einer Amtskasse notwendig wurde und gleichzeitig die 
Schreibtätigkeit in Gerichts- und Verwaltungsakten sich aus- 
zubreiten begann. Dies hatte wieder zur Folge, daß aus 
dem Privatangestellten des Amtmanns ein neuer Beamter im 
Rechtssinne wurde, zwar dem Amtmann untergeordnet, aber 
mehr als von ihm von den Städten abhängig. Denn von 
diesen wurde er, wie es zuerst in der feierlichen Neu- 
einsetzung Grims zum Ausdruck kam, künftig eingesetzt und, 
als 1608 die Verpachtung aufhörte, auch allein besoldet. 
Bezeichnend ist, daß sich nun auch das Eindringen gelehiler 
Bildung bemerkbar machte. Schon Grim erwähnt einmal 
seine Studien,*) Knöcker (seit 1601) war zugleich kaiser- 
licher Notar. 

Nur war es notwendig, daß der Amtschreiber jetzt auch 
ganz aus dem persönlichen Dienstverhältnis zum Amtmann 



*) Lüb. an Hbg. 1594 März 22, Schultes Suppl. April 7. 
*) Archiv f. d. Gesch. d. Herzogtums Lauenburg IV, 2 S. 34; eiuen 
akademischen Qrad besaß er nicht. 



Das Amt Bergedoil 255 

ausschied. Denn noch gehörte er zur herrschaftlichen 
familia, der mit am Tisch des Amtmanns saß, also von ihm 
Essen und Trinken und wohl auch Wohnung empfing. Da 
waren Konflikte leicht möglich, da Niemandt zweien kern 
dienen kan, das er beider gunst hohe}) Aber die Trennung 
geschah erst 1620. 

Außer Wohnung und Beköstigung erhielt der Amt- 
schi'eiber seine Besoldung, die aus festem Gehalt und Sportein 
bestand. Das Gehalt war ursprünglich sehr gering: 12 Taler 
(= ca. 200 Mark),*) und wurde erst bei der Vermehrung 
seiner Befugnisse 1593 auf das Doppelte (24 T.) erhöht. 
Dazu kamen die Sportein: 

1. 3 7o der Amtsbrüche (von jedem Taler [= 33 /J] 1 ß\ 
Ihr Ertrag war: 

MichaeUs 1576—77: 39-^ 12 /J 6^ 
1577—78: 26 „ 15 „ 6 „ 
Ostern 1589—90: 17 „ 1 „ 
Michaelis 1601—02: 57 „ 6 „ 3 „ 
1608—09: 19 „ 1 „ 
1574 hatte der Amtschreiber diese Einnahme noch 
nicht, wie aus den Amtsrechnungen hervorgeht. 

2. Die Gebühr von den Botzetteln, Verträgen, Will- 
küren und anderen Akzidentalien,*) besonders bei Misse- 
taten (1 Witte = 4/J von jeder Feuerstätte)*) und ürteils- 
schelte. Diese Gebühren, deren Summe sich nicht mehr 
feststellen läßt, haben jedenfalls sein festes Gehalt bedeutend 
überstiegen. 

[Hausvogt.] Von den übrigen Dienern des Amtmanns 
kommt für die Verwaltung wesentlich in Betracht nur noch 
der Hausvogt. Er wird schon im 15. Jahrhundert wiederholt 
erwähnt,*) obwohl er in den damaligen Verzeichnissen der 



*) Amtachreiber Meyer an Lüb. 1601 Jan. 23. 

^ Amtsrechnungen 1574—78, 1589. 

^ Rezeß von 1593 § 11. 

*) Knöcker an Lüb. 1608 Aug. 14. 

^) Zuerst Andreas Gronenberg, Vogt von Johan Vos auf Bipenbv 

(1434 — 38) in und. Schreiben; der Name Hausvogt zuerst 8. Juni 14 

(Cord Brekewold an Lüb.). 



256 Hans Kellinghusen, 

Diener noch nicht vorkommt (s. o.), und war wohl i-egelmäßig 
auf jedem Schloß vorhanden. Er wurde zwar vom Amt- 
mann eingesetzt, aber für gewöhnlich vom Nachfolger über- 
nommen und blieb, solange er den Dienst verrichten konnte.*) 
Daher ließ sich der Amtmann von ihm über Amtsangelegen- 
heiten unterrichten und er genoß in dieser Beziehung wohl 
dieselbe Vertrauensstellung wie später der Amtschreiber.*) 
Seine eigentlichen Aufgaben scheinen immer gleich geblieben 
zu sein. Er hatte die Aufsicht auf das Haus, das er früh 
und spät bewachen sollte, auf Scheiden und Grenzen des 
Amts zur Erhaltung von uralter Freiheit und Gerechtigkeit, 
auf Holzungen und namentlich auf Deiche und Dämme. Er 
beaufsichtigte femer das Vorwerk, daß zur rechten Zeit gesät 
und geemtet würde, und besonders, daß die Dienste von den 
Untertanen richtig geleistet wurden, tüchtige Personen und 
keine Kinder zum Dienst geschickt, auch niemand damit 
yerschont und überhaupt fleißig gearbeitet wurde. Dies 
alles nach bestem Vermögen zu tun, schwur er in seinem 
Amtseid.*) Dafür erhielt er Wohnung und Nahrung vom 
Hauptmann, außerdem 20 Taler Besoldung, für zwei Kühe 
fi-eie Weide, zwei Fuder Heu, das Gras auf den Huckwällen (?) 
zwischen dem Hafer und am Schleusengraben, das alte Holz 
;iuf dem Haus und die Windbrüche.^) 

[Andere Diener.] Auch von allen Dienern, die sonst 
noch vorhanden waren, mußte ein jeder seinen Eid leisten. 
Die reisigen Knechte schwuren, Tag und Nacht zu Lande 
und Wasser mit Leib und Leben bereit zu sein. Der 
Schließer, ein \ielseitiger Mann, wollte backen und brauen, 
niemand von Bier und Brot mehr, als ihm gebührte, folgen 
lassen, sich der Sparsamkeit befleißigen imd die Gefangenen 



*) Beide Vögrte erwähnt 1472 (Anm. 3). 

^) Der alte Burgvogt Peter Snor hat wohl unter vier Herren hier auf 

dem Hause gedient, Koel an Hbg. 1543 Nov. 7, 1547 Sept. 14. 

Claus Vagedty der den Städten in die 73 (?) Jahr gedient hat, 

Kerkring an Lüb. 1578 Dez. 6. 
^ Grawert an Lüb. 1472 Okt. 26; von Calven an Ltib. 1483 Okt. 3. 
'•) Erhalten in zwei Formen 1593 und 1617. 
*) Rezeß von 1693 § 11. 



Das Amt Bergedoil 257 

fleißig warten. Der Wächter versprach, solange die Nacht 
währte, zu blasen, und auf dem Wall herumzugehen, des- 
gleichen Pförtner und Ligger ihre Wachtpflichten zu erfüllen. 
Der Fischer schwur, stets einen Vorrat an Fischen vorhanden 
zu halten, keinen Unterschleif mit Fischen zu machen und 
auf die Fischereigerechtigkeit des Amtmanns zu achten. 
Sogar der Koch leistete einen Eid, das Essen zu rechter 
Zeit bereit zu halten, damit ein jeder das Seine bekomme^ 
und sparsam mit Feuer zu sein.^ 

[Zöllner.] Zu den Dienern des Amtmanns gehörte 
auch noch der Zöllner zu Bergedorf, der jedoch einer der 
beiden 1608 genannten Pförtner war.^ Vom Amtmann an- 
genommen, war er seit 1548 während Lübecker Regierungs- 
zeit unmittelbarer Beamter der Städte, der seine Besoldung^ 
aus der Amtskasse empfing, während der hamburgische Amt- 
mann-Pächter ihn selbst besoldete. Er erhob nach einer 
alten Zollrolle den Zoll für Ein-, Aus- und Durchfuhr und, 
seitdem die Akzise eingeführt war, auch diese (s. u.). Der 
Amtschreiber beaufsichtigte, daß die Register richtig gehalten 
wurden. Jeden Sonnabend mußte ihm der Zöllner über die 
erhobenen Gelder Rechnung tun. Zur Zollkiste, in die die 
Einnahmen gelegt wurden, hatten Amtschreiber und Zöllner 
je einen Schlüssel. Außerdem besorgte der Zöllner die 
öfEnung und Schließung der Tore.*) Durch Beschluß der 
Städte vom Jahre 1614 wurde dem Amtmann das Recht der 
Einsetzung genommen und auf sie selbst übertragen.*) Sein 
Jahreslohn war 12 4^.^) 

Dagegen war der Zöllner zu Eislingen an der Elbe 
schon früh aus dem Dienste des Amtmanns ausgeschieden, 
da Hamburg wenigstens seit 1446 (s. u.) den Zoll für 
eigene Rechnung erhob. Wie aus den Kämmereirechnungen 
hervorgeht, war er schon im 15. Jahrhundert auf un- 



Die Eide aUe aus dem Jahre 1617. 

^ Schon 1678 in der Amtsrechnung; Zol- und Portener. 

^ Pasche an Lttb. 1614 April; Eid aus dem Amtsbuch 1614 April 30 

*) Kezeß § 7; Lüb. an Hbg. Nov. 7, H. an L. Dez. 29. 

^ Nach den Amtsrechnungen seit 1577. 



258 Hans Kellinghosen, 

bestimmte Zeit, vielleicht aber auch auf Lebenszeit angesteUt. 
Im 16. Jahrhundert wurde die Stelle von der Stadt, in deren 
Regierung die Vakanz fiel, neu besetzt.^) Sie scheint teil- 
weise als Versorgungsposten gedient zu haben: 1530 — 1533 
war ein Priester Mauritius von Minden Zöllner.*) Da die 
Vakanz mehrfach hintereinander in die Hamburger Regierungs- 
zeit fiel, wurde Lübeck ungehalten; daher entstand durch 
Vergleich von 1584 eine Gewohnheit, die sich nach 1620 
auf alle von den Städten zu ernennenden Beamten ausdehnte: 
die Stellen wurden abwechselnd von Lübeck und Hamburg 
besetzt,^ auch vmi-de damals verabschiedet, daß der Zöllner 
beiden Städten mit Eiden und Pflichten verwandt sei und zur 
Verbürgung einer guten Verwaltung Kaution stellen solle. 
Dementsprechend leisteten die neuen Zöllner vor der Visitation 
ihren Eid.*) 

Im Zollenspieker hatte der Zöllner seine Amtswohnung; 
sein Gehalt erhellt aus den Hamburger Kämmereirechnungen, 
es betrug: 

1470—1476: 10-^, 

1482—1488: 15 „ 

1494—1500: 14 „ 

1555—1572: 275 „ und eine Tonne Butter zu 46-^, 

1579—1620: 340 „„ „ „ „ r 46 „ . 

Der Gehaltssteigerung seit 1555 (über die Jahre 1500 — 55 
fehlen Nachrichten) steht der Verlust von Einnahmen aus 
dem Zoll gegenüber: bis dahin hatte der Zöllner von jeder 
Last groben Salzes 1 /J für sich erhoben, was nun fortfiel,*) 
und ebenso scheint es mit allen früheren Hebungen gegangen 
zu sein. Später lieferten ihm nur noch die Landleute als 



^) 1556 ist von Hamburg der Katsherr Laurentiua Niehur missiM ad 
praesentandum Ericum Soltowen tlieolonarium, Kämm. Rechn. VII, 82. 

*) Kämm. Rechn. V, S. 491. 

^ Vertrag vom I.Juli 1584. (Lübeck, Trese): Es soll die Besetzung 
tmd Bestellung altemis vicibus, es sei die Regierung auch, bei wem 
sie wolle, erfolgen. 

*) Rezesse von 1584, 1596, 1602. 

*) Westede am Thode 1565 Okt. 14. 



Das Amt Bergedorf. 259 

Entgelt für freie Überfuhr über die Elbe den Ffthrhafer, der 
jährlich 3 Wispel (= ca. 50 hl) betrug.*) 

Nach seinem Tode wurde der Witwe ein Gnadenjahr 
gewährt, während dessen sie die Einkünfte ihres Mannes 
weiter bezog.*) 

Zu bemerken ist noch, daß 1455 der Zöllner das höchste 
und niederste Gericht über einen Krug bei der Kirche in 
Kirchwärder und drei Katen auf dem Krauel beanspruchte, 
ein Recht, das ihm aber vom Amtmann streitig gemacht 
wurde und von dem sich später keine Spur findet.') 

Der Zöllner hatte einen Zollschreiber, der die Zoll- 
register führte und seit 1607 von beiden Städten in Eid 
genommen wurde,*) und drei Knechte unter sich, deren Auf- 
gabe die Bedienung der bei dem Zoll befindlichen Fähre 
war. Diese Diener erhielten von der regierenden Stadt zu- 
sammen 30-^ Besoldung.^) 

Damit sind die Vertreter der Herrschaft im Amt er- 
schöpft. Zwar sind es noch wenige entsprechend der Einfach- 
heit der Verwaltung, namentlich Schreibarbeit tritt noch sehr 
zurück, aber immerhin ist in den zweihundert Jahren der 
beiderstädtischen Herrschaft eine Entwicklung aus dem patri- 
archalischen Regiment eines einzigen Herrn zur Teilung der 
Gewalten und zu modernem Beamtentiun unverkennbar. Ein- 
zelne Beamte wie der Amtschreiber und Zöllner lösen sich 
vom Amtmann los, und bei letzterem erkennt man schon klar 
die Weiterentwickelung: neue Diener gruppieren sich imi ihn, 
bald wird auch der Amtschreiber für die eigentliche Schreib- 
arbeit andere um sich sammeln und selbst der Mittelpunkt 
einer neuen Beamtenreihe werden. Ebenso entwickelt sich 
die Stellung des Hausvogts und anderer Diener des Amt- 
manns, überall sind die Grundlagen für den modernen Be- 
amtenapparat vorhanden, alle aber sind sie aus den persön- 
lichen Dienern des Amtmanns hervorgegangen. 

*) Bezeß 1600: über ihn war Streit zwischen der Witwe des alten und 

dem neuen Zöllner; Grentzin an Lüb. 1601 Joni 26. 
^ Grentzin an Lüb. 1601 Juni 26. 
3) Lüb. ü. B. rX, 257. 
*) Bezeß 1607. 
^) Nachweisbar in Hamburg seit 1568. 



260 Hans Eellinghusen, 

3. Die Beamten der Selbstverwaltung 
in Stadt und Land. 

Während sich die Beamtenverwaltung langsam ausbildete^ 
ging in demselben Maße die Selbstverwaltung zurück, nicht 
gerade, daß den Untertanen ihre Rechte genommen wären, 
aber sie traten an Bedeutung zurück, da sie sich im Lauf 
der Jahrhunderte nicht mehrten. Die Vertreter der Unter- 
tanen waren verschieden in Stadt und Land. 

[Rat zu Bergedorf.] Im Städtchen Bergedorf, dessen 
Bewidmung mit dem lübischen Recht nach dem Vorbild Möllns 
im Jahre 1^75 wir oben erwähnten, war wohl schon damals 
vom Herzog ein Rat eingesetzt worden.^) Jedenfalls war die 
Institution 1437, als das erste Stadtbuch angelegt wurde,*) 
völlig ausgebildet, vorher läßt sie sich nicht nachweisen, die 



^) Bergedorf erhält vom Herzog Johann I. tale ius, quäle cives de Molne 
(Hasse II, 490). Das bezieht sich auf das Privileg der Herzöge für 
Mölln von 1272 (HASSE n, 440), in dem sie der Stadt schon von 
ihrem Vater geschenkte Freiheiten und auch die Rechte der Stadt 
Lübeck verliehen. Die Urkunde Herzog Alberts I., auf die sie sich 
dabei beziehen, ist verloren. Es liegt allerdings ein Privileg des 
Herzogs von 1254 vor (HASSE ü, 58), in dem der Stadt zwei Dörfer, 
Pinnau und Gülzow, das VVeichbildsrecht und ein Rat aus vier Mit- 
gliedern verliehen werden, dessen Einsetzung umständlich geschildert 
ist. Erhalten ist es nur in vidimierter Kopie des 16. Jahrhunderts, 
in rein niederdeutscher Sprache, bei der eine Übersetzung aus dem 
Lateinischen, die vorliegen müßte, nach meiner Überzeugung aus- 
geschlossen ist. Das in ihm geschenkte Dorf Pinnau kommt erst 
1263 in den Besitz der Stadt (HASSE U, 253), ohne daß dort von 
einer Schenkungsbestätigung irgendwie die Rede ist. Dagegen war 
das andere Dorf, Gülzow, tatsächlich eine Schenkung Herzog Albrechts, 
die 1262 von seiner Witwe bestätigt wird (HASSE II, 240). Wären 
nun beide Dörfer vom Herzog geschenkt gewesen, so würde doch wohl 
die Bestätigung beider Schenkungen in das Diplom aufgenommen sein. 
Der angeblichen Urkunde von 1254 fehlen überdies Arenga und Zeugen. 
Sie muß also eine Fälschung sein, die in ihr beschriebene Ratsein- 
setzung kann daher für Bergedorf nicht in Betracht kommen. Sie 
stimmt auch in ihren Hauptpunkten — jährlicher Wechsel des Rats, 
BesteUung zuerst durch Wahl der Bürger, dann durch Selbst- 
ergänzung — gar nicht mit den in Bergedorf bekannten Formen über- 
ein, nur die Vierzahl der Ratsmitglieder ist gleich. 

^ Bergedorfs ältestes Stadtbuch S. 3. 



Das Amt Bergedorf. 261 

uns erhaltenen Urkunden geben auch keine Gelegenheit dazu. 
Damals bestand der Rat — und so blieb es bis ins 19. Jahr- 
hundert — aus vier Mitgliedern: zwei Bürgermeistern und 
zwei Eatmännem, die den Kreisen der Bürger entstammten, 
also meistens Handwerker oder Ackerbürger waren. Dieser 
Rat wurde weder durch Wahl der Bürgerschaft, noch durch 
Selbstergänzung gebildet, sondern von der Herrschaft ein- 
gesetzt, aber regelmäßig aus den Bürgern genommen. Es 
scheint sich dabei im 15. Jahrhundert die Gewohnheit heraus- 
gebildet zu haben, erst das Ausscheiden zweier Mitglieder, das 
wohl meistens durch den Tod erfolgte, abzuwarten, ehe man 
zu einer Neubesetzung schritt.') Dies geschah im 16. Jahr- 
hundert durch die Abgesandten der Städte auf den Visitationen, 
wohl nach dem Vorschlag des Amtmanns. Nur vereinzelt 
sind Nachrichten darüber erhalten. Im Jahre 1563 stellte 
es sich als nötig heraus, den Rat wieder zu besetzen, da 
nur ein Bürgermeister, der noch dazu wegen seines Alters 
untauglich zur ferneren Bekleidung des Postens war, und ein 
Ratmann vorhanden waren. Es wurden daher durch die 
Gesandten drei Personen erkoren, in Eid genommen und ein- 
gesetzt.*) 1593 dagegen war es dem Lübecker Rat trotz 
einer Petition der Bergedorfer Bürger bedenklich, den 
Ältesten ihres Rats wegen Unvermögens des Amts zu ent- 
setzen, sondern, weil die oberste Gewalt doch dem Amt- 
mann zustehe, wollte er es beim alten lassen.*) Wie 
schon aus diesen Worten des Lübecker Schreibens hervor- 
geht, waren die Rechte des Rats nach oben hin nicht groß, 
sondern die meisten seiner Handlungen an den Konsens des 
Amtmanns gebunden. 

Der Rat war der Herrschaft gegenüber der Vertreter 
der Bürgerschaft. Li seinen Supplikationen brachte er deren 
Wünsche dem Amtmann oder den Städten vor; zum Empfang 
von Befehlen beider Städte wurde er vor den Amtmann be- 
schieden, um sie dann weiter der Bürgerschaft mitzuteilen;*) 



') Vergl. Stadtbuch S. 22. 

') Bergedorfer Artikel § 10, 1563 Okt. 16. 

^ Bedenken Lübecks auf die Gravamina der Berg. Bürger von 1593 Nov. 16. 

*) Pasche an L. 1611 Mai 22. 

Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XUI. ^^ 



262 Hans Eellinghuseu, 

doch wurden obrigkeitliche Anordnungen auch Rat und Bürger- 
schaft gemeinsam vom Amtmann vorgelesen.*) 

Der Bürgerschaft gegenüber standen dem Rat folgende 
Rechte unter Aufsicht des Amtmanns zu: 

1. Er erteilte das Bürgerrecht, empfing den Bürgereid 
und erhob dafür ein Bürgergeld; doch machte er von seinem 
Rechte, auch fremde Einwohner in das Blek aufzunehmen, 
zuzeiten zu gi-oßen Gebrauch.*) Über das seit 1579 vor- 
handene Bürgerbuch, die Zahl und Herkunft der Neubürger 
ist schon gesprochen, auch das Wachstum des Ortes, der 
sich damals über die alten vom Blekgraben bezeichnetea 
Grenzen auszudehnen begann, wurde schon oben erwähnt. 

2. Er verwaltete das städtische Eigentum, erwarb Land 
für die Gemeinde*) und verkaufte städtische Grundstücke 
unter Vorbehalt eines Wortzinses,*) doch scheint er bei Ver- 
äußerungen an die Zustimmung der Herrschaft gebunden 
gewesen zu sein. 

3. Er hatte zusammen mit dem Amtmann den Vorsitz 
im Stadtgericht.^) Bei rechten Schuldforderungen der Bürger 
gegen Einheimische und Fremde hatte er gemäß den Privi- 
legien von 1275 und 1315^ das Pfändungsrecht, das ihm 
nach Vorlegung dieser Urkunden im Rezeß von 1596 bestätigt 
wurde, obwohl Hamburg es nur von kleinen Forderungen bis 
zu 5 -^ verstehen wollte. Doch wurde dem Rat vorgeschrieben, 
einem jeglichen gleichmäßiges und unparteiisches Recht unver- 
züglich mitzuteilen; denn wenn dem Amtmann beständige 
Klage wegen Justizverweigerung oder -Verzögerung vor- 
gebracht würde, solle er einzugreifen befugt sein.^ Außerdem 
wurden vor dem Rat Rechtsgeschäfte der Bürger abgeschlossen, 
durch deren Aufzeichnung das Stadtbuch entstand. 



V. Holte an H. 1559 März 31; Pasche an L. 1609 Aug. 30. 
^ Yergl. S. 42; auch 1563 hatte er etliche Einwohner ohne des Amt- 
manns Konsens aufgenommen, Prot. 1563 Nov. 16. 
3) Stadtbuch Nr. 44. 
*) A. a. 0. Nr. 31, 42. 
») A. a. 0. Nr. 57, 58. 
•) Hasse n, 490; UI, 314. 
') Rezeß 1596 § 4. 



Das Amt Bergedorf. 263 

4. Er hatte eine gewisse Polizeigewalt im Städtchen, 
insbesondere die Marktpolizei, die sich in der Revidierung 
von Maß und Gewicht äußerte. 

5. Er erhob Gebühren, Steuern und Strafgelder. 
Erwähnt wurden schon das Bürgergeld und der Wortzins 
von städtischen Grundstücken. Der Martinsschatz, eine an 
die Herrschaft zu zahlende Summe von jährlich 10-^, die 
dem Städtchen als Entgelt für die verliehenen Rechte 1275 
vom Herzog auferlegt war, wurde von ihm aufgebracht. Von 
Leuten, die aus dem Städtchen wegzogen, erhob er den 
Abschoß oder Zehntenpfennig, eine damals vielfach gebräuch- 
liche Vermögenssteuer. Auch von den dem Amtmann 
im Städtchen gebührenden Strafgeldern stand ihm ein Teil, 
nämlich der 3. Pfennig (d. h. Vs), der Brüche zu.*) Femer 
erhob er das Grobbäckergeld und eine Reihe kleinerer 
Gebühren bei Versiegelung von Urkunden und bei Haus- 
verkäufen. Wegen der Ratschaft besaß er vier Stücke 
Landes.") 

Diese Einnahmen, die aber geringe Erträge brachten, 
verbrauchte der Rat zu eigenem Nutzen und nicht zum ge- 
meinen Besten. Sie waren ihm als Entschädigung für seine 
Mühewaltung eben genug; wemx sie ihm genommen würden, 
bat er, ihn seiner Eide und Ämter zu entlassen.*) So blieb 
es dabei: auch ein Vorschlag, daß er alle drei Jahre den 
Städten Rechnung ablegen und im übrigen sich mit einem 
Honorar begnügen solle, wurde fallen gelassen.*^) 



Bezeß von 1611: den Städten war es zweifeUiaft, ob diese Steuer 
nicht ein Regal sei, doch wurde sie dem Bat gelassen. 

^ Er beanspruchte dies Recht nach dem Vorbild Möllns, H. an L. 1451 
März 27; Lüb. U. B. IX, 15. Im Vertrag zwischen Amtmann und 
Bürgerschaft vom 13. Aug. 1568 § 8 wurde das Recht bestätigt 

^ AUe diese Einnahmen zählt der Amtmann von Eitzen, dem vom Bat 
mangelnde Mildtätigkeit gegen die Armen vorgeworfen war, mit der 
zornigen Frage auf, ob denn davon Almosen gegeben würde? Und 
man kann annehmen, daß er, der sogar die Einziehung falscher 
Gewichte als Einnahme des Bats auffaßte, trotz des am Schluß hinzu- 
gefügten etc. nichts vergessen hat. Eitzen an Hbg. 1617 Sept 25. 

*) Bezeß von 1611. 

*) Bezeß von 1617, § 6. 

18* 



264 Hans Kellinghusen, 

Besoldete Beamte hatte das Städtchen nicht; viel weniger 
war von sozialen Pflichten des Eats die Rede. Die Einnahmen 
fielen an die Ratsmitglieder, also war auch keine Stadtkasse 
nötig. Das für die Stadt Notwendige geschah durch ge- 
meinsames Handeln oder gemeinsame Beiträge der Bürger. 

Der Rat war somit eine Instanz, die sich zwischen 
Amtmann und Untertanen schob und dem ersteren eine Reihe 
von Funktionen abnahm. Ähnlich war es mit der Selbst- 
verwaltung auf dem Lande. 

[Landvogt.] Die Vierlande zerfielen, wie schon ihr 
Name besagt, in vier Kirchspiele. An der Spitze eines jeden 
stand im 14. Jahrhundert der Schulze (saUtetus), zugleich 
neben dem herrschaftlichen Vogt der Vorstand des Kirchspiel- 
gerichts.O Dieser Name verschwindet dann, seit dem 15. Jahr- 
hundert heißt der Vorstand des Kirchspiels Vogt oder mit 
vollem Namen, der sich zuerst 1449 nachweisen läßt, Land- 
vogt.*) Die Eingesessenen selbst erkoren den Landvogt auf 
dem Kirchhof aus den Hufnem des Kirchspiels, der Amtmann 
bestätigte die Wahl.*) Doch hatte diese Wahl im 17. Jahr- 
hundert nur noch formale Bedeutung, über die zum Landvogt 
geeignete Person einigte sich der Amtmann vorher mit den 
übrigen Landvögten.*) Sein Amt war lebenslänglich, abge- 
setzt werden konnte er nur mit Zustimmung beider Städte.*) 
Seine Aufgabe war auch in städtischer Zeit die Hegung des 
Landgerichts, dazu war er verpflichtet, dem Amtmann aUe 
in seinem Lande vorgefallenen Bußesachen anzuzeigen und 
zur Zeit des Landgerichtes, das in seinem Hause stattfand, 
ihn und sein Gesinde, Knechte und Pferde mit Essen, Trinken 



>) Hasse m, 114; vergl. u. Abschnitt lU, 2. 

2) Lüb. ü. B. Vm, 579. 

^ 29. Mai 1614 ist Harnien Kroger in der Nyengam up dem Karckhave 
darsulves thom Landvagede erkaren. Hbg. an Lüb. 1601 Febr. 18. 

*) Brandt au Hbg. 1603 Mai 12 über die Neubesetzung der erledigten 
Vogtei in Kirchwärder. 

*) Landvögte und Pastoren können nicht ohne beider Städte Cognition 
und beliebung wieder abgesetzt werden, Amtschreiber Meyer an Lüb. 
1600 Okt. 17. Lübeck stimmt der Absetzung des Curslacker Vogts 
wegen hohen Alters zu, an Hbg. 1601 Jan. 28, worauf der Amt- 
mann einen neuen Vogt einsetzt (Anm. 5). 



Das Amt Bergedorf. 265 

und Putter zu versorgen, überhaupt ihn bei Aufenthalt im 
Lande gastlich aufzunehmen. Die daraus entstehenden jähr- 
lichen Aufwendungen schätzte man auf 150-^.^) 

Seine Hauptaufgabe aber lag auf einem anderen Gebiet 
und in Erkenntnis ihrer Wichtigkeit wurde sie in dem Eid, 
den er den Städten und dem Hauptmann zu leisten hatte, 
vorangestellt. Da schwur er zuerst, auf Deiche und Dämme 
bei Tag und Nacht fleißig Aufsicht zu haben, daß sie zu 
Genüge gemacht, gebessert und imterhalten würden.*) Von 
der Sicherheit der Deiche hing das Dasein der Marsch- 
bewohner ab, und ihre Instandhaltung war wesentlich Auf- 
gabe der Lande selbst. Hier konnte also der Landvogt, der 
an der Spitze der Deichgeschworenen stand, eine nur wenig 
eingeschränkte Selbständigkeit entwickeln; besondere Deich- 
grafen gab es in den Vierlanden, wie in den benachbarten 
Marschländern nicht. 

Die Amtseinnahmen der Landvögte waren gering: für 
die Beaufsichtigung von Deicharbeit wurden ihnen 6 ß täglich 
gegeben,') für jede in Bußesachen eingebrachte Klage erhielten 
sie 2 ß, femer als letzten Rest ihrer einstigen Gerichtshoheit 
die kleinen Bußen im Betrage von 10 ß. Wenn der Amt- 
mann zirni Landgericht in ihrem Hause aufgenommen wurde, 
gab er den Vögtinnen ein Trinkgeld: 1561 von 8 ß, 1573—89 
von 10 /J, seit 1601 ein Markstück (= 22 ß) für die Vögtin 
und 4 ß für die Magd.*) Die Landvögte waren femer von 
der Zahlung der Bierakzise befreit,*) endlich waren mit der 
Vogtei in Curslack 87« Morgen, in Kirchwärder 10 Morgen 
Landes verbunden.*) Hier gab 1614 der neue Landvogt der 
Witwe des alten für dies de Oerman genannte Land 40 ^, 
2 Fohlen imd 2 Ochsen, die seine Erben ebenso von seinem Nach- 
folger wieder erhalten sollten, jedenfalls eine sehr alte Abgabe. ') 

*) Suppl. 1608 Jan. 19, 1609 Juni 15. 

*) Landvog^seid von 1614, Lübeck. Ähnlich der Eid des Bmw&rder Vogts, 
Landrecht Art. 84, LAPPENBERG, Hamb. Bechtsaltertümer I, S. 344. 
5) Rezeß von 1607 § 9. 
*) Aus den Amtsrechnungen. 

*) Suppl. 1593 Aug. 23, bestätigt im Rezeß von 1608 § 7. 
•) Prot. 1607 Aug. 18. 
') Amtsbuch 1614 S. 126. 



266 Hans Kellinghusen, 

[Hauptleute.] Die Kirchspiele zerfielen in Bauern- 
schaften/) an deren Spitze Hauptleute standen. Die Wahl 
eines Hauptmanns geschah durch den Amtmann in Gegen- 
wart des Landvogtes und der anderen Hauptleute des Kirch- 
spiels und jedenfalls auf deren Vorschlag*) aus den Hufnem 
der betreffenden Bauernschaft. Das Amt war lebenslänglich. 
Vögte und Hauptleute waren die Vertreter der Lande, mit 
denen die Städte und der Amtmann über Einführung von 
Anordnungen der Obrigkeit, Einquartierung, Deichbauten und 
anderes verhandelten. Über das Amt der Deichgeschworenen 
wird im Zusammenhang mit dem Deichwesen die Rede sein. 

[Bauernvogt in Geesthacht.] In dem kleinen Dorf 
Geesthacht stand, wie in den umliegenden Geestdörfem, an 
der Spitze ein Bauemvogt, der Mittelsperson in allen das 
Dorf betreffenden Angelegenheiten war und besonders dem 
Amtmann die vorgefallenen Gerichtssachen zu melden hatte. 
An Bedeutung tritt er natürlich hinter den Landvögten 
ganz zurück. 

4. Die Visitationen. 

Wie die meisten staatlichen Institutionen im Amt sich 
im Gegensatz zu den Organen der Selbstverwaltung erst 
allmählich und besondei-s seit der zweiten Hälfte des 16. Jahr- 
hunderts entwickeln, so auch die Visitationen. Ihren Aus- 
gangspunkt haben sie in den Zusammenkünften, die Rats- 
gesandte beider Städte von der ersten Ordnung der Verwaltung 
im Jahre 1422 an zu allen Zeiten im Amte abhielten. Diesen 
oder noch allgemeiner der Anwesenheit von Ratsmitgliedem 
überhaupt wenden mr daher zimächst unsere Aufmerk- 
samkeit zu. 

Wie oft Hamburger Ratsgesandtschaften im Amte waren, 
läßt sich mit ziemlicher Sicherheit aus der Rubrik Ad reisas 
dominorum der Hambiu-ger Kämmereirechnungen feststellen.') 



Curslack und Altengamme in je 3, Neuengamme in 5, Kirch wärder in 6. 
') Wahl eines Hauptmanns 1619, Amtsbuch S. 233. 
^ Ganz genau scheinen die Aufzeichnungen nicht zu sein; ein paarmal 
fanden sich in den Akten Angaben, die sich in den Kechnungen nicht 
nterbringen ließen. 



Das Amt Bergedorf. 267 

Nach dieser war ihre Zahl in den verschiedenen Jahrzehnten 

folgende : 

1461—70: 61 1521—30: 18 

1471—80: 49 1531—40: 21 

1481—90: 26 1541—50: 16 

1491—1500: 27 1551—60: 16 

Der auffallende Rückgang der Zahl der Gesandtschaften 
ist wohl aus der Zunahme der schriftlichen Erledigung und 
der Vereinigung mehrerer Aufträge auf eine Gesandtschaft 
zu erklären. 

Auch die Größe, besonders der ersten Zahlen, darf nicht 
wundem. Die Gesandtschaften, die häufig nur von einem 
Mitglied des Rats ausgeführt wurden, dienten den ver- 
schiedensten Zwecken. Bei einem großen Teil war das Amt 
nur der Ort, an dem die Städte oder Hamburg allein^) mit 
auswärtigen Nachbarn, besonders der Stadt Lüneburg und 
den Herzögen von Lüneburg und Sachsen-Lauenburg, zu Tag- 
fahrten zusanmientrafen, die dann allerdings oft wieder Amts- 
angelegenheiten betrafen. Häufig waren es Grenzstreitig- 
keiten: mit den Herren v. d. Berge auf Krauel und ihren 
Nachfolgern, mit Holstein und Sachsen. Auch die Streitsache 
mit dem Herzogtum Lüneburg wegen der Abdeichung der 
Elbe am Gammerort erforderte viele Besichtigungen und Tag- 
fahrten an Ort und Stelle. Ebenso gaben in der Mitte des 
16. Jahrhunderts die Ansprüche Sachsen-Lauenbui-gs auf Berge- 
dorf und den Sachsenwald zu manchen Besprechungen Anlaß. 

Der größere Teil, bei dem aber Einzelgesandtschaften 
aus einer Stadt überwogen zu haben scheinen,*) betraf doch 
interne Amtsangelegenheiten. Hier lassen uns die Hamburger 
Kämmereirechnungen bei der Angabe des Zweckes meistens 
im Stich, und das Aktenmaterial gibt nur selten Ei-gänzungen. 
Alle sechs Jahre um Michaelis versammelte man sich zur 
transpositio der Schlösser, seit 1512 zu der mit der üm- 



Lübeck aUein wird zu solchen Tagfahrten das Amt wegen seiner ent- 
fernten Lage kaum gewählt haben; die obigen Nachrichten sind durch- 
weg aus den hamb. Kämm. Rechn. entnommen. 

^ Da die Kämm. Rechn. keine Veranlassung hatten, Lübecks Beteiligung 
jedesmal zu verzeichnen, läßt sie sich nicht mehr feststellen. 



268 Hans Eellinghusen, 

wechselung des Amts verbundenen traditio des Hauses Berge- 
dorf, die öfter erst nach längeren Verhandlungen erfolgte 
(vergl. S. 234 f.). Doch ist uns nirgends überliefert, daß auch 
noch anderes derzeit beraten wäre. Zahlreich waren die 
Besichtigungen von Bauten, die das Amt schützen sollten 
teils vor feindlichen Angriffen: die Schlösser zu Bergedorf 
(1469, 75, 78) und Eipenburg (1469), teils vor Wassersgefahr: 
die in die Elbe geschlagenen Stacks (1462, 66, 71, 78, 85, 90) 
und die Schleuse in Curslack (1471, 1530). Auch zur Er- 
hebung von außerordentlichen Kontributionen, die zur Ver- 
teidigung des Amts in Kriegszeiten benötigt wurden, schickte 
man Ratsherren ins Amt (1534, 59). 

Meistens hatten also die Gesandtschaften einen be- 
stimmten Auftrag. Aber selbstverständlich und besonders 
bei gemeinsamen Zusammenkünften konnten diese sich häufen* 
Das geht aus einer uns erhaltenen lübschen Instruktion zu 
einer Tagfahrt mit Hamburg nach Bergedorf am 4. März 1467 
hervor.*) Es standen 21 Punkte zur Verhandlung, unter 
denen hervorzuheben sind: eine Streitsache Altengammes und 
(]!urslacks mit dem Hamburger Domherrn Hinrich Lüneburg, 
die Befestigung des Bleks Bergedorf mit Zaun imd Graben 
und seine Bewachung, Vereidigung der Untersassen, Erhebung 
des Schatzes in Neuengamme und Curslack, verschiedene 
Aufträge für Bauten am Schloß und schließlich eine Streit- 
sache zwischen den Städten und dem Bistum Eatzeburg über 
das Patronat der Bergedorfer Kirche. Mehrere Punkte betrafen 
auch andere (hansische) Angelegenheiten. Die Kämmerei- 
rechnungen verzeichnen zu dieser Gesandtschaft nur cnm 
Lubicensihis. 

In allem, es waren Gesandtschaften und Zusammenkünfte, 
die im Interesse der Städte nach dem Bedürfnis abgehalten 
wurden. In die Verwaltung des Amtmanns griffen sie nicht ein. 

Aus diesen Zusammenkünften lassen sich nun einzelne 
noch nicht erwähnte absondern, bei denen die weitere Ent- 
wicklung einsetzt: es sind die Gerichtstage, die beide Städte 



*) Bevel her Hinrik Kastorpp und her Hinrik van Stilen horgermestem 
*o Bergedorppe medegedan. 



Das Amt Bergedorf. 269 

als dritte Entscheidungsinstanz im Amt abhielten. Da die 
gemeinsame Gerichtshoheit nicht gestattete, die Sachen vor 
den Rat einer Stadt zu ziehen, war es das Gegebene, die 
Urteile durch Ratsgesandte im Amte selbst fällen zu lassen. 
Doch sind darüber aus älterer Zeit nur wenige Nachrichten 
vorhanden. 1478 forderte Lübeck den Bergedorfer Amtmann 
auf, eine Streitsache in seinem Amt bis vor das Gericht der 
Städte schelten zu lassen.^) Ebenso werden ins Amt Ripen- 
bürg fallende Sachen dort entschieden sein, erhalten ist darüber 
nichts. Denn die Befriedung der Einwohner des Kirchspiels 
Kirchwärder mit ihrem Vizepleban, die im Jahre 1480 in 
Eislingen stattfand, war wohl mehr eine freundschaftliche 
Vermittlung.*) Überhaupt steht dahin, ob damals schon häufig 
von dem Rechtsmittel der dritten Instanz Gebrauch gemacht 
wurde. Erst aus dem Jahre 1523 liegt wieder eine Angabe 
vor. Damals bat die Witwe des Amtmanns (vergl. S. 246) die 
Städte dringend, etliche gescholtene Urteile zu entscheiden, 
da die Untertanen ihr kein Recht gestatten wollten, bevor 
die Sachen, in denen an Lübecks und Hamburgs Erkenntnis 
appelliert sei, ausgefunden wären.*) Dieser Umstand scheint 
auf eine arge Verzögerung der Gerichtspflichten der Städte 
hinzudeuten. 1536 erfahren wir aus den Kämmerei-Rechnungen^ 
daß vier Ratsmitglieder nach Bergedorf gereist waren, ad cog- 
noscendum de appellationihus quorundam, und gleichzeitig aus 
einem Briefe Hamburgs, daß in einer Sache nu unlanges 
hinnen Bergerdorpe neffens anderen ordelen dorch der Er. 
van Lubegk und unsen Radessendebaden was erkent worden.^) 
Aus der Zeit der beiden folgenden Amtmänner — besonders 
von Ditmar Koel (1542 — 48) liegt eine ausführliche Korre- 
spondenz vor — findet sich dagegen keine Spur von Gerichts- 
tagen oder Zusanunenkünften der Städte, die sich darauf be- 
ziehen könnten. Sicher ist jedenfalls, daß bis 1548 die 
Gerichtstage selten waren, vielleicht regelmäßig unter jedem 



*) Lüb. an v. Calven 1478 Juni 3. 
^ Kämm. Rechn. HI, S. 389. 
^ Barbara Reder an Lüb. 1523 Dez. 2. 

*) B'bg. an y. Hutlem 1536 Aug. 9; die Zusammenkunft war auf 
2. Juli angesetzt, Sehr. v. Juni 25. 



mO Hans Kellinghusen, 

Amtmann einmal am Ende seiner Verwaltung vor der feier- 
lichen Abtretung des Hauses. 

Eine Änderung setzt unter Dietrich von Elthen (1548 bis 
1554) ein, aus dessen Zeit sich die Nachrichten über Grerichts- 
tage mehren. 1550 wird erwähnt, daß die Herren zur Ent- 
scheidung von Rechtssachen da waren. ^) Am 7. Oktober 1552 
schreibt Lübeck an Hamburg, daß zu dieser Zeit nach ge- 
wohnter Weise die Gerichte im Amt Bergedorf gehalten 
werden müßten und auch etliche Sachen und Parteien vor- 
handen wären, und bittet daher Ratsgesandte abzuordnen, 
damit den Parteien zu Recht verholten werden möge.*) Im 
folgenden Jahre waren wieder um Michaelis Gesandte in 
Bergedorf, denen diesmal auch eine Besichtigung in einer 
Orenzstreitigkeit aufgetragen wurde.*) 

Lübeck hatte 1548 die Verwaltung des Amts nach neuen 
finanziellen Grundsätzen begonnen, der neue Amtmann Dietrich 
von Elthen war aber von Hamburg zunächst nicht anerkannt 
worden (vergl. S. 234 ff.). In den damaligenVerhandlungen müssen, 
vielleicht zur Kontrolle des Amtmanns, zuerst Gerichtstage 
in gewisser Regelmäßigkeit vereinbart sein. Die Absicht war, 
wohl jährlich um Michaelis eine solche Zusammenkunft abzu- 
halten. So ist wenigstens das Schreiben von 1552 zu verstehen. 

Es war natürlich, mit diesen regelmäßigen Gerichtstagen 
auch Besichtigungen und andere Aufgaben zu verbinden, die 
früher besonderen Gesandtschaften überwiesen waren. Daß 
das geschah, zeigt außer obiger Nachricht, wie diese Zusammen- 
künfte in den Kämmerei-Rechnungen verzeichnet werden: 
1549 ad considendiim de munienda arce 
1551 ohne Angabe 

1553 ad insjndendiim arcis 2>^oimffnaada 

1554 ad hispedionem arcis. 

») V. Elthen an Hbg. 1550 März 12. 

^ Der gemeinsame Tag kam damals nicht zustande; Hbg. schrieb am 
10. Okt. an des Rats zu Lübeck Verordneten itzund zu Bergerdorp, 
wegen wichtiger Sachen sei es verhindert, etliche Beschickung zu tun, 
und bat, die Sachen etwas zu yerschieben. 

^ Lüb. an Hbg. 1553 Sept. 13; Johann Rantzau an der Städte L. und H, 
zu Bergerdorp verordnete 1553 Okt. 4 teilt mit, daß sein Diener durch 
ehafte Not verhindert sei, der Zitation in seiner Rechtssache zu folgen. 



Das Amt Bergedorf. 271 

Jetzt war man auf dem Wege, eine neue regelmäßig 
zusammentretende Behörde zu bilden, deren Befugnisse sich 
bald erweitem mußten, da sie dem Bedürfnis entgegenkam. 
Denn es setzte die Zeit ein, in der sich der Staat in die 
Verhältnisse der Untertanen zu mischen begann, um sie 
obrigkeitlich zu ordnen, während der mittelalterliche Staat 
möglichst viel den einzelnen und den wirtschaftlichen Ver- 
bänden, hier den Kirchspielen, Zünften und Gilden, über- 
lassen hatte. 

Bald diente die in der Bildung begriffene Behörde nicht 
nur dem Interesse der Städte, sondern zog überhaupt die 
Verhandlimg und Entscheidung der im Amt vorgefallenen 
Gebrechen an sich. Damit erhielt sie Verwaltungsbefugnisse, 
die bisher entweder der Amtmann oder das Plenum des Rats 
ausgeübt hatten, die nun aber von selbst der neuen Behörde 
zufielen. Die Visitation war, wenn auch nicht dem Namen, 
so doch der Tat nach entstanden und entwickelte sich in 
kurzer Zeit zu einer Behörde in festumgrenzten Foimen und 
mit stets sich mehi-enden Befugnissen. 

Die eigentliche Entstehungszeit der Visitationen ist in 
die Jahre 1560 — 78 zu setzen. In dieser Zeit fand jährlich 
eine Zusammenkunft meist um Michaelis statt, als deren 
Aufgabe noch 1570 die Verrichtung des Amtsrechts bezeichnet 
wird,^ ein Beweis, daß die Visitationen aus den regelmäßigen 
Gerichtstagen hervorgegangen sind. Die erste Aufstellung 
von Bergedorfer Beschwerdeartikeln, im ganzen neun Punkte, 
stammt aus dem Jahre 1561.*) Eine ausführliche Nachricht, 
überschrieben Gebreke to Bergerdorp, liegt über einen Visi- 
tationstag vom 16. Oktober 1563 vor. Es ist ein Mittelding 
zwischen Instruktion, Protokoll und Rezeß, bezeichnend für 
die in der Bildung begriffene Institution. 

») Wir wissen von Visitationstagen im Nov. 1561, (Okt. 1562), Okt. 1563, 
(1564), JuU 1567, JuU 1568, (JuU 1569), Okt. 1571, Mich. 1572, (1573), 
April 1574, Okt. 1574, Aug. 1575, (1576), Sept. 1577, Mich. 1578. 
(Von den eingeklammerten sind keine eignen Akten erhalten.) 

^ . . . 80 yharlichs zu Bergerdorff umh das amptrecht daselhsten zu 
vorrichten, gehalten werden, Bericht des LÜhschen Gesandten in Spey 
an Kaiser Maximilian 11. 1570 Aug. 5. 

^ Von Lüb. an Hbg. am 7. Nov. 1561 übersandt. 



272 Hans Kellinghusen, 

Von den Zusammenkünften der Jahre 1567 und 1568 
sind nur zwei Verträge erhalten, die das Verhältnis des Amt- 
manns zu dem Stadtchen Bergedorf (1567) und zu den Vier- 
landen (1568) in einigen Punkten regeln, namentlich aber 
bestimmte vorgefallene Irrungen beilegen. Im Jahre 1571 
endlich sehen wir die Hauptformen der Visitationen heraus- 
gebildet: der Amtmann sowie die Lande stellen ihre Be- 
schwerden auf, denen die Städte die ihrigen hinzufügen (die 
letzteren machten früher allein den Inhalt der Gresandt- 
Schäften aus). Am Schluß der Beratung wurde ein Rezeß 
verfaßt, der im Original mit sechs Siegeln erhalten ist. Das 
ist höchst wahrscheinlich der erste in der nunmehr üblich 
gewordenen Form abgefaßte Rezeß, wozu die Verträge von 
1567 und 1568 noch nicht zu rechnen sind, die andererseits, 
wenn es damals schon einen Rezeß gegeben hätte, in diesen 
aufgenommen wären. Und aus Hamburg haben wir 50 Jahre 
später das ausdrückliche Zeugnis, daß dort die Rezesse von 
1572 an vollständig, vorher aber keine vorhanden waren,^ 
Die Hamburger Visitationsakten sind 1842 verbrannt, in 
Lübeck liegen zunächst nur die Rezesse von 1572 und 1578 
vor, von da an ist die vollständige Reihe erhalten. 

Im Jahre 1578 beschwerte sich Hamburg, daß die 
Visitation (hier kommt zuerst der Name vor) in den Landen 
wider alten Gebrauch jährlich geschähe, was nicht nötig 
und den Leuten beschwerlich sei. Es wurde beschlossen, 
sich künftig nur alle drei Jahre zu versammeln.*) Dabei 
ist es bis 1620 geblieben. Die wichtigste Neubildung in der 
inneren Geschichte des Amts war zur Vollendimg gebracht 
und eine Behörde geschaffen, die für 300 Jahre die ausschlag- 
gebende Bedeutung in der Verwaltung des Amts haben sollte. 
Denn diese zogen die Visitationstage mehr und mehr an 
sich. Dementsprechend bildeten sich auch die Formen der 
Versammlungen aus. 

Der eigentlichen Visitation ging eine Reihe von Vor- 
handlungen voraus. Ein bis zwei Monate vorher über- 
sandte der Amtmann an die regierende Stadt, von der er 

*) Hbg. an Lüb. 1617 Nov. 3, 1618 Jan. 9. 
^ Rezeß von 1578 § 5. 



Das Amt Bergedorf. 273 

eingesetzt war, oft auf deren Aufforderung die Akten der 
rechtshängigen Sachen und seine Gravamina oder Beschwe- 
rungsartikel, denen er die ihm von den Untertanen mitgeteilten 
Beschwerden beifügte.*) Doch richteten diese, besonders 
wenn sie sich über den Amtmann zu beklagen hatten, ihre 
Supplikationen auch an die Städte selbst.*) Die Akten, die 
schon vom Amtmann doppelt übersandt waren,") und alle 
Beschwerungsartikel wurden dann von der regierenden Stadt 
unter Hinzufügung der Vorlagen, die sie selbst machen wollte, 
der anderen mitgeteilt und gleichzeitig ein Visitationstag 
vorgeschlagen.*) In mehrfachen Korrespondenzen, in denen 
die nicht regierende Stadt auch die ihr vorgekommenen 
Beschwerden übermittelte, wurde dieser endgültig festgestellt.^) 
Schließlich wurde im Rat jeder Stadt die Instruktion für die 
Gesandten verfertigt, die, ursprünglich kurz gefaßt, sich haupt- 
sächlich auf die Eatsvorlagen bezog, später zu allen Ver- 
handlungspunkten Stellung nahm.^ Damit waren im 16. Jahr- 
hundert die Vorhandlungen erledigt. In der Folgezeit pflegte 
man zur Erleichterung der eigentlichen Verhandlungen sich 
auch die Instruktionen zu übersenden, namentlich aber über 
die Urteile der Appellationssachen Vereinbarungen zu treffen.^) 
Die Visitation fand auch nach 1578 gewöhnlich um 
Michaelis statt. Man reiste nicht gern später, da die Tage 



*) Lüb. an v. Stiten, 1587 Aug. 27, bittet, faUs jenige Amtssachen vor- 
handen, in denen zu deliberiren und konsultiren ist, sie zeitig zuzu- 
fertigen. Grantzin an Lüb. 1599 Sept. 11; 1602 Sept. 7. 

^ Suppl. Garslacks, Altengammes und Borchhorsts an Lüb. 1593 
Aug. 24 und 28. 

^ Hbg. an Lüb. 1602 Sept. 17; Brandt an Hbg. 1608 Juli 28; Pasche an 
Lüb. 1611 Juü 18. 

*) Hbg. an Lüb. 1593 Sept. 18 u. oft. 

*) Lüb. an Hbg. 1577 Aug. 18 u. oft. 

^) Die älteste lübsche Listruktion vom 26. Okt. 1571, fast aUe folgenden 
Yorhanden. Hamburger L sind nicht erhalten. 

'') Hbg. an Lüb. 1605 Aug. 27; Lüb. an Hbg. 1607 Okt. 31: entschuldigt 
sich, das versprochene Konzept der Listruktion nicht übersandt zu 
haben, hat die Hamburger mit Dank empfangen; Hbg. an Lüb. 1608 
Sept. 16; 1611 Sept. 27: die regierende Stadt kommuniziert der anderen 
in den Appellationssacheu ihre Meinung und fordert deren Besolution, 
damit man sich desto leichter über die Urteile vergleichen könne. 



274 Hans Kellinghusen, 

kurz wuiden und das Einsetzen von Kälte und üngewitter 
zu befürchten war.O Die Dauer der Visitationen, die ursprüng- 
lich auf einen Tag festgesetzt war, erstreckte sich bald auf 
mehrere, zuweilen beanspruchten die Verhandlungen gar zehn 
Tilge.') Der alte Versammlungsraum war der Kirchensaal.*) 
Wiederholt wurde man aber aus ihm durch die Kälte ver- 
trieben; dann kam man wohl in den beiden einander gegen- 
überliegenden Herbergen abwechselnd zusammen, die den 
Gesandten als Quartiere dienten und davon die Namen 
Lübsche und Hamburger Herberge erhielten.*) 1611 ver- 
sammelte man sich zuerst wegen des rauhen und bösen 
Wetters auf dem großen Saal des Hauses; seitdem wurde 
dieser, weil er bequemer war, als Ort der Zusammenkunft 
beliebt.^) 

Für die Beteiligung des Rats an der Besendung gab es 
noch keine feste Regel. Bei 16 unter 19 Visitationen war 
Lübeck durch drei Ratsgesandte, bei den übrigen durch vier 
vertreten. Die gewöhnliche Kombination (neunmal) war: ein 
Bürgermeister, ein Syndikus und ein Ratsherr. Ein Bürger- 
meister fehlte nur einmal (1608). Von 1593 bis 1608 war 
teils an Stelle des Syndikus, teils mit ihm ein Sekretär 
zugegen. Eine noch größere Mannigfaltigkeit zeigte Hamburg. 
Es entsandte zu den 19 Visitationen zweimal zwei, neunmal 
drei, siebenmal vier und eiiunal (1593) gar fünf Abgeordnete* 
Auch hier fehlte nur einmal ein Bürgermeister, dreimal waren 
zwei anwesend. Ein Sekretär nahm seit 1583 immer teil. 
Seit 1605 entsandte man je einen Bürgermeister, Syndikus» 
Ratsherrn und Sekretär.^) 

Streit erhob sich 1605 über die Rangordnung der 
Gesandten. Lübeck beanspruchte, auch wenn die Regierung 

') Hbg. an Lüb. 1605 Sept. 27. 

^ In den Jahren 1593 und 1605. Im Jahre 1607 fanden zwei außer^ 

ordentliche Zusammenkünfte statt, eine von zehn, die andere von 

acht Tagen. 
^ Erwähnt zuerst im Rezeß von 1577. 

*) Prot. 1607 Nov.; heute Hotel Stadt Lübeck und Stadt Hamburg. 
*) Rezesse von 1611 ff. 
^ Die Angaben sind den Rezessen entnommen, die am Anfang die Namen 

der Gesandten haben. 



Das Amt Bergedorf. 27& 

bei Hamburg war, das Direktorium und die Obersession. ^> 
Letztere gestand Hamburg zu, im übrigen wandte es mit 
Recht ein, daß die diredio ein pertinens administrationis^ 
sei; wie die Vorhandlungen der Visitation immer durch die 
regierende Stadt geführt würden, der der Amtmann die 
Beschwerden einzuliefern habe, so gebühre ihr auch das 
Direktorium.*) Da eine Einigung nicht zu erzielen war, gab 
Hamburg nach, daß Lübeck für diesmal dirigiere, die Sachen 
proponiere und zuerst sein Votum abgäbe.*) Auf der folgenden 
Visitation war der Zwist zugunsten Hamburgs, das seine alte 
Berechtigung nachweisen konnte, beigelegt. Unklarheit war 
dadurch entstanden, daß es 1593 und 1596 sein Recht an 
Lübeck übertragen hatte, weil damals der Amtmann, der 
selbst Hambui*ger Ratsherr war, wegen seiner schlechten 
Verwaltung scharf zur Rede gestellt wurde. 

Denn der Amtmann wurde zu den Beratungen der Visi- 
tation außer als Berichterstatter nicht hinzugezogen. Darin 
lag zum großen Teil gerade ihre Bedeutung, daß hier die 
Untertanen unparteiisches Recht finden konnten, auch gegen 
den Amtmann. Ein Schalten und Walten nach Laune und 
Willkür, wie es oft aus fürstlichen Ämtern berichtet wird, 
war in Bergedorf nicht möglich. Ein schlechter Amtmann^ 
wie Johan Schulte (1590 — 96), mußte als Angeklagter vor den 
Visitatoren erscheinen und wurde von ihnen erbärmlich her- 
untergemacht. Den Herzog Franz von Sachsen hatte er 
Hoheitsrechte im Amt ausüben lassen. Da mußte er unter 
vielen anderen folgende Worte hören: Statt die Hoheit dea 
Amtes zu wahren, hätte er lieber in der warmen stieben sitzen 
und apfel braten wollen, der haut gefürchtet und lieber gdd 
unterdes vergaddern wollen. Einem Brudermörder hatte er 
gegen eine hohe Geldsumme Geleit gegeben: ob er sich durch 
den leidigen Oeizteufd soweit habe verführen lassen, daß er 
Ehr und Eid vergessen habe? Dagegen hatte er versäumt^ 
die Königin von Dänemark gebührend durch das Amt zu 



Lübsche Instr. 1605 Okt 26. 
^ Lüb. Prot. 1605. 
^ Rezeß von 1605 § 1. 



276 Hans Kellin^husen, 

geleiten. Darauf wurde ihm ein Ausspruch der hohen Frau 
vorgehalten, die ihn für einen groben vheU und ttdpdl ge- 
schidtm, so daß sie sich wundere, wie die Herren von Lübeck 
einen solcJi unbescJiickten Mann dahier zum Hauptmann ver- 
ordnet hätten. Er hatte nämlich die Zeit vei-schlafen, wodurch 
die Königin über zwei Stunden vorm Tor warten mußte. 
Schließlich teilte der Hamburger Bürgermeister noch mit, da£ 
Schultes Mutter von ihm schon in seinem zehnten Jahr ge- 
sagt habe, er würde wegen seines Geizes ohne alle Zweifel 
mit Leib und Seel zum Teufel fahren.') Diese kleinen 
Anekdoten, die uns der lübsche Sekretär in seinem Protokoll 
autl)ewahrt hat, charakterisieren die Stellung des Amtmanns 
zur Visitation genügend. Doch muß gleich hinzugefugt werden, 
daß Schulte eine umnihmliche Ausnahme unter den Amt- 
männern bildet, die sonst durchweg ihre Pflicht taten. Von 
seinem Vorgänger, dem Lübecker Franz von Stiten, rühmt 
Hamburg zum Beispiel: er hat sich christlich und friedfertig 
verhalten, vernünftig und ohne Schinderei hausgehalten, so 
daß in der ganzen Zeit seiner Verwaltung nicht eine Klage 
aus allen Vierlanden an uns gelangt ist.*) 

Auf dem Visitationstag — die Verhandlungen begannen 
um 8 Uhi- moi-gens, wurden durch das Frühstück (prandium), 
auch Mittagsmahlzeit genannt, unterbrochen, und dauerten 
dann von 2 Uhr wohl bis zum Einbruch der Dunkelheit •) — 
wiu-den gewöhnlich zuerst die Appellationssachen vorge- 
nommen.*) Dann folgte die Erörterung der Beschwerden in 
der vorher vereinbarten Reihenfolge. Die einzelnen Artikel 
wurden abgelesen, den Instruktionen gemäß ausführlich be- 
raten und schließlich ziu* Abstimmung gebracht. Wurde dabei 
eine Einigung nicht erzielt, oder ergab die Instniktion einer 
Stadt wesentlich neue Gesichtspunkte, auf die die Gesandten 
der anderen nicht vorbereitet waren, so wurden diese Artikel 
vorläufig ad referendum angenommen. Manche Beschwerden 



*) Prot, von 1593 von der Hand des lübschen Sekretärs Johan BrambacL 

2) Hbg. an Lüb. 1588 Dez. 21. 

^ P*rot. von 1593; einmal wird ausdrücklich erwähnt, daß der Beieft 

bei Licht abgelesen sei. 
*) Darüber Näheres im nächsten Abschnitt. 



Das Amt Bergedorf. 277 

erfordei-ten Besichtigungen an Ort und Stelle, zu denen ge- 
wöhnlich ein oder mehrere Tage angesetzt wurden. Dann 
nahmen die würdigen Herren auch auf dem Lande in der 
Landvögte Häuser ihre Mahlzeiten ein*) und kamen so mit 
den Untertanen direkt in Berührung, die auch sonst überall, 
wo die Sache es ergab, selbst gehört wurden. Und wenn 
man auch nicht auf all ihre Wünsche einging, ihr Recht 
wurde ihnen immer zuteil. Dieser schon erwähnte Schutz 
gegen Übergriffe des Amtmanns war freilich ein Vorzug nicht 
nur der Visitationen, sondern im Grunde des Kondominiums 
überhaupt: gegen Unrecht, das eine Stadt vielleicht zuge- 
lassen hätte, fand man immer Hilfe bei der anderen. 

So dienten die Visitationen einer gerechten Verwaltung 
des Landes; doch lag darin schon eine Erweiteinmg ihrer 
Befugnisse, indem sie nicht nur Rechtsbeugung verhinderten, 
sondern selbst gesetzgeberisch hervortraten. Das setzte bei 
kleinen Einzelfällen ein, die im Rezeß geordnet wurden ; bald 
folgte etwas Neues, bisher Unbekanntes: Mandate, die zuerst 
in das Gewohnheitsrecht eingriffen, vielfach freilich es nur 
bestätigten oder besonders einschärften, allmählich sich auch 
auf Sitten und Gebräuche ausdehnten. Indem die Visitationen 
so in alle Gebiete des Lebens der Untertanen eingriffen, 
bekamen sie für diese eine immer größere Bedeutung. 

Daneben traten auch die alten Aufgaben der Gesandt- 
schaften nicht zurück. Freilich andere als Amtsangelegen- 
heiten kamen nur im Anfang, als die neue Einrichtung noch 
nicht völlig ausgebildet war, noch zur Besprechung. Aber 
Grenz- und andere Streitigkeiten mit den Nachbarn bildeten 
noch immer einen wichtigen Teil der Verhandlungen. Dazu 
kamen andere schon erwähnte Aufgaben, die im Interesse 
der Städte lagen: Besichtigung von allerlei Bauten, die 
gemacht oder gebessert werden sollten. Namentlich aber 
fand auf den Visitationen die endgültige Abrechnung zwischen 
beiden Städten über die füreinander ausgelegten Gelder 
statt, soweit die Ausgaben gemeinsam waren.*) Auch hier- 



Prot, von 1593. 

^ Vergl. den Abschnitt*: Amtshaushalt. 

Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesoh. XIII. ^^ 



278 Hans Kellinghusen, 

Über nahmen die Beratungen, besonders wenn zweifelhaft 
war, was als gemeinsame Ausgabe anzusehen sei, manchmal 
mehrere Tage in Anspruch. 

Ausführliche Protokolle sind uns nur von lübischer 
Seite aus den Jahren 1593, 1605 und 1607 erhalten. Sie 
sind von dem lübischen Sekretär während der Verhandlungen 
aufgenommen. Den Charakter nachträglicher Berichte haben 
die Hamburger Relationen aus den Jahren 1590 und 1614.') 
Im übrigen sind kurze Notizen zur Vorbereitung des Rezesses 
im Lübecker Archive zahlreich vorhanden. 

Der Rezeß wurde, wie es das Natürliche war, in älterer 
Zeit wirklich als Abschied angesehen; daher faßte er die 
Beschlüsse, wie sie im Augenblick des Auseinandergehens 
vorlagen, zusammen. Doch sollte in ihm vorgesehen werden, 
daß beide Städte ihn in genannter Zeit — meist waren es 
14 Tage — konfirmierten und ratifizierten.*) Auch trat man 
baldmöglichst in eine Erörterung der ad referendum an- 
genommenen Punkte ein, die dann spätestens im nächsten 
Rezeß ihre Regelung erhielten.^ Sonst wurde im vollen Rat 
darüber beschlossen.*) Es wurden aber gar nicht alle zur 
Verhandlung gestandenen Artikel in den Rezeß aufgenommen. 
1583 proponierte Hamburg mehrere Artikel, deren Erledigung 
von Lübeck in 14 Tagen versprochen wurde, weiteres wurde 
im Rezeß nicht vermerkt. Das hängt wohl damit zusammen, 
daß die Redaktion des Rezesses in der Lübecker Kanzlei 
erfolgte, während Hamburg an seiner Abfassung zunächst 
unbeteiligt war.**) Noch 1587 bat Hamburg um ein schrift- 
liches Verzeichnis einiger verglichener Punkte, über die seine 
Gesandten nur mündlich berichtet hätten.®) Man wundert 
sich darüber, zumal wenn man weiß, daß ein Hamburger 
Sekretär der Verhandlung beiwohnte. 



Klefeker S. 346 ff., 352 ff. 

^ Lübsche Instr. 1.572 Sept. 27; Rezesse von 1583 u. 1587. 

^ Lüb. an Hbg. 1571 Nov. 9; der Rezeß von 1572 bestimmt über die 

1571 ad referendum angenommenen Pmikte. 
*) Prot, von 1577. 
*) Rezeß von 1584. 
•) Hbg. an Lüb. 1587 Okt. 18. 



Das Amt Bergedorf. 279 

Genauer sind wir über die Entstehung des Eezesses in 
späterer Zeit unterrichtet. Er wurde von dem Sekretär der 
regierenden Stadt verfaßt, am Schlüsse der Versammlungen 
abgelesen und von den Gesandten approbiert.^) Dann wurde 
zwischen den Städten über seine Annahme korrespondiert, 
doch nahm man keine wesentlichen Änderungen mehr vor, 
höchstens daß Hamburg am Wortlaut etwas auszusetzen 
hatte.*) Gleichzeitig wechselte man die Erklärungen auf die 
ad referendum angenommenen Artikel, die aber auf die 
Fassung des Eezesses keinen Einfluß hatten. Die Reinschrift 
des Rezesses, die stets in der Lübecker Kanzlei erfolgte, 
wurde von hier in zwei oder drei Exemplaren nach Hamburg 
zur Unterschrift und UnterSiegelung durch die Ratsmitglieder, 
die an der Visitation teilgenommen hatten, gesandt.') Damit 
war er in Hamburg vollzogen; er wurde zurückgesandt und 
in Lübeck gleichfalls unterschrieben und untersiegelt.*) Ein 
Exemplar des nunmehr rechtskräftigen Rezesses erhielt Ham- 
biu-g, das zweite blieb in Lübeck, ein drittes oder auch eine 
Kopie wurde dem Amtmann zur Publizierung im Amt mit- 
geteilt. Das geschah mit dem Befehl an die Untertanen, 
sich hinfort danach zu richten.*) Über alles das ging 
meistens ein Jahr und mehr hin.®) Schon 1596 wurde ange- 
ordnet, daß in Bergedorf ein Buch zur Aufnahme aller vor- 
handenen und künftigen Rezesse angelegt werden solle. Aber 
wie so mancher Befehl der Behörden, der eine Vermehrung 
der schriftlichen Aufzeichnung bezweckte, blieb auch dieser 
zunächst auf dem Papier stehen. 1617 wurde er erneuert, 
und mit besserem Erfolg. Die noch jetzt erhaltenen Bücher 
enthalten die Rezesse von 1602 ab vollständig. "0 

Da sich hier wie in anderen Dingen herausstellte, daß 
den Beschlüssen der Rezesse nicht immer nachgelebt wurde, 

Prot von 1593, 1605. 

^ Hbg. an Lüb. 1601 Febr. 18. 

*) Hbg. an Lüb. 1594 Jan. 12. 

*) Hbg. an Lüb. 1609 Aug. 27. 

*) Hbg. an Lüb. 1603 Juli 4, Lüb. an Pasche 1609 Nov. 1. 

^) Der Rezeß von 1608 wurde erst im Nov. 1609 zur Publikation ins 

Amt gesandt, Lüb. an Pasche 1609 Nov. 1, Antw. Nov. 22. 
") Hbg.: Archiv des Amtes Bergedorf Pars I 3. 

19* 



280 Hans Kellinghaseu, 

geschah 1611 die Bestimmung, die bei der folgenden Visitatioii 
zuerst in Kraft trat, daß künftig mit der Verlesung des 
jüngsten Rezesses der Anfang gemacht werden solle, damit 
man sich überzeugen könne, ob er auch ausgeführt sei. 

So wirkten viele Anordnungen, die an sich oft unbe- 
deutend waren, zusammen, um die Visitationen zu einer immer 
fester mit dem Amt verbundenen Einrichtung zu machen. 
Die Macht des Amtmanns wurde durch sie stark herab- 
gemindert; ihre höchste Bedeutung erlangten sie aber erst in 
der folgenden Periode, als die eigentliche Eegierung des Amts 
auf sie überging. 

IIL Die Verwaltung. 
1. Obrigkeit und Untertanen. 

Was Georg Hanssen von Schleswig-Holstein sagt^*) gilt 
ebenso für das Amt Bergedorf: es war entsprechend dwa 
Volkscharakter seiner Bewohner und der Art und Weise, wie 
es regiert wiu*de, das Land des Herkonmiens und der Gewohn- 
heiten in den bürgerlichen wie in den öffentlichen Angelegen* 
heiten geblieben. 

Die Amtseingesessenen waren sämtlich persönlich und 
dinglich frei, der Obrigkeit gegenüber war keiner bevorzugt 
und keiner benachteiligt, es gab keine mittelbaren Staats- 
untertanen. Das war für die Gestaltung der Verwaltung 
wesentlich. Denn auf der Beteiligung der Untertanen war 
die ganze Verwaltung aufgebaut. Daher waren die Steuern 
entsprechend dem Bedarf ganz gering; erst als gegen Ende 
der Periode die staatlichen Aufgaben und Ausgaben wuchsen,. 
schritt man zu den ersten wirklichen Steuern. Durch pei-sönliche 
Dienste der Gesamtheit, nicht arbeitsteilig durch vom Staate 
bezahlte Beamten und Arbeiter, wurde der größte Teil der 
öffentlichen Aufgaben ausgeführt, bis ins 17. Jahrhundert lagen 
so Gerichtswesen und die meisten Verwaltungszweige in den 
Händen des Volkes unter Aufsicht des Amtmanns, der Staat 



über die seit 1574 mit den Visitatiouen verbundenen geistlichen VLnta- 

tiouen vergl. den Abschnitt: Kirche und Schule. 
*) Agrarhist. Abb. U, S. 536. 



Das Amt Bergedorf. ' 281 

griff nur ein, wo die genossenschaftliche Ordnung versagte. 
Die allmähliche Übernahme der Verwaltung durch den Staat 
äußert sich in der amtsweisen Bestellung der Amtmänner, 
der Vermehrung der Beamten und ihrer Befugnisse und in 
der Entstehung regelmäßiger Visitationen. Doch geschah sie 
hauptsächlich in der Weise, daß der Staat nunmehr obrig- 
keitlich das anordnete, was vorher von selbst geschehen war. 
Das alte Herkommen blieb dabei unangetastet. 

Da also dieTätigkeitder Amtseingesessenen von dergrößten 
Bedeutung für die gesamte Verwaltung war, ist es sehr wichtig 
festzustellen, wie ihre Stellung der Obrigkeit gegenüber war. 

Persönliche oder dingliche Abhängigkeitsverhältnisse der 
Untertanen von der Herrschaft gab es nicht, das einzige 
Band zwischen ihnen war der allgemeine Eid, der den Unter- 
tanen von Zeit zu Zeit abgenommen wurde.^) Im 15. Jahr- 
hundert versprachen sie darin, den Räten zu Lübeck und 
Hamburg und ihren Hauptleuten, die sie zu Bergedorf oder 
Ripenburg setzen würden, treu, hold und gehorsam zu sein 
imd ihr Bestes zu betreiben. Und wenn sie etwas erführen, 
das gegen die Städte und ihre Schlösser gerichtet sei, es 
treulich der Herrschaft zu melden, dazu ihnen Gott und seine 
Heiligen helfen möchten.*) Großer Wert wurde aber anscheinend 
auf die Ableistung des Eides nicht gelegt, denn 1593 erfahren 
wir, daß den Untersassen von den Städten seit vielen Jahren 
kein Eid vorgehalten sei und daß nun täglich alte Leute 
abstürben und Junge zuwüchsen, die von keiner Eidesleistung 
wüßten und daher dem Hause Bergedorf keine Dienste leisten 
wollten.^ Doch kam es auch jetzt zu keiner allgemeinen 
Vereidigung, sondern nur der Bergedorfer Rat und die Haupt- 
leute in den Vierlanden als Vertreter der Eingesessenen wurden 
am 23. Oktober 1593 von den Visitatoren in die gewonigliche 
Eidesleistung genommen.*) Erst 1598 wurde dem Amtmann 



So lautete ein Punkt der den lübschen Gesandten 1467 mitgegebenen 
Instruktion: item dat de undersaten eede dan, de der noch nicht hebben 
gedaen, 

^ Gedr. Voigt, M, V. H. G. m 2, S. 127. 

^) Gravamina des Amtmanns Schulte 1593 Aug. 23. 

*) Vis.-Prot 



282 Hans Kellinghusen, 

befohlen, auch die einzehien Einwohner Bergedorfe, die bisher 
nur dem Eat ihren Bürgereid geleistet hatten, für beide Städte 
in Eid zu nehmen. Und 1602 wurde auch die Vereidigung 
der Geesthachter, die man derzeit vergessen zu haben scheint^ 
nachgeholt. Gleichzeitig wurde dem Hauptmann auferlegt, 
künftig alle Neubürger (die sich ins Land Befreienden) zu 
vereidigen.*) Eine Erweiterung des Eides wurde nach dem 
Vorschlag des Rezesses von 1608 im Jahre 1611 formuliert 
An das allgemeine Versprechen von Treue und Grehorsam 
schloß sich seitdem das sehr reale Gelöbnis, Schoß, Bierakzise 
und Türkensteuer nach Anordnung beider Städte zu bezahlen, 
auch wurde, um endlich Ordnung in die Eidesleistung zu 
bringen, für den einzelnen ein bestimmter Termin, nämlich 
die Zeit der Begründung eines eigenen Hausstandes durch 
die Verheiratung, bestimmt.*) Den neuen Eid nahm der Amt- 
mann von den einzelnen Untertanen entgegen. Wir wissen, 
daß er zu diesem Zweck die Altengammer am 17., die Curs- 
lacker am 18. Juli 1612 vor sich beschied, daß aber die 
Eingesessenen, die Land unter fremder Herrschaft hatten, 
die Eidesleistung verweigerten.*) Auch Neuzugekommene 
wurden seitdem sofort in Eid genommen.^) 

Der Eid, namentlich in seiner älteren aUgemein gehaltenen 
Form und in der ungeregelten Abforderung begründete also 
kein starkes AbhängigkeitÄverhältnis der Untertanen von der 
Obrigkeit. 

Im Gegenteil, aUe Leistungen der Untertanen beruhten 
auf altem festen Herkommen, an dem zu rütteln dem Ajnt- 
mann ausdrücklich verboten war. Er mußte in seiner Be- 
stallung versprechen, die alte Freiheit und Gerechtigkeit der 
Eingesessenen vor Neuenmgen zu schützen.^ Und nicht 
genug damit, im ersten Landgericht, das er im Amte abhielt, 
wurde ihm von den Landleuten selbst, ehe sie ein Urteil 



Grantzin an Lüb. 1598 Juni 14. 

^ Rezeß von 1602. 

^ Rezeß von 1608 § 8; Hbg. an Lüb. 1610 März 16, 1611 April 19. 

*) Lüb. an Hbg. 1611 Dez. 24. Pasche an Lüb. 1612 Juli 23. 

•) Rezeß von 1617, Aussage des Amtsschreibers. 

•) Vergl. S. 231 f. Noch im Vertrage von 1608 § 6. KLEFEKER S. 37a 



Das Amt Berg;edorf. 283 

• 

sprachen, die Frage vorgelegt, ob er sie bei ihrer Freiheit 
und altem Gebrauche lassen wollte, worauf er sich mit Ja 
erklären mußte. Schon dieser kleine Vorgang ist bezeichnend 
für das Selbstbewußtsein der Amtseingesessenen. 

Jede auf dem Herkommen beruhende Pflicht stand fest und 
wurde von den Untertanen ohne Widerspruch geleistet. Dagegen 
neue regelmäßige oder außerordentliche Leistungen konnten auch 
die Städte nur mit Einwilligung der Amtseingesessenen aufer- 
legen. Daran hielt man unverbrüchlich fest, mochte auch die 
Einwilligung in vielem allmählich zu einer Form herabsinken. 

Ein sehr bezeichnendes Beispiel ist es, wie 1443 der 
Vertrag über den Bau des Schleusengrabens abgeschlossen 
wurde. Am 1. Juli 1443 traten auf dem Kirchhof zu Berge- 
dorf sechs Ratsgesandte der beiden Städte, darunter drei 
Bürgermeister mit den Eingesessenen der Lande Billwärder, 
Curslack, Altengamme und Achterschlag zusammen. Doch 
erscheinen diese nicht als Untertanen, denen der Staat seinen 
Willen auferlegt, sondern mit den Vertretern der Lande wird 
gehandelt, geschlossen und beliebt, und zur Bestätigung des 
geschlossenen Vertrages hängen acht Bauern an die Urkunde 
neben den Siegeln der Städte ihre eigenen an.*) Es sind 
zwei vertragschließende Parteien, die sich gegenüberstehen, 
wenigstens in der Fiktion, denn tatsächlich konnte die stärkere 
Partei der schwächeren doch wohl ihren Willen auflegen. 
Aber die Fiktion wurde auch in der Folgezeit gewahrt. 

In wichtigeren Angelegenheiten unterhandelten die Städte 
selbst mit den Vertretern der Lande, sonst war es, wie 1 609 
berichtet wird, seit undenklichen Jahren Brauch, wenn vo7i 
beiden Städten dem Hauptmann ein BefeJd zugeschrieben tvird, 
ihn zu verrichten und den Landleuten anzumelden, daß je und 
alleivege die Vögte und Hauptteute hierher ins Pforthaxis vor- 
bescJiieden, die es dann den andern Landleuten wieder ange- 
zeigt und eine Antwort und Erklärung darauf hernach ein- 
gebracht habend) 



*) Amtsprotokoll 1602, S. 142; Bericht der großen Erbe in Neuenganune 

an Lüb. 1613 März 6. 
^ Lüb. U. B. Vn, S. 298. 
^ Pasche an Lüb. 1609 Dez. 5. 



284 Hans Kellinghusen, 

• 

Verhandlungen von Ratsgesandten mit den Untertanen 
erfolgten, wenn es sich um Erhebung einer KontributioiL,^) 
Einführung neuer regelmäßiger Steuern, um Erlangung von 
Einquartierungsleistungen handelte (s. u.). Am bezeichnendsten 
aber sind die lange beibehaltenen Beden (Bitten) der Herr- 
schaft an die Eingesessenen, zumeist in außerordentlichen 
Fällen. Als 1571 der Ripenburger Amtsacker infolge eines 
Deicheinbruches mit Sand überschwemmt war, schlug der 
Amtmann vor und die Städte gingen darauf ein, nach alter 
Gewohnheit eine Bitte an die Vierlande zu tun, den Sand 
wieder abzubringen.*) Ebenso wurde die Hilfe der Landleute 
in der Hofwirtschaft der Amtmänner während der Saat- und 
Erntezeit bis zum Jahre 1596 als eine freiwillige, auf Bitte 
des Amtmanns beruhende Last angesehen, die die Leute gern 
geleistet hätten; erst als sie sich weigerten, dem Amtmann 
Schulte Dienste zu leisten, wurde sie ihnen als Pflicht auf- 
erlegt.*) Aber noch 1602, als sich die Ausbesserung des den 
Städten gehörenden Kraueldeichs als nötig erwies, konnten 
sich die Landleute weigern, die ihnen auferlegte Arbeit zu 
leisten, ebenfalls mit der Begründung, ihre Hilfe sei bisher 
nur zur Bitte geschehen. Sie forderten den Amtmann auf, 
nf der Riege herumzuschicken und bitten zu lassen. Und auf 
Befehl der Städte wurde der Hausvogt vom Amtmann von 
Haus zu Haus geschickt. Erst dann leisteten die Landleute 
die in erster Linie dem Schutz ihres Landes dienende Arbeit 
Aber noch wiederholt mußte der Amtmann bitten, daß die 
Arbeit vollendet werden möchte.*) 

Man versteht die klagenden Worte des Amtmanns Schulte, 
die Leute, großer Freiheit gewohnt, glaubten, zu nichts ver- 
pflichtet zu sein, sondern meinten, daß alles eine Bitte sei, 
die sie zu verweigern Macht hätten. Beim Antritt der Amt- 
leute würden sie nicht an diese verwiesen und ihnen nicht 
besonders befohlen, denen Gehorsam zu leisten. Daher hätten 
die Amtleute ihnen nichts zu gebieten, sondern lebten allein 



*) Kämmereirechnungen VII, S. 209. 
*) Rezeß von 1571 § 10; Lüb. au Hb§r. 1571 Nov. 5. 
^ Grim an Grantzin 1596 Aug. 10; Rezeß § 11. 
*) Brandt an Hbg. 1602 Okt. 19, Nov. 16. 



Das Amt Bergedorf. 285 

von ihrer Gnade. Es müßte den Untertanen ihre Pflicht 
einmal erneuert werden. In vorfallenden Sachen müßten sie 
an ihre Amtleute verwiesen werden, sonst sei hier ein Amt 
überhaupt nicht vonnöten.O Doch war das übertrieben; 
dem Amtmann war es freilich unbequem, daß seiner Willkür 
feste Schranken gezogen waren. 

Aber ebenso war es den Untertanen verboten, ihre 
Freiheiten zu mißbrauchen. Nach dem Vertrage der Vier- 
lande mit dem Amtmann von 1568 sollten sie sich aller zu 
Recht verbotenen Rottierungen und Konventikeln enthalten, 
doch war ihnen unbenommen, ehrliche, christliche und ge- 
wöhnliche Zusammenkünfte zu halten.*) Und als die Unter- 
tanen sich 1571 beschwerten, daß sie bei Strafe von 100 Talern 
keine Zusammenkunft oder Dingstede mehr halten dürften, 
außer wenn sie sich über Deichen und Dämmen zu bereden 
hätten, wurden sie von den Gesandten auf diesen Vertrag 
gewiesen, dessen Freiheiten genügend seien.*) 

Aber trotz aller Freiheit — leicht war die Stellung 
der Untertanen gewiß nicht. Das Korrelat der Freiheit war 
schwere Arbeit für das Gemeinwesen. Freilich Herren- und 
Hofdienste waren viel geringer als anderswo, aber schwer 
waren alle die dem Lande zu leistenden Dienste, besonders 
die, welche mit dem Deichwesen in Zusammenhang standen. 
Wie im einzelnen die Verwaltung auf der Mitarbeit der 
Untertanen begründet war, das werden die folgenden Ab- 
schnitte zeigen. 

2. Gericht und Recht. 

Die Besiedeier der Vierlande hatten nicht wie in anderen 
Marschländern eigene Gerichtsbarkeit erlangt, sondern zu den 
Rechten, die dem Landesherm geblieben waren, gehörte auch 
die Gerichtshoheit.*) Doch betrachteten die Herzöge von 
Sachsen-Lauenburg diese im Geiste ihrer Zeit nicht als Hoheits- 
recht, durch das die Justiz im Lande gewahrt werden sollte. 



') Grayamina des Amtmanns 1593 Aug. 23. 

^ Vertrag 1568 Juli 22 § 9. 

^ Rezeß Ton 1571, Beschwerden der Untertanen § 5. 

*) Hasse I, 338. Verpflichtung, zum echten Ding zu kommen. 



286 Hans Kellinghusen, 

sondern als nutzbares Becht, aus dem Geld zu gewinnen war. 
Infolgedessen trugen sie kein Bedenken, sie mit anderen 
Bechten aus ihren Händen zu geben, durch Verkauf, Schenkung, 
Verpfändung oder als Lehen. Schon 1228 verlieh Herzog 
Albrecht I. der Domkirche in Hamburg Immunität über ihre 
Güter in den Vierlanden; als die Domherren davon 1310 
ihre Hufe in Kirchwärder zu Erbzinsrecht verkauften, behielten 
sie sich hohes und niederes Gericht vor, sahen sich aber 
aus Not schon 1326 gezwungen, auch dieses an das Kloster 
Lüne für 24 ^ zu verkaufen, von dem die Gerichtshoheit 
mit den übrigen klösterlichen Gütern in den Vierlanden 1329 
an das Kloster Schamebeck gelangte,^) ein Beispiel, wie die 
öffentlichen Bechte im Mittelalter privatrechtlich behandelt 
wurden. Auch Schamebeck kaufte 1325 vom Herzog für 
seine Güter in Kirchwärder Freiheit von hohem und niederem 
Gericht binnen und außen Deiches und über den Deich auf 
gemeiner Straße,*) ebenso waren die Klöster Lüne und Bein- 
feld, wahrscheinlich auch Beinbek im Besitz des hohen und 
niederen Gerichts.^ Auch weltliche Grundherren besaßen 
die Gerichtshoheit: die von dem Berge über ihren Hof in 
Altengamme zu Eigentum,*) die Schack über alle Außendeichs- 
katen in Neuengamme zu Lehen,*) der Marschall Vicke von 
Hitzacker über seinen Hof in Kirchwärder zu Pfandbesitz.*) 
Die Städte sahen in dem Gericht ein Hoheitsrecht: 
Verpfändungen und Verleihungen des Gerichts kamen unter 
ihnen nicht vor. Aber die von ihren Vorgängern weg- 
gegebenen Bechte mußten auch sie anerkennen. Die an sich 



') Hasse I, 459, m, 221, 605, 673. 

') Hasse m, 549 : libertatem omnimodam maioris et minaria iudicii ei 

omnium coherentium infra et extra aggerem et super aggerem in 

communi strata, 
3) Lüne: HASSE HI, 587, 598. Reinfeld: HASSE II, 855, IH, 507. Rein- 

bek: v. Westphalen (Mon. ined. IV, 3423) verzeichnet unter den 

Urkunden des Klosters : lii39 proprietas et libertas perpetua antiquae 

Gammae et Kurslacke. Bisher nicht gedruckt. 
*) V. Westphalen n, 2294. 
*) Sudendorf rx, 131, 12. 
•) SUDENDORF IX, 131, 9. Über den Pfandbesitz der von Hitzacker am 

Amt Ripenburg vergl, M. V. H. G. IX, S. 269. 



Das Amt Bergedorf. 287 

einfache Eechtslage wurde schon insofern verwickelt, als 
nicht aller Besitz der Grundherrn gefreit war,^) besonders 
aber dadurch, daß das grundherrliche Land vielfach, nament- 
lich in Altengamme und Curslack, Streubesitz war, der mit 
städtischem Land in einer Hufe verbunden von den Bauern 
besessen wurde.*) Man kann ihnen nun nicht verdenken, 
daß sie jeweils den ihren Herrn nannten, der ihnen am 
bequemsten war. Zwar nahmen sie den Schutz der Städte 
gern hin, aber allen von ihnen auferlegten Lasten suchten 
sie sich möglichst zu entziehen und fanden dabei wieder 
den Schutz ihrer anderen Herren. Es waren unhaltbare 
Zustände. 

Tatsächlich übten die Städte doch in den meisten Fällen 
das Gericht über diese Leute aus. Denn sie hatten die Macht. 
Bezeichnend ist, wie der Amtmann Kerkring die Eeinfelder 
Bauern zwang, seiner Jurisdiktion zu gehorchen. Er verbot 
ihnen Kirchen, Mühlen, Wege und Stege, bis sie ihm zu 
Willen waren.*) So mag es auch im allgemeinen richtig 
sein, wenn Johann Moller 1568 behauptete, daß zu seiner 
Vorfahren Zeit die Leute der Herren und Prälaten in den 
Vierlanden immer vor das Gericht zu Bergedorf gegangen 
seien und da ihr Eecht hätten suchen müssen.*) Aber die 
weltlichen Herren, die den geistlichen nach der Reformation 
folgten, hatten andere Repressionsmittel in der Hand, 
um ihre verbrieften Rechte durchzusetzen. Jahrzehntelang 
schlugen sich die Städte mit ihnen herum, die Prozesse am 
Reichskammergericht häuften sich, schließlich, als beide Par- 
teien des Haders müde geworden waren, griffen die Städte 
zu dem alten Mittel, durch das sie einst zu ihrer Macht 
emporgestiegen waren: sie kauften den geldbedürftigen 
Fürsten ihre Rechte ab. Doch das geschah erst seit der 



*) Das Kloster Schamebek hatte 1408 vier landpflichtige Morgen Landes, 

vergl. oben S. 202. 
^ Von einer Hufe in Curslack (Grundbuch foL 2) gehörten z. B. 23 Morgen 

den Städten, 12 Morgen Ratzeburg und 8 Morgen dem Kloster Reinbek. 
^ Bericht von fünf Bauern an Grantzin 1601 Okt. 13. 
*) Johann MoUer an den bischöflichen Hauptmann Matthias Chuis zu 

Schönberg 1568 Febr. 9. 



"288 Hans Kellinghusen, 

Mitte des 17. Jahrhunderts und hat uns hier nicht zu be- 
schäftigen. 

Der grundhen-liche eximierte Besitz machte nur einen 
kleinen Teil des Amtes aus, in der Hauptsache unterstanden 
seine Bewohner den ordentlichen Gerichten, über deren 
Tätigkeit freilich aus herzoglicher Zeit nur wenige Nach- 
richten erhalten sind. Die Kolonisation der Vierlande fallt 
in eine Zeit der Umbildung der deutschen Gerichtsyerfassung. 
Bisher war das Landgericht, das echte Ding, ihre Grundlage 
gewesen, das dreimal im Jahr unter dem Vorsitz des Grafen 
abgehalten wurde. In der nordalbingischen Sachsenmark 
übte der Landesherr als Markgraf selbst die gräflichen Rechte 
aus. Zum Landgericht mußten alle mündigen Freien der 
Grafschaft kommen, daher wurde diese Pflicht auch den 
Bewohnern der Hufen in Kirchwärder auferlegt, die Graf 
Albrecht 1217 an das Bistum Verden schenkte, w&hrend 
sie zu den gebotenen Dingen nur pro mis excessihus, d, L 
wenn sie selbst beklagt waren, zu erscheinen brauchten.*) 
Seitdem wird das Landgericht im Gebiet des späteren Amts 
Bergedorf nicht mehr erwähnt. Wo es abgehalten wurde, 
ist nicht bekannt. 

Seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts lösten sich mit der 
Grafschaftsverfassung auch die Landgerichte auf. Sie hatten 
die hohe Gerichtsbarkeit hauptsächlich über Leib und Leben 
und über Erbe und p]igen ausgeübt, während die unter ihnen 
stehenden Niedergerichte, deren es regelmäßig mehrere in einer 
Grafschaft gab, nur für Klagen um Schuld und um Fahrhabe 
zuständig waren.') Nun aber begannen die Gerichte sich 
nicht mehr nach Sachen, sondern nach Personen zu scheiden. 
Die Landgerichte, die bald an den Hof der Territorialfürsten 
gezogen wurden, blieben dem Adel vorbehalten, die Nieder- 
gerichte erhielten den Blutbann und damit volle Gerichts- 
barkeit über die ganze übrige Bevölkerung. Da im Gebiet 
des Amts Bergedorf die adeligen und geistlichen GrundherreD 



») Schröder, RG* S. 572. 

^ Hasse I, 338: ad sollempnia placita ter in anno veniant, non d 

alia venturi nisi pro suis excessibua, 
^ Schröder, RG* S. 614 ff. 



Das Amt Bergedorf. 28& 

für ihr wohl meist von Bauern bewirtschaftetes Land Gerichts-^ 
exemtionen erhielten und die übrigen Amtseingesessenen ihren 
Gerichtsstand vor den Niedergerichten hatten, verior hier das 
Landgericht, das an den herzoglichen Hof zu Lauenburg^ 
überging,') seine Bedeutung; ob es in herzoglicher Zeit Be- 
rufungsinstanz für die Niedergerichte war, wissen wir nicht. 

Der Niedergerichtsbezirk war im nordalbingischen Sachsen 
das Kirchspiel,*) für das Gebiet des Amts Bergedorf ist es 
nachweisbar in einer Urkunde aus dem Jahre ISOB.*) Nach« 
dem aber auf die Kirchspielsgerichte als Erben der alten 
Landgerichte die volle Gerichtsbarkeit übergegangen war,, 
bildeten sich hier nicht neue üntergerichte für geringere 
Sachen, das war auch bei der Kleinheit der Gerichtssprengel,, 
in den Vierlanden wenigstens, nicht möglich. Es gab daher 
für die Kirchspielseingesessenen nur ein Gericht erster Instanz,, 
das für alle ihi-e rechtlichen Angelegenheiten zuständig war. 

Im Bereich des späteren Amts Bergedorf gab es sechs 
Pfarrkirchen: zu Bergedorf, Ciu^lack, Altengamme, Neuen-^ 
gamme, Kirchwärder und Geesthacht, ebensogroß war also 
auch die Zahl der Gerichtsbezirke. Bei der Eroberung des 
Amts durch die Städte verblieben aber die zu Bergedorf und 
Geesthacht eingepfarrten Dörfer außer den beiden Kirchorten 
selbst beim Herzogtum Lauenburg; die kirchliche Zugehörigkeit 
dieser Dörfer blieb zwar bis 1598 bestehen,*) aber die Ge- 
richtsgewalt, das wichtigste Hoheitsrecht über sie, gaben die 
Herzöge natüi-lich nicht aus den Händen. Für Bergedorf, daa 
schon 1275 durch die Verleihung städtischen Rechts aus dem 
ländlichen Gerichtsverband ausgeschieden war, machte das 
nichts aus, der Geesthachter Gerichtsbezirk jedoch, nunmehr 
auf ein kleines Dorf beschränkt, blieb zwar bestehen, ver- 
kümmerte aber: im 16. Jahrhundert wurde nur alle sechs Jahre 



^) Der Herzog entschied nach dem Gutachten seiner Bäte, erst 1578' 
wurde ein besonderes Hofgericht eingeführt; V. DUVE, Staatsgesch. 
Lauenburgs, S. 464. 

^ Schröder, Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels (ZRG 18, S. 67). 
Vergl. V. Seestern-PaüLI, Neumünstersche Kirchspielsgebräuche 182^ 

') Hasse m, 114. 

^) Voigt, M. V. H. G. m 3, S. 22 ff. 



290 Hans Eellinghusen, 

dort Gericht gehalten (s. u.). Die übrigen vier Gerichtsbezirke 
bestanden bis 1620 unverändert fort; sie hießen im 16. Jahr- 
hundert Landgerichte, vielleicht in Anklang an die alten 
Gaugerichte, oder es benihte der Name auf derselben Um- 
bildung, die aus den vier Kirchspielen (seit etwa 1500) die 
Vierlande machte. Doch hatten die beiden kleinsten Lande 
ein gemeinsames Landgericht, das abwechselnd in Curslack 
und Altengamme gehalten wurde. Es gab also im 16. Jahr- 
hundert im Amt Bergedorf folgende Gerichte: 

1. das Stadtgericht in Bergedorf, 

2. das gemeinsame Landgericht von Curslack und AI tengamme, 

3. das Landgericht in Neuengamme, 

4. das Landgericht in Kirchwärder, 

5. das Landgericht in Geesthacht. 

Bei der Besetzung der Gerichte schied das deutsche Recht 
Gerichtsverwaltung und Urteilsfindung. Zu den gericht- 
lichen Verwaltungsbeamten gehörte in erster Linie der Vorstand 
des Gerichts. Das war im holsteinischen Kirchspielsgerichte 
der Schulze (praefecttis, scidtetus), den wir auch in zwei Ur- 
kunden der Vierlande aus den Jahren 1237 und 1306 vor- 
finden.*) Ohne Zweifel ist es derselbe Beamte, der seit dem 
15. Jahrhundert unter dem Namen Vogt oder Landvogt, von 
den Kirchspielsleuten selbst erkoren, an der Spitze des Kirch- 
spiels stand. '^) An seine Stelle trat in Bergedorf, als es 
1275 mit dem Stadtrecht bewidmet wurde, der Rat, der auch 
in die gerichtlichen Befugnisse des Schulzen folgte. Doch 
ist fraglich, ob er diese noch selbständig ausgeübt hat. Denn 
als die Kirchspielsgerichte die volle Gerichtsbarkeit über 
die ganze nicht eximierte Bevölkerung erhielten, mußte es 
das Bestreben der Landesherren sein, auf sie veenigstens 
durch ihre Beamten den Einfluß zu gewinnen, den sie früher 



Klefeker S. 357: Vom Rechthalten zur Zeit der Amtmäimer. 

^ Hasse I, 553; in, 114. Man könnte hei der ersten Urkunde, einer 

Auflassung von Grundbesitz in Altengamme, schahinis pre9efUibu$ ei 

prefecto, auch noch an eine Handlung vorm Landgerichte denko. 

Vergl. Schröder, Ostfälischer Schultheiß und holsteinischer Oyeii>ode 

(ZRG 20). 
3) Vergl. S.264f. 



Du Amt Ber^edort 



291 



^ 



im Grafengericht ausgeübt hatten. Dem Schulzen trat daher 
der herrschaftliche Vo^ an die Seite und bald ilbemahm 
dieser die eigentliche Leitung des Gerichts, dem andern zwar 
die formelle Leitung, in Wahrheit aber nur eine untergeordnete 
Tätigkeit belassend. Bereits 1.334 wird der Vogt als der 
Inhaber der Gerichtsgewalt bezeichnet. M Einen besonderen 
Büttel oder Frohnhoten hat es wenigstens in späterer Zeit 
nicht gegeben* Seine Aufgaben, auf die noch zurückzukommen 
sein wird, besorgte damals der Landvogt. 

Weit länger als die Gerichtsverwaltung blieb die Urteils- 
findung ganz in den Händen des Volks. Im 14. Jahrhundert 
dingte der Richter mit Schöffen^ die übrigen Kiixhspiels- 
eingesessenen büdeten den Umstand. 1306 gehörten in Curs- 
lack ziir ordentlichen Gerichtsbe*setzung Vogt, Schulze, Schöffen 
und Kirchspielsleute.*) Im 16, Jahrhundert wurde das Urteil 
von allen Landleuten gefunden und von einem Uiteilsmann 
verkündet, nur in Bergedorf fimgierten zwei, manchmal auch 
drei Urteilsleute. 

Das Gericht %vuide, wie sein Name aussagt, auf dem 
Kirchhof abgehalten, der noch bis ins 17. Jahrhundert als 
Gerichts- und Versammlnngsort diente. 1438 wurden auf 
dem Bergedorf er, 1491 auf dem Altengammer Kirchhof gericht- 
liche Handlungen vorgenommen, '^J und als seit dem 16* Jahr- 
hundert die regelmäßigen Landgerichte nicht mehr imter freiem 
Himmel stattfanden, diente der Kirchhof weiter zu Zusammen- 
künften der Eingesessenen, die hier Befehle der Herrschaft 
entgegennahmen,*) sowie zu feierlichen Gerichtshand lungen: 
die Wahl des Landvogts wurde noch 1614 hier vorgenommen,^) 
Friedloslegungen mußten auf dem Kirchhof geschehen,^) laer 
auch erfolgte die Erteilung von Friede und Bann, der einzige 

') Hasse m, 846, 

*) Hasse 111^ 114; coram advocato, schutirto, BcHepent et parrocMaim 

mckme Eurslake publice, 
^ Das älteste Ber/^edorfer Stadtbuch Nr. 7^ 62. 
*) Barbara Reder an Ebg. 1522 Sept. 25: Will das Verbot der Korn- 

auäfuhr am komm enden Sonntage auf allen vier Kirchhöfen bieten lassen 

bei Strafe tou öÜ Maxk und Verlust des Korns. 
») Siehe S, 264. 
«) KLEPEKER S. a&9t und oft in den KLagebüchem. 



292 Hans Eellinghusen, 

Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der sich im 16. Jahr- 
hundert erhalten hatte.*) Die regelmäßigen Landgerichte 
waren dagegen im 16. Jahrhundert in die Häuser der Land- 
vögte verlegt, ebenso dingte das Bergedorfer Stadtgericht 
in der Hamburger oder Lübecker Herberge.*) 

Die Amtleute, die Nachfolger der herzoglichen Vögte^ 
hielten in den verschiedenen Kirchspielen vier bis fünfmal im 
Jahre Recht. ^ Nach einer Sitte, die aber erst nach der 
Vereinigung der beiden Ämter im Jahre 1512 aufgekommen 
sein kann, begann eine Gerichtsperiode am Montag einer 
Woche in Neuengamme, am Dienstag schloß sich daran das 
Gericht in Kirchwärder, am Mittwoch alternierend in Curslack 
oder Altengamme, am Donnerstag wurde die Periode in 
Bergedorf beendigt.*) Doch kamen auch Abweichungen vor. 
Erst unter dem letzten Amtmann, als man wohl schon an 
eine Ändeining des Gerichtswesens dachte, fanden die Ge- 
richte niu- zweimal im Jahre, um Ostern und Michaelis, statt^) 
In Geesthacht dagegen wurde nur einmal am Schluß der 
Amtszeit eines Hauptmanns Gericht gehalten, in dem aDe 
während der sechs Jahre vorgefallenen Klagen erledigt 
A\iu*den,®) es kam sogar vor, daß eine Gerichtshegong 



t^ber das Bergedorfer Privatrecht beabsichtige ich demnächst in Beyebles 
deutsch-rechtlichen Beiträgen eine Zusammenstellung zu geben. 

^ Landgerichtliche Urteile sind im Hamburger Staatsarchiv aus der Zeit 
von 1594—1620 in größerer Zahl erhalten, ein Bergedorfer Urteil 
vom 12. Mai 1608 in der Hamborger Harharge Johan VagU hum 
und öfter, am 3. Aug. 1609 Recht geholden tho Bergerdorff in der 
Lubischen harberge, auch Klefeker S. 320 vom Jahre 1610. Drei 
vollständige Landgerichtspro tokolle aus dem Jahre 1601. 

^ Das geht aus den Amtsrechnungen und Klagebüchem hervor. Unter 
Joachim Brandt (1602—08) waren 26 Gerichtsperioden. 

*) Zuerst festzustellen an zwei Urteilen der Altengammer und CursUcker 
von Mittwoch, den 18. März 1556, und Mittwoch, den 3. Febr. 1557. 
Aber noch 1531 wurde das lübsche Recht in Bergedorf am Montaf 
(6. Febr.) abgehalten. 

*) Danach sind Staünau, Anfänge und Entwickelung des Gruni' 
besitzes usw., S. 29, und FINDER, Die Vierlande, S. 33 u. 86, m be 
richtigen. Immerhin war das Verfaliren langsam. 

^ Am 20. August 1608 wurde über alle zur Zeit Joachim Brandts i^ 
gefallenen Klagen geurteilt (Klagebuch). 



Das Amt Bergedorf. 293 

überhaupt unterlassen wurde und die Sachen ganz unerledigt 
blieben. ^) Bei besonderen Fällen konnten in den ein- 
zelnen Gerichtsbezirken Notgerichte eingeschoben werden.*) 
Eegelmäßig geschah es in peinlichen Sachen (s. u.). 

Eine Ausnahme bildeten die auf dem Haus Bergedorf 
und im Pforthaus, also die auf herrschaftlichem Grund vor- 
fallenden Sachen. Über sie mußte Burgrecht gehalten werden, 
augenscheinlich war hier der Amtmann alleiniger Bichter, 
sein Urteilsrecht wird ein Ausfluß seiner militärischen Gewalt 
gewesen sein.*) 

Vorbereitungen zu den ordentlichen Gerichtstagen gab 
6S von Amts wegen nicht. Nur die Sachen, in denen der 
Herrschaft eine Strafe verfallen war, waren überhaupt dem 
Amte schon vorher bekannt. 

Denn jeder Landvogt hatte die Rügepflicht, d. h. er mußte 
die in seinem Kii'chspiel vorgekommenen Bußesachen (Be- 
leidigungen durch Wort und Tat, kleine Diebstähle, Unzucht, 
Friedensbruch und ähnliches) dem Amtmann anzeigen. In 
Bergedorf geschah dies durch den Rat. Die Klagen wurden, 
nach Kirchspielen geordnet, im Klagebuch kurz, aber prägnant 



') Lübeck beschwert sich, daß zu Cfeesthacht vom jetzigen Hauptmann 
bisher kein Gericht gehalten ist. Dieser sagt, es sei früher üblich 
gewesen, alle 6 Jahre im letzten Jahr der Hauptmannschaft das 
Landgericht zu JuUten; obwoM es aus bewußten Ursachen unter Ger- 
hard Orentzin unterblieben sei, wolle er es halten, Bezeß v. 1607 § 10. 
Auch das Klagebuch zeigt, daß auf die von 1596 — 1602 eingebrachten 
Klagen nichts erfolgt ist. 

^ 1602 und 1617 wurden in Bergedorf Notrechte gehalten; 1603 erboten 
sich die Curslacker, denen vom Amtmann eine ihnen unbillig er- 
scheinende Strafe auferlegt war, erstes Tages wegen dieser Strafe ein 
Notrecht zu dulden und was erkannt, gewärtig zu sein, was aber der 
Amtmann nicht annehmen wollte (Suppl. der Curslacker an Lüb. 1603 
Sept. 24). 

^ Der Amtschreiber Christoffer Meyer, der auf dem Hause tätlich be- 
leidigt ist, bittet, ein Burgrecht darüber zu halten (an Lüb. 1600 
Okt 17). Ein landgerichtliches Urteil vom 9. Sept. 1601 in einer Be- 
leidigungsklage lautet: Dewil idt , , . in der Borten gesecht, so ist 
der gebruck, dat de Landlude daruff nicht finden dorffen. Sinai 
averst de worde in der Porten gesecht, so schal der her hovetman ida 
ock in der Porten richten (Amtsbuch). 

2t8chr. d. VereiiiB f. Hamb. Gesch. XIH. ^^ 



294 Hans Eellinghusen, 

verzeichnet. Klagebücher, zuei*st erwähnt 1594/) sind aus 
den Jahren 1594—1608 und 1614—20 in vier Bänden er- 
halten. Die Zahl der in Bußesachen eingebrachten Klagen 
war sehr verschieden groß. Der jährliche Durchschnitt war: 
1573/78 ') 1696/1602 1602/08 1614/20 
19 30 23 13 



Neuengamme 
Kirchwärder. 
Altengamme . 

Curslack 

Bergedorf . . . 
Geesthacht . . 



27 54 44 24 

17 14 9 



24 



21 17 10 

37 28 20 

7 5 1 



Die Kirchspielseingesessenen erschienen von selbst zum 
Landgericht, das ihnen eine Woche vorher von den Vögten 
am Sonntag auf dem Kirchhof angesagt wurde;*) standen 
dagegen Kläger oder Zeugen nicht unter dem Gericht des 
Beklagten, so wurde diesen durch ihren Vogt im Auftrage 
des Amtmanns der Gerichtstag, an dem ihre Sache verhanddt 
werden sollte, besonders angezeigt.*) 

Das Gericht wurde in den bekannten feierlichen Formen 
des deutschen Rechts eröffnet und geschlossen. Nachdem de* 
Amtmann sich im Hause des Landvogts am Gerichtstisck 
niedergelassen hatte, an dem ihm gegenüber Amtschreiber 
und Hausvogt, ihm zur Seite der Landvogt selber ihren Plat» 
hatten, ließ dieser die Landleute vor den Tisch kommen. 
Einen unter ihnen rief er beim Namen und fragte ihn zu 
dreien Malen, ob es so viel am Tage wäre, daß er Recht hegen 

*) Suppl. A. Falckenbergs an Hbg. 1594 Aug. 28. 
^ Aus den Amtsrechnungen. 
^ Klefeker S. 357. 

*) Ein solcher Botzettel an den Vogt in Ochsenwärder aus dem Jaliie 
1599 hat sich erhalten. Er lautet: 

Chunsiiger gutter freundtt Arent Hogetopff. Wollet Ütnrtdb IVarf 
vnd Jochim Ärens vnd Jacob des Pastoren Sohn dat recht ansegf» 
hunfftigenn Donnersdach vmb 9 Vhr v/s Bar gertor ff recht zu eracktme»* 
hierbei sein 8 ß. Dat. Bar gertor ff 1. Septembris 99. 

GerhardU GraiMm. 
Der Zettel wurde vom Vogt mit folgendem Vermerk vaztär 
geschickt: 

Ick Arendtt Hogetop bekenne, dat ick dysse dre parsanne (fdnd» 
hebhe by brocke 10 dalcr. 



Das Amt Bergedorf. 295 

und halten möge. Zu drei Malen wurde ihm geantwortet: 
Herr Vogt, IJir möget wohl Recht hegen und halten, wofern 
Ihr Erlaubnis habt von unser m Herrn Hauptmann}) 
Der Zusatz ist bemerkenswert. Die Formel für die Schließung 
des Gerichts ist aus der Zeit vor 1620 nicht erhalten.*) 

Sachlich war das Gericht an den ordentlichen Gerichts- 
tagen zuständig: 1. für die Bußesachen^ bei denen in jedem 
Falle, entweder vom verurteilten Beklagten oder vom abge- 
wiesenen Kläger der Herrschaft eine Strafe verwirkt war, 
2. für die bürgerlichen Klagen.*) 

Die Bußesachen, des Hauptmanns Sachen genannt, weil 
ihm die Strafe zukam, wurden zuerst vorgenommen. Der 
Amtschreiber verlas aus dem Klagebuch, in das er auch 
weiterhin kurze Bemerkungen über den Fortgang der Sache 
eintrug, die Klage. Ein Urteil, dem meistens ein Beweis- 
verfahren voranging, konnte jedoch erst im dritten Recht 
gefunden werden, d. h. nachdem die Klage an drei Gerichts- 
tagen angedingt worden war.*) Es stand den Beklagten aber 
frei, sich außergerichtlich mit dem Amtmann und den Klägern 
gütlich zu vertragen. Und das geschah in der Mehrzahl der 
Fälle. Nur selten wurden Klagen, die nicht gutwillig bei- 
gelegt waren, schon am dritten Gerichtstag nach ihrer Ein- 
bringung durch Endurteil erledigt. Oft wurde die Verhand- 
lung ausgesetzt, weil eine Partei nicht erschienen war.'^) So 
verging bis zum Endurteil meist über ein Jahr. 

Die durch Urteil zuerkannten Bußen waren, was das 
Alter ihrer Festsetzung bezeugt, größtenteils in Pfunden 
bemessen (1 S' = 20 /f). 

Nur selten wurden sie jedoch wirklich bezahlt. Schon 
ihre Festsetzung in Kechnungsgeld machte eine Umrechnung 



') Klefeker S. 358. 

^) Klefekers Bericht vom Rechthalten (S. 357 f.) bricht in der Mitte ab. 

') Über die Einteilung der Klagen im Mittelalter vergl. Schröder, 

KG* S. 788 ff. 
Im Elagebuch durch Ding L 2. 3. unter der Klage bezeichnet. Steht 

unter der Klage nichts oder nur Ding L, so heißt das, daß sie vor 

einem Urteil gütlich beigelegt ist. 
*) Im Klagebuch steht dann wohl steit beth thom negesten recht; <\<^>s^ 

auch nichts vermerkt. 



296 



Hans Eellinghasen, 



notwendig. Aber auch nach dem Urteil konnten sich die 
Beklagten mit dem Hauptmann über eine geringere Strafe 
einigen; oft wurde sie wohl ihren Vermögensumständen 
entsprechend herabgesetzt. Die gütliche Festsetzung und 
Bezahlung der Bußen erfolgte, wie es scheint, in der Zeit 
von 1560 — 1620 fast durchweg in Talern.^) Die Praxis der 
einzelnen Amtleute war übrigens verschieden. Auch das Be- 
streben, in besonderen Fällen hohe Bußen herauszuschlagen, 
ist zu erkennen. Zumal den von Hamburg eingesetzten, die 
seit 1566 für das Amt eine hohe Pacht zahlen mußten, dafür 
aber alle Einnahmen für sich erhoben, wurde von Lübeck 
wiederholt vorgeworfen, daß sie die Strafen übermäßig 
steigerten.*) Von Joachim Brand (1602 — 08) — über 
hamburgische Amtmänner vor ihm liegen keine Nachrichten 
vor — kann man nur sagen, daß er mehr als sein Vorgänger 
darauf sah, die durch Urteil verwirkte Buße in ihrem vollen 
Werte zu erlangen. Dagegen haben lübische Amtmänner, 
denen die Hälfte der Brüche zukam, auch mehrfach recht 
hohe Bußen erhoben, wie die Amtsrechnungen zeigen, be- 
sonders Johan Kerkring (1572 — 78). Einer, der seine 
Tochter hatte beschlafen lassen, mußte ihm 1573 mit 50, 
ein anderer gar mit 100 Talern büßen. Ebenso zahlte ein 
Bauer wegen seiner Tochter 1577 200 -^. Von zwei anderen 
Leuten erhob er in demselben Jahr, wir wissen nicht wofür, 
je 300 ^ Buße. Die Höhe der in jedem Halbjahr erhobenen 
Bußen wechselt ganz merkwürdig, wie die nachstehende 
Übersicht zeigt :^ 



M. 


1561 


bis 0. 


62 


59-^ 


0. 


1578 bis M, 


78: 


693^ 


0. 


1573 


„ M. 


73 


502 „ 


0. 


1589 „ M. 


89: 


274 „ 


M. 


1573 


„ 0. 


74 


337 „ 


M. 


1589 „ 0. 


90: 


288 „ 


0. 


1574 


„ M. 


74 


508 „ 


M. 


1601 ^ 0. 


02: 


952, 


M. 


1576 


„ 0. 


77 


103 „ 


0. 


1602 „ M. 


02: 


867 r 


0. 


1577 


„ M. 


77 


1171 „ 


M. 


1608 „ 0. 


09: 


49, 


M. 


1577 


„ 0. 


78 


168 „ 


0. 


1609 „ M. 


09: 


466, 



') Nach den Amtsrechnungen: ein Taler galt 1561 1 ^ 15 >3, 1577—89 

2 -iC, seit 1601 2 -^' 1 /J. 
') Lühsche Instr. von 1572 Sept. 14, 1590 Sept. 22. 
^ Die Beträge in ß und j^ sind dabei ausgelassen. 



Das Amt Bergedorf. 297 

Da die Amtmänner die Brüche entweder ganz oder zur 
Hälfte für sich erhoben, suchten sie die während ihrer Amts- 
zeit vorgefallenen Bußesachen möglichst zu erledigen und 
hielten deswegen während der letzten Monate ihrer Amts- 
führung meist mehrere Gerichtstage ab. Der Nachfolger 
kümmerte sich scheinbar nicht um die aus der Zeit seines 
Vorgängers ausstehenden Brüche. Der Rezeß von 1611 
bestimmte daher, daß der abgehende und ankommende Amt- 
mann die ihnen davon zustehende Hälfte unter sich teilen 
sollten, ne ddida maneant impunita. 

Interessant ist, daß die geringen Strafen von 10 ß und 
10 /f 4 ^, die auf trockene Wunden (braun und blau) und 
auf Scheltworte gesetzt waren, nicht dem Amtmann, sondern 
dem Landvogt gebessert wurden. Man darf hierin wohl einen 
Rest der ehemaligen niederen Gerichtsgewalt der Vögte er- 
kennen. Ebenso darf man einen Rest der Selbstverwaltung 
der Gerichte darin sehen, daß noch im 15. Jahrhundert den 
Eingesessenen von Bergedorf und Geesthacht neben der Herr- 
schaft ein Teil der Brüche zustand. Bergedorf beanspruchte 
1451 den dritten Pfennig (d. i. V«) aller im Gerichtsbezirk 
fälligen Bußen und begründete sein Recht durch eine Beziehung 
auf die Gerechtigkeit der Bürger von MöUn. Ebendarauf 
bezog auch Geesthacht sein Recht, diesem stand aber nur 
V« der geringeren Bußen, die nicht höher als 3 ^ waren, zu.') 
Über dies Recht der Geesthachter verlautet später nichts 
mehr, dagegen behielt in Bergedorf der Rat das Recht auf 
einen Teil der Bußen. Nach dem Vertrag zwischen Amt- 
mann und Bürgerschaft von 1568 fiel den Bergedorfem die 
Broke des dritdden Pennings von Blutwunden nach altem 
Gebrauch zu, die Gerechtigkeit war also damals auf einen 
Teil der Bußesachen beschränkt.*) 1617 wurde dem Rat 
von den beiden Städten sein Teil an den Brüchen von blutigen 
Wunden bestätigt.^ 

Nach den Bußesachen wurden die bürgerlichen Klagen 
verhandelt. An diesen hatte der Amtmann kein finanzielles 



Lüb. U. B. EX, 15. 

^ Vertrag von 1568 Aug. 13 § 8. 

3) Rezeß § 6. 



298 Haus Kellinghusen, 

Interesse, sie wurden daher weder beim Amt angezeigt, noch 
ein Klagebucli über sie geführt. Es waren besonders Klagen 
lim Erbe und Eigen und um Gut, weniger um Schuld ; Schuld- 
sachen, die an sich nicht streitig waren, \\au-den schneller 
und einfacher außergerichtlich vor dem Amtmann erledigt (s. u.). 
Auch alle Deichstreitigkeiten verhandelte man nicht in Sonder- 
gerichten, sondern vor den ordentlichen Landgerichten. In 
mündlicher Verhandlung vertraten Kläger und Beklagte selbst 
oder durch ihre Vorsprachen*) ihre Sache und stellten ihre 
Anträge. Dann 7ia angehörter Klage undt Antwordt, ok all^n 
gesclienen Vorbringen na wurde von den Landleuten, die in 
die Acht und Findung gegangen waren, erkannt, was Rechtens 
sei, und durch ihren Urteilsmann gerichtlich ein Urteil ein- 
gebracht. Bei den meisten Sachen lag der Tatbestand so 
einfach, daß sie durch ein Urteil erledigt wurden, bei 
schwierigeren schritt die Verhandlung von Urteil zu Urteil 
fort, die häufig aus Fragen an die Parteien bestanden, bis 
schließlich das Endurteil erging. 

Ein Vorzug der Volksgerichte, durch den auch dem 
Ärmsten ermöglicht wurde, sein Recht vor ihnen zu suchen, 
war ihre Unentgeltlichkeit. Die Kosten, die durch die Ver- 
pflegimg des Amtmanns, seines Gesindes und seiner Pferde 
im Hause der Landvögte entstanden, wurden von diesen selbst 
getragen.*) Dafür erhielten die Frauen der Landvögte ein 
Trinkgeld aus der Amtskasse. ^) Außerdem waren die einzigen 
Gerichtskosten der Lohn für dfis Herren Vorspradien (den 
aus den Eingesessenen genommenen Voi-sprecher des Amt- 
manns), dem für alle vier Rechtstage zusammen IV« -^ zu- 
standen.*) Der Amtmann selbst hatte keinerlei Gebühren 
oder Sportein für seine Beteiligung an der Rechtspflege 
zu fordern. 

Ein alter Rechtsbrauch war es, daß vor Abtretung des 
Hauses die Ratsgesandten selbst in den Vierlanden einen 
Gerichtstag abhielten, dadurch viell toirechtikeit so xvoU dem 



*) über das Institut der Fürsprecher vergl. SCHRÖDER RG», S. 787. 

^ Suppl. der Vierlande an Hbg. 1608 Jan. 19. 

^ Siehe S. 265. 

^) Nach den Amtsreclmungeii scvX. \b^\. 



Das Amt Bergedorf. 299 

ankommenden cUss gewesenen amptleuten vorhiittet und auch die 
Stedt mit vielen dagen verschonet werden. Das geschah zuletzt 
1560; ein Versuch, es 1578 wieder einzuführen, mißlang.^) 

Von allen vor den ordentlichen Gerichten verhandelten 
Sachen war eine Appellation möglich, wenn sie nicht 
besonders im Urteil ausgeschlossen wurde;*) doch scheint 
man bei Bußesachen selten von ihr Gebrauch gemacht zu 
haben, überhaupt wurden weitaus die meisten Sachen in der 
ersten Instanz erledigt. Die Berufung war verschieden im 
Lande und im Städtchen. Wer sich in den Vierlanden durch 
ein Urteil ufs höchste graveret und beschweret fühlte, mußte 
sofort in rechtsförmlicher Weise Standes votes mit levendiger 
stemme undt dallegung eines Ridergidden an die andern drei 
(resp. zwei für Curslack und Altengamme) Lande und Kirch- 
spiele vor den Schlagbaum zu Bergedorf appellieren.*) 
Dann mußte er seine Sache innerhalb sechs Wochen und ehe 
wiederum Landrecht gehalten wurde, achterfolgen und beim 
Amtmann anhalten, daß ihm ein Tag angesetzt und die 
Landleute zum Appellationsrecht nach Landesgebrauch ge- 
bührlich gefordert und geboten wurden. Wer diese Rechts- 
formen versäumte, ging seiner Appellationsrechte verlustig.*) 
Vor dem Schlagbaum, also nicht in ihren heimischen Be- 
zirken, traten dann die anderen Lande zusammen,*) es mußte 
daher für die Verpflegung der Landleute gesorgt werden. 
So erklärt sich die merkwürdige Appellationssumme, die von 
dem Appellanten zu entrichten war: zwei Tonnen Hamburger 
Biers, zwei Seiten Speck und zwei Mark zu Brod.^ Diese 



*) Kerkring an Lübeck 1578 Sept. 18; Rezeß § 1. 

^ Am 15. Juni 1597 beschlossen die Altengammer und Curslacker, in 
einer Sache bei dem yor 6 Jahren gesprochenen Urteil zu bleiben 
und keinem Teil die Appellation zu gestatten. 

^ Diese Formel ist wiederholt im Anschluß an Urteüsausfertigungen 
überliefert. Der Eidergulden hat seinen Namen von einem auf ihm 
dargestellten Reiter, sein Wert war (nach Finder a. a. 0. S. 36) 12 #. 

*) Pasche an Lüb. 1614 Juni 29. 

^) Elefeker, S. 322, steUt Nachrichten über das Vorkommen des Schlag- 
baumgerichts in Holstein, Sachsen, Pommern und Brandenburg i 
sammen. 

«) Bezeß von 1614 § 28. 



300 Hans Kellinghuaen, 

übermäßigen Sportein abzuschaffen, waren die Städte 1614 
geneigt. Doch meinte Hamburg, es werde wegen der Menge 
der Landleute, die dort in die Findung gefordert würden 
und die neben ihrer Versäumnis ungern etwas spondieren^ 
schwer durchzusetzen sein.^) Das Schlagbaumgericht hatte 
noch andere Merkwürdigkeiten: die Lande gingen nicht ge- 
meinsam, sondern gesondert in die Findung (nur Corslack 
und Altenganune blieben zusammen) und brachten durch ihre 
Urteilsmänner besondere Urteile ein, die sich in der Fassang 
unterschieden, wenn sie auch materiell übereinsUnunten. Es 
waren aber auch zwei auseinandergehende Urteile möglich, 
und sie ergingen tatsächlich bisweilen.*) Dann war es selbst- 
verständlich, weiter an die beiden Städte als die dritte Instanz 
zu appellieren, was auch sonst, wenn das Mittelgericht das 
Urteil der ersten Instanz bestätigte, wohl meistens zu ge- 
schehen pflegte. 

Nicht minder eigentümlich nach unseren Begriffen war 
das Mittelgericht für die im Bergedorfer Gerichtsbezirk 
gescholtenen Urteile. Bergedorf hatte, wie bereits mehrfach 
erwähnt wurde, 1275 das Recht der Stadt Mölln erhalten, 
daher wurde hier nach lübischem Recht gerichtet. Aber 
Mölln, nicht Lübeck, war die Mutterstadt Bergedorfs, das war 
auch im 16. Jahrhundert noch nicht vergessen. Wer daher 
von Bergedorf appellieren wollte, mußte dies alsbald nach 
gesprochenem Urteil Standes voetes inva voce an den gewohnr 
liehen und gebohrenden Ort al^s na Mollen tun.*) Er mußte 
weiter um Äpostolos bitten, die ihm vom Amtmann erteilt 
A/vTu-den, und selbst seine Klage innerhalb 30 Tagen in Mölln 
anhängig machen, während der Amtmann die Akten über- 
sandte.*) Das alte Herkommen, entsprungen zu einer Zeit, 



») Hbg. an Lüb. 1614 Dez. 29. 

^ 17. Jan. 1605 Neuengamme und Altengamme-Curslack auseinander- 
gehend, 12. Dez. 1616 Neuengamme und Kirch wärder (Rezesse too 
1605 u. 1617). 

') Ein Bergedorfer Urteil von 1610 mit angehängter Appellation, gedr. 
bei Klefeker S. 320, andere vom 3. Okt. 1616 u. 17. Mai 1617 im 
Hamburger St.-A. 

^) Pasche an Mölln 1009 3\xiä ^ u. ci. 



Das Amt Bergedorf. 301 

WO Bergedorf und Mölln dem Herzogtum Lauenburg angehörten^ 
wäre gewiß längst von den Städten abgeschafft, wenn nicht 
Mölln seit 1359 in lübeckischem Pfandbesitz gewesen wäre, aus 
dem es erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wieder gelöst 
wurde. So ließ man es bestehen, obwohl Hamburg sich 
gelegentlich dagegen aussprach.*) Das Gericht fand vor 
Hauptmann, Bürgermeister und Rat von Mölln statt,*) vor 
denen die Parteien persönlich erscheinen mußten. Die 
Umständlichkeiten, die damit verbunden waren, mögen be- 
wirkt haben, daß von diesem Rechtsmittel nicht allzuoft 
Gebrauch gemacht wurde; aber seine Beibehaltung durch 
die Jahrhunderte, nur weil es alter Gebrauch war, ist 
bezeichnend für den konservativen Grundzug der Zeit. 
Einzelheiten über das Verfahren vor diesem Gericht 
sind aus den Hamburger und Lübecker Archiven nicht 
bekannt. 

Die dritte Instanz für alle im Amt vorgefallenen Sachen^ 
die die beiden ersten Instanzen durchlaufen hatten, bildete 
das Gericht beider Städte, das ursprünglich in besonderen 
durch Ratsgesandte der Städte beschickten Gerichtstagen, 
seit 1548 wahrscheinlich jährlich abgehalten, später mit den 
seit 1578 dreijährigen Visitationen verbunden wurde.*) Es 
fand vor der Zingel statt, die als Platz für das Gericht 
beider Städte zuerst 1478 genannt wird.*) Die Zingel war 
ein eingefriedigter Raum vor der ersten Brücke des Schlosses,*) 
1593 wurde sie hier abgebrochen und vor dem Waldgrafen- 
turm wieder errichtet.*) Man appellierte vom Schlagbaum 



Visit-Prot. 1596 Sept 28. 

^ Bericht dieser an Lüb. über eine Sache, in der die Beklagten, die 
die durch den Amtmann in Bergedorf vermittelte Zitation nicht an- 
nehmen wollten, in contumaciam yerurteilt wurden, 1592 Aug. 8. 
Über die Besetzung des Möllner Gerichts vergl. v. DüVE, S. 502. 

^ Vergl. über seine Entwicklung S. 268 ff. 

Lüb. an v. Calven 1478 Juni 3; die Zingel zur Befestigung de» 
Schlosses gehörig schon 1457, Lüb. U. B. IX, 445. 

^) Die Zingel vor der ersten Brücke ist 1583 bau^Lllig, lübsche Instr. 
V. 24. Aug. ; vergl. SCHILLER-LÜBBEN s. v. singeL 

«) Baurechnung von 1593 Okt. 20. 



302 Hans Kellin^huBen^ 

oder von Mölln an die Zingel wieder durch Darlegung eines 
Geldstücks.^) 

Hier im Obergericht bildete sich zuerst im Amt eine 
gelehrte Rechtsprechmig aus, deren Entwicklung wir zu 
verfolgen vermögen. Auch die Abgeordneten der Städte 
waren zimächst Laien; seitdem aber die Visitationen regel- 
mäßig wurden, befanden sich unter ihnen immer ein oder 
mehrere gelehrte Juristen. Noch 1571 wurde den lübischen 
Gesandten in ihrer Instruktion nur aufgetragen, die vor- 
handenen Jiisiifienhändel nach Recht, Gewohnheit, üblichem 
Brauch und Herkommen der Lande zu verrichten.*) Eine 
vorherige Bekanntschaft mit den einzelnen Fällen, die zm* 
Entscheidung standen, ist danach nicht anzunehmen. Bald 
wiu*de es jedoch Sitte, die Appellationssachen in den Städten 
vorzubereiten; die Akten wurden dazu vom Amtmann an die 
regierende Stadt geschickt, die sie weiter der anderen mit- 
teilte.^ Zuerst in der lübschen Instruktion von 1581 wurde 
den Gesandten vorgeschrieben, wie die einzelnen Sachen zn 
entscheiden seien; in demselben Jahre wurden zuerst km-ze 
Bemerkungen über die entschiedenen Appellationen in den 
Rezeß aufgenommen, die sich dann in den folgenden Rezessen 
stets finden. Während in Lübeck die Bearbeitung der berge- 
dorfischen rechtshängigen Sachen durch die SjTidici geschah, 
hatte Hamburg diese Arbeit einem Jiuisten, der dafür eine 
jährliche Besoldung empfing, übertragen; erst 1615 entschloß 
es sich, ebenfalls seine Syndici damit zu betrauen.*) Seit 

') Die rein symbolische Bedeutung dieser Handlung geht aus der 
Schilderung einer Gurslacker Suppl. hervor: der Amtmann benutzte 
einen Orth vom Thaler CU Taler), durch dessen Darlegung vorher 
der gegnerische Prokurator prote^stiert hatte, um nach MöUn zu 
appellieren, indem er ihn dem Bergedorfer Bürgermeister vorschob 
(Cursl. an Lüb. 1593 Aug. 24). Das Aufi^'erfen von Denkelpfennigen, 
um den Zeugen ein Ereignis in Erinnerung bleiben zu lassen, wird 
öfter erwähnt. 

^ Instrukt. v. 1571 Okt. 26. 

^ Vergl. S. 272 ff. 

*) Lüb. an Hbg. 1615 April 22: stimmt dem zu, hält aber für unnötig, 
die bisher dem Dr. Stambler gezahlte Besoldung den Syndieis zu 
überweisen, die in Lübeck auch keine besondere Ergötzung für diese 
Arbeit erhielten. 



Das Amt Bergedorf. 303 

dem Anfang des 17. Jahrhunderts pflegten die Städte sich 
sogar ihre Meinung über die Appellationssachen vorher zu 
übersenden.^) So wurde das Gericht vor der Zingel allmählich 
nur die Verkündigung der von den Juristen beider Städte 
wohl vorbereiteten Urteile. Diese wurden publiziert, indem 
der Sekretär der regierenden Stadt sie vor der Zingel verlas.*) 

An und für sich waren der Appellation bis vor das 
Gericht beider Städte keine Schranken gezogen, doch wurden 
ganz geringfügige Sachen wohl zurückgewiesen.*) Mit dem 
Urteil der Städte aber, an deren Unparteilichkeit nicht zu 
zweifeln war, gab man sich fast immer zufrieden. Möglich 
war indes für Streitsachen, die den vorgeschriebenen Appella- 
tionswert hatten, noch die Berufung an eine vierte Instanz, 
das Reichskammergericht. Und sie kam auch vor,*) doch 
zogen sich die Prozesse dann durch Jahrzehnte hin. 

Ganz im Gegensatz zu dieser Verschleppung, die bei 
der Zivilrechtspflege möglich war, stand das schleunige Ver- 
fahren im Strafprozeß. Wurde ein Mörder auf handhafter 
Tat ertappt, so war es denkbar, daß er schon am folgenden 
Tage rechtsförmlich verurteilt und hingerichtet wurde. 

Von den eigentlichen peinlichen Gerichten ist zunächst 
zu scheiden das Fahrrecht oder Goding,*) das über jeden 
Entleibten in rechtsförmlicher Weise gehalten wurde, mochte 
er nun in offener Tat gemordet oder innerhalb der Fahrtage 
an einer ihm beigebrachten Fahrwunde gestorben oder mit 
dem Zeichen eines gewaltsamen Endes tot aufgefunden sein. 
Das Eintreten eines solchen Ereignisses bewirkte, daß am 



*) Zuerst im Schreiben Bhgs, an Lüb. v. 1605 Aug. 27. 

^ Dies Recht machte Lübeck 1605 den Hamburgern streitig; da damals 

keiner nachgab, konnten die fertigen Urteile erst auf der nächsten 

Visitation 1607 durch Hamburg publiziert werden. 
^ Im Vis.-Prot. v. 1596 heißt es: ztoei geringschätzige Sachen, eine 

Hand voll Hopfen und ein Schwein betreffend ist propter causae 

tenuitatem zur Vergleichung verwiesen, dum praetor modicum non curet 
*) Aus der Zeit vor 1620 gibt es zwei Fälle, einen Streit um eine Hufe 

und eine Erbschaftssache. Ersterer wurde von Auswärtigen erhoben. 

Häufig dagegen waren Prozesse der Städte mit Auswärtigen über 

Hoheitsrechte im Amt. 
^) Diese Unterscheidung vermißt man bei Klefeker S. 323. 



304 Hans Kellinghusen, 

Tage darauf das Fahrrecht gehalten wurde, zunächst der Tat, 
nicht des Täters wegen. Es brauchte dabei die Person 
weder des Täters noch des Toten bekannt zu sein. Ent- 
sprechend den uralten Formen seiner Hegung wurde das 
Goding in den Vierlanden auf dem Kirchhof, in Bergedorf 
auf offener Straße abgehalten, wovon es hier auch Straßen- 
recht hieß.*) Kläger war neben des Entleibten Freundschaft 
die königliche Gewalt, in deren Namen der herrschaftliche 
Vorsprache auftrat. Auf seinen Antrag foi-derte der Land- 
vogt, in Bergedorf der Bürgermeister, den bekannten oder 
unbekannten Täter zu dreien Malen auf, vor diesem Gericht 
zu erscheinen. Erschien der Geforderte nicht, so wurde der 
Tote auf Begehr seiner Freundschaft vom Vorsprachen mit 
aufgehobenem bloßen Schwert, das ihm dazu vom Vog^ zu- 
gestellt war, und mit folgenden Worten dreimal beschrieen: 
tfw Jodt uth tiber diesen morder, der diesen mordt begangen 
und diesen man vom lebende ziim thode gebracht, und tho Jodt 
uth über alle die Jennigen, die hir tJio raeth und daett gegdten 
habefu Daran schloß sich die Friedloslegung des Täters und 
aller, die ihn hausen oder hegen wi'u*den, wieder zu drei Malen. 
Durch ein letztes Urteil wiu*de schließlich gestattet, den 
Leichnam christlich zur Erde zu bestätigen.*) 

Das war der gewöhnliche Verlauf des Fahrgerichts, 
auch wenn der Beklagte durch seinen Vorsprachen seine 
Schuld leugnen oder die Tat als Ungefährwerk hinstellen 
ließ. Das zu beweisen, stand ihm in dem peinlichen Gericht 
frei, das über sechs Wochen nach der Friedloslegung statt- 
finden sollte.^ Nur einmal, als der an einer Verwundung 



*) Erhalten sind Protokolle über Godinge in Bergedorf von 1595 Dez. 21, 
1598 Jan. 27, 1601 Mai 4, 1611 April 20, in Neuenganmie von 1611 
Jan. 29 (gedr. Klefeker S. 359 fif.), in Kirchwärder von 1601 Mai 29, 
in Altengammc von 1601 Sept. 23, Kurze Eintragungen über Abhaltung 
eines Fahrrechts finden sich wiederholt in den Klagebüchem. 

^ Ähnlich das Fahrgericht in Lübeck, Hamburg, Holstein, dem Land 
Hadeln, in Bremen und Verden usw., vergl. PETERSEN, Zioter oder 
Jiodute (Forschungen zur deutschen Geschichte VI, S. 256 ff.). Der 
Vorsprache erhielt nach lübschen Recht (II, 215) für die Beschreiung 
2 ß (Hach, Das alte lübische Recht, S. 359). 

■^ Bergedorfer Protokoll von 1611. 



Das Amt Bergedorf. 305 

Gestorbene sich vor seinem Tode mit dem Täter vertragen 
hatte, erkannten die Landleute, trotzdem sie zweimal vom 
Amtmann in die Findung geschickt wurden, daß die Tat 
unversehens geschehen, daher Friedloslegung und Beschreiung 
zu unterlassen seien.*) Bemerkenswert ist, daß sowohl das 
Gerüfte als die Friedloslegung oder Verfestung*) sich nur in 
dieser Verbindung erhalten haben. 

Während diese feierlichen Totengerichte ganz in den über- 
lieferten Formen aufgingen, bildeten die peinlichen Not- oder 
Halsgerichte, in denen hauptsächlich über Mord, Diebstahl und 
Zauberei geurteilt wurde, zuerst ein inquisitorisches Verfahren 
aus. Denn der eigentlichen Gerichtshandlung, deren Zweck die 
Urteilsfindung war, gingen, wie bisweilen auch in bürgerlichen 
Sachen, außergerichtliche Verhöre des oder der Beklagten 
voraus, die im Zwinger des Schlosses in Haft gehalten wurden.*) 
In Gegenwart des Hauptmanns, des ehrsamen Rats zu Berge- 
dorf und des Hausvogts wurden sie gütlich und unter Beihilfe 
des aus Hamburg geholten Frohns peinlich verhört und ihre 
Aussagen in der sog. Urgicht zu Protokoll gegeben.*) 

Dann erst trat das peinliche Gericht unter Vorsitz des 
Amtmanns und des Rats meistens beim Kak in Bergedorf 
zusammen.*) Auf Grund der vom herrschaftlichen. Fürsprecher 

Zufällig gerade in dem gedr. N.-G. Prot. ; dagegen in den Eintragungen 
der Klagebacher ist immer die erfolgte Friedloslegung verzeichnet. 

^ In Bergedorf herrscht nach lübschem Recht der Ausdruck friedlos 
legen; im sächsischen Bechtsgebiet wird yerfesten gebraucht, Frrns- 
DORFF, Hansische GeschichtsqueUen I, S. XV. 

^ Prot, von 1603 Febr. 1. 

*) Zwei Prot, von 1603, später mehrere. Erbetung des Frohns zu pein- 
lichem Verhör wegen eines Diebstahls schon 1557 Mai 23 (v. Holte anHbg.). 

*) Kak = Pranger. Vogeler schreibt an Hbg. 1582 Juli 6: und alhir 
gewänlich in Criminal sacken der amptmann und radt tzu Bergerdarff 
das gerichte besietzen und die burger uff gehörte dag und antwort 
erkennen und urtheil feilen. Das Gericht fand wohl meistens in 
Bergedorf statt, weil hier die Beklagten gefangen gehalten wurden. 
Darin den Best eines Hochgerichts für das gesamte Amt zu sehen, 
ist deswegen nicht angängig, weil nur den Bürgern von Bergedorf 
die Urteilsfindung zustand. Außerdem ist bezeugt, daß 1599 jemand 
im zu Kirchwärder gehegten Landrecht wegen begangener Missetat 
von den Landleuten zum Schwert verurteilt wurde (Grantzin an die 
Gerichtsherren in Hbg. 1599 Juli 16). 



306 Hans Kellinghusen, 

verlesenen Urgicht, zu der sich der Beklagte durch seinen 
Fürsprecher äußern durfte, wurde von den Bürgern das 
Urteil gefunden. Ihre Strafen lauteten auf Tod in ver- 
schiedener Form oder auf Landesverweisung/) der bei ehr- 
losen Handlungen wohl eine Schaustellung am Pranger vor- 
herging. Gefängnisstrafen gab es noch nicht. Da eine Be- 
rufung gegen das Urteil unmöglich war, folgte sofort die 
Vollstreckung (die Rechtfertigung);*) in zweifelhaften Fällen 
pflegte man im Urteil der Obrigkeit die Begnadigung anheim- 
zustellen und dazu die Vollstreckung 14 Tage aufzuschieben, 
um sich inzwischen durch die regierende Stadt belehren zu 
lassen. *) Ein Fall, ersichtlich aber eine Ausnahme, ist mis 
auch überliefert, in dem das Volksgericht vollkommen ver- 
sagte: die Bürger überwiesen die Sache an die beid^ 
Städte, die darüber auf der Visitation entschieden.*) Be- 
merkenswert ist, daß noch 1619 die Wasserprobe vor- 
genommen wurde.*) 

Die Rechtsquelle, aus der das Volk seine Urteile schöpfte, 
war für die Vierlande das in den Akten öfter erwähnte alte 
Landrecht, ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, das 
mit dem Sachsenrecht nicht identisch war.*) Von einer Be- 
nutzung des Sachsenspiegels als Rechtsquelle') ist in dieser 
Zeit keine Rede. Zu den Grundsätzen des Landrechts gehörte, 
daß ein jeder nur in dem Gericht, in dem er ansässig war, 
beklagt werden konnte; daran war auch der Amtmann ge- 



Die Landesverweisung ist eine Strafe gegen den anwesenden, die 
Friedloslegung ein Kontumazialurteil gegen den abwesenden Ange- 
klagten, Frensdorff, Hans. Geschichtsquellen I, S. XXIV. 

') Vogeler an Hbg. 1582 Juli 6. 

^ Urteile von 1582 Juli 20, 1603 August 9. 

*) Urteil Bergedorfs von 1611 Juli 24, der Städte von 1611 Okt 11. 
Die Friedloslegung des Täters, dessen Schuld aber nicht feststand, 
am 20. April 1611. 

*) Finder, Die Vierlande, S. 40. 

^ Bei einer Appellationssaehe wird festgestellt, daß für diesen Fall d» 
alte Landrecht und das sächsische Recht gleiche Bestimmun^n hitta 
(lübsche Instr. 1581 Sept.). 

"^ Was man aus FINDER S. 32 herauslesen könnte. 



Das Amt Bergedorf. 307 

bunden.^) Ebenso durfte niemand, der in den Vierlanden zu 
Erbe und eigenem Haus gesessen war, von ihm ins Gefängnis 
geworfen, noch gefangen oder gebunden werden.*) Überhaupt 
konnte der Amtmann zwar Gebote bei Strafe bis zu 60 ^ 
erlassen, aber die im Lande Seßhaftigen, die die Strafzahlung 
verweigerten, nicht pfänden, bevor er sie wegen des Gebotes 
mit Urteil und Recht ilberumnden hatte, d. h. bevor ihnen nicht 
die Strafe durch gerichtliches Urteil der Eingesessenen selbst 
zuerkannt war.') Zu einer Aufzeichnung dieses Gewohnheits- 
rechts, die im benachbarten Billwärder schon um 1400 er- 
folgte,*) ist es nicht gekommen, durch die einzelnen in den Ge- 
richten gefundenen Weistümer lebte und entwickelte es sich fort. 
In Bergedorf galt, wie bereits mehrfach erwähnt wurde, 
seit 1275 lübisches Recht. Doch bildete auch dieses sich 



Lüb. an Bhg. 1592 Ang. 18: Der Amtmann hatte einen Curslacker 
Hufner in Bergedorf verklagt, so daß die Sache in prima et secunda 
instantia (Mölln) vor fremde Gerichte gezogen war. Daher soU aUes, 
als an sich nichtig, kassiert und dem Amtmann auferlegt werden, 
tcofem er den Sievert Timm worum zu besprechen hat, solche Klage 
coram ordinario et competenti iudice anzustellen, Vergl. Sachsen- 
spiegel m, 25 § 2. 

*) Cursl. Suppl. an Lüb. 1593 Aug. 24: Sievert Timm war vom Amt- 
mann 18 Tage ins Gefängnis geworfen, als ob er ein Schelm, Dieb 
oder Mörder wäre (er war des Ehebruchs bezichtigt) unde is ock 
wedder unse olde wolgehrachte landtrecht, dat men ticmannt schal in 
gefencknisse warpen, fei weninger fangen effte binden late, de dar 
tho arve unde egen huß geseten is. 

Ähnlich heißt es im Vertrage der Bergedorfer mit dem Amtmann 
von 1568: In Bürgerlichen Sachen soll niemand, der da pfandbar ist 
oder Bürgen aufzubringen hat, ohne vorhergegangene rechtliche Er- 
kenntnis in Haftung und Verstrickung genommen werden, alle pein- 
lichen Sachen ausbeschieden, 

') Als die Curslacker sich 1603 weigerten, eine Umlage für die Kirche 
in der geforderten Höhe zu entrichten, hatte der Amtmann wider 
Landesgebrauch, ohne den rechtlichen Austrag der Sache abzuwarten, 
neun Pferde von den Pflügen pfänden und später noch elf Landleute 
Einlager halten lassen. Ein Notrecht, das die Lande ihm anboten, 
wollte er nicht annehmen. Als die Lande sich beschwerdeführend an 
den Lübecker Kat wandten, forderte dieser Hamburg auf, dem Amt- 
mann in seinen Unfug gebührlich einzureden (Suppl. an Lüb. 1603' 
Sept. 8 u. 24; Brandt an Hbg. 1603 Dez. 7). 

*) Hrsg. V. Lappenbebg, Hamb. Eechtsaltertümer I, S. 321—344. 



308 Hans Kellinghusen, 

aus dem Volk heraus fort,0 eine Beziehung ai 
des geschriebenen Stadtrechts findet sich niemals. 

Wenn bisher über die Pflege der freiwilligen 
barkeit nichts bemerkt ist, so hat das darin sein 
daß sie an den ordentlichen Gerichten im 16. Ja 
nicht mehr existierte, eine Erscheinung der Verwild 
Kechtspflege, die man auch sonst beobachten kai 
sind wie überall auch in den Vierlanden zimächst 
freiwilligen Gerichtsbarkeit (1237 Auflassung vo 
eigentum, 1306 einer Rente) bezeugt.*) Im 16. Ja 
war sie den Landgerichten völlig entzogen.*) 

Man hat den alten Volksgerichten vorgeworfe 
sich in dieser Zeit überlebt hätten,*) und in der T 
die Vemachlässigimg der freiwilligen Gerichtsbark 
Aber man sollte die Schuld nicht nur bei ihnen su< 
freie Selbstverwaltung paßte nicht mehr in die En 
hinein, die Staat und Recht seit der Reformation 

■ Das war die Hauptsache, nicht die geringe Zahl 

■ richtstage, noch die Schwerfälligkeit des Verfahrens 
das Fehlen der nötigen Schulung bei den Landle 

i'* wiu-de schon betont, daß nicht zweimal, wie man 1 

v^ nahm, sondern vier- bis fünfmal im Jahre Gericht 

'Z. wurde. Im ganzen dauerten die Prozesse nicht 1 

|;;;]lli heute; auch der Formalismus des Verfahrens war i 

die gefundenen Uiteile sind oft und gerade in sc 

Fällen nach Inhalt und Fonn voitrefElich;*) soviel 

waren die Eingesessenen selbst mit ihrer Recht 

zufrieden; nur selten wurde an die Städte'^) und 

einzelt noch weiter appeUicrt. Ein Einfluß des A 



^) Eine solche seltfiame Bürgerfindung aus dem zweiten 

Studtbuch (1554), gedr. v. VOIGT, M. V. H. G. III, 2, S. 9; 
^ Hasse 1,553; m, 118. 
^ Über sonstige Reste, z. B. das Friedebannwirken, werde 

angekündigten Arbeit handeln. 

*) Voigt, ßergedorfer Zeitung v. 25. Sept. 1884; P'INDER S, 

*) Vergl. die bei Voigt (Bgd. Zt. v. 2. Okt. 1884) angeführte 

." i ; *^) Zu jeder Visitation standen durchschnittlich etwa drei g 

']j;ij;-: ",; aus jedem Jahr eine, zur Entscheidung. Man vergleiche i 

^'ü.qi , oben angegebenen Zahlen allein der Bußesachen. 



Das Amt Bergedorf. 309 

den man häufig schon für diese Zeit als den eigentlichen 
Urteilfinder hinstellt, war in legitimer Weise nicht möglich-/) 
im Gegenteil sehen wir wiederholt, daß die Landleute bei 
ihrem Urteil bleiben, wenn er versucht, es zu ändern, indem 
er sie nochmals in die Findung schickt. Bezeichnend ist 
femer, daß einem adeligen Herrn, der den ihm angesetzten 
Gerichtstag in Bergedorf versäumt hatte und gegen das er- 
gangene Urteil beim Amtmann die Appellation anmeldete, 
von diesem geantwortet wurde, er könne für seine Person 
an dem Urteil nichts ändern, auch die Appellation extra- 
judicialiter nicht annehmen, vielmehr müsse sie vor öfEent- 
lichem Gericht gebührend eingebracht werden.*) Die Haupt- 
sache aber war, daß jeder einzelne an der Rechtsprechung 
beteiligt war; daher lebte das Rechtsbewußtsein in ganz 
anderer Weise als heute im Volk. Alles in allem: das freie 
Gericht der Genossen war das beste, solange die Verhältnisse 
einfach lagen, die soziale Differenzierung gering war und 
das Recht und mit ihm die Sitte im Volke lebte und sich 
organisch aus ihm heraus fortentwickelte. 

Aber über dem Volke konsolidierte sich, besonders durch 
die Reformation begünstigt, die Hoheit des Staats; eine feste 
Staatsverwaltung faßte überall die zerstreuten Kräfte zu- 
sammen und trat an die Stelle der genossenschaftlichen Selbst- 
verwaltung. Groß waren die Vorteile für die Entwicklung 
des Ganzen, doch manches Eigentümliche und noch Lebens- 
kräftige wurde dabei zerstört. Ln Verlauf dieses Prozesses 
— und er brachte es mit Notwendigkeit mit sich — wurde 
auch die Rechtsprechung verstaatlicht, nicht plötzlich, ganz 
allmählich ging sie aus den Händen des Volks in die zünftiger 
Juristen über. Die Vorboten dieser Änderung, die erst in 
die Zeit nach 1620 fällt, zeigten sich einmal in der schon 
erwähnten größeren Bedeutimg, die das Gericht beider Städte 
gewann, als sich in ihm eine gelehrte Rechtsprechung aus- 



*) Dem Amtmann Schulte, von dessen übler Verwaltung schon die Rede 
war, wird z. B. als großes Unrecht vorgeworfen, daß er die Urteils- 
leute vorher informiert habe, was sie erkennen soUten. Vis.-Prot. 
1593 Okt. 16. 

^ Orantzin an Heinrich v. Bmel 1599 Aug. 31. 

Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Oesch. Xm. ^ 



310 Hans Kellinghasen, 

bildete, zweitens und im Zusammenhang damit in gesetz- 
geberischen Eingriffen der Obrigkeit in Recht und Sitte des 
Volks, endlich in der erweiterten Tätigkeit des Amtmanns, 
die sich auf die Ordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit 
auszudehnen begann und diese auf dem Umwege über die 
Verwaltung wieder an das ordentliche Gericht zurückführte. 

Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts überließen die 
Städte die Ordnung der innem Amtsangelegenheiten den Be- 
wohnern selbst, solange sie damit fertig werden konnten. In 
nähere Fühlung mit den Untertanen traten die Städte erst, 
seit sie auf den Visitationen ihre Beschwerden entgegen- 
nahmen und verhandelten.') Ganz allmählich bildete sich 
nun eine gesetzgeberische Tätigkeit der Städte aus. 

Sie eriolgte in den Mandaten; das Wort findet sich 
zuerst im Rezeß von 1571.*) Das erste Mandat vom 28. Ok- 
tober 1571 besagte, daß man keinem Fremden, sonst aber 
jedermann sein Gut verkaufen und verpfänden dürfe nach 
üblichem Gebrauch und mit Wissen des Amtmanns. *) Das 
Mandat erging aus politischen und wirtschaftlichen Gründen. 
Hervorgerufen wiu*de es einmal durch ein Bestreben benach- 
barter Landesherren, das in den Jahren vorher wiederholt 
hervorgetreten war, selbst oder durch ihre Untertanen Land 
anzukaufen, um sich die Hoheit darüber anzumaßen, zweitens 
aber wirkte die wirtschaftliche Absicht mit, die ordnungs- 
mäßige Ableistung aller Grundlasten, besonders der Deich- 
pflichten, zu sichern. Dies letztere zeigte sich in dem 1587 
hinzugefügten Anhang, auch keinem Bürger von Lübeck oder 
Hamburg, der nicht selbst Feuer und Rauch im Amt unter- 
halten wollte, Land zu verkaufen.*) Das Bestreben, die wirt- 
schaftliche Leistungsfähigkeit der einzelnen und der Gesamt- 



Siehe S. 271 f. 

^ Art. 4 und 16. 

^ Hbg. an Kerkring 1572 Dez. 8, Antw. Dez 9: verspricht, die Ab- 
schiede der Gesandten beider Städte darüber von den Jahren 68, 71 
und 72 zu halten. In den erhaltenen Akten von 1568 und 72 steht 
nichts über das Mandat. Erneuerung im Rezeß v. 1578 § 2 und öfter. 

*) Hbg. an Lüb. 1587 Okt. 18; Beschluß des Lüb. Rats vom 20. Okt, 
das Mandat am 29. November im Amt zu publizieren. 



Dm Amt Bergedori 311 

heit intakt zu erhalten, geht aus noch zwei anderen Mandaten 
hervor: dem Verbot der Teilung der Bauemerben (1593), dem 
Mandat, nichts mehr von gemeinem Gut zu verkaufen (1590). 

Zur ersten wirklichen Einmischung der Obrigkeit in 
das Volksrecht gab jedoch die Reichsgesetzgebung den 
Anstoß; merkwürdig spät, über ein halbes Jahrhundert nach 
ihrer Entstehung, fanden mehrere wichtige Gesetze Karls V. 
Eingang ins Amt. Es wurde nämlich erst im Jahre 1581 
das allgemeine Kepräsentationsrecht der Erben gemäß den 
Reichsabschieden von 1498, 1521 und 1529 eingeführt, ver- 
anlaßt durch einen Einzelfall, in dem nach den alten Land- 
rechten erkannt, aber zu befürchten war, daß er ans Eammer- 
gericht gescholten würde. Damals wurde sämtlichen Gerichts- 
und Dingsleuten des Amts die neue Konstitution Kaiser 
Karls vorgelesen und ihnen eingeschärft, sich in künftigen 
Fällen danach zu dirigieren und zu verhalten}) In Ergänzung 
dieser Bestimmungen, über deren Auslegung Zweifel ent- 
standen waren, wurde 1594 angeordnet, daß künftig nicht 
nur die Erbgüter, sondern auch Heergewät und Frauengerade 
nach Kaiserrecht vererbt werden sollten.*) 

In dieselbe Zeit erst fällt die Einführung der Carolina. 
Bis ins 16. Jahrhundert konnte in Bergedorf ein Totschlag 
durch einen freundlichen Handel mit den Erben des Er- 
schlagenen vertragen werden.*) Alsdann gelobte die Freund- 
schaft des Ermordeten für sich und ihre Erben, geboren und 
ungeboren, daß sie diese Tat gegen den Täter, der sie dafür 



Vi8.-Instr. und -Prot. 1581 Sept. 18. 

^ Lübsche Instr. 1593 Sept. ; Polizeimandat von 1594, gedr. Elbfeker 
S. 367 £F. Nach obigem sind FINDERS Angaben (S. 32 f.) richtigzu- 
stellen. 

^ Y. Holte an Ditmar Koel 1556 Febr. 24: Ein Bürger in Bergedorf 
hat einen andern erschlagen, des Toten Brüder fordern den Amtmann 
auf, den Mörder nach königlicher Gewalt zu richten, dieser aber sucht 
einen freundlichen Handel und Eontrakt zwischen ihnen herzustellen, 
und im Landrecht wird erkannt, daß der Mörder sich mit den 
Freunden vertragen solle; doch sind die Freunde nicht dazu zu 
bewegen, nur so viel geloben sie, der T&ter möge seine Werungf Hand- 
zerung und Heise tun, wohin es ihm beliebe, aber sich dieses Orts 
enthalten. 



312 Hans Kellinghusen, 

entschädigt hatte, und seine Erben nicht yfern noch ivreken 
und im ergesten nicht gedencken, ock nemands dartho vermögen 
oder kopen wollten. Von beiden Seiten wurden für Inne- 
haltung des Vertrages Bürgen bestellt. Solcher Totschlags- 
sühnen haben sich mehrere erhalten.*) Außer der Ent- 
schädigung an die Erben hatte der Täter nur eine Geldbuße 
an den Amtmann zu entrichten, die 60^, scheinbar noch 
den alten Königsbann, betrug.*) 

Daß diese Geldsühne nicht mehr dem Rechtsempfinden 
der Zeit entsprach, empfand man endlich in Hamburg.*) Von 
hier gingen daher die Versuche zur Beseitigung des Miß- 
braucfies aus, während gewöhnlich Lübeck zu Änderungoi 
im Amt die Initiative ergriff. In die Bestallungsurkunde 
des Hamburger Amtmanns wurde 1578, freilich noch ohne 
Erfolg, die Bestimmung aufgenommen, Kriminalsachen künftig 
nicht mit Odd, sondern am Leibe nach beschriebenem Bedd 
zu strafen. Erst als Hambiu*g 1584 einen Antrag auf der 
Visitation einbrachte und sich die Zustimmung Lübecks 
sicherte, erreichte es 1587 den von nun an befolgten Visi- 
tationsbeschluß, daß freventlidie Totschläger vom Amtmann 
hinfort nicht geleitet, auch nicht an Gelde, sondern nach der 
peinlichen Halsgerichtsordnimg bestraft werden sollten.*) Am 
29. November 1587 wurde dies, als zweites Mandat verbunden 
mit dem erweiterten Güterverkaufsmandat, im Amt publiziert*) 

Nun schritt man auf dem einmal betretenen Wege der 
Fürsorge für die Untertanen rasch weiter. Die seit 1575 
angeordneten geistlichen Visitationen^ brachten arge Miß- 



*) Das Original einer derartigen Gerte vom 7. Febr. 1581 im Hamk 
Staatsarchiv; eine andere von 1565 hat VOIGT, M. V. H. G., nil. 
S. 101, veröffentlicht. 

^ In der Amtsrechnung von 1573 steht unter den Bußen zweiiml: 
wegen eines dodtalages 30 daler (1 T. = 2 -^) ; in derselben Hecbnimf 
büßt jemand wegen eines perdes, so he dodt geworpen 70 daler, (!) 

') In Bülwärder war schon um 1400 auf Mord Todesstrafe gesetit, 
Landrecht Art. 27. 

^ Hbgs. übergebene Artikel 1584 Sept. 29 § 2; Hbg. an Lüb. 1687 
Okt 18. 

•) Protokoll des Lübecker Rats v. 20. Okt. 1587. 

^ Vergl. Abschnitt 5. 



Das Amt Bergedorf. 313 

stände im sittlichen Leben zutage/) daher wurde 1590 
beschlossen, daß der Amtmann wegen der Üppigkeit bei Hoch- 
zeiten und Kindelbieren eine Ordnung machen und den Städten 
ad revidendum zuschicken solle;*) 1593 wurde der Beschluß 
erneuert, überhaupt wollte man gegen Laster und Schande 
einschreiten. Die Frucht dieser Bestrebungen war das am 
31. Januar 1594 erschienene Polizeimandat, das als erstes 
in fonna patenti gedruckt wurde, um von Zeit zu Zeit an 
die Kirchtüren angeschlagen zu werden.*) In bunter Mannig- 
faltigkeit mischte es rechtliche Anordnimgen mit der Rügung 
von Unsitten: Fluchen, Zaubern, Trunkenheit, besonders 
während der Predigt, Ungehorsam gegen die Eltern, Tot- 
schlag, Unzucht, falsches Maß, Komverfälschung, Bettelei, 
Dobbeln und Spielen, Verwandtenheirat wurden verboten, 
schließlich die Verordnung von 1581 über das Erbrecht in 
der schon erwähnten Weise erläutert. 

Die beiden Mandate, das geschriebene von 1587 und 
das gedruckte von 1594, wurden in der Folgezeit halbjähr- 
lich von den Kanzeln abgelesen,*) während die weiteren in 
den Rezessen gegebenen Verordnungen und Ermahnungen 
über Hochzeiten und Kindtaufen, Kleiderunwesen, Spiel und 
anderes bald wieder vergessen wurden. Es erübrigt sich 
daher ein Eingehen auf sie, zumal derartige Luxusgesetze 
überall wiederkehren. Wichtig ist dagegen, daß im Rezeß 
von 1611 das Vormundschaftswesen eine Regelimg erfuhr 
und 1615 auf Grund der Reichsgesetze, nach anfänglichem 
Widerstreben Lübecks, der Vormündereid eingeführt wurde.*) 
Alle diese Verordnungen griffen mehr oder minder in die 
bisherige Autonomie des Volkes ein, im ganzen ließen sie 
den Polizeistaat des 18. Jahrhunderts ahnen. 

Der Übergang in eine neue Zeit zeigt sich schließlich 
in der mehr und mehi- aufkommenden Tätigkeit des Amt- 



Finder S. 29 ff. 

^ Rezeß V. 1590 § 7. 

') Gedr. Klefeker S. 364 ff. Origmaldrucke sind nicht erhalten. 

*) Pasche an die Pastoren 1608 Dez. 16, Lüh. an Esich 1615 Fehr. 11, 

Antw. März 11. 
^) Rezeß V. 1611 § 2 ; 1614 § 24 ; Hbg. an Lüb. 1615 März 10, Antw. April 29. 



314 Hans Kellinghiuen, 

manns auf dem Gebiet der freiwilligen Grerichtsbarkeit, die 
die Gerichte völlig vernachlässigten. Vorangegangen war 
ihm hierin schon früh der Rat von Bergedorf durch die An- 
lage eines Stadtbuches (höh des blekes) im Jahre 1437,^ in 
dem alle vor dem Rat vollzogenen Rechtsakte, hauptsächlich 
Verpfändungen und Übertragungen von städtischem ESgentom, 
verzeichnet wurden. Die Eintragung erfolgte ursprünglich 
nur wegen des Beweises,*) eine rechtliche Verpflichtung, 
bestimmte Rechtsgeschäfte vor dem Rat abzuschließen, bestand 
nicht. Daraus erklärt sich die geringe Zahl der Au&eich- 
nungen sowie ihre völlige Formlosigkeit, die namentlich im 
ersten Stadtbuch hervortritt.*) 

Offenbar erst sehr viel später bildete sich eine dem- 
entsprechende Tätigkeit des Amtmanns aus. Die Möglichkeit^ 
sein Zeugnis zur Sicherung rechtlicher Akte hinzuzuziehen, 
war freilich, nachdem einmal ihre Gerichtlichkeit beseitigt 
war, immer gegeben, scheint aber selten benutzt zu sein. 
Eine weitergreifende und regelmäßige Tätigkeit von Amts 
wegen war überhaupt erst möglich, seitdem Amtsbücher ott 
Aufzeichnung von Rechtsgeschäften angelegt wurden. Der 
erste, der das tat, war wohl Christofifer Thode. Von ihm 
wird mehrfach ein Protucol bock erwähnt, das er bei seinem 
Amtsantritt 1560 dem hme und ampte Bergerdorpe thotn besteig 
anrichten ließ.*) Die nachfolgenden Amtmänner behielten den 
Gebrauch bei, ein Amtsbuch anzulegen, in das alle wissen^ 
werten Amtssachen aus ihrer Regierungszeit aufgenommen 
wurden.'^) Erhalten ist nur das Borchbiich (Burgbuch) Johann 
. Schultes (1590—96). Sein Inhalt zeigt deutlich, daß die 



*) Bergedorfs ältestes Stadtbuch 1437—95, von mir hrg. 1906. Über 
Stadtbücher vergl. Stobbe, Privatr. I § 67. 

2) Stobbe I, S. 640. 

^ Vergl. Stadtbuch S. 20. 

*) Erhalten nur der Extrakt über das Bergedorfer Barbieramt, s. a 
S. 216 n. 2 ; das Protokollbuch enthielt auch landgerichtüclie ürteflfi, 
war 1605 noch erhalten; das damalige AmtsprotokoU (S. 2) xiticft 
zwei Urteile aus dem Amtsprotokoll von 1560 und 1561. 

*) 1578 wird eine Verpfändung, die im Amtbuch bei Zeiten Johta» 
Mollers (1566 — 72) gehalten aufgezeichnet sei, erwähnt (Kerkring ai 
Lüb. 1578 Dez. 6). 



Das Amt Bergedorf. 315 

Untertanen noch nicht gewohnt waren, Verpfändungen und 
Eigentumsübertragungen vor dem Amt vorzunehmen, nur 
ganz vereinzelt kommen solche Rechtsgeschäfte vor. Dagegen 
brauchte man die Unterstützung des Amts in Schuldsachen, 
den Hauptinhalt des Borchbuches bilden WilOmre, d. h. Ver- 
pflichtungen von Schuldnern vor dem Amtmann, ihre Gläubiger 
innerhalb bestimmter Frist bei Strafe^) zu befriedigen. Durch 
diese Einrichtung wurden Klagen um Schuld möglichst ver- 
mieden. 

Aber die Verwilderung gerade in den wichtigsten Akten 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit war auf die Dauer unhaltbar. 
Wo das Gericht versagte, mußte das Amt eingreifen. Schon 
1571 hatten die Städte angeordnet, daß Besitzveränderungen 
nur mit Vorwissen des Amtmanns geschehen sollten,*) ohne 
Erfolg. Vogeler konnte 1579 klagen: Die Leute tragen ihr 
Out auf, ohne dem Amtmann das geringste davon zu sagen, 
da es doch an keinem Ort gestattet ist, der Untertanen Haus, 
Hof und Acker ohne Vorwissen der Obrigkeit zu überlassen.*) 
Doch nichts änderte sich. Erst 1602 wurde im Rezeß be- 
stimmt: da die Landleute bis jetzt ihre Erben in Privat- 
schriften verpfändeten, häufig unter großem Betrug auf das 
Dreifache ihres Wertes, so sollten die Verpfändungen hinfort 
vorm Hauptmann geschehen und ins Amtsbuch oder Protokoll, 
das zu dem Behuf sonderlich gehalten werden solle, ein- 
geschrieben werden, doch solle der Hauptmann nichts dafür 
nehmen, nur dem Amtschreiber ein Schreibgeld von vier 
Schilling etwa entrichtet werden. 1611 hieß es: Jeder Ver- 
kauf , Verpfändung und andere Contract muß vor dem Haupt- 
mann geschehen, 1617: Wenn hinfort Erben verkauft werden, 
soll der Kauf in das Amtsbuch auf dem Hause verzeichnet 
werden, andernfalls der Kauf unverbindlich ist. 

Wurden diese Verordnungen auch durchaus noch nicht 
befolgt, so ist doch eine gewisse Wirkimg unverkennbar. 
Der Charakter des Ambtshichs oder Protocol im Ambt Berger- 

Ich notierte mir als gelobte Strafen zehn Taler, eine Tonne Bier, 

Auspfändung und Einlager. 
Rezeß V. 1571. 
^ Vogeler an Hbg. 1579 Aug. 9. 



316 Hans Kellinghusen, 

torffy das seit 1605 in fortlaufenden Bänden erhalten ist, 
änderte sich allmählich. Blieben auch noch lange Willküre 
der Hauptinhalt, so drangen doch immer steigend andere 
Rechtsgeschäfte ein, namentlich Verpfändungen und Erb- und 
Hauskäufe. Im Jahre 1615 endlich wurde neben dem Amts- 
buch das schon 1602 beschlossene Pfandprotokoll angelegt') 
So war auch auf diesem Gebiete manches zur Vor- 
bereitung geschehen, das Entscheidende, die Wiedereinführung 
gerichtlicher Verlassungen und die Anlage von Grundbücheni 
erfolgte erst nach der Verwaltungsänderung. 

3. Kriegswesen und Herrendienste. 

Friedens- und Rechtsschutz nach innen und außen, das 
waren die ältesten und lange Zeit die einzigen Angaben des 
Staats. Aber wie die Untertanen das Gericht unter der 
rechtschützenden Hand des Staates selbst verwalteten, so 
unterstützten sie auch bei der Verteidigung, soweit das zweck- 
mäßig war, die Herrschaft durch persönliche Dienste; Landwehr 
und Burgwerk waren altbekannte Pflichten. Doch gerade 
das Kriegswesen führte schon früh zu einer so komplizierten 
Entwicklung, daß hier zuerst das Prinzip der Arbeitsteilung 
über das der Beteiligung der Gesamtheit an den öffentlichen 
Angelegenheiten siegte. Das Amt Bergedorf machte keine 
Ausnahme. Darum waren der Bau und Unterhalt der beiden 
Burgen Bergedorf und Ripenburg sowie die Sicherung des 
Amts vor feindlichen Angriffen und Diu*chzügen unzweifelhaft 
die Aufgaben, die sich die Städte bis tief in das 16. Jahr- 
hundert hinein am meisten angelegen sein ließen. 

Schon der Vergleich von 1422 bestimmte, daß die Städte 
notwendige Bauten oder Verbesserungen an den Schlössern 
auf gemeinsame Kosten ausführen lassen sollten,*) und danach 
ist in aller Folgezeit verfahren. Für die Ripenburg wendete 
Hamburg gleich 1420 376®^ (etwa 25 000Mk.) auf, aber 
ofEenbar legte man auf ihre Unterhaltung wenig Wert, in 
den Jahren 1465 — 71 wurden zuletzt für ihren Ausbau 1680^ 



Ein Band 1615—20. 
' Lüb. U. B. VI, 434. 



I 



i 



Das Amt Bergedorf. 317 

(ca. 50 000 Mk.) ausgegeben, seitdem geschah nichts Bedeu- 
tendes mehr, 1512 wurde sie wegen Baufälligkeit niedergelegt.^) 
Die Höhe der Aufwendungen beider Städte für das 
Haus Bergedorf läßt sich aus der Rubrik ad structuram 
Bergherdorp der erhaltenen Hamburger Kämmereirechnungen 
genau feststellen, den besten Überblick wird eine Zusammen- 
stellung nach den Verwaltungsperioden ergeben:*) 

1464 bis 70: 5011 -^ 1524 bis 30: 485 ^ 

1470 „ 76: 3020 „ 1530 „ 36: 1614 „ 

1476 „ 82: 1139 „ 1536 „ 42: 1912 „ 

1482 „ 88: 1272 „ 1542 „ 48: 2223 „ 

1488 „ 94: 462 „ 1548 „54: ? „ 

1494 „ 1500: 1987 „ 1554 „ 60: 1629 „ 

Die 1464 — 76 ausgegebene Summe entspricht heutigen 250000 
Mark. Seitdem wurde nur das für Verteidigung und Wirt- 
schaftsbetrieb unumgänglich Nötige angeschafft, an Neubauten 
werden nur ein Blockhaus (1478) und ein Turm (1486) erwähnt. 
Auch hier zeitigte das 16. Jahrhundert eine Periode der 
Vernachlässigung der Verwaltung. 

Das Haus geriet infolgedessen je länger, je mehr in 
«inen jämmerlichen Zustand. 1553 schrieb der Amtmann an 
die Städte: Ihr wißt, daß im Hause die Mauer sich getrennt 
hat, auch der Giebel über meiner Kammer sich in kurzem 
voneinander geben wird, und als 1554 ein Überfall Herzog 
Heinrichs von Braunschweig drohte: Ich habe sofort die 
Mauern von dem blauen Gange bis an die banniten (?) mit 
13 oder 14 Stützen stützen lassen. Die Mauer hinter dem 
Backhaus ist einen Fuß auseinandergegangen und wan J. Erb. W. 
nicht anders dartho dhon wolden, mochte gi fehl lever Ovulen, 
dat idt hir vor ein Ittsthuss stede, alse dat dar ein whall 
tüimme gheitt. Und daran knüpfte er die zu Herzen gehende 



Koppmann, K&mm. Rechn. n, S. 35. Vergl. S. 227. 

*) Die Pfundw&hnmg der Hechnungen ist in die MarkwÄhrung umge- 
rechnet, Bruchteile von Mark sind ausgelassen, um die Übersicht zu 
erleichtem. Zu dem hamburgischen ist der lübsche Anteil hinzuge- 
rechnet, unter Berücksichtigung dessen, was sich als von Lübeck auf 
hamburgische Auslagen zurückgezahlt in den Rechnungen findet 



318 Hans Kellinghnsen, 

Mahnung: Leven Jieren, gi weiden Iw up de van Liiphe vor- 
lathen, und de van LtipJce vorleilien sich up Iw, daracer seihe 
ick twisschen twen stolen dahl}) Mehrfach waren die Vorteile 
des Kondominiums hervorzuheben, mit knapperen Worten 
konnte man seine Nachteile nicht schildern. 

Der Verfall des Hauses ging weiter; 1571 war ein 
großer Teil der alten Mauer eingefallen und der Graben fast 
ganz damit gefüllt; die Städte erkannten endlich selbst, daß 
es ihnen schimpflich und schädlich sei, das Haus dergestalt 
in Grund verfallen zu lassen. Für die Erneuerung stellte 
Lübeck folgende Grundsätze auf: Das Haus als Festung auf- 
zurichten widerspricht der natürlichen Lage und die Unter- 
haltung macht dann große Unkosten. Doch ist es auch nicht 
gut, es ganz abzuschaffen, zu schleifen und zu verwüsten. 
Die Hauptleute müssen dort sicher und vor einem plötzlichen 
Überfall befriedigt wohnen. Deswegen ist das Gebäude als 
ein verwahrter Edelmannshof anzustellen.*) Demzufolge wurde 
im Rezeß vorgeschlagen, den Wall zu schleifen und damit 
den äußersten Graben zu füllen, im übrigen die Geb&ude 
gründlich zu erneuern.') Aber nirgends zeigte sich so deut- 
lich wie hier die ungeheure Schwerfälligkeit der gemeinsamen 
Verwaltung. In deren Erkenntnis hatte Johann Moller ohne 
ausdrückliche Zustimmung der Städte schon 1567/68 ein 
neues Gebäude mit 6000 -^ Kosten (ca. 60000 Mark) aufrichten 
lassen, um wenigstens eine feste Wohnstätte zu haben. Die 
Bezahlung dieser Summe spielt in den Verhandlungen der 
folgenden Jahre eine Hauptrolle, im übrigen geschah noch nichte. 

1583 stellte man wieder fest, daß die mangelhaften 
Gebäude einer geringen Reparatur bedürften, damit sie nicht 
gänzlich einfielen (!)/) Und endlich unter Franz von Stiten 
(1584 — 90) schritt man zu größeren Neubauten. Das Mittel- 
gebäude, dessen Einsturz zu befürchten war, wurde ganz 
abgetragen, und der Neubau nach den Plänen der städtischen 
Baumeister an Zimmer- und Mauerleute kontraktlich über- 



') V. Elthen an Lüb. 1553 März 16; au Hbg. 1554 April 25, 26. 
^ Moller an Hbg. 1571 Mai 24, Lübsche Instr. 1571 Okt. 26 § 2. 
*) Im Rezeß 1571 ad ref. angenommen. 
*) Lübsche Instr. 1583 Aug. 24, Rezeß § 3. 



Das Amt Bergedorf. 319 

tragen. Die Untertanen wurden, wie ausdrücklich hervor- 
gehoben wurde, zu den ihnen dabei wohl gebührenden Diensten 
nicht herangezogen.^) Mit einem Aufwand von 15 980 -^ 
(etwa 125 000 Mark) wurde das neue große Haus aufgeführt, 
weiteres geschah auch damals noch nicht. Erst 1610 erfolgte 
wieder ein gründlicher Neubau des Wohnhauses oder Ritter- 
saals, von dem eine in das Schloßtor eingelassene Tafel noch 
heute Kunde gibt.*) 

Zur kriegsmäßigen Instandhaltung der Schlösser gehörte 
ihre Ausrüstung mit den nötigen Verteidigungswerkzeugen. 
Einiges wurde auf gemeinsame Kosten der Städte ange- 
schafft,*) das meiste aus dem Arsenal der verwaltenden Stadt 
geliefert und im 15. Jahrhundert bei der Umwechselung der 
Ämter von einer Burg zur andern mitgenommen.*) Nach der 
Niederlegung der Ripenburg scheint es durcheinander gekommen 
zu sein. Denn 1556 wurde von Hamburg vorgeschlagen und 
von Lübeck angenommen, das Geschütz auf dem Haus zu 
teilen, damit jeder sein Teil in sein Gewahrsam bringe.*) 
Künftig achtete man auf eine gleiche Verteilung der Lasten.*) 
Nach einem von Jürgen v. Holte bei seinem Amtsantritt 1554 
aufgenommenen Inventar waren damals vorhanden (verteilt 
im Zwinger, im langen Hause, über der Kapelle, unter der 
Banitzen, im Zwinger hinter dem Stall, auf dem langen und 
auf dem kurzen Wall, auf dem Blauen Turm und im Wald- 
graf entum): 8 Büchsen, klein und groß, 8 Steinbüchsen (Ge- 
schütze, aus denen Steine geschossen wurden), 6 Stücke, 
5 gegossene Stücke, davon 3 mit dem Mörser, 2 halbe Schlangen 
(Geschütze mit langem Rohr), 20 Scherpentiner (Feldschlangen), 
30 Haken (schwere Feuergewehre), 6 doppelte Haken, 12 halbe 



Lübsche Instr. 1587 Okt. 4, Rezeß § 2, Hbg. an Ltib. 1588 Dez. 21, 
Kontrakte mit dem Zimmenneister Hans y. Rode 1588 Aug. 29 und 
Mauenneister Peter Dames 1588 Aug. 22 im Orig. zu Lübeck. 

*) Pasche an Visit. 1614 Sept. 

^ 1474 zwei Bombarden im Werte von 107 und 92 -^ mit 277 großen 
Steinen, Kämm. Rechn. m, S. 162. 

*) Lüb. U. B. rX, 143; Brekewold an Lüb. 1464 Sept. 4. 

») Lüb. an Hbg. 1556 Mai 15. 

«) Rezeß V. 1578 § 10. 



320 Hans Kellinghnsen, 

Haken, 2 Sturmhaken, 1 Gießkelle, 3 kleine Mulden Blei, 
7 Tonnen Kraut. 

Die gewöhnliche Besatzung der Schlösser war nicht 
stark: außer der Dienerschaft in Bergedorf zwölf, in Ripen- 
burg acht wehrhafte Leute. ^) Sobald aber Krieg" oder Über- 
fall drohte und namentlich zum Schutz gegen unbeschäftigte 
plündernd umherziehende Söldnerscharen, die Landplage des 
16. Jahrhunderts, wurden von den Städten Verstärkungen 
geschickt und aufs Haus oder in die Lande gelegt.*) War 
ihre Zahl auch nicht gerade groß, so reichte sie doch aus, 
das Land vor allen Plünderungen bei Söldnerdurchzögen za 
schützen, während die benachbarten herzoglichen Lande oft 
schwer unter dem Gesindel zu leiden hatten. Die Bewachung 
der Elbe durch Schiffe mit Bewaffneten hinderte überdies alle 
umherziehenden Landsknechte, vom jenseitigen Ufer bei Eis- 
lingen überzusetzen. Nur einmal im Jahre 1545 mußten 2O00 
Landsknechte, die vom König von Dänemark angeworben 
w^aren, mehrere Wochen lang im Amt verpflegt werden.*) 

Die Einquartierung war noch keine dem Staat geschuldete 
Naturalleistung. Als 1550 bei Kriegsgefahr 20 Landsknechte 
ins Amt gelegt werden sollten, wurde der Amtmann beauftragt, 
mit den Bürgern in Bergedorf zu handeln, daß sie sie unter 
sich verteilten und eine Zeitlang versorgten. Wären sie 
jedoch nicht dazu zu bewegen, dann müßten die Knechte 
auf Kosten beider Städte besoldet werden.*) 1556 wurde 
den Untersassen ein Kostgeld bewilligt, und als es 1557 
noch nicht bezahlt war, weigerten sie sich, schon wieder 
Knechte aufzunehmen.'^) 



Vergl. S. 249. 

') 6 gute Schützen nach Bergedorf erbeten, Hans Haveman an Lüb. 1436 
Okt. 20; 10 Knechte nach Bgd. gesandt 1457, Lüb. U. B. IX, 466; 
26 Soldaten dorthin 1471, Kämm. Rechn. HI, S. 35; 14 wehrhafte 
Söldner nach Ripenburg erbeten, Lüb. an Hbg. 1474 Dez. 26 ; 20 Mann 
gesandt, v. Hutlem an Hbg. 1532 Sept. 2, Koel an Hbg. 1544 Juni 27; 
60 Mann, darunter wenigstens 2 Büchsenschützen, erbeten, Koel aa 
Hbg. 1547 Febr. 27. 

^ Koel an Hbg. 1545 Okt 6, 9, 24. 

^) Lüb. an Hbg. 1550 März 29. 

*) V. Holte an Hbg. 1557 März 31. 



Das Amt Bergedorf. 321 

Lag SO der Schutz des Amts vor Kriegsgefahren wesent- 
lich in den Händen der Städte, erloschen war die Beteiligung 
der Untertanen keineswegs. In Zeiten der Not wurde noch 
immer die alte Pflicht der Landwehr gefordert. Der Bauer 
in den Landen war wohl von jeher mit Waffen versehen und 
das Heergewät erbte von Geschlecht zu Geschlecht fort. 
Schlechter stand es im Städtchen. Hier waren nach der 
Schilderung des Amtmanns v. Stiten 1454 nur blutarme Leute, 
die keine Were hatten, von denen aber doch wohl jeder sich, 
eine Armbrust und einen Schild anschaffen könnte.^) Hundert 
Jahre später waren im Blecke auch nur 40 bis 50 Leute, die 
man zur Wehr gebrauchen konnte.*) Aber der alte Kriegsheld 
Ditmar Koel gab sich alle Mühe, die Kriegstüchtigkeit seiner 
Untersassen zu heben. Als 1545 plündernde Söldner ins 
Amt zu ziehen drohten und Hamburg befahl, den Untertanen 
anzusagen, daß sie mit Wehr und Rüstung gefaßt sein möchten,, 
da bot er sie sofort ungefähr 800 Mann stark auf und legte 
sie längs der Elbe, wo sie vier Tage Wache halten mußten.*) 
1547 und 1548 berichtet er gar von Heerschauen, die er 
abgehalten habe. Wieder fanden sich die Insassen des Amts 
mit ziemlich guter Wehre, Geschütz und Spießen ein.*) Auch 
1579 wurde, als ein Überfall drohte, in großer Eile alles, was 
in den Vierlanden wehrhaftig war, aufgeboten.*) Eine Vor- 
schrift von 1593 lautete: Da jetzt sehr gefährliche Zeitläufte 
sind, sollen alle Bürger und Einwohner zu Bergedorf, in- 
gleichen die Untertanen in den Vierlanden, besonders die 
Hufner, mit langen Röhren und tüchtigen Gewehren sich ver- 
sorgen.^ Als aber der Amtmann 1601 die Landleute durch 
die Landvögte fragen ließ, ob sie in einem Notfall, wenn er 
sie bitten oder die gewöhnlichen Lose schießen ließe, mit 
ihren Wehren nach Bergedorf kommen würden, konnten die 



') Lüb. ü. B. IX, 445, 466. 

^ Koel an Hbg. 1544 Juni 26. 

^ Hbg. an Koel 1545 Mai 30, Antwort Mai 31, ebenso 1545 Sept. 23, 

1547 Mai 11. 
Koel an Hbg. 1547 März 2, 1548 Apr. 22. 
») Vogeler an Hbg. 1579 Dez. 20. 
^ Rezeß V. 1593 § 13. 



322 Hans Kellinghusen, 

Vögte nur den Bescheid einbringen, daß sie von den auf den 
Kirchhöfen versammelten Landleuten gar keine Antwort be- 
kommen hätten.^) Zur Übung der Untertanen diente das Ab- 
schießen des Papagoyen oder Vogels, das in den einzelnen 
Kirchspielen jährlich um Pfingsten stattfand.*) Zu demselben 
Zwecke wiu-de ihnen die Jagd auf Federwild gegönnt.*) 

Großen Widerstand erregte die Forderung an die Unter- 
tanen, in gefährlichen Zeiten auf den Wällen des Hauses 
Nachtwachen zu leisten, und das unkriegerische Wesen be- 
sonders der Stadtbewohner tritt hier klar zutage. Zwar 
rühmten sie sich wohl, wie sie bereit wären, ihr Leben für 
die Städte in die Schanze zu schlagen, aber die Amtmänner 
dachten anders darüber. Von Elthen meinte 1550: Sollte 
ich Leute aus den Landen zur Nacht auf das Haus fordern, 
würde es großes Geschrei geben. Und 1554 klagte er: 
Gestern konnte ich mit unseren Bürgern kaiun so viel küren, 
daß 10 am Abend auf den Wall kamen. Dat is ein motwiUich 
unde vorzaget folck, tröste mi godt, wan ick mit ohne scholde 
wat uthrichten}) Und die Bergedorfer Gemeinde gestand 1567 
selbst ihre Feigheit ein: zu unserm großen Verderb und zu 
unvermeidlicher Flucht und Wegziehen von dannen wird uns 
zugemutet, dem Hause Bergedorf Nachtwachen zu leisten. 
Trotzdem gelobte sie im Vertrag mit dem Amtmann, sich im 
Falle der Not willig zu erzeigen.*) Der Wert dieser Hilfe 
war jedenfalls sehr geling. 

Neben der Landwehr bestand die alte Pflicht des Burg- 
Werks fort. Die Hufner in den Vierlanden leisteten Spann- 
dienste mit Pferd und Wagen, die Kätner Handdienste. 
Die Bewohner Bergedorfs waren vom Burgv^'erk nicht befreit, 

AmtsprotokoU 1601 Aug. 3 (S. 46). 

2) Rezeß V. 1593 § 13, Bgd. Suppl. an Lüb. 1617 Sept. 8 § 7. In Curslack, 
wo der Vogel am Montag in den Pfingsten geschossen wurde, schlug 
die geistliche Visitation 1578 vor, das Fest auf den Dienstag zu ver- 
legen, um das Predigtamt nicht zu verhindern. 

^ Rezeß V. 1571 Beschwerung der Untertanen § 4; Lüb. an Hbg. 1671 
Nov. 6: es sei nach Gelegenheit zu gönnen, damit es nicht zu gemein 
wird und uns auch was davon bleibt; Rezeß v. 1572 § 11. 

*) V. Elthen an Lüb. 1550 März 9, 1554 April 26. 

*^ Bgd.^ Suppl. an Lüb. 1567 Juni 20, Vertrag § 2. 



Das Amt Bergedorf. 323 

auch sie mußten Handdienste tun. So bestimmte es der Ver- 
trag zwischen Amtmann und Blek aus dem Jahre 1568: Wenn 
zu Notdurft des Hauses nach Ermessen des Hauptmanns oder 
aus Befehl beider Städte gebaut, gegraben, gewallt oder 
gearbeitet wii-d, dann sollen die Bürger und Einwohner im 
Blek, wenn die Ordnung an sie kommen wird, gleich andern 
Untertanen in den Vierlanden getreulich die Arbeit mit der 
Hand leisten. Die Mieter waren gleich ihren Hauswirten 
verpflichtet. 6 ß Strafe traf den, der den angesagten Dienst 
versaß.^) Als es über die Auslegung dieses Vertrages zu 
Mißverständnissen kam, wurde 1575 ausdrücklich hervor- 
gehoben, daß die Bürger nur Handarbeit und Hilfe tun sollten, 
wenn etwas auf dem Haus an Wällen und Graben vorfalle, 
damit unter den Hausleuten (den Vierländer Hufnem) und 
Bürgern ein gebührlicher Unterschied sei.*) 

An das eigentliche Burgwerk hatten sich nämlich im 
Laufe der Zeit andere Hofdienste angeschlossen, deren Ver- 
schiedenheit von den öffentlich rechtlichen Leistungen nicht 
mehr empfunden wurde. Man hob wohl gelegentlich aus den 
Herrendiensten die Dienste zur hohen Burg heraus,*) aber 
praktisch gingen alle Herrenhofdienste ineinander über. 

Aus der Zeit der beiden Ämter war beibehalten, daß 
die Curslacker und Altengammer zur Burg Bergedorf, die 
Neuengammer und Kirchwärder zur Ripenburg dienten. Eine 



») Vertrag 1568 Aug. 18 § 1. 

^ Bat und Gemeine zu Bgd. an Hbg. 1571 Febr. 11: es sei immer 
Gebrauch gewesen, daß die Ligger, Wächter und Diener den Graben 
um das Haus geeist hätten, die armen Einwohner des Blekes seien 
niemals damit beschwert Um Neujahr habe der Hauptmann, weil 
das Eis dicht wurde und böse Zeitung kam, den Bürgermeister ge- 
beten, die Bürger einmal zum Eisen zu bereden, er wolle es auch 
nicht wieder fordern. Aber nach 3 Tagen habe er es schon wieder 
geboten. Bezeß v. 1571 § 6: die Leute sollen über den Vertrag von 
1568 nicht beschwert werden; Nebenabschied § 2: wenn im Winter 
der Hauptmann und sein Volk mit dem Eisen ums Haus nicht fertig 
werden können, sollen die, welche in des Fleckens Graben (im Blick- 
graben) nicht eisen, auf des Hauptmanns Erfordern um das Haus zu 
eisen schuldig sein. Lübsche Instr. 1575 Aug. 6. 

^ Hofdienste zur Hohenburg und zum Haus Bergedorf, Pasche an 
Lüb. 1610 Aug. 31. 



324 Hans Kellinghusen, 

Gegenüberstellung, wie die Lande selbst sie 1602 gaben, 
zeigt, daß dadurch die beiden kleinen Lande bedeutend schwerer 
belastet waren. Die gewöhnlichen Hofdienste der Curslaeker 
und Altengammer waren: 1. die eigentlichen Frondienste: 
Misten und Mähen in der Hofwirtschaft des Amtmanns; 
2. Dienste am Wall und Burggraben (das alte Burgweit), 
dazu an Vorwerk, Scheunen, Kombergen, Höfen und Kom- 
mühlen; 3. Deichdienste an den herrschaftlichen Deichen vor 
der großen Elbe, in der Borghorst und am Brockdeich längs 
des Hauses Bergedorf Land, schließlich gemeinsam mit den 
beiden andern Ländern am Zollenspieker. Dem konnten die 
Neuengammer und Kirchwärder nur gegenüberstellen: 1. Fron- 
und Hofdienst am Vorwerk, Scheunen, Kombergen und Wind- 
mühlen der Ripenburg; 2. Pflügen und Mähen auf dem Ripen- 
burger Acker; 3. die Beihilfe zum Deich am Zollenspieker/) 
Eigentliches Burgwerk gab es für sie seit der Niederlegung der 
Ripenburg nicht mehr, das Amtsland war nur 120 Morgen 
groß. Dem wiederholten Bestreben der beiden kleinen Lande, 
die andern zu ihren Diensten heranzuziehen, gegenüber konnten 
freilich besonders die Kirchwärder mit Recht auf die schwerere 
Arbeit an ihren eigenen Deichen verweisen.*) Die Hofdienste 
wurden nicht nach Morgenzahl geleistet, sondern nach uraltem 
Herkommen regelte sich die Pflicht des einzelnen,^ d. h. jeder 
hatte, wenn der Dienst gefordert wiu-de, eine bestimmte 
Leistung; z. B. kam es vor, daß der eine den Wagen, der 
zweite das Pferd, der dritte den Knecht stellte; denn bei 
Hufenteilungen \\nirden auch die Dienste zerlegt. Der Kätner 
dagegen hatte stets mit seiner Hand gegenwärtig zu sein. 
Der Dienst, der so für jeden einzelnen feststand, wurde 
offenbar nach dem Bedürfnis in einer bestimmten Reihenfolge 
von allen Amtseingesessenen gleichmäßig gefordert;*) der 

*) Beschwerden der Curslaeker und Altengammer, der Neuengammer mid 

der Kirchwärder o. D. (1602). 
^ Weigerung zur Besserung der Bergedorfer Mühle zu helfen, Hbg. ai 

beide Kirchspiele 1539 Mai 6, Beschwerden der Alteng-, und GuzsL 

1550 Juli 22, 1602 (Anm. 1), 1617 Sept. 22. 
*) Pasche an Lüb. 1610 Aug. 31. 
*) Vergl. im Bergedorfer Vertrag 1568 (S. 323): wenn die Ordnung ai 

sie kommt. 



Das Amt Bergedorf. 325 

Hausvogt hatte die Aufsicht, daß niemand übergangen und 
tüchtige Personen, keine Kinder geschickt wurden.^ Von 
dieser gleichmäßigen Pflicht erwirkten sich 1616 die Klein- 
kätner in Kirchwärder, die zu zweien oder dreien in einer 
Kate ohne Land wohnten, 63 an der Zahl, eine Ausnahme: 
sie brauchten nur eine Reise um die andere dem Hause 
Bergedorf mit der Hand zu arbeiten.*) 

Der Amtmann war verpflichtet, den Dienstleistenden 
Kost und Bier zu verabreichen — als Mahlzeit wurden 1571 
zwei Wecken, ein Hering oder ein Käse oder ein Stück Speck 
festgesetzt*) — , durfte aber für jeden Dienst 1 ß Entschädigung 
aus der Amtskasse erheben. Das gab Veranlassung zur 
Führung von Handdienstregistem. Aus ihnen und den Amts- 
rechnungen läßt sich die Höhe der dem Haus Bergedorf ge- 
leisteten Handdienste feststellen: 

1568 Dez. 8 bis 1569 Febr. 26: 781 Handdienste 

1569 Nov. 23 „ 1571 Dez. 21 : 7465 „ jährUch 3600 
1572 Neuj. „ Mich. 1398 „ \ 

1572 Mich. „ 1573 Ostern 1473 „ ) " 

1574 Ostern „ Mich. 1750 „ „ 3500 

1589 Ostern „ 1590 Ostern 2857 „ „ 2850 

1601 Mich. „ 1602 Mich. 2760 „ „ 2750 

Die Handdienste verteilen sich vornehmlich auf Bergedorf, 
Curslack und Altengamme, die 1570 zusammen etwa 300 Haus- 
haltungen hatten. Das ergibt für den einzelnen 8 — 10 Tage 
Dienst jährlich. Zu dem Resultat stimmt, daß einem Alten- 
gammer Hufner, dessen durch Deicheinbruch geschädigte Hufe 
den vollen Hofdienst nicht tragen konnte, dieser auf vier 
Tage nacheinander im Jahr ermäßigt wurde.*) Die Dienste 
waren nicht drückend, zumal für den Hufner, der ein Gespann 
abgebend noch genügend Kräfte für die eigene Wirtschaft 

Vergl. S. 256. 

') Landgerichtliches Urteil vom 14. Juni 1616; im Amtehuch (S. 115) 
eingetragen 1618 Aug. 19. Dieser dem Haus Bergedorf geleistete 
Dienst kann sich nach obigem nur auf den Deich am Zollenspieker 
beziehen. 

3) Kezeß V. 1571. 

*) AmtsprotokoU 1610 Febr. 26 (S. 210). 

2t8chr. d. Vereins f. Hamb. (}e8ch. Xm. *^ 



326 Hans Kellinghiueiif 

behielt. Man vergleiche damit die 104 Spann- und Hand- 
tage, die die grundherrlichen Meier und K&tner im Lflne- 
burgischen leisten mußten.') Hinzu kommt, daß die eigent- 
lichen Frondienste nur einen ganz kleinen Teil der Dienste 
ausmachten, während das Burgwerk und die Arbeit an den 
herrschaftlichen Deichen*) eine direkte Beteiligung der Unter- 
tanen an der Verwaltung bezeichnete, die heute durch Steuern 
ersetzt ist. 

Gelegentlich verzichtete man schon damals auf die Dienste 
der Untertanen: so beim Neubau des Hauses 1584 (s. o.\ 
Eine besondere Bemerkung verdient der Holzfuhrdienst, der 
bereits 1593 von einer Naturallast in eine Greldzahlung vct- 
wandelt wurde, zwar nicht aus wirtschaftlichen Gründen, 
sondern weil der Holzbestand im Amt erschöpft war. Das 
Haus verbrauchte jährlich in der Küche 120 Faden,*) an den 
übrigen 14 FeuerstMten auch 120 Faden, zum Backen und 
Brauen 64 Faden Eichenholz, außerdem für die Darre, an! 
der das Malz getrocknet wurde, 8 Faden gutes Buchenholz.^ 
Das Holz war ursprünglich aus dem den St&dten zur Hälfte 
gehörenden Sachsenwald, seitdem die Lauenburger Herzögt 
seine Benutzimg verhinderten, aus den Holzungen des Amts, 
namentlich dem Vaßmerstal am Gojenberg, genonunen; seine 
Zufuhr oblag den Curelackem und Altengammem als Hof- 
dienst. Nach dem Register von 1570 mußten in Altengamme 
22 Fahrer 240 Fuder, in Curslack 26 Fahrer 452 Fuder an 
Hofholz fahren, nach Angaben aus dem Jahre 1593 waren 
in Altengamme 228, in Curslack 394V« Fuhren zu leisten. 
Schon früh konnte die Pflicht durch Geld abgelöst werden: 
Johann Möller (1566—72) erhob statt des Fuders V« Gkdden, 
ebenso seine Nachfolger 12 /?, 1583 wurde die Sunune auf 
10 ß, 1590 weiter auf 8 /? herabgesetzt.*) Inzwischen war 



Wittich, Gnmdherrschaft. 

^ Näheres im nächsten Abschnitt 

*) Ein Faden = 2,09 cbm. 

*) Bericht Schultes 1593 Aug. 23: da der Faden Buchenhols 2 ^, Eichel- 

hobs 3 -^ 14 /{ kostete, wären zum Ankauf des Hokes 689 ^ nöti^ 

gewesen. 
*) Lflbsche Instr. 1581 Sept. 18, Rezeß Ton 1583 § 10 und 1690 § Ifi. 



Das Amt Bergedorf. 327 

das verfügbare Holz völlig aufgebraucht. Da verwandelte 
die Visitation von 1593 die Naturalleistung in eine Geld- 
zahlung, für die auch die Kirchwärder und Neuengammer 
durch das Versprechen, dafür von allem früheren Hofdienst 
und anderer Arbeit gänzlich eximiert zu sein, gewonnen wurden. 
1596 wiu-de das Holzgeld endgültig auf 1 /? von jedem Morgen 
Landes festgesetzt, nachdem ursprünglich 2 ß geplant waren. 
Der jährliche Ertrag war 494 -^ 14 /J 3 ^.') 

4. Deichwesen, Wasser- und Wegebau. 
Die Herrenpflichten bezeichneten nur den kleineren Teil 
der Verwaltungsaufgaben, an denen sich die Untertanen durch 
eigene Leistungen beteiligten. Wichtiger waren die Pflichten, 
die der einzelne Eingesessene im Lande seinem Nachbar gleich^ 
leisten mußte. Sie werden einmal dahin charakterisiert, daß 
jeder in Wassers-, Feindes- und Feuersnöten recht und 
seinem Nachbar gleich tun müsse.*) Die eigentlichen genossen- 
schaftlichen Aufgaben, die gerade in den Marschländern ganz 
in den Vordergrund treten, sind darin mu* angedeutet: es 
sind Deichbau, Wasserableitung und Wegebau, die in ihrer 
Gesamtheit ebensosehr dem Schutz des Landes wie dem Verkehr 
dienten. Eben wegen ihrer Wichtigkeit konnte eine Beteiligung 
der Herrschaft an diesen Verwaltungsaufgaben nicht aus- 
bleiben, doch ging sie über ein Aufsichtsrecht im allgemeinen 
nicht hinaus; nicht nur die eigentliche Arbeitsleistimg, auch 
die Leitung lag wesentlich in den Händen der Eingesessenen 
xmd ihrer Beamten. Es war ein merkwürdiger Gegensatz zur 
Gegenwart. Gerade die einzige Pflicht, die, wie man heute 
erkannt hat, allen gemeinsam sein muß, die Landesverteidigung, 
hatte der Staat damals der Gesamtheit entzogen und in die 
Hände weniger Söldner gelegt, alle anderen Staatsaufgaben, 
die heute arbeitsteilig von besoldeten Beamten und vom Staate 
angestellten Arbeitern ausgeführt werden, waren damals noch 
der Gesamtheit überlassen, und die wenigen staatlichen Beamten 
übten in der Hauptsache nur ein Aufsichtsrecht aus. 



Rezesse Ton 1593 und 1596. 
^ Brandt an Hbg. 1606 Mai 4. 
3) Brandt an Hbg. 1603 Dez. 20. 



328 Hans Kellinghiueiif 

Peichwesen.]^) Der Bau und die Erhaltung der Deiche 
ist für alle Marschländer die wichtigste, ihre Existenz be- 
gründende und bewahrende Aufgabe. Über die erste Anlage 
der Vierländer Deiche wissen wir nichts. Die ersten Siedler, 
die sich durch ihre Arbeit das Recht auf das gewonnene 
Land erwarben, sind vermutlich von Heinrich dem Löwen 
und später von Graf Albrecht von Orlamünde herbeigezogoi 
worden.*) Ihre heutige Gestalt erhielten die Vierlande erst 
durch die Abdeichungen der beiden nunmehr Doye(Taabe)- 
und Gose(Trockene)-Elbe genannten Eibanne. Wann ge- 
schahen diese für den Ausbau des Landes wichtigsten Werke, 
die erst aus ihm ein zusammenhängendes Gebiet machten? 
HObbe gibt, freilich ohne jede Begründung, als Zeit für die 
Abdeichung der Doveelbe am Gammerort 1482, fOr die Grose- 
elbe am Krauel gar erst 1488 — 92 an*) und hat damit viele 
Nachfolger gefunden. Doch sind das unhaltbare Zahlen. DaS 
der Kraueldeich zwischen Ncuengamme und Kirch wärder bereits 
ein Menschenalter vor 1344 gebaut ist, hat VOIGT festgestellt*) 
Aufschlüsse über die Entstehung des Gammerdeichs gibt em 
Schreiben Herzog Heinrichs von Braunschweig-Lüneburg an 
Hamburg von 1482, das nach einem Vorschlag des Rats von 
Lüneburg vom Jahre vorher verfaßt wurde.*) Darin heißt 
es, daß die beiden Städte den Deich zu einer Zeit hätten 
legen lassen, als die Herrschaft dem Rat zu Lüneburg Schloß 
und Vogtei Winsen verpfändet hatte. Zur selben Zeit sei 
verabredet, den Deich wieder zu beseitigen, wenn er dem 
Lande Lüneburg Schaden bringen werde. Das sei auch 
sonderlich durch den verstorbenen Herzog Otto den Sende- 
boten der Städte auf einem Tage zu Stockte verkündigt 

*) Vergl. J. GlERKE, Geschichte des deutschen Deichrechts I (1901); Art. 
Deichfoesen im Handw. d. Staatsw. Die letzte zusammenftiaaeiide 
Darstellung des Deichhaus bei LiNDE, die Niederelbe (1908) S. 56 ff. 

^ Vergl. S. 190 f. 

^ Erläut. z. Ausbildung des Eibstroms S. 35. 

*) Vergl. S. 204. 

^) Beide Schreiben, von 1481 Okt. 24 und 1482 Jan. 27, merkwürdiger 
weise bisher übersehen, sind abgedruckt in der hamburgischen De- 
duktionsschrift über den Gammerort von 1620 S. 52 ff. Schon du 
Datum dieser Schreiben macht HÜBBEs Annahme unhaltbar. 



Das Amt Berg^edorf. 329 

Als Herzog Otto (1464 — 71) dies tat, muß er also noch im 
Ungewissen gewesen sein, welche Wirkung der Deich haben 
würde, der Tag zu Stockte muß also vor oder während des 
Baues stattgefunden haben. Die Vogtei Winsen wurde nun 
erst einige Monate nach dem Tode Herzog Ottos 1471 von 
seinem Vater Friedrich, der die Regentschaft für seinen Enkel 
übernahm, an die Stadt Lüneburg verpfändet.^) Man darf 
also aus dem Briefe schließen, daß Verhandlungen über den 
Bau wahrscheinlich am Ende der Regierungszeit Herzog Ottos 
stattfanden, der Bau selbst bald nachher ausgeführt wurde. 
Bestätigungen liefern die hamburgischen Quellen. Zu Michaelis 
1470 berichten die Eänunereirechnungen von einer Zusammen- 
kunft mit Herzog Otto zu Eislingen, das Stockte gerade 
gegenüber lag, und unter der wohl der fragliche Tag zu 
verstehen sein wird.*) 1470 und 1471 waren Zusammenkünfte 
mit Lübeck am Gammerort, eben hier war Ende 1471 ein 
Ratsherr ex parte hüages^) Diese Einlage am Gammerort 
wird der neuerbaute Deich gewesen sein, dessen Errichtung 
danach in das Spätjahr 1471 fällt. Die Kosten des Baues 
scheinen von den Eingesessenen getragen zu sein, nur 1475 
verzeichnen die Kämmereirechnungen 10 S" 16 /? ad usum 
novi dammonis fa^ti apud Älbeam.*) 

Es ist bedauerlich, daß über diesen für die Vierlande 
außerordentlich wichtigen Deichbau keine eingehenderen Nach- 
richten erhalten sind.*^) Die nunmehrige Dove-Elbe war ein 
ungefährlicher Fluß geworden, den Bewohnern von Neuen- 
gamme, Altengamme und Curslack eine bedeutende Deichlast 
genommen, die hierdurch freigewordenen Kräfte konnten 
wirtschaftlich genutzt werden. Die Verteidigung des großen 
Eibdeiches war seitdem die wichtigste Deichaufgabe des 
Landes. 



Manecke, Top.-hist. Beschr. d. Fürstentums Lüneburg I S. 288. 

') K. R. n, S. 442, 7. Das Datum Mich, ergibt sich aus der durch die- 
selbe Gesandtschalt erfolgten Umwechselung der Ämter Bergedorf 
und Ripenburg. 

*) K. R. m, S. 18. 

*) K. R. m, S. 209. 

') Vergl. GlERKE, S. 169 ff. über das Durchschlagen von Strömen. 



330 Hans Kellinghusen, 

Nach einer Aufstellung aus dem Jahre 1602 betrog die 
Länge der Deiche: 

1. in Curslack und Altengamme 
an der großen Elbe von Borg- 
horst bis zum Gammerort . 1140 Ruten^ 

an der Dove-Elbe 1500 „ 

am Neuen Deich 460 „ 

am Brockdeich 2400 „ 

5500 Ruten = ca, 22 km, 

2. in Neuengamme 

an der großen Elbe vom 
Gammerort zur Bipenburg. 1100 Ruten 

an der Dove-Elbe 2125 ,, 

an der Gose-Elbe 2400 ,, 

5625 Ruten = ca. 22,5 km, 

3. in Kirchwärder 

an der großen Elbe von Ripen- 
burg bis Ochsenwärder . . . 2500 Ruten 

an der Gose-Elbe 2100 ^ 

4600 Ruten = ca. 18,5 km. 

Auf jeden Morgen Landes fällt danach eine Deichlast 

von am großen 

insgesamt Eibdeich 
in Curslack und Altengamme 8,7 m 1,8 m 

Neuengamme 10,8 m 2,1 m 

Kirchwärder 8,1 m 4,4 m 

Kirchwärder hatte also im ganzen die kleinste, tat- 
sächlich aber bei weitem die größte Deichlast wegen der 
langen Strecke am großen Eibdeich. *) Und doch drohte, 
zumal man sich bei den Arbeiten nicht weit voraussehend 
auf das Notwendigste beschränkte, gerade diesem Lande am 
meisten ein Einbruch der Elbe. Erst hierdurch läßt sich die 



^) Davon hatten die Curslacker 200 Ruten, die Altengammer 1000 Bntei 

zu halten, Alteng. Suppl. v. 1593 Aug. 28. 
^ Die drei undatierten ins Jahr 1602 fallenden Beschwerden im Lflb. 

Staatsarchiv. 



Das Amt Bergedorf. 331 

Bedeutung der Abdeichung ganz ermessen, die die Dove- 
imd Gose-Elbe zu ungefährlichen Armen machte. 

In den Vierlanden waren die Deichverbände, wie schon 
die obige Aufstellung zeigt, Gemeindedeichverbände, sie fielen 
mit den Kirchspielsverbänden zusammen.*) Es gab daher kein 
besonderes Deichgericht, der Landvogt war zugleich höchster 
Gemeinde- und Deichbeamter. Curslack und Altengamme 
lagen, wie unter einem gemeinsamen Landgericht, auch in 
einem Deichverband.*) 

Ein jeder war nach seinem Besitz zu deichen ver- 
pflichtet.^ Als 1604 Zweifel entstand, ob man auch von 
Außendeichland Deichdienste zu leisten schuldig sei, wurde 
im Landgericht ein urteil gefunden und bestätigt, das diese 
Pflicht, wie es schon bisher geschehen war, von jedem he 
sy woU he tvill forderte.*) 

Die Größe des dem einzelnen Hufner zugeteilten Deich- 
stückes bemaß sich seit undenklicher Zeit, wie es 1613 heißt, 
nach der Zahl der in seinem Besitz befindlichen Stücke Landes 
(ein Stück Land = 4 Morgen): wer viel Land hatte, mußte 
auch viele Ruten Deich halten.*) Über diese vor undenklicher 
Zeit erfolgte Aufteilung hat uns ein glücklicher Zufall einen 
Bericht erhalten. Sie geschah im Jahre 1437. Am IQ. Juni 
dieses Jahi^es schrieb der Ripenburger Amtmann Johan Vos 
an den Rat zu Hamburg, daß my Clawes Schulte, ywe dener, 
den gy tippe den dik to dem Oammerorde gheschikket hebben, 
underrichtet heft, wo de ut der Olden Oamme unde tit der 
Kurslake nenerleye urys in der Borchhorst dyken unllen, er en 
de dyk ghedelet sy. Ok so vorvare ik wol, dat de ut der 
Nigengamme unde ok ut dem Kerkwerder nicht gherne dik 
antasten unllen, de dike en syn en ghedelet. So wet maOc, 
wat he antasten schal. Wieviel der Stadt an den Deichen 



Ebenso in Ostfriesland, V^ursten, Dithmarachen, Hadeln; GlERKE, 

S. 190, 193 f. 
') Grantzm an Hbg. 1600 Febr. 24: Cursl. und Alteng., die beide unier 

ein Recht gehören und ihre Deiche unter einander liegen haben. 
^ GlERKE, S. 239. 
*) AmtsprotokoU 1605 Nov. 18. 
^) Bericht der großen Erbe in Neuenganune 1613 M&rz 6. 



332 Hans KeUingfaiueii, 

besonders in Borghorst gelegen sei, wisse man in Hamburg 
wohl. Da im Rat beschlossen sei, Batsherren zur Besichtigmig 
und Teilung der Deiche* abzusenden, so schlage er daza 
St. Margarethentag (13. Juli) Vormittags vor, so weide ik de 
sworen tinde de hoveüude der lande darby verboden, desse m^ 
den kern umme dat lani reden (reiten) unde heseghen der d^ 
Idglielicheydf tippe dat se sik duste bei an dem ddende dar 
mochten na richten, wente id doch en mnnavende, en sondag 
xinde en manda^ III vireldaghe (Feiertage) st/n, so dat ywe 
radesctimpane xmde 6k de lanüude des wol wesen mochten aBe 
dingh gutlichen to vligende (ordnen). Andernfalls befOrchte 
er, daß die Leute unwillig zu deichen würden, worüber die 
Lande verloren gehen könnten. Die Landleute würden gerne 
sehen, daß unter den Ratsgesandten ein Bürgermeister wäre, 
damit das Landvolk desto gehorsamer wäre.O 

Daß die Aufteilung der Deiche von den Landlentoi 
lebhaft verlangt wiu-de und ihnen bereits versprochen war, 
geht auch aus einem Antwortschreiben hervor, das der 
Bergedorf er Amtsverweser Tideke Bramstede am 1. Februar 
1437 an den Hamburger Rat richtete. Dieser hatte ihm mit- 
geteilt, daß Boten der Ciu^lacker sich beklagt hätten, Bram- 
stede hielte nicht, was er vor ihren Ratskumpanen gelobt 
habe. Darauf antwortete Bramstede, er sei bisher verhindert 
gewesen, in der Borghorst müsse notwendig ein Brack zu- 
geschüttet werden, um weiteren Deicheinbruch zu verhüten. 
Wan dat hrak to is, so ivill ivi de lantsivoren dar to nemen; 
Werne se den dik dari to seggen dene holden, sal dat de en to 
sik nemen (dann soll ein jeder die Erhaltung der Deichstrecke, 
die sie ihm zuerteilen, auf sich nehmen).*) Wir werden 
sonach annehmen können, daß die lange versprochene Deich- 
verteilung an den von Johan Vos vorgeschlagenen Tagen, 
vom 13. bis 15. Juli 1437, erfolgt ist. Und zwar kann es 
sich nicht etwa um einen bestimmten, etwa neuangelegten Deich 



*) Vos an Hbg. (1437) Juli 10. Vos war Amtmann 1434 — 88. Da nach 
dem Schreiben der St. Margarethentag ein Sonnabend war, fäUt der 
Brief ins Jahr 1437. Die drei Festtage sind: St. Margarethen, VHIp. 
Pent., Divisio Apostolorum. 

^ JBramstede an H\)g. in unser woven ooenl lo \v^VNv\m««v "XXXTTO.. 



Bas Amt Bergedorf. 



333 



handeln, da ja ausdrücklich gesagt wird^ daß alle vier Lande 
die Aufteilung wünschten. Man kann nur annehmen — und 
das könnte allerdings für die ursprüngliche Gleichheit aller 
Hufen angeführt werden — , daß bis dahin die Deicharbeit 
von allen Deicbgenossen gemeinsam ohne Unterschied geleistet 
wurde. So haben wir hier ein wichtiges Zeugnis dafür, daß 
nicht immer von vornherein der Deich unter den Siedlern 
aufgeteilt war. 

Neben den aufgeteilten Kabeldeichen gab es auch später^ 
abgesehen von den heiTSchaftlichen Deichen, noch Kommunion- 
deiche. Denn ein Vertrag zwischen den großen und kleinen 
Erben in Nenengamme von 1617 bestimmte, daß, so oft auf 
Gebot der Vögte und Deichgeschworenen allein (d» h, ohne 
Mitwirkung der Herrschaft) wegen des Landes gedeicht oder 
in den Heerwegen gearbeitet werde, kinfüro nicht nmh Zahl 
der Erbefif sofide^m nach advenant der Ländereiefij die ein 
jeder m seinem Erbe hat und (d^o nach Morgensafü ein jeder 
die Arbeit verridii&n solle. Wenn also die ganze Hufe, deren 
Größe auf 40 Morgen angesetzt wurde^ zwei, dann stellte 
die halbe von 20 Morgen einen Wagen. Für gi^ößeren oder 
geringeren Besitz iMirde die Pflicht nach diesem Normalmaß 
berechnet.') Die Kätner waren zu Handdiensten verpflichtet* 

Zu den herrschaftlichen Deichen (vergL S. 324) lieferten 
die Städte das Material, Holz zum Pfählen und Busch; die 
ünteitanenj die diese Arbeit als Hof dienst ansahen^ mußten 
Spann- und Handdienste, auch Fuhrdienste ohne Rucksicht 
auf die Entfernung leisten,*) 

Die Beaufsichtigung der Deicharbeiten lag in den Händen 
der Deichgeschworenen (oben 1437 lantstvoren genannt), an 
deren Spitze die Landvögte standen» Jede Bauerschaft stellte 
aus ihren Hufnem einen Deichgeschworenen, ^) es muß also 



^) Aintsbuch S. 25. 

^ 1540 wurde ihneii befohlen, 60 Eicbbäume (44 — 46 Fuß laitg), die Ton 
CbriBtof er von Veiten, Inhaber des Gerichts zu TrittaUf gekauft waren, 
von der Hahnheide bei Tnttau herheizufahren, dazu 500 Fuder Buach, 
Hb^, an Joban Grotejan 1640 Julia Rezeß 1600 § 2, 

*) Vertrag über Dickitchwarenschaft in einer Neueiigauinier Bauernschaft 
Ton 1619 Juli 24. 



334 Hans KeUinghasen^ 

in den Vierlanden 17 gegeben haben, woza dann noch die 
vier Landvögte kamen. Das Amt wechselte jährlich mito 
den Hufnem, jeder war zu seiner Übernahme verpflichtetl 
Schon 1466 war, als ein Untersasse des Klosters Beinbd: 
sich weigerte, wegen seines Ackers, der mit in dem Deich- 
bande in der Marsch lag, die Geschworenenschaft za übernehmen, 
von den 27 Geschworenen*) über ihn gefunden, daß kein 
Acker so frei sein solle, stmder lie schale holden enen amu, 
utgenamen de Jierschupp unde voghede.*) 

Der Wechsel im Geschworenendienst fand j&hrlich am 
Petritag (Febr. 22) statt, an dem die neuen Oeschworenea 
ihren Eid über Deiche und Dämme vorm Landvog^ leisteten.') 
Es war Sitte, daß an Stelle des gewesenen Geschworenen 
sein Nachbar in der Bauerschaft das Amt übernahm.^ Di 
jedoch diu-ch den gleichmäßigen Wechsel die Eleinlinfner zn 
sehr belastet wurden, wurde in Neuengamme 1617 festgesetzt, 
daß die Oesctmarschup nach Morgenzahl umgehen solle, indem 
auch hier die Hufe von 40 Morgen als Grundlage genommen 
wurde. Der kleine Hufner wurde nun so lange übergangoi, 
bis seine Pflicht auf 40 Morgen angewachsen war. Ebenso 
wurde größerer Besitz angerechnet. Ein (Jeschworener sollte 
auch nur fi'u* 40 Morgen von Deichen und Dämmen frei sein 
und für das übrige Land seine Arbeit mit Wagen und Pferden 
verrichten helfen.®) Ob diese umständlichen Bestimmungen, 
die in den andern Ländern keine Nachahmung fanden, genan 
innegehalten wurden, steht dahin. 

Jährlich wurden zwei Deichschauungen, eine von den 
Vögten und Landleuten allein, die zweite vom Hauptmann 



Vergl. Billwärder Landrecht Art. 2, LAPPENBERG, S.323. Qebrke, S.28i 

') XXVII steht im Original. Ob Schreibfehler für 17? 

^ Werf, den Ratsseudcboten an den Herzog von Laaenbnrg* su Groß- 
Sarau mitgegeben 1466 Okt. 30; Lübeck, Lauenburger Akten. 

^) Grantzin an Hbg. 1600 Febr. 24; zur Eidesleistung enchienen n«^ 
altem Landesgebrauch Vogt und Geschworene von Alten^amme tot 
des Landyogts in der Curslak Tür, 1600 weigerte der Aitengamma 
Vogt sich dessen. Die Eidesformel bei Klefeker XI, S. 260, GlEBEB, 
S. 280 n. 149 u. 151. 

*) Brandt an Hbg. 1604 März 1, «i\i^iva<i vhv MtÄnUade^ GlERKB, S. 277. 



Das Amt Bergedorf. 335 

nebst Vögten und Deichgeschworenen, gehalten, die nach dem 
Eezeß von 1602 zwischen Jacobi und Bartholomäi stattfinden 
sollten.^ Zu Gerd Grantzins (1596 — 1602) Zeit war außerdem 
eine gemeine Deichschauung zusammen mit Bill- und Ochsen- 
wärder festgesetzt, zu der die Billwärder Landherren (zwei 
HamburgerRatsherren) hinzugezogen wurden. 1607 beschwerte 
sich Lübeck über diese Neuerung und die Kosten, die der 
Amtskasse namentlich dadurch entstanden, daß man am 
Schluß der Besichtigung zusammen zum Zollenspieker zur 
Deichmahlzeit einzog. Es schlug vor, dies Ablager wenigstens 
alternierend abzuhalten.*) Im Rezeß beschloß man, daß die 
Unkosten künftig von den Untertanen getragen werden sollten, 
die andern Fragen schob man für später auf, ist dann aber 
nicht darauf zurückgekommen.*) Die Generaldeichschauung 
wurde beibehalten.*) 

Gegen Säumige standen den Deichgeschworenen leichte 
und schwere Strafmittel zu Gebote: das Pfandrecht und das 
Spatenrecht. Es war alter Gebrauch und Landrecht, wie 
1597 festgestellt wurde, daß die Landleute den, der seinen 
Deich nicht gefertigt hatte oder zu gemeinen Wegen und 
Stegen, besonders zu den Heerwegen, nicht nachbarlich helfen 
wollte, allewege ohne Vorwissen der Obrigkeit zu pfänden 
die Macht hatten.*) Das innerhalb 4 Wochen nicht eingelöste 
Pfand wurde, nachdem sein Wert durch ein landgerichtliches 
Urteil festgestellt war — nur hierbei trat das Gericht in 
Tätigkeit — verkauft. 



Lübsche Instr. 1607 Okt 31. 

') Prot. 1607 Aug. 18. 

^ Rezeß von 1607 Nov. 9 § 3. 

*) Esich an Hbg. 1615 Okt. 6: yerspricht, sich am 12. Okt 9 Ulir an dem 
gewöhnlichen Ort auf dem Dördeich, der die Grenze zwischen Kirch- 
wärder und Ochsenw^der bildet, zur Generaldeichschau einzufinden. 

^) 1597 wurde dem Hamburger Patrizier Caspar Anckelmann, dem Be- 
sitzer einer der drei Ober Hufen, wegen nicht gefertigten Deiches ein 
Pferd gepfändet und, als er es nicht einlöste, durch Urteil und Becht 
taxiert und verkauft, Grantzin an Anckelmann 1597 Okt. 15, Dez. 3, 14; 
Lüb. an Hbg. 1601 Jan. 28. Femer Thode an Hbg. 1562 Sept. 12. 
Bestätigt wurde das Becht in einem Sc,YdÄg\i«Affii\ss\ÄA^«t£v\^.'^^ 
(Amtsprotokoü 1605 Nov. 18). 



336 Hans KeLUnghaseHy 

Das Spatenrecht, jene feierliche Ezekatioiishandliiiig, 
bei der der Betroffene durch das Symbol eines in sein Land 
gesteckten Spatens enteignet wurde, wurde mehrfach denen, 
die sich der Deichpflicht entziehen wollten, gedroht.^) Auch 
als 1590 von den Städten die Erhöhung des neugemachten 
Deichs an der Borghorst angeordnet wurde, hieß es: Wer 
von den Untertanen sich weigert, in dessen Land soll so lange 
der Spate gesteckt werden, bis er zu Gehorsam gebracht ist*) 
Beispiele, daß das Spatenrecht ausgeführt sei, sind nicht 
bekannt. 

Zu dem Deichbau kamen an der großen Elbe andere 
Strombauten: die zum Schutz der Deiche in die ESbe ge- 
schlagenen Stacks, an denen die Gewalt des Stromes sich 
brach. Auch diese Bauten wurden auf Anordnung und unter 
Aufsicht der Obrigkeit von den Landleuten selbst ausgeführt 
Über die Anlage von Stacks erhält ein Schreiben des Ripen- 
bwger Amtmanns Vritze Grawert einen reizenden Widerstreit 
zwischen Theorie und Praxis. Im Lübecker Rat hatte mai 
vorgeschlagen, die Pfähle für das Stack im Winter ins Es 
zu stoßen, aber Herr Vritze ließ sich von seinem Vogt und 
andern belehren, daß damit nicht gedient sein würde. Sobald 
das Stack geschlagen sei, müsse man sofort Gnmdwasen 
senken und in großer Zahl vor das Stack werfen, da es sonst 
wieder lostreibe. Die Wasen würden aus großem Ellem- oder 
Weidenstrauch, gefüllt mit Erde, gemacht; im Winter könne 
man das nicht, auch müßten die Wasen aus einem Prahm 
in offenes Wasser gesenkt werden. Man benötige zu einem 
Stack 80 Holzstämme und 70—80 große Fuder Strauch.*) Eine 
eifrige Bautätigkeit entwickelte sich in den Jahren 1460—80, 
oft wai'en in diesen Jahren Ratsherren, pro parte des stadts, 
ad respiciendam faduram starkes und wie die Wendungen 
lauten, in Eislingen.*) Zahlreich waren die Zusammenkünfte 
und Korrespondenzen mit Lüneburg, das in diesen Jahren im 
Pfandbesitz des Amtes Winsen war. Denn auch auf der 

Bezeß 1571, ProtokoU 1577 Sept 3. 

^ Rezeß 1590 § 8. 

^ Grawert an Lüb. 1472 OU. 2^. 

^ Kämm. Recbn. 1L\i\>t\\l ad re\»a% dow\ncyrum. 



Das Amt Bergedorf. 337 

Lüneburger Seite wurden Stacks gebaut, die den Strom wieder 
nach den Vierländer Deichen trieben und zu Vergrößerung 
der Anlagen und Neubauten veranlaßten.') Zur Arbeit an 
den Stacks, zu denen die Städte das Material lieferten, wurden 
alle vier Kirchspiele herangezogen,*) 1478 mußten sogar die 
Bergedorfer und Geesthachter helfen.*) Auffallenderweise 
hören mit dem Jahre 1480 die Berichte über Stackbauten 
fast völlig auf;*) sicher ist, daß die Städte sich später viel 
weniger um den Strombau gekümmert haben, wahrscheinlich 
wird auch von den Landleuten der Stackbau, der für sie eine 
schwere Last war, vernachlässigt worden sein. 

Überhaupt waren die Deiche zwar für gewöhnliche 
Verhältnisse ausreichend, aber doch so niedrig, daß jedes 
Hochwasser ihnen Gefahr brachte. Das beweisen die zahl- 
reichen großen und kleinen Deichbrüche, die häufig in ein- 
fachem Überlaufen der Deiche bestanden. Die Wiederherstellung 
der Deiche war Angelegenheit der Lande, die Amtsakten 
berichten daher im allgemeinen wenig über Deichbrüche. 
Im Januar 1497 hatte eine gewaltige Flut im Amt Kipenburg 
Häuser weggetrieben, Leute jung und alt und viel Vieh waren 
ertrunken, das Wasser hing über allen Deichen, und man 
konnte nichts anderes tun als warten, bis es wieder verlief. 
Man fürchtete sogar das Forttreiben des ZoUenspiekers.*) 
Ein anderer Deichbruch verwüstete am 15. Jan. 1584 die 
Borghorst, acht Hufner wurden aufs schwerste getroffen, von 
167 Morgen, die sie insgesammt besaßen, blieben nur 46 gut. 
Einer von ihnen sagte sogar sein Erbe, nachdem er das Haus 
davon verkauft hatte, dem ganzen Kirchspiel auf und zog 
von dannen. Da niemand das Land annehmen wollte, kaufte es 



*) Hbg. an Lüneburg 1462 Juni 25 (Lüneburger Stadtarchiv), das 

Lübecker Schreiben gedr. Lüb. ü. B. X, 187, 188; Hbg. an Lüneb. 

1471 Aug. 30, 1479 Juli 22 (Lüneburger Stadtarchiv). 
') Grawert an Lüb. 1472 Okt. 26: es sei nötig, dat me de IUI Kerspel 

dar mede hy varbade, also id wontlik is umme des landes beste willen, 
') Hbg. an Lüb. 1478 Sept. 4. 
^) 1535/36 wurde ein Stack beim ZoUenspieker d)^ch die Untersassen 

der Häuser Bergedorf und Ripenburg gebaut, Hbg. an v. Hutlem 1535 

Sept. 18, 1536 Sept. 23. 
^) Yickingbüsen an die KämmeTeiheTreTi m XÄXi.\^an ^w^*^» 



338 Hans Kellmgliasei^ 

der Vogt für 1000 -^ und baute ein neues Hans daraul^ 
Am 31. Jan. 1610 brach der Deich auf der Hove in Kirch- 
wärder fünf Stücke breit, drei Häuser trieben weg, Kireh- 
wärder und, weil der Achterdeich nicht standhielt, auch 
Neuengamme liefen voll Wasser. Der Eraueldeich wurde 
durch die fleißige Arbeit der Landleute erhalten, w&hrend 
die Borghorst nur dadurch gerettet wurde, daß der Deick 
durch vier Deichbrüche im Lüneburgischen Erleichterung 
bekam. Die Hove wurde vorläufig durch einen Churdanm 
notdürftig geschützt; ob aber das Brack überdeicht oder n 
Felde umdeicht werden sollte, darüber waren sich die Land- 
leute nicht einig. Obwohl die Vögte und Deichgeschworenen der 
andern drei Lande sowie die Reitbrocker und Billwärder, 
die auf Bitten des Landes vom Amtmann zu Schiedsrichtai 
erwählt waren, sich einstimmig für Überdeichung erklärteD,*) 
wurde doch endlich, wie der Augenschein noch heute zeigt 
die Umdeichung ausgeführt 

[Kanal- und Schleusenbau.]*) Der Kampf mit des 
Wasser, sei es vorbeugend, sei es abwehrend, das ist die 
Lebensaufgabe des Marschbewohners. Außer dem Flutwas^ 
hat er zu rechnen mit dem Grundwasser und Niederschlagwasser, 
das durch zahllose Gräben und Schleusen von den Acim 
abgeleitet werden muß. Das ist Sache des einzelnen, der 
Gesamtheit aber bleibt noch eine Pflicht: der Schutz des 
Landes vor dem Flußwasser aus der G^est. Die £lbmarscha 
vor Hamburg wurden namentlich durch die bei Bergedorf ins 
Elbtal tretende Bille gefährdet. Ihre Ableitung war daher 
für die Entwickelung der Marsch ein Werk von hervor- 
ragender Bedeutung. Ein Staudamm in Bergedorf, quer vor 
die Bille gezogen, bestand wohl schon seit Anlage der Mühle 
im Jahre 1208. Als das Kloster Reinbek 1315 infolge ai 
großer Wasseraufstauung beim Mühlendamm in Bergedorf, der 
hier zum erstenmal erwähnt wird, Schaden durch Über- 



Borghorster Suppl. 1593 Aug. 28. Das Datum in einem Denkxettd 
aus Neuengamme, der über Deichbrüche von 1584 — 1648 berichtet 

») Pasche an Lüb. 1610 Febr. 5, Juni 8. 

*) Voigt, Einige Urkunden ^het ILltAt^ Deich- und SchlenseiÜMHiteii ia 
Amt Bergedoil 01.^.11. 0. IN, ^.«i^:^. 



Das Amt Bergedorf. 339 

schwemmung erlitten hatte, setzte Herzog Erich I., um dem 
vorzubeugen, fest, daß das Wasser künftig nur bis zu einem 
an einer Holzstange angebrachten Zeichen aufgelassen werden 
dürfe.') Mochte nun durch den Damm der Mühlenbetrieb 
geregelt sein, immer blieben die an die Billeniederung stoßen- 
den Marschlande, namentlich Billwärder, Überschwemmungen 
ausgesetzt, und durch eine Wasserableitung konnte bedeutende 
Deicharbeit gespart werden. Daher vereinbarten die Städte 
mit den Landen Curslack, Altengamme und Billwärder im 
Jahre 1443, den Schleusengraben, einen Kanal, der die Bille 
vom Staudamm durch die Amtsländereien der Kandesweide 
direkt zur Elbe führte, durch die sämtlichen Eingesessenen 
der Lande morghen morghene gdyk bauen zu lassen. Am 
Staudamm regulierte der Serran*), eine Wasserstauung mit 
Freischütten, den Wasserzufluß, beim Einfluß in die Dove-Elbe 
wurde als Hauptwerk eine schiffbare Schleuse gebaut, deren 
Errichtung und erbliche Verwaltung der Hamburger Bürger- 
meister Dietrich Lüneburg gegen Bezahlung durch die Lande 
übernahm. Jeder Hufner trug zu dem Schleusenbau 5 -^ bei.*) 
Mit dem Erben des Bürgermeisters, dem Domherrn Lüneburg, 
gerieten die Lande vermutlich wegen Unterhaltung der Schleuse 
in einen schweren Konflikt, in dessen Verlauf 20 Landleute 
in Curslack und Altengamme durch den Abt des Klosters Berge 
bei Magdeburg nach kanonischem Recht mit dem Baune belegt 
wurden.*) Der Vertrag von 1443 wird in diesem Streit gelöst 
sein, denn besondere Verweser der Schleuse kamen seit der 
Zeit nicht mehr vor. 

Durch den Kanal wurde eine Wasserverbindung mit 
Hamburg geschaffen, die nicht nur für das Schloß Bergedorf 
von Bedeutung war, sondern auch den Handel der Bergedorfer 
Büi-ger, namentlich die Verschiffung von Holz aus dem 



Hamburger ü. B. I, 372, Hasse m, 317. 

^ Vergl. SCHILLER-LÜBBEN 8. Y. seran, ceran. 

») Lüb. ü. B. Vm, 298, X, 611 ; VOIGT S. 85, 88. 

^) Lübsche Instr. 1467 M&rz 4. Drei undat Lübecker Konzepte an 
Nikolaus Kulenhaghen, Bektor der Kirche in Curslack, an den Amt- 
mann Cord Brekewold und an Hbg. m d\&««t ^«j(^^. '^ius^.''%i&3SEB 
Bechn. n, S. 463, 464 (147Ö), m, S.U, ^, ^ V^Vl\^. 



340 Hans KeUinghosen^ 

Sachscnwaldy förderte. Begreiflich ist daher, daß man im 
Lande die, die den unmittelbaren Vorteil vom £[anal hatten, 
zu seinen Unterhaltungskosten heranzuziehen suchte. Aus- 
besserungen des Serrans mit Hilfe der Altengammer und 
Curslacker fanden in den Jahren 1532 und 1550 statt, ^) yoll- 
ständige Neubauten der Schleuse waren 1481, 1516, 1543, 
1568 imd 1617 notwendig.*) 

Der Schleusenbau blieb eine Pflicht der beteiligten Lande 
und wurde, soweit es möglich war, durch ihre persönlichei 
Dienste ausgeführt. Zwar gab es keine feste Tradition, jeder 
Neubau zeitigte eine andere Lastenverteilung. Die Haiq»t- 
last blieb mehr und mehr auf den Curslackem und Alten- 
gammem haften. Ihre Pflicht war zunächst die Zufuhr des 
nötigen Holzes. 1568 vom 19. Februar bis 25. Mai leisteten 
sie 814 Handdienste zum Heranfahren des Holzes und Behauen 
der Pfähle, 1617 gaben sie statt dessen 240 -^ Holzfahrgeld.') 
Die Beteiligung der Billwärder dagegen, die die eigentliche 
Handarbeit an der Schleuse leisten sollten, war schwankeni 
Zwar 1453 arbeiteten sie unter ihrem Vogt und Deich- 
geschworenen mit, Ditmar Koel, der damals den Bau persönlich 
leitete, erhielt von Hambm-g Befehl und Macht über sie;*l 
aber bei den folgenden Neubauten verlautet über ihre Be- 
tciligimg nichts. Auch zu den Kosten, die durch größere 



Hbg. an v. Hutlem 1532 Juli 31, Antw. Aug. 8; v. Elthen an Hbg. 1550 
Juli 22, Aug. 12. 

^ Die von VoiOT (S. 89 f.) beigebrachten Urkunden über die Ausbesserung 
des Grundwerks in Bergedorf 1464 — 66 beziehen sich wohl auf die 
Mühle. Auch 1471 wurde iymmerholi tom grünt werke der moUn to 
Bargerdarppe von Otto Schack zur Basthorst gekauft (T^üb. an Hbf. 
1471 Jan. 26). 

^) Handdienstregister von 1568, Rezeß v. 1617 § 15. t. Calven an Lüb. 
1481 Jan. 5: Cursl. u. Alteng. hätten zur Schleuse niemals Holi ge- 
fahren. Als sie das letzte Mal gemacht sei, hätten die Ersamen von 
Hamburg vom Propst zu Reinbek 100 Eichenbäume für 100 ^ gekauft 
Anna Mesman an Lüb. 1516 Febr. 28: Die Leute von Billwärder seiea 
die eigentlich Verpflichteten. 

*) Hbg. an Koel 1543 Sept. 15. An Zehrungskosten wurden ihiem Vogt 
und Geschworenen 40 -// ersetzt, Hbg. an Lüb. 1544 Febr. 1. 1610. 
als die Schleuse schon sehr baulik.Ui^ ^«x mid^ie für ihr Land fürehtetea. 
erboten sie »ich heimUig tmx Uwi^Äx\i^\\:,^^Oö& «a.XÄ^^'^sj^^^,^^^^^ 



Das Amt Bergedorf. 341 

Verwendung von Handwerkern und Kunstmeistem wuchsen, 
trugen sie nichts bei. Die Aufsicht über den Bau führten ' 
1617 ein Landvogt, der Hausvogt und vier Deichgeschworene, 
sogar an den Sonntagen waren 2 Geschworene Tag und Nacht 
gegenwärtig, gearbeitet wurde vom 16. Mai bis 19. Juli, femer 
nach einer Unterbrechung durch die Ernte vom 25. August 
bis 4. Oktober.^) Die Kosten, die 1568 etwa 1500 -^ betrugen, 
1617 noch höher waren, wurden größtenteils durch Umlagen 
auf die Lande angebracht, die Städte leisteten nur geringe 
Zuschüsse (1543 je 150 -^, 1568 nichts, 1617 Hamburg 200, 
Lübeck 250 -^). Statt des Billwärder^ wurde seit 1568 Neuen- 
gamme und 1617 gar Kirchwärder zu Beiträgen herangezogen. 
1568 gaben Curslack, Alten- und Neuengamme von jedem 
Morgen Landes 6 /f, die Bergedorfer den 100. Pfennig (l7o) 
ihres Vermögens, 1617 wurden den einzelnen Gemeinden, die 
sich über eine Kontribution nicht einigen konnten, von den 
Städten feste Beträge auferlegt: Bergedorf 400, Neuen- 
gamme 550, Kirchwärder 200, Altengamme und Curslack 
zusammen 520, im ganzen 1670 -^. Weil damit die Kosten 
nicht gedeckt wurden, legte man auf das von Bergedorf aus 
verschiffte Holz eine Abgabe.*) 

Neben diesen außerordentlichen Leistungen war es regel- 
mäßige genossenschaftliche Pflicht, den Schleusengraben sowie 
die übrigen öffentlichen Wasserläufe, besonders die Land- 
scheiden, auszuräumen, d. h. von Unkraut zu säubern.*) 

[Wegebau.]*) Wie die natürlichen Wasserstraßen war 
auch der Schleusengraben für den Verkehr von höchster 



*) Verzeichnis dessen, toas hei der Aufrichtung der Newen Schleuse 
verzehrt ist 1617. Jede der 6 aufsichtführenden Personen verzehrte 
wöchentlich an Kost und Bier 3 ^, femer verzehrten die Zinunerleute, 
die die Schleuse aufhoben und Tttren einhilngten, 3 ^ und der Eunst- 
meister, als er die Suecke (Saugpumpen) setzte, 3 ^, insgesamt 313 ^ 12 ß. 

^ Rezeß V. 1617 § 15. Die Abgabe betrug von jedem Faden Holz, der 
von der Hude abgeführt wurde, 6 ^, der vom Damme abgeschifft 
wurde, 1 ß, 

') Die Bergedorfer verpflichten sich im Vertrag von 1668 § 5 zur Auf- 
räumung des Schleusengrabens, soweit es ihnen gebühre, sich willig 
finden zu lassen. 

*) Vergl. Gasner, Zum deutschen Straßenwesen, Lpz. 1889. 

Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Oesch. XIH. 



342 Hans Kellrnghusen, 

Bedeutung. Sogar nach Lübeck war durch die Elbe und den 
Stecknitzkanal ein direkter Schiffsverkehr möglich. Ohne 
Zweifel überwog im Mittelalter der Verkehr auf dem Wasser 
den zu Lande bedeutend. Auf dem Lande waren anfänglich 
die Deiche die Hauptverbindungswege, erst später wurden 
andere Wege angelegt. Den Neuengammer Heerweg bringt 
Meitzen freilich mit der Besiedelung des Landes in Zn- 
sammenhang und über sein Alter steht nichts fest,*) der 
Curslacker wurde nachweislich erst 1568 gebaut. Der Nene 
Deich, bis dahin die einzige Verbindung von Bergedorf znr 
Dove-Elbe, befand sich in so bösem Zustand, daß jedermann, 
hohen und niederen Standes, über ihn klagte und die Ochs^ 
lieber zu Wedel als zu ZoUenspieker über die Elbe gesellt 
wurden, wodurch der Zoll in Eislingen keinen geringoi 
Nachteil erlitt. Der Amtmann Johann Moller beschloß daher, 
einen neuen Weg m die BicJite von der Oeest/i an Strucks hk 
an die taube Elbe zu legen. Da ^iel Sand dafür nötig war, 
bat er den Hamburger Rat, auch die Ochsen- und Billwäider 
auf zwei Tage mit Wagen zu Hilfe zu schicken.*) Die vom 
Amtmann zusammenberufenen Vierlande beschlossen, den Weg 
nach seinen Vorschlägen zu bauen; der Grund zum Heerweg 
wurde von vier Hufnem für 1130^ gekauft. Die Städte 
trugen zu den Kosten 400 ^ bei, die Landleute bewilligten 
von jeder Hufe 5-^.') Diese Umlage mußten, weil der Bao 
ein Landbau war, auch die Altengammer mit aufbringen, 
während sie sich an der Anlage selbst nicht beteiligten und 
auch von der Beihilfe an seiner Instandhaltung befreit wurden,*) 
denn sie hatten ihre eigenen Wege und von dem neuen Heer- 
weg keinen Nutzen. Freilich wurden sie später wiederholt 
imter der Versicherung, fortan verschont zu bleiben zur 
Beihilfe herangezogen.^) Zur Ausbesserung waren den andern 



*) Vergl. S. 193. 

*) Moller an Uhg. 1568 Jan. 31, Febr. 28; vergl. die Anla^ des Her- 
wegs in der Krempermarsch 1391, GASNER, S. 95. 
^ Moller an Lüb. 1568 Okt. 28, Vierlande an Kerkring 1573 ^/^ n 
*) Rezeß V. 1571: Beschwerden der Untertanen §8. 
^) So in den Rezeaaen nou \^%1 %^, \^^?» ^^, V^^ \ V. 



Das Amt Bergedorf. 343 

drei Landen bestimmte Flege zugeteilt.^) Die Pflicht, die 
anfänglich für jede Hufe gleich war, wurde, wie 1614 fest- 
gestellt wurde, seit einigen Jahren nach Landzahlen, der 
Deichunterhaltung entsprechend, gemacht.*) Die Aufsicht 
über die Arbeit führten die Vögte und Deichgeschworenen, 
die von den Säumigen auch hier Strafen fordern und Pfänder 
nehmen konnten.*) 

Noch gab es keine Brücken über die abgedeichten 
Eibarme. Zwar schien es den Visitatoren 1593 wohl taug- 
lich, nach dem Wunsch des Landes eine Brücke über die 
Dove-Elbe zu bauen, aber man sah wegen der überaus großen 
Kosten davon ab.*) 

Bei hoher und schwerer Pön wurde dagegen 1460 den 
Marschbewohnem geboten, die Specken*) und Brücken, die 
sie über die Landwehr gemacht hatten, fortzunehmen und 
keine wieder zu bauen, damit dem Lande keine Gefahr 
entstände.^ 

5. Kirche und Schule. 

Von den sechs Pfarrkirchen des Amtes Bergedorf gehörten 
Bergedorf, Curslack, Alten- und Neuengamme und Geesthacht 
zum Bistum Ratzeburg, Kirchwärder zum Bistum Verden. 
Ein Filial der Bergedorfer Pfarrkirche war die Heiligkreuz- 
kapelle vor Bergedorf. 

Schon Heinrich der Löwe übertrug die in Alten- und 
Neuengamme zu gründenden Kirchen an den Bischof von 
Katzeburg, 1261 verzichteten die Herzöge von Sachsen 



1603 teilte der Amtmann von den bisher von den Altengammem ge- 
machten Flegen den Neueng. und Kirchw. je zwei Teile, Curslack 
als einem halben Lande einen Teil zu, doch besserten nur die Cursl. 
ihren Teil aus, während die andern sich weigerten; Brandt an Hbg. 
1603 Sept. 1. 

^ So in Curslack nach dem Berichte der kleinen Hufen in Neuengamme 
an Lüb. 1614 Sept. 21 ; ebenso in Neuengamme 1617 eingeführt, o. S. 333. 

') Brandt an Hbg. 1606 Mai 4. 

*) Vi8it.-Prot. 1593 Okt. 18, Rezeß § 11. 

^) Specke: ein aus Buschwerk, Erde und Basen durch sumpfige Gegenden 
aufgeworfener Weg (SCHILLER-LÜBBEN). 

«) Hbg. an Ltib. 1460 Okt. 4. 



344 Hans Kellingfanien, 

endgültig auf das Patronatsrecht in Neuengamme.^ Vermutlich 
hatten auch in den anderen Pfarrkirchen die Bischöfe das 
alleinige Besetzungsrecht, ausführliche Nachrichten liegen nur 
über Bergedorf vor. 

Auch hier stand die Pfarrkirche ursprünglich ohne 
Zweifel zur alleinigen Verfügung des Bischofs, 1282 übertn« 
Bischof Ulrich den Patronat an das Domkapitel in Satze- 
burg,*) später war er wieder in bischöflichen Händen, and 
als Herzog Albrecht IV. 1334 eine Vikarie in der Kirche 
stiftete, überließ er das Patronatsrecht dem Bischof von 
Ratzeburg, nur auf sein und seiner Gemahlin Lebenszeit äA 
die Präsentation des Vikars vorbehaltend.*) Dagegen bean- 
spnichten die Herzöge das Patronatsrecht in der Heiligkrem- 
kapelle, weil sie auf Grund und Boden ihrer Herrschaft 
Bergedorf gebaut wäre, während die Bischöfe behaupteten, 
die Kapelle gehöre als innerhalb des Pfarrsprengels belega 
ziu- l^arrkirche. Die Herzöge Albrecht V. und Erich IIL 
nahmen 1359 bei der Stiftung einer Vikarie in der KapeDe 
das erbliche Patronatsrecht in Anspruch, und Bischof Wipert 
bestätigte die Schenkungsurkunde.*) Doch blieb das Recht, 
iiber das wohl schon vorher Streit geherrscht hatte, noch 
lange ungeklärt; im Verlauf dieses Streites ließ Herzog 
Erich III. in unzweifelhaften Übergriffen den vom Bischof von 
ßatzeburg eingesetzten und von Papst Urban V. bestätigtfli 
Rektor der Pfankirche und Kapelle nicht zu, sondern ver- 
wandte die Opfer und Almosen der Heiligkreuzkapelle a 
seinem Nutzen imd vergab Kirche und Kapelle eigenmächtig 
an ihm genehme Priester.*) 1376 wiutle der Streit dadurch 
beigelegt, daß Bischof Heinrich dem Herzog den Patronat 
über Pfarrkirche und Kapelle tauschweise überließ.*) Aber 
noch kurz vor seinem Tode, 1397, schenkte der alte Herzog 
Erich III. das Patronatsrecht über Kirche und Kapelle in 



') Hasse I, 103; II, 222. 
^ Hasse II, 620. 
') Meckl. U. B. VUI, 5526. 
*) SüDENDORF Vm, 157, 2. 
*) Meckl. U. B. XVIII, 10539. 
•) Meckl. XI.B. XDL, ICÄAA. 



Das Amt Bergedorf. 345 

Bergedorf dem Domkapitel in Ratzeburg zurück.^) Diese 
Schenkung wurde von seinen Nachfolgern, den Herzögen der 
jüngeren Linie, nicht anerkannt. Als bei der nächsten Vakanz 
eine doppelte Präsentation zur Pfarrkirche erfolgte, entschied 
«ich der als alleiniger Schiedsrichter erwählte Propst Johann 
von Lüne 1407 zu Gunsten der herzoglichen Kandidatur, und 
das Kapitel erklärte sich damit zufrieden.*) 1418 dagegen be- 
stätigten die Herzöge Erich V. und Bernd die Schenkung 
ihres verstorbenen Vetters von 1397, nunmehr war also wieder 
das Domkapitel im Besitze des Präsentationsrechts.^ Doch 
war der Streit damit nicht beendet. Noch 1427, als die 
Herzöge offenbar gar kein Recht mehr auf die Herrschaft 
Bergedorf hatten, versuchten sie, auch ihre eigenen Verzicht- 
leistungen ignorierend, ihr Patronatsrecht auf die Vikarie 
in der Heiligkreuzkapelle geltend zu machen. Natürlich 
weigerte sich der Bischof Johann, dem von ihnen Präsen- 
tierten die Institution zu gewähren, aber der Erzbischof 
Nikolaus von Bremen, an den er appellierte, gab sie ihm und 
beauftragte den Propst des Klosters Reinbek und den Rektor 
der Kirche in Marschhacht mit seiner Introduktion.*) Das 
geschah, und als bei einer neuen Erledigung 1438 die Herzöge 
wieder von ihrem Präsentationsrecht Gebrauch machten, ge- 
währte Bischof Pardam sofort die Investitur.^) Höchst eigen- 
artig, daß die Städte Lübeck und Hamburg dieses Recht, in 
das sie doch eigentlich bei der Eroberung hätten sukzedieren 
müssen, den Herzögen zugestanden. Sie selbst freilich waren 
gleichzeitig bestrebt, das Patronatsrecht über die Bergedorfer 
Pfarrkirche in ihre Hände zu bekommen. Denn als Besitzer 
der Vogtei Bergedorf mit allem geistlichen und weltlichen 
Zubehör hielten sie sich auch für die Kirchenpatrone.*) Bereits 



V. Westphalen, Monum. inedita n, 2321; MiCHELSEN, Schl.-H.-L. 

ü. B. n, S. 550. 
^ Schiedssprach. 1407 April 5, ungedr., Urk. des Kapitels von demselben 

Tage, Lüb. U. B. V, 165. 
3) Lüb. U. B. VI, 6. 
*) Lüb. ü. B. Vn, 55, 148, 152. 
^) Lüb. U. B. VU, 770, 772. 
«) Lüb. Ü.B. IX, 560. 



346 Hans KellingliiiBeiiy 

1436 hatten sie in einem vor dem päpstlichen Stuhl anhängig 
gemachten Prozeß zwei günstige Sententien gewonnen/) in 
weiteren ihnen günstigen Bullen beauftragten Calixt IH. 1457 
den Propst von Schwerin, Pius ü. 1459 den Erzbischof von 
Bremen und die Bischöfe von Verden und Schwerin, Paul IL 
1470 den Bischof von Lübeck, Abt von Reinfeld und Archi- 
diakon in Schleswig mit der Entscheidung.^ Für die Aus- 
übung des Patronats durch die Städte fehlen Belege. 

Es kam die Zeit der großen kirchlichen Umwälzong. 
1528 siegte die Reformation in Hamburg, 1530 auch m 
Lübeck. Länger blieb das Amt Bergedorf der alten Eirche 
treu. Die Amtmänner sollen das Verlangen des Volks nach 
Einführung der lutherischen Lehre hintangehalten haben,^ 
aber über die damalige Volksstimmung berichten die Quellen 
nichts, und es ist nicht abzusehen, warum das Volk, wenn 
sein Verlangen wirklich groß war, es nicht dui-chgesetzt hat 
auch gegen den Willen der Amtmänner. Anzunehmen ist 
vielmehr, daß dtas Volk sich passiv verhielt und in Friedet 
mit seinen Pfarrern lebte.*) Aber in der Tat wird man den 
Grund für die lange Beibehaltung der alten Lehre im Amt 
in den leitenden Persönlichkeiten suchen müssen, denn sobald 
ein Freund der Refoimation Amtmann wurde, ging ihre 
Durclifühnmg vonstatten, ohne beim Volk Entgegenkommen 
noch Widerstand zu finden. 

Gerd von Hutlem (1530-36) hielt am katholischen 
Glauben fest, er war d^^m eiangelyo veyni, wie die Chronik 
sagt, wurde deswegen 1531 des Ratsstuhls entsetzt und ge 
langte erst wieder zu seinen vorigen Ehren, als er 1536 von 
Bergedorf zurückkam.^) Bekannt ist sein Nachfolger, der 
Lübsche Bürgermeister Nikolaus Brömse (1536 — 42), als An- 

») Lüb. IJ. B. VII, 711. 

2) Lübeck: Bergedorfiensia 15a— c, Lüb. U.E. IX, 505, 688. 

^ Finder, Vierlande S. 27. Was dort über Brömse und die Volb- 
Stimmung gesagt ist, läßt sich aus den Akten nicht erweisen. 

^) In einer undatierten Eintragung des Bergedorfer Stadtbuchs (zwischei 
1535 Juli 6 und 1537 Mai 8) heißt es: so nhu Lutke Franc in »ynemt 
dothbedde lach, Jtejft gefordert st/nen Kergkheren hy nhamen kff% 
Claices, umnie syne bicht und sacramentte to vorrekende, 

*) LAPPENBERO, Haii\\)\Mrg« C\\iQ\i\^^w ^."iJ^, ^a&. 



Das Amt Bergedorf. 347 

bänger Karls V. und scharfer Gegner der Reformation.*) 
Dann fiel der Turnus auf Ditmar Koel (1542—48), der 1528, 
schon als Anhänger der neuen Lehre, in den Rat gewählt 
war.*) Der Ruf, daß er oder Hamburg eine Änderung ein- 
führen würden, muß ihm vorhergegangen sein. Denn schon 
am 28. August 1542 schrieb der Dompropst Johann von 
Ratzebiu-g, Herzog zu Sachsen und ehemaliger Bischof von 
Hildesheim ^ im Namen des Kapitels an die beiden Städte, 
er habe erfahren, daß das Haus und Amt Bergedorf zu 
Michaelis mit einer neuen Herrschaft von selten der Ham- 
burger besetzt werden solle, weichere vellichte de Ceremonien 
und gotJüiche ampte, de tvy cUdar to Bergerdorpe na gesette 
der hilligen cristhlidien Kerchen holden taten, voranderen 
mochte. Er wies auf die Rechte des Kapitels hin, Ordnung 
und Gottesdienst der Kirche nach seinem Ermessen zu leiten, 
und auf den Beistand, den es bisher immer bei der weltlichen 
Obrigkeit gefunden habe. Darum bat er, den von ihm ver- 
ordneten Kapellan in seinem göttlichen Amte nicht zu stören 
und keine anderen Prädikanten durch Hambui^ einführen zu 
lassen in Wahrung des jüngsten Reichsabschiedes zu Regensburg. 
Zwei Briefentwürfe, über dies bischöfliche Schreiben von 
Hamburg an Lübeck gerichtet, lassen an seinen Absichten 
keine Zweifel: Weil die Verbesserung der Religion und Kirchen- 
gebräuche, so wie sie in Lübeck, Hamburg und anderen Orten 
eingeführt ist, recht, unstrafbar und dem göttlichen Wort 
gemäß, auch von der Kaiserlichen Majestät auf mehr als 
einem Reichstage erlaubt ist, so fühlen wir uns verpflichtet, 
die gottselige, reine Lehre und christlichen Zeremonien in 
Bergedorf wie in unserem übrigen Gebiete einzuführen unter 
Abschaffung dessen, was gotteslästerlich, dem Seelenheil zu- 
wider und ärgerlich ist. Darum bitten wir Euch um Ver- 
fassung einer rechtschaffenen, christlichen und billigen Ant- 
wort an das Domkapitel, damit die armen Untertanen des 
göttlichen Worts teilhaftig und von der verführerischen Lehre 



M. Hoffmann, Geschichte der Stadt Lübeck (1891) n, S. 27, 41 f 
') SiLLEM, Einführung der Reformation in HaiafexÄ^ (JÄÄßi^ %.^'V. 
^ Yergl über Um Masch, Gesch. de8B\at\fflÄ^BÄ\as3B\a^ V^^S^ ^^» 



348 Hans Kellinghoseii, 

und den Mißbräuchen hinfort befreit werden.^) Das zweite, 
wahrscheinlich nicht abgesandte Antwortkonzept gibt die 
hamburgischen Absichten noch deutlicher wieder: die papi- 
stischen Kirchengebräuche in Administration der Sakramente 
sind wider Gottes Befehl und Worte, darum in Lübeck- und 
auch im Fürstentum Sachsen, unter dem die Kapitelsherren 
gesessen sind, abgeschafft. Auch hat die Kaiserliche Majestät 
nachgegeben, daß jeder in seinem Gebiete handele, wie er es 
vor Gott und den Menschen verantworten könne. Damm 
haben wir nicht erwartet, daß das Kapitel zu Eatzeburg 
etwas fordert, was den unsem zu Verderb der Seelen Selig- 
keit werden möchte. Unser künftiger Befehlshaber wird den 
Amtsuntertanen seinem Befehl nach treulich vorstehen und 
sich in dem, was Gottes Wort belangt, christlich verhalten, 
damit unter seiner Regierung die Untertanen mit Gottes Wort 
belehrt und mit unchristlicher Lehre nicht verführt werden. 
Deswegen bitten wir^ dem Kapitel zu antworten, diesmal 
keine Verhinderung zu tun, und obwohl der jetzige Pastor 
zu Bergedorf Gottes Wort entgegen ist und bei seiner Lehre 
bleiben wül, so hoffen wir doch, daß das Kapitel dem Wort 
Gottes entspricht, damit unser künftiger Befehlshaber sich 
mit einem christlichen Prädikanten und Pastor versorgen kann. 
Welch ein Unterschied gegen früher! Damals jahrzehnte- 
langes Bemühen um ein kleines kirchliches Recht, jetzt der An- 
spruch auf die Kirchenhoheit in ihrem ganzen Umfange. FreiUch 
beabsichtigte Hamburg, mit dem Domkapitel, wenn es möglich 
war, eine gütliche Einigung über die Einführung der neuen Lehre 
zu treffen, und in der Tat trat man in Verhandlungen mit ihm 
ein. Unterdes bezog Ditmar Koel das Haus und ließ zuerst 
zur Förderung des Ootteswartes einen Prädikanten von Hamburg, 
nämlich den Kapellan zu St. Nikolai, etliche Male herüber- 
holen und predigen, nahm dann einen andern Blasius Manschke 
genannten, auf seine Kosten an, der ihn jedoch im Dezember 
1542 wieder verließ. Da das Domkapitel die Kirchenrenten und 
-hebungen inzwischen für sich eingezogen hatte, war zu 
besorgen, daß sich kein neuer Prädikant finden werde. Koel 



Hbg. an Lüb. 154*2 Sfe^t. \\, ^«^?» i^^Vi^ ^^\aÄ\\. ^aÄ36^as8e^», 



Das Amt BergedorL 349 

schlug daher vor, das Domkapitel aufzufordern, einen auf- 
richtigen und gelehrten Mann nach Bergedorf zu setzen, der 
Gottes Wort lauter und rein, wie in den beiden Städten und 
den benachbarten Fürstentümern, dem Volke verkündigen und 
predigen würde, so würde er diesem in allem Tun beipflichten. 
Wenn aber das Domkapitel das nicht wolle, so würde daraus 
folgen, daß man dem, der zur Verkündigung Gottes Wortes 
verordnet würde, die Pension und Kirchengüter ausfolgen 
müsse. ^) 

Das Kapitel ging nicht darauf ein, auf Befehl der beiden 
Städte wurde daher dem Prädikanten in Bergedorf im nächsten 
Frühjahr der Kirchenacker zugewiesen, damit war der Bruch 
mit den alten Verhältnissen endgültig vollzogen. Zwei 
Schreiben des Bischofs Johann zu Hildesheim, Herzogs zu 
Sachsen, Dompropstes samt dem Kapitel zu Ratzeburg vann 
der packt und hure des wedem ackers alhir vor Bergerdorpe 
belegen vom April und September 1543 ließen sie, wie es 
scheint, unbeantwortet.*) 

Doch blieben die Dinge vorläufig noch im Fluß, auch 
im Domkapitel errang die lutheiische Lehre die Oberhand,*) 
und der Anspruch auf die Patronatsrechte wurde wieder auf- 
genommen. Noch 1573 wurde ein Pastor in Curslack, nach 
seiner im Jahre 1594 abgegebenen Erklärung, nicht von den 
Städten, sondern vom bischöflichen Administrator in Ratzeburg 
eingesetzt, und noch 1594 protestierte dieser gegen die 
Visitation der Kirchen im Amt durch Abgeordnete beider 
Städte, da sie zum bischöflichen Patronat gehörten. Ein 
bezeichnender Versuch, seine Rechte zu verkaufen, mißlang, 
es kam 1597 zum Prozeß vorm Reichskammergericht, und 
erst durch den Vergleich von 1653 verzichtete der Herzog 
von Mecklenburg als Administrator des Bistums Ratzeburg 
auf alle geistlichen und weltlichen Rechte und Gerechtig- 



Koel an Hbg. 1542 Dez. 27. 

^ Koel an Hbg. 1543 Apr. 14, Sept. 14: übersendet beide Schreiben, 

die nicht erhalten sind. 
') Doch kann die Nachricht bei Masgh (S. 473), daß schon 1639 die 

leitenden Domherren Intherisch gewesen seien, nach obigem nicht 

richtig sein. 



350 Hans Kellini^huseii, 

keiten, die seine Vorgänger, die Ratzeburger Bischöfe, jemals 
in den Vierlanden prätendiert hatten.*) 

Es war ein vergebliches Festhalten an einem erstorbenen 
Recht gewesen. Der Einfluß des Domkapitels war zu einer 
leeren Form geworden, seitdem die Macht der Kirche nicht 
mehr hinter ihm stand. Wie soDte der Staat einem fremden 
protestantischen Domkapitel die Besetzung der Stellen in 
seinem Lande gestatten, deren Inhaber in erster Linie be- 
rufen waren, den neuen Gedanken der von Gott verordneten 
christlichen Obrigkeit unter den Untertanen auszubreiten? 
Mit dem Übertritt des Domkapitels zum Protestantismus war 
jede innere Berechtigung, gerade diesen einen Punkt aus den 
fiüheren Verhältnissen festzuhalten, erloschen. 

Ein erster Ausfluß der Kirchenhoheit des Staats war 
die 1544 auf Betreiben Ditmar Koels vom hamburgischen 
Superintendenten Aepinus verfaßte Kirchenordnung für das 
Amt Bergedorf, die über ein Jahrhundert in Geltung blieb.*) 
Sie handelte von der Annahme der Prediger, von der Messe 
und Predigt, vom Katechismus, von Festtagen, von der Ehe 
und von der Ki-ankenverschung. Die Wahl der Pastoren 
stand beim Amtmann und den Kirchengeschworenen des 
Kirchspiels, ein Verhör durch den Superintendenten in Ham- 
burg (die zweite Handschrift fügt Lübeck oder H, hinzu) 
mußte vorhergehen. Der Gottesdienst schloß sich äußerlich 
noch ganz an die Messe an, deren Name beibehalten 
wiu-de. Introitus, Kyrie, Gloria durfte der Pastor lateinisch 
oder deutsch singen; auf die Verlesung von Epistel und 
Evangelium folgte die Predigt und als neues die Katechismus- 
erklärung. Dann nahm die Messe ihren Fortgang, sogar die 
Präfation mit dem Sanctus lateinisch zu singen, war ge- 
stattet; freilich das AVesentliche, der Meßkanon, fiel fort, an 

') Masch S. 556, Klefeker S. 299. 

^ Gedruckt Z. V.H. G. I, S. 589 ff. KLEFEKER (S. 738) bestreitet ihre 
Einführung im Amt. Aber zwei Abschriften fanden sich in Berge- 
dorf er Kirchenrechnungsbüchem : HOLM, Monatsschrift für die evang.- 
luth. Kirche im haraburgischen Staat V, S. 295. Femer berichtet Eaicli 
an Lüb. am 11. März 1615, daß nach Aussage der Pastoren des £ptm 
Kirche^wrdnung hier im Lande v(yrhanden sei. SiLLEM (S. 92, 169) 
gibt fälschlich 1540 a\a EYJilvv\ii\i\i^«\^iJM. 



Das Amt Bergedorf. 351 

seine Stelle traten die deutsch gesprochenen Einsetzungsworte; 
und zu kommunizieren war den Pastoren nur erlaubt, wenn 
andere Kommunikanten da waren. Aber man sieht doch, 
kein schroffer Bruch mit dem Alten, sondern aUmähliche 
Überleitung in das Neue, das war die Tendenz der Ordination. 

Offenbar haben die Städte in den nächsten Jahrzehnten 
auf die Kirchenhoheit wenig acht gegeben, so daß das Stift Ratze- 
burg noch fernerhin kirchliche Rechte ausüben konnte. Erst 1587 
erfolgte ein gemeinsamer Beschluß, daß hinfort das iits vocandi 
beim Amtmann bleiben, dagegen das ins nominandi voApraesen- 
tandi bei den beiden Städten sei.*) Die Formulierung ist nicht 
glücklich gewählt, der Sinn ist, daß der Amtmann ein Vor- 
schlagsrecht hatte, während dem Rat der regierenden Stadt, 
in deren Zeit die Vakanz fiel, also nicht beiden Städten, die Be- 
stätigung zustand. 1597 hieß es: der Amtmann voziert, der Rat 
ordiniert, 1610 der Hauptmann nominiert, der Rat der regie- 
renden Stadt konfirmiert.*) Die eigentliche EntscTieidung lag 
beim Amtmann: wenn er auch die Stimmung in der Gemeinde 
berücksichtigen sollte, so vermochte er doch seinen Kandidaten 
vor dem von der Gemeinde gewünschten durchzusetzen.*) 

Zuerst in Bergedorf wurde 1602 eine Änderung beliebt: 
als damals der Pastor während Lübscher Regierungszeit starb 
und Lübeck von seinem Recht der Neubesetzung Gebrauch 
machen wollte, setzte Hamburg durch, daß der bisherige 
Schuhneister, der den altersschwachen Pastoren schon seit 
Jahren in allen Amtshandlungen vertreten hatte, aber ein 
Hamburger war, zum Pastoren bestellt wurde. Damit dies 
nun Lübeck an seinem Recht nicht präjudizierlich würde, 
bewilligte Hamburg, daß bei der nächsten Erledigung der 
Stelle Lübeck den Pastoren bestellen solle, es sei die Herr- 
schaft gleich bei wem sie wolle, und daß dann abwechselnd 
fortgefahren würde.*) Damit war ein Prinzip, das schon 1584 
bei der Besetzung der Zollstelle in Eislingen aufgestellt war, 



Hbg. an Lüb. 1587 Okt. 18: Erklärung auf die ad ref. angenommenen 

Punkte § 1. 
*) Grantzin an Lübeck 1597 Apr. 21, Pasche an Lübeck 1610 Aug. 22. 
^ Pasche an Lüb. 1609 Juni— Dez. 
*) Vertrag von 1602 Aug. 18, Ltibeck, TVff^^\ "a«^<fc\QÄKöss«. '^^ 



352 Hans Kellinghiisen, 

zum zweiten Mal durchgesetzt. Nach 1620 fand es auf alle 
Pastoren, wie auf alle Beamten Anwendung. 

Die Einkünfte der Pastoren waren auf den Eirchen- 
ländereien und -renten fundiert, der Staat gab ihnen keine 
Besoldung. Aber während in den Vierlanden das Kirchenland 
eine große zusammenhängende Hufe war, deren Zugehörigkeit 
zur Kirche nie in Zweifel gezogen werden konnte, bestand 
das Bergedorfer Kirchenland aus zerstreuten Stücken in der 
ganzen Feldmark. Es war in kleinen Teilen an die Bürger 
verpachtet, und da es der Kirche nur auf die Rente ankam, 
ließ sie zu, daß der Grund und Boden ihr allmählich ent- 
fremdet wiu-de und in den erblichen Besitz der Bürger über- 
ging. Das Eigentum der Kirche wandelte sich in eine feste 
Grundrente. Dieser Prozeß war im 16. Jahrhundert schon 
im vollen Gange, aber doch war es den Städten noch möghch, 
mit dem steigenden Wert des Bodens auch die Grundrente 
zu erhöhen. Im Jalire 1575 betrug das Bergedorfer Kirchen- 
land 357 Himpten Aussaat (= 98,175 hl). Die Städte forderten 
für jeden Himpten Aussaat 10 ß, die Leute wollten nur 4 ß 
geben, nach manchem Handeln einigte man sich schließlich 
auf 7 ß. Der Ertrag des Kirchenlandes war also 156 -^ 3 ß}) 
Im Jahre 1600 wurde eine weitere Erhöhung auf 8 ß vom 
Himpten Saat durchgesetzt. (Ertrag: 178 -^ 6 /?).*) 

Im übrigen waren die Pastoren auf die Abgaben ihi-er 
Gemeindeniitglieder angewiesen. Nur in Geesthacht, das 1598 
der vier bis dahin eingepfarrten sächsischen Dörfer beraubt 
wurde, ^ war es den Pastoren und dem Küster ganz unmöglich, 
sich von den übrigen wenigen Hebungen mit Weib und Kindern 
zu erhalten. Es wiu'dc vorgeschlagen, ihnen das Dienstland, 
das bisher die Landvögte in den Vierlanden gehabt, oder eine 
jährliche Hebung, die den Pastoren in Lauenburg aus Neuen- 
ganime zustand, zu überweisen;*) während sich die Verhand- 
lungen darüber hinzogen, wurden dem Pastor von Hambui;^ 
einmal 6 Reichstaler, von Lübeck 20 Taler verehrt, endlich 

*) Bericht der Abgesandten der Städte 1575 Aug. 27. 

2) Rezeß von 1600 § 6. 

3) Vergl. VOIGT, M. V. H. G. III, 3, S. 22 ff. 
*) Kezeß von 1005 § 11. 



Das Amt Bergedorf. 353 

wurde 1611 beschlossen, dem Pastor jährlich 60-^, dem Küster 
15^ aus den Amtseinnahmen zu entrichten.*) 

Beim Tode eines Pastors wurde seiner Witwe nach den 
Beschlüssen der Hezesse von 1593 und 1611 ein Gnadenjahr 
gestattet, in dem sie die Einkünfte der Pfarre weiter bezog, 
während die Pastoren aus den Nachbargemeinden die Amts- 
obliegenheiten verrichteten. Die Ausführung dieses Beschlusses, 
zu dem sich die Pastoren gegenseitig verpflichteten, ist mehr- 
fach bezeugt. 

Das Kirchenvermögen verwalteten die Kirchgeschworenen, 
in Bergedorf waren es schon im 15. Jahrhundert vier, zwei 
aus dem Städtchen, zwei aus den eingepf arrten lauenburgischen 
Dörfern,*) in den Vierlanden gab es bei jeder Kirche zwei 
Geschworene. 

Der sittliche Zustand im Volk war wohl nicht ohne 
Schuld der Städte, die die ihnen durch die Reformation zu- 
gewachsenen Pflichten vernachlässigten, tief gesunken.*) Ihn 
Wieder zu heben, beabsichtigten die Städte durch die geist- 
lichen Visitationen, über deren Entstehung wir ziemlich genau 
unterrichtet sind. Als auf einer Zusammenkunft in Bergedorf 
am 25. Oktober 1574 von den Geistlichen der drei Städte 
Lübeck, Hamburg und Lüneburg über die Renovation und 
Konfirmation des Gottesdienstes beraten wurde, schlug Ham- 
burg vor, im nächsten Frühling oder Sommer eine Visitation 
der Kirchen des Amts durch beider Städte Prediger auszu- 
richten, und Lübeck stimmte in einem Schreiben vom 6. No- 
vember 1574 zu. Von der ersten geistlichen Visitation sind 
keine Akten erhalten, dagegen visitierten auf ihren Vorschlag 
der Amtmann als Vertreter Lübecks und ein Hamburger 
Sekretär vom 25. bis 27. August 1575 die Kirchen des Amts, 
nahmen Inventare über die vorhandenen Kirchenbücher (Briefe 
und Siegel fanden sich nirgends) und Kirchengeräte auf und 
verzeichneten die Kircheneinkünfte.*) 



») Hamb. Kämm.-Reclin. IGOO, Lüb. an Hbg. 1606 Aug. 17, 1611 Okt. 22, 

Antw. Nov. 15. 
^ Das älteste Bergedorfer Stadtbach S. 23. 
^ Vergl. FiNDEE, Vierlande S. 29 ff. 
*) Bericht von 1576 Aug. 27. 



354 Hans Kellinghiueii, 

Die nächste Kirchcn\isitation war 1578^') seitdem fand 
alle drei Jahre einige Tage vor der politischen eine geistliche 
Visitation statt. Die Städte entsandten je einen oder zwei 
Geistliche, die die einzelnen Kirchspiele aufsuchten und die 
Pastoren, Küster und Kirchgeschworenen vor sich zitierten. 
von denen es 1578 heißt: se liebheii alle tJiemeJick geantwarUU 
wat vor gehrvvhm syn vorgefdileii; dar syn se alle flytig in 
vcnnalinet Pastoren. Kostere und Jurateii ufid Iiehben heteringe 
angelaret. 15H7 hielten die Visitatoren ein allgemeines Examen 
aller Gemeindemitglieder aus dem Katechismus ab, nachdem 
vorher der Amtmann verkündet hatte, sie sollten placide ant- 
woilen imd de Een den a^idern nkh belachen edder bespotten. 
Dann ermahnte sie der Lübsche Superintendent Puchenios, 
sich nicht zu fürchten, man wolle sie nicht vexieren, sondern 
frei aus dem Katechismus sich unterreden, und was sie nicht 
wüßten, das wi'uden sie lernen, dat se siilvest enen gefallen 
daran s(hohh*7i dregen. Zu rühmen war Geesthacht, wo 
die Kinder ihren Katechismus und die Gebete fein wußten; 
denn sie hatten dort einen jungen Gesellen, der die Kinder 
untoniclitete und den sie wechselseitig in Kost nahmen. 
Sogar die Alten gaben hier nach Gelegenheit ziemliche Ant- 
wollen.^) 

Die A'isitationsbcrichte der Geistlichen vnirden den 
Städten eingeliefert. Diese nahmen, was ihnen geeignet 
schien, in die Rezesse auf. So geht die ganze Sittengesetz- 
gebung (vergl. S. 312) auf die geistlichen Visitationen zurücL 

Eine wirkliche Hebimg des Volkes konnte nur von 
einem geordneten Schulwesen ausgehen. Doch damit stand 
es noch nicht gut. In den Vierlanden waren die Küster zu- 
gleich Schullehrer, aber die Jugend wurde von ihren Elteni 
nicht zum Besuch der Schule angehalten. *) Erst 1617 vnxrie 
den Landleuten auferlegt, ihre Kinder sonderlich im Sommer 
zum Küster in die Schule zu schicken.*) 



Die Protokolle von 1578. 81, 84 iind 87 in der Commerz-Bibliothek 
zu Hamburg (Finder S. 28), seit 1584 vollständig: im Lübecker St-A. 
2) Vis. Prot. V. 1587. 

^ Bericht der Visitatoren 1578 Sept. 23 und 24. Vergl. Finder S. 31 1 
Beze& von 1611 § ^% 



Das Amt Bergedori 355 

Dagegen wurde 1582 in Bergedorf eine neue Schule 
eingerichtet, die als Stadtschule noch heute besteht. 

Ein aus Schlesien vertriebener Geistlicher der Augs- 
burgischen Konfession, Johannes Hempelius, erklärte sich bereit, 
den Schuldienst anzunehmen, wurde aber schon vor seinem Amts- 
antritt vom Herzog Adolf von Schleswig- Holstein zum Hof- 
prediger voziert. Zu Ostern 1583 kam als Ersatz Johann Rosen- 
meiger aus Lüneburg, der schon 27 Jahre zu Artlenburg und zu 
Lütau den Schul- und Kirchendienst versehen hatte. Außer dem 
Unterricht der Jugend mußte er einmal wöchentlich den Katechis- 
mus in der Kirche predigen. Schlecht war es um die Besoldung 
bestellt. Die Städte versprachen je 10 -^ jährlich, in Bergedorf 
waren an Zinsen nur 6 -^ vorhanden, und eine Kapitalsammlung 
unter den Bürgern, die man auf 200 -^ zu bringen hoffte, 
machte nur geringe Fortschritte. Die Einnahme aus dem 
Schulgeld schätzte man auf 30 -^.^) Nicht einmal diese Ein- 
nahmen gingen ordentlich ein. So wechselten die Lehrer 
zunächst rasch*) und betrachteten die Stelle nur als Durch- 
gangspunkt, eine Pfarre im Amt zu erhalten. Der Schul- 
meister wurde vom Amtmann und dem Rat zu Bergedorf 
gemeinsam bestellt.^) 

Die Sorge für Kirche und Schule war eine neue Auf- 
gabe der Verwaltung, deren Bedeutung erst allmählich er- 
kannt wurde, die daher noch nicht überaD zu einer befriedigenden 
Lösung führte. 

6. Der Amtshaushalt. 

Da die Verwaltungsaufgaben im 16. Jahrhundert sehr 
viel einfacher als im modernen Staat waren und größtenteils 
durch die persönlichen Dienste der Untertanen erfüllt wurden. 



*) Lüb. an Hbg. 1582 Nov. 7, Vogeler an Hbg. 1583 April 30. 

^ Es folgten: 1583 Herman Holting (1586 Pastor in Neuengamme), 
Franciscus Grüngenius, Joachim Cortum (angesteUt unter Johan Schulte 
1590—96, 1602 Pastor in Bergedorf), 1604 Rütger vom Felde (1609 
Pastor in Curslack), 1610 Christian Schröder, Johan Goersen (resignierte 
1625, wurde Pastor zu Estebrügge im Bremischen) ; v. Felde an Lüb. 
1609 Juli 1, Register der Rektoren im Lübecker St,-A^. 

3) Rezeß V. 1600 § 1. 



356 Hans Kellin^iueii, 

80 war der Bedarf für den Amtshaushalt nicht bedeutend imd 
die Steuern lu-sprQnglich ganz gering. 

Denn die Hauptdnnahmen flössen aus Zollen, die die 
Bewohner des Amts selbst so gut wie gar nicht tsrafen. Von 
den drei Zollstätten des Amts war bei weitem die wichtigste 
die zu Zollenspieker an der Elbe. Der hier erhobene Eis- 
lingcr Zoll hatte anfänglich wie alle Einnahmen zur Aus- 
stattung des Amtmanns gehört, seit 1446 war es die einzige, 
die Hamburg sich vorbehielt,^ während Lübeck sie bis 1548 
seinem Amtmann gelassen zu haben scheint.*) Der Ertrag 
des Zolls, der schon 1422 auf 380 ^ geschätzt wurde,*) war 
in den hamburgischen Amtsperioden: 

1461—1464: 1916 8', der jährliche Durchschnitt 599^*) 

760 ^ 
820 - 
961 . 

1280 . 

1356 ^ 

1149 -. 

1379 . 

1335 . 

1654 - 

1892 . 

2152 . 

2587 - 

') Die Kämni.-Rechn., die für die für uns in Betracht kommende Zrit 
vor 14B1 nur in den Auszügen Laurents erhalten sind, aher alle 
zehn Jahre eine Übersicht über Einnahmen und Ausgaben geben, Te^ 
zeichnen den Eislinger Zoll zuerst 1450 (ü, S. 83), aber noch niclit 
1440. Beide Male unterstand das Amt Bergedorf, zu dem der Zoll 
gelegt war, hamburgischer Verwaltung. Hamburg wird den ZoD 
daher bei Beginn der Amtsperiode 1446 zuerst für sich erhoben hab«9. 
In demselben Jahre 1446 wurde die Amtsperiode auf sechs Jahre 
ausgedehnt (8. 234). 

^ In den Lübecker KämmerciroUen wird der Eislinger Zoll durch du 
ganze 15. Jahrhundert nicht erwähnt (freundliche Mitteilung von Hem 
Dr. Bruns). 

^ Lüb. U. B. VI, 434. 

*) Der leichteren Übersicht halber in Mark umgerechnet; hier wie übenD 
sind die ß- und A-Belxi&^fe «Xi%ct\MA^\., 



1470- 


-1476: 


3646 . 


1482- 


-1488: 


3 924 ^ 


1494- 


-1500: 


4 615 .. 


1506- 


-1512: 


6145 . 


1518- 


-1524: 


6 521 ^ 


1530- 


-1536: 


5 512 . 


1542- 


-1548: 


6 621 .. 


1554- 


-1560: 


6 408 , 


156Ü- 


-1572: 


9 923 A 


1578- 


-1584: 


11 351 ., 


1590- 


-1596: 


12 915 ,. 


1602- 


-1608: 


15 519 „ 



Das Amt Bergedori 357 

Es läßt sich eine beständige, wenn auch nicht regel- 
mäßige Steigerung beobachten, da aber gleichzeitig das Geld 
von 1460 — 1600 auf etwa V4 seines Wertes sank, war der 
wahre Ertrag am Ende nicht höher als am Anfang. 

Der Bergedorfer Zoll,*) hauptsächlich ein Durch- 
gangszoll für Güter, die die Landstraße zwischen Lauenburg 
und Hamburg passierten, betrug: 

Ostern 1573—74: 663-^ MichaeUs 1601—02: 419-^ 
1577—78: 317 „ „ 1608—09: 259 „ 

1589—90: 269 „ 

Der Geesthachter Zoll, der vom Vogt in Geesthacht 
erhoben und abgeliefert wurde, betrug: 

1573: 22-^ 1589: 28-^ 

1574: 24 „ 1602: 19 „ 

1577: 30 „ 1609: 25 „ 

Von dem Bergedorfer Zoll gesondert angeführt wird 

zeitweise der Ochsenzoll, der vielleicht erst bei der Anlage 

des Curslacker Heerwegs 1568 eingerichtet wurde. Der 

Durchtrieb muß bisweilen sehr groß gewesen sein: in dem 

auf Michaelis 1608 folgenden Halbjahr passierten 11 148 Ochsen, 

wie ausdrücklich angegeben wird, den ZoD. Der Ertrag 

(von jedem Ochsen 3^) war: 

1577: 153-^ 1602: 13-^ 

1578: 66 „ 1609: 187 „ 

Gegenüber diesen Einnahmen waren die ursprünglichen 
Abgaben der Untertanen gering. Die älteste war der Königs- 
Pfennig, der auf jeder Hufe lastende Anerkennungszins 
(vergl. S. 195 f.). Das Register von 1570 verzeichnet: De 
Koninges penning is alle jar up s. Martens dag hy schinender 
sumie tähthogeven hedagt, wert in allen 4 landen van den 
landtvogeden entfangen und iss Pfarrgdt *), dregt ungdidc, dar 
den den vogeden tip to sehende geboret und de vogede bringen 
idt tlio Bargerdorff. In die Amtskasse floß die Einnahme nicht. 



Vergl. S. 257. 

^ Wohl Schreibfehler für Fahrgeld (dessen Nichtbezahlung mit Gefahr 
verbunden war), vergl. S. 1% u. 359. 

ZUchr. d. Vereins f. Uamb. Gesch. XIU. 



358 Hans Kellinghniien, 

Die einzige allgemeine alte Schätzung war der Martins- 
schatz (S. 197), eine von allen Hufnem gezahlte feste Abgabe, 
ursprünglich wohl nach der Morgenzahl bestimmt.^) Bei 
Hufenteilungen und bei Überlassang von Land an Kätner 
wurde den Neubesitzem ein Teil des Martinsschatzes über- 
tragen.^ Im übrigen zahlten die Kätner statt dessen das 
Verbiddelgeld, ein Schutzgeld in Höhe von Aß. Seine 
Zahlung dehnte die Visitation von 1617 auch auf die Hufner 
aus, indem sie bestimmte, daß hinfort jeder, 6b er schon km 
Fmer und Rauch hiUf, auch den Marienscliatz für sich allein 
enf richtet od^^r mitdandcgt, das Vorbiddegeld entrichten solle, 
und trotz des Widerspnichs der Hufner setzte man das otms 
personale durch. ^) Der Martinsschatz samt dem Verbiddel- 
geld \^airde in Neuengamme und Kirchwärder Martini, in 
Altengamme und Ciu-slack auf St. Catherinen (Nov. 25) bezahlt 
Sein Ertrag war: 

1561 1570 1573 1589*) 1608 
in Kirchwärder 163^' 177-^ 175-^ 192-^ 187-^ 
,. Xeucngamme 139 ^ 153 „ 147 „ 188 „ 145 ^ 
„ Altongamme 103 ,. 114 „ 105 „ 122 „ 97 . 
„ Cui-slark 75 . 81 „ 81 „ 87 „ 91 ^ 

\\>itore Abgaben, deren Urspiung sich nicht mehr fest- 
stellen läßt, waren in Neuengamme und Kirchwärder der 
Pascheschatz (89 resp. 95 ^A in der Osterwoche fällig, 
und der Wo It schätz (7 resp. 12 ^x) auf Johanni, femer nur 
in Kirchwärder der Laterenschatz (52 — 54-^) auf Marien 
Geburt (Sei)t. 8). Die Dienste in der Hof Wirtschaft zu Ripen- 
burg hatten einzelne Hufner beider Lande seit 1512 duith 
den Plochschatz (14 resp. 20^) auf Weihnachten abgelöst 
Ihn erhob die alte Heirschaft im letzten Jahre zweimal, auf 

') Der höchste auf einer Hufe lastende Betrag war 1570 in Klrchw. 

G^ 6/J, Neueng. 11-^' 12 /J, Alteng. u. Cursl. je 7-^ 10 /J. 
^ Rezeß V. 1G17 § 9. 

^ V. Eitzen an Hbg. 1G18 Jan. 8, Hbg. an Lüb. Jan. 10. 
Die höheren Zahlen in diesem Jahr rühren daher, daß der Martiss- 

schatz von einigen lt^ut.^\i*\m\^ViX%?ft.^i8^ ^^^ ^^'ö. Herrschaft doppelt 

gegeben werden mu^te. 



Das Amt Bergedori 359 

Weihnachten und Lateran (Sept. 8), dafür mußte ihn die neue 
im ersten Jahre missen. 

Curslack und Altengamme zahlten nur noch das Hof- 
schweingeld (je 9 ^) am Heiligkreuztag (Sept. 14) auf dem 
Bergedorf er Markt. Wie der Königspfennig war e^fargdt und 
mußte bei scheinender Sonne nach Bergedorf gebracht werden. 

Bergedorf zahlte überhaupt nur den Martinsschatz im 
Betrage von 10 -^, der den Biu-gem 1275 als Erstattung für 
das verliehene Stadtrecht auferlegt war. Seine Erhebung lag 
in den Händen des Bergedorfer Rats. Dazu kam seit 1560 
etwa die Steuer der Vorstädter (je 4 ß, vergl. S. 214). 

Geesthacht gab Schatz oder Dienstgeld auf Aller- 
heiligen (4-^) imd Dreikönige (24-^). 

Von den Naturalabgaben war die wichtigste der Zehnte 
in Neuengamme, der von Anfang an der weltlichen Herrschaft 
gebührt hatte (S. 196 f.), während er in Altengamme und 
Curslack dem Bistum Ratzeburg zustand, in Kirchwärder vom 
Bistum Verden an das Kloster Schamebeck und von diesem 
ans Herzogtum Lüneburg gekommen war. Auch in Neuen- 
gamme waren durch herzogliche Verleihungen das Bistum 
Ratzeburg, die Klöster Reinbek und Reinfeld und das Ham- 
burger Domkapitel in Zehntenbesitz. Dem Haus Bergedorf 
blieben nur 19 Leute zehntpflichtig. Als Komzehnte stand 
der Herrschaft von allem Korn die 11. Dieme, die 11. Hocke 
und die 11. Garbe zu, als Schmalzehnte van iderem fcUen 
1 ^j, von iderem kcUve 1 schefi'ff und dat elffte verken, item de 
goeße Jieihen, der sin wenig oder vele, gifft ein ider eine goeß. 
Statt des Komzehntens nahmen die Amtmänner von Holten 
und Thode (1554—66) 160 ^, Johann Moller forderte wieder 
rein Korn, und zwar von 11 Diemen Weizen und Roggen 
3 Himpten, Gerste und Hafer 5 Himpten. Vogeler bean- 
spruchte gar 360 ^ und 3 Wispel Hafer, auf die Beschwerde 
der Neuengammer wurde ihre Pflicht 1583 fortan auf 300 -^ 
und 2 Wispel Hafer fixiert.') 

Weitere Naturalabgaben waren die Rauchhühner, 
Hofhühner, Pfingsthühner und Michaelishühner, nach Johann 



») Register v. 1570. Rezeß 1583 § 9. 



360 Hans KellinghiueB, 

Mollers Register von 1570 zusammen 681 Stflck. Lieferungen 
von Butter, Flachs und Eiern verzeichnen die Bestallungen.^ 
Von unbekanntem Alter sind endlich einige Gewerbe- 
abgaben in den Vierlanden, das Kopschlagegeld, Erögergeld 
und Fischergeld (vergl. S. 210 f.). Es betrug: 



1573 


1574 


1577 


1589 


1602 


das Kopschlagegeld 154 ^ 


135^ 


143 i^ 


73-^ 


79^ 


„ Krftgergeld ... 58 ^ 


66 „ 


76 „ 


41 „ 


4U 


„ Fischergeld ... 120 ^ 


119 „ 


109 „ 


107 „ 


93, 



Statt des Krügergeldes (von jedem Krüger 1 Taler oder 
3 Orttaler jährlich*) gab man im St&dtchen eine geringe 
Akzise (von der Tonne Hamburger Biers 1 ß\ deren Ertrag 
1577: 75, 1578: 91, IKK): 64, 1602: 109 ^ war.») Die Rech- 
nungen von 1590 und 1602 verzeichnen außerdem ein Brauer- 
geld (28 und 84 -^'). 

Die ganze Summe der Steuern wurde oft von den 
üerichtsbrüchen, der dritten Einnahmequelle^ übertroffen 
(vergl. S. 296). 

Insgesamt betmgen die Amtseinnahmen ohne den g^ 
sondert erhobenen Eislinger Zoll: 

M. 



1561 bis 0. 1562: 


600-^ 


0. 


bisM. 


1573: 


1578 4. 


1573 „ „ 1574: 


1116 „ 


r 


n r 


1574: 


1345 „ 


1576 ,. ,. 1577: 


876 „ 


r 


n r» 


1577: 


2038 . 


1577 ,. ^ 1578: 


980 ^ 


r 


r r 


1578: 


1648 „ 


1589 „ ^ 1590: 


1133 „ 


?• 


r n 


1589: 


979 , 


1601 „ ,. 1602: 


1921 „ 


Vf 


r. n 


1602: 


1712 . 



Sie genügten in älterer Zeit zur Deckung des Bedarfs; 
in außerordentlichen Fällen behalf man sich mit Kon- 
tributionen, deren Auferlegung beide Städte sich vor- 
behielten.^) Umlagen für den Schleusenbau aus den Jahren 



Bestallung v. Elthens 1548; Vertrag: v. 1608 § 10, Klefrker S. 371. 
2) Aufstellung der Amtseinnahmen 1607. Dagegen 1573 zahlten die 

meisten Krüger 3 -^ 8 /J. 
'') In den Amtsrechnungen von 1573 und 74 findet sich die Akzise nicht 
*) Bestallung Mollers 1566 (VOIGT, M. V. H. G. HI 2, S. 42) und seiner 

Nachfolger. 



Das Amt Bergedorf. 361 

1443, 1568 und 1617 und zum Heerwege 1568 wurden schon 
erwähnt. Im 16. Jahrhundert wurden femer erhoben: 
1534 Nov. 15 von jeder Hufe 2 Gulden zur Verteidigung des 

Amts, zusammen 316 S* 4 /f, 
1547 zur Verteidigung der reinen evangelischen Lehre von 

jeder Hufe 9 ^, zusammen 1335 ^, 
1556 zum Unterhalt der Knechte, die den Einfall der in 
Mecklenburg ausgehobenen Landsknechte verhinderten, 
1040-^. 
1559 vom Morgen 1 Taler, eine hohe Schätzung, deren 

Ertrag 4970 ^ war, 
1561 vom Morgen V* Taler, Ertrag 835 -^, 
1572 in den Vierlanden vom Morgen 6 /f, in Bergedorf 
der halbhundertste Pfennig. Ertrag: in Neuengamme 428, 
Kirchwärder 241, Curslack 276, Altengamme 210, Berge- 
dorf 119, zusammen 1274 ^.^) 

Aus einer Eontribution zu einer regelmäßigen Steuer 
wurde allmählich die Türkensteuer, die zum erstenmal 
auf Grund des 1542 ergangenen und von den Reichsstädten 
gebilligten kaiserlichen Mandats 1544 erhoben wurde. In 
Hamburg forderte man V* % des Vermögens, aus dem Amt 
Bergedorf, dessen Eingesessene wegen schlechter Ernte 1542 
Dilation erbeten hatten, wurden nur etwa 300 ^ abgeliefert.*) 
Als 1566 die Tüi'kensteuer von neuem auferlegt wurde, 
gaben die Vierlande vom Morgen Landes 8 ß, von geringerem 
Land 6 /f, die Geesthachter und Bergedorfer den hundertsten 
Pfennig (1%) ihres Vermögens, der Ertrag war 2206 ^\ die 
große Summe erklärte man sich 1607 durch den drohenden 



Hbg. an v. Hutiem 1534 Nov. 4, Kämm. Rechn. V, S. 528; VI, S. 256; 
Vn, S. 56, Lüb. an Hbg. 1559 Febr. 21, Kämm. Rechn. VH, S. 201, 
300 nnd 1572 (ungedr.) 

^ Hbg. an Brömse 1542 Aug. 11, Hamb. Kämm. Rechn. VI, S. 129. Das 
Lübecker St.-A. bewahrt eine ausführliche Erhebungsordnung für das 
Amt Bergedorf nach einem Formular, das auch für das Gebiet des 
Lübecker St. Johannisklosters verwandt wurde (gedr. G. H. Schmidt, 
Zur Agrargeschichte Lübecks und Ostholsteins S. 115 ff.). In Bergedorf 
kam diese Ordnung, die V^ 7o des gesamten beweglichen und unh^ 
weglichen Vermögens forderte, a\xgeii&c^\ie\i^O[i mOoX i^oi k&:«^^^sQEfiS| 



362 Hans Kellinghiiaeii, 

Türkeneinfall.') Zum drittenmal wurde eine Turkenstena 
auf Fordening des Reichs 1577 — 82 sechs Jahre hintereinander 
auf Trium Regum (Jan. 6) erhoben, von den Hufnem als 
Landschatz, von den Landlosen als Kopfsteuer; ihr Ertrag 
schwankte zmschen 1050 und 1092 ^.*) 

Endlich wurde den Untertanen im Rezeß von 1593 auf- 
erlegt, die Türkensteuer hinfort jährlich zu geben; seitdem 
verlor sie den Charakter der außerordentlichen Eontributioi 
und wm-de bald auch nicht mehr für den Türkenkrieg, sondern 
im Haushalt der Städte verwandt. Der alte Name aber blieb 
bis ins 19. Jahrhundert haften. Ein Mandat der Städte von 
14. Dez. 1594, das sich noch auf die von allen Kurfürsten 
und Ständen des Reichs bewilligte große TOrkensteuer berief, 
bestimmte die Ausdehnung der Kopfsteuer auch auf die Hofner 
und ihre Weiber, Kinder und Gesinde. Erwachsene gaben 6ß, 
Kinder 3 ß. eximiert waren die Prediger und der Amtmann, 
bei Unvennögenden konnte die Kopfsteuer herabgesetzt werden. 
Daneben blieb der Landschatz der Hufner (2 ß vom Morgen) 
trotz ihres heftigen Widerspruchs bestehen.*) Der Ertrag 
schwankte zwischen 1000 und 1100 ^. Die Türkensteuer 
wurde zu Neujahr oder Dreikönige durch Ratsgesandte der 
Städte, seit 1GÜ8, um Kosten zu sparen, durch den Amtmann 
erhoben.*) 

Gleichzeitig mit der Festlegung der Türkensteuer wurde 
das Holzgeld (1 ß vom Morgen, 495 ^) eingeführt-, zunächst 
als ])ersönliche Entschädigung des Amtmanns (siehe S. 3271 

Je mehr der Staat die Vei-waltung an sich nahm, desto 
mehr \\'uchsen seine Bedürfnisse. Daher stand man jetzt 
auch in der Finanzverwaltung vor einem Wendepunkt. Auf 
der Visitation von 1605 überzeugte man sich, daß bei den 
stets steigenden Ausgaben auch die Amtsintraden verbessen 
werden müßten, sonst müsse notwendig eine Veränderung 

Die Leute uuterm Haus Bgd. an Hbg. (1566) bitten, die Stener tob 
S ß auf 6 /{ herabzusetzen. Auf der Visitation von 1607 wurde eis 
Extrakt von 15G6 wegen der Türkensteuer vorgelegt (Vis.-Prot) 

^ Hamb. Kämm. Rechn. (ungedr.) 

^) Mandat v. 1594 Dez. 14; Alteng. u. Cursl. an Lüb. 1597 Okt 25. 

*) Lüb. an PascTie 1^0^ D^i.W. 



Das Amt Bergedorf. 363 

mit dem Amt vorgenommen werden.^) Zunächst versuchte 
man den ersten Weg, eine außerordentliche Zusammenkunft 
im Amt wurde 1607 angesetzt. Lübeck stellte hier fest, daß 
die von den Untertanen gezahlten Pachte und Zinse aUmählich 
wohl auf die Hälfte ihres ursprünglichen Geldwertes gesunken 
seien (in Wahrheit auf Vs bis Vio) und, was dasselbe war, 
der Grundbesitz den doppelten Wert von früher erhalten habe. 
Für die Erhöhung der Einnahmen stellte es mehrere Vor- 
schläge zur Auswahl: nach dem Vorbild der hamburgischen 
Untertanen einen Schoß (4 ß von 100 -^) vom Vermögen, das 
die Eingesessenen eidlich selbst einschätzen sollten, eine Er- 
höhung der Türkensteuer, die Verdoppelung aller Amtseinnahmen 
entsprechend dem gesunkenen Wert, eine Erhöhung der Akzise, 
die Verpachtung der Ripenburg zum Besten der Städte, endlich 
kleine Ersparnisse bei der Besatzung des Schlosses und den 
Deichschauungen.*) In eingehenden Besprechungen einigte 
man sich auf die Einführung des Schosses und die Erhöhung 
der nunmehr auch auf die Vierlande ausgedehnten Akzise. 
Beides geschah im Rezeß von 1608. Ohne größere Schwierig- 
keit wurde die Akzise (4/f von der Tonne Bier), von der 
die Landvögte befreit blieben, bei den Untertanen durch- 
geführt, seit Michaelis 1608 wurde sie erhoben und brachte 
schon im ersten Jahr von Hamburger Bier 382 ^, von Lüne- 
burger Bier 119 -^^) Nachhaltigen Widerstand fand dagegen 
der Schoß. Zunächst setzten die Untertanen im Rezeß von 
1608 eine Ermäßigung des Schosses auf 2 /f von 100 -^, also 
auf Vs 7o des Vermögens, durch ; aber auch dann noch ergingen 
sie sich in furchtbaren Klagen über die Unmöglichkeit dieser 
Forderung.*) Inzwischen war der Beschluß durch Unter- 



Rezeß von 1605 § 15. 

^ Lübsche Instr. 1607 Aug. 14. 

^) Einwilligung der Bergedorfer, Pasche an Ltib. 1609 Aug. 30; 1611 
Mai 22. Der Rezeß von 1614 (§ 5) fügte hinzu, vom Magdeburgischen, 
Zerbischen, Gardelebischen und Braunschweigischen Bier, weil die 
Fässer zweieinhalbmal so viel als die Hamburger enthielten, 10 ß zu 
nehmen, der Rezeß von 1617 (§ 4) erhöhte die Akzise für sie auf 2 -U- 
Gleichfalls wurde 1617 den Brauern in Bergedorf, die priyilegi 
Brauerben besaßen, iß von jeder Tonne auferlegt (§ 5). 

*) Vierlande an Lüb. 1609 Aug. 23, Dez. 7, Bergedort «s.\^^. ks 



364 Hans Kellinghaaen, 

Siegelung des Rezesses im Oktober 1609 yerbindlich gewordeo, 
lind dem Amtmann wurde befohlen^ den Schoß nötigenfalls 
durch Rechtszwang einzutreiben. Da bewirkte der schwere 
Deicheinbruch auf der Hove im Frühjahr 1610 (S. 338) einen 
letzten Aufschub. Auf der Visitation von 1611 erklärten die 
Landleute noch einmal, es wäre ihnen unmOglichy den SchoB 
auszugeben, wollten die Städte ihnen das Ihrige nehmen, so 
müßten sie es geschehen lassen. Auch die Erinnenmg an 
benachbarte Marschländer, die höheren Schoß geben müßten, 
wollte nicht verfangen. Endlich befahlen ihnen die Gesandten 
bei poeiia dupli und Ausjyfändtoig, den Schoß bis Martini zn 
erlegen. Daraufhin bezahlte zuerst Bergedorf am 28. Oktober, 
dann Kirchwärder am 13. November den Schoß, die andere 
Lande weigerten sich, wurden gepfändet und fanden sich erst 
im Oktober 1612 bereit.*) Aber schon 1612 stellte man fest, 
daß die Leute ihre Güter nicht richtig verschoßten, und in 
der Tat betrug der im Oktober 1616 eingenonunene Schoß 
imd danach das geschätzte Vermögen nur: 



in Bergedorf — 


• 146^ 


10 A 


Vermögen 117 300^ 


.. Neucngamme . 


. 144 , 


14 . 


v> 


115 900 ^ 


^ Kirchwärder . 


. 166 ^ 


14 ^ 


r 


133 500 ^ 


.. Altengamme . 


. 58 - 


6 . 


r 


46 700 . 


.. Curslack 


. 87 , 


2 . 


- 


69 700 , 




603 „ 


14 . 


r 


483 100 - 



Im ganzen hatte die Finanzreform nicht das gebracht, 
was man ei-wartet hatte; nunmehr griff man den zweiten im 
Rezeß von 1605 vorgeschlagenen Weg an, er führte zur Ver- 
waltungsänderung von 1620. 

Bis zu dieser Zeit waren die im Amt erhobenen 
Einnahmen keineswegs mit den Einkünften der städtischen 
Kämmereien aus dem Amt identisch. Ursprünglich erhielten 
die Kämmereien nichts, nach dem Vertrage von 1422 flössen 
die auf 800 und 470-^ geschätzten Einkünfte der beiden 
Ämter in die Taschen der Amtmänner (S. 239). Bald forderte 

') Rezeß von 1611 § 7. 

') Pasche an Lüb. 1611 Nov. 5, 20. 



Das Amt Bergedorf. 365 

man von ihnen wenigstens ein Pfand, das verfallen sein sollte, 
wenn ihnen die Schlösser durch eigene Schuld heimlich ab- 
geschlichen würden. Das Pfand konnte als zinsfreies Kapital 
im städtischen Haushalt verwendet werden. In dieser Weise 
übertrug Lübeck 1430 beide Ämter nacheinander für eine 
Pfandsumme von 4000 ^, Hamburg die Vogtei Ripenburg 1434 
für 1500 ^ und 1452 für 3000 ^.') 

Von der Verpfändung war nur ein Schritt weiter zur 
Verpachtung, die den Amtmann überhob, eine große Summe 
bei seinem Amtsantritt flüssig zu machen, während den Städten 
hauptsächlich an der daraus gezogenen Rente gelegen war. 
Dies System wandte Lübeck schon 1438 an, indem es beide 
Ämter acht Jahre nacheinander an Timm Hadewerk für 250 ^ 
jährlich verpachtete.*) Sein Nachfolger gab dem Rat für die 
Vogtei Ripenburg mit allen Nutzungen jährlich 300 ^, 
10 Störe und 200 Hühner.*) Seitdem bezahlten alle Lübschen 
Amtmänner bis zur Vereinigung der Ämter für Bergedorf 250, 
für Ripenburg 300 ^ Pacht.*) 

Auch Hamburg verpachtete die Ripenburg seit 1464 
bis zu ihrer Aufhebung für 160 S* (= 200 ^). Aus den 
Bergedorfer Einkünften dagegen sonderte der Rat 1446 den 
Eislinger Zoll für sich aus und schuf sich damit die erste 
direkte Einnahme aus dem Amt (S. 356). Dem so seiner Haupt- 
einnahme beraubten Amtmann mutete man keine Pachtzahlung 
mehr zu, im Gegenteil, bis 1536 erhielt er nach Ausweis der 
Kämmereirechnungen pro aira et custodia castri jährlich 
300 ^ ausbezahlt. Erst unter den beiden folgenden Amt- 
männern (1542—60) fiel diese Zuzahlung fort. 

Schon 1548 forderte die Bürgerschaft, daß bei der Ver- 
waltung des Amts mehr auf der Stadt Wohlfahrt als auf den 
Profit und Vorteil der Amtmänner gesehen würde. Und der 
Rat versprach, bis die Stadtschulden getilgt seien, das Amt 
dem Ratsmitglied oder Bürger, der das höchste Gebot abgäbe, 
zu verpfänden oder zu verpachten oder es auf Rechnung zu 



») Lüb. Ü.B. Vn, 411; Kämm.-Rechn. H, S. 60, 96. 
^ Lübecker KämmereiroUe (freundl. Mitt. von Dr. Bruns). 
3) Lüb. U. B. Vm, 364. 
♦) S. 227 n. 3. 



366 Hans KeHinghnaeii, 

vergeben, wenn es gelinge, ni der Stadt Vorteil einen Vogt zu 
hekonxmm}) Aber eine Änderung trat erst ein, als die Böi^- 
schaft 1563 die Kämmereiverwaltung in ihre Hände brachte. 
Nur hatten die Kämmereibürger jetzt ebenso einseitig fiska- 
lische Interessen im Auge und vergaßen darüber das Wohl 
der Untertanen. Bereits in einer Proposition vom 7. März 1564 
erklärten sie dem Rat, sie wiUJten einen Mann in der Stadt 
der jährlich 2000 ^' für das Amt Bergedorf geben würde, 
wenn er es zu denselben Bedingungen wie die bisherigen 
Amtsleute erhielte. Der Rat bat, es hi dem olden tumo zn 
lassen, schließlich gab er nach, nur sollte eine PersoB 
des Rats vor allen in gleicher Höhe bietenden das Vorrecht 
haben. Die Forderung der Bürger, schon jetzt mit ihrem 
Mann abzuschließen, wurde trotz ihres Protestes bis zur Zdt 
des Heimfalls des Amts vei-schoben.*) Am 28. Dezember 1565 
zeigte der Bürgenneister Reder den Kämmereibörgem an. 
daß Herr Jürgen Vilter, detn wie thor tidt sodann Ahät 
htthohchbrndf wolde gchorm (vergl. S. 229), das Haus und 
alle Gelegenheit besichtigt, aber gefunden habe, daß es ilm 
und den Seinen für das gebotene Geld nicht zum Vortdl 
gereichen kOuno; er habe daher auf Bitten des Rats gui- 
willip: verzichtet, die Bürger möchten mit dem sich anbietenden 
Pächter Johann Moller in Verhandlungen treten. Doch da 
erhob sich HeiT Nikolaus Vogeler, der langjährige Rats- 
sokretär. d(Mn ab(»r nun, weil er zum Ratsherrn aufgerückt 
von den Kämmeroiverordneten seine Besoldung entzogen war: 
er wolle das von Johann Moller gebotene Geld geben, man 
niöfre ihn nehmen, da er die Untertanen und das Haus viel 
blosser als ein Bürger regieren könne. Als aber der Bat 
erklärte, Vogeler nach einstimmigem Beschluß zurzeit nicht 
aus seiner Mitte entbehren zu können, verzichtete auch er 
aus Freundschaft zu Moller und seinem verstorbenen Vater. 
Unterdessen war Johann Möller, dessen Bruder und Stiefvater'i 
im Rat saßen, mit zwei weiteren Freunden auf dem Rathaus 



Rezeß von 1548 g 17, ffedr.-LÜKIG, Reiclisarchiv P. Spec. Cont. IV, S.99U 
2) Käiiiinerei-Prot. 15(54 März 7—22, Seite 8, 38, 45, 53, 55, 68. 
') Everdt MoUer und AUjreiiVvt Kviekemami. 



Das Amt Bergedorf. 367 

erschienen; ihm wurde in Gegenwart der Kämmereibürger 
vom Rat das Haus für 2000 ^ jährlicher Pacht zugeschlagen, 
unter denselben Bedingungen, wie seine Vorgänger es gehabt 
hatten. Füi* die im voraus zu entrichtende Pacht stellte er 
vier Bürgend) Im Januar 1566 wurde seine Bestallung an- 
gefertigt, außerdem liegt zu einem Nebenvertrag ein Entwurf 
vor, in dem sich Moller verpflichtete, dem Rat zu einer 
gemeinen Distribution jährlich 200 ^, sowie dem Ratsherrn 
Vilter als Entschädigung für den Turnus eine im Konzept 
nicht angegebene Summe zu zahlen.*) 

Obwohl sich sofort zahlreiche Unzuträglichkeiten heraus- 
stellten, die sich in Beschwerden der Untertanen und Lübecks 
äußerten, hielt Hamburg doch durch vier Amtsperioden bis 
1608 an der Verpachtung fest, nur daß seit 1572 wieder 
Ratsherren Pächter waren, und die Pachtsumme auf 1500 ^ 
herabgesetzt win-de.*) In die Kämmerei flössen damals die 
Pacht, der Eislinger Zoll und die Türkensteuer. 

Indessen war Lübeck schon 1548 zur modernen Finanz- 
verwaltung übergegangen (vergl. S. 234 f., 240), indem es die 
Amtseinkünfte, abgesehen von den Naturalabgaben und der 
Hälfte der Gerichtsbrüche, für sich erhob. Halbjährlich 
legte der Amtschreiber der Kämmerei Rechnung ab.*) 1608 
folgte endlich auch Hamburg. 

Bis zu dieser Zeit hatte jede Stadt und ihr Amtmann 
die Amtseinnahmen während ihrer Regierung allein gehabt. 
Nach der Vereinigung beider Ämter hätte also die nicht- 
regierende Stadt gar keine Einkünfte aus dem Amt gehabt, 
wenn nicht 1512 ausgemacht wäre, daß ihr von der regierenden 
jährlich 400 Mark wegen der Ripenhirg entrichtet werden 
sollten.*^) Dagegen waren alle von den Städten aufzubringenden 
Ausgaben, namentlich für Bauten und zur Verteidigung, von 
jeher gemeinsam, mußten also stets von der nichtregierenden 



>) Kämmerei-Prot. 1565, S. 148, 165, 181, 216. 

^) Gedr. Voigt, M. V. H G. m 2, S. 42 ff. 

^ Nach den Kämm. Rechn. 

*) Aus den erhaltenen Amtsrechnungen sind die obigen Einzelasgabea 

sowie die Zusammenfassung (S. 360) genommen. 
^) Anlage 2; wie die Kämm. BecbxL a\iswelmI^ «^i^\& X^^sa^^^X*. 



368 iTftii« KeUinghiueii, 

Stadt mit entrichtet werden. Schon im 15. Jahrhundert 
pflegte man bei der Umsetzung der Ämter gegenseitig abzu- 
rechnen/) später geschah es hauptsächlich auf den Visita- 
tionen. Je gi*Oßer die Ausgaben wurden, desto langwieriger 
waren die Abrechnungen; 1607 gebrauchte man zur Liqui- 
dierung der Rechnungen von Michaelis 1602 — 1606 acht Tage. 
Und nicht nur das, bei der Schwerfälligkeit der Bewillignug 
wurden die notwendigsten Ausgaben fast zur Unmöglichkeit 
gemacht, die Zustände forderten gebieterisch eine Änderung. 

Endlich wurde in dem Reformjahr 1608 bestinmit, was 
nun die gemeinsamen Verwaltungsgrundsätze ermöglichten: 
daß die Oeniessung des Ämbts jerlichen zunschen beiden JErbaren 
StetMi gleich sein und nicJit, wie hißhero bretichlich gewesen, 
alle seclis Jahre umbgetvecJiselt werden soll. Jährlich schickte 
die regierende Stadt der andern ihr Quotum nebst der Beck- 
nung zu.*) Damit war der Grundsatz der völligen Trennung 
der Verwaltung, der so lange geherrscht hatte, überwunden, 
der Weg zur gänzlichen Vereinigung war auch von dieser 
Seite aus gebahnt. 

Von den Einnahmen und Ausgaben Hamburgs im ganzen 
geben die Kämmeroirechnungen folgendes Bild: 





Einnahmen 


Ausgaben 


Überschuß 


mPi 
zent 




4^ ß 4 


4 ß A 


^ ß 4 




1465—1476: 


5557 3 2 


8245 6 7 


— 2488 3 5 


— 43 


1477—1488: 


6055 2 


4 144 3 


1 910 15 


32 


1489-1500: 


6 669 2 4 


5645 15 5 


1323 2 11 


19 


1501—1512: 


8 881 6 8 








1513—1524: 


9 752 8 








1525—1536: 


9 289 8 4 








1537—154«: 


10 895 2 7V2 


2 651 2 


8 244 2 5V2 


76 


1560—1572: 


23 186 12 2 


9 959 11 3 


13 227 11 


57 


1572-1584: 


20350 11 3 


11 254 7 


9096 10 8 


45 


1584-1596: 


24 314 8 3 


22 148 11 9V2 


2 165 12 5Va 


9 


1597—1608: 


27 490 7 2 


25 976 14 7 


1513 8 7 


5,5 



Bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts übei-wiegen di 
Ausgaben; auffallend ist, daß trotz der günstigen Bedii 



') Hbg. an Lüb. 1464 8ept 22. 
') Vertrag § 13, ^liEFBiM?». S.?ri\. 



Das Amt Bergedorf. 



369 



gungen für die Amtmänner die Mitte des 16. Jahrhunderts 
die Zeit der größten Überschüsse ist; die Städte taten eben 
damals gar nichts für das Amt. Dann beginnt ein rasches 
Sinken des Überschusses, vor allem aber zeigen die Zahlen 
selbst, die sich doch in sehr bescheidenen Grenzen halten, 
die Notwendigkeit einer Reform, 



370 



Hans Kellin^hasen^ 



1374 



Anlage 1. 
Die Amtmänner auf Bergedorf und Ripenburg. 

A. Bergedorf. B. Hlpenbnrg. 

Vicke Marschall von Hitzacker Lndolf and Hans Marschall yod 
1357. Hitzacker 1406 (Pfandbe- 

Ritter Johann Wulf. sitzer). 

Otto Schack 1401. 
Hinrich Mildehovet 1418. 



1422—26 Johann Cletze (H.) 
1426—30 Johann Gerwer (L.) 
1 430 — 34 Johann von Alverdinge (H.) 
1434—38 Hans Lüneburg (L.) 

1435—38 Tideke Bramstede 
1438-42 Johan Vos (H.) 
1442—46 Timm Hadewerk (L.) 
1446—52 



1452 
1458 
1464 
1470 
1476 
1482 
1488- 



1494— 



1500 
1506 



1512- 
1518- 
1524- 
1530- 
1536- 
1542- 
1548- 
1554- 
1560- 
1566- 



— 58 Hinrich von Stiten (L.) 
—64 Erich von Tzeven (H.) 
-70 Oord Brekewold (L.) 

— 76 Jakob Struve {H.) 
—82 Hinrich von Calven (L.) 
—88 Christian Berskamp (H.) 
—94 En*>-elbroclit Vickin^husen 

1500 Johann Berskamp (H.) 
T 1496 
44 () — 1 500 Christian I^erskamp 
-06 Herman Meßraan (L.) 
-12 Cord Moller (H.) 



Nicolaus von Stiten (L.) 
Märten Swart^op (H.) 
Hans Lüneburg (L.) 
Johan Vos (H.) 

Timm Hadewerk (L.) 
Hildebrand Brandes (H.) 
Johann Hovemann (L.) 

Hinrich Cnimvot 1449 
Hinrich I^esemann (H.) 
Cord Brekewold (L.) 
Hans Lesemann (H.) 
lYitz Grawer (Li.) 
Hans I^semann (H.) 
Engreibrecht Vickinghusen (L^ 
Ench von Tzeven (H.) 

En«:ell)recht Vickinghusen X' 



Matthias Schiphower (H.) 
Herman Meßman (L.) 



C. (4esamtamt Bergedorf. 



-18 Herman Meßman (L.) 
-24 Micliel Keder (H.) 
-30 Bartold Kerkring- (L.) 
-36 Gerd von Hutlem (H.) 
-42 Nicolaus Bromse (L.) 
-48 Ditmar Koel (H.) 
-54 Dietrich von Elthen (L.) 
-60 Jürgen von Holte (H.) 
-66 Christoffer Thode (L.) 
-72 Johann Moller (H.) 



1572—78 Johann Kerkring (L.) 
1578—84 Nikolaus Vogeler (H.) 
1584—90 Franz von Stiten (L.) 
1590—96 Johann Schulte J.Ü.L. 

(H.) 
1596—1602 Gerd Grantzin (L.) 
1602 — 08 Joachim Brandt (H.) 
1608—14 Hinrich Pasche (L.) 
1614—20 Eberhard Esich (E) 
t 1616 
1^17 — 20 Albrecht von EitieD. 



Das Amt Bergedorf. 371 

Anlage 2. 

Vertrag über die Vereinigung der beiden Ämter Bergedorf 

und RIpenburg 1512 Nov. 10. 

Wy Burgermeistere unde Rathmanne der Stede Lubeke unde 
Hambarg bekennen nnde betugen apenbare vor nns, nnsze nakome- 
linge, ock unszer stede borgere unde alszweme: nach deme unde 
alsz wy unlanges der borch offte slotheszhaluen Kypenborch, de 
umme szwackheyt willen eres gebuwetes nicht szunder grothe vare 
unde eventur in krygeszlufften tho holden gewest, uns undereynander 
vordragen, alszo dat wy deszulven umme merer szekerheyt unde 
weyniger vare willen hebbenn lathen breken, unde alszo nach 
malkander vorgehattem bewage unde radtslage de helen unde gantzen 
vogedie myt alle den dar tho behorende, idt sy van rechte, gerichte, 
upkumpft unde aller gerechticheyt, beyde ym lande offt ock van 
wegen der Elve dar tobehorende, nychtes buthen bescheden, to unser 
beyder vogedie unde slothe to Bergerdorppe gelecht, dar by vorbath 
unde szo lange wy allenthalven wes anders unde beters beraden 
mochten werden, to blyven unde dorch den besitter tor tydt desszulven 
unszes slotes Bergerdorppe, deme ydt denne van unser eynen nach 
szynen geborte averantwordet unde bevalen, myt deme slothe unde 
der vogedie to Bergerdorppe tovorstanden, toregeren, tovorbidden 
unde yn aller mathe, wu idt szust beth her gewest togebruken. 
Doch also, dat wy dat sloth unde vogedie to Bergerdorpp vorgerort 
vortan aver alle sosz jare na older hergebrochter gewonheyt in guden 
loven unde truwen unser eyn dem andern, wo ock am jungesten 
Michaelis lestleden gescheen, scholen unde willen overgeven unde 
vorantworden inne to hebben unde togebruken. Unde by weme tor 
tydt datsulve also myt syner tobehorunge in bewaringe unde gebrukynge 
ys, de schall sick ock gemelter vogedie to Rypenborch myt all orer 
tobehoringe alse vorgerort dorch den amptman, szo eyn iszlyck van 
uns steden dar to synen tyden wert vororden, undermaten unde 
szunder myddel togebruken hebbenn. Unde des schall de amptman, 
so wy offt de yenne van uns, deme idt to synen tyden gebort, dar 
bestellet, der anderen van uns beyden steden, de sdszdenn dat sloth 
Bergerdorpp unde de vogedie Rypenborch nicht enhefft, van derszulven 
vogedie wegen tho Rypenborch iarliks de vorschreven szofs jarlanck 
unde alszo eyne tydt umme de andern, na vorlope eynes isliken jars 
upp Michaelis unvorlettet edder tom hogesten vor Martini dar 
negestfolgende veerhundert marck lub. bynnen orer Stadt an guden 
graven darsulvest ganckbam golde edder gelde vomogen unde to 
fruntliken willen woll betalen. Woraver de amptman also yn d 
betalynge inwendich vorberurder tydt vorsumich unde von 
werde unde de wo vorgemelt nicht endede, aLazdexmi^ «fik^\si9BL 
willen wy vorbenante stede unser eyn. deoie wAtsra. ^ä36ä\«»ä 



372 Hans Kellinghi 

liken welker van uns de vogedie Rypenborch myt deme slothe nnde 
vogedie to Bargerdorpp tor tydt inne heBt, der andern sodann gdx 
to entrichten and npp ere forderinge szonder wyder vortoch to 
betalen schnldich szyn. Unde des scholen onde willen wy to beydeo 
szyden, so vaken onde wanner wy eyn iszlick to sjnaer tydt de 
borch Bergerdorpp myt beyden vogedien also vorgerortli innhemen 
nnde dorch uns offt nnsem amptman in gebroke unde geneting« 
hebben, van deme solven amptman tor tydt nnde er he dar to 
gestadeth, nmme merer szekerheyt nnde mynder entschnldinge willen, 
nochafftighe borgen nnde vomvisszinge soUiks wol toholdenn nnde 
dermathe ans allenthalven to rechten tyden tobenhemen nnde schadeloen 
toholden, annhemen nnde entfanghen, nnde dar mede nonandes 
overszeen noch vorschonen, allet sznnder behelpp, list nnde gefeide. 
Unde hebben des to orknnde der warheyt nnszer stede secrete ai 
dussze breve, der twee szyn alleyns ladende (dar van eyn jewelick 
van uns eynen by sick in vomaringe hebben) witliken laten hangen, 
de gegeven unde schreven syn, nach Cristi anszes hem gebortt im 
dusent vyfQinndert unde twolfften jare am avende Martini des hüligoi 
bisschoppes. 

(Orig., Lübeck, Threse, Bergedorfiensia Nr. 36). 



INHALTSÜBERSICHT. 



Seite 

Quellen und Literatur 181 

I. Das Amt und seine Bewohner. 

1. Besiedelnng der Yierlande 186 

2. Besitzrecht in den Vierlanden; Qnmdherrschaften ... 194 

3. Bauemklassen 205 

4. Bergedorf und Geesthacht 211 

5. Die Entstehung des Amtes Bergedorf 217 

n. Die Behörden. 

1 . Der Amtmann 228 

2. Beamte im Dienst des Amtmanns 248 

3. Die Beamten der Selbstverwaltung in Stadt und Land 260 

4. Die Visitationen 266 

m. Die Verwaltung. 

1. Obrigkeit und Untertanen 280 

2. Gericht und Recht 285 

3. Kriegswesen und Herrendienste 316 

4. Deichwesen, Wasser- und Wegebau 327 

5. Kirche und Schule 343 

6. Der Amtshaushalt 355 

Anlage 1. Die Amtmänner auf Bergedorf und Bipenburg . . . 370 

Anlage 2. Vertrag über die Vereinigung der beiden Ämter 

Bergedorf und Bipenburg. 1512 November 19 371 



Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. Xm. 



Hamburg und der Islam, 
insbesondere am Ende des 17. Jahrhunderts. 



Von 

Adolf Wohlwill. 



Es ist mehrfach als ein Wunder bezeichnet worden, daß 
Hamburg während der leidenschaftlich geführten bürgerlichen 
Kämpfe am Ausgange des 17. Jahrhunderts seine Unabhängig- 
keit nicht eingebüßt habe. Kaum minder staunenswert er- 
scheint es, daß Hamburg in dieser Zeit innerer und äußerer 
Bedrängnisse in geistiger Beziehung einen besonders hohen 
Rang unter den deutschen Städten zu behaupten vermochte. 
Beides zu erklären, muß einer zusammenhängenden Darstellung 
der hamburgischen Verhältnisse während der angedeuteten 
Periode vorbehalten bleiben. Hier genüge es festzustellen, 
daß kaum ein gründlicheres Werk die Geschichte des deutschen 
Geisteslebens am Ende des 17. Jahrhunderts behandelt, ohne 
in der einen oder anderen Hinsicht auf Hamburg Bezug zu 
nehmen. So hat denn auch J. MINOR in seinem Pfingsten 1907 
für die Goethegesellschaft gehaltenen, im Druck auf Grund 
des ursprünglichen Konzepts erweiterten Festvortrage 0, in 
dessen erstem Teil er die ehedem in Deutschland vorwaltenden 
Anschauungen über den Islam darlegt, Anlaß gefunden, auf 
zwei bemerkenswerte hamburgische Publikationen vom Ende 
des 17. Jahrhunderts hinzuweisen, nämlich auf Happels 
Thesaurus exoticorum und auf die von Pastor Hinckehnann 
veranstaltete arabische Ausgabe des Korans. 

Ehe ich im Anschluß an MINOR diese beiden Erzeugnisse 
hamburgischen Gelehrtenfleißes etwas näher ins Auge fasse, 
möchte ich an ein noch etwas früher hervorgetretenes lite- 
rarisches Werk erinnern, das ebenfalls vorzugsweise der 

J. MiKOR, Goethes Mahomet, ein Vottc^. ^«&»b \^Rf\. 



376 Adolf Wohlwül, 

Sphäre des Islams angehört, nämlich den aus zwei Teilen 
oder Spielen bestehenden und mit Vorbericht und historischer 
Einleitung versehenen Opemtext des vielseitig begabten und 
verdienten hamburgischen Rechtsgelehrten (späteren Syndikus 
und Bürgermeisters) Lucas von Bostel, „Cara Mustapha", der 
von Franck komponiert worden ist.^) K. Th. Gaedebtz 
erwähnt in seinem Buch: Das niederdeutsche Drama von den 
Anfängen bis ziu- Franzosenzeit (S. 81 ff.), diese von E. 0. 
Lindner*) allzu abfällig beurteilte Dichtung namentlich wegen 
der plattdeutschen Ana, die dem Diener Cara Mustaphas, 
Barac, der lustigen Person des Stückes, in den Mund gelegt 
wird.*) Nicht zum wenigsten aber verdient es Beachtung, 
daß Lucas von Bostel einen Vorgang aus der jüngsten Ver- 
gangenheit, der die Geschicke des Deutschen Reichs aufs 



Die Angabe im Lexikon der Hamb. Schriftsteller, Band 1, S. 354, die 
auf Mollers Cimbria literata, Band 1, S. 60, zurückzuführen sein 
dürfte: Aus dem Französischen übersetzt, ist irreführend. Gleich im 
Beginn des Vorberichts bezeichnet sich Lucas von Bostel als Verfctsser 
dieser Singespiele, Der weitere Verlauf des Vorberichts und vor aUem 
die Dichtung selbst bestätigen, daß er dies in Wirklichkeit war, 
mochte er auch die Liebesmotive und sonstige Episoden der in 
Frantzösischer Sprache beschriebenen und zeithero von einem vor- 
nehmen Ministro an benachbarten Hoch-Gräß, Hofe Teutsch über^ 
setzten Liebes- und Lebens-Geschicht des Groß- Veziers Cara Mustaphas 
entlehnet haben. 
*) Die erste stehende deutsche Oper (Berlin 1855) S. 17 ff. 
^ Zu Minor, a. a. 0. S. 17 und 76, sei beiläufig bemerkt, daß das in 
Pontoppidans „Der reisende Prinz Menoza" verzeichnete Lied, das 
von den Jenenser Studenten um 1730 gesungen sein soll: 
Hat uns nicht Muhammed schändlich betrogen. 
Da er den Wein in Verachtung gebracht usw. 
von dem besagten Barac mit einer Weinflaschen und einem Olase 
bereits in der angeführten Oper (Teil 1, Akt 3, Auftritt 8) vor- 
getragen wird. — Da Lucas von Bostel in dieser Strophe gewisser- 
maßen als feuchtfröhlicher Vorläufer Hagedoms erscheint, möge sie 
hier voUständig in ihrer ursprünglichen Gestalt zum Abdruck gelangen: 
Hat uns nicht Mahomet schändlich betrogen, 

Wann er den Wein in Verachtung gebracht, 
Hat der Verfährer nicht heßlich gelogen, 

Wann er Wein-Trincken zur Sünde gemacht? 
Wer so verachtet den edelen Wein, 
Muß icol ein Narre mit MaJvomd w^j-«. 



Hamburg und der Islam. 377 

tiefste berührte, dem hamburgischen Theaterpublikum vor- 
zuführen kein Bedenken trug. Er glaubte, sein Verfahren 
rechtfertigen zu können, indem er sich in seinem Vor- 
bericht auf die Autorität des berühmten, in seinen Schau- 
spielen fast tüie unvergleichlich, also unfehlbar jetzo angesehenen 
Mr. de Racine berief, nach dessen Ausspruch die Näfie der 
Zeit durch Entfernung des Orthes ersetzet, was einige Hundert 
Meilen von uns, als wäre es einige Hundert Jahre vor uns 
geschehen, gehalten, und derohalben ein Tiircke, absonderlich 
aus dem Set^aiUe, bey seinem Leben unsers Orths, ob wäre Er 
gleichsam längst verstorben, betrachtet udrd^) Von dem Stand- 
punkt des Verfassers ist diese Entschuldigung allerdings etwas 
sophistisch, da er neben den türkischen Hauptfiguren auch 
verschiedene Deutsche und andere Abendländer, wenn auch 
zum Teil nur als stumme Pei-sonen, auftreten läßt, und die 
Handlung nicht in der Türkei, sondern zwischen OriechiscJi- 
Weißenburg (d. i. Belgrad) imd Wien vor sich geht. Von 
unserem Standpunkt scheint es dagegen höchst anerkennens- 
wert, daß Lucas von Bostel das erfreuliche Ereignis der 
Befreiung Wiens wenige Jahre später auf die hamburgische 
Bühne brachte.*) Obwohl die dem Cara Mustapha beigelegten 
rein persönlichen Motive gar sehr in den Vordergrund treten, 



Der Verfasser hat folgende SteUe aus Racines Vorrede zu seiner 
Tragödie Bajazet im Auge : Uilaignement des pays ripare en quelqut 
Sorte la trop grande proximiU des temps, car le peuple ne met guhre 
de diffhrence entre ce qui est, si j^oae ainsi parier, ä mille ans de lui, 
et ce qui en est ä mille lieues, Cest ce qui faii, par exemple, que lea 
personnages turcs, quelques modernes qu^ils soient, ont de la digniU 
8ur notre thSätre: on les regarde de bonne heure comme anciens usw. 

') Es dürfte sich lohnen, dem Zeitpunkt, in dem die beiden Singspiele 
zur Aufführung gelangten, etwas näher nachzuforschen. Die gewöhn- 
lich, u. a. in der Sammlung A. der hamburgischen Opemtexte (auf 
der hamb. Stadtbibliothek), angegebene Jahreszahl 1686 findet sich 
nicht auf dem Titelblatt der Opemtexte yermerkt, sondern beruht auf 
Überlieferung. Vergl. diese Zeitschr. Bd. 3 S. 38 und Gaedertz a. a. 0. 
S. 82. Jedenfalls könnten nur der Januar und Juli des Jahres 1686 in 
Betracht kommen, da während der übrigen Monate, teils wegen der 
unruhigen Zeitrerhältnisse (hey den trouhelhafften Leufften, wie es 
im Konvent vom 28. Januar 1686 in der Nebenproposition der EsV 
gesessenen Bürgerschaft hieß), teila ^^^u ksl<^^\:QS^ ^Kt ^^"«. "^^sa 




878 AMf WtUvM, 

könnt dorh die wHthUtoriiicke Bedrat 
VorKAnge voUkomnen nir UHtuair. 

<flrirh im rmten Auftritt dr« enira Ak«ff»'i 
Makomrt IV. durrh rine Aria, raf dftrm 
Ta&i von Janitjirharrn folft, nir 
Krdr anfrfcurrt: 

ittUßt MNlfT dIrtiK* itmeki, 
Ihr IV /an^ ^'^Mjy rtrlofkU 
Mnhamri. hmmngm wfrdm, 
Ihu ä»e Wfii wirk dar «rfpfe, 

Mahmei Irht! 
siUm mUm^ fi& dir wnrkm^ 

fW md SrhanAn Miilrr^rA«, 

S%rhlnt mHate wnJUrwkkn 
thnnm SäbrU iapffrm Sfrrtrhtn^ 

Ikiß iU^n Arm d$e HWf MmipMu 

ilitßkttmrt viff/r' 

Narhdrm dl«* Turkrn und Tartarrn bt« in dar N4W i 
Wim VfirirHninjr«*n «ind und in Urfrrht run iVfru^tfl 
rkn«tlirhr Knlrrn in dir Murkt ffrj«irt k«bm. krtAi r« 
swntrn Auftntt dr% dnttrn Akt» tdm rmtrn Tr&Ui 

Iht NtHfir f'hnairnMrtt. 
Ihi miU^f HHH mti drf Xrtt 
Fu9 Fut^ht unJ Sikrr^krn iifirrn. 
/äiii /'ii// iif NuAf m-'Ar Mrif 
/ff t^rfh ilrr .SVv NhAI V^o^ 
lliri/ i^vA dmah dtrwtrn >*f«*4 

vtUs 4r« WkAMUm rM4.>r«i«4 Wi»«kbf. MrM c^'l^it 
1lAmiKA<*% livff MMikakMk« l*alr%^ <« IIV »4 tat K. O 

!•»# t««!! Akt »^fff AbU^ 




Hamburg und der Islam. 379 

Fast wichtiger noch erscheint es, daß bereits im Vor- 
spiel die welthistorische Tragweite des Kampfes um Wien 
und die von ihm erhofften Folgen angedeutet werden, nament- 
lich in der dritten Szene (Vorstellung), wo der Prophet Ma- 
homet die christliche Kirche verfolgt und fast unterdrückt 
und an sie die spöttische Aria richtet: 

Wütu dicfi noch auff deinen Gott, 

Du thörichte, mehr gründen, 
Warumb wird Er mit dir ein Spott, 

Und lasset sicJi nicht finden, 
Warumb nimmt Er sich dein nicht an. 
Wofern sein' Hand dir hdffen kan, 

worauf aber ein Engel aus den Wolken die Kirche mit einem 
Schilde bedeckt und den Arm Mahomets zurückhält und 
letzterer schließlich durch einen Blitz in den Abgrund ge- 
stürzt wird. 

Im Personenverzeichnis wird Mahomeih als der Türeken 
falscher Prophet bezeichnet. Auch der Titelheld Cara Musta- 
pha sollte offenbar den Abscheu derer erwecken, die das 
Stück lasen oder im Hamburger Opemhause an sich vorüber- 
ziehen sahen. Andrerseits darf nicht unerwähnt bleiben, 
daß die übrigen Türken in dieser Dichtung keineswegs durch- 
weg als hassenswerte Unholde erscheinen. Die von Cara 
Mustapha umworbene Baschlari, des Sultans Schwester und 
Ibrahims Gattin, bewahrt aller Versuchungen ungeachtet die 
eheliche Treue; Ibrahim, der Bassa Beglerbeg in Ofen, ist 
eine durchaus achtbare Persönlichkeit, der türkische Sultan 
Mahomet IV. wird nur durch Cara Mustaphas selbstsüchtige 
Vorspiegelungen und Ränke in den Krieg getrieben, während 
der Mufti sogar wiederholt davor warnt, den mit den Christen 
abgeschlossenen Waffenstillstand treu- und eidbrüchig zu 
verletzen. 

Nur wenige Jahre nach der Abfassung der erwähnten 
Oper erschien in Hamburg in dem bekannten Verlage von 
Wiering (im Goldenen ABC) der Thesaurus exoticorum von 
Eberhard Werner Happel, der sich nach der Unsitte der 
Zeit Everardus Guemerus Happelius zu nennen liebte. 



380 Adolf Wohlwül, 

Während der erwähnte Vielschreiber, der gegen Ende des 
17. Jahrhunderts längere Zeit seinen Wohnsitz in Hamburg 
hatte, es sich sonst meist angelegen sein ließ, historische, 
geographische und ethnographische Belehrung in das Grewand 
romanhafter Erzählung zu kleiden,*) ist sein Thesaurus exo- 
ticorum der Belehrung schlechthin gewidmet. Er enthält 
einleitungsweise Angaben über die verschiedensten außer- 
europäischen Länder, in seinem Hauptteile aber die Be- 
schreibung und Geschichte des Türkischen Beichs, seiner 
Herrscher, seiner Begierungsweise, seiner Institutionen 
und Untertanen, durch viele Abbildungen illustriert. Mit 
besonderer Vorliebe und patriotischem Stolz behandelt 
Happel die jüngsten Türkenkriege und ihre Folgen von 
der Entsetzung Wiens bis zu der Erhebung des Erzherzogs 
Joseph zum König von Ungarn. Den Schluß bildet ein 
Lebensbild Mahomets und sein verßnchtes Oesetzhicli oder 
Älkoran. 

Wenn Happel es auch nicht für geboten erachtete, die 
herühmtesten Skribenten einzeln zu nennen, aus deren Büchern 
er sein umfangreiches kompilatorisches Werk zusammen- 
getragen, so gibt er doch über den Ursprung der mitgeteilten 
Koran-Übersetzung genauere Angaben. Der weitschweifige und 
etwas marktschreierische Titel lautet: Vollständiges Türkisches 
Oesetz-Budi oder des Ertzhetrügers Mahoniets Alkoran welcher 
vm'hin nimmer vollkommen heraußgegeben noch im Drtick aup- 
gefertiget worden. Auß der Ardbischen in die Frantzösische 
Sprache übergesetzet durch Herrn Dr. Ryer, miß dieser aber 
in die Niederländische durch H. J. Blasemacker und jetzo 
zum cdlersten mahl in die HocJiteiitsche Spraelie versetzet durch 
Johan Lange, Medicinae Candidatum. 

Die Laufbahn und Wirksamkeit Joh. Langes, der hier 
1670 in das Amt der Barbierer und Wundärzte aufgenommen 
wurde und als Schriftsteller, namentlich als Übersetzer von 
Werken des verschiedensten Inhalts, dazu beitmg, den Hori- 
zont seiner Zeitgenossen zu erweitem, verdient wohl einmal 



7ergL Karl Jacoby in dem Sammelwerk: Hamburg vor 200 Jahren, 
Ulff. 



Hamburg und der Islam. 381 

zum Gegenstand genauerer Nachforschungen gemacht zu 
werden. Obschon seine für jene Zeit leidlich lesbare, doch 
aus dritter Hand geschöpfte Übertragung begreiflicherweise 
kein sonderlich getreues Bild des Originals bieten konnte, 
so werden doch sicher zahlreiche Wißbegierige in Deutsch- 
land zuerst durch Lange eine ungefähre Vorstellung von dem 
Koran erhalten haben. 

Die in dem angeführten Titel enthaltene Behauptung, 
der Koran sei durch Joh. Lange zuerst ins Hochdeutsche über- 
tragen worden, dürfte wohl kaum als absichtliche Täuschung 
aufzufassen, sondern eher durch die Annahme zu erklären 
sein, daß die im Anfang des 17. Jahrhunderts unternommene 
Arbeit des Nürnberger Predigers SaJomon Schweigger, der 
den Koran aus dem Italienischen in ein schwerflüssiges *) Deutsch 
tibertragen hatte, weder dem Joh. Lange selbst, noch Happel 
bekannt geworden. 

Dienten Happels und Langes Arbeiten der populären 
Belehrung, so war die arabische Koranausgabe, die D. Abraham 
Hinckelmann, seit 1688 Pastor (Hauptpastor) zu St. Gatharinen 
in Hamburg, hier im Jahre 1694 erscheinen ließ, eine Leistung, 
die in wissenschaftlicher Hinsicht Epoche machte.^ Aller- 
dings war die Zahl derjenigen, die den Wert solcher Arbeiten 
zu würdigen vermochten, zu Hinckelmanns Lebzeiten noch 
sehr gering. Aus der lateinischen Vorrede zu seiner Aus- 
gabe ist zu entnehmen, daß er bei dem Hervortreten seines 
Werks auf Angriffe aus drei verschiedenen Gründen gefaßt 
war. Manche — so meinte er — würden behaupten, seine 



Ausdruck J. MiNORs, a. a. 0. S. 7. 

^ Vergl. Senior D. Behrmanns Schrift: Hamburgs Orientalisten S. 51—54. 
— Nebenher sei bemerkt, daß die in Hamburg in der officina 
SchultziO'Schilleriana (vergl. J. M. Lappenbero, Zur Geschichte der 
Buchdruckerkunst in Hamburg S. LII und UH) hergestellte Koranaus- 
gabe Hinckelmanns, ungeachtet ihrer typographischen Mängel, auch 
auf technischem Gebiete einen Fortschritt bedeutete. Es genüge hier 
daran zu erinnern, daß die von einem älteren hamburgischen Orien- 
talisten, Heinrich Rump (f 1626), kurz vor seinem Tode handschriftlich 
ausgearbeitete arabische Grammatik yerloren gegangen sein soU, weil 
er sie ob defectum Hamhurgi typarum Arahicorum in Leiden drucken 
lassen woUte. FABRICIUS, Memoriae Hamb. Band 6 S. d94. 



382 Adolf WohlwUl, 

Ausgabe verdiene die auf sie verwandte Mühe nichts manche 
würden geltend machen, daß solche Mühwaltung anderen 
eher als einem Theologen zukomme, und daß insbesondere ein 
derartiges Unternehmen eines hamburgischen Pastors gerügt 
zu werden verdiene, wieder andere würden sich daran stoßen, 
daß dem arabischen Text nicht Kommentar, Übersetzung und 
Widerlegung beigefügt worden seien. Gegen diese zu gewärti- 
genden Anfechtungen suchte Hinckelmann sich im voraus zu 
rechtfertigen. Zu seiner Verteidigung führte er teils religiöse, 
teils literarhistorisch-philologische Motive an. In ersterer 
Hinsicht betonte er stets aufs neue, wie notwendig es sei, 
den Koran gründlich zu kennen, um imstande zu sein, ihn 
zu bekämpfen und dem Christentum im Orient Bahn zu 
brechen. Ein sowohl in religiöser wie in wissenschaftlicher 
Beziehung bedeutsames Argument war es, wenn Hinckelmann 
auf die Verwandtschaft des Arabischen mit dem Hebräischen 
hinwies und demgemäß die Wichtigkeit einer genauen Ver- 
trautheit mit der Sprache des Korans für das Verständnis der 
Bibel hervorhob.^) Über das religiöse Interesse der von ihm 
befürworteten Beschäftigung mit dem Koran und dem Ara- 
bischen überhaupt ging Hinckelmann hinaus, indem er, der 
am Koran nicht viel Gutes ließ, die arabische Literatur im 
übrigen, sowohl die poetische wie die wissenschaftliche, in 
ein überaus günstiges Licht stellte. Femer betonte er den 
Wert des Arabischen für die Sprachvergleichung, wobei er 
seine Ansicht allerdings durch Etymologien, die uns heute 
recht wundersam erscheinen müssen, zu beki'äftigen suchte. 
Gegenüber den Angriffen derjenigen, die bemängeln würden, 
daß dem arabischen Text keine (lateinische) Übersetzung bei- 
gegeben sei, machte er geltend, daß ihm dies in Anbetracht 
der einander widerstreitenden Auslegungen so mancher SteDen 
des Korans bedenklich voi^ekommen wäre, ganz abgesehen 
davon, daß eine solche Übertragung den Anreiz zu dem ihm 



^) In der Vorrede, die JOH. WiNCKLER seiner Ausgabe auserlesener 
Predigten von Hinckelmann (Hbg. 1697) yorausschickte, ließ er nicht 
unerwähnt, daß dieser im Interesse tieferen Verständnisses der Bibel 
großen Fleiß an die Morgenländische Sprachen gewandt habe. 



JSamborg und der Islam. 383 

SO empfehlenswert erscheinenden Studium des Arabischen 
eher mindern als verstärken würde.*) 

Besonders scharf wandte sich Hinckelmann gegen die- 
jenigen, von denen er annahm, daß sie seine Arbeit als 
eines hamburgischen Geistlichen unwürdig bezeichnen würden. 
Es lohnt, auf diesen Punkt etwas näher einzugehen, zumal 
solche Ansichten schon vor der Veröffentlichung seiner Aus- 
gabe zum Ausdruck gekommen zu sein scheinen und die 
Überlieferung hierüber dazu führte, daß man Hinckehnann 
später als eine Art von Märtyrer seiner orientalischen Studien 
hinstellte. 

Gleich auf der ersten Seite der Vorrede hatte Hinckel- 
mann bei der Wiedei-gabe des zu erwartenden zweiten Ein- 
wurfs: Si quid operae in Jwc libro ponendum fuisset, ab alio 
potius quam homine Theölogo expectandum fuisse, certe in 
Pastore Hamhirgensi tale instittitum merito improbari zu den 
letzten Worten in Parenthese hinzugefügt: quod nonnemo 
publice scripsit Weiterhin bemerkte er behufs Abfertigung 
derartiger Widersacher, sein Unternehmen sei von einem her- 
vorragenden Gelehrten ^ als eines Theologen nicht unwürdig 
bezeichnet worden, und er fügte hinzu: Ejusmodi ingeniis 
placere malo quam ioti istorum gregi, qui nisi quod ipsi faciunt 
nihil rectum putant Es wäre von Interesse, festzustellen, 



^) Das letztere Argument ist bereits in den weiterhin anzuführenden, 
im wesentlichen das H.8che Unternehmen gutheißenden Monatlichen 
Unterredungen 1694 (Septemberheft) S. 742 f. angefochten worden. 
Übrigens ist zu beachten, daß, wie aus dem Novemberheft 1692 der- 
selben Zeitschrift hervorgeht, Hinckelmann ursprünglich dem arabischen 
Text unter Benutzung von Arbeiten anderer gelehrter Männer eine 
Übersetzung der wichtigeren und schwierigeren Abschnitte hinzuzu- 
fügen beabsichtigte. Vergl. die folgende Anmerkung. 

^ Wenn Hinckelmann schreibt: Laudo potius et grata animo agnosco 
Viri aolida eruditione ceUberrimi Dn, Teszelii candorem usw., so 
dürfen wir wohl annehmen, daß Teszelii yerdruckt ist statt Tentzelii, 
da der thüringische Polyhistor Wilhelm Ernst Tentzel in seinen 
Monatlichen Unterredungen der Hinckelmannschen Koranausgabe mehr- 
fach in achtungsvoller Weise gedenkt. Schon im Heft vom November 
1692 war mit Rücksicht auf die Voranzeige in dem letzten Leipziger 
Meßkatalog das Unternehmen Hinckelmanns freudig begrüßt und zum. 
Beweis der Unverfänglichkeit einet «x«XAäO\<^^ '^^c^^x^ ^^'^ ^^Lss«böä 



384 Adolf WohlwiU, 

an wen Hinckelmann bei den allgemeinen Bezeichnungen 
nonnemo und isiorum gregi usw. gedacht hat, und ob die- 
jenigen, von denen er Angriffe der erwähnten Art erfahren 
oder in Zukunft erwartete, sich in Hamburg oder anderswo 
befanden. 

Hinckelmanns Veröffentlichung des Korans fiel in die Zeit 
des hamburgischen Priesterstreits. Nicht nur die Geistlichen, 
sondern die weitesten Kreise der ohnehin durch politische 
Gegensätze entzweiten hamburgischen Bevölkerung waren 
aufs tiefste durch die Erörterung der Frage erregt, ob die 
Religion in Hamburg dadui-ch in Gefahr geraten sei, daß 
einige Pastoren der durch Spener ins Leben gerufenen 
pietistischen Richtung zuneigten. D. Joh. Priedr. Mayer, der 
bekannte streitbare, rede- und schriftgewaltige Vertreter der 
strengsten Orthodoxie, bejahte diese Frage und hielt sich 
demgemäß für verpflichtet, die Gegenpartei, insbesondere 
Joh. Heinrich Horb zu St. Nikolai, Speners Schwager, mit 
allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen. 
Hinckelmann nahm während dieses Streits anfänglich eine 
vermittelnde Stellung ein; indessen sein Bestreben, nicht durch 
entschiedenere Parteinahme Öl ins Feuer zu gießen, hatte 
zur Folge, daß Mayer ihn auf der Kanzel, freilich ohne 
seinen Namen zu nennen, aber doch verständlich genug, als 
ein wankend Rohr und als Imdichten Priester bezeichnete, 
ja ihn zu den Vertretern der Spenerschen Fraktion rechnete, 
die aus der Stadt vertrieben zu werden verdienten.^) Von 
anderer Seite erfolgte eine Veröffentlichung, auf deren Titel- 
blatt es hieß, daß Hinckelmann in seiner Lehre nicht um 
einen Dreüing hesser, ja weit ärger und irriger als eben der 
weltbekannte Schwärmer Hmhim sei. Sicher ist, daß er in den 

betont worden, daß ztceene xvackere noch Übende Theologi, die ja dem 
Göttlichen Willen sich nimmermehr so praefracte widersetzen würden 
(außer Hinckelmann auch D. Augustus Pfeiffer in Lübeck), eine solche 
zu veranstalten versprochen hätten. 
^) Dies und das Folgende nach den theologischen Streitschriften jener 
Zeit und insbesondere nach Hinckelmanns Rechtfertigungs- und 
Angriffsschrift, Auffrichtige Fürstellung des wahren Ursprungs der in 
Hamburg entstandenen und annoch währenden ärgerlichen und gefähr- 
lichen Unruhe, Anno 1G94. 



Hamburg und der Islam. 385 

Jahren 1693 und 1694 eine Zeitiang in das Mitteltreffen der 
theologischen Streitigkeiten geriet. Da die Polemik jener 
Tage nicht wählerisch in ihren Mitteln war, so erscheint es 
nicht völlig ausgeschlossen, daß Hinckelmann von einzelnen 
Heißspornen der Mayerschen Partei auch wegen seiner Be- 
schäftigung mit dem Lehrbuche des Islams angegriffen wurde. ^) 
Von erheblichen Folgen ist dies aber sicher nicht geworden. 



^) Wenn D. Mayer nach Hinckelmanns angeführter Schrift S. 8 gegen 
diesen die Beschuldigung erhohen, er wäre mit von der Art Priestern, 
die, wenn die Zeit der AnfeMung komme, könten so leicht Päbstisch, 
Jüdisch, Türckisch, Heydnisch als Calvinisch werden, so soUte dadurch 
der aUerdings ungerechte Vorwurf der Gesinnungslosigkeit zu mög- 
lichst drastischem Ausdruck gelangen. Es liegt aher kein Grund yor, 
das Wort Türckisch gleichsam zu unterstreichen und auf Hinckel- 
manns Beschäftigung mit dem Islam zu heziehen. In den Streit- 
schriften vom Anfang des Jahres 1694, in denen Mayer sich hestreht 
zeigt, Hinckelmann in jeder Weise herabzusetzen, wird allerdings 
gelegentlich einmal auf dessen Koranstudien angespielt, doch keines-, 
wegs auf eine Weise, aus der man auf theologische Bedenken gegen 
solche Studien schUeßen könnte. Im Gefühl seiner linguistischen 
Überlegenheit hatte Hinckelmann in seiner mit Pastor Winckler ge- 
meinsam herausgegebenen Schrift: Abgenöthigte Entdeckung der un- 
christlichen Sophistereien usw. (Hamburg 1694) S. 29 Mayer etwas 
spöttisch aufgefordert, seine einst in Wittenberg gehaltenen Vor- 
lesungen über den Propheten Zacharias der Welt schriftUch oder 
durch den Druck mitzuteilen, da doch anzunehmen sei, daß er sich 
mit großem Fleiß und nicht als ein gelahrter Charlatan mit diesem 
Thema befaßt habe. Darauf entgegnete Mayer in seiner Schrift: 
Herrn M. Johann Wincklers und D. Abraham Hinckelmanns über- 
zeugte böse Gewissen usw. (vom 23. April d. J.) S. 7, er habe nur 
deswegen jene Vorlesungen nicht so schneU yeröffentlicht, um D. 
Hinckelmann die Ehre zu lassen, seine lateinische Version über den 
Alcoran erst^ heraußzugeben, worauff mit so großem Lachen die gelehrte 
Welt gewartet hat Man sieht, daß es Mayer bei dieser Auslassung 
mehr darum zu tun war, einen Angriff seines Widersachers zu parieren, 
als einen tiefer begründeten Vorwurf gegen diesen zu erheben. Zur 
Abwehr seinerseits durfte Hinckelmann in seinem „(Christlichen Ent- 
schuldigungsschreiben an die ihm anvertraute Gemeine" (vom 25. April 
1694) S. 24 auf die (im Druck allerdings erst vom 10. Mai d. J. 
datierte) Vorrede zu seiner Koranausgabe verweisen. Der tatsäch- 
lichen Richtigstellung fügte er die Worte hinzu : Wer solche Troubles 
auff dem Halse hat, als ich durch X>. Mayem bisher mit auaÄ*Ä.K«iw 
müssen, der lasset Versiones wohl ungemocKt. N «i^.^.^ää^ kssöss^ssa^'J 



386 



Adolf Wohlwill, 



Der Kaiser mahnte bereits im April 1694, 
berigen Streit unter den Geistlichen beizulegen. ] 
und Bürgerschluß vom 8. Juni desselben Jahres verfc 
selbe Ziel. Wenn dieses auch nicht völlig erreich 
konnte, so wurden doch die Gegensätze gemildert. Es £ 
daß Hinckehnann nicht lange nach der Fertigstellui 
Koranausgabe, am 8. November 1694, dem Senior 6 
liehen Ministeriums in Hamburg, D. Samuel Schu 
Exemplar überreichte, und daß letzterer diese Ge 
benutzte, um Hinckehnann einer Aussöhnung mit ] 
geneigt zu machen. Den Erfolg konnte Schnitze kon 
indem er seinen Bericht über den Ministerialkon\ 
9. November d. J. mit den Worten abschloß: Wie der ( 
Bum ende, gab Oott gnade, daß durch meine ver 
M, D. Meier und H. D. Hinkelmann wieder vereinigt 
und einander die Hand gaben, dabei zugegen H. D. 1 
Der Vorgang war um so wichtiger, als neben Mayer 
letzterwähnte Domprediger D. Christian Sigismund 
den entschiedensten Gegnern Hinckelmanns gehört 1 

War der herbeigeführte Ausgleich dem yevsi 
Gemüte Hinckelmanns zweifelsohne höchst willkon 
wurde doch die schmerzliche Erinnerung an die 
gegangenen Kämpfe bei ihm nicht völlig ausgetilj 
Unheil, das der kirchliche Hader dem hamburgischen 
Wesen gebracht hatte und weiter zu bringen drohte, 
er als ein persönliches Leid.*) Insbesondere aber 
ihm verhängnisvoll geworden sein, daß er, der fri 
Seelsorger und Gelehrte — obschon widerwillig*) 
seiner Bahn gewichen war. Mochte er auch im 



*) Des sei. H. Senioris Schultz eigenhändiges Diarium von ] 
(im Hamb. Staatsarchiv) S. 269. 

*) Zeugnis dafür, wie sehr dieser Streit sein Gemüt bekümi 
u. a. die ergreifende Neujahrspredigt, die er wenige ^ 
seinem Tode gehalten. Vergl. A. Hinckelmanns Auserlesene 
S. 355—386. 

^ In HlNCKELHANNs Schrift: Aufbrichtige Fürstellung usw., he 
er habe D. Mayers Maßnahmen offl mit Iieimlichen Leyd 
gesehen und angehöret, aus Liebe aber zum Kirchen-Friedi 
biß er mich bey den Haaren au ff andere Rtsolution gezogen 



\ 



Hamburg und der Islam. 387 

gelegentlich geäußert haben, er frage nach Mayers (wider 
ihn gerichteten) Schriften so wenig wie nach dem Zischen 
einer Fliege, so hatte doch die damals mit dem kampfgeübten 
Widersacher geführte Fehde sein Inneres aufs tiefste er- 
schüttert. Als in der zweiten Februarwoche 1695 der trotz 
vorübergehender Kränklichkeit in rüstiger Manneskraft wir- 
kende Mann von einem Blutsturz betroffen wurde, soll er 
die Worte gesprochen haben: Da liegt das 1694ste JaJir}) 
Er starb am 11. Februar 1695 gegen Mittemacht. 

Es scheint nun, daß die spätere Überlieferung zwischen 
den Angriffen, die Hinckelmann wegen seiner Haltung in 
dem sogenannten hamburgischen Priesterstreit erfuhr, und 
den gelegentlich erfolgten Anfechtungen seiner Beschäftigung 
mit dem Koran nicht immer genau zu unterscheiden ver- 
mochte und letzteren eine übergroße Bedeutung beimaß. So 
erklärt es sich, daß im Jahre 1774, also achtzig Jahre nach 
dem Erscheinen des Hinckelmannschen Korans, einer Kritik 
von Boysens Koranübersetzung in der sogenannten Lemgoer 
Bibliothek*) zur Charakteristik des veränderten Zeitgeistes 
die von MINOR*) zitierte Angabe eingefügt werden konnte: 
dem Pastor Hinckehnann habe sein arabischer Koran beinahe 
Amt und Ehre gekostet.*) 



Obwohl Hinckelmann, eine Zierde der hamburgischen 
Gelehrtenwelt, zu seinen Koranstudien offenbar vorzugsweise 
durch wissenschaftliche Beweggründe veranlaßt worden war, 



Vergl. JOH. Geffgken, Johann Winckler und seine Zeit S. 140 und 
das erwähnte Diarium des Seniors Schnitze S. 288. 

^) Vergl. Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Literatur. 
Sechster Band (Lemgo 1774) S. 200. 

') a. a. 0. S. 8. 

*) Im Zusammenhang lautet die betreffende SteUe am Eingang der er- 
wähnten Kritik: GOit Lob, deutsche Leser, daß unser Jahrhundert 
lächelnd auf jene Menschenalter zurücksieht, wo zu aller Zeit gegen 
arge Kätzer rüstige Polemiker der Stolz der orthodoxen Kirche waren! 
GOtt Lob ! Sonst würde Herr Boysen, unbesorgt für eure und seines 
Verlegers Finanzen, und klüger als Hinkelmann, dem sein arabischer 
Koran beinahe And und Ehre kostete, ganze Alphabete um dee 
arabischen Schwärmers willen zu Makulatur gemacht haben. 



388 Adolf Wohlwül, 

so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß in den hambur- 
gischen Publikationen, die sich gegen Ende des 17. Jahr- 
hunderts mit Mahomet, dem Islam, den Arabern und Türken 
befaßten, die islamfeindliche Tendenz überwog. Eine etwas 
veränderte Stimmung machte sich allmählich im 18. Jahr- 
hundert geltend. Nach den ruhmvollen Türkenschlachten des 
Prinzen Eugen waren die Grenzen des Deutschen Reiches ge- 
sichert. Dadurch wurden allerdings insbesondere die Hansestädte 
keineswegs aller Besorgnis vor Angriffen von mahomedanischer 
Seite überhoben. Die Raubzüge der Barbaresken dauerten 
bekanntlich noch geraume Zeit fort. Doch zog man speziell 
in Hamburg stets von neuem in Erwägung, ob man sich 
nicht nach dem Muster seemächtigerer Staaten vor solchen 
Anfechtungen lieber durch Verträge als, wie früher, durch 
Aussendung von Convoy schiffen schützen solle.*) 

In besonderer Weise trug der Einfluß des von England 
nach Deutschland verpflanzten Deismus oder der sogenannten 
natürlichen Religion zur Minderung des Hasses gegen den 
Islam und seine Bekenner bei. 

Bemerkenswert ist eine Äußerung in der bekannten von 
Hermann Samuel Reimarus verfaßten Schutzschrift für die 
vernünftigen Verehrer Gottes, die Lessing in den Fragmenten 
eines Unbekannten hervorgehoben hat.*) Reimarus verwahrt 
sich dort zwar dagegen, daß er dem türkischen Glauben das 
Wort reden oder gar ihn der christlichen Religion zum Nach- 
teil erheben wolle; er deutet jedoch an, daß die meisten 
abfälligen Urteile über den Koran auf Unkenntnis oder Ober- 
flächlichkeit beruhten, und fügt hinzu : Ich getraute mir, wetin 
dieses mein HauptabseJven wäre, das vornehmste der natürlicJien 
Bdigion atis dem Alkoran gar deutlich und z\im TJiede gar 
scliön ausgedrückt darzuthun, und glaube, daß ich heg Ver- 
ständigen leicht darinn Beyfall finden werde, daß fast alles 
wesentlic/ie in MaJiomets Lehre auf natürliche Reiig^ion 
hinauslaufe. 



Vergl. £. Baasch, Die Hansestädte und die Barbaresken, Kassel 1893. 
^ Vergl. Lessings SämtL Schriften. Ausgabe Lachhakn-Mukcker. Band 12, 
S. 268. 



4er Mol 3^ 



Weniger koamt es in diesem Znfiasmnexiliaiir in Betradn, 
daß berats im Desember 17OT in Rmimr^ eine ron Jok 
Friedr. Löwen in finiffnSipen Jamben angefertigte Cber^etzang 
von Voltaires Mabomet rar Auffübrung gdangte^^j da — vk 
MIKOR (a. a. O^ S. 14 ff. n. 39 ff. j eingebend dari«^ — 
Voltaires Anffassimg und Dramaääenmg llabomete dnreiuui« 
keinen Fortschritt in da* Beurteilmiig des arabifidbea Fnn 
pbeten bedeutet. 

Erst eine spatere Zeit brarhüs; ein tieferes ErUm^m d^ 
Islams und zom Tdl aoch in weiteren Kreusea Bewnsderiittg 
dessen, was der Koran und andere Sebrift» der mabo- 
medanischen Literatur an poetischer Seh<inbeit und Wet»bdti^ 
lehren enthalten. 

Goethes west- östlicher Diran, dnreb den die mab^i- 
medanische Welt für die deutsche Dichtong erobert wurde^ 
hat unzweifelhaft auch in Hamburg riele Verehrer gefnnd^i. 
Dagegen ist es kaum anzunehmen^ daß Georg Friedr. I^aumem 
Behauptung, daß der Islam eine — obschon mit Mängeln 
behaftete — Vorstufe der Bdigif/n den nmen WdUdUfrn hihi^^ 
eine Ansicht, der er u. a« in seinem 1848 bier bei H^iffmann 
und Campe erschienenen Buch: Mah^nned und »ein Werk^ 
Ausdruck gegeben, in hamboigischen KreiJien lebbafter^ni 
Anklang zu finden vermochte. 

Sicher ist, daß man hier seit dem VI. Jahrhundert d^fm 
Koran sowie anderen Werken der mahomedaniiM!;hen LiUrratur 
stets aufs neue lebhafte Teilnahme gewidmet hat Professoren, 
Geistliche, Orientalisten von Beruf und andere Freunde de» 
orientalischen Geisteslebens bekundeten dabei regen Wett- 
eifer.*) Seit den Zeiten Kumps und Gutbiers im 17. Jahr- 
hundert haben es die Professoren der biblischen Philologie am 
(Akademischen) Gymnasium meist als ihre Pflicht betrachtet, 
neben dem Studium des Hebräischen auch das anderer orienta- 
lischer Sprachen zu fördern.*) Im Laufe des 19. Jahrhunderts 



*) Vergl. Minor, a. a. 0., S. 42 u. 89 sowie R. Schlösser, im Euphoriou, 

Band 4, S. 476 ff. 
^ Vergl. darüber insbesondere die erwähnte Schrift von Senior BEHBHANy 
^ Die ältere Amtsbezeichnung lautete vielfach : Hebraicae ceterarumq 

orientalium linguarum Professor, 
Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Gesch. XIH. *^ 



390 Adolf WoUwilL 

hat sich namentlich Prof. G. M. Bedslob als Kenner und Lehr- 
meister der Sprache des Korans hochverdient gemacht. Seit 
seinem Tode (im Jahre 1882) und der ein Jahr später er- 
folgten Auflösung des Akademischen Gymnasiums gab es hier 
ein Vierteljahrhundert hindurch niemand, der berufsmäßig zu 
umfassender wissenschaftlicher Beschäftigung mit den orienta- 
lischen Sprachen verpflichtet gewesen wäre. Um so an- 
erkennenswerter ist es, daß auch in dieser Zeit die erwähnten 
Studien nicht völlig geruht haben. Es sei hier nur auf die 
im Jahre 1889 veröffentlichte, auch für Laien höchst an- 
regende Arbeit von Martin Klamroth, Die fünfzig ältesten 
Suren des Korans in gereimter deutscher Übersetzung, und 
auf den glänzenden Verlauf des Orientalistenkongresses vom 
Herbst 1902 hingewiesen. 

Je vielseitiger sich das wissenschaftliche Leben Ham- 
burgs in Zukunft gestaltet, je mehr Deutschlands politische 
und Kulturinteressen alle Erdteile umfassen und der Islam ein 
wichtiger Faktor für die Maßnahmen der deutschen Kolonial- 
politik wird, um so mehr ist mit Sicherheit darauf zu rechnen, 
daß die einst von Hinckehnann in so rühmlicher Weise be- 
triebenen Studien in Hamburg auch fernerhin ihre würdigen 
Vertreter finden werden. 



Rezensionen. 



G. Arn. Kiesselbach, Die wirtschaftlichen Grundlagen der 
deutschen Hanse und die Handelsstellung Hamburgs bis 
in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Berlin, Georg 
Reimer, 1907. V und 244 Seiten. Mk. 6. 

Grestützt in erster Linie auf ein sorgfältiges nnd eindringendes 
Qnellenstndinm, wie es durch die hansischen TJrkimdenbücher und 
Hanserezesse möglich ist, erörtert der Verfasser die kommerzielle 
Bedeutung des Hansebundes nnd die Stellung Hamburgs in ihm. 
Er beschränkt sich dabei auf die Charakteristik der Anfänge bis 
in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Nach einer Einleitung, 
die den baltisch-deutschen Verkehr vom Beginn des 9. Jahrhunderts 
bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts darstellt, gliedert sich die 
weitere Ausftihrung in zwei chronologische Abschnitte: die Darstellung 
der Zustände im 13. Jahrhundert und in den beiden ersten Dritteln 
des 14. Jahrhunderts. Die vorherrschende Absicht ist, die werdende 
Wichtigkeit Hamburgs zu verfolgen, die von dem breiten Hinter- 
grund der allgemeinen Entwicklung der Lage sich abhebt. Die 
hansische Literatur, und nicht nur die deutsche, sondern auch die 
holländische und belgische, beherrscht der Verfasser in hohem Maße. 
Er hat viel gelesen in Büchern, Aufsätzen, Quellenwerken und weiß 
von allem guten und kritischen Gebrauch zu machen. Seine Er- 
gebnisse gipfeln in dem Nachweis der zentralen Bedeutung Flanderns 
für den Hansehandel, sowie der bescheidenen, untergeordneten Stellung 
Hamburgs, die das heutige Ansehen allerdings nicht ahnen läßt. 
Hamburg wird als Umschlagsplatz in dem baltisch -flandrischen 
Handelsaustausch wohl anerkannt. Den Hamburger Kaufleuten und 
B,eedem floß bereits ein Anteil des von Brügge und dem Zwin 
ausgehenden Welthandels zu. Sie erscheinen als Exporteure der 
englischen Wolle, die sie nach dem Zwin bringen. Indes eine 
Stadt von etwa 6 — 7000 Einwohnern konnte selbst in dem damals 
innerhalb engerer Grenzen sich abspielenden Welthandel es doch 
noch zu keiner hervorragenden Wichtigkeit bringen. 

Mit dem am Schlüsse seines Buches stehenden Kapitel über 
den Ursprung der Städtehanse geht der Verfasser über sein sich 
selbst gestelltes Thema hinaus. In ihm entwickelt er bemerkens- 
werte Ansichten und ist wohl origineller als in den vorhergehenden 



392 Rezensionen. 

Betrachtungen, die im Grande bekannte Auffassungen bestätigen. 
Der Verfasser legt der aus der flandrischen Interessengemeinschaft 
hervorwachsenden Verbindung der Städte für die Bildung der Hanse 
besondere Bedeutung bei. Sie ist wichtiger geworden als die Organi- 
sation der Deutschen auf Grothland oder die Vereinigung der Deutschen 
in England. Für die weitere Entwicklung der deutschen Hanse ist 
dann der Krieg gegen Dänemark und Norwegen maßgebend geworden, 
insofern er die Städte zum Bewußtsein der großen politischen Macht 
ihrer vereinigten Streitkräfte brachte und damit die Wichtigkeit des 
Anschlusses an den Bund klarlegte. Der Hauptnachdruck im Hanse- 
bunde liegt dann auf der Pflege des russischen Handels. Sein 
Monopol bildete die Scheidewand zwischen den Deutschen und 
Niederländern. Offenbar liegt in dieser Auffassung viel Wahres, 
wenn auch immerhin die Verbindungen der Deutschen im Auslande 
überhaupt vorbildlich für die Begründung der Hanse gewesen sein 
mögen. Die Wichtigkeit aber des Handels mit Nowgorod, der auch 
später einmal als der Brunnquell des hansischen Handels anerkannt 
worden ist, hat der Verfasser, wie mir scheint, sehr richtig betont. 
Da zum ersten Male das Material unter dem erwähnten G^ichts- 
punkte, die Stellung Hamburgs näher zu beleuchten, zusammengefaßt 
worden ist und das fünfte Kapitel neue Gesichtspunkte auMellt, 
mit denen die zukünftige Geschichtsschreibung der Hanse zu rechnen 
haben wird, so bedeutet das Buch unzweifelhaft einen dankenswerten 
Fortschritt. Ein zweckmäßiges Orts-, Personen- und Sachregister 
erhöht den Wert des fleißigen Buches. 

Leipzig. Wilhelm Stieda. 



Brügges Entwicklung zum mittelalterlichen Weltmarkt, von 
Rudolf Häpke, Dr. phil. Mit einem Plan. (Abhand- 
lungen zur Verkehrs- und Seegeschichte im Auftrage des 
Hansischen Geschichtsvereins her. von Deetbich SCHÄFER, 
Bd. I). Verlag von Karl Curtius, Berlin, 1908. XXIV, 
296 S. Mk. 9. 

Die außerordentliche Bedeutung Brügges für den mittelalter- 
Jchen Handel Hamhurgs wird es rechtfertigen, die vorliegende 
Arheit zur Besprechung in dieser Zeitschrift heranzuziehen. 

Der Verfasser hat seinen Stoff in die drei Abschnitte einge- 
teilt: Die Frühzeit, der Handel und Brügge um 1300. Was 
zunächst die Darstellung der Brügger Handelsgeschichte anlangt, 
so ist der Verfasser der Ansicht, daß Brügge in der Hauptsache 
durch den Aktivhandel seiner Bürger nach dem Auslande seine Welt- 
handelsstellung sich erobert habe; seine Ausführungen über die Ent- 
pdcklnng Brügges zum Weltmarkt sind überall von diesem Gesichts- 



Rezensionen. 393 

punkte beherrscht. Für den Verkehr Brügges nach England, nach 
der Gascogne und nach Deutschland glaubt der Verfasser diese 
Theorie beweisen zu können. Bichtig ist hieran eigentlich nur, daß 
am Handel mit England die Vlamen als Eigenhändler stark beteiligt 
waren. Außer im flandrisch-englischen Verkehre tritt ihr Eigenhandel 
früh, und zwar schon im 12. Jahrhundert, im Verkehre nach der 
Champagne hervor, wie u. a. Bourqüelot nachgewiesen hat; im 
Widerspruche hiermit hat der Verfasser das Unglück, gerade im 
Verkehre mit der Champagne die Proven^alen und Italiener als die 
ursprünglichen Träger des Verkehrs nach Flandern zu vermuten. 
Aber auch die Behauptung des Verfassers, daß im englischen Handel 
die Kaufleute der anderen Nationen, die schon im 11. und 12. Jahr- 
hundert in England auftreten, weder an der Ausfuhr der englischen 
Wolle noch an der Einfuhr der flandrischen Tuche irgend einen 
Anteil gehabt hätten, hätte bei der Dürftigkeit des Quellenmaterials 
für die älteren Zeiten bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts selbst 
dann nicht aufgestellt werden dürfen, wenn die Zollrolle König 
Ethelrets aus dem 10. oder 11. Jahrhundert uns nicht erhalten 
wäre, welche schon für eine so viel frühere Zeit bekundet, daß die 
Deutschen in England Wolle ausführen und Tuche einführen. Was 
aber den Seeverkehr mit der Gtiscogne, mit Rochelle, anlangt, so 
darf durch die hierüber vorliegende Abhandlung in den hansischen 
Gbschichtsblättem von 1906 übrigens in Übereinstimmung mit dem 
Verfasser als erwiesen angesehen werden, daß der Seeverkehr der 
Kauflente von der Gascogne und Poitou die unter der Bezeichnung 
des ol^ronensischen Seerechtes bekannte Satzung ausgebildet hat und 
daß wir in dieser Urkunde ein auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage 
erwachsenes, den Seeverkehr der Hanse dieser französischen Kauf- 
leute mit Weinen von Bochelle nach Flandern regelndes Gildestatut 
zu sehen haben. Dieses Becht ist schon in der Mitte des 13. Jahr- 
hunderts in das ICastilianische übersetzt worden und nicht minder 
für den Verkehr der Kastilianer wie der Vlamen maßgebend ge- 
worden. Ist somit nicht ein vlämisches oder ein kastilianisches, 
sondern ein französisches im abgeschlossenen Kreise der Hanse der 
französischen Kauffahrer und Schiffer entstandenes Becht die Bechts- 
grundlage für diesen Verkehr geworden, so ist dies ein deutlicher 
Hinweis darauf, daß diese französischen Kauffahrer und Schiffer die 
ursprünglichen Träger dieses Verkehrs gewesen sein müssen, daß 
also weder die Vlamen noch die Bayonner oder Spanier, die wir 
später an diesem Verkehre alle beteiligt sehen, die ursprünglichen 
Begründer und Träger desselben gewesen sein werden. Wenn der 
Verfasser seine entgegengesetze Ansicht damit begründet, vielleicht 
hätten die Bayonner bei der großen Flottenfahrt 1147 die großen 
vlämischen Koggen zu Bochelle, wohin sie also wohl schon vorher 
Schiffahrt getrieben haben sollen, angestaunt und hätten daraufhin 
nicht nur diese nordische Schiffsform nachgeahmt, sondern seien 



394 Resensionen. 

ihrerseits den fremden Handelsgästen in ihr Land g:efolgt, so kann 
diesen Aasföhrongen den oben angeführten Gründen gegenüber kein 
Glewicht beigelegt werden. Was endlich den Handel der Deutschen 
in Flandern anlangt, so kennzeichnet der Verfasser denselben sehr 
treffend, wenn er aasspricht, daß das Maß der Bedentong, welche 
Brügge für die verschiedenen deutschen Städte besessen habe, sich 
danach bestimmte, inwieweit die betreffende Stadt an dem Zwischen- 
handel zwischen Brügge nnd der Ostsee teilnahm. Nicht der Handel 
zwischen Brügge nnd dem deutschen Binnenlande, sondern die Ver- 
mittlung des Verkehrs mit den Ostseeländem war der Grundstock 
dieses Handels. Daß aber ein vlämischer Aktivhandel in diesem 
Verkehre nach Rußland und den übrigen baltischen Ländern dem 
deutschen Handel vorangegangen sei, nimmt auch der Verfasser 
nicht an. Um so weniger kann auch für den Austausch Flanderns 
mit dem deutschen Binnenlande durch einige Stellen, welche auf 
ein frühes Vorkommen flandrischer Händler in Deutschland hinweisen, 
als bewiesen erachtet werden, daß dieser Verkehr zuerst durch den 
Aktivhandel der Vlamen ins Leben gerufen sei, wie denn übrigens 
nach der hierin zutreffenden Darstellung des Verfassers auch im 
13. Jahrhundert nicht etwa Brügger, sondern Gunter Kaufleute in 
diesem Handel unter den Vlamen voranstanden, so daß also auf den 
Brügger Aktivhandel nach den eigenen Ausführungen des Verfassers 
die Handelsbedeutung Brügges für den Verkehr mit Deutschland 
jedenfalls nicht zurückgeführt werden kann. 

Das Aufsteigen Brügges zum Weltmarkt legt der Verfasser 
in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die von dem Verfasser 
übergangene Darstellung des Brügger Handelsverkelirs bei Wilhelm 
dem Bretagner aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts, die uns 
Brügge schon an der Schwelle des 13. Jahrhunderts als Weltmarkt 
zeigt und in der Brügge gepriesen wird als Mittelpunkt des Handels 
und der Schiffahrt, wohin die Waren aus Phönicien, Syrien, den 
Cykladen, aus Ungarn, von Rochelle und der Gascogne, England 
nnd allen sonstigen Teilen des Erdkreises zusammenströmen, damit 
sie von dort nach allen Teilen der Welt wieder ausgesandt werden, 
zeigt klar, daß Brügge bereits bei Beginn des 13. Jahrhunderts 
die Stellung als Weltmarkt innehatte und daß die Entwicklung zu 
dieser Stellung in früherer Zeit liegen muß. Andere Zeugnisse, 
wie z. B. das Bayonner Statut von 1214, bestätigen dies durchaus. 
Wenn der Verfasser die vielumstrittene Frage nach der Zeit der 
Entstehung des ol^ronensischen Seerechtes ohne jede weitere Be- 
gründung dahin entscheidet, daß es „zweifellos" im Kerne dem 13. Jahr- 
hundert angehöre, so dürfte er sich dabei seines Widerspruches mit 
Goldschmidt und andern Gelehrten wohl kaum bewußt sein; jeden- 
falls kann solch willkürlicher Datierung kein Wert beigemessen 
werden, zumal sehr viel dafür spricht, daß der diesem Eechte zu 
Grunde liegende Verkehr schon in wesentlich frühere Zeiten zurück- 



Rezensionen. 395 

reicht. Aach der Ansicht des Verfassers, daß die sog. Londoner 
Hanse, welche nnter Brügges Föhrnng stand und ans deren Bestehen 
deshalb auf Brügges Bedeutung geschlossen wird, noch nicht im 

12. Jahrhundert bestanden haben könne, da, solange eine energische 
Qrafengewalt vorhanden gewesen sei, diese die Vereinigung größerer 
Hanseverbände nicht gestattet habe, können wir keine durchschlagende 
Beweiskraft beimessen, denn die Londoner Hanse wird ebenso, wie 
die Hansen der Deutschen im Auslande, aus dem Zusammenschlüsse 
der vlämischen Kauf leute in London entstanden sein und nur gegen 
politische Rückwirkungen eines solchen im Auslande bestehenden 
Zusammenschlusses von Kaufleuten verschiedener flandrischer Städte 
auf die heimatlichen Verhältnisse könnte die Grafengewalt etwa 
Einspruch erhoben haben. Ebensowenig scheint es uns zutreffend, 
wenn der Verfasser meint, aus der Stelle bei Ghdbert über Brügge 
aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, in der Brügge gepriesen wird 
als der weithin bekannte Sammelpunkt der Kaufleute, wo alles zu 
kaufen sei, was den Menschen köstlich dünkt, sei weiter nichts 
herauszulesen, als daß „man*' dort bei den Handelsleuten gekauft habe, 
wenn klösterliche, grundherrliche und bäuerliche Wirtschaft nicht 
genügt habe, wobei es übrigens dunkel bleibt, wer eigentlich mit 
dem „man** gemeint ist. Warum suchten denn die Kaufleute gerade 
diesen Platz so oft auf und warum führten sie dorthin zum Verkaufe 
alles, was begehrenswert ist? Die Worte weisen denn doch deutlich 
auf die Eigenschaft Brügges als weithin bekannten Handelsplatz hin. 
Freilich nennt die Stelle „streng genommen die Brügger selbst nicht 
eigentlich als Händler** und wohl aus diesem Grunde glaubt der 
Verfasser die Stelle als unerheblich bei Seite schieben zu müssen; 
denn für seine Theorie, nach welcher Brügge seine Entwicklung 
dem Aktivhandel seiner Bürger in der ersten Hälfte des 13. Jahr- 
hunderts verdankt, paßt sie freilich nicht. Bichtig ist, daß vor dem 

13. Jahrhundert andere flandrische Plätze in bezug auf ihre in- 
dustrielle Entwicklung und ihren Aktivhandel Brügge überragten. 
Nichtsdestoweniger besaß Brügge aber schon eine hohe Handels- 
bedeutung. Sein Aktivhandel war eben nicht die Grundlage seiner 
Handelsstellung. 

Beizupflichten ist dem Verfasser, wenn er betont, daß der 
Handel in Brügge keineswegs nur in dem Austausche fremder 
Nationen untereinander auf dem Brügger Markt, sondern in erster 
Linie in dem Austausche mit den Vlamen, welche ihre Tuche ver- 
kauften, bestanden habe, wenngleich es uns scheinen will, daß der 
Verfasser den daneben vorsichgehenden Austausch der fremden Kauf- 
leute untereinander doch in mancher Hinsicht unterschätzt. Von be- 
sonderem Interesse sind auch die Ausführungen über das G^ästerecht 
in Brügge. 

Eine sehr viel glücklichere Hand als manchmal bei der Er- 
örterung der wirtschaftsgeschichtlichen Probleme hat der Verfasser 



396 Reseusionen. 

bei seinen Ansföhrnngen über die Brügger Lokalgeschichte gehabt, 
welche fast die Hälfte des Baches fällen. Das Stadtbild, die 
städtische Yerwaltong, insbesondere die Finanzverhältnisse, die Zu- 
sammensetzung der Bürgerschaft, die örtlichen Verhältnisse des 
Zwin usw. werden uns anschaulich vor Augen gefiUirt. Auszüge 
aus einer Anzahl Meßbriefe, vor allem aber ein Kartenblatt, welches 
das Zwin nach einem flandrischen Ölgemälde aus der Mitte oder 
dem Anfange des 16. Jahrhunderts darstellt und einen \iichtigen 
Beitrag für die Kenntnis dieses für die Handelsgeschichte so be- 
deutenden, jetzt völlig verschwundenen Meereseinschnittes bildet, 
sind wertvolle Beilagen des Werkes. 

Können wir zwar der Darstellung der Entwicklung Brügges 
zum Weltmarkt in ihren Orundzügen vielfach nicht zustimmen, so 
bieten auf der anderen Seite die Ausführungen über die Brüggische 
Ortsgeschichte eine wertvolle Bereicherung der Literatur, welche 
dankbar zu begrüßen ist. 

A. Kiesselbach. 



Eenst Baasch, Quellen zur Geschichte von Hamburgs Handel 
und Schiffahrt im 17., 18. und 19. Jahrhundert. Hamburg, 
Gräfe und Sillem, 1908. Heft 1 und 2, je Mk. 5.50. 

Der durch so manche handelsgeschichtliche Arbeit bekannte 
Bibliothekar der Kommerzbibliothek veröffentlicht hier mit Unter- 
stützung der hamburgischen Handelskammer eine Beihe nichtiger 
Denkschriften aus den Akten der Kommerzdeputation. Dem 17. Jahr- 
hundert gehört nur ein Frachttarif der Rouener Fahrt von 1649 
an. Die meisten Aktenstücke stammen aus dem 18. Jahrhundert. 
So sehr es zu begrüßen ist, daß der Editor eine inhaltlich-syste- 
matische Gliederung des Stoffes der rein chronologischen vorgezogen 
hat, so hätte doch die geographische Einteilung schärfer durch- 
geführt werden können. Die Abschnitte VH und YlLL über die 
„Eibschiffahrt zwischen Hamburg und Magdeburg (und Berlin)'', 
und über die „Fahrt zwischen Hamburg und Ronen, Havre, Dün- 
kirchen'' gehören zu lY und HI, „handelspolitische Beziehungen 
mit Preußen" und „Handelsverträge und andere Beziehungen mit 
Frankreich". Neben den Dokumenten hat der Verfasser dankens- 
werte Regesten und Hinweise eingestreut. 

In dem ersten Abschnitt über Schiffahrt und Reederei hören 
wir allerhand von der Unbotmäßigkeit des Schiffsvolkes (1755), von 
den Schwierigkeiten der nur mühsam sich gegen die subventionierten 
Engländer und Holländer behauptenden Grönlandsfahrer, von der 
Anteilnahme der Juden an der Reederei (1801), von dem Plan einer 
Vktiengesellschaft für die Huller Fahrt 1806, der aber als unter 
m damaligen Zeitumständen zu gefährlich abgelehnt \i'urde. Be- 



Rezensionen. 397 

sonders bemerkensweit ist der Aufsatz des Senators Westphalen 
„Über die Hamborgische Schiffahrt mit eigenen Schiffen" von 1827. 
Es wird hier ein Vergleich gezogen zwischen den Verhältnissen vor 
und nach der Franzosenzeit. Während der Handel 1827 bereits 
wieder die Ziffern der 90er Jahre des 18. Jalirhnnderts erreicht 
hatte, war die eigene Schiffahrt Hamburgs damals noch nicht halb 
so groß wie vor der Kontinentalsperre. Dies Zurücktreten der 
Eeederei vor dem Handel ist ein wichtiges Merkmal der hamburgischen 
Verhältnisse in jener Zeit und erklärt die Verschiedenheit der ham- 
burgischen Handelspolitik von der bremischen bis in die 40er Jahre. 

Der Verkehr mit England litt im 18. Jahrhundert unter der 
merkantilistischen Handelspolitik des Parlaments, während vor 1688 
der König mit Rücksicht auf die Privilegien der Merchant-Adven- 
tnrers in Hamburg den Hamburgern 1661 und 1663 Befreiung von 
der Navigationsakt« gewährt hatte. 

Günstiger gestalteten sich im 18. Jahrhundert die Beziehungen 
zu Frankreich, die durch einen Handelsvertrag von 1716 geregelt 
waren, der nach einigen Schwierigkeiten 1769 erneuert wurde. 
Nach einem Memoire von 1790 gingen damals Via der Kaffee- 
produktion und Vö der Zuckerproduktion der französischen Kolonien 
nach Hamburg, dazu Wein, Branntwein und andere Artikel, so daß 
der gesamte Import Hamburgs von Frankreich auf 56 Millionen 
Li\Tes geschätzt wurde. 

In klassischer Weise werden die Argumente für Freihandel 
und Schutzzoll vorgebracht in einer Debatte, die sich 1769 zwischen 
dem Vizepräsidenten der Kommerzdeputation, Schuback, und einem 
preußischen Vertreter, vielleicht v. d. Horst, entspann. Schuback 
will die natürliche Handelsfreiheit und legt an dem Beispiel Hollands 
die Vorzüge derselben dar, während die merkantilistischen Maßnahmen 
Schwedens den Euin des Landes herbeigeführt hätten. Sachsen 
beweise, daß mäßige Zölle auch für die Staatsfinanzen ergiebiger 
wären. Der Gegner stellt diesem Standpunkt als einem kosmo- 
politischen die besonderen Erfordernisse des preußischen Staates ent- 
gegen. In für die damalige Technik bezeichnender Weise meint er, 
nur ein Verbot könne wirksamen Schutz gewähren, während ein Zoll 
bei der Ungunst der preußischen Grenzen doch umgangen würde. 
Der Magdeburger Stapel habe nur den Lüneburger Stapel ersetzt, 
der bis 1611 durchgeführt sei. Im übrigen wird die Bedeutung 
Hamburgs für den Leinenhandel anerkannt. Zum Schluß stellt der 
Verfasser der Denkschrift zwei Grundsätze der Handelspolitik auf, 
die ihn als Vertreter der historischen Schule erscheinen lassen: 
1. dass ein einzelner Kaufmann niemals leicht im Stande seyn unrd, 
der Handlung einen ganz neuen Lauf zu geben, dass aber dies durch 
eine gemeinschaftliche Veranstaltung einer handelnden Republic leicht 
geschehen könne; 2, dass allemal ein neuer Zeit-Lauf und, so zu 
sagen, ein jedes Welt-Alter auch neue Maassregeln erfordern. 



398 Rezensionen. 

Durch die preußische Handelspolitik hatte besonders der ham- 
bnrgische Znckerhandel gelitten. Während Österreich hierin die 
gleichen Maßnahmen wie Preußen ergriff, hatte es wegen des Exportes 
besonders von böhmischem Holze ein Literesse an der Beseitigung 
des Magdeburger Stapels. Ein wichtiges Dokument ist der Bericht 
des preußischen Schiffahrtsinspektors Behrens in Hambui^ von 1804, 
der die Bedeutung des hamburgischen Platzes für Preußen schildert. 
Stettin könne bei der Blockade Hamburgs keinen Ersatz gewähren. 

Es wäre zu wünschen, daß bei der geplanten Fortsetzung 
dieser Quellen auch die Protokolle der Hamburger Bank berück- 
sichtigt würden, die ja nicht nur für Hamburg als Bankplatz wichtig 
«nd, sondern auch für den Getreidehandel. 

Zürich. H. Sieveking. 



Die Seemacht in der deutschen Geschichte von Dr. Ernst 
VON Halle. Sammlung Göschen. Leipzig, G.J.Göschensche 
Verlagshandlung, 1907. Mk. —.80. 

Der Verfasser wül die Frage beantworten, welchen Einfluß 
die Seemacht, die öfter eine Seeohnmacht war, auf den Gang der 
deutschen Geschichte gehabt hat, er sucht die sich aus der neuesten 
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ergebende Forderung, 
unsere überseeischen Interessen kräftig zu pflegen und sie unter den 
Schutz einer starken Flotte zu stellen, auch durch geschichtliche 
Betrachtungen zu stützen. Man kann mit Anlage imd Grund- 
gedanken des Büchleins durchaus einverstanden sein, doch erhebt 
sich eine Beihe von Bedenken im einzelnen, die ich um so weniger 
unterdrücken möchte, weil die bestrittenen Behauptungen den Gesamt- 
eindruck im Sinne des Grundgedankens eher schwächen als stärken. 

Karl der Große ersclieint dem Verfasser im Lichte de« 
Gründers der B^ichsseegewalt. S. 1 5 heißt es : Er hai deii universal- 
monarchischen Gedanken nicht nur zu Lande, sondern auch zur See 
dauernd verwirklicht; S. 18: Die Kaiser waren unter den Karolin- 
gern zuerst seeheherr sehend; S. 109: Nach Aufhören des Kriegs- 
zustandes gewährte das ganze Weltmeer einen ÄrU>lick, der seit der 
Bömerzeit und Karl dem Großen auf keinem Ozean zur Tatsache 
geworden ivar. Was Verfasser an tatsächlichem Material beibringt, 
scheint diese Ansicht einigermaßen zu rechtfertigen. Aber was 
die Geltung des Eeichs auf dem Mittelmeer anlangt, so stellt der 
neueste Geschichtsschreiber Italiens fest: Sicherheit wurde also den 
italienischen Meeren mid Küsten nicht mehr gewährleistet; die vene- 
'nsche Flotte, die Schiffe der auf sich selbst angewiesenen Seestädte, 
die byzantinische Flotte tcaren hier mächtiger, als der große Kaiser 



Bezensionen. 399 

Karl. Einzelne kleine Erfolge konnten über diese Tatsache nicht 
hinioegtäuschen (L. M. Hartmann, Gresch. Italiens i. M. A. m, 1 
S. 76). Im Norden beschränkte sich Karl auf rein defensive 
Maßregeln, und sie konnten nicht einen furchtbaren Plündemngszug 
der Dänen im Jahre 810 verhindern. Da freilich wurde der Bau 
einer Flotte mit Energie betrieben, zur Verwendung ist sie nicht 
mehr gekommen: der Tod befreite Karl von seinem gefährlichen 
Gegner im Norden. Die Nachfolger hielten zunächst Frieden, sie 
vnirden zudem durch inneren Zwist gelähmt. Von der Ostsee war 
das Frankenreich naturgemäß ganz ausgeschlossen. Von einer 
eigentlichen Seeherrschaft kann also wohl kaum die Bede sein, 
wenngleich die Zeit Karls sich von der späteren glänzend abhebt. 

8. 144 tritt Verfasser der Behauptung der Flottengegner ent- 
gegen, daß Deutschland mit Aufstellung einer Kriegsmarine auf 
einem Wege sich befinde, der seiner innersten Natur fremd sei und 
ihm verhängnisvoll werden müsse. Er läßt sich zu dem Satze fort- 
reißen: Das alte Reich und das alte Kaisertum haben geblüht in den 
Zeiten, too Deutschland au^ch zur See stark toar. Das steht im 
Widerspruch mit des Verfassers eigenen, sehr richtigen Ausführungen, 
wonach gerade die Kaiser in der großen Zeit des alten B^ichs es 
völlig versäumten, sich die Machtmittel zu verschaffen, um ihren 
Anspruch auf Seegeltung durchzuführen (S. 17 — 19). Die Blütezeit 
der Hanse fällt in die Zeit, wo die Kaisermacht als solche tief 
darnieder lag. Es läßt sich also wohl kaum bestreiten, daß die 
Grundlage des alten B^ichs seit Karl dem Großen eine durchaus 
territoriale war. Andererseits ist gerade diese Beschränkung vor 
allem für die Herrschaft über Italien verhängnisvoll geworden (s. 
auch S. 18), und es ließen sich darüber noch weitergehende Be- 
trachtungen anknüpfen, wobei auch auf das veränderte Bild unter 
den letzten Staufem einzugehen wäre. Schließlich kann man die 
Gegner immer darauf hinweisen, daß für die Frage, ob uns Seefahrt 
und Kriegsflotte nottnn, die moderne Entwicklung maßgebend ist 
und nicht eine Entwicklungsstufe, die um 800 — 1000 Jahre 
zurückliegt. 

Ein weiteres Bedenken betrifft die Stellung der Hansestädte 
gegenüber den habsburgisch-spanischen Flottenplänen im 16./17. Jahr- 
hundert. Verfasser macht es ihnen eigentlich zum Vorwurf, daß 
sie durch ihre ablehnende Haltung die deutschen Küsten den Fremden 
ausgeliefert hätten (S. 42 — 47). Sie hätten sich von den Schweden 
einfangen lassen (S. 47), deren Erscheinen vom nationalen Standpunkt 
aus nicht minder hedavemswert war, als dasjemge der Spanier, und 
verhängnisvoller , weil sie sich für lange Zeit an den wichtigsten 
Teilen der deutschen Küste festzusetzen vermochten. Es ist hier nicht 
der Ort, die ganze Streitfrage nach den Zielen der kämpfenden 
Parteien aufzurollen. Was auch Gustav Adolf nach Deutschland 
führte, tatsächlich ist er der Eetter der bedrohten Glewissensfreihei^ 



400 BezensioneiL 

geworden. Audi darüber dürfte Einigkeit herrschen, daß es vom 
nationalen Standpunkte ans vor allem bedauerlich war, daß dies 
nnersetzliche Gut nur durch ungeheure Einbuße an materieller 
Wohlfahrt und an Macht zu erhalten war, aber die Schuld trifft 
die Hansestädte nicht in erster Linie. Sollte man nun die spanische 
Herrschaft der schwedischen vorziehen? Man kann dabei nicht, wie 
Verfasser will, vom konfessionellen Standpunkte absehen, aber es 
ist überdies doch mehr als fraglich, ob der Bund mit Spanien zu 
einem neuen maritimen Aufschwünge geführt hätte. Hätten nicht 
die Spanier, wenn sie mit deutscher Hilfe Holland bezwungen hätten, 
erst recht im Interesse des jetzt von ihnen beherrschten Landes die 
schärfsten Konkurrenten der Deutschen in Nord- und Ostsee werden 
müssen? Andererseits hat doch die schwedische Herrschaft gar nicht 
80 lange in Deutschland gedauert, und ich weiß auch nicht, wie 
ohne ihr Erscheinen das polnische Übergewicht hätte gebrochen 
werden können. 

Doch genug des Widerspruchs, die Ausführungen über die 
neuere und neueste Zeit geben ohnehin keinen Anlaß dazu, auch 
das schöne Kapitel über die Hanse sei noch ausdrücklich hervor- 
gehoben. Das Büchlein ist reich an Anregungen und fruchtbaren 
Gesichtspunkten und enthält zugleich eine in ihrer Kürze vortrefOich 
orientierende Geschichte der deutschen Schiffahrt und Seemacht. 

Daß auch für die hamburgische Geschichte vieles dabei heraus- 
kommt, ist bei dem Stoffe nicht verwunderlich. Das Buch wird 
dazu beitragen, daß auch in weiteren Kreisen ein rechtes Verständnis 
der Stellung Hamburgs zum Ausland und Inland erweckt wird. 
Lehrreich ist besonders die Schilderung der Neutralitäts- und TJn- 
abhängigkeitsbestrebungen am Ende des 18. Jahrhunderts, und in 
diesem Zusammenhange gewinnt eine kürzlich veröffentlichte Denk- 
schrift des damaligen ProtokoUisten der Commerz-Deputation, 
späteren Senators Mönckeberg über dies Thema erhöhtes Interesse 
(vergl. E. Baasch, Quellen zur Gesch. v. Hamburgs Handel und 
Schiffahrt. Heft 2, S. 224 ff.). Die damalige Blüte des Handels 
ohne den Schutz einer Flotte beruhte auf einer ganz besonderen 
Konstellation der Weltverhältnisse. Um so härter war der Rückschlag 
in der Zeit der Not. 

Lehrreich ist auch, daß die Vernachlässigung der Seeinteressen 
durch den deutschen Bund eine völlige Entfremdung der Küstenlande 
vom Hinterlande zur Folge hatte (S. 108). Wieder täuschte die 
günstige Welthandelslage über das Gefährliche der Isolierung, bis die 
durch unangenehme Erfahrungen im Auslande beförderte praktische 
Erkenntnis immer siegreicher durchdrang, daß nur im Anschluß an 
das Ganze dauernde Sicherheit und wirkliches Gedeihen zu finden sei. 

K. Hansing. 



Rezensionen. 401 

Die hamburgische Zensur in den Jahren 1819 — 1848. Von 
Prof. Dr. Heinrich Gerstenberg. (Wissenschaftliche 
Beilage zum Jahresbericht der Realschule an der Bismarck- 
straße in Hamburg 1908). 

Die Bücherzensur ist nicht viel neuer als die Erfindung der 
Buchdru^erkunst, sagt Lappenberg in seinem Werke : Zur Geschichte 
der Buchdruckerkmist in Hamburg. Es wäre eine interessante Auf- 
gabe die gesamte Entwicklung dieses Ztcing-Üri des Geistes dar- 
zustellen, sei es zunächst auch nur für einzelne Staaten oder Städte. 
Bisher liegen nur einzelne Arbeiten über zeitlich oder sachlich be- 
grenzte Abschnitte, so namentlich in Hoffmanns Geschichte der 
Bücherzensur und in Geigers Werk über das Junge Deutschland 
und die preußische Zensur vor. Im Anhang dieses interessanten 
Buches sind auch die hamburgischen Verhältnisse mit behandelt 
worden. Lappenberg selbst hat dieser Materie in seinem erwähnten 
Werke nur wenige Seiten gewidmet, die sich in der Hauptsache auf 
die ältesten Beichsabschiede in dieser Frage und die Handhabung 
der Zensur durch den Hamburger Bat beziehen. Das zur Be- 
sprechung vorliegende Werk behandelt die letzte Lebensperiode 
dieser Institution in Hamburg, von der Einrichtung einer Bundes- 
zensur im Jahre 1819 bis zur Aufhebung dieser Knebelung der 
Literatur im Völkerfrühling des Jahres 1848. Der Verfasser hat 
bei seiner Arbeit völliges Neuland betreten. Zur Hauptsache aus 
den im hamburgischen Staatsarchiv aufbewahrten Akten der Zensur- 
kommission schöpfend, hat Dr. Gerstenberg es auf der andern 
Seite nicht unterlassen, eine große Anzahl anderer Quellen, so 
namentlich zeitgenössische Darstellungen, Protokolle der Deutschen 
Bundesversammlung, Tagebuchblätter und Briefe heranzuziehen, die 
es ihm ermöglichten, eine interessante und wohlbegründete Dar- 
stellung der hamburgischen Zensur während der knapp 30 Jahre, 
die sie in dieser Form bestanden hat, zu geben. Es ist aus dieser 
Abhandlung deutlich zu ersehen, wie diese Fessel des gedruckten 
Wortes lähmend auf die Entwicklung des Geisteslebens wie in 
Deutschland überhaupt so in Hamburg im besonderen gewirkt hat, 
aber auch wie die Zensur in der Freien Hansestadt immer noch 
liberaler gehandhabt wurde als in den andern Deutschen Staaten 
und daß im Hamburger Senat schon lange vor der Aufhebung der 
Zensur Männer saßen, die dieses Institut als das erkannt hatten, 
was es war: den Schutz einer feigen und unfähigen Begierung. 
Namentlich drei Männer sind in diesem Zusammenhang als ihrer 
Zeit voran zu nennen: zunächst der kluge und vornehme Syndikus 
Dr. Sieveking, der als Vorsitzender der Zensurkommission von 1837 
bis 1847 in Erkenntnis des Unwertes der Zensur oft genug ihr 
Ende herbeisehnte, femer der Senator Hudtwalcker, der obwohl 
konservativ und strenggläubig, doch infolge seiner eigenen publi- 



402 BezensioneiL 

zistischen Tätigkeit oft die ünbiUen der Zensor kennen lernen mnßte 
nnd ihr so ans der Praxis heraas eine gründliche Abneigung widmete, 
endlich der Senator Blnmenthal, der die Zensor 1846 geradezu für 
eine Feigheit erklärte. Eine Verstärkung erfuhren diese Ansichten 
im Senat, als Kirchenpauer in ihn eintrat. Wie er, der als aktiver 
Bedakteur gewiß genug Erfeüirungen auf diesem Gebiet gesammelt 
hatte, über die Zensur dachte, hat er in seinen von von Melle 
veröfEentlichten Tagebüchern aus dem Jahre 1848 deutlich genug 
ausgesprochen. Wenn trotz dieser Erkenntnis, die sich auch im 
Schöße des Senats selbst geltend machte, es nicht schon vor dem 
9. März 1848 zu einer Aufhebung der Zensur kam, so lag das 
mindestens mit an der Rücksicht auf die andern deutschen Bundes- 
staaten und die Nachbarreiche, die schon so wie so an der liberalen 
Handhabung der Zensur in Hamburg genug auszusetzen hatten. 
Es war für einen kleinen Staat wie Hamburg, der immer zwischen 
den Großmächten lavieren mußte, schlechterdings unmöglich, allein 
die Zensur aufzuheben. 

Alle diese auf politischem wie kommunalem Gebiet liegenden 
Erwägungen finden in Gerstenberqs Arbeit vorzüglich Berück- 
sichtigung. Namentlich hat die Zensur der nicht periodischen Literatur 
eine eingehende Darstellung gefunden. Nicht ganz dasselbe kann 
von der periodischen Literatur, namentlich von den Zeitungen, gesagt 
werden. Freilich ohne eigene Schuld des Verfassers. Denn während 
über die literarischen Erscheinungen, z. B. aus dem Verlag von 
Hoffmann & Campe, aus der Zeit des Verfassungskonfliktes usw. 
schon ein reiches Material vorliegt, aus dem man schöpfen kann, 
ja auch die Schriften selbst zu Bäte gezogen werden konnten und 
schließlich die Memoirenliteratur eine Fülle von Stoff bot, um einen 
einwandfreien Standpunkt zu gewinnen, ist das ganze weite Gebiet 
des Zeitungswesens des 19. Jahrhunderts trotz einiger dankenswerten 
Vorarbeiten von Kowalewski u. a. sozusagen noch unbestelltes 
Feld. Es fehlt daher die Möglichkeit einer richtigen Einschätzung 
der Zeitungen, namentlich der nicht privilegierten, und ihrer Stellung- 
nahme zu den die Zeit bewegenden Fragen. Leider hat man ja 
auch namentlich im Beginn und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts 
hinein der periodischen Literatur nicht die Beachtung geschenkt, 
die sie als Quelle der zeitgenössischen Greschichte verdient, so daß 
die Sammlungen, wenn wir von den privilegierten Zeitungen absehen, 
große Lücken aufweisen, die erst allmählich durch Ergänzung aas 
Privatsammlungen ausgefüllt werden. Vollends fehlt es an einer 
Arbeit, die den Zeitungen, sie vom Standpunkt des Historikers be- 
trachtend, den richtigen Platz nach Maßgabe der politischen Auf- 
fassung ihrer Herausgeber und des Bildungsniveaus ihrer Mitarbeiter 
^^. Es kann daher dem Verfasser nicht als Schuld angerechnet 
wenn er sich nur einseitig auf die Akten der Zensur- 
en gestützt und die Zeitungen und Zeitschriften selbst nur 



Bezensionen. 403 

in Aasnahmefällen zu Rate gezogen hat. Beim jetzigen Stande 
der Arbeiten wäre es ein zn weitgehendes Verlangen, zu fordern, 
daß jedesmal nachgeprüft werden müßte, ob denn die Zensnr- 
kommission oder der Zensor auch die richtige Auffassung von dem 
gehabt hat, was ihrer Beorteilong unterlag. Daß bei den Strichen, 
die gemacht wurden, bisweilen Ungeheuerlichkeiten vorkamen, hebt 
auch GrSBSTENBERG hcrvor, und ein Blick in einen beliebigen Band 
der Zeitungen jener Zeit bestätigt diese Beobachtung. 

Die nachfolgenden Bemerkungen konnten auch nur infolge 
davon gemacht werden, daß die Durchsicht der Jahrgänge der 
Menckschen Zeitungsgründungen seit dem Jahre 1817, zu der sich 
der Eeferent vor einigen Monaten veranlaßt sah, ihm Gelegenheit 
genug zur Beobachtung des Zensurverfahrens jener Zeit bot. 
Zur Charakteristik des politischen Zensors Syn^us von Sienen 
ist da eine • Bemerkung interessant, die Menck in dem Nekrologe 
dieses Mannes (1837) fallen läßt und die um so unverdächtiger ist, 
als der Hamburger (nicht „Hamburgischer*', wie Gerstenberq 
wiederholt wohl nach den Akten der Zensurkommission schreibt) 
Beobachter nicht von dem politischen, sondern von dem berufsmäßigen 
Zensor Dr. Hoffmann zensoriert wurde. Es ist, schreibt Menck, 
wahrlich kein Geringes, die Woche hindurch 24 Zeitungen, cUs: 
6 toöchentliche Nachrichten, 6 Correspondenten, 6 Abendzeitungen^) und 
6 Börsenhallen Listen, also täglich ihrer vier so genau durchzusehen, 
daß er jeden, ja selbst den kleinsten Gedanken darin verantworten 
kann. Und am Schluß des Nachrufes heißt es: alle hätten von 
Sienen das Lob eines fleißigen, unverdrossenen, höchst aufgeklärten, 
liberalen und von aller Ängstlichkeit fernen Zensors erteilt. Viel- 
leicht sollte in dieser Anerkennung ein Stich gegen Dr. HofEmann 
liegen, mit dem man in den Kreisen der Nichtprivilegierten keines- 
wegs so einverstanden war. In der Nr. 46 des Jahrganges 1847 
des Beobachters heißt es:^ Es ist uns schon längst aufgefallen, 
daß unsere Herren Zensoren, namentlich für die Lokalblätter, in 
gewissen Beziehungen ein so ungemein zartes Gewissen haben, daß 
jede, auch die leiseste Andeutung einer Person in tadelnder Art, ihr 
Bedenken erregt und Versagen der Druckerlaubnis veranlaßt, während 
in andern Fällen die gröbsten Beleidigungen ungetilgt ihren Weg ins 
Publikum finden dürfen, und zwar ist der Casus um so at^ffallender, 
als die Geschützten allemal reiche oder sogenannte angesehene Personen, 
die Ungeschützten aber schlichte einfache Bürger sind, die im Schweiße 
ihres Angesichts ihr Brot essen, Ist das nun schon an sich sehr 
unrepublikanisch, so ist es noch etwas mehr als dies, wenn hier in 
einer gebildeten und gesitteten Stadt in Blättern, die der Zensurbehörde 
vorgelegen, die empörendsten Injurien gegen Leute, die im AusUmd 



*) Hamburgische Neue Zeitung und Adreß-Gomptoir-Nachrichten. 
^ Vergl. meine Gesch. des Hamb. Fremdenblattes, S. 54. 



404 Rezensionen. 

leben, gedruckt icerden dürfen. Solches war z. B. der Fall in der 
Nr, 182 des hiesigen ^^Telegraphen von und J^r Deutschland^*, tco 
der Prof, Daumer in Nürnberg den Dr, Mentzel in Stuttgart einen 
Schurken nennt, tceil er des Schimpfenden neuestes Buch „Geheimnisse 
des christluJien Altertums'* in einer Kritik hart mitgenommen. Be- 
zeichnend für den Freimut Hoffmanns ist es, daß er diese scharfe 
öffentliche Rüge über sein Verhalten passieren ließ, denn er hätte 
sie ebensogut streichen können wie so manche andere Notiz über 
die Schleswig-Holsteinische Frage jener Tage, die der Hamburgischen 
Neuen Zeitung den Garaus machte. 

Über die Zahl der Wochenblätter, die Dr. Hoffmann zu zen- 
sieren hatte, macht er in einem Gesuch um Gehaltserhöhung an den 
Senat die Angabe, daß sie von 1822 bis 1837 von acht auf 22 
gestiegen seien. Ganz richtig scheint diese Angabe nicht zu sein, 
denn sechs Blätter waren auch noch während der Franzosenzeit 
„admittiert*' worden; wenn auch einige eingingen, so erschienen doch 
nach dem Abzüge der Franzosen die vier Privilegierten gleich 
wieder. Dazu kam dann 1817 der Beobachter an der Alster, der 
sich bald darauf in den Hamburger Beobachter und den Beobachter 
an der Alster (später Bonaventurus) teilte. Im Jahre 1820 zählte 
man schon wieder 14 Blätter,') die schwerlich zwei Jahre später 
bis auf acht reduziert worden sein dürften. Dr. Hoffmann wird 
also wohl aus ungenauer Erinnerung heraus die Anzalil der 1822 
erscheinenden Blätter niedriger angegeben haben, als sie in Wirk- 
lichkeit war. Für die spätere Zeit hatte Hoffmann dagegen Re^iht, 
denn 1828 bezeichnete Saphir Hamburg als die zeitungsreichste 
Stadt, die er kenne. 

Sehr merkwürdig ist die Anweisung des Senats an die Zensur- 
behörde vom 30. Mai 1823, nach der man die Winkelblätter, 
namentlich den Neuigkeitsträger und den Hamburger Beobachter 
besser überwachen sollte. Diese Instruktion wird dann in einer 
Anmerkung in Zusammenhang gebracht mit der Petition der Buch- 
drucker vom 16. November 1824 gegen das Überhandnehmen der 
Winkeldruckereien. Der Hauptbetreiber und der eigentliche Ver- 
fasser dieser Petition, die übrigens schon von Köhler, Die Buch- 
druckerkunst von Hamburg- Altena (Hamburg 1895), abgedruckt ist, 
war gerade Menck, und es ist nicht gerade anzunehmen, daß er 
gegen sein eigenes Blatt gewütet hat. In jenem ganz vom zünft- 
lerischen Geiste diktierten Gesuch handelt es sich um ein anderes 
Blatt, das Neue Hamburgische Wochenblatt des Herrn Carstens, der 
sich, obwolil er einem anderen Berufe angehörte, doch als Buch- 
drucker bezeichnet hatte. Ebenso muß die Stellung Mencks zu 
Senator Hudtwalcker einer kleinen Konjektur unterzogen werden, 
wie es denn überhaupt wünschenswert wäre, von diesem auJJerordeut- 



'ufgezählt in Gesch. des Fremdenblattes S. 27. 



Rezensionen. 405 

lieh interessanten Senator eine auf zuverlässigen Quellen beruhende 
Biographie zu erhalten. Die ganze religiöse Bewegung jener Zeit 
und auch ein gut Teil Zensur- und Zeitungsgeschichte würde dadurch 
eine besondere Beleuchtung erhalten. Obwohl Menck von Hudt- 
waicker sagt, daß er neben der amtlichen, noch eine polizeiliche 
Zensur einführen wolle, so war doch gerade der Herr Senator selbst 
als Publizist besonders empfindlich für Zensurstriche. Übrigens ist 
sein Verhältnis zu Menck trotz der diametralen G^egensätze in ihren 
politischen und namentlich religiösen Anschauungen stets sehr freund- 
lich geblieben. Ja, Hudtwalcker hat sogar in ein Exemplar des 
Beobachters, das auf der Stadtbibliothek aufbewahrt wird, eigen- 
händig folgende Bemerkung eingetragen: Die Jahrgänge 1834 bis 
1838 (utid 1839 bis Himmelfahrt) des Hamburger Beobachters haben 
das besondere Interesse, daß alle Mitteilungen über üntersuchungs- 
und Polizeisachen authenüsch sind und tcährend ich Polizeiherr toar, 
unter meiner Aufsicht erschienen. 

Wie aus den Zeitungen, die Friedrich Menck gegründet hat, 
ließe sich selbstverständlich aus den vier privilegierten Blättern, aus 
der großen Schaar der Nichtprivilegierten manches Interessante hin- 
zutragen, das sonderlich die Zensur der Zeitungen in Hamburg neu 
beleuchtet, aber wesentliches wird dadurch wohl kaum noch geändert 
werden, so daß wir es in GtErstenbergs Schrift mit einer grund- 
legenden und zuverlässigen Arbeit zu tun haben, auf die alle weiteren 
Forschungen auf diesem Gebiet zurückgreifen müssen. 

Arthur Obst 



Ztschr. d. Vereins f. Hamb. Oesoh. XIII. 



Hinweise und Nachrichten. 



Urknndenwerke. Der im Jahre 1842 von Jon. Martin 
Lappenbero herausgegebene 1. Band des Hambnrgischen TJr- 
knndenbnchs, von dessen Auflage nur eine kleine Anzahl 
Exemplare dem kurz nach seiner Vollendung ausgebrochenen Ham- 
burger Brande entgangen war, ist im Jahre 1907 durch eine 
anastatische Beproduktion (Hamburg. Leopold Yoß) der allgemeinen 
Benutzung wieder zugängig gemacht worden. In dem Vorworte za 
der auf Kosten des hamburgischen Staates hergestellten neuen Aus- 
gabe führt A. Hagedorn aus, daß, nachdem er an&ngs eine völlige 
Neubearbeitung des ersten Bandes des TJrkundenbuchs in Aussicht 
genommen habe, es zweckmäßiger erschienen sei, diese Neubearbeitung 
zurückzustellen, um zunächst den noch unbekannten urkundlichen 
Stoff des hamburgischen Staatsarchivs der Forschung zu erschließen. 
Es solle daher mit der Herausgabe der Urkunden des 14. Jahrhunderts 
begonnen werden. Die Überzeugung von der Notwendigkeit, gerade 
die ältesten hamburgischen Urkunden bis zum Ausgang des 13. Jahr- 
hunderts der historischen Forschung und dem akademischen Unterricht 
bequem zugängig zu machen, habe dann jedoch dazu geführt, die 
vorliegende anastatische Reproduktion zu veranstalten, durch die 
dem hervorgetretenen Bedürfnisse in ausreichender Weise genügt 
werde. Der Band enthält die städtisclien Urkunden und die 
Urkunden des hamburgischen Domkapitels bis zum Jahre 1300, 
diejenigen des Erzbistums Hamburg bis 1224. — In dem gleich- 
falls 1907 erschienenen, von Walter Stein bearbeiteten 10. Bande 
des Hansischen Urkundenbuchs (Leipzig. Duncker & Humblot), 
der die Jahre 1471 — 85 umfaßt, ist eine Fülle von Urkunden, 
Korrespondenzen und Aufzeichnungen veröffentlicht, die für die poli- 
tische und die Handelsgeschiclite Hamburgs während jenes Zeitraums 
von erheblichem Interesse sind. Insbesondere werden Hamburgs 
Handelsbeziehungen zu den Niederlanden und England, ferner das 
Eingreifen der Stadt in den hansisch-englischen Seekrieg und die 
rücksichtslose städtische Stapelrechtspolitik durch zahlreiche Beiträge 
scharf beleuchtet. Dagegen bringt der neueste, 22. Band des 
Mecklenburgischen Urkundenbuchs (Schwerin. Baerenspning. 
1907) nur eine bisher noch unbekannte Urkunde, die sich unmittel- 
bar auf Hamburg bezieht. Sie enthält einen Vertrag Lübecks nnd 
Hamburgs mit den Herren von Züle, die versprechen, den beiden 
Städten im Interesse der Sichenmg der Landstraße die Stadt Boizen- 
**nrg offenhalten zu wo l<-n (1391, Sept. 8). N. 



Hmweise und Nachrichten. 407 

An Eezensionen und Anzeigen des vom Verein herausgegebenen 
Werkes von Th. Schrader, Die Eechnongsbücher der hamborgischen 
Gesandten in Avignon 1338—1355 (1907), die zum Teil weiter« 
wertvolle Erläuterungen und Ergänzungen bieten, verzeichnen wir 
diejenigen von K. H. Schaefer in der Böm. Quartalschrift XYT 
(1907), S. 151 ff., von Bruno Kuskb in den Hans. G^eschichtsbl. 
Jahrg. 1908, S. 249 ff., von Adolf Schaube in der Histor. Ztschr. 101 
(1908), S. 378 f. und von Heinrich Werner in den Mitteil, aus d. 
histor. Lit XXXVI (1908), S. 691 H. J. 

Von dem großangelegten Werke August Sachs, Das Herzog- 
tum Schleswig in seiner ethnographischen u. nationalen 
EntWickelung, dessen erste Abteilung (143 S.) 1896, die zweite 
(336 S.) 1899 erschienen waren, ist 1907 die dritte, abschließende 
Abteilung (510 S.) herausgekommen. Es sind die ethnographischen 
Probleme, die Besiedelung durch verschiedene Volksstämme, der 
Jahrhunderte lang dauernde Kampf dieser Stämme um ihr Volkstum, 
es sind die Sprachen- und Nationalitätsfragen, welche den Inhalt 
des Buches bilden und ihm ein über das rein historische hinaus- 
gehendes Interesse auch für die Gegenwart verleihen. Während die 
erste Abteilung mehr einleitend die Namen des Landes und seiner 
Bewohner in ihrer geschichtlichen Entwickelung, die Entstehung des 
Herzogtums, seine Naturbeschaffenheit und endlich den Stand der 
Besiedelung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts behandelt, 
will die zweite den Nachweis erbringen, daß ursprünglich in dieser 
Landschaft die ingwäonisclien Sachsen, Angeln und Warnen saßen, 
daß dann seit dem 5. und 6. Jahrhundert ihr Abzug nach den 
G^egenden des Niederrheins und nach England Baum schaffte für 
die kaum vor dem 8. und 9. Jahrhundert erfolgende Einwanderung 
einerseits der Juten von Norden her, andererseits der Friesen, die 
auf dem Seewege kommend vor allem Utland (Nordfriesland) be- 
siedelten und hier im Laufe der Jahrhunderte von den Juten im 
Norden nur wenig zurückgedrängt, aber im Süden von dem nieder- 
deutschen Volkstum in weiten Glebieten bezwungen in neuer Mischung 
ihre Sprache und Eigenart vielfach einbüßten. Der dritte Teil stellt 
sich nun zur Au^be, die merkwürdige Entwickelung der nationalen 
und sprachlichen Verhältnisse des Herzogtums vom Mittelalter bis 
in die neueste Zeit zu verfolgen und hauptsächlich den Kampf 
zwischen dem jütischen und dem von Süden her vordringenden nieder- 
deutschen Volkstum in dem eigentlichen Südjütland darzustellen. 
Die Juten, ein von den Dänen verschiedener, sprachlich den West- 
germanen näher stehender Stamm, haben früh ihre politische Selb- 
ständigkeit verloren und sind in langem geschichtlichen Prozeß in 
Nordjütland danisiert, In Südjütland germanisiert worden. DIt 
Grenze zwischen der jütischen und der niederdeutschen Besiedeliii 
lag ursprünglich in der Landschaft zwischen Schlei und EUk 



408 Hinweise und Nachrichten. 

Während diese durch eigentliche Kolonisation dem Dentechtom ge- 
wonnen ward, fand nördlich vom Danewirk nicht sowohl ein Be- 
völkenmgswechsel, als ein Sprachwechsel statt. Durch den über- 
mächtigen Einfloß, den die niederdeutsche Sprache seit dem 14. Jahr- 
hundert im Norden erlangte, wurden zunächst die mit deutschen 
Kaufleuten und Handwerkern sich füllenden, einst rein jütischen 
Städte und sodann auch große Strecken des platten Landes zwei- 
sprachig, wurde das Jütische zur bloß mundartlichen Nebehsprache 
herabgedrückt, die jedoch allmählich in dem größten Teile des Herzog- 
tums vor dem Niederdeutschen mehr und mehr zurückwich. Diese 
Entwickelung wurde zwar gehemmt, aber doch nicht völlig aus- 
hoben, als im 17. Jahrhundert ein zweiter Sprachwechsel eintrat 
und Hochdeutsch Amtssprache, - Sprache der Gerichte, der Kirche 
und der Schule wurde. Grehemmt deshalb, weil nun auch das 
Niederdeutsche seinerseits zur Mundart herabsank und der Unter- 
stützung entbehrte, die seinem Vordringen die Herrschaft in allen 
amtlichen Beziehungen bisher gewährt hatte. Allein es blieb doch 
noch lange Umgangssprache und machte in zweisprachigen Gemein- 
den seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als Kindersprache erneute 
Fortschritte, da man einsah, wie wichtig seine Förderung für das 
bessere Verständnis des hochdeutschen Schulunterrichts werden mußte. 
War bis dahin eine nationale Tendenz der Volkssprache fem ge- 
blieben, so erwachte das Niederdeutsche zu dentschnationalem Bewußt- 
sein, als seit 1848 und insbesondere durch die dänischen Sprach- 
reskripte von 1851 die jütische Mundart für echtes altes Dänisch 
erklärt und zum Zeichen dänisclier Gesinnung gestempelt wurde. 
In der Zeit des dänischen Spracllz^vanges von 1851 bis 1863 
gewann die deutsche Sprache in den gemischten Distrikten mehr 
Terrain, als in dem ganzen vorliergehenden Jahrhundert. So tritt 
die hohe nationale Bedeutung des Niederdeutschen als des eigentlichen 
Trägers des deutschen Volkstums im Herzogtum auch für die 
Gegenwart überraschend hervor. Auf dem Plattdeutschen, dem sich 
die jütische Volkssprache nirgends gewachsen gezeigt hat, beruht 
die weitere Germanisiemng der Nordmark. Demgegenüber verblaßt 
die Wichtigkeit des Kampfes zwischen den Amtssprachen, dem 
Hochdeutschen und der dänischen Literatursprache. — Im dritten 
Teile des Werkes stehen die sprachlichen Gesichtspunkte obenan. Über- 
all werden die Ortsnamen, die Fluniamen, die Straßen* und Personen- 
namen in eingehender Weise als historische Zeugnisse verwertet. 
Aus der Fülle des in dem ganzen Buche zusammengetragenen Ma- 
terials kann man reiche Belehrung schöpfen. Auch für hambur- 
gische Verhältnisse, z. B. den Namen der Stadt und die Straßen- 
bezeichnungen, ergeben sich hier und da die Erklärung fördernde 
Parallelen. In den beiden ersten Teilen werden neben den sprach- 
lichen Erscheinungen in ausgedehntem Maße die Besultate der an- 
tiquarischen und archaeologischen Forschung (Grabhügel, Urnen- 



Hinweise und Nachrichten. 409 

friedhöfe, Bauernhaus) herangezogen. Ansführlich bespricht der 
Verf. an verschiedenen Stellen (153—63; n 36 f., 109—113; 
m 137 — 142) die Beziehungen, die zwischen den Namen Haithabu 
und Schleswig bestehen, sowie die Bedeutung der „Hohburg'' und 
der „Oldenburg''. Er entscheidet sich m. E. mit Eecht dafür, daß 
Haithabu „Ort an den Heiden'' lediglich der vom 9. bis zum Ende 
des 14. Jahrhunderts vorkommende nordische Name für die Stadt 
Schleswig sei, nicht eine ursprünglich selbständige Ansiedelung 
innerhalb der 28 ha (!) umfassenden Ringwälle der Oldenburg, deren 
Name erst später auf Schleswig übertragen sei. In der Oldenburg 
sieht er ein befestigtes Lager als Stützpunkt für eine Flotte, die 
im HMdebyer Noor einen sicheren Ankerplatz fand; in der Hohburg 
will er das nach Thietmar von Otto n. errichtete Grenzkastell er- 
kennen. — Naturgemäß bietet ein so umfangreiches Werk der 
Kritik manche Angriffsmöglichkeiten. Sonderbar berührt der 
„ägyptische" Geograph Ptolemäus (1 1 ; n 71) und der „Schleswiger" 
Thraziger (n 112). Wenn es n 196 heißt, Herzog Friedrich m. 
von Gottorp habe im J. 1652 über den Grundbesitz seiner 
Nordstrander Untertanen willkürlich zu Gunsten einer nieder- 
ländischen Gesellschaft verfügt, so ist das nicht richtig. Die Unter- 
tanen hatten die durch die Flut von 1634 zerstörten Deiche nicht 
wiederherzustellen vermocht: damit waren sie nach Deichrecht ihres 
von ihnen selbst abandonnierten Grundeigentums verlustig gegangen 
und dieses als Ödland dem Landesherm verfallen, der es völlig recht- 
mäßig zur Eindeichung und Kultivierung an dazu bereite und fähige 
Unternehmer erneut ausweisen konnte. Daß feststände, Anskar sei bei 
seiner ersten Missionsreise von Dorstede über Hamburg zu Lande 
nach den Grenzgebieten der Dänen gelangt (m 171), ist ein Lrtnm. 
Schon die Schilderung in der Vita Änskari c. 7, in der Hamburg 
nicht erwähnt wird, zeigt, daß die ganze Beise von Köln aus zu 
Schiff zurückgelegt ward. Endlich hätte die Figur des Schwert 
und Buten haltenden Büttels auf dem Kaak der schleswigschen Städte 
nicht mehr als Boland ausgegeben und zum Wahrteichen nieder- 
deutschen Wesens und der Marktfreiheit (m 212, 228, 244, 286, 
310) gemacht werden dürfen. Doch diese und andere Ausstellungen 
können den hohen Wert des interessanten Werkes in keiner Weise 
beeinträchtigen. H. J. 

Eine Bibliographie der Hannoverschen und Braun- 
schweigischen Geschichte hat Victor Löwe veröffentlicht. Sie 
erstrebt, „die in selbständigen Schriften oder in Zeitschriften nieder- 
gelegten Arbeiten, soweit sie seit ungefähr 1815 erschienen sind, 
mit Ausscheidung der rein populären Darstellungen, möglichst voll- 
ständig zu verzeichnen'', und „aus der früher erschienenen Literatur 
dasjenige aufzunehmen, was in irgend einer Hinsicht heute noch vw 
Bedeutung ist". Bei den engen Beziehungen Hamburg zn. ^ 



410 HinweiBe und Nachrichten. 

hannoverschen Territorien wird die mühsame nnd sehr dankenswerte 
Arbeit häufig auch den hambnrgischen Geschichtsforschern wesent- 
liche Unterstützung leisten können. N. 

Der Hansische Oeschichtsverein hat eine neue Serie von Ver- 
öffentlichungen begonnen unter dem Titel: Abhandlungen zur 
Verkehrs- und Seegeschichte, im Auftrage des Hansischen 
G^chichtsvereins herausgegeben von Dietrich Schäfer. Dieses 
Unternehmen ist eine Frucht der neuen weitausschauenden Ziele, die 
der Verein sich dadurch gesteckt hat, daß er sein Arbeitsfeld nicht 
auf die hansische Geschichte beschränken, sondern ganz allgemein 
auf die deutsche Seegeschichte und alles, was damit zusammenhängt, 
ausdehnen will. Die Beihe der Abhandlungen eröffnet Rudolf 
Hapke mit einer Arbeit über Brügges Entwickelung zum 
mittelalterlichen Weltmarkt (vergl. oben S. 392). N. 

Der nicht nur auf das Slstorische gerichteten, aber dieses 
doch auch einschließenden Absicht, das Verständnis für Meer nnd 
Seewesen beim deutschen Volke zu beleben, soll die vom Institut 
für Meereskunde zu Berlin herausgegebene Zeitschrift Meeres- 
kunde. Sammlung volkstümlicher Vorträge zum Ver- 
ständnis der nationalen Bedeutung von Meer und See- 
wesen dienen. Aus dem ersten 1907 im Verlage von Ernst 
Mittler & Sohn zu Berlin erschienenen Jahrgang notieren wir 
Vorträge von Albrecht Peück über das Museum für Meeres- 
kunde zu Berlin, von Kobert Hoenioer über die Kontinental- 
sperre in ihrer geschichtlichen Bedeutung, von W. Vogel 
über Nordische Seefahrten im früheren Mittelalter, von 
Fr. Solger über die deutschen Seeküsten in ihrem Werden 
und Vergehen, endlich von Walter Stahlberg über den Ham- 
burger Hafen und das Modell des Hamburger Hafen- 
betriebes und über den Hamburger Hafen, seine Gliede- 
rung nnd seinen Betrieb. N. 

Die Normannen und das fränkische Reich bis zur 
Gründung der Normandie (799 — 911) hat Waltedsr Vogel zum 
Gegenstand einer ausführlichen Darstellung gemacht, die den etwas 
eintönigen Stoff durch glückliche Gliederung und eine frische, manch- 
mal allzu flotte Schreibart interessant und lehrreich zu gestalten 
weiß (Heidelberger Abhdl. z. mittleren u. neueren Gesch., hrsg^. von 
Karl Hampe, Erich Marcks n. Dietrich Schäfer, Heft 14, 
1906, 442 S.). — Die Dänen haben bekanntlich auch Hamburg 
zerstört. V. (S. 101 f.) setzt das am eingehendsten in der Vita 
Anskari c. 16 geschilderte Ereignis mit Ernst Dümmler (Gesch. 
d. ostfränk. Reichs I*, 1887, S. 281 A. 1) m. E. mit Recht in das 
r 845 und verwirit die Datierung Adams von Bremen auf 



Hinweise und Nachrichten. 411 

839/40; die z. B. von Eudolf Ballhximer (Zeittafeln z. hbg. 
G^esch., Progr. d. Gelehrtensch. d. Johannenms 1895, S. 6) dagegen 
geltend gemachten Gründe können nicht als durchschlagend angesehen 
werden. Die Erzählung V.'s folgt, wie billig, der Hanptquelle, der 
Viin Anskari, Sie gibt jedoch in einigen nicht unwichtigen Punkten 
zu Beanstandungen Veranlassung. — Einmal macht Y. aus dem 
comes, qui eo tempore praefecturam loci illius tenebat, einen Burg- 
grafen Bemhar, wälirend es einen Burggrafen von Hamburg nie 
gegeben hat (vgl. auch S. Bietschel, Das Burggrafenamt, 1905, 
S. 271) und dieses Amt für die Mitte des 9. Jahrhunderts über- 
haupt ein Anachronismus sein dürfte (vgl. ebenda, S. 321, 327). — 
Sodann spricht V. stets von der Stadt Hamburg, wo Bimbert 
civitas oder urbs schreibt, und versteht dementsprechend unter dem 
suburbium, dessen Identität mit dem vicus proocimus ihm entgeht 
(die verlassene Stadt „mitsamt der Umgebung"), eine Vorstadt. Nun 
ist aber der Sprachgebrauch Bimberts ganz unzweifelhaft: civitas 
und das synonyme urbs bezeichnen bei ihm, wie auch sonst in der 
Karolingerzeit, eine Burg und zwar, da es sich nicht um die alten 
Bömerstädte und befestigten Bischofssitze des Südens handelt, in 
derselben Bedeutung wie castellum oder castrum (vgl. Bietschel, 
Die Civitas, 1894, S. 44 — 58). So werden aulSer Hamburg, dessen 
Name ja schon seine Entstehung als Kastell bezeugt, die in dem 
schwedischen Birka am Mälarsee belegene Burg (c. 19), eine slavische 
Feste (c. 19) und fünf Burgen der Cori (Kurländer), von denen eine 
die Seeburg heißt (c. 30), civitas oder urbs genannt. Dagegen 
bedeutet suburbium an der einzigen SteUe (eben in c. 16), wo es 
bei Bimbert vorkommt und wo es mit vicus gleichgesetzt wird, die 
offene Handelsniederlassung am Fuße des Kastells. Denn vicus und 
synonym portus (für letzteren Terminus vgl. H. Pirenne in der 
Bevue historique 67, 1898, S. 62 f. und Festgabe für Anton 
Hagedom, 1906, S. 29 A. 2) werden von Bimbert im G^egensatze 
zum Dorf {villa: c. 12, 35) nur gebraucht von Hafenplätzen und 
kaufmännischen Ansiedelungen, nämlich von Birka (c. 11, 19, 
27, 28), Schleswig (c. 24, 31, 32, 33) und Bipen (c. 32). Und 
bei Birka findet sich (c. 19) dieselbe Ghegenüberstellung von civitas 
oder urbs und vicus wie bei Hamburg, weil beide Orte (was für 
Birka auch anderweitig feststeht) aus einem Kastell und einem als 
Hafen und Handelsplatz dienenden unbefestigten Burgflecken bestan- 
den (vgl. für Hamburg schon Bietschel, Die Civitas, S. 102). Die 
Anwendung des Wortes vicus in dieser Bedeutung war so allgemein 
verbreitet, daß es auch in die germanischen Sprachen überging: an. 
wie (worauf die Bezeichnung der Wikinger als der Leute des Hafen- 
platzes zurückgeht), ahd. u;(ch (von dem Weichbild, d. h. Stadtrecht, 
abzuleiten ist; vgl. F. Kluge in der Vierteljahrschr. f. Sozial- n. 
Wirtschaftsgesch. VI, 1908, S. 79), und daß es dann zur Bilda 
von Ortsnamen benutzt ward, wie Bardaenowic, Brunsunc, Hamu 



412 Hinweise und Nachrichten. 

(das freilich bei Nithard lY 3 nicht, wie noch Ristschel a. O. einer 
Angabe von Pertz folgend angenommen hat, Hamburg bezeichnet, 
sondern einen mit Sicherheit nicht zu bestimmenden englischen Ort), 
QuerUawic, Sliaswich. Das eigentliche Hamburg war also in der 
Mitte des 9. Jahrhunderts und noch lange Zeit nachher ein Kastell, 
in dem schon Karl d. Or. eine Kirche und sein Sohn dieii erz- 
bischöflichen Sitz für den Norden errichtet hatten (über die Neu- 
begründung von Bistümern in Kastellen vgl. Rietschel S. 55), aber 
keine Stadt. Wird es doch auch in der Notiz der Ann. Fnld. über 
eben die Zerstörung von 845, die uns hier angeht, ausdrücklich ein 
Kastell genannt (castellum etiam in Saoconia, quod vocatur Hamma- 
btirg, populaH , . . sunt). Von Städten kann man bekanntlich in 
dem Deutschland des 9. Jahrhunderts überhaupt noch nicht reden; 
höchstens mag man in den suburbia, viel und parius die Keime der 
späteren Städtebildung sehen. — Endlich übernimmt Y. eine An- 
merkung C. F. Dahlmanns in seiner Ausgabe der Vita Änskari 
(MG. Scr. n 700; Waitz in den Script, rerum German. S. 37 tat 
das wohlweislich nicht), indem er das sttburbium Hamburgs, das er 
fölschlich als Vorstadt bezeichnet, mit dem Kirchspiel St. Nikolai 
identifiziert. Das ist natürlich unmöglich, da dieses Kirchspiel erst 
durch die Gründung der Neustadt Ende 1188 oder Anfang 1189 
entstand. Aber auch an der Stelle der nachmaligen Nikolaiparocfaie, 
was Dahlmann wohl gemeint hat, wird man den Hafen Hamburgs 
nicht suchen dürfen. Denn abgeselien davon, daß er dann von dem 
schützenden Kastell durch die Alster getrennt gewesen wäre, war 
das dortige Terrain tiefliegendes Marsch- und Sumpfland, das erst 
der Eindeichung bedurfte, um bewohnbar zu werden, und offenbar 
zuerst in den fünfziger Jahren des 11. Jahrhunderts zur Errichtung 
einer herzoglichen Wasserburg verwendet worden ist (Adam m 26). 
Ans ähnlichen Gründen wird aber auch die Gegend der Reichen- 
straße (Ballheimer a. 0. S. 5) für eine so frühe Zeit kaum in 
Betracht kommen. Die Handelsniederlassung am Fuße des Kastells 
kann vielmehr, wie ich glaube, nur auf derselben Greestzunge gelegen 
haben, an deren Ende vor dem Abfall zum Flusse das Kastell selbst 
sich befand, und zwar entweder auf dem Abhang westlich von diesem 
oder östlich von ihm an der Stelle des späteren Kirchspiels St. Jakobi. 
Für die zweite Möglichkeit scheint mir die Vermutung darum zu 
sprechen, weil man aus der Schilderung des Überfalls der Normannen 
bei Eimbert den Eindruck ge\vinnt, daß diese mit ihren Schiffen 
zuerst, ehe sie sich des viais bemächtigen konnten, die Burg er- 
reichten und sie zu Wasser auf drei Seiten einschlössen. 

Hermann Joachim. 

In der Ztschr. f. d. gesamte Handels- und Konkurs- 
recht, Bd. LXn (1908) S. 289—327 beschäftigt Karl Lehmann 
eich mit Altnordischen und hanseatischen Handelsgesell- 



Hinweise und Nachrichten. 413 

Schäften. Seine gehaltvollen Aosfühiningen sind ein wichtiger 
Beitrag znrOeschichte des mittelalterlichen Handelsrechts, insbesondere 
des OeseUschaftsrechts im Norden, d. h. im skandinavischen und 
im hansischen Oebiete. Er nntersncht, inwieweit es in diesen 
Oebieten Gestaltangen von Handelsgesellschaften gab, die sich den 
im romanischen Mittelalter vorkommenden offenen nnd stillen Oesell- 
Schäften vergleichen lassen. In anziehender Darstellung zeigt er, 
wie sich die ältesten erkennbaren Formen der nordischen Handels- 
gesellschaft aas dem Kriegs- nnd Beaterecht der Wikinger ent- 
wickelt haben nnd wiq das skandinavische B.echt eine an die Beate- 
gesellschaft sich anknüpfende Gelegenheitsgesellschaft nnd eine stille 
Partnerschaft herausgebildet hat, ehe es vom hansischen Gesellschafts- 
recht verdrängt wmrde. Als typische Formen des letzteren, dessen 
Mittelpunkt ^durchaus in Lübeck lag, werden die tcedderleggin^e und 
die sendeve besprochen. Die senäeve (= Sendgut) war im Grunde 
Kommission (Anvertrauung an einen selbständigen Kaufmann zum 
Handel im eigenen Namen, aber auf Eechnung des Auftraggebers), 
bei der das sozietätsmäßige Element in der Mehrzahl der Fälle in 
der Gewährung einer Gewinnquote an den Beauftragten lag, dagegen 
wird die tcedderleggiiige (beiderseitige Kapitaleinlage auf Gewinn 
und Verlust mit gleicher oder ungleicher Größe der Beteiligung) 
als richtige (^sellscliaft charakterisiert, die ganz vorwiegend die 
Kennzeichen der stillen Gesellschaft zeigt. Entgegen den Aos- 
führungen anderer Forscher, zuletzt Friedrich Kbutoens in seinen 
eingehenden Untersuchungen über Hansische Handelsgesell- 
schaften im Mittelalter (Yierteljahrsschrift für Sozial- 
und Wirtschaftsgeschichte Bd. IV) sucht Vf. mit guten Gründen 
zu erweisen, daß das hansische Mittelalter mindestens bis in die 
Mitte des 15. Jahrhunderts hinein die offene Firmengesellschaft mit 
Gesamthaftung und mit gesetzlichem Vertretungsrecht jedes (j^esell- 
schafters nicht gekannt habe. — Die Erörterungen des Verfassers 
werden natürlich auch für Untersuchungen über hamburgische 
Handelsgesellschaften im M. A. von wesentlicher Bedeutung sein. 
Das Material, das über solche bisher veröffentlicht ist, ist allerdings 
nur gering und gibt nur ein unvollkommenes Bild von diesem Institut 
des Handelsrechts. So ist das Vorkommen der sendeve für Hamburg 
bisher überhaupt noch nicht bezeugt. Es wird aber einem Zweifel 
nicht unterliegen, daß sie auch hier ihre Anwendung gefunden hat, 
wenn sie auch, wie Vf. hervorhebt, ganz vorwiegend in Lübeck 
heimisch gewesen ist. N. 

Die Handlungsgehilfen des hansischen Kaufmanns 
hat Karl Friedrich Beug zum (j^enstand einer der Universität 
Rostock vorgelegten juristischen Doktordissertation (Stralsund 1907) 
gewählt, in der er auf Grund des reichen urkundlichen Quellen- 
materials die rechtliche Stellung und die Obliegenheiten dieser kA»Sr 



414 Hinweise und Nachrichten. 

männischen Hilfspersonen im M. A. nntersncht. Die hambnrgischen 
Bechtsstatnten und das Handlangsbnch des hambnrgischen Kauf- 
manns Vicko von Geldersen geben ihm Veranlassung, dabei wieder- 
holt auch auf hamburgische Verhältnisse einzugehen. N. 

Die Dissertation von Bichard Bobchan, Hamburgs Handel 
mit der Mark Brandenburg bis zum Ausgang des 14. Jahr- 
hunderts (vergl. oben S. 165) ist besprochen von E. Baasch in 
den Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 
Bd. 20 S. 544 f. und von W. v. Sommerfeld in Schmollers Jahr- 
buch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Jahrg. 32 
(1908) S. 289 ff. N. 

In der Zeitschrift des Historischen Vereins für Nieder- 
sachsen, Jalirg. 1908, S. 228 — 264, hat Ernst Baasch auf Grund 
von Akten des Staatsarchivs zu Hannover die Pläne dargelegt, die im 
4. und 5. Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts zur Begründung ost- 
indischer Kompagnien in Hamburg und Stade verfolgt wurden. 
Sie wurden auf Betreiben oder unter wesentlicher Teilnahme ham- 
burgischer Kaufleute gefaßt, führten aber bei dem Widerstände der 
englisch-ostindischen Kompagnie und ihren engen Beziehungen zu der 
englischen Eegiemng sowie dem vorsichtigen Zurückhalten in Han- 
nover zu keinem Gelingen. Die einschlägigen Aktenstücke aus den 
Jahren 1 736 — 1750 sind von dem Vf. anliangsweise abgedruckt. N. 

Über die Entwickelung der drei hanseatischen Na- 
vigationsschulen gibt Joseph Krauss, Lehrer an der Navigations- 
schule in Lübeck, auf Grund der neueren Literatur, die verzeichnet 
wird, einen kurzen zusammenfassenden Überblick in den von der 
Deutschen See warte herausgegebenen Annalen der Hydrographie 
XXXVI (1908), S. 300—307. Die hamburgische AdmiraUtät 
richtete zuerst in Deutschland im Jahre 1749 einen öffentlichen 
nautischen Unterricht ein. Das Vorbild dafür ist offenbar wiederum 
in Holland zu suchen, von dem unmittelbar, wie es scheint, sonst 
nur noch Emden beeinflulSt ward, als es 1782 einen Navigations- 
lehrer aus Amsterdam berief, während für das übrige Deutschland, 
insbesondere für Preußen, später die Hamburger und die Lübecker 
Schule als Muster dienten. H.J. 

Die im übrigen das moderne volkswirtschaftliche Problem 
behandelnde Schrift von Marie Heller über das Submissions- 
wesen in Deutschland (Jena 1907) geht im ersten Kapitel der 
Frage nach dem Ursprünge dieses Verfahrens in Deutschland nach. 
Im Gegensatze zu der herrschenden Meinung, daß es hier erst im 
Anfange der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aufgekommen 
ermittelt die Verf. sein Bestehen für sehr viel ältere Zeiten. 



Hinweise und Nachrichten. 415 

Und zwar will sie die erste Spar in Hamburg finden, wo durch 
die Banhofsordnung vom 5. April 1617 (Kxefeker, Samml. hbg. 
Gesetze u. Verfass. n 21 ff.) die „Verdingung" aller öffentlichen 
Bauarbeiten nach Maßgabe im einzelnen iormulierter Bestimmungen 
eingeführt wurde. Die Verf. nimmt an, leider ohne sich auf einen . 
näheren Nachweis einzulassen, daß Hamburg die Einrichtung aus 
Holland übernommen habe, was an sich gewiß glaublich erscheint 
und zu den vielen Entlehnungen daher gerade zu Anfang des 
17. Jahrhunderts gut passen würde. Wie lange die Verdingung 
in Hamburg in Gebrauch geblieben sei, lasse sich nicht feststellen; 
jedenfalls sei das Verfahren mit der Zeit wieder in Vergessenheit 
geilten und erst im Jahre 1814 nach französischem Muster von 
neuem eingeführt worden. In diesen Punkten werden eingehendere 
Nachforschungen sicherlich zu einem präziseren Ergebnis führen 
können. Auch der Interpretation der Bauhofsordnung von 1617 
zeigt sich die Verf. nicht überall gewachsen, wie sie denn den 
Begriff der Sperrmaße verkennt und die wunderliche Behauptung 
aufstellt, Gerüste seien damals in Hamburg Treppen genannt. 

H.J. 

Mit der Entwicklung der Lotterie in Hamburg be- 
schäftigt sich in einer Doktordissertation (Druck von Lütcke & Wulff, 
Hamburg 1908) Max G. A. Predöhl. Vorwiegend auf Grund 
von Akten des hamburgischen Staatsarchivs verfolgt er die Geschichte 
der staatlichen und der privaten Lotterien in Hamburg seit dem 
17. Jahrhundert und wirft zum Schluß einen Blick auf die liam- 
burgische Gesetzgebung auf dem Gebiete des Lotterierechts. Aus 
dem Inhalte der Schrift sei der Nachweis hervorgehoben, daß, während 
die erste nach holländischem Muster eingerichtete Klassenlotterie in 
Hamburg bekanntermaßen im Jahre 1721 stattfand (vergl, H. Jacu- 
BOWBKY, Die Hamburgische Stadt-Lotterie, Hamburg 1891), ein 
freilich mißglückter Versuch, eine solche ins Leben zu rufen, schon 
im Jahre 1719 gemacht worden ist, daß aber die Annahme, Ham- 
burg besitze die älteste Klassenlotterie in Deutschland, nicht zutrifft. 

N. 

Eine interessante Zusammenstellung von Bildnissen des nicht 
nur um seine Vaterstadt, sondern um die Hansestädte überhaupt 
hervorragend verdienten bremischen Bürgermeisters JohannSmidt hat 
E. Waldmann im 2. Halbbande des 1. Jahrganges des Jahrbuchs 
der bremischen Sammlungen S. 66 ff. veröffentlicht. N. 

In seiner hamburgischen Antrittsrede, Hamburg und das 
bürgerliche Geistesleben in Deutschland (Hamburg, Leopold 
Voß, 1907) hat Erich Marcks in großen Zügen ein Bild von der 
Bedeutung der Städte für die Entwicklung der deutschen Geistes- 
knltur entworfen und insbesondere die Bolle veranschaulicht^ die 



416 Hinweise und Nachrichten. 

Hamburg dabei gespielt hat. Die Betrachtang läßt klar die glänzende 
Stellung hervortreten, die Hamburg als Sammelpankt vielfacher 
geistiger Interessen im 17. und 18. Jahriiundert eingenommen hat^ 
und geht sodann, den Zusammenhang mit der allgemeinen deutschen 
Kulturgeschichte stetig wahrend, auf die Kulturaufgaben ein, deren 
Erfüllung der Stadt seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts als 
Ergebnis ihrer Lage, ihrer Verbindungen und ihrer Geschichte 
zugeMlen ist. N. 

In seinem Buche Weltbürgertum und Nationalstaat. 
Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaates 
(München u. Berlin 1908), dessen zweiter TeU die Ideen über das 
Verhältnis des preußischen zum deutschen Nationalstaate in ihrer 
geschichtlichen Entwicklung während des 19. Jahrhunderts feinsinnig 
und mit kundigem Blick verfolgt und darlegt, führt Friedrich 
Meinecke eine Stelle aus der berühmten Kaiserrede des Hamburgers 
Gabriel Blosser zum Zeugnis für den Gedankenkreis an, in dem 
die um Heinrich von Gagem geschalte Erbkaiserpartei der deutschen 
Nationalversammlung sich bewegte. Die Worte, die Biesser am 
21. März 1849 in der Paulskirche sprach, zeigen, daß er und seine 
Gesinnungsgenossen in jenem Augenblick, da ihnen alles darauf an- 
kam, das preußische Erbkaisertum durchzusetzen, auf die vorher 
laut geforderte Auflösung Preußens verzichteten, vielmehr unter 
dem Eindrucke der eben in Preußen oktroyierten Verfassung und 
im Hinblick auf die gefährlichen Ziele der oppositionellen Linken 
den Bestand Preußens nicht im mindesten anzutasten wünschten, 
wohl aber das Aufgehen Preußens in Deutschland als eine ge- 
schichtliche Notwendigkeit ansahen, die sich in der Zukunft von 
selbst vollziehen werde. N. 

In der Zeitschrift für Bücherfreunde 12. Jahrg. 
S. 213 — 243 veröffentlicht Friedrich E. Hirsch einen Aufsatz Zur 
Biographie Johann Peter Lysers, der die im vorigen Jahre von 
Heckscher und von Hirschfeld verfaßten Arbeiten über diesen talent- 
vollen und vielseitigen Künstler und Schriftsteller in erheblichem Maße 
ergänzt. Seine Ausführungen enthalten eine Beihe neuer Beiträge 
zur Lebensgeschichte Lysers, insbesondere während seiner Wiener 
Zeit; außerdem vermag er das von Heckscher und Hirschfeld 
aufgestellte Verzeichnis seiner Werke um mehr als 300 Nununem 
zu bereichem. N. 

Im Anfange des Jahres ist die erste Hälfte des zweiten Bandes 
von Max Kalbecks Johannes Brahms erschienen (Berlin 1908), 
die Jahre 1862 bis 1868 umfassend. Wird uns in dieser Dar- 
stellung von Brahms' Leben und Werken auch keine Biographie 
^oßen Stils etwa im Sinne des Mozart von Otto Jahn und des 



Hinweise und Nachrichten. 417 

Johann Sebastian Bach von Philipp Spitta oder auch des Wlnckel- 
mann von Carl Jüsti geschenkt, für die die Zeit noch nicht ge< 
kommen sein mag, so haben wir doch alle Ursaclie, ans des Eifers 
und G^escliicks zu freuen, mit dem K. zum ersten Male in größerem 
Maßstabe das Material für die Lebensgeschichte zusammengebracht 
und verwertet hat. Einige Überschwenglichkeiten, insbesondere auch 
in den doch nicht ganz zu entbehrenden Versuchen, den Stimmungs- 
gehalt der Werke in Worten wiederzugeben, sowie einen Mangel 
an Oeschlossenheit der Darstellung muß man freilich mit in den 
Kauf nehmen. — Hamburg spielt in diesem Halbbande keine 
ehrenvolle Eolle. Zu dem Kultus, der Brahms hier gewidmet wurde 
und gewidmet wird, nachdem er der weltberühmte Meister geworden 
war, der der besonderen Anerkennung durch seine Vaterstadt nicht 
mehr bedurfte, tritt in bezeichnenden Oegensatz, wie man ihn be- 
handelte, ehe er sich allgemein durcligesetzt, ehe die Autorität Hans 
von Bülows das Publikum zur Bewimdenmg seiner Werke erzogen 
hatte. Mit tiefer Liebe, die ihm das herrliche Quartett „An die 
Heimat** eingab, hing Brahms an seiner Vaterstadt und wünschte 
nichts lieber, als Dirigent der Philharmonischen Konzerte und der 
Singakademie zu werden, um damit auch in eine gesicherte Lebens- 
bahn, in der ihm Heimat, Amt und eigener Herd bescliieden ge- 
wesen wären, einzulenken. Zweimal bot sich die Gelegenheit dazu. 
Trotz oberflächlicher Versprechungen, die man ihm gemacht hatte, 
überging man ihn beide Male. Mit berechtigter Härte urteilte 
Joseph Joachim über dieses Verhalten. Im Jahre 1863 schrieb er, 
die Wahl hätte Brahms' Natur die Herbheit genommen, während es 
ihn bei seinem Patriotismus für Hamburg,, der fast kindlich rührend 
sei, immer bitterer machen ' müsse, sich einem viel Geringeren an 
Talent und Charakter hintangesetzt zu sehen ; seine engeren Lands- 
leute hätten die Mittel aus der Hand gegeben, ihn befriedigter, 
milder und seine genialen Leistungen genießbarer zu machen ; diese 
Kränkung Brahms' werde die Kunstgeschichte nicht vergessen. Und 
1867: daß sich die Philharmonische G^esellschaft nun aufraffe und 
dem größten Musiker jener Tage (er wisse, was er schreibe) die 
gebührende Stelle anweise, sei nicht anzunehmen ; ein Stück Misere 
und Verkennung scheine zur Entwickelnng großer Geister immer zu 
gehören und vielleicht halte die Gesellschaft es für landesväterliche 
Verpflichtung, der Zukunft von Brahms durch Entsagung ein 
patriotisches Opfer zu bringen. H. J. 

J. Jung hat als Beitrag zur deutschen Gelehrtengeschichte eine 
Darstellung des Lebensganges und vor allem der wissenschaftlichen 
Tätigkeit von Julius Ficker (1826—1902) veröffentUcht (552 S., 
Innsbruck 1907). Handelt es sich auch nicht um eine völlig aus- 
geglichene und in künstlerische Form gebradite Biographie, so bieten 
doch Leben und Forschung des charakterfesten, streitbaren Mannes 



418 Hinweise und Nachrichten. 

ond des um die deutsche und italienische Reichs- und Rechtsgeschichte, 
um die TJrkundenlehre und endlich um die germanische Rechtsgeschichte 
hochverdienten Gelehrten genug des sachlichen Interesses, das in um- 
sichtiger Weise unter Benutzung des brieflichen und sonstigen hand- 
schriftlichen Nachlasses befriedigt wird. Ficker aus West&den stammend 
und im Jahre 1852 als Professor nach Innsbruck berufen hatte hier 
an der Unterrichts- und TJniversitätsreform des Orafen Leo Thun 
starken Anteil und ward neben Theodor Sickel der eigentliche Be- 
gründer der neueren österreichischen historischen Schule. Als Groß- 
deutscher und Katholik ward er in den Jahren 1859 bis 1862 in 
den berühmten Streit mit Heinrich v. Sybel über die Beurteilung und 
Werteinschätzung des römischen Reichs deutscher Nation verwickelt. 
Als Schüler und Freund Johann Friedrich Böhmers wurde er nach 
dessen Tode im Jahre 1863 der Hauptträger für die Fortaetzong* 
und Vollendung der Arbeiten Böhmers, insbesondere auch des großen 
Werkes der Kaiserregesten, dessen Neubearbeitung noch heute nicht 
zum völligen Abschluß gelangt ist. — Über Hamburg findet sich 
eine Äußerung des jungen Ficker gelegentlicli eines zweitä^gen 
Besuchs im Jahre 1850 (S. 103). Ihm fiel die überaU zu Tage 
tretende Wohlhabenheit und Gediegenheit auf, gegen die Berlin einen 
scharfen Gegensatz bilde. „Es ist eine Stadt im eigentlichsten Sinne, 
eine Bürgerstadt, niclit ein Residenzschloß mit einer Stadt als Zubehör." 

H.J, 

Als 11. Heft derMitteil. derK. preuß. Archivverwaltung 
(1908, 348 S.) hat Bruno Krusch in eingehender Weise die 
Geschichte des Staatsarchivs zu Breslau bearbeitet. Mit 
Recht bezeiclmet er sie als in vielfaclier Hinsicht anregend und 
belehrend. Sie ist es auch für den, der Schlesien ganz fernsteht; 
sie ist es insbesondere für jeden öitliclien Geschichtsverein, dessen 
Mitglieder über die Bedeutung, Zusammensetzung und innere Or- 
ganisation von Staatsarchiven überhaupt sich unterrichten sollten, 
um dadurch in der Bildung eines richtigen Urteils über die Auf- 
gaben und die Stellung des Archivs auch ilires heimatlichen Staates 
oder ihrer Provinz unterstützt zu werden. Als eines der ältesten 
Provinzialarchive Preußens (nur das Königsberger ist älter) wurde 
das schlesische zu Breslau aus Veranlassung der Säkularisation der 
geistlichen Stifter imd Klöster im J. 1810 auf Anregung von Johann 
Gustav Gott lieb Büschin g, dem Solme des berühmten Geographen, 
begründet und zwar, wie die gleichfalls damals entstandene Universitäta- 
bibliothek und das Museum, zunächst als ein akademisches, der Uni- 
versität angegliedertes Institut. Es diente anfangs der Aufnahme der 
großen Massen von Urkunden und Akten, die durch die Säkularisation 
in den Besitz des Staates kamen. Es sollte in erster Linie die Unter- 
richtszwecke der Univei*sität fördern und einen vorwiegend wissenschaft- 
lichen Charakter tragen. In Wirklichkeit freilich wurde es von vom- 



Hinweise und Nachrichten. 419 

herein in höherem Maße für die Zwecke der Justiz- nnd Yerwaltongs- 
behörden in Ansprach genommen. Diese seine administrative Bedentong 
kam zur vollen Geltung nnd auch äußerlich zum Ausdruck erst durch 
die Archivreform Hardenbergs (vgl. R. Koser, Die Neuordnung des 
preuß. Archivwesens durch den Staatskanzler Fürsten von Hardenberg, 
Mitteil. Heft 8), der das gesamte Archivwesen seinem, dem Eessort 
der obersten Zentralbehörde unterstellte. Aus der wissenschaftlichen, 
akademischen Anstalt wurde nun (1821) eine K. Landesbehörde und 
zugleich ward das bisherige „Zentralklosterarchiv'' auch inlialtlich 
dadurch zum Landesarchiv ausgestaltet, daß ihm die staatlichen, in 
der Provinz bei den einzelnen (^richts- und Verwaltungsbehörden 
zerstreuten Archivalien aus der österreichischen Zeit vor dem J. 1740 
überwiesen wurden, eine Maßregel, die im vollen Umfange nur all- 
mählich zur Ausführung gelangte. Seit etwa 1840 begann dann auch 
die Ablieferung der älteren Bestände aus der preußischen Zeit. — 
Die Schilderungen, die K. mit freiem Urteil und in oft sarkastisch 
gefärbtem Tone entwirft von den Schicksalen der geistlichen und 
der kaiserlichen Archive, von den fruchtlosen, meist die Verwirrung 
steigernden Versuchen, die letzteren bei ihrer Erwerbung nach preu- 
ßischer Methode umzuordnen und an die preußischen Verwaltungs- 
behörden zu verteilen, endlich von den im Staatsarchive selbst unter- 
nommenen Ordnungsarbeiten, die ganz richtig vom Provenienzprinzip, 
von der Zusammenhaltung und Rekonstruktion der alten, historisch 
erwachsenen Begistraturen ausgingen, um schließlich doch beim reinsten 
Sachprinzip, der Ordnung nach Materien ohne Bücksicht auf die 
Herkunft und Entstehungsart der einzelnen Bestände, zu enden — 
das alles ist in der Tat von typischer Bedeutung und darum gani 
im allgemeinen überaus lehrreich. Nicht minder typisch sind die 
Verwahrlosung, der ältere Archivalien anheimfallen, wenn sie bei den 
Oerichten und Verwaltungsbehörden verbleiben; die unermeßlichen und 
unersetzlichen Verluste an durchaus nicht allein für die Wissenschaft 
wertvollen Dokumenten, die dadurch herbeigeführt werden; die bei 
den übrigen Behörden und selbst bei den höheren juristischen Be- 
amten in der Begel herrschende Unkenntnis des Lihalts und der 
Einrichtung von Staatsarchiven, sowie des praktischen Nutzens, den 
sie, im rechten Augenblicke in richtiger Weise befragt, durch Aus- 
künfte und Outachten, die mit den Methoden und Mitteln historischer 
Forschung erstattet sind, für die laufenden (Geschäfte gewähren können; 
die darauf beruhende Unterschätzung, der der archivalische Beruf meist 
begegnet; das naive Vertrauen andererseits darauf, daß jedermann 
das archivalische Rohmaterial älterer Zeit, wenn es ihm zugängig 
gemacht würde, ohne spezielle VorbUdung und Übung nun auch zu 
verstehen und richtig zu verwerten vermöge; die Seltenheit endlich von 
Männern an leitender Stelle, die, wie der Staatskanzler Hardenberg 
oder der Direktor der preußischen Staatsarchive von Lancizolle 
die hohe Bedeutung des Archivwesens sowohl für die Erledigu 



420 Hiuweii^e und Xadurichten. 

wichti^r Staats- und Pi-ivatgetH-liäfte wie für die historische Forschang' 
wirklich keimen und zu würdigen wissen. — Ebenfalls von ejoßem 
Interesse sind die Beiträge, welche das empfehlenswerte Bach zur 
Charakteristik und Lebensgeschichte der lien^orragenden Breslaaer 
Archivare: Stenzel (1822—1854). Wattenbach (1855—1862) 
und Grünhagen (1862—1901) enthält. H.J. 

Am 14. und 15. Juni 1908 stattete der Heraldische Verein 
,,Zum Kleeblatt'' in Hannover Hamburg einen BesucJi ab. In 
Veranlassung dieses Besuches veranstalteten das Staatsarchiv und 
das Museum für Kunst und Gewerbe heraldische Ausstellungen; 
außer ihnen wui-den vom Verein das Museum für hamborgische 
Geschichte, sowie die Privatsammlungen von P. H. Trümmer und 
Georg Hulbe, endlich in Bergedorf das Schloß, die Kirche und von 
Georg Hulbe und Andi-eas Spiering aus Privatbesitz bereitgestellte 
heraldische Sammlungen besichtigt. Ein ausführlicher BericJit über 
den Ausflug des AVreins nach Hamburg findet sich in Nr. 7 und 8 
des 19. Jahrgangs (1908) der vom Verein herausgegebenen Heral- 
dischen Mitteilungen. N. 



Berichtigungen. 

Zu S. 15 7: Die Aner.ilM-n des Roten Buches über die Deiche 
sind zum Teil noch anders zu deuten. Da auf der Döser Seite sich 
Außendeich sowohl innerhalb als außerhalb des Neuen Deiches 
befindet (fol. 71**, 72*, 99*), so kann mit diesem der Deich von 1530 
nicht gemeint sein, andererseits aber auch der Neue Deich nicht mehr 
einen wirklichen Dciohschutz gewährt haben. Unter dem Nenen 
Deiche sind viehnehr auch hier, wie auf der Grodener Seite, die 
erhaltengebliebenen Reste des gebroclienen ]')eichs von 1570 zn ver- 
stehen. Die daduivh markierte und noch sichtbare Linie des Neuen 
Deichs benutzte man eben, um den höher zu bewertenden Außen- 
deich innerhalb dieser Linie von demjenigen zu unterscheiden, der 
außerhalb lag und geringere Erträgnisse brachte. — Die übrigen 
S. 157 f. über die Deiche gemachten Ausführungen bleiben onbe- 
rühi-t; insbesondere kann der fol. 21* envähnte Döser Alte Deich 
nicht der Deich von 1530 sein. 

S. 158 Z. 9 lies ahgescMossen statt herausgegeben. 

Zu S. 163: Der Verfasser des Berichts ist nicht der Dichter 
Friedrich, sondeni sein Vater Hans Stats v. Hagedorn. 



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