ZEITSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHES ALTERTHUM
UND
DEUTSCHE LITTERATUR
HERAUSGEGEBEN
VON
EDWARD SCHROEDER UND GUSTAV ROETHE
FLNFUNDDREISSIGSTER BAND
DER NEUEN FOLGE DREIUNDZWANZIGSTER BAND
BERLIN
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG
1891 . ^
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11
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«3003
UscL,
INHALT.
Seite
Keltische beitrage III, von Zimmer I
Heriman, nach einer mitteilung von Mommsen 172
Nochmals zum Hildebrandsliede, von Roediger (vgl. Anz. s. 184) . . 174
Salomosagen in Deutschland, von Singer 177
Erinnerung und Priesterleben i, von Kochendörffer 187
Unfachlas, von Much 204
Mercurius Hanno, von Much (vgl. Anz. s. 184) 207
Altdeutsche funde aus Innsbruck, von Schönbach
vm. Aus predigten Bertholds von Regensburg 209
ix. Meister Eckhart 215
x. (Meister Eckhart?) 222
xi. Psalmenübersetzung 225
xii. Aus einer Übersetzung Petrarcas 227
Belisars Ross, von Schröder (vgl. Anz. s. 184) 237
Nochmals schiß' und regenbogen, von Larsson 244
Segen und Zauberformeln aus Hohenfurt, von Ammann 248
Ossin und Oscar, von Zimmer 252
Die herkunft Fischarts, von Schenk zu Schweinsberg 255
Dyalogus de Divite et Lazaro, von ßolte (vgl. Anz. s. 263) .... 257
Frisch, von Schröder 202
Die herkunft der 'heriman', von Kossinna 264
Die Widersprüche im Beowulf, von Jellinek und Kraus .... 265
Erinnerung und Priesterleben n, von Kochendörffer 281
Germanische matronennamen, von Much 315
Nehalennia, von Much 324
Zum text der Garmina Burana, von Wustmann 328
Altdeutsche bruchstücke aus polnischen bibliotheken n, von Werner . 343
i. Wolframs Willelialm 1(45
ii. Sachsenspiegel 348
m. Predigtbruchstück? 350
iv. Eine md. evangelienharmonie? :;.">!
v. Predigtbruchstücke . 355
Die sippe des Arminitis, von Much .... 361
Jupiter Tanarus. von Much 372
IV INHALT
Seite
Requalivahaniis, von Much 374
Excurs über die gotischen adjectiva auf -ahs, von Schröder . 376
Zu bruder Hermanns Jolande, von Franck 379
Germanische götternamen auf rheinischen Inschriften, von vGrienberger
1. Mars Halamardus 388
2. Dea Sandraudiga 389
3. Mercurius Leudisio 391
4. Dea Vagdavercustis 393
5. Hercules Saxo 396
Legenden vom heiligen Nicolaus, von Dümmler 401
Altdeutsche glossen aus Laibach, von Petschenig 407
Zwei altdeutsche predigten, von Schönbach 411
Ein bruchslück aus dem Alexander des Ulrich von Eschenbach, von
Schönbach 415
Heimat und Überlieferung der Vorauer sündenklage, von Schröder . . 417
Königin Maria von Ungarn und die ihr zugeeigneten lieder, von Bolte 435
Eine obersteirische fassung des Volksliedes vom Tanhäuser, von Levissohn 439
KELTISCHE BEITRÄGE.
III. weitere n ordgermanische einflösse in der
ältesten Überlieferung1 der irischen heldensage;
Ursprung und entwickelung der Fiun-(Ossiau-) sage;
die vikinger Irlands in sage, geschiente und recht
der Iren.
Die erzählungen der jüngeren irischen heldensage, der so-
genannten Ossian- oder Finnsage, wie sie in den sammelhand-
schriften des 15 jhs. vorliegen, beanspruchen auf folgendem
historischen hintergrund zu beruhen.
Im 2 und 3jh. unserer Zeitrechnung, noch vor einführung
des Christentums, war in Irland ein stehendes kriegercorps
(miliz) vorhanden, das den namen fiann (fem. a- stamm) führte;
ein einzelnes mitglied der fiann heifst fennid. dieses Söldnerheer
remitierte sich aus allen teilen Irlands, und auch jedes einzelne
dieser contingente führt den namen fiann, sodass fiann Irlands
und fianna Irlands in den texten der Finnsage gleich gebraucht
wird, zehn bedingungen muste einer erfüllen, bevor er in dies
Söldnerheer aufgenommen wurde: seine eitern und sein clan
musten in erster linie garantien geben, dass sie den eventuellen
tod des aufzunehmenden nicht einklagen wollten an seinem gegner,
der ihn erschlagen; er selbst muste unbedingten gehorsam und
treue dem haupte der fiann, dem rigfPnnid, schwören (s. Keatings
History of Ireland, INew-York 1866, s. 349 ff), oberfeldherr der
fiann war im 3 jh. der hauplheld der jüngeren heldensage Finn
mac Cumaill, dessen vater schon die gleiche Stellung zurzeit
des irischen oberkönigs Conu Cetchathach eingenommen hatte;
1 unter ältester Überlieferung verstehe ich wie in meinem früheren auf-
satz (Zs. 32, 196 ff) die beiden handschriften Labor na huidre (LU) und
Book of Leinsler (LL), von denen die erstere ende des 11 jhs., die andere
vor 1160 geschrieben ist. zur weiteren allgemeinen Orientierung über Cu-
chulinn- und Finnsage verweise ich auf s. 196— 198 des genannten auf-
satzes sowie auf die Göttinger gelehrten anzeigen 1890 s. 495 fT.
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 1
2 KELTISCHE BEITRAGE III
Cumall mac Trenmöir war in der Schlacht von Cnucha vor der
gehurt seines sohnes Finn gefallen und sein mörder Goll mac
Morna, ein angesehener fiihrer eines der contingente, war oher-
feldberr der fiann von Irland gewesen , bis Finn , Cumalls söhn,
herangewachsen war. dieser Finn hielt sich für gewöhnlich auf
seinem erbsitz zu Almu in Leinster (heute Allen in county Kildare)
auf, umgeben von einigen contingenten; kleinere trupps waren
in den verschiedenen gegenden Irlands verteilt, besonders in den
bäfen, um das herannahen von feinden zu beobachten und für
die erste zeit stand zu halten. Finn zog dann auf benach-
richtigung die gesammten Streitkräfte der fiann Irlands an sich,
besiegte den feind und verfolgte ihn aufser landes nach Schott-
land und Norwegen (Lochland) usw. war ruhe im lande und an
den gränzen , dann lagen Finn und seine genossen der jagd ob
oder brachten mit einzelnen abenteuern, in denen immer la
femme eine hauptrolle spielte, die zeit hin. die Privilegien der
fiann waren bedeutend, die jagd gehörte ihnen allein; kein
mädchen durfte verheiratet werden, ohne anzufragen, ob sie
nicht einen liebhaber in der fiann habe, und wenn dies nicht
der fall war, muste eine Steuer gegeben werden, ehe sie heiraten
durfte, diese und andere Privilegien (s. Cath Finnträga ed.
KMeyer s. 29, 521 ff; 62, 116 ff) drückten sehr auf die be-
völkerung Irlands, als Finn und die fiann Irlands in dem kample
am 'weifsen Strand' (Finnträig, heute Ventry harbour in der
Dingle bay, county Kerry) gegen Daire, den könig der weit1, zu
unterliegen drohten und ein böte dies Irlands oberkönig Cormac
nach Tara meldete, da freute er sich über die üble läge der
fiann, als ob ihn die sache nichts augienge, und meinte gerade-
zu, dass es für ihn besser sei, wenn die feinde, die übers
meer gekommeneu (allmuraich s. Zs. 32, 244 ffj , die überhand
behielten (Cath Finnträga s. 29, 528). anders dachte freilich der
tbronerbe Cairbre Lifeocbair damals; später jedoch wird er diese
auflässung bereut haben, denn als er oberkönig geworden war,
muste er selbst gegen Ossln (Ossian), Finus söhn, und den grösten
teil der fiann zu leide ziehen: in der furchtbaren schlacht von
Gabair wurden die fianna Irlands vernichtet, nur Ossln mit
wenigen überlebte den Untergang, diese schlacht soll stattge-
1 die idee ist eine Verbindung der Trojanersage mit dem zuge des
Darius gegen das kleine Griechenland; s. Göttinger gel. anz. 1890 s. 505.
KELTISCHE BEITRÄGE III 3
funden haben 283 n. Chr., während das datum jener schlacht, in
der Oscars urgrofsvater Cumall fiel, 174 n. Chr. sein soll.1
Werden durch diese jüngere irische heldensage tatsächliche
zustände Irlands bis zu einem gewissen grade widergespiegelt?2
Keating, Irlands historiker (1570 — 1644), ist entschieden der
ansieht (History of Ireland s. 343 ff) und die Iren in heutiger
zeit fast alle, ihnen schliefst sich Windisch an. in seinem in
den Verhandlungen der 33 Versammlung deutscher philologen und
schulmänner zu Gera gedruckten (Leipzig 1879) Vortrag sagt er
s. 24 bei besprechung der erzählung 'ursache der schlacht bei
Cnucha' folgendes: 'Finn erscheint hier in seinem historischen
character, ohne phantastische Übertreibung, ohne mythologische
zutat, er war der nachfolger seines vaters Cumall in der führer-
schaft der Fenier. diese bildeten ein stehendes national-
heerlrlands, ursprünglich bestimmt, die königliche
gewalt zu stutzen und die insel gegen feindliche
einfalle zu verteidigen.' auch das, was weiter s. 24 — 26
gesagt wird, geht von der Voraussetzung aus, dass tatsächliche
Verhältnisse durch die anschauung von der fiann Irlands wider-
gespiegelt werden, so sagt er auch im Wörterbuch zu den
irischen texten s. 547 unter fiann 'name für die stehenden
kriegercorps, wie sie vor und zu Finns zeit ursprünglich
zum schütze Irlands und der königlichen gewalt bestanden.'3
1 die ähnlichkeit der institution der fiann, wie sie zur zeit des irischen
oberkönigs Cormac bestanden haben soll, mit der janitschareninstitution in
der zeit, als die Osmanenherscher zu serailfürsten herabgesunken waren,
drängt sich auf. das jähr 1826 wurde für die janitscharen was das jähr 283
für die fiann Irlands.
2 die erzählungen der Finnsage sind heutiges tages im süden und Süd-
westen von Irland in aller munde, 'the reader who speaks irish may have
often heard a labourer in the field discussing ex cathedra of the laws and
the weapons of the Fenians, and detailing to his admiring and credulous
hearers the seven qualifications required by them in a nevvly admitted com-
rade' sagt O'Grady, Ossianic society m 28. die in der sage lebendige Vor-
stellung von den kämpfen der fiann Irlands für die Unabhängigkeit Irlands
gegen fremde eindringlinge hat bekanntlich in unserem Jahrhundert dazu
geführt, den namen Fenier einem irisch -amerikanischen bund von Ver-
schwörern für die Unabhängigkeit Irlands zu geben.
3 dies ist von Windisch ziemlich wörtlich aus dem nicht citierten Todd,
Cogadh Gaedhel s. clxxxii anm. genommen (it may be here mentioned that
the ancient order of Fenians were a body of militia whose objeet
was the support of monarchy and the maintenance of law
1*
4 KELTISCHE BEITRÄGE III
an sich schliefst diese ansieht nichts unwahrscheinliches oder gar
unmögliches in sich; hei näherer betrachtung erweist sie sich
jedoch als so völlig unhaltbar, dass wir sie aufgeben müsten,
selbst wenn wir nicht zeit und veranlassung ihrer entstehung
nachzuweisen im stände wären, aber auch dieses ist der fall:
name und sache verdanken ihre entstehung dem
vikingerzeitalter in Irland, also dem 9 — 11 jh. den
nachweis gedenke ich führen zu können an der hand der uns
erhaltenen documente.
Hat der historische hintergrund der Finnsage, wie er oben
kurz seizziert wurde, eine berechtigung in tatsächlichen zuständen
Irlands? diese frage ist zuerst zu beantworten.
Mit dem endgiltigen sieg des Christentums in Irland, also
der zweiten hälfte des 5jhs., beginnt für die einheimischen quellen
die geschichtliche zeit Irlands: in den zahlreichen klöstern, die
bald in den verschiedensten teilen Irlands entstanden, wurden
annalistische aufzeichnungen der wichtigsten begebenheiten ge-
macht, aber auch für die der einführung des Christentums un-
mittelbar vorausgehenden Jahrhunderte trägt das, was die
älteste annalistik des 10 und lljhs. angibt, vielfach den Stempel
relativer Wahrheit an sich: wir dürfen nicht vergessen, dass
das Christentum in Irland seit alters her hier wie in Gallien be-
stehende litterarische stände vorfand und dass die mit dem
Christentum nach Irland gelangte classische eultur deshalb dort
zu so rascher und hoher blute gelangte, weil die träger dieser
eultur längst vorhanden waren, ich habe sebon früher (Zs. 33, 275,
vgl. 32, 200 ff) darauf hingewiesen, dass Patricks genösse Dubthach
ober -fde von Irland und der erste Leinsterbischof Fiac Sleibte
Dubthachs bester schüler war. so werden wir den annalisti-
schen notizen über die oberkönige Irlands in den ersten
Jahrhunderten unserer Zeitrechnung bis zum endgiltigen sieg des
Christentums sowie einigen aus dieser zeit gemeldeten einschnei-
denden ereignissen a priori das gepräge relativer Wahrheit nicht
absprechen können, ohne dass die gegebenen Jahreszahlen bis
auf die einer zuverlässig zu sein brauchen, wie Windisch richtig
and order). auch die angaben über Finn und die fiann indem genannten
Vortrag slammen meistens aus dem nicht citierten Keating (History oflreland,
New -York 1866, s. 343 — 354) und beruhen nicht auf kenntnis der sagen-
texte des 15 jhs., wie ein unkundiger glauben könnte.
KELTISCHE BEITRÄGE III 5
bemerkt (aao. s. 23). Conn Cetchathach, ArtOenfer, Cormac mac
Airt und Coirpre Lifeochair mögen Irlands oberkönige in dem
dem beginn der historischen zeit um 140 jähre voraufliegenden
Zeitraum gewesen sein und die schlachten von Cnucha und Ga-
bair mögen geschlagen worden sein1: aber alles das, was die
spätere so genannte geschichtschreibung (Keating) auf grund
sagenhafter er Zählungen um die kurzen daten der anna-
listik gewoben hat, muss auf Wahrscheinlichkeit streng geprüft
werden, ist es denn nun wahrscheinlich, dass um 170 — 280
eine stehende miliz vorhanden war, ursprünglich bestimmt,
dieköniglichegewalt zu stützen unddie inselgegen
feindliche einfalle zu verteidigen?
Wie mangelhaft wir auch in vielen puncten über die Römer-
herschaft in Britannien von Cäsars zug (55 v. Chr.) bis zur end-
giltigen aufgäbe der insel (erstes viertel des 5 jhs. nach Chr.) be-
richtet sein mögen, darüber kann kein zweifei bestehen: die
Römer machten in dieser zeit nie einen versuch der landung
in Irland. Agricola, der ja eam partem Britanniae quae Hibermam
aspicit copiis instruxü (Tacitus, Agricola 24), expulsum sedüione
domestica unum e regulis gentis exceperat ac specie amicitiae in
occasionem retäiebat.2 aber auch nur zu einem versuch der be-
drohung Irlands kam es nicht, dass aber im 2 und 3 jh. unserer
Zeitrechnung Irland an allen ecken von IMormanneneinfällen be-
unruhigt worden sei , wie texte der Finnsage voraussetzen , oder
dass Daire, der könig der ganzen weit, einen zug nach Irland
unternommen habe, wie Cath Finnträga erzählt, das wird doch
niemand für bare münze nehmen, das ist sicher sagenbildung
in folge der berührung mit den vikingern im 9 — 11 jh. und
des bekanntwerdens mit Trojanersage und alter geschichte. also
zur Schaffung einer miliz zum schütze Irlands gegen feind-
liche einfalle lag im 2 und 3 jh. und früher bis in den anfang
unserer Zeitrechnung keine veranlassung vor. hierzu stimmt
1 ich schliefse mich hiermit vorläufig der allgemeinen annähme an.
in wiirklichkeit haben die daten aus vorhistorischer zeit nur den wert, dass
sie uns zeigen, wie man im lOjh. in Irland die sagenhaften er-
innerungen sich chronologisch einordnete.
2 saepe, fährt Tacitus fort, ex eo audivi legione una et modicis au.ri-
liis debellari oblincrique Hiberniam posse; idque cliam adversus liritan-
niam pro futurum, si Romana ubiquc arma , et velut e conspectu Überlas
lolleretur (Agricola 24).
6 KELTISCHE BEITRÄGE III
denn auch, dass die annalistischen werke, Lebor Ga-
bäla, die annalistischen gedichte des 10 und lljhs.
(LL127aff) von einer bedrohung Irlands durch feind-
liche einfalle für jene Jahrhunderte nichts wissen,
also sich mit den anderweitig bekannten geschichtlichen tat-
sachen in vollem einklang befinden.1
Eines stehenden kriegercorps zum schütze Irlands gegen
feindliche einfalle bedurfte es also im 2 und 3 jh. nicht; dann
aber vielleicht, um 'die königliche gewalt zu stützen'? einer
solchen stütze hätte Irlands oberkönig allerdings nicht nur in
jener zeit bedurft; sie war aber nie vorhanden, die 'königliche
gewalt' an sich war in Irland fast zu allen Zeiten tatsäch-
1 dieser einklang mit den geschichtlichen tatsachen documentiert sich
auch darin, dass sie andererseits mehrfach melden, dass in folge innerer
zwistigkeiten irische häuptlinge in den ersten Jahrhunderten unserer Zeit-
rechnung nach Schottland flohen, wozu ja in dem regulus bei Agricola ein
beleg vorhanden ist. eine füglich schon mehr als auffallende Unkenntnis
geschichtlicher tatsachen in bezug auf Irland bekundet Windisch aao. s. 26 ff,
wenn er sagt: 'durch die Schlacht bei Gabar war aber überhaupt Irlands
kriegerische kraft gebrochen' (also um 283). das heifst doch etwas
zu sehr auf grund von fabeleien des ausgehenden mittelalters geschichte
machen, denn gerade mit dem 4 jh. beginnt die periode von Irlands kriegeri-
scher kraftbetätigung: im jähre 360 finden wir nach dem zeugnis Ammians
(xx 1) Iren (Scotti) und Picten in Britannien gegen die Römer kämpfend;
Scotti per diversa vagantes beunruhigen, mit Picten vereint, auch später
die römische gränze in Britannien (Ammian xxvn 8. 9). um 400 gelang es
Stilicho auf kurze zeit Iren und Picten zurückzuwerfen (Claudian, Getica
31,89; 22,250.253), die dann bald um so heftiger über die entblöfsten
gränzen eindrangen, ende des 5jhs. siedelt sich ein nordirisches geschlecht
nördlich vom firth of Clyde in Britannien an (Beda, Hist. gentis Angl. i 1),
von wo die Iren, durch fortwährende nachzügler verstärkt, ihre herschaft er-
weiterten, bis ihnen Aedelfrid von Northumberland in der Schlacht bei Deg-
sastan im jähre 603 nach einer seite ein ziel setzte (Beda i 34; Skene, Celtic
Scotland i 137 ff), in derselben zeit hatten die Südiren in Wales und Corn-
wales festen fufs gefasst, wo ja noch heutiges tages die ogaminschriften
Zeugnis ablegen; die annalistischen werke Irlands melden übereinstimmend,
dass Irlands vorletzter heidnischer könig Niall Noigiallach auf einem solchen
zug beim Muir Icht (mare Ictium, dem canal la Manche) ermordet worden
(405), und sein nachfolger Üathi soll sogar einen zug durch Frankreich bis
an die alpen gemacht haben (LU 38a). von den küsten von Wales (Gwyned
und Dyfed) wurden die Iren verdrängt durch die Kymren, die vor den
Sachsen zurückwichen (vgl. Nennius §14; Cormacs glossar s. v. mogkeime ;
Laud 610 fol. 100a, 1 ; Rawl. B 512 fol. 73a, 1). hiermit halte man Windischs
ausspruch zusammen.
KELTISCHE BEITRÄGE III 7
lieh gleich null und der titel 'oberkönig von Irland' (ardrl Erenn)
ohne besondere macht, maebt war bis zu einem gewissen grade
nur bei den so genannten teilkönigen und auch nur so weit,
als sie sich gegenüber mächtigen bäuptlingen grofser clane an-
sehen zu verschaffen wüsten, derartige cöicedaig (LL 23\ 42. 48.
Annalen der vier meister s. a. 56) oder rig na cöiced (LL 294b, 42)
gab es für gewöhnlich 5 oder 6: von Ulster, Connacht, Mide,
Leinster und Munster, wobei letzteres lange zeit in Nord- und
Südmunster (Tuatk Muman und Dess Muman, Tbomond und
Desmond) mit eigenen herschern zerfiel ; auch in Leinster herschten
öfters mehrere brüder an verschiedenen puneten. in der hand
eines der teilkönige befand sich für gewöhnlich, doch nicht
immer, die würde des oberkönigs. vereinzelt wurde diese könig-
liche würde durch reine wähl übertragen: so treten nach LU 46a
die cöicedaig Irlands mit ausnähme des Ulsterherschers Conchobar,
mit dem sie im streit lagen, zusammen, um das nach ermordung
Conaire Mors im palast des Da Derga entstandene 7jährige Inter-
regnum zu beendigen , und ihre wähl fiel auf den Lugaid Reoderg,
der zwar aus königlichem blute, aber kein teilkönig war. für
gewöhnlich gieng indes die würde des ardrl Erenn in anderer
weise über: ein oberkönig gerät in streit mit einem oder mehreren
der teilkönige; war seine hausmacht — andere besafs er nicht —
und die seiner bundesgenossen schwächer, so unterlag er und
fiel, der sieger, der die macht hatte, wurde oberkönig, bis
nach einigen jähren der söhn des früheren oberkönigs ein ge-
nügend starkes bündnis zu wege gebracht hatte, um dem mörder
seines vaters gleiches mit gleichem zu vergelten, in solch schöner
abwechselung flössen die Jahrhunderte dahin — es war eine in
den annalen bemerkenswerte ausnähme, wenn ein oberkönig auf
dem 'kopfkissen' starb — und selbst die vikingerzeit vermochte
keine änderung herbeizuführen: Brian mac Cenneilig verbündet
sich mit vikingern, um den irischen oberkönig Maelsechlaiun zu be-
seitigen (Annalen der vier meister a.999 ff; Todd, Cogadh Gaedhel
s. cxlviii ff); und 170 jähre später rief Dermod mac Murrogh
von Leinster im streit um die würde des oberkönigs mit Roderick
o Connor von Connacht die Engländer ins laud, wie der legulus
beinahe 11 00 jähre früher den Agricola verlocken wollte. — in
derselben weise wie in der historischen zeit wechseln nach den
annalistischen werken die oberkönige Irlands im 2 und 3 Jh.: Cathir
8 KELTISCHE BEITRÄGE III
Mor wird von Conn Cetchathach erschlagen, dieser von Tibraite
Tirech, dem Ulsterherscher; nach 7 jähriger herschaft Conaires n
folgt Art, der söhn Conns; dieser Art wird von dem Munsterführer
Mac Con besiegt, der dann selbst oberkönig wird; ihn vertreibt
Cormac, der söhn Arts, der, nachdem ihm ein äuge ausgeschlagen
war, die würde aufgeben muste; sein söhn Cairbre, der ihm nach
einer kurzen Zwischenregierung folgte, soll in der berühmten
schlacht von Gabair (283) gefallen sein, nun, bei all den
zahlreichen schlachten, die diesen 'oberkonigen
Irlands' zugeschrieben werden, ist nirgends die
rede von einem so gewaltigen stehenden krieger-
corps 'zum schütze der königlichen gewalt', wie wir
uns die fiann Irlands nach der sage denken müssen, hierzu
kommt bestätigend zweierlei, wir haben schon in LU und LL
eine reihe alter texte geschichtlichen inhalts, die sich
eingehend mit den verschiedenen kriegerischen ereignissen zu
den Zeiten der irischen oberkönige Art mac Cuinn, Lugaid mac
Con und Cormac mac Airt beschäftigen, also gerade derjenigen
herscher, in deren regierungszeit die Institution der fiann nach
den sagentexten des 15 jhs. auf ihrem hohepunct stehen müste:
in diesen texten, in denen die fiann- Institution in jedem
satze vorkommen müste, ist von ihr absolut keine rede,
die texte, die ich im äuge habe, sind die erzählung von Cormacs
kämpfen mit den Desse und deren Vertreibung nach Munster
(LU 53\ 34 — 54b, ende = Rawl. ß 502 fol. 72% 2. Laud 610
fol. 99d ff; H. 2. 15 s. 67 ff. H. 3. 17 col. 730 ff TCD) und die er-
zählung LL 2S8a, 16—292% 34 (=Laud610 fol. 94% 17— 96%30,
nur anders angeordnet), welche die schlacht von Mag MuccrTma
mit ihren Ursachen und folgen schildert (Arts tod , Lugaid mac
Cons herschaft, Cormacs geburt, Jugend und erwerbung der
künigswürde, Lugaids tod). die zeit, in welcher genannte texte
entstanden sind (10 — 11 jh.), hatte sicher von dem Vorhan-
densein einer /uznn- Institution in Irland im 2 und 3 jh. keine
ahnung.1 — sodann ist bemerkenswert, dass die ältesten texte,
1 höchst lehrreich ist Keating in seiner Geschichte Irlands, als kind
seiner zeit (1570 — 1644) und guter patriot glaubt er fest an die erzählungen
der Finnsage des 15 jhs.; andererseits schreibt er traditionell die ältere
geschichte Irlands, die documente und arbeiten irischer gelehrten des 10 bis
12 jhs. compilierend. dies hat zur folge, dass der abschnitt 'Finn mac Cu-
maill and the fianna hErenn' (s. 343 — 354) geradezu wie eine interpolation
KELTISCHE BEITRÄGE III 9
in denen die fiann mit Finn vorkommt, unter fiann alles andere
verstehen als ein 'kriegercorps zum schütze Irlands und der könig-
lichen gewalt': Cumall der rigfennid Erenn fällt im kämpfe
gegen Irlands oberkönig Cond Cetchathach (LU 42", 4 ff),
und als Cairpre Lifeochair, Irlands oberkönig, den in folge Ver-
trags auf Leiuster ruhenden tribut (boroma) einfordern will, da
stellt sich Finn und seine fiann ohne besinnen auf seite der
gegner des rechts und des oberkönigs (LL 296% 48 bis
299b, 10). man muss den letztgenannten text lesen, um zu
sehen, dass sein verf. Finn und die fiann noch nicht im ent-
ferntesten in der rolle dachte, die ihnen Windisch mit jungen
texten der Finnsage zuschreibt.
Diese tatsachen allein würden wol hinreichen zum beweis,
dass der angebliche historische hintergrund der Finnsage in den
tatsächlichen zuständen Irlands während des 2 und 3 jhs. keinen
anhält findet, hierzu treten die argumente, die sich aus einer be-
trachtung der texte der alten heldensage, der Cuchulinnsage, er-
geben, die irische Chronologie des 10 jhs. lässt die persönlich-
keiten der Cuchulinnsage um 150 — 200 jähre früher leben als
die Cormac, Finn mac Cumaill und andere figuren der Finnsage,
die cultur, die uns in den erzählungen der Cuchulinnsage ent-
gegentritt, ist eine primitivere als selbst in den ältesten texten der
Finnsage: sie repräsentiert echt altkeltisches leben und gemahnt
an die keltische cultur Galliens, die politischen zustände Irlands
sind im grofsen und ganzen dieselben wie im beginn der ge-
schichtlicben periode: teilkönige und mächtige Häuptlinge, die
bündnisse eingehen mit einander, um einen benachbarten teil-
könig mit krieg und plünderungszug zu überziehen, kurz die
politischen zustände Irlands sind der art, dass das Vorhanden-
sein einer institution wie die fiann der Finnsage eine bare Un-
möglichkeit ist. darüber scheint ja auch Windisch gar nicht im
zweifei zu sein (aao. s. 22): der hintergrund ist irisches leben
und irische zustände um den beginn unserer aera. sofern
eine art fiann in Irland überhaupt existierte, muss
ihre einrichtung jünger sein als der historische
hintergrund der Cuchulinnsage. auch das wird Windisch
zweifelsohne zugeben, da man ebenso gut das factum läugnen
aussieht: er hat den versuch nicht gemacht, die jüngeren sagenfabeleien
in die älteren quellen hinein zu verarbeiten.
10 KELTISCHE BEITRÄGE III
könnte, dass 2 X 2 = 4 ist. eine betrachtung der auf uns ge-
kommenen texte der Cuchulinnsage in LU und LL ergibt weiter,
dass die Cuchulinnsage ende des 5 jhs. ihren abschluss fand,
dass im 7 — 8 jh. umfassende texte dieses Sägenkreises schriftlich
vorhanden waren und dass einzelne der texte in LU und LL
mit fug und recht beanspruchen können, durch Zwischenstufen auf
jene aufzeichnungen des 7 — 8 jhs. zurückzugehen (s. Zs. f. vgl.
sprachforsch. 28,426— 441 und diese Zs. 32,229— 239). in diese
texte hat nun, wie ich an letztgenannter stelle gezeigt, eingang
gefunden alles, was irgendwie in die geschicke Irlands, speciell
des nordens, eingriff, und zwar um so organischer, je früher,
einen organischen bestandleil bildet die erinnerung an die teil-
nähme Irlands an den kämpfen auf Schottlands boden gegen ende
der Römerherschaft; nicht an den kern der sage rühren — aber
sind vorhanden l — die niederschlage der litterarischen berührung
mit dem classischen altertum; tiefer gehen die einflösse des
vikingerzeitalters in spräche und sage, ist es denkbar, dass in
diesem spiegel der irischen geschicke während eines Jahrtausends
eine so eigenartige und grofsartige institution wie die fiann
Irlands nicht sich widerspiegeln sollte? ist es denkbar, dass diese
institution, die weder früher noch später etwas vergleichbares
auf Irlands boden hatte, entstehen, blühen und degenerieren
konnte, ohne eindrücke in der auf älteren zuständen aufgebauten
Cuchulinnsage zu hinterlassen? ich glaube kaum, dass jemand
diese fragen mit 'ja' wird beantworten wollen, höchst eigenartig
ist auch, dass von entstehung der fiann Irlands geschichte und
sage nichts meldet; sie taucht mit Fiun auf und verschwindet
mit ihm: sie wäre ein phäuomen in Irlands geschichte, von der
nur junge sage zu melden weifs.
Ein weiteres moment, das für sich allein nicht entscheidend
wäre, verdient noch angeführt zu werden, im Lebor na cert
haben wir ein während der vikingerzeit (frühestens ende des
10 jhs.) entstandenes werk, 'it gives an accouut of the rights
of the monarchs of all Ireland , and the revenues payable to them
by the principal kings of the several provinces, and of the sti-
pends paid by the monarchs to the inferior kings for their Ser-
vices, it also treats of the rights of each of the provincial kings,
and the revenues payable to them from the inferior kings of the
1 s. noch Göttinger gel. anz. 1890 s. 496.
KELTISCHE BEITRÄGE III 11
districts or tribes subsidiary to them, and ot' the stipends paid
by the superior to the inferior provincial kings for their Services'
(O'Donovan, Leabhar na g-ceart s. vi), bei einiger Überlegung
sieht man sofort, dass wir in den zahlreichen rechten und Ver-
pflichtungen, die abgehandelt werden, nicht immer actuelles
recht des 10 — 11 jhs.1 vor uns haben können, sondern dass
in Lebor na cert 'buch der rechte und Verpflichtungen' wir eine
litterarische Zusammenstellung alles dessen haben, was
in tradition und sage bekannt war (vgl. O'Donovan s. vm). hält
man diesen character des Werkes fest und bedenkt, dass es bis
in einzelheiten handelt von den rechten und pflichten, einkünften
und tributen der teilkönige im Verhältnis sowol zu hervorragenden
namentlich genannten clankönigen als zum oberkönig von Irland,
dass es bei einzelnen teilkönigen bezug nimmt auf den fall, wenn
sie die würde des oberkönigs haben, dass es rechte und Ver-
pflichtungen des oberkönigs von Irland schließlich insgesammt
behandelt, dass es sogar das berühmte testament des sagenhaften
ir. oberkönigs Cathir mör, der noch vor Finn 50 jähre lebte, ent-
hält (O'Donovan s. 192 ff): ist es denkbar, dass im 10 bis zum
beginn des 11 jhs. derartige anschauungen von einer fiann-
1 dass. die gedichte des Lebor na cert nicht aus dem anfang des
10 jhs. stammen können, wie O'Donovan annimmt, ergibt sich schon daraus,
dass die vikinger (Gaill, Fortuatha) durch das ganze werk hin in solchen
Verhältnissen in den verschiedenen teilen Irlands sich finden, wie sie erst
nach der Christianisierung derselben, also frühestens in der zweiten
hälfte des 10 jhs. möglich waren, eine angäbe macht es im höchsten
grade wahrscheinlich, dass das werk nicht vor dem ersten j ahrzehnt
des 11 jhs. entstanden ist. O'Donovan s. 50 (= Book of Ballymote
269b, 4S ff ) erfahren wir: Dligid dano oGallaib Atha Cliath 7 odeoradaib
Erenn arceana dula lais acend catha artelgud atir 'die vikinger Dublins
und die (nordischen) fremdlinge Irlands überhaupt sind ihm (dem könig von
Munster) verpflichtet, mit ihm in den kämpf zu ziehen, dafür dass er sie
rm lande lässt.' dies trifft für das gesammte vikingerzeitalter
in Irland nur für die jähre 1001 — 1014 zu, in denen der Munster-
herscher Brian Boroma sich zum oberkönig von Irland gemacht hatte und
1001 Dublin unterworfen hatte (s. Annalen der vier meister s.a.); die vikinger
Dublins sind bei allen versuchen Brians, sich an die stelle Maelsechlainns
zu setzen, seine verbündeten (s. Annalen 999 ff und O'Donovan u 745
anm. 1). dass der verf. unseres Lebor na cert ein älteres werk aus der zeit
des 903 gefallenen Cormac vor sich hatte, wie er angibt (s. O'Donovan
s. vniff), ist möglich; aber der auf uns gekommene text spiegelt in den
actuellen angaben die zustände Irlands ums jähr 1000 wider.
12 KELTISCHE BEITRÄGE III
Institution Irlands in alter zeit mit den rechten und pflichten,
wie sie die sagentexte des 15 jhs. kennen, sollten in Irland be-
kannt gewesen sein, ohne dass sie in diese Sammlung of tradi-
tional stipends and tributes aufnähme fanden, ja ohne erwähnt
zu werden? ich halte es aufgrund des Stillschweigens des Lebor
na cert für vollständig ausgeschlossen, dass im 10 und anfang
des 11 jhs. irgendwie ähnliche anschauungen in Irland existierten,
wie sie vom 15 jh. an über die fiann und deren rechte und
pflichten im irischen volke vorhersehen, daraus folgt, dass
die oben s. 1 und 2 nach den erzählungen des 15 jhs. kurz ge-
schilderten Vorstellungen von den zuständen Irlands im 2 und
3 jh. unserer Zeitrechnung jünger sein müssen als das
10 jh.; dies datum stimmt vortrefflich zu der s. 10 constatierten
tatsache, dass die in redactionen des 11 jhs. auf uns gekommenen
texte der Cuchulinnsage von derartigen zuständen Irlands nichts
wissen.
Hiermit habe ich schon in den zweiten teil dieser Studie
übergegriffen, in die Untersuchung nach herkunft des namens
und der in den texten des 15 jhs. damit verknüpften Vor-
stellungen, die erzählungen aus der älteren heldensage kennen
also in der ältesten Überlieferung (LU und LL) die von den
texten der Finnsage des 15 jhs. vorausgesetzte institution eines
stehenden kriegercorps in Irland nicht; sie kennen aber wo],
ebenso wie andere ins 10 jh. zurückgehende texte, das wort
fiann und fennid, und zwar an so vielen stellen, dass über
die älteste bedeutung des wortes kein zweifei ob-
walten kann, ehe ich diese aus den stellen darlege, sind noch
einige worte über die form zu sagen.
Fiann ist nach seiner flexion femininer a- stamm; das aus-
lautende nn kann sowol ursprüngliches nn als nd sein, da im
irischen wie in den anderen indogerm. sprachen das gesetz gilt,
dass so genannte wurzeln mit innerem i und u nicht auf doppel-
consonanz ausgehen (also dass neben 7tev& novS nvd- ein Tteid-
?toi& Ttid-, aber nicht ein nsivS noivd- vorkommt), so ist unter
der Voraussetzung, dass das wort genuin irisch ist, ein doppeltes
möglich: entweder der zweite consonant des auslautes ist suffixal
(*vein-nä, *vein-dä) oder der diphthong ia ist nach Schwund
eines consonanten zwischen i und a entstanden (also p, j, v, s).
dem in den glossen nicht vorkommenden worte fiann nun ent-
KELTISCHE BEITRAGE III 13
spricht in den britannischen sprachen und im altgallischen nichts,
und auch wenn wir alle durch irische Iautgesetze erlaubten grund-
formen ansetzen mit ihren weiteren möglichkeiten (vipandä usw.),
so ergibt sich weder eine etymologie im allgemeinen noch an-
lehnung an ein bekanntes wort britannischer oder gallischer
zunge. empfehlend ist dies gerade nicht für die annähme, dass
wort und begriff in vorchristliches irisches altertum hinaufgehen
sollen.
Fassen wir nun vorkommen und bedeutuug des wortes ftann
in den alten texten von LU und LL ins äuge, zu den ältesten
uns erhaltenen sagentexteu gehört unstreitig schon nach seiner
spräche1 Orgain (togail) bruidne üi (da) Dergae (LU 83a — 99a
ende): bekannt, ist der text in den beiden alten sachcatalogen
epischer Stoffe; der inhalt wird erwähnt in einem so alten text
wie Serglige Conculaind (LU 46% 8 ff), niederschlag der histori-
schen ereignisse in diesem texte habe ich Zs. 32, 206 ff. 243.
268 ff angeführt: er weifs von dem aufenthalt des Sachsenprinzen
Oswald in Irland (617 — 633) und kennt auch vikinger im ge-
folge Conaires. dieser text erzählt folgendes.2 im beginn der
zeit, in welcher Conchobar, Conall Cernach, Cormac Condlongas,
Sencha, Maue Milscothach und andere beiden der Cuchulinnsage
lebten, herschte in Irland als oberkönig Conaire mör. mit mächtiger
hand schirmte er den frieden, griff bei Streitigkeiten von königen
schlichtend ein und jagte gewalttätige Häuptlinge, die sich auf
eigene laust recht verschaffen wollten, aufser landes3, damit sie
in Schottland und an der kiiste Britanüiens ihren raub- und
plünderungsgelüsten fröhnen könnten.4 zu diesen verbannten ge-
hörten unter anderen die 5 söhne des Dond Desa, 7 söhue des
1 ich erinnere nur an die altertümlichen formen des reduplicierten
s-futurs von orgim (iuras usw. s. Zs. f. vgl. sprachforsch. 29,49 — 53), die
dem abschreiber der Mailänder glossen (9 jh.) schon Schwierigkeiten machten
(s. Ascoli, II cod. lrl. n s. cxix).
2 eingehende analyse habe ich Zs. f. vgl. sprachforsch. 28,556 — 563
gegeben.
3 in der sage erscheint diese friedenszeit Conaires immer im gegensatz
zu den jähren wilden kampfes, die auf seine ermordung folgten: in dieses
7jährige Interregnum legt die sage die hauptereijjnisse der alten heldensage
(s. Zs. f. vgl. sprachforsch. 23, 554 fT).
4 hierin spiegeln sich die historischen Verhältnisse des 4und5jhs.,
wo die Scolli per diversa vagantes von Schottland und von Wales aus
Britannien beunruhigten uiiil plünderten; s. oben s. 6 anm.
14 KELTISCHE BEITRAGE III
Ailill und der Medb, des kouigspars von Connacht (LU 84a, 40 IT)
mit zahlreichem gefolge — 'ein drittel der männer Irlands war
Seeräuber während der herschaft Conaires' LU 84b, 15 — begaben
sie sich auf die see und stiefsen dort auf den britannischen königs-
sohn Ingcel caech o Conmaic , der gleichfalls von der heimat ver-
bannt war. als sie über ihn herfallen wollten , schlug er ihnen
vor, lieber ein bündnis zu schliefsen : sie sollten mit ihm in
seine heimat einen raubzug unternehmen und er mit ihrer hilfe
einen solchen nach Irland, das bündnis wurde abgeschlossen,
geisein gestellt und gelost: das los entschied, dass die Iren
zuerst die britannische küste plündern sollten, unter führung
von Ingcel landeten sie dort und mordeten unter anderem Ing-
cels vater, mutter und 6 brüder. beutebeladen ziehen sie ab,
um dem Ingcel zu seinem banditenrecht zu verhelfen, zuerst
landen sie an der küste von Mide und verwüsten alles mit feuer
und schwert; sie ziehen sich auf die schiffe zurück, um etwas
weiter südlich in Leinster eine bessere beute sich zu holen, in
den tagen kehrte Conaire mit gefolge aus Munster zurück, wo
er zwischen den beiden Coirpre in Thomond frieden gestiftet
hatte, als er mit seinem gefolge an Usnech in Meath vorbei nach
Tara zog, wurden sie den raub und brand gewahr, und da sie
die rauher vor sich glaubten, ihnen sich aber nicht gewachsen
dünkten, bogen sie südöstlich, um in der bürg des Da Derga
bei Dublin für die nacht unterkommen zu finden, wo ihnen auch
eine glänzende aufnähme ward, die piraten , die in der nähe
der küste kreuzten , hatten Conaire und sein glänzendes gefolge
bemerkt und wollten sich den fang nicht entgehen lassen, sie
landen in der dunkelheit, senden einen späher, um die Verhält-
nisse der bürg zu erkunden, und treffen alle Vorbereitungen zu
einem erfolgreichen Überfall, als die nacht so weit vorgeschritten
war, dass man annehmen konnte, dass die bewohner der bürg
nebst den unerwarteten zahlreichen vornehmen gasten schliefen,
schickt man sich zum Überfall an 'auf, erhebt euch nun,
o fianna, zum hause, sagte Ingcel. es erheben sich
bei diesen Worten die piraten (nad'tbergaig) nach dem
palast und machen ihren lärm und getöse um ihn.
horch (still ein wenig), sagte Conaire, was ist das?
fianna sind vor dem hause, erwiderte Conall Cer-
nach, junge männer (ök) sind für sie (dh. solche, die ihnen
KELTISCHE BEITRÄGE 111 15
gewachsen sind) hier, sagte Conaire. du wirst ihrer diese nacht
bedürfen, erwiderte Conall Cernach' (LU 97% 11 — 16). den
schluss der erzählung lese man Zs. f. vgl. Sprachforschung 28,
561 ff nach.
In dieser stelle haben wir die älteste Verwendung von
fianna vor uns; es dient hier zur bezeichnung der scharen bri-
tischer und irischer Seeräuber (dibergaig) , die alles andere
waren als ein 'kriegercorps zum schütze Irlands und der könig-
lichen gewalt.' versetzen wir uns in die beginnende vikinger-
zeit, in den ausgang des 8 und anfang des 9 jhs. : Nordleute
kamen von einem plünderungszug an der britannischen küste
nach Irland, um an der küste von Leinster im dunkel der nacht
einen Überfall auszuführen, welches wort kann wol an das ohr
der erschreckten Iren geschlagen sein, als sie die bis dahin un-
bekannten nordischen gaste fragten, wer sie seien? fiandr 'feinde',
denke ich. irisch fiann, plur. fianna ist nordisches fiandi,
plur. fiandr hostis, inimicus; irisch fiann ist der 'tapfere feind'
einzeln und collectiv (feindesschar).1 der Übergang zu 'tapfere
1 habe ich nötig, daran zu erinnern, dass die erste nachricht von
der landung der vikinger an Irlands küsten 795 in den Annalen
der vier meister mit den Worten gegeben wird Loscad Reachrainde ö
diberccaib 'Verbrennung von Lambay (bei Dublin) von Seeräubern'?
hier werden die 'vikinger' mit dibergaich bezeichnet und in obigem texte
von LU heifsen würkliche (irische und welsche) dibergaich einfach fianna
(fiandr). die nordischen fiandr, die, von Englands küsten kommend, die
insel Lambay bei Dublin plünderlen (vgl.U'Donovan, Annalen der vier meister
i 307 anm. h) waren piraten (dibergaich), was wunder, wenn der sagen-
erzähler die piraten unseres textes nun fianna 'vikinger' nennt. — das
irische fianna ist genaue widergabe des gehörten urnord. fiandlt (vgl.
got. fij'ands); ebenso wird das aus tönendem s (z) entstandene lispelnde
urnord. R des auslauts nach consonanten im irischen durch a widergegeben
in: earla, iarla = nord. earlK, iarlti; fena = noi d.fendR; ol/iguala = \\OTd.
ölkjölR; ir. lat. grunna 'palus seu locus bituminosus et uliginosus, unde
cespes eruilur, qui siccatus foco struendo non secus ac carbones adhi-
betur' (DuCange), sumpf, moorland = nord. grunnR 'the bottom of sea or
water'; ir. gilla 'kräftiger bursche' = nord. gildli 'kräftig' (stout, brawnvi
vom manne: gildr ?naitr, d gildasla aldri usw.; ir. garda = nord. garftlt
'geholte, bürg, haus', dieser irische plural fianna = nord. fiandll i<t
vom irischen standpunct der plural eines femin. «-Stammes wie tuatha
von tuath und daher wird der im irischen zu fianna (aus fiandll) gebildete
sing, fiann als feminin um behandelt; ir. fiann ist also nicht aus ur-
nord. fiande direct entstanden, sondern zu dem aus fiandlt lautlich ge-
16 KELTISCHE BEITRÄGE III
kriegerschar, tapferer krieger' ist im 9 jh. bei den zuständen
Irlands von selbst gegeben: die fiandr von gestern sind morgen
verbündete eines irischen fürsten, der mit ihnen an einem be-
nachbarten clan oder fürsten die längst geplante räche kühlt.1
da in fiann der collectivbegriff 'feindesschar, kriegerschar' überwog,
bildete man regulär fennid zur bezeichnung eines einzelnen: die
behandlung des ia vor hellem vocal der folgenden silbe, als ob
es Vertreter eines alten auf ei beruhenden keltischen e wäre, ist
ganz wie in giall geisel: geill, geillius. das wort fiann reiht
sich also dem reichen contingent nordischer lehnwörter in den
alten sagentexten an, wie es Zs. 32,267—289. 464 — 470 nach-
gewiesen ist, und wurde bald so heimisch wie elta, sceld, mergge,
bröc, amor, sop, oilen, öl, laith usw., sodass es von den sagen-
erzählern bald mit Vorliebe in die einheimischen alten erzählungen
hineingetragen wurde, sämmtliche nuancen der bedeutung, die
das wort in LU und LL aufweist, lassen sich im hinblick auf
seine herkunft leicht verstehen.
Es sind neben den beiden angeführten bedeutungen —
1. 'der tapfere feind' einzeln und collectiv, 2. 'tapfere krieger-
schar, tapferer krieger' — noch folgende: 3. 'söldnerschar,
Söldner', 4. 'im lande umherziehende kriegerschar, recke', zu
diesen beiden bedeutungen lieferten die nordischen fiandr im
9 und 10 jh. in Irland die modelle: sie stellten sich in die dienste
irischer häuptlinge und könige2 und zogen auf eigene faust im
lande umher, betrachtete man das Verhältnis der fiandr zu den
fiihrern, so war dies analog dem echt irischen des gefolges zum
clanhäuptliug, daher fiann als 5 bedeutung 'gefolge, Streitmacht
bildeten fianna als singular gebildet, also der singularis zu 'feinde' und
'feindesscharen', 'tapfere krieger' und 'tapfere kriegerscharen'.
1 man vergleiche die Annalen der vier meister zu den jähren 852.
857. 860. 866. 878. 890. 893 fürs 9 jh. auch darf ich wol an die bekannte
bedeutungsentwickelung von ags. vreccea, alts. ivrekkio, ahd. reccho erinnern
(1. verbannter, vertriebener und in der fremde befindlicher krieger, 2. krieger,
held im allgemeinen), um so mehr, als im irischen an einem einheimischen
wort eine gleiche nachzuweisen ist: ecland 'der aus dem clan ausgestofsene,
ein mann ohne cland' bedeutet in den alten sagentexten einfach 'tapferer
krieger' LL 252b, 15 (da ecland da threnfer). 291% 18. LU 126a, 26 (hier be-
zeichnet es nordische helden).
2 im Lebor na cert s. 207 wird der sold aufgezählt, den der könig
von Leinster an vikinger zahlte.
KELTISCHE BEITRÄGE III 17
eines Stammes, clans' aufweist, also wie ir. teglach, montar ver-
wendet wird.
Ich führe die hauptsächlichsten stellen aus LU und LL in
möglichster kürze vor.
In Togaü bruidne DaDerga kommt fianna noch 6 mal vor
(LU 86b, 41 ; 91% 2. 22; 97% 31. 41 ; 98a, 40). an den stellen 98%
40. 91b,2 wird es von den piraten gehraucht; 91b, 22. 97% 31. 41
werden die krieger bei Conaire genannt fianna fer nEren 7 Alban
'fianna der männer Irlands und Schottlands', sodass also der
nicht -irische Ursprung noch gefühlt wird.1 — der text LL 292%
36 ff handelt von dem ende lngcels, des britischen künigssohns,
der den Überfall und die Verheerung der bürg leitete, wobei
Conaire ermordet wurde; hier heifst es batar dino maic Conaire
immaig Breg iarmarbad an athair imbruidin DaDerga, bäi Intel
caech doBrelnaib infennid 'es waren nun die sühne Couaires in
Mag Breg nach ihres vaters ermordung im palast des DaDerga,
es war Incel caech von den Briten der fennid' (LL 292% 41 ff),
das heifst doch deutlich: Ingcel von den Briten war der mörder,
der führer der fiandr, welche den mord ausführten. — in Toch-
marc Feirbe (LL 253a — 259b), einem text, der von nordischen
lehnwörtern durchsetzt ist und eine fülle von nordischen ein-
flössen aufweist (s. Zs. 32, 244 ff; 464 ff), wird die um Con-
chobar versammelte nordische hilfetruppe infiand fodbach 'die
bewaffnete fiand' genannt (LL 259% 20). — in der Tüin bü Cäalnge
tritt die beziehung von fiann und fennid zu den vikiogern be-
sonders hervor: nach LL 90% 15 wird Cethern von zwei kriegern
der fiann (dias oac feinne) verwundet und Fingin erkennt nach
Untersuchung der wunden, dass es zwei von den Söldnern Nor-
wegens (dias dofennedaib na Hirnade) im heere der Medb waren
(s. Zs. 32, 204. 205); weitere Söldner aus der nordischen fiann
im 'besonderen dienst' der Medb treten LL 90% 8. 19. 101% 31
(na noecharptig defennedaib na Hirüade 'die schiffswageufahrer
1 an erster stelle LI) 86b, 41 wird von einer sitte lästia fianna be-
richtet, von der wir sonst nichts wissen, stammt die bemerkung aus der
feder Fland Manislrechs, dem wir die redaction des textcs in LU verdanken,
dann kann von einer irischen sitte die rede sein, da im U jh. fianna
so weit eingebürgert war, dass man den fremden Ursprung vergessen hatte,
gehört sie aber nicht dem gelehrten compilalor an, sondern war in der
erzahlung vorhanden, dann kann kaum von einer alten iiischen sitte die
rede sein, sondern nur von einem brauch (kr vikinger.
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 2
18 KELTISCHE BEITRÄGE III
aus den Söldnern Norwegens') auf, daher wir auch die 9 fennid
aus dem gefolge der Medb (LU 70b, 19), die Cuchulinn tötet, für
nordische Söldner nehmen dürfen, der Connachtrecke Nath-
crantail im gefolge der Medb wird fennid (recke) genannt (LU
69% 43). die bewunderung für diese nordischen fiandr ist so
grofs, dass unter den zahlreichen clancontingenten, die aus ganz
Ulsterland dem Conchobar zu hilfe ziehen (LL 97% 10—100% 20),
die tapfersten und daher zuletzt genannten , die männer von
Murthemne, neben leomain londa (wilde löwen) als höchsten trumpf
das beiwort fianna feochra forderga 'wilde, über und über ge-
rötete fianna (fiandr)' erhalten (LL 100% 36). — in Fochond
loingse Fergusa (LL 252a) kommen, als die Iren das fest von
Emain feiern, dias oac fene do Emain Macha, da ecland da
threnfer 'zwei /iann-krieger, recken, tapfere männer nach Emain
Macha' (LL 252% 14.15); sie werden ganz wie sonst nordische
krieger beschrieben , und geben — nach ihrem beruf gefragt —
an: 'in erster linie machen wir kämpf mit männern (LL 252% 47),
wir stellen auch unseren mann beim essen, mit stein- oder
gabelwerfen und feueranzünden geben wir uns nicht ab.' — in
Longes mac nUsnig erfahren wir, dass die söhne des Usuech 'den
fianna der männer Schottlands' angehörten (LL 261\ 3), nachdem
vorher gesagt ist, dass der könig von Schottland 'sie in sein ge-
folge aufnahm und dass sie kriegsdienst bei ihm nahmen' (Conad-
ragaib inamunteras ocus corogabsat amsai ake LL 260% 10). —
in Scel mucci mic Däthü wird der aufgeregte zornige Mac Däthö
poetisch in ferg fene 'berserkerwut' genannt (LL 112% 27). —
unter den manigfachen Verwandlungen, welche in dem text Cophur
in da muccide die beiden mit übernatürlichen kräften begabten
schweinhirten annehmen (habichte, fische, wild, drachen), ist
auch die in 'zwei fennid', die sich gegenseitig wild verwunden
(LL 246% 41. 247% 14); Rind und Faebur (Speerspitze und
schwertschneide) hiefsen sie als solche. — lehrreich für be-
deutung 4 'recke' ist die erzählung von der geburt Conchobars
LL 106a: Cathbad mac Rossa war ein gewalttätiger recke (fennid)
in Ulster, zugleich druide; ihn triebs einst auf eine fahrt (cuaird
fennidechta) und er kam nach Munster, mit seinem gefolge
(conafein) vollführte er in der nacht einen Überfall und sie töteten
die beschützer der tochter des Munsterkönigs, diese, durch das
grause geschick hart geworden, durchzog mit dreimal 9 be-
KELTISCHE BEITRÄGE III 19
gleitern Irland auf plündern ogszug (for fennidecht); auf diesem
plünderungszug (forfiannas) kam sie auch nach Ulster, wo sie
mit dem genannten recken (fennid) Cathbad zusammentraf: der
söhn dieses recken und des kriegerweibes war Conchobar, der
berühmte Ulsterherscher. — in Serglige Conculaind findet sich
sich das wort zweimal, ohne dass eine andere bedeutung als
'tapferer krieger, held' sich aus dem Zusammenhang ergäbe:
Labraid der feenherscher wird 'angreifer der fiati ('feindes-
scharen'?) genannt (LU 45% 8), und Furbaide, Conchobars söhn,
heifst Furbaide na fian 'F. der heldenscharen' (LU 47% 31). —
in Fled Bricrend sind tüchtigkeit (feba) und Sättigung, bewirtung
(fothud) der fiandr (feinne) bekannt und hervorgehoben (LU 102%
42. 107% 5), womit man die oben gegebene antwort der beiden
nordischen recken (LL 252% 47) vergleiche.
Von welcher bewunderung die schmächtigen Iren für die
germanischen hünengestalten erfüllt waren, die sich mehr als
200 jähre an Irlands küsten umhertriebeu , durch Irlands gefilde
plündernd zogen und an vielen stellen durch 300 jähre festen
fufs fassten, davon habe ich in meinem früheren aufsatz zahl-
reiche proben gegeben, diese bewunderung führte zur nachäffung
des fremden in allen dingen , nicht zum wenigsten bei den scelide
'den sagenerzählern' des 9 und 10 jhs. um den rühm des ein-
heimischen fürsten und helden Conchobar zu erhöhen, gab man
ihm nordische ahnen (Zs. 32, 263 — 266), andere helden erhalten
eine hornhaut (aao. 290 — 307; 322 ff), in nordischer weise
schliefsen irische helden den blutbund (aao. 307 ff) , Cuchulinn
kämpft zu ross (aao. s. 332). die irischen helden führen elta
an den Schwertern , decken sich mit sceld, haben bröca aus lethar,
legen sopp in die wunden, führen mergge mit sich; sie feiern
feste in borg, bei denen drenga dreppa singen , während laith aus
iarnguala über die bord geschöpft wird; bei traurigen gelegen-
heiten erheben sie amor; als münze dient der penning (aao.
s. 267 — 289. 464—470). wundern wir uns bei dieser nachäffung
alles nordischen1, wenn in denselben texten, die obige und
andere nordische lehnwörter enthalten, Laeg eine /m»-ausrüstung
(fianerred) anzieht (LU 78% 44. 45. LL 76% 50. 51), ehe es zum
1 es ist dies dieselbe nachäflung des ausländischen, wie sie in Deutsch-
land im 17 jh. vorkam und von Gryphius so trefüich im Horribilicribrifax
verspottet wurde.
2*
20 KELTISCHE BEITRAGE III
kämpfe geht? Fergus nimmt den fianbrat (vikingermantel) LL 114%
42; Cuchulinns /mn-triumph kommt niemand gleich (LU 104% 11);
zur erhühung der würde sitzt Conaire auf einem fochlui fennida
'einem thron, wie ihn die fiandr-i'ürsten hatten' (LU 87% 5), ebenso
Conchobar (LL 111% 6. 263% 12); Schachbrett und Schachspiel,
wie die der fiandr (fianchlar LL 261% 25; fianfidchell LU 47% 4);
fianlach, fiallach dh. fiann- schar ist eine gewöhnliche bezeichnung
für 'kriegerschar, schar' LU 57% 8; 59% 40. 44; 70% 26; 84% 3;
112% 40; LL 84% 34. 85% 33. 87% 28. 290% 34; fianläech ein
tapferer laech (krieger), ein laech wie die fiandr (LU 74b, 45.
75% 2).
Überblickt man diese fülle von belegen aus LU und LL,
dann ist klar: von einer 'fiann- Institution zum schütze Irlands
und der königlichen gewalt' haben die sageuerzähler, denen wir
diese texte in der überlieferten form verdanken, keine ahnuug.
mit einer so fest ausgeprägten Vorstellung, wie sie in
den texten des 15 jhs. herscht, ist die Verwendung des Wortes
fiann, fennid im 10 und 11 jh. unvereinbar; diese technische
bedeutung von fiann, fennid muss also jünger sein, als
die periode des vikingerzeilalters, in der in die texte der alten
heldensage die nordischen einQüsse eindrangen, also jünger als
das 9 — 10 jh. freilich, wenn bewiesen wäre, dass von alters
her, also im 2 und 3 jh., in Irland eine Institution bestaud, wie
sie eingangs nach sagentexten des 15 jhs. geschildert ist, und
wenn fiann von alters her als der technische ausdruck für diese
Institution gegolten hätte, dann liefsen sich die meisten der an-
geführten stellen von LU und LL allenfalls auch erklären, man
müste annehmen , dass mit dem aufhören der iustitution im 4 jh.
auch die technische bedeutung des wortes fiann allmählich ver-
blasst und dem bewustsein der späteren zeit (9 — 11 jh.) ent-
schwunden sei, sodass es in den nachgewiesenen allgemeineren
bedeutungen und Übertragungen konnte gebraucht werden, nun
treffen aber die beiden Voraussetzungen nicht zu,
wie wir sahen : iustitution und technische bedeutung von fiann
kommen erst in sagentexten, die nach Überlieferung und spräche
um mehrere Jahrhunderte mindestens j ünger als die
betrachteten texte von LU und LL sind, klar vor. patriotische
Iren werden keine Schwierigkeit sehen: in der sage des 15 jhs.
und der erinnerung des volkes heutiger tage lebt jene institution
KELTISCHE BEITRÄGE III 21
des 2 und 3 jhs., folglich muss sie gewesen sein in jener zeit;
was texte des 9 — 11 jhs. dazu sagen, ist gleichgiltig, zumal man
die doch nicht lesen kann.1 für wissenschaftliche betrachtung
lautet die folgerung etwas anders: weil die institution der fiann
und die technische bedeutung der Wörter fiann, fennid im 9 und
10 jh. noch unbekannt sind, muss die jüngere Überlieferung
eine jüngere entwickelung repräsentieren, -die sich als Weiter-
bildung aus dem nachgewiesenen älteren gebrauch von fiann muss
erklären lassen, ehe ich zum nachweis dessen übergehe, will
ich noch einige belege für fiann aus texten des 10 jhs. anführen,
welche nicht der älteren heldensage angehören.
Im jähre 975 starb Cinaed hua Artacain, der in den Annalen
der vier meister und Ulsterannalen prlmeices Erenn inaaimsir
1 einen köstlichen beleg für die logik irischen Patriotismus liefert der
herausgeber von Cath Fionnträigh or the battle of Ventry harbour which
took place in the third Century, Dublin 1884. diese englische bearbeitung
gründet sich auf eine ganz moderne version der zuerst im 15 jh. vorkom-
menden erzählung und ist mit einer introduction versehen, wo es heifst
is. vi ff): 'there is one incident mentioned which is so startling, and is so
opposed to all present and preconceived notions, that it is desiderable to
refer to it here. Oscar is stated to have 'leaped to his feet, and in that
sudden bound he cleared nine ridges of potato ground'. in the irish
text it is writlen, nine ridges of reddened potato ground. well,
it is not too much to assume that the nine ridges were there, as in fact their
outlines are still [!nach 1650 jähren] and can be easily traced on the surface
of the grass-grown sands. such beeing facts[l], whal becomes of the re-
puted discovery of the potato by sir Walter Raleigh and of his introduction
of it into Irland, A. D. 1586? the fact that the irish people have lived on
the potato, and almost on it alone for centuries, is a sufficient argument
to advance in proof that it is and had been the natural and indigenous
growth of the country.' das ist dem manne heiliger ernst, da die kartoffel
also im 3 jh. schon in Irland stark angebaut war, so ist die möglichkeit
sogar abgeschnitten, dass sie Brendan aus dem lande der seligen mitgebracht;
vielleicht aber wars sein Vorgänger aus heidnischer zeit Maelduin. jedes-
falls verdanken die Iren — wie so bewiesen ist — die woltat der kartoffel
nicht dem verhassten Engländer Raleigh, der von 1580 — 1583 im auftrag
der gehassten Elisabeth den aufstand in Munster blutig niederschlug, mit
gleicher patriotischer logik, mit der obige worte im 5 jähre der landliga
(1884) geschrieben wurden, schaffte ein Ire die tatsache aus der weit, dass
in London die sonne 35 minuten früher aufgeht als in Dublin, indem er
sagte: 'no sun ivir riz anywhere, afore it did in ould Ireland! England
afore Ireland nivir!' wäre die kartoffelgeschichte nicht in einem buche ge-
druckt, das als Volksbuch heutiges tages in Irland verbreitet wird, dann
möchte man letztere geschichte als fun auffassen.
22 KELTISCHE BEITRÄGE III
'hauptdichter Irlands iü seiner zeit', im Chron. Scotorum pri-
meices Lethe Cuinn 'hauptdichter Nordhiands' genannt wird, unter
den von ihm erhaltenen gedichten findet sich LL 31a, 42 ff ein
solches, in welchem die todesarten und begrähnisplätze der haupt-
helden irischer sage in einzelnen Strophen abgehandelt werden, es
beginnt mit den Worten:
Fianna batar in Emain i Raith Cruachan i Temair
il Luachair luatis curaid in Alind in JarMumain
'fianna waren in Emain (in Ulster), in Rath Cruachan (in Con-
nacht), in Tara (in Meath), in Luachar tummelten sich hei den,
in Alind, in Westmunster' (LL 31% 43. 44) , und dann werden
die berühmten helden der Cuchulinnsage aufgezählt, also 'neiden'
gabs in allen teilen Irlands und fianna ist rein synonym zu
dem echt irischen curaid verwendet; jegliche nebenbe-
ziehung zu dem begriff fianna der sagentexte des
15jhs. ist absolut ausgeschlossen, um so wichtiger ist
die beziehung, die am schluss des gedichtes auftritt, welcher
lautet:
Andso döib matät ipein cenadrad rlg roithes grein
Rochoscair mac Maire mass conosros'cair fri fiannas
Mac De romanact cose arimad nanecraite
Ise rommain iarmothä conatoithus la fianna
'das sind sie (die helden); wenn sie in der quäl siud1 ohne an-
betung des königs, der die sonne rötet, so siegte der stattliche
söhn der Maria, dass er sie trennte vom heldentum. der söhn
gottes beschützte mich bisher vor der menge der feiude, er
schütze mich fürderhin, dass ich nicht falle durch die fianna.'
das ist, denke ich, klar: wer einen blick in die irischen annalen
wirft, sieht sofort, wie sehr Irland zur zeit Cinaed o Artacains
von den raubenden und mordenden vikingern zu leiden hatte, der
gott, der bisher ihn vor der menge der feinde schützte, soll
ihn fürderhin schützen, dass er nicht durch die fianna falle, wie
im eingang fianna und irisch curaid (helden), so sind hier fianna
und ecraite (feinde) synonym, und die fianna, vor denen gott ihn
schützen soll, sind die nordischen fiandr. hier haben wir ein
sicheres zeugnis für den Sprachgebrauch um die mitte des 10 jhs.,
1 dass kirchlicher zelotismus die helden der irischen sage bis auf Con-
chobar und Cuchulinn im vikingerzeitalter in die hülle gesteckt hatte, dafür
habe ich Zs. 32, 255 belege gegeben.
KELTISCHE BEITRÄGE III 23
das uns zudem über den Ursprung von fianna aus nordisch
fiandr nicht im zweifei lässt.
Das ganze 9 Jh. hindurch wurde nach dem Zeugnis der
irischen annalen und der zusammenfassenden geschichte über
die vikingerzeit LL 309. 310 Munster von Waterford bis Lim-
merick von den Nordleuten heimgesucht: nicht nur in küsten-
plätzen wie Waterford, Cork, Limmerick fassten sie auf kürzere
oder längere zeit festen fufs, sondern auch au orten, die hier
im Süden mehr nach dem inneren zu lagen, das heutige Fermoy
liegt 32 kilom. nordöstlich von Cork am rechten ufer des in die
Youghalbai mündenden Blackwater, daher zu schiff von Water-
ford, Youghal, Cork leicht zu erreichen, die bewohner des
districtes heifsen altir. nom. Fir maigi, gen. Fern maigi, dat.
Feraib maigi, acc. Firu maigi.1 so wird Fermoy und seine be-
wohner erwähnt in den Annalen der vier meister a. 640 (Cuana
toisech Fermaige 'Cuana, fürst von Fermoy' = Cuana r% Fern-
maige 'Cuana, konig von Fermoy' Chron. Scot. a. 641), a. 843
( Caicher tigerna Fermaige 'C, herr von Fermoy'), 1013 (Gebheanach
tigherna Fermaige 'G. , herr von Fermoy' = Gebennach rlg Fer-
maige Chron. Scot. 1012). im jähre 862 ist nun notiert, dass
Cerball auf einem plüuderuugszug in Munster kam co Fioru
maige Fene 'bis Fermoy Fene' und 942 wird erwähnt, dass der
tigerna Corca Laighde ('herr der südwestlichen grafschaft Cork')
dferaibh maige Fene 'von den Fermoy Fene' (== Annais of Ulster
943 riCorco Laighdhi do marbad do Feraibh maighi Feine) ermordet
wurde, der grund , warum Fermoy in der zweiten hälfte des
9 und der ersten des 10 jhs. in den annalen auf einmal den
zusatz Fene — womit O'Donovan und Hennessy nichts anzufangen
wissen — erhält, ist klar: vikinger hatten sich hier fest an-
gesiedelt, wie Mayo in Connacht in den irischen annalen Magh
eo na Saxan 'Mayo der Sachseu' genannt wird von dem umstand,
dass sich hierher die Sachsen mit Colman zurückzogen (664),
die mit ihm die römische osterberechnung nicht annehmen wollten
(Beda, Hist. gentis Angl. 4,4 und die Zs. 32,202 — 203 bei-
gebrachten irischen Zeugnisse), so heifst Fermoy im 9 und 10 jh.
Fermoy Fene 'Fermoy der fiann', weil nordische fiandr dort safsen.
dies zeugnis der annalen wird durch ein werk des 10 — 11 jlis. be-
1 dh. 'die männer der ebene' (fir maigi) am oordabhange der Naglee
inounts.
24 KELTISCHE BEITRÄGE III
stätigt , den schon erwähnten. (s. 10 ff) Lebor na cert. hier wird
unter den Verpflichtungen des königs von Munster (rl Caisil
'könig von Cnshel') an die häuptlinge der clane aufgeführt:
Dlighidh oirrigh Muighi Fian each ö righ Caisil is srian
(Uighidh sciath is daidheam cain rl Fer Muighi co firgail
'es hat anspruch der regulus (der männer) von Mag Fian auf
ein ross vom könig von Cashel und einen zügel, es hat anspruch
auf einen schild und ein schönes schwerl der könig von Fermoy
mit wahrer tapferkeit' (O'Donovan, Leabhar na g-ceart s. 82,
Book of Ballymote s. 27 la, 39). hier ist rl (Fer) maigi Fian
gleich rl Fermaigi und 'Fermoy der fiandr' ist dieselbe bezeich-
nung wie 'Mayo der Saxan' ; es beweist zudem die richtigkeit
meiner auffassung des Zusatzes Fene in den annalen.
Diese belege des 9 und 10 jhs. zeigen uns, dass der Zusammen-
hang zwischen dem ins irische aufgenommenen fianna, fiann und
den nordischen fiandr noch gefühlt wurde, was ja auch in vielen
belegen aus den sagentexten von LU und LL zu tage trat,
ebenso lässt sich in texten derselben zeit, die aufserhalb der
heldensage stehen, die auf combination der tatsächlichen Ver-
hältnisse mit irischen anschauungen beruhende bedeutung 'ge-
folge, Streitmacht eines Stammes oder clans' für fiann (vgl. s. 16),
die ebenfalls in den sagentexten vorkam, nachweisen.
Das s. 21 ff benutzte gedieht des 975 gestorbenen Cinaed
o Artacain enthält folgende Strophe:
Mongan bamind cachdlne docer la fein Cindtlre
La fein Luagne aided Find oc Ath Brea for Boind
'Mongan — er war die kröne jeder generation — fiel durch die
fiann von Cantire, durch die fiann der Luagne (geschah) der
tod Finds bei Ath Brea an der Boyne.' Mongan war der söhn
eines am ende des 6 jhs. lebenden Ulsterkönigs Fiachna Lurga
(LL 41 col. 3 und 5) und fiel nach den verschiedenen annalen
um 620 (624 Annais of Ulster, 625 Chronicon Scotorum, 620
Vier meister, 624 Annais of Cloumacnoise) in den kämpfen in
Schottland.1 dass unter fiann Cindtlre (die Ulster gegenüber
1 um diesen Mongan ist manche sage gewoben, das Chronicon Sco-
torum weifs von seinem tod näher anzugeben Mac Fiachna i. Mongan ab
Arthur fitio Bicuir Britoni lapide percussus interiit; die Vier meister
ebenso Mongan mac Fiachna Lurgan domarbad docloich la hArtur mac
Bicair do Bretnaib 'M. wurde mit einem stein getötet von Artur mac Bicair
von den Brüten', von ihm gieng auch eine sage, dass er der euhemerisierte
KELTISCHE BEITRÄGE III 25
liegende, sich zwischen Islay und Arran hinziehende schottische
halbinsel Cantire) nicht an fiann in dem s. 1 und 2 entwickelten
sinne der jungen Finnsage gedacht werden kann, sondern dass
la fein Centire so viel sagt wie la firu Centire 'durch die männer
von Cantire', ist klar, dieselbe bedeutung liegt auch in la fein
Luagne der folgenden zeile. die Luague waren ein stamm in
Meath (s. O'Donovan zu Vier meister i 102 note i) und la fein
Luagne ist so viel wie la firu Luagne 'durch die männer der
Luagne' oder auch la Luagniu 'durch die Luagnis'. dieiden-
tität dieser ausdrucksweise wird durch parallele Wendungen für
dasselbe ereignis belegt: von Cathair mör wird im Lebor na cert
(O'Donovan s. 204, Book of Ballymote 27 8b, 2) berichtet, dass
er fiel la fein Luaigne, ebenso Lebor gabala (LL 24\ 11) la fein
Luaigne i Temraig, aber in den Vier meislern a. 122 la Luaigh-
nibh Teamra. hier ist also la fein Luaigne 'durch die fiann
(waffenfähige mannschaft) der Luagne' gleich la Luaigniu 'durch
die Luaignis'.
Wenden wir uns nun zu Finn mac Cumaill, um zu sehen,
welche Stellung er in den ältesten texten, in denen er auftritt,
einnimmt und welche bedeutung fiann in den ältesten auf Finn
bezüglichen texten von LU und LL hat. vorausgeschickt sei,
dass keiner dieser auf Finn bezüglichen texte in LU und LL,
wie die spräche erweist, seiner ersten niederschrift nach so alt
sein kann wie die wichtigsten texte der alten sage (Togail bruidne
DaDerga, Tüin bo Cüalnge, Fled Bricrend, Serglige Conculaind usw.).
in erster linie kommt in frage die sagenhafte geschichte von dem
Uroma (LL 294b, 25 — 308b ende). Tuathal Techtmar, Irlands
oberkönig im anfang des 2 jhs., hatte als vater von dem Leinster-
könig Eochu mac Echacb Domlen schweres leid erfahren, das
er mit hilfe der übrigen irischen teilkönige an Eochu und den
Leinsterleuten, die sich auf seite ihres königs stellten, rächte,
zur strafe wurde auf Leinster ein ewiger tribut (böroma) an
Irlands oberkönig gelegt (LL 295b, 18 ff), die Leinsterleute
suchten sieb natürlich diesem tribut zu entziehen und dies führte
durch jhh. mit abwechselndem glück ausgefochtene kriege der ober-
alte meergott .Manandän mac Lir in Verjüngung gewesen (Imram Brain mac
Febail in Rawl. B 512 fol. 120a, 1 ff. H. 2. 16 col. 397 ff und in dem bruch-
stück LU 133a, 1 — 24); eine andere sage behauptete, er sei Finn mac Cu-
maill in einer jüngeren gestalt (LU 133a, 25 ff).
26 KELTISCHE BEITRÄGE III
könige gegen Leinster herbei, zur zeit des heiligen Moling und
Adomnans, in der zweiten hälfte des 7 jhs. wurde dieser tribut
in folge einer listigen ausnutzung des doppelbegriffes von ir. luan
('montag' und 'jüngster tag') bis zum jüngsten tag sistiert. Brian,
der könig von Munster, soll, als er Irlands oberkönig geworden
war (1001 — 1014), den tribut erneuert haben, woher sein name
Brian Boroma, unter dem er in der geschichte bekannt ist.
unser text in LL bricht s. 308 in folge Verlustes eines oder
mehrerer blätter in der hs. ab bei erzählung der ereignisse, die
zur Sistierung des tributes in der zweiten hälfte des 7 jhs. führten,
die erzählung verdankt offenbar ihren aulass der versuchten er-
neuerung des tributes zur zeit Brians, stammt also aus dem
11 jh., wozu auch die spräche stimmt und sonstige diuge, die ich
Zs. 32, 307 — 308 zusammengestellt habe.1 in einem teile dieses
textes nun spielt Finn mac Cumaill eine hervorragende rolle und
wir werden das, was hier über ihn berichtet ist,
als die authentischen anschauungen des 11 jhs. über
Finn in Leinster und Munster betrachten müssen,
also in den teilen Irlauds, wo die Finnsage ihren Ursprung und
bis auf den heutigen tag ihre gröste beliebtheit hat. hier lesen wir
nun über Finn und seine zeit folgendes (LL 296a,43— 299b, 10):
'Art übernahm die königswürde Irlands und forderte den
tribut ein und erlangte ihn nicht ohne kämpfe. Cormac mac
Airt erhielt ihn. Fergus Dubdctach erhielt ihn ein jähr, darauf
übernahm Coirpre Lifeochair die herschaft und suchte den tribut
von Leinster einzuziehen. Bressal (der Leinsterkönig) sagte aber,
er würde ihn nicht ohne kämpf geben, darauf wurde von Coirpre
eine oceauversammlung (lerthinöl dh. unzählige) der männer
Nordirlands nach Cnamross in Leinster veranstaltet, die Leinster-
leute versammelten sich bei Garbtonaig.' Bressal fragt nun die
Leinsterhäuptlinge, was zu tun sei: ob den kämpf zu wagen oder
den tribut zu zahlen, die raten: 'sende botschaft zu Finn des
kampfes, die fianna des schneidigen Finn sammle, o königssohn;
1 bemerkenswert ist, dass in LL nach der lücke direct folgt die ge-
schichte der vikingerzeit in Irland, die bis zum tod Brians in der Schlacht
von Glontarf (1014) geführt ist und von einem Zeitgenossen Brians und
augenzeugen der schlacht geschrieben sein muss (s. Todd, Gogadh Gaedhel
s. xix — xxvn). beide werke stehen mit Brian Boroma in engster be-
ziehung, sodass man wol erste hälfte des 11 jhs. als ihre abfassungszeit
annehmen darf.
KELTISCHE BEITRÄGE III 27
mit dir au einem orte vereinigt, werden sie voran in den kämpf
gehen. Find, der schöne, berühmte (uirnide) mann — zahlreich
sind die geschienten von ihm — , wenn er kommen wird, Find
von Almu , dann mache waffenkampf.' Bressal gieng darauf süd-
lich nach Rind Descirt, das heutiges tages Rind Dubain Ailithir
genannt wird, dem ort, an dem Find mac Cumaill war. neuig-
keiten wurden vom könig von Leinster in des rigfenniä Irlands
dh. Find mac Cumaills hause erfragt. es erzählt darauf der
könig sein nicht -gewachsen -sein (dem Lifeochair) und sucht den
Finn zur teilnähme zu gewinnen , indem er mit den worten
schliefst: 'o söhn des Cumall von gewaltigen taten, rüste dich
und wir wollen gehen; ergreift eure waffen prächtig und erhebt
euch, o fiann des Find.' 'es erhob sich darauf Find und seine
fiann mit ihm und marschierten, den Barrowfluss (hauptfluss
Leinsters, mündet bei Waterford) links lassend, nach Rind Roiss
Bruicc über (an) dem Barrowfluss. es setzte sich der rtgfennid
auf einen hügel oberhalb des waldes (ross); er erblickte ein
zauberhaftes unkörperliches beer, in scharen zum himmel und
herab sich bewegend, was ist das für ein heer dort? sagte die
fiann. engel sind dies, sagte Find, nämlich die familie des
königs des himmels und der erde, und tonsurierte (talcind)
werden kommen an den ort, wo die engel dort sind, an diesem
orte hatte Find drei leibliche pflegebrüder, nämlich die 3 söhne
des Flacha mac Conga , mit namen Molling Lüath (der schnelle),
Cellach nuel (der glatzkopf) und Brsen. sie waren nicht lange
dort, so sahen sie Molling Lüath auf sie zukommen.' derselbe
begrüfst Find und prophezeit, dass heilige (Brennaind Birra,
Molling) in der gegend sich ansiedeln würden.1 'darauf fragte
Molling Lüath: warum kommt ihr hierher? da sagte Finn: der
könig von Leinster kam, um seine bedrängnis und seine Ver-
gewaltigung uns zu beklagen, dass nämlich die mänuer Irlands
1 es ist mir rein unverständlich, wie Alkinson in den contents von
LL (s. 68) annehmen kann, es handle sich hier um ein zusammentreffen
Finns mit dem bekannten heiligen Molling. dieser Molling Lüath ist nur
ein 400 jähre älterer namensvetter und der heilige Molling tritt ja später,
wo die erzählung in die 2 hallte des 7jhs. kommt, wüiklich auf. es handelt
sich LL 297a, 5 ff nur um eine Prophezeiung (doragal 'sie werden kommen'),
ebenso 297b, 41 ff ('Ross in Brocc heute ist weg der hunde. bald werden
kommen heilige hierhin, haus des Molling wird sein name sein), 298*, 15
steht ja ausdrücklich, dass es sich um eine 'vision' (fis) handelt.
28 KELTISCHE BEITRÄGE III
um Cairpre Lifeochair ihm kämpf angesagt hahen , wenn er nicht
den boirama entrichte, wir beabsichtigen, zum kämpf der Leinster-
leute uns zu begeben. Molling aber sagte zu Find, er solle
nicht vereinzelt dem könig von Irland mit den um ihn ver-
sammelten männern Irlands entgegen gehen. Finds anzahl aber
war dort 1500 rigfeinnid und 30 mann unter jedem rigfeinnid
von ihnen.' Molling forderte Find auf, über nacht bei ihm zu
bleiben; er werde ihm und seinen leuten das beste aus allen
teilen Irlands und Schottlands (Cantire) zur bewirtung bieten, er
warnt ihn, ohne genügende Streitkräfte den kämpf aufzunehmen,
erinnert an den tod des vaters durch die scharen von Tara
(racathaib Temra) und bittet ihn, botschaft auszuschicken, um
verschiedene führer — die LL 297b, 15 — 35 aufgezählt werden —
mit ihren leuten heranzuziehen. Finn willigt ein, sie liefsen
ihre hunde los und 'machten sich auf nach der königsburg1
(dorlg bruidin) des Molling Luath. sie wurden (beim mahl) ge-
ordnet nach würden und stand , es wurden gesänge gesungen,
sodass das ganze haus von einer ecke bis zur anderen voll von
gesang2 war. es befanden sich 3 krieger in der nähe Finds,
mit namen Miledan, Ethladan und Enan von der kalten hütte
(na hüarbothi); Enan von der kalten hütte safs zwischen ihnen.'
dieser Enan hat eine vision, er sieht kleriker beim opfer (ocaf-
friund apud offerendum), sich unter ihnen; und diese waren der
spätere Molling und seine genossen, als er sich (aus seinem
rausch) erhob, erblickte er zu seioem staunen ein heer von
kriegern um sich 'und er machte ein lied und prophezeite, dass
kleriker kommen würden.' '3 tage und 3 nachte war Find mit
seiner fiann an diesem orte, bis kamen die fianna Irlands aus
jeder himmelsrichtung zu ihm. sie brachen nun alle auf und
kamen nach Rath Immil , was heutiges tages Garbthonnach heifst
(wo ja die Leinsterleute waren), da fragte der rigfennid: wo ist
der ort, wo die mädchen gestorben sind, die die veranlassung
zu dem tribut gaben? es wurde ihm der ort gezeigt und Find
1 wie passt dies und das folgende zu Atkinsons annähme, dass dieser
Molling Liiath der heilige des "jhs. sei? wie passt dazu die LL 297»,
28 — 45 gebotene üppige, königliche bewirtung?
2 wörtlich 'sodass das ganze haus von einer ecke bis zur anderen eine
cairche des gesangs war' (LL 298a, 39. 40); ist eairche ein abstractum zu
caira gen. cäirech 'dasschaf? also eine 'Schafherde von gesang', voll von
gesang, wie eine Schafherde die hürde anfüllt mit geblök?
KELTISCHE BEITRÄGE III 29
setzte sich dahin und machte ein lied' (LL 298b, 34 — 299a, 46).
'es waren darauf die fuinn in der nacht bei Garbthonach; sie
erhoben sich am anderen morgen in der frühe vereint mit dem
könig von Leiuster. es kamen darauf die mächtige schar der
fiann und die mächtige von Leinster und wandten sich vereint
gegen Nordirland, die nun (die leute von Nordiriand) waren bei
Cnamross. es wurde eine harte, an kämpfen reiche schlacht
zwischen ihnen geliefert auf beiden seiten. indessen vermochte
INordirland nicht stand zuhalten, sie unterlagen und es wurden
von ihnen 9000 getötet mit den 3 söhnen von Cairpre Lipheochair,
nämlich Eochaid und Eochaid Domlen und Fiachu Roptene.' die
Leinslerleute zahlten darauf den boroma nicht bis zur zeit von
Dunlang mac Enna Nlad.
Mit diesem ältesten bilde von Finn aus dem 11 jh. vergleiche
man nun das s. 1 und 2 nach den sagentexten des 15 jhs. ent-
worfene, kann hier die rede sein von einem 'stehenden national-
heer Irlands, ursprünglich dazu bestimmt, die königliche
gewalt zu stutzen und die insel gegen feindliche einfalle zu
verteidigen' (Windisch) , das unter der führung Finns stand? der
Finn des 11 jhs. ist einfach ein Leinsterregulus des
3 jhs., idealisiert nach dem vorbild nordischer jarle,
wie sie von 800 — 1000 in Leinster und Munster safsen.
man lese die annalen für jene beiden Jahrhunderte und die
schon erwähnte (s. 2G anm.), aus dem 11 jh. stammende irische
Schilderung der vikingerzeit (Todd, Cogadh Gaedhel re Gallaibh,
London 1867), und man wird die Vorbilder finden zum Finn des
11 jhs. und zu vielen Zügen, die die spätere zeit von ihm weifs.
zuerst noch einige worte zu obigem text. fiann ist nicht 'stehendes
uationalheer Irlands', sondern gefolge des Leinsterregulus Finn,
und so wird auch an zwei stellen des textes das gewöhnliche wort
der alten sagentexte tnontar 'gefolgschaft' ganz verwendet wie
fiann (LL 297% 47. 297b, 8). Finn wird (LL 297", 47) von Mol-
ling angeredet a male na flalha 'königssohn' wie 296b, 16 Bressal
der Leinslerherscher von den clanköniglein. das erklärt die be-
zeichnung ftgfennid: er ist nicht blofser fennid 'held' wie die
übrigen nordischen fiandr, sondern königlichen blules, jarl (ru/-
fennid). die schönste besläliguug bietet uns ein in den Annalen
der vier meisler s. a. 283 citiertes gedieht auf den tod Finds:
von den mördern Finds lieifst es, dass sie hatten ilach imchenn
30 KELTISCHE BEITRÄGE III
ind riglmiadh 'jubel um das haupt des königlichen neiden',
hier ist rlgnia 'königlicher held' ebenso genuinere bezeichnung
für rigfennid wie LL 297% 47. 297b, 8 montar für fiann. wie
Finn wartet und seine Streitkräfte sammelt, so werden die Amlaib,
Imar, Aralt, Sitric1 ihre auf plünderung ausgegangenen kleineren
contingente zusammengezogen haben, ehe sie, wie verabredet,
dem Munster- oder Leinsterkönig gegen Meath und Ulster bei-
standen.
Es kann hier nicht meine aufgäbe sein, alle die Zeugnisse
des 12jhs., die sich in den gedichten von LL finden, zu sammeln —
die wichtigsten sind Gott. gel. anz. 1887 s. 162, vgl. s. 184 ff an-
geführt — , noch die entwickelung bis in die anschauungen des
15 jhs. ausführlich darzulegen, ich will nur die elemente kurz
scizzieren, die bei der ausbildung der Finnsage erkennbar sind.
I. Find ist vermutlich eine figur der Leinster-Munstersage ge-
wesen vor der vikingerzeit, jedoch wissen wir absolut
nichts sicheres über ihn aus dieser zeit, da kein
denkmal uns erhalten ist, das nur entfernt anspruch darauf er-
heben könnte , in diese zeit zu reichen, ihm eigentümlich ist,
worauf ich schon Gott. gel. anz. 1887 s. 190 hinwies, die Vor-
stellung, dass er ein vollendeter frfe (dichter) ist.2 in den
Laud 610 fol. 94d, 17 — 96% 35 erhaltenen altertümlichen texten
zur Munster- und Leinstergeschichte erscheint Find hua Baiscni
neben anderen als gefolgsmann (fennid) des von Cormac mac Airt
entthronten oberkönigs Lugaid mac Con, dem er bis zum tode
treu blieb: er begleitete ihn sogar auf seiner flucht vor Ailill
Aulom und rächte 7 jähre nach Lugaids tode dessen ermordung
an Ferches. auch hier ist er ein dichter, der den zauber imbas
1 die angaben über den mit mächtiger flotte 831 in Nordirland er-
scheinenden Tuirgeis, wie sie LL 309a, 43 ff- und in den annalen vorliegen,
fasst Todd, Cogadh Gaedhel s. xlvii ff zusammen in die worte: he seems
to have had in view a higher object than the mere plunder which influenced
former depradators of his nation. he aimed at the establishement of a re-
gulär government or monarchy over his countrymen in Ireland (die fiandr),
the fundation of a permanent colony. for this purpose the forces under
his command or in connection with him, were skilfully
posted on Loch Ree, at Limerick, Dundalk bay, Carling-
ford, Lough Neagh and Dublin.
2 diese Vorstellung, die gerade in den älteren Zeugnissen am stärksten
hervortritt, kann wenigstens nicht aus der alten heldensage auf ihn über-
tragen sein.
KELTISCHE BEITRÄGE III 31
forosnai kennt (Laud 610 fol. 95d, 31 — 96% 34). warum gerade
Finn der kristallisationspunct wurde, wissen wir nicht; da wir
ja über ihn vor seiner Verbindung mit fiann überhaupt nichts
wissen, es ist denkbar, dass der anstofs ein rein localer war,
Finn also vorher gar keine hervorragende rolle in der Leinster-
Munstersage spielte, wenn er überhaupt eine figur süd-
irischer sage im allgemeinen und nicht vielmehr ursprüng-
lich locale sagenfigur war. von einer südirischen heldensage
im sinne der nordirischen Cuchulinnsage ist uns nichts erhalten,
was nicht besouders für ein Vorhandensein gröfserer erzählungen
vor der vikingerzeit spricht, wären aber solche vorhanden ge-
wesen, dann war sicher der gewaltige Munsterheld Curöi mac
Bare, Cuchulinns Zeitgenosse, träger derselben, und dann wären
dieselben wol nicht spurlos verschwunden, sondern einfach unter
dem einfluss des vikingerzeitalters umgestaltet worden , wie die
texte der nordirischen alten heldensage. die Verbindung von
Fiun mit fiann, worauf ja zu einem wesentlichen teil die ent-
wickelung jüngerer Jahrhunderte beruht, mag sogar durch den
anklang der würter (gesprochen finn und fienn) mit veranlasst
und befördert worden sein.
II. im 10 jh. war Finn nach dem vorbilde nordischer jarle
und der nordischen fiandr entstanden oder1 umgestaltet worden,
wenn man liest, was Cogadh Gaedhel s. 40 ff , 48—52 berichtet
wird über die ansprüche , welche die in Munster überall fest an-
gesessenen vikinger erhoben, dann wird man manches verständlich
finden von den Privilegien, mit denen nach den texten des 15 jhs.
die fiann Irlands das land und die könige drückte, hierzu treten
noch zwei weitere würkungen der vikingerzeit: mit dem 11 jh.
hören die einfalle und plünderungszüge fast ganz auf und die Nord-
leute beschränken sich auf die bis ins 12 jh. besetzten küsten-
plätze von Dublin, Wexford, Wateribrd usw., was jedoch den
verkehr mit den Iren fördert, der auch nach dem zeugnis der
annalen von der mitte des 10 jhs. ab, besonders nachdem die
vikinger von Dublin und an anderen platzen zum Christentum
übergetreten waren, ein viel intensiverer ist, als man allgemein
1 ich lasse diese frage hier absichtlich noch unentschieden, da erst
in einem späteren teil der Untersuchung das material verwertet werden
kann, auf grund dessen sich eine bestimmte entscheidung hierüber sowie
über punet i des textes fallen lässt.
32 KELTISCHE BEITRÄGE III
annimmt, noch einmal scheinen die schrecken des 9 und lOjhs.
sich erneuern zu wollen, als Magnus von Norwegen 1101 in
Ulster landet, Nordirlaud plündernd durchzieht, Dublin erobert,
westwärts plündernd ins herz von Connacht dringt, um, mit beute
beladen, nach Ulster zurückzukehren, ehe er mit den seinen ab-
fahren kann, sammeln sich die Ulsterleute, zwingen ihn zu einer
schlacht, in der könig Maguus und die meisten Norweger fallen
(1103), wie dies Snorri in der Heimskringla schildert, es ist nun
ganz natürlich, dass, je ferner dem volksbe wustsein diese mit
1103 definitiv zu ende gehende vikingerzeit rückte, der im
10 und 11 jh. nach dem bilde nordischer führer gestaltete Finn
und seine fiann zu kämpfern gegen die nordischen eindringlinge
selbst werden, so werden in der zweiten periode der ausgeslal-
tung der Finnsage, in der zeit von der mitte des 12 bis zum
15 jh. Finn und die fiann Verteidiger Irlands gegen die vikinger,
wovon die texte des 11 jhs. noch nichts wissen; aus dem zug
des Magnus nach Irland wird ein zug Finns nach Lochland gegen
Magnus, mit dieser Verlegung der vikingerzeit ins 3 jh. und der
dadurch bedingten Umgestaltung der anschauungen von Finn und
der fiann geht band in hand die einwürkung der nordischen
sagen, die den Iren bekannt geworden waren, war dieser ein-
fluss schon so mächtig, dass er im 10 und 11 jh. so tief in
texte der alten, vor dem 8 jh. abgeschlossenen heldensage ein-
dringen konnte, wie ich Zs. 32,289 — 334 gezeigt habe, ist es
da wunderbar, dass die in folge und unter einfluss der vikinger-
zeit sich ausbildende Finnsage nordische sagen als constituierende
elemente aufnahm?
Auch einen formalen einfluss üble das bekanntwerden
der Iren mit nordischer litteratur aus, der zuerst deutlich in den
älteren erzählungen aus der Finnsage uns entgegentritt, die
form der sagentexte der alten nordirischen heldensage, sowol der
kürzeren episodenartigen als der umfassenderen, in denen eine
reihe einzelepisoden durch eine idee oder eine persönlichkeit als
träger zusammengehalten wird, die form ist p rosa erzähl u ng.
nur die lyrischen und dramatischen elemente einer sage erfahren
häufig dichterische bearbeitung: monologe und dialoge sind in
versen abgefasst, und zwar die dialoge so, dass es wechselrede
vers um vers, Strophe um Strophe ist oder dass mehrstrophige
gedichte sich antworten, der umfang dieser poetischen teile
KELTISCHE BEITRÄGE III 33
hält sich in den gröfseren sagentexten der alten heldensage in
sehr mäfsigen gränzen: sie sind weder älter noch jünger als die
epische prosaerzählung, sie machen vielmehr einen organischen
hestandteil der sagentexte aus.1 ein anderes bild bieten uns
die texte der Finusage schon in der älteren periode bis zur mitte
des 12 jhs. es liegen hier, wie bei der Jugend der sagenbildung
erklärlich ist, noch keine umfassenderen gesammtdarstellungen
vor, sondern einzelepisoden, und die form dieser einzel-
episoden ist vorwiegend die romanze-ballade oder
besser gesagt das germanische heldenlied, wie wir es
im norden , bei den Angelsachsen und bei den festländischen
Germanen seit den ältesten Zeiten kennen, diese form der sage,
erzählung von einzelepisoden in abgeschlossener poetischer form,
ist in Irland vor der vikingerzeit absolut unbekannt2,
sie taucht mit der in jener zeit entstandenen Finn-
sage auf und ist, abgesehen von einzelnen nachahmungen
der form der alten heldensage im 14 und 15 jh., die charac-
teristische form der Finn-(Ossian-)sage bis auf den
heutigen tag. eine reihe von Zeugnissen für die ältere periode
bietet LL 202 ff in den so genannten gedienten aus der Finn-
sage, von denen ein characteristisches mit Übersetzung von Stokes
(Revue celtique vii 290 — 305) veröffentlicht ist. ich glaube noch
ein weiteres moment für diese ansiebt von dem vikingereinfluss
auf die form der irischen sage anführen zu können. Zs. 32,
248 — 256 habe ich den in LU 113a— 115b erhaltenen text
Staburcharpat Conculaind besprochen und übersetzt; innere und
äufsere gründe in fülle beweisen, dass dieser text ein produet
1 wenn in gröfseren texten wie Täin bö Cüalnge ua. diese lyrisch-
dramatischen teile in versen schwieriger sind als die schlichte prosaerzählung
und sprachlich einen altertümlicheren eindruck machen, so beruht
dies darauf, dass bei fortpflanzung der alten erzählungen des 7 und 8 jhs.
die prosa der Sprachverjüngung leichter zuganglich war als die teile in ge-
bundener rede, letztere sind in einigen texten der alten sage im 11 jh. schon
durch ihre altertümliche form vielfach dem Schreiber von LU unverständ-
lich, daher, um den gang der erzählung nicht unverständlich werden zu
lassen, mit einigen worten in prosa die Verbindung hergestellt wird. —
ausführlicher kennzeichnet Windisch (Verhandl. der 33 vers. d. philol. und
Schulmänner s. 20. 27) die form der alten irischen heldensage.
2 sie ist, wie ich fest überzeugt bin, überhaupt unkeltisch und auch
in Wales und Bretagne unursprünglich, wofür Zeugnisse vorliegen, s. Gott,
gel. anzeigen 1890 s. 522 fT und ausführlicher in nr 20 (1 od.).
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. :'.
34 KELTISCHE BEITRÄGE III
des vikingerzeitalters sein muss: es wird hier erzählt, dass
Patrick auf drängen von Irlands oberkönig Loegaire den haupt-
helden der alten sage , Cuchulinn , auf seinem Streitwagen in der
luft erscheinen lässt. Loegaire will aus des helden munde näheres
über seine grofsen taten hören, Cuchulinn entspricht dem wünsche
(LUll4a,37 — 115a, 27). die in sich abgeschlossene er-
zähl ung, die ich im urtext und Übersetzung aao. s. 249 — 255
gegeben habe, hat vollkommen die form des germani-
schen heldenliedes, 48 Strophen zu 2 langzeilen. so hat
also das vikingerzeitalter, auch wo es für die alte sage zu
ganz neuen productionen sich aufraffte, die neue durch die
vikinger gebrachte kunstform angewendet.1 der träger der alten
irischen heldensage ist bis zur vikingerzeit und darüber hinaus
nicht der Sänger wie bei den Germanen, sondern der scelid, der
ein repertoire von zahlreichen prosaerzählungen hat. hier
ist der eine begebenheit aus der 2 hälfte des 10 jhs. erzählende
text Rawl. B 512 fol. 109, 1 — 114% 17 lehrreich: ürard mac
Coisis bürg in Meath war in seiner abwesenheit von leuten des
oberkonigs geplündert und zerstört worden, sein besitz weg-
getrieben, offene klage gegenüber Domnall mac Murchertaig mic
Neill (Irlands oberkönig von 956 — 979) wagte er nicht; er gieng
deshalb als scelid an den hof Domnalls. Domnall fragte ihn,
welche scela er kenne, und Mac Coisi führt sein repertoire auf,
die bekannte liste von alten prosaerzählungen, die uns zum
grofsen teil erhalten sind, zum schluss nennt er (fol. 110a, 6 — 11)
Orcain cathrach Mail Milscothaig mic Anma Airmiten mic Sofis
sochaidi mic Olloman airdcetail mic Dana dligthedaig mic Lugdach
ildänaig mic Ruaid rofessa mic Creitmi in spiruta naim athar
sceo mac 'die plünderung der Stadt des Mael Milscothach', dessen
1 hervorheben will ich noch — was mir schon bei meinen früheren
Untersuchungen aufgefallen , aber nicht klar zum bewustsein gekommen
war — , dass in dem teile der Täin bö Cüalnge, für welchen der stärkste
einfluss nordischer spräche und sage nachgewiesen worden ist (LL 70 — 89;
vgl. aao. 290 — 322), die poetischen partien ein teilweise erdrückendes über-
gewicht bekommen und zwar der art, dass die monologartigen partien be-
nutzt werden, um in sich abgeschlossene kleinere heldenlieder einzulegen;
so LL 88a, 41 — 88b, 23, welches stück ich aao. s. 305—306 in text und Über-
setzung gegeben habe mit der angeknüpften bemerkung: 'hier liegt deutlich
eine Schilderung einer vikingerfahrt vor, die damit endete, dass die führer
nach der rückkehr blutfreundschaft schlössen.' —
KELTISCHE BEITRÄGE III 35
Stammbaum auf 'Rot all wisser, söhn des glaubens au den
heiligen geist vater und söhn' zurückgeführt wird, unter diesem
titel mit fingiertem namen barg Mac Coisi sein eigenes Unglück,
der könig, der alle übrigen erzählungen kennt, hat von dieser
noch nichts gehört und verlangt sie zu hören, was eben Mac
Coisi beabsichtigt hatte, welcher nun (fol. 110a, 21 — 113*, 5) das
dem Mael Milscothach angetane unrecht schildert und wie es
von dem damaligen oberkönig Irlands, dessen leute die plün-
derung begangen hatten, wider gut gemacht wurde, dann ent-
hüllt sich Mac Coisi und erklärt, er sei der Mael Milscothach
und dessen uuglück sein eigenes; Domnall macht es dann auch
in der von Mael Milscothach mehr zart als bescheiden angedeuteten
weise wider gut. die hier ein gelegte fin gierte erzählung
Orcain cathrach Mail Milscothaig hat die characteristische
form der alten sagentexte, ist eine prosaerzählung.
die prosaerzählung galt also ende des 10 jhs. in Irland noch als
die form für die heldensage und in der tat braucht keines der
in LL überlieferten heldenlieder der Finnsage älter als die mitte
oder das ende des 11 jhs. zu sein; hervorgehoben zu werden
verdient, dass die durch Cormacs glossar s. v. orctreith bezeugte
Finnerzählung, die also die Wahrscheinlichkeit für sich hat, dem
10 jh. anzugehören, noch prosaerzählung ist.1
1 der einfluss des vikingei Zeitalters — es ist dieselbe nachäffung des
ausländischen wie sie s. 19 ff besprochen — erstreckt sich hinsichtlich der
form litterarischer erzeugnisse der Iren gewis weiter als auf die entstehende
Finnsage, obwol hier vorsieht in Schlüssen geboten ist. unter diesem ein-
fluss stehen meines erachtens noch die versificationen alter prosaerzählungen
wie Imram Maelduin usw., worüber ich Zs. 33, 148ff gehandelt habe; auch
die der prosaerzählung des alten Sagenkreises LL 114a, 27 angehängte ver-
sification mag hierher gehören, jedesfalls steht so viel fest: irische ge-
dichte, die keine ältere gewähr als das 11 oder 12 jh. haben, dürfen nicht
benutzt werden, wie man dies tat, um irischen einfluss auf nordische ver-
sification wahrscheinlich zu machen, die Wahrscheinlichkeit, dass die Iren
hierin die empfänger waren, ist unendlich gröfser als die umgekehrte. —
für eine andere litteraturgattung können jedoch die Nordländer das vorbild
in Irland geholt haben in der vikingerzeit, worauf schon Todd, Cogadh
Gaedhel s. xxvm anm. hinwies, für die saga-litteratur. saga- texte ent-
sprechen in Irland vor und in der vikingerzeit den heldenliedern der Nord-
germanen, die saga-form ist die keltische, das heldenlied die germanische
form der epischen dichtung. jedesfalls ist im norden sagenschreibung und
geschichtliche prosa jünger als das vikingerzeitalter in Irland, wo beides
vor der vikingerzeit schon in höchster blute stand.
3*
36 KELTISCHE BEITRÄGE III
111. die ältere nordirische heldensage (Cuchulinn-
sage) bildet das dritte der elemente, die bei der ausbildung der
Finnsage in frage kommen. Nordirland, Conns hälfte (dh. Ulster,
Meath und Connacht), und Südirland, Mogs hälfte (dh. Leinster
und die beiden Munster: Thomond und Desmond) standen sich
Jahrhunderte lang ziemlich fremd gegenüber: so weifs Beda (Hist.
gentis Angl. in 3) vom jähre 636 zu bemerken , dass die gentes
Scottorum quae in australibus Hiberniae insulae partibus
morabantur jamdudum (636!) ad admonitionem apostolkae sedis
antistitis pascha canonico ritu observare didicerunt, während die
Nordiren erst nach 701 auf zureden Adamnäns die römische
osterberechnung einführten (Beda v 15. 22). noch in dem s. 25 ff
analysierten text des lljhs. ist 'männer Irlands' geradezu identisch
mit Leth Cuinn 'Conns hälfte' dh. Nordirland (vgl. LL 296a, 51 ff
mit 297a, 20. 24. 29 usw.). seit der einführung des Christentums
waren die irischen oberkönige hauptsächlich Nordiren: 'it must be
ackuowledged that the irish monarchs had little influence in
Leth Moga or the southern half of Ireland' (O'Donovan , Lebor na
cert s. xiii). diese absonderung Nord- und Südirlands wurde
bis zu einem gewissen grade durch die vikingerzeit aufgehoben,
die heftigsten stöfse von den heidnischen vikingern hatten in der
ersten zeit die alten sitze der bildung in Nordirland auszustehen:
im jähre 823 oder 824 wurden Bangor und Movilla in Ulster
(couuty Down) zerstört und die weisen männer und gelehrten
getötet (LL 309% 25 ff); 830 wurde Armagh dreimal in einem
monat von vikingern geplündert und alle klöster der Ulstergraf-
schaften Armagh, Monaghan, Louth schwer heimgesucht (Annais
of Ulster s. a. 831. LL 309a, 49 ff); bald darauf sah sich der abt
von Armagh gezwungen, vor Turgeis nach Munster zu fliehen,
woselbst er 4 jähre lebte (LL 309a, 50 ff), in gleicher weise
werden in der ersten hälfte des 9 jhs. manche insassen der zer-
störten Ulster- und Meathklöster in Munster schütz gesucht haben,
auf diese klöster der grafschaften Armagh, Monaghan, Louth
führen die uns erhaltenen Zeugnisse über die ältesten hss. der
Cuchulinnsage (s. Zs. f. vgl. sprachforsch. 28, 683 ff), sie liegen ja
auf dem classischen boden der alten heldensage (Emain Macha,
Mag Murthemne, Dun Deka, Sliab Fuait). mit diesen ÜUcht-
lingen aus Ulsterland in der ersten hälfte des 9 jhs. kam sicher
nicht blofs der schrein Patricks (LL 390a, 51) nach Munster,
KELTISCHE BEITRÄGE III 37
sondern auch hss. und damit eingehendere künde von der alten
nordirischen heldensage. das characteristische der Cuchulinnsage
gegenüber der Ossian-(Finn-)sage besteht ja nicht blofs darin,
dass erstere vor der vikingerzeit abgeschlossen war, letztere erst
in und nach der vikingerzeit entstand, sondern ebenso sehr
darin, dass — wie ich schon Zs. 32, 233 ff anm. gezeigt — die
alte irische heldensage speciell nordirische, Ulstersage ist, die
nordirischen Verhältnisse und zustände in den mittelpunct stellt
und in Nordirland ausbildung und pflege fand, unter den an-
gegebenen Verhältnissen wurde im 9 jh. eingehendere kenntnis
der alten nordirischen heldensage nach Südirland gebracht, also
in einer zeit, wo man dort vielleicht anfieng, einen in südirischer
sage bekannten streitbaren häuptling Finn zum ausgangspunct
neuer sagenbildung zu machen unter einfluss der fremdlinge
(fiandr) auf Irlands boden. das zusammenwürken beider um-
stände, also das nähere bekanntwerden der Südiren mit der zwar
irischen , aber Südirland fremden Cuchulinnsage in der zeit der
entstehung einer eigenen heldensage in Südirland, trug wesent-
lich dazu bei, dass die alte heldensage auf die ausbildung der
Finnsage in allen phasen bis ins 15 jh. einen so tief gehenden
einfluss ausübte.1 zwei perioden lassen sich unterscheiden, in
der älteren Finnsage bis zur mitte des 12 jhs. sind es wesentlich
einzelne züge der älteren sage, die mit Finn und der
fiann verknüpft erscheinen, um einiges anzuführen, sei erwähnt:
in dem mehrfach besprochenen (s. 13 ff. 17) altertümlichen text
Orgain bruidne Da Derga ist eine hervortretende figur
im heere der fianna -'piraten' Lomna Drüth, ein söhn des
Dond Desa; er ist der warner, der immer wider von dem
Überfall abredet (LU 87b, 37. 39. 88a, 35. 45 usw.), bei dem ei-
sernen tod finden muss, wie er weifs (LU 88a, 9. 13 ff); ihm
wird denn auch beim ersten versuch, in die bürg einzudringen,
der köpf abgeschlagen (LU97a, IG ff), in dem so genannten
Sanas Cormaic des 903 gefallenen Munstergelehrten, bischofs
1 nimmt man noch hinzu, dass Nord- und Südirland durch die vikinger-
zeit überhaupt sich näher gebracht wurden, so erklärt sich, wie die in
Munster und Leinster neu sich bildende Finnsage zur gemeinirischen
heldensage wurde, die schon im 16 jh. an den küsten von Antrim in Ulster
und in Cantire, in den Lochs und auf den höhen von Argyle in Schottland
ebenso beliebt war wie in den buchten von Cork und Kerry in Südwest-
irLand.
38 KELTISCHE BEITRÄGE III
und königs Cormac mac Cuclennäiu ist uns unter dem worte
orc treith eine Finngeschichte erhalten, in welcher Finn ganz
in der gestalt eines nordischen führers erscheint, der mit seiner
fiann auf jagd und beute im lande umherzieht: 'jeder berg und
jeder wald, den Finn mit seiner fiann besuchte, da fand sich
eine bestimmte frau für ihn und die frauen der landleute (ban-
brugada) hatten es auszuhalten von den fianna; denn ihre (sc. der
fianna) leute waren über das ganze land zerstreut, dass niemand
etwas gegen sie wagte.' dieses bild ist so entsprechend dem
bilde, welches wir uns nach Cogadh Gaedhel s. 40 ff. 48 — 52
von dem auftreten nordischer führer und ihrer leute (fiandr) in
Leinster und Munster im 9 und 10 jh. machen müssen, dass der
artikel orc treith wol noch dem 10 jh. angehören kann, die er-
zählung basiert nun auf der untreue der in Tethba (in Meath)
für Finn vorhandenen frau, die sie mit einem gewissen Coirpri
begieng. unter der fiann Finns befindet sich Lomna Drüth,
er ist der warner gegenüber Finn, und durch Coirpre wird
ihm dafür der köpf abgeschlagen (Sanas Cormaic s. 34)1
auch der zug, dass das abgeschlagene hau pt später redet,
hat sein vorbild in dem alten text: als mac Cecht zurückkehrte
und über Conaires rümpf und nacken wasser sprengte, da sagte
Conaires abgeschlagener köpf noch 'ein guter mann ist
mac Cecht, ein trefflicher mann mac Cecht, er bringt trunk,
rettet den könig' LU 98a, 34 ff. ich denke, dieses beispiel, bei
dem auch nicht der geringste zweifei über die priorität von Togail
bruidne Da Derga und die abhängigkeit der Finnerzählung auf-
tauchen kann, ist lehrreich für die art, wie die tatsächlichen
zustände des 9 und lOjhs. ins 3 jh. verlegt und die flicken eines
alten sagentextes im 10 jh.1 in Munster und Leinster neu ver-
wendet wurden, so kann denn auch in dem s. 25 ff besprochenen
text LL 294% 24 — 308b ende die (LL 297a, 15 — 35) gegebene
Schilderung von dem heranziehen der einzelnen führer mit ihren
fiann ihr litterarisches vorbild gehabt haben in der Täin bö
Cüalnge LL 94a, 35 — 95a, 2, wo der könig von Ulster, Conchobar,
ebenso vor dem kämpf mit den 'männern von Irland' (hier Irland
aufser Ulster) zu den clanhäuptlingen Ulsterlands botschaft schickt,
während das tatsächliche vorbild die vikingerzeit lieferte (vgl.
1 dass der artikel orc treith dem ältesten bestandteil des glossars an-
gehört, dafür spricht auch die prosaform der erzählung, wie wir s. 35 sahen.
KELTISCHE BEITRÄGE III 39
oben s. 30 anm.). dass die erzähluugen von dem hervorragend-
sten helden der allen sage Cuchuliun benutzt wurden, um die
figur des ins irische übersetzten und idealisierten vikingerhäupt-
lings auszustaffieren, lag nahe. Finn bekam seine Jugendgeschichte
nach Cuchulinii. wie jener zuerst Setanta hiefs und in folge
einer berühmten tat den in der sage bekannten namen Cuchulinn
erhielt, so hiefs Fiuu ursprünglich Demne (LU42b, 11), wofür
er später den namen Finn erhielt (LU 42b, 21). ebenso wurden
nach vorbild der knabentaten Cuchulinns, wie sie in Täin bö
Cäalnge (LU 59a, 6 ff) berichtet werden , von Finn allerlei knaben-
taten erzählt, wofür das älteste zeugnis in den versen des Gilla
in chomded, eines dichters aus dem anfang des 12 jhs., vorliegt
(LL 144b, 40 ff), in demselben gedieht (LL 145a, 13 ff) haben
wir auch, wie Kuno Meyer, Cath Finnträga s. x sah, ein zeugnis
des 12 jhs., wie ein anderer zug der alten heldensage (LL 125b, 42)
auf einen genossen Finns, den Cailte, ganz deutlich über-
tragen ist. —
In der zweiten periode der entwickelung der Finnsage
von der mitte des 12 bis zum 15 jh., in der die nur mehr in
der erinnerung verzerrt lebenden zustände des vikingerzeitalters
die oben s. 32 schon besprochene Umgestaltung der älteren Finn-
sage bewürken — die verwandeluug des nach nordischen jarlen
und den fiandr gestalteten Finn und seiner fiann in einen kämpfer
gegen die nordischen eindringlinge, allerdings mit natürlicher
zurückschiebung in die zeit Finns — , in dieser zeit würkt die
alte nordirische heldensage auf die gemeinirisch gewordene oder
werdende Finnsage mit unverminderter kraft fort, äufserlich
macht sich dies, wie ich schon Güttinger gel. anz. 1887 s. 187 ff
ausgeführt habe, dadurch kenntlich, dass die abschriften der
texte der alten heldensage seltener werden und in dem mafse
die gedichte und episoden aus der Finnsage zunehmen, bis in
mehreren grofsen sammelhss. des 15 jhs. (Laud 610, Rawl. B 487,
Book of Lismore) die Finnsagentexte fast allein das fehl beher-
schen. dies beruht nicht zum geringsten teil darauf, dass wesent-
liche sagenzüge der alten heldensage nach und nach in der Finnsage
aulgiengen und hier in erneuerter, den auschauungeu
der Iren des 13 — 15 jhs. näher stehender form
dargebracht wurden, so wird die ausgestaltung der fiann zu
einem stehenden nationalheer zum schütze Irlands, die ja in der
40 KELTISCHE BEITRAGE III
zweiten periode vor sich gegangen sein muss, ihr vorbild wesent-
lich aus der alten heldensage genommen haben, wurde in der
ersten periode namentlich Cuchulinn beraubt, um Finn auszu-
statten, so ist es in der zweiten periode mehr der mächtige
Ulsterherscher Conchobar, Cuchulinns ohm und lehusherr. zur
zeit Conchobars galt für eine reihe von jähren das wort 'feinde
ringsum' für Ulster; einen teil seiner besten kräfte hatte es in
folge innerer zwistigkeiten verloren und diese lebten als ver-
bannte am hofe des Conchobar feindlichen herscherpares von Con-
nacht, Medb und Ailill. diese brachten ein bündnis mit Meath
und Leinster und hervorragenden Munsterhäuptlingen zu stände
zu einem grofsen kriegszug all -Irlands gegen Conchobar und
Ulsterland, es wurde dies der berühmte plünderungszug, von
dem der umfangreichste fürs 7 jh. bezeugte text der alten
heldensage Täin bö Cüalnge seinen namen hat. für Ulster-
land und Conchobar galt es in diesen Zeiten wachsam zu
sein, und so erfahren wir denn auch, dass die grofsen heer-
strafsen nach Meath und Counacht von hervorragenden einzel-
neren bewacht wurden (LU 61b, 27 ff. 57\ 30 ff; LL 65%
44 ff. 58a, 23 ff), die beim herannahen feindlicher scharen stand
hielten, bis hilfe aus dem der gränze nicht allzu fern liegenden
Emain kam.
Diese Schilderungen und anschauungen der alten nord-
irischen heldensage , die zustände Irlands vor seiner berührung
mit der aufsenwelt widerspiegeln, denke man sich einwürkend
auf die phantasie der Iren im 12 — 14 jh. seit 800 jähren, nicht
zum wenigsten durch einfübrung des Christentums, hatte sich
der horizont der Iren theoretisch und practisch ungeheuer er-
weitert: Iren waren seit dem 6 jh. überall im abendland zu finden
und auf Irlands boden hatten schon ein jh. nach dem grofsen
Sachseneinfall (683) germanische Nordläuder(l\orweger und Dänen)
sich durch 300 jähre Stelldichein gegeben, an stelle des pro-
vinzialbegriffs (Ulster, Munster usw.) war mit dem erweiterten
gesichtskreis der begriff Irland getreten, lag es nicht nahe, in
der zeit der umwandelung des nach nordischen jarlen und den
fiandr gestalteten Finn und seiner fiann in kämpfer gegen fremde,
speciell nordische eindringlinge, die erwähnten alten sagenzüge
im sinne des erweiterten horizonts zu verwenden? Ulsterlaud
wurde zu Irland, Finn und die fiann nach Conchobar und den
KELTISCHE BEITRÄGE III 41
clanhäuptlingen der Ulstersage umgestaltet, so weit dies möglich
war. wie Conchobar in Emain seine residenz hat, so sitzt Finn
für gewöhnlich zu Almu in Leinster; die clanhäuptlinge Ulster-
lands, die auf ihrem erbe sitzen und bei ausbrechendem kriege
mit ihren contingenten aufgeboten werden, sind fiann- iührer in
verschiedenen teilen Irlands; die gränzwächter an den haupt-
strafsen von Ulster nach Meath und Conuacht werden zu wacht-
habenden fiann -führern an den haupthäfen Irlands, ein punct
bot bei dieser Übertragung Schwierigkeiten, er ist daher lehrreich
und beweisend für die richtigkeit meiner auffassung. Con-
chobar ist Ulsterkönig und feldherr in einerperson,
wie dies irischen Verhältnissen in historischer und vorhistorischer
zeit entspricht: wo in den grofsen entscheidungsschlachten die
Schlachtordnung der Ulsterleute zu wanken beginnt, da erscheint
er im vordersten treffen, diese Übertragung auf Finn war im
12 — 15 jh. noch unmöglich in Irland, dazu waren Cormac
mac Airt, Cairpre Lifeochair in der sage . zu berühmte ober-
herscher Irlands, dazu standen die oberherscher Irlands durch
die zahlreichen annalistischen und synchronistischen arbeiten in
prosa und versen vom 10 jh. an für die zeit von Christi geburt
ab zu fest, konnten diese herscher selbst durch die sage nicht
verdrängt werden, so wurden sie wenigstens degradiert, in dem
mafse als Finn in die rolle des oberfeldherrn Conchobar hinein
wächst, also oberfeldherr Irlands wird, in dem grade wird die
andere seite Couchobars, wenn ich so sagen darf, die irischen
oberkönige zur zeit Finns, bedeutungslos, der Cormac der
Finnsage des 15 jhs., wie wir ihn s. 2 kennen lernten, ist ein
schattenkönig: ein derartiges Merowingertum hat nie in Irland
bestanden, von Cormac mac Airt haben wir ja gerade in LU
und LL zahlreiche und umfangreiche alte texte (s. oben s. 8),
die ihn uns als tapferen feldherrn und persönlichen sieger in
zahlreichen schlachten gegen Ulster und Munster schildern. Cor-
mac mac Airt ist in der Finusage des 15 jhs. ebenso eine degra-
dierung des Cormac der älteren sage, wie der Artus der franzö-
sischen romane eine degradierung des Arthur der britannischen
heldensage bei Nennius und in der welschen erzählung Kilhwch
und Olwen. ob bei diesem sich gegenseitig bedingenden auf-
und absteigen Finns und Cormacs die kenntnis der Artusromane,
die im 14 — 15 jh. für Irlaud oachweisbar ist, wie wir sehen
42 KELTISCHE BEITRÄGE III
werden, nicht auf die Umgestaltung Cormacs mit eiugewürkt hat,
verdient erwägung.
Eine weitere einwürkung der erzählungen aus der alten
nordirischen heldensage auf die gestaltung der Finnsage vom
13 — 15jh. ist formaler art. an stelle der kurzen episoden-
artigen erzählungen, wie sie die Finnsage in der älteren periode
bis zur mitte des 12 jhs. kennt und zwar vereinzelt in prosa,
in grösserer zahl in der form des germanischen heldenliedes (vgl.
s. 32 ff), erscheinen in den hss. des 14— 15 jhs. umfangreichere
compositionen: teils sind sie eioheitlicherer natur als ausführung
einer art grundidee (Cath Finnträga) , teils rahmenerzählung,
worin nur die kurzen, in sich selbständigen erzählungen ihr
unterkommen gefunden haben (Accallam na senörach). diese texte
sind in doppelter hinsieht von den texten der alten nordirischen
heldensage beeinflusst. ihrer äufseren form nach sind sie prosa-
erzählungen wie die alten texte und zwar sind die episoden
der genannten grofsen rahmenerzählung vielfach aufgelöste lieder,
die in sich selbständig waren , wie die lieder des 12 jhs., und
sehr oft direct auf die prosaerzählung folgen, es tut sich hierin
eine bemerkenswerte künstlerische Unfähigkeit der Iren kund:
sobald sie den versuch machen, vom einzelnen heldenlied zu
einem grösseren epischen ganzen überzugehen , verfallen sie wider
in die einheimische form der prosaerzählung der älteren helden-
sage.1 diese nachahmung der kunstform der alten heldensage ist
1 sehen wir von diesen gröfseren prosatexten des 14— 15 jhs. ab, die
auch heutiges tages noch in Irland bekannt sind, so ist die form der Finn-
(Ossian-)sage in Irland und Schottland bis zur stunde, wie im 12 jh., das
germanische heldenlied. eine grofse anzahl solcher lieder (poems), die noch
heute in Irland bekannt sind, führt O'Grady, Ossianic society m s. 17 ff
auf. Macpherson machte wider im vorigen Jahrhundert den versuch, von
dem liede zum gröfseren epischen ganzen überzugehen mit beibehaltung der
gebundenen rede, die art Verachtung, mit der man noch jetzt vielfach auf
Macphersons arbeit herabschaut, ist völlig unangebracht, die Ossiansage des
15 jhs. ist schon ein solches conglomerat von älteren irischen, germanischen,
classischen, allgemein mittelalterlichen sagenerinnerungen, dass nur dilet-
tanten und ignoranten sie als quelle für keltisches altertum verwenden
können, irgendwie belangreiche Verschiebungen mit dem material des 18 jhs.
hat Macpherson nicht vorgenommen , wenigstens sind sie alle im geiste der
sagenentwickelung. warum betrachtet man seine gedichte nicht vom rein
künstlerischen standpunet? die Schotten brauchen sich seiner nicht zu
schämen, die Iren haben im 18 und 19 jh. keinen dichter in einheimischer
zunge, der Macpherson an die seile zu setzen wäre.
KELTISCHE BEITRÄGE III 43
gewisser mafsen natürlich und nicht so schlimm, wie der andere
einfluss, der bei mehreren der genannten prosatexte des 14 bis
15 jhs. zu tage tritt: die idee und die composition sind
nachbildungen von texten, die sich mit der alten helden-
sage beschäftigen, ich will hier wenigstens an zwei texten Cath
Finnträga und Accallam na senörach dies kurz nachweisen (vgl.
Gott. gel. anz. 1887 s. 189 anm.). ich beginne mit letzterem.
LU 113a — 115b ist uns ein text Siaburcharpat Conculaind
'gespensterstreitwagen Cuchulinns' erhalten, der uns schon ver-
schiedentlich beschäftigte (Zs. 32,248 — 256 und oben s. 33 ff),
entstanden ist der text erst im vikiugerzeitalter, wie wir sahen;
die spräche besonders des poetischen teiles LU 114", 37 — 115a, 27
ist die des 10 jhs. ; zwischen der ursprünglichen niederschrift
und LU müssen wir aus verschiedenen gründen mindestens
eine Zwischenstufe ansetzen (Zs. 32,256 anm.): mitte des 10 jhs.
dürfen wir als abfassungszeit annehmen, hier wird nun erzählt,
dass Irlands oberkönig Loegaire auf Patricks drängen, endlich
an den christengott zu glauben, erwiderte nococretiubsa duitsiu
nach doDia ndcorodusce Coinculaind damsa fömladamla feib ad-
fiadar iscelaib conidnacur 7 conidnarladur armobelaib sund is
iarsain nocretiubsa duitsiu 'nicht werde ich dir glauben noch an
gott, bis du mir den Cuchulinn erweckst in der würde, wie er
geschildert wird in den sagenerzählungen, dass ich ihn sehe und
dass ich ihn hier vor mir anredete, und dann werde ich dir
glauben' (LU 113a, 4 ff). Loegaires wünsch geht in erfüllung: auf
dem wall von Tara sieht er Cuchulinn auf seinem Streitwagen
mit dem wagenlenker Laeg, erklärt aber dem Patrick, er werde
nicht glauben, bis er Cuchulinn länger gesprochen, nun er-
scheint Cuchulinn aufs neue in kriegerischer pracht: Loegaire
und Cuchulinn unterhalten sich längere zeit über Cuchulinn und
seine zeit, und zum schluss gibt Cuchulinn in form eines liedes
einen abriss seiner taten (LU 114a, 37 ff). — der text des 14 bis
15 jhs. der Finnsage Accallam na senorach1 erzählt, dass die beiden
beiden Ossian und Cailte mac Ronain mit zweimal 9 begleitern
allein von der fiann übrig blieben und altersgrau bis zur zeit
Patricks (schlacht von Gabra 283, Patricks ankunft in Irland 431)
lebten, sie treuen mit ihm zusammen, ziehen mit ihm in Irland
umher und jeder hügel, jeder wald und jeder wasserlall gibt
1 vgl. hierüber Götl. gel. anzeigen 1887 s. 157 II. 192 fT.
44 KELTISCHE BEITRÄGE III
ihnen gelegenheit, von den taten und abenteuern Finns und
seiner fiann zu erzählen, ist nun die idee, die neiden Ossian
und Cailte mit Patrick im leben zusammenzubringen, wo-
durch der rahmen für eine Sammlung von episoden der Finn-
sage gegeben wurde, nicht eine offenbare vergröberung der
älteren erzählung, wonach Cuchulinn dem Patrick leib-
haftig auf seinem Streitwagen erscheint und seine und seiner
genossen taten berichtet? die Übertragung und vergröberung
geht noch ins 12 jh. zurück, wie aus LL 208a, 26 erhellt1; die
rahmenerzählung selbst ist als ganzes wol kaum älter als das
14 jh. einzelne prosaepisoden sind uns als heldenlieder in LL
erhalten.
Viel interessanter ist noch Cath Finnträga im Verhältnis zu
dem vorbild aus der alten heldensage Täin bö Cüalnge, weil
die nachahmung der compositiou auch manche
einzelepisoden mit herübernahm, in dem umfangreich-
sten texte2 der alten sage, der Täin bö Cüalnge, lassen sich
drei grofse abschnitte machen: 1) das heranziehen des mächtigen
heeres und überschreiten der gränze Ulsterlands nebst plünderungs-
zug bis Cüalnge; 2) Cuchulinns versuche, von 'montag vorsommer-
ende bis mittwoch nach frühlingsanfang' (LL 76% 47) das in-
vasionsheer durch überfalle zu hindern, dass es nicht mit der
beute abzog, sondern stand hielt, bis die macht Ulsterlands
herankam; 3) Sammlung der Ulstermacht und entscheidungskampf.
von diesen 3 teilen der Täin bö Cüalnge ist es wesentlich
der zweite, der dem Urheber von Cath Finnträga zum vorbild
diente, vor allem muss die erweiterung des gesichtskreises, die
wir schon s. 40 ff als wichtigen factor bei der Übertragung der
alten heldensage auf die Finnsage kennen lernten, mit in be-
tracht gezogen werden. Ulsterland wird zu Irland, wie in der
Täin all -Irland gegen Ulsterlaud zieht, so hier die ganze weit
1 wir werden im verlauf sehen , wie erinnerung an tatsächliche Vor-
kommnisse des 9jhs., verbunden mit Vorstellungen, die am ende des 10 jhs.
aufkamen, zusammenwürkten.
2 eine eingehendere inhaltsangabe des textes nach LU und LL habe
ich Zs. f. vgl. sprachforsch. 28, 442— 475 gegeben. Cath Finnträga ist nach
Rawl. B 487 mit Übersetzung ediert von Kuno Meyer, Oxford 1885. mir
steht eine unabhängige ältere abschrift von Rawl. zu geböte nebst collation
mehrerer jüngerer hss. ich ciliere im folgenden nach Meyers ausgäbe seite
und fortlaufende Zeilenzählung.
KELTISCHE BEITRÄGE III 45
gegen Irland; wie Cuchulinn in zahlreichen kämpfen au der fürt
das mächtige heer Irlands beschäftigt, so werden hier die scharen
des königs der weit am strande in zahlreichen kämpfen auf
1 jähr und 1 tag beschäftigt und besiegt, hierzu kommen nun
die vielen einzelzüge, die aus der Täin bö Cüalnge stammen,
von denen ich nur die wichtigeren hervorheben will.
Cath Finnträga 7, 111 ff. 120 ff. wie hier dämonen um
Conncrithir schwirren, heulen und den feinden schrecken einjagen,
so um Cuchulinn ganz gewöhnlich LL 77b, 15 ff = LU 79b, 17 ff;
LL 76a, 11 = LU 77b, 34; LL 82b, 47 ff. 86b, 47 ff.
Cath F. 8, 141 ff. 9, 155. Conncrithir und Glas mac Dreamain
sind nahe verwandt, ja briider (9, 155), wie Cuchulinn und Fer Diad
blutbrüder sind (LL 81a, 20 — 88 ende), der irische flüchtling im
heere des königs der weit, Glas, geht ebenso zu Verhandlungen
mit Conncrithir hin und her wie in der Täin die Ulsterflücht-
linge Lugaid mac Nois und Fergus zwischen dem heer des Ailill
und Cuchulinn LU 67b, 21 ff. 70b, 33 ff. 72b, 16 ff. 68a, 41 ff = LL
71% 37 ff usw.
Cath F. 10, 172 ff. Conncrithir wird in der nacht von seinen
wunden geheilt wie Cuchulinn LL 84b, 30 — 85a ende (vgl.
89a, 1 ff).
Cath F. 11, 186 ff. Taistellach wird von Conncrithir ge-
schickt, um Finn und die fiann zu benachrichtigen, wie Sualtam
von Cuchulinn geschickt wird zur benachrichtigung Conchobars
und der Ulsterleute LU 57% 38 ff = LL 58% 32 ff.
Cath F. 13, 229 ff ziehen die Tuatha De Danand, 'eine schar
von männern Irlands', die nicht mehr auf der erde leben , sondern
sich in die hügel zurückgezogen haben (16, 277), ebenso zur
hilfe gegen das heer des königs der weit, wie in der Täin bö
Cüalnge die alten, die in ihrer ausrüstung schon eine ver-
gangene zeit repräsentieren, gegen die männer Irlands dem
Cuchulinn zur hilfe eilen (LL 91% 46 ff; 92% 45 ff; vgl. Zs. 32, 275
s. v. clap).
Cath F. 19, 345 ff. Oissin und der söhn des Garb geraten
beim kämpf vom Strand in das wasser und kämpfen dort ganz
wie Cuchulinn mit Luch in der fürt im wasser kämpft LU 76'',
1 — 77% 26; ebenso fechten Cuchulinn und Fer Diad den ent-
scheidungskampf im wasser in der fürt aus LL S6\ 41 IV.
Cath F. 20, 350 11'. in diesem kämpf schien Oissin unter-
46 KELTISCHE BEITRÄGE III
liegen zu sollen; da trat Fergus Finnbel in die nähe, um den
Oissln durch lobende und tadelnde worte anzufeuern, ganz so
in dem vorbild dieser episode in der Täin: LU 76b, 20 ff reizt
Bricriu den Cuchulinn, als er dem Loch zu unterliegen schien,
und LL 86b, 18 ff Loeg den Cuchulinn, als Fer Diad die Ober-
hand zu behalten schien, diese art, durch tadelnde worte den
gesunkenen mut des kämpfenden zu heben, durch lobende noch
mehr anzufeuern , kommt noch Cath F. 35, 635 ff. 38, 687 ff.
41,734ff. 43,780ff. 46, 840 ff vor und ist in der Täin und
anderen texten der alten heldensage ganz ebenso
gebräuchlich: LU 82b, 40. 105b, 9. 109% 19; LL108b,44ff.
257b, 38 (vgl. Zs. 32, 214 mit anm. 6).
Cath F. 21, 372 ff. Dolar Durba legt kampfgewand ab, fest-
gewand an, um die feinde zu höhnen, ganz wie Cuchulinn nach
der grofsen niederlage , die er dem feinde beigebracht, sein fest-
kleid (dillat oenaig 'marktrock') anzieht und sich den feinden
zeigt LU 81\ lff=LL 78b, 22 IT). Dolar Durba führt dabei im
angesicht des feindes bravourstiicke aus (Cath F. 21, 373 ff) wie
Cuchulinn (LU 81\ 37 = LL 79a, 10).
Cath F. 22, 400 ff. der 13jährige söhn des Ulsterkönigs
mit seinen Spielgefährten zieht zur hilfe an den Strand, ebenso
wie Folloman, der söhn Conchobars, mit den Ulsterknappen dem
Cuchulinn an die fürt zur hilfe kommt (LU 78b, 2—13 = LL 76b,
6—19. LU 71b, 40 — 72a,14).
CathF. 29, 518 ff. Fergus Finnbel geht ungeschickt,
um hilfe von Tara in der not zu holen, wie Sualtam ungeschickt
nach Emain zu gleichem zweck stürmt (LL 93\ 31 — 94a, 24).
Cath F. 67, 313 ff. 47, 858 ff. 49, 890 ff. Daire, der könig
der weit, ist unverwundbar, sein körper besteht aus einem
brett (aonchlär) und nicht rötet sich die waffe an ihm. so be-
steht FerDiad aus hornhaut (conganchness), 'ihr ist nicht gewachsen
schlacht noch kämpf, ihn fasst nicht Speerspitze, ihn schneidet
nicht scharfe waffe' (LL 81% 31; 82% 24. 25. 28— 30.35; 84% 14
vgl. Zs. 32,291—303).
Cath F. 67, 317 ff. 32, 575 ff. 48, 875 ff. trotzdem wird Daire
von Finn tödlich getroffen, wie Fer Diad durch Cuchulinn; der
entscheidungskampf Cath F. 48, 890 ff hat die auffallendste ähn-
lichkeit mit dem Cuchulinns gegen Fer Diad (LL 87% 15 — 36)
und die waffe, die Finn anwendet, mit dem gae bulga Cuchu-
KELTISCHE BEITRAGE III 47
linns. in der Täin bleibt es in folge der unvollständigen assi-
milierung der germ. sage etwas dunkel, wie Fer Diad trotz der
hornhaut konnte getütet werden (s. Zs. 32, 295—301). in Cath F.
ist dies damit motiviert, dass die waffe Fiaus von Vulcan, dem
schmied der hölle, gefertigt ist und aus dem lande der 'weifsen
männer' (dem feen lande) stammt, alte irische sagenelemente
und classische reminiscenzen sind in dieser motivierung vermischt:
LU 77b, 39 ff — LL 76% 18 ff kommt ein krieger aus dem feen-
lande Cuchulinn zur hilfe (vgl. Zs. f. vgl. sprachforsch. 28, 533 ff),
und nach LU 79b, 20 ff = LL 77b, 19 ff legt Cuchulinn 'das ge-
wand der unsichtbarmachung' über seine rüstung 'vom kleider-
stoff des landes der verheifsung, welches gegeben war vom pflege-
vater der druidenkunst' (LU 79b, 20 — 22), 'welches gegeben
worden von Manandän mac Lir, von dem könig des landes des
lichtglanzes' (LL 77b, 19—22). ri tlre na Sorcha, 'konig des landes
des lichtglanzes', ist ri tlre na bhfear bhfionn, 'könig des landes
der weifsen männer' Cath F. 67, 310. 327 ff.
Cath F. 49, 890 — 900. nicht nur der entscheidungskampf
zwischen Donn und Finn wird ganz wie der gleiche zwischen Fer
Diad und Cuchulinn geschildert, auch der ausgang: Donn erhält
den tödlichen streich und Finn selbst fiel in ohnmacht und be-
wustlosigkeit (dothuit Finn fein a taisibh 7 taimnellaibh Cath F.
49,899); so fällt auf Cuchulinn bewustlosigkeit und ohnmacht
am haupte Fer Diads (darochair nel 7 tamtassi bar Coinculaind
LL 87\ 1. 2). sogar die worte sind identisch.
Dies sind nur die sofort in die äugen springenden be-
ziehungen des textes aus dem 14 — 15 jh., der auch seiner spräche
nach nicht älter sein kann, zum alten text Täin bd Cüalnge,
der aus dem 11 — 12 jh. überliefert ist und nach seiner ersten
aufzeichnung, in der natürlich die nordgerm. eiuflüsse fehlten,
ins 7 — 8 jh. zurückgeht, von dem und vielem anderen hat
Kuno Meyer in seiner ausgäbe von Cath F. nichts gesehen,
obwol er nach dem index verborum die Täin gelesen hat!
IV. die übrigen alten sagen texte lieferten vom 12 bis
15 jh. ein weiteres dement zur ausbildung der Finnsage, neben
der alten nordirischen heldensage gab es vor und im beginn der
vikingerzeit noch eine ganze reihe von sagentexten, die man
einem mythologischen cyclus mit niolir oder weniger recht zu-
rechnet, die alten gölter waren euhemerisiert, man dachte sie
48 KELTISCHE BEITRÄGE III
als frühere bewohner Irlands, die sich vor den Iren in die
grofsen grabhügel aus heidnischer zeit zurückgezogen hatten,
hier führten sie ein teils friedliches, teils kriegerisches leben, wie
es auf der erde vorkam, und traten auch vielfach in berührung
mit den menschen, manches aus diesen alten erzählungen hat
unzweifelhaft mythologischen hintergrund, vieles ist aus der
einmal angenommenen Situation gefolgert, daneben liefen in
älterer zeit andere texte, die sich mit den heidnischen Vorstel-
lungen der Iren von den 'inseln der lebenden' im fernen ocean
beschäftigten, ein schwanken und ineinanderfliefsen der er-
zählungen von den Tuatha De Danand (side) und den bewohnern
der inseln der seligen lässt sich schon in den ältesten in LU
erhaltenen texten beobachten, die ihrer spräche nach ebenso
alt sein müssen wie die ältesten texte der alten nordirischen
heldensage; und im weiteren verlauf fliefsen die verschiedenen
Vorstellungen mehr und mehr in einander über (s. Zs. 33,
274 — 280). die vikinger -fiandr, die das vorbild zu Finn und
seiner fiann abgegeben hatten, waren offenbar stark hinter den
schönen irischen frauen hergewesen (Cogadh Gaedhel s. 42),
und so haben wir denn auch gesehen, dass in der vermutlich
ältesten erzäblung von Finn und seiner fiann ausdrücklich be-
zeugt wird 'jeder berg und jeder wald, den Finn mit seiner
fiann besuchte, da fand sich eine bestimmte (vornehme) frau für
ihn und die frauen der landleute hatten es auszuhalten von den
fianna, denn ihre (der fianna) leute waren über das ganze land
zerstreut, dass niemand etwas gegen sie wagte' (Sanas Cormaic
s.v. orc treith, oben s. 37 ff), mit den wandelungen und der
entwickelung, welche die Finnsage in den Jahrhunderten durch-
machte, trat auch hier ein ganz natürlicher wandel ein: die be-
ziehungen der fiandr zu den schönen frauen Irlands wurden zu
beziehungen der fiann zu den schönen hügelbewohnerinnen, den
feen, und damit war die handhabe geboten, die älteren erzäh-
lungen von Tuatha De Danand, fürsten und frauen von den
inseln der seligen, in die Finnsage einzubeziehen. eine analyse
des textes Accallam na senörach würde nach der seite für die
Finnsage ebenso lehrreich sein, wie sich Cath Finnträga für die be-
ziehungen zur alten nordirischen heldensage erwiesen, eine solche
analyse würde aber, da der text unveröffentlicht ist, einen gröfseren
umfang einnehmen müssen , als ich an diesem ort beanspruchen
KELTISCHE BEITRÄGE III 49
kann, man wird mir zudem die richtigkeit nach den voran-
gegangenen erürterungen vvol auch so glauben.1 ich will nur aus
Cath F. ein beispiel anführen: Conncrithir, der Wächter der fiann
am weifsen Strand (Finnträig), ist mac Brain micFeabhail, 'söhn
des Bran mac Febail' (Cath F. 5,91), und er sendet Taistellach
zur bürg seines vaters Bran mac Febail, dass dieser die Tuatha
De Dauand aus ihren hiigelpalästen sammle (Cath F. 13, 224 ff),
in meinen Untersuchungen über die quellen der IS'avigatio Brendani
habe ich den sehr altertümlichen text, der von dem abenteuer
des Bran mac Febail auf den inseln der seligen handelt, aus-
führlich analysiert und besprochen (Zs. 33, 257 — 261): Bran
mac Febail hatte eine lange oceanfahrt nach den inseln der
seligen gemacht und mit seinen genossen viele jähre dort auf
einer der inseln, dem lande der fraueu (tlr namban) , zugebracht;
in folge des heimwehs eines genossen trenut er sich trotz den ab-
mahnungen der fürstiu von der insel und kehrt zurück; in Irland
erkennt man ihn nicht und vveifs nur aus alten geschienten von
seiner meerfahrt; nachdem Bran den mann ans land gesetzt hatte,
der sofort zu asche wird, als ob er viele 100 jähre in der erde
gelegen hätte, und nachdem er seine erlebnisse vom kahn aus
erzählt hatte, nimmt er abschied von den männern am Strand
und 'von seiuen weiteren erlebnisseu vveifs man
nichts' (7 nifessa aimthechla önduairsin), schliefst der alte text
(Lü 121% 25. Rawl. B 512 fol. 120b, 2). dass sie wider ins land
der frauen zurückgekehrt seien , ist ja nach dem gemeinsamen
character dieser erzählungen bei allen indogerm. volkern aus-
geschlossen und hier direct durch die worte der fürstin beim
scheiden Brans. diese combiuation hat also die jüugere sage
vorgenommen, und indem die weitere confusion der Vorstellungen
von den euhemerisierten göttern (Tuatha De Dauand) mit den
bewohnern der inseln der seligen hinzukam, wurde Bran mac
Febail zu einer art gutsuachbar der Tuatha De Dauand und sein
söhn trat in die fiann Irlands.
V. classische rem in iscenzen, biblische fabeln
1 als Bodb Derg in Cath F. einwände macht, Finn und der liann
Irlands zur liilfe zu ziehen, erwiderte üolb: 'rede nicht so, denn es gibt
keinen königssohn oder thronerlxu oder fiann-führer unter den fiunna Irlands,
dessen frau oder mutter oder pflegemutter oder liebelten nicht von den
Tuatha De Danann stamme' (Cath F. 14, 241 ff).
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII 4
50 KELTISCHE BEITRÄGE III
und die Stoffe der allgemein-mittelalterlichen lit-
ter a tu r lieferten ein weiteres element zu der ausbildung der
Finnsage von der mitte des 12 bis zum 15 jh. classische remi-
niscenzeu , vermischt mit biblischen (kirchlichen) anschauungeu,
sind schon teilweise in die alten sagentexte eingedrungen, wie
ich verschiedentlich gelegenheit hatte nachzuweisen (Zs. 32,332;
33, 325 ff; Gölt. gel. anz. 1890 s. 496 und anm.); je ferner Irlands
classische periode (600 — 900) rückte, um so mehr werden die
eingedrungenen sagenzüge einheimischem gute angeglichen worden
sein: vom 12 — 15 jh. sind die eindringlinge aus jener zeit inten-
siver berührung mit classischem altertum sicher für den Iren von
einheimischem gut nicht mehr zu unterscheiden gewesen, mit
dem 12 jh. beginnt nun in Irland jene intensive berührung mit
den allgemein-mittelalterlichen sagenstoffen, die wir in Frankreich,
Deutschland, England ebenso antreffen. Trojanersage und Alexan-
dersage werden durch verschiedene irische bearbeitungen in
form und geist der alten sagentexte vom 10 jh. ab in Irland
heimisch gemacht, die romane aus dem Arthursagenkreise und
andere texte (Gui de Wanvick, Bovon de Hanstone) folgten nach,
ich darf hier, um widerholungen zu vermeiden, auf meine Gott,
gel. anz. 1890 s. 500 — 510 gegebenen belege verweisen, auch diese
Stoffe haben, wie am letztgenannten orte gezeigt, in den um-
fassenden texten der Finnsage aus dem 14 — 15 jh. (Cath Finn-
träga und Accallam na senörach) schon ihren niederschlag in
episoden und motiven gefunden.
Dies ist im wesentlichen das material, in welches sich die
am ende der zweiten periode der entwickelung der Finnsage (von
mitte des 12 bis zum 15 jh.) auftauchenden umfassenden texte
der Finnsage bei historischer betrachtung zerlegen lassen, ich
glaube, wenn man die von mir nachgewiesene entstehung der
Fiunsage in der vikingerzeit im äuge behält, wenn mau beachtet,
dass wir von einer Finnsage vor der vikingerzeit nichts an-
nähernd sicheres wissen, wenn man die assimilierung von
sagenmaterial aller art von den ältesten Zeugnissen an (s. s. 37)
bis ins 14 — 15 jh., wie es in den erörterungen von s. 30 bis
hierher nachgewiesen ist, genügend in betracht zieht — dann
wird man mir zustimmen, dass wir gut daran tun, alles, was
in der Finnsage, besonders vom 12 jh. an, als assimilierung
und herübernahme von ihr fremdem sagenmaterial aufeefasst
KELTISCHE BEITRÄGE III 51
werden kann, auch unbedingt so aufzufassen, wir werden da-
durch gewis der Wahrheit viel näher kommen , als wenn wir
dinge in der jungen Finnsage, deren unursprünglichkeit in ihr
noch nicht strict bewiesen werden kann, als bestandteile einer
Finnsage vor der vikingerzeit fassen, das meiste, was in der
Finnsage des 15jhs. ursprünglich aussieht, erweist sich ja als
hinzugekommen, nicht zum wenigsten unursprünglich ist der
vermeintliche historische hintergrund. freilich, dilettanteu werden
dadurch die brauchbarsten bausteine für ihre luftschlosser ein-
büfsen, aber die Wissenschaft kann nur gewinnen.
Hiermit hoffe ich, die s. 4 aufgestellten Sätze bewiesen zu
haben, und die leser, die mir geduldig gefolgt sind, zur richtigen
Würdigung von Windischs vor den deutschen philologen getanem
ausspruch (aao. s. 31) 'erst etwa von 800 an werden die Nor-
mannen zu einer plage Irlands, aber damals war in Irland
die Finnsage längst ausgebildet' genügend vorbereitet
zu haben.1
1 die weitere entwickelung der Finnsage in Irland und Schottland liegt
aufser dem bereich dieser arbeit, wenige orientierende notizen mögen hier
anmerkungsweise folgen, die Finnsage hat, worauf ich meines wissens zu-
ersthinwies (Zs.32,233 anm.), ihren Ursprung in süd-Irland (Leinster-Munster),
wofür die anhaltspuncte im verlauf meiner Untersuchung hervorgetreten sind,
die zeit, welche sie entstehen sah, führte auch engere beziehungen zwischen
nord- und süd-Irland herbei (vgl. s. 36 ff), im 11 jh. war die sage in Ulster
bekannt: LU, in Clonmacnois nach hss. von Monasterboice , Druim Snechta,
Armagh oder vielmehr nach compilationen aus hss. von dort zusammen-
geschrieben, enthält die erzählung von der todesursache Cumalls und Finns
geburt (LU 41b, 42). in dieser hs. lesen wir auch die schon erwähnte an-
gäbe (s. s. 24 anm.), dass der im anfang des 7 jhs. gefallene Ulsterfürst
Mongan eine incarnation Finns sei (LU 133a, 25ff). dies weist darauf hin,
dass man in Ulster im 11 jh. den helden der Leinster. Munstersage gewisser
mafsen zu assimilieren suchte, indem man ihn mit einem Ulstersagenhelden
der historischen zeit identificierte. Ulster und die schottischen hoch-
lande stehen in jenen jhh. in den denkbar engsten beziehungen: in Antrim
sitzen zweige derselben häuptlingsfamilie, die wir in Argyle und den vor-
gelagerten schottischen inseln treffen; genaueste localkenntnis jener schot-
tischen gegenden bemerken wir in dem text der alten heldensage Tüin bö
Fräich, wie wir Zs. 32,256 — 263, besonders 261 ff, sahen, war die Finn-
sage in Ulster, so war sie auch auf den schottischen inseln und an der
Westküste, das älteste zeugnis für sie in Schottland ist wol bei Barbour
im Bruce in 67 — 70 (um 1375). die weiterentwickelung, die nun die Finn-
sage auf der ganzen linie seit dem 15 jh. genommen hat, besteht im wesent-
lichen in 2 puncten: 1) die allgemein mittelalterlichen sagenelemente (oben
4*
52 KELTISCHE BEITRÄGE III
Es bleibt mir noch übrig, einen scheinbar untergeordneten
punct zu erledigen, der aber sich als höchst wichtig und die
vorangegangene Untersuchung bestätigend herausstellen wird.
Im neuirischen schreibt man vielfach fian, feine mit einem n,
woher auch das engl. Fenian. dies lässt sich durch die Jahr-
hunderte zurück verfolgen : in Cath Finnträga schreibt die hs.
des 15 jhs. Rawl. B 487 regelmäfsig oder so gut wie regelmäfsig
fian, fiana, fianaib, feine, fein usw., während Egerton 149 fiann,
fianna, feinne hat. im Accallam na sendrach haben die hss. die
Schreibung mit einem n und mit mm und nd oft neben einander,
in dem s. 25 — 29 besprochenen text LL 296% 48 — 299\ 10
findet sich geschrieben fiann LL 296b, 44. 299a, 50, fianna
296b, 16, fennid 296b, 26. 46. 297a, 25. 26. 297b, 38. 298", 30,
fian 296b, 43. 49. 297b, 11. 20. 37. 298b, 26. 299% 47. die
Vereinfachung des aus nd regelmäfsig entstandenen mm ist begründet
in dem s. 12 hervorgehobenen lautlichen Verhältnis, dass auf
einen diphthongen (id) doppelconsonanz folgt: das doppel-M
kommt in fienn nicht zum gehör und noch weniger in feinne,
fennid, wo der nasal mouilliert war. nimmt man noch hinzu,
dass in solchen compositis wie fl anlach, flanchlär, fianbrat, fian-
fidchell (s. 20), fiangalach (LU 83b, 30), panruth (LL 216% 19)
auch die Schreibung mit einem n sich von selbst einstellte,
so ist begreiflich , wie auch in fian, feine phonetische Schreibung
eingang fand , neben der die historische mit mm immer bestehen
nrv) machen sich in erhöhtem mafse geltend. 2) nachdem die ältere helden-
sage und ihre hauptpersönlichkeiten in der früheren periode ausgeplündert
worden waren, um Finn und die fiann aufzuputzen, werden die zeitlichen
schranken zwischen den beiden Sagenkreisen niedergerissen und einzelne
figuren der alten sage in die Finnsage hineingezogen, hierin geht Schott-
land entschieden weiter als süd- Irland, und dies ist natürlich: denn in Ulster
war eben die alte Guchulinnsage heimisch, daher die Persönlichkeiten fester
gewurzelt, noch eine weitere besonderheit zeigt die entwickelung der sage
in Schottland: das nordische dement spielt eine stärkere rolle, wie schon
Windisch aao. s. 31 bemerkte, auch dies ist natürlich: hier safsen ja in
Argyle, Gaithness und auf den inseln die männer Lochlands noch jhh. länger
als in Munster: die Hebriden und südlichen inseln kommen erst 1266 unter
schottische herschaft und auf den Orkneys und Shettlandinseln dauert die
norwegische herschaft bis ende des 15 jhs. die heutige Ossiansage ist eine
allmählich gewordene Vermischung aus irischen sagenelementen aller art
mit allem dem, was mehr als 1000 jähre an Irlands ufer angespült haben:
richtiges material für dilettantenhafte sagenforscher.
KELTISCHE BEITRAGE III 53
blieb. Windisch hat in seinem Wörterbuch zu den irischen
texten die beiden stellen aus Serglige Conculaind (LU 45b, 8.
47% 31, s. s. 19) benutzt, um ein wort fian 'held' zu con-
struieren; dazu stellt er einige composita, wie flanbrat usw., führt
sie aber ein mit den Worten 'fian in composition means relating
to the Fenians, hence adapted for or belonging to hunting,
which was there chief employment and pastime O'Grady, Torr-
Dharm. p. 110.' nun, da ist doch klar, dass O'Grady nicht an
ein von geschriebenem flann verschiedenes fian denkt, denn er
gibt ja letzterem die bedeutung, die Windisch für flann reserviert,
die Unterscheidung ist haltlos: flann und fian ist, wie wir
sehen, in LL in demselben text geschrieben für das gefolge
Finns; fian ist in LL geschrieben, wo Windisch au Fenier denkt,
und fiann, wo 'held' gemeint ist.1 die bedeutung 'held' ist bei fiann
1 das älteste handschriftliche zeugnis für die Schreibung fian
mit einem n rindet sich im Book of Armagh fol. 13b. Patrick trifft in Dicuil
auf ein riesengrab von 120 fufs länge; als seine begleiter zweifei aus-
sprechen, dass ein mensch könne so larlg gewesen sein, erweckt Patrick
den toten riesen und erhält auf seine frage, wer er gewesen sei, die ant-
wort Ego su?/i macc maicc Cais maic Glais (dh. ßlius filii Cas filii
Glas), qui fui subulcus i'Ig Lugir rlg Hirotae (dh. regis Lugar regis
Hirotae); jugulavit 7/ie fian maicc Con (dh. miles mac Con) in
regno Coirpri Niothfer anno C. usque hodie. im Sanas Gormaic, wo sich
dieselbe erzählung findet, wird gesagt, dassGlass, söhn des Gass, dßanaib
maic Con, 'von den fiana des Mac Gon' ermordet wurde (s.v. ?nogfiei?ne).
schon die Verbindung von fian mit Hirota, irisch Hiruatk, der ältesten
irischen bezeichnung Norwegens und in den älteren sagentexten
mit fennid oft vorkommend (s. Zs. 32, 204 — 206), genügt zum beweis,
dass wir es mit einem sagenhaften vikinger zu tun haben, auch die
gröfse ist besonders characteristisch, wie ich aao. 216.234 gezeigt. — da-
gegen halte ich die aao. s. 231 im anschluss an die allgemeine ansieht ge-
machte angäbe, dass hier ein zeugnis aus dem jähre 807 vorliegt, nicht
mehr aufrecht, fest steht nur, dass Ferdomnach das neue testament bene
dietante Torbach (f 808) herede Patricii scripsit; aber kein anhält
liegt vor, dass der 845 erst gestorbene Ferdomnach auch die bunten notizen
über Patrick im jähre 807 oder vorher geschrieben habe, wir werden im
verlauf noch innere gründe kennen lernen, dass einzelne dieser notizen nicht
lange vor der mitte des 9jhs. können geschrieben sein, auch obige notiz
spricht eher dafür als für 807. nachdem Normannen 79t resp. 793 Eng-
lands küsten verheert, plünderten sie 794 (nach Ulslerannalen) die insel
Lambay an der Leinsterküste, 797 SPatricks islarid ebendaselbst und er-
schienen 806 in Sligo und Roscomon; 810 melden Llsterannalen sfraget
gentilium apud L'llu; 811 waren sie in Mayo und Munster und in der
folge allüberall in Irland, dass um 807 oder gar vorher in einer erzählung
54 KELTISCHE BEITRÄGE III
so natürlich wie bei ags. vrecca, deutsch recke, ir. ecland (s. s. 16
anm.). zudem steht fian ebeuso unerklärt und ohne heziehung
in den übrigen keltischen sprachen und im irischen da, wie
bisher fiann und seine sippe. das letztere nun wird Windisch
bestreiten, denn er verweist unter 'flan held' auf fene und sagt
daselbst 'fene einer der namen für die alte bevölkerung Irlands.'
der entscheidende beleg hierfür findet sich in dem Fiacc Sleibte
zugeschriebenen hymnus auf Patrick, dh. in dem versiflcierten
leben Patricks, woselbst es zeile 40 heifst:
Pridchais tri flehte bliadan croieh Crist do thuathaib Fene
'er predigte dreimal 20 jähre das kreuz Christi den heidnischen
scharen der Fene.' man sieht hier in Fene den gen. plur. eines
alten namens der Iren wie Scot. an eine beziehung zu den
flanna der Finnsage des 15 jhs. denkt Windisch nicht und hat
auch sonst niemand gedacht, in der tat, wer den sagentexten des
15 jhs. unbesehen glaubt, dass sie würkliche zustände des 2 und
3 jhs. zum Hintergrund haben, der muss ihnen auch glauben,
dass in der schlacht von Gabra die flanna bis auf Oskar und
Cailte nebst zweimal 9 mann vernichtet wurden, die convertierung
dieser wenigen leute, die nicht decrepit genug geschildert werden
können , kann doch auch in obiger langzeile nicht gemeint sein,
da sie nicht tuatha 'scharen' genannt wurden , und die dreimal
das naive erstaunen der Iren über die hünengräber dieser nordischen
riesen gestalten — das liegt doch in der erzählung — aufgetreten sei,
ist ganz unwahrscheinlich ; da musten doch wol 2 Jahrzehnte und mehr ins
land gehen, ehe man fabeln konnte, dass schon Patrick einen
solchen vikingerriesen aus seinem hünengrab erweckt
habe, um ihn zu taufen, wenn auch vikingerhorden sich sehr bald in den
dienst irischer herscher stellten, die sie in den kämpfen gegen stammes-
genossen verwendeten, vor 810 wird dies kaum vorgekommen sein, und
da muss doch auch einige zeit vergangen sein, ehe man sagenhaften her-
schern des 3 jhs. vikingersöldner andichtete, ich denke, der text weist
eher ins zweite viertel des 9jhs. als ins erste. — hinweisen will
ich noch darauf, dass die Vier meister für a.m. 4169, dh. 1023 jähre v.Chr.,
von einem könig der Fomöri namens Lugair wissen, der mit den Fomoiri
einen einfall in Meath machte, wenn man sich erinnert , was ich Zs. 32, 242 ff
über die sage des 10 und 11 jhs. ausgeführt habe, die die heidnischen
vikinger des 9 jhs. zu Fomöri machte, und wenn man im äuge behält, dass
Lugir könig von Hirota (Norwegen) ist in obiger stelle des Book of
Armagh, dann hat man wider einen fingerzeig, mit welchem material das
10 jh. die geschichte Irlands von der sintflut bis zur alten heldensage zum
teil ausfüllte.
KELTISCHE BEITRÄGE III 55
20 jähre wären lächerlich, hierzukommt, dass für die zeit, der
wir spätestens den hymnus oder diese Strophe zuschreiben
können, ende des 10 jhs. nach den resultaten meiner Unter-
suchung, die dann der laogzeile zu gründe liegende Vorstellung
schwerlich vorhanden war. kurz, an eine beziehung dieser
Strophe zu den fianna der Finnsage des 15 jhs. hat niemand
gedacht und eine solche ist ausgeschlossen.
Wenn also bei tuatha Fene in Fiaccs hymnus nicht an die
fiann der Finnsage des 14 — 15 jhs. gedacht werden kann, warum
sollen wir nicht au die fiann des 9 und 10 jhs. und ihr vor-
kommen in den texten der älteren sagen denken? die tuatha
fene wären 'heidnische scharen der vikinger', fene gen. sing, zu
flan und so verwendet wie in zwei schon angeführten (s. 22 ff)
Zeugnissen des 9 und 10 jhs. : 862 und 942 wird in den annaleu
Fir maige fene 'Fermoy der vikinger' erwähnt und diese be-
zeichnung wird, wie wir sehen, durch Lebor na cert mit seinem
Fir maige fian 'Fermoy der fiandr' (der vikinger) gestützt.1 man
schlage die bände ob solcher verwegenen ansieht nicht allzu sehr
überm köpf zusammen, aber Fene (mascul. jo- stamm) ist neben
Scot und Gaidel einer der drei alten namen der Iren: das
läugne ich eben, trotzdem es auch in Gramm, celt. s. vm anm.
steht, und werde beweisen, dass es kein alter name der Iren
ist, sondern durch fabulierende Iren des 11 — 13 jhs. aus obiger
stelle von Fiaccs hymnus gefolgert ist. aber Patrick hat doch
den vikingern nicht gepredigt! fällt mir auch gar nicht ein zu
glauben oder zu behaupten , aber darauf kommt es nicht an,
sondern was man im lOjh. in Irland glaubte und wie
man dazu kam. tatsachen vergangener Jahrhunderte dürfen
wir nicht erwarten, sondern ansc hauungen des Zeitalters der
entstehung des litterarischen produetes über die vergangene zeit,
und da hat man im 10 jh. unzweifelhaft in Irland den
glauben verbreitet und gehabt, dass Patrick den
vikingern das Christentum gepredigt habe, ich lasse
zuerst zwei irische texte aus der zeit reden.
LU 117b, 20— HSb, 44 haben wir den text Comthoth Lr.egairi
1 die möglichkeit, fSne der form nach auch noch anders denn als
gen. sing, zu fian 'vikingerschar' zu erklären, werden wir im verlauf kennen
lernen, sie könnte die oben entwickelte ansieht über tuatha FSne nur
stützen.
56 KELTISCHE BEITRÄGE III
cocretim, 'bekehrung des Loegaire zum Christenglauben', heraus-
gegeben und übersetzt von Plummer Revue cell, vi 162 — 172.
hier wird erzählt: als durch Patricks mächtige predigt und wunder
Loegaire, Irlands oberkönig, endlich zum Christentum bekehrt
war, da berief er die clanfürsten Irlands nach Tara zu einer be-
ratung, wie man die alten institutionen gemäfs den anforderungen
des neuen glaubens umgestalten müsse, auch Patrick war ein-
geladen, in einer Vorbesprechung am tage vor Patricks ankunft
war man einstimmig der meinung, dass dasjenige, was von der
lehre des Christentums irischem brauch und irischem recht am
meisten widerspreche, sei cain dilguda 'das gebot der Ver-
gebung', und man war der ansieht, dass die stricte einführung
eines solchen gesetzes völlige anarchie in Irland herbeiführen
würde: 'denn sobald jedermann dessen gewis sein wird, dass er
für alles böse, was er tun wird, Vergebung haben wird, dann
wird man keine macht mehr haben über den räuber, und jeder
mann wird den anderen töten, denn er hat keine furcht vor
widerVergeltung.' man einigte sich nun auf ein exemplum ad
hominem, dh. man wollte probieren, wie Patrick das von ihm
gepredigte gebot der Vergebung verstehe, und beschloss, dass ein
dazu bestimmter Ire — Nuada der rote, Loegaires pflegesohn, soll
es gewesen sein — den wagenlenker Patricks töten solle bei
Patricks ankunft. so geschah es am nächsten tag. Patrick
blickte starr vor schrecken um hilfe nach dem himmel. alsbald
wackelte ganz Irland von einem heftigen erdbeben und die in
Tara versammelten clanhäuptlinge fielen vor furcht und schrecken
auf die erde und baten Patrick um die Verzeihung , die er predige.
Patrick gewährte sie und erklärte das gebot von der Verzeihung,
wie es zu verstehen sei: der schuldige solle büfsen und nur
seiner seele solle verziehen werden, dann wurde eine neuner-
commission eingesetzt, um recht und gesetz zu ordnen. 3 mann
der kirche (Patrick, Benen und Cairnech), 3 mann für die kröne
(Lugaire, der oberkönig, und die beiden mächtigsten teilkönige
von Ulster und Munster) und endlich 3 Vertreter der noch nicht
repräsentierten: Dubthach maccu Lugair (er war ober -file Irlands
bei Patricks ankunft), Fergus der dichter (fili) und Rus mac
Tricim sui berla feni 'Rus, söhn des Tricem1, ein kun-
1 Tricem ist nach irischer Orthographie des 9 — 11 jhs. wider-
gabe eines phonetischen trigv und Rus mac Tricim ist Rus Tryggva-
KELTISCHE BEITRÄGE III 57
diger der vikingersprache (berla feni) LU 118b, I. diese
neuner- cominission ordnete nun die Privilegien: glocke und
psalm der kirche; geiselu den königen; drei geziemende worte
den dichtem (doßledaib) ; aithgabnil donafennethaib 'pfand1
(Pfandrecht, privileg der heschlagnahme) den uiitgliedern
der fiann' dh. den vikingern.
Mit diesen klaren angaben hat man bis jetzt nichts ver-
nünftiges anzufangen gewust. Plummer übersetzt sui berla feni
'learned in the fenian tongue' und macht dazu die anmerkung
(aao. s. 170) 'the fenian tongue supposed to he the language in
which the most ancient laws were couched'; er schliefst sich
also den fabeleien der Iren des 12 — 14 jhs. an, die von den
zuständen Irlands im 9 — 1 1 jh. keine ahnung hatten und die
texte jener zeit nicht verstanden, die darauf folgende notiz
aithgabäü donafennethaib übersetzt Plummer 'right of distraint
to the warriors'. das scheint mir klar: neben 3 Vertretern
des altars, 3 der kröne und 2 der gelehrten stände ist in der
commission ein sui berla feni, 'kundiger der spräche
der fiann7, und neben altar, kröne, gelehrten ständen erhalten
Privilegien die fennida. der sw* berla feni ist also der Vertreter
der fennida, der angehörigen der fiann, der vikinger. das
entspricht ja ganz den irischen zuständen des 9 bis
11 jhs. der parallelismus in unserem text ist schlagend, ich
führe noch den zweiten text an, ehe ich die weiteren consequenzen
ziehe und die nötigen erläuterungen aus den tatsächlichen zu-
ständen gebe.
In dem so wichtigen und schon des öfteren (s. L0 ff. 23 ff)
herangezogenen Lebor na cert findet sich , nachdem die Privi-
legien des königs von Leiuster abgehandelt sind, ein anhang
über die zurzeit der abfassung des werks2 in Dublin sitzen-
sonr. m und b dienen schon in den glossenhss. zur widergabe des fremden
v, w, weil sie zwischen vocalen im irischen so gesprochen wurden, und
zahlreiche Zeugnisse der Verwendung der tenuis für reine, nicht-aspirierte
media in der schrift habe ich Zs. f. vgl. sprachforsch. 27,449—468. 28,374 ff
(vgl. diese Zs. 32, 27U s. v. röt) gesammelt.
1 s. LL288«,46. 294a, 19. 114", 38 zur bedeutung von ailhgahnil.
2 unter den Verpflichtungen des königs von Leinster werden an erster
stelle diejenigen an die vikinger von Dublin und in der gegend von
Wicklow aufgeführt (O'Donovan s. 206. Book of Ballymote 27S1', 21 ll'l,
ebenso unter den einkünften diejenigen von den vikingern von Dublin und
58 KELTISCHE BEITRÄGE III
den vikinger. die Überschrift lautet (O'Donovan s. 224. Book
of Ballymote 279b, 9 ff) Benen dono rochachain annso dosenchus
Gall Athacliath 'Benen1 nun sang dies über die geschichte
der vikinger von Dublin.'
Ata sund senchus suairc seang asmaith leferaib Erenn
Sochur Atha Cliath nichel amal forfagaib Benen.
Diatainic tuaid aTetnraig hua Deochain indegtheglaig
D'apstal Breatan 7 Breag nirchret Loegaire lanmer.
5 Luid desel Banba buidi hua Deochain indegduini
Gutorracht Dun nanGall nglan duchobair cland mac Miled.
he bafl anAth Cliath chruaid diatainig Padraic atuaid
Ailpln mac Aeoil fhathaig ducloind Domnaill dubdamaig.
Inlä tainig cohAth Cliath Padraic Macha na moirflüach
10 Is and rosfuc bas bagach enmac Ailpin imnarach.
Adagar guhua Deochain aenmac rig Gall gairg Eochaid
Diachrad 7 diachelgad donabstal robimdergad.
Diatuctha anmain andsin achlerig chaid chumachtaig
Siechfad duit conchaill Cenaind slechtfaid Gaill inglaisferaind.
15 Luid inadesel fothri intapstal is intairdri
Gurerig inabethaid feinnid älaind aird Eochaid.
Arsin adnagad do inslog screpal gach fir unga d'or
Unga gacha sröna sain iscrepal oir gach ainfir.
Trihuinge forfaccad tall dunchäin angardaib nanGall
20 Airgthir fothri indAth Cliath oGaidelaib nangallsciath.
Dianamtora ingach bliadain inchäinsea Hb oLiamain
Nochonedfad fir thalman barndunsi dodithfaglad.
Indun itaid gudreman noscerfa friduib deman
Bide intres teni nach tim bias fodered anErinn.
25 Facbaim foranAth uile buaid mban fora banchuri
aus der Wicklowgegend (O'Donovan s. 218. Book of Ballymote 279a, 3 ff),
wenn wir uns erinnern, dass Lebor nacert nicht eine codiflcierung actueller
rechte und pflichten des lOjhs. ist, sondern ein litterarisches werk,
welches die in geschichte und sage bekannten rechte und pflichten in einzelnen
gedienten abhandelt, so wird der erwähnte umstand so zu verstehen sein,
dass die Verpflichtungen des Leinsterkönigs sich auf zeiten beziehen, in
denen er den Dubliner vikingern unterlegen war, und die einkünfte auf
solche zeiten , wo er ihnen über war. derartige kämpfe spielten sich ja
länger als einjh. ab.
1 Benen (Benignus), Patricks genösse, welcher ja auch der eben er-
wähnten neuner-commission soll angehört haben, gilt als der fingierte
urheber der einzelnen gedichte des Lebor na cert.
KELTISCHE BEITRÄGE III 59
Buaid ar[a]Gallaib glana buaid nailli araingena.
Buaid snama armacaib amban buaid cogaid is buaid comram
Buaid diadaltaib gonna imluaid com is comola.
Buaid rig caidchi inAth Cliath buaid namus buaid noglaig uaid
30 Buaid cadusa inacellaib buaid narusa is nimchennaig.
Indult asatanag tuaid niraba arl robuaid
Is mor gallacht agaille mumallacht arLoegaire.
Is de nachbia sith nanGall reri Midi namorcland
Etir Temair is Liamain gandebaid gach enbliadain.
35 Hesiti senchus Atha Cliath indisim daib tarcenn flach
Biaid amlebraib gubrath mbras marata sutid isenchas. Ata.
'Hier folgt eine hübsche, feine geschichte, die den männern
Irlands gefällt, den guten vertrag von Dublin werde ich nicht
verhehlen, wie ßenen hinterliefs. — als nordwärts nach Tara
kam Patrick des (dh. mit) schönen gefolges, da glaubte Loegaire
nicht dem apostel der Briten und ost-Meaths. — es gieng süd-
lich gewandt zum gelben Irland Patrick der gute mann, bis er
kam zur bürg der glänzenden fremdlinge (Nordleute,
Galt), zu helfen den stammen der söhne des Miled. — der nun
war könig in Dublin dem harten , als Patrick von norden
kam , nämlich Ailpin mac Aeoil Fathaig (Alpin , söhn des riesen
Aeolus?) vom geschlecht des üomuall dubdhamach ('schwarze
scharen habend'). — an dem tage, als Patrick des (von) Ard-
macha mit den grofsen einkünften uach Dublin kam , da trug ihn
hinweg der siegreiche tod, nämlich den einzigen söhn des
Alpin, den schamhaften. — er wird zu Patrick gebracht, der eine
söhn des königs der vikinger (Gall), der feurige Eochaid, ihn
(sc. den Patrick) zu quälen und ihn zu überlisten: es war ein
Vorwurf für den apostel. — wenn du bringst die seele in ihn,
o reiner und mächtiger cleriker, will ich mich beugen dir bei
Coli Cenainn, es werden sich beugen die vikinger (Gaill) des
grünen landes (dh. Irlands). — dreimal um ihn (den toten) gieng
herum der apostel und der oberkönig (der vikinger), und es
erhob sich zum leben der hübsche flann- angehörige, der hohe
Eochaid. — darauf bringt ihm das heer (die schar der vikinger)
ein scrupel für (von) jeden mann, eine unze gold, eine unze
von jeder nase besonders und ein scrupel gold von jedem mann. —
drei unzen waren auferlegt dort zum tribut in den holen (häusern)
der vikinger, Dublin wurde verheert dreimal von den Iren mit
60 KELTISCHE BEITRÄGE III
den vikingerschilden. — wenn mir jedes jähr kommen wird dieser
tribut durch euch von Dunlavin, werden die männer der erde
nicht im stände sein, eure bürg zu plündern. — die bürg, in
welcher ihr ungestüm seid, werde ich trennen von dem schwarzen
dämon, es wird (euer feuer) das dritte feuer sein, welches bis
zum ende in Irland sein wird. — ich lasse auf ihrer (der vikinger)
ganzen Stadt (Dublin) den vorzug (vorrang) der frauen für ihre
weiber, den vorzug für ihre glänzenden vikinger, den vorrang
der Schönheit für ihre mädchen. — den vorrang im schwimmen
für die söhne ihrer frauen, den vorrang im kämpf und den vor-
rang im streit, den vorrang ihren .... palästen, das rundgehen
der hörner und des zusammen -trinkens. — den vorrang des
königs in Dublin für immer, den vorrang für die Söldner und
den vorrang für den .... krieger, den vorrang der ehrfurcht
(frömmigkeit) in ihren kirchen, den vorrang für wohnsitz und
für handel. — die bürg, aus der ich vom norden kam (also
Tara), nicht soll ihr könig grofsen vorrang haben, grofs ist das
vikingertum seiner vikingerei1: (nichtsdestoweniger) mein fluch
auf Loegaire. — in folge dessen (dieses fluches) wird nicht friede
der vikinger (Gall) mit dem könig von Meath der grofsen stamme
sein, zwischen Tara und Dunlavin wird streit sein jedes jähr. —
das ist die geschichte von Dublin , ich erzähle sie euch für (wegen)
lohn (schulden), sie wird bis zum jüngsten tage in büchern sein,
wie sie hier gemeldet wird in der geschichte.'
Gewis ein wunderbares document, das in jeder Strophe die
ungefähre zeit seines Ursprungs verrät, constatieren wir zuerst,
dass Jocelin, der um 1183 aus allen erreichbaren lateinischen
und irischen quellen seine Acta Patricii schrieb , obigen text be-
nutzt hat; er schreibt cap. lxxi (Colgan, Triadis thaumaturgae
acta, Lovanii 1647, s. 90 ff): advenit Patricius in urbem nobilem
quae vocatur Dublinia. haec enim a Norwagiensibus
et insularum populis habita, eisdem tempore pacis ob neces-
sariorum administrationem a rege üibemiae concessa, in favorem
regis sub regina filia regis Norwagice initiata; in posterum per
varias verum vices modo foederata modo rebellis regibus Hibemiae
consistit. adveniens igitur SPatricius ad hanc, invenit eam spur-
citiis idolornm faeculentam , propriique creatoris ignaram. qui vero
1 offenbar ist mit gallacht agaille ein Wortspiel zwischen Gall 'vikinger'
und irisch gal 'die tapferkeit' versucht.
KELTISCHE BEITRÄGE III 61
seras mortis et infemi dirupit , suo famulo ad hanc facilem fecit
ingressum. nam rex et cives ita luctu erant dejecti, uhilatibus et
lamentis occupati, ut omnis memoria sollt ae ferocitatis, barbaricae
scurrilitatis omnisque ülolatriae fastus sopiretur; miserabili namque
spectaculo illa die gemina spes regni et civium civitatis deliciae,
solatia senum, sodales juvenum, filius scilicet regis Dubli-
niae thalamo fuit defunctus, sororque ejus germana studio
natandi flumen vicinum subiens medio gurgite absorpta interiit.
ingens in urbe tumultus oritur et adolescentis ßlii regis neglectis
exequiis online cotifuso littus aditur: pars non depositis vestibus
flumen subinlrat, alia pars notabili agilitate profunda aquarum
penetrat , alii praevcniunt navigio curswn maris , ne forte praeceps
in abyssum corpus puellae regiae devolvat. sed speculatores viri
ascensa navi et expanso aureo scuto aspiciunt in aqua puellam
glareis inherentem similemque dormienti: passa moram nullam
regia puella defertur a profundis aquarum , vehitur thalamo fratris
ad exequias. sicque gentilium superstitione praeparantur mau-
solea. interea rumor fit in aula quod ille Patricius
Ardmach anus, qui in nomine ignoti plures mortuos jam re-
suscitaverat , cemebatur illa die novus hospes in urbe.
audiens hoc rex gavisus valde fecit eum venire quo duorum
natorum pignora jacuerant. plenus jam fide fidel em se totam-
que civitatem fore promittit, si deus sancti viri pre-
cibus natos ejus vitae restitnat. huic voto favent omnes
proceres ac tota civitas ad fidem anhelabat , si resurgendi juvenibus
facultas veniat. videns igitur sanctus animarum lucra ibi esse
parata, fusis precibus presentibus rege et populo re-
gios adolescentes vitae pristinae reparavit; qui coope-
ratores fidei illico effecti resurgentes in corporibus animarum resur-
rectionem sunt cooperati in patre et populo. et rex qui dem
vocabatur Alphinus, filius Eochad, filia vero Dublinia
quae civitati nominis sui dedit vocabulum. hoc ergo miraculo
stupefacti rejicientes idola cum ceteris spurcitiis daemonum , rex
totusque suus populus conversi sunt ad Christum et baptizati ad
fontem Patricii juxta civitatem ad austrum, quem ad augendam
credentium fidem percutiens terram cum cuspide baculi Jesu fecerat
ebullire. unde et juxta eum victimam salutarem sanctus obtulit,
ibique usque hodie b. Patricii et successorum ejus Ardmachanorum
primatum honor conservatur et reverentia. ex illa ergo die rex
62 KELTISCHE BEITRÄGE III
Alpinus et omnes Dubliniae cives voverunt se et omnes posteros suos
in servitum sancti Patricii et Ardmachanorum patronatum sta-
tuentes ecclesiam juxta prefatum fontein et aliam mansionem juxta
ecclesiam s. trinitatis in civitate ad occidentem ejnsdem sedis archi-
praesulis. statuerunt ergo reddilum SPatrkio suo patrono vide-
licet de singulis navibus mercimonialibus cappam competentem Ard-
machano primati aut cadum mellis seu vini mit ferri falcem seu
mensuram salis; de singulis vero tabernis medonis seu cervisiae
metretas singulas; de omnibus etiam officinis et virgultis excenia
donumque conveniens in sotularibus , chyrothecis , cutellis , pectinibus
et aliis hujus modi rebus, et illa quidem die rex et alii
proceres singula talenta obrisi auri obtulerunt, alii
vero quod poterant offerebant. quae omnia collata pauper Christi
Patricius pauperibus er ogavit parte retentapro structuris ecclesiarum.
benedixit ergo senior benedictionibus Jacob patriarchae bene-
dictionibus Moysi servi dei, ejusque aetate et spirituali ducatu
gessit formam, prophetans et precans eos invictos fore
et fortunatos, si dictis facta compensarent, imbecilles
vero et miseros eos redderet votorum praevaricatio. quod liquido
fuerat comprobatum, quando superbiens populus oblitus benedictionis
SPatricii debitos reddilus neglexit persolvere.
Dass das irische gedieht im Lebor na cert die gruudlage
dieser ausgeschmückten erzähluug war, ist klar, im verlauf
komme ich noch einmal darauf zurück, suchen wir zuerst die
zeit zu bestimmen, welcher die in dem gedieht
prophezeiten zustände entsprechen, das ist ja das
characteristische aller post - Prophezeiungen , dass sie in dem,
was sie prophezeien, gewöhnlich treue zeugen für die zeit
ihrer entstehung sind, dass sie aber in den angaben über
die zeit und die umstände, unter denen die prophezeiung ent-
standen sein soll, meistens phantasievolle erfindung bieten, so
auch hier: es gab eine zeit, wo in Dublin christliche
vikinger safsen, aber dass Patrick sie bekehrt habe,
ist frommer trug, wann derselbe in dem gläubigen Irland zu-
erst geglaubt wurde, das müssen wir näher zu bestimmen suchen.
Gall, n. pl. Gaill, ist in den annalen und werken geschicht-
lichen inhaltes aus dem 9 — 1 1 jh. der gebräuchliche name für
'vikinger', neben dem selten Nortmannar, Danar vorkommt, wie
ich Zs. 32, 326 ff anm. gezeigt, stammt Gall für 'ausländer, nicht-
KELTISCHE BEITRAGE III 63
Ire' von den gallischen händlern, die Irlands küste besuchten, das
blieb durch 1500 jähre die ofßcielle, wissenschaftliche oder ge-
lehrte bezeichnung der ausländer.1 vom 4 — 7 jh. bezeichnet es
die nicht -irischen Völker Schottlands und Nordbritanniens, vom
S — 12 jh. die Nordleute (Norweger, Dänen) und von ende des
12 jhs. bis heute die Engländer, wie aber meine Untersuchungen
gezeigt haben, war im 9 und 10 jh. die daneben gebräuchliche
volkstümliche bezeichnung der vikinger panna, indem der
nationale gegensatz von Iren zu ausländem zurücktrat und die
vikinger als fiandr 'tapfere feinde' gefasst wurden: daher er-
klären sich die rasche assimilierung des wortes und seine be-
deutungswandelungen. unser text ist darum sehr wichtig, weil
er beide bezeichnungen für die Dubliner vikinger hat: der
einzige söhn des königs der Gall (zeile 11), der verschämte (im-
narach dh. jugendliche) Eochaid erhebt sich zum leben und wird
hier bezeichnet feinnid älaind aird Eochaid i der schöne hohe Eochaid,
der fiatin -angehörige' (z. 16). hier ist feinnid gleich Gall ver-
wendet, in einem text, der echtes vikingerleben atmet und uns
ein nordisches wort in echt nordischer bedeutung bewahrt hat,
wie wir noch sehen werden (garda z. 19).
Die herschaft des christlichen vikingerkönigs erstreckte sich
über Dublin hinaus nach Süden bis Dunlavin (z. 21. 34), denn
Liamain ist, wie O'Donovan s. 228 richtig bemerkt, gleich Dun
Liamna 'bürg von Liamain' und liegt im westlichen teile der
grafschaft Wicklow an der gränze von Kildara.2 diese christlichen
vikinger waren ganz wie in ihrer nordischen heimat angesiedelt,
und das dafür gebrauchte wort (z. 19) ist heimatliche bezeichnung:
angardaib nanGall 'in den gardr'6 der vikinger'. in Dublin hatten
sie ein festes castell (dun z. 6. 22. 23); ihre frauen zeichneten
1 bei uns hat sich ja noch viel länger eine solche gemeinbezeich-
nung für alles fremde erhalten, die auch nach den verschiedenen Zeiten und
orten verschiedene Völker bezeichnet: wälsch; vgl. jetzt IMiilltnholf, Deutsche
altertumskunde n 279 ff. im orient werden so alle Europäer 'Franken' ge-
nannt.
2 dieselben gränzen des vikingergebiets von Dublin treffen wir in
einem früheren abschnitt des Labor na cert, oben s. 57 anm.
3 altn. garctr (%ot.gards, ags. geard) bezeichnet 'espec. in Norway,
Denmark and Sweden a house or building in a ( o w n or village',
2. a stronghold (üsgardr, midgardr usw.). es ist also garda auch
die vikingerbezeichnung für dun auf irischem boden, wie ja auch bei den
Slaven (gardar, .Xovgorod usw.).
64 KELTISCHE BEITRÄGE III
sich aus und ihre töchter durch Schönheit (z. 25. 26), die söhne waren
tüchtige Schwimmer und hervorragend in kämpf und streit (z. 27);
die männer feierten gelage, bei denen die trinkhörner kreisten
und zutrinken herschte (z. 28). als junge Christen zeichneten sie
sich in ihren kirchen durch ehrfürchtige haltung aus (z. 30). in
fortwährender feindschaft lebten sie mit dem könige
von Meath (z. 33), der zugleich Irlands oberkönig
war(z. 32)1: kein jahrvergieng ohne einen kriegs-
z u g (z. 34). dies war erklärlich : dreimal war dasvikinger-
Dublin von den Iren mit denvikingerschilden!* ver-
heert worden (z. 20) und einen tribut von 3 unzen
hatten sie auf jedes vikingergehöfte gelegt (z. 19).
Suchen wir nun an der hand der annalen den zeitpunct in
der vikingerherschaft von Dublin zu bestimmen, auf welchen
diese angaben passen. 795 erscheinen Normannen zuerst an der
küste von Leinster, indem sie die nördlich von Dublin liegende
insel Lambay verbrannten ; 3 jähre später verheeren sie die noch
etwas weiter nördlich liegende kleine insel Inis Patraic (Patricks
island). von 800 an sind vikinger allenthalben in Irland (819
plündern sie Howth bei Dublin und die inseln des Wexford
hafen); Dublin erobern sie zuerst 836 und errichten hier 840
ein castell, von wo aus sie durch 300 jähre mit kurzen Unter-
brechungen3 über weite districte Leinsters herschen , zuerst unter
1 so muss der fluch, der gegen Loegaire geschleudert wird, gedeutet
werden; er sollte den Loegaire jener zeit treffen, in der das gedieht ent-
standen, dh. den könig von Meath, der zugleich oberkönig war. verstanden
wurde die pointe.
2 oGaidelaib nangallsciath kann entweder besagen, dass die Iren
des oberkönigs und königs von Meath vikingersöldner in ihrem heer hatten,
wie es ja ganz gewöhnlich ist, dass sowol Iren durch Iren verbündet mit
vikingern als auch vikinger durch vikinger verbündet mit Iren bekämpft
werden, man lese die oben s. 16 anm. citierten stellen der irischen annalen
nach, oder der ausdruck will nur besagen , dass die Iren die vikingeraus-
rüstung (panzer, heim, lederschild) angenommen hatten, wie in dem
sagentext Täin bo Cüalnge die irischen helden ganz nach vikingerart ge-
rüstet sind, der unterschied wird besonders klar, wenn man den mit nor-
dischen dementen ganz durchsetzten text Trän bö Cüalnge vergleicht mit
den verhältnismäfsig viel weniger beeinflussten Fled Bricrend und Serglige
Conculaind.
3 die wichtigsten waren 897. 942. 998. 1014, wobei aber nicht an eine
völlige Vertreibung aller vikinger aus ihrem besiedelten gebiet zu denken
ist, sondern nur an Vertreibung der herscher in Dublin und ihrer kriegsmacht.
KELTISCHE BEITRÄGE III 65
forsten, die von der heimat abhängig waren, dann aber selbständig
wurden, weitere solche festen Standorte waren Wicklow, Wex-
ford, Waterford1, Cork, waren diese ursprünglich nur Stationen
zu plünderungsziigen2 und zum festhalten der herschaft, so wurden
sie allmählich vikingercolonien,die sich insland hinein erstreckten,
gelegentlich, im jähre 936, erfahren wir den umfang der vikinger-
herschaft in Dublin : 'Donnchad (der irische oberkönig in Tara)
und Muirchertach machten sich auf mit ihren zahlreichen ver-
einten kräften, um die vikinger von Dublin zu überziehen (be-
lagern), und sie plünderten und verwüsteten alles, was war unter
der herschaft der vikinger von Dublin bis Ath Truisten' (coro-
chrechsat 7 coroindradset inamböi fomümus Gall ö Ath Cliath
co Ath Trusten); Ath Truisten ist nach O'Donovan (Annaleu
der vier meister a. 936 anm. p) 'a ford on the river Greece,
near the hill of Mullaghmast in the south of county Kildare', was
ja vortrefflich zu dem gedieht im Lebor na cert stimmt, da Duu-
lavin an der gränze von süd-Kildare liegt, das heutige Svvords,
9 meilen nördlich von Dublin, gehörte nach den annalen 1035
zum vikingergebiet von Dublin, wann diese vikinger von Dublin
zum Christentum übertraten, hält schwer nach irischen quellen
genau zu bestimmen: O'Donovan denkt an 830 (Annalen der vier
meister s. a. 979 anm. w) , Ware (De Hibernia et antiquilatibus
ejus, London 1654, s. 111. 141) nimmt ungefähr 948 an. sicher
ist, dass sie 979 Christen waren, denn im Chrouicou Scotorum
zum jähr 978 wie in den Annalen der vier meister zu 979 wird
übereinstimmend gemeldet, dass Amlaib mac Sitricca (= ags.
Anldf Syhtrices sunu), der oberkönig der vikinger von Dublin,
nach Jona (Hl) pilgerte und dort nach heiligem leben und bufse
starb, er hat also ganz die gewohuheit irischer könige, und da
sein Christentum als etwas selbstverständliches auftritt, seine
tochter den christlichen taufuamen Maelmutre führt, so werden
wir annehmen dürfen, dass das Christentum schon geraume
1 Waterford hat ja einen nordischen namen: Vedrafjiirdr, während
es in den irischen annalen wie heute im irischen Port Lairge heifst.
2 in den Ulsterannalen zum jähre 840, also 3 jähre nach der ersten
landung der vikinger in Dublin, heifst es Long/jorl uc JJuioIinn asrortu
Laigin 7 oi Neill etir tuatha 7 cealla , corice sliab Bludma 'ein festes
lager in Dublin, von wo aus Leinster und das gebiet der O'Neills, sowol
die gegenden wie die kirchen, verheert wurden bis Slieve Bloom Mountains'
(gränze von Kings und Oueens county).
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XX11I. 5
66 KELTISCHE BEITRÄGE III
zeit vor 979 bei den Dänen Dublins eingang gefunden hatte,
wir sind in der glücklichen läge, aus englischen quellen das
jähr genau feststellen zu können. Amlaib mac Sitricca, von den
Iren gewöhnlich Amlaib Cuaran genannt, war seinem vetter Am-
laib mac Gothfrith zur behauptung der herschaft von Northumber-
land zu hilfe gezogen und hatte in der schlacht von Brunanburh
(937) gegen Aethelstan gefochten, als dieser Anldf, söhn des
Gudfrid, 942 gestorben war, riefen die Dänen von Northumber-
land den Amlaib mac Sitricca zum herscher aus Irland herbei;
er erschien, besiegte Eadmund bei Tamworth, wurde aber dann
von ihm in Leicester (Ligora ceaster) eingeschlossen: beide Par-
teien machten frieden und Anldf Syhtrices sunu (= ir. Amlaib
mac Sitricca) empfieng 943 die taufe, wobei Eadmund sein tauf-
pate war (s. Earle, Saxon chronicles s. 116.117; Annales Win-
tonienses s. a. 942 bei Liebermann , Ungedruckte anglonorman-
nische geschichtsquellen s. 68; Todd, Cogadh Gaedhel s. 283 ff),
indes verlor er schon 945 die herschaft in Northumberland und
kehrte nach Irland zurück, hieraus erklärt sich denn auch, dass
die irischen annalen von dem übertritt Amlaibs zum Christentum
nichts wissen, dieser schritt macht sich aber bald in anderen
umständen bemerkbar, seit der ersten hälfte des 10 jhs. erscheint
das dänische vikingerkönigtum in Dublin mehr und mehr wie ein
legitimer irischer Staat: bald sind sie mit dem Leinsterkönig gegen
Meath verbündet, bald liegen sie im streit mit dem Leinsterkönig,
ganz wie zwei benachbarte irische herscher jener zeit, um
dieselbe zeit heiraten auch die vikingerherscher von Dublin frauen
aus irischen familien. Gormflaith, die Schwester des Leinster-
königs (von 956 — 970 erwähnt) Murchad mac Finn, war zuerst
an den oben schon genannten christlichen vikingerherscher Am-
laib, söhn des Sitricc, verheiratet, dem sie zum wenigsten einen
söhn, den nachfolger in der vikiugerherschaft, Sitricc, söhn des
Amlaib (Sigtryggr Olafssonr), und eine tochter Maelmuire gebar;
dann war sie mit Domnall dem oberkönig (956 — 979) vermählt,
dem sie den nachfolger Maelsechlainn gebar, der widerum Mael-
muire, des Amlaib tochter heiratete (s. Todd, Cogadh Gaedhel
s. cxlviii note; O'Donovan, Annalen der vier meister 982. 1021.
1030 noten). dies beförderte natürlich die assimilation1; seit
1 von einem nationalen gegensatz ist keine rede, dies gefühl war
den Iren in jener zeit ebenso fremd wie im mittelalter den kleinen deutschen
KELTISCHE BEITRÄGE III 67
1052 sind die vikingerkönige von Dublin durch solche heiraten
irisch: Echmarach, Murchad (1059), Diarmait (1072, ist Leinster-
könig und künig der vikinger in Dublin) usw.
Auf welche zeit der vikingerherschaft in Dublin passt nun
die Schilderung im Lebor na cert? geht man die annalen genau
durch, so kann man nicht einen moment zweifeln, dass nur die
jähre zwischen 988 und 1000 etwa in betracht kommen, von
956 — 1001 waren könige von Tara, oberkönige von
Irland, wie es die prophezeiung voraussetzt, Domnall söhn des
Donnchad (956 — 979) und Maelsechlainn söhn des Domnall
(979 — 1001). obwol sie in der oben erwähnten weise mit dem
könig der vikinger verwandt waren, vergieng doch in der
ganzen zeit kaum ein jähr, in dem nicht der könig von
Tara vor Dublin erschien oder die vikinger, meist mit dem Leinster-
könig verbündet, in Meath einfielen, die annalen weisen dies ja
aus. drei eroberungen Dublins werden aus dieser zeit
gemeldet: 979 belagert Maelsechlainn mit Ulsterhilfe Dublin 3 tage
und 3 nachte und bezwingt es, sodass er die 'geisein Irlands',
die sich in Dublin befanden, befreit, schätze und kleinode davon-
trägt und die O'Neills vom Shannon bis zur see tributfrei werden;
989 besiegt er die vikinger vor Dublin, belagert ihr castell
20 nachte, sodass sie nur Salzwasser zum trinken hatten: 'zuletzt
gaben sie sich ihm in allem zu willen so lange er könig wäre,
und eine unze gold von ihnen aus jedem geh oft (haus)
(as gach garda) in jeder weihnachtsnacht.' die Übereinstimmung
der worte uince öir gacha garda (Chronicon Scotorum, Annalen
dynasten. auch die Schlacht von Clontarf (1014) ist, wie schon Todd be-
merkt, absolut keine nationale tat: die annalen beweisen jähr für jähr, wie
Brian zuerst, zum teil mit südirischen vikingern, die volle herschaft über
Munster sich aneignete, dann den ewigen streit zwischen Maelsechlainn
könig von Meath und oberkönig (979 — 1001) mit den verbündeten Leinster
und Dubliner vikingerkönigen benutzte , um mit hilfe der letzteren die
würde des oberkönigs zu erringen, dann verbündete er sich mit dem unter-
worfenen Maelsechlainn, um die verbündeten Leinster und Dubliner vikinger-
herscher zu bekämpfen, wobei er zwar siegte, aber seinen tod fand, die
folgen der Schlacht von Clontarf sind politisch gleich null, denn 1017 herschen
die vikinger wider in Dublin, alle diese kämpfe sind stürme in einem glas
wasser. man muss sich immer gegenwärtig halten , um wie kleine Ver-
hältnisse es sich bei diesen 'königen' handelt, auch die so genannten 'könige
von Leinster, Ulster usw.' verfügten meistens nur über ihre hausmacht, so
grofs wie Reufs- Greiz oder Lichtenstein.
5*
08 KELTISCHE BEITRÄGE III
der vier meister) mit trikuince forfaccad toll dunchüin an gardaib
nan Gall (zeile 16) in dem nordischen lehnwort garda ist be-
zeichnend. l natürlich hielten die vikinger in Dublin den vertrag
nicht, sondern fielen gleich im folgenden jähr (990), mit Leinster-
leuten verbündet, in Meath ein; 992 fielen sie wider in Meath
ein und plünderten Ard Brecain, Domnach Patraic und Muine
Brocain; 994 wurde Domnach Patraic in Meath aufs neue von
den vikingern in Dublin geplündert; da rückt Maelsechlainn,
nachdem er Brian von Munster geschlagen , heran und 'der ring
des Tomar und das schwert des Carlus wurde von Maelsechlainn
mit gewalt den vikingern von Dublin genommen.' das wäre
also die dritte reguläre plünderung Dublins, denn das familien-
erbstück der vikingerkönige in Dublin (der ring des ahnherrn
Tomar) konnte nur nach einer solchen in die bände des königs
von Meath fallen.
Wir werden demnach die entstehung des gedichtes über die
bekehrung der vikinger Dublins durch Patrick zwischen 994
und 998 setzen dürfen2, wozu die spräche stimmt, später
geht es nicht an: 998 wird Dublin zum vierten mal erobert
von Maelsechlainn , 1001 wird Brian oberkönig, sodass die Pro-
phezeiung nicht mehr zutrifft, der zweck des gedichtes
ist vollkommen klar. Armagh beanspruchte schon früh den
primat von Irland, nun wissen wir aber noch aus jüngerer zeit
als 994, dass die vikingerbischofe von Dublin den
primat des erzbischofs von Canterbury anerkannten.
Ware (De Hibernia et antiquit., London 1654) sagt s. 118 zum
jähre 1074, als er den tod des Dubliner vikingerbischofs Dunan
gemeldet: Tumque Patricius quidam, Ostmannus itidem, Godredo
rege petente successor electus a Dublinensibus , in Angliam missus
1 ich kenne das wort im irischen nur an diesen stellen, aus dem genitiv
uinge öir gacha garda Chron. Scot. 987, dativ uince öir as gach garrda
Annalen der vier meister 988 ergibt sich ein irisches garda, worin also
das auslautende a widergabe des dorsalen urnordischen R ist (gariR) wie
in fianna, fena, iarla, gilla, grunna usw. O'Donovans und Hennessys
Übersetzung 'an ounce gold for every gar den' ist natürlich falsch, da ir.
garda wie altnorweg.-dän. garctr 'bauernhof mit herschaftshaus (bürg), haus
in Stadt oder dorf bezeichnet (vgl. engl. yard).
2 ich will daran erinnern, dass ich s. 11 anm. gezeigt habe, dass die
gedächte des Lebor na cert, in die diese geschieht* eingeschoben ist, aus
der zeit von 1001 — 1014 stammen müssen.
KELTISCHE BEITRÄGE III 69
est, a Lanfranco Cantuariensi archiepiscopo consecrandus cum
epistola sequente: Venerando SCantuariensis ecclesiae metropolitano
Lanfranco, clerus et populus ecclesiae Dubliniensis debitam sub-
jectionem. vestrae patemitati est cognitim, quod ecclesia Dubli-
niensis, quae Hibemiae insulae metropolis est, suo sit viduata
pastore ac destituta rectore. propterea elegimus presbyterum
nomine Patricium, nobis snfficientissime cognüum, natalibus et
moribus nobilem, apostolica et ecclesiastica disciplina imbutum,
fide catholicum, in scripturarum sensibus cautum, in dogmatibus
ecclesiasticis exercitatum , quem nobis quantocius petimns ordi-
nari episcopum, quatenus authore deo, regulariter nobis praeesse
valeat et prodesse et nos sub ejus regimine salubriter militare pos-
simus, quia integritas praesidentium salus est subditorum et ubi
est incolumitas ibi est firma doctrina. auch den eid, den er
in ecclesia SPauli Londini ablegt, teilt Ware aao. mit, worin es
heifst : Propterea ego Patricius ad regendam Dubliniam metropolim
Hibemiae electus antistes, tibi, venerande pater Lanfrance Britan-
niarum primas et sanctae Doroborniensis ecclesiae archiepiscope,
professionis meae chartam porrigo , meque tibi tuisque successo-
ribus in omnibus quae ad christianam religionem pertinent obtem-
peraturum esse promitto. als dieser Patricius am 10 october 1084
in der irischen see ertrunken ist, wird sein nachl'olger ebenfalls
in Canterbury geweiht (Ware s. 119), und so noch mehrere. —
dass 100 jähre früher die christlichen vikiuger von Dublin sich
der Jurisdiction von Canterbury und nicht der von Armagh unter-
stellten, ist natürlich; hatte doch Olaf Cuarau (das ist Amlaib
mac Sitricca), der erste christliche Dänenherscher in Dublin,
als könig von Northumberland im jähre 943 von Wulfhelm , erz-
bischof von Canterbury, die taufe erhalten, wie wir s. 66 sahen.
Die geschichte von der bekehrung der vikinger (Gall, Fennid)
Dublins durch Patrick ist nach dem satze cui bono eine auf
Armagh zurückgehende erfindung, ausgeheckt, um die ansprüche
des primas von Irland auf Dublin zu unterstützen, viel älter
als unser text wird die erfindung kaum sein ; denn wenn man
auch annehmen will, dass die anfange des Christentums unter
den Dänenvikingern Dublins in den auläng des 10 jhs. zurück-
gehen, so bleibt doch die tatsache bestehen, dass der erste
christliche Dänenherscher in Dublin Olaf Cuaran erst 980
starb, da er nun 943 vom erzbischof von Canterbury die taufe
70 KELTISCHE BEITRÄGE III
erhalten hatte, so konnte man bei seinen lebzeiten doch kaum
die erfindung aufbringen, dass Patrick die vikinger Dublins be-
kehrt habe, selbst in dem leichtgläubigen Irland hätte schwerlich
eine solche erzählung vor Olaf Cuarans tode glauben gefunden.1
Patrick tritt in dem gedieht direct als advocat des primas von
Armagh auf: er heifst (z. 9) Patraic Macha na möirfiach 'P. des
Armagh mit den grofsen einkünften'; er offeriert (z. 21. 22) 'wenn
mir jedes jähr kommen wird dieser tribut eurerseits von Dun-
lavin, werden die männer der erde nicht im stände sein, eure
bürg zu plündern.' der erzbischof von Armagh tritt im 9. 10
und 11 jh. in den annalen des öfteren als friedensstifter zwischen
irischen forsten auf (vgl. zb. Ulsterannalen 858): sollte nach 994
von Armagh den vikingerkönigen das anerbieten gemacht worden
sein, dass, wenn sie den 989 von Maelsechlainn auferlegten
tribut an Armagh zahlen würden, der primas seinen einfluss auf
Maelsechlainn einsetzen wolle zu einem frieden und zu dauernder
ruhe? jedesfalls zogen die vikinger Dublins in den kämpfen mit
Maelsechlainn meistens den kürzeren, sie hatten also gröfseren
vorteil vom frieden. Armagh wäre der tertius gaudens gewesen,
dass die anerkennung des primats von Armagh durch die christ-
lichen vikinger Dublins einen klingendeu erfolg für Armagh ge-
habt hätte, ist klar: der sitz von Armagh hatte seinen equonimus —
so schreiben die Ulsterannalen statt oeconomus — für verschiedene
teile Irlands (s. Annais of Ulster 813. 837. 868. 887. 893. 908.
921.928), meistens einen abt der betreffenden gegend, der
bischof verschmähte es auch selbst nicht, die kühe zusammen-
zutreiben (a. 972. 1050). die worte z. 31. 32 können daher sehr
wol im munde eines Unterhändlers des bischofs von Armagh ge-
dacht werden, lehrreich ist auch Jocelin: um 1183 war es mit
1 ein vikingerkönig in Dublin namens Ailpin mit einem söhne
Eochaid hat nie existiert, aber wunderbar: um 834, also in der zeit,
in der die vikinger in Dublin erscheinen, lebt ein Schottenkönig Alpin
(s. Skene, Geltic Scotland i 306); der söhn dieses Alpin ist Domnall mae
Ailpin, Pictenkönig 860 — 864 (s. Skene i 322 ff), es scheint also in unserem
gedieht mit bewustsein dies benutzt zu sein, aber dazu geflunkert: Ailpin
ist 'söhn des riesen Aeolus' und gehört zum geschlecht Domnalls 'mit der
schwarzen schar', wol mit anspielung auf die meerfahrten der vikinger und
darauf, dass die Dänen dubgenti 'schwarze heiden' genannt werden, der
zuerst bei den Iren Schottlands auftretende name Alpin ist unstreitig ein
ags. Alfwine.
KELTISCHE BEITRÄGE III 71
der vikingerherschaft iü Dublin zu ende, und da ist er sofort bei
der band, die lügen gestrafte prophezeiung des gedientes dadurch
zu erklären, dass superbiens populus oblitus benediltionis SPatricü
debitos redditus neglexit persolvere. dass Jocelin es
1183 wagte, den Untergang des vikingerstaates in Dublin so zu
erklären, ist die kröne der Unverschämtheit: 1121 liefs sich der
vikiugerbischof von Dublin noch vom erzbischof von Canterbury
consecrieren; 1140 der Limmericker vikingerbischof desgleichen;
erst 1162 liefs sich der erste Dubliner bischof vom
erzbischof vonArmagh consecrieren (Ware, De Hibernia
et antiquitatibus ejus s. 123). wollte man also den grundsatz
post hoc propter hoc anwenden , dann müste man in directem
gegensatz zu Jocelin behaupten: weil die vikinger sich Armagh
unterwarfen, erreichte sie 10 jähre später die strafende hand.1
Jocelins abweichungen von dem gedieht sind alle verständlich:
aus z. 27 hat er die beim schwimmen umgekommene königs-
tochter erfunden und ihr einen namen nach Dublin gegeben;
die unterdessen in Dublin erbaute Patricks cathedrale wurde
natürlich hinzugefügt; die gränzenlose habsucht des Armagher
Stuhles tritt bei ihm viel schroffer noch hervor, als in dem
gedieht.
Es steht also nach den vorausgegangenen erörteruugen fest,
dass man ende des lOjhs. in Irland glaubte oder
glauben zumachen suchte, Patrick habe die vikinger
(tuatha Gull oder tuatha FeneJ Dublins zum Christentum
bekehrt, und dass Armagh, der erzbischöfliche sitz,
wenn er diese mär nicht direct erfunden hat2, so doch ein
1 Jocelins im auftrage des erzbischofs von Armagh geschriebene Vita
saneti Patricii ist wol das stärkste, was die katholische kirche des mittel-
altere in Verunstaltung des Christentums, Verdrehung geschichtlicher tat-
sachen und beleidigung des gesunden menschenverstandes sich geleistet hat.
die Bollandisten befinden sich gegenüber den unverschämten lügen der im
auftrage des primas von Irland geschriebenen Vita Patricii in sichtlicher Ver-
legenheit und helfen sich nach der maxime , dass man die kleinen diebe
aufhängt und die grofsen laufen lässt. sie lassen also capitel, wie das
oben gegebene 71, in Jocelins Vita einfach weg und verweisen auf Colgan
(s. Acta sanetorum m. mart. n s. 556 anm. a), aber die grofsartige, vom
8 — 10 jh. lawinenartig anwachsende erfindung, dass der Beda total un-
bekannte (735) Patrick Irland christianisiert und den priiiiat von Armagh
gegründet habe, wird gläubig hingenommen.
2 Jocelin, der ja alles auf Palrick bezügliche Armagher material com-
72 KELTISCHE BEITRAGE III
interesse daran hatte, diesen glauben zu verbreiten
zur stütze seiner ansprüche auf den primat auch über die
vikingerchristen in Dublin, damit sind denn auch die beiden
anderen texte Fiaccs hymnus 40 und LU 117b, 20 — 118b, 44
(oben s. 54 — 57) vollkommen klar, die älteste Überlieferung
der hymnen in irischer spräche bilden 2 hss. des ausgehenden
11 oder wahrscheinlicher des beginnenden 12 jhs. das alter der
einzelnen documente muss also aus inneren indicien bestimmt
werden, hier liegt nun hinsichtlich des hymnus auf Patrick
die sache so: er enthält dinge oder auch nicht, die ihn älter
erscheinen lassen als die ältesten mitteilungen im Book of Armagh
(geschrieben in erster hälfte des 9 jhs.); andererseits enthält er
angaben und fabeleien , die entschieden viel jünger sind als diese
mitteilungen, darunter nicht weniges zur stärkeren stütze der
pilierte, hat uns auch noch die ältere form der erzählung, aus der erst
die geschichte von der vikingerbekehrung in Dublin ende des 10 jhs. heraus-
gearbeitet wurde, erhalten, er meldet nämlich nur 2 capitel vor dem bericht
über die vikingerbekehrung (Colgan, Triadis thaum. acta s. 90 cap. lxix):
Discedens Patricius de Midiae finibus versus Lageniam evangelizandi
gratia dirigebat gressus. cumque iter agens devenisset Irans flumen
Finglas nomine ad quendam collem qui a pago Ath Cliath qui modo
dicitur Dublinia uno ferme militari distal; considerans locum et circum-
jacentia ejus et benedicens in hanc fertur prophetando prorupisse vocem:
pagus iste , nunc exiguus, eximius erit, divitiis et dignitate dilatabitur
nee crescere cessabil, donec in regni solium sublimetur. post p aululum
praefatam intravit vi 11 am ejusque habitatores auditis signis,
quae fecerat dominus in manu illius, cum gaudio processerunt
ei obviam: domini vero loci illius filius unicus laborabat
in extremis, ita ut jam expirasse diceretur a multis.
sanetus autem rogatu patris et caeterorum aecurrentium
ad aegroti lectum accessit, genua in terram fixit, preces
fudit, seminecem benedixit, ereptumque de faueibus mortis
mox in oculis omnium sanum exhibuit. homines autem vi-
dentes hoc signum in au ctorem vitae crediderunt et in ejus
nomine a saneto pontifice 6 aptizati sunt.
Wir haben also 3 stufen erhalten: 1) das 8 — 9 jh. erfand, dass Patrick
den söhn des herren (dominus) von Ath Cliath vom tode erweckt habe
und dass die bewohner des ortes dadurch an gott glaubten (Jocelin cap. 69).
2) das ausgehende 10 jh. gestaltete diese geschichte im interesse Armaghs
um, machte den dominus loci zu dem vikingerkönig Alpin, erfand einen
namen für den söhn und liefs die vikinger Dublins (Ath Cliath) von Patrick
bekehrt werden (Lebor na cert). 3) Jocelin arbeitete diese erzählung weiter
um, erfand eine tochter Dublinia und anderes dazu (cap. 71). harmlos
nahm er stufe 1 und 3 in seine compilation auf.
KELTISCHE BEITRÄGE III 73
aosprüche Armaghs auf den primat. ich habe daher Kelt. Studien
heft ii s. 160 — 1841 angenommen, dass ein älterer kürzerer
hymnus im 10 jh. interpoliert worden sei, und habe damals aus
sprachlichen gründen und solchen der composition die lang-
zeilen 37 — 40 der Interpolation zugewiesen, das geschah, ohne
dass ich an den worten dothualhaib Fem anstofs nahm , da ich
damals den Ariadnefaden für Irlands sage und geschichte vom
9 jh. an noch nicht gefunden hatte und mit allen anderen 'den
fenischen heiden' übersetzte, ohne mir etwas klares dabei zu
denken. Thurneysen hat Revue celt. vi 326 ff dagegen die an-
sieht verfochten, dass der ganze hymnus jünger sei. wie man
sich auch dazu stellen mag2, das alter von zeile 40 ist fest-
gelegt: sie setzt die fabel von der bekehrung der vikinger (fiann)
durch Patrick voraus , kann also frühestens im vorletzten Jahr-
zehnt des 10 jhs. entstanden sein, in zeile 35. 36 war erzählt
worden, dass Patrick die Iren (do Scotaib) bekehrt habe; hier
schloss sich 37 — 40 dann die bekehrung der vikinger (tuatha
Fene)* an: wunderbar ist nur, dass man nicht eher sich fragte,
was hiermit gemeint sei , da doch in den umfangreichen angaben
über Patricks leben und lehrtätigkeit im Book of Armagh nichts
derartiges steht, und auch an die Fenier der Finnsage späterer
zeit nicht gedacht werden kann.
Was nun das andere denkmal LU 117b,20 — 118b,44 (s. oben
s. 55 — 57) anlangt, so ist die älteste Überlieferung eben diese
hs. aus dem ende des 11 jhs. dass uns in diesem denkmal mit
der spräche des 10 — 11 jhs. ein authentischer bericht über
1 1884, zu einer zeit, wo ich von den ergebnissen dieser Untersuchung
nichts ahnen konnte, wo mir aber unbewust immer die Überzeugung schon
vorschwebte, dass den vielen neuen nachrichten über Patrick, die im 10 jh.
gegenüber älteren auftauchen, ein bestimmter zweck zu gründe liege
(vgl. Kelt. stud. ii 197.198): die ansprüche Armaghs auf den primat von
Irland zu unterstützen.
2 wenn auch Thurneysen aao. einiges der beachtung werte vorgebracht
hat, widerlegt hat er die ansieht nicht, dass Fiaccs hymnus auf
interpolation eines kürzeren älteren gedichtes beruhe, obwol ich dessen
alter nicht mehr so hoch hinaufrücke wie früher.
3 wie hier do thuathaib Fcne 'den vikingern', so heifst es im
Lebor na cert bei aufzählung der tribute des Leinsterkönigs: '700 ochsen,
700 widder' usw. ö thuathaib Gall 'von den vikingern' (Book of Bally-
mote 279a, 28), wofür einige zeilen vorher in der prosa gesagt war o Gal-
laib (Book of Ballymote 279«, 6).
74 KELTISCHE BEITRÄGE III
ein ereignis aus Patricks zeit vorliege , ist wenig wahrscheinlich,
dazu kommt, dass von der ganzen erzählung und der
wichtigen neuordnuug irischer Verhältnisse unter
vorsitz Patricks in den umfangreichen documenten
über Patrick aus der ersten hälfte des 9jhs. (Book of
Armagh) nichts bekannt ist. auch die vorausgesetzte völlige
Unterwerfung und bekehrung Loegaires widerspricht den ältesten
nachrichten. das früheste zeugnis für die neuner-commission
kann man in einem artikel von Cormacs glossar s. v. noes sehen
(Sanas Cormaic s. 31): er würde also für anfang des 10 jhs.
zeugen , wenn wir sicher wüsten , dass er der ursprünglichen
Sammlung angehört hat; da aber das glossar erst — abgesehen
von einem bruchstück in LL — in hss. des 14 jhs. vorliegt und
nachweislich vielfach einschub erfahren hat, so gewinnen wir
keinen sicheren anhält hieraus, bemerkenswert ist auch, dass
Rus mac Tricim sui berla feni 'Ross Tryggvasonr kundig der
vikingersprache' (LU 118b, 1) in den alten quellen aus dem anfang
des 9 jhs. nicht vorkommt, sondern erst in der aus dem
15 jh. überlieferten homilie über Patrick (L. Brecc 26b, 38). ich
habe nun schon oben s. 57 hervorgehoben, dass der parallelismus
verlangt, dass Rus mac Tricim sui berla feni als Vertreter der
neben kirche, fürsten und litteraten noch genannten vierten
gruppe privilegierter (athgabüil donafennethaib) gefasst werden
muss, und dass man nicht gedankenlos an erster stelle 'feuian
tongue' und an zweiter 'warrior' übersetzen darf, ohne sich
etwas weiteres dabei zu denken, der Schreiber des denkmals
hatte concrete Verhältnisse im äuge, und da derartige, wie sie
ihm vorschwebten, zu Patricks zeit nicht existierten nach den
ältesten Urkunden über ihn , so müssen es spätere sein , die er
in die zeit versetzt : waren die vikinger von Patrick zum Christen-
tum bekehrt worden, wie man am ende des 10 jhs. glauben zu
machen suchte, dann musten sie auch bei neuordnung der Ver-
hältnisse hinzugezogen werden, diese fiction liegt dem denkmal
in LU zu gründe: Rus Tryggvasonr, kundig der spräche der
fianna, ist ihr Vertreter und das privileg, das man den fennethaib*
'den angehörigen der fiann' bewilligt, ist characteristisch für die
vikinger. es handelt sich ja weniger um Privilegien und vor-
1 bei do fennethaib denke man daran, dass der söhn des vikinger-
königs von Dublin feinnid genannt wird (oben s. 63).
KELTISCHE BEITRÄGE III 75
rechte als um factische merkmale oder characteristik der
verschiedenen gruppen (s. s.56): das den fennethaib zugesprochene
characteristische ist athgabäil 'sie legen auf alles beschlag'. ich
denke, das hätten die Iren an den vikiugern des 9 und lOjhs.
nur zu oft erprobt.
Fassen wir nun die ergebnisse der Untersuchung von s. 52
bis hierher zusammen und betrachten noch einige folgerungen.
Für die irische kirchengeschichte ergibt sich, dass in den
3 texten bewuste fälschungen vorliegen, die von Ar-
magh ausgehen, um die ansprüche auf den primat
Irlands, speciell über die christlich gewordenen
vikinger, zu unterstützen, von einem primat Armaghs
in Irland kann bis in die erste hälfte des 8 jhs. überhaupt keine
rede sein: Beda nennt nicht einmal Patricks namen und weifs
von tiefgreifenden unterschieden (tonsur, osterberechnung) zwi-
schen nord- und süd-lrland, die erst in seinerzeit ausgeglichen
wurden (s. Kelt. stud. n 196 — 198). mit diesem ausgleich und
der endgiltigen Unterwerfung nord- Irlands unter Rom (701 resp.
716, Bedavl5.22) geht hand in hand Armaghs anspruch
auf den primat. war dies der kaufpreis, den Rom zahlte?
die höchst wichtigen Ulsterannalen melden zu 733 Commotatio
martirum Petir ocus Phoil ocus Patraic ad legem perficien-
dam und schon 736 lex Patricii tenuit Hibemiam.
dies wird wol nur bedeuten, dass eine so genannte lex Patricii,
die neben anderem auch die ansprüche Armaghs auf den primat
und sein recht auf erhebung von kirchensteuern enthielt, pro-
clamiert wurde; eingang fand sie so bald noch nicht, namentlich
in süd-Irlaud, wo Cashel, der sitz Ailbes, metropole war. 766
steht lex Patricii; 7S2 Forus Cana Patricii hiCruachnib la Dub-
daleithe 7 la Tipraiti filium Taidgg 'bekanntmachuug der lex
Patricii in Cruachan (hauptstadt von Connacht) durch Dubdalethe
(erzbischof von Armagh!) und Tipraite, söhn des Tadg' (künig von
Connacht). dieser act wird wol nicht viel erfolg gehabt haben,
denn 798 heifst es lex Patricii for Connachta la Gormgal mac
Dindataig 'lex Patricii über Connacht durch Gormgal, söhn des
Dindalach' (abt von Armagh!). 805 lex Patricii la hAed mac Neiü
'lex Patricii durch Aed , söhn des Niall' (oberkönig von Irland,
anerkannt?). 810 Nuada abbas Ard Machae migravit cu Con-
nachta (nach Connacht) cum lege Patricii et cum armario ejus; das
76 KELTISCHE BEITRÄGE III
jähr 811 meldet Nuadas tod und 812 hat wider die notiz lex Dar ii
for Connachtu (über Connacht), 813 lex Quiarani for Cruachna
elevata est la Muirgius (könig von Connacht). vollständig drangen
Armaghs ansprüche erst durch, als der 820 könig und bischof von
Cashel gewordene Fedlimid im jähre 822 sich beugte: lex Patricii
for Mumain la Feidlimthe mac Cremthain et la hArtrig mac Con-
cobair 'lex Patricii wurde in Munster eingeführt durch Feidlimid
mac Crimthain und Artri mac Conchobair' (bischof von Armagh).
nun folgte auch Connacht nach : 824 lex Patricii for teora Connachta
la Artri g mac Concobair 'lex Patricii wurde in den 3 Connachts ein-
geführt durch Artri mac Conchobair' (bischof von Armagh), aber 825
heifst es wider: lex Dari co Connacta iterum. 834 wurde in folge
innerer Streitigkeiten der nachfolger Artris im primat, Diarmait,
abgesetzt und Forinnan trat an seine stelle; 835 zieht nun Feidli-
mid von Cashel dem Diarmait als rechtmäfsigem nachfolger Patricks
zur hilfe und nimmt den Forinnan gefangen; in demselben jähr
heifst es Dermait dodnl co Connacta cum lege et vexillis Patricii
'Diarmait gieng nach Connacht' usw. 838 tritt wider Diarmait
an Forinnans stelle in Armagh.
Wir können also sagen, dass nach 100 jährigem zähem fest-
halten der primat Armaghs und was damit zusammeuhieng um
840 feststand, als nun weitere 100 jähre später die vikinger
von Dublin mit ihrem gebiet nach und nach zum Christentum
übertraten, da war es natürlich, dass Armagh seine ansprüche
auf sie ausdehnte, da der erste christliche vikingerkönig Du-
blins als gleichzeitiger herscher des Dänenstaates von Northum-
berland (Anlaf Syhtrices sunu = Amlaib mac Sitricca) 943 vom
erzbischof von Canterbury die taufe empfangen hatte (s. s. 66),
so wird er sich auch mit den Dänenchristen Irlands dem primas
von England unterstellt haben : ein Verhältnis, das bis ins 12 jh.
hinein bestehen blieb, wie wir (s. 68 ff) sahen, zur Unterstützung
der ansprüche Armaghs wurde am ausgang des lOjhs. in Armagh
eine litterarische tätigkeit gepflegt im geiste der mitte des
9jhs. im Frankenreich erschienenen pseudo-isidorischendekretalen.
dieser tätigkeit verdanken die 3 denkmäler (Fiaccs hymnus, LU
117b, 20 — 118b, 44, und der anhang im Lebor na cert) in der
form, wie sie auf uns gekommen sind, ihr dasein.1 sie wollen
1 die litterarische tätigkeit Armaghs am ende des lOjhs. zur Unter-
stützung der ansprüche auf den primat über die normannischen kirchen
KELTISCHE BEITRÄGE III 77
den vikingern zeigen, dass die ansprüche Armaghs alt und be-
rechtigt sind.
Die erfinduog des 10 jhs., dass Patrick die vikiuger in
Irlands hat eine schlagende parallele in einer etwa 200 jähre älteren
litterarischen tätigkeit: im sogenannten Book of Armagh haben wir
eine ganze reihe verschiedenartiger auf Patrick und Armaghs
Stellung bezüglicher documente. von diesen documenten ist wol
kaum eins so alt wie Beda, und doch sind mehrere absichtlich vordatiert,
zwischen den pauca de sancti Patricii peritia et virtutibus, welche
Muircha maccu Macktheni dictante Aeduo Slebtensis civitatis episcopo
conscripsit (fol. 2a, 1 — 8b), und den notizen, welche angeblich Tirechän
episcopus scripsit ex ore vel libro Lltani episcopi cujus ipse alumnus vel
discipulus fuit (fol. 9a. 2 — 16a, 1) stehen stücke, welche die zeit ihres
Ursprungs deutlich an der stirne tragen, hier wird zuerst Patricks
reise nach Rom und sein aufenthalt daselbst erwähnt, wenn man an die
Hartnäckigkeit denkt, mit der die nordirische kirche sich den f orderungen
Roms in bezug auf osterfeier und tonsur widersetzte bis zum ende des
7 jhs.; wenn man erwägt, dass Adamnän 701 speciell nach nord-Irland
kommen muste, um durch zureden die forderung durchzuführen, und dass
Adamnäns eigene mönche in Hi erst 715 Rom nachgaben (Beda m 26.
w 15.22), dann ist klar, dass die notizen auf fol. 9a, 1 nicht vor
der ersten hälfte des 8 jhs. können entstanden sein, wir
können sie sogar noch näher bestimmen, auf fol. 9a, 1 wird von einem
Feradach, den Patrick bekehrte, gesagt: Et exivit cum Patricio ad
legendum trigenta annis et ordinavit illum in urbe Roma et dedit Uli
nomen novum Sachellum et scripsit Uli librum psalmorum, quem vidi et
portavil ab illo partem de reliquiis Petri et Pauli, Lau-
renlii et Stefani quae sunt i ?i Mac/ii. zum jähre 733 melden die
Ulsterannalen Commotalio martirum Pelir ocus Phoil ocus Palraic ad
legem perficiendam! und dann 736 lex Patricii tenuit Hiberniam. dass
aber noch 100 jähre vergiengen, ehe diese ansprüche durchdrangen, haben
wir oben gesehen, zu ihrer Unterstützung ist erfunden, was 9a, 1 auf die
eben citierten worte folgt: Caetiacus et Sachalins ordinabant episcopos,
presbiteros, diaconos, clericos sine consilio Patricii in campo
AU. et accusavit illos Patricias et mittens aepistolas Ulis exivrunt ad
poenitentiam ductl ad Arddmachae ad Palricium et fecerunt poenitentiam
monachorum duo pueri Patricii prumpti. wenn man bedenkt, dass nach
dem ausdrücklichen zeugnis der Ulsterannalen Connacht von
782 — 830 gegen den primat A rmaghs ankämpft, dann ist zweck
und ungefähre zeit obiger erfindung klar: in Mag Ai (campus AU) liegt
die Hauptstadt Connachts Cruackan, wo 732 zuerst die lex Patricii
eingeführt wurde (s. oben). — das fol. 9a, 2 — 16% 1 folgende denkmal er-
hebt den anspruch, ex ore vel libro des 656 gestorbenen Ultün nieder-
geschrieben zu sein, nun, dies denkmal enthält ein so offen-
kundiges zeugnis für längeren aufenthalt der vikinger in
Irland (s. s. 53 note), dass es in der form, wie es vorliegt, kaum vor
78 KELTISCHE BEITRÄGE III
Dublin bekehrt habe, wurde natürlich in dem gut gläubigen
Irland bald fest geglaubt, dies führte zu consequenzen in sage
und so genannter geschichtschreibung. man muss sich vor allen
820 kann entstanden resp. niedergeschrieben sein, das darauffolgende
document kann nach dem, was wir s. 93 kennen lernen werden, kaum
vor 840— 850 geschrieben oder entstanden sein, ich denke, diese
tatsachen werden uns wenig geneigt machen, aufs wort zu glauben, dass
das stück fol. 2a, 1 — 8b, 2 auf den 699 gestorbenen Aed von Sleibte zu-
rückgeht.
Wie sehr man noch ums jähr 1000 sich in Armagh bewust war, dass
Armaghs ansprüche auf den primat Irlands sich auf diese gefälschten
documente des Book of Armagh stützen, dafür haben wir einen
interessanten beleg. Brian Boroma hatte in stetigen kämpfen von 975 an
sich endlich zum unbeschränkten herscher von süd-Irland gemacht; 999 ver-
bindet er sich mit den vikingern Dublins gegen Maelsechlainn, Irlands
oberkönig und könig von Meath, um das ziel seines ehrgeizes, die
würde des oberkönigs, zu erlangen, er erreicht es 1001. Brian war Usur-
pator in doppeltem sinne: einmal weil er den rechtmäfsigen oberkönig ent-
thront hatte, und dann weil er die würde, die Jahrhunderte lang bei nord-
Irland gewesen war, zuerst für süd-Irland eroberte, er muste also Ulster
mit gewalt zur anerkennung zwingen und unternahm zu dem zweck alsbald
einen zug nach Ulster (1104), 'um geisein zu fordern' (dochuinged giall).
liier melden nun sämmtliche annalen (Vier meister, Ulsterannalen, Chronicon
Scotorum), dass Brian eine volle woche in Armagh verweilte
und 20 unzen gold auf dem altar von Armagh niederlegte,
das resultat der Verhandlungen zwischen dem Usurpator der kröne und dem
inhaber des usurpierten primats von Irland verrät uns eine notiz in eben
dem Book of Armagh, woselbst fol. 16b, 1 auf leerem räum eingeschrieben
ist: Sanctus Patricius iens ad caelum mandavit totum fructum laboris
sui tarn babtismi tarn causarum quam elemoisinarum deferendum esse
apostolicae urbi quae scottice nominatur% Ardmacha. sie reperi in
bebliothecis Scotorum. ego scripsi, id est Calvuc Perennis, in
conspectu Briain imperatoris Scotorum et quod scripsi
finivit pro omnibus regibus Maceriae. so erkennt also Brian
1104 diese fälschungen für sich und seine nachfolger in Cashel (pro omnibus
regibus Maceriae) als bindend an, und diese anerkennung liefs
man ihn zu den gefälschten documenten abgeben.
Nun noch einige beobachtungen. das document fol. 20b, 1— 21b, 2, ge-
nannt Liber angeli , fingiert, dass ein engel vom himmel dem Patrick den
primat Armaghs verkündigt habe, es enthält das dictum des engeis: Quae-
cumque causa valde difficilis exorta fuerit atque ignota cunctis Scotorum
gentium iudicibus ad cathedram archiepiscopi Hibernensium , id est Pa-
iricii atque hujus antestitis examinationem rede refferenda. si vero
in illa cum suis sapientibus facile sanari non poterit talis
caussa praedictae negotionis, ad sedem apostolicam decre-
vimus esse mittendam, id est, ad Petri apostoli cathedram
KELTISCHE BEITRÄGE III 79
dingen gegenwärtig halten, dass die ausbildung der Finnsage in
ihrer ersten periode, wie wir sie s. 25 — 39 betrachteten, im
11 und 12 jh. hand in hand geht mit der abnähme der
auctoritatem Romae urbis habentem. dass der Liber angeli 701
noch nicht kann existiert haben, ist klar aus dem widerstand der
kirche nord-Irlands gegen Roms forderung in bezug auf oster-
berechnung und tonsur. wann er muss vorhanden gewesen sein, ergibt
eine andere notiz des engeis: Praeest ergo quodani privilegio ormübus
aeclesiis ac monasteriis cunctorum Hibernensiam vel superna aucloritate
summi pontificis illius fundaloris. nihilominus venerari debet ho-
nore summorum martyrum Petri et Pauli, Stefani, Laurendi et
caeterorum. nun melden, wie schon erwähnt, die Ulsterannalen zu 733
Commotatio martirum Petir ocus Phoil ocus Patraic ad legem
perficiendam. zwischen 701 und 733 ist der Liber angeli entstanden
und er ist höchst wahrscheinlich die lex Patricii, deren ein-
führung in Irland von 736 an versucht wird.
Ferner: von sämmtlichen auf Patrick und Armagh bezüglichen docu-
menten des Book of Armagh fol. 1 — 24b, 1 ist nur ein einziges in anderen
hss. enthalten, die an letzter stelle stehende so genannte Confessio (fol.
22a, 1 — 24b, 1). und dieses denkmal ist das einzige, welches anspruch darauf
machen kann, über jene im ersten viertel des 8jhs. beginnende periode
der documentenfälschung hinaufzugehen, genuin ist es auch nicht.
Ferner: Armagh besafs im 9. 10 jh. eine reiche bibliothek: Armagher
ir. hss. werden vom 11 jh. an überall citiert (s. Zs. f. vgl. sprachforscli.
28, 67Sff, Gott. gel. anz. 1887 s. 182 ff), nichts ist aber erhal ten aus
jener zeit als diese hs. mit der Sammlung der gefälschten documente, auf
die Armaghs primat sich stützt: auch ein zeichen für den wert, den man
in Armagh diesem talmikleinod beilegte.
Die aus habsucht und herschsucht entstandenen lügen vom ende des
lOjhs. über Patricks bekehrung der vikinger haben nie officielle an-
erkennung gefunden, sie sind zu unverschämt; die noch grofsartigeren des
Sund beginnenden 9jhs. haben nicht nur die anerkennung Brian Boromas,
sondern auch der kirche erhalten, weil sie von einer zeit handeln, in der
Irlands geschichte ein blatt weifses papier ist, und sie nicht durch docu-
mente des 5 jhs. können widerlegt werden.
Wir haben also zwei perioden in der litterarischen fälschertätigkeit
Armaghs: 1) die zeit vom beginn des 8 bis zur mitte des 9 jhs. ; ihr ent-
stammen die denkmäler Book of Armagh fol. 1— 22b, 2, welche Armaghs
anspräche auf den primat Irlands stützen sollten, eine art abschluss,
offenbar erst angefertigt, als Armaghs anspräche de facto in Irland durch-
gedrungen waren, bildet die so genannte Vita tripartita Patricii. 2) mit
ende des 10 jhs. beginnt die zweite periode, in der man die alte tätigkeit
wider aufnahm, um Armaghs primat über die neuen vikingerkirchen in
Dublin, Waterford, Limmerick usw. zu erreichen, das jähr 1102 krönt das
werk der lüge, als der Dubliner bischof sich vom erzbischof von Armagh
consecrieren lässt; 1172 brachte Eugens in legat -1 pallia nach Irland und
80 KELTISCHE BEITRÄGE III
kenntnis von den würklichen fiandr. in jener zeit safsen
vikinger als solche nur mehr an einzelnen küstenplätzen und
deren Umgebung, sie waren im innern Irlands assimi-
liert und völlig zu Iren geworden: des Magnus zug ist
eine ephemere erscheinung, und gerade der umstand, dass nur
er und keiner der mächtigen und viel furchtbareren heidni-
schen vikingerherscher, wie Turgeis im 9 jh., in der Finnsage
erscheint, ist ein beweis, dass die erinnerung an sie schon
muste dem gedächtnis entschwunden sein, als die Finnsage ge-
stalt zu gewinnen begann, diejenigen vikinger aber, die im
11 und 12 jh. noch in Dublin, Waterford usw. safsen, waren
auch keine fiandr mehr: sie waren Christen und standen zu
den Iren wie Iren zu Iren; hier wird mit dem Christentum auch
annähme irischer spräche hand in hand gegangen sein, ähnlich
wie in der Normandie sich die entwickelung vollzog, warum die
vikinger Dublins, über die von 1052 ab fürsten mit irischen
namen herschen , um 1060 sollten weniger irisiert gewesen sein,
wie die vikinger an Frankreichs küste zur zeit Wilhelms des
eroberers franzüsisiert, ist nicht einzusehen, zumal nichts gegen
diese annähme spricht, dazu kommt noch ein weiteres: der
name fianna für die 'vikinger' ist ja nicht eigentlich
bezeich nung des volkes, sondern kann nur in den
ersten Zeiten der berührung, also in der 1 hälfte des
9 jhs. entstanden sein: er ist gewisser mafsen das echo,
welches die nordischen fiandr bei den Iren hervorlockten, mit
dem sesshaftwerden der Nordländer treffen wir denn auch in den
annalen neben dem generellen namen für ausländer Gall bald
die bezeichnungen Nortmann, Danar, Lochlannach (vgl. Annalen
der vier meister zu 857.869.878.918 usw.), deren kenntnis
mit dazu beitrug, die ursprüngliche bedeutung, die fiann im
9 und 10 jh. hatte, im ausgehenden 11 und im 12 jh. in völ-
lige Vergessenheit zu bringen, dies erwägend halte man
zusammen: 1) das ausgehende 11 und beginnende 12 jh. wüste
von heidnischen fiandr, die sich auf Irlands boden getummelt
auf der synode im märz dieses Jahres wird die einteilung der irischen
kirche in 4 erzbistümer (Armagh, Dublin, Cashel, Tuam) mit Armagh als
sitz des primas festgesetzt, ist es zufall, dass schon 1183 Jocelin im auf-
trage des primas eine neue Vita Patricii schrieb, die alle seit der zweiten
hälfte des 10 jhs. begangenen fälschungen aufnahm? Vita tripartita und
Vita Patricii des Jocelin sind die abschlüsse der beiden perioden.
KELTISCHE BEITRÄGE III 81
hatten, nichts mehr, es kannte nur christliche ausländer hei
Dublin, Waterford und sonst, die aber ihrer spräche nach irisiert
waren. 2) alte texte — natürlich alt im sinne jener zeit, und
was 50 jähre alt ist, unterliegt längst der sage — meldeten nun,
dass Patrick den tuathaib Fene ebenso wie den Scotaib gepredigt
habe, dass er einen fennid in Dublin vom tode erweckt, dass
ein sui (kundiger) berla feni in der neuner-commission gesessen,
die Irlands recht neu ordnete. 3) die sage dieser zeit (1 1 — 12 jh.)
wüste nur von dem Munsterhelden Finn und seiner fiann. —
ist es nun nicht natürlich, dass man — um die sage, die Finn
und seine fiann, fennid zur zeit Cormacs und Cairpres leben
Iässt, wenigstens etwas mit der vermeintlichen geschichte in ein-
klang zubringen — annahm, einige aus der fiann Finns hätten
bis auf Patricks zeit gelebt? diese Vorstellung taucht, wie wir
s. 44 sahen, mitte des 12jhs. auf und ihre ausführung nach
einem text der Cuchulinnsage ist der text des 14 — 15jhs. Accal-
larn na senörach (s. 43 ff).
Aber auch die gelehrten (geschichtsforscher und antiquare)
waren nicht müfsig. was sind denn das für tuatha Füne und
was ist es mit der wunderbaren berla fene? auf beides sog man
antworten aus den fingern, und ich habe mich oft gefragt, was
gröfser sei: die phantasie und die sei bstbelügung dieser
guten leute — es ist die zeit Gottfrids von Monmouth ! — oder
die naive glaubenseinfalt des 19 jhs. entscheidend für die falschen
folgerungen wurde, dass man die form fene in Verbindungen
wie tuatha Fene, b elre fene wol schon ende des 10 jhs., als man
den sinn 'Normannenvölker, Normannensprache' noch hatte, nicht
mehr recht verstand : man nahm sie für einen gen. plur. (tuatha
Gall, belre Gall) von einem nom. sing, fene (stamm fmjos) statt
gen. sing, zu fiann.1 was konnten sich nun die irischen ge-
lehrten in der zweiten hälfte des 11 jhs., die von der fabulosen
vikingerbekehrung durch Patrick nichts wüsten oder nicht an sie
glaubten, denken bei den Worten 'Patrick predigte den tuathaib
Fene'? zumal wenn sie der tradition gemäfs annahmen, der
hymnus stamme von Fiacc. hier konnte doch nur in tuathaib
Fene eine andere bezeichnung liegen für 'den Iren', und da man
die bezeichnung nicht auslegen konnte, so legte man ihr etwas
1 eine andere möglichkeit, die form fgne 'die vikinger' zu erklären,
werden wir alsbald kennen lernen.
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 0
82 KELTISCHE BEITRÄGE III
unter, wer sich gegenwärtig hält, aus welch kleinen anfangen
die Trojanersage der Franken entstanden ist, wird das, was die
Iren unterlegten, nicht besonders unbegreiflich finden, es lag
nämlich für sie die aualogie nahe: die fabeleien des 9 und
töjhs. hatten eine irische geschichte von der Schöpfung bis in
die historische zeit geschaffen, in der unter annähme verschiedener
colonisationen nicht nur alles, was von mythologischen Vorstel-
lungen vorhanden war, hübsch gescbichtet Unterkunft fand, sondern
auch die phantasien über die namen Scottus, Gaedel durch Schaf-
fung von Stammvätern zur zeit des turmbaus von Babel, lag
es nun nicht nahe, so für die vermeintlichen fene einen Stamm-
vater zu schaffen, wie Jocelin Dublin von ei ner Dublinia ableitet
(s. s. 61)? man erfand einen 'Fenius den alten' (Fenius far-
said) , der ein enkel Japhets, konig der Skythen war; er gründete
eine schule in der ebene Sinear, um hier beim turmhau zu Babel
die sprachen zu lehren, sein unterschulmeister war Gaedhel,
mit dem er nach 20jähriger Lehrtätigkeit in der ebene Sinear
nach Skythenland zurückkehrte und den er dort zum hauptlehrer
machte, von den beiden söhnen des Fenius war der jüngere so
berühmt als Schulmeister, dass er von Pharao einen ruf erhielt,
den Schulunterricht in Egypten zu ordnen; dort heiratete er
Scota, des Pharao tochter, von der er einen söhn bekam, den
er nach seinem lehrer und väterlichen freund auch Gaedhel
nannte, die nachkommen dieses Schulmeisters sind die Iren,
und daher stammen die drei namen Fene, Goidil und
Scotti. dieser egyptische roman findet sich im Book of Bally-
mote und Lecan (14 — 15 jh.) und ist seitdem oft, und immer
weiter ausgeschmückt, mit vielem ernst als wahr oder doch ein
körn eben Wahrheit enthaltend ausgegeben worden, constatiereu
wir, dass Nennius, der die irischen colonisationssagen seiner
zeit gut kennt, von diesem 'Fenius dem alten' nichts weifs;
auch die irische bearbeitung des Nennius aus der zweiten hälft«
des 1 1 jhs. weifs noch nichts von ihm. zu ende des 1 1 oder
im beginne des 12 jhs. ist er erfunden: in den beiden hss.
mit Fiaccs hymnus finden sich in glossen zu zeile 35 und 40
in nuce die fabeleien über Scotta, Gaidel und Fenius, bezeich-
nend dafür, dass die fabel aus dem zu ende des 11
oder anfang des 12 jhs. unverständlichen dotuathaib Fene
geflossen, natürlich ist sie auch in Lebor gabala 'buch der
KELTISCHE BEITRÄGE III 83
besiedlungen' verarbeitet (LL2a). aber gerechtes bedenken werden
wir tragen , dem Schreiber von LL zu glauben , dass das gedicbt
LL 133k, 12 ff, welches ebenfalls die fabelei kennt, von dem 884
gestorbenen Maelmuire Olhna herrühre, und ebenso wenig werden
wir den artikel bräthchoei dem ursprünglichen bestandteil des
Sanas Cormaic zuschreiben, das schweigen des lateinischen und
irischen Nennius ist für die früheste annähme der entstehung
entscheidend: zweite hälfte des 11 jlis.
Nicht minder anlass gab vom 11 jh. ab die berla fene zur
speculation; die bezeichnung fand sich wol noch in manchen
documenten des 9 und 10 jhs., die uns verloren gegangen sind,
erwies sich der mangel an historischem sinn so grofs, dass man
zu ende des 10 jhs. die erfindung wagen durfte, die vikinger
Dublins seien von Patrick bekehrt worden, so wird man ende
des 11 jhs., als die spräche der vikinger seit mehr denn einem
halben jh. verschwunden war, für die bezeichnung berla fene
kein historisches versländnis mehr erwarten dürfen, um so weniger
als tuatha Fene, berla fene nach dem s. 80 bemerkten wol nie
eine art officieller bezeichnung der vikinger und ihrer spräche
war. das aber darf ich wol betonen, dass, wenn berla fene
nicht ursprünglich bezeichnung der 'spräche der fianna dh. der
fiandr' wäre, uns in den irischen denkmälern des
9 und 10 jhs. jeglicher hinweis auf die den Iren doch
ganz unverständliche nordische spräche fehlte, aus der sie
so viel geborgt.1 gewis sehr wunderbar. — aus der angäbe,
dass in der neuner-commission sich ein sui berla fene befand,
folgerte man, die berla fene sei das alte irische gewesen
vor Patricks zeit, in dem die geselze ursprünglich ge-
1 im letzten viertel des 9 und beginn des 10 jhs., gleichzeitig mit dem
streitbaren Casheler kirchenfürsten Cormac mac Cuilennain, heischte in
Leinster Cerball mac Muricain, dem LL 39c, 3 eine regierungszeit von
24 jähren zugeschrieben wird, er hatte in seinen kämpfen gegen die vikinger
Dublins glück, denn es gelang ihm 897, die vikingerherschaft in Dublin auf
einige zeit zu brechen; er starb nach den Vier meistern 904. auf diesen
mitten im vikingerzeitalter lebenden und in fortwährender berührung mit
den vikingern stehenden Leinstei herscher besitzen wir LL 20 lb, 1 — 51 ein
gedieht (eigentlich auf seine grabstätte), in dem ausdrücklich von ihm her-
vorgehoben wird, dass er war ollam berla f&ne 'ein studierter kenner (doctor)
der spräche der vikinger' (LL 201b, 42). ich denke, das ist deutlich, wenn
man zeit und person ins äuge fasst.
84 KELTISCHE BEITRÄGE III
schrieben waren, ohne zu überlegen , dass doch Dubthach und
die anderen anwesenden aufser Patrick die spräche, in der bis
dahin die gesetze geschrieben waren, vernünftiger weise auch
müssen gekannt haben, hat man diese törichte erfindung des
mittelalters in ermanglung einer erklärung auch heutigen tages
noch widerholt, die hauptsammlung irischen volksrechtes führt
den titel Cain Patraic 'gesetz des Patrick' oder Senchas mär
'grofse gesetzsammlung'. da man nun annahm, dieses durch
Patrick und die neuner- commission festgestellte irische volksrecht
sei aus der berla fene, dh. dem irischen vor Patricks zeit, um-
geschrieben, so bildete man alberner weise nach senchas (= althr.
hencasson gl. monimenta) ein wort fenchas zur bezeichnung des
vorpatricianischen rechtsbuches der Iren, auch diese Spielerei
stammt aus der zweiten hälfte des 1 1 jhs., da sie LU 7a, 85 ff im
commentar zu Dallan Forgails Amra Choluim Chilli (elegie
auf Columba) vorkommt; ja man gieng dazu über, auf grund
dieser und anderer misverständnisse 'gesetze', wenn ich so sagen
darf, für eine fingierte alte spräche aufzustellen.
Ich will die leser nicht länger mit diesen fabeleien ermüden,
die ihren Ursprung der unbekanntschaft der Iren vom ende des
11 jhs. ab mit den zuständen und Verhältnissen im 9 und lOjh.
verdanken, verbunden mit ihrer natürlichen Veranlagung, sich
das tollste aus den fingern zu saugen.1 ich möchte nur noch
daraufhinweisen, dass die von mir gefundene ursprüngliche
bedeutung von fiann, feinnid, tuatha Fene, berla fene usw., so
fern man immer den nachgewiesenen bedeutungswandel im äuge
behält, ein Ariadnefaden ist, der uns noch dujrh manches laby-
1 es ist heutigen tages ton , mit einer art sittlicher entrüstung Gottfrid
von Monmoulh als bewusten lügner zu bezeichnen, man kennt eben
das keltische mittelalter zu wenig, eine gränze zwischen phantasie und
würklichkeit existiert bei keltischen erzählern im mittelalter kaum, nimmt
man noch hinzu, dass sie beim erzählen der kleinsten ereignisse den mund
riesig voll nehmen — jede Schilderung eines kriegszugs, bei dem eine anzahl
kühe erbeutet, einige äugen aus- und einige nasen abgeschlagen wurden,
liest sich im irischen wie ein welterschütterndes ereignis — , so ist Gott-
frids geschichte klar, er ist ein gewaltiger aufschneider, der mucken für
elephanten ansieht, und seinen lesern von solchen erzählt, wenn man die
oben s. 60 ff gegebene erzählung Jocelins mit dem ihr zu gründe liegenden
gedieht (oben s. 58 ff) vergleicht, dann wird man ein annäherndes bild be-
kommen davon , wie sich Gottfrids von Monmoulh Schilderungen zu seinen
quellen verhalten.
KELTISCHE BEITRÄGE III 85
rinlh irischer sagen-, geschichts- und rechtslitteratur führen wird.1
die letztere habe ich hier besonders im äuge.
Die bei den Iren im mittelalter höchstes ansehen geniefseude
Sammlung volkstümlichen rechts in irischer spräche führt den
titel Se7ichas mar. die älteste, aber fragmentarische hs. dieses
rechtsbuches stammt aus der mitte des 14 jhs. hier treten uns
drei schichten deutlich entgegen : text der gesetze, einleitung
und drittens eine grofse fülle von commentarartigem und glos-
sierendem material zu text und einleitung. was man bis jetzt
zur geschichte dieser Sammlung geleistet hat, ist ganz unbefrie-
digend, wir sind nunmehr in der läge, das alter der
auf uns gekommenen redaction genau zu bestimmen,
die einleitung zum Senchas mör (Ancient laws of Ireland bd. i.
ii. in 1—78 Dublin 1865 IT) enthält die oben (s. 55—57. 73 ff)
behandelte geschichte von Loegaire und der neuner-commission
so, dass sie einen integrierenden teil der einleitung
1 schon durch den Zs. 32,279 — 284 geführten nachweis, dass das
ir. gedieht auf könig Aed mit nordischen lehnwörtern durchsetzt ist, wird
die auf rein paläographische gründe gestützte annähme unmöglich, dass die
SPauler hs. aus dem 8jh. stamme, hinzu kommen noch in dem ersten
stück die oaic fciw 'junge männer der fian?i' (vikinger), die neben 'wilden
hunden und ochsen' (dh. wölfen und hirschen) und 'umherschweifern im
gebirge' genannt werden: com altai ocus ois ocus imtkeclit siebe ocus
oaic fene; ich denke, das bild hat färbe. — Aed, dem das 5 gedieht dieser
hs. gilt, war ein Leinster-regulus und zwar der beziehung in z. 2. 4. 10
(vgl. Annals of Ulster s. a. 818) nach im gebiet der heutigen grafschaften
Wicklow und Kildare, also in der gegend, wohin sich im jähre 936 die
vikingerherschaft von Dublin erstreckt (s. oben s. 65). er war ein söhn
Diarmaits und ein enkel eines Muircdach. nun melden die Ulsterannalen,
dass 804 Leinster zwischen zwei Muiredach geteilt wurde: der eine stirbt
817, der andere 828. als nachfolger des 817 gestorbenen Muiredach jnac
Brain wird in dem Verzeichnis der Leinsterkönige Murican mac Diarmala
'.M. söhn des DiarmaW aufgeführt (LL 'M)h unten) mit dem zusatz Locldan.
rosmarb 'die Lochländer töteten ihn', zum jähre 852 melden Ulster-
annalen, Vier meister, Chron. Scotorum übereinstimmend, dass. ein Bruatar,
söhn Aeds , in Verbindung mit dem könig von Ossory den Echtigem, könig
von süd-Leinster, mordete, wir kommen also für den beiden unseres ge-
dichtes in die erste hälfte des 9 jhs. um 840 kamen, wie wir aus der
Vita Findani wissen (s. Glossae Hibernicae xxvm), in folge der vikinger-
einfälle kleriker aus Leinster (darunter t'indan) nach Alemannien und traten
in dortige klöster (ttheinau, Heichenau). sie brachten die SPauler hs. mit,
ebenso die Carlsruher Bedahs. (nrCLXYÜ), die ja genau der oben festgestellten
zeit entstammt (s. Glossae Hibernicae p. xxiv — mix).
86 KELTISCHE BEITRÄGE III
bildet, sie ist LH U7b, 20 ff nur als ein ausschnitt aus dieser
eiuleitung zu fassen, aber diese bs. vom ende des 11 jhs. bat
uns, wie natürlich ist, diesen teil der einleitung in einem wich-
tigen puncle viel besser bewahrt als die liss. des 15 und 16 jhs.,
die uns den gleichen abschnitt des Senchas mör bieten, hin-
sichtlich der wichtigen neuner-commission heilst es:
LU 118', 40 ff Senchas mar i 16
Patraic 7 Benen 7 Caimech Patraic ocus Beneoin ocus Cair-
oeclais.j. tri epscoip. — Loegaire nech,tri epscuib. — Loegaire ocus
mac Neill ri hErenn 7 Däiri ri Corc ocus Daire .%. tri rig. —
Ulad 7 Corc mac Lugdech ri Rosa.j. mac Trichim ocus Dub-
Muman na tri rig. — Dubthach thach ./. sni berla ocus Fergus ./.
mac uLugair 7 Fergus file 7 fded.
Rus mac Tricim sui berla feni.
'Patrick und Benen und Cair- 'Patrick und Benen und Cair-
nech von seilen der kirche, näm- nech, drei bischöfe. — Loegaire
lieb 3 bischöfe. — Loegaire mac und Corc und Daire, dh. 3 könige.
Neill, könig von Irland, und Dairi, — Rosa, dh. mac Trichim, und
könig von Ulster, und Corc mac Dubthach, dh. ein kundiger der
Lugdech, königvon Munster, die berla (feni), und Fergus, dh.
3 könige. — Dubthach maccu der dichter.'
Lugair und Fergus, der dichter,
und Rus mac Tricim, der kundige
der vikingerspracbe.'
Halten wir uns gegenwärtig, dass man vom 12 jh. an mit
berla fene der älteren texte in Irland nichts mehr anzufangen
wüste und fabelte, dass dies das irische vor Patricks zeit be-
zeichne, aus dem die neue redaction stamme (s. s. 83). nun war
der bekannteste name der letzten gruppe sicher Dublhach,
der ja heidnischer ober-/?/e Irlands zu Patricks zeit war; dieser
hatte keine nähere angäbe seines amtes und muste doch gerade
der 'kundige der uririschen spräche' sein, indem man also sui
berla (fene) auf ihn übertrug, nahm man scheinbar eine natür-
liche correctur vor. dadurch hatten Dubthach und Fergus eine
Stellung; nun muste auch Rus eine solche bekommen: man
machte ihn zum 'söhn seines vaters'; Rosa hat als eigenschaft
mac Trichim, wie Dublhach sui berla hat, und Fergus, dass er
file war. so ist er dann als 'söhn seines vaters' mitglied der
neuner-commission. dass man bis jetzt noch nicht dazu ge-
KELTISCHE BE1TIIÄC.E III 87
• kommen ist, diesen unsinn auf grund der klaren alten hs. zu
verbessern, ist um so auffallender, als uns ein anderes deukmal
noch erhalten ist, welches das richtige bietet, in dem alten
Wörterbuch Sanas Cormaic ist auf obige neuner- com mission be-
zug genommen unter dem arlikel noes, wo es heifsl noes ./• nö~-
ßss ./. fis nonbair ./. tri fig 7 tri nöib 7 tri said ./. suid ßlidechla
7 said Iure 7 said berla feni 'noes bedeutet: neun- wissen , dh.
das wissen von 9 mann, nämlich 3 könige und 3 heilige und
3 gelehrte, dh. ein in dichtkunst gelehrter, ein in litteris kundiger
und ein kundiger der berla feni (vikingersprache)' ; diese alle waren
beim anfertigen des Senchas mör tätig, derjenige, welcher diesen
artikel ius Wörterbuch des Cormac eintrug, hatte uoch das richtige
vor sich.
Wir können also auf gruud dieser richtigstelluug und der
ausführuog oben s. 73 IT mit bestimrntheit annehmen, dass die
uns erhaltene redaction irischer volksgesetze, die
den namen Senchas mör führt, erst aus dem ende des
lOjhs. stammen kann, zugleich möchte ich aber betonen,
dass ich dies keineswegs für die zeit halte, in der das irische
recht in irischer zunge zum ersten mal aufgezeichnet wurde,
wenn man den hohen cultui zustand Irlands im 7 und 8 jh. im
äuge behält, dann wird doch die annähme, dass die Iren ihr
recht in jeuer zeit nicht ebenso gut aufzeichneten, wie schon
früher die germanischen stamme, lächerlich, nach der erwähnung
der arbeiten der neuner- commissiou lieifst es in der einleitung
(Ancieut laws i 18): 'dies ist die Cain Patraic (gesetz des Patrick)
und kein menschlicher breho von den Iren (nach brithem daenna
doGaedelaib) kann etwas von dem aufheben, was im Senchas
mör sich findet.' wir sehen also hieraus, dass Cain Patraic
hier als ein anderer name für Senchas mör gegeben wird, diese
Verwendung von Cain Patraic, die nach der Patrick dabei zu-
geschriebenen tätigkeil natürlich ist, darf nicht verführen zu
der annähme, dass die lex Patricii, für deren einführung in
ganz Irland der bischöfliche sitz von Armagh von 736 — 840 be-
müht war (s. oben s. 75 IT), eine ältere redaction dieser
volksgesetze war. jene lex Patricii, die Ulsterannalen 782 auch
Cain Patricii genannt wird, verfolgte hierarchische und kirch-
liche zwecke, gedacht haben wird man hei der henennung Cain
Patraic für die redaction der volksgesetze im ausgehenden LO jh.
88 KELTISCHE BEITRÄGE 111
an jene lex Patricii. unsicher ist es auch , ob wir in den zahl-
reichen citaten , die sich im so genannten Sanas Cormaic finden,
Zeugnisse für eine ältere redaction des Senchas mar sehen dürfen,
einmal ist es nicht absolut sicher, dass würklich das glossar
selbst in seinen gruudbestandteilen von dem 903 gefallenen streit-
baren Casheler kirchenfürsten Cormac herrührt; sodann stammen
die ältesten handschriftlichen fragmente erst aus LL (um
1150 — 1160 geschrieben): es können also die vielen beziehungen
im Sanas Cormaic auf Senchas mör im 10 und 11 jh. hineinge-
kommen sein, dies wird sehr wahrscheinlich durch die tatsache,
dass der artikel noes des Wörterbuchs sicher aus der uns er-
haltenen redaction vom ende des 10 jhs. stammt (s. s. 87).
Also die auf uns gekommene recension des Senchas mör
stammt frühestens aus dem ende des 10 jhs. welches die
Verhältnisse Irlands zu der zeit waren hinsichtlich der nationali-
täten auf seinem boden, haben die vorangegangeneu Untersuchungen
vielfach gezeigt, neben der grofsen masse der alteingesessenen
keltischen bevölkerungen befanden sich damals christianisierte
vikinger in nicht unbeträchtlicher anzahl auf Irlands
boden und zwar in doppelter Stellung: 1) an einzelnen puncten
befanden sich Normannenstaaten (Dublin, Waterford, Wexford),
in denen die herschenden vikinger noch ihre germanische spräche
redeten und vermutlich germanisches recht hatten. 2) an zahl-
reichen puncten Irlands an der küste und im innern vom norden
bis Süden müssen wir uns unter der irischen bevölkerung vikinger-
colonien, wenn ich so sagen darf, sesshaft denken, die aufser
dem Christentum durch heirat der männer mit irischen trauen im
10 jh. auch schon irische spräche meistens angenommen hatten,
wenn man die Ulsterannalen für die zeit von 795 — 950 durch-
liest, dann muss man sich fragen: gibt es einen ort, ein kloster,
einen see, einen berg, ein tal, einen bach Irlands, wohin in
dieser zeit vikinger nicht gekommen sind, wo nicht grüfsere
trupps längere oder kürzere zeit gesessen hätten? kaum, das
liegt aber doch auf der band, dass in Ulster, Connacht, Munster,
wo solche vikingerherschaften nach kürzerem oder längerem be-
stände niedergeworfen wurden , nicht alles, was mit den vikingern
gekommen war, mit kind und kegel abzog, wir sind in der
glücklichen läge, durch ein denkmal in irischer spräche das
Vorhandensein dieser beiden arten von vikingern auf Irlands
KELTISCHE BEITRÄGE III 89
boden nachweisen zu können für die zeit ums jähr 1000. der
bisher nach seinem wert nicht genügend geschätzte Lebor na
cert, dessen abfassung zwischen 1001 und 1014 oben s. 11 aniu.
nachgewiesen wurde, unterscheidet durch den Sprach-
gebrauch scharf Gaill und fortuatha. mit Gaul (s. über
diesen namen s. 62) bezeichnet er die unabhängigen,
ein eigenes Staatswesen mit der hauptstadt Dublin
bildenden vi kinger, und mit fortuatha ('die dazu gekom-
menen Völker, fremdlinge') die an verschiedenen puncteu
Irlands (Ulster, Leinster, Munster) unter irischer bot-
mäfsigkeit stehenden, sicher christianisierten und sprach-
lich irisierten vikingercolonien. verbunden ist Gaill mit
AthCliath (Dublin) Lebor na cert s. 50, 18. 224, 15. 226, 1.
228, 16. 252,21; an den anderen stellen ist entweder im Zu-
sammenhang mit Dublin davon die rede (218, 1. 4. 220, 2. 228, 6.
230, 3) oder es kann nur an den vikingerkönig von Dublin ge-
dacht werden wie 248,26, wo zu den Vorrechten des Ulster-
köuigs gerechnet wird cleamnas re rig Gall nglasfuar 'ver-
schwägerung mit dem könig der blau(äugigeu) kalten Gall.' das
letztere kann um 1000 nur der vikingerherscher Dublins sein.
fortuatha 'vikingercolonien' sitzen in Donegal (120, 1) und au
anderen orten Ulsters (168, 16. 172, 7), in der grafschaft Wicklow
in Leinster (206, 11. 208, 5) und in der grafschaft Cork in
Munster (78, 6). O'Douovan sieht in diesen fortuatha 'stranger
tribes', aber Iren, und meint, sie seien so genannt, weil sie
sich später in bestimmten clangebieten angesiedelt hätten (vgl.
Lebor na cert. s. 78 note f) und s. 120 note e sagt er 'stränge
tribes who settled in the province , not of the kings own race.'
das ist richtig, wenn eben stränge tribes = vikinger ist. es
lässt sich nachweisen , dass unter fortuatha nicht 'Iren' ver-
standen sein können: gegen 'Iren' spricht der name, der in
Donegal, in Wicklow und Cork auftritt; ein irischer clan bliebe
doch immer ein irischer clan und hat seinen namen. hinzu
kommt, dass tuatha das gewöhnliche wort ist, um 'vikinger' zu
umschreiben: tuatha Gall, tuatha Fme usw.; die überall auf-
tretenden fortuatha 'stränge tribes' sind also vikinger. nun
können wir auch noch nachweisen, dass würklich vikinger-
ansiedlungen dort im '.) und 10 jh. bestanden, wo Lebor na cert
die fortuatha kennt. Lebor na cert 120, I nenn! fortuatha im
90 KELTISCHE BEITRÄGE III
gebiet des rig Ailig 'des königs von Ely' (Ailech). 'Ely a fort
with remains in slone, in Donegal, near LoughSwilly and
on the Isthmus dividing it Crom Lough Foyle, barouy
of Inishowen' (O'Donovan s. 120 note d). diese gegend ist nun
im beginn des lOjhs. von Normannen heimgesucht: Chron.
Scotorum 904 (= Anualen der vier meister 900) Ailech dargain
do Gallaibh ('Ailech von den vikingern verwüstet'); Chron. Sco-
torum 938 (= Annalen der vier meister 937, Annais of Ulster 938)
Togail Ailig ö gentib ('Zerstörung Ailechs von den beiden'); die
in der nähe von Ailech am Lough Foyle sitzeuden vikinger ver-
wüsten 893 Armagh, sind 941 mit Ulsterleuten gegen Ulsterleute
verbündet, ihre christianisierten und durch heirat mit irischeu
Trauen auch in der spräche irisierten eukel sind die fortuatha
ums jähr 1000, die dem könig von Ailech gehorchen, ebenso
iuteressant sind die fortuatha Munsters in der grafschaft Cork
(O'Donovan s. 78, 6): hier ist fortuatha identisch mit Fir
maige Fem, also die stränge tribes sind die vikinger
von Fermoy (vgl. oben s. 23 ff).
Dass diese fortuatha im 11 und 12 jh., als sie vollständig
assimiliert waren, sich als Iren unter Iren fühlten, ist natür-
lich; es blieb nur die tatsache, dass sie inmitten eines Stammes
safsen, und dass man dies durch einwauderung irischer clane zu
erklären suchte, begreift sich.
Da also nachweislich am ende des lOjhs. in den verschie-
densten teilen Irlands vikingercolonien unter den Iren vorhanden
waren, so müssen die verschiedensten stufen der rechtszustäude
damals bestanden haben, es gehört zu den vielen unbegreiflich-
keiten, die mir bei näherer bekanntschaft mit keltischen Studien
entgegen getreten sind, dass man die frage, ob im Se?i-
chas mar nicht beziehungen zu diesen teils nachweis-
lich vorhandenen, teils notwendig vorauszusetzenden zuständen
sich finden, nicht einmal ernstlich aufgeworfen
hat, geschweige denn eine lösung versucht hat. deshalb ist die
seit 1866 erscheinende grofse ausgäbe der Sammlungen irischer
volksgesetze mit Übersetzung und einleitungen eine wissenschaft-
liche totgeburt. Senchas mär spiegelt die am ende des
10 jhs. vorhandenen rechts Verhältnisse in voller
klar heil wider, nur haben O'Donovan und O'Curry und die
Verfasser der einleitungen zu den einzelnen bänden dies ebenso
KELTISCHE BEITRAGE 111 91
wenig verstanden, wie die unwissenden eommeulatoren und Glos-
satoren des 12 — 14 jhs., von denen sie sclavisch abhängig sind,
bei jedem einzelnen puuct der r e c b t s m a t e r i e wird
das geltende recbt dargestellt und dann hinzu-
gefügt: die und die bestimm ungen haben keine
oder doch nur bis zu einem gewissen grad geltuug
laFetie; ol't wird sogar angegeben, dass ursprünglich (d b.
bei den Iren) eine bestimm ung in dem und dem um-
fang gellung hatte, dass sie aber mit rücksicht auf
recht oder brauch la Fene so und so erweitert sei.
ich miisle das ganze rechtsbuch seite für seile ausschreiben, um
alle belege beizubringen.1 wir haben im Senchas mar einen
grofsartigen und eigenartigen versuch aus dem ende des 10 oder
beginn des 11 jhs., den unterschied des rechtes, der zwischen
der alteingesessenen irischen bevölkerung und der seit au lang des
9 jhs. nach und nach auf irischem boden augesiedelten vikinger-
bevolkerung noch bestand, auszugleichen, und das werk wird
für germanische wie vergleichende rechtsgeschichte von höchster
bedeutung werden, so fern eine unter diesem neu gewonnenen
gesichtspunct gemachte Übersetzung vorliegt, der Schlüssel
liegt in der er kennt nis des ausdrucks Fene: fasst man
1 nur eins sei erwähnt wegen einer klaren parallele in dem mit Senchas
mör so ziemlich gleichaltrigen Lebor na cerl. es handelt sich in letzterem
um eine stelle (s. 120, 1 — 4), die wir schon oben betrachteten, der könig
von Ailech ist einer der mächtigsten ülsterherscher, er gebietet fast über
ein drittel von Ulsterland, der aufzählung nun alles dessen, was ihm die
einzelnen reguli schulden (s. 120, 5— 126, 8), geht voran die bemerkung.
dass er sein einkommen — 'nicht ist es tribul' — bezieht ö finib o for-
tuatliaib 'von den stammen und von den fremden colonien'. hier stehen
also fine, dh. 'die irischen clane1 und f'ortualha, dh. die 'stränge
tribes, die vikingerco lonien' als die beiden teile seines Volkes
neben einander, im Senchas mar haben wir einen abschnitt, welcher von
den ungeschriebenen, den auf dem wort beruhenden Vertragsverhältnissen
(corus besena customary law) haudell (in 1 ff), hier werden wir belehrt,
dass kleriker und Donnen der kirche unterstehen, die anderen glieder des
Staates dem forsten (flaith). nun wird die frage aufgeworfen, wie vielerlei
solcher Vertragsverhältnisse (corus) es im Staate gibt und die antworl ist
drei: corus flatha corus fine corus FSne, also 'das Vertragsverhältnis
des forsten, der (irischen) clane und der vikingercolonien' (in l(i). hier
stehen Fene neben fine, wie oben fortuatha uehen fine! so tuten im
Senchas mür ü her all die Fene 'vikinger' als /. w e i t e s e I e in e n t n e b e D
den Iren auf.
92 KELTISCHE BEITRÄGE 111
dies für 'Normannen' (vikinger), so ist alles klar; wenn nicht,
so bleibt der Senchas mör als ganzes und in wichtigen teilen
absolut unverständlich. Ferne bezeichnet 'die vikinger, die Nor-
mannen', und es ist diese Verwendung vvol aus den Verbindungen
tuatha Fene, berla fene geschlossen , die im beginne der vikinger-
zeit, während der ersten hälfte des 9 jhs. aufgekommen waren,
als mit näherem bekanntwerden die speciellen namen N ortmann,
Danar in gebrauch kamen und fiann, gen. feinne, die im ersten
teil dieser Untersuchung vorgeführte bedeutungsentwickelung durch-
machte, da war feine in den festen Verbindungen wie tuatha feine,
berla feine grammatisch unverständlich; man fasste es wie
tuatha Galt, dh. als gen. plur. 'spräche der Fene', wie 'spräche
der Gatt', man könnte ja annehmen, dass fene eine bildung
sei, wie feinid, fennid von fiann , also 'auf die fiandr bezüglich';
dagegen spricht nicht nur, dass eine solche bildung, wenn sie im
9 jh. entstanden wäre, sich auch anderweitig adjectivisch müste
nachweisen lassen, sondern auch manches andere: einmal die
s. 81 — 84 angeführten tatsachen, die wenigstens zeigen, dass
vom ende des 11 jhs. ab man weder für form noch für be-
deutuug von feine in tuatha Fene, berla fene ein Verständnis
hatte; dann wird aber durch die identität von Fir maige Fene
in den annaleu für 9 und 10 jh. mit Fir maige Fian im Lebor
na cert des 10 jhs. (s. s. 23 ff), sowie durch die parallele aus-
drucksweise tuatha Fene in Fiaccs hymnus und tuatha Gatt im
Lebor na cert (s. oben s. 73 anm.) die combination, dass Fene
wie Gatt zu fassen sei, gewisser mafsen auf dem präsentierbrett
entgegengebracht, da nichts verkehrter wäre als die acten zu
einer zeit, wo der erste schritt erst getan ist auf dem wege
würklicher erkenntnis der irischen zustände im vikiuger-
zeitalter, früh zu schliefsen, so will ich noch auf eine im ver-
lauf schon mehrfach angedeutete, die form Fene für 'vikinger'
erklärende möglichkeit hinweisen, die nomina des altn., welche
gleiche bildung und gleiche flexion haben, wie fiandi, haben
fast alle im nom. und acc. plur. /-umlaut, wie auch die ein-
silbigen consonantischen stamme, also gefandi : gefendr, büandi:
büendr usw. mw fiandi half iandr, daneben in jüngerer zeit auch
fendr. dürften wir einen solchen nom. acc. plur. neben fiandR
in der vikingersprache des 9 und 10 jhs. annehmen — sprach-
lich möglich ist dies — , dann würde wie dem fiandR irisch
KELTISCHE BEITRÄGE III 93
ftanna, f'iana diesem umgelauteten nom. plur. fendR eiu irisches
fenna, fena entsprechen, für dieses fena konnte man einen
beleg im Book of Armagh fol. 18b sehen in dem Fena for Fid
(mör). hier wird erzählt, dass die 7 söhne Cathbads von dem
noch heidnischen süd-Leinsterherscher Endae Cennselach in die
Verbannung gejagt wurden, weil vor allen sie glaubten; bischof
Filh gieng mit ibnen ins exil. als nun Patrick später den Crim-
thann, den söhn des Ende Cennselach, taufte, erbat er von
ihm, 'dass er (Crimlhann) lassen möchte die 7 söhne Catbbads
und Fith (in ihrem gebiet)1; er erlangte die bitte, es giengen
darauf die söhne Cathbads zu ihrem heim. Is de attäa Fena for
Fid 'von da gibt es Fena an (dem ort oder gegend) Fid (mör)'
hier sind zwei dinge aus einander zu halten: einmal, dass zur
zeit, als diese irischen notizen geschrieben wurden, Fena in
Fid mör existierten, und zweitens, dass der Schreiber sie mit
bischof Fith in Verbindung brachte, dass letzteres unsinn ist,
liegt auf der hand; Fid (mör) ist eine gewöhnliche orts-
bezeichnung, die auch in Ulster vorkommt (Täin bö Cüalnge
in LU 66a, 9. 56\ 38. LL 56c, 35): es bezeichnet 'grofswald',
wie Fid ard in Tipperary 'hocbwald'. ist also die in der notiz2
gegebene Verknüpfung der ortsbezeichnung Fid mör mit dem
sagenhaften bischof Filh unhaltbar, so bleibt die tatsache, die
zu ihr anlass gegeben , bestehen, eine erklärung scheint mir
durch combination zweier anderer nachrichten nahe gelegt, in
den erzählungen von dem vertreiben der Dessi aus Meath nach
1 Stokes übersetzt arateilced maccu Cathbad ocus Isernium leo 'to
let go Cathbads sons and Iserninus together with theni' (Vita triparlita
ii 343) ; aber sie gehen zu lassen brauchte Crimthann nicht, da sie ja ver-
bannt waren, die bedeutung von arateilced ergibt sich aus Lebur na cerl
(O'Donovan s. 52, 1 = Book of Bailymote 269b, 50), woselbst es heifst, dass
die vikinger dem könig von Munster und oberkönig Irlands zu kriegsdiensl
verpflichtet sind artelgud atir 'dafür, dass er sie im lande lässt'. Crim-
thann sollte also die Verbannung aufheben, und so heifst es denn aucli
Book of Armagh 18b weiter: 'es giengen darauf die söhne Cathbads zu
ihrem heim.'
2 wenn man sich den irischen text ansieht Dullotar maicc Cathbad
diammennul ierfin. Is de attäa Fena for Fid, Conlullali/r dochum
Patrice ocus Oremtkinn maic Endi uc Sei Palrie, so ist klar, dass die
Worte /.« de attäa FSna for Fid von dem Schreiber des Book of Armagh
in seine vorläge hineingebracht oder wenigstens eine bemerkung in paren-
these sind, da sie die grammatische construetion unterbrechen.
94 KELTISCHE BEITRÄGE 111
Leinster und Munster, die fürs 11 jb. als vorhanden durch das
brucbstück LL1 53a, 34 — 54b ende erwiesen werden und die offen-
kundige ereignisse des 9 jhs. mit sagenhaften erinnerungen des
3jhs. verknüpfen1, finden wir in Rawl. B 502 fol. 73b = Laud
010 fol. 102a, 2 die notiz, dass neben den Dessi in Gabran
und <leu Fothart östlich von Gabran sitzen Fene in Fid mW.
Gabran ist Gowran in Ossory (grafschaft Kilkenny). andererseits
melden die Annalen der vier meister zum jähre 852, dass Mael-
sechlainn i einen zug unternahm bis Indeoin nan Deisi 'now Mul-
lacli Indeona in the territory of the Northern Deisi, harony of
OlTa and Offa East' ; und zwar unternahm Maelsechlainn den zug,
'weil sie ihm widerstand leisteten auf antreiben der fremden
stamme' (ar rothriallsat frühbert fris ahucht echtarchenel).
sind diese echtarchenel ' fremde stamme' nicht fortuatha 'zu-
gekommene stamme"? und was können die echtarchenel im gebiet
der nördlichen Dessi um 852 anderes sein als 'angesiedelte
vi kinger'? diese echtarchenel sind die Fene for Fid mör in
Rawl. B 502 und Laud 010 und die Fena for Fid (mör) im
Book of Armagh, und sie können sehr wol auf jenen
vi kin « er seh warm zurückgehen, der nach den Ulster-
annaleu 17 jähre früher (835) gerade diese nördlichen
Dessi heimsuchte (ar catha forsin Deis tuaisciurt o genntib
'Schlachtniederlage der nördlichen Dessi vou den beiden').2 wie
1 ich erinnere daran, dass Dunlang — wie nach LU 54a, 4 der
Leinsterkönig des 3 jhs. heifst — name von wirklichen herschern in
Leinster im 9 jh. und um 900 ist; dass analog den sagenhaften kämpfen
der Dessi mit den ir. oberkönigeu Cormac und Cairbre im 3 jh. würkliche
kämpfe mit dem ir. oberkönig Maelsechlainn i 852 und im beginn des 10 jhs.
stattfanden.
2 zu den angeführten momenten (s. 53 anm.) ein neues, dass die
notizen über Patrick im Book of Armagh nicht 807 können geschrieben sein,
da von vikingercolonien in Carlow, Kilkenny und Tipperary viel vor mitte
des 9 jhs. kaum kann die rede gewesen sein, ist die ansieht richtig, dass
die 852 unter den nördlichen Dessi sitzenden echtarchenel auf den vikinger-
schwarm von 835 zurückgehen und identisch sind mit den Fena for Fid
(mor) im Book of Armagh, dann vermögen wir ziemlich genau die zeit zu
bestimmen, in der die notizen Book of Armagh fol. 16a, 2 — 18b, 2 geschrieben
sein müssen. LL 309», 50 ff erfahren wir, dass der 83t in nord- Irland
landende vikingerführer Turgeis, in der absieht, Armagh zum sitz einer
heidnischen vikingerherschaft zu machen, den Forannän, Patricks nachfolger,
vertrieb corröcht Mumain 7 scrJn Patri'c leis 7 bai Forannän cothri hl.
i?n Mumain 7 Turgeis in Ardmacha 'sodass er nach Munster kam und
KELTISCHE BEITRÄGE III 95
rasch solche vikingercolonien durch ihre irischen frauen1 — und
auf solche waren sie ja allein angewiesen — halbwegs irisiert
wurden, dafür hahen wir gerade für die in frage kommende zeit
(852) Zeugnisse: zum jähre 555 melden Ulsteraonalenf— 854 Annalen
der vier meister), dassAed, söhn des Niall, die vikinger-Iren
(Gall-Gaedü) von Glenn Foichle (dh. Glenelly in grafschaft Tyrone)
hesiegt habe; andererseits besiegen a.856 Imar und Amlaib, führer
von neuen dänischen vikingerscharen, Caittil Find (ahn. Ketill
der weifse) mit seinen norwegischen vikinger- Iren (Gall- Gaidil)
in Munster; zum jähr 855 erfahren wir, dass der Munstcrkönig
im kample mit 'den heiden' (dh. neu einfallenden vikingern)
vikinger-Iren (Gall-Gaedü) auf seiner seite hatte. Gall-Gaedil
bezeichnet 'ausländer- Iren', dh. halbwegs irisierte ausländer, was
hier nur vikinger sein können, mit demselben namen werden
auch die irisierten Britannier im heutigen Galloway (zwischen
firth of Clyde und Solway firth) bezeichne!; aber daraus mit
Hennessy (Annais of Ulster i 365 anm. 10) schliefsen zu wollen,
dass hier von den niederland-Scbotten die rede sei, wäre töricht,
wie Gall an sich (vgl. s. 62) nur den ausländer bezeichnet und
erst aus zeit und umständen sich ergibt, ob vikinger, Eng-
länder usw. gemeint sind, so können auch Gall-Gaedil überall
der schrein Patricks bei ihm, und Forannän war 4 jähre in Munster und
Turgeis in Armagh.' nach des Turgeis tode kehrte Foranniin 845 (Ulslcr-
annalen) nach Armagh zurück, nur in diesen 4 jähren 841 — 845 konnte
man die kenntnis von den erst wenige jähre in Fid mör sitzenden Fcna
erhalten haben. Book of Armagh 16a, 2 — 18b, 2 ist also nach 841 ge-
schrieben.
1 dass die vikinger es auf frauen bei raubzügen abgesehen, wird
häufig erwähnt und ist bei der langen abwesenheit von hause — auch für den
fall, dass sie heimkehrten — natürlich; S2U melden die Ulsterannalen Orgain
Etir ogenntib, praed mor di mnaib dobrith ass 'plünderung von Howth
(bei Dublin) von den heiden, grofse beute an weibern wird fortgeschleppt.' —
wie stark der irisierende einfluss der frauen war, das haben ja
auch die 1172 ins land kommenden Engländer erfahren; um ihm vor-
zubeugen und die irisierung der Engländer zu verhindern, erliefs Eduard in
im jähre 1367 das berüchtigte Statut von Kilkenny, wonach es unter
strafe des hochverrats den englischen colonisten Irlands untersagt war,
sich durch heirat mit den Iren zu verbinden; zur zeit Eduards iv
(14G1 — 1483) wurde ein englischer baron enthauptet, weil er eine Irin ge-
heiratet (s. Hassenkamp, Geschichte Irlands s. 5). nur denke man sich die
vikinger des 9jhs. diesem einlluss hingegeben, und vieles wird ;ius dieser
zeit in sage und geschiente klar.
96 KELTISCHE BEITRÄGE III
erscheinen, wo die Iren nicht-irische bevölkerung mehr oder
weniger assimiliert haben, mir nicht zugängliche fragmente von
anualen melden nach Todd , Cogatlh Gaedhel s. xxx anm. über
die Gall-Gaedü von Munster (s. oben), dass sie waren 'a people
who had renounced their baptism and they were usually called
Normannaig, for they had the customs of the Northmen and had
been fostered by them, and also the original Northmen were bad
to the churches, these were far worse, in whatever part of Erinn
they used to be.' das ist natürlich irische auffassung jüngerer
zeit; es mögen auch Iren unter diesen 'vikinger-Iren' mit ge-
wesen sein, aber die Gall-Gaedü in den verschiedenen teilen
Irlands um 850 sind in irischen territorien sitzen gebliebene
vikinger, die im anfang wol noch heiden waren.
Wir haben also für die mitte des 9 jhs. vier bezeichnungen
solcher vikinger-Iren: echtarchenel ('ausländische geschlech-
ter'), fortuatha ('dazu gekommene stamme'), Gall-Gaedü ('aus-
länder-Iren') und Fena. diese namen werden natürlich in den
einzelnen gegenden nach und nach gewisser mafsen eigennamen,
wie wir die fortuatha in Wicklow im Lebor na cert und
sonst treffen, so die Fene in Fidmor neben Dessi und Fotharta
in Rawl. R 502 und Laud 610. was nun die form Fena mit
auslautendem a im Rook of Armagh anlangt, so ist es meines
erachtens völlig ausgeschlossen, dass seihst bis ende des 9 jhs.
in einer irischen hs. Fena als nom. plur. zu einem jo- stamm
nom. sing. Fene auftreten kann: er müste Feni lauten, es kann
daher die älteste form Fena nur aus fendR entstanden sein, wie
fiana aus fiandR: a gibt das aus % entstandene lispelnde R des
urnordischen im auslaut nach consonanten wider.1 die jüngere
1 vgl. oben s. 15 anm., wo weitere beispiele. ich habe jetzt eine
Sammlung von nahezu 60 speci fisch nordischen lehn Wörtern in der
älteren irischen spräche und werde, sobald ich einige angefangene
Untersuchungen erledigt habe, den versuch machen, im einzelnen zu zeigen,
was wir aus ihnen für die nordische spräche vornehmlich des 9 und 10 jhs.
lernen können, ich möchte schon hier mit rücksicht auf fiandR und fendR
auf einen gesichtspunct aufmerksam machen, die zeit von 800 — 1000,
aus der die dem lebendigen verkehr entstammenden nordischen lehn-
wörter im irischen herrühren, ist die wichtige zeit der allmäh-
lichen sonderung des urnordischen in die westnordische und ost-
nordische sprachgruppe. die ersten vikinger auf Irlands boden gehörten der
späteren westnordischen sprachgruppe an, es waren Norweger vom Har-
dangerfjord (s. Zs. 32,205 und passim); sie führten wol als beinamen häufig
KELTISCHE BEITRAGE III 97
form Fene wäre dann die unter einfluss des hellen vocals der
Wurzelsilbe entstandene abschwächung aus Fena, wie altir. mora
aber tlre. sind diese combinationen richtig, dann wäre Fena, Fene
hvili '(vgl. Hvitr, Olafr Hviti , Porsteinn Hviti , Ilvitaskäld , Hvitasky, //<•/-
takollr, Hvitalectr usw. im Landnämabök) und werden daher von den Iren
Findgenti 'Hvitileute, H vitiheiden ' (nicht etwa 'weifse heiden' im
gegensatz zu 'schwarze heiden') genannt, um 850 kommen angehörige der
ostnordischen sprachgruppe (Dänen) als vikinger nach Irland, oder viel-
mehr um diese zeit fieng man in Irland an, norwegische und dänische
vikinger zu unterscheiden, das in LL fol. 309. 310 bewahrte fragment einer
aus der ersten hälfte des 11 jhs. stammenden irischen geschichte der vikinger-
zeit bis 1014 meldet LL 310a, 11 ff, nachdem es die Normannenzüge auf
Irlands boden bis gegen 850 eingehend geschildert hat, folgendes: Tan-
catar iarsain Dubgenti Danarda ocus rolaeset foh Erend ocus robatar
oc dichor na Findgenti a Herinn ocus romarbsat coic mili dona Find-
gentib oc Snüm Aignech 'es kamen darauf dänische Dubgenti und
warfen sich (zerteilten sich) über Irland und begannen die Findgenti aus
Irland zu vertreiben und töteten 5000 Fmdgenti bei Snam Aignech.'
hierzu stimmen nun die annalen: Ulsterannalen 850 (= Chronicon Scotorum
851) tetact Dubgennti du Ath Cliath combat ar mar du Finngallaib 7 co-
roslatsat inlongport elir doine 7 moine. slat do Dubgenntib oc Lind
Duachail 7 ar möv diib 'kommen der Dubgenti nach Ath Cliath (Dublin),
und sie richteten eine grofse niederlage unter den Findgall (Norwegern) an
und sie plünderten deren festes lager, sowol menschen als schätze, plün-
derung durch die Dubgenti bei Linn Duachail und eine grofse niederlage
durch sie (an den Findgenti)., und im folgenden jähr 851 haben die Ulster-
annalen (= 852 Chron. Scot.) lucht ocht xx long di Finngentib doroacht-
adar du cath fri Dubgenti do Snam Aignech. tri la 7 tri aitchi oc cath-
ngud doaib act is ren Duibgennti rommeabaid cofarggabsat aceile allonga
leu. Stain fugitivus evasit et Jevcne decollatus jacuit 'eine schar von
8 mal 20 schiffen von Findgenti (Norwegern) kamen zu kämpfen gegen die
Dubgenti nach Snam Aignech. 3 tage und 3 nachte kämpften sie, aber
die Dubgenti blieben siegreich, sodass die anderen (die Norweger) ihnen
ihre schiffe überliefsen. Stain (ein Norwegerführer) fugitivus evasit, Jercne
(ein Norwegerführcr) decollatus jacuit.' wenn die Norweger in 160 schiffen
kamen, dann ist begreiflich, wie 5000 von ihnen bei Snam Aignech fallen
konnten, von da an tummelten sich Norweger und Dänen auf Irlands
boden: west- und ostnordische zunge wurde von da an auf Irlands boden
geredet, da die lehnwörler aus dem nordischen dem lebendigen verkehr
entstammen, so können solche dialectunt erschiede sich wol wider-
spiegeln. — ist die eben vorgetragene Vermutung, dass die ersten nor-
wegischen vikinger aus Hönlaland deshalb Findgenti, Findgaill (Find
heiden, .FVw/ausländer) genannt wurden, weil unter ihnen der beiname Hvite
oder beinamen mit Ilvita- componiert häufig waren, dann wird verständlich,
wie man dazu kam, die Dänen Dubgenti, Dubgaill'Dubhe'ulei), Zfadausländer'
zu nennen, die annähme liegt nahe, dass man in Irland um 850 \ri-
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 7
98 KELTISCHE BEITRAGE III
schon im 9 jli. eine bezeichnung für 'vikingercolonien' in Irland,
so weit sie als residua der grofsen raubzüge im beginn des 9 jhs.
sitzen blieben und unter die herschaft irischer könige gerieten,
also synonym mit fortuatha im Lebor na cert. dann könnte
die Verwendung von Fene im Senchas mär darauf zurückgehen
und es erhöbe sich auch die frage, ob Fene in Fir maige fene
in den annalen 862. 942 (s. oben s. 23 ff) , in tuathaib Fene
in Fiaccs hymnus (oben s. 54 ff) nicht auf dieses Fene — gram-
matisch aufgefasst, wie Desse — der form nach zurückzu-
führen ist.
Wie man aber auch die entstebung der form Fenex fassen
möge, sie bezeichnet im Senchas mär die in irischen ter-
ritorien — also aufserhalb des gebietes des vikingerkönigs von
Dublin — zu ende des 10 jhs. sitzenden vikingercolonien,
und Senchas mör wird wol tatsächlich zu stände gekommen sein
unter mitwürkung eines mannes, der nicht nur kundig war der
spräche der vikinger (berla fene), sondern auch ihres rechtes,
das werk ist entstanden aus dem bedürfnis: es sollte gewis
zugleich die assimilierung dieser aller orten am ende des 10 jhs.
in irischen dominien sitzenden, z. t. schon längst christlichen
gessen hatte, dass Findgenti eine art Scherzname 'Hvitiheiden , Hviti-
ausländer' (dh. heiden, die alle Hviti heifsen) war, und dass man die zu-
erst als feinde der Norweger (Findgenti, Findgaill) auftretenden Dänen,
um den gegensatz der beiden stamme zu bezeichnen, einfach Dubgenti
'schwarze heiden' im gegensatz zu Findgenti 'weifse heiden', wie man
Findgenti fälschlich auffasste, nannte, es kann noch eine tatsache hinzuge-
kommen sein, während die norwegischen vikinger um Schottland herum von
norden kamen, kommen die dänischen vikinger mitte des 9 jhs. von süden,
von Frankreichs küste und um süd -England herum, von 843 — 845 waren
dänische vikinger bis nachdem südlichen Spanien gelangt, den Guadalquivir
hinauf gezogen und hatten Sevilla belagert, bis sie von emir Abdorrahman
zum rückzug gezwungen worden waren (vgl. Kunik, Berufung der Rodsen n
285 ff), bald darauf traten dänische vikinger in England und Irland zuerst auf.
sollten sich unter ihnen scharen befunden haben, die von den gestaden
Spaniens und Africas küsten zu erzählen wüsten? sollte dies auf die be-
zeichnung Dubgenti 'schwarze heiden' in den irischen annalen, gentiles nigri
in den Annales Gambriae (853 Mon vastata a gentilibus nigris) von be-
stimmendem einfluss gewesen sein?
1 die bezeichnung des volkes der Nordleute (fiana, fena) nach der
cha racteris tischen seite, von der diese Nordgermauen zuerst den
Iren bekanntwurden fßandr), hat ein gegenstück im deulschen, wo die
unfreien (servi) nach den zahlreichen slavischen kriegsgefangenen
'sclaven' genannt werden.
KELTISCHE BEITRÄGE III 99
vikingercolonien mit befördern , wenn man ihm die fiction vor-
ausschickte, dass dieses gemeinsame rechtsbuch unter vorsitz des-
selben Patrick, der schon die noch unabhängigen vikinger in
Dublin bekehrt hatte, und unter der kundigen mitwürkung eines
vikingers zu stände gekommen sei. dass mit Ras Tryggvasonr
(Rüs mac Triam) nicht ein vikinger aus dem ende des 10 jhs.
kann gemeint sein, liegt auf der hand : er muss ebenso fingiert
sein, wie die anderen mitglieder der neuner-commission. ob er
bei den vikingern eine sagenhafte oder eine mit sage umwobene.
geschichtliche persönlichkeit war, wie die anderen mitglieder der
commission bei den Iren, vermag ich nicht zu bestimmen: wahr-
scheinlich ist es. — für die geradezu erdrückende fülle des
commentarartigen und glossenartigen materials, das in den hss.
durch kleine schrift scharf vom text geschieden ist, erwächst als
erste aufgäbe zu prüfen: wie viel von diesem material stammt
aus einer zeit (11 jh.), in der mau noch ein volles oder halbes
Verständnis für die rolle der Fem im rechtsbuch besafs? alles
andere material hat für die erklärung des textes ebenso viel
wert, wie die oben s. 81 ff mitgeteilte geschichte von Fenius
und Gaedhels schulmeistertätigkeit in der ebene Sinear und im
Scythenlande für die erkenntnis der würklichen geschichte; leider
ist dies wertlose material für O'Donovan und O'Curry der haupt-
leitfaden im Verständnis des textes.
Als abschluss dieser partie der Untersuchung will ich zur
beleuchtung einer noch nicht zur spräche gekommenen seile der
berührungen zwischen Iren und vikingern in der zweiten hälfte
des 10 jhs. zwei kurze notizen aus irischen texten mitteilen, die,
obwol jüngeren hss. entstammend, das gepräge ihrer entstehungs-
zeit deutlich verraten, da mau seit der mitte des 11 jhs. nach
allem, was uns die vorhergegangenen betrachtungen gelehrt haben,
so etwas nicht mehr erfinden konnte.
Ich habe oben (s. 34 ff) den gang einer erzählung skizziert,
wie Urard mac Coisi auf listige weise von Irlands oberkönig
Domoall mac Muirchertaig (956 — 979) hülse erhält für die ihm
von leuten des konigs zugefügte unbill. hier heilst es unmittelbar
nachdem gemeldet ist, dass Mac Coisi die maske des erzählers
abgeworfen hat: Amal roncuala Domnall tra inna fegbriathra
fidnaisi si doräd doMael Mihcothach fiada, dochuatar echlacka
üad indiaid innagabala. ocns bahr luide forsanechl(achus) sin
100 KELTISCHE BEITRÄGE III
Robud mac Rofuacra dithuataib fian fdedachta cofuair side
na köcu immanngabail ocroinniud 'als nun Domnall diese scharfen
worte des gutes (?) reden hörte vor sich von Mael Milscothach,
da brachen auf boten von ihm hinter dem raube her. und der
war es, welcher auf diese botschaft gieng, Robud mac Rofuacra
('warnung, söhn der grofseu ankilndigung') von den vikinger-
dichtern, und er fand die krieger um die beute beim verteilen'
(Rawl. B 512 fol. 113a, 15 — 23). Robud mac Rofuacra ist natür-
lich ein fingierter name, wie fast alle in der erzählung; er war
dithuathaib fian 'von den vikingern'. dies dithuathaib fian ver-
hält sich zu dotuathaib Fene des Fiacchymnus (oben s. 54 ff),
wie Fir maige fian des Lebor na cert zu Fir maige fene der
annalen (s. 23 ff), eine gewöhnliche irische ausdrucksweise von
der ältesten zeit bis zum heutigen tag ist es, statt des nomen
agentis, wie 'sänger, dichter' usw., zu sagen 'mann oder leute
des gesangs, der dichtkunst', also fer fdedachta 'mann der dicht-
kunst' für file 'dichter', aes filedechta 'volk der dichtkunst' für
den plur. filid 'die dichter', so heifst Robud hier dithuathaib
fian filedechta 'von den vikingern der dichtkunst', also skalde.
unser text denkt sich also am hofe des königs von
Meath, des oberkönigs Domnall mac Muirchertaig (956 — 979),
dessen friedliche und feindliche beziehuugen zu den vikingern Du-
blins wir (s. 66) kennen lernten, einen nordischen skalden.
Nun das gegenstück am hofe des vikingerkönigs in Dublin.
Laud 610 fol. 9d, 18 ff findet sich ein gedieht auf stürm und
ocean in zehn Strophen, Ainpthine mör ar muig Lir 'grofser
stürm herscht auf dem gefilde des Ler' (dem meere) beginnend,
dann fährt der text fort (fol. 10% 19) Rumund [mac Colmain.j.
mac fig Loegaire doclannaib Neill righfile Erenn] ise dorigne an-
duansa 7 laid luascach ainm na haiste aranemad. Ise adbur im-
morro adenma dö ./. [dia ailithri tanicc se coRathan inaimsir
gorta moire. Robo meiste lalucht anbaue athuidecht donbaili
con ann adubratar frisin soer robui iedenum indurtaigi moir
diultad dodenum frisin fer ndäna conid ann atbert insaer frifer
diamuintir: Erig anagaid Rümuind 7 abair fris naticed don
bailin nocondernase rand imbia ainm nafil doclaraib sund dochum
indurtige conid ann doroinsiom inrandsa:
A mueoimdiu cid dodensa frisin adbur marsa?
Cuin bus aicdi foseeim dluta na x.c. clarsa.
KELTISCHE BEITRÄGE 111 101
Ised sin robui doclaraib and ./. mile dar 7 nifetad diultad fris
ursin orafaillsigh dia da trianaeicsi iniin dar robui ocunsoer].
Doroine mördüain doGallaibh Atha Cliath [ärsin] acetoir 7 ad-
ubratar na Gaill conatibritis luach aduaine dö conid ann doröin-
siom inrand irdairc connebairt: Mersa madail doneoch dogena 7
ärsein beratsa einech daine dasgena cotucad abreth fein dö ärsin.
Conid si breth ruesum ./. pingind cech drochGaill 7 daplnginn cech
deGaill connafrith accu Galt nach tue dapingind dö arnifiti re
Gallaib drochGall dorad frie fein iter. Connebratar fris na
Gaill indfairge domolad coßntais indan bunaid bui aiege. Conid
ann romolsom infair -ge 7 se armeisce connebuir: Anpthine mör ar
muig Lir. Cotucsom immorro inetail sin leis coCell Belaig ar
Mtiig Constantin arba docellaibh Ua Suanaid incell sin 7 Mag
Constantin uile cach magh dano 7 cech ferann doreiged Con-
stantin ba reMurchatu conid doConstantin ainmnigter inmagh.
Is amlaid bui cell antansin 7 vn sraitde doGallaib ann 7 ara-
meit 7 dorat Ramann trian aetala di 7 trian doseoil 7 trian leis
fein coRaithen. Conid ann is marbh conid adnacht on enleabad re
hm Suanaid armet anoire ladia 7 ladaine.
'Ruraund [mac Colmaiu , dh. der söhn des köuigs Loegaire
vom geschlecht des Niall, der königliche dichter Irlands], er
machte dies gedieht und laid luascach ist der name des metrunis,
in dem es gemacht ist. dies ist aber der grund , aus dem er
es machte: [er kam nämlich auf der pilgerschai't nach Rathan iu
der zeit einer grofsen hungersnot. es gefiel den leuten deshalb
um so weniger1 sein kommen zu der Stadt uüd sie sagten da
zu dem künstler, welcher beim bauen des grofsen Oratoriums
beschäftigt war, den manu der dichtkunst abzuweisen, und da
sagte der architect zu einem mann seiner Umgebung (einem
seiner gehilfen): gehe dem Rumund entgegen und sage ihm, er
solle nicht zur Stadt kommen, bis er nicht eine Strophe gemacht,
in der die zahl der breiter angegeben werde, die sich da befand
für das Oratorium, und da machte er folgende Strophe: o mein
herrgott, was soll ich tun in bezug auf dies grofse material?
wann werden diese 1000 breiter ein gebäude unter festem Schema
(?dach?) bilden? dies befand sich von bretlern dort, Dämlich
1000 breiter, und nicht konnte man ihn darauf abweisen, da
1 über die redensart Robo meiste tu vergleiche meine ausführungen
Zs. f. vgl. sprach forsch. 28, 370 — 376.
102 KELTISCHE BEITRÄGE III
gott ihm durch seine dichterische inspiration die zahl der bretter
bei dem architecten offenbart hatte], er machte ein grofses ge-
dieht den ausländem von Dublin [darauf] zuerst und die aus-
länder sagten , sie würden ihm nicht den lohn für sein gedieht
geben, und da machte er die berühmte Strophe und sagte: meine
Zurückweisung, wenn es jemand gefällt, möge er tun und dann
werde ich sie tragen, ehre der menschen, ich werde sie machen,
sodass sein eigenes urleil von ihm dann gesprochen wird, und
dies ist das urteil, das er fällte: ein pfennig für (von) jeden
schlechten ausländer und zwei pfennige für (von) jeden guten
ausländer, und es wurde bei ihnen kein ausländer gefunden, der
ihm nicht zwei pfennige gab, denn es galt nicht für würdig hei
den ausländem, dass einer überhaupt schlechter ausländer ge-
nannt wurde, und es sagten zu ihm die ausländer, er solle den
ocean preisen, damit sie erkennen könnten, ob Originalpoesie
er (geliefert) hatte, und da pries er den ocean und in der
trunkenheit sagte er: ein grofser stürm ist auf dem gefilde des
Ler. und er nahm den gewinnst mit sich nach Cell Belaig in
Mag Constantin, denn es war diese kirche (Cell Belaig) eine von
den kirchen des Ua Suanaid und Mag Constantin hiefs alles;
denn jedes feld und jeder strich, den Constantin geebnet1 (ge-
rodet) hatte, gehörte dem Muchatu (heiligen Mochuda), und von
Constantin wird das gefilde genannt, so war aber der ort (Cell
Belaig) damals: 7 strafsen von ausländem dort und wegen seiner
gröfse gab Rumann ein drittel eines gewinnstes ihr (der kirche)
und ein drittel der schule, und ein drittel nahm er mit sich nach
Rathen. dort starb er und wurde in einem bette mit Ua Suanaid
beerdigt, wegen der ehre, die er bei gott und den menschen genoss.'
Man sieht sofort, dass die erzählung einen einschub erfahren
hat. zuerst ist das gedieht gegeben, dann der dichter genannt
und darauf folgt 'der grund, aus dem er es machte.' hier wird
aber eine geschichte erzählt, die mit dem gedieht
im anfang nichts zu tun hat, und gar nicht erklärt, wie
er es machte, im verlauf kommt dann der grund. es ist alles
klar, wenn man die oben sowol im irischen, wie im deutschen
texte in eckige klammern gesetzten worte ausscheidet, es schliefsen
1 dureiged natürlich schlechte Orthographie der jungen hs. für doreided,
da so genanntes aspiriertes d und g in der ausspräche in j (engl, ij) zu-
sammenfielen.
KELTISCHE BEITRAGE III 103
sich dann eng au einander an die vvorte: 'dies ist aber der gruud,
aus dem er es machte: er machte (hatte gemacht) ein grofses
gedieht den ausländem von Dublin zuerst (acetoir) und sie sagten.'
der compilator hat blofs vor acetoir 'zuerst' das uopassende ärsin
'darauf eingeschoben, um den einschub zu verknüpfen, endlich
müssen noch gleich im anlang die zwischen klammern stehenden
worte fallen: sie erklären uns den einschub. Rumunn mac
Colmaiu war ein hochberühmter irischer dichter, dessen tod
die Ulsteraunalen zum jähr 746 (Ruman mac Colmain poeta
optimus quievit), Tigernach a. 747 melden (s. O'Donovan, An-
nalen der vier meister i 344 anm. i); von ihm heifst es im
Naemsenchas (geschichte der irischen heiligen) Ruman mac Col-
main anfili diata sil Rumain inAth Truim ; trlfiletha andomain ./.
Emhar oGregaibh 7 Feirgil oLaidinaibh 7 Ruman oGaedelaibh
'Ruman mac Colmaiu, der dichter, von welchem die familie Ruman
in Trim; drei dichter gibt es auf der weit, nämlich Homer von
den Griechen , Vergil von den Lateinern und Ruman von den
Iren' (Book of ßallymote 225a, 42 ff). Ruman ist ein ehren-
name 'der Römer' und ist im 8 — 11 jh. ebenso häufig in
Irland bei dichtem und gelehrten, wie Fergil (Virgilius) s. Zs.
33, 327: ein Ruman mac Cathasaig stirbt nach den Annalen der
vier meister 919, ein Rumann hua Acdacain stirbt 979 nach
Ulsterannalen. also von eiuem solchen Rumann des 10 oder
beginnenden 11 jhs. handelte die geschichte von den ausländem
in Dublin, und ein jüngerer compilator, der nur den im ganzen
mittelalter berühmten Ruman mac Colmain aus dem anfang des
8 jhs. kannte, identificierte beide und benutzte die gelegenheit,
eiue geschichte von diesem Ruman mac Colmain ungeschickt
einzufügen, dass zu Ruman mac Colmains Zeiten noch keine
vikinger in Dublin sein konnten, ist klar, da irische, kymrische,
englische und nordische quellen darin übereinstimmen, dass die
vikiuger im jähre 795 zuerst an Irlauds küsten erschienen, dazu
kommt, dass von einer fremden, im anfang des 8 jhs. zu Dublin
h ersehenden1 — und dass sie herren dort waren, ist klar —
bevolkerung keine rede sein kann, und ferner, dass die ausländer
'vikinger' sein müssen, wie wir sehen werden.
1 daran denkt Ü'Curry , Manners and customs in 38, ohne die Unmög-
lichkeit zu erwägen, die eben durch contamination eines spateren Uumann
mit dem berühmten dichter des beginnenden 8 jhs. entstanden ist.
104 KELTISCHE BEITRÄGE 111
Demnach ist der gang unseres textes der: zuerst steht das
mit Ainpthine mor beginnende zehnstrophige gedieht auf den
oceau, dann heifst es weiter Rumund . . . .' ise dorigne an-
duainsa 7 laid luascach ainm na haiste aranemad. Ise adbur
immorro adenma du ./. doroine mördüain doGallaibh Atha Cliath
acetoir 7 adubratar na Gaul usw. 'Rumann .... er machte dieses
gedieht und laid luascach ist der name des metrums, in welchem
(eigentlich : durch welches) es gemacht ist. dies ist aber der
grund, aus dem er es machte, er hatte nämlich ein grofses
gedieht den ausländem von Dublin zuerst gemacht und die aus-
länder sagten' usw. constatieren wir zunächst, dass die Gaill
Atha Cliath nur in Dublin herschende 'vikinger' sein können,
der stärkste beweis dafür liegt in der uns ent-
gegentretenden nordgerm. sitte der 'selbstein -
schätzuug'. hüren wir Cleasby-Vigfusson: 'sjdlfdoemi as a
law-term selfjudgment, when instead of submitling a case
to arbitration or to the judgment of a court, one party gave it
over to his adversary to give judgement himself; this was by
the oid customs the greatest satisfaction that could be given,
and it often was allowed to au iujured man ; it was also some-
times used as the last appeal to the justice and generosity of a
powerful adversary.' ich denke, Rumanns vorgehen, um zu
seinem rechte zu gelangen, ist nun verständlich; er offeriert själf-
dwmi den vikingern: 'meine Zurückweisung2, wenn es jemand
gefällt, möge er tun und ich werde sie tragen; ehre der menschen,
ich werde sie machen (dh. ich werde den mafsstab, die scala
für die ehrschätzung unter den menschen aufstellen), sodass sein
eigenes urteil von ihm gesprochen wird3 (dh. durch die eiu-
schätzung).' nun stellt der schlaue Ire seine scala auf: 'ein
1 hier muss natürlich die nähere bezeichnung dieses Rumann in folge
seiner identificierung mit Rumann mac Colmain weggefallen sein.
2 dh. 'die Zurückweisung meiner anspräche. '
3 die berühmte strophe (in rand irdairc) ist wol so zu schreiben:
M'erasa mad ail doneoch dogena is beratsa
Eineck düine dasgena cotticad abreth fein dö.
die strophe ist sprachlich von höchster Wichtigkeit: im einfachen verb ist
das pronominale objeet suffigiert (beratsa — bera-tsa) und im componierten
verb Mitigiert (dasgena — da-s-gena) ; sie liefert also einen weiteren beweis
zu der von mir Zs. f. vgl. sprachforsch. 28, 318 ff aufgestellten theorie über
den Ursprung der um t erweiterten personalendungen und des so genannten
t- futurums.
KELTISCHE BEITRAGE 111 105
pfeunig von jedem drochGall ('schlechten vikinger') und zwei
pfennige von jedem degGall ('guten vikinger').' dass sich alle
als degGaill einschätzten, ist natürlich, und mit reichem gewinnst
zog Rumann ab. dass diese Gaill Atha Cliath Dubliner vikinger
waren, scheint mir sicher, noch andere momente treten hinzu.
die werteinheit bei den Gaill von Dublin ist der pingind, der
nordische pmningr (s. Zs. 32, 288), während in Irland der scre-
pall (scripulnm) werteinheit gewesen war; nicht minder ist die
wilde £reude am ocean , dessen preis die Gaill fordern, um
Rumanus dichterische begabung zu erproben, echt nordisch, und
dass sie Rumann trunken machen, weist auf gebrauche, die
wenigstens nicht gegen das vikingertum der Gaill sprechen.
Aus diesem interessanten denkmal ergibt sich noch manches
andere: wenn der irische barde am hofe der vikinger ein grofses
gedieht auf bestellung macht, müssen diese schon irisch gesprochen
oder wenigstens verstanden haben, was ja für ende des 10 jhs.
sehr wahrscheinlich ist. in Cell Belaig bei Rathain, dh. heutigem
Rahin in Kings county gab es 7 strafsen mit christlichen
vikingern in jener zeit, ein zeichen, wie notwendig ende
des 10 jhs. in dem irischen rechtscodex die rücksichtnahme auf
die Föne ist. die stelle vn sraitde do Gallaib ann ist aber auch
sprachlich von höchstem wert, weil hier ein neues nor-
disches lehnwort vorliegt, die directe herübernahme
des lat. sträta in älterer zeit muss im irischen unbedingt
sräth ergeben, nom. plur. srätha; so haben wir auch das wort
sndh via allein und in compositis wie Ardsräth (ags. Ardstraio
in grafschaft Tyroue). daneben hat das neuir. ein sraid 'a street',
dessen ältesten beleg wir in vu sraitde doGallaib vorfinden: es
ist das nordische streeti 'a street in a town'. und die Ver-
wendung des wortes an dieser stelle, mit doGallaib verbunden, ist
gewis ein lautredendes zeugnis für die treue copie würklicher
zustände in unserem texte, aber auch noch in anderer hinsieht
ist das vorkommen des nord. streeti auf irischem boden im 10 jh.
wichtig, da nämlich das wort streeti erst im 11 und 12 jh. in
nordischen sagas häufig wird, mochte Cleasby-Vigfusson Ilam-
dism. 13, wo sich streeti findet, für corrupt erklären und die Ver-
wendung in der Kormaks saga für mitte des 10 jhs. als einen
anachronismus des textes aus dem 12 jh. (s. Cleasby- Vigf. s.v.
streeti). vollständig grundlos: die vikinger von Cell Belaig pro-
106 KELTISCHE BEITRÄGE III
testiereil dagegen, besonders lehrreich ist gerade Hamdismäl 13,
wo es heilst: Gengu ör gardi görvir at eiskra,
fundu d strceti störbrögdöttan
'sie giengen aus dem gardr (haus, gehöft) wutentbrannt, sie
fauden auf dem strceti den hocharglistigen.' oben s. 68 habe ich
aus den aunaleu zu a. 989 und einem gedieht des ausgehenden
10 jhs. nachgewiesen, dass die vikinger damals in einzelnen gardr
(angardaib) wohnten, und aus unserem text erfahren wir, dass
die häuser der vikinger iu Cell Belaig 7 sraitde einnehmen, ich
denke, Hamdismäl 13 ist durch diese Zeugnisse gerettet.1
Ehe ich das interessante denkmal verlasse, möchte ich noch
einige faden zu einem dem behandelten gleich interessanten
spinnen, deren luftigkeit ich nicht verkenne, in dem in Lebor
na cert eingeschobenen gedieht über die bekehrung der
vikinger Dublins durch Patrick (s. s. 58 ff) ist manches, was
dazu reizt, der unbekannte verf. redet in erster und letzter
Strophe (z. 1.2 und 35. 36) in eigener person, während er im
übrigen erzählt oder andere reden lässt. er beginnt: 'hier folgt
eine hübsche, feine geschichte, die den männern Irlands gefällt,
den guten vertrag Dublins werde ich nicht verhehlen , wie Benen
hinterliefs (meldet)' und schliefst: 'das ist die geschichte von
Dublin, ich erzähle sie euch um lohn (tarcenn flach), sie
wird bis zum jüngsten tage in büchern sein, wie sie hier ge-
meldet ist in der geschichte.' mir scheint darnach klar: der
1 Kluge, Engl. Studien 9, 312 und Pogatscher QF 64, 119 nehmen an,
dass nord. strceti aus dem ags. street stamme, was ja gegen die annähme,
dass die vikinger im 9 — 10 jh. das wort nach Irland und in die nordische
heimat gebracht haben, nicht spricht, zwei punete bleiben bei dieser an-
nähme unerklärt: das auslautende i des nordischen und das abweichende
genus. beides erklärt sich sehr schön, wenn man sich die tatsache gegen-
wärtig hält, dass bei entlehnungen aus mündlichem verkehr häufig redens-
arten den ausgangspunet bilden: so ist aus der vikingerredensart
halda vict funa 'ans feuer halten' für 'braten' ir. fiine 'das braten' in oc
fune 'beim braten' entstanden , wie wir noch sehen werden, eine solche
ags. redensart ist on streete 'auf der strafse, auf die strafse'; ihr ent-
spricht altn. in älterer zeit d streete, jünger d strceti und gerade in
diesen Verbindungen belegt Cleasby strceti in ältester zeit: fundu d
strceti Hamdismäl 13, gekk üti d strceti Fornsögur 115, gekk um strceti
Kormaks saga 228. dies d streete, d strceti stellte sich nach flexion
und scheinbarem umlaut der Wurzelsilbe zu dat. acc. kveeete,
kveecti , daher ein neutraler j'o- stamm strceti 'die strafse'.
KELTISCHE BEITRÄGE 111 107
Urheber des gedieh tes brachte eine sousther be-
kannte geschichte im auftrag der Dubliner vikinger
gegen versprochene belohnung in irische verse.
dürfen wir die zeile 28 für die Situation heranziehen, in der
dies bestellte gedieht abgeliefert wurde, dann war es ein fest-
liches gelage, bei dem 'rundgehen der hörner und zu-
sammentrinken (zutrinken)' imluad com is comola stattfand,
wenden wir uns nun zu dem text Laud 610 fol. 9d, 18 — 10b, 24:
Rumami hatte zuerst (acetoir) ein grofses gedieht für
die vikinger Dublins gegen versprochenen lohn
(luach) gemacht; er kam erst durch listige anwenduug des
sjdlfdoemi zu seiner bezahlung, jedoch nicht eher, als bis er be-
wiesen , dass er originalpoesie (dän bunaid) geliefert hatte: hieraus
dürfen wir folgern , dass der Stoff seines grofsen gedichtes ihm
gegeben war und sie erproben wollten, ob die dichterische be-
handlung von ihm herrühre oder ob er sich einer fremden arbeit
bediene, zu dem zwecke stellten sie ihm ein thema, das er vor
ihnen ausführen muste, preis des oceans (indfairge domolad).
dem kam Rumaun in dem 10 strophigen gedieht Ainpthine mör
nach und zwar in trunken heit (armeisce): rundgehen der
hörner und zusammentrinken hatte also wol schon reichlich
stattgefunden.
Fordert diese Übereinstimmung der Situationen — trotz der
möglichkeit, dass dies oft zu ende des 10 und im beginn des 11 jhs.
vorkam — nicht auf zur combination, dass das in Lebor na cert
eingeschobene gedieht über die bekehrung der vikinger Dublins
durch Patrick das grofse gedieht ist, welches Rumann um lohn
gemacht hatte? durch solch gedankenloses anhäufen vom einzel-
facten , wie es zb. Stokes zweibändiges Tripartite life of SPatrick
darstellt, gewinnt man kein bild von der Vergangenheit, ebenso
wenig, wie die gleich sand am meere zusammengetrageneu iri-
schen verbalformen verständlich waren , ehe die combination der
facta mit der idee des accentes Ordnung in das chaos brachte.
Nunmehr will ich noch einmal so kurz wie möglich auf
einen punet aus dem ersten teil meiner Untersuchung zurück-
kommen, da er sich mit den s. 51 — 106 gewonnenen resultatui und
einblicken schärfer beleuchten lässt: Finns localer Ursprung
und die politischen Verhältnisse dort im 9 und 10 Jh.,
also in der zeit der entstehung der Fi nn sage.
108 KELTISCHE BEITRAGE 111
Von 825 ab finden wir vikinger in den heutigen irischen
grafschaften Mcath, Dublin, Kildare, Wicklovv, Carlow, Queens
county, Kilkenny, Tipperary: 824 ] überziehen sie Ossory und
Wicklow; 825 plündern sie Lusca in der grafschaft Dublin;
826 überfallen sie das lager der Leinsterleute; 827 werden sie
von süd-Leinsterleuten in Wexford besiegt; 833 plündern sie in
Meath und Wicklow; 834 wider in Meath; 835 ziehen sie von
Wexford quer durch und plündern Kildare; 836 fabren sie mit
schiffen die Boyne und den Liffey aufwärts und plündern süd-
Meath und Kildare; 840 wird in Dublin durch errichtung eines
castells der grund zu einer dauernden vikingeransiedelung gelegt,
von der aus sie das land westlich bis Sliab Bladma, dh. Slieve
Bloom mountains auf der gränze von Queens county gegen
Kings county, beherschen. als südgränze wird von den Vier
meistern 936 Ath Truisten, dh. süd- Kildare angegeben (s. O'Do-
novan zu dem jähre).
Neue scharen kommen in den drei ersten vierteln des 9jhs.
fast alljährlich und manche schar, die ursprünglich nur einen
plünderungszug beabsichtigt hatte, liefs sich, von dem schönen
lande angelockt, verführen, festen fufs zu fassen, das in die
mitte des 9 jhs. gehörende gedieht auf könig Aed in süd-Leinster
weist auf solche feste vikingercolonie im gränzgebiet von Wicklow
und Kildare um 840 (s. oben s. 85 anm.). 852 sitzt eine vikinger-
colonie (echtarchenel, Fem) im gebiet der nördlichen Dessi in
grafschaft Kilkenny (s. s. 94). wie werden wol die vikinger
Dublins ihre herschaft südwestlich bis an die gränzen von Kings
county und Tipperary, südlich bis Carlow und Kilkenny aufrecht
erhalten haben? darüber belehrt uns ein blick auf die gleich-
artigen und fast gleichzeitigen Verhältnisse nord- Irlands,
hier meldet das alte fragment über die vikingerzeit (LL 309. 310)
sehr anschaulich (LL 309% 43 ff): Tancatar arsain rlglonges adbul
mor laTuirgeis ituaisciurl nHerenn. Ragab inTurges rigi Gall
Heremi. Rahindred tuascert nHerenn leo et rascailset foLeth
Cuind. Ragab longes dib forLoch Echach, ragab longes aile
ULugmud, longes aile forLoch Rl. Rahindred dano Ardmacha
fothrt sinnoenmls leo et rogab Turgeis fein abdaine Ardmacha et
rainnarb ass Forannan abaid Ardmacha corrocht Mumain 7 scrin
1 wo nichts weiter hinzugesetzt ist , sind im folgenden immer die
wichtigen Ulsterannalen gemeint.
KELTISCHE BEITRÄGE 111 109
Patraic leüs. et bäi Forannän cethri bl. imMumain et Turgeis
in Ardmacha 7 nert Tuascirt Herenn aice 'es kam darauf eine
gewaltig grofse königliche flotte mit' Turgeis [vvol altn. Thorgils]
in den norden Irlands. Turgeis übernahm die herschaft der
vikinger (nord-) Irlands, sie verwüsteten nord- Irland und ver-
teilten sich über nord-Irland: ein teil der zu schiffe
gekommenen nahm Standort am Lough Neagh (cen-
tralpunct, an den die grafschaften Antrim, Down, Armagh,
Tyrone und Londonderry gränzen), ein anderer in Loulh,
ein anderer am Lough Ree (see, an den die grafschaften
Roscommon, Longford und west-Meath gränzen). Armagh wurde
dreimal in einem monat von ihnen geplündert und Turgeis selbst
nahm besitz von der abtei (bischofssitz) von Armagh und vertrieb
daraus den abt Forannan, sodass er nach Munster gieng und den
schrein Patricks mitnahm, und Forannan war 4 jähre in Munster
und Turgeis in Armagh und er besafs die macht über nord-
Irland.' die aunalen setzen uns in stand zu bestimmen, dass
des Turgeis ankunft in nord-Irland ins jähr 831 fällt; hier
suchte er einen heidnischen vikingerstaat zu gründen mit der
bauptstadt Armagh. vikinger posten wurden zur auf-
rechterhaltung der herschaft an allen strategisch
wichtigen puneten nord-Irlands stationiert, trotz
siegreichen kämpfen bis tief in Connacht gelang Turgeis die aus-
führung seines Vorhabens nicht: er unterlag 844 Irlands ober-
könig Maelsechlainn i und wurde in Lough Owel (grafschaft
Meath) ertränkt, womit der selbständige vikingerstaat in
nord-Irland nach 13 jähriger dauer ein ende hatte (vgl. Todd,
Cogadh Gaedhel s. xlii ff).
In analoger weise wird der Dubliner vikingerstaat sein gebiet
beberscht «haben, nach dem zeugnis aller annalen müssen wir
852 als den beginn eines festen königreiches mit Dublin als
hauptstadt annehmen: 'Amlaib, der söhn des königs von Loch-
lann, kam nach Irland und die vikinger Irlands gehorchten ihm
und er erhielt tribut von den Iren' berichten die annalen über-
einstimmend, als eine der festen bürgen im gebiet der Dubliner
vikinger lernten wir Dunlavin kennen: es liegt in der heutigen gral-
schalt Wicklow an der gränze von Kildare (s. oben s. 63). jeder,
der die grafschaft Kildare kennt, wird mir zugestehen, dass es
nach der gränze von Kings und Queens counly keinen geeigneteren
110 KELTISCHE BEITRAGE 111
punct zu einem ähnlichen waffenplatz, wenn ich so sagen darf,
gibt als den hill of Allen, kommt man mit der bahn von
Dublin und hat die gränzen der grafschaft Kildare überschritten,
dann erheben sich östlich (links) die bügel von Oughterard;
während man sie beim weiterfahren noch im gesicht hat, erhebt
sich, noch ehe man den Liffey überschreitet, südwestlich hoch
emporragend der hü gel von Allen, er liegt Newbridge am
nächsten, 5 engl, meilen nördlich von der Stadt Kildare, 'beau-
tiful situated in the midst of a lovely country, over which it
commands a wide prospect, it is well adapted for a place of
assembly or for the chase' (Hennessy, Revue celtique n 87). die
strategische Wichtigkeit des hill of Allen geht schon daraus her-
vor, dass hier mehrfach wichtige schlachten von den Leinster-
königen gegen einfallende feinde geliefert wurden: schon 530
besiegt Irlands oberköuig hier die Leinsterleute (Chronicon Sco-
torum) und am 13 december 718 (in Id. Decembris die feriae
in ae) schlägt hier der Leiusterkönig Murchad den eingefallenen
irischen oberkönig Fergal (Chron. Scotorum). sicher werden die
vikinger 836 bei ihrem zug den Liffey aufwärts diesen be-
herschenden punct besetzt haben, wenn er nicht gar schon von
den 824 bis Carlow und Ossory vordringenden vikingerscharen
occupiert worden war. als Amlaib 852 in Dublin eine feste
vikingerherschaft errichtete und die seit etwa 820 an den ver-
schiedensten puncten der küste und überall im innern sitzenden
vikingerhorden süd-Irlands sich unterstellte, wird der hügel von
Allen sicher eine feste Station zur behauptung der herschaft ab-
gegeben haben, dass hier eine vikingerstation war, wie
in Dunlavin, können wir sogar direct beweisen. 942
ist ein ungliicksjahr für die vikinger in Dublin: Maelmordha, der
Leinsterkönig, besiegt sie und erobert sogar Dublin vorüber-
gehend, in den Annalen der vier meister findet sich ein gedieht
auf diesen berühmten sieg, in dem es heifst, dass das schwert-
berühmte Dublin zerstört und die dort herschendeu nachkommen
Tomars gequält wurden; dann heifst es wörtlich weiter:
Oral Almain con a slogad
As la rig Laigean lainech
Rocraided is rocoscrad
'The golden rock of Almain with bis host, it was by the king
of'Leinster of swords it was oppressed and destroyed' (O'Donovan).
KELTISCHE BEITRÄGE III 111
942 waren also Dublin und der hü gel von Allen
die beiden festesten puncte des vikingerkönigreichs
Dublin.
Nun noch einen punct, ehe wir uns zu Finn wenden, an
verschiedenen stellen der Untersuchung hatte ich gelegenheit,
hervorzuheben, wie bald irische fürsten diese vikinger als will-
kommene bundesgenossen zur ausführung ehrgeiziger plane und
kühlung alter rachegedanken an anderen irischen herschern be-
nutzten, besonders sind es die Leinsterherscher, welche zeit-
weilig die einmal nicht zu hindernde vikingerherschaft in einem
teile von Leinster hinnahmen und sich der vikingerschwerter in
ihren fortwährenden kämpfen gegen den könig von Meath , der
im 9 und lOjh. zugleich oberkönig war, bedienten, die annalen
unter den jähren 841. 849. 855. 860. 861. 862. 867. 888 geben
fürs 9 jh. auskunft, fürs ganze 10 jh. ist jede seite der annalen
belehrend.
Wenden wir uns nun zu Finn mac Cumaill. vorerst ist
im äuge zu behalten, dass kein document über Finn
existiert, welches irgendwie anspruch erheben
könnte, über das lOjh. hinaufzugehen.
Finn hat seine bürg auf dem hügel von Allen (Dün Almain),
also an einem ort, welcher von 824 an im vikin ger-
gebiet liegt, hier wird zuerst ein nordischer jarl unabhängig
mit einer vikingerhorde gesessen haben, und von 852 an unter-
tänig dem vikingerherscher in Dubliu. wie Finn zu diesem be-
sitztum gekommen, meldet uns ein text des lljhs. in LU41b, 10 ff.
darnach hatte Dan Almain 'die bürg von Allen' einem Iren
Tadg, söhn des Nuadu, gehört; dieser Tadg hatte eine so schöne
tochter, dass sich söhne von königen und grofsen besitzern um
sie bewarben, auch Cumall, der söhn Trönmörs ('der grofse held'),
ein 'vikinger königlichen blutes' (rlgfennid) in Irland bewarb sich
um sie. als sie ihm abgeschlagen wurde, da Nuadu fürchtete,
dass mit der tochter auch sein besitz verloren gehen würde,
kam Cumall und nahm sie ihm mit gewalt. Tadg beschwert
sich beim könig von Irland, der Cumall auffordert, Irland zu
verlassen oder das mädchen zurückzugeben. Cumall zieht seine
Streitkräfte zusammen, unterliegt aber in der schlacht bei Castle-
knock am Liffey bei Dublin und fällt. Cumalls schwangen- frau
gebiert, nach dem tode ihres manncs einen söhn, den später
112 KELTISCHE BEITRÄGE III
unter dem namen Finn berühmten beiden, als er so weit er-
wachsen war, dass er raub und plünderung an jedem aus-
üben konnte, der ihm feind war, forderte er von Tadg bufse
für seinen vater. in folge eines Spruches trat Tadg ihm Almu
ab. hier hatte Finn, so lange er lebte, seinen festen wobnsitz.
Was steckt in dieser ältesten erzählung (LU 41b, 10 — 42b
ende), das nicht für eine sagenhafte Umgestaltung würklicher
Vorgänge in der ersten hälfLe des 9 jhs. gelten konnte? gar nichts,
es verdient auch noch darauf hingewiesen zu werden, dass dies
alte zeugnis für die sage von Finn über seine vorfahren
nichts weiter wüste, als dass er der söhn eines 'vikingers
aus königlichem blut' (figfennid) und einer geraubten schönen
Irin war. Cumall heifst zwar mac Trenmdir, 'söhn des Trenmor',
aber letzteres ist gar kein vorkommender irischer name, sondern
einfach ein epitheton, entweder 'grofser (mür) held (tren)' oder
'unter beiden grofs'. weiter: was wissen die ältesten texte sonst
über Finns treiben? er lebt, wie wir uns einen vikinger-
führer aus der ersten hälfte des 9 jhs. in Dan Almain
denken müssen, bald ist er auf jagd und liebesabenteuern1
in west-Meath (vgl. s. 38), bald unterstützt er mit seinen
fianna den Leinsterkönig im kämpf gegen Irlands oberkönig
1 zu den mehrfach gegebenen beispielen für diese seite der vikioger
will ich noch ein zeugnis aus Giraldus Cambrensis beibringen, in der Topo-
graphia Hibernica weifs er über den lod des mächtigen vikingerherschers
Turgesius (s. oben s. 109) folgendes zu melden (cap. xl) Cum igitur ea tem-
pestale f'iliam regis Medensis , sei licet Omachlachelini , Turgesius
adamasset, rex ille, virus sub pectore < versans, filiam suam ipsi con-
cedens, ad insulam quamdam Mide, in stagno scilicet Locherino , illam
cum quindeeim puellis egregiis ei misswum se spospondit. qiäbus et
Turgesius gavisus, cum totidem nobilioribus gentis suae, statuto die et
loco obviam venu, et inveniens in insula quindeeim adolescentes im-
berbes, animosos, et ad hoc electos , sub habitu puellari dolum palliantes,
cultellis , quos oeculte secum attulerant , statim inter ipsos amplexus Tur-
gesius cw7i suis oeeubuit. die annalen melden nur des Turgeis ertränken
in eben jenem see von Meath (Loch Uair) und die Iren sind seit Golgan
wütend auf Giraldus, dass er ihnen eine solche geschichte angehängt habe,
hält man sich aber gegenwärtig, dass Giraldus sich in seinen fabeln über
Irland als ein durchaus glaubwürdiger, wenn auch leichtgläubiger
mann erweist, da diese fabeleien tatsächlich und nachweislich in
Irland zu seiner zeit geglaubt wurden; denkt man an Finns vater, an den
idealisierten vikingerführer Finn selbst, dann hat die erzählung des Giraldus
gar nichts unwahrscheinliches.
KELTISCHE BEITRAGE Ilt 113
und hilft ihm bei Cnamross letzteren schlagen (vgl. oben s.25 — 29).
von solchen ziigen verschiedener irischer oberkönige bis tief in
Kilkenny und Wexford hinein gegen den Leinsterkönig wissen
die annalen in der ersten hälfte des 9 jhs. zu melden: 818. 8451,
und später bis zur mitte des 10 jhs. öfters, sodass die genaue
angäbe des weges von Finns zug (s. oben s. 27 ff) sehr vvol der
würklichkeit entsprechen kann, in den drei texten LU 41b, 20 bis
42b ende, Sanas Cormaic s. v. orc treith und LL 296a,48— 299b, 7,
die wir wol als die ältesten erzählungen aus der Finnsage be-
trachten dürfen, ist nur ein wesentlicher punct, der auf
einen solchen nordischen führer einer halbwegs angesiedelten
vikingerhorde in der ersten hälfte des 9 jhs. nicht passt: in den
beiden texten von LU und LL ist Finn an ereig-
nisse des 3 jhs. angeknüpft, ehe ich die frage zu beant-
worten suche, wie und wann die Verschiebung staltgefunden hat,
will ich zuerst den nachweis führen, dass Finn nachträg-
lich in die erzählungen des 3 jhs. gebracht wurde, hierauf
weist schon der umstand, dass Finn ein jh. lang gewisser
mafsen in der luft schwebt.2 nach LU 42% 41 ff ist Finn
zur zeit Conn Cetchathachs geboren und nach LL 296\ 48 ff ist
er ein rüstiger führer der vikingerhorde, ohne dass von einem
söhn (Oissin) oder enkel (Oscar) — ohne die ihn die jüngeren
texte kaum kennen — die rede wäre. Cairpre Lifeochair
nun ist die vierte generation von Conn an (Conti, Art
mac Cuinn, Cormac mac Airt, Lifeochair mac Cormaic) und die
beiden mitleleren erreichen nach der sage ein hohes alter: Conn
herscht 35 jähre; dann kommt dazwischen Conaire mit 8 jähren,
1 bei dem zuge 845 ertrank sogar der irische oberkönig Niall im Kings
river in Kilkenny, also in jener gegend, wo Finn und die Lcinsterleute
den Cairpre Lifeochair schlugen, die Vier meister zu 844 haben ein gedieht
des 'pilgers Moengal' auf dies ereignis, dh. des SGaller Moengal,
der um 850 nach SGallen kam. während wir aus SGaller Urkunden blofs
feststellen können, dass er 865 noch am leben war, notieren die irischen
annalen zu 869 seinen tod.
2 dass man ihm schon im 11 jh. einen söhn (Oissin) und einen enkel
(Oscar) gibt, die aber neben ihm und gleich rüstig erscheinen, wird
den ausgangspunet gehabt haben in dem bestreben, dies wunderbare alter
Finns hinwegzuschafTen. diese erfindungen konnten aber neben der auf
tatsächlichen ereignissen sich aufbauenden figur Finns nicht nebt aufkommen ;
sie erscheinen neben ihm und gleich rüstig, sodass das unmögliche in Finns
alter noch drastischer entgegentritt.
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 8
114 KELTISCHE BEITRAGE III
darauf Art 20 jähre; dazwischen Lugaid mac Con und Fergus
Dabdetach 31 jähre, dann Cormac 40 jähre; dazwischen Eochu
1 jähr, dann Coirpri 17 jähre (LL 24a). dass Finn in dem oben
s. 25 ff analysierten text LL 296% 48 ff als ein greis auftrete,
der drei menschenalter sah, wird niemand behaupten können,
und ein solcher müste er sein, die personen der sagen-
haften geschichte des 2 — 3 j h s. haben ein in den
g ranzen des möglichen und würklichen liegendes
alter; nur Finn ist durch beinahe einjh. der stets
gleichalte führer einer vikingerhord e. er ist eben
dieser sage des 2 — 3 jhs. fremd und erst später hineingekommen:
der ankniipfungspuncte boten sich für dies jh. mehrere, und
weil er zu allen in beziehung gesetzt wurde, schwebt er ge-
wisser mafsen über dem jh. an einem und dem wichtigsten
texte für die südirische sagengeschichte des 3 jhs. können wir
direct nachweisen, dass Finn in die sage dieser zeit n ach-
träglich hineingekommen ist. LL 288% 16 — 292% 34 haben
wir den ältesten und umfangreichsten text über die Verhält-
nisse süd -Irlands zum irischen oberkönig von der mitte des 2 bis
zur mitte des 3 jhs. hier wird uns von der regierung Ailill
Auloms berichtet, der ein Schwiegersohn Conn Cetchathachs und
Zeitgenosse Arts und unbeschränkter oberkönig in süd -Irland
war; wir erfahren die geschicke seines pflegesohns Lugaid mac
Con und wie derselbe, aus der Verbannung zurückkehrend, den
nordirischen oberkönig in der schlacht von Mag Muccrlma be-
siegt, tötet und sich zum oberkönig Irlands macht; wir erfahren,
wie der am abend vor der schlacht bei Mag Muccrlma von Art
gezeugte Cormac als pflegesohn jenes Lugaid mac Con aufwächst
in Tara, wie er herangewachsen den pflegevater und Usurpator
Lugaid mac Con aus Tara vertreibt und selbst die herschaft über
Irland übernimmt; wir lesen endlich, wie der greise Ailill Aulom
den flüchtigen pflegesohn von sich stöfst und durch Ferches
mac Commäin ermorden lässt. — dies ist nun diejenige periode
irischer geschichte, in welcher der nach LU 42% 41 ff angeblich
zu Conn Cetchathachs Zeiten geborene Finn etwa im alter von
20 — 70 Jahren stehen müste; aber diese älteste und aus-
führliche darstellung der Leinster- Munstergeschichte in
beziehung zum könig von Tara jener zeit kennt nicht ein-
mal den »amen F i n n s , geschweige denn etwas von der
KELTISCHE BEITRÄGE III 115
Institution der fiann, die nach der sage des 15 jhs. damals in
bliite stand, es ist klar, dass der Verfasser von LL 288%
16 — 292% 34 die Verschiebung Finns ins 2 — 3 jh. noch
nicht kannte, ein äufserst glücklicher umstand will es nun,
dass uns in einer jüngeren hs. derselbe text erhallen ist und
dass hier an einer stelle der versuch gemacht ist, Finn in die
alte erzählung zu interpolieren. Laud 610 toi. 94d, 17 bis 97\
26 • findet sich der gleiche text wie in LL, nur dass einzelne
episoden aus der geschichte etwas verschoben sind, an einer
stelle ist Finu hineingebracht, in die erzählung nämlich von der
ermorduug des flüchtigen Lugaid mac Con LL 292a, 9 IT. mit
LL 291b, 45 — 292% 8 stimmt Laud 610 fol. 95% 42 — 95% 24
überein; dann erzählt LL einfach, dass der alte Ailill Aulom
den Ferches mac Commäin beauftragt habe, den flüchtigen Lugaid
mac Con zu töten, und wie Ferches dies in bälde ausführt,
hier hat Laud 610 fol. 95% 24 — 96% 25 eine erweiterung. es
wird zuerst das gefolge des flüchtigen Lugaid mac Con aufgezählt:
30 scharen waren es und 300 in jeder schar; unter den führern
werden genannt Find hua Baiscni und Cailte Camcass. Find
warnt den Mac Con vor dem nachkommenden Ferches mac Com-
mäin, aber vergebens: Ferches schleudert den speer, sodass er
durch Mac Con gieng. 'darauf gieng Find hua Baiscni dem
Ferches nach (forslicht Ferchiss) , um den Mac Con zu rächen,
denn Finn war vikingersöldner (fennid) desselben, und
er tötete ihn nach 7 jähren.' über den ort, wo Find den Ferches
tötete, werden dann noch 2 relationen gegeben.
Ist es nun denkbar, dass bischof Finn von Kildare, auf den
die sammelhs. LL mit dem reichen material der älteren Finn-
sage zurückgeht (f 1160), in seiner zeit (mitte des 12 jhs.) Finn
aus diesem texte eliminiert habe? ist es nicht vielmehr wahr-
scheinlich, dass er eine ältere vorläge2 benutzte als der Schreiber
von Laud 610, eine vorläge, welche die Verbindung Finns mit
jener geschichte des 2 — 3 jhs. noch nicht kannte? aus LL folgt
1 also in dem teile von Laud G1U, welcher aus dem 'psalter von
Cashel', einer, wie wir bald sehen werden, zu Brian Boromas Zeiten
(1002—1024) angefertigten Casheler hs., stammt.
2 Cormacs glossar s. v. ringcene (Sanas Cormaic s. 38) setzt die er-
zählung in der erweiterten form von Laud 610 fol. «I5'1, 24— ,.)(>a, 24 voraus,
auch dieses werk stammt aus dem 'psalter von Cashel'.
8*
116 KELTISCHE BEITRÄGE III
natürlich nicht, dass um 1150 Finn noch nicht ins 3 jh. ver-
setzt gewesen sei; das ist er sicher schon im 11 jh. (LU 41b,
20 ff); der Schreiber von LL hatte nur eine ältere vorläge, gerade
der umstand, dass um 1150 Finns Verbindung mit den personen
der erzählung in LL 288 — 292 längst feststand, macht es —
von anderen gründen abgesehen — besonders unwahrscheinlich,
dass der schreiber von LL Finn aus der erzählung herausgebracht
habe, wir haben also in LL 288a, 16 — 292\ 34 ein zeugnis
dafür, dass es eine zeit gab, in der Finn noch nicht
mit dem 2 — 3 jh. verknüpft war.
Fragen wir jetzt, wie man dazu kam, den sagenhaft ge-
wordenen führer einer vikingerhorde aus der ersten hälfte des
9 jhs. ins dritte zu versetzen, ereignisse und personen, über
die ein jh. hingegangen ist, sind der Vorstellung der jüngeren
generation — vorausgesetzt, dass sie überhaupt so bedeutend
waren, dass sie noch in der erinnerung hafteten — so fern
gerückt, dass jedesfalls eine mehrere Jahrhunderte liefe
kluft, die sie von voraufgegangenen, in der sage verher-
lichten trennt, der jüngeren generation weniger breit vor-
kommt als die kluft von 100 jähren, die sie von der gegenwart
trennt, analoge Vorgänge, namenanklänge brauchen nur hinzu-
zukommen, um die durch Jahrhunderte getrennten ereignisse für
den blick einer jüngeren generation zusammenfliefsen zu lassen,
das 9 jh. und nicht zum wenigsten das 2 und 3 viertel desselben
hat nun in der irischen geschichte manches aufzuweisen, was
an die sagenhafte geschichte Irlands im 2 — 3 jh. erinnert, jene
Zweiteilung Irlands am ende des 2 jhs. zwischen Mug Nuadat und
Conn Cetchathach, wonach ja nord- Irland Utk Chuinn 'Conns
hälfte' und süd-Irland leth Moga 'Mugs hälfte' genannt wird, be-
stand tatsächlich in Irland auch von 840 — 847: 839 war Fed-
limid mac Crimthain, der mächtige Munsterherscher, bis vor Tara
gezogen und galt bis zu seinem tod (847) als unbestrittener
herscher von süd-Irland (Munster und Leinster) neben Niall
(f 845) und Maelsechlainn (vgl. O'Donovan, Book of rights
s. xv. xvi). die kämpfe Nialls (832 — 845) und Maelsechlainns i
(845 — 859), wie sie uns in den annalen jähr für jähr getreu-
lich, wenn auch kurz geschildert werden, haben so viel ähn-
lichkeit mit den kämpfen der irischen oberkonige Art und Cormac
KELTISCHE BEITRÄGE 111 117
dachtes nicht erwehren kann, dass in den erzählungen, welche
das 10. — lljh. von den kämpfen im 2 — 3 jh. entwarf, vieles
ebenso aus dem 9 jh. stammt, wie Finn als sagenheld aus der
ersten hälfte des 9 jhs. in das 2 — 3 verpflanzt wurde, ein ab-
solut sicheres beispiel lässt sich nachweisen, in zahlreichen
mittelirischen hss. liegt ein text in zwei etwas abweichenden
recensionen (i Rawl. B 502 fol. 72b — 73b = Laud 610 fol. 99d,
15— 102b, 13; ii LU 53a, 34 — 54b ende = H. 2. 15 fol. 67a,
1—65% 2 = H. 3. 17 col. 720— 723) vor, welcher von den
Schicksalen des grofsen südirischen Stammes der Dessi handelt:
dieselben wohnten ursprünglich in Meath (uord- Irland) , wurden
aber von Cormac mac Airt und seinem söhn Cairpri vertrieben,
wandten sich nach Leinster, wo sie auch keine bleibende statte
fanden, bis sie endlich in den grafschaften Wexford, Carlow,
Kilkenny, Waterford zur ruhe kamen, dieser text bildet gewisser
mafseu die fortsetzung zu den betrachteten erzählungen aus LL
288% 16 — 292% 34, in so fern als letztere mit dem tode Lugaid
mac Cons und dem regierungsantritt Cormacs schliefsen, der
hier in frage stehende text aber ereignisse aus der regieruugs-
zeit Cormacs und seines nachfolgers behandelt, hier müssen
wir widerum vor allem constatieren, dass auch diesem in
5 hss. (worunter LU aus dem lljh.) vorliegenden text
Finn vollkommen unbekannt ist, also auch diese er-
zäblung aus einer zeit stammen muss, in der Finn noch nicht
mit der sagenhaften geschiebte des 3 jhs. und ihren hauptpersön-
lichkeiten, wie Cormac und Cairbre, verknüpft war. wol aber
hat eine andere begebeuheit des 9 jhs. nebenbei schon aufnähme
gefunden, im 9 jh. sitzen die Dessi von grafschaft Wexford bis
Tipperary und südlich in grafschaft Waterford ; sie haben scharfe
stöfse von den irischen oberkönigen INiall (f 845) und Mael-
sechlainu i, Domuall (845 — 879) auszuhalten: INiall fällt auf einem
kriegszug in ihrem gebiet am Calleun (Kings river) in Kilkenny
845; der nachfolger Nialls Maehechlainn rex Temro dodul cofuu
Muman corici Indeuin nanDesi angialla dotabairt (853) lM., der
könig von Tara, zog gegen Munster bis Mullach Indeoua (bei
Clonmel in Tipperary) der Dessi und nahm geisein von ihnen\
wozu die Vier meister (852) noch fügen arrothrialhat frithbert
fris a hucht echtarcheinel 'denn sie versuchten Opposition gegen
ihn auf antreiben der fremden stamme'; im jähre 868 macht
118 KELTISCHE BEITRÄGE III
Cerbal, söhn desDungal, der Leinsterkönig, einen plün-
derungszug ins gebiet der Dessi (Vier meister 868). halten wir
uns gegenwärtig, dass die Dessi von den beiden irischen ober-
kö n igen Cormac und Cairbre im 3 jh. aus ihren alten sitzen
in Meath vertrieben wurden, dass der Leinsterkünig Dun-
lang die flüchtlinge bekämpft (LU 54% 3), so ist begreiflich, wie
im 10 jh. geschichte und sage in einander iiberfliefseu konnten,
nun hatte aber 835 ein vikiugereinfall ins gebiet der nördlichen
Dessi staltgefunden; 852 werden die Dessi, wie wir sehen, von
Maelsechlainn gezüchtigt, weil sie auf anstacheln der unter ihnen
wohnenden echtarcheinel 'fremden stamme', dh. der sitzen
gebliebenen vikingerhorden sich ihm widersetzten, das
Book of Armagh weifs nach 841 von Fem for Fid(mor), dh.
'vikinger in Fidmor' (vgl. s. 96 ff), diese vikinger erscheinen nun
in recension i der Dessi -erzählungen; in Laud 610 fol. 102% 2
heifst es zum schluss übereinstimmend mit Rawl. B 502 fol. 73b:
Isinund aimser hilotar na Deisse for Gabruan 7 Fem for Fidmor 7
Fothairt for Gabruan sair 'in derselben zeit kamen die Dessi
nach Gowrau (in Kilkenny) , die Fene nach Fidmor und die
Fothart östlich von Gowran.' von den Fene war in der
ganzen erzählung keine rede: sie sind hier nach den
Verhältnissen um 840 ins 5 jh. versetzt, denn um diese zeit
sollen nach der erzählung die Dessi ruhe gefunden haben.
Hier haben wir also einen beleg dafür, wie offenkundige zu-
stände aus der ersten hälfte des 9 jhs. zu ende des 10 oder zu be-
ginn des 11 jhs. in die alte sagenhafte vorchristliche geschichte
gerückt werden, diese Verschiebung ist eine natürliche, wenn
ich so sagen darf, wir haben aber auch einen beweis dafür,
dass dinge, die mit einer hervorragenden Persönlichkeit der
vikingerzeit verknüpft sind, zwischen 1014 und 1022 zu be-
stimmtem zweck iu die zeit Cormacs (3 jh.) versetzt wurden,
in dem im verlauf der Untersuchung so oft benutzten Lebor na
cert herscht die anschauung, dass Benen , Patricks schüler und
genösse, die prärogative, rechte und pflichten des königs von
Munster (Cashel) aufgezeichnet habe in ein buch, genannt Saltair
Caisil 'psalter von Cashel'1 (O'Donovau, Lebor na cert s. 52, 17),
und dass zur zeit des streitbaren Casheler kirchenfürsten Cormac
1 man erinnere sich , dass die prärogative Armaghs in eine hs. des
neuen testaments eingeschrieben wurden.
KELTISCHE BEiTBÄGE 111 119
mac Cuilennain (f 903) die uns erhaltene Fassung entstanden
ist. wie wir oben s. 11 anm. sahen, sind die uns erhaltenen
gedichte 100 jähre später unter dem mächtigen Munsterköuig und
irischen oberkünig Brian (1002— 1014) wiirklicli entstanden, es
ist nun sehr leicht möglich, dass ein älteres auf Cormac mac
Cuilennain zurückgehendes werk vorläge war und dass mau, wie
in Armagh, das neue werk, welches die erst durch Brian er-
rungenen rechte Munsters alt machen sollte, unterschob, also
die Sammlung Saltair Caisil, die Brian (1002 — 1014) veran-
staltete, für den Saltair Caisil des Cormac mac Cuilennain aus-
gab, eine solche hs. gab es im mittelalter und grofse stücke
von Laud 610 sind nach positiven angaben daraus abgeschrieben
(s. O'Donovan, Lebor na cert s. xxn — xxiu).1 es waren also
1 die annähme, dass die talsächlich einst vorhandene hs. Saltair
Caisil, aus der grofse stücke von Laud 610 abgeschrieben sind, aus Brians
zeit (1002 — 1014) stammte, dass sie werke einer älteren, auf den be-
rühmten gelehrten und streitbaren kirchenfürsten Gashels, Cormac mac
Cuilennain (f 903), zurückgehenden hs. in abschriften, Umarbeitungen und
erweiterungen enthielt und als der Saltair Caisil dieses Cormac mac Cuilen-
nain vielfach angesehen wurde, erklärt vieles: 1) die irischen gelehrten des
späteren mittelalters schreiben diese hs. bald Brian, bald Cormac zu (s. O'Do-
novan, Book of rights s. xxniff); erstere ansieht wäre schwerverständlich,
wenn Brian nicht würklich der Urheber wäre. 2) unser Lebor na cert kann aus
dem Saltair Caisil (dh. des Brian) stammen. 3) die vorläge von LL 288a,
16 — 292a,34 geht auf eine abschritt zurück, die der Umarbeitung des textes in
Saltair Caisil vorausliegt, während Laud 610 fol. 94d, 17 — 97a, 26 eben aus
diesem Saltair Caisil Brians geflossen ist (s. oben s. 115). 4) schon Stokes,
Three irish glossaries s. xviii wies darauf hin, dass es wahrscheinlicher sei,
dass das Cormac zugeschriebene glossar im jh. seines todes entstanden sei,
denn durch ihn; hinzu kommt, dass artikel, die sich fixieren lassen, wie
orc treith, noes (s. oben s. 88), auf ende des lOjhs. hinweisen; auch
darauf darf ich aufmerksam machen, dass im glossar s. v. ringeene die er-
weiterte erzählung LL 288a, 16 — 292a, 34 bekannt ist, wie sie Laud 610
aus dem Saltair Caisil abgeschrieben ist (s. oben s. 115 anm. 2). stammt das
glossar aus dem Saltair Caisil des Brian, dann sind diese tatsachen ohne
annähme von interpolationen verständlich und es ist begreiflich, wie man
es dem Cormac zuschrieb. 5) die aus dem 11 jh. stammende erzählung von
dem vikingerzeitalter meldet ausdrücklich aus Brians regierungszeit von
1002 — 1014: llocuirit sauithe ocus maigislreacka da l/ieaccasc ec/ia ocus
eulais ocus do chendaen leabar tar inair ocus tar mürfairge; uair do
loisged ocus do baided a screptra ocus a liubair in gack tili ocus in
gach neimed ina robattar la diberceavhaib o tosach go deired. Brian
imorro do beired side luach f'oglama ocus luach leabar do gack aon f'o-
leitk datteiged annsin 'es wurden von ihm gelehrte und magister geschickt
120 KELTISCHE BEITRÄGE 111
in der auffassung des ersten Jahrzehnts deslljhs.
folgende 3 dinge mit einander verknüpft: 1) Lebor na
cert (buch der rechte und pflichten); 2) verfasst von Cormac
mac Cuilennain (f 903) und 3) geschrieben in der hs.
Saltair Caisil. was hat ein auf Munsters rühm eifersüchtiger
nordirischer dichter kaum 10 jähre nach Brians tod (f 1014)
daraus gemacht? der 1024 von den bewohnern Teffias (ein gebiet
in heutiger grafschaft west-Meath) ermordete dichter Cuan o
Löchäin hat ein gedieht über die geasa ocus bnada rlg Erenn,
dh. 'die tabus und specialrechte des oberkönigs von Irland' ver-
fasst, welches dem Lebor na cert in den hss. vorangeschickt ist
(O'Donovan s. 2 — 25); es war offenbar als eine ergänzung des
Lebor na cert gedacht und setzt dieses voraus, von dem-
selben O'Löchain nun haben wir Book of Ballymote 351a, 47 ff
ein gedieht auf den sagenhaften Cormac mac Airt des 3 jhs. uud
seine residenz Tara, hier heifst es:
1. Temair toga natulach fota Eriu indradach
Ardchathair Cormaic maic Airt Maie Cuind Cetcathaig comnairt.
2. Cormac ba cundal amaith ba sui ba fili ba ßaith
Ba firbrethem fer Fette ba cara ba coigele.
3. Cormac raclai caegad cath ilai[gai]d Saltair Temrach
IsinSaltair sin atä anusdech sunn senchusa.
4. IsinSaltair sin adbeir m nairdri Erenn inbir
Coicrlg naeoiged dosgnl ri hErenn isa hairri.
5. Is inti atü dogach leith inandlig cach ri eoieid
Inandlig ri Temra tair dort gach cuigid ceolaig.
'1) Tara ist der herlichste der hiigel — lang ists her, dass Irland
durch einfalle verwüstet worden — , die hohe Stadt Cormac mac
Airts, des sohnes des kräftigen Conn Cetchathach. 2) Cormac —
es war geziemend seine gute — war ein weiser, war ein
dichter, war ein herscher, er war ein gerechter
lichter der vikingermänner (ferFene), er war freund,
war genösse. 3) Cormac siegte in 50 schlachten — der psalter
•von Tara vervielfältigt — dieser psalter (von Tara) ist das
zur Unterweisung in Wissenschaft und kenntnis und bücher zu kaufen übers
meer und die grofse see; denn ihre Schriften und bücher waren verbrannt
und ins wasser geworfen worden vollständig durch die (nordischen) See-
räuber in jeder kirche und jedem heiligtum, wo sich solche fanden. Brian
aber gab lohn fürs lernen und lohn für bücher einem jeden, der daran
gieng' (Todd, Cogadh Gaedhel s. 138).
KELTISCHE BEITRÄGE 111 121
wertvollste, was vom alter tum erhalten. 4) dieser
psalter nennt 7 könige für das hafenreiche Irland: 5 könige für
die 5 provinzen, der köuig von Irland und sein unterköuig.
5) in ihm ist von allen Seiten (enthalten), worauf jeder pro-
vinzialkönig auspruch hat, worauf der könig von Tara von dem
könig jeder sangesreichen provinz anspruch hat.'
Hier hahen wir eine offenkundige lüge und fälschuug vor
uns, die in ihrer Unverschämtheit kaum von der lüge Armaghs
über die hekehrung der vikinger Dublins durch Patrick über-
troffen wird, der 1024 gestorbene O'Löchain hat den
mut, alles, was von dem streitbaren Cas heier kirchen-
fürsten Cormac mac Cuilennain (f 903) ums jähr 1000 be-
kannt war, auf den sagenhaften könig Cormac mac Air t
des 3 j h s. zu übertragen. Cormac mac Cuilennain war, wie
dies im 9 und 10 jh. die regel ist, könig von Munster und
bischof von Cashel und als gelehrter hoch gefeiert (s. annalen
zu 903) , für ihn passt ba sui ba file ba flaith 'er war gelehrter,
dichter und fürst.' ihm wurde auch die Sammlung der rechte
und pflichten der könige Irlands zugeschrieben, die notwendige
folge der Übertragung auf den sagenhaften Cormac mac Airt war,
dass aus dem Saltair Caisil, der im 15 jh. würklich noch vor-
handenen hs., ein Saltair Temrach 'psalter von Tara' wurde,
wobei die absurdität gar nicht in betracht gezogen wurde, dass
dann dieser 200 jähre vor Patrick lebende sagenhafte heidnische
monarch den Lebor na cert in ein psalterium geschrieben hätte,
für eine hs. Saltair Temrach 'psalter von Tara' ist keine spur
eines anhaltes vorhanden, so wurde denn Cormac mac Airt
auch gerechter richter 'der vikinger männer' (ferFene), was
bei Cormac mac Cuilennain (f 903) sinn hat.
O'Löchain war nord-Ire (aus Meath) und brachte seine familie
in beziehung zum sagenhaften Cormac mac Airt des 3 jhs.
(s. O'Curry, Manners and customs n 136 ff; O'Douovan, Lebor
na cert s. XLiifl); er stand in beziehungen zu Maelsechlainn n,
der nach des verhassten südirischen Usurpators Brian tode
(1014) wider oberkönig wurde (f 1022). in dessen und in
eigenem interesse vollbrachte O'Löchain die plumpe fälschung,
die also zwischen 1014 und 1022 lallt, in dem gutgläubigen
Irland, wo Tertullians Credo quia absurdum durch ein Jahr-
tausend leitender Grundsatz ist, wurde auch diese schier un-
122 KELTISCHE BEITRÄGE 111
glaubliche falsch uog geglaubt: Book of Ballymole und Yellow
book of Lecau sind Zeugnisse fürs 14 — 15 jh. (s. O'Curry, Ma-
ouscript materials s. 11), die Vier meister s. anno 266 fürs
17 jh. und O'Curry (aao.) fürs 19 jh. dieser glaube erzeugte
wider andere erfindungen: man liefs Cormac mac Airt, nachdem
er ein äuge verloren, viele jähre in Aicil (grafschaft Meath)
leben , wo er zu den genannten werken auch noch einen
'fürstenspiegel' (Tecosc na rlg) — schon LL 343% 1 ff erhalten — ,
ein 'gesetzbuch' (Lebor Aide)1 und anderes verfasste. schliefs-
lich liefs man ihn schon vor Patricks ankunft an den einen
wahren gott glauben und als rector einer art fürsten- (kloster-)
schule zu Cleitech an einer im halse stecken gebliebenen lachsgräte
sterben (LU 40b, 16 ff). unter den händen der klosterschul-
meisler des 11 und 12 jhs. werden alle berühmten leute der
vorzeit — in sage vorhandene und erfundene, wie Feuius s. s. 82 ff
— auch zu schulmeistern.
In der weise gerade, wie der gelehrte und streitbare Casheler
kirchenfürst Cormac mac Cuilennaiu (831 — 903) in die sage des
3 jhs. kam, kann der führer der vikiugerhorde , Cormacs älterer
Zeitgenosse Finn, nicht in die sagenhafte geschichte des 2 — 3 jhs.
versetzt worden sein, die sagenhafte geschichte des 2 — 3 jhs.
1 dies uns erhaltene rechtsbuch (Lebor Aide Ancient laws of lreland
in 82 — 546) kennt Fene , wie Senchas mar. ob wir darin eine süd-
irische rechtssammlung zu sehen haben — wie Senchas ?nör ja ent-
schieden nach nord- Irland weist — , die eben dorther stammt, woher Lebor
na cert kommt? die einleitung ist dann natürlich nach der idenliflcierung
des heidnischen sagenkönigs Cormac mac Airt mit dem streitbaren Casheler
kirchenfürsten Cormac mac Cuilennain verfertigt worden. — der LL 343a, 1 ff
erhaltene Tecosc na rlg ist eine offenkundige nac ha Innung eines
mit Cormac mac Cuilennain verbundenen werkes. LL 147b, 1 ff
haben wir ein gedieht, beginnend Diambad messe bad rl 'wenn ich könig
wäre': es enthält in einer reihe von maximen über die pflichten eines
königs eine art fürstenspiegel. dies gedieht findet sich Laud 610 fol. 72b
mit der Überschrift Fingi?i cecinit doChormac mac Cuilennain 'Fingin
sang für Cormac mac Cuilennain.' es stammt aus dem Saltair Caisil. es
enthielt also der Saltair Caisil einen 'fürstenspiegel', der von Fingin für
den könig von Munster und bischof von Cashel verfasst war. als nun
O'Löchain in der oben gezeigten plumpen weise den streitbaren Casheler
kirchenfürsten Cormac mac Cuilennain (f 903) mit dem sagenhaften irischen
oberkönig des 3 jhs. zusammengeworfen hatte, schrieb ein anderer einen
'fürstenspiegel' (Tecosc na rlg) und legte ihn dem Cormac des 3 jhs. unter!
den unsinn hat man natürlich bis jetzt ebenfalls geglaubt.
KELTISCHE BEITRÄGE 111 123
kennt eben eine figur mit uameu Finn überhaupt
nicht, wie wir s. 113 ff sahen, daher auch eine ideotificieruug —
sei es eine natürliche, in der eutwickeluug der sage liegende,
sei es eine künstlich erfundene — zweier namengleicher figuren
ausgeschlossen ist. die Verknüpfung Finns mit den sagenhaften
gestalten des 2 — 3 jhs. wird im allgemeinen ihren grund haben
in dem zusammenfliefsen der ereignisse aus der ersten hüllte des
9 jhs. mit der sagenhaften geschichte des 2 — 3 jhs. (s. s. 11611).
im besonderen werden zwei mit Finn verknüpfte namen die Ver-
kettung gefördert haben, in dem oben s. 111 behandelten text
von der Jugend Finns (LU41\ 10 — 42b ende) erfahren wir, dass
er der söhn eines 'vikingerführers aus königlichem blut' (rig-
fennid), namens Cumall, und einer geraubten schönen Irin,
Murni, der tochter des Tadg mac Nuadat, besitzers der bürg
von Allen, ist. dürfen wir nun annehmen, dass diese namen
mit Finn im 10 jh. verknüpft waren, ehe er in die sage des
2 — 3 jhs. gekommen, dann ist klar, wie Finn in die sagen-
hafte geschichte des 2 — 3 jhs. verflochten wurde. AHM Aulom,
der mächtige herscher Munsterlands, Schwiegersohn des Conu
Cetchathach, Schwager des Art mac Cuinu, pflegevater Lugaids
mac Con, onkel des Cormac mac Airt ist mac Moga Nuadat,
dh. söhn des Mug Nuadat (LL 288a, 16. Laud 610 fol. 94d, 18);
so konnte Tadg mac Nuadat, Finns grofsvater mütterlicher-
seits, sehr vvol an AHM mac (Moga) Nuadat erinnern, und war
Tadg mac Nuadat ein Zeilgenosse (bruder) des AMll mac (Moga)
Nuadat, dann muste Finn Zeitgenosse des pflegesohus Ailills sein,
des Lugaid mac Con. so treffen wir denn auch tal-
sächlich in der in Laud 610 fol. 95d, 24 ff in terpol ierten
stelle (gegenüber LL292a,9ff; s. s. 114 ff) Finn in beglei-
tuug des Lugaid mac Con und dessen tod rächend,
hinzu kommt noch, dass auch einer der 7 söhne des Ailill Aulom,
die ihrem oheim, dem oberkönig Art, zur hilfe gezogen und
gleich ihm in der schlacht auf dem leide von Muccrün gegen
Lugaid mac Con gefallen waren, Tadc heifst (LL 146b, 27), der
also ein eukel des Mug Nuadat war. nicht auf diese ankuüpfuug
Finns an die Munstersage des 2 — 3 jhs. geht jedoch die Umge-
staltung zurück, dass Finn mac CumaM zu einein Finn hua Baiscne,
einem angehörigen des clans der Baiscne (in grafschaft Cläre),
wird, wie er Laud 610 fol. 95°, 24 IT und Sanas Connaic s.v.
124 KELTISCHE BFITHÄGE 111
orc treith zuerst erscheint, worauf dies beruht, werden wir
später (s. 129 anm. 3) sehen.
Wurde Fiun so in Munster an die ältere generation
der sagenfiguren des 2 — 3 jhs. angeknüpft, so fand in Leinster
und Meath eine anknüpfung an eine jüngere generation
statt, in den kämpfen, die Cormac mac Airt nach der Ver-
treibung des Lugaid mac Con (pflegevater Cormacs und mörder
seines vaters) mit dem Ulsterherscher Fergus Dubdetach zu be-
stehen hatte, spielt eine hervorragende rolle Tadg mac Cein;
er war der söhn des in der Schlacht auf Mag Muccrlma gefallenen
Clan, enkel Ailill Auloms, grofsenkel des Mug Nuadat (vgl. Cinaed
hua Artacain f 975 in seinem gedieht über die irischen beiden
LL 31b, 41 ff), dachte man bei Tadg (mac Nuadat), dem
grofsvater Finns mütterlicherseits, an diesen Tadg (mac Cein),
dann ist begreiflich, wie Finn als rüstiger mann zu Cairpre
Lifeochairs zeit, Cormacs söhn, dem Leinsterkönig zur hilfe ziehen
konnte (LL 296a, 49 ff), so erklärt sich denn nicht nur,
wie Finn mac Cumaill, der führer einer vikingerhorde des
9 jhs., in die sage des 2 — 3 jhs. verflochten wird,
sondern auch wie er durch fast ein jh. als nicht
alternder tapferer führer erscheint (vgl. oben s. 113).
Wenden wir uns der frage zu, wann ungefähr Finn mac
Cumaill in die sage des 2 — 3 jhs. verflochten wurde, da
Laud 610 fol. 94d, 17—97% 26 aus dem Saltair Caisil ab-
geschrieben ist, Finn auch in der erzählung im Sanas Cormaic
s. v. orc treith den beinamen ua Baiscne führt, so können wir
mit Sicherheit annehmen, dass Finn zur zeit, als Brian ober-
könig war (1002 — 1014), in Munster schon in die sage des
2 — 3 jh. verflochten war. vielleicht können wir noch etwas
weiter kommen, das älteste zeitlich fixierte Zeugnis über
die Finnsage ist das gedieht des Cinaed hua Artacain (f 975)
über die berühmtesten irischen helden (LL 31a, 43 ff), hier
werden in zeitlicher reihenfolge die zu Cinaeds lebzeiten be-
rühmten helden der sage und historischeu persönlichkeiten ab-
gehandelt, welches gedieht dann der bischof Finn von Kildara,
der urheber der hs. LL, bis auf seine zeit (1151) fortführte, in
diesem Verzeichnis wird Finn in derselben Strophe
mit dem 624 in Schottland (Cantire) gefallenen Ulster-
regulus Mongan aufgeführt und zwar nach ihm
KELTISCHE BEITRÄGE III 125
(s. oben s. 24 IT), die einwendungen , die man gegen die Schluss-
folgerung aus dieser tatsache machen kann , scheinen mir hin-
fällig, auf den einvvurf, dass die Verbindung von Mongan und
Finn auf der LU 133a, 25 ff überlieferten sage beruhe, wonach
Mongan eine art widergeburt Finns aus dem 3 jh. ist, auf diesen
einwand ist zu erwidern: 1) es ist unwissenschaftlich, ein mög-
licherweise 150 jähre jüngeres denkmal zu einem beweiskräftigen
einwand zu benützen; es ist vielmehr wahrscheinlich, dass man
im 11 jh., weil man Finn verbunden mit der sage des 2 — 3 jhs.
kannte und weil man die Stellung Finns hinter Mongan in Cinaeds
berühmtem gedieht nicht mehr verstand, aus jener stelle in Cinaeds
gedieht die sage LU 133a, 25 ff erfand: hierzu lockte ja die ältere
sage, dass Mongan eine incarnation des euhemerisierten alten
meergottes Manandän gewesen sei (s. oben s. 24 anm.). 2) bei
der deutung der Strophe in Cinaeds gedieht aus der jünger über-
lieferten sage bleibt immer unverständlich, warum Finn von den
anderen helden der sage des 2 — 3 jhs. getrennt ist und nach
Mongan erscheint, der einwand aber, dass bei der Stellung,
welche die Strophe in LL einnimmt, Mongan und Finn nicht
in der zeitlichen reihenfolge stehen, sondern vor den im
5 jh. gefallenen herschern Niall und Dathi, erledigt sich leicht,
unsere hs. stammt aus einer zeit (1160), in welcher die Ver-
bindung Finns mit dem 2 — 3 jh. schon 150 jähre feststand und
sehr eng geworden war. als bischof Finn von Kildara Cinaeds
gedieht bis auf seine zeit (1151) fortführte, muste ihm die Stel-
lung Finns hinter Mongan und hinter Niall und Dathi auffallen.
da nun um 1151 Finn der weitaus berühmtere hehl ist, so lag
es nahe, den Cinaed vom standpunet des Jahres 1151 aus so zu
corrigieren, dass man die Strophe mit Mongan und Finn vor die
Niall -Dathistrophe stellte; dies muste vom standpunet des 12 jhs.
aus als die g eri ngere ungenau igk ei t erscheinen, ich glaube
demnach den schluss ziehen zu dürfen , dass Cinaed hua Artacain
(f 975) bei abfassung seines gedieh tes von der Ver-
knüpfung des sagenhelden Finn mit dem 2 — 3jli.
nichts wüste, also ebenso wenig, wie die LL 288% 16 bis
292\ 34 auf uns gekommenen texte (s. oben s. 113 II); ihm war
(um die mitte des 10 jhs.) Finn ein held aus historischer zeit,
jünger als der historische Mongan (f 624), wenngleich er eine
ganz genaue Vorstellung des jhs. nicht halte hierbei ist jedoch
126 KELTISCHE BEITRÄGE III
ein punct zu beachten: der 975 gestorbene Cinaed hua Artacain ist
ein Ulsterdichter, das Chronicon Scotorum sagt (973) aus-
drücklich Cinaed h. Artaccdn prtmheges Lethe Cuinn moritur (C.
hauptdichter nord- Irlands f) und die Vier meister melden
nur wenige jähre nach seinem tode (976) den tod eines Fiachra
hua hArtacäin abb Ia Choluim Chille 'abt von Jona', was auch
auf Ulsterherkunfl dieses Fiachra hinweist, es ist daher immer-
hin möglich, dass in Munster und Lein ster im dritten viertel
des 10 jhs. die Verknüpfung Finns mit den sagenhaften persön-
lichkeiten des 2 — 3 jhs. schon eingetreten war.
Ein weiteres denkmal führt uns auch nicht über ende des
10 jhs. weit hinaus, die dem s. 34 ff. 99 ff besprochenen text
zu gründe liegende begebenbeit ereignete sich zur zeit des ober-
königs Domnall (956 — 979); Airard mac Coissi stirbt nach den
Ulsterannalen 989 (dh. 990). der text kann meines erachtens aus
mancherlei gründen nicht jünger sein als die wende des
10 — 11 jhs. hier interessiert nun das repertoire, welches die
erzählung den Urard mac Coisi vor dem oberkönig Domnall mit-
teilen lässt (s. oben s. 34). l es sind, wenn ich richtig gezählt,
177 titel von erzählungen. Mac Coisi geht so vor, dass er dem
Domnall die titel der 28 gnäthscela Erenn 'bekannten erzählungen
Irlands' zuerst nennt, und dann — nachdem offenbar Dom-
nall zu erkennen gegeben, dass die ihm nichts neues bieten —
fährt er fort: madferr latsu atpasur duit na täna 'wenn du
aber vorziehst, will ich dir die 'herdenwegtreibungen' erzählen.'
nunmehr gibt er eine sachliche anordnung, in der manche der
zuerst genannten gnäthscela widerkehren, hier ist von gröster
Wichtigkeit, dass unter den vorangestellten und aus-
gehobenen 28 gnäthscela Erenn 'bekannten erzählungen
Irlands' sich kein titel aus der Finnsage befindet.
es sind 27 texte der alten nordirischen heldensage (Cuchulinn-
sage) und Scela Alexandir maic Pilip oc gabail rlgi ocus imperechta in
domain 'die geschichten von Alexander, dem söhne Philipps,
als er die herschaft und die kaiserwürde der weit ergriff.'2 fassen
1 dieser teil des textes (Rawl. B 512 fol. 109b, 4— 110% 7) ist ab-
gedruckt bei D'Arbois, Essai d'un calalogue s. 260 — 263.
2 diese und die noch zu erwähnenden tatsachen bieten die innere
gewähr, dass der text würklich aus dem ende des 10 jhs. stammt und
dass die liste in der jungen abschritt aus späterer zeit nicht interpoliert
ist; eine wesentlich jüngere zeit würde eine ganz andere liste von titeln
KELTISCHE BEITRÄGE III 127
wir nun die 149 sachlich geordneten titel ins äuge, so ist klar,
dass wir vom standpunct des ausgehenden 10 jlis. die texte Echtra
Cuind Chetchathaig und Echtra Corbmaic hui Cnind (abenteuer
des C. C. und abenteuer des Cormac ua Cuind), Tochomlad nan
Desi a Temraig , Tochomlod Cein a Caisil nicht zur Fi nn sage
rechnen dürfen, da ja Finn darin nicht vorkommt, wenn
man dies heutiges tages gewöhnlich tut, so beruht dies auf der
lorheit, alle sagentexte, welche das 2 — 3 jh. voraussetzen, dem
'cycle ossianique' zuzuschreiben; aber derartige sagentexte waren
vorhanden, ehe Finn mit der sage des 2 — 3 jhs. verknüpft war,
ja ehe eine Finnsage existierte, aus der Finnsage kennt das
repertoire des Urard mac Coisi nur zwei erzählungen unter den
149 titeln und sie zeigen die Verknüpfung Finns mit der sage
des 2 — 3 jhs.: Tochmarc Ailbe ingine Cormaic hui Cnind laFind
hüa mBaiscne 'das freien der Ailbe, tochter Cormacs ua Cuind, durch
Find hua Baiscne' und Aithed Grainne ingine Corbmaic laDiar-
mait hüa nDuibni 'das durchgehen der Gr., tochter Cormacs, mit
Diarmait ua Duibni.' hierdurch erhalten wir allerdings nur eine
bestätiguug des s. 124 ff gewonnenen resultates, dass Finn ums
jähr 1000 in die sage des 2 — 3 jhs. verflochten war; aber der
umstand , dass unter den 28 'bekannten erzählungen Irlands'
keine Finngeschichte sich befindet und dass unter den 149 titeln
nur zwei sicher der Finnsage angehören, ist — zumal wenn wir
die fülle der Finnerzählungen um die mitte des 12 jhs. im äuge
behalten — lehrreich und die dargelegte entwickelung der Finn-
sage mit ihrem Ursprung im 9 jh. bestätigend.
Verlockend ist es ganz gewis, in der irischen geschichte
des 9 jhs. nach der person umschau zu halten , die iu der er-
innerung des 10 jhs. in süd- Irland (Munster und Leinster) als
Finn kräftig fortlebte und gegen ende des 10 jhs. in die sage
des 2 — 3 jhs. verflochten wurde, um den Zeitraum des 9 jhs.
näher zu umschreiben, in welchem wir nach dem vorbild Finns
suchen dürfen, ist ein gesichtspunct im äuge zu behalten: die
persön I ichk eit, die in Finn fortlebt, muss vor der
etablierung eines viki ngerkönig tums in Irland in i I
geben, das aber mögen sich alle sonderbaren schwiirmer für eine alte vor
der vikingerzeit bestehende Finnsage ad notam nehmen, dass schon zu einer
zeit, wo eine irische bearbeitung der Alexandersage zu den 'bekannten er-
zählungen Irlands' gehörte, noch keine erzählung der Finnsage unter den
28 bekannten erzählungen Irlands vorkommt.
128 KELTISCHE BEITRÄGE III
der hauptstadt Dublin oder um diese zeit existiert
haben, also vor oder um 852. wir finden Finn mit seiner
vikingerscbar (fiann) in west-Meath (Sanas Cormaic s. v. orc
trVith); wir finden ihn, wie er aus Kildare zur rechten des Barrow
durch Queens county, Kilkenny zieht bis dahin, wo Kilkenny,
Carlow und Wexford an einander slofsen (Tech Moling = heutigem
SMullins), um dem Leinsterkönig gegen Irlands oberkönig bei-
zustehen (LL 296% 49 ff, s. oben s. 25 ff); ebenso fällt sein vater
Cumall im kämpf mit dem könig von Tara (LU 42% 22 IT). Finn
erscheint überall als unabhängiger führer einer
vikingerhorde und in der sage ist keine andeutung erhalten,
dass neben dem Leinsterkönig, neben dem könig von Tara usw.
in Irland eine reguläre, gesetzmäfsig anerkannte vikingerherschaft
mit der hauptstadt Dublin vorhanden war. hält man damit zu-
sammen, dass bald nach 852 eine solche figur, wie Finn mit
seiner fiann, in jenen gegenden , wo er in den ältesten texten
auftritt, nicht wol möglich ist, so wird man mir zugeben, dass
das vorbild für Finn in der ersten hälfte des 9 jhs. bis bald nach
852 gesucht werden muss. weitere momenle kommen bestätigend
hinzu, jene einzelbanden, die von 824 an (s. oben s. 108) in
den grafschaften Dublin, Meath, Kildare, Wicklow, Queens county,
Kilkenny, Carlow, Wexford erscheinen, waren bei dem fehlen
einer centralgewalt der vikinger in süd- Irland vor 852
sehr bald einer art irisierung ausgesetzt, wenn sie irgendwo
festen fufs fassten. so treffen wir ja 852 solche vielleicht 2 Jahr-
zehnte angesiedelte vikinger in Kilkenny als eine art von irischem
clan (echtarchenel, Fena, s. oben s. 93 ff, 118); und gerade um
jene zeit, als ein eigentliches vikingerkönigtum in Dublin etabliert
wurde, erscheinen in den annalen (855. 856) Gall-Gaedäl,v\k\nger-
Iren' in Ulster, Meath und Munster (s. oben s. 95), die dann
auf ein jh. verschwinden, die errichtung des vikingerreiches mit
der hauptstadt Dublin hielt die um 850 schon im flusse be-
findliche assimilierung der von 824 an im lande sitzen gebliebenen
vikinger fast für ein jh. auf oder hinderte wenigstens, dass in der
zweiten hälfte des 9 jhs. neue vikingerscharen sich dieser assi-
milierung hingaben, diese vikingertrupps im zweiten viertel des
9 jhs. in jenen teilen des Südostens von Irland müssen wir uns
vielfach wesentlich als räuberbanden denken; so schildert sie
ja das oben s. 96 angeführte annalenfragment. die Ulsterannalen
KELTISCHE BEITRAGE III 129
haben zu 846 die characteristische notiz: Togal innsi locha Muin-
remair la Maehechlainn for fianlach mar di maccaib bais Luigne 7
Galeng robatar oc indriud na tuath more gentilium 'die Zerstörung
der insel in Loch Muinremair durch Maelsechlainn gegen eine
grofse räuber-(7?an-J schar von üheltätern (eigentl. 'söhnen des
todes') aus Lune und Morgallion (zwei baronies in county Meath),
welche die landschaften nach art der vikinger (möre
gentilium) verwüsteten.'1 also eine art von räuberbanden
waren im zweiten viertel des 9 jhs. die vikingerhorden, die im
Süden Irlands zurückgeblieben waren.2 den historischen
Finn dieser zeit können wir uns als einen berühmten vikinger-
räuberhauptmann denken, der in Almu seinen sitz hatte, den
Südosten Irlands heimsuchte, halbwegs irisiert war oder doch in
keinem nationalen gegensatz zu den Iren stand, höchst charac-
teristisch leuchtet diese räuberhauptmannseite des beiden durch
in der erzählung von Finns Jugend, wo es heifst (LU 42b, 12 ff):
'der knabe wird von ihnen aufgezogen, bis er gewachsen (im
stände) war, raub auszuüben (corbotaalaing fogla dodenum)
an jedem , der ihm verfeindet war.' dass irische fürsten in ihren
kämpfen unter einander den beistand des berühmten vikinger-
räuberhauptmanns nicht verschmähten, ist natürlich, zumal wenn
er eine art oberherschaft über andere gleiches handwerk treibende
banden von vikingern und Iren besafs, wie wir für Finn
aus LL 297a, 15 ff 3 schliefsen dürfen.
1 hier scheint in fianlach (= fiatislog) more gentilium noch die be-
deutung des fiann 'vikinger' durch, ich brauche wol kaum darauf hinzu-
weisen, dass die Überarbeitung von Togail brudne Da Dergw mit seinem
gebrauch von fianna (s. oben s. 13 — 15) solche zustände widerspiegelt, wie
sie die Ulsterannalen zu 846 bezeugen.
2 in dieser zeit war fennid 'angehöriger der fianna der vikinger'
identisch mit foglaid 'räuber', oder vielmehr es war eine Verstärkung: 868
haben die Ulsterannalen Maelciarain mac Ilonairi rignia airthir Erend,
feinid fogla Gall jugulatus est 'Maelciarain, söhn des Ronan, ein haupt-
held des ostens Irlands, ein helden-räuber ('Fenier des raubes') jugu-
latus est.' LU 54b, 10 ff (= H. 3, 17 col. 722) wird die not der von ort zu
ort gehetzten Dessi geschildert mit den Worten: 'sie waren wie Schweine
zwischen hunden, jedem fennid und jedem räuber, der ins land kam, gab
Ethne gold und silber, damit er den Dessi helfe'; es ist also fennid synonym
mit foglaid.
3 dieser text ist noch durch 2 dinge wichtig: l)Finn heifst noch mac
Cumaill; 2) unter den führern , die Finn bei Tech Aluling (SMullins) mit
ihren scharen erwartet, wird aufgeführt Bressal hua Jiaiscne (LL 297b, 24),
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 9
130 KELTISCHE BEITRAGE III
Können wir nun in dem so begränzten Zeitraum eine figur
nachweisen, die in dem Finn der sage lebendig ist? ich glaube,
diese frage mit 'ja' beantworten zu dürfen.
Das alte fragment der erzählung über die vikingerzeit meldet
LL 310% 36 ff: Tanic arsain Amlaib mac rig Lochlainne ocus
longes lan mor leis ./. sindechmad bliadain renec Maehechlainn coro-
gaib rigi Gall nErend ocus isleis robaded Conchobar mac Dond-
chada rigdomna Temrach 'es kam darauf Amlaib, der söhn des
königs von Lochlann, und eine volle grofse flotte mit ihm, näm-
lich im 10 jähre vor dem tode Maelsechlainns, und er (Amlaib)
ergriff die herschaft über die vikinger Irlands, und
durch ihn wurde Conchobar, der thronerbe Taras, ertränkt.' im
10 jähre vor Maelsechlainns tode ist 852 — 853. hier meldet
Chronicon Scotorum 853 (= 852 Ulsterannalen) Amlaib mac Rt
Lochlainne do toigect an Erinn, gur giallsat Gaill Erenn du et
eis o Gaidelaib do 'Amlaib, der söhn des köuigs von Lochland,
kam nach Irland und die vikinger Irlands unterwarfen
sich seiner herschaft und von den Iren wurde ihm
tribut gezahlt.' dieses neue vikiugerreich in Irland mit
der hauptstadt Dublin wurde nun, wie natürlich ist, nicht
ohne grofse kämpfe errichtet, die erzählung in LL 310a führt
zeile 39 ff eine ganze reihe derartiger kämpfe gegen Iren auf,
ebenso die annalen zu den ersten auf 852 folgenden jähren,
hier ist zunächst hervorzuheben die angäbe zu 855: Cocad mor
etir gennti 7 Maelsechnaill con Gall- Goidelaib leis 'ein grofser
kämpf zwischen den vikingern (heiden) und Maelsechnaill, der
die vikinger-Iren auf seiner seite hatte.' daraus er-
sehen wir, d;iss die in süd- Irland vorhandenen, bis dahin un-
abhängigen vikingerhorden (Gall- Gaedil) auf seite desMun-
sterkünigs Maelsechnaill von Cashel gegen Amlaib und
die mit ihm gekommeneu vikinger stehen, diese un-
abhängigen vikingerhorden wollen sich der neuen herschaft offenbar
ebenso wenig unterwerfen, wie der Munsterkönig; für sie mag
er ist also Ire, wird aber genannt dobrathair feine 'dein bruder der räuber-
bande', ist somit häuptling einer irischen räuberbande, wie sie die annalen
S46 ausdrücklich kennen, aus diesem bralhair feine 'bruder im räuber-
handwerk' wird dann ein wirklicher bruder und Finn mac Cumaill dem-
nach zu Fhin lata Baiscne. wir haben also ein criterium, dass der text
LL 2(J6a, 49 ff älter ist als die erzählung unter orc treith in Sanas Cormaic
und die interpolation in Laud 610 fol. 95d, 24 ff.
KELTISCHE BEITRÄGE III 131
ein factor eine wichtige rolle mitgespielt haben: der 852 in
Dublin errichtete vikingerstaat ist ein dänischer
Staat, die seit beginn der 20e«" jähre in süd- Irland sitzenden
vikingerhorden sind Norweger, dies ist ein bis jetzt ent-
weder völlig verkanntes oder in seiner ganzen Wichtigkeit für
irische zustände und nordische geschichte nicht genügend be-
achtetes factum, sodass ich es hier zuerst sicher stellen muss.
dabei werden wir auch erfahren, woher die ersten däni-
schen vikinger kamen.
Die vikinger, die bis in die 40" jähre des 9 jhs. in Irland
sich herumtrieben oder wieTurgeis ein reich zu errichten suchten
(s. oben s. 108), waren Norweger: ihre heimat ist Hiröta (Book
of Armagh), Hiruath (in den alten sagentexten), dh. Hördaland
am Hardangerfjord (s. Zs. 32, 205); sie werden nach meiner
Vermutung (s. s. 97 anm.) deshalb Findgenti, FindGaill genannt,
weil sie häufig den beinamen Hviti oder mit hvita- componierte
namen führten (Hviti -beiden, Hviti- ausländer), die erste hin-
deutung in den annalen auf andere nordleute, oder, sagen wir,
die erste hindeutung, dass die Iren einen unterschied machten,
liegt Ulsterannalen 848 vor: Muirfecht. vir. xx. long di muinntir
rig Gall du thiachtain dutabairt gremma forma Gaillu robadar
araciunn cocommascsat hErenn nuile iarum 'eine meerexpedition
von 140 schiffen mit den leuten des königs der vikinger kam, um
die herschaft zu ergreifen über die vikinger, die vor ihnen
da waren, sodass sie ganz Irland in folge in Verwirrung
brachten.' 2 jähre später (850) folgt nun die oben s. 97 anm.
mitgeteilte angäbe, dass die Dänen Dublin erobern, nachdem sie
das befestigte lager der Norweger zerstört, und dass die
Dänen in demselben jähr die Norweger von Linn Duachail
schlagen, im folgenden jähr (851 s. oben s. 97 anm.) kommen
Norweger mit 160 schiffen und liefern bei Snam Aignech den
Dänen eine 3 tägige schlacht, in der die Norweger total
geschlagen werden, 5000 mann verlieren und sogar ihre schiffe
den Dänen überlassen müssen, die norwegische vikinger-
macht ist gebrochen und die 850 und 851 in Dublin,
bei Linn Duachail und Snam Aignech siegreichen
Dänen haben die macht und Dublin in den bänden,
wenn es nun zum unmittelbar folgenden jähre einfach
heifst (852), dass Amlaib, der söhn des königs von Lochland,
132 KELTISCHE BEITRAGE III
nach Irland kam und dass die vi kinger Irlands seine
her schaft anerkannten, so kann doch kein zweifei sein,
dass er ein Däne war. wäre er führer einer neuen nor-
wegischen expedition gewesen, wie die von 851, welche die
850 verlorenen positionen wider erobern wollte, dann wäre
sicher ein mindestens ebenso heftiger widerstand der
im besitz Dublins befindlichen Dänen zu erwarten gewesen, wie
851 : davon ist keine rede, weder in den annalen noch in Cogadh
Gaedhel. Amlaib erscheint einfach, um von der in den kämpfen
850 und 851 gegründeten herschaft besitz zu nehmen, sie aus-
zudehnen und gegen widerspenstige irische herscher und halb
irisierte vikingerhorden (Norweger) zu festigen, dazu kommt,
dass, wenn nicht mit 850, resp. 852 die Dänenherschaft in
Dublin beginnt, gar nicht abzusehen ist, wann sie begonnen
haben soll, da die tatsache, dass die vikingerherschaft Dublins
im 10 jh. eine Dänenherschaft war, absolut sicher steht.
Mit diesen aus den annalen gewonnenen resultaten stimmt
nun die in die erste hälfte des 11 jhs. zurückgehende geschichte
der vikingerzeit (Cogadh Gaedhel re Gallaib) vortrefflich. LL 309a
bis 310% 11 führt die ereignisse der vikingerzeit in nord- und
süd-Irland bis in die 40er jähre des 9 jhs. nun heifst es 310a, 11
Tancatar iarsain Dubgenti danarda 'es kamen darauf die däni-
schen Dubgenl? (s. s. 97 anm.). der erzähler geht also zur
Däneninvasion über und meldet alsbald das entscheidende
ereignis, die Vernichtung der Norweger bei Snam Aignech
(851); danu wendet er sich den eiuzelheiten zu, die in nord-
und süd -Irland zwischen 848 und 852 sich ereigueten, und
fährt fort 310\ 36 ff Tank arsain Amlaib usw. 'es kam darauf
Amlaib' usw. (oben s. 130). Amlaib ist also Dänenkönig in
Dublin, und die LL 310a, 39 ff geschilderten kämpfe gegen Iren
und Gall-Gaedil sind kämpfe der Dänen um befestigung ihrer
herschaft, wie besonders aus LL 310b, 13 ff erhellt, wo der er-
zähler mitteilt, dass in folge neuerer zwistigkeiteu zwischen Nor-
wegern (Findgenti) und Dänen (Dubgenti) letztere, die
Dänen, vorübergehend aus Irland vertrieben und nach Schott-
land gegangen seien und dort den könig von Schottland, Con-
stantin mac Cinaeda, besiegt hätten: die Dubliner vikinger unter
Amlaib machen nach den Ulsteranualen solche züge 865. 869,
sie sind also Dänen, dieses resullat wird noch durch andere
KELTISCHE BEITRÄGE III 133
umstände gestützt, der Norwegerführer, der in der verhängnis-
vollen schlacht beim Suam Aignech mit 5000 Norwegern unter
den Schwertern der Dänen sein leben einbüfste, hiefs Jercne
(Ulsterannalen 851). nun melden dieselben Ulsterannalen zum
jähr S52 Mors mic Ausli o mac Jercni 7 o ingain Maehechnaill
'tod des sohnes von Ausle durch den söhn von Jercne und die
tochter Maelsechnaills.' bedenken wir, dass Amlaib, Ivar und
Ausli die drei führer sind, die 852 den vikiugerstaat errichten
(Ulsterannalen S62), so ist klar, dass der söhn des 848 gefallenen
Norwegerhäuptlings Jercne im jähre 882 blutrache an dem söhne
des mörders seines vaters (dem söhne des Ausli) nimmt: also
auch hier bilden die vikinger von 852 die fortsetzung der von
848 — 851 erscheinenden Dubgenti, also Dänen.
So sehr nun gründe der verschiedensten art gebieterisch die
annähme fordern, dass der 852 in Dublin errichtete vikingerstaat
Dänenherschaft und nur die krönungder kämpfe von 848 — 851
ist, ebenso bestimmt scheint eine tatsache zu widersprechen:
Amlaib heifst LL310\ 36 und in allen annaleu mac rig Loch-
lainne 'söhn des königs von Lochlann'. 'the term Lochlann
seems used to denote the country of the white foreigners,although
not perhaps with entire uniformity,' sagt Todd, Cogadh Gaedhel
s. xxxi, und durch acceptierung (vgl. Todd, Cogadh Gaedhel s. Lxnff)
der seit dem 12 jh. geläufigen an schauung, dass Loch-
lann 'Norwegen' bezeichne, hat er sich das volle Verständnis
für die wichtigste periode der vikingerzeit Irlands zugebaut. 'Nor-
wegen' im gegensatz zu 'Dänemark' bezeichnet das wort im Cogadh
Gaedhel in der hs. LL (also um 1160), woselbst der eingang des
werkchens lautet: bni dochraiti mar forferaib hErenn coforlethan
oLochlannchaib ocus oDanaraib dulgib durchridechaib 'grofse be-
drängnis war auf den männern Irlands überall von den Lochlann-
leuten und von den heftigen, hartherzigen Dänen' LL 309a, 1 — 3.
hier kann gar kein zweifei sein, dass Lochlann 'Norwegen' ist
im gegensatz zu 'Dänemark', aber ebenso wenig kann ein zweifei
sein , dass dies in dem ursprünglichen werk des
11 jhs. nicht stand, die anderen hss. des werkchens Cogadh
Gaedhel sind zwar jünger als LL, aber unabhängig von LL; in
ihnen beginnt der text bai docbaitte iongnad adbal mar ar Erinn
uile gofoirlethan o gentib gormglasa- gusmara ocns ö Da-
naraib doilge durchroidecha 'unerhört grofse bediüngiiis
134 KELTISCHE BEITRÄGE III
war auf ganz Irland überall von den blau (äugigen) mäcb-
tigen beiden und den heftigen, bar t herzigen Dänen.'
hier liegt trotz jüngeren sprachformen unzweifelhaft das echte
vor: 1) für ö Lochlannchaib hätte im 13 oder 14 jh. niemand
T> gentib gormglasa gusmara eingesetzt, da ja damals jeder-
mann unter Lochlannaig 'die Norweger' verstand , ö gentib gorm-
glasa gusmara hingegen undeutlich ist; wol aber konnte der
weniger gewissenhafte schreiber1 von LL das schon für die mitte
des 12jhs. wenig verständliche ö gentib gormglasaib gusmaraib
(so muste natürlich in der vorläge stehen) in ö Lochlannchaib
bessern. 2) dass in dem text aus der ersten hallte des 1 1 jhs.
stand d gentib gormglasaib gusmaraib 7 o Danaraib dulgib durchri-
dechaib ist auch aus stilistischen gründen höchst wahrscheinlich,
gerade diese allitteration der adjective mit dem Sub-
stantiv (ö gentib g. g., d Danaraib d. d.) ist eine beliebte
kunstform in texten, die wir dem 11 jh. zuweisen müssen (wie
Togal Tröi): sie ist durch den einsalz von ö Lochlannchaib zer-
stört, ist also sicher, dass um 1160 Lochlannach 'Norweger' be-
zeichnete, so ist andererseits sicher, dass es von dem verf. des
Cogadh Gaedhel (erste hälfte des 11 jhs.) so nicht verwendet
wurde, es existiert überhaupt kein denkmal, das
sicher übers 11 jh. hinausgeht, in dem Lochlann, Loch-
lannach im sinne von 'Norwegen, Norweger' vor-
kommt, diese deutung von Lochlann, Lochlannach auf 'Nor-
wegen , Norweger' geht auf dieselben irischen gelehrten zurück,
die auch mit den Fene nichts anzufangen wüsten und jenen
Schulmeister in der ebene Sinear erfanden, kurz, die mit wenig
wissen , viel verschrobener phantasie und ungeheurem Selbst-
betrug alle die s. 81 ff erörterten dinge erfanden, die, leicht ge-
glaubt, überall den weg zur wirklichen erkenntuis irischen alter-
tums versperren.
Die so gewonnene erkennlnis, dass Lochlann ursprünglich
ebenso die heimat der ersten dänischen vikinger bezeichnet,
wie Hiruath 'Hörctaland' die heimat der ersten norwegischen
gaste, wird aufs schönste bestätigt durch die etymologie des
wortes. die gewöhnliche etymologie , wonach lochlann Make-land'
1 wir werden noch sehen, wie er ein ihm unverständliches gut nor-
disches wort durch eine seichte conjectur ersetzte, während die unab-
hängigen jüngeren hss. das alle bewahrt haben.
KELTISCHE BEITRÄGE III 135
('a name which, if we.understand the term 'lake' to include fiords
or arms of the sea, would well describe the coast of Norway' Todd
aao. s. xxxi) bedeutet, ist unhaltbar: einmal ist die Voraussetzung,
dass es 'Norwegen' ursprünglich bezeichnet, falsch und dann ist
ein solches irisch -germanisches compositum [ir. loch (see) und
nord. land] fürs 9 jh. sehr unwahrscheinlich, in jenen trüben
Zeiten des 9 jhs. hatte man in Irland keine lust zu schlechten
etymologien ; was wir aus nordischer zunge treffen, ist wid er-
gäbe gehörter Wörter, die dann im verlaufe manch-
mal volksetymologische Umgestaltung erfuhren: ihre
grundlage ist aber immer rein nordisch, so mag es auch mit
dem uamen Lochland sein, wir sind nun in der glücklichen
läge , eine ältere form des Wortes nachweisen zu
können auf grund der Übereinstimmung der Ulsterannalen mit
einer Schreibung im SGaller Priscian aus der mitte des 9 jhs.
diese Schreibung ist um so wichtiger, wenn wir das erstere
denkmal näher ins äuge fassen, die Ulsterannalen sind in der
zweiten hallte des 15 jhs. geschrieben (s. O'Curry, Manuscript
materials s. 83 ff) und sind auch lautlich ziemlich ge-
treue abschrift von klosterannalen, die, sicher im be-
ginn des 8 jhs. angelegt, durch Jahrhunderte jähr für jähr getreu
die ereignisse berichten, ich erinnere nur au die oben s. 75 ff
angeführte gewissenhafte notierung aller schritte des Stuhles von
Armagh zur erlangung des primats von Irland zwischen 733 uud
830. hält man sich gegenwärtig, welche ertindungen Armagh
machte, um diese kämpfe in Vergessenheit zu bringen, und wie
sehr überhaupt die irische kirche im 10 jh. von dem durch
Patrick gegründeten primat Armaghs überzeugt war, so ist klar,
dass die vielen nolizen in der angelegenheit von 733 — 830 nur
gleichzeitige eintragungen sein können, ein nicht geringerer
wert der Ulsterannalen liegt darin, dass die alte form bis auf
kleinigkeiten gewissenhaft beibehalten ist und wir so eiue ge-
schichte der irischen spräche vom 8 — 14 jh. in ihnen haben,
der nichts ähnliches auf irischem boden an die seite zu setzen
ist. bis zum beginn des 9 jhs. sind sie wesentlich lateinisch und
nur die namen irisch mit irischer flexion; im 9 jh. fliefsen
immer mehr irische Sätze ein. dieses irisch, wie es uns in der
sclavisch getreuen abschrift des 15 jhs. erhalten ist, hat die durch
gleichzeitige hss. aus dem beginn des 9 jhs. bezeugten alten
136 KELTISCHE BEITRÄGE III
formen, ich erinnere nur an Maeleduit^ (811. 818. 821. 822.
824. 832. 835. 862. 867); da boo deac, dana (803); die genitive
Ailello (818.824.833.845.855), atho (820.837), Murchado
(818), Imlecho (842) , ceniuil (836. 846), flexion im vorgesetzten
adjectiv deig mic (796); die dative ac airtiu (823) , Coirpriu (835),
diriuth, ocinbiur, dodilgiunn (836), in uisciu (863), domadmaim
(830); an deac (846), doaib (851), oaib Garbain (822). an der
hand der namen und kurzen Sätze dieser annalen lässt sich eine
vortreffliche geschichte der irischen declination vom 8 — 1 1 jh.
schreiben, ebenso treffend lassen sich die beiden tatsachen,
dass die notizen spätestens von der 2 hälfte des 8 jhs. an müssen
gleichzeitig mit den jahren in alte annalen eingetragen seiu, und
dass unsere Ulsterannalen bis auf kleinigkeiten eine sclavisch ge-
treue abschrift darstellen , durch interessante Zeugnisse für nor-
dische Sprachgeschichte nachweisen, aus dem 6— 7 jh.
liefern uns runeninschriften in Schweden die urnord. form
nom. sing, erilar, die gewöhnliche a 1 1 n. form ist jarl, älter
earl; die Zwischenstufen des für nordische sprach-
entwickelung so wichtigen 9 und 10 jhs. sind uns in
den Ulsterannalen erhalten: 847 Tomrair ereil, dh.
Thormeer ereil; 892 la Sichfrit n ierll 'mit dem jarl Sigfrid';
917 iarla (aus iarlR). alle anderen annalen und CogadhGaedhel
kennen nur die jungen formen earla, iarla auch für jene zeit,
ich denke, diese für die nordische Sprachgeschichte einzigen
formen (847 ereil, 892 ierll, 917 iarla) in den Ulsterannalen des
15 jhs. zeigen neben dem schon angeführten, eine wie sclavisch
treue abschrift alter aufzeichnungen in diesem werk vorliegt.
wir können sie also vertrauensvoll über die Sprachgeschichte von
lochlann fragen, zum jähre 1014 haben sie schon lochlamach,
aber in der absolut sicheren bedeutung 'dänisch' (toisech na loingsi
lochlannaighi 'führer der dänischen flotte'), jedoch 852 bieten sie
Amlaim mac rig Laithlinde für Lochlainne aller übrigen quellen;
und ebenso haben sie 847 Tomrair ereil tanise rig Laithlinne
'Thormaer1 der ereil, Statthalter (wörtlich : der zweite) des königs
1 dieser Tomrair ereil, der als eine art Stammvater der Dubliner
Dänen noch im 10 jh. erscheint (Lebor na cert s. xxxvff), dessen als
familienheiligtum in Dublin aufbewahrten ring Maelsechlainn 994(Vier meister)
erbeutet (s. oben s. 68), ist natürlich nicht, wie Todd (Gogadh Gaedhel
8. lxvii note 4) behauptet und man allgemein nachbetet, ein Scandinavian
Thormottr, sondern ein dänischer Thormeer, die Übereinstimmung der
KELTISCHE BEITRÄGE III 137
von Lathlann.' die Vier meister und das Chronicon Scotorum
haben auch an letzterer stelle die jüngeren formen eingesetzt,
die in ihrer zeit die allein bekannten waren (iarla, erla und
lochlainne). wer aber die form ereil als schöne urnordische form
für späteres iarla acceptiert, muss auch Laithlinne für späteres
Lochlainne annehmen , selbst wenn wir die form weder sonst
nachweisen noch erklären könnten, da es undenkbar ist, dass
im 15 jh. für das damals gewöhnliche Lochlann eine solche form
eingesetzt wurde, wir sind nun in der glücklichen läge, aus
einer hs., die jener zeit augehören muss, die richtigkeit der
form beweisen zu können, die in SGallen befindliche Priscianhs.
ist eine in den 50er jähren des 9 jhs. in Irland geschriebene
hs. und war um 863, sicher vor 869 auf dem continent (s. Nigra,
Reliquie celtiche s. 8 — 15). in dieser hs. ist s. 112 am oberen
rande beigeschrieben:
Is acher ingäith innocht fufuasna fairggae findfolt
ni ägor reimm mora minn dondläechraid lainn ua loth lind
'rauh ist der wind in dieser nacht, es wütet das meer mit weifsen
kämmen (wörtlich 'weifshaarig'); nicht fürchte ich, dass (bei diesem
wetter) die wilde heldenschar aus Lothland über das klare meer
kommt.' obwol nach dem zeugnis von Nigra und Ascoli in der
hs. loth lind sonnenklar steht, hat man hier immer unbesehen
Lochlind geschlimmbessert wegen der jüngeren form lochlann. l
Ulsterannalen mit den anderen quellen in dem ai der endsilbe fordert ein
Thormaer und nicht ein Thormär (wie Hreictrndr). wir haben also für
847 die dänische form Thormccr ereil sicher; er ist zugleich, so weit wir
mit unseren quellen nachweisen können, der erste Däne auf Irlands boden.
offenbar um ihn zu rächen , kamen von 848 ab die Dänenscharen , wie oben
geschildert (s. 131). der name Thormeer ist übrigens durch Thormerus bei
Saxo grammaticus sicher gestellt, und die widergabe des umgelautelen langen
ü (w : Thormeer) durch ix. ai haben wir in secht sraitde (oben s. 105 ff)
= nord. strwti kennen gelernt.
1 dass Windisch die eifindungen des 12 — 14 jhs. unbesehen auf treu
und glauben annimmt, hat diese Untersuchung zur genüge bewiesen, ebenso
nimmt er in seinem Wörterbuch alle einfalle von glossographen des 16 und
17 jhs. für bare münze. Zs. f. vgl. sprachforsch. 30, 56 ff habe ich gezeigt,
dass in einem fall, wo sich Windisch zur kritik gegen den lexicographen
des 17 jhs. O'Clery aufrafft, er unglücklicher weise etwas unzweifelhaft
richtiges beanstandet, dasselbe misgeschick ist ihm auch hier passiert;
während er in seinen Irischen texten die unglaublichsten dummbeiten von
Schreibern des 15 und 16 jhs. kritiklos hinnimmt und sie verewigen hilft
(s. Kelt. stud. heft i), druckt er in den lesestücken zur Ir. granim. s. 118
138 KELTISCHE BEITRÄGE HI
dieser dativ Lothlind aus den 50« jähren des 9 j h s.
wird durch die genitive Laitklinde, Laithlinne (Uteleranmlen
847.852) absolut sicher gestellt, wir haben also zwei
unabhängige, gleichzeitige Zeugnisse über den namen des landes,
aus welchem die ersten dänischen vikinger 847 — 852 kamen :
der dativ lautet in irischer flexion und widergabe
Lothlind, der genitiv Laithlinde, Laühlinne; wir dürfen als
nom. sing, ein Lothland oder Lathland ansetzen, um zu
verstehen, welches nordische wort damit widergegeben ist, muss
ich eine kurze bemerkung zur irischen lautlehre vorausschicken,
das irische hat noch heutiges tages im wesentlichen
hinsichtlich des consonantismus dieselbe Orthographie, wie vor
1000 jähren, obwol die ausspräche sich so verhält, als ob man
schriebe ille pater est bonus und spräche franz. le pere est hon.
dies legt den gedanken nahe, dass diese Orthographie im grofsen
und ganzen hinsichtlich des consonantismus unverändert ge-
blieben ist seit der einführung des lat. alphabets, dh. mindestens
seit dem 5 jh., und es erhebt sich die frage, wie weit sich im
9 und 10 jh. noch schritt und ausspräche deckten, wie weit die
ausspräche des 9 und lOjhs. eine mittelstellung einnimmt zwischen
der durch die Orthographie angedeuteten älteren ausspräche und
der heutigen , die sicher im wesentlichen schon 500 jähre alt
ist. man nahm ganz allgemein unbesehen als selbstverständlich
an, dass fürs 9 und 10 jh. sich laut und schrift hinsichtlich des
consonantismus decken, dem gegenüber habe ich Zs. f. vgl.
sprachforsch. 27,451 zuerst Stellung genommen, wo ich schrieb:
'unterwirft man das altirische sprachmaterial einer genaueren durch-
sieht und hält dabei die frage vor allem im äuge: in wie weit
deckt sich die gesprochene spräche (8. 9. 10 jh.) mit der regu-
lären lautgebung der gleichzeitigen hss., so kommt man zu dem
resultat, dass die reguläre lautgebung der altirischen
glossenhss. in den meisten puneten schon eine histori-
sche ist und ganz und gar nicht mehr den lautstand der
spräche repräsentiert; mit ganz verschwindenden ausnahmen sind
alle abweichungen von der gebräuchlichen Ortho-
graphie, sowie die Schwankungen erklärlich unter
dem gesichtspu net, dass die ausspräche entweder
obige strophe mit oa Lochlind ab, ohne auch nur anzugeben, dass
in der hs. des 9jhs. Loth lind steht.
KELTISCHE BEITRÄGE III 139
die heutige neuirische war oder doch schon die
mitte hielt zwischen der in der überlieferten Ortho-
graphie repräsentierten und der neuirischen.' ich
glaube durch vielfache ausführungeo (Glossae Hibernicae s. xiv ff;
Kelt. stud. heft i 51 ff; Zs. f. vgl. sprachforsch. 27, 449 — 46S;
28, 331 ff. 370 ff; 30, 21 ff. 208. 452 ff) den beweis für meine
ansieht erbracht zu haben1; namentlich über den hier in frage
kommenden punet kann kein zweifei herschen: die in einer
früheren periode des irischen unter gewissen bedingungen aus
dem verschlusslaut t entstandene tonlose dentalspirans/»
(geschrieben th) ist im beginn des 9jhs. durch einen laut-
vorgang, wie er in engl, dialecten / hink für I (hink hervorruft,
zu dem Ä-laut (tonlosen vocal, vgl. Hoffory, Zs. f. vgl.
sprachforsch. 23, 554 ff) geworden; sie fiel also in der aus-
spräche mit der tonlosen gu ttural-paiatalspirans ch
(ach-, ich - laut) nahe zusammen, ich möchte hier nur auf
zweierlei aufmerksam machen: 1) wäre in der vikingerzeit h\ tli
noch tonlose dentalspiraus gewesen, so würde man es doch in
lehnwörtern, ebenso wie das angelsächsische in nor-
dischen Wörtern es tut, zur widergabe von nord. J) verwendet
haben; dies ist nicht der fall, sondern man schreibt, um den
dem irischen des 9 jhs. schon unbekannten laut p widerzugeben,
einfachen verschlusslaut Tomrair = Thormwr, Turgeis — Thorgils.
2) schon vor 800 wird in den Canones hibernenses das ir. aihrige
latinisiert mit arreum nach ausspräche arri-e und in der Berner
vor 840 geschriebenen irischen Horaz-, Virgil- und Ovid-hs.
(s. Nigra, Revue celtique ii 447) ist fol. 117a in einem irischen
verse cüilh für cäich geschrieben. -
1 ein buchstabenglaube strengster Observanz, wie ihn Windisch in
seinen irischen beitragen zu Curtiu9 Grundzügen und in seiner Irischen
grammalik vertrat, ist heutiges tages ganz unmöglich, einem etwas ge-
milderten buchslabengl auben hängt noch Thurneysen an, aber da er den
tatsachen gegenüber sich wesentlich auf die Versicherung beschrankt,
dass er anderer ansieht sei, so lässt sich nicht discutieren.
2 Stokes las Goidelica lauft, s. 35 cüitli; ebenso Nigra in seiner treu-
lichen ausgäbe der Berner glossen Revue celtique n 44b, wo haarsträubende
irrtümer von Stokes verbessert sind, zuerst fand Stokes, Remarks (Cal-
cutta 1875) s. (38, dass zu verstehen ist cäich u uuair. diese absolut
sichere Verbesserung im sinn habe ich den codex eingesehen, konnte aber
nicht, so gern ich es wollte, cäich lesen. Stokes liest nunmehr auch
(Academy xxx s. 228) cäich. dies hat gar keinen weit, da Stokes krank-
140 KELTISCHE BEITRÄGE III
Ich denke, nunmehr sind wir hinlänglich gerüstet zu be-
stimmen, welchen gehörten nordischen namen die Iren um
850 mit Lathland, Lothland ausdrücken wollten, welches die
engere heimat der ersten dänischen vikinger war: nämlich-
dänisch Läland, die heutige insel Laaland südlich von
Filnen und Seeland, und mit Lath-Loth ist der versuch ge-
macht, den eigentümlich nordischen a-laut wider-
zugeben, die flexion von Lathland, Lothland im genitiv
Laithlinde, dativ Lothlind ist ganz wie in den derselben zeit
entstammenden Würzburger glossen persan : persine : persin. wir
haben also die tatsache, dass die ersten Dänen 847 unter einem
führer Thormver (Tomrair), einem ereil von Läland (Lathland,
Lothland) nach Irland kamen, aus diesem Lathland, Lothland
ist in jüngerer zeit mittels einer durch die ausspräche nahe ge-
legten Volksetymologie Lochland geworden.1 wir können also mit
bestimmtheit sagen, dass die ersten Norweger um die wende
des 8 — 9 jhs. aus Hördaland am Hardangerfjord kamen und
fast 50 jähre später die ersten Dänen von Läland.
Nehmen wir nun den s. 131 fallen gelassenen faden wider
auf. wir sahen , dass wir bei der suche nach einer persönlichkeit,
die in der erinnerung des 10 jhs. in süd- Irland alsFinn fort-
lebte, die zeit vor etablierung der Dänenherschaft in Dublin (852)
und die ersten kampfjahre ins äuge fassen müssen, da Finn
überall als unabhängiger führer einer vikingerhorde erscheint, wie
wir uns die um jene zeit in süd-lrland befindlichen norwegischen
vikinger denken müssen (s. s. 127 fl). wir sahen ferner, dass
diese halb irisierten norwegischen vikinger (Gall-Gaedil) süd-Irlands
855 auf seiten des Munsterkönigs Maelsechnaill stehen (s. 130):
der Selbständigkeitstrieb und die grausame Vernichtung ihrer lands-
leute bei Carlingford (grafschaft Louth) durch die Dänen im
hafte phantasie seit 7 jähren alles in hss. sieht, was er sehen will, im
übrigen wäre es für obige frage auch ganz irrelevant, wenn cäich tatsächlich
in der hs. stände.
1 im irischen Nennius ist (Todd s. 84) für in una ciula ex eis venit
puella pulcra facie atqtie decorosa valde filia Hencgesti (SMarte § 37 s. 50)
gesagt: is in loingis sin tainic a ingean co hEngist, is iside ba caime
domnaib Lochlainde uile 'in dieser flotte kam seine tochter zu Hengist,
und sie ist es, die war die schönste von den frauen ganz Lochlands.'
hier bezeichnet Lochland offenbar noch Dänemark (Schleswig, Jütland
und die inseln), zeigt also, wo man sich zur zeit der abfassung des ir. Nen-
nius die heimat des Hengist dachte.
KELTISCHE BEITRÄGE III 141
jähre 851 (s. s. 131) wiesen ihnen die Oppositionsstellung gegen
den neu errichteten Dubliner Däneustaat an. aber ihr ge-
schick erreichte sie bald und ebenso gründlich, wie ihre lands-
leute im norden (850. 851); hierbei erfahren wir den namen
des führers dieser unabhängigen norwegischen vi -
kingerhorden in süd-Irland. zu dem auf den kämpf des
Munsterkönigs und der Gall-Gaedil süd -Irlands gegen die DäneD
unmittelbar folgenden jabre melden die Ulsterannalen 856 (= 857
Chronicon Scotorum) Roiniud ren Imar 7 ren Amlaib for Caittil
Find con a Gall- Gaedelaib hitirib Muman 'ein Siegeslauf des
Imar und Olaf über Caittil Find mit seinen vikinger-Iren
in den gebieten von Munster.' dem entsprechend hat das alte
fragment über die vikingerzeit unter der aufzählung der kämpfe
und siege Olafs zur begründung der Dubliner vikingerherschafi
folgendes: Is leo romarbad Caur Find lin a longport 'durch sie
(Olaf und seine vikinger) wurde getütet Caur Find und sein
ganzes lager.'
Hier haben wir den historischen Finn vor uns, um
den sich die sage wob. alles stimmt, er ist der führer der in
süd -Irland bis zur ankunft Olafs (852) eine art räuberleben
führenden Gall-Gaedil 'vikinger-Iren'; zur strafe dafür, dass er
855 sich auf die seite des Munsterkönigs mit seinen horden ge-
stellt hatte, jagte ihn Amlaib vor sich her (roiniud re) bis in
Munsterland und tötete ihn und seine horden. dass er eine be-
kannte persönlichkeit war, beweist der umstand, dass er in
Ulsterannalen, Chronicon Scotorum, Annalen von Innisfallen
(s. Todd, Cogadh Gaedhel s. lxxi anm. 2) mit namen genanrft
wird, das fragment in LL nennt ihn Caur Find; da aber die
jüngere, vollständigere hs. von Cogadh Gaedhel, die nicht auf LL
zurückgeht, ebenfalls Caetil Find hat = Caittil Find der Ulster-
annalen (Cathal Finn Chronicon Scotorum), so wird Caur Find
eine besserung des im 12 jh. unverständlichen Caittil sein: caur
ist das gewöhnliche wort für 'held'.1 Caittil isl, wie schon Todd,
Cogadh Gaedhel s. lxxi note 2 bemerkt, irische widergabe des
nordischen Ketill, was ja ein bekannter mannsname
ist. eins der gebräuchlichsten epilbeta der norwegischen vikinger
1 wir lernten schon oben ein beispiel kennen, wie der besserungs-
lüsterne aber unwissende Schreiber von LL 309. 310 seine vorläge aus der
ersten hälfte des lljhs. verballhornte (s. s. 134).
142 KELTISCHE BEITRÄGE III
war Hviti oder mit hvita- componierte worter, woher sie ja scherz-
halt Hviti-hekten , /foto-ausländer' (Findgenti, Findgaill) von den
Iren genannt wurden (s. s. 97 anm.), und so ist der führer
der südirischen vikingerhorden um 850 Caittil Find
ein norwegischer Ketill Hviti. — die vollständige vernichtuug
der fianna dieses Caittil Find, wie sie gemeldet wird, spiegelt
sich noch in der sage des 15jhs. wider, welche ja auch
s am mt liehe Fenier in der Schlacht von Gabair fallen lässt,
bis auf Cailte mac Ronain und Oissln mit 2 mal 9 mann, aber
noch manches aus der späteren sage wird als entstellung und
Verschiebung der ursprünglichen historischen grundlage klar.
Caittil Finn ist 857 mit seinen fianna gefallen: die spätere
sage lässt Finn nach der Versetzung ins 2 — 3 jh. 283 bei Ath
Brea an der Boyne getötet werden, während die für die Fenier
vernichtende schlacht bei Gabair 284 staltfand, das bewustsein,
dass Finn mit den fianna gefallen war, dass mit Finns tode die
tatsächlichen zustände, die die existenz dieser vikinger-räuber-
horden möglich machten , aufhörten , hat eine weite Ver-
schiebung des endes Finds von der katastrophe der fianna
nicht zugelassen, obwol eine solche bei anknüpfung von Finns
geburt an die zeit Conn Cetchathachs (soll von 123 — 157 regiert
haben) geboten war. auch in dem namen der schlacht von
Gabair kann eine richtige erinuerung erhalten sein : Gabair, geuitiv
Gabra, ist ein in vielen teilen Irlands vorkommender name, 'Rosse-
feld, Ziegenfeld' etwa (s. O'Donovan, Annalen der vier meister
vh 62 und Joyce i 475. n 24); eins der. häufigsten in den annalen
erwähnten ist Gabair in der grafschaft Limmerick : das gebiet der
O'Conaill Gabra umfasst 'now the baronies of Upper and Lower
Conello, in the county Limmerick' (O'Donovan, Vier meister
i 489 anm. a). bedenkt man, dass ein roiniud ren Amlaib 'ein
herjagen vor Amlaib' itirib Muman 'in Munsterland' stattfand,
dann kann der ort, wo Caittil Find mit seinen fianna 857
getötet wurde, sehr wol dies Gabair in der grafschaft Lim-
merick sein, aus dem die spätere Leinstersage Gabair in Meath
machte, indem sie den Dubliner vikingerkönig — der ja um
857 factischer oberkönig Irlands war — zu Cairbre, dem könig
von Tara, machte: durch die anknüpfung an Cormac und Cairbre
war Gabair in Meath gegeben.
Damit sind die erinnerungen der jüngeren sage an die würk-
KELTISCHE BEITRAGE III 143
liehen zustände, die die grundlage bilden, noch nicht erschöpft,
ich will nur noch auf drei hinweisen, dass die vollkommene
Vernichtung der fianna der jüngeren sage bei Gabair (284) in
Meath mit der völligen Vernichtung Caittil Finds und seiner fianna
(Gall-Gaedil) im jähre 857 (bei Gabair in Limmerick) stimmt,
habe ich schon hervorgehoben, die jüngere sage lässt nur den
Cailte mac Ronai7i und Oissln mit 2 mal 9 mann entkommen.
hierzu halte man folgende interessante notiz der Ulslerannalen
zum jähre 868 : Maekiarain mac Ronain rignia airthir Erend
feinid fogla Gall jugulatus est 'Maelciarain mac Ronain, ein
hauptheld des Ostens Irlands, ein räuberhauptmann an den Dänen
(Gall), wurde getötet.' bemerkenswert ist, dass Maelciarain mac
Ronain nicht ein fer fogla 'mann des raubes', sondern feinid
fogla 'held des raubes' oder gar 'Norweger des raubes' an den
Gall, dh. 'Dänen' genannt wird, dass wir grammatisch den
genitiv Gall so fassen müssen, zeigen die Vier meister zu 867,
wo es heifst feindid fogla for Gallaib; und dass unter den Gaill
die 'Dänen' verstanden sind, lehrt eine andere stelle der anualen,
die sich mit Maelciarain mac Ronain beschäftigt, die Ulster-
annalen melden nämlich zu 867 : Loscad duine Amlaim oc Cluain
Dolcain la mac JiGaithini 7 la Maelciarain mac Ronain 7 ar cet
cenn diairechaib Gall in eodem die apud duces predictos in con-
finio Chiana Dolcain 'Verbrennung der bürg des Amlaib bei Clon-
dalkin durch den söhn des Gaithin und Maelciarain mac Ronain
und eine schlachtbeute von 100 köpfen von vornehmen der
Dänen (Gall) in eodem die apud duces predictos in confinio Chiana
Dolcain.' da Cluain Dolcain das heutige Clondalkin, einen kurzen
nachmittagsspaziergang von Dublin entfernt, ist, welches noch
stattliche reste der bürg Amlaibs aufweist, so kann es sich in
diesem jähr (867) nur um Dänen handeln; wichtig ist auch,
dass der verbündete Maelciarains mac Ronain regulus von Laighis
(Leix in Queens county) ist, also dorthin weist, wo wir uus
Finn und seine horde denken müssen, erwägen wir nun, dass
die jüngere sage den Cailte mac Ronain als grösteu beiden
neben Finn kennt, dass sie ihn der vernichtenden schlacht ent-
kommen und nach der Versetzung Finns ins 2 — 3 jh. ilm so
lange leben lässt, bis Patrick nach Irland kommt und ihn lauft
(s. oben s. 43 ff. 81), so scheint es mir nicht schwer, die würk-
lichkeit zu reconstruieren. Cailte mac Ronain war neben Caittil
144 KELTISCHE BEITRAGE III
Find der berühmteste führer der norwegischen halb irisierten
räuberhorden (Gall-Gaedü); er entkam der vernichtenden schlacht
im jähre 857, liefs sich taufen und nahm den christlichen
tau fn amen Maelciarain (wie Maelbrigte, Maelmuire usw.) an,
hiefs also nun Maelciarain mac Ronain. den kämpf gegen die
Dänen setzte er fort, überfiel mit einem Leinsterregulus aus
Queens county die dänische bürg in Clondalkin bei Dublin (867),
muste aber im folgenden jähre (868) seine gegen die Dänen ge-
richteten räubereien mit dem tode büfsen. der interessanteste
punct in der ins 3 jh. versetzten sage ist nun, dass die er-
innerung an die tatsächliche Christianisierung dieses
norwegischen räuberhauptmanns Cailte mac Ronain dazu geführt
hat, dass man ihn nach Verlegung der sage ins 3 jh. so lange
leben liefs, bis Patrick kam und ihn taufte, der historische
Finn war, danach zu schliefsen, auch tatsächlich noch heide.
Nach der jüngeren sage werden die Fenier Finns in der
schlacht von Gabair vernichtet durch Fenier, die im dienst
des oberkönigs Cairbre Lifeochair stehen, und zwar weil die
Fenier süd-Irlands dem oberkönig den gehorsam verweigern, hier
ist gegenüber der würklichkeit mit der Versetzung ins 3 jh. nur
Cairbre Lifeochair an stelle Amlaibs getreten, derselbe war,
wie wir s. 130 ff sahen, von 852 an tatsächlich oberkönig in
Irland, in so fern als die vikinger sich ihm unterwarfen und
die Iren tribut (eis) zahlten; Amlaib mit seinen dänischen
vikingern (fianna) bekriegte und vernichtete 857 Caittil Find
mit seinen norwegischen viki nger hör de n (fianna, Gall-
Gaedü), weil letztere die oberherschaft Amlaibs nicht anerkennen
wollten (s. oben s. 140).
Nach der sage ist hauptfeind Finns und seiner Fenier der
Fenierführer Goll. er hatte Finns vater getötet (LU42\ 30 ff),
mit dem herangewachsenen Finn frieden geschlossen und sich
ihm unterstellt, bis sie sich bei einer bestimmten gelegenheit
wider entzweiten, diese Fenier des Goll stehen in der ver-
nichtenden schlacht unter Cairbre gegen Finn und seine scharen,
hier ist zuerst darauf hinzuweisen, dass Goll talsächlich der
irische name eines mächtigen vikingerführers muss
gewesen sein: wir haben Zs. 32,208 — 216 gesehen, dass die
nordirische sage den alten sagenhelden Cuchulinn einen riesigen
kämpf mit dem vikinger hünen (sein schwert ist 30 fufs lang)
KELTISCHE BEITRAGE III 145
Goll bestehen lässt. ziehen wir die durch Versetzung der Finn-
sage ins 3 jh. notwendig gewordene Umwandlung Amlaibs in
Cairbre ab, so enthält die sage in den hauptzügen auch liier
nichts, was nicht der wiirklichkeit im 2 und 3 viertel des 9 jhs.
entsprochen haben könnte. Goll war wie Cumall, Finn, Cailte
führer einer vikingerhorde; er mag Finns vater getötet und sich
später, als Finn eine art oberherschaft über die vikingerhorden
süd-Irlands gewann, dem Finn unterworfen haben, nach Amlaibs
ankunft S52 wird er sich diesem unterworfen und ihn in der
bekriegung Finns unterstützt haben.
Wer der Untersuchung von s. 108 bis hierher gefolgt ist,
wird mir zugeben, dass die s. 30 noch offen gelassene
möglichkeit, dass der Finn der sage eine figur der Leinster-
Munstersage vor der vikingerzeit gewesen sei, die erst im 1 0 jh.
nach dem Vorbild nordischer jarle und der fiandr umgestaltet
wurde, völlig unhaltbar ist1: der Finn der sage ist
der historische vikingerführer Kelill Eviti (Caittil Find),
derwollänger alseindecennium in mittel- undsüd-
Irland mit seinen räuberbanden von vikingern und
Iren sein wesen trieb und 857 von Amlaib von Dublin,
dem tatsächlichen irischen oberkönig, (bei Gabair in der
grafschaft Limmerick) in Munster mit seinen hör den ver-
nichtet wurde; der Vernichtung entkam der berühmte Unter-
führer Cailte mac Ronain, dessen tod — unter dem christlichen
namen Maekiarain mac Ronain — zum jähre 868 gemeldet wird.
1 ich darf wol bitten, zu beachten, dass ich in dieser Studie eine
Untersuchung gebe, die resultale stehen nach allen Seiten hin zu allem,
was bis jetzt unbesehen und ungeprüft als richtig angenommen wurde, in
so diametralem gegensatz, dass ich es für geraten hielt, den weg, auf
dem ich zu meinen resultaten kam , in dieser Studie im wesentlichen bei-
zubehalten, ich gehe daher immer vom allgemein angenommenen aus und
anticipiere nie resultate der späteren Untersuchung anders als in kurzen
hinweisungen in den anmerkungen. dadurch komme ich natürlich vielfach
dazu, früher allgemein gegebene ergebnisse und unbestimmt gelassene
dinge im verlauf präciser zu fassen, bei der unsumme an bösem willen,
der von einer bestimmten clique meinen arbeiten entgegengebracht wird,
sehe ich mich ausdrücklich veranlasst, darauf hinzuweisen, dass diese art
der darstellung aus methodischen rücksichten gewählt ist. wenn
ich einmal dazu komme, meine verschiedenartigen Studien zu einer systema-
tischen darstellung einer geschichte der irischen sage zu verarbeiten, dann
wird natürlich der weg ein anderer sein.
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 10
146 KELTISCHE BEITRÄGE III
dies ergebnis fordert geradezu heraus zu der Untersuchung, ob
die übrigen incommensurablen Züge in der älteren Finnsage, die
oben s. 30 noch constatiert werden musten, sich nicht auch
aus den tatsächlichen Verhältnissen erklären lassen, dies ist
in der tat der fall, die s. 30 gemachte angäbe, dass Fiun
gerade in älteren erzähluugen als 'vollendeter dichter' auftrete,
bedarf zuerst der nähereu feststellung. Gott. gel. anz. 1887
s. 184 ff habe ich aus Ravvl. B 502 fol. 59b, 2 ff eiue altertüm-
liche Finngeschichte veröffentlicht, deren erste hälfte auch LL
208% 36—51 sich findet, hier wird erzählt: Finu entfernte sich
eines nachts mit dem in seinem gefolge (hitegluch) befindlichen
mac Lese abseits von der schar (foleüh ondfein)1, als sie im ge-
birge von Culend2 (hisleib Chulind) waren. Finn schickte ihn
hinaus, wasser zu holen, der aber sagte, er werde nicht wasser
holen gehen , und begründete diese Weigerung in einigen Strophen
mit Schilderung der grimmigen kälte, die draufsen hersche,
in folge deren jede fürt zugefroren und der schuee den männern
bis an den hintern reiche. Finn sagte, er (mac Lese) lüge, und
er begann in einer reihe von Strophen das weiter und die
Jahreszeit zu preisen, als ob das reine frühlingswetter herschte.
'sie sagen darauf, dann müsse er (mac Lese) wasser holen gehen,
und Finn band ihn splitternackt bis zum morgen an den Stein-
pfeiler von Colt, sodass es von da niemand in der schar (tfein)
Fiuns gab, welcher hervorragender und unermüdlicher war.' —
dies ist ein etwas rohes vikingerstückchen. man darf nicht ver-
gessen, dass in Irland, besonders im Süden und westen, in folge
der nähe des golfstromes ein klima herscht wie an der Riviera,
dass schuee selten ist und kälte, wie in Norwegen, gar nicht
vorkommt, diesen abgehärteten norwegischen vikingern kam das
irische winterwetter wie nordischer früblingsanfang vor, und dass
Finn sich an einem klimatisch verweichlichten Iren seiner bände
einen solchen etwas groben scherz erlaubt habe, ist doch ganz
glaublich, ein dichter aber braucht er wegen des ihm von dem
erzähler der geschichte in den mund gelegten preises
des nordischen frühlingsanlangs nicht gewesen zu sein, wir
1 hier ist das alte irische wort teglach (tegslög = kymr. teulu 'die
waffenfähigen hausgenossen') identisch verwendet mit fian.
2 Sliab Culind wol bei CHI Cuilind, dh. heutigem Kilcullen in graf-
schaft Kildare (vgl. Ulsterannalen 937. 938).
KELTISCHE BEITRÄGE 111 147
haben oben s. 32 ff gesehen, dass alte echt irische form
der sagenerzählung prosaerzählung ist, in der nur die lyrischen
und dramatischen elemente in gebundener rede auftreten, diese
form der erzählung hat eine jüngere zeit, wie wir noch
sehen werden, misverstanden, und hat aus den Finn in den mund
gelegten gedichten auf ihn als dichter geschlossen und dazu
weitere fabeleien erfunden.1 das zweite alte Finn in den mund
gelegte gedieht findet sich in dem commentar zu Dallän Forgaills
elegie auf Columba (Lü llb, 22— 27; Liber hymnorum 27a), wo
als beleg für eine erklärung des wortes rian (die wogeu , flut,
meer2) angeführt wird ut Find hua Baiscne dixit:
Scel lern duib: dordaid dam snigid gaim rofaith sam;
Gäeth ard huar Jsel grlan gair arrith ruthach rian.
Roruad rath rocleth cruth Rogab gnath giugrand guth
Rogab uacht ete en Aigre re , e moscle.
'ich habe eine geschichte für euch: der ochse brüllt; der winter
schneit; der sommer ist gegangen; der wind (weht) hoch (von
norden), kalt; niedrig (steht) die sonne; kurz (ist) ihr lauf;
wogenbrausend die see. hoch gerötet (ist) der wall(?), verhüllt
die gestalt (der menschen); die schneegans erhob die gewohnte
stimme; kälte ergriff die flügel der vögel; eiszeit ist die Jahres-
zeit: wehe, bald (wird sie sein) unheilvoll (eigentlich 'links', de).'
das gedieht ist wol ebenfalls aus einer kleinen erzählung ge-
nommen, wie dasjenige in Rawl. B 502 fol. 60% 1, und durch
die ältere epische stilform Finn in den mund gelegt, beweisen
also diese zwei gedichte nicht, dass Finn in älterer zeit als
dichter gedacht wurde, so sind sie in anderer hinsieht nicht un-
wichtig, indem sie im verein mit der das erste gedieht um-
rahmenden erzählung den oben nachgewiesenen vikinger-
ursprung des sagenhelden stutzen und veranschaulichen, ich
möchte im anschluss hieran gleich im voraus bemerken , dass ich
nicht glaube, dass alles nordische, was ich im folgenden in
Verbindung mit Finn nachweisen werde, ursprünglich braucht in
würklichkeit dem vikingerräuberhauptmann Caittil Find eigen ge-
wesen zu sein, lebte diese figur in Leinster und Munster in der
1 schon Windisch hat Verhandlungen der 33 Versammlung deutscher
Philologen s. 27 richtig gesehen, dass so in noch jüngerer zeit aus dem
alten invaliden Ossian ein greiser sänger geworden ist.
2 es entspricht altgallisch *renos 'der Rhein'.
Ut*
148 KELTISCHE BEITRÄGE III
sage fort, so ist es bei ihrem offenkundigen vikingerursprung
natürlich, dass die Iren vom ende des 9jhs. an alles,
was ihnen an den heidnischen Nordgermanen-
gestalten als characteristisch auffiel, schliefslich
auf sie als repräsentantin übertrugen: nicht zum
wenigsten die bei den Nordgermanen blühende wahr-
sagekunst, das vorhersehen verborgener dinge, ge-
rade dieser punet ist besonders lehrreich für Finns vikinger-
ursprung: das, was von Finn erzählt wird, ist den irischen
erzählern des 10/11 jhs. dem wesen nach unverständlich und nur
zu begreifen als irische umdeutung oder auffassung
heidnischer vikingerbräuche und nordischer sage.
In der im Sanas Cormaic s. v. orc treith überlieferten Fiun-
erzählung (s. oben s. 37 ff) erfahren wir, dass das durch Lomna
verratene weib den Coirpre aufstachelt, der auch eines tages,
als Fion wider einmal abwesend ist, den Lomna erschlägt und
seinen abgeschnittenen köpf mitnimmt, als Finn mit seiner be-
gleitung zurückkommt, erkennen sie den leichnam nicht, 'mache
uns ausfindig1, wessen (leichnam) er ist, sagten seine begleiter
1 finnta 'mache ausfindig', in dem altir. finnaim 'ausfindig machen'
haben wir ein schönes beispiel, wie die bedeutung einer keltischen form
unter einfluss anklingender altn. formen umgestaltet wurde, die
flexion des präteritopräsens = ind. veda, gr.olSa, got. vait ist in den brit.
dialecten die, dass in erster p. sing, und nur hier ein kymr. gwnn, körn.
gon (gwon), arem. go7i, g-ourc 'ich weifs' erscheint, also eine art nasalierter
form der wurzel vid, von der die 2 pers. lautet kymr. gwdost, körn, gozas,
arem. gousot (ZE 602 ff), so können wir denn auch im irischen entsprechend
dem brauch der britannischen dialecte eine erste p. sing, find, finn 'ich
weifs' erwarten, wir finden aber: 1) ein verbum finnaim, 2) nur die
bedeutung 'ausfindig machen' statt 'wissen', 3) in der älteren
zeit fast nur imperativformen oder ihnen gleich gebrauchte, die
letztere tatsache will ich zuerst belegen: finta, fintasu 'mache ausfindig'
aufser obiger stelle LL 55b, 26. 59% 15. 251a, 18, finta latt 'mache bei dir
ausfindig' LL 74b, 51. 254a, 41; finnaid 'macht ausfindig' LL 58b, 21 ; dass
auch die ZE 502 aus den Wb. MI. Sg. glossen zusammengetragenen formen
alle die bedeutung 'ausfindig machen' haben und die meisten impera-
tivische bedeutung, kann jeder selbst nachprüfen, woher dies sonderbare
verhalten des irischen zu den übrigen keltischen dialecten? mit welcher
redensart werden wol die ersten des landes und der spräche unkundigen
vikinger die Iren angefahren haben? finn [tu 'mache ausfindig', finniit
'macht ausfindig', denke ich. nordisch finna (= got. finpan, ags. finden,
ahd. findan) hat ja als gewöhnliche bedeutung: 'to find out,
KELTISCHE BEITRÄGE III 149
(infiann). Finn legte darauf seinen daumen in seinen
mund und sang mittels des teinm leegda , indem er sagte:
nicht tötete ihn ... (4 kurze sätze, die in der schlechten Über-
lieferung schwer verständlich sind), der leichnam des Lömna
ist dies, sagte Finn; feinde haben seinen köpf mitgenommen.'
hier sind zwei dinge, die sonst bei Finn getrennt werden, zu-
sammengeworfen: Finn enthüllt anderweitig unbekannte dinge
dadurch, dass er den daumen in den mund steckt, oder ver-
mittels zweier brauche, die imbas forosnai und teinm leegda ge-
nannt werden, indem wir letztere zuerst betrachten , ist zu con-
statieren, dass damit nicht an zauber gedacht ist,
sondern einfach an wahrsagerei vermittels zweier Vor-
gänge, die imbas forosnai und teinm leegda genannt werden.
Finn ist nirgends ein Zauberer, sondern immer nur
Wahrsager, die herschende ansieht ist, dass wir es in den
beiden imbas forosnai und teinm Iwgda genannten brauchen mit
altirischem heidentum aus der zeit vor Patrick zu tun haben,
alles weist jedoch darauf hin, dass hier Überreste der
heidnischen vikinger vorliegen, wir dürfen nicht vergessen, dass
auf Irlands boden 150 jähre nordisches heidentum blühte
(bis zur mitte des lOjhs.); wollte doch der mächtige vikinger-
führer Turgeis ein heidnisches vikingerreich mit dem sitz in
Armagh errichten (s. oben s. 108 ff), und von seiner frau Otta
meldet die alte erzählung von dem vikingerzeitalter (LL 309b, 15 ff),
dass 'sie ihre antworten1 gab von dem altar des
discover, discover a country.' dass den Iren dies ihnen ins ohr schallende
finn l>u , finniit an ihr finn 'ich weifs' anklang, begreift sich, wie kräftig
aber vikingerfäuste ihnen finn f>u, finniit eingebläut, erhellt daraus, dass
* finn 'ich weifs' (= kymr. gwnn, kom.gon, arem. goun) auf irischem
boden verloren gieng und das daran angelehnte n eue finnaim lange
nur als ein imperati vverb gefühlt wurde, die beiden ir. formen finta,
finnaid können laut für laut altn. fimi f>u, finniit sein, dieses nord.
finna hat natürlich mit wurzel vid, zu der ir. * finn 'ich weifs' gehörte,
nichts zu tun, sondern kommt von pent. die herausbildung eines irischen
finnaim 'ich mache ausfindig' aus den vikingeraufforderungen finn f>u,
finniit ist darum von besonderer Wichtigkeit, weil sich formen mit
meist imperati visc her bedeutung in den drei grofsen com-
men tarhand seh rif ten (sogenannten glossen) zu Würzburg (paulinische
briefe), Mailand (psalmen), SGallen (Priscian) vorfinden und zwar reich-
lich, dadurch ist auch für die Würzburger und Mailänder
glossen ein terminus nach unten gegeben.
1 vgl. Tacitus Germania 8: inesse (feminis) >/ui/i etiam sanetum
150 KELTISCHE BEITRÄGE III
domes von Clonmacnois herunter' (isand rabered a fre-
cartha daltoir intempoil möir): sie erteilte also die orakel-
spriiche sitzend auf dem altar des in Irland nächst Armagh
angesehensten christlichen heiligtums. ist es nun nicht auf-
fallend, dass die alte nordirische heldensage, die ja ihren histori-
schen hintergrund in den zuständen des heidnischen Irlands hat,
von keinem ihrer helden etwas ähnliches wie das
teinm leegda kennt1 und dass Finn, der repräsentant
des vikingertums in den älteren texten der Finnsage, auch
wo es nach der Situation ganz überflüssig ist2, mit imbas forosnai
und teinm leegda operiert? auch das verdient Beachtung: der
name teinm leegda ist aus dem irischen unverständlich;
der Schreiber von Laud 610 (fol. 51v) und Rawl. B 512
(fol. 114b, 30. 114c, 15) macht daraus temin laida 'dunkelheit des
liedes.' dies ist natürlich irische deutung aus einer zeit, als man
die heidnische mit teinm leegda bezeichnete handluog nicht mehr
kannte und in den dunklen prophetischen Worten das wesen der
sache sah. wenn 'dunkelheit des liedes' aber das wesen des
teinm leegda ausgemacht hätte, dann wäre ja die erfindung des
10 jhs., dass Patrick teinm leegda wie imbas forosnai verboten
aliquid et providum putant, nee aut consilia earum aspernantur aut
responsa neglegunt. vidimus sub divo Vespasiano Veledam diu apud
plerosque numinis loco habitam ; sed et olim Albrunam et compluris alias
venerati sunt, non adulatione nee tamquain facerent deas; und Hist. iv 65
von der Veleda: ipsa edita in turre, delectus e propinquis consulta
responsaque ut Internuntius numinis portabat. Otla (nordische kose-
form aus einem vollnamen, wie Odd-björg, Odd-katla, Odd-laug, Odd-leif)
war also eine völva oder spdkona und gab, wie Veleda von dem türm, so
von dem hohen altar des domes responsa (= ir. frecartha).
1 die alten sagentexte, die uns ja nur in der durch das vikinger-
zeitalter umgestalteten form erhalten sind, wie ich Zs. 32, 197— 334
gezeigt habe, kennen imbas forosnai nur an zwei stellen: LU 55b, 10 ff
(=LL 55b, 50 ff) und LU 125b, 8 ff; beide male sind es frauen , die ihn aus-
üben und denen ihr Ursprung als nordische Seherinnen an die
stirn geschrieben ist (vgl. Zs. 32, 333. 305 ff zu Scäthach).
2 die stellen sind Laud 610 fol. 95", 42. 96a, 20 in der in die alte er-
zählung LL 289a, 8 ff interpolierten episode (s. oben s. 83 ff), imbas fo-
rosnai und teinm leegda sind auch noch Rawl. B 512 fol. 114b, 36. 114c, 15
bekannt, also der erzählung, die einen nordischen skalden am hofe
des irischen oberkönigs kennt (s. oben s. 34 ff, 99 ff); ferner Laud 610
fol. 57v und Sanas Cormaic s. v. mogheime und imbas forosnai. nir-
gends eine quelle, die über das 10/11 jh. hinaufgehen kann.
KELTISCHE BEITRÄGE III 151
habe als gleichbedeutend mit abrenuntiation der taufe, über-
flüssig, da ja mit 'dunkelheit des liedes' nichts dem Christentum
widersprechendes verbuuden sein muss, und dann manches in
den erhaltenen irischen gedichteu des lOjhs. unter dies verbot
fiele, es heilst Sanas Cormaic s. v. himbas forosnai ausdrücklich:
'Patrick verbot nun dieses (den himbas forosnai) und das teinm
leegda db. er bezeugte, dass weder teil an himmel noch erde ein
jeder habe, der es ausübe (das teinm leegda), denn es ist ab-
sage an die taufe (dh. Christentum); dichetal dochennaib ward
gestaltet zu tun, und zwar aus dem gründe, weil dabei Dicht
nötig opfer der dämonen.' hier wird positiv constatiert, dass
Patrick die beiden methoden der Wahrsagung imbas forosnai und
teinm leegda verboten, weil heidnisches opfer damit verbunden
war, aber den zauber dichetal dochennaib1 gestattet habe, weil
heidnisches opfer nicht notwendig dabei war. darin haben
wir eine angäbe, wie die christliche kirche des 10 jhs. sich in
Irland mit den oft nur äufserlich neu bekehrten vikingerchristen
abfand, ihnen das eine liefs, um das gröbste heideutum auszu-
rotten, dass die entscheidung Patrick in den mund gelegt wurde,
entspricht ja dem geiste des ausgehenden 10 jhs. (s. oben s. 55
bis 77). ausschlaggebend ist es, dass die ältesten docu-
mente über Patrick, die gröstenteils im 8 jh. entstanden
und aus der ersten hälfte des 9 jhs. hslich uns erhallen sind,
nämlich Book of'Armagh fol. 1 — 21b, 2, von imbas forosnai, teinm
leegda und Patricks verboten absolut nichts wissen,
nachdem man Patrick zum bekehrer der vikiuger gemacht hatte,
war es natürlich, dass man ihn auch Stellung nehmen liefs zu
dem heidnischen und halbheidnischeu treiben der juugeu vikinger-
christen. da nun der ausdruck teinm leegda aus dem irischen
absolut unverständlich ist, so liegt es nahe, sich für ausdruck
und sache bei den vikingern umzusehen, von denen die sache
herstammen muss. was war das teinm leegda ursprünglich?
die bekannteste methode der Wahrsagung überhaupt, um un-
bekannte dinge zu erfahren, war im heidnischen germanischen
norden hrista teina. die prächtige alte Hymiskvida beginnt mit
der erzählung, dass die götler (valtivar), als sie nicht wüsten,
1 wird erwähnt als dichetal docoüaib cenn Rawl. B 512 fol. 114c,
3. 14 (s. s. 150 anm. 2). Laud 610 fol. 57\ vgl. LU 74\ 3'J und Laud 610
fol. 96% 6.
152 KELTISCHE BEITRÄGE III
wo das gelage abzuhalten sei, hristu teina ok ä hlaut sä 'schüt-
telten (warfen) die Stäbe und sahen ins opferblut';
hier fanden sie, dass es bei Oegir abzuhalten sei. altn. teinn
(got. tains, ags. tan, ahd. zein) ist speciell 'der zweig zum los-
werfen und wahrsagen', vir g am frugiferae arbori decisam in
surculos amputant eosque notis quibusdam discretos super can-
didam vestem temere ac fortuito spargunt; mox, si ptiblice con-
sultetur, sacerdos civitatis, sin privatim, ipse pater familiae, precatus
deos caelumque suspiciens, ter singulos tollit, sublatos secundum
impressam ante notam interpretatur berichtet Tacitus (Germania 10)
über den Vorgang bei den Germanen, mit surculos temere ac
fortuito spargunt ist nordisch hrista teina 'die stäbe schütteln
und hinwerfen' erklärt; das precatus deos caelumque suspiciens ist
römische auffassung des sjd d hlaut 'ins opferblut schauen',
jedesfalls bezeugen uns Tacitus und die Hymiskvida , dass es sich
bei dieser art der erforschung unbekannter dinge um einen
gottesdienstlichen act handelte, es war also hrista teina
wie teinm leegda im sinne des Christentums götzendienst. nun
ist das teinm leegda klar, wie ich glaube: altn. nom. plur.
teinar leegdir, acc. plur. teina leegda s i n d ' d i e hingeworfenen
stäbe' (surculi sparsi) und Finns erforschung des un-
bekannten tria theinm leegda ist eine nordische durch
teina leegda (per surculos sparsos). heidnische vikinger haben so
auf Irlands boden vielleicht vor erstaunten Iren den ausfall eines
plünderungszuges von den göttern erforscht, warum nicht Ketill
Hviti (Caittil Find) selbst als pater familiae, wie Tacitus sagt.
in dem festen, weil später unverstandenen m von teinm leegda
liegt uns wol noch eine altertümlichkeit des urnordischen vor.
nach ausweis des gotischen müssen wir für gewöhnliches altn.
teinar leegdir als urnordische form ansetzen *teinor leegder.
wenn man bedenkt, dass ir. Amlaib uns die urnord. form (An-
leifr) für Ölafr bewahrt hat, dass in ir. elta 'schwertgriff' die
urnordische ungebrochene form (hello) für hjalt , hjblt vorliegt
(s. Zs. 32, 267 ff), dass in den irischen annalen die urnordische
form (erill) für jarl in der form ereil vorliegt (s. s. 136), dann
darf man sich über meine annähme, dass in der Schreibung
teinm leegda der alte flexionsunterschied im auslaut teinor leegder
unverstanden bewahrt ist, nicht wundern, irisches m und b
waren im beginn des 9jhs. zwischen tönenden elementen
KELTISCHE BEITRÄGE III 153
schon zur tönenden lahialspirans v geworden, woher man Rus
Tryggvasonr im irischen als Rus mac Tricim (dh. nord. Tryggve
mit Trigpv) gab (s. oben s. 56 anm.). war das erste der tönenden
elemenle ein consonant (r, nasal, media) und der ursprünglich
auf b, m folgende vocal in folge auslaulsgesetzes geschwunden,
so vocalisierte sich die aus m, b entstandene labialspirans (o, u):
so wird also in der ältesten widergabe ir. teinm leegde1 ein ur-
nordisches *teinoR IcegdeR repräsentieren.
Hier ist also an einem eclatanten beispiel die nordische
herkunft eines bisher dem heidnischen irischen altertum
zugeschriebenen brauches nachgewiesen, die consequenzen daraus
muss man ziehen, gewis war auch in Irland durch die Jahr-
hunderte (400 — 800) mancher aus heidnischer zeit stammende
brauch unverstanden erhalten geblieben, aber dieses krasse heiden-
tum, wie es uns fürs 10 jh. aus der litteratur in zauber- und
segenssprüchen mit ihrer wunderbaren ähnlichkeit mit germani-
schen Zaubersprüchen entgegentritt, sind nicht jene unverstandenen
irischen brauche"2: das ist das heidentum der vikinger-Iren (Gall-
Gaedil, Fene, echtarchenel, fortuatha), welches nur unverstandenes
Christentum als leichte decke einhüllte, für das 10/11 jh. lag es
nach assimilierung dieser fremden massen nahe, die erinnerung
an diese heidnischen brauche aus dem alten irischen altertum
vor einführung des Christentums herzuleiten und den während
des 8 — 10 jhs. zum bekehrer Irlands von Armagh emporge-
schwindelten Patrick (s. s. 75 ff und anm. zu s. 76) als den
vertreiber anzusehen.
Wir wenden uns nun zu der letzten noch incommensurablen
gröfse in der älteren Finnsage: Finn steckt seinen daumen
in den mund und verkündet dann das bisher dunkle und ver-
hüllte, der erzähler der geschichte im Sanas Cormaic s.v. orc treith
verbindet dies mit der ceremonie von dem teinm leegda (s. s. 149),
weil er offenbar beides in der ursprünglichen bedeutung nicht
mehr verstand; auch in der Laud 610 fol. 122", 1 ff erhaltenen
erzähl ung vom tode Finns — die übrigens wol kaum ins 11 jh.
1 so (leegde) müssen wir statt twgda des 10/lt jhs. für anfang des
9 jhs. im irischen schreiben.
2 süd -Irland ist sicher im 3/4 jh. christlich; hier also konnte in der
ersten hälfte des 9 jhs. doch nicht mehr' tatsächliches heidentum vorhanden
sein, ebenso wenig wie zb. in Deutschland im 12/13 jh.
154 KELTISCHE BEITRÄGE III
zurückgehen kann1, da sie Finn als eine art oberfeldherrn Cormacs
kennt! — wird beides verbunden, aber aus 'den daumen in den
mund stecken' ist geworden 'den daumen unter den Weis-
heitszahn (fodetfis) legen.' in dieser form kehrt der zug in
Accallam na senörach und anderen texten des 15 jhs. sehr oft
wider; er ist aber in dieser form — die ja auch die jüngere
der Überlieferung nach ist — offenbar nur eine deutung des un-
verständlich gewordenen ausdrucks: den daumen in den mund
stecken, was soll letzterer besagen? den Schlüssel hat uns ein
jüngerer text des 14/15 jhs. bewahrt, die Laud 610 fol. 1 18%
2 — 121b, 1 erhaltenen Macgnimartha Find 'jugendtaten des Finn'.
dieser text gehört als ganzes in die categorie der oben s. 42 bis
47 betrachteten texte der jüngeren Finnsage: idee und com-
position ist n achbil düng eines textes der alten nord-
irischen heldensage (Macgnimartha Conculaind 'jugeudtaten
des Cuchulinn' LU 59% 5— 63% 45 = LL 62a, 18—68% 21), und
auch ein teil des materials ist dem älterentext ent-
nommen oder nachgebildet, ganz wie ich dies oben
s. 44 — 47 für Cath Finnträga nachgewiesen habe, ich führe
nur als sofort in die äugen springend an2: R. c. v 199, episode
8— 10 = LU 59% 21 ff, verbunden mit LU 60% 41 —61% 15;
R. c. v200, episode 12 = LU 62\ 30 — 43. aber diese ent-
lehnungen und nachbildungen des materials der alten sage kommen
hier weniger in betracht als die in den rahmen eingefügten
episoden aus Finns jugend, die nicht der älteren sage nach-
gebildet sind3, vornehmlich die episode 18 (Revue cell. v201):
1 Laud 610 fol. 12 lb, 1 — 122b ende stammt nicht aus dem Saltair
Caisil, da der Schreiber zu ende von fol. 116 ausdrücklich bemerkt, dass er
alles, was er von dem alten buch Saltair Caisil finden konnte, in seine
hs. aufgenommen habe, es folgen dann texte der Finnsage, die ihrer
spräche nach sich sofort als jünger ausweisen denn die von fol. 93 an
aus dem Saltair Caisil abgeschriebenen texte der sagenhaften geschichte
Munsters. — mit bezug auf Kuno Meyer, Cath Finnträga s. 72 bemerke ich,
dass, wenn der 975 gestorbene Cinaed hua Artacain den tod Finns (aided
Finn) erwähnt, doch daraus nicht folgt, dass er diesen text des 15 jhs.
oder eine ältere erzählung der art muss gekannt haben, weil der titel des
textes Aided Finn ist. der sehluss wäre absurd.
2 die Macgnimartha Find sind zuerst von O'Donovan gedruckt und über-
setzt in der Ossianic society iv 288 — 303. einen correcteren textabdruck hat
Kuno Meyer, Revue celtique v 197 — 204 gegeben; nach diesem citiere ich.
3 dass schon im 10 und noch mehr im 11 jh. von dem repräsentanten
KELTISCHE BEITRAGE III 155
Ceilebraid Finn do Crimall ocus luid roime d'foglaim eicsi co
Finneces roboi for Boin . . . Secht mbliadna do Finnecis for Boin
oc urnaige iach Linne Feie; air dobui a tairngire do eo Feie do
tomailt ocas cen ni na ainfis itir iarum. Früh in mbradan ocus
roherbad doDemne immorro in bradän dofuine ocus asbert infile
fris cen ni donbradan dotomailt. Dobert in gilla do anbradan
iarnafuine. Inartomlis nl donbradan, a gilla? ol infile. Nito,
ol ingilla , acht moordu doloisces ocus doradus imbeolu iartain. Cia
hainm fil ortsa , a gilla? ol se. Demne, ol ingilla. Finn do ainm,
olse, a gilla, ocus is duit tucad inbradan diatomailt, ocus istu in
Find cofir. Toimlid ingilla inbradan iartain. Ised sin tra dorat
infis doFinn ./. antan dobered aordain inabeolu ocus nochana tria
teinm laega ocus nofaillsithea do inni nobid naainfis. Rofogluim-
sium in treide nemtigius filid ./. teinm laega ocus imus forosna
ocus dicedul dicennaib. Isann sin doroine Finn inlaigsi oc fromad
a eicsi : Cettemain cain ree usw. 'Finn nimmt von Crimall ab-
schied und geht vor sich hin zu Finn dem dichter, der an der
Boyne lebte, um die dichtkunst zu lernen. 7 jähre hielt sich
Finn der dichter an der Boyne auf und wartete auf den lachs
von Linn Feie, denn es war ihm prophezeit worden, dass er
den lachs von Linn Feie essen solle und dass kein ding über-
haupt ihm von da an unbekannt sei. der lachs wurde gefunden
und Demne ward beauftragt, den lachs zu kochen, und der
dichter sagte ihm, ja nichts von dem lachs zu essen, der junge
mann brachte ihm den lachs, nachdem er gekocht war. hast
du nicht etwas von dem lachs gegessen, o junger mann? sagte
der dichter, nein, sagte der Jüngling, ich habe blofs meinen
daumen verbrannt und ihn darauf in meinen mund gesteckt,
welches ist dein name, o Jüngling? sagteer. Demne, sagte der
junge mann. Finn soll dein name sein, o Jüngling, sagte er,
und dir ward der lachs zum essen bestimmt und du bist der wahre
Finn. der junge mann afs darauf den lachs. dies
des vikingertums (s. s. 148) viele geschichten umliefen, ist natür-
lich und wird auch durch LL 296b, 18, einen text, der Finns anknüpfung
an den clan der O'Baiscne noch nicht kennt, direct bestätigt, daraus nun,
dass LL 144b, 30 in der Weltgeschichte in niemorialversen des Gilla in
chomded hau Curmaic (anfang des 12jhs.) anspielungen auf geschichten,
von denen die eine oder andere mit einer episode aus der rahmenerzählung
Macgnimarlha Find identisch sein wird, vorkommen, darf man auf einen
text, wie die rahmenerzählung des 14/15 jhs., keinen schluss ziehen.
156 KELTISCHE BEITRÄGE III
verlieh dem Finn das wissen, dh. wenn er seinen daumen
in seinen mund steckte und vermittels des teinm laega sang,
dann wurde ihm offenbar die sache, welche ihm unbekannt war.
er lernte die drei dinge, welche einen dichter ausmachen, nämlich
teinm laega und imbas forosnai und dichetal dichennaib. darauf
machte Finn folgendes gedieht, um seine dichtkunst zu erproben,
maientag eine schöne zeit' usw.
Diese erzählung ist von grofser Wichtigkeit, weil sie uns
einen tiefen blick tun lässt in die art, wie die zweite periode
der entvvickelung der Fiunsage (s. s. 31 ff. 39 ff) die drei
demente mischt, aus denen sich bis zum 15 jh. wesent-
lich die Finnsage zusammensetzt: 1) die historische grund-
lage des 9 jhs. in bezug auf person und zustände; 2) die aus
der nordischen sage stammenden elemente; 3) die erzähluugeu
der alten nordirischen heldensage und der sagen des mytho-
logischen cyclus. der hauptheld der alten nordirischen
heldensage Cuchulinn hatte als kind einen anderen
namen gehabt (Setanta) und den n a m e n Cuchulinn von
einer berühmten tat erhalten, die er als Gjähriger
junge vollbrachte, wie in den 'jugendtateu Cuchulinns' (LU
60a, 38 — 61% 16 = LL 63% 20— 64b, 5) erzählt wird, so wurde
denn auch im 11 jh. von dem auf den historischen vikinger-
räuberhauptmann Caittil Find zurückgehenden sagenhelden Finn
behauptet, er habe als kind einen anderen namen gehabt, Demne
(LU 42b, 11). damit war grund gegeben zu geschichten für die
namenänderung. der verf. des textes Macgnimartha Find kannte
zwei dahin zielende erzählungen , die er stupid vereinigt, in
episode 8, 9 (Rev. celt. v 199), die eine offenkundige nachahmung
der ersten knabentat Cuchulinns ist (LU 59% 21 ff = LL 62%
45 ff), erhält Demne den namen Finn, weil er von den knabeu,
die er im fufsballspiel besiegt hat, beschrieben wird als 'hübscher
weifser junge' (maccaem tuchtach find), diese erzählung von der
namenänderung ist also nach motiv und Stoff nachahmung
der alten nordirischen sage, der erzähler unseres textes nennt
den neiden von da an immer Finn und so beginnt denn auch
die oben gegebene episode damit, dass sie Finn von Crimall
abschied nehmen lässt, um bei Finn eces (Finn dem dichter) an
der Royne dichtkunst zu lernen, hier hat der verf. der rahmeu-
erzählung ungeschickt eine andere geschichte über die namen-
KELTISCHE BEITRÄGE III 157
änderung eingefügt, denn die episode kennt plötzlich nur einen
dichterlehrling Deimne und erzählt, wie er zum namen Finn
kommt, diese zweite geschichte ist dem stoff nach die originalere
und sehr lehrreich, wir haben oben s. 146 ff gesehen, dass es
in der form der epischen erzählung liegt, dass dem
Finn in den erzählungen des 9 und lOjhs. die lyrischen und
dramatischen momente in gebundener rede in den mund
gelegt werden ebenso wie den anderen handelnden personen,
und dass man, wol schon im 11 Jh., aus dieser älteren, echt
irischen form der epischen erzählung den falschen schluss auf
Finn als dichter zog. wir haben ferner s. 149 ff gesehen, wie
mit der vollen assimilierung der vikinger-Iren und dem allmäh-
lichen verschwinden der heidnischen nordgermanischen gebrauche
beim wahrsagen (also wol seit der zweiten hälfte des 11 jhs.)
das Verständnis von teinm Iwgda und den anderen gebrauchen
(imbas forosnai und dichetal dochennaib) verloren gieng, und
dass man in den dunklen Worten und abrupten versen das
wesen der sache sah.1 da nun teinm leegda und imbas forosnai
in den erzählungen des 10 jhs. mit Finn, naturgemäfs wie wir
sahen, immer verknüpft sind, drängte auch dies dazu, in Finn
einen dichter zu sehen, dichtkunst ist aber in Irland im 11 jh.
ein handwerk: compeudien der Weltgeschichte und universal-
geographie werden in versen abgehandelt (vgl. Zs. f. vgl. sprachforsch.
28,680) und alle hervorragenden irischen dichter des ausgehenden
10, des 11 und 12 jhs. stehen als dichter nicht höher als bei-
spielsweise Zumpt in unserem jh. in Deutschland, war also Finn
der sagenheld ein dichter, dann muste er nach der anschauung
des 11/12 jhs. irgendwo sein handwerk gelernt haben, und dies
um so mehr, da er so schwer verständliche dichtungen verfasst
hatte, wie nach ausweis der Überlieferung die in die erzählungen
des 9/10 jhs. eingestreuten poetischen stücke im 12 jh. schon
waren, mit dieser erlernung der dichtkunst liefs sich die namen-
änderung, die man auf grund von einwilrkung der nordirischen
sage für notwendig hielt und erfand, hübsch verbinden, im
1 dies ist auch bei dem erzähler der episode 18 unseres textes der
fall: er lässt Finn durch das teinm laega singen, also das Hcinm des
liedes', denn dass laega (schlechte Orthographie für laeda, welche möglich,
da so genanntes aspiriertes #• und d in dem laut / engl, y zusammenfallen)
der genitiv zu laeg f= laid) sein soll, erhellt daraus, dass in dem folgenden
satz 'daraus machte Finn folgendes gedieht' geschrieben ist in In ig si.
158 KELTISCHE BEITRÄGE III
11 jb. war aber der sagenheld Finn schon in die sage des 2/3 jhs.
versetzt (s. oben s. 116 ff), einen strengen unterschied zwischen
Wahrheit, dichtung und lüge haben ja in Irland weder die diener
der ewigen noch die der zeillichen Wahrheit gemacht, wie wir dies
des öfteren constatierten. die Finnsage miiste kein irisches product
des 9 — 15 jhs. sein, wenn man nicht im 11/12 jh. die eben
blofsgelegten fäden verknüpft hätte, die Leinstersage bot sich
von selbst dar. in Leinster herschte zu der zeit, als das haupt-
ereignis der alten sage sich abspielte, der raub der linder von
Cualnge, als provinzialkönig Finn mac Rossa: er war an der
Schlacht bei Ross naRlg gegen die Ulsterleute beteiligt (LL 173b,
26 ff ; 174\ 12 ff; 178a, 13); er war zugegen bei der Versamm-
lung irischer teilkönige, die, um dem interregnum ein ende zu
machen, einen kleinen Ulsterregulus Lugaid Riabnderg zum ober-
könig wählten (LU 46\ 13ff); sein grofsvater war der sagenhafte
irische oberkönig Nuadu Necht und sein söhn Conchobar wurde
nach des genannten Lugaid tode oberkönig. wie man dazu kam,
diesen Finn mac Rossa auch zu einem dichter zu machen, weifs
ich nicht; tatsache ist, dass er LL 200a, 30 ff als file auftritt und
ein kleines gedieht verfasst, und dass in Rawl. B 502 fol. 64,
einer hs. des 12 jhs., ein gedieht — welches den Stammbaum
des Loegaire Lore, der ein sagenhafter irischer oberkönig um
500 vor Chr. geburt war und auf den die angesehenen Leinster-
familien ihren Stammbaum zurückführen (LL 22a, 26; 35b, 25 ff),
auf Adam zurückleitet — diesem königlichen dichter Finn
mac Rossa zugeschrieben ist. da nun für die irischen sagen-
fabricanten des ll/12jhs. das wort der schrift gilt, dass 1000 jähre
vor ihnen sind wie ein tag und wie eine nacht, die gestern ver-
gangen ist, so können wir uns nicht wundern, wenn sie den
ins 2/3 jh. versetzten sagenhelden Finn zu diesem dichter (file)
Finn in die lehre gehen lassen: also der zu Cairbre Lifeochairs
zeit rüstige vikingerführer Finn (LL 296a, 48 ff) ist zur zeit
von dessen urgrofsvater Conn Cetchathach geboren (LU 42\ 4 ff)
und bei dem noch 150 jähre älteren dichter Finn in die lehre
gegangen! hier also lernte Finn der sagenheld die dichtkunst und
empfieng den namen, unter dem er berühmt wurde, was nun
das zum schluss der episode erwähnte gedieht anlangt, in dem
Finn gewisser mafsen sein meisterstück ablegte, so habe ich
schon Gott. gel. anz. 1887 s. 190 darauf hingewiesen, dass es
KELTISCHE BEITRÄGE III 159
uicht nur inhaltlich mit dem Finn in der oben s. 146 ff aus
Rawl. B 502 fol. 60% 1 behandelten erzählung in den mund ge-
legten preis des frühlingsanfangs übereinstimmt, sondern ganze
Zeilen sogar mit ihm gemein hat. es ist also wol aus einer ähn-
lichen älteren Finnerzählung genommen und in der episode der
Macguimartha zum meisterstück gestempelt.
Diese episode nun von Finns lehrzeit bei dem dichter Finn
gibt uns den Schlüssel zu dem rälsel, was es mit dem in den
mund stecken des daumens für eine bewandtnis hat. es ist ein
unverstandener zug einer bekannten nordischen
(germanischen) sage, der junge Sigurd hatte im auftrage Regins
den Fäfnir erschlagen; Regin schnitt darauf Fäfnir das herz aus
und beauftragte den jungen Sigurd, das herz Fäfnis am feuer
(vid funax) zu braten, während er schliefe. 'Sigurd nahm Fäfnis
herz und steckte es auf deu spiefs. als er dachte, dass es voll-
kommen gerüstet wäre, und der saft aus dem herzen schäumte,
da griff er mit seinem finger daran und untersuchte, ob es voll-
kommen geröstet wäre, er verbrannte sich und fuhr
rasch mit dem finger sich in den mund. als aber
Fäfnis herzblut ihm auf die zunge kam, da verstand
er vogelstimme' (Sigurdr tök Fäfnis hjarta ok steikdi ä teini.
Er hann hugdi at fulhteikt vceri ok freyddi sveitinn ör hjartanu,
1 altn. funi 'feuer' (funheitr, funristir, funrögnir) weist sich durch
die Übereinstimmung mit got. funa 'feuer' (funisks) und durch das daneben
liegende furr, fyr: alid. fiur, alts. fiur, ags. fyr als echt germanisch aus
mit einem aus p regelrecht verschobenen f (gr. tivq, armen, hur s. Schmidt,
Vocalismus ii271ff). nun hat das irische in den sagentexten ein fune
in Verbindungen wie ocfune 'beim kochen, braten', iarfune 'nach dem
kochen', dazu kommt ein verb fninim 'ich brate, koche', von dem formen
gebildet sind, als ob es aus präposition fo mit einer wurzel nu zusammen-
gesetzt sei (fonöiset LL 120a, 13. 123a, 43. nofonaidfidc LU 85b, 10. mucc
fonaithe LU 60a, 14. LL 264a, 14 usw.). dieses fuine steht in den
keltischen sprachen vollkommen isoliert da; auch keine
etymologie ergibt sich, weder wenn man von fune. ausgeht (ir. /'
= \\\A.v) noch von einer wurzel nu mit fo. ich glaube, dass redensarten
wie n.icfune 'beim braten' aus vikingerausdrücken , wie viit funa 'am feuer,
an der flamme', entstanden sind: halt Fäfnis hjarta vid funa 'halte Fäfnis
herz ans feuer', sagt Regin zu Sigurd (Fäfuismal 27), dh. brate Fäfnis herz,
altn. halda viit funa ist der ausgang für ir. fune 'das braten, kochen', und
hieraus ist erst ein verb fuinim entstanden, das irische /' also wie in
finnaim = nord. finna nicht gleich indogerm. v, sondern gleich germ. f aus
indogerm. p.
160 KELTISCHE BEITRÄGE III
pd tök hann d fingri sinum ok skynjadi, hvdrt fullsteikt vmri.
Hann bran ok brd fingrinum i murin ser. En er hjartblöd Fdfnis
kom d tungu hdnum ok skildi hann fugls rödd) Fäfnismäl prosa
nach Strophe 26 — 32. Sigurd gelangte durch das Verständnis
der vogelrede zur kenntnis von Regins vorhaben, schlug ihm
den köpf ah, als dann Fäfnis herz und erfuhr aus der adlerinnen
rede von seiner zukunft (Fäfnismäl str. 32 ff, Völsunga saga
cap. 19; man vergleiche Thidreks saga cap. 166 für die jüngere
Nibelungensage), diese episode der Nibelungensage wurde in
Irland ebenso wie die ganze sage im 9jh. bekannt, wie ich Zs. 32,
289 — 334 gezeigt habe, zwei dinge hafteten: das den finger in
den mund stecken und die erlangung verborgener kenntnis; alles
andere blieb unverstanden und fiel daher weg. so wurde Finn,
der sagenheld der vikinger-Iren (Gall-Gaedil), heraus-
geputzt mit zügen des haupthelden der germani-
schen heldensage (Sigurd) und des haupthelden der
alten nordirischen heldensage (Cuchulinn), wie er ja
auch nach alter tradition söhn eines vikingerjarls und einer
schönen Irin ist (LU 41% 10 — 42b ende), die episode in den
'jugendtaten Finns' bewahrt die nordische sagenepisode in ir. Um-
bildung, aber dem wesen nach auch unverstanden, aus dem
'den finger in den mund legen' ward im weiteren verlauf 'legen
des daumens unter den Weisheitszahn' (detfis).
Durch die ergebnisse der Untersuchung von s. 108 bis hierher
ist die s. 30 — 51 noch offen gelassene lücke in der kette der
beweisführung geschlossen. Finn mac Cumaill (Fingal), der ge-
feierte irische und schottische sagenheld, ist seinem Ursprung
nach jener führer der vikingerhorden in Irland um die mitte des
9 jhs. Ketill Hviti — Caittil Find, der 856 (857) von dem tat-
sächlichen oberkönig Irlands, dem Dubliner vikingerherscher
Amlaib, in Munster (Gabair in grafschaft Limmerick) vernichtet
wurde, er war der sagenheld der vikinger-Iren (Gall-Gaedil,
Fena) süd -Irlands ursprünglich, und je mehr diese sich den
Iren assimilierten, wurde er auch irischer sagenheld: auf ihn über-
trugen die Iren in der ersten hälfte des 10 jhs. alles, was ihnen
von dem tun und treiben der heidnischen Nordgermanen als
characteristisch in der erinnerung haftete, die freude an stürm
und kälte, die wahrsagerei; auf ihn häuften die irisierten
vi kinger, was vom vater oder grofsvater ihnen aus Nordlands
KELTISCHE BEITRÄGE III 161
sagen erzählt worden war.1 das ausgehende 10 jh. knüpfte ihn
zuerst in loser weise an die Munster- und Leinstersage des
2/3 jhs. nun war er der geeignete träger einer pangälischen
1 ich möchte darauf hinweisen, dass wir uns natürlich diese vikingtr-
Iren norwegischer herkunft, wie sie besonders in den ersten 50 jähren
vor errichtung einer festen herschaft in Dublin überall unter
den Iren sich ansiedelten, als die hauptsächlichsten vermittler der ältesten
nordischen entlehnungen in spräche und sage der Iren denken müssen, ein
solcher etwa um 840 in Munster oder Leinster einem halbwegs angesiedelten
vikinger und einer Irin entsprossener vikinger-Ire (Gall-Gaedel) mochte ein
ähnlich arg mit nordischen Wörtern durchsetztes irisch reden, wie es in
manchen sagentexten von LL nach meinen nachweisen in nr i dieser bei-
trage vorliegt; ein solcher vikinger-Ire konnte die ihm vom vater er-
zählte germanische Sigfridsage in der weise in die erzählungen der alten
nordirischen heldensage verweben , wie ich es aao. nachgewiesen habe. Zs.
32, 329 ff bestimmte ich das jähr 975 als den zeitpunct, in welchem die
Umgestaltung des wichtigsten alten sagentextes der Iren (der Täin bö
Cüalnge) durch eindringen der Nibelungensage spätestens muss bekannt
gewesen sein, ich kann jetzt ein älteres und interessanteres zeugnis an-
führen: der ortsname Ath Firdiad, heutigen tages Ardee in der grafschaft
Louth, kommt zum ersten mal in den annalen 942 Chronicon Scotorum
= 941 Vier meister vor: Blacair, der führer der Dubliner vikinger, tötet
den mächtigen könig von Ailech , Muirchertach (Ecloir iarthair betha
'Hector des westens der weit' setzen die Ulsterannalen 942 hinzu) bei Ath
Fhirdiad. es muste also 942 schon seit einiger zeit die hauptumgestaltung
der Täin bö Cüalnge stattgefunden haben , da die sage bereits die fürt locali-
siert hatte, wo Cuchulinn, der hauptsagenluld der Iren, den hauptsagen-
helden der vikinger Iren Ferdiad conganchnessach 'den mit homhaut
versehenen Aibelung' (Sigfrid) getötet hatte, noch ein moment spricht für
die aufnähme der germ. sagenelemente in die ir. heldensage in einer frühen
periode der vikingerzeit. nachdem die vikinger-Iren etwas assimiliert
waren und nachdem sie mit den Iren dasselbe interesse gegen die ober-
herschaft in Dublin verband (also von 852 an), wird man die sagenhelden
dieser vikinger-Iren von seilen der echten Iren nicht als feinde der alten
irischen sagenhelden gedacht haben, so treten denn auch Cuchulinn und
Sigfrid (Ferdiad conganchnessach) als blutbrüder in der Täin auf,
die nur ein widriges geschick zum kämpfe zwingt (s. Zs. 32, 303 — 312);
also eine Widerspieglung der tatsächlichen Verhältnisse um 860. darin aber
spricht sich die renommisterei der Iren aus: im Fled Bricrend lassen sie
den Cuchulinn als höchste leistung den Hercules (Ercoil) besiegen,
in Täin bö Cüalnge ist Cuchulinns höchste und letzte leistung, nach
der er in todesohnmacht fällt, die besiegung Sigfrids (Ferdiad conganch-
nessach). schliefslich sei tioch auf einen zug hingewiesen, der mir, als
ich meinen ersten aufsatz schrieb, nicht ganz klar geworden war: in der
Täin bö Cüalnge sind die nordischen söldner aus Hiruath, dh. Norwegen,
Höritaland , in Cath Ruiss na llig sind die bundesgcnosseii Conchobars aus
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 11
162 KELTISCHE BEITRÄGE III
heldensage von den höhen Argyles bis zu den buchten Kerrys,
die verschiedenartigen elemente, die in der weiteren entwickelung
das alles mischende irische mittelalter zur ausbildung dieser
paugälischen heldensage verwendete, habe ich s. 31 — 51 be-
sprochen.
Als ich vor bald 3 jähren meinen ersten aufsatz über die
Nordgermanen in Irland und ihren einfluss auf spräche und alte
heldensage Irlands (Zs. 32, 196 — 334) abschloss, da schwebte mir
manches von dem weitgehenden einfluss unserer germanischen
Stammesvettern , den ich jetzt zum teil glaube klar gelegt zu
haben, schon mehr oder weniger dunkel vor. bei dem offen-
kundigen Widerwillen, ja hass, der von einer mächtigen clique
auf keltischem gebiet meinen arbeiten entgegengebracht wird,
habe ich mich gehütet, das damals sichere durch vorführen des
damals mir wahrscheinlichen zu compromittieren.1 ich wollte
Lochlann 'Dänemark' (Zs. 32,220 — 239). da der name Hiruath (Hiröta)
früh vollständig verschwindet, so haben wir einen neuen beweis, dass die
Umgestaltung der Täin bö Cüälnge ins 9jh. zurückgehen wird, jedesfalls
in den vikingereinflüssen die zeit vor errichtung des Dänenstaales in Irland
widerspiegelt. — die nordischen hilfstruppen Gonchobars, die unter Amlaib,
dem enkel des Inscoa , demkönig von Lochlann, stehen , landen an der
mündung des Linn Luachainne (LL 172b, 21), was ein punct in der
Dundalkbay sein muss, 'vielleicht am eingang in das haff, in das der
Castletown-river fliefst' (Zs. 32,225 anm.). nun erfahren wir, dass die
Dänen 850 bei niederwerfung der Norweger in Dublin und bei Li nn D uach ail
landen: letzteres ist aber ein hafen an der küste von Louth 'most probably
Dundalk harbour' (Hennessy, Ulsterannalen i 344 anm. 7). ich denke,
Linn Luachainne der sage in der Dundalkbay und Linn Duachail der
annalen wird identisch sein, und in LL 172 haben wir die sagenerinnerung
an die Dänenlandung 850, was wegen der vielen nordischen namen
wichtig ist.
1 ich hatte mir an der behandlung, die mir in folge von Kelt. Studien
lieft 2 Über altirische betonung und verskunst zu teil wurde, eine lehre
genommen, meine entdeckung des altirischen accentes, wodurch die irische
grammatik auf eine neue basis gestellt wird, steckte man ruhig ein, um
über den zweiten teil der Untersuchung herzufallen, keiner der Don Quixote,
die mich wegen meiner ansieht, dass im altirischen vers- und wortaccent
zusammenfielen, lächerlich zu machen suchten, hat genug gelernt, um zu
verstehen, worauf es ankommt, das altirische hat im wort neben haupt-
accent einen starken nebenaccent, der so stark war, dass er im heutigen
Munsterdialect zum hauptaccent geworden ist und den alten hauptaccent
zum nebenaccent herabdrückte, also" für altes" (s. Kelt. Studien n
s. 147 — 153). dieser nebenaccent imworte ist im altir. für den vers-
KELTISCHE BEITRÄGE III 163
erst die würkung dieser in ihren resultaten allen hergebrachten
anschauungen über die absolute autochthonie der alten irischen
heldensage und ihre reinheit von fremden dementen schnurstracks
zuwiderlaufenden Untersuchung abwarten, der erfolg war der
erwartete: die resultate fanden bei allen aufserhalb jener clique
stehendeu forschem freudige Zustimmung; die milglieder der
clique, welche mir nicht verzeihen kann, dass ich vor 9 jähren
mit rauher hand ihr thönernes götzenbild zerschlug, spielten die
rolle des vogels straufs gegenüber den alles bisher geglaubte
über den häufen werfenden resultaten des aufsatzes; im übrigen
beschäftigten sie sich damit, weggefallene z'-tüpfelchen aufzusetzen,
bliesen mucken zu elephanten auf und suchten naiv den auf ihrer
brille sitzenden staub auf meiner arbeit (s. Revue celtique ix 420.
x 360 ff), nirgends verraten sie eine ahnung davon , dass alle
ihre herbeigeschleppten bausteinchen und sandkörnchen nur als
material zu einem bau wert und interesse gewinnen.1 ich kann
ictus gleichwertig mit dem hauptaceent: dass leute, die vom germani-
schen gar nichts verstehen und glauben, mit zählen von 1, 2 an den fingern
lasse sich eine metrik feststellen, dies lächerlich finden, ist traurig genug,
übrigens sind auch die beispiele gar nicht selten, wo der versictus nur
auf den hauptton des wortes fällt, ich führe zb. aus den in die Ulster-
annalen eingestreuten gedichten an das zum jähre 879:
Ni essib bdss cen dölmäi ni röact gnds comdrbi)
Air ladad tdlam trebtäcb for senchaid bddid dmru
oder zum jähre 886:
Ni färlaig tdlam lögii ni Ibdrgai Temru liwii
Ni täircell Eriu irmdr fer fö Mael minglan mv.ru,.
man vergleiche noch die Strophen zu den jähren 808. 814. 840. 850. 878. die
schulmeisterdichter des 11. 12jhs. ä la Zumpt (s. oben s. 157) haben
vielfach blofs an den fingern gezählt, wie in Deutschland die meistersänger.
welcher vernünftige deutsche philologe wird aber bei den meistersängern
anfragen, um das princip der deutschen metrik festzustellen?
1 seitdem Schuchardt und Bartsch herrn D'Arbois zu verschiedenen Zeiten
und in hinblick auf verschiedene Schriften das Zeugnis ausgestellt haben,
dass er keine ahnung habe, worauf es ankomme — Schuchardt,
Zs. f. vgl. sprachforsch. 22, 167: 'der eigentlichen Schwierigkeiten,
welche mit dieser Untersuchung verbunden sind, ist sich
D'Arbois nicht bewust geworden' (1874); und Bartsch, Zs. f. rom.
phil. in 360: 'diese darlegung (D'Arbois) erscheint in einer achtenswerten
und ernsten Studien gewidmeten Zeitschrift... und doch hat herr D'Arbois
de Jubainville offenbar keine ahnung davon, um was es sich bei
metrischen Studien handelt' (1879) — , seit der zeit ist herr D'Arbois
ein grofser kcltologe geworden und gibt sich, wie nicht abzustreiten ist, red-
11*
164 KELTISCHE BEITRAGE 111
mir nicht versagen, den lesern dieser Zs. ein instructives bei-
spiet dafür vorzuführen, welch ein schuft in dieser kärnertätig-
keit zusammengefahren wird. Stokes schreibt in der Academy
vol. xxxiv s. 120 (Dummer vom 25 august 1888): 'Another loan-
word which has puzzled lrish scholars since the twelfth Century
is güal in the phrase öl ngüala LU 12 lb == ol gualai LL 254b, 29.
This is not hing but the Auglo-Saxon geöl 'Yule',
and öl ngüala means 'Yule- drinking' the Old-Norse j<ila-drykkja
and, io a secondary sense, the brazen cauldron containing the
ale brewed at Yule, the jöla-öl, as the Norsemen said. So the
lrish phrase oc öl ind iemgüali LU 12 lb means 'drinking the
after-Yule' (Anglo-Saxon ceftera geöla a name for January), and
prof. Zimmers recent rendering in Kuhns Zs. 30, 54 of öl ngüala
by 'kohlentrinkgelage' is one of his many mistranslations.'
Diese wenigen Zeilen sind ein vortreffliches specimen für die
art, wie Stokes Wissenschaft betreibt, ganz im geiste irischer
Schriftsteller des 10 — 12 jhs., die ja auch eine feste gränze
zwischen tatsachen, phantasievollen erfindungen und bewuster
Unwahrheit nicht kennen, wie wir des öfteren sahen, ich con-
statiere zuerst, dass Stokes in gewohnter ehrlichkeit verschweigt,
dass mein Zs. 32, 196— 334 veröffentlichter (märz 1888. erschie-
nener) aufsatz zuerst gezeigt hat, welche bedeutung die zahl-
reichen nordischen und selteneren ags. lehnwörter
im altirischen für die sagen geschiente haben; er gibt
nachtrage, ohue mich zu nennen.
Ich constatiere zweitens, dass ich mich Zs. f. vgl. sprachforsch.
lieh mühe, immer wider nachzuweisen, dass er das zeugnis auch auf diesem
gebiet verdient, so weist er denn auch nach Revue celtique ix 421, dass
keineswegs der germanische Ursprung für alle von mir Zs. 32,265 — 289
aufgeführten irischen Wörter von mir zuerst erkannt sei, dass zb. schon
O'Donovan und Windisch ir. penning mit penny übersetzten. ich will
herrn D'Arbois noch eine viel wichtigere tatsache verraten: im anfang
dieses Jahrhunderts lebte in Dublin ein mann namens Edw. O'Reilly; der-
selbe verstand fast ebenso wenig vom irischen wie herr D'Arbois; er
schrieb ein irisches Wörterbuch , in derselben weise wie herr D'Arbois seine
werke schreibt, durch ausschreiben von anderer leute arbeiten; nur darin
unterschied sich dieser O'Reilly von herrn D'Arbois, dass er in ehr-
licher weise die leute nannte, von denen er seine Weisheit hatte, in dem
Wörterbuch des besagten O'Reilly findet sich auch schon pingin 'a penny'!
und da kommt Zimmer und will uns mit seiner Studie Zs. 32, 196 — 334
etwas neues lehren, o saneta simplicitas!
KELTISCHE BEITRÄGE III 165
30,54 (geschrieben juni 1886) mit der erklärung von oZ guala
in LL 254b, 29 gar nicht beschäftige, sondern in der
wegen des wortes nofiurad gegebenen Übersetzung der stelle
LL 258b, 14 ff einfach in klammer bemerke, dass 'kohlentrink-
gelage' die irische auffassung des 12 jhs. von olnguala ist.
Ich constatiere drittens, dass ich zur zeit, als Stokes obige
worte schrieb, die richtige erklärung von olnguala, iarnguala
schon gegeben hatte in dem nachtrag zu oben genannter Studie
(Zs. 32, 467. 469, datiert 2 mai 1888, erschienen September 1888),
eine erklärung, die ich jetzt noch gegen die phantasien von Stokes
aufrecht erhalte.
Stokes beweist mit seiner behauptung, dass irisch gual1
'nothing but the Anglo-Saxon geöl Yule' ist, einfach, dass
er von angelsächsischer lautlehre nichts versteht
und über irische lautlehre nicht nachgedacht hat. das angel-
sächsische hat bekanntlich — ebenso wie das kymrische — kein
eigenes zeichen für den halbvocal/ (= engl.?/ im anlaut) :
teils wird er wie im lateinischen durch i ausgedrückt: iung,
iugud, iül, iüla usw., teils, und zwar im westsächsischen gewöhn-
lich, durch g; diese letztere Orthographie erklärt sich leicht
daraus, dass ags. g im anlaut spirans (palatal und guttural) ist,
und die zahl der durch g ausgedrückten anlautenden Spiranten
ist gegenüber den wenigen indogerm. und germ. Wörtern mit
ursprünglicher spirans j so erheblich, dass die Schreibung dieser
alten spirans durch g natürlich ist.2 nimmt man noch hinzu,
dass der palatale halbvocalj vor a und o ein e (i) entwickelt (vgl.
got. jiuka streit, jiukan kämpfen, jiuleis julmouat), so sind die
westsächsischen Schreibungen geong, geognd, geöl, geöla klar, dass
hier ge einen gutturalen verschlusslaut ausdrücke, wie
Stokes bei gleichsetzung von ir. gual mit ags. geöl annehmen muss,
ist absolut ausgeschlossen, irisch g im anlaut ist dagegen
nur verschlusslaut (lat. g, gr. y). der alte indogerm. halb-
vocal j ist im irischen entweder spurlos geschwunden
(ir. öac, öc = kymr. ieuanc, lat. Juventus ; ir. oa jünger, oam am
1 dieses irische gual existiert nur in der phantasie von Stokes: tat-
sächlich haben wir olgualai, olnguala, iernguali zu erklären.
2 die analogie italienischer Orthographie drängt sich sofort auf: weil
altes y und g vor hellen vocalen in der ausspräche zu palataler media (g)
zusammenfallen, schreibt man gesuita, gerusalemme, wie genle, generale,
generoso.
166 KELTISCHE BEITRAGE III
jüngsten = kymr./ew, ieuaf, yeuaf) oder hat sich vocalisiert
(ir. ia ja = kymr. ie, dh.ye; ir. ic salus aus *iac, wie öc aus öae,
dec aus deac = kymr. iach sanus, ieehyt sanitas, arem. jeehet).
Übergang eines indogerm. j iu den verschlusslaut g ist im irischen
unerhört, ganz so werden die lehn Wörter behandelt
(s. Güterbock, Lat. lehnwörter s. 44 ff): Enair (januarius), wie
oac, aber aniacob (zo Jacob), lahiacob (bei-/a-Jacob), Eoin (Johannes),
wie ia, und hu aus *iesu, wie tec aus *iacc (= kymr. iach). so
muste aus ags. geöl = nord. jöl (vgl. got. fruma jiuleis 'erster
julmonat' = Naubaimbair) im irischen entweder öl (ual) oder
iol werden, es konnte aber unter keinen umständen
gual werden, damit ist Stokes erklärung, die sich blofs auf
seine Unkenntnis aufbaut, der boden entzogen.
Aber sehen wir einmal davon ganz ab, wie denkt sich Stokes
die entstehung bei den Iren? das ags. geöl, iül bezeichnet nur
'festum nativitatis domini' und geöla, iüla nur 'Christmas month',
Cßftera geöla nur 'januar' (vgl. got. fruma jiuleis .,. Naubaimbair) ;
dagegen a\ln. jöl die festlicbkeit in dieser zeit und was damit
zusammenhängt (zur zeit des heidentums das fest der Winter-
sonnenwende, im Christentum 'Weihnachten'), es hat sich offenbar
ein Ire im 9 oder 10 jh. hingesetzt mit Skeats oder ßosworth-
Tollers Wörterbuch auf der einen seite und Cleasby- Vigfussons
lcelandic-english dictionary auf der anderen seite: lesen konnte
er wie Stokes und in ags. und nord. zunge war er ebenso be-
wandert wie Stokes. aus Skeat oder Bosworth nahm er das g, die
bedeutung aus Cleasby und er hatte ir. gual und olnguala 'Yule-
drinking'; dann fand er bei Skeat ein mftera geöla 'januar',
übersetzte ceftera richtig mit ir. iarri (nach) und bildete ein iarn-
guala 'Yul- nachfeier'. so etwas kann wol nur in den pbautasien
eines geistig gestörten vor sich gehen , aber nicht in würklich-
keit. das schlimmste aber ist, dass Stokes, um seine phautasieu
glaubhaft zu machen, nicht den mut hat, der Wahrheit die
ehre zu geben1 und zuerst ein fach zu sagen, was olgualai,
1 notwehr zwingt mich, wenigstens durch ein beispiel nachzuweisen,
wie genau der juristische dilettant es mit der Wahrheit nimmt, in der
Academy vom 2 october 1886 (vol. xxx 228) gibt Stokes eine nachcollation
der von mir Glossae hibernicae (s. 270 ff) gedruckten incantationes Sangal-
lenses und leitet diese ein mit den worten : 'I found the following discre-
pancies, which may, perhaps, be aecounted for by the fact that prof.
Zimmer had never seen the ms.: so the librarian, pfarrer Idtensohn
KELTISCHE BEITRÄGE 111 167
ölnguala, iemguali im irischen tatsächlich bedeutet, es
handelt sich im ganzen um vier stellen in LL und LU und die
sind so klar, dass selbst ein anfänger, wie ich bin, nicht irren
assured me.' als echo erschallt in herrn D'Arbois Revue celtique vn448:
'le bibliothecaire lui fit la surprise de lui apprendre que jamais M. Zimmer
ne s'etait rendu ä Saint-Gall, ce qui explique les imperfections du texte des
incantations donne par Zimmer.' ich denke, die grundlage dieser ehren-
rührigen insinuation ist Stokes mangelhafte kenntnis des deutschen, da ich
nicht annehmen kann, dass herr Idtensohn so etwas sagte: wir haben
mehrfach briefe gewechselt, bis ich den wichtigen sammelcodex nr 1395
nach Berlin auf die königl. bibliothek erhielt (winter 1880/81);
dort habe ich ihn wochenlang benutzt, dr Güterbock hat meine abschrift
collationiert, und die königl. bibliothek in Berlin kann ja leicht aus ihren
büchern — der codex war hoch versichert und geheimrat Lepsius trug
zuerst überhaupt bedenken, auf die SGaller bedingungen einzugehen —
die bescheinigung bringen, dass ich den codex in Berlin hatte, was nun
die ehrabschneiderei zu einer bodenlos leichtfertigen von Stokes Seiten macht,
sind folgende tatsachen: 1) Glossae hibernicae s. 270 gebe ich ein facsi-
mile aus dem codex mit den worten 'Hae litterae accurate depictae unum
versum in codice continent'; dies facsimile ist nach einer von Güterbock
und mir angefertigten durchzeichnung geschnitten, und da Stokes den
codex mit meiner ausgäbe collationierte, muste er wahrnehmen, dass ich
den codex gesehen und benutzt habe. 2) in der beschreibung des codex
s. xli sage ich : 'Discerni possunt tres librariorum manus saeculi octavi vel
noni; prima manus scripsit tres priores incantationes usque ad finem
lineae 15; sequitur manus crassior artisque scribendi minus perita, quae
quartam formulam adjecit, quam equidem non e memoria librarii sed ex alio
libro haustam esse crediderim. Tertius librarius penna acuta nonnulla de
caerimoiiiis, quibus incantationes juvarentur, addidit'; soll ich das aus den
fingern gesogen haben? 3) in der praefatio (datiert Berolini, Calendis Fe-
bruariis 1881) schreibe ich: Idtensohn praefectus bibliothecae
conventus SGalli benigna i n terventio ne codicem formulas
incantationum Hibernicas continentem transmittendum cu-
ravit. viel unanständiger als Stokes ist noch herr D'Arbois. er hat meine
Glossae hibernicae nach allen richtungen so oft ausgeschrieben, dass ihm
die eben angeführten facta sicher gegenwärtig waren, der
Wahrheit die ehre zu geben, wäre verläugnung seines ichs gewesen, er
macht also aus Stokes positiver angäbe 'the fact that prof. Zimmer had
never seen the ms.' einfach 'que j am ais M. Zimmer ne s'etait rendu
ä St.-Gall.' das ist ja an sich nicht unwahr, aber durch verschweigung
der tatsache, dass ich die hs. in Berlin hatte, bleibt die für mich ehren-
rührige insinuation dieselbe, während für Stokes die annähme möglich ist,
dass er unter einfluss einer krankhaften phaulasic nur bodenlos leichtfertig
gehandelt, ist für herrn D'Arbois diese annähme kaum zulässig: er ist mit
bewustsein und Überlegung ehrabschneider. von ähnlichen ehrenrührigen
beschuldigungen seitens der herren Stokes und D'Arbois sowie ihrer trabanten
168 KELTISCHE BEITRÄGE III
kann: LL 107b, lüff(=Book of Ballymote 24 Sa, 31 ff) heifst es
bei der beschreibung von Couchobars palast in Emain Macha und
des darin herschenden treibens tricha läth ngaile inimdai Con-
chobair ocöl. OInguala ./. dabach Geirg forlär intige bithlän ; isl
thucad aglind Ge[i]rg diarort Gerg laConchobar '30 beiden sind
auf Conchobars lager beim trinken (oc öl); olnguala, dh. das
fass des Gerg (befindet sich) auf dem flur des hauses immer
(?ganz?) voll; es wurde aus dem tal des Gerg mitgenommen, als
Gerg durch Conchobar getötet (seine bürg zerstört) wurde.' zwei
weitere stellen beschäftigen sich mit dem hier zum schluss er-
wähnten ereignis; sie stammen aus einem texte (LL 253 — 259b),
der von nordischen lehnwörtern wimmelt (s. Zs. 32, 244. 464).
als Conchobar mit seinen nordischen hilfstruppen gegen die bürg
des Gerg vorrückte, war man dort im begriff, Verlobung oder hoch-
zeitsschmaus zu feiern : isandsin dano rosudiged dabach umai thall
istaig diarbachomainm olgualai iarsin; et robas ocallnad dondfin; do-
rochair dano aescra feig finnargaü alläim indaleman insindabaig co-
rodöirt atrüonna darborddaib 'da nun wurde ein ehernes fass
(knie, kessel) dort im hause niedergesetzt, dem später (im verlauf der
erzählung) der name olgualai gegeben ist, und man war dabei,
es mit wein zu füllen, es fiel nun dem schenken sein glänzender
becher von weifsem silber in das fass, sodass er 3 wellen aus ihm über
seine ränder verschüttete' LL 254b, 27 — 31. Conchobar stört die
festesfreude und erobert die bürg et ataig Conchobar lais inafüair
dör 7 dargut 7 dindruini 7 dochornaib 7 dochoppanaib 7 descraib 7
darm 7 detuch. Rofuc dano leis indabaig umai roböi istig 7 no-
flurad forba Ulad uili allän dolind 7 isria atberthea olnguala la
Ultu, fobllh isteniguail nobld in Emain istig inibthea hl 7 isuad
roainmniged Loch Guala Umai in Barnims criche Ulad arisföi
ata indiu indiamraib 'und Conchobar führte mit sich weg, was
er vorfand an gold und silber und zinn(?) und hörnern und
trinkschalen und schöpfgefäfsen und waffen und rüstung. er
nahm auch mit sich weg das eherne fass, welches im
sind seit jähren Academy, Revue celtique und Revue critique voll, da ein
mensch wie herr D'Arbois in einem satz die latsachen so verdrehen kann, dass
man zu ihrer richtigstellung eigentlich eine abhandlung schreiben müste, so
bin ich wehrlos, der ich mir kein pressbureau einrichten kann, nur bei
gelegenheit kann ich einmal eine verläumdung, die sich mit verhältnismafsig
wenigen Worten klar stellen lässt, tiefer hängen, im übrigen lebe ich des
glaubens magna est veritas et praevalebit.
KELTISCHE BEITRÄGE III 169
hause war und welches, mit trank gefüllt, sättigte die scharen (?)
von ganz Ulsterland, und es wurde von den Ulsterleuten
genannt olnguala, weil ein koh\en(gual)teuer in Emain im
hause war, in welchem aus ihm getrunken wurde1, und von
ihm erhielt Loch Guala Umai (see des ehernen Guala) auf (der
insel) Devenish (im Loch Eine) im Ulsterland seineu uanien,
denn unter ihm befindet es sich heute im versteck' LL 25Sb,
12 — 19.
Bis hierher ist in bezug auf olgualai, ölngüala alles klar;
auch die vierte und letzte stelle ist deutlich : Dlambatär dino
Ulaid fecht and inEmain Maciia laConchobar ocöl ind iemgüali:
cet mbrothe notheiged ind delind imlräth cacha nöna; basisin
ölngüala issi nofired Uhu uli inoensist 'als die Ulsterleute eines
tages beschäftigt waren mit Conchobar beim trinken des iemgüali:
hundert (gewöhnliche) gebräuevon trank (bier) gie ngen
in es (dh. iernguala) gegen jeden abend; es war dieses das
ölngüala, es sättigte alle Ulsterleute in einer weile (auf einmal,
dh. in einer füllung)' LU 12 lb, 7 ff. ich denke, wenn man die
drei anderen stellen im äuge behält, kann kein zweifei sein, dass
iernguala ein anderer name ist für das 'eherne' ölngüala.
der irische text mit basisin ölngüala erhebt es über jeden zweifei,
dass zu dem masc. oder neutr. iernguala (gen. indierngual[a]i) ein
femininum wie dabach Mass' zu ergänzen ist. also 'es war dieses
(eben genannte fass iernguala) das (bekannte) ölngüala.' da das
olnguala mehrmals dabach umae 'ehernes fass' genannt wird
und da iarn 'eisen' ist, so ist iarnguala 'das (oder der) eiserne
guala.'
Dies sind die tatsachen und darnach ermesse man Stokes
phantasie und Wahrheitsliebe vor einem urteilslosen publicum.
1 darnach urteile man über die Unverfrorenheit, mit welcher Stokes an
der in rede stehenden stelle der Academy mich vor urteiislosen lesern, ohne
das material vorzuführen, schlankweg als einen Ignoranten hinstellt,
ich habe Zs. f. vgl. «prachforsch. 30,54 einfach hinter ölngüala in klammer
gesetzt (kohlen- trinkgelage), um die idee zu cha r a <■ tcri s i eren , die
der Schreiber von LL mit dem wort verband, ich hatte auch
(kohlentrank) schreiben können, da Dl sowol den 'trank' als das 'trinken,
trinkgelage' bedeutet, was Stokes an ähnlichen beschuldigungen gegen
mich in der Academy seit 1384 vor seinem gewissen zu verantworten hat,
lässt sich nicht auf eine kubhaut schreiben, semper aliquid haeret bei
urteilslosem und nicht informiertem leser.
170 KELTISCHE BEITRÄGE III
Was bedeutet üuü der nauie dieses fasses olgualai, ülngüala,
ierngüala? darauf habe ich schon Zs. 32, 469 uach Vorführung
obiger tatsachen folgende antwort gegeben: 'ölkjöll (bierschiff)
hiefs der grofse kessel, den Tliörr nach der Hymis-
kvitfa bei Hymir holte und aus dem die äsen das
grofse gelagebeiCEgir hielten; ölkjöll (bierschiff) na nnteu
wol die nordischen führer, die im 9 und 10 jh. am Loch Erne
und an vielen anderen puncten Ulsterlands sich niederliefsen und
mit Iren in berührung kamen, ihren grofsen braukessel.' es
ist also Ölkjöll (bierschiff1) eine tatsächliche nordische be-
zeichnung des braukessels, und aus einem nordischen
olkjölR des 9jhs. muste irisch einfach olcüala'1 werden.
1 darf ich daran erinnern, dass in den kleinen ländlichen brauereien
meiner Pfälzer heimat noch heutigen tages die grofsen eisernen gefäfse, in
denen das gebräu abgekühlt wird, 'kühlschiff genannt werden?
2 das a wie in fianna, fiana aus fiandR, fena aus fendR, earla, iarla
aus earlR. zu den beiden s. 15 anm. angeführten, im verlauf noch nicht näher
besprochenen belegen für den wandel des urnord. R in a im irischen sollen
hier noch einige bemerkungen folgen, das wort grunna für 'moor, sumpf
kommt in der vikin^erzeit auf und kann als characteristicum des irischen
lateiu gellen, es findet sich aufser den stellen bei DuCange noch: vier-
mal bei Nennius § 76 (de mirabilibus Hiberniae); Vita tripartita des Patrick
(Colgan, Triadis thaum. acta s. 159, lh); elfmal in den Acta sanctorum
Hiberniae ex codice Salmanticensi edita (London 1888) col. 204, 27 ; 258. 2
(statim grues huc illuc in grunnas diviserunt se); 286,28.30; 310,16.
20.22; 329,37.38; 383,2; 391,10 (wolf hält sich in grunna auf); 479,31
(via facta est eis per montes, silvas et grunnas sine impedimento). das
bisher unerklärte wort ist aus der vikingerbezeichnung der in Irland überall
auftretenden sumpf- und moorflächen grundR (ags. fries. alts. grund, ahd.
grünt) entstanden, wie das a im plur. fianna = fiandR dazu führte, das
wort als feminin zu fassen, so führte das a im sing, grunna die flexion
nach lat. a-declination herbei; vgl. auch nord. strcete als neutr. jo- stamm
aus d strcete = ags. on strcete (oben s. 106). — das wort gilla bezeichnet
ein männliches individuum im 'burschenalter' und hat ganz die doppel-
bedeutung des deutschen 'bursche': 1) 'jungermann' ; 2)'diener'(s. Windisch, Wb.
s. 594). es spottet jeder etymologie aus dem irischen und sonstigen keltischen
sprachen, hat auch nichts verwandtes in ihnen, für die zeit, in der das
wort in Irland h ei misch wird , ist eine tatsache lehrreich: seit den ältesten
Zeiten ist es in Irland üblich, taufnamen mit mael (calvus, tonsuriert) zu bilden :
Maelpatricc, Maelbrigtce usw.; in dem index zu den Annalen der vier meister
werden vom 6 — 12 jh. 354 Persönlichkeiten aufgeführt, deren name mit
mael gebildet ist, und zwar gleichmäfsig durch alle Jahrhunderte, hier treten
nun namen mit gilla in concurrenz: Gillachrist = Maelisa, Gillap/iatraic
= Maelpatraic, Gillabrigtw = Maelbrigtce usw.; in dem index zu denselben
annaleii finden sich 56 persönlichkeiten, deren name mit gilla gebildet
ist. zum ersten mal wird ein solcher name erwähnt a. 982: in
diesem jähr fällt Gillapatraic , der söhn des christlichen Dänen-
herschers von Wateiford (Port Lairge). im ausgehenden 10 jh. kommen
solche namen noch von 7 Persönlichkeiten vor. rechnen wir 50 jähre zurück,
so kommen wir auf 950: dies ist die zeit, in der die Christiani-
sierung der Dänen-vikinger vor sich geht (s. oben s. 66), mit
ihnen kommen die mit gilla gebildeten namen auf. es ist ahogilla ursprüng-
lich ein dänisch -irisches wort, das um die mitte des lOjhs. im irischen
heimisch ist, aber dessen herkunft aus der vikinger- (Dänen-) spräche noch
KELTISCHE BEITRÄGE III 171
aus diesem olcuala ist olgüalai, olngüala volksetymologische
Umbildung: die stelle LL 258b, 12 — 19 zeigt, dass mau bei dem
unverständlichen cüala an güal (gen. güail) 'die kohle' dachte und
das wort damit in Verbindung brachte, weil ein 'kohlenfeuer'
(tene guaiJ) während des gelages im hause brannte, anderer-
seits war aus dem -nord. neutrum öl (= ags. ealu, alts. alo in
alofat 'bierfass', mhd. al in ahchaf) ein als genuin gefühltes
irisches neutrum ol, öl 'trank' und 'trinken' geworden, wie ich
Zs. 32, 466 IT gezeigt habe, so war die volksetymologische
Umgestaltung des aus dem nordischen stammenden namens für einen
grofsen bierkessel olcüala in olngüala gegeben, es ist ja unstreitig
olngüala als ganzes gefasst ('kohlentrinkgelage' oder 'kohlenfeuer-
trank') unsinn, aber Hängematte, eichhörnchen, ab ent euer usw. sind
als ganzes betrachtet ebenso unsiun und doch sind die einzelnen
glieder durch volksetymologische umdeutung entstanden, damit ist
auch die andere bezeichnung iernguala vollkommen klar: der
* olcuala (olngüala) war 'ehern' (umae), wonach die beuennung
iarnguala 'eiserner guala' nahe lag; es ist aber auch möglich,
dass järnkjöll 'eisenschiff' eine andere nordische bezeichnung
für ölkjöll 'bierschiff' war. auch darauf habe ich schon hin-
gewiesen (Zs. 32,470), dass die bezeichnung Loch Guala Umai
'see des eheruen kesseis' LL 258b, 18 darauf zurückgehen kann,
dass ein vikingerf uhrer beim schleunigen abzug von Damiuis —
wo zu verschiedenen Zeiten von 836 an vikinger safsen , s. Zs.
32, 468 note — seineu grofsen braukessel in den kleinen see
der insel versenkte.
Ich habe also von meiner Zs. 32, 467 — 469 gegebenen und
hier widerholten deutung nichts zurückzunehmen, zur charac-
terisierung von persönlichkeiten, die auf keltischem gebiet das
grofse wort führen, nur noch einiges hinzuzufügen. Kuno Meyer
krönt den Revue celt. x 360 — 369 aufgerichteten Schutthaufen
mit folgendem schlussstein: 'I take this opportunity of adding
gefühlt wurde. — zwei puncte seien hervorgehoben: 1) der Übergang des
urnord. R in a weist darauf hin, dass die ausspräche des urnord. R eine
dorsale war. 2) diejenigen texte der altirischen heldensage, welche die
geringste sachliche beeinflus sun g durch nordische sage aufweisen
(Fled Bricrend, Serglige Conculaind, Scela mucci mic Däthö) bieten das
wort gilla ganz gewöhnlich (25 belege hat Windisch, Wb. s. 594),
während es in den unter einfluss der nordischen heldensage wesentlich um-
gestalteten texten (wie Täin bö Cüalnge) verhältnismässig selten
ist. hält man damit zusammen, dass das wort von den dänischen
vikingern ins irische gekommen ist, so erhalten wir einen neuen beweis
für die oben s. 161 anm. aufgestellte ansieht, dass der hauptsäch-
lichste sachliche einfluss der vikinger von den Norwegern aus-
gieng, die in erster hälfle des 9jhs. Aberall bandenweise safsen und schon
um 850 als halbirisier t (GallGae&l, eehtarchenSl) vielfach auftreten, sie
stehen auf seiten der Iren gegen die Dänen, die errichlung der Dänen-
Staaten in Dublin, Waterford, Limmerick um 650 hielt den BBsimilierungs-
process der neu ankommenden vikinger um 100 jähre auf bis zum beginne
der Christianisierung dieser selbständigen vikingerreiche.
172 KELTISCHE BEITRÄGE III
a new explanation of the curious word iernguala which
I owe to a private co mm unicatio n of Stokes. He sug-
gests thai iernguala (which is masc, gen. oc öl ind ierngüali
LU 12tb) is a loan from Teutonic[!!l] 'afteryule', A. S. se ceftera
geöla (Skeat s. v. yule).' da Meyers artikel 'Liverpool, april 1889'
unterzeichnet ist, Stokes notiz aber schon in der Academy vom
25 august 1888 stand, so darf ich wol den mich sehr beruhigenden
schluss ziehen , dass selbst die trabanten von Stokes nicht mehr
seine wöchentlichen expectorationen in der Academy lesen, anderer-
seits liefert Kuno Meyer den traurigen nachweis, dass denken noch
immer nicht seine sache ist, sonst würde er den auf private coni-
munication beruhenden unsinn nicht unbesehen, ja verballhornt
durch 'Teutonic afteryule', weiter verbreiten.
Es ist natürlich durchaus nicht meine absieht, durch vor-
stehende bemerkuugen die betreffenden herren von ihrer kärner-
tätigkeit abzubringen: Quam quisque norit artem, in hac se
exerceat.
Greifswald, osterferien 1890. H.ZIMMER.
HERIMAN.
NACH EINER MITTEILUNG THEODOR MOMMSENS.
'Als kaiser Justinus u und der Caesar Tiberius nach ablauf des
mit den Persern geschlossenen Waffenstillstandes sich zum wider-
beginn des schweren krieges anschickten, übertrugen sie nicht
blofs dem jüngeren söhn des vetters des kaisers Justinian Ger-
manus, dem Justinianus, also einem prinzen des kaiserhauses, den
Oberbefehl, sondern es wurden auch ganz ungewöhnliche an-
strengungen gemacht, um ein schlagfertiges heer aufzustellen, dies
berichten Johannes von Epiphania (Fragm. hist. Graec. 4 s. 276
Müller) und Theophylaklos 3, 11, 6, letzterer hinzufügend,
dass namentlich nichtrömische foederaten mit grofsen kosten in
dasselbe eingestellt worden seien, genauer führt der bischof
Euagrius (Eccl. hist. 5, 14) dies aus mit folgenden Worten: 'die
übel zusammengebrachten gelder wendete Tiberius gut für die
kriegsrüstung an und brachte ein solches heer von helden-
männern (ctvÖQwv rjQtowv) zusammen von den Völkerschaften
jenseit der Alpen am Rhein mit persönlicher auswahl nach der
tiiehtigkeit und ebenfalls diesseit der Alpen von den Massageten
(dh. den Hünen) und anderen skythischen Völkern, sowie aus
Pannonien, Moesien, Illyricum und von den Isaurern, dass
die trefflichen reiterschwadronen 150 000 köpfe zählten.' von
denselben Vorgängen erzählt ein spanischer, in jenen jähren aber
in Constantinopel verweilender chronist, Johannes von Gerunda
HER1MA.N 173
unter dem jähre 575 n. Chr.: Iustinianus dux Romanae militiae
et magist er milüum Orientis a Tiberio destinatus bellum parat et
in campis, qui inter Daras et Nizivios (= Nisibis) ponuntnr,
forti pugna congressus, habens secum gentes fortissimas, quae bar-
baro sermone herinam nuncupantur, memoratum imperatorein
bello super at. es kaun wol kein zweifei sein, dass dies 'bar-
barische' wort jenen nordischen recken gehört , von denen der
griechische prälat erzählt, herinam oder herinani hat die relativ
beste haudschrift des Johannes, geringere herinam; sollte nicht he-
riman zu lesen und die laugobardischen Arimannen gemeint sein?'
Die frage ist natürlich zu bejahen, und zu dem historischen
interesse an dem wortinhalt gesellt sich für uns germauisten ein
ganz bestimmtes grammatisches an der wortform: wir haben hier
den ältesten etymologisch unanfechtbaren beleg für den i- Um-
laut des kurzen a, und zwar kommt dies Zeugnis von einem West-
goten, aus dem dialect also, der auch bisher als derjenige galt,
in dem sich die erscheinung am frühesten beobachten lasse.1
nur freilich war es Sievers nicht ganz zu verdenken, wenn er
neuerdings in Pauls Grundriss i 416 die mehrdeutigkeit des
nameumaterials hervorhob, auf das allein man seither die an-
nähme eines westgotischen umlauts gründen konnte: zwischen
einem Agila und einem Igila stehend zeigt Egila eine keineswegs
klare lautphysiognomie. um so erwünschter kommt uns das
heriman des Johannes von Geruuda, denn das e ist durchaus ge-
sichert, und man kann nur erwägen, ob die Überlieferung nicht
allenfalls auch ein latinisiertes herimani zulässt. der zweifei, ob die
form mit e gerade dem westgotischen angehöre, wiegt nicht schwer,
der spanische Gote gibt das wort freilich in einem zusammenhange,
der es einem der östlichen Germanenstämme zuzuweisen scheint,
aber würde er wol in einem worte, das sicher als gemeingermanisch
auch dem Sprachschätze seines eigenen volkes augehörte, das er
etymologisch verstehen muste, die fremde lauiuüance bewahrt
und nach 15 jähren niedergeschrieben haben? eher glaube ich
das umgekehrte: das wort, wenn es J. in Constantinopel hörte,
mag dort immerhin hariman gelautet haben, die westgotische vocal-
färbung stellte sich unwillkürlich ein. der weitere zweifei, ob
das e nicht die ausspräche eines jüngeren Schreibers widergebe,
würde nur das alter des umlauts berühren , nicht seine existenz
im westgotischen in frage stellen, da deutsche copisteo hier nicht
iu betracht kommen, lange über 600 hinaus wird (las gotische
in Spanien aber schwerlich lebendig geblieben sein.
Auf eine anfrage hat mir Mommsen, dem ich tili den wert-
vollen hinweis auch hier meinen dank ausspreche, die beruhigende
auskunft gegeben, dass die textüberlieferung des Johannes von
1 zuletzt hat sich dafür ausgesprochen MGoldschmidl Zur kritik der
altgerm. demente im spanischen (Bonner diss. lssT) s. 12, obwol gerade
die spanischen lehnwörter keine spur des umlauts aufweisen
174 HERIMAN
Gerunda (oder Joh.BicIarensis) wie des Victor Tonnouensis durchaus
auf spanischen hss. beruhe: 'die chronik des Johannes, 590 ge-
schriehen, ist wie manche andere stücke aus dieser spätesten
zeit durch weit weniger schreiberhände gegangen als ältere pro-
duetionen und m. e. viel sicherer überliefert als Cicero und Livius.
aufser dem cod. Madrid, univ. ur 134 saec. xm kommt eine kri-
tische bearbeitung der spanischen Chroniken durch Juan Bapt.
Perez (f 1597) in betracht, der neben jenem einen verlorenen
codex von Soria benutzte, die erstgenannte hs. liegt jenseit aller
emendation, wenn sie auch nicht sorgfältig geschrieben ist, und
kann mit voller Sicherheit zu gründe gelegt werden, sie ist es,
die an der fraglichen stelle herinam oder herinani liest, das Pe-
rezsche exemplar bietet hermam.' SCH.
NOCHMALS ZUM HILDEBRANDSLIEDE.
Martin erinnert Zs. 34, 280 daran, dass auf meine gliederung
der reden im Hildebrandsliede früher schon Konrad Hofmann ge-
kommen sei. vom text der Denkmäler und nicht von den an-
merkungen ausgehend übersah ich das, freue mich aber dieses
Zusammentreffens ebenso sehr wie darüber, dass Heinzel in seiner
Ostgot. heldensage zwar nicht 55 — 57, wie Martin sagt, aber
doch wenigstens 46 — 48 dem Hadubrand in den mund legt, im
übrigen verfahren Hofmann und Heinzel anders als ich und
denken sich auch den Zusammenhang anders, aber dass 57 dem
söhn gehöre, behauptet Martin, sei unmöglich wegen der worte
ibu du dar enic reht habes: 'der zweifei an der rechtmäfsigkeit
des kampfes kann nur von Hildebrand ausgesprochen werden.'
ganz ähnlich fasst Heinzel aao. s. 48 f den halbvers auf. allein
von recht und unrecht ist hier nicht die rede, sondern nur von
einem anrecht. mag Hildebrand oder Hadubrand die worte
sprechen, so können sie sich nur auf das unmittelbar vorher-
gehende beziehen, mit dem sie in demselben satze stehen und
worauf dar hinweist, in den versen
doli mäht du nu aodlihho, ibu dir diu eilen taue,
in sus he'remo man hrusti giwinnan,
rauba birahanen, ibu du dar enic reht habes
sind die beiden sätze mit ibu parallel, variieren nur nach epischem
stil den gleichen gedanken , und das recht ist das auf die beute,
welches der stärkere besitzt, wenn diese auslegung richtig ist,
so müssen wir es uns gefallen lassen, dass sowol der vater als
auch der söhn her genannt weiden, aber in den verschiedenen
bedeutungen, deren das wort fähig ist (Zs. 33,414).
Da ich einmal auf das Hildebrandslied zurückkommen muste,
will ich noch einiges hinzufügen , was sich mir bei weiterer be-
schäftigung damit ergeben hat.
NOCHMALS ZUM HILDEBRANDSLIEDE 175
Im ersten verse berief sich der dichter gewis auf mündliche
Überlieferung, er lautete daher vielleicht
Ik gihörta (tat seggen södfastero vvero filu.
Der schwierigen stelle 23 ff kann man doch wol nicht durch
so engen anschluss an die hsliche Überlieferung aufhelfen, wie
ihn Heinzel versucht, ich sehe ab von den sachlicben Schwierig-
keiten, die dadurch entstehen und die Heinzel nicht zu heben
vermag: auch äufserlich betrachtet hat hier der abschreibe!' sicher
Verwirrung angerichtet. schon nach hina wollte er Detrihhe
schreiben , dann hat er ummet tiuri statt ummet irrt gesetzt
und nachträglich verbessert, weiter hat er nach Wackeruagels
correctur miti in unti verlesen und endlich ist er, woran man
bei so vielen benachbarten irrtümern nicht wol zweifeln kann,
vom zweiten Detrihhe auf das erste abgeirrt und hat daher darbd
gistöntun widerholt, im übrigen darf man der hs. folgen, nur
mochte ich 27 her was streichen , womit der Schreiber nur ver-
versuchte zu einem vollständigen satze zu gelangen, nachdem er
das vorhergehende in Unordnung gebracht hatte, ich lese also
sid Detrihhe darbd gistuontun
fateres min es. dat was so friuntlaos man!
25 her was Otachre ummet irrt,
degano denchisto miti Deolrihhe,
eo folches at ente: imo was eo fehta ti leop.
wir werden so wenigstens ein her was los und vermindern in
etwas die eiuförmigkeit der zeilen 24 — 28 mit ihren dat was,
her was, imo was, was her.
Wird Hildebrand 24 ein verlassener, hilfloser mann genannt
(vgl. Heinzel aao. s. 44), so müssen die vielen degen in v. 19
Dietrichs sein, die ja auch 26 erwähnt werden , und das komma,
welches in den Denkm. hinter Theotrihhe steht, ist nach dem
Vorgang anderer herausgeber zu tilgen.
Der erste halbvers von 29 ni wdniu ih iu Hb habbe erscheint
mir im hinblick auf die Wendungen unter 'leben' in Sievers He-
liand s. 431 I so prosaisch nicht und der zweite könnte gelautet
haben an desemo Höhte f'ord. er findet seine stützen in dem
bei Sievers s. 407 oben zusammengestellten, vgl. ferner Hei. 4033
than ni uuari nu min bruolher dod, Lazarus fan theson Höhte,
ac hie mahti im libbian forth. 4113 lfb~es losan : thuo muosla
im libbian forth hei an hemon. meine ergänzung entspricht un-
gefähr dem von Heinzel s. 45 gewünschten 'länger auf dieser
well', doch gebe ich sie gern für eine bessere hin, wofür ich
allerdings «las matt nachschleppende min leober fater bei Möller,
Zur ahd. allitterationspoesie s. 93, nicht halte.
V. 31 ist die allitteration dütdinc, welche der lex! der Denkm.
durch eine Umstellung gewinnt, schwerlich zulässig, du trägt
keinen satzton und statt seiner etwa dana reimen zu lassen, gebt
deswegen nicht, weil dana (alts. than) schwächer betont ist, als
176 NOCHMALS ZUM HILDEBRANDSLIEDE
das darauf folgende adverbium. aber auch wenn man sich fester
an die hs. hält und mit Grein schreibt
dat du neo dana halt mit sus ndhsippan man
dinc ni gileüös,
bleibt das bedenken, dass neo im Hei. niemals allitteriert, selbst
nicht 3894 that thu nio sid aftar thius sundig ni uuerdes, wo
wir ihm unbedingt einen stab zuteilen würden, aber wir werden
doch diese abweichung von der strengeren regel, wie so manche
andere hinnehmen müssen, denn sonst könnte nur halt reimen,
was eine Veränderung von sippan in das minder treffende holdan
oder holdlican nach sich zöge.
37 ff schreibe ich
mit geru scal man geba infdhan,
ort widar orte, so imo se andsaco gihit.
du bist dir, alter Run, ummet spdher: [speru werpan.
40 spenis mih [mit dinem] wortum, wili mih [dinu nicht in der hs.]
man in 37 ist substautivum, noch nicht pron. indef., und des-
halb stelle ich es lieber an den anfang der zweiten halbzeile als
an das ende der ersten, im Hei. schliefst nicht nur die lang-
zeile gern mit einem hilfsverb, wofür Sievers Zs. 19, 51 f belege
gab, sondern auch die erste halbzeile. scal findet man an dieser
stelle 889. 1531. 1866. 2444. 3315. 4043. 4048. 4281. 4627.
4666.4774.4779, andere formen von sculan 1093. 1629. 1702.
1900. 1985. 3350. 3379. 3522. 3811. 4088. 4618.4821.4869.
4894. 5216. 5407. 5923. allerdings müste nun man den haupt-
stab tragen, aber es heifst auch 51 in folc sceotantero : scerita
statt in sceotantero folc. wegen der allitteration in 40 vergleiche
man 52 und Rieger in der Zs. f. d. phil. 7, 24. sie ist auch
hier nicht tadellos, doch mag der nebenreim wortum : werpan
die hervorhebung des verbums spenis über das substautivum
wortum entschuldigen, die einführuug des instrumentals und das
streichen des possessivums dünkt mich dem altertümlichen stile
des epos gemäfs. blofse instrumentale bietet unser gedieht an
der in rede stehenden stelle (speru werpan) und v. 2. 9. 34. 53.
63. 64. in v. 54 hat schon Lachmann mit gestrichen, ebenso
tilgte er iro v. 5. auch der sogenannte artikel weist im Hilde-
brandsl. nur auf etwas bekanntes hin. 6 dö sie tö dero hiltiu
ritun zu dem eben erwähnten kämpfe. 12 deödre die bekannten
anderen. 34 der chuning der bekannte und berühmte Hunen-
könig. 60 de mötti dieses zusammentreffen. 61 dero hregilo mit
hindeutender handbewegung, erläutert durch desero brunnöno be-
dero 62. aber die schilde 64 sind noch nicht erwähnt, sodass
ich dem lieber streiche, und hregilo ohne artikel wäre wol auch
vorzuziehen, stil- und obenein sinnwidrig kommt mir erdo 62
vor. die hregil schliefsen ja die brünnen ein und 62 ist nur
Variation von 61.
Berlin 25. 10. 90. MAX ROEDIGER.
SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND 177
SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND.
Orientalische tradition erzählt: eiust hielt der mächtige könig
Salomo heerschau über die vögel , er vermisste einen , den Wiede-
hopf1, nach anderen den auerhahn oder wilden bahn2, dieser
kommt, als der könig bereits sehr zornig ist, und meldet von
dem reiche Saba jenseits des meeres, dessen köuigin noch heidin
und Salomo nicht unterworfen sei. darauf bindet S. unter die
flügel des vogels einen brief, in dem die königin Balqis zur Unter-
werfung aufgefordert wird, auf diese botschaft hin kommt die
königin, und nachdem sie S.s Weisheit und wundertätigkeit er-
probt hat, bekehrt sie sich und wird seine frau. der wiedehopf
bekommt zur belohnung seine schöne federkrone3. in den legenden
der Mandäer ist es der vogel Simurg, der eine prinzessin auf S.s
befehl entführt4, unbestimmt wird nur von einem vogel im all-
gemeinen gesprochen in der apokryphen Apocalypsis Baruchi5.
Mittelhochdeutsche gedichte von SOswald erzählen0: 0., ein
mächtiger könig, will heiraten, ein piiger erzählt ihm von einer
heidnischen königstochter, namens Pauge7, jenseits des meeres.
ihr vater will sie selbst zur ehe nehmen und lässt daher jeden
boten der um sie wirbt umbringen, als auf einen passenden
boten weist der piiger auf den raben hin. der rabe erscheint
zögernd, zum lohne bekommt er eine goldene kröne. 0. bindet
ihm einen brief unter die flügel. über das meer fliegend wird
der rabe von einem meerweibe in die tiefe entführt und rettet sich
nur durch list. am hofe des heidenkönigs besiegt er diesen im
Schachspiel, die königstochter wird durch des raben botschaft
für 0. gewonnen, will sich von ihm entfuhren lassen, wenn er
1 Koran sure 27. Grünbaum Ztschr. der deutschen morgenl. gesell-
schaft 31, 211. 2 Geiger Was hat Mohammed aus dem judentume
aufgenommen? s. 186; Grünbaum Jüdisch -deutsche Chrestomathie s. 212.
3 Grünbaum Ztschr. der deutschen morgenl. gesellschaft 31, 208.
* Petermann Reisen im Orient n 110. 5 Jahrb. für protest. theologie
6,556. 6 meine nacherzählung beruht auf den beiden gedichten, dem
sogenannten älteren »und jüngeren Oswald, sie scheinen mir unabhängig
auf mündliche tradition zurückzugehn. eine dritte fassung, die quelle der
von Zingerle edierten deutschen und der nordischen prosa, erweist sich als
ganz belanglos für die sagenforschung durch ihre zusälze aus Beda, wie
durch ihre Übertragung der geschienten vom chrisem aus der legende vom hl.
Remigius, von der richtglocke aus der sage von Karl dem grofsen.
7 Pfeiffer Germ. 5, 165 anm.
Z. F. ü. A. XXXV. N. I . XXIII. 12
178 SALÜMOSAGEN IN DEUTSCHLAND
gewisse Wunderwerke vollbringe. sie sendet den raben mit
dieser botschai't und einem ring, der wunderbare eigenscbaften
bat, zurück, als er über das meer fliegt, fällt ibm der ring
hinein, den ein fisch verschlingt, ein fischer fängt den tisch,
in dem sich der ring findet. 0. fährt jetzt selbst in Verkleidung
über meer und gewinnt die königstochter.
Die Übereinstimmung scheint mir so grofs, dass ich in dieser
Salomosage die quelle für die sage von SOswald erblicke, soweit
sich dieselbe über die dürftige kirchliche legende hinaus ent-
wickelt hat. die Übertragung konnte leicht geschehn, nachdem
bereits die legende von O.s Werbung um eine heidnische königs-
tochter, die bekehrt wird, erzählte, doch finden wir in der
obigen nacherzählung ein mehr von zügen, die kaum auf willkür
der spielleute zurückzuführen sind, wir werden berechtigt sein
uns nach denselben ebenfalls in der Salomosage umzusehn.
Salomo bedarf des wundersteines Schamir oder Schamur1.
der böse geist Aschmedai in der jüdischen, Schachr in der arabi-
schen tradition, nennt den wiedehopf resp. auerhahn2, adler3,
raben4 als zur herbeischaffung geeignet, der vogel hat den stein
vom herru des meeres, dem er eidlich verpflichtet ist, anvertraut
erhalten.5 durch list wird er ihm abgenommen. Aschmedai
stürzt später S. vom thron, indem er ihm jenen ring, der die
weltherschaft verleiht, entwendet, einst fliegt A. über das meer,
der ring entfällt ihm und wird von einem fisch verschluckt, ein
fischer, bei dem S. mittlerweile dienste genommen hat, fängt den
fisch: S. erhält die weltherschaft zurück6.
Eine Vermischung der nachrichten von der Verschaffung des
Schamir und der königiu war leicht geschehn, und Aschmedai
drängte sich neben dem vogel in Salomos liebesgeschichte ein.
in der Oswaldsage erscheint das an zwei stellen, die ähnlichkeit
der gestalt des pilgers mit Morolt, dem deutschen Vertreter des
1 die schrift von NLGrundtvig Lösningsstenen, in der auch über den
Schamir gehandelt ist (vgl. FLiebrecht Litteraturbl. für germ. und rom. philo-
logie 1881 sp. 45 0) war m'r leider nicht zugänglich. 2 Grünbaum Ztschr.
der deutschen morgenl. gesellschaft aao., Wünsche Der babylon. talmud u,
1,179 ff. . 3 Grünbaum aao. 213. Bochard Hierozoicon (Leipzig 1796)
in 112. 843. 4 Weil Biblische legenden der Muselmänner 236.
5 Wünsche aao. 6 Wreil aao. 273; unausführlich Wünsche aao.
183; abweichend Grünbaum aao. 319, Jüdisch- deutsche Chrestomathie 449 ff.
Wünsche Ruth Rabba s. 79.
SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND 179
Aschmedai1, ist auch sonst schon aufgefallen, die ringsage konnte
um so leichter auf den vogel übertragen werden , als dieser selbst
in einem gewissen Verhältnisse zum meere stand und ein ring
und ein stein, die beide wunderbare eigenschaften haben, nicht
zu weit von einander entfernt sind, vollständig verdrängt hat
aber der dämon den vogel in einer anderen sage, in der die
gestalt der ägyptischen gemahlin Uönig Salomos mit der der
königin von Saba vermengt erscheint, der inhalt dieser sage,
soweit sie in den obigen Zusammenhang gehört, ist folgender:
Salomo entführt die tochter des heidenkönigs Pharao2 resp.
Cypriän3. sie knüpft ein liebesverhältnis an mit Före4 resp. dem
könig von Cypern5. da somit vater und liebhaber in verschie-
denen sagengestaltungen gleiche namen tragen, sind wir berechtigt,
ursprüngliche identität von vater und liebhaber anzunehmen:
die braut muss entfuhrt werden, weil deren vater sie selbst liebt.
Före entführt sie dem Salomo und sie muss jetzt wider ent-
führt werden, der europäische Vertreter des Aschmedai erweist
sich dabei hilfreich, er erscheint verkleidet am hole des heiden-
königs, erkundet die königin durch Schachspiel, bei welchem
ihm ein in einen ring verschlossener vogel hilft, als er verfolgt
wird, flüchtet er in das meer hinab, er kehrt wider, Salomo
geht jetzt selbst in einer Verkleidung hin und gewinnt die
königin zurück, sie wird ihm ein zweites mal entführt, wider
hilft der dämon, der sich diesmal an seine muhme, eine meer-
frau , um rat gewendet hat.
Den beiden besprochenen sagen sind zwei züge gemein, die
in der Salomosage bisher nicht nachgewiesen sind, der erste
ist die absieht eines blutschänderischen Verhältnisses zwischen
der braut und ihrem vater. gab die sage der ßalqis selbst anlass
dazu? die erzählung des Persers Bel'ami könnte etwa ein mis-
verständnis erlauben: '1a peri (ßalqis' mutter) dit, notre Separation
est inevitable, et eile disparut. le roi se consola avec sa fille,
qu'ü nomma Balqis'K doch dürfte sich der verbreitete sageuzug7
auch ohne erkennbares motiv hier angeschlossen haben.
1 Vogt Salman und Morolf s. lv, Weselofsky Archiv für slav. philologie
6,549. dass auchFöre = Aschmedai, verschlagt nichts: doppelheit dersagen-
figur, vgl. Vogt aao. xlii. 2 i Reg. 3, 1. 3 Salman 3. ' Salman 22 11.
5 Weselofsky Archiv für slav. philologie 6, 406. 6 Jahrb. für protest.
theologie 6, 566. 7 man denke an die weitverzweigte geschichle von
der geduldigen Helena, an die sage von Apollonius uam.
12*
180 SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND
Der zweite zug ist das Schachspiel, er dürfte etwa im
weisheitswettkampf mit der königin von Saha an die Salomosage
gefügt worden sein, vielleicht bezieht sich der Spervogelsche
spruch von dem Schachspiele des wolfs1 mit dem 'witzigen mann'
auf Salomo? wenn wir diesen spruch so auffassen, dass der
witzige mann einen wolf soweit abgerichtet hat, dass er mit ihm
schach spielen kann, dass dieser aber alles vergisst, was er ge-
lernt hat, im moment, wo ein widder vorübergeht — so hat
das eine wol nicht zufällige ähnlichkeit mit der bekannten er-
zählung von Salomo, der eine katze abrichtet ihm seine leuchter
zu tragen: als Markolf eine maus vorbeilaufen lässt, vergisst die
katze ihres auftrags, lässt den leuchter fallen und verfolgt die
maus, so macht auch Bertoldo die hunde des königs Salomo
durch losgelassene hasen ihres Wächteramtes vergessen'2, der
sinn aller dieser erzählungen ist, dass natur durch erziehung
niemals vollständig besiegt werden kann, naturam plus valere
quam nutrituram: diese moral wird in Salomonis et Marcolphi
dialogus ausdrücklich daraus gezogen, wenn wir diese entwickelung
annehmen , müste die schachspielscene von dem köuige auf dessen
boten übertragen sein.
Dass wir es in dem oben erwähnten Schachspiel, wobei ein
in den stein eines ringes verschlossener vogel hilft, nicht blofs
mit einem der gewöhnlichen kunststücke der spielleute zu tun
haben, sehn wir daran, dass dieselbe geschichte, und doch so
abweichend, dass das gedieht von Salman nicht die vorläge ge-
bildet haben kann , von könig Tirol erzählt wird, ihm hilft beim
Schachspiel, bei dem sein haupt zu pfände steht, der böse geist
Rleströnis, den er in gestalt einer fliege in den rubin seines
ringes verschlossen trägt. Aristoteles war es, der ihn in das
'glas' gebannt hat3, nach anderen hat dies der zauberer Zabulou
getan4, aus dem, was dann folgt, wie Virgilius den geist auf
dessen bitten erlöst, später ihn aber wider mit list verschliefst5,
sehen wir, dass wir es mit dem bekannten märchen vom geist
im glase6 zu tun haben, welches wider in letzter linie auf Salomo
1 MF 27, 20. JGrimm Reinhart fuchs cxcni; 349.
2 Dunlop-Liebrecht Gesch. der prosadichtungen 330a.
3 Wartburgkrieg 160 ff. 4 Reinfrit 21532 f. 5 Simrock
Wartburgkrieg s. 303. Reinfrit 21622 ff. 6 Germania 7,508. Laistner
Das rätsei der Sphinx i 113.
SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND 181
zurückgeht, der, nachdem er seinen thron wider gewonnen hat,
den aufrührerischen Aschmedai auf diese weise bestraft1.
Von der sage von könig Tirol und dessen söhn Fridebrant
wissen wir sehr wenig, der letztere ist jedenfalls die haupt-
person , sowol in dem uns fragmentarisch erhaltenen erzählenden
gedieht2 als in dem didactischen Zwiegespräch mit seinem roter.
seine länder werden angegriffen3, der vater gibt ihm nur guten
rat dazu: im Parzival tritt er gar nicht auf. im erzählenden ge-
dieht wird es wol schliefslich auf die erwerbung einer braut
hinauskommen4, half ihm dann der vater dabei, wie Morolt seinem
bruder Salman? ist das Schachspiel in diesen Zusammenhang zu
stellen? ist das Zwiegespräch nur eine ernste contrafactur oder
ein älteres Stadium jenes anderen zwischen Salomon und Mar-
kolf? hat der in Fridebrants diensten stehende Morholt5 nur der
erinneruog au die Tristansage den beinamen 'von Irlant' zu ver-
danken?
Wie hier ist es auch der vater, der als heller auftritt, in
der zwergensage des Ortnit. diese sage zeigt ihren selbständigen
Ursprung dadurch, dass wir in ihr bestandteile der Salomosage
treffen, denen wir bisher nicht begegnet sind. Ortnit wird von
seiner mutter angewiesen mit einem ringe, welcher macht über
die geister verleiht11, sich zu einem quell, der an einem berge
liegt, zu begeben, dort trifft er einen dämon in schlaf ver-
sunken, überwindet ihn und macht ihn sich dienstbar, dieser aber
gewinnt ihm den ring durch list ah, wird dadurch unsichtbar,
verspottet und quält ihn. dann gesteht er ihm, dass er seine
mutter einst beschlafen habe, er gibt ihm den ring zurück, sie
versöhnen sich, und der dämon hilft ihm hei der erwerbung einer
1 Weilaao. 273, vgl. die legenden von der hl. Margaretha und das Testa-
mentum Salomonis , Migne Patrol. graeca 122,1354. Rein fri t 21042 ff. Le-
sage Diable boiteux. 2 ed. JGrimm Ztschr. 1,7 ff. 3 MSH i 7b
Parz. 25, 2 ff. 4 Herlinde? Parz. 25, 5. könig Schiltungs tochter? ebend.
48,18. ein frauenname Velsiane, den Grimm in fragm. Ab finden wollte,
beruht vielleicht nur auf einem Schreibfehler, ich möchte vlesiane lesen,
was wie Vlesiant Lohengrin 47,5 (fehlt bei Lexer, vgl. pkesian Wartburg-
krieg 142, 2) zeigt, einen Kleiderstoff bedeuten muss. diese werden von
zwei riesen getragen, wie die [w]dt von nüweu [snitm] von zwei
elephanten. 5 Parz. 4<J,5. 67, 19 usw. ' ich miiett dir immer
dienert hiets du daz vingerlin Ortn. 143, 3. die ahnlichkeit, welche man
mehrfach zwischen der Ortnitsage und der von Huon de Bordeaux bat
finden wollen, scheint mir rein äufserlicher natur.
182 SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND
heidnischeu königstochter, jenseits des raeeres, die ihr vater
jedem freier verweigert, weil er sie selbst heiraten will, die art
seiner hilfe ist, wie schon öfters bemerkt worden ist, der des
raben im Oswald sehr ähnlich.
Auch der erste teil dieser sage geht auf die Salomosage
zurück wie der bereits besprochene zweite: S. erkundigt sich
nach Aschmedais aufenthalt. die dämonen weisen ihn an einen
brunnen, der an einem berge liegt, durch list versenkt S. den
geist daselbst in schlaf und bezwingt ihn dann durch die kraft
seines ringes, welcher die macht über die geister verleiht, durch
list gewinnt A. ihm diesen ring ab, nimmt dadurch die gestalt
des königs an und regiert an seiner statt, während dieser zeit
macht er einen versuch die mutter des königs zu beschlafen. S.
bleibt in bedrängter Situation, bis es ihm gelingt den ring zurück-
zuwinneu1. — die ähnlichkeit ist wol nicht zweifelhaft, an stelle
des gestaltentausches ist unsichtbarkeit getreten, wie in der Sieg-
friedsage.
Wie sich zu den orientalischen darstellungen das im Moriz
vCraon erwähnte gedieht Heinrichs vVeldeke verhielt, wissen wir
leider nicht, an der existenz desselben zu zweifeln2 ist kein
grund, nur muss man v. 1164 für das darynne der hs. nicht mit
Haupt da er inne lesen, sondern am ehesten, nach einer conjeetur,
die mir prof.ESchröder freundlichst mitteilt, darinne in. das schiff
des helden dieses gedichtes ist übrigens vielleicht selbst, gleich
anderen nach geschichtlichen berichten bei Umzügen verwendeten
prunkschiffen, nur eine nachahmung des schiffes des Salomo, wie
es in der Histoire du grand s. Graal beschrieben ist3, anderseits
erinnert dieses schiff, das zugleich ein wagen ist, allerdings an die
deutsche vorzeit4. in den letzteren vorstellungskreis gehören auch
das bett das zugleich ein wagen ist, das lit marveille5, anderseits
der wagen, der als bett benutzt wird, wie jener, auf dem Karl
Martell6 oder Karl der grofse7 oder die nachkommen der auf dem
1 Wünsche Babyl. talmud n 1, 180. 183. Weil aao. 235. 2 Be-
haghel Eneide s. clxxiii. 3 Archiv für slav. philologie 6, 587.
4 Myth.4 218; nachtr. 86. 5 Parz. 566, 16. Grestien 9070.
6 Cronica regum Francorum MG.SS. m214. Jean des Preis dit d'Outre-
meuse p. 350.617 (Corps de chron. liegeoises xi 2). 7 Chron. de Saint-
onges (bei GParis Hist. poet. de Charlemagne p. 225), Reali di Francia vi 13.
Berta de li gran pie 1132 (Romania m). Leken spieghel iv, xvii, 138. 139.
Deutsche Volksbücher s. xv. 17 (Litter. verein nr 185).
SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND 183
fehlzuge befindlichen ritter gezeugt werden1, wie ans der letzten
stelle, auf die mich prof. Heinzel aufmerksam macht, hervorgeht,
habeu wir es hier weder mit einem mythischen zugu noch mit
einer andeutung unehelicher geburt zu tun3 noch mit einer
blofsen erfindung behufs erklärung des uamens Karl4, vielmehr
wird man durch die Selbstverständlichkeit, mit der in diesem
falle die sache vor sich geht, an die alte Wagenburg erinnert, die
als wagen und wohnung zugleich dient.
Den bis hierher besprochenen grofsen sagencomplex können
wir nun nicht nur in seinem Zusammenhang in mehr oder minder
veränderter form in Deutschland nachweisen , sondern auch die
meisten seiner einzelneu teile.
Der rätselwettkampf mit der königin von Saba ist im ganzen
abeudlande sehr bekannt5, sie führt dabei immer den aus Jo-
sephus Ant. vm 6, 2 stammenden namen Nicaula: der name Pauge
unserer Oswaldsage könnte eine Umgestaltung und einzige spur
des namens Balqis sein.
Der erzählung vom weisheitswettkampfe mit der königin ist
es auch zuzuschreiben , wenn der Schamir teilweise allerdings,
der älteren tradition folgend, als stein6, teilweise aber auch als
wurm1 erscheint, antike tradition von der springwurzeh ist es,
wenn er ein kraut genannt wird9, in Jans Eneukels weltchrouik
ist er allerdings ein wurm, aber die gewünschte würkung wird
erst erzielt, wenn man das blut dieses wurmes mit einem kraute
mischt10, auch die vögel, die das Wunderding verschaffen, wechseln,
wie wir es schon im Orient bemerkt haben: es erscheinen der
1 Gui de Bourgogne p. 122 (Anciens poetes de France i).
- Feist Zur kritik der Berthasage s. 28. 3 GParis aao. 441.
4 Bajna, Ricerchj intorno ai reali di Francia p. 230. 5 W'Hertz
Ztschr. 27, 1 ff. 6 Zarncke Graltempel 38. Weselofsky Archiv für slav.
philologie 6, 52. 7 MSD2 375. Diemer Deutsche gedichte des 11 und
12jhs. anm. s. 44, und auch bei dem mittelalterlichen französischen bibel-
exegeten Raschi (Wünsche aao. i 220). 8 Aelian Historiae m 26.
1 üiinfiit 20951. 10 der betretfende abschnitt ist mir aus schwellhand-
schriften der Crist- herre-chronik bekannt, das blut des wurmes allein ist
das würksame mittel bei Vincentius Bellovacensis, Ilistoiia scolastica zu
in Regum 8, bei Gervasius und Albert dem grofsen. alle diese haben die
form thamir (thamur) für schamir, die englischen gesta Romanorum die
form thumare; vgl. Cassel, Schamir, denkschrift der academie in Erfurt 1854
s. 50 f. 77 f. die alternativa lhamur oder tamir haben Albert der grofse,
Thomas Cantimpratentensis, Konrad vMegenberg; vgl. auch Lexer n 140.
184 SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND
st r aufs1 und der specht2. die aulfassung als wurai hat nun
ihren grund darin , dass unter den aufgaben , die die königin von
Saba dem Salomo stellt, auch die erscheint, einen faden durch
einen diamant zu ziehen : er lässt die aufgäbe durch eine art
seidenwurm erfüllen3.
In manchen orientalischen quellen wird die abwesenheit des
die botschaft bringenden vogels auf folgende art bemerkt: über
dem teppich, auf dem S. seine wunderbaren reisen durch die
luft macht, müssen immer sämmtliche vögel, um ihn zu beschatten,
fliegen, er bemerkt nun ein sonnenstreifchen und erkennt daran,
dass ein vogel fehle4, ein adler5 oder eine taube6 schwebt auch
über seinem throne, um ihn vor der sonne zu schützen.
Mit bewustsein wird eine Übertragung dieser beschattung
durch vögel von Salomo auf eine künigin vorgenommen Wigamür
2697, wenn meine besserung der stelle richtig ist. die hs. liest
Das Saloman der weyse man War der frawen adler an: ich würde
vorschlagen als Salomon den wisen man wdt die frowen ein adler
an. etwas anderes ist es mit dem adler, der über Wigamurs
haupte selbst schwebt (ebenda 2710), dort ist dieser zug in der
erzahlung begründet: der autor wurde dadurch wol auf den ge-
danken gebracht, den erst erwähnten anzubringen.
Als die heidnischen boten zu Karl dem grofsen kommen, sehn
sie ihn in grofser herlichkeit dasitzen : sie sähen daz die adelaren
dar zuo gewenü wären daz si scate baren', und einige Zeilen
später heifst es: sit Salomön erstarp sone wart nie so gröz her-
scaft noh newirdet niemer meres. beides sind Zusätze des deut-
schen dichters gegenüber der französischen quelle, der zweite
zeigt, wie wir den ersten aufzufassen haben: als bewuste Über-
tragung von Salomo auf Karl, auch in sonstigen sagengeschicht-
lichen quellen hat ja eine solche stattgefunden9, mit recht wurde
1 Vincentius Bellovacensis (Bochard Hierozoicon m 843), Jans Enenkel,
Historia scolastica, Reinfrit aao. 2 Laudiert Geschichte des physiologus
39.143; vgl. Musaeus Volksmärchen: der Schatzgräber. 3 Weil aao. 263.
4 ebenda 246. 5 Wünsche Midrasch zum buche Esther s. 81.
Grünbaum Jüdisch-deutsche Chrestomathie 206. 6 Wünsche aao. s. 15.
7 Konrads Rolandslied 21, 20 ff. 8 ebenda 22, 6 ff. 9 Tur-
pin cap. xx, Aretin Älteste sage über die geburt und Jugend Karls des grofsen,
München 1803, cap. 4. 5. Konrad überträgt auch sonst züge von Salomo
auf einen von ihm verherlichten mann (MSD2 378. Golther Rolandslied
s. 149).
SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND 185
schon von anderen Seiten Bartschs1 auffassung, als liege blofs ein
misverständnis der entsprechenden französischen stelle vor , abge-
lehnt2, wenn auch mit ungenügenden gründen; denn an eine
deutsch-mythologische erklärung3 ist dabei nicht zu denken, eher
wäre solches möglich bei den vielen metallenen adleru, die. wir als
auf zelten , dächern usw. angebracht erwähnt linden; die analogie
mit den eberhelmen könnte dazu verleiten : aber welchem gott
war der adler nachweisbar so geweibt, wie der eher dem Freyr?
wenn es von einem solchen adler irgend einmal lieifst als ob er
lebete, so ist das ein ganz natürliches lob auch unbeweglicher
kunstwerke, manchmal vielleicht aucb als eines der mechanischen
kunststücke der spielleute zu lassen, ähnlich wie die singenden
vögel im Wolfdietrich uä.
Zum zwecke des bescbattens tliegt ein adler auch über dem
hl. Servatius4, fliegen 10 adler über der königstochter im Oswald5.
zu verändertem zweck, um vor dem regen zu schützen, in den
legenden der hhl. Bertulpbus6 und Medardus". unklar ist es,
ob wir es bei dem adler, der über dem Schenktisch im palaste
des Xerxes schwebts, mit einem lebenden oder einem künstlichen
adler zu tun haben.
An stelle der adler sind pfauen getreten in der sage von
Hilde9 und in Strickers Daniel von Blumental10, dessen babidne
der ganzen beschreibung nach nichts anderes sein können, obwol
die wortform Schwierigkeiten macht: vielleicht liegt eine Ver-
mischung von pavones und papiones vor11.
1 aiini. zur stelle; Über Karlmeinet s. 102. zuzugeben ist allenfalls,
dass ein misverständnis des französischen verses Konrad zu der Über-
tragung angeregt hat. 2 Berger ßeitr. 11, 369. Gollher Das Ro-
landslied 145. 3 Myth.4 527. 948. Berger aao. 4 AASS mai
m 215. 5 Olmützer hs. 6 AASS februar i 679. 7 AASS juni
ii 87 ff. 8 Pseudocallisthenes in 28. ESchröder macht mich auf
diese stelle aufmerksam, die ganze Schilderung beruht auf einer nach-
ahmung des thrones Salomos, vgl. Zacher Pseudocallisthenes 171; die
hier citierte schritt von Cassel ist mir leider unbekannt geblieben, die
erzählung von der dort befindlichen cither, die ohne berührung durch
menschenhand tönt, geht vielleicht zurück auf die von der über Davids
bette hängenden harte, auf der täglich um mitternacht der nordwind spielte
(Wünsche Bab. talm. i 4. 5). 9 Thidrekssaga cap. 236; vgl. Edzardi
Untersuchungen über das spielmannsgedicht von Süswald 20. JGrimm
Lat. gedichte des 10 und tljh.s s. 385. 10 Karl ed. Bartsch s. x. \i. \n.
xxvii. u vgl. papiones quos appellant uns silvestrei Osterr. viertel-
186 SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND
Verwandt mit der eben abgehandelten ist die sage, wonach
S. einen adler herbeiruft, um die leiche seines vaters David vor
den strahlen der sonne zu schützen1, schon in jüdischer tradition
ist dieser zug auf die leiche eines anderen heiligen mannes über-
tragen worden2, das abendland ist bereits im 6 oder 7jh. diesem
beispiel gefolgt3.
Über die Vertreibung Salomos durch Aschmedai ist bereits
mehrfach gehandelt worden4, ob der in deutschen märchen
häuüg erscheinende zug, dass elfen und zwerge an ihren vogel-
füfsen erkannt werden, auf orientalischer tradition5 beruht, möge
dahiu gestellt bleiben.
Vielleicht gehört auch die Faustsage nach abzug des histo-
rischen und mutatis mutandis in diesen Zusammenhang, die
disputationen mit Mephisto im volksbuche erinnern sehr an die
Salomos mit dem geiste6. der name Mephostophiles ist aller-
dings vielleicht ad hoc präpariert, aber der des geistes Auerhahn",
den Faust seinen schülern hinterlässt, gemahnt doch auffallend
an den dienstbaren vogel der Salomosage. der zauhermantel, auf
dem F. drei grafen mit sich führt8, entspricht dem teppich,
mittels dessen Salomo sich und seineu bofstat befördert, hier
wie dort wird ein dämonisches weib verschafft, hier wie dort
verschwindet ein kurz vorbei* geborenes kind auf wunderbare
weise9, der streit der geister um den vorrang an Schnelligkeit
beim anbieten ihrer dienste im Puppenspiel entspricht dem streit
um den vorrang an Schnelligkeit, als es sich um die Verschaf-
fung des thrones der königiu von Saba handelt: ein geist will
ihn bis zur mittagszeit schaffen, Assaph dagegen so schnell, als
Salomo seinen blick hebe und senke10, freilich kann hier Crei-
zenachs nachweisen zu folge nur von mittelbarem zusarnmen-
jahrsschrift für kath. theologie 5, 276. über die endung -iän vgl. Heinzel
\VSB117,78. Weselofsky Archiv für slav. philologie 6, 573. l Wünsche
Ruth Rabba 27. 2 Wünsche Babyl. talmud n 2,101. 3 AASS juni
ii 1025 ff. 4 RKöhler Germania 2, 431. Vogt Salomon und Morolf
i 213. 5 Wünsche aao. n 1, 183. die reine Pedauque, das ist doch wol
die königin von Saba [Ztschr. 27, 23], hat gänsefüfse, die orientalische tradition
weifs von eselsfüfsen; Weil aao. 267. da auch das altertum bocks- und
pferdefüfsige naturgeister kannte, so ist die annähme einer Übertragung
wenigstens nicht notwendig. 6 Vogt aao. liii ff. "' Volksbuch
ed. Braune cap. 61. 8 aao. cap. 37. 9 Hammer Rosenöl i 213.
10 Weil aao. 265.
SALOMOSAGEN IN DEUTSCHLAND IST
hange die rede sein, die Verwandlung der von F. verkauften
pferde und schweine in strohbündel, im momente als sie ans wasser
getrieben werden1, beruht wenigstens auf orientalischer tradition :
der von einem Ägypter verkaufte esel wird unter denselben um-
ständen in ein brett verwandelt2.
Selbständig rindet sich die einleitende vogelbotschaft ziem-
lich übereinstimmend in verschiedenen märchen3 wider, wie
thron und tempel Salomos ist auch sein grab im Oriente sagen-
umsponnen4: ein schwacher nachklang davon ist es vielleicht,
wenn er in Deutschland nach dem muster einheimischer helden
in den hohlen berg versetzt wird5, romauischer vermittelung
endlich verdankt das deutsche mittelalter die mit der S.sage zu-
sammenhängenden sagen von Virgil und von Cliges6.
1 Volksbuch cap. 39. 43. 2 Wünsche, Babyl. talmud n 3, 115.
3 HCosquin Contes populaires de la Lorraine i 48 4 de Goeje
De reizen an Sindebaad (De Gids 1889, s. 291). 5 nachweis von
ESchröder: FXvSchönwerth , Aus der Oberpfalz m 354 und 355.
6 GParis La litt, franc. au moyen äge 84.
Wien, im Juli 1890. S. SINGER.
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN.
I
Erinnerung 156 ff wird die frage aufgeworfen 'swenne des
briesters hant wandelt gotes lichnamen, sol si sich danne nicht
zamen von wiplichen umgriffen?' die antwort darauf lautet 175 ff:
'ez sul got missecemen daz wir der misse verneinen.' nicht nur
dass solche priester (188 f), die ir christenlichen anthäiz mit
andern gehäizzen habent gemeret, verdammt sind, sie bringen auch
nach dem worte der schrift (256 0 'swd ein blinde dem anderm
git geläite, da vallent si be'de in die grübe', die ihrer seelsorge
anvertrauten zur Verdammnis (261 f). 'die blinden sint die boesen
lercere die die verworchten hoercere mit in läitent in den ewigen val.'
Der Verfasser der Erinnerung steht also durchaus auf dem
standpuncle, den Gregor vu und nach ihm Urban n und Inno-
cenz ii vertreten haben, dass des nikolaitischen priesters messe
ungültig sei und deshalb der laie sie nicht hören solle.
Der wolgefügte Zusammenhang dieser scharf und klar aus-
gesprochenen auffassuug wird nun mit vers 181 — 186 durch einen
188 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN I
lehrsatz durchbrochen , welcher das gerade gegenteil verficht:
swd aber daz gotes wort unt diu gewihte hant ob dem. gotes tische
wurchent ensant, dd wirt der gotes lichname(n) in der misse von
einem sundcer so gewisse so von dem häiligistem man der briester-
lichen namen ie gewan. beide hier unvermittelt und ohne urteil
neben einander gestellte ansichten sind, zu verschiedenen Zeiten,
von der kirche als dogmen betrachtet worden; dass sie einander
völlig widersprechen und ausschliefsen, leuchtet ein. darf man
dennoch den dichter der Erinnerung, dessen werk weit entfernt
ist von planloser aneinanderreihung verworrener gedanken, solcher
gedankenlosigkeit für fähig halten? ich verneine es auf das ent-
schiedenste, der mann , welcher die messe der Nikolaiten als
verderben bringend verwirft, kann sie nicht zugleich als gültig an-
erkennen und damit den zuhörern , die von spitzfindigen dogmen-
unterschieden nichts wissen , zu empfehlen scheinen, die verse
181 — 186 müssen interpoliert sein, dann aber kann der dichter
(es sei denn, dass man unzweifelhaft nachzuweisen vermöchte,
er habe seine anschauung von grund aus geändert) auch nicht
in einem anderen werke , in welchem er das gleiche thema be-
handelt, diejenige ansieht mit eifer verfechten, welche er dort
mit demselben eifer verworfen hat; kurz: der dichter der Erin-
nerung kann nicht auch das Priesterleben verfasst haben.
Eine betrachtung der entsprechenden stelle im Prlb. wird
das bestätigen. 253 ff werden der nikolaitische und der simoni-
tische priester vorgenommen und ihnen für ihren sündhaften
wandel gottes Strafgericht verheifsen. wie aber, so fährt der
dichter 367 ff fort, ist die Stellung der laieu zu solchen priestein?
hier muss die ansieht vieler laien , dass die messe des schlechten
priesters unrein sei , bekämpft werden , denn 'daz ist ein groez-
lichiu mdine'. gott selbst wird dadurch beschulten, da ja damit
nichts anderes gesagt würde, als dass gottes wesen durch den
armseligen menschen gebessert oder verschlechtert werden könnte:
375 wer wa>r der got gelochte, den dehäin armer mensch möchte
geboesern oder gibezzem an sinem leben? das wunder der Ver-
wandlung in leib und blut Christi geschieht allein durch den
segen (380 die toufe unt gotes lichnamen machet nicht wan der
segen). wer in Sünden das sacrament spendet, der verurteilt
sich selbst, aber die würkung des sacramentes ist dieselbe, ob
es von einem guten oder bösen priester kommt (386 swaz aber
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN I 189
ze dem ewigem haue gendden uns da von chomen sol , daz ist als
statte unt als tool von dem ubelen sam von dem besten), deshalb
soll sich der laie nicht um die person des Spenders kümmern
(382 wir sulen nicht vorsehen umb sin leben, der daz ampt da
für bringet), wenn dieser nur die weihe hat, die allein zur
würkung ausreicht (421 von diu solt uns sin wihe sin gewizzen-
lich, so weere sin ampt nicht ungewislich).
Oh der priester das amt hat, des gebent die urchunde die
under den ph äffen der mäisterschaft phlegent: daz megen die läien
xeol vertragen, wan si sin anders chunde nicht mngen haben (423 ff),
des dichters meinung entspricht genau den Worten in einem
decrete Nicolaus ii: de presbyteris vobis, qui laici estis, nee iudi-
candum est, nee de vita eorum qnidquam investigandum , sed epi-
scoporum iudicio, quidquid illud est, reservandum. sumite ab omni
sacerdote intrepide Christi mysteria, quoniam omnia in fide pur-
gantur (mitgeteilt in Gerhochs Dialogus de differentia cler. saecul.
et regul. Migne 194,1394). diese ansieht wurde dann, nachdem
Gregors und seiner nachfolger rigorose bestimmungen wegen der
damit verbundenen gefabr für die macht der kurie sich als un-
ausführbar erwiesen, allmählich wider von der kirche als allgemein
gültig angenommen und war seit ungefähr der mitte des 12 jbs. un-
bestrittenes dogma.
Die von dieser grundverschiedene Stellung der Erinnerung
zu der frage ist evident, ihr dichter gibt dem laien keine be-
lehrung, wie er sich dem nikolaitischen priester gegenüber zu
verhalten habe, er ruft vielmehr das laienurteil an: sprechet wel-
ker räinichäit er bedürfe (173)? und die aus der angerufenen
menge erschallende antwort ist: dar umbe heb wir uns ze rüffe
unt sprechen ez sul got missecemen daz wir der misse vernemen
die wir so nicht sehen leben, . . . als si von rechte solden: dar umbe
si wir in erbolgen. dem satze des Priesterlebens 421 f von diu
solt uns sin wihe sin geicizzenlich , so weere sin ampt nicht unge-
wislich widersprechen auf das schärfste die worte Erinnerung
55 ff chrislenlicher orden der ist harte erworden: s u m lieh h a h e n t
den namen dn daz ambet.
Im Priesterleben hält ein orthodoxer priester , der der macht
des priestertums nichts vergeben will, seinen standesgenossen ihre
Sünden vor, verwehrt den laien aber jedes urteil, in der Erin-
nerung klagt ein geistlicher, dessen frommer glaubenseifer es
190 ERINNERUNG UNI» PRIESTERLEBEN 1
mit der Gregorianischen strenge hält, den verkommenen priester-
stand öffentlich an und lässt laien darüber zu gericht sitzen.
Den Widerspruch, in welchem Erinnerung 175 ff mit Prlb.
367(1 steht, hat Heinzel auch hervorgehoben (s. 21), aber er
gibt nur den schein eines Widerspruchs zu, 'da ja in der Erin-
nerung vorausgesetzt wird, man wisse um die Sünden des priesters,
im Priesterleben ihnen nachzuspüren verboten wird.' ihm stimmt
zu Ottomar Lorenz, Heinrich von Melk, der Juvenal der ritterzeit
(Halle 1886) s. 38 f. aber der gegensatz, in welchen hier Heinzel
die worte 'wissen' und 'forschen' zu setzen sucht, ist dogmatisch
gar keiner, von der kirche ist er niemals gemacht worden, wenn
in dem oben erwähnten decrete Nicolaus ii den laien verbietet
über das leben der geistlichen zu forschen , so geht aus dem
folgenden satze hervor, warum er es verbietet, nämlich nur
weil ein solches forschen, dessen resultat für den communicie-
renden laien völlig gleichgültig sein konnte, geeignet war, die
würde und das ansehen des priesterstandes in den äugen der
laien herabzusetzen, wer aber den satz aufstellte, dass das sacra-
ment des unzüchtigen priesters dem empfänger nichts nütze, wer
wie Gregor sogar den laien zur mitwürkuug an der reform des
clerus heranzog, der konnte ihm auch nicht den weg verlegen,
auf dem er zur kenntnis von der unsittlichkeit des priesters ge-
langen konnte, deshalb wird auch von keinem concil, das das
messehören bei nikolaitischen geistlichen untersagt, dem laien
verboten, über das leben der geistlichen nachforschungen an-
zustellen, capitel 5 des concils von Rheims (1131) bestimmt:
Ad haec praedecessorum nostrorum Gregorii vii, Urbani et Paschalis
Romanorum pontificum vestigiis inhaerentes praecipimus , ut nullus
missas eorum audiat quos uxores vel concubinas indubitanter habere
cognoverit (Mausi 21, 459). im concil von Lültich (1131) sta-
tuilur uxorati presbyteri missam nemini audiendam esse (Mansi
21,475). art. 8 des Londoner concils (1138) lautet: Sanctorum
patrum vestigiis inhaerentes presbyteros, diaconos, subdiaconos
uxoratos aut concubinarios ecclesiasticis ofßciis et benefeciis priva-
tum: ac ne quis eorum missam audire praesumat , apostolica aucto-
ritate prohibemus (Mausi 21, 512). nicht anders, nur schärfer,
hatte sich auch Gregor ausgesprochen, in einem breve vom
jähre 1079 an die deutschen und italienischen bischöfe, das
Berthold von Reichenau in seinen Annalen mitteilt (MG. SS.
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN I 191
v 317) heilst es: Si qui sunt presbiteri diaconi vel subdiaconi,
qui iaceant in crimine fornicationis , interdicimus eis ex parte
omnipotentis Bei et auctoritate SPetri introitum ecdesiae, usque
dum poeniteant et emendent. si qui vero in peccato suo per-
severare maluerint, nullus vestrum officium eorum auscultare prae-
sumat, quia benedictio Ulis in maledictionem vertetur et oratio in
peccatum. wir sehen, von einem verböte der nachforschungen
ist keine rede, nur muss, wie das Rheimser concil sehr natür-
lich verlangt, das vergehen des priesters unzweifelhaft sein, wie
er aber die unzweifelhafte Sicherheit erhält, das bleibt ganz dem
laien überlassen.
Es kann sonach auch Heinzeis ansieht über den gegensatz
zwischen forschen und wissen nicht richtig sein, nicht 'an-
scheinend' ist der Widerspruch zwischen Erinnerung und Priester-
leben, sondern unverkennbar und unversöhnlich, der unterschied
in der auffassung beider gedichte besteht keineswegs darin, dass
in der Erinnerung von offenkundiger Unzucht, in dem Priesler-
leben von dem verdachte einer solchen gesprochen wird, sondern
darin, dass in jener die messe offenbar unzüchtiger priester ver-
boten, in diesem die messe offenbar unzüchtiger priester erlaubt
wird, wo letzteres der fall ist, da ist aber auch das forschen
nach dem leben der priester, als für den laien bedeutungslos,
für die kirche aber bedenklich, zu untersagen, wie es von Niko-
laus geschehen ist.
Das unpassende der verse Erg. 181 — 186 hat auch Wilmanns
gefühlt und sie darum als einschub aufgefasst. da aber auch
für ihn der dichter von Erinnerung und Priesterlebeu dieselbe
person ist, muss er folgerichtig ebenso die stelle des Priester-
lebens, in weicher jene verse widerholt werden, für interpoliert
halten, er scheidet deshalb gleichfalls Prlb. 367 — 436 aus. seinem
urteile, dass diesen versen die lebendige beredsamkeit fehle, die
sonst in diesen gedienten heischt, dass der ausdruck undurch-
sichtig sei und die lose aneinanderreihung der sätze unsicheren
gedankeugang verrate, kann ich mich nicht anschliefsen ; ich würde
dies urteil höchstens erklärlich finden, weun VV. an die fragliche
partie nur den mafsstab der Erinnerung gelegt hätte, mit der
darstellung des Priesterlebens steht sie meines erachleus weder
äufserlich noch inhaltlich in Widerspruch.
Aber, so lautet der hauptrin\wii T, wenn die verse Prlb.
192 ERINNERUNG UND PH1ESTERLEBEN I
367 — 436, in welchen der dichter mit den vvorlen als ich in
vor gesaget hän sich ausdrücklich zu dem gleichlautenden satz
181 — 186 in der Erinnerung bekennt, nicht interpoliert, sondern
echt sind, dann müssen auch jene verse in der Erinnerung echt
und diese selbst von dem dichter des Priesterlebens gedichtet
sein, so einfach und unanfechtbar diese folgerung zu sein scheint,
sie ist doch trüglich. wäre sie richtig, so müste vor allen dingen
feststehen, dass die beiden dichtungen ein einheitliches ganzes
hauen bilden sollen , in welchem die Erinnerung gewissermafsen
der erste teil gewesen wäre, denn auf ein irgend einmal früher
von ihm verfasstes gedieht hätte der Verfasser nicht in dieser un-
bestimmten form verweisen können, ohne dem publicum gänzlich
unverständlich zu bleiben.
Man hat sich nun freilich, vorzüglich durch Heinzeis aus-
gäbe verleitet, daran gewöhnt, die beiden dichtungen in dieser
folge in Zusammenhang zu bringen, und sie findet scheinbar ihre
bestätigung in der handschrift, worin dem Priesterleben die Erin-
nerung, allerdings nicht unmittelbar, vorausgeht, in der tat aber
ist die umgekehrte folge die ursprüngliche.
Am ende des Priesterlebens steht als rubrum: daz buch
heizzet daz gemeine leben, woraus ersichtlich ist, dass der Schreiber
des Priesterlebens das gedieht 'vom gemeinen leben', also die
Erinnerung, nach dem Priesterleben abschreiben wollte resp.
abgeschrieben hat. mit grund glaubte daraus Scherer (Zs. f.
d. öst. gymn. 19, 577) auf eine verlorene zweite handschrift der
Erinnerung schliefsen zu dürfen, und liefs die Vorstellung frei,
dass auch in unserer hs. auf dem 13 quaternio, welcher aus-
geschnitten ist, der Erinnerung das Priesterleben vorangieng.
beide Vermutungen werden nun durch Hugo Herzogs mitieilung
Anz. xv 217 bestätigt, nur mit der einschränkung, dass die er-
schlossene zweite hs. der beiden gedichte mit der uns erhaltenen
identisch ist. Scherers annähme, dass die 5 biälter des Priester-
lebens von anderer band geschrieben seien, ist unrichtig; Herzog
hat erwiesen, dass diese blätter mit der abweichenden Signatur
der erhaltene rest der 20 blätter sind, welche vor der Erinnerung
ausgeschnitten sind, das rubrum hinter dem Priesterleben be-
zieht sich also auf unsere niederschrift der Erinnerung, so wird,
was vor dieser entdeckung schon sicher schien, nur bestätigt,
nämlich dass die ursprüngliche anordnung der gedichte, soweit
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN I 193
wir sie überhaupt verfolgen können, Priesterleben -Erinnerung
war. da somit in der Überlieferung jeder anhält dafür fehlt, im
Priesterleben anspielungen auf die Erinnerung voraussetzen zu
dürfen, so sehen wir uns dazu gedrängt, im Priesterleben selbst
nach einer erkliirung zu suchen, und eine solche bietet in der
tat keine Schwierigkeit, sie liegt vielmehr recht nahe, die verse
396 ff sind eine nochmalige eingehendere erläuterung der ge-
dauken, welche der dichter von v. 369 ab entwickelt, speciell
eine Umschreibung der worte 386 ff swaz aber ze dem ewigem
häile gendden uns da von chomen sol, daz ist als stcete unt als
wol von dem ubelen sam von dem besten, auf sie greift der
dichter zurück: 'wenn ihr meine vorhergehende auseinander-
setzung recht verstehen wollt, so seid versichert, dass, wo gottes
wort und geweihte hand usw.' etwas schwerfälliger wird so die
redeweise des dichters, wenn sie äufserlich sich auch in nichts
ändert, aber die Schwerfälligkeit ist eine folge des strebens nach
allgemeinverständlichkeit, die belehrung der laien liegt ihm um
so mehr am herzen, je mehr sie durch seine ganze strafrede über
den priesterstand zu der ansieht verleitet werden könnten, er
teile den standpunet vieler über die Verwerflichkeit der durch
schlechte priester verrichteten gottesdienstlichen handlungen. da-
her die übermäfsige breite in diesem abschnitte und die wider-
holung desselben gedankens in anderer form.
Für unsere erklärung des verses 396 des Priesterlebens sprechen
nun auch ganz analoge beispiele in anderen gedienten, einmal in
der Erinnerung 977 ff: als wir davor haben gesprochen: weer dem
tivel sin recht an im zebrochen, daz er uns nicht möchte geschaden, so
solde wir doch die minne haben zuo dem obristem riche. Heinrich
erinnert mit diesen worten an seinen ausspruch 913 ff: habe ditz
ze einem spelle , daz der tivel oder diu helle uns nach disem Übe ich
mugen geschaden. die andere zutreffende stelle findet sich in der
Warnung, da heifst es 2541 ff: wer sich ehre auf erden er-
werben will, der muss gar manche bequemlichkeit entbehren
und heifs ringen, wen sollte also mühseliger kämpf von der
erwerbuug der himmlischen ehre abschrecken , die doch weit be-
ständiger ist und zugleich auch irdische ehren einbringt? darum
(2591) vle'get got dar under alle zit , diu werlt tu vollen Ion gif
aller tugentlichen sinne: so kumt iu ze gewinne ir e're, swd ir si
weit, an diese entwickeluug knüpft 2601 in derselben weise an,
Z. F. Fi. A. XXXV. N. F. XXIII. 13
194 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN 1
wie diefs Erinnerung 396 geschieht: swaz ich iu vor hdn geseit,
ob iuch der muot dar zuo treu daz ir ere minnet mit die gerne
gewinnet, nu sehet wd ir daz liep ist, daz ir den heiligen Krist
in dem herzen habt ze minne mit allem iurem sinne , mit e'rt iuch
immer dester baz daz ir gote lobet etewaz.
Nachdem so das augenfälligste beweismoment für die identität
der dichter in Wegfall gekommen ist, empfiehlt es sich, ehe die
weiteren gründe geprüft werden, zu sehen, wie sich die forschung
zu der frage gestellt hat. der erste, der sich darüber äufsert, ist
Haupt, aber er hat nicht, wie Koberstein-Bartsch l6, 261, 33 und
Rödiger Zs. 19,285 sagen, das Priesterleben dem Heinrich von
Melk zugesprochen, seine worte (Altd. blätter 1, 237) lauten:
'ob dieses bruchstück (das Priesterleben) von dem Heinrich her-
rührt, der vor dem jähr 1163 von des tödes gehügede dichtete,
werde ich bei der herausgäbe dieses bisher nur teilweise ge-
druckten gedichtes zu erörtern haben.' vorsichtiger kann man
sich nicht ausdrücken, wäre Haupt seiner sache sicher gewesen,
so hätte er schwerlich von 'erörtern' gesprochen und gewis kein
zweifelndes 'ob' gebraucht, in dem 'ob' scheint mir zu liegen,
dass Haupt auf gelegentliche mündliche erörterungen über die
gedichte rücksicht nimmt, oder auch auf eigene noch nicht zu
völliger klarheil durchgedrungene Untersuchung hindeutet, dabei
aber eher der meinung zuneigt, dass trotz den leicht hervor-
zuhebenden berührungen schwere bedenken gegen die identität
obwalten, und darum mag er auch schliefslich von der ver-
sprochenen herausgäbe und weitereu Untersuchung abgestanden
sein, um so mehr als die frage nicht durch kritische erörterungen
allein zum abschlusse gebracht werden konnte, sondern kirchen-
geschichtliche Studien erforderte, die, soweit ich erkennen kann,
Haupts arbeitsfelde ferner liegen, was hätte ihn, der sich später
noch mehrfach mit den gedienten dieser hs. beschäftigt hat, sonst
abhalten sollen, seinem versprechen nachzukommen?
Wilhelm Grimm hat in der Geschichte des reims s. 40, wo
er die Erinnerung mit der Litanei vergleicht, das Priesterleben
nicht mit in seine betrachtung gezogen, würde er es bei der
augenfälligen ähnlichkeit im reimgebrauch unterlassen haben, wenn
er von der identität der dichter überzeugt gewesen wäre? Wacker-
nagel hält es nur für wahrscheinlich, dass die beiden gedichte
von einem Verfasser herrühren, der erste, welcher diefs für
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN I 195
sicher ansieht, ist Diemer. er äufsert sich (Kl. beitr. 15, W'SR
18,255) wie folgt: 'wir wollen hier von dem geiste, welcher das
ganze durchdringt, von dem inhalte, welcher in beiden dichtungen
genau zusammenstimmt, dann von denselben gedanken, welche
in beiden oft fast mit den gleichen worten widerkehreu , wie zb.
Pfaffenl. 592 mit Gehiigde 121, 122; Pfaffenl. 279 IT mit Gehügde
161 — 168; Pfaffenl. 11,37, 130 mit Gehügde 246 — 263 nicht
weiter reden, sondern weisen nur auf die stelle hin Gehiigde
v. 181 — 186, auf welche sich der Verfasser im Pfaffenl. 395 aus-
drücklich mit den worten beruft, ob ir in der rede recht wellet
enstdn, als ich iu da vor gesaget hdn, und dann die 6 verse
397 — 402, auf die er sich bezieht, mit denselben worten wider
hersetzt, nach dieser ausdrücklichen bemerkung, dass er jene
rede früher gesprochen habe, wenn man sich derselben noch
erinnern wolle, kann man doch wol mit Zuversicht schliefsen,
dass es nicht blofs, wie man bisher meinte, wahrscheinlich,
sondern fest und gewis sei, dass das Pfaffenleben auch von dem-
selben Verfasser herrühre.' von nun an gilt es für entschieden:
Erinnerung und Priesterleben sind von 6inem Verfasser, die frage
wird von Heinzel und allen , welche sich nach ihm mit den ge-
dienten beschäftigt haben, überhaupt nicht mehr aufgeworfen,
sondern wie selbstverständlich als gelöst betrachtet1, einen zweifei
hegt selbst Wilmanns nicht; er hätte freilich damit seiner hypo-
these auch allen und jeden boden entzogen, denn mit zwei
ungarischen poeten auf einmal die deutsche litteratur zu be-
reichern, das würde doch des guten zuviel geworden sein.
Den punet, woraus es Diemer als fest und gewis hervor-
geht, dass Erinnerung und Priesterlehen von demselben Verfasser
herrühren, habe ich oben ausführlich besprochen, wenn man
meiner beweisführung beipflichtet, dann ist nicht nur festgestellt,
dass Prlb. 396 sich auf die kurz vorhergehenden worte desselben
gedichtes bezieht, sondern es tritt damit für die nachträgliche
einschiehung der verse Erinnerung 181 — 186, die schon aus
anderen Ursachen als eine notwendige annähme erschien, ein neuer
ausschlaggebender grund hinzu, befreit von diesem irreführenden
1 nur Goedeke Grundr. 1-, '61 widerstrebt der gleichsetzung des verf.s und
auch Zarncke scheint zu zweifeln, wenn er Gentralbl. 1868,500 sa^l: ver-
gebens sucht man nach einer klaren erörterung der Überlieferungsfrage, nach
einer erörterung der Zusammengehörigkeit der beiden gediente.'
13*
196 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN I
satze aber lässt die Erinnerung Diemers ausführung von dem
gleichen geiste, welcher das ganze durchdringt, und dem inhalte,
welcher in beiden gedienten genau zusammenstimmt, nur in
so weit bestehn , als dasselbe thema in demselben geiste zornigen
Schmerzes und bitterer aufrichtigkeit behandelt wird; dagegen tritt
eine unüberbrückbare kluft zwischen den grundanschauuogen beider
gedichte über die bedingungen des gültigen opfers scharf zu tage.
Was von Übereinstimmungen in den gedienten sich findet
und von Diemer herbeigezogen wird, ist nicht erheblich, die
einzige wörtlich übereinstimmende stelle ist Erinnerung 121 die
muhen si lichent , die olbenden si verslichent = Prlb. 592 die
muhen ir liehet, die olbenden ir slichet. es ist dieses eine sprich-
wörtliche redensart, die aus Matlh. 23, 24 duces caeci excolantes
culicem , camelum autem glutientes herstammt und , wie Heinzel
in der anmerkuug zu Erinnerung 121 nachweist, in der popu-
lären lateinischen poesie sehr beliebt war. sollte sie es weniger
in der populären deutschen gewesen sein? jedenfalls sind Sprich-
wörter herrenloses gut und ihre Verwendung steht jedem zu.
immerhin möchte die völlige gleichheit im ausdrucke (in den von
Jos. Haupt herausgegebeneu evangelienbruchstücken lautet die
Übersetzung (Germ. 14,450) ir spient uz die muegen unt slindent
die olbinten) die annähme desselben Verfassers nahe legen können
und eine directe entlehnung scheint in der tat vorzuliegen , da das
verbum liehen nur an diesen beiden stellen belegt ist. aber die
ungleiche behandlung des Sprichworts kann man geradezu für die
Verschiedenheit der dichter anführen, in der Erinnerung 121, wo
es heifst: die muhen si lichent, die olbende7i si verslichent: si refsent
niewan die armen; die solden in erbarmen, swaz der riche man
getuot, daz dunchet siu suz unt guot, wird zwar eine Übertragung
des Sprichworts ins practische leben gegeben, die specielle be-
ziehung aber dem Verständnis des hörers überlassen, im Prlb. 592
dagegen, wo das Sprichwort als ausspruch des Heilandes er-
scheint, wird daran mit den worten daz welle wir iu bediuten,
waz daz erzäiget an den armen Hüten eine eingehendere be-
lehrung geknüpft, in der das bibelwort zergliedert und für jedes
glied ein practisches beispiel vorgebracht wird, dass beide aus-
führungen von demselben manne gemacht seien, würde mir nur dann
wahrscheinlich vorkommen, wenn das Prlb. mit seiner längeren
auseinandersetzung vor der Erinnerung gedichtet wäre, eine sach-
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN I 197
läge, die hinwiderum den Verteidigern der einheit unbequem er-
scheinen möchte.
Die beiden anderen von Diemer noch angeführten stellen
zeigen ähnliche gedanken über denselben gegenständ, weiter
nichts, es wäre weit wunderbarer, wenn solche gedankenconcor-
danzen in zwei gedienten, die zum teil dasselbe und im selben
geiste behandeln, nicht vorhanden wären.
Mit der ähnlichkeit in reimen und Wortschatz wird niemand
mehr die hypothese stützen können, seitdem wir wissen, dass
darin ein jedes der beiden gedichte der Litanei, sowol der ur-
sprünglichen, wie der Strafsburger fortsetzung mindestens ebenso
nahe steht, als beide untereinander, man vergleiche darüber nur
die reichhaltige Zusammenstellung bei Rüdiger Zs. 19, 311 IT.
klingt doch auch im wortgebrauche so vieles an unsere gedichte
an im Servatius, der nach inhalt, kunst und tendenz sich voll-
kommen von ihnen unterscheidet, gerade wo so vieles gemeinsame
in der spräche dem gemeinsamen Zeitalter, der heimat und dem
gleichen Stoffe verdankt wird, ist auf die abweichungen um so
sorgsamer zu achten, ihnen gröfseres gewicht beizumessen als
den Übereinstimmungen, es muss doch befremden, dass die
Erinnerung, welche den wissagen so oft beruft, nicht auch einmal
den orthaben des Priesterlebens dafür citiert, dass, wo so oft des
herrgotts gedacht wird, dieser nicht auch mit dem ehrwürdigen
namen trehtin wie im Prlb. genannt wird, dass Wörter wie in lachen
und das im Prlb. so häufige gehlen dort gänzlich fehlen;, dass
dagegen im Prlb. nicht von wistuom frituom, sondern nur von
wisheü friheit gesprochen wird, und wenn wir die reimwörter
untersuchen, so finden wir auch da manches trennende. P. hat
viermal (103. 200. 214. 533) wip im reim, E. nur einmal 863.
P. reimt fünfmal (175.188.206.216.621) auf brinnen*, E. nie.
ferner hat P. viermal (539. 557. 667. 728) überschussiges n(e:en),
während E. diese reime nicht kennt (203 und 603 lassen en zu,
weshalb ich sie auch nicht zu den unreinen reimen gezählt habe),
dahingegen reimt E. dreimal (197. 289. 623) frowetr.schowen, vier-
mal (417.429. 557. 9S7) si : vri, sechsmal (81.321. 561.789. 849.
999) mac : tac ; V. wendet von diesen reimen keinen an. sechsmal
(135.217.229.493.771.803) steho in E. im reime Wörter auf
1 beziehungen auf geschlechtliche Verhältnisse, die diesen reim er-
klären, fehlen ja auch in E. nicht.
198 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN I
unge, w;ts in P. Die vorkommt (das einzige auf unge endigende
wort in P. ist 310 verdampnunge). beispiele ähnlicher arl würden
sich noch häufen lassen.
Durch die einwendung, diese par Verschiedenheiten seien bei
der überwiegenden gleichartigkeit der reimwörter von keiner be-
deutung , würde der kern des auffälligen keineswegs getroffen,
dieses liegt ja nicht in dem an sich unauffälligen Vorhandensein von
Verschiedenheiten, sondern in der art derselben, dass nämlich
der dichter einmal von ihm beliebte bindungen von ganz alltäg-
lichem character, wie lacmac, oder solche Wörter wie sie für
sein thema so zu sagen auf der hand lagen (frowen, wip, brinnen,
vri, gehien) in einem anderen gleichzeitigen werke so gaöz habe
vermeiden können1.
Äufserlich am kenntlichsten unterscheidet sich, wie Diemer
aao. 254 hervorhebt, das Prlb. von der Erinnerung durch den
sechzehumal vorkommenden dreireim und die grofse zahl der
übermäfsig langen verse. an und für sich würde darin noch
kein beweis für die annähme zweier gesonderter Verfasser
liegen, da aber die für die Identität der dichter geltend ge-
machten gründe, wie wir gesehen haben, so wenig oder nichts
besagen, so darf man wol diese eigentümlichkeit mit für die er-
weisung des gegenteils verwerten, mit erhöhter berechtigung
der herschenden ansieht gegenüber, nach welcher Prlb. 396 auf
die Erinnerung bezogen wird, die beiden gedichte in engem zu-
sammenhange stehn und das Prlb. von dem dichter als fort-
setzung der Erinnerung gedacht worden ist. eine mir sehr er-
wünschte Unterstützung gewährt Heinzeis versuch (s. 11) die
triplete zu erklären , welche nicht immer an wichtigen abschnitten
sich finden, 'dieser umstand lässt uns hier noch genauer die
art und weise, wie Heinrich componierte, erkennen.' 'der dichter
mochte wol die gewohnheit haben , so oft er zu schreiben auf-
hörte, ein triplet gleichsam als schlusspunct zu setzen, hob er
dann von neuem an , so las er die voraufgehenden verse und
spann dann weiter.' will man diese erklärung, die mir freilich
nicht besonders glücklich erscheint, gelten lassen, dann ist damit
1 ich sage 'gleichzeitigen' werke mit bedacht, denn freilich
braucht ja die gleichzeitigkeit nicht behauptet zu werden, um die identität
aufrecht zu halten, aber alles, was überhaupt für die identität geltend ge-
macht worden ist, kann nur unter der Voraussetzung beweisen, dass die
beiden gedichte in einem gusse gedacht und entstanden sind.
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN 1 199
allein schon erwiesen, dass P. und E. von verschiedenen autoren
verfasst sind, denn wer die gewohnheit hat, auf solche weise
seine schlusspuncte zu machen, der wird sie doch nicht nur in
dem einen werke äufsern, in dem anderen ganz verläugoeo.
Üher das Verhältnis der unreinen reime zu den reinen sind
Vogt (Beitr. 1,142) und Rüdiger aao. 285 zu verschiedenen resul-
taten gelangt, wenn ersterer sagt, dass die Erinnerung etwas
mehr unreine reime habe als das Priesterleben, so ist er damit
gegen Rodiger, der diefs in abrede stellt, im recht, ich stelle,
zur erleichterung der Dachprüfung, sämmtliche unreinen reime
zusammen und bemerke, dass ich E. 203 minne: gewinnen, 603
ernstliche :vroelichen, 287 herremeren, 649 bette: stete1; P. 679 büch-
vel (wie unbedingt für buche! zu lesen ist) :trütspel, 726 ste-
tenen : chetene , 304. 341. 529. 608 herre : lere : ere zu den reinen
gerechnet habe, nach 363 nehme ich ausfall einer zeile an, da
die drei folgenden verse ein triplet bilden.
E. 1. 19. 23. 41. 51. 57. 59. 61. 69. 71. 75. 91. 105.
111. 127. 131. 133. 147. 149. 151. 155. 159.167. 173. 179.
213. 215. 231. 243. 257. 285. 301. 317. 319. 337. 355. 357.
365. 371. 373. 391. 393. 401. 407. 411. 423. 427. 431. 437.
441. 447. 449. 451. 455. 457. 477. 483. 521. 527. 529. 537.
541. 547. 555. 559. 563. 597. 607. 615. 629. 631. 635. 639.
643. 647. 655. 661. 671. 673. 683. 687. 697. 705. 717. 719.
735. 743. 745. 749. 755. 759. 763. 775. 791. 795. 813. 821.
827. 835. 847. 861. 865. 873. 875. 879. 881. 891. 897. 915.
923. 975. 979. 9S5. 995. 1011. 1013. 1021. 1041.
P. 13. 19. 33. 49. 59. 71. 81. 85. 115. 121. 127. 163.
167. 225. 243. 272. 278. 294. 300. 325. 327. 339. 353. 355.
365. 379. 381. 407. 413. 419. 423. 425. 455. 460. 476. 511.
539. 557. 578. 631. 657. 659. 663. 667. 683. 693. 695. 709. 728.
Die Erinnerung hat 521 reimpare. auf sie fallen also 118
unreine reime, mithin 22 '/2%. das Priesterleben bat 362 voll-
ständige reimpare (incl. 16 dreifache), davon sind 49 unrein,
es hat folglich 1 3 V^ % unreine reime, die vergleichung ergibt
einen bedeutenden unterschied in der reimbehandlung beider ge-
diente, der dadurch noch gesteigert wird, dass P. mit seinen
1 stette ist hier nicht dativ zu stal stf., sondern gehört einer j'6-
ableitung zu stat , Stades an. das fem. «fette 'gestade' wird in dem hei
Lexer 2, 1184 s. v. stete citierten beispiel sogar schwach flectiert.
200 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN I
tripleteo ungenauen bindungeu leichter ausgesetzt war, als die
nur einfache reimpare bindende Erinnerung, ihn etwa so er-
klären zu wollen , dass der autor bei abfassung des zweiten
gedichtes in der dicht- und reimkunst sich vervollkommnet habe,
geht nicht an. in der Erinnerung fallen unreine reime auf das
erste drittel 33, auf das zweite 47 und auf das dritte 37, denen
im Priesterleben 15, 17 und 17 entsprechen, also innerhalb der
gedichte selbst nach dem ende zu keine fortbildung und besserungl
worauf könnte sich die annähme einer solchen von einem zum
anderen stützen, die ja kurz nach einander entstanden sein
müsten?
Aber zugegeben , die sache verhielte sich doch so , beide ge-
dichte hätteu einen Verfasser, so stehen wir vor einem anderen,
nicht geringeren rätsei. dieser dichter ist in seinem zweiten
werke in behandlung des reimes weit sorgfältiger als im ersten,
er wendet die schwierigere und kunstvollere form des triplets
mit geschick an, dagegen hat sich sein metrisches gefühl in
anderer hinsieht merkwürdig vergröbert; er dichtet verse, die
jeder metrischen einrenkung spotten , und die in diesem mafse
der Erinnerung noch unbekannt sind, der gedanke lag nahe
und ist von Rödiger s. 311 verfolgt worden, dass diese über-
langen Zeilen besonderen künstlerischen zwecken haben dienen
sollen, da in einzelnen (175.188.206.218) immer derselbe
satz widerkehrt, allem auch R. hat dafür keinen anhaltspunct
gefunden, 'die bezeichneten worte kehren nur deshalb stets in
^inem verlängerten verse wider, weil der dichter sie das erste
mal nicht anders unterzubringen vermocht hatte.'
Dieses urteil trifft nicht blofs die metrische nachlässigkeit
des dichters des Priesterlebens, sondern vornehmlich seine sprach-
liche ungewandtheit. und würklich steht in spräche und stil das
Priesterleben hinter der Erinnerung zurück, wie die fülle seiner
sätze die schranken des metrums durchbricht, so weifs der dichter
die fülle der gedanken im satze nicht recht unterzubringen, so
entstehen parenthetische einschiebungen, für einen dichter immer
ein ootbehelf; vgl. 102. 136. 197. 279. 474. 5S0. 742. der satz-
bau des Priesterlebens ist bei weitem nicht so klar und correct
wie in der Erinnerung, und nicht alle dunkeln stellen werden
schlechter Überlieferung zur last fallen.
Unsere betrachtung hat bisher ergeben , dass der beweis für
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN 1 201
die identität der beiden dichter auf recht schwachen füfsen steht,
und dass dagegen für die annähme zweier verschiedener dichter
einige recht erhebliche gründe geltend gemacht werden können,
ich kehre noch einmal zum ausgangspuncte zurück und hülfe der
hauptstütze der identitätstheorie, die in den 6 gemeinsamen versen
über das abeutlmahl besteht, noch auf einem anderen wege den
boden zu entziehen.
Dass die Schriften des Honorius von hervorragendem ein-
flusse auf die theologischen anschauungen unserer gedichte ge-
wesen sind, erscheint nach Heinzeis sorgfältigen Zusammenstel-
lungen als ganz sicher, ich mache nur noch auf eine stelle
aufmerksam, welche in kurzen Worten ein bild des menschlichen
lebens entwürft, wie es dann der dichter der Erinnerung 4S3 ff
in grofsartiger, packender darslellung ausgeführt hat. Spec. eccl.
Mighe 1083: Omnis Jwmo cum dolore mundum ingreditur , cum
dolore iterum egreditur. mox natus plorat , quia laborem et do-
lorem sibi futurum pronunciat. deinde supervacuo labore totum
Studium ut aranea impendens thesaurizat, neseims cui ea congregat.
post pusillum alienis divicias suas relitiquit et solum sepulcrum
domus ejus in aeternum erit, sicque homo vermes, bestias, ser-
pentes hcereditabit. ich zweifle nicht, dass diese stelle des so
vielfach benutzten Speculum ecclesiae für unseren dichter vorbild-
lich gewesen ist.
Wie nun, wenn sich bei Houorius eine Verbindung der an-
sichten über die zweifellose gültigkeit des von Nikolaiten ge-
spendeten opfers und des Verbotes für lai'en ein solches zu
empfangen ausgesprochen fände, eine Verbindung, die ich für den
dichter der Erinnerung als undenkbar hingestellt habe? würde
auf dieses Zeugnis hin nicht behauptet werden dürfen, dass die
Erinnerung auch hier nur dem Honorius gefolgt sei, und dass
die verse 18111" also keine Interpolation , mithin auch beide ge-
dichte nur einem Verfasser zuzuschreiben seien? im Elucidarium
buch 1, abschnitt 29 (Migne 1130) de digne mit indigne commu-
nicantibus, aut sacrificantibus setzt Honorius auseinander, dass der
priester, welcher mit unreinen banden und unreinem gewissen
die messe celebriere, den herrn verrät und kreuzigt und zugleich
auch den empfänger des abendmahls in schuld und verderben
zieht, selbst denjenigen, welcher unwissend bei dem schlechten
priester communiciert, nach dem Spruche 'qui tangit picem inqui
202 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN I
nabitur ab ea'. im folgende» abschnitt aber versichert Honorius,
dass so verworfen auch der priester, doch das opfer ein gültiges
sei. Quamvis damnatissimi sint, tarnen per verba quae recitant fit
corpus Domini ; nonenimipsi, sed Christus consecrat, et per amicos
et inimicos salutem filius operatur: Uli ad perniciem sumunt, alii ad
sahttem accipiunt. unde et a pessimis non peioratur et ab optimis
non melioratur. und auf die berechtigte frage des schülers, warum
denn doch das opfer, wenn es gültig ist und nicht von dem priester,
sondern von Christus selbst gespendet wird, dem empfänger zum
verderben gereiche, lautet die antwort des lehrers: Bonum acci-
pienti non solum non prodest, imo etiam obest, si contra inter-
dictnm hoc ab eo accipit , a quo non debet.
Stimmt diese auseinandersetzung nicht überein mit der in
der Erinnerung (wenn wir keine interpolation annehmen), wo den
laien verboten wird das opfer eines schlechten priesters zu
empfangen, das aber nichts destoweniger ein gültiges opfer
bleibe? zweifellos! und doch behaupte ich, dass der dichter der
Erinnerung nicht das habe aussprechen können, was Honorius
sagt, und wie es uns in der hs. des gedichtes überliefert ist.
man muss nur Voraussetzung und zweck des theologen und des
dichters prüfen. Honorius schreibt nicht für das grofse publicum,
sondern lateinisch für priester ein compendium der theologie. er
wendet sich selbstverständlich nicht an den schlechten priester,
so wenig wie sich der Verfasser einer pädagogik an den schlechten
lehrer wendet, sondern an den angehenden priester, dem er die
pflichten seines hohen amtes ans herz legen will, bei der be-
sprechung des dogmas von der unbedingten gültigkeit des sacra-
mentes ist es daher nicht nur erklärlich, sondern geradezu er-
forderlich, dass er den schüler auf die ungeheure Verantwortung
des priesters hinweist, der, falls er unwürdig spendet, nicht nur
sich selbst sondern auch den unschuldigen empfänger ins ver-
derben stürzt, dahingegen hat der dichter, der auf dem Gre-
gorianischen standpuncte steht, nur schlechte priester im äuge,
vor deren sacramenten er das volk mit hinreifsender beredsamkeit
warnt, der ganze erfolg seines leidenschaftlichen angriffes ist
vernichtet, wenn er die Verwerfung des vom unwürdigen priester
gespendeten opfers krönt mit der Versicherung, dass es für die
gültigkeit des opfers ganz einerlei sei, ob ein guter oder schlechter
mensch die messe verrichte, denn das volk, dem die dogmati-
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN I 203
sehen Spitzfindigkeiten völlig fern liegen, könnte doch nur daraus
folgern, dass es auch für die gnadenwürkung, die der leib des
herrn in sich schliefst, gleichgültig sei, wer ihn mitteilt; und
damit wäre der zweck, den der dichter verfolgt, gründlich vereitelt,
was hei Honorius kein Widerspruch ist, da er eine wissenschaft-
liche erläuterung des schwierigen dogmas vor wissenschaftlich
gebildeten entwickelt, das bildet in der Erinnerung einen unlös-
baren Widerspruch, lösbar nur dadurch, dass man ihn durch aus-
scheidung der interpolation beseitigt.
Doch nehmen wir einmal an, der dichter habe würklich, was
Honorius sagt, auch sagen wollen, ohne sich die Verwirrung klar
gemacht zu haben , in die er notwendig seine hörer stürzen
pauste, müste dann nicht doch Prlb. 396 als ich iu vor gesaget
hau auf diese stelle der Erinnerung zu beziehen sein, und wäre
dann nicht unbedingt derselbe Verfasser dargetan? im gegenteil, wir
würden dann nur einen neuen grund gegen die Identität haben,
denn dann behauptet ja die Erinnerung mit Honorius, dass die
messe des sündhaften priesters zwar gültig sei , alter von dem
laien nur zu seinem schaden gehört werden könne, dahingegen
das Prlb. spricht sich klar und deutlich nicht nur dafür aus,
dass das opfer gültig sei, sondern dass es auch dem laien geboten
sei, das opfer zu empfangen, das, auch von dem schlechten priester
gespendet, die gnade bewürke (Prlb. 356 swaz aber ze dem
ewigem haue gendden uns da von chomen sol, daz ist als steete
unt als wol von dem ubelen sam von dem bestell).
Nun könnte man ja vielleicht zuzugeben bereit sein, dass
der dichter seine ansieht der entwickelung des dogmas folgend im
laufe der zeit geändert habe (was, wenn es würklich behauptet
werden würde, doch immer erst zu beweisen wäre), aber das
wäre doch ein ganz sonderbarer heiliger, der an die worte,
mit denen er früher eine behauptung ausgesprochen hat, ab-
sichtlich erinnern würde, um diese selben worte nun zu einer
der ersten behauptung gerade entgegengesetzten zu verwenden.
Mögen wir also Erinnerung 181 ff als interpolation betrachten
oder nicht, der Widerspruch in beiden gedienten ist zu grofs, als
dass wir einen dichter für beide annehmen dürften, ja ich möchte
nicht einmal glauben, dass der dichter des Priesterlebens selber, bei
dem man die kenntuis der älteren Erinnerung wol voraussetzen darf,
die interpolation vorgenommen habe, so plumpe Qickarbeit würde
204 ERINNERUNG UND PR1ESTEKLEBEN I
der kenuer des dognias nicht gemacht haben, wol aber ist es
glaublich, dass ein aufmerksamer leser und abschreiber beider
gedichte den Widerspruch der anschauungen empfand und durch
übernähme der fraglichen verse in die Erinnerung, wozu er sich
durch den falsch verstandenen vers Prlb. 396 als ich iu vor ge-
saget hdn für um so mehr berechtigt halten konnte , gelöst zu
haben glaubte.
Kiel, im September 1890. KARL KOCHENDÖRFFER.
UNFACHLAS.
Bei Lindenschmidt Die altertiimer unserer heidnischen Vor-
zeit bd. i, lieft 3, tafel 8 ist ein aus dem altchristlichen, in
römische zeit zurückreichenden friedhofe in der nähe der Lieb-
frauenkirche in Worms stammender grabstein abgebildet, der die
in seh ritt trägt: Hie quiesjeet Unfac/hlas qui \ vixit annjus v ti(tu-
lum) po(suit) \ pater.
Der uame Unfachlas, der uns hier in urgermanischer ge-
stalt überliefert ist, hat sich als familienname Unfahl erhalten:
eine Apollonia Unf ahlin wird in den Nürdlinger hexenprocessen
s. 47 genannt, sein erstes compositionsglied ist das gemeingerm.
negationspräfix un, idg. n, das nicht nur in germanischen, sondern
auch in altindischen, iranischen und griechischen personennamen
vielfach belegt ist; siehe Fick Die griech. personennamen cxcnr,
Förstemann i 1212; der zweite teil ein mit dem suffix -lo- von
der germ. wurzel fah (fag) gebildetes adjeetivum, das sonst
freilich nicht nachgewiesen werden kann, von dem aber got.
* fahrs, das sich aus gafahrjan ■/.axa.OY.evä'C.etv ergibt und durch
würkung alten stammaccentes von dem oxytonierten gebräuch-
lichen fagrs abweicht, nur durch die ableitung sich unterscheidet,
so wie ahd. tunkal von as. duncar. die bedeutung von *nnfahlaz
wird mithin 'ungefüge' oder eine verwandte gewesen sein, dass
dabei leicht ein übler sinn herauskommt, steht der Verwendung
des wortes als eigenname nicht im wege; man vgl. ahd. Unfrid,
ags. Unf'erd uam.
Von welchem volksstamme die inschrift herrührt, wird nicht
so leicht zu ermitteln sein, die ältesten germ. bewohner der
Umgebung von Worms, die Vangiones, waren zu ende der Römer-
herschaft, wenn auch durch nachbarlichen verkehr teilweise des
DNPACHLAS 205
germanischeu noch mächtig, doch gewis so weit romanisiert , dass
an eine einmischung barharischer formen, ja selbst an germ.
namen bei ihnen nicht mehr gedacht werden kann, neu ange-
siedelte Germanen gab es im übrigen an zahlreichen orten des
Römerreiches und vor allem in den grenzproviuzen. vorüber-
gehend hatten dann im 4 jh. Alamanuen am linken Rheinufer,
bis über Worms hinab, festen fufs gefasst (siehe Ammianus Mar-
cellinus xvi 2, dazu Zeufs Die Deutschen 317), wurden aber wider
vertrieben, zu beginn des 5 jhs. ergreifen die Rurgundionen von
Worms und dem umliegenden lande besitz, erliegen aber im
jähre 537 im kämpfe gegen Aetius und die Hunnen, und einige
jähre später ziehen die reste des volkes nach Sapaudia ab
(Zeufs 470). an ihre stelle treten in dem südlichen teil des von
ihnen am Rheine verlasseneu gebietes die Alamannen; auch
Worms fällt diesen zu, wie aus dem geographen von Ravenua
4, 24 hervorgeht, während derselbe aao. das nördlichere Mainz
schon im besitze der Franken kennt, nach dem siege Chlodo-
wechs über die Alamannen im jähre 496 endlich wird auch Worms
und alles land bis zum elsässischen Nordgau und zwar für alle
folgezeit fränkisch, die Alamannen aus dem von den Franken
ihnen abgenommenen gebiete am rechten und linken Rheinufer
werden unter dem schütze des ostgotenköuigs Theoderich in Raetia
secunda angesiedelt (Cassiodor. var. u 41); vgl. Henning Runen-
denkmäler 89. merkwürdiger weise begegnet uns gerade im Hiefs
später der familienname Unfahl, das könnte natürlich auch ein
zufall sein, allein das Salfränkische der Malbergischen glossen
zeigt das auslaut-s bereits geschwunden, und auch dieser um.
stand weist den Unf achlas eher ins 5 als ins 6 jh. und somit
eher zu den Alamannen als zu den Franken.
Eine ähnliche, auch wol alamannische casusform gewährt uns
Ammianus Marcellinus xvin 2: cum ventum fuisset ad regionem,
cui Capellatii vel Palas nomen est, ubi terminales lapides Ala-
mannorum et Burgundionum confinia distinguebant , castra sunt
posita. Zeufs, der s. 311.312 diese stelle bespricht, ist offenbar
im irrtum, wenn er Palas für eine germ. Umgestaltung des, wie
ihm dünkt, dem keltischen entstammenden namens Capellatiinn
ansieht; aber für die deutsche bezeichnung des ortes wird es
gelten müssen , weil es unwahrscheinlich ist, dass zwei römische
namen neben einander angegeben wären, vor allem aber, weil
206 UNFACHLAS
Palas nicht ins lat. declinaüonsschema sich einfügen lässt. und
recht wird Zeufs auch behalten, wenn er aao. Palas für den
"pfähl , pfahlgraben' erklärt, der name wird für die zeit des Am-
mianus als *pälaz anzusetzen sein, wobei lat. pälus im sinne von
grenzpfahl zu gründe liegt.
Auch für das ubische wird man aus den inschriftlichen
dativen Vatvims, Aflims, Saitchamims nicht auf vorgeschrittene
syncopierung der endsilben, also etwa auf ein gleichzeitiges
ubisches * dagz oder *dags schliefsen dürfen, denn die behand-
hing des endvocals in ein- und zweisilbigen casussuffixen war gewis
nicht die gleiche; kaum diejenige zwei- und mehrsilbiger dative.
auch ubisches tuaimiz neben * Aflimz wird um so sicherer an-
zusetzen sein, als sich noch für das urenglische aus dem umlaut
der ags. formen twcem, dcem, hwcem *twämi(z), *dämi(z), hwä-
mi(z) neben *dagiim(z) erschliefsen lässt; vgl. Kluge in Pauls
Grundr. 1 387. nebenbei bemerkt scheint somit germ. * paimiz,
vorgerm. *toimis nicht *toimos vorauszuliegen; es müste denn
sein, dass i oder der umlaut erst durch analogiewürkung später
eingetreten ist.
Dass wir bereits *dagaz, nicht mehr *dagoz für das ubische
aufzustellen haben, ergibt sich daraus, dass auch in der compo-
sitioosfuge der stammauslaut germanischer o-stämme auf rheinischen
oder von Rheinländern herrührenden inschrifteu regelmäfsig als a
erscheint, zb. in Alagabiabus, Alatervis, Alateiviae, Halamard,
Abiamar. es fügt sich, dass der stein, auf dem der letztgenannte
name steht (CIRh. 635) , von einem C. Jul. Proculas dediciert ist,
worauf mich ThRvGrienberger aufmerksam macht, dass der name
Proculas soviel als Proculns, also ein römischer ist, wird nicht
hindern , seine nominativendung als germanische zu betrachten.
Darf man nach all dem auch für die westgermanischen
sprachen vielleicht bis zur wende des 5 zum 6 Jh., denn in diese
zeit fällt wol der Unfachlas, — aber natürlich nicht überall gleich
laug — casusendungen voraussetzen, welche, was altertümlich -
keit anbelangt, denen der sogenannten urnordischen runen-
inschriften nichts nachgeben, so wird leicht die frage entstehn,
ob nicht sogar ein teil dieser runendenkmäler gar nicht nordi-
schen Ursprunges ist. jedenfalls kommt diese möglichkeit bei
jenen funden ernstlich in betracht, die, wie zb. das berühmte
goldene hörn von Gallehus, altingvaeonischem boden entstammen.
UiNFACHLAS 207
So wenig als zwischen der wandiliscbeo sprachgruppe und
dem westgermanischen, gab es ursprünglich zwischen diesem und
dem nordischen feste grunzen, vielmehr muss die spräche der
bewohner des nördlichsten Jutland uud der dänischen inseln
zwischen beiden sonderentwickelungeu des germanischen während
ihrer ersten Stadien ein mittelglied gebildet haben, erst durch
den vorstofs eines im engeren sinne skandinavischen Stammes,
der Dänen, wurden die früher gewis vorhandenen Übergänge ver-
wischt und der bereich der nordischen spräche bis zur Eider
ausgedehnt.
Es wird also bei solchen runendenkmälern aus Dänemark
und Schleswig, deren spräche es unentschieden lässt, ob sie
nordischen Ursprunges sind oder nicht, — wobei jedenfalls das aus-
lautende Y nicht mehr als k riter ium des nordischen gelten darf —
aufgrund archäologischer Untersuchungen ermittelt werden müssen,
ob sie aus der zeit vor oder nach der ausbreitung der Däuen
stammen, in der tat ist auch schon ein ernster versuch, die
zeitstellung der ältesten runeninschriften zu erkunden, durch
einen der bedeutendsten Vertreter der altertumsforschung im
engeren sinne, Oskar Montelius, unternommen worden; siehe
Svenska fornminnesföreningens tidskrift vi 236 ff. M. ist hier-
bei zu dem ergebnis gelangt, dass eine reihe von runen-
inschriften bis ins 4 und 3jh. zurückreicht, sein beweisgaug ist
vielleicht nicht ganz einwandfrei; gewis aber darf man nicht, wie
Noreen in Pauls Grundr. i 419 tut, seiuen datierungen zustimmen
uud doch die betreffenden denkmäler, auch die schleswigscheu
uud dänischen, als quellen des urnordischen verwerten.
Salzburg im august 1890. RUDOLF MUCH.
[Indem ich das impiimatur geben will, kommt mir die neuste publication
des Utifachlas-steines in die hand : FXKraus Die christl. Inschriften der Rhein-
lande i (Freiburg i. B. 1890) nr 28, dazu tafel n 3. der kundige herausgeber
weist das denkmal freilich 'der mitte oder dem ausgang des 7 jhs.' zu ! SGH.]
MERCURIUS HANNO.
Im 53 hell der Bonner Jahrbücher (1873) 172 11 gibl
JFreudenberg nachricht von dem fund eines altarbruchstückes zu
Rohr bei Blankenheim, dessen inschrifl Dach seinem dafürhalten in
den zwei ersten Zeilen
208 MERCURIUS HANNO
MERCVRI
CHANNINI
lautet; die buchstaben der dritten sind, wie er mitteilt, unleser-
lich und der untere teil des Steines fehlt, zu zeile 2 bemerkt
er jedoch, dass mau auf den ersten blick in dem anfangsbuch-
staben ein 0 vermuten könne, bei näherer betrachtung ergebe
sich aber, 'dass die bogenförmige, bis zu M in die erste zeile
hinauf verlängerte Vertiefung wahrscheinlich beim reinigen der
buchstaben vom mörtel durch einritzen unwillkürlich, oder auch
in der nicht ganz ungerechtfertigten Voraussetzung, dass der
name des gottes im dativ stehn müsse, durch nachhülfe ent-
standen sei.' aber wenn die möglichkeit vorhanden ist, MER-
CLRIO zu lesen, so werden wir schon lieber an diesem fest-
halten, statt den aufsergewöhnlichen fall anzunehmen, dass die
widmung den namen der gottheit im genitiv enthält, warum sich
Freudenberg nicht für das offenbar näher liegende entscheidet,
ist ja auch klar, er sucht nämlich in der folgenden und dritten
zeile den namen der Canninefates im gen. plur. und knüpft sogar
einen excurs über denselbeu an. ihm zu liebe erkennt er auch
im letzten buchstaben der zweiten zeile ein E, obwol davon
nach seiner eigenen aussage nur der rest des verticalstriches er-
halten ist und er bei der widergabe der inschrift I dafür setzt,
die Canninefateu haben aber hier auf jeden fall aus dem spiel
zu bleiben, weil ihr name mit germanischem K anlautet, das
weder durch H, noch durch Ch transscribiert werden konnte, ich
lese darum unbedenklich Mercurio Hannini, und es fragt sich
nur, was mit letzterem worte zu machen ist. völlige Sicherheit
wird hier eine deutung, da uns der schluss der inschrift fehlt, von
vornherein nicht beanspruchen dürfen, für sehr wahrscheinlich
halte ich es aber doch, dass uns in Hannini der beiname des
Mercurius im dativ vorliegt; und da sonst latinisierung germa-
nischer m- stamme nach dem muster von lat. homo, hominis nicht
üblich ist, wird man sogar an eine germ. dativform, also an
ein seitenstück zu Vatvims, Aflims, Saitchamims und Vercanu (für
* Uerkanö ; vgl. Bucinobantes , Cruptorix) denken dürfen.
Wien den 13 hornung 1891. RUDOLF MüCH.
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 209
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK.
VIII.
AUS PREDIGTEN BERTHULDS VON REGENSBURG.
1. Fragment eines pergamentenen doppelblattes , des innersten
einer läge, dem unten und an der seile stücke weggeschnitten sind,
und zwar so, dass von a und b die unteren vier zeilen fehlen,
indefs bei cd außerdem noch etwa ein drittel der zeilen ihrer
lange nach verloren ist. das blatt besafs 12 cm. höhe und hat
eine breite von 9,5 cm., der codex, dem es entnommen wurde, war
also ziemlich klein, es ist kein rest einer Seitenbezifferung vor-
handen, die schrift, 21 zeilen auf der seite, tintenlinien, ist schön,
grofs, fast ohne abkürzungeil und gehört wahrscheinlich noch dem
13 jh. an. das blatt enthält bruchstücke aus einer predigt Bertholds
von Regensburg, welche durch Strobl im zweiten bände s. 104 — 113
als nr xlvii [von den die got l'rö machent und deo tiuvel] aus
fünf handschriften herausgegeben ist. ich drucke im folgenden das
fragment ab und ergänze das fehlende cursiv aus Strobls text.
[Strobl 108, 10] ir schmier, ir knehte, ir dierne, junc und
alt, geleret und ungeleret, seht, als ofte ir die selben sünde tuot,
als ofte krcenet ir den tiuvel, und so irs ie schelclicher und ie
öfter tnont , so ir den tiuvel ie schöner und ie öfter (a) chrooet.
und also wirt euch der tivel chronent, im ze rinne danne als 5
des viures des er ie gewau. Daz fumfte daz sint über ezzär und
über trinchär, daz sehste sint die die mit hol' vart umbe gent,
und die sibenten daz sint die gitigeu. alle die mit disen siben
sunden umb gent, als oft si ez tuut, und swie siz tuot ir iege-
licher, als oft chronent si den tivel, die si da tunt, und die lo
wirt er ouch chronent, im gebrest danne alles des fiures des
er indert hat. ;ils<» mache! ir den tivel vil l'ro und tut dem
almahtigem got ein herzenleit. wau namen im die tivel den
Dianen und die steru und daz mer, daz wcere im so leit niht,
6 E) ül rot durchzogen. 7 es steht: daz sint die die mit hof vart
umbe fjent "'•' sebsten und die sibenten — durch versetzzeichen ist der
fehler berichtigt, daz nach trinchar in dar geändert und nach am rande
beigefügt, alle besserungen rühren von späterer hand her. 9 nach
als vor oft steht al radiert. \'.\ im ist von der späteren hand in
klammer geschlossen .
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 14
210 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
15 sam daz si im die sele nement. wan got der hat sin bluot ver-
gozzen durch den menschen. Des hat er durch ander dinc (b)
niht und da von mag er im an nihtiu leider getfin. Swie man
den tivel mit iegelicher tot sunde chronet, so chronet man in
sunderlichen mit siben sunden, und daz tunt siben ley sundär,
20 die diu werlt ie gevvan und nimmer gewinnen sol. und die
chront er aller meist und aller nähst an dem gründe der helle,
und da vor wil ich euch warn, daz dem tivel leit ist, wan ez
ist, ob got wil, ettewer hie der im enget, ie doch, ir tivel, ge-
habt iuch wol; ich furht doch, eu helibe daz merer teil, wan si
25 wellent sich niht der sunden ab tun. und da von wirt ouch
der tivel gar i'ro , als pharao , der was ouch gar unmügelichen frö,
du er umbe sach (Strobl 109, 1) Der erste ist Assür: daz
ist alse vil </e(c)sproehen als ein vorst. daz »int die alse vil sunden
habent als der walt ftoum, daz si alse lange in den Sünden gelegen sint
30 von der gewonheit. wan ettelich, den halt niht wol mit den sunden ist,
die habent sin gewont, daz si da von niht chomen mngen von der ge-
wonheit, untz er als vil sunden uf ladet, daz ir rebte ein walt wirt.
so lanch man nur umb eine feeflieh sunde verloren ist und ewic-
lichen brinnen muz dar mwbe, wie danne sol der brinnen, der
35 sehtz uf im hat oder hundert oder zweinzic hundert. Ich han
ettelich hie vor mir der sehtz huudert tötlic/ier sünde uf im hat.
owe des owe wie griulich des marler wirt an dem gründe der
helle. Vi, Assür, sitzestü iendert da, alliu diu werlt möhte (d)
diu marter niht gezeln. Ja ist ettelicher firzich jar oder funfzeh
40 jar in töllichen sundeu gewesen und hat alle tag ie mer und mer
dar zuo gesundet, sit man umb eine sünde immer briunen muz,
als da ein schü an einem fiure lit, und der einez dar zu lit, so
machet er daz fiuwer grozzer und heizzer, so denne drizzech oder
hundert oder ein ganzer walt da lit. Nu sihe, Assür, also stet
45 ez umb din dinch und umbe dein marter an dem gründe der
helle. Der ander heizzet Elamidaz ist als vil gesprochen als ein
aber huiär. daz sint alle die als grozze sunde tunt, die hocA
über ander sünde reichem . . .
18 vor so chronet steht Q von späterer hand am rande. 19 siben
vor ley avf rasur. 20 gewinnet sol. 34 die oberste zeile von cd
ist arg durchgerieben, weil kante und heftlöcher darüber giengen.
44 N rot durchzogen. 45 mater, von späterer hand r übergesetzt.
46 D rot durchzogen. heizzet auf rasur.
ALTDEUTSCHE FINDE ALS INNSBRUCK 211
2. Vier kleine Stückchen derselben handschrift, welche sich
zur oberen und unteren aufsenecke eines Mattes zusammenfügen,
sodass inzwischen neun Zeilen vollständig fehlen, sie gehören zu
der -predigt nr uv, Von den engein, bei Strobl s. 174 — 184. auch
hier ergänze ich den Zusammenhang durch den cursiv gedruckten
text der ausgäbe.
[Strobl 179, 34] (e) wan weit ir der untugende (zornj wider-
striten, so sit ir behalten an dem teile. 'Bruoder Berhtolt, so hän 50
ich da her niht getan.' Pfi, vvoll got, Uetest dii ez noch, so ge-
bär el ettesl icher sam er besezzen st mit dem tivel. sich daz ist
gar ein gröziu nntugent. vva sitzest du da? tuo dich der un-
tugent ab als liep dir daz himelrich si. so du iezuo rehte tivel-
winnich sin wellest, so soltu dir gedeuchen 55
[Strobl 180, 7] ((') daz ander her daz her Machab eus über-
want bezeichent ouch ein gröze nntugend. die sult ir auch
an eu selben über winden und suh da wider slrtien rehte mit
allen euren sinnen , und diu selbe untugeyit heizzet tracheit (g)
an gotes dinst. daz ist gar ein orozziu Untugend und tuot uns 60
grozzen schaden an manioer sele. owe des! Nu seht, daz ist
von der untugende daz ir gar un gerne betent und ungern almusen
gebt, ungerne predig höret und swa man gote mit dienen sol da
sil ir gar trcege zuo
[Strobl 180,18] (h) Ir wellet klaffen und mcere sagen, sam 65
ez an einem market si. Pfi, unvolcl Ja müezet ir vor einem
herren zühtic sin der niur ein mensche ist als ein ander mensche;
wie «etarstü daz iemev geleben, das dii din imzuhte übest vor
dem grözen herren, der himel und erden mit einem worte ge-
machet hat. "0
Beide fragmente sind der handschrift {,{\ F entnommen (15 jh.
Flores ex libris B. Gregorii Papae, Sermones S. Hieronymi! de as-
snmtione B. V. Mariae) , wo sie als deckblatt und als Schutzstreifen
für die rückenbünde verwendet waren. —
Im allgemeinen muss ich zunächst bemerken, dass die neuen
bruchstücke um mehr als ein volles Jahrhundert älter sind als alle
die fünf Handschriften, nach denen Strobl seinen kritischen text
hergestellt hat. denn II, die Heidelberger nr 35 ist von L439, />,
67 bei dem ersten mensche ist s vom Schreiber nachträglieh über-
gesetzt.
212 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
die Donaueschinger nr 292 und K, die Klosterneuburger nr 886
stammen beide aus dem \5jh., W, die Wiener 2829 ist vom
jähre 1444, und ebenso gehören dem 15//*. an M, die Münchener
Cgm. 1119 und m, Cgm. 632, sowie E und e (Strobl s. xiv). da ferner
A, die Heidelberger hs. nr 24, auf der Pfeiffers erster band beruht,
1370 hergestellt wurde, die Brüsseler hs. nur um weniges älter ist
(Strobl s. 282), die längst verloren gegangene Strafsburger hs. im 1 4/A.
geschrieben war (vgl. Haupt, in der Zs. 3, 534 f) , Gemolls frag-
mente aus dem \bjh. stammen (vgl. Zs. f. d. philol. 6, 468) und
die Halberstädter bruchstücke (Zs. f. d. philol. 12, 130 ff und 183 ff)
an der gränze des 14 und 15 jhs. entstanden sind, so bilden
die Innsbrucker fragmente die reste der weitaus
ältesten unter den bisher bekannten Überlieferungen
der deutschen predigten Bertholds von Regensburg.
Unter diesen umständen ist das Verhältnis der neuen bruch-
stücke zu dem durch Strobl hergestellten texte von besonderem
interesse. Strobl entscheidet sich nach seiner kritischen Unter-
suchung dafür (s. xvi) , dass 'nur in den seltensten fällen von H
(der Heidelberger hs. nr 35) abzuweichen' sei; 'wo eine der hss. der
anderen gruppe (DKWMm) mit H stimmt, haben wir wol eine
willkommene bestätigung dieser lesart: notwendig ist eine solche
hilfe nicht.' darüber hatte ich in meiner besprechung des buches
(Anz. vn 379) gesagt: 'im voraus muss ich bemerken, dass ich
die beziehungen der 6 hss. unter einander, aus denen die neuen
stücke genommen sind, wie Strobl sie s. xw ff entwickelt , einer
besonderen nachprüfung nicht unterzogen habe, die durchsieht
des textes hat mir allerdings zu einigen zweifeln anlass ge-
geben, inso ferne nämlich, als mir nebenhss. wie M und K mit-
unter das richtige zu enthalten schienen , oder wenigstens demselben
näher zu stehen als die anderen, auch D zeigte sich mir in manchen
stücken besser als H. aber ich beschei.de mich da gerne und über-
lasse es späterer zeit , darauf vielleicht zurückzukommen.' ich gehe
nun die Überlieferung von 1 — den Innsbrucker fragmenten — mit
hilfe von Strobls Variantenapparat durch und zähle dabei nach den
zeilen meines abdruckes.
5 haben IM und also wirt euch der tievel chroneot gegen
wirt ouch dich HD (die lesarten von KW gibt Strobl nicht an). —
6 / viures des er ie gewan gegen des er iendert hat von HDM. —
Daz f'umfte daz sint I, Die fünften daz sint H, Daz fünfte sint D,
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 213
die fünft ist .1/. — 6 1 ist verschrieben. — S siben vor sundeu
hat I allein. — 9 D hat und vor als oft allein. — und swie siz
tunt hat I allein gegen und swenue si ez t. der übrigen hss. —
der passus in I ir iegelicher, als oft chronent si den tivel die
si da tunt ist in H ausgefallen, offenbar durch überspringen des
auges von einem tunt auf das andere, M fehlt hier eine größere
stelle, und nur D hat von dem alten und notwendigen folgendes
bewahrt: ir iegleicheu als oft chronent si den tenlel. — 11 im
gebrest /, iem zepreste D, im zerrinne H. — 12 vil vor tro hat I
allein. — \Z fehlt I nach got ein gar, das HDM haben. — herzen-
leit IDM, herzeleit H. — den manen und die stein IDM, die
steine und den manen H. — 17 an nihtiu /, an nichteu D,
niht HM. — doch vor sunderlichen fehlt HI gegen DM. — mit
siben sumlen /, mit siben fehlt H, suuden fehlt DM. den mangel
des ausdruckes habe ich empfunden Anz. vu 36S, aber anders (mit
disen siben) zu bessern gesucht. — nach siben ley sundär ist in
1 eine stelle ausgefallen, welche HD enthalten und die unbedingt
für den Zusammenhang des Sinnes gefordert wird: die krosoent in
noch aller meiste und aller schönste vor allen den Sündern;
Ursache war überspringen von siinder auf Sündern. M fehlt hier
ein größerer passus. — 21 aller meist und aller nähst IH, aller
nächste und aller maist D. — an dem gründe /, an den
grünt H, an dem abgrunde D. es bestätigt somit I die Vermutung
von Bartsch Beiträge zur quellenkunde der altdeutschen litteratur
s. 133. — wil ich euch warn /, ich iuch warnen wil //, wil
ich waren D. es ist also 'bewahren' in ID gemeint. — dem
tivel ID, den tiufeln //. — vor leit hut II gar, das ID fehlt. —
2:'» ez wil ob D verschieben. — daz einer hie sei D. — im /,
in HD. — enget ///, enge D. — so vor gehabt in D gegen IH. —
2 1 ich tiirht doch /, wan ich lürhte HD. — die Vermutung von
Bartsch aao. bltbe ir (aus pleiber II) wird durch I nicht be-
stätigt. — merer ID, merre //. — si wellen! sich niht der
suoden ab tun ///, si w. sich der s. nicht ab t. D. — 26 gar
fro I, gar Uberfro D , gar unmügelicben l'ro //. — 2S vorst /,
fürst //, veste /;. — 30 ettelich ID, etlichen //. — den ///.
fehlt D. — ist. IHD. — 31 habent /, haben D, haut //. — da
vun ///, der von D. — chomen /, fehlt HD. — 32 untz IDM,
hin/. //. — ir IM, er HD. — so laoch man IHD. seit man ,1/,
dem auch nur fehlt. — ^"> tötlich sunde /, totsünde HDM. —
214 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
ist 1DM, wirt H. — wie daune sol muss es nach dem erhaltenen
sol in 1 geheißen haben, gegen wie sol danne der in H und wie
sol der denue DM. — 35 ich hau ID (noch leicht in D), peicht
//. — 36 etlelich /, etelichem H (D?). — owe des /, owe ain
H, owe dein D; so bestätigt sich Strobls Vermutung des, welche
Bartsch als 'ganz verfehlt' bezeichnet. — 39 firzich jar oder
lunl'zeh IH(D), vierz. o. funfz. j. M. — tötlichen sundeD IHD,
totsunden M. — 40 und mer dar zuo gesundet IH, ges. dar
zuo D. — 41 immer vor brinuen hat I allein. — da vermute
ich für I wegen des verbums lit. deshalb ist auch der dativ an
einem fiure / (dem üure D) berechtigter als der accusativ in H. —
dagegen ist das zweite lit in / fehlerhaft gegen leit HD. — 31 so
machet er /, daz machet HD. — grozzer und heizzer IH, h. u.
g. D. — so daune ein ganzer walt IH, so man ainen
ganzen walt D. — 44 da /, dar an HD. — lit IH, leit D. —
45 umb din dinch und /, fehlt H, in D ist davon geblieben: umb
dich und. — 47 ergänze ich über hurär nach dem sichtbaren r'est
in I, dessen text hier entschieden gegen das richtigere in HDM
zurücksteht. — grozze IDM , grozzer H. — da ho am ende der
zeile in I steht, so ist zu vermuten, dass es vielleicht hohe heißen
soll. — 51 sam er ID, als er HM. — Pfi Gardian fehlt IDM
gegen H. — 53 der vor untugenl fehlt H gegen ID. — daz vor
himelreich fehlt H gegen ID. — ob rehte in 1 gestanden hat, kann man
nicht ivissen. — 55 sin wellest IH, seist D. — 58 da vor wider
fehlt II gegen IDM. — 67 mensche nach ander in 1 gegen HD.
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich meines erachtens ganz
unwiderleglich, dass I mit der gruppe von hss. geht, an deren
spitze sich D befindet und insbesondere zu D selbst in einem
näheren Verhältnisse steht, welches freilich nicht eng genug ist,
um D als einen sprössling von I erscheinen zu lassen; das ver-
bietet sich schon durch die fehler und auslassungen von I, an deren
stelle D das richtige enthält, aus dem beitritt von I erwächst nun
der gruppe DM KW eine mächtige autorität gegenüber H, und man
wird jetzt in gar manchen zweifelhaften fällen geneigter sein , D
gegen H recht zu geben, als man vorher durfte.
Die eine bedeutende auslassung in I z. 18 gestattet, in Ver-
bindung mit den übrigen angemerkten fehlem der fragmente, den
schluss, dass auch 1 keine Originalaufzeichnung enthält, sondern
absdirift ist. da nun I noch im \'S jh. hergestellt wurde, so wird
ALTDEUTSCHE FUNDE ALS INNSBRUCK 215
die unmittelbare vorläge von I in die eigene zeit Bertholds von
Regensburg hinaufgerückt und für eine directe niederschrift oder
bearbeitung seiner predigten gehalten werden müssen, das ist in-
so ferne von grofser Wichtigkeit , als die predigt nr xlvii bei Strobl,
zu welcher die Innsbrucker abschnitte a — d gehören, die kürzere
fassung der predigt nr xiv darstellt bei Pfeiffer s. 196 ff. auch die
predigt nr liv bei Strobl, aus der die fragmente e — h stammen,
steht der weiteren fassung in der predigt nr vn, Pfeiffer s. 94 ff,
ziemlich nahe, die älteste der bis jetzt bekannten Überlieferungen
von deutschen predigten Bertholds schliefst sich also den kürzeren
fassungen an. somit dürfen diese, von Strobl herausgegebenen,
nicht mehr, wie diefs wol allgemein unter den fachgenossen ge-
schieht, um einer gewissen knappheit und dürftigkeit willen gegen
die reicheren und weitläuf tigeren fassungen in Pfeiffers bände zu-
rückgesetzt werden, ich finde in der beschaffenheit der neuen
fragmente eine bestätigung meiner im Anz. vn 381 geäufserten
ansieht, dass die kürzeren fassungen nur andere aufzeichnnngen
derselben predigten Bertholds sind, von denen uns ausführlichere
fassungen in der Heidelberger hs. nr 24 und der Brüsseler vor-
liegen, die hypothese über die entstehung der deutschen sammelhss.
von Bertholds predigte)!, welche ich soeben in meiner arbeit 'Über
eine Grazer hs. lateinisch -deutscher predigten. Graz 1890' vor-
getragen habe, wird durch diu Innsbrucker bruchstücke nicht be-
rührt, zumal diese uns ja auch keine Vermutung über umfang
und einrichtung der vollständigen hs. erlauben.
Die aufzeichnung der Innsbrucker fragmente wird sich bei
ihrem geringen umfange kaum mit Sicherheit einer bestimmten
gegend zuweisen lassen, die ch für k, die häufigen eu für iu
weisen nach Baiern, die eine merkwürdige Schreibung ou für ö
in tötsunde 18 nach Alemannien. alles andere ist mehrdeutig,
und somit wird man nichts sonst behaupten dürfen, als ilass nach
dem, was uns jetzt vorliegt , die bruchstücke in einem grenzgebiete
des bairischen dialectes gegen Alemannien hin geschrieben sein mögen.
IX.
MEISTER ECKBART.
Zwei streif en pergament , die aus einem blatte der länge nach
geschnitten sind und dann noch, der eine oben , der andere unten,
durch selniitte verkürzt wurden, das blatt, von dem die streifen
216 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
einen kleinen teil bilden, war 31 cm. hoch und enthielt 43 Zeilen
auf der seite. weder horizontale noch, verticale Unten sind für den
Schreiber vorhanden gewesen, der erste streifen reicht 1 — 2 cm.
über die schrift hinaus und umfasst noch ein stück leeren randes.
aus der beschaffenheit dieses randstreifens, dem bug, den heftlöchern,
möchte man schliefsen, dass, was ich als b auffasse, die Vorder-
seite vnd mein a die rückseite gewesen sei; das ist aber nicht der
fall, bug und heftlöcher sind durch die spatere Verwendung des
Mattes erst hervorgebracht worden, die schrift ist sehr schon und
sorgfältig, sie muss noch in die erste hälfte des \-ijhs. fallen und
ihr nrheber muss in einer schule alter tradition schreiben gelernt
haben , da er einzelne buchstaben , zb. e , h , z so bildet , wie das
ein- bis anderthalb jhh. vorher üblich gewesen war.
Die grofse geschmückte rote initiale H auf seite b bezeichnet
den an fang eines neuen Stückes, dieses ist identisch mit nr 19 der
von Sievers (1872) aus einer Oxforder hs. herausgegebenen pre-
digten des meister Eckhart, Zs. 15, 413 ff. diese predigt macht
aber nur etwa das erste drittel eines tractates aus, der mit der
Überschrift 'Kraft von Boyberg durch Pfeiffer Zs. 8, 23 S ff ver-
öffentlicht wurde. Sievers hatte dieses Verhältnis nicht bemerkt und
auch Wilhelm Preger war es entgangen, als er (1874) das ergebnis
seiner in der Zeitschrift für historische theologie 1864 und 1S66
geführten Untersuchungen in seine Geschichte der deutschen mystik
1, 317//' aufnahm. Preger hatte nämlich dort nachzuweisen ver-
sucht, dass jette abhandlung nicht dem Kraft von Boyberg, sondern
vielmehr meister Eckhart selbst zugeschrieben werden müsse.
Was vor dem kleinen a und b unserer fragmente sich be-
findet, stammt aus einem tractat, der ebenfalls von Pfeiffer aao.
s. 243 ff publiciert wurde und zioar als eigentum eines 'bruoder Franke
von Kölne.' auch von diesem iverkchen ('von zweierlei wegen') be-
hauptete Preger, es habe meister Eckhart zum Verfasser, die hs., der
die Innsbrucker bruchstücke entnommen sind, muss eine ähnliche
Sammlung mystischer Schriften enthalten haben, wie die Basler Co-
dices und der Einsiedler, welche Pfeiffer bei seiner Veröffentlichung
benutzt hatte, nur folgen hier die beiden stücke in anderer Ord-
nung auf einander als dort, der text der neuen fragmente weist
nicht unerhebliche unterschiede von dem gedruckten auf. diese
können am bequemsten klar gelegt und der vergleichung zugänglich
gemacht werden, wenn ich unter den bruchstücken die bereits be-
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 217
kannten texte abdrucke, ich lasse beim zweiten stück Sievers'
mitteldeutsche fassung bei seite und gebe nur die von Pfeiffer ober-
deutsch hergestellte, mit eckigen klammem umschliefse ich, ivas
unseren fragmenten fehlt.
Die beiden streifen sind aus der incunabel ^-B abgelöst, die
predigten Johann Ecks aus Ingolstadt 1534 und 1539 enthält und
aus dem kloster Neustift bei Brixen stammt.
a en hat. allez des man
t aller ding. e. daz si geschehen. Diu
svvebenden lieht. Hier uf sprichet
z sin selbes vvesen. daz niemen be
5 it. da nie creatur inne ge
en ob den iuren als hoch als
niht nützers ens!. noch geistlich
ein bechantnüsse der heiligen dri
ist der personeu. und des wesens. Waz
lu weseo daz da niht eugit. und niht
vermugentheit des weseus ist. daz
nen scheid, mer daz selbe wesen der
Zs. S, 246: diu riclieit gotes ist daz er nilit enlial noch niht enist
allez daz man geworfen mac. diu wisheit ist an der wolgeordenheit aller
dinge, diu kunst gotes ist diu vernemunge sin selbes in eim erhaben
liehte. hie von spricht sant Dyonisius 'daz lieht da got inne wont daz ist
sin selbes wesen, daz nieman bekant ist dan im selber.' di/. ist der höhe
wec der gotheit, da nie cieätdre inne gewandelt hat. hie von spricht got (5)
durch den propheten 'mine wege sint erhaben über die himel also hoch als
der himel über die erden.' sant Augustinus sprichet daz niht sorclicher
noch nützer noch seliger der seien si dan ze wandelen in dem bekentnisse
der heiligen dnvallikeit und einikeit. Nu merket mit vlize daz underscheit
der persönen unde des wesens. waz ist persöne in der drivaltikeit? [daz
ist persöne daz sunderlich unde vernünfticlich beneidet sine eigenschaft
gesundert von einander nah den persönen an ir underscheit. her umbe ist
ein persöne diu ander niht. daz (247) werc der persönen daz ist daz si
üzberen unde geben alliu dinc. diu gebeiunge gehceret den vater an alleine,
diu üzgebunge gehceret die drivaldikeit an gemein, waz ist wesen der drier
persönen in der drivaldikeit?] daz einveldiclich al in im beslozzen häl nah
einvaldikeit unde doch weder enbirt noch engibel an im selber weslich waz(io)
iz gibet. [daz geschult von den drin persönen sunder, die daz wesen wir-
kent, oder iz enmac. wan die persönen wirken t niht als drle, si wirken)
als ein got.] welich ist diu vermügenheit des wesens? diu vermügenheil
des wesens ist daz iz niht persöne i^t näh redt- unde staete bllbet in stner
weslicher einikeit; niht also daz iz sich von den persönen scheide, mer daz
21 ^ ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
der wesenden. und ist auch leben, der leb
ii die person. wan si siut niht person
15 vermak der vater niht Jemandes
person, uz siner person niht uz
so hat daz wesen der wesenlicheit.
henne. einen ze geberne. gelich
uzgange der personell. Daz ist diu ver
20 daz sich von im selben niht geoffen
mugentheit des vvesens. ist sin höhst
offenbaren mak. mer ez ist doch
griffent gantzllch daz wesen. dar
heit begriffen und bechennen. ze
25 n personen. wan wesen wirt
ent die personen daz wesen. dar
aturlich wesen ist. und also verre
t got. Mer daz ist doch also chleiu
selbe wesen daz ist natürlich der personen wesen und ist ouch wesen aller
dinge, iz ist wesen der wesenden, iz ist leben der lebenden, iz ist lieht der
liehte und ist nätür der nätüre: diz ist iz alliz an siner einvaldikeit.
also ist iz umbe die personen niht, wan si sint niht personen aller dinge
alse daz wesen aller dinge wesen ist. des vermac der vater niht iemans
(15) persöne ze sin dan sin selbes, er gebar ein ander persöne üz siner per-
söne, niht üz dem wesen, mer mit dem wesen in daz wesen. daz
der vater den sun bern mac mit aller volkomener seiden, glich im
selber, volkomener got als er selber got ist, daz hat er an sinem natür-
lichen wesen. [da der vater birt den sun, da git er im ein ander persöne
dan sin selbes persone ist, er git im aber niht ein ander nätüre noch ein
ander wesen dan sin eigen wesen ist.] alsus ist geoffenbäret daz wesen
von dem üzgange. diz ist diu mugenheit der personen zuo offenbaren daz
(20) wesen daz sich von im selber niht offenbaren mac, wan iz weder git noh
birt an im selber weslich. diu unmugenheit des Wesens daz ist sin hoehstiu
mugenheit, mer iz ist doch offenbar im selber, die persöne bekennent unde
begrifent glich diz wesen. diz wesen heldet sich glich zuo den personen.
Nu ist ein vräge under den meistern , ob diu persönlichen begrife unde be-
kenne zuo gründe oder niht. diu persönlichen begrifet unde bekennet zuo
(25) gründe daz wesen, wan iz der persöne natürlich wesen ist, unde diz wesen
wirt von nihte begriffen zuo gründe dan von den drin personen (248)
den ez natürlich ist. her umbe begrifent die persöne daz wesen, und
hie von sint die personen got persönlich von der begrifunge des Wesens,
daz ir natürlich wesen ist. und also verre als diu sele diz wesen begrifet,
also verre ist si gotlich. mer des ist doch also kleine daz si begrifen mac
als ein trän wider dem wilden mere. doch ist iz gotes alzemäle. mer daz
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 219
dem mer. doch begriffet si iht got
30 az ir ewiklich bliben sol. daz ist
d Nu mölit mau fragen, war
ir merkeu. an allen dingen die da
get von einer sache. diu ir selbes selb
st der sun. minne zu den selben pil
35 1er ding ewiklich in dem va
ben. Ditz ist gesprochen von
te mer persouen sin dann einiu.
m vater sint uz geflozzen elliu di
ch aller ding, an der ewicheit. aber
40 tur. aber in dem ewigen uz fluzze.
si got mit got. ([ Dar üf spr
nach dem gelichnüsse ir selb
cheit und in der zit. waz ist ein
b ist ein wolgevallen sin
45 uz gegangen in der zit. in dem gelw
barung sin selbes, im selben also fl
selben. Da ist bechennaer daz selbe
inlili bende guot, daz ir ewiclich entpliben sol also daz si iz niht durch- (30)
gründet, daz ist der vorspilende abgrunt. der tuot si ewiclich versinken
von ir selber, nü möhte man vrägen, war umbe ist niht ein persüne
als ein wesen ist"? diz merket, alliu diu dinc diu da sint, diu sint
von in selber niht, mer si sint geursprunct in der ewikeit von einem
Ursprünge der sin selbes ursprunc ist, und in der zit geschaffen von nihte
von der heiligen drivaldikeit. ir ewic ursprunc ist der vater und aller
dinge bilde in im daz ist der sun; minne zuo dem selben bilde daz ist
der heilige geist. dar umbe, hete der bildenere aller dinge in dem (35)
vater ewiclichen niht geswebet, so möhte der vater niht geworht haben,
diz ist gesprochen von der unsatter mugenheit des vaters. her umbe
muosten me persönen sin dan einiu, wan an dem ewigen vluzze den
sun von dem vater sint üz gevlozzen alliu dinc unde niht von in selber,
also ist der ewige vluz ein ursprunc aller dinge an ir ewikeit, aber in
der zit sint si von nihte geschaffen, unde da von sint si creätüren. aber (40)
in dem ewigen vluzze, in den si gevlozzen sint sunder sich selber, da
sint si gotan gote. hie von spricht sant Dyonisius daz diu erste sache
sachet alliu dinc näh dem glichnisse ir selbes. Nu merket den ander«
scheit des üzfluzzes in der ewikeit und in der zit. waz ist ein üzfluz?
daz ist ein behegelicheit sins willen mit eiin lihten onderscheit. also
sin wir üz gegangen in der zit in dem getwange Sinei minne. der ewic (45)
üzvluz ist ein offenbaren sin selbes in im selber, di ist der kcnnere daz
daz ist, daz da bekant ist. diz ist der fiwige vluz, des nie ein trän üz
220 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
ein zseher uz chom. in die ver
in einem zitlichem fluzze flie
5U fluzze sint si sunder mazze belibe
richet Dyonissus. Got der ist ein br
des suns. daz ist an siner ewigen g
bereut, daz ist ein ewigiu inguz
vseterlicheit. weder si si ursprinkli
55 der vseterlicheit. Nu verstet min eine
nibt. Wser daz wesen ursprinklic
ez niht. Waer aber diu vseterlicheit ur
also ist ez auch nibt. Da daz wes
wesen. mer diu nature des we
60 genaturet nature. daz ist der ursprin
quam in die vernemunge einiger creätüre; daz ist der sun von dem vater.
an dem zitlichen üzvluzze vluzzen allin dinc üz mit mäze. aber in disem
(öo) ewigen vluzze sint si sunder mäze bliben. also ist (249) der vluz vervlozzen
in sich selber, her üf spricht sant Dyonisius 'got ist ein brunne der in sich
selber ist vervlozzen.' der vater ist ein ursprunc sins sunes, daz ist an
siner ewigen geberunge. der vater unde der sun die ursprungent iren geist,
daz ist an einer ewiger entgiezunge.
Eyä, nü möhte manviägen, wie iz si umbe die veterlicheit, weder si
(55)ursprunclich si der veterlicheit. diz verstet mit einem erliuhten geiste. daz
wesen git noh nimt niht an im selber wesenlich, her umbe, were daz
wesen ursprunclieli des vaters, so were daz wesen bernde, so möhte iz niht
wesen sin, sunder iz were ein persöne. also ist iz niht, wan wesen ist
niht persöne näh siner einikeit. were aber diu veterlicheit ursprunclich des
wesens, so were ursprunc von des vater persöne. also ist iz ouch niht,
alleine der vater ursprunc si nach siner persöne, er ursprunget doch daz
wesen niht, wan veterlicheit unde weslicheit eine eigenschaft tragent. dar
(60) umbe ist er algewaltic zuo Ursprüngen näh der veterlicheit. [daz wesen
mac niht gesin äne persöne unde persön mac niht gesin äne nature, als ir
prüeven müget. ein ieclich dinc daz da ist daz mac niht gesin äne sine
nätüre, wan iz mac sin selbes niht gelangen, iz muoz ie sin daz iz ist.
seht also verstet, wan dan der vater ein persön ist, so mac er niht persöne
gesin äne nätüre, unde nature mac ouch niht sin äne persöne. wan ist si
nätüre, so muoz iz sin des nätüre si si. seht, also merket daz daz wesen
keine wis sin mac äne underscheil und understöz. persön und understöz
mac keine wis sin äne nätüre, daz daz wesen ist. seht, also ist bewiset
daz daz wesen niht ursprunget die veterlicheit, noch diu veterlicheit ouch
niht ursprunget daz wesen, wan ir kein äne daz ander sin mac. der sun
mac niht sin äne den vater noch der vater äne den sun noch si beide äne
den heiligen geist; noch danne behaldent si drie eigenschaft die si sun-
derent in ir underscheit. seht, also ist iz niht umbe die veterlicheit und
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 221
die Verborgenheit ir selbes oatur. Da
ein ist si al. von dem al. ist sie al. in d
er einik ein. und ist auch al. an al. da
rinklicheit des suues und si beide
65 den ist. {[ Eia wol dem geist. der
chennen. daz doch unbechant. d
mit irm verstantuüss iht gotes en
wie si zii im hoert. und wie si b
men. si belib stcetiklichen da. Daz
70 ntheit. Daz ist daz Jop sprichet. D
et zfl den oren der manne, und sprich
griilicheit. daz ist diu so sorksamich
diu oftenbarunge der blozzen verborgen
umbe daz wesen. ir kein mac gesin äne daz ander.] alleine wesen niht
persöne si unde persöne niht wesen, noch danne behaldet veterlicheit unde
weslicheit ein eigenschaft, also daz man niht sprechen mac daz ir kein des
andern ursprunc si, (250) wan iz ein eigenschaft, ist, als der vater ursprunget
den sun unde si beide ursprungent ir geist, der näh der nätüre ein mit in
beiden ist. Eyä, wol dem geiste, der dar üf genomen ist in diz riche blöz, (65)
bekennen daz allen den unbekant ist die niht blöz sint ir selbes, [sol diu
sele blöz sin , so muoz si haben ein abkeren von allen bilden und formen,
die ir offenbar sint, daz si üf der keiner blibe. wan gotlich nätür ist niht
bilde noch forme, also daz si iz verstän müge. wan swanne diu sele sich
keret von allem dem daz da oben ist — daz heizet gescheiden von bilden
unde von formen — so enpfehet si glichnisse der formelösen nätüre gotes,
des eigenlichiu forme nie creätüre offenbar wart in disem leben, diz ist
der heimliche inganc, den diu sele hat in gotliche nätüre an eim glichnisse.
wan swenne diu sele niht enhät üf dem si ste, so ist si bereit zuo gän in
ein glichnisse gotes, da nieman zuo komen mac, er si geblcezet von allen
geistlichen niatei ii-n. — Eyä, wie sere si sich hinderent dis heimlichen in-
ganges, die so übte blibent üf liplichen dingen! hie an bekenne ich selber
min armuot. hie zuo mante sant Dyonisius einen sinen junger unde sprach
'wilt du komen in die kuntschaft der verborgenen heimlicheit gotes, so muost
du iibergän allez daz dich hindert an eime lütern verstentnisse.'] wan swenne
diu blöze sele mit ir blözem verstentnisse, daz da erliulitet ist von einem
gotlichen liehte, gotes — , so bekennet si sich selben, swenne si danne
bekennet, wie si zuo im gevüeget ist unde wie si zuo im gehceret unde
wie si beide ein sint, möhte si vor der swerde irs lichamen, si blibe ste-
teclich dar an. diz höhe bekennen, daz diu stMe hat von der verborgener
heimlicheit gotes, daz ist daz Job sprichet 'in der griulicheit des Deutlichen (70)
gesihtes kumt er unde rünet zuo den dren des mannes.' waz meinet er mit
der griulicheit? daz tuot er die sorgsamikeit in disem bekentnisse, von dem
hie «eschriben ist. daz uehtlich gesihte daz ist diu offenbärunge der heim-
222 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
bechantnüss. und der bechennser ein.
75 Herre almsehtiger got. elliu d
gewalt. uüd herschaft ligent
guter ding in frid. Waz ist friheit
daz an niht enhanget. und al
erst, der da sache ist aller ding
80 er ding. Got ist alein allez gut.
ist er in allem zemal. Daz man sp
gut. daz ist er. Wan got. ist. daz is
Got hat chein vor. noch chein na
vor. noch nach noch chein vo
85 einem unbescheidenlichen lie
ner stille. Daz ist daz man
licher wärheit. daz rünen ist diu vervlozzen einunge, da daz bekante und
der bekenner ein sint. — der schließende zasatz der Basler hs. fehlt
also hier.
(75) Zs. 8, 238: Herre almehtiger got, alle ding sint in diner gewalt. gewalt
und herschaft lit an zwein dingen, an friheit und an besitzunge vil guoter
dingen in friden. was ist friheit? da sprichet ein heidenischer meister 'das
ding ist fri das an nihte hanget und an dem ouch niht enhanget.' dar
umbe enist nihtes niht fri wan diu erste sache, diu da ist ein sache aller
Sachen, zuo der herschaft beeret ouch, daz man besitze vil guoter ding
(80)unde scheener. nü ist got al guol in al; dar umbe besitzet er sich in al.
want swas got hat, das ist er in al. daz man sprichet das er habe minne
unde willen, wisheit, güete etc., das ist er. wan dis got ist, har umbe
enist nit niht, wand got e was dan niht. got enhät kein vor noch nach:
er niht hat volgen; sin volgen ist iht. des nihtes vor ist got, wan er &
was dan niht. des nihtes volgen ist iht: also enhät got kein vor noch
(S5) volgen. eyä, diu sache aller dinge, diu in ir selber swebet in einem under-
scheidenlichen Hellte, das er selber ist! got ist ein lieht in ime selben
swebende in einer stillen stillekeit, das ist das einege lieht, das einege
we"sen sin selber, das sich selbe verstet unde bekennet.
X.
(MEISTER ECKHART?)
Ein doppelblatt und ein einzelnes Matt sind die reste einer
pergamenths. , welche in der ersten hiilfte des 1 4 jhs. entstanden
ist. die blätter besitzen eine höhe von 11,8 cm., sind 9,8 cm.
breit, indes der text selbst mit 19 zeilen auf der seite nur 7,25 cm.
breit und 9,9 cm. hoch ist. etwa 27 buchstaben stehen auf einer
ALTDEUTSCHE FINDE AUS INNSBRUCK 223
der Zeilen, welche durch tintenlinien vorgezeichnet und durch ab-
schnittlinien eingerahmt werden, das einzelne blatt trägt die alte
bezifferung 60, das doppelblatt die nummern 62 und 79 (?). die
stücke sind vom buchbinder als rückenschutz verwendet und um-
gebogen aufgeleimt worden , in den kanten ist daher das pergament
fast ganz durchgescheuert , und was ich an den bezüglichen stellen
cursiv drucken lasse, ist mehr von mir conjiciert als würklich ge-
lesen, die blätter waren von der incunabel -^ F ( Vocabularius
hreviloquus 1482) abgelöst worden.
Vielleicht gehören die bruchstücke zu einem codex, der Schriften
meister Eckharts enthielt, zwar vermag ich sie in der mir be-
kannten Überlieferung Eckharts nicht nachzuweisen, doch stimmen
die fragmente ziemlich überein mit Eckharts erörterungen (ausgäbe
von Pfeiffer) 361, 25. 376, 32 ff. 380, 6 ff. 3S1, 32 ff. die deß-
nition der 'wahren freude z. 14 ff steht beinahe wörtlich in den von
Sievers herausgegebenen predigten Eckharts Zs. 15, 391, 25 ff. die
ganze ausdrucksweise der bruchstücke scheint es nahe zu legen,
dass meister Eckhart als ihr verf. vermutet werde, doch will ich
nicht verschweigen, dass auch manche eigenheiten in satzbau und
Wortstellung auf eine lat. vorläge zu schliefsen gestatten.
(60a) alse vlizich ist aller dinge di got ane gen, daz her
keine versumet an keiner stat noch an keiner zit, di ime rauge-
lich sin zu tune. Da von sprich di heilige geist: 'Der got
vorchtet, der tut gute werc unde versumet ir nicht.' ([ Urkunde
unrechter vorchte ist, wenne ein mensche durch äugest sines 5
libes eder gutis nicht Ritterlichen durch got gute werc tut unde
iz ubele lezit. Dise vorchte verhütet got seiher: Mnvorchtet nicht
di lute, di uch den lip mugen nemen, sunder got, der uvver seli
in di helle mach weilen.' wen die lute sin af gote, an den ir
trost habit, lazet se uf sten, daz se uch hellen. War vroude 10
ist minne
(60b) materia aller vroude stet an goli: gewalt, wisheil,
gute, mildicheit, Schönheit, minne, edelicheit, clarheit. Di ding
sin ummezich unde ewich an goti: Dise mensche hat wäre vroude,
der lutter samwizicheit hat an allen sinen werken unde Dimmer 15
von mutwillen brich gotis bot noch sin gelubde, sunder der alle
zit willen hat vor huz zu comene an geisllicheu Sachen unde
4 Eccle. 7,19. — das zeichen ist rot 7 Hatth. 10, 28. [Orot
2V2 zeilen sind abgeschnitten. 15 alle -.
224 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
sich zu vereinene mit gütlichen siten uude mit den heiligen siten
Jhesu Christi, von diser samwizicheit rumit unde vrowit sich
20 sente Paul, so he sprich: 'unse lere unde rum ist, wenne wir
hahen ein orkunde an unser samwizicheit einval-
tichliche unde lutlerliche
(62a) materie vvarir vroude hat der mensche, der anme
herzen wisheit intpheit von goti, daz ime sin alle sine sunde ver-
25 geben, mit den he got unde alle creatura so grobeliche irzurnet
hatte uude alle gotis gabi verloren hat, di he hatte, unde ver-
worcht hat alliz daz ime noch werden mochte. Dise wisheit hatte
sente Marie Magdalena, zu der got selber sprach: 'dine sunde
sin dir vergeben.' Ein ander orkunde unde materie ist warer
30 vroude sicherkeit des herzen, daz man gotis kint si, erbe des
hemelriches. Dise sicherkeit gibit der heilige geist: 'Urkunde
unde gezuc gibit got von sinem geiste, daz wir gotis kindere
sin; unde si wir kinder, so si wir erben.' Dise sicherkeit hatte
sente Paul, do he sprach: 'Ich bin (62bJ sicher, daz noch tot
35 noch leben noch kein creatura uns gesunderen mach von gotis
minne.' C Urkunde valscher minne unde iteler unrechter vroude
ist daz mau lust suchit an vergenglichen dingen, iz si werlich
eder geistlich mach eder werlich vroude. so getan vroude ist
jamers strit, wen wan daz ding vergeit , so verget di vroude unde
40 cumit jamer. unde joch minner cumit war vroude an diz herze,
jene wollust intowe alterst, wen se sich alle ubele unter ein
ander mugen liden alse win unde wazer. Ouch cumet ittiswanne
von uature vroude in daz herze, wenne man gedenket eder sprich
eder höret sprechen eder lisit von gotlicher salde eder so man
45 gerunge hat von nature hemelischer vroude, der alle
(79a) vallen ist eder vallen mach, kumet aber di gnade
weder, so sal man sich aber vorchten, daz man se anderweide
veilise. zur rechter nuz sal uns bringen der jemerliche val der
18 2 Cor. 1, 12: namgloria nosirahaec est, testimonium conscientiae
nostrae, quod in simplicitatc cordis et shiceritate Dei, et no?i in sapientia
earnali, sed in gratia Dei, conversati sumus in hoc mundo: abundantius
autem ad vos. 30 Luc. 7. 48. 31 Rom. 8, 16 /V ipse enim Spi-
ritus testimonium reddit spiritui noslro, quod sumus filii Dei. si autem
filii, et heredes. 34 Rom. 8, 39: certus enim sum, quia neque mors
neque vita neque creatura alia poterit nos separare a charitate
Dei. 41 nach alterst steht ve. 43 vroude nach nature ist am
runde nachgetragen.
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 225
engele, von dem sente Jacob sprich: 'Di got dienen, di sin nicht
stete an sime dieneste, unde got vant Irakeit an allen engelen. 50
wilichen angist muzzen danne haben arme lute di von erden sin
gemachet?' Ouch sal uns bringen zur rechter vorchte heiliger
lute jemerfrc/ier val von anegenge der weide: her Adames, Sam-
sonis, Danielis, Salomonis unde ander apostolen. unde hüte
vallen leider tusent von gotis siten, daz sin so heilige lute, daz 55
se anme jungesten tage solten sitzen bi unsem herren Jhesu
Christo zu gerichte, unde zen dusent von siner rechter hant,
(79b) daz sin, di man mit urteile wisen solde zume hemelriche.
Ouch solde uns bringen zu rechter vorchte der heiligen lute
vorchte, alse sente Job sprich von ime selber: 'Ich vorchte got 60
alle zit über mir alse eine vlust des meres.' Ouch sprich ein
glosa uf sente Johannes buche: 'wilich unser mach, gewis sin der
ewigen ruwe, ob sich sente Job so sere vorchte, den got selben
lobete, daz ime nieman glich was uf ertriche?' Ouch sprich
sente Jeronimus von ime selber: 'wen ich gedenke des jungesten 65
tagis, so irzitere ich an al mime übe.' waz sole wir böse lute
denne tun, dat so heilige lute sich vorchten? Urkunde warer
vorchte hat der mensche, der
49 vielmehr Job 4, 18 f: ecce qui serviunt ei, non sunt stabiles, et
in angelis suis reperit pravitatem. quanto magis hi, qui habitant domos
luteas, qui terrenum habent fundamentum, consumantur velut a tinea?
60 Job 3, 24/".- antequam comedam, suspiro: et tamqüam inun-
dantes aquae , sie rugitus meus: quid timor, quem timebam, evenit mihi,
et quod verebar, aeeidit. 62 gewiss nicht diu glöse über daz ewan-
geliuni s. Johannis bei Pfeiffer, Mystiker n 578 ff. vielleicht ist auch hier
statt Johannes zu schreiben Julies, denn in Gregors Moralia in Job finden
sich ga?iz ähnliche stellen, vgl. besonders lib. 5, cap. 8 — 10, Migne 75,
688/1 65 unter den möglichen stellen kommt besonders in betracht:
Comment. in lsaiam lib. 6, cap. 13 (Migne 24,215/7)-
XI.
PSALMENÜBERSETZUNG.
Ein blatt pergament, im \b jh. zweispaltig beschrieben, oben
und an der seile ist ein stück des textes abgeschnitten, es sind
Untenlinien für die zeilen vorhanden, ebenso verticale abgrenz-init/ai.
die höhe beträgt jetzt 2G cm., wobei der bewahrt gebliebene untere
rand allein 6 cm. misst , die breite 20 cm. auf dem erhaltenen
Z. F. D. A. XXXV. N. I . XXIII. 15
226 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
teile des Mattes stehen 32 zeilen, oben mögen etwa 4 Zeilen fehlen,
sodass das ganze Matt mit dem oberen rande 35 cm. höhe gehabt
haben wird, darf eine Wahrnehmung, welche sich bei mittelalter-
lichen hss. so oft machen lässt, auch hier angewendet werden, dass
nämlich höhe und breite der Matter im Verhältnis der proportion
des goldenen Schnittes zu einander stehen, so wäre eine breite von
22 cm. für das vollständige Matt zu vermuten, darnach kann
vielleicht über die Zugehörigkeit weiterer fragmente entschieden
werden.
Die schrift ist sehr sorgfältig und mit allerlei zierstrichen
ausgestattet, das Matt enthält auf den spalten a b die Übersetzung
des 99, auf c d den anfang der Übersetzung des 100 psahnes. die
historische Vorbemerkung zu den psalmen sowie der lateinische
text , auf dessen einzelne verse sogleich die deutsche Übersetzung
und erläuterung folgt, sind rot geschrieben, die psalmen beginnen
mit grofsen roten initialen, das Matt ist kläglich verwüstet, weil
es als Umschlag für die incunabel l^-D (tractate des Juristen Bo-
cerus) gedient hat. die spalten c d haben dabei als aufsenseite noch
viel mehr gelitten als a b. ich denke, es wird genügen, wenn ich
als probe den inhalt von a b abdmcke, bei c d hätte ich reagentien
anwenden müssen, durch deren nachwürkung das vielfach ab-
geriebene und durchlöcherte pergament noch mehr geschädigt wor-
den wäre, die interpunction , welche gänzlich fehlt, habe ich bei-
gefügt.
% Sprechent etleicb lerer, Moyses hab disen salm gemachet,
et.leich, in hab David gemachett. da ist nicht vil chriegs umb,
wan ir igleicher hett den geist der weyssaguug. und disen salm
sungen si hincz got, wenn si got pitten woldenn oder wenn si
5 im gewärt waren guter dinge. Also sol ein igleich mensch be-
rait sein ze aller zeit got ze lobenn. dovon sprichet er:
Jubilate domino omnis terra, servite domino in leticia.
Jubiliert got alles eder, daz ist, lobt got alle di auf dem
ederreich sind, dient unserm herren in frawden, daz ist mit
10 willigen mut, wenn betwungner dinst gevelt got nicht.
Introite in conspectu eius in exultacione.
8 über r von eder steht' ', die gewöhnliche abkürzung für ra (zb. in
sprach) und daneben ein verschliaigener haken, der in der abkürzung
von ewichlich z. 35 ich bedeuten soll; das gäbe also ederraich. — daz ist
lobt got steht zweimal.
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 227
Get in seinem anplickch in frawdeun, daz ist, get in an di
stat da man daz heilig opfer gocz leichnam mag gesehen, daz
ungelawbhaft läwt nicht angehört.
und daz sol mit geistleichen f'rawdenn und nicht mit üppigen 15
i'rawdenn geschehen.
Er sprichett:
Scitote quoniam dominus ipse est deus: ipse fecit nos, et
non ipsi nos.
Wizzet daz unser herr selb got ist, er hat uns beschallen, 20
und wir haben uns nicht beschaffen.
b waid, get in seinew tor gechung. Bei dem vos(?)
di laynn beczaichent Go schaffen gocz waide.
di er di sich nerent von den da czden altern ge-
opfert wirt. di sullenn unsern herren mit lob und mit andacht 25
seiner pnsgug verjehenn. Get in sein \vonung(?) mit lob, daz
ist czden altern verjeh ym mit lob.
Laudate nomen ejus, quoniam suavis est dominus, in eter-
num misericordia ejus et usque in generacione in generacionem
veritas ejus. 30
Lobt seinen namenn, wann unser herr istsüzz, daz ist daz
er sich schir lat erpittenn milt andachtigem lob. Sein parmh
er stät ist beraitt ze n
di ir sund rewent und püzzent, wann sein warhait ist daz
geslä . . ., daz ist di genad, di er be hat, di wert ewich- 35
lieh slächt. Diser salm
allew läwt zder andacht, die man haben sol zder chirchen und
ze vodrist ze unsers herren leichnam , der got dem vatter ein
genäm opfer \st.
Sprechent di maister daz David den lobsalm gemachett hab, 40
do er verstund daz in got an dem chiim
12 vor seinem steht frawden durchstrichen 26 pnsgug steht iö
da; das u ist, wie überhaupt auf dem blatt, dem n fast gleich vor
wonung sieht lob mit verjehung durchstrichen.
XII.
AUS EINER ÜBERSETZUNG PETRARCAS.
Acht zweispaltig beschriebene doppelblätter pergament von
durchschnittlich 154 cm. höhe and 27 cm. breite, die spaltenhöhe
betrügt etwa 26 — 27 cm., die breite je 10 cm. 44 zeilen stehen
15*
228 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
gewöhnlich auf einer spalte, die schrift gehört dem \b jh. an,
eher der ersten als der zweiten hälfte. sämmtliche blätter haben
als umschlage für hefte und bücher gedient und sind in folge
dessen arg beschädigt, abgerieben, durchlöchert, befleckt; auch
wurden stücke abgerissen und abgeschnitten, zu welchen zwecken
sie nach Zerstörung der ursprünglichen hs. gebraucht wurden, das
ergibt sich aus aufschriften , welche bei einzelnen blättern mit
grofsen buchst aben der quere nach über den alten text gesetzt sind,
so steht blatt 4ef: Verfach Buech für Hannsen Pürcher und
Adamen Freitag zur .... Statt und Landtgerichtfs Stuben an
Meran Gehörig auff Anno 1630. Statt: und Lantrichter Al-
lexann sert. (?) — auf 8ef steht: Herrn Slattschreibers an
Meran Hannsen Kaufmanns Dienner Christan Sibeuferchers und
Christan Wiren Verfach Puech auf das Jar 1631. Statt: und
Lanntrichter Thoman Pranntmair. — auf 6ef: Herrn Stattschreibers
an Meran Hannsen Kaufmanns Dienner Hanfs Mairs und Ulrichen
Parzellers Verfach Puech auf das Jar 1631. Statt: und Lannt-
richter Thoman Pranntmair. — auf 5ef: Herrn Stattschreibers
an Meran Hannsen Kaufmanns Dienner Sebastian Kiernens Ver-
fachpuech auf das Jar 1631. Statt: und Lanndtrichter Thoman
Pranntmair. — das wird derselbe Thoman Pranntmair sein, der
mit seinen brüdern Georg %ind Sebastian am 21 mai 1594 vom
erzherzog Ferdinand wappenbrief und lehensartikel ausgestellt er-
hielt, vgl. Hugo von Goldegg Die Tiroler wappenbücher im adels-
archive des k. k. ministerium des innern. Zeitschrift des Ferdi-
nandeums für Tirol und Vorarlberg, dritte folge, 19 heft (1875)
s. 132, nr 974.
Zum teil ist auf den blättern oben eine paginierung mit
roten römischen Ziffern erhalten, und es ist demnach: 2ab = u;
3ef = Lvn; 2ef = lviii; 4ab = lxxv; 4ef = lxsxu; 5ab =
lxxxxvii; 6ab = Lxxxxix; 7ab = c; 8ab = ci; 7ef=cxi. es
gehören also zu einer läge die doppelblätter 1. 2. 3, und zwar
fehlte zwischen 1 und 2 ein doppelblau, zwischen 3cd und 3ef
fehlten vier solche blätter; die läge enthielt also acht doppelblätter.
zu einer anderen läge gehört das doppelblatt 4, zwischen dessen
beiden teilen sich noch drei doppelblätter befanden; es wird also
wol das fünfte einer läge von acht doppelblättern gewesen sein,
die blätter 5. 6. 7. 8 gehören zu einer läge; zwischen 5 und 6
fehlt ein doppelblatt, zwischen den beiden teilen von 8 fehlen dem
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 229
anscheine nach vier doppelblätter , somit muss diese läge mehr als
acht doppelblätter ursprünglich besessen haben, irgend eine Signierung
der lagen vermochte ich nicht zu entdecken.
Die angeführten beobachtungen icerden durch den inhalt der
blätter bestätigt, das werk, aus xoelchem die fragmente stammen, war
eine deutsche Übersetzung der schrift Petrarcas: De variis reme-
diis utriusque fortunae (ich benutze die Rotterdamer ausgäbe
von 1649) und zwar entsprechen die einzelnen blätter folgender
mafsen den abschnitten des originales: V-11 = Ub.i cap. 64 De
aviariis avibusque loquacibus; cap. 65 De conjugii claritate. —
2a-d = Hb. i cap. 68 De optima dote; cap. 69 De gratis amo-
ribus. — 3a_d = Ub.i cap. 69 De gratis amoribus. — 3e~h =
lib. i cap. 80 De excellente praeceptore; cap. 81 De insigni disci-
pulo; cap. 82 De patre bono; cap. 83 De matre amantissima. —
2e_h = lib. i cap. 84 De piis fratribus bonisque sororibus; cap. 85
De bono domino. — le~h = lib. i cap. 90 De tranquillo statu. —
4a — d = lib. i cap. 114 De filii vel amici vel villici vel uxoris ex-
spectatione; cap. 115 De exspectatione meliorum temporum. —
4e— h = Praefatio libri secundi. — 5a~d = lib. ii cap. \6 De ad-
verso ludo taxillorum; cap. 17 De sponsa alteri adjudicata; cap. 18
De uxoris amissione. — 6a— d = lib. n cap. 19 De importuna
uxore; cap. 20 De raptu conjugis; cap. 21 De uxore impudica. —
7a_d = lib. ii cap. 21 De uxore impudica; cap. 22 De uxore sterili;
cap. 23 De fdia impudica. — 8a — d = lib. ii cap. 23 De filia im-
pudica; cap. 24 De adventitio dedecore. — 86-h = #6. n cap. 28
De ingratis; cap. 29 De servis malis. — 7e— h = lib. n cap. 29
De servis malis; cap. 30 De servis fugitivis. — 6e— h = lib. n
cap. 30 De servis fugitivis; cap. 31 De vicinis importunis; cap. 32
De inimicitiis. — 5e-u = lib. n cap. 36 De contemptu; cap. 37
De promissi muneris tarditate. —
Nicht immer decken sich die capitelzahlen der Übersetzung mit
denen des originales, so ist von cap. 80 des ersten buches ab die
Übersetzung um eine nummer zurück, ihr cap. 80 entspricht dem
81 Petrarcas, da sich die sache beim zweiten buch ähnlich ver-
hält und von cap. 16 — 31 die Übersetzung um eine nummer zurück-
bleibt, bei cap. 36 (=34), 37 (=35) sogar um zwei, so ist zu-
fälliges versehen ausgeschlossen, und man wird annehmen müssnt,
dass der Übersetzer absichtlich einen oder den anderen abschnitt
weggelassen habe, diese freiheit entspricht der haltung, welche der
230 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
Übersetzer auch sonst widerholt seinem original gegenüber einnimmt:
er kürzt gerne und bisweilen stark. — ob die fragmente zur
ersten niederschrift der Übersetzung gehören? dass am Schlüsse einer
läge (Sh) etliche worte vom anfange der nächsten vorausgenommen
sind, spricht dagegen ; verschiedene Schreibfehler und versehen dafür,
wahrscheinlich dünkt es mich im ganzen doch, dass die auf Zeich-
nung der bruchstücke schon eine abschrift bildete, wenn auch das
original vielleicht nur ein brouillon war.
Es scheint mir keine Ursache aufzufinden, weshalb man den
Ursprung der Übersetzung anderswohin als auch nach dem deutschen
Südtirol verlegen sollte, die spräche schickt sich dazu, aber auch
die litt er arischen Verhältnisse, in dieser gegend hat Hans Vintler
seine 'Pluemen der tugenf um dieselbe zeit aus den 'Fiori di virtü'
des Tomaso Leoni (1320) übersetzt, Oswald von Wolkenstein kennt
Dante und Petrarca (vgl. IvZingerle, Die Pluemen der tugent
des Hans Vintler s. xxxi). es wäre somit die arbeit, deren bruch-
stücke sich jetzt gefunden haben, nur ein zeugnis mehr für das
i nteresse, welches die deutschen Südtiroler im 15 jh. der benach-
barten italienischen litteratur zuwandten.
Den zwecken dieser Zeitschrift wird es entsprechen , wenn ich
aus den umfangreichen fragmenten nur einige proben bekannt
mache und dabei solche stücke unter beifügung dss originales aus-
wähle, bei denen sich einesteils die Schwierigkeit der vom Über-
setzer zu bewältigenden aufgaben, anderesteils sein verfahren deut-
lich erkennen lässt. dass später die gesammlen bruchstücke werden
veröffentlicht werden müssen, unterliegt keinem zwei fei. es gäbe
eine hübsche arbeit für einen anfänger, wenn in dieser publication
mit den Innsbrucker fragmenten auch das Stückchen einer zweiten
Übersetzung, das Adam Wernher von Themar 1516 drucken liefs
(vgl. KHart fehler Zeitschr. für die geschichte des Oberrheins 1888,
s. 1 ff. Gödeke Grundr.2 1, 445 nr 7. Wackernagel Litteratur gesch.
2, 140 anm. 6), und die späteren deutschen Übersetzungen, deren
drucke (aus dem IQ jh. vier) Blanc in Ersch und Grubers Ency-
clopädie m 19, 237 anm. anführt, verglichen würden, ferner wäre
das werk Petrarcas selbst, dessen Vollendung Körting in seiner
Geschichte der italienischen litteratur im Zeitalter der renaissance
an den schlnss des Jahres 1366 verlegt, einer erneuten prüfung,
besonders mit rücksicht auf seine mittelalterlichen Vorläufer zu
unterziehen, denn wie es keinen zweifei leidet (was schon durch
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 231
Mussafia hervorgehoben wurde (Ztschr. f. roman. philol. 3, 592 anm.),
dass Petrarcas vorbild dem inhalte nach die Seneca fälschlich zuge-
schriebenen Excerpta, auch unter dem titel De remediis fortuitorum
im Umlauf befindlich , abgegeben haben , so scheint es mir anderesteils
sicher, dass auch die form seiner schrift durch ältere arbeiten, zl.
den Dialogus anime conquerentis et Talionis cousolantis (vgl. darüber
Romania 5, 269 ff. 6, 141. Ztschr. f. roman. philol. 1, 556) aus
dem 13 jh. bestimmt worden ist. im 16 und noch im 17 jh. waren
diese dialoge Petrarcas beliebt, und vielleicht lassen sich die spuren
ihres einflusses in den einzelnen nationalen litteraturen Europas
weiter verfolgen als die gegenwärtige kenntnis erlaubt. —
(la) Fräwde: Ich hab redende atetern und
staro. Vernunft: Der chaiser Augustus der f'räwte sich in
solchen und chawft mit grossen gelt solch vogel , dy da grüssen
chunden dy uberwiutter und sigear. Und so man denn andre
und ander pracht und er genüg hette da haim dy in griissoten, 5
der allerleste den man pracht, der must pesundrer wunderleichait
machen und an wunderlicher stat, das man in chawfte. Als
man das list in saturnalibus hystoriis. Auch was list man in
der natürleichen hystorien ewrs nahen landes und stat Bern?
Das ain rapp gewesen sey als gelert, das er von Suters da man 10
in zoch aus flog ettwann und gruesste den chaiser Tyberiü,
Drusum und Germanicum mit iren pesundern nameu und den-
noch daz gancz römisch volkch; der von dem volkch in solcher
gnade und gunst gehabt wart, das ainer der in leicht aus zürn
oder aus neyd löttet, der wart des ersten ausgetriben von dem 15
volkch und darnach getöttet mit grossen pechlagen dez getütten
rappen. Und der rappe mit grösser feyer und erberchleichen
Gaudium: Habeo loquaces corvos ac picas et psittacos. Ratio: Laetatus
his Augustus Caesar, eos ma^nis emit preliis, qui victorem ac triumphantem
Caesarem salutarent. Cumque subinde alii atque alii ingererentur, satis se
salutatorum talium domi habere, respondit, ponens illi metam vanitati, nisi (5)
corvus ipse novissimus, loco illo mirabili, pluris se quam caeteros redimi
coegisset. Et liaec quidem in Satunialibus leguntur. Quid in naturaü vi-
cini nostri Veronensis historia? Corvus ille tarn docilis e sutrina, ubi impense(io)
alebatur, in publicum evolare solitus, et Tiberium Caesarem Drusumque et
Germanicum nominatim, totum denique Romanum populuin salutaret tanta
plebis gratia, tantoque omniuni favore, ut cum cum vicinus, vel invidia vrl
ira percilus occidisset, logeati omniusi maerore occisor ipse, ex ea victOM
pulsus primuni, deinde etiam a populo interfectus sit. Corvus autem operoswW)
232 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
wart pegraben. 0 werlt, aiu wundersam törhait des volkchs waz
dicz daz der rapp als wirdigchleich pestatet wart und sein mördßr,
20 ain römischer purger, als grawsamichleich getött wart, das auch
der grösste Affricanus nicht gehabt hat ain sämleich grebnusse
als derrappe, noch der mynner Affricanus ain gleiche rachunge
seins tödes. Der rapp grüsste daz volkch, als denn dy appt-
götter wolten, sunder dise zwen dy grüssten nicht alain daz
25 volkche, sunder auch sy gewunnen in er und guet. noch waz
dem volkche genemer dy stymme dez rappen dann dy tugent der
zwayer edlen mannen. Darumb so sol nyemaud sich sicher
achten, so er sich empholhen hat dem richte des volkches, und
wie wol daz sey daz den schäczern der gerechlichait nicht
30 wunder ist dise versmßhung
(lb) und pesunder der fursten, denn hat in
gemacht als ainen pesundern zu .... der menschen , da von da
pechömen ist der spruch diz: 'Ich, sitich, lere anderer menschen
namen von euch, sunder ze sprechen 'pis gegruesset, chaiser!'
35 das hab ich gelernt von mirselbs?' Fröwde: mir ist gar ain ge-
sprächig allster. Vernunft: Nvv sind gar selczäm gar gespräche
menschen, und du hast ain gar gespräch^ allster? Ich pechenn
wol das sy mag gechläfftig sein, sunder nicht gespräche, sunder
gruesspär. davon da spricht derpoeta: 'Ich, allster, mag dich,
40 meinen herren gruessen mit gewisser stymme, also das du mich
nicht chennest das ich ain vogel pin, ob du mich nicht siehst.'
Wärleichen man spricht wunderleiche ding von der allstem, von
exequiis et solenni funere elatus ac traditus sepulturae. 0 ineffabilis popu-
lorum semper insania! in illa urbe fletum et sepultum corvum, et ejus inter-
(20)fectorem, Romanum civem, morte multatum: in qua, nee Africanus major
sepulchrum habuit nee minor ultorem, quia (si diis placet) corvus hie po-
(25)pulum salutabat, ut diximus, 5111 autem non salutabant, sed salutem populo
gloriamque contulerant. Adeo gratior vox corvorum quam virorum virtus
illustrium. Neget nunc aliquis tutum, populi consensisse judicio, quam-
quam veris aestimatoribus non sit mirus publicus hie virorum contemp-
(30)tus? Verum psittacus salutator magnus, et praesertim prineipum,
quasi illum plane adulatorem fecerit natura, ünde distichon illud innotuit:
'Psittacus a vobis aliorum nomina discam, hoc didici per me dicere 'Cae-
<35)sar ave.' — Gaudium: Est mihi pica disertissima. Ratio: Cum perrari sint
homines diserti, tibi disertissima pica est? loquax fateor et salutatrix est
(40)sedula, unde et illud: 'Pica loquax certa dominum te voce saluto. si me
non videas, esse negabis avem.' Certe de hujus avis intentione, dicendique
studio, mira, nescio an vera, narrantur. Illud imprimis vix credibile, pro-
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 233
iren synne und von irm fleisse zu lern, ich waizz aber nicht,
ob es war ist. Man redt das, ob sy ains ie vergisst, daz sy sich
zwinget und swerleich laydiget (?) mit ynnerleicher petrachtung, 45
daz man es auch aufssleich merkchet; und geschieht es daz man
ir zu gedächtnüzz wider pringet dasselb vergessen wort, so frewet
sy sich mit wunderleichen weisen. Und wirt sy aber ains über-
wunden mit swäre des worttes oder mit swachait der gedächtnüzz,
so maynt man daz sy etwen sterb vor layde, das man wälleichen 50
nicht als wundersam achten möcht den töd Homeri, des grossen
poeten. doch sein nicht all allstem, dy solche lernunge haben,
sunder alain die dy aus aicheln nemen cly speise. Dy gestalt und
syn der allstem ist wundersam. Fräwde: Ich hab vil unzelleich
vogel gesammet. Vernunft: So du vil und nu gnw<7 sy gesam- 55
mest, so wän ich nicht daz da sey dir der Fenix, der ettwenn ainer
oder chainer ist, ob wir das gelawben wellen daz mau schreib,
das der selb vogl in dem achthundertu jare der stat Röme ge-
flogen sey von Arabia. — (am unt. rande federzeichnung e. vogels.)
positum ei verbum , si oblita sit, angi illam graviter et affligi, molestiam-(45)
que animi tacita meditatione testari; si ipsum sibi verbum ad memoriam
reducatur, miris modis hilarescere. At si prorsus seu verbi difficultate seu
memoriae imbecillitate vincatur, prae dolore etiam interdum niori, ut jam(50)
minus mira Homeri mors poetae sit habenda, si tarnen illa etiam vera est.
Neque vero picis omnibus haec docilitas datur, sed Ins tantum, et quae
glande eibum nomenque pereipiunt, et apud vos vulgo glandariae vocitantur:
picarum species et forma insignis et ingenio. — [das /'olgende lässt der
Übersetzer ganz fort: Gaudium: Dulcisonam canoramque lusciniam nactus
sum. Ratio: Et hanc quoque, stuinum graeci latinique sermonis dociles
inveniri et turdum insuper, sua aetate sermones humanos imitantem Bomae,
fuisse, autor est Plinius seeundus. Quod de sturno, nuper publice notum
fuit, quem seriatim plurima verba proferentem humanis accentibus, saepe in
ipsius Plinii patria, et audire tibi contigit et mirari. Nam de psittaco jam
trita res est, ut mirabilis jam esse desieiit. Quoties hunc audistis eibos
unum atque alterum clara voce poscentem? Quoties nutritorem suum proprio
nomine vocantem atque, ut persuaderet, multa illi gestuum ac verboium
dulcedine blandientem? Quoties sie ridentem, ut astantes in risum cogeret,
nee omnino alitis, sed veri risus hominis crederetur? Quae, quamvis ita sint,
tarnen hi omnes, lusciniae praesertim, multo melius (mihi credite) suis in ramis
canerent quam vestris in caveis; nisi quia vestra cupiditas niliil aestimat, nisi
quod sibi proprium fecit, cum natura fecerit euneta communia: sie ultra suos
fines atque ultra suum nomen tendit avaritia.] Gaudium: Aves innumeras
congregavi. Ratio: Ut multas, sive ut omnes habeas; phoenix, puto, deerit,(55)
sive unus, sive est nullus; sive illud in fidem reeepimus, quod quidam tradi-
dere: anno urbis octingentesimo aveni haue ex Arabiam Aegyptum evolasse. —
234 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
O (3s) Vo* dem gueten vater. lxxxi cap. Frewde: Ich hab
ainen guetten vater. Vernunft: pechenne deiu güet; das ist
leichte chlain. Frewde: Ich hab ainen allerpesten vater. Ver-
nunft: Ettwenn wirt er dir machen das wainen oder du im.
Frewde: Mir ist gar genädig mein vater. Vernunft: Ist es daz
65 da gehalten wirt dy zßel der natur, so vollget dir nach sam daz
erbtail ains grossen waynens; ist daz aber nicht, so peschicht
es dem vater. Frewde: Ich hab noch ainen vater. Vernunft:
Geprawch des stätichleich. Ain fröleichs alter des vaters ist ain
flüchtige frewd. Frewde: Ich hab ainen alten vater. Vernunft:
70 Hie ist nicht zeit der sawmunge. (3k) Eyle ze nemen von im
dy fruchte als von pawme, der snelle vallen wirt; du sein sich(?)
fleisch anhange in seiner seyten als vil du magst. Sich in pe-
girleich und noch pegirleicher höre in und sein leste vermanung
dy pehalt mit gedechtsamen herczen. Und wenn du von im
75 geest, so pesorg in, als ob du ainen verren weg geen wellest.
Du wirst sein mangeln zu ainem ratgeben, so wirstu in suechen
da haym und nicht vinden. FreVde: Ich hab ainen alten vater.
Vernunft: Dar umb so erpewt im dy aller höchsten dinste der
gute dy weil du magst; und tust du daz nicht, so wirt es dich
80 ewigchleich gerewen. Gaudium: Ich hab ainen guetigen vater.
Vernunft: Du hast der da sterbe vor dein und darnach ungern
vor dein lebin wolt. Frewde: Ich hab ainen aller pesten vater. Ver-
nunft: Du hast den du nicht erchennest, du mangelst sein denn,
und du hast über den du waynen wirst, so du in verlewsest.
(60) De Patre bono. Dial. lxxxii. (das folgende distichon fehlt wie bei
allen capiteln.) Gaudium: Habeo patrem bonum. Ratio: Bonum nosce tuum,
breve est. Gaudium: Patrem habeo Optimum. Ratio: Aut ille tibi luctum
pariet aut tu sibi. Gaudium: Indulgentissimus mihi est pater. Ratio: Si
(65)naturae ordo servatur, magni fletus haereditas te manet; illumque, si per-
vertitur. Gaudium: Patrem adhuc habeo. Ratio: Utere sedulo, fugitiva
jucuuditas pater senex. Gaudium: Patrem habeo grandaevum. Ratio: Non
(70) est locus inertiae: festina carpere fructus extremos tamquam ex a<bore
ruinosa. Charo lateri inhaere, quantum potes: cupide illum vide ceu con-
festim abiturum, cupidiusque audi et extremos monitus memori mente re-
(Tö)condito; desertumque, velut iter acturus, necessariis permunito. Egebis
illo consultore quaeresque eum nee invenies domi. Gaudium: Patrem habeo
decrepitum. Ratio: Propera novissima pielatis officia in illum congerere,
(so) dum licet: si quid nunc omiseris, dolebis semper. Gaudium: Patrem pium
habeo. Ratio: Habes qui ante le mori cupiat, post te vivere metuat. Gau-
dium: Habeo patrem optimum. Ratio: Habes quem, priusquam habere de-
sieris, vix agnoscas; habes et quem perditum suspires.
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 235
(Alis der vorrede zum zweiten buch.)
(4f) Daz hab ich auch of'te erfaren (4&), do 85
mir der himel und auch das mer gedröwet hat den tod , do dez
nachtes alle zaichen dez hymels mit vinstern wolkchen pedekchet
wurden und daz schef nahen mit dem wasser pedekchet war,
und also die schefläwt sam in der mitte des töds chriegten umb
weise ze pegreifl'en das haile. Dar zw nym auch die diug in den 90
der chrieg ist auch an widrige veiut. Sich waz Streits mit ain-
ander haben daz papir uud dy veder und dy tiute mit den Schreibern !
Und auch was Streits haben dy smide mit dem hammer und mit
dem ammpas! Und auch waz streite haben die pawern mit dem
phlüge, mit hakchen, mit ärn und mit ochsen und was Streites 95
haben dy rytter (nicht sprich ich mit irn veinten), sunder auch
mit irn harnasch und mit rossen, wenn dy harnasch drukchen,
eltwann dy roz daz sy widerspänig sein! Was geschäftnüzz,
wäustu , ist den tichtendn und den schreibendn, die ettwenn
zwynget ir maynung ze schreiben ettwas unvolchomens, und ett-100
wann zwynget sy, daz sy ettwaz volchomens nicht volbringen
mügen; dar zu sy zwynget ettwenn vergessenhait uud auch ett-
wanus älichait und unstetichait des gemüts. Und waz sol ich
sunderleichen sagen, wenn auch chain hantwerch mangelt seiner
aigen anvechtung. Ettleiche ander chünste, gleich als sy haben t05
ettleich merkchleichait der snellichait (l. suessichait) , also haben
sy auch zaichen der pitlerchait. Uud auch nichts der dinger,
dy da erlustigen den menschen, mag für pracht werden an chrieg
Didici hoc ego ultimum magnis sacpe periculis meis, dum mari coelo- (85)
que mortem minitantibus, nocte simul ac nubibus cuucta terrarum ac stel-
larum signa tegentibus, puppe jam fatiscente et semioppleta fluctibus,
uautae de summa rerum , media in morte, conlraiiis studiis atque opinio-
nibus obstinatissime litigarent. Adde in quilius sine adversario lis est. Quae (90)
gcriptprnm praelia cum membranis, cum atramento, cum calamis, cum pa-
pyro? Quae fabrorum cum malleis, cum forcipibus, cum incude? (Juae aia-
torum cum stiva, cum vomere, ipsisque cum glebis et cum bobus? (juae (95)
mililum (non dien cum hoste), sed cum equis atque armis propriis, dum
et Uli rebellant et haec praegravant aut comprimunt? Quid dietantibus
scribentibusque negotii est? dum hos inexpletum loqui multa cogil intentio,(100)
»Mos vel expleta pereipere vetat, hinc inscitia, hinc volatilis et inconstans
aiiinnis semperque aliud cogitans quam quod a^it. Sed quid sigillat imago?
Nulla mechanicorum difficultatibus suis vacat. Reliquae vit<>, a\ quiddai» (105)
notae dulcedinis, sie latentis amaritudinis multum habent, nihilque eorum,
236 ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK
und an streit. Lüge auch, was Streites haben dy chinder mit
110 vallen! Was chriegs da auch haben die chnaben mit den puech-
staben, dy mit grossen arbaiten sehen, daz sy nachmals mit
irevvden meen ! Und auch was vechten sey dez jungling mit
der wollust, oder ich sprich (4h) pas, was vechten sey der Wol-
lust mit den junglingen; wennwarumb? mit Wollüsten ist chain
llöchrieg nicht, sunder mer mit trechtichait(?), dy da wirser ist
denn chain streit. Ich glawb, als ich es versuecht habe, chainem
gesuchte, chainem alter, allen menschen an leyt grösser streyt,
den jungen lewten. In leit auch an wer dez unüberwintleichen
champhes, dy man swarleich sichet und ist doch nymand so pe-
120 trübt und als dürftig. Sich auch zum lesten was da sey dy
swäre der weiber in der chiudelunge und wie vil sorgleichait!
Merkehe auch was Streites sey dem manne mit armuet und mit
höchfart, wie grozz sein die angsten des lebens, daz da mer
verzeren wil denn es hat! Und was auch unrüwe der alten mit
125 dem alter, das mit manigerlay seuche sich naiget zu dem tode!
Und was Streits alle menschen haben mit dem tode und, das
noch swärer ist, mit der vorchte des tödes. Ich macht dise red
nu tawsenterlay pewärung aussprechen. Sunder ez ist als du
woltest, das du daz voder puech mit disen vörredendn handel
I30an sehen wilt, so sich ich, wie vil er übertreten hat. Darumb
so wil ich chürtzen dy materie und auch wider ziehen dy für-
wiezigehait, Und darumb zu ainer summen und pesliessung der
etiam quae delectant, sine lite agitur. Jamque infantum bella cum lapsibus;
aiO)C[uae puerorum rixa cum literis, amarissime serentium, quod praedulciter
metant? Quaenam insuper adolescentium Iis cum voluptatibus (dicam verius),
imo quanta secum lis affectuumque collisio? Cum voluptatibus est nulla lis
(H5)penitus, sed consensus est omni lite funestior. Credo expertus, nulli hominum
generi, nulli aetati plus litigii esse, plus inextricabilis laboriosique negotii,
ü20)nullos bominum tarn laetos videri, nullos esse tarn miseros aut tarn meestos.
Postremo quaenam feminis puerperii difficultas, quantumque discrimen? Quae-
nam viris cum paupertate atque ambitione luctamina? Quanta vitae, plus
quam expedit, satagentis anxietas? quod denique illud senum cum aetate
(125) ac morbis, propinquante morte? quod omnium ipsa cum morte, quodque
ipsa quoque est morte molestius, cum perpetuo mortis terrore certamen?
Possem hunc sermonem mille rerum argumentis extendere.
Sed si (ut libro superiore voluisti) sie epistolam quoque hanc prologi
locum obtinere et libri hujus partem esse volueris, jam hinc video, quantum
(l30)haec ipsa praefatio libri modum excedat. Itaque frenanda curiositas et cohi-
bendus est slilus. Ad summam ergo omnia, sed inprimis omnis hominum
ALTDEUTSCHE FUNDE AUS INNSBRUCK 237
matery, sich, das daz gancze lebin dez menschen ist ain streit auf
erdn. Und das ich. gesweige des äussern Streits, von dem ich
nu vil gesagt hab, Merkch nu, waz sey der ynner streit. 0 und 135
wäre er als vil chlainer als vil als er ist haymleicher! Wenn
warumb? er peschicht nicht alain wider andre gestalt, sunder
auch wider dy aygue, und nicht wider ainen pesundereu menschen
alain , sunder auch wider sich selben — .
vita lis quaedam est. Verum hac externa lite Interim omissa, de qua paulo
ante diximus, et quae minor, utinam, et ob id minus nota esset! Lis in- (135)
terior, quanta est, neque enim solum contra aliam, sed contra suam (ut
dixi) speciem, neque contra aliud individuum, sed contra semetipsum. —
Graz. ANTON E. SCHÖNBACH.
BELISARS ROSS.
In dem heifsen gefecht am pons Milvius, das der einschliefsung
des Belisar durch Witigis und seine Ostgoten im jähre 537 un-
mittelbar vorausgieng, ritt der oströmische feldherr, stets in
der vordersten reihe der kämpfenden, ein ross, das sich durch
seltene kampftüchtigkeit auszeichnete, aber durch seine auffäl-
lige Zeichnung dem reiter fast zum Verhängnis geworden wäre.
triye de i7t7t(p — so meldet der historiker des Gotenkrieges
Procop i 18 (ed. Bonn.) — t^vr/.avra 6yov(.ievog, noXe^aov re
Xiav tiircELQO) v.ai dict(Ji<jOao&ca xbv ertißaTTjV eTciOTauev(n,
og ör] olov fiev rb oco/.icc cpaibg r\v , %b (xextOTtov de anav ex
y.6(pa'/.)]g ccxqi eg qlvag Xevxog /.iciliora. tovtov El.Xrjveg (.isv
Oahbv , ßäqßaqot de Bälav v.alovoi. römische Überläufer,
denen das tier bekannt war, schrieen laut, man solle auf den
Bälag zielen, der ruf pflanzte sich im Gotenheere fort, ohne
dass man seine bedeutung ganz verstand, und von den meisten
gar nicht erkannt, wurde Belisar doch bald der mittelpunct des
schlachtgetümmels, aus dem ihn nur die übermenschliche tapfer-
keit seiner leibwache befreite.
FWrede, der in seiner Sprache der Ostgoten (QF 6S) s. 58
anm. 2 auf diese stelle hingewiesen hat, wirft die Vermutung
hin, es könne ein 'welsches' ross (loalha, wala, vgl. Bavöa-
XÜQiog — Wandala-harjis? JGrimm Kl. sehr. 5, 433) gemeinl
238 BELISARS ROSS
sein, das verbietet schon der Zusammenhang, den sich Wrede
nicht vor äugen gehalten hat. die griechische und die gotische
bezeichnuug müssen ein und dasselbe ausdrücken, sie beziehen
sich beide auf die färbung des tieres und siud auch lautlich
identisch, sobald man von der Verschiedenheit des suffixes (dort
-jo, hier -an) absieht: griech. (pal- = germ. bal- << idg. bhal-.
das griechische kennt zwei adjectiva cpalög und cpcchog in der
bedeutung 'splendidus, albus', und das letztere wird bereits bei
den antiken lexicographen mit der specielleren bedeutung 'albos
crines habens in fronte' aufgeführt: vgl. die stellen aus Eustathius,
Aristophaues und dem Etymologicum magnum bei Stephanus (ed.
Hase und Dindorf) vm 612 und für den pferdenamen Oahog
auch Jeschonnek De nominibus quae Graeci pecudibus domesticis
indiderunt (diss. Regim. 1885) s. 40, dem griechischen cpalog aber
entsprach aufs genauste ein germ. balaz, got. bals 'leuchtend weifs',
dessen schwache form, substantivisch als eigenname gebraucht,
Bala, -ins lautete und von den Griechen als Bctlag (acc. Bälctv)
ebenso widergegeben wurde, wie umgekehrt Ulfila Esaias, -ins
und Satana(s), -ins, papa, -ins flectierte; vgl. jetzt auch Wrede
aao. s. 183: den ausgangspunct der Verschmelzung bildete die
in beiden sprachen gleiche accusativform.
Ein tier wie es die Griechen (fraliog, die Goten Bala nannten,
das bei dunkeler grundfarbe einen weifsleuchtenden streifen von
der stirnhöhe bis zu den nüstern hat, nennt man heutzutage
Bläss, Bläfschen, Blässei: vgl. VVackernagel Kl. sehr. 3, 86, DVVR
ii 67 s.v. Blas, Blas, Bles; n 71 s.w. Bläsle; Blasse, Blässe,
Blesse, und den gleichen namen führt neben pferden und kühen
auch das Wasserhuhn oder 'blässhuhn' (fulica atra), das bei
schieferschwarzer grundfärbung von der stirnhöhe bis zur schuabel-
wurzel blendend weifs ist. den älteren namen dieses vogels nun
bewahren der bairische und schwäbische dialect als belche oder
belch bis heute (Schmeller i 170, Schmid s. 54) in verschiedenen
formen ; aus Nemnich führt das DWB i 1439 (neben Messe, blesz,
bleszhun usw.) auf: belch, belchine, böleher, bellhenne, und die alt-
hochdeutsche gestalt bietet Graff in 332 : pelicha 'fulix', pelichon
'fulicae'. das /r-suffix, von haus aus deminutivischer bedeutung,
ist für vogelnamen besonders beliebt (vgl. Kluge Etym. wb. s. v.
'belche', Nom. stammbildungslehre §61), pelicha stellt sich zu
bala ähnlich wie cranuh zu crane. anderseits aber begegnet
BELISARS ROSS 239
das abgeleitete wort auch wider als bezeichnung eines pferdes,
denn Belche heifst im Biterolt (v. 2275. 26S7. 11973) das ross
Dietleibs!
Mit dem alten namen des Wasserhuhns hat EMartin (Jahrb.
des vogesenclubs n 193 f) den bergnamen Belchen zusammen-
gebracht, der in Niederhesseu sogut wie am Oberrhein vorkommt,
ich glaube mit gutem recht, ein bergname wie Sternhelle (eine
meile nördlich von Marburg) weist deutlich auf das hin, was
auch einem 'Belchen' seine bezeichnung verschafft hat, eine kahle,
weithin leuchtende, vielleicht auch den schnee lauge haltende,
Stirnfläche; vgl. das alte Sprichwort: es heifst kein küw piäslin,
sie hab dann ein sternlin (aus Frank im DWB n 71, aus Sailer
bei Wackernagel Kl. sehr. 3, 86). und die volle bestätigung
findet Martins deutung dadurch, dass sich zu Belchen auch noch
der bergname Blesse, Blässe gesellt: ich kann hier nicht ge-
nauer untersuchen, wie viele der ähnlich klingenden namen heran-
zuziehen sind, sondern weise nur auf den Blessberg bei Frauen-
breitungen an der Werra hin, der in einer Urkunde Heinrichs n
vom jähre 1016 als Blessi erscheint (Förstemann Namenbuch
n2 281). so wären die beiden bezeichnungen Messe und belche(n)
für das haustier und den vvasservogel mit weifser stirnzeichnun^
wie für den berg mit kahlem oder schneebedecktem höhen-
streifen erwiesen, und die schönsten parallelen hierzu bietet das
griechische: neben (pal-a/.QÖg 'auf dem köpfe hell, kahlköpfig'
steht tc (päla/.oa für 'kahle felsgipfel', und neben rj cpa/.aoig,
gxtXrjQig 'das blässhuhn' tritt die wendung ogtj %l6vzggi cpaArjQa
(Nie. Ther. 461) 'berge mit weifsen schneespitzen'; vgl. den lehr-
reichen artikel in Buttmanus Lexilogus u 240 — 250.
Wir dürfen aber das bisher unbeachtete germanische ad-
jeclivum balaz noch weiter auf dem gebiete der eigenuamen ver-
folgen, da ist zunächst ein mehrfach — in Hessen und West-
falen — vorkommender ortsname Balhorn , Ballhorn: sowoi die
heutige ausspräche wie die vom 8 bis ins 11 jh. belegten formen
Balahorna, Balahormm usw. (Förstemann n" 19S) mit ihrem be-
wahrten suffixvocal beweisen, dass nicht an an. bäl, ae. bwl 'rogtts'
zu denken ist, wie JGrimm Kl. sehr. 2, 260 (Ober d;\* verbrenneil
der leichen, 1849) wollte, die bezeichnung gehört vielmehr in di<>
gleiche kategorie mit namen wie Lichtenberg, Schauenburg, Kahlen -
berg usw. dass sich bala- gerade nur in der Verbindung mit hom
240 BELISARS ROSS
erhalten hat, braucht nicht ganz zufall zu sein; vgl. hierzu auch
die griechischen berg- und Ortsnamen (Däla/.QOv, (Daläy.oior,
OdXä'KQa, &<xIÜy.Q(U1.
Sodann die ahd. personennamen mit Bai-, Pal- (s. Pipers
index), zu denen wol auch Ballo gehört: es ist eine koseform,
von ähnlicher bedeutung wie Berhto (ebenda i 239), und die
doppelconsonanz darum selbstverständlich, wenn aber die gleiche
gemination bei einem Markomannen Ballo /.läoiog des 2 (KMiiller
Hist. gr. iv 196) und bei einem Franken Ballomeris des 6 jhs.
(Greg. Tur. 7, 14) auftaucht, so wird man wol der annähme,
dass hier wie nicht selten die consonantengemination der kose-
form in das compositum übertragen sei (vgl. Otlegebe uä.) die an-
setzuug eines balla <C bhal-nö neben bala vorziehen, die erschei-
nuug hätte ihre parallele in alla neben ala, nur dass freilich die
für composita beliebtere form gerade ala- ist.
Als eine Weiterbildung mit fo-suffix hat man zu gr. cpalög
längst lit. baltas 'weifs' gestellt (inf. bal-ti 'weifs werden'), und
JGrimm Myth. 202 f warf schon die frage auf, ob nicht dieses
baltas 'weifs' mit dem lautlich identischen got. balßs 'kühn' aufs
engste zusammengehöre, ich glaube, dass an der identität der
beiden ein zweifei kaum möglich ist und dass die bedeutungs-
vermittelung keinerlei Schwierigkeit macht, auch wenn man das
blasse 'gut', das JGrimm als vermittelnde bedeutung anzusetzen
scheint (doch vgl. anhang s. 78), aus dem spiele lässt. man halte
sich nur einen vergleich wie 'schnell wie der blitz' oder die
doppelheit der bedeutung von gr. ctgyög vor äugen: 1) 'hell
schimmernd, glänzend'; 2) 'schnell', oder man denke an die
engen beziehungen, die idg.WmJin seinen verschiedenen ableituugeu
zu 'stirn' bat (got. bah, yr. cpaliog heifsen 'mit weifser stirn',
6 cpdlog und tcc qxxlaoa bezeichnen die blanken teile des stirn-
schützenden heims, sskr. bhdla 'glänz, stirn') und erinnere sich
an melonyme wie 'mit freier stirn', 'die stirn haben', 'die stirn
bieten'; auch das lateinische kennt frons in ähnlicher Verwendung,
sodass alteglossen geradezu paldi dafür einsetzen (Abd.gll.ii 344, 17.
762, 18)). oder schliefslich: mau ziehe die bedeutungslinie von
'hell leuchtend' über 'sichtbar', 'öffentlich', 'freimütig' zu 'kühn', wie
wahrscheinlich auch diese letzte entwickelung ist, das zeigt schön
1 wie (pal und bal in bergnanien, so finden sich aktp und alb in fluss-
namen auf beiden Seiten: A).(peiös und Albis.
BELISARS ROSS 241
die glosse bairhtaba — balpaba (Sept. lv rcaoQ^aia, Vulg. palam)
Col. 2, 15. kurz es besteht keine Schwierigkeit, die bedeutungen
von got. bals und balps zu vermitteln, kein grund, die identischen
formen lit. baltas, germ. balpaz zu trennen, und es muss bei dem
hohen alter der betr. namengebungen trotz Jordanes unentschieden
bleiben, ob das westgotische köuigsgeschlecht der Balthi (Jord.
ed. Mommsen 64, 22. 96, 14) ursprünglich als 'die leuchtenden'
oder als 'die kühnen' benannt wurde, ja ob nicht balp, bald im
ersten und vor allem im zweiten gliede germanischer eigen namen
in frühester zeit dasselbe wie dag und berht besagte.
Fest zu stehn scheint mir, dass germ. bal- zu gründe liegt
und dass auch das mit fo-suffix abgeleitete *bal-paz ursprüng-
lich die bedeutung 'licht, hell, glänzend' hatte, dadurch wird
die etymologie von an. Baldr, ae. Bealdor, ahd. Paltar, das seiner
bildung nach in ein weit höheres alter als die composita mit
balp zurückreicht, bereits entschieden, germ. Baldr steht im
grammatischen Wechsel zu balps, dh. jenes ist mit einem betonten
fr- suffix, dies mit einem unbetonten fo-sufßx von idg. bhal-,
germ. bal- abgeleitet, und da dies grundvvort auf licht, glänz hin-
weist, so berechtigt uns nichts, zur erklärung von Baldr eine
ganz andere ableitung des alten bhal, nämlich balps 'kühn'
heranzuziehen. die Vermutung, dass balpaz auch im germ.
ursprünglich nicht 'kühn', sondern 'licht, glänzend' bedeutete,
kann dabei ganz aus dem spiel bleiben; wol aber mag es nicht
unangebracht sein, vor einer directen ableitung von Baldr aus
balpaz, balps zu warnen: eine solche hätte *Balstr, ahd. * Palstar
ergeben müssen. Kluge iNom. stammbildungslehre § 30 und
Bugge Studien s. 68 (der Übersetzung), die den Zusammenhang
zwischen bealdor-baldr und balps betonen, ohne die wurzelbedeutung
zu kennen , und Kaulfmann in seinem bücheichen über Deutsche
mythologie s. 79, der aus Baldr 'den kühnen kriegsfürstea' heraus-
liest, zeihe ich freilich nicht dieses lautlichen irrtums.
Baldr d.i. bhal-tr' bezeichnet den 'leuchtenden, licht ver-
breitenden', und diese deutung stimmt aufs schönste zu dem,
was uns die skandinavische mythologie über die äufsere erschein
nung des schönsten der götter berichtet. Gylfag. c. 22: hann er
svd fagr dlitum, svd at lysir afhonum, ok eitt gras er svd
hvitt, at jafnat er til Baldrs-brdr, pat er allra gram Itvitast ; ok
par eptir mdtpü marka hans fegurd, Imdi hdr ok liki; ham er
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 16
242 BEL1SARS ROSS
hvitaslr1 Asanna ok fegrst taladr ok liknsamastr. es ist höchst
beachtenswert, dass sich in dieser beschreibung des gottes als
wesenhafter zug das erhallen hat, worauf die einzig mögliche her-
leitung des namens hinweist, und zwar obwol mit dem frühen unter-
gang des alten adj. *balr im norden jedes etymologische verstäudnis
geschwunden sein muste. die gefahr einer umdeutuug seines
weseus durch directe anlehnuug an balßaz, ballr lag nahe genug,
sie scheint bereits in der dänischen fassung des Saxo grammaticus
eingetreten zu sein und würkt bis heute nach: Kaufl'manu (aao.
s. 76 f) zählt jenen hervorragend characteristischeu zug — auf
den übrigens auch Baldrs wohnung Breidablik hinweist — zu
den 'fremdartigen', ihm ist der Balderus Saxos die ursprüngliche
gestalt, der held nach nordgermanischem durchschnittsideal, der
unter dem uameu des 'kühnen' einmal 'auf erden gewandelt hat'
und einer kette von misverständuissen seine erhebung unter die
götter verdankt.
Auf eine andere art findet unsere deutung von Baldr auf
englischem boden bestätiguug. bekanntlich weisen die alten königs-
genealogieu von Wessex und Beruicia (Myth.4 3, 379 ff, Müllen-
hofl Beovulf s. 63.65) als söhn Vodeus einen Bceldceg (Bäldäg,
Beldeg) auf, an dessen stelle dann der Chronist Ethelwerd (Mon.
bist. Brit. i 512) geradezu Balder bietet, nun mag man Bugge
(Studien s. 312 ff) immerhin einräumen, dass der anspruchsvolle
ealdorman vom ende des 10 jhs. hier nicht aus einer besseren
quelle schöpfte, sondern aus eigener machtvollkommenheit änderte:
damit ist die Wahrscheinlichkeit nicht beseitigt, dass Bceldceg
ein beiuame oder auch eine hypostase des Baldr — Bealdor war.
das lautliche hindernis, das Bugge s. 313 aum. 2 zwischen beald
und bcel aufrichtet, um die beiden namen scharf auseinander-
zuhalten, ist für uns nicht mehr vorhanden, seit wir neben
baldr und balpaz ein gerin. balaz wolbezeugt aufgefunden haben,
wir teilen das wort wie Bugge — aber auch wie JGrimm,
den B. hier wider nirgends berücksichtigt! — in Bcel-dceg ab,
deuten es sehr einfach als 'heller tag, glanztag' und finden
in der last verblüffenden etymologischen durchsichtigkeit dieses
compositums eine neue beslätigung für das wesen und den
namen Baldrs.
1 so nach A (Upsalaer hs.), gegenüber vitrastr der vulgata , Mogk
FBBeiti. 6, 528.
BEL1SARS ROSS 243
lu der poetischen spräche der Skandinavier und wol noch
häufiger bei den Angelsachsen erscheint ein subst. 6aMr — bealdor
in der bedeuUing 'fürst', dass es sich hier aber lediglich um
eine nietapher aus der Werkstatt und dem apparat der berufsdichter
handelt, scheint bewiesen, weil wir es nordisch last nur im
zweiten teile von compositen (mannbaldr, fölkbaldr, herbaldr), alt-
englisch wol ausschliefslich in der formelhaften Verbindung mit
genitiven finden (Wedera, wigena, gumena, beorna, rinca, sinca
bealdor usw.). fürs alteuglische ist überdies bezeichnend , dass
die naheliegende reimbiudung ealdor : bealdor unterbleibt, recht
im gegensatz zu jener beliebtheit, welche Kluge PBBeitr. 9, 424f
und OHoffmaun Reimformeln im westgerm. s. 73 f für eorlas:
ceorlas auch in der prosa erweisen: bealdor war eben kein wort
der rechts- und Umgangssprache, was aber den Übergang des alten
götternamens in ein zunächst poetisches appellativum angeht, so hat
JGrimm gleich im eingaug seines Paltar-capitels darauf hingewiesen,
dass er in dem Schicksal von Fred — Fr 6 seine genaueste parallele
findet, und gleichwol bekommt man den altklugen hinweis auf
das englisch -nordische substantivum immer wider zu boren.
Was ich im obigeu für die etymologie des namens Baldr
beigebracht habe, ist im wesentlichen nur eine bestätigung dessen,
was schon in der Mythologie s. 201 IV (vgl. anhang s. 182 I) aus-
geführt steht, der glückliche fund des gotischen bala — *bals
setzte mich in den stand, das dort verwendete litu-slavische
sprachmaterial aus heimischem gute zu ergänzen und in einigen
puucteu JGrimm gegen JGrimm zu verteidigen, denn freilich
hat der altmeister in späteren jähren, zuerst in der erläuterun^
der Merseburger Zaubersprüche (1842, jetzt Kl. sehr. 2, 14),
Bceldceg als 'dies rogi , ignis' gedeutet, und als er für seiue
schöne academische abhandlung über das verbrennen der leicheu
sprachliche Zeugnisse suchte (1849), festigte sich ihm die neigung,
Baldr selbst mit au. bäl, ae. beel 'ignis, flamma, rogus, pyra' in
beziehung zu setzen (Kl. sehr. 2, 275). die erstere etymologie
stellt jetzt zweifelnd auch Bugge (Studien s. 312 anm.2) wider auf.
Jenes au. bäl, ae. bäl, got. *bel steht natürlich in keinem
zusammenhaue mit >skr. bhdla 'glänz, slirn', wie man früher
(Fick i 152) annahm, und ebensowenig darf es mii unserem
bala zusammengebraebt werden: 'weifslich helle färbe' und 'feuers-
glut' vertragen sich — trotz 'weifsglühendem' eisen — nur
16*
244 BELISARS ROSS
schlecht zusammen, dagegen mag es bei der Verlegenheit, mit
der wir noch immer dem mhd. buole 'amator' (ahd. n. pr. Buolo)
gegenüberstehn, gestattet sein auf jenes germ. *bel als ent-
sprechende ablautsform hinzuweisen: 'der brünstige' und 'die
brunst' würden ja recht gut zu einander passen, doch leuchtet
mir selbst die von Heyne in seinem wb. vertretene auffassung
ein , dass buole ein altes kosewort sein mag.
Und nun noch ein kurzer abstecher zur heldensage. wie
sich zur germ. wurzel hei ein stm. helm(az), zu gal desgl. galm,
zu mel mal die Zwillinge ahd. mehn ae. mealm stellen, so dürfen
wir zu bal ein stm. got. *balms ahd. *palm 'splendor' ansetzen,
eine patronymische ableitung davon liegt in dem namen von Sieg-
frieds schwert vor: Balmung, etwa 'söhn des glanzes'.
Weit genug hat uns der ritt mit Belisars schlachtrosse ge-
führt, und vielleicht wünscht mancher, dass ich nun auch am
namen seines reiters nicht vorübergeh. JGrimms bekannte deu-
tung Walis(a)-harjis (Kl. sehr. 3, 232 uö.) ist schon wegen des
umlauts unwahrscheinlich, an Wili-sarws oder Wilisarweis (vgl.
Wiliger, Wilihelm, Wilibrand) scheint Förstemanu i 1074 gedacht
zu haben; zu seinem bedenken, dass sarw im zweiten com-
positionsglied unbelegt sei, tritt das weitere, dass Procop germ.
Wüi durchweg als Ovfo, nie als Bell, BiXt widergibt (Wrede
Ostgotische spräche s. 32 f). so bleibt die von Müllenhoff Zs.
12, 288 vorgeschlagene deutuug als die einzig mögliche übrig:
Bilisharjis zu ahd. Piliheri, wie got. Sigismer zu ahd. Sigimdr.
sie wird aufs schönste bestätigt durch den ■ Pilsari bei Piper
Libri confrat. n 456, 4 (ca. 800), und es lohnt sich wol einmal
wider darauf hinzuweisen, weil der hier vorliegende alte neutrale
as(is) - stamm, derselbe der verkürzt in billich und dem häufigen
bergnamen Bihtein, volksetymologisch umgedeutet in wichbilde
vorliegt, bei Kluge (Nom. Stammbildungslehre § 84, Etym. wb.
s. v. 'weichbild') und sonst unbeachtet geblieben ist.
Marburg. EDWARD SCHRÖDER.
NOCHMALS SCHIFF UND REGENBOGEN.
Die vorarbeiten zu einem isländischen glossar, das sich jetzt
im drucke befindet, veranlassten mich, den von Kölbing Zs. 23,
258 — 261 gegebenen abdruck der in der arnamagncBischen hs.
NOCHMALS SCHIFF UND REGENBOGEN 245
6734 4° enthaltenen auslegung von schiff und regenbogen mit
dem original zu vergleichen, es stellte sich dabei heraus, dass K.s
ab druck an zahlreichen ungenauigkeiten und sogar einigen groben
fehlem leidet, die keineswegs durch seine berichtigungen im Anzeiger
vi 112 erschöpfend beseitigt wurden, iceil die auslegung sehr kurz
ist, schien es mir unyr actisch , noch einmal berichtigungen zu
geben : ich drucke also den text vollständig ab. cursive buchstaben
bezeichnen aufgelöste abkürzungen. was ich in klammem ein-
schliefse, habe ich nicht sicher lesen können, sondern aus noch
vorhandenen resten von buchstaben oder nach dem sitm der um-
gebenden worte ergänzt, wo ich keine ergänzring gewagt habe,
wird dies durch * * * * angedeutet, was ich durch U widergebe ist
ein t mit einem unten angehängten haken, die Seiten bezeichne
ich mit den zahlen, die sie nach Dahlerups Untersuchung über die
Zusammensetzung der hs. (Arbeger for nordisk oldkyndighed og
historie 18S9 s. 232 — 238) tragen sollen.
seite 17.
Pa er per erom askipum s[tadde]r pa scolum
per oss lata lhug koma hpa[t] skipet iar
teiner allt sam[a]n • Pat lartemer he[i]me[is]
allan saman - En kiolr eis lartemer tru retta •
Stafnar larteina skirn ora • En naglarner lar-
teiner aost pip gup almatkan droMen varn
i'yr ppi at hon helSr saman allre tru se[m]
naglar halda saman aollo skipeno • iNpip * * * *
teiner göpgerning raaiva • fyn pvi at spa &em
in pipir remma allt skipet • spa *******
göp perc • hugskot maNz til gups misktiNar
En är[a]r larteina f'ramf'orslo göpra perka • fy
rer pvi at skipet er skamfert ef eige fylgia
ararnar • Styret lartemer tu[n]gu marsz • i'yr
pvi at stiörnen slyrer skipeno • sein tun
17,1 P in Pa grofs und mit roter färbe. 3 he[i]me[N] vielleicht
he[i]me[nn]. 5 ora vielleicht ora. 6 teiner vielleicht teiner.
9 von tv in Iva nur geringe überregte, die aber die letung Ina nicht ge-
statten. 10 die rette des letzten buchstaben der teile scheinen von
einem a nicht herrühren zu können; holhin^s Vermutung reinina ist somit
unwahrscheinlich. 14 ararnar vielleicht ararnar. LS zwischen at
und stiörnen steht ein als ungiUig miterpuncüertes Imn.
246 NOCHMALS SCHIFF UND REGENBOGEN
ga roaNZ styrer aallom maisenom til gojira
liluta lllra epa lila • En ef styre mapr styrer
lila skipeno • pa * * * afleipes skipet • oc fyrer
ferse allt pat er a er askipeno • Spa fynfeR
20 oc sä mapr ser • er lila styrer tungu siwe • oc
perpr morgom pat at bana • En ef haN gseter
prel tungu siNar • pa styrer bann ser til himmnkis •
seile 18.
Siglu tre * * * * larteiner + drottens pars •
En seglet [iar]teiner drohen p[a]rn sialfan • fin pvi •
[at] bann [er] yfer aollom heimi s[va] sem segll er yfer
skipe • En rakeis ä treno larteiner po:ngio:p • [ja
5 er gypingar leto ahofub drotne o:om • t[a]umar
[oc] stepiugar larteina blop b[at er r]ann or hondom
[drotle]ns pars • Pat eigom per at pita at messa sii
[er ke]ise meN syngva • larteiner skipet sem apr
************ dagtipir larteina arar skips ens
10 ***** skipet er scamfert ef eigi fylgia ä-
rar • En[arar er]o eigi psel i halo ef eigi fylgia ber
skipeno • ********* dewm • larteiner kioleN aski[p]eno • En
s[k]i[r]n aor larteiner stafna skipsens • Pater noster ■ oc göp
perc iartein[a na]glana i skipeno • En aost sü er
15 mapr hefer pip gup almatkan • larteiner rornar
a sauminum • fyn pvi • at pat fester allt saman •
bo:b skipsens oc naglana ■ Gopgerning maisa
larteiner iispip l skipenu • fyn pvi at spa sem iispiper
remma allt skipet • spa remma oc göp perc hug —
20 skot gott • allan pnfuop ibrioste marcz Iil gups
miskuNar • oc tenger saman alla göpa blute • En
ef per [m]issom messoisar • pa missom per skipsens
seite 19.
pess er oss er aoll hiolp i • oc spa [ef] ver missom dag
ti]>a • pa missom per [araiv]a skipsens • Sp[a verpr o]c ef per
17, 18 der räum zwischen pa und afleipes scheint für ein snysc
(Kölbing) nicht hinreichend.
18,2 let von seglet nicht ganz sicher. 7 pars vielleicht pars.
13 s-[k]i[i](i undeutlich.
19, 2 von p in verpr sind noch Überreste zu sehen.
NOCHMALS SCHIFF UND REGENBOGEN 247
missom oc örokiom g[uj)s] p[ionost]o oc ti|>a p[a]r|Dv[ei]z
lu hselgrar • oc göpra perka • pa megom per eige coma
til himinnkis • heldr en skipet ma til gobrar haf
nar coma ubrot[ei] • ef bat misser sma hialpa • En ef
skipet er ppel skipat mep aollom f'arbunab[e *****]
styrt • pa komr bat f'agrlega til göprar haf[nar]
mep gnbs miskuN • Oss perpr oc [sva] ef * * * * *
to?w pel boborba drottens pars 1 pessofm hei nie]
pa monom per halldasc oc komasc til [***** fa]g
na)>ar mep gupe ahio^com drotfne [orjom • En peir nenn er
ö i:aiimgaefer ero um sitt far ip[ess]om heime • oc
pilia eige gups bopojpe [hlypa] • mono fyr
farasc oc glatasc til eilifra quala mep fianoa
nom oc bans amim • i aelde breNanda • nema beir
bäte i bessom heime bat er beir hafa misgort • oc
ibresc adhugat lllra perka sma • oc af läte 1
göpom pilia iscriftfa] höbe sins keNe maiv>z • Pa
mono beir f'ara me}> febr oc syni oc anda ■
helgom ■ 1 himinrikes faognop • oc bar pera
ei oc ei 6n enda • amen; •
seite 20.
* reguboga er[o b]nr liter • paz oc breisosteinsloga
oc c*elldz [b]at miwer oss a [ajt ottasc brel'allda
reibe gubs ba er komr fy]fer heimiiN • Vatn
kom i noa Höbe • Breisosteinsloge • kom yper
sodomam oc gomorram • Eldr mon ganga yper
allan heim i'yrer domsdag • besser ener somo litir
[**regn]boga • merk[i]a prefalda f'yrgefmng syn-
pa [e]in er iskirn ■ aoNor er i ipron synpa •
enp[npia] er i liflate fyr <;ubs sakar • Vats litr
[****** fy]rgefmng synl)a i skirn • \*vi fylger
bli|)leik|r] mikill oc enge torpelde • BreNOStems
löge merker [i]|>ron synpa • pvi fylger beiscleicr
mikill • E[n eldr] merker fyrgefning synpa i —
19,10 toTümvielleicht a'trum.
20, 1 der grofse anfangsbuchsta.be der zeile ist unleserlich} man
kann ebensogut .1 als A vermuten; man rieht noch dass er mit roter
färbe bemalt geioesen. 12 das erste c in beiscleicr ist com Schreiber
über der zeile zugeschrieben.
248 NOCHMALS SCHIFF UND REGENBOGEN
liflate i'yr gubs sakar • Jjvi fylger ogn mi
5 kil oc biartleicr m[i]kill • I>essa brefallda
[o]gn reibe gubs taknar regnboge • Uann var
[e]ige seN fyrer noa flob • Sibau er [hann] synör
******** heitz bess er gub het noa ■ at ei-
ge skylde oftaR flöb koma J>at er hei?«
q eN e[y]be spa sem ä haus dogom hafpe
? orbet; •
Lund. LUDVIG LARSSON.
SEGEN UND ZAUBERFORMELN
AUS HOHENFURT.
Bei einem besuche des Stiftes Hohenfurt im Böhmerwald
fand ich in der kloslerbibliothek 3 beschwörungs formein , 2 segen
und 1 Zauberformel , die meines Wissens noch nicht veröffentlicht
sind, sie verdienen nach inhalt und spräche beachtung.
i. Beschwörungsformel, einen verlorenen oder
gestohlenen gegenständ widerzufinden.
Unter ms. nr cxcvn (vgl. hs.-catalog i 146) wird ein kleines
pergamentblatt aus dem 14 jh. aufbewahrt, das von einem decket
abgelöst sein dürfte, wie entsprechende löcher und einschnitte an-
deuten, die schrift füllt die eine seite des blattes aus und ist
nur an wenigen stellen einigermafsen verwischt, das pergament-
stück ist in ein blatt papier eingehüllt, das bereits eine abschrift
des pergaments enthält, ebenso findet sich im hs.-catalog i 145
noch eine abschrift, beide sind aber diplomatisch ungenau, daher
gebe ich die formet nach der ursprünglichen hs. wider, buchstaben
oder Wörter, die zweifelhaft waren, sind durch cursiven druck
hier und im folgenden hervorgehoben.
So du icht vsloren habst so tue waz alhie geschriben stet
drei chlein vinger lang cherzcen psu in eren der drei chvnig.
Caspar, balthasar. Melcher. vn sprich inzedienst an deinem
Chnie. den salm afferte dno. vn ein vings lang chszen psnne
ze eren dem engel. ds die drei chvnig weiste. an den wech.
da si vnssn hsren fvnden. vn sprich den salm. Confitebor
tibi dno f toto. vn frume ein sei messe, vn mizz dev hohe
SEGEN UND ZAUBERFORMELN AUS HOHENFURT 249
tuer vn dev weite, da icht vsloren ods avz getsgen sei. mit
zwain chszen. vn psnn sei chrevzling. in ern sant pantaleon.
vn opfer ein ganz prot. auf sant nicla alter, vn nim iz hs wids
aba. vn sneide Hz en vier. vn gib iz vier witben. vn psnn.
ein ckszen alz ein hant. an deinem chnie. vn sprich dar nach
zehen p. n. sant nycla. vn zehen p. n. sant nycla chaim sei.
vn man in als er gewayl wurt. an seins sei. daz si behalten
wart, vn sprich also muezze ich gefrevt wsden. an meins flur.
daz si mier wids wsde. also gefrevt wart mein hsre sant nycla.
an seines chaimes sei. daz si im behalten wart am. vn sprich
zwen. p. n. dem wege. da ds devp hin ist gegangen, vü zwen
p. n. ier gesehen, vn sprich hsre sant nycla. Nv hilf mier.
daz ier gehören, vn ier gesehen. hs wids zv mier gechst wst. vn
mier. daz wider pringen daz si mier vsstollen habt Am. den
salm dni est terra.
n. Beschwörungsformel gegen das kalte fieber.
Ms. nr ex (vgl. hs.-catalog i 146), eine pergamenths. in 8°
aus dem 14 Jh., enthält auf blatt 63b und 64a innerhalb des buches
auf frei gebliebenem räum in sehr enger, aber sauberer Schrift
folgende beschwörungsformel.
Ditze tv vur den kalten weu. Haiz du den sieben bringen
vn 1er in daz er spreche, ich bit weh dvreh got. buzzet mil-
des riten. swi wol dv wizzest wi er heizt, so soll in vrage wi
haizest dv. da nach nenne in. vnd sprich. Christus tv du des
riten bvz. sprich ein patsns. vn neun in aws vn sprich xpe
filis det (64a) nivi tvy dir dus des riten bvz sprich ein pr ns
nenne in aws vnd sprich, xpe nats ex maria usgie tv dus des
riten bvz sprich ein pr n da nach leg im di hant of daz havbt
vn sprich, ich besws dich bi dem vats vn bi de svn. vn bi de
hiligen geiste da dv in nimm5 gervrest ezeu si danne zea'/nal.
Ditze tvt man dehaine mensche im wsde des riten buz.
in. Gegen zu lange Schwangerschaft.
In unmittelbarem anschluss an die vorausgehende formel und
von der gleichen hand geschrieben hei/st es weiter':
Swen ein frowe ze dein kinde ze lange ge. so sol man ir
di lvuzehen salm enchreuzestal an der venige vnter div ovget)
lesen so genest si ze baut.
250 SEGEN UM) ZAUBERFORMELN AUS HOHEINFURT
iv. Ein wurmsegen.
Ms. nr 25 (vgl. hs.-catalog n 147), pergamenths. ans dem
jähre 1419 m 12° m«Y 158 blättern; auf blatt 1561' M?tfen m
dickerer schrift :
Wurm im fleisch vnd in pain | wye es das heylig ewangeli
main Cher dich vmb vnd lig tod Als dir got selhes pot | durch
der vil heylign namen drey dy lye got selber frey | In dem Namen
Gottes vatts vnd Sun vnd des heylign geist. Amen.
Vgl. MSD- xlvii 2. Myth. anh. xv. xxvm. xxxix.
v. Ein fen ersegen.
Ms. nr 43 (vgl. hs.-catalog n 147) ist eine papierhs. aus dem
jähre 1594 in 4° mit 129 blättern welche auf blatt 124b und
125a + b in lesbarer zügiger schrift einen fenersegen enthält, vor
und nach dem segen stehn unbeschriebene blätter , den Umschlag
des buches bildet ein pergament, das teile eines breviers aus dem
14 jh. enthalt.
Ein bewerter feur Segen wie folgt,
In dem Namen Gott des Vatters, Gott des sohns, vnd gott
des Heyligen Geistes. Amen.
Vnser Herr Jesus Christus gieng vber landt, Er trueg ain
prinnenten prandt. in seiner handt, derselbig prinnent prandt
wer vber haul's vnd hoff geworffen, mit Gottes wordt verfafset,
mit Gottes wordt verschriben, vndt mit Gottes wordt verpunden in
do (r durchstrichen), das vnser herr Jesus Christus angesprochen
hatt, leg dich feur Segen, (125a) Ich sich dich An mit meinem ge-
sicht, vnd man prausen Sausen vnd gluett, das dafselbig feur
weitter khein Saden thuett, dan der selbigen segen dreuerley
feur Segen , der Erst feur Segen ist das heimlich lieht in f dodt,
die Gott der herr gefangen hatt. Der ander feur Segen ist ain
gelegts feur von der Bösen weit, vnd Nachtparschafft in f Gott,
das vnser herr angesproclf hatt. Was ist das dritte feur, Das
ist von dem wüten wetter ein geschlagen, Also sein die selbig*"
drey feur Segen geschriben gleich wie der Khelh vnd der Wein,
gleich wie das wirdig himelbrott, das vnser lieber herr Jesus
Christus gefang~ hatt, (125b) Wie Gottes wordt verfafset, wie
Gottes wordt gepunden an, das khein feur weitter greifen khan,
flammen vnd gluett, das du weitter kheinen schaden thuest, das
SEGEN UND ZAUBERFORMELN AUS HOHENFURT 251
Sey in dem Namen Jesu Christi gesprochen, c/;an gewaltig dein,
wiill Gott allem fenr genedig Sein, Gott Vatter, Sun vnd hey-
liger Gaist Amen.
Vgl. Myth. arih. xxiv.
vi. Zauberformel zum erzwingen der liebe.
Ms. nr 12 (vgl. hs.-catalog 11 147), eine papierhs. in 12° mit
152 blättern ans dem lö jh., weist auf seite S9b (ein leeres blatt)
in sehr blasser tinte folgende Zauberformel auf:
Itm wildu machen das eine kain rueh mag hahen den sy
thue daine willen So schreih aufT ein weyss Glas dyse wart f as-
soael t mammens f baldus f rebaldus f tausent listiger vnd
leg das das glas czu dem feure vnd sprich dise vvartt als hayss
das glas ist als hayss sy der n nach mir N Etc.
Anhang.
Die pergamenths. lxii, 127 6//. in 8° aus dem 13 jh., enthält
auf bl. 46b einen Zuspruch für sterbende aus späterer
zeit als die hs., der darum bemerkenswert ist, weil er sich als
mittel gegen einen unglückseligen tod bereits den segensformeln
nähert, hier wird der tod Christi um den sündigen menschen
gleichsam herumgegeben oder zwischen ihn und gottes gericht und
zorn gestellt, auch zwischen seine bösen werke und gott , vgl. MSD-
iv, & und anm. — im nachfolgenden text habe ich nur die inter-
puuction eingeführt.
Swenne ein mensche siehe ist vü nahent zv dem tote, so
sol man in vragen vi! sol er antehtichlich antwurten. Lieher
mensche vrevst dv dich, daz dv sterhest in Christen gelovben?
ia. vreuste dvdich, daz dv stirbest in rechtem leben? ia. ver-
gihst dv des, daz dv so wol niht gelebet hast als dv soltest? ia,
des vergihe ich. Ist iz dir lait vn rivt dich? iz ist mir leit vn
rivt mich. Hast dv willen din leben ze bezzern, ob dir got dines
lebens gan? Ja, ich han sin gvten willen. Gelovbest dv, daz
vnser herre iesus xpe vur dich tode ist? Ja, daz gelovbe ich
wol. Danchest dv im sines todes? Ja, ich danck im sin. <.r-
lovbest dv, daz dv niht mäht behalten werden denne mit sinem
tode? Daz gelovb ich wol.
So sol der gesvnt sprechen zv dem sieben: Lieber vrivot,
252 SEGEN UND ZAUBERFORMELN AUS HOHENFURT
die weile dv nv lebest vn div sele bei dir ist, so sol dv an
nihtes dinen gedingen setzen denne an den tode vnsers herren
ihu xpc. In den tode sencbe dich, mit dem tode bedeche dich,
in den tode wikchel dich. Vn sprich denne zv dem sichen: wil
got mit dir ze geriht gen, so sprich: Herre, den tode vnsers
herren ihu xpc setze ich zwischen din gerihte vn mich armen
svnder, anders wil ich herre mit dir niht gerillten. Sprechet
denne got, daz dv habst verdient die ewigen verdampnvsse, so
sprich: Herre, den toden vnsers herren ihu xpc den lege ich
zwischen dich vn miniv posev werch, vn opher dw div werch
vnsers herren ihu xpc, die er geworht hat vur div werch, div
ich haben solt vn doch leider niht han. vn der siehe sol denne
aver sprechen: Herre, den tode vnsers herren ihu xpc lege ich
zwischen mich vn dinen zorne. Vn der siehe sol denne sprechen
dristvnt: Herre got, minen gaist vn min sele euphilhe ich in
din hant. vn div levt di da pi sint di soln dristvnt sprechen
daz selbe.
Swem man dise rede vor saget vn mit andechtigem hercen
antwurdet, stirbet sicherlich vn gesiech den ewigen tode Dum-
mer, amen.
Dise rede hat gelert saut anshelmus. da von ist si gvt ze
behalten.
Eine reiche Sammlung volkssegen aus dem Böhmerwald wird
in der neuen Zs. des Vereins für Volkskunde von KW einhold folgen.
Krummau im august (october) 1890. J. J. AMMANN.
OSSIN UND OSCAE.
EIN WEITERES ZEUGNIS FÜR DEN URSPRUNG DER IRISCH-GÄLISCHEN
FINN-(OSSIAN-)SAGE IN DER VIKINGERZE1T.
Für den oben s. 1 — 172 versuchten nachweis des Ursprungs
der Finn - oder Ossiansage in der vikingerzeit habe ich mir
leider ein wichtiges argument entgehn lassen: die namen von
Finns söhn und enkel. wenn der Finn (Fingal) der sage
der historische vikingerführer Caittil Find ist — der länger als
ein decennium in Mittel- und Südirland mit einer art räuber-
banden von norwegischen vikingern und Iren sein wesen trieb;
der S57, weil er sich dem 852 in Dublin errichteten Dänenstaat
OSSIN UJND OSCAR 253
nicht unterwerfen wollte, von Amlaib von Dublin sammt seinen
hordeu vernichtet wurde; der dann der sagenheld der im 9 jh.
sich den Iren nach und nach assimilierenden vikinger-Iren (Gall-
Gaedel) wurde, auf den sie häuften, was vom vater und grofs-
vater ihnen von Nordlands sagen erzählt worden war; auf den
die Iren im 10 jh. übertrugen, was ihnen von dem tun und
treiben der heidnischen Nordgermanen als characteristisch in der
erinnerung haftete — , dann ist klar, dass die namen des sohnes
und enkels, wenn sie nordischen Ursprungs sind, schwer ins
gewicht fallen.
Die ältest überlieferten namensformen sind für Finns söhn
Ossin (LL 154% 44. 193\45), Ossln (LL208a,33), für Finns enkel
Oscur (LL 154a, 44. 154b, 1). wenn man bedenkt, dass wir auf
bretonisch -kymrischem bodeu für die seit dem 7 jh. vorhandene
Arthursage vom 9 — 12 jh. zahlreiche Zeugnisse über das vor-
kommen der hauptnamen der sage (Arthur, Euuen-Ouein, Uualch-
moe - Gwalchmei usw.) besitzen, dann muss der umstand, dass
Ossin und Oscur als personennamen im irischen bis ins 13 jh.
und länger unerhört sind, zu denken geben, mau pflegt das
erstere wort als deminutiv von oss (= kymr. ych, plur. gehen,
körn, ohan, germ. ohsan-) zu fassen: Ossln Mittle deer'. dies ist,
da die personennamenbihlung im irischen dieselbe ist wie in den
übrigen indogermanischen sprachen und für annähme eines Spitz-
namens im irischen jede parallele fehlt, nicht möglich, es
liefse sich blofs denken, dass Ossln ein kosename ist zu einem
mit Oss- beginnenden vollnamen. derartige vollnamen mit
oss- kommen aber im irischen überhaupt nicht vor.
in den Ulsterannalen 649. 655. 670. 679.685.703.712 findet
sich der Dame Ossu; aber ich brauche nur a. 649 Bellum Ossu
fri Ponte, dh. Bellum Ossu contra Penda und 679 bellum Saxonum
ubi cecidit Ailmine filius Ossu anzuführen: die Ossu der irischen
annalen sind angelsächsische Oswiu; Älfwine söhn des Öswiu
fiel 679. zum jähr 648 notiert das Chronicon Scottorum Jugu-
latio Oisine mic Oisirg; dass mit diesem Osine söhn des Osirg
(Oisine und Oisirg sind jüngere Orthographie des Schreibers der
hs.) ein angelsächsischer Oswine söhn des Ösrlc gemeint ist, be-
darf keines nachweises. wenn wir bedenken: dass Osuald von
Nordbuinberland cum magna nobilium juventute in Irland im
exil lebte (Beda Hist. eccl. geut. Augl. 3, 1) und tarn longo cxilii
254 0SS1N UND OSCAR
sui tempore linguam Scottkam jam plene didicerat (Beda aao.
3, 3)1; dass zahlreiche Äugeln 664 mit dem Irenbischof Colmäu
ihre heimat verliefsen, weil sie sich Rom iu der frage der oster-
berechnuug und toosur nicht unterwerfen wollten (Beda aao. 4,4),
und iu Connacht ein Angleukloster gründeten (Mageo = heut.
Mago) , das wie die Irenklöster in Deutschland im ganzen mittel-
alter bestand (siehe Zs. 32,203); dass im 7 und 8 jh. Angelu
uud Sachsen in scharen in irischeu klösteru sich aufhielten uud
zum teil dauernd blieben .(siehe die Zeugnisse aus Beda und
Aldhelm Zs. 32, 202) — dann wird es uns nicht wunder nehmen,
dass im 7 und 8 jh. öfters der angelsächsische uame Öswine in
Irland als Ossine und Ossene auftritt, hauptsächlich unter klerikern
(Ulsteraunalen 653. 686. 705.778). es bleibt als einziger
name noch der einmal belegte Osbran: Vier meisler a. 747
Osbran angcoire 7 epscop Cluana crema decc 'Osbran, anachoret und
bischof von Clooncraff (iu Roscommou bei Elphin) starb.' dieser
Osbran wird unter den Ossine (Osalt, Ossu, Osirg) kein weifser
rabe sein, sondern den angelsächsichen uameu Ösbrand tragen:
er war vermutlich einer der in Irland gebliebenen angelsächsi-
schen besucher des 8 jhs. damit ist alles erschöpft , was sich
aus dem reichen schätze irischer namen mit den namen Ossin
und Oscur vergleichen liefse. Irland bietet nichts zu ihrer
erklärung.
Die namen des sohnes (Ossin) und enkels (Oscur) des
vikinger räuberhauptmanns (Caittil) Finn siud nord. Äsvin und
Äsgeirr. in urgerm. ansu- war schon im urnordischeu das n vor s
geschwunden (siehe Noreen Altn. gramm. § 220, anm. 1 ; Pauls
Grundrissi423:§6, 13); der schwuud des w nach consonanten beim
Übergang germanischer Wörter ins altirische ist nicht nur durch die
entlehnung der angelsächsischen namen Öswiu, Oswine, Oswald
in der form Ossu, Ossine, Osalt bezeugt, sondern auch durch die
aus dem nordischen stammenden lehnwörter des irischen sopp
= altn. svöppr, rossäl — altn. hrossvalr (Zs. 32, 271.274). dem
nordischen Äsvin 'asenfreuud' entspricht also der name von Fiuus
söhn Ossin regulär. — dass für den uameu von Finus enkel als
älteste form Oscur belegt ist, während die gewöhnliche form Oscar
1 er erscheint als Ösalt in einem altirischen sagentext im gefolge eines
sagenberühmten irischen herschers und wird genannt rigdomna do Saxanaib
'thron folger von den Sachsen' (Zs. 32, 206 ff).
0SS1N UND OSCAR 255
lautet,, ist irrelevant, in der auf die tonsilbe folgenden silbe ist
im irischen der vocal irrational und sein timbre durch den nach-
folgenden cousonauten bestimmt, im urnordischen bestand be-
kanntlich bei vielen Wörtern, deren erstes glied eiusilbig war,
ein schwanken im haupttou, indem bald das erste glied bald das
zweite glied ihn hatte (Noreen in Pauls Grundriss § 52, ib):
Güttormr und Godörmr, Ölafr und Oleifr, Porlakr und Porleikr,
Pörarr (aus Pörgarr) und Pörir (aus Porgeirr), Hröarr und
Hrödgeirr beruhen hierauf, so ist entsprechend Pörarr, Hroarr,
ndfarr 'der bohrer' (aus näf(g)ärr = ahd. nabager Noreen im
Grundriss $ 45b), Ästläkr ein nordisches t Äsgarr neben belegtem
Asgeirr auzusetzeu. diesem nordischen Asgärr entspricht altirisch
regelrecht mit deu würkungen des acceutes Oscar, Oscur.
Die nordische herkunft der Damen von Finus söhn undeukel,
die nebeu Fiun auch die haupttiguren der sage sind, ist ein neues
zeuguis für den urspruug der Ossiansage im vikingerzeilalter.
Greifswald. H. ZIMMER.
DIE HERKUNFT FISCHARTS.
Urkundliche nachlichten über Johann Fischart und seine
familie sind aus Strafsburg erst in allerjüngster zeit bekannt ge-
worden (vgl. Anzeiger xvu 53). für deu beinameu 'Mentzer' und
die etwaigen beziehuugeu des dicbters oder seiner eitern zu
Mainz fehlt es noch immer an jeder aulklärung. kürzlich nun
stiefs ich auf eine spur, die vielleicht zum ziele führt, wenn sie
auch in die ferne weist.
Im jähre 1618 willigte der erzbischof von Mainz in den
kauf ein, welchen Veit Vißcardt, maurerhaudwerks, bürger
zu Mainz, als erwerber des bauses zum Limperger, gegenüber
der St. Christophskirche daselbst, geschlossen halte1.
In dem jetzt dem grofsh. haus- und Staatsarchive einver-
leibten 'Burgatiousbuch'- des weltlichen gerichts zu Mainz aus
den Jahren 1616 — 1621 fand sich weiter das testameni dieses
Mainzer maurers und stadtwerkmanns vom 23 april 102 1 ein-
1 erzbischöfliches ingrossaturbuch nr 84 im königl. kreisarchive zu
Würzburg fol. 313, Urkunde vom 1 7 .j mii. das haus war judenerbe, weshall)
der landesherrliche consens erforderlich war. über da- haus vgl. Schasb Ge-
schichte der stadt .Mainz i 523.
2 abieilung gerichtsbücher , Mainz, nr 23, fol. 291', § 220.
256 DIE HERKUNFT F1SCHARTS
getragen, danach lebte er in kinderloser ehe mit seiner frau
Katharina und wählte sein begräbnis in der St. Christophskirche zu
Mainz, im falle er ohne leibeserben versterben würde, vermacht
er 'seinem bruder Anthonio Wießkart und Schwester Matthießen
im Misoccothall in Sant Victor wonhaft under den Grobinden'1
alles dasjenige, was er von seinen eitern der ort noch hat und
was er mit seiner handarbeit erobert und dahin transportiert
hat, zu gleichen teilen; alles andere vermögen zu Mainz usw. er-
hält seine gattiu als erbin.
Veit Vißcardt war also einer der bei den bauten in hiesiger
gegend damals so oft verwendeten wälschen maurer. es steht
meines erachtens nichts der Vermutung entgegen , dass der vater
Johann Fischarts vor der mitte des 16 jhs. als wälscher würz-
krämer'2 zu Mainz tätig war und dann nach Strafsburg über-
zog. Veit Vißcardt mag den spuren des älteren verwandten ge-
folgt sein, der, wie er, mit einer Deutschen verehelicht gewesen
sein wird.
Der name, der sich in der form Wisigard uä. als frauen-
name bei Fürstemaun findet und wie in den heutigen familien-
namen Weintraut, Herbnrg, Luckhardt usw. metronymisch ver-
wandt ist, deutet auf germanische abstammung der familie hin,
über die möglicher weise die archivalien der wälschen heimat
noch aufschluss geben werden3.
Die italienischen Studien Johann Fischarts würden sich aus
seiner abstammung leicht erklären, seine namensformen Wis-
sartisch und Guicciard schliefsen sich an die des Mainzer wälschen
maurers an und scheinen uns über die Schwierigkeit, dass Wis-
gart zu Fischart verdeutscht wurde, hinwegzuhelfen.
Eine hindeutung auf wälsche herkunft könnte das 1588er
Pseudonym 'M. Adamus Nacheumoser von Brandenwalden aus
Churland' enthalten, da das tal Misocco zum bistum Chur ge-
hörte, auch sonst kommen die Churwalen bei Fischart vor4.
1 San Vittore bei Roveredo im tal Misocco im canton Graubünden.
2 Anzeiger xvn 53. es gab gerade im Mainzischen viele solcher lom-
bardischen händler, so zb. ein zweig der Brentano in Bingen.
3 freilich liegt der normannische beiname Guiscard, den F. selbst mit
Vischart, Gwischard widergibt (Gargantua s. 369 und -443), noch näher.
4 Gargantua s. 53. 213. Wendeler Fischartstudien s. 291.
Darmstadt im november 1890.
GUSTAV FREIHERR SCHENK ZU SCHWEINSBERG.
DYALOGUS DE D1VITE ET LAZARO 257
DYALOGUS DE D1VITE ET LAZARO.
D. Audi, sancte senior, auch nie loqueutem!
Dives ego morior: audi morientem !
In inferno crucior: audi patientem !
Respice, quid patior et consolare dolentem !
L. iNoli, pater, credere viro, qui sie orat, 5
Qüia fallax fallere verbis te laborat ;
Pro patrato scelere veuiam implorat
Et verbis struit insidias, dum verba colorat !
D. Nuper eram plenus, dives, felix et amenus
Et miebi grande genus: modo sum miser, exul, egenus. 10
L. Multum dives beri, miser es modo, cum misereri
Nolueris miseri, cumulando subditus eri.
D. Cum sit celi solium locus gloriosus,
i\on inlrabis gaudium celi tu leprosus;
Generares odium eunetis odiosus, 15
Non reeipit vicium paradysus deliciosus.
L. Ascendam palatium iudicis superni,
Miser ad incendium descendes iuferni,
Ubi Stridor dentium et planctus eterni.
Ha plus quam miser es, quem torquet earcer Avernil 20
D. Cur bona nostra metis? locus hie locus est locupletis.
Que mea »unt, repetis: mea, non tua porta quietis.
L. lste locus modicos fidei, dites et iniquos
Non reeipit nisi quos Christus sibi fecit amicos.
[B bezeichnet die laa. der Briigger hs., E die des Egerton-ms. (s. u.)
die personenbezeichnung steht nur in E. ebenso enthüll nur E statt
der Überschrift den text Luc. 16, 19-21 bis nemo ilii dabat. Dahinter:
Quadam autem die ambo defuneti sunt etc. Diues ad ahraham sie loqoitur. H.J
In v. 1 und 107 gehl senior natürlich auf Abraham, ebenso pater fn
D. 5 und 103. 3 crutior E. 4 et fehlt B. S fehlt in B, doch ist
räum gelassen. 10 exul et egenus B. 12 runiulatas IL 13 celi
fehlt B. 18 peruenit E. 19 plantus B. 20 plus] ha ha //.
est B. earcer torquel />'. 21 est fehlt E. 22 parta E.
24 sibi Christus B.
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 17
258 DYALOGUS DE DIVITE ET LAZARO
25 D. Paupertate melior est argenti marcha.
Homo cuuctis ditior est rex et monarcha;
Tunc est honoratior, tuue est patriarcha,
Quanto plus aliquis numorum servat in archa.
L. Tuum cor pecunia cur sie excecavit?
30 Rapiet mors omnia, que vita donavit,
Nee censum nee alia caro deportavit,
Infantem nudum cum te natura creavit.
D. Per genus elatum, per censum multiplicalum
Perque potentatum nie glorior esse beatum.
35 L. Iure potentatus uunquam potes esse beatus
Sis ni purgatus totius labe reatus.
D. Non est grande Vitium ueque contra mores
Habere dominium vel res ampliores:
Census parit gaudium, census dat honores;
40 In precio precium nunc est: dat census amores.
L. Ultra modum cupere census non est sensus,
Cum deus in opere tali sit ofl'ensus.
Dum res solent crescere, crescit et accensus.
Accensum generat magni custodia census.
45 D. Egregie ceno lete vultuque sereno
Neque satis pleno do , quidquid restat, egeno.
L. Verum non dicis, quia, quando clamito vicis
(Juerens de micis, me pulsas et maledicis.
D. Precepi multociens, quod tiagmentum detur,
50 Ut tu vel esuriens quivis saturetur;
Sed non facit serviens omne, quod iubetur.
Si f'uit insipiens, dominum cur pena sequetur?
L. Tui canes veniunt ad limen portarum,
INicbil miebi l'aciunt triste vel amarum,
26 est fehlt E. 32 arauit B. 36 Ni sis B. 38 dominum B.
40 fehlt B. p5etii E (wut fehler der al/schrifl). 42 in tali opere B.
43 Cum E. crescit] magis E. die bedeutung von accensus (doch wol
zu acceudere) ist mir unklar; brennende begier'i oder höllenbrand, wie
v. 18? II. 50 vel] et B. sacietur B.
DYALOGUS DE DIVITE ET LAZARO 259
Sed lingendo liniunt ulcera plagarum: 55
Mitius inveni quam te genus omne ferarum.
I). 0 quam vilis facies, quam turpis aspectus,
Quanta cutis Scabies et quam raucum pectus!
In celo quid facies a muudo deiectus?
Sanos inficies ad celica culmina vectus. 60
L. Corporalis sanitas nichil operatur,
Nisi mentis puritas corpori iungatur.
Plus valet inürmitas, in qua vir salvatur.
Quam decor aut probitas, in qua male mortificatur.
D. Ego sum res strennua: contra quis opponat? 65
Sed tu res es mortua, non laus te coronat.
Tua bursa vacua, mea bursa sonat,
Et genus et formam regina pecunia donat.
L. De statu miserie multum me derides.
In me plenum scabie dentes tuos strides, 70
Sed non conscienlie puritatem vides.
Non caret hie specie, quem probat alma fides.
D. Flores collegi de mundo par ego regi,
Tot bona delegi, nisi velle meum nichil egi.
L. Sunt mundi flores t'astus, census et honores, 75
Sed violant mores et agunt in fine dolores.
Ü. Delicias vel divicias cur sie reprehendis?
Sepe valent hominesque calent pro rebus habeudis.
L. Delicie vel divicie sunt causa malorum
Et minime prodest anime tot summa bonorum. 80
55 vulnera B. 56 Micius quam te inueni omne genus f. ß.
57 turpis] uilis E. 60 ad proxima teeta prouectus E. 63 in
fehlt B. qua homo B. 64 in fehlt B. male] ipse //. 66 Et B. es
res B. laus te non B. deeorat E. 68 regnum B. 70 dente tuo B.
72 man erwartet einen hexameter; doch tritt am schhut gr öfterer
abschnitte der penta?neler, der als rechter ahschlussvers empfunden wurde,
nicht selten an seine stelle. B. 73 — 76 stehn in E. Kicker mit un-
recht, hinter v. 84. B. 7)1 de mundo colleg-i B. legi E. 75 c»'[imi^
fastus B. 7^ hominesque] sepeque B. 79 Diuicie vel delicie B.
80 prosunt ß.
17*
260 DYALOGUS DE DIV1TE ET LAZARO
D. Est michi non carum, quod copia diviciaruni
Seit prodesse parum , me torquet abusio quarum.
L. Divicie domine sunt mundi, sed quasi spine
Pungunt in fine, quem post sunt causa ruine.
85 D. Quare per divicias sum male dampnatus?
L. Quia nimis in eas ardes totus datus
[Ad mundi divicias tuus cogitatus.]
Quid dixerit, audias, Catho vir sensatus:
'Despice divicias, si vis animo esse beatus!'
90 D. Quidquid mali fecerim, penitet et fleo.
Culpam si gemuerim, remittatur reo;
Volo, si peceaverim, reformari deo.
Penitet et facto torqueor ipse meo.
L. Stultus est, qui venie spem post mortem querit;
95 Locus penitentie post decessum perit.
Lugeat cotidie, qui peccata gerit;
Qui non est hodie, cras minus aptus erit.
D. Lazare sanete, venu miser ad penas ego veni.
Me miserum leni digiti moderamine lenil
100 L. Non potes exire, quia debes iure perire.
Nee miebi fas ire, tibi non licet inde redire.
Ardeat hie igne tua lingua locuta maligne!
Torquetur digne. Salve, pater, oro benigne.
81 Et B. nunc darum ß, besser vielleicht: nunc carum: es kommt
mir jetzt teuer zu stehn. R. 82 Sat B. nie fehlt B. 83 mundi
domine sunt B. 84 Pongunt E. quem fehlt B. post hec summa cä B.
86 ades E: ardet? In B heifst der vers: Quia nimis inhras et es,
was etwa hinführen würde auf inhias et est. wahrscheinlicher ist mir,
dass v. 87 interpolirt wurde von einem Schreiber, der nicht erkannte, dass
die Strophe durch v. 84 vervollständigt wird: der inlerpolator vergafs
aber in v. 86 die 2 person (ades oder es) zu ändern, auch der gehäufte
reim divicias verdächtigt v. 87. R. 89 = Disticha Catonis 4, 1
90 male E. 91 culpa E. 93 torqueo B. 95 pfiie E, in-
dulgencie B. descessum B. 97 minus] nunquam B. 99 leni (1)]
leui B. leni (2)] letij E. 100 exire] exues B. Cur petis huc ire. cum
possis igne perire E. 102. 103 fehlen in B. 102 hs E.
DYALOGUS DE DIVITE ET LAZARO 261
D. Ha quid agam ! morior miser ego reusl
Mon est dolor gravior, quam sit dolor meus.
In inf'erno crucior tamquam pharizeus.
Parce mihi, senior, tu mihi parce, deus!
104 Heu mihi quid faciam miser B. 105 sit] est B. 10H crü-
tior E. tamquam] celo E. 107 senior parce mihi deus B.
Die vorstehende dichtung habe ich aus dem ms. 547 der stadt-
bibliothek zu Brügge abgeschrieben, der von Laude Catalogue des
manuscrits de la bibliotheque publique de Bruges 1859 s. 485 ge-
nauer beschriebene codex (B) ist im 1 bjh. im Benediktinerkloster Ouden-
burg bei Ostende entstanden und enthält auf seinen 127 quart-
blättern ua. den Floretus und den Liber de contemptu mundi des
Johannes de Garlandia und die komödie Amphitrio s. Geta. den
dialog zwischen dem zur hölle fahrenden reichen und dem schon
im Himmel angelangten Lazarus kann man nicht zu den dramati-
schen bearbeitungen der biblischen erzählung Luc. 16, 19 rechnen;
denn er beschränkt sich auf die rhetorische ansmalung des con-
trastes zwischen irdischer mühsal und himmlischer ent Schädigung,
zwischen dem wolleben des selbstsüchtigen schlemmers und seiner
strafe im jenseits, dabei hat die freiheit des gedankenganges und
die klarheit des ausdruckes oft unter dem zwange der künstlichen
form, einer Zusammensetzung von rhythmischen und quantitier en-
den versen, gelitten, es wechseln zwei verschiedene Strophen mit
einander, die erste besteht aus drei trochäischen dreizehnsilblern
(7 + 6, sogenannte 'vagantenzeile') mit zweisilbigem reim in der
mitte und am Schlüsse ans einem hexameter , der durch einfachen
oder doppelten reim mit jenen verbunden ist, also nach mittelalter-
licher bezeichnung* zu den 'eaudafi' oder 'collaterales' gehört; vier-
mal (v. 72. 93. 97 und 105) ist, ein pentameter dafür eingetreten,
der gleichfalls doppelten reim aufweist, die zweite strophenart setzt
sich aus zwei hexamelern zusammen, die vor der cäsur und am
Schlüsse den gleichen reim haben (nnisoni oder uniformes), nennt
man die erste vierzeilige Strophengattung a und die andere zwei-
silbige h, so kommt, worauf mich GBoethe besonders aufmerksam
macht, folgendes interessante Schema für den aufbau des gedichtes
heraus:
2a 21» 2a 21» 2a 2h 2a 2h
6 a 6 h
3a2 31»
1 a
1 // Meyer Sitzungsberichte der Miinehener academie, philo*.- hittor.
ct. lSTIi, 1, 74/.
- Irfir erste der 3 9-slrophen bestünde aus den vv. v.. 86. sv 89, /•'.
Berlin. JOHANNES BOLTE.
105
262 DYALOGUS DE 01V1TE ET LAZARO
[erst während des drucket bemerkte ich, aufmerksam gemacht durch
Chevaliers Repertorium hymnologicum, dessen bekanntschaf't ich WMeyers
oft bewährtein rate danke, dass Paul Meyer in den Archive« des missions
scientifiques et litleraires , «er. n, t.3, p. 295 aus der hs. des brit. mus.
Eg ertön 274 den an fang des obigen gedichls mitgeteilt hat. diese hs.
(ende des 13,//w.) ist der Briigger (B) offenbar überlegen: sie heilt fast
alle Verderbnisse von B und zeigt nur in den vv. 86. 87 einen gemein-
samen fehler, ihr Inhalt macht es sehr wahrscheinlich, dass unser gedieht
auf französischem boden entstanden ist, wofür wol auch das widerholte
senior (seigneur) angeführt werden kann, mit freundlicher Zustimmung
Bulle's habe ich noch in letzter stunde das Egerton-ms (E) für te.cl
ujid tesarten verwertet und bin also für die textgestaltung, soweit sie —
imd das ist fast durchweg der fall — auf E beruht, allein verantwortlich,
eine abschrift von E danke ich der vermittelung dr Rv Fleischhackers,
auch in den geringen orthographischen differenzen der beiden hss. muste
ich mich der älteren hs. E anschliefsen; doch habe ich gleichgiltige eigen-
heiten, wie zb. den ungeregelten Wechsel zwischen v und dem überrviegen-
den u nicht copiert. die abkürzungen wurden auch in den Varianten
tunlich aufgelöst. R.J
FRISCH.
Für das adjeetivum 'frisch' ist eine befriedigende etymologie
bisher nicht gefunden, und namentlich entbehrt der Zusammen-
hang von ahd. frisc mit ahd. friscing, als so selbstverständlich er
meist hingenommen wird, der erklärung. in der regel setzt man
wol frisc = 'jung', friscing = 'junges tier' an , aber beide be-
deutungen sind erst jüngeren Sprachperioden entnommen, und
schief ist auch die (durch nhd. frischling geförderte) ansieht, als
sei friscing eine patronymische, deminutive bildung, in der also
das jugendliche gevvissermafsen doppelt, durch den alten wort-
stamm und die ableitungssilbe ausgedrückt sei.
Im gotischen ist gilstr 'Zahlung, abgäbe', während die alter-
tümlichere bedeutung 'opfer' bei ahd. gelstar erhalten ist. das opfer
wird als eine abgäbe aufgefasst, oder richtiger: es ist die älteste
form der abgäbe, so dürfen Wortbildungen, wie sie für 'Zahlungs-
mittel' in gebrauch sind, auch für 'opfergaben' vorausgesetzt werden:
friscing ist eine bildung wie penning, scilling, cheisuring.
Nun lassen unsere älteren quellen für friscing eine be-
schränkung auf das 'tierjunge' keineswegs erkennen: die zahl-
reichen beispiele bei Graff in 832 geben als Übersetzung vor-
wiegend 'victima', 'hoslia', 'holocaustum', vereinzelt 'pascuarius',
'vervex', 'ovis occisionis'. in der mehrzahl der fälle und durch-
weg bei den compositis ophar friscing, slaht friscing, östarfriscing usw.
ist das biblische Opferlamm oder das paschalamm gemeint, das
bekanntlich ein 1 jähriges Jungtier (Ex. 12, 5) war, kein tier-
junges, wie wir es unter nhd. frischling verstehn. und auch
nachdem der begriff des 'opfertieres' längst von dem des 'zins-
tieres' verdrängt und das schwein der wichtigste repräsentant der
naturalienabgaben geworden war, ward der friscing vom por-
FRISCH 263
cellus oder l'erkel uoch deutlich geschieden: man sehe bei Uu-
cange (ed. Favre) 3, 611 nach, wo eine sehr hübsche Stellen-
sammlung die jüngere geschiente des wortes, von der Karolinger-
zeit bis in das lehnwort frezange hinab zu verfolgen gestattet.
Der friscing war ein Jungtier 'absque macula': das alter er-
gab sich aus der bestimm ung als selbstverständlich, im worte
selbst war davon nichts enthalten, denn frisc heilst selbst auf
jüngeren sprachstufen nur selten und im nebensinne 'iuvenis,
adolescens', die hauptbedeutung ist 'recens', und es wird schwer-
lich zufall sein, wenn die beiden einzigen beispiele, welche
Graf! in 832 für das adjeetivum bietet, zur Übersetzung einmal
von 'crudus' und das andere mal von 'recens (caro)' dienen, der
grundbegriff des 'unberührten' hat sich bei dem deutschen worte
wie bei dem romanischen lehnworte frz. frais, it. fresco trotz
allen seitentrieben der bedeutung bis heute erhalten und durch
composita wie 'taufrisch', 'morgenfrisch', 'blühtenfrisch' wird
er immer von neuem auferweckt, es ist sehr wahrscheinlich,
dass diese bedeutung sich direct vom opfer herschreibt: frisc
fleisc ist ursprünglich das fleisch des opfertieres, des gehegten,
unter religiösen brauchen geschlachteten viehes , im gegensatz zu
dem fleisch des geheizten, mit spiefs oder pfeil erlegten tieres.
das wort 'frisch' weist uns also in eine urferne Vergangenheit
zurück, wo der Germane im täglichen haushält keinen anderen
tleischgenuss als wildbret kannte, während 'frisches fleisch' auf
die opfermahlzeiten beschränkt blieb.
Hängt nun friscing unzweifelhaft und frisc, von dem es ab-
geleitet ist, sehr wahrscheinlich mit dem alten opferbrauch zu-
sammen, so ist es nicht schwer, eine etymologie zu finden, das
opfertier ist das reingehaltene, geschonte, gehegte; das weist uns
von selbst auf die bekannte idg. Wurzel pri zurück, die wir in
frijön und anderen Wörtern, mit einer dentalableituug in germ.
fripus, got. freidjan, an. fridr antreffen, mag man nun direct von
pr* ausgehn, oder, das zweifelhafte sto-suffix meidend, lieber mit
Wurzelerweiterung prit-kos^> friskaz als grundform ansetzen',
die bildung bietet keine Schwierigkeiten, und als bedeutung von
'frisch' ergibt sich: 'gehegt, geschont, unberührt.'
Ich habe die formen und bedeutungen des altenglischeu,
sächsischen und friesischen bei seite gelassen, da sie zur ent-
scheidung über die abkunft des wortes und seinen ältesten sinn
nichts mithelfen, im gotischen fehlt es, ins nordische scheint
es als ferskr erst im 15 jb. aus dem niederdeutschen einzu-
dringen, dass unser adjeetivum dem ostgermanischen von haus
aus fremd war, ist damit nicht gesagt, aber möglich erscheint
es darum, weil die beiden dialecte eine andere ableitung der
gleichen wurzel kennen, welche die gleichen bedeutungsfiinc-
1 das n. pr. Frisco (Piper n 246, 40) ist schwerlich ein vom adj. fri.se
genommenes agnomen, sondern sogut wie Fricco koseform zu Frißu .
264 DIE HERKUNFT DEH HER1MAN'.
tioneu versieht: au. fridr (got. *freips) zu dem sich got. freidfan
ganz ähnlich verhält, wie unser 'schonen' zu 'schön'. Kluge
hat widerholt (PBBeitr. 8, 526, Nom. Stammbildungslehre § 222)
auf die eigentümliche doppelheit der bedeutung von an. fridr
hingewiesen: 1) 'schön', 2) 'in naturalien bezahlt', wenn wir
nun an die nicht nur möglichen, sondern vielfach bezeugten be-
deutungen von frisc — friscing denken: 'schön' — 'naturalien-
abgabe', so ist es nicht nötig, zu zwei verschiedenen wurzeln
seine Zuflucht zu nehmen, aus der sphäre des Opfers würdeu
sich beide bedeulungen recht wol ableiten lassen: 1) gehegt
= schön, 2) gehest = geweiht, denn der bedeutung 'bezahlt'
liegt die bedeutung 'geweiht' oder, 'geopfert' f voraus: es ist die-
jenige, welche für namen wie Asfrietr (>> Astridr, Hoffoiy Arkiv
1, 38 lf) anzusetzen ist. über die Stellung des griech. TtQiao&cti
zur wurzel pri 'hegen', 'lieben' halte ich das urteil zurück, fürs
germanische brauchen wir gewis keine zweite wurzel anzusetzen.
Marburg. EDWARD SCHRÖDER.
DIE HERKUNFT DER 'HERIMAN'.
(ZU ZS. 35, 172 f.)
Zu den von Mommsen angeführten quellen über den persi-
schen krieg vom jähre 575, in dem der kaiserliche neffe Justi-
nian die stelle des obei feldherrn bekleidete, tritt noch einer
der wichtigsten autoren für die geschichte Ostroms unter Justin n,
Johannes von Ephesus. dessen Kirchengeschichte, abgefasst in
syrischer spräche, bietet in ihrem dritten, von Cureton (Ox-
ford 1853) herausgegebenen teile zwar nur ein verwirrtes bild
von dem kriege in Armenien, enthält aber eine für uns wichtige
bemeikuug über die Stammeszugehörigkeit der, wie Euagrius
sagt, jenseil, der Alpen angeworbenen auserlesenen hilfstruppeu
des Justinian. die eiuwohner der stadt Tela antworten dem sie
belagernden Perser Adarm'hün: 'wir können sie (unsere ge-
sandten) euch jetzt nicht übergeben, weil wir briefe erhalten
haben, dass der Patricius Justinian ausgezogen ist, um (hierher)
zu kommen, und dass 60 000 Longo bar den bei ihm sind'
(vi 13; Cureton s. 378, Übersetzung von Schönfelder, München
1862, s. 241). wir sehen also Mommsens Vermutung aufs schönste
bestätigt und können nun mit Sicherheit sagen, dass das wort
heriman bei den Langobarden gehört wurde; freilich nicht in
dieser gestalt. denn auch viel später noch kennen die Lango-
barden keinen z'-umlaut; dieser muss vielmehr, wie Schröder
bereits vermutet hat, auf die rechnung des westgotischen chro-
nisten gesetzt werden.
Bonn im Januar 1891. KOSSINNA.
DIE WIDERSPRÜCHE IM REO WULF 265
DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF.
Der vorliegende aufsatz will den nachweis erbringen, dass
man zu der annähme von sachlichen Widersprüchen im Reowulf
meistens, vielleicht immer durch unrichtige Interpretation der be-
treffenden stellen oder durch verkennung von stilistischen eigen-
heiten der dichtung gelangt ist. auch nach den Schriften von
Hornburg (Die composition des Reowulf, progr. des Metzer lyceums
von 1877) und Röuning (Reovulfs-kvadet, Kopenhagen 1883) er-
scheint eine arbeit wie die unsere nicht zwecklos, denn diese
abhandlungen enthalten neben manchen richtigen beobachtungen
auch vieles falsche, sodass ihnen ein merkbarer erfolg ver-
sagt blieb.
Uns kommt es vor allem darauf an, tatsachen richtig zu
stellen; dagegen haben wir hier keine veranlassung, uns mit der
entstehung des Reowulf zu beschäftigen, den Vertretern der
einheitstheorie wird es erwünscht sein, ihren gegnern ein argu-
ment weggenommen zu sehn , die anhänger der liedertheorie er-
halten einen beitrag zur Charakteristik ihres redactors, der, wenn
unsere ausführungen richtig sind, ein besonnenerer mann ge-
wesen sein muss, als man sonst annimmt, unsere persönliche
meinung in der ganzen Streitfrage geht dahin , dass einerseits die
stärksten Widersprüche in sachlicher beziehuug kein absolutes
kriterium für verschiedene Verfasser sind, dass aber anderseits
ein gedieht auch ohne directe Widersprüche recht wol von mehreren
herrühren kann, was den Reowulf im besonderen betrifft, so
glauben wir, dass sich die einzelnen lieder niemals werden her-
ausschälen lassen und dass mit einer einzigen ausnähme keine
überzeugenden Schlüsse auf frühere bearbeitungen gezogen werden
können, diese ausnähme betrifft das sogenannte zweite abenteuer.
dieses scheint uns allerdings durch eine ältere darstellung, nach
der Reowulf mit Grendel im wasser kämpfte, beeinflusst oder aus
ihr hervorgegangen.
Es ist oben gesagt worden, dass man entweder durch un-
richtige Interpretation oder durch verkennung stilistischer eigen-
tümlichkeiten des gedieh ts zu der annähme von Widersprüchen
gekommen ist. es bedarf zum voraus einiger worte darüber, wie
wir dies nachweisen wollen, dass eine interpretation unrichtig
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 18
266 DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWÜLF
ist, wenn sie unmöglich ist, versteht sich von selbst; aber auch
wo neben einer möglichen, welche die annähme eines Wider-
spruchs mit sich bringt, eine andere mögliche vorhanden ist, bei
der diese annähme wegfällt , ist die letztere interpretation zu be-
vorzugen, so halt man es bei gedichten, über deren verf. kein
zweifei möglich ist, und eine besonnene kritik hat die aufgäbe, bei
namenlos überlieferten litteraturwerken nach derselben methode
zu verfahren wie bei anderen, durch unsere erörterungen über
den stil des Beowulf werden wir freilich diejenigen nicht über-
zeugen, welche a priori zu wissen glauben, wie ein altenglisches
gedieht beschaffen sein müsse, hier kann nur durch den nach-
weis geholfen werden, dass die übrige altengl. poesie dieselben
eigentümlichkeiten hat, wie der Beowulf. dazu wird uns hoffent-
lich ein anderes mal die gelegenheit werden, freilich vollkom-
mene Übereinstimmung wird auch hier niemand voraussetzen
können, anders schreibt wer nach einer schriftlichen quelle,
anders wer nach mündlicher Überlieferung dichtet, anders wer
unter dem stilistischen einfluss einer fremden, anders wer nur
unter dem der nationalen litteratur steht.
Die Widersprüche behandeln wir in der reihenfolge, wie sie
Heinzel in der recension des Rönningschen buches Anz. 10, 234 f
aufgezählt hat. sie sind dort am übersichtlichsten, ohne ver-
mengung mit anderen fragen, vorgeführt, auch hatten wir so
einen mafsstab dafür, was Rönning uns noch zu tun übrig ge-
lassen, was sonst noch von belang vorgebracht worden ist, findet
am schluss seine erledigung.
1) Man hat zwischen 1564 — 1591 und2138ff einen Wider-
spruch sehn wollen, nach der ersteren stelle schneideBeowulf dem
toten Grendel das haupt ab, nach der späteren seiner mutter.
Nun ergibt sich aber aus den vv. 1564 ff ganz klar, dass auch
Grendels mutter enthauptet wurde: B. schlägt mit dem riesen-
schwerte gegen Grendels mutter, sodass dieses sie am halse trifft,
die halswirbel zerschneidet und ganz durchfährt1, hält man daran
1 wenn ten Brink Beowulf s. 80 bemerkt: 'freilich hat der held auch
dem meerweib den köpf abgehauen, allein dies ist uns 1565 — 1568 zwar deut-
lich genug, jedoch nicht mit dürren Worten gesagt', so können wir nur auf
seine eigenen worte s. 144 anm. hinweisen: 'was verlangt man denn eigent-
lich von einem dichter? dass er zähle und messe, wo es ihm nur darauf
ankommt, einen möglichst starken eindruck hervorzurufen?'. — übrigens
sei auch daran erinnert, dass 810 — 819 ebenso wenig 'mit dürren worten
DIE WIDERSPRÜCHE IM REOWULF 267
fest, so bleibt nur noch zweierlei aufzuklären: warum nimmt
R. das haupt Gr.s, nicht das seiner mutter mit sich? und ferner:
warum erwähnt er die enthauptung Gr.s in seinem berichte vor
Hygelac nicht?
Zur erklärung des ersteren müssen wir auf 861 ff zurück-
gehn: aus diesen versen geht ganz unzweideutig hervor, dass
R. nicht zufrieden ist, dass ihm Gr., wenn auch tötlich ver-
wundet, entfloh, sondern dass er wünschte, Hrodgar mehr als
Gr.s arm zeigen zu können, immerhin aber bleibt den Dänen
der arm als siegestrophäe; er wird denn auch würklich an einem
platze, wo er von allen leicht gesehn werden konnte, angebracht.
nun kommt Gr.s mutter und nimmt diese trophäe mit sich (1303 f).
was ist da natürlicher, als dass R., wenn er Gr. liegen sieht, ein
neues, noch beweisenderes Siegeszeichen sich holt?1
Man hat eingeworfen : wozu das , da alle über Gr.s tod be-
ruhigt sind (so zb. Schneider s. 7)? man hat diesen zug eines
helden unwürdig gefunden und dgl. mehr, nun wäre ja gewis
die handlung vereinfacht worden, wenn R. das haupt der mutter
mitgebracht hätte; allein man erwäge doch die Situation: R. sieht
Gr.; sofort erwacht ihm die erinnerung an all das unheil, das
jener über die Dänen gebracht, und er schlägt aus wut auf
ihn los (1577 ff; rede cempa 1586; vgl. auch 1670 f). dass er
damit und mit dem vorweisen von Gr.s haupt einem wünsche
des königs entgegenkommt, zeigt dessen rede 1770 ff; hier, nach-
dem er nochmals in drastischer weise das ungeheure unglück,
das Gr. über ihn gebracht, durch contrastierung mit seinem
früheren glücklichen zustande hervorgehoben, ruft er aus: 'Pas
sig metode panc — pces pe ic ort aldre gebdd, pcet ic on pone
hafelan heorodreorigne ofer eald gewin eagum starige!'
Ganz anders verhält es sich mit Gr.s mutter, gegen die auf
seite Hrodgars kein so lange aufgestapelter hass vorliegt; auch
ist zu erwägen, dass die Dänen an der tatsache, dass auch Gr.s
mutter nun tot sei, kaum zweifeln können; sonst wäre R. nicht
in der läge gewesen , Gr.s haupt und die hilze vorzuweisen.
gesagt ist', dass B. Grendel den arm ausgerissen hat; und doch zählt ten
Brink die verse zum ursprünglichen bestände von A; ähnlich ist es ferner,
wenn 2691 ff die tatsache, dass B. verwundet wurde, nur aus den folgen
der Verwundung zu erschliefsen ist.
1 ähnlich schon Hornburg s. 27; was Schneider dagegen s. 7 vor-
bringt ist nicht von belang.
18*
268 DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF
Es erübrigt, den zweiten punct aufzuklären: für die Geaten
kommen die rachegefühle gegen Gr., die wir oben für die Dänen
geltend gemacht haben , natürlich nicht in betracht. es genügt
daher vollkommen, wenn B. in seiner 'kurzen, mehr referierenden
als darstellenden erzählung'1 (ten Brink s. 123) den tod Gr.s er-
wähnt, was in den vv. 2098b und 2120b auch geschieht; natür-
lich muste die tötung der mutter noch folgen, und dies geschieht
durch den gegenüber 1 566 ff jedesfalls kurzen ausdruck heafde
becearf (2139).
2) 2683 ff sollen in Widerspruch stehn mit früheren be-
schreibungen von Beowulfs kämpfen; denn hier werde gesagt,
dass B. so stark war, dass er alle Schwerter zerbrach, während
er sich sonst des Schwertes bedient, wäre die stelle würklich
so zu verstehn, wie es gewöhnlich geschieht, so wäre der Wider-
spruch allerdings unleugbar, denn 1) Beowulf kämpft glücklich
mit einem schwert gegen die meerungetüme 555 ff, gegen Grendels
mutter mit dem riesenschwert 1558 ff, gegen feinde im krieg
2491—2493; vgl. auch 2499—2501. 2) er kämpft mit der faust,
sagt aber dabei nicht, dass er nicht mit dem schwert kämpfen
könne , sondern gibt andere gründe oder gar keine an 433 ff.
678 ff. 2507 ff; vgl. auch 2519 ff. 3) ein schwert versagt ihm,
ohne aber zu zerbrechen: Hrunting 1523 ff (vgl. 1808 ff), Nseg-
ling 2578. 4) er bekommt von Hygelac ein wertvolles schwert
2191. endlich müste man auch die schliefsliche erlegung des
drachen durch das sachs als im Widerspruch mit 2683 ff stehend
auffassen; denn an der stelle, die gewöhnlich als allgemeiner
satz verstanden wird, ist zunächst nicht nur von Schwertern,
sondern überhaupt von irenna ecge die rede, allein es ist eben
falsch, die worte allgemein zu fassen, wir setzen der deutlich-
keit halber die stelle her:
Hirn poet gifede ne toces,
poet htm irenna ecge mihton
helpan cet hüde; wces sio hond tö strong,
se pe meca gehwane mine gefrcege
swenge ofersöhte, ponne- he tö scecce bar
wcepen wundrum heard, nces htm wihte pe sei.
1 vgl. ß.s eigene worte 2094. in ähnlicher weise kürzt B. seinen
bericht 959 ff, indem er die tötung des Hondscio (740 ff) übergeht.
2 oder pone nach Bugge Beitr. 12, 105.
DIE WIDERSPRÜCHE IM REOWULF 269
wol durch das wort gifede verleitet, hat man in den versen den
sinn gesucht, dass Reowulf überhaupt kein schwertkämpfer
gewesen sei ! allein gifede kann auch von einem speciellen falle
gebraucht werden , zb. Reowulf 555 f hwcedre me gyfede weard,
poet ic aglcecan orde gerd'hte; vgl. auch 8191'. 2492 uö.
Und nun erwäge man noch folgendes: wie stellt man sich
vor, dass ein schwert durch die stärke dessen, der es führt, zer-
brochen werden soll? wenn man nicht eine kolossale Übertreibung
annehmen will, der zu folge schon das schwingen in der luft
genügen würde, so kommt man notwendig zu der auffassung,
dass die klinge dann zerbrechen wird, wenn sie mit übergrofser
gewall auf einen körper geschlagen wird, der härter ist als sie,
in den sie nicht einzudringen vermag, kann diewaffedas hindernis
zerschneiden, dann wird sie auch nicht zerbrechen, wollte man
nun die meinung aufstellen, dass Reowulf durch seine stärke
jedes schwert zerbrochen habe, so würde man damit behaupten,
dass er jedesmal auf undurchdringliche gegenstände losgeschlagen
habe, auch das macht es unwahrscheinlich, dass die verse2683ff
so aufgefasst werden dürfen , wie es gewöhnlich geschieht, die
stelle ist wol so zu interpretieren: 'ihm war es nicht beschieden,
dass ihm das eisenschwert (Neegling, ecg = schwert, wie 2141)
in (diesem) kämpfe helfen konnte; denn seine band war zu
stark, die ein jedes schwert, soweit ich erfuhr, im schwung
überanstrengte usw.'; dh. Reowulf schlug vermöge seiner kraft
immer stärker drein als es nötig war; er strengte das schwert
nutzlos (nces hm wihte pe sei) an; aber zerbrechen konnte es
dabei nur, wenn es auf einen härteren körper stiefs. ein solcher
fall lag hier vor; denn R. trifft den drachen offenbar auf das haupt:
deshalb zerbrach Naagling1. also die allgemeine bemerkung
über Reowulfs Verhältnis zum schwertkampf beginnt erst mit wces
sio hond tö strong; die vorhergehenden verse beziehen sich nur
auf den kämpf mit dem drachen. damit entfällt auch der Wider-
spruch mit den oben angeführten stellen.
3) In v. 3031 — 3076 soll der drachenhort auf freiem feld
liegend gedacht sein , während er nach anderen stellen in einer
bohle liegt.
Allein es ist entschieden in abrede zu stellen, dass niii den
1 diese erfahrung wird von Wiglaf genutzt; er schlägt den drachen
2700 niottor hwene.
-270 DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF
versen 3048 ff der ganze schätz gemeint ist. dagegen spricht
3050 f: swä hie wid eordan fcedm
püsend wintra pcer eardodon.
hier wird deutlich gesagt, dass die dinge, von denen die rede ist,
früher im schofse der erde geruht hatten, das pckr 3051 spricht
nicht dagegen, es bedeutet 'dort, in der gegend' vom stand-
punct des dichters aus. die bunan and orcas, discas sind die
kleinode, die Wiglaf aus der höhle herausgeschafft hat:
v. 2774 Pd ic on hlcewe gefrcegn hord reafian,
eald enta geweorc dnne mannan,
him on bearm hladan bunan and discas.
wenn ein Widerspruch vorhanden ist, so kann er nur darin be-
stehn, dass Wiglaf 2777 auch ein segn genommen hat, während
3049 f von Schwertern die rede ist. allein es ist sehr wol mög-
lich, dass hier etwas nachgetragen ist, was nach unserer modernen
empfindung früher hätte erzählt werden sollen, analog ist es, wenn
B. Hunferd den Hrunting zurückgibt, ohne dass erzählt wurde,
dass er ihn aus der tiefe heraufgebracht hatte1; vgl. Heinzel
Anz. 10,224.
Rönuing nimmt übrigens, was Heiuzels bemerkung s. 234
nicht erkennen lässt, an dieser stelle einen anderen Wider-
spruch an. aber entschieden mit unrecht, er meint, dass der
d räche, der nach 3040 on wonge liegt, gleich darauf sammt den
schätzen in die höhle versetzt wird, zu dieser auffassung ge-
langt R. durch eine falsche Interpretation der vv. 3044 ff. er
glaubt, die verse könnten keinen rückblick auf die zeit ent-
halten, da der drache abwechselnd in den lüften herumflog
und sich in seiner höhle aufhielt, denn es heifse: wces ßä deade
fcest 'og pd vil kun kunne forstäs, hvis de foregäende linjer
lortolkes säledes, at dragen, efter at vaere säret af Beovulf , kreb
ned i hulen'.
Allein 3046 f ist nur eine der oftmals widerkehrenden be-
teuerungen, dass der drache jetzt tot ist. vgl. v. 2772 f. 2778 ff.
2825 ff. besonders die beiden letzten stellen sind zum vergleich
1 dass das segn, wenn auch 3049 f nicht wider erwähnt, doch auch
weiterhin auf dem felde befindlich gedacht wird, geht aus 3125 f deutlich
hervor: dieser stelle zufolge brauchen die Geaten ein licht; ein solches war
aber nur nötig, wenn eben das die höhle erhellende banner (2770 f) entfernt
worden war.
DIE WIDERSPRÜCHE IM REO WULF 271
heranzuziehen: erst wird gesagt, dass der drache getötet wurde
(2778 ff Bill (kr gescöd ealdhldfordes pdm pdra mddma mundbora
toces, 2825 ff Bona sivylce leeg, egeslic eorddraca, ealdre bereafod),
dann, dass er früher in der nacht umherflog (2781 ff longe hwile
ligegesan wceg hdtne for horde, hioroweallende , middelnihtum ;
2833 ff nalles cefter lyfte läcende hwearf middelnihtum, mddmd'hta
tolonc ansyn ywde). dann wird widerum gesagt, dass er tot war
(2783 öd pwt he mordre swealt, 2835 f ac he eordan gefeoll for
pws hildfruman hondgeweorce). ähnlich ist 3039 ff gebaut, erst
die Versicherung, dass der drache tot war 3039 — 3044% dann
die recapitulation seiner nächtlichen fahrten 3044b — 3046% dann
wider die bemerkung: er war jetzt tot 3046b — 3047. wir haben
liier eben die stilistische form RAR, vgl. Heinzel Anz. 10, 220 ff.
xv 157 (an der stelle 2825 ff wird der tod des drachen sogar
dreimal hervorgehoben , nämlich auch 2829 f : form RCRAR).
Rerücksichtigt man diese stilistische eigentümlichkeit der ags.
poesie, so erledigen sich auch die bedenken, die der sonst so
conservative Hornburg s. 39 gegen unsere stelle vorbringt, ihm
will nicht behagen, dass, nachdem die Geaten Reowulfs leichnam
erblickten, es heifst: cer hi gesegan syllicran iciht. allein auch
hier liegt nichts anderes vor, als die in ags. poesie häufige
erscheinung, dass ein zeitlich vorangehendes ereignis später
erzählt wird: form RA. man beachte auch, dass die erwäh-
nung des toten Reowulf meist die des drachen nach sich zieht
— auf psychologisch leicht erklärbare weise, so 2822 ff und
2825 ff; 2865 ff und 2875 ff; 2901 ff und 2904 ff. auch der
comparativ syllicran 3039 hat nichts anstöfsiges; man darf ihn
nur nicht als vergleichenden comparativ auffassen; er hat hier
lediglich steigernde bedeutung1. dergleichen kommt auch sonst
vor: so im Traumgesicht 4 syllicre treow; Andr. 1598 drdge
hndgran.
Die erzählung ist im übrigen ganz der Situation gemäfs. Reo-
wulf kämpft mit dem drachen vor der höhle, der drache kommt
2558 aus der höhle heraus. Reowulf ist also zunächst den Geaten-
wohnsitzen näher als der drache. allein nachdem der drache
getötet ist, verändert R. 2716 ff seinen Standplatz, er setzt sich
so, dass er in die höhle hineinblicken kann, da aber der
drache ursprünglich den eingang verteidigte, uiu>.s l!. an dem
1 anders Bugge Beitr. 12. 372 f.
272 DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF
toten drachen vorbeigegaogen sein. so kommt es, dass die
Geaten erst den drachen und dann den könig erblicken.
4) Aus 473 — 488 soll hervorgehen, dass Hrodgar seinen kriegern
erlaubt hat, die halle gegen Grendel zu verteidigen, während er
es nach 656 ff verboten haben soll, die zweite stelle lautet:
Ncefre ic cenegum men cer älyfde,
siddan ic hond and rond hebban mihte,
prijdcern Dena büton pe im pii.
schon der zweite vers verbietet es, die stelle so zu verstehn , als
ob Hrodgar sagen wolle, er habe niemanden die Verteidigung der
halle Heorot gegen Grendel gestattet, denn Hrodgar ist früher
mannbar geworden, als er Heorot gebaut und mit Grendel zu tun
hatte, die stelle ist vielmehr mit Beowulfs bitte 426 ff in Ver-
bindung zu bringen, aus dem pathetischen ton, mit dem diese
worte gesprochen sind, geht hervor, dass es etwas besonderes
war, was Beowulf erbat, wenn er allein mit seinen leuten die
halle bewachen wollte, und doch möchte es scheinen, dass es
ja selbstverständlich ist, dass die Dänen, die den kämpf längst
aufgegeben haben , deren halle idel stöd, sich nicht in die gefahr
wagen werden, es muss also als etwas besonderes gegolten
haben, wenn ein fremder allein in der halle gelassen wurde,
nach der tötuug Grendels wird Heorot auch gleich wider mit
Dänen besetzt und Beowulf bekommt ein anderes gemach an-
gewiesen (v. 1300 ff)1, die vv. 656 ff sind also so zu verstehen:
'nie habe ich früher, seit ich mannbar wurde, irgend einem
fremden die königshalle der Dänen (allgemein, nicht gerade
Heorot) anvertraut, aufser jetzt dir'! seinen eigenen leuten braucht
der könig ja die halle nicht erst anvertrauen, denn ihr geschäft
besteht ja eben in dem schütze derselben, wol aber sind die
worte einem fremden gegenüber am platze, der bisher zu dem
könig in keinem treueverhältuis staud2.
5) 772 — 778 sollen in Widerspruch stehu mit 779 — 783.
in den ersten versen werde erzählt, dass nur einige metbänke
durch den kämpf zwischen Beowulf und Grendel verrückt wurden,
aus der zweiten stelle gehe hervor, dass das haus beschädigt
wurde, hier hat schon Homburg s. 20 im grofsen und ganzen
1 allerdings scheint Beowulf nach v. 1800 in der dritten nacht seines
aufenthaltes in der halle zu schlafen.
2 vgl. auch Bugge Zs. f. d.ph. 4,200.
DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF 273
das richtige getroffen, vor allem ist sein hin weis auf 998 ff wol
zu beachten. 772 f wird ja durchaus nicht gesagt, dass Heorot
nicht beschädigt wurde, es wird nur hervorgehoben, dass die
halle nicht zu boden stürzte, dem pcBt he on hrüsan ne feol
entspricht v. 1000 hröf dna gences. der sinn der stelle wird
klarer, wenn wir die gedanken in umgekehrter reihenfolge auf-
führen, die Dänen hätten nicht geglaubt, dass Heorot je anders
als durch feuer hätte beschädigt werden können , so stark war
die halle durch eisenklammern geschützt, trotzdem wurde sie
beschädigt, denn Beowulf und Grendel rangen heftig, ja es war
ein wunder, dass das haus nicht ganz zusammenstürzte, aber
das verhütete eben der eisenschutz1. — dass übrigens die be-
schädiguug Heorots, wie Hornburg will, nur im verrücken
der bänke bestand, ist höchst unwahrscheinlich, der ausdruck
listum tölücan 782a ist nämlich, auf das verrücken der bänke be-
zogen, sehr auffällig; denn durch listum ist jedesfalls eine absieht
ausgedrückt, man wird aber Gr. nicht zumuten, dass er, wo
er nur an seine rettung denkt, auch noch die Zerstörung des
gebäudes beabsichtige, es liegt also nahe, diesen ausdruck auf
etwas früheres zu beziehen, und da stellen sich ganz ungesucht
die vv. 722 ff ein: dum söna onam fyrbendum fwst, syddan he
hire folmum hrän; onbrdtd pä bealohydig, pä he dbolgen toces
recedes müdan. dass wir an ein gewaltsames einbrechen der
türe zu denken haben, ist nach fyrbendum feest, das doch
wol concessiv gefasst werden muss, und nach der ausdrücklichen
hervorhebung von Gr.s zorn höchst wahrscheinlich, dazu stimmt
auf das beste, wenn v. 1000 die heorras töhlidene hervorgehoben
werden, schliefslich liegt es auch der ursprünglichen bedeutung
von tölücan näher, es in der angegebenen weise aufzufassen, als
es auf die verrückung der bänke zu beziehen.
6) Ein weiterer Widerspruch liegt angeblich zwischen der auf-
fassung in den vv. 15191' und 1498—1512 vor: nach 1498 ff
werde Beowulf von der riesin gepackt und zu ihrem Wohnsitze
geschleppt, während aus den späteren versen hervorgehe, dass
er sie erst in ihrem saale erblickt hätte2.
1 Müllenhoff hat auch daran anstofs angenommen, dass hit 780 von
reced 771 so weit abstehe, reichliche belege für derartiges bei Heinzel
Anz. 15,191.
2 wir erklären nachdrücklich, dass wir nur diesen Widerspruch be-
handeln, dass wir also über die sonstigen auffälligen stellen dieses abenteuers
274 DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF
Schon Rönning s. 17 hat hervorgehoben, dass B. das ihn
umklammernde ungeheuer erst im saale als Gr.s mutter erkennen
konnte, da dieser saal durch ein licht erhellt wurde1, diese
zweifellos richtige erklärung hat wol deshalb wenig anklang ge-
funden, weil R. für die weitere Schwierigkeit, wieso B. das
schwert gebrauchen konnte, da ihn doch die riesin so fest um-
klammert hielt, swd he ne mihte nö — wcepna gewealdan, keine
aufklärung gegeben hat.
Man erwäge jedoch folgendes: aus B.s Situation ergibt sich
deutlich, dass es drei factoren sind, die ihn am gebrauche des
Schwertes verhindern: 1) die dunkelheit, 2) die meerungeheuer,
3) die Umklammerung der riesin. dass auf 2) viel gewicht gelegt
wird, zeigt die hervorhebung der vv. 1510aff durch ac, wodurch
sie nachdrücklich in gegensatz zu B.s absieht, das schwert zu
gebrauchen, gesetzt werden; ferner die nähere ausführung dieses
umstandes.
Nun gelangt B. in einen schützenden (1515 ff) und erleuch-
teten (1517 ff) räum: somit fallen 2) und 1) weg; dadurch lässt
es sich erklären, dass er sich nun losreifsen kann, ist somit
die sozusagen physische möglichkeit des Vorgangs nachgewiesen,
so erübrigt es noch, dem einwand zu begegnen, der dichter
hätte in diesem falle eine bemerkung über die art, wie Beowulf
loskommt, geben müssen.
Dergleichen erklärungen vermissen wir eben sehr oft; so
bekommen wir keine Vorstellung, wie B. mit leichtigkeit wider
aufstehn konnte (1557): der beistand gottes muss das Unvermögen
des dichters verbergen (vgl. Müllenhoff Zs. 14,211); 553 ff wird B.
von einem untier zu gründe gezogen, dessen fester griff nachdrück-
lich hervorgehoben wird : hweedre me gifede weard, peet ic aglcecan
orde gerechte usw. — wie, ist nicht gesagt; denselben mangel
fühlen wir, wenn 1541 Gr.s mutter niederstürzt, gleich darauf
jedoch Beowulf zu falle bringt, ohne dass die art, wie sie in
(hierher gehören sinnigne secg 1380, he 1393. 1395, wighryre wrätra
1620 und ofslöh hüses hyrdas 1666; was Schneider sonst vorbringt, hält
genauer pröfung nicht stand) in keiner weise präjudicieren wollen.
1 man vgl. 1571 ff, wo unzweifelhaft dasselbe licht gemeint ist, das
zur motivierung des wlät wider erwähnt wird ; deutlicher, weil Subordination
statt der coordination angewendet ist, sind 2770 f. anders, aber wol un-
richtig Hornburg s. 26. 27.
DIE WIDERSPRÜCHE IM REOWULF 275
die höhe kommt, erzählt wird; wie Reowulf aus dem rächen des
drachen seinen hals befreit (2692 11), ist ebenso wenig gesagt uam.
7) Nach 202 ff waren kluge leute mit der Unternehmung Reo-
wulfs gegen Grendel einverstanden (vgl. 415 ff); 1995 ff sagt
Hygelac dem glücklich heimgekehrten R., er habe ihn lange ge-
beten, die fahrt zu unterlassen.
Schon Rönning s. 17 f (und ähnlich Schneider s. 6) haben
ausgesprochen , das Hygelac unter den snotere ceorlas nicht not-
wendig inbegriffen sein muste. da sie jedoch beide zweifeln räum
lassen, wollen wir noch darauf hinweisen, dass snottor im Reo-
wulf öfter in ahgeblasster bedeutung verwendet wird (vgl. 1592;
1787), sodass also R.s bemerkung durchaus kein ungünstiges
licht auf seinen könig wirft. 1592 ff ist unserer stelle ziemlich
parallel: söna pcet gesdwon snottre ceorlas, [>d pe mid Hrödgäre
on höhn wliton; auch hier ist Hr. nicht unter den snottre
ceorlas.
Dass wir erst 1995 ff erfahren, dass Hygelac nicht einver-
standen gewesen sei, kommt auf rechnung der unter 1) er-
wähnten eigentümlichkeit der ags. poesie. eine treffende analogie
dazu finden wir im vierten abenteuer: nachdem Reowulf vom
drachen längst getötet ist, erfahren wir aus Wiglafs munde, dass
man R. vom kämpfe abzuhalten versucht habe (3080 ff).
8) Reowulf soll den kämpf gegen den drachen unternehmen,
einerseits um das land zu befreien , anderseits um des goldes und
des heldenruhmes willen. Heinzel hält an und für sich mischung
der motive für möglich; allein wir glauben nicht, dass eine
solche hier vorliegt, wenn sich Reowulf 2512 ff auf seine früheren
taten beruft, so ist das in der vorliegenden Situation ganz natür-
lich; derjenige, der einen gefährlichen kämpf unternimmt, wird
gerne sich und seine freunde auf diese weise ermutigen, dass
der kämpf unternommen wird, um den heldenmut zu bewahren,
wird mit keinem worte gesagt, ebenso wenig an der stelle
2533 ff: Nis pat eower sict,
ne gemet maiines nefne min dnes,
j)cet he wid aghicean eofodo da-le,
eorlscype efne.
auch hier liegt nur der gedanke zu gründe: der drache muss
wegen seiner Schädlichkeit bekämpft werden, dieser kampl ist
eine heldentat, die kein anderer leisten kann als ich Reowulf. —
276 DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF
gerade dass die mitwürkung der mannen abgelehnt wird, zeigt
deutlich, dass die hauptsache eben die erlegung des drachen
ist, die ja ebenso gut von einem anderen als von Beowulf vor-
genommen werden könnte, wenn er nur die genügende kraft
hätte, eben weil nur Beowulf diese kraft besitzt, will er den
kämpf unternehmen , nicht um sich heldenruhm zu erwerben ;
denn dann verstände es sich ja von selbst, dass die anderen
nichts dabei zu suchen hätten.
Auch die folgenden worte:
Ic mid eine sceall
gold gegangan
wollen kein neues motiv bringen, wenn der drachenkampf ein-
mal als erwerbung einer heldentat, das andere mal als erwerbung
des goldes bezeichnet wird, so liegt hier eine art Synekdoche
vor. der drachenkampf ist eine heldentat und zieht die gewin-
nung des goldes mit sich; es wird hier gerade so der teil für
das ganze gesetzt, wie wenn etwa das gehn gerüsteter krieger
als helmas heran bezeichnet wird.
Auch darin ist Heinzel nicht beizustimmen , wenn er meint,
dass 3080 ff kaum jemand gedichtet haben könne, der auch an
Verteidigung des Volkes gegen den drachen dachte, denn die
Geaten , welche die gefährlichkeit des kampfes wol kannten,
konnten wol denken: 'besser wir ertragen das übel, als dass
wir den könig verlieren', auch die worte pwt he ne grette gold-
weard pone, Ute hyne licgean, pder he longe wces, sind ganz am
platz, denn B. greift den drachen nicht während seiner nächt-
lichen streifzüge an , sondern er fordert ihn vor seiner höhle
heraus (vgl. besonders 2515 f).
In bezug auf 9) verweisen wir auf ten Brink Beowulf s. 144
anm. übrigens ist es durchaus nicht unmöglich , dass hord
'schatzhaus' bedeutet haben kann, man vgl. Beow. 3057 hord
openian, Elene 790 f goldhord geopenie. auch Beow. 2213 und
2320 scheint hord in dieser bedeutung vorzuliegen, da es durch
stdnbeorh, resp. dryhtsele variiert wird, (dadurch erledigt sich,
was ten Brink s. 127 au 2213 auffälliges findet). —
Man hat ferner daran anstofs genommen, dass Wealhbeow
1176 f sagt me man saegde, pcet pu pe for sunu wolde hererinc
(hs. hereric) habban, während sie nach 924 f selbst dabei war,
als Hrodgar dergleichen sagte (947 ff).
DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF 277
Dieser Widerspruch schwindet jedoch sofort, wenn man, einem
vorschlage folgend, den Heinzel uns freundlichst mitgeteilt hat,
das hereric der hs. als eigennamen fasst (wie schon Grundtvig
tat), wir lassen Heinzeis ausführungen folgen.
'Wealbbeow wünscht ihrem gemahl glück und heifst ihn jede
sorge schwinden lassen , da das einzige würkliche übel , Grendels
besuche in Heorot, gehoben sei. es gebe nun gar keinen grund
zur besorgnis, denn das hohe alter Hrodgars und die Jugend der
kinder seien keine gefahr für das reich , wie er wol meine, es sei
unnötig, dass er deshalb Hereric adoptiere, wie man ihr als seine
absieht gesagt habe, er möge sein leben geniefsen so lange es
währe, falls er stürbe, bevor die kinder erwachsen seien, so
hätten sie Hrodulf. — wer dieser Hereric ist, wissen wir nicht,
unmöglich wäre es nicht, dass der gautische Hereric, dessen
neffe Heardred war, gemeint ist'.
Durch diese Interpretation gewinnen wir einen guten fort-
gang der gedanken in der rede der Wealhbeow, vermeiden die im
ganzen Zusammenhang der erzählung sehr unpassende ablehnung
Reowulfs von Seiten derkönigin, brauchen keine conjeetur, und
die worte nie mon seegde verlieren alles auffällige, da sie sich
nicht auf Beowulfs adoption 947 ff beziehen , die nicht rechtlich
gemeint war, sondern auf die Hererics (949 freogan — 1177
habban).' —
Heinzel hat angedeutet (Anz. 15, 175), dass die vv. 161 ff mit
anderen stellen in Widerspruch ständen, die verse lauten:
Sinnihte heold
mistige möras; men ne eunnon
hwyder helrünan hwyrftum scridad.
dem soll nun widersprechen, dass Hrodgar 1358 ff weifs, wo
Grendel wohnt und 166 f, wonach sich Grendel sweartum nihtum
in Heorot aufhält.
Betrachten wir die vv. 161 ff, so ist klar, dass der dichter
nicht hat sagen wollen, die menschen wüsten überhaupt nicht, wo
Grendel weilte, denn er selbst weifs es ja , wenn er erzählt, dass
Grendel sich in sümpfen aufgehalten hat, und der dichter kann
sich doch nicht von den menschen ausnehmen, über die er eine
allgemeine, für alle Zeiten giltige bemerkung macht; das präseus
eunnon beweist ja, dass unter den men nicht die Dänen Hrodgars,
sondern das menschengeschlecht überhaupt verstanden ist. dar-
278 DIE WIDERSPRÜCHE IM REOWULF
nach sind zwei möglichkeiten vorhanden, entweder beziehen sich
162 f gar nicht auf die kenntnis vom wohnort Grendels, sondern
hwyrftum scridad ist, wie Rugge Reitr. 12, 83 will, zu übersetzen:
wohin sie schreiten , indem sie sich (von dem regelmäfsigen wege)
seitwärts (oder abwärts) wenden, dann würde der sinn der stelle
sein: im allgemeinen wohnte Grendel im sumpfland, wohin er
sonst noch gieng, weifs man nicht, oder, was wahrscheinlicher
ist, cunnon heilst soviel wie 'genau wissen': Gr. wohnte im
sumpfland , näheres kann der dichter nicht sagen , 'denn die
menschen wissen nicht genau, wohin die teufel sich wenden',
bei der ersten interpretation fällt jeder Widerspruch mit 1358 ff
weg, aber auch bei der zweiten; denn Hrodgar weifs auch nur
im allgemeinen , dass die unholde die Sumpfgegenden in der nähe
seiner bürg bewohnten, näheres weifs niemand:
1366 Peer meeg nihta gehweem nidwundor seon,
fyr on ßöde; nö pees fröd leofad
gumena bearna, peet pone grund wite.
Aber die bemerkung, dass Grendel sinnihte in den sumpf-
gründen sich aufhält, soll auch in Widerspruch mit der anderen
stehn, dass er sweartum nihtum Heorot bewohnt, allein, die
worte Heorot eardode besagen durchaus nicht, dass er immer
(jede nacht) in Heorot sich aufhielt, das wäre auch sehr un-
wahrscheinlich. Grendel ist keiner von jenen spukgeistern, die
in irgend ein haus gebannt sind und nachts die menschen be-
unruhigen, er sucht Heorot auf, weil die freude der menschen
ihn, den verfluchten, ärgert, er lässt seinen groll an ihnen aus
und tötet sie. wenn es nichts mehr zu morden gibt, hat er
auch nichts mehr in Heorot zu schaffen; er begibt sich dann
mit seiner beute in seine behausung. in den meisten fällen wird
er überhaupt nichts gefunden haben, denn esheifstja, dass die
Dänen die halle geräumt haben (145 f öd peet idel stöd hnsa seiest).
dann hatte er gar keine veranlassung in H. die nacht zuzubringen,
ferner braucht sinnihte 161 nicht auf die zeit bezogen zu
werden; der sinn der worte könnte sein: 'in ewiger nacht be-
wohnte er neblige sümpfe', dh. Gr.s aufenthalt war in finsternis
gehüllt. —
Endlich hat man daran anstofs genommen, dass Grendel
nach 802 ff. 988 ff durch eisen nicht verwundet werden kann,
während ihm Reowulf 1573 — 1591 mit einem Schwerte den köpf
DIE WIDERSPRÜCHE IM REOWULF 279
abschlägt. Heinzel Anz. 15, 175 anm. weist auf etwas ähnliches
in der Thorsteinssaga Vikingssonar hin. er stellt es gleichwol
nicht als wahrscheinlich , wenn auch als möglich, hin, dass hier
kein Widerspruch bestehe, wie es scheint, hauptsächlich deshalb,
weil in der genannten saga eine art erklärung gegeben wird,
wir können auch in diesem falle den Widerspruch nicht an-
erkennen, vor allem kommt in betracht, dass nirgends aus-
gesprochen wird , dass sich die unverwundbarkeit Gr.s auch über
seinen tod hinaus erstrecke, ferner ist zu bedenken, dass eine
art motivierung für die möglichkeit der enthauptung auch im
Beowulf vorgebracht wird: Gr. wird durch ein riesenschwert,
kräftiger als die Schwerter der menschen, enthauptet (sollte nicht
803 cenig ofer eordan im eigentlichen sinne zu verstehn sein?).
Schliefslich sei an Gunnlaugssaga cap. 6 erinnert: Gunnlaug
soll mit einem Viking einen Zweikampf bestehn. als er dem
könige Abalräd davon mitteilung macht, sagt dieser: Nu er
iwcent efni komit, pviat ßessi madr deyfir hvert jdrn. trotz
dieser, wie es scheint, für jeden fall giltigen bemerkung ge-
lingt es Gunnlaug in dem unmittelbar darauf erzählten zweikample,
durch eine list seinen gegner mittelst eines vom könig geschenkten
Schwertes von besonderer kraft zu töten.
Wir dürfen also in derartigen fällen wol annehmen, dass
die dichter es verschmähten, die ausnahmen, die eine im all-
gemeinen giltige tatsache durch ganz specielle umstände erleiden
konnte, ausdrücklich hervorzuheben, wenn sie sich aus der
weiteren folge der begebenheiten ohnedies ergaben, diese er-
zählungsweise konnte in vielen fällen zur erhöhung der Spannung
beitragen, etwas ähnliches ist es, wenn tatsachen nicht erzählt
werden, die später vorausgesetzt werden (vgl. 3).
NACHTRAG. Nach abschluss unserer arbeit erschien Schröers
aufsatz Zur texterklärung des Beowulf (Anglia n.f.il33ff). Sehr, be-
spricht ua. die vt. 1808 — IS 13 und kommt, nachdem er verschiedene
von anderer seite gemachte vorschlage bekämpft hat1, zu dem resul-
tate, es seien in diesen vv. (1808— 1810 stehn nach seiner auffassung
nicht in logischem Zusammenhang mit 1811 — 1813: 'denn letztere
hätten nur sinn in rücksicht auf die vv. 1456 — 1465. 1489 — 1492
1 es beruht wol auf einem irrtum, wenn Sehr, gegen Müllenholls and
Holders Vorschlag, in v. 1810 leenes statt leanes zu lesen, geltend macht,
dass Irin sonst nur als feminin belegt sei; vgl. Sievers Ags.gr. $ 2
280 DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF
und 1519 — 1537. 1660 — 1661, iü denen von dem verleihen des
Schwertes und dessen nutzlosigkeit im kämpfe die rede ist') in
ungeschickter weise zwei motive mit einander verschmolzen:
1808 — 1810 enthalten 'das ältere und zwar dem redactor recht
verschwommene motiv der Schenkung' Hruntings, während in
1811 — 1813 das motiv der schwertverleihung zu einem bestimmten
waffengange auftrete (wie in 1456 ff), somit scheine es notwendig,
bei annähme von ten Brinks Variantentheorie 'seine Scheidung von
jüngeren und älteren bestandteilen in D auch auf unsere vv. 1808
bis 1813 auszudehnen' (s. 340). 'und wenn überhaupt Widersprüche
die theorie epischer Varianten glaubwürdig machen, so dürfteu
es die hier vorliegenden sein' (s. 339).
Dieser Sicherheit der argumentation gegenüber wird es nicht
überflüssig sein, zu zeigen, dass die besprochenen verse auch eine
andere erklärung zulassen , welche die annähme so complicierter
und unwahrscheinlicher Vorgänge entbehrlich macht, wir gehn
hierbei aus von den vv. 1489 ff; Beowulf bittet den könig Hrodgar,
dem Hunfercl sein (Beowulfs) schwert zu überreichen, diese
Schenkung, die wol aus erkenntlichkeit für den leihweise über-
lassenen Hrunting erfolgte, ist keine bedingungsweise, nur für
den fall von Beowulfs Untergang geltende, wie die, welche 1483 ff
berichtet wurde, sondern sie bleibt unter allen umständen aufrecht;
dies geht aus dem gegensatze deutlich hervor, in dem die verse zu
den Schlussworten B.s stehn, die beide möglichkeiten , sieg oder
tod, andeuten, diese stelle liefert nun den Schlüssel zur erklärung
unserer verse: unter lean (1810) ist das geschenk Beowulfs an
Hunfercl gemeint, nicht, wie man bisher angenommen hat, Hrun-
ting. somit sind die verse so aufzufassen: 'da liefs der tapfere
söhn Ecglafs den Hrunting herbeibringen (beran wie 1025 und
2153), bat ihn (den eben erwähnten cuma collenferhd, Beowulf),
das schwert anzunehmen, und dankte ihm zugleich für sein ge-
schenk, dessen vortrefflichkeit er überaus lobte (nicht wie Sehr,
will 'er tadelte die schneidigkeit nicht').
Bei dieser auffassung erledigen sich auch die bedenken , die
Sehr. s. 339 über den zeitpunet äufsert, in dem die rückgabe
des Hrunting erfolgt sei. 'als er (Beowulf) aus dem wasser stieg'
(wie Sehr, will), kann sie nicht gut stattgefunden haben, denn
die Dänen waren zu dieser zeit schon nach hause zurückgekehrt,
vgl. 1601 ff. unmittelbar darauf folgt das gelage, das durch eine
DIE WIDERSPRÜCHE IM BEOWULF 2S1
rede B.s eröffnet wird, nach diesem ergreift sogleich Hrodgar
das wort (1688 ff), am Schlüsse seiner rede 1784 f sagt der könig,
er werde B. am kommenden morgen beschenken, es ist somit
ganz natürlich, dass Hunferd, der bis zu diesem augenblick keine
gelegenheit gehabt hat, Beowulf ein gegengeschenk zu machen
und ihm zu danken, beides gleichfalls auf den nächsten morgen
verschiebt, dass die rückgabe Hruntings an Hunferd nicht aus-
drücklich erzählt wird, gehört zu einer im vorhergehenden mehr-
fach belegten stilistischen eigentümlichkeit, die im Beowulf be-
sonders oft hervortritt. —
Der halbvers 1813b ßcet wces mödig secg geht nun auf
Hunferd; ebenso se hearda 1808; daran wird wol niemand an-
stofs nehmen, denn Hunferds mut wird auch 1168 nachdrück-
lich hervorgehoben.
Wien, 6 oct. (17 nov.) 1890.
MAX HEBMANN JELLINEK. CARL KRAUS.
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN.
II
Hat die neuere forschung der frage, ob Erinnerung und
Priesterleben auch würklich von demselben dichter herrühren , so
gut wie gar keine aufmerksamkeit geschenkt, weil man sie eben
für endgültig gelöst ansah, so ist über die zeit, in welche die
gedichte zu setzen seien, des öfteren und recht eingehend ge-
handelt worden, die meinungen sind dabei weit genug auseinander-
gegangen, wenn ich mich jetzt einer erneuten prüfung der zeit-
frage zuwende, so kann ich die beiden gedichte, wie sie den
seitherigen betrachtungen gemeinsam zu gründe gelegen haben,
getrost auch in dieser gemeinsamkeit belassen, da es für die
feststellung der entstehungszeit gleichgültig ist, ob beide werke
von demselben oder von verschiedenen Verfassern herrühren,
denn Übereinstimmung in spräche, metrum und reim sichert ihre
ungefähre gleichzeitigkeit, während sich aus manchen berührungen
des inhaltes und ausdruckes kenntnis der Erinnerung beim dichter
des Priesterlebens zu ergeben scheint, sodass eine gewisse Zu-
sammengehörigkeit auch von niemandem bestritten wird.
Der einhelligen ansieht, dass die gedichte dem 12 jh. an-
gehören, ist Wilmanns in seinem 'sogenannten Heinrich von
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 19
282 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II
Melk' (Beiträge zur geschiente der älteren deutschen litteratur.
he ff. 1. Bonn 1885) entgegengetreten und hat sie vielmehr ins
14 jh. hinabzurücken versucht, soweit mir bekannt geworden
ist, hat Wilmanns nirgends Zustimmung gefunden, und ich könnte
mit rücksicht auf die anzeigen von Schröder DLZ 1886, 885 ff
und Seemüller Zs. f. d. phil. 19, 369 ff und Zs. f. d. ö. g. 38, 372 ff
davon abstand nehmen, auf seine schrift nochmals zurückzukommen,
wenn es einer arbeit über 'Heinrich von Melk' gestattet wäre, an
einer so einschneidenden hypothese stillschweigend vorbeizugehu,
die von einem der bedeutendsten Vertreter der deutschen philo-
logie aufgestellt ist und schon deshalb anerkennung oder Wider-
legung fordern darf, würde Wilmanns recht haben, so wären
wir damit nicht nur zwei kleine gedichte umzudatieren genötigt,
sondern es wären die grundlagen unseres seitherigen wissen-
schaftsbetriebs erschüttert, grund genug, um von möglichst vielen
gesichtspuneten aus die frage zu beleuchten.
Dass der weg, den Wilmanns einschlug, um das unmethodische
der bisherigen forschung klar zu machen, kein besonders glück-
licherwar, wird wol niemand bestreiten, denn während er den
abschnitt ii einleitet mildern satze: 'in nähere erörterungen über
spräche und Stil will ich mich nicht einlassen, leichter und
sicherer glaube ich zum ziele zu kommen , wenn ich den inhalt
der satiren ins äuge fasse, zunächst ein paar bemerkungen über
den eulturzustand, welchen die gedichte voraussetzen; derselbe
zeigt eine vielgestaltigkeit und entartungen , wie sie ein öster-
reichischer dichter aus der mitte des 12 jhs. schwerlich kennen
zu lernen gelegenheit hatte', — gibt er selbst mit dem eingange
seines abschnittes iv ('es ergab sich als mislich, Heinrichs aus-
lassungen über das unzüchtige leben der priester auf eine andere
zeit als das 12 jh. zu beziehen') zu , dass der inhalt der satiren
wenigstens teilweise direct gegen seine hypothese zeugt, so
bleiben tatsächlich die 'paar bemerkungen' die einzige handhabe
für Wilmanns, die gedichte dem 12 jh. abzusprechen, hier nun
muss ich von vornherein mich als gegner der historischen auf-
lassung bekennen, die sich in Wilmanns' worten über den
vielgestaltigen eulturzustand, welchen die gedichte zur Voraus-
setzung haben, kundgibt, so lange der mensch mit seinen
individuellen wünschen, fähigkeiten und trieben existiert, so
lange die gesellschaft sich aus vielen tausenden dieser moralisch
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II 283
und physisch verschieden gearteten menschen zusammensetzt, so
lange müssen auch vielgestaltigkeit und entartung dieser mensch-
lichen gesellschaft erb- und eigentümlich gewesen sein, um so
mannigfaltiger freilich wird sich dies bild gestalten, je einschnei-
dender sich sociale unterschiede und gegensätze herausgebildet
haben, denken wir uns die sittlichen mängel verschiedener Jahr-
hunderte graphisch dargestellt, so werden sich die linien nirgends
decken, geringere erhebungen hier grösseren höhen dort ent-
sprechen; aber zur geraden werden die curven nie herabsinken,
ein niveau der Sitteneinfachheit und reinheit kann nirgends an-
genommen werden, dem nicht vergleichenden beobachter, dem
nur das bild seiner zeit vorläge, würden auch die geringeren
erhebungen schon überhoch erscheinen, der Sittenrichter wird
sie dem zeitgenössischen publicum in das riesige übertrieben
schildern, stoff genug für den Satiriker bietet jede zeit, und
dem bufsprediger ist die seinige allemal die schlechteste.
Was nun speciell das 12 jh. angeht, so steht es gewis an
erscheinungen der sittenlosigkeit keinem anderen nach, neben
die entwickeluug des edelsten enthusiasmus und des idealsten
strebens stellt das Zeitalter der kreuzzüge die entfesseluug des
elendesten egoismus und der niedrigsten leidenschaften. in Deutsch-
land tobt der bürgerkrieg, und das ansehen der kirche und mit
ihm die religion wird durch das beständige schisma schwer ge-
schädigt, es wäre wunderbar, wenn bei der fortwährenden auf-
regung der gemüter, dem ah- und zuströmen kriegs- und beute-
lustiger schaaren, der stetigen berührung mit den verschiedensten
Völkern das deutsche land freigeblieben wäre von entartung schlimm-
ster art, wenn das leben des deutschen volkes durch die be-
deutende erweiterung seines gesichtskreises und seines wissens,
die kennlnisnahme einer ganz fremden cultur und aufnähme
ihrer erzeugnisse nicht eine bis dahin ungeahnte vielgestaltigkeit
erfahren hätte, wenn zum jähre 1092 die Augsburger Jahrbücher
(MGSS in 123) die folgende Sittenschilderung geben: imperatore
in ltalia neyotiis occapato, provincia Suevorum cladibus oppriiiti-
tur; nulla timoris Domini respectio, nulla ministris Domini erat
reverentia; gratuito quisque reprobus erat, et ut Salomon loquititr,
alius alium per rapinam, per invidiam occidit; omnia commixta
sunt; sanguis, homicidium, furtum et fictio , corruptio, infidelitas,
tnrbatio, perjurium, tumultuatio, nulla bonorum Domini memoria,
19"
284 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II
animarum inquinatio, nuptiarum inconstantia , mechia et impu-
dicitia, wenn so das bild der socialen und moralischen zustände
vor beginn des 12 jhs. gezeichnet werden konnte, wie sollte man
da im verlaufe dieses säculums, bei all den kämpfen und Un-
ruhen, besserung erwarten? wir sind in der läge, aus den quellen
gar manche Zeugnisse für die sittliche hohlheit der zeit bei-
zubringen, ich brauche nur auf Prutzens culturgeschichte der
kreuzzüge hinzuweisen , wo proben des vagabundismus mitgeteilt
werden , wie sie unser modernstes industrierittertum nicht raf-
finierter aufzuweisen hat.
Fünf dinge besonders möchte Wilmanns dem österreichischen
leben des 12 jhs. absprechen, den minnesang, die putzsucht der
weiber besonders niederen Standes, die kenntuis von bordellen
und Schwitzbädern und schliefslich den weltlichen gelehrtenstand.
zur entscheidung über den ersten punct, mit dem ein haupt-
zeugnis gegen seine auffassung unserer ältesten liebeslyrik weg-
geschafft werden soll, hat Wilmanns nichts neues beigebracht,
dass der 'weltliche gelehrtenstand' auf einer falschen deutung von
Prlb. 552 beruhe, hat Schröder in seiner anzeige dargetan, und
dass die Schwitzbäder in Deutschland länger bekannt sind als
Wilmanns annehmen möchte, ist seit Martins einleitung zu Murners
Badenfahrt und durch die von Wilmanns selbst s. 9 angezogene
stelle aus Thomasin , die geradezu eine kirchliche tradition für
das Erg. 945 ff gebrauchte bild zu beweisen scheint, so gut wie
sicher, ich hoffe demnächst noch andere Zeugnisse dafür vorlegen
zu können.
Was den kleiderluxus der weiber anlaugt, so ist es doch
gewis ein sonderbares beweisverfahren, wenn W. die erste uns zu-
fällig bekannte erwähnung solcher dinge, wie schminke, schleppen
und gelwez gebende um deswillen in eine spätere zeit versetzen
will, weil sie sonst eben die erste erwähnung sein würde, der
gebrauch der schminke war den Italienern seit der römischen
zeit niemals fremd geworden und wird es auch in Deutschland
zu keiner zeit ganz gewesen sein, in einer stelle der Eneide,
die keine zwei Jahrzehnte später fällt als die seither angenommene
entstehung unserer gedichte, erfahren wir die namen des roten
und weifsen schminkstoffes: 5171 f wale gemisket rot end wiz
an blenke end dne verniz, und wenn diese stelle auch wol das
vorbild abgab für ähnliche anspielungen in den Nib. (A 1594),
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II 285
im Parz. (776,8) und bei Walther 111, 12, so wird doch durch
sie alle die weite Verbreitung der Unsitte für eine wenig spätere
zeit bezeugt, für die schleppen führt Wilmanns selbst mehrere
französische Zeugnisse des 12 jhs. an, er scheint sich also nur
gegen die rasche und weite Verbreitung der mode zu sträuben :
sollte es aber damit zu jener zeit wesentlich anders gestanden
haben, als etwa im 14 jb., wo wir durch zahlreiche eclatante
beispiele von dem rapiden Umsichgreifen der kleiderneuerungen
unterrichtet sind? oder auch im 13 Jh., wo wir Neidharts hauern
im besitze der neuesten französischen modeartikel antreffen? ich
glaube auch nicht, dass sich W. die baurenweiber des 16 jhs.
so vorzustellen pflegt, wie sie gelegentlich in den Sittenpredigten
dieser zeit erscheinen, eine stelle, wie die nachfolgende aus
der Christlichen haustafel des Cyr. Spangenberg, auf die mich
Schröder hingewiesen hat, kann ich mir nicht versagen, hier
herzusetzen, zumal sie bis in einzelheiten hinein mit der Schil-
derung des altösterreichischen Sittenpredigers zusammentrifft: Also
gehets unter dem Weibervolck auch zu, Burger vnd Bawren -Weiber
wollen schlechte dem Adel gleich sein\ mit Schweiften, Kragen,
Zöpfen, Ermein, Geprem, Schurtzen, Hauben, Schauben, Scheub-
lein vnd Mentel, ja auch mit dem treuen, schwentzeln2 ; vnd Krantz
setzen (ausgäbe von 1564, F iub). — mag für die schleppe
noch zugestanden werden, dass es sich um eine neue mode
handelt, so fällt bei dem gelwen gebende auch dies bedenken
fort: so lange man 'gebende' trug und freude an grellen färben
hatte, wird es nie ganz gefehlt haben, und dass es von jeher als
ein zeichen der Üppigkeit galt, beweist Prudentius, wenn er die
Luxuria croceo religamine bekleidet sein lässt: mit gelwem ge-
bende (Psychom. 359). richtig ist es, dass dieser gelbe kopfputz
auf der höhe des mittelalters besonders im schwänge war, aber
bis zu Etienne de Bourbon und ßerthold von Regensburg braucht
man da auch nicht herabzusteigen: schon der mönch von Mon-
taudon klagt über die Verteuerung des saffrans durch die trauen
(Wackernagel Kl. sehr. 1, 1S8).
Luxus in der tracht und extravaganzen der mode lassen sich
nun einmal keiner zeit absprechen; ihre ausbreitung beruht auf
1 vgl. wellent sich die gebiurinne an allem ende des riehen mannen
lohter penözzen Prl. 330 f.
2 vgl. mit ir chratzen und mit ir stozzen Prl. 332.
286 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II
dem nachahmungstriebe des menschen: swes sumlich beginnent,
dar nach briutent sich die andern, dieser process beginnt natur-
gemäfs in den höchsten kreisen der gesellschaft, aber auch hier
schon pflegt der anstofs zu auffallenden neuerungen in der sucht
zu liegen, fremdes nachzuäffen, ein beredtes Zeugnis dafür bietet
ein brief des abtes Siegfried von Gorze an Poppo von Stablo
aus dem jähre 1043 (Giesebrecht 2, 679 ff), den ich auszugsweise
hier mitteile: . . . Ignominiosa Franciscarum ineptiarum consuetudo
introducitur, scilicet in tonsione barbarum, in turpissima et pu-
dicis obtulibus execranda decurtatione ac deformitate vestium mul-
tisque aliis novitalibus. ... At nunc plnrimi patrios et honestos
mores parvi pendunt. et exterorum hominum vestes simulque mox
perversitates appetunt ac per omnia his etiam similes esse cupiunt,
quos hostes et insidiatores suos esse sciunt, et quod magis dolendum
est, hi tales non modo non corriguntur, verum etiam apud regem
et quosdam alios principes familiariores habentur. . . . Hoc vero
alii videntes eorum similes fieri non verecundantur et, quia eos
impune ferre simul et munerari considerant, maiores novitatum
insanias excogitare festinant. — dass bei irgend einer menschen-
classe dieser nachahmungs- und luxustrieb weniger oder gar
nicht entwickelt wäre, wird niemand behaupten wollen, und so
kann es doch nicht im geringsten auffallen, weun im 12 jh. die
gebiurinne des riehen mannes tochter sich iceüent genözzen. man
dürfte selbst mit Wilmanns gebiurinne wörtlich mit 'bäurin' über-
setzen, obgleich das durchaus nicht notwendig ist, da gebiurinne
im übertragenen sinne häufig genug ganz allgemein das weib ge-
ringer herkunft und gemeinen benehmens bezeichnet, die Wiener
metzgerswittwe (Prunhilt relicta Hartwici carnificis), welche, nicht
allzuviel später, der kirche pro remedio anime sue surgotam suam
sericeam überwies1, liefert den beweis, dass luxus und wolleben
auch in jener zeit nicht auf den adel und die städtischen patricier
beschränkt blieben.
Ein bordeil ist, wie ich mit Schröder DLZ 1886, 885 anuehme,
erst von Wilmanns in das Priesterleben hinein interpretiert worden,
sein vorhanden sein, wie sein fehlen würde durch diese dichtung
keinerlei bestätigung erhalten, immerhin kann es nicht schaden,
einiges über das alter solcher einrichtungen zu erfahren. Wil-
manns hat bei Alw. Schultz eine stelle des Jacques de Vitry
1 fragment eines liber dativus ed. Zappert WSB xm (1854) 1.90.
ERINNERUNG Ur\D PRIESTERLEREN II 287
(f 1240) gefunden, worin dieser das leben der Pariser geist-
lichen schildert, wie sie von den dirnen in die bordeile geschleppt
werden, daraus zieht er den trugschluss: was im 13 jh. erst
von den Pariser Verhältnissen gesagt wird, das kann unmöglich
schon im 12 jh. in Österreich an der tagesordnung gewesen sein,
'natürlich bestreite ich nicht, dass auch damals viele geistliche
den gerügten lästern verfallen konnten, aber sie musten die be-
friedigung des triebes auf anderem wege suchen.' warum aber
und auf welchem wege? dirnen, welche für geld sich preisgeben,
hatte man damals so gut wie heute. Thietmar (vm 2) sieht in
ihnen noch das geringere übel, wenn er klagt: Apud modernos,
quia libertas peccandi plus iusto atque solito ubique dominaiur,
plus quam compressa ancillarum multitudo, quaedam pars matro-
narum, cupidine veneria pruritui noxio subscalpente , marito vi-
vente nunc mechatur. unter compressa ancillarum multitudo wird
er wol nichts anderes als gewerbsmässige huren verstanden haben,
auch über den in jener zeit üblichen preis erhalten wir wenig
später aufklärung aus einer stelle im Eraclius; 2219 ff sagt die
alte, bei welcher Athenais lebt, zu Eraclius: get zuo andern
binden! ir muget hie manege vinden, diu iuch iwers willen wert
und niht wan drier phenninge gert. von der gewerbsmäfsigen
unzucht zur gewerbsmäfsigen kuppelei ist der schritt nicht weiter,
als vom diebstahl zur hehlerei. muss auch das eine logisch dem
anderen vorausgehn, so zwingt nichts dazu, ihre entstehung
auch würklich zeitlich zu trennen, nach Gilbert Stuarts View of
society in Europe in its progress from rudeness to refinement
(übers. Leipzig 1778) s. 391, dessen quelle ich augenblicklich nicht
nachprüfen kann, gab Heinrich n den bordeilen in Southwark einen
freiheitsbrief, 'dem alten gebrauch zu folge, welcher seit undenk-
lichen Jahren im schwänge war.' sollte Deutschland eine ausnahme-
stellung in diesen dingen eingenommen haben? das unsittliche leben
in nonnenklöstern sowol wie das bestehn von bordellen im 12 jh.
in Deutschland bezeugt ein schreiben des abtes des Marienklosters
Flechtorp im Paderbornischen an papst Eugen in, in welchem
er von diesem kloster aussagt : non divina servitia sed lupanarium
ludibria potius exercebantur (Havemann Gesch. der lande firaun-
schweig und Lüneburg 1, 315). bei der Übersetzung von lupa-
nar, lupercal, prostibulum, meritorium wenden die ahd. glossen
stets und ohne schwanken huorhüs an, nie eine Umschreibung:
288 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II
ein beweis, wie bekannt der begriff und das wort schon dem
früheren mittelalter waren, noch characteristischer ist, dass sie
für gymnasium, amphitheatrum neben dem üblichen spilhüs zu-
weilen huorhüs sagen, ja gelegentlich auch delubrum, sacellum
(weil es heimliche räume zu heimlichen zwecken sind) mit huorhüs
übersetzen, vgl. Graff iv 1055. einen sehr deutlichen einblick
in sitte und sittliche anschauung des 12 jhs. gewährt uns die
stelle im Eilhart, wo von Morolts bordeil gesprochen wird,
439: so wil ich die magedin minem hürhüse tun zu, daz sie mir
spate unde frü gewinnen dar inne silber und Pfenninge, die Ver-
wertung der bordelle zu königlichen steuerobjecten kann doch
nur ein letztes glied einer langen entwickelungsreihe sein1.
Fassen wir nun das ergebnis unserer prüfung der Wil-
mannsschen aufstellungen zusammen, so lautet es dahin, dass
keiner der zweifei, welche Wilmanns in betreff der hinaufrückung
der gedichte Erinnerung und Priesterleben in das 12 jb. hegt,
berechtigung hat, sondern dass sich alles dem rahmen dieser
zeit passend einfügt, kommt hinzu , dass der Inhalt der gedichte,
soweit er vom unzüchtigen leben der geistlichen handelt, nach
Wilmanns selbst auf keine andere zeit als das 12 jh. bezogen
werden kann, so ist nichts methodischer als der schluss, dass
die gedichte auch dem 12 jb. angehören, selbst wenn der ver-
blüffende gedanke, dieselben nach Ungarn zu verpflanzen, auf
bessere stützen sich angewiesen sähe, als in der tat der fall ist.
Das argumentum e silentio halte ich, wenn es nicht inner-
halb ganz genau bestimmter grenzen, die allein ihm einiges ge-
wicht verleihen, angewandt wird, für das nichtigste argumeut,
das sich denken lässt. das gebiet dessen, was der mensch alles
mit und ohne grund stillschweigend übergehn kann, ist so uner-
messlich, dass es ein unding ist, daraus irgend etwas ableiten
zu wollen, ich kann es daher auch nicht mit Wilmanns höchst
auffallend finden, dass in unsern gedichten der papst nur zwei
mal, der kaiser gar nicht genannt wird, ja, wenn es sich um
ein politisches gedieht, wenn es sich um eine episode aus den
kämpfen zwischen papst- und kaisertum handelte, dann würde
das auffallen, aber auch in einem gedichte moralisierenden in-
1 aus einer Urkunde Roberti ducis Normanniae Richardi filii führt Du
Cange an: Custos meretricum publice venalium in lupanari de Rothomago
et marescallus meus, quando moror Rothomagi.
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II 289
halts, in einer satire auf die sittenlosigkeit der stände? könige
und bischöfe siud doch nur typen ihres Standes; in kaiser und
papst fällt typus und Individuum zusammen, die hereinziehuug
des persönlichen aber liegt der satire fern, und gesetzt auch dieser
grund fiele weg, wie viele werke haben wir nicht in unserer lit-
teratur, in denen sich von gleichzeitigen ereignissen auch nicht das
geringste spiegelt! wo finden wir denn in andern werken des 12jhs.
solche anspielungen auf den weltbewegenden kämpf der beiden
höchsten gewalten, die ein deutsches publicum vom deutschen
dichter nach Wilmanns erwarten muste? wo bietet sich in der
poesie des 12 jhs. ein bild von dem, was am meisten die
gemüter der zeit erregte, was ihr recht eigentlich das charac-
teristische gepräge gibt, von den kreuzzügen? ein paar matte,
erst durch kritik zu deutende anklänge und niederschlage, das
ist alles, wenn selbst in einem werke wie der Kaiserchronik der
päpste kaum gedacht wird, wenn in der eigentlichen historio-
graphie des 12 jhs. die wichtigsten begebenheiten oft kaum be-
rührt werden, wie will man dann sich wundern, dass in un-
politischen gedichten nichts von politik vorkommt? und doch
ist dieser umstand wider das einzige argument, das Wilmanns
gegen die deutschheit des verf.s ins fehl zu führen hat: ein
dichter Deutschlands würde papst und kaiser nicht mit still-
schweigen haben übergehn können! ist diese folgerung ver-
wunderlich, so ist es nicht minder das verfahren, durch welches
der dichter zum Ungarn gestempelt wird. Prlb. 632 f lauten : ze
Ungern unt ze Behaim unt in allen diutschen landen, wenn hier
an erster stelle Ungarn genannt wird, so 'darf man darin ein
anzeichen sehn, dass Ungarn auch in des dichters interesse die
erste stelle einnahm'! ich denke, mit nichten darf man das. den
dichter hat zu der Stellung der namen nichts anderes bewogen,
als die rücksicht auf den vers und den reim, wie heutzutage
auch noch, soviel ich davon verstehe, dichter von drei gleich-
wertigen begriffen denjenigen in den reim setzen, auf welchen
sie das beste reimwort linden, mit gleicher folgerichtigkeit darf
dann auch Wilmanns die im Prlb. 662 ff beliebte Ordnung der
hören (sexta, nona, tertia, prima, completorium, vesper) für inals-
gebend halten , oder gar nach 635 be'diu dreschen unde sniden
dem landwirtschaftlichen verstände des dichters zutrauen, dass
er das körn erst dreschen und dann schneiden würde.
290 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II
Noch einiges wird von Wilmanos angeführt, was eher sich
für einen ungarischen als für einen deutschen Verfasser schicken
solle, da ich über ungarische Verhältnisse nicht unterrichtet bin,
sehe ich von einer weiteren erörterung dieser academischen frage
ab. nicht übergehn aber will ich doch Wilmanns' behauptung,
dass wir in Heinrich von Mügeln wenigstens ein beispiel von
einem dichter besäfsen, der in Ungarn eine geeignete statte für
seine litterarische tätigkeit gefunden habe, für einen aufent-
halt Heinrichs von Mügeln in Ungarn besitzen wir aber gar
kein Zeugnis! dass er eine ungarische chronik übersetzte, kann
für ein solches schon deshalb kaum gelten, weil er sein werk dem
erzherzog Rudolf iv von Österreich widmete, in dessen auftrage
also wol auch schrieb, und selbst für den fall dass Wilmanns
recht hätte, so besteht zwischen den beiden Heinrichen ein solcher
unterschied, dass die existenz des einen in Ungarn nicht die
geringste stütze für die Wahrscheinlichkeit, auch der andere sei
dort gewesen, bieten würde. Heinrich von Mügeln würde vor-
übergehend am ungarischen hofe gelebt haben, unbeeinflusst von
Ungarns socialen Verhältnissen und ohne einfluss auf dieselben,
ein gast in fremdem laude, dahingegen zeigt sich in dem verf.
unserer dichtungen ein mann, der mitten inne steht im kämpfe
der meinungen, der nach Wilmanns eine genaue kenntnis des
landes und der silten hat, der das seinige redlich tut zur ab-
stellung der übelstände, er müste durch und durch sich als
angehöriger des ungarischen landes fühlen und dadurch für uns
völlig isoliert dastehn, durch Heinrich vou Mügeln keinerlei er-
klärung findend, wenn etwas aber im stände ist, den unter-
schied in spräche und form von gedienten des 12 und 14 jhs.
uns klar zu machen, so ist dies eine vergleichende betrachtung
der dichtungen Heinrichs von Mügeln mit unseren geistlichen
gedienten, die jeden von dem weiten zeitlichen abstände über-
zeugen wird, eine eingehende Untersuchung der spräche würde
überflüssig sein, da die äufsere form der gedichte ihre entstehungs-
zeit deutlich genug bezeichnet.
Es fehlt uns leider eine ausgäbe von Mügelns gedieht Der
meide kränz, doch lassen schon die kurzen auszüge bei Wilken
(Geschichte der Heidelberger büchersammlungen 309 ff) und
WMüller (Göttinger Studien 1847, 905) zwei untrügliche kenn-
zeichen des 14 jhs. erkennen, die durchgängige achtsilbigkeit der
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II 291
verse und deü mangel des klingenden reimes. wenn in den
38 mitgeteilten reimpaaren kein klingender reim vorkommt, so
wird es nicht zu kühn sein , auf seine Seltenheit überhaupt zu
schliefseu , da sich damit Der meide kränz nur einer regel fügen
würde, die sich mir aus beobachtung allerdings unvollständigen
materials ergeben hat1, danach hat kein erzählendes gedieht des
14jhs. über 20%, keines des 13 jhs. über 40°'o und keines des
12jhs.2 unter 40% klingender reime, ich teile die procentzahl
der klingenden reime in den von mir geprüften dichtungen mit.
14 jh.: Claus Wisse 12%; Heinrich von Berngen 14%; Visio
Philiberti B (in Karajans Frühlingsgabe) 5,7%; Vis. Phil. C 9%;
Boners Edelstein 6,5%. — 1 3 jh. : Parzival ca. 23%; Erec31%;
Iwein 27%; 1 Büchl. 26%; Gregorius 36%; Arm. Heinr.33%;
2 Büchl. 30%; Konrads Kindheit Jesu 30,5%; Urstende 30%;
Jüdel 26,5%; Lamprechts tochter Syon 38%; Franzisken leben
27%; Meleranz 20% ; Mai 27%; Silvester 30% ; Parton. 33%;
Heinrich von Freiberg 22,5%; Erlös. 24%; Ulrichs Alexander 30%.
— 12 jh.: Jüngst, gericht (Diemer 283 ff) 55,5%; Wernhers Maria
(Fdgr. 2) 55,5%; Heinrichs Litanei 67% ; Arnsteiner Marienieich
53%; Tundalus 51%; Anegenge ca.43% ; Himmelreich 74%. es
wäre wünschenswert, dass diese beobachtungen einmal zu einer
vollständigen Untersuchung erweitert würden, die dann natürlich
auch auf die landschaftlichen unterschiede, besonders zwischen
oberdeutschen und mitteldeutschen dichtem achten müste; das
resultat im allgemeinen würde, glaube ich, nicht erheblich ge-
ändert werden, auf jeden fall aber wird es nunmehr keinem zweifei
unterliegen, dass Erinnerung mit 55,5% und Priesterleben mit
59% klingender reime nur dem 12 jh. angehören können.
Aus der spräche der dichtungen will ich nur das eine her-
vorheben, dass sich in beiden nicht ein einziges französisches
fremdvvort, nicht eine einzige bildung auf -ie oder -ieren findet,
ich behaupte getrost; man wird aus dem 14 jh. kein episches
oder didactisches werkchen von auch nur :Sl>0 versen auftreiben
können, in dem jener sprachliche einfluss von westen her sich
nicht geltend macht, hier aber haben wir über 1800 verse und
keine spur davon !
Stand die Chronologie der beiden gedichte einmal soweit fest,
dass man sie nach spräche und inhalt in das 12 jb. und zwar
1 vgl. auch (JF 44, 19. 2 vorhöfische zeit !
292 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II
nach Österreich weisen durfte, so suchte man nach anderen an-
zeichen, welche eine engere datierung und örtliche begrenzung
gestatteten, ein solches fand man, da der name des dichters
Heinrich nichts ergab, in der erwähnung eines abtes Erkenfried
am Schlüsse der Erinnerung, man suchte nach und fand zwei
äbte dieses namens in österreichischen klösteru, den einen zu
Göttweig (1090— 1120) und den anderen in Melk (1122— 1163).
einer von diesen beiden, so schloss man, muste unser Erken-
fried sein, je nachdem sich nun aus anderen anhaltspuncten
das höhere oder geringere alter für die abfassungszeit der dich-
tungen wahrscheinlich machen liefs, erklärte man sich für den
einen oder den anderen , setzte den dichter nach Göttweig oder
nach Melk, für ersteres entschied sich Diemer, letzteres nahmen
nach Lachmanns Vorgang (Rhein, mus. 3, 426) alle anderen an.
ich muss Wilmanns' urteil zustimmen, dass der weg, auf dem
diese Schlüsse gewonnen wurden kein einwandfreier ist. denn bei
der lückenhaften Überlieferung der abtverzeichnisse ist es denkbar,
dass noch anderen österreichischen klöstern des 12 jhs. äbte des
nicht gar so seltenen namens Erkenfried vorgestanden haben,
aber da Melk eines der nicht allzu zahlreichen österreichischen
klöster ist, die sich damals durch reges geistiges leben aus-
zeichnen, da ferner die zeit jenes Erkenfried durchaus passend
ist, so dürfen wir immerhin die Wahrscheinlichkeit zugeben, dass
der dichter der Erinnerung ein Heinrich von Melk war.
Diemer hat zur weiteren begründung seiner Zeitbestimmung
für die Erinnerung hauptsächlich zweierlei ausgeführt: erstens
dass die klagen über die sittenlosigkeit der geistlichen, unter denen
besonders die landsleute des dichters, also die österreichischen
geistlichen, verstanden seien, sich nur auf den an fang des
12 jhs. beziehen könnten, und zweitens, dass in dem gedichte
directe anspielungen auf das Verhältnis Heinrichs iv und seines
sohnes Konrad enthalten seien.
Heinrichs worte 142 ff: 'nu wellent die phaffen übereil in daz
haben ze einem rechte gar, daz sich under der phaffen schar sul
der wibe niemen dnen' seien, so meint Diemer, der das nu zeit-
lich auffasst und darin das staunen über etwas neues und un-
erhörtes sieht, nur möglich in dem anfange der bestrebungen der
geistlichkeit, die ehelosigkeil zu beseitigen, nach dem Wormser
concordate 1122 wäre eine solche äufserung kaum mehr mög-
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II 293
lieb gewesen, da in Österreich durch die strenge papst Urbaus n
(1088 — 1099), durch die erzbischöfe von Salzburg und die bischöfe
von Passau der coelibat wenigstens im allgemeinen schon völlig
durchgeführt und der widerstand gegen' ihn längst aufgegeben
gewesen sei. unterstützt wird diese behauptung durch mehrere
stellen österreichischer schriftsteiler, in welchen den österreichi-
schen geistlichen complimente gemacht werden, über die dauer
jener kämpfe ist Diemer in wunderlichem irrtum befangen ge-
wesen, was für ihn wenige jähre umschliefsen, hat Jahrhunderte
gedauert, von einem anfange jener bestrebungen der geistlichen
gegen die ehelosigkeit um 1114 kann noch weniger geredet
werden, als von ihrem aufhören nach dem Wormser concor-
date. wie wenig dieses auch für Österreich eiuen wendepunet be-
deutet, das geht schon aus Gerhochs von Reichersberg äufserungen
hervor, der in seinem 1148 geschriebenen buche De corrupto
statu ecclesiae und in seinen späteien Schriften die laster der
geistlichkeit scharf geifselt. wie gerade die erzdiöcese Salzburg
um das letzte drittel des jhs. ein trauriges beispiel für die ver-
lotterung des klerus abgab, das schildert uns der archidiakon
Heinrich in seiner Historia calamitatum ecclesiae Salisburgensis
cap. 9 (Pez Thesaurus 2, 3, 215 f). die interessante stelle steht
bei Heinzel s. 31 abgedruckt, das bild, das wir hier vom clerus
des ausgehenden jhs. empfangen (und zwar durch einen geist-
lichen der diöcese), ist gewis nicht weniger widerwärtig, als es
von den geistlichen vor dem concordate sein kann, fehlt hier
also jeder characteristische unterschied, der für die datierung
von bedeutung sein könnte, so beruht die von Diemer behauptete
heziehung der Erinnerung auf Heinrich iv, trotzdem er mit
grofsem eifer und nicht ungeschickt den beweis zu erbringen
sucht, doch nur in seiner phantasie. Erg. 272 ff : diu triwe ist
gurlich erslagen under den, die läien sint: der vater müz hazzen
daz chint; er wirt des nimmer an sorgen, volwähset ez hiut oder
morgen, ern verstözze in alles des er hdt. ob sin dinch unhäilich
ergdt, daz er ndch richtüm erarmet, öwe wie lützel sich iemen
erbarmet alles sines chunnes über in! lassen Diemer nur an Hein-
rich iv denken, 'welchen Konrad, sein zweitgeboreoer söhn, in
Italien verriet und vom throne zu stofsen suchte, \\;is seinem
dritten söhne Heinrich später würklich gelang', 'es wird durch
diese heziehung der aussprach unseres verf.s, dass unter den
294 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II
laien treue und redlichkeit gänzlich totgeschlagen sei, voll-
kommen gerechtfertigt, während er ohne sie völlig unbelegt
bliebe', ebenso ist Erg. 511 ff: eines chuniges sun welle wir iu
nennen, auf Heinrich v zu beziehen, auf den die Schilderung des
lebens bei dem Satiriker 'buchstäblich passt'. die Unterredung
zwischen vater und söhn über die schrecken der hülle lasse
noch deutlicher erkennen, dass die beiden Heinriche gemeint
sind, nun, die ähnlichkeit der Schilderung in der Erinnerung
mit dem unglücklichen geschick Heinrichs iv darf ganz wo!
zugegeben werden, aber sie berechtigt noch lange nicht zu dem
Schlüsse, dass nun auch jene dieses geschick speciell meint,
eines historischen beleges für so allgemeine Wahrheiten, wie sie
unsere gedichte enthalten, bedürfen wir nicht, sie erfahren ihre
bestätigung zu allen zeiten im leben der grofsen wie der ge-
ringen.
Auch der behelf der Zeitbestimmung, den Diemer in den
wnrten Erg. 398 f Röme aller werlte houptstat din hat ir alten
vaters niht findet, indem er sie nur auf Gregor vii beziehen
will, taugt nichts, schon der umstand, dass sie Heiuzel seiner-
seits nur auf den tod Eugens in, Ottomar Loreuz nur auf die
abwesenheit dieses papstes von Rom und Wilmanns auf das Avig-
nouesische exil beziehen zu können glauben, muss uns davor
warneu, dem unbestimmten satze eine bestimmte historische unter-
läge zu geben, in ihu eiuen sinn zu legen, an den der dichter
nicht gedacht zu haben braucht. ich sehe deshalb auch in
v. 398 f überhaupt keine anspielung auf eine zeitgenössische
persönlichkeit und bin überzeugt, dass mit dem alten vater
kein bestimmter papst gemeint ist, sondern der typus und das
vorbild der päpste selbst, Petrus, wie dieser auch Servat. 1545
minem reite sult ir volgen unt gehörsamen iuwerm alten vater
so genannt wird, ganz so allgemein wie in den übrigen teilen
des gedachtes wird auch hier gesprochen: die päpste gleichen
nicht ihrem vorbild, sie sind wie die übrige geistlichkeit schlecht
geworden, diese erklärung ist es auch allein, welche sich aus
den worten des gedichtes entnehmen lässt. der genitiv vaters
abhängig von niht zeigt deutlich , dass niht hier nicht negation
in unserem heutigen sinne ist, sondern das ursprüngliche nega-
tionssubstantivum. die Übersetzung ist deshalb nicht: 'Rom hat
seinen alten vater nicht', sondern: 'Rom, dh. das geistige haupt
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II 295
der weit, das papsttum , hat nichts von dem heiligen vorbilde
Petrus an sich: die päpste sind keine päpste im rechten sinne
des wortes.' dieselbe betrachtung finden wir fast 300 jähre später
in Des teufeis netz wider. Petrus wird hier als vorbild der
päpste hingestellt: 3064 Den sollen die bcebst zuo aim Vor-
bilder han und sich nach im richten, aber: 3077 si hand sant
Peters so gar vergessen. Also hat si gittikeit und gemalt besessen.
Si wend sant Peter nit glich tuon und hand weder frid noch suon1.
Einen ungleich sichereren weg als Diemer hat Heinzel zur
losung der zeitfrage eingeschlagen, zwar hat auch er aus der
Erinnerung eine trügerische historische anspielung zur Zeitbe-
stimmung mit benutzt, nämlich den 'alten vater' 399. aber
sein beweis, für die engste datierung freilich dadurch be-
stimmt, enthält sich doch sonst gänzlich der deutung einzelner
partien der gedichte aus gleichzeitigen historischen tatsachen und
beruht vornehmlich auf dem Zusammenhang der in den gedienten
zum ausdruck gebrachten dogmatischen anschauungen mit den
lehrmeinungen des 12 jhs. durch Heinzeis eingehende Unter-
suchungen auf diesem gebiete ist allein schon das 12 jh. ge-
sichert, und zwar eine zeit desselben, in welcher die benutzten
Schriftsteller tonangebend waren, im 14 jh. ist ein werk nicht
denkbar, dessen ganzer inhalt auf die theologen des 12 jhs. ge-
gründet ist. wenn ich nun aber auch Heinzeis ausführungen im
allgemeinen und grundsätzlich zustimme, so bin ich doch in
einem hauptpunete zu abweichender auffassung gelangt, ich meine
das Verhältnis 'Heinrichs von Melk' zu Gerhoch von Reichersberg,
dessen Schriften nach Heinzel ganz besonders eingewirkt haben
sollen und darum auch vorzugsweise zur engeren datierung
unserer gedichte herangezogen sind.
Heinzeis beweisführung ist folgende. Heinrich von Melk legt
seine ansichten im zusammenhange mit dem wissenschaftlichen
stände der frage dar: es wäre doch wunderbar, wenn er einer
von der seinigen abweichenden, mit viel gelehrsamkeit und logi-
scher prätension vorgebrachten und verfochtenen lehre vom abend-
mahle nicht begegnet wäre, welche Gerhoch von Reichersperg,
der dem kloster Melk so nahe war, in seinem zwischen 1 143 und
1147 geschriebenen Tractatus adversus Simoniacos vorgetragen
hat. kurz vor den deutschen gedichten kann also dieser traetat
1 vgl. auch Roethe zu Reinm. v. Zw. 127,11.
296 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II
nicht geschrieben sein, es muss eine geraume zeit darüber ver-
strichen sein, ich lasse die unbewiesene hypothese von Melk als
dem abfassungsorte sowie die nicht zutreffende Zeitbestimmung
Heinzeis für den tractat, der schon 1135 verfasst wurde, bei seite,
und will blofs die hauptsache untersuchen, ob eine kenntnis von
Gerhochs ansieht über das abendmahl für unsere gedichte irgend-
wie von nachweisbarem einflusse gewesen sein müste. dazu
sind wir genötigt, Gerhochs ansieht oder richtiger ansichten uns
genau klar zu machen, seine verschiedenen Schriften auf diesen
gesichtspunet hin zu prüfen.
Im Dialogus de clericis saecul. et regul. (Migne 1379 ff),
welcher noch im jähre 1131 geschrieben ist, erklärt Gerhoch so-
wol den nikolaitischen priester wie den simonitischen für außer-
halb der kirche. ihr opfer ist interdiciert, und damit zugleich
exeommuniciert. Fornicantes altaris ministri, si postquam forni-
cati fuerint, ofßcia non praesumpserint, erunt in minori, videlicet
in ofßciorum tantnmmodo privatione. at si contra interdictum
sedis apostolicae praesumunt, peccatum paganitatis ineurrunt, et
ipsi, et qui scienter eorum interdieta, imo et exeommunicata ofßcia
audinnt (1393 C). unde pluribus magis quam uni [Nicolaus] ob-
ediens, et inter caetera Gregorium vn quasi tubam audiens, ego de
missis eorum magis non curo, quam si cantarentur a pagäno
(1394 C).
In dieser ersten uns von ihm bekannten schrift also erklärt
Gerhoch jeden nikolaitischen priester für eo ipso exeommuniciert
und dessen opfer nicht nur ihm, sondern dem wissentlichen em-
pfänger für fluch statt segen bringend, ganz anders laulet seine
ansieht in dem Tractatus adversus Simoniacos aus dem jähre 1135
(Migne 1335 ff), hier unterscheidet erzwischen der forma sacra-
menti und der virtus. Mit dem hl. Augustinus, den er gegen
solche flüchtige leser verteidigt, welche dessen lehre von der inte-
gritas der sacramente von häretikern falsch ausdeuteten, nimmt
er an, dass derartige sacramente zwar integra, aber doch mortua
seien (1353 C). er unterscheidet zwischen dem effectus sacra-
menti passivus und activus (1354 D). jener effectus ist die Hand-
lung, durch welche das sacrament hervorgerufen wird, der effectus
activus dagegen die würkung, welche das sacrament hervorbringt,
der effectus passivus tritt überall ein, wenn nur das sacrament
ritu ecclesiastico integre celebratur (1355 A), also auch bei dem
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II 297
häretiker. aber der effectus activus, quem agunt et perßciunt sa-
cramenta, non est nisi in catholica ecclesia. quoniam ipsum qui-
dem sacramentum efficitur vel conficitur, dum verbo accedente ad
elementnm sacrae rei Signum perficitur; sed qnia sacra res illic
deest, non efficit suos effectus ipsum sacramentum (1359D). doch
ist auch der eintritt des effectus activus nicht so völlig abhängig
allein von der person des Spenders, insofern der gläubige em-
pfänger, wenn er keine ahnung von der häresie des spendeis
hat, doch des opfers teilhaftig werden kann, denn memorem vo-
lumus esse lectorem , quia non nisi de manifestis et indubitatis
atque synodaliter damnatis haereticis agimus, illosque tanlum Simo-
niacos quasi reos concilio in sanctis conciliis damnatos asserimus. . .
tibi mim Simoniaci vel caeteri haeretici sie latent, ut pro catholkis
a catholicis habeanlur, non eos iudicamus reos concilio sed reos iu-
dicio. . . credimus tarnen fideles Christi, qui istos latentes haereticos
ignorant, et eorum sacramentis in fide Christi communicant , non
fraudari mutiere Christi et operatione spiritus saneti (1362 ß CD).
Um den unterschied von Gerhochs lehre aus dem jähre 1131
und der aus dem jähre 1135 kurz zu fixieren, so ist nach jener
das sacrament des interdicierten priesters kein opfer, der unwis-
sentliche empfänger hat davon keinen nutzen, dem wissentlichen
wird es zum unheil. nach der späteren dagegen ist das sacra-
ment der 'forma' nach ein opfer, aber nicht der 'virtus' nach,
der wissentliche empfänger hat keinen vorteil, aber auch keinen
uachteil, der unwissentliche aber hat den segen des sacramentes.
An dieser späteren ansieht hält Gerhoch im ganzen in seinen
folgenden Schriften fest, nach dem Liber contra duas haereses
(geschrieben 1147) haben der häretiker oder Schismatiker und der
abgesetzte priester, da sie nicht dieuer der kirche sind, wenn sie das
sacrament spenden, wol das sacrament, aber nicht die wiirkung des-
selben; ein solcher priester hat zwar das sichtbare bild des leibes
Christi, dagegen ist das wesen, der Stoff und die wiirkung weit von
ihm entfernt, weil er, wie papst Pelagius sagt, nicht weiht, sondern
entweiht und durch die entweihende teilung das bild von seinem
wesen trennt, dadurch wird er schuldig an dem leibe und blute
Christi, durchaus wie diejenigen, welche durch Christi ermordung
das leben von dem belebten geschieden haben, und wie jenen
das tote fleisch Christi nichts genützt hat, bei welchen und durch
deren verbrechen er nach seinem lode im herzen der erde ge-
Z. F. D. A. XXXV. N. V. XXIII. 20
298 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II
wesen ist, so nützt diesen nichts das bild des lebens entbehrend*
ja es schadet nicht nur denen, welche auf diese weise opfern,
sondern auch jenen, welche wissentlich trotz dem interdicte das
abendmahl empfangen, aber des nicht interdicierten schlechten
priesters opfer ist gültig: ubi vero intus a malis ministris non
interdictis missa celebratur, quia species et essentia corporis Christi
apud eos est, nihil officit eorum malitia simpliciter communicanti-
bus et rem percipientibus, quibus nunquam salutaris effectus deesse
poterit, etiamsi malus minister sit (Migue 1183. 1184). Gerhoch
geht also hier im antigregorianischen sinne noch einen schritt
weiter, indem er auch das opfer des wissentlich schlechten priesters,
solauge er nur nicht interdiciert ist, für gültig erklärt.
Ähnlich erklärt Gerhoch in dem Liber de corrupto statu
ecclesiae, der im folgenden jähre erschien, die sacramente ritu
ecclesiastico celebrata tarn foris quam intus inviolabilia. aber in
den sacramenten, welche aufserhalb der kirchlichen gemeinschaft
gespendet werden, wirkt der geist Christi nicht mehr, als in den
zeichen der ägyptischen magier. gegen diese Wahrheit kämpfen
die feinde der Wahrheit, deren meiste als verheiratet, hurer und
Simoniten interdiciert sind (Migne 99).
Wider mehr der strengeren auffassung seiner ersten zeit
nähert sich Gerhoch in einer seiner letzten arbeiten, dem 1162/63
verfassten Liber de gloria et honore filii hominis, zwar dass
jeder Nicolait an sich schon interdiciert und excommuniciert sei,
behauptet er nicht mehr, aber doch steht es ihm fest, dass ein
iuterdicierter überhaupt kein opfer vollbringen könoe. missa
enim dicitur, sagt Augustin, eo quod coelestis missus ad consecran-
dum vivificum corpus adveniat, iuxta dictum sacerdotis dicentis:
omnipotens deus, iube haec perferri per manus sancti angeli tui
in sublime altare tuum et caetera, idcirco, nisi angelus venerit,
missa nequaquam iure vocari potest. nunquid enim si hoc myste-
riiim haereticus fuerit ausus usurpare angelum de coelis miltit
deus oblationem eius consecrare? maxime cum eisdem per pro-
phetam comminatur sie dicens: maledicam benedictionibus vestris
(Malach. 2, 2). quod si benedictionibus eorum se asserit maledicto-
rum, quid erit de hostia? . . . ex his colligitur quod in ecclesia
sola corpus Christi praesentatur, ubi a sacerdotibus catholicis missa
ritu ecclesiastico celebratur. in quorum consortio non reputantur
Simoniaci, et sub exeommunicatione interdicti: Nicolaitae videlicet
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II 099
sacerdotes et reliqui altaris ministri manifeste incestuosi (Migne
1122. 1123).
Gerhoch hat also während der Jahrzehnte, in welche seine
schriftstellerische tätigkeit fällt, seine ausichten über die sacra-
mentenfrage verschiedentlich geändert, von- dem Verfechter des
gregorianismns strengster Observanz, wie er sich im Dialogus er-
weist, wird er allmählich, wol der not gehorchend, ein Vertreter
der längst schon practisch gewordenen lehre von der unbedingten
gültigkeit des priesterlichen sacramentes, einer lehre, welche
die kirche um soviel nach aufsen stärkte, wie sie im innern
zu ihrem verfalle beitrug, und an einem lebensabend sehen wir
ihn wider zum teile denselben weg zurück machen und zu
seinen frühesten meinungen zurückkehren, denen er innerlich
gewiss nie untreu geworden ist.
Wenn schon an und für sich Heinzeis combination wenig
bestechendes für mich hat, in die zeit des Tractatus contra Si-
moniacos (den er ca. 10 jähre zu spät ansetzt) könne das Priester-
leben nicht fallen, weil es auf die darin niedergelegte gegenteilige
lehre nicht eingehe, so, glaube ich, verliert diese annähme alle
Wahrscheinlichkeit eben durch die zahl der verschiedenen lehr-
meinungen Gerhochs, die alle von der in Erinnerung und Priester-
leben aufgestellten ebenso abweichen, wie die einzelne des Trac-
tatus. in welcher zeit aber dürfte man dann das Priesterleben
unterbringen, da Gerhochs Schriften einen Zeitraum von mehr als
einem menschenalter umfassen? denn das wird man zugeben,
dass Heinzeis einwurf ebensoviel berechligung bei jedem anderen
werke Gerhochs hat, wie bei dem Tractatus contra Simoniacos —
oder vielmehr ebensowenig, freilich kenntnis von den Schriften
Gerhochs, soweit sie schon erschienen waren, werden die Ver-
fasser unserer gedichte, besonders der des Priesterlebens, wol
gehabt haben, die gemeinsame engere heimat wie die bedeutung,
welche Gerhoch in dem kämpfe um die hebung des clerus zu-
kommt, machen das wahrscheinlich, aber zu einer polemik gegen
Gerhoch lag schon um deswillen kein grund vor, weil die Sätze,
welche in den gedienten einerseits, in Gerhochs Schriften ander-
seits verteidigt werden, gleichsam concentrische kreise darstelleu,
die sich nirgends schneiden. Gerhoch sucht vom theologisch-
wissenschaftlichen standpunete aus die frage zu lösen, ob die
kraft des sacramentes durch die person des Spenders aufgehoben
20*
300 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II
werden könne und unter welchen bedingungen dieser aufhebende
einfluss eintrete, unsere gedichte dagegen sind nichts weniger
als wissenschaftliche abhandlungen, sie sind predigten in poeti-
scher form, die nicht darauf angelegt sind, spitzfindige theolo-
gische probleme zu lösen, sondern das gedachte publicum zu
packeu, zu rühren und zu bessern, so wird auch die abend-
mahlsfrage rein practisch behandelt, der dichter der Erinnerung
hält den schlechten prjester für aufser stände, die gnaden des
sacramentes zu erwirken, und nimmt für den laien das recht in
anspruch, selbst über die unwürdigkeit des priesters zu urteilen,
wahrend der verf. des Priesterlebens auch das sacrament des un-
würdigen Spenders für gültig erklärt, dem laien jedes eigene urteil
abspricht und damit auch jede Verantwortung nimmt, was zur
begründung dieser ansichten namentlich im Priesterleben über
die eigenschaften des sacramentes beigebracht wird, das muste
ein jeder priester aus seinem Studium wissen und konnte es aus
den compendien erfahren, dass unser dichter, wie Heinzel meint,
seine ansichten über die bedingungen des gültigen messopfers im
zusammenhange mit dem wissenschaftlichen stände der frage dar-
lege, dass er womöglich direct gegen wissenschaftliche lehrmei-
nungen französischer und anderer theologen polemisiere, muss
ich bestreiten, was an theologischer gelehrsamkeit in unseren
gedichten steckt, die citate aus der bibel sowol wie aus den
kirchenschriftstellern, das sind gemeinplätze für die theologen der
damaligen zeit, das handwerkszeug ihrer täglichen arbeit, so
wenig es nötig und wahrscheinlich ist, dass der dorfschulmeister,
der seinen schülern von den wundern der electricität erzählt,
die schriften von Gauss und Weber oder Siemens studiert hat,
so wenig sind wir berechtigt zu der annähme, dass die kennt-
nisse, die der practische theologe des mittelalters entwickelt, auf
die Urschriften zurückgehn. diese ursprünglichen quellen nach-
zuweisen ist gewiss nicht nur verdienstlich, sondern geboten, und
so möchte ich Heinzeis gelehrte Untersuchungen, die für die ge-
schichte der theologie, insbesondere der deutschen, äufserst wert-
voll sind, um keinen preis missen, aber den für unsere gedichte
daraus gezogenen allgemeinen folgerungen kann ich nicht zu-
stimmen.
Nicht weiter, was die engere datierung anlangt, führt uns
die durch den 'sogenannten Heinrich von Melk' von Wilmanns
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II 301
veranlasste schritt von Ottomar Lorenz, Heinrich von Melk, der
Juvenal der ritterzeit (Halle 18S6), deren verf. im übrigen mit
glück front macht gegen eine Verschiebung der gedichte ins
14 jh. freilich scheint mir das verdienstliche seiner arbeit mehr
in einzelnen guten beobachtungen zu liegen, als in dem, was er
selbst als die hauptsache seines buches ansieht, nämlich der all-
gemeinen characterisierung der drei in betracht kommenden Jahr-
hunderte, allerdings hat ein jedes sein eigenes geistiges gepräge,
und wir können aus dem, was uns von ihnen bekannt ist, uns
ein ungefähres bild davon machen, wir werden aus jedem neuen
sichern fund dieses bild im einzelnen ergänzen, aber wir können
nicht jeden neuen fund ohne weiteres, weil er characteristische
merkmale einer periode hat, ihn dieser mit Sicherheit einreihen,
denn die von uns aufgestellten characteristischen eigenschaften
sind nicht nur der zahl nach gegenüber der unbeschränkten mög-
lichkeit recht beschränkt, sie lassen auch dem subjectiven er-
messen zu weiten Spielraum, als dass, wie Lorenz behauptet, jeder
zweifei darüber, welchem der drei Jahrhunderte geistesproducte
von so entschiedenem gepräge zuzurechnen seien, völlig ausge-
schlossen wäre.
Von der deutschen philologie hat Lorenz offenbar eine recht
geringe meinung, aber auch nur unklare Vorstellungen, 'eins hat
sich bisher deutlich herausgestellt', meint er s. 5, 'nämlich dass
die deutsche philologie noch nicht in der läge ist, mit Sicherheit
nach spräche und versen allein dem dichter seine stelle anzu-
weisen, sonst wäre ein sprung aus dem 12 ins 14 jh. bei einem
kenner wie Wilmanns nicht möglich, die einzig sicheren hand-
haben bietet Heinrichs werk auf theologischem gebiete.' die
deutsche philologie begnügt sich so wenig wie eine andere mit
der Untersuchung von spräche und versbau eines gedichtes, um
daraus dessen zeit festzustellen, die Untersuchung der äufseren
form ist doch nur eines der mannigfaltigen mittel, welche der
philologe anwenden muss. in solchen fragen kann eine jede
andere Wissenschaft zur philologischen hülfswissenschaft werden
und zur entscheidung mitwirken, so bei Heinrich von Melk die
theologie, und dass diese vor allen dingen nicht nur herange-
zogen werden muss, sondern von der philologie auch wirklich
herangezogen worden ist, das beweist doch eine jede seite von
Heinzeis buch, hauptsächlich auf grund der theologischen unter-
302 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II
suchungen hat die deutsche philologie entschieden, dass Heinrich
von Melk dem 12 jh. angehören müsse, und wenn dennoch einer
der kenntnisreichsten und vielseitigsten der heutigen germanisten
zu anderem resultate gelangt ist, so ist das nicht ein zeichen
für die anuoch bestehende unreife unserer Wissenschaft, sondern
die folge zu rascher und völliger hingäbe eines gelehrten an eine
liebgewordene idee, die ihm den klaren blick auch in philolo-
gischen dingen getrübt bat.
Lorenz verlegt die gedichte in die jähre 1145/46, ebenfalls
auf grund der vielgedeuteten verse Röme aller werlde houptstat
diu hat ir alten vaters tiiht. ihm ist der 'alte vater' Eugen in,
der vor der aufständischen römischen bevölkerung flieht und sich
in Frankreich aufhält, ich habe mich oben dahin ausgesprochen,
dass ich die bisherige Übersetzung von diu hat ir alten vaters
niht für falsch und damit eine jede historische erklärung für
verfehlt halte, so genügt es zu constatieren, dass auch der chro-
nologische versuch von Lorenz mislungen ist. ich selbst sehe
mich vorläufig aufser stände, eine genauere datierung zu geben.
so lange es uns dafür an guten gründen fehlt, müssen wir uns bei
der annähme beruhigen, dass die gedichte etwa nach der mitte
des 12jhs. entstanden sind.
Ist somit das resultat unserer Untersuchung hinsichtlich
der Zeitbestimmung kein ganz positives, so erzielen wir in der
frage nach den Verfassern insofern ein günstigeres ergebnis, als
wir deren stand mit ziemlicher bestimmtheit eruieren können,
zunächst freilich hat auch hier die kritik eine polemische auf-
gäbe, es würde recht wunderbar sein, wenn die seither aus
beiden gedichten für den stand des verfs. als laienbruder abge-
leiteten gründe auch mafsgebend bleiben sollten, wenn man ge-
nötigt ist, zwei verschiedene dichter anzunehmen; einmal weil
ja dann dieselben gründe aus jedem gedichte für sich entnommen
werden müsten, dann auch, weil wir damit zwei verschiedene
dichter desselben Standes erhalten würden, eines Standes, dessen
teilnähme an der litleratur höchst problematisch ist. ich kann
mich nicht damit begnügen, festzustellen, dass dem stände, in
welchem man seither Heinrich von Melk gesucht hat, keiner der
beiden autoren, die ich unterscheide, angehören könne, sondern
ich will versuchen, die unwahrscheinlichkeit nachzuweisen, dass
dieser stand überhaupt für einen geistlichen dichter jener zeit
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II 303
angenommen werden darf, so lange wir keinen directen beweis
dafür beizubringen in der läge sind.
Die berscbende Vorstellung von den personlichen Verhältnissen
Heinrichs ist seit Heinzel, dass er ritterlichen Standes gewesen
sei und sich nach mancherlei widrigen Schicksalen im beginnen-
den alter als ein sogenannter laienbruder ins kloster zurückge-
zogen habe, dass er als laie sich fühlt, soll er in der Erinnerung
direct aussprechen; die durchgehende feindseligkeit gegen den
priesterstand soll die Vorstellung abwehren, dass Heinrich zum
priester geweiht worden sei. anderseits aber scheide er sich
auch bestimmt von den weltleuteu. er war kein priester und
doch gelehrter bildung teilhaftig, 'dies war in keinem stände so
wol möglich als in dem eines laienbruders an einem grofsen, mit
den mittein zu gelehrter bildung ausgerüsteten kloster.' Heinzel
sieht also in dieser Stellung einmal die erklärung für sein unver-
hülltes vorgehn sowol gegen die laien, als gegen die kleriker,
indem er als laienbruder gewissermafsen in der mitte zwischen
beiden stand und keinem von beiden angehörte, und dann auch
die quelle seiner grofsen geistlichen gelehrsamkeit, die ein ge-
wöhnlicher laie damals sich zu erwerben nicht im stände war. —
mir scheinen beide Schlüsse auf durchaus fragwürdigen Voraus-
setzungen zu beruhen.
Könnten wir wirklich glauben, dass es einem laienbruder,
der den klosterregeln unterworfen war und den mönchen gegen-
über eine untergeordnete Stellung einnahm, eher nachgesehen
worden wäre, solche dinge, wie sie Erinnerung und Priesterleben
enthalten, über das leben der geistlichen auszusagen, als einem
geistlichen selber? ich würde vielmehr nicht bezweifeln, dass
es jenem recht schlimm ergangen wäre, in seinem munde würde
sieb der harte, schonungslose tadel weit eher als eine Schmähung
des ganzen geistlichen Standes ausgenommen haben, würde doch
ihm die hauptsächlichste entschuldigung für die das mafs des er-
laubten überschreitende erbitterung fehlen, der tiefempfundene
schmerz über die räudigen mitglieder des eigenen Standes, nicht
'durchgehende feindseligkeit gegen den priesterstand' sprich! ans
den gediebien heraus, heilst es doch im Priesterleben 51(> If
deutlich genug und versöhnend : ivir wellen die täten gerne leren
daz nicht so gnot ist ze e'ren so der brlster, ob er recht lebt mit
des namen mit werch rechte phlegt: wir Heeren den ic/ssagen leren.
304 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II
er si ein engel unsers Mrren. der stand wird nicht, es werden
die schlechten Vertreter des Standes angegriffen; und wenn öfters
ganz allgemein von den 'pfaffen' die rede ist, so darf sich der
dichter so unbestimmt ausdrücken, weil aus der ganzen tendenz
des Werkes hervorgeht, dass nur die bösen pfaffen gemeint sind,
und warum sollte es einem priester nicht anstehu, so scharf
über seine standesgenossen zu urteilen? haben nicht, um nur
einige zu nennen, ein Rernhard von Clairvaux, ein Gerhoch von
Reichersberg und namentlich ein Peter von Rlois mit kolben-
schlägen das zuchtlose leben ihrer geistlichen brüder angegriffen?
sind doch fast alle berichte über die Verworfenheit der priester
von priestern selber uns überliefert!
Die geistliche gelehrsamkeit Heinrichs ist augenfällig, sie
soll er sich nach Heinzel nach seinem rücktritt aus dem welt-
lichen leben als laienbruder angeeignet haben, meines wissens
ist Heinzel der erste, welcher diese laienbruder in die litteratur-
geschichte eingeführt hat, und Heinrich darin der einzige Ver-
treter dieser gattung. wir wissen sonst nichts von solchen, die
sich durch irgend welche geistige tätigkeit bekannt gemacht hätten,
was uns von dem stände aber überliefert ist, das gibt uns über-
haupt kein recht, litterarische interessen bei ihnen vorauszusetzen,
das sollten schon die namen beweisen, welche die laienbruder
neben den gewöhnlichen 'conversi' oder 'barbati' führen, nämlich
'illiterati' und 'idiotae' (s. Helmsdörfer Forschungen zur ge-
schichte des abts Wilhelm von Hirschau, Göttingen 1874 s. 52).
wie die arbeiten, welche den laienbrüdern oblagen, dem äufsern
wirtschaftlichen betriebe angehörten, so wohnten sie auch meistens
aufserhalb des klosters. über ihre Stellung können uns am besten
Rernolds berichte aufklären, der als Zeitgenosse die damals in
Deutschland zuerst auftretende sucht vieler laien, klösterlich zu
leben, in seinem Chronicon schildert, zum jähre 1083 erzählt
er (MGSS v 439): ad quae monasteria (SRlasien, Hirschau, Schaff-
hausen) mirabilis multitudo nobilium et pradentium virorum hac
tempestate in brevi confugit, et depositis armis evangelicam per-
fectionem sub regulari disciplina exequi proposuit, tanta inquam
numero, ut ipsa monasteriorum aedificia necessario ampliarent, eo
quod non aliter in eis locum commanendi haberent. in his itaque
monasteriis nee ipsa exteriora ofßcia per seculares, set per reli-
giosos fratres administrantur, et quanto nobiliores erant in seculo,
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II 305
tanto se contemptilioribus officiis occupari desiderant, ut, qui quon-
dam erant comites vel marchiones in seculo, nunc in quoquina vel
pistrino fratribus servire, vel porcos eorum in campo pascere pro
summis delictis Computern, hi nempe et porcarii et bubulci praeter
habitum idem sunt quod monachi. ferner berichtet Beruold zum
jähre 1091 (aao. 452 f): his temporibus in regno Teutonicorum com-
munis vita multis in locis floruit, non solum in clericis et mo-
nachis religiosissime commanentibus , verum etiam in laicis, se et
sua ad eandem communem vitam devotissime offerentibus, qui etsi
habitu nee clerici nee monachi viderentur, nequaquam tarnen eis
dispares in meritis fuisse creduntur. Se enim servos eorumdem
pro Domino fecerunt, imitantes ipsum qui non venu ministrari set
ministrare, qui et suos seetatores ad maioritatem per servicii ex-
hibitionem doeuit pervenire. nempe ipsi abrenunciantes seculo, se
et sua ad congregationes tarn clericorum quam monachorum regu-
lariter viventium devotissime contulerunt, ut sub eorum obedientia
communiter viuere et eis servire mererentur.
Es ist die strengste askese, welche die leute dazu treibt, ihr
eigen aufzugeben und den mönchen zu dienen: mutantes ipsum
qui non venu ministrari set ministrare. dementsprechend ist ihnen
keine arbeit zu gering, wer zu solchem dienste bildung und
gelehrsamkeit mitbrachte (und gewis waren deren nicht wenige),
der konnte nicht nur sicher keinen gebrauch davon machen, son-
dern muste es als einen noch höheren grad der frömmigkeit
empfinden , auch auf solche geistige guter im dienste des Herrn
freudig zu verzichten, der ungelehrte aber bekam gewis keine
gelegenheit, sich wissen anzueignen, ganz abgesehen davon, dass
das dem eigentlichen zwecke der conversion direct zuwidergelaufen
wäre, wer in sich den drang fühlte, ein klösterliches leben zu
fuhren und dabei die Wissenschaften zu pflegen, der wurde eben
nicht laienbruder, sondern mönch, wie der von Diemer, Kl. beitr.
14, 221 erwähnte Erkenfried von Göttweig, von welchem die
Vita Altmanni § 41 berichtet: cum dominus Hartmannus regimen
Campedonensis Monasterii tenebat, interiin nobilis f rater Erchin-
fridus nomine abbatiam in Gottewicli ex consensu Hartmanni et
Uodalrici episcopi et electione fratrum regebut. hie primitus laicus
in armis vivens, deinde saeculum relinquens, Uterus studiose didicit
et usque ad nomen abbatis pervenit. AIGSS xn 212.
Es sollte sich eigentlich von selbst versteht!, dass ein solcher
306 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II
von liebe zur Wissenschaft erfüllter mann in das kloster eine ge-
lehrte bildung schon mitbrachte, mindestens die anfangsgründe
des Schulunterrichts weit hinter sich hatte, denn ein bejahrter
analphabet wird wohl die elemente des wissens sich haben
aneignen können, aber die für das amt eines klosterabtes
erforderliche geistliche bildung nachzuholen, würde ihm kaum
gelungen sein, und wenn man die richtigkeit dieser behaup-
tung zugeben will, so muss man auch die Voraussetzung gelten
lassen, dass die höhere bildung nicht blofs auf die geistlichkeit
beschränkt bleiben konnte, sondern auch dem laien zugänglich
war und von solchen weit häufiger erstrebt und bewältigt
wurde, als dies gemeinhin angenommen wird, wir sind noch
immer gewohnt, den laienstand des mittelalters für einen im
höchsten grade ungebildeten zu halten, man lese nur die zu-
sammenhängenden darstellungen über die laienbildung des mittel-
alters, etwa das 10 kapitel von Spechts Geschichte des unter-
richtswesens in Deutschland, überall wird man durch eine reihe
von citaten belehrt, dass selbst schreiben und lesen überaus seltene
fertigkeiteu beim laien waren, man übersieht dabei leicht, dass
der angeführten belege doch recht wenige, dass diese zum teil
an sich nichts beweisende sind, uud dass sie obendrein, den ver-
schiedensten Jahrhunderten entnommen, doch dazu verwandt werden
sollen, den ganzen Zeitraum des mittelalters gleichmäfsig zu cha-
racterisieren. es ist aber historisch falsch, Zeugnisse verschiedener
Perioden promiscue zu verwerten; und es ist logisch falsch, aus
ganz individuellen zügen Schlüsse machen zu wollen auf die ge-
samtheit. so ist offenbar unerlaubt ein schluss, wie ihn Specht
s. 233 gestattet, dass 'erprobte kriegsmänner es nicht einmal
gerne sahen, wenn ihre söhne mit den anfangsgründen des Schul-
unterrichts vertraut gemacht wurden': das soll hervorgehn aus
dem umstände, dass der vater des abtes Dietrich von SHubert, der
aus seinem söhne einen kriegsmann machen wollte, in zorn geriet,
weil seine frau, die jenen gern als geistlichen gesehn hätte, ihn
heimlich in geistlicher gelehrsamkeit unterrichten liefs. hier geriet
aber der vater in zorn, nicht etwa weil sein söhn unterrichtet wurde,
sondern weil sein weib seinem ausdrücklichen wünsche entgegen
heimlich daran arbeitete, den söhn für die kirche zu erziehen, dieser
vater hatte meines dafürhalteus ganz recht, und wir haben gar
keinen grund,ihn deswegen für einen homo rudis und geschworenen
ERINNERUNG UND PRIEST ERLEREN II 307
feind der bildung zu halten, um so weniger als der brave mönch,
der uns die geschiente berichtet, ganz gewis selbst partei ist.
Nicht minder verfehlt ist es, die worte der Kaiserchronik
Diemer 135, 25 ff, in welchen eine nicht sehr tiefgehnde Unter-
haltung mitgeteilt ist, dahin auszubeuten, dass der kriegerische
adel sich mehr und mehr aller Schulbildung entschlug und nur
von pferden, hunden, falken und hübschen weibern zu reden
wüste, wenn derartige Schlüsse aus gesellschaftsgesprächen be-
rechtigt wären, dann dürfte uns auch um den zustand unserer
heutigen bildung bange sein, denn ganz ähnlich ist der unter-
haltungsstoff noch gegenwärtig in gewissen kreisen, die sich zu
den gebildetsten rechnen.
Die ansieht, die kirche sei im ma. ausschliefsliche Vertreterin
der wissenschaftlichen bildung gewesen, schiefst weit über das
ziel hinaus, unbestritten war sie, da alles Schulwesen von ihr
ausgieng, die Vermittlerin der bildung, waren die klöster in erster
liuie zu hütern der Wissenschaft berufen und gaben ihren an-
gehörigen die vollkommenste gelegenheit zu geistigem schaffen,
aber hierbei ist doch ein unterschied zu beachten: wissenschaft-
liche produetion ist etwas anderes als erwerbung und besitz
gründlicher kenntuisse. mag immer ein wissenschaftlich tätiger
laie recht selten gewesen sein, für den niedrigen grad der bil-
dung des laienstandes erhalten wir daraus keine bestätigung.
dagegen spricht vielmehr eine andere erwägung. die kämpfe
zwischen weltlichem und geistlichem regimente, wie sie zu allen
zeiten des mittelalters bestanden, hätten zu einer hoffnungs-
losen niederlage des ersteren führen müssen, wenn intelligenz
und Wissenschaft so überaus ungleich zwischen beiden parteien
verteilt gewesen wären, eingehender und wissenschaftlich genau
ist bisher der grad der bildung in den verschiedenen zeiten
des mittelalters noch nicht untersucht und dargestellt worden,
der umlang der dazu erforderlichen quellenstudien mag von der
aufgäbe abschrecken, welche gewis wertvolle anfklärungcn brächte,
dabei würde nicht einmal in erster linie in betracht kommen,
worauf bisher meist die forschung sich besbhfädkte, directe
erwähnung von gelehrten laien, wie zb. Ekkehard von Aura
zum jähre 1104 von den graten Rotho und Aerbo beneblet, qaO-
rum ntrwnque literis et armis atque rebus iatis profüisse cogno-
visse, oder zum jähre 1114 den graten Dietrich von Katlenblirg
308 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II
literis non minime instructus nennt; solche Zeugnisse würden wir
übrigens viel reichlicher haben, wenn die litteratur, in der sie
vorkommen, nicht eben ausschliefslich geistlichen federn verdankt
würde , die wenig interesse daran hatten, weltliche bildung heraus-
zustreichen, mehr als diese directen angaben, wie gesagt, ver-
dienen andere gelegentliche fingerzeige beachtung. so wenn
nach Ekkehard bei den gesandten, welche von Heinrich v nach
Rom geschickt werden , um über die heilung der schaden der
kirche zu urteilen, viele adeliche aus dem laieustande sich be-
finden, oder wenn auf dem concil zu Guastalla ebenfalls eine
grofse zahl laien zusammen mit klerikern tagen, leute mit nur
elementarster bildung konnte man zu solchen geschaffen damals
ebenso wenig verwenden wie heute, sie müssen doch schon
recht reichlich literis imbuti gewesen sein, recht lehrreich ist
auch folgende äufserung Ekkehards zum jähre 11 10 (MGSS vi 243)
David [capellanus Henrici v] iussus a rege totam huius expeditionis
[inltaliam] seriem rerumque in illa gestarum stilo tarn facili , qui
pene nichil a communi loquela differat , tribus libris digessit, con-
sulens in hoc etiam lectoribus laicis, vel aliis minus
doctis, quorum haec intellectus capere possit. hier ist Voraus-
setzung, dass die laien interesse an historischer litteratur haben
und dass sie völlig latein lesen und verstehn können; denn an
deutsche abfassung dieses geschichtswerkes ist selbstverständlich
nicht zu denken.
Ich lasse es bei diesen andeutuugen bewenden, sie sollten
nur als beweis dienen: erstens dafür, dass die laien nicht in
einem besonderen Verhältnisse zum kloster, etwa als laienbrüder,
zu stehn brauchten, um sich wissenschaftliche bildung anzueignen,
und zweitens gegen die richtigkeit der Heinzelschen annähme,
dass laienbrüder durch ihre Stellung schon bei erwerbung von
gelehrsamkeit begünstigt worden seien, nur das letztere stand
zu unserer Untersuchung in unmittelbarer beziehung , denn daran,
dass die dichter von Erinnerung und Priesterleben laien gewesen
seien, ist nicht zu denken.
Die andeutungen, die Heinrich selbst in der Erinnerung
über seinen stand macht, scheinen mir vollkommen auszureichen,
um ihn zweifellos als mönch erkenneu zu lassen, gleich in der
ersten zeile spricht er es aus : mich läitet mines gelouben gelubde.
darin sind alle erklärer, Heinzel, Wilmanns, Lorenz einig, dass
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II 309
dieses 'gelübde' mehr umfasse als das allgemeine Christentum, dass
es dem lat. votum religionis genau entspreche, eine bestätigung
bringen die folgenden worte daran ist aller min gedinge, daz ich
werltlichen Hüten beschäidenliche müze bediuten ir aller vräise
unt ir not. denn die annähme ist ausgeschlossen , dass die werlt-
lichen Hute die menschen überhaupt bezeichnen sollen, es wäre
das ein ebenso gesuchter wie der bedeutung des wortes loerltlich
fremder ausdruck. eher könnte man vermuten , dass leute mit
weltlicher gesinnuug gemeint seien, wie, um nur ein beispiel an-
zuführen, En. 13109 die spielleute werltlike lüde heifsen. darunter
könnten ja dann auch zum geistlichen stände gehörige verstanden
sein, aber es ist wol zu bedenken, dass Des tödes gehugde nur
an laien sich wendet, und dass der erste teil des gedichtes, 'vom
gemeinen lebene', worin auch der geistlichen gedacht wird, vom
dichter selbst als eine abschweifuug von seinem ursprünglichen
thema bezeichnet wird, es ist deshalb mehr als wahrscheinlich,
dass er hier schon die laien in bewusten gegensatz zu sich und
seinem stände bringt, etwa wie dies in der predigt Leyser 59, 33
geschieht, wo den werltlichen Unten der klösterman gegenüber
gestellt wird, so deutlich wie der anfang lässt auch der schluss
des gedichtes Heinrich als mönch erkennen, wenn schon kein
anderer als ein geistlicher sich gotes armen chnecht nennen wird,
so lässt die fürbitte für den abt keinen zweifei zu , dass wir es
mit einem angehörigen des klosters zu tun haben, dessen abt
jener Erkenfried war. der gedanke, dass ein laie die Erinnerung
geschrieben haben könne, ist sonach verfehlt, und doch sagt
Heinrich 225 Dar üf hab wir laien ein archwdn! sollte unser
schluss, so sicher er uns erschien, durch des dichters eigenes
zeugnis nicht umgestofsen werden? diese unumwundene erklärung
müste doch, da die annähme einer bewusten fiction als völlig
unverständlich verworfen werden muss, ausschlaggebend sein, so
geht denn auch Heinzel bei seiner Untersuchung über die per-
sönlichkeit des dichters von ihr aus: 'einen laien nennt sich
Heinrich selbst; das übrige ist zu erschliefsen'. um die unlösbar
scheinenden Widersprüche zu versöhnen, hat Heinzel den aus-
weg gefunden, den dichter zu einem laieubruder zu machen,
meine ausführungen haben hoffentlich das unwahrscheinliche
einer solchen annähme dargetan, hier darf auch noch darauf
hingewiesen werden, dass durch sie der Widerspruch nicht im
310 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II
geringsten gehoben wird, denn ein solcher bliebe es immer,
auch wenn ein laienbruder so sprechen würde, als frater con-
versus (auch im deutschen 'laienbruder' liegt ja der schwerpunct
auf dem 'bruder') darf und wird er sich nicht mehr zu den laien
schlechthin rechnen, aber im namen der laienbruder, wenn wir
hier mit Heinzel läie als 'in einer um den begriff laienbruder
vermehrten sphäre' gebraucht ansehn wollen, kann doch Heinrich
ernstlich nicht reden sollen, welch wunderliche äufserung wäre:
'wir laienbruder trauen, was wir die schlechten priester begehn
sehen , auch allen andern zu', die laienbruder müsten doch ein
besseres Verständnis besitzen, oder eben keine laienbruder sein,
eher liefse sich denken, dass Heinrich noch nicht lange mönch
gewonleu und hingerissen von dem schmerze über seine jetzigen
standesgenossen sich in die Stimmung derer, denen er noch vor
kurzem selber angehorte, so lebhaft versetzt habe, dass er sich
gewissermafsen noch selber zu ihnen rechnet, auffallender wäre
diese deutung gewis nicht als die Heiuzelsche. beide aber sind
unrichtig, weil sie unnötig sind, in Wahrheit liegt gar kein
Widerspruch vor.
Scherer hat Heinrich 'den ältesten deutschen Satiriker des
mittelalters', 'den Juvenal der ritterzeit' genannt, mit einer ge-
wissen eiuschränkung lasse ich diesen vergleich als zutreffend
gelten, der römische wie der mittelalterliche dichter scheuen sich
nicht, das lasier offen aufzudecken und anzugreifen, beide sind
voller grimm über ihre sündhafte zeit. Juvenal aber glaubt an
keine besserung, deshalb will er auch nicht bessern, er wählt
seinen Stoff, freilich nicht weil ihm das laster gefällt, aber doch
weil es ihm gefällt, das laster zu zeichnen, und deshalb hat er,
der von der rhetorenschule ausgeht, trotzdem ihm Wahrheit der
empfindung nicht abzusprechen ist, doch vieles rein declamato-
rische in seiner satire. Heinrich dagegen verzweifelt keineswegs
an dem siege des guten, ihn treibt unverkennbar nur die absieht,
das laster zu verurteilen und zugleich die gefährdete tugend zu
retten, und wie bei Juvenal die einwürkung der rhetorenschule
in der ganzen anläge seiner dichtung sich bemerkbar macht, so
zeigt uns Heinrichs gedieht nach inhalt wie form aufs deutlichste
seinen ausgang von der predigt, dies gedieht soll in erster linie
gar keine satire, sondern eine bufspredigt sein, die den sün-
digen menschen wieder auf den rechten weg weist, die satire
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II 311
ist ihm nicht zweck wie dem dichter der cäsarenzeit, sondern
mittel.
Der einfluss der predigt mag an einigem nachgewiesen werden.
zunächst zeigt er sich in den vielfachen citaten aus der hl. schritt
und den kirchenvätern. eine Zusammenstellung der ersteren hat
Lorenz s. 61 ff. gegeheu. die berufung, wo nicht einfach ein
biblischer satz ohne weitere angäbe einfliefst, geschieht ganz nach
art der prediger: 11. 373 die machet uns der wissage dnuit; 254
daz ist uns off'enlichen verendet; 133 als wir diu buoch hören
schriben usw. es folgt dann das citat selbst lateinisch und mit
deutscher Übersetzung, oder nur in letzterer, uud dann die deu-
tung der stelle mit daz sprühet, dise rede verstent genüge, die
wir an disen worten bewwren usw. , ganz wie es auch in der
predigt üblich ist.
Die zuhörer werden direct angeredet: 187 getorst ich iu sagen
daz ich wäiz; 264 noch hoeret einen andern sturmschal; 511
eines chuniges sun welle wir iu nennen ; 542 f me're denne ich mege
iu oder ander iemen gesagen. an einzelne wendet sich der
dichter im zweiten teile: 455 nu gedench aber, mensch, dines
tödes; 566 nu sich, armer mensch, wie er lit; 911 f hdstu die rede
wol vernomen? die läz niht üz dinem herzen chonien.
Häufig findet sich ein hauptmittel würksamer kanzelbered-
samkeit, der lebhafte ausruf, meist mit owe eingeleitet; 20 oioe,
waz wir alle tage gevräischen ! 280 owe, wie lützel sich iemen er-
barmet : ferner 35. 82. 385. 581. 588. 636. 481. 820. 878. 1004. —
nicht seltner sind die fragen an die horer zb. 86 swer gäistliche
gäbe verchoufet hat, wie möchte des missetdt immer me're werden
rdt? 158 sol si sich danne nicht zamen von wiplichen umgriffen?
vgl. noch 40. 129. 138. 146. 173. 230. 388. 492. 556. 563. 658.
916. 928.
Von besonderer würkung wird die predigt, wenn frage und
antwort sich folgen, das volk als (ragend gedacht wird, der pre-
diger antwortet, oder umgekehrt dieser selbst eine frage aufwirft
und nun seineu hürern die antwort aus dem munde nimmt, die
erstere methode ist bei Rerlhuld von Regensburi: sehr ausgebildet :
zb. eid bruoder Berhtoll , nu strichest dfi uain. auch meister
Eckhart verwendet diese form sehr oft zb. t, 320 'wie sol ich
dan got minneri? du soll got miauen niht geistliche. — 332 'um»
erel den valef? daz tuot nieman dan der sun.
312 ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II
Packender noch kann die andere form werden, sie wendet
der dichter der Erinnerung an. 156 swenne des briesters haut
wandelt gotes Hchnamen sol si sich danne nicht zamen von wiplichen
anegriffen? 'entriwen, si sint dar an beswichen', lautet die erwide-
rung der gemeinde, lebhafter noch mit directer aufforderung zur
antwort 172 die daz ampt für bringent, sprechent, welher räini-
chäit er bedürfe? 'dar umbe heb icir uns ze rüffß mit sprechen, ez
sul got missecemen, daz wir der misse verneinen, die wir so nicht
sehen leben noch den segen so rechte geben, als si von rechte
sohlen: darumbe si wir in erbolgen.'
Wie nun in der predigt sehr häufig nur die frage gestellt
wird, ohne dass eine antwort darauf folgt, weil sich diese eben
von selbst versteht, so kann auch nichts auffallendes darin ge-
funden werden, dass einmal blofs die äufserung der gemeinde
hervortritt, ohne dass gerade unmittelbar davor die frage auf-
geworfen ist; wenn nur der Zusammenhang den dialog zwischen
priester und gemeinde erkennen lässt. so ist es mit der wich-
tigen stelle der Erinnerung 225 ff 'darüf hab ivir läien ein archwdn:
sioaz wir die wandelbare sehen bigdn, des verwcenß wir uns ouf
die andern alle.' es ist nicht die erklärung des priesters, die sich
vielmehr erst zustimmend daran anschliefst, sondern die fingierte
äufserung der gemeinde, so hätte 174 ebenso gut dar umbe heb
wir läien uns ze ruffe statt des einfachen wir stehn können,
von einer Verwendung des verses zur bestimmung von des Ver-
fassers lebensstellung kann also nicht die rede sein, er war
kein laie, sondern ein geistlicher klosterbruder. ob er von Jugend
auf für diesen beruf erzogen worden war, oder ob er später erst
der weit entsagt hat und geistlich geworden ist, das zu entscheiden
fehlt jedes sichere kriterium. bevorzugen möchte ich die erstere
annähme als die natürlichere.
Dagegen beruht jene auffassung, die ich zurückweisen muste,
dass nämlich der dichter der Erinnerung eine satire habe schreiben
wollen, hauptsächlich auf der Voraussetzung, dass er aus ekel an
der weit in das kloster getreten sei und in dem gedieht ein bild
seines eigenen lebens gemalt habe, wir haben für diese Voraus-
setzung nicht den geringsten anhält aufserhalb des gedichtes
selbst, aus ihm allein hat Heinzel die bausteine für seine geist-
reiche, aber durch und durch romanhafte hypothese von den
lebensverhältnissen Heinrichs entnommen, die mir auf falscher
ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II 313
entwickeln ng eines richtigen gedankens zu beruhen scheint, denn
wenn die von Scherer öfters ausgesprochene anschauuug richtig
ist, dass man in sorgfältiger und besonnener aufsuchung von
ähnlichkeiten in dem leben und der bildung eines dichters einer-
seits und in seinen werken anderseits gar nicht weit genug
gehn könne, so ist doch in consequenz dieses methodischen
satzes da Zurückhaltung zu üben, wo von dem leben rein gar
nichts bekannt ist.
'Es ist kein zweifei, Heinrich ist von adel' ist das ergebnis,
das Heinzel s. 17 aus einer reihe von beobachtungen gewinnt.
ich sehe davon ab, auf allerlei allgemeinere gründe, die Heinzel
anführt, einzugehn, wie die genaue kenntnis der adlichen gesell-
schaft, der häuslichen Verhältnisse der adlichen ehe mit ihrer
eigentümlichen galanterie und innigkeit usw. zum teil sind
es nicht notwendige Wesenheiten der adlichen gesellschaft, zum
teil braucht ihre kenntnis nicht den standesgenossen voraus-
zusetzen, wichtiger ist die Heinzelsche auffassung einiger stellen,
in denen Heinrich aus angeborener ritterlicher galanterie es sich
versagen soll, den damen ühles nachzusagen, 'den damen, obwol
sie um nichts besser sind als die ritter, will er nichts böses nach-
sagen; statt dessen macht er seinem ärger über die hoffärtigen
bürgersfrauen luft und spottet über ihren unverständigen aufwand
sovvol als besonders über ihre schlechten manieren'. gemeint hat
Heinzel die verse 318 hie muge wir der frowen wol geswigen und
341 von den frowen sul wir niht übel sagen, was hier dem
dichter untergelegt wird, ist recht wunderlich; es wird ganz un-
glaubhaft, wenn man sich den Zusammenhang der verse 289 — 372
besieht, ihr inhalt ist folgender, die ritterliche gesellschaft ist
verderbt, ganz ausdrücklich werden die frauen mit eingeschlossen:
Riter unde frowen, der leben sul wir Idzen schowen daz got vil
widerwertic ist. das erste grundübel, das Heinrich brandmarkt,
ist die hoffart, der übel gröstes. ausgeprägt findet sie sich be-
sonders bei dem weihlichen geschlecht, wir brauchen zum beleg
nicht einmal die frauen der höheren stände (hei denen es doch
noch erklärlicher wäre) anzuführen (hie muge wir der frowen
wol geswigen 318,), sehen wir doch, wie seihst die arme tage-
löhnerin ihren letzten groschen ausgibt, um recht geputzt auf
der gasse und in der kirche zu erscheinen, in allem wollen es
die weiber niederen Standes den töchtern der mächtige]] gleich-
Z. F. D. A. XXXV. N. I . XXIli. 21
314 ERINNERUNG UND PRIESTERLEBEN II
tun, denn es ist eine alte Wahrheit, was einzelne beginnen, das
ahmen die andern alle nach, das verstöfst gegen alle gerechtig-
keit. damit wird der dichter zu dem andern hauptlaster der zeit
geführt, der gewalt, die wider das recht streite, während die
hoffart hauptsächlich den weibern eigentümlich ist, tritt das
andere laster mehr bei den männern hervor, deshalb von den
fr owen sul wir niht übel sagen (341), vielmehr jetzt die ritter
vornehmen, die ihren rühm in hurerei und totschlag suchen,
am schluss fasst der dichter nochmals alle zusammen: die ganze
weit liegt im argen, geistliche und weltliche, fürsten und Unter-
tanen, männer und weiber sind gleich schlecht: 427 ff frowen
unt riter, dine dürfen nimmer gestriten, weder ir leben bezzer si!
da sowol am Schlüsse, wie am anfang die verderbtheit der ad-
lichen frauen ausdrücklich betont wird, kann Heinzeis deutung
von 318 und 341 nicht richtig sein, wonach der dichter aus
galanterie die frauen des ritterstandes schonen will, von ihnen
glaubt er vielmehr absehen zu dürfen, das erste mal, weil die Ver-
breitung der lasterhaften hoffart schon weit über ihren kreis hinaus
zu den niedersten ständen gedrungen ist, das zweite mal, weil der
misbrauch der gewalt mehr ein männliches laster ist. sehr ge-
schickt freilich ist der Übergang 341 von den frowen sul wir
niht übel sagen nicht, möglich ist ja aber auch immer, dass die
Überlieferung das ursprüngliche gestört hat1. eine nötigung
für die annähme, Heiurich, der dichter der Erinnerung, sei von
adel, liegt, wie wir gesehen haben, nicht vor. da aus der frage
übrigens weiter keine consequenzen entspringen, so können wir
uns dabei beruhigen festgestellt zu haben, dass er, als er die
Erinnerung dichtete, einem kloster als mönch angehörte, noch
weniger als bei ihm kann man bei dem dichter des Priester-
lebens zweifeln, dass er geistlichen Standes war. bezeichnet er
1 ich möchte hieran anknüpfen, dass ich mit Heinzel die widerholung
von v. 418 in 430 ir undet-tdnen wellent westn vri für unpassend halte
trotz der erklärung von Wilmanns, der das erste mal die niedere geist-
lichkeit, das zweite mal die kleinen leute darunter verstanden sieht, aber
die niedere geistlichkelt als Untertanen der höheren bezeichnet zu denken
erscheint mir recht gewagt, zu dem ist v. 418 besser auf die weltlichen
und geistlichen fürsten zu beziehen, als auf die letzteren allein, ich glaube,
dass bei den gleichen reim Wörtern si:vri ein abirren des Schreibers von
einer in die andere zeile vorliegt und dass 430 ein vers gestanden haben
mag wie: si sint beide gotes minne vri.
ERINNERUNG UND PRIESTERLEREN II 315
sich doch lS4ff im gegensatze zu den laien als einen der oitch
diu buoch gelesen hdt, also als geistlichen ; vgl. dazu Leyser 76, 39
do sprach der patriarcha 'nein vil liebe, ich bin michil schuldiger,
wane ich kan die buch', auch ebenda 86, 5. ob er ein Ordens-
bruder war, dafür möchten in dem umstände, dass seine klagen
vor allem dem seelsorgeclerus gelten, die einen vielleicht eine be-
stätigung, die andern das gegenteil zu sehen geneigt sein, mir
selbst hat sich keine Sicherheit ergeben, und die erwägungen,
die ohne resultat blieben, hier vorzuführen wäre überflüssig, das
bild aber, das wir von beiden dichtem erhalten haben, erscheint
hinreichend klar: zwei strengkirchlich gesinnte geistliche, lebhaft
beseelt von dem wünsche, die macht der kirche durch die morali-
sche hebung des clerus zu stärken; der eine in den anschauungen
der älteren , der andere in denen der neuen kirche wurzelnd,
der dichter der Erinnerung ausgehend von dem gregorianismus,
der den abscheu des frommen laien vor dem schlechten priester
mit heranziehen will zur Säuberung des priesterstandes, der dichter
des Priesterlebens Verfechter des neukirchlichen dogmas, das dem
laien jegliches urteil über den geweihten priester entzieht, wäh-
rend Gregors gedanke, der hierarchie, der er dienen sollte, äufserst
bedrohlich, nur in ketzersecten sein dasein fristet, um in der
reformation zu ungeahnter kraft sich zu entfalten, gipfelt das
neue dogma in dem die heutige katholische kirche beherschen-
den jesuitismus.
Kiel. KARL KOCHENDORFFER.
GERMANISCHE MATRONENNAMEN.
EIN EXCURS ZU SAITCIIAM1MS.
Zu den drei bisher bekannten ubischen dativen pluralis ist
nunmehr, wie die leser dieser Zeitschrift bereits durch eine nni-
teilung Kossinnas im Anz. xvn 78 erfahren haben, ein vierter
getreten, nämlich Saitchamims; und wider steht dieser germani-
schen form auf einer anderen inschrift ein lateinisch flecliertes
Saithamiabus gegenüber, gerade wie dem Vatcims und AfNms
Vatviabus und Aßiabus.
Wenn es einen weg gibt, zum Verständnis der germanischen
mütter- und matronennamen zu gelangen, so isi es jener, der
21*
316 GERMANISCHE MATRONENNAMEN
von der Untersuchung ihrer suffixe seinen ausgaug nimmt, auch
der vorliegende, auf den ersten blick recht befremdliche riame
wird uns immer dunkel bleiben, wenn wir nicht alle gleich ab-
geleiteten , die wir bisher aus den inschriftlichen denkmäleru
kennen gelernt haben, mit in betracht ziehen.
Wie immer man die endung -IMS auffasst, ob mit Kluge in
Pauls Grundr. i 387 als -im{i)z für -je-m(i)z -fe-mis oder mit
Brugmaun Grundr. d. vergl. gr. u 718 als -i-ms, steht doch su
viel fest, dass im gotischen ihre stelle durch -jöm vertreten wird,
dass also ubischem Aflims, Vatvims got. *Afljöm, *Watwjöm ent-
spräche.
Gerade der erstgenannte dieser beiden namen, der uns zwei-
mal belegt ist, einmal als Aflims, das anderemal als Afliabus, ist
vielleicht am leichtesten zu verstehn. im altnordischen begegnet
nämlich ein der poetischen spräche angehörendes nomen agentis
eflir m. 'qui äuget, promovet', gebildet zu dem zeitworte efla, das
eigentlich besagt 'mit afl, di. mit kraft versehen'; es findet sich
in ausdrücken wie eflir vingards 'cultor vineae', eflir krapta 'pa-
trator miraculorum', eflir alls söma 'omnium virtutum promotor',
eflir ärs 'auctor laetae annonae, felicitatis' und anderen mehr;
s. Egilsson Lex. poet. 119. hier haben wir also das genaue
männliche gegenstück zu dem namen Afliae, und dieser ist damit
nach form und inhalt durchaus befriedigend erklärt, auffallen
könnte dabei nur, dass ebenso wie im altnordischen masculine
nomina agentis auf -ir gebildet werden (worüber Kluge Nom.
stammbild. § 7 und Hj. Falk Beitr. xiv 20 ff zu vergleichen ist),
so im ubischen sogar noch das entsprechende weibliche suffix in
gleicher bedeutung fruchtbar gewesen sein soll, dass dies aber
würklich — vielleicht übrigens wie im nordischen hauptsächlich
in gehobener spräche — der fall war, ergibt sich gleich aus den
folgenden beispielen.
So aus dem namen der Gavadiae, sechsmal in der dativform
Gavadiabus belegt, den Kern Germaansche woorden in Latijnsche
opschriften aan den Beneden Rijn (Verslagen en mededeelingen
der k. Akad. van wetenschappen. Afdeeling Letterkunde, n reeks,
2 deel p. 304 — 336) 312 zweifellos richtig nach got. gawadjön
'ocQfj.oZeiv, verloben' als 'sponsales' erklärt hat.
Auch denjenigen der Gabiae, achtmal als Gabiabus1, und
1 von den matronen dieses namens zu trennen ist dea Jdban. Gabia
GERMANISCHE MATRONENNAMEN 317
der Alagabiae, einmal als Alagabiabus vorkommend, hat Kern
aao. 309 zutreffend als die 'gebenden, schenkenden' und als die
'allschenkenden', gleichsam IlavdiüQai gedeutet, ihr name ist
wider ein nomen agentis zu einem verbum, das gotisch *gabjön
lauten würde und erhalten ist in der altnordischen kenning
Njords als gefjanda gud, Skaldskaparmäl 6. auch der name der
Gefjon ist aus diesem verbum gebildet, gerade wie skipon aus
skipa; vgl. Herjan und herja 'heeren'.
Der name Vatviae, zweimal als Vatvims, sechsmal als
Vatviabus überliefert, gehört um so sicherer zur germanischen
wurzel uat iu westgerm. watar, got. watö, altn. vatn und in
waschen (aus *watska- Kluge EW4) — vgl. die ablautenden formen
ijet in altschw. Vcetur, Noreen Urg. judl. § 12 nr55, ut in
Otter, Kluge EW4, ußt in ags. waet, an. vätr , nordfries. wiat,
— als die Vatviae einmal Nersihenae zubenannt sind (CIRh 626;
Ihm, Der mütter- und matr.-kult. nr 314), worin man längst
beziehung zum flüsschen Neers oder Niers, einem nebenfluss
der Maas, Nersa im 9 jh. (s. Förstemann n2 1144) gesucht hat.
aber unmittelbar aus jener wurzel ist Vatviae doch nicht ent-
sprungen, setzt vielmehr ein nach art von got. wal-w-jan 'wälzen'
(vgl. Noreen Urg. judl. § 50 [Reduplikatjon] b) gebildetes ver-
bum, das got. *wat-w-jan lauten müste, voraus, die Vatviae sind
somit die 'bewässernden'.
Von gleicher bildung ist auch der name der Aufaniae.
von 12 denkmälern, die diesen gewidmet sind, zeigen 8 die dativ-
form Aufaniabus, 3 Atifanis, 1 Aufanis mit über die zeile hinauf
verlängertem /, das für 7 oder ii genommen werden kann; 10 da-
von stammen aus den germanischen Rheinlanden, 1 aus Lyon, 1
aus dem südlichen Spanien; s. Ihm aao. 29, Klein Ronner jahrb.
h. 88, 119. dass wir es dabei mit einem germanischen, nicht mit
einem keltischen worte zu tun haben , wird jeder zugeben , der
den lautstand dieser beiden sprachen kennt, der name setzt nach
der analogie der vorher besprochenen ein ubisches zeitwort *au-
faniana oder aufamöna und ein zu gründe liegendes adjectiv
*aufanaz voraus, man vergleiche damit das aus dem germanischen
entlehnte span. port. ufano 'eitel', prov. ufana, ufanaria, ufanesc
nach Max Ihm Der mütter- und matronenkult (Sonderabdruck aus den Bonner
jahrb. heft 83) 27.28; ihr name ist natürlich der gleiche, wenn wir von der
näheren bestimmung, die in Idban. enthalten ist, absehen.
318 GERMANISCHE MATRONEISNAMEN
'eitelkeit, Übermut', Diez Wb. i3 435, ferner was die bedeutung
anbelangt got. ufjö 'überfluss'; zur selben wurzel gebort auch
unser auf, ob, oben, ober, über und anderes; s. Kluge EW4,
Johansson Beitr. xv 231 ff, 239ff. die ablautsstufe , die uns im
matronennamen vorliegt, ist allerdings sonst nicht belegbar, kann
indes nicht zu bedenken anlafs geben, da im übrigen in der-
selben wurzel Stammabstufung vorliegt; vgl. ahd. üf, as. üp, ags. üp,
npp, got. iup, germanisch also *üpa, *appa, *eupa, wobei pp aus
vorgerm. pn bei suffixbetonung hervorgegangen und p nach langem
vocal wider aus pp gekürzt ist; vgl. Noreen Urg. judl. § 37
(s. 97 f) und § 39 (s. 103), Johansson Beitr. xv 241. der sinn
von Aufaniae ist darnach die 'emporbringenden' oder, um ein
stammverwandtes wort zu gebrauchen, das auch seiner bedeutung
nach am besten entspricht, die 'äufnenden'. wenn sie einmal, auf
einem altar in Bonn (Ihm nr. 207) Aufaniae domesticae genannt
werden, so sind das, falls die worte nicht beigeordnet sind, die
'häuslichen Äufnerinnen'.
Die Vapthiae sind nur durch eine inschrift mit dem dativ
Vapthiabus vertreten, die Verbindung pth ist dabei sicher wider-
gabe des germ. ft, wofür auch Kern sie genommen hat, und zwar
von dem h abgesehn, die gewöhnliche; vgl. Cruptorix, cPämog,
repti, "QrtTaQiQ,, Scaptharius, tualepti, vor allem Optant der Neapler
Urkunde gegenüber der gotischen Unterschrift desselben mannes:
Ufitahari (s. Wrede Spr. d. Ostg. 98). *Vaftiae deutet Kern im
hinblick auf das druftin und gesifte der niederfräuk. psalmen an-
sprechend als eine mundartliche form statt Vahtiae. die Vapthiae
wären also die 'hüterinnen'. doch wird ihr name eher als eine
nominale ableitung wie nordisch fylkir, hihnir, erßr, got. hairpeis
oder als analogiebildung zu erklären sein, denn ein ubisches
verbum uafüana ist wegen ahd. wahten, mhd. wählen nicht wahr-
scheinlich, jedenfalls sind die Vapthiae, falls hier würklich Ver-
tretung von ht durch ft vorliegt, die 'hüterinnen'.
Der name Suleviae ist niemals mit dem beisatz Matronae
belegt, kommt aber sichtbarlich verwandten gestalten zu; viel-
leicht gehören sie zu den Matres; vgl. darüber Ihm 71. 78. 80;
Mommsen Korresp.-bl. d. westd. zs. v nr88. dass ihr kult und name
deutschen Ursprunges sei, lässt sich nicht streng erweisen, ist je-
doch wahrscheinlich genug, von über 20 steinen, auf denen sie
genannt sind, stammen allerdings nur 2 aus Germania superior,
GERMANISCHE MATRONENNAMEN 319
1 aus Germania inferior. 13, also weitaus die meisten, sind in Rom
selbst gefunden; von diesen aber sind 11 von den equites sin-
gulares, also mitgliedern der germanischen kaiserlichen leibgarde,
gesetzt, 2 von Soldaten unbestimmbarer herkunft. die übrigen
stammen aus verschiedenen römischen proviuzen. dass der no-
minativ als Suleviae anzusetzen ist, erweist sich einzig durch das
Suleviabus auf einer der beiden obergermanischeu inschriften
(Rrambach CIRh 673; Ihm nr 194)1. die gewöhnliche dativform
ist Sulevis; daneben begegnet fünfmal Stdeis, eine nebenform des
namens, die seiner herleitung aus dem germanischen durchaus
nicht im vvege steht, da / vor i unfest und gelegentlich schon in
gemeingermanischer zeit ausgefallen ist; s. Kluge in Pauls Grundr.
i 334 -. von allen bisherigen deutungsversuchen kommt nur
jener ThRvGrienbergers in betracht, der das wort in Su-levtae
abteilt und davon den ersten bestandteil mit germ. m- 'wohl
in Su-gambri, idg. su-, gleichstellt, den zweiten mit got. lew n.
'gelegenheit, mittel, Stoff, a(poQ/urj' zusammenbringt, das aus
diesem lew abgeleitete got. verbum lewj'an und ga-, fra-lewjan,
ebenso ags. läwan, ge-, be-lcewan, ahd. gi-, fir-lden hat eine be-
deutungsentwicklung in übler richtung durchgemacht; aus dem
sinne 'gelegenheit schaffen' ist jener von 'verraten' hervorgegangen.
*su-lewj'an, *su-lceuiana aber würde bedeutet haben 'gute gelegen-
heit, gute mittel schaffen' und Suleviae wäre wider ein nomen
agentis zu diesem verbum. zu dem angegebenen wortsinne ihres
namens passt ganz gut die nähere bezeichnuug ihrer tätigkeit
durch den zusatz: 'qui (sie) curam vestra aguut' auf einem der
steine aus Germania superior, Ihm nr 155.
Volksnamen oder von solchen abgeleitete adjeetive als bei-
namen der mütter bleiben hier natürlich aufser betracht, wenn
darunter auch ein par -vi- ableitungen stecken sollten, ebenso
sicher keltisches material, das übrigens gegenüber dem germa-
nischen recht geringfügig ist: es besteht nur in ein par inschrift-
iichen namen, für die, abgesehen davon, dass sie sich sonst als
keltische zu erkennen geben, germanischer Ursprung schon wegen
1 was es mit der augeblichen göttin Sulivia für eine bewandtnis hat,
lese man bei Ihm 81.
2 auch den namen des Ostgotenkünigs Te/ti wird man darum trotz
Wrede Spr. d. Ostg. 149 f immer noch mit Dietrich Ausspr. d. got. 62 für
wulfilanisch *ti"'wja 'der onlner' nehmen dürfen.
320 GERMAISISCHE MATRONENNAMEN
ihrer fundstätten, die in das geschlossene keltische Sprachgebiet
fallen, nicht leicht in frage kommt.
Sicher germanisch benannt sind noch die Alaterv(i)ae,
Arvagast(i)ae und Annanept(i)ae. aber nicht völlig fest
steht es, ob ihre namen zu der hier behandelten gruppe ge-
hören, da sie nur je einmal in der form Arvagastis, Alatervis und
Annaneptis belegt sind, doch sind einfache -ä-ableitungen unter
den germanischen mütter- und matronennamen sonst gar nicht
vertreten, und dass -iis nicht erwartet werden darf, zeigt das bei-
spiel Aufanis und Sulevis, Suleis. dass auch Alaterviae, Arva-
gastiae anzusetzen sei, darf also von vornherein als das wahr-
scheinlichere gelten und wird überdies durch die bessere deut-
barkeit dieser namensformen bestätigt.
Stünde Terv(i)ae allein, so liefse sich dabei an Dryaden
denken; bei Alaterviae ist das schon nicht gut mehr möglich,
aber gerade so wie neben der wurzel drü , dreu 'holz, bäum'
eine nebenform dem vorkommt, ist auch neben unserem treue,
trauen, trost eine verwandle bildung urgermanisch Herrn- mög-
lich, ja vielleicht liegen hier überhaupt nur verschiedene be-
deutungsentwicklungen nach der sinnlichen und nach der sitt-
lichen seite vor, gerade wie im lateinischen robur 'kern, holz,
eiche' einerseits und 'kraft und stärke' anderseits bedeutet, mit
germ. *teruaz 'fest' könnte der keltische frauenname Derva und
slav. dorvü 'gesund' verwandt sein. *teruiana würde dann 'stark,
fest machen' und Alaterviae die 'allkräftigenden' bedeuten, der
denksteiü, der ihren namen enthält, zu Cramond bei Ediuburgh
gefunden (CIL vn 1084; Ihm nr 378), ist ihnen zugleich mit den
'Matribus Campestribus', wie es scheint kampfgöttinnen (s. Ihm
86), von der 'cohors Tungrorum' errichtet, auch die Alaterviae
können leicht kriegerische bedeutung gehabt haben als Verleihe-
rinnen körperlicher kraft und riistigkeit.
Der stein, der den Matronis Arvagastis gewidmet ist,
aus Müddersheim (CIRh 590; Ihm nr 268), enthält, wie übrigens
eine reihe von matronendenkmälern, auch einige unter den schon
besprochenen, eine bildliche darstellung der drei gottheiten. sie
sind über der inschrift in einer nische sitzend dargestellt mit
schusseln und fruchten im schoofs. die rechte Schmalseite zeigt
ein füllhorn, unten einen vogel, wahrscheinlich eine gans, die
linke einen tisch, auf dem ein schweinskopf liegt, daneben einen
GERMANISCHE MATRONENNAMEN 321
korb und einen krug. — Arvagastis ist jedenfalls in Arva- und
gastis zu zerlegen, der zweite teil davon würde wider, wenn
dieselbe bildung wie bei den bereits besprochenen namen vor-
liegt, auf ein verbum *gastiana zurückweisen, nicht anders ist
die germ. grundform zu mhd. gesten praet. gaste anzusetzen, das
einerseits 'zum gaste machen', anderseits 'kleiden, schmücken,
mit lobe schmücken, rühmen, preisen' bedeutet, man hat dieser
zwiefachen bedeutnng halber mit unrecht zwei verschiedene verba
unterscheiden und das zweite aus franz. vestir lat. vestire ableiten
wollen, was nach form und sinn des wortes gleich unmöglich
ist. der Übergang des begriffes 'als gast behandeln' in den von
'begaben, auszeichnen, schmücken, preisen' usw. ist dagegen bei
der altgermanischen auffassung der gastfreundschaft ein ganz
natürlicher und wird, da er sich aus den jüngeren Verhältnissen
nicht mehr erklärt, sehr frühzeitig schon erfolgt sein, bereits
für jenes ubische ^gasHana wird man ihn voraussetzen dürfen.
arva- ist dann wenigstens in seiner bedeutung nicht dasselbe wie
as. aru, ags. earu, altn. orr 'schnell, bereit, fertig', sondern
gleich altn. orr (stamm arua-) im sinne von 'liberal, openhanded',
vgl. miklu orvari af fe, orr ok olmusu-gödr, müdr ok orr, orr
ok gjofull uam. bei Cleasby-Vigfusson 767. die Arvagastiae sind
die 'freigebig spendenden, mild begabenden'.
Identisch mit den matribus Anna n eptis (CIRh 219; Ihm nr 33 1)
scheinen die Matres patemae Hannanef. einer anderen inschrilt
(CIRh 321; Ihm nr 287) zu sein, deren name aber auch als
Hiannanef. und als H.annanef. überliefert wird, da auch der
name Annaneptis keine gewähr richtiger Überlieferung bietet (s.
Ihm 19) — die iuschriften selbst sind nämlich beide verloren — ,
so ist es doppelt schwer über seine etymologie etwas abschliefsen-
des zu sagen, so viel ist indes klar, dass die Verbindung pt wider
so beurteilt werden muss, wie oben in Cruptorix usw., und -neptiae
dasselbe ist wie unser nichte, germ. *neftl, 'verwandte', selbst-
verständlich hatte das suflix -iä- im ubischen nicht ausschliefslich
die function, nomina agent. zu bilden, es dürfte uns daher nicht
wundern, einmal einem matronennamen zu begegnen, in dem
derselben ableitung eine andere bedeutung zukommt.
Wir können uns nunmehr den Saitchatnims selbst zu-
wenden, was sofort über ihren namen sich sagen lässt, ist, dass
er aus saü und chamims oder hamiabus nach der anderen inschrifl
322 GERMAMSCHE MATRONENNAMEN
zusammengesetzt ist. auffallend ist dabei nur das fehlen des
compositionsvocales; doch gibt es dafür, abgesehen von der syn-
kopierung vor v in Catualda, Chasuarii und anderen namen,
einige alte Seitenstücke zb. Hermunduri, ytov7tcpovQÖov; viel-
leicht gehört hierher auch Ovioßovqyioi (germ. * Uesuburgjöz,
die 'gute bürgen besitzenden'?), vielleicht auch Verritus bei Tacitus
Ann. xiii 54. im allgemeinen entspricht der lautstand der inschriften
viel mehr dem lebendigen Sprachgebrauch, als jener der namen
in literarischer Überlieferung, und zeigt vielfach jüngere formen,
so begegnet uns auf jenen denkmälern so gut wie ausschliefslich
a als compositionsvocal, während von den Schriftstellern bekannt-
lich noch Ammianus Marcellinus Hariobaudus, Vadomarius, Cho-
nodomarius usw. schreibt, daneben aber Alamanni, wie denn
überhaupt Alomanni nirgends sich findet, ein umstand, der Kluge
hätte abhalten sollen, den Westgermanen für die zeit jenes ge-
währsmannes noch den compositionsvocal o zuzusprechen (Pauls
Grundr. i 316; dagegen auch Wrede Spr. d. Ostg. 48).
Suchen wir nun zunächst wider nach einem verbum, zu
dem chamims nom. ag. seiu kann, so bietet sich sofort unser
hemmen, mhd. hemmen, harnen, 'aufhalten, hindern', an. hemja,
desgl. Sau- muss dann eine objective bestimmung enthalten und
zwar muss in diesem worte nothweudig ein übler sinn gelegen
sein, wenn anders die Saitchamien gütige wesen sind, wie alle
anderen matronen. mit satt, wenn man an der tenuis festhält,
wird sich jedoch nichts anfangen lassen, allein T steht hier
ebensogut für germanisches b, wie in Tinxo auf der inschrift
aus Cumberland (Ephemeris epigr. m n. 85; Rruce Lapidarium
septentrionale n. 807)1 oder in Alatancus'2 (CIL v 8738). auch in
den handschriften ist t und th ganz durcheinander geworfen (vgl.
Wrede Spr. d. Ostg. 170); obwol den Schriftstellern das th als
widergabe des griech. # geläufig war, von wo aus der gebrauch
1 dass die übliche abteilung dieser inschrift: Deo Bclatucadro a muro
sivi tus Tinxo ex cuneum (Fr)is(iorum Ger)manortim , woraus man sogar
einen Tius Thinxus herauslesen wollte, ein unsinn ist, liegt auf der hand.
richtig deutet sie ThRvGrienberger als Deo Belatucadvo Amuro Sivitus
Tinxo usw. dh.: dem gölte Belatucadrus Amuro, Sivitus dem Thinxus, und
vergleicht dazu den keltischen namen Amuro.
2 diesen namen sowie den der matres Alalerv(i)ae und den der göttin
Alateivia (CJRh 197) das ist *Alatceuiö — vgl. got. gatewjan — nimmt
Holder Altkeit, sprachschsalz unverantwoitlieherweise für keltisch.
GERMANISCHE MATRONE» AMEN 323
desselben zur transscription des germ. p sich herschreibt. der des
griechischen unkundige Steinmetz muste diesem germanischen laute
um so hilfloser gegenüberstehn. mau muss also auch saifi- in er-
wägung ziehen, dieses ist nichts anderes als au. seidr m. 'zauber'.
daneben kennt das allnord. auch ein st. verbum sida 'zaubern',
aus dem sich offenbar der name Sitones, Sithones — beide formen
finden sich in den handschriften bei Tacitus Germ. 45 — die ger-
manische bezeichnung de~r Quaenen , der skandinavischen Finnen
also, herleitet, diese sind nach germanischer Vorstellung zauberer
viax eBox^v , so zwar, dass im altnordischen Finnr oft gerade-
zu im sinne von 'zauberer' gebraucht wird (s. Cleasby-Vigfus-
son 154), ja heute noch in Nordland Finngjerd so viel als
Trolddom bedeutet (s. Aasen 156); und in heidnischer zeit kam
es vor, dass Norweger und Schweden ihre kinder zu den
Finnen schickten, damit sie dort diese kunst sich aneigneten
(s. Weinhold Altnord. leb. 399). später ersetzt das nordische den
ausdruck *s7ponez durch seidmenn, seidberendr, und auch sida
selbst ist nur selten belegt, 'zauber wirken' heifst im nordi-
schen gewöhnlich seida oder fremja seid; doch ist ein gegen-
sätzlicher ausdruck hemja seid nicht gebräuchlich; dafür findet
sich ein subst. seidvilla für den gegenzauber; rista seidvillur
heifst es beispielsweise Fas. in 319. damit wird aber eigentlich
eine tätigkeit bezeichnet, die dem zauber eine andere richtung
oder würkung gibt als der zauberer wollte; vgl. Hävam. 151.
*hamiana *saißa dagegen bedeutete 'den zauber abwehren, schwa-
chen, zu oicbte machen'.
In seiner dankenswerten abhandlung über den mütter- oder
matronencult ist Max Ihm zu dem ergebnisse gelangt, dass wir uns
diese wesen durchaus als gütige, spendende gottheiten zu denken
haben, 'daher sind sie auch auf einer oberitalischen inschrilt
indulgentes genauut. sie verleihen segen und häuslichen Wohl-
stand, fülle und fruchtbarkeit des ackers. darauf deuten ihre
attribute hin: die mit fruchten, ähren ausgefüllten körbe und
die füllhüincr. bezeichnend ist, dass sie einmal im verein mit
Mercur, der als hicrorum polens characterisicrl ist , angerufen
werden, daher erklären sich die zahlreichen dedicationen 'pro
se et suis', 'pro salute' von Familienmitgliedern , 'pro natie suis'
und ähnliche, denen nicht selten die (besonders am Rhein häuti-
gen) formein 'ex imperio' oder 'ex imperio ipsarum' beigefügl
324 GERMANISCHE MATRONENNAMEN
sind', das bild, das wir aus den namen entnehmen konnten, ist
ein ganz ähnliches, demselben vorstellungskreis wie die übrigen
gehören aber auch die 'zauberbannenden' matronen an. denn
wenn die gröste get'ahr nicht nur den feldern, dem vieh und
dem hauswesen , sondern auch dem leiblichen wolbefinden der
menschen nach heidnischer anschauung durch zauber drohte, so
gehörte es eigentlich mit zum geschäft jener den menschen freund-
lichen wesen, vor diesem zu schützen, und es darf uns gar nicht
wundern, einmal einen namen zu finden, in dem sich diese eine
seite ihres berufes deutlich ausspricht.
Dass wir es am Niederrhein mit der aufnähme römischer
oder gallischer Vorstellungen von den müttern durch die Ger-
manen der beiden grenzprovinzen zu tun haben, daran ist bei
dem inhalt der germanischen denkmäler und ihrer überwiegenden
zahl gegenüber denen keltischer und anderer herkunft nicht mehr
zu denken, der austausch und die Wanderung der Vorstellungen
gehört hier sichtbarlich der urzeit dieser Völker an. die deutsche
mythologie wird also mit ihnen rechnen müssen, es wird auch nicht
schwer halten, mit den rheinischen müttern verwandte gestalten
anderweitig auf germanischem boden zu erkennen, vor allem
andern kommt dabei die folgende nachricht Redas, De temporum
ratione c. 13, in betracht: Incipiebant autem annum (Anglorum
populi) ab octavo calendarum lanuariarum die, ubi nunc natale
Domini celebramus, et ipsam noctem nunc nobis sacrosanctam tunc
gentili vocabulo M odraniht, id est matrum noctem, ap-
pellabant, ob causam, ut suspicamur, ceremoniarum , quas in ea
pervigiles agebant. aus dem umzug der gaben spendenden mütter
erklären sich vielleicht unsere Weihnachtsgeschenke.
Wien, am 1 hornung 1891. RUDOLF MÜCH.
NEHALENNIA.
Es wäre eine langwierige arbeit, wollte mau all die dilet-
tantischen erklärungsversuche, denen der name der Nehalennia
bisher ausgesetzt war, und den ganzen modernen mylhenkreis,
der sich um ihn gebildet hat, verzeichnen und kritisch beleuchten,
und es lohnte auch nicht die mühe; denn die haltlosigkeit so
ziemlich alles dessen, was bisher über namen und wesen dieser
göttin vorgebracht wurde, liegt für den einsichtigen klar zu tage.
NEHALENNIÄ 325
Das* wir es bei Nehalennia nicht mit einer gallischen gott-
heit zu tun haben, zu der sie die keltomanen stempeln wollten,
ergibt sich sofort daraus, dass in den perioden , die hier einzig
in betracht kommen, der laut /* dem keltischen völlig abgeht,
von den denkmälern, die ihr gewidmet sind, stammen mindestens
23 (Brambach CIRh 24. 27 — 45. 48. (49?) 50. Bonner jahrb.
h. 57. s. 195) aus Doomburg auf Walcheren, wo nach dem Zeug-
nisse des Plinius NH iv 98 noch Germanen safsen, 2 aus Deutz,
also widerum aus germanischem gebiet, auch unter den namen
der dedicanten, auf die hier nur deshalb nicht näher eingegangen
werden soll, weil sich einmal eine passendere gelegenheit finden
wird, sie einzeln vorzunehmen, überwiegen germanische gegen-
über keltischen.
Für die form Nehalennia sprechen 15 Inschriften (CIRh 27.
29. 32. 34. 36. 37. 39. 40. 41. 42. 43. 48. 50. 442. Bonner Jahr-
bücher h. 57 s. 195), denen gegenüber 3, auf welchen Nehalenia
steht (CIRh 28. 38. 441) eine recht unbedeutende minderzahl
sind, durchaus genaue Unterscheidung doppelter und einfacher
liquida ist nicht zu erwarten, wie Scherer BSB 1884, 579
richtig bemerkt hat. dass für das inschriftliche Fimmile(na),
von dem dort die rede ist, im germanischen würklich ein-
fache consonanz vorausgesetzt werden muss, ergibt der durch
Heinzel entdeckte Zusammenhang dieses namens mit friesisch
fimelping, und die etymologie desselben, denn die schon von
JGrimm RA 838 vorgeschlagene herleitung von fimelping aus
ferne, die wenn sie richtig ist, auch für Fimmile(na)1 gelten muss,
ist um so ansprechender, weil das ableitende element, das hier
vorliegt, als ein gemeiugermanisches sufiix zur bildung von ab-
stracten der gerichtlichen terminologie sich erweisen lässt; vgl.
got. inilö 'vorwand', ags. bindete 'das binden', tihtle 'anklage',
ondetle 'geständnis' und anderes bei Kluge INom. stammbild. § 157'-.
auch auf Matronis Vacallinehis (CIRh 529) neben Matronis Va-
calinehis (CIRh 530) und auf den chattischen namen Flanallus
(CIL in 4228) durfte sich Scherer aao. 580 als auf Seitenstücke
zu Fimmile(na) berufen, andererseits steht einlache an stelle von
1 über die endung -ena, vgl. Scherer aao. und Heinzel Über «li. oslg.
heldensage (WSB cxix) 53.
2 Beda und Fimmile(na) sind also 'gebot' und 'urteil', bodping und
fimelping 'gesetzgebende' und 'geiichtsversanimlung'.
326 NEHALENNIA
doppelter liquida in Canonefas (CIL vi 3203), und der seinem
Ursprünge nach undeutsche matronenname Octocanabus (Ihm Der
mülter- oder matronencultus nrr 321. 327) gegenüber Oclo-
cannis (322) Octocannabus (323) [Octo] cannabus (325) gehört
wol gleichfalls hierher, sehr häufig lassen sich ähnliche fehler
bei lateinischen vvorten beobachten, und zwar sind Schreibungen
mit einfachem statt doppeltem consonanten aus inschriften viel
öfter zu belegen als solche mit doppeltem statt einfachem , ein
Verhältnis, an dem durchaus nichts befremdendes ist, das wir
vielmehr von vornherein erwarten müssen, und wenn auf matro-
nensteinen 5 mal Vesuniahenis, 12 mal Auf aniabus, Aufanis belegt
ist und daneben nicht e i u mal Vesunniahenis, Aufanniabus sich
findet, so ist ein zweifei, ob das 15 mal vertretene Nehalennia
oder das 3 mal vertretene Nehalenia das richtige ist, schon aus-
geschlossen.
Von einem suffix germ. -eniö- mit dem nom. -eni (Kluge
Nom. stammb. § 39) wie in Bacenis bei Caesar kann also hier
nicht mehr die rede sein; vielmehr ist der name Nehalennia als
ein zusammengesetzter aufzufassen; und für jeden seiner bestand-
teile gibt es, so viel ich sehe, nur je ein germanisches wort, das
sich zur erklärung beiziehen lässt. Neha- ist westgerm. näha-
got. nthwa- 'nahe'; -lennia gehört zu got. aßinnan, ahd. bilinnan,
ags. linnan und zu altn. Unna, praet. linta. urgermanisch muste
dieses verbum *lennana und *lenniana lauten mit e wie in Fenni
bei Tacitus und in dem mannsnamen Gennalo auf einem der
Nehalennia-sle'me (CIRh 27). die bedeutung desselben ist 'ce-
dere, cessare'; got. aßinnan übersetzt a7to%ioQ£iv ; bei Zusammen-
setzung mit näha- ergibt sich aber leicht die bedeutung des
gestattens, gewährens, nachgebens, nachkommens gerade wie in
griech. E7ti%o)Qelv oder die des hilf bereiten nahens, des bei-
stehns, beispringeus, und ebenso wie die oben behandelten
matronennamen mit -iä- (germ. -iö-) ableitung (nominativ -I)
nomina agentis sind, ist auch Nehalennia ein solches, wir haben
es dabei wol nur mit einem beinamen und zwar wegen der
grofsen zahl der denkmäler wahrscheinlich mit dem einer der
höheren germanischen göttinnen zu tun.
üass die Nehalennia auf die schifffahrt bezug hat, deutet
das schiff an, das widerholt als ihr attribut erscheint, ausdrücke
wie ob merces rede conservatas (CIRh 43), ob meliores actus (39)
NEHALEiNJNIA 327
in den weihinschriften erweisen sie als eine reichturn spen-
dende gottin. wer anders sollte sie gewesen sein als die im
nordischen mythus verdunkelte1 Schwester und gemahlin Njords
von Nöatün, des gefjanda gud, von dem es Gylfaginning 23 heifst:
Hann rcedr fyrir gongu vinds, ok stillir sjd ok eld; d hann skal
heita til scefara ok til veida. hann er svd audigr ok festtdl, at
hann mä gefa peim and landa edr lausafjdr, er d hann heita
til pess. wenn Njcudr 'gefjanda gud' genannt wird, so ist sicher
auch Gefjon nur ein anderer name der Nerthus, und ebenso ist
Freyja Gefn Mar doli, oder wie diese sonst noch heifst, nur eine
verjüugung desselben wesens. der letztgenannte name zeigt aber
wider die beziehuug zum meere. ich denke darum, dass auch
die 'Isis', welche nach Tacitus Germ. 9 von einem teil der Sueben
verehrt wurde und deren Signum in modum libumae ßguratum
zu der vorliegenden interpretatio Romana anlass gab, nichts ande-
res ist als die Nerthus in einer von derjenigen der Nerihusvölker
etwas abweichenden auffassung. jener sicher meeranwohnende
teil der Sueben sind kaum andere als vandilische stamme, die
ja sämtlich unter den Sueben des Tacitus inbegriffen sind, wenn
Njordr 'gefjanda gud' heifst uud gemahl und bruder der Gefjon,
Gefn ist, wird auch klar, dass JGrimm Myih.3 219 den alt-
sächsischen Getan, angelsächsischen Geofon, der sich aus ken-
uingen wie as. Gebenesström , ags. Geofenes begang für meer und
anderen erschliefsen lässt, mit unrecht für den JEgir erklärt, er
ist vielmehr zweifellos derselbe wie Njordr und beweist nur aufs
neue , dass dieser seinen machtbereich über das meer ausgedehnt
hatte, welche gottin konnte nach all dem bei seefahrenden kauf-
leuten in höherem ansehen stehn als Nerthus, unter welchem
namen immer man sie kannte und anrief, dass wir in der Ne-
halennia die germanische erdmutter zu erkennen haben, wird
endlich dadurch bestätigt, dass auch die griechische Demeter nach
Hesych in Lakedaimon das epitheton Lu/cö/.a führte (Preller
Gr. myth.2 634,2), das aus iycutikeod-ai'sich herzu, heranbewegen'
zu erklären und somit gleichen sinnes ist wie Nebalennia.
Ja, wenn im norden mit der Vorstellung von der herschaft
der Wanen jene von einem goldenen Zeitalter sich verband und
wenn im besonderen Njords reichtum so sprichwortlich war, dass
1 au sie erinnert nur noch die Lokasenna 36 wider Niordr erhobene
beschuldigung, dass er den Freyr mit seiner eigenen Schwester erzeugt habe.
328 KEHALENMA
ein aufsergewöhnlich reicher mann audigr sem Nojrdr (Fs. 80)
genannt werden konnte , so zweifle ich nicht daran , dass auch
die göttin Sandraudiga (CIRh 132), in deren namen der zweite
teil schon von JGrimm GDSpr 588 richtig verstanden wurde und
der blofs verstärkende erste demnächst durch ThRvGrienberger
seine erklärung finden wird, keine andere ist als die Nerthus.
Wien, am 5 märz 1891. RUDOLF MUCH.
ZUM TEXT DER CARMINA BURANA.
Rei einer genauen vergleichung des codex Buranus mit
Schmellers ausgäbe , die ich diesen sommer auf der kgl. hof- und
Staatsbibliothek in München vornehmen konnte, ergaben sich mir
eine reihe beobachtungen über den text, die der Veröffentlichung
nicht unwert erscheinen.
Wenn es auch gegenwärtig wol allgemein zugestanden wird,
dass eine einzig dastehende hs. von dem character der unsrigen
in der editio prinecps bis auf den buchstaben getreu widerzu-
geben sei, so wird man doch dem germanisten Schmeller keinen
Vorwurf daraus machen, dass er bestrebt gewesen ist, die lateinische
Orthographie des 13 jhs., die sich für unser an die classische rechts-
schreibung gewöhntes äuge bisweilen recht seltsam ausnimmt und
dem ungeübten das sofortige Verständnis oft erschwert, durch
die allgemein übliche zu ersetzen, so hat er stets michi in
mihi, nichil in nihil, ewangelium in evangelium, rethor in rhetor,
menbra in membra, ungentum in unguentum, hii (hiis) in hi {his){
geändert, freilich consequent ist er darin nicht: er schreibt
bald Bacchus, bald Bachus (hs. immer Bachus), einmal karitas,
dann wider Caritas (hs. immer karitas), und wechselt beliebig ab
zwischen tirannus und tyrannus, Syon und Sion, während die
hs. durchgängig tirannus und Syon aufweist; das präfix con-,
das in der hs. meist durch das bekannte abkürzungszeicheu
widergegeben ist, assimiliert er bald dem folgenden labial, bald
nicht (conmovere s. 181, committere s. 247). fast auf jeder seite
fallen ähnliche Ungleichheiten auf; ganz besonders aber springt
es in die äugen, wenn mau innerhalb einer Strophe die formen
nunties und nunciavit (s. 139) oder expirante und cxspirat (s. 47)
gedruckt findet, ich erwähne diese geringfügigen dinge, durch
1 die einzige ausnähme hiervon findet sich s. 175, wo gedruckt ist:
Tfiis assint usw.
ZUM TEXT DER CARM1NA BURANA 329
die ja an der sache nichts geändert wird , nur um den Schreiber
der hs. von dem Vorwurf einer höchst ungleichmäfsigen Schreib-
weise zu befreien, der ihn, wenn man nach Schindlers ausgäbe
urteilen wollte, notwendigerweise treffen müste. auch die Strophen-
abteilung der einzelnen lieder, die ja von Schmeller stammt — denn
in der hs. ist alles, soweit es nicht die Überschrift versus trägt, dh.
inhexametern, distichen oder leoninen abgefasst ist, in fortlaufenden
zeilen geschrieben — auch die Strophenabteilung zeigt ab und zu
Ungleichheiten, abgesehen von würklichen Unrichtigkeiten, einiges
der art haben schon Bartsch (Deutsche liederdichter, siehe bes. die
anm.) und Martin (Zs. 20, 46 ff), anderes hat BPeiper (in seinem
Gaudeamus, Leipzig beiTeubner) berichtigt; ein auffälliges beispiel
möge hier noch platz finden aus dem liede clxx, in dessen drei
Strophen es von der 5 zeile ab bei Schmeller s. 65 heifst:
1 . talium si fidem 2. tenui fortuna 3. explicas decreta
incurreret, desereret omnimoda ad commoda ad libitum,
Pylades Atridem, omnium mens una, si sonitum
dederit moneta.
Ebenso sehr fällt die unregelmäfsigkeit der anordnung s. 148
in nr 56 auf, wo die 5 ersten zeilen jeder Strophe von Seh.
bald in 3, bald in 5 zeilen gedruckt worden sind; in Strophe 2
sind wol vor remuneror 3 silben verloren gegangen; nicht minder
scheint der anfang von str. 4 verdorben.
Auch an den folgenden stellen lassen sich gegen Sch.s Schrei-
bung der Strophe einwände erheben.
S. 6 : vii 2 ordnet Seh. :
0 conditio miseral
considera,
quam aspera
sit hec vita mors altera,
quq sie inmutat statum.
Cur non purgas reatum
sine mora, cum sit hora
mortis tibi incognita,
et inoita1 karitas,
qiir non proficit,
prorsus aret et deficit
nee ef/icit beatum.
1 hs. invieta; invita aus Flacius Varia de conupto ecclesiae statu poemata.
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 22
330 ZUM TEXT DER CARMINA BURANA
zunächst sind zeile 2 und 3 in eine zusammenziehen; denn auch
die erste Strophe beginnt nur mit 3 gleichgereimten versen in
dem rythmus ^4. umgekehrt ist kein grund vorhanden, die beiden
Zeilen sine mora — cum sit hora als eine zu schreiben; denn
diese stelle der Strophe entspricht durchaus nicht irgend welchen
anderen Strophen des gedichtes. wol aber scheinen mir die
letzten 5 Zeilen widerum den 5 zeilen zu entsprechen, die bei
Seh. str. 4 ausmachen und deren reim durch das schema ge-
kennzeichnet ist: a a b b b. dann ist aber dieser schluss der
zweiten Strophe vielmehr so zu schreiben:
mortis tibi incognita
et invita
karitas, que non proficit,
prorsus aret et deficit
neque (hs. nee) beatum efficit,
wenn nicht zwischen den Wörtern incognita und et invita 4 silben
ausgefallen sind, sodass diese 5 zeilen ursprünglich von gleichem
rhythmus gewesen wären (vgl. str. 4).
S. 25: in nr XXIII ordnet Seh. mit der hs. in den letzten
4 zeilen der ersten Strophe die worte so:
mundus
abdicatur ab inmnndis,
per quem iste iudicatur
mundus.
wie die 4 folgenden Strophen zeigen , ist die reimfolge dieser
4 zeilen a b b a , also die zweite zeile ab inmnndis abdicatur zu
schreiben.
S. 32: in nr xxvii bilden wol die worte zu beginn des re-
frains Proh dolor eine zeile für sich.
S. 76: in nr cxcvu entsprechen sich in der zweiten Strophe
zeile 1 und zeile 3; es ist also o prqlati nobiles umzustellen in:
o nobiles prqlati.
S. 130: 40,4,10—13 ist ohne Umstellung des hsl. textes so
zu ordnen:
Allicit verbis dulcibus
et osculis,
labellulis
castigate tumentibus.
z. 6 ist producitur binnenreim zu nee premitur in z. 9.
ZUM TEXT DER CARM1NA BURANA 331
S. 131: 42,1,8 — 9. die reihenfolge der worte in der hs.,
wie sie auch Seh. abdruckt, tut dem rhythmus gewalt an; die
Schwierigkeit ist gehoben, wenn man liest:
quia statum nemoris
felicem vis frigoris.
S. 149: ur 57. den refrain der ersten Strophe lässt Seh. schon
mit den worten visa captns virgine beginnen gegen die hs., deren
bemerkung Refl. erst vor der folgenden zeile steht, ein vergleich
mit den beiden übrigen Strophen des gedichtes, die am Schlüsse
2 viertactige zeilen haben und durch Sch.s änderung der ersten
gegenüber um einen vers zu lang erscheinen würden, ergibt,
dass die angäbe der hs. richtig ist.
S. 170: die Strophen des liedes nr 84 bestehn aus 14 zeilen,
von denen jedesmal die 4 letzten nach folgendem Schema gebaut
sind: .,4a, ^4a, 2a, 4a. nur str. 2, wie Seh. sie ordnet, macht
davon eine ausnähme; von z. 11 ab heilst es:
h?c novo, curialior,
formosior,
nobilior, Iqtior, potior.
das sind aber 3 zeilen statt 4, in denen noch dazu die endung
ior bald einsilbig, bald zweisilbig gebraucht wird; jedesfalls ist
zu lesen:
hqc nova curialior,
formosior, nobilior,
Iqtior,
potior
und anzunehmen, dass am schluss 4 silben verloren gegangen
sind (vielleicht: et gratior oder et clarior, et carior).
S. 224: nr 159. in str. 1 und 2 ist jedesmal die 6 zeile in
2 zeilen zu zerlegen:
1, ratione 2. delicias
'tun Dione venereas.
in str. 3 r t Seh. geglaubt, das nachstehende doppelte subjeet
amor 'atque' ratio (wie er statt des seltsamen deutschen vnde in
einem ganz lateinischen gedieht schreibt) verlange einen plural
der verba, hat dadurch die ursprünglichen reime zerstört und
nun die Strophe ziemlich wunderlich geordnet; sie ist wol so zu
schreiben :
22*
332 ZUM TEXT DER CARMINA RURANA
Sicut in arbore.
frons tremula,
navicula
levis in qquore,
dum caret anchorq
subsidio,
flatu concussa flnitat,
sie agitat,
sie turbine sollicitat
me dubio
amor et ratio.
was den numerus des verbums bei nachgestelltem subjeet im
plural betrifft, so vgl. s. 226: 162, 2,5 quam collaudat sol et luna
und s. 227: 164, 1,1 Transit nix et glacies.
S.225: nrl61 ist die hsl. fassung der beiden Strophenschlüsse
schon von WMeyer Ludus de Antichristo (Münchener Sitzungs-
ber. philol. hist. cl. 1882, lieft 1) s. 153 wider hergestellt worden.
Aber nicht nur diese äufserlichkeiten , auch der eigentliche
text bedarf an mehreren stellen einer berichtigung, die, soviel
ich sehe, noch niemand gebracht hat. aufser von Jllberg, der in der
Zs. f. d. öst. gymn. 1 889, s. 103 die Überlieferung des codex nach seiner
Zusammensetzung einer genauen prüfung unterzieht, von WMeyer
in der genannten schrift und von RPeiper, dem herausgeber der
schon erwähnten liedersammlung Gaudeamus, die sich zum grofsen
teil aus gedichten, die dem codex Ruranus entnommen sind, zu-
sammensetzt, ist die hs. selbst wol nie wider zu rate gezogen worden,
wenigstens citieren Wackernagel, Rartsch ua. nur Schmellers aus-
gäbe, auch EMartin gründet auf sie seine Untersuchung, wenn ich
im folgenden zeigen werde, dass es nicht ratsam ist, zumal wenn es
auf den buchstaben ankommt, Schmeller zu citieren, so bitte ich,
das nicht als die kecke kritik eines neulings auszulegen, der an
Schmellers autorität rütteln möchte, im gegenteil, je länger man
sich mit der Sammlung beschäftigt, umsomehr wird man Schmellers
arbeit bewundern und es verstehn lernen, mit welchem recht
Jacob Grimm in seinem aufsatz über Gedichte des mittelalters
auf Friedrich r den Staufer sagt: von wem könnte die bekannt-
machung der Sammlung besser erwartet werden als von Schmeller?
es gehörte Schmellers gründliche litteraturkenntnis dazu, seine
glückliche gäbe, verdorbene stellen durch das nächstliegende
ZUM TEXT DER CARMINA BURANA 333
zu ergänzen, um die bisweilen sehr fehlerhatte hs. in das ge-
wand zu kleiden, in dem sie uns vorliegt, alle, die um das
Verständnis der schönen liedersammlung bemüht sind, stehn auf
Schmellers schultern und dürfen das nicht vergessen, wenn sich
auch hie und da eine kleinigkeit an seiner arbeit zu bessern
finden sollte.
VVol das wichtigste von den werken, die Schmeller bei der
feststellung des textes zur vergleichung herangezogen hat, ist die
Sammlung des MFlacius Ulyricus Varia doctorum virorum de cor-
rupto ecclesiae statu poemata (1557 '), die einige lieder in der-
selben reihenfolge und unmittelbar hintereinander wie unsere hs.
aufweist, die innere Verwandtschaft, die sich schon daraus zwi-
schen beiden ergibt, ist so grofs, dass man stellenweise auf eine
gemeinsame vorläge schliefsen möchte; jedesfalls haben wir, wenn
auch hier und da überarbeitet oder umgearbeitet, oft gediente
ein und desselben Verfassers vor uns. vielfach ist nun Schmeller
in der läge gewesen, nach diesem druck des Flacius unverständ-
liches zu berichtigen, schlechte lesarten zu bessern ; vielleicht ist
er aber doch manchmal auch darin zu weit gegangen, so wenn
er ii 3 die 5 zeile, die in der hs. ganz verständlich lautet dfgne
dare poteris, nach Fl. ändert in dare dignis poteris. das adverb
scheint mir schon deshalb unbedingt am platze, weil es genau
dem ut convenit (sc. dare) n 3,1 entspricht, dann wenn er xvm 9,1
mit Fl. schreibt: ibi venu colliduntur. die hs. hat hier die
sinnlosen worte ibi fruetus colligwitur; wie nahe liegt aber die
besserung: ibi fluetus colliduntur! in dem folgenden liede xix
hat schon RPeiper die überflüssigen correctureu Schmellers nach
Fl. wider beseitigt, jedesfalls ist aber hier 3,7 et mit Fl. in ut
zu bessern, wenn man nicht auch congruit für consonat ein-
setzen will.
Unrichtig gelesen hat Schmeller an folgenden stellen:
s. 35: xxix 8,4 captitavit; hs. captivavit, vgl. s. 33 : captivatur und
s. 126: captivato.
s. 56: cxlix 1,8 hospitatrix; hs. hospitavit.
s. 58: cl12,5 Nunc; hs. Tnnc.
1 nicht 1556, wie Wattenbach (wol nach Leyser) angibt (Zs. 15, 472);
die vorrede des Flacius ist zwar datiert: l Maij, au. Domini 1556, aufdem
letzten blatt aber rindet sich die angäbe desdruckers: 'tue, ex ofßchw
Ludouici Lucij, Anno Cliristi .)/. 1). LVll jMense Martio.
3^0 7ITM TFXT IWR CARMINA RflRANA
334 ZUM TEXT DER CARMINA RURANA
s. 58: cl 16,3 — 5 prqponebas tarnen hs. prqponebar tarnen
in tut gratia in tui gratia
Jarb$ 'me' nobili;1 Jarbe nobili (lies Jarbe
dreisilbig),
s. 60: cli 14, 1 Solvit tarnen', hs. Solvit ratem.
s. 61 : clii 18,2 turpia facta; hs. turpia ficta.
s. 65: clxx 3,10 pqna Bei diluitur; hs. pqna rei diluitur.
s. 72: clxxxvi 4,2 in Venere; hs. in ventre (!), s. Gaud. s. 71.
s. 82 : ccii 9, l — 4 Ad nos illa prodeant 2 hs. Ad nos Uta prodeat
tenebris abscondita; tenebris abscondita
et se nobis offerat et se nobis offerat
gens errori subdita ; gens errori subdita.
s. 90: ccii 38,1 Audi, frater, verum; hs. Audi, frater, iterum.
s. 90: ccii 40,2 ut heredem audiat; hs. ut kerodem audiat.
s. 90: ccii 40 — 41 archisynagoga; hs. archisynagogus.
s. 93: ccii 49,7 dum fugati fugierunt; hs. dii fugati fugierunt.
s. 95: ccii 62,9— 12 lntende, tibi canimus, hs. Intende, tibi canimus,
quam vilis sis futurus : quam vilis sis futurus :
roderis a vermibus rodens a vermibus
perhos'tibi'interitus; per hos interiturus.
s. 96: ccm 1,3 cuius conversatio; hs. eius conversatio.
s. 96: ccm 1,8 evitare; hs. devitare.
s. 104: ccm z. 6 v. u. Resumite vestra; hs. Resumite vestrum.
s. 128: 39, 3,12 ex 'partu' (für ex parte); hs. experte.
s. 133: 43, 4,6 inextinguilis ; hs. inextinguibilis, wie es der rhyth-
mus verlangt,
s. 135: 45, 2,1 Visu; hs. Risu, vgl. aber s. 192: 116b, 8.
s. 139: 49, 7,3 — 4 sie h$c verba Veneri hs. ut hqc verba Veneri
nunties legata, nuncies legata.
s. 140: 49, 22,6 quocumque 'vos' itis; hs. vos quocumque itis.
s. 144: 50, 29,7 illud est; hs. istud est.
s. 147: 54, 1,5 et quod; hs. per quod.
s. 169: 83, 1,1 Humor letalis: in der hs. ist das ursprüngliche
Humor, von der band, wie mir scheint, die das ganze
übergangen und die i- striche hinzugefügt hat, in das
verständlichere Amor corrigiert worden, indem das H
1 c ' bedeutet: Schindlers conjeetur.
2 hier hat Schindler, wie es scheint, ein musikzeichen für den quer-
strich angesehen, der das einzuschiebende n bezeichnet.
ZUM TEXT DER CARMINA RURANA 335
durchgestrichen, unter das u ein punct, Ober dasselbe das
a gesetzt worden ist; das richtige ist wol Rumor (Gaud.
s. 223).
s. 171: 88, 3,9 acsi mirum fuerim; hs. ac si mirum fecerim.
s. 188: 113, 1,6 dulcissimis; hs. dulcisonis.
s. 195 : 121, 4, l Si teuerem, quam capio ; hs. Si teuerem, quam cupio.
s. 215: 144,6 avulso procul tqdio; hs. propulso procul tqdio (!).
s. 233: 173 a, 1,2 et dea iuncta deo; hs. est dea iuncta deo.
s. 237: 176,7,2 mox auditur; hs. vox auditur.
s. 241: 180, 2,7 plena detur tabula; hs. plana detur tabula (um
zu würfeln, vgl. s. 238: 177, 2,1).
s. 243: 182, 2,1 Locus est 'genialis'; hs. Jocus est generalis.
s. 247: 185, 12,2 minimus; hs. minimis, wie es der reim verlangt,
s. 251 : 190, 2,7 plurima; hs. plurimum (vgl. Gaud. s. 9).
Man ist geneigt, viele dieser versehen nur als druckfehler
zu betrachten; was aber Seh. als solche erkannte, hat er im an-
hang mit einem 'lege' berichtigt, an folgenden stellen aber ist
die möglichkeit, an druckfehler zu denken, ausgeschlossen, wäh-
rend sich s. 225: 160, 3,2 ein et eingeschlichen hat, das die hs.
nicht kennt und das der rhythmus verbietet, sind Wörter weg-
geblieben :
s. 7: ix 1,9 corpus et animam ; hs. corpus et rem animam, vgl. Gaud.
s. 130, wo freilich die interpunetion stutzig macht.
s. 53 : cxlviii 6, 2 Flos amoris servo ; hs. Flos amoris Tharsya servo,
wie es rhythmus und reim verlangen,
s. 71: clxxii 30,1— 2 Pater mi,subbrevi hs. Pater mi,subbrevi tarn
multa comprehendi; multa comprehendi.
durch das ganze lange gedieht schliefsen in jeder Strophe
die 1, 3, 5 und 7 zeile mit der vierten hebung.
s. 96, z. 5 v. o. Quum appropinquaret, et cum audisset; hs. Quum
appropinquaret dominus et cum audisset.
s. 102. in dem gespräch zwischen Petrus und der magd sind die
am rande stehenden worte weggeblieben : Nescio quid dicis,
nach Matth. xxvi 70 die antwort des Petrus auf die zweite,
nach Luc. xxu 60 auf die dritte beschuldigung. da in
unserm passionsspiel die beschuldigung nur zweimal aus-
gesprochen wird (beidemal durch die magd, vgl. dagegen
Matth. xxvi, Luc. xxu und Joh. xviii), so ist diese entgegnung
wol mit der folgenden zu verbinden und z. 22 zu schreiben :
336 ZUM TEXT DER CARMINA BURANA
Nescio, quid dicis; non novi hominem. 3 Zeilen später ist
zwischen den worten comprehendere me etc. und Et pontifices
folgende stelle ausgefallen: Et ducatur Jesus ad pontifices
et chorus cantet: Colle gerunt pontifices usw.
s. 103, z. 4. v. o. non tradidissemus eum; hs. non tibi tradidisse-
mus eum (vgl. Joh. xvm 30).
s. 103, z. 7 v. u. Ergo quem te facis; hs. Ergo quem te ipsum facis.
s. 104, z. 7 v. o. Pilatus dicat; hs. Cui Pilatus dicit.
s. 104 u. zu den versen des Judas: Poenitet me graviter etc. steht
am rande geschrieben: peccavi tradens sanguinem iustum
(vgl. Matth. xxvh 4).
s. 148: 56, 1,7: vices temporum; hs. novas vices temporum; der vor-
letzte vers jeder Strophe des gedichtes besteht aus 4 tacten.
s. 171: 88, 1,5 amoris gandia; hs. sunt amoris gaudia, also 4tacte,
wie es als reimzeile zu eya, qualia verlangt wird; denn
eya sind zwei volle tacte, wie heu und vae jedes einen
ganzen ausmacht (s. 31 u. s. 195).
s. 193 fehlt die Überschrift zu nr. 118: De vere.
Unverständlich ist es mir, wie in dem ersten gedieht auf
Aeneas und Dido (cxlix s. 56) zwischen der 7 und 8 Strophe
bei Seh. eine ganze Strophe, die mitten in der hs. steht, hat
wegfallen können; hier ist sie:
Propositionibus
tribus dux oppositis
sylogizat, motibus
fallit h(;c oppositis,
et quamvis cogentibus
argumentis utitur,
tarnen eis brevibus
tantum horis fallitur.
unklar ist nur, worin die tres propositiones des Aeneas — denn
dieser ist natürlich der dux — bestanden haben; im übrigen
passt die etwas zerfahrene darstellungsweise, die widerholt das
subjeet wechselt, mehrere male hinter einander dieselben Wörter
gebraucht, recht gut zu dem schülerhaften stil, in dem die ganze
reihe der gedichte aus dem Sagenkreis der Aeneis und der Ilias
abgefasst ist.
S. 237: 177,1,4 non ist in der hs. durchgestrichen und
unterpunetiert, wie es ja auch der rhythmus verlangt; der gefan-
ZUM TEXT DER CARMINA BURANA 337
gene hat also nicht blofs die Würfel, sondern auch den becher
bei sich.
Nach diesen berichtigungen der ausgäbe möchte ich noch
einige Vermutungen über den text wagen, die hoffentlich für sich
selbst sprechen werden.
S. 4: v 3,2 ändert Schmeller das hsl. religiönis in Dei cölis.
dagegen spricht zunächst der umstand, dass durch das ganze ge-
dieht jede zeile mit einem auftact beginnt, dann stört aber auch
das dreimal unmittelbar aufeinanderfolgende Dei. wie in str. 1
und 2 auf die ersten worle vide qui jedesmal das zweisilbige ver-
bum folgt (nosti, colis), glaube ich, ist auch in str. 3 zu schreiben :
Vide, qui colis mutiere
religiönis gloriam.
Dei in z. 1 ist als prolepsis aus z. 3 zu erklaren , wo das wort
allein hingehört.
S. 5: vi 5,6 ersetzt Seh. das hsl. in cqlesti gaudia durch
Colestid nos gaudia, widerum gegen die analogie der übrigen
Strophen, in denen überall z. 3 und 6 aus 4 tacten ohne vor-
schlagsilbe besteht, wie, wenn in der vorläge unsers Schreibers
die scheinbare präposition in über dem cqlesti (cqlesta) oder am
rande gestanden hätte, sodass wir cqlestina gaudia lesen könnten?
S. 14: xvii 1,5 — 6
hs. custodes sunt raptores; Seh. custodes sunt raptores
atque lupi raptores, 'et' lupi 'praedatores' .
wie in z. 5 so erwartet man auch z. 6 einen gegensatz, und
welcher läge da näher als der zwischen wollen und — hirtenl
s. 21: xx 3,5— 6 findet sich auch würklich : pastor cedit, lupus
redit; vgl. auch Flacius s. 397: nonne pastor ovium lupus vult vo-
cari? ('ex antiquo codice'). es ist also zu lesen:
custodes sunt raptores,
atque lupi pastores.
S. 14: xvii 3,6 schreibt Seh. mit der hs. sie offers sacra-
mentum; wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, ist sie off'er
sacramentum zu lesen, denn nur an diesen imperativ schliefseu
sich die folgenden imperative natürlich au.
S. 18: xviu 18,5 hs. lunc secuti viatores; Seh. tunc 'nudati'
viatores. ich lese tunc seenri viatores mit rücksicht auf die worte
bei Fl. s. 413: Tunc securtis fit viator, quin nudtis. schwieriger
zu entscheiden ist es, ob man in demselben gedieht str. 15,4
338 ZUM TEXT DER CARM1NA BURANA
statt des hsl. lata cute mit Fl. lesen will: Iota cute; dafür scheint
folgende andre stelle bei Fl. s. 353 zu sprechen:
cute clara vesteque mtinda
Splendidus incedit, calida bene lotus ab unda.
S. 26: xxm 5,15. der wegfall eines tibi, das Seh. ergänzt,
lässt sich vor ubi leicht erklären; dass es würklich hierher und
nicht vor sanciatur gehört, zeigt der bau der übrigen Strophen,
wo nirgends drei, sondern stets zwei viermal gehobene verse
zwischen die gereimten zweisilbler eingeschoben sind.
S. 33: xxviii 2,8. das vereinzelte dies nach der langen paren-
these ist ganz unwahrscheinlich in einer Strophe von solcher
einfachheit der darstellung, wo eine tatsache an die andere ge-
reiht wird; man tilge Schmellers komma und lese: dient colamus
igitur.
S. 41 : nr lxxi. schon ThWright und nach ihm JGrimm haben
auf die ähnlichkeit aufmerksam gemacht, die zwischen dem an-
fange dieses gedichts und einer Strophe des Walther Mapes (bei
Fl. s. 151) besteht, auch die hinweisung am Schlüsse des ge-
dichtes auf den pontifex futurus, der sich im gegensatz zu dem
jetzigen clerus als freigebig auro et peeunia erweisen soll, kehrt
bei WMapes 4 Strophen später mit den Worten wider: Quisquis
eris pontifex usw. wichtiger war es mir, verwandtes zwischen
zwei anderen gedienten Walthers und dem unsrigen zu erkennen,
der gleichklang folgender verse könnte zwar auch zufällig sein:
iuvenantur corda senum (7,3 unseres gedichtes) und: In senili
corpore sordes iuveneseunt ('Sermo Goliae ad praelatos', Fl. s. 152);
gewis nicht zufällig ist folgende Übereinstimmung:
str. 3,5—8 veneunt altaria,
venu eucharistia,
cum sit nugatoria
gratia venalis
str. 4,1 — 4 Donum dei non donatur,
nisi gratis conferatur,
quod qui vendit vel mercatur,
lepra Syri vulneratur.
vgl. dazu Golias ad Christi sacerdotes (Fl. s. 154) str. 1 1 und 12, 1—2
Spectat ad officium vestrae dignitatis,
Gratiae petentibus dare dona gratis:
Quae si contra fidei regulam vendatis,
ZUM TEXT DER CARM1NA BURANA 339
Vos lepram miseriae ferre sentiatis
Gratis Eucharistiam plebi ministrate
Et gratis conficite, gratis consecratel
conferre in der bedeutung 'angedeihen lassen, zuwenden' ist
zwar nicht ungewöhnlich; w-ird man aber nicht gut tun, con-
feratur nun durch das viel näher liegende consecratur zu ersetzen?
endlich vgl. noch zu 6,7 — 8 den vers bei Flacius s. 116: Fallit mim
Vitium specie virtutis, der übrigens auch carm. Bur. s. 3: na 4
in gestalt eines hexameters mit dem zusatz in umbra am schluss
widerkehrt, wo natürlich ebenfalls specie statt speciem zu lesen ist.
S. 58: cl 9,3 — 4 Schmeller (wie die hs.):
atque Lavinie
thalamus sequitur.
es liegt kein grund vor, um des nom. thalamus willen sequi hier
als passiv aufzulassen, man ersetze ihn durch thalamos mit be-
ziehung auf die parallele s. 59: cli 6,2: et thalamos LavinU;
Troianus hospes sequitur.
S. 73: clxxxviii 4:
hs. : quas si transgredior, male de monitore mereris
Seh. : quas si ' tr ansgr edier is', male de monitore mereris
lies: quas si transgrederis, male de monitore mereris
dass der schlechte reim transgrederis und mereris nicht stutzig
machen darf, zeigen andere leonine desselben gedichtes wie:
9: Postquam dormieris, sit mos tuus, ut mediteris
10: Qnec meditatus eris, tabulis dare ne pigriteris.
S. 87: ecu 20,6 hs.: tunc habent planet q ; Seh.: tum 'latent'
planet? ; zu lesen ist wol: tunc hebent planet], vgl. unten 20,20
in planeta quolibet splendor hebetatur und s. 204: 131, 1,1 Hebet
sidus usw.
S. 87: ecu 21,5. das hsl. noturum, das ebenso wie das da-
für von Seh. eingesetzte secretum den vers mit einem auftact
belastet, wird aus einem novum der vorläge entstellt sein.
S. 119: 35,4. Schmeller schreibt die Strophe:
Cuncta sprevi virginum
ego tripudia,
te volens mihi iungere,
modo 'nori diludiaveris
inique gratiam;
sed iam alterius
340 ZUM TEXT DER CARMINA DURANA
captas benevolentiam,
quo nil deterius.
diese von der dritten bis zur fünften zeile ziemlich verdorbene
Strophe einzurichten, wird es des Scharfsinns eines erfahrenen
textkritikers bedürfen; ich glaube nur soviel zu sehen, dass Schmel-
lers zusatz non zu streichen und diludiaveris in zwei Wörter zu
zerlegen ist, und zwar so, dass diludia (als reim auf tripudia)
den schluss des vierten und veris (velis?) den anfang des fol-
genden verses bildet, dann würde wenigstens die äufsere form
der Strophe richtig sein, was den sinn betrifft, so scheint mir
Seh. zu irren, wenn er bei einem diludiare an Hindere denkt;
diludium ist aufschub (vgl. Hör. epist. i 19, 47) und unserer ver-
dorbenen stelle sinnverwandt wol die zeile: parce nunc in hora
(s. 146: 52, 6,6).
S. 122: 36, 11,1 — 2 Apollo mire vinetus est
Peneide respeeta.
eine Peneis kennt weder die griechische noch die römische my-
thologie; es ist wol zu lesen Perseide. Perseis (Perse), eine
tochter des Okeanos, war von Helios die mutter des Aeetes, der
Kirke und der Pasiphae, der gemahlin des Minos.
S. 127: 38,8. die am fufse der seite stehnden verse, die
Seh. im anhang mitteilt,
Nisi (hs. nij) fngias tactus,
vix evitabitur actus
sind zwischen v. 3 und 4 einzuschieben, wodurch die Strophe
elfzeilig wie str. 5 und 6 wird. z. 3 ist resero vor seris zu setzen.
S. 140: 49. in den Schlusszeilen von str. 21 sind 3 silben
ausgefallen, wodurch sich Seh. veranlasst gesehen hat, die Strophe
— gegenüber 21 achtzeiligen — als eine siebenzeilige zu schreiben ;
die nächstliegende ergänzung ist vielleicht diese:
nummis, atque sie 'ego'
sum 'nunc' allevatus.
S. 142: 50,10,5. die lesart der hs. nam quondam didici
ist um eine silbe zu kurz, Schmellers einfügung von ego zwi-
schen nam und quondam überlädt aber die zeile um eine silbe;
schon aus graphischen gründen scheint mir namque statt nam
die einfachste besserung zu sein.
S. 147: 54, 3,5 ist natürlich nicht obruens, sondern obruerat,
zu lesen; so verlangen es der reim und die satzconstruetion.
ZUM TEXT DEK CARMINA BÜRANA 341
S. 185: 108,3,2. iu fler hs. fehlt das verbum, Schmeller
ergänzt 'nitet' tern; facies, besser liest man wol ridet, vgl. s. 148:
55,4,1 ridet terre, facies; s. 1S4: ll)7, 1,3 terrr ridet facies;
s. 189: 114,1,4 — 6 florum data mundo grata rident facie.
S. 249 anm. morte ist in sorte zu ändern, eine besserung,
die Seh. selbst oben 3, 4 vorgenommen hat.
Nach diesen vorschlagen für den text der carmina Burana
mögen mir zu dem inhalt einiger unserer lieder nur noch wenige
bemerkungen erlaubt sein, die vielleicht auch ein geringes zur
feststellung des textes beitragen werden.
S. 3: ii a, 2 kehrt wider s. 169 als 82 a.
S. 23 zu xxi a, 15 und 16 vgl. die verse, die Flacius s. 418
'ex veteri quodam miscellaneorum libro' mitteilt:
Roma manus rodit, nil dantem crimine prodit
Curia Romana quasi febris cotidiana
Clerum corrodit, corrosum spernit et odit.
S. 44: Lxxiua 33 hs. Nummus honoratur sine nummo nullus
amatur. Schmeller interpungiert falsch, indem er das beide verba
trennende komma nach nummo setzt, und sieht sich nun ge-
nötigt, statt Nummus im eingang Nullus zu lesen, dass diese
änderung überflüssig ist, wenn man sine nummo zum zweiten
verbum zieht, leuchtet sofort ein.
S. 56: mit nr cxlix beginnen die gediente von Aeneas und
Dido, die iu zweiter linie auch den inhalt der Uias in ihre dar-
stellung hereinziehen, zum teil sind sie blol'se auszüge aus der
Aeneide, aus der ganze Satzteile wörtlich widerkehren, zu ge-
schweigen von einzelnen begriffen, wie wenn statt Troianos die
epische form Troas gebraucht oder Aeneas einfach als dux be-
zeichnet wird, zu cxlix 2,7 — 8 vgl. Aen. i 588 — 591. die worte
actos per maria (str. 2, l) finden sich Aen. i 32. slr. 4 und 5
geben den anfang des 4 buches wider (etwa v. 11 — 29), str. 6
eine Zusammenfassung der worte Annas (v. 31 — 49). 5,5 beruht
jedesfalls auf Aen. iv 19:
huic uni forum potui suecumbere eulpae.
also ist das hsl. ludere nicht in iungere, sondern eher in subdere
zu bessern und eulpt;, das Seh. ganz streicht, zu erhalten, der
ausruf: o amor improbe (s. 57: cl 4,1), abrumpere in der be-
deutung 'töten' sind vergilisch; nicht minder j,relm .ml die Aeneide
zurück die sütze: Iam volant carbasa aura ßnitima und Hqu vo-
342 ZUM TEXT DER CARMINA RURANA
laut, heu volant, tarn volant carbasa (vgl. Aen. iv 417: vocat tarn
carbasus auras; las der deutsche dichter hier volat — auris?).
zu cli 2 vgl. Aen. i 29 (iactatos aequore) und in 197 (iactamur
dispersi), zu derselben Strophe z. 4 Aen. i 200 (rabiem Scylleam)
und m 618 — 632 (wo dreimal sanies von Polyphem gebraucht
wird), str. 8 deserta siti regio ist wörtlich aus Aen. iv 42 ent-
nommen und str. 13, t beruht auf Aen. iv 52.
S. 74: cxciv. die ersten 4 Strophen kehren in dem gedichte
wider, das Grimm aao. an vierter stelle abdruckt; nach diesem
ist 3,4 und 4,5—8 zu bessern. 9,2 hat der Schreiber der hs.
da, wo das verbum hingehört, eine lücke gelassen, die eine hand
des 14 jhs. durch die form mutata ausgefüllt hat. von viel
früherer hand aber findet sich am rande forma geschrieben, das
zu formata zu ergänzen und für mutata in den text zu setzen
ist, zumal da mutata als reim z. 6 widerkehrt, dass man an
der widerholung in formas formare keinen anstofs zu nehmen
braucht, zeigt cxcix 1 : Mundus est in varium saepe variatus. über
die Thais dieses zuletzt citierten Streitgedichtes gegen den geizigen
clerus vgl. die kleine von Leyser veröffentlichte hs. 'De sancta
Thaide.'
S. 105: ccui 8. diese worte der Maria sind zweimal in der
hs. überliefert, und zwar mit einigen abweichungen, die Seh. nicht
gesehen zu haben scheint; leider hat er die schlechtere lesart
abgedruckt, auf fol. 55 steht nämlich (zu 8, 18) das richtige senex
statt felix, entsprechend ist für mentis (8,14) die lesart matris
einzusetzen.
Soviel über den lateinischen text. der deutsche teil hat
sich, sehe ich recht, bis auf eine stelle1 von fehlem, die den
sinn der worte ändern könnten, freigehalten; dafür hat aber
Schmeller die mittelhochdeutschen formen mit einer freiheit be-
handelt, die wol kaum mehr gebilligt werden kann, orthogra-
phische kleinigkeiten sind es zwar auch hier, wenn er noh statt
noch, ih statt ich (aber auch ich statt ih), sih statt sich, bin statt
pin, sie statt st, di statt die usw. schreibt; etwas anderes ist es
schon, wenn er für den hsl. richtigen nominativ diu den aecu-
sativ die einsetzt und den diphthong u bald mit ou, bald mit uo,
in den meisten fällen aber mit blofsem u widergibt. am meisten
ist die Orthographie der beiden nummern der hs. verändert, die
1 s. 216: 145, 1,3 hs. bürde; Seh. bunde.
ZUM TEXT DER CARMINA BURANA 343
etwas später eingetragen worden sind und in der tat schon ver-
änderte formen zeigen: das Passionsspiel und die Freidankischen
sprüche, denen Schmeller durch seine änderungen, die er übrigens
hier gar nicht als solche anmerkt, ein ganz anderes gepräge
aufgedrückt hat, als sie es nach der hs. tragen.
Also auch für diesen teil ist im falle einer neuen ausgäbe
der Sammlung eine gründliche vergleichung mit der hs. geboten;
der bei Köbner in Breslau erschienene abdruck ist ja nur eine
genaue widergabe von Schmellers arbeit.
Leipzig im herbst 1890. R. WUSTMANN.
ALTDEUTSCHE BRUCHSTÜCKE
AUS POLNISCHEN BIBLIOTHEKEN IL
Schon vor einiger zeit machte mich herr director dr WvKv-
trzynski aufmerksam , er erinnere sich, in der bibliothek des hiesigen
dominicanerklosters bruchstücke in deutscher spräche gesehen zu
haben, ich ersuchte nun in diesem sommer den herrn pater prior
Kundrat um die erlaubnis , die bibliothek durchsuchen zu dürfen,
was mir nicht nur in der liebenswürdigsten weise bewilligt, son-
dern in jeder hinsieht erleichtert wurde, ich spreche dafür dem
herrn prior Kundrat, dem herrn pater bibliothekar CMasny, sowie
den anderen herren des klosters, welche mir freundliche handgriffe
leisteten, auch öffentlich meinen besten dank aus.
Leider steht die ausbeute nicht ganz im Verhältnisse zu der
aufgewandten zeit und mühe, denn ich fand viel weniger, als ich
erwartet hatte; immerhin aber verließ ich die bibliothek nicht mit
leeren händen. sie ist sehr reich an schön erhaltenen incunabeln
und drucken des 16 jhs., deren einbände jedoch zum teil nur mehr
die nackten holzdeckel zeigen und daher die Vermutung nahe legen,
dass sie ihrer pergamentbekleidung schon verlustig gegangen seien,
davon, ob und wer die fragmente abgelöst haben könnte, wurde
mir nichts bekannt, was ich auffand, hat zur falze und zur
rückenverkleidung gedient, ist daher sehr verschieden in der er-
hallung, alle fragmente sind von mir sorgfältig herausgelöst, be-
stimmt und nun wolgeordnet dem pater bibliothekar übergeben worden,
welcher versprach, sie gesammelt aufzubewahren, da kaum tu aller-
nächster zeit ein fachgenosse diese privatbibliothek zu besuchen in
344 ALTDEUTSCHE BRUCHSTÜCKE
der läge sein wird, glaubte ich mich verpflichtet, die reste trotz
ihrer geringfügigkeit durch den druck wenigstens der litter arischen
benntzung erhalten zu dürfen, was ich sonst noch ablöste, Ur-
kunden usw., wird von anderer, berufenerer seite verwertet werden.
Interessant wäre die frage, auf welchem wege und wann die
bände hierher nach Lemberg verschlagen wurden, darüber fehlt aber
jede auskunft. meiner meinung sind die bücher zumeist nicht hier
gebunden worden, natürlich mit ausnähme jener, welche polnische
Urkunden zu buchbinderzwecken benutzten, die frage hätte wenig-
stens in dem einen falle vielleicht allgemeinere bedeutung: unter
den fragmenten befindet sich ein stück des Sachsenspiegels, es wäre
daher wichtig zu wissen, ob die hs. dieses rechtsbuches hier in
Galizien vom buchbinder zerschnitten worden sei, oder in Strafs-
burg, wo das werk, von dem ich das bruchstück ablöste, gedruckt
wurde, mir ist es hier am ort und bei meinen beschränkten hülfs-
mitteln unmöglich, hiefür gewisheit zu schaffen, nur muss erwähnt
werden, dass sehr viele bücher grofse ähnlichkeif des einbandes
zeigen, was aber kaum genügt, um die frage zu entscheiden.
Wichtig wäre ein guter katalog der vorhandenen drucke, weil
die bibliothek an classikerausgaben udgl. in Wiegendrucken vieles
enthält, was als selten bezeichnet werden imiss.
Unter den hss., welche die bibliothek besitzt — das archiv
habe ich diesmal nicht gesehen — wiegen lat. predigtsammlungen
des 15 jhs. und andere geistliche Schriften vor, so Libellus de ho-
nestate, Speculum peccaloi um, Manuale Sancti Augustini, De arte
bene moriendi tractatus. in einem sammelbande findet sich die
Visio Tundali, welche datiert ist: Explicit visio Tundali, anno
diu m°cccc°xxx q'into. sc'pta p Johanne et <p iohäne eode d'Char-
mantovv. in Sandomiria ad scm paulü. über sie behalte ich mir
spätere mitteilungen vor.
Hoffentlich wird man es mir nicht verübeln, dass ich nur das
rohe material gebe, die hiesigen bibliotheken bieten gar keine mög-
lichkeit, weitere forschungen anzustellen, es fehlt alle einschlägige
litteratur so vollständig, dass ich auf das angewiesen bin, was ich
selbst besitze, man kann sich keinen begriff machen, wie hier in
Lemberg die arbeit des germanisten in jeder hinsieht erschwert ist.
ich muss dies betonen, weil ich nur ungerne halbfertiges vorlege,
eine gewisse beruhigung gewährte mir übrigens Schönbach, gegen-
wärtig der genaueste kenner der deutschen predigt; ich legte ihm
AUS POLNISCHEN BIBLIOTHEKEN II 345
eine abschliß der prosaischen fragmente vor ; er loar so freundlich
sie zu prüfen, ohne jedoch ihre Zugehörigkeit bestimmen zu können,
doch schienen auch ihm die stücke den druck zu verdienen.
Ich habe die aussieht, meine Mitteilungen fortsetzen zti können,
da sich mir noch andere bibliotheken erschliefsen dürften, es muss
selbstverständlich unser bestreben sein, den bestand an hsl. material
so weit als möglich zu überblicken, erst wenn unsere handschriften-
kunde durch eine umfassende fundstatistik über alle fragmente, vor
allem poetischer werke, ergänzt sein wird, kann die litter atur-
geschichte an die erledigung von aufgaben denken, wie sie KBurdach
im Centralbl. f. bibliothekswesen 5, 131 ff und ich in Schnorrs
archiv 15, 3*25 /f, bes. 328 hingestellt haben, für die geschichte
der litterarischen interessen, der man neben der geschichte der lit-
terarischen produetion seither viel zu wenig beachtung geschenkt
hat, sind nicht nur alter und herkunft der handschriften, sondern
auch die fundumstände der einzelnen bruchstücke von interesse:
wann hat man allgemeiner begonnen mhd. hss. zu zerschneiden'?
welche gründe würken bei dieser teilweisen Vernichtung der alten
litteraturschätze mit ? hier wird weit feindliche richtung derer, denen
die aufbeicahrung oblag, dort das aufkommen und überwiegen ge-
lehrter humanistischer interessen entschieden haben; vielfach wird
das schwinden des sprachlichen Verständnisses mit im spiele sein,
aber die notwendige grundlage solcher Untersuchungen ist der voll-
ständige überblick über die hsl. fragmente — und darum möge
man sich auch den abdruck einzelner fetzen gefallen lassen, deren
hier im fernen osten doch ein immerhin unsicheres loos harrt.
Lemberg im sommer 1890. B. M. WEBNEB.
I. WOLFRAMS WILLEHALM.
Als falze von Pelbarts Stellarium coroue henetlicte virginis
Marie, Hagenau 1501, sumpl. Joh. Byiiman impr. Hein*. Gran
(Gräfse Tresor v 187. vi 1, 491) dienten zwei streifchen 22,5 cm.
hoch, 2,7 und 3,1 cm. breit, sie entstammen einer hs. von Wolframs
Willehalm aus dem ende des l'Sjhs.; sie war zweispaltig geschrieben,
die anfangsbuchstaben aller zeilen sind herausgerückt und rot durch-
strichen, die einfachen initialen rot. beide streifen gehören einem
blatte an, der schnitt geht gerade zwischen den beiden spalten
hinab; sie enthalten von den vv. 340, 27 — 345,24 nur die enden
beziehungsxoeise die anfange.
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII.
346
ALTDEUTSCHE BRUCHSTECKE
Vorderseite
t gevalt
gezalt
ven mach
e dot gelach
341,1 eile
eile
len mane
01 din vane
5 sin
er manhait diu
rvnder nim
m
10 nde
er dän im
pin iamerich
2 son erslagen
nnet er klagen
15 m vane din
esin
: atris
genigen pris
pern
20 wt tioste gern
c ein wip
ie den lip
aude zekanach
schach
25 :
alimon
nige her
ch dir zewer
nen striten
her riten
342, 1 sere
ere
340,27—343,10
d ie vinde vo
v nt daz an si
M in fünf lan
s in zedienst
D ie warn \v
T erramer sp
G edench hei
Z er vnverzag
L a dir hivt w
D az dich min
A ls si ir vn
D in milt vn
V nt diu ritte
V nt dinen 11
d en mocht ein
1 mmer gerne
D iv sich vviph
D im richeit
W eer rechtevv
N v soltv man
D v vnt Eme
S vvederhalp d
D az wirt au
N ach dinem v
D ins vater el
S o bistu in al
b ewart vor h
D er maulich
t ibalt der ar
S prach herre
D och hat div
V on mir nv la
H et ich prise
I r gäbet mir
D iv gäbe al m
V nt minem ho
L) a man mich
20
343, 1
AUS POLNISCHEN BIBLIOTHEKEN II
347
20
25
344,1
15
Das
breit
eleit
esendet
hendet
z
iz
der varn
nder scharn
ovften strite
der site [kis
dvrch de mar
is
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ne
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in gewin
ie
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r howetmä
ob ich chan
im seh vi'
r rvf
tampaste
Sissabre
sura
alda
lt wol tvn
zovvir
e
ovften we
c Arfficlant
fragment zeigt
20
25
folgende stellen beweisen.
rückseite 343, 11—345, 24
V nt des brvder
A vch bi sinagvn
D ie wol mit den
I n Sinagvns p
F vr her des kv
V on ingalie des
E lli oren nie geh
D az er begienge
D er wibe Ion i
V ntz an sinen r
D er minne er sich
T erramer von 345, 1
s prach die zeh
ir sult hawen d
N emt mins vnv
D az ich in iwsu 5
D 0 man mir p
I r sit kvnige v
I glichem svnd
V il chunige die
D az si chron von 10
G eu den getov
S vit ir vnsern
M it sigenvf'te b
1 r svlt oveh bi i
I we:: vetern li 15
D az: :: von Samir
D ie l'ursten gar
A rolTel hat si d
V il ritterlich g
D es ir pris wart 20
A n des ringe
G edeochet hiv
1 we: iegliclic
V ntz er den lip
übereinsliinmuiHj mit den hss. lt, was
es liest 342, .">/ ähnlich wie lt, wenn
348 ALTDEUTSCHE BRUCHSTÜCKE
auch nicht gleich; 342, 19 fehlt und wie Inopt; 343, 5 erinnert
von mir ov la[nge] an Imnt; 344, 3 r howetman deutet darauf
hin, dass die reihenfolge was der dritten schar houbetman wie in
lt. gewählt war; 344, 23 daz er ie begienge lesen lopt; 344,27
bis 30 fehlen It wie unserem fragmente ; 345, 8 fehlt Jwer It ;
345, 17 hat l nur breiten; 345, 17 fehlt und lopt; 345,22 nu
fehlt lopt; gedenket lesen Ipt. gegenüber dieser Verwandtschaft mit
It zeigt unser fragment ein paarmal Übereinstimmung mit anderen
hss., so 341,12 iamerich = m; 341,14 [beginnet ev = Kmt;
341,23 [l]andeze kanach = [K]lmn; 342,20 erinnert anK; 345, 10
fehlt ir wie in Kmn; 345, 20 des = opt. fehler von It teilt unser
fragment nicht 341, 27. 29 und 342, 14. trotzdem bleibt es dabei,
dass die hs. It am nächsten gestanden hat.
Da unsere hs. die Unten nicht vorzeichnete , erklärt sich die
Verschiedenheit der Zeilenzahl auf beiden Seiten.
II. SACHSENSPIEGEL.
Von einem quartbande enthaltend Sequentiarum luculenta inter-
pretatio nedü scholasticis : sed et ecclesiasticis cognitu necessaria:
p. Joan.adelphüphysicüArgetin collecta annodüiM.D.xix. MwdHymni
de tempore et de sanctis: in eä" forma qua a suis autoribus scripti
sunt denuo redacti: et secundum legem carminis diligeter emeu-
dati atque interpretati anno dni MDxix, drucke von Johannes
Knoblauch in Strafsburg, habe ich zwei streifen etwa 20 cm breit
und ungefähr 6 (resp. 5,5) cm hoch abgelöst, welche einer pracht-
vollen handschrift aus dem anfange des 14 jhs. angehörten; sie
waren auf der innenseite zur befestigung der heftschnur aufgeklebt,
die beiden streifen gehören demselben Matt an und bildeten den
oberen und mittleren teil einer kleinfoliohs. der linke rand ist bis
auf 0,5 resp. 1 cm abgeschnitten, vom rechten sind 4, 5 resp. 4 cm
erhalten, die große deutliche schrift steht auf vorgezogenen tinten-
linien, bietet zwei spalten auf der seite und zeigt rote initialen
und rote Überschriften, das blatt trägt in der mitte oben die be-
zeichnung vi. da es nun vom Sachsenspiegel i 22 § 1 — 24 § 4
enthält und für etwa 6 zeilen der zweiten Homeyerschen ausgäbe
durchschnittlich 13 zeilen braucht, zwischen den spalten aber un-
gefähr je 10 zeilen Ho mey er s fehlen, so muss die spalte 35 zeilen
enthalten haben, das gäbe als format der hs. 26 cm x 23 cm. es
müsten nach dieser berechnung, wenn unser blatt das sechste ioar,
ALS POLNISCHEN BIBLIOTHEKEN II
349
700 Zeilen vorausgegangen sein; Homeyers text bietet 378 oder
(vom cursivgedruckten abgesehen) 21 1 druckzeilen, das icären 950
oder 515 Zeilen unserer hs. rechnen wir noch den gereimten prolog
hinzu , dann scheint die Übereinstimmung mit Homeyers antiqua-
text ziemlich vollständig, dann bekämen wir gerade 700 zeilen (der
prolog zählt 184 verse).
Der text unserer hs. ist ein sehr guter und ursprünglicher,
die spräche hat mitteldeutschen character.
VI
[22,1 in getrifet. Mit sime ra
te sol ovch di vrowe di
graft vnd drizzegisten
tvn. Anders sal er nicht
Gewalt han an dem gu
te biz an den drizigesteu.
Uon waz mä gehle sulle
dem erbe nach def manef tode
sai man aller erst gelde
dem ingesinde ir vordinet
Ion. als in gebnret biz
an den tac. daz ir herre
starp. vnd man sal si hal
spise di nach dem drizzi
gestern über bleip. in igli
chem houe ires mannes
So sal di vrowe zv herwe
te ires mannes swert ge
ben vnd daz beste vrs
oder pfert gesatelet. vnd
daz beste harnasch daz er
hatte, zv eines mannes li
be do er starb binnen sineu
weren. Dar nach sal si ge
ben einen herpfnl daz ist
ein bette vnd ein küssen
rückseite
5 zv eime herwete geborn sin
der eldiste nimt daz swert
zv vorne. Daz ander teilen si
23, 1 glich vnder sich. Svva di kin
der binnen iren iaren sin.
ir eldeste swertmage nimt
daz herwete alleine, vnd
ist der kinder vormunt dar
an. biz daz si zu ir iaren ko
men. so sal erz in wider gebe
2 Er ist ovch der witwG vormü
: :: d:z si man nimt von
24, 1 Nach dem herwete
de dinc daz darzv höret
aleine nene ich svnderliche
nicht als bürsten vnd
scheren vnd spiegele
alle lachen vngesniten.
zv vrowen cleider. Noch
golt. noch silber vngewor
cht. daz gehört den vrowe
nicht zu. Swaz so hoben
ditz benvmede dinc ist.
daz boret allez zv dem erbe.
Swaz so dar vzen si : :
in des mannes libe. daz
350
ALTDEUTSCHE BRUCHSTÜCKE
III. PREDIGTBRUCHSTUCK?
Dem foliobande Practica valesci de Tharäta, titel ganz wie bei
Hain nr 15252, am Schlüsse 'Impressum Venetijs per Joaunein
et Georgia de Gregorijs patres. Anno domini M.ccccc. die xvij. feb',
entstammen drei streifen, zwei querstreifen und ein Meiner längsstreifen ,
die zusammengehören, die breite des doppelblattes beträgt 24 cm, die
streifen sind 3 und 3, 5 cm hoch, der längsstreifen, 1, 7 cm hoch
und 3 cm breit, stammt vom unteren ende des Mattes, die Zeilen
sind mit tinte vorgezogen, die 1 sind lichtblau, der schrift nach
gehörte die hs. dem 14 jh. an. auf der seite steht 17 zeilen,
die hs. besass eine grö/'se von 14 X 12 cm.
Vorderseite
[4]
heisen trän göysit Doch xpo. vnd
owe ist ds menz6 n*vil cluk zo uul
lin im zyne burne. di vnreinen
palistini. dz ist irdizche ere. vnd
wollust vn obsege uotdorft di mä
che en alliz trüge, dz en ds owgen
burne zulde erin edelin vluz ge-
bin. S Worüe ist dz. do ist hsn*
I dsczel
gotlichs gotl gehorzams. di en dz
[1]
owch wi we ms zülle gesehen. S Do
hszich zins vvillin alzo genczlich
abe getet. do nam hs uf zieh den
slussil des heilige cröyciz vn gik
hen czum erste yndi czelle des ge
horzäis *\ Do hs dryn qwü vnd
zieh drynge begunde mit de vn
gemache. Daz vnz lange gehindst
hatte, zet do geschach im zesvve.
az hs mit zul
lez ertryc. w
: do qwam :
*T Alz hs zelb sp
: inuaret ^ E
röyen do ro
vngemach:
olde uf daz.
[2]
wir mit gutim rowine dorinne
mochte wone 1 Di czelle waz
im czü
ersten alz enge wo hs zieh hen bot
do stach ds tot mit vngemache uf
en^Mit denvüsin trat hs yndi seh
rück seite
einteil hoei
[3]
vn begsn dene des
hemil
ryches m* iamsnege hscze vn mit
nasse
owgen mtvilgebetiz m*. weynevd
m* kirchgange *\ Js ist gut bestet iz
also T
Idoch
wz lyplich mit
etlichen
zachin czu trilit
dz tritovchlyp"
lieh ;ibe
mit ds zelbin zache, vud
do von
ist dz i
prichwort come.
q Do
ds toyui
genas
do wft hs alz
hs e waz.
am Rande neben der vorletzten
Zeile :
No"
AUS POLNISCHEN BIBLIOTHEKEN II 351
arfin nagele mit dem edele
howpte drank hs yn mauchin
spieze dorniz stift ds im zse vsre T
zvn howpt gink <\ Den müt stis
yn di galle . d
er 1 Eya wor :
z dir dz lert
: gehorzäis :
bin muts ha
din 1 Symeo
n durch ere
: üste ze vn :
Der obige abdruck gibt gewis kein völlig zutreffendes bild; ich
glaube aber, die reihenfolge der seiten ist durch die von mir darüber-
gesetzten zahlen richtig gedeutet, darnach bildete das Matt, von
dem sich ein streifchen mehr erhalten hat, den anfang, das andere
folgte; ob und wie viele Matter dazwischen fehlen, vermag ich
nicht festzustellen, auch nicht, ob ich die richtige Überschrift ge-
wählt habe. Schönbach bemerkt: 'zu der älteren gattung 'predigten
gehört das stück jedenfalls nicht, auch nicht zu Grieshaber'. viel-
leicht gehört es einem traetat an?
Die lautverhältnisse des denkmals weisen nach dem mittel-
deutschen Sprachgebiet: nur i und u, kein ie und uo; e statt i,
o statt u (ü) in Stammsilben: hemil, erin, hen — notdori't, ober-
egen; aus fall des intervocalischen h: trän, gesehen, zel; metathese
des r in burne. durch das merkwürdige öy für altes in in göysit,
cröyciz, toyuil wird die heimatsbestimmung auf diejenigen ost-
mitteldeutschen gegenden eingeschränkt, welche dem bairisch-öster-
reichischen Sprachgebiet benachbart sind, und damit stimmt recht
wol der in der Schreibung der Zischlaute deutlich zu tage tretende
slavische einfluss: Schreibungen icie zo, zulde, zyne, gehorzam
kommen dabei weniger in betracht als menz6 (mensche), irdizehe,
die in Binnendeutschland xool unerhört sind.
IV. EINE MD. EVANGELIENHAKUOMK/
Drei streifen verschiedener erhaltung fanden sich in einem
Vocabularius de partibus indeclinabilibus in 4°, s. I. et a., vielleicht
dem von Panzer Ann. typ. iv 211 (1301) verzeichneten.
352 ALTDEUTSCHE BRUCHSTÜCKE
Die streifen gehören zu einer hs. aus dem ende des 14 oder
dem anfange des 15 jhs. die zeilen sind mit tinte vorgezogen,
die initialen rot, die anfangsbuchstaben der sätze rot durchstrichen,
wenigstens zwei streifen entstammen einem doppelblatte, wenn dies
auch nur aus dem inhalte hervorgeht, nicht aus dem aussehen der
fragmente; diese bestehn nämlich 1) aus einem längsstreifen von
19 cm höhe und durchschnittlich 6 cm breite; doch ist gerade der
obere teil nicht geschnitten sondern gerisse7i, und so kann man die
Schnittflächen nicht aneinander halten, von diesem längsstreifen
enthält die Vorderseite nur die zeilenenden, die rückseite die zeilen-
anfänge einer spalte, der untere rand fehlt, so dass wir nicht die
ganze höhe des Mattes kennen. 2) aus einem querstreifen, 20 cm
breit, 6 cm hoch, einem doppelblatte mit je zwei spalten auf der
seite entstammend; es sind erhalten auf beiden seiten bei ganz
aufgeschlagenem doppelbl. die enden der au/sen-, die zwei innen-,
die anfange der aufsenspalte; nun tragen die zeilen rechts die rote
Überschrift auf der Vorderseite . lxxxn . , auf der rückseite einge-
rahmt | ixxui. |; dies rnuss aber ein irrtum sein, denn wir haben
jedesfalls die unmittelbar aufeinanderfolgenden Seiten 82 und 83
oder 72 und 73 vor uns, das heifst das innenblatt einer läge,
endlich 3) aus einem längsstreifen von 7,5 cm höhe und 3 cm
breite, welcher als rückenfalze diente und daher nur noch teilweise
mit hilfe von reagens und Spiegel zu entziffern war; dieser streifen
zeigt weder oberen noch unteren rand, die Vorderseite enthält
das zeilenende, die rückseite den Zeilenanfang, ob dieser streifen
zu demselben doppelbl. gehörte, bleibt zweifelhaft.
Nehmen wir an, dass der untere rand etwas gröfser als der
obere war, welcher 1,5 cm einnimmt, dann erhalten wir eine hs.
von etwa 21 cm höhe und etwa 16 cm breite, die spalten sind
nicht ganz 5 cm breit, von längslinien eingerahmt, für welche oben
ebenso wie für die zeilen am rande die entfernungen mit dem
zirkel vorgestochen sind, auf der spalte stehn 27 zeilen und die
rote Seitenbezeichnung.
Ich habe, soweit es mir möglich war, die behandelten bibel-
verse neben dem texte bemerkt; zweifelhaftes ist mit fragezeichen
versehen, dass toir es mit einer in Mitteldeutschland aufgezeich-
neten evangelienharmonie zu tun haben, beweist das i der flexions-
silben, monophthong für diphthong zb. uch für iuch, ginc für
gienc, e für i im pronom., en für in und ähnliches.
AUS POLNISCHEM BIBLIOTHEKEN II
353
. lxxxn .
[Matth. 22, 7] vü vsbrante ire stat kome :
: ny hus
[22, 8] Do sprach ds konin k vol w :
Ich sage
czu sinen knechten uch ab
or wore
dibrutlouft ist gereit Das
ant von
abir di geladene wo 5 den d :
ade wore
ren nicht wirdic czu gespr
en sal von
: ene mach
age di knech
di wege vn
10
en alle di se
: böse vnde
: wart di brut
rvullit 7n ds
ginc vü czu
15
e di essende
do einen me
r hatte nicht
eutcleit an
räch czu im.
20
wi bistu heryn
e so dri hoch
ewandis an
n ienir vsstü
Do sprach ds
25
czu den dine
indit im hen
vuse vn werfit
[22,13)
[22,14]
[22,15]
[22,10]
[22,11]
[rückseäe]
en I di v
stirn is
nüge vn
ge der cz
vil sint g
wenink v
Do di
pharise
gehorten do
se I irme rot
de vin
sin wei
schun
icene
•Mi vn
lt ma
dir nicht vn ihesus
woste ir schalkheit
vn antwste vü sp'ch
Iv ypocrite was vir
suchit ir mich U'isit
mir di muncze des :
12]
[22,13]
[22, IS]
[22, L9]
354 ALTDEUTSCHE BRÜCHSTÜCKE
mete se en v :
mohten ! si
[22,16] ten vn sant :
ire iügere m
dis leute di 15
Tfcfeistir wir w
das du worh
bist vn den w
tis I der wor
rist vn dz du 20
de vortreist v
du sihest nich
di psone der
[22,17] sage vns wa
kit dich Ist v 25
loubit czu g
czins deme k
[Zweite hälfte des doppelblattes]
| Ixxm |
[Luc. 14, 11] iadin sint Dene wer diu w [14,15]
sich hoet der wirtge ist seli :
nedirt vü wer sich ne essen 1:
dirt der wirt gehoet gotis
[14, 12] Do sprach Im. mar. 5 D o [14,16]
rftc czu deme der w
[rückseüe]
[Marc. 10, 17?] ait gro von des mescheson [Marc. 10,33]
: bende der sal gegebe wsde
czu ihü den vorsten ds pristes
er im vn den schribern vn
: grose 5 se sullen en geben de
hs was heiden vn her sal mit
\rückseite]
[Dritter streifen]
[Vorderseite]
: ::
he : he :
vsgifte
mars :
AUS POLNISCHEN BIBLIOTHEKEN 11 355
dz sal D : : p
adenen
1t 5
. te . . . sinen c
: esen dorf da
t siezen seman [Luc. 8,5??]
. . bro . . das bel-
aden 10 heisit de
n bobin ein gar
rte sens hs in mu
vri mit ren : :
4 — 6 lesung ist nicht ganz sicher. lb. 2b die fehlenden buch-
staben waren rot 12b die zwei fehlenden buchstaben rot.
V. PREDIGTBRUCHSTÜCKE.
Die nachfolgenden blätter entstammen den einbänden des
werkes: Bepertorium apostillarum vtriusq} testamenti domin i
Hugonis Cardinalis; die vorrede ist unterzeichnet Ex artaualle ultra
Basileanam birsam xvi. calend' novembris. M.D.m. Das werk be-
steht aus sechs foliobänden, auf deren rücken in streifen von 11,5 cm
breite und 4,5cm höhe die fragmente fest aufgeklebt waren; es
gelang nicht, sie ganz unbeschädigt abzulösen, überdies waren sie
vielfach dort, wo sie den rücken mit den deckein verbanden, schon
zerrissen, so dass eigentlich ein xoirrsal von nicht weniger als
14 ziemlich gleich grofsen und vielen kleineren streifchen vor-
lag, mit hilfe von reagens und zum teil durch den spiegel war
es aber möglich, das allermeiste zu entziffern, und aus der ver-
gleichnng des inhalts ergab sich, dass sämmtliche Stückchen zu einer
reihe von vier quartblättern gehören, welche einer md. prediglhs.
vom ende des 14 jhs. entstammen, die lesung wurde noch er-
schwert, weil an verschiedenen bänden unter unseren fragmenlen
andere mit lateinischem texte oder mit noten eines missales auf-
geklebt waren, so dass sich die buchstabenabdrücke vermischten, was
ich an text biete, ist als völlig gesichert anzusehen, zioeifelhaftes
ist im drucke hervorgehoben, der buchbinder hat die vier blätter
nach seinem bedürfnisse verschieden zerschnitten, zwei nur in
4 qnerstreifen , zwei so , dass er in der breite von 4, 5 cm den
unteren rand und einen teil des texles wegschnitt und das übrige
in je drei längsstreifen von derselben breite teilte; leider fanden
356 ALTDEUTSCHE BRUCHSTÜCKE
sich aber nur je zwei davon vor, denn auf dem zweiten und
sechsten bände hat er fragmente einer anderen lat. hs. verwertet,
die fragmente bringen wol zwei predigten1, eine passionspredigt
und eine kreuzpredigt, jene lasse ich vorangeht, diese folgen,
weil nach dem Schlüsse der kreuzpredigt der übrige teil des Mattes
unbeschrieben blieb, vielleicht bildete sie daher den schluss der
ganzen hs.
Diese hatte eine blatthöhe von etwa 16 und eine breite von
etwa 12 cm, war deutlich geschrieben und mit einem ziemlichen
druck, so dass vielfach, wo die tinte ganz verschwunden ist, der
eindruck in dem pergament die entzifferung ermöglichte, die linien
sind mit tinte vorgezeichnet, es stehn 22 Zeilen auf der seite. die
schrift ist schön, der abdruck wurde so eingerichtet, dass linien
die schnitte bezeichnen , während die bruchstellen nicht angegeben
werden; die Ordnung der Matter erfolgte nach dem Inhalte, man
wird sich an dem ergreifenden pathos besonders des Schlusses er-
freuen, für Petrus cardinalis verweist Schönbach auf S. Petrus
Damiani, dessen werke in Mignes Patrologie 144 und 145 stehn,
'aber nur die beiden sermones de exaltatione sanetae crucis 144,
761 — 777 scheinen die möglichkeit zu bieten, dass auf sie das
citat könnte zurückgeführt werden', unter dem Gebhardus ver-
mutet Schönbach den erzbischof von Salzburg 1060 — 1088, ohne
es beweisen zu können.
Auch diese fragmente werden durch die spräche nach Mittel-
deutschland und zwar nach dem osten verwiesen.
1 es wäre jedoch ganz gut möglich , dass alle vier bll. eine einzige
predigt enthalten, welche der passion folgend über das kreuz handelte.
Erstes Matt.
(streife?i 1: Tertia pars huius operis continens poslillam domini Hugonis
cardinalis; streifen'!: erster teil, nur mit dem gesamttitel bezeichnet;
streifen 3: Tertia pars.)
eder hoch czit was
mpil als got hatt
le iuden czu allin o
dem tempil JNu
oubt stat voller g
eiden dy lisman se
Ibir czu schandin
komen czu
e gebutin
stirn salden
was dy gewal
este iuden
hen den hsren
\ü dorüme
AUS POLNISCHEN BIBLIOTHEKEN 11
357
n dy. dy ynvurte
n Fnd dorüme d
nde woren gebun
Vü nymant ne
hette uf gehaldi
vallen vnd das
ng von herodes g
ndir dy vuzse da
dir vil so swerlich
ngin eyo ytil blut
misbte sich mit de
n nicht vahen
as dem hsren
den uf den
beo ym gink
u Wen her
gewant das
ebot das gink
s der hsre dicke
das her vndir
was. Das
m kote do her
[25]
130]
yn vil mit dem houbte vn wart der
mensche so yemirlich gestalt das
sine gestalt mochte bymel vn erde
dirbarmen dy grozsen velle sach
rückseite.
herodis wib | vn dirbarmite si.v
czu pylato da
nicht hette c
stalt brocht
dir czu pyla
der Cardina
clegelichen
eren weg wi
aller werlde
wa wirt din
allmechtikei
wi mag di
schamde w
kindes so gr
15 dyne engelis
das man v
0 edeler cza
ir sele 0 spi
in
rnoch das her im
zu schafhn Mit d
en dy iuden den IrT
to Petrus da
l spricht also von
gespotte 0 konig
rstu hüte czu schan
0 lebindinge \\
hüte gespol 0 : ::
t wi wirstu vndir
n vnschult liden hu
i mag der vater lid
ozse vn ere vn mo
cheu dyuer das dy
s dir machen men
rtir mensche 0 si
"il allir wunne v
vor Worten wurden Der koning ist
20 worden knecht Cot ist wurdin ein
tore Der hsre ist wurden ein wurm
Der scheppher ist winden getretin
358
ALTDEUTSCHE BRUCHSTÜCKE
Zweites blatt.
(alle 3 streifen vom 1 teil des Werkes.
Streifens ist etwas durchlöchert.)
das pergament des dritten
be der sache keyne
ir besagit Czu de
nit d:me das pyla
ich. Ich wil yn la
vinften mole mit
lichte dyme schech
iuden vor yn bete
also ledig wurden
n mole mit deme
en slug an der zuht i
as. das dy iuden w
pyne vn lizsen yn
m sebinden mole
atus wusch sine he
n noch mit syme t
czu schaffin. vn
das ym dy iuden d
eyser do nam her
: en ym Do
m virden
tus sprach
zsen Czu
deme das
er dorvme
n das her
Czu dem
das pylatu
das tet her
wurden s . . .
dennoch lebin
mit deme das
nde vn wolde
ode nichtis
do pylatus
reuten mit
den hsren vli
vurte yn in ein ding gezesse. das was
gemachet hoch, als eyn cleyne hüs
do man yn mochte obir al gesen vn
do sprach man das orteil obir dy. di
rückseite.
mau wolde ] toten Do vurte :
den hsren him J vn gah ihm den iu
[25] in ere gewa I lt das sy yn : : : den
gin Do sti zin yn alrest dy diu
5 iuden den hsr en. vn vurten yn in
ut den placz vn saczten den IrYen
eynen stul in it gebunden heude
[3üJ der crone. vn mit dem purpur g
vn riffen all : z volk czu ym. vn ve
10 ten do ym al le syne wunden vn
mit der sy yn vol manch veldich
den gemarti ' rt Sy liffen vm y
[35j sungen vn sp ) rungen alle durch
der stis den hsr | en mit der viist iu d
lö der czukte yn by dem höre das h
mit dem stül j e do her uffe sas sw
czu der erden hindir sich vil Do
[40] lange mit de m hsren getrebin. d
AUS POLNISCHEN BIBLIOTHEKEN 359
syrpei ya eynir nach dem andirn vn
2o sprachen Gegrust seistu der iuden ko
nig vn irre iczlichir gah ym eynen groz
sen slag an synen baken Dor noch
19 syspei ist zu entziffern oder spspei.
Drittes Matt,
(der 1,2 und istreifen: Quinta pars huius operis cötines postillam dfli
Hugonis cardinalis super quattuor euägelia; streifen 3: Quarta pars huius
operis: contines textü vnacü postilla dni Hugonis cardinalis.)
als Augustinus hy spricht Der hsre spscht
heten vorlazsen das sprach der hsre durch
vnser sache wille Czv dem ersten mole
dorumme das dy czit uymant walde
5 behalden werden von synir martir
d::e der schecher Czu dem andirn
::e dorume Das kein mertere ny
alse vorlazsen wart von vnnen vn
vorlazsen in allen trösten als he Czu
10 den dritten mole dorüme das her den
noch an dem crucze nicht mochte gna
de dem menschen vinden by dem vatir
her stürbe denne tot Her sach den va
tir in der czit der lihlichen vinstirnisse
15 von vzsen vn sach das her brante vü
allis sin wesen was ein yuflame T
die ernste des das di lüte so vntogent
haftig waren gewesin kegin dem ge
benediten sone. mit dem nv der tot
2ü cret'ticlichin rank In der bittirkeit des
todis sprach der hsre mit lutir styme
Mich durstet vn geistlich als Ambro
rückseite.
siussen ir alle rede der suleu . . vfi
weizage was
[25j hercz . . d
h das spricht d . . lrYen ....
5s.. sgen . . das spricht dem
die h : : : höre czu der erden geriff'en
styssen vn hymelich was mit . .
] alse ir smercze in uprspotten . <l;is
0 marterer spricht : : : Johann . . in
lo Nv sprechin dy ewn ^eisten : : : noch
den warten wart vinstir D:ch : : en
alse deme .... wi ire
360 ALTDEUTSCHE BRUCHSTÜCKE AUS POLEN IL
[35] das vlle : : togenlich deu cz . . . den
... s zu der : : : e czit vn vir vin
15 stirn schrey der hsre mit lutir stymme
min got myn got . . . . hastu mich vor
lazsen Merke di stimme dy cristus hat
[40] geZazsin an dem crucze dem grozen smerze
der ersten vnd der leczten versen mit
20 lutir styme dy andirn sprach der her
mensch vn sint dem den cze : . .
vn andirthalphundert versen Merke
Viertes blatt.
(alle streifen: Quarta pars.)
in das selbe liden sulle wir vns wedir
bilden durch sinen willen so komt
vns das nochvolgin synis lidens czu
eynir reynekeit. vn czu eynem iwren
5 gnaden dy mitte lyduuge czu synir
not das wundirn sines lydens czu
eynir dirbebunge des herczen. dy vreu
de synir martir czu eynem dir wyten
des herczen. Das czu flizsen in synir
10 martir irvast uns dor czu das wir
vns bilden genczlich noch ym Dy rue
vnd das ruen in synir martir kvmt
vns so czu das wir vns .... volbracht
alle andacht sin : : gnaden Darumme
15 sprach Gebhardus Ich vmme gee
hymel vn erde wassir berge vn tal
vn vinde dich libir lrYe nyndirt bas
denne an dem crucze do slaffestu. do
ruestu do sp : : st du Au dem crucze
20 vinden dich di dich s:chen vn welche
sele sich hengit czu dir an das crucze
dy wirt hoch dirhabin von der erden
rückseite.
sy dirstirbit ir selbir vnd allen ge
selten dingen sy vorwirft das ir
[25] dische vh lernet togent vben Do
mitte vindet sy an erem ende di e : ul
5 des lebingeden hultzes Den vatir
den sun vn den heiligen geist .... re
spigel der gotheit Amen
[der rest des Mattes unbeschrieben].
DIE SIPPE DES ARMINIIS 361
DIE SIPPE DES ARMINIUS.
Über den führer der Cherusker und ihrer verbündeten im
ireilieitskaiupfe gegen die Römer erfahren wir durch Velleius
Paterculus 11 88, dass er der söhn eines cheruskischen fürsten
Sigimerus gewesen sei. mit diesem haben JGrimm GDS 615 und
andere den Segimerus, bruder des Segestes, gleichgestellt, während
Müllenhoff in seinen späteren arbeiten die beiden auseinander-
hält, auch Dahn Urgesch. 63 (vgl. Könige i 127) weist mit recht
darauf hin, dass es viel weniger auffallend sei, wenn ein bruder
des Segestes und einer des Inguiomerus denselben namen trugen,
als wenn Tacitus verschwiegen hätte, dass Segestes der oheim
des Arminius war. auch dass Segimerus, des Segestes bruder,
der vater des Arminius war, hätte uns Tacitus, wenn es
der fall gewesen wäre, berichten müssen, umsomehr als er
einen söhn dieses Segimerus erwähnt, aber nicht nennt; offenbar
könnte er nicht schlechtweg von dem 'filius Segimeri' sprechen,
wenn noch zwei andere söhne, Arminius und Flavus, da waren.
Strabo überliefert uns s. 292 sogar den namen dieses sohnes
des (Sjcuyi^gog, allerdings in verderbter gestalt als 2eoi&axog,
woraus man 2tyi&ayxog hergestellt hat; aber auch Strabo weil's
nichts davon , dass dies vater und bruder des '^guiviog seien,
so wenig als er vou (Z)aiyioirjg etwas anderes weifs, als dass
er der vater des Seyi/uovvzog und der Qovovelöa ist. man
erwäge auch, wie unwahrscheinlich es ist, dass der vater des
cheruskischen freiheitshelden dessen sache verlassen habe, über-
dies darf mau voraussetzen, dass er zur zeit der rachekriege
des Germanicus gar nicht mehr am leben war. denn anderes-
falls hätte Arminius seinen abtrünnigen bruder Flavus, als er
mit ihm über die Weser hinüber sich unterredete, nicht nur
an seine mutter erinnert; notwendig hätte sich ferner Flavus,
wäre der vater auf römischer seite gestanden , darauf berufen
müssen, da er sich doch auch darauf beruft, dass gattin und
sühn des Arminius von den Römern rücksichtsvoll behandelt
würden, dass der Wortlaut des gespräches dabei von Tacitus
selbst erfunden ist, kann natürlich nicht bestritten werden, doch
hat er die worte auf grund dessen, was ihm von den t.iisai li.n
bekannt war, und ganz aus dem geiste der handelnden persnnen
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 24
362 DIE SIPPE DES ARMINIUS
heraus gewählt, wenn sein vater bereits gestorben war, ist auch
die hervorragende rolle , welche Arminius in seinem volke spielt,
am besten verständlich, dass Segestes sein oheim, er und Thus-
nelda geschwisterkinder gewesen seien, ist also ganz ausgeschlossen,
wenn auch eine fernere verwaDtschaft beider geschlechter zugegeben
werden darf, dass in beiden der name Segimerus vorkommt, ist
gar nicht so auffallend, war es doch auch mittelst beiuamen
leicht möglich, von haus aus gleichbenannte personen zu unter-
scheiden, man denke an den Theoderik Strabo im gegensatze
zum Theoderik Valamer.
Es stehn also auf der einen seite Segimerus mit zwei söhnen,
Arminius und Flavus, und einem bruder Inguiomerus; auf der
anderen ebenfalls zwei bruder, Segestes und Segimerus. des
ersteren kinder sind Segimundus und Thusnelda, des anderen
söhn *Segithancus. aus der ehe des Arminius mit Thusnelda
stammt bekanntlich Thumelicus, mit dessen tod die nachkommen-
schaft des Arminius erlischt.
Flavus sowol als Segithancus sind mit chattischen fürsten-
töchtern vermählt; ersterer nach Tacitus mit einer tochter des
Catumerus, der an anderer stelle Actumerus genannt wird;
letzterer nach Strabo mit einer tochter des Oiy.QOf.nQog namens
'Papig. söhn des Flavus aus jener ehe ist Italicus, und dessen
söhn, also enkel des Flavus, wahrscheinlich XaQi6/.irjQog bei Dio
Cass. 67, 5; vgl. JGrimm GDS 616.
Dass Catumerus- Actumerus bei Tacitus und OvxQO/LiiQog
bei Strabo dieselbe person sind , wird so ziemlich allgemein an-
genommen, so auch von JGrimm, Müllenhoff und Wackernagel.
schwierig war es natürlich, den richtigen nameu festzustellen,
und hierin gehen die ausichten bedeutend auseinander, während
er nach JGrimm Actomerus, ahd. * Ahtomdr 'genere clarus', ge-
heifsen haben soll, nennt ihn Wackernagel Vacrumerus , Müllen-
hoff Actumerus. letzterer ansatz (Zs. 9, 246) hat sichtbarlich am
meisten anklang gefunden und man hat sogar, obwol Müllenhoff
selbst das compositionsglied Actu- noch nicht für identisch er-
klärt mit unserem substantivum 'die acht', mhd. dhte, ahte, ahd.
dhta, ags. öht 'feindliche Verfolgung', einem worte, das vielfach
in namen belegbar ist, eben jenem Actu- zu liebe für diesen
wortstamm eine grundform *a(n)ktu- aufgestellt, deren n-suffix
im übrigen durch nichts erwiesen werden kann.
DIE SIPPE DES ARMINIUS 363
Man muss aber doch zugeben, dass es an und für sich
nicht wahrscheinlicher ist, dass Segithancus und Flavus 2 töchter
desselben mannes geheiratet haben , als jeder die eines anderen,
dass Catumerus-Actumerus einerseits und Ovxgö/nigoc; anderseits
dieselbe persönlichkeit sind, konnte also einzig aus der identität
ihrer namen geschlossen werden.
Actumerus steht bei Tacitus Ann. xi 16; im folgenden cap.(17)
Catumerus; beide formen haben also dieselbe handschriftliche
gewähr für sich, mit Actumerus aber ist schlechterdings nichts
anzufangen. nicht wegen des u der ableitung von Actu-,
denn das erwähnte 'acht' ist ja möglicherweise ursprünglich
mit tu- suffix gebildet. dieses wort kann aber hier aus dem
gründe nicht vorliegen , weil zu beginn unserer Zeitberechnung
n vor h noch nicht geschwunden war. dies beweist der volksname
Tencteri, der got. *Teihtröz lauten müste, sowie der burgundische
personenname Hanhavaldus (Kraus Inscr. Christ, nr 102) d. i.
ahd. Hdholt, auf den mich ESchröder aufmerksam macht, mit
recht betont auch Noreen Urg. judl. § 7, dass n auch nach
solchem i schwindet, das verhältnismäfsig spät erst aus e ent-
standen ist, woraus sich ergibt, dass sein ausfall erst spät er-
folgt sein kann1, tief in die zeit nach der trennung des ger-
manischen in eine reihe besonderer sprachen hat sich noch
nasalierung der vocale, die aus an, in, un vor h hervorgegangen
waren, erhalten (s. Kluge in Pauls Grundr. 356), woraus wiederum
auf den verhältnismäfsig jungen f Schwund des n geschlossen
werden darf.
Catumerus auf der andern seite wird durch Catualda bei
Tacitus gestützt und ist genau derselbe name wie ahd. Ha-
dumdr. nur ist in beiden fällen bei Tacitus germ. hapu-, das
regelrecht durch chalhu, hathu oder doch durch chatu, hatu zu
transscribieren gewesen wäre, durch das gleichbedeutende be-
quemere keltische catu vertreten, der zweite teil beweist daneben
zur genüge, dass der name nicht wilrklich keltisch war. in
dieser spräche hätte er Katumüros, lat. trausscribiert Catumarus
gelautet und kymr. Catmör (Lih. Land. 267) ist in der tat be-
1 ein prächtiges beispiel eines trugschlusses liefert Bremer Zs. .f.
(I. phil. 22,251 durch die anmerkung: 'wäre damals noch nasalvocal ge-
sprochen worden, so würden die Römer, die in ihrem mSsa den nasalvocal
durch en widergaben. ' tnctumerut geschrieben haben'.
24*
364 DIE SIPPE DES ARMINIUS
legt; s. Glück Die kelt. namen 49. alles spricht also für Ca-
tumerus als das richtige.
Und aus diesem namen sollte Ovy.QOu.iQoq verderbt sein ?
aber gesetzt auch, Actumerus wäre zu rechtfertigen, etwa als eine
Zw-ableitung der germ. wurzel ak, idg. ag, entsprechend dem lat.
actus, so ist doch selbst dann noch nicht einzusehn, wie daraus
Ovxqo- entstehn konnte, am sonderbarsten wäre es, wie bei
dieser Verderbnis zuletzt wider ein uame von gut germanischem
aussehn herausgekommen wäre.
Wenn Wackernagel Vacru- ansetzen wollte, war dabei nur der
versuch zu tadeln, eine compromissform zwischen Ovy.qo- und
Actu- herzustellen, aber Müllenhoffs einwand Zs. 9, 224, dass
Wackeruagel doch seinen eigenen namen nicht zum zeugnis an-
führen krtnne, dass das adj. wacker einmal als erstes compositious-
glied in namen verwendet wurde, ist nicht mehr am patze, da es einen
Wacarolf gibt, belegt aus demNecr.Fuld. a.905 beiFörstemann DNb
1 1224 uudals Uuachrolf bei Piper Libri confrat.ii 179,23. allerdings
nicht Vacrumerus, wol aber Vacromerus, Uakramceraz kann der
Schwiegervater des Segithancus geheifsen haben, dieser name ist
ganz unbedenklich, und OwQÖ(j.iQog brauchte eigentlich gar nicht
eine Verderbnis desselben zu sein, sondern liefse sich durch die eigen-
tümlichkeiten griechischer transscription erklären, man vergleiche
,A[j.aXaoovv&a,MaTaoovv&a, OvllaQig, OvliyioaXog, OvXi&eog,
OvlLag beiProkop, vor allem aber BaiovQrj 'Baiern' bei Constantinus
Porphyrog. De caerim. aulae" Byz. 2, s. 598. ov war eben im
griechischen ein vocal und seine Verbindung mit einem folgenden
muste unnatürlich erscheinen, wenn man einwendet, dass diese
beispiele für die Unterdrückung von folgendem i und a durch ov
viel späterer zeit angehören, so ist das zuzugeben; der name Ovhqo-
fMQog zeigt aber auch in seinem zweiten teil den eiufluss eines
abschreibers der byzantinischen zeit, dem got. namen auf -mirus
geläufig waren; dass Strabo selbst bereits -[uQog geschrieben
habe, ist ja schon wegen des daneben stehnden (2)aiyifir]Qog
nicht vorauszusetzen, einer gütigen mitteilung ESchröders danke
ich indessen den nachweis eines germ. wortstammes *ukra-, der sich
zu *uakra- ebenso verhält wie got. dwals zu ahd. toi oder altn.
vatn zu altn. otr. erhalten ist er im eigennameu Oker, Ocher, der
widerholt bei Piper Libri confr. (s. register) belegt und nicht ver-
schieden ist von Ocer, wie bei Cassiodor Var. v 29 die geringeren
DIE SIPPE DES ARMINIUS 365
hss. anstatt Anduit bieten , wobei wir es offenbar mit nomeu und
agnomen zu tun haben , zwischen denen die einzelnen hss. eine
auswahl getroffen haben, man vgl. auch die zahlreichen mit iigra-
'gewaltig' zusammengesetzten ai. eigennamen. der Schreibung
Ov/.QÖuiQog bei Strabo kann also geradezu germ. * Ukramceraz
zu gründe liegen.
Dafür, dass wir es mit zwei ChattenfUrsten, Catumerus und
Ucromerus, zu tun haben, ergibt sich eine weitere stütze noch
von anderer seite. hei Tacitus Ann. u 7 geschieht nämlich der
tochter eines Chattenfürsten Arpus erwähuung und Ann. 11 88 wird
ein anderer Chattenfilrst Gandestrius genannt. JGrimm GDS 580
bringt diese beiden namen in gegenseitige beziehung und deutet
sie 'enterich' und 'gänserich'; gewis mit recht, germ. *arpaz
lebt noch in dem nnd. mit deminutivsuffix versehenen Erpel
mit der nebenform Arpel (vgl. JGrimm DWb m 937) fort; da
auch das e der erstangesetzten, gebräuchlicheren form aus a um-
gelautet ist (grundf'orm ist *Arpilo) und a überdies aus dem
Ortsnamen Arpingi, jetzt Erpingen bei Dissen, SO von Osna-
brück (Fürstemann n' 119), bestätigung findet, ist es nicht erlaubt,
das a in Arpus für eine besondere auflassung des germ. e vor r
zu erklären, vielmehr gibt es ein germ. *arpaz 'anas mas' neben
*erpaz 'fuscus' (a gs. eorp, altn. jarpr). beides sind natürlich nur
verschiedene auffassungen derselben wurzel und der Erpel ist
geradeso ursprünglich als der 'braune' bezeichnet, wie der 'hase'
'der graue' (Kluge EWb4 132) und der 'bär' und 'biber' (Kluge
aao. 19. 29) widerum 'die braunen' sind.
Gandestrius zeigt dieselbe ableitung, nur in masculiner form,
wie and. agastria 'elster' und ags. hulfestre 'regenvogel'; vgl.
noch die tiernamen ags. loppestre 'hummer', and. hamstra 'hamster'
und den pflanzennamen rumestra; s. Kluge Nom. stammbild. §49.
das d in Gand- vergleicht sich dem in ags. gandra, engl, gander;
altn. gandr, worin r dem nominativ zugehört, ist das ganda- ger-
manischer namen (vgl. Forstemann i 468 u* 610) und wird
als 'lupus' gedeutet (s. Egilsson Lex. poet. 221), und sowie 'gans'
der den schnabel aufsperrende vogel ist (Kluge EWb4), wird
auch diese andere bedeutungsentwickelang von derselben Grund-
bedeutung des 'gähnenden' tieres ihren ausgang nehmen, mög-
licherweise identisch mit dem allchattischcn * gaitdestriaz ist
österreichisch ganster, gansterer, formen die hier auch ;ds
366 DIE SIPPE DES ARMINIUS
Familiennamen vorkommen, wofür das Wiener adressbuch ein paar
belege enthält; in Wien gibt es überdies einen Gansterertekh.
die widerholung des ableitenden r ist dabei gerade so zu be-
urteilen, wie in mundartlichem Ganserer neben Ganser, d. i. mhd.
ganzer, auch im elsässischen begegnet gunster als bezeichnuug
des gänserichs. aber leider lässt diese form so wenig wie jene
österreichische erkennen, ob die ableitung an eine wurzel gan
oder eine erweiterte gand angetreten ist.
Müllenhoff hat Zs. 9, 225 den beiden namen Arpus und Gan-
destrius den character von beinamen zugesprochen, und als solche
muss man sie wol betrachten, denn als eigentliche namen wären
sie doch zu sonderbar, gerade tiernameu sind als Spitznamen
von aufang an sehr beliebt; man denke nur an den Goten
BavdalÜQLog, der auch Oviaavöog hiefs (Henning Runendenk-
mäler 140, Wrede Sprache der Ostg. 101) oder an den Danihel,
der sich Igila unterschreibt (Wrede s. 144), ferner an Albrecht
den hären, Heinrich den löwen usw. aus dem ungemein aus-
gibigen nordischen material (s. Weinhold Altu. leben 280) hebe
ich nur als besonders einstimmend ein paar vogelnamen, nämlich
skarfr, krdka, cedikollr, orri, hani, rjüpa hier hervor, nichts
liegt dann näher, als Arpus und Gandestrius als beinamen der
Chattenlürsten Ucromerus und Catumerus zu nehmen, und es
kommt nur noch in frage, wie die beiden namenpaare zusammen-
gehören.
Auch dafür findet sich ein aufschluss. denn wenn während
der feldzüge des Germanicus nach dem bericht des Tacitus die
tochler des Chattenfürsten Arpus den Römern in die bände fiel,
so sollte man erwarten, dass Strabo ihrer ebenso erwähnung
lue, wie der anderen edlen gefangenen, die im triumphzug des
Germanicus aufgeführt wurden; und wenn er uns statt der
tochter des Arpus eine tochter 'Pafxig des OvxQOfxiQog nennt,
von deren gefangennähme anderseits Tacitus, der die feldzüge
des Germanicus beschreibt, nichts berichtet, so ist damit die
identität des Arpus und Ucromerus erwiesen.
Gandestrius ist dann notwendig derselbe wie Catu-
merus. beide könige werden als brüder oder vettern gelten
dürfen.
Wenn die tochter des Oungö/nigog Ta/uig bei Strabo mit
Segithancus vermählt ist, so erfolgte diese Verbindung sichtbar-
DIE SIPPE DES ARMINIUS 367
lieh in der römischen gefaugenschaft, die beide zusammen-
geführt hatte, die aber bei Segithancus, dem man verzieh
(s. Tacitus Ann. i 71), kaum diesen namen verdient, abgesehen
davon, dass er später den triumph des Germanicus mit verher-
lichen muste.
Nach Tacitus Ann. n S8 hätte man im römischen senat (im
jähre 19 n.Chr.) einen brief des Chattenfürsten Gandestrius, worin
dieser des Arminius tod versprach, wenn mau ihm zur ausführung
des mordes gift schicken wolle, abschlägig beantwortet, dass
dieser brief eine fälschung war, liegt auf der hand, da es den
Germanen an giften nicht fehlte (vgl. Dahn Urgesch. u 104) und
Gandestrius überdies, wenn er einen meuchelmord plante, dies
möglichst heimlich getan haben wird, ja gerade wegen der Ver-
lesung dieses angeblichen briefes im senat könnte der verdacht
aufkommen, dass die römische politik bei dem mordplane mit
im spiele war und dass Tiberius in schlauer berechnung zu
gleicher zeit die komödie mit dem briefe inscenierte, um sich
vor der weit den anschein der Unschuld zu geben, tatsächlich
fiel Arminius im selben jähre, wie Tacitus in unmittelbarem an-
schlusse an das besprochene erzählt, durch die tücke seiner ver-
kanten, wer dabei gemeint ist, könnte von vornherein zweifel-
haft erscheinen, feindselig standen ihm ja sein tapferer, aber
unbedachter und eitler oheim luguiomerus, sein Schwiegervater
Segestes und sein bruder Flavus gegenüber, bedenkt man aber,
dass letzterer der Schwiegersohn des Catumerus- Gandestrius ist
und dass dieser bei der ermordung des Arminius aller Wahr-
scheinlichkeit nach beteiligt war — sonst wäre ja die geschichte
mit dem brief gar zu schlecht erfunden — , so kommt man zu
dem Schlüsse, dass von dem anhang des römisch gesinnten
bruders Flavus der anschlag ausgieng, und umsomehr wird der
verdacht rege, dass auch die Römer selbst dabei nicht ohne
schuld sein mochten.
Zu den namen, soweit sie nicht schon behandelt sind, ist
noch einiges zu bemerken; vor allem zu dem der Thusnelda.
'thursenkämpferin', wie JGrimm wollte, kann er natürlich nicht
bedeuten; er würde sonst bei Strabo QovQioxrtöig oder ähn-
lich lauten müssen, vielmehr ist sein erstes compositionsglied
deutlich germ. püs, dasselbe wort, das in unserem 'tausend',
Ihüs-chunde in der Lex salica, vorliegt (vgl. zu diesem Bugge
368 DIE SIPPE DES ARMIN1US
Beitr. 13, 327, Kluge in Pauls Grundriss i 406) und 'kraft' be-
deutet, sofern wir germ. Püs-neldö ansetzen, ist für den zweiten
compositiousteil allerdings nicht leicht eine erklärung zur hand.
da innerhalb verschiedener germanischer sprachen die Verbindung
dl gerne umgestellt wird (s. Sievers Beitr. 5, 528. 529), wie bei-
spielsweise in altn. bilda neben ahd. bihal (aus *bipl), ags. hold
neben botl, ahn.säld 'sieb' (aus sädl, Bugge Zs. f. vgl. spr. 20, 139 f),
ahd. ndlda, mhd. ndlde, anld. naald neben nddala, nddel, so liefse
sich vielleicht für neldö eine grundform nedlö ansetzen und aus
der germ. würzet neß, ncep in got. nißan 'unterstützen' und in
'gnade', ahd. gindda, as. gindtha, ndtha, an. ndd erklären,
ein germ. * nedlö, 'Unterstützung, hilfe, gnade' würde sich
in form und bedeutung abstractbildungen mit /o-ableitung bei
Kluge § 156.157 an die seite stellen; aber auch eine adjectiv-
bildung mit demselben suffix (Kluge § 188), germ. *nedlaz,
wäre möglich. ein wort, sei es nun mit dem sinne 'hilfe,
gnade' oder 'hilfreich, gnädig', würde sich zur Verwendung als
frauenname gewis eignen, weit besser aber als ein solcher aus-
weg empfiehlt es sich, den namen &OY2NEAJA bei Strabo,
dem einzigen, der ihn — und auch nur an einer stelle — über-
liefert, für einen Schreibfehler anstatt 00 YSNEAslA zu nehmen
und demgemäfs als *Püs-snellö die 'kraftkühne, vielkühne' zu
verstehn.
Thumelicus wird noch immer von manchen, so abgeschmackt
diese deutung ist, aus lat. thymelicus, gr. &v/nelix6g 'Schauspieler'
erklärt, um einigermafsen zu rechtfertigen, warum dann Strabo
nicht Ov^slr/.ög schrieb, müste man wenigstens ein lat. thume-
lkus nachweisen können, das er in dieser gestalt nicht als lehn-
wort aus dem griechischen erkannt hätte, vor allem aber war
Thumelicus, als er im triumphzuge aufgeführt wurde (im jähre 17
nach Chr.), erst 3 jähre alt (zQierrjg) und zur zeit, als Strabo
seinen namen niederschrieb, höchstens 5, da Arminius, der im
jähre 19 fiel, damals noch am leben war; vgl. die stelle: . . .'Ag-
utviov xov TVohe/xctQxtjoavTog iv xolg XrjQOvoxoig ev rf] ngng
Ovccqov KovtvrilXiov nagaaTtovörjasL xal vvv exi ovve%ovrog
tov nölefxov. allerdings scheint der name Thumelicus durch ähn-
liche Wortbildungen wie Thymelicus beeinflusst zu sein, so zwar
dass er statt als zusammengesetzt als abgeleitet empfunden wurde;
ähnlich erklärt sich Vindelici neben OvtvdoXixoL mit dem namen
DIE SIPPE DES ARMINIUS 369
Thusnelda ist Tkumelicus durch Stabreim verbunden, ja sogar noch
durch eine innigere beziehung; denn sein erstes glied ist wol
als germ. *püma- anzusetzen und steht dann zu jenem *püs im
selben Verhältnis, wie germ. *rüma- zu lat. ri7s, rüris. erhalten
ist das adj. *pümaz in seiner consonantischen form in 'daumen',
das ist 'der starke'; man vgl. av. tüma 'stark' und anderes bei
Kluge EWb1 51. dieses tuma findet sich auch in namen, wie
av. Thftmdcpa, skyth. Tov/jßayog, s. Fick Die griech. Personen-
namen cxxiv. -lc/.og ist am ehesten das got. leik n. 'leib, leich-
nam', Thumelicus also etwa 'kraftgestalt'. ebenso dürfte Müllen-
hoff das zweite compositionsglied dieses namens aufgefasst haben,
wenn er Zs. 7, 527 Thumelicus schreibt, vgl. Forstemann Germ.
23, 189, wo beispiele für -lik in personennamen gesammelt sind;
bei Förstemaun i 844 steht auch eine Lichardis. was sonst über
Thumelicus gesagt worden ist, bedarf keiner Widerlegung.
Zu den namen Segimerus, *Segithancus, Inguiomerus, Chario-
merus ist nichts neues zu bemerken, über Segestes s. Müllenhoff
Zs. 23, 173, wo der name mit adjectivischen bildungen wie lat.
funestus, scelestus zusammengestellt und als 'der siegreiche' ge-
deutet wird, derselbe adjectivstamm ist über das germanische
hinaus verbreitet; vgl. die Ortsnamen Segeste (stadt der Carni),
Segesta (römischer name der alten Stadt *A*.£oTr\ auf der nord-
küste Siciliens und name einer Stadt in Ligurien) und ähn-
liche, ein alts. ortsname Sigusti, jetzt Segeste S. v. Hildes-
heim, steht bei Förstemann n2 1321. bei Strabo enthalten die
handschriften alyeoTrjg und aiyi(xrtQov(g) ; beide male aber
endigt das vorausgehende wort auf g, sodass der anlaut des fol-
genden sichtbarlich erst später abgefallen ist. beachtenswert
aber ist ai als Vertretung des germanischen e, das sich noch ein
par mal in den griechischen quellen widerholt, so bekanntlich
in XctiQovoxoL und in Ailovaiwveg bei Ptolemaeus, ferner in
rai(o)ßö/uaQog bei Dio Cassius 77, 20, d. i. got. Gibamers, ahd.
Gebomar (Kossinna Zs. 29, 268), und in FaXatyia, dem namen
einer der städte in Grolsgermanien bei Ptolemaeus, d.i. germ.
* Galegm n. Mager', vielleicht sogar *Galegrki n., also dasselbe
wie got. galigri, mhd. geligere, da dieses wort infolge der Schwierig-
keit seiner ausspräche für die Römer leicht entstellt werden
konnte.
Der irauenname lPa(xig gehört wol zu altn. ramr 'stark,
370 DIE SIPPE DES ARMIN1US
kräftig', ob er als germanisch * Ramiz oder *Rami anzusetzen
ist, bleibt unentschieden.
Im namen des führers der Cherusker in ihrem freiheitskampfe
hat man neuerdings ziemlich allgemein den der römischen gens
Arminia zu erkennen geglaubt, den er durch adoption zugleich
mit dem titel eines eques Romanus erhalten habe: eine an-
sieht, der indes Hübner Rom. herschaft in Westeuropa 153 ff
aufs entschiedenste widerspricht, aber wenn Arminius auch,
wie dieser gelehrte versichert, nicht der geschlechts -, sondern
der beiname des Cheruskerfürsten war, so braucht er deshalb
noch nicht germanisch zu sein, vielmehr ist, da mit ihm auf
deutscher seite nichts rechtes anzufangen ist, auf römischer aber
ein name Arminius zur Verfügung steht, sein fremder Ursprung
kaum zu bezweifeln, auch der Hermundurenkönig Vibilius und
der Quadenkönig Gabinius fuhren meines erachtens lateinische
namen. wie der germanische held in der spräche seines eigenen
Volkes hiefs, entzieht sich unserer sicheren kenntnis. seines
vaters Segimerus wegen ist es jedoch einigermalsen wahrschein-
lich, dass auch sein name Segi- als erstes compositionsglied
enthielt, man wird darum mit LSchmidt Germ. 23, 346 die mög-
lichkeit, dass derselbe Sigfrid (cherusk. * Segifrepuz) gewesen
sei, zugeben müssen, und ebenso die möglichkeit seiner identität
mit dem Sigfrid der Nibelungensage, es ist indessen nicht zu
bestreiten, dass Sigfrid auch ein rein mythischer name sein
kann, und auch sonst wüste ich keinen zug der Sigfridsage,
der nicht aus dem mythus oder aus jüngeren historischen be-
ziehungen seine erklärung fände, es sei denn etwa der um-
stand, dass Hagen, der mörder Sigfrids, ebenso wie Flavus, der
feindliche bruder des Arminius, der vielleicht dessen tod ver-
schuldete, durch eine Verwundung das eine äuge eingebüfst
hat; allein es fragt sich, ob die einäugigkeit Hagens ein älterer
sagenzug ist; s. Heiuzel Walthersage 24. es liefse sich übrigens
denken, dass durch die Verbindung der sage von Arminius mit
dem mythus eines sommer- und tagesgottes, zu der allgemeine
ähnlichkeiten anlass geben konnten, der historische hintergrund
der ersteren mehr und mehr verdunkelt worden sei. dazu
könnte auch der umstand beigetragen haben, dass es sich um
Verhältnisse handelt, für die später jedes Verständnis abhanden
gekommen sein muss.
DIE SIPPE DES ARMINIÜS 371
Gewis haben die ereignisse, bei deuen Arminius eine rolle
spielt, seine erfolge, seine heldengröfse und sein tragisches
ende einen mächtigen eindruck in der ganzen germanischen weit
hinterlassen, und es ist kaum zu bezweifeln, dass die lieder, in
denen zur zeit des Tacitus der befreier Deutschlands gefeiert
wurde, mit seinem namen die Vorstellung höchsten heldeutumes
und heldenruhmes verbanden, dass dieser name trotzdem ganz
vergessen worden sei, ist nicht so wahrscheinlich, als dass er
auf die Umbildung eines gottes übertragen in einer sage von
wesentlich mythischem gehalt fortlebt, immer noch als der eines
beiden, in dem Deutsche und Nordleute das urbild und die
edelste Verkörperung ihrer nationalen eigenart erblickten.
Wien, Weihnachten 1890. RUDOLF MUCH.
In dem mittlerweile erschienenen hefte der Beiträge (15,506)
hat auch Streitberg die Vermutung ausgesprochen , dass in
Qovavelöa derselbe stamm püs vorliege wie in got. püsundi.
diesen sucht er aber auch im namen Qovf.iiliy.og, in welchem
zunächst gerade wie in got. pamma, imma gegenüber ai. tasmäd,
asmüd eine form mit doppel-m sich ergebeu habe, deren Ver-
einfachung dann durch die voranstehende länge bewürkt worden
sei. wenn aher im namen der mutter ein erstes compositions-
glied püs vorlag, so hätte sich im anschluss daran gewis auch
in den» ihres kindes dieselbe form des Wortes erhalten, die mög-
lichkeit einer gleichbedeutenden form />ü neben püs wird mau
indes nicht bestreiten können, nur wird man sie dann in beiden
namen in anschlag bringen müssen, ohnedies konnte * Püssnellö
leicht nicht nur in der transscription zu *Thusnella, sundern
auch in germanischem munde schon zu * Püsnellö vereinfacht
werden, ebenso wie * l'üs-snellö und * Püma-likaz ist also auch
* Püsnellö und * Pü-melikaz zu erwägen, * melikaz wäre eine
bildung wie ahd. altih, got. ibuks uam. bei Kluge Nom. stamm-
bild. § 212. 213 und wesentlich dasselbe wort wie der name
Miluh, Miloh bei Förstemann i 930 ) man vgl. auch den namen
des Sugambers Meto, Mtluov und die wurzel mel, von der das
adj. mild abgeleitet ist.
Groningen, im juli 1891. RUDOLF MUCH.
372 JUPITER TANARUS
JUPITER TANARUS.
Eine zu Chester in England gefundene inschrift (CIL vn 168)
aus dem jähre 154 n. Chr. enthält die widmung J(ovi) O(ptimo)
M(aximo) Tauaro. Holtzmann, dem dieser denkstein aus Orelli
(nr 2054) bekannt war, hat natürlich nicht unterlassen, zur stütze
seiner theorie von der einheit der Kelten und Germanen den
Tartarus als den germanischen Thunar zu erklären; s. Kelten
und Germanen 83. in seinem sinne gehören beide namen gewis
nicht zusammen, doch lä'sst sich leicht zeigen, dass sie derselben
quelle entspringeu.
Unser Donner sammt den verschiedenen anderen germani-
schen formen dieses Wortes weist auf ein urgermanisches * Pu-
naraz zurück, das zu ags. ßunian 'donnern', weiter zu lat.
tonare, zur skr. wurzel tan Maut tönen, rauschen' und griech.
zovog 'sehne, seil, Spannung, ton, accent' gestellt wird; s. Kluge
EWb4 56. in lat. tonitrus liegt sogar dieselbe bedeutung wie in
Bonner vor. die idg. wurzel ten scheint übrigens ursprünglich
'spannen', 'ausdehnen' bedeutet zu haben; s. Kluge unter dünn,
dehnen und dohne. wenn nun unserem dünn altir. tan-a, com. tanow,
bret. tanav gegenübersteht und überhaupt aus idg. n vor sonanten im
an hervorgeht (s. Brugmann Grundr. i 193. 204), gerade wie im
Keltischen germanischen un, so ist kelt. *Tanaros, latinisiert Ta-
narus, genaueste entsprechung zu germ. *Punaraz. auch der fluss
Tanaro in Italien, Tanarus bei Plinius WH m 16(20) wird, ob-
wol nur an seiner mündung in den Po Gailier, oberhalb Ligurer
safsen, einen keltischen namen tragen, der ihn als den 'rauschen-
den' bezeichnet, ursprünglich war das wort *tanaros, *ßunaraz
indes kaum ein o- stamm, wird vielmehr so zu beurteilen sein,
wie ahd. wazzar, ütar, tenar, denen griech. vSwq, ov$<xq, d-evaq
gegenüber stehen, und dann ist wol auch lat. tenor 'ton', sofern
dies nicht etwa ein s-stamm ist, was sich schwer entscheiden lässt,
unmittelbar mit donner zusammenzustellen; lat. en ist regelrechte
entsprechung zu kelt. an, germ. un, idg. n; s. Brugmann Grundr.
i 193. 201. 202.
Dass es einen mit dem namen des germanischen Punaraz
übereinkommenden beinameu des keltischen donnergottes gibi,
ist ein neuer beleg für die enge verwantschaft der keltischen
und germanischen götterlehre. gemeinsam ist beiden Völkern auch
JUPITER TANARUS 373
die Vorstellung von einem besonderen donnergotte, während
bei den Griechen und Italern der blitz aus der hand des bimmels-
gottes Zeus -Jupiter kommt.
Dass bei den Germanen der alte himmelsgott Tius (germ.
* Tiuaz) durch den windgott Wodan von seinem herscherthron im
gotterstaate verdrängt wurde, ist eine durch Müllenhoff längst sicher
gestellte tatsache; vgl. Schmidts Ztschr. f. gesch. 8, 241 ff, Zs.
18, 251. 23, 8. auch bei den Kelten wird 'Mercurius' nicht von
anfang an oberster gott gewesen sein.
Die Übereinstimmung geht aber uoch weiter, denn gerade
wie bei den Germanen Tius wesentlich auf seine kriegerische
lunction eingeschränkt wurde, so ist auch bei den Kelten aus
dem himmelsgott ihr kriegsgott geworden, dies beweist der auf
Inschriften häufig genannte gallische und britische Mars Loucetius
oder Leucetius, der gerade wie Tius- Zeus -Dyäus schon seinem
namen nach ein gott des lichtes ist. dieser name ist überdies,
worauf besonderes gewicht zu legen ist, ganz derselbe wie der
des oskisch- römischen Loucetius Lücetius, di. Diespiter (s. über
diesen Preller Rom. myth.3 i 188, 1). grundform desselben ist
*Leuketips, deren eu sich im keltischen teilweise noch erhalten
hat , weil hier der wandel dieses diphthongs zu ou noch nicht
völlig durchgeführt ist (s. Rrugmann Grundr. i 57 ; Zeuss-Ebel
34 f), während dies im Italischen der fall ist, wo dann ou
weiter zu lat. (7 wurde (Brugmaun i 76).
Vielleicht hat gerade die Vorstellung von einem besonderen
donoergotte zu der Umwälzung im keltischen und im germani-
schen gotterstaate mit anstofs gegeben, sofern dadurch die be-
deutuog des himmelsgottes herabgesetzt und es dann leichter
möglich wurde, dass eine andere, ursprünglich untergeordnete
gestalt ihm den rang ablief.
Jedesfalls haben in allen hauptsachen die germanische und
die keltische religionsentwicklung schritt gehalten, doch scheint
die Übereinstimmimg noch weiter zu reichen, denn Herodot be-
richtet uns \7 von den Thrakern: &eoig de oißovrai (.wvvovg
TOVQÖ6, ^Q6CC /Ml JtÖwOOV 7.CU ^QTBfXLV' OL Öh jiaOl/^£g
avxiiov, TtaghB, tiov a'/J.tov icokiyziiov, oißovTccicEQui]v [.ia'/.ioia
■freiuv y.a.1 o[ivvovoi [.lolvov zovtov xal Xiyovoc yeyovevai arco
cEQ[xiio ewvTovg. dass nach dieser mitteilung der Hejrmesdienst
nur die religion der thrakischen könige ist im gegeusat/.e zum
374 JUPITER TANARÜS
übrigen volke, verdient besondere beachtung, weil auch dem
Odinn vor allem die adeligen anhiengen, wie am deutlichsten aus
dem Härbardsljöd hervorgeht, schon als culturgott hatte Wodan-
Odinn für die höchsten stände des volkes am meisten bedeutung,
und ein solcher wird auch der Hermes bei den Thrakern ge-
wesen sein, die religiöse Sonderstellung ihrer herschenden ge-
schlechter könnte allerdings auch auf den gedanken führen, dass
diese keltischen oder germanischen Ursprunges seien; doch wird
dies niemand annehmen wollen, so lange eine andere und ein-
fachere erklärung der tatsachen möglich ist.
An der spitze der vom volke verehrten gottheiten der Thraker
nennt uns Herodot den Ares, dessen besonderes ansehen in
Thrakien noch dadurch bestätigt wird, dass dieses land den
Griechen als seine heimat und sein liebster aufenthalt galt
(s. Preller Griech. myth.3 1 263) und zwar schon zur zeit Homers
(s. Dias xiii 301 , Odyssee vm 361). ob der thrakische Ares
derselbe ist wie der griechische, kommt indessen noch in frage.
vielleicht haben wir es, wie bei Kelten und Germanen, so auch
hier mit dem alten , den himmel beherschenden allgott zu tun,
welcher der hauptsache nach kriegsgott geworden war. notwendig
musten ihn dann die Griecheu mit ihrem Ares identißcieren, ge-
rade wie Mars die interpretatio Romana für den keltischen Leu-
cetius und germanischen Tius ist; und sie musten weiter zu der
Vorstellung gelangen , dass Ares unter den Thrakern einer be-
sonderen Verehrung sich erfreue, denn dem thrakischen kriegs-
gott war von seiner alten machtstellung gewis noch so viel
geblieben, dass er den griechischen Ares au bedeutung und an-
sehen weitaus überragte.
Wien, 10 hornung 1891. RUDOLF MUCH.
REQUALIVAHANÜS.
Nachdem der Hercules Magusanus durch Kauffmann in über-
zeugender weise als ein germanischer Maguso gedeutet ist, wird
man auch zu dem dativ deo Requalivahano einer im regierungs-
bezirk Köln gefundenen, von Zangemeister Ronner jahrb. 81, 78 ff
veröffentlichten inschrift eiuen nominativ Requalivaho ansetzen
dürfen. Requolivaho oder Requolivacho würde der name in literari-
scher Überlieferung lauten, ihn zu deuten hat bereits Holthausen
REQüALIVAHANUS 375
aao. 81 f versucht und, was den ersten teil betrifft, den er mit
got. riqis, altn. rekkr, griech. s-geßog, sanskr. rdjas zusammen-
stellt, jedesfalls das richtige getroffen, nur wird vielleicht nicht
unmittelbar an dieses Substantiv anzuknüpfen sein; denn wenn
würklich , wie Noreen Urgerm. judl. 93 will, germ. *erpaz, ahd.
erp, isl. -jarpr 'dunkel, braun' mit riqis verwant ist, darf man
für dieses adjectivum eine nebenform *rekuaz aufstellen, auf
die sich dann Requa- zurückführen liefse, sodass wir es hier
nicht notwendig mit einem fall von Unterdrückung des suffixalen s
in der Zusammensetzung zu tun haben, ob dies oder jenes das
richtige ist, kann übrigens am sinne des namens wenig ändern,
für den zweiten teil konnte von den beiden müglichkeiten , die
Holthausen erwogen hat, von anfang an diejenige, dass liva ein
germanischer nominativ und -h-ano lateinisches anhängsei sei,
nicht ernstlich in betracbt kommen; wol aber die zweite, dass
in livah- ein germanisches wort, das got. leibahs hiefse, eine ab-
leitung von lif, Üb 'leben' vorliege, dieser erklärung steht die
auffassung der endung -ano als latinisierung des ausganges eines
germ. »-Stammes nicht im geringsten im wege, und was die
Zusammenstellung des -ah- mit der ableitung in got. -barnahs,
stainahs, waurdahs betrifft, ist sie auch ohne weiteres zu bil-
ligen ; nicht aber die deutuug der wurzel selbst, ein yöltername
des sinnes 'der im dunkel lebendige' wird niemandem ansprechend
erscheinen, und als der 'ein leben in der finsternis führende',
was noch eher annehmbar wäre, lässt sich Requalivahanus schon
nicht wol versteht), da das suffix -qo-, germ. -ha-, -ga-, nicht
nomina agentis bildet, dabei wird überdies das v der inschrift als
widergabe von germ. b aufgefasst, was gewis nicht unbedingt ab-
zuweisen ist; aber besser ist es doch, wenn wir mit einer er-
klärung auskommen, die v als transcription von germ. u gelten
lässt. eine solche ist aus dem erhaltenen germanischen sprach»
gut freilich nicht möglich, wol aber wenn wir auch die ver-
wauten sprachen zum vergleich herbeiziehen, in diesem falle
kommen lat. liveo , lividus, livor; kymr. /w, llho 'coior', ir. U
'color, splendor', gall. Llvius, Llvo, kymr. Gwynlllw in betracbt;
rgl. Glücfe Die kelt. aarnen bei Caesar 47. zumal aber der letzt-
erwähnte eigenname, der -allisch * Uindolnws (Yindoliviis) lauten
würde, da gall. uindo-, kymr. gwyn 'albus, candidus1 bedeutet,
also gerade das gegenteil von germ. rekua-, haben wir liier ein
376 REQUALIVAHANUS
genaues gegenslück zum Requalivahanus vor uds, sofern wir von
der ableitung absehn, aber auch für diese findet sich leicht eine
erklärung. denn wenn in *liua- im germanischen der sinn 'färbe'
lag, war eine ableitung mit dem suffix -ha-, -ga- im sinne von
'farbig' ganz am platze; ja auch wenn *lluaz selbst schon 'farbig'
bedeutete, war eine nebenform *liuahaz, *liuagaz ebensogut
möglich als ags. haswig, salwig neben völlig gleichbedeutendem
haso, salo. man vgl. die zahlreichen derartigen Weiterbildungen
von adjectiven bei Kluge Nom. stammbild. § 205.
Requalivahanus, germ. Rekualliiahö , ist also 'der dunkel-
farbige', ein unterweltgott, wie Holthausen meinte, kann er
deshalb immer noch sein. wenn dieser gelehrte aber fragt,
ob wir darunter wol Wodan als todesgott verstehn dürfen , ist
das zu verneinen, einen Wodan als todes- oder unterweltgott
hat es niemals gegeben, und als seelenführenden windgott sich
ihn schwarz vorzustellen , lag kein grund vor. ich möchte schon
— lieber auch als an Surtr — an einen würklichen germanischen
Pluto denken und hoffe diesen, den die Nordleute zu ende der
heidnischen zeit allerdings schon vergessen hatten , auch noch
einmal nachweisen zu können. Rekualmahö ist ein passendes
epitheton für einen gemahl der schwarzen oder halb schwarzen
Hei ; vgl. JGrimm myth.3 289. auch Pluto führt den beinamen
2/.Ötioq; s. Preller Gr. myth.2 1, 656.
Wien, im märz 1891. RUDOLF MUCH.
EXCURS ÜBER DIE GOTISCHEN ADJECTIVA AUF -AHS.
Hr dr Much hat mir freundlich gestattet, an seine aus-
führungen einen hinweis anzuschliefsen , der der Holthausenschen
etymologie des zweiten teils von Requalivahanus den boden ent-
zieht, — ohne freilich der neu vorgetragenen eine eigentliche
stütze zu bieten.
Das gotische besitzt bekanntlich neben einer gröfseren an-
zahl von adjectiven auf -ags {-eigs) eine kleine gruppe auf -ahs,
und Kluge Nom. Stammbildungslehre § 202 hat die Spaltung des
alten fco-suffixes in ga-ha mit der verschiedenen accentlage in
Verbindung gebracht, indem er zugleich auf die in § 67 seines
buches behandelten ahd. collectiva auf -ha uä. hinwies, abgelehnt
wurde diese ausetzung zweier durch urgerm. Vorgänge geschiedener
GOTISCHE ADJFXTIVA ALT -AHS 377
suffixe ga und ha von Kauffmann Beitr. 12,206, der vielmehr 'kein
hindernis sieht, ein hs nur als orthographische Verschiedenheit auf-
zufassen: gs:hs^= ds:ps'. also stainahamma soll sich aus einer
nominativform stainahs <^stainags erklären, ein von uns nur theore-
tisch gefordertes, niemals würklich belegtes nominativisches hs<Cgs
soll einer mächtigen gruppe auf -ags (-eigs) trotzend sich das pa-
radigma einiger weniger adjectiva ganz unterworfen haben !
Dieser Widerspruch war nur möglich, weil Kauffmann Kluges
hinweis auf die collectiva unbeachtet gelassen hat. es besteht
ein durchgreifender bedeutungsunterschied zwischen den adjec-
tiven auf ga (-ags, -eigs) und denen auf ha (-ahs): den ersteren
liegt ein abstracter nominalstamm, natürlich mit der Vorstel-
lung des Singulars, zu gründe, den letzteren der nominalstamm
eines concretums mit der Vorstellung der mehrheit. es bedeuten
mödags, wulpags, ansteigs, mahteigs: 'iracuudia, gloria, dementia,
polentia praeditus (affectus)' l — dagegen stainahs: 'saxosus,
saxorum plenus', nnbarnahs: Miheris carens' zu *barnahs: 'liberis
praeditus', waurdahs (Skeir. iv): 'verbis se manifestans' (Upp-
ström)2. schon Kluge § 67 hat zu got. stainahs ahd. steinahi, zu
got. *barnahs ahd. chindahi gestellt und auf das Vorhandensein
ähnlicher collectivhildungen im gotischen (bairgahei, bröprahans)
hingewiesen; er unterlässt es aber, den von mir hervorgehobeneu
unterschied im Ursprung und wert der bildungen auf -ag einer-
seits, auf-aA anderseits ausdrücklich zu betonen, und so stehn denn
in seinem § 207 beide gruppen wider ungeschieden beisammen.
Dass dieser unterschied weder ein rein graphischer noch
auf das gotische beschränkt war, ergibt sich schon indirect,
wenn man das von Kauffmann für die nichlgolischeu sprachen
herangezogene material aao. 204 f durchmustert: K. führt nahezu
ausschließlich adjectiva vor, die aus abstracten gebildet sind, also
das ga-suifix haben müssen, wahrend die dem gotischen stainahs,
barnahs, waurdahs entsprechenden adjectiva unbemerkt unter den
tisch gefallen sind, denn got. stainahs wird im ahd. nicht durch
steinac vertreten, das vielmehr erst eiue relativ jüngere bildung
1 auch hieraus ergibt sich, dass die alte ableitong des adj. managt
von mana-'homo', die man jetzt aus anderen gründen in zweifei zieht, nicht
richtig sein kann.
2 ein viertes wort, das Kauffmann anführt, niuklah» vrjrnoe gehört
gewis nicht hierher: es darf aus dein Zusammenhang mit veoyi.uyi'i schwer-
lich herausgelöst werden.
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 25
378 GOTISCHE ADJECTIVA AUF -AHS
zu sein scheint, sondern durch steinaht. die collectivadjectiva, wenn
der ausdruck einmal gestattet ist, zeigen im westgermanischen und
nordischen ein suffix -aht, -oht, -eht, -iht, das in einem langsamen,
nun schon ein Jahrtausend währenden processe von -ag, -ig ver-
drängt wird: denn erst heute vollzieht sich der letzte act
des kampfes zwischen den zurückweichenden dornicht, steinicht,
haaricht, lockicht und den vordringenden steinig, dornig, haarig,
lockig, während umgekehrt die collectivsubstautiva wie kehricht,
röhricht sich das im substantivierten adj. dickicht mit recht be-
wahrte t ungebührlich angeeignet haben, für das ahd., ags., an.
führt die Grammatik n 380 f reichlich belege an, die den unter-
schied klarstellen. das nahe Verhältnis der ahd. adjectiva auf
-aht(i) zu den collectiven auf -ahi wird zb. deutlich, wenn es an
der Ulfila Marc, iv 5. 16 {ana stainahamma) entsprechenden stelle
bei Tat. 71, 3 heifst fielun in steinahti laut und 75, 2 ubar
steinaht gisdwit ist. die Monseer fragmente (Hench vm 7) haben
freilich hier schon feal in steinag.
Sind die functionen von ahd. -aht und gol. -ah gleich, so
sind es natürlich noch nicht die formen, etwa au einen alten
lautübergang hts >> hs zu denken und aus diesem nom. stai-
nahs << stainahts in Kauffmanns weise die flectierten formen ab-
zuleiten, das verbietet eben schon das dem got. und westgerm.
gemeinsame collectivsuffix -aha, -ahi usw. so weifs ich nur den
einen ausweg, dass von zwei gemeingermanischen suffixen, welche
neben -ag (-ig) bestanden, und von denen vielleicht das eine,
-aht, stoffadjectiva, das andere, -ah, collectivadjectiva bildete,
im gotischen das erstere, in den übrigen sprachen das letztere
unterdrückt worden ist. diese Unterdrückung war der anfang
eines uniformierungsprocesses, der im deutschen in absehbarer
zeit zur alleinherschaft des suffixes -ig führen wird.
Komme ich auch hier nicht über Vermutungen hinaus, so
hat doch die betrachtung mit Sicherheit das eine ergebeu: mit
der bedeutung 'vita praeditus' darf man zwar ein got. adj. *lei-
bags, aber gewis kein *leibahs ansetzen, wie das Holthauseu tut;
und nun gar diesem *leibahs die bedeutung eines agens zu geben:
'(in tenebris) vitam degens' scheint mir völlig ausgeschlossen,
günstiger steht es immerhin mit der etymologie von Much, obwol
auch sie vorläufig nur ein versuch bleibt, den neuen wort-
stamm fürs germanische einmal zugestanden, so wäre *ttvahs eine
GOTISCHE ADJECTIVA AUF -AHS 379
bildung, die sich am nächsten mit got. waurdahs vergleichen
liefse: also 'coloribus se manifestans'. das dazu gehörige col-
lectivum ahd. *livahi würde 'farbenfülle' heifsen, aber wol auch
die allgemeine bedeutung 'färbung, erscheinung' beanspruchen
können.
Marburg i. H. EDWARD SCHRÖDER.
ZU BRUDER HERMANNS JOLANDE.
In der recension von John Meiers ausgäbe der Jolande,
DLZ 1891 nr 12, war es mir nicht möglich, eine reihe mehr oder
weniger wesentlicher dinge, die mir auf dem herzen lagen, zu
besprechen, sie mögen hier als beitrage zur Überlieferung, spräche
und erklärung dieses interessanten textes, sowie zur begründung
meines in der recension ausgesprochenen urteils eine stelle und
damit zugleich entschuldigung für die form finden, in welcher
sie hier auftreten.
1. Zur handschrift. Meier kommt zu dem Schlüsse,
dass die vorläge Wiltheims mehr enthalten habe, als seine ab-
schritt jetzt bietet, indes nehmen die s. v angezogenen worte
des Jesuiten deutlich bezug auf den uns vorliegenden letzten teil
des textes: prodigia multa atque magna patrasse Yolandam cum
viveret et maxime cum sodalibus praeesset ist eine Übersetzung
von 5944 — 47. sed haec cuncta cum postremis libri ipsius foliis
irreparabili damno periere fährt Wiltheim fort, wenn er dann
hinzufügt unicum paginae ultimae adhaesit tale, so spricht der
ausdruck nicht sehr dafür, dass der Jesuit das erzählte wunder
nebst dem bruchstück eines zweiten in Hermanns versen ge-
funden habe, der 'anhang' scheint sich allerdings auf dessen
namen bezogen zu haben; aber es muss trotzdem dahin gestellt
bleiben, ob der deutsche dichter die wunder würklich behandelt
hat. mir will scheinen , dass er das erste , welches in die zeit
fällt, deren Schilderung im gedieht erhalten ist, wenn er es ge-
kannt hätte, oder hätte mitteilen wollen, im chronologischen Zu-
sammenhang wenigstens nicht ganz unterdrückt haben würde.
M. kommt weiter zu dem resultat, dass VV.s vorläge nicht
die originalhs. gewesen sei. seinen hauptgrund gewinnt er aus
der von ihm und Sievers gleichzeitig gemachten beobachtung1
1 vgl. Sievers üxf. Benedictinerregel s. xvn anm. 1.
•2.'. *
380 ZU BRÜDER HERMANNS JOLANDE
einer durch das mittelfränkische gebiet laufenden grenze zwischen
rt und rd aus germ. rd. in der hs. ist meistens rt geschrieben,
während der text zweimal das adj. werde zum praet. begerde reimen
lässt; daraus ergebe sich, dass der Schreiber rt, Hermann aber rd
gesprochen habe, beide, der Schreiber und der dichter, sitzen
im Luxemburger gebiet, durch welches nach M.s beobachtungen
würklich die dialectische grenze zwischen rt und rd hin-
durch zu laufen scheint, aber in den litterarischen äufserungen
dieser gegend gehen die Schreibungen rd und rt meist durch-
einander, wenn nun ein in dieser gegend entstandener text nur
in einem einzigen fall die enlsprechungen von germ. rd und rp
zusammen reimt, und wir aus den reimen auf den dialect schliefsen
dürfen — was aber durchaus nicht sicher ist, da sich die lit-
terarische spräche und ganz besonders noch die spräche der
reime nie vollständig mit dem dialect deckt — , so müsten wir
m. e. eher zu dem schluss kommen, dass rd nicht dem dialect
des dichters angehört habe1, somit fiele die beobachtete Ver-
schiedenheit weg und bliebe die möglich keit, dass unserer
hs. doch ein ganz authentischer text vorgelegen habe, da aber
W.s vorläge, wenn sie auch eine abschrift war, kaum fehler des
sinns enthielt, so könnte die frage höchstens bedeutung für die be-
urteilung der sprachformen beanspruchen. — es sei hier denn noch
auf eine orthographische gepflogenheit der hs. hingewiesen , die
vor labialen häufig« statt m setzt, zb. unber st. umber, unbe st.
umbe, kunber st. kumber (s. xxxix). der laut war selbstverständ-
lich m, die Schreibung kaun sehr wol eine sogenannte umgekehrte
sein (nach fällen wie umberaden, ummaze : unberaden , unmaze).
ganz dasselbe haben wir aber auch, wo es von M. verkannt ist,
in unman, nimman, nunmer, wie die hs. durchgängig sehreibt
für ümman, nümman, nümmer. die letzten formen wären natür-
lich in den text zu setzen, und der etymologische versuch s. xxxm
muss verfallen.
1 hierzu bemerkt mir Edw. Schröder: 'es finden sich ähnliche reime
gerade mit werde auch in oberdeutschen mundarten, sodass ich auf die Ver-
mutung gekommen bin, ob nicht in dem uns überlieferten adjectiv t) werpaz,
2) werdäs stecke, das nhd. wert mit seinem unangefochtenen t würde
auf das letztere zurückgehn, ebenso aber auch unsere reime aus ihm zu
erklären sein, in einem unbestritten echten Neidhart fand ich noch dieser
tage in vollem werde : verkerte (34,1) gereimt, der einzige derartige reim
bei N., der sonst rd nie mit rt bindet.'
ZU BRUDER HERMANNS JOLANDE 381
2. Zu spräche und versbau. s. xxi. die angeführten
Schreibungen beweisen doch eher für die ausspräche des o als
des a. vor ch ist geradezu Übergang in a möglich; vgl. meine
Mnl. gr. 68. — s. xxiv 3). vgl. auch Mnl. gr. § 147. — wegen
gen (mit kürze) für geben, vgl. auch Vogt Salom. und Mor. s. c;
Kauffmann Schwab, mundart 175 anm. 2; heute an der ganzen
Mosel gen (3 pers. git) oder gin, das letztere auch im Luxem-
burgischen. — s. xxv. wegen des aDgeblichen mhd. e in venster,
vgl. Anz. xi 19. — s. xxviii. besser als die Mediascher muudart,
in welcher, wie bei Scheiner s. 136 nachzusehen gewesen wäre,
ein i für germ. ai nicht so ganz vereinzelt dasteht, würde M.
das dem yrst seines textes ganz sicher entsprechende mnl. ierst
angezogen haben, mit dem ich mich Mnl. gr. § 81 herumgeplagt
habe, am eude entpuppt sich das i noch einmal als ablaut des
ai. — dass die reime, wie gyt : yt, ganz in Ordnung sind, indem
die verba mit ursprünglichem eh den laut ie (in unserem text y)
erhalten, ist bei Weinhold Mhd.gr.2 §424 zu lernen, noch
besser freilich im ndl. — s. xxxi. als ich die worte Anz. xi 106 f
und xin 212 anm. niedersclirieb, hätte ich nicht gedacht, dass
doch noch ein herausgeber aus guter schule bezüglich eines
textes, in dessen heimatsdialect heute der umlaut in vollstem
mafse herscht, eines textes, der im opt. praet. mehte, dehte uä.
sagt, der redet 'rät' schreibt (5197), der den indic. künde stets
zu würtern mit u, den opt., meist kuinde geschrieben, stets zu
solchen mit m reimt (vgl. zb. vrunde : kuinde 4027 und die Zu-
sammenstellung für die Schreibung ui, die M. selbst s. xxxiv,
allerdings in ganz anderem sinne, gibt) sagen würde 'es ist kein
umlaut von u > ü eingetreten' und das auf die einzige tatsache
hin, dass mögen 'mögen' : gezögert reimt, wenn in dem reimwort
würklich o vorliegt — die vielleicht als m-participia zu erklärenden
regelmäßigen besluzzen, verdruzzen, genumen i, bekamen unseres
textes lassen eine andere aulfasuug nicht ganz umlenkbar er-
scheinen — so würde ich schliefsen, dass entweder der form
mögen keine umzulautende form zu grunde liegt, oder dass wir
einen der renne fürs äuge haben, deren Ursprung und Ver-
breitung die heuligen herausgeber zu untersuchen hätten, mir
ist in unserem gedichte kein fall aufgestofsen , welcher der an
sich ganz selbstverständlichen annähme des umlaute von ü wider-
spräche, nicht minder hätte der herausgeber für die länge viel-
382 ZU BRÜDER HERMANNS JOLANDE
fach ü zu setzen gehabt, uud nicht nur bei umgelautetem u. man
behauptet immer noch, germ. tu sei im md., nd. und nl. zu
u geworden, während tatsächlich die dialecte u aufweisen;
so hätte es auch in unserem text zb. uch zu lauten, vur,
gezüch, lüde, vrünt. desgleichen kommt dem unserem je in
Zusammensetzungen entsprechenden u der laut ü zu , also zb.
iimmer 'immer', als einzige scheinbare ausnähme u:u habe
ich mir angemerkt drüf.gebüt 4154: vielleicht ist die form des
erstem, wahrscheinlich eines litterarischen Wortes, aus nl. drut
(oder frz. drut) entlehnt, aber wenn der reim sich auch nicht
als rein dartun lässt, so darf doch die einzige ausnähme die
grundsätzliche auffassung nicht beeinträchtigen, ebensowenig wie
ohne weiteres der einzige reim krönen : schönen (370) genügt,
um den umlaut des d zu bestreiten, weiter wird auch dem um-
laut des ü (ahd. uo) von unserem gedieht, soweit ich sehe, nir-
gends widersprochen, was M. s. xxxiu darüber sagt, wird man
jedesfalls nicht als gegenbeweis gelten lassen; der heutige dialect
hätte auch darüber unwidersprechlich zu entscheiden. — auch
die äufserliche art, wie dann weiter das Verhältnis u:o behandelt
wird, kann heute wenig wert mehr beanspruchen, wenn ein
herausgeber solche dinge überhaupt zur spräche bringt, sollte er
sie auch eingehender untersuchen und genau sagen, was wir von
den tatsachen verstehn können, was uns noch unerklärlich bleibt,
hier würde er, abgesehn vielleicht davon, dass nicht ein einheit-
licher dialect streng festgehalten ist, kaum Schwierigkeiten ge-
funden haben, zumal bei berücksichtiguug des ndl. ich hebe hervor
die auch sonst verbreiteten formen loft, lost, kos, kossen 'küssen',
die sich aus alter doppelgestaltigkeit im wurzelvocal der w-stämme,
bezüglich des verbalst, aus *kussön erklären, auch scholt (neben
schult) findet sich in mnl. scout (neben schult) wider und ist —
von schulde verschieden — gleichfalls als w- stamm zu erklären,
oder wenigstens in einer ähnlichen weise, die den Wechsel von
u und o als altberechtigt ergibt. — s. xxxvi. über die doppel-
schreibung der consonauten, besonders des d, wird eine genauere
Untersuchung und ein urteil abgelehnt, in diesem falle hätte,
zumal bei einer sonst so äufserst conservativen behandlung des
textes, denn doch die Schreibung der hs. eher mafsgebend sein
müssen, als die mhd. norm. M. aber gestattet sich nach der
letzteren überall zu vereinfachen, sogar in bidden, obwol es stets
ZU BRUDER HERMANNS JOLANDE 383
mit dd, niemals mit d geschrieben wird, obwol v. 4765 bit ich
steht, obwol das wort auch sonst überall mit ausnähme des älteren
oberdeutschen doppelconsonanz hat. auch hinsichtlich der anderen
Wörter, wenigstens derer mit urspr. kürze, muss ich ohne nähere
Untersuchung die Vereinfachung für unberechtigt erklären; für
kürze des vocals — also für doppelschreibung — sprechen auch
andere, ältere und neuere, md. und nd. dialecte sowie der reim
sydden:bidden 4151. — xxxvm ff. es nimmt sich sonderbar aus,
wenn für die form bit 'mit' zwar Bugge Beitr. xii 419 f citiert
wird, wo vom koischen dialect und construierten uridg. formen
die rede ist, aber das benachbarte ndl., wo die form bit bekannt
genug ist, zumal im limburgischen, ganz aus dem spiel bleibt, es
wäre doch bequem genug gewesen Verdams mnl. Wörterbuch nach-
zuschlagen ! für den gesunden sinn M.s spricht es indessen, dass
er sich durch die Beiträge, die auf manche einen so unentrinn-
baren zauber ausüben, nicht von einer selbständigen und richtigen
erklärung hat abhalten lassen, er hätte diese freilich auch schon
in meinem Etym. woordenb. unter niemendal finden können, als
parallele für den Übergang von m zu b in vortoniger silbe habe
ich mir aufser besan(segel) aus mesana angemerkt westfäl. beschäten-
mo^'muscatnuss' (Woeste Wörterb.), bereits altwestfäl., s. Chron. d. d.
Städte xx 470, 10. dass bei miz für biz nicht, wie in so vielen
fällen, zb. gleich s.xl, an 'umgekehrte Schreibung' gedacht wird, ist
mir auffällig. — über das 'euphonische »' ist s. li ff recht ver-
ständig gehandelt, wenn auch einzelnes übersehen oder falsch auf-
gefasst ist. sicherlich ist es geboten, der früheren willkür in der
textbehandlung einhält zu tun. aber es zeigt sich doch gleich,
dass auch diese art der betrachtung noch nicht die ganz richtige
ist, dass wir auf diesem wege nur dazu gelangen, uns hilflos vor
jedem Schreibfehler zu beugen, es ist zb. ganz gewis 845 von
golde, 2954 müde, 4666 juncfroiwen zu schreiben. — ich merke
dann noch an brengeri s. xxix, verre s.xl, das 'unorganische' b
in umber s. xlii (vgl. meine Mnl. gr. § 115, 1), die erklärung
von g in sagen, sowie den formen von fliehen s. xliv, das 'pro-
thetische' h in den pronominalformen wie her und im praetix her-
s. xlvi, dinge über die M. sich leicht besser hätte unterrichten
können, und die Schnitzer: germ. t in twingen s. xmx, h'sclwn
st. leschen s. lx. der s. lxiv besprochene reim ist doch wol ein-
fach als sereihere aufzufassen. — s. lxvii. das wort bthte steht,
384 ZU BRUDER HERMANNS JOLANDE
so oft ich es bemerkt habe (1078. 1095. 1115. 4591. 4594), in
versen mit einer fehlenden Senkung, wenn wir sehen, wie spär-
lich verse dieser art überhaupt sind, zumal von compositis ab-
gesehen, so drängt sich die Vermutung auf, dass bihte noch drei-
silbig war. entsprechendes hat der hg. von werld angenommen,
auch die sehr wenigen anderen verse mit syncopierter Senkung
bei nicht in prosa nebentonigen Wörtern dürften wol zu be-
seitigen sein; 1316 fehlt gewis etwas, ebenso 4335, wenn nicht
worte beizubehalten ist. zugleich würde die tatsache, dass die
ursprüngliche form von beichte grundsätzlich beseitigt ist, ein
fingerzeig dafür sein, in wie weit wir die überlieferte spräche
als den luxemb. dialect vom ende des xm jhs. ansehn dürfen,
vielleicht hatte indessen die alte hs. überhaupt noch die Schreibung
ie für W.s y; dreisilbiges biechte und zweisilbiges lieten konnten
orthographisch gleich sein. — wenn , um zum metrischen zurück-
zukehren, M. an dem rhythmus von versen wie dy sich wol
zürnen soüde, du noch ein deil den willen min etwas anzumerken
findet (s. lxxi), so möchte ich doch fragen, was für rhythmus er
denn überhaupt vom dichter verlangt, mir scheint diese tüftelige
Untersuchung ganz unfruchtbar, wie auch der unterschied in der
'schwebenden betonung', der bei fällen wie juncfröiwe, unvrö ge-
macht wird, jenachdem sie im reim oder im versinnern stehn.
beides ist für den dichter der Jolande genau dasselbe, und er
bedient sich damit der gleichen freiheit wie die mnl. dichter
ganz allgemein, im gegensatz zu diesen hat er aber die Senkungen
in Übereinstimmung mit dem gebrauche ober- und mitteldeut-
scher dichter gebaut und wol auch nach deren vorbild. doch
wären die speciell limb. dichter auf diese letztere frage hin
noch einmal anzusehn.
3. Zum text. während wir einzelnes zu erwähnen hatten,
betr. dessen M. zu unrecht von der hs. abgewichen ist — auch vroinde
801, arrebeit 1138 und sonst (vgl. dagegen 4516), herrebergen
4537 uä., dorte (st. dorfte) 2151 wären zu erwägen — hat er
sich, wie wir schon sahen, auch öfter ihr gegenüber eine nicht
zu billigende enthaltsamkeit auferlegt, enmacheit 1407, dunkeit
2489 sind sicher Schreibfehler und kundes 4207 ist getrost in
künden zu verbessern. — 24. die conjectur ze bile ist ohne
zweifei richtig. — 412. denze'rinne. das e mit absieht? jedes-
falls nicht berechtigt. — 451. der jdre strich, wie ich DLZ aao.
ZU BRUDER HERMANNS JOLANDE 385
vermute, wäre Umschreibung für der järe. es sollte dann eigent-
lich Striches stehn, doch kann die flexion unterdrückt werden;
vgl. 4024. 5697. 5728 hs. — 1000 und 1912 lag es wol nicht
in der absieht des dichters, einen einschnitt durch rede und
gegenrede in den vers zu bringen. — 2247. näher liegt gecryget. —
2685. was ist burnensklancl lies burnenspraticl mnd. bomespranc
'brunnenqueü'. — 2765 1. krüsK — 3152 wol nicht zu lesen
kalde, ze sondern nach der parallele in der anmerkung balde. —
3608 wol des st. der. — 3610. zu der DLZ angegebenen bes-
serung Tich st. uf vgl. nachtrag zu s. xliii. weder der ausdruck
suster entfdn für 'ins kloster aufnehmen' noch uf entfdn noch
die Wortstellung wären gerechtfertigt; der folgende vers gäbe
keinen sinn, und die von M. vorgestellte änderung wäre in
unserer hs. nicht gestattet, nicht besser steht es mit der form
sester, die M. in der eiuleitung s. xxiv (vgl. s. xx) für diesen vers
und 3587 als 'compromissbildung' aus swester und suster ver-
teidigt, mit den 'compromissbildungen' ist es eine eigene sache.
jedesfalls ist es keine so häufige erscheinung, wie man das zu
bequemen erklärungen annimmt, es verhält sich damit wie mit
der erklärung aus analogie , die man doch auch nicht handhaben
sollte, ohne sie vor seinem sprachwissenschaftlichen gewissen ge-
nügend zu rechtfertigen, bei der bekannten nebenform von
swester, die unser text wie wahrscheinlich auch der dialect in
Übereinstimmung mit dem ndl. allein kennt, haben wir auch
wider das oben erörterte Verhältnis: sie lautet suster, nicht suster,
und so überall, so weit ich zu urteilen vermag: nl. zuster (wo
u immer ü ist), md. suster, ud. suster, ags. *syster, engl, sister,
an. syster. auch im altfries. ist suster (geschrieben suster) an-
zunehmen, zumal da sich so auch die von Siebs Zur gesch. der
engl. -fries. spräche s. 135 f aufgeworfenen Schwierigkeiten er-
ledigen, man kann diese form nicht etwa auf einen germ. ab-
laut *sustir zurückführen, denn dann müste es altfries. * sester
lauten, vielmehr ist säst- (ohne umlautuug) aus swist- hervor-
gegangen2 (Tatian 106, 6 suister), wie, ungefähr auf demselben
Sprachgebiet, tuschen (nicht tuschen) aus twisken. so wird auch
der bisher rätselhafte laut von nd. süs 'so' klar: er wird eine
1 1854 oiwe. s. xeix am schluss der anm. I. Momohau; cxxx anm. \
Weidenbach st. Willheim.
2 auch Meier führt s. xxxi m in nuter auf swi zurück.
386 ZU BRÜDER HERMANNS JOLANDE
form *swis (aus *swesi-l) voraussetzen1, also süster ist die alt-
luxemb. form, auf ihr beruht auch die angebliche compromiss-
bihlung, die aus dem neuluxemb. als sester, seschter, auch einmal
sester in einem älteren lext, belegt wird; sie hat nur e aus
früherem ü, wie ja auch das s. xx anm. 1 daneben gestellte
tessche 'zwischen', wie ferner zb. neuluxemb. fer 'für', jengste
'jüugste' und der name Letzeburg selbst, es widerspricht mithin
nicht weniger als alles der erklärung M.s, und ich begreife nicht
recht, wie er Wiltheims richtige auffassung eam sextam zurück-
weisen konnte, die formen ir sester (eam sextam) und uch sester
(vos sextam) sind aufs schönste in Ordnung, für 'zu dreien' sagt
das mnl. wi drie, si drie, acc.-dat. (vgl. meine Mnl. gr. § 237)
ons drien, hem drien. häufiger noch wird statt dessen eine Ver-
bindung des Personalpronomens mit der Ordinalzahl gebraucht,
wie im französischen, welches lui dicieme, soi quinte, vos tiers
sagt, steht das pron. im accus. ; es sei dahingestellt, ob in nach-
ahmung des französischen, oder aus gleichem gründe (vgl. engl.
himself). das ordinale kann stehn 1) in der nominativform :
haer ander, mi derder, hem twentichste; 2) in der accus. -dativ-
form: haer anderen, di derden, hem tienden; 3) in einer form
auf -er:mi derder, hem sevender, u(wer) vyftichster. durch einfluss
einer anderen constructiou mit met (met hem vyftich) wird auch
gesagt met hem vyftichsten, met hem vyftienster'1, und noch andere
constructionsverwirrungen, sowie auch eine Unsicherheit der be-
deulung, ob nämlich der herausgehobene in der zahl mitgerechnet
wird oder nicht, sind zu beobachten, über diese füguugen handeln
Huydecoper zu Stoke i s. 501 ff, De Jager, Archief voor nederl. taal-
kunde 3, 199 ff. 4, 24911', Tijdschr. voor nederl. taal- en letterk. 2,
192(1", vHelten ebenda 5, 215 (f. auch nach diesen arbeiten wäre
noch das eine und andere diese constructionen betreffend sicher zu
stellen, die bis ins nl. fortbestehn, zunächst als zyn achtster, zyn
tiender, dann als met zyn drien, met ons vieren, ich hatte, Mnl. gr.
1 es ist natürlich bedenklich, die laute in Wörtern erklären zu wollen,
deren etymologie ganz unbekannt ist und die vielleicht ungewöhnliche
laulveränderungen erfahren haben, es soll darum auch nicht versucht
werden, über würkliches u in diesem worte zu sprechen, aber fragen möchte
ich: in wie weit gilt überhaupt u in demselben? das u der hss. beweist
natürlich gar nichts, und auch oberdeutsche hss. bieten das «.
2 darnach ist wol auch Eilhart 418 zu lesen mit im achte siner man,
wie es im mnl. heifsen könnte met hem achtende(n) siere man.
ZU BRUDER HERMANNS JOLANDE 387
§241 anm., die Vermutung ausgesprochen, dass die endung -er
analogisch aus ander übertragen sei {mi derder nach mi ander);
vHelten aao. erklärt sie vielleicht richtiger aus dem angewachsenen
genit. plur. des personalpronomeDS iro, also mi sevender aus *mi
sibundo iro. für diese auffassung sprechen vereinzelte, allerdings
nur jünger bezeugte, formen auf -ere:hem vyftichslere Kronyk
v. Viaenderen 1, 147, ebenda kern vierdere 1, 154, hem darddere
2, 41, wy tweestere Belg. mus. 6, 327, und die construction wäre
dann ein analogon zu mnd. welker(e) (gen. welkers) aus *hwilik
iro. in den obliquen casus, im fem. und plural galten dieselben
formen, zb. acc. masc. hem twelfde, nom. pl. hem twelfde , hem
vierder, acc. pl. hem derder, fem. mi derder Belg. mus. 10,54.
demnach würde 'sie zu sechsen' mnl. lauten haer sester, 'euch
zu sechsen' u sester, und das sind eben die ausdrücke, die wir
hier widerfinden, entsprechend hat denn auch die hs. 5810
dritter; das fem. pron. lautet an dieser stelle dy , von M. wol
mit recht in sy gebessert, das wäre dann eine art widerherstellung
der constr. ir dritter, entspr. der in v. 3587 belegten ir sester.
aus v. 3587 und 3610 ist zu entnehmen, dass es ein besonderer
Vorzug war, in gröfserer gesellschaft in ein kloster aufgenommen
zu werden, und es liegt nahe, an eine parallele zwischen der
aufnähme adeliger Jungfrauen in einen geistlichen orden und der
der Jünglinge in den ritterorden zu denken, wie wenig dieser
vergleich auch zu den eigentlichen grundsätzen der demokrati-
schen orden stimmen will, es ist mir nicht gelungen eine
anderweitige bestätigung der tatsache, die wir hier lernen, bei-
zubringen, ein zvveifel an der auffassung der stellen ist indessen
gänzlich ausgeschlossen1. — 4728 ist vor dan zu interpungieren;
dan als gehört zusammen. — 5278 1. quam. — 5652 ist sicher
nicht richtig; vielleicht dan st. da. — 5660 fehlt müz oder sal
1 dr Jos. Hansen schreibt mir: 'der nachdruck scheint mir auf dem grafen
von Vianden zu liegen, das kloster will gern mit ihm in Verbindung treten,
durch ihn vorteile irgend einer art erreichen, und so erbietet es sich, aufser
seiner tochter noch fünf freundinnen derselben, jedesfalls ohne die sonst
erforderliche dos, aufzunehmen und nach bestandenem noviziat einzukleiden,
auf diese weise konnte die junge gräfin fünf freundinnen gefällig sein
(denn es war für die töchter der adlichen immer von grofser finanzieller be-
deutung, in einem kloster untergebracht zu werden), und das kloster hoffte
durch die beziehung zum grafen von Vianden schon wider auf seine rech-
nung zu kommen'.
388 ZU BRUDER HERMANNS JOLANDE
vor sin. — 5695 weder der lautstand der hs., noch die bedeutung
empfehlen lovene; ze Idzene wäre auch noch zu farblos; vielleicht
stand ze lackene. — 5892 1. nöste. — 5914 fehlt der punct
hinter mäht, einige andere Verbesserungen sind bereits DLZ
angegeben.
Auch in den anmerkungen macht sich die mangelnde kennt-
nis des ndl. oft genug recht unangenehm fühlbar, das mnl. hätte
zb. gelehrt, dass die zu 2178 besprochene, nicht and xoivov auf-
zufassende construction, eine ganz geläufige ausdrucksweise für
das relativverhältnis ist; vgl. auch Lübben Mnd. gr. s. 112, Gr.
iv 592 anm. und vor allem das englische, die construction stand
in unserem text auch v. 4526, wo also dy zu streichen ist. im
übrigen will ich nur noch einige wenige anmerkungen berühren,
verfehlt ist die erklärung des zur aufnähme vorangehender Satz-
teile dienenden so (z. 27). — dass die construction v. 677 ungelenk
sei, ist keineswegs zuzugeben. — was v. 1847 'aufbinden, auf-
schürzen' soll, vermag ich nicht einzusehn, auch bleibt die form
des angenommenen verbums problematisch; dem sinne nach würde
statzede gut passen. — über provende 3407 hätten die Wörterbücher
bessere belehrung erteilt. — gesaz 4024 kann nicht gleich nd. gesäte
sein, dessen bedeutung auch nicht passt; es ist vielmehr eine
bildung * gi-sato- syn. mit gesetz; vielleicht ist westfäl. gesät
identisch.
Bonn, december 1890. FRANCK.
GERMANISCHE GOTTERNAMEN
AUF RHEINISCHEN INSCHRIFTEN.
1. MARS HALAMARDUS.
MAPTI
HALAMAP-B-/
SACPVM
T- DOMITA/INDEX
3LEG-XX-V-V
V • S • L • M
In vico Hornano, Niederlande. CIRh Add. 2028 (dorf Hörn
in der niederländ. prov. Limburg bei Ruremonde?).
GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN 3S9
Zeile 5 ist vollständig 'centurio legionis xx Valeriae victricis'.
die legion, welche aus Dalmatien kam, verweilte nicht lange in
den Rheinlanden, da sie nach Tacitus bereits an den britannischen
kriegen teil nimmt, sicher verliefs sie Germanien unter Claudius,
der stein müste also vor Claudius fallen, wenn man nicht an-
nimmt, was allerdings das wahrscheinlichste ist, dass der centurio
T. Domitius Vindex in den Niederlanden zu hause war und so
auch später, etwa nach beendigung seines felddienstes, gelegenheit
nehmen konnte, den stein zu stiften.
Der beiname des Mars wird in HALAMARDO , kaum
HALAMARD1, zu ergänzen sein, derselbe ist ein compositum,
dessen ersten teil ich durch an. halr, gen. hals, pl. halir (somit
allerdings e'-stamm), 'der mann', vgl. auch den /o-stamm ags. hcele
'vir', repräsentiert finde, den zweiten teil mardus aber stelle ich
zu unserem mord, morden, mörder, lat. mori sterben und setze ein
germ. *mardäs oder vielleicht besser * mardus, vorgerm. mortüs (?)
'der mörder' an, welches wol in mhd. mart, ags. mearth, meard,
an. mordr, 'der marder' erhalten ist. die bekannte mordlust des
marders muss in seinem namen characterisiert sein, welcher ein
triftiges seitenstück in dem namen eines ebenso mordlustigen
vogels, des Würgers (lanius excubitor) besitzt, ich erkläre dem-
nach Halamardus als den 'mannmörder', ein beiname, wie griech.
avÖQoy.Tovog , und halle es für nicht ausgeschlossen, dass er
dem unter Augustus verehrten Mars Ultor zu vergleichen wäre,
im germanischen göttersysteme aber, an welches wol zunächst
zu denken ist, kann der Mars Halamardus nur dem * Tius, Tyr
entsprechen, mit welchem er durch die begriffsreihe alttweutisch
Mars Thincsus, nid. dingsdag, alem. ziestag, ags. tivesdwg, an. tys-
dagr, lat. dies Martis verbunden ist. eine nahe liegende andere
auffassuug des ersten teiles gleich ala, somit alamardus der all-
tötende, verwerfe ich, da einerseits Mars als kriegsgott doch wol
nicht all tötender ist, anderseits — und dies ist ein zwingen-
derer grund — anlautendes h in den germanischeu namen der
Inschriften vom Niederrheine niemals blofses aspirationszeichen,
sondern immer echter consonant ist.
2. DEA SANDKAUDIGA.
Aus Groot Zundert, Sundert in Nord-Brabant, Niederlande
stammt, der stein CIIUi 132:
390 GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN
D E AE
SANDPAVDIG/E
CVLTOPES
TEM-PLI
An den schmalseilen der ara befindet sich je ein füllhorn.
Der name zerfallt in zwei teile, und es ist leicht in dem
zweiten das an. audigr, ags. eadig, got. audags, as. ödag, ahd. ötac,
'reich', 'glücklich', 'selig' zu erkennen, und bemerkenswert, dass
aus demselben ein germ. * audigas gefolgert werden muss, welches
nach Kluge Nom. Stammbildung 204 den got., as., ahd. formen
gegenüber älteren stand des suffixvocales aufzuweisen scheint.
Der erste teil des namens der göttin war nicht zu deuten,
so lange nicht der name des Westgoten Sandrimer beigezogen
wurde, welchem könig Sisebut (612 — 620) das bei Riese Antho-
logia latina fasc. n p. 13 abgedruckte epigramm gewidmet hat,
welches ich um den sinn von sandri zu erläutern vollständig
hierhersetze.
'Magnus ubique deus, nunquam mutabilis auctor'
Chare mihi in aeuum ualeas tu Teudila semper
Atque animo grato nomen amantis ama.
Qui tibi diuinum iussit concedere uotum
Ipse tibi tribuat Sandrimer alme uiam.
Te dominus uerax ueraci gratia servet,
Vt nomen meritis uindices ipse tuis.
Sit leo de tribu Juda tibi fautor ubique
Sit tibi uitae lux Christus ubique piusl
die erste zeile ist ein citat aus Dracontius i 128, wo maculabilis
statt mutabilis; alme uiam z. 5 stellt Riese her, Burmann Anth.
lat. ii p. 325 hat alma uia.
Es kann nicht bezweifelt werden, dass das epigramm des
königs an einen scheidenden freund 'Sandrimer qui et Theudila'
gerichtet sei, wenn wir auch über den inhalt des 'diuinum uotum',
welchem dieser folgt, nichts erfahren.
Für den nächsten zweck wichtig ist indessen nur der name
und das auf ihn zeile 6—7 begründete Wortspiel, welches eine
deutung des namens Sandrimer im sinne von 'uerax' voraussetzt
und beweist, dass dem dichter das Verständnis des namens gegen-
wärtig gewesen sein muss. sandr- kann demnach nur eine suf-
fixale ervveiterung des germ. *santh, an. sannr, sadr, as. söth, ags.
GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN 391
sod 'wahr', 'wahrhaft' sein , welche zum einfachen worte sich
genau so verhält, wie as. hedor, ags. hddor, ahd. heitar zu an.
heidr, heid, heilt, oder wie got. fram-aldrs zu as. ald, ags. eald,
ahd. alt, und vorgerm. als * sontrös germ. als * Sandras anzusetzen
ist. wenn nun aber Sisebut zu seinem freunde sagt: 'der wahr-
hafte Herr möge mit wahrhafter gnade dich bewahren, dass du
mit deinen Verdiensten deinen namen rechtfertigest', so scheint er
den namen Sandrimer nicht als 'den wahrhaft berühmten', sondern
als 'den durch Wahrhaftigkeit berühmten' verstanden zu haben,
nach der auffassung des epigrammes muss sandrimer notwendig
mit 'ueracitate eminens', 'ueracitate clarus' übersetzt werden, und
sandri kann dann nicht als blofs steigerndes adj. gefasst werden,
sondern erheischt die Unterstellung eines swf. abstractums auf -ei
*sandrei, wie digrei : * digrs, baitrei : baitrs, hlutrei : hlutrs mit der
bedeutung 'ueracitas'.
Für die Sandraudiga aber kommt nur das adj. *sandras, 'wahr',
'würklich' in betracht, welches den begriff audigas in modalem
sinne steigert, die dem locale nach texuandrische Dea Sandraudiga
ist dem wortsinne gemäfs die wahrhaft und wesentlich reiche
und glückliche und daher eine göttin der fülle, wofür die orna-
mentalen embleme eine erwünschte bestätigung darbieten1.
3. MERCUR1US LEUDISIO.
[mer] CVPIO LEVD
/// ANOH • AKRT
/// A IMPENDIO
/// VI PPOCVL I
Fragment aus Weisweiler kr. Düren rgbz. Aachen ClHh 592.
Den namen der frau zeile 2 — 3 las Lersch Amarat[tini]a und
vermutet als gentilnamen des zeile 4 genannten inannes Salvius.
für die ergänzung des beinamens des Mercurius schlug er, ich
1 mit dem namen des localcs, welchem der stein angehört, hat die
göttin demnach nichts zu tun. Sondert var. Sundert saec. 10 Förstern.
muss in durchaus unabhängiger weise erklärt werden — man denke etwa
an sand oder sund , allesfalls auch an eine vermengung beider — denn es
müste doch befremden, wenn uns ein alles * Sandraud im 10, jh. nicht
mehr als *San(lröt überliefert wäre, aufserdem ist das ^-suflix für locale
Zugehörigkeit im germ. kaum erweislich und nur ags. celtkßodig •pciegrinus'
würde ein annäherndes analogem abgehen können.
392 GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN
weifs nicht auf grund welcher analogien, ist, ehi oder ici vor.
jedesfalls ist die zahl der zu ergänzenden huchstahen, das ergibt
sich aus der ersten zeile, auf 3 zu veranschlagen, aber die frage,
welche buchstaben zu ergänzen seien, wird mit bestimmlheit, da
die vorliegende inschrift fragment ist, nur durch den allfälligen
fund eines zweiten Steines gelöst werden können, es ist aber
möglich, die ergänzung -ist-, zu welcher ich nicht eben abhängig
von Lersch auf grund sprachlicher erwägung gelange, zu ver-
teidigen und zu erklären, ein beiname, der mit leud beginnt,
hat allen anspruch für germanisch genommen zu werden, aber
ein compositum ist nicht wahrscheinlich, da für das zweite wort
mit abrechnung eines themat. i, das zu leudi- gehören müste,
nur 2 buchstaben übrig blieben , ano aber anderseits mit grolser
Wahrscheinlichkeit als germ. flexion plus latein. dativ-o zu deuten
ist. es lässt sich demnach mit gröfserem rechte eine ableitung
erwarten, und ich denke zunächst an einen germ. neutralen
s-stamm. die existenz eines solchen, germ. *leudis, lässt sich aus
den p. u. Leudisma fem. saec. 8 Pol. Irm. (vgl. Teodisma ebenda),
sowie Leudeshis, Leodesius saec. 7 Cbrou. Moissiac. mit Sicherheit
erweisen, da aber die ergänzung auf 3 buchstaben, nicht auf 2
zu berechnen ist, so setze ich nicht Leudiso au, das wie die
ohnehin als abstracta nicht gut passenden egiso lingiso (Kluge
Nom. stammbildg. 146) sich verhielte oder andersfalls eine swm.
adj. form sein könnte, sondern ein swm. nomen agentis leudisjo,
welches auf grund eines ideellen verbums -isjan, ags. -sjan
gegen an. -sa ahd. -isön Grimm gr. 2, 272 zu erklären ist.
*leudisjan verhält sich wie ags. ricsian ahd. rihhisön und muss
wie dieses den begriff des herschens ausdrücken, der parallelis-
mus von ricsian zu ags. -ric in p. n. got. reiks wie *leudisjan
zu ags. leod stm. 'fürst' ist zwar nicht fehlerfrei, aber doch auch
nicht ohne wert für die bestimmung des zu erwartenden sinnes.
in anderer weise betrachtet lässt sich der s-stamm leudis, welcher
in Leudisma und Leudesius eine weitere ableitung erfahren hat,
als alte nebenform zu gemeingerm. leudi- mn. 'volk', 'leute',
begreifen, aus welchem *leudisjan 'herschen' sich von selbst er-
gibt, ähnlich, aber wieder grammatisch nicht genau zutreffend,
ist got. thiuda, thiudans, thiudanön.
Mercurius Leudisio ist also der regnator omnium, im
german. sinne offenbar Woden, und er wird identisch sein mit
GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN 393
dem Mercurius rex, welchem der Bataver Blesio Burgionis filius
den stein CIRh 70, gefunden am ufer der Waal, gewidmet hat.
Zu dem bypothet. verbum *leudisjan 'herschen' vergleiche ich
noch got. talzjan und airzjan, welche augenscheinlich auf synco-
pierten s-stämmen *tals und *airs beruhen, für den behaupteten
dativ sing, des swm. beinamens auf -an *Leudisjan wird es ge-
nügen , auf die dative sing. ags. hanan, afris. hona, an. hana, so-
wie auf den im instrumentalen sinne gebrauchten casus forman
im abecedarium Nordmannicum zu verweisen.
4. DEA VAGDAVERCUSTIS.
Die inschrift des 'in de Linge, tusschen Hemmen en lndoor-
nik', prov. Geldern, gefundenen fufsgestelles 'basis cuprea ro-
tunda' CIRh 67:
DEAE VAGDAVER-CVSTI -SIMPLI
CIVS-SVPER-DEC-ALAE-VOCONTIOR
EXERCITVVSBRITANNICI.
ist nach Brambachs angaben nur bezüglich der von mir unter-
pungierten buchstaben E und P in z. 1 und T in z. 3 etwas
undeutlich, aber in ihrem textlichen bestände sonst völlig fraglos,
durchweg sicher ist auch der name der göttiu, welchen Bram-
bach im index des CIRh bei dem scheinbar worttrennenden
puncte abbrechend als dea Vagdavera ansetzt, während er aller-
dings mit dem folgenden Custi nichts zu beginnen weifs und es
ebenda zweifelnd unter die 'nomina' einreiht.
Der beiname der Göttin ist aber nicht Vagdavera sondern
Vagdavercustis , denn puncte im wortinnern sind epigraphisch
nicht selten, vgl. TEM.-PL1 oben s. 389, und für Vagdavercustis
entscheidet sich, wie ich durch freundliche mitteilung weiss, gegen-
wärtig auch Zangemeister.
Die Vocontii, welche am linken Rhöneufer in der gegend von
Montelimar dep. Dröme safsen, sind allerdings Kelten, aber dass
deshalb auch der decurio Simplicius Super ein Kelle gewesen
sein müsse, ist keineswegs notwendig; er kann sehr wol auch
Germane1 gewesen sein, und der schluss von der keltischen
1 vgl. die inschrift des Steines aus Bergendael bei Cleve CIRh 161,
auf welcher ein Silvanus Loupi filiu.s Treverut eque» alae Vocontiorum
erscheint und uns die ohnehin bekannte tatsache befestigt, dass officiere
und unterofficiere im römischen beere so wenig die Btammesgemeinschaft
Z. F. D. A. XXXV. N. F. XXIII. 26
394 GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN
nationalität seiner 'ala' auf keltische Zugehörigkeit der von ihm
verehrten 'dea' wäre in jedem betracht übereilt, der fundort
gewis spricht eher für die germanische abkunft des namens der
göttin, denn er liegt in dem gebiete der germanischen Cugerni,
und es kann die annähme nicht ohne weiteres abgelehnt werden,
dass der decurio jene 'basis cuprea rotunda' in seiner heimat
errichtet habe, dass er selbst cugernischer abstammung gewesen
und somit auch die göttin für eine cugernische zu halten sei.
diese Vermutung will nicht als behauptung gelten, aber sie stützt
sich auf das aller Wahrscheinlichkeit zunächst liegende und ist
demnach an sich gerechtfertigt, viel dringender aber, als die
nationalität des Stammes zu ermitteln, welchem die dea Vagda-
vercustis zunächst zugeschrieben werden mag, liegt es mir an,
den germanischen character ihres beinamens überhaupt darzulegen,
der beiname zerfällt ohne mühe in die componenten vagda und
vercustis, von denen der zweite sofort mit dem nameu der göttin
Vercana aus dem Nemetergau, Ernstweiler bei Zweibrücken, in
etymologischen Zusammenhang gebracht werden kann, welchen
RMuch Zs. 31, 357 als germ. entsprechung zu griech. 'Egyavij,
benennung der Athene, nachgewiesen hat. wie Vercana so ist
auch vercustis aus unserem werk, an. verk, as. werk, ags. weorc,
stn. abgeleitet, und ich denke keinen fehlgriff zu tun, wenn ich
den wert dieser ableitung als 'die würkende', 'die bewürkerin'
bestimme.
Kluges s?-suffix (Nom. stammbihlung § 160) in ahd. dionöst
stm., ernust stuf., angust stf. mag man allerdings noch als dunkel
bezeichnen, allein, wenn angust = asl. azosti mit lat. angustus
urverwant sein soll (Kluge EW4), was wir ja gerne glauben, so
kann es nach dem Verhältnisse von angustus zu angor, wie ve-
tustus, venustus, robustus, honestus, funestus zu vetus, venus, robur,
honor, funus nicht bezweifelt werden, dass dieses germ. si-suffix
zum teil von alten s-stämmen ausgeht und ursprünglich denomi-
native nomina bildet, diese herkunft des sf-sufüxes wird des
weiteren erhärtet durch as. *obast in 'ötastliko 'eifrig', ags. öfost,
öfest stf. 'eile', welches ich zu sskr. dpas n., ablautend lat. opus,
ihrer truppe teilen musten wie in irgend einer modernen armee. die 'ala'
hat auch in Britannien epigraphische spuren hinterlassen, s. den stein aus
\ewstead, Roxburgshire bei Ihm Matronencult. 377, welcher von Ael. Marcus
dec. alae Aug. Focontior. den Campestribus geweiht ist.
GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN 395
s. Fick Vgl. wb.3 in 20, zu stellen geneigt bin , sowie durch die
tadellose beziehung von salfränk. sunesta, sunista Lex salica und
sonesti, sonista 'duodecim equae cum admissario aut sex scrofae
cum verre vel duodecim vaccae cum tauro' Lex Ripuar. lit. 18 zu
dem s- stamme ags. sunor, suner 'grex', langobard. in sonorpair
'verres' edictus Rothari 351. das schwanken des vocales vor dem
st- suffixe, ust, ost, ast einerseits und est, ist anderseits, erklärt
sich demzufolge ganz einfach aus dem ablaut der s-stämme, gr.
-og und -sg, und nur das anscheinend verbale ahd. dionöst fällt
mit seinem ö aus dem rahmen und kanu etwa als spätere analogie-
bildung angesehn werden, für *werkustis lege ich ein altes
neutrum *werkos 'das werk' zu gründe und glaube den auslaut
des Wortes als einen «'-stamm beurteilen zu dürfen, analog zu
Albis (Kluge in Pauls Grundriss i 359) und noch näher zu
Segestes, denn dieser name ist wie *vercustis eine f-ableitung aus
dem neutralen s- stamme got. sigis und ich zweifle nicht, dass
auch sein suffixvocal kein anderer als i sein kann: *Segestis, got.
*Sigists 'der sieger'.
Rei vagda, dem ersten teile des compositums, ist nicht
an an. vcegct f. 'mercy' 'forbearance', vcegdarlauss adj. 'merciless'
(Cleasby-Vigfusson) zu denken, so passend uns auch ein begriff
wie 'gnade' für den namen der göttin wäre, deun vcegd zu an.
vwgr, mhd. wcege, ahd. uniodgi erfordert ein got. *we'güha und
der Übergang von germ. e zu d ist in den namen der alten rhei-
nischen Inschriften weder zu erwarten noch irgendwie zu be-
weisen, wol aber ist der Zusammenhang mit ahd. *ivagida in
kiuuegida 'vegetamen' und nötuuegida, nöduuekitha 'violentia' Graff
i 660 augenscheinlich und führt zur aufstellung eines germ. *wagda,
das ohne miltelvocal aus der wurzel wag 'bewegen' abgeleitet sich
verhält, wie germ. skanda (aus skamda) zu * skamitha, nihil, sc/w-
mede, schemede, schemde, au. skemd. die lautverbindung gd findet
sich auch in got. gahugds (vgl. den namen des Batavers Ilucdio
CIRh 37), und wenn Kluge in Pauls Grundriss i 327 diese laut-
verbindung als idg. ghdh beansprucht und sie nach einem älteren
gesetze aus idg. gh-\-t entstehn lässt, so ist nichts im wege,
auch vagda sich in derselben weise entstanden zu denken, und
der mangel der erwarteten lautverbindung lit aus idj,'. kl wird
für unser wort keinen Vorwurf, sondern nur die beglaubigung
höheren alters in sich schliefsen. die allgemeine bedeutung von
26*
396 GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN
*vagda liefse sich mit 'bewegung' feststellen, allein 'die bewegung
würkende' scheint für den namen der göttin zu verschwommen
und vieldeutig, um als befriedigende erklärung gelten zu können,
wenn aber skanda und *skamitha sich in der bedeutung zum
grofsen teile decken, sollte es dann nicht erlaubt sein, den wert
von ahd. kiuuegida 'vegetamen' auf älteres vagda zu übertragen?
vegetamen ist 'vegetandi vis', 'vegetatio', 'die belebende kraft':
sunt trta nempe simul lux et calor et vegetamen Prudentius Ha-
martig. 75 und nostrae vegetamina vitae ebenda 299, und dieser
begriff allerdings steht im schönsten einklange mit dem für *ver-
custis erschlossenen , denn Vagdavercustis ist sodann 'die be-
würkerin der belebenden kraft' 'die lebenskraft würkende', worin
ein beiname der Terra mater, der Nerthus, sich mit einigem
rechte vermuten lässt.
5. HERCULES SAXO.
Das CIRh verzeichnet 18 steine, welche diesem gotte ge-
weiht sind, und zwar die nummern 651. 652.655—58. 662 — 65.
668. 670. 672. 674. 678 — 80. 685. bei der nr 660, welche im
index gleichfalls dieser reihe zugerechnet ist, finde ich zwar den
Hercules, nicht aber das entscheidende beiwort. die Überein-
stimmung dieser inschrift mit 662 mag es nahe gelegt haben,
sie den voranstehnden anzuschliefsen, aber das beiwort steht,
bei Rrambach wenigstens, nicht da, und ich sehe daher von ihr
ab. die lesung der steine 658 und 664 ist in den Ronner Jahr-
büchern lieft 81 s. 115 und 112 durch Klein berichtigt, zu
diesen 18 inschriften, welche sämtlich dem rgbz. Koblenz an-
gehören und zwar kr. Ahrweiler Ortschaft Rrohl 11 stück, kr.
Mayen ortsch. Rurgbrohl 1, Schweppenburg 1, Tönnisstein 1,
Andernach 4, kommen noch ein weiterer stein aus Rrohl, Ronner
jahrb. h. 84 s. 85, ferner eine inschrift aus Trient CIL v 5013,
eine aus dem Lavantthale in Kärnthen CIL in 5093 und ein frag-
ment aus Middleby in Schottland CIL vn 1077. wir verfügen
demnach über ein material von 22 inschriften, von denen 19 sich
um Rrohl concentrieren und nur 3 entfernteren localen aufser-
halb Germaniens augehören, sodass wir schon jetzt in der läge
sind, die behauptung JGrimms Myth.2 s. 339 'die inschriften , auf
welchen der Hercules Saxanus angetroffen wird, reichen über
GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN 397
Deutschland hinaus und fallen mehr dem römischen cultus zu'
auf ihren wahren wert zurückzuführen.
Die Inschriften zerfallen in zwei gruppen, je nachdem auf
ihnen der Hercules- S. allein oder in Verbindung mit Jupiter
genannt ist. zur zweiten gruppe typus IOM|ETHER SAX 662
gehören noch die nummern 651. 652. 656. 657. 665, zur ersten
gruppe alle übrigen, der name des Hercules in Verbindung mit
dem beiworte, typus HERCVLI SAX|SANO 655, erscheint in der
überwiegenden zahl , in einzelnen fällen aber steht das beiwort
allein, sicher in 657 IOM|E[t] SAXSANO sowie in 685, unent-
schieden in dem fragmente von Middleby //AXSAN//, sicher aber
auch auf der iuschrift vom Lavantthale, wo demselben die epitheta
Sanctus und Augustus beigelegt siud , CIL in 5093:
S-SAXANO
AVG.SAC
ADIVTOR
■E-SECVNDINVS
das CIL allerdings fasst an dieser stelle das S. nicht als
* Sanctus sondern als * Süvanus, aber die kürzung S. für Silvanus
leuchtet nicht recht ein und ein zweiter * Silvanus Saxanus
kommt nicht vor. der dativ des beinamens ist nicht immer
ausgeschrieben, sondern des öfteren gekürzt, das X häufig durch
ein S vermehrt, volle formen und zwar SAXANO gewähren 656.
670.672. 678. 679. CIL in 5093 , SAXSANO 655. 657. 658.
663. 674; zur ersten Schreibung gehören die gekürzten oder
verstümmelten 651.652.662.664. 665. 668.685. CIL v 5013,
zur zweiten CIL vu 1077; unbestimmbar sind 680 und Ronner
jahrb. 84 s. 85. die orthographische Variante xs für x, welche
in lateinischen Wörtern wie Maxsimus neben Maximus ua. aus
Inschriften hinlänglich bekannt ist, hat freilich durchaus keine
besondere bedeutung und entscheidet nicht das geringste für die
berkunft des beinamens, aber um der feststellung der formen
willen mag es entschuldigt sein, dieselben hier ausgezahlt zu
finden, aus dem dativ Herculi Saxano wurde bisher ein oom.
Hercules Saxanus gefolgert, welchen Preller Rom. inyili. O.'iO zu
saxum stellend (also lat. *saxdnus wie montänus) als römischen
gott, als beschützer der in den Steinbrüchen arbeitenden Soldaten
erklärte, HKern aber in Germaanische woordeo s. 312 zu germ.
398 GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN
sahs bezog und als einen germ. schwertgott mit dem as. Saxnöt,
ags. Saxneat in Verbindung brachte.
Die ansieht Prellers beruht auf den tatsachen, dass einer-
seits der römische Hercules auch als gott körperlicher arbeit und
rüstigkeit verehrt wurde und anderseits von den rheinischen
steinen, die sich so auffallend um Rrohl gruppieren, die nummern
655. 656. 662. 665. 670 unmittelbar in den Steinbrüchen von
Brohl und Burgbrohl gefunden sind. Preller hat richtig gesehen,
dass die dedicanten der steine, soweit sie angegeben oder er-
halten sind, durchaus Soldaten sind, aber er hat in der Voraus-
setzung, dass das beiwort Saxanns von lat. saxum abzuleiten sei,
den functionellen schluss in einer falschen richtung gezogen und
das aller erwarlung zunächstliegende nicht erwogen, dass ein
augenscheinlich speeifisch militärischer gott auch eine speeifisch
militärische bedeutung haben müsse, wofür doch die gelegent-
liche arbeit der Soldaten in Steinbrüchen gewis nicht angesprochen
werden kann.
Beachten wir die form der inschriften, so sehen wir jene
dedicationeu in ganz überwiegender zahl vertreten, welche ich als
collectivdedicationen bezeichnen möchte, indem sie nicht von
einer einzelnen person, sondern von einer ganzen militärischen
abteilung ausgehu. so treffen wir als dedicanten je einen cen-
turio legionis x et commilitones 651. 652. 655. 679, einen cen-
turio leg. xxn et commilitones 674, eine vexillatio derselben
legion 672, ferner vexillarii leg. i Minerviae 680, vexillatio classis
Germanicae 665, vexillarii der legio xvi 657, einen imaginifer
cohortis Asturum et vexillatio 678, eine vexillatio cohortis i ci-
vium Bomanor. 670, einen centurio der 15 oder 16 legion 685,
centurio et commilitones 663, cohors ii 658, centurio leg. xxi et
milites leg. eiusdem 656, centurio cohortis Varcianorum 664,
vexillarii leg. vi victr. p. f. &c. 662, endlich auf dem steine
Bonn, jahrb. h. 84 s. 85 einen officier classis Germanicae et com-
militones. diesen dedicationen, welche ein ausgesucht militärisches
gepräge tragen, entspräche es gewis nur schlecht im Hercules
Saxanus einen beschützer der etwa zum steinbrechen comman-
dierlen Soldaten zu suchen; denn was sollte der centurio dabei,
der doch sicher nicht selbst körperliche arbeit leistete? und was
sollte der bunte Wechsel der truppen? der einzig einleuchtende
schluss ist vielmehr der: die Brohler Steinbrüche waren eine
GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN 399
werkstätte für die fabrication von Saxanus- steinen, welche von
den garnisonen der Umgebung daselbst bestellt wurden und zum
teil, das gilt von den in den brüchen selbst gefundenen steinen,
vielleicht gar nicht zur ablieferung gelangten, sondern au ort und
stelle liegen geblieben sind, wir haben also den beinamen sicher
nicht von lat. saxum, sondern von germ. sahs 'kurzes schwert' ab-
zuleiten und in dem gotte 'den schwertbewaffneten', 'den Schwert-
träger' zu erblicken, was die germ. gestalt des beinamens be-
trifft, so scheint Kern an *sahsanas gedacht zu haben, denn er
bringt zur bekräftigung seiner ableitung aus Geldernschen Ur-
kunden vom j. 882 die p. n. Saxani und Saxini bei und es ist
nicht zu leugnen, dass * Sahsanas nach Kluge Nom. stammb. § 2U
möglich ist und etwa 'den herrn des Schwertes' bezeichnen würde,
ja es könnte diese gestaltung des suffixes noch durch den p. n.
der Ulpia Sacsena CIRh 194 gestützt werden, allein ich nehme
anstofs an den drei a des gemutmafsten * Sahsanas und mache
aufmerksam, dass ein völliger parallelismus mit thiudans, dryhten,
kindins überhaupt nicht statt hat, denn die diesen ableitungen
zu gründe liegenden thiuda, dryht und *kind = gens, gentis sind
persönliche und collectivische begriffe, was für sahs nicht zu-
trifft, ich denke daher die lat. form Saxano besser aus dem
germ. dativ *Saxati einer swm. a/t-bildung *Sahso, Saxo abstra-
hieren zu dürfen, welche mit dem späteren volksnamen Sahso
geradezu identisch ist und wie dieser 'den mit dem Schwerte
bewaffneten' bezeichnet, über die abstraction eines lat. dativs
-ano aus einem germ. auf an habe ich schon unter Leudisio
gesprochen, es gibt gewis fälle, wo gezweifelt werden kann,
ob eine solche Vermischung germ. und lat. flexionselemente vor-
liege oder nicht, denn diese Vermischung, welche allerdings bei
den Schriftstellern des 6 und 7jhs., Jordanes zb., häufig genug
ist, wird bei den römischen autoren der guten zeit nicht ge-
troffen, allein die epigraphischen Zeugnisse für diese Vermischung
aus dem 2 — 3 jh. unserer Zeitrechnung haben mit der Schreibart
grammatisch geschulter Schriftsteller nichts zu tun, sondern be-
ruhen auf gewohnheiten der Volkssprache, auf der ganzen Urteils-
losigkeit, roheit und Unbefangenheit von leuten, welchen es ein
leichtes ist, aus einem vorzugsweise gehörten casus obliquus
*Saxan virtuell einen lat. nominativ * Saxanus zu folgern und
in dedicationsiuschriften die stehende formel Saxano auszubilden,
400 GERM. GÖTTERNAMEN AUF RHEIN. INSCHRIFTEN
wofür ein Tacitus, sofern er den nominativ kannte, gewis nicht
anders als * Saxoni geschrieben haben würde, es gibt aber auch
fälle, wo kein anderer ausweg möglich ist, als eine derartige
Vermischung anzunehmen; denn die anziehende Inschrift deo Re-
qualivahano Ronner Jahrbücher 1886 zb. kann vernünftiger weise
nur auf einen germ. deus * RequalivaJw (s. oben s. 374) und nicht
auf einen sesquipedalen * Requalivahanas zurückgeführt werden.
Für den beiuamen des Hercules wäre, wenn nicht germ.
Saxo beliebt würde, noch die eine möglichkeit offen, dass der-
selbe als germ. w-stamm *Sahsarms gefasst würde, wofür jedoch
eine stützende analogie mir nicht vor äugen liegt, war nun aber
der Hercules Saxo, nach seinem beinamen geurteilt, ein germ.
gott, so ist es kaum ein verdienst, denselben mit jenem germani-
schen Hercules zu identificieren, welchen Tacitus Germ. 3 erwähnt,
und die aus den dedicationsformeln erschlossene specifisch mili-
tärische bedeutung des gottes durch den satz: 'Fuisse apud eos
[Germanos] et Herculem memorant , primumque omnium virorum
fortium ituri in proelia canunf erläutert zu finden, diesen Her-
cules der Germanen hat schon Zeufs Die Deutschen s. 25 auf den
nordischen Thor gedeutet und Simrock Myth. 6 aufl. s. 245
folgt ihm darin und erklärt dementsprechend den beinamen
Saxanus als den zerspalter der felsen , wozu ich mich indessen
in keinem falle entschliefsen kann, da mir der beiname weder
lateinisch ist noch auf das bekämpfte object bezogen, sondern
germanisch und von der characteristischen watfe ausgehend.
Die selbst vielfach verwickelten und alles eher als einheit-
lichen Verhältnisse der nordischen mythologie dürfen nicht ohne
weiteres auf die rheinischen Germanen übertragen werdeu, und
wenn wir auch zugeben, dass in der person des nordischen Thor
züge auftreten, welche ihn dem Hercules vergleichen lassen (Zeufs
legt das hauptgewicht auf die körperliche kraft), so ist es doch
zweifelhaft, ob der germanische Hercules ebenso sicher wie der
nordische Thor von einem physicalischen donnergolte abzuleiten
ist. die westgermanische trilogie Mercurius Mars Hercules ist
eine trilogie für sich, zu der nicht einmal mehr die sächsische
trilogie der Abrenunciatio Thunaer Wöden Saxnöt stimmt, viel
weniger gewis die späteren nordischen complicationen. mit
Saxnöt aber, ags. Saxneat, dem söhne Wodens ist der Hercules
Saxo durch den namen verbunden , vielleicht also auch inhalt-
GERM. GÖTTERNAMEM AUF RHEIN. INSCHRIFTEN 401
lieh, und es dürfte vollends begreiflich erscheinen, warum der
goit bei den Völkern, welche sich selbst Saxan Seaxan nannten,
nicht mehr Saxo schlechtweg heifsen konnte, sondern mit einem
compositum genannt werden muste. nicht ganz ohne bedeutung
ist es ferner, dass der Hercules Saxo 6 mal in Verbindung mit
Jupiter genannt ist; denn wenn auch die nennung Jupiters
eine allgemein formelhafte und eine concession an den römischen
eultus ist, so dürfte doch gemutmafst werden, dass der genea-
logische Zusammenhang des Jupiter und Hercules im germani-
schen glauben eine parallele gehabt habe, welche zu dieser Zu-
sammenstellung einlud, eine parallele, welche indessen möglicher-
weise gar nicht weiter reichte, als dass der germanische Hercules
so wie der römische als söhn eines urgottes des himmels auf-
gefasst war. und dass der germanische Hercules nicht eigent-
licher gott, sondern nur heros oder halbgott war, ist nicht zu
bezweifeln nach der citierten stelle aus Tacitus, welche ihn nicht
'deum', sondern nur 'primum omnium virorum fortium' nennt,
ich schliefse daher: der germanische Hercules, mit besonderer
characterisierung auch Hercules Saxo genannt, fortgesetzt im as.
Saxnot, ags. Saxneat, ist wie der antike kein eigentlicher gott,
sondern ein heros, eine idealisierung menschlicher kraft und
rüstigkeit, und wie dieser ein söhn des collectivischen urgottes
der meteorologischen erscheinungen, welcher bei den Skandinaviern
in der gestalt des Thor aufgegangen ist, während in der Abrenun-
ciatio der physicalische gott Thunaer und der germ. Hercules
Saxnot unverschmolzen neben eiuander stehn.
Wien 1891. THEODOR VON GR1ENBERGER.
LEGENDEN VOM HEILIGEN NICOLAUS.
In der dem 1 1 jh. angehörenden hs. des britischen museums,
additional manuscripts 22411, bezeichnet als Liber saneti Gode-
hardi in Hild(esheim) , finden sich auf /'. 3 — 4 ohne Überschrift
2 nicht deutlich unterschiedene rhythmische gedichte , die bisher un-
gedrnckt waren, ihre abschrift verdanke ich hrn KWild, lein er am
Anglo - (jerman College in Brixton-Lambeth, eine nochmalige ver-
gleichung der bekannten gute des hrn EMaunde Thompson, prm-
cipal librarian. der text ist ohne rücksicht auf die verse zusammen-
402 LEGENDEN VOM HEILIGEN NICOLAUS
hängend, nachlässig und schwer leserlich, mit vielen fehlem
geschrieben, ganz verstümmelt und unvollständig ist der schluss
beider rhythmen, obgleich nicht gerade viel fehlt, man kann
zweifeln, ob man es mit einem concept oder einer schlechten ab-
schrift zu tun hat, deren urheber manches in seiner vorläge nicht
lesen konnte.
Die verse sind durchaus nur rhythmisch gebaut und besteht
aus 5 zeiligen Strophen, von denen die ersten 4 zeilen 10 silbig sind
und auf einander reimen, die fünfte ist ein 4 silbiger refrain.
nur die reden der handelnden personen werden in den versen wider-
gegeben, die handlung selbst — in dem ersten gedieht das rettende
geschenk des heil. Nicolaus, in dem zweiten die ermordung und
beraubung der drei fremdlinge — muss ergänzt und sollte also
vielleicht dramatisch dargestellt werden.
Für die zweite der beiden in unseren rhythmen behandelten
legenden vermag ich keine schriftliche quelle nachzuweisen, die
erste dagegen findet sich bei Surius (De probatis sanetorum historiis
t. vi 797), ioo der Vorfall nach Patara verlegt wird, die einzel-
heiten weichen so stark ab, dass man glauben möchte, der dichter
habe nur aus einer umgewandelten mündlichen Überlieferung ge-
schöpft, in der legende widerholt sich das heimlich durch das
fenster in das gemach geworfene geschenk des heil. Nicolaus dreimal
und dient jedesmal zur aussteuer einer tochter. nicht von diesen,
sondern von dem vater geht dort der gedanke der preisgebung
ans usw.
I
1. 'Cara mihi pignora, filie, (Pater.)
opes patris inopis hunice
et solamen mee miserie,
michi mesto taudem consulite.
Me miserum.
2. Olim dives et nunc pauperrimus
luce feror et nocte aoxius
et quam ferre non coüsuevi(mus)
1, 1 die bezeichming der personeti steht in der Iis. links vor den
einzelnen versen, fehlt aber überall wo sie in klammern gesetzt wor-
den ist.
2, 1 anetius hs. 2, 3 consueui hs.
LEGENDEN VOM HEILIGEN NICOLAUS 403
paupertatem graviter ferimus.
Me miserum.
3. Nee me mea tantum inopia
quautum vestra vexat peauria,
quarum olim laseiva corpora
modo domant longa geiunia.
Me miserum.'
4. 'Care pater, lugere desine (Prima filia.)
nee nos lugeus lugendo promove
et quod tibi valeo dicere
consilium hoc a me suseipe,
Care pater.
5. Unum nobis restat auxilium
per dedecus et per obprobrium,
ut nostrorum species corporum
victum nobis lucretur puplicum,
Care pater.
6. Et me primam si (modo) iubeas,
dedecori submittet pietas,
ut seutiat primam anxietas
quam contulit primam nativitas,
Care pater.'
7. 'Consilium hoc miserabile (Responsum.)
mihi prebet cor lammentabile,
corpus tuum tarn venerabile
meum frangit senio debile
Suspirando.'
8. 'Noli pater, noli carissime Secunda filia.
doloribus dolores addere,
ne pro damno velis inducere
periculum irreparabile,
Care pater.
9. Seimus quidem, quod fornicantibus
3, 3 laciua ht. 4, 1 lucere ht. 4, 3 ualeti verb. o fis.
4, 4 sueipe hs. 5, 1 ausilium ht.
6, 1 die zwei fehlenden gilben werden so besser als durch mihi er-
gänzt SCH. 6, 3 anetietas hs. 8, 1 carisime hs. 9, 1 Simus ht.
quid hs.
404 LEGENDEN VOM HEILIGEN NICOLAUS
obstrusus est celorum aditus;
care ergo, te nos deposcimus,
ne nos velis addere talibus,
Care (pater).
10. Nee te velis nee nos infamie
submittere, pater, perpetue
nee ab ista labi pauperie
in eterne lacum raiserie,
Care pater.'
11. 'Tuum, nata, placet consilium Responsum.
et exemplum placet egregium,
sed paupertas augetur nimium,
que me gravat quem domat Senium
Heu frequenter.'
12. 'Meum quoque, pater perpetue, (Tertia filia.)
consilium audire sustine
adque finem breviter collige:
Deum, pater, time et dilige,
Care (pater).
13. Nichil enim deesse novimus
per scripturas Deum timentibus
et omnia ministrat omnibus
omnipotens se diligentibus, '
Ca(re pater).
14. Neu desperes propter inopiam,
Deo esse quam seimus placidam,
lob respice, pater, penuriam
et deinde secutam copiam,
Care pater.'
15. 'Siste gradum, quisquis es, domine, (Pater.)
siste gradum et qui sis, exprime,
qui dedecus tolles infamie,
onus quoque levas inopie.
Me beatum.'
16. 'Nicolaum me vocant nomine, (S. Nicolaus.)
lauda Deum ex dato munere
9,3 depotimus fis. 10, 2 per de tue hs. 10,3 lacu lis.
11, 2 palcet egreguum //*•. 15, 3 infamine As. 15, 4 inopine hs.
LEGENDEN VOM HEILIGEN NICOLAUS 405
et non velis ulli ascribere
largitatis laudes dominice,
Deum lauda.'
17. 'lam iam mecum gaudele, filie, (Pater.)
pauperlatis elapso tempore:
ecce eüim in auri pondere
quod sufßcit nostre miserie.
Me beatum.'
18. Gr hospes gaudeto
pacemque salutis habeto ....
19. Vobis letis iam Deus eximiam. Respousum
. . o filie . . hospi tis.
Te Deum.
II
1. 'Hospes care, tres sumus socii, (Primus.)
litterarum quos causa studii
cogit ferre penas exilii,
nos sub tui tectis hospitii
hospitare.'
2. 'Fessi sumus longo itinere, Secundus.
tempus esset iam nos quiescere,
nobis velis amoris federe
hospitium noctu coucedere,
quo egemus.'
3. 'Summo(mane)cras, hospes, ibimus, Tertius.
non de tuo vivere querimus,
quia victum nobiscum gerimus,
hospitium tantum deposcimus
causa Dei.'
4. 'Cum vos ita f'essos conspitiam, Respoudet
propter summam Dei clementiam hospes.
vos hie intus ooclu suseipiam,
vobis ignem cum lecto faciam,
17,2 e in elapso kaum sichtbar. 17,4 misere h». 18, 1 Grorum ^
pe hospes /is.
1, 2 letterüiuin verb. in litt, nacli sludii ratur von 8 buehstaben.
2, 2 quiesere h». 3, 1 Sommo cras tu. '■'<. I deposimus h».
406 LEGENDEN VOM HEILIGEN NICOLAÜS
ite sessum.'
5. 'Uxor, audi meum consilium, (Hospes.)
isti censum gerunt eximium,
inpendamus eis exitium,
ut eorum tesauri pretium
habeamus.'
6. 'Tantum nefas, couiux, si fieret, (Uxor.)
creatorem nimis offenderet,
et si quisquam forte perciperet,
nos per orbis spalium gereret
infamia.'
7. 'Frustra times, bene celabitur, Responsum.
nemo seiet (si) pertraetabitur;
horum nobis morte parabitur
in manticis qui clauditur
opum census.'
8. 'Fiat quod vis, ego consentiam, Uxor re-
que pro posse tibi subveniam, spondet.
tarn iofeste cladis nequiciam
caute tecum, coniunx, ineipiam
uxor tua.'
9. 'Ad te gradu nocturno venio Verba saneti
tuo pauper admotus hostio, Nicolai,
hie exoro frui hospitio,
fave mihi pro Dei filio
10. 'Precor, hospes, intra hospitium, (Hospes.)
ut per noctis istius spatium
meum tibi prosit auxilium,
quod exigis habe remedium,
vade sessum.'
11. 'Nove carnis si quidquam habeas, Nicolaus,
inde mihi parumper tribuas,
5, 1 Voxor hs. 5, 2 scensum hs. 6, 1 fiere hs. 6, 2 offen-
dere hs. 6, 3 pereipere hs. 6, 4 gere hs. 7, 2 siet hs.
7, 3 parantur hs. 7, 4 zwei silten fehlen. 8, 4 coniuns hs.
8, 5 vuxor hs. 9, 1 nicoli hs. atte gradum hs. 9, 2 amotus
hs. verb. R. 9, 5 ergänze care hospes oder dergleichen.
LEGENDEN VOM HEILIGEN NICOLAUS 407
quam si mihi prebere valeas,
adiuro te per Deum nequeas
12. Quae tu poscis, hospes, non habeo Responsum.
nee hanc tibi prebere valeo,
non sinn dives, sed pauper maneo,
multis enim semper indigeo
diutius.'
13. 'Falsum refers atque mendacium, Sanctus
nuper enim per iufortunium Nico laus.
peregisti opus nefarium
elericorum fundens exitium
per corpora.
14. Ergo prece mentis sollicite
nostro simul pectora tundite
et dominum mecum deposcite
indulgere vobis illicite
crimen mortis.'
15. 'Miserere nostri, rex glorie, Oratio saneti
nobis locum concede venie Nicolai.
et clericis peremtis inpie
per virtutem (tuae) potentiae
redde vitam.'
16. Nicolai», vita fidelibus Angelus.
reddita est a Den (t)uis preeibus
11,4 vielleicht prebeas zu verb. SCH. 11,5 fehlt, vielleicht care
hospes. 12,1 possis hs. 13,4 exium hs. 14,2 tondite hs.
14,3 depossite hs. 14,4 illite /<*•. 15,1 misere hs. 15,5 o
Christi pietas folgt in der hs. 16, 2 der vers ist zu lang.
Berlin im Juni 1891. ERNST DÜMMLER.
ALTDEUTSCHE GLOSSEN AUS LAIBACH.
Einzelne rechnutujsbücher der Stadt Laibach uns dem anfang
des vorigen Jahrhunderts (zwei von mir eingesehene sinit aus den
Jahren 1710 und 1711) sind mit pergamentblättern überklebt , welche
408 ALTDEUTSCHE GLOSSEN AUS LAIBACH
reste lateinischer glossarien enthalten, für die lateinische glossen-
litteratur bieten sie nichts neues; aber 10 Matter ans diesen resten
weisen deutsche glossen auf, allerdings nur wenige und gelegent-
lich eingefügte, die aber dennoch der Vergessenheit entrissen zu
werden verdienen, herr gymnasialer ofessor Som in Laibach, der
mich auf die pergamentblätler aufmerksam machte, hat auf mein
ansuchen auch ihre loslösung von den einbanddeckeln erwürkt. ihm
sowie der Verwaltung des Staatsarchivs von Laibach sei hiermit der
herzlichste dank für ihr freundliches und verständnisvolles ent-
gegenkommen ausgesprochen.
Die 10 blätter gehörten zu einer handschrift im grasten
oclavformat. einzelne sind am oberen, unteren und seitlichen
rande beschnitten, das glossar war in 2 columnen geschrieben, an
den rändern war ein anderes in viel kleinerer und engerer schrift
hinzugefügt, der schriftchar acter weist mit Sicherheit auf das
12 jh. hin; rundes s fehlt fast ganz, die deutschen glossen stehn
zumeist über den lateinischen und sind dann kleiner geschrieben,
aber im randglossar, wo der räum zum darüberschreiben fehlte ,
sind sie in gleich großer schrift danebengesetzt, hinter oder auch
über der deutschen glosse steht gewöhnlich, doch nicht immer, ein
. t., was wol theotisce oder teutooice bedeuten mag. in dem
folgenden abdruck sind die deutschen Wörter durchweg neben die
lateinischen gesetzt und die oft recht zahlreichen lateinischen er-
klärungswörter weggelassen; nur in einzelnen fällen, wo das Ver-
ständnis es erforderte, ist davon abgegangen.
Graz, im mai 1891. M. PETSCHENIG.
[Der he7'r einsende?' war so freundlich , mir die pergamentblätter
zu persönlicher einsieht zu verschaffen: danach habe ich seine sorg-
fällige abschrift mit einigen ergänzungsversuchen ausstatten können,
witei'punctiert sind im abdruck verwischte, abgeschabte oder teilweise
weggeschnittene btichslaben. was in eckigen klammern steht, hat keinerlei
hsl. gewähr: ich habe die forlgeschnittenen Wörter und wortteile unter
berücksichtigung des raumes und der Wortfolge wie unter anlehnung an
aridere glossen zu ersetzen gestrebt. SCH.]
1. GLOSSEN DES TEXTGLOSSARS,
carbasus. segal .t. careeta. sahor .t. i loca carice
caracter. himelgerte. pleua
cardo. sc er dir .t. Caritas, m in na .t.
ALTDEUTSCHE GLOSSEN AUS LAIBACH
409
.t.
spin
pi
cariua. podam .t.
carnifico. martiro .t.
carpentum. wagan .t.
carptim. [gijzalo1 .t.
cartilago. brustlofel
casa. hus .t.
casses. aranearum tela.
neweppe .t.
cassis. h e 1 ra .t.
cassicula. helmili .t.
cassia. wichböum .t.
casus, gipurida .t.
castimonia. reine .t.
castus, reiner,
cataplasma. faska .t.
lidi .t.
catax. hüls lach .t. claudus
coxa2.
catus. gilerter .t.
cauillum. spod .t.
cauillatio. ganewizi.
caule. ouiles ouium. chlusa
.t. t porta.
cauo. irholon .t.
caupo. win tauern o .t. .i.
emptor
cautes. brant .t.
cautela. gewerida .t.
cautus .im. dect. gewerida .t.
cauius a cauendo diclus t sol-
licitus. prudens .i. gi wä-
re- .1.
cilicium. hara.
cingulum. gurtila .t.
circiter. nahe .t.
circumlator. rizzari .t.
citus. horscer .t.
ciuis. geburo .t. communiter
uiuens.
ciuicus. ge burlicher .t.
clades. balo .t. pestis. erumpna.
pericula. uindieta.
clamosus. lutreissiger .t.
clamis. lach an. e uestis mi-
litaris.
clarus. zorlter .t.
classicus. wichhorn .t.
claudus. halzer .t.
clauis. sluzel .t.
claua. cholbo .t.
clauus. stivrröder .t. remus.
claua. contus 1 stanga3.
dementia, gnada .t.
cliuum. descensum möllern, ste-
chal .t.
clunis. iullexio dorsi. hul'beiu
.t. i goll'a .t. 1 stivz .t.
fahre, meisterliche .t.
facessite. recedite uel cessate.
gelid & .1.
iactio. consensio in malo. ge-
semine. contio.
liiciindus. gezungiler .t.
falaux. multitudo inilitiun. legio.
.i. gesemi n e .1.
1 das z ist bäum zweifelhaft) der glossator {der unten auch clavia
und clavus verwechselt) mag hier an raptim gedacht haben.
2 die glosse, hiev nach dem context gegeben, steht L0 Zeilen vorher
schon einmal, voreilig eingetragen: huofslach. claudus ;i coxa.
3 die ganze glosse ist von anderer liand und mit /teuerer tinte fein-
strichelig eingeschaltet.
Z. F. U. A. XXXV. N. F. XXIII. 27
410
ALTDEUTSCHE GLOSSEN AUS LAIBACH
feruidus. iracundus. calens.
st red enter .t.
l'erus. grimmer .t.
fessus. möder .t.
i'etidum. stinchentez .t.
fex. truosana .t.
fibra. adra .t. .i. ueDa iecoris.
herzadra .t.
fideiussor. burige .t.
figura. bilidi .t.
fimbriae. fasen .t.
fimum. gor .t.
findit. chluibet .t.
flabra. spiramina. flatus uento-
rum. winde .t.
flagitat. reposcit. enadatur. wet-
tit .t.
flagitium. deformit.as. firin-
tad .t.
flamma. loch .t.
flatus, geblade .t.
flauellum. muscarium. vv i n t ta .t.
Irumentum. fruges. \vcher .t.
l'rutectum. spreid .t.
lücata. gezehetiu1 1 ornata.
fucus. treno .t.
fulcit. stivret .t.
fulgidum. splendidum. gli-
zenantez .t.
l'uluus. roter .t.
funda. slinga .t.
funesta. l'ulemo.
funestus. vnchuster .t.
propugoacula. brustweri .t.
prora. gransa .t.
prouehit. gevorderot .t.
rabidus. razzer .t.
rabula. razar. 1 razo .t.
radicitus. garliche .t.
ramnus. agaleia .t.2
rapax. griphliher .t.
rapidus. gezaler .t.
rari. pauci. foha .1.
1 die lesung ist nicht ganz sicher: es kann auch gezohetiu (ver-
schrieben für gezehotiu?) dastehn. 2 eine zweite deutsche glosse
scheint verwischt.
II. GLOSSEN DES RANDGLOSSARS,
cathegita. doctrix. lere .t. [cippo. stipite] i. stoche .t.
castrimaria1. gitigi .t. cythisum. genus frutecti. ze-
cataplectatio. wizi .t. dampnatio phun .t.
iaustera. zuntra .t. ciuicus. °e burlicher .t.
cauterio. ferro prennisen .t. clauis. clauicula. nagel .t.
cilium. öberbr[a.] claua. stanga .t.
[cirrhus. har] uel loch2 .t.
1 d. i. yaaxqifjiaqyia. 2 es steht uelloch .t. da und in der
nächsten zeile ist capilli erhalten: das uel führt darauf, dass ?iach dem
lemma zunächst noch eine deutsche glosse folgte, der räum verbietet mehr
ALTDEUTSCHE GLOSSEN ALS LAIBACH
411
expeditio. herefart .t. farragioe. .zza
explicatio. ordioatio. 1 ostensio. fascia. aestila .t. alligatura
arrechida3 .t.
explicabilis. irreclicher.
i. gebuntelin .t.
fasciculus. gebun talin .t.
[t'emur.] hu t .t.
fantasma. uisio mala 1 uana .i. prodigus. spilder .t.
getroch .t. prodo. offino .t.
far. amar t ei i.ichorn. i ador profanus. ferwazener .t.
buchstaben anzuwenden, als in der obigen andeutung. 3 es scheint
freilich urrechida zu lesen.
ZWEI ALTDEUTSCHE PREDIGTEN.
1.
Die Handschrift Cod. lat. Monacensis nr 7775 aus dem
kloster Inderstorf, pergament, erste hälfte des I3jhs., enthält latei-
nische predigten des papstes Innozenz in und anderer autoren.
darunter befindet sich auch das folgende deutsche stück, allem an-
scheine nach eine fastenpredigt (Dom. in in Quairag. '?) ; es wird
nicht viel älter sein als die auf Zeichnung.
(189b) Sume cytharam, circui civitatem , meretrix, oblivioni
tradita: bene cane, frequenta canticum, ut memoria sit tua. Diu
hselige botschaft unsers herreu, die er uns bi sancto Luca eu-
boten hat, diu botschaft sprichet also: er ist ein sselich man der
daz gotes wart gerne huret unde och ez behaltet, wan swer iz 5
höret unde niht behaltet, der ist dem mailigen antluze gelich,
daz in den Spiegel lüget unde sich doch niht vürbet; der hat
mere sin leit gesehen, sit uns aver der tach hiute gemeint ist
zeinem spiegel, da wir unser sunden suln ane werden, so bitet
unsern herren, daz wir daz gotes wart also hören, daz wir sin 10
gnade erwerven. diu wort diu ich e latin sprach, diu sprichel
ein heiliger wissage Ysayas zu der armen sele, diu von unserm
herren sich gescheiden bete mit u Drehten gedanchen rede und
werche, unde spricht also: 'gewin herze, uoreiniu sele, habe
1 Isai. 23, 16. — cireuit — oblivionis. 2 die oulgata liest: ut
memoria tui sit — Luc. 11,28. 6 vgl. Jacob. 1,23. 7 wrbet.
27*
412 ZWEI ALTDEUTSCHE PREDIGTEN
15 gedingen ! wan also daz öle swebet ob dem wazzer, also tut diu
grozze gotes barmuuge ob sinem gerihte. wider den bösen ge-
danchen, habe in dem herzen riwe!' wände (190a) Gregorius
sprichet: Si incipis manum ad aratrum dei mittere quasi per
quemdam compunctionis vomerem, ipse tut cordis terram ad per-
20 cipiendos fructus incipit aperire. entsliuzest du din herze mit
warer riwe, so sseet got sin gnade dar in. Augustinus dicit:
Nondum pronuncias ore et tarnen dem jam audit in corde, quia
ipsi promittere est quasi quedam pronunciare, votum ei pro facto
reputatur, maxime ubi deest tempus confitendi. daz sprichet also:
25 'hastu der zit niht daz du din bihte tust, so habe riwe, so ver-
git dir got din schulde unde hat din riwe für din bihte.' die
bihte lobet uns Jeronimus dicens: Christus de ernte in paradysum
etiam latronem confitentem tulit, et, ne quis aliquando seram con-
f'essionem inutilem putaret, penitencia homicidii fecit martirium.
30 sicut enim martyr sie et latro inter penas Christum confiteri non
timuit et jam eternum premium quasi martyr confitendo reeepit.
diu rede spricht also: 'unser herre Jhesus Christus der nam des
Schachers sele ab deme cruce, der ein morder was gewesen,
unde fürt si in daz paradyse, wan er au in gejehen hete, und
35 tete daz dar umbe, daz nimen an sinen Jesten ziten sol zwiveln,
ob er sin sunde luterlichen in gotes namen bejehe.' nach der
riwe get diu bihte, nach der bihte diu büzze: ob du übel (190b)
habest getan, daz du och wol tust, diu buzze lobt uns Ambro-
sius dicens: 'Qui vere agit penitentiam, non solum diluere pec-
40 catum lacrimis contricionis et confessionis oris debet, sed etiam
dignis operum emendationibus operire et legere delicta sua, ut
non (ei) inputentur.' 'Arbitror enim quod et Judas potuisset tanta
misericordia dotnini a venia non exeludi, si penitentiam non apud
Judeos sed apud Christum egisset. non enim apud Judeos invenit
45 auxilium sed potius desperationis augmentum, dixerunt ergo: 'quid
18 Homil. in Ezec/i. i 4, Migne 76, 813. 19 bei Migne: ad pro-
ferendos fr. incipis. 21 saete — Enarratio in psalm. 125, Migne 37, 1662 f.
vgl. in psalm. 134, Migne 37, 1746 und in psalm 137, Migne 37, 1774/".
23 ipsum pr. 27 bis 29 martirium Hieronymus, Epist. lviii, Migne
22, 580. 37 nach riwe get diu steht zuerst büzze, durchstrichen
39 bis 42 inputentur: Ambrosius De poenitenia Hb. n, cap. 5, Migne
16, 527. 41 Migne liest dignis factis emendatioribus. 41 aperire et
regere 42 von Arbitror ab Ambrosius De poenitentia Hb. n cap. 4,
Migne 16,524/*.
ZWEI ALTDEUTSCHE PREDIGTEN 413
ad nos? tu videris', quasi dicant: si peccasti, tibi sit; non onera
tua comportanda promittimus, non qualiter deponas docemus. Christus
sero et penitentiam admisisset et peccatum remisisset, (daz aver dem
menschen sin sunde werden) vergeben — hat er die zit, so habe
riwe unde bejehe ir unde buzze si och — daz bediutet unser herre, 50
do er einen ausetzigen rürt und rainigt und gebot im daz er sich
dem briester zaiget und och sin opfer braeht. Gregorius dicit: 'Le-
prosus tangitur cum respectu divine pietatis, mens peccatoris illustrata
compungitur : ecce contricio. Leprosus per semetipsum sacerdoti prae-
sentatur, dum peccatum suum sacerdoti penitens conßtetur: ecce con- 55
fessio. Sacrificium ex lege a leproso offertur, dum satisfactionem judi-
cio ecclesie sibi impositam humilibus f actis exequitur: ecce satisf actio.'
Nu merchet wes diu bihte bedurffe. (191 a) daz ist uns bedutet au
miner ersten rede, die der w\(ssage Ysaias) sprach: 'vertanez
wip, nim din harphen, ginch umbe din stat; offeniu hürariuue, 60
der ich vergezen hau , sever din gesanch , so wirde ich din ge-
denchent'. diu wort sprichet unser herre zu einem ieglichem
sunligem menschen: 'nim din harphen', ich meein die bihte; wan
alse an der harphen ist manich süeitte, als ist au der bihte
manich slaht. diu bihte sol von willen chomen, so ist si gute; 05
da von sprichet er: 'nim', wände unser herre wil niht ertwungens
dienstes. diu bihte sol diemüt sin, wand als daz geplset öge
niht gesehen mach, also enmach der hohevertige sunder got niht
erchennen. si sol och glich sin unde hellen, daz der sunder tu,
swaz er gebiete, diu bihte sol och offen sin unde an deche. 70
David: Beatus vir, cui non imputabü dominus peccatum, nee est
in spirilu l'/ks dolus, sei licet palliandi peccatum. iste quatuor
nltime proprietates de confessione notantur, cum dicitur: 'sume
cytharam'. cythara enim habet distinetum sonum, dulcem. —
Darauf folgt eine lateinische Marienpredigt.
46 Matth. 27,4 52 lJ.rp</s. in iRegum, lib.6, cap.2, Vi!?7ie
79,438/1 '•/,'•/. Ambrosius, Expos, in Lucam .">, 12, Migne 1."., 171'.)//.
Ilabanus Maurus, (»mm. in Matth. li/j.'.i. cap.^, Mi^m- 107, 853 ff.
58 ff diese deutung sieht ausführlich bei Haymo von Halberstadt,
Comm. in Isaiam, Hb.2, cap. 23, Migne Uli, vis. :i Psalm. 31,2.
2.
Cod. Im. Monacensis. m. 2631, aus '/<•/// kloster Aldersbach,
pergament und papier gemischt, 13 und \ Ijh., enthält lateinische
predigten und darunter (papier, 14 jh.) das folgende deutsche
414 ZWEI ALTDEUTSCHE PREDIGTEN
stück, welches jedoch erheblich älter ist als die aufzeichnung und
schon deshalb beachtung verdient, weil lateinische und deutsche
sermone auf das fest Allerseelen verhältnismäfsig selten sind.
Linsenmayer hat diese homilie in seiner 'Geschichte der deutschen
predigt in Deutschland' s. 480 f ins neuhochdeutsche übersetzt.
(190b) Beati mortui qui in domino moriuntur. Di genad
uusers etc. Di wort scribet uns der gut sanctus Johannes und
hefft sich der mit an die leczzen, leccio, di man heut list von
den lieben seien, der jarleich tag ist und der gehugnüsse wir
5 pegen heüt über all di heiligen christenhait. si sprechent also
ze tausch: 'salich sint all di di also sterbent, daz si sicher sind
daz si mit got wonüng schuhen haben in dem himel ewichleich'.
an disen wörten is eü ze merchen wer die sein di so salichleich
sterbent, daz si mit got wonuug habent. nü mircht, in diser
10 werlt sint vir lay laut, also wir lesen: di ersten di sterbent in
got, di andern mit got, di dritten durch got, di virden an got.
nü wer sind di ersten di in got sterbent? daz sint di, da uns
sant Matheus in dem ewangelio von schreibet heüt: 'Beati pau-
peres spiritu, quia ipsorum est etc.' all arme laut di ir armemut
15 dultichleich leident, die vrein (191a) sich, war ümb? da siut si
salich, daz si sterbent in got und mit got wonung habent in
dem himelreich, daz in got an irem töd geit für aygen. di
andern di mit got sterbent sint all di den ir sünd so laid sind,
daz si dar umb wainnent. unde Matheus: 'Beati qui lugent, quia
20 consolabuntur' . salich sint all di di so güet gewizzen , so gross
rew habent umb ir sünd, daz si lauterleich pittent und dar umb
haizz zäher wainent von dem grünt irs herzens; di sint so salich,
daz si mit got, daz ist mit unsers herreu gotes lichnam sterbent
und daz si da mit fröleich erstend an dem jüngsten tag und von
25 got mit dem himelreich getrost werdent. C Di dritten di durch
got sterbent daz sint di, da got selber auch von gesprochen hat:
'Beati estis, cum maledixerint vobis et persecuti vos sint'. salich
sind all di di sich lazzent hassen neyden schelten fluchen stozzen
slohen verdirben töten durch mich (191b) umb christenleichen
30 gelaüben; di sind so salich, daz si grossen lön von mir enpha-
hent. und da von spricht er zu den selben : 'Gaudete et exul-
1 Apoc. 14, 13. 11 di ander. 13 Mailh. 5, 3. 18 all di
di ir sünd. 19 Matth.h,b. 27 Matth. 5,11. — vobis bis sint durch
wasser teilweise verlöscht. 31 spricht er an den selben, zu ist über
ZWEI ALTDEUTSCHE PREDIGTEN 415
täte, quia merces vestra copiosa est in celis'. all di übel gehandelt
werdent durch meinen willen di frawn sich und gehaben sich
wol. war umb? da sint si so salich, daz ich in wil mit tailen
all die vraüd, di ich han mit tailet allen den heiligen, di ir plüt 35
vergossen habent auf ertreich durch meinen willen. (£ Di virden
di an got sterbent, wer sint di? daz sint di untaüfTent haidenisch
sint, di Juden di got habent gemörtert und auch smahent an
disem tag heut und unsern christenleichen gelaüben. nu sint
si mer di an got sterbent: daz sint di volschen Christen di so 40
geitig sint mit irm gut, mit ir hilffe, mit ir vreuntscbalTt , daz
an dem tag heut aller der sei (swi vil der ist der zal , niemant
anders wais nur der almachtig got allain der si beschaffen hat)
ainigeü sei nicht tröstet (192a) wirt. stirbt er nicht pilleich an
got, an unsers herren gotes leichnam, nimt er nicht pilleich 45
unrechten töd, ist er nicht pilleich verdamet, dem daz grozz ge-
schray der toten vreunt und aller gelaübigen seien nicht ze
herczen ga3t, daz si heut schreien t? wie schreient si? si sprechent
also: 'Miseremini mei! Miseremini meil all unser vreünt di uns
wol gehelffen mügen und unser vergessent daz lang jar, di helffen 50
uns lieüt mit irem pet, mit irem almüsen, ze chirchen mit irm
mess friimen und mit opffer, und ze haus mit prot, wann wir
aüz gotes vanchnüs nimmer chommen mügen an ewer hilff mit
samt der ganczen heiligen christeuhait'. daz man heut sol helffen
und geholffen sein dacz der chirchen und dacz dem haüsse, dar 55
umb so ist ez auf gesetzet allen gelaübigen, st solen pegen des
nächsten tages nach Aller heiligen tag, der gester begangen ist.
war umb? daz wir in heüt dez geholffen sein, da si erlediget
werden von allen iren nöten. daz wir in daz heüt erwerf'en jrux\.
an gesetzt — Malth. 5,12. 44 ainigeü zweimal. 46 gesray.
56 so ist er auf g.
Graz. ANTON E. SCHÖNBACII.
EIN BRUCHSTÜCK AUS DEM ALEXANDER
DES ULRICH VON ESCHENBACH.
Herr Jakob Wichner, archivar und bib/iothekar des stifte*
Admont, dessen freundlichkeit ich schon vieles verdankt', sandte
mir unlängst zwei pergamentstreifen, welche sich zu einem zwei-
spaltig beschriebenen blatte zusammenfügten, das ein bmchstück
416 BRÜCKST. AUS D. ALEXANDER D. ÜLR. V. ESCHENBACH
eines altdeutschen gedachtes enthält, die höhe des Mattes beträgt jetzt
24.5 cm., da jedoch der untere rand 5 cm., der obere nur 1 cm.
breit ist, so lässt sich vermuten, dass vom oberen rande ein stück
weggeschnitten ist, das ganze Matt also ursprünglich höher war
als jetzt, die breite beträgt 21.5 cm., wovon die ränder je 3.5 cm.
in anspruch nehmen, die spalten, deren jede 36 Zeilen enthält,
(das ganze Matt somit 144) sind 18.5 cm. hoch, mit tintenlinien
eingerahmt, wie denn auch die zeilen mit tinte vorgezogen sind,
die ungeraden reimzeilen beginnen mit capitalbuchstaben , die geraden
mit gewöhnlicher minuskel und sind eingerückt, die abschnitte sind
durch abwechselnd rote und blaue initialen ausgezeichnet, die von
blauen und roten arabesken umzogen werden, die schrift ist sauber,
gleichmäfsig , enthält wenig abkürzungen und stammt eher aus der
ersten ah der zweiten hälfte des 14 /äs. die spräche ist im all-
gemeinen oberdeutsch, jedoch mit ziemlichen mitteldeutschen spuren.
Das fragment umfasst die verse 3869 — 401 2 ans dem Alexander
des Ulrich von Eschenbach und gehört, soiceit ich nach den ge-
druckten beschreibungen urteilen kann, zu keiner der jetzt be-
kannten handschriften oder bruchstücke. P. Wichner hat die streifen
von den deckein eines miscellanbandes der Admonter bibliothek
abgelöst, welcher lateinische Schriften von humanisten, gedruckt
1525—1555 enthält, der text des fragmentes stimmt mit dem
jüngst durch Wendelin Toischer kritisch hergestellten (bibliothek
des Stuttgarter litt er arischen Vereines, band 183) so genau überein,
dass es nicht lohnt, ihn besonders abzudrucken, ich führe also
hier nur die abweichungen von Toischers ausgäbe an, und bemerke
noch, dass aus diesen Varianten ein beweis dafür, welcher stufe
der Überlieferung des gedicktes das neue bruchstück angehörte,
meines erachtens nicht erbracht werden kann.
3873 uf ir zeher. 3875 suzze were. 3881 D. . w suzzes.
3896 hertz. 3900 kan sorgen vertriben. 3901 Ein wiplich
wip. 3906 ein reines wip. 3908 dem si suzzer. 3909 ge-
naden. 3911 mit suzze ersuchet. 3913. 4 sinnet : minnet.
3919 wirde drucken. 3924 sin m. 3926 wart gestört.
3927 Innen was. 3928 dez musten. 3930 ziten. 3937 Pho-
tides und Declon. 3939 Alexandro. 3942 vil dinst. 3946 so
des mordes. 3948 dazn wert. 3949 iclich man. 3955 solde.
3958 recht strazze. 3960 hette. 3961 unwizzende. 3966 di
gote gestifte. 3969 Daz er der. 3971 Er hette. 3973. 4 ge-
BRUCHST. AUS D. ALEXANDER D. ULR. V. ESCHENBACH 417
zelde : gelde. 3976 der forsten (n getilgt) von Smaragone.
39S4 ich uch lazze. 3987 gespreclieD. 3995 schier of.
3998 man sach. 4000 von deinen gezelde. 4004 aren.
4005 Dar abe so gaben si. 4006 zwein knopphen. 4010 daz
des criechen. 4011 decheinem.
Graz. ANTON E. SCHÖNBACH.
HEIMAT UND ÜBERLIEFERUNG DER
VORAUER SÜNDENKLAGE.
Die Sündenklage, die uns auf bl. 125 — 128 der Vorauer hs.
überliefert ist (Diemer s. 295 — 316) und von der die ersten
13 zeilen auch als zufälliger eintrag in einem Zvvettler codex
(Fundgr. i 260) begegnen, lockt den textkritiker mehr als andere
gedichte des 12 jhs., denn es sind zwar zum teil schwierige,
aber durchaus nicht unlösbare aufgaben, welche die Überlieferung
dem herausgeber stellt. Diemers kritische noten und ausrufungs-
zeichen und MHaupts flüchtige beisteuer zu den aushängebogen
liefsen noch eine reiche ernte übrig, die auch durch Scherers
besprechung des werkchens (QF vn 77 — 81) und die fleifsige
und bescheidene, aber ergebnisarme dissertation von Anton Müller
(Breslau 1887) kaum verkürzt wurde, fast das einzige, was der
neuste herausgeber, VYaag in seinen Kleinem deutschen gedichten
des 11 und 12 jhs. (Halle 1890) nr xn s. 131—154 für das denk-
mal getan hat, ist die absetzung der verse und die einführung
einer sehr fragwürdigen interpunction: so stellt er die gramma-
tischen und logischen Unmöglichkeiten der Überlieferung, die
verstümmelten salze, reimlosen zeilen, gestörten gedankeu recht
aufdringlich vor den leser hin; und nachdem nun Ckraus im
Anz. xvn 29 f an diesem rohtext einige der schwierigsten stellen
fördernd behandelt hat, erscheint es auch mir als pflicht, mit den
kritischen ergebnissen einer mehrfach widerholten lectüre her-
vorzutreten.
Ich schicke voraus, dass das Zwettler fragment offenbar nichts
anderes ist, als eine momentanem einfall entsprungene mr. In-
schrift ohne vorläge, die wol nur gerade so weit reicht wie das
gedächtnia des Schreibers, so kann seihst die tatsache, dass es
in dem kleinen stück an spuren mitteldeutscher lautbezeichnung
418 VORAUER SüNDEMvLAGE
fehlt, kein weiteres interesse beanspruchen, und wir bleiben einzig
auf die Vorauer hs. angewiesen, den abdruck bei Diemer hat
neuerdings Piper einer peinlich genauen collation unterworfen
und ihr ziemlich gleichgiltiges ergebnis in seinem Riirschner-buche
Die geistliche dichtung des mittelalters i 83 f in der anmerkung
versteckt.
Die meiste aufmerksamkeit haben von vorn herein die reste
mitteldeutscher, ja wie es schien, zum teil gar niederdeutscher laut-
gebung erregt, welche diesen text aus seiner unmittelbaren nach-
barschaft in der grofsen sammelhs. scharf herausheben. Scherer
und AMüller aao., auch Waag Reitr. 11, 135 ff haben alles ein-
schlägige zusammengestellt; das interesse concentriert sich einmal
um die Schreibung d für mhd. t und dann um ein paar angeb-
liche fälle von unverschobenem t, die unten bei behandluug von
v. 424 und 707 zur spräche kommen.
Der Vorauer Schreiber ist an diesen erscheinungen un-
schuldig, ja bei seiner peinlichen gewissenhaftigkeit, welche über-
all den orthographischen character der unmittelbaren vorlagen
treu bewahrt, wird er kaum viel mitteldeutsches verwischt haben:
er muss also bereits eine vorläge mit obd. dementen gehabt haben,
und mit dieser halbschürigen vorläge ist für Waag das fränkische
original gesicbert, das er zunächst (Reitr. 11, 138) zögernd,
dann (Kl. gedichte s. xxxv) ohne vorbehält für Mittelfrauken in an-
spruch nimmt. Für John Meier in seiner mir soeben zugegangenen
habilitationsschrift s. 32 [jetzt Reitr. 16, 95] genügt diese bestim-
mung noch nicht, und flugs setzt er zu mittelfränkisch noch
erläuternd 'ripuarisch' hinzu.
Etwas vorsichtiger sind Scherer und AMüller zu werke ge-
gangen. Scherer OF vn 79 hielt mischung und ausgleichuug
verschiedener dialecte bei dem Verfasser nicht für ausgeschlossen,
und wenn er dann auch QF xn 38 das werkchen unter die
fränkischen denkmäler einreihte, so dachte er doch dabei nur an
Oberfranken, und speciell Ramberg schwebte dann mir vor, als
ich QF xliv 74 die gründe für mitteldeutsche heimat des dichlers
durch die reime mit überschiefsendem n verstärken wollte; Müller
aber, der diesen neuen anhaltspunct aufnahm, kam doch der
Wahrheit näher mit der erwägung, das gedieht könne ein ober-
deutsches original sein, das, ehe es dem Vorauer Schreiber zu-
gänglich wurde, einem Mitteldeutschen durch die bände gegangen
VORAUER SÜNDENKLAGE 419
sei (aao. s. 57). Müller betonte ausdrücklich, tlass die reime ein
oberdeutsches original nicht ausschlössen , und die gründe, aus
denen er sich schliefslich doch für den umgekehrten Vorgang,
oberdeutsche Umarbeitung eines mitteldeutschen Originals, ent-
schied und den dichter mit Waag nach Mittelfranken setzte, sind
der schwächste teil seiner sonst ganz verständigen arbeit.
Halten wir uns einmal die Vorstellung fern, welche ein paar
auffällige orthographische erscheinungen wachrufen, und sehen uns
die reime an, so kann dem bajuvarischen Ursprünge des werk-
chens auch nicht der leiseste zweifei entgegentreten, und selbst
der gedanke an eine mitteldeutsche bearbeitung schwindet, wenn
wir weiter sehen, wie alle characteristischen bairischen reime auch
in der Schreibung treu zum ausdruck kommen. Ich greife nur
wenige der am meisten augenfälligen heraus: sie werden vollauf
genügen.
v. 3. 4 (D. 295, 4f) mege conj. : phlege imp. in keiner echt
mitteldeutschen1, geschweige denn in einer mittelfränkischen quelle,
wird sich eine e-form des verbums mugen nachweisen lassen, die
«-formen herschen hier seit ahd. zeit durchaus (vgl. Whld.'2 § 409),
ja sie dringen von hier aus auch ins alemannische und bairische
vor, während sich das gebiet der e-formen nur verengt, nie aus-
breitet. — aber auch das swv. phlegen spricht in diesem reimpaar
gegen mitteldeutsche herkunft: es ist nur bezeugt in zwei regens-
burgischen werken: Roland und Kehr.; in drei augsburgischen:
Wernhers Maria, Servatius, Buch der rügen; und in den gleich-
falls dem bairisch- Österreich. Sprachgebiet angeböligen Warnung,
Bonus, Krone, Helmbiecht und Helbling.
v. 725. 26 u. 731. 32 (D. 312, 25. 313,1) erbe: wer gen ist
als re'm in keinem andern dialecte als dem bairischen möglich,
wo diese formen, soviel ich sehe, zuerst im Freisinger Otfrid auf-
tauchen (zb. iv 13, 54 tergen); aus dem 12 jh. gibt reichliche bei-
spielc Whld. Bair. gr. § 178.
v.289 (Ü. 302, 10) chot(: got) kommt gleichfalls nur dein bai-
rischen dialect zu, denn nur hier und etwa in dem alemannischen
1 man muss dabei freilich zwei werke des I2jhs. ganz aus dein spiele
lassen, den Hother, der in einem aasgeprägten mischdialect von einem rheini-
schen spielmann in Baiern gedichtet wurde (nanz ähnlich wie L 50 jähre später
das Marienleben Philippe des Karthäusers, vgl. ADB 26, 71), und Hartmanns
Credo, das, wie ich Zs. :;:;, L04 anm. bereits angedeutel habe, nachträglich
bairische einfliisse erfahren hat.
420 VORAUER SÜNDENKLAGE
grenzgebiet gilt das lautgesetz : qua > ko, qud ]> kö, que > ko,
qui > ku (kü), qui > kiu. in mitteldeutschen quellen bleibt die
alte lautgruppe unverändert, im hochalemannischen und teilweise
im schwäbischen wird qu^>k, ohne dass eine Veränderung des
vocals eintritt, in den nhd. Wörtern quecksilber, keck, kochbrunnen
(s. DWB) haben wir abkömmünge der drei hauptdialecte neben
einander. — wenn neben chot im reime die form cham (: nam
v. 41. 82) auftritt, statt des zu erwartenden chom (526), so ist
das schriftsprachlicher einfluss; auf chom gibt es kein reimwort,
auf cham um so mehr.
Und sehen wir uns dem gegenüber einmal nach den aner-
kannten kriterien mitteldeutscher herkunft um. in einem mittel-
deutschen denkmal erwartet man mit bestimmtheit beispiele für
den ausfall resp. abfall des/t: nichts davon findet sich, im gegen-
teil wird die festigkeit des lautes bezeugt durch reime wie in-
phdhen: gendden 418, höhen: chören 203, anslahen: haben 821.
eine ausnähme macht das ntr. negationssubstantiv mit seinen
für die altbairischen deukmäler characteristischen doppelformen
nieht (: lieht) 67. 840 und niet (: gehiez) 533. 664, während
reime niht : geschiht oder gar nitimit durchaus fehlen; als histo-
rische Schreibung ist niht ebenso constaut wie etwa in der Kehr,
der gleichen hs. — die lautgruppe ht ruft auch nirgends die
fürs mitteldeutsche seit dem lljh. bezeugte kürzung des voraus-
gehenden vocals hervor: neben vier fällen, wo brdhte : ddhte uä.
reimen (87 f. 141 f. 147 f. 787 f), steht kein fall brdht: naht oder
gar brdht : craft, wie er dem mittelfränkischen zukäme, wol aber
wird die länge des vocals bezeugt durch brdht : hat 161 f, bilde :
bitterlichen 526 f. — neben dem st. praes. bringen, das 170. 220.
603 im reime steht, ist die im md. herschende sw. form breiigen
weder überliefert noch durch den reim gefordert. — es heifst
herte (: geverte) 738 und nicht hart.
Nirgends findet sich ein reim wie gienc : jungelinc (vgl. die
Schreibung ergie : hie 1 1 7 f ), stuont : munt, friunt : kunt, der für
mitteldeutsche herkunft sprechen würde. — nirgends ist ei<iage
oder ege überliefert, wol aber die reime maget : geladet 9 f igechlaget
31 f. — der reim gndde : trage 486 f, welcher widerstand gegen
den umlaut des d bezeugt, sieht gewis nicht mitteldeutsch aus.
Aus den verbalformen hebe ich noch heraus du wil(:vil) 175;
es passt am wenigsten an den Niederrhein, wo schon fürs 12 jh.
VORAUER SÜNDENKLAGE 421
du wolt bezeugt ist (Whld.2 § 421). — scol:val 263 f. 332f darf
so wenig wie etwa im Anegenge 11, 71 f. 13, 35 t' für die alte, in
Mitteldeutschland bewahrte a-form angeführt werden, es ist viel-
mehr ein bairischer reim wie geborn : durchvarn Ulf und hat
überdies die normalbiudung vol:sol 275 f zur seite.
Resonderes Interesse erregen die formen des verbums haben.
der infinitiv ist nur als haben bezeugt: im reim auf scaden 144,
-.entragen 190, :irslagen!62, : anslahen§20 überliefert muss er auch
eingesetzt werden 701 : scaden. dagegen ist in der Qexion des ind.
praes. bereits die gekürzte form durchgedrungen, wie die reime
ich hdnigdn 330. 439, : stdn 779, : getan 355. 378. 558 be-
legen, im praet. sind nur contrahierte formen mit langem vocal
bezeugt, aber ihre vocalfarbe lässt sich nicht mit Sicherheit fest-
stellen, weil einmal der sog. klingende reim noch weitgehnde
freiheiten zulässt und dann unser text mit 6iner unsichern aus-
nähme (284 ') nur conjunctive bietet, wenn aber von diesen
conjunctiven zwei (596. 748) auf miete reimen, einer gar (662)
auf enlieze, so wird man hier die bairische form hiete für wahr-
scheinlich halten, und an den beiden andern stellen (:nöte 284,
: beten 777) ist sie jedesfalls nicht unmöglich, mit mittelfränkischen
formen, mögen sie nun hede oder hedde (hette) heifsen, wird der
reim auf enlieze nur verschlechtert, und auch das verzweifelte mittel
einer niederfränkischen form enliete curiert ihn nicht vollständig,
während er bairisch als hiete : enlieze gefasst zwar eine auffällige
lautbinduug darstellt, aber in niet : gehiez 533. 664 seine genauen
entsprechungeu hat.
Ich breche hier ab, denn ich will keine vollständige gram-
niatik des denkmals geben: eine solche würde nur mit dem aus-
blick auf die gesamte gleichzeitige litteratur des bairisch - öster-
reichischen gebiets lohnend sein, worauf ist denn nun die
annähme 'mittelfränkischer' herkunft gegründet worden? in erster
linie auf die graphische erscheinung, dass mittelhochdeutsche t
vielfach als d widergegeben sind, entsprechen dein auch die
reime? ueinl denn nirgends ist ein reim wie ziteniltden, fride :
mite, nerte : erde vorhanden, die tatsache aber, dass wurde(n) so-
wol auf bürde (79. 95), erde (136) als auf geburtc (325), ufverte
1 hier sprechen die parallelen verse 190. 235. 237. 239 für den con-
junctiv, während durch \. 15, 39 ua. auch der indicath als möglich garan-
tiert wird.
422 VORAUER SÜNDENKLAGE
(237), wurmgarten (72) reimt, erklärt sich sehr einfach: wir be-
finden uns in einer zeit, wo der grammatische Wechsel im praet.
von werden sich zu verwischen beginnt, ohne schon völlig ge-
schwunden zu sein, die gleiche erscheinung, bis in die gleichen
reimworte hinein, habe ich QF xliv 8 fürs Anegenge nachgewiesen:
ich kenne überhaupt kein denkmal, das der Vorauer Sündenklage
sprachlich näher stünde als das etwa ein menschenalter jüngere
Anegenge. ua. begegnen hier auch ganz wie in der Ski. die
doppelformen ist und is, mit den gleichen reimbelegen: ist : Christ
Ski. 145. An. 13, 9; isigewis Ski. 595. An. 2, 48.
Es bleibt für die reime nur eine auffällige erscheinung festzu-
halten — und auch die lässt sich für das mittelfränkische des I2jhs.
nicht verwerten, ich meine die zahlreichen bindungen mit über-
schiefsendem n. man kann deren unter ca 410 sichern reimpaaren
60 zählen, und wenn auch ein und der andere fall in abzug
kommen kann und kommen muss, so ist ein procentsatz von 12
doch immerhin recht auffallend, indessen, dass es sich hier (wie
oben bei den fällen, wo t : z reimte) lediglich um eine frage der
reimtechnik und nicht um eine mundartliche erscheinung handelt,
ist für jeden klar, der die im reim stehnden formen näher ins
äuge fasst: denn so gern man die möglichkeit einer lautlichen
erklärung auch etwa bei den infinitiven zugesteho wird, so un-
bedingt wird man sie für dative pluralis wie sculden (11), wiben
(43), höhen (203), strichen (315), brüsten (471), stunden (591),
dingen (602), tieren (717), snnden (721) ablehnen, so kann ich
diesen reimen (die ich einst selbst zuerst ins feld geführt habe QF
xliv 74) keinerlei wert für die bestimmung der muudart beimessen,
und noch weniger erscheinen mir Schreibfehler wie die 3 p. pl.
bestieze (809 = D. 315,3) oder das part. gebunde (314 = D.
302, 28) so bedeutungsvoll wie hrn Waag, der sie in seinen text
aufnimmt.
Die bairisch-österreichische oder doch oberdeutsche herkunft
des denkmals, der in den reimen nichts im wege steht, wird
weiterhin auch bestätigt durch den Wortschatz, wenn er auch
nicht eben viel originelles bietet, das swf. kone (493), so ver-
breitet es in Oberdeutschland ist, fehlt rheinischen quellen durch-
aus. — das stm. huoch (482 niwar huh unde spot) kann ich aus
dem Leben Jesu der Ava, aus Gen. und Exodus, Kehr., Himml.
Jer., Milst. skl. nachweisen — aber aus keiner mittelfränkischen
VORAÜER SÜNDENKLAGE 423
quelle. — dass dige stf. (151) in mhd. zeit nur noch im Spec.
eccl. 133 bezeugt ist, mag immerhin zufall sein. — für das swv.
ingalten (365) beschränken sich die belege auf Erinneruug, Grazer
Litanei, Tundalus und Erec. — das adj, lenge (ze lenge : ende 363)
kennen die Wiener Genesis, das Anegenge, Alber, Wolfram, Fleck.
Schliefslich zeigt auch die reimtechnik freiheiten, die in
oberdeutschen, speciell in bairiseh-osterreichischen quellen von der
Genesis bis zur Kaiserchronik ziemlich verbreitet, anderwärts nicht
bezeugt und fürs mittelfränkische einfacb unmöglich sind, ich
denke hier vor allem an reime wie genam : Uchnamen 542 f, hul-
de(n) : sculdigen 300 f. 631 f, gehuldigen : sculde 574 f; gerade die
beiden letztern haben in Rol. und Kehr, ihre genauen parallelen,
in rheinischen gedienten sind sie mw. anerhört.
Was die bildung des dichters anlangt, so habe ich QF xliv 74
bekantschaft mit Ezzo nachgewiesen und einfluss des Honorius
wahrscheinlich gemacht — was dann von AMüller breit ausge-
führt worden ist. das gedieht war in Österreich verbreitet, wie
uns neben der Vorauer hs. das Zwettler fragment und vor allein
die zahlreichen reminiscenzen im Anegenge bezeugen ; zu den aao.
s. 75 aufgezählten trage ich nach:
Ski. 138—141: Aneg. 29,79—82:
toande aller der zorn du het diu barmunge vertriben
unde elliu diu vientscaft alle die vientschaft
diu ander mennisken unt diu zwischen dem menschen
under gote was unt gote was bihaft '.
mit dir ze suone wart brdht. ze suonewas chomen derchneht.
Weisen nun die mitteldeutschen schreiberspuren, die die bis-
herige forschung auf einen fränkischen Ursprung des gedichtes
führten, überhaupt aus Österreich hinaus? muss die originalhand-
schrilt einmal gewandert sein, um mit diesem nid. aufputz zurück-
zukehren? keineswegs! wir haben es weder mit einer mittel-
deutschen Umschrift noch gar mit einer Umarbeitung zu tun.
die mehrzahl jener characleristischen bairischeo reime, so vor
allem die an die spitze gestellten mege : phlege, erbe : wergen,
chot:got, sind in der Überlieferung treu bewahrt, ebenso im vers
1 wenn Bartsch, ohne die parallelstelle zu kennen , Beitr. 8,503 dies
biliaf't als schreiberzutat streicht, so leitet ihn ein richtiger tuet, abei auch
den Verfasser des Anegenge selbst kann man solcher reimflickerei wol für
fähig halten.
424 VORAUER SÜNDENKLAGE
formen wie mege 206, chom 526: nirgends begegnet ein muge
oder quam, mit einer einzigen ausnähme i ist altes h nach vocal
nie aus- oder abgestofsen , nie ist ein ph durch p ersetzt, ein
breiigen für bringen, -scaf für -sca/i eingeführt, um zu zeigeu,
wie treu jener 'mitteldeutsche' Schreiber der Zwischenhandschrift
den oberdeutschen lautstand in einzelnen puncten gewahrt hat,
greife ich die Schreibung des germ. k im gestützten inlaut heraus,
für das folgende belege vorhanden sind: werch, icerche, werchen
5. 93. 158. 165. 226. 252. 286. 497. 513; starchen 158, sterchorre
855; scalh 641; gedanchen 168. 479, denche, gedenche 647. 676.
795; — schliefslich das lehnwort marchet 390. also bei 18 fallen
nirgends ein ausweichen aus dem bairischen brauche, der mithin dem
Schreiber doch berechtigt erschienen und vertraut gewesen sein muss.
Die gesamtheit dieser beobachtungeu lässt nur den einen
schluss zu, dass die vorläge unserer handschrift, vielleicht direct
nach dem bairisch-österreichischen original, in einem österreichi-
schen kloster von einem Schreiber hergestellt wurde, der zwar
längst mit der spräche und rechtschreibung seiner Umgebung
und des denkmals selbst vertraut war, aber doch gelegentlich
laute seiner mitteldeutschen heimat einmischte, in der haupt-
sache beschränken sich diese unfreiwilligen zutaten auf die ein-
führung eines anlautenden und inlautenden d für obd. t (germ. d
und t{r))~ und auf die ausbreitung des umlauts von ä, der im
original wol nur vereinzelt auftauchte, von den reimen nicht
streng gefordert wird: unsere hs. bietet bei 66 fällen, in denen
um 1200 umlaut obd. regel sein würde, 10 mal a, 25 mal cß,
31 mal e3. der weitere anteil des Schreibers der vorläge an der
sprachlichen entstellung des textes wird in den kritischen erürte-
rungen , zu denen ich mich nun wende, speciell zu v. 28. 52.
61. 83 ff. 153. 386. 545. 608, zu tage treten.
Obwol sich die verszählung Waags als nachlässig (s. Kraus
aao. 34) und unhaltbar herausstellt, halte ich vorläufig an ihr fest
und füge jedesmal die citate nach Diemer in klammer bei.
1 stdl für slahel, das 760 im verse steht; es ist schon im Bit. ST93
durch den reim gesichert.
2 die fälle sind aufgezählt von AMüller s. 42.
3 es sei ein für allemal bemerkt, dass die von Waag in seinem auf-
satz ßeitr. 11, 76 — 158 gegebenen lautstatistiken durchweg unbrauchbar
sind: so setzt er hier nur 16 ce und 11 e an (s. 135), und in der Statistik
der diphthonge (ebenda) hat er blofs 36 ei gezählt statt 127!
VORAUER SÜNDENKLAGE 425
V. 18ff (D. 295,14—16) 1.:
nu wis Mute ein böte
an dinen einbom sun,
an unseren herren (Jhesum).
die ergänzung ist notwendig, denn etwa hemm einzustellen (Kraus
aao. 33), verbietet spräche und reirotechnik unseres gedientes, das
nur selten die flexionsendung reimt und von alten vollen formen
blofs das bis tief ins 13 jh. übliche verwandelöt (:töt2öb) auf-
weist. — v. 26 (295, 20) hat Kraus Auz. xvn 29 jedesfalls besser
als Diemer ergänzt: doch will mir die Übertragung des sdlkh aus
v. 136, wo es als nachdrucksvoller abschluss einer kette von preis-
werten erscheint, gar nicht einleuchten, ich ziehe es vor, an
seiner stelle einfach eine anrede zu setzen, wie sie v. 30. 77. 110.
175. 182 uö. erscheint, also:
25 durch willen der geburte,
(daz du, vrouwe, wurte)
her in dise werlt geborn.
v. 28 (295, 21) uorhte dialectisch oder verschrieben für uorhte d. i.
vurhte. — v. 30 f (295,221) 1. nu bivilhe ich, frouwe, minen geist zu
(diner) helve, wdriu maget; vgl. v. 57. — v. 52 (296, 13) im reim
auf inphienge 1. niemen st. niernan (Kraus aao. 33); die abge-
schwächte form war dem Schreiber der vorläge fremd: auch 551
ist iemen st. iemannen, 741 niemen st. niemanne einzusetzen. —
v. 61 (296, 19) ähnlich gieug es ihm mit dem in süddeutschen quellen
dieser zeit häufigen, aber auf diese (Wiener und Milst. Gen., Ezzo,
Summa. Theol., Ava, Kehr., Aneg., Credo, Tund., predigten) be-
schränkten und im 13 jh. (letztes beispiel i ßiichl. 730) ausgestor-
benen compositum (allez) manchunne, das er zwar v. 22. 326 bewahrt,
aber hier in manneschunne , v. 74 (296, 27) in aller manne chunne
(aus allem manchunne) aufgelöst hat. — v. 83 ff (297, 4 ff) zeigen
die reimworter eine eigentümliche durchkreuzuug verschiedener
formen der 2 p. s. ind. praet. in unseren gediente kommen hier dem
starken verbum regulär die alten conjunetivfürmen zu: sie sind im
reime massenhaft bezeugt (vgl. 51. 89 f. 91 f. 95. 131. 136. 239.
322. 325. 625. 627 f. 797. 816) und im versiunern ausschließ-
lich Überliefert, denn das von NVIihl.^ ^j 374 gerade aus der Vor.
skl. v. HO (297,23) angeführte wurdest ist ein conjunetiv. ja
nach oberdeutscher weise (WhldV § 386. 407) überträgt der autor
diese bildung auch auf ilie verba denken und bringen: v. 253 (301, 10)
Z. F. D. A. XXXV. X. F. XXIII. 28
426 VORAUER SÜNDENKLAGE
ist du brehte überliefert, und selbst einen reim du vrumde : ur-
chunde 703 (312, 11) könnte man anstatt des überlieferten vrume-
dest auf grund eben bairischer analogien des 12 jhs. (Whld.2 § 402)
einsetzen, die sf-formen an unserer stelle erklären sich einmal
aus einem Wechsel der construction, der dann den Schreiber in
Verwirrung brachte, dann aber auch daraus, dass ihm selbst als
Mitteldeutschem diese formen mit -st auch im ind. praet. der
starken verba geläufig waren (Whld.2 § 374). dass er tatsächlich
mit der vorläge in conflict geriet, zeigt besonders die form breh-
dest, die nur auf einem compromiss von brehte und brdhtest be-
ruhen kann. v. 83 bringt den von daz v. 80 abhängigen con-
junctiv huobest, der aber auch den reimgesellen truogest mit sich
zog; die abhängige construction kann also erst mit v. 85 verlassen
sein, und die ursprüngliche gestalt der verse lässt sich etwa so
widerherstellen :
80 daz du die bürde,
die er uf sich nam,
dö er in dise werlt cham,
mit samt ime huobest,
in dinem buche du in truogest:
85 maget wesende du in gebcere,
sin chintamme du wcere,
ze dem vrönen sale du in brcehte,
windelline du ime gedcehte.
dö du in enphienge usw.
das du in v. 84 habe ich mit gutem bedacht gelassen: in dieser
form leitet die zeile gewissermafsen aus dem nebensatz in den
folgenden hauptsatz über.
V. 109 (297, 23) 1. chomen. — v. 153 (298, 22) ist der reim
gegeben : wissagen schon wegen des ausdrucks geben zu zu be-
seitigen, man schreibe
152 du da ze den niun chören
michele froude hdst getragen
den (zwelf)boten unde den wissagen.
vrouwede ist eine form, die höchst wahrscheinlich dem Schreiber
der vorläge gehört. — v. 157 (298, 24 f) 1. unt (den) patriarchen.
— v. 181 (299, 11) 1. bete. — v. 187 (299, 16) an die form vrende
(hs. urende) für verende glaube ich nicht; hier liegt offenbar nur
eine graphische eigentiimlichkeit des Originals zu gründe, die auch
VORAUER SÜNDENKLAGE 427
v. 229 (300, 19) die überlieferte lesart (des bludes) daz got an
dem cruce uzgoz für vergöz (aus urgoz << usgoz) verursacht haben
mag. — v. 198 (299, 24) die überlieferte reimlose langzeile muss
natürlich geteilt werden, der reim ist derselbe wie in der zweifel-
freien ergänzung Diemers v. 160, also:
loier mohte gezieren
unde (wol?) geren.
V. 203 (299, 28) scheint mir die änderung den engelen in
der höhe (: chöre) für in den hohen der hs. zwar nicht unbedingt
nötig, aber sehr naheliegend. — v. 211 (300, 5) 1. danne st. denne;
der sinn ist: 'gestatte mir die rückkehr [dorthin], von wo ich
hierher verbannt bin', denne als localadverb ist mir wenigstens
unbekannt. — v. 229 (300, 19) s. zu v. 187. — v. 269 (301, 22)
die Umstellung fach unde naht (: mäht) liegt nahe, ohne aber not-
wendig zu sein. — v. 278 (301, 28) in der anrede an Maria
muss es heifsen:
. meile
durch willen der reine, (hs. reinen)
der ime got selbeme behielt an dir.
dh. 'um der reinheit willen, welche got für sich selbst an dir auf-
sparte', adjectivisches reinen gibt keinen sinn, (h)reini 'castitas' ist
bei Graff iv 1161 noch reichlich bezeugt; die mhd. wbb. bieten dafür
nur wenige belege: aus dem Linzer Entechrist, Spec. eccl. und dem
pseudo-gottfried. lobgesang, den Pfeiffer in die gegend des Boden-
sees setzt: einem mitteldeutschen gedichte käme wol reinde zu
(oberhess. Himlf. Mariae v. 444). — v. 285 — 287 (302, 6 — 8)
folgen sich bei Waag und scheinbar ja auch in der hs. drei reim-
lose zeilen, denn die ausgänge tonte : werche : froute können in der
technik unseres dichters unmöglich einen dreireim ergeben, die
langzeile, welche Scherer QF vu 80 und AMüller s. 21 richtig
erkannt haben, stellt das reimpaar her:
dö er hangende drane tonte,
unde durch willen aller der werche dd er dich ie mite froute.
V. 314 (302, 28) 1. gebunden. — v. 338 (303, 16) ist das Uarre
der hs. in Wdrre (= wdrer) zu ändern, nicht in Ware; die
gleiche Schreibung führt Waag irrig v. 431 (305,20) und v. 6S9
(312, 2) ein. — nach v. 340 (303, 18) fehlt eine reimzeile, die sich
mit einiger Sicherheit ergänzen lässt:
28*
428 VORAUER SÜNDEINKLAGE
unde si ouch gerne buozen welle,
(nu löse mich von der helle?)
nu habe erbarmede über mich,
des bite ich armer menske dich usw.
man wende nicht etwa ein, dass gleich darauf wider steht (344 f)
nu hilf mir, daz ich mine sele inphuore von deme beche, denn
gerade in immer erneuter wideraufnahme und variierung des
gleichen gedankens beruht die stilistische eigenart und würkung
dieses gedichtes. — v. 345 (303, 20) ist der schw. dat. (von dem)
bechen unerhört und gewis nur durch den reimklang (: rechen)
eingeschmuggelt. — zu v. 361 f (304, 4. 5) ist ein überblick über
den gedankengang von v. 344 — 367 notwendig: der dichter fleht
um errettung seiner seele; am leibe möge gott ihn strafen, dafür
vor allem, dass er Christi opfertod so schlecht gelohnt habe
(350 ff), ja er will in diesem erdenleben sich selbst dazu ver-
urteilen, gottes räche zu erdulden (dd wil ich mir selbe umbe
irteilen den dinen michelen gerich in disem Übe über mich 358 ff ).
'denn was mir dort, im jenseits, zu teile werden würde, das würde
ich ungern erleiden'; dieser letztere gedanke muss in den verseu
361 f stecken, die ich so lese:
daz mir dort ze teile solde werden, bs. leide
daz irlite ich nngeme. hs. irteile
ze leide möchte noch angehn, obwol der neutrale ausdruck ze
teile unstreitig würksamer ist, irteile ich ist ohne nähere bestim-
mung (mir) überhaupt nicht zu halten und fiele auch dann noch
aus sinn und construction. es leuchtet ein, wie leicht äuge und
ohr von teile-irlite auf leide-irteile abirren konnten, zumal ir-
teilen eben dagewesen war; und dass der so gewonnene gedanke
der richtige ist, beweist die weitere ausfiihrung v. 363 — 367:
'jenes (die strafe im jenseits) könnte leicht zu lange währen (daz
wnrde lihte ze lenge ist dieselbe ironische ausdrucksweise wie mein
daz irlite ich ungerne), während dies (die irdische strafe) bald ein
ende nimmt; darum sei gepriesen, herr, dass du mich hier entgelten
lässt und dafür die seele rettest.' — bei v. 386 (304, 20) daz
ist hinen vurder der rät min möchte ich glauben , dass vurder
für vur nur einer dittographie des artikels seinen Ursprung ver-
dankt: so oft ich in der obd. litteratur des 12 jhs. hinnen vur
gelesen habe, hinnen vurder ist mir nicht vorgekommen.
V. 423. 24. (305, 15. 16) bergen eins der reizvollsten verderb-
VORAUER SÜNDENKLAGE 429
nisse. 'diese weit' heifst es 'hat mich hetrogen', sie hat mir armen
getan also vil manegem man, den sie hat bestrichen, ein teil hdn
ich irite harte gehenget, hier ist die vorletzte zeile reimlos und
die letzte birgt jenes rätselhalte irite, das Scherer zuerst als tri te
auflöste und das seither als ein rest niederdeutscher lautgebung
(= ir ze) aufgefasst wird, wie unwahrscheinlich so etwas über-
haupt in unserm denkmal ist, wurde oben gezeigt, die frage ist
die: steckt die fehlende reimzeile zu 424 — bestrichen verstüm-
melt in 425? oder muss sie als gänzlich verloren angesehen und
durch conjectur ganz neu hergestellt werden? die erstere even-
tualität ergäbe etwa folgende fassung:
den sie hat beswichen.
ein teil hdn ich (ir entwichen,} oder (mich ir geßizzen)
ir ze harte gehenget,
entwichen hätte hier die keineswegs seltene bedeutung 'nachgeben',
also ziemlich die gleiche wie gehengen, und ausgefallen wäre der
erste zweier parallelen verbalen ausdrücke, der reim beswichen :
entwichen begegnet zb. Raraj. 112, 3. 4 (QF vn 25). ich wähle
diesen weg der emendation aber darum nicht, weil er das sonder-
bare irite unerklärt lässt, ja durch die widergabe ir ze seinen
niederdeutschen Ursprung zuzugeben scheint: der obige einfall
stammt denn auch bei mir aus einer zeit, wo ich Scherers deutung
noch für möglich hielt, jetzt bin ich überzeugt, dass die reimzeile
ganz verloren ist und sich eben nur andeutend ergänzen lässt,
und ich schreibe das ganze so:
den sie hdt beswichen
(mit ir argen slichen,) oder (ich hdn mich ir geflizzen,)
ein teil hdn ich ir itelchaite gehenget.
'partim eius vanitati iudulsi'. man deuke sich nur im original
die buchstaben Ic verwischt oder vernichtet: irite haue; irite blieb
unverstanden (denn gewis hat kein mittelalterlicher leser die
Scherersche deutung vorgenommen), haue wurde als harte 'ge-
bessert', das subst. itelchait begegnet im 12 jh. zb. Prl. 681; die
obd. Schreibung des diphthonges ai muss im original unbedingt
häufiger gewesen sein als in unserer hs.^ wo sie nur noch spo-
radisch begegnet (306, 10 laider, tau. 314, 13 waiz). — v. 425
(305, 17) s. zu v. 28. — v. 427 (305, 18) I. gnediger (vgl. v. 446).
— v. 431 (305, 20) s. zu v. 338. — v. 437 (305, 25) I. mit Diemer m
Id du den zorn din. — v. 447 (300,5) s. zu v. 28. — v.451 (306,8)
430 VORAUER SÜNDENKLAGE
1. diu. — v. 473 (306, 25) nit : ubermuot ist zu keiner zeit ein
reim gewesen; die änderung untriuwe und ubergit liegt nahe
und sie wird dadurch nicht unwahrscheinlicher, dass das suhst.
übergit zufällig in unsern wbb. unbelegt ist: übergiteclich und über-
girlich findet man bei Lexer ii 1618, übergitic in der sündeuklage
Montforts 25, 60, und so gut überdz, übertranc, übergehist, über-
giude ua. in beichtformeln und verwanten denkmälern vorkommen,
dürfen wir auch zu dem stm. git ein compos. übergit ansetzen;
das abirren von dem ungewöhnlichen in das geläufige wort er-
klärt sich leicht. — zu v. 478 (307, 1) s. Kraus Anz. xvii 30.
V. 500 ff (307, 16 ff), von den grammatischen Unmöglichkeiten
dieses satzes hat Kraus aao. 30 eine beseitigt, indem er das ich
v. 502 strich, es bleibt der dreifach austöfsige vers 500. der
dichter hat sich v. 491 — 499 als einen rechten frauenjäger ge-
schildert und er will offenbar fortfahren: 'da aber, wo ich selbst
kein interesse hatte, würkte ich doch dahin, dass eine anständige
frau ihren leib mit ehebrechern befleckte', unbedingt falsch ist
in v. 500 iehtes, wir erwarten niht oder auch lihte; aber auch
mich was umbe ist eine unerhörte Verbindung; die änderung mir
aver niht umbe war : — dar schneidet zu tief ein, lieber schlage ich
vor zu lesen:
v. 500 da mich aver lihte umbe wach,
vil sciere vrumet ich daz,
daz alzoges guot wip
ze meile brühte ir lip
mit unrehten maimen.
zu ze meile bringen vgl. ülr. v. L. Frb. 623, 24. — v. 502 (307,25)
halte ich im gegensatz zu Kraus aao. 30 für tadellos: höchstens
mag man anderre st. andere schreiben , und in der folgenden
zeile wird der gegensatz zu diesem anderre durch minen st. dinen
herzustellen sein , also :
ich räch halt anderre Hute dinch,
an minen werchen was ich Mint usw.
nirgends ist hier, wie Kraus behauptet, von 'lancrdche' die rede,
und so würken die von ihm eingefügten chint (st. dinch) geradezu
verblüffend, der dichter klagt sich der 'rachsucht' an, die nach
altem Sprachgebrauch 'scheltsucht, tadelsucht' einschliefst: 'ich
rächte mich für alles, was man mir mit wort und tat zufügte;
ich schalt eben, was ich au andern sah und war blind gegen
VORAUER SÜNDENKLAGE 431
meine eigenen werke'. — v. 537 (308, 14) s. zu v. 28. — v. 545
(308,20) die form trehten (: unrehte), die v. 734 (313, 3) (ivehten)
widerkehrt und beidemal vom Schreiber mit drehtin, threktin
verwischt worden ist, wird für nähere bestimmuug von zeit und
heimat im äuge zu behalten sein. — v.551 (308, 24 f) s. zu v.52. —
v. 568—585 (309, 8—19) kommt der dichter auf das thema von
v. 358 ff zurück: er fleht gott an, ihn hier auf erden, am fleische
zu strafen, damit für den teufe) (den leidigen wizencere) nicht
allzuviel aufgespart bleibe (578); 'hilf gott, dass ich noch vor
meinem ende nach deinem sinne werde' (585 f). — v. 599 (309,28)
s. Kraus aao. 30; v. 600 ist zu übersetzen 'was ich etwa von ihr
hier verdient haben sollte'.
V. 608 (310,5) im reim auf rede 1. antsege st. antsage, wie
auch der einzige anderweitige beleg W. Gen. 81, 21 antsegi bietet.
— v. 624 (310, 14) zu der verwaisten zeile hiute also gnedich ist
das reimwort leicht gefunden, denn ein anderes reimwort auf
genwdic als scelic und dessen composita ist im 12 jh. kaum be-
legt (vgl. zb. Milst.skl.95f. Rol. 23, 8. Kehr. 119 f, 150771) und
liutselich ist hier der denkbar passendste ausdruck. also lese ich:
wm weiz ich wol daz du bist
624 hiute also gencedich
(und also liutscelich,)
so (du) dö (weere,)
dö du dem sedcheere
sine meinteete verlieze usw.
v. 661 (311, 12) ist von der wunderbaren erreltung und heiligung
der Maria Aegyptiaca die rede: jd ist uns (von) ir daz geleren. —
v. 665 (311, 15) 1. unze si (in)' riuwen gihiez ze buozzene ir
sculde. — v. 693 (312,4) 1. bewarfest st. bewdrst.
V. 701 (312, 10) 1. haben (:scaden), s. oben s. 421. — v. 707
(312, 13) hs. wände sit alle taten wird seit Scherer sit = si ez
genommen; wie unwahrscheinlich das ist, hat schon die einlei-
tende betrachtung ergeben, man hat aber auch gar nicht beachtet,
dass das alle dieser zeile (wände sit alle täten du alle ir sculde) nicht
zum subjeet gehören kann, denn die ankläger Susan nens, von denen
hier die rede gewesen ist, waren nur 'duo senes' und können
nicht als alle bezeichnet werden, es liegen min verschiedene
mögliebkeiten vor: 1) alle ist einlach aus der folgenden zeile ein-
gedrungen, 2) es ist verschrieben für allcz oder alles; diese
432 VORAUER SÜNDENKLAGE
beiden entstellungsarten erklären das wunderliche sit nicht: man
muss zu jeder von beiden noch eine weitere entstellung hinzu-
nehmen, wie etwa die, dass sit die conjunction sit und als Variante
zum ersatz des gleichbedeutenden wände bestimmt war, statt
dessen aber das ähnlichaussehende siz verdrängt hat. ich ziehe
eine dritte erklärung der Verderbnis vor, welche das alle nicht
antastet, und schreibe:
wände siz mit alle taten usw.
der Schreiber sprang einfach von i zu i und schrieb sitalle, das
unsere herausgeber dann als sit alle gedeutet haben. — v. 721 f
(312, 22 f) 1. nu entlip minen sunden durch din selbes hui de
st. gute; der ersatz des reimworts durch ein abstractum ähnlicher
bedeutung erscheint mir einfacher, als das von Kraus aao. 33 f
vorgeschlagene wunden ; hulde steht im reim 409. 619. 631.709.
— v. 726 (312, 26) 1. (der) tievel! — v. 733 (313, 1) natürlich
ist daz zu streichen. — v. 743. 44 (313,9.10) den reim Irinnen:
ende halte ich bei unserem dichter für entschieden verdächtig, so
geläufig der formelhafte ausdrtick gerade dieser Zeilen ist. —
v. 773 (314,4) Du ist allerdings verderbt, aber nicht, wie Kraus
aao. 30 als selbstverständlich ansieht, aus Die, sondern durch den
gleichen fehler des rubricators, der auch v. 616 (310,9) vorliegt,
aus Nu, das hier conjunction ist: Nu sögetdne chamfwdt, herre,
niemen nehdt — , nu wcere reht usw., ganz wie v. 339 ff nu
mich mine sunde riuwen — , nu habe irbarmede über mich; der
conjunctiv im letztern falle ist wol mehr durch reimnot (getriuwe :
— <: helle)) herbeigeführt. — v. 799 (314, 23) 1. daz (du) vil wol
weist daz.
V. 810. 11 (315, 2. 3) hs. ob sie diu gotheit von himele her in
erde treip bleibt bei den herausgebern ungeändert, der besserungs-
versuch von Kraus aao. 31 sagt mir nicht zu. der gedankengang
ist von v. 805 ab deutlich dieser: 'ich habe keine kraft gegen
die (teufel), die mich täglich anfechten und mich gar zu gerne
des ewigen riches bestiezen (808. 9), wenn sie [deine gute gewähren
liefse. herr, dich] sandte die gottheit vom himmel auf erden usw.'
die ergänzung ist danach recht einfach und kann fast als sicher
gelten, weil die Verderbnis sich graphisch von selbst erklärt:
vil gerne bestiezen,
ob sie (diu guote lieze.
VORAÜER SÜNDENKLAGE 433
herre, dih) diu gotheit
von himele her in erde treip.
der Schreiber sprang von din gote auf diu gotheit über, din
guote, das er unterdrückte, kommt eben in diesem passus
kurz vorher (791) und kurz nachher (817) vor. — v. 832. 33
(315, 19. 20) 1. dö du in dem töde himel und erde allez (lieze}
erweget werden. Waag beseitigt v. 832 das überlieferte du und
setzt v. 833 scolde ein, was ganz unpassend ist. die Schwierig-
keit des Verständnisses scheint durch die eigentümliche Scheidung
des angeredeten heilands in du 821 ff. 832 und din gotlich ge-
walt 827 (= er 828. 830. 831) hervorgerufen; die stelle (831 ff)
ist zu übersetzen: 'inzwischen brach deine göttliche gewalt die
hölle, als du sterbend himmel und erde zur erschütterung brachtest'.
— v. 834 (315, 21) !. die steine zebrdsten. — nach v. 838 (315, 24)
fehlt die reimzeile: der erhaltene Vordersatz ist offenbar als parallel
zu v. 835 aufzufassen und das ganze so zu lesen:
835 genuoge erstuonden an dem tage,
die vor manegen jdren
gar ervület waren;
sich zaten die über elliu diu laut,
(die lange wären unbechant.)
die Überlieferung von D. 316, 1 — 3 teilt Waag in einer mir und
jedesfalls auch ihm selbst unverständlichen weise ab:
daz er dd hete verstoln, (verholn:)
845 im was sin sterchorre chomen.
daz ime ouch alle, die benomen werden. (: erden)
man sieht auf den ersten blick: zu v. 844 fehlt der nachsatz,
zu v. 845 die reimzeile; was im erstem gestanden haben muss,
ist klar und kann überdies aus dem von dem dichter benutzten
Ezzolied 17, 9f (dö ime der sterchore cham, der zevuorte im sin
geroube al) und noch deutlicher aus dem Anegenge entnommen
werden, das ihn ausschreibt, vgl. Aneg. 39, 64 f und besonders
das verspaar 38, 69 f, das wir umgestellt fast wörtlich in die lücke
nach 844 einsetzen könnten: daz xcart im fiz der hant gezogen, dd
wart der tiuvel mit betrogen, natürlich will jeder derartige ergän-
zungsversuch nur den gedanken und nicht den Wortlaut widerher-
stellen, und mit rücksicht auf v. 845 könnte man etwa auch
folgendes eintragen:
434 VORAÜER SÜNDENKLAGE
daz er da hete verstoln,
{daz muose er allez wider geben.
an dem töde gesigete daz leben:}
im was sin sterchorre chomen.
ich fahre fort: daz ime ouch alle die benomen
(hinnen vur) werden
die nffe dirre erden
sin gebildet nach dire,
daz gib in unde ouch mire usw.
'alles was der teufel vor deinem opfertode an menschen geraubt
hatte, das muste er herausgeben, dass ihm auch hinfort alle die
nach deinem bilde geschaffen sind entzogen werden, das ge-
währe du ihnen und mir!'
Ich hebe zum Schlüsse hervor, dass durch die grofsenteils
notwendigen und gewis stets in der hauptsache wahrscheinlichen
vorschlage zu v. 198.(286.) 340. 423. 624. 810. 838. 845 die reim-
losen Zeilen der Überlieferung beseitigt sind l, soweit sie Diemer
noch übrig gelassen hatte, das gedieht zählt nach meiner re-
cension 858 verse: 426 reimpaare und dazu 2 dreireime (643 — 45,
718—20) mitten im text. interpolationen oder sonstige spuren
einer Überarbeitung habe ich nirgends gefunden, der text, wie
ich ihn hier durchgesprochen habe, scheint mir persönlich kaum
noch andere Schwierigkeiten der auslegung zu bieten, als die,
welche bei den emendationsversuchen zur spräche gebracht worden
sind, einen gedankensprung, der ohne zweifei mit einem hand-
schriftlichen fehler zusammenhängt, habe ich nur noch v. 195
(299, 21 f) bemerkt: vielleicht gelingt es einem glücklichern hier
über Diemers Vorschlag hinauszukommen: mir scheint uz nihte
hier mit rücksicht auf das folgende doch immer besser als zu
niht(e), aber der Zusammenhang mit dem vorausgehnden bleibt
freilich auch so recht locker.
1 Waag hat die von Diemer ergänzten zeilen 26. 160. 803/4. 829 in
seinen text aufgenommen, sonst aber nirgends, wie es scheint, eine lücke
empfunden.
Marburg. EDWARD SCHRÖDER.
MARIA VON UNGARN 435
KÖNIGIN MARIA VON UNGARN UND DIE
IHR ZUGEEIGNETEN LIEDER.
In der litteraturgeschichte ist Maria von Ungarn, die Schwester
Karls v, (1505 — 1558) durch zwei ihr zugeschriebene lieder be-
kannt, von denen das eine 'Mag ich unglück nit widerstan'1 das
gottvertrauen eines voo gefahren bedräugten menschen mit deut-
lich protestantischer färbung ausspricht, während das andere 'Ach
gott, was soll ich singen'2 eine klage über den tod ihres bei
Mohacz im Türkenkriege gefallenen jugendlichen gemahls Ludwig
von Ungarn enthält, ihnen vermag ich eine weitere liebesdichtung
anzureihen, die mit dem ersten liede den strophenbau und das
aus den anfangsbuchstaben der drei ersten Strophen sich ergebende
akrostichon MaRiA gemeinsam hat, und von der sich aufserdem
nachweisen lässt, dass sie einst im besitze der königin war.
nichtsdestoweniger ist an ihre Verfasserschaft in diesem falle
ebensowenig zu denken wie in jenem.
Schon Goedeke3 hat vor dem irrtume gewarnt, als seien die
häufig vorkommenden namenlieder von den fürstlichen personen
gedichtet, denen sie in den mund gelegt und gewidmet wurden,
und Böhme, der in dem liede 'Mag ich unglück nit widerstan'
eine geistliche Umbildung des weltlichen meisterliedes mit gleichem
anfange 4 erkannte, schreibt dasselbe aus diesem gründe nicht der
königin, sondern irgend einem protestantischen dichter, zb. Luther,
zu, der es der königin zugesandt haben könne.
Aber auch andre gründe als diese allgemeine erwägung
müssen uns abhalten, der traditbn des 16 jhs. glauben zu
schenken. Maria5 war als die tochter des erzherzogs Philipp
und der prinzessin Juana von Castilien zu Brüssel geboren und
1 Wackernagel Das deutsche kirchenlied 3, nr 156 — 159; Böhme Alt-
deutsches liederbuch nr 637b; KvLiliencron Deutsches leben im Volkslied um
1530 nr 8. der text auch in der Heidelberger hs. 171, bl. 126*. zum fort-
leben der melodie vgl. Bäumker Das katholische deutsche kirchenlied 2, 270f
und Erasmus Widmann Lieder (1622) tu '24.
2 Liliencron Die historischen Volkslieder der Deutschen 3,560 nr. Iwl.
die melodie 'Es wonet Heb bei liebe' steht bei Böhme nr. L9.
3 Grundriss n* 199.295.
4 Altdeutsches liederbuch nr 637".
5 über ihr leben vgl. Maurenbrecher ADB 20, 374—378 und die dort
angeführte litteratur.
436 MARIA VON UNGARN
fern von ihren eitern bei ihrer tante Margarete * von Österreich
in Löwen erzogen worden, dass sie neben grofser politischer
begabung und einer fast männlichen tatkraft auch ein entschie-
denes Sprachtalent besafs und aufser der französischen und nieder-
ländischen auch die spanische, lateinische und deutsche spräche
kannte, wissen wir; ob sie aber das deutsche genügend be-
herschte, um sich darin auch in poetischer form zu bewegen,
wird besonders dadurch zweifelhaft, dass ihre mit den brüdern
gewechselten briefe, von denen FBvBucholz 2 proben veröffent-
licht hat, durchweg in französischer spräche abgefasst sind, einen
genaueren blick in ihre lectüre verstattet uns das von Gachard3
veröffentlichte Verzeichnis ihrer handschriftensammlung, die sie
1555 nach der niederlegung ihrer vierundzwanzigjährigen Statt-
halterschaft in den Niederlanden zurückliefs: hier werden fast
nur französische, lateinische und spanische werke aufgezählt,
deutsche gar nicht, hätte Maria aber sich selber als deutsche
dichterin versucht, so würden doch wol auch deutsche hand-
schriften als zeichen ihres tiefergehenden interesses für diese
litteratur in ihrer bibliothek gewesen sein.
Müssen wir somit den gedanken an eine dichterische tätig-
keit in deutscher spräche bei der Schwester Karls v abweisen, so
ist doch ihre grofse Vorliebe für die musik durch die sorgsamen
forschungen Edmonds vander Straeten 4 für die zeit ihrer regent-
schaft ausreichend dargetan, sie hielt eine von Rogier Patie ge-
leitete musikkapelle, in deren mitte sie auf einem holzschnitte vom
jähre 1544 dargestellt wird; sie spielte selbst das manicordium, und
sie besafs eine wertvolle musikalische bibliothek, die sie mitnahm,
als sie 1556 ihren bruder nach Spanien begleitete.
Nicht mitgenommen wurden damals von ihr zwei jetzt auf
1 auch dieser fürstin werden französische gediente und ein niederlän-
disches lied 'Myn kert altijt heefl verlangten' zugeschrieben, letzteres auf
jeden fall mit unrecht; vgl. Willems Belg. museum 1, 196—205. 9, 141; Oude
vlaemsche liederen (1848) nr 15 u. 161. Hoffmann v. F. Nl. Volkslieder nr96.
2 Gesch. d. regierung Ferdinands i bd. 9 (Wien 1838), 8— 14. 262— 264.
495. 535. 728.
3 Compte rendu de la commission royale d'histoire 10 (Bruxelles 1845),
224—246. vgl. Chr. Sepp Biographische mededeelingen (Leiden 1883) s. 110
bis 182: 'De bibliotheek eener koningin'.
4 La musique aux Pays-Bas avant le xix. siecle 7 (1887), 199. 429.
450. 469.
MARIA VON UNGARN 437
der königlichen bibliothek zu Brüssel (mscr. 11691. 11692) be-
findliche musikalien von eigentümlicher ausstattung. das eine ist
ein quadratisches stück leinwand, auf das ein lateinisches Marien-
lied: ' Sancta Maria, succurre mihi' mit einem vierstimmigen
satze von Benedictus Appenzeller und einer widmung vom j. 1548
aufgedruckt ist ' ; das andere ist das oben erwähnte deutsche
liebeslied, ebenfalls für vier stimmen gesetzt, in vier notenheften
von besonderer art. die papierblätter dieser quarthefte sind näm-
lich mit leinwand überzogen und auf diese mit schwarzer seide
die noten und textworte, letztere in antiquaversalien , gestickt,
da nun die seidenfäden im laufe der zeit an vielen stellen ganz
verschwunden sind, wird die entzifferung des textes, den ich
unten beifüge, zu einer etwas mühseligen arbeit.
Ein liebhaber tut darin seinen entschluss kund, der erkore-
nen geliebten treue zu halten, und fleht zum schluss zu s. Jacob
(an dieser lesung kann kaum ein zweifei walten) um beistand:
eine Situation, die auf Maria von Ungarn so wenig wie möglich
passt. dagegen weist auf einen Zusammenhang mit ihr das akro-
stichon der drei ersten gesätze: MaRiA, in dem man wol nicht,
wie in ähnlichen fällen, eine anspielung auf den namen der
geliebten und noch weniger auf die himmelskönigin zu sehn hat.
der in str. 4 angerufene Jacobus, der Schutzheilige Spaniens, mag
auf den namen des unbekannten katholischen dichters anspielen;
eine beziehung zur königin Maria scheint nicht darin zu stecken,
unverkennbar ist die anlehnung an das protestantische trostlied
'der königin von Ungarn': 'Mag ich unglück nit widerstan', .nicht
nur in den anfangsworteu und im akrostichon, sondern auch in
der strophenform. völlige gleichheit herscht freilich nicht, viel-
mehr ist im liebesliede die erste zeile des zweiten Stollens ver-
kürzt und im abgesange noch eine zeile eingeschoben, sodass
eine zehnzeilige strophe statt einer neunzeiligen entsteht, also in
einem Schema verdeutlicht:
Mag ich unglück nit Mag ich dem glück nit
widerstan. danken vil.
4a
2a
3b
4a
2 a
3b
in lichtdruck widergegeben bei E. vander Straeten 7, 421.
438 MARIA VON UNGARN
4c
2c
3b
2c
2c
3b.
2 d + 2 d 2 d + 2 d
2 e + 2e 2 e -f- 2 e
3bu 1 f-i-1 f -f- 1 g^
über das Verhältnis der melodien zu einander auskunft zu geben,
bin ich leider aufser stände, da ich die des Brüsseler liedes aus
mangel an zeit nicht copiert habe.
Die entstehung der drei besprochenen lieder hat man sich
hiernach so zu denken, dass, als nach der unglücklichen schlacht
bei Mohacz das loos der jungen, früh verwitweten fürstin in
Deutschland allgemeine teilnähme hervorrief, als ihr Luther 1526
seine trostpsalmen l und Erasmus drei jähre später sein buch
'Vidua christiana' zueignete, ein mitfühlender Zeitgenosse jene klage
um den verstorbenen gatten und ein anderer das von protestan-
tischem geiste durchwehte trostlied für sie dichtete und ihr in den
mund legte, später suchte ein componist ihr durch eine neue
an das sogenannte 'lied der königin von Ungarn' anknüpfende
weltliche weise eine freude zu machen.
1. MAg ich dem glückh nit dannken vil,
so sich mein spil
hat kert zue ruf und eeren,
das mir ain pildt
freundtlich und mild
mein freyd wil helfen meren?
Ade schabab, ich lass nun ab
von frembder lieb, nit weytter yeb,
alleyn der rayn vnd werden:
der gleich lebt nit auf erden.
2. Richtig getrew und wanndels frey,
holdselig dabey,
von worteu sües und schone,
züchtig von schäm,
mein hertz mir nam,
doch nur on argen wone.
darumb mein freidt, so mir die zeyt
gibt statt mit fueg, das ich mir gnueg
mit trew on rew mög denncken,
ewig vou ir nit wencken.
» Köstlin Martin Luther 22, 113.230.
MARIA VON UNGARN 439
3. Ach das sy west mein trews gemüet,
wye das statt wüet
on underlass mit synnen !
wye möcht doch sein ,
sy würd auch mein
bey ir zue dennkhen finden
als iren knecht; dann ich mains recht,
die fasenacht nach meiner macht
mit iust und lust wolfaren:
got wel mir sie bewaren.
4. J[ac]ob, erwyrb, heyliger man,
leg dein bett an,
erlang bey got vns gnade,
das kein ungfell
sich zue uns gsell,
des uns mög bringen schade,
vnd hilft" vns sehyr, das payde wyr
in freid und gsundt zu rechter stundt
alleyn, ich meyn, beywesen:
ich hab mirs auserlesen.
Rerlin. JOHANNES ROLTE.
EINE OBERSTEIRISCHE FASSUNG DES
VOLKSLIEDES VOM TANHÄUSER.
Zu den von Unland (Sehr. 4, 259 — 286) verzeichneten Tan-
häuser-dichtungen , an die sich ein meisterlied aus einer Weimari-
schen hs. (Germ. 28, 44/7 reiht, wären noch anhangsweise je zwei
steirische und kärntnerische sowie ein tirolisches Volkslied zu er-
gänzen: Schlössen- (Deutsche Volkslieder aus Steiermark 1881) führt
s. 351 ein solches aus Eisenerz an 'And dazu s. 434 das fragment
eines Tiroler liedes, Herrmann und Pogatschnigg (Volkslieder aus
Kärnten 1869) n 176 ff zwei fassungen aus dem Oberdrau- und
MöUthale. characteristisch für alle angeführten ist das fehlen jeg-
licher erwähnung der Venus; die er Zählung beginnt sofort mit der
Romfahrt des büfsers, woran sich beichte und reue, das stabwunder
und der selige tod des begnadigten schliefst, mit der tirolischen und
den kärntnerischen formen deckt sich zum teile der inhält eines klein
8° Mattes, das, von mir in dem obersteirischen orte Altaussee auf-
gefunden, durch seine schrift auf das ende des vorigen Jahrhunderts
zurückweist, das lied unterscheidet sich von den vier anderen bereits
dadurch, dass es allein den namen 'Donhauser' nennt, während die
Möllthaler fassung dafür 'Antoni', die Tiroler 'Ballhauser , die übrigen
440 OBERSTEIR. FASSUNG D. TANHÄUSER -LIEDES
keinen namen haben, auch im einzelnen weicht das obersteirische lied
trotz mehrfacher congruenz widerholt beträchtlich von den anderen
typen ab, bei denen auch die zurückfuhrung der himmlischen stimme
auf St. Petrus mangelt, den Wortlaut des Altausseer liedes gebe ich,
indem ich die verse absetze, an der urwüchsigen Orthographie aber nur
wenige Schreibfehler zum zwecke des bessern Verständnisses beseitige.
9. es dath nit lang anstehen
das stabelein das wurd sehen
grm,
es trug vil rothe Reselein
und andre Bleimlein mehr,
10. der Babst nint g(r)osen
Wunder
wie kunt er selig seyn,
hört er ein Stirn von Himmel,
Sankt Petrus war dabeich (!),
[lücke]
11. der Bab(s)t biet dran ein
Wunder
fragt er den Sünder nach,
er aber nichts kann (er-
fragen,)
ihm niemahl gesehen hab,
12. Dan(hau)ser ist gestorben
auf einem hohen berg,
mit den Hinabsehen gloken
in den Himel ein geläutet
werd,
13. Christus ging ihm entgegen
mit einen rothen Fahn,
zeugt ihm seyn Heiligste
Wunden
o Sünder du bist mein,
14. Für 99 gerechte
sollst gniesen du mein reich,
das machen die ßufs und
Zäher
hast ghabt ein grose reu,
das machen die Bufs und
Zäher
hast ghabt grose reu.
11, 4 /. niemand.
ROBERT LEVISSOHN.
l.Ein Sünder war bega(n)gen
wohl gegen der Romstodt,
Donhauser war seyn Nahm
erholt von den Babsten gnad,
2. die gnad dod er erbagen(?)
dafs er son Babsten kirnt,
ich bitt die Bäbstlich Heilig-
anhöret meine Sund, [keit
3. die Sund Wolter rein beichten
von Jugent bis dot hin,
er biet 3 schwer Sü(n)den
die nie verzigen sind,
4. der Babst mit grossen grim
schaut er den Sünder an,
damit bist du verlohren
ich dir nicht helfen kann,
5. der Babst nihmt her ein
di(r)sch Stabelein
und stekts ind erd hinein,
so»wenig das Stabalein grin
wird wem
so wenig du selig wirst
6. der Sünder nicht verzweiflet
er selber tröstet sich,
er trug(?) die reu in Herzen
und bitt gott innerlich,
7. der Sünder ging von danen
und lies die rom Stadt seyn,
8. o helfet doch mir weinen
ihr hohen berg, und Thal,
helft mir meine Sünden be-
weinen
die ich begangen all,
2, 2 /. zun. 10, 1 /. nimt.
Wien, im januar 1891.
Druck von J. B. Hirsclifeltl in Leipzig
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTHUM
UND
DEUTSCHE LITTERATUR
HERAUSGEGEBEN
EDWARD SCHROEDER UND GUSTAV ROETHE
SIEBZEHNTER BAND
BERLIN
\Y Kl DM A N N S G II E BU GH II A NDLÜNG
1891
INHALT.
Seite
Acta germanica, hsg. von Henning und Hoffory, i, von Heinzel . . 1
Auerbach, s. Moritz
vBerger, Dramaturgische vortrage, von RMWemer 161
Besson, Etüde sur Jean Fischart, von Martin . . 52
Bielschowsky. Geschichte der deutschen dorfpoesie im 13 jh. i, von
RMMeyer 204
Blattner, tber die mundarten des Aargaus, von Heusler 2>o
Bolte, Der bauer im deutschen liede, von Heinzel 4
Braitmaier, Geschichte der poet. theorie und kritik von den Discoursen
der maier bis auf Lessing, von Walzel 55
Brandstetler, Prolegomena zu einer geschichte der Luzerner mundart,
von Heusler 281
Braun, Die letzten Schicksale der Krimgoten, von Steinmeyer . . 167
Brauns, Die Schrödersche bearbeitung des Hamlet, von Minor . . . 175
Buikhardt, Das repertoiie des Weimarischen l beaters 1791 — 1S17, von
Küster 2M5
Cloetta , Komödie und tragödie im mittelalter, von LVoigi .... 5
Denecke, Beiträge zur entwickelungsgeschichte des gesellschaftlichen
anstandsgefühls, von RMMeyer 331
Dreves, Analecta hymnica medii aevi iv, von J Werner 109
Eckhardt, Das präfix ge- bei BvP.egensburg, von Rötteken .... 172
Ehwald, EBrauns briefwechsel mit den brüdern Grimm und Lassberg,
von Steinmeyer .
Flaischlen, Otto Heini, v. Gemmingen , von .Minor 147
Frey, J. Gaudenz v. Salis-Seewis, von Wölfflin 340
Fritzsche, Glarean, von Hartfelder 173
Gietniann, Ein gralbach, von Bötticher 169
Goldbeck -Löwe, Zur geschichte der freien \eise, von Köster . . . 311
Gottlieb, Über mittelalterliche bibliotheken , von GMeier 81
Hampe, Die quellen der Strafsburger fortsetzung von Lamprechts
Alexanderlied, von Singer 197
Hartmann, Hans Hesellohers lieder, von Zwierzina 213
Henning und Hoffory, s. Acta germanica
Benzen, Über die träume in der altnord. sagalitteratur, von Detter 10^
Hesseis, An eighth - Century Latin- Anglosaxon glossary, von Lübke . 114
Heusler, Der Ijöpahattr, von Heinzel 2
Hirschfeld, Untersuchungen zur Lokasenna , von Heinzel 1
Bjelmqvist, Naturskildringarna i den norrüua diktningen, von RMMeyer 329
Hoff, Die kenntnis Germaniens im altertum, von Niese 254
Boffmann, Her mundartliche vocalismos von Basel-stadt, von Heusler 284
Holstein , Joh. Reuchlins komödien, von vWeilen . . . 4:<
Holz, Zum Rosengarten, von Singer 35
, Drgerman. geschlossenes 5, von Holthausen 1^5
Jacob, Ein arab. berichterstatter über Fulda usw., von GKaufmann . 16S
, Welche Handelsartikel bezogen die Araber ans den nord.-
balt. ländern, von Krause 269
IV INHALT
Seite
Jacobowski, Die anfange der poesie, von RMWerner 164
Jellinek, Beiträge zur erklärung der germ. flexion, von Collitz . . . 275
Jenny, Miltons verlornes paradies in der deutschen litt, des 18 jlis.,
von Köster 259
Kahle, Die altnord. spräche im dienste des Christentums i, von Heinzel 5
Kauffmann, Geschichte der schwäbischen mundart, von Franck ... 98
Kelle, Untersuchungen zur Überlieferung usw. der psalmen Notkers,
von Steinmeyer 330
Kraus, Vom rechte und Die hochzeit, von Schröder 287
Kühnemann, Die Kantischen Studien Schillers, von Köster .... 149
Lachmann-Muncker, Lessings sämtliche Schriften i — vi, von Erich Schmidt 136
Linder, Om -er, -r, -ar och -or säsom pluraländelser för neutrala sub-
stantiver, von Kock 95
Litzmann, Friedr. Hölderlins leben, von Walzel 314
, Friedr. Lud w. Schröder i, von Minor 232
Loeck, Die homiliensammlung des Paulus Diaconus, von Marold . . 116
Mennung , Der Bei Inconnu des Renaud de Beaujeu, von Bethge . . 304
Moritz, Über die bildende nachahmung des schönen, hsg. von Auer-
bach, von Walzel 260
Mourek, Syntax der gotischen präpositionen, von Heinzel .... 91
, Tandarius und Floribella, von Heinzel 93
Müller, Sinn und sinnverwantschaft deutscher Wörter, von Roethe . 262
, Zur mythologie der griechischen und deutschen heldensage,
von HEMeyer 86
Muncker, s. Lachmann
Murko, Die geschiente von den 7 weisen bei den Slaven, von Singer 332
Odinga, Das deutsche kirchenlied der Schweiz, von KMeyer . . . 309
Oehlke, Zu Tannhäusers leben und dichten, von Kück 207
Patzig, Zur geschichte der herzmäre, von Singer 334
Rache, Die deutsche schulkomödie, von Spengler 338
Reiffenscheid, Marcusevangelion M.Luthers nach der septemberbibel,
von Luther 127
Reindell, Luther, Crotus und Hütten, von Szamatölski 220
vReinhardstöttner, Martin Balticus, von Herrmann 223
Rentsch, JESchlegel als trauerspieldichter, von Seuffert 338
Reuling, Die komische figur in deutschen dramen bis zum ende des
ljjhs., von Spengler 337
Rode, Über die Margaretenlegende des Hartwig v. d. Hage, von Schönbach 171
Rydberg, Untersökningar i Germanisk mythologi n, von HEMeyer . . 265
Schultz, Die Überlieferung der mhd. dichtung 'Mai und Beaflor', von
Steinmeyer 74
Schultze, Die entwickelung der deutschen Oswaldlegende, von Singer 122
Schütze, Die lieder Heinrichs v. Morungen, von Bielschowsky . . . 301
Seegers, Neue beitrage zur textkritik von Hartmanns Gregorius, von
Zwierzina 258
Sepp, Die religion der alten Deutschen , von EHMeyer 329
Siebs, Zur geschichte der englisch-friesischen spräche i, von Franck . 189
Simonsfeld, Eine deutsche colonie zu Treviso, von Leitzmann . . . 125
Tesch, Die lehre vom gebrauch der grofsen anfangsbuchstaben, von
Seemüller 341
Trautmann, Oberammergau und sein passionsspiel, von Schönbach . 259
Verdam, De geschiedenis der nederlandsche taal, von Schwarz . . 257
Vetter, Zürich als Vermittlerin der engl, litteratur im 18 Jh., von Köster 339
Votsch, Ulrich von Hütten, von Szamatölski 336
Waag, Kleinere deutsche gedichte des 11 und 12jhs., von KKiaus . . 20
Wagner, Das schuldrama in Salzburg, von RMWerner 75
Wappen , helmzierden und Standarten der grofsen Heidelberger minne-
sängerhs., von Roethe 77
INHALT V
Seite
Webster, Zur gutturalfrage im gotischen, von Wrede 255
vWegele, Aventin, von Herrmann 225
Werner, Lyrik und lyriker, von RMMeyer 320
Wilmanns, Der altdeutsche reimvers, von Heusler 10
Wilmanns, Untersuchungen zur mhd. metrik, von RMMeyer .... 17
Wöber. Die Skiren und die deutsche heldensage, von Seemüller . . 194
Wolff, Prolegomena der litterar-evolutionistischen poetik, von RMVVerner 154
Wolkan, Böhmens anteil an der deutschen litteratur des 16 jhs. i, von
Spengler 307
Wossidlo, Imperativische Wortbildungen im niederdeutschen, von Tümpel 76
Zu 'Belisars ross' (Zs. 35, 239), von Schröder 184
Beneke'sche preisauigabe 264
German. dativ aus der Römerzeit, von Kossinna 78
Zum 'Dialogus de divite et Lazaro' (Zs. 35, 257), von Steinmeyer . . 263
Du bist min, ich bin din (zu Zs. 34, 161), von Bolte 343
Zu WvElmendorf, von Schröder 78
Zu WvElmendorf, von Schönbach 344
Zu den deutschen Schriften AvEybs, von Herrmann 80
Noch einmal das indogerm. genus, von Roethe 181
Ungedruckte briefe von JGrimm , von Fromm 179
Nachlese aus dem briefwechsel zwischen den brüdern Grimm und
SHirzel, von Lexer 237
Aus Klagenfurter handschriften , von Kukula 176
Mercurius Hanno (vgl. Zs. 35, 207), von Much 184
Zu Minnesangs frühling 39, 19, von Martin 176
Personalnotizen 80. 184. 264. 346
Singularartikel vor pluraldativen (zu Anz. xvii 138), von Erich Schmidt 345
Zu Tannhäusers rätselspruch, von Kück 79
Die erste Universitätsprofessur der deutschen litteratur, von EMüller . 342
Der Verfasser des Vocabnlarius praedicantium, von Schröder . . . 344
Philipp Zesen in Leipzig?, von Schröder 344
Zu Zs. 29, 456 ff, von Holthausen 176
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTHUM UND DEUTSCHE LITTERATUR
XVII, 1 JANUAR 1891
Acta germanica, organ für deutsche philologie herausgegeben von RHennino
und JHoffory. bd. i. Berlin , Mayer & Müller, 1889. 90. 441 ss.
8°. — 12 m.
In dieses Sammelwerk sollen, wie der prospect angibt, wert-
volle arbeiten, welche wegen ihres umfanges oder ihres characters
in den vorhandenen germanistischen Zeitschriften oder periodi-
schen publicationen keine aufnähme finden können und blofs als
einzelschriften veröffentlicht vielleicht nicht hinreicheode beachtung
finden würden , aufgenommen werden. — der vorliegende erste
band enthält vier abhandlungen , welche, wie alle dieser Samm-
lung, auch einzeln mit besonderer paginierung erschienen sind:
1) Max Hirscbfeld, Untersuchungen zur Lokasenna. s. 1
bis 86.*
2) Akdreas Heusler , Der Ljöbahättr. s. 91 — 172.
3) Joha>>es Bolte, Der bauer im deutschen liede. s. 177
bis 303 und 4 ss. musikbeilagen.**
4) Berishard Kahle, Die altnordische spräche im dienste des
Christentums, i teil: Die prosa. s. 307 — 441.
1) Die wähl des ersten aufsatzes zur eröffnung der Samm-
lung war keine glückliche, die unhaltbarkeit von Hirschfehls
mythologischen aufstellungeu hat — gk im Litt, centralbl. 1890
sp. 594 zur genüge dargetan, aber auch der philologische teil
ist schwach, vor allem hat der Verf. seinen text nicht immer
genau aufgefasst und seine Herstellung desselben ist recht nach-
lässig.
S. 41. 'strophe 30 — 31: der dichter hebt die beiden haupt-
fehler Freyjas geschickt hervor: Jähzorn und buhlerei', der Jäh-
zorn soll darin liegen, dass Freyja sag! : reiperro eser ok dsynjor. —
s. 47. strophe 60 droht Thorr Loki mit dem hammer zu schlagen,
svat per brotnar beina hvat. das versteht II. als ein entzwei-
hauen der beine. in der Übersetzung s. 85 dagegen richtig
'sodass dir jeder knochen kracht', nur ist durch 'kracht' etwas
fremdartiges hineingetragen. — dagegen fällt in der Übersetzung
auf: s. 71 snjallr est i sesse, skalat svd gera = 'kühn Inst du,
so lange du ruhig sitzest, doch nicht wenn es i^ili zu streiten'; —
s. 75 ek pvA rep, es ripa serat sipan Badlr at solom = 'ich
* [vgl. DLZ 1890 nr 14 (FNiedner). — GGA 1890 nr 21 (AHeusler). —
Li«, centrall.l. 1890 nr 17.]
** [vgl. IiLZ 1890 nr 33 (RKöhler).]
A. F. 1). A. XVII. 1
I ACTA GERMANICA I
bracht' es dahin, dass du Baldr nicht mehr siehst reiten zum
güttersaal', während in der ahhandlung s. 40 wie in der text-
gestalt das präsens von räpa angenommen wird; — s. 81 lett
es per, Loke = 'wie liebreich bist du doch, Loke!'; — frd veom
minom ok vongom = 'aus meinen Auren und feldern', was auch
zu der erklärung auf s. 58 nicht stimmt; — s. 83 deigja = 'koch-
mamsell'.
Im text fehlen interpunctionen s. 70 (14) nach hende mer,
(15) nach i sesse, s. 76 (35) nach slikan mog, (36) nach kono, s. 82
(55) nach oll est, (58) nach austrvega. — s. 70 (15) steht snjalr
statt snjallr, bekskrautopr statt bekkskrautopr, s. 72 (24) firar statt
fira, s. 74 (27) rep statt rep, (30) reiper'ö statt reifer ro, 80
(47) Heimdalr statt Heimdallr, s. 82 (54) hann repr ro statt hann
repr rö. dazu der druckfehler s. 76 (39) penning statt penning.
In der allgemeinen auffassung des gedichtes begegnet sich
der verf. mit vielen und hervorragenden forschem, wenn er
es als einen angriff auf die bestehende religion bezeichnet, der
ihren Umsturz vielleicht beschleunigt habe, man könnte mit
eben so viel recht den conservativen Aristophanes einen umsturz-
mann nennen, aber das athenische publicum, das sehr empfind-
lich in religionssachen war, hat seine uns in der tat verwegen
vorkommenden scherze über die götter nicht als angriffe auf die
bestehende religion aufgefasst. so viel humor können wir auch
den skandinavischen hörern und lesern zutrauen, um so mehr,
wenn wir bedenken, dass diese geistesanlage gerade bei ihnen
sehr entwickelt war.
Gelungen scheint mir die polemik gegen Weinholds ansieht
von Loki als ehegott s. 13 und gegen Niedner in bezug auf das
alter des Harbardlisliedes s. 49 ff. auch die gründe gegen die
echtheit der einleitung zur Lokasenna wird man billigen und
den hinweis auf eine localität in Island , welche die durch-
löcherte felsplatte bei bestrafuug Lokis erklären kann, dankbar
annehmen.
2) ist eine feinsinnige und verdienstvolle arbeit, welche
einige wertvolle resultate für die altnordische metrik bietet, so
werden die ausnahmen von der ßuggeschen regel, dass auf der
letzten oder vorletzten silbe der kurzzeile (so nennt Heusler die
dritten und sechsten verse) des Liodhahattrs ein starkton ruhen,
und dass die vorletzte, wenn sie den starkton habe, kurz sein
müsse, in ansprechender weise erklärt, s. 139. es zeigt sich
nämlich, dass unter den 32 ausnahmen nur 4 fälle vorkommen,
in denen das letzte trochäisch gestaltete wort die zweite allit-
teration trägt, zb. vip sokom ok sorgom, während die übrigen
28 fälle die allitteratiou auf der dritt- oder viertletzten silbe
haben, zb. hier at hvivetna, Geirropar sunr Gotnalande. darnach
scheint es, dass jeder versaus^ang erlaubt war, wenn die zweite
allitteration nicht auf die vorletzte silbe fiel:
ACTA GERMANICA I 6
visom vilja frd
hlendom Jblöpe saman
hier at hvivetna
Geirropar sunr Gotna lande, —
dass dagegen, wenn die vorletzte silbe allitterierte, diese nicht
lang sein durfte, also nur gambansumbl at (jeta, aber nicht
heiler peirs hlyddo. der vers geht demnach auf eine beliebige
mit einem nebenaccent versehene silbe aus, der nach sich noch
eine silbe haben kann oder nicht, — oder auf einen haupt-
accent, dem keine weitere silbe folgt.
Hübsch und lehrreich sind auch die beobacbtungen, dass
der auftact in seiner existenz und ausdehnung abhängig ist von
der gestalt sowol des zu ihm gehörenden verses, s. 144, als des
ihm voraufgehenden, s. 163, — dass die langverse des Liodha-
hattrs, d. i. die ersten, zweiten und vierten, fünften verse, trotz
ihrer ähnlicbkeit mit den versparen des Fornyrdhalags doch von
diesen verschieden sind, s. 152, — über das tongewicht der
prädicativen adjectiva und die Verringerung des satzaccentes bei
der figur der anapher, s. 127.
Dagegen vermag ich mich den allgemeinen theorien über den
altgermanischen versbau, also jenem teil seiner abhandlung, auf
den der verf. das gröste gewicht zu legen scheint, nicht an-
zuschliefsen. Heusler vertritt nämlich in Übereinstimmung mit
Möller die ansieht, der altgermanische vers zerfalle in gleich-
lange tacte und zwar der halbvers in zwei viervierteltacte, jeder von
der gestalt xxx x; diese tacte können entweder voll sein, wenn
alle vier teile ein sprachliches Substrat haben, das ist eine sprach-
liche kürze für das viertel oder eine spraebliche länge für zwei
viertel, — oder der tact ist verkürzt entweder um das letzte
viertel rike, — er nennt das einer klingenden tact, — oder um
die beiden letzten viertel miket, was ein stumpfer tact genannt
wird, s. 106. das führt zu der folgerung: ein vers wie miket
eitt, Havamal 52, ist zu notieren | J J ) ? | J ) t j, also zur an-
nähme einer pause von zwei vierteln oder einer halben note
zwischen miket und eitt, s. 106. aber würkliche pausen zwischen
so nah zusammengehörenden Worten scheinen dem verf. doch
selbst unwahrscheinlich, und er nimmt s. 113 dafür lieber folgende
versgestalt an: | J J. | J > > |.
Ich muss gestehen, diese längung von -et in miket scheint
mir nicht weniger unglaublich, als zwei Viertelpausen nach miket
von eitt, oder in einem uorte, wie glüpnanda = j J ) I | J J ) j
s. 110.
Ebenso mistrauisch gegen die theorie des vciT.s macht seine
erlaubuis, ein wort wie alla als zwei viertel oder als eine halbe
mehr einem viertel oder als zwei halbe zu verwendeu. ja , eine
t*
4 ACTA GERMANICA 1
silbe, wie die erste von alla kann unter umständen einen ganzen
tact füllen, s. 106. 113.
Die kinderlieder scheint mir Heusler s. 104 ebenso zu über-
schätzen, wie andere neuere metriker. soll sich etwa in der
unverdorbenen kinderseele die altgermanische metrik erhalten
haben, während sie in der der erwachsenen durch schule, antike
und fremde überwuchert und erstickt wurde? die kinder singen
und declamieren, wie sie es von erwachsenen gelernt haben,
in der schule oder im haus, markieren nur den rhythmus stärker,
weil sie das podische oder dipodische geklapper noch mehr
ergötzt als der inhalt.
3) bietet eine ausgäbe von 32 bis jetzt noch unedierten
baueruliedern des 15 — 19 jhs. zumeist aus hss. und fliegenden
blättern der kgl. bibliothek zu Berlin, was unter baueruliedern
hier verstanden wird, ist nicht mit einem worte zu sagen. Bolte
hat gesammelt, was in liedform vom bauernstand handelt, ent-
weder in der weise, dass ein bauer zu sprechen scheint oder
mehrere bauern, nr 6. 7. 8. 14. 15. 16. 1 7. 18. 19. 27. 28. 29, mitunter
im bauerndialect, oder dass ein Städter über die bauern oder
auch zu den bauern spricht, nr 1. 2. 3. 4. 10. 11. 12. 13. 20. 21.
22.25.26.30.31. dazu kommen dialoge, in denen dem bauer
die eine hälfte der Strophen in den mund gelegt wird, nr 9. 19.
20. 32. von den anderen berufsliedern scheidet sich diese gruppe
dadurch , dass ihre lieder wol niemals von einem angehürigen
des bauernstandes herrühren, woher es kommt, dass die auffas-
sung des bäuerlichen lebens entweder doctrinär ist, nützlichkeit
des bauernstandes, — oder sentimental, Unschuld des bauern-
standes, — oder satirisch gegen die bauern, ihre roheit und hoffart,
— oder satirisch gegen die Städter, natürlichkeit, freiheit des
bauern gegenüber dem zwang der städtischen sitte (nur nr 13).
Auffällig ist in diesen liedern, deren poetischen wert wol
niemand sehr hoch anschlagen wird, die Zähigkeit einiger alter
motive, so der bauernhochzeit nr 22, s. 290. 297, des bauern-
gecken , den der bairische ritter Heselloher um die mitte des
15 jhs. noch ebenso verspottet, wie sein laudsmann Neidhart im
13 jh. ja, wie Neidhart zum namen einer poetischen gattung
ward, so auch der name Hesellohers, s. 223 Da man den He-
selloher sprang, s. Böhme Ältd. liederbuch nr451; — oder der
bauer, der den apothekengeruch nicht ertragen kann s. 200, wie
in den fastnachtsspielen Keller nr 82, Ziugerle Sterzinger spiele
nr 21; — oder der schlechte hausrat s. 203 f, s. Tannhäuser HMS
ii 95b. 96b, Pfeiffer Altdeutsches Übungsbuch s. 137.
Der text ist oft stark verderbt und sehr viel hat der heraus-
geber zur besserung nicht getan, s. 220, str. 13, z. 6 I. vntter
derd die lewt hin danchen statt vntter der die hewt hin dauchen,
— s. 224 str. 4 1. Ein rechter fiess statt Ein rechter siess. — da-
gegen ist s. 282 z. 61 in dem salze: Thestu, so müst mancher
ACTA GERMANICA 1 0
in sorgen alden Dicht mit Bolte zu conjicieren: Thetestu nit
(du bauer usw.). Thestu steht für entwtestu, ist also ganz richtig.
Wertvoll ist das register über bauerulieder s. 291 ff mit
seinen kategorien : Lob des bauerlebens, Bauernhoffart, Bauern-
klagen, Bauer und soldat, Bauerngesinde, Liebeswerbung, Cupido
bei den bauern, Edelmann und bauerndirne, Bauernhochzeit,
Kindelbier, Bauernkalender, Bauerntanz (kirmes), In der schenke,
Wallfart, Necklieder, Historische lieder. man ersieht daraus ua.,
wie wenig verhällnismäfsig diese gattung im Böhmeschen Lieder-
buch vertreten ist, nur gegen 20nrn, auch wenn man lieder,
wie die von den graserinnen mitzählt.
Nr 23 Buhlhochzeit und nr 24 Der hanrei in Boltes Samm-
lung haben keinen näheren bezug auf das bauernleben, blieben
also besser ausgeschlossen.
4) ist eine sorgfältige und dankenswerte Zusammenstellung
der altnordischen ausdrücke, welche sich auf die christliche
religion und kirche beziehen, ähnlich Baumers bekannter schrift
über die einwürkung des Christentums auf die althochdeutsche
spräche, dass die Orthographie des isländischen homilienbuches
bei der Schreibung der altnordischen Wörter zu gründe gelegt
wurde, hat den von dem verf. s. 319 selbst hervorgehobenen
übelstaud, dass ein wort, welches vielleicht erst im 14jh. ent-
standen ist, hier in einer form erscheint, welche es nie gehabt
hat. die einheit der Orthographie wäre durch die jüngere gestalt
desselben auch bewahrt worden, und ohne historische Unrichtig-
keit, da die christlichen Wörter, welche uns im homilienbuch
bezeugt sind , ja fortlebten.
Attersee, September 1890. R. Heinzel.
Beiträge zur litteraturgeschiclite des mittelalters und der renaissance von
Wilhelm Cloetta. i komödie und tragödie im mittelalter. Halle a/S.,
.Max Niemeyer, 1890. xi und 167 ss. 8°. — 4 m.
Das vorliegende werk bringt auf grund ausgedehnter, er-
sichtlich allen seilen des gegenständes gleichmäfsig zugewandter
Vorstudien eine klare, die bisherigen forschungsergebnisse mit
verständiger kritik zusammenstellende und manches neue bietende
erörterung der mittelalterlichen gelehrten komödie und tragödie
vor AMussato und dem renaissancedraina überhaupt.
Es zerfällt in folgende abschnitte: i Die römische kaiserzeit
und <ük theoretische auffassung der begriffe komödie und tragödie
während des mittelalters (s. 1 — 54); u Die tragödie De casu Cae-
senae, eine in die form von l dialogeo gekleidete Schilderung des
blutbads von Cesena im jähre 1377 (s. 54 — 67); in* 1 * i<- epischen
komödien, nämlich Amphitryon, Aulularia, Thraso, Alda, Müo,
6 CLOETTA KOMÖDIE UND TRAGÖDIE IM MA.
Miles gloriosus, Lydia, De Pamphilo, De tribus sociis, Babio, Pam-
philus, De clericis et rustico , De Panlino et Polin, Ouidius puel-
larum und trium puellamm, De Lumaca et Lombardo, die comoedia
des Joannes Grammaticus in der Poetria Parisiana, De mercatore
und De uiro et uxore moecha (schneekind), De paupere ingrato
(s. 68 — 109), mb Die epischen tragödien, nämlich De Patricida,
De Flaura et Marco, De Affra et Flauio, De Pyramo et Thisbe,
De lupo und die tragödie des oben genannten Joannes (s. 109
bis 127); uic Die art der recitation (s. 127 — 138). es folgen
schlussbemerkungen, zumal über die übertragene bedeutung beider
begriffe (s. 138 — 147), Zusätze und berichtigungen (s. 148 — 160)
und ein register (s. 161 — 167).
Schon diese inhaltsübersicht zeigt, dass das buch nicht erst
nach abschluss erschöpfender zettelarbeit und scharfer formu-
lierung der zu lösenden aufgäbe planmäfsig entworfen ist: wir
sehen den verf. einen weitschichtigen Stoff bewältigen, aber wir
sehen es zu deutlich, als dass wir reinen genuss an seinem
werke empfänden, er kehrt notizenschwer von der bibliothek
heim und füllt nun seine anmerkungen mit citaten; ein buch
war gerade verliehen, nun so heben wir den darin stehenden
beleg für die Schlussergänzungen auf; ein anderes war nicht vor-
handen (Berger De Glossariis), eine anfrage bei der kgl. bibliothek
zu Berlin hätte es binnen einer woche in die bände des suchenden
geführt, aber wir haben eile, und wer weifs, ob etwas daran
ist?; ein Du Merilsches citat (Bavaissons handschriftenverzeichnis
von Laon) hatte sich nicht auffinden lassen , das buch war weder
im Damen- noch im sachcatalog aufgeführt, also wegen des 'un-
genauen' hinweises 'unzugänglich', aber im nachtrag ist es ent-
deckt und zwar im — Catalogue gen6ral des mss. 12 ss.
ergänzungen und berichtigungen auf 147 ss. text sind doch
wahrlich etwas zu viel, die inhaltsangaben der einzelneu stücke
erscheinen in ungleichmäfsiger behandlung: meist werden sie an
entsprechender textstelle mit hinreichender ausführlichkeit vor-
geführt, zum teil aber dort nur ganz kurz angedeutet und dann
im nachtrag (für den Miles, De tribus sociis und De Panlino et
Polla) eingehend mitgeteilt, zum teil auch bei ineditis wegen un-
zugänglichkeit einer hs. fortgelassen, obwol letztere von einer
der gröfseren inländischen bibliotheken unschwer zu beschaffen
gewesen wäre: so steht Ouidius puellamm in unserem cod. Diez.
C. 4°. 79 (vgl. Bethmann in Pertz' Archiv 8, 855 und meine
Klein, lat. denkmäler s. 9) und ebenso wie Ouidius trium puel-
lamm in der schon bei Leyser angegebenen Leipziger hs. der
ganze n abschnitt ferner über die tragödie von Cesena gehört
offenbar gar nicht in dieses dem eigentlichen mittelalter gewid-
mete buch; wie vollends der verf. dazu kam, ihm gerade diese
stelle zwischen i und in anzuweisen , vermögen wir nicht zu
ergründen, die erörterungen auf s. 140 — 144 wären besser dem
CLOETTA KOMÖDIE (J.\'D TRAGÖDIE IM HA. /
abschnitt i eingereiht worden, öfter stöfst man auf widerholungen,
so ist 112 aum. 5= 120, 8 = 126, 5— 11, 114, 9—12 = 114,
25 — 29, 145, 3 v. u. = 151, 7.
Lesen wir uns nun in abschnitt i hinein, so wiirkt das an-
einanderreihen und aufhäufen einer unzahl von gleichlautenden
oder doch recht ähnlichen erklärungen auf die (lauer abspannend
und ermüdend, das mittelalter hat sich in allen fragen der
kunstlehre auf das sammeln und aufzählen aus dem altertum er-
erbter einzelvorschriften beschränkt, ist nie zu einer zusammen-
hängenden und systematischen poetik gelangt und hat nicht blofs
die gattungen der bildenden und der dichtenden kunst — worauf
Lessing im Laokoon nur vereinzelt für das mittelgriechische, mit
keinem worte für das mittellateinische eingegangen ist — sondern
auch die arten der poesie vielfach in einander überfliefsen lassen.
erwägt man nun lerner, dass der gelehrten komödie und tragödie
dieser zeit nicht ein hebräisches (im Hiob und Hohen lied kaum
geahntes) drama , auch nicht das reichentwickelte griechische
drama, sondern nur dessen nachhall, das römische, zum Vorbild
dienen konnte, und dass von den Vertretern des letzteren widerum
nicht Seneca und Plautus, sondern nur Terenz bekannt war,
der eine ebenso der bürgerlichen sitte, wie der priesterlichen
Observanz und der klosterregel des mittelalters weitabgelegene weit
entrollte, und schliefslich dass die geistlichen ludi keinen einfluss
auf die entwickelung des gelehrten dramas ausübten und somit
jede unmittelbare theatralische anschauung und erfahrung fehlte,
so kann man sich eine Vorstellung von der Verworrenheit macheu,
die in ausehung beider begriffe in den köpfen der gelehrtesten
männer herschte. dass aber nun die beweise für diese begriffs-
ver wirrung aus allen möglichen grammatikern und glossatoren,
von denen doch immer nur der eine den anderen ausschreibt
und wol gar ausschreibend verfälscht, von den spätlateinern bis
auf Joannes de Janua herab vollständig und wortgetreu im texte
mitgeteilt würden, hätten wir nicht für notwendig gehalten:
stercus ölet foedum, quo plus uertendo mouetur.
Erscheint uns somit der in i den theoretischen belegen zu-
gewiesene räum als zu grofs, so gestattet anderseits, wenn wir
zu abschnitt in übergehen, die schwankende begriffsbestimmung
kein sicheres urteil über den umfang der hierhergehörigen lit-
teratur. sehen wir ab von der ganz vereinzelten erscheinung
Hrotsviths, so gab es während des ganzen mittelalters vor der
renaissance weder eine komödie noch eine tragödie; man über-
trug eben nur diese terniini auf epische erzählun^en mit stärker
entwickeltem dialog und einer deutlich herausgearbeiteten peri-
petie ins glück bez. unglück. so bezeichnet ein so hervor-
ragender dichter und kenner der römischen poesie, wie INivard
von Gent, als den gröstcn iragiker der weit den — Vergil, vgl.
Ysengrimus 7, 4S9 f:
8 CLOETTA KOMÖDIE UIND TRAGÖDIE IM MA.
Incidit attonitam lacrrmosa tragqdia meutern,
Quam posset uates uix superare Maro.
und tragqdia bezeichnet hier nicht einmal den epischen bericht
über dieses ereignis, sondern das unheilvolle ereignis selbst,
nämlich den zweiten kreuzzug. legen wir nun jene definition
zu gründe, so fragen wir unwillkürlich: warum ist die innen-
fabel der Ecbasis, die ein so reiches dramatisches leben entfaltet,
den dialog kräftig handhabt und statt des gebrauchs der rede-
einführuugsformeln fast durchweg die jedesmal sprechenden per-
sonen am rande angibt, nicht auch eine komödie? etwa weil sie
nicht ausdrücklich als solche bezeichnet ist? aber wie wenig
sind die hss. in solchen puncten zuverlässig, wie oft haben die
dichter, wenn es nicht gerade Schulmeister waren, die genaue
Classification ihrer werke unterlassen? oder weil nichts von ehe-
bruch darin vorkommt? dann wäre auch De tribus sociis keine
komödie. und ferner: warum sind so ausgeprägt dialogische
epen , wie der ßrunellus (ine. Instabat festiua dies) und der Ysen-
grimus, zumal in dem der redeeinführungsworte ganz ermangeln-
den 6 und 7 (auch dem 4 und 5 in der fassung von y') buche,
nicht als tragödien aufzufassen? etwa weil tiere darin vorkommen?
aber das ist ja auch beim Renerus de Bruxella der fall, und wie
viele von den kleineren dichtungen, die Hugo von Trimberg im
dritten abschnitt des Registrum aufzählt, liefsen sich gleichfalls
hierher ziehen? kurz, bei den fortwährenden grenzüberschrei-
tungen der mittelalterlichen gelehrtenpoesie bietet die stoffliche
gliederung einer litterarhistorischen arbeit nach den uns ge-
läufigen artbegriffen der dichtung so erhebliche Schwierigkeiten,
dass mäuner wie Wattenbach und Ebert wolweislich davon ab-
stand genommen haben, nun mag ja immerhin durch Terenz
und die schulemachenden paradigmata des Vitalis der kreis der
dichtungen, die als epische komödie angesehen werden können,
zur not hinreichend umschlossen sein: für die tragödie aber
fehlte durchaus ebenso ein classisches wie ein mlat. musterbild,
das wie der Amphitryon und die Aulularia kanonische geltung
und poetische nachfolge erhalten und einer ganzen reihe von
dichtungen seinen Stempel aufgedrückt hätte; denn Seneca war
unbekannt, und die Orestis tragoedia kann sich an litterar-
geschichtlicher Wichtigkeit nicht entfernt mit dem Vitalis messen ;
und so kann von einer epischen tragödie als einem annähernd
ebenbürtigen und gleichwertigen pendant zu der epischen komödie
nicht die rede sein, auch wird von den sechs hierher gestellten
gedichten nur dreien der name 'tragödie' beigelegt, und von
diesen widerum ist De Flaura et Marco verloren und somit
unbestimmbar, De lupo vom dichter selbst als res ridiculosa be-
zeichnet, und endlich die dritte, die geschichte von den 60 Sol-
daten und ihren 2 buhldirnen, ein für die bedürfnisse des Unter-
richts in der poelik angefertigtes machwerk von einer roheit und
CLOETTA KOMÖDIE U>0 TRAGÖDIE IM MA. y
abgeschmacktheit, die ihres gleichen sucht, die antike komödie
hatte somit eine art von mlat. nachwuchs, die tragüdie nicht;
vereinzelte ansätze zur veranschaulichung dieses begrifl's bez.
distichische erzäblungen tragischer sagen des altertums berech-
tigen uns noch lange nicht, von einer epischen tragödie des
mittelalters zu sprechen.
Wenn uns daher abschnitt i nutzlos breit, 11 nicht hierher
gehörig, mb ein erster anlang auf einem reicheren materials bez.
schärferer urteilshildung bedürftigen gebiete zu sein scheint, so
können wir anderseits der in mc vorgetragenen ansieht rück-
haltlos zustimmen, dass diese epischen dramen nicht aufgeführt,
sondern eben nur in gelehrter tafeirunde von einem stimm-
gewandten Vorleser, in besonders günstigen fällen vielleicht auch
einmal von mehreren mit verteilten rollen recitiert sein mögen,
den kern des buches aber bildet jedesfalls der teil ma, der mit
umfassender Sachkenntnis und besonnenem urteil eine gute über-
sieht der epischen komödie bietet und über die vorarbeiten Du
Merils, Peipers, Müllenbachs ua. erheblich hinausgeht.
Wir schliefsen mit einzelnen nachtragen und berichtigungen.
15 anm.2: so lange Peipers behauptung, dass Joa. de Garlandia in
der Poetria des Joannes Grammaticus citiert wird, unwiderlegt
bleibt, wird man billigerweise davon abstand nehmen müssen,
beide als 6ine person aufzufassen; überhaupt ist bei mlat. autor-
fragen einstweilen noch gröfsere Zurückhaltung am platze. —
24 anm. 2: hier waren Bäblers Beiträge zu einer geschichte der
lat. grammatik im miltelalter (Halle, Waisenhaus, 1885) in erster
linie zu benutzen. — 47, 9: wenn verf. meint, die comoedia
habe am ende nur noch ein 'unnütz gefräfse' bezeichnet, so ge-
winnt er mit dieser Wendung allerdings eineu volltönenden
gruppenschluss, macht doch aber einen blofsen Schreibfehler zu
einem denkfehler: die glosse, auf die er sich stützt, ist sicher
verstümmelt und lautete ursprünglich, wie unmittelbar davor bei
Diefenbach steht, unnueze gesanck uel gevre/se. — 66 f: der leb-
haften anerkennung, die hier der tragödie von Cesena gezollt
wird, vermögen wir nicht beizupflichten, sie erscheint uns als
ein in der darstellung formelhaftes, in der gesprächsteebnik noch
ziemlich ungeschicktes mach werk, und wenn man eben behauptet
hat, dass in diesen dialogeu 'eine gewisse lebendigkeit und Irische,
eine kraft des ausdrucks und eine feurige patriotische gesionung
herscht', dann kann man doch nicht wol nachher von ihnen
sagen, dass sie 'im gesprächston des täglichen lebens gehalten
sind'. — 69 anm. 1 : der Amphitryoo ist auch m der Breslauer hs.
iv Q. 126, 1. K»7a— 119", erhalten (Kl. lat. denkm. s. S). —
TS anm.2: verf. übersah Müllenbach, Aulularia 7, 6 — 8, der es
wahrscheinlich macht, dass der Tobias oichl erst in den acht-
zigern, sondern kurz nach 117 1 gedichtet ist. — 7-> anm. '■'<: eine
dritte hs. des Milo befindet sich in Melk, vgl. Huemer in den
10 CLOETTA KOMÖDIE UND TRAGÖDIE IM MA.
Wiener Studien 9, 63. — 89 anm.: dass der Pamphilus schon dein
12 jh. angehört, beweist auch ein citat des Odo de Ciringtonia
(Kl. lat. denkm. s. 122). ein bruchstiick einer altnordischen be-
arbeitung des Pamph. hat Kölbing Germ. 23, 129 — 141 heraus-
gegeben. — 97 anm. 3: auch der cod. Laurentianus (acquisti) 28,
4°, saec. 14 und der cod. 82 saec. 15 der Stadtbibliothek zu
Cortona enthält den Ouidius de limaca. — 102 ff: verf. hätte,
bevor er an eine analyse der comoedia Babionis gieng, Wrights
recht schlechten text doch einigermafsen emendieren sollen; auf
der hier in betracht kommenden strecke 217 — 360 wird zu lesen
sein: 245 o petulans Petula, 247 für pendet , moecha cremetur,
256 Babio , semper eras uirque bouinus eris (255 f spricht Fodius
leise zu sich; zu uir bouinus vgl. 274), 277 terra nee est plana,
coeli mons culmina nescit, 281 loquor hinc mala, 288 mens est
moechus uterque parens (der vers ist der Viola in den mund ge-
legt), 297 laedes, 304 tardior ira, 309 improperat, 335 quod
erat arcanum, prodo; fidelis Det deus, 343 minuetur, 346 Stro-
gule und Olla (die namen des knechtes und der magd, die zur
schleunigen Verfolgung des diebes herbeigerufen werden), 347 huc
cedes — uillus miete barba relinquit (uillus als neutr. statt uillum
ist objeet zu barba), 358 non nimis. — 107 anm. 2: vgl. jetzt Her-
vieux 2, 419 ur 3. — 108 anm. 3. schon bei Egbert, Fecunda
Ratis 1,212 wird Thalia der Clio gleichgestellt und als muse des
epos aufgefasst. — 157,20 — 25: verf. übersieht hier und anderswo,
dass Flores poetarum de uirtutibus et uitiis nur ein jüngerer titel
für das Poleticon ist; hätte er die 152 unten citierte stelle der
Jahrbb. der lit. nachgeschlagen, so würde er sie nicht erwähnt
haben. — 159 f: in De Paulino et Polla 7 — 10 ist weder an
rollenverteilung noch an gegenseitiges vorlesen zu denken; der
dichter bestimmt sein werk ebenso für weise wie für narren;
jenen bietet er sensus, diesen iocos; nehme nun jeder von
beiden sein teil aus der dichtung und bewahre es im gedächtnis:
der weise, um den narren zu belehren, der narr, um den weisen
aufzuheitern.
Berlin, 1 october 1890. Ernst Voigt.
Beiträge zur geschiente der älteren deutschen litteratur. herausgegeben von
WWilmanns. heft 3: Der altdeutsche reimvers. Bonn, EdWeber,
1887. 152 ss. 8°. — 3 m.*
Der schrift, mit welcher Wilmanns der Verslehre einen so
dankenswerten dienst erwiesen hat, ist von manchen seilen aus-
führliche Würdigung zu teil geworden, die jähre seit dem er-
* [vgl. Zs. f. d. phil. 21 s. 346 ff (FKauffmann). — DLZ 1888 nr 35
(RMMeyer). — Litteraturbl. f. germ. und rom. phil. 1889 nr 6 (HPaul). —
Zs. f. österr. gymn. 40, s. 1021 ff (JSeemüller).]
WILMAMSS DER ALTDEUTSCHE REIMVERS 1 1
scheinen des buches haben seinen wert, ja seine unentbehrlich-
keit für die geschichte des altdeutschen Versbaues dargetan, wenn
an dieser stelle erst jetzt eine besprechung erscheint, so wird
sie sich kürzer fassen dürfen , um nur bei etlichen puncten zu
verweilen.
Für eine geschichte der deutschen verskunst wäre es er-
strebenswert, dass jedes der wichtigeren poetischen denkmaler
nach seinem rhythmischen formenschatz erschöpfend behandelt
würde, allzulange hat man eine kleine anzabl von dogmen durch
die dichtungen vom 9 bis zum 13 jh. tot gehetzt, die texte, wo
es nur angieng, unter das joch 6ines gesetzes gebeugt und den
blick für die individuellen Verschiedenheiten und für die ent-
wickelung sich geschwächt, eine Statistik der rhythmen, so vor-
urteilslos, so sorgfältig und feinfühlig angestellt wie die vor-
liegende, tut der metrik not. aber es ist leider nicht möglich,
dass VV.s buch nachfolger finde, was bei Otfrid glückt, kann
bei keinem zweiten werke der reimdichtung gelingen. Otfrid
allein stellt uns auf den sicheren boden , auf welchem sich die
mannigfaltigkeit der formen bestimmen, abteilen, zählen lässt.
es ist seine unvergleichliche Überlieferung, noch mehr seine
ictensetzung, der wir diesen vorteil verdanken, von Verderbnissen
ist nicht die rede; die wenigen versehen sind durch die beiden
hss. zu controlieren. die ictenzeichen lehren uns, wie zu lesen
ist. an wie wenigen stellen sieht sich der verf., so achtsam er
allen möglichkeiten der scansion rechnung trägt, vor einem nicht
zu beseitigenden dilemma ! bei allen späteren dichtwerkeu müste
sich die Schätzung der formen mit fragezeichen umzäunen —
selbst bei denen der classischen zeit, wie viel mehr bei den früh-
mittelhochdeutschen! der versuch Dütschkes zb. mit der Litanei,
so lobenswert er ist, hinterlässt doch das bedenkliche geftthl:
möglicherweise ist die rechnung richtig, — vielleicht ist ein
fünftel, vielleicht die hälfte, vielleicht zwei drittel der verse
anders zu lesen und zu rubricieren. und dieser zweifei besteht,
selbst wenn man über die leitenden gesichtspuncte sich ge-
einigt hatl
'Lieblingsrhythmen' überschreibt W. den ersten abschnitt.
aus der 'wähl und fügung der worte' und aus der accentuierung
(den ictenzeichen) liest W. den rhythmischen fall heraus, von
den accentstrichen lässt er den rhythmus unmittelbar abhängen:
sie geben die grundlage ab für die einteilung der verse. da
nun aber doch wider rücksicht auf die natürliche lonstärke der
redeteile genommen wird, geraten wir in den alten conflict, an
welchem schon Sobel und Piper sich abgemüht halten, accente
und natürliche lonstärke decken sich hei weitem nicht immer,
welcher der beiden mächte sollen wir uns anvertrauen? welche
spricht das letzte wort über den rhythmus der verse? — es ist
merkwürdig, dass \Y. s. 48 note, s. 49 o. sich den ictenzeichen
12 WILMANNS DEB ALTDEUTSCHE REIMVERS
gegenüber euiancipiert: die acceutuierte silbe ordnet er hier 'un-
bedenklich' der nicht accenluierten unter; der ictus soll nicht
immer die überlegene stärke bezeichnen, ich stimme durchaus
bei. aber verhängnisvoll scheint es mir, dass dann doch die
icten zum dominierenden einteilungsprincip erhoben werden, also
ein vers wie thar zaltaz er ubar lut wird in dieselbe abteilung
gestellt wie ich uueiz iz göt uuorahta und wird getrennt von
einem verse wie thar lisist scöna gilüst. und doch kann ja kein
zweifei sein, dass der erste und dritte dieser verse sehr nah
zusammengehören und sich von dem zweiten sehr stark ab-
sondern.
Warum wurden die liebliugsrhythmen nicht einzig und allein
nach dem natürlichen Longewicht bestimmt? warum legte man
den accentstrichen eine autorität bei, die man in nebenpunclen
doch in frage zu ziehen nicht umhin konnte? meines erachtens
hätte die erste und wichtigste Scheidung geschehen müssen
zwischen den versen, die auf starktonige, und denen, die auf
schwacbtonige hebung auslaufen; also zwischen den vollen (oder
'stumpfen') und den klingenden versen. allein W. darf die
beiden verse ioh ther heilogo geist
ioh then einegon sun,
deren rhythmus identisch ist, nicht zusammenordueu; denn auf
geist hat der accentuator einen strich gesetzt, auf sun nicht, das
ist ein grofser übelstand, denn wenn man auch mit W. glaubt,
diese verse seien verschieden vorgetragen worden, wird man doch
nicht leugnen können, dass zwischen dem einfach accentuierten
ioh then einegon sun und dem einfach accentuierten bi thaz ärnnti
ein ungleich wichtigerer unterschied bestand.
W. legt sich nirgends die frage vor, was eigentlich die
Schreiber mit ihren accenten wollten, er fasst die accente kurzweg
als integrierenden bestaudteil des versmaterials, etwa so, wie man
in der allitterationsmetrik die reimstäbe behandelt, aber schon
die zahllosen abweichuugen der beiden hss. und inconsequenzen
der einzelnen hs. nötigen zu einer reservierteren haltung.
Au anderer stelle habe ich meine ansieht über Otfrids accente
und versmafs eingebend entwickelt und dort auch den hauptfall
besprochen, da ictensetzung und sprachton auseinander gehen.
W. kommt s. 42 ff hierauf zu sprechen, durch zwei umstände
wird sein erklärungsversuch widerlegt, wenn die accentuierung
von versen wie then brunnon reinota, thie kristes ältmaga darin
seine eiklärung fände, dass 'je weiter sich die herschaft seines
(sc. des wortes) haupttones ausdehnt, dh.je mehr ictus ihm unter-
geordnet sind, um so kräftiger seine belouung hervortritt', so
könnteu nun und nimmer accentuieruugen vorkommen wie thie
drutmennisgon usw. (s. 50) : der hauptton auf drut-, dessen her-
schaft sich hier über die vier tacte ausdehnen sollte, müste da-
durch zu gewaltiger kraft anschwellen und könnte schlechter-
WILMANNS DER ALTDEUTSCHE REIMVERS 13
dings nicht durch die folgende hehung entthront werden. — ferner:
unter den verslüfsen gegen das gesetz, dass ein einsilbig ge-
bildeter tact stärkeren ton tragen muss als die nächstfolgende
hebung, wird der beträchtlichste durch die zahlreichen fälle wie
gibot füllentaz gebildet (um so auffallender, als sonst gerade der
erste tact am seltensten einsilbig gebildet ist), — wofern
nämlich die accentuierte zweite hebung würklich
stärker ist als die erste. W. nimmt dies an und weifs
folglich mit dem erwähnten Widerspruch nichts anzufangen (s.49 bis
51). l tatsächlich ist jedoch -bot stärker betont als ful-. dieser
punct ist für die kritik der accentzeichen von bedeutung. die
auffassung, der schon Kauffmann ausdruck gegeben hat: dass die
accentuierte zweite hebung bei weitem nicht immer die stärkste
im verse ist, sondern sich häufig der ersten, unbezeichneteu
hebung unterordnet, findet hier eine objective bestätigung.
Es war nicht W.s absieht, der frage nachzugehen , wie weit
die prosabetonung von Olfrids spräche in den accentstrichen ihren
ausdruck finde (s. 41). So bei war es in erster linie, der sich
mit dieser frage beschäftigt hatte, ich kann nicht finden, dass
seine Zusammenstellungen 'aus zu einseitigem gesichtspunet ge-
macht' sind. Sobel stellte sich eine sprachgeschichtliche, nicht
metrische aufgäbe: gehorcht Otfrids spräche den satztonregeln,
welche Rieger und Hildebrand in der spräche der stabreimenden
dichtungen nachgewiesen hatten? seine Zusammenstellung reicht
hin, um eine bejahende antwort zu geben, die scheinbaren
Widersprüche wüste er nicht zu erklären, aber an ihnen ist, wie
wir gesehen haben , auch W. gescheitert.
Mit hilfe dieser satztongesetze lässt sich auch eiuiges licht
in die frage bringen, deren lösung W. als 'vergeblichen und un-
fruchtbaren versuch' bezeichnet (s. 20): in wie weit einsilbige
worter den ganzen tact füllen oder aber als Senkung der voraus-
gehenden silbe sich unterordnen müssen, zb. ih bin uueg rehtes
ist eine unmögliche betonuug, weil uueg stärkeren ton trägt als
reht-. dasselbe gilt für zi uns riht er hörn heiles, thaz ist ouh
däg hörnes, die in der hier bezeichneten weise vorgetragen
werden müssen, beide moglichkeiten gelten aber zb. für thaz
minu werk suuinen; denn dem vorausgehenden possessiv kann
sich das Substantiv unter- oder überordnen.
Ich hebe den vortrefflichen dritten abschnitt hervor, der die
obere gränze der tactfüllung verfolgt, er sticht woltätig ab gegen
die entsprechende partie bei Hügel, hatte dieser einer erson-
nenen theorie zu liebe mit apocopen und mit schwebender be-
tonung verheerend gewirtschaftet, so hisst \Y. unvoreingenommen
das material zur spräche kommen und gewährt uns den besten
1 ich bemerke auf s. 50 folgende versehen: /.. 3 v. o. lies i 4, 46, z. 4
v. o. vers in 22, 26 ist form 1, vers iv 16, 39 ist 1'orm 2. 4; z. 5 v. o. lies
in 6, 28.
14 W1LMANNS DER ALTDEUTSCHE REIMVEBS
einblick in die mehrsilbigen Senkungen bei Otfrid. die ver-
schiedenen grade der tactfüllung stellen sich dar als das, was sie
sind: als ein mehr oder weniger, ohne absolute gränze, — ganz
im sinne von Paul, Beitr. 8, 188 f. was W. s. 52. 64 über
' silben verschleifung ' äufsert, dürfte wol zu mafsvollerer an-
weudung dieses terminus mahnen.
In der füllung der vier verstacte beobachten wir an der
band W.s allerlei Ungleichheiten , die über den zufall hinaus-
gehen, ich glaube, dass die Verhältnisse im dritten tacte von W.
nicht ganz zutreffend gedeutet werden, die Sachlage ist folgende:
zweisilbige füllung mit sprachlich langer hebungssilbe ist im
dritten tacte gar nicht selten ; wir haben erstens die verse wie
selp so helphantes bein (s. 25. 27. 32. 36); zweitens solche wie
ioh sconu vers uuolles düan (s. 25. 28. 103 ff); drittens solche
wie arges mallen gilüst, theist sconi vers sar giddn (s. 25. 28);
endlich solche wie thoh sint thie liuti missilih (s. 119 ff), dagegen
verse wie sih fianton zirrettinne sind spärliche ausnähme (s. 108);
dh. dreisilbige uncomponierte Wörter mit langer Stammsilbe werden
fast nie den zwei letzten verstacten überlassen. W. sagt, dies
habe seinen grund in dem bedeutenden gewicht der Stammsilbe
solcher Wörter, aber ich verstehe uicht, dass nirsmahetin, uuachorot
für ihre Stammsilbe mehr räum fordern sollten als ungimah,
kerzistal. vielmehr wird man hier entschieden auf die lagerung
der natürlichen starktöne recurrieren müssen (auch W. s. 120
erwähnt dies, aber offenbar im Widerspruch mit der auffassung
auf s. 108): uncomponierte Wörter der form - - ~ hatten in
pausa, dh. am ende eines satzcolons, die (mit der Lachmann-
schen regel stimmende) betouung ""; im versschluss konnten
sie also nicht wol zwei tacten zugeteilt werden, da sonst die
Unterordnung der zweiten silbe unter die dritte einen Widerspruch
gegen die prosabetonung erzeugt hätte, im satzinnern da-
gegen wechselte die tonabstufung nach dem zusammenhange:
dieser Wechsel spiegelt sich im ver sinnern (s. 109).
In abschnitt vn und viu bringt W. in klaren, wol durchdachten
Sätzen zusammenfassende rückblicke, allgemeinere bemerkungen
über die natur des verses, eine vergleichung des Otfridschen
metrums mit dem des Beowulf, endlich einen streifblick auf die
weiterentwickelung zum rnhd. verse. nach den wertvollen capiteln,
die uns in alle einzelbeiten des rhythmizomenon eingeführt haben,
können diese abschnitte, die dem rhythmus und seiner geschicht-
lichen entwickelung näher treten, nicht in gleichem mafse be-
friedigen, den fragen, wie das 'fehlen der Senkung', der metrische
wert der langen und kurzen Silben, die viergliedrigkeit des reim-
verses verglichen mit der zweigliedrigkeit des allitterierenden
aufzufassen sind, lässt sich nur von anderer seite beikommen,
bei W. kommt die grundlegende bedeutung des metrischen tactes
(dessen existenz doch anerkannt wird, s. 66) und des versrhythmus
WILMAJNKS DER ALTDEUTSCHE REIMVKRS 15
als eines akustischen gebildes nicht genugsam zur geltuüg. der
'declamatorische Vortrag' erscheint als der factor, der den vers
von einer gleich zusammengesetzten prosaischen wortkette
unterscheidet, aber was ist dieser declamatorische Vortrag anders
als die reproduction bestimmter rhythmen, die ihrerseits das
vvesen des verses ausmachen ? der satz 'das fehlen der Senkung
ist nicht etwas an und für sich wesentliches und characteristisches,
sondern nur die folge der gedehnten Vortragsweise, denn wenn
einer silbe ein ganzer fufs eingeräumt wird, ergibt sich von
selbst, dass diesem fufse die Senkung fehlt' (s. 127) ist mir völlig
unverständlich, dass die Vortragsweise .'gedehnt' sein darf,
dass einer silbe ein ganzer tact eingeräumt werden kann, das
ist doch gewis etwas sehr wesentliches und characteristisches; es
ist ja der hauptcharacterzug der neudeutschen verskunst, dass
sie diese freiheit ausschliefst.
In der auffassung des stabreimverses divergiert W., wenn
ich ihn recht verstehe, von Sievers in einem sehr wichtigen
puncte. er leitet nämlich die 'neigung, die lange silbe auszu-
halten' (dh. also die einsilbige tactfüllung) aus dem Vortrag des
allitterierenden verses ab (s. 130). damit trägt er etwas nach
Sievers' anschauung ganz fremdes in den stabreimvers hinein,
denn in diesem soll ja zb. nicht fölce to fröfre gelesen werden
dürfen : syncope der Senkung ist der rentierenden Vortragsweise
fremd; s. ßeitr. 13, 128. 136 (vgl. den treffenden einwand von
Hirt Unters, zur westgerm. verskunst s. 9). so sagt W. auch
s. 131, die versform hyran scolde habe sich bei Otfrid als seltene
alterlümlichkeit gehalten, zb. fingar thinan. offenbar setzt er
aber damit trotz dem beigegebenen Sieversschen A - Schema
eine ganz andere messung voraus, nämlich hyrdn scölde =
Der Zusammenhang des Otfridschen verses mit dem stab-
reimenden erscheint in der ganzen darleguug als ein viel engerer,
als er bei näherem zusehen sich bewährt, wenn es zb. auf
s. 134 heifst: 'die form 2. 4 beruht auf dem typus B. dem
Schema des allitterierenden verses
entsprechen bei Otfrid als die üblichsten formen
2. 41: - X £■ | X - X ^
2. 42: -X^|-X^,
so nimmt sich das auf dem papier recht plausibel aus. aber
wenn man nun bedenkt, dass in dem neuen Schema zwei icten
herzugekommen sind ; dass aus dem gewichtlosen auftact der
erste tact geworden ist; dass dadurch der ganze vers seinem
sang und klang nach als ein völlig verschiedenes gebilde sich
darstellt, — so muss man fragen: hat die parallelisierung den
16 WILMANNS DF.n ALTDEUTSCHE REIMVERS
wert der würklichkeit? beruht die ähnlichkeit auf abstammung
des einen aus dem anderen? allerdings unterlässt W. nicht, au
den lateinischen hymnenvers zu erinnern; die durchführung der
vier hebungen leitet er von ihm her (s. 140). aber wie sollen
wir uns die metamorphose des stabreimenden Schemas B zu der
Otfridschen versform 2. 4 in concreto vorstellen? schob man vor
jeden hauptictus einen nebenictus ein? dieses 'einschieben' ist
eine halsbrechende procedur. in der grammatik ist es als solche
gefürchtet, auch die metrik muss sich ausbitten, von ihr ver-
schont, zu bleiben. — ich möchte die frage aufwerfen: stellen
sich Wilmanns und Sievers den Zusammenhang des verses
tho sprach er erlicho über dl
mit dem allitterierenden ß-typus in der gleichen weise vor, wie
er auch zwischen dem verse ,
denn deine Mhnheit wird zur pßicht
und dem allitterierenden B-typus besteht? einen unterschied
vermag ich nicht zu erkennen, die darlegungen von W. und
Sievers lassen mich nicht die notwendigkeit oder berechtigung
einsehen, jeden viertactigen vers, der die stärksten natürlichen
sprachtöne im zweiten und vierten tacte enthält, dem typus B
des stabreimverses gegenüber zu setz n, die viertactigeu verse
mit dem dominierenden sprachton im zweiten, event. auch im
ersten tacte dem typus C oder D usf. da Otfrid in einer spräche
dichtete, die ihre exspiratorischen elemente dyuamisch abstuft,
muste es sich so treffen, dass von den vier hebungen bald
diese bald jene an stärke hervortreten, der deutsche (und nicht
blofs der deutsche) vers zeigt diese naturgemäfse erscheinung bis
auf den heutigen tag. ein nachwürken der allitterierenden rhythmen
kann darin unmöglich erblickt werden, wären Otfrids verse die
ersten, die in der deutschen zunge gedichtet wurden, — auch
dann müsten sie jenen characterzug notwendig tragen.
Man hat hier, unterstützt von den accentstrichen — die
nichts anderes sind als ein hilfsmittel Otfrids für den lauten Vor-
trag — ein überraschendes Schauspiel in scene gesetzt, eine
wunderbare verwantschaft des reimverses mit dem allitterierendeu
in neuem costüme vorgeführt — und wenn man eindringt und
fragt: wie war der Vorgang? wo ist die genetische verwantschafW?
so bleibt man ohne aulwort und ahnt unüberwindliche psycho-
logische Schwierigkeiten.
W. hat nicht den schwerpunct seiner arbeit in dieses letzte
capitel legen wollen, so wird auch dem, der mir beistimmt,
der wert seines buches nicht beeinträchtigt scheinen, und auch
auf diesen letzten Seiten finden sich genug der schönen und er-
hellenden aussprüche. dass W., der den versrhythmus aus dem
natürlichen Sprachrhythmus erwachsen glaubt, doch auch die
zaubermacht des freien, selbstherrlichen, über der spräche stehen-
den und ihr gebietenden rhythmus anerkennt, das zeigt der
WILMANNS DER ALTDEUTSCHE REWVERS 17
sehliefsende satz, — der zwar an eurhythmie, nicht aber au
Wahrheit verlöre, wenn er vor dem einschränkenden 'wenn auch'
schlösse:
'Der rhythmus lebt zunächst in dem material der spräche,
wie die seele im leibe; aber er würkt auch an und für sich
und prägt sich der erinnerung ein, ähnlich wie liedermelodien,
wenn auch nicht in gleichem mafse.'
Basel, 3 sept. 1890. Andreas Heusler.
Beiträge zur geschiente der älteren deutschen litteratur. herausgesehen
von WWilmahhs. heft 4: Untersuchungen zur mhd. metrik. Bonn,
Ed. Weber 1888. 196 ss. 8°. — 4 m.*
Man hat die Statistik das gewissen der politik genannt, aber
auch in anderen Sphären beginnt apriorischen doctrinen und be-
quemen declamationen gegenüber dies gewissen sich zu regen,
für die metrik hat Sievers vor allem die erneute wendung zur
genauen, zahlenmäfsiiipn aufnähme eingeleitet; in vollendeter kuust
der Statistik, vor allem in der feinheit und Übersichtlichkeit der
anordnung übertrifft ihn Wilmanns. dass aber leider die unfehl-
barste Statistik in der deutung ihrer zahlen mehr räum lässt.
als beim gewissen erwünscht wäre, das zeigt auch diese höchst
bedeutsame neue arbeit unseres jetzt ersten mhd. metrikers.
Die beiden gröfseren stücke beschäftigen sich mit einer
cardinalfrage der metrik; sie prüfen die tatsächliche dauer be-
stimmter silben im verse, ein problem, das man früher durch
die kategorien lang, kurz, aneeps allzurasch erledigt glaubte. W.
untersucht zwei wichtige fälle, in denen einmal die metrische,
das andere mal die rein sprachliche beschaffenheit der nachbar-
silben auf die tatsächliche Sprechdauer gewisser silben einwinkt.
zwischen beide Studien schiebt sich, ein nicht eben glücklicher
erhoiungsritt zwischen zwei erfolgreichen bergbesteigungen , eine
umdatierung der Kürenbergweise.
Die eioheit für die silbenlänge im vers bildet überall die
sog. hebung. die deutsche rhythmik liebt es, diese mafsgebende
silbe mit einer kürzeren möglichst gleichmäfsig wechseln zu
lassen ; so entsteht als normaler rhythmus der sog. trochäus. ist
aber die senkuog nicht einsilbig, so bringt der sog. 'deutsche
daetylus' die frage mit sich: wie verhalten sich die beiden
niederen silben zu der höheren? und ist die hebung oiehl ein-
silbig, so entsteht das problem der verscbleifung: wie weit bilden
die beiden höheren silben eine einheit?
* [vgl. Litteraturbl. f. gmn. und rom. phil. 1889 nr 6 (HPaul). — Zs
f. d. österr. gymn. 40, 1023 (JSeemüller). — Arch. f. d. stnd. der neueren
spr. 1888, s. 489 (Ellenrici). - BLZ 1890, nrl6 (GRoetb«).]
A. F. D. A. XVII. 2
18 WILMANNS UNTERSUCHUNGEN ZUR MHD. METRIK
Beide erscheinungen sind schon altdeutsch, die sog. dactylen
kommen in altgerm. dichtuug reichlich vor; gleich der zweite
langvers der Vpluspä ist ein gedoppelter Adonius. sie fehlen
uirgends in volkstümlicher dichtung; sie sind in der mhd. zeit
selbst durchaus nicht auf solche dichter beschränkt, die starke
romanische einflüsse verraten, kaum diesen auch nur besonders
eigen. W. selbst endlich stellt fest, wie nah die lebensfähigsten
lieblingsrhythmen Otfrids der dactylischen langzeile stehn (s. 31).
trotz alledem soll der dactylus der romanischen dichtuug ent-
stammen, die ihn seihst gar nicht kennt, soll eine bei uns überall
natürliche rhythmische form der mühsamen halbgelungenen nach-
ahmung fremder Systeme verdankt werden! denn W. hält es wie
Bartsch und Weifsenfeis für unzweifelhaft, dass die mhd. dacty-
lischen verse auf dem romanischen zehnsilbler beruhen, gerade
seine Untersuchungen aber nehmen dieser Voraussetzung, wie mir
scheint, den grund unter den füfsen fort. W. weist nach, 'dass
der dactylische zehnsilbler sich nicht nur auszeichnet durch den
reichtum hebungsfähiger silben , sondern specieller durch den
reichtum solcher silben, die vor anderen hebungsfähig sind, durch
den reichtum an Stammsilben' (s. 23); er macht wahrscheinlich,
dass der so geartete dactylus in einen ditrochäus aufgelöst werden
kann (s. 37 f); wenn aber auf so ungeahnt einfache weise das
alte princip des germanischen rhythmus wider zu ehren kommt,
wozu dann noch die schwierige, aus unbeweisbarer ausländerei
geholte erklärung? das princip der silbenzählung nachzuahmen
ist so kinderleicht, dass man nicht versteht, weshalb die mhd.
dichter vom fünffüfsigen iambus aus deu fortschritt in der nach-
bildung des frz. verses und seiner gleichmäfsig getragenen weise
(s. 30) durch ein ungefähres gleichgewicht der silben (s. 27) her-
stellten; wollten sie würklich in undeutscher weise den tou-
unterschied verläugnen, weshalb sollten sie dann nicht eben auch
alle silben gleich gerechnet haben? wie könnten sie bei jener
tendenz den cäsurreim uud den binnenreim überhaupt gepflegt
haben (s. 11 f), der doch unzweideutig eine silbe aus dem idealen
gleichgewicht heraushebt? alles das wird klar, wenn man den
durch W. selbst hergestellten weg von der ahd. reimzeile zum mhd.
dactylischen vers von jenem romanischen schlagbaum befreit, trotz
der abschwächung der endsilben hatte die frühmhd. poesie, wie jede
technik archaisierend, zweisilbige worte mit tonloser endungs-
silbe noch lange zeit als zweihebig behandelt; ganz dieselbe Un-
sicherheit nun hat sie auch sonst gefühlt, seit die zweisilbige
Senkung verpönt war, muste man 'dactylische worte', um sie in
den vers zu bringen, entweder wie trocbäen behandeln oder wie
ditrochäen. man vermittelte: wie W. zeigt, gab man diesen
Worten würklich zwei icten, die aber, wie VVeifsenfels erwiesen
hat, durch den einhebigen trochäus vertreten werden konnten,
und also leichter waren als der gewöhnliche accent. der alle
WILMANNS UNTERSUCHUNGEN ZUR MHD. METRIK 19
regulator des germanischen rhythmus, der tonverstärkende accent,
muste wider aushelfen , um drei silben ohne zu grofse Verzerrung
des wortbildes mit zwei anderen silben gleichwertig zu machen,
natürlich forderte die melodie in der regel, namentlich bei ver-
vollkommneter kunst, die widerkehr des dactylus an den gleichen
stellen, so kehrt W.s Untersuchung des dactylus nahezu zu
jenen 'triolen' zurück, die Schade gelehrt hatte, allerdings, wie
Burdach Walther anm. 6 zeigt, in noch unzureichender weise
(vgl. jetzt auch W. s. 56 anm. 2). was aber bleibt für das Vor-
bild des zehnsilblers? nicht einmal die silbenzahl, denn diese
stimmt keineswegs immer: oft wird eine silbe unterdrückt (s. 34.42),
öfter tritt durch auftact eine silbe hinzu (s. 9 f), und völlig unter-
scheidet sich die cäsur des nachgeahmten und des nachahmenden
verses (s. 8). die beiden versikel der dactylischen langzeile sind
also von einander abhängig (s. 33) gerade wie zwei altgerm.
kurzverse: da die eigentliche einheit der langvers ist, muss die
eine hälfte ergänzen, was der anderen an dauer fehlt; sonst aber
geht ihre Selbständigkeit bis zum rechte des hiatus (s. 9).
Ist diese interpretation von W.s höchst zuverlässiger dar-
stelluug richtig, so erledigt sich damit die von W. im zweiten
stück im anscbluss an Lachmanns gelehrte ableitung der Nibelun-
genstrophe aus dem romanischen zehusilbler. hiergegen hat sich
schon Roethe (DLZ 1S90, sp. 593) mit triftigen gründen erklärt;
und niemand sieht ein, weshalb denn der dichter am strophen-
schluss die characteristische cadenz festhielt, während er sie sonst
durchweg aufgab (s. 87). wenn aber Roethe (wie neuerdings zb.
auch Heusler Ljöpahättr s. 6) sich wider für Simrocks erklärung
ausspricht, so steht und fällt diese möglichkeit mit der annähme
von 8 hebuugeu in der allitterierenden zeile. die erklärung Scherers
scheint mir noch immer durchaus siegreich, reimverlegungen
und cadenzänderungeu sind unerweislich, vorschlagen von waisen
steht völlig fest, dass bei solchem vorschlagen nun aber der
zweite vollvers fast regelmäfsig verkürzt wurde, glaube ich QF
58, 60 mehr als wahrscheinlich gemacht zu haben, so eutstand
höchst natürlich jenes verspar, welches die erste hälfte sowol
der Nibelungen- und Kudruostrophe als der Hildebrands- und
Waltherstrophe bildet, und es wurde wahrscheinlich zuerst ein-
fach verdoppelt (gerade wie die beiden altgerm. Strophenformen
entstanden zu sein scheinen); später trat wider ein unendlich
oft belegter Vorgang ein, die Verlängerung der schlusszeile.
warum aber in der letzten halbzeile so gern die Senkung zwi-
schen zweiter und dritter hebung fehlt (s. 86 u.), glaube ich
ebenfalls (aao. 111) erklärt zu haben: sie richtet sich einlach
nach der aualogie anderer vierbebiger verse. einzig diese her-
leitung fügt in die gesetzmäßige entwickelüng der atrophen formen
auch die königin der deutscheu Strophen ein.
Dagegen kann ich mich für die driite Studie, über die
2*
20 WILMANNS UNTERSUCHUNGEN ZUR MHD. METRIK
Wörter mit kurzer Stammsilbe, dem begeisterten lobe Roetbes nur
anschliefsen. für die individuelle tecbnik der minnesinger baben
wir kaum je so frucbtbare beobachtungen, für zeitliche und locale
gruppen kaum je so sichere merkmale kennen gelernt, wie sie
hier vorliegen; und auch dem dank Roethes für die volle mit-
teilung des schön geordneten materials, das auch für andere
fragen wertvoll ist, habe ich nichts hinzuzufügen als meine
eigene danksagung. nur möchte ich in der kurzen geschichte
der Vortragsweise (128 f) dem allgemeioen satz widersprechen,
dass das deutsche altertum nur recitation gekannt habe, er ist
vielmehr auf die uns erhaltenen reste einzuschränken, die ja alle
den mehr pathetischen dichtungsgattungen angehören, für liebes-
und tanzliedchen, für improvisationen aller art wird man tac-
tierenden Vortrag auch der ältesten zeit zuschreiben müssen; er
ist die unentbehrliche Voraussetzung für die rasche Verbreitung
des minnesangs. das eindringen lyrischer demente war es wol
auch, was im 11 und 12 jh. die epischen verse auflösen half,
bis sie über das vorlesen hinweg zur völligen musiklosigkeit der
prosa gelangten, die epik gab die musikalische begleitung und
Vortragsweise auf, weil sie mit derjenigen der lyrik doch nicht
mehr zu rivalisieren vermochte, bald gieng dann auch diese an
künstelei zu gründe, wer aber diese entwickelung im einzelnen
studieren will, wird zuverlässigere führung schwer finden können
als in W.s metrischen Studien.
Rerlin. Richard M. Meyer.
Kleinere deutsche gediente des xi und xn Jahrhunderts herausgegeben von
Albert Waag. (Altd. textbibliothek. herausgegeben von HPaul.
nr 10.) Halle a/S., Max Nierrieyer, 1890. xli und 167 ss. 8°. —
2 m.*
Waags buch enthält nach einer einleitung, die über die
einzelnen stücke, ihre Überlieferung, ihre litterargeschichtliche
Stellung udgl. kurz das wichtigste beibringt und in anmer-
kungen seltenere ausdrücke übersetzt, sowie parallelstelleu aus
der lateinischen litteratur mitteilt, die texte folgender gedichte:
i. Ezzolied (älteres und jüngeres); u. Summa theologiae; in. Lob
Salomons; iv. Nabuchodonosor (== MSD xxxvi und xxxvii); v. Aus-
legung des vaterunsers; vi. Von der siebenzahl; vii. Himmlisches
Jerusalem; vui. Vom rechte; ix. Die hochzeit; x. Arnsteiner
Marienlied; xi. Die Wahrheit; xn. Vorauer Sündenklage; xm. Up-
salaer Sündenklage; xiv. Benedictbeurer gebet; xv. Melker Marien-
lied; xvi. Mariensequenz aus St. Lambrecht; xvii. Mariensequenz
aus Muri.
* vgl. DLZ 1890 nr 29 (Edw. Schröder).
WAAG GEDICHTE DES XI UND XIIJBS. 21
Der herausgeber äufsert sich über die principien , die ihn
bei der textgestaltuug leiteten, s. vi des Vorwortes in folgender
weise: 'ich habe mich deshalb (dh. weil bei herstelluag der texte
in MSD 'eine allzu grofse willkür und gewaltsamkeit tätig ge-
wesen ist') möglichst an die mit so grofser genauigkeit ge-
schriebenen hss. angeschlossen und eine äuderung derselben nur
aus inhaltlichen gründen vorgenommen; niemals bin ich dagegen
aus metrischen und strophischen gründen von der Überlieferung
abgewichen.'
Wir wollen mit dem verf. über diese etwas allgemein ge-
haltenen principien nicht weiter rechten, sondern untersuchen,
ob es ihm gelungen ist, sie in consequenter weise durchzuführen,
um möglichst engen anschluss an die Überlieferung zu erreichen,
wäre zweifellos eine collation der verschiedenen in betracht
kommenden hss. nötig gewesen (die Vorauer stücke ausgenommen,
für die Pipers collation vorliegt), leider hat der herausgeber
diese arbeit unterlassen, somit waren die vorhandenen hsl. ab-
drücke mit den durch die rücksicht auf den inhalt gebotenen
ausnahmen und abgesehen von solchen orthographischen Schwan-
kungen, die der herausgeber in der einleitung ein für allemal
abtut, mit peinlichster Sorgfalt nachzudrucken, dass dies nicht
geschehen ist, wird jeder erkennen, der sich der mühe einer
vergleichung von W.s texte mit dem , den die abdrücke bieten,
unterzieht, so herscht gänzliche inconsequenz in bezug auf das
verzeichnen von Schreibfehlern, dittographieen , grofsen anfangs-
buchstaben und kürzuugen; dgl. wird in 6inem und demselben
texte bald angemerkt, bald mit stillschweigen übergangen.
Aber auch wichtigere abweichungen bleiben uo verzeichnet
oder sind unrichtig angegeben, so hat i 12 W. gendde, die hs.
gnade; 21 W. die, hs. di; 76 W. diu, hs. den; 122 f W. der
teilet uns daz sin lieht, daz gab uns Abel, hs. der teilet uns daz
sin lieht, sin lieht daz gab uns abel; 255 W. meintetun, hs.
meinteten; 393 schlechte angäbe der la.; u 61 W. habitin, hs.
gihabitin; 153 W. craft er dö irstarbti, hs. craft do irstarbti;
158 W. mit des vleischis brödi, hs. mit uleischis br.; 205 W. wili,
hs. voil; 263 W. als imo, hs. alsiz imo; in 33 la. schlecht an-
gegeben; 68 W. vullan, hs. uulli; 151 W. scöno, hs. sconi;
167 W. scuzzilin undi nepphi, hs. scuzzilin uh di nepphi; 201 W.
Salmon der was heri, hs. Salmon heri; 256 W. mid michilimo,
hs. mid uil michilimo; iv 31 W. giluti, hs. guluti; 81 W. la.
dorosti, hs. dorosti; 122 W. an, hs. ani; 140 W. uzzir (so!),
hs. uzzi; vh 152 W. gelouben, hs. geloben; 172 W. ewen, hs.
hewen; 317 W. tem selben, hs. tem selbem; vm 46 W. im selben,
hs. im selbem; 374 W. geloube, hs. goloube; ix 781 IV vermisst
man die angaben, was hsl. und was ergänzt sei; 861 \\ . Hfl
hantgetdt, hs. sine hantgetat; 1082 W. dem ist alsü, bs. dem ist
si also; x 161 W. geduldige, hs. geduldiga (Jellinghaus, Zs. I. d.
22 WAAG GEDICHTE DES XI UND XII JHS.
phil. 15,355); 260 W. kunigin, hs. kuningin; xi 76 W. gerne,
hs. uil gerne; xn 245 W. arme, hs. w«7 arme; xv 68 W. du bist
der cederboum, hs. du bist sam d. c. — aus diesen proben geht
zur genüge hervor, dass die ausgäbe auf genauigkeit in keiner
weise anspruch erheben darf, wer sie zu benutzen gedenkt,
muss unbedingt die alten textabdrücke daneben zu rate ziehen.
Mit der ä'nderung aus inhaltlichen gründen, dem zweiten
puncte seines programmes, hat sich der herausgeber in merk-
würdiger weise abgefunden, er folgt nämlich aufs ängstlichste
seinen Vorgängern, haben diese an einer stelle keinen austofs
gefunden, so setzt sie der herausgeber in seinen text; haben
sie jedoch einer corruptel durch conjectur abzuhelfen gesucht,
so kann man sicher sein, in W.s ausgäbe dieselbe conjectur an-
zutreffen, wenn auch ihre Unzulänglichkeit auf der band liegt.
bei dieser Unselbständigkeit W.s ist es erklärlich, dass die texte
der gedichte, die in MSD bereits kritisch bearbeitet vorliegen,
die gelungensten in der neuen ausgäbe sind, im einzelnen
bleibt freilich auch bei ihnen manches zu erinnern, so ist nicht
zu ersehen, warum der herausgeber Ezzol. 123 sin lieht tilgte. —
Summa 61 muste der hsl. text ziri herrin si sich gihabitin un-
geändert bleiben, da die änderung der Dkm. habilin aus metri-
schen ervvägungen erfolgte, denen der herausgeber die berech-
tigung abspricht. — auch 85 f bedarf die Überlieferung keiner
besserung. die hs. hat: Von unsir herrin gischepphidi gab er uns
misilichi crefti. die Dkm. ändern in Von dir errin, W. Von sinir
errin. nach meiner auffassung ist von causal zu fassen: 'weil
wir als edlere geschaffen wurden, vereinigte gott die auf die
anderen Schöpfungen verteilten kräfte in uns.' das schliefst sich
trefflich an die vorhergehende str., in der von der erhabenen
Stellung des menschen gegenüber der natur gesprochen wird. —
158 war mit vleischis brodi zu belassen; W. schreibt mit des vi.
br. auch 263 ist die hsl. Überlieferung alsiz imo gizemi untadel-
haft; W. streicht iz. im Lob Salom. 167 führt die Schreibung
der hs. di scuzzilin vn di nepphi auf vnd di n.; so auch die Dkm.;
W. undi n. da in allen drei fällen die angäbe der hsl. la. fehlt,
handelt es sich vielleicht nur um fiüchtigkeitsfehler. — im Na-
buchodonosor 2 bleibt W. bei der Überlieferung do wilt er aller dirri
werihi. was das dirri bei dieser auffassung zu besagen hat, ist
nicht zu ersehen, ebenso wenig was für werih (doch wol = werch)
gemeint sind, die besserung werldi (MSD) ist evident. — auch 56
scheint uns W. mit unrecht bei der hs. geblieben zu sein, denn
v. 51—56 sind = v. 127—132. 132 aber heifst es : 'dinü (so !) ab-
got sint ein drugidinc' es ist schon danach unwahrscheinlich,
dass in v. 56 ursprünglich 'ungihuiri ein dr.' gestanden sei. zu-
dem können wir aber noch erraten, warum der schreiber ungi-
huiri hinzugefügt hat: er hatte noch 50 'dinü abgot sint ungi-
huirf im Gedächtnis. — im Paternoster 226 hätte auf Rüdigers
WAAG GEDICHTE DES XI Ui\D XII JHS. 23
(Zs. 33, 423) ergänzung dö virlös er unsich hingewiesen werden
sollen, der grammatische fehler verderbte, den W., angeblich
nach MSD, in den text setzt, fällt natürlich nicht Scherer
zur last.
Die bisher besprochenen texte sind bei W. immerhin lesbar,
von den nun folgenden (vi — xn) kann ich das nicht zugeben,
ich enthalte mich aber gerne jedes weiteren Urteils und lasse
die tatsachen reden.
vii. Himmlisches Jerusalem 132 ff wird vom Jaspis erzählt,
dass er grün wie gras sei; 'der tiuvel dannen flühet' (138), sowie
er ihn erblickt, dann folgt die ausdeutung: der grüne stein
sei der glaube, wenn wir den besitzen, 'so lige wir zunteriste
an der gerunt feste unte bezechenen den Jospin.' nun (156 ff) fährt
das gedieht nach der Überlieferung fort: Er fluhet sam man in
berune. gerune bir wir denne. swer so geloben nine hat. der ist
dürre unde thot. der tiunel in nine midet. wante er den geloben
nidet.' soviel ist auf den ersten blick klar, dass 156 nur auf den
teufel gehen kann, das ergibt sich aus 138 wie aus 160. daraus
muss geschlossen werden, dass die waise 155 keine vom dichter
beabsichtigte ist (auch W. meint in der anm. 'vielleicht ist ein vers
ausgefallen'), was schlägt nun W. in bezug auf das berune vor? er
meint 'brüne, braun macht?' fürwahr ein treffliches bild: der teufel
flieht als ob man ihn braun machte! mit dem grünen Jaspis! natürlich
ist 'sam man in beretme' (= brenne, vgl. 124 perinne) zu lesen. —
259 ff ist vom sardouix die rede, er hat dreierlei färben: unten
schwarz, in der mitte weifs, oben rot. die hs. fährt nun fort (267 ff):
Nu bezaihint diu riareue rot. suver lidit marter unt not. durch
diu gotes minne. diu wize darinne. dem lutter ist sin herce.
dem müth tu fu werce. pezeichenet ane zuiuel (waise) usw. YV.
nimmt zur bessern ng von 272 f den Vorschlag üiemers auf und
schreibt: der mut üfwerze. daz er suwarz ist so daz gelas, (ze wäre
sagen ick iu daz), unseren viant den tivel pezeichenet ane zwivel usw.
ein adj. oder adv. üfwerce ist natürlich undenkbar; vgl. 179 üfwerde:
erde, aber auch die ergänzuugen können nicht befriedigen (ich sehe
davon ab, dass es etwas gewagt ist, gleich 3 zeilen zu ergänzen),
denn nach Marbods deutung geht die schwarze färbe nicht auf den
teufel, sondern auf die sünder. wie man 272 zu lesen hat, ist klar:
fu werce = fuwerce; vgl. im selben gedichte (wir citieren hier
nach Diem., weil W. dgl. öfter nicht anmerkt) uf st. uf 363, 3
und fu uuer st. fuuuer 365,24; htu = diu. wir dürfen da-
nach etwa schreiben: den (st. dem, wie 367, 26 dem man accus.)
mut diu suwerce pezeichenet ane zwivel, (der stdt uf den tiuvel). —
395 11' heifst es: ddmite zaichenet er dt, di sich ferwandelent hi
in aller selahte veraisen. vil dicke näh ten waisen den armen ist
er mute, den guten gehente usw. es scheint unzweifelhaft, dass
hier der Schreiber ein wisen oder weisen in waisen (orphanus)
änderte, wenn man den commenlar des Marbod zu rate zieht:
24 WAAG GEDICHTE l»ES XI UND XII JUS. .
'significat eos qui cum sapientibus sensu contendunt'; es ist
also näh ten wisen == sapieutium modo; daher ist der puoct 397
hinter veraisen zu streichen und 398 hinter waisen zu setzen. —
eine weitere schlecht überlieferte stelle ist 438 f. nachdem vorher
berichtet wurde, dass die Stadt Jerusalem gleich hoch, weit und
lang sei, folgt in der hs. bezaihenet ist uns dabi der uur steun
wente doch tri. W. setzt, Diemer folgend 'der vir stainwente
doch tri' in den text. dass dies nicht richtig sein kanu, war
doch nicht so schwer zu erkennen; erstens ist nicht von 4,
sondern von 3 dimensionen (und in der folge tugendeu) die rede,
und zweitens kann man hohe, weite und länge doch nicht als
3 wände bezeichnen! wir schlagen daher vor zu lesen:
uursteu n wente
der tiursten tugente doch tri. — ganz unklar sind die vv. 450 ff;
darüber s. u. s. 33. — 458 ff hat VV. ganz falsch aufgefasst; er
schreibt: der eine (sc.wec) ist brait untwit, offen stdt er en alle zit,
er trau inch in di helle, ime volge, der der welle; der ander enge
unt semal, er wiset iuch inne den sal der sorge unt al des iu hi
ze laide gescah. sön darf inch daz ungemach nimer geriuwen, daz
ir hie habet en triuwen erliten durch di gotes e. so ist ave den
vile we, di de helle müzen büweii. wie der gegeusatz von v. 463
(er wiset iuch inne den sal) zu den vv. 460 (er trait iuch in di
helle) uud 469 f (so ist ave den vile we, di de helle müzen biiwen),
lerner die hier angezogene bibelstelle uam. beweist, kann unter
sal nur das himmelreich gemeint sein; vgl. über diese Vorstel-
lung MSD zu xliv 2, 10. zudem hängt, wenn man mit VV. einen
sal der sorge annimmt, das folgende unt al usw. ganz in der
iut't. es ist daher nach 463 (inne den sal) stark zu inter-
pungieren und 464 diu sorge zu lesen, der sinn ist: 'dann wird
euch das erlittene ungemach, nämlich die sorge und alles andere,
das euch hier auf erdeu zustiefs, nicht mehr anfechten.' viel-
leicht kann übrigens das hsl. der sorge auch bestehen bleiben,
es hienge dann von ungemach ab. — im auschluss an die obige
stelle fährt die hs. fort: 'des inscule wir gote getruen.' aufser
dem herausgeber wird kaum jemand die negation in- bei-
behalten.
Im gedichte 'Vom rechte' (viii) heifst es 40 f mannechlich
sinem vriunde gestdt, als er in geminnet hat. dieser satz kann
unmöglich als eine ausiührung über Pflichtverletzung betrachtet
werden, eine solche ist aber hier zu erwarten; denn nach der
aufzählung der drei pflichten, wahr, gerecht und treu zu sein,
folgt eine allgemeine bemerkung, dass dieselben leider selten ge-
übt würden (34 — 39). im anschluss daran wird 42 f die lüge,
44 ff die Ungerechtigkeit besprochen, wir müssen also in 40 1
eine besprechung der untreue erwarten, diesen inhalt bekommen
die verse sofort, wenn wir maneger statt mannechlich lesen (die
änderung war durch v. 38 veranlasst) und nach vriunde ein niht ein-
WAAG GEDICHTE DES XI UND XII JHS. 25
setzen: 'viele steho ihren freunden nicht in dem mafse hei, wie
es der liebe dieser (er bezieht sich auf vriunde) entspräche.' — auch
268 f sind unbefriedigend überliefert: Swd diu luge in dem dorfe
gdt, daz ze dem vrumen si bestdt, wil er minnen daz reht, er
heizzet steigen sinen chneht usw. es ist 269 zu lesen: dd ze
und nach bestdt stärker zu interpungieren. der Schreiber hat
übrigens wol dd ze gemeint; denn er schreibt auch sonst duzze,
vgl. Gen. D. 5,8; auch Hochz. 1081 ist dazze so zu fassen (vgl.
datze Ddvidis hüse Fundgr. i 145). — 308 wärmt W. sehr mit
unrecht eine conjeetur Karajans auf, abermals obne die hsl. la.
anzugeben! die hs. überliefert: uil ist des mich wnderot, daz
sich der hunt arch man niht uerdenchen chan. Kar. conjiciert
chunt ; chunt heifst aber nie 'verständig, schlau', sondern immer
'bekannt', die stelle ist schwierig zu bessern, vielleicht darf
man tump lesen, dann erhält man etwa folgenden sinn: 'es
wundert mich sehr, dass der geizige, wenn er auch nur ein leie
ist, nicht erwägen kann (es folgt nun in directer rede): 'diu
erge daz ist schaute, diu ist lastir und sunte.' ähnlich ist Hochz.
667 ff die beichte des Sünders in directer rede widergegeben. —
ganz überflüssiger weise wird 418 'Der ist der zweir meist er, daz
sol sin der briestir', Der in Wer geändert; ebenso 499. und beidemal
rührt diese äuderung obendrein von Scherer QF vn, 10. 11 her,
ohne dass dessen name genannt wird! — 443 war nach Bechs vor-
schlage (Germ. 8, 480) mite zu ergänzen. — 451 erg. nach
Scherer man, nicht mare. — 465 war das hsl. ueruaren, das nur
intrans. gebraucht wird, in ervaren zu ändern; vgl. 481.
Besonders schlimm steht es mit der W.schen ausgäbe des
nun folgenden gedichtes, der 'Hochzeit', bekanntlich bat die Über-
lieferung dieses denkmals sehr stark unter der vermoderung der hs.
gelitten, dadurch werden viele ergänzungen nötig, die Karajan
denn auch meist vorgenommen hat. es ist nur begreiflich, dass
manche dieser ergänzungen sich heute (das buch ist 1846 er-
schienen) als unbaltbar herausstellen, man durfte also gerade
hier erwarten , ein neuerer herausgeber würde manches zu ändern
haben. W. nimmt jedoch auch liier überall die alten vorschlage Kara-
jans auf. das nötigt uns, auf dies gedieht etwas näher eiozugehn.
141 ff beifsl <js viuii gerechten: der mach vröliclten varen
in des harren Abrahamen baren: dd wirt im leben ver(hei)zzen,
des w(irt) er niht bestözzen. in Abrahams schofse erhält aber der
gerechte das ewige leben, verheifsen wird es ihm schon früher.
dabei i>t 'verldzzen' zu ergänzen (vgl. 946 1' ldzzen:gestdzzen). —
267 ist nicht michil hereschare zu schreiben (man zieht nicht
mit einem beere zu einer so friedlichen brautwerbung), sondern m.
hereschare. — 271 11' lauten nach der bs. do nam er under der
menegin, die allertiurist sohle sin, diu heristen litte usw. W.
schreibt 272 diu und 273 die. es ist aber klar, dass es darauf
ankommt, dass die ausgewählten die 'allertiuristen' seien; daher
26 WAAG GEDICHTE DES XI UND XII JUS.
ist 272 die zu belassen und solde in solden zu ändern, 'da nahm
er aus der menge diejenigen , die am tüchtigsten wären , die
hehrsten leute' usw. (vgl. 383 f). — 279 ff lauten bei W.: dö
dem loirte diu botschaft dö wart gesaget, dö Ute er gerwen die
maget: er badet si mit vlizze. in gewaete daz wizze mit porten
behängen, mit guldinen spangen, die guldinen wiere fuor (hs.
für) die maget here. der satz 282 ff hat, wie man sieht,
kein subj., anderer Sonderbarkeiten zu schweigen. die ein-
fachste besserung scheint uns die änderung von badet in watet
und von für die 286 in fürt diu. dann fällt natürlich die inter-
punction nach 281 (vlizze) fort, während nach 284 (spangen) ein
semicolon zu setzen ist.1 es ist nicht ausgeschlossen, dass diese
änderung des ursprünglichen waten in baden eine halbwegs ab-
sichtliche war. so wird dieses wort in der Gen. W. 59, 33 und
61, 13 gebraucht, während die Milst. hs. einmal in 'gechleiden
und geben', im zweiten falle auf audere weise ändert, im Leb.
Jes. Diemer 260, 8 (Piper v. 1567 f) heifst es: Dö wdten si den
guoten in einen phellel röten; die jüngere Görl. hs. ändert: Dö
vazten si. der Oberaltacher cod., Roth (Pred. 56, 35) setzt padet
st. watet ein (der inlaut verbietet, an den Wechsel zwischen b
resp. p und w zu denken), ist der grund zu diesen änderuugen
im veralten des wortes zu finden? jedesfalls kann das nur für ein
beschränktes gebiet zugegeben werden; denn es ist andererseits
sehr häufig, vgl. Hohesl. (ed. Haupt) 80, 12. 14; MSD 77, 20; 94,
26; 86, 4, 20; 43,13,4; Zs. 33, 56; Adelbr. 54; Vaterunser 50;
Glaub. 1361; 3084; Schönbach, Pred. i 125, 13. 15; 359, 39;
181, 19 hs. a; n 8, 35; 112, 13; 160, 3. 9. 19; Hochz. 492 (be-
wußten).
In 287 f fehlt nach Karaj. und W. das obj. zu enphiench; die
richtige ergänzung war schon iu Löbuers dissertation s. 42 anm.
zu finden, wo als ergänzung Scherers unde si d(en he)rr(en) en-
phiench angeführt ist. — 290 (man gesach) nie so herliches niht
Karaj. uud W.; wahrscheinlicher ist nach analogie vou 207 und
469 (iane wcere oder wart). — ganz unverständlich ist bei VV. die
stelle 322 ff: da was diu beste Wirtschaft, die der ie dehein man
ze sinen broutlouften gewan, wände si die nuzzen, die ir e nine
enbizzen. wird si die umgestellt und e nine in ewich geändert,
so erhält das in 322 ausgesprochene urteil seine begründung.
derselbe grund wird 1066 ff dafür angeführt, warum diese hochzeit
die hehrste sei. — ; 423 ff lässt W. uach Karaj. s beispiel uner-
gänzt. die stelle lautet: Westent choment die unde sich
becherent schöne, die helfent riuten den erren mietliuten usw.
Heinzel schlägt vor zu ergänzen: 'die under nöne' usw. diese
ergänzung ist zweifellos richtig, das ergibt sich zb. aus Bruno
1 man wende nicht ein, dass 608 ff die frühere erwähnung des bades
voraussetzen; diese verse sind, wie ich an anderer stelle zu erweisen
hoffe, später hinzugekommen.
WAAG GEDICHTE DES XI UND XII JHS. 27
von Asti Homil. xxn Domin. in Septuages. (Migne 165, 770): 'in-
trant autem per portas australes (I. et occidentales) jiwenes et senes
qui sexta et nona hora in vinea Domini laborare coeperunt.' —
433 f: so gdhe(nt si drdte) zuo der himelischen porte. zweifellos
ist harte st. drdte zu ergänzen , denn harte gdhen ist gewisser-
mafseu stehende Verbindung, vgl. Scherer QF vn 53 und die
wbb. ; porte -.harte 441. 455. — 529 ist '(mit dem)e schulen wir
uns begdn' zu ergänzen, nicht '(an dem)e'. — geradezu trostlos
ist es, den Schreibfehler der hs. funkit st. funkit 601 auch bei
W. wider anzutreffen. — über 607 wollen wir bei anderer ge-
legenheit sprechen. — 611 ff: so der man gevalle (unde h)ie
twelle, er schol im einen hdn erkoren, der obenan si beschoren usw.
der sinn verlangt das gegenteil zu ergänzen, also etwa (nine er hie)
twelle. — 623 ist wegen des überlieferten Miede der gen. plur. bihte
wahrscheinlicher als Karajans bihten. — 629 ff wird von der schlechte-
sten beichte gesprochen, das ist diejenige, wo der Sünder gar welt-
lich lebt , unz er daz guot geniuzzet unde den lip vervlizzet (so die
hs.). W. nimmt (mit Lexer) ein trans. verbum vervliezzen an und
setzt dieses in den text. man wird, wie mir Heinzel freundlichst
mitteilte, uerslizzet zu lesen haben (u <C f <i f). den um-
gekehrten fehler f <C f hatten wir soeben bei funkit st. funkit
601. — 653 ff lässt W. die lücken unergänzt. die hs. schreibt
(mit Karaj.s ergänzungen): ich wmne, daz ist der w(ille so der
sine) sele bevelle, so scheidet sele unde lip. man wird etwa er-
gänzen dürfen: (daz er sine) s. b. — 689 hat schon Diemer im
wb. zu Gen. und Exod. mit valtundir hende für das sinnlose
mit waltundir hende vermutet. — auch 697 ff folgt W. widerum
mit unrecht Karaj. die verse lauten : diu bihte ist guldin : daz
Idt (die guldin spangejn sin, die diu brout an ir hcete also
(hangende an ir wce)te. Daz golt vil ziere daz be(zeichent ir sele),
die lühte also he're usw. nach analogie von 625 ff: 'einiu (sc. bihte)
heizzet silberin : daz Idt die bezzeron sin. diu dritte ist guldin : daz
Idt die heristen sin (vgl. 659 'diu bihte diu ist chuphirin, daz Idt die
bösisten sin' und 683 'diu bihte ist silberin, daz Idt die bezzeron
sin') wird es 698 heifsen müssen: 'daz Idt die heristen sin.'
mehr lässt auch der räum nicht zu. das folgende mag man
etwa so herstellen: 'die diu brout an ir hcete, also geziert wären
ir wmteidaz golt vil ziere daz bezeichent zewdre die bihte1 also
here (die drei letzten verse nach Scherer), die auf diese weise
entstehende vorausstelluug des relativsatzes 699 hat ihre ent-
sprechung zb. 21 f siu spannet für ir brüste, daz ist geworht
mit listen, ain guldin gewiere oder 148 in dem mceren mere-
[' die bilde (nicht luhte) steht tatsächlich in der hs. und der räum
vorher lässt weiter nichts als die ergänzung be(zeichent) zu, sodass also
der dreireim, den Kar., W. und in anderer form mit Scherer auch der
hr recensent annehmen, räumlich ausgeschlossen ist; die zeile lautet: daz
bezeichent die bilde also here. Seil.]
28 WAAG GEDICHTE DES XI UND XII JHS.
(/arten stdt, daz in daz apgrunde gdt, ein vil hoch gebirge; vgl.
183 11'. dass die hs. 701 einen grofsen anfangsbuchstaben setzt,
braucht uns nicht zu beirren ; vgl. Vnde 585. jedesfalls aber
muste W., wenn er bei dem hsl. luhte blieb, das vorhergehende
die in diu ändern. — ebenso unrichtig ist es, dass der kämpf,
von dem 747 gesprochen wird, 'dicke ergdt' ; man wird etwa
schiere zergdt zu ergänzen haben. — 790 ist die unrichtige
änderung Karaj.s dem st. den aufgenommen. — 824 — 831 lauten
bei W.: da tet got als ein vogil tuot, der i(st also) gemuot: so er
sin jungide gebirt u(nde daz tötjlich wirt, hoi wie leide im danne
ges(chihet), swenne er ez also swarzziz gesihet! selb(e git er)
im den tot, des chutnet er in michil n(öt). wie jeder sieht,
stirbt bei dieser fassung das junge zweimal (827 und 830);
was swarzziz heifsen soll, ist unverständlich und warum der
vogel sein junges tötet, bleibt uns auch verborgen, in den
meisten mir bekannten lat. darstelluugen dieser geschichte wird
berichtet, dass das junge den alten vogel ins gesicht geschlagen
habe, oder es wird im allgemeinen gesagt, es habe sich un-
ehrerbietig benommen ua. das habe den anlass zur tötuug
desselben ergeben, der alte vogel betrauert (meist 3 tage hin-
durch) sein junges, dann erweckt er es wider, danach wird
827 etwa böslich st. tätlich zu ergänzen und 829 swceriz (== lästig)
st. swarzziz zu conjicieren sein, schlief slich sei bemerkt, dass
die wendung einem den tot geben kaum mhd. ist. man wird
besser tun, selbe tuot er im d. t. zu schreiben. — ganz unver-
ständlich sind ferner die verse 846 ff: also tet got der riche uns allen
geliche, dö er des ze dem geddhte, daz er uns ze dem Hellte brdhte.
wahrscheinlich las der Schreiber zu der vorläge als zed und schrieb
nach dem folgenden verse abirrend ze dem. es wird sich empfehlen
zu uns zu lesen, vgl. Parz. 695, 12. — 864 f dürfte dem unklaren
'dö ne habet (uns der herre) , dö ne ruohte er unsir mere' 'dö ne
habet(en wir die erej vorzuziehen sein. — 870 ff lässt W. un-
ergänzt. man wird etwa unde ouch der arme ubirgdt (des riehen
guot)en rat erwarten dürfen, das unde ist condicional zu fassen;
ouch, nämlich wie Adam (beispiele für condicion. und mit der
Stellung des hauplsatzes bei Jellinek, Hero und Leander s. 83). —
warum nach 880 das alle geliche der hs. nicht in den text ge-
setzt wurde, begreife ich nicht. Karaj.s worte 'ein mülsiger und
störender zusatz' sind hierfür doch keine genügende motivierung.
waisen finden sich auch sonst im gedichte; vgl. 459. 504. 524.
531. 550. 610. 1023; alle geliche kommt auch 436 vor. — 910 f
schreibt W. nach Karaj. bei Schilderung des einzuges Christi
in Jerusalem: manich wip unde man sac(h dö den md)ren.
die hs. lässt jedoch noch deutlich san erkennen, es ist daher
san(ch dö dem mdren) zu vermuten, den begrüfsungsgesang der
leute hebt nach der bibel schon Otfrid hervor iv 4, 5; vgl. auch
Kehr. D. 296, 23 si sungen ingegen im gewis. — die ergänzung
VVAAG GEDICHTE DES XI UND XII JHS. 29
zu 945 hat schon Diemer (glossar zu Gen. und Exod.) gemacht. —
982 wird dem mhd. nach Karaj.s und W.s ergänzung die con-
struction an gdn c. dat. zugemutet, man ergänze etwa (dö got
die not) der martir an giench. — 983 ergänze st. dd er uns (ze
sinen handen) geviench vielmehr (ze sinen gnaden) geviench. —
986 war für den fehler der hs. in vil maneger ende nicht, wie
VV. es tut, in vil manegem ende, sondern in vil manegen ende
zu schreiben (vgl. Grimm Gr. in2 153). — 1024 f ze dem all-
ersten man, den er (schephen bejgan. Dach 857 wird besser
bilden began ergänzt. — ganz verunglückt sind Karaj.s und dem-
gemäfs auch W.s versuche, die lücken 1080 ff sinngemäfs aus-
zufüllen, sie schreiben: (diu brout) daz reht begdt, daz ze den
selb(en ziten bejstdt. dem ist si (W. lässt si aus) also edil unde
also (here, also dem) alle'rsten zwdre. wenn VV. diese stelle zu
erklären wüste, so hätte er gut getan, dies in einer anm. aus-
einander zu setzen, ich wenigstens weifs mit dem obigen nichts
anzufangen unrl schlage daher vor zu ergänzen: swer daz reht
begdt, dd ze (vgl. oben meine bemerkung zu Recht 269) den
selben ziten bestdt; dem ist si (die Wirtschaft oder broutlouft 106611)
also edil usw.
In xi, der 'Wahrheit', erregen aufser 44 ff, wo die Verderbnis
allerdings ziemlich tief zu liegen scheint, die w. 108 IT an-
stofs. nachdem von den pfeilen des teufels nach bekanntem
bibl. muster l gesprochen wurde, heifst es, man möge beim
priester heilung suchen: er vindet uns die Straten, dd wir
mit gescozen wären, belibet si dar inne ... so ne kan si nimmer
enhein man . . . geheilan usw. da das belibet si dar inne den
gegensatz fordert, dass der priester den pfeil herauszieht, so
wird st. vindet uns etwa ziuhet ouz zu lesen sein.
Auch in der ausgäbe der umfangreichen 'Vorauer sünden-
klage' hat W. nirgends veranlassung gefunden, von der Über-
lieferung oder Diemers vorschlagen abzugehen.
Gleich 25 ff wäre letzteres geboten gewesen, die hs. hat:
zu sinen hui den hilf du mir durch willen der geburde her in
dise werlt geborn harte vorhte ich sinen zorn usw. W. ergänzt
nach Diemers Vorgang daz du geborn wurde (nach v. 325), setzt
nach wurde punct und bezieht somit den folgenden satz auf den
Sünder, dagegen erheben sich mehrfache bedenken, die syn-
taclische Stellung von v. 27 ist, gelinde gesagt, sehr auffallend.
dazu kommt noch, dass die wendung her in dise werlt geborn
später 136 f vil sdlich du dö wurde her in dise werlt geborn
widerkehrt, jedoch nicht mit bezug auf den sünder, sondern auf
Maria, es wird sich daher empfehlen, unsere stelle nach dieser
zu ergänzen und etwa zu schreiben: durch willen der geburde,
1 vgl. Heinzel Anz. f. d. a. 15, 188; zu den daselbst gegebenen ags.
belegen kommt noch eine stelle aus einem Anglia 11, 103 z. 1 ff veröffent-
lichten gebete.
30 WAAG GEDICHTE DES XI UND XII JHS.
daz du vil sdlich wurde usw. — 476 ff dem ich wol zu sprach,
ich ne verliez iz tue durch daz, ich ne riete ime an sine gut. W.
kann hier doch nur au güete gedacht hahen. die gute des be-
schädigten kommt jedoch in diesem zusammenhange gar nicht in
betracht. auch ist eine derartige apocope (denn klingenden reim
auf stumpfen gestattet sich der dichter niemals) ganz unerhört.
es war daher sine in sin zu ändern : 'wenn ich auch freundlich
zu den leuten sprach, trachtete ich doch, sie in ihrem besitze
zu schädigen.' — 491 ff bekennt der sünder, er habe mit jedem
weibe in werken oder in gedanken gebuhlt, die hs. fährt fort
(500 — 505): da mich auer iehtes umbe was, vil sciere urvmet ich
daz, daz ich alzoges gut wip ze leide brahte ir lip mit unrehten
mannen: des han ich uil begangen, ob der satz 500 richtig
überliefert ist , lasse ich dahingestellt, geradezu evident aber
ist es, dass im folgenden etwas nicht in Ordnung ist. hier sind
entweder zwei subjecte oder zwei objecte. durch die annähme,
dass der Schreiber ich 501 gegen seine vorläge 502 nochmals
eingeführt habe, fügt sich alles aufs beste, 'weun ich selbst aber
keine begierde hatte, so wüste ich es zu machen, dass selbst
eine sittsame frau ihren leib mit hurern schändete.' er klagt
sich also auch der kuppelei an. — 509 tf ich pflac des ie, herre,
daz ich ein recher e was : der mir iht getet oder gesprach, ich räch halt
andere Hute dinch. an dinen werchen was ich blint usw. so W.
dass andere nicht ricbtig sein kann , ist klar, weun man be-
denkt, dass sich der dichter hier der lanchrdche anklagt, wird
man vielleicht der änderung von dinch in chint zustimmen, dann
ist zu schreiben ich räch halt an dere Hute chint.1 'wenn mir die
leute durch wort oder tat etwas zu leide taten, rächte ich es an
den kindern derselben.' wegen der ergänzung des objectes ez
vgl. Lob Salom. 81, wo freilich VV. ez ganz überflüssiger weise
einsetzt, der Übergang von der auf Hute ist allerdings hart; doch vgl.
Otfrid ii 2, 14; n 9, 36; u 19, 16 f; Schönb. Pred. u 106, 8 und
die verse der Hochzeit 714, 715, die W. mit unrecht von einander
trennt.2 — 597 ff ist die Überlieferung gleichfalls in augenfälliger
weise unbefriedigend, er (sc. der teufel) scol die selben mite, die
er mir dd wolde geben, vil lange ein ubele leben, daz ich ir
hie verdienet habe, die nim du mir hie abe usw. wie zu bessern
war, hätte W. aus 746 ff ersehen können so getane we'wen gibet
er (der teufel) ze mite: mir wmre lieber daz erz ime hete, da-
nach werden wir schreiben vil lange im ubele haben, daz 600 ist
concessiv zu fassen und die interpunction entsprechend zu
ändern. — 773 schreibt W. nach der hs. Du sögetdne chamf-
wdt, herre, niemen ne hat, wane deme du sie geben wil. die
1 nachweise für die construction von rechen an c. acc. werden ge-
geben Mhd. wb. ii 1, 683b.
2 weitaus stärkere inconcinnitäten dieser art finden sich zb. Otfrid
h 5, 15; Schönb. Pred.n 61,37 f; Credo 2530 ff; 2549 ff; vdHagen GA 42, 180 ff.
WAAG GEDICHTE DES XI UIND XIIJHS. 31
besserung Die ergibt sich von selbst. — 805 ff hat W. ich
nehdn necheine craft wider die mich . . . des ewigen riches vil
gerne bestiezen. ohne lücke fährt W. mit der hs. fort (810 — 817):
ob sie diu gotheit von himele her in erde treip in einer armen
magede buch zu diu daz du hülfest uf dem der da gevallen was.
daz du, he'rre, ie daz durch vnsich getete: daz riet dir din gute usw.
wie auch W. bemerkt, ist 809 bestiezen reimlos, dass hier
eine zeile ausgefallen ist, ergibt sich daraus, dass der folgende
satz ohne jede syntactische beziehung ist. was fehlt , ist ganz
gut zu erkennen, etwa: ich wcen du daz niht lieze, ob dih (st.
hsl. sie) diu gotheit usw. im vorliegenden falle können wir
sogar noch nachweisen, dass der blick des Schreibers von be-
stieze gleich auf lieze abirrte; denn die hs. hat bestieze. nach
was 814 ist natürlich ein komma zu setzen, nach getete 816 ein
punct.
Hiermit könnten wir die erörteruug über die art, wie W.
den zweiten punct seiner principien durchgeführt hat, schliefsen,
wenn nicht noch einige fälle zu besprechen wären , die W. un-
beanstandet gelassen hat, trotzdem sie in offenkundiger weise in
grammatischer hinsieht anstöfsig sind.
So behält er du viole im Lob Salom. 128 bei. die Dkm.
änderten in di viole. wir dächten, die berausgeber hätten sich durch
das der la. beigesetzte ' ahd. phiala, phialün' über die notwendig-
keit dieser änderung klar genug ausgesprochen, das versehen des
Schreibers ist hier zudem ganz erklärlich: es gehn zwei sub-
stantiva mit dem artikel du voraus, drei solche folgen. —
ebenso war im Nabuch. 57 di heidini st. du heidini zu schreiben,
auch hier ist die art, wie der fehler entstand, einleuchtend: in
der nächsten zeile folgt du dru kint. vor heidini ist dru ge-
strichen, der Schreiber ist also offenbar in die nächste zeile
geraten, hat daun sein verseheu bemerkt und nur unvollständig
gutgemacht. — im Vaterunser 7 ist diu chint st. die chint
zu schreiben, Himml. Jerus. 269 durch die . . . minne, nicht
diu. — im gedichte 'Vom rechte' 367 war sioelhe so welle in
swelher so welle zu ändern, wenn schon nicht aus anderen gründen,
so doch wegen v. 336, der swelher so welle hat. — in der
Hochz. 703 muste W. nach seiner auffassung der stelle die in
diu ändern. — ebenso wenig geht es an, einen accus, sg. fem.
diu der Milst. hs., die sonst so scharf zwischen die und diu
scheidet, zu belassen, wie dies W. Hochz. 800 tut. — Vor.
sündenkl. 385 war werven (3 pl. indic. prs.) in wervent zu
ändern.
Schwerer als die zuletzt angefühlten verseben, die immerhin
in der flüchtigkeit des herausgebers ihren grund haben mögen,
ist es, wenn VV. Nabuch. 216 im ginin stüch in den texl setzt,
die hs. hat stuchin. dies beizubehalten verbietet das vorher-
gehende reimwort buch, daher änderten die Dkm« in sluch. denn
32 WA.VG GEDICHTE DES XI UND XIIJHS.
ein slm. stück (W.s anm. zu dieser stelle) ist unbelegt. — den
salz Himrnl. Jerus. 80 alliu sin tngente erlischenl hat schon
Schröder (ULZ aao.) beleuchtet.
Anderseits hat der herausgeber änderungen an der hsl.
Überlieferung vorgenommen, die durch nichts geboten waren,
so setzt er st. 'wärt' (= ez enwazre) 'ni warf Nabuch. 94 und
ändert Vor. sündenkl. 569 f 'daz der min arme geist iht verlorn
werde' iht in niht.
Hierher gehören auch die fälle, wo W. ganz mit unrecht
das pron. pers. ergänzen zu müssen geglaubt hat, wie Summa
153; Lob Salom. 232; Vom rechte 318; Vor. sündenkl. 381;
770. schon die zahlreichen belege, die bei Diemer Vor. hs. zu
28, 7, in den Dkm. zu 47, 4, 93 und bei Kinzel zu Alex. 3520
angeführt sind, hätten W. eines besseren belehren können,
weitere fälle sind mit bänden zu greifen; vgl. zb. Hohesl. (ed.
Haupt) 42, 24; 54, 24; 102, 14; 127, 28; Schönb. Pred. i 134,
41 ; Summa D. 94, 16; J. Jud. D. 141, 24; 156, 6; Leben Jesu
D. 251, 14; 261, 15; J. gericht D. 285, 6; 287,22; 289, 11;
Aneg. 25, 38; Lob Salom. D. 112, 19.
Ebenso war den hss. in folgenden fällen zu folgen: Nabuch.
31 gulüti; 173 zasamini; Himml. Jerus. 198 puhuete; 430 gu-
wisse; Vom rechte 374 goloube; Vor. sündenkl. 643 unphüre.
W. setzt an all diesen stellen ge- usw. ein, ungeachtet der be-
lege in MSD zu 36, 3, 9 und Beitr. 11, 288 ff , zu denen noch
vorborgen Zs. 4, 289 und gobot Schönb. Pred. ii 138, 21 zu
stellen ist.
Der dritte punct des W.schen programmes gieng dahin, von
den hss. aus metrischen oder strophischen gründen nicht ab-
zuweichen, ref. gesteht gerne, dass er darin mit W. überein-
stimmt, wofern unter dem ausdruck 'metrisch' der reim nicht
inbegriffen ist. auch W. scheint die berechtigung, aus gründen
des reimes änderungen an der Überlieferung vorzunehmen, zu-
zugeben, denn er hat in seinen text zb. folgende änderungen
früherer herausgeber aufgenommen: Ezzo 255 meititetun(:sun),
hs. meinteten; Summa 3 dnwal(:al), hs. diuvil; 2hl irbarmen
(:armen), hs. irbarmin; Lob Salom. 68 vnllan (: gdn) , hs. uulli;
151 scöno (: Lybano), hs. sconi; 193 Salomonen (: scöni), hs. Sa-
lomon; 257 gisen (: Hiersalem), hs. gisehin; Nabuch. 85. 117
Holofemi (: gerni), hs. holofem; 101 Olofemi dö giwan(:vreis-
sam) , hs. Uo giwan ol.; 114 irchämin (: wdrin) , hs. irchomen;
Hochz. 536 reinin nach Paul (:sin), hs. reinen; Arnst. Marl. 38
drehten (icreften), hs. geist; 109 wertet (: vortet) , hs. werlt; St.
Lambr. Marienseq. 10 Maget aller maget wunne (: sunne) , hs.
lounne fehlt; 21 prophetae (: e) , hs. wissagen; Marienseq. aus
Muri 18 here(:ere), hs. heru; 25 mdre (: gebäre) , hs. mere. —
danach waren wir zu der erwartung berechtigt, W. würde dieses
verfahren auch auf die jjedichte anwenden, bei denen derartige
WAAG GEDICHTE DES XI UND XII JHS. 33
änderungen von den früheren herausgeben) unterlassen worden
waren, zumal da sich einzelne ansalze hierzu zeigen, so ändert
er Hochz. 3S8 creftichlichen wegen des reimes: riche in creftich-
liche und Vor. sündenkl. 112 durch uaren(:gebom) in durchvarn.
aber auch in dieser erwartung werden wir getäuscht, wir wollen
uns mit der besprechung von reimen, wie stdn: Jerusalem Himm\.
Jerus. 45 f (die hs. hat zb. 3. 187 sten); uf getan : haben 73 f;
herist : e'riste 130 f; zif.wile 434 f; drieibi Vom rechte 48 f;
alle : gevallet 36 f (das ged. hat sonst kein überschüssiges t im
reime); he'te : seite Hochz. 375 f (hexte : seite schreibt die hs. 916);
sun:triwen Wahrh. 96 f; man : missetrösten 112 f; 138 f; sun :
herren Vor. sündenkl. 19 f usw. gar nicht weiter aufhalten,
sondern nur -einiges erwähnen, das die aufmerksamkeit jedes
Herausgebers erregen muste.
Himml. Jerus. 446 ff lauten bei W.: Nu habent ir alle wol
vernomen, wi ir in di burch sculet chomen unt ici irs ouch muget
verwerchen, violtent ir daz merchen. swd man aine gute rede tut
dem tumben ummäre, der haizet ime singen von wertlichen (hs.
werltl.) dingen unt von der degenhaite, daz endunchet in arbaite.
wir haben noch zuwaigere icege gewalt usw. hier ist nach 450
offenbar ausfall zweier Zeilen anzunehmen. einen reim tut:
ummdre gibt es nicht, zudem ist nicht zu ersehen, wie die
vv. 450 — 454 in den Zusammenhang passen.1 — Vom rechte
396 f mit rehtir gemehelen so sol si sin chone sin muss gemehelin
st. gemehelen gelesen werden. — Hochz. 251 und 278 reimt
VV. entwdlte resp. entwdlten auf wolle resp. wollen, vorzuziehen
ist die annähme, dass hier das praet. von twellen reimt. —
in der Wahrheit 168 f belässt W. den reim gebot : gesunt , trotz-
dem die besserung hier eine sehr leichte ist, uämlicb gesundöt. —
auch in der Vor. sündenkl. scheint in bezug auf den reim nicht alles
in Ordnung, so lauten die vv. 50 ff: wände du den ewigen lop (:got)
durch die sundere inphienge; unde newe're nie nieman mit sunden
bevangen (: unergangen) usw. diese bindung ist im ganzen ge-
dichte ohne analogie: es war daher niemen zu schreiben.
Die Überlieferung der verse Vor. sündenkl. 721 f gibt gleichfalls
anlass zu bedenken: nu entlip minen sunden durch din selbes
gute, das vorkommen von reimen auf unbetontes e ist aller-
dings für das gedieht erwiesen; vgl. werche: fruote 286 (I. guote?)
und he'te : inlieze 662. im obigen fall tritt aber noch das über-
schüssige -n dazu, wenn man bedenkt, dass der dichter hier
ein weit besseres reimwort zur Verfügung hatte, das er auch
an anderer stelle verwendete (233 f enbunden : wunden), dass Cerner
die wunden Christi öfter zur geltendmachung des anspruches auf
Vergebung verwendet werden (vgl. 234 durch willen der vinf
1 wie mir Schröder soeben freundlichst mitteilt, ergänzt er Dach 450
(tut.) daz dunchel dem wisen gut und nach 451 (ummdre:) te hörenne
vil swäre.
A. F. D. A. XVII. 3
34 WAAG GEDICHTE DES XI UND XII JHS.
wunden und Wahrh. 34 f mit sinen fiunf wunden virtilget er
unser sunten), so ist m. e. nicht daran zu zweifeln, dass gute
vom Schreiber st. wunden eingesetzt wurde, nimmt man dies
an, so erhält din selbes 722 erst seine rechte bedeutuug: 'um
deiner eigenen wunden willen schone meiner Sünden' (= wunden,
nach der Vorstellung auch dieses dichters 749 ff), eine geistreiche
antithese, die beiläufig bemerkt auch in einer der unter Anglo-
Saxonica miuora von Logeman Anglia xu veröffentlichten sünden-
klagen angewendet wird, hier heifst es (s. 507) Forgif nie for
pinra wunda dre pcet pu gehcel on me ealra minra firena
(übergeschrieben synna) wunda usw.
Manches wäre über die abteilung einzelner verse, über die
interpunction (besonders schlimm ist das mtb xoivov Hochz.973ff
behandelt!), über die einleitungen und anmerkungen zu sagen.
um den umfang dieser rec. nicht noch gröfser zu gestalten , will
ich nur einen punct hervorheben, bei dem ich mich mit W. in
übereinstimmug befinde, die von Müllenhoff angenommene Um-
stellung der verse 137 — 144 und 145 — 154 im Lob Salomons
hat W. m. e. mit recht zu gunsten der in der hs. überlieferten
reihenfolge aufgegeben.
Was die äufsere einrichtung des buches anbelangt, so wäre
es erwünscht gewesen, wenn W. durch am rande angebrachte
zahlenhinweise das vergleichen seiner ausgaben mit den abdrücken
der hss. erleichtert hätte, auch wäre es für den leser bequemer,
wenn W. die ergäuzungen durch cursivdruck oder klammern
im texte kenntlich gemacht hätte, statt in den laa. dem er-
gänzten worte die betreffende anzahl von puncten gegenüber
zu stellen.
Der druck des buches ist sehr wenig sorgfältig, s. x z. 4
v. o. 1. Gedichte; s. xm z. 4 v. o. zunächst; ebend. z. 20 Script.;
s. xv z. 13 v. o. habe; s. xx z. 9 v. u. Nabuchodonosor usw. auch
im texte selbst wimmelt es von druckfehleru. der störeudste
ist Ezzol. 46 f: von dem grase gab er ime daz pluot , von dem
mere gab er ime daz hdr. hier haben 'daz pluot' und 'daz hdr'
ihre Stellungen getauscht.
Auf die setzung der längezeichen ist nicht immer geachtet:
i 17 l.alsö; 130 gehörsam; 251 sin; n 96 schidinti; 322 holdin;
in 104 virböt (praet.); 147 silbirin usw. gibot (praeceptum) wird
von W. beharrlich giböt geschrieben , so i 76. 234. iv 23.
Schliefslich sei bemerkt, dass bei der verszählung mehrerer
gedichte irrtümer untergelaufen sind; im gedichte 'Vom rechte'
ist 239 st. 240, 240 st. 241 usw. zu citieren, in der Hochz.
79 st. 80 usw., in der Vor. Sündenklage 189 st. 190 usw.
Wien, 2 oct. 1890. Carl Kraus.
HOLZ ZUM ROSENGARTEN 35
Zum Rosengarten. Untersuchung des gedientes n. von dr Georg Holz.
Leipzig, GFock 1889. 151 ss. 8°. — 4m.*
Der verf. gesteht (s. 5) selbst , dass ihm die anordnung des
Stoffes grofse Schwierigkeit bereitet habe, es ist ihm wol nicht
ganz gelungen , diese Schwierigkeit zu überwinden : ref. wenig-
stens muss einen dem seinigen entgegengesetzten weg von den
einzelnen hss. zum archetypus für weitaus natürlicher halten,
dies ist aber auch der einzige halbwegs methodische Vorwurf,
der sich der im übrigen ungemein gründlichen und scharfsin-
nigen schrift machen lässt.
In cap. i bespricht H. die Überlieferung und ihre grup-
pierung. die redaction n des Rosengartens ist uns in einer
längeren (ua), einer kürzeren (nb) und einer durch mischung
mit i entstandenen fassung (f, ed. WGrimm, Der Rosengarte,
Gott. 1836) erhalten. na wird repräsentiert durch die hss. b (ed.
WGrimm, Zs. 11, 536), h und s (beide gemischt in vdHagens
heldenbuch von 1820) l, s' (fragment bei Grimm, Roseng. s. 91),
K (ed. Müllenhoff, Zs. 12, 411 ff), endlich « (umreimung des ge-
druckten heldenbuchs ed. Keller, einschiebsei darin s. 635, 39
bis 640, 11), nb durch die hss. p (ed. Bartsch, Germ. 4, 8 ff), T
(ed. Neuwirth, Zs. 28, 139 ff) und C, eine cechische Übersetzung.
zu der Übersetzung, die H. von den in Casopis musea krälovstvi
Ceskeho jahrg. 1881 s. 464 ff durch Patera gedruckten frag-
menten liefert, teilt mir dr Murko freundlichst die nachfolgenden
bemerkungen mit: es ist bedenklich mit H. s. 8 von 'trochäischen
(meist) achtsilbigen versen' zu sprechen , da der cechische acht-
silbler kein accentuierender oder quantitierender, sondern ein
rein silbenzählender vers ist. zeile 31 ist Pateras texte gemäfs
die klammer zu tilgen und nach heran eine liieke zu bezeichnen,
z. 57 ist gegen sie statt gegen ihn zu lesen , denn nym kann nur
dat. plur. sein, dat. sing, wäre nyemu. z. 65 ist jedoch für
einmal einzusetzen, denn gednak heifst jedoch, während einmal
nur gednou (gednau) heifsen könnte, z. 73 ist die conjeetur H.s
zu verwerfen , denn nechway als dualform ist unmöglich, ebenso
. * [vgl. Litter. centralbl. 1889, nr 22.]
1 wozu H. übrigens den abscheulichen mischtext vdHagens noch buch-
stabengetreu abdruckt (s. 30), ist nicht einzusehen, überhaupt hat es mit
der diplomatischen widergabe gleichgiltiger citate, die er liebt, sein be-
denken, sie nutzt niemandem etwas, und es kommen nur druckfehler
heraus: so steht s. 2t Gippich st. gypis, s. 29 guomy st. quomy, vor vor-
byte fehlt das zeichen der lücke, st. briue 1. brüte und st. brief in der letzten
Strophe 1. brif, s. 30 in der letzten zeile des citates aus n1 I. sprach st.
spraeh, s. 31 z. 219 st. ritler1 1. Ritler, z. 220 >t. bey 1. j'cij, s. 97 st. vz
1. tiz, st. künc I. küne uam. es fällt mir nicht ein , H. aus diesen kleinig-
keiten einen Vorwurf zu machen — aber wozu dann das alles? wenn man
diese stricheichen, ringelchen und häkchen auflöst, u und v ihrem laut-
werte nach verwendet, so geschieht der akribie kein schade und man er-
leichtert dem setzer sein band werk und sich die correctur.
36 HOLZ ZUM ROSENGARTEN
tay für neußechisch te, dessen ältere form nur tey sein kann
(vgl. Miklosich Vergl. gramm. m2 362). z. 90 ist der singular des
cechischen textes nicht fehlerhaft, da die singularformen des
relativs auch für den plural gebraucht werden, z. 153 ist horzye
mit schlimm st. mit weh (interjection) übersetzt, z. 161 ist
wyehlassny eher mit berühmt als mit klug vviderzugeben , obwol
das wort beide bedeutungen hat, ebenso z. 192. nach z. 163
wäre wenigstens noch das fragment einer zeile welche ihm alle
gegeben sind mitzuteilen gewesen, z. 197 1. diesen = tomu st.
ihn, was nyemu wäre, der name Perchylia (z. 181) für Volkers
mutter zeigt selbständige, wenngleich verworrene sagenkenntnis
des Übersetzers, denn er ist wol kaum cechischen Ursprungs,
sondern vielmehr gleich Birkhild, Fasolts mutter (HS3 247).
In cap. 2 behandelt H. das Verhältnis der drei redactionen
zu einander und kommt zu folgendem Stammbaum:
Original
/ ii' " nb
f " ii*
Ich muss gestehn, dass mich die ausführungen H.s in § 9,
welche die Selbständigkeit von in beweisen sollen, von vorn-
herein durchaus nicht überzeugt haben, dass mir vielmehr in
ebenso wie f als eine nur viel selbständigere contamination von
*i und *n erscheint, die vom contaminator mit allerhand will-
kürlichen zutaten aus eigener sagenkenntnis ausgeschmückt
wurde. H.s ansieht würde mir begründet scheinen , wenn m
irgendwo das ursprünglichere gegenüber i und n bewahrt hätte,
das ist aber nirgends der fall, vor allem nicht in der § 13 an-
geführten stelle; denn da ist in i und u alles in schönster Ord-
nung, während in m etwas unmögliches steht, in i sind die
hehlen eben mit dem essen zu ende und wollen aufstehen, do
erhuob sich von (so m statt vor b) dem tische ein michel gröz
schar; darauf ermahnt sie Dietrich still sitzen zu bleiben, weil
er eine mitteilung zu machen hat. in u ist Dietrich nicht mit
seinen mannen zusammen, er tritt in den sal, als sie eben beim
essen sind; da sie nicht so lange warten wollen, bis man die
tafeln aufgehoben hat, um ihm entgegenzugehn, schicken sie
sich an über die tische zu springen, das ist vielleicht etwas
grotesk, aber immerhin vernünftig, in m aber sitzen alle zu-
sammen bei tische, und als sie aufgegessen haben, wollen sie
über die tische springen, worauf sie Dietrich stille sitzen heifst.
ja, warum wollen denn die herren diese gymnastische Übung vor-
nehmen? das war doch nie und nirgends die gebräuchliche manier
von tafel aufzustehn. zu besonderem zwecke, wie in der durch n
geschilderten Situation, oder iu außerordentlicher aufregung wie
HOLZ ZUM ROSENGARTEN 37
Willehalm 179, 7 (vgl. auch Nib. 1903. 1904) mochte derartiges
vorkommen, so lässt sich denn die lesart von in nur erklären,
wenn man annimmt, dass es i und ii contaminierl habe.1
Diese ansieht über die Stellung von in wird nur bestätigt
durch die neu gefundenen und von Mourek in den Sitzungs-
berichten der kgl. böhmischen gesellschaft (jahrg. 1889, s. 118 ff)
veröffentlichten bruchstücke, auf die mich Roethe aufmerksam
macht, das erste erzählt das ausrichten der botschaft an Dietrich
durch Seburg, schliefst sich also mit seinem anfange an das
erste, mit seinem ende an das zweite der von Müllenhoff ver-
öffentlichten Danziger bruchstücke. an letzteres fügt sich dann
wider die beratung der helden im zweiten Prager bruchstücke,
sodass zwischen D\ P1, D2, P2 bei der abrupten darstellungs-
weise von in kaum viel verloren gegangen sein dürfte. Seburgs
botschaft ist jedesfalls nur eine umkehrung von Sabins botschaft
(Seburg: Dancwart = Bersabe: Sabin), die zahl von 500 rittern
findet sich da wie dort, die gestalt des wirtes hat ihre seiten-
stücke im kunstepos (zb. Wimar im Willehalm) und verrät den
unvolkstümlichen Ursprung schon durch den namen. die wört-
lichen Übereinstimmungen von P2 mit i, ii und f sind besonders
lehrreich und werden es rechtfertigen, wenn ich, um die ver-
gleichuug für andere zu erleichtern, das fragment soweit notwendig
hier zum abdruck bringe:
1 des man mir geloben mach,
ich sluoge ir vor ir [krö]nen einen backenslach.
2. Doch volge ich mime herren [billich] war ich sol.
der mich hie keime Uze, ich entpüre1 ir(re) rösen wol:
soldich durch ir küssen riten an den Rin,
wie wol ich [sin e]ntpürev mochtich hie heime sin.
3. 'Nu [dar], nü [dar]', sprach
Alpart, 'wir muozen beide dar.
retestü heime2, bruoder, [und] daz ich mit in var?'
1 in demselben aus m mitgeteilten abschnitt liest H. in der 3 Strophe
mit Müllenhoff Her Dyterich von Berne [hys] synin [cjafpelanj und
synin schri[be]re [beyde vurj sich gan, ich halte diese lesung für falsch
und jene andere, die M. in der anmerkung zur stelle in anlehnung an ii
andeutet, Her Dyterich von Berne [ryf'J synin [cjafpelanj und synin
schri[be]re [hyz er cur] sich gan, für die einzig mögliche, es ist ja
nicht einzusehn, wozu Dietrich, um sich einen brief vorlesen zu lassen,
einen Schreiber und einen caplan braucht, vielmehr sind beide ein und
dieselbe person : synin capelan und synin scliribere bedeutet nur 'seinen
caplan, der zugleich sein Schreiber war', wie etwa swestersun und der
herre min Parz. 798, 10 = 'mein neffe, der du zugleich mein hm bist,
dieses doppelobjeet ist dann änb xoivov zu ruofen und heizen construiert,
woraus sich der aecusativ bei jenem zeitwort erklärt, dazu stimmt auch
allein die letzte zeile des mitgeteilten textesm, und auch n, freilich nicht
nach h, wol aber nach s und f 'der hoere dise meere (und sol her iuo mir
ttdn), was stdt an dem briefe', sprach der kapeldn. natürlich ist auch
in ii z. 82 ouch mit s zu streichen.
1 entpure - Ydeime
3S
HOLZ ZUM ROSENGARTEN
'ich wil dir sagen, bruoder,
ich vorlobete ir küssen vil-
lichte,
4. '[ Wan] daz, weiz got', sprach
Witige,
mich het ir küssen unhohe,
'nein, hinen chlibet niemant'
'und weren üwer tüsent,
5. 'Nu endrowet uns nicht zu sere' ,
'jd hat die juncfrowe Krimilt
ich ne'me ir hissen gerne,
so breng ich der Üben Uoten
6. 'Im sprehet nicht:' [sprach
Wolfart],
die dort der rösen huoten,
nemt ein aide risen
die dort der rösen huoten,
7. 'Nu dar, nü dar!' sprach
Heyme,
ob mirz min herre heizet,
ich sage üch vor die wdrheit:
ich gienc durch ire rösen
8. 'Nu wirret mir daz selber',
'rite ich dar durch ir rösen,
ich muoz im trotz ver-
suochen8,
lesent an, he're meisler:
9. 'Ich sage waz si üch unt-
pütet,
so9 ir die reise läzet,
swaz% mir dort geseicht,
des campes vorlobe ich nicht.
'ich volge den herren min,
mochtich hie heime sin.'
sprach der tobende Wolfart,
ir müstet alle an die vart.'
sprach meister Hildebrant,
her nach mir gesant.
sie ist ein* scöne magetin,
ein rösenkrencellin.'
'ob got wil(le), daz geschieht;
sie lazent uns vorgebens nicht,
mit üch umb ein houbetkrazb:
die haben ouch der seeidere6 bizen
gdz.'
'ich weiz wol, ich muoz dar;
wi buche ich denne var.
wen daz ich doch dar(e) muoz,
nimer einan fuoz.'
sprach vonBerne her Bietherich' ,
daz were unmogelich:
swie mirz darnach er gel
ist an deme brive icht me?
von Beme her Bietherich':
so tuot ir lästerlich
10. Hie steit me an dem brive:
durch aller vrowen ere, —
daz irchumet zu irrehöchzit:
Idzet ir die reise,
11. 'En numer dummen amen!'
'wes zigen mich die vrowen ?
daz nü keine vrowe
noch nicht bi(e) im sldphen,
12. Gibt im got gelucke,
und her an scönen bette
und ich den sig vorlise
si lezet üch de[s] biteni0
der lop hat ir denne irstriten —
si wil iren man nemen.
ir mugetlles üch immer Schemen.'
sprach vonBerne her Bietherich"',
ist daz [njicht wonderlich,
wil nemen iren man
ichn muoze mich mit ime sldn?
daz her mir angesiget,
an [ir arme] liget,
und werde von im gewunt,
d war
8 verfugen
ein 5 ?vn ein lioubet maz 6 i
9 swie 10 bitten " mugest
Diec/f
HOLZ ZUM ROSENGARTEN
39
so scrige [ich denne] icä[fen « 2,
13. 'Ich wetz wol', sprach [der
getrüwe] ,
swie sere ich bekümmeret
wüst ich, weme ich die Uze,
'die Idz hie vrowen Uoteti,
14. Du sprach Voknant der
milde :
'ich wil mit tir riten',
dö sprach der von Berne,
ichn habe keinen dienst
so er] si chusset [an] iren mimt.
Eckehart, 'ich muoz dahin,
von den Härtungen bin:
ich rümete gerne disse lant'.
sprach meister Hildebrant.
'ich muoz ouch an die vart.'
sprach sin bruoder Hdwart.1*
'so sit mir willekomen,
gerne an mich genomen'.
Es folgt nun die aufzähluüg der helden abweichend von den
übrigen fassungen: 1. Volcnant; 2. Häwart, dessen bruder;
3. Dietrich; 4. Witege; 5. Heime; 6. Hildebrant; 7. Eckehart;
8. Nüding, Rüdigers söhn; 9. einer von Hildebrands brüdern
Hache (hs. hagen) oder Herebrant von Biterne (hs. heckerant von
bucherne); 10. Yseher von Garten; 11. Diellieb der Steirer. nun
beginnt wider wörtliche Übereinstimmung:
19. 'wir haben eilf recken
war nemen wir den zwelften ? '
20. 'Der ist uns trüwen türe'
'idoch wil ich in suchen,
e ich in hie heime Uze,
herre, ob irz gebitet,
21. 'Enummer dummennämen ! '
(sprach der Berne're)
her ist in sime clöster-
sult ich in gote unt fremden,
ich hettes immer sunde,
22. 'Wizter, herre von Berne
Wenn mau dieses fragment mit den entsprechenden stellen
der anderen lassungen vergleicht, so bestätigt sich auch hier
wider, dass i und n von m benutzt worden sind, und zwar ii in
einer redactiou , die eine mittelstufe zwischen n' und na bildete,
sodass der Stammbaum von ii sich jetzt folgendermafsen gestaltet:
so rechte wunniclich,
sprach von Berne her Dietherich. '
sprach meister Hildebrant,
da ich in b(i)ewilen vant.
so muosteu der munich llsdn,
uz siner apsen1'0 gdn.'
'mach daz [werden] wdr?
gewelbe wol zwelf jdr[n;
dem her sich hat ergeben,
vorstörte ich ime sin leben.'
Dass in nicht auf *n oder n' zurückgeht, zeigt die ein-
führung der gestalt Eckharts, die diesen beiden fassungen, wie
H. (s. 48. 86. 144) richtig zeigt, fremd ist. dass es nicht auf
na beruht, erweisen die zahlreichen näheren Übereinstimmungen
12 Mourek liest nach wa noch ein undeutliches s
14 müzle i5 aspen ,0 gar
13 hauwart
40 HOLZ ZUM ROSENGARTEN
gegen na 237; 5,4 mit f 260 gegen na 240 ; 6,1 mit f 261
gegen na 241; 6,2 mit, f 262 gegen na 242. für na ergibt
sich durch die vergleichung bestätigung der la. von s 224
aus 1, 4 (in . . . ir), s 228 aus 3, 4 (verswer), s 231 aus 4, 2
(küssen), s 236 aus 4,4 (noch zu streichen), s 240 aus 5,4
(so), s 242 aus 6, 2 (die . . . uns), s 267 aus 10, 3 (komen ilen),
s 268 aus 10,4 (müget), s 271 aus 11, 3 (ir keine), s 272 aus
11, 4 (müez vor), der la. von h, soweit sie nicht schon in
vdHagens text steht, h 238 aus 5,2 (juncfrowe . . . her), be-
uutzung von i 251 ff zeigt str. 11; vgl. auch str. 12,4 mit i 256
gegen na 276. vielleicht nur zufällig ist die Übereinstimmung
von str. 1 mit i 839.
Mit diesem resultat haben wir einen terminus a quo für die
abfassungszeit von *i und *u: später als in den anfang des
14 jhs. kann sie nicht fallen.
i hat gewis den dem ursprünglichen am nächsten stehenden
text. der ausgangspunct der abweichungen von n ist die ein-
führung köuig Etzels in die sage, dadurch entsteht gleich am
anfang ein Widerspruch. Etzel bekommt eine ausforderung von
Gibich, darauf reitet er zu Dietrich, dieser geht in den sal zu
seinen recken — und lässt dort einen ganz anderen brief ver-
lesen, worin Kriemhilde ihn selbst herausfordert, dieser Wider-
spruch wird kaum geringer, wenn man mit H. annimmt, dass
Etzel die herausforderung nicht allein, sondern nur mit unter
den anderen königen seiner zeit erhalten habe, aufserdem be-
ruht seine auffassung nur auf der verderbten la. von s, der gegen-
über er nicht die schlimmbesserung vdHagens rieh st. lant hätte
annehmen sollen (s. 21), während doch die vergleichung mit h
deutlich ergibt, dass hinter jeder der beiden Zeilen je eine zeile
in s ausgefallen ist. die entsprechende zeile 13 in p wird kein
unbefangener anders als von einer besonderen ausforderung Etzels
verstehn.
Mit H. (s. 25) von dem 'sonst nicht weiter bekannten riesen
Ortwin' zu sprechen, ist nicht ganz genau, als riese ist er
freilich sonst nicht bekannt, wol aber als ritter; denn es ist
kein anderer als Ortwin von Metz, darüber, dass derselbe hehl
zugleich auf gegnerischer seite erscheint, vgl. Heinzel WSB
119, 94. — dass durch willen ua 276 jemals die von VVGrimm,
Roseug. lx, dem sich H. (s. 33) anschliefst, geforderte bedeutung
haben könne, scheint mir sehr zweifelhaft, es ist wol mit ge-
änderter interpunetion und einem auch sonst vorkommenden Über-
gang aus einer Strophe in die andere zu lesen : 'so bin ich ver-
houwen und ouch sere wunt durch willen scheener frouwen.' 'küsse
ich ein röten munt', dö sprach Sigstap der junge, 'ich wil gerne
an die fort.'
Im 3 cap. wird nb genau untersucht,
HOLZ ZUM ROSENGARTEN 41
von p und T festgestellt und die moglichkeit erwogen, dass C
von T abgeleitet sei. im einzelnen ist folgendes zu bemerken :
s. 44 die 'übertreibende bemerkung' ub 69 kann nicht als
zeichen jüngeren alters gelten; vgl. Heinzel WSB 119, 83 anm.
ub 81 — 84 scheint mir durchaus keine gut passende Strophe,
denn 12 ist doch keine so grofse zahl, dass man sagen konnte
vrou Herche bi dem Rin gewan ni so mangen (legen, dort wo
davon die rede ist, dass jeder der 12 recken auch 12 knappen
haben müsse wie in na, mag man sich das erstaunen allenfalls
gefallen lassen. — s. 48. den schluss der interpolation in na resp.
n' kann ich nicht so unsinnig finden, wenn man von dem Wider-
spruch mit dem bereits erzählten absieht, der interpolator kannte
eben die redaction i und wollte nun Eckehart, Amelolt und die
aufsuchung Dielleibs anbringen, dass die beiden Harlunge dem
schütze Dielhers anvertraut werden , hat wol seinen grund in
verwirrter erinuerung an die Rabenschlacht, wo die zwei söhne
der Helche mit dem etwas älteren Diether (298. 299) ausreiten.
war er nun einmal in die handlung eingeführt, so wurde ihm
auch au Sigestaps stelle die aufsuchung Dietleibs anvertraut,
denn niemand anders als dieser ist wol unter Gotelindes swester-
kint zu verstehn. im Biterolf 5577 ist er der söhn von Gote-
lindes cousiue. über kint als mascul. vgl. Gramm, nr 321, doch
ist dies hier nicht notwendig, da ir lieben swester genitiv sein
kann. — s. 58. wie sich H. das Verhältnis von nb 427 f zu f 1320 f
und na 1219 ff vorstellt, ist mir nicht klar geworden. na soll das
ursprüngliche in den reimen bekantiwigant, leben: geben erhalten
haben, in einer nb und f gemeinsamen Vorstufe sei dann daraus
durch ausfall zweier zeilen wigant : geben geworden, woraus einer-
seits in f (legen: geben, in nb durch vermitteluug eiuer Zwischen-
stufe sant:hant entstanden sei. aber eine nb und f gerneinsame
Vorstufe, die na ausschlösse, suche ich in seinem ganzen Stamm-
baum umsonst. warum nicht schon *n eine unvollständige
Strophe gehabt haben solle, ist nicht abzusehn. — s. 65 drückt
sich verf. über denselben punct vorsichtiger aus, er gibt die
moglichkeit principiell zu, meint aber, dass wir es nicht erkennen
könnten, weil zwischen *u und den uns unmittelbar zugäng-
lichen texten eine ganze reihe bewuster bearbeitungen lägen,
die einen in ihrer vorläge vorhandenen fehler der Strophen-
abteilung selbstverständlich beseitigen musteu. eine solche 'reihe
bewuster bearbeitungen' zwischen *n und ii' hat aber verf. nir-
gends nachgewiesen, handschriften werden wol dazwischen liegen,
aber zu unserem glücke gab es auch Schreiber, die nicht nach
dem rühme strebten 'bearbeiter' zu sein und tiberlieferte fehler
ruhig abschrieben, auffallen könnte es höchstens, dass u' den
fehler unbeanstandet liefs. doch ist das auch nicht unbegreiflich;
wenn die uns überlieferten 'bewusten bearbeitungen' neue fehler
gegen die Strophenabteilung hineinbrachten, so konnte eine von
42 HOLZ ZUM ROSENGARTEN
ihnen auch irgend einmal einen überkommenen übersehen. na, f
und nb nahen dann jedes selbständig geändert. — s. 70. unter
Wolfdietrichs sachs ist wol nicht der Eckesahs, vielmehr das
schwert Rose zu verstehen (HS3 275). der dichter wagt in
komischer gewissenhaftigkeit und gelehrsamkeit nicht zu ent-
scheiden , mit welchem seiner beiden Schwerter Dietrich den
streich geführt habe. — s. 71. es ist ja wahrscheinlich, dass
Siegfrid und Dietrich in einer ursprünglichen sagengestalt nur zu
fufs kämpften; in dem all unseren gedichten zu gründe liegenden
archetypus kämpften sie jedesfalls bereits zu pferde und dann
erst zu fufs , wie es bei den anderen Zweikämpfen der fall ist,
bei denen keine riesen beteiligt sind, dass dadurch schon der
archetypus unglücklich componiert erscheint, weil er den zug
vom aufstofsen der türe mit dem fufse nicht aufgeben wollte,
also Dietrich erst absteigen, dann auf ermahnung Wolfharts wider
aufsteigen, endlich zum fufskampf wider absteigen muss, ist
ja richtig; aber warum soll ein archetypus gegen schlechte
composition gefeit sein? speciell der zug der Intervention Wolf-
harts beim aufsteigen in i und nb ist kaum durch zufälliges über-
eintreffen zu erklären. na hat selbständig geändert, aber auch
in na 1800 reitet Siegfrid in den garten. — s. 72. über die reime
t:z in nicht niederdeutschen denkmälern vgl. Vogt, Salomon
und Markolf i, cv. — s. 73 z. 6 f v. o. 1. 2286, 3—2287, 2. —
s. 74 in der rede Hildebrands nb 844 ff kann ich den 'witz'
nicht finden.
Im 4 cap. wird ebenso f abgehandelt, s. 94 drückt sich
der verf. in beziehung auf na 575 — 78 recht unklar aus: 'eine
neue beigesetzte Strophe' soll wol eine an den rand geschriebene
bedeuten. — s. 98. ich halte die fassung von f 809 ff für wenig-
stens teilweise ursprünglich, der sagenzug ist eben aus dem
Laurin entlehnt (vgl. BPhilipp, Zum Rosengarten, Halle 1879,
s. lxv) und, wie das bei entlehnungen geschieht, nicht ganz gut
angebracht, in der fassung na ist es nicht verständlich, woher
der ferge 737 ff weifs, wer die überfahrt heischenden sind. —
s. 101. der reim Rüedtger : mcer ist würklich anstöfsig, viel-
leicht ist f 921. 922. 925. 926 als eine Strophe zu lesen. —
s. 121. hier und s. 69 behauptet H. die Unvereinbarkeit von
f 1692 — 95 mit der folgenden Strophe, ich kann diese Unver-
einbarkeit nicht finden, ja ich finde die Strophen in f sogar
besser als die durch allzugrofse knappheit schwer verständlichen
in nb. — s. 124. ohne die Strophe na 1983 — 86 verteidigen zu
wollen , muss ich doch bemerken , dass der grund , den H. für
deren Verwerfung angibt, nicht stich hält; denn zugen (1987)
kann plusquamperfectum sein. — s. 125. ihre einführung in das
gedieht hat Brünhilt wol weniger der Verwechselung von Irland
und Island zu danken als ihrer traditionellen gegnerschaft gegen
Kriemhilt. — s. 126. na 2109 f ist vielleicht die lesart von na
HOLZ ZUM ROSEISGARTEN 43
mit dem einen reimwort von i einzusetzen, indem man warf:
scharf für schöz : gröz liest. — s. 128. dass die beiden Strophen
na 2199— 2202 und 2215—18 zusammengehören, hat H. richtig
gesehen, aber der sinn, den er ihnen unterlegt, ist nicht nur
schief, sondern lässt sich auch aus den überlieferten worten
nicht herauslesen, die Königin verspottet den alten, dass sein
schwert und schild schon krump seien; dieser antwortet, er
wüste wol eine bürg, die er ohne schwert und schild erobern
könnte und möchte, der ursprüngliche gegeuredner war wol
nicht Hildebrand, sondern Ilsan. die Strophen scheinen mir bruch-
stück eines gesprächs mit obscöner tendenz , das ein später be-
arbeiter eingefügt hat.
Im letzten capitel behandelt verf. die hss. der redaction na
und kommt zu folgendem Stammbaum:
K? |
b
S. 135. na 767 würde ich mit vdHagen maniges recken leben
lesen; leben = lip zur Umschreibung der person wie Barlaam
21, 2. na 769 f möchte ich den reim genttwent weniger gewaltsam
als H. in geben : sweben ändern; über sweben = schiffen vgl.
Lexer s. v. — s. 137. wenn man den sinn, den H. in der stelle
sucht, beibehalten will, so kann man dem texte näher bleiben,
indem man liest wie lützel frowe Gotelint mir der volge gan;
freilich ist einem der volge günnen nicht belegt, kann aber ohne
zu viel kühnheit für gleichbedeutend mit einem der volge geben =
'einem beistimmen' angesehen werden, aber es bleibt immerhin
ein schiefer sinn und müste wol auch günde heifsen. ich glaube,
dass der fehler auch in lützel steckt und schlage vor: wie liez ich
min fron Gotelint mit der wilen gdn? — s. 140. den text von na
1147 — 54, den H. in b besser findet, verstehe ich in dessen text-
herslellung nicht. — s. 149. auf eine so kleine Übereinstimmung,
wie wanne gegen war, möchte ich nichts geben : das kann nur
allzu leicht zufall sein.
Baden bei Wien 4. 8. 1S90. S. Singer.
Johann Reuchlins komödien. ein beitrat zur geschiente des lateinischen
schuldramas von Hugo Holstein. Halle a/S., Waisenhaus, 188S. vm
und 172 ss. 8°. — 4 m.
Durch das gefällig ausgestattete kleine bändelten werden die
komödien Reuchlins, die nur in gröfseren bibliotheken zu finden
waren, allgemein zugänglich gemacht, aufser dem gedruckten
44 HOLSTEIN REUCHLINS KOMÖDIEN
material konote der herausgeber auch zwei hss. aus Erfurt
und Upsala seinem texte zu gründe legen, der kritische apparat
wäre allerdings an den meisten stellen entbehrlich gewesen, er
ist nur ein koketter gelehrter aufputz. welchen gewinn wird
selbst der philologe daraus ziehen, wenn er lernt, dass zb. im
Henno v. 183 C tercius schreibt, oder dass v. 105 ein Schreibfehler
wie neglgienter stehn geblieben ist? nur an wenigen stellen waren
würkliche Varianten zu verzeichnen , auf diese hätte sich H. be-
schränken können, eine hs. der k. k. hofbibliothek (nr 10214n)
aus dem anfange des 16 jhs. enthält ein fragmeut des Henno
(v. 47 — 141) mit böhmischer Übersetzung, auch sonst macht H.s
ausgäbe oft den eindruck des künstlich inscenierten, manch
schwerer bailast lässt sich ohne jede gefahr über bord werfen,
besonders die nichtssagenden widmungsbriefe und gedichte. hat
H. in seiner Ackermann -ausgäbe das vorwort ungerechtfertigter
weise weggelassen (vgl. Spengler, Verl. söhn s. 51), so tut er
hier des guten wider zu viel, dafür aber geht die literarhisto-
rische Untersuchung, die sich naturgemäfs nur auf den Henno
beschränkte, nicht tief, sondern nimmt die gewöhnlichen ansichten
über abkunft aus dem Maitre Pathelin auf treu und glauben hin.
der herausgeber des Henno hätte nicbt unterlassen dürfen, dieser
schwierigen frage aufs neue nahe zu treten und den versuch einer
lösung zu wagen, nicht einmal Schaumburgs fingerzeige (Zeit-
schrift für neufranzösische spräche 9, 1 — 47) sind genügend be-
achtet, einen wichtigen beitrag, unabhängig von H., hat Banzer
in seinen Verbesserungen zu Schaumburgs artikel (ebenda 10, 93
— 112) geliefert, der auch H.s arbeit in vieler beziehuug ergänzt.
In einem buche über Reucblins dramatische wiirksamkeit
hätte ich zunächst einige beobachtungen über das humanisten-
drama der frühzeit erwartet, drei richtungen characterisieren
dasselbe: 1) strenge anlehnung an die antike komödie, wie bei
Hegeudorfinus, Zambertus ua. hierher gehört auch die bisher
wenig beachtete Cauteraria (Anzeiger für künde der deutschen
vorzeit 1878 sp. 161, 1879 sp. 15 1): eine buhlgeschichte, der
liebhaber Auelardus wird gebrandmarkt und rächt sich an der
geliebten, dürfen wir bei dem namen nicht an Abälard denken?
2) neigung, kleine schwanke dramatisch auszugestalten (s. Bolte
im Hermes 1886 s. 313 und Zs. für vergl. htteraturgeschichte
und renaissancelitteratur n. f. i 231, vgl. Anzeiger 13, 253).
3) tendenzdramen wie Codrus, Stylpho, die von Peiper zuerst
veröffentlichte komödie, welche H. s. 72 erwähnt, vgl. dazu
die ganz abweichende deutung Boltes (Zs. für vergl. htteratur-
geschichte und renaissancelitteratur n. f. i 17 und 231). Reucblins
Sergius gehört ganz in die dritte gruppe, während der Henno,
wie zahlreiche humanistendramen , eine Verbindung der ersten
und zweiten gruppe repräsentiert, form und aufbau ist antik;
der stoff ist ein volkstümlicher, die geschichte vom betrogenen
HOLSTEIN REUCHLINS KOMÖDIEN 45
advocaten wird in einer reihe von schwanken behandelt, be-
sonders Italien liefert mehrfache beitrage. Finnamore, Tradizioni
popolari Abruzzesi i 136 erzählt: ein bursche verkaufte sein
schwein an mehrere parteien, an jede für acht quatrini. später
wird ihm bange, er geht zu einem advocaten und bietet ihm
das halbe schwein, wenn er ihm beistehe wolle, dieser rät ihm,
sich verrückt zu stellen und allen leuten ins gesiebt zu schreien :
eiffe, caffe, gniffe, gnaffe. die list gelingt, aber auch der advocat
kann keine andere antwort erhalten, ähnliches erzählt Parobosco
in Gli diporti giorn. i nov. 8 (Venezia 1586). ein junger mann,
Tommaso, verkauft sein haus an mehrere leute, er wird ein-
gesperrt, ein ihm befreundeter advocat rät ihm, nachdem Tom-
maso ihm 25 ducaten versprochen, sich vor gericht verrückt zu
stellen, eine feige zu machen und zu pfeifen, das tut er vor
gericht, aber auch bei forderung der 25 ducaten, 'sodass der
betrüger der betrogene war. und das muste er in geduld auf
sich nehmen, wenn er nicht durch darlegung des wahren Ver-
halts sich selbst anklagen und sich selbst strafbarer hinstellen
wollte, als Tommaso selbst.' an unklaren, fast unmöglichen
Voraussetzungen leidet Lodovico Domenichis darstellung in Fa-
cettie, motu e burle (Firenze 1564 s. 198). da handelt es sich
um die zolldefraudation eines schäfers, der anwalt verlangt zwanzig
ducaten, rät ihm, sich verrückt zu stellen und zu pfeifen, auch
ihm wird pfeifen als bezahlung. der doctor konnte ihn nicht
zur Verantwortung ziehen 'seiner ehre wegen' und verwünschte
die bosheit des bauern. dramatisch behandelt in Italien den stoff
Grazzini (um 1570) in seinem L'arzigogolo (Commedie 1750, vgl.
Gaspary, Ital. litteraturgeschiebte 2,610). uns interessiert nur ein
teil der handlung. sir Alesso klagt über armut. sein diener Va-
lerio verspricht ihm grofsen gewinn: ein arbeiter der Iran Papera,
Arzigogolo, hat ein par ochsen verkauft und will das geld für
sich behalten, für zwei seudi rät ihm Alesso, sich blödsinnig zu
stellen und nur zu pfeifen, der richter weist die klage ab. im
fünften acte verlangt Alesso sein geld. es entspinnt sich ein
dialog, der in deutscher Übertragung ungefähr so lautet: 'AI.
siehst du, Arzigogolo, was dir mein rat geholfen bat, du wirst
deine ochsen behalten, wol bekomms. nun zeige, dass du ein
ehrlicher mann bist, und dass du dich an die zwei seudi erinnerst.
Arz. sff. AI. ah, ich muss noch jetzt lachen , wie (luden richter
angepfiffen hast, du hast dich sehr gut benommen, aber nun
ists nicht mehr zeit, den wachtein etwas vorzupfeifen, wann
wirst du mich zahlen? Arz. sff. AI. höre auf, jetzt ist der spafs
aus. wann wirst du mich zahlen? Arz. sff. AI. pfeif nur, du vidi!
ich sage, meine zwei seudi. Arz. sff. AI. du glaubst, du kannst
es mir wie dem richter machen; weifst du nicht, dass es meine
erfindung ist? Arz. sff. AI. zum teufet, ich werde dich pfeifen
lehren, Schwindler, warte nur. Arz. slT, sff, sff. AI. da ist er
46 HOLSTEIN REUCIILINS KOMÖDIEN
fort, o gott, wie alles auf das gleiche ausgeht, ich bin mit
meinem eigenen Schwindel gefangen worden, und von wem?
von einem groben bauern , und dazu muss ich noch aus schäm
schweigen.' bei Grazzini sind diese scenen nur als episode für
die komische figur des Arzigogolo eingescboben. aber deutlich
zeigt sich sowol die Übereinstimmung mit der dramatischen aus-
gestaltung von Pathelin und Henno, als auch mit der italieni-
schen volkslitteratur. besonders die moralische schlusswenduog
ist eine so auffallende, dass man an eine ursprünglich gemein-
same quelle denken muss. es liegt, wenn man die italienischen
maskeutypen ins äuge fasst, die in den hauptumrissen noch deut-
lich zu erkennen sind, nahe, sie in einer italienischen komödie
zu vermuten, die italienische form der erzählung ist auch weiter
gedrungen: RKühler teilt mir ein jütländisches märchen mit, wo
der bauer sein ferkel an mehrere personen verkauft und auf
rat des advocaten nur pyhy sagt, in der Bretonne (S6billot,
Litterature orale de la haute Bretagne i 139) hat einer sein kalb
an mehrere personen verkauft, ein geistlicher rät ihm: 'Quand
on vous interrogera, vous ne repondrez rien, mais vous sifflerez
au nez de celui qui vous questionera.' er wird auch würklich
für 'fou' gehalten, aber wie der geistliche kommt, Thomme
se mit ä siffler comme ä l'audience et c'est tout ce que le recteur
put obtenir.'
Die hypothese des italienischen lustspiels wird uns durch eine
deutsche nachahmung noch wahrscheinlicher. Goedeke und Keller
haben das Luzerner neujahrsspiel bis ins jähr 1560 hinausschieben
wollen, dagegen erklärt Bächtold (Geschichte der deutschen lit-
teratur in der Schweiz s. 210 f) mit voller bestimmtheit auf grund
der hs., dass das stück dem ende des 15 jhs. angehöre, auch
litterarisch scheint dieser frühe Ursprung viel wahrscheinlicher.
Mone hat es bereits (ii 375) wegen der zigeuner ins 15 jh. ge-
setzt und auch auf italienische anklänge in der spräche aufmerk-
sam gemacht. Parmentiers beobachtung, dass sich anklänge an
Gengenbach und Hans Sachs finden, konnte ich nicht nachprüfen,
da mir Parmentiers arbeit nicht zugänglich war; jedesfalls dürfte
aber auch ein umgekehrtes Verhältnis möglich sein, wie im
Henno handelt es sich um tuchkauf, wie in Finnamores märchen
bildet die summe von acht goldstücken den gegenständ der klage,
das eigentümlichste an dem stücke ist die zigeunerscene, die in
die handlung sehr wenig eingreift, dagegen fehlt der scene Gretas
mit der nachbarin der eigentliche abschluss, sodass man der Ver-
mutung Bauzers, hier sei eine zweite zigeunerscene, in der Greta
fragen kommt, ausgefallen, gerne zustimmen möchte, um so
mehr, als sich hier die acteinteilung in augenscheinlicher Ver-
wirrung befindet, die antwort des knechtes lautet hier 'weiw'.
die behauptung H.s s. 90, aus diabetischen gründen sei hier ble
zu weiw geworden, ist ganz unhaltbar, wir haben einfach den
HOLSTEIN REUCHL1NS KOMÖDIEN 47
pfiff der italienischen tradition. aus dieser heraus klingt auch die
moral (Keller, Fastuachtspiele 849, 14): 'das ist bös, du muost im
vertragen und darfst kein menschen darzuo segen.' weist das
schon auf italienischen Ursprung hin, so führt die zigeunerscene
direct zur italienischen komödie. Klein (Geschichte des dramas
iv 238) spricht von der italienischen farsa, zu der auch zingaresche,
zigeunerdialoge, gehören, welche sich meist um wahrsagerei drehten,
nehmen wir Goldonis bericht über die typen der italienischen ko-
mödie dazu , so wird uns eine ursprünglich italienische farce
als ausgangspunct des Luzerner spieles im höchsten grade wahr-
scheinlich, wie Herman Grimm bereits in seinen Essays 1859
vermutet hatte.
Viel complicierter als diese italienisch -deutsche gruppe ist
der französische Maitre Pathelin, dessen ausgaben Petit de Julle-
ville, Repertoire du theätre comique au moyen-äge s. 191 f,
verzeichnet. Lucien Schöne hat in seiner neuen schritt: Le
Jargon et Jobelin de Villon s. 47 wider einmal Villou als autor
zu nennen versucht, zunächst wird sofort klar, dass zu der
ursprünglichen handlung eine zweite hinzugetreten ist: wie allen
populären tiguren hat man dem Pathelin eben verschiedene
schwanke zugeschrieben, und zwei derselben sind in einer gewis
geschickten Verknüpfung zu dem possenspiele geworden, dass
die' prellerei um das tuch durch totstellen eine ursprünglich
selbständige anecdote, möglicher weise sogar ein dramatischer
schwank war, macht das von Banzer mitgeteilte schäferspiel aus
den Coventry plays wahrscheinlich, da stiehlt Mak ein schaf,
seine trau stellt sich krank, er mahnt die suchenden gelahrten
zur ruhe, ganz wie im Pathelin Guillemette. sie wollen aber
dem schlummernden neugeborenen sprössling geschenke über-
reichen, dabei entdecken sie, dass in der wiege statt des kindes
das vermisste schaf liegt, im detail sind starke ähnlichkeiten mit
Pathelin vorhanden, die weitere entwickeluug zeigt aber das
Zwischenspiel als parodie der scene der heiligen drei könige. die-
selbe episode findet sich in denWildkirk plays (vgl. Collier, History
of the english dramatic poetry u 182 ff) und berührt sich mit
einem schwanke, der auch in den Hunderd merry tales erzählt
wird (Shakespeares jest books i 106). die elemente der italieni-
schen farce lassen sich aber, besonders in der streitscene zwi-
schen mann und frau, den klagen über die schlechten kleider usw.
nicht verkennen, nur bilden sie die einleitung zu dem ersten
schwanke, während im zweiten, der dem italienischen den um-
rissen nach vollkommen entspricht, für den pfiff der laut bee
eingetreten ist. vergegenwärtigt mau sich, dass es sich bin- um
einen schalhirten uud schatdiehstahl handelt, so kann man dieser
änderung eine entschiedene bedeutllDg nicht absprechen, es beiüsl
zb. auch ausdrücklich v. 313: II cuide parier ä ses betes. dies»-
fassung des schwankes mit dem bee-laut erscheint auch öfters in
48 HOLSTEIN REUCHLINS KOMÖDIEN
der populären liüeratur, so erzählen die Merry tales and quick
answers 'of hiin that payde bis debt vvith crying l)ea' (Shake-
speares jest books i nr 60, ähnlich auch die Pasquils jests ebenda
in 45). ein eigentümliches misversländnis bieten die Amusemens
francais ou contes ä rire (Venise 1752) 2, 56 ff. sie folgen der
italienischen tratlition, wenn sie den bauer ein schwein an ver-
schiedene personen verkaufen lassen, der anvvalt rät ihm aber,
'plai' zu sagen, 'c'est un mot de pays qui signifie que vous
plait-il.' dass die beiden schwanke vor ihrer Vereinigung zum
Maitre Pathelin ein selbständiges dramatisches leben geführt, wäre
nicht undenkbar: zwischen der ersten und zweiten abteilung liegt
ein deutlicher einschnitt, der drappier setzt vollständig neu ein
(s. Lacroixs ausgäbe s. 51). die Verknüpfung ist jedoch eine
vollkommen feste, der Maitre Pathelin, in der gestalt, wie er
auf uns gekommen, scheint dem brandenburgischen Volksmärchen
zu gründe zu liegen, das WSchwarz im Bär 2, 117 mitteilt, es
bietet eine wunderliche verquickung verschiedener motive. ein
bauer verkauft sein schwein an fünf schlächter. wie sie es ab-
holen wollen, legt er sich auf den rat seiner frau zu bette und
stellt sich tot. die schlächter zanken sich , begnügen sich aber
schliefslich mit einer teilung des Schweines, wie sie den bauer
aber gesund herumwandeln sehen, verklagen sie ihn beim richter.
der advocat, dem er 25 thaler (vgl. Paroboscos 25 ducaten) in
aussieht stellt, rät ihm, vor gericht nur immer 'abgepfiffen!' zu
erwidern, er wird als unzurechnungsfähig weggeschickt , auf
dem heimwege kommt er beim hause des advocaten vorbei, der
ihm vom fenster aus zuruft: nun, wie steht es mit meinen
25 thalern? der bauer blickt hinauf, erwidert: abgepfiffen! und
geht geraden wegs nach haus.
Reuchlins Henno steht vollständig auf dem boden der italieni-
schen tradition und weist mit seiner astrologenscene auf eine dem
Luzerner spiele ganz nahe stehende quelle hin. auch einzelbeiten,
wie die summe octo aurei, der stall als versteck, die Schilderung
der marktausrüstung, stimmen so auffällig überein, dass mau an
eine dem Luzerner spiel und Henno gemeinsame quelle denken
muss. directe anlehnung an das Luzerner spiel scheint dagegen
höchst unwahrscheinlich, der name Greta, den Bächtold für
diese annähme ins treffen führt, ist nicht beweiskräftig. Heuchlin
muss das stück vollständig durchcomponiert haben, ehe er das
französische drama kennen lernte. dass es ihm nicht fremd
geblieben , macht ein motiv vor allem sehr augenscheinlich, es
ist das bee, bei Reuchlin ble. ich habe früher betont, dass
dieser ausruf nur im munde des schäfers eine gewisse berech-
tigung hatte. Dromo ist aber bei Reuchlin ein knecht, und da-
durch verliert das ble seine eigentliche bedeutuug. das ble muss
Reuchlin sehr gefallen haben, da er es im Sergius ebenfalls an-
gebracht, solche interjectionslaute sind dem humanistendrama
HOLSTEIN REUCIILINS KOMÖDIEN 49
auch sonst nicht fremd, ich erinnere nur an das 'mock' Nao-
georgs. dass es sich schon im italienischen originale um einen
tuchhandel drehte, macht die ühereinstimmung des Henno und
des Luzerner Spieles fast sicher, auch einige, allerdings wenige,
«örtliche anklänge an den Pathelin finden sich. zb. Donc tu
auras ta cause bonne; Henno v. 313 Causam bonam foves. A
son conseil il faut tout dire; Henno v. 307 Nam oportet sci-
scitari singula. Je tiens que le juge est assis; v. 322 Judex
tribunal occupat. Je l'absoulz de votre demande ; v. 355 Et ego
Petruci absolvo sie clientulum. im ganzen hat aber eigentlich
Petit de Julleville aao. s. 196 nicht unrecht, wenn er sagt : 11 y
a fort peu de ressemblance entre les deux pieces. daher möge
man auch von allen zu weit gehenden vergleichungen absehen,
die nur den ungeheueren reichtum des französischen witzes immer
deutlicher machen werden, der neueste biograph des Hans Sachs,
Schweitzer (s. 304), behauptet dagegen wider, dass Reuchlin aus
dem Palhelin eine lateinische komödie gemacht habe, die namen
holt Reuchlin zum teil aus der antike, zum teil aus dem ge-
wöhnlichen leben. Petrucius klingt italienisch, ich weise aber
daraufhin, dass ein Petrucius schon in Wimphelings Stylpho er-
schienen war (s. Martin , Strafsburger Studien 3, 480). die antike
hat aber auch anderweitig Reuchlin beeiuflusst. zu den hübschen
nachweisen, die H. s. 140 über den Sprachschatz gegeben, hätte
er noch eiuige allgemeine bemerkungen hinzufügen können, so
schweben dem dichter im ersten teile sichtlich die eingaugsscenen
der Aulularia vor, in denen es sich auch um einen vergrabenen
schätz handelt, die Aulularia ist es ferner, die nach meiner an-
sieht die Reuchlin angehörige eiofflhrimg des liebespares Dromo-
Abra bedingt hat. er versucht, in echt humanistischer weise,
eine versittlichte ausgäbe des liebesverhältnisses zwischen Lyko-
nides und Phaedra, wie sie die christliche schule forderte, der
antike mag auch die Wandlung des Drappier- Duochman zum Da-
nisia zu danken sein; nach Reuchlins eigenem aussprudle (H.
s. 99) verwendet er diese bezeichnung als nomen proprium mer-
catoris. ich glaube nach all dem gesagten zu dem Schlüsse be-
rechtigt zu sein, dass es eine italienische komödie gab, aus der
Reuchlin, das Luzernerspiel und Pathelin unabhängig von einander
schöpften, der Henno verrät aber zugleich oberflächliche be-
kanntschaft mit dem Pathelin.
H. bespricht weiter die bekannten deutschen bearbeitungen.
bei Hans Sachs war auf die echt fastnachtspielmäfsige vergröberung
des liebes- und ehepares hinzuweisen (Kellers ausg. bd. 7 ; 133, 8 ff.
150, 31 ff), die Schlusswendung des Petrucius 1 4(5, 19 'Betreugt
mich gleich der baurenknecht Dunkt mich mir gscheh nit gar
unrecht' klingt an die inoral der italienischen tradition an. Betz
arbeitet nach Reuchlin, benutzt aber auch lhms Sachs. Gregor
Wagner kennt alle drei Vorgänger, der aneedote Wickrams lässl
A. F. D. A. XVII. 4
50 HOLSTEIN REUCHLINS KOMÖDIEN
sich die aller details entbehrende fassuug aus Büttners Claus
narren an die seite stellen (s. 1. 1752, teil 9 nr 58): 'ein vor-
sprach hatte einen dieb vnterrichtet, dass er vor dem gerichte
thete wie ein stumme und nirgend zu antwortet, allein sagte zu
allem das man fragen würde: pa pi pa pi pa. als wollte er jn
vom galgen lofs machen, vnd zehn gülden zu lohne haben, der
dieb thete also vor dem gerichte und ward ledig, der vorsprach
fordert zehen gülden, da bleib der dieb auff diesem weg, wie
jn der vorsprach geleret hatte, vnd sprach auch zv jhm: pa pi
pa pi pa, vnd machte sich vom vorsprachen auch ledig.' auf
spätere französische Umarbeitungen ist H. nicht weiter eingegangen,
über sie orientiert Petit de Julleville und Banzer aao. s. 103 f. die
neueste deutsche biihnenbearbeitung von Albrecht grafYVickeuburg
(1883, Neues Wieuer theater nrll6), der eine sehr kurze lebens-
zeit auf der Wieuer bübue beschieden war, hätte erwähnt werden
sollen. Ticknor (1,616 der deutschen ausgäbe) bringt ein Entremes
del Letrado des Lope de Vega mit dem Pathelin in Zusammenhang;
davon kann bei diesem, iu denObras sueltas 18,8 abgedruckten diebs-
schwanke keine rede sein, holländische bearbeitungen des Maitre
Pathelin existieren von Cammaert 1715, Esgers 1779 und Lamme
c. 1783 (s. Catalogus der bibliotheek van de maatschapij te Leiden
r 2, 72. 90. 131).
Von einzelheiteu habe ich nachzutragen : zur aufführung des
Henno vgl. Bäcbtold aao. s. 396 f. das 'revenons ä nos moutons'
H. s. 42 ist nach meiner ansieht in Deutschland erst sprich-
wörtlich geworden , nachdem es Kotzebue in den Deutschen
kieinstädtern verwertet hatte, von deutschen aufführungen des
Pathelin sprechen aufser Lessing Meyer und Herder, in Bremen
wurde das stück 1765 mit Schröder als Aguelet gegeben, 'den
Pathelin gab Ekhof mit allen zoten, die seine gebehrden ver-
stärkten' (Meyer, Schröder i 138). mitte mai 1765 sah Herder
Bhyusolt und Saphira und 'das noch schlechtere lustspiel Pathelin'
(Herders briefe an Hamann hg. von OHoffmann s. 25. Lebens-
bild i 2, 138). zu gründe lag die deutsche Übersetzung von JCS.
Danzig 1762 (Hoffmann aao. s.239). der französische Pathelin kam
auch auf die bühne der Jesuiten und erhielt sich bis in die mitte
unseres jhs. (s. Vautrey, Histoire du College de Porrentruy s. 306).
Daniel Megels compositionen der chöre in Henno nennt Ambros
(Musikgeschichte iv 215) wahre bänkelsängerstücklein. derselbe
erwähnt auch, dass 'Hans Holbeiu d. j. die verse mortalium ju-
eunditas' (v. 144 ff) seinem Triumph der armut als denkspruch bei-
gegeben, das stück Ayrers (s. 87) ist eine bearbeitung von
Machins drama Dumb knight, das öfter auf dem repertoire der
englischen banden erscheint (s. Creizenach, Deutsche natioual-
litteratur 29, xlviii). ich finde das heranziehen des Stückes der
sprichwörtlichen Wendung wegen sehr unnötig. Domenichi schliefst
mit einem Spruche: mali corvi, malum ovum, auf den Schaum-
HOLSTEIN REUCHLINS KOMÖDIEN 51
bürg aao. s. 3 viel zu sehr gewicht gelegt hat. Abraham a S. Clara
überschreibt den zweiten teil seines Centifolium stultorum: mala
gallina, malum ovum.
Über den Sergius lässt sich nichts sagen, ehe die tendenziöse
grundlage vollständig klar geworden, als drama hält er mit dem
Henno keinen vergleich aus. eine comedia del Sergio, Venecia
zwischen 1550 und 1562 erschienen, die Barrera im Catalogo
del teatro Espanol p. 582 aus dem index von 1707 anführt, hat
schwerlich etwas mit Reuchlin zu schaffen, die Sceuica progym-
nasmata standen ebenfalls auf dem index, und zwar auf dem
portugiesischen von 1581 und dem spanischen von 1585. ich
entnehme diese angaben der ausgäbe der lndices librorum prohi-
bitorum des I6jhs. von Reusch (s. 354 und 414), kann aber bei
dieser publication des Stuttgarter litterarischen Vereins die be-
merkung nicht unterdrücken, dass fast die einzige arbeit, die bei
einem derartigen abdrucke zu machen gewesen wäre, in der an-
fertigung eines guten registers bestanden hätte, dieses fehlt, und
somit ist die ganze ausgäbe eigentlich unbrauchbar.
Die bibliographie, sowie die nachweise der druckorte kann
ich, gestützt auf angaben drBoltes, der meine Untersuchung auch
anderweitig förderte, ergänzen, zu Connibertus s. 44 vgl. Jacob
[Lacroix] , Bihliotheque Soleinne nr 673 — 675. der druck von
1543 auch in Kopenhagen, Luzern [kantonsbibliothek] , Paris
[bibliolheque nationale]; ein anderer s. I. et a. im Haag. — Betz
(s. 77) auch in London.
Scenica progymnasmata (ich citiere nach den nummern bei
H. s. 155 ff. ein beigesetztes a oder b usw. bezeichnet einzu-
schiebende ausgaben): 1) in Darmstadt, Tübingen. 2) in Bam-
berg, Erlangen, Kopenhagen. 2a) Tubingae 1502 in Lübeck.
3) Budapest. 5) Stuttgart. 6a) Monasterii 1509, erwähnt in der
Bihliotheque Soleinne nr 279. PBahlmann teilt aus eiuem Münsterer
exemplar ein epigramm des Murmellius mit, das H. nicht kennt
(ein nachtrag zu Holsteins bibliographie der Beuchlinschen ko-
mödien im Correspondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift
1889 sp. 72 ff). 6b) s. 1. 1510 in Bamberg. 7) in Strafsburg.
7a) Phorce 1512 in Heidelberg. 8) in Strafsburg. 8a) Argeu-
torati 1513 in München. 9) in Kopenhagen. 9a) Coloniae 1515,
erwähnt von Bahlmann. 9b) Monasterii 1516, ebenda, in dieser
ausgäbe steht das oft gesuchte Laus sive encomium Reuchlini.
11) in üpsala. 12) vgl. Denis s.l 13. 13) in Strafsburg. 14a)Da-
vent. 1515 in Strafsburg. 14b) Davent. 1516 in Heidelberg. 15) io
Kopenhagen. 16) in Budapest. 17) im Haag. 19) in Kopenhagen,
Prag, Wernigerode. 20a) Lovanii 1534 (London). 2()h) Coloniae
1537 (?). 20c) Lips. 1538. 20d) Coloniae 1540 (?). 20e) Antver-
piae 1544. 20b e in der Bibliolheque Soleinne or 285. 24) in
Augsburg, Hamburg, Budapest, Frankfurt a/M., London, Strafsburg.
25) in Augsburg, Carlsruhe, Erfurt, Prag, Strafsburg, Upsala.
4*
52 HOLSTEIN REUCHLINS KOMÖDIEN
Sergius (s. 163). 4a) Tubingae 1516 in der Bibliotheque
Soleinne nachtr. nr 27. 6) in Augsburg, Kopenhagen. 6a) Lip-
siae 1521 in Augsburg, Kopenhagen , Lübeck, Zwickau. 7) in
Augsburg, Berlin, Darmstadt, Kopenhagen, London, München,
Bostock , Strafsburg, Tübingen, Wernigerode, Zwickau. 8) in
Erfurt, Erlangen, Fraukfurt a/M., Heidelberg, Köln, Kopenhagen,
London, Oxford. 10) in Augsburg, Erfurt, Frankfurt a/M., Kopen-
hagen, London, Paris, Upsala, Wernigerode.
Comoediae duae (s. 165). la) Coloniae 1528 im Haag. 2) in
Cassel, London. 3) in Giefsen, Jena, Stralsund, Weimar. 4) in
London, Paris.
Ein böser druckfehler ist im texte des Heuno stehn ge-
blieben, s. 28 v. 325 Dromo für Danista. s. 87 z. 4 muss es
heifseu: 17 Jahrhundert.
Hat H. auch, wie sich gezeigt haben dürfte, die Unter-
suchung nirgends wesentlich weiter geführt, so bleibt man ihm
doch für die ausgäbe selbst zu danke verpflichtet.
Wien im märz 1890. Alexander von Weilen.
Etüde sur Jean Fischart par P. Besson. Paris, Hachette 1889. — 364 ss.
8°. — 6 m.*
Dem eifer, mit welchem wir Deutschen im Elsafs die ge-
schichte des wider gewonnenen landes studieren, setzt sich auf
französischer seite, zumal bei den nach Frankreich übergesiedelten
Elsässern, ein gleiches bestreben entgegen, und soweit es würk-
lich wissenschaftliche forschung gilt, kann mau sich darüber nur
freuen, hr Besson hat seine beiden thesen (dissertationen) diesem
zweck gewidmet: zu der oben angeführten kommt die lateinische
De Sebastian} Braut sermone, Argentorati 1890. der grammatische
ertrag dieser letzteren wird dem Elsässischen Idiotikon zu gute
kommen, welches ref. mit HLienhart zusammen und mit Unter-
stützung der landesverwaltung vorbereitet.
Allgemeineres interesse wird die Fischartstudie erwecken
und durch die klare, muntere darstellung kommt sie diesem
interesse in der tat entgegen, auf französische leser berechnet
muss sie freilich manches vorbringen, was dem eigentlichen
Fischartforscher längst bekannt ist; aber wie viele dürfen sich so
nennen, selbst unter den deutschen germanisten? auch ihnen aber
wird namentlich die beständige berücksichtigung der französischen
litteratur und der französischen staatsverhältuisse in Fischarts zeit
erwünscht sein.
Selbstverständlich wird der deutsche Satiriker vor allem mit
Babelais verglichen, bei aller bevorzugung des letzteren in hin-
[* Litter. centralbl. 1890, nr 27. — Revue crit. 1890, nr31.]
BESSO>* ETÜDE SDR FISCBART 53
sieht auf schriftstellerische Verdienste ist B. doch gerecht genug,
sowol die überströmende fülle und die eigentümlich deutsche art
in der behandlung des entlehnten Stoffes vollauf anzuerkennen,
wie die strenge, insbesondere in den geschlechtlichen beziehungen
ernste Sittlichkeit des Deutschen zu loben, einzelne stilistische
eigenheiten Fischarts, zb. sein zusammenstellen von fremden und
deutschen ausdrücken für dieselbe sache: der tyrann oder hals-
herscher Dionysius uä., werden gut vorgeführt und glücklich bei
der kritik einiger zweifelhafter stücke verwendet.
Inwieweit die forschung über Fischart durch ßesson gefördert
worden ist, kann ref. jetzt nicht im einzelnen erörtern, dagegen
ist es ihm möglich zu dem biographischen eingangscapitel selbst
neues material beizubringen, wesentlich durch die gute des herrn
Adolph Seyboth, von welchem eben eine sorgfältige topographie
'Das alte Strafsburg vom 13 jh. bis zum jähre 1870" (Strafsburg,
Heitz und Mündel) veröffentlicht worden ist. hier wird in den
nachtragen s. 327 erwähnt, dass Fischart wahrscheinlich bis 1581
im hause nr 39 der Gewerbslauben wohnte, wo sein vater wurz-
krämer (spezereihändler) war. auf meine anfrage verwies hr Sey-
both zur begründung seiner angäbe auf zwei Urkunden.
In der ersten hat hr Seyboth mit vollem recht Fischarts
namen trotz der entstellung zu Vischer wider erkannt. 1) Ge-
mein Contractbuch de anno 1593 fol. 53b: Kauffbrief Albrecht
Ackermanns des Wurtzkremers, vber sein behausung am Prediger-
gässlein (am rande: Confirmiren Donnerstag den ersten Augusti 94)
. . . Erschienen Georg Kirchhoff'er der handelsmann, als Vogt Tobiae,
Susannen, Lucretiae, Davidts und Daniels, wie auch unsers Burgers
Bernhard Jobins mit Annen Vi seh er in auch sei. in seiner
ersten Ehe erzeugter Kinder, jetzgemelter Georg Kirchhoff'er als
Ehevogt Barbar ae Vi scher in und beneben ihme erstgedachte sein
eheliche Hausfrau, sodann auch als geschworener Vogt Hans Bern-
harden und Annen Elisabethen w. des hochgelehrten Johann
Vischer der Rechten Docloris selig nachgelassener Kinder, alle
als Erben weil. Johann V ischers des Wurzkraemers selig, und
freiwillig und öffentlich bekanndt und angezeigt haben wie dass
sie umb Weinacht des verschinenen wenigeren Zahl 89 Jahrs be-
neben obgedachtem DrJoh. Vischern, auch unser m Burger, der
damals noch in Leben geioesen, mit Albrecht Ackermann dem Wurz-
kraemer einen Kauff abgeredt, verglichen und beschlossen, der aber
noch nit ordentlicher Weis verschriben und darüber gepürender
Kauffbrief uffgericht worden. . . .
2) in das Gemein Contractbuch de anno 1599 fol. 2* ist
folgende abrechnung als doppelblatt eingeheftet: (v°.) Voigt wafs
Do et or Johan Fischart genant Mentzer seligen Kitider
noch zu gelten schuldig:
Item Erstlich fordert Niclaus Schmidt der Kinder Steyffgroflt-
vatter für Haupt gut vnd Zinss dut . . . 20 //. ,/y. CS.
54 BESSON ETÜDE SUR FISCHART
Item Hr L : Cristoff Butzmans Seligen
Erben Laut Zedul 21 //. ,/y. .^S.
Item Bernhart Garding gewesenen Rraun-
schweygers S. Erben Lant Zedul .... - 13 - 4 -
Item Sigmund Feyr abend von Frank-
furt Seligen Erben Laut Zedul .... 11-12- 8 -
Item einem Buchbinder von Hagnau
hatt sich nit vnderschriben - 19 - 8 -
Item Caspar Cherums Buchbinder von
Speyr Laut Zedul 1- 5- 4 -
Item Johan Külheuser Duchgewender
von Hagnau Laut Zedul 16 - 14 -
Item Georg Kirchouer für dar gelihen
gelt in a" 90 beschehen Laut Handschrifft
in Hauptguet 100 -
Item pleibt man mir dem gewesenen
Vogt an meiner Letsten Rechnung vnd
anderen seithero ausgeben düt .... 3 - 10 -
Sa. Düt 175#. 15J^. ^§.
Also Rest vnd pleibt noch vbrig vorstandt Düt 33 - 6 - 3 -
(r°, gegenüber:) Voigt wafs Doctor Johan Fischart
Seligen Kinder noch Eigenthumblich in Hauptgnet vnd Zinss ver-
mögen :
A. Item an dem Heuslin in der grienen Bruoch alhie gelegen
an 25 &. -eS. der Dritte theil Dut . . 8 €t. 6 .fy . & «§,
H. Item so gebürth Inen an 300 R
Strasburger Wehrnng so M. Hanss Holm Der
Kanttengiefser noch aus der behausung zum
grienen bäum alhie gelegen am Haupt guet
soll der Dritte Deil Dut 52 - 10 -
Item für 1 verfallenen Zinss auf Wey-
nachten a" 98 an 15 R Str Wehrung der
Dritte Deil 2 - 12 - 6 -
C. Item auff Valtin Jäger Defs ge-
toesenen Metzgers S behausung am Staden
alhie gelegen an 160 R der dritte Deil Dut 28 -
Item an 1 verfallenen Zinss auf Vr-
bani a° 98 der Dritte Deil 1 - 8 -
D. Item so gebürth gedachten Kindern
mehr an 100 R Strasburger \V auff Lorentz
Engelhart dem Schuhmacher neben dem
Gerner fisch alhie der dritte Deil Dut . . 17 - 10 -
Item an 1 verfallenen Zinss auff nechst
künfftig Mathistag a" 99 an 5 R gedachter
Wohnung der dritte Deil Dut .... - 17 - 6 -
Item so gebürth Inen dann auch an
BESSOiN ETÜDE SUR FISCHART 55
500 R Strasburger Wehrung so Niclaus
Schmied von Frau Barbara Kyrmanin her
grofsmutter Selg. sein Lebtag zu ntessen der
Dritte Beil Dut 87 €f. 10 jf . og.
Item sollen die Bauweren von Friefnen
(? ist Friesenheim hei Benfeld gemeint?)
vermag einer abrechnung im Datum a" 98
mit In, beschehen 10-6- 7 -
Sa 209 €L l./9. 3^.
Aus diesen Urkunden geht zunächst hervor, dass Fischarts
vater recht vermöglich war, da er wenigstens vier häuser in Strafs-
burg besafs: das an den Gewerbslauben, das im grünen Bruch, das
zum grünen Baum und das am Staden gelegene; von ihm rührt,
nach den angeführten miterben zu schliefsen, der anteil der kinder
Fischarts an allen diesen häusern her. sodann bezeugt die erste
Urkunde, dass Fischart zu Weihnachten 1589 noch lebte, 1593 aber
verstorben war. dass er 1590 starb, darf wol daraus geschlossen
werden, dass, der zweiten Urkunde zufolge, der vormund seiner
kinder in diesem jähre der familie die bedeutende summe von
100 pfund vorzuschiefsen veranlasst war.
Der grofse besitz an liegenschaften in Strafsburg, welcher
Fischarts vater gehörte, wird wol erst nach längerem verweilen
in dieser Stadt zusammen gekommen sein, und so wird es auch
von dieser seite her wahrscheinlich, dass Fischart würklich in
Strafsburg geboren war. hr Seyboth versichert mich, dass er
Mentzer auch schon als beinamen des vaters in den Urkunden
gelesen habe, hoffentlich gelingt es seinen weiteren nach-
forschungen , auch in diesem puncte sicheres zu ermitteln.
Strafsburg, 4 juli 1890. Er>st Martin.
Geschichte der poetischen theorie und kritik von den discursen der maier
bis auf Lessing, von Friedrich Braitmaier. Frauenfeld, JHuber.
1 teil. 1888. x und 313 ss. 2 teil. 1889. [vm] und 288 ss.
gr. 8°. — 10 m.*
Vor kurzem noch befand sich die litteraturgeschichte in der
unangenehmen läge, in allen fragen aus der geschichte der
ästhetik auf darstellungen angewiesen zu sein, deren entstehung
und bestimmung sie für literarhistorische zwecke wenig brauchbar
erscheinen liefs. hat doch der philosoph — und nur dieser
hatte bisher auf jenem gebiete gearbeitet — , wenn er seine
[* GGA 1890 nr 1 (BScufTcrt). — Litter. centr. 1888 nr 50. 1889
nr 40.]
56 BRAITMAIER GESCHICHTE DER FOET. THEORIE UND KRITIK
Wissenschaft historisch betrachtet, lediglich die absieht, seine
eigene theorie an den aufstelluugen der Vorgänger zu prüfen,
kein wunder, dass von diesem gesichtspunet aus das moment
der entwickelungsgeschichte zurücktritt, dass der einzelne äslhe-
tiker nur so weit herangezogen wird, als er sich mit fragen be-
schäftigt, welche das System seines kritikers aufwirft, für die
litteraturgeschichte dagegen liegt der mafsstab ihrer kritik aus-
schliefslich in der würkung der theorie, in den consequenzen
für die schaffende dichtu ng. jedes System wird sich ihr als ver-
werflich erweisen, dessen befolgung durch den dichter traurige
fruchte gezeitigt hat. nicht weil Gottscheds Kritische dichtkunst
zu Robert Zimmermanns ästhetik in Widerspruch steht, ist sie
zu verurteilen, sondern weil der sterbende Cato in ihr seine
existenzberechtiguug sucht, und Lessings neuaufstellungen werden
da die gränzen ihrer richtigkeit Qnden lassen, wo lffland und
Kotzebue die theoretische grundlage ihrer thränenseligen rühr-
dramen anzutreffen sich berechtigt glauben. ebenso werden
manche Herderschen apereüs nach den ausschreitungen des sturm-
und drangdramas zu richten sein usw.
Dennoch möge man sich hüten, die historisch-philologische
methode der modernen litteraturgeschichte ohne weiteres auf die
geschichte der ästhetik anzuwenden, wer lediglich die Schöpfungen
der phantasie des dichtenden künstlers zu betrachten sich an-
schickt, wird einer genauen kenntnis der philosophie der zeit
entbehren dürfen, anders der geschichtsschreiber der ästhetik:
er muss Leibniz und Wolff kennen, wenn er über Gottsched
und Lessing, er muss Kant und Fichte beherschen, wenn er
über Schiller und die Romantiker arbeiten will; ja, er wird auch
jener fähigkeit der ideenentwickeluug teilhaft sein müssen, die
nur dem philosophisch geschulten köpfe eigen ist. reiche fruchte
lassen sich für die litteraturgeschichte von den einschlägigen
bemühungen erwarten, wenn einmal die geschichte der theorie
gründlich durchforscht ist, so werden die würkungen der ästhe-
tischen lehrmeinungen auf die poesie leicht zu verfolgen sein,
schon heute wissen wir, auf welchem wege Lessings dramen der
theorie entkeimt sind; dann wird das gleiche für alle übrige
dichtung bekannt werden, die ihre quelle in der abstraction hat.
Nachdem man längere zeit sich in arbeiten, die sich mit
der genesis der deutschen poetik, mit Martin Opitz, beschäftigten,
nicht hatte genug tun können, ist in den letzten jähren eine
reihe von monographien hervorgetreten, die in erfolgreicher weise
die geschichte der ästhetik des 17 und 18 jhs. bearbeitet haben.
Rorinski vor allem hat in einem ebenso gründlichen und ge-
lehrten, als schwerlesbareu buche die deutsche poetik von Opitz
bis Gottsched verfolgt, dann hat der frühverstorbene vStein mit
richtigem blicke die ersten keime dessen, was man heute ge-
meiniglich ästhetik nennt, erkannt und, während Rorinski die
BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE UND KRITIK 57
aller philosophischen Systematik entbehrenden poetischen recept-
sammlungen des 17jhs. mühsam durchackert hatte, seinerseits
die ersten versuche einer im grofsen Stile arbeitenden theorie,
wie sie in Frankreich, England und Deutschland in derzeit von
Boileau bis Winckelmann sich abspielten, in grofsen und klaren
zügen dargestellt, das wesentliche glücklich heraushebend hat
Servaes die poetik Gottscheds und der Schweizer analysiert, end-
lich hat Joh. vAntoniewicz den versuch gemacht, die sämmt-
lichen von einem ä'sthetiker des 18 jhs. berührten probleme
historisch zu begründen; er hat die quellen der erörterungen
JESchlegels mit ebenso viel kenntnis als geschick in französi-
schen theorien nachgewiesen.
Diese schritten waren eben erst erschienen, als Friedrich
ßraitmaier mit einem umfangreichen werke hervortrat, das — eine
Fortsetzung zu Borinskis buche — die geschichte der poetischen
theorie und kritik von den discursen der maier bis auf Lessing
zu liefern beabsichtigt. B. hatte schon in dem Correspondenz-
blatte für die gelehrten und realschulen Württembergs (1885,
9 und 10; 1886, 1 — 4) eine einschlägige Studie geboten: 'Über
die Schätzung Homers und Virgils von CScaliger bis Herder'
(sep.-abdr. Tübingen, FrFues 1886). ein parergon der grösseren
arbeit, das bei seiner grofsen unvollständigkeit keine besonderen
erwartungen wecken mochte.
Anders steht es mit dem neueren werke; dieses baut B. auf
breitester basis auf. freilich war ihm auch jetzt nicht vergönnt,
die quellen, deren eine geschichte der ästhetik des 18 jhs. bedarf,
erschöpfend zu verwerten: wer aber jemals gezwungen war, fern
von gröfseren bibliotheken zu arbeiten, wird mit dem verf. nicht
rechten, dass er sein buch 'Geschichte' und nicht 'Beiträge zur
geschichte' usw. genannt hat. tatsächlich zerfällt es in vier lose
verknüpfte monographien: Gottsched und die Schweizer, AGBaum-
garten, JGSulzer, Moses Mendelssohn.
Die solide basis erhellt aus der mitteilung des verf.s (1, vin),
er habe auch eine darstellung der aufserdeutschen ästhetik von
Vida bis Du Bos einerseits, Shaftesbury andrerseits zum drucke
fertig gestellt. B. geht von dem unbestreitbaren grundsatze aus,
dass die deutsche ästhetik eine frucht der englischen und französi-
schen sei, also nur von ihnen aus richtig begriffen werden
könne, logische folge wäre allerdings gewesen, die geschichte
der nicht- deutschen ästhetik dem vorliegenden buche voraul'zu-
senden. nicht nur für die darstellung hätte das wesentliche
vorteile ergeben, ich nenne nur einen fall, im jähre 1660 fasste
der greise Corneille die erfahrungen einer langjährigen tätig-
keit für die französische bühne in seine drei 'Discours sur
le poeme dramalique' zusammen, auf eine lange reihe von
triumphen zurückblickend, will er seine abweichungen von der
antiken theorie rechtfertigen, kein besserer weg in Corneilles
58 BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE UND KRITIK
absiebten einzudringen, als das Studium dieser discours. allein
das doctrinäre 17 und 18 jh. fasste die selbstbewuste äufserung
eines starken dichtergeistes, der die practischen erfolge seines
lebeus gegen halbverstandene gesetze ins feld führte, als einen
neuen kanon , um ihn entweder urteilslos naebzubeten oder seiue
absiebt verkennend zu verdammen, in Deutschland zieht sich
dann die reihe der an Corneilles discours anknüpfenden Schriften
bis zu Lessings Hamburgischer dramaturgie, die mit dem streite
wie mit seinem Urheber gründlich aufräumte, wie sehr eine ge-
schichte der deutschen ästhetik an Übersichtlichkeit und durch-
sichtigkeit gewänne, wenn sie an die äufserungen Corneilles als
an etwas bekanntes sich anlehnen dürfte, liegt auf der hand.
und vStein hat sicherlich den besseren weg gewählt, wenn er mit
Boileau anfangend erst zum Schlüsse nach Deutschland sich ge-
wendet hat. dass sich aus mangelhafter durchforschung der
nichtdeutschen ästhetik aber sogar eine erhebliche Verzeichnung
des bildes der entwickelung ergeben kann, möchte ich an einem
weiteren beispiele zu erweisen suchen.
B. zieht 1, 190 ff anlässlich des briefwechsels zwischen Bod-
mer und dem italienischen grafen Pietro de' Conti di Ca-
lepio aus Bergamo des letzteren 'Paragone della poesia tragica
d'Italia con quella di Francia' heran, ganz richtig findet er
eine merkwürdige ähnlichkeit zwischen den aufstellungen Bod-
mers und den äufserungen Lessings gegen Mendelssohn im brief-
wechsel über die tragodie von den jähren 1756 und 1757. leider
scheint B. seine beobachtung bei der erörterung dieses brief-
wechsels (2, 247 ff) ganz aus den äugen verloren zu haben, wenn
man von einer gelegentlichen anspielung (s. 272) absieht. B.s
referat über Contis arbeit ist kurz und nicht frei von versehen;
es sei deshalb gestattet zunächst eine analyse zu geben; ich be-
nutze dabei die ausgahe Venedig 1770, welche aufser dem texte
der 1 ausg. (Zürich 1732) noch die in der 2 ausg. (Padua 1738)
hinzugekommene Verteidigung C.s gegen ein Esame critico des
Salio und eine reihe posthumer notizen bietet.
Contis schrift characterisiert sich schon in der einleitung
durch einen energischen angriff auf Corneille als gegenschrift
der Discours. ihm steht eine deduetive, auf Aristoteles sich
stützende methode höher, als Corneilles auf eigenen leistungen
ruhendes willkürliches schalten mit der antiken poetik. an aristo-
telische gesichtspunete schliefst sich C. auch an, wenn er seinen
stoff in 7 capp. abbandelt, das 1 ist der definition der tragodie
gewidmet, das 2 der peripetie, das 3 den episoden; im 4 wird
die öconomie des dramas erörtert; das 5 behandelt die charactere,
das 6 den stil , das 7 die metra. im wesentlichen nimmt C. den
gang der aristotelischen poetik au.
Er geht also von der aristotelischen definition der tragodie
aus : sie sei il pur gar con piacevolezza lo fregolamento delle pas-
BRAITMAIEK GESCHICHTE DER POET. THEORIE DND KRITIK 59
sioni per mezzo della compassione e del terrore. auch er bedient
sich mithin der ungenauen, die Schwierigkeiten escamotierenden
fassung Corneilles; dennoch betont er sofort im gegensatz zu
diesem die notwendigkeit der erregung beider leidenschaften.
gegen Aristoteles freilich setzt er fest, auch der mann von gröster
moralischer Vollkommenheit könne gegenständ der tragödie sein,
da auch er nach christlicher lehre fehlen könne, wenn Corneille
die aristotelische definition für unnötig erklärt, weil etwa sein
Cid der reinigung der leidenschaften entbehre, ohne auf drama-
tische würkung verzieht zu leisten, so weist ihm Conti nach,
dass auch Cid ein vergehen begangen, also eine reinigung vor-
liege, auch Oedipus, auf den Corneille sich berufen, ist
nicht schuldlos; C. betont den unterschied der dauernden ixo%-
■d-rjQia und des einzelnen a/iictQTrltua: Dacier irre, wenn er dem
Oedipus eine (j.o%&r}Qta zuschreibe, Terrasson, wenn er glaube,
lediglich die unentrinnbarkeit des fatums habe dargestellt werden
sollen, in dieser beziehung seien die italienischen dramatiker
von Trissinos Sofonisba bis zur Merope des Maffei den Franzosen
überlegen: Corneilles helden erweckten entweder nur mitleid oder
nur schrecken, oder es sei gar heroismus und liebe an die
stelle der dramatischen ziele getreten. Racine habe überhaupt nur
zwei dramatische gestalten geschaffen: Phaedra und Britannicus;
im übrigen verfalle er in die fehler seines Vorgängers, beiden
gemeinschaftlich sei, die erregung der leidenschaften von dem
helden auf uebenpersonen überzuleiten, die guten Seiten der
Franzosen resümiert Conti unter vier gesichtspuncle: 1) sie
werden den geboten der delicatesse mehr gerecht als die Italiener,
schädigen freilich dadurch das mitleid und müssen von der ge-
schichte abweichen; 2) die affecte sind trefflich dargestellt; 3) sie
haben das heroische drama reformiert; 4) die Italiener bedieneu
sich weitaus mehr frei erfundener Stoffe; die Griechen haben
das vermieden, sieht man ab von der Blume des Agathon (vgl.
Aristoteles Poetik c. 9) und von dem Schlüsse der Euripideischen
Medea.
Im 2 capitel prüft C. die tragödieu beider länder nach den von
Aristoteles als für die tragödie notwendig bezeichneten drei gesichts-
puneten: neQntixua, avayvtüQiotg und rtäd-iq. C. setzt dafür
maraviglia, riconoscenza , passione. dass seine maraviglia nichts
anderes ist als die aristotelische 7t€Qi7ter€ia, ergibt sich aus der
definition: maraviglia ist ihm das eintreten fürchterlicher um-
stände bewürkt durch unerwartetes — mitbin der glückswechsel.
übereinstimmend mit Aristoteles Poetik c. 11 wird auf die Stei-
gerung hingewiesen, welche dann eintritt, wenn das Unheil ron
einer seite kommt, von der man es nicht erwartet hatte. Cor-
neille kennt nur heroische handlungen; er legt allen weit auf
die lediglich accessorische bewundern Dg dieser und lässt daneben
den glückswechsel nicht aufkommen, das war ein fehler: Cor-
60 BRAITMAIEK GESCHTCUTE DER POET. THEORIE U.ND KRITIK
neille und mit ihm andere Franzosen, wie Terrasson, verwechseln
epos und tragödie. die tragödie verlangt nicht so grofse heldeu,
wie das epos, das als allgemeine darstelluug des menschlichen
lebeus einen weit gröfseren umfang hat als die tragödie, welche
sich auf die darstellung zweier leidenschaften einschränken muss.
vermöge dieses enghegränzten gebietes der tragödie wäre es falsch,
in den tragedie doppie (den aristotelischen (.ivd-ot nerckey^evoi),
in denen die schlechten untergehn, die guten sich den gefahren
entziehen, moralische helehrung als zweck anzunehmen, das
widerspräche den absichten der tragödie. auch jene haben viel-
mehr un giovamento suo proprio, ein ihnen eigentümliches er-
götzen, durch welches sie winken, wie Aristoteles c. 14 ver-
langt: ov yaQ Tiäoav öel Crjreiv fjdovrjv ano Toccycodiag, alka
zrjv oi/.eiav.
Die avayvcoQioig hat Corneille den Italienern zum vorwürfe
gemacht: sie entzögen sich durch sie die gelegenheit zur äufserung
pathetischer gefühle. C. findet im gegenteil, gerade weil die
widererkennung die erweckung des mitleids bis zum Schlüsse
hinausschiebe (pietä finale), mache sie die katastrophe um so
würksamer. gleichwol möchte er die avayvtoQioig uicht für un-
bedingt notwendig erklären; vielmehr gesteht er ein, dass durch
ihre allzuhäufige anwendung die italienischen tragödien an einer
laugweiligen einförmigkeit leiden, der vorteil der widererkennung
liege in drei umständen: sie steigert die Spannung; die schreck-
lichsten dinge können vorfallen, ohne die charactere in allzu-
grofse schuld zu verstricken ; die maravtglia wird durch sie erhöht.
Die näSr^ das leiden (nach Ueberwegs Übersetzung), betrachtet
C. von drei gesichtspuncten aus: 1) die qualitä des leidens; 2) die
vorbereitenden und 3) die begleitenden umstände, in erster hin-
sieht weichen die Franzosen von den Italienern ab; nicht grofse
Unglücksfälle nehmen sie zum gegenstände, sondern intimere Vor-
gänge, und sie entgehn dadurch dem fehler, charactere zu
schildern, die der grofse des Vorgangs nicht genügen, die Vor-
bereitung ist die stärke der Franzosen, auf die begleitenden
umstände wenden die Italiener gröfsere Sorgfalt, sie suchen die
afflizioni finali dadurch rein zu erhalten, dass sie sie nicht durch
fremde, seeundäre schwächen, als beleg der gegenteiligen an-
sieht der Franzosen dient Corneilles Rodoguue. auch an Racines
Iphigenie weifs C. die Untergrabung des interesses an der heldin
durch die einführung einer rivalin darzulegen.
Das 3 capitel ist den episoden gewidmet. Aristoteles be-
hauptet, die Odyssee sei durch ihre episodeufülle über den um-
fang einer tragödie angewachsen, ganz richtig sucht C. die be-
gründung dieser behauptung nicht in der kurzen, der tragödie
zugewiesenen zeit; vielmehr in der aufgäbe der tragödie, uicht
durch anhäufung vieler Vorgänge zu unterhalten, sondern durch
die peripetie zu würken. die Italiener haben im wesentlichen
BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE U>'D KRITIK 61
schädliche, unnütze zusälze vermieden, auch hei den Franzosen
nahen einzelne dramen durch die episodeu gewonnen; allein eine
ganze reihe von fehlschritten lässt sich anführen: müfsige per-
sonen, wie die Infantio im Cid und zahlreiche vertraute; schlecht
eingefügte episoden, welche die lösung erschweren ; episodeu, die
durch die kürze der zeit, zu der sie gezwungen sind, unwahr-
scheinlich werden. Corneille nämlich interpretiere das aristote-
lische avay/.alov als le besoin du poete pour arriver d son but;
also als utile, verstöfsen gegen die Wahrscheinlichkeit ist damit
tür und tor geöffnet, fehlerhaft des weiteren ist das vordringen
der episodeu in räumlicher heziehung, die einschränkung des
hauptinteresses durch sie, die Zerstörung der einheil, wie sie
hesonders durch iutriguen der episodenfiguren eintritt.
Zu den episoden ordnet C. die liehe. Saint Evremond be-
gründet ihre notwendigkeit durch die engere heziehung, die sie
zwischen Zuschauer und helden schafft, ohne den helden herab-
zusetzen; überdies sei eine tragödie ohne Iran undenkbar; und
diese spräche über nichts besser, als über liebe, dagegen C:
die liebe als bindemittel zwischen held und Zuschauer sei über-
flüssig; das weih sei auch ohne liebe durch seine schwäche der
würkung sicher, wenn es leidet; endlich werde — wenigstens
wie die Frauzosen die sache anfassen — der tragische ernst ge-
schmälert, ihnen ist die liebe nur episode; um so trauriger,
wenn die helden sich mehr um ihre liebesaffairen kümmern , als
um die ziele, die ihnen der stoff der tragödie vorschreibt, wenn
freilich die liebe zu einer tragischen höhe gehoben wird, kann
das resultat erfreulich sein, allein Hacines Athalie zeige, dass
auch ohne liebe ein französisches drama würken könne.
Das 4 capitel widmet C. den technischen vorteilen der französi-
schen tragödie; zunächst ihrer methode, den Zuschauer mit den
Voraussetzungen des Stoffes bekannt zu machen, der antike prolog
gilt ihm lediglich als zeichen einer unausgebildeten kunst. die
Italiener haben ihn ruhig adoptiert, höchstens götter oder in
nachahmung dv<, Sophokles sonstige characlere aufgenommen, nicht
um ihrer selbst willen, sondern nur, um die fabel verständlich
zu machen, letzterem begegnet man auch bei Corneille, dennoch
ist den Franzosen ein besonderes geschick gegeben, vorzubereiten,
ohne die belebrung fühlen zu lassen, die gränze der französischen
technik sieht C. in den contidents, die ebenso ein nolbehell sind,
wie die prophetischen träume und die orakel des italienischen
dramas. — auch in der schilrzung des knotens sind die Franzosen
ökonomischer. C. macht seinen laudsleuten die fülle der mono-
löge zum Vorwurf; besonders findet er, hier wie sonst ^unz ra-
tionalist, (\cu monolog verwerflich, wenn der chor dauernd auf
der bühne sich befindet. — die Vorbereitung der katastropbe sei
ebenfalls nicht die stärke der Italiener. oft nehmen sie den
zufall zu hülfe, während die Franzosen einen strengen causal-
62 BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE UND KRITIK
nexus festhalten, besonders trefflich zeige sich die technik der
Franzosen in der einführung der personen. jede ist uns sofort
nach ihrem auftreten bekannt; der held verweilt viel auf der
biihne; das auftreten der personen ist immer motiviert, lange,
interesselose erzählungen fehlen den Franzosen ; das nötige wird
im verlaufe des Stückes mitgeteilt, in den reden sündigen die
Italiener durch Weitschweifigkeit und übermafs des rhetorischen
dementes, auch den französischen monologen kann C. nur den
einen Vorwurf machen, dass die innere bewegtheit zuweilen
maugelt, die allein den monolog berechtigt erscheinen lässt. ra-
tionalistisch wird auch dem vermeiden des a parte das wort ge-
redet und den Franzosen deshalb lob gespendet, in dem rein
äufserlichen der architektonik des dramas gesteht C. gleichfalls
den Franzosen die palme zu. selbst den Griechen macht er zum
Vorwurf, dass sie einen act mit einer einzigen scene ausfüllen,
ganz beiläufig kommt er bei dieser gelegenheit auf die einheit
von zeit und ort zu reden, er findet in italienischen tragödien
starke verstöfse gegen die Wahrscheinlichkeit der zeit, während
Corneille höchstens in den letzten acten sich freiheiten erlaubt,
auch Corneilles Vorzüge in der beobachtung der bella legge der
einheit von ort und zeit bleiben unvergessen, und ausdrücklich
wird Racine zu ihm in gegensatz gebracht, im wesentlichen will
C. den scenenwechsel auf die zwischenacte beschränkt sehen.
Die technische Überlegenheit der Franzosen glaubt C. durch
die sclavische nachahmung der antiken tragödie seitens der Italiener
veranlasst, sicher sei eine bessere theorie der tragödie noch
nicht geschaffen als die der antike, allein die gröfsere freiheit
und Unabhängigkeit, welche die Franzosen sich in technischen
fragen gewahrt haben, gewährt ihnen die möglichkeit, den an-
sprüchen des modernen publicums gerechter zu werden.
Das 5 capitel beschäftigt sich mit dem gegenständ des 15 cap.
der aristotelischen Poetik: die regeln, welche sich auf die co-
stumi, die ij&i] , die charactere, beziehen, kommen zur er-
örterung. jede poesie müsse einen sittlichen zweck (indirizzo
morale) haben. Le Bossu irre, wenn er meint, es bedürfe nur
einer honte poetique, die ebenso wol im bösen wie im guten
bestehu kann, überhaupt hätten die Franzosen nie daran gedacht,
ihren beiden jenen grad von rechtschaffenheit zu leihen, der zur
erregung des mitleids notwendig ist. Corneille behauptet, es ge-
nüge ein charactere brillant et eleve d'nne habitude vertuense ou
criminelle sehn qu'elle est propre et convenable d la personne qu'on
introduit. Corneille stützt sich aui Horazens 'Sit Medea ferox invic-
taque, flebilis lo' usw. und auf die den realismus befürwortende
äufserung des Aristoteles über die maier: 'cc7todid6vTeg tiov
oi/.euov (.lOQcpwv 6/iioiovg TtoLovvreg -/.akXiovg ygacpovoi.' aber
Horaz spricht nur vom festhalten des gewählten characters, Aristo-
teles sucht vages idealisieren zu verhüten; keiner behauptet, ein
BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE USD KRITIK 63
geistiger vorzug könne einen verbrecherischen character drama-
tisch möglich machen.
Corneille begnügt sich indessen nicht, schlechte charactere
auf die bühne zu bringen; er macht sie beifallswürdig, wie
seinen Menteur, und glaubt geradezu einen vorzug der antike
gegenüber aus diesem vorgeben zu schöpfen, die bestrafung der
schlechten und die belobnung der guten habe moralisch günstige
folgen, wie wenn Euripides nicht auch einen Ixion in strafe
verfallen liefse, und wie wenn — bei aller höhe der modernen
moral — nicht in Oedipus und Antigone ideale sittlicher Voll-
endung vorlägen. C. glaubt, das epos sei eigentlich berufen,
durch sittliches beispiel zu wiirken und findet da denn freilich,
dass Vergil dieser aufgäbe besser nachgekommen ist, als Homer,
also auch hier haben die Franzosen der tragödie die ziele des
epos untergeschoben, wenn vollends La Bruyere behaupte, Ra-
cine bilde die menschen, wie sie sind, Corneille, wie sie sein
sollten , so sei dies lediglich eine schlechte anwendung des von
Sophokles auf sich und Euripides gemachten apercüs. Racine
macht die menschen, wie sie sein sollten, Corneille, wie sie
nicht sind, immerhin gesteht C. selbst der Rodogune des Cor-
neille zu, dass sie sich vor einem maximum von Schlechtigkeit
bewahre, und contrastiert sie ausdrücklich mit dem Caton von
Des Champs und der Polyxene von De la Fosse, die nur um des
contrastes halber Schlechtigkeit ohne allen inneren grund zur
schau bringen.
Neben der wähl der charactere zieht C. noch zwei ein-
schlägige gesichtspuncte an : il decoro und la somiglianza. jenes
ist ihm die Übereinstimmung der reden und haudlungen einer
person mit dem einmal gewählten character — also cousequente
characteristik, diese die historische treue.
Jenes haben für C. schon die Griechen zu wenig beachtet;
die Franzosen aber gar nicht, während sie doch ihre männlichen
gestalten gern überlebensgrofs machen, erniedrigen sie sie durch
die liebesverhältnisse, die ihnen angedichtet werden, als clas-
sisches beispiel erscheint Racines Alexandre, die frauencharactere
sind ihm zu männlich, von einer characterisierung der nationalen
unterschiede findet er keine spur: Racines Porus ist Franzose,
nicht Inder. am besten beachteten die Franzosen den rang,
weniger die pflichten der Jugend gegenüber dem alter, gerade
im gegenteil hätten die Italiener — wie auch schon die Griechen —
auf rang wenig acht, kein zweifei, dass die Italiener sich durch
die sclavische nachahmung der Griechen haben verleiten lassen,
Vorstellungen zu reeipieren, die dem modernen gefühle hete-
rogen sind.
Als auffallende beispiele unleidlicher abweiebungen von der
historischen treue nennt C. Voltaires Philoktet, Racines Bippolyte,
Crebillons Elektra. die Italiener haben sich um die hi:-torische
64 BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE UiND KRITIK
treue herumzudrücken gewust, indem sie freierfundene personell
einführten; sonst hätten sie sich zu ängstlich an die Überlieferung
gehalten, die Corneille oft mit feinem tacte gemildert hat.
Die charactere zur geltung zu bringen verstehn die Franzosen
fraglos besser als ihre Vorgänger. Griechen wie Italiener haben
jene Intensität der vvürkung, jene verlebendiguug der charactere
nicht erreicht, schou Aristoteles deutet auf eine schwäche der
characteristik , wenn er über einzelne griechische tragödien be-
merkt, sie seien aTqd-EiQ, sie entbehrten der charactere.
Von Contis erörterungen über stil und metrik sei hier nur
das wichtigste erwähnt.
Der stil der älteren italienischen tragödie wird einer scharfen
kritik unterzogen, ihr breites geschwätz, ihre häufung von me-
taphern, vergleichen, allegorien , ihre der lyrik entnommeneu
concetti an stellen hohen affects werden getadelt. ausdrück-
lich wendet sich C. gegen die behauptung, der stil müsse etwas
poetisches, übernatürliches haben ; das verstofse gegen die /.il/urjoig-
theorie. auch Corneille und die Franzosen finden keine gnade.
Corneilles Sentenzen sind bizarr, sein stil habe die gonfiezza des
epischen, ein übermafs an fragen würkt durch die allzuhäufige,
bis zur catachrese ausartende Verwendung ermüdend. kurz,
C. zweifelt nicht, der neueren italienischen tragödie der Maffei usw.
die palme zuzuerkennen. — in metrischen fragen ist C. gegner
einer aufnähme des Alexandriners in die italienische tragödie:
der elfsilbler, sei er rein, sei er gemischt mit dem achtsilbler,
habe den grofsen vorzog, die klapprigen reime und die diaerese
des Alexandriners zu entbehren.
Ich habe die inhaltsangabe der schrift C.s mit absieht aus-
führlich gehalten, um eines näheren erweises überhoben zu sein,
wenn ich in B.s darlegung folgendes als verfehlt bezeichne:
1) die antike griechische tragödie ist für C. nicht ausschliefs-
liches ideal , noch weniger die Senecas. er weifs den an-
forderungen des modernen gesebmacks concessionen zu machen.
2) ebenso wenig ist er blinder Verehrer des dramas seiner
landsleute. er sucht sichtlich den technischen Vorzügen der
französischen tragödie gerecht zu werden, wenigstens gegenüber
der älteren italienischen tragödie; die neuere, die ihm durch
Maffei vor anderen repräsentiert scheiut, hat nach seiner ansieht
die fortschriüe der französischen aufgenommen.
3) unberechtigter weise setzt B. für 'terrore' den von C.
selten gebrauchten ausdruck 'timore', der insbesondere in C.s
Übersetzung der aristotelischen definition nicht erscheint.
4) ausdrücklich erklärt, C. die moralische besserung nicht
für die hauptsache und setzt ihr das ergötzen vor. er denkt
ebenso wenig an eine absichtliche moralische vvürkung, wie Les-
sing in derHamb. dram. (vgl. ESchmidt, Lessing 2, 118 ff), woher
B. das gegenteil nimmt, ist mir unerfindlich.
BRAITM.UER GESCHICHTE DER POET. THEORIE Ui\D KRITIK 65
5) C.s polemik gegen Aristoteles reduciert sich auf ein mini-
mum. auch Lessing steht ganz auf dem standpuncte des Aristoteles,
wenn er sittliche höhe neben der einzelnen a/nagzia fordert.
6) warum B. 'die widererkennung, die forderung, dass sich
der conflict zwischen verwandten abspiele ua.' als 'ganz seltsame
dinge' bezeichnet, verstehe ich nicht, auch Lessing hat sich mit
diesen 'ganz seltsamen dingen' im 38 st. der Hamb. dram. be-
schäftigt; und dass C. sie nicht 'für einen notwendigen, wesent-
lichen bestandteil der tragödie' hält, dürfte aus dem obigen er-
kennbar sein.
Als Übereinstimmung des Lessing- Mendelsso hu-
schen briefwechsels mit der schrift C.s betrachtet B. in
erster linie die Stellung in der bewunderungsfrage. beiden ist
der bewunderte held gegenständ des epos, der bemitleidete gegen-
ständ der tragödie. beide begründen diese behauptung, indem
sie betonen, dass erhabene gesinnungen und bandlungen nur
einen kleinen ausgewählten teil zur bewunderung und nacheiferung
hinreifsen, während die tragödie auf die masse des Volkes würken
will, beide gestehn dennoch der bewunderung eine secuudare
stelle zu. endlich verlangen beide zum helden einen character
von hohen tilgenden , der nur gelegentlich einen fehltritt begeht.
Alle diese Übereinstimmungen sind unleugbar; allein eine
abbängigkeit Lessings von C.s Paragone ist damit noch lange
nicht erwiesen, in sämmtlichen puncten kann Lessing auf den
'Briefwechsel von der natur des poetischen ge-
sell mackes' von Bodmer und Conti (Zürich 1736) zu-
rückgehn. nicht dass B. sich dieser möglichkeit nicht bewust
war (1, 192 11); allein er konnte, da ihm doch das ganze material
vorgelegen hat, leicht über möglichkeiten zur gewisheit kommen.
Jedesfalls ist es methodisch nicht gerechtfertigt, auf die
ältere, italienische schrift zurückzugreifen, so lange der Lessing
viel leichter zugängliche briefwechsel ausreicht, einzelne züge,
wie die bemerkung, dass Cato kein tragischer held sei, kann
Lessing viel leichter der ausführlichen erörterung dieses büchleins
entnommen haben, als der gelegentlichen notiz im Paragone.
und die frappanteste, von B. aufgedeckte Übereinstimmung, das
von beiden zur erklärung der rührung gebrauchte bild von zwei
gleichgestimmten sailen , von denen die zweite mitschwingt, wenn
die erste berührt wird, beraubt B. selbst aller beweiskralt, indem
er es in Daciers Aristotelescommentar nachweist (vgl. 1, 189
und 192).
Mich wundert B.s annähme um so mehr, als er selbst in
der analyse des Lessing-Mendelssohnscben briefwechsels im 2 bände
ganz richtig und sehr scharfsinnig aufzeigt, wie Lessing sieb das
ganze spiel verdirbt, indem er dem tragischen mitleid ein«'
moralische würkung zuschreibt. C.s Paragone beseitigt die
tragische bewunderung gerade durch den hin weis, dass sie einen
A. F. D. A. XVII. 5
66 BRAITMAIEP. GESCHICHTE DER POET. THEORIE UND KHITIK
untragischen moralischen zweck der tragödie unterschiebe, ganz
anders die briete an Bodmer in der Übersetzung des adressaten.
sei es dass die Übertragung in die deutsche spräche ein fremdes
timbre hineinbringt, sei es dass C, durch Bodmers ausstellungen
bedrängt, sich auf einen ihm ursprünglich fremden standpunct
zurückzieht: er lehnt die bewunderung jetzt aus denselben gründen
ab, wie der offenbar durch seine ausführungen geleitete Lessing;
auch er findet die moralische würkuug des dramas durch die be-
wunderuug gefährdet.
Ja ein kleiner zug des ersten C.schen briefes scheint mir
geradezu von Lessing fruchtbar weiter entwickelt worden zu sein.
C. (s. 98 f) schreibt: 'Ich vergleiche die Würkung , so gewisse
grofse Charactere thun , mit dem Nutzen , so wir daraus ziehen,
wann wir Leute, so die Natur mit ungemeiner Stärke begäbet
hat, öffentliche Proben davon auf dem Marckt ablegen sehen. Ein
jeder läuft sie zu sehen, ein jeder bewundert sie mit Lust: Den-
noch müfste das ein seltzamer Kopf seyn, der sich in Sinn
kommen liefse, ihnen dergleichen nachzuthun , weil er eben so wohl
als sie von Fleisch und Bein gemacht sey. Derowegen halten die
Zuseher, als die sich ihrer eignen Schwäche wohl bewußt sind,
diese Leibes -Hebungen vor desto unnachahmbarer , als sie ver-
wunderungswürdiger sind.' also je gröfser die bewunderung,
desto geringer die seelische würkung auf den nachahmungstrieb.
ganz im gleichen sinne schreibt Lessing an Mendelssohn am
18 decbr. 1756 (Hempel 20, 1,85 f): 'Gesetzt, ich sagte zu
Jemand: 'Heute ist der Tag, da Titus seinen alten Vater auf
einem Seile, welches von der höchsten Spitze des Thurms bis über
den Fluß ausgespannt ist, in einem Schubkarren von oben herab-
führen soll.' Wenn ich nun dieser gefährlichen Handlung wegen
Mitleiden für den Titus erwecken wollte, was muß ich thun? Ich
müßte die guten Eigenschaften des Titus und seines Vaters aus-
einandersetzen und sie Beide zu Personen machen, die es um so
viel weniger verdienen , dass sie sich einer solchen Gefahr unter-
ziehen müssen, je würdiger sie sind. Aber nicht wahr, dem Mit-
leiden ist der Weg zu dem Herzen meines Zuhörers auf einmal
abgeschnitten, sobald ich ihm sage, Titus ist ein Seiltänzer, der
diesen Versuch schon mehr als einmal gemacht hat. Und gleich-
wohl habe ich doch weiter nichts als eine Vollkommenheit des Titus
den Zuhörern bekannt gemacht. Ja, aber es war eine Vollkommen-
heit, welche die Gefahr unendlich verringerte und dem Mitleiden
also die Nahrung nahm. Der Seiltänzer wird nunmehr bewundert,
aber nicht bedauert.' Lessing wie C. suchen Leide das unfrucht-
bare, würkungslose der bewunderung aus dem beispiele des
athleten zu erweisen.
Aber wäre es nicht mehr als sonderbar, wenn der bücher-
kundige Lessing bei den für die Hamb. dram. bestimmten Studien
der dramatischen theorie ein buch aufser acht gelassen hätte,
BKAITMA1ER GESCHICHTE DER POET. THEORIE UND KRITIK 67
das allein in dem ganzen wüste der theoretischen Schriften des
18 jhs. vollkommen seinen principiellen standpuuct teilt? Hamb.
dram. und Paragoue spielen beide die Aristotelische poetik gegen
das französische drama aus, speciell gegen Corneille und seine
Discours. für Lessing wie für C. ist Aristoteles kanon. man
hat mit recht behauptet, Lessing habe in der poetik des Aristo-
teles erst die wesentlichen gesetze der dramaturgischen kunst
entdeckt, die man vor ihm in Deutschland nur entstellt und ent-
kräftet durch die willkürlichen erklärungen und einschräukungen
der Franzosen gekannt habe, wenn diese annähme richtig ist,
dann darf auch der mann nicht vergessen werden, der vor
Lessing auf eine richtige anwendung der Aristotelischen sätze ge-
drungen und mit einer der Lessingschen interpretation nahe-
stehenden auffassung die französischen Unterstellungen nachzu-
weisen versucht hat. nicht dass auch andere, wie Dacier oder
Du Bos, sich haben entgehn lassen, wie wenig Corneilles be-
hauptungen zu Aristoteles stimmen! allein keiner aufser C. hat mit
gleicher energie wie Lessing satz für satz die französische theorie
vermittelst der Aristotelischen poetik über den häufen geworfen.
Jeder kenner der Hamburgischen dramaturgie wird
in der obigen analyse der schritt C.s wie im ganzen tenor,
so im detail die fülle des übereinstimmenden gefühlt haben, ich
kann mir nicht versagen auf einzelnes noch besonders das augen-
merk zu lenken.
Selbstverständlich häufen sich die Übereinstimmungen Les-
sings und C.s in den stücken 75 — 83 der Hamb. dram., welche
die bekämpfung der Discours sich zum ziele setzen, punct für
punct arbeitet Lessing mit den bemäuglungeu C.s: falsch sei es,
wenn Corneille behaupte, die tragödie brauche nur mitleid oder
nur furcht zu erregen; beide fühlen durch, dass Corneille seinem
Rodrigue und seiner Cleopatra zu liebe Aristoteles willkürlich um-
deutet (st. 75. 76. 81). überhaupt verzichte er auf die reinigung;
er miskenne den ethischen zweck der tragödie, die reinigen,
nicht moralisch bessern will (st. 77). mit unrecht halte er für
unnötig, mitleid und furcht durch 6ine person , dh. durch den
hehlen, zu erregen und verteile diese affecte auf mehrere cha-
ractere (st. 81). ganz gegen Aristoteles lasse er den guten
unglücklich werden , führe anderseits lasterhalte charactere als
beiden ein (st. 82). endlich befinde er sich in würklicher Un-
kenntnis über die bedeutung der Aristotelischen forderung (c. 15):
die sitten sollen gut sein (st. 83). namentlich die ausführung
des letzten moments stimmt auffallend mit dem entsprechenden
capitel bei C. beide wenden sich gegen die interpretation Cor-
neilles, dem ein caractere brillant et eleve genüge. Lessings
gegengründe stammen, wie dir C.s, aus Aristoteles, beide brand-
marken die äufserung Corneilles über seineu Meuteur. wenn C.
meint, Corneille leiste sich schliefslich ein render piacevole lo
5*
68 BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE UND KRITIK
stesso vizio , so verurteilte Lessing den 'trügerischen glänz' des
lasters, die 'falsche folie', die demselben untergelegt werde, und
beide bekämpfen die Übersetzung Le Bossus, die der Corneille-
schen Interpretation zu hilfe kommen will: die sitten sollten
'bien marquees' sein.1
Eine reihe von Übereinstimmungen lässt sich noch anführen:
wenn nicht ebenso auffallende, doch den beweis stützende; etwa
bezüglich der charactere. die fülle von regeln, die die dram.
über dies thema gibt, findet zum nicht geringen teile ihre pen-
dants bei C. die belonung der consequenz und der inneren
Wahrheit kehrt wider, ebenso das gebot, die charactere historisch
treu zu halten. Corneilles Cleopatra in der Rodogune, die bei
C. mehrfach als beleg der irrwege des französischen tragödien-
dichters erscheint, hat bekanntlich Lessing zu ausführlichen er-
örterungen in sachen der characteristik gedient, auch wenn
Lessing an der Rodogune das verwirrende der episodenhäufung
tadelt, simplicität der handlung fordert, steht er auf einem und
demselben boden mit C.
Auffallender weise kehrt das thema des Lessing -Mendels-
sohnschen briefwechsels, die behauptung, der bewunderte held
sei gegenständ des epos und nicht der tragödie, in der Hamb.
dram. nicht wider, allerdings wurde schon oben bemerkt, dass
Lessing tugendideale aus der tragödie verbannt; und wie er in
dieser forderung mit C. übereinstimmt, so entsprechen auch die
äufserungen über Corneilles Polyeukt den ansichten des Italieners,
allein von allen erörterungen der fünfziger jähre ist nur das
verlangen nach mittelcharacteren geblieben. Lessing ist vom
Bodmer-Contischen briefwechsel zum Paragone zurückgegangen.
Eine auffallende Übereinstimmung mit C. in der Interpre-
tation Aristotelischer Vorschriften zeigt sich fast überall , wo
Lessing auf den höllenrichter zu sprechen kommt, selbst in
nebenfragen, wie anlässlich von 7tEQL7texeia, avayvwQioig und
Ttct-d-n] deckt sich der standpunct beider; auch Lessing legt das
hauptgewicht auf die 7td&r] , lässt wie C. die beiden anderen
1 wenn B. von C. behauptet, er entnehme seine warfen vielfach den
französischen gegnern Corneilles, Hedelin , Brumoy, Du Bos, ohne einen zu
nennen (1, 191), so bemerke ich ausdrücklich, dass Lessing Hedelins polemik
gegen Corneilles Discours auf eine höhe mit der Daciers stellt; sie seien
zwei pedanten, die oft selbst nicht wüsten, was sie wollten (st. 82). Du
Bos bietet in den einschlägigen stellen (bd. 1 sect. 14 'Des sujets propres ä
la Tragedie', sect. 15 'Des personnages de scelerats qu'on peut introduire
dans les Tragedies'J wol ähnliche gedanken, kommt aber auf Aristoteles
gar nicht zu reden. Brumoy nimmt die frage noch leichter; der § 16 seines
'Oiscours sur l'origine de la tragedie' begnügt sich mit der vagen bemerkung:
'// [Aristoteles] veul que les moeurs, sur toul du personnage sur qui tout
roule, soient bonnes, c'esl ä dire, qu'il ait cette probite commune qui le
fasse plaindre dans ses malheurs; ou bien, disent quelques uns (car le
passage est equivoque,) il demande en gener al que les moeurs soient
bien marquees'. ein unentschiedenes schwanken zwischen unvereinbaren
gegensätzen.
BRAITMAIER GESCHICBTE DER POET. THEORIE UND KRITIK 69
momente als weniger wesentlich , doch nicht als verwerflich er-
scheinen (st. 38). ' —
Wenn ref. also auch überzeugt ist, dass eine geschichte der
poetischen theorie in Deutschland formell und inhaltlich gewönne,
sobald man sie auf einer darstellung der frauzösischen und eng-
lischen ästhetik aufbaute, so wäre es doch ungerecht, sich in
der beurteilung von B.s buche ausschliefslich auf diesen stand-
punct zu stellen, um so mehr, als B. selbst offeubar mit be-
wustsein andere wege wandelt, er fasst nämlich unter dem
titel 'Die anfange der poetischen theorie und kritik im engsten
anschluss an Franzosen, Engländer und die Alten' seine be-
sprechung Gottscheds, der Schweizer und ihrer nebenmänner
zusammen, Baumgarten, Sulzer, Mendelssohn hingegen unter
dem gesichtspuncte 'Die versuche einer philosophischen ästhetik
und poetischen theorie auf grundlage der Leibniz -Wolffischen
Psychologie. — fortschritt der kritik im Berliner kreise.' aber
steht Gottsched, stehn die Schweizer der Leibniz -Wolffischen phi-
losophie gar so ferne? kann man Mendelssohn mit Nicolai, kann
man insbesondere Sulzer nicht als verarbeiter der französischen
und englischen ästhetik ausehn? mindestens leistet es misver-
ständnissen Vorschub, Sulzer und Mendelssohn einer kategorie
anzugliedern , die im besten falle für Baumgarten passt. ich
kann den versuch, durch jene bandtitel eine festere Zusammen-
fassung der einzelnen monographien, in die das werk zerfällt,
zu schaffen , nichts weniger als glücklich finden.
Die beiden bände des B.schen werkes fallen auch in ihrem
inneren aufbau wesentlich auseinander, die tätigkeit Gottscheds
und der Schweizer ist chronologisch — ich sage absichtlich nicht
historisch — dargestellt: zuerst die discurse der maier, dann
die vernünftigen tadlerinnen und der biedermann, weiter Gott-
scheds kritische dichlkunst und seine kritische tätigkeit in den
beitragen, endlich die 'vier grofsen werke' der Schweizer und
die an sie sich schliefsenden kämpfe, bei Baumgarten, Sulzer,
Mendelssohn war dieser weg nicht möglich, der erste mit nur
einem hauptwerke, Sulzer, in dessen ästhetik wenig entwickelung
sich zeigt, Mendelssohn mit seinem grofsen reichtum sich zer-
splitternder einzeläufseruugen, widerstrebten einer chronologischen
behandlung. so hat denn B. mit recht vorgezogen, hier nach ideen,
nach ästhetischen kategorien zu disponieren.
Vielleicht hätte er besser getan auch für seinen ersten band
1 den einwurf habe ich wol nicht zu fürchten, dass C. von Lessing
genannt worden wäre, hätte er ihn als gewährsmann benützt, kein schrifl-
steller des 18jhs. fühlt sich eines plagiats in wissenschaftlichen darstel-
lungen schuldig, wenn er fremde ideen weiterentwickelnd seine nächste
quelle nicht namhaft macht, und besonders bei Lessing i-t an dem mangel
eines citats kein anstofs zu nehmen, wissen wir doch heute manche quelle
des Laokoon mit positiver Sicherheit anzugeben, die Lessing arglos ver-
schwiegen hat.
70 BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE ILND KRITIK
die systematische disposition zu wählen, freilich lag ihm daran,
die priorität der Schweizer darzulegen, richtiger vielleicht: die
annähme von Gottscheds priorität zu widerlegen, die frage stellt
sich allerdings, oh es günstig ist, ein so umfangreiches werk
auf negation aufzubauen; ferner, ob in einer geschichte der ent-
wickelung von ideen eine solche chronologische anordnung über-
haupt zulässig ist.
Ich möchte es geradezu als den fehler des eisten bandes
hinstellen, dass er zu polemisch gehalten ist. die dauernden an-
griffe auf Danzel und Crueger werden, zumal sie am anfang
etwas breitspurig einherschreiten, manchen abschrecken, B.s sonst
vortreffliche leistung durchzulesen, man gewinnt den eindruck,
als habe sich B. durch den consequeuten antagonismus gegen
seine Vorarbeiter die moglichkeit eines objectiven urteils über
Gottsched geraubt, nicht nur der fernerstehende wird jetzt
Crueger das richtigere Verständnis für Gottscheds bedeutung zu-
erkennen: denn wie exact auch B. die einzelnen schritte ent-
wickelt hat, welche an der Limmat und an der Pleifse zur Schaf-
fung einer neuen poetik getan worden sind, er hat die auffassung
nicht erschütteru können, dass Gottsched, der geschicktere fai-
seur, die entscheidende leistung, nicht die conception (vgl. s. 66),
sondern die abfassung einer neuen poetik, eines ästhetischen
kanous mehr als ein decennium vor den Schweizern geliefert
und sich die intensivere würkung dadurch gesichert hat. so
wird trotz B. das urteil eines maunes, der wie kein zweiter die
geschichte der ästhetik des 18 jhs. beherschte, der anderseits
den ereignissen der vierziger jähre fern genug stand, um sie
objectiv zu beurteilen, so wird Blankenburgs unparteiisches ver-
dict (bei Sulzer l2, 68T) unverrückt bleiben.1
Danzel hat auf die behauptung ein besonderes gewicht ge-
legt, 'der streit zwischen Gottsched und Leipzig sei die geburts-
stätte, so zu sagen der zeugungsact der gesammten modernen
deutschen litteratur. . . .' gewis hat er sich hier in einem para-
doxon gefallen, allein B. weicht doch sicher noch mehr von der
Wahrheit ab, wenn er behauptet (1,8), Klopstock, Wieland,
Lessing, Goethe, Schiller wären auch ohne Gottsched 'den ihnen
von ihrem eigenen genie wie von der gesammten bilduug der
1 Blankenburg sagt: 'So sehr diese Herren [die Schweizer] Hecht
hatten, Gottscheds Werk für höchst mittelmäfsig zu halten, und so gewis
schon die blofsen Überschriften der Kapitel einen Mangel an bestimmten
Begriffen von der Poesieverrathen : ebenso sehr beweisen, meines Bedünkens,
jene Kritiken, dass ihre Urheber selbst nicht dergleichen Begriffe hatten.
Und Dinge, welche sie ihm , als unerhört, anrechneten, z.B. die Wahl der
Bey spiele , in den ersten Ausgaben, aus seinen eigenen Gedichten, waren
ganz gewöhnliche, in allen seinen deutschen Vorgängern anzutreffende
Dinge. Überhaupt hat Gottsched nichts eigenes in der ganzen Schrift.
Sie ist aus arideren, auswärtigen Schriftstellern, und höchst elend zu-
sammen geschrieben. Indessen lehrte sie denn doch zu ihrer Zeit, dass
Poesie nicht blas in Beimerei besteht.'
BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE ÜNB KRITIK 71
zeit angewiesenen weg gegangen. ' zunächst ist es immer mislich
bei historischen betrachtungen mit 'wenn' zu arbeiten; dann hat
Danzel für seine behauptung die unleugbare Wahrheit anzuführen,
dass Gottscheds würken tatsächlich eine der historischeu Vor-
bedingungen unserer classikerzeit war; endlich schlägt sich doch
eine brücke von Gottscheds einseitiger bevorzugung des franzö-
sischen dramas über Lessings 17 Litteraturbrief so leicht zur
Hamb. dram., dass diese die ganze classische litteraturepoche be-
herschende ästhetische kundgebung Lessings als naturgemäfse
reaction auf das würken Gottscheds gelten darf.
Obendrein fragt es sich noch , ob B.s polemik , die stellen-
weise soweit geht, ihren gegnern unterzuschieben, sie teilten
Gottscheds ansieht von der lehrbarkeit der poesie, würklich in
den resultaten derart von den aufstellungen Danzels und Cruegers
abweicht, dass sie insofern als berechtigt erscheinen darf, der
cardinalpunct des Streites ist, ob Gottscheds leistungen nur eine
copie der von den Schweizern vor diesen gelieferten sind oder
nicht, in dieser frage repräsentiert die Stellung der vernünf-
tigen tadlerinnen zu den discursen der maier ein nicht un-
wichtiges problem. man vergleiche nur Cruegers urteil über
jene (s. xxxvi) mit B.s resum6 (1, 51) und frage sich, wer an-
erkennender über Gottscheds verdienst spricht. —
B. stellt sich die aufgäbe, eine geschichte der poetischen
theorie und kritik zu liefern, die Zusammenstellung hat ihr be-
denkliches, unter poetischer theorie versteht B., wie billig, was
man heute gewöhnlich poetik nennt, dass er nicht eine ge-
schichte der ästhetik sich vorgesetzt hat, wird man begreiflich
finden, auch wenn man bedenkt, dass alle poetik des 18 jhs.
von der frage nach dem wesen des schönen ausgeht, also de-
duetive ästhetik ist, auch dann, wenn man sich ins gedächtnis
ruft, dass die wichtigsten ästhetischen werke, wie Lessings
Laokoon , sich nicht auf die poesie allein einschränken, sondern
mehrere künste zu umfassen suchen, aufgäbe einer geschichte
der poetik wird ohne zweifei sein , die Wandlungen der Vor-
stellungen zu verfolgen, welche man mit den begriffen von
dichtung, dichterischer phantasie, dichtungsart usw. verbunden
hat. — kritik ferner ist nichts anderes, als die anwendung dieser
Vorstellungen auf die beurteilung der einzelnen dichterischen er-
scheinungen. die geschichte der kritik wird also entweder jene
Vorstellungen zu entwickeln suchen, und dann ist sie mit der ge-
schichte der poetik einfach identisch; oder sie wird die einzelurteile
protocolliereu. in letzterem sinne fasst B. ihre aufgäbe auf und
liefert neben der darstellung der ästhetischen ideen eine Zusammen-
stellung der einzelnen urteile über dichter und dichtungswerke.
eine solche Zusammenstellung hat indes mit einer geschichte der
poetik gar nichts zu tun. freilich wirft es sofort ein helles
licht aut Mendelssohns ästhetische anschauuu<'en, wenn wir seine
l2 BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE UISD KRITIK
Stellung zu Corneille kennen lernen; auf Gottscheds kritische
borniertheit, wenn wir seine urteile über Shakespeare lesen,
allein mehr gewinnen wir nicht; solche dinge haben nur die
kraft des beispiels. oder sollte man in einer geschichte der
poetik des 19jhs., weil Scherers poetik gelegentlich sich über
Zola äufsert, seine Stellung zu allen erzeuguissen dichterischer
phantasie, über welche dieser selbständigen Urteils frohe geist sich
ausgesprochen hat, erörtern? nicht dass Gottsched Milton ver-
worfen hat, sondern weshalb er ihn ablehnt, ist für die
ästhetik wichtig. Schillers urteil über Matthisson ist uns herzlich
gleichgiltig; AWSchlegel hat vollkommen recht gehabt, gegen
diese seite der Matthissonrecension zu polemisieren: dennoch
bleibt sie wegen ihrer principiellen kundgebuugen wichtig für die
geschichte der ästhetik. und anderseits sind auch die glänzend-
sten characteristiken AWSchlegels für die geschichte der poetik
ziemlich unbedeutend; geht er gelegentlich, wie in der recension
von Hermann und Dorothea, auf ästhetische ideen ein, so pflügt
er mit dem kalbe Schillers oder mit dem seines bruders Friedrich,
für die geschichte der litteratur dagegen, soweit man diese nicht
rein formal fasst, im weiteren sinne für die culturgeschichte sind
Zusammenstellungen ästhetischer Werturteile von hohem interesse.
eine historische darstellung der querelle des anciens et des
modernes (sie findet bei B. häufig erwähnung) sollte keiner cultur-
geschichte des 17 und 18 jhs. fehlen und wäre vor allem in
dieser zu erörtern , wäre jener streit auch nie von anderer
seite, als von der ästhetischen behandelt worden. die Wert-
schätzung Homers im 18 jh. zu untersuchen, ist zunächst auch
nicht aufgäbe des histonkers der poetik: er hat nur zu fragen,
ob die Vertiefung in das Studium Homers eine consequenz für
die anschauungen vom epos, im weiteren sinne dann von dichtung
überhaupt gehabt haben. Lessings Laokoon, dem Homer dazu
dient, das successorische der dichtkunst zu entwickeln , käme
hier wesentlich in betracht.
Die geschichte der ästhetik kann nur gewinnen, wenn man
sie auf ihr eigentliches feld einschränkt, wir sind noch lange
nicht so weit, die entwickelung der Vorstellungen über künst-
lerische, über dichterische phantasie sauber überblicken zu können,
wollen wir wissen, wie das 18 jh. über das naive in der kunst
gedacht habe, so finden sich noch immer die besten Übersichten
bei Sulzer-Blankenburg, wie wir denn in der geschichte einzelner
ästhetischer probleme über dieses werk keineswegs hinausge-
kommen sind.
Dass eine darstellung, welche mühsam von kritischer Zeitschrift
zu kritischer Zeitschrift, von einem handbuch der poetik zum anderen
in chronologischer reihenfolge sich fortwindet, diesen Vorstellungen
von einer geschichte der ästhetik nicht entspricht, brauche ich
wol nicht zu betonen, wollte man doch endlich mit solcher
BRA1TMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE U.\D KRITIK 73
äufserlichen Chronologie, überhaupt mit allem biographischen in
einer geschichte von ideen brechen ! dass B. das fehlerhafte seiner
methode gefühlt hat, erhellt aus manchen zügen seiner arbeit,
den streit der Züricher und Leipziger tut er glücklich auf fünf-
zehn Seiten ab. und der abschluss seines werkes, das capitel
über Mendelssohn, verzichtet tatsächlich auf allen chronologischen
behelf: es gruppiert nach den ästhetischen kategorien seinen stoff.
Das äufserliche hantieren mit den Jahreszahlen hat noch
eine weitere böse consequenz. erscheinungen, die ohne frage
zusammengehören, werden isoliert, teilweise gar nicht erwähnt.
1762 gab Hagedorns bruder, Christian Ludwig, seine 'Be-
trachtungen über die mahlerey' heraus, allerdings fallen sie zeit-
lich später als wichtige äufserungen Lessiugs; dennoch überzeugt
man sich auf deu ersten blick von der art und weise der vor-
lessingischeu ästhetik und wird in den für theorie der poesie
nicht unwichtigen einleitenden capiteln ('Grundsätze zur bildung
des geschmacks des nachahmenden künstlers') deu schüler Baum-
gartens nicht verkennen. — B. erwähnt Hagedorn nicht.
Allein ungerecht wäre es, zu läugnen, dass B.s buch ein
reiches material mit unverkennbarer Vertiefung verarbeitet hat.
eine eindringlichere darstellung der lehren der Schweizer besitzen
wir nicht: auch das büchleiu von Servaes kann gegen B. nicht
aufkommen, dessen historische, die quellen aufsuchende methode
der rein analysierenden ihres Vorgängers manches versehen nach-
zuweisen im stände war. alles dankes wert sind die erörterungen
über JESchlegel, JASchlegel und Geliert; allerdings kann ich
der polemik B.s gegen vAntoniewicz (s. 292 IT) nicht überall bei-
stimmen, es ist leicht, quellennachweise ad absurdum zu führen,
indem man anklänge an anderweitige äufserungen aufzählt, allein
der grofse unterschied ist wol zu bedenken, ob ein salz voll-
inhaltlich in einem Vorgänger sich aufdecken lässt, oder ob dem
Schriftsteller zuzumuten ist , aus so und so viel einzelnen ele-
menteu selbst einen neuen gedanken gebildet zu haben, gewis
hat vAntoniewicz seinen beweis nicht immer streng genug ge-
führt, aber nichts ist schwerer als die genesis eines geistes-
productes in so streng logischer folge zu erörtern, dass die be-
nulzung einer bestimmten quelle unumgänglich notwendig erscheint,
das gelingt nur dem meister.
Ganz auf eigenen füfsen, der erste, der auf diesem felde
wissenschaftlich geforscht hat, steht B. in dem capitel über Baum-
garten. Sulzer hätte vielleicht eingehendere behandlung verdient.
mag seine theorie der schönen künste noch so eklektisch sein,
sie hat doch aufserordentlich gewürkt, und die lehren des IS jhs.
sind durch ihr medium auf die classische zeit übergegangen.
man sollte doch näheres zu erfahren suchen über ein buch, zu
dem Schiller nachweisbar zuerst gegriffen hat, als er seine phi-
losophisch-ästhetische epoche begann, über Mendelssohn hat B.
I 4 BRAITMAIER GESCHICHTE DER POET. THEORIE UND KRITIK
gleichfalls das ausführlichste geliefert, was wir bisher hesitzen.
freilich wird, wer sich mit Mendelssohn, beschäftigen will, gut
tun, die weit übersichtlichere und prägnantere einleitung JMinors
in bd. 73 von Kürschners Deutscher nationallitteratur zuerst durch-
zuarbeiten, bezüglich Nicolais (B. 2, 242 ff) sich an bd. 72, an
Minors 'Jugendfreunde Lessings', zu halten, beide bücher scheint
B. nicht zu kennen.
Dem buche B.s ist kein alphabetisches register beigegeben,
nicht nur ein autorenverzeichnis, sondern auch ein sachliches
register wäre dringend nötig gewesen, um die nachteile der un-
glücklichen disposition einigermafsen zu heben.
Wien, 12. 7. 1890. Oskar F. Walzel.
LlTTERATURNOTIZEN.
Ferdinand Schultz, Die Überlieferung der mhd. dichtung 'Mai
und Beaflör'. Kieler diss. Leipzig, Fock, 1890. 61 ss. 8°.
1,50 m. — die zahl der dissertationeu, welche mhd. litteratur-
denkmäler eingehend erörtern, hat in der letzten zeit erheblich
zugenommen, zwar wesentliche resultate lassen sich dadurch
kaum erreichen: denn die grofsen aufgaben, welche auf mhd.
gebiete noch der lösung harren, erfordern umfassendere in-
duetion und gereifteres urteil , als dass sie von Studenten be-
wältigt werden könnten, indessen die tatsache an sich zeugt
für eine wachsende reaction gegen die einseitig grammatische
richtung, unter deren banne unsere diseiplin seit drei lustren
gestanden hat, und erweckt die holTnung, dass die echt philo-
logische arbeit in bälde sich ihre alte Wertschätzung zurück-
erobern werde, auch die vorliegende dissertation gelangt zu
keinen neuen ergebnissen , sondern bestätigt in der hauptsache
uur, dass Pfeiffers ausgäbe des Mai nach richtigen kritischen
grundsätzen hergestellt ist: beide hss. des gedichts gehen indirect
auf einen ziemlich fehlerhaften archetypus zurück, aber ihr verf.
bekundet gute methode und verständige Überlegung; uur selten
sieht man sich veranlasst, den vorgetragenen argumentationen
zu widersprechen, das ist der fall s. 39, wo Seh. die ursprüng-
lichkeit der in AB nach 201, 10 überlieferten, von Pfeifler ge-
strichenen verse Als mir hat kunt getan daz buoch, Er gewan
alles des genuoch behauptet: er vergisst dabei, dass zufolge
3, 17. 19 der dichter keine schriftliche quelle besafs, sondern
einem mündlichen berichte, der seinerseits allerdings aus einer
chronik geschöpft war, folgte, auch die s. 37 verteidigte echt-
heit der nach 109, 26 von den hss. gebotenen Zeilen Sand er
im, diu was wol gesniten, Gröz richeit niht dar an [was] ver-
miten leuchtet nicht ein: denn wenn in drei reimparen nach
einander dieselbe person im dativ vorkommt, zuerst als Dem
SCHULTZ MAI UND BEAFLOR 75
werden siner sicester sun, zulelzt als dem Bürsten höchgemuot , so
macht es sich recht matt, wenn sie in der mitte nur durch im
angedeutet wird. — sehr verdienstlich ist die neue collation
beider mss., deren fruchte der erste anhang verzeichnet, gegen
die emendationen, welche anhang n enthält, lässt sich bis auf
die vorschlage zu 43, 40 und 44, 31 wenig einweuden. der
abschnitt über die orthographische darstellung des gedichtes
(s. 49 — 55) hätte fortbleiben können. St.
Das schuldrama in Salzburg, von Hermann FWagner. Salzburg,
Heinrich Dieter, 1890. 7 ss. gr. 8°. 0,30 fl. — W. versteckt
leider seine wichtigen beitrage zur geschichte des Schulwesens
in der wenig verbreiteten Zeitschrift des Salzburger lehrervereines,
und so liegt die gefahr nahe, dass auch der sehr interessante
aufsatz, welcher oben genannt ist, gerade den beteiligten kreisen
entgeht, es sei daher auf den Separatabdruck aufmerksam ge-
macht, welcher durch den buchhandel zugänglich ist. nach einigen
einleitenden bemerkungen hauptsächlich für die leser der ge-
nannten Zeitschrift bringt der verf. auszüge aus den Salzburger
Stadtratsprotokollen und kammeramts-raitungen über schulauf-
führungen in Salzburg während des 16 jhs. die erste erwäh-
nung einer deutschen comödie stammt aus dem october 1540,
die reihe der einzeichnungen geht bis zur gründung der Univer-
sität im jähre 1617. leider sind nur in den seltensten fällen titel
und verf. dieser schuldramen genannt; so erhält 23 febr. 1563
der Schuelmaister in Thuemb die erlaubnis sein Spiel, als nemb-
lich tragediam portii und den teutschen Abraham , auf nechsten Son-
tag der Herren Vafsnacht .... halten zu lassen, mit dem Abraham
könnte Joachim Greifs drama gemeint sein, da Rollenhagens be-
arbeitung von Hier. Ziegler chronologische Schwierigkeiten bietet;
doch erschien schon 1544 Zieglers drama in deutscher Übersetzung
(vgl. Holstein, Die Information s. 82. Bolte, Mark, iörschungen 18,
204 f). die tragoedia Portii kann ich nicht nachweisen, an)
16 februar 1582 lesen wir: Schuellmaister aus dem Thuemb er-
legt drey underschidenliche Spill an heur zuhalten: Lateinisch ist
Parabola chrj de Decem Yirginibus, in comicotragicum redacta.
das ist der genaue titel des dramas von Hier. Ziegler, welches
Scherer in Wagners Archiv s. 481 ff besprochen hat, 1555 er-
schienen. Teutsch von 'Khunig Herode, wie Er sein Gemahell umb-
bringen last.' dies köunte man etwa auch auf Ziegler beziehen,
dessen Infanticidium vom jähre 1555 Wolfgang Herman (Kyriander)
zwei jähre später (1557) zu Salzburg in deutscher Übersetzung
erscheinen liefs (Goed. 2, 405), näher aber liegt wol die tragödie
von Hans Sachs: Der Wüterich Herodes, wie der sein drey Sö'n vnd
sein Gemahel vmbbracht vom jähre 1552 (Goed. 2, 429 nr 205).
Pauernspill von Müllnern, und Ainem Müll-Esel etc. halten wir
es mit dem Stoff von Greifs Manilas zu tun, mit der anekdote
vom tragen des esels? (vgl. Goed. 2, 357. Scherer, Deutsche
76 WAGNER SCHULDRAMA IN SALZBURG
Studien in 46 IT.) am gleichen tage legte vor Schuellmaister
zu St. Peter: Tragedia latine Hecasti, darin haben wir jedesfalls
das drama des Macropedius zu erkennen. Comoedia Teutsch von
denen gehorsamen und ungehorsamen Khindern; kaum wird damit
etwas anderes gemeint sein , als Hans Sachs Comedia der un-
gleichen kinder Eve vom 6 nov. 1553 (vgl. JGrimm Zs. 2, 257 ff
und Schnorr in seinem Archiv 12, 176 ff). Ain pauernspill von
bösem Rauch ist das fastnachtsspiel von Hans Sachs bei Goeze
nr 28. das sind alle titel, welche wir erfahren, folgende schul-
meisteruamen sind erwähnt: 1568 Hanns Goller, 1593 Johann
Laurenz Rotmaier, Andreas Faber, 1596 zuerst und dann widerholt:
Georg Ulrich und Carolus Christmanus, 1599 und öfter Gottfried
Hueber, 1603 Johann Veith Schönlinus, ob sie blofs leiter der
aufführungen oder auch selbst dichter waren, das erfahren wir nicht.
Wagners heft ist eine wichtige ergänzung unserer bisherigen
keuntnis und der Zusammenstellungen Boltes in der Zs. 32, 9 ff.
Lemberg 6. 6. 90. R. M. Werner.
Imperativische Wortbildungen im niederdeutschen von R. Wossidlo.
erster teil, beilage zum programm des gymnasiums zu Waren,
ostern 1890. commissions-verlag von G. Fock in Leipzig. 17 ss.
4°. 1,20 m.* — eine sorgfältige Zusammenstellung der nieder-
deutschen Wortbildungen mit einer adverbialen bestimmung, bei
der besonders die mundarten und unter diesen wider die mecklen-
burgische ausgebeutet sind, man ist erstaunt, mit welchem er-
folg, mit ausschluss aller irgendwie anstöfsigen worte, die wol
auch zahlreich genug sind, hat W. 290 nummern zusammen-
gebracht, die andersartigen bildungen: blofse imperative und
imperative mit einem object, sowie erklärung und datierung der
Spracherscheinung sollen folgen, dann wird auf die arbeit zurück-
zukommen sein, hier nur wenige bemerkungenl was die Unter-
abteilungen der vorgeführten classe betrifft, so ist die Überschrift
der ersten: 'imperative mit einer präposition' sonderbar gewählt,
in fällen wie: driwachter, fangan ist achter, an doch nicht prä-
position, sondern adverb. es müste heifsen: 'imperative mit
adverhien , die auch als präpositiouen gebraucht werden.' und
auch dann passt verschiedenes nicht hierher, da zb. dal schwer-
lich als präposition vorkommt. — unter den beigebrachten Zu-
sammensetzungen findet sich eine grofse anzahl solcher, die ent-
weder nur oder auch als orts- und familienuamen erscheinen, aber
wenigstens bei den familiennamen ist gröfsere vorsieht nötig, als
der verf. sie angewandt hat. gelegentlich, zb. bei nr 106 werpup,
weist er freilich selbst auf die möglichkeit einer anderen deutung
hin. aber eine solche liegt auch sonst öfters nahe und verdient
nicht selten den vorzug. die neuere forschung ist mit recht
darauf aus, die schiebt der familiennamen zufälligen Ursprungs,
* [Nd. correspondenzbl. 14,31 (KEHKrause). — Litteraturbl. für germ.
und rom. phil. 1890 nr 11 (RSprenger).]
WOSSIDLO IMPERATIVISCHE WORTBILDUNGEN / /
zu der auch solche imperativischen bildungen gehören, immer
mehr einzuschränken (vgl. zb. Preufs, Die Lippischen Familien-
namen. Nd. Jahrbuch 9,37). so können die s. 10 angeführten
geschlechtsnamen : beuthin, beuthau geographischen Ursprung
haben; Rudolphs Ortslexikon, das nicht benutzt scheint, weist
einen Beuthinerhof bei Eutin und ein dorf Beutau im regierungs-
bezirk Lüneburg nach, und auch pettendrup s. 11 könnte ganz
gut auf einen Ortsnamen petten dorp zurückgehn. allerdings werden
solche orts- und familiennameu jetzt oft im volksmund im-
perativisch gedeutet, und insofern sind sie auch im sinn W.s
zu verwerten, aber doch nur als ein beweis, wie geläufig der
heutigen spräche, besonders der muudart, die imperativischen
bildungen sind. — schließlich noch ein par verweise, zu nr 57
kehrum vgl. Rudolph, Ortslexikon i 2073; zu nr 73 helpup: Nd.
correspondenzbl. 9, 41; zu s. 11 bindup: Nd. correspondenzbl.
9, 71. zu nr 123 finde ich auf Liebenows Topogr. karte der
Rheiuprovinz und der proviuz Westfalen, sect. Münster, bei
2 höfen südlich von Everswinkel die bezeichnung Gr. und Lt.
Schufut. — möge der schluss der gediegenen und lehrreichen
abhandlung bald folgen 1
Bielefeld, aug. 1890. H. Tümpel.
Die buch- und kunstverlage von CAStarke in Görlitz und
ASiebert in Heidelberg gedenken das gesammte heraldische material,
das die miniaturen der grofsen Heidelberger (sog. manefsischen)
liederhandschrift enthalten, in einem reich ausgestatteten werke:
'Wappen, helmzierdeu und Standarten der grofsen Heidelberger
minnesängerhandschrift' durch farbendruck zu reproducieren. ganz
gewis ist gerade für heraldische forschungen die unfarbige photo-
graphische widergabe jener miniaturen, die wir FXKraus ver-
danken, nicht ausreichend, und so freue ich mich jenes er-
gänzenden plans, wenn mir auch die behauptung des prospectes,
'dass die wappen des codex wesentlich authentischen quellen ent-
nommen sind', sehr wenig glaublich erscheint: dem widerspricht
neben vielem anderen schon der umstand, dass in C auch die
bilder mehrerer bürgerlicher fahrenden mit heraldischen abzeichen
versehen sind, ich hin gespannt, ob Zaisgemeister, der das
werk mit einleitung uud erklärungen begleiten wird, jene ansieht
des prospectes teilt, ein probeblatt, das mir vorliegt, lässt in der
Zeichnung freilich nicht verkennen, dass die reproduetion auf
einer copie, nicht auf dem original selbst beruht; doch beein-
trächtigen kleine ungenauigkeiten, die so kaum ausbleiben konnten,
die wissenschaftliche brauchbarkeit der publicalion schwerlich.
die farbige ausstattung ist glänzend und trifft, wenn mich die
erinnerung nicht trügt, den farbenton des Originals so gut wie
wünschenswert: dass die zerstörenden würkungen, die die zeit
auf die bilder geübt hat, nicht ängstlich widergegeben weiden.
78 WAPPEN DER HEIDELB. MINNESÄNGERHS.
ist nur zu billigen, unter dem namen Johanns vBrabant bringt
die hs. ein schlacbtenbild, das auch den gegnern und den be-
gleitern der hauptgestalt heraldische attribute verleiht: auf dem
probeblatt sind diese, die doch keinesfalls irgend welchen heral-
dischen wert beanspruchen können , zum teil ohne besondere
kennzeichnung mit unter den uamen Brabants gestellt, zum teil
fortgelassen, eine inconsequenz , die ich nicht verstehe: hoffent-
lich wird sie auf den später erscheinenden blättern vermieden,
der durchaus nicht billige subscriptionspreis (57 mk. für 55 tafeln
nebst text in mappe) rechtfertigt sich einigermafsen durch den
reichen gold- und silberdruck, der notwendig war, und durch
die sonstigen Schwierigkeiten treuer widergabe. R.
Kleine Mitteilungen.
Germanischer dativ aus der Römerzeit. den fachgenossen, die
nicht regelmäfsige leser der Jahrbücher des Vereins von alter-
tumsfreunden im Rheinlande sind, wird es nicht unerwünscht
sein, zu erfahren, dass nunmehr zu den beiden von RMuch (Zs.
31, 355) besprochenen allgermanischen dativen pluralis auf -ms
sich ein dritter gesellt hat. JKlinkenberg veröffentlicht im 89 hefte
der Ronner Jahrbücher (s. 231) zwei inschriften von matronen-
steinen, die im mai 1890 in der kirche des ehemaligen Cister-
zienserinneuklosters zu Hoven bei Zülpich , also widerum in dem
bereiche der alten Ubier, zum Vorschein kamen und folgender
mafsen lauten : Matronis \ Saitchamimsj
Primus. Freiatjtonis l. m.
und Matron(is) \ Saithamia[b](us) j
Q. Cominiusj Primio. I. [m.J
Bonn. Gustaf Kossinna.
Zu Wernher von Elmendorf. durch Schönbachs überraschenden quel-
lenfund (Zs. 34, 55 ff) ist zwar die eigene leistung Wernhers von
Elmendorf herabgedrückt, das litterargeschichtliche interesse
aber an seinem werke wie an seiner person kaum gemindert
worden, ich habe mich als ein halber landsmann des Heiligen-
städter poeten schon lange nach einem historischen beleg oder
anhält umgesehen, aber auch der beste kenner des eichsfeldischen
urkundenmaterials, hr Oberlehrer dr Jäger in Osnabrück, konnte
mir dazu nicht verhelfen, nur Wernhers gönner, den propst
Dietrich , um den sich Sauerland (Zs. 30, 3) in vier archiven um-
sonst bemüht hat, kann ich jetzt nachweisen, in Falckenheiuers
Geschichte hessischer Städte und Stifter bd. n (1842) 171 ff findet
sich eine Urkunde des erzbischofs Christian i von Mainz abgedruckt,
die aus anlass einer kirchenvisitation zu Fritzlar 1171 (vor dem
1 sept., vgl. Böhmer -Will, Regesten zur gesch. der erzbischöfe
KLEI.\E MITTEILUNGEN 79
von Mainz n 30) ausgestellt wurde: unter den zeugen steht (s. 173)
auch der prepositus in Helegenstat Theodoricus.
Ich lasse diese gelegenheit nicht vorübergehn, ohne zu be-
tonen, dass mir alles, was Sauerland Zs. 30, 2 ff über die her-
kunft Dietrichs und Wernhers aus dem Oldenburgischen vor-
gebracht hat, durchaus problematisch erscheint, auch dem zweifei
möchte ich ausdruck geben, ob unsere Überlieferung würklich
in Ordnung ist, wenn sie beiden, dem caplan sowol wie dem
propst, den beisatz 'von Elmendorl" gibt, es sieht fast so aus,
als ob hier einmal (an zweiter stelle?) ein anderes wort, viel-
leicht auf -dorf, durch (das eben dagewesene) Elmendorf ver-
drängt sei. und zuletzt mag dem Schlüsse des Schönbachschen auf-
satzes (Zs. 34, 75) gegenüber gesagt sein, dass die reime und
der Wortschatz der dichtung zwar auf die gränze des hochdeut-
schen Sprachgebiets, aber nicht über den Heiligenstadt zukom-
menden nordtüriugischen dialect hinaus aufs niederdeutsche
weisen, am allerwenigsten sind etwa im Sprachgebrauch an-
klänge an das friesische zu finden: ein Friese aber müste
Wernber sein, wenn er, wie Sauerlaud glaubhaft machen wollte,
aus Elmendorp im Ammerlande stammte! es ist wahr, in Tü-
ringen ist ein Elmendorf bisher nicht nachgewiesen — aber wie
grofs ist die zahl der ausgegangenen orte! und wie schwer hält
es, sie ohne gründliche local- und terraiustudien zu überblicken!
man sehe sich nur einmal in Landaus bekannter monographie
(Zs. d. ver. f. hess. gesch. und landeskunde, 7 suppl.) das register
an: es bringt allein aus dem kleinen Kurhessen sieben Wüstungen
mit Elm- im nameu; auch ein 'Ehninsdorf (in Oberhessen, s. 275)
ist darunter, das ich natürlich nicht zur heimat Weruhers zu
stempeln gedenke. Sch.
Zu Tannhäosers Rätselspruch, die darlegungen Roelhes (Zs. 30,419)
und HM Werners (Zs. 31, 363) haben jeden zweifei daran beseitigt,
dass der spruch MSH 2, 97b keinen komischen unsinn, auch
keine mischung von rätseln und lügen, sondern eine reihe von
rätseln im stil der Joca monachorum enthält, dann aber macht
es Schwierigkeiten, sich den Vortrag des Spruches anschaulich
vorzustellen, rätsei werden doch aufgegeben, um vom hörer
gelöst zu werden, und die ohnehin zum teil recht schwierige
lösung muste durch den verwirrenden fortlaufenden Vortrag von
4 — 5 rätseln in einem atem geradezu unmöglich werden, das
problem löst sich, sowie wir die reimstellung betrachten: der
spruch zerfällt metrisch und syntactisch in 4 ganz selbständige
teile, deren jeder ein rätsei für sich bildet: v. 1 — 4 (Adam und
Eva), v. 5— 10 (Adam, Eva und der hund in der arche Noah,
der zwar nicht syntactisch , aber metrisch gleichfalls für sich ge-
nommen werden kann), v. 11. 12 (die erde höher als der himmel),
v. 13. 14 (Thomas Beckel). aus diesem kunstslttck erklärt sich
aucli die wunderlich verzwickte Strophen tonn, der Spruch konnte
80 KLEINE MITTEILUNGEN
vollständig recitiert, aber auch jederzeit die einzelnen rätsei für
sich vorgetragen werden; also nach Rückerts wünsche 'ein ganzes,
das besteht aus vielen kleinen ganzen'.
Hollenstedt. E. Kück.
Zu den deutschen Schriften Albrechts von Eyb. es sei mir ge-
stattet, an dieser stelle einige irrtümer zu berichtigen , diemeine
soeben vollendete ausgäbe der deutschen Schriften des Albrecht
von Eyb (Berlin 1890, 2 bände) enthält, bd. i s. ix bitte ich die
nummer des Cod. germ. Mon. aus 4368 in 4358, bd. n s. xxv und
xxvii den namen des druckers von Ai aus Würdimg in Würsung
zu verbessern, bd. n s. xx (vgl. s. vn) ist als drucker von S
Johann Rynnman genannt, der in würklichkeit nur der Verleger
war. der drucker verschweigt seinen namen, es handelt sich
indessen ohne frage um Johann Otmar, der seit dem jähre 1503
in Augsburg für Rynnman arbeitete und erst 1516 von Silvan
Otmar abgelöst wurde, würklich zeigt auch S in der ausstattuug
die entschiedenste Verwandtschaft mit den drucken, die in Rynn-
mans auftrage aus Johann Otmars officio hervorgiengen , so zb.
mit der deutschen bibel von 1507 (Berlin Bu 9041), mit Taulers
Sermones von 1508 (Berlin Cs 3513) und der Hystori Katharine
von Senis von 1510 (Berlin Dw 6156), während die arbeiten, die
Otmar auf eigene faust oder für einen anderen Verleger herstellte,
ganz anders aussehen, und vollständig stimmt es mit der wie S
im jähre 1511 von Rynnman veranstalteten neuen ausgäbe des
Tenglerschen laienspiegels im format, in der druckeinrichtung,
in den typen und in der stilistischen gestallung der schlussschrift
überein; nur wird im laienspiegel zuletzt (fol. cclviii") ausdrücklich
bemerkt, dass der druck von Maifter Hansen Othmar besorgt ist.
Berlin, october 1890. Max Herrmann.
Die 41 Versammlung deutscher philologen und Schulmänner
findet mittwoch, den 20 bis Sonnabend, den 23 mai 1891 in
München statt, das präsidium besteht aus den herren prof.
dr WvChrist und gymnasialrector dr BArnold. die vorbereitenden
geschäfte für die germanistische section führt prof. dr Brenner
(Georgenstr. I3b). anmeldungen von vortragen sind für die all-
gemeinen Sitzungen an einen der beiden Präsidenten, für die
sectioussitzuugen an die Vorsitzenden der sectionen bis zum 1 mai
einzusenden.
Am 2 october starb in Waging bei Traunstein prof. Konr.
Hofmann aus München, 71 jähre alt. — Für deutsche philologie
habilitierten sich in Berlin dr AHeusler, in Marburg dr FWrede,
in Leipzig dr GHolz, für deutsche spräche in Graz dr JYVNagl.
der aufserordentliche prof. dr GRoethe in Göttingen wurde zum
ordentlichen prof. an derselben Universität ernannt.
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTHUM UND DEUTSCHE LITTERATUR
XVII, 2 APRIL 1S91
Ueber mittelalterliche bibliotheken. von Theodor Gottlieb, mit Unter-
stützung der kaiserlichen academie der Wissenschaften zu Wien.
Leipzig, OHarrassowitz, 1890. XI und 520 ss. gr. 8°. — 14 m.
Es verdient bemerkt zu werden, dass ein germanist, BJDocen
zuerst auf die Wichtigkeit der mittelalterlichen büchercataloge
aufmerksam gemacht hat: 'die geschichte der litteratur und der
Studien im mittelalter genauer zu kennen, hierzu gibt es eine,
wenigstens äusserlich sehr belehrende, noch gar nicht hinlänglich
benützte quelle, es sind dieses die authentischen, nicht selten
zu anfang oder ende eines alten manuscripts eingezeichneten
listen des büchervorrats eines domstiftes oder einer abtey' (Hor-
mayrs Archiv 13, 248. Wieu 1822). drei jähre später macht auch
FAEbert (Zur handschriftenkunde 1, 116) darauf aufmerksam und
bemerkt, dass die mitteilung solcher listen zur nähern kenntnis des
bücherwesens im ma. sehr nützlich sei. er führt dann auch bereits
eine auzahl cataloge an und vermerkt die bücher, in denen sie
gedruckt sind, in den letzten jähren vermehrten sich die stimmen,
die nach einer Sammlung solcher cataloge riefen, auch aus Eng-
land, Frankreich und Italien, es erschienen 1885 GBeckers
(f 1886) Catalogi bibliothecarum antiqui. sie sind auch durch
G.s buch nicht entbehrlich geworden, beweisen aber, dass das
unternehmen die kräfte eines mannes übersteigt und nur die
gemeinsame arbeit vieler das monumentale werk zu stände bringen
kann, zu welchem G. material und pläue liefert, im gegensatze
zu Becker wendet er zum erstenmal die wissenschaftliche methode
auf diese mittelalterlichen denkmäler an, um eine möglichst voll-
ständige übersieht über sie zu gewähren und diejenigen, die im
falle sind das material zu vervollständigen, zu neuen beitragen
zu reizen.
In einer kurzen einleitung werden wir orientiert über die
geschichte, den plan und umfang des Unternehmens, sofort folgt
die hauptsache, 756 und mit den 'Miscellen' (s. u.) zusammen
1391 cataloge der bibliotheken von Deutschland, Frankreich, Grofs-
britanien , Italien, den Niederlanden, Scandiaavieo und Spanien.
bei jedem dieser länder sind die bibliotheken in alphabetischer
Ordnung aufgeführt, während die nu Dimer n der cataloge fortlaufen.
die einzelnen nummern sind in der weise verzeichnet, <!.»<> in
der Überschrift durch fetldruck der name der bibliothek, der Stadt,
A. F. D. A. XVII. 6
^2 GOTTLIEB MITTELALTERUCHE BIBLIOTHEKEN
des klosters oder besitzers hervorgehoben wird, darauf folgt in
neuem alinea die Überschrift, wenn im originale eine solche vor-
handen ist, natürlich in der Ursprache entweder lat. oder franz., engl.,
ags., ital., niederl. usw. hieran schliefsen sich in neuen absätzen
unter 'Inc.' und 'Fin.' anfang und schluss des Verzeichnisses, wider
neue absätze bilden: 'Quelle', die bezeichnung des Originals, der
bibliothek oder des gröfsern werkes, aus welchem das Verzeichnis
entnommen ist, und 'gedr.', wo die abdrucksteilen angegeben
werden, natürlich muss nach umständen eine oder mehrere
dieser rubriken wegfallen oder leer bleiben.
Weiteres über diese fleifsige und genaue Zusammenstellung,
die den hauptteil des werkes bildet, läfst sich in einer recension
kaum sagen, dagegen dürfte es am platze sein, wenigstens auf
den einen oder andern dieser cataloge aufmerksam zu machen,
der von culturhistorischem interesse ist und geeignet, uns einen
einblick zu bieten in das lebendige litterarische treiben des mittel-
alters. natürlich steht hier der c ler us voran, aber der einzelne
priester konnte doch nur wenige bücher besitzen, ein inventar
der kirche Perechiricha (Bergkirchen) im histum Freising um die
mitte des 9. jhs. weist blofs zwei bücher auf (nr 153). der
priester Waldperht derselben diöcese schenkte der kirche Zarten-
kirchen im jähre 830 4 bücher (nr 810). da war der priester
Walgarius viel reicher, welcher um 865 der kirche von Cysoing
bei Tournay 16 bücher vermachte (nr 1267). der einsiedler
Meinrad (f 861) 'behielt im selb ain messbuch mit den eppistlen
und ain omilier , unser regel aine und die bücher Cassiani' sagt
Gallus Oheim (ausg. v. Barack 5, 54), von G. nicht erwähnt.
Erst später kommen die laien. da haben wir (s. 278) die
bücher des angelsächsischen königs Äthelstan (f 941). nr 387
ist die bibliothek eines advokaten mit angäbe der preise v. j. 1362;
nr 266 die eines französischen arztes von 1438, 199 nummern,
ebenfalls mit preisen; nr 408 das Verzeichnis eines buchhändlers
zu Tours im 15. jh. es umfasst 238 handschriften und 29 drucke,
dem wäre noch hinzuzufügen: ACorradi, Biblioteca d'un medico
marchigiano del secolo XIV. Milano, tip. Bichiedei. in 8°, 8 p.
auszug aus den Annali universali di medicina vol. 272 (1885).
Bibliotheque de l'Ecole des Charles 46 (1885) p. 702. — 'La
petite collection d'un bibliographe breton ä la fin du XVe siede
ou au commencement du XVI6 siecle' steht im Bulletin du Bou-
quiniste publ. par Aubry, 3 annee (1859) nr 56, s. 218 und ist
daraus widerholt bei Petzholdt, N. anzeiger 1859, s. 222. —
Bibliotheque d'un Mßdecin [Jean van der Hülst] ä Diest, en 1489,
par Charles Stallaert steht im Bibliophile Beige 11 (1876), p. 56
bis 62; vgl. Petzholdt, N. anzeiger 1876, s. 344. —als im jähr
1483 zwei Studenten zu Oxford gepfändet werden sollten, hatte
der eine einen über de forma dictandi und pamplelte cum accu-
sationilnis; der andere hatte uar keine bücher. nr 1048.
GOTTLIEB MITTELALTERLICHE BIBLIOTHEKE.N 83
Was Vollständigkeit betrifft, so ist hier nicht der ort des
weitem auf diese frage eiuzugehn. nachdem die zahl der von
Becker zusammengebrachten nummern um mehr als ein volles
tausend übertroffen ist, könnte man bald glauben, es der abso-
luten Vollständigkeit nahe gebracht zu haben, wenn nicht der verf.
selbst dem entschieden widerspräche (vorw. s. X). er bemerkt
aber richtig, dass es gegenwärtig darauf auch gar nicht an-
kommt; die hauptsache ist, dass nun einmal die wissenschaft-
liche grundlage gelegt ist, auf der sich weiter bauen läfst. dazu
bedarf es eben der vereinten kräfte vieler, mochte sich eine
gelehrte genossenschaft finden, welche dem unternehmen leitend
und unterstützend an die hand gienge!
G. hat aber auch noch in anderer weise würksam vorge-
arbeitet im 3 cap. seines buches: mustercataloge. bei seiner
fortwährenden Beschäftigung mit den hslichen quellen hat er oft
genug gelegenheit gehabt, das gedruckte material mit den origi-
nalen zu vergleichen; da zeigte es sich dann, mit welcher Will-
kür viele herausgeber verfahren sind, sie haben bücher, die ihnen
nicht wichtig schienen, die Signaturen und Preisangaben wegge-
lassen, die titel unrichtig abgeteilt; bei andern finden sich die
plumpsten lesefehler, irrtümer und flüchtigkeiten, wodurch ganz
merkwürdige litterarische curiosa entstehn. dagegen fordert G.
mit recht, der herausgeber solle die verschiedeneu hände, von
welchen der calalog herrührt, und die spätem zusätze wol unter-
scheiden und kenntlich machen; dann auch über das Schicksal
der hss, über den verbleib der heute noch erhaltenen aufschlufs
geben, freilich scheint mir G. bei seinen mustercatalogen die
genauigkeit zu weit zu treiben, wenn (s. 294) durchstrichene
Zeilen und corrigierte buchstaben durch besondere typen wider-
gegeben sind, während er im vorwort (s. VIII) sich gegen den
'typendruck' ausspricht, im übrigen ist er offenbar nicht abge-
neigt, bei einzelneu puncten mit sich reden zu lassen.
Über 'anordnung der bibliotheken im mittelalter'
enthält cap. 4 viel interessantes; doch dürfte eine geschichte des
catalogisierens im mittelalter noch nicht sobald an der zeit sein,
da im vergleich zur unsrigen die anzahl der bücher meistens
sehr klein war, kam es auf eine rationelle einteilung weniger an.
last immer gehn die biblischen bücher voran, auf diese folgen
die kirchenväter ohne bestimmte Ordnung, und den schluss macht
die weltliche litteratur. bei letzterer ist in einzelnen fällen eine
anordnung nach den sieben freien künsten versucht, anderwärts
sind die 'libri scottice scriptf ausgeschieden, öfter begegnen wir
einer besondern bibliothek für die schule und für die kiiche
oder den chor. letztere wurde auch meist in der aacDistei auf-
bewahrt, und das erklärt, warum bei so vielen kn •cheninventareo
die bücher mitten zwischen pannnenteu verzeichnet sind, das
ist unter umständen zu beachten, um nicht falsche fok'erunj'eu
84 GOTTLIEB MITTELALTERLICHE BIBLIOTHEKEN
zu ziehen, etwas anderes ist es, wenn eine grofse und eine
kleine bibliotliek unterschieden werden (s. 305. 307). eine ähn-
liche einrichtung bestand in Einsiedeln bis in unser Jahrhundert;
vgl. Calmet, Diarium helveticum s. 50 — 51. Helv. kalender f.
1798, s. 117. erst um das jähr 1805 wurde die Sammlung der
am meisten gebrauchten buch er, usuale genannt, mit der haupt-
bibliothek vereinigt, die alphabetische anordnung der titel im
cataloge findet sich zuerst im 12 jh.; im 15 wird sie allge-
meiner, aber wie waren die bücher selbst geordnet? bekanntlich
lagen dieselben auf pulten und die moderne aufstellungsart nach
formaten lässt sich nicht vor dem 15 jh. nachweisen. Signa-
turen waren wahrscheinlich schon im 11 jh. im gebrauch; aus
dem 13 haben sich manche erhalten, sie bestehn meist aus
römischen, seltener aus arabischen Ziffern und majuskelbuchstaben,
und mit ihrer hilfe ist es geluugen, von manchen hss. die her-
kunft nachzuweisen, auch verschiedenfarbige Signaturen je nach
den Wissenschaften, rot, grün, schwarz kommen vor (s. 270).
während in den meisten calalogen nur Verfasser und titel des
buches genannt werden, fügen andere die anfangsworte des Werkes
bei, oder auch anfang und ende, was namentlich in Italien brauch
war. seit dem 14 jh. werden sehr oft auch noch die anfangs-
worte des zweiten blattes angeführt, was zur sichern bezeichnung
mithalf, von der natur und dem zwecke des Verzeichnisses hängt
es ab, ob auch die preise beigefügt sind, dagegen werden kost-
bare einbände recht häufig erwähnt.
Cap. 5: 'Beiträge zur geschichte einzelner bihliotheken' ent-
hält hauptsächlich nachweise über den verbleib von hss. aus den
altern bibliotheken von Lorsch, Rheims, Trier und Reichenau.
Die 'Miscellen' (cap. 6) bilden die fortsetzung der cataloge,
indem auch die Zählung ununterbrochen fortgeht, und sie sind
wie diese nach ländern abgeteilt, es sind meist nur teilverzeich-
nisse, geschenke, ankaufe udgl. sie sind nicht so ausführlich
verzeichnet, wie die cataloge, nehmen oft nur eine einzige zeile
in anspruch, dagegen stehn sie an bedeutung und oft auch an
umfang diesen keineswegs nach.
'lndirecte quellen' nennt G. citate und uachahmuugen antiker
autoren bei den Schriftstellern des mittelalters; auch sie sind
Zeugnisse über die bücherbestände der bibliotheken. mit recht
hebt aber G. hervor, dass hier kritisch zu verfahren ist, und
tadelt den 'groben unfug', der in jüngster zeit mit seitenlangen
nachweisen dieser art getrieben wurde, wo nur zu oft der schein
sich in ein nichts auflöst, dagegen lässt sich mit gehöriger Sorg-
falt aus den Schriften Cassiodors ein Verzeichnis der bücher des
klosters Vivarium herausklauben, bekannt sind die verse Theo-
dulfs von Orleans über seine lectüre, und ähnliche bücherver-
zeichuisse, oft von bedeutender ausdehnung, finden sich in mittel-
alterlichen dichtem noch öfter.
GOTTLIEB MITTELALTERLICHE BIBLIOTHEKEN 85
Den scbluss bildet ein dreifacher index, der bibliotheken und
bücherbesitzer, resp. schenker oder Schreiber, der namen und
Sachen und der benützten hss. ich hätte noch ein Verzeichnis
der benutzten druckvverke gewünscht, wenn auch nur in summa-
rischer form, es sind ja, um die gestellte aufgäbe zu vollenden,
nicht nur hss., sondern auch drucke heran zu ziehen, und eine
bibliographische übersieht der bereits durchforschten litteratur
liefse erkennen, was noch auszubeuten ist. man bekäme dann
auch eine Vorstellung davon, wie weit zerstreut das material ist,
nicht nur in bibliographischen werken, Zeitschriften und Pro-
grammen; auch eine masse Specialschriften über klöster, Stiftungen,
schulen, dann die vielen Stadtgeschichten, endlich eine anzahl
reisebeschreibungen gehören hierher, indirect wäre ein solches
Verzeichnis auch ein mafsstab für den sammelfleifs und Spürsinn
des verf., eigenschaften, die ausdrücklich anerkennung verdienen;
er hat nicht nur einen grofsen teil des materials auf reisen ge-
sammelt, sondern ist auch bemüht gewesen, auf brieflichem wege
zn möglichst sichern resultaten zu gelangen, übrigens ist im vor-
stehenden der reiche inhalt des buch es noch nicht erschöpft ;
gelegentlich sind noch andere nolizen zusammengestellt, so s. 6
über mittelalterliche Schreiber, s. 324 — 328 über verschollene
bücherverzeichnisse uam.
Betreffs zweier punete erlaube ich mir hier noch ein par
bemeikungen. die bücherp reise sind gewis von bedeutung
für die kenntnis des mittelalterlichen bücherwesens, und eine
Zusammenstellung der zahlreichen erhaltenen notizen wäre in-
teressant, freilich fragt G. s. 320: 'was aber soll man dann
mit den zahlen anfangen?' nun, wir sind bereits über die geld-
werte der verschiedenen Zeiten soweit orientiert, dass die reduetion
auf einen gemeinsamen nenner nicht allzu schwierig sein dürfte. —
zu dem, was G. über die vorsieht beim ausleihen der bücher
(s. 319) gegen schein (s. 313) oder pfand (s. 290) sagt, wäre
hinzuzufügen, dass ein solches Unterpfand, gewöhnlich in einem
buche bestehend, memoriale genannt wurde, diese bedeutung des
Wortes fehlt auch in der neuesten aufläge von Du Cange, findet
sich aber bei Delisle Cabinet des manuscrits n 125, 239 und
anderwärts, daselbst 43, nr 2 steht auch ein ausleihschein vom
jähre 1488.
Nicht nur der philologe, sondern auch der historiker, der paläo-
graph und bibliograph, und — last not least — der theologe,
werden dem Verfasser für seine fleifsige Zusammenstellung dank
wissen, möchten sie ihn auch durch zahlreiche ergänzungen
betätigen!
Einsiedeln im december 1890. P. Gabriel Msier.
86 MÜLLER ZUR MYTHOLOGIE DER HELDENSAGE
Zur mythologie der griechischen und deutschen heldensage. von Wilhelm
Müller. Heilbronn, Henninger 1889. vi und 177 ss. 8°. — 3 m.*
Der bald nach dem erscheinen dieser seiner letzten schritt
verstorbene Verfasser sucht in ihr die angriffe abzuschlagen, die
seine 1886 herausgegebene Mythologie der deutschen heldensage
von verschiedenen kritikern erfahren hat. er beschränkt sich
aber nicht auf die abwehr, sondern geht nun seinerseits nament-
lich gegen den unterzeichneten zum angriff vor, indem er ihn
auf dem hauptgebiete der Indogermanischen mythen, auf dem
gebiete der griechischen sage, aufsucht, mit seiner früheren
Untersuchung verglichen, erweitert diese letzte einerseits den
kreis, um ihn anderseits zu verengern, wie die inhaltsangabe
der sechs capitel: 1. Die Kentauren. 2. EHMeyers Achilleis.
3. Zu der Nibelungensage. 4. Zu der Wielandssage. 5. Zu der
Walthersage. 6. Orendel bereits andeutet. M. lässt also hier die
Dietrich-, Ortnit- und Wolfdietrich-, die Rother-, Rudrun- und
Oswaldsage fallen und zieht dafür zwei wichtige griechische mythen-
gruppen heran, um nachzuweisen, dass die atmosphärische deutung
derselben , die ich mit hintansetzung ihrer geographischen und
geschichtlichen beziehungen auf dem wege der vergleichenden
mythologie ersonnen hätte, für die Wissenschaft ganz wertlos sei.
schon dieser satz enthält die zwei hauptvorwürfe, die der verf.
durch sein ganzes buch hin immer von neuem gegen mich erhebt,
misachtung der historischen momente und willkürliche dichtung
statt wissenschaftlicher erklärung.
Gegen den ersten darf ich mich wol der kürze halber auf
die worte eines OCrusius berufen, der von meinen Keulauren
sagt: 'langjährige beschäftigung mit der vergleichenden mythologie
und ethnologische Studien haben den verf. nicht blind gemacht
gegen die so häutig verkannte uotwendigkeit, dem griechischen
mythus zunächst mit philologisch-historischen waffen zu leibe zu
gehn. es werden sich unter den vergleichenden mythologen nicht
viele namhaft machen lassen, die mit der Sicherheit des verf. die
heikelsten archäologischen probleme anzufassen oder auf den ver-
schlungenen pfaden der Stammmythologie sich zurecht zu finden
wüsten.' schwerlich wird jemand dem im antiken mythus sehr
wenig bewanderten verf., der noch dazu pro domo redet, mehr
vertrauen schenken als jenem an dem streite ganz unbeteiligten
bewährten classischen philologen und mythologen, und wer es
doch versuchen sollte, wird es nach der lectüre von M.s Kentauren-
und Achilleisaufsätzen bald bereuen, um meine mühsame quellen-
kritik kümmert sich M. einfach gar nicht; kein einziges neues
mythologisches oder historisches Zeugnis bringt er bei, geschweige
denn einen neuen gesichtspunct. sein material schöpft er bequem
ausECurtius und MDuncker, meinen Indogermanischen mythen und
[* vgl. Litteraturblatt für germ. und rom. phil. 1890, sp. 89 (WGolther).]
MÖLLEB ZUR MYTHOLOGIE DER HELDENSAGE 87
Roschers lexicon, und im äufsersten falle muss HDMüller mit
einer etymologischen oder mythologischen auskunft brüderlich
einspringen, was ist ihm nun der Kentauren kern? ihre feinde,
die Lapithen und Herakles, waren nach M. Achaeer uud Aeolier,
die sich mit den Kentauren dh. Thessalern in Thessalien, Aetolien
und Elis herumschlugen, die streitohjecte, weih oder wein, be-
deuten ein strittiges land. mit der winddämonennatur der Ken-
tauren und ihrer Verwandtschaft mit den Gandharven ist es nach M.
nichts, denn in der griechischen Vorstellung seien die kentau-
rischen tiermenschen aus den im kämpf berittenen Thessalern
entstanden, wie in der indianischen die spanischen reiter zu
mischgeburten aus ross und mensch wurden, diese indianische
phantasieleistung ist schon oft bei der Kentau rendeutung als ana-
logon verwendet worden, als ob die Griechen nicht seit unvor-
denklicher, indogermanischer zeit pferde gekannt hätten und nach
der llias schon im trojanischen krieg sowol wageulenker als reiter
gewesen wären, trotzdem und obgleich Nestor 11. 1, 262 f die
Kentauren der vortrojanischen zeit zuweist, hat für M. der nach
Thucydides 1,12 sechzig jähre nach Trojas Zerstörung unter-
nommene einlall der Thessaler in das nach ihnen benannte land
ihre Umbildung in pferdemenschen hervorgerufen, wie schlecht
passt aufserdem an jener lliasstelle die älteste bezeichnung der
Kentauren als wilder bergtiere oder -ungeheuer, (prjoeg oQtoy.yoi,
für ein auf die ehene angewiesenes reitervolk! und auch abge-
sehn von der hypothetischen, übrigens stets an Wahrscheinlich-
keit gewinnenden, ältesten nur zweibeinigen Kentaurenform, wie
schlecht passt die anerkannt ältere, vor dem j. 500 v. Chr. allein
herschende form der auf menscheubeinen trippelnden Kentauren
zu reitern auf wild heransprengenden rossen! ebenso verfehlt ist
M.s sprachliche, auch nicht neue, ableitung der Kentauren von
y.tvTen) und auQog als plenlestachler, denn das betreffende sahst.
war in der griechischen spräche nicht vorhanden, feiner sind
kämpfe der Thessaler mit Aeolern in Aetolien und Elis nicht
überliefert und höchst unwahrscheinlich, und die nachrichten von
ihren kriegen mit den Achaeern in Thessalien melden unglück-
licher weise das gerade gegenteil von dem, was der vermeintliche
historische Kentaurenmythus angibt, denn nach diesem wären
die Kentauren in Thessalien uransässig, während umgekehrt in
der geschichte die Thessaler dort andere Völker gewaltsam ver-
drängten; und in Thessalien wurden die Kentauren besiegt,
während dort die Thessaler sieger waren, auf einem der zeit
und dem wesen nach undenkbaren psychologischen Vorgang, auf
einer mit einem erfundenen worte operierenden etymologie, auf
einem historischen Verhältnis, das historisch nicht nachweisbar
ist, und auf zwei gleichungen, die aus zwei Widersprüchen her-
gerichtet worden sind, beruht also M.s lehre von den Kentauren
als Thessalern. aber auch wenn diese lehre in allen puncten
88 MÜLLER ZUR MYTHOLOGIE DER HELDENSAGE
recht hätte, dürfte sie den anspruch erheben, das Kentaurenpro-
blem auch nur annähernd gelöst zu haben? der höchst eigen-
artige, voll und reich entwickelte character dieser ungeheuer, die
einen Eurytion, einen Pholos und einen Cheiron zu den ihrigen
zählten, ihre wunderbare abstammung, die reizvollen motive ihrer
kämpfe, freuden und leiden, ihre Verflechtung in die schönsten
und ältesten mythen des altertums, wodurch ihnen unter allen
mythischen miscbfiguren der erde die weitaus bedeutendste rolle
zugefallen ist, und endlich ihre merkwürdige Verwandtschaft mit
den dämonen anderer Völker, all dieses und vieles auderes bleibt
in M.s betrachtung völlig unaufgeklärt.
M.s kritik meiner Achilleis ist weit persönlicher und ver-
steigt sich bis zum Vorwurf grober Unwahrheit, man urteile!
M. behauptet zweimal (s. 53. 57), dass ich, um die hochzeit des
Peleus und der Thetis zu einem dämonenfest zu machen, die
Nereiden wie die Kentauren als gaste hinzugedichtet habe, —
und doch weise ich an drei stellen (Idg. m. 1, 45. 80. 2, 438)
darauf hin, dass nicht nur ein pompejanisches Wandgemälde,
sondern auch Euripides lphig. Aul. 1046 f die Kentauren wie die
Nereiden an diesem feste teil nehmen lässt. dazu kommt, dass
dieses nach mehreren quellen in der hole des Kentauren Cheiron
gefeiert wurde. M. behauptet s. 59, ich hätte das leuchten der
waffen und das tönen der trompete bei der überlistung des in
mädchenkleider gesteckten Achilleus durch Odysseus hinzugesetzt,
das leuchten von waffen, namentlich von solchen, die ein jüng-
lingsherz begierig machen sollen, versteht sich meines erachtens
von selbst, und der stofs in die trompete kommt, um nur ein
beispiel anzuführen, bei Apollodor 3, 13, 8 vor. M. behauptet
ferner s. 77, die griechische sage erzähle nicht, wie ich bemerke,
dass Peleus die Nereide in einer höhle festhalte, dies behauptet
er allen von Preller Gr. myth.3 (2, 398) angeführten alten Zeug-
nissen und der neugriechischen Nereidensage zum trotz, die Polites
und Beruh. Schmidt zuerst eingehender besprochen haben (Idg.
m. 2, 42 lf). eine bewust oder unbewust falsche darstellung nennt
er s. 84 meine behauptung, Alberich oder Euglin habe dem Sig-
frid das schwert Balmung verschafft, und zu den schönsten Über-
einstimmungen gehöre es, dass Alberich dem deutschen blitzheros
ein von ihm geschmiedetes schwert besorge, ich verwies dabei
auf WGrimmsHS2 59. 273, wozu ich allerdings noch die M. jeden-
falls bekannte stelle s. 79 hätte hinzufügen müssen, die ich offen-
bar vorzugsweise im sinne hatte, denn hier hebt WGrimm die
verworrene Schilderung des kampfes Sigfrids mit den Nibelungen,
ihren riesen und Alherich aus dem Nibelungenlied heraus und
sucht sie durch einige vortreffliche Vermutungen aufzuklären, das
resultat, dem ich durchaus beistimmte und noch beistimme, läuft
nun darauf hinaus, dass in der Thidrekssaga die echtere form
jenes kampfes, der hier nur auf Dietrich übertragen worden sei,
MÜLLER ZUR MYTHOLOGIE DER HELDENSAGE S9
vorliege, wie auch das Sigfridslied bestätige, darnach verschafft
allerdings Alberich oder Euglin direct oder indirect dem Sigfrid
das schwert und ist dieses schwert von Alberich selbst geschmiedet,
und allerdings bleibt jene von mir hervorgehobene wichtige Über-
einstimmung besteh d, der auch Mogks nichtssagende bemerkuug,
eine und dieselbe gestalt könne nicht zugleich dämon des Sturms
und Wetterleuchtens sein (Z. f. d. phil. 21, 342), nichts anzuhaben
vermag. M. wird es s. 97 schwer zu glauben, dass ich von der
richtigkeit meiner behauptung, in nordischer sage werde überall
Finnr für ein zauberisches wesen gebraucht, selber überzeugt
sei, indem er hinzufügt, freilich, wer die Trojaner und Griechen
Homers für dämonen halte, könne auch in den Finnen nur
zauberer und keine Finnen sehen, dieser satz bezieht sich auf
meine bemerkung über Finnr im Anz. 13, 24 I; ich bin überzeugt,
dass aus dem im zusammenhange durchaus verständlichen wört-
chen überall s. 25, z. 8 v. o. niemand aufser M. ein solches
misverständnis wie das obige zu stände gebracht haben würde.
endlich zeiht er mich einer groben Unwahrheit s. 95, weil ich
ihm den schluss unterschöbe, dass das reich der Wilcinen in
Finnland liege, während er doch behauptet habe, dass Finnland
zum reich der Wilcinen gerechnet werden müsse. M. übersieht
das wörtchen 'auch' in meinem satze (Anz. 13, 26): 'also, schliefst
M., mufs das reich der W'ilzen auch in Finnland liegen', ich
meine doch, wenn ich sage, dass Deutschland fortan auch in
Helgoland liegt, so bedeute das so viel wie, dass Helgoland nun
zu Deutschland gehöre, nimmt man dazu, dass mir M. den
druckfehler 'Vali's' statt 'Valis" und den gebrauch des wortes
'kreuz' für rückgrat als misverständnis des schon der Schuljugend
bekannten von Kriemhild aufgenähten 'kriuze' aufmutzt und dass
er aus allen kriliken über meine bücher die minder angenehmen
stellen zu freundlicher erinnerung sorgsamst hervorsucht, so er-
kennt man mit bedauern, dass die letzte arbeit dieses um die
Wissenschaft vielfach verdienten gelehrten nicht immer rein wissen-
schaftliche ziele verfolgt.
Beachtenswerter als diese beiden ersten aufsätze ist M.s mit
Mogks oben citierter besprechung oft übereinstimmende recension
meiner vergleichung der Achilleus- und der Sigfridsage, der beide
mangel an prüfung und zusammenschweißen der quellen vor-
werfen, sie berücksichtigen aber beide nicht, dass ich auf der 636
seite einer umfassenden Untersuchung, wo ich zur Nibelungensage
gelangte, unmöglich noch eine ausführliche quellen kritik geben
und die auswahl der sagenmotive im einzelnen begründen konnte;
ob diese arbeit meiner angäbe der grundzüge jener sage nicht
doch vorangegangen sei, wird die zukunft lehren, nach der
ganzen anläge meines uerks war ein solcher überblick notwendig
und, wie ich glaube, auch nicht unnütz. M. hat sich unleugbare
Verdienste um die erklärung einzelner partieen der Nibelungen-
90 MÜLLER ZUU MYTHOLOGIE DER HELDENSAGE
sage erworben, aber das berechtigte ihn nicht, mir mythologisch
notwendig erscheinende combinationen nur dann nicht als will-
kürliche Phantastereien zu bezeichnen, wenn sie mit den seinigen
stimmten, ich bin doch nirgend so weit gegangen wie er, wenn
er zb. in seiner Mythologie der deutschen heldensage s. 97 in
Günther nur den finsteren Sigfrid und s. 98 sogar in diesem
um Brünhild werbenden Günther-Sigfrid den drachen selber er-
blickt, für seine annähme der finnischen herkunft Wielands, die
wol nirgendwo anklang gefunden hat, führt M. jetzt eine finnische
märchensammlung ins feld, eine bekanntlich wegen ihres kosmo-
politischen characlers sehr bedenkliche hilfstruppe. da wird zb.
als wertvolles Wielandssagenzeugnis nr 5 angeführt, wo der held
des märchens sich die schönste von drei aus gänsen verwandelten
mädchen als gattin aussucht, als ob nicht dies geschichtlein durch
die halbe weit liefe, im capitel 'zur Walt hersage5 bekämpft er
vergebens in möglichst verächtlichem ton Rödigers berechtigte
einwände gegen seine lieblingsidee, dass der held in der helden-
sage das volk und dass dessen gattin das vom stamm des gemahls
eroberte land bedeute, den meisten fleifs hat der verf. in seinem
polemischen ergänzungsbuch auf den Orendel verwendet und
einige neue der näheren prüfung werte historische dateu beige-
bracht, wie nachlässig behandelt er aber auch hier die mythi-
schen elemente! s. 153 heilst es zb. : 'Örvandil, von dem sonst
nichts erzählt wird, muss, da Thor ihn aus Jötuuheim über die
Elivagar trägt, ein riese sein', dann muss ja die ebenfalls aus
Jötunheim getragene göttin Idunu auch wol eine riesin sein und
sich das gröfsenverhältnis des im däumling eines riesenhandschuhs
platz findenden Thors und des riesen auf den Elivagar plötzlich
umgedreht haben, dieser neucreierte mussriese raubt nach M.
dann auch seiner gemahliu Groa die ihr früher zugesprochene
segnende bedeutung, da nun auch sie durch ihn zu einer bösen
riesin degradiert wird, und muss als solcher auch weiterhin trotz
seiner so sehr dürftigen riesenlegitimation zu ähnlichen ent-
deck un gen verhelfen.
Es empfiehlt sich nicht, nach diesen einzelbemerkungen noch-
mals auf den M.schen codex der mythengesetze einzugehn. er
ruht auf der falschen grundanschauung, dass das volk historische
Verhältnisse zu individuellen Persönlichkeiten symbolisiere und so
einen historischen mythus schaffe, das volk geht vou einer ein-
zelnen persönlichkeit, wie zb. Dietrich, aus, und die darstelluug
seiner persönlichen Schicksale, mit denen allerdings auch die seiner
vorfahren oder nachkommen verschmolzen werdeu können, spiegelt
dann ja in gewissem sinne die historischeu Verhältnisse wider,
wo aber die sage — und dies ist weit häufiger der fall — solche
historischen gröfsen nicht nennt und die Schicksale des helden
solche historischen Verhältnisse nicht widerspiegeln, sondern ledig-
lich in wundersamen taten bestehn, da haben wir einen, wie M.
MÜLLER ZUR MYTHOLOGIE DER HELDENSAGE 91
sagen würde, religiösen mythus als kern anzuerkenneu. ein
solcher mythus ist aber nicht, wie M. will, aus allgemeinen
Vorstellungen von einem walten höherer mächte in der nalur
überhaupt und dem gefühl der menschlichen abhängigkeit —
denn diese tätigkeiten kommen bei der mylhenbildung wenig in
betracht — , sondern gerade widerum aus einer möglichst speciellen
Vorstellung von einer einzelnen naturkral't herzuleiten, allerdings
einer solchen, die wie die grofsen lufterscheiuungen dreierlei
eigenschaften in sich vereinigt, nämlich geheimnisvolles wesen,
lebendigen formen- und kraftwechsel und bedeutenden einfluss
auf die menschliche existenz. denn nur diese eigenschaften treiben
die phantasie zur bildung wirklich lebensfähiger persouificationen
an. derartig sind namentlich drei naturerscheinungen: donner
und blitz, stürm und wind, und die wölke, während die soge-
nannten chthonischen wesen, denen M. und sein bruder eine so
einflussreiche stelle einräumen, erst im späteren mythus und auch
dann nur eine untergeordnete rolle spielen, die M.sche auffassung
der heldensage ist, weil sie die mytheohildung überhaupt verkehrt
auffasst, gleichfalls verkehrt und deswegen unfruchtbar, die aus
ihr entspringenden Vorschriften sind aufserdem so lax und leisten
der vom verf. an andern so eifrig gerügten Verschiebung und
umkehrung der quellenmotive mindestens ebenso viel Vorschub,
wie die l'reieste atmosphärische mythendeutuug. dennoch teilt
dies buch mit. seinem Vorgänger das verdienst, dass es die helden-
sagenforscher von neuem eindringlich an die pflicht erinnert, die
grenzen der mythischen und historischen demente möglichst sorg-
sam und sicher abzustecken.
Freiburg, 10. aug. 1890. Elard Hugo Meyer.
Dr V.E. MoüREK, Syntaxis gotskych piedlozek. Spisflv pocti-nychjubilejni cenou
kräl. ceske spolecnosti näuk v Praze cisto V. (Syntax der gotischen
Präpositionen, nr 5 der mit dem Jubiläumspreis der k. böhmischen
gesellschaft der Wissenschaften zu Prag gekrönten Schriften.) Prag
1890. 232 ss. 8°.
Eine sehr sorgfältige und den Stoff erschöpfende arbeit,
welche die intimere Kenntnis des gotischen überhaupt entschieden
fördert und durch Vorführung des ganzen materials die Ähnlich-
keit und unähulichkeil der gotischen und slavischeu componierten
verba viel deutlicher erkennen lässt als der aulsatz Sireitbergs in
den Beitr. 15, 70 ff. nicht das geringste verdienst des buches
ist es, dass die öfter gewaltsame behandlung, welche die goti-
schen verbalcomposita durch Sireitberg erfahren haben, hier einer
auf Sammlung des vollständigen materials gestützten kritik unter-
zagen wird, gar viele 'perfecliva' , welche durch einzelne aus-
92 M01REK SYNTAX DER GOTISCHEN PRÄPOSITIONEN
gewählte beispiele allerdings sehr scheinbar gemacht werden
können, fallen weg, wenn man in M.s Sammlungen daneben die-
selben verbalcomposita findet, welche nicht uur an gewissen stellen
griechischen präsentien und imperfecteu entsprechen, sondern auch
dem sachlichen Zusammenhang nach dort nur imperfectivebedeutung
haben können; vgl. s. 9. 41. 117 anm. 121 anm. 126. 136 anm.
nur geht M. 117 anm. zu weit, wenn er hier Streitberg die kenntnis
der durativ-perfectiven verba abzusprechen scheint, s. Str. s. 72.
Str. hat sich vielleicht s. 82 f nur nicht vollkommen genau ausge-
drückt, wenn er in fällen, wie saei habai ausöna hausjandöna,
gahausjai das hauptgewicht in gakausjai auf den moment der
Vollendung legt, es ist in der tat, wie man im cechischen so gut
sagen kann, ein dovrsovati, nicht ein dovrsiti, eine Vollendung,
der eine dauer vorhergeht, und darin wird Str. wol recht haben,
dass der gotische Übersetzer öfters durch eine andere auffassung
perfectivisch übersetzte, wo der griechische text imperfectivisch
gehalten ist; so zb. inbranjada kciietcu usw., s. 147, eine mög-
lichkeit, die auch M. zugibt, s. 136 anm. das erfordert weitere
Untersuchung, vor der hand hat M. gezeigt, dass, wenn man die
widergabe des griechischen textes berücksichtigt, fast nur bei ga-
die fälle der deutlich perfectivischen bedeutung so über die der
imperfectivischen überwiegen, dass man mit einiger Sicherheit von
einer perfecthierenden kraft der partikel reden darf.
Von dem übrigen iuhalt des buches hebe ich nur einiges
hervor, um zu zeigen, wie nützlich Sammlungen wie M.s für die
erklä'rung einzelner textstellen sind. Luc. 19, 29 biße nehwa was
Beßfagein jah Beßanijin af fairgunja, «5g rjyyiosv elg Bij&cpayr]
Aal Bt]$aviav Ttobg %b ooog. Bernhardt conjiciert hier at
fairgunja, anscheinend ganz plausibel, aber wenn man die von
M. s. 22 aufgeführten fälle af hleidumein, aftaihswön vergleicht, so
wird man ihm darin recht geben, dass die conjectur überflüssig sei.
— ebenso wahrscheinlich geht aus dem artikel über a/ar 23 ff hervor,
dass Luc. 1, 5 was gudja namin Zakarias ms afar Abiins lyhe.ro
Isoevg rig 6v6f.ian Za%aQiag e£ ecpt]f.t€Qiag !dßiä nicht richtig
sein kann und statt afar wol ein substantivum , das dem ags.
eafora entsprach, gestanden haben wird. — der gebrauch von
mißsökjan, mißrödjan s. 178 zeigt, dass Vollmers und Bernhardts
conjectur zu Sk. v a ei — ni missaqißaina (neve rixarentur)
verfehlt ist, wenigstens nicht bewiesen werden kann, da die mög-
lichkeit vorliegt, dass miß- die bedeutung von missa- haben kann.
— wie sehr in einzelneu fällen die locale bedeutung von at-
abgeschwächt ist, sieht man aus den Zusammenstellungen s. 46,
wo du- neben at- an das verb tritt: duatgaggan, duatsniwan, duat-
rinnan oder atgaggan mit dem adverb du. — die ursprüngliche
bedeutung von bi- 'herum' wie a/iupi, mit dem es vielleicht ver-
wandt ist, lehren die beispiele s. 57. daneben aber entwickelte
sich in der präposition bi auch die bedeutung des mittels, durch
MOORES SYNTAX DER GOTISCHE* PRÄPOSITIONEN 93
welches etwas geschieht, und Bernhardt bat unrecht bi atlin in
der Skeireins v c ei andnimai bi attin siceripös durch secundum
patrem zu Obersetzen, es ist a patre, wie insandjands bi sipönjam
seinaim Blattb. 11,2. — belehrend für die ersetzung der localeu
hedeutung durch die modale der vollständigen durchführung eines
verbalbegriffes sind die für dis-, üf-, us- gesammelten lalle s. 71.
191. 203. — oder da inn- sonst nicht einlach tzqo- widergibt,
muss Marc. 1, 19 Jah jainprö inngaggands framis leitil gasahw
Jacobu — jah pans in skipa xal Trgojag e/.ei&sv b't.lyov ddsv
Iaxüjßov — "/.cd avrovg Iv toj tc/.oLo), — inn- etwas andres
bedeuten, und M. vermutet ansprechend, dass Ulfilas sagen wollte:
Jesus trat näher an den uferrand oder stieg vom uferrand zum
wasser hinab, um so den auf dem schiff im see befindlichen
Jakob und Johannes näher zu sein; s. 143 anm.
Ich verweise noch auf fair- s. 88 und seine ähnlichkeit mit
dem eechischen pri- 'bei', 'neben', miß- s. 177 und seine mit der
des griechischen uerä übereinstimmende hedeutung 'zwischen
zwei grenzpuncten oder grenzlinien'; — auf die ingressiv-inchoa-
tive natur von in- und us- s. 148. 2 1 1 ; — auf die aus mipinngaleipan
folgende möglichkeit, inn als praefix aufzufassen s. 148. dass
auch inna als praefix gebraucht wurde, ist s. 143 nicht bewiesen,
und die auffassung von gaumjan als ga-um-jan , s. eech. uineti
'kennen', 'verstehen', s. 118. 135, wird befremden.
Da auch die übrigen arbeiten M.s zum teil in cechischer
spräche geschrieben sind, zum teil an orten stehn, wo sie sich
der kenntnis des germanistischen publicums leicht entziehen, so
berichte ich noch kurz über jene, welche für germanisten von
grösserem interesse sind, so besitzen wir von M. eine abhaud-
lung über das cechische und das deutsche (Pleiersche) gedieht
vonTandarois und Flordibel in den Abhandlungen der k.
böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften 1887 (4°) s. 3 — 103.
{Pojedndni k. ceske spolecnosti nduk. — vn rada, 1 svazek, ßo-
soficko-historickd trida, cislo 6. — Tandarms a Floribella. Sklddäni
staroceske s nemeekym Pleyerovi/m srovnal Dr V. E. Mourek.)
Nach einer sehr eingehenden vergleichung des deutschen
mit dem eechischen werk s. 4 — 69, über welches letztere M.
schon in kürze hinter Khulls ausgäbe des Pleierschen gedichtes
auskunft gegeben hat, s. 242 f, kommt derselbe zu dem resultat,
dass nur das werk Pleiers, und zwar als buch, nicht als münd-
liche Überlieferung, s. 72, grundlage des öeebischeo gedichtes
sein könne, da der Oechische text zuweilen ohne den deutschen
unverständlich sei, s. 71, und eine französische quelle, die mau
etwa für beide gediente annehmen könnte, nicht nur nicht auf-
gefunden, sondern höchst unwahrscheinlich sei, s. 74. mit recht
verschmäh! M. bei seiner beweisfübrung von den germanismen
des eechischen dichters gehrauch zu machen, sie gehn nicht
94 MOUBEK TAINDARIUS UND FL0R1BELLA
aus wörtlicher Übersetzung Pleierscher verse hervor und erklären
sich aus allgemeinen culturverhältnissen, s. 72 t. 79. das cechische
gedieht stellt sich hierbei vor allem als eine kürzung des deutschen
heraus, 1824 verse statt 18339, s. 69. 70. die gröfsere gedrungen-
heit sowie einige feinere züge kommen dem werke hier und da
zu gute, s. 69 f. 93. — bei der Untersuchung über das alter des
cechischen werkes wird, wie billig, erst die Vorfrage, das alter
des deutschen gedichtes, behandelt. M. vertritt die ansieht, dass
die reihenfolge der Pleierschen gedichte war: Garel, Tandarois,
Meleranz, s. 81 f (nach Steinmeyer, Anz. 16,296: Garel, Meleranz,
Tandarois) und dass der Tandarois bald nach 1264 geschrieben
sei, da sich in diesem werke anspielungen auf die überaus pracht-
volle hochzeit der nichte Ottokars n mit ßela von Ungarn finden,
s. 83 f, wozu auch die versteckte erwähnung des königs Alfons
von Castilien (Castel) und Richards von Cornwall stimmen, s. 84anm.
aber ein sicherer terminus ad quem lässt sich für das cechische
gedieht nicht finden. M. setzt nur vermutungsweise den Zeit-
raum von 1270 — 1330 an, s. 85. wenn würklich die erwähnung
der vierjährigen trist, welche zwischen der einladung zu dem der
hochzeit von 1264 entsprechenden feste und diesem selbst in dem
cechischen, nicht in dem deutschen gedichte, s. 84, mehr als
zufall ist , so müste man die entstehung des cechischen werkes
möglichst bald nach dem deutschen annehmen, die spräche des-
selben, welche M. s. 85 — 94 untersucht, weist nach ihm auf
eine ältere vorläge, s. 91. — s. 94 — 103 behandelt die metrik.
Gegen viele annahmen M.s in bezug auf das cechische ge-
dieht hat sich EKraus ausgesprochen in seiner kritik der in
rede stehenden abhandlung im Athenaeum (Prag 1887) s. 260ff,
auch gegen M.s meinung, dass der cechische dichter ein manu-
script des Pleier benutzte, s. 262b. hier aber scheint mir M. im
recht zu sein, wenn das cechische gedieht die bei Pleier 1691 ff
namentlich angeführten, aber nicht gezählten ritter nicht benennt,
aber ihre zahl richtig auf neun angibt, so ist es schwer zu
glauben, dass der cechische dichter bei seiner ersten leetüre
des werkes die zusammenzählung vorgenommen und sich des
resultates bei der später erfolgenden ausarbeitung seines werkes
erinnert habe.
Was M. über das deutsche gedieht mitteilt, ist zur Orientie-
rung der Slavisten, welche sich mit dem cechischen gedichte be-
schäftigen , gewis ganz zweckentsprechend , enthält aber wenig,
was nicht aus JVZingerle, EHMeyer und Steinmeyer bekannt
wäre, die grundlagen für die oben angedeuteten bestimmungen
der relativen und absoluten Chronologie Pleiers scheinen mir
nicht hinlänglich gesichert.
In deutscher spräche sind ferner von M. in den Sitzungs-
berichten (8°) der k. böhmischen gesellschaft der Wissenschaften
folgende abharidlungen erschienen:
HOUBEK BÖHMISCHE ffÄNDSCHRIFTENFRAGMENTE 95
1) 10 jänner 1887. Prager bruchstück einer pergament-
handschrift der Klage, s. ,3 — 24.
2) 5 uiärz 18S8. Kiiimauer hruchstiick eines mitteldeut-
schen geistlichen gedichls. s. 3 — 33. wie der herausgeher seihst
gesehen hat, ist es aus brucler Philipps Marienleben.
3) 3 juni 1889. Prager bruchstück einer pergamenthand-
schrift des Rosengartens, s. 118 — 130. ein wichtiger fund. das
stück gebort zur redaction im höfischen ton, von der so wenig
erhalten ist [vgl. in diesem Anz. obeu s. 37 ff].
4) 1 juli 1SS9. Neuhauser bruchstücke einer pergament-
handschrift altdeutscher gedichte ernsten inhalts. s. 131 — 176.
darin findet sich eine fassung der Euphrosynenlegende, welche
zwar aus den Vitae patrum stammt, aber unabhängig von dem
väterbuch ist, — dann eine selbständige fassung der aus der
kaiserchronik (Diemer 136, 15 ff) bekannten novelle von der
Lucretia. s. Oesterley Gesta Romanorum. cap. 135, s. 489 und
734, Cloetla Beiträge i 145 anm.
5) 13 jänner 1890. Prager ahd. glossen. s. 16 — 21. wie
der herausgeber nachweist, sind diese glossen bairisch und aus
dem 9 jh.
6) 28 april 1890. Prager pergamentfragmente der Oswald-
legende, s. 275 — 282. das erste fragment hat nichts mit der
Oswaldlegende zu tun, sondern ist aus dem an fang des Willehalm
des Ulrich vom Türlein.
Wien, 20. december 1890. R. Hei.\zel.
Om -er, -r, -ar och -or säsom pluraländelser för neutrala substantiver i
svenska spraket af Nils Linder. Stockholm, PANorstedl & söners
förlag. 101 ss. kl. S°. — pris 1 kr. 50 öre.
Der Verfasser dieses büchleins hat sich schon durch andere
verdienstliche abhandlungen auf dem neuschwedischen Sprach-
gebiete bekannt gemacht, gemeinsam ist diesen arbeiten L.s das
streben, in zweifelhaften fällen, wo die jetzige spräche doppel-
formen besitzt, die zweckmäßigere zu empfehlen, auch in dem
werkchen, das ich hier, nach der aufforderung der redaction,
mit einigen worteu bespreche, behandelt verl. eine die neuschw.
spräche betreffende frage von practischem Interesse, er empfiehlt
die benutzung der pluralendung -er (-r) für mehrere kategorien
neutraler substantiva: denn trotz dem tilel behandeil die schrill
fast ausschliesslich die frage von -er (-r) als neutraler plural-
ettdtmg.
Wählend im gemeinnord. (ebenso wie im isl.) iiom. BOC. pl.
fier neutra jeder endung entbehren, und deshalb nom. acc. pl.
96 LINDER OM -ER, -R, -AR OCH -OR
und sing, der meisteu Wörter gleich lauteten (borp usw.), so hat das
schwedische, und zwar, wenn auch selten, schon das altschw., die
von alters her von vielen inasc. und fem. henutzte pluralendung -er
auf mehrere neutra (besonders lehnvvürter wie fierter, elementer usw.)
übertragen, aber wahrscheinlich ist die einführung dieser neuen
neutralen pluralendung teilweise unter ausländischem (dänischem
und deutschem) einfluss vor sich gegangen, obgleich viele schw.
neutra, wie L. hervorhebt, auch ohne diesen einfluss die endung
-er wahrscheinlich würden bekommen haben. Der umstand, dass
diese neutrale pluralendung verhältnismäfsig jung ist, veranlasste
das streben der einseitig sprachgeschichtlichen schule, deren be-
deutendster Vertreter Rydqvist war, die pl. elementer, fierier usw.
als angebliche Sprachfehler abzuschaffen, obgleich dies streben,
das seit den fünfziger jähren sich geltend machte, von einzelnen
forschem Widerspruch erfahren hatte, war die anwendung der
neutr. pluralform -er vor ein paar jahrzehuten entschieden im
abnehmen, und wenn sie auch während der letzten jähre, nachdem
die einseitig sprachgeschichtliche richtung nicht mehr mafsgebend
ist, wider etwas an hoden gewonnen, so hat man sich doch
nicht darüber einigen können, wie weit die anwendung des pluralen
-er reichen soll.
Die schritt L.s ist für diese frage entschieden von bedeutung,
und ich kann mich seiner hauptansicht wesentlich anschliefsen.
nach L. hängt die anwendung der pluralendung -er in den
meisten fällen von einem analogieprincip ah, nach welchem die
ableitungseudungen der neutra für die pluralform bestimmend sind,
und zwar so, dass, wenn viele masc. oder fem. mit einer gewissen
ahleitungsendung (zb. -ens: Ingrediens, reminiscens usw.) die plural-
endung -er haben (ingredienser ua.J, die neutra mit derselben ah-
leitungsendung (residens ua.J auch diese pluralendung angenommen
haben (residenser ua.). diese tendenz der spräche muss auch in
zweifelhaften fällen die entscheidung abgeben.
Nach einer geschichtlichen einleitung, in der L. nach den
angaben alter grammatiker eine kurze Übersicht des pluralen
-er der neutra im älteren neuschw. gibt, werden die verschiedenen
ansichten dieses Jahrhunderts referiert; besonders verweilt L.
bei der meinung Rydqvists. alsdann bespricht er die verschiedeneu
kategorien der neutr. substantiva, und zwar zuerst die im sing,
auf einen konsonanten, später die auf einen vocal ausgehenden,
und erörtert, inwiefern die pluralendung -er von jeder kategorie
benutzt wird oder früher benutzt worden ist. mehrere dieser
Untersuchungen hat er auf eine wertvolle Statistik über die zahl
der neutralen und nicht-neutralen subst. mit gewissen endungen
aufbauen können , und diese methode kam besonders der ersten
von ihm aufgestellten kategorie, den auf einen konsonanten aus-
gehenden Wörtern mit betonter endsilbe, zu gute, so besitzt das
neuschw. nach L. zb. 43 nicht neutrale subst. auf al (amiral ua.J,
LINDER OH -ER, -R, -AR OCH -OR \) t
aber nur 15 neutra dieser endung (fodral u.a.), welche deshalb uach
der analogie von amiraler ua.die pluralenduog -er bekommen haben.
Unter den übrigen kategorien mögen noch die folgenden
erwähnt werden, vou den neutr. landskap, sällskap usw. sind
sowol die pl. landskap, sällskap, als die pl. landskaper, sällskaper
(nach den masc. ddrskaper. egenskaper usw.) gebräuchlich und
berechtigt, mit recht befürwortet verf. pluralfonnen auf -er von
vin, gift (viner, gifter, verschiedene arten von wein, gifti usw.
dagegen misbilligt er die formen brefver, mynter, fälter usw. (voo
einigen anderen auf consonanten ausgehenden einsilbigen neutren :
bref usw.), die im älteren neuschw. dann und wann begegnen.
ein versuch sie einzuführen würde jedesfalls am widerstreben
der heutigen spräche scheitern.
Unter den neutren auf vocal hatten die auf -nde ausgehen-
den (aufbrande, ärende usw.) im älteren neuschw. oft die plural-
endung -r , die aber in der modernen spräche wenig benutzt
wird; nach L. haben sie mit recht die flexion der zahlreichen
auf-e ausgehenden neutra (aufbranden nach rike, pl. riken usw.)
angenommen, neutra auf - ehe (fängeise, häktelse, spökelse), die
früher den pl. sowol auf -n {fängeisen) als auf -r (fängelser)
bildeten, haben jetzt im anschluss an die zahlreichen nicht-neu-
tralen subst. auf -eise (rättelser usw.) gewöhnlich die endung -r.
schon seit dem 16 jh. benutzten die Wörter auf - eri (frieri ua.)
die pluralendung -er, die sowol für diese als für die übrigen
neutra mit betontem endvocal (kafe, parti usw.) berechtigt ist.
Nach L. soll nun aber nicht nur die analogie, sondern teil-
weise auch der differenzierungstrieb und eudlich auch das streben
nach wollaut und bündigkeit die pluralendung -er hervorgerufen
haben, dass auch diese letzteren factoren eine beschränkte rolle
haben spielen können, darf ich nicht bestreiten, aber jedesfalls
scheint mir L. dem differenzierungstrieb zu viel zuzumuten.
so zb. wenn nach ihm die erhaltung des pl. leder (von led n.
'glied, reihe', vgl. nhd. glieder, dän. geleder) dadurch bewirkt
sein soll, dass pl. led 'gaüertore' bedeuten kann, vielmehr ist
leder 'reihen' durch anschluss an das masc. led 'glied, gelenk",
pl. leder, und an led 'glied, grad der verwantschaft', das ursprüng-
lich auch masc. mit pl. leder war, erhalten worden.
Endlich behandelt L. -ar und -or 'als neutrale pluralsuftixe'.
jene endung begegnet nur in fjällar (sing, fjäll) und in den
veralteten skärar (sing, skär), töcknar (sing, tacken); dieses nur
in den seltenen deltor , anatemor von <\an lehnwörtern delta,
anatema, das aber auch die form anatem pl. anatemer haben kann.
diese endungen haben also für neutr. subst. so wenig bedeutung,
dass es wol zweckmäfsiger gewesen wäre, wenn veiT. den zusatz
'-ar och -or' aus dem litel der schrill ausgeschlossen hätte.
Ein paar beinci klingen über die pluralform fjällar gen
aber als eine kleine Vervollständigung der erörterungen L.s hier
A. F. I). A. XVII. 7
98 LLNDER OM -ER, -B, -AR OCH -OB
mitgeteilt werden, der sehr auffallende pl. fjällar vom Deutrum
fj'dll 'hohes gehirge' wird dadurch erklärt, dass fjäll im älteren
neuschw. auch masc. sein konnte. Möller1 (1790) verzeichnet
nämlich fjäll als masc. mit pl. fjällar, und Lindfors2 (1815) hat
fjäll als masc. und neutr. , während Weste3 (1807) unter fjäll
neutr. die definile form fjällen 'Les Alpes' (Lappska fjällen 'les
Alpes lapounes') als masc. aufuimmt. jedesfalls ist sowol das
masc. geschlecht als auch der pl. fjällar verhältnismäfsig jung.
im isl. und altschw. ist fiall, ficel neutrum, und das wort ist be-
kanntlich ursprünglich ein neutr. o^es-stamm. da diese stamme
wegen der endung -an, -in bisweilen früh masc. geworden
sind, würde man vermuten können, dass dies auch bei schw.
fjäll der fall gewesen sei; da aber fjäll erst spät als masc. be-
legt ist, so beruht der genuswechsel wahrscheinlicher darauf, dass
die definite pluralform fjällen (vom neutr. fjäll) als eine sing.-
form von einem masc. subst. aufgefasst worden ist, und dies mis-
verständnis erklärt sich leicht, da das ziemlich seltene fjäll
verhältnismäfsig oft in der definiten form begegnete, so verzeichnet
Schenberg4 (1739) nur die form fjellen 'Alpes'; nach Möller
'wird bisweilen besonders das hohe gebirge zwischen Schweden
und Norwegen fjällen genannt' ; vgl. namentlich auch die soeben
aus Weste mitgeteilte notiz: fjäll neutr., aber fjällen masc. vom
masc. fjäll wurde pl. fjällar regelmäfsig gebildet, und um so viel
leichter als, wie L. selbst bemerkt, die spräche schon ein anderes
masc. fjäll 'grundstück' mit pl. fjällar besafs. ob aber der dän.
pl. fj'elde, wie L. meint, zur bildung des schw. fjällar mitgewirkt
hat, bleibt wol sehr fraglich.
Ich beende diese anzeige, indem ich die hoffnung ausspreche,
dass verf. seine fruchtbaren Untersuchungen auf dem neuschwe-
dischen gebiete fortsetzen möchte.
1 Tysk och svensk samt svensk och tysk ordbok af JGPMöller.
2 Svenskt och latinskt lexicon af And. Otto Lindfors.
3 Parallele des langues francoise et suedoise. par mr. Weste.
4 Lexicon latino-svecanum.
Lund, 3. dec. 1890. Axel Kock.
Geschichte der schwäbischen mundart im mittelalter und in der neuzeit. mit
textproben und einer beschichte der Schriftsprache in Schwaben dar-
gestellt von dr Friedrich Kauffmann. Strafsburg, Triibner 1890. xxvm
und 355 ss. 8°. — 8 im*
Der verf. hat im Litteraturbl. f. germ. und rom. phil. 1887
sp. 56 ff die schrift von Holthausen über die Soester mundart,
welche ich als 'die beste darstellung, die wir zur zeit von einer
deutschen mundart besitzen' bezeichnen zu müssen glaubte, einer
* [vgl. Archiv f. d. stud. d. neueren sprachen 85, s. 62 (KWeinhold). —
Litter. centralbl. 1890 nr 40 (R. K.). — Litteraturbl. für germ. und rom. phil.
1891 nr 1 (Oßehaghel). — DLZ 1891 nr9 (AHeusler).]
KAUFFMANN GESCHICHTE DER SCHWÄBISCHEN MUNDART 99
strengen kritik unterzogen, die über dingen, welche sie bei der
darstellung vermisste, dem würklich geleisteten nicht gerecht ge-
worden ist. augenscheinlich schwebten dem kritiker schon die
gedanken vor, die in dieser, Sievers gewidmeten, Geschichte der
schwäbischen mundart gestalt gewonnen haben, der eingehenden
und von Selbständigkeit zeugenden phonetischen darstellung der
neueren spräche ist die mundart von Horb in den vorbergen des
Schwarzwalds am oberen Neckar zu gründe gelegt, nicht ohne
dass auch andere schwäbische dialecte reichlich berücksichtigt
werden; und an der hand gedruckter und ungedruckter quellen
wird die geschichte der heutigen laute bis in die früheste histo-
rische zeit zurückverfolgt, ob das buch dem schwäbischen in
seinem ganzen umfange genügend gerecht wird, um seinen titel zu
verdienen, kann ich nicht beurteilen, scheint mir aber auch nicht
von belang, da ich die Anz. 13,223 ausgesprochene ansieht
auch heute noch gern widerhole, eher wäre wegen des titeis
insofern zu rechten, als doch nur die laute und gelegentlich
einzelne züge der Wortbildung und flexion behandelt werden, in
dieser beschränkung leistet das in einem guten, nur manchmal
zu gedrängten, stil geschriebene buch sehr tüchtiges und wird
dauernd seinen wert behalten. K. ist in der deutschen Sprach-
wissenschaft vorzüglich geschult, er verfügt über ausgebreitete
kenntnisse, er besitzt echte forschertugeuden, indem er grofsen
und kleinen problemen entschlossen entgegentritt und sie durch-
weg mit Scharfsinn und umsieht behandelt, so konnten bei der
ähnlich wie von Hollhausen geübten methode, die jetzige muudart
auf ihre sicheren historischen gruudlagen zu stellen und das tote
material der alten spräche hinwiderum an jener zu verlebendigen,
wertvolle resultate nicht ausbleiben, mancher gewinn auch für
die ahd. und mhd. zeit ist zu verzeichnen (zb. § 106, 2a). be-
sonders möchte ich noch die eingehende, lichtvolle und ergebnis-
reiche behandlung der nebensilbenvocale hervorheben , obwol bei
ihr nicht alles gleich überzeugend ist. schade dass die klarheit
dadurch beeinträchtigt wird, dass in § 106 ff beim druck eine un-
beabsichtigte Unterscheidung von e und e hereingekommen ist.
Dass ich bei einer sonst so vielseitigen behandlung ungern
eine erwägung über die fremdwörter im dialect vermisse , versteht
sich nach Anz. 13, 213 f von selbst, wenn s. 151 Wörter wie
hite hütte, send Sünde als importiert anerkannt werden, so kann
schliefslich jemand alle hier aufgestellten lautgesetze anzweifeln,
für die nicht vorher das material in diesem sinne untersucht
worden ist. auch sonst habe ich unbeschadet aller anerkennting
nicht nur im einzelnen manches auszusetzen, sondern auch die
methode vielfach zu beanstanden, und finde mich in folge dessen
in der bedauerlichen läge, die zusammenfassenden ergebnisse, auf
die K. grofsen wert legt, teilweise entschieden zurückweisen zu
müssen.
100 KAUFFMANN GESCHICHTE DER SCHWÄBISCHEN MUNDART
Bei einem buch der gekennzeichneten art befremdet es, dass
öfter die tatsachen ohne jeden erklärungsversuch hingestellt werden,
so finde ich zb. kein wort darüber, wie es aufzufassen ist, dass
mhd. e und ce sowol durch e als durch ae vertreten sind (§§ 71 f.
85); ebensowenig sind die § 87 f besprochenen entwickelungen
erklärt oder als erklärungsbedürftig bezeichnet, hier ist auch kaum
genügendes material mitgeteilt; mau kann sich nicht einmal ver-
gewissern , ob irgendwo noch ein unterschied zwischen altem iu
und umlaut des u bemerkbar wird, noch auffallender ist es,
die öfter zurückgewiesene ansiebt, es gebe analogische lautüber-
gänge, widerzufinden. sie macht sich an mehreren stellen be-
merklich, am deutlichsten § 110 anm. 5: 'in einsilbigen Wörtern
mit der auslautsverbindung vocal -+- r hat sich bei pausastellung
ein 9 gebildet, zb. doartor, /par vor, analogisch auch iu frjodrd
gegohren'. analogiebildung istdoch nur denkbar auf grund einer
einfachen association tatsächlich vorhanden er formen; frjord
kann unmöglich o in od wandeln, weil dodr früher einmal dor war.
wenn etwa K.s meinung ist, dodr könne analogisch ein mehr-
silbiges dodre zeugen, und das nebeneinander von dord, dodrd
sowie die ' satzdoublette for, fodr ein frjowd neben frjord, so wäre
die vorausgesetzte association sicher zu verwickelt. — ähnlichen
geisles ist die erklärung der contrahierten formen von geben
(§ 144 anm. 2). organisch soll der cousonant nur im imp. gip
im Satzzusammenhang schwindeu. es ist nicht sehr wahrschein-
lich, dass auf dieser grundlage ein vb. gen, du gist entstehn
konnte, auch in Koblenz gilt gen; einen veränderten imperativ
kenne ich nur in der Verbindung gimmdr 'gib mir', und die-
selbe erkläruug soll auch für hän gelten, an welche form ist
liier gedacht? doch nicht etwa an den imperativ? sonst könnte
wol nur hammdr 'haben wir' herangezogen werden, ist diese
form indes schwäbisch? — an die erklärung von gen schliefst
sich ferner die von sä sagen uä. § 154 anm. an. m.e. dürfen die
schwäbischen formen nicht von den übereinstimmenden getrennt
werden, die, schon in alter zeit, weit den Rhein abwärts gehn.
da „dort mag nicht ebenso erscheint, so ist im gegenteil schwäb.
imä eher von den anderen zu trennen, hieraus würde sich er-
geben, dass die entwickelung gerade nicht auf formen mit aus-
lautendem consonauteu beruht, wie für die Wahrscheinlichkeit,
dass die contraction bei zweisilbigen formen eingetreten ist, auch
der umstand spricht, dass die contrahierten das n im infinitiv
bewahren, wo sonst der inünitiv auf a lautet, zb. son gegen
frögd. — auch die erklärung von ?pis anm. 3 hält nicht stich;
wenigstens gilt die assimilierte form auch in rheinischen münd-
arten, die kein b für w kennen. — das ärgste beispiel dieser
papiernen Wissenschaft ist aber die deutung von fatsdnetle aus
it. fazzoletto (§190 anm. 3) durch volksetymologische anlehuung —
an nasel in Wahrheit liegt die sattsam bekannte differenzierung
KAUFFMA.NX GESCHICHTE DER SCHWÄBISCHE* MODART 101
vor, für die ich hier nur die ganz entsprechenden beispiele von
wenzelen frequent. von wälzen (Zs. 27, 142) und nl. kandeel
aus caldel (Franck Etym. woordenb. s. v.) anführe; vgl. auch nhd.
freventlich. — § 65b. die laute scheinen mir bei schräg auf germ.
*skre'gi- zu weisen, wenn die form richtig beobachtet ist, müste
das wort wol entlehnt sein, für l?p verweist K. trotz Beitr.
13, 384 ff auf seinen aufsatz ebenda 12, 207 IT, der besser un-
geschrieben wäre, in meinem Nederl. wb. ist länge des vocals
angenommen, nur in lewo können sich mnd., mnl. und mhd.
lewe vereinigen. Grimm war schon Gr. I2, 401 auf der spur;
vgl. auch s. 459. le'we:e'ne Rother 760 ist beweisend, wie auch
der reim bei Veldeke (vgl. Behaghel Eneide lxxvi). — § 70b.
die von Braune angenommene diphthongierung eines aus ai ent-
standenen e ist haltlos; in dem demonstrativpronomen kann der
diphlhong organisch nur entstehn entweder aus auslautend ver-
längertem e (nom. sg. masc.) oder aus e + flexionsvocal (nom.
plur. *pe-ai); mithin ist der dat. thiem entweder aus *pe-aim
zu deuten oder aus directer Übertragung des diphthongen. —
§ 94b. was ström betrifft, so ist von germ. straum ein mit strahl
verwandtes ahd. as. strdm, strahl, streifen, ström, zu trennen,
in nhd. ström können dialectformen beider Wörter zusammen-
gefallen sein. — § 96 anm. 3. daest stimmt zu gut mit sonstigen
entwickelungen vor nasalen, um nicht an eine kürzung *dinst
oder *denst aus * dienst zu denken, die dann regelrecht zu daest
wurde; der gedanke an ein * piunist liegt jedesfalls sehr fern. —
§ 124, s. 150 z. 1 lies eintritt statt nicht-eintritt? — § 131 anm.
die urkundlichen formen meinen doch wol analogiebildungen, wie
sie häufiger sind, mit neu angetretenem inf. -dnisenen, woraus dann
regelrecht neuschwäb. sed. — was § 135 absatz 1 angeführt wird,
sind bekannte, zum teil auch wol erklärte dinge, die sich nicht so
kurzer band der 'ängstlichen Schreiberseele' zur last legen lassen. —
§ 151c. bei dieser frage — ebenso für § 146, 2 — ist das affec-
tierte sprechen nach der schritt in belrachl zu ziehen, so ver-
breitet sich heute, ausgehend, wenn ich nicht irre, von der
höheren töchterschule, der geburtsslätte auch anderer sprach-
licher unarten, immer mehr die ausspräche sp sf. die frage
nach der herkunft der aspirierten tenuis überhaupt bleibt hierbei
natürlich unberührt. — $ 155 anm. 3. ist es zufall, dass fast
sämmtliclie beispiele1 die lautung vor s, s zeigen? wenn nicht,
so gibt dieser umstand doch zu denken. — anm. 1. mikte ist
metathese aus mitken, welches durch die Zwischenstufen mitchen,
mittdchen auf mütawechun zurückgeht. — § 158 anm. 1. wegen
helfenbein vgl. Anz. 11, 18. — die ausführungen § 161, 2 sind
wider nicht sonderlich klar. K. scheint hier, wie $ 176, 1,
zu übersehen, dass die lautgruppe ut aus alt auch nach verein-
1 krenl wird wol zu altem kring gehören; auch alemannisch, von Bach-
mann Beitrage z. g. der Bchweiz. gutturallaute s. 12 falsch gedeutet.
102 KAUFFMANiN GESCHICHTE DER SCHWÄBISCHE* .MUNDART
facluiDg des consonanten durchaus nicht ohne weiteres mit altem
at identisch zu sein hraucht; sie kann eiüen anderen einsatz
des consonanten wahren und wird dies wol auch durchgehends
tun. ich habe diesen unterschied auch Mnl. gr. § 97 geltend
gemacht. — § 166 wird eine schlussfolgerung aufgebaut auf dem
Untersatz, dass man Uten gesprochen und bitten geschrieben
habe — auf dies einzige beispiel! und dies Uten* soll aus bitten
'reduciert' sein, vielleicht verstehe ich K. nicht recht. — §177.
was ist denn an dem g von ahd. figa, nhd. feige, mnl. vige (aus
rom. figa) auffällig? die hier vorgetragene theorie über in- und
auslautendes g ist sonst wol zu erwägen; sie wird noch wahr-
scheinlicher unter der annähme, dass auch auslautendes g im Satz-
zusammenhang häufig verschlusslaut ergab. — die erklärung
§ 187 anm. 1 kann nicht stimmen, da rheinische dialecte,
die eine entsprechung für eteioer nicht kennen, gleichfalls namer
haben, man könnte an eine Verallgemeinerung des r als endung
des nom. sg. masc. denken, diese erklärung auch auf das ver-
breitete mr man zu übertragen, ist bedenklich, weil es auch in
mundarteu herscht,^die kerne einsilbigen pronominalnominative
sg. auf r haben (hü er, da, da der), es liegt aber auch die er-
klärung durch differenzierung der nasale aus mn nahe genug. —
§ 170, 2. warum wird denn das hier richtig als citer-pfin ge-
fasste wort zweimal (s. 220 und 226) zu iulaut. p gestellt? pfin
ist übrigens 'pflock', nd. nl. engl, pin, nhd. pinne. — wenig über-
zeugend ist auch das § 123 vorgetragene, das vb. wqh ist jedes-
falls mit den vorher besprochenen Substantiven zusammenzustellen,
denn auf ahd. weskis kann nicht zurückgegangen werden, weil
dann e, nicht $ zu erwarten wäre, und ein etwa umgelautetes
ptcp. giwascaniu wäre doch eine zu seltene form, um damit
etwas zu gewinnen, was die Substantive betrifft, so ist der um-
laut aus einem plural wie deg von dag nicht zu erklären , denn
es handelt sich um feminina, und für diese fehlt das vorbild. auch
gelten die e- formen in mundarteu, in denen sogar das vorbild
der masculina fehlt; in Bendorf (rechtsrhein. unterhalb Koblenz)
heifst es esch, tesch , weschd, aber flasch (uiederrheiu. und nl.
wider flesch), auch rasch, maschd mascheu, naschd. die von mir
(Etym. woordenb. s. v. flesch) und von Holthausen Beitr. 10, 600
aufgeworfene frage eines sc/t-umlauts ist jedesfalls durch K.s er-
örterungen nicht abgetan, bei qrbdt, übrigens auch eine weit-
verbreitete form, möchte ich eher glauben, dass die nebensilbe
infolge der unbetontheit eine umlaut würkende gestalt bekam:
*arbit;^ vgl. s. 198 ewerk aus dwirki; die frage liefse sich auch
bei medix montag (und enj^l. wednesday?) aufwerfen.
Für verfehlt halte ich den abschnitt über die quantität,
1 biten ist doch die regelrechte und durchaus geläufige mhd. form; od
nhd. bitten die alte gemination wahrt, ist, nebenbei bemerkt, ungewis, da
es wie schritten uä. zu beurteilen sein kann.
KAUFF.MANN GESCHICHTE DER SCHWÄBISCHEN MUNDART 103
§ 127 ff. K. stellt ein einheitliches, möglichst phonetisch klingendes
'gesetz' auf, und vor dem 'gesetz' findet nichts gnade, kein
unterschied von einfacher und doppelter consonanz, keine deh-
nende und kürzende würkung von consonanten, nichts was man
früher gelehrt und geglaubt hat. das gesetz lautet: 'jeder mhd.
ictusvocal hat sich in pausastelluug zu überlaugem vocal (mit
zweigipfliger helonung) entwickelt, da im satzinnern diese deh-
nuug organisch nicht eintreten konnte, ist quantitativer Wechsel
bei denselben Wörtern vorauszusetzen, dieser Wechsel ist meist zu
gunsten der länge aufgehoben , diese auch im tactiuneren einge-
führt; hier ergab sich nur die reduction des überlangen vocals
zum langen , indem der hochton zur folgenden nebensilbe fiel',
was damit nicht stimmt, ist durch ausgleich zu erklären, aber
diese gewaltschritte werden uns nicht so einschüchtern, dass wir
nicht leise zweifei hegten, wenn § 127 bis auf fol kein einziges
gemeinschwäb. beispiel mit früherer doppelconsonanz beigebracht
wird, wenn die § 130 besprochenen bis auf ein paar diabetische
fälle (dehuung vor nk , sowie fatr gegenüber dem merkwürdigen
nhd. väter) nur die klaren nhd. Verhältnisse widerspiegeln, denen
zufolge wir zb. sichel, schüssel, halten, hammel, aber über, kügel
sprechen, für das nhd. soll doch nicht etwa auch K.s 'gesetz'
gelten? was nutzt es denn, Wörter wie tslpl zwiebel, hämpfl
handvoll zu einsilbigen zu stempeln, um behaupten zu können,
sie haben deshalb langen vocal, weil am satzende der ictusvocal
sich in pausastelluug befinde? sind sie denn würklich einsilbig?
welche vorwürfe musten sich andere leute gefallen lassen , weil
sie Wörter wie ritter für einsilbig erklärten! und da war es doch
nur metrisch gemeint, wir haben es bei den erscheinungen,
die hier unter eine einzige formel gezwängt werden , mit den er-
gebnissen ganz verschiedener entwickelungszüge zu tun. trotz
s. 155 anm. werden zu den Ursachen auch consonantische ein-
flösse gehören, soweit ich sehe, haben sämmtliche im buch mit-
geteilte Wörter mit cht (bis auf den besonderen fall s. 114 fufs-
note) langen vocal. indem K. das verkennt, verschliefst er sich
auch die deutung von brixt brauchte optat., das er § 88 anm. 3
rätselhaft nennt. es scheint mir doch einfach zu deuten als
brühte >> brühte (vgl. Anz. 11, 107) > brihte > brixte.
In deucapiteln über die geräuschlaute und die lautverschiebung,
sowie den abschnitten, die darauf ausgehn , die Chronologie der
lauterscheinungeu festzulegen, steigert sich die subjeetivität und
willküi. die art, wie die Orthographie der denkmäler manchmal
verwertet wird, ist ohne genauere Untersuchung der einzelnen
fälle nicht zu rechtfertigen: aus vereinzelten, zweifelhaften Vor-
kommnissen werden weitgehende Schlüsse gezogen; wo es in den
kram passt, werden die Schreiber für leute angesehn, die mit
peinlicher Überlegung die lautndancen /um ausdrueb gebracht
haben sollen; einzelnes, was schwer in die wagschale gelegt
104 KAUFFMANIS GESCHICHTE DER SCHWABISCHEN MUNDART
wird, dürfte auf einen Schreibfehler hinauslaufen; und auch wo
das richtige aus den texten herausgelesen wird, bleibt die er-
wägung aufser acht, dass lauterscbeinuugen sich doch nur all-
mälich und oft recht langsam über gröfsere gebiete verbreiten
und die spräche der verschiedenen gesellschaftsschichten erobern,
reime wie wort : gisamanot bei Otfrid werden für das alter von
neuschwäb. h'odn körn fof fort uä. geltend gemacht. K. kommt
zb. § 168 zu' der ungeheuerlichen theorie, p im anlaut sei zu
f verschoben, und dies, wie auch etym. f, im sandhi zuweilen
zu pf geworden, dass tatsächlich pf für etym. p viel häufiger
als für etym. f ist (dh. es ist die regel), erkläre sich daraus, dass
unverschobenes p und f (aus p) neben einander bestanden hätten
(inwiefern?) und daraus ein 'compromiss' gebildet worden sei. für
diese theorie wird die alte Schreibung ph als f gefasst, während
es da, wo es t + f und älteres pp vertritt, ruhig für pf gilt.
ohne allen zweifei ist anlautendes p, wie man bisher glaubte, zu
^/"verschoben worden, nun wäre für die einzelnen denkmäler zu
untersuchen , in wie weit statt dessen erscheinendes f würklich
einen anderen laut meint, wo das der fall, ist anzunehmen, dass
^/"zuweilen, dh. im sandhi, zu f geworden. — mit 'ich bin der
ansieht' wird § 165 der heutige tatbestand, in dem germ. / und d
zusammengefallen sind, in das 9 und 10 jh. verlegt, vorher wird
richtig die Schreibung bei den dentalen für unzuverlässig erklärt;
es herschen für p und d gleiche oder ähnliche Schreibungen —
freilich war hervorzuheben, dass p intervocalisch nie als t er-
scheint (falsch wird atem hierhin gestellt) — , aber die laute
gelten als verschieden, nun jedoch wird aus denselben
Schreibungen auf einmal der entgegengesetzte schluss gezogen. —
kaum minder willkürlich ist die übrige Chronologie zu nicht
geringem teile. Wendungen wie 'wird geherscht haben', 'alle diese
Veränderungen müssen noch dem 13 jh. angehören', 'ich nehme
an, dass' uä. ersetzen die beweise, man vergl. zb. noch s. 245
und ferner die angäbe ? > s 9 — 10 jh. § 193 mit § 160.
Man ahnt, dass diese versuche einem bestimmten ziel zu-
streben, zunächst wird die ganze fülle des lautwandels auf mög-
lichst wenige Ursachen zurückgeführt, auf das, was K. 'die con-
stitutiven sprachfactoren' nennt und deren ausserachtlassung er
bei andern so hart tadelt, in den §§ 43. 140. 192. 193 gipfelt
diese anschauung in folgenden Sätzen: 'der druck, unter dem der
exspirationsstrom von den hingen ausgetrieben wird, ist nieder;
die musculatur des kehlkopfs wirkt mit geringer energie, dasselbe
gilt von den muskeln des ansatzrohrs'. die erscheinung hängt
aufs engste, zusammen mit einer 'erweiterung der mundöffnung
(Senkung des Unterkiefers)' und 'abflachung des zungenrückens'.
auf dieser Constitution beruhen die im dialect heischenden kleinen
tonintervalle, der schwach geschnittene accent, und weiter sämmt-
liche lautveränderungen der mundart. ja, da die schwäb. nasa-
KAUFFMANN GESCHICHTE I>ER SCHWÄBISCHEN MUNDART 105
lierung s. 24 mit den übrigen hauptcliarakterziigen der mundart
in eine reihe gestellt und anderseits s. xii ausdrücklich aus
einer 'historisch eingetretenen coutraction des musculus glossopala-
tinus' abgeleitet wird, so muss sogar als K.s ansieht gelten, dass
all das genannte auf die contraction dieses muskels zurückgeht,
recht überzeugend macht sich seine anschauung § 192: 'der
schwach geschnittene accent erzeugt im inneren der sprechtacte
stets offene silben ; da nun consonantenverbindungen niemals eine
silbe schliefsei), sondern dieselbe eröffnen, und da bei assimilationen
stets der schallkräftigste consonant, dh. der unmittelbar dem vocal
benachbarte, ausschlaggebend ist, so gibt es nur regressive, nie-
mals progressive assimilation der consouanten. dieses gesetz
der regressiven consonantenassimilation im tact-
inneren ist ausnahmslos', im directen Widerspruch damit
steht die assimilation von -mb- zu -mm- (§ 189 d). nach § 193
gehört sie dem 13 jh. an. darnach könnte also das ausnahmslos
würkende gesetz nebst seiner Ursache, mit der alle lautwandluugen
seit anfang der historischen zeit im Zusammenhang stehn sollen,
im 13 jh. noch nicht bestanden haben.
Die wege, die K. hier gegangen ist, müssen m. e. allerdings
beschritten weiden; allein das können steht noch nicht im ein-
klang mit dem wollen, die phonetik befindet sich doch noch
in ihren anfangen, sie hat uns in den stand gesetzt, manche
auf historischem wege gewonnene kenntnis besser zu begreifen,
sie tut uns gute dienste bei der beschreibung der laute, sie hat
uns gelehrt momente zu berücksichtigen, welche die Sprach-
wissenschaft vorher gar nicht oder nicht genügend beachtet hatte,
aber sie hat uns meines wissens noch nie eine tatsache der laut-
geschichte an die band gegeben, der wir nicht auf anderem wege
schon nahe gekommen waren; und selbst wenn sie dazu einmal
im stände sein sollte, so wird man doch immer noch zunächst
philologe und historiker bleiben müssen, um nicht in die irre
zu schweifen.
Neben den 'constitutiven sprachfäctoren' ist es, wie wir sahen,
die Chronologie, auf welche K. in dem bestreben, die lautüber-
gänge möglichst alt anzusetzen, besondern nachdruck legt, die
Zuverlässigkeit dieser Chronologie haben wir bereits geprüft; nicht
einmal den satz in § 194 'seit dem 13 bis 14 jh. ist keine prin-
cipielle, gesetzmäfsige Veränderung im sebwäb. lautbestande nach-
weisbar' vermögen wir als stichhaltig anzuerkennen, in der mehr
hochgetragenen als klaren einleitung, in der mir einzelnes über-
haupt unverständlich bleibt, werden dann die beiden gesichtspuuete
zu einer kühneu hypothese vereinigt (s. XI): 'seit 5 Jahrhunderten
hat sich der sebwäb. lautstaod überhaupt nicht mehr verändert,
und ich bezweifle nicht, dass die Stabilität desselben in noch
ältere Zeiten zurückreicht | !]. dieses merkwürdige ereignis der
sprachveränderung darf nun aber nicht isoliert gehalten, sondern
106 KAÜFFMAPMS GESCHICHTE DER SCHWÄBISCHEN MUNDART
muss iü den Zusammenhang der stammesgeschichle gestellt werden,
wir wissen, dass der Schwabenstamm im 3 jh. aus seinen nörd-
lichen Wohnsitzen in die Neckargegeud eingewandert ist1, so
meine ich denn und wage zu behaupten: unter dem veränderten
himmel, bei verändertem luftdruck, unter gänzlich anderen boden-
und lebensverhältnissen hat sich (in Darwinschem sinne) die phy-
sikalische function der sprachorgane den neuen Verhältnissen im
lauf der Jahrhunderte angepasst'.
Es denkt wol niemand daran , dem geltend gemachten um-
stand seinen anteil an dem character der mundart zu bestreiten,
aber bei der allerdings neuen ausdehnung, die dem gedanken
hier gegeben wird, ist man doch zu der frage versucht, ob dann
nicht eher eine sommer- und Wintersprache zu erwarten wäre,
als ein vom fränk. verschiedener schwäb. dialect? wohin man
auch schaut, stufst die hypothese auf den greifbarsten widerstand,
ich erinnere an das Friesische, die Friesen haben Norddeutsch-
land und zwar genau dasselbe gebiet, das sie heute einnehmen,
seit vordenklicher zeit nicht verlassen, und nach dem 14 jh. hat
ihre spräche sogar eine ganz aufsergewöhnliche lautentwickelung
durchgemacht, der dialect der bewohner einer nordseeinsel unter-
scheidet sich wesentlich von dem der Stammesbrüder auf der
nächst benachbarten insel. und wie stellt K. sich zu der meines
wissens genügend verbürgten tatsache, dass bei Völkern auf tiefer
kulturstufe, die ihren boden nicht verlassen, die sprachen sich
innerhalb eines menschenalters bis zur Unkenntlichkeit verändern,
dass nirgends eine buntere Sprachmannigfaltigkeit herscht als bei
den wilden Südostasiens? K.s hypothese stempelt ja zwar die
spräche nicht zu einem rein physikalischen product, nur ihre laut-
liche entwickelung fasst sie so auf. woher haben wir denn aber das
recht, den geistigen gehalt von jedem einfluss auf die lautgestalt
auszuschliefsen? ist ein solcher Zusammenhang vorhanden, so
kann bei der aufserordentlichen empfindlichkeit der physikalischen
laute der geringste derartige einfluss von den grösten folgen
sein, warum sollten nicht syntactische Veränderungen und neue
Wörter mittelbar einwinken? sie könnten zb. einen bestimmten
rhythmus geläufiger macheu und dadurch die lautung umgestalten,
ein unmittelbarer einfluss ist denkbar, wenn die Sprachgemein-
schaft sich der spräche eines gröfseren gebietes anpasst oder die
spräche anderer gesellschaftsschichten auf sich würken lässt.
doch selbst, wenn die lautgebung rein physikalischer natur wäre,
so wären auch dann noch andere factoren , als die berücksich-
tigten, zu erwägen, ein muskel kann von der Veränderung eines
andern in mitleidenschaft gezogen werden, und eine neue tracht
zb. könnte sehr wol bei dieser frage in betracht kommen, und
1 in den 'Stammheitlichen Vorbemerkungen' s. 25 ff ist die Strabostelle
iv 0. !i falsch aufgefasst nach Kossinna, Westd. zeitschr. für gesch. und kunst
9,209 anm. 27. auf diesen aufsatz über die Sweben möchte ich die Ger-
manisten aufmerksam machen.
KAIFI.MA.VN GESCHICHTE HER SCHWÄBISCHEN MUNDART 107
soll man uicht glauben, dass die spräche der menschen, wenn
ganz neue auschauungen ihren einzug halten, wenn neues streben
sie ergreift, sich nach ihrer physikalischen seite ebenso gut ver-
ändern könne, als wenn die topographischen Verhältnisse andere
werden? die neueren idg. nationen haben durchweg als sprachton
den iclus in den Vordergrund treten lassen gegenüber dem accente
ihrer vorfahren, ein wandel, dessen umgestaltende kraft für die
lautgebung man nicht läugnen wird, welche rein physikalische
Ursachen will man für ihn geltend machen? was wir am sichersten
wissen, ist die tatsache, dass der lautwandel um so mehr gehemmt
ist, je dringender für die menschen der anlass wird, beim
sprechen auf sich acht zu geben, und das deutet doch wol
darauf hin, dass die neigung zum lautwandel in der menschlichen
natur liegt und unmöglich mit der acclimatisieruug eiues bestimmten
orgaus abgetan sein kann l. mit der aufmerksamkeit der sprechen-
den auf Vorbilder und schliefslich auch auf Vorschriften ist in
ihrem wesen die analogiebildung zu vergleichen, deren von K.
s. xiii gegebene definition mir keineswegs genügt: ich sehe
wenigstens nicht, wo in ihr räum ist für die so charakteristische
art, die man vortrefflich als systemzwang bezeichnet, wenn zb.
nl. neben dem lautlichen praet. gout von gelden das dem system
gemäfse galt erhalten oder neu geschaffen wird, die leichtigkeit
aber, mit der die sprachen jederzeit analogisch verfahren, beweist,
dass die neigung zu lautveränderungen von einem zwang sehr
weit entfernt ist. und auch das ist wol für K.s hypothese nicht
günstig, die Wissenschaft muss noch andere fragen lösen , ehe
sie den von K. aufgeworfenen mit erfolg näher treten kann, ich
zweifle indes nicht, dass die lösung anders ausfallen wird, die
Sprachgeschichte ist nicht blofs lautgeschichte, und diese letztere
kann unmöglich so unabhängig sein von allem anderen, was das
wesen der spräche ausmacht.
Der auhang über die geschiente der Schriftsprache in Schwaben
verfolgt an der band eines reichen materials und auf grund der
bekannten kriterien, die teilweise blofs die Orthographie, teilweise
laut- und formenlehre betreifen, die alhnäliche entwickelung des
Gemeindeutschen, der buchdruck hat die schon vorher angebahnte
bewegung der Vollendung entgegengeführt; weit wesentlicher als
der einfluss, den die reichskanzlei der Luxemburger und die
Wittenberger drucke übten, erscheint der ausgleich innerhalb der
oberdeutschen landschalten seihst, 'wir sind berechtigt, der schwäb.
drucksprache einen hervorragenden anteil an der coustiluierung
unserer heutigen Schriftsprache zuzugestehen' (s. 308). aber 'seit
dem auftreten Luthers ins auf Gottsched sind alle weiteren neue-
rungen der spräche aus Mitteldeutschland importiert worden' (s. 291).
1 nur das russische würde zu dieser ansieht nicht stimmen, wenn es
wahr sein sollte, dass die dialeclbildung innerhalb dieser spräche eine sehr
geringe ist.
108 KAUFFMANN GESCHICHTE DER SCHWÄBISCHEN MUNDART
man vgl. dazu jetzt auch Burdach DLZ 1890, 1459 ff. wer ein-
mal eine befriedigende geschichte unserer litteratursprache schreiben
wird, die neben dem äufseren gewande auch ihrem geistigen wesen
gerecht wird, der wird seinen blick noch entschiedener nach
norden gewendet halten müssen, wie im gedankengehalt unserer
modernen litteratur norddeutsches wesen, die mehr auf sich allein
angewiesene menschenseele, die langsam gelernt hatte, ihren
dunkeln regungen worte zu verleihen, ihren sieg gefeiert haben,
so führt auch die vielleicht mächtigste wurzel der spräche dieser
litteratur zurück in die kräftigschöne prosa, welche das mittel-
alter in INiederdeutschland ausgebildet hatte, noch ein anderer
nährboden für unsere moderne Schriftsprache ist bisher nicht
genügend beachtet: ich meine die zumal in der vorreformatorischen
zeit besonders gesteigerte litterarische tätigkeit, die den Niederlanden,
Niederdeutschland und dem Niederrhein ungefähr gemeinsam war.
Für die zeit vor dem buchdruck ist die Untersuchung natur-
gemäfs schwieriger; für die erste mhd. periode beschränkt sich
K. darum auf die betrachtung der reime, schon in ahd. zeit
wird in gewissem sinne eine litteratursprache oder auch eine ge-
sellschaftssprache anerkannt, in der mhd. dichtung werden ihre
spuren nur sehr vereinzelt aufgefunden, indes s. 285 zugegeben,
dass tatsächlich ihr walten wesentlich stärker gewesen sein mag.
es durfte das nachdrücklicher betont werden, die leute von damals
konnten recht gut wissen, dass die allermeisten reimbindungen
auch für andere litterarische dialecte oder eine Schriftsprache
richtig waren, wenn sie in ihrer eigenen ausspräche auch
einen diabetischen anflug hatten, sobald sie also, wie ausdrück-
lich zugegeben wird, 'die heimatliche lautform soweit opfern, dass
reime zugelassen werden, die in der mundartlichen ausspräche
nicht dem künstlerischen prineip reiner reimbildung entsprochen
hätten', oder sobald sie nur 'von der geschriebenen spräche fern-
halten, was im vergleich mit auswärtigen litterarischen erzeug-
nissen den Vorwurf des diabetischen zu erleiden gehabt hätte', so
erkennen sie eben voll eine Schriftsprache an. Anz. 9, 36 wurde,
nebenbei bemerkt, vermutet, dass in diesem sinne auch Veldeke
eine Schriftsprache bezeugt, das gleiche gilt zb. von Rother, wo
der gesichtspunet zugleich wichtig ist für die frage nach ver-
schiedenen bearbeitungen. in bezug auf die f-laute im reim ver-
hält sich der dichter ähnlich wie die Eueide; seiner spräche
dürften aufserdem dehnung der wurzel vocale und die schw. form
des partic. praet. von geschehen augehören, wie wenig auch die
reime dafür zeugen. Widersprüche in diesen dingen zwischen
dem versinnern und reim können Schreibern und bearbeitern, aber
auch den dichtem selbst zur last fallen, an eine über den mund-
arten stehende spräche, die in bezug auf concentration und stätig-
keit mit der modernen zu vergleichen wäre, hat für die ältere
zeit nie jemand gedacht, und es ist natürlich ein leichtes, eine
KAUFFMANN GESCHICHTE DER SCHWÄBISCHEM MODART 109
solche Voraussetzung zu widerlegen, darum ist der streit, ob es
eine mhd. Schriftsprache gab, eigentlich ein leerer zank, sobald
man so viel zugibt, dass die leute auch damals nicht schrieben,
wie ihnen der schnabel gewachsen war; und wenn K. es ver-
meidet, seineu ansichteu zum trotz von einer Schriftsprache
schlechthin zu reden, so ist das wol nur im parteiinteresse ge-
schehen.
Auch die meines erachtens verfehlten partien des buches
werden mannigfache anregung gewähren, zumal denen, die sich
dem bedürfnis, die äufseruugen des sprachlebens in ihrem innern
wesen zu begreifen, verschliefsen; aber die tüchtigen ergebnisse
des buches, denen wir unsere anerkennuug zollen, sind doch
wesentlich da gewonnen, wo der verf. sich mehr auf betretenen
bahnen gehalten hat.
Bonn, november 1890. France.
Analecta hymnica medii aevi. iv. Hymni inediti. Liturgische hymuen des
mittelalters aus handschriftlichen breviarien, antiphonalien und pro-
cessionalien. herausg. von Guido Maria Dreves, S. J. Leipzig, BReis-
land 1888. 270 ss. 8°. — 8 m.
Schnell folgen D.s reichhaltige Veröffentlichungen aufeinander;
der vierte band bringt fast 500 bisher unbekannte hymnen. wahr-
haft staunenerregend ist die grofse zahl von hss. aus den ver-
schiedensten läuderu, die der herausgeber benutzt hat. die gröste
ausbeute haben die hss. der österreichischen hibliothekeu und
klöster geliefert, nicht uuerheblich ist auch die zahl der benutzten
Münchner hss. au schweizerischen hss. sind die von Morel nicht
ausgeschöpften und die aus dem kloster Muri 1841 nach Muri-
Gries verschleppten zu rate gezogen worden, eine übersieht aller
benutzten hss. in der eiuleitung mit kurzer angäbe ihrer her-
kunft und ihres aufbewahrungsortes hätte wesentlich dazu bei-
getragen , von der Verbreitung der lieder ein bild zu geben und
die verwandtschalt und das abhäugigkeitsverhältuis der hss. zu
veranschaulichen, allerdings hat D. bei jedem lied die hs. als
hymnar, brevier, oratiouale, antiphonar, piocessionale usw.
bezeichnet und die herkuuft mitgeteilt; aber die übersieht wird
dadurch nicht eben leicht gemacht, man würde auch gern er-
fahren , mit welchen gebräuchlichem hymnen zusammen diese
neuen vorkommen.
Fast alle beuutzten hss. stammen aus den späteren Jahr-
hunderten , sodass «lie hier gebotenen hymnen zum grösteu teil
nachahniungeii bekannter lieder sind, bei einzelnen gilt das nur
von melodie und rhythmus, Ihm anderen sind alle stropbenanfänge
wie eiu gerippe beibehalten worden, das nur mit anderen Worten
ausgefüllt zu werden brauchte (nr 230 — 232.493 usw.); wider
andere sind in der weise "ebildet, dass die ersten oder letzten
110 ÜREVES AINALECTA HYMMCA IV
zeilen jeder Strophe aus versa n taugen gebräuchlicher hymneu be-
stehn (nr 215. 216. 233. 434 usw.). diese nachahmung hätte, wie
es schon Mone getan , consequent durch den druck hervor-
gehoben werden sollen, äufserst beliebt zur nachahmung war
der Marienhymnus Ave maris Stella, der manchmal um eine oder
mehrere Strophen verkürzt (nr 73. 373. 86. 175 — 177) oder er-
weitert wurde (nr 91. 221). Quem terra pontus aethera liegt
liedern auf Auna (130. 131) und Apollonia (160) zu gründe, ein
merkwürdiges beispiel bietet der hymnus Iam Christus astra
ascenderat (Dreves 2, p. 49), der dem hymnus auf Edmund (nr 230)
zum muster diente ; dieser letztere wurde dann wider für den
hymnus auf Claudius (nr 217) benutzt, angäbe des jeweiligen
stammliedes und hinweis auf die übrigen nachahmungen hätten
den wert der Veröffentlichung noch erhöht.
Bei der heimat der quellen ist es selbstverständlich, dass
besonders österreichische, böhmische, ungarische heilige mit liedern
bedacht sind, doch sind auch in dieser, wie in allen Samm-
lungen, gewisse andere nicht locale heilige häufig gegenständ der
lieder, so die hl. Katharina (305—318) Barbara (168—178) Mar-
garetha (357 — 375). gemäfs der Jugend der hss. werden auch
viele erst spät zur Verehrung gelangte heilige durch zahlreiche
hymnen gefeiert, so die eitern der Jungfrau Maria (Anna 122 — 141.
Joachim 284), Clara (213 — 216), Augustiu (163 — 167), Leopold
333 — 336), Ludwig (344 — 351).
Was die formen der hymnen betrifft, so sind gewisse strophen-
formen in äufserster Vielseitigkeit ausgebildet worden, während
die bunte maunigfaltigkeit der strophenarten gegenüber früheren
zeiten abgenommen hat. aufser den verschiedenen gestaltungen
des iambischendimeters ist besonders die rhythmisch-accentuierende
Umbildung der sapphischen Strophe durch ihren reim bemerkens-
wert (vgl. 10.263: ab ab cc d; 146.180: aa bb ccc; 359.
428: a a b b c c d). ähnlich verhält es sich mit der asklepiadei-
schen Strophe (80: ab ab cbc; 363: aa bb ccc; 381: ab
a b a b b).
Die freude au dem reichhaltigen inhalt, an dem deutlichen
druck auf schönem papier wird uns leider beeinträchtigt durch
die äufserst mangelhaft besorgte correctur. formen wie puim,
dididit, aunua,portmodum,alacritrer finden sich zu vielen dutzenden.
diese ungenauigkeit schafft auf schritt und tritt bedenken; wo irgend
eine auffallende form sich zeigt, weifs man nicht, ob sie der hs.
entnommen ist oder dem setzer zur last fällt, auch die citate er-
wecken manchen zweifei: nr 158. 159 stammen doch wol aus der
gleichen hs., und doch trägt sie hier die nummer 8, dort nr80;
ebenso nr 176. 177. über die vielgerühmte akribie des herausgebers
wird man stutzig, wenn so viele fehler ohne mühe nachzuweisen
sind, das register ist vollständig, aber auch nicht fehlerfrei,
noch in einem anderen puncte ist D.s eilfertigkeit zu bedauern,
DREVES A.NALECTA HYMISICA IV 111
bei der schwankenden Orthographie, zwar versichert er (2, 12):
'in der Orthographie folge ich der in der liturgie nun einmal
üblichen.' so aber haben wir inclita neben inchjtum; apperit-
repulit; caeteris-ceteris; caelibem-coelibatus ; taetri-teterrime; caelos-
coelum-celestinus ; litteras-literis ; millium-milium. sonderbar fällt
auf die Verdoppelung der consouanteu in gewissen Worten: cor-
riiscat, cummnlato , commestibilis , commedens (neben comeditur),
consummas. D. scheint sie zuweilen angewendet zu haben, um
eine lange silbe zu erzielen, doch nicht immer (vgl. 18,3,1:
acculeis, dagegen 85,4,2: duodenem; 278,2,1: comodis). für
die kenntnis von ausspräche und metrik wäre es von bedeutung
zu wissen, ob jene gemination in allen fällen bandschriftlich ist.
eine Verbesserung nur um der quantität willen ist in diesen
hymnen, die meist accentuierend, oft auch scheinbar blofs silben-
zählend gebaut sind, überflussig; besser als solche formenbunlheit
wäre es gewesen, entweder, wie Milchsack es tut, gauz den hss. zu
folgen, obwol ich dazu bei der Verschiedenheit der quellen nicht
raten mochte, oder eine einheitliche Schreibweise durchzuführen.
So grofs D.s verdienst, im vergleich zu seinen Vorgängern
ist, er hätte ihnen immerhin hier und da mehr ehre antun
könneu, indem er angab, wie manche seiner hymnen schon
durch jene ganz oder in den anfangen bekannt gemacht sind, so
hat Daniel im 1 bände eine reihe von hymnen citiert, die von
D. als völlig neu geboten werden, namentlich aber wäre die
Sammlung Milchsacks bei den betreffenden hymnen (nr 121. 180.
265) für den text vod nutzen gewesen, da sie diplomatisch ge-
treue texte gibt, davon nur ein beispiel: bei 1). lautet der fünfte
vers eines hymuus auf Gertrud: Nunc et te rogat pupillus, Ger-
trudis vir go, grex tuus suffragia, quo precibus votisque y r e c e s
fundimus; bei Milchsack dagegen: Nunc te rogat pupillus, Ger-
trudis virgo , grex tuus, suffrageris quo precibus votisque,
lau des fundimus.
Üass zu vielen hymnen nachtläge gegeben werden können,
liegt in der natur des gegenständes und darf D. nicht angerechnet
werden, jeder, der sich mit diesen dingen beschäftigt, wird
solche nachtrage zu geben wissen, neue hss., wenn sie auch
nicht immer zur besserung des textes beitragen , sind doch ein
Zeugnis für die Verbreitung und den gebrauch des liedes; von
diesem standpuncte aus mögen die folgenden zusätze angesehn werden.
2 steht auf dem letzten blatt der Expositio hymnoruin per-
nlilis mit der jahrzahl 1501; dieses buch ist aus Muri nach
Aarau gekommen, abweichungen: 1, 1 Laus honor magno
tibi sit; 3, 3 adigisque. — 4 bei Mone nr 7 ohne die aus
einem anderen hymnus entlehnte fünfte Strophe; ebenso in
einem Murenser und einem Wettinger brevier; beidemal 1, :t
quem (wie Mone) statt quod. — 18 hat, nur wenig verändert,
Mone nr 134. 135, der den hymnus wol aus dein gereimten Of-
112 DREVES ANALECTA HYMMCA IV
ficium de coroua domini aushob; wenigstens enthält eine bre-
vierhs. des 14 jhs. aus Muri den hymnus im reimofficium. —
20 (vgl. Daniel 1,236) in 2 Rheinauer hymnaren (ur 97 saec. xi ;
nr 129 saec. xii) in ziemlich abweichender form: 1,1 unicus;
1, 2 inclitus; 1, 4 gloriam; 2, 2 dira; 2,3 ascenderas; 4,2 ful-
gens; 4, 3 vivido. cod. 97 hat vor der doxologie Praesta beata
noch die Strophe:
Quo te sequentes omnibus
worum processu saeculis
adversus omne scandalum
crucis feramus labarum. —
46 hei Morel nr 45 aus der Eiusiedlerhs. 83 saec. xii, sowie in
zwei Rheinauer hymnaren mit fast denselben besseren lesarten (zb.
2, 2 benignis). der hymnus ist bemerkenswert durch die in so
früher zeit (cod. Rhenov. 83 stammt aus dem 11 jh.) genau und
vollständig durchgeführten reimassonanzen. — 66 schon von
Daniel (1, 277) nachgewiesen, bei Mone (nr 122) gedruckt, ich
habe den hymnus in 3 hss. angetroffen (Muri, Rheiuau , Zürich),
deren eine (cod. Turic C 8a saec. xv) die melodie bietet; die
texte sind ziemlich verwildert und weichen unter sich wie von
D. nicht unbedeutend ab (3, 1 virga ist wol druckfehler wie
409, 1, 1?). — 68 in dieser verkürzten gestalt schon in der Ex-
positio hymuorum des Mich. Furter (Basel 1497) und bei Milch-
sack nr 24. die ältere form im Rheinauer hymnar nr 97 saec. xi
s. 192. — zu 79 bringt der cod. Turic. C 8a saec. xv die melodie
und eine abweichende doxologie. — 80. 81 mit der melodie
schon im Psalterium Choräle ordinis Cluuiacensis (Paris 1566)
fol. ccv gedruckt. — 9S bei Daniel 1, 284 unter dem richtigeren
titel: de x. mtl. mart. — 101 hat Mone nrll23 (Daniel 1,283,
Roth nr 407) als hymnus auf Petrus Martyr herausgegeben, das
lied findet sich auch in dem reimofficium auf diesen heiligen im
cod. Murens. 5 q. saec. xiv fol. 336v. auf diese billige weise,
dh. durch blofse Veränderung des namens, ist Afra im cod. Murens.
1 q. saec. xiv zu einem hymnus gekommen, indem im liede Jesu
Christe auctor vitae die worte Afrae beatissimae statt Mariae Mag-
dalenas eingesetzt wurden, nicht anders verhält es sich mit 109
(Agapitus?) , welchen hymnus Mone nr 978 der Juliana gibt. —
155-157. 166. 167 bei Morel nach dem in Venedig 1527 ge-
druckten gallicanischen brevier. — 182 im hymnar von Rheinau,
cod. 97 saec. xi s. 183 mit folgenden abweichungen: 3, 3 ut recto
pede (4, 1 O Christe tuum secretale); 4, 3 morte cordis noxios;
4, 4 a morte prava; 5, 3 gaudiis, was der reim fordert; (5, 4
psallimus;) 5, 4 sä laus tibi. — 183 ist in beziehuug zu setzen
zu 493 (nachahmung); zudem scheint dieser hymnus teil eines
grüfseren zu sein (vgl. Daniel 1, 110). — 194 im Murenser-
brevier 9 fol. saec. xv — xvi nebst einigen hymnen auf Maurus:
Aeterna Maure gaudia; Forma iubarque fidei; Luce refulgens
DUEVES A.XALECTA HYMMCA IV 113
aurea. — der hymnus 229 auf Dorothea (vgl. Mone 3, s. 274,
Morel nr 395) scheint vielfach überarbeitet; eine dritte redaction
mit der melodie im cod. Turic. C 8a saec. xv fol. 158v, während
der text des cod. Murens. 9 fol. meist mit Morel stimmt. —
für die nachgeahmten hyinnen 230 — 232 ist das Cistercienser-
brevier von Wettiogeo (eod. Wett. 7 saec. xiv) eine ältere quelle;
in ihm finden wir die hyninen im reimofficium an ihren orten;
der text weicht stellenweise ab: 230, 1, 4 locum; 2, 3 novus;
0,2 protegas, durch den reim gefordert; 7, 4 primum; (9,4 finis
sine); 232, 2, 4 noctem quietam; 231, 1, 3 quo fideli; 3,2 dum
vivitur in homine; 3, 3 male; 4, 1 Tremunt ; 4, 2 quaerit. —
255 — 257 weist schon Roth s. 47 nach, zum teil mit bessern laa.:
257, 6, 3 munerum; 6, 4 dones-corones. — 288 besser bei Morel
nr 222 aus einer Einsiedler hs. saec. xiv. — 300 bei Moneööl. —
314 im Cistercieuserbrevier aus Rheinau cod. 60 saec. xv s. 423
mit folgenden abweichungen : 2,3 truncato capite; 3, 1 residens ;
5,2 sacro; (7,3 ac spirilui;) 7.4 sancta; die varr. aus dem
Cistercienserbrevier von Wettingen (7 saec. xiv) habe ich nicht
notiert. — zu 404 (schon bei Mone nr 1100) in zwei Murenser
hss. eine andere doxologie (und 6, 3 ad te clamitantes). — 406 in
zwei Rbeiuauer hss. — 432 in Mich. Furteis Hymuarius und bei
Milchsack s. 29. — 461 im Rheinauer brevier cod. 94 mit der
jahrzahl 1468, s. 88; darin die bemerkenswerten varr. : 1, 3 qui
dum pro Christo; (1,4 nascente Christo;) 2, 2 ridet mater in filio;
(2, 4 laudans orat;) 3, 3 fugatur terminis; 4, 1 vel merita; (4, 3
sanet;) 5, 2 vero et. — 471 bei Morel nr 554 und nach ihm bei
Kehrein nr 862 als sequenz aus dem Rbeinauer brevier cod. 133
saec. xiv s. 542. Morel edierte ungenau, doch ist der text der
hs. sehr verdorben, da der abschreiber das versmafs nicht ver-
stand, der hymnus ist in der gleichen hs. mit geringen ab-
weichungen auf Caecilia angewendet: 2, 3 sexu; 2, 4 viriliterque
decertant (so auch s. 642) ; 5, 1 sq. sancta i hodie Caecilia ; 6 Haec
quidem suum j sponsum Valerianum / una cum Tyburcio j fidei iunxit
gremio; 7. 8 fehlen. — 472 in zwei Cistercienserbrevieren: cod.
Rbenov. 60 saec. xiv s. 421 mit divisio nach der fünften Strophe
(und schon s. 411, aber ohne initialen), cod. Wettingens. 7 saec. xiv.
2, 4 decoratur; 4, 2 sprevit; 7, 2 sanctorum; (8, 3 huic;) 9, 3
fugate; 10, 3 haec fulget. — der bymnus 493 auf Wilhelm stammt
aus dem reimofficium auf denselben (cod. Welt. 7 saec. xiv) und
ist eine nachahmung des liedes bei Daniel 1, s. 110.
D.s kritischer standpunct ist äufserst conservativ: er wendet
sich in verschiedeneu seiner vorreden gegen die conjectureu-
macherei, was ihn aber nicht hindert, auch seinerseits hier und da
Verbesserungen in den text zu setzen, wie sie ihm gerade während
des Schreibens in die feder kommen, so las^i sich die Über-
lieferung gegen ihn verteidigen zb. 109, 5, 3: det, verglichen um
257, 6, 3, wo allerdings Roths text dones-corones bietet. 371, 2, 3
A. F. D. A. XVII. 8
114 DREVES ANALECTA HYMNICA IV
ist das handschriftliche bidentibus doch gewis nicht weniger ein-
leuchtend als die conjectur balantibus. 219, 6, 4 ist salvas eher
in salvans als in salves zu verbessern. 241, l, 3 liegt es näher,
das fehlerhafte ab hac miseria zu ab hac (mundi) miseria als zu
(qnando) ab hac miseria zu ergänzen usw.
Bei jenen grundsätzen D.s bleibt der Verbesserung ein weiter
Spielraum, wiewol man nie weifs, ob man wirklich die falsche
Ja. der hs. bessert oder eine nachlässigkeit des setzers. dass
diese hymnen noch sehr der emendation bedürfen, sieht jeder;
zudem gibt ja jede neue hs abweichungen und bessere laa. mit
glück hat D. mehrmals den reim zur äuderung benutzt; doch
hätte das noch weit öfter geschehen können, genauere beobach-
tung des lateins der hymnen und tiefere einsieht in die metri-
schen grundsätze werden sicher noch mancher verstümmelten
oder verdorbenen stelle heilung bringen, was sich mir beim
durchgehn des bandes an änderungen darbot, will ich hier auf-
führen: 14, 5, 2 visitas (reim); 139, 5, 3 Quae; 141, 1, 2 Um;
159, 4, 4 Quae (nach 158, 7, 4); 169, 2, 1 noverit (reim); 172,2,3
sedulo (reim); 209, 5, 3 sit simul trino (reim); 225, 1, 3 annue;
242, 5, 3 praedicens (reim); 323, 3, 3 primus (reim); 327, 4, 1
Et; 332, 3, 4 levans; 345, 1, 2 mundo; 381, 4, 3 concineris (reim);
384, 1, 2 decora (ohne. -que); 400. 6, 3 securi simus (reim, nach
cod. A); 401,3,4 Propitietur; 408,4,2 mirabüibus (reim). —
auch folgende formen und construetionen werden nicht den
dichtem, sondern den abschreiben! oder dem setzer zur last fallen :
7,2,3 increbuit; 169,3,1 ense tradittir; 169,3,3 omnis angeli;
259, 9, 4 coela perfrui; 349, 3, 3 somnolentes, doch vergleiche
das durch den reim geschützte seefestes — pestes 483, 1,3.
Schade, dass diese inhaltlich äufserst reichhaltige gäbe uns
in so wenig geniefsbarer form geboten wird, dem herausgeber
bleibt das nicht gering anzuschlagende verdienst des sammelns;
die offenbare eilfertigkeit seiner arbeit hat aber die böse folge,
dass wir dieselbe ungenauigkeit, wie bei der correctur, auch bei
der benutzung der hss. fürchten müssen und dass jedesfalls gegen-
über allen schwierigen laa. oder ungewöhnlichem wortformen
sich zweifei einstellen.
Lenzburg, august 1890. J. Werner.
J. H. Hessels, An eighth -Century Latin- Anglo-Saxon glossary, preserved
in the library of Corpus -Christi -College, Cambridge (ms. nr 144).
Cambridge, university press, 1890. xlviii, 226 ss. 8°. — 10 sli.*
Nachdem der altenglische teil der Corpusglossen in letzter
zeit zweimal — von Wülker und Sweet — neu herausgegeben
war, macht Hesseis buch endlich das ganze glossar zugänglich.
* [vgl. Litteraturbl. für germ. und rom. phil. 1890 nr 12 (FHolthausen).
— Le moyen äge 1890 nr 11 (HLogeman).]
HESSELS LATIN - A.NGLOSAXO.N GLOSSART 115
zweck der neuen ausgäbe ist einzig und ausschliefslich eine ge-
naue widergabe der hs.: 'merely an exact reproduction of the
Ms., that is to say, with all its scribal mistakes, errors of
grammar, erroneous divisions of words, peculiarities of spel-
ling etc. etc.'; vou erläuterungen und änderungen hat der her-
ausgeber, seinen eigenen wünschen und den Weisungen des
presssyudicats entsprechend, im allgemeinen abgesehen, nur ge-
legentlich sind aus besonderen gründen erklärende bemerkungen
gegeben, leider ist H. diesem grundsatze auch in dem sonst vor-
züglichen index treu geblieben, obwol die anführung der rich-
tigen formen neben den falschen doch wol nicht allzuviel räum
in anspruch genommen hätte, die benutzung des glossars wäre
dadurch sehr erleichtert und manchem die mühe langen suchens
erspart worden, dies ist aber auch beinahe das einzige, was ich
an der ausgäbe auszusetzen habe, von kleinen einzelheiten ab-
gesehen, verdient sie alles lob. die einleitung berichtet zunächst
über die entstehung des buchs: zu gründe gelegt ist eine von
Zupitza herrührende abschritt der hs., die auch schon Wülker be-
nutzt hat; doch ist die hs. durch H. von neuem sorgfältig verglichen.
H.s ursprünglicher plan, die ausgäbe im verein mit Zupitza zu
besorgen , muste später aufgegeben werden ; er ist aber bei der
arbeit von Zupitza, Mayor und Skeat bereitwillig unterstützt
worden, über das alter der hs. ist H. anderer ansieht als Sweet:
sie stammt nach ihm schon aus dem anfang des 8 jhs., ist also
erheblich älter als die hs. des Epinaler glossars, das er in die
erste hälfte des neunten setzt, den grösten teil der einleitung
nehmen auseinandersetzungen über die verschiedenen Ursachen
der zahlreichen textverderbnisse und eine sich daran anschließende,
sehr dankenswerte liste aller vorkommenden Schreibfehler ein.
den schluss bildet eine besprechung zweifelhafter Wörter und ein
Verzeichnis der von H. benutzten glossenlitteratur.
Eine vergleichung der II. sehen ausgäbe mit der vorauf-
gehenden Sweetschen ergibt für den ae. teil nicht gar soviel
neues, einige versehen Sweets sind gebessert; doch ist die zahl
nicht sehr beträchtlich, alle diese lalle hier aufzuführen, scheint
mir nicht nötig, zweimal sind die von H. gerügten fehler schon
von Sweet selbst in den Corr. and additions geändert, au ein
paar anderen stellen hat H. Wörter als englisch aufgenommen,
die Sweet mit recht für nichtenglisch gehallen hatte, seine ho 11-
nung, dass kein englisches wort als lateinisch und kein lateinisches
als englisch aufgeführt sein möchte, ist danach nicht ganz in
erfüllung gegangen, einige dieser keineswegs zahlreichen ver-
sehen sind inzwischen schon von anderer seile berichtigt worden.
ich beschränke mich daher auf anführung des folgenden:
Int. 92 decurat hornnaap ist doch wol die auch bei Papias
vorkommende glosse decusata ornata. — H 136 birbicariolus
werna kann nicht wol lateinisch sein; es ist voroBfina <Iit zauo-
8*
116 HESSELS LATIN- ANGLOSAXON' GLOSSARY
könig; vgl. VVright-WülkerVocab. 260,21.31 in dem abschnitt 'De
auibus', der mit demCorpusglossar auf dieselbe quelle zurückgeht. —
C256 caluiale cosobricases ist wol zweifellos in caluiale bri (vgl.Wr.
W. 281, 2 s. o.) uud caseus cese aufzulösen, desgl. C 257 caluarium
caluuerclim in caluarium caluuer, calmilla lim; vgl. Wr. W. 280,36
und Corp. G 18 und 22. — C 882 (cripta) ascussum möchte H.
jetzt als englisch auffassen, etwa als eiue form von ascunian; ist es
nicht besser absconsum zu lesen ? — A 483 (alites) challes, das im glos-
sar als englisch angefübrt wird (im iudex mit fragezeichen), halte ich
für eine entstellung aus taues; alites uel aues ist eine häutige, auch
im Corp. belegte glosse. — 0 91 obesca grestu erscbeint in Wr.
W. 459,2, wo Corp. ausgeschriebeu wird, als obesca beost. an
breost, das zu nhd. mundartlichen formen stimmen würde, ist
schwerlich zu denken, vermutlich liegt ein Schreibfehler vor. —
statt (accintu) denetle A 172, im index mit fragezeichen, lies
acanthus blinde neue; vgl. Du Cauge: acantum urtica und acanthus
biowyrt in englischen glossaren. — A 744 artura tot, vgl.
A 824 armatura totius militis? — L 34 lacesso suto , lies saco? —
L 93 ladascapiae briensis id est hondwyrm; lies ladasca piae; vgl.
auch Sievers Angl. 13,352 u. — P 572 probum seuuin, Uesprobrum
(oder improbum) sceuum?
Diese und einige hier nicht erwähnte offenbare irrtümer
fallen aber neben den grofsen Vorzügen der ausgäbe gar nicht
ins gewicht, um so weniger als sie ja nur ein getreues bild der
hs. bieten will, es ist nur zu wünschen, dass H. seinen plan,
auch andere glossare in ähnlicher weise herauszugeben und im
auschluss daran auch die quellen zu untersuchen, recht bald
zur ausführung bringt.
Braunschweig, 19. 2. 91. H. Lübke.
Die homiliensammlung des Paulus Diaconus, die unmittelbare vorläge des
Otfridischen evangelienbuchs von Georg Loeck. diss. Kiel 1890.
Leipzig, GFock. 8°. 47 ss. — 1,50 m.*
Mit berechtigter Spannung wird jeder germanist dieses
schriftcheu zur hand nehmen; verheilst es doch die endgiltige
lösung einer frage, die jeden beschäftigt hat, den der gang seiner
Studien einmal zu Otfrids evangelieubuch geführt, uud die trotz
der mühsamen und sorgfältigen Untersuchungen Keiles, Pipers,
Erdmauns ua. immer noch nicht ihren befriedigenden abschluss
gefunden hatte, immer noch fehlte für eine anzahl von capiteln
ganz oder teilweise der nachweis der zu gründe liegenden quellen
(vgl. Erdmann s. lxx); vor allem aber konnte,' seit Lachmaun
(Kl. sehr, i 451) es ausgesprochen hatte, dass dem evangelieubuche
ein einziges umfassenderes und kürzeres werk zu gründe gelegen
haben mag, der wünsch nicht unterdrückt werden, diesem werke
nachzuspüren und so eine einheitliche quelle festzustellen.
* [Zs. f. d. phil. 23,474 (OErdmann) ]
LOECK DOMILDSNSAHHLDNG DES PAULUS DIACONUS 11"
Diese eiDheitliche quelle nun will L. gefunden haben und
zwar in dem Homiliarius, den Paulus Diaconus auf befehl Karls
des grofsen 7S3 anfertigte, dass nach L.s ausführungen s. 6 f
sich a priori eine beuutzung dieser mustersammlung von predigten1
durch Otfrid als wahrscheinlich ergeben soll, kann ich nicht ein-
räumen, denn daraus, dass die synode von Tours und das concil
zu Mainz die bestimmung treffen, jeder priester solle homilien
besitzen (man beachte den allgemeinen ausdruck!) und bestrebt
sein, sie in die Volkssprache zu übertragen, damit das volk die
predigt leichter verstehe, daraus folgt doch nicht, dass es Otfrid
besonders nahe gelegen habe, gerade den Homiliarius des Paulus
Diaconus zu benutzen, da ist doch sicher die Wahrscheinlichkeit
grüfser, dass die werke seines lehrers Hraban ihm Wegweiser
und quelle waren, jedoch die möglichkeit liegt ja vor, und sind
die Übereinstimmungen zwingend und erschöpfend, so wird die
möglichkeit zur tatsache.
Bei der nachprüfung hat sich mir nun aber ergeben, dass
es verhältnismäfsig recht wenige stellen sind, an denen der Ho-
miliarius gegenüber den bisher ermittelten quellen entweder allein
eine genaue Übereinstimmung mit Otfrid bietet oder eine bessere
als die von den früheren forschem gegebenen citate. dazu rechne
ichO.i8,10— 16; 11,55— 58. n 9, 7—10; 11,41—50; 14,81—84.
m 15, 15; 19—20; 25—26; 19,29—30; 22, 31—32 (zweifelhaft
ist noch 23,1—4). iv5,43. v4,7— 12 (doch fehlt in dem aus P. D.
angezogenen citat wider die erwähnung der liebe, die die trauen
zum grabe trieb, während sie in Erdmauns Bedacitat erscheint);
39 — 40; 6, 11 — 14; 20,23 — 24. wenn nun daneben nur alle
übrigen quellencitate sich ebenfalls bei P. D. vorfänden, so wäre
es mit evidenz erwiesen, was L. will, dass an stelle der evangelien-
commentare von Hraban, Beda, Alcuin und der vereinzelten citate
aus anderen kirchlichen auloreu als hauptquelle der Homiliarius
anzunehmen sei. dieser beweis ist aber meiner meinung nach
nicht erbracht, denn nicht allein für den weitaus grösten teil
des 4 buches von Otfrid lässt uns der Homiliarius ganz im stich,
was ja auch L. bekennen muss, aber in seiner bedeutung ab-
zuschwächen sucht, sondern auch in allen capitelu, für die L.
vollgiltige citate aus dem Homiliarius beibringt, sind dieselben
entweder aus Hraban, Beda, Alcuin usw. ebenfalls erwiesen, teils
wörtlich, teils dem inhalte nach, zuweilen sogar dem Wortlaut
bei Otfrid besser entsprechend, oder es sind daneben noch andere
Übereinstimmungen mit jenen commentatoren vorhanden, die so
evident sind, dass dadurch die annähme des Homiliarius als haupt-
quelle schwer erschüttert wird, ich glaube, dass L. selbst, wenn
1 [das ist ein irrtani Loecks, dem gegenüber auf Cruel Gesch. d. d-
pred. im ma. s. 47 f verwiesen sei : die Sammlung wird in der cric yclica von
782 ausdrücklich als ein lectionar für das officium DOCturnale
eingeführt und hat in Deutschland nie die rolle einer 'mustersammlung von
predigten' gespielt, wie Loeck sich vorstellt. v
118 LOECK HOMILIENSAMMl.UNG DES PAULUS DIACOINUS
er genauer die vorhandenen quelleunachweise zusammengestellt
und abgewogen hätte, dieser übelstand nicht entgangen wäre.
Eine nicht geringe anzahl von stellen zeigt also genauere
Übereinstimmung des Otfridischen textes mit den bisherigen quellen-
citaten als mit denen L.s aus dem Homiliarius. nur wenige zähle
ich hier auf; eine ausführlichere besprechung muss ich mir des
raumes wegen versagen, in parenthese füge ich zu jeder stelle
den quellenautor hinzu: i 4, 85 — 86 (Beda); 6,2 (Beda); 8,6
(Hrab.); 17, 67 — 72 (Beda). n 3, 59 — 66 (Beda oderHrab.);
17, 3 (Hrab.); 21, 5—6 (Hrab.). ru 6, 36 (Hymn. de epiph. dorn,
und Sedul. c. p. m 257; vgl. meine abhandlung Germ. 32, 385 ff);
16,33—48 (Ale); 20,139—142 (Beda und Ale); 21,7 ff (Sedul.,
Beda, Ale); 23, 15—18 (Ale), iv 3, 13 — 16 (Beda und Ale);
5 (Hrab. s. u.); 11, 18 (Sedul.).
Weit zahlreicher aber sind die stellen, wo innerhalb des-
selben capitels die citate aus dem Homiliarius im Wortlaut bezw.
iuhalt mit den bisher erschlossenen quellen übereinstimmen, da-
neben aber nicht zu unterschätzende quelleunachweise beigebracht
sind, für die sich im Homiliarius entsprechendes nicht findet,
ich citiere diejenigen stellen , an denen , die benutzung des Ho-
miliarius vorausgesetzt, noch annähme anderer quellen nötig
bleibt, wobei zugleich einige ungenauigkeiten in L.s angäbe cor-
rigiert werden sollen, i 5,52 (Beda): 17, 9 — 13 (Ale und
Hrab.); 51 (Hrab.); 22, 13ff (Beda); 59 f (Beda); 28, 1 ff (Beda).
ii 2, 24—26 (Beda); 3, 38 (Beda); 4, 43 f und 61 ff (Hrab.). für
das letztere capitel erwähnt L. selbst, dass Keiles, Pipers und
Erdmanns quellencilate in der betr. homilie bei P. D. fehlen,
für ii 5 ist L.s angäbe insofern unrichtig, als Erdmann den Beda
citiert, der in der reihenfolge der drei Versuchungen mit Otfrid
übereinstimmt; Hraban aber zählt zwar auf: gula et avaritia et
vana gloria, jedoch die sich anschliefsende erklärung hält an
der reihenfolge g., v. gl., a. fest, sodass dadurch die bemerkung
L.s, wenn anders ich den unklaren ausdruck 'während Hraban
in dieser reihenfolge von Otfrid abweicht' richtig verstehe, hin-
fällig wird, für u 7 ist die von Erdmann nachgewiesene Über-
einstimmung von v. 1 mit dem anläug des 2 buches von Hrabaus
Matthäuscommentar wichtig. u 8 will L. neben der homilie
i 53 noch eine zweite i 49 als quelle für v. 23 — 26 heranziehen;
aber abgesehen davon, dass es mislich ist, zwei verschiedene
homilien als quellen für ein capitel anzunehmen, bildet Pipers
und Erdmanns stelle aus Alcuin eine viel bessere parallele, zu
ii 11 gibt L. die bibelworte: in Mo tempore prope erat pascha
Judaeorum als Überschrift für Hom. i 74 an; sie stehn aber über
i 98. für v. 41 f ist die stelle aus Beda, die Erdmann anführt,
wider bezeichnender, für n 12 hat Erdmann auch parallelen aus
Beda citiert, die L. übergeht, für ii 16, 1 — 2 muss er selbst
eingestehn, dass das citat aus Hraban sich nicht in der angeführten
LOECK HOMILTENSAMMLUNG DES PAULUS DIACONUS 119
homilie finde, dass n 19 die randbemerkung odies inimicum tuum
sich ebenso in Hom. i 69 findet, beweist nichts, da eine reihe
von Itala- und Vulgatatexten dieselbe lesart haben; dass im selben
capitel zu 9 ff von Piper und Erdmann eine stelle aus Hraban
beigebracht wird, verschweigt L., desgleicben zu n 21, 33 f die
erklärung des panis quotidianus nach Hraban. ferner gehören
hierher ir 22 mit der stelle aus Hraban zu v. 25; 23, 23 — 30
(Hrab.); 24, 7ff(Hrab.); m 1, 1 f (Hrab.); m 7 (Ale); 13 (Hrab.).
die zu in 4 gegebeue bemerkung über die bibellesart ist hiufällig,
weil in derselben homilie auch das grabatum der Vulgata ge-
braucht ist neben lectus und lectulus. für in 14 muss L. eine gleiche
contamination aus zwei homilien annehmen wie für n 8; ebenso
für in 21. sehr übel sieht es in Otfrids 4 buche mit dem Ho-
miliarius als quelle aus, was schon berührt wurde; fast für alle
capitel vom 2 bis zum 37 sind längst, wenn auch zum teil kurze,
so doch sichere parallelen von den herausgebern beigebracht,
während die entsprechungen aus dem Homiliarius ganz unbedeutend
sind, sodass ich von einer aufzählung abstehe, für v7 sind
mehrere parallelen aus Alcuin und Hraban nachgewiesen, was L.
übergeht, zu v 8 citiert Erdmann auch Gregor, desgleichen
zu v 12 (und fügt hinzu: 'das folgende auch Alcuin'), v 14 den
Gregor und nicht Alcuin (in pareuthese: 'danach Ale. zu J. 21');
v 17 ist zu bemerken, dass Piper auf Beda verweist.
Wenn nun für so viele stellen der Homiliarius des Paulus
Diaconus nicht als quelle gelten kann und fast überall da, wo
L. ihn als quelle angibt, die bisher erwiesenen autoren dasselbe
oder gar besser entsprechendes bieten (manches von dem, was L.
als parallele anführt, ist als zu unsicher ganz zu streichen), so
kann man den beweis auch umkehren und behaupten : in erster
linie gelten die bisher nachgewieseneu quellen als sicher, und
das wenige, was in dem Homiliarius eine genauere parallele findet,
muss als 'unwillkürliche erinuerung' augesehn werden, dabei
wäre die zahl dieser 'unwillkürlichen erinnerungen' eine viel
kleinere, als bei L.s umgekehrter annähme, selbst wenn der
Homiliarius des Paulus Diaconus 'dem dichter in fleisch und hlut
übergegangen' war, was doch erst weniger anfechtbar bewiesen
werden müste, selbst dann wäre die art der benutzung eine
recht complicierte gewesen, wenn sie sich so verhielte, wie L.
beweisen will, schon oben wurden einige capitel des evangelien-
buches erwähnt, für die L. zwei verschiedene homilien heran-
zieht; das gewagteste enthalten die nachweise zu iv 5: vier ver-
schiedene homilien sollen von Otfrid für dieses capitel benutz!
sein, aber — glücklicherweise — die Übereinstimmungen er-
weisen sich durchaus nicht als zweifellos, für iv 5, 5 — 18 gibt
L. eine stelle aus Hom. i 1 als quelle an , für 19 — 23 aus Hom.
i 95 (bis), für 23—34 wider aus Hom. i 1, für 35—40 aus
Hom. i 113, desgleichen für 41—45, 53 — 56, (>1 — 64 und auf
120 LOEClf- HQMILIENSAMMLUNG DES PAULUS DIACONUS
s. 42 nocli für 61 — 66 aus Hrab. Hom. de die palmarum. die
erste stelle ist wörtlich aus Chrysostomus auch von Hraban iu
seinen MaUhäuscommentar aufgenommen; daneben aber enthält
Hrabans commentar zu derselben stelle noch ein citat aus Ve-
nantius, das bei Otfrid in v. 13 f nachklingt: populum nationum
perfidiae vinculis irretitiim. funiculis enim peccatorum suorum
unusquisque constrktus erat, derselbe Hraban bringt im commentar
zu demselben capitel auch die quelle zu v. 19 — 23; er citiert
nämlich nach Hieronymus: in monte Oliveti — id est in ipso
domino, qui nos nnctione spiritalium charismatum, et scientiae
pietatisque luce refovet. — idem mons Oliveti, id est summus spi-
ritalium distributor gratiarum. eben derselbe gibt auch für
v. 23 — 34 die richtige quelle, denn die vvorte: quibus nisi anima
instructa fuerit et ornata, sessorem habere dominum non meretur
entsprechen besser Otfrids w orten v. 31 ff als das citat aus der
homilie des Chrysostomus bei L., trotzdem er auf s. 28 mit be-
stimmtheit behauptet, dass der satz sich allein bei Chrysostomus
finde, auch das citat aus Hom. i 113 zu Otfr. v. 35 — 40 ist
weniger zutreffend als die von Piper und Erdmann bereits citierte
stelle desselben commentars. es kommt hinzu, was, soweit ich
sehe, noch nicht bemerkt worden ist, dass wir den gedanken
von v. 36 f bei Hraban zu Mt. 21,8 widerfinden: ad supemae
moenia civitatis, quo Jesus ducit. auf die nächste stelle v. 41 — 46
legt nun L. ein grofses gewicht, und in der tat ist die Über-
einstimmung von Otfr.s worten iro selono gifang mit animarum
tegumenta recht auffallend, aber wir dürfen auch widerum nicht
übersehn, dass daneben v. 42 und 46 ein gedanke auftaucht, der
nur bei Hraban augedeutet ist: simplicioribus dei famulis viam
suo sanguine parant , ut videlicet inoffenso gressu mentis — ince-
dant. die worte Hrabans: sancti martyres propriae se carnis
amictu exuentes stehn zudem Otfr.s worten auch nicht allzu
fern, selbst wenn man jedoch an der homilie hier festhält, ist
man bei einer so vereinzelten Übereinstimmung innerhalb eines
capitels, das sonst evident auf eine andere quelle zurückweist,
gewis berechtigt, entweder eigene unabhängige Verdeutlichung
des Hrabanischen ansdruckes oder 'unwillkürliche erinnerung' an-
zunehmen, für die nächste stelle v. 53—56 sind nuu die patrum
praecedentium exempla aus dem citat bei L. gar nicht zu brauchen,
sondern allein das auch von Piper und Erdmann gegebene citat aus
Hraban. für den schluss endlich ist weder das von L. auf s. 27 noch
das auf s. 42 gegebene citat eine geeignete parallele, sondern wider
nur die von den herausgebern beigebrachte stelle aus Hraban, inso-
fern die nachfolgenden indem zuge bei Otfr. auf uns gedeutet werden.
So ist in diesem capitel aus äufseren und inneren gründen
die directe benutzung des Homiliarius unwahrscheinlich, und
wir sind hier, wo Otfr. dem Matthäusevangelium folgt, in erster
linie auf Hrabans commentar verwiesen, nun aber vergegen-
LOECK HOM1LIENSAMMLUNG DES PAULUS DIACONDS 121
wältige mau sich noch den springenden weg, den Otfr. ge-
nommen haben müste, wenn er würklich den in seinem ersten
teile nach den sonn- und festtagen in der reihenfolge des kirchen-
jahres, in seinem zweiten teile nach heiligen geordneten Homi-
liarius in der weise benutzt hätte, wie L. meint, ich will nur
für das erste buch Otfr.s die betreffenden homilien ohne rück-
sicht auf die beweiskraft der parallelen hersetzen: i 92. n 19
(ii 14). i 7 (i 9). ii 43 (i 9). i 17, ii 22. i 18. n 22 (i 18). i 20.
i42. 1 48. 1 52. i 11. 1 51 (die zahlen in parentbese bedeuten die für
dasselbe capitel angenommene benutzung einer zweiten homilie).
Dass schliefslich Otfr. im 4 buche deshalb nur kurze com-
mentierende zusätze in die fortlaufende erzählung eingefügt haben
soll, weil ihn da der Homiliarius im Stiche liefs, scheint mir
doch ein ungerechtfertigtes testimonium paupertatis zu sein, das
man dem dichter ausstellt: der grund kann auch in etwas anderem
liegen; doch das würde zu weit führen, auch dass Otfr. der
grösten anzahl der capitel des 4 buches als Überschrift eine den
inhalt des ganzen capitels zusammenfassende angäbe voransetzte
statt der anfaugsworte des behandelten evangelischen textes, kann
unmöglich aus derselben Veranlassung fliefsen; sollte denn Otfr.
keinen bibehext zur hand gehabt haben?!
Aus den angeführten gründen kann ich mich nicht über-
zeugen , dass der Homiliarius des Paulus üiaconus die haupt-
quelle, das von Lachmann vermutete umfassendere und kürzere
werk sei. mir scheint es immer noch natürlicher, einen fort-
laufenden commentar zu den einzelnen evangelisten als quelle
anzunehmen und die gruppierung des Stoffes dem dichter als
geistiges eigentum zuzusprechen, sehr zu bedauern ist es, dass
die commentare Hrabans zu den anderen drei evaugelisten nicht
erhalten sind; vielleicht würde durch sie ßeda und Alcuin über-
flüssig, es wird aber bei dem compilatorischen character der
bibelcommentare und theologischen Schriften dieses Zeitalters immer
seine Schwierigkeiten haben , mit bestimmtheit eine einzelne quelle
nachzuweisen, ja es ist überhaupt fraglich, ob es zutreffend ist,
wenn wir durchaus darauf ausgehn, ein werk als hauptquelle
für den dichter ausfindig zu machen, das positive ergebnis der
vorliegenden schritt sind einige weitere parallelen zu Otfrid, die
ein neues Zeugnis von der umfassenden belesenheit und theo-
logischen ausbildung Otfrids geben1.
1 von druckfehlern sind mir aufser den auf der letzten seite berich-
tigten noch einige aufgefallen, auf s. 8 ist i 6. 2 min/tu zu lesen , s. 1 1
z. 9 v. u. ii 1 statt n3, s. 17 z. 18 v.u. ille statt Uli, /.. !l v. u. Erdmann, 8, 24
z. 10 v.o. santiin, s. 29 z. 20 v. o. fehlt hei dem Otfridcitate die angäbe der
verszahl 21 — 22. ein neckischer zufall hat sogar in die berichtigungen neue
fehler hineingebracht: z. 6 v.u. ist aus der 11 das zeichen „ zu machen;
die beiden anderen fehler von 8.26 sind nicht ganz correct angegeben, aber
von jedem leser leicht selbst zu verbessern.
Königsberg i. Pr., november 1890. K. Marold.
122 SCHULTZE OSWALDLEGENDE
Die entwiekelung der deutschen Oswaldlegende von Siegmar Schultze. diss.
Halle a.S., RNietschmann. 1888. 60 ss. 8°.
Tritt man an eine sage heran , die mit einem historischen
namen verknüpft ist, so ist es der naturgemäfse weg, vorerst zu
untersuchen, inwieweit ihr inhalt mit dem sich deckt, was ge-
schichtliche oder geschichtlich sein wollende quellen von der betr.
historischen person erzählen, diese vergleichung wurde für die
Oswaldsage in genügender weise von Berger Beitr. 11, 377 ff vor-
genommen; was Schultze dagegen vorbringt (s. 35 ff), scheint mir
auf vorgefasster meinung zu beruhen, hingegen polemisiert er mit
recht gegen die annähme damit zusammenhängender keltischer ein-
flösse, die wasserkufe zur bewahrung der keuschheit ist wol dem
würklichen leben asketischer zeit entnommen und auch sonst in der
litteratur bekannt durch jene erzählung von dem praepositus von
Aquileia, die von der französischen bearheitung der pseudo-hierony-
mianischen schrift Vitas patrum ausgehend ihre Verbreitung ge-
funden hat. nach derselben erzählt sie das Livre du Chevalier de la
TourLandry cap.25; englische Übersetzung aus der zeit Heinrichs vi
in den Publications of the Early English text society ur 33. 1868.
cap. 34; Legrand Contes devots in M6ons Nouveau recueil de
fabliaux 2, 187; nach dem letzteren Wieland Die wasserkufe.
etwas abweichend die von BKöhler Jahrb. für roman. und engl,
litter. 11, 231 ff mitgeteilte erzählung; seiner freundlichen mit-
teilung verdanke ich auch gröstenteils die oben angeführten
nachrichten. ebenso ist der einsiedler auf der klippe nichts spe-
cifisch keltisches, ein solcher ist aufser dem h. Gregorius noch
der h. Martinianus und Mordrain im Grand S. Graal. übrigens
scheint auch mir wie Seh. der iischer in dessen gruppe n ur-
sprünglicher, der name Ise freilich erst späte entlehnung aus
dem Oreudel. nur mittelbar geht auf keltischen einfluss zurück
die vision, in der sich dem heidenkönig lohn und strafe nach
dem tode offenbart. Ähnlichkeit mit keltischer sage zeigt der
wünsch der zum leben erweckten und getauften beiden sofort
wider zu sterben (Zs. 33, 137. Imram Brenaind nr5; AASS xvn.
Mart. 557).
Hat man so diese historischen und pseudo-historischen züge
zusammengestellt, und es bleibt noch ein unerklärter rest übrig,
so sucht man dann unter den bekannten sagen eine, die alle
diese oder einen möglichst grofsen teil dieser unerklärten züge
ebenfalls enthält, und man wird ziemlich sicher sein die quelle ge-
funden zu haben, wenn man noch den anlass aufzeigt, durch
welchen diese beiden sagen vereinigt wurden , etwas gemeinsames,
das sie bereits ursprünglich hatten, sodass sie einem ungeübten
gedächtnis und einer ungezügelten phantasie in eins verschwimmen
konnten, erst wenn dies nicht gelingt, wird man die einzelnen
züge da und dort nachzuweisen bestrebt sein, wobei man immer
die möglichkeit offen lassen wird, dass gröfsere sagenkenntnis
schtltzf: oswaldlegende 123
irgend einmal eine sage, welche einen grüfsern complex von
zilgen enthält, als quelle ergehen könnte.
Nichts dergleichen bieten uns jene gelehrten, zu denen sich
jüngstens der verf. der vorliegenden diss., kaum neue gründe vor-
bringend, gesellt hat, die als jene zweite quelle unserer sage
einen Wodanmythus ansehn, sie speisen uns mit sogenannten
ankuüpfungspuncten ab und mit was für anknüpfungspuucten 1
dass der held unserer geschichte Oswald heifst, und Wodan allen-
falls in norddeutschen gegenden so heifsen könnte, dass der
geguer dieses Oswald, der dennoch Wodan vorstellen soll, in einer
spaten quelle Gaudon heifst, was sich nur dann als Umformung
von Wodan rechtfertigen liefse, wenn man eine romanische quelle
annähme, was aber in Wahrheit ein in altfrz. gedienten beliebter
name für heidenkönige ist; vgl. Heiuzel WSB 119, m S8. dass
Oswald einen raben hat und Wodan zwei — ich erlaube mir zur
weiteren mythologischen behandlung die heiligen Guilielmus Fir-
matus, Benedictus, Meinrad, Paulus Eremita und Vincentius zu
empfehlen, in deren legenden gleichfalls raben vorkommen und
die mit raben bildlich dargestellt werden; auch die wölfe der
hb. Bernhard v. Tironio, Marcus Eremita, Guilielmus a Monte
Virgine, Poppo, Vedastus, Veit und Simpertus sind gut zu ver-
wenden, die h. Radegundis hat sogar deren zwei, ein rabe als
böte erscheint schon in der arche Noae, vögel als liebesboteu
sind nicht nur dem deutschen Volkslied eigen (Unland Schriften
in 109 ff. 171). der schwalbe bedient sich schon der alte Ana-
kreon, die taube wird von der kirchlichen legende bevorzugt,
und die gänse in Näl und Damajanti haben sogar goldene flügel
wie unser rabe. der h. Oswald nimmt in bairischen feldculten
die stelle des alten gottes ein, aber dass funetionen alter götter
auf heilige übertragen wurden, wissen wir ja auch sonst, mag
hier auch dadurch motiviert erscheinen, dass das Zeitalter von
Osw.s regierung als ein besonders fruchtbares geschildert wurde,
auch der b. Medardus gilt in der Normandie für den patron der
fruchtbarkeit und besonders der Weinberge, an den 'Asenwalter'
zu deuken sollte schon die lautlehre verbieten, da das wort im
bairischen doch nur Answalt, nicht Oswalt lauteu könnte, auch
die Hildensage hat nicht mehr ansprüche als jene zweite quelle
zu gelten als der Wodanmythus, die entfuhrung durch list er-
scheint unendlich oft, zb. im Rother; die erweckung der toten
hat bei einem heiligen nichts merkwürdiges; die fortsetzung des
kamples nach der widererweckung ist eine erweiterung, die sich
erst in einer späten quelle findet; die beschattung durch adler
ist jedesfalls altertümlicher als die durch planen.
Die für unsere sage anzusetzende zweite quelle schein! nur
also nicht gefunden, man gestatte mir, hier auf meinen aufsatz
'Salomosageu in Deutschland' Zs. 35, 177 11' zu verweisen.
Was gruppierung und aller der poetischen und prosaischen
124 SCHULTZE OSWALDLEGENDE
fassungen anbelangt, so bat sich Scb. gaDz an den erwähnten auf-
satz Bergers angeschlossen, die frage nach dem alter der ge-
dichte lässt sich nicht abgesondert von der nach dem alter des
Orendel und des Salman beantworten, alle diese gedichte (nicht
nur ihre bss.) stammen, sowie sie überliefert sind, aus dem 14 jh.
gedichte früherer zeit, etwa des 12jhs., mögen zu gründe liegen,
nachgewiesen ist es nicht, reconstruierbar sind sie auf keinen
fall, die ähnlichkeit mit dem könig Rother ist grofs, aber die
ähnlichkeit mit den späteren spielmannsgedichten in composition
und phraseologie ist nicht minder überraschend: vgl. zb. Vogts anm.
zu Salman 16 und 23, und so lässt sich vieles anführen1, die
1 der heide im Oswald hat besondere ähnlichkeit mit dem Machorel im
Otnit. Orendel als pilger zn ross ähnelt sehr dem Loher in der gleichen
Situation (Loher und Maller erneuert von Simrock s. 99), meister Ise dem
mönch Usan, Bride mehr den streitbaren flauen der französischen epopoe
wie Guiborc als einer deutschen walküre, der pförtner Achilles dem Gra-
mabet im Wolfdietrich und dem grafen Adan im Wigalois, der kämpf
Orendels mit Mentwin dem Heimes mit Aspilian, Thidreksaga cap. 430 ff.
nur dem wünsche, nach dem beispiele der französischen moniages die komische
figur des mönch gewordenen ritters einzuführen, scheint mir der umstand zu-
zuschreiben, dass speciell im erwähnten gedieht der rock aller tradition
(i Mos. 49. Jesaias 63, 2) und allen wirklichen tatsachen (Gildemeister und
Sybel, Der h. rock s. 5. 6) entgegen grau genannt wird, dass in der Pilatus-
sage, späte märchen aufser acht gelassen, der rock keinen zorn gegen den
träger desselben aufkommen lässt, ist doch etwas ganz anderes, als dass
er gegen wunden schützt, dieses motiv finden wir in einem französischen
Alexanderroman: C'etait une ckemise sans couture ni rep?'ise ; eile avait
ete faite sur les bords de la Tamise et portee par mer en Frise au roi
Philippe. Celui qui la porte est protege contre les blessures et sa chair
ne sera poinl enflammee des ardeurs de la luxure (PMeyer Alexandre le
grand dans la litt, du moyen age i 19. 248). meister Ise, der riche vischer,
zeigtauch ähnlichkeit mitAmfortas, dem riche pecheor, worauf mich Heinzel
aufmerksam macht, der name von Oswalds vater Sewart findet sich im
Biterolf, Merzian (Berziän? Salman 559.570) im Biterolf und Wolfdietrich,
der name von Salmes vater Cyprian im Kuperan des Siegfried liedes. die
mishandlung des kämmerers in unsem gedichten hat ein analogon nicht
nur im Bother: vgl. Martin QF 65, s. 70; Zs. f. d. phil. 23,498. über spiel-
leute und pilger vgl. Jänickes einleitung zum Deutschen heldenbuch iv
s. xlvi ff. wenn man mit alle dem — es liefse sich noch manches anführen —
etwa die ähnlichkeiten jener spielmanns«edichte mit dem herzog Ernst ver-
gleicht, findet man erstaunlich wenig, benutzung des Bother soll nicht ge-
iäugnet werden, aber sie beweist ebenso wenig als die benutzung des
Bolandsliedes, die wir für den Orendel wenigstens nachweisen können, denn
Pelian 1889ff ist kein anderer als Paligan. wie dieser zwei halsberge, so
hat jener drei brünnen an , dem gegner kommt hier wie dort im entschei-
denden momente himmlische ermutigung. an derselben stelle finden wir
nun wörtliche Übereinstimmung dö sach er üf der heiden ?na?iige haniere
sweiben, bede griiene und ouch rot Or. 1944 ff = do sähen si von den
haiden manegen vanen waiben grüne unl waiti'n Bol. 278, 19; etwa
auch Or. 1999 ff und Bol. 288, 19 ff. nicht anders zieht sich eine uneon-
trolierbare kette von Übereinstimmungen von Sigelot . . . den anpetten die
haiden für ain got Bol. 198, 21 über den Imelot.. . her wolde sehe wesen got
Bother 2576 zum Nibehit .... selbe wolde er got sin Biterolf 299. den
Paligan finden wir noch einmal als Beliän im Orendel, Salman, Woll-
dietrich, Wittich vom Jordan, den Marsilies als Marsiliän, Mersiliän im
SCHILTZE OSWALDLEGENDE 125
allitterationen, die Berger als beweis für das alter der Oswald-
dichtung verwertet, sind ganz belauglos: ich will mich verpflichten,
verhältnismäfsig ebenso viele etwa aus dem Reiufrid von Braun-
schweig beizubringen, es wird ja niemandem der unterschied,
der immerhin zwischen Wolfdietrich etwa und Oswald besteht,
eotgehn. viel macht dabei die äufsere form aus. auch ein
französisches gedieht, unter sonst ganz gleichen umständen ver-
fasst, wird eine bedeutende Stilverschiedenheit zeigen, je nach-
dem es in tiraden oder iu reimpaaren verfasst ist. dazu kommt
dann der unterschied der gegend, aus der die gedichte her-
stammen, und endlich der unterschied des Standes der Verfasser:
jene wellliche, diese geistliche fahrende.
Den einzigen sichern historischen auhaltspuuct liefert uns
Salman 728, 3, wo das 1218 gegründete castellum peregrinorum
erwähnt wird — diese Strophe wird aber als interpoliert angesehu.
vielleicht steckt Alhlit, der orientalische name dieses hauptsitzes
der templer, auch in dem Alzit des Oreudel 2637. will mau das
nicht zugeben, so bleibt uns mir ein termiuus ad quem: später
als 1350 ist wol die vorläge von Sch.s gruppe in des Oswald
nicht gedichtet; denn INicolaus von Basel (ed. KSchmidt s. 107)
scheint sie zu kenneu. was man au historischen anspielungen
im Salman und Oreudel hat finden wollen, halte ich für un-
sicher.
Orendel , Salman , Wolfdietrich, es läuft eben eine niemals abgerissene
Verbindung zwiseben den ältesten liedern germanischer sänger und der
jüngsten bänkelballade. wer wollte auf die Übereinstimmung zwischen
dem Orendel 2S1 zivölf smide sdzen .... daz silber st du würkten und
dem ags. zaubersegen (Grein -Wülcker i 31S) syx smiltas acelan, tvälspera
worhlan irgend etwas bauen ?
Baden bei Wien, juli 1890. S. Singer.
Eine deutsche colonie zu Treviso im späteren mittelalter. mit einem exeure:
Freidanks grabmal. von Henry Simonsfeld. (Abhandlungen der königl.
baii. acad. der wissensch. cl. 3, bd. 19, al>t. 3 s. 543 — 638.) München.
verlag der königl. acad. (GFranz) 1890. 96 ss. 4°. — 2,80 m.
Aus einer handsi hriti des germanischea nationalmuseums zu
Nürnberg gibt S. das lateinisch und deutsch abgefasste Statut
sowie das mitgliederverzeichnis einer deutschen bruderschaft oder
*schola' (mutatis mutandis wol am ehesten mit gewissen ten-
denzen unserer i'reimaurerbiinde im vorigen Jahrhundert zu ver-
gleichen) heraus, welche, höchstwahrscheinlich 1439 — 10 ge-
gründet, bis ins 17 jh. hinein in Treviso bestanden hat; dei
Schlips bilden eine reibe auf die bruderechafl bezüglicher Urkunden.
voran geht eine ausführliche Untersuchung, welche, mit einem
126 SIMO.NSFELU COLO.NIE ZU TREVISO
überblick über die gescbicbte Trevisos beginnend, die anderweitigen
nacbricbten über dort ansässige Deutsche zusammenstellt und die
aus dem Statut und dem milgliederverzeichnis sich ergebenden
resultate über zweck, tendenz und einrichtung der Vereinigung,
ihre commuuale Stellung, herkunft und gewerbe der mitglieder
verzeichnet, das milgliederverzeichnis, das 456 namen aufweist
(darunter 29 frauen), nennt S. selbst s. 36 (578) einen cultur-
historisch interessanten beleg für die 'stärke des geographischen
Verkehrs' selbst der kleineren deutschen orte unter sich und für
den 'grofsen Wandertrieb der Deutschen', vertreten sind in dieser
Trevisaner colouie alle gegenden Deutschlands, auch INiederdeutsch-
land, Holland, Ungarn und Siebenbürgen: das hauptcontingent
stellt jedoch der bairisch-österreichische und schwäbische stamm,
offenbar bairisch-österreichischen character trägt auch die spräche
des Statuts, wie S. s. 23 (565) richtig hervorhebt.
Für den germanisten das meiste interesse hat der excurs
'Freidanks grabmal' s. 42 — 47 (584 — 589), der der frage nach
der echtheit jener von Hartmann Schedel überlieferten , zuerst
Zs. 1,31 von W Grimm publicierten grabschrift des spruchdichters
Freidank in Treviso, anknüpfend an einen im mitgliederverzeichnis
erscheinenden bruder Lamprecht Freidank von Petrazgabem (das
schwerlich mit S. s. 46 (588) anm. 1 als Steingaden aufzufassen
ist), von neuem nahe tritt. S. kommt zu dem resultat Grimms
zurück, der bild und grabschrift ins 15 jh. setzt, lässt jedoch
unentschieden, ob beides damals neu angebracht oder etwa nur
bereits vorhandenes renoviert wurde, dass Schedel würklich ge-
sehenes berichtet, wird allgemein zugestanden: die grabschrift
findet sich sogar noch einmal in dem unmittelbar nach dem Trevi-
saner aufenthalt geschriebenen Orationale Schedels, dort mit der
Variante albeg, deren b für w durchaus zu der Orthographie im
Statut der bruderschaft stimmt und daher entschieden den Vor-
zug verdient, allerdings kann die frage, ob die grabschrift sich
auf den dichter der Bescheidenheit bezieht und im 15 jh. nur
erneuert wurde, auch jetzt noch nicht sicher gelöst werden, ich
habe mich immer der ansieht zugeneigt, dass sie auf den alten
Freidauk bezug hat und in irgend einer älteren, vielleicht etwas
abweichenden form schon im 13 jh. für diesen gestiftet wurde,
dass ihre zweite zeile auf Freidank 176,4 anspielt, hat WGrimm
Über Freidank zweiter nachtrag 4 (Klein, sehr. 4, 99 f) richtig
erkannt (vgl. auch Behaghel zu En. 22), nur kann ich die an-
spielung nicht 'albern' finden, gedanklich und durch den drei-
fachen reim ist das epitaphium vollkommen in sich geschlossen
und nicht, wie Sandvoss und Simonsfeld gewillt scheinen anzu-
nehmen, fragmentarisch und noch der ergänzung durch eine vierte
zeile und einen lateinischen spruch bedürftig. — endlich fördert
S. die Freidankforschung noch durch den nachweis, dass das in
Schedels besitz gewesene exemplar der lateinisch-deutschen 'rithmi'
SIMONSFELD COLOME ZU TREVISO 127
Freidanks sich in der Münchener hof- und Staatsbibliothek be-
findet: der text weicht von der von Joachim herausgegebenen
Görlitzer hs. ah und verdient nähere beachtung.
Aus dem text des Statuts, dessen spräche mancherlei interes-
santes dialectmaterial bietet, habe ich mir folgende worle notiert,
die im mhd. wb. und bei Lexer fehlen: behilfig behulfig s. 50 (592).
54(596). 03(605); vorweseryn (lat. advocata) s. 50 (592); beyspil
(im sinne von lat. exemphm) s. 58 (600). 67 (609); vorvater (lat.
praedecessor) s. 65 (607); wiczung (lat. discretio) s. 69 (611);
laub (= mhd. urlonp) s. 70 (612); schulen (plur. zu Schilling)
s. 74 (616). 75 (617). — s. 58 (600) anm. 3 wird unnötig eine
lücke vermutet; s. 59 (601) zeile 23 lese ich tret für tiet (druck-
fehler?), vgl. s. 56 (598) zeile 35.
Jena, 29 Januar 1891. Albert Leitzmann.
Marcus evangelion Mart. Luthers nach der septeniberbibel mit den lesarten
aller Originalausgaben und proben aus den hochdeutschen nach-
drucken des 16 Jahrhunderts herausgegeben von dr Alexander Reiffer-
scheid. Heilbronn, gebr. Henninger, 1SS9. xi und 124 ss. 8°. —
4,20 m.*
Der verf. will mit diesem buch dem academischen publicum
ein hilfsmittel in die band geben , welches im anschluss an die
forderungen der neuen Prüfungsordnung dem wissenschaftlichen
Studium der nhd. spräche auf den Universitäten eine eiogehendere
berücksichtigung ermöglichen soll, dieses Studium muss natur-
gemäfs von der spräche Luthers und seiner Zeitgenossen aus-
gehn. und wenn auch zb. die von Braune herausgegebenen
neudrucke diesen bestrebungen schon sehr entgegenkommen, so
kann doch nicht geleugnet werden, dass gerade in der bibel-
übersetzung Luthers ein besonders wertvolles material vorliegt.
denn an den verschiedensten orten und zu den verschiedensten
Zeiten gedruckt, gestattet die Lutherbibel in bequemer weise wie
kaum ein anderes litteraturdenkmal nicht nur eine fortwährende
vergleichung zwischen älterer und neuerer sprachstufe, sondern
sie gewährt auch einen einblick in den kämpf und den allmäh-
lichen ausgleich der verschiedenen dialecte, in denen die drucker
sie nachdruckten, zur einheit der Schriftsprache.
In gewissem grade bietet allerdings schon die bibelausgabe
vou Bindseil und Niemeyer (Halle 1845 — 1855) eine derartige
Übersicht, indem sie den text der ausgäbe letzter band vom
jähre 1545 zu gründe legte und die abweicbuogeo der früheren
texte hinzufügte, aber obwol die Herausgeber die ausgesprochene
absieht hatten, auch dem philologen das nötige material zu
geben, so saheu sie sich doch schliefslicb genötigt, den formalen
* [vgl. DLZ 1890 or40 (KBurdach).]
128 REIFFEHSCHEID MAUCUSEVANGELION MAUT. LUTHERS
Varianten eine gleiche ausführlichkeit wie den sachlichen zu ver-
sagen, nur der apparat zum ersten huch Mosis bringt auch jene
in gröfserem umfange, ein zweifellos sehr grofses material in
dieser beziehung muss der handschriftliche uachlass GKFrom-
manns, des im jähre 1887 verstorbenen sprachlichen mitarbeiten
für die herstellung der probebibel , bieten1; aber dieser schätz ist
noch nicht gehoben. da nun auch die Bindseilsche ausgäbe
heute nicht mehr für jeden erreichbar ist, so ist R.s unter-
nehmen völlig gerechtfertigt.
Was R. schon auf dem titelblatt bemerkt, dass er die 'les-
arten aller Originalausgaben' bringen werde, betont er noch-
mals in seiner einleitung s. iv. aber er erfüllt dieses versprechen
nicht, sein 'Verzeichnis der verglichenen Originalausgaben' um-
fasst achtzehn nummern, bis auf den als G bezeichneten lauter
Wittenberger drucke, die entweder von den Lotthers oder von
Hans Lufft gedruckt sind. G enthält zwar auf dem titelblatt die
angäbe Wittemberg, M.D.XXvij, aber angaben dieser art genügen
bei den drucken jener zeit für eine bestimmte localisierung be-
kanntlich nicht, und in der tat druckt der am ende angegebene
Melchior Sachsse oder Sachs nicht in Wittenberg, sondern in
Erfurt. Weller weist im Repertorium s. 472 und im [i] Supple-
ment s. 63 zusammen sieben drucke von Melchior Sachse in
Erfurt nach, von denen drei ausdrücklich neben dem namen des
druckers die Ortsangabe Erfurt im impressum tragen, von diesen
drei drucken setzt Weller den einen etwa in das jähr 1521, die
beiden andern gehören dem jähr 1526 an. weitere erzeugnisse
dieser druckerei, die gleichfalls den namen des druckers und
druckortes nennen, sind zb.: '(Mart. Luther) Deutsche Messe .. .
1526', 'Mart. Luther Auslegüg der Euangelien . . . 1528', 'Mart.
Luther Der Prophet Sacharja . . . 1528', 'Mart. Luther Auslegung
der Zehen gebot . . . 1529', 'Phil. Melanchthon Ein kurtze Schrifft
. . . Von rechter vergleichung vnd friedshantllung . . . (1541)', ein
druck der fünf bücher Mosis in Luthers Übersetzung 1544. die
von R. benutzte ausgäbe des neuen testaments ist 1527/28 ge-
druckt, gehört also zweifellos ebenfalls nach Erfurt, übrigens
konnte R. dieses resultat bereits aus Bindseils ausführungen in
dessen einleitung zum 6 teile der Rindseil -Niemeyerschen bibel-
ausgabe entnehmen, auf die er in anderer beziehung gerade bei
diesem druck ausdrücklich verweist, und wenn Rindseil würk-
lich seine Erfurter ausgäbe noch im siebenten teile der bibel-
ausgabe zur vergleichung heranzog, weil er 'sie als stellvertreterin
1 vgl. RvRaumer in der einleitung zu den Vorschlägen zur revision
von dr Martin Luthers Bibelübersetzung. 2 heft (Halle 1862) s. 8; ferner
WVogt in den Mitteilungen des Vereins für die geschiente der Stadt Nürn-
berg, vii heft (Nürnb. 1888) s. 14 f, auch separat erschienen u.d.t. Dr Georg
Karl Frommann. ein wort der erinnerung (Nürnb. 188S) und dazu die Zu-
sammenstellung von Zeugnissen über Frommanns hergehörige sprachliche
arbeiten in der Zs. f. d. ph.20,42f.
REIFFERSCHEID MARCISEVA.NGELIO.N MAUT. LUTHERS 129
der fehlenden Wittenberger ausgäbe von 1527' betrachtete und
die vergleichung schon deshalb für zulässig hielt, 'weil die Ortho-
graphie der Erfurter ausgaben mit der der Witteuberger über-
einstimmt' (B.-N. vi s. xm), so durfte dies für R. noch lange
kein grund sein, den Erfurter druck ohne weiteres als original-
druck zu betrachten und zu behandeln, von den übrigen sieb-
zehn 'Originalausgaben' R.s sind vierzehn einzelausgaben des neuen
testaments, die drei übrigen nur bestandteile von ausgaben der
ganzen bibel. die ersteren vierzehn identifiziert R. durch hinweis
auf die entsprechenden Signaturen in Bindseils eiuleitung zum
6 teil seiner bibelausgabe. die von Bindseil aufserdem noch auf-
geführten selbständigen originaldrucke des neuen testaments hat
dieser bis auf einen (Bindseil e 17), von welchem gerade das
impressum mit der angäbe des druckers fehlte, selber nicht in
bänden gehabt, sondern nur auf bestimmende gründe hin als
existierend angenommen ; diese drucke sind daher von R. nicht
mit aufgezählt, für die andern drei ausgaben, in denen das
neue testament nur als teil der ganzen bibel auftritt, hat R. die
identificierung mit den bei Bindseil angegebeneu drucken nicht
versucht, obgleich Bindseil sowol in der einleitung zum 1 teile
als später genauer in der zum 7 teil eine ausfübrliche über-
sieht der ihm bekannten originaldrucke der ganzen bibel ge-
geben hat. darnach ist der von R. mit 0 bezeichnete druck
gleich Biudseils F, R.s R gleich Rindseils K. R.s P stimmt im
zweiten teil bis auf den punet hinter Wtttemberg im schluss-
impressum zu Rindseils G, die angaben über den ersten teil sind
dagegen verschieden, dennoch hat auch schon Rindseil das jetzt
von R. beschriebene exemplar im äuge gehabt, da er in seinen
Ausführungen , teil vh s. xx, ausdrücklich auf zwei in der Stral-
sunder ratsbibliothek befindliche exemplare hinweist, deren existenz
er dem catalog dieser bibliothek (•Alphabetisches Verzeichnis der
in der ratsbibliothek zu Stralsund befindlichen bücher. Stral-
sund 1829' s. 43) entnahm, in dem handexemplar von seinem
'Verzeichnis der original-ausgaben der Lutherischen Übersetzung
sowol der ganzen bibel, als auch grüfserer und kleinerer teile,
Halle 1841', welches sich auf der königl. bibliothek zu Berlin
befindet und eine grofse menge von verbessernden und ergänzenden
Zusätzen enthält, hat er ausdrücklich die auch von R. als A 10
gegebene Signatur des Stralsuuder exemplars als A0 (= fol.) 10
angemerkt, aufser diesen drei drucken führt Bindseil aao. teil vh
einleitung s. u ff noch acht andere vollständige bibelausgaben an,
von denen er nur eine (G*) nicht vollständig , von dieser jedoch
gerade den zweiten teil mit dem neuen testament, in bänden
gehabt hat. diese acht ausgaben, Bäramtlich von Lullt in Wit-
tenberg gedruckt, haben aber dasselbe recht als Originalaus-
gaben betrachtet zu werden, wie die drei von R. sub OPR be-
schriebenen drucke, indessen war es auch ohne dein ganz und
A. F. D. A. XVI. .1
130 P.EIFFFRSCHEID MARCUSEVANGELION MART. LUTHERS
gar nicht gerechtfertigt, dass R. sich auf diese in den jähren
1545 — 55 gemachten angaben Bindseüs, und noch dazu nur für
die selbständigen drucke des neuen testaraents beschränkte; denn
was Bindseil an Originalausgaben der bibel in händen gehabt
hat, ist bei weitem nicht alles vorhandene, wie dies die biblio-
graphische einleitung zu der von PPietsch für die kritische ge-
sammtausgabe von Luthers werken vorbereiteten ausgäbe der
bibel zeigen wird, in die der herausgeber freundlichst einen ein-
blick gestattete, von einer berücksichtigung 'aller Originalaus-
gaben' durch R. kann also nicht entfernt die rede sein.
Über seinen abdruck bemerkt R. s. iv, derselbe folge 'aufs
genauste der Septemberbibel, sodass selbst die Zeilen einander
genau entsprechen.' auch die initialen sind nachgebildet, sowie
die zwei verschiedenen formen des r, die aus dem handschrift-
lichen gebrauch früherer zeit auch in die druckerzeugnisse über-
gegangen waren, in ihrem Wechsel genau widergegebeu. R.
geht in seiner genauigkeit sogar soweit, dass er ganz offenbare
druckversehen in seinem abdruck nachbildet, wie zb. s. 27, 36 —
ich citiere im folgenden, wenn nicht anders angegeben, stets
Seitenzahl und capitelzeile nach R. — hvtte st. hatte, 25, 6
f eyner st. feyner, 85, 37 mit yhnwerden st. mit yhn werden uä. ;
die Verbesserung derselben im nächsten druck nimmt er dann
in den varianteuapparat auf. R. ist sich bewust, dass er so die
forderungen schärfster philologischer akribie erfüllt, aber er
fordert damit eine gleiche akribie der kritik heraus, hierbei
kann daher, um den gröfseren oder geringeren wert von R.s
genauigkeit zu bestimmen , leider nicht umgangen werden , dem
leser zu einem guten teil rein typographische fragen aufzutischen,
abweichend von der vorläge sind nur gewisse siegel, die dem
typenschatze der druckerei fehlten (s. iv), aufgelöst, der schräge
interpunctionsstrich ist durch das komma ersetzt, randglossen,
custoden , Signaturen sind fortgelassen, im allgemeinen verdient
die Sorgfalt des herausgebers volle anerkennung. gröbere ver-
sehen kommen nicht vor. von kleinigkeiteu erwähne ich etwa
7, 72 ydermann st. yderman, 29, 60 vnd st. vnnd, 5, 45 tagloner
st. tag loner, 12, 8 erfahe st. er fahe, das falsche r-zeichen 33,28
Höret, 82, 60 rhor uö.
Eine gerade bei seiner genauigkeit auffällige principlosigkeit
zeigt R. dagegen in dem druck der ligaturen , indem er entweder
in dem Lottherschen druck der Septemberbibel — wenigstens
für das äuge — vorhandene ligaturen nicht als solche widergibt,
oder aber bei Lotther getrennt stehende consonanten als ligatur
druckt, zunächst ein wort über letzteren fall. Lotther druckt
stets c -f- h getrennt, R. ausnahmslos ch als ligatur; genau so
druckt Lotther stets c -+- k, R. jedoch besonders am anfang (vgl.
4, 19. 20. 21. 5, 48. 6, 65 usw.) ck als ligatur, und erst später,
zuerst 12, 14, dann aber principiell von 18, 35 an c -j- k; ver-
REIFFERSCHFJD MARCDSEVANGELIOIS MART. LUTHERS 131
einzeltes ck noch 59, 21. ferner ist / -f- l bei Lotther nie ligatur;
hier ist R. ganz regellos, indem er es bald als ligatur bald ge-
trennt druckt, häutig in unmittelbarster nähe; vgl. zb. für die
ligatur 3, 16. 4, 29. 5, 39. 6, 58. 7, 75. 77 usw., für den ge-
trennten druck 4, 24. 5, 35. 6, 50. 56. 65. 7, 75. 10, 45, dann
wider 63, 86. 88. 71, 40. 79, 24 usw. für t + z, bei Lotther
gleichfalls nie ligatur, druckt auch R. nur ganz vereinzelt (9,23.
16, 11. 28,46) die ligatur, sonst stets t + z. umgekehrt gibt
R. die Lottherschen ligaturen, soweit dieselben für den neudruck
zu geböte standen, nicht immer als solche wider, von dem ver-
einzelten fall 1.3, 18, wo R. f -\- fl st. ff +1 hat, will ich ab-
sehen, obwol ein. zweifei hier nicht obwalten kann, da R. sonst
die ligaturen ff und fl gewahrt hat. inconsequenz tritt aber hervor
bei der widergabe der Lottherschen ligatur ff, indem R. 17, 15
und 18,37 f-\-fi druckt st. ff-\-i, und weiter /' + f + z
(10, 32. 45. 11, 56. 15, 55) neben dem richtigen ff -\- z (3, 13.
4, 19. 22, 15. 25 usw.); auch die Lotthersche ligatur ft findet
sich bei R. sicher als f-\-t 3, 10 und 28, 41. unleugbar ver-
leiht diese principlosigkeit für ein typographisch geschultes äuge
dem neudruck ein buntscheckiges aussehen , welches das original
nicht bietet.
Für die controle der von R. gebotenen Varianten habe ich
mich im allgemeinen auf eine eingehende vergleichung der ersten
sechs und des letzten capitels von A, der decemberausgabe vom
jähre 1522, und R, der folioausgabe vom jähre 1524, beschränkt.
R. vergleicht jede der von ihm benutzten Originalausgaben in
peinlichster weise, sodass selbst die druckfehler aufnähme finden,
mit dem texte der zunächst vorhergehenden ausgäbe, also A mit
dem texte der septemberbibel — übrigens mit dem original, nicht
mit seinem nachdruck — , R mit A, C mit R usw. diese methode
hat zweifellos den nachteil, dass ein einmal durchgeschlüpftes
versehen so lange für alle ausgaben bestehu bleibt, bis in einer
endlich eine Änderung eintritt, hierfür mögen wenige beispiele
genügen. R. druckt in seinem text der septemberbibel — ich
werde das original mit S bezeichnen — 7, 72 fälschlich yder-
mann st. yderman; da er nun den text von A nur mit dein
original S vergleicht, und A ebenfalls yderman bietet, so fällt
dieses versehen nicht auf; es bleibt weiter auch für R bestehen,
welches ebenfalls ydernuni hat usf., bis endlich F die Variante
Yderman bietet, und damit der fehler aus den Varianten beseitigt
ist. nach R. also haben SABCC'DE ydermann; das ist aber nicht
der fall. 23, 33 bietet R. das wort Jefus genau nach S; aber
schon A druckt Jhefus, und ebenso R. da nun R. die Variante
bei der vergleichung von A mit S übersehen hat , so bleibt die
Schreibung Jefus nach R.s apparat für ABCC'D bestehn; erst
in den Varianten von E kommt zu 21, 1<> die ootiz 'Je/um so
immer ohne h\ 19,55 hat S reych ; A ändert an dieser stelle
132 REIEFERSCHEID MARCÜSEVANGELFON MART. LUTHERS
die Wortstellung, was auch die Varianten anmerken, hierbei
aber druckt R. aus versehen reich, obwol auch A und B reych
bieten; diese falsche Schreibung bleibt nun unverbessert, bis
F zu 17, 19 mit der würklichen Schreibung reich den irrtum
ausmerzt.
Eine Vereinfachung in der varianteuangabe führt R. dadurch
herbei, dass, wenn eine bei der vergleichung eintretende ab-
weichung ihm lediglich als druckversehen erscheint, er dieselbe
zwar im apparat anmerkt, sie jedoch einklammert und im weiteren
nicht als würkliche Variante berücksichtigt, dieses verfahren ist
völlig gerechtfertigt; es hätten dann aber auch fälle wie 25, 70
verdolmetfch B, 16, 3 mnfte G st. muß F — S (H hat wider muß)
und 9, 20 ßebe B st. ßand AS (C hat ßehe) ebenso behandelt
werden könoen.
Eigenartig ist R.s verhalten gegenüber der abkürzung dz
für das. da dieses Siegel keine typographischen Schwierigkeiten
verursachte, so wurde es in dem abdruck beibehalten und nunmehr
in den Varianten gewissenhaft registriert, wann im nächsten druck
dafür die volle Schreibung das eintrat , zb. 17, 19 A, 24, 52(2) A,
30, 91 B; dagegen bleibt das umgekehrte unberücksichtigt, vgl.
zb. 6, 56(1). 7, 81. 9, 22. 19, 57(2) uö., wo A statt des das des
abdruckes stets dz hat. allerdings setzt B an allen diesen stellen
wider das ein, aber wir bleiben über den inzwischen statt-
gehabten Wechsel ununterrichtet.
Weiter führt R. in den Varianten die unterschiede der aus-
gaben in der typographischen zusammenrückung oder trennuug
mehrteiliger Wörter an, wie zb. 11, 51 erdurch A st. er durch;
9, 22 hyn aus A st. hynaus. an übersehungen habe ich in dieser
beziehung nur bemerkt 17, 20 widderferet A st. widder feret,
31, 104 vmbligende A st. vmb ligende; umgekehrt beruht 8, 3
die var. alsbald B st. als bald auf versehen, aber R. geht noch
einen schritt weiter, indem er auch solche fälle als trennungen
notiert, wo im einen text der erste teil eines derartigen wortes
am ende der einen zeile steht, ohne durch die stricheichen mit
dem am anfang der nächsten zeile stehenden zweiten teile ver-
bunden zu sein, während das betreffende wort in dem verglichenen
druck zusammengerückt in einer zeile steht, so zb. — ich be-
zeichne, was R. unterlässt, das ende der zeile durch zwei senk-
rechte striche — 25, 68 hyneyn A st. hyn \\ eyn, umgekehrt
24, 50 auß || gangen A st. außgangen usw. abgesehen davon,
dass R. seine beobachtungen auch in dieser beziehung nicht coo-
sequent durchführt1, so sind diese Varianten als solche unbe-
rechtigt; denn das fehlen der verbinduugsstrichelcheu ist in
jenen drucken absolut kein beweis für die trennuug; vgl. fälle
1 es fehlen zb. 28, 50 hynaus A st. hyn \\ aus, 27, 31 auffer |] ftanden
A st. auffer ftanden; vgl. auch die bei R. fehlenden 10,32 war || umb A
st. war= || umb, 27, 31 auffer = || ftanden B st. auffer || ftanden.
REIFFERsCHEJI) MARCUSEVAISGELION MART. LUTHERS 135
wie zb. 10,30 nachfoU || geten A neben nachfol \\ gelen S, 13, 18
hieU || ten A neben hiel \\ ten S, umgekehrt 10, 39 Jhe \\ fus A
neben Jhe* \\ fus S usw., fälle, die auch R. nicht als Varianten
betrachtet; und selbst abbrechungen wie 8, 84 ru || chtbar, 9, 12
geda \\ chten, 11, 48 fchleu || ch, 17, 17 gley || chniffe usw. sind in
R.s abdruck so wenig als sonst in den drucken jener zeit irgendwie
auffällig, ein pendant zu dem schon oben erwähuten druck ver-
sehen 85, 37 yhnwerden S, wofür in den Varianten von A ge-
treulich yhn werden registriert wird, hat R. übersehen; sonst
hätte er für 14, 40 yn gleychniffen die var. von A yngleychniffen
wenigstens in runden klammern gleich andern offenbaren druck-
versehen anführen müssen; vgl. für den vorliegenden fall be-
sonders 19, 55 '(erfp räch)' D st. er fprach.
Au versehen in dem Variantenapparat von A sind mir aufser
den bereits angeführten noch folgende aufgefallen: zu 24, 65
1. hyneyn st. hynein; zu 26, 14 fehlt die var. (vud) st. vnnd (1); zu
6, 60 hat A deutlich fchwij || ger, was R. durch '(fchwi,ger)'
hätte widergeben müssen, st. fchwiger S; zu 5, 35 1. ift st. ist;
zu 18, 44 ist mit st. Mut als var. widerholt, trotzdem sie schon
zu 17, 21 aufgeführt war; sie gehört nach R.s princip nur zu
18, 44, da sonst bei verschiedener Schreibung eines wortes in
demselben capitel von S eine Zusammenfassung der gleichen Va-
rianten für verschiedene stellen nicht stattfindet; vgl. zb. cap. 6
die var. brod st. brot zu 26, 20. (30), 74. 77. 78 und nochmals
besonders brod st. brott 30, 82. 84.
Aus der vergleichung von B und A haben sich mir für die
verglichenen capitel folgende nachtrage zu R. ergeben: 16, 14
streicht B das komma nach frucht; 29, 67 setzt R komma nach
yhn; 23, 32 setzt B punct mit folgender majuskel auch nach hat;
zu 16, 4 1. auf ß st. auff(2); zu 29, 59 1. meydlin ß st. meyd-
lyn (1); zu 31, 98 1. trat B st. tratt; zu 83, 5 1. Sabbather B st.
fabbather; zu 5, 35 Lift st. ist, wie schon in den Varianten von
A; in der zeile 7, 77 würden nach den Variantenangaben aus A
und B in ß zwei kommata nach wiltu stehn , es steht aber
nur eins1, dasselbe recht wie das oben erwähnte '(erfp räch)'
hat ba Id 7, 79 B st. bald; hatmich 24, 52 ß st. hat mich.
Im anschluss an diese erorterungen sei noch ein wort pro
domo gestattet, als beweis für seine behauptung auf s. iv, dass
der abdruck 'aufs genauste' der Septemberbibel folge, fuhrt R.
in einer eigens hierzu gegebenen anm. aus, dass im .Marcus-
evangelium an zwei stellen, in den wortern für und miujlich,
sich ein ü statt eines u linde, dieses ü zeige sich auch sonst
noch in S, und zwar zur bezeichnung des umlauts (7 beispiele
1 das richtige resultat würde sich mit voller Sicherheit ergeben, wenn
die interpunctionsvariante von B zu dieser stelle gestrichen, toilltu du A
als reines druckversehen in klammern gesetzt und die Lesart m»n H dareh
willt du] iviltu angezeigt würde.
134 REIFFERSCHEID MARCUSEVANGELION MART. LUTHERS
ohne belege), im eü (3 bei spiele ohne beleg), und aus versehen
in Wörtern wie 'haüs, Hierüfalem , thiin ua.' (ohne beleg). R.
lügt hinzu, dass der von Seherer 1883 herausgegebene, auf mecha-
nischem wege hergestellte neudruck der Septemberbibel diese
puncte über dem ü nicht widergebe, und dass daher ich, der
ich zu meiner diss. Die spräche Luthers in der Septemberbibel [i]
(Halle 1887) nur den Schererschen neudruck benutzt habe, 'mit
unrecht vom gänzlichen maugel eines umlautzeichens für u in
der Septemberbibel' rede.
Hierzu erlaube ich mir folgendes zu bemerken:
1. es ist richtig, dass an den beiden von R. angeführten
stellen des Marcusevangeliums sich eine w-type findet, die über
den beiden grundstrichen je ein winzig kleines pünctchen auf-
weist, aber abgesehen von der hochgradigen Seltenheit ihres Vor-
kommens sind diese pünctchen im Verhältnis zu den schönen
kräftigen lettern, mit denen S gedruckt ist, viel zu minimal, als
dass man sie für beabsichtigt halten könnte, man wird diese
type vielmehr als ein mangelhaft geschnittenes u betrachten, wie
sich das aus ähnlichen fällen in den Wörtern tuch 10, 44, grünet
19, 5U, muhe flu 24, 59 ergibt, die R. mit demselben rechte
durch ü hätte widergeben müssen , weiterhin auch aus Wörtern
wie Dauid 63, 78, zu 78, 6 ua.
2. aber würklich den fall gesetzt, es läge hier eine be-
sondere type vor, so könnte sie doch nicht als beweis für die
umlautsbezeichnung augesehen werden, da sie, wie R. selbst
s. iv angibt, auch in den Wörtern haus, Hierufalem , thun 'ua.'
sich findet, wozu aus den von mir aufgeführten belegen zweiten
langes noch tuch, Dauid, zu, auch ein auff Ap.-gesch. 24 abs. 6
treten, entscheidend wird eine umlautsbezeichnung durch die
tatsache ausgeschlossen, dass die officin Melchior Lotthers in
Wittenberg, soweit mir deren Lutherdrucke bekannt sind, bis
1522 einschliefslich noch gar keine umlautszeicheu anwendet-;
selbst die Decemberbibel v. j. 1522 zeigt sie noch nicht, erst
1523 fängt die genannte druckerei an, den umlaut zu bezeichnen,
und zwar stets mit einem dem o, u übergesetzten, (heraldisch)
nach links offenen, c- förmigen bogen, der als ersatz des von
andern drucken gebrauchten e dient, da nun auch in späteren
drucken dieser officin, soweit ich sie kenne, nie zwei puncte als
umlautbezeichnung Verwendung finden — R.s Varianten geben
allerdings 6 und u stets durch ö, ü wider, letzteres auch dann,
wenn in dem gleichen druck u und ü in bestimmter Unterschei-
dung neben einander vorkommen, vgl. unten s. 52 — , so glaube
ich, müssen wir sie auch für die Septemberbibel in dieser be-
deutung als ausgeschlossen betrachten. auch KvBahder sagt
in seinen Grundlagen des nhd. lautsystems (Strafsb. 1890) s. 57:
'der umlaut des u, o bleibt im n. t. von 1522 noch ganz un-
bezeichnet'.
KEIFFERSCHEID MARCUSEVANGELION MAßT. LUTHERS 135
3. soweit ich sehe, folgert R. lediglich aus dieser meiner
einen äufserung über die frage der umlautsbezeichnung in S,
dass ich zu meiner damaligen arbeit nur den Schererschen nach-
druck in händen gehabt habe, ich betrachte es als ein com-
pliment, dass R. mir bei einer benutzung des Originals das über-
sehen jeuer microscopischen pünctchen nicht zugetraut hätte; er
selbst hat trotz aller seiner geuauigkeit tatsächlich übersehen,
dass jene type in ebenso klar ausgeprägter form, wie iu seinen
beiden beispieleu, sich auch noch in dem worte euch 65, 25
findet, indessen muss ich gestehn, dass ich aufser dem neudruck
würklich auch das original benutzt habe, was ich R. personlich
nachzuweisen gern bereit bin. aber wenn auch die techuik der
reproduction sich in den letzten jähren wesentlich vervollkommnet
hat, so bin ich doch auch heute noch der meinung, dass jener
neudruck der Septemberbibel, der in der reichsdruckerei hergestellt
ist und durch dessen herausgäbe die Grotesche Verlagsbuchhand-
lung in Berlin sich ein grofses verdienst erworben hat, für sprach-
lich-wissenschaftliche arbeiten allen anforderungen genügt.
Weiter druckt R. auf s. 87 — 117 das erste capitel aus dem
Marcusevangelium nach einer reihe von hd. nachdrucken aus den
jahren 1522—1557 ab, und zwar in lateinischen statt der in
den originalen angewendeten deutschen typen, von diesen ab-
drücken habe ich nr 1 und nr 9 mit den originalen verglichen.
nr 1 ist abgedruckt aus einer ausgäbe von Adam Petri, Basel 1522,
welche, ohne titelblatt, auf der gräflich Stolbergischen bibliothek
zu Wernigerode aufbewahrt wird, der abdruck ist bis auf eine
principielle änderung R.s fehlerlos; diese aber ist nicht gerecht-
fertigt. Petri unterscheidet nämlich fast ausnahmslos u (mhd.
u, u) und u (mhd. uo) , sowie ü (mhd. ü) und u (mhd. üe) —
das e über dem u ist allerdings mehr nur ein c- förmiger offener
bogen — zb. fun \. 20. 35, funden 63, du 43. 44 uo., Jefus 16. 25
uo., fände 9, erfüllet 26, über 39. 75, thür 58, fürbaß 34, euch
14. 15 uo., teüffel 59. 67, bedreüivet 72, neben büß 7, fchuch 14,
brüder 30, zu 7. 42. 43 usw., wufle 62, wuften 4. 6 uö.,
ruffende 4, auch rumen (corrigiam) 14. dass hier eine ganz
bewuste Unterscheidung vorliegt, lässt ein flüchtiger blick er-
kennen, aber R. gibt sowol u als ü durch u, sowol ü als n
durch ü wider und verwischt damit ein characteristiscb.es merkmal
der vorläge, wenn R. das nur ein paar mal vorkommende u durch
ö und a durch ä widergibt, so mag das gelten; die Vernach-
lässigung der oben angeführten unterschiede in der vorläge würde
nicht einmal dadurch genügend entschuldigt werden, dass der
druckerei die sondertypen gefehlt hätten ; zum allerwenigsten
aber hätte eine besondere ootiz über diese dinge gemacht werden
müssen, um nicht den leser des abdruckes irre zu führen, ähn-
lich verhält es sich mit nr 9, dem druck {\c* n. I. von Friderich
136 REIFFERSCHEID MARCUSEVAISGELIO.N MARX. LUTHERS
Peypus, Nürnberg 1524. doch beschränkt sich die Unterscheidung
hier auf ü und u, jenes in Wörtern wie fünde. 9, gürttel 11,
erfüllet 27 ua., dieses in ru ff ende 4, wufte 62, ruret 70 ua.,
aber auch in zufamen 36, züfchaffen 42, zuuerderben 43, auß-
zubringen 76; Schwankungen zeigen für (praep.) 47 neben
für 68. 74 und fürbaß 34, über 39 neben über 75, auch findet
sich thur 58, Jüdifch 8. auch hier liegt offenbar trotz der ver-
einzelten Unsicherheiten eine beabsichtigte Scheidung vor, über
die R. sich wider, ohne ein wort zu sagen, hinwegsetzt, indem
er ü und u durch ü widergibt, im übrigen muss es in diesem
abdruck heifsen gefchriben st. geschriben 2, und das komma nach
fun 20 gestrichen werden.
Zum schluss gibt R. auf s. 118 — 124 noch eine höchst
dankenswerte Zusammenstellung der abweichungen im Wortschatz
der vier evangelien , soweit diese bei einer vergleichung der
September-, resp. der Decemberbibel mit den nachdrucken 1 — 12
sich ergaben.
Berlin, im august 1890. Johannes Luther.
Gotthold Ephraim Lessings sämmtliche Schriften, herausgegeben von Karl
Lachmann, dritte, aufs neue durchgesehene und vermehrte aufläge,
besorgt durch Franz Muncker. 1 — 6 band. Stuttgart, GJGöschensche
Verlagshandlung 1886—1890. gr. 8°. — jeder band 4,50 m.
Die weit über Lessing hinausreichenden Verdienste der Lach-
mannschen ausgäbe darzutun ist heute ebenso unnötig, als die
schwächen seines nachfolgers Maltzahn , der zwar einiges nachge-
tragen, aber den neudruck ohne akribie, partienweise sogar mit arger
Unwissenheit in fremden sprachen und litteraturen besorgt hat, noch-
mals aufzudecken, die Hempelsche ausgäbe brachte nach fünf
wertlosen bänden, die sammt dem siebenten eingestampft und
würdig ersetzt werden sollten, einen trefflichen sechsten, sank
von dieser höhe zu Zimmermanns elender edition der Ham-
burgischen dramaturgie herab, gewann aber dank Schöne und
Redlich vom achten an eine sichere haltung, die ihr trotz einigen
gebrechen bis zum glorreichen abschluss durch die correspondenz
verblieb, sie ist uns unentbehrlich, obwol ihre auordnung nicht
eben bequem genannt werden kann und man Lessings Ortho-
graphie vermisst; auch für den text ward hier neben der er-
lauterung manche emendation geschaffen. Maltzahn freilich hatte
nicht wissen können, dass ein auch von Lachmanns kritischem
äuge übersehener Oplet in einen correcten Optat zu verwandeln
sei, und wo der grofse philolog ein wenig ausgespannt (man
sehe zb. die druckfehler der Theatralischen bibliothek) oder das
LESSLNGS SCHR1FTE.N I — VI ED. Ml.NCKER 13"
malerial an drucken und manuscripten ungenügend aufgeboten
hatte, war in der zweiten ausgäbe keine irgend zulängliche ab-
hilfe zu finden, wir wollen sogleich erklären, dass Muncker mit
treuer hingebung und einer Sorgfalt, die er seinen Bremer bei-
trägern nicht im gleichen mafse vergönnt hat, in Lachmanns erbe
getreten ist. er hat alle handschriften nachverglichen, ueue
funde eingetragen und mit einer sehr angewachsenen menge von
drucken rechnen können, in letzterer hinsieht förderte ihn sein
inzwischen ausgeschiedener kenntnisreicher Verleger FWeibert.
zum beweis, wie eifrig dieser mann in alten messcatalogeu , ofü-
cinen und bibliotheken gepirscht hat, führe ich stellen aus einem
an mich gerichteten briefe vom jan. 18S6 an: 'für mich ist in
dieser beziehung nichts kleinlich und ich jage nach doppeldrucken,
die sich oft nur durch commata unterscheiden, weil ich einen
bis ins kleinste ganzen Lessing zu haben wünsche, wer wüste
zb. bis jetzt, dass es von den fabeln 1759 drei drucke gibt?
einen ersten correcten ohne carton, denselben mit carton, und
einen zweiten iueorrecten . . . doppeldrucke existieren von Jeru-
salems Aufsätzen 1776, Vom zwecke Jesu 1778, Ernst und Falk
177S . . .' und so gab er mehrere Seiten durch einen vorschmack
dessen, was die Lachmaun-Munckersche ausgäbe an bibliographi-
schem gewinn aufweisen sollte und weiterhin zu bringen hat.
Selbstverständlich ist Lachmanns anordnung gewahrt, die so
weise das historische prineip mit dem sachlichen verbindet, wäh-
rend bei Hempel das zusammenlegen in manchen fällen, besonders
was die recensionen anlangt, zum zerreifseu aller Chronologie
geführt hat. die Sparsamkeit des apparates ist dieselbe, aber wir
würden nichtiges, wie die gewis nicht von Lessing selbst her-
rührenden Varianten des Vademecum 1784, freudig hingeben für
die zumeist ausgelassenen änderuugen in den handschriften,
denen sich die weimarische Goetheausgabe nur in den fällen der
Orthographie, welche die ausspräche nicht berühren , und in den
fällen der interpunetion, die keine beziehung auf den sinn haben,
verschliefst, es ist gewis ein gesunder Grundsatz, all die alten
druckfehler stillschweigend zu verbessern , ohne mit Goedekes
Schillerausgabe den kehrichl wertloser Varianten, der ganz gleich-
giltigen posthumen gar, ins haus zu fegen, aber bei solcher
strenge gilt es doppelt vorsichtig sein, denn unsere kenntnis des
Sprachgebrauchs im 18 jh. liegt noch im argen, und leicht dünkt
den ersten blick ein druckfehler, was Lessingsche eigenlüttlichkeil
ist. wie viele nachlässigkeiten der ausspräche, die gilji und halst,
die ungesundeste und unurißenfte zb., giengen mit einer niasse
diabetischer formen und Wendungen auch in seine feder über,
wimmeln in den hss., behaupten sich in den drucken, manche
von anfang bis zu ende, andere in den Lustspielen 1767, aber
ohne consequenz, beseitigt, wir brauchen eine monograpbie über
Lessings spräche; einige capitel hoffe ich in meinem hiesigeo
138 LESSirSGS SCHRIFTEN I VI ED. MUNCKER
kreise zu fördern. Rlvöhler machte mich einmal darauf auf-
merksam, dass Lachmann in dem Meifsner fragment Üher die
mehrheit der weiten (Schriften 2, 66) zum Sternen (als schwache
singularform möglich, im Zusammenhang plural) wortlos 'emendiert'
habe zun fternen, während man doch in Mitteldeutschland sogar
wirtshausschilder wie Zum drei hirschen und ähnliches kenne.
Lessing hat, so viel ich sehe, zun für zu den nie geschrieben.
Lachmann ist schuldlos, seine vorläge Schr.c bot zun; aber auch
Munckerdruckt5,67 zun ohnefufsnote. es gibt bei Lessing noch ein
beispiel, im Henzi (Schr.a 2, 159) zum Kindern — auch da setzen
alle neueren herausgeber, Muncker 5, 102, mit Lachmann zun
und unterschlagen uns eine seltsame sprachbeobachtung. — 1, 135
Im Zipfel seines Kleides faßt: Sehr. 1, IUI In Zipfel natürlich
nicht druckfehler, sondern syncopiert für in den: in'n, wie bei
Goethe in Thurn usw. — 1, 138 Prunk: Schr.b 1, 1 09 Prung kaun
sehr wol, neben der Schreibung Brunk, bei Lessing vorkommen,
wie noch in der Emiliahs. 2, 387, 21. also waren beide Varianten
zu notieren. 1,238 Und ihr beglaubtes Nichts wohnt nur in den
Gedanken: Sehr. 1,240 nun nicht ohne weiteres als druckfehler
zu verschweigen, während ganz sinnlose Satzfehler, wie Sehr.
1, 252 auch Pindus Höh statt auf keine Verewigung fordern,
aber 2, 40 seins Aufenthalts , 2,81 den Stricke und meinen Kinder
würde ich anmerken. Muncker 1, 128,7 muss es dem metrum
gemäfs Stell dich, nicht Stelle dich heifsen. — warum 1, 19 die
noch dazu durch den reim gelüften geforderte form Küften (ar-
moire in der französischen vorläge) dem apparat verloren gegangen
ist , verstehe ich um so weniger, als bei Lessing ü für i, eu für
ei, ö für e — aber auch das umgekehrte — ebenso massenhaft
auftritt, wieseine, von ihm selbst eingestandene, sächsische Un-
sicherheit in bezug auf media und tenuis. Muncker hat das treulich
gewahrt, soweit meine reichlichen Stichproben reichen; nur 5,95
vermisse ich erzüttern (Sehr.3 2, 139). formen, die Lessing durch-
weg, ja mit einem gewissen trotz gegen autoritäten wie Adelung,
behauptete, kömmft, betauren, dürfte man auch da einführen, wo
uns nur RGLessings vielfach normierter text vorliegt, sinn-
störende fehler, wie 1, 245 Als alle Mufen euch im einzigen Homer
statt ein einziger, sind mir nicht wider aufgefallen. 1, 263 nur
ist sehr mit unrecht der druckfehler nach für noch in den text
statt in den apparat gewandert:
Der Alterthümer Schutt, wo in verlaßnen Trümmern,
Des Kenners Augen nach Geschmack und Schönheit schimmern.
eine verunglückte bereicheruug, das Sinngedicht auf Se. preufsische
majestät, hat Redlich , Vierteljahrschrift 2, 277, ausgejätet und als
JDLeydingsches gewächs erwiesen. 1,50 fehlt zum Stammbuch vers
für Schröder der erste druck: Schink, Dichter- manuscripte,
1. Sammlung (Wien 1781) s. 147 'An Herrn Schröder' mit an-
geschlossenen versen Schinks. wenn für den andern stamm-
LESSIISGS SCHRIFTEN I VI Ell. MU.NCKER 139
buchvers Kunst und Natur ein nachdruck von 17S0 citiert wird,
warum uichl auch Berliner litteratur- und theaterzeituug 2, 178
(z. 4 Denn) ? zum armen Willebald l, 47 ist jetzt Dörings meidung
an Göckingk (LGeiger, Frankfurter zeitung 20. 11. 1S90) zu ver-
gleichen. 1, 150 Orpheus ist von Bernays (siehe meinen Lessing
1, 331 f) als Übertragung der ersten hälfte einer romauze des
Quevedo erwiesen, und es scheint mir nicht ins gebiet der hier
ausgeschlossenen sacherklä'rung hinüberzuschweifen, sondern zur
aufgäbe des kritischen editors zu gehören, dass in solchen fällen
an der spitze des apparates die wörtlich übersetzte vorläge ge-
nannt werde; also für die Virginia die von Roethe VJS 2, 520
herangezogene tragödie Crisps, für die spanischen fragmente die
originale, soweit sie bis jetzt ermittelt sind (vgl. nun auch
PAIbrecht, Prospect zu Leszings plagiaten 18 f). auf die Kleinig-
keiten und Sinngedichte erstreckt sich diese forderung natürlich
nicht, ferner würde der textkritiker in seinen grenzen bleiben,
wenn er Lessingsche abkürzungen in der note auflöste, also 1, 90
H[artmaun], 1,41 K[ant] oder in der Theatralischen bibliothek,
wo der dolmetsch selbst die abbreviatur noch nicht zu ergänzen
wüste, C[hassiron] , denn jeder leser verlangt uach dem namen.
Zum ersten bände möchte ich hier, mit benutzung von hsl.
notizen des historiographen Preufs, eine reihe compositioneu
Lessingscher Kleinigkeiten zusammenstellen. Friedrich Wilhelm
Marpurg, Historisch - kritische beyträge zur aufnähme der musik,
Berlin 1754. 1,88 Scherzlied von herrn M. Lessing, CPEBach
(Ehret, brüder, meine schöne, Ehrt die märkische Helene); 1, 272
Scherzlied Voll, voll, voll, Agricola (Muncker 1, 87, 128). das
letztere trinklied ist auch von SWDehn, Orpheus v, componiert. —
Marpurg, Neue lieder zum singen beym clavier. Berlin, verlegts
Gottlieb August Lange 1756. s. 2 Die liebe (1, 89) Ohne liebe,
Rackemann , kammermusicus in Berlin; s. 20 An eine kleine
schöne (1,68), Quanz; 1,68 Die Türken, Marpurg (ebenda vier
lieder Ossenfelders, drei von Marpurg, eines von Seyfarth gesetzt). —
Berlinische öden und lieder, Leipzig Breitkopf 1756; s. 12 Die
küsse (1,62), CPEBach; s. 22 Die biene (1,89), derselbe; s. 40
Das aufgehobene gebot (1, 65), Agricola; 2 (1759), 7 Der alte und
der junge wein (1, 68), Graun; s. 30 Phyllis lobt den wein
(1, 104), Marpurg. — Lieder mit melodien. Anspach, Posch 175S
nr 23 Der tod (1, 90); 26 Das aufgehobene gebot (1, 65), ohne
uennung des oder der componisten. — Marpurg, Kritische briefe
über die tonkunst, mit kleinen cla vierstücken und singoden be-
gleitet von einer musikalischen gesellschafl in Berlin. Berlin,
Birnstiel 1760. s. 110 Das aufgehobene gebot (1,65), Nichelmann;
s. 134 Der ueid (Die küsse 1, 86), derselbe; s. 27$ Phyllis lobt
den wein (1, 104), Z. — Bamlers und Krauses Lieder der Deut-
scheu mit melodieu Übergehe ich, einstweilen ;uit Schüddekopfs
listen verweisend. — des Lobes der faulheil (1, 74, Ramlers
140 LESSINGS SCHRIFTEN I — VI ED. MUNCKER
Lieder 2 buch qr 22) hat sich seltsamer weise Haydn erbarmt,
Oeuvres completes cahier ix mit deutschem und französischem text,
Die liebe (1, 89) auch Beethoven, Gesäuge mit begleituug des
klaviers in musik gesetzt. Leipzig, Rühnel o. j. 3 lieft nr 1,
componiert.
Das gröste verdienst hat sich Muncker um die dramen
erworben, im 2 und 3 bände, soweit ich drucke nachverglichen
habe, ist text und apparat bis auf einige kleinigkeiten (zb. Alte
Jungfer 202,27 Könige; 203,10 so ärgern; 208,17 Korb; 210,22
defswegen; 218,30 sehen; 227, 18 sehen; 229, 12 Ja ja; 231,9
Weis; 227, 9 ist sie Sie alte Sclnnidsche emendation für er Sie)
mit rühmlicher Sorgfalt behandelt, zur Minna freilich ist schon
jetzt nach Bielings Berliner programm von 1888 und der von
innen und aufsen prächtigen ausgäbe, mit der CRLessing im
october 1890 eine ausgewählte schaar beschenkt und beglückt hat,
mancherlei einzuwenden und nachzutragen; ich will einem amerika-
nischen gelehrten nicht vorgreifen, der mir die mangelhafte aus-
beutung der hs. bei M. vordemonstriert bat. — dem abdruck der
Emilia ist mit den nötigen kleinen correcturen die einzelaus-
gabe 1772c zu gründe gelegt, die hs. hätte gründlicher aus-
gebeutet werden sollen, denn, wir widerholen es, das princip,
nur ausnahmsweise ihre änderungen zu verzeichnen, ist unhaltbar.
2, 387, 1 hat der druck melancholischten; 389, 14 verholen; 395, 10
So gieb mir, gewis druckfehler für nur; 415,18 sah'; 424, 1.2
ein kleines Verbrechen, ein kleines stilles heilsames Verbrechen; 398, 5
hat die hs. O Claudia! Claudia! was M. gegen alle drucke aufnimmt,
obwol der ausfall des zweiten rufes sehr wol der beAvusten absieht ent-
sprungen sein kann, die Verdoppelung für 398, 10 vorzubehalten;
401,12 wird zu dem vielbesprochenen lapsus nicht ohne Mi fs fallen
eine note vermisst (vgl. Herders gleichartiges versehn Ideen 13, 158
Indessen auch bei ihnen noch ist das Gesetz der Natur nicht un-
verkennbar mit der fufsnote Suphans 'Herder wollte sagen nicht
verkennbar'); 410, 33 ist kein grund mit der hs. Genüge für Gnüge
einzusetzen; 426, 14 könnte das der der drucke ein versehen
sein, vgl. 402,21; die neueste conjeetur zu 404,22, in der
wendung Locken, wie sie die Natur schlug, sei schlang oder schlung
zu lesen, ist überflüssig, auch wenn nicht in der Theatralischen
bibliothek 1, 55 (Muncker 6, 36) stünde in Locken schlägt. — die
von Lachmaun vernachlässigten Breslauer papiere suchte nach
Danzel BBoxberger zu erledigen, wie weit M. sowol in der
anordnung als in der entzifferung mit erfolgreicher mühe über
ihn hinausgekommen, wie unbrauchbar der Hempelsche band ll2
ist, zeigt durch eingehende confrontation der älteren und der
neuen ausgäbe Sauer in seiner recension Zs. f. österr. gymn. 1888
s. 36 ff für Hannibal, Eraclio, Fatime, Schlaftrunk (ganz neue
partien), Matrone, INathanentwurf. leider fehlt bei M. fast durchaus
eine beschreibung der hss., eine Übersicht über die folge der
LESSINGS SCHRIFTEN I — VI ED. HUHCKEB 141
bruchstücke auf den blättern, das ist aber nach M.s eigenem
geständnis gerade beim Nathan unentbehrlich, wo der uno tenore
geschriebene und zwar ins reine geschriebene grundriss allerlei
Zuwachs erhalten hat. die Verteilung wird auch bei Boxberger
nicht klar genug; ich denke in einem genauen abdruck die
schichten typographisch zu unterscheiden, einige mit rötel ge-
kritzelte skizzen sind so abgescheuert, dass sie nur mehr erraten
als gelesen werden können, anderes aber hat auch M. verfehlt,
und ich schliefse daraus auf kleine versehen auch gegenüber den
von mir leider nie geschauten Breslauer schätzen, im Nathan
haben sogar gelegentlich Danzel und Boxberger die richtige lesart
vor M. voraus, ich erwähne folgende besserungen und nachtrage
zu M.s text nach meiner collalion der teils sehr säubern, teils
sehr flüchtigen hs. : 474, 15 — 27 Sie — Nathan, Nathan später.
spitzer für Eure Rahel Eure Rahel, darunter steht noch Nathan.
Ich muss dir es nur gleich zeigen, Daja [so]. Ich habe dir einen
recht schönen Zeug aus Babylon mit gebracht. 30 Bagdad für
Bassora? 475, 1 später mit aufnähme der worte 2 — alles. 7 nach
will gestrichen Aber ich höre, sie kömmt selbst. 8 — 29 später.
476, 5 folgt in eigner Perso[n]. 6 So nach gestr. Seyd ihr es
doch mein Vater. 477, 5 — 21 rechts später als der vorausgehende
und der folgende abschnitt. 478,2 gleichzeitig links nachgetragen.
481, 15 — 17 oben am rande links. 30 11' links gleichzeitig.
484, 15 ff offenbar später; ich setze diese angaben nicht fort, da
eine beschreibuug entweder sehr weitläufig oder unklar gerateu
müste. 487, 21 aus erzehlt. 23 eine. 488, 8 unter gestr. Dm
hast befohlen \ Ich kenne Sultan nicht. 20 aus sehr unsicher.
489, 7 unter zwei gestr. Zeilen . . . Sammlen \ Was ist zu Diensten
lieber Bruder? 490, 3 — 8 von der letzten seite des einzelnen
halbbogens hier sauber eingetragen; dort steht Yilnek. 11 euch.
12 das erstemal euch. 491,13 Titlen. 492,5 nicht!?., sondern
U[erbelot]l 12 xcarum zweifellos. 16 mit rötel corrigiert in Aber
nachgeschickt bist du mir doch? M.s Variante kann irreführen.
19 nicht wann, sondern eine, nämlich Mittagssuppe, vgl. 23.
22 Darum — nachgeschickt ist gestrichen. 27 nicht Sey es, son-
dern ganz deutlich Immerhin. 493,2 nicht Wozu, sondern Warum.
493, 7 fragezeichen unnötig. 8 von — Herrn über derzeile, ich
lese aber von Einem['l\ Mann. 9 wird über gestr. ist so. das
folgende sälzchen es kam ihm lange so die Geschichte einj?] heifst
vielmehr es kam ihm lange so kein Gesicht vor. dann Er . . . das
mir. Ohne Galle usw. 12 nicht Und wie heifit er? was auch
gar keinen sinn hat, sondern A. Card von Stau ff en! 13 dach
Stauff'en? noch ein So oder gestr. S[lanff'en]. 15 Mächtige aus?
zu 16 Tebnin gewis nicht, vielleicht Acca. 17 nicht mehr zu
entziffern Weis ich dergleichen noch oft und finde ich dii Gnade.
18 lese ich nicht sage sondern sehe und von Palest ina] doch
nicht aus der Seele, Muncker: von heiligen Dingen nicht in untrer
142 LESS1NGS SCHRIFTEN i — VI ED. MUNCKER
Seele. 23 In der Dämmrung. 24 sieht aus wie sie zu scheinen.
26 nach alles abgebrochen er. 28 die verse am rande von 5
zu 5 gezählt. 0 über der zeile. 29 wollen nach gestr. können.
33 worden über wurde. 494, 2 merklich nach gestr. eben fördert.
5 ,elend nach gestr. /w«e£ ihr. 8 aus Z)a/s /cft schon alles gehört
auch haben mag. 10 nicht Haus, sondern uns. 11 bequemers
vor gestr. Hau[s]. 15 meme über «nsre. das erste von zwei
sie? gestrichen. 16 hob, nicht halt. 18 Her! 20 Heraus!
dann gestr. vollende [?], und nach gestr. f/oc/u 25 0 nachträg-
lich. 495, 1 Gesuch [?] übergeben vielmehr . . . Gefühl Aber-
glauben.
Ich habe bei herrn Ernst Mendelssohn - Bartholdy auch
einen grofsen teil der Matrone von Ephesus, besonders des
schwierigen, mit raschen abkürzungen geschriebenen älteren quart-
heftes, nachverglichen und M.s lesung sehr zuverlässig gefunden,
nur wünschte man auch hier genaueres über die folge der scenen
oder fragmente zu hören , zb. ist ohne autopsie der hs. nicht zu
verstehn, was s. 449 die 'zweite fassung der älteren hs.' besagt,
dass nämlich 448, 28 ff sich unmittelbar an z. 3 des apparates zu
449 anschliefst, und für den ausgetüftelten dialog sind die striche
und correcturen H1, soweit radicales ausmerzen das ursprüng-
liche noch erkennen lässt, interessant genug, einige proben:
439, 11 f titel gleichzeitig mit dem scenar oben auf den ge-
brochenen rändern; 440, 12 beginnt H1 ohne Überschrift; fest
nach gestr. scho[n]; kan [so] über gestr. werde; 14 Zwar nach
gestr. . . . habe; 23 f das Weibchen am rande; 441, 3 Horch nach
gestr. Aber; nach 5 1 '/2 Seiten leer; 6 daneben personenverzeichnis
Antiphila, die Wittwe \ Philokrates [gestr. de] | Mysis. Die
Magd. \ Dromo. Der Diener; 7 nach schlaft ein satz ausge-
merzt; nach 15 gestr. Mysis der Wein; 18 in; 442, 2 Philokr;
4f sagt — hungre am rande; 12 dem — halt für dem Himmel
zu fi[nster]; 443, 15 Das nach gestr. Ich will; 22 letztes viertel leer;
23 Dromo — handeln am rande; 30 Armee unsicher, könnte
auch braves heifsen, jedesfalls zu trennen; 444 der apparat
führt irre, denn Dromo — sieht steht am Schlüsse von H1, dann
schlussschnörkel, darauf Dromo — dergleichen und z. 5 f ; 7 — 10
unter dem scenar 3 auftritt; 12 in nach gestr. ihm nachfolge?;
13 Mit nach gestr. Noch; nach 14 gröfseres spatium; 18 beschul-
digen schwerlich, eher besprechen oder versprechen; 444,21 — 445,9
auf dem blatte, wo o. r. das scenar 4; 21 vor einigen Monaten;
23wol6eraY; 24 wurde und erfuhr undeutlich; 445,22 den —
gelehnet aus mit dem Kopf auf dem verdeckten Sarge liegend;
24 das Gesicht aus den Kopf; 446,2 pfeipft; 20 er braucht kaum
aus dem aparte, oder lessingisch zu reden, dem seitab in die
anrede Er corrigiert zu werden; 23 Am gewollt; 10 Holla, darauf
gestr. Niemand da? H1; 25 Gott — Todten über gestr. ... Ein
Schatten? H' ; 28 aufhaltend aus festhaltend H1 ; 447,3 Geistinn;
LESSIKGS SCHRIFTEN I — VI F.D. Ml'NCUEK 143
nach Geist gestr. Wenigstens H1; 9 wollte über gestr. will H1;
17 geht über gestr. zündet; 21 angezündete nach gestr. Lat ferne]
H1; 448, 6 > icoM über gestr. doch H1; 8 f Wird — Herze am
rande H1; 16 nach meine feine'?] geslr. Fr«?/ H1; 18 Gatten über
gestr. J/a/m H'; 19 So nach Verfloren] H1; 28 %/ So? gestr.
und JtYi're über gestr. ist H1; 448 im apparat wenn — gibt am
rande und unter todt noch zwei gestrichene Zeilen: Mysis Seit
acht Tagen \ Dromo Kann in ein Paar Tagen wieder nachsehen;
449 im apparat /.. 2 von nach geslr. von der Zärtlichkeit ; 449, 1
gestr. Die ihr Herz mir einmal verschenken H1; 3 aus So giebt
es solche H1; 4 t' am rande und Ey nach gestr. Ewig! H1;
28 folgt gestr. Und wie fest ich an Gespenster glaube, das hat sie
gesehn, mein Kind. Zwar irrt man sich manchmal in diesem
Glauben li1; 450,1 unter mehreren correcturen lesbar Liebe über
gestr. Treue H1 ; 3 Nach nach gestr. Dergleichen die Welt noch nie
gesehen H1 ; Lessing hat also mehrmals das übertriebene auffangen
in der frageform abgeschwächt; 4 denke nach gestr. glafttbe] Hl ;
4f wird — nie über gestr. kan gar nicht H1; 5 das — geschehen
fehlt H1. wäre es übrigens nicht viel einfacher und klarer,
wenn Muncker siglen eingeführt hätte, statt hier die lästigen
formein 'in der zweiten fassung der älteren hs.' und dgl. zu
brauchen?
Die fragmente rücken in chronologischer folge auf, soweit
diese bestimmt werden kann, auch ungeschriebene oder nicht
erhaltene plane sind durch anführung der titel gebucht, und au
manchen stellen der vorrede zum 3 bände wird die Interpretation
gefördert, ausgeschlossen sind die bruchstücke aus Thomsons
Tancred und Agamemnon, wonach vom Hannibal und den un-
selbständigen Komischen einfallen an gar manches hätte unter den
tisch fallen müssen , was uns doch dank einer laxen handhabung
des von mir wie von Sauer und anderen bekämpften princips
nicht vorenthalten winde, mit dem kleinen trauerspiel 'Zorade'
macht Muncker 3, vif doch wol zu kurzen process, freilich im
einklang mit allen herausgebern, trotz Danzels gewichtigen be-
gleitworten zum ersten und einzigen abdruck in seinem Lessiug
1, 522 ff. es fehlt auch in der zweiten, von Maltzahn und Box-
berger auf den markt geworfenen auflade, die aufseien Schwierig-
keiten der Überlieferung verkenne ich nicht und weifs sie nicht
zu enträtseln; dass die correcturen und raudnoten der schreiber-
copie (522 u. Spornes statt Thrones) nicht, wie Danzel walinte,
von Lessin^ stammen, müssen wir HOesterley auf seinen sach-
verständigeneid glauben, aber ich linde nicht blofs mit Danzel
das aachwort des L. lessingischer als lessingisch, sondern sehe
auch schon in der einactigen anläge, in den moliven und cha-
racteren , in Stil und spräche des geraume zeit vor entwürfen
wie Fatime anzusetzenden Versuchs trotz allen schwächen eio bei
keinem Zeitgenossen wahrnehmbares gepräge, das mich, je öfter
144 LESSINGS SCHRIFTEN I VI ED. MUNCKER
ich allein oder im semiuar zu dem stück zurückkehre, immer
stärker von Lessings autorschaft überzeugt, in meiner mono-
graphie ist der 'Zorade' eine knappe Würdigung im anhang vor-
behalten, als herausgeber würde ich die paar Seiten anhangs-
weise mit einem fragezeichen aus den Breslauer papieren abdrucken
und lieber mit Danzel zu viel tun als mit Boxberger zu wenig,
jede beschäftigung aber mit Lessings fragmeuten hat seit 1887,
dankbar für einen gesäuberten und ergänzten text und manche
winke, von Munckers arbeit auszugehn.
Der vierte und fünfte band tragen den grofsen erweiterungen
rechnung, die wir für die von Lachmanu mit einem zu späten
einsatz eröffnete Übersicht der Lessingschen tageskritik dem ge-
lehrten und scharfsinnigen spüreifer BA Wagners verdanken, mag
immerhin die suche bei Boxberger im Danzel l2 zu einer wilden
jagd ausgeartet, mag auch von M. auf dem schlüpfrigen boden
sicherlich hier und da ein stücklein aufgeklaubt worden sein, das
entweder den Stempel der unechtheit trägt oder doch ebenso gut
aus der feder eines andern jungen litleraten stammen kann — in
diesem fall ist eine lässliche überfülle einer allzuleicht gewalt-
tätigen Sparsamkeit vorzuziehen, und M. hat ganz recht daran
getan, den einzelnen Jahrgängen solche artikel nachzuschicken,
die Boxberger ohne durchschlagende gründe auf Lessings kappe
schrieb; man hat so die dinge hübsch beisammen, ob die Bey-
träge zur historie und aufnähme des theaters hier erschöpft sind,
ist sehr zweifelhaft; die Wichtigkeit der Vollaireübersetzung sammt
den Hamlet-alexandrinern und einiger anmerkungen habe ich in
meinem buche betont. M. ist nun einmal geneigt, uns Lessing
als dolmetsch zu unterschlagen, wie auch die vorrede zum ver-
kürzten abdruck der Theatralischen bibliothek in vi lehrt, auch
die unselbständige skizze der Virginia des Montiano würde er
verworfen haben, wäre nicht glücklicherweise Hermillys franzö-
sische exposition zu spät in seine hände gekommen, und doch
ist hier ein starkes sachliches interesse, auf die Emilia Galotti
hin, im spiel. 4, 6, 19 war ein ausgewähltes Häufchen Zuschauer,
bey welchen ... und dessen ruhig aufzunehmen, M. corrigiert
welchem, während er so oft die schwache form duldet; 170, 15
wieder; 180, 31 da hinabsteigen — warum dahin absteigen?
wegen der zwei folgenden dahin? 182, 31 ist stillschweigend
die tödliche Keule (0 tödlichen) emendiert, 185, 18 Keule für
Keile; 204, 33 mit dessem Besitze, derlei 'bettelvananten' seien
nur im flug erwähnt, um die correctheit auch dieses bandes ins
licht zu setzen, kleine recensionen habe ich nicht nachverglichen
(Briefe 5, 99, 12 im Henzi lies er, nicht es; 5, 2, 9 in der Voltaire-
vorrede ist der druckfehler wichtige statt nichtige fortgepflanzt,
mindestens eine unsichere lesart). — lesen wir hier ua. die mehr
oder weniger rasch hingeschriebeneu Übertragungen aus Chassi-
rons französisch und Gellerts latein, so müssen wir wider aui
LESSINGS SCHRIFTEN I VI ED. MCNCKER 145
das obige Sprüchlein zurückkommen: wo bleiben inbaltschwerere
und formal unendlich wichtigere dolmetscharbeiten, wenn Lessing
auch nicht immer unmittelbar eigene urteile und ausführungen
angekuüpft hat? niemand wird verlangen, dass in einer ausgäbe,
die sich nicht wie die weimarische Goetheausgabe von fürstlicher
muuificenz nährt und darum ein übriges tun kann, alle Über-
setzungen Lessiugs platz finden, obwol weitaus die meisten nicht
blofs sprachgeschichtlich so bedeutsam wie originalwerke, sondern
auch in höherem oder geringerem mafse Urkunden seiner bildung
sind, es darf ohne grofsen schaden abgesehn werden von dem
Huarte, dem Marigny, von Richardson und frau Rowe. wir be-
klagen aber schmerzlich das fehlen der königlichen Schreiben an
das publicum 1753 und der unter des ersten französischen Schrift-
stellers auspicien ausgearbeiteten Übersetzung Des herrn von Vol-
taire kleinere historische Schriften 1752, von denen der glück-
liche entdecker Wagner ausgibige proben vorlegte, wir brauchen
einen neudruck. für die eutwicklung der Lessingschen prosa
ist das höchst seltene buch, das ich mit schwerem geld erworben
habe, von gröster Wichtigkeit: ehrgeizig ringt der schüler Vol-
taires mit der spräche des meisters, deren satzbau er bewahrt,
wo es der deutsche sprachgeist erlaubt, die er zwar oft verbrei-
tert, mit partikeln und relativen belastet, aber doch im ganzen
so schmiegsam trifft wie damals kein Deutscher, der herausgeber
hätte beständig rücksicht auf die vorläge zu nehmen, den Dresdener
druck usw., wie umgekehrt auch eine erschöpfende historisch-
kritische behandlung des Voltaireschen textes nicht ganz au Les-
sings von Voltaire persönlich geförderter Übersetzung vorbeieileu
dürfte, an manchen stellen ist Lessing aus dem französischen
zu emendiereu, wo sein Wortlaut nicht etwa unzulänglich, sondern
verderbt ist, oder wo ein lapsus den ganzen sinn zerstört liu
letzteren fällen durch eine ful'snote). Lessing leistet sich s. 31
das spafsige versehn aus Ferdinand de Gras (Graz!) zu machen
Ferdinand der Fette; er macht s. 171 einen Genfer {Genevois)
zum Genueser; 126 ist seine Staatsklugheit widersinnig, da la po-
litique accusativisch abhängt von einem pour, also in der Staats-
hoheit ; im aufsatz über Peter den grofsen verwechselt Lessing
beständig Moscovie uud Moscou, wie er das patronymicou Mi-
chaeloff s. 172 in ein deutsches Michelhof corrumpiert. bös ist
>«. 134 der Zuname des geschenkten Gottes {surnom de Dieudonne);
s. 14U seine anmuthige Gestalt (les agremens de sa figure); s. 143
zerstört die widergabe von merile durch Liebe den ganzen mihi
des für die Mainteuon schmeichelhaften satzes, und <li«' 24 QOO livres
ebenda sind nicht das einzige Glück, sondern das einzige Ver-
mögen (fortune); 304 Auf die bloße Aussage eines gewissen
Franzosen — d'im nomme Francon. als schreib- oder druck-
versehen sind nach dem original zu bessern zb. 113 ihr Vater-
land, welches sie ehren (qu'ils honorem t, nicht ehret; 127 Tei-
A. F. D. A. XVII. LO
146 LESSINGS SCHRIFTEN I VI ED. MUISCKEK
nieres, Voltaires form für Teniers, nicht Trinieres; 140 sie
(lä), nicht ihn; 196 gehurt das datuui im Jahre 1750 iu die
folgende /.eile vor als. 293 sprengt ein falsches konnna nach
Welt die conslruction , und belustigte, au sich nicht unpassend,
ist corruptel statt belastete (chargea). 297 ihnen (leur) , nicht
ihm; 306 ward er . . .gelobet, nicht toar; 329 M 6m der Gefahr
eitel zu werden, sehr nahe gekommen (J'ai ete tente d'avoir
beaucoup de vanite), nicht ekel, aber ohne das original, be-
sonders da ekel ein lieblingsvvort Lessings ist, nicht sogleich zu
erkennen; 304 das kleine Buch, symbolum mundi — Cym-
balum Voltaire. — sprachlich interessant ist der inafsvolle pu-
rismus : zb. anecdote selten herübergenonunen, meist geheime
Nachricht; memoire: Denkwürdigkeiten, Aufsatz; critique: Be-
urtheilung ; chapitre: Hauptstück; style: Schreibart; talent: Ge-
schicklichkeit, Kunst; genie: Seele (s. 33 Genies) usw.; publique:
Welt; politique: Staatsklugheit usw.; ministre: Staatsbedienter
(auch Minister, gerade die ämter sind fast immer mit deutscheu
wollen bezeichnet); luxe: Pracht; Industrie: Flei/'s, Emsigkeit dgl.,
auch wo die begriffe sich nicht decken; ressource: Rettungs-
mittel; pension: jährliches Gehalt; rente: jährliche Einkunft; re-
forme: Verbesserung; favorite: Lieblinginn; vicaire: Amtsverweser,
Pfarrer; meridienne: Mittagslinie; geometre: Mefskünstler ; phy-
sicien: Naturforscher ; compas: Richtscheit; geographe: Erdbeschrei-
ber; injections: Aussprützungen ; marine: Seemacht usw. die ver-
gleichung von satz zu satz ist höchst lehrreich im grofsen wie
im kleinen, manches ist unübertrefflich, zb. Peters Schwierigkeit
d'accourcir les robes et faire raser les barbes de son peuple:
seinem Volke die Röcke kürzer und das Kinn glatt zu machen.
die weit spätere Diderotübersetzung ist vielfach ein rückschritt.
Und nun frage ich: soll in der grofsen historisch-kritischen
ausgäbe kein räum sein für Lessings bemühung um ein paar
heftchen Friedrichs des grofsen , für seine mit aller anstrengung
geleistete Übertragung einer sorgsam ausgewählten und autori-
sierten Sammlung Voltairescher Schriften, aus denen er stilistisch,
kritisch, sachlich soviel lernte, für drameu und aufsätze Diderots,
den er neben den Aristoteles legte? aber nicht einmal den inhalt
des Voltairebaudes erfährt man , während platz genug ist für
den verramlerten Logau , für die überschätzte Österliche triumph-
posaune wegen der lexikalischen noten, für Paulus Silentiarius ua.,
was kein einziger mensch liest, für alle kleinen fetzen der col-
lectanea. vielleicht entschliefsen sich Verleger und herausgeber
zu einem ergänzungsbande, wenn ihr schönes unternehmen, von
der so verdienten gunst des publicums begleitet, mit oder ohne
die correspondenz zum abschlusse gediehen ist.
Berlin, december 1890. Erich Schmidt.
FLA1SCHLEN OTTO HEINK. YO.\ GEMMINGEN 14"
Otto Heinrich von Gemmingen, mit einer Vorstudie über Diderot als dra-
matiker. 'Le pere de famille' — 'Der deutsche hausvater'. beitrag
zu einer geschichte des bürgerlichen Schauspiels, von Cäsar Flaischlen.
Stuttgart, GJGöschen, vi und 163 ss. 8°. — 4 m.
Der Deutsche hausvater vou Gemmingen ist als Seiten- und
gegenstück zu Diderots Pere de famille und als Vorläufer von
Schillers 'Kabale und liehe' durch Eckardt, Düntzer, Erich
Schmidt, OBrahm und den referenten so oft in betracht gezogen
worden, dass eine besondere Untersuchung nach dieser richtuug
hin von vornherein wenig aussieht auf neue ergebuisse bot. eher
hätte man sich eine förderung unserer wissenschaftlichen erkennt-
nis versprechen dürfen, wenn die litterarische persönlichkeit des
Verfassers in den mittelpunct gestellt worden wäre, dessen leben
und würksamkeit bisher nur fragmentarisch zu übersehn war.
leider hat sich auch diese hoffnung, zum teil durch die schuld
des Verfassers, zum teil aber auch ohne seiu verschulden, nicht
erfüllt. F. hat das verdienst, die dürftigen daten über das leben
seines beiden ansehnlich vermehrt und die zahlreichen Wider-
sprüche in den gangbaren compendien beseitigt zu haben, denen
neben andern auch ich selbst zum opfer gefallen bin, wenn ich
(Schiller n 190) die möglichkeit eines Zusammentreffens zwischen
Schiller und Gemmingeu im salon Dalbergs offen gelassen habe
(Gemmiugen war nach F. bereits 1782 nach Wien übergesiedelt),
eine ausgeprägte physiognomie als Schriftsteller und als mensch
bietet uns der verf. des Deutschen hausvaters aueb in dieser mo-
nographie nicht dar. leider hat F. die vollständige ausnutzung
der ohnedies spärlichen und dürftigen quellen unterlassen : die
bearbeitungen von Bousseaus Pygmalion und den beiden Bicharden
Shakespeares schliefst er von der näheren betrachtung ganz aus;
von dem Schauspiel 'Die erbschaft' gibt er nur eine ungenügende
inhaltsangabe; die Zeitschriften der Wiener periode Gemmingens
versteht er nicht in ihrem Zusammenhang mit den josefinischen
tendeuzen und dem 'Mann ohne Vorurteil' von Sonnenfels zu cha-
racterisieren, sondern er begnügt sich mit dürftigen Inhaltsver-
zeichnissen und aus dem Zusammenhang gerissenen schlagworten
(anhang, beilage v — vn). da er das drama 'Sidney und Silly' dem
verf. des Deutscheu hausvaters mit gutem grund abspricht, bleibt
also für die eingehende analyse nur die Mannheimer drama tu rgie
und der Hausvater selbst übrig, die Mannheimer dramaturgie
darf eine mehr als locale bedeutung für sieb nicht in ansprach
nehmen, sie bietet in ihren erörterungen über <l;is monodrama,
in ihrem kämpf gegen die französischen einheiten und für Shake-
speare nur wenig originelles (zu F. s. 731 vgl. Herder!), und
gerade das originellste bat unser verf. am wenigsten heraus-
gehoben. Gemmingeu gibt i'wu- analyse des Macbeth (in Wagners
iibri'setzung) und der letzten acte des Hamlet, in welcher er
In-
148 FLAlSCHLEN OTTO HEINR. VON GEMMINGEN
das original der Bodischen bearbeituog gegenüberstellt und das
Shakespearische werk so (ordert, wie es ist. Lessings Miss Sara
tadelt er nicht wegen des vorhersehenden gefühles, wie F. s. 75
sagt, indem er Gemmingens ausführungen s. 65 ff misversteht,
sondern weil es die Zuschauer sehr oft kalt lasse, locale bedeutung
hat dagegen, wie F. selbst hervorhebt, Gemmingens abueigung
gegen die Übersetzung französischer trauerspiele, welche sich auf
die Schauspieler Beck , Beil und Iffland forterbt, aber auch die
costümfrage wird s. 83 f gelegentlich des 'Montrose' von Dierecke
erörtert: 'Warum haben sie das Stück in französischer Kleidung ge-
spielt? so fragte mancher, der, gewohnt an die Strenge des Costums des
französischen Theaters, diese Hinrückung in die Zeiten der wahren
Geschichte ungern vermisste. Die Untersuchung von der Notwendig-
keit des Costums ist hier zu weitläufig — ich werde es versparen
auf ein andermal zu untersuchen, ob man mehr gewinne, durch das
Versetzen ins Alterthum , oder ob das nur Vergnügen für den
Kenner der Geschichte, für den Gelehrten seye; und ob wir an
dem Manne , der einen Rock trägt wie der unsrige , nicht mehr Theil
nehmen, ihn nicht mehr wie unser eins glauben; besonders ob das
nicht fürs Volk wahr seye, und ob die Engländer unrecht haben,
wenn sie Hamlet und alle übrige Stücke, die nicht gerade atis denen
jedermann bekannten griechischen und römischen Zeiten sind, in
gewöhnlicher Kleidung aufführen? — Ohne also diese Untersuchung
zu machen, antworte ich auf jene Frage Mos dieses: So lang
unsre teutsche Bühnen nicht reich genug sind, dass sie für jedes
Stück die gehörige Kleider haben können, so ist es immer besser,
wenn sie dem Costume der Tracht ganz entsagen, da Fehler in
dieser Sache , falsche Versetzung der Zeit, noch viel unverzeihlicher
ist.' die costümfrage des Mannheimer theaters hat bekanntlich
auch Schillers bearbeitung der Bäuber und seinen Fiesco be-
rührt: Schiller i 403 ; ii 65 und 598. — s. 73 ff spricht Gem-
mingen von der würkung der Schaubühnen und namentlich
in der folgenden stelle ähnlich wie Schiller: 'Man sage mir
wider die Wirksamkeit des Schauspiels, was man will; es ist nie-
malen eine Gelegenheit, wo der Mensch lebhafterer Eindrücke und
Empfindungen fähig ist als dort ; bei jeder andern Versammlung
kommen die Menschen aus Pflicht oder Zwang zusammen; im
Schauspielhause geht jeder aus freyem Willen, räumt in dem
Augenblick, so viel er nur immer kann, alle andre Vorstellungen
aus seiner Seele, erwartet mit Lebhaftigkeit , ist bereit anzunehmen
und freuet sich zum voraus auf jeden Eindruck , den man seiner
Seele geben will. Zudem, die Menge zum nämlichen Endzweck ver-
sammelter Menschen, eine gewisse immer damit verbundene Feyerlich-
keit , das Gefühl, dass in der ganzen Versammlung gewisse Ein-
drücke so allgemein wirken, dass sie zur Stimme der Menschheit
werden, all das sind Mittel, um auf Menschen zu wirken,
die nur die Schauspielkunst hat.' ähnlich freut sich auch Schiller
FLA1SCHLEN OTTO HEI.NR. VON GEMMI.NGE.N 149
darüber, dass die Schaubühne die durch mode, zwang und Schicksal
geschiedenen menschen in banden schöner gleichheit wider vereine
(Schiller n 291 f). ... nicht immer ist die spräche in Gemmingens
dramaturgie so gehoben; oft redet er auch im gevatterton des
Wandsbecker boten zu seinem lieben publicum.
Die Untersuchung über den hausvater bietet, wie zu erwarten
stand, wenig neues, einem hinweis Erich Schmidts auf etwaige er-
lebnisse hat F. nicht folgen können, auf den heimkehrenden und
die Verwirrungen seiner söhne schlichtenden vater im römischen
lustspiel ist er nicht gekommen, selbst die einwiirkung auf Kabale
und liebe ist nur äufserlich aufgezeigt (vgl. jetzt auch Ernst Müller
in Tübingen, Correspondenzblatt für die gelehrten und realschulen
Württembergs 1891, 1 und 2 lieft s. 27 ff), dieses capitel recht-
fertigt kein neues buch über Gemmingen.
Leider ist auch die darstellung ziemlich nachlässig und schleu-
derhaft, der inhalt ist zwischen der biographie, der litterarhistori-
schen Untersuchung und dem anhang kunterbunt verteilt, hei
der aufzählung und benennung der zahlreichen drucke des Haus-
vaters bekundet der verf. ein rührendes Ungeschick, welches
seineu sammelfleifs wider um das verdienst bringt, namentlich
aber ist der Stil unverantwortlich salopp: 'diesbezüglich' ist hier
geradezu ein lieblingswort; s. 120 'Gotters Marianne spielt am
tag deren einkleidung als nonne'; s. 130 'in mehr nur litterarischen
beziehungen zu Gemmingen steht Brandes'; s. 132 'der hausvater
ist im präsident Walter zu seinem extremen gegensatz geworden.'
der begabte verf. hätte an einer geschickteren stelle eingreifen
und weniger nachlässig arbeiten sollen.
Wien, januar 1891. Minor.
Die Kantischen Studien Schillers und die komposition des 'Wallenstein', von
dr Eugen Kühnemann. Marburg:, Oscar Ehrhardt, 1889. vm, 82.
ll 88. n 34 ss. 8°. — 5 in.
Das buch zerfällt in drei selbständige, auch selbständig pagi-
nierte teile: i. Die gedankenbildung Schillers unter dem einllusse
Kants, ii. Entstehung und composition des 'Wallenstein', in. Die
persönlichkeit Schillers.
Die erste der drei abhandlungen bildet einen wesentlichen
fortschritt gegen die bisherigen darstellungen von Schillers philo-
sophischen ansichten, insbesondere gegen die arbeiten von Hemsen,
Tomaschek und Ueberweg. allerdings ist hier nicht alles ver-
dienst dem verf. zuzuschreiben, dankbar vielmehr erkennt er
selbst es an, dass erst das geistvolle buch von Hermann Cohen
'Kants begründung der ethik' ihm die rechte methode der Unter-
suchung gezeigt habe, dennoch blieb für K. noch manches
problem selbständig zu lösen, als Vorarbeit muste die Stellung
der ästhetik innerhalb des Systems der Ka mischen philosophie
150 KÜHNEMANN DIE HÄMISCHEN STUDIEN SCHILLERS
fixiert werden, dann erst bot sich genügende Sicherheit zur be-
antwortung der fragen, wie tief Schiller in das Studium und Ver-
ständnis Kants eingedrungen sei, in welchen puncten er mit ihm
übereinstimmt, in welchen er von ihm abweicht und in welchen
er seine lehre weiter gebildet hat. K. hat die einzig richtige
methode angewandt, um in diese Verhältnisse licht zu bringen:
er stellt nicht die ganze Schillersche philosophie als ein einziges
grofses lehrgebäude dar, sondern er verfolgt den Werdegang der
einzelnen ideen, indem er die philosophisch-ästhetischen Schriften
in historischer reihenfolge bespricht und aus jeder diejenigen
elemente heraushebt, welche eine weiterentwickelung des Schil-
lerschen geistes auf grundlage seiner bisherigen anschauungen
beweisen, indem dann das fertige system der Kantischen und das
werdende System der Schillerschen philosophie zu einander in
beziehung gebracht werden, lässt sich der einfluss des meisters
auf den schüler klar erkennen.
Als ankniipfungspuncte an die Kantische lehre boten sich
in Schillers gedankenbau der vorkantischen periode im wesent-
lichen ethische grundlehren dar, nämlich die von der inneren
sittlichen notwendigkeit und die von einem kämpf der sinnlichen
triebe mit der freien Pflichterfüllung, und so sucht er in den
ersten beiden ästhetisch -philosophischen abhandlungen durchweg
von ethischen gedanken aus die ästhetik zu bereichern, ander-
seits aber einen compromiss zwischen den noch mangelhaft er-
fassten Kantischen gedanken und seiner eigenen bisherigen theorie
von der Vollkommenheit und glückseligkeit herzustellen, gründ-
liches Studium Kants erst konnte hier im jähre 1793 reinere
ideen zeitigen, insbesondere die definition der Schönheit als
freiheit in der erscheinung, die von nun an das fundament der
ganzen Schillerschen philosophie ist. auf ethischem wie auf
ästhetischem gebiet war die freiheitsidee der ausgangspunct. kein
wunder, dass in der folgezeit Schillers Untersuchungen oft von
dem einen gebiet in das andere hinüberschweifen und dadurch
an klarheit und folgerichtigkeit einbufse erleiden, eingehend
weist K. nach, wie sich ästhetik und moral des öfteren in
Schillers betrachtungen gegenseitig gestört und gehemmt haben,
auch die gefahren, welche in dem streben nach unmittelbarer
practischer anwendung und historischer Verallgemeinerung der
gefundenen theorien lagen, sind widerholt berücksichtigt worden,
alle diese kleinen Unsicherheiten und Übereilungen jedoch, welche
zum teil daraus entstanden, dass Schiller nicht die 'Kritik der
reinen Vernunft', sondern die 'Kritik der Urteilskraft' und die
'Kritik der praclischen Vernunft' zum ausgangspunct genommen
hatte, werden weit überstrahlt von der strengen consequenz,
welche durch Schillers ganze gedankenarbeit hindurchgeht, von
den briefen an Körner im aufang des Jahres 1793 bis zu dem
gipfelpunct seiner speculativen Untersuchungen, den 'Briefen über
RÜHNEMANN DIE KANTISCHE.N STUDIEN SCHILLERS 151
ästhetische erziehung' und der eng dazugehörigen schritt 'Über
naive und sentimentalische dichtung'. diese consequenz, in-
sonderheit die stete einheit des ethischen interesses mit dem
ästhetischen hei Schiller nachgewiesen zu haben, ist das haupt-
verdienst K.s; eingehende analyse der einzelnen abhandlnngen
Schillers ergah sogleich klare aufschlüsse über gruppierung und
Zusammengehörigkeit derselben, interessant sind hier die beiden
aufsätze 'Über das erhabene', deren erster die notwendige er-
gänzung zu der schrift 'Über anmut und würde' bildet, der
andere zweifellos unter die Supplemente zu den briefen über
ästhetische erziehung gehört, eine empfindliche lücke der arbeit
K.s — die aber der verf. selbst auszufüllen verspricht — ist
nur die, dass er die entwickelung von den Originalbriefen an den
herzog von Augustenburg bis zu der schrift über ästhetische er-
ziehung, sowie überhaupt Fichtes einfluss auf Schiller in jener
zeit, nicht verfolgt hat. dankenswert wäre am schluss auch ein
hinweis auf Hölderlin gewesen, welcher, fufsend auf Kant und
Schiller, über beide hinauszugelangen strebte.
Den fehler so mancher monographien , den gegenständ, ihrer
Untersuchung zu überschätzen, hat K. in dieser ersten abhand-
lung glücklich vermieden, die erkenntnis, dass beide denker
schon unabhängig von einander in wichtigen fundamentalsätzen
übereinstimmten, hat ihn davor bewahrt, Schillers Kantische
Studien allzu hoch anzuschlagen, der einfluss Kants auf Schiller
besteht mehr in der systematischen Schulung, in der befestigung,
neubelebung und Vertiefung unklarer tbeorien, als in der Über-
tragung ausgeprägter ideen. er stellt sich nur als die fortsetzung
eines schon früh in Schillers innerem vollzogenen processes dar,
nämlich als die Weiterbildung der psychologischen methode, welche
zuerst sicher ausgebildet in den Briefen über Don Carlos zu er-
kennen ist.
Was der ersten der drei abhandlnngen von K. zum vorteil
gereicht, das ist das Verhängnis für die zweite geworden: nur
wer sich so gründlich in das Verhältnis Schillers zu Kant ver-
senkt hatte, konnte aus so einseitigen gesichtspuncten die 'ent-
stehung und composition des Wallenstein' betrachten, das bild,
welches der leser aus dieser — an mehreren stellen, besonders
in den mittelpartien , allzu weitschweifigen — abhandlung ge-
winnt, ist in kürze dieses: sehr unreif und fehlervoll sind sämt-
liche vier Jugenddramen Schillers, der 'Wallenstein' dagegen ist
ein unübertreffliches kunstwerk. der grund hierfür ist einzig
darin zu suchen, dass der dichter bei Kant in die schulr ge-
gangen ist. die historischen schrillen der zwischenzeil (trotz
ihrer oft meisterhalten künstlerischen disposition und ausfuhrung)
sind hier ohne einfluss geblieben, litterarische einwürkungen von
aufsen kommen gar nicht in frage.
Gewis wird keiner bestreiten, dass die Kantischen Studien
152 KÜHNEMANN DIE KANTISCHEN STUDIEN SCHILLERS
Schillers dem 'Wallenstein' zu gute gekommen sind , und jeder
wird mit dank die ausführungen in K.s schritt, lesen, wo dieser
zeigt, dass Schiller in seinen früheren kunsttheoretischen Unter-
suchungen sich stets an einzelheiten gehalten und erst durch
Kant gelernt habe, das kunstwerk in seiner totalität zu betrachten,
sowie dass er deshalb in seinem Wallensteindrama einen Orga-
nismus, nicht ein conglomerat von einzelnen wirkungsvollen
scenen schaffen wollte, gewis wird auch jeder zugeben , dass
Wallenstein und Max typen jener beiden classen der menschheit
sind, welche Schiller in der abhandlung 'Über naive und senti-
mentalische dichtung' aufstellt, der realisten und der idealisten.
auch manche einzelheiten der composition und einige der in
häufigem gebrauch abgenutztesten citate erhalten durch den hin-
weis auf Schillers ästhetische schrillen ihre tiefe bedeutung wider,
aber bei alledem bliebe das kunstwerk nichts anderes, als ein
paradigma zu den philosophischen aufsätzen des dichters, und das
ist es denn doch wol nicht. Schiller konnte, so oft er die arbeit
um ein stück gefördert hatte, hinterdrein den selbst geschaffenen
ästhetischen mafsstab an das erreichte anlegen; für die aus-
arbeitung selbst aber im allgemeinen, wie im besonderen konnte
keine philosophie ihm nützen, schreibt er doch selber an Hum-
boldt am 27 juni 1798: 'Ich erfahre täglich, wie wenig der poet
durch allgemeine reine begriffe bei der ausübnng gefördert wird,
und wäre in dieser Stimmung zuweilen unphilosophisch genug,
alles, was ich selbst und andere von der elementar ästhetik wissen,
für einen einzigen empirischen vorteil hinzugeben.'
Die abhandlung von K. verspricht in der Überschrift, die
'entstehung' und 'composition' des dramas zu behandeln, erfüllt
aber nur den zweiten teil ihres programms. von der entstehung
hören wir nichts — denn ein paar briefnotizen über die zeit vom
jan. 1791 bis zum nov. 1796 können hier doch nicht ausreichen,
es hätte der versuch gemacht werden müssen, den ursprünglichen
plan zum 'Wallenstein', wenn auch nur in allgemeinster form,
zu reconstruieren. des dichters ganzes leben in den jähren von
der beendigung des 'Don Carlos' an hätte zur beantwortung einer
so schwierigen frage geprüft werden, die philosophischen Studien
mit den historischen zusammen gehalten, die beschäftigung mit
den Griechen in rechnung gezogen, die nachweisliche lectüre des
dichters in jenen jähren und das repertoir von Ifflands Weimarer
gastspiel im jähre 1796 verglichen werden müssen, dann hätte
sich sicherlich ein anderes bild ergeben, denn, um nur eines
zu erwähnen, sollte Schiller würklich in Wallenstein und Max
nur einen realisten und einen idealisten haben darstellen wollen ?
sollten ihm nicht ganz bestimmte greifbare gestalten vorgeschwebt
haben, Macbeth, Egmont und Ferdinand, der söhn des herzogs Alba?
Das Verständnis der composition des 'Wallenstein' hat K.s
Untersuchung in manchen puncten gefördert, die geschichte der
KÜHNEMANN DIE HÄMISCHEN STUDIEN SCHILLERS 153
entstehung aber nicht, das schwierige problem bleibt vielmehr
besteho: wie wurde der dichter des Don Carlos der dichter
des Wallenstein?
Gleichen characters wie die zweite abhandlung ist auch die
dritte, auch hier finden sich nicht nur feine einzelbemerkungen,
sondern auch fruchtbare principielle gesichtspuncte. durchaus
gelungen ist der nachweis, wie in Schillers leben sich die
äufseren erlebnisse und die innere geistesarbeit gegenseitig be-
einflussten. die not und Unsicherheit der Jugend hat unreife
lebensanschauungen und Unzufriedenheit zur folge, aus der in
Schillers philosophie ein construiertes bild der weit und im leben
die Sehnsucht nach einer schwärmerischen freundschaft entspringt,
als diese ihm zu teil wird und nach und nach einen ruhigeren
und ernsteren character annimmt, ist er auch im stände, sich
der reiferen beschäftigung mit historischen Studien zu widmen,
aber noch immer kann er nicht zu befriedigung und genuss
kommen, noch immer muss er hoffen und sein leben voraus
construieren; darunter leidet alle seine geistige tätigkeit in jenen
Jahren, erst nach erfüllung der letzten ansprüche, die er an
das leben stellte, nach seiner eheschliefsung und der erlangung
einer sicheren existenz, befestigte sich mehr und mehr in ihm
das gefühl seiner individualität und seines berufes. und da erst
konnte er in eine periode ruhigerer und planvollerer arbeit ein-
treten, in das Studium Kants.
Bis hierher muss mau K. ohne zweifei zustimmen, und auch
der salz: 'die zeit der arbeit am 'Wallenstein' ist die zeit der
vollen durchbildung der persönlichkeit Schillers' trifft das richtige,
protest erheben muss man nur dagegen, dass widerum in dieser
ganzen 9jährigen periode einzig das Studium Kants die Persön-
lichkeit Schillers ausgebildet haben soll, erwähnt werden zwar
gelegentlich auch andere einflösse, aber sie verblassen sämtlich
vor dieser einen sonne, den grund des einseitigen urteils glaubt
ref. darin zu finden, dass K., der doch den wert der Kantischen
Studien für Schillers ganzes leben nachweisen wollte, nicht dieses
ganze leben bis zu seinem ende ins äuge gefasst hat. der 'Wallen-
stein' ist das letzte werk, welches K. bespricht; die ganze
Weimarer zeit Schillers, die eine gute controle der vorgetragenen
ansichten dargeboten hätte, ist aufser acht gelassen. daher
konnte auch das ungerechte urteil entstehn, welches über den
einfluss der drei freunde Schillers gefällt wird: der anteil Hum-
boldts wird zu hoch angeschlagen, weil Schiller gerade zur zeit
des Kautstudiums mit ihm in regstem briefwechsel stand ; der
einfluss Körners in der späteren zeit wird allzu geringgeschätzt;
und von Goethe heifst es ausdrücklich, er habe nur deshalb so
woltätig einwürken können, weil Schiller durch das Kantische
Studium vorbereitet war. kurz, 'erst in der schule Kants ward
Schiller der ganze Schiller.' nicht also durch (Im lebendigen
154 KÜHNEMANN HIE KAMISCHEN STUDIEN SCHILLERS
verkehr mit menschen, somlern durch die „beschäftigung mit
büchern soll sich diese starke Individualität ausgebildet haben.
Es ist wiirklich schade, dass R.s buch, dessen erster teil
in so objectiver weise seinen' gegenständ behandelt, in den
schlusspartien so einseitige urteile vorträgt; doppelt schade, weil
der lebhafte ton der darstellung — die freilich nicht stets auf
gleicher höhe bleibt — es beweist, mit welcher liebe der verf.
seine Untersuchung geführt hat. dies bedauern soll uns aber
nicht hindern, das buch dennoch zu empfehlen, denn die geist-
volle erste abhandlung verdient durchaus Zustimmung; und selbst
die späteren partien sind anregend, auch wo sie den Wider-
spruch herausfordern.
Hamburg. Albert Küster.
Neue Schriften zur Poetik.
1) Prolegomena der lilterar-evolutionistischen poetik. von dr Eugen Wolff,
privaldocenten an der Universität Kiel. Kiel und Leipzig, Lipsius & Tischer
1890. 32 ss. gr. 8°. — 1 m.*
2) Dramaturgische vortrage, von Alfred freiherrn von Berger. Wien,
CKonegen 1890. 3 bll. und 266 ss. . 8°. — 4 m.**
3) Die anfange der poesie. grundlegung zu einer realistischen entwickelungs-
geschichte der poesie von Ludwig Jacorowski. Dresden und Leipzig,
EPierson 1891. vm und 141 ss. 8°. — 2,50 m.
Immer zahlreicher werden die schritten, die durch ihr blofses
erscheinen lehren, wie tief das bedürfnis nach einer neuen, von
der bisherigen in ziel und methode verschiedenen poetik in stets
sich erweiternden kreisen sein muss. wer mit aufmerksamkeit
die arbeiten verfolgt, merkt den Umschwung der ganzen auf-
fassung, der sich allmählich vollzieht, die einzelnen fragen werden
herausgegriffen und wenigstens von allen seiten erwogen, wenn
auch noch keine befriedigende antwort bereit liegt, es ist eine zeit
des versuchens gekommen, deren wert und bedeutung nicht unter-
schätzt werden soll, man ist bescheidener geworden, man hofft
nicht mehr in kühnem Sprunge zu erreichen, was nur der sorg-
samen, eindringenden arbeit gelingt, man gleicht dem berghäuer,
der einen Stollen auf gut glück anschlägt, wenn er auch nicht
sicher weifs, dass sich ihm eine ergibige ader auftun wird, aber
wir alle werden von der Überzeugung beseelt, dass nur auf diesem
wege sich der segen des berges erringen lasse, und erwarten
für die zukunft einen gewinn, den vielleicht die gegenwart noch
wird entbehren müssen, in diesem sinne und nur in diesem
sinne wollen alle diese Schriften betrachtet werden, und deshalb
muss der betrachtende nicht so sehr die resultate erwägen, als
die methode des forschens.
Wenn wir uns dies vor äugen halten, wird das lieft von
EWolff richtig verstanden werden, wird der kritik aber auch
* [vgl. Arch. f. d. stud. d. neuern spr. 86, 91 (ADöring).]
** [vgl. Beil. z.allg. ztg. 1891 nr 62 (OFWalzel).]
WOLFF l'ROLEGOME.NA DER POETIK 155
der einzig mögliche standpunct gewiesen, darum nimmt sich
die arbeit auch selbst wie eine recension u. z. der methode von
Scherers nachgelassener Poetik aus. wesentlich zwei dinge sind
es, auf welche W. wert zu legen scheint, das litterar- evolutio-
nistische princip und die urform der poesie. ihr Zusammenhang
ist nicht zu verkennen, wenn man auch nicht läugnen kann, dass
im gegenwärtigen augenblicke ihr gemeinsames besprechen noch
recht mislich ist, besonders bei W.s etwas zu kühn vordringender
art. W. will uns lehren, wie der boden bereitet werden müsse,
um gute frucht zu tragen, lässt aber zu gleicher zeit ein wogendes
ährenfeld vor unseren blicken erscheinen und möchte sofort auch
die reiche ernte in die scheuer briugen uud das alles auf dem
engen räume von 32 Seiten, das ist zuviel auf einmal; es wäre
jedoch vorschnell, wenn man deshalb das schriftchen kurzer band
ablehnte, das wesen seiner betrachtung scheint mir zur einen
hälfte richtig, zur andern nach unserer bisherigen kenntnis
falsch; an dem richtigen teile habe wenigstens ich noch nie ge-
zweifelt, muss aber annehmen, dass man daran zweifeln kann,
da W. so eifrig für diesen teil eintritt. W. betont, dass die
litteratur etwas immer werdendes sei, dass sich die verschiedenen
dicbtungsarten entwickeln, dass deshalb auch die lehre von den
dichtungsarten, die poetik, nicht unveränderlich sei, sondern mit
der litteraturentfaltung gleichen schritt halten müsse, aufgäbe
der poetik ist zu erforschen, was bei berücksichtigung aller (vor-
handenen und möglichen) anwendungen das wesen der poesie
sei. eine nicht zu umgehende Voraussetzung dieser lehre ist die
erforschung dessen, was den verschiedenen Völkern und Zeiten
als poesie galt, nun meint W., dass eben weder die verschiedenen
Völker, noch dasselbe volk zu verschiedenen Zeiten seiner ent-
wickelung darüber einer meinung gewesen sei, dass manches volk,
manche zeit mehr die eine, mehr die andere seite, mehr das
ethische, mehr das moralische, mehr das humanistische oder mehr
das ästhetische in dichtung und theorie bevorzugt habe, ist es
nun überhaupt möglich, in diesen verschiedenen formen von
poesie und poetischer theorie das einheitliche princip zu erfassen?
W. macht an der deutschen tragödie seit HSachs eine probe dieser
erkennt nismethode. sein weg ist etwa folgender: für HSachs
macht erst 'absolut trauriger, entsetzlicher endeindruck' die tragödie,
Ayrer oder der Braunschweiger sehen das ziel des tragischen im
'blutig grässlichen schlüsseltet', Gryphius bringt den schauer bis
zum überwältigenden, der anfang des 18 jhs. 'bewundern ng und
schrecken' in die tragödie. in dieser änderung dürfen wir eine
allmähliche entwickelung erkennen , es fragt sich aber, worin sie
besteht. W. antwortet: im streben nach der rechten mischung 'von
aufsergewöhnlicher gröfse und menschlicher naturlreue'; besser
ausgedrückt: von dem aufsergewöhnlichen und dem allgemein
menschlichen. Lessing verstärkt nun die menschlichkeit , Schiller
156 SCHRIFTEIS Zl'R POETIK
steigert die majestät des Schicksals, also das aufsergewöhnliche,
Goethe dagegen scheint in der Gretchentragödie die richtige
mischung gefunden zu haben, und damit ist ein abschluss der
entwickelung erreicht — freilich müsten wir hinzusetzen , nur
ein vorläufiger; aber W. geht auf das moderne drama nicht
weiter ein. nach seiner ansieht müste nun die poetik der Zu-
kunft auf gleichem wege auch bei anderen Völkern die ent-
wickelung des tragischen bis zu einem ähnlichen abschlusse
verfolgen und dann fragen: ist gemeinsames in all dem be-
obachtungsmateriale zu erkennen? nehmen wir an, die litterar-
evolutionistische poetik sei bis zu diesem punete gelangt, wer
kann nun weiterhelfen? wie ist es überhaupt möglich, in dieser
buntheit den roten faden zu entdecken? nach W.s gewis richtiger
ansieht muss die philosophie, speciell die psychologie, zu hilfe kom-
men, sie wird erwägen müssen, welche würkungen alle diese
verschiedenen formen des tragischen auf die menschliche seele her-
vorbringen, was empfinden wir bei der tragödie? W. versucht
auch hierfür eine antwort anzudeuten, indem er feinsinnig zwi-
schen den empfindungen während des Verlaufes der tragischen
handlung und den empfindungen nach ihrem abschluss durch die
katastrophe unterscheidet, wol fühlen wir furcht und mitleid für
den helden, aber unser Schlusseindruck ist weder furcht für ihn
noch für uns, auch nicht mitleid für ihn; trotzdem erfahren wir
eine tragische würkung; sie besteht in einer von jedem Stoffe
losgelösten erschütterung. die nächste frage ist, wie uns eine
solche erschütterung angenehm, wolgefällig sein könne. W. meint,
die tragische erschütterung enthalte zweierlei: erleichterung und
anregung, — Schiller, welchen übrigens VV. dabei nicht erwähnt,
nannte dies anspannung und abspannung. anregung bietet nun
aber jeder poetische genuss, also müsse die erleichterung die
speeifisch tragische würkung sein, diese erleichterung bestehe
in der entladung der in uns verborgen ruhenden wehmut, in
der entladung von einem uns immanenten thränenreiz. wir
sind also auf diesem wege bei der aristotelischen ansieht augelangt;
denn nach Bernays heifst eben katharsis: entladung. nach W.s
meinung könnte demnach die lilterar-evolutionistische poetik die
viel behandelten worte des 'vaters der poetik' etwa übersetzen:
die tragödie ist die nachahmende darstellung usw. . . . nicht
durch erzählung, sondern 'durch mit - leiden und furcht be-
wirkend die entladung von solchen immanenten leidensempfin-
dungen'. die tragische würkung wäre zu erklären als 'entladung
von eigener immanenter wehmut vermittelst Vorstellung eines
starken, zur katastrophe führenden leidens eines anderen menschen,
durch den blofsen schein der Vorstellung losgelöst von aller im
leben damit verbundenen Unlust', so glaubt W. gezeigt zu haben,
wie er sich das gewinnen eines sicheren resultates durch seine
methode denkt, man darf nicht vergessen, dass dieses resultat
WOLFF PROLEGOME.NA HER POETIE 157
ein hypothetisches und vorläufiges ist1; oh es sich bewähren wird,
ist eine andere frage; sie zu bejahen würde ich nicht wagen und
zwar aus folgendem bedenken: wir müsten annehmen, dass in
uns wehmut gebunden sei, deren teilweise entladung durch die
tragödie uns vergnügen macht; dies setzt natürlich voraus, dass
für uns die immanente wehmut etwas unangenehmes sei; dann
aber müste jene tragödie für uns die angenehmste sein, welche
den größtmöglichen teil von immanenter wehmut löste oder den
stärksten reiz auf unsere thränendrüse ausübte, wohin kämen
wir aber auf diesem wege als zu — Charlotte Birch - Pfeiffer und
consorten? man sage nicht, dass ich übertreibe; diese meinung
wäre nur die unzweifelhafte consequenz der W.schen ansieht,
hier hat also die methode noch eine lücke, welcher sie die auf-
merksamkeit im vollsten mafse wird widmen müssen.
W. geht kühn noch einen schritt weiter und wirft einen
blick in das Kanaan der poelik auch für die andern gattungeu der
poesie. vielleicht, so träumt er, wird die poetik der Zukunft
nachweisen, die würkung der komödie sei 'entladuug von eigenem
immanenten lachreiz durch die vorgestellte lächerlichkeit anderer
menschen'; wider müsten wir einwenden, dass dann etwa 'Die
gigerlu von Wien' eine vollendete komödie wären; wenigstens
wird in Wien bei jeder aufführung gebrüllt vor lachen2, als
würkung des epos, so sagt W. weiter, könne sich 'die entladung
von uns immanenter neigung zur bewunderung (des erhabenen)
durch Vorstellung der gröfse, hoheit oder furchtbarkeit (bewun-
dernswerter hehlen)', als würkung der lyrik 'entladung von eignen,
in uns schlummernden empfiudungen durch darstellung der em-
pfindung anderer' ergeben , und somit wäre die würkung der
poesie überhaupt: entladung von eigenen immanenten seelen-
affectionen, tälige erleichterung der eigenen seele durch darstel-
lung fremden lebens; da nun alle poesie auch anregen muss,
würde sie durch darstellung fremden lebens nicht blos negativ-
erleichternd, sondern auch positiv-bereichernd lust erwecken, ich
glaube nicht, dass die psychologische beobachlung, welcher sich
VV. zur erläuterung bedient, unzweifelhaft richtig ist; denn einmal
ist ihm die erschütterung die speeiüsch tragische würkung, dann
aber entdeckt er sie auf alleu gebieten der poesie; auch sinne
ich vergebens nach , wie ein epos gleich der Odyssee zu W.'s
formel passen soll.
1 \V. selbst hält es für möglich, dass die litterar -evolutionistische
poetik zu einem ganz anderen ergebnisse kommen könne; er deutet eben
nur den weg an. behält man dies im äuge, dann wird man den anfangs
verblüffenden satz s. 22 f richtig verstehn, dass er diese definilion durch seine
methode 'unter benutzung des gesammtmaterials' und nicht blofs einiger
'classischer beispiele' gewonnen habe, allerdings greift auch er nur einige
classische beispiele heraus, aber nur unter der annähme, dass sie ihm für
jetzt das gesammtmaterial repräsentieren.
2 auch macht \V. keinen unterschied zwischen tragisch und tragödie,
beziehungsweise komisch und komödie!
158 SCHUIFTEN ZUR POETIK
üb W. gut daran tat, in so umfassender weise schou jetzt
die resultate auszumalen , zu welchen die von ihm geplante poetik
führen könne, möchte ich bezweifeln, er will wie wir alle eine
iuductive methode. da nun die poetik von den dichtungsarten
haudelt, diese aber durch dichtungen vertreten sind, so muss sie
unzweifelhaft von den dichtungen ausgehu, und die frage kann
nur sein, ob sie einige hervorragende werke jeder gattung heraus-
greifen dürfe, oder ob sie möglichst viele dichtungen durchforschen
müsse. W. tritt für die zweite möglichkeit ein, und ich glaube
nicht, dass er dabei Opposition zu fürchten hat. je reicher das
beobachtungsmaterial, desto sicherer die iuduction, desto geringer
die fehlerquellen, desto wahrscheinlicher ein allgemeingiltiges
resultat. das ideal wäre eine durchforschuug aller dichtwerke
aller zeiten. da dies natürlich unerreichbar ist, so müssen wir
nach einem ersatz ausschauen, die litteraturgeschichte muss zu
hilfe kommen, indem sie möglichst genau den tatbestand fest-
stellt, und damit kommen wir zu einem puncte, den W. ganz
aufser acht gelassen hat, obwol er für seine methode von ein-
schneidender Wichtigkeit ist. die litteraturgeschichte sucht nicht
nur das wesen der litteraturvverke zu erfassen, sondern auch
darüber ins reine zu kommen, wie sie auf ihre zeit würkten.
das ist freilich meist recht schwer, viel schwerer als man glaubt.
Scherer bemerkt gelegentlich in seiner Poetik, es wäre wichtig
zu wissen, bei welchen stellen eines Werkes die Zeitgenossen ge-
lacht haben; ebenso möchte man die stellen kennen, bei welchen
sie geweint, sich erschüttert, bewegt usw. gefühlt haben, darauf
vor allem müste es der litterar-evolutionistischen poetik ankommen,
wir aber vermögen meist nur schlösse zu ziehen, indem wir
voraussetzen, die werke hätten auf die Zeitgenossen denselben
eindruck hervorgerufen, wie auf uns. das ist vielleicht ganz,
mindestens aber zum teile falsch.- Goethes Werther hat auf die
schwärmerische generation seiner zeit sicher anders gewürkt, als
auf uns. ja nehmen wir unsere zeit: Kellers novellen würken
verschieden auf männliche und auf weibliche leser; das Oberammer-
gauer passionsspiel würkt auf einen teil der Zuschauer erbauend,
auf andere ermüdend, auf weitaus die mehrzahl nur neugierstillend,
lässt sich aus so verschiedenen eindrücken nun die künstlerische
würkung des Werkes objectiv ermessen? aber wir sehen bald,
dass für die poetik diese würkung auf die Zeitgenossen nicht das
einzige ist. es gibt werke, welche nur auf sie würken, weil sie
zeitlichen interessen dienen oder zeitliche Voraussetzungen haben;
sie kennen zu lernen ist mehr für die culturgeschichte wichtig,
als für die poetik; selbst unsere litteraturgeschichte geht an ihnen
meist achtlos vorüber, obwol sie das eigentliche litteraturleben
ausmachen, anderseits gibt es werke, welche weit über ihre zeit
hinaus würken; sie hat man im sinne, wenn mau von einer welt-
litteratur spricht, bei ihnen, so glaube ich, kann die poetik stehu
WULFF PROLEGOMENA DER POETIK 159
bleibeu , weil wir hoffen können, dass ihre würkuug eine reiu
künstlerische sei, losgelöst von besonderen anti- und Sympathien,
localeu, zeitlichen, stofflichen und anderen kunstfeindlichen iu-
teressen. insofern darf sich die poelik allerdings auf einige 'clas-
sische beispiele' beschränken, sie bieten ihr ein material, das in
gewissem betrachte schon bearbeitet ist. die öden Piudars haben
auf Pindars Zeitgenossen gewis anders gewürkt als auf uns; aber
auf uns würken sie auch noch, auch danu noch, wenn wir nicht
etwa das historische, culturhistorische, philologische interesse vor-
walten lassen, wir dürfen demnach wol annehmen, dass in ihnen
ihre gattung bis zu einem gewissen grade typisch auftritt; wenn
wir sie also als 'classisches beispiel' herausgreifen , so begehn
wir keinen fehler, sondern dürfen hoffen, das richtige getroffen
zu haben, es ist ein weiterer schritt, dass wir uns nun die
psychologische würkung der übrigen werke nach diesem vorbild
auszumalen suchen.
Hans Sachs nennt allerdings erst jene drameu tra^üdien,
welche einen 'absolut traurigen, entsetzlichen endeindruck' her-
vorrufen; die poetik W.'s sucht diese tatsache psychologisch, andere
zeiten vergleichend, zu erklären und muss sagen, dass eben erst
solche tragodien die Zeitgenossen zu erschüttern vermochten, das
ist aber bereits angewandte poetik, und diese bildet einen teil der
litteraturgeschichte. nehmen wir mit W. an, dass die von ihm
geplante litterar -evolutionistische poetik für die tragüdie wider
bei Aristoteles anlangt, danu ist ihre durchführuug eigentlich nur
eine probe für das, was die poetik längst auf grund einiger
'classischer beispiele' erforscht hat, also nicht so sehr die Voraus-
setzung als die bestätigung der poetik und ihrer erkenntnisse.
sie ist aber nötig, um zu erkennen, inwiefern die 'classischen
beispiele' eheu classische beispiele werden konnten, sie ist nötig,
um vergleiche anstellen, um psychologische Schlüsse ziehen zu
können.
Aber sie hat noch eine zweite bedeutung, und deshalb dürfen
wir uns mit den resultaten der eklektischen poetik nicht begnügen.
sie sucht nämlich an dem historisch erfassbaren materiale die
gesetzmäfsigkeit der erscheinungen zu erkennen, um historisch
dunkle zeiten aufzuhellen, und so verstehn wir auch, weshalb W.
sein litterar-evolutionistisches princip mit der frage nach der Ur-
form der poesie verquickt, hier lässt ihn aber »lie vorsieht im
stiebe, nach s. 32 denkt er daran 'ein ganzes gebäude' der poetik
auf der alten annähme einer epischen grund form zu er-
richten, er bittet 'um förderung seiner Studien durch einwürfe
namentlich gegen seine annähme einer epischen grundform der
poesie' und plant doch schon von hier ausgehend eine geschichte
der einzelnen dichtungsgattungen. erstaunt fragl man sich, oh
VV. denn wirklich mit seiner methode schon so weil sei. sollen
wir glauben, dass seine resultale nicht blos hypothetisch, sondern
160 SCHRIFTEN ZUR POETIK
fruchte seiner Studien unter berücksichtigung des gesamtmateriales
seien? danu wäre naturgemäß? unsere Stellung zu dem hefte eine
ganz andere, aber wir haben es wol auch hier nur mit einer vor-
läufigen idee zu tun, ja mir kommt vor, als habe sich W. die haupt-
einwendung gegen seine ansieht noch nicht einmal klar gemacht.
Soweit ich sehn kann, sind wir gegenwärtig keineswegs schon
im stände, die frage uach der urform der poesie anders als durch
speculation zu beantworten; von einer irgendwie wissenschaft-
lichen begründung durch litterar-evolution kann noch gar keine
rede sein, was W. anführt, siud behauptungen, keine beweise,
meines erachtens muss man bis zu der frage zurück: was ver-
anlasst zuerst poetische ausspräche? war das bestreben, je-
mandem etwas mitzuteilen, oder die innere nötigung, etwas
auszusprechen, das ursprüngliche? wollte mau zuerst durch er-
zählung eine würkung auf andere ausüben (episch), oder wollte
man ein 'inneres erlebnis' loswerden (lyrisch)? bevor nicht die
genaueste beobachlung der ältesten poesiereste darüber klarheit
verbreitet hat, lässt sich gar nichts feststellen, ja mich will be-
dünken, dass nach unserer bisherigen kenntnis die epische gruud-
form der poesie recht zweifelhaft sei (vgl. Lyrik und lyriker
s. 113Q- genn w'r vou ('er Übereinstimmung der menschen- und
tierweit aus, dann führt uns die speculation auf die lyrische Ur-
form, der schrei, das jauchzen sind gewis die ursprünglichsten
lyrischen äufserungen des menschen und wol auch der mensch-
heit, es fragt sich nur, ob solche lyrische ausspräche der anfaug
der poesie sei. ich glaube ja und glaube auch — das verlangt W. — ,
dass wir ganz gut den weg zum epischen daraus construieren
können, betrachten wir etwa kinder oder naturvölker (aao. s. 451 f) !
wenn der australneger singt: 'unstät der wind — o! unstät der
wind — o!', was tut er anders als sein lyrisches gefühl ausspre-
chen, aber dadurch, dass er das äufsere erlebnis nennt und sein
inneres erlebnis nur in den schrei 'o' kleidet; dieser vers ist
lyrisch ohne 'ein produet erst der reflectierten Stimmung' zu sein
(W. s. 10). nun denke man sich einen vers: 'der wind ist un-
stät!' haben wir darin nicht sogleich die Voraussetzung eines zu-
hörenden, also einen epischen vers? was auf den dichter eindruck
gemacht, in ihm ein inneres erlebnis hervorgerufen hat, das sucht
er nun einem anderen mitzuteilen , doch aus keinem anderen
grund, als um auch in ihm eine würkung zu erzielen, das setzt
aber einen ungleich verwickeiteren seelenvorgang voraus, als das
aussprechen des lyrischen, mir fällt natürlich nicht ein, diese
schwierige frage mit solchen erwägungen entscheiden zu wollen,
aber mir scheint notwendig, W. auf solche allernächst liegende
speculationen hinzuweisen, um ihn vor einem abweg zu warnen '.
1 W. täuscht sich darin, dass die annähme einer der epischen periode
vorausgehenden lyrisch- hymnischen eine art parteisache von 'Scherers kreis'
sei. auch ThBergk spricht in seiner Griech. litteraturgesch. i 404 die über-
YVOLFF PROLEGOMENA DER POETIK 161
Ich will nicht fortfahren, alle stellen von W.s schriftchen zu
hesprechen, hei welchen mein exemplar fragezeichen aufweist;
aus dem gesagten wird hoffentlich klar geworden sein, dass W.s
einfalle geistreich sind, aber doch nur einlalle, dass er nicht recht
tat, in einem atem eine neue, wesentlich inductive methode der
poetik zu verlangen und die wahrscheinlichen resultate dieser
poetik auszusprechen, da man hierdurch den eindruck einer in-
duction mit gebundener marschroute empfängt, ich halte für
richtig, dass W. von der poetik vergleichende litteraturgeschichte
(aber in höherem sinn als sie mitunter gefasst wird) und Psycho-
logie fordert, aber ich sehe sie doch nur als einen zweig der
ästhetik an, und das scheint W. nicht zu tun.
Mit den beiden seiten derF'rolegomena,die hervorgehoben wur-
den, berühren sich die zwei anderen im titel genanuten Schriften;
Bergers Vorträge behandeln die tragodie und treffen in einigen
puncten mit VV. zusammen, Jacobowskis Anfänge dagegen sind
ausschliefslicb der frage nach der poetischen grundform gewidmet.
vB ergers buch nimmt man mit begreiflicher Spannung in
die haud. einem dichter, der als dramatiker und lyriker durchaus
nicht auf der breiten heerstrafse wandelt, der als secretär des
Wiener Burgtheaters durch längere zeit mit Sonnenthal diese wich-
tige bühne geleitet hat, der als privatdocent der philosophie an
der Wiener Universität Vorlesungen unter dem titel 'Beiträge zur
ästhetik und technik des dramas' hielt und sie nun als Drama-
turgische vortrage veröffentlicht, bringt mau das günstigste Vor-
urteil entgegen, der theoretiker erwartet von ihm aufschlösse,
wie sie nur das lebendige zusammenwürken mit einer der
ersten deutschen bühnen, der innige contact mit dem mo-
dernen wie classischen drama, die eigene dichterische tätigkeit
gewähren kann, der erste eindruck des buches wird aber bei
jedem kundigen wol nur enttäuschung sein, bittere, vollständige
enttäuschung. man hat erkenntnis erwartet und wird mit pbrasen
abgespeist, man hoffte winke über dramatische technik zu er-
halten und muss kokette scheinweisheit hinnehmen, man war
begierig die schöne form zu geniefsen und findet eine überaus
flüchtige, saloppe, unsorgfältige darslellung, einen aufdringlichen,
hochmütig bescheidenen ton. wenn B. von den drameu spricht
zeugung aus, schon vor Homer habe es hymnendichter und priesterliche
Sänger gegeben, von denen uns nichts erhalten sei. ich betone diesen punct,
weil mich dieser seitenhieb W.s verletzt hat. muss denn immer und immer
wider in jede sachliche Untersuchung persönliches gezerrt werden? glaubt W.
würklich , dass irgend jemand, der wissenschaftliche Wahrheit und, wo die
unmöglich ist, Wahrscheinlichkeit anstrebt, blind und kritiklos fremdes meinen
sich aneignen wird? wenn ich Scherers(?) hypothese vor der W. sehen den
Vorzug gebe, so bin ich mir bewust, dies nicht zu tun, weil ich zu 'Scherers
kreis' gehöre, sondern weil mir bis jetzt diese meiauug begründeter erscheint.
vielleicht gelingt es W., mich vom gegenleil zu überzeugen, dann werde ich
es gewis eingestehn und mit mir jeder aus Schereis kreis, aber mit ein
paar hingeworfenen worten kann diese ansieht nicht widerlegt werden.
A. F. D. A. XVII. 11
162 SCHRIFTEN ZUR POETIK
und seine ansichten im einzelnen entwickelt, da sieht man ihn
in seinem demente, da lässt sich etwas von ihm lernen, sobald
er aber von den dramen zum drama aufsteigt, wird er unbeholfen,
willkürlich und der angenehme eiudruck verwischt sich, leider
aber besprechen nur sechs von den fünfzehn vortragen einzel-
heiten. der grund für B.s scheitern im theoretisieren liegt wol
in seinem mangel an sicherer methode, wenigstens gelingt es
nicht, sich von seiner methode ein bild zu machen. B. geht
weder von den dramen aus, um vergleichend seine resultate zu
gewinnen, noch von einer idee, die am einzelnen durchgeführt
würde, er verwirft die litteraturgeschichte (vgl. zb. s. 67 f), er
verwirft aber auch die philosophische ästhetik (s. 13), trotzdem
verlangt er eine 'gesetzgebende ästhetik' (s. 68), freilich mehr vom
standpuncte des theaterdirectors als des ästhetikers; ja in ge-
wissem sinne (vgl. s. 242) lässt er nur eine technik des dramas
gelten, in den vortragen tritt nun aber er selbst als gesetzgeber
auf, und sein eclecticismus kennt nur die eine methode: sie volo,
sie iubeo, dh. eben gar keine methode. dadurch erhält das buch
einen dilettantenhaiten anstrich, man wird unwillig, immer wider auf
das liebe 'ich' des autors zu stofsen , welches all das 'gedacht und
erkannt' hat (s. 6) und jede autorität verwirft. B. ist gewis mit
der dramatischen litteratur innig vertraut, seine vortrage hätten
aber in dieser form nicht dem druck übergeben werden sollen,
sie sind unfertig, eilig zusammengerafft, weder tiefsinnig noch neu
in ihren ansichteu, obwol sie manches interessante enthalten.
Bezeichnend für B.s art ist eine stelle auf s. 254; er will
'die methode, nach der Shakespeare den Hamlet characterisiert,
klar machen' und hofft dies am besten zu erreichen durch 'einige
worte über dramatisches characterisieren im allgemeinen'. B. steigt
also nicht vom einzelnen zum allgemeinen auf, sondern er sucht
das einzelne durch allgemeine erwägungen zu erläutern, die nun
ad hoc angestellt werden und darum nicht notwendig erscheinen,
da sind die vortrage, welche BGMoulton in Oxford hielt (Shake-
speare as a dramatic artist 1885), in jeder hinsieht instruetiver;
B. scheint sie nicht zu kennen, sonst hätten sie s. 259 genannt
werden müssen.
Von B.s ausführungen über einzelnes sei vor allem der interes-
santeversuch (s. 168 — 190) hervorgehoben, Grillparzers Esther zu
reconstruieren; sehr einleuchtend begründet er das, was wir durch
frau vLittrow von dem weiteren plane erfahren, aus dem frag-
mente. hier zeigt sich B. feinfühlig und glücklich, sehr wahr-
scheinlich ist die behauptung, dass die Jüdin von Toledo die
erbin Esthers sei. der 'Jüdin' sind zwei Vorlesungen gewidmet
(s. 34— 64), hauptsächlich um den schluss zu motivieren und die
figur Allonsos zu erfassen; gelungen ist der vergleich mit Hebbels
Agnes Birnauer. B. hat aber nicht erkannt, dass sich seine be-
obachtungen an Rachel, Agnes, später an Ophelia zu einer all-
VON RERGER DRAMATURGISCHE VORTRAGE 163
gemeinen forme! dramatischer teclmik zusammenfassen liefsen. ich
verweise auf ein im nächsten jähr erscheinendes lieft unserer
Beiträge zur ästhetik, in welchem ich das 'Spiel und gegenspiel
in Schillers dramen' behandle; ich zeige darin, dass in sehr vielen
dramen alter und neuer zeit zwischen der gruppe des Spielers und
des gegenspielers eine mittelgruppe steht, die, wenn man so
sagen darf, das kampfobject repräsentiert; die figuren dieser
gruppe sind in gewissem sinne opfer, welche zu gründe gehn,
ohne dass wir ihre tragische schuld nachzuweisen vermöchten,
sehr häufig sind die dramen nach diesen personen betitelt, was
gerade bei Grillparzers Jüdin der fall ist. dadurch werden meines
erachtens einige zweifei gelöst, mit denen sich die theorie oft
vergebens abplagte.
Eine sehr hübsche hypothese trägt B. (s. 132 — 148) über
Hamlets Wahnsinn vor, indem er den Goethischen gedanken modi-
flciert und sagt, dass in dem drama nicht eine grofse tat auf eine
seele gelegt sei, die ihr nicht gewachsen ist, sondern eine tat,
die ihr widerstrebt, weil sie unter ihrer würde ist ('s. 148); daraus
folgert, er dann Hamlets Wahnsinn, gegenüber HTürk läugnet er,
dass Shakespeare in Hamlet eine entwickelungsphase des Jünglings
habe darstellen wollen, betont vielmehr, freilich ohne diesen aus-
druck zu brauchen, das symbolische des werkes. überhaupt ist
ihm der unterschied zwischen symbolisch und allegorisch (vgl.
Anz. 15,261 f) nicht klar; deshalb nennt er seine auffassung des
Gyges (s. 191 — 210) symbolisch, obwol sie allegorisch ist. bei-
stimmen wird man B. in der Unterscheidung von naturalismus
der form und des gehalts, sowie in den folgerungen daraus
(s. 83 — 98); gewis richtig ist auch die ansieht (s. 116 ff), zweck
des dramas sei die darstellung des psychischen durch physisches.
was er weiter daraus entwickelt, erscheint mir dagegen unrichtig,
obwol er so grofses gewicht darauf legt. B. meint nämlich, um es
recht drastisch auszudrücken, der dramatiker sei nicht der alleinige
Verfasser des dramas; der Schauspieler, der regisseur, der theater-
ingenieur (wie man im 17 jh. sagte) seien mitverfasser, weil das
drama ohne bühne nur etwas halbes sei. 13. scheint mir damit
auf einen abweg geraten, eine lebensbedingung des menschen
ist die luft, ist aber deswegen die luft der mensch oder bildet
sie auch nur einen teil des menschen? lebensbedingung des
dramas ist die aufführung, soll aber deshalb die aufführuDg das
drama sein? schon was B. s. 129 f über den Macbeth sagt,
widerlegt ihn; er meint, zu Shakespeares zeil kooDte die auf-
führung einfacher sein, weil seine Zeitgenossen lebhaftere phan-
tasie hatten; damit ist eben ausgesprochen, dass das äufsere nur
nebensache sei und nicht zum drama gehöre, ich sehr die
scenierung nur als lulle für die phantasie an und Kann dieses
aeeidens schon deshalb nicht als teil des dramas lassen, weil
nicht alle menschen derselben hilfe bedürfen, wichtig dagegen
ii *
164 SCHRIFTEIN ZUR POETIK
ist, was B. von dem 'meugegefühl' sagt, weil es uns den unter-
schied der würkung von drameu bei einsamem lesen, beim vor-
lesen und bei der aufführung erklärt. GOhnet hat in seinem
romane Lise Fleuron dieses 'mengegei'ühl' lebhaft geschildert, sehr
klar sind auch die gedanken über die bedeutung der ausstattung,
und die thesen s. 131 f müssen beachtet werden, hier spricht
B. eben als genauer kenner des theaters, und wie sehr ihm dies
am herzen liegt, beweist der umstand, dass in 5 vortragen eigent-
lich nur davon gesprochen wird fi. n. vii. vm. xiv)1.
Damit glaube ich aus B.s buch das wichtigste hervorgehoben
zu haben2; nur an einem puncte soll noch gezeigt werden, wie
grofs für die poetik die Schwierigkeiten wahrer erkenntnis sind,
weil die beobachtungen der forscher sich widersprechen. B. und
Wolff treffen in dem gedanken zusammen, in Aristoteles' ausspruch
über die katharsis stecke das gefühl, dass die tragödie den menschen
befähige vom einzelschicksal abzusehn und 'das ganze menschen-
leben mitzulebeu' (Wolff s. 25. B. s. 106); trotzdem gehn sie
so weit auseinander, dass B. s. 37 behauptet, jeder vater erlebe
andeutungsweise das Learschicksal, während Wolff s. 19 vom Lear ua.
meint: 'wer von uns wird ähnliche geschicke für sich fürchten?'
nur eines von beiden kann richtig sein, und doch nehmen B. und
Wolff diese gegensatze zu ausgangspuncten ihrer darstellung.
Anders ist die Verschiedenheit zwischen Wolffs und Jacobowskis
ansichten aufzufasseu; hier handelt es sich um hypothesen, nicht
um beobachtungen, oder, besser gesagt, um beobachtungen ganz
anderer dinge; ja ich möchte behaupten, dass sich die scheinbar
widersprechenden meiuungeu beider bis zu einem gewissen grade
vereinigen lassen.
Jacobowskis Untersuchung bin ich von anfang bis zu
ende mit dem grösten interesse gefolgt, mit einer art von über-
raschter freude; denn was er vorbringt, ist im wesentlichen mit
dem identisch, was ich in meinem werke Lyrik und lyriker aus
einem anderen gesichtspuncte heraus gefunden habe, er sucht der
poetischen urform auf ontologischem wege nahe zu kommen, er
betrachtet die kinderseele in ihren ersten äufserungen und zieht
aus den beobachtungen der physiologen und psychologen Schlüsse
für den Urmenschen, dabei entdeckt er denn ursprünglich überall
nur lyrik, wenn wir die äufseruug von empfindungen durch laute
lyrik nennen, diese laute können aus doppellen erlebnisseu hervor-
1 in der ersten Vorlesung stellt er neben das buchdrama die buch-
erzählung und die buclilyrik, um sie ebenso zu verwerfen; buchei Zählung
ist ihm jede erzählung, welche man sich nicht erzählt denken könnte, buch-
lyrik jedes gedieht, das nicht gesungen werden kann; er vermag nun nicht
zu bestreiten, dass sich bucherzählung und buchlyrik geltung erkämpft
haben, was dem buchdrama nicht gelang; daraus folgert er eben, dass
zum drama die scenierung ebenbürtig mit dem dichten gehöre.
2 die Vorlesung, welche die frage 'was ist dramatisch?' behandelt (s. 211 bis
226), kommt weiter nicht in betracht, denn das spannende und das erregen von ge-
fühlen ist eben poetisch und nicht dramatisch; Berger bleibtdie antwort schuldig.
JACOBOWSKl ANFÄNGE DER POESIE 165
gehn, aus dem lust- und dem uulustgefühl, ja der erste laut, welchen
daskind ausstöfst, ist, so sagtJ., gewissermafsen 'das erste lied vom
schmerz', hier gleich müssen wir widersprechen : wäre der ausdruck
richtig, dann hatte Wolff mit seiner behauptung recht, eine solche lyrik
sei bereits das product reflectierter Stimmung, wir müssen vielmehr
sagen: der schrei ist das erste lied des Schmerzes, die lorschung
wird nachweisen müssen, wie aus einer lyrik des Schmerzes eine
lyrik vom schmerze hat werden können; und gelingt das, dann
dürfen wir hoffen, eine völlige klarung der frage erreicht zu haben.
J. hat das richtige gefühlt, aber immer wider von neuem jenen irrt um
begangen; das ist mein haupteinwand gegen seine schritt, halten
wir uns an die reine urlyrik als lautlichen ausdruck von sinnes-
empfindungeu, so haben wir von anfaug an eine doppelte lyrik, weil
sowol die lust- als die unlustgefühle durch laute, dh. lyrisch ge-
äufsert werden. J.s folgerungen aus dieser grundbeobachtung
müssen von jedem zugegeben werden, er meint, für diese lyrische
äufserung komme zweierlei in betracht, erstens die gefühlsruhe,
welche keineswegs identisch ist mit empfindungslosigkeit, aber un-
producliv bleibt, und zweitens das plötzliche oder allmähliche ein-
treten von lust und unlust, welches lyrisch allein productiv wird,
durch ein gefiihl, welches die seele aus einem indifferenten zustande
aufrüttelt, entsteht der erste laut, also die urlyrik, aber auch die Ur-
sprache, nämlich die interjection, und wol auch der urgesaug, sodass
pcesie, spräche und gesang 'drei zweige derselben wurzel' wären.
J. sucht nun das wesen der urlyrik zu erfassen und den sicht-
baren unterschied zwischen urlyrik der lust und urlyrik der unlust
zu erklären, kommt dabei aber zu einer behauptung, die mir be-
denklich erscheint, es ist gewis richtig, dass wir die lustemplin-
dung geniefsen , ohne viel nach ihrer Ursache zu fragen, dass wir
dagegen 'ungemein spürig im aufsuchen der Ursachen der unlust-
emplindung' sind, führen wir nun die Unlustempfindung auf Ur-
sachen zurück — die Operation mag richtig oder falsch sein ; das kind
schlägt den tisch, an dem es sich gestofsen hat — ,so nehmen wir eine
verstaudesoperation vor; die äufserung der lust wird länger rein ly-
risch bleiben, in die äufserung der unlust wird sich eher ein verstan-
desmäfsiges, lyrikfeindliches dement mischen, mit andern worten,
die lust fördert, die unlust hindert reine lyrik. hier beginnt sofort
eine differenzierung, welche der lyrik bis zum heutigen tag ge-
blieben ist. der schrei aus lust und der aus uulust sind ursprüng-
lich gleich, nur verschieden im ton (gesang) und in der beglei-
tenden mimik, sind reine lyrik. aber beim unlustgefühl ist der
primitive mensch früher geneigt , nach dem unluslerreger aus-
zuschauen; das kind wird viel eher 'dummer lisch' rufen, als
'liehe milch', der dank i>t eben ein zeichen höherer eultur, wäh-
rend der undank, dh. das vergessen der lustquelle, das natürlichere
ist. Unlustempfindungen lassen gröfsere erinnerungsreste zurück
als lustempfindungen, sagt J. (s. 33) richtig : 'schaden macht klug'.
166 SCHRIFTEN ZUR POETIK
'das gebrannte kind scheut das teuer', so drückt das Sprichwort,
diese einfachste und tiefsinnigste psychologie, unsere erfahrung
aus. worin besteht nun der unterschied zwischen dieser dop-
pellen äufserung des unlustgefühles? das eine mal drängt der
innere gefühlsvorgang unwillkürlich den laut hervor, nur das
innere erlebnis wird ausgesprochen , das andere mal gesellt sich
dazu schon die ausspräche des äufseren erlebnisses, es ist eine
zweigliedrigkeit eingetreten, die weiterer ausbildung fähig und bis
heute dem einfachen Volkslied eigen ist (vgl. Lyrik und lyriker
s. 403 ff), mir scheint dies für die entwickelung der poesie von
Wichtigkeit; eine andeutung mag genügen, das erste zurück-
führen einer unlustempfindung auf die Ursache wird, so können
wir beim kinde noch heute sehn, wesentlich anthropomorphisch
sein, dh. ein voraussetzen von inneren regungen bei dem unlust-
erreger, wie sie das kind an sich selbst kennt, natürlich gehört
dazu schon ein höherer grad von entwickelung. in solchem rudi-
mentären anthropomorphismus haben wir das erste zeichen der phan-
tasietätigkeit, deren auftreten J. zwar im 7 cap. berücksichtigt, aber
nicht entwickelt, dieser anthropomorphismus ist jedoch nötig, um
das entstehn von poesie im engeren sinne des vvortes zu begreifen.
Und damit sind wir bei dem entscheidenden punct angelaugt,
alles was J. so treffend von der urlyrik sagt , gilt von ihr , so lange
sie die einzige urpoesie ist, so lange die poesie noch die unwillkür-
liche äufserung von lust- und unlustgefühl genannt werden kann,
in dem augenblick, da der primitive mensch mit seiner äufserung
sich an ein anderes Individuum wendet, wahrscheinlich zuerst an
das weibchen, zeigt die poesie einen andern character; sie sucht
würkungen zu erzielen, das, was sie selbst fühlt, auf einen andern
zu übertragen (vgl. oben s. 160), sie hat ein publicum und das ist
die urlörm einer dichtungsgattung, für welche wir keinen uamen
haben: wir scheiden sie in epik und dramatik. unter poesie im
engeren sinne aber verstehn wir eben poesie für ein publicum.
Wolff hat einzig diese poesie vor äugen, wenn er ihre anfange
sich episch vorstellt, J. verfolgt gerade nur den weg bis zum
entstehn einer solchen poesie. damit glaube ich, ist auch er-
wiesen, weshalb ich mit Scherer eine doppelte bildung der lyrik
annehme; sie ist eben selbst eine doppelte: die reine, dh. die
unwillkürliche äufserung von inneren Vorgängen, und die lyrik
für ein publicum, es erklärt sich, dass die lyrik, obwol die Ur-
form der poesie, doch in den litteraturen zeitlich später be-
gegnen muss, ergibt sich aber auch, weshalb die urepik so stark
lyrisch, die älteste lyrik so episch gefärbt ist. wird diese de-
duction zugegeben, so schwinden alle Schwierigkeiten, und die
scheinbar sich ausschliefsenden gegensätze sind vermittelt, ich
möchte den unterschied so ausdrücken: J. fragt nach den an-
fangen der poesie, W. nach den anfangen der litteratur, poesie
alier war da vor der litteratur, und so haben beide recht.
JACOBOWSKl ANFÄNGE DER POESIE 167
Nun vermag man aber auch J.s polemik gegen Scherer und
mich (s. 37 if) zu widerlegen. Scherer suchte sich klarheit darüber
zu verschaffen, wie das unangenehme gegenständ der poesie
werden konnte, dh. gegenständ der litteratur. J. bestreitet die
richtigkeit dieser fragestellung, weil er eine urlyrik der unlust
nachweist; wider zeigt sich sein grundirrtum: es ist eben ein
unterschied, ob icli aus schmerz oder ob ich den schmerz 'siuge'.
Scherer hatte ebenso wie ich das zweite im sinne, während J.
beides identifiziert und daher gegen windmühlfliigel kämpft, so
construiert er eine lyrik des hungers, nämlich die sogenannte
'sociale lyrik' (s. 80): das ist aber eine lyrik vom hunger, also
etwas ganz anderes.
Zum Schlüsse möchte ich einen einfall erwähnen mit riick-
sicht auf s. 48 IT, für welchen mir aber noch die physiologische
Begründung fehlt, ich glaube, dass lust und unlust eine Ver-
änderung der herztätigkeit zur folge hahen, welche sich in der Ver-
änderung des atemholens äufsert und bewegung dh. Veränderung
des ganges hervorruft, sodass wir das einigende princip für diese
drei begleiteischeinungen der urpoesie hätten, jeder von uns
kann an sich selbst die probe machen und den physiologischen
grund fühlen, darin haben wir dann die entwickelung von
rhythmus und tanz für die urpoesie.
J. hat mit grofsem Scharfsinn unter berücksichtigung der
modernen psychologie die frage der urpoesie genau studiert und
klar dargestellt, sein heft verdient sorgfältiges erwägen sowol der
methode als der resultate. auf eine beobachtung, welche J. dem
ethnologen WTiesler dankt, lenke ich noch besonders die auf-
merksamkeit (s. 115); es sollen nämlich diejenigen Völker, welche
die besten Singvögel besitzen, auch die meisten und schönsten
Volkslieder haben, während Völker, die keine Singvögel ihr eigen
nennen, auch keine lieder kennen, es wäre sehr interessant und
wichtig dieser beobachtung nachzugehn, die eine weite aussieht
eröffnet; mir war die tatsache ganz neu, und so geht es vielleicht
auch anderen.
J. verheifst eine 'Physik der lyrik', auf die man gespannt
sein kann; hoffentlich nimmt er darin zu meinem werke Lyrik
und lyriker bereits Stellung.
Burgfried bei Hallein 16. 9. 90. H. M. Werner.
I, I T T E R A T U R N O T 1 Z E N.
Die letzten schicks;ib- der Krimgoten von FBbadn. Separatabdruck aus
dem Jahresbericht der reformierten kircbenscbule zu SPetersburg
1889/90. SPetersburg, buchdruckerei RGolicke, 1890. 88ss. 8°.* —
* [vgl. Litteraturbl. f. germ. und rom. pliil. 1891 ni 1 (ObVhauhel). —
DLZ 1891 nr 12 (FWrede).]
16S NRAUN SCHICKSALE DER KRIMGOTEN
unter völliger beherscliung und kritischer Verwertung der weitver-
zweigten litteratur orientiert nicht nur die kleine schritt vortrefflich
über die wechselsreiche geschichte der in die Krim verschlagenen
gotischen stamme von ihren ersten spuren zu beginn des 5 jhs. an
bis auf das j. 1778, wo die kümmerlichen reste, um der tyrannei
der Tataren zu enigehn, nach Russland auswanderten und von
Katharina u am Asowschen meere angesiedelt wurden ; sondern
sie unterwirft auch die bekannten nachrichten Busbecks über die
spräche dieser Krimgoten einer ebenso sorgfältigen wie beson-
nenen Untersuchung, als sicheres resultat ergibt sich daraus
namentlich, dass das vielberufene liedchen, das Busbeck mitteilt
(am zugänglichsten abgedruckt Zs. 1, 359), keineswegs gotischen,
vielmehr tatarisch- türkischen Ursprungs ist und von einer Über-
schwemmung handelte. St.
Ein arabischer berichterstatter aus dem 10 oder 11 jh. über Fulda,
Schleswig, Soest, Paderborn und andere deutsche Städte, zum
ersten male aus dem arabischen übertragen, commentiert und
mit einer einleitung versehen von dr Georg Jacob. Berlin,
Mayer & Müller, 1890. 20 ss. 8°. 1 m.* — ein langer litel
für ein kurzes buch — nur 16 seiten (5 — 20) umfassend; —
aber der inhalt ist recht beachtenswert, in der Kosmographie
des Quazwini [Zakarija Ben Muhammed Ben Mahmud el-Cazwini,
2 teile, hsg. von FWüstenfeld. Güttingen 1848/49], der im
13 jh. schrieb, finden sich bruchstücke aus berichten von Arabern
über ihre beobachtungen im abendlande, die J. im gegensatz zu
früheren annahmen auf eine im 11 jh. verfasste geographie und
weiter auf eine maurische gesandtschaft, die 973 zu Otto dem
grofsen nach Merseburg kam, zurückführt. * der beweis sei der
prüfung der Orientalisten überlassen , streng ist er keinesfalls,
aber das ergebnis scheint mir eine bestätigung in dem inhalt zu
finden, von Schleswig heifst es nämlich, dass die einwohner
noch heidnisch seien und nur eine kleine anzahl Christen, das
passt eher auf das 10 als auf das 11 oder 12 jh. die nachrichten
enthalten keine geschichtlichen ereignisse, sondern beobachtungen,
wie sie ein gebildeter beobachter im voriibergehn macht, so
schildert er bei Utrecht die gewinnung des torfs, 'eines lehms,
welcher die stelle des holzes vertritt', die opfer in Schleswig, die
gottesurteile ua. besonders wichtig scheint mir, dass wir einen
einblick gewinnen in die Unbefangenheit, mit der diese Orientalen
den weslen betrachteten, und dann die tatsache, dass eine gröfsere
reihe von orten Deutschlands diesen aus wirtschaftlich entwickelteren
und reicheren landen stammenden beobachtern als nennenswerte
Städte erschienen, für diese beobachtung ist es sehr wertvoll,
dass der bericht in das 10 jh. zurückzureichen scheint.
Münster i/'W. Georg Kaufmann.
Über die träume in der altnordischen sagalitteratur von dr Wil-
* [vgl. Nd. corresp. 14, s. 86 (HJellinghaus). — DLZ 1S90 nr 52.1
HE.NZEN TRÄUME IN DER ALTN. SAGA 169
helm Henzen. Leipzig, Gustav Fock, 1890. 89 ss. 8°. 2 m.* —
es war ein ganz glücklicher gedanke, die träume in der alt-
nordischen lilteratur zum gegenstände einer Specialuntersuchung
zu machen. H. zeigt eine anerkennenswerte belesenheit, obgleich
der leser nicht die volle Sicherheit gewinnt, dass das ganze
material verwertet wurde, und er hat die verschiedenen Vorstel-
lungen übersichtlich und mit geschick gruppiert, sodass die
schrift auch als nachschlagebuch gute dienste leisten kann, ich
verweise besonders auf die sprachlich interessante Zusammen-
stellung über den redensart- und wortwitztraum s. 44 ff. viele
neue ergebnisse kamen dabei allerdings nicht zum Vorschein,
und mitunter sind H.s aufstellungen uicht genügend gestützt : so
der nachweis, dass der träum lediglich ein Verkehrsmittel zwi-
schen mensch und mensch war, und dass die gütter erst in
christlicher zeit im träume auftreten, als sie zu unholden und
dämoneu herabgesunken waren, wenn die götter, wie zahlreiche
beispiele in der ahn. litteratur dartun, es nicht verschmähten, im
prosaischen leben mit den sterblichen zu verkehren, so ist nicht ein-
zusehen, weshalb sie es nicht in der luftigen traumweit hätten tun
sollen, bemerkenswert sind die parallelen, die H. aus dem anglo-
normanniscben Rolandsliede bringt, wo man in der tat einen Zu-
sammenhang mit der nordischen litteratur annehmen darf s. 38.42.
An der spitze des buches steht eine abhandlung über die
etymologie des wortes draumr. es wird auf die wurzel drüh,
nachstellen, schädigen, zurückgeführt, aus welcher sich einer-
seits eine pessimistische wortreihe, trug, draugr (unhold), träum,
entwickelt hat, anderseits eine optimistische, yot. driugan, ags.
dredm, fröhliches treiben, man fasste den krieger als Schädiger
auf, wie das altn. adj. gramr 'feindlich' heifst , als subst. aber
die betleutun^ 'fürsl' angenommen bat. das wird sehr über-
zeugend nachgewiesen, wol mit recht verwirft H. die deutung
des wortes draumr als 'trugbild' und erklärt es als 'totenerschei-
nung, totentraum'; vgl. altn. draugr. die seelische erregung,
welche der träum im nalurmenschen hervorrief, war gewis zu
grofs, um ihn von vornherein als trugbild zu bezeichnen.
Wien, septeniber 1890. Ferdinand Detter.
Ein gralbuch von G. Gietmann S. J. a. u. d. t. Klassische dichter und
dichtuogen in. Freiburg, Herder 1889. Lvund648ss. 6 m.** —
nachdem der jesuiteupaler G. im 2 bände seiner beleuchtuog
'classischer dichter und dichtuogen' (Parzival, Faust, Job) den
Parzival Wolframs vom ullramootaoen standpuocte aus einer kritik
unterzogen und dabei natürlich wenig -nies an ihm gefunden,
dafür aber selbst einen eotwurf zu einem Parzivaldrama vor-
gelegt hatte, der eben in der verherlichung des papsttums als
* [vgl. Zs. f. öBterr. gymn. 1890 -. 1003 (RHeinzel). — Litt, centr. 1890
nr35 (-gk).]
** [vgl. DLZ 1890 m 40 (EMaret).]
170 GIETMANN EIN GRALBÜCH
der höchsten gewalt und des unbedingten leiters alles irdischen
gipfelte, will er nunmehr in diesem 3 bände diejenige der ver-
schiedenen graldichtungen dem deutschen volke zugänglich machen,
welche seiner meinung nach die idee der gralsage am voll-
kommensten und reinsten zum ausdruck bringt, dies ist der
von Potvin Mons 1866 herausgegebene 'Perceval le Gallois'
(keltischer text mit englischer Übersetzung in der ausgäbe des
doppeltextes der grofsen Gralsuche von Williams: Y Seint Greal.
by Roh. Williams, London 1876). G. nennt ihn 'den grofsen
Parzivalroman' oder 'Parzival und der heilige Gral', es ist nun
gewis schon ein grofses verdienst, dass verf. das umfangreiche
werk ins deutsche übertragen hat (s. 1 — 386); denn die be-
schäftigung mit dem wenig beachteten romane, welche doch auch
für das Studium des Wolframschen Parzival nicht gleichgiltig ist,
wird dadurch erleichtert, die prüfuug der Übersetzung auf ihren
wissenschaftlichen wert hin muss ich freilich andern überlassen,
da ich des altfranzösischen nicht kundig bin. stilistisch fällt sehr
unangenehm die vom verf. ganz besonders bevorzugte inversion
nach 'und' auf. gewis ist diese construction hier und da auch
von den meistern der spräche, von Luther bis JGrimm , in loserer
redeweise gebraucht worden; aber wenn, wie hier, geradezu ein
princip daraus gemacht wird, so legen wir das buch scbliefslich
mit Unbehagen und ärger bei seile, aber auch abgesehen davon
wird gar mancher, wenn er das buch nicht gerade zu wissen-
schaftlichen zwecken in die hand nimmt, bei der lectüre die ab-
sieht desverf.s merken und — verstimmt werden, der hierarchische,
das weltliche rittertum bekämpfende geist und die verherlichung
der kirche auf kosten der weltlichen macht durchzieht den ganzen
roman , und das ist allein der grund, weshalb der verf. den wert
desselben so hochstellt, und was nicht im texte schon selbst
steht, das tut er durch allegorische auslegung in seinen er-
läuterungen noch hinzu.
Verl, sucht aber seine beurteilung der erzählung auch wissen-
schaftlich zu stützen, indem er sie als die älteste und ursprüng-
lichste aller vorhandenen gralgeschichten zu erweisen sucht, auch
Potvin hatte das allerdings behauptet; dagegen hatte Birch-Hirsch-
feld sie als die jüngste bezeichnet, wir wollen nicht behaupten, dass
Birch- Hirschfelds beweisführung schlagend wäre, aber soviel ist
sicher, dass in der ganzen gestaltung des romans, nämlich gerade
in seiner tendenz und in der aufnähme und oft willkürlichen
verquickung der verschiedenartigsten bestandteile das wichtigste
kriterium für seine späte abfassung liegt, auf das äufsere
zeuguis des erzählers selbst in einer Schlussbemerkung ist eben
wider der tendenz wegen gar kein gewicht zu legen, warum
könnte der geistliche verf. sich hier nicht ein poetisches gegen-
stück zu den pseudoisidorischen decretalien geleistet haben ? G.
ist denu in seinen aufstellungen auch sehr schwankend, er neigt
GIETMANN EIN GRALBUCH 171
einmal (s. xlvii) dazu, den roman noch in das 11 jh. hinauf-
zuweisen, sowol wegen des hierarchischen geistes, welcher in die
zeit Gregors des grofsen passe, als auch, weil sich keine spur
von heziehungen zu den kreuzzügen fände, dem aber wider-
spricht zu offenbar das vollkommen ausgebildet aultretende ritter-
tum und die gegensätzliche Stellung der kirche zu ihm, ganz
abgesehen davon, dass zb. in ^Yolframs Parzival von kämpfen
gegen die Muhammedaner auch nicht die rede ist. so stellt er
denn schliefslich (s. 515 f) als die wahrscheinlichste zeit die 'kurz
vor dem dritten kreuzzuge (1189)' hin, als späteste aber 1*220 bis
1230, was Birch-Hirschfeld behauptet, G. aber s. 509 — 515 eben
noch bestritten hatte, die quelle des werkes ist nach der schluss-
bemerkung ein lateinisches Gral- und Artusbuch, das in einem
kloster auf der insel Avalon verfasst wurde, 'dieses werk', sagt
G. 'hat einen rilter-priester oder einen gewesenen ritler unter
den mönchen jeuer berühmten abtei zum verf. und muss, wenn
nicht früher, in der zeit nach dem ersten kreuzzug bis etwa
1150, spätestens um die zeit des dritten (I) kreuzzuges entstanden
sein', dh. also innerhalb eines Jahrhunderts von der romanischen
bearbeituug rückwärts, was die kreuzzuge dabei für ein kri-
terium abgeben sollen, bleibt völlig unklar, und ebenso, wie
der verf. in dem weiten rahmen, den er schliefslich ziehen muss,
seine behauptung, der 'grofse Parzivalromau' sei die älteste gral-
"^eschichte, als erwiesen ansehen kann, als eine Hauptstütze
dieser ansieht betont G. auch die angeblich durchaus britisch-
nationale färbung des werkes. wie es damit steht, kann ich
nicht beurteilen; aber zugegeben auch, es wäre so, folgt daraus,
dass es die älteste der erhaltenen gralgeschichten ist? es wäre
doch erst zu untersuchen, ob sich das werk dadurch würklich
characteristisch von den andern romanischen gralgeschichten unter-
scheidet, nur darauf, dass die Ursprünge der gralsage nach Bri-
tannien weisen, lässt sich doch ein solcher schluss nicht bauen.
Die wissenschaftliche ausbeute der arbeit G.s ist also nicht
bemerkenswert, und das kann um so unbefangener ausgesprochen
werden , als der verf. selbst ja darauf keinen wert legt, er will
die nach seiner meinung vollendetste darstellung der gralsage
dem deutschen volke zugänglich macheu und ihm darin gewisser-
mafsen einen ersatz geben für das viel zu unkirchliche und
weltliche werk Wolframs, es ist eben derselbe mafsstab, den
der verf. auch an Goethes Faust gelegt hat, und hier ist deut-
lich einer der laden zu erkennen, welche jetzt vom ullramou-
tanen lager aus nach allen richtungen hin gesponnen werden,
um Deutschlands eultur- und litteraturgeschichte zu verun-
glimpfen.
Berlin, juui 1890. G. Boetticheb.
Über die Margaretenlegende des Hartwig von dem Hage, von Albert
Rode. diss. Kiel, CSchaidt, 1890 (Leipzig, GFock). 58 8S. 8.°
172 RODE MARGARETENLEGENDE HARTWIGS V. D. HAGE
1,50 m. — diese fleifsige arbeit bestätigt zumeist, berichtigt ferner
und ergänzt meine aufstellungen über Hartwigs von dem Hage
Margarets und Tagzeiteu im Anz. 7, 247 ff. aufserdem wird s. 22 ff
als quelle der Margareta eine lateinische fassung erwiesen , welche
der des textes im Sanctuarium des Mombritius nahe stellt, und
s. 53 f eine beziehung Hartwigs zu Reinmar von Zweier wahr-
scheinlich gemacht, die dankenswerte abhandlung regt von neuem
den wünsch an, dass die vor einigen jähren wider aufgefundene
echte Margareta Wetzels (nicht die von Bartsch dafür gehaltene)
im geleite der anderen handschriftlich überlieferten poetischen
fassungen alsbald veröffentlicht werden möchte.
Graz. Anton E. Schönrach.
Das praefix GE- in verbalen Zusammensetzungen bei Berthold von
Regensburg, ein beitrag zur mittelhochdeutschen syntax von
Eduard Eckhardt. Freiburger diss. Leipzig, GFock, 1889.
107 ss. 8°. 3 m.* — verf. beabsichtigt, ein möglichst voll-
ständiges bild von den Verwendungsarten des ge- bei Berthold zu
geben, er beschränkt sich auf diesen einen schriftsteiler, nützt
ihn dafür aber um so gründlicher und sorgfältiger aus. und die
Zusammenstellung einer grofsen menge von statistischen zahlen
hat an seinen fleifs und seine geduld keine geringen anfor-
derungen gestellt, er begnügt sich nicht damit anzugeben, wie
oft ge -composita unter bestimmten bedingungen vorkommen,
sondern er führt mit einigen wenigen ausnahmen auch das
gegenbild vor. eine einheitliche theorie aufzustellen uud die
einzelnen Verwendungsarten des ge- historisch zu erklären hat
E. vermieden, da eine solche erklärung erst nach durchforschung
sämmtlicher germanischer dialecte auf festem boden stehn könne,
bisweilen vermisst man aber auch da ein interpretierendes wort,
wo E. es auch von seinem standpunct aus recht gut hätte
sprechen können, ebenso wie er es in anderen fällen gesprochen
hat1. — dass das ge- in vielen fällen durch die satzart bedingt
ist, geht aus den Zusammenstellungen des verf.s deutlich hervor,
uud daher ist auch seine einteilung die richtige, er scheidet zu-
nächst das wortbildende ge- vom syntactischen: ersteres bildet
feste composita und geht durch alle wortformen hindurch, letzteres
findet sich nur unter bestimmten bedingungen. ob ein einzelner
fall zur einen oder zur andern gruppe gehört, ist nicht immer
mit Sicherheit auszumachen, wie verf. selbst zugibt; diese Schwierig-
keit dürfte sich aber bei weiterer durcharbeitung des mhd. materials
* [vgl. DLZ 1890, nr 34 (Tomanetz).]
1 s. 60 ff wird das verallgemeinernde ge- in Wunschsätzen und sätzen,
die überhaupt ein geschehensollen ausdrücken, erörtert; es findet sich
namentlich häufig in den fällen, wo abhängiger fragesatz mit wie an stelle
des finalsatzes tritt, da verf. gleich darauf nachweist, dass überhaupt die
Unbestimmtheit des geschehens auf das eintreten des ge- hinwürkt , so hätte
es nahe gelegen, darauf aufmerksam zu machen, dass in den finabätzen mit
wie eine solche Unbestimmtheit besonders stark hervortritt.
ECKHARDT PRAEFIX GE - BEI BERTHOLD 173
verringern, und jedenfalls genügt sie nicht, um die vorteile der
anordnung aufzuwiegen. — im zweiten, größeren teil der arbeit
wird das wandelbare ge- besprochen, die belege sind in eine
grofse menge von rubriken geordnet, und es ergibt sich, dass
die einzelneu Satzarten mit sehr verschiedener kraft das eintreten
des ge- begünstigen. — das urteil E.s über die einzeluen fälle
ist offenbar wol erwogen, und man gewinnt bald vertrauen zu
seiner fuhrung, namentlich wenn man sieht, dass er das un-
sichere auch unsicher nennt, trotzdem wird man gelegentlich
anderer ansieht sein können, als er. es scheint mir nicht richtig,
wenn E. s. 39 sagt, es sei zweifelhaft, ob wir das ge- beim
präsens als zum ausdruck zeitlicher Vollendung dienend auffassen
dürften, und wenn er nun diesen gesichtspunet gar nicht weiter
berücksichtigt, es sind mir augenblicklich keine belege zur band,
wo das ge- allein auf die bedeutung der zeitlichen Vollendung
zurückgeführt werden müste. aber ganz lehrreich scheinen mir
zb. die belege, die E. s. 55 angibt für durch so eingeleitete
temporalsätze, die einen allgemeinen gedanken enthalten. 24 mal
steht hier ge-, 188 mal das simplex; unter jenen 24 fällen sind
die meisten deutlich derart, dass die handlung des nebensatzes
als abgeschlossen betrachtet werden muss, wenn die handlung
des hauptsatzes eintritt, die beispiele ohne ge- führt E. nur bei
denselben verben an, die auch mit ge- vorkommen; unter den
41 fällen trifft noch nicht in einem viertel das gleiche zu. das
ist doch ein merkwürdiger unterschied!
Würzburg. Hubert Roettekei\.
Glareau. sein leben und seine Schriften. von Otto Fridolin
Fritzsche. mit einem porträt Glareans. Frauenfeld , Huber 1890.
vm und 136 ss. 8°. 3 m.* — Heinrich Loriti aus Mollis bei
Glarus, wonach er gewöhnlich Glareanus genannt wird, ist der
gröste unter deu Schweizer humanisteu. schon mehrfach hat er
biographische Würdigung erfahren, am ansprechendsten durch
HSchreiber, welcher in einer aus dem jähre 1837 stammenden
Freiburger uuiversitätsschrift dem verdien leb gelehrten ein wür-
diges litterarisches denkmal errichtet hat. seit Schreibers arbeit
hat sich das quellenmaterial beträchtlich erweitert, und F. hat
sich der mühe unterzogen, den an sehr verschiedeneu orteu zer-
streuten stoff sorgfältig zu sammeln und aus den zahllosen einzel-
heiten ein einheitliches bild zu gestalten, nach dem bekannten
Schema zerfällt die kleine Schrift in zwei grofse abschnitte, Gla-
reans leben (s. 1—82) und Glareans schrillen (s. 83 — 12G). elf
kleine anhänge beschliel'seu das gut ausgestattete werkchen.
Als knabe hatte Glarean das glück, den tüchtigen Rubellus
(Rölllin) in Rottweil zum iehrer zu haben, als ergänzung zu F.s
darstellung darf hier bemerkt werden, dass es nicht auffallend
[* Zeitschr. fiir vergl. litteraturKesch. 1890, -. 395 (LGeiger). — Litter.
ccntralbl. 1890 nr 41 (H.H.). — DLZ 1891 nrl2 (GKi iann).j
174 FRITZSCHE GLAREAN
ist, wenn damals ein Schweizer kuabe in dem von der Schweiz
abgelegenen Roltweil die lateinschule besucht; denn das jetzt
wiirttembergische Rottweil gehörte ehemals zur Schweizer eid-
geuossenschaft. seit 1506 an der Kölner hochschule immatriku-
liert, wird Glarean mit dem berühmten Hermann van dem Busche,
dem 'wanderprediger des humanismus', bekannt, was für sein
ganzes lebeu und für die richtung seiner Studien entscheidend
wurde, im griechischen war Joh. Caesarius sein lehrer.
Nach beendigung seiner Kölner lehrjahre beginnen die fast zwei
Jahrzehnte dauernden wanderjahre, die er zumeist in Basel und
Paris zubrachte, den lebensunterhalt gewann er während dieser
zeit hauptsächlich durch unterrichten junger leute, die bei ihm
wohnten, in Basel sprudelte sein ungezügelter geist nach poeten-
art gelegentlich einmal übermütig auf: er erschien in der aula
hoch zu ross, um die feindlichen Ordinarien und magistri zu
verhöhnen.
Anfangs wie fast alle humanisten für Luther begeistert, zieht
er sich im laufe der zwanziger jähre des 16 jhs., wie der von
ihm verehrte Erasmus, von der religiösen bewegung zurück und
bleibt der katholischen kirche treu, die einführung der refor-
matio in Basel vertreibt ihn 1529 nach Freiburg i/B., wo er
bis an das ende seines lebens ausharrt, er stirbt 1563, fast
75 jähre alt. während vieler jähre ist er die glänzendste leuchte
der Breisgauer hochschule, der gröste philologe, welcher zu
Freiburg im 16 jh. gelehrt hat. der humanist verwandelte sich
nämlich im laufe der jähre, dem gange der zeit folgend, in
einen ausgezeichneten philologen, der eine grofse auzahl clas-
sischer Schriftsteller seinen Zuhörern erklärte, edierte, mit com-
mentaren versah und ebenso eifrig für die realien der altertums-
wisseuschaft bemüht war. die fruchtbarste zeit seiner litterarischen
tätigkeit ist die Freiburger periode; F. verzeichnet 30 Schriften,
die zumeist in Freiburg entstanden sind.
Der verf. hat mit fleifs und Sorgfalt seinen stolT gestaltet;
manchmal freilich möchte man wünschen , dass wichtiges und
unwichtiges mthr geschieden wäre, weniger erhebliche angaben
dürften unbedenklich in die anmerkungen verwiesen werden, die
darstellung würde dadurch rascher und lebendiger geworden sein.
Nur selten stöfst man auf ungenaues oder unrichtiges, wenn
zb. s. 13 von dem bekannten pädagogen Sapidus angegeben wird:
'1538 professor in Strafsburg', so ist dazu zu bemerken, dass
Sapidus schon 1526 von Schlettstadt nach Strafsburg übersiedelte
und schon 1528 daselbst eine schule eröffnete; 1538 bekam er
dann eine lehrerstelle am gymnasium Sturms; vgl. die näheren
angaben bei CEngel Das Schulwesen in Strafsburg (Strafsb. pro-
gramm 1886) s. 47 und den wertvollen artikel Knods über Sapidus
in der ADB. — wenn sodann s. 40 Beatus Rhenanus kurzweg
als Rheinauer erklärt wird, so ist das unrichtig, denn der
FRITZSCHE GLAREA.N
175
eigentliche name war Bild, und die benennung Rheoanus rührt
davon her, dass die familie aus Rheinau stammte und in Schlett-
stadt Rinower genannt wurde, vgl. GKnod Aus der bibliolhek
des Beatns Rhenanus (Leipzig 1889) s. 1. — für Rudolf Agri-
cola (s. 2 anm. 6) wäre besser nicht auf den alten Jücher ver-
wiesen worden, sondern auf Aschbach Gesch. der Wiener Uni-
versität ii 141. — die form der Zusammenstellung von Glareans
briefen s. 133 ist wenig übersichtlich und recht unzweekmäfsig.
eine chronologische Ordnung würde die beuutzung dieses ab-
schnittes erleichtert haben. — auch sollte man sich jetzt all-
mählich gewöhneu , die falsche form Virgil durch die richtige
Vergil zu ersetzen, warum nicht das deutsche Bernhard (s. 12)
statt des französischen Bernard? auch ist in einer deutschen
darslellung die bekannte Stadt in Tirol 'Trient' und nicht
halb lateinisch 'Trident' zu schreiben, ganz bedenklich aber
ist die form 'abcopieren' (s. 64); copieren heifst schon 'ab-
schreiben'.
Diese unbedeutenden ausstellungen sind nicht im stände,
den wert der Qeifsigen und dankenswerten schritt zu vermindern.
Heidelberg. Karl Hartfelder.
Die Schrödersche bearbeitung des 'Hamlet' und ein vermutlich in
ihr enthaltenes fragment Lessings. von C. W. E. Brau.ns. Breslau,
LFreund. 1890. 35 m. 8°.* — die verf. ist der irrigen ansieht,
dass Schröders Hamletbearbeitung bisher von den litterarhistorikern
nicht beachtet worden sei. indessen hat BGenee sowol in seiner
'Geschichte der Shakespearischen dramen in Deutschland' (Leip-
zig 1870) s. 237 ff als in einem besonderen artikel der monats-
schrift Nord und Süd (m 398 ff) Untersuchungen angestellt, hinter
welchen B. weit zurückbleibt, der nicht einmal dir benutzuug
der Heufeldischen bearbeitung durch Schröder bekannt ist. auch
die Übersetzungen des Hamletmonologes findet man schon bei
Genee coufroutiert. dass die Übersetzung dieses mouologes in der
Schröderschen bearbeitung eine arbeit Lessings sei, ist ein ganz
leerer und windiger einfall der verf., welche sich weiter keine
mühe gibt, ihre Vermutung zu begründen. Heufeld hat auch
hier den text der Wielandschen Übersetzung mit den Üblichen
Varianten; mit Mendelssohns bekannter Übersetzung bietet die
Schrödersche keine Übereinstimmungen, nach Genee 23S wird
die erste ausgäbe der Schröderschen bearbeitung im Theater-
journal für das jähr 1777 dem Hamburger tbeaterdiebter IJock
zugeschrieben, und gerade der monolog 'sein oder uichtsein' als
probe mitgeteilt; eher als an Lessini: müsten wir also immer
noch an Bock denken. Gemmingen in seiner Dramaturgie schreibt
die Hamburger bearbeitung gar Boden zu. Schröder aber, im
dritten band t\<'± Hamburgischen tbeaters (s. \ ff) und in den briefen
an Gotter (107 — 1 151), nimmt für sich die ganze arbeil in ansprach,
* [vgl. Beil. zur allg. zeitung 1890 m 158 (L. 6.).]
176 BRAUNS SCHRÖDERS HAMLETBEARBEITUNG
mit ausnähme des totengräberliedes in der fassung von 1777,
welches von Bock gedichtet sei, der Übersetzer des monologes ist
also wol Schröder selbst, [vgl. jetzt auchShakespearejahrb.25,205ff.]
Wien. J. Minor.
Kleine Mitteilungen.
Zu Minnesangs Frühling 39, 19. die von Scherer wegen des dem
Wächter zugehörigen Weckrufs angenommene beeinflussung dieses
tageliedes durch die provenzalische alba hat W. de Gruyter Das
deutsche tagelied (Leipzig 1887) s. 5 dadurch widerlegen wollen,
dass er den w eckruf mit dem danach erwähnten vogelsang verband:
einem vorschlage Pauls Beitr. 2, 466 anm. folgend fasste er wan
als adversalivpartikel, wol wie Paul 'mit einer etwas elliptischen
ausdrucksweise: aber (du darfst nicht weiter schlafen; denn) uns
weckt leider bald ein vöglein', die recensenten de Gruyters,
Giske in der Zs. f. d. phil. 21, 243 und Boethe, hier im Anz.
16, 92, scheinen zuzustimmen, allein die Wortstellung ist völlig
gegen diese aufiassung; es müste heifsen wan unsich icecket leider
schiere ein vogelin oder wan ein vogelin wecket unsich; die frage-
stellung bei wan, das verb au der spitze, ist uubelegt und un-
glaublich, vgl. die beispiele des Mhd. wb.s und Pauls Mhd.
Gramm.3 § 185, wo richtig bemerkt ist, dass die reinen über-
gangspartikeln aber, wände (denn) , wan (sondern) die normale
Wortfolge nicht stören. E. Martin.
Zu Zs. 29, 456 ff. bereits Germ. 31, 327 ff habe ich zwei nachtrage
zu Laistners ausführungen über das sagenmotiv gegeben , dass
ein schiffer auf hoher see plötzlich angehalten wird und ins reich
des seekönigs hinabsteigen muss. einen neuen beleg finde ich
in der neunten erzählung: 'Ogni cosa e per lo meglio' des Libro
dell' Origine dei volgari Proverbii (Venedig 1526) von Cintio
dei Fabrizii, mitgeteilt vou Lemcke im Jahrb. für roman. und
engl, literatur i 312 ff, wozu noch die bemerkuug Brunets 1. c.
in 90 zu vergleichen ist.
Göttingen 19. 12. 90. F. Holthaüsen.
Aus Klagenfurter Handschriften, die Handschriften der k.k. studien-
bibliothek in Klagenfurt, etwa 400 an der zahl, sind bisher noch
keiner genaueren durchsieht unterzogen worden, obwol ein grofser
teil nicht unbeträchtlichen wert besitzt, bei der abfassung eines
cataloges dieser hss., der baldmöglichst publiciert werden soll,
fanden sich auch einige deutsche stücke, die der mitteilung nicht
unwert erscheinen.
In der papierhs. nr 58, die 1416 im stifte St.Paul geschrieben
wurde und aus dem jesuitencollegium in Millstadt nach dessen
auflösung in die Klagenfurter bibliothek gelangte, finden sich
fol. 69 hinter einem ausgedehnten lat. vocabularium von der hand
desselben Schreibers folgende verse:
KLEI.-SE MITTEILU.NGE.N
177
0 marter gros o wunden tieff o plutes chrafft o todes pitrewchait
her almechtiger vater hilf vns zu der ewigen salichait. Amen.
In gotes namen pin ich geporen
In gotes nam schol ich vffaren
In gotes nam schol ich ersten
mit seinem heiligen leichnam vnd mit seinem heyligen rasen-
varben plut schol mir mein sei ausgen.
Got gruz dich rainew Maria Rosen rot
Ich man vnd pit dich durch deines liben chindes tod
Daz vor dem hing an dem heyligen chrewz plut varbes rot
Daz du chunegin magt seist pey mir an meines endes not
Maria chunegin gib mir daz hymlisch prot
ein wäre rew , ein lawtrew peicht vor meinen tod. Amen.
Die papierhs. nr 96, 15 Jh., enthält die Summa confessionalis
des Antonius Florenlinus; in ihr deutsche glossen von zweiter
hand: fol. 33b phisonomia] ain angesicht oder phisonomy; fol. 34b
diuinatorem] war sager oder zawberrer; ut usus est ad sciendum
aliqua] kuntlich; fol. 36a cum falce messoria] ein mader oder ein
schniter; fol. I27a oblectamenta] trägkeil ; toi. 12Sa trisulcis Unguis]
die chunst behent rat zw geben.
Auf dem zweiten deckel der 1469 geschriebenen papierhs.
nr 104 befinden sich folgende glossen: Liber genesis. Das püch
der schephung. liber Exodi. Das püch des ausgangs der kinder
von israel. liber leuiticus. Das püch der briester. Über judicum.
Das püch der Richter, liber Ruth. Das puch der frauen. liber
Ecclesiasticus. Das püch der vppichayt. liber prouerbiorum. Das
puch der sprach, liber philippens. Das puch der versmachten,
liber appokalyps. Das püch der hamlichayt gots. liber chorinthios.
Das püch der herettici. ähnliche, teilweise ergänzende glossen
finden sich auf dem ersten blatte der 1450 geschriebenen papierhs.
nr 135, in der des Bartholomäus Pisanus Summa florum juris
canonici enthalten ist: Colocenses i. widerredent. Athenis. zue
den hohen priestern scheften. ad philippenses. zue den ver-
smachten. Corinlhios. zu den herrn. ad galathas. zue den
vbermuettigen. ad effesos. zue den zweifflern.
Die papierhs. nr 140 (16 jh.) enthält einige schritten des
Leonharcl Fronsperger. vor dem kriegsfeldbüchlein steht folgendes
gedieht, welches uns mitten in die wilde landsknechtzeit versetzt:
Wellicher dan nun lang wil leben
vnnd einen alten kriegsman geben
der bleib imerzu bey dem Hauff en
vnnd thue nit auf die Paith lauffen
Rlünder vnnd entblbfs khain weibs Person
vnnd mach Dir von iren klaider nichts an
So wirstu Glueckh vnnd allen Segen hau.
Interessant in verschiedener hinsieht ist die papierhs. 47.
sie enthält hinter der Summa florum juris canonici des Bartho-
A. F. D. A. XVII. 12
178 KLEINE MITTEILUNGEN
lomäus Pisanus einen kurzen lat. auszug aus diesem beliebten
werke, der aus dem jähre 1464 stammt und von dem Schreiber
der ganzen hs. zu Eberndorf in Kärnthen angefertigt wurde,
diese epitome bringt neben vielen andern deutschen Worten am
Schlüsse eine ganz artige blumeniese von schelmen- und vaga-
bundenbenennuugen. es handelte sich für den verf. der epitome
hauptsächlich um anführung der einzelnen arten von heretici
und aller jener handlungen, welche die kirchliche excommuni-
cation bedingen, im folgenden sollen die uns hier einzig interes-
sierenden deutschen glossen ausgehoben werden.
Es heifst also auf fol. 164a: Omnes heretici sunt et apostate. . . .
Item incantatatores. Czaubrerin, ansprecherin , Cuppier in, vor-
sagerin, lossarin, vnholdin. — heretici sunt, qui fendunt anegang
vnd hantgift, item qui faciunt EbenJenng fuzspar subenfufs vn-
genant vnmaine. Item qui . . . portant literas vel Sivert brieff. . . .
non debent sacramenta uti non ad ea ad quae sunt instilula sicut
aqua baptismi weychprun weychkertzen. . . . Item omnes qui tales
diuinationes i. warsag' in domibus eorum tenent. (fol. 164b) Item
omnes sacrilegi welcher kyrich pruchl aufferens sacrum de sacro. . . .
Item omnes blasphemantes maledicentes. dy do vbel sprechen lesternt
deum et sanctum nomen eius. . . . Item qui rectores ciuitatis. . . .
aussetzen super sacerdotes . . . et ecclesiarum exactiones sine licentia
sedis apostolicae. (fol. 165a) Item qui . . . vadunt ad spectacula
propria. zw tagwalt. . . . Item Omnes vsuarii faciunt contra
legem dei welcher kaüffel. . . . Item qui emunt vilius et vendunt
rarius welcher furchaufel. (fol. 165b) Item qui falsificant terminos.
Ayn aufgesetzte tzaychn Marchstain Czilstekn In wisen Ekkern
Weingarten. . . . Item qui apponunt valuis scheltbrieff. . . . Item
omnes obsessi lunatici. welcher mdniger vnsinniger demoniaci fre-
netici apopletici. . . . Item omnes qui sunt hystriones puebn.
Spiler zwleger. Swelher zwtrager wunscher gedencker Raytter wurfel-
leycher. Scholdrer vmbsetzer vnd ansetzer // pueben püebin auf-
macher per'ntreyber pheyfer fidler laulenschlaher Singer loterphaffen
Speckloter // (fol. 166a) Gawkler. Item Rassler Toppler Geyger Speher
Sneller Trincker lewchter Stewrer Raytter anchreyder // Güner mit-
halder anpringer Rayser. Swerer. Schelter lugner trugner pritzner
vmblauffer. . . .
In der papierhs. 2 aus dem anfange des 15jhs. steht nach
dem Explicit von der hand des Schreibers der hs. punthschuch.
Zum Schlüsse noch eine mitteilung aus der dem ende des
15jhs. entstammenden papierhs. 4. in diesem sammelcodex fehlen
leider die letzten blätter, die jedesfalls einen längeren deutschen
tractat über die sacramenle enthielten, am ende des letzterhaltenen
fol. 445b stehn von der hand des letzten Schreibers der hs. in
roter tinte die worte:
Vom Sacrament.
Darumb solt man die leute also fragen wen yemands zum
KLEINE MITTEILUNGEN 179
Sacrament wolt gen: Au ff erst was das Sacrament sey. Da solt
er antwurten: Die wort sind das Sacrament, so Christus ver-
sprochen hat ym abentessenn: Nempt hyn das ist mein leib der
für euch dar geben wird. Das ist mein bluet das für euch ver-
gossen wird zu vergeben der sunde. Dar nach das er zu den
Worten, das brot vnd wein hat ein gesetzt vnter welchem sein fleisch
vnd bluet ist. zum warzaichen vnd sigl. das die wort icar sind.
so frage den weiter. Wo zu sind der selbigen wort guet die Christus
da redet vnd warzaichen.
Klagenfui t , anl'aug november 1890. Dr Richard Klklla.
UNGEDRfCKTE BRIEFE VON JACOB GRIMM.
Die Stadtbibliothek in Aachen bewahrt drei bisher unbekannt
gebliebene briefe von Jacob Grimm an August freiherrn von Fürth
aus den jähren 1835 und 1839, welche der mitteilung nicht unwert
sind, weil sie einen wenn auch kleinen beitrag zu der entstehungs-
geschichte der Grimmschen 'Weistümer' liefern. AvFürlh ist be-
kannt als verf. der schrift über die 'Ministerialen , welche Grimm
in dem zweiten der hier zum abdruck gebrachten briefe eine schöne
und belehrende abhandlung nennt, er war 1812 in Aachen ge-
boren, hatte seit dem herbste 1829 in Heidelberg die rechte studiert
und war dann nach München gegangen, im august 1846 ist er
hier zum grofsen bedauern der vielen, welche sich durch das er-
scheinen der genannten schrift zu grofsen erwartungen berechtigt ge-
glaubt hatten, im jugendlichen alter von 'SA jähren an einem brust-
leiden gestorben.
Der zweite teil der Weistümer ist bekanntlich im jähre 1840
vor dem ersten erschienen; die vorrede ist datiert vom 7 december
1839. Grimm hat die absieht gehabt, in der einleitung zu dem
fünften teile, welcher die Sammlung beschliefsen sollte, sowol natur
und alter der weistümer als auch die bereicherung , welche aus
ihnen nicht nur für die rechtsaltertümer, sondern auch für die
künde der deutschen spräche, mythologie und silie /loss, zu erörtern;
zweifellos würde er in dieser einleitung auch seiner mitarbeitet
gedacht haben, allein der tod rief ihn ab, ehe er hand an dieses
vorhaben legen konnte, der hinterlassene fünfte tri/ der Weistümer
wurde 1866 von HSchröder herausgegeben, wozu 1869 noch ein
sechster kam.
Aachen, im november 1890. Dr E. Fromm.
Vereinter Herr,
Bei meiner Rückkehr von einer Ferienreise fand ich ihre
schätzbare Zuschrift vor. Der Beifall und die Theilnahme, welche
180 DNGEDRUCKTE BRIEFE VON JACOB GRIMM
Sie meinen Bestrebungen angedeihen lassen, und die gütige
Unterstützung, welche Sie mir für einen Theil derselben ver-
heissen, kann mir nicht anders als willkommen sein.
Nach Ausarbeitung meiner Mythologie, die vor einigen
Monaten erschienen ist, hoffe ich neben Beendigung der Gram-
matik auch Mufse für Herausgabe der Weisthümer zu erübrigen,
die mir sehr am Heizen liegen und von deren Wichtigkeit ich
mich je länger je mehr überzeugt habe.
Beiträge von Ihnen, gleich dem bereits mitgetheilten Stück,
wofür ich ergebenst danke, sollen mich sehr freuen; der Druck
wird kaum vor nächstem Sommer beginnen, und da ich die Samm-
lung nach Ländern ordne, und mit Süddeutscbland beginnen
werde, so ist Ihrer Güte ein noch weiteres Ziel gesteckt. Mit
vollkommenster Hochachtung
Göttingen 28 Oct. 1835. Jacob Grimm.
P. S. meine Mythologie p. 330 berührt einen altcölnischen
Brauch. Sollten von ihm noch in späterer Zeit Spuren vor-
handen sein?
ii.
Hochgeehrtester Herr Begierungsrath,
Vor mir liegt Er. Hochwolgeboren Zuschrift vom 7 oct. 1835,
worin Sie für meine schon lange vorbereitete samlung deutscher
dorfweisthümer ungedruckte beitrage mir zu verheissen die gute
hatten, ich zauderte damals nicht, dieses erbieten anzunehmen,
und vermutete seitdem, dass Sie durch dienstgeschäfte oder andere
literarische arbeiten von erfüllung jener Zusicherung abgehalten
wurden. Ihre schöne und belehrende abhandlung über die
ministerialen war mir beweises genug dafür, dass Ihr lebhaftes
interesse lür deutsche rechtsalterthümer nicht ab sondern nur
zunehmen könne.
Gegenwärtig bin ich nun willens meine reich angewachsene
samlung in einigen bänden herauszugeben, ich habe noch jüngst
die reichlichsten miltheilungen dafür erhalten, und darf hoffen
unserm vateiländ. recht einen bedeutenden dienst zu erweisen.
Hr. Minister von Kamplz unterstützt mein vorhaben auf das
wirksamste. Darf ich mir nun jetzt die anfrage erlauben, ob Sie
die gewogenheit haben wollen mir ungedruckte weisthümer aus
dem Cölnischen und der benachbarten gegend zu überlassen? Ich
bin sehr reich geworden an Trierischeu (weniger an Mainzischen)
und besitze auch durch Rindlinger's Papiere manches aus dem
Cölnischen; doch zweifle ich nicht, dass Ihnen ein volleres und
gesicherteres material in bezug auf Cöln zu gebot stehen wird.
Wenn ich binnen 3 — 4 monaten dieser miltheilung eutgegen-
sehn dürfte, würde ich sie dann gleich unmittelbar in den druck
zu geben hoffen. Den ersten band sollen die schönsten öfnungen
aus der Schweiz, aus Schwaben, dem Elsass, Franken und viel-
leicht der Wetierau beginnen.
INGEDRUCKTE BRIEFE VON JACOB GRIMM 181
Mit vollkommenster Hochachtung hahe ich zu sein die ehre
Er. Hochwolgeboren
Cassel, 5 febr. 1S39. ergebenster Diener
Jacob Grimm.
Er. Hochwolgeboren
belieben aus den einliegenden drei, etwas unordentlich gemachten
Verzeichnissen, zu sehn, welche weisthümer mir für das gebiet
von Achen , Jülich und Cöln zu gebot slehn, und wo es Ihnen
leicht sein wird nachzuhelfen, von dem bei Ritz gedruckten habe
ich nichts angeführt. Da sich in der Eifel die grenzen von Cöln
und Trier oft berühren, habe ich absichtlich auch die namen
einiger w. aus der gegend von Manderscheid und Blankenheim
genannt, doch die Prümischen übergangen, an denen ich besonders
reich bin.
Es hat mir nemlich geglückt , die schöne Beyersche saml.
mit der meinigen zu vereinen, und schon sind die Trierer weisth.
im vollen druck.
Hottenbach, Dreiborn und Hoff, deren Dir früherer briet
gedachte, habe ich; doch von Conzen und Cornelismünster
dürfte ich mir die Vervollständigung der Ritzischen abdrücke aus-
bilten ; auch Buchholz 1470 und Sendersdorf 1576, so wie was
Ihnen unter den Jülichschen buschordnungen bedeutend erscheint,
oder was Sie sonst mittheilen mögen und können.
Vorläufig meinen verbindlichen dank, unter Versicherung
vollkommner Hochachtung und ergebenbeit
Cassel 1 Jul. 1839. Jacob Grimm.
Noch einmal das indogermanische gemjs.
Brugmann hat Beitr. 15, 523 ff meine bemerkungeu über
das grammatische geschlecht der idg. sprachen (Einleitung zum
3 bände des neudrucks der Grimmschen Grammatik s. xxi ff) in
einem tone herablassender Überlegenheit beantwortet, der mir
den entschluss einer entgegnung um so mehr erschwert hat, als
Brugmanns aufsatz irgend einen sachlichen anlass, die discussion
wider aufzunehmen, nicht enthält, denn die Selbstzufriedenheit
meines geguers tritt nicht zum wenigsten in der vollständigen
inhaltlosigkeit dieses aufsatzes zu tage; er hat sich schwerlich die
mühe geuommen,die frage nochmals prüfend durchzudenken, aufser
einem unwesentlichen hinweis auf Job. Schmidts Idg. neutra bringt
er nichts, aber auch nicht das geringste sachlich fördernde vor;
in der annähme, ich habe seine ansieht nicht richtig verstanden
oder nicht richtig dargestellt, begnügt er sich, genau dasselbe
zum dritten mal zu widerholen, was er nun schon zwei mal aus-
einander gesetzt bat; ich inuss wol sehr verstockt sein, dass ich
dieser beharrlichkeit zu widersteht) vermag, trotz alle dem glaube
182 -NOCH EINMAL DAS INDOGERMANISCHE GENUS
ich ein erstes und letztes mal erwidern zu sollen, damit mein
schweigen der Sicherheit gegenüber, die Brugmann zur schau
trägt, nicht falsch ausgelegt werde.
Ich hatte ausgeführt, dass die personificierende geschlechts-
auffassung, die Humboldt aus dem grammatischen genus unserer
spräche erschloss, genau zu dem stimmt, was uns psychologie,
poesie, mythologie und ethnologie auch ohne die spräche als die
wellanschauung unserer ahnen erweisen, dass Brugmann solchen
allgemeinen erwägungen nicht zugänglich sein, dass sie auf ihn
als phrase, als Meere declamation' würken würden, darauf war ich
gefasst; ich schrieb ja nicht nur für ihn. er glaubt sich jedes
eingehn auf diese dinge durch die Versicherung ersparen zu können,
er habe sich das alles 'und noch einiges andre' längst selbst
gesagt, wie er trotzdem die von mir gekennzeichnete kritik der
Grimm -Humboldtschen ansieht in Techmers Zeitschrift 4, 100 ff
hat schreiben können, ist mir damit freilich zum psychologischen
rätsei geworden, diesmal drückt sich B. immerhin vorsichtiger
aus und zieht namentlich den mythologischen excurs jenes ersten
aufsatzes im wesentlichen zurück: auch scheint er jetzt einzusehn,
dass anthropomorphische anschauung ohne geschlechtserteilung
nicht denkbar ist: so ganz überflüssig muss meine darlegung doch
also auch für ihn nicht gewesen sein, wenn er nun freilich, oben-
drein durch eine äufserung von mir veranlasst, neben dem an-
thropomorphismus auch noch den'theriomorphismus' berücksichtigt
wünscht, bei dem die sexualisation nicht so selbstverständlich ist,
so erklärt sich dieser einwand einzig und allein aus dem be-
streben, der Grimm-Humboldtschen erklärung des grammatischen
geschlechts eine neue künstliche Schwierigkeit zu schaffen; sollten
die erwägungen, die B. längst selbst angestellt hat, ihn würklich
nicht belehrt haben, dass naive belebung die umgebende natur
ursprünglich und weit vorwiegend vermenscht, nicht vertiert?
wird doch das tier selbst nach menschlicheu motiven beurteilt
und wol gar als eine art mensch, etwa als ein verzauberter
mensch, augesehn.
Ich hatte ferner die äufserliche B.sche ableitung des gram-
matischen geschlechts aus ein paar misverstandenen Suffixen da-
durch als unzulänglich zu erweisen gemeint, dass ich auf die
gleichartige geschlechtsanwendung in nicht-idg. sprachen hinwies,
auch hier macht es sich B. sehr leicht, über meinen einwand
hinwegzukommen: er verzichtet einfach auf die berücksichtigung
jener anderen sprachstämme, weil sie zu 'verschiedene wege gehn'.
gerade diese 'verschiedenen wege' beweisen, dass das grammatische
geschlecht nicht aus Zufälligkeiten der laut- und flexionsgeschichte
zu deuten ist, sondern aus der menschenseele heraus, die in
den verschiedensten sprachen dieselbe geistige anschauungsform,
wenn auch in verschiedenster weise, zum ausdruck bringt, die
frage nach der entstehung des grammatischen geschlechts ist eben
NOCH EINMAL DAS INDOGERMANISCHE GENUS 183
keine rein grammatische oder gar lautliche, es ist eine eminent
psychologische frage, und wer üher sie mitreden will, hat nicht
das recht, sich mit hewustsein den horizont zu verengern.
Also auf meine positiven darlegungen lässt sich B. kaum
ein. statt dessen heschuhligt er mich lieher, ich habe das ganze
prohlem aus dem richtigen gleis geworfen , sehe als bewiesen an,
was zu beweisen war; er wirft mir unsolidität vor, da ich seine
hypothese über die bedeutung des suffixes a nicht widerlegt habe,
und hat sogar die gute, mir den, übrigens ungangbaren, weg
zu zeigen, auf dem ich ihn hätte widerlegen müssen, ich kann
mir diese polemik, die den Sachverhalt einfach auf den köpf stellt,
nur so erklären, dass B. iu den langen jähren, seit denen ei-
serne hypothese über das grammatische geschlecht mit sich herum-
trägt (seit '1875 oder 1876'), durch die macht der gewohnheit der-
mafsen in den bann dieser hypothese geraten ist, dass er sie von
historischer Wahrheit nicht mehr zu unterscheiden vermag, denn
es ist eine behauptung ohne jeden schatten eines beweises, wenn er
sagt, dass die erklärung des grammatischen genus abhänge von der
erklärung der suffixe ä und ie ; ich wäre von selbst gar nicht auf
den gedanken gekommen, B. könne in dieser ohne jede ernstliche
begründung hingestellteu Vermutung mehr sehn als einen Vorschlag
zur gute, einen unmafsgehlichen versuch, eine möglichkeit. aber
nein ! von dieser seiner annähme vermag er nicht loszukommen, von
ihr wird sein ganzes denken dermafsen beherscht, dass er sich be-
rechtigt glaubt, als ich von 'sprachlichen Zeugnissen' für personi-
fizierende geschlechtsanschauung rede, mir für 'sprachliche Zeug-
nisse' ohne weiteres 'suffix ö' zu substituieren, nun lehren uns
nicht-idg. sprachen mit grammatischem geschlecht, dass das geschlecht
sich keineswegs notwendig im suffix auszuprägen braucht; ja iu den
idg. sprachen selbst decken sich geschlecht und sullix bekannt-
lich durchaus nicht immer, und es wäre an sich sogar denkbar,
wenn ich es auch nicht für wahrscheinlich halte, dass das suffix <7
würklich einmal mit der geschlechtsbezeichuung nichts zu tun
hatte, ohne dass dieser umstand die trage nach der entstehung
des grammatischen geschlechts irgendwie tiefer berührte, denn
ein viel wertvolleres Zeugnis für das grammatische genus gibt zb.
die anwendung der geschlechtigen pronomina ah. wenn die idg.
sprachen dieselben pronominalen bezeichuungen, zb. 'er' und 'sie',
mit denen sie mann uud frau unterscheiden, in reichem mafse
auch auf andere begriffe als aut persönliche und tierische an-
wenden, obgleich sie daneben ein sächliches prouomen zur ver-
fugung haben, so wird der unbefangene torscher zunächst sich
fragen, ob die menschen, die so sprachen, nicht würklich das
gemeint haben können, was sie sagen, ob sie Dickt würklich
in jenen syntactisch als männlich und weihlich behandelten be-
griffen ursprünglich etwas dem manu und dem weih analoges
gesehn haben, erst wenn sich diese möglichkeit als unhaltbar
184 NOCH EIMMAL DAS INDOGERMANISCHE GENUS
erweist, erst dann gewinnen hypothesen eine existenzberechtigung,
die die vorliegenden tatsachen aus äufserlichen Übertragungen,
niisversläudnissen uä. erklären; man macht keine conjectureu, so
lange der überlieferte text sich ohnedem verslehn lässt. auch B.
schien mir in seinem ersten aufsatz noch selbst dieser meiuung
zu sein: da sucht er wenigstens zuvorderst zu zeigen, dass die
annähme, würkliche geschlechtsanschauung liege dem grammati-
schen genus zu gründe, unmöglich sei; und dann erst trägt er
Vermutungen darüber vor, in welcher richtung eine andere er-
klärung wol zu suchen sein möchte, wenn ich also dieGrimm-Hum-
boldtsche ansieht, die aus der spräche schlicht herausliest, was sie
würklich ausspricht, als psychologisch höchst einleuchtend erwies,
so waren damit B.s hypothesen erledigt, da sie überflüssig wurden:
einen andern gegenbeweis verdienen weder noch ermöglichen ihn
behauptungen , die ungefähr ebenso bewiesen und ebenso un-
widerleglich sind, wie die hypothese, der dichter des Nibelungen-
liedes habe Heinrich von Ofierdingen geheifsen.
Göttingen, 7 april 1891. G. Roethe.
Mercurius Hanno (vgl. Zs. 35, 207).
Was der name Hanno bedeutet, lehrt altn. hannarr 'geschickt,
kunstfertig' und weiter griech. xovvelv 'kennen', ir. conti, con
'sensus, sententia, ratio, intellectus', connaidhe 'sollers, callidus'
sammt den gall. eigennamen Connius, Connonius; vgl. Glück Die
kelt. namen 68. ein beiname Wodans mit der bedeutung 'der ver-
ständige' oder 'der geschickte' entspräche ganz den Vorstellungen
von dieser gtfttheit ebenso wie denen von Mercurius und Hermes;
auch vom gallischen Mercur berichtet Caesar B. g. vi 17: hunc
omnium inventorem artium ferunt.
Wien, 26märzl89l. Rudolf Müch.
Berichtigung zu Zs. 35, 17t5: aus versehen habe ich zu Hilde-
brandslied v. 39 dinu vor speru als in der hs. fehlend bezeichnet.
Max Roediger.
Zu dem artikel 'Belisars ross', speciell zu s. 239 seien zwei
zusätze gestattet, der bergname Sternhelle wird auch ' Stirnhelle'
geschrieben, was zu s. 240 unten vortrefflich passt: die aus-
spräche im volksmunde ermöglicht keine entscheidung, und ur-
kundliche belege fehlen wie bei bergnamen so oft. ist das wort
alt, so muss es natürlich als * Stirnheide aufgefasst werden. —
zur deutung von Balhorn füge ich als nächste parallelen die Orts-
namen Weifsenhom (Oberschwaben) und Blankenhom (in familien-
namen erhallen). Sch.
Für deutsche philologie habilitierte sich in Bern dr SSinger.
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTHUM UND DEUTSCHE UTTERATUR
XVII, JULI 3 1891
Georg Holz, Urgermanisches geschlossenes e und verwandtes, beitrag zur
laut- und flexionslehre des germanischen. Leipzig, GFock, 1890.
m und 49 ss. gr. 8°. — 1,50 m.*
Zwei ebenso wichtige wie schwierige fragen der germani-
schen Sprachgeschichte, die entstehung des e in Wörtern wie
her, hier, und die ersetzuug der got. reduplicierenden praeterita
durch ablautende im nordischen und westgermanischen hat H.
in dieser schrift zu beantworten gesucht, der Zusammenhang
beider aufgaben ergibt sich aus der tatsache, dass eben jenes
rätselhafte e auch in verbalformen Avie slep, schlief, erscheint. —
die einleitung erörtert in kürze den unterschied zwischen diesem
und dem offenen e (te), das bereits aus idg. urzeit überkommen
zwar im gotischen mit dem geschlossenen e zusammenfiel , in
den übrigen germ. dialecten dagegen zu ö wurde — so fasst H.
mit recht den hergang im gegensatz zu Bremer und Siebs — ,
um dann im anglo- friesischen , wofern es nicht erhalten blieb,
vor nasalen in v, sonst in w, e überzugehn.
Im ersten teile seiner abhandlung betrachtet H. zunächst die
einzelneu Wörter mit wurzelhaftem e ausschliefslich der genannten
praeterita, und kommt zu dem ergebnis, dass e aus betontem i
vor suffixalem r, vor zd und vor y entstanden sei, sich stützend
auf die beispiele her zu hi-; fera, seite, gegend, zu g. fijan,
hassen1; ahd. zeri, schön, zier, zur wz. dei; ahd. wera, feines
gold, zur wz. wei; ahd. skeri, schnell, aus *skeriaz, *skerios (zu
abulg. skorü , vgl. auch an. skjarr, furchtsam); ahd. gimierit, ge-
landet, befestigt, — an. Xty. bei Olfrid — zu ai. minöti, lat.
moenia, mürus, an. meidr, pfähl, stange, bäum; ae. med, ahd. meta,
lohn, miete, = g. mizdö (wo ae. meord die alte suffixbelonung
bewahren soll); — und endlich für y: ahd. kreg, stiagil und
schiec, die in den anderen dialecten und z. t. im ahd. selbst i-
und ei- formen neben sich haben, leider hat H. hierbei eine
anzahl tatsachen übersehn, andererseits, ohne die bereits vor-
handene litteratur gehörig zu berücksichtigen, erklärungen auf-
gestellt, die alles eher als überzeugend sind, ich führe kurz
vor, was ich im einzelnen einzuwenden habe.
* vgl. Litt. centralbl. 1891 nr5 (OBremer).
1 der verweis auf dlsch. gegend (vgl. auch frz. contrve) macht jedoch
diese kühne etymologie nicht gerade viel wahrscheinlicher.
A. F. D. A. XVII. 13
186 HOLZ URGERM. GESCHLOSSENES E
Unter den as. beispielen fehlt die nebenform hlr , die,
häufig im Heliand überliefert, auch durchs mnd. und nnd.
bezeugt wird und sich zu her verhält wie ae. wir, tir zu
ahd. wera, zeri. — an. here für here, hase, brauchte nicht
aufgeführt zu werden, da es offenbar nur die späte dehnung
in offener tonsilbe zeigt; el, hagelschauer, ist nicht 'besser
el zu schreiben' (s. 4), da die quantität durch die Schrei-
bungen iel, eil wie durch neunorweg. el, cel bewiesen wird,
und gehört auch gar nicht ursprünglich zu den ja- stammen,
wie H. mit Noreen angibt; vgl. Wimmer, Fornnordisk formlära
s. 50, b): 'Som kyn böjas ätskilliga ord, som hafva kort rot-
stafvelse: .... likaledes stundom el, hagelstorm (vanligen efter
§ 34, a)\ dh. wie ord und land; und s. 51 oben: 'Endast el
afviker genom att böjas som ord met kort rotstafvelse ; men det
är urspruugligen a-stam og böjas blott sällan som ./ö-stam'. viel-
leicht ist es nach analogie von hregg , stürm, in diese classe ge-
raten? da das wort von schwed. il, ilning, windstofs, Windsbraut,
dän. Hing, regenschauer, und unserem eile kaum zu trennen sein
dürfte, vermute ich entstehung am*iplo-, vgl. mel aus * midi. —
vela, betrügen, hat bereits 1884 Bugge im Ark. for nord. fll.
2,352 richtig aus *wihlan zu lit. velkti, velkalas, vekd = an.
veig, erklärt, worauf sich H. s. 4 hätte berufen sollen1, auch
an. heia, reif, ist von Bugge s. 355 ansprechend aus *hehlö,
*hihlö = skr. cicira-, kühle, kälte, frost, abgeleitet worden, sodass
sich H. seine zurückführung auf *hvela, ablautend mit lit. szalnd,
abulg. slana besser erspart hätte, endlich vel(i), schwänz, von H. zu
lit. valal gestellt, wird auch wol sein e (nicht cel) mit recbt haben,
wie neunorw. vele, vile, vyle bei Aasen, Norsk ordbog s. 9 17 b, be-
weist, dieser vergleicht nhd. wedel (ahd. wedil, wadal, von Kluge
zu wehen gestellt), was aber kaum richtig sein kann, da man
dann ce erwarten würde, ich möchte es zu der von Kluge unter
weich und ivinken besprochenen wz. wik stellen und aus einem
urgerm. wihlo- erklären. — Wieland heifst im an. nicht Volundr
(s. 12), das H. einem im urgerm. 'in anlehnung an das sinn-
verwandte wera (feines gold)' in Weland umgewandelten *Waland
gleichsetzt, sondern Vehindr (vgl. Sijmons in Pauls Grundriss n l
s. 61) für älteres *Velundr. — an. hvdrr = g. hwapar zeigt nicht
dehnung vor r (s. 16), sondern ä ist hier aus ap entstanden,
vgl. Noreen, Altn. gr. s. 42, § 104, 3. — zu ae. scdf, schief, ver-
misst H. s. 6, anm. 2 'einen authentischen beleg'; ein blick in
Sweets Oldest english texts p. 645 b hätte ihm 3 alte glossen-
belege verschafft. — ahd. gimierit halte ich für einen blofsen
Schreibfehler statt gimerrit, veranlasst durch das vorhergehnde
reim wort gifierit, dem es, vielleicht um einen zweisilbigen reim
1 jedoch kann ich B. nicht beistimmen, wenn er ein zweites vela = ae.
wil, lit. vylius annimmt, da sich e aus i in keiner weise erklärt, im ae.
kann, wie H. richtig bemerkt, vor / ein h geschwunden sein.
HOLZ URGERM. GESCHLOSSENES E 187
zu schaffen, angeglichen wurde, es gehört zu merren = g. marz-
jan, vgl. Frauck, Etymol. woordenb. unter marren und meren. —
mit dem auffälligen as. ttnöJi, lernen, wird H. (s. 18 anm.) ein-
fach dadurch fertig, dass er es für 'eine graphische Variante' von
Union erklärt; km, kien, aber ist (ebenda f.) ein lehnwort aus
lat. cinis 'asche', oder vielmehr aus roman. cenisll — einspruch
erhehen möchte ich endlich noch gegen die annähme (s. 9), dass
das a von g. par und hwar gedehnt sei, sowie gegen die gleich-
setzuug von an.hcell, ferse, mit lit. kuhiis (s. 17), wo dasselbe
Verhältnis obwalten soll wie zwischen heia und szalnd. wie ae.
höh, heia heweisen, war vielmehr die germ. grundform *har]Xilaz,
vgl. Kluge in den Engl. stud. 9, 312.
Um vieles andere zu iibergehn, das auch zum Widerspruch
herausfordert, will ich nur die unglaubliche bedingung hervorheben,
unter der betontes i^> e werden soll: wenn nämlich das folgende
r uvular war (s. 15). das ist doch ein zu verzweifeltes aus-
kunftsmittel, um nur im geringsten wahrscheinlich zu sein ! in
kreg, stiagil und schiec1 hat dann das ähnlich articulierte y die-
selbe würkung gehabt (s.20). dass dies e mit deri-reihe irgendwie
zusammenhängt, ist aufser frage; jedoch kann ich H.s erklärung
ebenso wenig für die richtige halten als die neuerdings vonSchrader
in Bezz. Beitr. 15, 131 nach Mahlows vorgange aufgestellte, der
sich auch Kluge in Pauls Grundr. i 356 anschliefst: dass er aus
ijar entstanden sei. auch Jellineks ausfuhrungen Beitr. 15, 297,
der e < ei erklären will, sind mir nicht überzeugend.
Im zweiten teile seiner schrift geht H. auf die Umgestaltung
der ursprünglich reduplicierenden praelerita ein. nach einer be-
trachtung der Schicksale des idg. perfects im germanischen, wobei
leider die wichtige abhandlung von Ljungstedt: 'Anmärkningar
tili det starka preteritum i germanska spräk', Upsala 1887 (er-
schienen in 'Upsala universitets ärsskrift, 1888') keine beachtung
gefunden hat, bespricht II. die im ae. und alem. erhaltenen reste
reduplicierender bildung. ich freue mich diesen auseiuander-
setzungen 'fast durchweg beistimmen zu können2, uur glaube
ich nicht, dass got. ai- in der reduplic.-silbe noch das idg. e ist,
welches wegen der unbetontheit nicht > i geworden sei (s. 25);
im gol. ist jedes idg. e ^> i übergegangen, und somit kann ich
nur bei der alten erklärung bleiben, wonach dies ai < (<e
vor /(, lue und r lautlich entwickelt auf alle anderen lalle übertragen
wurde. — H. wendet sich sodann gegen die von Hoffory und mir
KZ 27, 593 If, 618 ff aufgestellt«' deutuog des ablauts a — e und
1 wiege, das H. als zu spät bei seite lässt, hatte wenigstens im nd.
auch c, wie Soester väiyo beweist.
1 meine KZ 27, 621 anm. 2 etwas voreilig ausgesprochene erklärung
von aUd.steroz usw. als neubildung nehme ich gern zurück und glaube,
dass OsthofT mit den von H. gegebenen correcturen das richtige getrotTen
hat. Zarnckes ansieht, das ;• sei in diesen formen nur hiatosdeckend (s. Beitr.
15,350), kann ich demnach nicht beitreten.
13*
188 HOLZ URGERM. GESCHLOSSEISES E
ä — e, wofür er eine andere erklärung versucht, er geht von
der reihe au — eo aus, wobei er in derselben weise verfährt wie
ich aao.1 und auch Übertragung auf die ö-verba annimmt, sehr
einleuchtend ist die annähme, dass doppelformen mit und ohne
rednplication die ausbreitung des typus vermittelten, auch für
die aj-verba schliefst er sich meiner erklärung an; der praet.-
vocal e wurde dadurch verbreitet, dass er sich bei den «-verben
(g. letan) in unbetonter silbe hielt, da nur betontes ce westgerm.
und nord. > ä wurde, diesen gedanken hat auch inzwischen
Kluge in Pauls Grundriss i 356 ausgesprochen , wo er meine,
wie ich jetzt glaube, verfehlte annähme eines ursprünglich germ.
ablauts ce — e in g. slepati — saislep glücklich umdeutet, den
letzten entscheidungspunct für den neuen ablaut findet dann H.
(s. 36) in ahd. erjen — iar, indem er mit Bremer ein hochstufiges
präsens *ceran neben tiefstufigem *arjan (vgl. die auffassung von
got. tekan — an. taka s. 37 gegenüber Hofforys darstellung) an-
nimmt, dessen praet. *ewra ^> *era > er, iar war. dies Ver-
hältnis soll nun auch auf die übrigen ö?-verben ausgedehnt und
vermittelst doppelformen wie *lel(Bta:*leta = *heheta:*heta auf
die ae-reihe übertragen worden sein. — für die a-verba bildet
g. alßan den ausgangspunct: * ealp wurde zu elp , und darnach
held usw. H. hält die länge für das ältere, die ursprünglich vor
liq. nas. -j- cons. verkürzt wurde (as. held), vor doppel-liq. nas.
blieb, während Vereinfachung des cons. eintrat (ahd. fialun). später
traten dann in den einzelnen sprachen wider ausgleichungen
ein. ich gebe auch dieser erklärung gegenüber mit vergnügen
meine frühere auf, möchte jedoch bemerken, dass vielleicht die
reihe ä — e zum Zustandekommen dieser vorbildlich und fördernd
beigetragen hat. für verfehlt halte ich nur die ableitung von
an. hjö <C *heggw, *hjogg (s. 40); die parallele * steig >> ste,
* laug >> 16 ist abzulehnen, hjö ist durchaus wie hlj'öp zu er-
klären, vgl. das westgermanische.
Bleiben noch die ursprünglich unthemat. stamme mit langem
wurzelvocal. die auseinandersetzungen darüber sind "klar, ver-
ständig und methodisch, ahd. skrirum fasst H. als redupl. bildung,
nicht als sigmat. aorist, und möchte das schwierige biruwun (zu
büan) damit zusammenbringen, wenn auch die alten Verkehrs-
wege verschüttet sind.
Zum schluss kommt H. auf das Verhältnis dieses e zu dem
im 1 abschnitt — weniger glücklich, wie ich meine — behan-
delten zu sprechen, ersteres brauche nicht mit letzterem identisch
1 die gleichzeitig erschienene schrift von Ottmann über die redupl. praet.
kenne ich nur aus der kurzen anzeige Behaghels Litteraturbl. 11, 284, der
meine auffassung als 'vom standpunct der methode verfehlt' bezeichnet,
ebenso wenig aber Otlmanns erklärung von hloufan-hleof nach aukan-eok
für richtig hält, dieser 'sein eigener gedanke' ist aber doch gerade meine,
resp. Hofforys idee! vgl. jetzt auch Jahresber. der germ. phil. 12, 16 nr78.
HOLZ URGERM. GESCHLOSSENES E 189
gewesen zu seiu, war wahrscheinlich sogar offener, fiel aber
nicht mit ä = idg. e zusammen , da dies bereits in ä über-
gegangen war. aus der ahd. diphthongierung > ea geht sein
offener laut deutlich hervor (s. 49). eine schöne stütze erhält diese
ansieht durch die betrachtuog der roman. lehnwörter: 'westgerm.
gab es ... . wider 2e, ein geschlossenes aus dem urgerm. stam-
mendes, und ein neu entwickeltes offenes; die e-laute damals
aufgenommener roman. worter fanden also ihre volle entsprechung
(1 periode). späterhin ward urgerm. e auf ahd. boden ebenfalls
offen, das roman. geschlossene e fand also keine genaue ent-
sprechung, deshalb ward ihm 1 substituiert (2 periode)'. —
Ljungstedt hat in der oben genannten schrift ganz neue und
sehr beachtenswerte ansichten über diese praeterita vorgetragen, die
Noreen in Pauls Grundriss i 511 bereits als richtig annimmt,
nach ihm hat das germ. praet. nicht blofs im idg. perfect, sondern
auch im imperf. und aorist seinen Ursprung; hier stand oft tief-
und mittelstufen-vocalismus, daher erklären sich formen mejök
als ablau t. L. zieht in reicher fülle die von H. gar nicht be-
achteten abweichenden formen der skand. dialecte älterer und
neuerer zeit heran (vgl. auch mhd. luffen, geloffen) und be-
trachtet die sache von einem ganz auderen standpunet. seine
ebenso gelehrten wie scharfsinnigen 'Anmärkniugar' seien der
beachtung aller germanisten und Sprachforscher empfohlen; manches
ist recht plausibel, vieles auch kühn, sehr kühn! ich kann im
rahmen dieser bereits etwas lang gewordenen anzeige nicht näher
auf die frage eingehn. auf Kluges darlegungen in Pauls Grund-
riss habe ich bereits hingewiesen; hier sei noch an die mögliche
erklärung von ae. weoldun <C *weuldun, weopun < *weupun —
also alter ablaut! — (s. 374) erinnert, vgl. auch Siebs über
die fries. formen ebenda s. 752.
Göttingen, 17 april 1891. F. Holthausen.
Zur geschiclite der englisch-friesischen spräche von Theodor Siebs, i. Halle
a.S., Niemeyer 1389. vra, 414 38. 6°. — 10 m.*
Dieses gleichfalls Sievers gewidmete buch macht neben derver-
wanten früher (in diesem Anz. s. 98 ff) besprochenen schrift Kaulf-
manns keinen vorteilhaften eindruck. es übersteigt ihren umfang
um ein beträchtliches, obwol es sich auf die vocale der Wurzelsilben
beschränkt, und wenn man die auf entsprechendem räum mit-
geteilte und behandelte menge des materials in beiden bücheru
* [vgl. DLZ 1890 nr 32. — Litter. rentralbl. L890 nr 19 (R. K.) — Zs.
f. d. phil. 23, s. 375 iH.Jdlinghaus). — Engl. stud. 15, 108 (JFMinssen). —
Litteraturbl. für germ. und rom. pbil. 1891 nr :5 (MJellinek).]
190 SIEBS ENGLISCH- FRIESISCHE SPRACHE
vergleicht, so springt das geringe geschick des verf.s deutlich in
die äugen.
Auch hei Siebs ist die gute grammatische Schulung nicht
zu verkennen, auch er befolgt die methode, die ältere und die
jüngere sprachperiode gegenseitig zu erhellen, wir gehen ihm
vollkommen recht, dass nur auf diesem wege ein richtiges Ver-
ständnis des allfriesischen angebahnt werden kann, und wir
unterschreiben gern seine ansieht von dem hohen werte, den das
friesische als höchst interessante spräche an sich, wie als wichtiges
glied in der reihe der germ. dialecte beanspruchen darf, wir sind
ihm dankbar dafür, dass er die neueren dialecte eifrig an ort und
stelle studiert und der Wissenschaft zugänglich gemacht hat, und
bekennen gern, dass es ihm gelungen ist, in die verwirrende
fülle von Spracherscheinungen, mit denen die zahlreichen muud-
arten vor den forscher hintreten, vielfach Ordnung und licht zu
bringen und auch die erkenntnis der alten spräche zu fördern1,
der weg aber , welchen S. den leser führt , hätte ihm viel leichter
gemacht, es hä'tteu ihm geschickter die platze bereitet werden
können, um sich auf den langwierigen pfaden durch die ma-
terialsammlungen hin ausruhend zu orientieren. S. versteht
es weder sich in der wähl des materials zu beschränken, noch
ihm eine vorteilhafte anordnung zu geben, nicht einmal in dem
sinne scheint mir der stoff glücklich ausgewählt, dass man in
die möglichkeit versetzt wäre, eine einzelheit der lautlehre in
einem bestimmten dialect mit einiger bequemlichkeit und der
nötigen Sicherheit zu übersehn, dazu kommt eine auffallende
unbeholfenheit und Umständlichkeit in darstellung und stil. man
sehe einen satz wie s. 192: 'der wichtigste grund, der uns ver-
anlasst, die entwickelung des germ. e2 vor nasalen und diejenige
des germ. e2 vor sonstigen lauten zu trennen, ist: das von Sievers
als erhaltung bezeichnete vorkommen des ags. d vor w findet im
frs. und demgemäfs auch für das engl.-frs. keine stütze'! auf
s. 128 scheint mir die beweisführung völlig unlogisch, wenn
ich mich mit dieser behauptung irren sollte, nachdem ich mich
als recensent redlich um das Verständnis bemüht habe, so liegt
darin doch ein beweis, wie wenig der Verfasser sich klar zu
machen versteht, ich will hierher ferner nichtssagende termini
wie 'Schwächung' und 'erweichung' rechnen, welch letzteren S.
für Übergang von e zu i und von 6 zu ü verwendet, auch darum
hat man den eindruck der unbeholfeuheit, weil es dem verf.
offenbar selbst mühe bereitet, sich durch sein material und
1 hervorgehoben sei, dass nach s. 191 ff die frage wegen germ. e
(ahd. d) jetzt für abgeschlossen gelten kann im sinne Bremers: e war im
engl.-ffies. geblieben, nicht zu ä geworden, die Fremdwörter können nach
S. nichts beweisen, zudem haben sie nicht einmal den laut von afrs.e = germ.t;.
obehon er es nicht ausdrücklich sagt, ist seine ansieht wol dieselbe, die
Pogatscher vertritt (QF 64, 119), dass den fremden lauten die nächst ver-
wanten eigenen untergelegt wurden.
SIEBS ENGLISCH -FRIESISCHE SPRACHE 191
die aufgaben, die dasselbe stellt, hindurchzuarbeiten, obwol
er anderseits mit seinem urteil oft genug recht schnell bei der
hand ist. es ist eine ganz stattliche anzahl recht grober Schnitzer
aus dem buche herauszucorrigiereu, die grofseuteils zu vermeiden
gewesen wären, wenn S. sich sorgsamer in der einschlägigen
litteratur umgesehn hätte, es werden doch auch aufserhalb Halle
dinge gedruckt, die nicht ganz ohne belang sind, und bei einer
arbeit über das friesische wäre, sollte man glauben, auch auf das
nächstbenachbarte ndl., besonders soweit es bequem zugänglich ge-
macht ist, riicksicht zu nehmen, ich stelle die einzelheiten zu-
sammen , die ich mit einiger bestimmtheit als falsch bezeichnen
kann ; fragwürdig bleibt mir dabei noch manches andere.
S. 34 wird germ. e'1 ausdrücklich als geschlossener, zwischen
e und i liegender, laut bezeichnet, was freilich auch sonst ge-
schieht, ohne dass man für nötig fände, die tatsache, dass gerade
die offenen laute sich diphthongieren, die von Moller und anderen
auch fürs germ. geltend gemacht ist, zu widerlegen, so weit
wir die Wörter etymologisch zu beurteilen vermögen, beruht ihr
diphthong ea, ia auf ö'-lauten. hir neben her kann ebenso wenig
für geschlossenheit beweisen, wie etwa nimis für ein geschlossenes
e in neman, denn jenes sind nicht etwa wechselformen, sondern
alte Verschiedenheiten, deren genaue erklärung freilich aussteht,
weil uns die etymologie von hier fehlt, dass wir contractions-
producte vermuten können , habe ich schon sonst gesagt. — s. 35
(germ. au), es scheint mir widersinnig als umlaut eines d ein
cea anzusetzen; a>d als umlaut würde auf einen diphthongischen
grundlaut weisen, das ist auch für s. 274 ff und 288 zu be-
achten. — s. 42 unwahrscheinlich ist, dass man jemals garw ge-
sprochen habe. — s. 45 saterld. wdxtjd wird = al'ries. wardia
gesetzt 1 es ist das nl. wachten. — s. 47 wird am ernte (got.
asans!) mit am ackern, pflügen (idg. wz. arl) zusammengestellt. —
s. 57 wegen hcelm dünen^ras, vgl. nl. heim. — die s. 61 auf-
gestellte behauplung, dass *hlahhia, lachen, nach aualogie des
verbums makia (machen) uä. zu *hlakia geworden sei, gehört
zu den merkwürdigen analogien, die sich , wie es scheint, nicht
ausrotten lassen, es ist doch nicht allzu schwer, sich klar zu
machen, wann eine aualogie eintreten kann, wo findet denn
S. den berührungspunct zwischen den beiden Worten, an den
sich der ausgleich knüpfen könnte? ebenso isls mit der analogi-
schen Umbildung von makia nach iagia, klagia, von der s. 68
gesprochen wird. — richtig wird s. 6S erkannt, dass die meisten
fries. formen auf pdsken weisen; S. hätte bemerken sollen, dass
dies die nl.-nd. (roman.) form ist. — s. 69 wird noch gol. *fagjan,
fegen, angesetzt trotz llolthausen Soester ma. s. 16 mit Dach-
trag (und Kluge etym. \\tl>.'). — s. 73 wesghen, waschen, i>i wol
nach oben s. 102 zu beurteilen. — s. 96 wird in tat 'zm
tunßus vermutet ; vgl. al.tuit, od. tüte, tuteua. — s. 1 00. afries.
192 SIEBS ENGLISCH- FRIESISCHE SPRACHE
*rekka, reifsen, wird nicht = recken, sondern = nl. rukken, hd.
rücken sein. — s. 103 in schwynstey ist nicht stede enthalten,
sondern ahd. stiga (=stija), mnl. stije, engl. sty. — s. 108 wie
kann man nur teffen, neben, zugleich, zu eft und ahd. aftar stellen?
fries. nl. teffen ist bekannt genug, aus te effen, effen = \u\.eben. —
die rechtfertigung der Vermutung, dass in bey, beere, (s. 111. 114)
ey auf ag beruhe, wird ja wol ein späterer teil des werkes
bringen sollen, indessen zweifle ich von vorne herein; vgl. nl.
bei (Franck Etym. wdb. unter bes). — wie kommt s. 118 stidi
unter westgerm. e? es ist wenigstens nichts davon gesagt, dass
hier etwa von jüngerem fries. e im allgemeinen die rede sein
solle. — s. 131 ff. auf welchen grund hin wird afries. ia (aus
eh -f- vocal) angenommen? — s. 133. in den formen für regnen
wird eben rignjan anzunehmen sein, was es für ein i der flexion,
'etwa der 3 sg. praes.' sein soll, von dem hier und s. 131 ge-
fabelt wird, möchte ich gerne wissen, wenn man nicht die ge-
nannte bildung, die S. wol nicht kennt, voraussetzt. — wegen
der ganz verfehlten erörterung der metathesis des r (s. 148) be-
gnüge ich mich auf meine Mnl. gramm. § 106 f zu verweisen,
für s. 148 c auf vHelten Altostfries, gramm. § 371 und für werd
s. 160 auf vHelten Beitr. 14, 276 ff. es ist der mühe wert,
S.s erklärung dieses werd 'wort' mitzuteilen: 'die einzige er-
klärung scheint mir zu sein, dass der silbenaccent von dem
vocal auf das sonore r übergegangen ist und vielleicht dieses r
sogar sonantisch gemacht hat'; sie ist um so kennzeichnender,
als sie den Vorgang blofs in dem einzigen wort unter vielen
gleichartigen fällen annimmt, wenn ich nicht irre, kennen
übrigens auch deutsche dialecte ein entspr. würd. — s. 151 steht
ogenlidde bei lith glied. — die richtige erklärung von ris, mal,
wäre bestimmter vorgetragen worden, wenn S. sich im benach-
barten holl. umgesehen hätte. — wegen dürfen s. 162 ist meine
Mnl. gramm. § 107. 164 zu vergleichen. — s. 165 krös und
krüs können weder unter sich identisch , noch 'gleichen Stammes'
mitkrüke sein; zu vergleichen Kluge Litteraturbl. 1884 sp. 428 und
mein Etym. wdb. — s. 171 vermutet man sofort, dass die be-
hauptung, das westfrs. zeige 'stets' o gegenüber dem u der östl.
mundarten, auf die Stellung vor nasalverbindungen einzuschränken
sei. das tritt denn auch in den beispielen deutlich heraus, und
das westfrs. stimmt also mit dem nl. — in bedon ist nicht, wie
s. 173 behauptet wird, e 'Schwächung' aus u (was heifst Schwächung
in hochbelonter silbe?), sondern i'-umlaut; so auch bei vHelten.
die Übertragung des umgelauteten vocals in den plur. indic. des
praet. hat auch auf nl. und nd. gebiet weiten umfang. — s. 215 f.
die unter *skria aufgeführten formen stimmen zum teil gar nicht
in den lauten und sind mit nl. schreeuwen (s. mein Etym.
1 das folgende w zu berücksichtigen lag doch nahe genug, zumal
nachdem einmal ahn. pjokkr angeführt war.
SIEBS ENGLISCH - FRIESISCHE SPRACHE 193
wdb.) zusammenzuhalten; ebenso steht das fries. mit den formen
von schule (s.*230) wol teilweise zum nl. (mnl. schale mit ursprüng-
lich kurzem o, s. mein Etym. wdb.). — s. 237. moei sollte doch ein
heutiger grammatiker genügend von mödire zu trennen wissen.
da ich nun schon zweimal das richtige darüber gesagt, kann ich
mich wol mit einer Verweisung auf Anz. 11, 7 anm. und mein
Etym. wdb. begnügen; dies dritte mal wirds freilich auch noch nicht
sonderlich helfen! — s. 239 findet man sköne unter germ. 6. —
s. 289. die gleichung afries. stre = ahd. strö wird sich schwerlich
halten lassen; liegt doch auch gar kein anlass vor, dem worte
ein j zu geben, stre wird vielmehr auf eiu wort mit ai weisen,
wofür ich in meinem wdb. noch einige daten beibringen werde. —
s. 302. rieme und das gleichlautende wort mit der bedeulung
'rüder' können doch nicht ohne weiteres zusammengestellt werden.
— s. 308. in melok, milch, soll germ. i durch o, u der folgesilbe
zu e umgelautet sein, wenn man das überschaut, so kann man
den stofsseufzer nicht gut unterdrücken: lieber etwas weniger
ahnungsvolle theoretische Weisheit und dafür die bücher nach-
schlagen 1 auf diesem wege wird der verf. schwerlich je zu
einer sicheren methode und zu Selbständigkeit des Urteils gelangen,
wie selten fühlt man sich von seinen erörterungen würklich be-
friedigt, wie selten sieht man feste kriteria vor sich und erhält
auskünfte, denen man sich freut zustimmen zu können! häufig
werden 'der geschliffene ton, der gestofsene ton' oder andere
feinheiten der phonetik angerufen, um die dinge zu erklären, ohne
dass der leser in den stand gesetzt wäre, die angeblich so wich-
tigen momente zu controlieren.
Noch weniger ergebnisse, die dem aufwand entsprächen,
liefern die fortlaufenden erwägungen über eine dem fries. und
engl, gemeinsame grundsprache, denen das buch seinen titel ver-
dankt, aus Sievers gramm. und anderen büchern werden viele
ags. formen citiert, wo eine Verweisung geuügt hätte, es wird
viel über das Verhältnis ihrer und der fries. laute hin und her
erwogen, aber an augenfälligen resultaten, die uns über das be-
kannte und ungefähr selbstverständliche hinaus brächten, fehlt es.
dem ergebnis der ethnographischen einleitung, 'dass wir gar keine
berechligung haben, Schleswig auf grund der spräche als die
alte heimat der Angeln und Sachsen zu bezeichnen', steht das-
jenige entgegen, zu dem Weiland in dem durchaus vertrauen
verdienenden aufsatz in der festgabe für Georg Haussen (Tübingen
1889) s. 119 — 158 gelangt, anderes, was dann in einem be-
sonderen abschnitt, s. 30(5 ff, näher ausgeführt ist, gerät in Wider-
spruch mit Müller, mit dem binwiderum Bremer Jahrb. d. ver. f.
nd. Sprachforschung 13, 1 ff sieb begegnet, ich trete lieber diesem
bei und bebe von seinen resultaten hervor, dass er das anglo-
friesische (ingwaiwische) in drei gruppeo /erlallen lässt, das eng-
lische, das siMringiscIi- helgoläodisch »amriugisch- föbrische, das
194 SIEBS ENGLISCH -FRIESISCHE SPRACHE
nordfriesische und das ost- lind westfriesische; ein näherer ur-
sprünglicher Zusammenhang der sprachen von Amrum , Föhr,
Helgoland und Süd mit dem nordfriesischen wird ausdrücklich
bestritten, ohwol 'die Jahrhunderte hindurch bestehende verkehrs-
gemeinschaft eine grofse anzahl sprachlicher Übereinstimmungen
zur folge gehabt hat'; dagegen wird eine besonders nahe be-
ziehung der spräche der genannten inseln zum westsächsischen
angenommen, im übrigen begnüge ich mich, um nicht schon
gesagtes zu widerholen, auf DLZ 1890 sp. 1162 zu verweisen,
indem ich die worte dieses recensenten unterschreibe, auch was
die aus der Sprachbetrachtung geschöpften kriteria betrifft, es
geht doch weit, wenn eine einzelheit aus einer in der lebhaftesten
bewegung begriffenen lautgeschichte, der Übergang von ä zu ä, 6,
der zudem nicht das mindeste ungewöhnliche an sich hat, als
'ein zuverlässiges kriterium für die engere Verwandtschaft der
ost- und nordfries. dialecte' hingestellt wird (s. 54). ich muss
mich um so mehr wundern, dass S. jetzt bereits diese fragen
zur spräche bringt, als er seine sprachlichen Untersuchungen ja
noch gar nicht abgeschlossen hat. vermutlich werden wir die-
selben dinge noch öfter von ihm erörtert sehen, auch in diesem
buche begegnet einiges schon zum zweiten oder gar zum dritten
male (s. Beitr. 11, 205 ff und Siebs Die assibilierung der fries.
palatalen). der verf. hätte sich von anfang an ein festes programm
für seine Veröffentlichungen machen und seine Studien ruhiger
ausreifen lassen sollen, wir haben wahrscheinlich noch mehreren
dicken bänden dieses Werkes entgegen zu sehn, ohne dass der
früher von mir an S. gerichtete wünsch einer wol durchdachten
darstellung der fries. spräche irgendwie erfüllt sein wird, wo
soll das hinaus?
Der angehängten bibliographie zum Studium der fries. spräche
und litteratur lässt sich das lob überraschender reichhaltigkeit
nicht vorenthalten.
Bonn, november 1890. Franck.
Die Skiren und die deutsche heldensage. eine genealogische Studie .über
den Ursprung des hauses Traun, von F. X. Wöber. Wien, Konegen
1890. 281 ss. 8°. — 6 m.*
Der titel dieses buches müste eigentlich sein: Untersuchungen
über die 'Husier' mit beitragen zur genealogie und geschichte
der herren von Traun und ausblicken in die deutsche helden-
sage — ein langer titel und weit weniger hübsch als der, den
es würklich trägt; aber er entspräche besser der losen compo-
sition des ganzen, das was es zur heldensage bietet, ist in den
zahlreichen anmerkungen verstreut und im texte auf s. 159 — 182
* [vgl. Zs. f. östr. gymn. 1891 s. 15 ff (AFPribram).]
WÖBER DIE SKIREN UND DIE HELDENSAGE 195
zusammengefasst. der einzige gewinn dabei ist die Vermehrung
der nachweisuugen von namen der heldensage aus Urkunden,
aber der verf. legt das hauptgewicht auf die neuen beweisgründe,
die er für seine 1885 in der schrift Die Reichersberger fehde
dargelegte hypothese beibringen zu können vermeint, es ist
immer aufserordentlich peinlich, über eine sogenannte entdeckung,
die ihrem Urheber sichtlich ans herz gewachsen ist, auf die er
viel liebevolle mühe verwendet hat, die ihm zu einem glaubens-
artikel wurde, von der aus er ganze capitel der litteratur- und
sagengeschichte neu umbauen zu können vermeint, so gut wie
vollständig den stab brechen zu müssen, denn auch was hier
W. zur stütze der seinerzeit fast einstimmig abgelehnten früheren
arbeit nachtragt, ist unhaltbare combination oder beruht auf will-
kürlicher deutung der quellen, wenn er von der grofsen be-
deutung Bayerns für die mittelalterliche dichtung und cultur
spricht, so wird damit altbekanntes nur nochmals erörtert, und
für seine hypothese ist damit noch gar nichts gewonnen, aber
er glaubt auch neue beweisende einzelheiten gefunden zu haben:
aus dem 'für die heraldik der rheinländischen geschlechter höchst
wichtigen und reichhaltigen' Wiener cod. nr 9337 führt er die
Überschrift au, die über der abbildung des wappens der truch-
sessen von Alzei steht: 'Die Volcker von Altzen genant fideler'
und schliefst daraus, dass 'Volcker' nicht individual-, sondern
familienname war, obwol der zusatz der hs. : 'weil er fürt Ein
fidelen jm schilt laut Helden Buchs deutlich genug lehrt, dass
der epische gebrauch des namens auf jene benennung mafs-
gebend eingewürkt hat (s. auch Roethe in der ADB unter Reinmar
d. f). nun ündet W. aber, dass das wappeu des 'Reimar der
fiedler' genannten minnesingers wesentliche eigenschaften mit dem
der truchsessen von Alzei gemeinsam hat; sogleich schliefst er,
dass dieser Reimar ein truchsess von Alzei gewesen sei, und con-
struiert seinen vollen namen: Dominus Reginmarus dictiis Volker
dapifer de Alzeia; und nicht genug — ebenso rasch ist dieser
Reimar mit herrn Volker des Nibelungenliedes identiüciert: 'dieser
Nibelungenheld ist also nicht eine blofs poetische tigur, gezeichnet
nach einer sagenhaften Überlieferung, sondern er ist eine per-
sönlichkeit von leben und atem, eine würkliche historische In-
dividualität', ich habe hiermit alle wesentlichen beweisgründe
W.s für diese seine verblüffende folgerung genannt! denn was
er noch von der möglichkeit sagt, dass dieser — neu ent-
deckte — herr Reimar Volker von Alzei 1176 in Enns ge-
wesen sei, hat einzig dann einigermafsen weit, wenn dem vor-
hergehenden ein wenig Überzeugende krafl innewohnte, ähnlich
überwältigend ist der gedankengang in einer stelle, welche
die gleichung graf Sighart i von Burghausen - Schala ==> Siegfried
von Niederland stützen soll: die tincturen des Schildes der Burg-
hausen - Schala sind silber und grün; nun verfertigl Kriemhild
196 WÖBER DIE SKJREN UND DIE HELDENSAGE
IN'ib. 353 für Günther und seine drei gesellen kleider aus weifser
seide von Arabien, aus grüner von Zazamanc, und VV. findet
'merkwürdig das spiel des dichters, welcher im Nibelungenliede
aus Burghausen ein Burgund macht und die hausfarben der
familie Burghausen -Schala zu den hausfarben des burgundischen
hofes werden lässt'! dass die färben weifs und grün hier rein
typisch sind, sei nur nebenbei bemerkt. W.s buch gehört zu
denjenigen, die am besten beurteilt werden können, wenn man
sie selbst reden lässt.
Der verf. ist auf die germanisten nicht gut zu sprechen,
er selbst ist in germanistischen dingen wol liebhaber. das ist
eine durchaus nicht zu unterschätzende eigenschaft. aber was
mit seinem Stoffe zusammenhängt, sollte er besser beherschen.
er bringt Wolfram in nahe Verbindung damit und erklärt ihn
(mit den worten vdHagens) für den verf. des Wartburgkriegs
und des Lohengrins (s. 80). und auf diese seine gewährschaft
hin werden an die betreffenden stellen geschichtliche folgerungen
geknüpft, auch anderweitig leidet der historische teil des buches
an ähnlichen mangeln: Ekkehart wird einem Etihhohart gleich-
gesetzt (anm. nr229), Ernest Harnustus Harnulfus sind dasselbe
nr 292.383; dass Pipin den herzog Thassilo n, als er zwölfjährig
ist, wehrhaft macht, ist in den äugen des verf.s ein 'teuflischer
gedanke' — er hätte doch nur Grimms BA s. 414 nachzuschlagen
gebraucht, um zu sehn, dass dieser teuflische gedanke sehr ge-
wöhnlich war, usw.
Wie nun aber seine hypothese, dass 'herr Heinrich von
Traun -Stein -Kürnberg- Ofthering' der verf. unseres Nibelungen-
liedes sei, dass in dem gedichte ferner die Schicksale des verf.s
und seines geschlechts sich spiegeln, mit allen den anderen
fragen, die das lied vorlegt — und die doch mit jener hypo-
these nicht aus der weit geschafft sind? — zu vereinigen sei,
das zu erörtern überlässt W. doch der liebesmüh der germanisten.
oder meint er, Ortner, der sich redliche mühe gab, seine eigene
Kürnberger-hypothese mit der philologischen kritik des gedichtes
in einklang zu bringen , habe das für ihn schon in der haupt-
sache getan?
Was den genealogisch-historischen hauptteil des buches be-
trifft, so kann ich über diesen nur mit vorbehält sprechen. W.
bedient sich durchgängig des grundsatzes, dass dort, wo ander-
weitige beweisgründe fehlen, rein örtliches zusammentreffen für
genealogischen Zusammenhang nicht blofs spreche, sondern geradezu
beweise, so sind ihm namen, die auf husischem boden vor-
kommen, einzig aus diesem gründe oft 'entschieden' 'unzweifel-
haft' husisch, dh. gehören ihm zur familie der 'Husier'. trotz
allem fleifs, den der verf. aufwendet, namentlich in topographi-
schen dingen, wird der boden, auf dem er sich bewegt, im
verlaufe der darstellung immer schwankender, auf die behand-
WÖBER DIE SKIREN UND DIE HELDENSAGE 197
lung ähnlich klingender namen deutete ich schon früher hin
und möchte hier den germanistischen leser noch auf ein mir be-
sonders auftallendes beispiel hinweisen, das historisch für den
Zusammenhang des huches wichtig ist, die art, wie s. 82 ff ein
Wolfher von Tegernwanch mit einem Wolfram von Treffen identi-
fiziert wird, weil Wolfher = Wolfram und das kärntnerische Treffen
= dem oberösterreichisch -bayrischen Truna (Traun) sei.
Innsbruck, märz 1891. Joseph Seemüller.
Die quellen der Strafsburger Fortsetzung von Lamprechts Alexanderlied und
deren benutzung. von dr Theodor Hampe. Bonner diss. Bremen,
Eduard Hampe, 1890. iv und 110 ss. 8°. — 2 m.
Dit Salomon al primier pas, quant de son libve mot lo das:
'est vanitatum vanitas et universa vanitas: poyst l'omne fraynt
enfirmitas1, toyl li2 sen otiositas, solaz nos faz antiquitas, que
tot non sie vanitas!' Salomo sagt im ersten satz, da er die
stimme seines buches erhebt: 'eitelkeit aller eitelkeiten , alles ist
eitel: sobald den menschen die krankheit schwächt, die (durch
dieselbe aufgezwungene, unfreiwillige) Untätigkeit schwachsinnig
macht, dann möge uns das altertum den trost geben, dass nicht
alles eitelkeit sei!' und diesem gedanken folgend wendet sich
nun der dichter, Alberich von Besancon, in seiner zweiten laisse
der betrachtung des grösten beiden des altertums zu. dieser
stelle entspricht die folgende in der Alexandreis des mscr. der
bibl. imp.789 (PMeyer, Alex, le gr. i 119): Quant li rois Salemons
son premier livre fist , du vain siede parla dont il l'estoire quist.
Salemons si vist Diu andwis qu'el mont venist'1 pour le premier
fourfait, de coi li Sathans* rist, quant Dix Adan et Eve de Paradis
fors mist de le boine eürle oü premiers les assist par l'enyien del
diable ki maint home tratst, pour chou prophetisa l'avenement de
Crist: im prophele naistroist en ce monde, ce dist , qui sauveroit
son peuple, ke nus neu peresist, et geteroit d'enfer dteus que puis
en eslist. et'0 non porquant l'estore d'Alixandre rescrit , por le
bonte de lui que tans6 regnes conquist. 'als der könig Salomo
sein erstes buch schrieb, sprach er von der eitelkeit der weit,
deren geschichte er erforschte, er schrieb von der künftigen
erlösung durch Christus und trotzdem (er so vieles andere zu
schreiben hatte) schrieb er die geschichte des Alexander, um
dessen tugend willen, weil er so viele reiche erobert hatte', die
Umarbeitung des deutschen Übersetzers ihrerseits ergibt hingegen
1 loume fay jnenßrmitas die hs., die besserung von PMeyer.
2 le hs., besserung von CHofmann. 3 diese zeile steht in der hs.
nach tratst. * sachans die hs. ' e die lis., et PMeyer.
8 tant die hs., tans PMeyer.
198 HAMPE QUELLEN DES STRASSBURÜER ALEXANDERS
folgenden sinn : 'als Alberich dieses lied begann, da hatte er ein
buch1 Salomos vor sich, in welchem zu lesen stand: vanitatum
vanitas. nachdem Salomo diese eitelkeit alles dessen, was die
sonne umläuft, an sich selbst erfahren halte, darüber traurig und
seiner eigenen Untätigkeit müde geworden war, begann er von
witzen zu schreiben, denn müfsiggang schadet leib und seele;
darum ist erst Alberich und jetzt ich seinem beispiele gefolgt',
es liegt nahe von witzen auf das buch Sapientia zu beziehen,
welches ja auch dem S. zugeschrieben wurde; aber dann stimmt
das citat des ersten verses des Ecclesiastes nur schlecht dazu,
vielmehr werden wir an ein von 'weiser gesinnung' handelndes
buch, an ein buch, dessen held der wise Alexander (Lamprecht
4490) war, zu denken haben.
Durch vergleichung der ausgehobenen drei stellen kommen
wir zu folgenden resultaten:
1) wenn wir nicht annehmen wollen, dass der französische
roman und Lamprecht unabhängig von einander ihre vorläge
misverstanden haben, müssen wir Alberich so verstehn, dass er
in seiner ersten laisse als seine quelle einen Alexanderroman
nennt, der dem könig Salomo zugeschrieben wurde, wahrschein-
licher ist es jedesfalls, dass beide bearbeiter ihn richtig ver-
standen haben, was ihnen leichter werden mochte als uns, da
ihnen ein derartiges werk bekannt gewesen sein dürfte, dass
ein solches existierte, bezeugt uns die fälschlich über einen Iter
ad paradisum in Pavia gesetzte superscriptio Relatio Salomonis
didascali Judeorum de Alexandro magno (PMeyer Alex, le grand
ii 395).
2) dieses pseudosalomonische buch war in lateinischer spräche
geschrieben und begann mit jenen Worten, welche Alberich, nur
soweit sie citat aus dem Ecclesiastes sind, in lateinischer, von da
ab übersetzend in der vulgärsprache gibt, dass dies der fall ist,
zeigt einerseits die auffassung Lamprechts, anderseits die lateinische
endung -as in enfirmitas, otiositas, antiquitas, vanitas (= frz. e,
provenz. -atz), wol auch die bedeutuug 'trost' für solaz, das sonst
'genuss, vergnügen' bedeutet.
3) der überlieferte text von Alberichs gedieht gibt einen
guten sinn, und es ist kein grund, mit Wilmanns GGA 1885
nr 7 anzunehmen, dass Lamprecht ein vollständigerer vorgelegen
habe, auch bei der erzählung von A.s erziehung ist die Ord-
nung der Unterrichtsgegenstände bei Alberich wol etwas auffallend,
wird aber durch den alexandrinerroman gestützt2.
4) diesem lateinschreibenden gelehrten autor ist wol die be-
1 wie Wilmanns das mut der Strafsburger lis. vor dem puch der Vorauer
hs. bevorzugen kann, verstehe ich nicht, nachdem das libre des Origi-
nals so deutlich für letzteres spricht. 2 bei der erklärung des
in diesem zusammenhange allerdings dunkeln et fayr ä seyr et ä matin
agayt encimtre son vicin ist auf die entsprechung que ja felon cuivert
n'ail etitour lui souvent rücksicht zu nehmen.
HAMPE QUELLEN DES STRASSBLRGER ALEXANDERS 199
nutzung der verschiedenen quellen uud das kritische verhalten
gegen dieselben zuzuschreiben1, seine hauptquellen waren Va-
lerius und eine mischhs. der Historia'2, welche in ihrem ersten
teil der redaction u. nr, in ihrem zweiten der redaction i vorzüg-
lich folgte, er selbst bevorzugte im anfange seines Werkes den
Valerius, gegen das ende desselben die Historia.
Freilich setzt diese annähme voraus, dass Alberichs gedieht
ebenso weit gereicht habe wie der Strafsburger Alexander, das
glaube ich nun auch, und zwar scheint es mir bewiesen durch
die Übereinstimmungen des deutschen gedichtes mit dem franzö-
sischeu, vor allem durch die sonst nirgends erscheinende episode
der blumenmädchen. dieser hinweis (vgl. Schröder DLZ 1885, 786 ff)
hätte früher auch vollkommen genügt, bevor durch die forschungen
Wilmanns und seiner schüler ASchmidt und Hampe einerseits,
PMeyers anderseits Verwirrung in die klare Sachlage gekommen ist.
denn jene behaupten, die in der Strafsburger und Basler hs. über-
lieferte zweite hälfte des deutschen Alexanderliedes habe mit dem
anfange desselben nichts zu tun, und dasselbe meint PMeyer von
dem grösten teile des französischen romans gegenüber dem anfange
dieses gedichtes. nun ist aber keine dieser behauptungen, wie
mir scheint, bewiesen oder beweisbar.
Die erste hat schon Kinzel Zs. f. d. phil. 20, 96 ff richtig
widerlegt, der schluss der Vorauer hs. ist ein unding, ein mittel-
alterliches Alexandergedicht, das vor Alexanders tod abbräche,
undenkbar, 'endlich noch ein letzter einwurf: es wird wol nicht
angefochten , dass die verse V 1497 ff mit S 3248 ff identisch sind,
sie stehn in S in gutem Zusammenhang, während in V mindestens
ihre gedrängte aneinanderreihung auffällt und sie lehnen sich
in S d i r e c t an eine stelle der Historia an3: so lange
hierfür keine ausreichende erklärung gefunden ist, sind wir ge-
nötigt bei der annähme zu bleiben, dass derjenige, welcher den
kurzen schluss im Vorauer Alexander hinzufügte, eine umfang-
reichere dichtung vor sich halte, aus welcher er denselben zu-
sammenstoppelte', gegen diese sehr überzeugende auseinauder-
setzung Kinzels hat auch Hampe keine irgend stichhaltigen
einwendungen vorgebracht.
1 vor allem in dem ablehnen der Nectanebusfabel. dass er mit dem
drachenauge, das er seinem helden zuschrieb, wider in dieselbe verfallen
wäre, kann ich nicht finden, vielmehr lässt er ihn von vorne herein, indem
er ihn mit den attributen von 4 in je einem der demente lebenden tiere
ausstattet, als herrn über die gesammte natur erscheinen, wenn er sein
haar 'blond wie das eines fisches' (die conjeetur PMeyers i 33'.), n 250
teysson für peysson ist wol abzulehnen) nennt, so dachten seine hörer wol
sofort an das einzige wassertier, welches überhaupt haare hatte und doch als
'fisch' bezeichnet werden konnte — an die Sirene; vgl. daz houbet der SyrSnen
clrir, duz Iruoc von gotde reidez hdr KvWürzb. Troj. krieg 3779.
8 bei der grofsen menge noch unbekannter hss. ist das besteht! von
mischliss. nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich.
3 dd was daz feit vi l breit mit tri) töten uberspreit V L516f 8 32681
= ut latus campus ex semivivis et mortui* veslirrtur.
200 HÄMPE QUELLEN DES STRASSBURGER ALEXANDERS
Dem möchte ich noch eins hinzufügen: wenn die ver-
schiedene art der quellenbeuutzung hier und dort etwas beweisen
sollte, so müste das hüben und drüben durch einen scharfen
strich an jener stelle getrennt sein, wo die angebliche fortsetzung
beginnt, sehen wir aber genau zu, so finden wir eine un-
bekannte, historischen werken nahestehnde quelle, die mit
6 versen über den strich hinausreicht, dann ausschliefsliche be-
nutzung der Historia bis 2275, wo zum ersten mal wider Va-
lerius erscheint, aber der Historia nicht nach der recension i,
die für die fortsetzung characteristisch sein soll, sondern haupt-
sächlich nach der redactiou n, m1, die auch vor dem strich neben
Valerius als herschend erscheint, ja auch so wie hier ohne den-
selben V 1019 — 1042. erst später beginnt die herschaft der
Historia i.
PMeyer seinerseits hat die meinung aufgestellt, dass Alberich
nicht weiter gedichtet habe als bis zur besiegung des königs
INicolaus. gründe hat er eigentlich so gut wie keine angegeben,
und Kinzel hat das auch Anz. 13, 228 gebührend hervorgehoben,
wenn es noch notwendig wäre, dem etwas hinzuzufügen, so
möchte man hervorheben, dass der name Daclym, d. i. dan Clin,
wie derselbe im roman heifst, für Clitus2, auch für die spätere
partie wenigstens des Vorauer Alexanders die benutzung Alberichs
beweist.
Aber man kann noch weiter gehend behaupten: 1) auch der
roman in zehnsilbigen versen, der uns nur bis zur besiegung
des Nicolas erhalten ist, sei einst vollständig gewesen, 2) der
name des Alexandre de Bernai sei aller Wahrscheinlichkeit nach
ein blofser schreibername, der name des eigentlichen endgültigen
redacteurs des romans vielmehr unbekannt.
1) wenn uns der anfang eines romans in zehnsilblern, der
rest in alexandrineru überliefert ist, so kann man eine doppelte
auffassung haben :
a) der anfang stammt aus älterer zeit, der rest ist von
einem jüngeren autor dazu gedichtet. PMeyer denkt nur an
diese eine möglichkeit und kann sich dabei etwa auf das bei-
spiel des Aiol berufen, nachdem nun die annähme, der anfang
in zehnsilblern sei zuerst in alexandriner umgearbeitet, dann
aber von einem Schreiber dieser anfang neuerdings durch den
dekasyllabischen ersetzt worden, und auf diese weise die ge-
mischte form, wie sie uns im mscr. de l'Arsenal (PMeyer i 25 ff),
im mscr. de Venise (ib. 237 ff) und in dem nur durch Fauchets
beschreibung (ib. n 105) bekannten mscr. vorliegt, entstanden,
1 nach Hampe ist benutzung von n, in mit mehr oder weniger Sicherheit
anzunehmen 2059 — 2062. 2079. 2090. 2132. 2144 — 2147. 2154. 2162 — 2163.
2175.2188—2196.2198.2216—2217.2249—2250, innerhalb derselben vers-
reihe die von i nur 2102.2159-2160.2202—2204.2237.
2 vgl. ASchmidt Über das Alexanderlied des Alberic von Besancon
(Bonner diss. 1886) s.67.
HAMPE QUELLEN DES STRASSBÜRGER ALEXANDERS 201
so gut wie ausgeschlossen ist, kommt Meyer zu der auch meiner
meinung nach allein richtigen ansieht, diese gemischte form re-
präsentiere uns die älteste erhaltene Überlieferung des romans
(n 236). da er aber annimmt, die vierte brauche, die in jener
gemischten redaction erscheint, habe Alexandre de Bernai zum
verf., aber auch die erste branche, die in alexandrinern ab-
gefasst ist, in jener aber natürlich nicht vorkommt, rühre von
demselben her, so dürfte sich für seine hypothesen einige Schwierig-
keit ergeben, wie er sich hier hilft, ist mir unbekannt geblieben.
b) eine andere annähme scheint mir eine bessere lösung
des verwickelten Sachverhaltes zu gewähren, wie wenn Lambert le
tort ein älteres vollständiges gedieht in zehnsilblern so umgearbeitet
hätte, dass er den anfang im ursprünglichen versmafs beliefs,
nur hier und da etwa modernisierend, dann aber seiner conser-
vativeren anfänglichen absieht untreu geworden und in die zeit-
gemäfseren alexandriner übergegangen wäre? dass er an jener
stelle neu anhebt und aufzählt, was er noch zu berichten ge-
denke, und seinen namen nennt, darf uns nicht verwundern,
da ja in Wahrheit erst von hier ab eine gewisse Selbständigkeit
seines Werkes datiert, ein überzeugendes beipiel dieser art einer
Überarbeitung haben wir im Foulque de Candie1.
Ein umstand vor allem scheint mir diese möglichkeit zur
höchsten Wahrscheinlichkeit zu erheben, die oben aus dem mscr.
bibl. imp. 7S9 ausgehobene stelle über Salomo findet sich auch
im mscr. de Venise in einer der ersten in alexandrinern ab-
gefassten tiraden, an unrechter stelle und in entstellter form2,
wie ist das zu erklären?
Das mscr. 789 (PMeyer i 115 ff) bietet in seineu tiraden
i — xvii eine contamination der zehnsilblerfassung mit der ersten
branche des romans, ebenso wie xvm — xlix die einer unbekannten
quelle mit demselben (xxxvi). das dekasyllabische gedieht lag
aber, wie auch Meyer 11 246 annimmt, dem contaminator in
einer vollständigeren gestalt vor als uns, wie vor allem aus dem
vergleich mit Alberich hervorgeht, zu diesen verlorenen und
durch das mscr. 789 ihrem inbalte nach erhaltenen laisses gehört
unter anderen die erwähnte von Salomo. sie steht hier Alberich
entsprechend im anfang des gedichtes. die fassung im Ven.
gibt uns nun das beispiel einer in der gemischten redaction in
alexandriner aufgelösten dekasyllabischen laisse. was liegt näher
als anzunehmen, dass auch die anderen alexandriner alle auf
zehnsilbler zurückgehn?
1 die ersten 4 gesänge der ausgäbe von Tarbe (bis s. 67) sind in zehn-
silblern abgefasst, darauf s. 67 — 111 in alexandrinern, 111 — 133 in zehn-
silblern und der rest in alexandrinern.
2 Por ce gu'il (Lambert) ere sages e vit en la Ircion <!<■ I'cnfance
Alx.comence (comenci!) un termon et tot primerement parla de Salomon
per lo segle qu'esl vans comrnence tin'acliun (i '274 If). Meyer erwähnt
die Übereinstimmung, aber ohne eine erklürung zu geben (n 247).
A. F. D. A. XVI. 14
202 HAMPE QUELLEN DES STRASSBURGER ALEXANDERS
2) das von Fauchet beschriebene mscr. der gemischten fas-
sung ist unabhängig von Ars. wie von Ven., wie schon der erste
mitgeteilte vers1 desselben beweist, aber aus einer glücklicher-
weise durch Fauchet mitgeteilten stelle in alexandrinern , welche
in Ars. und Ven. fehlt, welche jedoch inhaltlich mit einer jener
stelle über Salomo vorausgehnden des mscr. 789 stimmt2, also
eine verlorene laisse repräsentiert, ersehn wir, dass dieses mscr.
vollständiger war als die beiden erhaltenen, und da er als verf.
den clerc Symon nennt, so ist somit auch die zweite in Ven.
erhaltene, in Ars. verlorene laisse, worin sich dieser als verf.
und, wenn ich ihn recht verstehe, die Historia de proeliis als
seine wol nur mittelbare quelle nennt3, als echt erwiesen, denn
als seine unmittelbare quelle nennt er in der verderbten letzten
zeile der ersten Strophe4, die aber kaum einen anderen sinn
haben kann und die wir wol als authentisch ansehn müssen,
obwol sie nur in Ven. erhalten ist, einen Auberin, hinter dem
sich sicher niemand anderer als unser Alberich verbirgt.
In ermangelung des Fauchetschen mscr.s stellt uns also Ven.,
welches die in Ars. unterdrückten Strophen von Symon und
Salomon erhalten hat, die freilich durch einen italienischen
Schreiber entstellte, aber immerhin vollständigste, dem original
der gemischten redaction, dem werke Lamberts am nächsten
kommende fassung dar. in Ven. nun fehlen an den beiden
stellen, an denen sie sonst erscheinen, nämlich zu ende des
ganzen und nach der einnähme von Gadres, die erwähnungen
des Alexandre de Bernai. in Ars. hingegen findet sich die
erste und würde sich auch wahrscheinlich die zweite finden,
wenn das mscr. nicht gerade an dieser stelle eine grofse lücke
1 Chanpon voll dire gegen Chancon voll faire (Ars.) und Conte voll
dire (Ven.).
2 'le clerc Simon, en racontant les peuples divers, qui sortirent de
Babylone, apres la confusion advenue en bastissant la tour, ildit: Li enfant
se departent, li piere en (?li primiers) fu dolans(?), Et li atilre devlent
Mesopotamiens, LI autre fu Torquois, li aatre Elimitans Et puis quelques
vers apres: Li autre fu Romains et li autre Toscans Et encores depuis:
L' autre fu Espeingnos et V autre fu Normans, Li autre Erupieifs] et parla
bien romans, Li autre fu Francois et li autre Normans'. Meyer (n 106)
hat diese stelle vergeblich in Ars. und Ven. wie in dem von Michelant
edierten roman gesucht, in dem von ihm edierten mscr. 789 (i 118) findet
sie sich wenigstens (inhaltlich wider: puis conquist Babilone ou fu mors
par poison el grant palais marbrin que firent li glolon . . . quant Dias de
tous langages lor fist devision: quant l'uns parloil englois et li autres
gascon, li Hers parloit irois et li quars bourgegnon, et li quins alemans
et li sistes breton, li seplimes galois , li octimes frison.
3 traue est de geste tote ceste chancon (l'ystoire fu trovee droit en
un dromon, de la terre d'Egypte l'aporterent Noon). un clers la fist
c'om apelle Symon (i 238). ist statt des unverständlichen l'aporterent Noon
vielleicht Vaporta genl Maon zu lesen? jedesfalls scheint mir der mis-
verstandene anfang der historia cap. 1 Sapientissimi namque Aegyptiorum . . .
domantes undas maris . . . tradiderunt zu gründe zu liegen.
■ >.(■ ysloire n'est mie d' Auberin li canoine, 1. est prise?
HAMPE QUELLEN DES STRASSBURGER ALEXANDERS 203
zeigte, beide male haben wir es meinem gefühl nach deutlich
mit schreiberversen zu tun1.
Ein unbekannter'2 hat dann, die gemischte redaction in der
form von Ars. benutzend, auch den in zehnsilblern geschriebenen
anfang in alexaudriner umgearbeitet und den ganzen roman durch
interpolationen erweitert.
Da nun bereits die fassung in zehnsilblern ihrem ende zu
stark ändert und erweitert, wie uns ein flüchtiger vergleich vor
allem der letzten scene, der besiegung des Nicolas, mit den
wenigen Zeilen Lamprechts, dessen weise das kürzen seiner
quelle gegenüber doch sonst nicht ist, lehrt, da wir ferner an-
nehmen können, dass diese änderungen und erweiterungen viel-
leicht zum teil im anschluss an die dem clerc Symon bekannte
Historia im verlaufe der erzählung immer stärker und stärker
wurden, da dann weiter noch Lambert und endlich der un-
bekannte umarbeiter des ganzen kam, — so darf es uns nicht
wunder nehmen, wenn der ähnlichkeiten mit dem in S vor-
vorliegenden, überarbeiteten Lamprechtschen gedichte nur wenige
geblieben sind, denn Lamprecht selbst hat seinerseits wider
seine quelle erweitert, misverstanden , geändert, und ebenso ist
sein bearbeiter ihm gegenüber verfahren, aber was nach alle
dem doch noch an ähnlichkeiten zurückgeblieben ist, haben wir
ein recht der gemeinsamen quelle zuzuschreiben.
Hampe hat diese ähnlichkeiten übersichtlich s. 44 ff zusammen-
gestellt, der spanische roman (s. 52 ff) würde eiue besondere
quellenuntersuchung erfordern. Walther von Chatillon (s. 57 ff)
ist natürlich erst von S benutzt worden, dass S auch die Historia
gekannt hat, wissen wir aus dem vergleich mit V, doch können
wir natürlich nicht entscheiden, wo die benutzung ihm zur
last fällt.
H.s schrift schien mir auf falschen grundlagen, deren trag-
kraft er allerdings auch nicht um das geringste verstärkt hat,
aufgebaut, und gegen diese muste sich meine polemik haupt-
sächlich richten, nur scheinbar führte mich daher meine aus-
einandersetzung von seinem buche ab. dieses selbst ist eine
tüchtige leistung, eine gute und gewissenhafte arbeit, die nur
1 ci fenisent li vers, Pestorie plus ne (Iure, ce reconte AI. de Bernai
ä seüre. qui unques nen ot j'or longement adventure, s'un for la trovu
blanche ci fenisent li vers d? Alisandre, dies das ende des ge-
dientes in Ars., Meyers lesung i 105 und n 235 differiert ein wenig, die
andere stelle lautet: Alixandre natu dist, qui de Bernai fu nis et de
Paris refu ses seurnoms apelds, >pti cht a les siens vers o les Lambert
jouttfo, tjui- li 'fiterres de Gadres? est iehi afinis (n 227). ich mache be-
sonders auf den vers 'welcher hier seine verse neben die Lamberts gestellt
hat' aufmerksam, den AI. de B. als verf. der ridge d'Athenes hat PMeyer
ii 235 ff wol endgültig ins reich der fabel verwiesen.
2 es könnte allenfalls Pierre de S. Cloud sein, doch würde ich trotz
den einwendungen Meyers die stelle (n 2'2(.i ff) ihrem character nach eher
für citat halten.
14*
204 HAMPE QUELLEN DES STRASSBURGER ALEXANDERS
leider etwas unübersichtlich ausgefallen ist, dadurch dass der
verf. seinen stoff nach den quellen geordnet vorführt. ASchmidts
arbeit, die sich an den gang des gedichtes hält und nach den
beiden ersten abschnitten eine sehr practische tabelle beifügt, ist
viel bequemer benutzbar, neben der italienischen Historia wäre
Quilichinus von Spoleto nach den mitteilungen von Neuling
(Beitr. 10, 315 ff) heranzuziehn gewesen.
Wien im Januar 1891. S. Singer.
Geschichte der deutschen dorfpoesie im 13 Jahrhundert i. von Albert Biel-
schowsky (Acta Germanica n heft 2). auch unter dem titel: 'Leben
und dichten Neidharts von Reuenthal'. — Berlin, Mayer & Müller.
1590. vn und 294 ss. 8°. — 9,50 m.*
Der wert dieser sorgsamen und ungewöhnlich gut geschrie-
benen arbeit liegt mehr in der vollständigen und verständigen nach-
prüfung des sonst schon für Neidhart geleisteten als in neuen
gesichtspuncten oder neuen ergebnissen. der autor hat sowol den
text selbst (nicht immer auch die lesarten) als die arbeiten seiner
Vorgänger mit grofser aufmerksamkeit studiert und sich kritisch
zu eigen gemacht; dass unter diesen arbeiten sich auch hand-
schriftliches material befand, welches rec. ihm neben gedrucktem
zur Verfügung stellte, hätte der sonst mit dank nicht kargende
verf. um so weniger verschweigen sollen , als er gegen mich mit
Vorliebe und nicht ohne Voreingenommenheit polemisiert. — die
gründlichkeit in ausnutzung und besonders besprechung der
vorarbeiten geht mir oft sogar zu weit; es wäre für den ruf der
deutschen philologie besser, wenn nicht immer wider in langen
capp. der beweis geführt würde, dass Mohammed kein römischer
cardinal gewesen, zu den überflüssig breiten betrachtungen rechne
ich besonders die erneute darlegung des volkstümlichen Ursprungs
der Neidhartischen dichtung, bei der es jedoch an hübscheu be-
merkuugen nicht fehlt (so s. 16 über den mädchenchor) , und
vieles in der biographie des dichters (cap. n) , zb. die Unter-
suchung über seine heimat1.
Trotz dieser gründlichkeit in der durcharbeilung der litteratur
begegnet es dem autor nicht selten , dass er die citierten stellen
falsch versteht, so zb. s. 56. Haupt hat (zu 102, 32) keineswegs
die lieder, welche er an den schluss seiner Sammlung stellt, für
bairisch erklären wollen, wie eben schon diese anordnung be-
weist. Wackernagel meint, Neidhart habe damals an der bairi-
* [vgl. Litt, centralbl. 1891 nr8. — Litbl. f. germ. und rom.phil. 1891 nr4
(EMartin).]
1 auch eine frage wie die, wo die tochter, welche 24, 13 f sich mit
ihrer mutter streitet, schlage erhält, verdient wol bei mündlicher inter-
pretation erörtert zu werden, aber schwerlich waren in einem buche üher
die geschichte der deutschen dorfpoesie 13 Zeilen daran zuwenden (s. 157);
es handelt sich doch schliefslich nicht um den ort der Varusschlacht!
BIELSCHOWSKY DEUTSCHE DORFPOESIE I 205
sehen grenze gelegen, Haupt erwidert, er müsse auf der fahrt
ins Baierland begriffen gewesen sein, und deshalb nahm ich eine
rückkehr aus Österreich nach Baiern an in allerspätester zeit;
daran ist nichts 'unerfindlich'. — oder s. 151: in seinem Wider-
spruch gegen meinen tadel des Überganges in den liedern 9, 13
und 16, 3S (deren datierung ich aufrecht erhalten muss) hat B.
völlig das moment übersehn, auf das ich den hauptton legte: die
zähe anknüpfung an ein einzelnes Schlagwort. — am schlimmsten
s. 170: hier sagt B. mir nach, ich hätte von 48 fällen, in denen
die directe rede ohne einführung beginnt, nur 5 gesehn, aber
er hat seine zahl dadurch zusammengebracht, dass er fälle mit-
zählt, in denen nicht eine figur, sondern der dichter selbst redet
(wie 6, 19. 8, 12. 28, 36 uö.). Neidhart kann doch unmöglich
anheben: in dem tal erhebt sich — wie ich euch mitteilen will —
von neuem der gesang der vögel!
Anderseits wird der text Neidharts oft ungebührlich gepresst;
so sind zb. die auslegungen von 'des meien stiuwer' (s. IS), 'durch
des landes ere' (s. 91) und andere gezwungen und unwahr-
scheinlich. —
Sieht man von solchen kleinen schwächen ab, so bleibt eine
verdienstliche und beachtenswerte arbeit übrig, das erste cap.
widerholt und ordnet die Zeugnisse über die Vorgeschichte der
dorfpoesie. das zweite bespricht Neidharts leben; einige wert-
volle neue gesichtspunete sind geschickt zur datierung mit-
benutzt, und eine übersichtliche tabelle ist beigefügt, cap. m — vn
behandeln die sommerlieder, vm — xrv die winterlieder. als ge-
lungen hebe ich hervor die beobachtungen über die umwandelung
des natureingangs (s. 35 f), über den wortgebrauch in den reien
(s. 129 f) und besonders über die figuren der Substantivverbindung
(s. 133 ff. 224 1 — leider nicht auf ihre metrischen bedingungen
geprüft), über die reimeroffnung und andere metrische eigen-
heiten, die sommer- und winterlieder scheiden (s. 257; 261).
minder glücklich scheinen mir B.s versuche, über Neidharts lebens-
verhältnisse neues zu ermitteln; die drizec jdr , wie das kom
koufen (s. 48. 52) bleiben doch wol formelhaft, und dass des
dichters frau eine wenn auch unbemittelte, doch tüchtige und
energische person war, die das kleine lehensgut zusammenhielt
und das gegengewicht gegen den künstlerischen leichtsinn Neid-
harts bildete (s. 68), würde ich aus dem umstand allein, dass sie
auf Reuental keine nebenbuhlerin haben wollte, noch nicht zu
erschliefsen wagen, dass Neidharts 'ich' in den reien nahezu
verschwinde (s. 106), ist eine mehr als kühne behauptung; dass
er die in ihn verliebten bauernmädchen als närrinnen darstelle
(s. 176), ist ein satz, der auf völligem verkennen von Neidharts
Selbstgefälligkeit beruht, wie viel Bchnaderhüpferl gibt es, in
denen der bursch halb in vergnüglichem Blolz und halb in ab-
wehrender selbstironie seine unwiderstehlichkeit schildert! hübsch
206 BIELSCBOWSKY DEUTSCHE DORFPOESIE I
ist die Zusammenstellung Waltherischer und Goethischer verse
(137, 2) und die anmerkung über das flachsschwingen (s. 189).
in der beurleiluug derjenigen dichter, die auf 1\. gewürkl haben,
hat B. Morungen in überzeugender weise in den Vordergrund ge-
stellt (s. 195); der hauptgrund der Übereinstimmungen ist wol
aber doch der, dass der geniale führer der thüringischen schule
so gut wie der geniale reformator der bajuvarischen lyrik aus
dem volksgesang schöpfte. — die stilistischen Untersuchungen
halten sich mit recht eng an Burdachs feststellungen zu MSF
und Walther; den Worten, dass ein gutes beispiel mehr wert sei
als alle blofse Statistik (s. 219), stimme ich gern zu. ebenso gebe
ich meine eigene beurteilung der liebliugsreime Neidharts preis;
die philologische Statistik hat seit jener zeit — besonders durch
Sievers und Wilmanns — grofse fortschritte gemacht; und übrigens
hätte ich es schon damals besser machen sollen, das einzig
richtige war natürlich, alle reime zu prüfen, wie schon Strauch
(Anz. 10, 299) hervorhob. B.s eigene rechnungen sind freilich
seltsam genug; er hätte besser getan, einfach auf die berichtigungen
bei Zöpfl Höfische dorfpoesie s. 71 zu verweisen, in bezug auf
Neidharts Verhältnis zu den pastourellen stehe ich* ihm auch in
den von ihm bekämpften worten viel näher als er glaubt (s. 283 f).
aber es bleibt die 6ine tatsache: unter den winterliedern sind
ein paar stücke, die durch ihre halbepische concentration auf-
fallen; sie könuten durch die ähnlich componierten pastourellen
beeinflusst sein, obwol sie inhaltlich diese keineswegs nachbilden,
könnten durch sie gerade deshalb beeinflusst sein, weil bei deutsch
volkstümlichen mustern ihre Seltenheit doppelt auffiele, indes
wird mau ein urteil über diese frage aufschieben müssen, bis
wir über das Verhältnis der deutschen lyrik zu der der nachbarn
endlich einmal mehr wissen, als dass Rudolph von Neuenbürg
der erste meister der deutschen Übersetzungskunst war. —
Es gibt noch mehr dinge, über die ich mit B. verschiedener
meinung bin, ohne schon beweise für möglich zu halten, so
hat in der frage der lieder und einzelstropheu mich die ruhelose
tätigkeit der minnesangphilologen allmählich durch die nervosität
hindurch zur apathie geführt, rastlos und unerschrocken hat
man die Strophen bald losgehauen, bald angeklemmt, bald, wie
Haupt (Opusc. 3, 41) einmal bei anderer gelegenheit sagt, wie
Würfel im becher durcheinander geschüttelt — allemal mit un-
widerleglichen gründen natürlich, mich würde es nicht wundern,
wenn dies 'atomisieren' nächstens zu der lehre von der abso-
luten einstrophigkeit führen sollte, wonach alle Strophenverbindung
den spielleuten oder Sammlern zur last fiele, aber ich bin kein
Skeptiker, sondern erhoffe von einer systematischen durcharbeitung
der liederbücher auch hierfür licht; bis dahin will ich jeden nach
belieben über die Souveränität oder lehuspflicht der Strophen
entscheiden lassen, und ebenso muss ich es wol mit der strophik
BIELSCHOWSKY DEUTSCHE DORFPOESIE I 207
machen , wo immer noch die meinnng herscht , ein dichter habe
neue verse gebildet, indem er verse auflöste, die zahl der hebungen
erweiterte (s. 273), reime verlegte usw. meinen versuch, gesetze
statt der willkür nachzuweisen, hat bis jetzt niemand besser oder
auch nur anders widerholt; B. war dazu gewis nicht verpflichtet,
so sehr auch gerade Neidharts Strophen dazu reizen , über die
zahl der verse und hebungen zu der eigentlichen Organisation
der metrischen form herabzusteigen. —
Berlin, februar 1S91. Bichard M. Meyer.
Zu Tannhäusers leben und dichten, von Alfred Oehlke. Königsb. diss.
1890. Mohrungen, WEHarich. 71 ss. 8°. — 1,20 m.
Wunderbar genug, dass heutzutage, wo kaum ein minne-
singer sicher ist vor dem Schicksal, held einer dissertation zu
werden, nicht schon längst der Tannhäuser seinen liebhaber ge-
funden hat. freilich, er gibt rätsei auf, wie kein anderer unter
den mhd. lyrikern; aber mit seinem höchst eigenartigen halb
gelehrten, halb volkstümlichen humor, der den hauch einer ganz
besonderen lebenssphäre in sich birgt, lohnt er die mühe wahr-
lich, so heifse ich diese erste Tannhäuserdissertation willkommen,
wenn sie gleich wenig mehr bietet als eine Zusammenfassung des
bisher geleisteten und den vielseitigen anforderungen des Stoffes,
der nicht nach dem üblichen Schema abgetaü werden durfte, nur
zum kleinsten teile gerecht wird, ihr selbständiger wert liegt
besonders nach der chronologischen seite hin, wo 0. durch
gründliche ausnutzung der historischen anspielungen für Tann-
häusers leben und dichten neben vielem unsicheren i auch
allerlei erwägenswerte resultate erzielt hat: nur ist keineswegs
alles neu, was er für neu hält; es ist doch ein wenig stark,
dass er Müllenhoffs bekannte datierung des 6 leichs (Nordalbing.
stud. 3,94) nicht zu kennen scheint: sie stimmt ganz zu Ö.s resul-
tat. als leidlich gelungen darf auch die characterisierung der Neid-
hartschen und derTannhäuserschen poesie, teils in ihrem Verhältnis
zur höfischen minnedichtung, teils im gegensatze zu einander,
sowie die Schilderung der an die beiden anschliefsendeu paro-
distischen dichtergruppe bezeichnet werden , wenngleich sie neues
nicht bringt und auch nichts weniger als erschöpfend ist-, der
1 auf einer bedenklichen prämisse beruht die Übertragung der Zeit-
bestimmung von xn 1 auf die übrigen unter dieser numnier stchndea
Sprüche (s. 40), zumal da str. 3 auch metrisch von den andern abweicht.
auch die datierung von xiv ins jähr 1246 (s. 41) kann zunächst nur für die
str. 1. 2. 4 und 5 gelten (s. u.). die datierung von in und iv im Verhältnis
zu v (*. 41) steht auf gar zu schwachen füfsen. falsch ist endlich die von
vm — x, worauf ich in anderem zusammenhange unten zurückkomme.
2 ich vermisse hier zb. den Kol von Niunzen. Steinmar hätte im be-
sonderen auch als parodist des tageliedes genannt zu werden verdient.
208 OEHLKE TANNHÄUSERS LEBEN UND DICHTEN
gedanke, Taunhäuser mit den dichtem der Carmina Burana zu ver-
gleichen, ist Ö. sehr zum schaden seiner arbeit nicht ernstlich
gekommen, obgleich er jene lat. lieder ein paar mal heranzieht;
ihm ist Tannhäuser ein ritter wie Neidhart, nun hat aber die
höchst eigentümliche zerfahrene gelehrsamkeit, die zuweilen heid-
nisch naive, keineswegs rohe Sinnlichkeit Tannhäusers nirgends
im deutschen minnesang, wol aber in der lat. Vagantendichtung
ihres gleichen; es ist sicher viel eher erweisbar, dass er vagant,
fahrender kleriker, als dass er adliger war, was durch jenes ja
freilich nicht ausgeschlossen wird, dadurch dass sich Ö. diesen
höchst fruchtbaren gesichtspunct entgehn liefs, ist seine diss. von
vornherein zu unerlaubter einseitigkeit in der litterarhistorischen
auffassung des dichters verdammt gewesen, höchst einseitig ge-
halten ist endlich auch der metrische abschnitt, den der verf.
in ermüdender ausführlichkeit und noch dazu mit manchen ver-
sehen der äufserlichen aufstellung und erläuterung der einzelnen
metrischen gerippe widmet, während er auf die behandlung
anderer naheliegender und meist interessanterer fragen fast voll-
ständig verzieht leistet, ich habe hier in erster linie die leiche,
zumal die tanzleiche im äuge: das längenverhältnis ihrer teile zu
einander, die wechselnde lebhaftigkeit der touren, rückschlüsse
aus dem metrum auf die beschaffenheit der melodie, betrachtung
der daetylen mit rücksicht auf ihr auftreten in den einzelnen
teilen (bei idaetylen ausnahmsweise bereits im ersten teile: 1 15. 16),
die Verteilung der respondierenden abschnitte auf die verschiedenen
teile (in der regel verlaufen sie innerhalb des ersten teiles; weit sel-
tener erstrecken sie sich über beide teile, wie es bei der gesteigerten
lebhaftigkeit des zweiten begreiflich ist; nur 2 widerholungen ge-
hören allein dem zweitenteile an: i 20.21, iv 22. 23, beide ihn
einleitend), endlich das Verhältnis zwischen inhalt und form: die
andeutungen Roethes, Reinmar v. Zweter 355 ff, sind für Ö. ver-
geblich geschrieben gewesen, er hätte meines erachtens durchweg
besser getan, die inhaltliche und die formell-metrische seite nicht
an ganz verschiedenen stellen seines buches zu behandeln, bei
dem spruchgedichte xvi hätte ihn eine zusammenhängende be-
trachtung von inhalt und metrum vor der abenteuerlichen auf-
fassung desselben als eines dreiteiligen leiches vielleicht bewahrt
(s. 59: vgl. dagegen in diesem Anz. oben s. 79). bei n scheint
er, aus seinem stillschweigen s. 21 zu schliefsen, unteiligkeit an-
zunehmen: mit str. 18 ist aber doch wol ein zweiter teil zu be-
ginnen (bezugnahme auf den gegenwärtigen tanz und allgemeine
reflexionen). iv fasst er als zweiteilig (s. 21): ich betrachte nü
dar (28) als anfang eines dritten teiles (vgl. nü dar i 20) , worin
im gegensatz zu den beiden vorangehnden teilen gesprungen
wird ; anderseits ist der zweite teil des dritten leiches verhältnis-
mäfsig so kurz ausgefallen, weil dort die sprungtour sofort nach
schluss des ersten teiles einsetzt.
OEHLKE TAN.NHÄL'SERS LEBEN UND DICHTEN 209
Am dürftigsten ist die arbeit in rein philologischer beziehung,
in der kritik und erklärung des schwierigen Tannhäusertexles,
ausgefallen, dass Ö.s leistUDg viele lücken lässt, das ist kein wun-
der und ist ihm an sich noch nicht zum Vorwurf zu machen: es
gehört nicht nur gelehrsamkeit, es gehört sicherlich auch viel
glück dazu, um hinter all die absichtlichen und unabsichtlichen
rätsei zu kommen, die uns dieser coquett halbgelehrte vagant
aufgibt, aber etwas mehr, als Ö. bietet, durfte immerhin er-
wartet werden, es sei mir gestattet, hier einige fragen zur
spräche zu bringen , die Ö. nicht aufgeworfen oder doch nicht
befriedigend beantwortet hat.
Grundsätzlich wird Ö. wol mit mir einig sein, dass wir zu-
nächst versuchen müssen, die confusen geographischen, histori-
schen, sagengeschichtlichen curiositäten, die uns Tannhäuser so
massenhaft auftischt, zu verstehn, dass wir möglichst zögern
müssen mit der annähme, der schalk habe sich allerlei Schein-
gelehrsamkeit einfach aus den fingern gesogen oder: 'der ganze
abschnitt soll jedenfalls gar keinen rechten sinn haben', gewis,
Tanuhäuser wirft absichtlich zu komischer würkung nicht zu-
sammengehöriges durcheinander: das einzelne muste dann aber
gerade der contrastwürkung wegen verständlich bleiben, dem-
gemäl's ein paar vorschlage, zu denen auch Roethe beigesteuert
hat: sollte Latricia (iv 3), die sich heimlich sehn liefs, nicht
Lucretia meinen, die Tarquinius unter vier äugen überwältigte?
c und t werden bekanntlich sehr leicht verwechselt. — mit der
Amarodia (iv 4), die dafür büfsen muste, dass infolge des
anstiftens der Eris Helena geraubt wurde, könnte etwa An-
dromacha gemeint sein. — die Lünete diu was von höher art
(iv 5) kann kaum die dienerin ans dem Iwein sein: eher wol
die Lünete der mantel- oder hornprobe , die Tanuhäuser ja
kennt: vgl. Warnatsch Der mantel s. 77 f, eine stelle, die Ö.
wider entgangen zu sein scheint. — sicher ist Cüraz (iv 9) kein
phantasiegebilde des dichteis. bei Boppe (MSH n 3S2b) wird ein
doch wol mit ihm identischer Güras als trüt den vrouwen allen
erwähnt, der an sich naheliegende gedanke, dass der schüler
hier den meister bestohlen, ist schon deshalb zurückzuweisen,
weil einerseits die Tanuhäuserschen worte ze Cüraze si (Sarmena)
da mit zorne sprach keinerlei anlass zu der von Boppe gegebenen
characteristik des ritters boten, dann weil dieser bei Boppe in-
mitten von fast allbekannten persönlichkeiten auftritt, zum über-
fluss aber kommt derselbe Cürdz auch noch im Weinschw. 344
vor in einem zusammenhange, der in ihm einen mittelalterlichen
Leander ahnen lässt: vgl. Edw. Schröder in diesem Anz. 13,119. —
es folgen 11,3 die unaufgeklärten worte: Tyspe was Elyon be-
kam, nur ein kleiner schnitt, und der vers macht ein anderes
gesicht: Tyspe was ein Hon bekant. — ohne weiteres ferner-
hin erledigt sich v K 3: ze Jerusalem zem Gornetal bin ich
210 OEHLKE TANKHÄUSERS LEBEN UND DICHTEN
komen. die stillschweigende Voraussetzung, dass Cometal in oder
bei der sta dt Jerusalem zu suchen sei, hat Ö. s. 67 zu der un-
annehmbaren identificierung mit Golgatha verleitet, schon der
bestimmte artikel in zem zeigt, dass es sich um eine Zusammen-
setzung mit -tal handelt, gemeint ist offenbar das vom Jordau
und Oroutes durchströmte Ghörtal (vgl. zb. Daniels Lehrb. der
geogr. s. 74) in dem den grösten teil desselben umschliefsenden,
von Friedrich ii neubegründeten königreich Jerusalem. — mit
Tanagran (v 7) ist vielleicht einfach 'Donaugran', Gran an der
Donau gemeint. — unter den winden xm vermisst Ö. den West-
nordwest, und jedesfalls scheint einer zu fehlen, da Tannhäuser
selbst von 12 winden spricht, steckt vielleicht in dem merk-
würdigen der kriec misverstanden der Circius (wnw), der zb. in
der Zs. f. d. phil. 9, 137 mitgeteilten Windrose verzeichnet ist?
Auch die beziehungen Tannhäusers zu den anderen minne-
singern erledigt Ö. nicht, zwar die entlehnung von: er hat unt
mac unt getar getuon (i 9) aus Walther: er mac, er hat, er tuot
(35, 3) ist ihm (s. 64) nicht entgangen, aber er bemerkt nicht,
dass Tannhäuser hier das lob des vaters auf den söhn überträgt,
dies verfahren wird noch dadurch interessanter, dass er. wie
Lachmann zu W. 12, 3 notiert, bei Heinrich von Meifsen , dem
söhne des von Walther 12, 3 und 106, 7 gelobten Dietrichs von
Meifsen, vi 27.28 eine gleiche manipulation vornimmt. — das
parodistische element tritt beim Tannhäuser am klarsten hervor
in den liedern vm — x. parodiert er die höfische dichtung nur
im allgemeinen oder schlägt er gelegentlich auch auf einzelne
dichter mit deren eigenen waffen los? Ö. glaubt eine derartige
stelle gefunden zu haben, aber hier ist sein versuch zurück-
zuweisen und um so mehr, als er einen chronologischen an-
satz darauf baut, er belegt die in dem refrain von x vorkom-
menden worte: swaz si (d. geliebte) mir tuot, daz sol mich allez
dünken guot durch verschiedene, sämmtlich aber mehr oder
weniger von der obigen stelle abweichende parallelen, auf grund
zweier derselben, welche er in Ulrichs trauen dienst auf-
getrieben hat, hält er es s. 27 für sehr leicht möglich, dass
dieses lied und somit auch die beiden anderen, inhaltlich sich
mit ihm deckenden, im anschluss an das Ulrichsche buch, also
nach 1255, gedichtet sind (vgl. auch s. 41). parodiert Tannhäuser
einen bestimmten dichter, so kehrt er die spitze vielmehr gegen
Reinmar (MSF 184,8): ez sol mich allez dünken guot, swaz si
mir tuotK auf jeden fall entbehrt Ö.s beweis hiernach jeglichen
1 die übrigen stellen, an denen Tannhäuser an Reinmar anklingt, be-
weisen mit einer ausnähme an und für sich noch keine nachahmung, sind aber
dadurch bemerkenswert, dass die Reinmaischen fast alle prade dem obigen liede
angehören : ich sach vilwunnectichen stän die heide : diu heide stätgar wun-
neclich (iil,5); zergangen ist de)' winter lanc: der winter ist zergangen
(in 1, 1); dö liez ich vil der swiere min: liez ich vit der stvmre (xv 1,14);
vgl. noch unten s. 211.
OEULKE TANNHÄUSERS LEBEN UND DICHTEN 211
Untergrundes. — noch an einer andern stelle konnte directe Ver-
spottung vorliegen. Walther v. Metze (MSH i 309b) äufsert selbst-
bewust, er könne wol einen den sommer hindurch ihn erfreuenden
vamden Ion erringen, aber dennoch will er in hoflnung hei dem
bisherigen liebesverhältnis ausharren : in ger eins vamden Jones
niht , mich vröut noch baz ein lieber wdn. wenn Taunbäuser,
der auf seite des vamden lönes steht, den minnedienst auf lieben
wdn hin persifliert und hierbei (ix 2, 1) die worte fallen lässt:
mich vröut noch baz ein lieber wdn, so ist dies ebenfalls wol
mehr als blofser zufall1.
Als spruchdichter tritt Tannhäuser aufser in dem rätsel-
spruche (xvi) in xn auf. in str. 1 befindet sich eine bisher über-
sehene, auffallende Übereinstimmung mit dem Spervogelschen
Spruche: so tce dir armüele (MSF 22, 9); die worte: swenn er des
guotes niht enhdt; si kerent ime den rugge zuo und grüezent in
vil trdge; so hat er holde mdge kehren fast wörtlich beim Tann-
häuser wider und füllen dort ungefähr v. 2—4 der ersten Strophe.
nur die erste hälfte von v. 2 'ich wcer den Unten sanfte bV,
die zweite von v. 3 'die mich da gerne sahen' steht nicht schon
bei Spervogel: beide finden sich zusammen bei Reinmar d. a.
(MSF 164,35): die mich gerne sahen eteswenne, die mir dö sanfte
waren bi. ich zweifle also nicht, dass auch diese an sich be-
langlosen Zwischensätze auf remiuiscenz beruhen, und dieser ecla-
tante fall eines ungewöhnlich deutlichen doppelplagiats ergibt jedes-
falls die methodische forderung, auf die auch anderes hinführt, hei
jedem scheinbar originellen Tannhäuserschen gedanken oder worte
immer die frage im äuge zu behalten, ob da ein selbständiger geist
redet oder nur die reiche, uns noch vielfach nicht einholbare belesen-
heit des gewanten, gedächtnisbegabten vaganten sich offenbare. —
sodann gehe ich auf eine von Roethe gelegentlich aufgeworfene frage
ein: ist xiv, wie bisher, als lied oder als spruchgedicht zu be-
trachten? zunächst ist klar, dass der inhalt der 6 Strophen eher
für spriiche spricht auch das metrum ist von dem der unter
xn stehenden sprüche nur insofern verschieden , als die beiden
letzten, dort selbständig reimenden Zeilen hier zu einer, im reim den
vorhergehenden angeglichenen zeile zusammengeschrumpft sind,
die chronologische betrachlung hilft nicht weiter, denn die beobach-
tung, dass die Strophen, wenigstens die hälfte derselben, ungefähr
gleichzeitig abgefasst sein müssen (1 hinweis auf die agitatiou
für Raspe, 4.5 auf den tod Friedrichs), verträgt sich mit beiden
annahmen, lauter a einzelstrophen sind es jedesfalls nicht, die
auf den hell uz Osterrkhe (in 4) zurückweisenden pronomina im
und Mi (in 5) schliefsen wenigstens str. 4 und ."> im Irislich zu-
1 wenn Heinrich vStretelingen (.MSH i 11 11') in den Worten: mich twinget
daz mich <'■ tl<i imune mit Tannhiiuser IV 31, 6 zusammenklingt, BO Wirf
jenem wenig originellen dichter die reminiscenz an Tannhäusei im köpfe
gelegen haben.
212 OEHLKE TANISHÄUSERS LEBEN UND DICHTEN
sammen. der letzte vers von str. 1 und 2 ist gegenüber den
entsprechenden versen der andern Strophen je um einen fufs
zu kurz; beide Strophen fallen also, ähnlich wie — nur noch
auffallender — der spruch xii 3, aus dem metrum der übrigen
Strophen heraus, da die genannten Strophen auch das gleiche
thema behandeln, das Verhältnis des dichters zum hofe, so trage
ich kein bedenken, sie als zweistrophigen spruch aus den übrigen
auszusondern, die nunmehr übrig bleibenden str. 3 und 6 sind
zwar nach Stimmung und inhalt nahe verwant, aber ihre Stel-
lung lässt ein zusammenrücken unrätlich erscheinen: es sind
einzelsprüche, demselben gegenstände gewidmet, wie der einzel-
spruch xii 3.
Zum schluss noch einige Verbesserungsvorschläge, der text
Tannhäusers ist in erster linie, wie ein blick aufvdHagens und
Bartschs besserungen zeigt, durch auslassungen einzelner, meist
mit ziemlicher Sicherheit zu ergänzender worte entstellt, noch
an folgenden stellen sind einschiebungen vorzunehmen: i 10, 6
dar zuo vor guoten; n 20,3 und der kle (C unde kle); iv 1,2
noch vor schcener ; 8, 1 an vor allen (i 3, 4 an allen dingen wis) ;
v 15, 3 von vor Tennemark (4 des von Osterriche) ; ix 1, 7 von
(oder dur?) vor Provenz; xii 4, 6 der vor Sahsen (8 dur der Unger
lant); tieferliegend, aber auf gleiche Ursache zurückzuführen ist
die Verderbnis am schluss des 6 leiches. ein den namen des
verherrlichten forsten enthaltendes reimpaar muss ausgefallen sein,
entweder nach 36,8 oder besser, weil hierdurch der unbefriedigende
parallelismus von sin (9) und des (11), der freilich auch 33,3.4
begegnet, seine erklärung findet, nach v. 10. Ö.s ansieht, dass
der gepriesene der damals höchstens 14jährige Konradin sei
(s. 12. 13), bleibe dahin gestellt; für verfehlt halte ich jedesfalls
sein verfahren, die letzten 4 verse zu streichen und den schluss
als verstümmelt anzusehn (s. 13. 70). die fraglichen verse geben
mit ihrem verallgemeinernden gedanken einen möglichen abschluss,
und die reimlosigkeit ist ihr einziger fehler, gegen vdHagens
gelegentlichen Vorschlag, die reimbindung durch daz : baz, sitilit
herzustellen, spricht nun aber nicht nur die unsymmetrische
terrassenförmigkeit der dann entstehenden verse, sondern auch
der umstand, dass in diesem falle zwischen 1 1 und dem folgenden
eine wenig wahrscheinliche lücke angenommen werden muss. die
einsprengung der reime scheint sich am leichtesten auf folgende
weise bewerkstelligen zu lassen:
11. des munt ist kiusche und süeziu wort,
daz vileget nieman hie und dort
baz danne reinen wiben, sit ir güete hilfe git
mangein senden man, der in ir minne banden IHK —
i 21,6 muss vor fallen (xv 2 ich hdn dien jungen vil ddher ge-
sungen). — durch Umstellung löst sich xiv 6, 7 mir ist gebachen
1 12 hie und dort ergänzt. 13 hilfet in C.
OEHLKE TANWHÄÜSERS LEBE.\ DHD DICHTEN 213
noch gemaln (C gemaln noch gebachen). — ohne eigentliche iinderung
des überlieferten sind heilbar i\ 29, 4 und xm 4, 7 ; die str. iv29
ist, was die sicher dactylische und gleich der unsrigen an-
hebende folgende Strophe wahrscheinlich macht, dactylisch zu
lesen, woraus sich für v. 5 die änderung machentz für machent
ez ergibt (xiv 1, 3 teilentz); an der anderen stelle ist mir die
von vdHagen und Bartsch befolgte interpunction unverständlich:
die welle und ouch die ünde gent mir grdz ungemüete,
daz si vür mine sünde der reine got min hüete: nach sünde ist
zu interpungieren und si als verbum substautivum zu verstehn. —
i 9, 2 'das lob Friedrichs wird weit und breit verkündigt, sodass
niemand — davon abraten kann"? vielmehr: 'Widerspruch dagegen
erheben kann', also widerredent. grund der corruptel: der
anfang des vorigen verses sinem rate. — in 21, 9 der ist enzwei
halte ich für verdorben, teils wegen des gleichlautenden schluss-
verses, teils weil das prädicat den worten der minne grünt nicht
zukommt, der kurze vers sollte offenbar die lange reihe der
auf — mit endigenden vierhebigen verse durch einen gleichen
reim markant abschliefsen. ich vermute: der ist enzunt. —
v 14, 4 1. noch der nigromanzie (C von d. «.).
Goslar. E. Kick.
Hans Hesellohers lieder. von dr August Hartmann, custos an der k. hof-
und Staatsbibliothek in München. Erlangen, Fr. Junge, 1890. 70 ss.
gr. 8°. (separatabdruck aus der festschrift für Konrad Hofmann, Ro-
manische forschungen, bd. v lieft 2). — 1,80 m.
Von den vier unter des Hesellohers namen überlieferten
liedern war bis vor kurzem nur eines, das umfangreichste und
interessanteste, gedruckt, gleichzeitig aber mit obiger schrill,
in welcher die drei übrigen gedichte aus einer Münchner hs.,
die schon Schmeller für sein Bayrisches Wörterbuch und Unland
für die anmerkungen zu den Volksliedern benutzt hatte, veröffent-
licht wurden , gab dieselben JBolte in seiner hübschen Sammlung
'Der bauer im deutscheu liede' (Acta germanica i 3) aus der
gleichen quelle heraus, in der Sammlung der sogenannten Pichard-
sehen hs. (gedr. Frankfürtisches archiv für ältere d. lil. und
gesch. in 1815, s. 203 — 323) entdeckte Hartmann (vgl. s. 46 ff)
ferner ein lied, welches gleiches versmafs und gleichen inhalt,
ähnliche behandlung und spräche zeigte, wie das erste Hesel-
lohersche lied seiner ausgäbe, und brachte den verderbten text
desselben aus dem Frankfurt, arch. aao. 283 IV ziemlich unver-
ändert zum abdruck. wir haben es hier entweder mit einem
fünften auf uns gekommenen liede desselben dichlers zu tun, wie
II. zu glauben geneigt ist, oder mit einer directen nachahmung
des Heselloherliedes i, was ich für wahrscheinlicher halte, end-
lich weist H. in der liedersammlung, die unter dem namen '.Neid-
hart fuchs' noch im 15jh. im druck erschien, eine Überarbeitung
214 HARTMANN HESELLOHERS LIEDER
des liedes 11 seiner ausgäbe nach (vgl. s. 41 — 45). er vergleicht
diese aufnähme Heselloherscher dichtungen in die beiden alten
liederbücher ganz richtig mit der ebenso rasch erfolgten ein-
reihuug Wolkensteinscher poesien in dieselben Sammlungen, worauf
H. s. 45 und 47 anm., soviel ich weifs, als der erste aufmerksam
macht, bei gleicher gelegenheit gibt der verf. noch andere interes-
sante nachweise über den bestand des Neidhartdruckes, die alle
Bobertags einleitimg zu seiner ausgäbe dankenswert ergänzen.
Wir sehen die tradition der winter- und dörperlieder Neid-
harts in Bayern reichlich zwei Jahrhunderte nach dem tode ihres
classikers noch ganz frisch in der erinnerung (vgl. s. 66 und Anz.
17, 4), und die lieder Hesellohers (auch er, wie der Beueutaler,
ein edelmann, der auf dem lande unter den bauern lebte) unter-
scheiden sich nicht viel mehr von den echten erzeugnissen der
Neidhartschen poesie als etwa , wenn wir von den Veränderungen
in spräche und metrum absehn, die Neidharte, die unter Gölis
namen liefen (s. Haupt, Neidhart xxi 7 ff), nicht nur motive und
form, sondern auch die allerkleinsten züge, den ganzen vorrat
an worten und Wendungen, wie Heselloher sie zeigt, könnten
wir in den echten und falschen Neidhartliedern und in den älteren
oder jüngeren reimpaarsatiren auf bauernhochmut nachweisen,
es mögen sich wol viele der verspotteten sitten aus der zeit der
Neidharte und Tannhäuser erhalten haben bis in die zeit, als
man um Pähl und Weilheim die Heselloher, bald wol auch wider
unechte neben den echten, tanzte; manches mag aber in den
späteren gedichten dieser art starrgewordene Überlieferung sein,
was und wie viel? es wäre eine interessante aufgäbe dies zu er-
gründen und festzustellen, wie der vorrat an namen, worten,
phrasen, formein und einzelzügen vom 13 bis ans ende des 15 jhs.
der gleiche bleibt, anderseits vermehrt und vermindert wird!
Dem günstigen urteil H.s über des Hesellohers kunst (s. 54)
schliefse ich mich an. die popularität von wort und weise
(vgl. s. 65) des gedichts 'von yppiklichen dingen' war wolverdient.
wie hübsch ist das überkommene motiv von des dichters Schaden-
freude über das unheil, das aus den bäuerlichen raufhäudeln ent-
sprang: 'so viele wurden verwundet und so viele blieben tot, ich
freute mich, wären es mehr' am Schlüsse des liedes iv gewendet I
der amtmann beeilt sich nicht sehr den streit zu schlichten, je
gröfser die wunden, desto höher die geldbufse. das mag den
verwundeten wenig gefallen, aber 'die herschaft' verdirbt dabei
nicht, davon blüht des amtmanns und des baders weizen. wir
hören den landrichter von Pähl, der dieses dichtet.
Die H.sche publication bringt zunächst s. 1 — 11 die texte
der vier überlieferten lieder Hesellohers.
Für den text von i — m lag dem verf. nur eine hs. vor, uz.
Cgm. 379, aus welchem auch Bolte aao. die drei lieder heraus-
gab, vergleicht man H.s und Boltes texte, so fallen zunächst
HARTMANN HESELLOHERS LIEDER 215
eine anzahl discrepanzen in der lesung der hs. auf: i S pringend
H.] pringen den B; 60 myt undeutlich] mut; 67 zäch] jach;
87 sprechen] sprenzen; 92 anderen] andern; 96 sein] ain fein;
102 den] der; 103 körn] kam; 111 rechte] rechtr; u 29 zwüe]
zwür? 30 mir fehlt ß. in -4 sein (2) fehlt B; 15 fiefs] siess;
36 tragts] tregts (s. v. 32)*. wer hier immer die richtige lesart
gibt, kann ich nicht entscheiden; nach i 102. m 15. 36 zu
schliefsen scheinen H.s lesungen mehr gewähr zu besitzen; nur
i 87 mag Bolte genauer gelesen haben, zwar bietet Schmellers
auf uns gekommene abschrift dieser lieder i 8. 57 und 96. n 29.
in 15 gleiches oder ähnliches wie Bolte; gerade weil sich aber
H. (s. 68 anm.) hier des gegensatzes zu Schmeller bewust ist,
flöfsen seine lesungen mehr vertrauen ein. — häufig bleibt B.
bei der hs., wo H. die (jedesfalls nötige) besserung versucht;
freilich wollte ich nicht sagen, dass diese besserungen stets wahr-
scheinlich seien, den geringsten glauben wird wol der Vorschlag
zu ii 30 finden , jedoch kann ich der Verderbnis auch nicht auf-
helfen; lag vielleicht eine obscönität in den zwei letzten zeilen? —
ein lesefehler zwang B. i 102 (und 87?) zu falscher auffassung
und interpunction, sonst interpungiert er hier und da richtiger
als H., so i 22 ff (rot: 'se — schleck!'); i 64 ff (henden : list); m 2 ff
(watten : geraten, tut), auch H.s auffassung und interpunction von
ii 26 f ist sicher falsch und mit B. mein, dichten; zu schreiben:
auf recht z. 27 liegt der nachdruck, im gegensatz zu hinder sich
ze messen 25. — ich mochte noch vorschlagen: Joppen für kappen
i 37. a und o reimt auch sonst, von der kappe war schon v. 31
die rede; vgl. ferner Neidh. 41,5 und Unlands Volksl.246,6. tunt
i42. wider für vntter 78, vgl. Wittenw. Bing 1 1\ 16. 40c, 8. i 105
ist hinter selbs wol nit einzuschalten: es ist nicht schön, dass
du (nur andere, und) nicht dich selbst (spottend) besingst, der
dichter antwortet: das ist bald getan, nur geduld: ich pin ain
nur und pin ain läpp usw. eine beziehung zu dem verlorenen von
Wig. Huudt citierten liede 'von jhme selbs': Hdnsl Heseloher, wie
lang will leppisch sein (s. auch Bolte, aao. 222 anm.) liegt hier
jedesfalls vor; vielleicht gab dieses lied Ellen antwort auf unser
gedieht. — für m kommt noch die Überarbeitung in dem alten
drucke von Neidhart Fuchs in betracht. leider hat H. diese
quelle zur textherstellung nicht herangezogen, er hätte doch
nicht, wie Bolte, m 16 ein wunden als eilen in ein wunden als
ein eilen bessern sollen, wenn der alte druck einer wunden lang
als eilen gibt, ferner macht mir die lesart des Cgm. 379: v. i;>
tzwing für tzwingt bei H. und B. es sehr wahrscheinlich, dass der
druck mit seinem: es wil der selbig Öselszwing (: sing : kling) das
[* eine gelegentlich von mir vorgenommene collation des 1 liedes, die
allerdings von Boltes text Busgieng nnd an vollständig >ein mag, bestätigt
Hartmanns lesungen v. 8. 102. 103; v. 87 ist die hs. Behr undeutlich; v.32
ein aus sein corr.; v. 99 flickst; v. 119 jm. I!.]
216 HARTMAN!« HESELLOHERS LIEDER
richtige bewahrt habe, endlich mag v. 66 des Neidhartdrucks die
richtige ergänzung des in Cgm.379 ausgefallenen verses 48 bieten,
der sinn des letzten verses von in braucht uns wol nicht erst
'erschlossen' zu werden (vgl. s. 16): der bauer tanzt (in der wirts-
stube) so gemefs, als hätte er (oder man?) drinnen (nach dem
tacte) gedroschen.
Für lied iv ist die Überlieferung ganz anders geartet als für
i — in. es ist vor IL schon fünfmal neu gedruckt worden, uz. in
Unlands Volksliedern (als nr 249) nach Hundts aufzeichnung (H);
im neudrucke des Ambraser (resp. Frankfurter) liederbucbes vom
jähre 1582, ed. Bergmann, Lit. ver. 1845 (F); im 4 bände von
Arnims Wunderhorn (ed. Erk, 1854, s. 3 12 ff) nach einem fliegen-
den blatte, Nürnberg, Jobst Gutknecht, c. 1515 — 1536 (G), end-
lich in Böhmes Altdeutschem liederbuche (als nr 451) und in
Liliencrons 'Deutschem leben im Volkslied um 1530' nr 107 nach
PSchöffer und MApiarius '65 teutschen liederu', Strafsburg 1536
(S). dazu kam für H. der text der Wiener hs. 3027 (W). alle
genannten editionen sind unkritische abdrücke aus guter oder
schlechter quelle, der neudruck des in anderen, viel benutzten
Sammlungen stehndeu liedes hätte durch eine kritische behand-
lung des textes seine berechtigung dartun können, das material
lag bereit, die aufgäbe war nicht schwer; doch hat der verf. sie
nicht zu lösen versucht, er gibt den text nach der recension
in Wig. Hundts Stammenbuch, teil in (Cgm. 2298 vom jähre 1588),
welche schon in der allgemein zugänglichen Volksliedersammlung
Unlands zu gründe gelegt war. hier und da verbessert er diese
Überlieferung in eclectischer weise durch die Wiener hs. 3027.
der teil dieser hs., welcher unser gedieht enthält, stammt aus
dem 16'jh.1, ist jedoch sicherlich älter als der Cgm. 2298 (vgl. s. 17);
'gleichwol, sagt H., scheint Cgm. 2298 die ältere vorläge gehabt
zu haben , weil der sprachliche ausdruck und das versmafs in
der Münchner hs. besser erhalten sind', dies ist richtig, wenn
auch H.s gründe nicht zwingend sind, jedoch wäre der text
bei methodischerer benutzung von W und vor allem durch Zu-
hilfenahme der alten drucke GSF vielfach zu berichtigen gewesen,
des verf.s geringe beachtung der Wiener hs. wird dadurch einiger-
mafsen entschuldigt, dass die abschrift, welche AvWeilen für ihn
anfertigte, ungenau und fehlerhaft war. ich gebe im folgenden
eine collation der hs. mit dem in den anmerkungen wider brauch
und not vollständig gebrachten abdruck von Weileus abschrift2:
8 mayde] maydt hs.; 17 stich] stieß; 21 gemaincklich hs.; 31 erhett]
hett er; 36 schnopßczer ; 49 stee; 53 varen] verren; 56 eh] es;
1 dies wird auch dadurch bewiesen, dass die hs. auf bl. 118b — 121b
(also vor dem lied Hescllohers) das schlarafFengedicht: uns ist in khwtz
vergangen jaren das narrenschiff vom landt gefaren bringt, das Zarncke,
Brants Narrenschiff, s. cxxiif nach unserer hs. zum abdruck brachte.
2 dabei wurden einige ganz uninteressante abweichungen orthographi-
scher natur übergangen.
HARTMANN BESELLOHERS LIEDER 217
vngelek] vngekk; 61 chumbt; 69 fram] kam; 72 hör. vor 90 schalte
mau in H.s anmerkungen der Vollständigkeit halber ein: 88,89 W
= H; 9\)her; 91 ains; 92 scharmuczeln ; 107 hau] heut; 109 thett]
chött; 112 vor hott ist vnd getilgt; 1 13 ^am ganz deutlich; 114 mich
. . . und] m. deich v.; 115 der] ja der; 116 fuert] trueg; 133 wirft
verlieret] tvortt uercheret; 13S das] des; 140 solicher; 144 Am
solichen] Ain solich; 149 der] der der; 150 dy sach] dy sach dy;
151 den] dem; 160 augentl] aigentl.; 163 pald. das hs.-ver-
hältuis liegt nun so: die drucke GFS bilden zusammen eine
gruppe, ihr text ist stark überarbeitet, die zahl der gemein-
samen fehler ist legion. GF siud eng verwant und bieten an sehr
zahlreichen stellen (bes. zu anlang des gedichts) Überarbeitung,
wo S das ursprüngliche erhalten hat und zu H oder W stimmt,
jedoch geht der text von GF nicht auf die directe vorläge
von S zurück, denn es finden sich auch einige fälle, in denen
GF mit H oder W gegen S das richtige bewahrten , zb. 6 auff
ainem ebenpfat HW, bey aines dorffes pfad FG, an einem abend
spat S; S in ainem FGHVV, mit irem S; 17 in FGH, an S;
42 du frierst ain freies scheffel HW, und sprach du tregst ein
scheffel FG, und truog ein freies scheffel, sprach S; 43 aynen
fehlt S gegen FGHW; 51 t'cA sehlach FGHW, ich hau S; 90 hör
auf FGHW, ge hin S uam. GFS zeigt an keiner stelle gegen
die Übereinstimmung von H und W die richtige Überlieferung.
da ferner überall, wo eine der beiden hss. mit den drucken gegen
die andere hs. zusammensteht, die betreffende lesart ebenso gut
sein kann oder besser ist, als die der einzeln stehnden hs., so
ist die methode der textherstellung sehr einfach: steht HW gegen
S(GF), so bietet HW die gute lesart, stimmen bei Verschiedenheit
von H und W die drucke näher zu H, so ist die lesart von H,
stimmen sie näher zu W, so ist die vod W in den text zu setzen.
es bleiben noch die ziemlich zahlreichen fälle, wo II und W nicht
übereinstimmen, die lesart von GFS aber vollständige Überarbeitung
bietet, hier mag man, wo nicht andere erwägungen entscheiden,
im allgemeinen II vorziehen, schon deshalb, weil dort, wo die
drucke nicht versagen, W häutiger gegen HS(GF) allein steht als
H; dazu kommt, dass W, aber nicht H, so grofse fehler auf-
weist, wie Strophen- und Zeilenversetzungen, ich schliefse noch
eine diese frage betreffende bemerkung an. man kann beobachten,
dass die gute der Überlieferung in H und in W in verschiedenen
Strophen verschieden ist. so ist str. vi (v. 60 IV) und str. xi
(v. 131 ff) in W, besonders aber str. ix und x (v. 105 ff) mit aus-
nähme von zeile 123 f in H ausnehmend schlecht überliefert,
der grund dieser erscheinuug mag darin liegen, dass die Über-
lieferung hier über verschiedene mittelglieder doch auf aufzeich«
nungen aus dem gedächtnis, dem einzelne Strophen weniger
genau erinnerlich waren als andere, zurückgeht, auf grund des
gesagten möchte ich folgende Änderungen des II. sehen lextes vor-
A. F. D. A. XVII. 15
218 HARTMANN HESELLOHERS LIEDER
schlagen: 3 am icenig; 5 geschach pey; 7 sach man; 9 gelal?;
21 als gemaincklich ; 24 gross vechten und räch; 32 do hiefs er
in; 43 des; 46 uns; 48 chüd ich? (vgl. v. 109 W, sag ich SGF);
54 strauss; S7 und Zmd (ich hau dir 'ganz sachte' eine herunter,
als wer ichplind, ohne zu schauen, wo ich treffe, s.Neidh. Fuchs xvn
str. 10: er schlueg als sain er wer plind); 94 ein chleppern und
ein glitzen; 97 von letzer h.; 101 trostlich (== W, frutig SGF);
st. ix (v. 105 — 117) ist ganz nach W herzustellen, nur ist 109
sprach HS stall chött W; 114 deicht; 116 in sedel H für in den
sessel W zu schreiben; 119 vnd] er; 121 zu letzt da; 123 ridel
(s. Lexer, Hwb. n 422, aber wol kurzes i); 126 — 128 nun wye
umb dye, so lob (lobt?) ich ye, do das vergie (dh. ich lobte es
immer, wie die sache in bezug auf diese, die verwundeten, aus-
gieng. die alte freude des dichters Neidhartscher lieder über
die Verluste der bauern. vielleicht ist v. 127 und 128 umzu-
stellen und liegt hier ein fehler des archetypus vor. die folge
der 10 und 11 Strophenzeile ist in den hss. öfter verwirrt, so
49, 50 und 101 , 102 in W, 62, 63 in SGF); 144, 5 ain solich czank
und hader verderbt usw.; 1 47 den a. und den; 149 vil pas dann;
151 den fraidigen (s. la. von H in 101); 156 pey sechs; 164
bietet SGF das richtige gueten gegen guette in HW, doch ist der
fehler zu gering und naheliegend, als dass er als beweis für die
verwantschaft der beiden hss. gelten könnte, in bezug auf die
interpunction möchte ich noch vorschlagen, v. 46 und 48 — 52 als
erwiderung auf Steffels rede zu kennzeichnen (was schon Unland
und Erk taten), und ebenso 74 — 78 als antwort auf die worte
des zu boden geschlagenen 'üppigen' tänzers (68 — 73).
S. 11 — 21 schliefst H. an seinen text die lesarten und an-
merkungen an. letztere sind nach dem muster der anmerkungen
gemacht, die Uhland, Schriften zur gesch. d. dichtung und sage,
iv 223 ff den einzelnen versen des Hesellohers von yppiclichen
dingen mitgibt, und so decken sich denn auch mehr als die
hälfte der anmerkungen H.s zu diesem liede (iv) mit denen Uhlands.
meist sind es worterkläruugen mit citalen aus Schmellers Bayri-
schem Wörterbuch, vieles würde man da gerne missen; wozu
zb. die anm. zu i 13, ii 15 (vgl. zu i 119 auf derselben seite!),
m 34 (schluss)? dagegen hätten die nachweise von parallel-
stellen aus Neidhart und seinen nachahmern reichlicher aus-
fallen können.
S. 21—41 bringt die mit umsieht und fleifs aus gedrucktem
und ungedrucktem material gesammelten urkundlichen nachweise
der beiden brüder Hans und Andreas, landrichter zu Pähl und
Weilheim, und ihres vaters Niclas. freilich tut der verf. hier
und da wol etwas zu viel des guten, so wenn er die Urkunden,
in denen beide brüder zusammen genannt werden, doppelt bringt,
unter den Zeugnissen für Hans und nochmals unter denen für
Andreas. H. geht aus von Wig. Hundts Stammenbuch, teil in,
HARTMANS HESELLOHERS LIEDER 219
mit dessen nachriehten sich bisher litteraturgeschichten und lieder-
sammlungen begnügt haben; nur RSpiller gab Zs. 27, 284 einige
weitere urkundliche belege aus den Monum. Boica. so ward
bisher allgemein das jähr 1470 mit Hundt als das todesjahr der
beiden Heselloher angeführt, während aus H.s Zusammenstellungen
hervorgeht, dass dieselben in der zeit zwischen 1483 und 1486
gestorben sind, wenn sich H. aber über die stelle in Ulrich
Fueterers Lohengrin , die neben einem Jörg von Eisenhofen nicht
Hans, sondern Andre Hesenloher als kunstgeübten dichter nennt,
mit einer naheliegenden conjectur Docens (und Andre] der ander)
hinweg helfen will, so wird dies wenig glauben finden, da die
existenz eines Andre Heselloher in gleicher zeit und gegend fest-
steht, auch kann der eine, dem H.s der ander notwendig entsprechen
soll, dasselbe heifsen wie dereiner oder derein dh. deren einer,
s. Wb. i 417", 22. der dichter der bauernlieder wird gleich wol
Hans gewesen sein, da das directe Zeugnis Wig. Hundts mit dem
überlieferten anfang des liedes 'von jhme selbs' : Hänsl Heseloher,
wie lang usw. schwer in die wagschale fällt. Andre's dichtungen
mögen dasselbe Schicksal erfahren haben, wie die seines genossen
Jörg von Eisenhofen. — auf s. 41 — 50 werden dann die schon
eingangs erwähnten nachweise Heselloherscher lieder in dem
bestände des Neidh. Fuchs und der Fichardschen Iiederhand-
schrift gegeben.
S. 51 — 69 verzeichnet der verf. die neuere litteratur über
unseren dichter, uz. in chronologischer reihenfolge. die angaben
über das allmählige bekanntwerden eines neuen dichternamens in
der litteraturgeschichte sind immer von interesse. wenn aber im
weiteren verlaufe einschlägige ausführungen und urteile aus com-
pendien und litteraturgeschichten gebracht und zum teil citiert
werden, die gar nichts neues gaben, ja nicht einmal das bereits
bekannte zusammenfassten, so kann man dem verf. den Vorwurf
der breite nicht ersparen, an einzelne dieser litteraturangaben
hat H. zusätze und längere ausführungen angeknüpft, so über
berkunft und ältestes vorkommen des namens Heselloh, s. 51 ff,
über das geschlecht der Holensteiner, nach dem sich jene Jung-
frau von Holenstein nannte, die ihr 'freier'1 Hans Heselloher nach
Liebs Zusätzen zu Hundts stammenb. besungen haben soll, s. 55 ff.
dieselbe quelle gibt uns den anfang des liedes zu ehren dieser
dame , die erste zeile eines tageliedes: es taget von dem Ilolen-
stain, zu welcher ein unberufener eine altdeutsch sein sollende
erste Strophe hinzugedichtet hat, die Hefner in seinen 'Bayrischen
antiquarius' aufnahm. Hartm. tut ihr zu viel ehre an, wenn er sie
s. 64 mit anmerkungen und parallelstellen herausgibt; übrigens
kann auch er seine zweifei an ihrer echt hei t nicht unterdrücken.
1 daher weifs Schindler, dass die Jungfrau von Holenstein Hansens
'braut' war, ohne dass er den ganzen trxt des tageliedes gekannt zu haben
braucht, wie RSpiller, Zs. 27, 2S4 anm. meint.
L5*
220 HARTMANN HESELLOHERS LIEDER
Auf s. 68 — 70 endlich gibt der verf. kurz rechenschaft über
die grundsätze, die er bei der orthographischen widergabe der
benutzten hss. befolgte, welchen ausführungen man wol zu-
stimmen kann.
Wien, 31.3.1891. . Konrad Zwierzina.
Luther, Crotus und Hutleu. eine quellenmäfsige darstellung des Verhält-
nisses Luthers zum humanismus von dr Wilhelm Reindell. Mar-
burg, OEhrhardt, 1890. vm und 134 ss. 8°. — 2,70 m.*
Im mittelpunct der forschung über Luthers Verhältnis zum
humanismus stand das litterarhistorische problem der entstehungs-
geschiehte seiner schrift an den christlichen adel deutscher nation,
bis vor kurzem Knaake in seiner Voruntersuchung zur ausgäbe
der schrift im Weimarer werk (vi 381 ff) diese Verbindung mit
heftigem, aber festem griff zerriss. eine neue auffassung hat
Knaake hiermit nicht zum ausdruck gebracht: denn Luthers
theologische biographen protestantischer confession haben mit aus-
nähme von Kolde, der sich gegen Knaakes Vorwurf der halbheit
in dieser frage neuerdings in den Gott. gel. anz. 1890, s. 484 ff ver-
geblich zu verteidigen gesucht hat, die aufstellungen von Kamp-
schulte, Universität Erfurt, über des reformators abhängigkeit
vom humanismus nicht angenommen, ohne jedoch ihre meinung
kritisch zu verteidigen, man wird Knaake das verdienst nicht
bestreiten können , dass er mit seiner kritischen Vorunter-
suchung die grundlagen von Kampschultes darstellung, auf deren
festigkeit nicht nur die ultramontane lügende unter Janssen,
sondern auch die protestantische historie unter Maurenbrecher
haute, gesprengt und zerstört hat. für wissenschaftliche kritik
wäre auf diesem gebiet kaum noch etwas zu leisten gewesen,
wenn nicht mit jener ironie des zufalls, die auch in der ge-
schichte der Wissenschaft ihr spiel treibt, im selben jähre mit
Knaakes aufsatz von protestantisch-theologischer seite ein versuch
erschienen wäre, auf Kampschulte mit reichlicherem material
weiter zu bauen, so ergab sich die dankbare aufgäbe, im gegen-
satz zu dem buch von Werckshagen über Luther und Hütten
das von Knaake nur in kurzen zügen und lediglich in be-
ziehung auf Kampschulte behandelte problem des weiteren und
tieferen zu untersuchen: in einer schrift über Luther, Crotus und
Hütten hat WReindell eine quellenmäfsige darstellung von des refor-
mators Verhältnis zum humanismus versucht, in deren mittelpunct
widerum, da die Untersuchungsich negativ-kritisch an die construc-
lionen Kampschultes und Werckshagens anschliefst, die schrift an
den adel steht, indem R. das von seinem gegner Maurenbrecher zur
lösung der frage vorgeschlagene verfahren, 'eine litterarhistorische
vergleichung der betreffenden Schriften im detail vorzunehmen und
* [vgl. DLZ 1891 nr 19 (KKnaake).]
REI.NDELL LUTHER CROTUS U.ND HÜTTEN 221
ebenso den historischen verlauf dieser beziehungen im detail
noch einmal zu entwickeln', in anwendung bringt, gelingt es ihm,
all die künstlichen canäle und canälchen abzugraben, die von
jenen forschem mühsam zwischen den beiden grofsen Strömungen
der zeit hergestellt wurden, nach einigen kurzen andeutungen über
die wichtigsten momente der entwickelung des humanismus und
des reformators, sowie über die gründe ihrer annaherung kommt
R. zum ersten hauptteil seiner Untersuchung, dem Verhältnis zwi-
schen Luther und dolus, hatte schon Knaake in Kampschultes
constructionen gewaltig bresche gelegt, so zerstört R. sie samt
Werckshagens fortführungen in grund und boden; und er be-
gnügt sich nicht mit der Vernichtung dieser geschichtsspielerei,
sondern setzt an ihre stelle den wolgegründeten versuch, Luthers
einfluss auf Crotus zu erweisen, ein kleiner abschnitt über Luthers
späteres Verhältnis zu Erasmus und zum humanismus, der in-
haltlich und formell als störender einschub erscheint, trennt den
ersten hauptteil vom gröfseren zweiten: Luther und Hütten.
Mit einer besonnenen kritik, die ihn vor gewissen Über-
stürzungen Knaakes bewahrt, und einer umfassenderen belesenheit,
durch die er schon allein die kurzsichtigen behauptungen Wercks-
hagens leicht überwindet, führt er den nachweis, dass Luthers natio-
nale Wendung von Hütten im wesentlichen durchaus unabhängig ist
und vielmehr auf frühere einwürkuugen zurückgeht, statt wie
Werckshagen mit einer gegenüberstellung nichtssagender parallel-
stellen zu der schrift an den adel aus Hutteus Trias sich selbst und
urteilslose leser zu täuschen, gibt R. in dem umfangreichsten ab-
schnitt, für den ihm wolBenraths commentar zu gute kam, mit einer
analyse der adelsschrilt die umfassendsten nachweise analoger er-
scheitiiingen in der sachlich und zeitlich angrenzenden litteratur,
darunter also auch bei Hütten, ohne jedoch im einzelnen die
frage nach der abhängigkeit Luthers zu untersuchen, dieser teil
könnte noch mancherlei ergänzung erfahren , so durch die in-
haltreiche arbeit von BGehhanlt über dieGravamiua oder wenn man
einmal jene Vorgänger Luthers durchnähme, die einer seiner
ersten kritiker zusammen mit den erst von der modernen forschung
herangezogenen dialogen Huttens und des Faustus Andrelinus
schon 1520 genannt hat (vgl. mein buch Ulrichs von Hütten
deutsche schritten, s. 152). aber auch ohnedies wird man R.
darin beistimmen können, dass die schrift an den adel die
lruchl eines längeren kirchengeschichtlichen Studiums Luthers
ist und in der frage der quellen, der stofflichen abhängigkeit, in
keiner beziehuug zu der Trias oder den luspicientes steht, der
erste schritt in das gebiet, das R. ohne Knaakes Leitung be-
treten muss, die zeit nach der schrift an den adel, ist kein
glücklicher: er versucht, in ähnlicher weise wie hei Crotus die be-
hau ptung der gegner umdrehend, den nachweis, dass nicht sowol
Butten auf Luthers schrift als vielmehr diese auf jenen gewürkl
222 REI>DELL LUTHER CROTUS UISD HÜTTEN
habe, und führt hierfür drei belege an: Huttens übergaug zur
deutseben spräche und zum biblischen Stil und seine wendung
zu den Städten, für den ersten punet kann ich auf meine ein-
gehenden Untersuchungen (aao. s. 63 ff) verweisen, nach denen
Luthers einfluss erst in letzter reihe in hetracht kommt; für den
zweiten punet hätte R. die treffenden bemerkungen von Straufs
(s. 303 f) über Huttens Zuschrift an erzherzog Ferdinand vom
aufang des Jahres berücksichtigen sollen; hinsichtlich des dritten
punetes genügt ein hinweis auf Straufs (21, 165) um so eher,
als R. sich nicht die mühe gibt, seine behauptung irgendwie zu
begründen. — der folgende teil polemisiert glücklich gegen die
auffassung, nach der Luther und Hütten von der zeit der schrift
an den adel bis zur zeit des reichstages als solidarisch verbun-
dene revolutionsmänner erscheinen; insbesondere sind die Luther
betreffenden ausführungen gegen Maurenbrecher gut befestigt,
durchaus verfehlt aber ist die darstellung von Huttens entwickelung
zum revolutionär: R. ist über die gerade für diesen teil ganz
ungenügenden ausführungen von Straufs so wenig hinausge-
kommen, dass er nicht einmal Briegers depeschenpublicationen
heranzieht und sich für einen so wichtigen punet wie die Ebern-
burger Verhandlungen auf die alte Lutherhistorie von Seckendorf
beruft. Huttens entwickelung zum revolutionär, die durchaus
nicht in gerader linie erfolgte, ist nur an der hand der deutschen
Schriften vollkommen zu verfolgen, die allerdings in der chro-
nologischen Unordnung bei Straufs und Böcking bisher nicht
ausgenutzt werden konnten (vgl. jetzt mein capitel 'Historisches'
aao. s. 53 ff), auf dieser grundlage hätte R. auch erkennen
können, dass in jenen Verhandlungen sich nicht der antire-
volutionär und der revolutionär, sondern vielmehr der radicale
dogmatiker und der conciliantere politiker auseinandersetzen:
nur so ist auch Huttens berühmte äufserung gegen Luther
über den unterschied ihrer plane zu verstehn (aao. s. 105).
wenn R. diese worte, statt auf die unmittelbar vorhergehn-
den von Butzer geführten Verhandlungen, auf einen älteren uns
nicht erhaltenen brief Luthers an Hütten bezieht, so über-
sieht er auch die von ihm selbst erwähnte tatsache, dass
dieser brief den adressaten gar nicht erreicht hat. trotz diesen
mangeln, die ja mehr das Verhältnis des humanismus zu Luther
als das umgekehrte treffen, wird man auch in diesem teil R.s
ergebnis zustimmen dürfen, sodass wir mit ihm zu dem ge-
samturteil kommen: Luthers vorgehn in den jähren 1518 — 1521
und die bestrebuugeu Huttens stellen zwei Strömungen dar,
deren inhaltliche verwantschaft im wesentlichen nicht aus einem
gegenseitigen einfluss erklärt werden darf; vielmehr daraus, dass
beide auf gemeinsame quellen, Verhältnisse und Schriften, zurück-
gehn. aus diesem negativen ergebnis der Untersuchung folgt die
REINDELL LUTHER CROTÜS UND HÜTTEN 223
mehr mit rücksicht auf Luthers beziehungen zum liumanismus
zu schreiben, sondern von ihrer gemeinsamen grundlage aus-
zugehn, der nationalen bewegung des beginnenden 16 jhs. einen
ansatz zu einer solchen betrachtung besitzen wir bereits in einer
älteren abhandlung, die von der forschuug bisher nicht gewürdigt,
ja kaum beachtet worden ist: in seinem aufsatz über Luther
(Hist. zs., bd. 41, 229 ff) hat Waltz bereits all die nationalen
demente in Luthers entwickelung dieser jähre aufgezeigt, die
dann Werckshagen von neuem aufspürte und aus humanistischen
einflössen ableitete, und überzeugend ihren Ursprung aus den
Augsburger Verhandlungen dargetan. Waltz schliefst allerdings
seine vorzüglichen ausführungen seltsamerweise mit dem hin-
weis auf eine fortsetzuug, die dem anschein nach sich mit dem
humanistischen einfluss beschäftigen sollte: 'geschah es zunächst
unter einwürkung der reichsständischen Verhandlungen , dass
Luther 1518 die nationale bahn betrat, so machten sich doch
fast gleichzeitig noch andere einflüsse gellend, welche nicht
minder mächtig und minder merkwürdig waren', wenn nun
diese fortsetzuug nicht erschienen ist, so ist das kaum als zufall
zu betrachten.
Berlin, märz 1891. Siegfried Szamatölski.
IYlartinus Balticus. ein humanistenleben aus dem 16 Jahrhundert, von Karl
von Reinhardstoettner. Zeichnungen von Philipp Sporrer. Bam-
berg, Buchner 1890. 86 ss. — 1,40 m. (Bayerische bibliothek. be-
gründet und herausgegeben von KvReinhardstoettner und KTrautmann.
1 band, subscriptionspreis 1,25 m.)*
Aventin. von Franz X. von Wegele. Zeichnungen von Peter Halm und
Toni Grubhofer. Bamberg, Buchner 1890. (Bayerische bibliothek.
10 band.) 70 ss. — 1,40 bezw. 1,25 m.**
'Zu allen Zeiten der nun nach Jahrtausenden zählenden ge-
schichte der menschheit hat es besondere träger des wissens ge-
geben, die meist zugleich treue unterrichter in demselben waren'.
mit diesem einleuchtenden satze beginnt nicht etwa die biographie
eines Juristen, sondern die lebensbeschreibung eines humanisten,
der durch seine tätigkeit an den schulen zu München und Ulm
einen bescheidenen platz in der schulgeschichte, durch seine
lateinischen elegieen und epigramme, besonders aber durch seine
lateinischen dramen Josephus, Daniel, Christogonia und Senache-
ribus, sowie durch die Verdeutschung des Joseph einen ebenso
bescheidenen platz in der litteraturgeschichte sich verdient li.it.
mag er immerhin in der ADB vielleicht gar zu kurz gekommen
sein, auf eine besondere schrill hat er keinesfalls ein anrecht,
* [vgl. Zs. f. vgl. litt, und ren.-litt. NF m 249 ff. — Jahresberichte über
das höhere Schulwesen iv s. i 9.]
** [vgl. Zs. f. vgl. litt, und ren.-litt. NFnt391.]
224 IIEI.NHARDSTOETTNER BALTICUS
und Rein ha r ilstoettuer hat, um eine solche zu stände zu
bringen, zu mafsloser Übertreibung der Verdienste desßalticus,
zu reichlicher einflechtung nicht zur sache gehörigen materials
und zu halblyrischen ergüssen über schulmeisterloos im allge-
meinen seine Zuflucht genommen, am wenigsten gehört das
heftchen an die spitze der Bayerischen bibliothek, die wesentlich
populäre zwecke verfolgt und das gelehrte material in die an-
merkungen verweist. R. hat sich nun freilich bemüht, durch
populäre Stilisierung seine leser zu entschädigen, aber die oben
widergegebenen eingangsvvorte bilden nur eins von den zahl-
losen beispielen, die beweisen, dass der Verfasser doch gar zu
tief heruntergestiegen ist; auch die eingestreuten Übersetzungen
lateinischer verse des Balticus sind wenig gelungen, ebenso ist
der versuch, im interesse des weiteren leserkreises die special-
darstellung auf eine allgemeinere grundlage zu bauen, nicht recht
geglückt; denn auf der wilden jagd, auf der in wenigen seiten
die bildungsgeschichte vieler Jahrhunderte durchgehetzt werden
soll, wird mancher bock geschossen, wie weit dann die be-
sprechung von leben und Schriften B.s neues bringt, kann ich
nicht feststellen , da mir Trautmanns aufsätze über B. in nr 86
und 87 der Münchener neuesten nachrichten vom jähre 1884
nicht zugänglich sind; das beste sind jedesfalls die in den anm.
gegebenen mitteilungen aus dem Ulmer Stadtarchiv, die Traut-
mann beigesteuert hat, und für den abdruck des interessanten
reformgesuchs, das B. betreffs der Unterrichtsgegenstände an den
Ulmer rat richtete (anm. 222), kann die schulgeschichte R. auf-
richtig dankbar sein.
Auf der anderen seite vermissen wir manches wichtige, mit
ausnähme des Josephus, für den in den langen citaten aus Weilens
Aegyptischem Joseph gelegentlich auch einige quellennachweise
herübergenommen werden, fehlen solche ganz und gar; nichts
als analysen und lobende worte: nicht einmal der naheliegende
versuch ist gemacht, das Verhältnis der dramatik des B. zu der
des Hieronymus Ziegler zu bestimmen, über die wichtigsten
lebensdaten, soweit sie sich nicht ohne weiteres aus urkundlichem
material ergeben, wird man mit dem verf. kaum einer meinung
sein können, mit dem alten Veesenmeyer setzt er (s. 10) B.s
geburt 'um das jähr 1532' au. die grundlage dieser aufstellung
bildet die metrische Unterschrift, die sich unter einem noch heute
vorhandenen ölbilde des dichters findet, der zufolge er bei der
herstellung des gemäldes 42 jähre alt und seit 20 jähren Schul-
meister war. das bild ist also , so schliefsen die biographen,
20 jähre nach seiner ernennung zum Münchener 'poeten', also
1574 angefertigt, B. 1532 geboren, nun ist aber erstens (vgl.
R. s. 17) R. schon 1553 Schulmeister zu St. Peter in München:
wir kommen also für seine geburt spätestens auf das jähr 1531;
ferner aber können wir gar nicht sagen , ob die anstellung zu
REI>HARDSTOETTi>ER BALTICUS 225
St. Peter würklich sein erstes amt bedeutet, ob er nicht schon
vorher, etwa zu Wittenberg, schule gehalten hat. — die Über-
siedelung au die Münchener Stadtschule erfolgte nach der angäbe
des textes s. 18 erst 1554, nach dem urkundlichen naehweis auf
s. 75 (anm. 63) schon 1553, — wo ist der fehler? — die auf
s. 19 stehnde behauptung, B.s litterarisches würken datiere erst
von der zeit nach dem antritt des Münchener rectorats, beruht
offenbar nur auf der tatsache, dass die Sammlung seiner gedichte
erst in dieser periode gedruckt worden ist; über die zeit der
entstehuug dieser arbeiten hat R. keinerlei Untersuchungen an-
gestellt, nun steht aber, was R. entgangen ist, ein gedieht des
B., und zwar Eleg. n 6, in dem drucke des Zieglerschen dramas
'Regales nuptiae' fol. A 3 f; dieser druck stammt bereits aus dein
jähre 1553 und zwar ohne frage aus der zeit, wo B. noch Schul-
meister zu St. Peter war: denn die elegie ist dem Anton Are-
singer, decan zu St. Peter (danach zu verbessern R.s anm. 75)
gewidmet. B. hat also schon vor der Müuchener poetenzeit ge-
dichtet, gedichte B.s stehen auch, wasR. ebenfalls übersehn hat, in
Zieglers 'Dramata sacra duo' (Ingoist. 1555) vor dem zweiten stücke;
ich habe das buch nicht gesehn, — wenn sie in die Sammlung
der gedichte des B. aufgenommen siud, gewinnen wir damit einen
anhaltspunct für die bisher unbekannte zeit der drucklegung der
'carmiua'. endlich ist es falsch, wenn s. 63 als datum der ab-
setzung in Ulm der 1 februar 1592 genannt wird, an diesem
tage erfolgte nur die entscheidende beschwerde der prediger; aus
dem von R. anm. 237 zu anderem zwecke mitgeteilten material
geht hervor, dass B. am 8 märz noch im amte war. dazu kommen
zahlreiche fehler im einzelnen, s. 22 f zb. braucht R. zur er-
läuterung eines B.schen epigramms nicht erst Schiller zu be-
mühen , wo er eine grobe entlehnung aus Terenz hätte erkennen
müssen; die s. 55 herangezogene Terenzübersetzung ist nicht
von 1567, der 'decan von Tübingen' entschuldigt sich ihretwegen
vielmehr schon 1539, und 1567 erscheint nur die letzte aufläge
seines Werkes, anm. 206 kennt B. von der Christogonia nur
die ausgäbe Ulm 1589; Goedeke (u2 141) nennt bereits einen
druck Augsburg 1588, sein artikel über Balticus stellt indessen
eine so auserlesene Sammlung von fehlem dar, dass auch diese
angäbe erst der nachprüfung bedarf.
Die druckleguug der R. sehen schritt ist ziemlich sorgfältig
und die ausstatlung so allerliebst, dass der preis überraschend
billig erscheint.
Auch der Weg el eschen arbeit über Aveotio muss eigent-
lich die daseinsberechtrguug abgesprochen werden, aus andern
gründen freilich wie der Balticusfoiographie. die gescliichte der
modernen Aventinforecbuflg weisl drei wichtige erscheiaungen auf:
Wiedeiiiaiins biographie vom jähre L858, die trotz mancher mängel
in antiquarischer hinsieht das wesentlichste geleistet hat; Döl-
226 VVEGELE AVENTIN
lingers ausgezeichnete academierede vom jähre 1877, die ein scharfes
bild von der historischen Stellung des grofsen geschichtschreibers
entwarf, und endlich die grofse Aventinausgabe der Münchener
academie aus den jähren 1881 — 1886, in der Riezlers nachwort
zum in band die arbeiten Wiedemanns und Döllingers vorzüglich
ergänzt. dazwischen stellen sich populäre darstellungen von
mehr oder minder grofsem umfang: die tüchtige preisschrift Ditt-
mars, die trefflichen aufsälze Kluckhohns, die minder gelungene
arbeit WVogts im l band der werke und endlich die zusammen-
fassende behandlung Wegeies in der ADB, die durch die auf
Aveutin bezüglichen abschnitte in der 'Geschichte der deutschen
historiographie' ergänzt wird, an specialarbeiten (von Muncker,
Oefele, WMeyer, Rockinger, vDruffel) ist ebenfalls kein mangel.
was hier noch zu leisten wäre, ist eine auf grund des neuen
materials, das die Münchener ausgäbe bietet, hergestellte ge-
samtdarstellung, die ohne frage zu vielen neuen ergebnissen
kommen müste. nachdem W. diesen gruudsatz 1882 in seinem
eben genannten buche mit gutem grund ausgesprochen, durfte man
mit recht auf eine von ihm nach der Vollendung der grofsen aus-
gäbe verfasste biographie gespannt sein, aber enttäuscht legt man
die jetzt gebotene aus der band, denn sie bringt wenig mehr als eine
neue darstellung des allbekannten oder oft behaupteten, noch dazu
kann von einem 'gesamtbilde' des grofsen mannes, wie es auf
s. 2 in aussieht gestellt wird, nicht die rede sein, für die
lebensführung sind freilich die älteren darstellungen sämtlich be-
nutzt, und so begegnet hier zum ersten male in einer gesamt-
biographie A.s nicht mehr die durch Riezlers glänzenden nach-
weis aus der weit geschaffte behauptung, dass A. sein geschicht-
liches programm von den behörden erhalten habe, aber den
nichthistorischen arbeiten widmet W. nur ein paar Sätze, die nichts
characterisierendes enthalten, und nicht nur der germanist wird
sich darüber wundern, dass W. für A.s Verdienste um die deutsche
spräche nicht ein wort übrig hat. die partien endlich, die A.
als historiker behandeln, sind zum gröslen teil wörtlicher ab-
druck aus W.s Geschichte der deutschen historiographie, ohne
dass dabei gänsefüfschen zur Verwendung kommen.
Indessen die darstellung trifft — von einigen sehr wunden
puneten abgesehn (s. 28, 1 ; 52, 6 f. anm. 63 usw.) — im ganzen
viel besser als Reinhardstoettner den richtigen ton, die ausstat-
tung ist ungemein reich, der preis sehr niedrig, und so mag
bei dem guten klänge, den die namen des grofsen historikers
und seines biographen haben , vielleicht doch einmal eine zweite
aufläge nötig werden, in ihrem interesse ist es nötig, darauf
hinzuweisen, dass das büchlein eine solche fülle von irrtümeru
und fehlem enthält, wie sie mir bisher nur in Wegeies Geschichte
der deutschen historiographie vorgekommen ist; zumal die an-
merkungen sind in ihrem gegenwärtigen zustande einfach mibe-
WEGELE AVEMI.N 227
nutzbar, was mir aufgefallen , verbessere ich in der Ordnung,
auf die die darstellung W.s führt, weil sich iu vielen fällen nicht
entscheideu lässt, ob der fehler bei der drucklegung oder schon
bei der abfassung hineingekommen ist; nur einige puncte spare
ich für eine zusammenhängende besprechung auf.
S. 1: bei der säcularfeier in Abensberg 1877 galt es nicht
der enthüllung des A.-denkmals — dies steht schon seit dem
october 1861 — , sondern der befestigung einer tafel an A.s ge-
burtshaus. — anm. 1: sl. 187 1. 189. — anm. 2. z. 7: st. 1882
1.1 862; z. 16: streiche beilage. — anm. 7: 1. Rosa. — s. 3,9 bis 4, 2:
kein beweis. — anm. 8: st. SW (dh. Aventins Sämtliche werke)
5 1. SW in. — s. 4, 14 — 17: kein beweis. — anm. 15, 1: hinter
137 1. bes. ii 486. — anm. 16, 4 — 5: 1. Solchs . . . maiestat; 6: st.
wie 1. ain. — anm. 21, 5 f: 1. künst . . . nützlichsten . . . dan . . . kan
sich; 9: clöstern . ..spiegelfechten. — s. 9, 11. A. bricht im märz
von Krakau auf und gelangt im mai nach hause. — s. 10, 11:
unbewiesen, wenn es dann anm. 25 heifst: 'seine kenntnis des
griech., die ihm von einem seiner neueren biographen abgesprochen
wird, wird schon durch . . . seinen hauskalender bestätigt', so kann
das nur auf Ditlmar gehn , der aber s. 93 nur schreibt, dass A.
des griechischen 'damals noch' nicht mächtig war. unter den
stellen des kaleuders, die für A.s griech. kenntnisse sprechen,
fehlt bei W. die früheste vom jähre 1509: SW i 664, 28 f. —
s. 11, 20: st. 1507 1. 1505. — anm. 30, 7: st. 647 1. 617. —
s. 12, 26 f: die absieht, die geschiente Bayerns zu schreiben,
geht aus den in der anmerkung angeführten versen nicht her-
vor. — anm. 31,1: st. 66 1.663. — s. 15, 10: hinter wurde füge ein
im Januar 1509. — anm. 35, 1 : st. Nr. 1. v; 2: st. 12 1. 14 . . .
priori . . . 3 : Mattheus. — s. 17, 4 : st. 12 1. 13 ; 7 IT: der zwist der
brüder beginnt auch erst 1514. — anm. 37, 1: st. O 1. 60;
2: st. 8 1. 31. — anm. 38, 2: st. 673 1. 672. — anm. 40, 1:
st. Nr. I. v.; 5: st. 775 I. 575, st. Nr. 38 1. v. 30 f; zu 6 f
hätte der erklärende zusatz gehört, dass Nicolaus Perotus und
Aldus Manutius hier grammatische bücher sind; denn die bio-
graphen, die die stelle benutzen, verstehn darunter zeitgenössische
italienische Universitätslehrer (ebenso Zeilsberg, ADB 6, 249), und
fast scheint es, dass W. derselben ansieht ist. — s. 20, 23: hinter
lehrer lüge und schüfer. — anm. 43: st. 2007 1. 200. — anm. 47:
st. 100 etc. 1.99/". — s. 22, 11-14. hier hat \Y. den cod.
lat. Mon. 1370 mit dem Oefeleschen adversarienmanuscript ver-
wechselt und die auf fol. 55 der letztgenannten bs. eingetragenen
worle Aventins 'Hoc chronicon in Burghusio invenimus anno 1509
in Decembri, posthac in Monachio a. 1511 in januario' (mit-
geteilt bei Vogt, A.s SW i, p. xvi anm. 1) auf den eisten annalen-
entwurf, statt auf den (und des geheimnisvollen chronicon
Ludovici iv bezogen, jene ersten aonalen sind eist in München
1511 geschrieben (vgl. Kiezler, SW m 553 anm. 3). — s. 22,22:
22S WEGELE AVEMI.N
st. 1516 1. 1514 (und was bedeutet zwei Zeilen vorher das in
jenem jähre?); z. 34 — 36: uicht so sicher (vgl. SW 1 1 ; m 557). —
anm. 52: hei Mederer steht das gedieht nicht. — anm. 54,6:
st. 1517 — 1520 1. 1513 — 1521; es handelt sich also nicht um
die zeit seit Luthers auftreten; die z. 1 ff aufgestellte behauptung
wird dadurch ziemlich haltlos, übrigens bin ich mit den älteren
biographen dafür, dass diese einzeichnungen im gegenteil für
äufsere frömmigkeit sprechen. — s. 24, 31: st. sieben 1.4 — 5
(vgl. anm. 31). — anm. 57, 4: st. 22 1. 4; 5: 1. perscribere. —
anm. 58, 2: 1. Boiariae . . .perreptavi. — s. 26, 33: st. 1519 1. 1518. —
anm. 62, 2: st. 201.21; 4: 1. cwsum; 5: st. 4 1. 9; 6: st. 4 1.24. —
s. 27, 20: Vermutung; 22: 1. 'bayrischen Cronik' ; 24: tilge sogen.
(Aventin: ein kurzer auszug) , 1. des 'bayrischen Chronicon' '. —
anm. 64,1: st. 111 1. 110; 5: vor«. 15 1. p.678. — anm. 66, 1:
st. bjuli 1. 18 august; 2: st. 3 1. 6; 3 st. 13 1. 12, st. 16 1. 15/";
4f:?? im kalender heifst es zum 12 oct. : ' 12 dux Ernestus, Lu-
dovicus Abusinae'. — s. 28, 11: die Homerstudien sind im kalender
bis ins einzelne geschildert, der name Euripides einmal erwähnt. —
anm. 68: erstlich ist der brief aao. tatsächlich undatiert, aus dem
jähre 1521 stammt nur der nächste; zweitens aber kann er nicht
in dies jähr gehören, denn Reuchlins berufung erfolgte schon
ende 1519. — s. 28, 23: ohne zweifelt — anm. 70, 1: st. 29
1. 24, st. mai l.juni. — s. 29, 18 fehlt merkmal. — anm. 72, 7:
st. 335 1. 334. — s.33, 4: ein paar jähre vorher? Beatus Rhenauus'
'Rerum Germauicarum libri m' sind doch eben im jähre 1531
erschienen, also fällt gar nichts auf. — s. 33, 34: st. rühmen
1. wol rügen. — s. 34, 14: nicht sowol der kirche als dem clerus;
31: st. 77) 1. 76a); 32: hinter hervor füge ein 77). — anm. 76a:
st. nr 25 l.u. 26— 27. — anm. 77,2: st. 688 1.680. — s. 35, 11:
in dieser zeit? 1522? — anm. 80, 1: st. 9 1. 8/"; 5: 1. drauf;
6: st. 28 1.22.— anm. 82,1: tilge 213; 2: 1. Chronik. — anm. 83:
citat ganz falsch. — s. 39, 6: st. 1525 1. 1526; 10: beiden!? —
anm. 89, 3 f : eigentlich darf W. die einwände vDruffels gegen
Muncker doch nicht auf sich beruhen lassen, und tatsächlich hat
er manches von ihm übernommen. — s. 39, 36 : 1. bei uns und. —
anm. 94: st. 224 1. 223. — s. 42, 1: beweis? — anm. 97, 1:
st. 613 1. 683, st. 1507 1. 1527; 3: st. 60 1.22 ff. — s. 42, 3—6.
der abschluss des ersten buches der chronik erfolgte offenbar
nicht in Abensberg, sondern in Regeusburg, vgl. SW i683 v. 31. —
anm. 97a: st. 1627 1. 1527. — s. 42, 6: hierauf ist unrichtig,
denn vorher ist vom december, im nächsten satz von mai bis
September des Jahres 1527 die rede. — anm. 98: st. 1507 1. 1527.
— anm. 101 : st. 26 1. 14. — anm. 103, 2: tilge bez. das falsche
datum 1529 ist aus Horawitz- Hartfelder ruhig übernommen;
Phckheymers brief gehört natürlich in das jähr der Verhaftung
A.s, also ins jähr 1528. — anm. 104: W.s behauptung, vDruffel
scheine geneigt, politische gründe der Verhaftung A.s anzunehmen,
WEGELE AVEMIN 229
ist ganz aus der luft gegriffen. D. polemisiert (Sitz.-ber. d. Münch.
acad. hist. cl. 1879 s. 362) nur mit gutem recht gegen Munckers
(er hätte besser sagen sollen Wiedemanns) allzu phantastische
quelleuinterpretation und stellt fest, dass wir nur an A.s angäbe
'captus ob evangelium' uns zu halten haben. — anm. 106,4: die
schrift über das herkommen der Stadt Regensburg ist nicht 1532,
sondern 1528 entstanden (s. SWi 256); das von W. z. 1 — 4 ge-
sagte wird dadurch hinfällig. — anm. 106a: st. 645 1. 685. —
anm. 107, 2: st. 14 1. 18. — anm. 108, 4: st. 41 1. 43. —
anm. 109,2: st. von 1. an, st. am 1. vom; 3: st. 1529 1. 152S (s.o.)
— anm. 111: st. s. 111 1. s. 1 und 267. — anm. 118: st. 407
1.409. — anm. 119,2: was heifst N. C? — s.4S, 3: hinter müssen
füge ein 122); 8: st. 122) 1. 123); 18: st. 123) 1. 124). —
anm. 122: st. 371 1. 372. — anm. 123. die zahlen 272, 278,
335, 588 sind falsch. — anm. 124: st. 397 l.wol 36. — s. 51, 30:
1. im 57 jähre. — anm. 126: st. 3 1. 2, st. 48 1. 41. — endlich
ist nicht einzusehen, warum W. die briefe von und an Aventin,
die von Horawitz- Hartfelder aus der grofsen Aventinausgabe
abgedruckt sind, nicht nach dieser, sondern nach dem ab-
druck citiert.
Die erürterung einer* anzahl anderer fragen habe ich mir
für den schluss verspart, weil ich mich hier nicht nur gegen W.,
sondern gegen die ganze bisherige Aventinforschung wende und
weil durch sie meiner ansieht nach die bis heute geltende an-
sieht über die letzte lebenszeit A.s nicht unwesentlich verändert
werden muss. für W. steht ungefähr folgendes fest: nachdem
es der in Bayern allmächtigen streng katholischen partei geglückt
war, männer zweiten ranges ihrer evangelischen gesinnung wegen
unschädlich zu machen, wagte sie sich auch an Aventin, der ihr
wegen seiner mafslosen angriffe gegen den clerus längst ein dorn
im äuge war und der sich in letzter zeit in Regensburg der neuen
lehre ziemlich ergeben gezeigt, am 8 oct. 1528 wurde er in
Abensberg 'ob evangelium' verhaftet und nur durch die f Ursprache
des kanzlers Leonhard von Eck am 18 oct. beireit, trotzdem er
nachher noch manche jähre der herstellung der Bayrischen chronik
widmete, wurde er doch seit jener kalastrophe des lebens in
Bayern nicht mehr froh, nachdem ihn schon 1529 Spalatin zu
sich nach Altenburg geladen, trug er sich in den jähren 1 530 — 1531
würklich mit auswanderungsplänen; er versuchte 1530 sich eine
Stellung beim pfalzgrafen Friedrich zu Amberg zu schaffen, er
bemühte sich 1531, durch Melanchthons vermittehing eine Zu-
fluchtsstätte in Wittenberg und peeuniäre Unterstützung für die
geplante 'Germania illustrata' zu erhallen , er verhandelte gleich-
zeitig mildem cardinalerzbischof von Salzburg, »lein er seine
Schriften zur herstellung einer copie Ubersaote und der ihm eine
Stellung au seinem hoffe anbot, all das zerschlag sich, \w\t\ \.,
der inzwischen in Regensburg lebte I geheiratet hatte, war
230 WEGELE AVENTIN
schliefslieh froh, von L. v. Eck zur erziehuug seines sohnes nach
Ingolstadt gerufen zu werden; er starb schon 1534 bei einem
besuche in Regensburg.
Quellen für diese darstellung sind A.s hauskalender, der
aber für diese zeit aufser den nachrichten über gefangennähme,
Regensburger leben und heirat nur zwei interessante eintrage
bietet: SVV r 687, 21 (dazu 30. 31. 33; 688, 4. 16—18), '1530.
Jan. Scripsit C(omes) Palatinits Fridericus mihi ut ad se venirem'
und 688, 30, '1531 Oct. 22. emi . . . . misi libros Myldorphium
cardinali'; ferner A.s brief an Spalatin vom 12 sept. 1529 0 649);
ein vom sept., aber ohne jähr datierter brief Melanchthons an
A. (i 650 f.), der sowol von A.s Wittenberger planen als auch
von der Salzburger einladung spricht und den W. wie die meisten
andern biographen in das jähr 1531 verlegt, um ihn mit jener
kalendernotiz vom 22 oct. zusammenzubringen; endlich die
Aventinbiographie des Hier. Ziegler.
Beginnen wir mit einer belrachtung der kalendernotiz vom
22 oct. 1531. zwischen A. und dem cardinal bestanden lange
jähre freundliche beziehungen, und so liegt nicht der geringste
grund vor, aus den angeführten worten einen Zusammenhang
mit der in Melanchthons brief angedeuteten berufung an den
Salzburger hof herauszulesen, mir scheint es nicht einmal not-
wendig, unter den libri A ventinsche Schriften zu verstehu, die
sich der cardinal abschreiben lassen wollte: wahrscheinlich wäre
das höchstens, wenn A. oct. 1531 grade ein neues werk abge-
schlossen hätte; die notiz besagt vielmehr weiter nichts, als dass
A. für den cardinal in Regensburg bücher gekauft und ihm zu-
gesendet hat. wir haben somit für die datierung des Melanchthon-
briefes völlig freie hand. in der grofsen ausgäbe ist (SW i 650 f,
vgl. Vogt ibid. p. lvii) auf 1530, in dem abdruck bei Krafft,
Briefe und documente aus der zeit der reformation (Elberfeld 1876,
p. 58) auf 1529 geraten, — keine von diesen anschauungen ist
richtig. Melanchthon sagt zum schluss: 'tarn senui hie perpetua
febri, cum nondum ingressus sim annum tertium supra tricesi-
mum' ; er hat das 32 jähr noch nicht vollendet. 32 jähre wurde
Melanchthon am 16 febr. 1529: der brief ist also sept. 1528 ge-
schrieben, dadurch gewinnt er nun eine ganz neue und überaus
merkwürdige bedeutung. A. hat sich also vor seiner Verhaftung
nach einem anderen Wirkungskreis umgesehen, von Salzburg
hatte er eine einladung, — an den protestantischen hof von
Wittenberg wollte er gern gehn, um von den einkünften säcu-
larisierter klöster bezahlung für die geplante Germania illustrata
zu erhalten, vielleicht ist grade diese Verhandlung den gegnern
zu obren gekommen und hat ihnen Stoff gegeben, um den groll
des hofes zu schüren; jedesfalls sehen wir nun, dass es nicht
erst die erbitterung über die gefangensetzung war, die ihn den
Wittenbergern näherte, ferner dass er schon 1528 den längst
WEGELE AVENTIN 231
gehegten plau des 'Zeitbuchs über ganz Deutschland' zu verwürk-
lichen gedachte.
Weiter aber lässt sich feststellen, dass sich unmittelbar nach
seiner freilassung seine bemiihungen fortsetzten, den heifsen
boden so rasch wie möglich zu verlassen, jener dankesbrief an
Spalatin ist zwar erst im sept. 1529 geschrieben, aber er beginnt
mit den worten : 'Rettulit mihi superiore decembri Utas litteras
Ammonius . . .', Spalatins ruf wird also schon im nov. 152S,
jedesfalls unmittelbar nach dem eintreffen der künde von A.s
traurigem loose ergangen sein (hier ist Pirckheymers brief an
Beatus Rhenanus vom 20 nov. 1528 zu vergleichen). A. ant-
wortete vor der hand nicht, sondern sah sich zunächst ander-
weitig um.
Nun ist durch Horawitz und Hartfelder zum ersten male ein
brief Martin ßutzers an Beatus Rhenanus gedruckt worden, in
dem der adressat gebeten wird, alles daran zu setzen, dass Aventin
für Strafsburg, speciell für das dortige Schulwesen gewonnen
werde, die herausgeber setzen ihn ohne rechten grund unter
die briefe der jähre 1523 — 1524; einen andern versuch macht W.,
der als erster der Aventinbiographen veranlassung hatte, sich mit
ihm abzufinden. Er führt (anm. 76) zunächst — wol für die
Horawitz -Hartfeldersche deutung — ins treffen, dass der satz
'patriae . . . interesse existimo talem virum hie suum fetum in
lucem referre' auf die zeit vor die Vollendung der Annalen schliefsen
lasse, meint aber, dass man wegen des als bevorstehend be-
zeichneten reichstages vielleicht eher an 1526 zu denken habe,
warum man indessen unter dem 'fetas durchaus die Annalen
versteh n muss, lässt sich nicht einsehen ; ebensogut wäre an die
Bayrische chronik zu denken, aber auch diese hat Butzer mit
seinem Elsässer localpatriotismus schwerlich im sinn; viel wahr-
scheinlicher ist es, dass er die Germania illustrata meint, über
die A. seit 1525 mit Beatus Rhenanus correspondierte und an
die er, wie wir sahen, seit 1528 eifriger denn je dachte, den
brief in eine zeit vor 1528 zu setzen, ist aber überhaupt un-
möglich, im anfang heifst es nämlich mit bezug auf Aventin:
'Praefecti scholarnm nostrarum LX florenos ei in 'singulos annos
adsignaverunt . . .' ; die hier genannte behörde aber gibt es in
Strafsburg erst seit dem jähre 1528, wie folgende stelle in der vom
1 märz 1529 datierten vorrede der 'Catechesis puerorum' des
Otto Brunfels (s.o. 1529, Berlin Ep 303<i) beweist, welche 'cla-
rissimis senatoribus D. Jacobo Sturmio , D. Nicoiao Cnyebsio et
D. Jacobo Meyer, inelytae urbis Argentinae scholarnm prae-
fectis' gewidmet i>i : 'Vidit id proeul dubio prudentissimus seno-
tus noster, qui exaeto anno publicas scholas instituit, stipendia
et praemia dedit , viros undeeunque doctissimos accersivit . . .
ldque senatus consultum . . . jjrudentias veitras surrogavit, simul
id negotii dans, . . . si </«</ in /<- quaestio fieret, vel </<' doctü
232 WEGELE AVEKTIN
viris adhibendis, vel de pecunia suppeditanda, ad vos recurreretur
. . .' zu den frühesten geschähen, die hier den drei scholarchen
zugewiesen werden , gehörte nun gewis die Verhandlung mit
Aventin, der grade zu haben war; denn unter dem bevorstehnden
reichstag, den Butzer erwähnt, werden wir jedesfalls den zweiten
reichstag von Speier zu verstehn haben, der am 2 februar 1529
ausgeschrieben wurde.
A. blieb indessen in Regensburg; was ihn dort hielt, wissen
wir nicht, aber schon im September 1529 schreibt er an Spalatin
von der arbeitsüberlastung , die ihn nötigte, ruhig hinter den
büchern zu sitzen, was W. s. 45 — 46 von den auswanderungs-
plänen A.s in den folgendeu jähren erzählt, gehört jetzt völlig
ins reich der mythen; denn auch jenem kalendereintrag vom
jan. 1530 und den widerholten besuchen A.s in Amberg und
Neumarkt darf man nunmehr, wo sie ganz allein stehn, nicht
mehr mit Sicherheit entnehmen, dass es sich dabei um eine
dauernde anstellung am pfalzgräflichen hofe gehandelt habe; viel-
leicht waren es nur archivalische Studienreisen, wie sie A. so
eifrig zu unternehmen pflegte, phantasie ist nun auch die an-
nähme, dass er 1533 nach der mentorstellung bei Oswald von
Eck wie nach einem letzten rettungsmittel griff, wir wissen von
der ganzen angelegenheit nur durch Ziegler, und wie weit wir
sie überhaupt als tatsache betrachten dürfen, wird erst der
künftige biograph Aventins beurteilen können, der sich endlich
einmal der Wiedemannschen quellenkritik gegenüber auf eigene
füfse stellen wird.
Berlin, 29 märz 1891. Max Herrmaivn.
Friedrich Ludwig Schröder, ein beitrag zur deutschen litteratur- und theater-
geschichte von Berthold Litzmann, prof. an der Universität Jena.
1 teil. Hamburg und Leipzig, LVoss 1890, xv und 330 ss. — 8 m.*
Eine biographie des grofsen Schauspielers und schauspiel-
directors Schröder, welche in bezug auf inhalt und form allen
anforderungeii der heutigen Wissenschaft entspricht, war schon
lange ein dringendes bedürfnis geworden, das ältere, sehr ge-
schätzte und viel gesuchte werk von Meyer ist eine wertvolle
mah-rialiensammlung, aber von künstlerischem geiste so völlig ver-
lassen, dass es den modernen leser kaum mehr zur lectüre lockt
und nur als nachschlagebuch fleifsig benutzt zu werden pflegt,
leider stellt sich bei genauerem zusehen immer mehr heraus, dass
das werk auch im eiuzelnen nicht immer zuverlässig und mit
völliger Sicherheit zu gebrauchen ist. muss schon aus diesen
gründen ein neues werk, welches in ansprechender form einen
* [Litt, centralbl. 1890 nr 49 (C). — Revue critique 1890 nr50. —
DLZ 1890 nr 30 (AvWeilen).]
LITZMANN FRIEDR. LUDVV. SCHRÖDER I 233
gediegenen wissenschaftlichen iuhalt bietet, herzlich willkommen
geheifsen werden, so sucht der Verfasser nach dem vorwort seinem
buche auch eine selbständige bedeutung zu geben, indem er 'die
Stellung Schröders in und seine beziehungen zu den litterarischen
fragen und bewegungen seiner zeit' zum bauptgesichtspuncte nimmt.
während Meyer nur das theater berücksichtigte, will L. auch einen
beitrag zur litteraturgeschichte liefern, welche ja mit der theater-
geschichte iu engem Zusammenhang steht.
Der vorliegende erste band führt uns nur bis an die schwelle
von Schröders eigentlicher künstlerischer tätigkeit: bis zum
23 jähre des helden, der noch im ballet seine stärke hatte,
als die Ackermannsche gesellschaft dem Hamburger national-
theater platz machte und der junge Schröder sich auch als Schau-
spieler zum ersten mal ganz auf sich selbst gestellt sah. den
inhalt bildet, aufser der Vorgeschichte der eitern, im wesentlichen
eine geschichte der Schröderseben und Ackermannschen theater-
gesellschaft, deren wanderziige im norden und im Süden höchst
anschaulich und zum grofsen teil auf grund neuen handschrift-
lichen und archivalischen materials geschildert werden, der Zu-
sammenhang mit der litteraturgeschichte wird schon hier fest ins
äuge gefasst. wir sehen noch Schönemann nach dem zurück-
treten der Neuberin mit Gottsched anknüpfen und die regel-
mäfsige Alexandrinertragödie aufrecht halten; wir wohnen der
ersten aufführung von Lessings Miss Sara Sampson iu Frank-
furt a. 0. und der ersten aufführung von Wielands Johanna Gray
in Winterthur bei; wir verfolgen den sieg des bürgerlichen trauer-
spiels der Engländer über die frostige Alexandrinertragödie der
Franzosen auf der lebendigen bühne. namentlich über die Schick-
sale der Ackermannschen gesellschaft in der Schweiz und im
Elsafs orientiert uns der verf. auf grund neu erworbenen materials,
das er zum teile hilfreichen Schweizern verdankt, um die
Verbindung mit der litteratur sich und den lesern immer deut-
lich vor äugen zu halten, entwirft L. von den litterarischen persön-
lichkeiten, die seiner truppe auf der Wanderung begegnen, aus-
führliche Charakterschilderungen, die mitunter vielleicht einen
zu breiten räum einnehmen, nirgends aber ohne Überlegung
und ohne absieht eingeflochten sind, überhaupt aber ergeht
er sich in einer gleichmäfsig bequemen und au detailzügen
reichen erzählung, welche den leser zwar nicht durch Spannung
mit sich fortreifst, aber durch behaglichen reiz an das Schicksal
dieser wandernden comödianten leise und doch sicher zu fesseln
vermag.
Nur ein übelstand macht sich bedenklicher geltend: dass der
held selbst nämlich zu wenig hervortritt und namentlich am ein-
gang und am schluss der erzählung völlig verschwindet, nun
wird allerdings in jeder biographie die Jugend eine gröfsere breite
für sich in ansprach nehmen als die zeit der reife oder gar des
a. F. it. a. XVII. 16
234 LJTZMA» FIUEDR. LUDW. SCHRÖDER I
alters, die Umgebung, in welche der held durch seine gehurt
tritt und welche ihn im leben nach so mannigfachen richtungeii
zu bestimmen sucht, muss auch in der darstellung zum ausdruck
kommen ; und jede schüchterne kundgebung des kindes oder
des Jünglings, die auf eine Stellungnahme zu den umgebenden
personen und Verhältnissen hinweist, verdient berücksichtigung,
während in den späteren jähren eine flüchtige begegnung oder
ein beiläufiges urteil ganz ohne bedeutung ist. in der biographie
eines Schauspielers liegt der fall aber doch etwas anders, die schule,
ein zwar äufserlicher aber unentbehrlicher gradmesser für die
entwicklung der fähigkeiten, kommt hier weniger in belracht.
schriftliche documente fehlen meistens und beweisen , auch wo
sie vorhanden sind, nicht so viel als in der entwicklungsgeschichte
eines Schriftstellers, dessen haudwerk mit der intelligenz in einer
viel unmittelbareren beziebuug steht, über die entwicklung der
künstlerischen fähigkeiten eines Schauspielers sind wir vollends
ganz im dunkeln gelassen; wir dürfen zufrieden sein, wenn wir
uns von seinen leistungen in der blütezeit seiner kunst und
seines ruhmes auf grund der Schilderungen der Zeitgenossen ein
halbwegs zuverlässiges bild machen können, von jedem andern
künstler liegen dem biographen die werke vor; von dem Schau-
spieler aber nicht, dessen tätigkeit beginnt für den historiker
erst mit dem augenblick, wo sie auf die Zeitgenossen gewirkt
und in ihren Schilderungen sich abgespiegelt hat. nur die selten
zuverlässige quelle der autobiographischen aufzeichnungen und die
spärlichen nachrichten, welche etwa die genossen der werdezeit
eines grofsen Schauspielers hinterlassen haben, kann der biograph
ausnutzen, die innere entwicklung darstellender künstler ist also
für den historiker viel undankbarer und für die leser viel weniger
interessant, als die entwicklungsgeschichte grofser schriftsteiler,
die sich meist an der band schriftlicher documente verfolgen
lässt. so gern man deshalb auch die geschichte der Ackermann-
schen gesellschaft bei L. lesen wird, so wird sie doch gewis den
meisten lesern als basis für die biographie Schröders zu breit er-
scheinen, an löblichen bemühungen, seinem helden gegenüber
der Umgebung aufzuhelfen und bestimmte abschnitte in seiner
entwicklung fest abzugrenzen, hat es der Verfasser nicht fehlen
lassen, ganzen erfolg hätten sie nur dann gehabt, wenn er sich
hätte dazu entschliefsen können, die geschichte der Ackermann-
schen gesellschaft zusammenfassend darzustellen, ihre ausführliche
erzählung aber in einem besonderen buch oder aufsatz zu geben.
Die arbeit L.s sachlich zu beurteilen, wird leider dadurch un-
möglich gemacht, dass der anhang von Urkunden und documenteu,
auf die sich seine darstellung stützt, diesem ersten band nicht
beigegeben ist, sondern am Schlüsse des ganzen folgen soll, den
eindruck einer besonnenen kritischen Verwertung des materials
und genauer Sachkenntnis hat man überall, nur auf s. 179 hat
LITZMANN FRIEDR. LUDW. SCHRÖDER I 235
mich der lapsus calami gestört, dass das lied 'Wer nur den lieben
gott lässt walten' Paul Gerhardt zugeschrieben wird.
Als besonderes verdienst sei der darstellung L.s nachgerühmt,
dass sie sich aller spuren des garstigen theaterdeutsch enthält,
in welchem solche bücher fast gemeiniglich geschrieben sind.
mancher glaubt, seiner darstellung eine besondere theatralische
färbung zu geben , indem er sie mit ein paar brocken aufstützt,
die er da oder dort in einer kneipe von einem fettschminker auf-
gegriffen hat. solchen billigen und unedlen effecteu verdankt die
erzählung Litzmanns nirgends ihre lichter, trotzdem er sich in das
lustige und traurige leben der wandernden comödianten des 18 jhs.
gut eingelebt hat und mit sichtlichem behagen an ihrem wol und
weh anteil nimmt.
Es ist alles in allem ein buch, wie jetzt nur wenige im
laufe eines Jahres erscheinen, und man darf auf die fortsetzung
begierig sein.
Wien, im januar 1891. Mknor.
Das repertoire des Weimarischen theaters unter Goethes leitung 1791—1817.
bearbeitet und herausgegeben von dr CAHBurkhardt, grofsh. sächs.
archivdirector (Theatergeschichtliche forschungen. herausgegeben von
BLitzmann i). Hamburg und Leipzig, Leopold Voss, 1S91. 8°. xl und
152 ss. — 3,50 m.*
Die neue schrift von Burkhardt ist eine bis zu absoluter
Vollständigkeit erweiterte ausfiihrung jenes repertoireentwurfs,
den der verf. vor einigen jähren im 4 bände des Goethe-jahr-
buches veröffentlicht hat. welch eine fülle andauerndem Üeifses
nötig war, um diese sauberen register herzustellen, das wird
jeder dankbar anerkennen, der sich eiumal mit theatergeschichte
beschäftigt und dabei erfahren hat, wie mühselig das sammeln
solches matprials ist. B. hat sich darauf beschränkt, die titel
der stücke und die daten der aufführung ohne commentar zu
verzeichnen, und erst der künftige geschichtschreiber des Wei-
marischen hoftheaters, dem es zugleich vergönnt sein wird, die
kürzlich wider aufgefundenen bedeutenden Überreste des theater-
archivs zu benutzen, wird uns erzählen, welch reicher iuhalt sich
zwischen den Zeilen dieser anscheinend trockenen register ver-
birgt, nur eine kurze, leider stilistisch eiw;is ungelenke ein-
leitung schickt B. voraus, er zeichnet darin im wesentlichen
die geschickten Operationen Goethes, des ßnanzmannes , wie er
durch die stattlichen sommereinnahmen seiner filialbühnen Lauch-
städt, Erfurt usw. das deficit deckte, das jede wintersaison in
dem kleinen Weimar verursachte, dabei wird widerum dei
* [vgl. Beilage zur allg. ztg. 1891 nr 85 ( KKiiuin). ]
236 BURKUARDT REPERTOIRE DES WEIMAR. THEATERS 1791 1817
art jeder dieser auswärtigen bühnen rcclinung getragen, an-
deutend zeigt B. weiterhin, dass ein auffälliges numerisches über-
gewicht mittelmäfsiger und sogar schlechter stücke im repertöire
widerum durch die finanzverhältnisse erklärt wird: mittelgut, das
der menge gefiel, muste die casse füllen; nur dann war es mög-
lich, ein ensemble guter künstler auch für die darstellung von
meisterwerken beisammen zu halten.
Dreifach bat B. das repertöire des weimarischen hoftheaters
registriert, zuerst erhalten wir chronologisch ein Verzeichnis
sämtlicher Vorstellungen, wie sie vom 7 mai 1791 bis zum
12 april 1817 in Weimar und an den filialbühnen stattfanden,
dann folgt die alphabetische aufzählung und numerierung aller
stücke (mit abzug von nr 499 sind es genau 600); und endlich
sind in einer dritten Zusammenstellung die namen sämtlicher
autoren alphabetisch geordnet, das dritte register verweist rück-
wärts auf das zweite, das zweite auf das erste, sodass für Über-
sichtlichkeit ausreichend gesorgt ist. für die Statistik hätte noch
ein letztes getan, nämlich die gesammtzahl der aufführungen
jedes Stückes, die summe der werke jedes Verfassers , sowie end-
lich die anzahl der theaterabende, an denen jeder zu worte kam,
tabellarisch geordnet werden können, doch dieser mangel ist
gering gegenüber dem schwereren vorwürfe, dass trotz alles fleifses
das buch von B. in hohem grade unzuverlässig ist und nie ohne
strengste controle benutzt werden darf, es sollen dabei einfache
druckfehler nicht hervorgehoben, auch willkürlichkeiten nicht ge-
rügt werden, wie sie sich zb. in nr 158 zeigen, ref. hat, so
weit es an der band des buches selbst möglich war, alles, was
Schiller betrifft, geprüft und dabei folgendes notiert:
Die im nameuverzeichnis unter 'Schiller' angegebene nr291
gehört zu 'Einsiedel', wo sie fehlt, dagegen vermisst man bei
Schiller nr 297 die aufführungen der 'Glocke'. — nr 247 D i e
braut von Messina: 1804 august 9 war in Lauchstädt, nicht in
Weimar Vorstellung. — die aufführungen am 3 und 17 october
1808, für welche das chronologische Verzeichnis noch die drei-
actige bearbeilung angibt, hatten doch wol schon die einteilung
in vier acte. — ist es würklich bezeugt, dass nur die zwei Vor-
stellungen Halle 1811 juli 25 und Weimar 1813 november 24
eine fünfactige bearbeitung zu gründe legten? — nr 317 Die
Jungfrau von Orleans: register A und B widersprechen sich
betreffs der Vorstellung von 1811 September 4. war nun Halle
oder Lauchstädt der ort der aufführung? — nr 352 Die rauher:
1811 decemberl8 hat keine Vorstellung der 'Bäuber' stattgefunden.
— nr 390 Die Verschwörung desFiesco: register B notiert
abweichend von A eine vieractige bearbeitung. wo steckt der
druckfehler? — nr488 Kabale und liebe: mit der Vorstellung
von 1811 September 9 verhält es sich genau wie mit der Vor-
stellung der 'Jungfrau von Orleans' 1811 September 4 (s.o.). —
BL'RKHARDT REPERTOIRE DES WEIMAR. THEATERS 1791 1817 237
nr 513 Macbeth: das stück ist von B. mit einem f bezeichnet,
dh. es ist aus Bellomos repertoire übernommen, da aber dieser
sicher eine der älteren Umgestaltungen gab, günstigsten falls
die von Bürger, Goethe dagegen die bearbeitung von Schiller
aufführte, so war hier das f wol kaum am platze, ähnlich ist
es dem verf. bei anderen Shakespeareschen stücken ergangen,
zb. nr 151. und dass Goethe schon 1792 die Schlegelsche Über-
setzung von Shakespeares 'König Johann' (nr 493) aufführen
lassen, ist natürlich unmöglich. — nr515 Maria Stuart: auch
dieses stück (siehe das f) soll aus Bellomos repertoire stammen,
was sich von selbst widerlegt, aber selbst wenn Bellomo viel-
leicht die 'Maria Stuart' von Spiefs aufgeführt hat (was ich nicht
weifs), so durfte das f dennoch hier nicht stehn. — eine auf-
führung von 1801 juni 14 ist zu tilgen, fehlt auch im register A. —
nr 525 Nathan der weise (Schillers bearbeitung) : zu der Vorstel-
lung in Lauchstädt 1S03 juni 16 wäre eine kritische bemerkung nötig
gewesen; denn Schillers kalender, dessen glaubwürdigkeit nur
mit überzeugenden gründen zu bezweifeln ist, gibt den 13 juni
an. — nr 587 Wallenstein: 1805 november 20 hat zu Weimar
keine aufführung des 'Wallenstein' stattgefunden. — nr 588
Wallensteins Lager: 1801 September 27 wurde das stück nach
dem chronologischen Verzeichnis nicht in Rudolstadt, sondern in
Weimar gegeben. — im jähre 1805 fand nicht die Vorstellung
vom 11 februar, sondern die vom 25 juli in Lauchstädt statt. —
1811 September 2 streiten sich das Verzeichnis A und B, ob
Halle oder Lauchstädt der ort der aufführung war. — nr 595
Wilhelm Teil: wie ist auf s. 53 und 54 (1804 december 1 und
1805 märz 9, nur diese beiden male) die auffällige tatsache zu er-
klären, dass man 'Teil' in vier acten gab? — die Vorstellungen
1811 august 22 und 31 fanden, wie auch das register A richtig
angibt, in Halle, nicht in Lauchstädt statt.
Soviel mag genügen, das gesamturteil muss lauten: so
anerkennenswert die arbeit als ganzes ist, so nötig ist die gröste
vorsieht, wenn man die angaben des buches im einzelnen ver-
werten will.
Hamburg. \i bebt Köster.
Nachlese aus dem Briefwechsel zwischen den brüderm Grimm
und Salomon Hirzel.
Die im Anzeiger \\\ 220 — 264 veröffentlichten Mitteilungen
mitsten raummangels wegen hauptsächlich auf die für die geschickte
des Deutschen Wörterbuchs erheblichen briefe und auszüge ein-
geschränkt uerden. im folgenden habe ich mm, von mehreren
seiten dazu angeregt, alles uns dem briefwechsel noch mitteilens
23 S BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL
werte (mit ausnähme einiges persönlichen und geschäftlichen) zu-
sammengestellt, wodurch auch die arbeit am Deutschen Wörterbuch
noch manche aufklärung erhält.
Würzburg, im märz 1891. M. Lexer.
1. SHirzel an JGrimm. 31 december 1838.
Lieber herr hofralb! leb schicke Ihnen hier die zeitung,
worin der neueste artikel aus Göltingen, der manchem dort die
erste nacht im neuen jähr unruhigen schlaf bereiten wird, dass
und wefshalb Sie so schnell von Jena aufbrechen mufsten, hat
uns recht leid gethan zu vernehmen, desto mehr freuen wir
uns, dass es wieder besser geht, und wünschen herzlichst, dass
Ihnen das neue jähr heiter anbrechen möge
Auf einmal heifst es wieder, mit wie viel grund weifs frei-
lich niemand, dass D ah Im an n hier angestellt werde, zunächst
kommt das gerücht von einem briefe, den Weber aus Dresden
erhalten, der aber nur ein privatbrief war. der kriegsminister,
der anfang dieses Jahres hier in Leipzig sein wort verpfändet,
dass D. zu michaelis hieher berufen werde, liegt im sterben,
da werden wahrscheinlich die karten neu ausgetheilt werden, und
man sagt, herr v. Falkenstein solle minister des eultus werden.
2. SHirzel an JGrimm. 14 october 1839.
Albrecht war aus Teplitz zurückkehrend nur wenige tage
hier, ganz von liebesgedanken erfüllt, und reiste dann nach Berlin,
wo er sich letzten sonntag vor acht tagen wirklich verlobt hat,
mit der tochter von prof. Ideler, einem blutjungen mädchen mit
namen Pauline. mehr wissen wir hier zur stunde noch nicht,
ich mufs ihm nun eiligst eine wohnung suchen, da er ende des
monats hieher zurückkommen und den winter wieder lesen will.
eine solche radieal-eur thut ihm sehr noth, denn die Stimmung
war den sommer, ehe er nach Teplitz ging, von der art, dass ihm
seine freunde zuletzt nur zureden konnten, nach Danzig zu gehen,
wir freuen uns alle über diese unerwartete wendung seines Schick-
sals und wünschen, dass sich auch die nachricht von dem be-
vorstehenden rufe nach Tübingen bestätigen möge, so leid es
uns in vieler hinsieht thäte, ihn zu verlieren, aber der sächsi-
schen regierung möcht' ichs gönnen, dass sie den verlust er-
litte
Haupt ist von Zittau zurück, mit Mafsmanns urtheile über
den Erec, dass er 'sauber gearbeitet' sei, nicht völlig begnügt,
er und Klee, zuerst aber meine frau, grüfsen Sie aufs herzlichste
[Nachschrift.] Mafsmann empfiehlt einen jungen mann, den
er aber nicht nennt, der zeit zum excerpiren habe und für dessen
treue und fleifsige arbeit er einstehe, er wünscht aber für den-
selben ein regelmäfsiges honorar, da er dessen bedürftig sei.
Haben Sie denn auch von einem bundestagsbeschluss ge-
BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL 239
hört, wornach den juristenfacultäten der deutschen Universitäten
verboten werden soll, rechtsgutachten über streitige puncte in
der bundesverfassung oder der Verfassung eines einzelnen deut-
schen Staates ohue vorherige genehmigung der regierung zu er-
theilen? Mecklenburg soll das loos getroffen haben, den beschluss
zuerst zu verkünden, es ist, als ob die herrn in Fr. an ihrem
sarge zimmerten.
3. SHirzel an JGrimm. 15 december 1840 (nach Berlin).
Während wir uns mit vermuthuugen beschäftigen, wann Sie
wohl in der Leipziger Vorstadt Halle eintreffen möchten, um Sie
dort zu sehen und wo möglich in die Stadt hinein zu locken —
müssen wir heute hören, dass Sie schon seit tagen in Berlin sind.
Haupt wollte eben den inliegenden brief nach Kassel senden: ich
benutze die gelegenheit Ihnen zu melden, dass schon seit einigen
wochen eine altfranzösische schrift von Imm. Bekker für Sie bei
uns liegt, die wir in der erwartung, sie Ihnen persönlich ein-
händigen zu können, bisher nicht absendeten.
Zweimal werden Sie uns doch nicht vorüberreisen, schon
Ihrer gesundheit wegen müssen Sie unterwegs einmal ruhen und
sich wärmen, und dazu ist Leipzig, wo Sie auch nahe au Jena
sind, viel geeigneter als Halle. Sonnabend ist Hermanns magister-
jubiläum und dienstag muss Haupt nach Zittau, und vor Weih-
nachten wollen Sie gewifs wieder in Cassel sein.
4. SHirzel an JGrimm. 24 august 1S41.
Die anwesenheit Ihres bruders ruft uns lebhaft die schönen
tage zurück, wo wir Sie bei uns hatten, wären Sie doch mit-
gekommen! .... Gustchen gefällt es im garten, da glücklicher
weise die pflaumen reif sind, sie ist ein liebes Hessenmädchen,
mit der wir bald vertraut geworden sind.
5. SHirzel an WGrimm. 3 october 1841 (nach Jena).
Wenn Sie nun donnerstag oder freitag hier ankommen, bitte
ich Sie bei uns vorzufahren . . . Sie kommen noch in dem besten
mefslärm, dem das schöne weiter und die Berliner eisenbahn täglich
frische nahrung zuführen, einige Türken wollen noch so lange
warten, bis Gustchen kommt, für das es sonst noch mancherlei
zu sehn gibt, was ich nicht im voraus verrathen will.
6. SHirzel an WGrimm. 4 december 1841 (nach Berlin,
Lenneslrafse 8).
Gestern sollen sie hier die Herweghschen lieder verboten
haben, doch ist der rathsbote bei uns noch nicht gewesen, auch
die Lebensbilder werden ohne zweifei verboten werden, da herr
v. Falkenstein ein exemplar gekauft hat, das gewöhnliche an-
zeichen der bevorstehenden confification . . . dass der bundestag
die bekannten Ordonnanzen über die Universitäten wieder auf
6 jähre verlängert hat, haben Sir vielleicht noch nicht ge-
240 BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL
hört, iliefsmal hat Sachsen den beschluss zuerst veröffentlichen
müssen.
7. SHirzel an JGrimm. 30 april 1842.
[Nachschrift.] Arndt schreibt, dass die Universität Bonn aufs
neue Dahlmann vorgeschlagen.
8. SHirzel an JGrimm. 26 februar 1847.
Die beiden glücklichen, welche von früh bis abend so lange
es tag ist die Wörterbuchzettel sortiren, sind seit etwa zwei
wochen bei dem zweiten theil ihrer aufgäbe beschäftigt, dh. beim
sortiren der beiden hauptabtheilungen A — L und M — Z in die
einzelnen buchstaben. diese anscheinend so durch und durch
mechanische arbeit übt augenscheinlich einen geistigen einfluss
auf die jungen leute aus, die, während sie früher oft fragen auf-
warfen, dass man an dem Vorhandensein der ersten elemente
jedes Unterrichts zweifeln konnte, nunmehr nicht selten den sie
instruirenden Haupt- mann mit sprachphilosophischen bemerkungeu
überraschen.
Nächstens werden wir uns erlauben, nachdem ja über alles
wesentliche gegenseitiges verständnifs vorhanden zu sein scheint,
Ihnen den entwurf eines neuen contractes vorzulegen.
9. SHirzel an JGrimm. 15 februar 1849.
Kehrein ist vor einigen tagen bei uns eingekehrt, aber
der passagier flöfste uns kein vertrauen ein, und Ihr brief scheint
unserer meinung nicht zu widersprechen.
10. SHirzel an JGrimm. 8 juni 1849.
Unter meine unerledigten papiere war leider auch das blait
von Haupt gerathen, auf dem er seine gedauken über die neue
Orthographie des Wörterbuchs niedergeschrieben, sie sind zum
glück nicht veraltet, indem ich sie Ihnen erst heute übersende,
auf die sache selbst eiiizugehn, kann ich diefsmal meinerseits
füglich unterlassen, es ist vielleicht eine schicklichere gelegen-
heit darauf zurück zu kommen, wenn wir Ihnen das material zum
Wb. senden , wozu wohl binnen 8 — 14 tagen rath werden kann,
da bis dahin endlich Schiller eingeordnet sein wird.
11. SHirzel an JGrimm. 23 november 1850.
Ich hatte schon überall nach der Jubelschrift, von deren exi-
stenz ich in den Zeitungen las, vigilirt, nun darf ich wohl stolz
darauf seyn, sie als ein geschenk aus Ihrer hand in meinem be-
sitz zu wissen, die vorrede, um die es sich natürlich bei mir
vorzugsweise handelt, ist so hinreifsend geschrieben, dass man
gleich wieder von vorn anfängt wenn man sie zu ende gelesen hat.
12. SHirzel an JGrimm. 18 mai 1852.
Ein höchst verdaukenswerther aufsatz über das Wb. steht in
der A. allgem. zeitung, ohne zweifei von prof. Häusser in Heidel-
berg, das Wb. war das allgemeiue mefsgespräch unter den buch-
BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DE.\ GRIMMS L.ND HII1ZEL 241
händlern, die, höchstens mit ausnähme einiger neidhammel alle
die günstigste meinung davon hatten, es gilt mit recht für das
gröfste literarische unternehmen des Jahrhunderts.
13. SHirzel an JGrimin. 24 mai 1852.
Zarncke hat sich vernehmen lassen, ich denke gut .... ich
habe Goethes briefe an frau von Stein und an Lavaler excerpirt
und schicke Ihnen hier den buchstaben A, dein zur rechten
zeit B und ff nachfolgen sollen, es wird \iel unnützes dabei
sein, aber Sie sehn den guten willen an.
14. SHirzel an WGrimm. 15 juni 1S52.
Pass das Wörterbuch neben der freudigen anerkennung, die
es überall findet, auch einige angriffe, vielleicht zunächst durch
jene hervorgerufen, erleiden würde, war vorauszusehn. aber
dass die Nationalzeitung gerade, im Widerspruch mit sich selbst
den reigen eröffnen würde, war überraschend, der artikel des
herrn B — s, den ich nicht zu errathen vermag, macht indefs
keinen nachhaltigen eindruck, da er den geruch von einer, gott
weifs wo und wann, verletzten giflkröte an sich träjJ.
15. SHirzel an JGrimm. 28 juni 1852.
Durch Dietrich Reimer schickte ich . . . auch die badische
landeszeitung, worin ein staiker ausfäll auf die Verleger des
Wb. es ist billig, dass auch diese einmal ihr theil abkriegen,
und es sollte mich recht freuen, wenn von jetzt an alle angriffe
auf das Wb. lediglich auf diese sich richteten.
16. JGrimm an SHirzel. 30 juni 1852.
Zur einstweiligen beschwichtigung des setzers folgt hier ms.
1077 — 1 ISO. im sommer, merke ich, fallt die ausarbeitung
schwerer, zumal wegen der besuche, die stunden und viertelstage
in beschlag nehmen, auf nächsten monat sind angekündigt Ger-
vinus, der die meusebachischen bücher gebrauchen will, Uhlaud,
in gleicher absieht, aus Groningen kommt ein prof. de Vries fünf
tage her, um sich wegen eines niederländ. Wörterbuchs zu be-
rathen (als fände er meinen plan nicht ausreichend im erschie-
nenen lieft!) und mein bruder aus Cassel mit seinem töchterchen,
setzt man die wörterbucharbeit nur zwei tage aus, so hat sie den
dritten mehr Schwierigkeit, auch leide ich seit einem halben jähr
wieder viel an kopfschmerzen, die mir jede woche einen tag ver-
derben ....
Es gelm manche verkehrte, unnütze beitrage ein, doch auch
bessere, neulich sogar, was mich rührte, ein päcklein aus Neu-
wied von Hoffmann \<>n Fallersieben . . unter Ihren buchen) sind
noch manche aus dem 17 jli. sehr beachteoswerth. Meusebachs
bibliothek würde einen häufen darbieten, wenn ich zeil hatte.
besitzt n Sie Dedekinds Grobianus? der verdiente pxcerpte.
[Nachschrift.] Danziger und Badische zeitung liegen wieder
242 BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL
bei. ich weifs nicht was Schulmeister mit dem vollständigen
Wörterbuch sollen; für die müssen Sie demnächst, wenn es fertig
sein wird, einen auszug, ein handbuch in zwei bänden
machen lassen, der dann sehr wohlfeil sein kann.
17. JGrimm an SHirzel. 16 juli 1852.
Empfangen Sie wiederholten dank für die verdienstliche mühe,
die Sie sich ums Wb. durch eigne beitrage wie durch Vermitt-
lung anderer machen.
18. SHirzel an JGrimm. 26 august 1852.
Ich bin den sommer immer in stiller bewunderung gewesen,
dass Sie so unermüdlich fortarbeiten konnten, und habe mich an
Ihrem beispiel gestärkt, wenn ich meinte, es sei in Leipzig nicht
auszuhalten ....
Verdiente Salomon Gefsner nicht bescheiden ausgezogen zu
werden? ich würde den Heinrich Schweizer in Zürich, der das
besser als ich verstünde, darum bitten.
19. JGrimm an SHirzel. 6 September 1852.
Da mir beide freunde ausdrücklich zur pflicht gemacht haben,
zu verreisen, so folge ich, und gehe morgen als den 7 sept. auf
etwa zwei wochen weg. so lange musz also der druck ruhen,
ich habe eben 47a corrigiert und zurückgesandt.
20. SHirzel an JGrimm. 21 September 1852.
Zum willkommen in Berlin übersende ich Ihnen einiges in
Ihrer abwesenheit eingegangene, dabei auch eine recension aus
der Schulzeitung.
21. JGrimm an SHirzel. 28 September 1852.
Es war hübsch lieber Hirzel, dasz wir von Braunschweig bis
Magdeburg zusammenfuhren , doch müssen Sie sehr müde ge-
wesen sein, weil Sie meistentheils schliefen.
22. SHirzel an JGrimm. 20 december 1852.
Haupt meinte letzthin, bei Schmellers lebzeiten hätte Wurms
machwerk in den Münchener gel. anzeig, keine aufnähme ge-
funden, aus Ihren mittheilungen ergibt sich erst was für eine
bodenlose gemeinheit und frechheit demselben zu gründe liegt.
23. SHirzel an JGrimm. 15 Januar 1853.
Die eingetretene Unterbrechung thut mir wahrlich um ihrer
Ursache willen nicht geringer leid als der sache selbst wegen,
folgen Sie doch ja dem rathe des arztes und gehn fleifsig spa-
zieren, es gibt ja jetzt oft so milde tage, wie man zu dieser
Jahreszeit nicht gewohnt ist. ich wollte, dass ich Sie jeden tag
abholen könnte, Sie brauchten kein wort mit mir zu sprechen,
und ich wollte mich auch still halten, man wird selbander wan-
delnd weniger müde als allein, doch würde es Ihnen ja, wenn
Sie geleit bedürften, an bessern, als meines gleichen nicht fehlen
BRIEFWECHSEL ZWISCHE?; DE> GRIMMS U.\D HIRZEL 243
Vorgestern ist Otto Jahn zurück gekommen, er war in Mün-
chen und versichert, dass die academie die Wurmsche anzeige des-
avouiren werde. Thiersch wäre empört gewesen, dass der streich
in seiner ahwesenheit gelingen konnte.
24. SHirzel an JGrimm. 13 august 1853.
Die liehe heschäftigung mit dem Wörterbuch habe ich [iväh-
rend Grimms reise] recht entbehrt, freilich haben die hunde wieder
lärm gemacht: ich denke aber, Sie setzen Ihr schweigen fort,
auf Wurm wollte Zarncke gar nichts erwidern, den Sanders hatte
er gleich abgethan.
25. SHirzel an JGrimm. 22 august 1853.
Das letzte Wurmsche pamphlet habe ich noch nicht gelesen,
mich reuen die paar groschen und noch mehr reut mich der ver-
driefsliche tag, den es mir voraussichtlich machen wird mich
bekümmert bei diesen geschichten nur eins ... die nahe liegende
befürchtung, dass Ihnen nach und nach die frische lust am weiter-
schaffen verkümmert und vergällt werden könnte; das ists, was
mich manchmal quält, indessen wenn mich an trühen tagen solche
gedanken heimsuchen, muss ich mir auch bald wieder zum tröste
sagen, dass es eine thorheit sei, an Sie den mafsstab einer kleinen
gewöhnlichen menschennatur zu legen.
In der ostermesse voriges Jahres, als das erste lieft mit so
allgemeinem jubel begrüfst wurde, sagte ein ruhiger verständiger
College zu mir: 'das wäre doch ein wunder, wenn dieser bei fall
nicht auch einige derbe angriffe hervorriefe', solche mifshand-
lungen müssen also doch zu den deutschen erfahrungen gehören.
26. SHirzel an JGrimm. 4 october 1853.
Ich ärgere mich recht, nicht zu rechter zeit an Goethes
'nur die lumpe sind bescheiden'
gedacht zu haben , es wäre doch ein schickliches citat gewesen
[s. Dwb. i 1550; das citat ist also wol erst bei der druckrevision
ins Wb. gekommen].
27. SHirzel an JGrimm. 13 october 1S53.
Heute habe ich die zweite hälfte des 100sten bogens mit
vielen stillen glück wünschen an Sie abgesandt.
28. SHirzel an JGrimm. 29 october 1853.
Dass Simrock zu viel schreibe, höre ich von allen seilen.
Den Walther mochte ich Wackernagels wegen, der ihm gerathen
an mich zu gehn, nicht absehlagen.
29. SHirzel an JGrimm. 22 november 1S53.
Obgleich das B so viele prächtige artikel enthüll, fange ich
mich «loch manchmal an vor ihm zu fürchten, da es sieh wie
ein bandwurm fortspinnt und uns den ersten band Ober erwarten
anschwellt, einmal kam mir der einlall, oh man die citate aus
244 BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UMD IIIRZEL
der bibel etwas beschränken konnte; doch sagte ich mir gleich,
dass Sie Ihre gründe haben werden, sie in dieser fülle zu geben.
30. JGrimm an SHirzel. 31 Januar 1854.
Lieber freund, dieser monat soll nicht ablaufen, ohne dasz
ich Ihnen manuscript zur vorrede sende, worauf Sie mit schmerzen
gewartet haben werden; es kamen viel Störungen über mich, auch
war ich nicht recht wol und es hielt schwer, so vielerlei dinge,
die sich in der vorr. zusammen drängen, zu überschlagen, hier-
bei folgt also manuscript zum ersten bogen , das übrige soll
schneller nachkommen, ich wünsche, dasz der anfang Ihnen gefalle.
31. SHirzel an JGrimm. 1 februar 1854.
Ich habe nicht gezögert, es [manuscript zum 1 bogen der
vorrede] zu lesen und habe diese 32 Seiten mit steigender freude
gelesen, es ist alles eigenthümlich, interessant, überzeugend, für
jedermann verständlich, ich wüfste nicht was man anders wün-
schen möchte, aber ich wüfste auch nicht wer das so schreiben
könnte als Sie. auch die Stimmung, in der Sie geschrieben haben,
hat etwas ungemein wohlthuendes.
Aus einer stelle muss ich schliefsen, dass Sie mit Ihrem
herrn bruder sich über die art und weise seiner mitarbeit be-
sprochen und geeinigt haben, wie sehr würde es mich beruhigen
zu hören, dass hierbei das resultat erzielt worden, das mir noch
immer, und immer mehr, als das für das gedeihen des Werkes
einzig mögliche erscheint.
32. JGrimm an SHirzel. 21 februar 1854.
Viel hat mich in dieser woche gestört Holtzmanns schrift
über die Nibelungen, gegen Lachmann gerichtet, dessen ansieht
ohnehin schon unhaltbar geworden war und es dadurch noch
mehr wird, doch stellt auch Holtzmann viel seltsames auf, es
kommen aber natürliche und feine bemerkungen vor.
33. SHirzel an JGrimm. 22 februar 1854.
Dass Sie [in der vorrede] die namen Sanders und Wurm
nicht unerwähnt lassen, finde ich in der Ordnung.
34. SHirzel an JGrimm. 3 märz 1854.
Auch der schluss der vorrede ist richtig eingetroffen: ich
darf nichts dazu sagen, aber bei dem lesen des einen blaues
überlief es mich heifs.
35. JGrimm an SHirzel. 15 märz 1854.
Gott sei dank, dasz dieser streifzug durch drei Jahrhunderte
unserer literatur zu ende ist; Sie erhalten auch zum ersten carton
das ms. auf Ihre und Hildebrauds (der wie Sie früher einmal
schrieben über viele citate den köpf schüttelte) berichtigungen
bin ich nun gespannt .... aber jetzt werden Sie und Reimer
einsehen, dasz unmöglich gleich mit der ersten lieferung, wie
BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL 245
damals begehrt wurde, vorrede und quellenverzeichnis gegeben
werden konnte ....
Wollen Sie druckfehler anzeigen? ich kann noch mit mehr
aufwarten.
36. SHirzel an JGrimm. 28 märz 1854.
Der erste band schliefst also nun mit biermolke, nicht
eben für jedermann, bis gestern hatte ich noch die absieht
1 V2 columnen dazu zu geben, bieten wäre dann ein schöner
anfang des neuen bandes gewesen, aber das hätte neuen auf-
enthalt gemacht, und Hirschfeld rieth mir auch ab.
37. JGrimm an SHirzel. 1S54 (ohne datum).
Mich freut sehr, dasz hinter biermolke am schlusz des
bandes kein strich gesetzt steht, was mir verbürgt, dasz der zweite
band mit dem nächsten worte (biernahrung oder was es ist)
ganz obeu anfängt ....
Nun geht der krieg los, was unserm Wörterbuch vorläufig
auch nichts nutzt.
38. JGrimm an SHirzel. 1854 Sonnabend (ohne datum).
Lieber Hirzel, ich habe, den lockungen von Amnion und
Kerner zum trotz, die badereise aufgegeben, weil ich das regen-
wetter und die langeweile fürchte, dagegen ist mirs lieb vom
Wörterbuch ein wenig aufathmen zu können, um eine academische
abhandlung auszuarbeiten, die ich den 10 august lesen musz.
bin ich fertig damit, so sende ich Ihnen wieder msp. und reise
in der zweiten hälfte august noch ein wenig, auch liegt ein berg
von briefen zur beantwortung vor mir, der abgethan sein will.
39. JGrimm an SHirzel. 13 november 1854.
Der artikel buch ist einer, wo Sie viel zu berichtigen haben
werden.
40. JGrimm an SHirzel. 30 december 1854.
Ich kann diesmal nur wenig msp. beilegen, um diese zeit
sind die abhaltungeu zu viele und besonders viel briefe zu schreiben,
womit ich leider noch nicht zu ende bin. auch war gerade der
artikel bursch schwierig zu behandeln und erforderte vieles nach-
lesen, wobei man stets auf nebendiuge gerälh. dann langte Gö-
dekes Gengenbach an, worin auch viel langweiliges zu lesen ist.
41. JGrimm an SHirzel. 3 September 1855.
Wilhelm und Hermann sind den letzten briefen nach noch
zu Cassel, von wo die reise nach Göttingen, Hermanns vielleicht
auch Harzburg geben soll, damit wird die buminelei zu ende sein.
42. JGrimm an SHirzel. 12 october 1855.
Lieber freund, ich wollte nicht eher antworten, bis ich Ihnen
Wilhelms rückkehr bleu könnte, die nun endlich vorgestern
abend erfolgt ist. ich linde durch diese ausreise seine Gesund-
heit wenig gebessert, die empfindliche Bchwäche in seinen füszen
246 BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL
hat eher zu als abgenommen, hoffentlich wird er Ihnen näch-
stens auskuüft über das Wörterbuch geben, dessen Versäumnis
mir natürlich am herzen liegt.
Ich selbst habe seit drei wocheu wenig vor mich gebracht,
sodasz ich zweifle ob ich zur versprochnen zeit das manuscript
werde liefern können, viele empfinden hier den einflusz der
bösen choleraluft und mehrere tage war mir nicht sonderlich zu
mute, doch ists vorübergegangen.
Von Kosegartens niederdeutschem Wörterbuch ist die erste
lieferung heraus und der Verleger meint überhaupt mit sechs
lieferungen durchzukommen, der glückliche! das ist doch eine
arbeit, deren ende man absieht, die wahrscheinlich im manuscript
schon ganz fertig liegt, die einrichlung ist vergnüglich und breit,
das ganze werk höchst willkommen und nützlich, auch recht
fleiszig, dennoch eigentlich ungelehrt und auf der Oberfläche her-
gehend, das mögen aber gerade viele leser.
43. WGrimm an SHirzel. 16 october 1855.
Vor wenigen tagen bin ich endlich wieder hier eingerückt.
gleich anfangs hat krankheit mich in Bonn zurückgehalten, dann
in Hannover, wo ich wochen weilen muste, und wohin meine
frau vom Harz kam: so bin ich gerade noch einmal so lang
weggeblieben als meine absieht war. nun steht mir der winter
bevor, und ich wünsche dasz er sich gnädig erweise.
Ich habe in stunden wo ich etwas thun konnte, manches
nicht unwichtige ausgezogen. Sie werden in der folge citate
finden aus Kotzebues dramatischen spielen, wo er sich gehen
läszt und nicht ziert, aus Ifflands werken, Freitags [so] soll und
haben , Gutzkows ritter vom geist. Mercks briete und Jeans Pauls
Siebenkäs habe ich nochmals mit nutzen durchgesehen. . . .
Die cholera schleicht noch immer herum, wie bin ich er-
schrocken über den plötzlichen tod der frau Haupt, die meine
frau im Harz noch so heiter gefunden hat.
44. JGrimm an SHirzel. 10 december 1855.
Warum wollen wir uns iu briefen, die doch natürlich manches
ungenau und unvollständig ausdrücken, die sorge vervielfältigen
die uns bedrängt? ich habe, meines wissens, Ihnen nicht das ge-
ringste von dem verheiszenen abgesagt, das wb. geht mir zu
herzen und sobald diese meine gedanken erfüllende neue arbeit
beseitigt ist, beginne ich den buchstaben E und fahre rasch
darin fort.
45. WGrimm an SHirzel. 13 april 1856.
Es war mir lieb, dasz Sie mir das ganze denken [zur
correctur] zugesendet hatten, so konnte ich noch eins und das
andre nachtragen, und der etwas schwierige artikel ist nun zu
ende gebracht . . .• es wäre mir lieb gewesen, wenn das neue lieft
mit der die das hätte beginnen könuen.
DHIEFWECHSEL ZWISCHE.N DE.N GRIMMS UMD HIRZEL 247
46. WGrimm an SHirzel. 11 mai 1856.
Mein sohu Hermann hat sich entschlossen, mit Joachim, der
von Hannover hierher kam, eine erholungsreise nach Venedig, das
in dieser zeit alle seine reize entfalten soll, über Wien zu machen.
von daher habe ich schon einen brief, morgen soll es weiter nach
Triest sehen, seine novellen sind eben fertig geworden, er scheint
mir dafür nicht unbegabt zu sein, die geistreichste ist das kiud,
am besten gefällt mir der landschaftsmaler.
47. WGrimm an SHirzel. 20 mai 1856.
Von Hermann habe ich briefe aus Venedig, die zusammen-
fallenden paläste, die veffallne pracht macheu ihm eineu traurigen
eindruck und er wird nicht, wie er vorhatte, länger dort weilen,
die reiselust überhaupt scheint sich bei ihm gemindert zu haben.
Ein dr Kelle aus Augsburg [so], der sich hier schon ein
jähr aufgehalten hat und hofft professor in Würzburg zu werden,
gibt den Otfried heraus, der schon grösztentheils gedruckt ist.
48. WGrimm an SHirzel. 29 mai 1856.
Ich habe mich über die anzeige [in den Grenzboten] gefreut,
besonders da sie nicht etwa veranlaszt ist, und danke Ihnen für
diese freundliche mittheilung. meiner frau und tochter haben
Sie damit einen besondern gefallen getban. Hermann hat noch
eine grosze procession in Venedig mit angesehen, und ich denke
wir werden in einer novelle davon zu lesen haben, eben erhalte
ich einen brief von ihm aus Mailand, wo der dorn einen mäch-
tigen eindruck auf ihn gemacht hat ... .
Heute abend kommt der russische kaiser und es werden an
verschiedenen stellen musikchöre aufgestellt, die ihn mit der rus-
sischen hymne empfangen sollen, ich werde nichts davon hören,
da wir eine sitzung der academie haben.
49. WGrimm an SHirzel. 11 Juni 1856.
Hermann ist schon am 1 d. m. zurückgekommen, wo wir
ihn noch nicht erwarteten, er hat sich nach haus gesehnt und
ist nur einen tag in München geblieben, wo das treiben der
Parteien im schwang zu sein scheint.
50. WGrimm an SHirzel. 26junil856.
Der artikel der wird noch etwa zwei halbe bogen in an-
spruch nehmen; er hat mir mühe genug gemacht und in den
auszügen fand ich sehr wenig vor.
51. WGrimm au SHirzel. 22 october 1856.
Wenn Sie Zarncke sehen, so bitte ich ihm zu sagen dasz
ich seine ausgäbe der Nibel., die ja schön ausgestattet ist, erhalten
habe und ihm bestens dafür danke.
Müllenhof [so] ist, wie ich aus der zeitUDg ersehe, liier an-
gelangt, und ich vermute daher, das/, man mit dun in Unter-
handlung steht.
24S BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL
52. SHirzel an JGrimm. 3 Januar 1857.
Vergönnen Sie, theurester berr hofrath, dass mit den vielen,
die morgen Ihnen ihre huldigungen und wünsche darbringen,
auch ich zu Ihnen hineinzuschliipfeu versuche, wo so viel ge-
wünscht wird, bleibt für mich kein besonderer wünsch übrig, und
wenn ich einen solchen äufserle, wäre es ja auch nur einer, den
tausende mit mir theilen und auf seine erfüllung hoffen.
Mögen Sie den glücklichen tag heiter und ungestört ver-
leben! wir werden es uns auch nicht nehmen lassen, auf Ihr
Wohlergehen anzustofsen, und wissen, dass wir damit gott wohl-
gefälliger sind als die Berliner mefsjuden, die in Auerbachs keller
'auf die eroberung der Schweiz' anstofsen.
53. WGrimm au SHirzel. 8 Januar 1857.
Sie wissen dasz ich das mscrpt. so lange als möglich be-
halte, um noch nachtrage machen zu können, und Sie quälen
mich durch Ihre forderung nicht; im gegenlheil ich rechne auf
Ihre erinnerung. ich will nur bemerken, dasz es mir nicht mög-
lich ist jede woche, eine in die andere gerechnet, manuscript zu
einem halben bogen oder zwölf spalten zu liefern, welche vor-
zöge hat, auszer noch andern, mein bruder, der gleich fertig
mahlt, freilich auch ungestörter arbeiten kann.
54. WGrimm an SHirzel. 15 märz 1857.
Gestern abend waren alle meine fenster besetzt von be-
kannten, die den fackelzug zu Böckh, der sein doctorjubiläum
feierte, sehen wollten, es waren an 400 Studenten und der qualm
von den fackeln so stark dasz uns das gesicht geschwärzt war,
und mein zimmer davon ganz angefüllt, heute ist ein groszes
essen, an dem nur Jacob theil nimmt.
55. WGrimm an SHirzel. 17 märz 1857.
Ich danke für die mittheilung der beiden recensionen. der
beitrag aus Valenciennes ist eine dummheit und der andere von
der malabarischen küste hätte auch die weite reise nicht brauchen
zu machen.
56. WGrimm an SHirzel. 16 october 1857.
Ich danke Ihnen für die bemühung wegen der stelle aus
Göthe, ich weisz dasz Sie solche am ersten finden, schon oft
hat mich solches nachsuchen mühe und zeit gekostet, indessen
findet sich auch wol noch eins und das andere bei der gelegen-
heit. so trefflich Klees auszöge aus Göthe sind, so habe ich
doch noch vieles nachgetragen und manche stelle vervollständigen
müssen.
Prof. Weigand aus Gieszen war mit seiner tochter acht
tage oder länger hier, ein guter, fleisziger und verständiger mann,
der an dem Wörterbuch theil nimmt und mir öfter beitrage sendet,
alle so schön geschrieben, als wenn sie in kupier gestochen wären.
BRIEFWECHSEL ZWISCHEN L>E.\ GRIMMS ü.ND HIRZEI. 249
57. WGrimm an SHirzel. 16 november 1S57.
Mein bruder bat einen unfall gehabt, der nocb glücklich
abgelaufen ist. vor einigen tagen biegt er in der dämmerung
um die ecke in unsere strasze, da stöszt ihm ein laternenanzünder
die quergelragene leiter heftig ins gesicht. wäre der stosz einen
zoll hoher gekommen, so war das äuge verloren: so erhielt er
auf den backen neben der nase eine wunde, die heftig blutete
und die eine narbe zurücklassen wird, indessen heilt sie gut
und schnell und ich hoffe, dasz er in eiuigen tagen wieder aus-
gehen kann.
Haupt klagt über einen rückfall in seinen krankhaften zu-
stand und hält seine Vorlesungen nur mit anstrengung. er musz
durchaus längere zeit die arbeit aufgeben und in voller rube leben.
58. WGrimm an SHirzel. 18 februar 1858.
Hierbei abermals futter für den setzer .... die vielen kleinen
artikel bei drei haben meine geduld sehr in anspruch genommen.
59. WGrimm an SHirzel. 25 februar 1858.
Hochgeehrter freund, es ist sehr freundlich von Ihnen dasz
Sie sich meines geburtstages erinnert und mir so gute wünsche
dazu gesendet haben, je weiter man in den jähren voran schreitet,
je lebhafter und dankbarer empfindet man die fortdauer wohl-
wollender gesinnung. ich habe mich an dem tage nicht stören
lassen durch die grippe, die mich noch immer nicht freigeben
will, mich an dem hellen himmel erfreut, der zum fenster herein-
leuchtete , und die kälte in dem erwärmten zimmer nicht em-
pfunden. Jacob war noch schlimmer daran und muste den
gröszten theil des tages im bett zubringen, kam aber doch zu
tisch um meine gesundheit auszubringen.
Hr Siegfrid in Königsberg schreibt mir, dass bei Ihrem
schwager eine kleine schrift gegen Lewes erscheinen werde,
vermutlich eine rechtfertigung der Bettine. ßettine ist fortwäh-
rend krank, erhebt sich manchmal auf einige zeit und zeigt eine
grosze lebenskraft.
60. SHirzel an JGrimin. 17 mai 1S58.
Diese messe ist für mich die wichtigste von allen gewesen,
die ich noch erlebt habe, ich hoffe auch die glücklichste, ich
weifs, dass Sie an der oachricht, die Ibuen das gedruckte blatt
gebracht hat, herzlichen antheil nehmen, und wenn Sie das
glückliche brautpaar sahen, würden Sit; so grofses Wohlgefallen
daran linden wie wir alle, freilich hätten wir das liebe kind
gerne bei uns bebalten, aber die kinder sind ja Dicht der ehern
wegen da, und wenn ich »linke, wie meine eigenen eitern mich
einst mit schwerem herzen, aber zufrieden wenn mir ich zu-
frieden war, von ihnen weg io weite ferne ziehen sahen, will
auch ich das Opfer bringen, uü(\ so denkt auch meine liehe Iran.
Oltilie ist jetzt 19, ihr bräutigam 24 jähre, die hochzeit soll,
A. F. D. A. XVII. IT
250 BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEM GRIMMS U«D H1RZEL
wie ich hoffe, ei>t im nächsten frühjahr stattfinden, er ist der
älteste söhn des hekannten reisebücher-mannes, mit dem ich im
j. 1S23 zu gleicher zeit, er als gehülfe ich als lehrling, im
Reimerschen hause eiuwanderte. so ist er in Deutschland mein
erster freund geworden und stets mein hester gehlieben.
61. JGrimm an SHirzel. 1 october 1858.
Lieher freund, ich hatte vierzehn tage lang in diesem herr-
lichen September ungetrübtes wetter, holte erst Auguste in Harz-
burg ab, mit dem plan, sie über Stuttgart und Friedrichshafeu
nach dem Bodensee zu führen, als wir aber zu Frankfurt saszen,
hatte meine heiserkeit so zugenommen, dasz sie mir vernünftig
anlag lieber nach Ems zu gehn und meine angegriffene brust-
haut zu heilen, wenigstens zu beruhigen, sie wolle sich gern die
freude der süddeutschen reise versagen, gedacht gethan, wir
kamen über Mainz und Coblenz (denn die Lahnsteiner eisenbahn
ist eingestürzt) schnell zum krähnchen und kesselbrunnen, wel-
chen letzteren ich acht tage lang pflichtmäszig trank, zwar sagte
der arzt, eine woche helfe so gut wie nichts, es müsse sechs
wochen hindurch geschehen, ohne mich daran zu kehren, reiste
ich über Weilburg, Wetzlar, Gieszen (wo ich den Weigand im
bett überraschte) zurück, brachte einige tage vergnügt in Cassel
zu, und bin nun wieder hier, befinde mich auf dem alten punct.
Dadurch ist in der ausarbeitung des ms. ein unvermeidlicher
verzug gekommen, denn hier hatten sich unterdessen manche
dinge aufgehäuft, die abgewickelt sein wollten, ich werde aber
bald wieder in zug geraten und die andere hälfte des hefts soll
im november fertig sein.
62. WGrimm an SHirzel. 1 februar 1859.
Mit dem vvorte dumpfheit werde ich geneckt, eheu bringt
mir Hermann eine stelle aus den Propyläen, die eine definition
davon enthält und noch aufgenommen werden musz. sie ist aus
einem brief Wilhelms von Humboldt aus Paris [nun folgt die im
W7>. 2, 1527 aufgenommene stelle aus Propyl. 3, 76].
63. JGrimm an SHirzel. 22 april 1859.
Es ist noch immer möglich, dasz der krieg vermieden wird.
wo nicht verdient der unselige anstifter wahrlich absetzuug.
64. WGrimm an SHirzel. 19 mai 1859.
Es zieht ein schweres wetter am himmel, noch dürfen wir
hoffen dasz es uns nur streift, aber wir müssen auf das schlimmste
gefaszt sein, wie betrübt ist die abgünstige verläumderische ge-
hässige gesinnuug gegen Preuszen, die es nicht verdient, die es
nicht erwidert, die aber in dem grüszten theil von Deutschland
ausbricht. Sie thuu recht dasz Sie die hochzeit jetzt feiern:
wie lebendig hat Gothe diesen zustand im Götz geschildert,
yrüszen Sie die liebe braut von mir und wiederholen Sie ihr
BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL 251
meine herzlichen wünsche, welch ein schöner augenblick für
die eitern, wenn sie bei der traunng auf ihr kiud hinsehen und
sich seines glückes freuen, möge es der anfang einer langen
und heitern bahn sein 1
65. SHirzel an JGrimm. ISjuni 1859.
Tausend dank für Ihren liehen schönen brief. am Rhein,
wo die mobilmachung grofse Verstimmung hervorgerufen hat (nicht
blos bei meiner tochter) hält man die königin für die anstifterin.
wenn es nicht wahr ist, zeigt es doch, wie man von ihr denkt,
es ist bald gesagt, dass diese aufstellung am Rhein nur die fried-
liche vermittelung unterstützen solle, wenn die Franzosen und
die Deutschen sich erst zu hunderttausenden gegenüber stehn,
wird es nicht lange beim friedlichen einander ansehen bleiben.
Nachdem nun Österreich — man sagt, es sei Metternichs
letzter rath gewesen — den Oberbefehl und die alleinige diplo-
matische Vertretung an Preufsen überlassen, schreien die mittel-
staaten zeter, wollen sich Preufsen nicht unterordnen, sondern
für sich als bund losgehn. das soll zur stunde die gröfste
Schwierigkeit sein.
66. W.Grimm an SHirzel. 1 September 1859.
Eine vorrede [zum zweiten bände des Wb.] will ich aus ver-
schiedenen gründen nicht schreiben.
67. SHirzel an JGrimm. 18 october 1859.
Hildebrand kam den tag nach meiner rückkehr zu mir, noch
ganz erfüllt von dem eindruck Ihres besuchs, der ein ereiguifs
in seinem leben war ....
Mit meinem alten treuen freund Bädeker, mit dem ich seit
1823 in ununterbrochenem innigstem verkehr stand, habe ich ein
gutes stück meines eigenen lebens begraben, und fühle das mehr
als ich aussprechen kann.
68. WGrimm au SHirzel. 5 november 1859.
Hermanns Verheiratung werden Sie schon aus der Kölnischen
zeilung, die gleich davon nachricht gab, vernommen haben, die
trauung hat am 24 october abends in der Dorolheenkirche statt
gefunden, eine festlichkeit war damit nicht verbunden, da die
meisten verwandten der braut nicht hier waren, am andern
mittag asz das junge paar bei uns. Sie kennen ja wol die Gisel,
sie hat von haus ans geist, ist freundlich und liebenswürdig, sie
kennen sich von kindheil an, und so liolle ich das/, es eine glück-
liche ehe wird.
füt. WGrimm an SHirzel. 2<> november 1859.
Jacob ist von Lappenberg eingeladen Bein Jubiläum bei ihm
in Hamburg zu feiern, er wird also in achl tagen mil Pertz
und Bänke dahin abreisen.
252 BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS L.\D H1RZEL
70. JGrimm an SHirzel. 2 december 1859.
Lieber freund, ich danke für das viele geld und die Stiefel.
Sie halten das geld in die Stiefel stecken können, wie man ehraals
ganz gewöhnlich that. morgeu früh reise ich nach Hamburg ab.
71. JGrimm an SHirzel. 6 februar 1860.
In diesen tagen will ich eine kleine vorrede [zum zweiten
bände des Wb.] schreiheu; ich kann mich noch immer nicht von
meinen schwermütigen gedanken los machen und wollte ich wäre
erst wieder mitten in der alten arbeit, in Wilhelms stube steht
noch alles ebenso und wir lassen einen mahler ein bild davon
aufnehmen.
72. SHirzel an JGrimm. 25 februar 1860.
Das buch mit den briefen zwischen Humboldt und Varnhagen
soll schon einige monate zur ausgäbe bereit gelegen, die Lud-
milla aber diese bis dahin hinausgeschoben haben, dass ihr gesuch
um niederlassungsbewilligung in Berlin erledigt war. schwerlich
lag es in Humboldts wünschen, dass dieser nachlass so unmittel-
bar nach seinem tode veröffentlicht werde, der schlechteste dienst
ist durch dies buch der Humboldt-Stiftung erwiesen worden.
73. SHirzel an JGrimm. 3 September 1860.
Uns ist es in der zeit schlecht genug ergangen, das ent-
setzliche weiter, das vor acht lagen Stadt und umgegeud verheert
hat, hat auch unser haus verwüstet und unsern garten zerstört,
da uns 104 Scheiben zertrümmert waren, die erst gestern wieder
hergestellt werden konnten, haben wir mehrere tage lang so zu
sagen unter freiem himmel gewohnt und nachts den regen zum
offenen dach herunter prasseln hören, das mit bretern nicht aus-
reichend gedeckt werden konnte, der garten war eine grofse
eisfläche, ganz besät mit zweigen, blättern, blumen, todten vögeln
und dem ganzen reichen segen der Obstbäume, nun ist wieder
Ordnung geschafft, aber es blüht keine blume mehr, viele meiner
lieben, vor 16 jähren selbst gepflanzten bäume stehn ganz kahl
da, und was sie von zweigen behalten haben, ist wie mit scharfen
messein zerhackt, niemand ahnte so ein Unglück, nur die hühuer
hatten sich, wie meine frau bemerkt hat, schon eine stunde vor
dem losbruch in den stall zurückgezogen der arme Hilde-
brand war so verhagelt, dass er sein logis verlassen musste.
74. JGrimm an SHirzel. 1860 (ohne datum).
Ich werfe alle gebrauchten zeltel, um nur sie vom hals und
tisch zu schaffen, gleich in den papierkorb, verloren ist also ver-
loren, aber aus ungebrauchten zetteln kann ich immer neu zu-
tragen.
75. JGrimm an SHirzel. 5 februar 1861.
Ich hätte beim beginn des buchstaben E nicht gedacht, dasz
ich über 1900 Seiten [des manuscripts] von ihm anfüllen müste.
BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL 253
76. JGrimm an SIlirzel. 15 februar 1861.
Ei, was machen Sie, lieber Hirzel, krank werden müssen
Sie solchen leuten überlassen, wie ich bin, in meinen gedanken
waren Sie nunmehr von Bonn und Coblenz zurückgekehrt, und'
wieder im stände mit Ihrer Stahlfeder in den bogen allerhand hin-
einzuschreiben, wie in der letzte nicht mehr geschehen ist . . .
legen Sie sich nicht wieder zu bette, sondern halten sich aul-
recht.
77. JGrimm an SHirzel. 4 august 1861.
Das Wh. hat [während einer reise Hirzels] seinen fortgang
genommen, auf den letzten bogen aber Ihre hübschen zusätze
und ausfiillungen entbehrt.
78. SHirzel an JGrimm. 5 august 1861.
Sehr erfreut hat mich, dass das Wb. so rüstig vorwärts ge-
schritten, und ich bin Ihnen auch dafür herzlich dankbar.
79. JGrimm an SIlirzel.. 5 September 1861.
Für das tagebuch 1810 [gedickt von Goethe] danke ich, es
wird eine grofse Seltenheit werden, da wahrscheinlich nur wenig
exemplare gedruckt sind.
SO. SHirzel an JGrimm. 30 october 1861.
Ich habe Ihnen immer zu danken, der ungestörte fortgang
des druckes macht mich ganz glücklich.
81. SHirzel an JGrimm. 31 Januar 1862.
Ich habe mich in Berlin herzlich gefreut, Sie so froh und
trotz des Unfalls rüstig zu finden, möge es ferner so bleiben!
Eines tage» ging ich freilich etwas sorgenvoll vuu Ihnen,
Sie wissen warum, nachher hatte ich wieder bessern mulh und
halte au der Zuversicht fest, dass die zeit des unterbrochenen
Wörterbuchs sich nicht noch einmal erneuern werde, ich würde
ganz glücklich sein zu hören, dass Sie den Dümmlerischen den
unveränderten abdruck der abhandlungen gestallet haben.
82. JGrimm au SIlirzel. 4 juui 1862.
Löbels anzeige war gut gemeint, aber unbedeutend.
83. JGrimm an SHirzel. 25 october 1862.
In Nürnberg [auf der rücbreise aus München] war es regnicbt
und das umherlaufen in den vielen straszen, kirchen und Däusern
hatte einen gründlichen schnupfen in mir angesetzt, der sich
nach meiner rückkunft nielu langer zurückhalten liesz, um\ den
gewöhnlichen ungünstigen verlauf nahm, dh. auf die brusl warf,
so dasz ich schon zwölf tage lang schlechte nachte habe, viel
huste und mich angegriffen fühle, boffentlich gehts nun bald
damit zu ende ....
Übrigens habe ich Frommann, Lexer, Meyer (der den Schiller
tradiert i, Riedel sämtlich gesehen \)\\t\ im rothen rössel zu gasten
254 BRIEFWECHSEL ZWISCHEN DEN GRIMMS UND HIRZEL^
gehabt, den folgenden tag kamen die guten leute alle, zum theil
mit ihren trauen, auf den hahnhof mir das geleit zu geben. . . .
Die durchlesuug des quellenverzeichnisses [zum dritten bände
des Wb.], dem ich in eile noch einiges anfügte, setzt mich fast
in Verwunderung, ich habe doch diesen ganzen band selbst ge-
schrieben und nun finde ich einige biicher darin, die ich nie
gehabt und nie gelesen habe, gott weisz wer einzelne citate
daraus, die Ihnen wol vor äugen gekommen sein müssen, einge-
schmuggelt hat, zb. Göschen s Vorlesungen, die sieben bände
von Pertz Stein, aus welchen höchstens ein citat vorkommt,
das auch wegbleiben könnte. Falk mensch und helden werden
nie von mir angesehen, dagegen feblt jetzt im abdruck Lexers
kärntisches wb., das anzuführen weit wichtiger war, ich wollte
fast darauf schwören, dasz es im Verzeichnis gestanden hat, der
setzer musz es unbefugt ausgestoszen haben, so stebts um die
quellen des wb.
84. JGrimm an Heinrich Hiizel. 16 april 1863.
Wir lassen oft bei Reimer erkuudiguug einziehen und hören,
dasz das uuwolsein Ihres vaters noch dauert, aber ungefährlich
scheint, grüszen Sie den kranken und ertheilen mir bald gute
nachricht.
85. JGrimm an SHirzel. 30 juli 1863.
Eben ist eine schrifl von Jonckbloet über Reinhart Fuchs
und Weinholds alemannische grammatik angelangt, die frisch ge-
lesen sein wollen.
86. JGrimm an SHirzel. 1863 (ohne datum).
Haben Sie das neue fr. wb. von Littre angesehen? offenbar
durch unser werk hervorgerufen, schön gedruckt, in etwas gröszerm
format, mit vielen belegen, aber die verse nicht abgerückt, was
dem ganzen die ruhe und anschaulichkeit nimmt; gegen die
etymologische behandlung viel einzuwenden.
87. JGrimms letztes schreiben an SHirzel. 15 august 1863.
Liebster freund, endlich nach langem zaudern, bedenken und
aufenthalt reisen wir ab, könnten noch richtig zum fürstentag
eintreffen, wollen aber vorläufig nur nach Suderode bei Quedlin-
burg, wissen nicht einmal, ob wir da aufgenommen werden, ist
kein platz, so musz der stab weiter gesetzt werden.
In drei wochen denke ich zurück zu sein und dann naht
gewitterschwer die reise nach München, vielleicht wird sie ganz
aufgegeben . . . bleiben Sie mit den Ihrigen gesund und vergnügt.
LlTTERATUR NOTIZEN.
Die kenntnis Germaniens im altertum bis zum zweiten Jahrhundert
n. ehr. von dr Ludwig Hoff , director des k. gymnasiums zu
HOFF DIE KENNTNIS GER HAMENS IM ALTERTUM 255
Coesfeld. Coesfeld 1890. progr. nr343. (Leipzig, GFock). 86 ss.
1,50 m. — die kleine schrill ist aus werken wie Milllenhoffs
Deutscher altertumskunde, Ukerts Germania ua. zusammengestellt,
ein solches unternehmen kann ja, wenn mit sachkunde und urteil
ausgeführt, sehr nützlich sein; die brauchharkeit jedoch dieses
werkchens wird dadurch beeinträchtigt, dass es demverf. an beidem
fehlt. H. gibt eine übersieht über alle antiken autoren, die bei-
trage zur kenntnis des europäischen Westens und nordens gegeben
haben oder hätten geben können, der erste teil dieser Übersicht
konnte ohne schaden sehr gekürzt werden, da bei den wenigsten
dieser Schriftsteller von einer kenntnis deutscher Völker die rede
sein kann, auch im zweiten teil durften manche namen solcher
autoren, die gar nichts beigetragen haben, fehlen. H. hätte dann
räum gewonnen, über die schriftsteiler, die würklich etwas bringen,
wie Strabo, Plinius und Tacitus ausführlicher zu handeln. Tacitus
wird jetzt auf etwa drei Seiten besprochen und mit einigen
phrasen abgetan, nach meiner meinung wäre es ferner zur eiu-
führung der leser zweckmäfsig gewesen, wenn H. auch das be-
zeichnet hätte, was die alten denn über Germanien wüsten; zb.
über Eratosthenes sagt er uns allerlei schönes, aber welche Vor-
stellung dieser von den nordischen gegenden hatte oder haben
konnte, erfahren wir nicht, es wäre hier am orte gewesen, sich
über die ausdehnung der Germanen in älterer zeit und namentlich
über ihr Verhältnis zu den Kelten auszusprechen, das gleiche
gilt bei Polybios ua.
In den uotizen, die den einzelnen Schriftstellern beigegeben
sind, finden sich nicht selten irrtümer. zb. wird s. 26 Hellauikos
ins jähr 500 v. Chr. gesetzt, Herodot von 484 — 404 v. Chr., s. 44
Herodor von Heraklea ins jähr 450 v. Chr., was alles unrichtig
ist. zum mindesten misverständlich sind s. 52fdie angaben über
Dionys von Halikarnass und Nikolaus von Damaskus. Eins der
wunderlichsten stücke ist endlich s. 59, wo H. sagt, dass die
älteste nachricht der Römer über einen germanischen volkstamm,
die Hermunduren, sich in einer schritt des L. Cincius Alimentus
über militärwesen linde (Gellius N. A. xvi 4). ich vermute, dass
der verf. jene stelle nicht selbst angesehen hat, da er sie sonst
kaum für eine nachricht über die Hermunduren erklärt haben
winde. In diesen litterarischen dingen fehlt es II. an kennlnissen,
wie sie für eine schrift, die fast ganz litterarhistorisch ist, nötig
gewesen wären.
Marburg i. II. Beisedictus Niesi ,
Zur gutiuralfrage im gotischen, von Helen L. Webster. Boston
1889 (Leipzig, GFock). Züricher diss. 90 ss. 8°. 4 m.* —
die umstrittene erscheinung der labialaffection der gutturale ' ist
* [vgl. DLZ 189U nr51 (ABezzenberger).]
1 Bezzcnbergers aufsatz 'Die iilg. gutluralreihen' in Beinen Beitr. XVI 234
kannte die Verfasserin noch nicht.
256 WEBSTER ZUR GUTTURALFRAGE IM GOTISCHE.N
schon in vorgerm. zeit vollendet, dies folgt nicht daraus, dass
die labialisierung auch kelt. , ital., griech. vorliegt: denn diese
labialisierenden sprachen zeigen die affection keineswegs immer
übereinstimmend bei denselben paradigmen; es folgt jedoch aus
lautlichen gründen, namentlich daraus, dass der velar nur vor
germ. a <C idg. a labialisiert wird , nicht vor germ. a <T idg. o.
aber das germ. kann zur geschichte des idg. labialisierungs-
problems wesentliches beitragen, wenn jedes vorkommen eines
ursprünglichen velars mit den entsprechungeu der andern labiali-
sierenden sprachen verglichen wird und es gelingt, die etwaigen
Übereinstimmungen oder abweichungen auf bestimmte gesetze
zurückzuführen, diese aufgäbe sucht vom gotischen aus die vor-
liegende dissertation zu lösen; sie strebt damit dem ziele zu,
welches Kluge in seineu Beitr. z. gesch. d. germ. conjug. s. 46 für
die gutturaluntersuchung im germ. bezeichnete: es komme darauf
an, von jeder einzelsprache aus die vorhistorischen, wenn man
will die idg. grundformen, wo möglich gleich scharf zu präci-
sieren. dass hier mit dem got. der anfang gemacht wird, hat
wol seinen grund nicht blofs in dem fest umschlossenen und
leicht zu beherschenden got. Wortschätze, sondern vor allem darin,
dass das got. in der gutturalfrage den gemeingerm. stand noch
am deutlichsten repräsentiert, während die westgerm. dialecte die
labialaffection im anlaute z. tl. frühzeitig schwinden, im inlaute nur
selten durch dehnung der vorhergehenden consonanz noch er-
kennen lassen, die verf. sucht den character jedes in got. Wörtern
auftretenden gutturals zu bestimmen, stellt in jedem falle die
germ. wie aufsergerm. parallelen zusammen und nimmt zu den
verschiedenen etymologischen ansichten kritisch Stellung, sie ist
hierin, soviel ich sehe, erschöpfend und gibt daher für zahlreiche
fälle die erwünschte ergänzung zu Feists lückenreichem Grundriss
d. got. etymol.
Von Kluges aao. s. 43 f aufgestellten gesetzen — A: die
affectionen hv (f) und q stehn im anlaut nur vor hellen vocalen;
B: die affection hv und q tritt ein im silbenauslaut bei folgendem
l,r, n; C; die labiale affection tritt im anlaut vor duukelen vocalen
und vor consonanten nicht ein — bleibt B ganz unsicher, und
das got. kann zu seiner eutscheiduug nichts beitragen (W. s. 87).
aber für A und C bringt die verf. die möglichen got. eiuzeluntei-
suchungen; und nachdem Bersu (Die guttur. u. ihre Verbindung
mit v im lal.) gezeigt hatte, dass die labiale affection der gutturale
im lat. nur vor den helleu vocalen a, e, i, nicht aber vor con-
sonant oder u und o auftritt, kann sie am Schlüsse ihre resultate
dahin formulieren, dass, wenn der labiale nachklang des gutturals
in den andern labialisierten sprachen fehlt, er auch im got. fehlt,
dass die labiale affection im got. wie im lat. nicht nur nicht im
anlaute, sondern an keiner stelle des wortes vor consonanteu
auftritt, und andrerseits, dass das got. den im vorgerm. vorhandenen
WEBSTER ZÜH GUTTURALFRAGE IM GOTISCHEN 20 t
lautstand in bezog auf diese frage beinahe ausnahmslos unver-
ändert beibehalten bat.
Marburg i. H. Ferd. VVrede.
De geschiedenis der nederlaudsebe taal in hoofdtrekkeo geschetst
door J. Verdam. Leeuwarden, HSuringar 1890. xvi u. 22-lss. S°.
2 f. 60 c. — V. will dem holländischen publicum ein ähnliches
buch bieten wie ßebaghel dem uusern in seinem schriftcheo 'Die
deutsche spräche'. Er hat dieses denn auch vielfach benutzt;
doch 'für Holländer muss ein buch anders geschrieben werden
als für Deutsche; vor allem muss es klar und verständlich sein,
weil wir Holländer nicht gern unsere aufmerksamkeit vom inhalt
immer wider ablenken lassen, um uns mit der form des gedankens
aufzuhalten', es soll 'nicht gelehrt sein, sondern nur angenehm
zu lesen und geeignet den gebildeten Niederländern eine klare
und richtige kenntnis von den Schicksalen ihrer muttersprache
zu vermitteln', diese aufgäbe hat V. im ganzen recht wol gelöst ;
das buch ist frisch und flott geschrieben, und der leser wird aus
seinen plaudereien manche einzelheit, wenn er recht aufmerksam
ist, auch ein leidliches gesamtbild vom werden der spräche ge-
winnen, ob man aber jemand, der ein buch unter diesem titel
überhaupt in die hand nimmt, nicht etwas mehr zumuten und
etwas mehr bieten könnte?
In engerer beschränkung auf die ge schichte der spräche
lä'sst V. erörterungen , wie sie ßebaghel in abschnitt i und m — v
seines 'besonderen teiles' über Orthographie, syntax, laut- und
flexionslehre bringt, fort; dafür widmet er dem 'einfluss der bibel'
und dem 'sprichwörterschatz' je ein besonderes capitel. am wenig-
sten befriedigt der erste teil, der (s. 1 — 50) von der Stellung des
niederländischen unter den idg. und germ. sprachen handelt,
diese dinge erfordern leidliche ausführlichkeit, während zu viel
gelehrsamkeit gerade am anfang leicht abschreckt; aber zb. der
vocalismus durfte in diesem interessenstreit nicht ganz verloren
gehn: dass auch er eine gesetzmäfsige entwicklung durchgemacht
hat, diese allgemeine tatsache muste der leser zum wenigsten
erfahren, dagegen konnten die — schlecht genug begründete —
erörterung, dass der Dame 'Grimms gesetz' dein der 'lauherschie-
bung' vorzuziehen sei, die seitenlangen mitteilungen über mittel-
alterliche Handschriften füglich fortbleiben. — ob die, auch von
Behaghel angenommene, gliederung <\r> weiteren Stoffes in 'innere
und äufsere geschichte der spräche' sehr glücklich ist, lasse ich
dahin gestellt.
In der 'äufseren geschichte' (>. ."»1 — 140) werden ausfüh-
rungen über dialect, schrift- und Umgangssprache, den einfluss
fremder sprachen und der bibel, über Sprichwörter und Damen
vereinigt; ein bübsches cap. über den Wortschatz zeigl die Ver-
mehrung des erbgutes durch ahlaut, ableitung und Zusammen-
setzung an glücklich gewählten beispielen. in der fremdwörter-
258 VERDAM GESCHIEDENES DER NEDERLANDSCHE TAAL
frage nimmt V. eine ziemlich scharfe Stellung ein; der grofsen
fähigkeit des niederländischen, fremdes sprachgut nicht nur äußer-
lich anzunehmen, sondern durch anpassung zu seinem eigentnm
zu machen, wird er daher nicht gerecht, sehr zu rühmen ist
dagegen, dass er auf die ühernahme von redewendungen und
syutactischen formen seine aufmerksamkeit gewant hat. — der
dritte abschnitt (141 — 220), die 'innere geschichte', behandelt form-
veränderuugen im Sprachschatz, accent, analogie, das veralten
von ausdrücken und die Vermehrung des sprachgutes durch be-
deutungswandel oder neubildung; namentlich unter den sprach-
altertümern findet sich manche hübsche einzelheit. ein buch über
Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit wünscht V. als practische,
eines über den einfluss der dichter und schriftsteiler auf die
spräche als theoretische ergänzung zu seinem werkchen; für
jenes zweite fehle es allerdings noch an material. mit einem
uppell an die Vaterlandsliebe, in der spräche die nationalität zu
verteidigen, schliefst das buch: 'spräche verloren, alles verloren !
mit der spräche steht und fällt unser volk!'
Bonn 6. 1. 1891. Sebald Schwarz.
Neue beitrage zur textkritik von Hartmanns Gregorius. von Hermann
Seegers. Kieler diss. Kiel, CSchaidt, 1890 (Leipzig, GFock). 47 ss.
8°. 1,50 m. — der verf. sucht die Übersetzung von Hartmanns Gre-
gorius durch Arnold von Lübeck (ed. vßuchwald, 1886) für die
textkritik des mhd. gefliehtes heranzuziehen, die resultate sind
spärlich, nach einigen einleitenden bemerkungen (§ 2 hätte sich
S. durch einen hinweis auf die viel reichhaltigere recension
Steinmeyers Anz. 12, 200 ff ersparen können) sucht § 3 zunächst
ein bild von Arnolds freiem Verhältnis zu seiner vorläge zu geben.
nachdem S. hierauf eine anzahl von stellen vorgeführt hat, an
denen die lesarten des Hartmannschen Greg, stark auseinander-
gehn, die freie Übersetzung jedoch das verhalten ihrer unmittel-
baren vorläge (X) nicht oder nicht mit Sicherheit erkennen lässt
(§ 4. 5), stellt er (§ 6 — 9) die fälle zusammen, wo ein bestimmter
anhaltspunct für X zu gewinnen ist. § 6 und 7, wo gezeigt
wird, wie X einige fehler mit einzelnen hss. nicht teilte, bieten
weniger interesse als §8 und 9, welche 6 stellen bringen, in
denen die von X vertretene lesung nicht die auf den ersten blick
zweifellos richtige ist. nirgends trifft X mit einer anderen hs.
in einer sicher falschen lesart zusammen und kann daher (§ 10)
von S. auch keiner hss.-gruppe mit bestimmtheit zugeteilt werden.
— hierauf vergleicht S. die von Schmeller herausgegebene latei-
nische Gregordichtung (Zs. 2, 486 — 500) mit Hartmanns werk
und kommt (§ 13) zu dem resultate, 'dass der dichter überhaupt
nicht unmittelbar nach Hartmanns gedieht gearbeitet habe, sondern
den stofl' aus andern quellen nahm oder vielleicht aus der er-
innerun<r seböpfte'. vielleicht ergäbe die heranziehung von Hart-
manns französischer quelle Sicherheit über diese frage. — der
SEEGERS ZUR TEXTKRITIK VON HARTMANNS GREGORIUS 259
tlritte teil der dissertation (§14 — schluss) beschäftigt sich mit
der einleitung des Gregorius. S. kommt da auf wunderlichen
wegen zu der 'Vermutung', dass Hartm. Arnolds Übersetzung ge-
kannt habe und, durch dessen prologus zum Gregorius peccator
angeregt, in höherem alter den in A fehlenden, in den recen-
sionen von GIK überlieferten anfang zu seinem gedichte hinzu
componiert habe, die germanisten werden über diese Vermutung
wol zur tagesordnung übergehn können, soviel mühe sich auch
der verf. gegeben hat, um sie zu stützen. — überall dort, wo
auf die lesarten näher eingegangen wird, ist auch die von mir
neu aufgefundene hs. herangezogen, für welche S. eine abschritt
zu geböte stand, die sich OErdmann seitdem augefertigt hat.
aus dieser Koustanzer hs. werden für die einleitung auch eine
reihe von lesarten angeführt, die zum teil als besserlingen gelten
können (§ 14). ich gehe hier auf diese einzelheiten nicht näher
ein, da ich in einem der folgenden hefte der Zs. über das hand-
scbriftenverhältnis im Gregorius und den wert der Konstanzer
hs. für die textkritik dieses gedichtes zu handeln gedenke.
Wien, april 1891. Konbaö Zwierzina.
Oberammergau und sein passionsspiel. von Karl Trautmann. 5 aufläge.
(Bayerische bibliothek , begründet und herausgegeben von KvRein-
hardstoettuer und KTrautmann bd. 15). Bamberg, Büchner 1890.
110 ss. 8°. 1,10 m.* — dieses überaus zierliche büchlein, welches
mit ganz prächtigen feder- und tuschzeichnungen von Peter Halm
geschmückt ist (deren beste auf dem umschlage leider durch die
untergedruckten bayerischen wappenbilder um ihre würkung ge-
bracht wird), belehrt im angenehmsten plaudertone über alles, was
einem pilger nach Oberammergau zu wissen nötig uud wünschens-
wert ist. dabei schöpft der Verfasser allerorts aus den besten quellen,
fügt auch aus eigener kenntnis und forschung verschiedenes bei.
dies alles, verbunden mit der würklich schönen ausstattung zu einem
fabelhaft geringen preise, wird dem kleinen buch wol weit über die
(lauer des passionsspieles hinaus ein bleibendes interesse wahren.
und so sei es als eines der gelungensten bändchen der trefflichen
'Bayerischen bibliothek' auch den lesern dieser Zeitschrift aufs
wärmste empfohlen. Anton E. Schönbach.
Miltons Verlornes paradies in der deutschen litteratur des 18jhs. von
Gustav Jenny. Leipziger diss. St. Gallen, Zollikofer 1890 (Leipzig,
GFock). 8°. 97 ss. 1,60 m.** — in gänzlich unzulänglicher weise
bearbeitet diese diss. ein thema, das selbst bei geistvollerer be-
liandlung der Wissenschaft kaum noch neue resultate hätte zu-
f Uhren können, mehr als die hallte der arbeil besiebt aus einer
Zusammenstellung der landläufigsten briefstellen und citate, andere
grofse partien stelin in gar keinem Zusammenhang mit dem
gegenständ der Untersuchung, die verschiedenen Übersetzungen
* [vgl. Lit. centralbl. 1890 nr33.]
** [vgl. Zs. f. vgl. lit.- gesch. 1891 8. 120 (MKoch).]
260 JENNY MILTONS VERLOR.NES PARADIES
des Verlornen paradieses zu characterisieren, ist auch nicht der
leiseste versuch gemacht, geschweige denn, dass der verstecktere
einfluss Miltons auf einzelne (lichter dargestellt würde, für Bodmers
•Noah' verweist J. einfach auf Mörikofers excerpt; und selbst über
den 'Messias' weifs er nichts ausreichendes zu sagen, von der
disposition dieses gedichts und der des englischen Vorbilds mit
ihrer auffälligen Zweiteilung, von den mittein der darstellung ver-
gangener und künftiger ereignisse, vom Stil, von den übergangen,
dem anrufen der muse, der antiken und christlichen mylhologie,
der auseinandersetzung mit den theologen, dem hervortreten der
persönlichkeit des dichters erfahren wir nichts, einzig die teulel
werden ins äuge gefasst, aber wider nur oberflächlich. Adra-
melech tritt auch im Verlornen paradies auf; den character aller-
dings verlieh ihm erstKlopstock in anlehnung an Miltons Beelzebub.
Miltons Ariel heifst nicht einfach im Messias Abbadona, sondern
es ist eine Spaltung eingetreten in den seraph Abdiel und Abdiel
Abhadona, wo aber bleibt Satan? wo der köstliche humor der
teufel bei Milton und so vieles andere? — J. hat seiner Unter-
suchung bei Klopstock die glänze gesetzt, nichts desto weniger
hätte ein schneller überblick über die spätere litteratur sich noch
anschliefseu dürfen. allerdings liegen hier die einwürkungen
Miltons nicht so offen zu tage wie in den 30er und 40erjahren
des 18jhs. nur eines: widerholt kommt J. auf oratorientexte
zu sprechen, da hätte er doch vor allen dingen erwähnen sollen,
dass der lext der Schöpfung von Haydn aus den miltelpartien
des Verlornen paradieses stammt. — drei anhänge bilden den schluss
der diss.: der erste bringt ein excerpt aus der 1797 erschienenen
schrill eines gewissen Benkowitz über Klopstocks Messias; der
zweite teilt proben von den verschiedenen Milton -Übersetzungen
mit, aus denen sich der leser die characteristik ableiten muss,
die der verf. schuldig bleibt; der dritte enthält zwei briefe Bod-
mers an Gotter, die mit Milton nichts zu tun haben, sie handeln
von Bodmerschen dramen (ich vermute von den Schauspielen aus
der geschichte der Schweiz), den beiden homerischen erzählungen
(1776) und der Eneis. Albert Köster.
Über die bildende nachahmung des schönen, von Karl Philipp
Moritz. 1888 (Deutsche litteraturdeukmale des 18 und 19 jbs. in
neudrucken herausgegeben von BSeuffert nr 31). Heilbronu,
gebr. Henninger. xlv und 45 ss. 8°. 0,90 m.* — lebhaften
dankes wert ist die erfüllung eines langgehegten Wunsches aller,
die sich mit der deutscheu ästhetik zu ende des vorigen jbs. be-
schäftigen, der neudruck der kleinen anregungsreichen schrift
von KPhMoritz über die bildende nachahmung des schönen, war
man doch bisher hei der aufserordentlichen Seltenheit des allem
* [vgl. Zs. f. österr. gymn. 1891 s. 429 (JMinor). — Litbl. f. germ. und
jom. phil. 1890 m 12 (JVoJkdij. — Revue crit. 1891 nr 5 (A. Cli.). — Archiv
f. d. stnd. d. neuem spr. 1891 s. 320 (FSpeyer).]
MORITZ ÜBER DIE BILDENDE NACBAHMUNG DES SCHÖNEN 261
anschein nach früh zur maculalur gemachten heftchens auf die
wenigen seilen angewiesen, die Goethe im Zweiten römischen
aufenthalt (Hempel 24, 4S9 — 496) weiteren kreisen zugänglich
gemacht hatte, der herausgeber Sigmund Auerbach hat sein ver-
dienst noch vergröfsert, indem er aufser dem an Mendelssohn ge-
richteten und in der Berliner monatsschrift von 17S5 abgedruckten
briefe von M. ('Versuch einer Vereinigung aller schönen kiinste und
Wissenschaften unter dem begriff des in sich selbst vollendeten')
noch die posthume, an entlegenem orte mitgeteilte skizze 'Be-
stimmung des Zweckes einer theorie der schönen kiinste' zum
abdruck gebracht hat. freilich wäre zu einer erschöpfenden er-
örterung der ästhetisch-theoretischen tätigkeit M.s noch ein wort
über seine 'Vorbegriffe zu einer theorie der Ornamente' (Berlin 1793),
ferner über den aufsatz 'Ein blick auf die verschiedenen zweige
der kunst' (Deutsche monatsschrift 1793 st. 7, s. 177 ff) erwünscht
gewesen, auch wüste ich gerne, welche bewantnis es mit den von
Jördens 6, 866 erwähnten 'Grundlinien zu einer vollständigen theorie
der schönen künste' hat, die er für seine zuhörer geschrieben haben
soll, als er die öffentlichen Vorlesungen über jenes thema eröffnete,
sind sie identisch mit der oben erwähnten posthumen skizze?
Die eiuleitung führt mit richtigem tacte Goethes einfluss auf die
entstehung der abhandlung, den der greise dichter aus undeutlicher
erinnern ng wol etwas zu grofs angenommen, auf das bescheidenere
mafs einer allgemeinen seelischen Läuterung zurück und wahrt M.
die priorität seiner gedanken. in dem von dem hsg. angezogenen
aufsatze über eine stelle im Werther (1792) kann ich indes nur
eine anwendung der gedanken unserer abhandlung erblicken; zur
reconstruction von Goethes einfluss finde ich ihn wenig geeignet,
sehr fein betont der hsg. eigene erlebnisse des zu selbständigem
künstlerischen würken nicht geschaffenen M., die ihn zu seinem
hochgeschraubten begriff vom schönen mögen geführt haben.
Leider hat der hsg. den besten weg nicht betreten, um die
bedeutung der von ihm edierten abhandlung in klares licht zu
stellen, dem kahlen abdruck der bekannten briefstellen von
Goethe, Herder, Schiller usw., sowie dem referat über die herz-
lich unbedeutenden recensionen, die bei Jördens bequem zu
finden sind, hätte ich eine kurze darlegung der wiirkung der
abhandlung weit vorgezogen. Schillers 'Briefe über ästhetische
erziehung des menschen' waren nicht nur beiläufig zu nennen;
Kants name erscheint gar nicht, und doch erinnert sein begriff (\c>
schönen als zweckmäfsigkeit ohne zweck sehr an M.s schönes, das in
dem maximum von beziehungen seiner einzelnen teile zu ihrem
eigenen zusammenhange, d.i. zu sich selber, bestellt, im gegensatz zu
dem nützlichen, dessen werl in de aximum von beziehnungen
zu dem zusammenbang, in dem es sich befindet, liegt (Neudr.
13, 4 ff), auch die auffassung des geschmacks als eines der
Jenkkraft entgegengesetzten organes zur empfindung des schönen
262 MOBITZ ÜBER DIE BILDENDE NACHAHMUNG DES SCHÖNEN
(Neudr. 20, 12) ist kantisch, ja die von Kaut in dem jugend-
aufsatze 'Beobachtungen über das gefiihl des schönen und er-
habenen' im dritten abschnitte ('Von dem unterschiede des er-
habenen und schönen in dem gegenverhältnisse beider geschlechter')
angedeutete, von seinem schüler WvHumboldt in zwei Horen-
aufsätzen breit erörterte parallelisierung des männlichen und
weiblichen mit bilduugskraft und empfindungsfähigkeit finde ich
auch bei M. (Neudr. 24,3), ein zusammentreffen, das um so
interessanter ist, als es uns durch Humboldt zur romantik, spe-
ciell zu FSchlegel weiterleitet, die Übereinstimmungen mit Kant
gewinnen noch an bedeulung, wenn man die polemik Hayden-
reichs gegen M.s aufstellungen daneben in betracht zieht, die er
in seiner Kantiauischen ästhetik vor Kant niedergelegt hat. — die
schrift von MDessoir 'KPhMoritz als ästhetiker' (Berlin 18S9) hat
der Herausgeber noch nicht benutzen können.
Alt -Aufsee, 20. 8. 90. Oskar F. Walzel.
Sinn und sinnverwantschaft deutscher Wörter nach ihrer abstammung
aus den einfachsten anschauungen entwickelt von dr Ed. Müller.
Leipzig, Herrn. Österwitz nachf. vm und 322 ss. 4 m. — ein
mathematiker, dem die deutschen Wörterbücher nicht genug wert
auf logische begriffsbestimmungen der einzelnen worte legen, will
diesem mangel abhilfe schaffen, indem er zu nutz und frommen
von lehrern und schülern möglichst viele deutsche worte, der
etymologie und dem sinne nach geordnet, scharf definiert, das
ist von vornherein ein unglückliches unternehmen, unsere spräche
ist etwas lebendiges, das sich jeden augenblick verändert; jedes
ihrer worte hat in einer langen lebensgeschichte so viel Schick-
sale durchgemacht, die ihre spuren hinterlassen haben, so viel
verschiedenartige nüancen der bedeutung angenommen, dass eine
logische definilion ein unding ist. reichtum und Schönheit der
spräche liegt in ihrer wechselreichen freiheit, und das ist ein
erbärmlicher lehrer, der sie in die fesseln strenger logischer ein-
schränkungen schlagen will, wie sie für mathematische begriffe
passen mögen, aber für nichts lebendiges, immerhin kann es für
schulzwecke praclisch sein, im einen oder andern falle zwei
worte nicht nur an der hand von beispielen — gewis die
weitaus beste methode — , sondern auch durch begriffliche er-
kläruugeu zu sondern, der verf. aber tut das in einer so ab-
stracten, ungeschickt tiftelnden weise, dass seine erklärungen
schwerlich viel nutzen stiften werden, selbst da wo sie richtig
sind, uuch schlimmer, er zeigt eine so crasse Unwissenheit in
sprachlichen dingen, dass es geradezu unbegreiflich ist, wie ein
wissenschaftlich gebildeter mann — er ist doctor und realschul-
director — heutzutage solche Ungeheuerlichkeiten drucken lassen
kann, lugen zb. soll von loch herkommen, bedeuten: 'durch
eine lücke sehen'; 'um ein mädcheu freien' soll heifsen: es
von der Vormundschaft des vaters frei machen, selig ist, wem
MÜLLEU SI.N.N UND SINNVERWANTSCHAFT DEUTSCHER WÖRTER 2ü3
ein sal eigen, wer also reich ist; trübselig: reich au be-
trübnis. der truchsefs setzt dem lehnsherru den trog hin; die
diele kommt von teil her und ist teil eines baumstamms; innung
soll = einung sein, meinung zu mein gehören, das präüx er-
mit eher und aus verwant sein, und was der Schnitzer mehr
ist. dem hrn mathematicus, der all das verbrochen, kann ich
uur raten: schuster, bleib bei deinem leisten!; die lehrer und
schüler aber, denen er seine sprachliche belehrung zudenkt,
seien dringend davor gewarnt. R.
Zu Zs. 35, 251
Der Dialogns de divite et Lazaro wurde bereits ISS6 nach
■zwei Pariser mss. (nouv. acquis. 1544 saec. xv und latiu 11S67
saec. xiii ex.) in den Aotices et extraits 32, 1, 2U9 ff von Haureau,
der zugleich auf die hss. in Brügge und London hinwies, bekannt
gemacht, sein text weicht an folgenden stellen ab: 4 ijukIJ quod.
8 Et struit insidias lacrymis. 11 cum] cur. 12 miseris. 14gau-
dium] ostium. 18 descendes] perveuis (E peruenit). 20 Heu
quam plus miser. 26 rex est. 36 Si non purgatus. 39 amores.
40 houores. 43 Cum (E) res solet crescere magis (E). 44 Ac-
census. 50 quis sit satietur (dies verb B). 53 Canes quando
veniunt. 54 vel] nee. 57 turpis] vilis (E). 60 ad proxima
claustra provectus (vgl E). 64 decor aut] decora. in qua] per
quam. 65 stenua (druck fehler?). 66 es fehlt. 73— 76 nach 84 (E).
76 Sed] Sic. 83 Divicie] Deliciee. mundi sunt. 84 Promuut.
quem] quae. 86 inhias et est (vgl B). 87 delicias. 91 Culpa (E).
99 digito miseramine. 100 Cur petis huc ire cum possis digne
perire (vgl E). 101 michi) tibi. michi nee licet. 102 hoc.
104 Heu. 106 tamquam] sieuf.
Aus diesen Varianten erwächst vielen lesarten von E erwünschte
bestätigung; nur 86 wird B geschützt und dadurch noch zweifel-
hafter, ob dem verderbten passus 85 — 89 durch den ausicurf von 87
zu helfen ist. das echte Substantiv bewahrten die Pariser hss. jedes falls
z. 8, da dieser vers, wie Haureau bemerkte, eine nachahmung von
C'ato in 21 nam lacrimis struit insidias, cum t'emina plorat dar-
stellt, auch 32 wurde aus Cato 1 21 entlehnt; 56 begegnet gleichlautend
in der Causa viri ementulali ei ejus uxoris peteniis divortium,
welche Haureau s. 289 leider nicht hat abdrucken lassen. St.
I Steinmeyers sehr dankenswertem Hinweis auf Haureaus publication
lasse ich noch den ausdruck meines bedauern» folgen über die ort, in
der tfaurSau seine beiden Pariser hss., die dach gewis nicht buchstäblich
übereinstimmen, verwertet hat. er sagt: 'nous eu itablissons le texte
sur /ms deu.r munusci il.s' , gibt aher gar keine lesarten an; es ist also
völlig unmöglich, aufgrund seine* textet eine gruppierung der 4 hss.
des dlalogs zu versuchen, wie sie allein zu einer begründeten entscheid
düng zh. über die schwierige stelle 85 — 89 fuhren könnte, und sind
Wir denn unter diesen umstünden auch nur sieher, dilss er sich aller
eigenen besserungen streng enthielt? li /
264 KLEINE MITTEIL UiVGE.N
Für das jähr 1894 stellt die philosophische facultät der Uni-
versität Göttingen folgende
Beneke'sche Preisaufgabe:
Der bedeutenden rolle, die die spräche der kaiserlichen kanzlei in der
entstehungsgeschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache gespielt hat, ent-
spricht es nicht, dass uns eine zusammenhängende und umfassende philo-
logische Untersuchung jener spräche bisher noch völlig fehlt, wir wünschen
eine geschiente der kaiserlichen kanzleisprache von ihren
anfangen bis auf Maximilian, die in angemessenen, zeitlich be-
grenzten abschnitten das constante und das schwankende in den laut- und
flexionsverhältnissen , sowie möglichst auch in Wortbildung und Wortwahl
zur anschauung bringt und mundartlich erläutert; eine beschränkung auf
das lautliche würde nicht genügen; benutzung ungedruckten materials wird
nicht verlangt, äufsere Verhältnisse, wie der wechselnde sitz der kanzlei,
heimat und litterarische beziehungen der kaiser und kanzleivorstände, die
herkunft der Schreiber, der einfluss wichtiger reichstage, die etwaige rücksicht
auf die mundart der adressaten und ähnliches sind eingehend zu berück-
sichtigen und darzulegen, auch das Verhältnis der kaiserlichen kanzleisprache
zu den anfangen einer oberdeutschen Koivt' im 14 und 15jh. darf nicht aufser
acht bleiben: namentlich wird zu untersuchen sein, ob die spräche der Nürn-
berger kanzlei auf die der kaiserlichen eingewürkt habe oder umgekehrt.
Erwünscht, wenn auch nicht unerlässlich, ist es endlich, dass an der
spräche der Urkunden und der ältesten drucke einiger aufserbairischen
litterarischen centren Süddeutschlands die bedeutung der kaiserlichen kanzlei
lür die milderung der mundartlichen gegensätze im 15 jh. geprüft werde:
neben Nürnberg käme etwa Augsburg, für das vorarbeiten vorliegen, und
Slrafsburg in betracht.
Bewerbungsschiiften sind in deutscher spräche abzufassen und bis zum
31 august 1893 mit einem Spruche auf dem titelblatte einzusenden zusammen
mit einem versiegelten briefe, welcher auf der aufsenseite den spruch der
abhandlung, innen namen, stand und Wohnort des Verfassers anzeigt, in
anderer weise darf der name des verf.s nicht angegeben sein.
Auf dem titelblatte der arbeit muss ferner die adresse bezeichnet sein,
an welche die arbeit zurückzusenden ist, falls sie nicht preiswürdig be-
funden wird.
Der erste preis beträgt 1700 mk., der zweite 680 mk.
Die zuerkennung der preise erfolgt am 11 märz 1894, dem geburtstage des
Stifters, in öffentlicher Sitzung der philosophischen facultät zu Göttingen.
Die gekrönten arbeiten bleiben unbeschränktes eigentum der Verfasser.
Am 25 mai d.j. starb zu Bonn der fleifsige beohachter und
glückliche darsteiler neuhochdeutschen Sprachgebrauchs, prof.
dr RGAndresen, 78 jähre alt; am 1 5 juni starb ebenda der lang-
jährige herausgeber der Alemannia, der gute kenner schwäbischer
sitte und rede, prof. dr ABirlingr, im 58 lebensjahre. — der ordent-
liche prof. dr MvLexer in Würzburg geht in gleicher eigenschaft an
die univ. München. — der aufserordentliche prof. dr ASauer in Prag
wurde zum Ordinarius befördert. — es habilitierten sich für deutsche
Philologie in Berlin dr MHerrmann, in Jena dr ALeitzmann, in Halle
drJMEiER, für vergleichende Sprachwissenschaft in Heidelberg
dr LSütterli.n, iu Berlin dr PKretscumer. der privatdocent der
deutschen spräche dr JWNagl hat sich von Graz nach Wien,
der privatdocent der englischen philologie dr KLüick von Wien
nach Graz umhabilitiert.
ANZEIGER
FÜR
DEUTSCHES ALTERTHUM UND DEUTSCHE LITTERATUR
XVII, 4 OCTOBER 1891
ündersökningar i Germanisk mythologi af Viktor Rydberg. andra delen.
Stockholm, Albert Bonniers förlag. o. J. 628 ss. 8°. — 12m.*
Mit diesem zweiten bände schliefst Rydberg sein umfassendes
werk ab, dessen erster band im Anz. xiv 55 besprochen worden
ist. die an diesem wahrgenommenen Vorzüge und fehler kehren
hier wider, und zwar, wie ich fürchte, die fehler in verstärktem
mafse. Scharfsinn und gedankenreichtum streite ich auch dem
neuen bände nicht ab, aber in den weiten räumen der verglei-
chenden mythologie, die R. nun betritt, kann sich seine gefähr-
liche lust am combinieren noch freier ergehn, als in der engeren
heimat des nordischen mythus. im 1 cap. behandelt er die germa-
nischen mythen altarischer herkunft, im 2 cap. diejenigen späterer
zeit, das 3 cap. liefert einzelbeiträge namentlich zum Baldrmythus,
gibt einen überblick über die epische anordnung der germanischen
mythen, äufsert sich über mythologische methodik und druckt
R.s früheren aufsatz über die Sibyllen und die Völuspa wenig
verändert wider ab.
Der schwerpunct des bandes liegt im 1 capitel und in der
mythologischen methodik. die in dieser vorgetragene theorie ent-
hält manche gesunde anschauungen, wird aber leider in der praxis
des 1 capitels viel zu wenig befolgt, auch verlangt R. darin eine
sonderung der mythologischen Wissenschaft in zwei Wissenschaften,
in eine namentlich auf dem Folklore begründete mythogonie,
welche die gesetze der praehistorischen phantasiegebilde aufzu-
suchen hätte, und in eine mythologie im engeren sinne, welche
die götter und heroen nicht mehr als personificationen von natur-
mächten , sondern als poetisch verklärte persönliche mächt«' von
individuellem Schicksal characterisieren müste. gewis können beide
gebiete mit erfolg von verschiedenen forschem gesondert beackert
werden, gewis hat andererseits schon oft das willkürliche, bin- und
herfahren zwischen dem einen und dem andern eine einträgliche
bestellung verhindert dennoch ist R.s Vorschlag im priocip
durchaus unannehmbar, denn die späteren, wenn auch an sich
noch so deutlichen Litterarischen mylbenligureii sind doch erst
ganz verständlich, wenn man ihre früheren Verkörperungen kennt,
und keiner Wissenschaft soll man wehren, möglichst tief zu ihrer
wurzel hinabzusteigen, freilich geraten die forscher bei diesem
* [vgl. Nord, tidskr. f. vetenskap 1891, B. 68ff (ABaäth).]
A. F. D. A. XVII. 18
266 RYDBERG UNDERSÖKISLNGAR I MYTHOLOGI
streben unweigerlich unter die mythologen, die sich aus den
himniels- und welterscheinungen die lösuug so manchen mythi-
schen rätseis holen, und diese bilden nach R. eine sehr minder-
wertige forscherclasse, weil sie sich nie um kritische sichtung
des materials kümmern und nie begriffen haben, dass der litte-
rarisch überlieferte mythus bereits ein rein episches erzeugnis
sei, in dem die Indogermanen schon in der praehistorischen
zeit, das denkbar grofsartigste thema, nämlich das Schicksal der
weit von ihrem chaotischen anfang bis zu ihrem ende und ihrer
erneuerung, im schönsten zusammenhange dargestellt hätten, sind
die beiden ersten vorwürfe stark übertrieben, so ist der dritte
m. e. völlig sinnlos; denn eine solche indogermanische kosmo-
logie hat nie bestanden, alle drei setzen aber umsomehr in
erstauuen, als R. seine kenntnis und auffassung des Avesta und
der andern iranischen Urkunden, die er als hauptstutzen seines
vergleichungssystems verwendet, sowie viele vergleichungen, zb. die
freilich beide unhaltbaren des Yimawinters mit dem nordischen
Fimbulwinter und die Agnis mit Heimdall niemand anders als
dem vortrefflichen James Darmesteter verdankt, dh. einem der ent-
schiedensten witterungsmythologen.
Im 1 cap. sucht R. vermittelst der vergleichenden mylhologie
den einklang der wichtigsten kosmologischen mythen der indo-
germanischen oder vielmehr der arischen Völker und der Nord-
germanen darzutun, die auswahl gerade dieser vorstellungsgruppe
ist sein erster schwerer fehler, weltschöpfungs- und weltunter-
gangstheorien fallen streng genommen gar nicht mehr in den
bereich der mythologie, sondern in den der philosophie; sie sind
nicht mehr reine producte der einbildungskraft, sondern wesent-
lich solche der reflexion; allerdings einer oft an mythen an-
knüpfenden und religiös gestimmten reflexion. daher kommen
sie auch erst auf den höchsten culturstufen zum Vorschein, und
wenn wir ihre spuren und ausätze auch bei einem volke mitt-
lerer oder gar niederer cultur autreffen, so können wir sicher
sein, dass sie der geistig reiferen fremde entlehnt worden sind.
R. hat also die mythenvergleichuug beim unrechten ende ange-
fasst. statt die offenbar älteren eiuzelgebilde, wie die seelen, die
niederen und die höheren dämonen und darnach etwa noch die
götter und die heroen der Indogermanen auf ihre venvantschaft
hin zu confronlieren, glaubt er in den verhältnismäfsig späten
und gelehrten kosmologischen Systemen arischer und germanischer
litteraturdenkmäler die blaue blume einer urzeitlichen kosmologie
gefunden zu haben, mit der man auch die verborgensten schätze
des indogermanischen Volksglaubens erschliefsen könne, aber, wie
schon bemerkt, eine solche blume hat nie geblüht! — ein zweiter
fehler liegt in dem ausschluss nicht so sehr der allerdings dürftig
bezeugten mythologie der Slavo-Letten, Kelten und Italer, als der
reichen griechischen mythologie. diese scheint nämlich R. zu
RYDBERG DNDERSÖKNINGAB I MYTHOLOGI 267
stark mit riichtariseben dementen gemischt, um aber müglichst
sicher zu gehn, vvill er sich uur auf echt arisches verlassen,
dh. auf den Rigveda, die iranischen religionsbücber und die poe-
tische Edda, diese vorsieht war höchst unvorsichtig, indem er
den reineren und volleren lauten der hellenischen mythendichtung
sein ohr verschluss, schenkte er es um so williger den irani-
schen Urkunden, die mehr religiöse glaubenslehren als mytholo-
gische darstellungen enthalten und deswegen nicht nur jünger,
sondern auch fremden eiuflüsseu viel stärker ausgesetzt gewesen
sind als jene, er hat dabei die mahnung eines so nüchternen
und gründlichen Iranisten wie Spiegel (Eranische altertumskunde
ii 169) zu seinem grofsen schaden vollkommen überhört, 'wir
haben in den arischen und eranischeu gebildeu zusammenge-
nommen blofs einen leib ohne seele. da ist keines unter allen
diesen wesen , das nicht erst durch die Stellung, die es innerhalb
des Systems einnimmt, seine bedeutung und die fähigkeit sich zu
bewegen erhielte, die treibenden kräfte des Systems liegen gauz
ausserhalb dieser beiden classen von wesen, wir linden sie in den
aufserweltlichen gottheiten, welche die ganze iranische Weltan-
schauung bedingen, dann in Ahura Mazda und seiner Stellung
als alleiniger schöpfer, endlich in den Vorstellungen von
der sc hüpfung und dem ende der körperweit, bei allen
diesen Vorstellungen haben wir semitische Vorbilder gefunden.'
schon im jähre 1 873 ist es Spiegel nicht zweifelhaft, dass die
Babylouier eine ähnliche Genesis hatten, wie die Hebräer und
nach ihrem vorbild die lranier, und nach den wichtigen funden
und Untersuchungen von Smith, Delitzsch, Hummel, Pinches,
Jensen ua. kann es jetzt noch viel weniger bezweifelt weiden,
dass schon die ;i\ estische, noch mehr aber die sassanidische litte-
ratur einen glauben lehrt, der durch semitische, babylonisch-
assyrische wie hebräische, und späterhin auch durch griechische
und christliche ideen aus einem indogermanischen in einen
durchweg andersartigen verwandelt und von Jahrhundert zu Jahr-
hundert immer mehr seinem ursprünglichen gehalte entfremdet
worden ist. unglücklicher weise sind es vornehmlich diese grofsen
fremden ideen, die R. für urarisch hall und die er häufig gerade
mit solchen ideen der nordischen litteratur vergleichen zu dürfen
meint, die unglücklicher weise (wie zb. die einiger Odinsgedichte der
Liederedda) ein noch viel entschiedueres und moderneres fremdes
und gelehrtes gepräge tragen, als jene semitischen eindringlinge des
iranischen glaubens, nämlich das christliche der mittelalterlichen
theologie. — es tritt hier also ein dritter fehler hervor, den 1».
seinerseits jenen witterungsmylhologen vorwirft, der mangel einer
eindringlichen quellenkritik , wenn auch sein wolbegründetes nns-
trauen den angaben der Prosaedda gegenüber anerkannt werden
uiuss. endlich glaube ich als vierten fehler die misachtung be-
zeichnen zu müssen, die er den volkstümlichen quellen entgegen-
L8*
268 RYDBERG UINDERSÖKMNGAR I MYTHOLOGI
bringt, diese ist zwar nicht radical, aber sie geht doch soweit,
dass R. das gewicht des Unterschiedes volkstümlichen, heimischen,
würklich mythologischenwesens von individueller, oft fremdartiger,
religiöser oder künstlerischer production nicht immer zu würdigen
weifs, gleich so vielen eddakritikern. unter solchen umständen
war es kaum anders möglich, als dass selbst ein so feinfühliger
und begabter forscher, wie R., auch da, wo er möglichst vor-
sichtig vorzugehn glaubte, zu zahlreichen fehlschlüssen gelangte,
ja, man muss leider bekennen, dass der bau seines ersten capitels
unter dem druck der erwähnten fehler fast völlig in sich zu-
sammenbricht und auf dessen trümmeru nur einige wenige eigent-
lich mythische gebilde, wie zb. der weltbaum, als indogermanische
Schöpfungen stehn bleiben.
Da dem character dieses Anzeigers eine ins einzelne gehnde
kritik dieses capitels vergleichender mythologie kaum entspricht
und widerholungen wenig frommen, darf ich wol auf meine kürz-
lich erschienenen bücher: Völuspa 1889 und Die eddische kosmo-
gonie 1891 verweisen, welche darzulegen sich bemühen, dass weder
die Indogermanen eine eigene kosmogonie, noch auch die Ger-
manen eine eigene eschatologie aus sich heraus entwickelt haben,
hier genüge nur, um wenigstens ein beispiel hervorzuheben, der
kurze hinweis auf ein glied dieser kette kosmologischer gedanken,
den schon oben erwähnten Yimawinter persischen glaubens, den
R. (i 287. ii 138) nach Darmesteters Vorgang (Ormazd et Ahriman
1877 s. 298. Sacred books of the East 1880. 4, lxxv) mit dem
eddischen Fimhulwinter vergleicht, man kann durch die lange
reihe der iranischen religionsschriften hin genau verfolgen , wie
der mit dem indischen Yama urverwante iranische paradieseskönig
Yima unter dem einfluss verschiedener biblischer geschienten sich
schritt vor schritt von seinem indischen bruder entfernt, um
schliefslich der hüter eines ortes zu werden , in dem während
dreier, dem Weltuntergang voraufgehnder jähre menschen Zuflucht
und nahrung fiuden. aus denselben biblischen oder ähnlichen
christlichen Vorstellungen wird der altgermanische wald- und
quellgeist Mimir zum hüter eines ortes umgestaltet,' in dem wäh-
rend der drei dem Weltuntergang vorausgehnden jähre menschen
Zuflucht und nahrung finden; vgl. Vsp. 41 mit Vafbr. 44. 45 und
Sn. Edda i 186. 202. dieser merkwürdige Zeitraum findet aber
nur in der biblisch-christlichen idee von der drei- oder dreiein-
halbjährigen, dem jüngsten gericht vorangehuden herschaft des
Antichrist seine volle erklärung, während deren furchtbaren wetter-
erscheinungen auch ein teil der menschen zu dem nahrungspen-
denden Elias geflüchtet wird, sie ist von Palästina einerseits ost-
wärts nach Persien, anderseits westwärts ins abendland gedrungen
und hier wie dort mit vielen anderen eschatologischeu ideen in
heimischere formen gekleidet, älteren beimischen gestalten unter-
stellt worden, der gruud ihrer ähnlichkeit ist also nicht in einem
RYDBERG U.\DERSÜKM>GAR I MYTH0L0G1 209
indogermanischen vorstellungskreise, sondern in der gemeinsamen
herkuuft aus einem in sich begründeten semitischen ideenzu-
sammenhange zu suchen.
Die andern capitel des buches, die manche lehrreiche einzel-
heit enthalten, können wir kürzer besprechen, den Widerabdruck
der grofsen abhandlung üher die Sibyllen und die Völuspa halte
ich für überflüssig, da die neuere Völuspaforschung sich bereits
ganz anderen gesichtspuncten zugewendet "hat. auch die schwierige
Baldrfrage soll hier nicht von neuem aufgerührt, sondern uur
kurz die ansieht Fi. s mitgeteilt werden, nach der die arische her-
kunft des ßaldrmytbus als eines Acvinen-, Dioskuren- und Alci-
mythus, wie sein von Tacitus bezeugter fortbestand nicht be-
zweifelt werden könne. R. schliefst sich also darin, ohne ihn zu
nennen, Müllenhoff (Zs. 12, 346) an, doch sieht er nicht in Vau,
sondern in Hodr den zweiten bruder des Zwillingspaares, welche
künsteleien aber dabei unterlaufen, davon nur ein beispiel! Hodr
soll in der Gylfaginning blind dargestellt worden sein, nur des-
wegen, weil das von Ulfr Uggason in der Husdrapa besungene
kunstwerk von Hjardarholt ihn wahrscheinlich mit geschlossenen
äugen abbildete, um seine blinde abhaugigkeit von Gullveig (Hyrro-
kin!) und Loke auszudrücken, daher erkläre sich die im übrigen
bei einem kriegerischen dracheutöter und bogenschützen unbe-
greifliche blindheit. für solche Vermutungen entschädigen dann
aber auch wider andere, wie zb. die deutung des feralis exer-
citus der Harier in Tacitus Germ. c. 43 auf Odins Einherier. der
2 band gipfelt in einem s. 375 ff entworfenen überblick der epi-
schen germanischeu mythenordnung, die R. in den 'Fädernas
gudasaga' (Stockholm 1 887) ausführlicher für die Jugend erzählt
hat. er umfasst in 154sceneu das ganze kosmologische epos vom
chaos bis zur welterneuerung, alle wichtigsten götter-, heroen-
und menschengeschicke vom äufsersten anfang bis zum äufsersten
ende, die mythologische combinaliouskunst feiert darin einen ihrer
grofsartigsten , aber auch vom wissenschaftlichen slandpunct aus
betrachtet flüchtigsten triumphe. die dichterische Schöpferkraft
hat R.s wissenschaftlichen sinn zu boden geworfen!
Freiburg i/B., 28 Juli 1891. Elard Hugo Meyer.
Welche Handelsartikel bezogen die Araber des tnittelaltera ans den nordisch-
baltischen landein? von dr Georg Jacob. 2 gänzlich umgearbeitete
und vielfach vermehrte aufläge. Berlin, Mayer & Maller, 1891. 83 ss.
8°. - 2,50m.
Wenn die redaction dieser Zs. eine besprechung der vor-
liegenden schrill durch den leiereilten , natürlich ohne n'icksichl
auf das arabische, nur in bezug auf ihre wissenschaftliche ausbeute
für die altertumskunde, wünschte, so wird sie dabei sicher voraus-
270 JACOB iSORD.-BALT. HANDELSARTIKEL DER ARABER
gesetzt haben, dass mir ein eingehn oder nur eine antwort auf
die von Jacob beliebte weise, auf's. 3f und s. 73 — 76 seiner erbii-
lerung über meine der ersten ausgäbe gewidmeten sechs (!) Zeilen •
luft zu schaffen, durchaus überflüssig erscheinen werde, übrigens
bat eine mir unbekannte stimme in den 'Grenzboten' 50 nr 25
s. 582 f über J. schon gericht gebalten, das buch ist jetzt vielfach
ein anderes geworden, die darstellung geht aus von den tausenden
von Scimäniden-Dirbems, die durch Russland, über die baltischen
küsten hin auf Gotland und in Schweden sich gefunden haben,
fast immer mit hacksilber vergesellschaftet, diese weisen teilweise
wenigstens auf einen lebhaften verkehr mit den 'nordostmarken
des Khalifats' hin, obwol das edelmetall erst nach vielfachem
tausch und nicht durch Araber oder Chowaresmier (Khiwaner)
direct an die Ostsee kam. ein anderer vielleicht sehr grofser teil
wird als beute der normannischen (schwedischen) Waräger nach
dem norden gelangt sein, deren plündernde züge über Nowgorod
Kama und Wolga abwärts bis nach Astrachan im Grofsbulgaren-
reiche uns ja bekannt sind, zu ihnen können wir dann auch die
züge der Rus, dh. der in Kiew festen fufs fassenden Normannen,
rechnen, von einem directen handel mit den baltischen landein
kann danach allerdings kaum die rede sein, und wenn (s. 4)
Maqdesis Verzeichnis der handelsgegenstände, welche von Grofs-
bulgarien aus über Chowaresmien ins Khalifat giengen, dem Araber-
verkehr zu gründe gelegt wird, so ist diese liste interessant und
wichtig genug, führt aber, abgesehen vom bernstein und vielleicht
einigen der fischzähne (walross und uarwal?), auch nicht zur
Ostsee, sondern mehr ins Russen- und Polengebiet und nach dem
rauhwerklande Riarmien (Perm), dem mittleren der 3 östlichen
Fiuneureiche zwischen Kaspisee und Eismeer: Grofsbulgarieu,
Riarmien, Ugrien. das fossile elfeubein (s. 18. 19) gehört über-
haupt nicht in dieses gebiet; ebensowenig die tiere des Khazaren-
landes au der Maeotis und dem Kaspisee (s. 19).
Das wichtigste sind die sklaven, welche geradezu 'slawische
sklaven' genannt werden; die Zusammenstellung der vielen arabi-
schen nachrichten über sie, von der älteren Karolingerzeit bis
über die salischen kaiser hinaus, ist von grofsem interesse. der
mittelpunct dieses bandeis war das maurische Spanien , wohin
die lebende männliche waare von westen und osten gebracht
wurde, um sie kastrieren zu lassen; dann lief der eunuchen-
handel von dort durch den ganzen Orient, zwei herkunftswege
der weifsen sklaven, der östliche und der westliche, werden
unterschieden, zu dem ersten gehört der der Waräger- Russeu,
also Normannen, die zu schiff (also auf den russischen strömen)
im anfange des 10 jhs. sklavenraub trieben und die beute nach
1 Jahresb. d. gesch. wiss. x (1887) s. 130 anm. 37. daselbst im reg.
sind die übrigen besprechungen der lausg.: 'Der nordisch-baltische handel
der Araber im mittelalter' (Leipzig, Böhme, v 152ss.) verzeichnet.
JACOB NORD.-BALT. HANDELSARTIKEL DER ARABER 271
Astrachan zum verkauf brachten; allerdings wird auch von russi-
schen kaufleuten erzählt, welche die geraubten schonen mädchen
direct in den Orient bis Bagdad auf den markt brachten, wo
ihnen die dortigen slawischen eunuchen als dolmetscher dienten,
über die brutal-sinnlichen Vorkommnisse dieses handeis vgl. s. 8
und 9. ebenso nach dem osten, nicht ins baltische gebiet gebort
der sklavenraub und -bandel der Magyaren, welche die gefangenen
zur selben zeit zu schiff den küsten entlang (Douau, Pontus?)
nach dem hafen Karkb des landes Rum (byzant. reich) am schwarzen
meere brachten, wo die Griechen sie gegen schweres seidenzeug
(dibdg), Wolldecken usw. eintauschten. ,Karkh scheint Karkinitis,
Carcine am ■/.aQy.LvLriqg y.6Xtco<; der Krim zu sein, was von den
männlichen jungen sklaven auf diesen wegen direct nach dem
Orient gieng, wurde nicht verstümmelt; was verschnitten werden
sollte, wurde erst nach Spanien gebracht, dorthin kamen auch
'über das westliche, meer', unfraglich vorzugsweise das westbecken
des mittelmeers, slawische, römische (griechische?), fränki-
sche und langobard ische sklaven, römische und spanische
mädchen, biberfeile, storax und mastix, die beide nicht aus dem
norden kommen konnten, pelzwerk und zobel. solch ein aus
Spanien weiter geführtes mädchen oder ein weifser sklav (eunuch?)
ohne besondere fertigkeiten kostete in Ägypten 1000 goldstücke
(bisanten?) und mehr, der haupthandel lag in der band der
jüdischen wanderkaufleute, der 'Rhädämiten', die zwischen abend-*
land und morgenland hin- und herfuhren und arabisch, persisch,
griechisch, fränkisch, spanisch und slavisch sprachen, im
10 jh. werden (nach Ibu Hauqal) in Spanien kriegsgefaugene
Franken, Galizier und Slaven, nach andern Galizier, Franken,
Langobarden und Calabrier eingeführt, die Mauren haben steten
heiligen krieg mit den Galiziern, um sklaven zu gewinnen, ebenso
an ihrer ostmark mit den mächtigen Franken, die ihrerseits aus
dem ihnen benachbarten laude der Slaven gefangene zuführen.
den Arabern galten aber gelegentlich auch die Deutschen für
Slaven '. die Mauren liefsen diese gefangenen dann durch die
jüdischen kaufleute in der nähe dieses landes (s. 10), nach Ma<|-
desi in einer jüdischen Stadt, 'hinter Beggäre (Pechina)' kastrieren
(s. 11). für die Juden als Sklavenhändler in Böhmen wird auch
die Vita Adalberti citiert und ebenso Liudprands Antapodos. hb. vi 6
(MG. SS. in und: in us. scholar. ed. Perlz, Ilannov. 1840), welcher
949 - als eigenes geschenk für den byzantinischen Kaiser Kon-
stantin vi Porphyrogenitus aus Italien l 'karzimastsche' eunuchen
bringen wollte, sie ihm aber als geschenk des koni^s Berengar
1 nach Jacob KJn arabischer berichterslatter aus dem in oder 11 jh.
(Berlin 1890) s. 17 bezeichnet Qazwini Soesl und Paderborn als 'im lande
der Slaven' gelegen.
1 .1. sagt, er sei !KiS in ISyzanz gewesen, das war /.um zweiten male,
für Otto I.
272 JACOB INORD.-BALT. HANDELSARTIKEL DER ARABER
überlieferte, diese nahm der kaiser mit ganz besonderer freude
an; sie waren also am christlichen hole in Byzanz gesucht und
in Italien käufliche waare. einen Carzimasius nennen aber die
Griechen 'amputatis virilibus et virga pueruni eunuchum; quod
Verdunenses mercatores ob immensum hierum facere et in Hispa-
niam dueere söhnt'1, der Carzimasius ist demnach ein 'vir emen-
tulatus', wie wir ihn als freiwillig verstümmelten schon in Lu-
cians Heliopoliten finden, und wie er im Orient noch heute viel
begehrt ist. die rohe operationsweise der Nubier hat Rüppell
in seiner reise beschrieben; mitten im fränkischen reiche nahmen
sie also zu Ottos i zeit .die bändler von Verdun an geraubten
kindern vor. J. möchte das unerklärte Carzimasius vom namen
des haupt-sklavenlandes Khdrezm (Chowaresmien, Khiwa) ableiten;
aber gerade daher kamen ja keine Carzimasier, sondern aus
Spanien, ebenso gibt J. anheim, ob die bezeichnung Sklave
würklich vom volksnamen der Slaven stamme, da es ihm nicht
scheine, als ob das k aus dem griechischen (und spätlateiuischen)
durch die romanischen sprachen in das arabische (und das deutsche)
eingedrungen sei, oder ob der arabische begriff Saqlab, Siqlab
gerade umgekehrt seinen einfluss geäufsert habe (s. 15 — 17). da
J. das k im volksnamen aber selbst auf griechischen einfluss
zurückführen muss, so ist an die zweite Möglichkeit nicht zu
denken, in das deutsche ist Sklav überhaupt erst durch das
romanische eingedrungen, und zwar vom Südost her, in Mitlel-
und Norddeutschland hiefsen in der ganzen betreffenden zeit und
noch viel später die Slaven nur Wenden, und Wend hiefs eben-
falls der unfreie, damit steht aber auch fest, dass im westen
ein directer arabisch-baltischer Sklavenhandel nicht bestand.
In der besprechung des pelzwerks, das für die Araber in-
dessen ebenfalls nicht aus den baltischen ländern kam, ist J. sehr
vorsichtig geworden ; der fennek und der korsac aber gehören
auch nicht zu den nordischen erzeugnissen. wegen des 'stummen
handeis' der Russen im lande der finsternis kann das bild auf
des Olaus Magnus karte von 1539 (Brenner, Christiania 1886) an-
geführt werden; wenn der zobel (semmur) in Spanien im wasser
(Ebro) und gar im ocean mit feinem weichen haar nach arabi-
schen quellen vorkommen soll, so ist ersterer gewis der fisch-
otter, letzterer die junge robbe, die noch heute, freilich erst am
eise, das feine teure sealskin liefert, der semmur im lande der
Slaven, 'kleiner als die katze', der auch 'wasserkatze' heifse, ist
sicher der bis Lübeck hin vorkommende nerz oder nörz (mustela
lutreola), dessen pelz in den ostländern dem zobel am nächsten
kommt (s. 33). zur färbe des zobels (s. 34) sei bemerkt, dass
in der Wappenkunde zobelpelz (sable) und schwarz identisch ist,
gerade wie blau und vehe. dass der deleq ein marder, und zwar
1 vOsten- Sacken in 'Geschichtschr. d. d. vorzeit' hat die stelle sehr
ungenau übersetzt.
JACOB NORD.-BALT. HANDELSARTIKEL DER ARABER 273
der Steinmarder, oder ein iltis ist, beweist die angäbe vom tauben-
scblag s. 36; das weifse tier dieser art ist dann die frette. vom
eicbhörnchen liefert aufser sciurus vulgaris L. noch das fliegende
eicbhorn beiderseits des Ural gutes pelzwerk; in den klöstern des
ma.s afs man die eicbhörnchen unter dem namen asperioli, als
firoli (piroli) und proli stehn sie auf der citierten karte des Olaus
Magnus, der bläuliche pelz der Oberseite heifst jetzt noch grau-
werk, während vehe im pelzhandel die weifsgelbe bauchseite ge-
nannt wird, die Verwechselung von biber und otter (s. 43f),
zu der vielleicht der sehr ähnliche pelz beitrug, findet sich ganz
ebenso im hd. wie im od.; sie gieng so weil, dass ihr sogar die
flussnamen folgten und zb. ein nebenfluss der Oste im herzogt.
Bremen, der urkundlich im ma. als Bever vorkommt, jetzt allge-
mein Otter heifst. auch dahin hat sie geführt, dass, da trotz des
päpstlichen Verbotes bei den Niederdeutschen der biber stets
seines schuppenschwanzes wegen als faslenspeise galt, nun auch
der otter, dessen fleisch mir übrigens als wolschmeckend geschil-
dert ist, als solche augesehn wurde und zum teil noch wird, für
biber oder otter kommen die arabischen namen qundus, kelb el-ma
('wasserhund', der fische frisst; also otter) und daneben khezz
vor; ohne dass ein sicherer unterschied zu machen wäre, da
die khezz-felle alle aus den flüssen der Rus stammen sollen und
das russische, so viel gebrauchte bisampelzwerk und der nerz nie
erwähnt wird, so wäre es leicht möglich, dass beide tiere hier
mit unterliefen, also widerum eine otterart und ein nager, näm-
lich die ebenfalls einen schuppenschwanz führende bisamratte.
Hinsichtlich der habichte (und falken) vermag ich J. nicht
zu folgen, sämtliche arabische nachrichteu beziehen sich aber
nicht auf baltische lande, ebensowenig was s. 56 f von fischen
und fischleim und s. 58 f von honig und wachs berichtet wird,
bemerkt sei hier noch, dass J. (s. 54) den lateinischen falken-
namen sacer nicht in das arabische als saqr übergegangen sein
lassen will, sondern in fortführung von Lagardes angaben in den
GGA 1887 s. 303 umgekehrt die abstammung des lateinischen
namens mit seinen ableitnngen in den roman. sprachen, mlid. usw.,
aus dem arabischen behauptet. — unter den nordischen handeis-
waareu ist der 'ahorn' genannt, weil er dein holze des kbaleng-
baumes nach bar. vTiesenhausen gleichgesetzt ist; der russische
klen, die deutsche lähm, lehne, lenne (acer platanoides), nach
deren slavischem namen klenu die mecklenburgischen orte Klein
und Kleinen heifsen, kann aber dieser bäum nicht sein, wenn
er Sehr hartes holz' haben soll (s. 61). denn das weifse ahorn-
holz ist sehr weich; zu pfeilspitzeo könnte es erst recht nicht
taugen, frisst der biber würklich seine rinde (s. 44), so uiuss
der khaleng im sumpfe wachsen, und mau könnte versuch! sein,
auf das gelbrote härtere holz der erle oder schwarzeil er (alnus
glutinosa) zuraten; in den arabisch-baltischen handel gehört der
274 JACOB NORD.-BALT. HANDELSARTIKEL DER ARABER
bäum nicht; wäre nicht sein vorkommen bei den Rus und seine
rinde ;ils biberspeise augegeben, so würden die aus ihm im Orient
gefertigten arbeiten am ersten auf buxus und pockholz leiten.
Für einen gegenständ allein ist der handel vou anfang bis
zu ende (s. 76 f) nachgewiesen in der nachricht des Abu Hamid:
'klingen' (harpunen) von Adherbeitschan (Tabris), deren 4 dort
einen dinar kosten, werden ins laud Bulgar (Astrachan) geführt,
dort gehärtet ('häufig mit wasser begossen', natürlich nachdem sie
erst glühend gemacht), bis sie unter dem anschlage klingen,
darauf an die ungläubigen in Isu gegen biberfelle vertauscht,
die bewohner von Isu vertauschen sie im lande uahe dem dunkel-
meere gegen Zobelfelle, und dort verwendet man sie zum fisch-
fang, ob gerade 'walfischfang', ist nicht gesagt.
Über den uns am meisten interessierenden bernstein-
handel ist nur wenig mitgeteilt, da J. darüber auf seinen 1889
in der Zs. d. d.-morgenl. ges. 43, s. 353 — 87 erschienenen aufsatz
verweist, doch ist die angäbe, dass die Araber den von ihnen
viel begehrten bernstein (kdhrubd) aus den ländern der Rüs und
Bulgär, oder auch den hinterlandern von Kafa (Feodosia) erhielten
(s. 63 f ), völlig ausreichend, um zu zeigen, dass dieses ein-
zige baltische product des Araberhandels nicht direct von
den Arabern aufgesucht wurde, sondern erst nach weitem tausch-
wege in die bände ihrer importierenden kaufleute am kaspischen
und schwarzen meere kam. münzen und hacksilber sind also
auch auf dem umgekehrten wege durch zweite und dritte hand
an die Ostsee gelangt.
Für die cultur- und handelsgeschichte, auch das treiben der
Juden sind demnach eine reihe wichtiger nachrichten geboten;
sie betreffen aber fast durchgängig nur die aus dem innern Russ-
land, ja selbst aus Sibirien gekommenen handelsartikel, im westen
auch die aus Frankreich bezogenen und verstümmelten sklaven.
aus den baltischen ländern erhielten die Araber nur den bern-
stein auf weitem tauschwege durch das innere Russlands, was
auch früher schon völlig bekannt war.
Der beweis, dass der bei Qaz"ini genannte Tarluschi (Torto-
saner), der fast genau die gleichen nachrichten hat, wie sie von
Ibrahim ihn Jaqub erhalten sind, diese auf demselben wege erhielt,
wie der letztere, dh. am hofe Ottos des grofsen, und demnach wol
mit Ibrahim derselben maurischen gesandtschaft angehörte, wird
als erbracht anzunehmen sein, diese reise tiel ins jähr 973; vgl.
Wigger, Jahrbb. f. Meckl. gesch. 45, s. 3 — 20 und ref. im Jahresber.
d.gesch.-wissensch. 1880, n 151 anm. 3 — 6 und 1881, n I44anm.8.
die geschichte von der 'frauenstadt' bezieht sich auf die bekannte
zusammenbringung der alten Amazonen mit den Quaenen am bottni-
schen meerbusen, indem man das finnische Kainulaiset, Quänland,
des ähnlichen klanges wegen für ein 'land der frauen' hielt.
Rostock. K. E. H. Krause.
JELL1.NEK GERMAMSCHE FLEXIO.N
275
Beiträge zur erklärung der germanischen flexion. von dr Max Hermann Jel-
linek. Berlin, Speyer & Peters. 1S91. (iv) u. 107 ss. 8°. - 2,5U m.
Die kleine schritt verdient, als blofses specimen doctrinae
genommen, entschieden lob. sie fördert auch im einzelnen mehr-
fach die forschu ug, sowol durch einwände gegen die ansichten
anderer wie durch neue beobachtungen. zu bedauern ist nur,
dass J. sich vielfach an aufgaben gewagt hat, denen er einst-
weilen noch nicht gewachsen ist. man kann freilich zu seinen
gunsten geltend machen, dass es sich meist um probleme handelt,
die bisher allen lösungsversuchen hartnäckig widerstanden haben
und dass ihm andere in unhaltbaren vorschlagen vorangegangen
sind, aber was hilft es, in solchen fällen die verfehlten ver-
suche zu häufen und die tot geborenen hypothesen um eine
neue von derselben art zu vermehren? ein Fortschritt in diesen
fragen ist nur zu erwarten, wenn ein neuer richtiger gedauke
von erheblicher tragweite in die Untersuchung eingeführt wird:
nicht ein flüchtiger einfall, den man bei erneuter prüfung selbst
wider verwerfen miiste, sondern ein guter gedanke, wie ihn bei
geduldigem warten nach oft widerholter Untersuchung eine glück-
liche stunde eingibt, wer den weg zu weisen sucht, ohne diesen
Ariadnefaden gefunden zu haben, der wird uns statt, aus dem
labyrinthe heraus, nur tiefer in dessen irrgänge hinein führen.
ich bemerke dies namentlich in bezug auf die drei letzten capilel
des bucbes, die, wie J. in der vorrede mitteilt, zuerst geschrieben
sind, das später hinzugefügte erste capitel trägt mehr den character
einer einleilung, indem es weniger der aufstellnng neuer ansichten
als der kritischen erwägung der bisherigen fassungeu des vocali-
schen auslautgesetzes gewidmet ist.
Ich gehe hiernach auf die einzelnen capp. ein.
l cap. 1) die Schicksale auslautender langer »o-
cale (s. 1 — 14). es wird eine kritische übersieht der ansichten
Pauls, Mahlows, Müllers usw. über die behandlung auslautender
langer vocale gegeben, hervorhebung verdienen namentlich die
treffenden einwände J.s gegen die annähme aberzeitiger längen.
am Schlüsse stellt J. seine eigene ansieht in einer Labelle dar.
ich erkenne gern an, dass er darin einige jetzt sehr verbreitete
irrtümer vermieden hat, bin aber nicht in der läge, seinen auf-
stellungen im ganzen beizustimmen, meiner ansieht nach bedarl
die jetzige auffassung einer viel gründlicheren Umgestaltung.
2) die Schicksale auslautender kurzer vocale
(s. 14 — 59). J. tritt zunächst der annähme eines urgermanischeo
apocopierungsgesetzes entgegen, nach einem kurzen blick auf
das gotische legi er dann einen versuch vor, die chronologische
reihenfolge der syncopieruügserscheinungeo im nordischen fest-
zustellen, er verwertet dabei die >eit Heinzels Allnord, endsilbea
über diese frage erschienene litteratur, sucht aber deu entwicke-
loch schärfer zu gliedern und genauer
276 JELLINEK GERMAMSCHE FLEXION
zu ermitteln, ich halte diese Untersuchung für einen der wert-
vollsten abschnitte des buches. zum westgermanischen über-
gehend beschäftigt sich J. zunächst, im wesentlichen beistimmend,
mit Sievers' ansichten. die vou Paul (Btr. 6, 144) aufgestellte
regel wird einer eingeladen kritik unterzogen und verworfen,
seine eigene meinung fasst der autor schliefslich (s. 50) dahin zu-
sammen, 'dass in zweisilbigen Wörtern (a, e), i, u nach langer
silbe, in dreisilbigen unter allen umständen in dritter silbe ver-
schwanden'. — der rest des abschnittes ist der frage uach dem
allgemeinen gründe des abfalles und ausfalles der endsilbenvocale
im nordischen und westgermanischen gewidmet, von analogen
beispielen im litauischen ausgehend nimmt J. an, es liege nicht
sowol Verkürzung (articulationsschwächung) als articulationsver-
schiebung vor. die i und u seien anticipiert und im vocale der
vorhergehnden silbe aufgegangen, bei dieser auffassung tritt der
vocalwegfall in enge beziehung zum umlaut, den man ja längst
ähnlich erklärt hat. J.s ansieht ist auf der einen seite sehr an-
sprechend, aber ich zweifle, ob es ihm gelungen ist, dabei zb.
den gegeusatz zwischen demde (mit umlaut) << * domids und talde
(ohne umlaut) <C *talide befriedigend zu erklären, und die Schwie-
rigkeiten häufen sich, je weiter man diese theorie auszudehnen
sucht, auf die ältesten fälle von apocope im germanischen , zb.
got. nimis für *nimizi, wäre sie doch kaum anwendbar.
ii cap. die Schicksale langer ursprünglich durch
dental gedeckter vocale (s. 60 — 74). J. beginnt mit dem
salze: 'dass auslautender dental schon urgermanisch wegfiel, ist
für die meisten linguisten eine feststehende, nicht weiter des
beweises bedürftige tatsache'. ich glaube nicht, dass der stand-
punet derjenigen, welche den abfall des ausl. t für urgermanisch
ansehen, damit richtig characterisiert wird, ich halte es für er-
laubt, anzunehmen, dass urspr. ausl. t im urgermanischen weg-
fiel (einsilbige Wörter ausgenommen): 1) weil ausl. t in keiner
germanischen spräche erhalten ist, 2) weil die vocale der end-
silben vor urspr. ausl. t efoeuso behandelt werden, wie im unmittel-
baren auslaute, wenn J. hinsichtlich des zweiten argumentes
anderer meinung ist, so steht hier zunächst ansieht gegen ansieht,
und es wird darauf ankommen, welche ansieht sich besser durch-
führen lässt. das erste argument bleibt jedesfalls insofern unan-
fechtbar, als die tatsache, dass in keiner germanischen spräche
urspr. ausl. t erhalten ist, zugegeben werden muss. ohne entschei-
dende gegengründe wird man daraus folgern dürfen und müssen,
dass der verlust des t dem urgermanischen angehört, verdienen
die anhänger dieser theorie darum den Vorwurf, sie sähen ihre
schlösse für tatsachen an, die keines beweises bedürften? — doch
sehen wir, ob es etwa J. gelungen ist, seinen standpunet, der
sich zunächst in Widerspruch mit den tatsachen der einzelnen
sprachen setzt, durch besondere gründe zu rechtfertigen, er be-
JELLINEK GERMANISCHE FLEXION 277
hauptet, im ganzen an Mahlow sich anschließend, es sei mehr-
fach in endsilben langer vocal oder diphthong vor urspr. ausl. t
anders behandelt, als im ungedeckten auslaute. Zeugnisse dafür
glaubt er aus dem althochdeutschen, gotischen und altnordischen
beibringen zu können, ich beginne mit dem gotischen, für
einstiges t soll die endung ai der 3 sing. opt. praes. (zb. bairai)
zeugen; sonst müste die endung auf a auslauten, aber das
ausl. ai ist in bairai behandelt wie in blindai (nom. pl. m. adj.)
und habai (2 sg. imper.). in den beiden letzteren fällen ist an
ausl. t nicht zu denken, also wird man auch in der form bairai
nicht das ehemalige t für das auftreten des ai verantwortlieb
machen dürfen, sondern wird nach einer erklärung suchen müssen,
die auch auf die übrigen formen passt. eine solche erklärung
lässt sich geben, vgl. Bezzenbergers Beitr. 17, 1 ff. — aus dem
althochdeutschen glaubt J. zwei beweise beibringen zu können,
nämlich 1) die endung der beiden nominative mäno und nefo,
2) die endung -emo des msc. und ntr. dativs der starken ad-
jectiva. ohne das ausl. t hätte seiner ansieht nach die endung
in allen diesen fällen u sein müssen, ich erwidere ad 1): mäno
und nefo teilen im ahd. wie in den übrigen german. dialecteu
die endung von hano und haben also urgerman. aller Wahr-
scheinlichkeit nach denselben ausgang gehabt, wie der nom.
der schwachen masculina, den niemand auf dt zurückführen
wird, ad 2): Mint emo soll nach J. ein ganz anderer casus sein,
als Mintemu. ich möchte hier zunächst die möglichkeit, blintemo
innerhalb des ahd. aus Mintemu herzuleiten, nicht gauz abweisen,
man könnte zb. aunehmeu, es habe im ahd. die lautueiguug
bestanden, -u in dritter und letzter silbe in -o übergehn zu
lassen, sowol in dem -emu des msc. -ntr. wie in dem -eru des
fem. diese neigung aber sei im fem. bald durch den nominalen
dativ (gibu, gegen tage msc, worte ntr.) gekreuzt und die formen
nun in der weise differenziert, dass im masc. sich -mo fest-
setzte (auch in derno, imo), während im fem. -ru blieb, gesetzl
aber auch, wir hätten -emu formell von -emo zu trennen, so
wäre damit noch nicht bewiesen, dass in der form auf -emo ein
alter ablativ auf *-esmöt stecke, und selbst, wenn man dies J.
zugäbe, folgte daraus noch nicht, dass ausl. t urgerm. erhalten
war. es könnte ja ein abl. blintemo zu got. Mindamma, urgerm.
*blindammö(t) sich verhallen wie ahd. hano zu gut. Iiatm (wenn
man beide auf * hano zurückführt), die erklärung der tonn blin-
temo muss nach meiner ansieht einstweilen in suspenso bleiben.
als sichere stütze für ein ehemaliges ausl. i lässl sie sieb jeden-
falls nicht verwerten. — wir kommen zum nordischen, hier
spielen zunächst wider die nominative nefi und mdni eine rolle.
*nefod soll zu *nefö und diese- zu *nefu geworden sein, das
wort soll dann zunächst in die llexion übergetreten sein, welche
wir im historischen nordisch bei femininen (!) n- stammen (zb.
278 JELLINEK GERMANISCHE FLEXION
tunga) und einigen wenigen masculinen eigennamen (!) treffen,
und demgemäß durch analogie einen nominativ *nefa erhalten
haben, wir befinden uns nocli nicht auf festem boden, denn die
flexion *nefa wird von einer neuen analogie ergriffen; das wort
tritt in die flexion hani über, so dass der nominativ nun endlich
die gestalt nefi annehmen kann, ich bedaure, diese wilde jagd
nicht mitmachen zu können, ich setze nord. mäni und nefi : gut.
mena = nord. hani : got. hana und halte alle diese formen für
regelrechte nomiuative von masc. n-stämmen, wie die entspre-
chenden ahd. bilduugen, von deuen vorhin die rede war. —
einen weiteren 'beweis' für einstiges Vorhandensein des t findet
J. nord. in dem neutr. dat. sing, des starken adjectivs auf -u,
zb. blindu: 'in blindu erblicke ich einen ursprünglichen ablativ,
dessen endung -öt gerade so behandelt wurde, wie die von *ne-
fnd'K beim ahd. hatte J. einen masc. ablativ blintemo ange-
nommen, ist es nun wahrscheinlich uud durch irgend eine
parallele gestützt, dass der ablativ in der adjectivflexion beim
masculinum ursprünglich anders gebildet wurde a's beim neutrum?
ich möchte auf die erkläruug der form blindu einstweilen lieber
verzieht leisten, als eine hypothese aufstellen, die mit der ur-
sprünglichen flexion der adjeetiva durchaus in Widerspruch steht.
— J. schliefst mit den worten: 'mithin hat uns auch das nor-
dische vollgiltige beweise dafür geliefert, dass der abfall auslau-
tender dentale nicht in die urgerm. zeit zu setzen ist', vollgil-
tige beweise? ! —
in cap. der nominativ singularis der n- stamme
(s. 74 — 94). es heifst im eingange: 'das got. -a der schwachen
masculina wie hana weist auf ursprüngliches -ö, vielleicht auch -e,
das ö der feminina auf ursprüngliches -ön. das ahd., alts. -o vou
hano geht auf -ön, das -a von zunga auf -en zurück, umgekehrt
deutet das uord. -i von hani auf -en, das a von tunga auf -ön'.
J. schliefst hieraus, die Verteilung der nominativausgänge auf die
verschiedenen geschlechter sei relativ spät erfolgt; die treunung
der genera gehöre erst den einzelnen dialecten an. ich kann
mich diesen aufstellungen nicht anschliefsen. aber die erörterung
der frage würde eine umfassende discussion der behandluug langer
vocale im auslaute erfordern und hier zu weit führen. — J. be-
müht sich nun, weitere spuren des Schwankens der genera in
der schwachen declination aufzufinden, es soll im gotischen noch
in historischer zeit masculina auf o gegeben haben, weil ost-
gotische namen in lateinischem gewande auf o endigen, es soll
im gotischen schwache feminina auf a gegeben habeu, denn nur
1 man wende nicht ein, dass die endungen im nordischen offenbar
nicht gleich behandelt seien, da die eine form im nord. blindu, die andere
nefi lautet, denn nach J.s meinung liegt, wie man sich erinnert, hinter
nefi ein *nefu, welches durch zwei gründliche analogische Umgestaltungen
des paradigmas wider beseitigt ist.
JELLINEE GERMANISCHE FLEXI0.N" 279
so lasse sich hegreifen, dass die uichtgotischen namen Marja,
Marpa, Sarra wie hana declinieren. ähnliche 'nachweise' gibt J.
fürs nordische, auf mich macht der gröfsere teil des capitels
den eindruck, als stelle J. die dinge auf den köpf, die nordische
flexion ist 'am weitesten zurück'; das nordische wäre also am
cooservativsten verfahren, während es nach meiner meinung in
der zerrüttuug der alten n-declinatioo am meisten vorgeschritten
ist. das gotische soll in der trennung der genera am weitesten
gegangeu sein, verhielte sich also der vermeintlichen allen ein-
iachheit gegenüber radical. mir gilt die gotische flexion der
n- stamme als die innerhalb des germanischen altertümlichste,
dankenswert, weil von hastigen theorien verhältnismäfsig frei und
an guten bemerkungen im einzelnen reich ist die Zusammenstel-
lung über die flexion fremder eigennamen im gotischen s. 76 — S4.
iv cap. germanische conjunctive (s. 94 — 105). es
handelt sich um die auf au auslautenden gotischen verbalformen
wie bairau (1 sing, opt.), lausjadau (imper.), haüaidau (opt. pass.).
man führte das ausl. au dieser formen früher auf urspr. -am
zurück: eine erklärung, die jetzt wol allgemein aufgegeben ist.
J. denkt nach dem vorgange anderer an eine angetretene Par-
tikel u, dieselbe partikel u, welche schon so viele enduugen in
der vergl. grammatik hat erklären sollen und so wenige würklich
erklärt hat. von diesem standpuncte aus deutet er die imperative
atsteigadau, lausjadau, Uugandau als mediale conjunctive. das
mittlere a soll eigentlich modusvocal der bindevocallosen conju-
gation sein; von conjuncliven dieser art aus sollen indicative wie
haitada ihr mittleres a erhalten haben, es muss bemerkt werden,
dass J. selbst hervorhebt, er trage seine theorie mit aller reserve
vor. mir scheint seinen combinationen schon dadurch der bodeu
entzogen zu werden, dass der modusvocal des conjuuctivs in der
3 sing. med. der bindevocallosen conjugation ursprünglich (nach
ausweis des griechischen) nicht o oder a , sondern e war. dazu
steht die Voraussetzung, dass hier die bindevocalische (thematische)
flexion durch die bindevocallose (athematische) verdrängt sei, im
Widerspruch mit der germanischen Sprachgeschichte, denn im
germanischen zeigt sich, wie ziemlich überall in den ansehen
(idg.) sprachen die neigung, die bindevocallose conjugation durch
die bindevocalische zu ersetzen: nicht umgekehrt, die summe
der unwahrscheinlichkeiten, welche die hypothesen J.s enthalten,
ist hiermit keineswe-- erschöpft, aber ich glaube auf weitere
kritik verzichten zu dürfen. —
In einem nachtrage (s. 106 und 107) erwähnt J. ein paar
arbeiten, die nach dem abschlusse seiner Untersuchungen er-
schienen sind, dabei kommt er auch auf nieine ansieht über die
behandlung des urspr. ai im germanischen zu sprechen, ihm
scheint das lundanient , auf dem meine theorie ruht, nicht ge-
sichert, und er hat einen einwand auf gnind der auslautgesetze
280 JELLINEK GERMANISCHE FLEXION
vorzubringen, ich möchte zunächst fliesen erledigen, meine an-
sieht lässt sich kurz dahin zusammenfassen, dass in der behand-
lung des urspr. -ai die übrigen germanischen sprachen den stand-
punet des gotischen voraussetzen, wo urspr. m durch got. ai
reflectiert wird, weisen auch die übrigen sprachen auf ai; wo es
durch got. a reflectiert wird, setzen auch die übrigen sprachen
zunächst a voraus; letzteres bleibt im ahd. und in einem teile
des alts. gehietes erhalten, während es in dem anderen teile des
altsächsischen, sowie im friesischen, angelsächsischen und nor-
dischen weiter zu e vorrückt, als urgermanische Vertreter der
beiden fortsetzer des urspr. ai habe ich dem gotischen entspre-
chend ai und a angenommen. J. wendet ein, das a hätte durch
die einzelsprachlichen syncopierungsgesetze schwinden müssen,
von diesem einwände wird der kernpunet des problems, nämlich
die Vertretung des urspr. ai durch ahd. -alts. a in denselben fällen,
wo das gotische a hat, gar nicht berührt, wäre der standpunet
J.s begründet, so hätte man entweder die Scheidung des urspr. ai
in ai und a statt in das urgermanische in die einzelnen sprachen
zu verlegen oder man könnte für urspr. ai = got. ahd. alts. a
dem urgermanischen einen reducierten diphthong (etwa a') zu-
schreiben, der seinen zweiten bestandteil dann in den einzelnen
sprachen völlig einbüfste. der einwand gegen meine theorie
würde sich also auch vom standpunete J.s aus leicht heben lassen,
ich teile freilich seinen standpunet nicht ganz, es gibt nach
meiner meinung auch noch andere urgermanische a, die in den
einzelnen sprachen nicht syncopiert werden, freilich führt diese
ansieht zu einer auffassung der ausl. vocale im urgermanischen
und urnordischen, die von der bisher üblichen verschieden ist.
ich habe das schon in Bezzenb. Beitr. 17, 47 angedeutet in den
worten: 'im urnordischen muss das ausl. a in diesen fällen von
dem ausl. a in horna, hlaiva uä. verschieden gelautet haben, ob-
wol die runenschrift zwischen ihnen keinen unterschied macht',
eine nähere erörterung dieser fragen muss ich auf eine andere
gelegenheit verschieben. — was die ablehnende haltung J.s gegen-
über meiner theorie des schwachen Präteritums anlangt, so wäre
es mir lieb gewesen, wenn er angegeben hätte, in welchem punete
meine argumentation eine lücke hat. ich habe für meine ansieht,
dass die 1 und 3 sg. des schwachen präteritums mit der 1 und
3 sg. des medialen perfects der Ursprache identisch sei, drei von
einander unabhängige beweise gegeben, nämlich
1) die identität der endungen dieser formen mit den ent-
sprechenden endungen des präsens passivi im germanischen,
2) die identität der ohne tlexions-J gebildeten präterita iddja
und deda mit lat. ii und ved. dadlie.
3) die identität der mit fiexious-f gebildeten schwachen
präterita mit der 3 sing. perf. med. auf -tat.
Jeder einzelne dieser drei beweise wiegt schwerer als irgend
JELLINEK GERMANISCHE FLEXION 281
ein argument, das von den auhängern der aoristtheorie für ihre
auffassung beigebracht ist. in der tat hat auch keiner der fach-
genossen, welche vom standpuncte der aoristtheorie sich gegen
meine deutung ausgesprochen haben, nur den versuch gemacht,
eines dieser drei argumente anzufechten, sie alle beschränken
sich darauf, mir irgend eine auf schwachen fiifsen stehnde theorie
über die behandlung des auslautes als 'gesetz' entgegenzuhalten,
ich muss gestehn, dass der ausdruck 'gesetz' mich nicht schreckt,
auch glaube ich nicht, dass es meiner theorie zum nachteile
gereicht, wenn sie die bisher übliche auffassung des germani-
schen auslautes durchkreuzt, so lange die gründe, auf die meine
theorie des präteritums sich stützt, nicht widerlegt sind, halte
ich dafür, dass diejenigen auslautgeseize, die sich mit ihr nicht
vereinigen lassen, abzuändern sind, in dieser meinung werde
ich dadurch bestärkt, dass es mir in der zunächst und haupt-
sächlich in betracht kommenden frage — nämlich der des aus-
lautenden ai — möglich gewesen ist, ein neues, mit den tatsachen
vollkommen in einklang stehudes gesetz aufzustellen.
Bryn Mawr, Pa., 1 aug. 1891. Hermann Collitz.
Prolegomena zu einer urkundlichen geschiente der Luzerner mundart von
dr Renward Brandstetter, professor in Luzern. Einsiedeln, Ben-
ziger & Co, 1890. 88 ss. 8°. — 2 m.*
Über die mundarten des kantons Aaigau. (grenzen; einteilung; phonetik.)
vocalismus der Schinznacherniundart. von dr H. Blatt.ner. Leipz. diss.
Brugg 1S90 (Leipzig, GFock). Süss, mit einer karte. 8°. — 2,50 m.**
Der mundartliche vocalismus von Basel- Stadt in seinen grundzügen darge-
stellt von Eduard Hoffmann. Basler diss. Basel, Ad. Geering, 1890.
vi u. 94 ss. 8°. — 2 m. ***
Von den drei arbeiten stellen sich die beiden letzten in den
dienst der lautforschung, während uns Brandstetter seine mund-
art von allen sehen her beleuchtet — ähnlich wie in seiner dis-
sertation über den Beromünsterdialect, aber mit vermehrter kunst
und tieferdringendem blicke, jede seile dieser prolegomena bietet
anziehende, oft überraschende beobachtungen. die schritt darf
einen viel weiteren leserkreis fordern, als die grofse masse der
mundartlichen monographien. wir fühlen, dass Br. im besitze
eines sehr reichen Stoffes ist und nach besonnener auswahl nur
das merkwürdige und schlagende daraus mitteilt, er ist so günstig
gestellt, in den Luzerner gerichtsprotocollen höchst characte-
* [vgl. Archiv f. d. stud. d. neueren sprachen 1891 8.309 (KWeinhold).
— DLZ 1891 in 8 (MRödiger). - Littbl. f. germ. u. rom. phil. 1891 nr I (OBe-
haghel).]
** [vgl. DLZ 1891 ox38 (LTobler). — Littbl. f. germ. u. rom. phil. 1891
nr4 (OBehagnel).]
*** [vgl. Litt, centr. 1890 nr 47 ( R. K.). — Littbl. I". germ. u. rom. phil. 1891
nr 4 (OBehaghel).]
A. F. D. A. XVII. 19
282 SCHRIFTEN ÜBER SCHWEIZER MUNDARTEN
ristische specimina der älteren mundart zu besitzen: deren aus-
beutung für lautform, Wortbildung, syntax, Wortschatz, cultur
hat, er mit sorgfältigst abwägender kritik in angriff genommen,
was er über die Stellung der kanzleisprache zur mundart und
zur mhd. gemeinsprache bemerkt (s. 29 ff), ist von besonders weit-
gehendem interesse; die kurzen concreten hinweise fördern mehr
als ganze bogen raisonnement. die sonderung der gesprochenen
spräche von der geschriebenen schon für das 12/13 jh. ist viel-
leicht noch nirgends mit solcher einleuchtenden bestimmtheit
vorgenommen worden.
Für die chronologische fixierung der lautvorgänge hat die
schweizerische dialectforschung bisher wenig getan: sicherlich
wird uns gerade hier Br.s 'Urkundliche geschichte' viele aufschlösse
bringen.
Br. hat sich bei der abfassung dieser prolegomena eines
Schematismus beflissen, der ans monumentale grenzt, ob er diese
pedantische form wählte, um die betrachtung des bunten und
incohärenten inhaltes nicht zum nachlässigen durchwandern einer
raritätenkammer ausarten zu lassen? jeder gedankengang wird
in abschnitte und abschnittchen von a bis x zerfasert; was sich
nachträglich meldet, wird in eine serie anmerkungen von a bis x
auseinandergelegt, jedem kleinsten teile des ganzen ist so sein
Schubfach und seine etiquette geworden, die 'ziele' der mund-
artengeschichle werden in 'niedere' und 'höhere' abgeteilt, wenn
Br., vom tale zum gipfel aufgestiegen, als die wichtigste der
'höhern aufgaben' bezeichnet, 'einen sprachlichen wert von seinem
ältesten auftreten bis heute in all seinen Wandlungen genau zu
verfolgen' und als beispiel die entwicklungsreihe höxtslt^>hdxtset
> höxset >• höxsig anführt, so wird er schwerlich allgemeine Zu-
stimmung finden, die spräche scheint sich ihm mehr als ein
bündel von Wörtern denn als ein gewebe von articulationen darzu-
stellen, zu dem bestreben Kauffmanns, den Sprachorganismus als
einheit zu fassen, bildet Br.s betrachtungsweise einen gegenpol.
man vergleiche äufserungen wie die folgenden: s. 24 um die
characterisierung der mundart zu vervollständigen, 'will ich aufs
geratewol einige merkwürdigkeiten aus dem gebiete der Wortbil-
dung und syntax (der lautstand von L hat keine auffäl-
lige besonderh ei ten) ... herausgreifen'; s. 9 in Sätzen wie ein
kleine hampffleten saltz; ein arfel holtz holen; aber kein mump fei
brot sy iren nit worden sind die drei Wörter hampffleten, arfel,
mump fei mundartliches sprachgut, das andere (also auch saltz,
holtz, brot usf.) gehört zur kanzleisprache; oder s. 31 u. 'von den
verschiedenen erscheinungen in der KanzLuz, welche auf die
mundart zurückgeführt werden müssen, ': 'mundart' ist hier
offenbar in dem sinne gefasst 'was von der Schriftsprache ab-
weicht', wider im hinblick auf die einzelnen wortgebilde, nicht
auf den lautlichen habitus. —
BLATTNER MUNDARTEN DES KANTONS AARGAU 283
Blattner hat sich der mühe unterzogen, den mundartlichen
grenzen im kanton Aargau nachzugehu. er cbaracterisiert die
verschiedenen idiome s. 16 ff und zeichnet auf einer karte die
grenzen ein. die mundartliche forschung schuldet ihm dafür
dank, einer umfassenderen darstellung hat er kraftig vorge-
arbeitet, über die Fricktaler mundart gibt Bl. zum erstenmal
genauere nachrichten: diese hat buchst eigentümliche lauterschei-
nungen herausgebildet: Schwächung der verschluss- und der
sonoren fortes s. 35. 41; dehnung ungedeckter vocalkürzen s. 39;
zweigipfligen silbenaccent s. 38. man möchte wünschen, das bild
dieser mundart von einem talgenossen vervollständigt zu sehn,
aus der Schiuznacher mundart, welche Bl. als seine angestammte
in den Vordergrund stellt, hebe ich hervor: mhd. öü wurde mit
lippenentrunduug zu ai; mhd. d erscheint schwankend als ü und ö
'eine in vollem flusse befindliche bewegung'; mhd. ce wird durch e,
eine mittlere e-klangfarbe, vertreten (die von mir Germ. 34, 121
besprochenen mundarten gaben alle dem mhd. ce die offenste Schat-
tierung; vgl. ebd. s. 123 note 3). man beachte noch die hübschen
angaben über die localadverbia bei Ortsnamen s. 9 f, über die
bedeutung topographischer und kirchlicher grenzen s. 13 f, über
Verschiedenheiten des chromatischen accentes s. 43 f, über die
eigenart von Stadt- und landmundart s. 47 f.
Als seine hauptaufgabe betrachtet Bl., zur Unterscheidung
burgundischen und alemannischen Sprachgebietes zu verhelfen
(s. 11). aber was er hierzu beiträgt, bringt uns nicht viel weiter.
die sehr allgemein gehaltenen kennzeichen burguudischer zunge
(andere indifferenzlage, 'total andrer vocalismus', vielerorts /> ü)
scheinen mir vorläufig zu einer so bedeutsamen demarcation nicht
zu berechtigen, etwas anderes ist es mit dem palatalen x. aber
dieses reicht lange nicht so weit nach norden, dass das bur-
gundische Sprachgebiet sich bis an den Hallwylersee und jn die
nähe von Aarau erstrecke, ist nicht einmal wahrscheinlich ge-
macht, eine erneute erwägung der geschichtlichen Zeugnisse
s. 12 ff hat nur aufs neue gezeigt, dass uns von dieser seite die
auskunft gebricht, lexicographische Judicien werden schwerlich
fordern: worte werden leichter entlehnt als physiologische Ver-
anlagungen, aufs ungewisse hin mit dem begriff 'burgundische
mundarten' zu operieren, wie es auch in anderen arbeiten geschehen
ist, wäre hesser zu vermeiden, erst muss uns eine mundart des
Berner Oberlands in genügender darstellung vorliegen.
Bl.s versuch, Wintelers System des schweizerischen consoe
nantismus umzugestalten, ist gänzlich misglückt. bei einer un-
verkennbaren gäbe für lautliche beobachtung hat er unterlassen,
sich über die sprachpbysiologischen elemente ms kl.ue zu setzen«
er geht davon aus, dass die verschlusslaute momentanlaute, die
anderen consonanten dauerlaute seien, und verwickelt sich von
hier aus in irrwege, in welche wir ihm nicht folgen wollen.
19*
284 SCHRIFTEIN ÜBER SCHWEIZER MUNDARTEN
es wäre leicht zu zeigen, wie alle seine abweichungen von Win-
teler: die ansetzung von longae; die leugnung der geminaten; die
behauptung, die forlis habe keine wesentlich gemehrte dauer, sie
entstehe durch Spannung der luft hinter dem kehldeckel; ein ver-
schlusslaut ohne folgenden vocal bilde eine stimmlose silbe usw.
— wie alle diese dinge durch den verhängnisvollen irrtum ver-
schuldet wurden, das übergangsgeräusch sei das wesentliche an
den verschlusslauten.
Nachlässig ist die geschichtliche erklärung des Schinznacher
vocalstandes. dass die e-laute, die quantitätsverhältnisse ua. nicht
in dieser weise abgetan werden dürften , hätte Bl. aus zahlreichen
arbeiten der letzten jähre ersehen können, dass ihm mit einem
flüchtigen durchblättern seiner Vorgänger genug getan schien,
zeigen viele stellen seiner dissertation.
Mit ungleich besserer sprachgeschichtlicher Vorbereitung und
mit grofser Sorgfalt hat Hoffmann den vocalstand von Basel-stadt
behandelt, er überlässt es nicht erst, dem leser, nach der art so
mancher dialectarbeiten, die localen Vorgänge in den gröfsern Zu-
sammenhang einzurechnen, die deutsche grammatik kann seiner
schrift manches gut bearbeitete material entnehmen, bei der fleifsi-
gen benutzung älterer sprachquellen hätte wol mehr für die datie-
rung der lautwandel geschehn können, ich vermisse zb. belege für
die lippenentrundung. diese muss tief ins 15 jh. zurückreichen,
seltsamer weise setzt sie H. s. 8 später au als die diphthon-
gieruug von i, ü im hiatus. die Schicksale des mhd. öü lassen
keine andere entwicklungsreihe zu als diese:
zuerst ü^>i] , .^ . ... . — ^ .
.. C ?, dann eiZ>ai; endlich n >> et
ö >>e \ "
der alte diphthong öü wurde von dem ersten und zweiten dieser
Vorgänge betroffen; er lautete daher schon ai, als aus dem
hiatus -i der ei- diphthong erwuchs: fraid (<^vröüwen) konnte
nicht mehr mit reid « riuwen) zusammenfallen. — dass im
diphthong uo der erste component geschlossen war (§ 13), geht
auch aus dem waudel uots > üts (mit geschlossenem u) hervor,
den ich Alem. cons. § 48 erwähne.
Am wertvollsten ist die behandlung der schwachtonigen silben.
es möchte hier wenig nachzutragen sein, ich verweise auf die
umsichtige erörterung des endungs-^ § 222 ff — ein schätzbarer
beitrag zu der von Behaghel und Rauffmann besprochenen frage
nach zeit und umfang der mhd. vocalschwächung. über die feminina
wie wirtd — wirtdnd — wirti 'wirtin' urteilt wol Braudstetter s. Gl
zutreffender: darnach ist w<fssdrd lautlich = wascherin, wqssdri
führt auf wascherin. dass es sich § 240 doch um ein vordringen
des suffixes -ing handelt, wird wahrscheinlich durch die formen
tusing schon im 13 Jh., die für die productivität dieser eudung
sprechen.
Zu § 101: die präposition nach in localer function ist un-
HOFFMANN VOCALISMUS VON BASEL-STADT 285
bedingt schriftsprachlich! die mundart sagt auf. — die formen
dpusig und d^if/ mit ihrer alleinstehenden diphthongierung will
H., und ich glaube mit recht, aus dem emphatischen accent, ohne
einfluss der Schriftsprache, erklären (§ 186).
Nicht fehlen sollte eine phonetische bemerkung über das ü
von Basel-stadt, das zwischen dem schweizerischen »7 und dein
elsässischen ü eigentümlich in der mitte steht und ganz anders,
mit viel schlafferer zunge und lippen gebildet wird als zb. das
bühnen deutsche ü. der Basler empfindet seine ausspräche als
w-mäfsig: ein Ostschweizer versicherte mir, dass er im Basler
kirchengesang an den betr. stellen ein ü zu boren glaube. —
auch die physiologische beschreibung der diphthonge, zumal
hinsichtlich der dehnbarkeit ihrer componenten, hat uns H. vor-
enthalten, im übrigen kann ich es ihm nicht verdenken, dass
er auf eine eiureihung der vocale in die Sweet-Stormsche tabelle
verzichtet hat. dieses allgemeinsystem, welchem manche dialect-
arbeiten mit einer flüchtigen Verbeugung ihren respect kund-
geben, hat sich zur erhellung mundartlicher vocallagerungen
minder tauglich erwiesen als die einzelsysteme. aus der unbe-
grenzten menge der möglichen articulalionen hebt ja jedes System
eine gewisse beschränkte anzahl, alsaugelpuncte gleichsam, heraus,
warum soll diese auswahl nicht mit rücksicht auf die als gegen-
sätzlich empfundenen vocalwerte der jeweiligen einzelsprache ge-
troffen werden? — gegen den ersten grundsatz mundartlicher
transscription vergeht sich H., wenn er tatsächlich übereinstim-
mende lautgruppen der etymologie zu liebe zwiefältig schreibt;
zb. wertli aber fextd, erkl aber ergdid, bürkdt aber bürgdr, während
doch in diesen Wortpaaren die gleicbe inlautende consonanten-
gruppe vorliegt.
Ich komme noch auf einen wichtigeren puoct, die dehnung
der monosyllaba und das mbd. auslautsgesetz betreffend, zu spre-
chen, eine von mir Alem. conson. § 16ff gegebene hypothese
ist schon von Kauffmann, jetzt von Hoffmann (§ 92) in zweifei
gezogen worden, ich suche sie bestimmter zu lassen und zu
stützen.
Es handelt sich um die frage: wie lauteten im altalemanni-
schen die einsilbigen, unflectierten formen zu glase, slage, rade?
H. richtet hier eine bedauerliche confusion an, indem er Ick
auch für die auslautende fortis schreibt, während neben der
lenis g und der einfachen fortis k das doppelzeichen kk billiger-
weise nur die gern in ata bedeuten kann, und für eine solche der
auslaut nicht vorhanden ist. ich sehe davon ah und brauche ktp
als die entsprechenden (bauchlosen) fortes zu den lenes gdb,
ohne auf das eventuelle eintreten geminierter articulation rück-
sicht zu nehmen, zu den lenes sf muss man, da besondere
zeichen leiden, als fortes die doppeltypen 88, ff stellen, ohne
damit über geminierte ausspräche auszusagen, wenn ich nun II.
286 SCHIUFTEIN ÜBER SCHWEIZER MÜNDARTEN
richtig verstehe, so denkt er sich jene endungslosen formen als
glas, slag, rad. diese formen wären im alemannischen entweder
unverändert behalten (in Brienz usw.) oder durch einfache deh-
nung des vocals zu glas Mag räd gewandelt worden.
Meine ansieht kann ich jetzt so präcisieren: wo heute im
alemannischen einsilbige formen wie glas, slag, rad vorkommen1,
dasind es stets analogische neubildungen nach parallelen
mehrsilbigen formen, die den vocal kurz, den consonant als leuis
erhalten haben, als lautliche fortsetzung der alten mono-
syllaba ist zweierlei möglich: entweder glass, slak, rat oder aber
glas, släg, räd. diese doppelformen müssen auf verschieden ge-
artete betonung zurückgehn. die formen der zweiten art domi-
nieren in den meisten alem. mundarten und haben sich viel-
fach die mehrsilbigen parallelformen unterjocht, von den formen
der ersten art (mit vocalkürze -f- fortis) glaubte ich Alem. cons.
§ 21 eine geringe spur übrig zu finden, ich lasse das dahin-
gestellt: genugsam zeugt für das einstige Vorhandensein der
typen glass, slak, rat 1) der mhd. reimgebrauch: ich führe an:
Lanz. 3811 rosimos (es bedarf wol keiner worte, dass hier nicht
die lenis s vorliegt, sondern dass die im inlaut geminierte fortis
von rosse im auslaut als einfache fortis erscheint und sich mit
der einfachen fortis von mos, einem inlaut mose gegenüber, be-
gegnet); ebenda 2967 wec:Erec, 3271 gezoc : wdfenroc , 4775
krac:slac; bei dem Dürner: smac : mac : tac ; bei Konr. vAmmen-
hausen (wo zz^>ss): as : genas, sas:was. 2) für die möglichkeit
einer entwicklung glass >> glas, welche H. aao. bestreitet, zeugt
die völlig übereinstimmende von gewiss^> gwis, mez^>mess^>mes;
in Beromünster stich, griff, beschiz >• süj, grlf, psis; bei Blattner
s. 68 biz > 67s.
Da nichts dafür spricht, dass formen wie gras, släg, räd
schon in mhd. zeit gesprochen wurden, wird man am ehesten
annehmen, dass sie erst später aus den älteren grass, slak, rat
entstanden und diese allmählich fast ganz verdrängten, aber das
analogiegefühl blieb nicht überall bei dem nebeneinander von
glas — glesdr, räd — reddr stehn, sondern schuf mit weiterer an-
gleichung die einsilbigen formen glas, rad.
Jene andere auffassung hat die mannigfachen mängel, dass
sie die mhd. reime nicht erklärt und für das t in rat und in trit
eine verschiedene ausspräche annehmen muss (so H. § 93); dass
sie die oben erwähnten notorischen Übergänge von kurzem voc. -+-
fortis zu langem voc. -f- lenis ignoriert; dass sie endlich, wenn
die eine mundart glasd — glas, die andere glasd — glas spricht,
der zweiten den altertümlicheren staud zuerkennt, da doch nach
aller analogie die ausgeglichene form das spätere, die differenzierte
1 deren existenz zu bezweifeln mir nie einfiel, s. Alem. cons. § 23 (auch
§19). dass ich das elsässische damals sowenig wie heute zu den schwei-
zerischen dialecten rechnete, hätte H. ua. aus §§ 33. 37 ersehen können.
HOFFMANN VOCALISMUS VON BASEL-STADT 287
das ältere ist. ich erinnere noch insbesondere an die compli-
cierten Verhältnisse der mundart von Beromünster, die ich mir
nur in der Alem. cons. § 24 anm. angedeuteten weise auslegen
kann, auch die parallele entwicklung der auslautenden m, n, l,
bei denen die Verhältnisse etwas durchsichtiger liegen, ist nicht
aufser acht zu lassen.
Berlin, 21 mai 1891. Andreas Heusler.
'Vom Rechte' und 'Die Hochzeit', eine litterar-historische Untersuchung von
Carl Kraus (= Sitzungsberichte der kais. academie der Wissenschaften
in Wien, philos.-hist. classe. bd. cxxin nriv). Wien, Tempsky in comm.
1891. 126 ss. gr.8°. — 2,40 m.
Indem ich diese eindringenden und vielseitigen Untersuchungen,
welche Heinzel angeregt und gefördert hat, hier zur anzeige bringe,
muss ich mir leider mit rücksicht auf die rechte eines Jüngern
fachgenossen eine gewisse beschränkung auferlegen, ich meine
dr Heinrich Löbner, der in seiner dissertation über die 'Hochzeit'
(Brandenburg 1887) nur die kleinere hälfte einer umfangreichen
arbeit veröffentlicht hat: das vollständige manuscript hat sich
lauge zeit in meinen häuden befunden, und obwol ich mich
namentlich in sachen der höhern kritik niemals zu Löbners, der
Schererschen nahestehuder auffassung bekehrt habe, bin ich doch
stellenweise durch hübsche einzelbeobachtungen von ihm geför-
dert worden und möchte meine eigenen erkenntnisse und Ver-
mutungen hier nur soweit vortragen, als ich sie unbedingt von
Löbners arbeit unabhängig weifs.
Die schrift von Kraus, die leider einen typographisch wie
sprachlich unschönen titel hat *, wird eingeleitet durch ein paar
kurze abschnitte über Mitteratur' und 'handschrift' (i. n), von denen
ich den zweiten gern etwas ausführlicher gesehen hätte. Karajans
beschreibung genügt nicht mehr, und was Kraus s. 2 — 4 bietet,
beschränkt, sich fast ganz auf den dialect des Schreibers, ich
selbst habe die hs. dank der liberalität des kärntnerischen ge-
schichtsvereins und der freundlichen vermittelung des hrn archi-
vars drvJaksch im sommer v. j. hier in Marburg benutzen können,
und ich bedauere jetzt, mich auf die collation beschränkt zu
haben: die eingehnde beschreibung der hs. erwartete ich eben
von Kraus, der den codex, wie ich wusle, für 'Recht' und 'Hoch-
zeit' gleichfalls benutzt halte, das graphische bild der hs. hat
weit treuer als Kaiajan in den 'Sprachdenkmalen' Diemer in der
ausgäbe der 'Genesis und Exodus' widergegeben: wunderlicher
weise ball sich K. trotzdem und trotz eigener kenntnis des ms.
treulich an Karajans unvollkommene Umschrift, der Milstäter
Schreiber hat, wie ich darum ausdrücklich bemerke, überall die
1 warum nicht einfach: Recht und Hochzeit?
288 KRAUS RECHT UND HOCHZEIT
ligatur m, nirgends ae; er schreibt consequent u und o, niemals
uo und ou; für wu braucht er abwechselnd wu und w, für umo
bald wu bald mj. er ist sehr sparsam mit abkürzungeu, die er
eigentlich nur am zeilenschluss verwendet, um eine wortteilung
zu vermeiden: so den nasalstrich 3,7 chnehte, 3,8 besliezzet, 5,21
liste, 6,8herte, 13,25 iungiste, 15,15 andirstüt, 15, 23 furhtet usw.,
so (5 für de in öV (8, 15. 15, 19. 26,4. 29,8); ön 30,4. 31,6;
dm 33, 4; enö 34,10; werö 44,3; odr 13, 21. andere abkür-
zungen kommen überhaupt nicht vor, und diese tatsachen muss
der kritiker besonders bei ergänzungsversuchen beständig im äuge
haben, ein fehler wie wellet st. wellent R 441 begegnet nicht
durch zufall grade am zeilenschluss (13, 12), wo der nasalstrich
beabsichtigt war, aber vergessen wurde, und niuwen st. niuweht
H 62 verdankt seine existenz nur dem mechanischen streben, die
zeile (20, 12) ohne überschuss zu schliefsen (s. u.).
Findet K. so wenig wie einer der frühern anlass, die ent-
stehung der hs. aufserhalb Kärntens zu verlegen, so geht er hin-
gegen in cap. in, wo er den dialect der gedichte behandelt, ent-
schieden von der bisherigen aulfassung ab, die namentlich seit
Scherer geneigt war, auch die dichter selbst in Kärnten zu
suchen (vgl. zuletzt noch Vogt in Pauls Grundriss h 1,251): er
hält auf grund einiger wenigen, aber auffälligen kriterien die
'alemannische herkuufl' beider gedichte für 'höchst wahrschein-
lich' (s. 6. 7); in cap. x, wo er zu den bekannten einige weitere
Zeugnisse für die beziehungen Kärntens zu Alemannien fügt,
modificiert er seine ansieht vermutungsweise dahin, dass die ge-
dichte von alemannischem Verfasser in Kärnten verfasst worden
seien (s. 98). so bleibt die litteraturgeschichte bei Kärnten, wäh-
rend der grammatik die aufgäbe erwächst, den spuren alemanni-
scher mundart sorgfältiger nachzugehn. mir selbst sind durch
K. eigene zweifei bestätigt und in glücklicher weise gelöst wor-
den: ich habe seit jähren an das südöstliche Schwaben gedacht,
seit ich in FLBaumanns schöner geschichte des Allgäus mit der
eulturgeschichte dieser landschaft bekannt geworden bin, aber ich
gebe gern diese unsichere Vermutung dahin für die besser be-
gründete hypothese von Kraus.
Um vor der erörterung von einzelheiten das wichtigste re-
sultat der schrift hier gleich anzuschliefsen: cap. v behandelt die
'höhere kritik' der Hochzeit (s. 18 — 23): nicht von innern gründen
der ursprünglichen composition und idealauffassung, sondern von
der tatsache ausgehend, dass einzelne parlien der 'Hochzeit' mit
dem 'Recht' die gröste inhaltliche und formelle ähnlichkeit auf-
weisen, und gelangt zu dem resultat, dass wir das erstere ge-
dieht in einer Umarbeitung von dem dichter des Rechts besitzen,
der zwar den wenig umfangreichen kern im ganzen unberührt
liefs, aber breite moralisierende stücke einrückte und gelegentlich
auch die deutung nicht unwesentlich verschob, ich stimme hier
iRAUS RECHT UND HOCHZEIT
289
unumwunden, ja mit hoher freude bei, denn ich habe ganz die
gleiche auffassung seit Januar 1S86 widerholt im colleg vorgetragen
und auch dr Löbner dazu zu bekehren versucht, leider vergeb-
lich, stütze und ausbildung der erkenn tnis bringen cap. iv 'stil
des gedichtes vom Rechte' (s. 7 — 18) und cap. vi 'stil und character
der Hochzeit' (s. 23 — 38). hier wird es im einzelnen nicht an
einwendungen fehlen, im ganzen ist auch die ausführuug lo-
benswert, und die litteraturgeschichte des 12 jhs. verdankt der
neuerdings kindisch geschmähten 'höhern kritik' einmal wider
einen ihrer schönsten gewinne, möge man auch dabei Scherers
nicht vergessen , der die höhere aufgäbe hier widerum zuerst
erkannt hat.
Ich wende mich nun der spräche und reimkunst der beiden
werke zu (K. in s. 4 — 7. vn 39 — 42), die uns eine brücke zur
niedern kritik sein mögen, eine Vorbemerkung über die verszäh-
lung scheint notwendig, die Überlieferung des Rechts schliefst
einen zweifei aus, und Waags Zählung könnte definitiv sein, wenn
er nur dem setzer auf die tinger gesehen hätte: unter dieseu
umständen acceptiere ich die zahlen von K. , die von 239 an
um 1 hinter Waag zurückbleiben, dagegen hat K., wie wir bald
sehen werden, bei der Hochzeit zwar einige fehler Waags ver-
mieden, andere aber mitgemacht: seine Zählung ist so wenig
eine endgiltige wie die des jüngsten herausgebers, und da be-
halte ich für H lieber aus rücksicht auf den leser die zahlen von
Waag bei, denen ich die citate nach Karajan in klammern bei-
füge. K. hätte die einführung einer dritten zählweise, der kein
text zur seile steht, besser unterlassen.
Das kurze capitel über den dialect leidet von vornherein unter
der Stellung am eingange, die ihm K. nach Vorbild ähnlicher
monographieu gegeben hat. hier hätte die grammatische darslel-
lung aufgeschoben werden müssen, bis das Verhältnis zwischen
Recht und Hochzeit geklärt war, — oder Iv. muste später darauf
zurückkommen! so aber wird zunächst festgestellt, «lass in bei-
den gedienten die gleichen mundartlichen erscheinungen zu tage
treten, danu kommt die wichtige tatsache heraus, dass dir um-
fangreichsten partien der Hochzeit eben vom verf. des Rechts
herrühren, und auf die frage, die sich nun aufdrängt, nach der
herkunft des grundstocks von II muss sich der leser die antwort
selbst suchen, diese antwort lautet nun freilich dahin, dass auch
in den als echt anerkannten partien der Hochzeil die gleichen
eigentümlichkeiten auftauchen, ob von haus aus berechtigt oder
erst durch die Überarbeitung eingedrungen, wird schwer zu' ent-
scheiden sein, das hervorstechendste an der spräche unserer er-
dichte sind unzweifelhaft die zahlreichen abslracta auf -in, von
denen, virileicht mit ausnähme von menigin (MFr 8, 6)1, in der
reichen bairisch-österreichischeo litteratur dieser zeit nicht eines
1 wo ich, auch aus gründen des sinnes, eine Verderbnis annehme.
290 KRAUS RECHT UND HOCHZEIT
begegnet: aber gerade auch sie sind in dem unzweifelhaft echten
abschnitt H 196 — 326 mehrfach vertreten, und weun man immer-
hin v. 204. 205 (guotin : diemuotin) bequem als interpolation aus-
scheiden oder auch als einfache Umgestaltung aus guote : diemuote
ansehen kann, 271 menigin (:sin) bleibt, so müssen wir die frage
nach der heimat der alten Hochzeit unentschieden lassen, etwas
auffälliges würde es ja nicht haben, wenn ein mönch aus SBlasien
oder Hirschau etwa in Kärnten ein mitgebrachtes gedieht heimat-
lichen urspruugs einer Umarbeitung unterzog.
In der Verwertung der reime ist K. von löblicher vorsieht,
ja er geht entschieden zu weit, wenn er es ablehnt, aus den
reimen unserer gedichte für vocalismus und consonantismus über-
haupt Schlüsse zu ziehen, allerdings sollte man (alle bisherigen
arbeiten haben darin gefehlt) bei gedienten des 12jhs. stets die
genaue Untersuchung der reimtechnik der grammatischen aus-
beutung der reime vorausgehn lassen, aber dass die skepsis, welche
bei K. zu absoluter Zurückhaltung führt, übertrieben, ja tadelns-
wert ist, lässt sich leicht zeigen, fragen wie die nach dem Vor-
handensein und der färbung des d-umlauts, über % > ei, ü > ou,
iu^>eu, ie^>i, uo^>ü, für die wir doch grofsenteils auf klingende
reime angewiesen sind, lassen sich um die mitte des 12 jhs. aus
den reimen nur selten beantworten, dagegen ist die tatsache
leicht festzustellen, dass in unsern mehr als 800 reimpaaren
nicht ein einziger beweisender reim mit ausfall oder abfall des h
vorkommt (wie etwa sd :nd(h), tal : beval(h), stdn: gd(he)n), ferner
dass nirgends altes age, ege auf altes ei reimt, beide arten von
reimen treten auch bei der rohsten reimtechnik verräterisch zu
tage, das fehlen der erstem gruppe würde mitteldeutschen, aber
auch hochalemannischen Ursprung ausschliefsen , das fehlen der
letztern macht die annähme reinalemannischen dialects von vorn-
herein bedenklich, ich komme darauf unten bei der Deutung der
messgebräuche zurück, schon hier aber will ich erwähnen, dass
die praeteritalform heite durch die reime mit seite H 916. 934 (375)
nicht genügend gesichert ist, sie kann recht wol durch eine
zwischenhandschrift eingedrungen sein, denn das reimpaar lässt
sich einfach als sagete : habete auflösen, immerhin ist es auch
für die geschichte unserer Überlieferung von interesse, die Ver-
breitung der form festzustellen: heite findet sich (von einem
Schreibfehler wie j. Jud. 164, 18, wo Mete dicht daneben steht,
sehe ich ab) durch den reim gesichert bei Ulrich von Türheim
(s. AI. gramm. s. 387: reite, seile) und bei Bruder Philipp (5598:
beite), bei dem es natürlich zu den oberdeutschen bestandteilen
seiner mischsprache gehört, man braucht also auch in einer kärnt-
nerischen hs. keinen anstofs daran zu nehmen, wenn es für Ost-
schwaben und Steiermark bezeugt ist; es mag immerhin weiter
verbreitet gewesen sein und gehört gewis zu den auffälligen dialect-
formen, die die Schriftsprache schon frühzeitig unterdrückt hat.
KRAUS RECHT L\ND HOCHZEIT 291
Nicht berücksichtigt hat K. den Wortschatz der beiden ge-
dichte. besonders das Recht bietet einiges interessante, und viel-
leicht kämen wir der heimat ganz nahe, wenn wir wüsten, wo das
subst. erdisen1 (R 1-49) für pfluoc-schar, -sech, -isen im gebrauche
war resp. ist; bei Lexer fehlt das wort ganz, gemare swm. R 440.
442. 447 (worüber aufser Rech Germ. 8, 480 jetzt auch das DWB
s. v. gemahrschaft nachzusehen wäre) ist ebenso wie das verluim ge-
marn, die abstracta gemarsami und gemarschaft dem haitischen
ganz fremd: die belege verteilen sich auf Aleraannien einerseits
und das Stromgebiet der Lahn (Wetterau, Westerwald, Unterlahn-
gau) anderseits, auch dremel stm. 'knüppel, hebel' R 135 finde
ich speciell bei Alemannen (Boner, Zimr. chron.), denen gegenüber
ein vielgereister vagant wie bruder Wernher, der es als 'Stützbalken'
braucht (HMS 2, 228b. 229a), nicht schwer ins gewicht fallen wird.
— zum characteristischen besitz unserer gedichte gehört schliefs-
lich auch das praeteritopraes. eigen, das R 408. 517 im sing, conj.,
H 62 im plur. ind. erscheint. Recht und Hoclizei! sind nicht
nur die letzten, sondern im ganzen jh. überhaupt die einzigen
werke, in denen das alte wort in lebendiger Verwendung vor-
kommt, aus der zeit zwischen 1050 und 1150 ist mir sonst
nur bekannt das eine beispiel W. Gen. 50, 7 al daz wir eigin
daz si gemeine, schon dies eine wort, will mir scheinen, weist
die gedichte, oder vorsichtiger gesagt, den dichter des Rechts
(dem die eine stelle der Hochzeit 62 zu geboren scheint) aus jenen
gebieten fort, die für uns im 12 jh. durch eine reiche litterarische
production vertreten sind, aus Augsburg, Regensburg und dem
Douautal; aber auch aus Kärnten kann er nicht gut gebürtig
sein, wo bereits etwas früher die Milstäter Genesis jenen vers der
altern fassung mit dem ungewöhnlichen wort fortliefs, obwol das
reimpaar rein war (gemeine : eine).
Habe ich also nach alledem gegen einen alemannischen Verfasser
zum mindesten des Rechts und unserer redactiou der Hochzeit
keinerlei bedenken, so möchte ich doch auch an der entslehung
in Kärnten festhalten, solange uns nicht von der alemannischen
litteratur jener zeit ein deutlicheres bild möglich ist. mir er-
scheint zwar sehr vieles von dem, was in cap. vm (s. 42 — 57)
von beziehuogen zur gleichzeitigen und altern poesie ausgetüfteil
wird, hinfällig und zweifelhaft, aber t\v\t eindruck, dass die ge-
dichte sich trefflich in den Zusammenhang der uns durch kärntne-
rische schreiber überlieferten Litteratur, speciell ins gefolge der
Genesis hineinpassen, wird niemand bestreiten, mir scheinen
sogar in den reimen spuren des bairischen dialecls vorzuliegen,
die also bezeugen winden, dass der verf. von der spräche seiner
zweiten heimat nicht unberührt blieb: sicher ist zb. dass ein reim
wie H 184 f choleten : doleten in Kärnten als rem empfunden ward.
während er in Alemannien cheleten: doleten lautete, also unrein war.
1 oder ardisen (wie ard-acker)? die hs. hat wrdisen.
292 KRAUS RECHT UIND HOCHZEIT
Einzelne einwände und berichtigungen seien hier nachgeholt,
unter die formen von haben durften nicht solche des compositums
behaben eingemischt werden (s. 5), das ja bekanntlich niemals
syncopierte formen aufweist, die behandlung dieses verbums ist
auch namentlich für die Hochzeit (s. 7) durchaus unbefriedigend:
es ist entschieden von Wichtigkeit zu wissen, ob verschiedene
formen im reime vorkommen und wie sich zu ihnen die Schrei-
bung sonst verhält, so verdiente neben heile die prät. form
hcete (: wcete 699) erwähnung, und der umstand, dass im verse
stets habete geschrieben ist (H 218. 247. 1031 uö\), stützt in
Verbindung mit dem häufigen gesaget : maget (H 99. 222. 327.
801) meine auflösung von heite : seite in habete : sagete, die durch
die gänzliche abwesenheit eines reimes wie geseit : breit , -heit
geradezu gefordert wird. — über die 2 p. plur. auf-en? sind die
acten durch Roediger (Zs. 20,317) keineswegs geschlossen, sodass
ihr vorkommen in einer hs. noch nicht für alemann. Ursprung
ausgebeutet werden darf: die formen begegnen in sehr zahlreichen
bairischen hss. des 12/13 jhs. und siud bereits in Nortperts Tractat
(Diut. in 281 — 291), der allerdings dem hairisch- schwäbischen
grenzgebiete angehören mag, durchaus die herschenden. reim-
belege sind naturgemäfs überhaupt selten, aber Prl. 81 f ander:
g ander (= gdnt ir) lässt sich doch nicht hinwegdeuten. — die
'culturübertragung' s. 5 z. 22 v. o. verdankt wol nur einem lapsus
calami ihr auftreten?
Bei der betrachtung der reimkunst cap. vii (s. 39 — 42)
siud ein paar wunderliche termini zu tadeln, man spricht doch
nicht von 'vierreim', wo es sich lediglich um nachlässige wider-
holuug des gleichen reimklanges handelt, am wenigsten wenn
zwischen die beiden reimpaare eine schwere interpunction und
gar ein von dem Schreiber durch initiale markierter absatz fällt,
wie etwa R 21 5 ff. 478ff. 193ffusw. — weit bedenklicher noch
sind die von K. für die Hochzeit in ziemlichem umfang consta-
tierten 'waisen'. 'waise' ist ein terminus technicus aus der
strophischen dichtung, der bei einem gedieht in fortlaufenden
reimpaaren sich überraschend ausnimmt: K. versteht darunter
vereinzelte zeilen, die uns ohne entsprechende reimzeile über-
liefert sind, und er muste sich in erster linie fragen, ob dieser
mangel nicht schuld der Überlieferung sei. eine Verschuldung,
eine nachlässigkeit liegt ja in jedem falle vor, und die frage ist
nur: liegt die schuld beim dichter, beim Überarbeiter, beim Schreiber
— oder gar beim herausgeber? und wir kommen mit den beiden
jüngsten Stadien sehr gut ausl da sind zunächst drei fälle, wo bei
Waag und auch in den äugen von Kraus im eingang eines abschnitts
das sätzchen: Daz ist daz ander (dritte, vier 'de) phunt eine 'waise'
bilden soll, ein grund ist nicht einzusehen, mau schreibe getrost:
H 524 (30,21 f) Daz ist daz ander phunt, daz wir daz lieht hdn,
daz wir die rehten wege da mite schulen gdn.
KRADS RECHT UIND HOCHZEIT 293
531 (31, 1 f ) Daz ist daz dritte phunt, daz wir stinchen,
des schulen wir uns wol bedenchen.
550 (31, 12 f) Daz ist daz vier de phunt, daz wir den smach hdn;
wol mugen wir uns enstdn usw. ; vgl. s. 300 (zu
H 520). recht sonderbar ist dann weiterhin die auffassung der
verse 1020—1023 (42, 12 ff):
1020 daz [was di]u Lüzzifem vart,
so im ie we wart.
H[oy] wie leide im dö wart,
dö got in d[ie] h[ell]e s[pran]ch
ze dem alle'rsten man
1025 den er [schephen be]gan!
benamen er in dö nante usw.
hier soll 1020 — 22 einen 'dreireim', 1023 eine 'waise' vor-
stellen (s. 40)! warum dieser verzwickten auffassung nicht ein
reimpaar wart : spranch vorgezogen wird, versteht man nicht, noch
weniger aber, wie sich K., wenn ihm diese bindung wider-
strebt, bei der Karajanschen ergänzung in die helle spranch be-
ruhigen kann: der ausdruck 'gott sprang in die höhe zu dem
ersten menschen' ist doch wahrlich auffallend genug, nun liefse
aber auch der räum höchstens ein sprach zu, und da der uasal-
strich in der ersten zeilenhälfte durchaus gemieden wird, so kann
man überhaupt nur schwanken zwischen in die helle und in der
helle sprach.
Damit ist die eine hallte der 'waisen' erledigt, an der andern
hälfte trägt allerdings der Schreiber die schuld, aber die not wen-
digkeit oder doch Wahrscheinlichkeit einer ergänzung nachzu-
weisen erfordert wenig Scharfsinn.
457 IT (29, 1 1 ff) alliz gemeine
lebentiz gesteine
daz louhtet dar inne
(rehte sam ein gimme) oder (rehte sam iz brinne.}
die letztere ergänzung ist dem Hiinml. Jer. Diem. 364, 7 entnommeu :
daz edele gestaine lühtet sam iz perinne (: dar inne), die erstere
aus dem Vor. Mos. Diem. 56, 16 die siile dar inne die lültten sam ein
gimme, vgl. i\l. Exod. 158, 10 heim unde brunne die schinen sam
diu gimme. — die parallelstelle aus dem Hiinml. Jer. hat nach-
träglich K. selbst s. 45 f auf die müglichkeit einer entstellung
geführt.
502 ff (30, & IV) sinen zehenten willichlichen geben,
er selbe christenlichen leben:
(sinen ebenmenschen mhmen,)
der werlde guotes gunnen.
eine andere ergänzung hat Löbner (tbese 1) vorgeschlagen: er
schiebt nach der verwaisten zeile ein: nieman nihtes erbunnen.
610(32,21) daz bezeichent uns jultej unde junge
(an der wandelunge.)
294 KRAUS RECHT UND HOCHZEIT
vielleicht fällt einem andern der präcisere ausdruck ein: ein
abstractum auf -ange war es gewis.
879 ff (39, 1 ff) mit sinem vil heren bluote
löst uns got der guote
ille geliche
{arme unde riche:)
von diu sol der arme
den riehen noch erbarmen.
hier ist die ergänzung geradezu selbstverständlich: und doch sieht
K. in der zeile alle geliche eine 'waise', während sie Karajan und
Waag gar als 'müssigen und störenden zusatz des Schreibers' be-
seitigten.
So wären die 'waisen' der Hochzeit glücklich alle 8 beseitigt,
und da ich gleichzeitig auch ihren leidensgefährtinnen aus der
Vorauer Sündenklage wider zu ihrem rechte zu verhelfen suchte
(vgl. Zs. 35, 428 ff), so hoffe ich K. davon überzeugt zu haben,
dass wir es lediglich mit unbilden der Überlieferung zu tun haben,
wo nicht gar der moderne kritiker die 'Verwaisung' allein auf
dem gewissen hat.
Im viii abschnitt, wo R. den 'beziehungen beider gedichte zu
andern' nachgeht (s. 42 — 57), vermissen wir besonders lebhaft eine
äufserung über das alter unserer stücke, so muste Roedigers auf-
fassung (Anz. i 66) ihres Verhältnisses zur Ava schon um der zeit-
lichen priorität willen abgelehnt werden, die unzweifelhaft der
Ava gehört, über das zweite viertel des 12jhs. wird man Recht
und Hochzeit keinesfalls hinaufrücken dürfen: wenn sie in einigen
puneten, wie besonders in der bewahrung der vollen endungen,
eine gewisse altertümlichkeit aufweisen , so hängt das mit einer
bekannten eigenart des alemannischen dialects zusammen: man
vergleiche nur einmal den alten Reinhart des elsässischen spiel-
manns, wo um 1180 sogar noch der reim hülönidön (579 f)
vorkommt, mit österreichischen dichtuugen der vorausgehnden
zeit, wir sind ja freilich fürs 12 jh. mit der alemannischen litte-
ratur und grammatik übel beraten, aber die Überlieferung reicht
doch aus, um gewisse hauptsachen, welche das reichere material der
spätem zeit klarlegt, auch für die übergangsepoche festzuhalten.
In der aufsuchung von ähnlichkeiten und reminiscenzen geht
auch K. wider zu weit: manche erwägung konnte getrost in
die parallelensammlung der anmerkungen verwiesen werden, das
Himmlische Jerusalem und das Jüngste gericht der Ava er-
scheinen mir in den angezogenen stellen viel zu wenig origi-
nell, sind überhaupt viel zu sehr aus landläufigen phrasen der
geistlichen poesie zusammengeflickt, als dass sie eine sichere
anknüpfung gestatteten, wesentlich gestützt hat K. die bisherige
annähme, dass die beiden stücke unter dem einflusse der alten
Genesis stehn, ganz neu gefunden hat er die intimen berüh-
rungen mit der Deutung der messgebräuche in Keiles Speculum
KRAUS RECHT UND HOCHZEIT 295
ecclesiae: sie sind augenfällig, auch wenn man über K.s liste
s. 51 — 53 strenges gericht hält, dass nun aber K. gleich so weit
geht, das Benedictbeurer gedieht dem Verfasser des Rechts und Über-
arbeiter der Hochzeit selbst zuzuschreiben, erregt lebhaftes befrem-
den, und die art, wie er die entgegenstehnden bedenken bei seite
schiebt, verdient entschiedenen tadel. er hat wo] gesehen (s. 55),
dass in den reimen unterschiede zu tage treten, aber er meint,
ihnen brauche man nicht viel gewicht beizulegen: erhält es wol
für möglich, dass die unterschiede 'nur durch die Überlieferung
in den verschiedenen hss. entstanden sind, von denen die eine
(die Milstäter) absichtlich, die andere (die Benedictbeurer) meist aus
Unachtsamkeit die texte in entgegengesetztem sinne veränderten',
man merke wol: nachdem K. die betrachtung von Recht und
Hochzeit nach der seite der spräche, der reimtechnik, der hühern
kritik abgeschlossen hat, überrascht er uns hier mit dem leicht
hingeworfenen verlegenheitseinfall, dass beide gedichte uns nur
in einer der Milstäter Genesis — er selbst zieht diesen vergleich —
vergleichbaren Überarbeitung erbalten seien, er scheint gar nicht
bemerkt zu haben , dass damit alles, was er über die höhere kritik
der Hochzeit vorgetragen hat, hinfällig oder doch wackelig wird.
Die Deutung der messgebräuche (Mgbr.) 1 ist in der einen
hs. in der deukbar schlechtesten Überlieferung auf uns gekommen,
was keiner der beiden herausgeber bemerkt, K. aber richtig er-
kannt hat. die ca 250 erhaltenen reimpaare weisen diabetische
eigentümlichkeiteu in fast verwirrender fülle auf, die mundart
deckt sich völlig mit der keines andern denkmals, und die locali-
sierung des gedichts ist darum überaus schwielig. Roediger Zs.
24, 317 f hob hervor, was auf 'alemannischen eiufluss' hinzudeuten
schien, ich selbst habe mich GGA 1884 s. 568 mehr an die fürs
mitteldeutsche characteristischeu erscheinuugen gehalten, dabei aber
das oberdeutsche im Wortschatz betont und das stück dem bairisch-
fränkischen grenzgebiete zugewiesen, von diesem wie von jedem ver-
suche die heimat festzulegen steh ich jetzt ab: ein reim wie menegi:
si 356 ist mit hoher Wahrscheinlichkeit und ein wort wie yratte
'korb' 19 ganz gewis alemannisch, aber wo ist im alemannischen steit
und geü nachgewiesen, das doch durch die reime 180 (: Christenheit)
und 300 (:breit) gefordert wird? scheu wir einmal von diesen
ab, so treten zwei gruppen mundartlicher reime besonders stark
hervor, einmal die reime mit auslall resp. abfall des // und dann
die reime age, ege > ei: für beide haben wir in den mehr als
800 reimpaaren von R und H nicht einen einzigen sichern beleg,
in den Mgbr. dagegen finden wir bei kaum 250 reimpaaren ad l)
mindestens 14 belege, indem zu Roedigers '•> (aao. 318) Doch hinzu-
treten: \. 155 gewihet :liep, 232 f enphähet ; getwahet (I. enphdt:ge-
1 die verszählung in Pfeiffers abdruck Zs. I, 270ff(184l) und bei Kelle
Spec. eccl. 144ff(1858) ist dir gleiche; entgangen isl Kraus die collation der
hs., die Schönbach /.-. 24, vTil gegeben hat.
296 KRAUS RECHT UND HOCHZEIT
twdt), 365 vdhet : stdt, 235. 364 sd : darnach; auch der reim niht :
geseihet 485 muss als niet : gesciet gefasst werden, vgl. v. 133 f einer-
seits, 3451' anderseits: ad 2) entscheiden v. 5 geseit : wdrheit, 423
geleit : breit , 432 leit : Christenheit auch für 2011' treu: geseit und
252 f beleit : geseit. und diese aufdringlichen erscheinungen —
anderer ganz zu geschweigeü — sollten in den Mgbr. durchgehends
eingeschwärzt oder aus R und H consequent beseitigt sein? gegen
die erstere annähme will ich hier wenigstens noch den Benedict-
beurer Schreiber in schütz nehmen: der manu hat mit wissen
und willen keinen neuen reim gemacht, er hat nur mit seinem
schlechten gedächtnis und seiner gleichgiltigkeit gegen diesen rede-
schmuck ein paar dutzend alte unterschlagen, ich halte es für
unmöglich, deu text wider völlig herzustellen, den unser Schreiber,
wie es scheint, durchaus aus der erinneruug und ohne jede vor-
läge aufgezeichnet hat. ich finde keinen fehler, der auf Verlesung
beruht, aber zahlreiche stellen, wo eine lediglich den sinn wider-
gebende fassung den reim, ja die ganze reimzeile verdrängt hat.
ich will die textkritik des werkchens hier nicht durchsprechen:
es ist viel bequeme lese dabei, die jeder bei sorgfältiger leetüre
einsammelt, und einige proben mögen genügen: v. 57 f 1. in mine
sinne : wdrhafte minne, hs. min herze. — v. 141 f und rieten mir
ie mer und mere : swaz so si mohten ze sere, hs. zubele. —
v. 173 f unze ime daz ouge : eintweder betouwe, hs. naz werde. —
v. 399f Dar nach neiget er : sin houbet vur den alter1, hs.
vur den alter sin höbet. — v. 499 f (Christus erschien seinen
Jüngern) in eimme gademe : da si waren zesamene, hs. vor den
Juden waren bespart. — einer besonders characteristischeu stelle,
wo in der Überlieferung hintereinander drei reimpaare entstellt
sind, setze ich die vermutete lesung hier gegenüber:
hs. da wrden ertpibe. dd wurden ertpibe
umbe alle die werlt. umbe alle die werlt (wite-),
uh brachen die umbehange. die umbehange brdchen,
415 die steine zerbrasten. 415 die steine zebrdsten,
diu greber. sich uf taten. diu greber sich üf täten 3.
do erlasc diu liehte. diu lieht elliu erldscen.
der Schreiber, der ein gedieht so überliefert, kann keine vorläge
gehabt haben , und auf sein conto wird man auch nicht die ein-
führung ganzer gruppen guter diabetischer reime setzen wollen,
die von K. angenommene Überarbeitung des gedichtes muss also
rückwärts liegen und bedurfte eines nähern eiugehus, falls wir
mit ihr rechnen und nicht vielmehr alles über deu häufen werfen
sollen, was K. über das Verhältnis von Kecht und Hochzeit glück-
lich ermittelt hat. ich denke aber, wir begnügen uns mit der
1 diese stelle hat auch K., aber abweichend, gebessert.
2 so schon Pfeiffer z. st.
3 vielleicht sind auch noch die verse 415. 416 umzustellen.
KRAUS RECHT U.\D HOCHZEIT 297
allgemeinen annähme verwantschaftlicher beziehungen zur Deutung
der messgebräuche, ohne sie vorläufig näher definieren zu können.
Ich kehre nun zu unsern gedienten zurück und gebe zu-
nächst einige bemerkungen zum texte des Rechts, in die ich
die ergebnisse meiner collation der hs. einschalte. K. 3, 18 (27) nv
auf rasur von grösserem räume als das gegenwärtige wort einnimmt.
— v. 40(3,25) sinen vriunde kann als häufig belebte sandhi-erschei-
nung stehn bleiben. — v.48(4,6) 1. dri. — v. 57 (4, 12) 1. hat er. —
K. 5, 12 (99) rotin vom corrector aus rutin. — v. 117 (5, 22) hs.
zefüret. — v. 147 (6, 14) der ergäuzung Karajans w[an lieze er]
in da stdn weifs ich einstweilen nichts besseres gegenüberzu-
stellen, bedenklich bleibt aber, dass dabei 4 — 5 buchstabeu über
den folgenden zeileuschluss hinausgeragt haben müsten. — v. 14S
(6, 15) ein subst. inf. daz rotin ist ja neben dem v. 121 (5, 25)
bezeugten behütin an sich nicht auffallend, gleichwol dürfte auch
hier das v. 99. 127. 166. 168 überlieferte fem. diu rotin einzu-
setzen sein: der Österreich. Schreiber konnte die alemann, tonn
leicht einmal ausmerzen. — v. 200 (7, 20) zeinem erlichen ist
von R. unzweifelhaft richtig in den text gesetzt, allein die an-
zeinem
gäbe der hsl. la. ist nicht genau, es steht da merlichem und das
zeinem scheint erst vom corrector übergeschrieben. — K. 9, 1
(254) vor habent eine rasurstelle, auf der 3 — 4 buchstabeu (mir
scheint vnr) vor dem weiterschreiben getilgt sind. — v. 307 (10,8)
der hunt archman (der khund von geizhals') lässt sich verteidigen,
die häufigkeit der schelte hunt bezeugt für die geistliche poesie
des 12 jhs. Schönbach zu Jul. 620, vgl. bes. ebenda 613 Auksius
der arge, 620 Aulesms der hunt. Rarajans änderuug chunt hat Kraus
Anz. xvn 25 zurückgewiesen, allein auch sein eigner Vorschlag
tump scheint mir formell unannehmbar: archman ist doch (ebenso
wie aliman, armman) nur eine zusammeurückuug, vor der ich ein
zweites unflectiertes adjeetiv für ausgeschlossen halte. — v. 316
(10, 13) ez wunder, waz der gotes sun usw.; ob hier die einschal-
tung ez (ist) wunder not tut? Erdmann Grundz. d. d. syntax § 92,
wo er beispiele wie Parz. 4, 15 er stahel swa er ze strite quam
aufzählt, bemerkt freilich 'bei ez unerhört'. — v. 354 (11, 12) die
hs. hatte samt, nicht samet. — v. 397 (12, 12) der räum lässt nur
die ergänzung zu er ist ch[arl], si ist chone. — v. 420 (13, 2)
ich lese deutlich vorletcere, und dies wird besser io vorleitcere
als in vorle'rcere geändert; anderweitig belegt ist keines der bei-
den composita, für das erstere spricht aber auch die von K. s. :,•)
zu unserem vers angezogene parallelstelle Mgbr. 217 er ist unser
leitte're: beidemal ist vom priester die redt«. — v. 450 (13, 18)
das von Kraus Anz. xvn 25 eingesetzte m[an] (st. m[are]) wird auch
vom räum gefördert. — K. 13,25 (462) hs. gesach. — v. 405 (14, 20)
hs. daz ez daz reht getuo, was natürlich mit beziehung auf daz
mennisch 486 ganz in Ordnung ist. — K. 15,5(512) hs. einez.
A. F. D. A. XVII. 20
298 KRAUS RECHT UND HOCHZEIT
— v. 518(15, 9) vor fage ist noch deutlich zu lesen: der erste
buchstabe ragt über (was für das t der hs. nicht zutrifft) und für
einen weitern fehlt es an räum, so fällt denn auch ein rührender
reim (K. vor trage : nach trage) fort, den ich übrigens nicht mit K.
s. 40 für einen erlaubten halte. — v. 533 (15, 18) Karajans iege-
liches gibt für mich keinen sinn, ist ferner grammatisch unzu-
lässig — denn nur das refl. sich verdenken hat den genitiv bei
sich — und dem räume nach unmöglich; an der ergänzung der
[sich de]s verdenchen chan ist kaum zu zweifeln.
Weit mehr zu tun gibt der text der Hochzeit, wie schon
ein blick auf die klammerreichen seilen von Karajans abdruck
lehrt, die lagen, auf denen uns dies gedieht überliefert ist, sind
besonders an der aufsenseite stark vom moder angefressen, und
zu den weggemoderten treten noch zahlreiche verwischte und
ausgebleichte stellen. Karajan hat im ganzen sorgsam gelesen
und nicht ohne tact und geschick ergänzt, — aber er hat seine
ergänzungen in eine abschrift eingetragen, die den verfügbaren
resp. zulässigen räum nur ungefähr andeutete, nirgends genau be-
stimmte, die aufmerksamkeit eines collators muss darum nicht nur
auf das erhaltene gerichtet sein (hier ergibt sich nur eine unbe-
deutende nachlese), sondern vor allem auch auf den umfang dessen,
was uns der moder geraubt hat. die Zeilenanfänge schneiden
scharf ab, und hier lässt sich der räum bis auf den buchstabeu
bemessen; am zeilenschluss herscht naturgemäfs gröfsere freiheit
und Ungleichheit: hier darf eine ergänzung in den meisten fällen
das maximum des zeilenumfangs in berechnung ziehen. Karajan
hat keinerlei derartigen erwägungen augestellt, und auch R. sind
sie bei nachprüfuug der hs. nicht gekommen: wenigstens ver-
wirft er nirgends eine ergänzung seines Vorgängers aus gründen
des raums. meine kritik richtet sich im nachfolgenden überall
zunächst gegen Karajan. zeile meint Karajans, vers Waags aus-
gäbe; wie immer bedeutet [] ergänzung, () einschaltung.
V. 20 (K. 19, 11) ich lese, freilich undeutlich, lieber am zeilen-
schluss, nicht lussamer, das auch räumlich uumöglich und syn-
tactisch (mir ist lussam?) bedenklich ist. — v. 30 (19,16) Karajans
gec[hom]en in den mist ist neuhochdeutsch; die ergänzung ist aber
auch deshalb unhaltbar, weil der unter die zeile gehnde strich
des h (%) zu sehen sein müste und der dritte buchstabe noch als
erster strich eines w oder v erscheint: also geworfen oder auch
gevallen. — v. 57 (20, 10) 1. [hie] st. [ie]. — v. 59 (20, 11) geeret
ist noch deutlich lesbar. — v. 62 (20, 12) niuwen, wie die hs. hat,
ist niemals = niene, es muss in niweht geändert werden, wie
K. 4,23. 5, 10. 21, 22 uö. steht; der Schreiber kann eine ligatur Ä/
verlesen haben , oder er ist durch den zeilenschluss zu diesem 'ab-
gekürzten verfahren' verleitet worden. — v. 72(20, 19) ie am zeilen-
beginn hat Karajan schwerlich mehr gelesen; mir gefällt auch die
ergänzung ie[vor nicht, ich schlage vor als si got [chunt hd]t
KRAUS RECHT UND HOCHZEIT 299
getan. — v. 86 (21 , 2) I. daz si (die) touffe habent verchorn. —
v. 104 (21, 13) vil ist zu streichen. — K. 21, 17 (1 1 1) am Schlüsse
der zeile stand w-. — v. 1 13 (21, 18) ie ist zuviel. — v. 127 (22, 2)
Kaiajaus guot ist zusatz, nicht ergänzung, wie Waag annimmt. —
K. 22, 19 (155) hs. sich aus siehe. — v. 156 (22, 20) Kraus' [ser-
pa]nde ist als franzüs. fremdwort ebeuso unmöglich «ie Karajans
[wigajnde; zu schreiben ist an dem alten vdlande! — v. 195
(23, 17) der räum gestattet uur er, nicht unde. — v. 196(23, 18)
die ergänzung braucht gewis 3 buebstaben zu viel: ich lese pa-
rallel zu v. 150 (22, 16) ein vil hoch gebirge hier ein [vil tief] tat.
— v. 197 (23, 19) das hsl. eines hissames also vol ist unmöglich
zu halten , aber ob die änderung aller lussame also vol das rich-
tige trifft? — v. 200 (23, 20) vil ist aus raumgründen fortzu-
lassen. — v. 203 (23, 22) ist die der hs. wol iu der zu ändern.
— K. 24, 14 (232) hs. vriunde, wie auch 27, 17; die cousonan-
tische form vriunt 24, 9 (224) hat der schreiber wol am zeilen-
schluss bequemer gefunden. — v. 234 (24, 15) in der ergänzung
ist niweht zu schreiben, wie sonst immer steht. — v. 260 (25,4)
das hsl. heete (vielleicht durch das eben dagewesene reimpaar
weete : heete 2531' veranlasst) war getrost in teete zu ändern. —
h. 25, 7 (266) wol berei- hat der corrector geschrieben. — v. 295.
299 (25, 22. 24) die sichern änderungen von Bartsch werden auch
durch die raumumstände empfohlen. — K. 25, 25 (301) ich kann
R. nicht zugeben, dass die hs. deutlich ra- habe. — v. 341 — 44
(26, 22 ff) sind die reimworte in der textherstellung natürlich zu
schreiben cham : nam, meist : geist. — K. 26, 22 (341) hs. [brot]e-
gom, wie auch 27, 16 uö. — K. 27, 1 (347) in vom corrector vor
die zeile gestellt. — v. 377 (27, 17) ergänze ich lieber die vriunde
[an] dem rdte. — v. 387 (27, 23) für das zweite ubir ist kein
platz. — zu v. 418 (28, 16) will ich bemerken, dass ich auf die
von K. verworfene conjeetur Diemers allen den (Ion ge)arnöt selb-
ständig gekommen bin und an ihr auch festhalte; es ist an unserer
stelle gar vou keiner 'ernte', wol aber von Mohn' die redel dass
der eigenname Ameth übrigeus das abstractum arnöt stützen soll,
ist ein überraschender einfall: natürlich handelt es sich nur um
einen der zahllosen sprösslinge von Arnolt: Arndt, Arend usw. -^
v. 429 (28, 21.22) ist zu ergäuzen die wer[vent rehte] ir dinch,
vgl. \\ 425 (13, 4j gerne sol er werven rehte. — zu v. 459 (29, 11)
s. o. s. 293. — K. 29, 14 (463) bs. erlichir. — v. 476 (29, 20)
statt chraft 'copia' ist zunächst mäht 'potentia' einzustellen, dann
aber ein si hinzuzufügen, das auch noch platz findet. — v. 489
(30, 2) steht scelichen allerdings in der hs., ist aber selbstverständ-
lich Schreibfehler für scelichlichen , übrigens ein nicht seltener
lall. — v. 493 (30, 4) der überlieferte renn bewirten : nerigen ist
bei der sonstigen reimtechnik des dichters unglaublich, man setze
also berdten ein, vgl. die parallelstelle Kehr. 17176 I die armen
si bewdten, die nötigen si berieten. — zu v. .")() 1 30, 9) S. o. s. 293. —
300 KRAUS RECHT UISD HOCHZEIT
v. 511 (30, 14) 1. da mite mugen die riehen alle chomen in die ewigen
[vo]lle; Karajans [stajlle bringt einen unmöglichen ausdruck. —
v. 520(30, 18) ist entsprechend 524. 531. 550 (s. o. s.292f) zu ver-
bessern Daz (ist daz) erste phunt daz wir gehören. — v. 521 (30, 20)
immir überschreitet den räum, nach aoalogie der parallelverse 533.
552 empfiehlt es sich, wol dafür zu schreiben. — v. 563 (31, 20)
zu ergänzen ist Mit den f[unf sinnen], nicht dingen. — v. 607
(32, 19) das ergänzte uns ist durch den räum ausgeschlossen;
desgl. v. 617 (32, 25) im. — zu v. 610 (32, 21) s. o. s. 293. —
v. 653 (33, 19) auch mir nicht ganz klar, jedesialls aber müssen
gegenüber Rarajan 3 buchstaben gespart werden, also [so er die]
sele bevelle. — v. 698 (34, 20) mehr als die spange hat in der lücke
nicht platz. — v. 700 (34, 20) hangende sehr problematische er-
gäuzung, die überdies zuviel räum beansprucht, schone reichte
aus. — zu v. 702. 3 (34, 22) vgl. Anz. xvn 27 anm. — v. 741
(35, 19) streiche vil l. — v. 749 (35, 24) ich würde [uber]mütigen
lieber schreiben als [hoch]mütigen. — v. 792 (36, 25) hs. erchennot
ist eine unform, ein Schreibfehler, der durch erchnnnot zu
bessern war. — v. 800 (37, 5) hs. die, wie übrigens auch die
herausgeber hätten einsetzen müssen. — v. 832 (37, 24) sich hat
keinen platz. — K. 38, 14 (860) nach uiandes steht man ausradiert.
— v. 864. 866. 871 (38, 17. 18. 21): in allen drei Zeilen über-
schreitet Karajans ergänzung den räum um gut 3 buchstaben ; in
864 muss man mit do nehabet [der herre] auskommen , 866 1. So
chert [er abe sin]en müt, 871 1. [hat er des he'r]ren rät. in der
letzten zeile ist wenigstens die lesung herren st. riehen hsl. sicher. —
zu v. 880(39, 1.2) s.o. s. 294. — v. 907 (39, 17) herif[ten (tat]
ist noch ziemlich deutlich. — K. 39, 25 (920) hs. wun. — v. 941
(40, 16) der räum ist für die ergänzung Ion zu grofs, ein wort
wie gewin würde bequem platz haben. — v. 945 (40, 19) hat
Karajan (was mir nicht mehr möglich war) würklich . . . ch ge-
lesen, so wird die ergänzung [smalch, die räumlich angeht, die
beste sein : Swer dort ze genäden wil chomen, der sol die smdch
an sich nemen. ich weifs wol, dass smeehe das üblichere wort
ist, aber auch smdch, obwol erst im 13 jh. belegt, besitzt als
lautgesetzlicher ö-stamm die garantie des alters. — K. 41, 2 (958)
das umlautszeichen beruht auf einem lesefehler: es steht da mit
dem nasalstrich chün-ne. — v. 979 (41, 13) 1. hete. — v. 982. 983
(41, 15. 16) überschreiten Karajans ergänzungen wider den räum:
982 wird man statt gotes sun einfach got einstellen dürfen, 983
1. dd er uns[ir gendde] geviench (vgl. 884 do er unsir erste gendde
gevie). — v. 987 (41, 18) besser als Karajans [von obene ze] gründe
wäre [unz in daz ab]grunde, aber auch hier müssen wol 2 buch-
staben gespart werden. — v. 993 (41, 22) das mit cho . .2 begin-
1 resp. mit, das Kraus s. 120 zu bevorzugen scheint.
2 diese lesung ist ganz deutlich, an eine so verlockende conjeetur wie
eheten also nicht zu denken.
KRAUS RECHT U>"D HOCHZEIT 301
nende wort kann nur noch zwei weitere buchstaben beanspruchen;
die auswahl ist also klein genug und doch nicht leicht: chöre
passt nicht recht, chöle (<C qudle) gieuge schon an (er brach die
chole alle 'fregit omne martyrium') — nur scheint es, als ob der
erste der beiden fehlenden buchstaben die liuie nicht überragt
habe. — zu v. 1023 (42, 14) s. o. s. 293. — v. 1027 (42, 16) [uiant
in] hat kaum platz, [tiuuel in] gewis nicht. — v. 1037 (42, 22)
1. uz [der starjchen nute. — v. 1042 (42, 25) [er loste] scheint
zuviel, vielleicht [er nam]. — v. 1065 (43, 12) 1. martir. — v. 1070
(43, 15) die ergänzung Karajans braucht etwa dreier buchstaben
räum zu viel, vielleicht ist zu lesen Nu si[nt geistliche] Hute. —
v. 1072 (43, 16) wan ist wegen des raumes zu streichen. — v. 1074
(43, 18) gesegent ist doch wol nur Schreibfehler für gesegenten. —
v. 1078 (43,21) aus entscheidenden raumgründen ist iungisten zu
verwerfen: 1. unz [an den sün]tach. — v. 1079.80 (43, 22) räum
und sinn protestieren gegen die ergänzung Karajans; es ist zu
schreiben: so wol in der dar chomen [mach, sie er] daz reht begdt. —
v. 1083 (43,24) 1. so, nicht also. — v. 1091 (44, 5) 1. daz.
Ich bin mit dieser vielleicht manchem gar zu peinlichen und
teilweise äufserlichen controle der Überlieferung von der schritt von
Kraus etwas abgekommen, und der räum des Anzeigers verbietet
mir, zu eingehnder besprechung der noch übrigen capitel zurück-
zukehren, zu cap. ix (s. 57 — 96), wo die beiden gedichte, ferner
die Milstäter süudenklage und die Deutung der messgebräuche
auf ihr Verhältnis zur theologie geprüft werden, wüste ich auch
im augenblick wenig genug hinzuzufügen, und zu cap. xi, den an-
merkungen (s. 98 — 126), will ich absichtlich keine nachtrage
geben, beide abschnitte zusammen bilden den sachlichen und
sprachlichen commentar, dessen gerade diese gedichte so sehr
bedürfen, sie beruhen auf reicher belesenheit und zeigen einen so
gesunden blick für die aufgaben der quellenkritik und der inter-
pretation, dass ich dringend wünsche, der Verfasser möge auf
dem gleichen gebiete noch weiter tätig bleiben und vor allem in
die reihe der mitarbeiter eintreten, wenn es einmal gelingen
sollte, in einer kritischen Sammelausgabe die geistlichen Dich-
tungen des 12jhs. zu vereinigen.
Marburg i. H. Edward Schrödkr.
Die lieder Heinrichs von Morungen auf ihre echtheit geprüft, von K \i:i.
Schutze. Kieler diss. Kiel, CSchaidt 1890. IV o. 88 88. 8°.
Lachmann und Haupt erschienen von den in MSF aufge-
nommeneu Strophen verdächtig: 121, S — 31; 137,4 ('allenfalls
echt'); 146, 11 — 147,3; im ganzen 7 Strophen. Franz Pfeiffer
(Germ, m 504) verwarf wegen Dichtmitteldeutscher reime 130, 31 IT;
302 SCHÜTZE HEINRICH VON MORDNGEN
137, 10 ff; 145,33 — 147,3; im ganzen 12 Strophen. Michel,
Heiur. v. Morungen s. 14, glaubte 145, 33 — 147, 3 (6 str.) mit
'hinreichender Wahrscheinlichkeit' Morungen absprechen zu kön-
nen, während Gottschau (Btr. 7, 376 ff) aufser diesen Strophen
noch 136, 25 für unecht hielt, keiner von den genannten wit-
terte in mehr als vier liedern contrebande. weit über sie hinaus
geht der neueste kritiker, Karl Schütze, ihn dünkt in nicht
weniger als 18 (von 37) liedern der Strophenbestand gefälscht,
und er streicht sie entweder ganz zusammen oder verkürzt sie
zu zwerggestalten oder macht sie zu vereinzelten bruchstücken,
die fahrende aufgefangen und in ihr gewebe hineingeflickt haben.
Die gründe, welche ihn zur annähme der unechtheit fuhren,
stellt er auf s. 82 also zusammen: 'unterbrochener oder gänzlich
mangelnder Zusammenhang, Widersprüche gegen den inhalt echter
Strophen, sklavische abhängigkeit von andern Strophen (nach in-
halt oder form), triviale widerholung eines vorher originell aus-
gedrückten gedankens, andere abweichungen von ausgeprägten
eigentümlichkeiten der echten lieder, stilistisches Ungeschick, ab-
weichungen im dialect, ungenauigkeiten oder abweichungen im
versbau, besonderheiten im Wortschatz, art der Überlieferung',
fürwahr eine stattliche reihe von kriterien , die, wo sie zusammen-
treffen, auch die bestbeglaubigte Überlieferung erschüttern können.
Aber es diene zur beruhigung der Morungenverehrer, die
bisher blind und fühllos über alle mängel hinwegglitten, dass
die objectiveu kriterien — die sprachlichen, metrischen, hand-
schriftlichen — nur bei einer sehr geringen zahl von Strophen
in betracht kommen und dort entweder so leichter oder so nich-
tiger natur sind, dass sie fast nirgend für einen nüchternen
forscher eine entscheidende bedeutung haben, so wenn Seh. es
als einen 'durchschlagenden grund' für die unechtheit von 141,37
bezeichnet, dass ein teil der reime der 1 str. im grammatischen
reimverhältnis zu reimen der 2 str. steht; oder wenn er die
stärksten bedenken gegen die echtheit von 141, 15 aus dem um-
stände schöpft, dass in der vorletzten Strophe des voran gelin-
den gedichts sich teilweise dieselben reime finden; oder wenn
er in 143, 4 an dem doppelreim betwungen stdt : gesungen hat,
wie er auch sonst bei M. vorkommt, anstofs nimmt, ernster
liegt die sache bei den versausgängen sehen : vlehen 132, 3 : 5,
wo dialectische und metrische anstände zusammenfliefsen , aber
auch sie haben bisher keinem kritiker genügt, um die Strophe
zu verdammen l.
Subjective kriterien können so stark sein, dass sie durch
die opinio communis zu objeetiven werden, aber was Seh. uns
an subjeetiven kriterien bietet, beruht auf willkürlichen, ober-
flächlichen und dem Verständnis lyrischer poesie so fremden ur-
1 die bemerkungen Edw. Schröders Zs. 33, 106 zu dieser Strophe scheint
Seh. ebensowenig gekannt zu haben, wie die zu 130,20.
SCHÜTZE HEINRICH VON MORUNGEN 303
teilen, dass sie kaum irgendwo Zustimmung finden werden, mit
der von ihm so oft in anspruch genommenen 'inconciunität'
könnte mau dutzende Goethischer lieder für unecht erklären,
gefühle und Stimmungen entwickeln sich eben nicht in der reiheu-
folge und lückenlosigkeit mathematischer Syllogismen, ähnlich
steht es mit der 'trivialen widerholung'. über den begriff 'tri-
vial' wird man im einzelfalle sehr verschiedener meinung sein;
und was die widerholuug eines gedankens betrifft, so ist diese
auch in den liedern der grösten dichter keine seltene erschei-
nung. besäfsen wir Goethes 'Mit einem gemalten bände' nur in
der ersten fassung, dann müste ein kritiker von Sch.s art die
letzte Strophe als unechte zutat streichen, weil sie eine 'triviale
widerholung' eines schon in der vorhergehnden Strophe 'originell'
ausgedrückten gedankens enthält.
Andre kriterien macht sich Seh. erst künstlich zurecht, wie
'abweichung von ausgeprägten eigentümlichkeiten der echten
lieder' oder 'Widersprüche gegen den inhalt echter Strophen', in-
dem er eine enge zahl von liedern (17; sich heraussucht und
an ihnen die kriterien der echtheit feststellt, über die kenn-
zeichen: 'sklavische abhängigkeit' und 'stilistisches Ungeschick'
können wir stillschweigend hinweggehn. wie veranlagt Seh. zur
beurteilung lyrischer erzeugnisse ist, mag s. 73 lehren, wo ihm
'sende' als epitheton zu einem zeitbegriff {sender jdre 143,5)
'lächerlich' erscheint, oder s. 69, wo er zu 126, 19 ff fragt: 'warum
will denn der liebende grade drei ganze tage und etliche uächte
mit der geliebten zusammen sein?' für seine kenntuis des vor-
neidhartischen minnesangs ist die bemerkung auf s. 21 bezeich-
nend: 'der mangel an jeder directen naturbescbreibuug ist (für
Morungen) um so characteristischer, als dieselbe sonst innerhalb
des minuesanges von hervorragender bedeutung ist.' danach können
die resultate nicht überraschen, in 122, 1 streicht Seh. str. 3
('wie unpassend ist es, die zahne der erkorenen dame vil verre
bekant zu nennen 1' lautet eines der argumente s. 32). aus dem
schönen liede 126, 8 von der elbe wirt entsen reifst er die mitt-
leren Strophen heraus (dürftiger Zusammenhang, trivialitäten, un-
morungensche auspielungen s. 68 ff); und da nunmehr der Zu-
sammenhang zwischen str. 1 und 4 gestört ist, so 'schliefst' er
auf eine ausgefallene Strophe (s. 71 oben), aus 127, 1 wird str. 2
entfernt ('sie ist mit Zeitbestimmungen überladen' s. 36). die
Strophen von 127, 34 werden mit ausschluss von str. 3 unter
zwei verschiedene lieder verteilt und zwar so, dass 2 u. 4 und
1 u. 5 je ein lied bilden ('kann ein dichter innerhalb desselben
liedes 2 nach 1 oder etwa 1 nach 2 verfasst haben? ich halte
das für unmöglich; dagegen liegt es nahe 1 u. 2 als einleilungs-
strophen zweier lieder des gleichen tones anzusehen' s. 41. 'durch
3 vollzieht sich kein gedankenfortschriit'. 'gradezu komisch wirkt
es, wenn in 23 noch die Versicherung folgt, dass der dichtende
304 SCHÜTZE HEINRICH VON MORUNGEN
es ernst mit seinen klagen meine' s. 42). von 131, 25 werden
die vier ersten Strophen abgeschnitten (Widersprüche, stilistische
mängel, diabetische abweichungen s. 74 ff), so dass die letzte Strophe
als einsames fragment zurückbleibt, in 136, 1 wird 136, 9 wegen
angeblicher Widersprüche und Unklarheiten als unecht ausgestofsen
und in 138, 17 die beiden mittleren Strophen, weil str. 5 un-
mittelbar auf 2 folgen muss ('besonders trivial sind die vv. : ich
wcBne, si ist ein Venus here' usw. s. 40). in dieser weise fallen
Sch.s kritischem messer noch die str. 130, 20 — 30; 130, 31 bis
131,24; 138,3—9; 140,18—31; 141,15—25; 141, 37 bis
142, 18; 143, 4 — 21 zum Opfer, aufserdem streicht er die schon
von Lachmann angezweifelten Strophen.
Wie sich die jetzige von seinem standpunete aus so höchst
wunderliche Überlieferung krystallisiert hat, macht ihm wenig
sorgen, dass sie nicht ganz so schlecht ist, wie er meint, dafür
glaube ich in meiner Neidhartbiographie einen kleinen anhält
geliefert zu haben, so unterliegt es für mich kaum einem zweifei,
dass zb. die lieder 136, 1 und 140, 11, die Seh. zerpflückt, Neid-
hart als Morungensche lieder mit demselben stropheubestande ge-
kannt hat, wie sie die Überlieferung bietet.
Die arbeit Sch.s stammt aus derselben (Greifswalder) schule,
aus der die ähnliche Puschmanus über Neidhart hervorgegangen
ist. finden die dort gepflegten kritischen grundsätze weitere Ver-
breitung, so wird unsere mhd. lyrik bald einem grofsen Scherben-
haufen gleichen, in dem jeder nach belieben herumwühlen kann.
Berlin. Alrert Bielschowsky.
Der Bei Inconnu des Renaud de Beaujeu in seinem Verhältnis zum Lybeaus
Disconus, Carduino und Wigalois. eine litterarisch-historische Studie
von Albert Mennung. Hall. diss. Halle a. S., MKandler 1890. 67 ss.
8°. — 1,50.*
Diese arbeit beschäftigt sich mit denselben fragen, die ich
in meiner 1881 veröffentlichten Untersuchung über Wirnt von
Gravenberg behandelt habe, zu einer neuen, das gesamte material
berücksichtigenden bearbeitung lag umsomehr veranlassung vor,
als einerseits das italienische gedieht von mir noch nicht berück-
sichtigt werden konnte und anderseits meine ohne weitere be-
gründung unter dem unmittelbaren eindruck der lectüre als selbst-
verständlich aufgestellte behauptung, dass der englische dichter
aus Renaud geschöpft habe, starken Widerspruch erfahren hat. —
Mennung behandelt im 1 cap. mit ermüdender Weitschweifigkeit
das französische gedieht, ohne irgend welche neuen ergebnisse,
sondern indem er einfach die von mir gefundenen, von Kirchrath
vermehrten daten für die beurteilung des Werkes widerholt, in
* [vgl. Littbl. f. germ. u. rom. philol. 1891 nr 3 (MKaluza). — Romania
20, 297 ff (GParis).]
ME.VM'NG RENAUDS HEL I.NCO.VNU 305
einer form freilich, als habe er die meisten derselben selbst ge-
funden , gegen welches illoyale verfahren im interesse der wissen-
schaftlichen ehrlichkeit einspruch erhoben werden muss. wie
oberflächlich M. verfährt, zeigt ein starkes versehen : die von mir
beigebrachte notiz aus Gordon de Percel (De l'usage des romans etc.
2 voll. Amsterdam 1734), dem eine handschrift eines gedichtes über
Giglain bekannt war, misversteht er dahin, dass jenem 4 hss. be-
kannt gewesen seien; 'en 4 manuscril' (nicht manuscrits!) be-
zeichnet natürlich das format der handschrift. offenbar hat M. das
in Vergessenheit geratene werk, das er citiert, als hätte er diese
entlegene notiz entdeckt, gar nicht in der hand gehabt, wenn
M. die litterarhistorische bedeutung des französischen werkes darin
findet, dass es die älteste schriftliche bearbeitung des beliebten
sagenmotives von der in eine schlänge verwandelten königstochter,
die durch einen kuss ihre menschengestalt zurückgewinnt, dar-
stellt, so übersieht er den von mir gegebenen hinweis auf Ulrich
von Zatzikhoven, der in seinem Lanzelet dasselbe motiv behandelt
hat; Ulrichs quelle könnte doch recht wol für diese episode auch
die quelle Renauds geweseu sein, dessen 'Schöner unbekannter'
ja nichts weiter als eine compilation ganz verschiedener sagen-
elemeute ist.
Im 2 cap. wird das englische gedieht im anschluss an Köl-
bing, Stengel und GParis behandelt; es soll nicht aus Renaud,
sondern aus dessen quelle (u) geflossen sein, inzwischen wird
M. wol die treffliche ausgäbe des en^l. gedichtes von Kaluza (in
Kölbings Altengl. bibl. v, Leipzig 1S90) bekannt geworden sein
und er aus dessen eingehnder begründung (s. cxxxuff und s. 129 ff)
sich von der irrtümlichkeit seiner meinung überzeugt haben; viel-
mehr hat sich meine so heftig angegriffene behauptung als /.wei-
fellos richtig erwiesen: der englische bäukelsänger (ich brauche
diesen ausdruck trotz Kaluzas tadeil) hat aus Renaud geschöpft;
damit fällt die erträumte bearbeitung u fort.
Das 3 cap. — das einzige, das ein wenig eigene geistige
arbeit verrät — ist dem italienischen gedichte gewidmet, obwol
ich einige der nachprüfung werte gedanken bereitwillig anerkenne,
kann ich doch der meinung nicht zustimmen, dass der Carduino
auf einer vor Renaud liegenden bearbeitung i. beruhe, die zu-
gleich auch die quelle von u, der angeblichen quelle des Renaud-
schen und des englischen gedichtes, sein soll, ich glaube, Bf. gehl
im anschluss au GParis ua. irre mit der Voraussetzung, dass der
von Renaud bearbeitete Stoff aus einer altnationalen sa^e her-
stamme, die schon vor Renaud in einer oder mehreren Bearbei-
tungen vorlag; das werk Renauds zei^t vielmehr durchaus \\v\\
character einer mosaikarbeit, die aus allerlei, aus verschiedenen
quellen — der französischen feensage, ^\rv schlangensage , dem
Erec, vielleicht auch dem Perceval — entlehnten elementen von
Renaud geschickt zusammengesetzt ist. an dieser von mir 1881
306 NENNUNG RENAUTS BEL INCONNÜ
eingehend begründeten anschauung muss ich auch heute noch
festhalten, bis beweiskräftigere gründe gegen sie geltend gemacht
werden, die vielfachen abweichungen des Carduino von dem
Renaudscheu gedichte sind m. e. nicht derartig, dass die an-
nähme, der italienische dichter (wahrscheinlich Pucci: A d'Ancona,
Propugnat. n 2 p. 407) habe mit freiheit, willkür und flüchtigkeit
aus Renaud geschöpft, ausgeschlossen würde, ganz spruchreif
freilich erscheint mir die frage noch nicht; mit nutzen aber wird
sie sich erst behandeln lassen , wenn das gedieht Renauds in
einer zuverlässigen ausgäbe vorliegt; möchte uns WFörster nicht
mehr allzu lange auf eine solche warten lassen, wenn M. gewicht
darauf legt, dass die bezeichnung 'Schöner unbekannter' im ita-
lienischen gedieht nicht erscheint, so möchte ich auf cant. n str. 2
hinweisen, wo Artus den jungen neiden zum bestehn des aben-
teuers mit folgenden worten auffordert:
Nella buon' ora,
Tu se' hello uomo, or mostra tuo valore:
I' vo' che tue vi vadi per mio amore.
die bezeichnung 'hello' erscheint ohne alle begründung und im
zusammenhange höchst seltsam ; sollte sie nicht am ende ein leiser
nachhall der Renaudschen benennung sein?
Am schwächsten ist in der M.schen dissertation das vierte,
dem Wigalois gewidmete capitel; auf dem gebiete der mhd. litte-
ratur ist M. offenbar so gut wie ganz unbewandert, er kehrt
zu der von mir — ich hoffte, endgiltig — abgetanen meinung
von Mebes zurück, dass Wirnt einzelne zusammenhangslose biälter
einer handschrift des Renaudschen gedichts zur band gehabt habe
und für die lücken auf die erzählung des knappen angewiesen
gewesen sei. diese Verkehrtheit, die durch die seichte begründung
M.s nicht gerade gereckt wird, hier zu widerlegen, habe ich vor
sachkundigen lesern nicht nötig; ich müste zu dem zwecke die
gröfsere hälfte meines buches abschreiben; auch in den am
meisten übereinstimmenden partien Wirnts und Renauds sind
starke abweichungen, die sich nur aus der trübung erklären,
welche der stoff im munde des gewährsmannes Wirnts erfahren
hatte, zugeben allerdings hätte ich sollen, dass eine stelle bei
Wirnt (1928 ff) annähernd wörtlich mit der entsprechenden bei
Renaud (2487 ff) übereinstimmt, wenn sich auch noch einige
derartige stellen finden sollten, so widerspricht dieser Sachverhalt
doch keineswegs der durch eine genaue Untersuchung durchaus
bestätigten, sehr entschiedenen angäbe Wirnts, dass einzig und
allein die erzählung des knappen die stoffliche grundlage seines
werkes bildet; denn warum sollte der knappe nicht die eine oder
andere stelle Renauds wörtlich behalten und in seine erzählung
eingeflochten haben? —
Als speeimen eruditionis betrachtet, kann die M.sche disser-
tation wol genügend genannt werden; dass M. aber eigene ge-
MENNUNG REINAUDS BEL ItVCONNU 307
danken habe und im stände sei, durch methodische Untersuchung
zu selbständigen resultaten zu gelangen, dafür liefert diese arbeit
keinen beweis, auch stilistisch ist sie sehr unvollkommen; M.
kennt zb. ein deutsches adjectiv 'diesbezüglich'; kann ferner ein
fachgenosse mir verraten, wie 'poesievolle prosa, nachdem sie
das gewand des reimes angelegt', aussieht? besonders unan-
genehm aber berührt die endlose Weitschweifigkeit, in der die
trivialste gedankenarmut vorgetragen wird; wozu sollen zb. die
ausführlichen Inhaltsangaben des franz., engl., ital. und deutschen
gedichtes? M. wird sich in jeder beziehung sehr vervollkommnen
müssen, wenn die in aussieht gestellte Untersuchung über die
quellen Tassos eine förderung der Wissenschaft sein soll; diese
dissertation kann nicht dafür gelten.
Berlin, imjunil891. Richard Bethge.
Böhmens anteil an der deutschen litteratur des xvi Jahrhunderts von R^Yolkan.
iteil: bibliographie. Prag, AHaase, 1890. vm u. 136 ss. lex. 8°. — 4 m.*
Der Verfasser, kein neuling auf diesem gebiete, legt uns hier
den 1 teil eines grösseren Werkes vor, welches den anteil Deutsch-
böhmens an der deutschen litteratur des xvi jhs. auf grund um-
fassender und gründlicher Studien feststellen soll, er will damit
die Unwahrheit jener behauptung dartun, welche 'von gewisser
seite oft und mit sichtlicher Vorliebe ausgesprochen worden, dass
ein eigenes geistiges leben der Deutschen in Böhmen in der zeit
nach den Husitenkriegen vor der schlacht am weifsen berge sich
nicht nachweisen lasse'.
Der 1 teil liefert die bibliographie, teil 2 soll texte, teil 3
eine darstellung des geistigen lebens Deutschhöhmens im 16 jh.
bringen, die bibliographie ist sorgfältig augelegt, das material
— lücken wird man ihm schwerlich nachweisen — reichlich, ja
überreichlich. W. hat seine aufgäbe innerhalb der grenzen, welche
er sich gezogen hat, unzweifelhaft gelöst, eine andere frage aber
ist es, ob diese grenzen mit rücksicht auf den zu erreichenden
zweck richtig gezogen sind, principiell erscheinen die lateini-
schen werke der periode, sowie alle Schriften jener Deutschböhmen
ausgeschlossen , die ihren würkungskreis später fern von der
heimat gefunden haben, nun scheint mir das bestreben, trotz
dieser beschränkungen ein möglichst reichhaltiges material zu-
sammenzubringen, W. verführt zu haben, namentlich für die
sterileren jähre der ersten decennien manches in die bibliographie
aufzunehmen, was sonst schwerlich in einer litteraturgeschichte
platz fände; anderseits fehlt in der bibliographie mancher Dame,
* [vgl. Zs. f. üstr. gymn. 1891, s. 50 fl" (AHauffen).]
308 WOLKAN BÖHMENS ANTEIL AN DEUTSCHER LITT. 1
der für das geistige leben jener zeit entschieden von bedeulung
ist. hätte W. in bezug auf den litterarischen wert des in
die bibliographie aufzunehmenden strengere principieu aufgestellt,
dafür aber auch aus der lateinischen litteratur das bedeutsame
herbeigezogen und auch jene Deutschböhmen berücksichtigt, die
nachweislich ihre bildung der engeren heimat verdanken und
auch nachträglich in der ferne die Verbindung mit der heimat
festhielten, so würde schon die bibliographie ein deutlicheres
bild jener zeit darbieten, allerdings läge in diesem falle gerade
für ein bibliographisches unternehmen die gefahr nahe, dass die
grenzen in Verwirrung geraten, keinesfalls aber sollte das hier
vermisste in der eigentlichen darstellung, welche der 3 teil ver-
spricht, fehlen, denn es scheint mir für jenen landstrich in
jener zeit geradezu characteristisch , dass er mehr producierte, als
er selbst aufbrauchte.
Allzurege ist das geistige leben jener zeit nicht, niemand
wird sich durch die 400 nummern, die W. zählt, täuschen lassen,
und bedeutung vollends erhält es nur, wenn wir die engen be-
ziehungen im äuge halten, die jene landstriche mit dem benachbarten
Sachsen und speciell mit Luthers kreise verbinden, so führen
uns die meisten namen nach Joachimsthal in die Umgebung des
gemütvollen Lutherbiographen Mathesius. diesem allein ist ein
drittel der gesamten bibliographie gewidmet, aber wie viele für
jene merkwürdige zeit characteristische leute hat nicht Joachimsthal
und die dortige schule an das ausländ abgeliefert? ich erinnere
an namen, wie den des Wittenberger humanisten Job.. Major,
des lutherischen predigers Gabriel Didymus, Michael Neanders,
Ph. Praetorius ua. ich erinnere an Caspar Bruschius, der stets
mit inniger liebe au dem schönen Egerlande hieng, an Auro-
gallus (in Kommotau geboren), der die beziehungen zwischen
Wittenberg und Böhmen vielfach vermittelt hat. dass der drama-
tiker Job.. Krügiuger noch später beziehungen zu der heimat
unterhielt, beweist seine 'Tabula von Böhmen....' Prag 1568
(Goedeke Grundr. n2 361). dagegen hat ein anderer dramatiker,
Clemens Stephani von Buchau, den Goedeke unter die bairischen
dramatiker einreihte, hier richtiger seinen platz gefunden.
Ob die zum teil recht umfangreichen auszöge aus den vor-
reden überall nötig und zweckdienlich sind, will ich nicht ent-
scheiden, aber wenn W. sich in der einleitung gegen die auf-
stellungeu derjenigen verwahrt, die dem geistigen leben Böhmens
in jener zeit alle bedeutung absprechen wollen, so hätte er
alles vermeiden sollen , was ihm den Vorwurf zuziehen könnte,
dass er im gegensatze zu ihnen den Stoff übermäfsig habe an-
schwellen wollen.
Znaim, im juli 1891. Franz Spengler.
0DINGA DEUTSCHES KIRCHENLIED DER SCHWEIZ 309
Das deutsche Kirchenlied der Schweiz im reformationszeitalter. von dr Theodor
Odinga. Frauenfeld, JHuber, 1889. iv und 139 ss. 8°. — 2 m.
Das kirchenlied der deutscheu reformierten Schweiz hat seit
Wackernagels grundlegenden werken aufser mehreren eiuzelunter-
suchungen 1876 bereits eine zusammenfassende darstelluug durch
H Weber erfahren, von dessen buche unterscheidet sich die vor-
liegende arbeit hauptsächlich dadurch, dass 0. auf die Vorfüh-
rung der einzelnen dichterpersönlichkeiten das hauptgewicht ge-
legt hat.
Das buch beginnt mit einer besprechung des kirchenliedes
vor der reformation (s. 1 — 6), und es folgen sodann (s. 7 — 28)
im rahmen des themas die capitel 'die geschichte des kirchen-
gesanges' und 'die schweizerischen gesangbücher der reformations-
zeit' ; diese abschnitte bieten nichts neues und sind fast satz für
satz mit allen irrtümern und selbst druckfehlem (zb. s. 21: W. B.
'123' statt 113) den auf s. iv citierteu gewährsmännern entnom-
men, meist mit wörtlicher Übereinstimmung.
Der hauptteil des buches (s. 28 — 108) behandelt die innere
geschichte des kirchenliedes. 0. beschränkt sich hier auf die
lieder, deren dichter bekannt sind; die übrigen, auch wenn ihr
schweizerischer Ursprung sicher ist, werden nicht besprochen,
der begriff des kirchenliedes ist im weitesten sinne gefasst, auch
solche geistliche lieder, die nie eingang in die kirchengesaug-
bücher gefunden haben, hat 0. in den kreis seiner betrachtuug
gezogen. 0. hat das verdienst, in diesem abschnitte die Ver-
fasser von kirchenliedern, die als Schweizer uachweishar sind,
vollständig zusammengestellt zu haben, die reformierten unter
ihnen sind in zwei abschnilten behandelt, deren zeitliche Schei-
dung passend das jähr 1540 bildet, in welchem das wichtige
Zwicksche gesangbuch erschien; innerhalb der abschnitte heischt
geographische Ordnung, von jedem dichter werden die haupt-
daten aus seinem leben angegeben , seine lieder werden mit be-
merkungen über ihre Verbreitung in den altern gesangbüchern
der Schweiz einzelu aufgezählt, und zur begründuug eines Urteils
über ihren wert sind meist proben ausgehoben, anerkennens-
wert sind manche einzelnen bemerkungen , so die Widerlegung
Webers über die person des Hans Wirt, den 0., wahrscheinlich
richtig, mit Job. Hospinianus idenlificiert; ferner erwähne ich
als besser gelungen den artikel üher Kolross. im allgemeinen
ist 0. jedoch über die arbeiten seiner Vorgänger nicht weit hinaus-
gekommen, in einzelnen aitikeln ist auch liier die anlehuung
zu eng; so ist zb. das, was über Grynaeus bemerkt wird, schon
von Higgenbach und Weher mit ungefähr denselben Worten ge-
sagt, wegen der Vermutung über den deutschen namen des Gr.,
des einzigen Zusatzes, den 0. seihst macht, hätte er sich aus
dessen lebensbescbreihung, wie sie zb. aus M. Adami Vitae theo-
logorum vor der ausgäbe von Grynaei Epistolae familiäres (1715)
310 ODINGA DEUTSCHES KIRCHENLIED DER SCHWEIZ
widergedruckt ist, gewisheit holen können, viel lebensvoller wäre
das bild des mauues geworden, wenn der leser erführe, dass
Gryuaeus mit Stucki und Gualther in enger freundschaft stand,
dass Hospinian sein lehrer und Egli sein schüler war: es ist
aber über seine persönlichen beziehungen gar nichts erwähnt,
die lieder des Ambrosius Blaurer sind wegen ihrer grofsen zahl
nicht einzeln verzeichnet; 0. sagt nur, sie seien teils bei Wacker-
nagel, teils in Presseis biographie gedruckt; es wäre aber wol
der Untersuchung wert gewesen , welche der bei Presse! ge-
druckten lieder dem reformator würklich gehören; jedesfalls ist
nicht von ihm das lied 'Ich armer sünder' (s. 611), es wird von
0. selbst PSchär zugeschrieben; dass es in 'einem Winterthurer
manuscripte, lieder und predigten ABlaurers und Zwicks ent-
haltend' vorkommt, deutet vielleicht darauf hin, dass Schär, über
dessen leben man bisher nichts weifs, beziehungen zu den Con-
stanzer reformatoren hatte. — von Joh. Kessler hätte sein dank-
psalm bei der geburt seines sohnes Josua (Sabbata n 123) er-
wähnuog verdient. — genannt sind auch einige dichter, von denen
nur vermutet wird, dass sie Schweizer sind; ich vermisse unter
ihnen nur SWeingartner (Goed. n 198).
S. 83 — 100 werden die lieder der schweizerischen
wider tauf er behandelt, leider ist für diese darstellung die vor-
zügliche publication von JBeck, Die geschichtsbücher der wider-
täufer, iu den Fontes rerum Austriacarum n bd43 unberücksichtigt
geblieben, es finden sich in Becks anmerkungen wertvolle nach-
weisungen von widertäuferliedern; so ist zb. das lied, welches
0. s. 97 als verschollen anführt, dort s. 281 belegt. — Ludwig
Hätzer schreibt der verf. noch 2 lieder zu, aufser den dreien,
welche Wackernagel unter seinem namen bietet, allein so ver-
führerisch es auch ist, diese beiden mit Hätzers Wahlspruch ver-
sehenen lieder für sein eigentum zu erklären , so steht dem doch
das zeugnis der widertäuferchronik entgegen, die von nur 4 lie-
dern Hätzers spricht; nach JBecks ermittelungen (s. 33) ist aber
das vierte lied keins von diesen beiden, jedesfalls ist der Ur-
sprung der beiden von 0. erwähnten lieder im kreise von wider-
täufern zu suchen, die Hätzer nahe standen und in erinnerung
an ihn das motto wählten; übrigens kehrt der spruch in jenen
Zeiten häufiger wider, auch in andern kreisen, so in Kesslers
Sabbata (i 85 Götzinger). — Otmar Bot ist durchaus nicht ganz
unbekannt, von ihm berichtet JKessler (Sabbata i 217 Götzinger),
dass er sich im jähre 1524 an einem bildersturm beteiligt habe,
danach ist also sicher, dass die katholische fassung des liedes
nicht von ihm herrührt, sondern er nur der Überarbeiter ist. —
die abkürzungen H.B. und M.S. bezeichnen nach Beck Hans Betz
und Michel Schneider; beide gehören zu den 'Schweizer brüdern',
deren lieder der zweite teil des 'ausbund' ausschliefslich enthält;
aber ihrer abstammung nach waren beide nicht Schweizer, eben-
ODINGA DEUTSCHES KIRCHENLIED DER SCHWEIZ 311
sowenig ist Michel Sattler ein Schweizer; übrigens teilt von ihm
Wackernagel in 405 ein lied mit; bei dem m 520 (nicht 521) ge-
druckten bezweifelt er seine autorschaft. Hensleiu von Bi-
lach ist gewis ein Schweizer, Bülach war ja ein hauptort der
widertäufer; ein Hans Nespler von Bülach begegnet bei EEgli Die
Züricher widertäufer s. 88, doch ist nicht zu erweisen, ob er der
dichter ist.
Eine sehr erwünschte beigäbe ist ein anhang von 16 num-
mern; er enthält 8 lieder aus Schweizer gesangbüchern, die bei
Wackernagel fehlen; die übrigen sind aus einer handschrift und
mehreren einzeldrucken mitgeteilt (zu nr 9 fehlt die beschreibung
des druckes). das unvollständige gedieht am schluss ist vollständig
bereits gedruckt bei Liliencron Die hist. Volkslieder .. iv (1869)
s. 39 'von dem thüren helden H. Zwinglin'; vgl. auch Tobler Schwei-
zerische Volkslieder i s. xli; bei 0. fehlen die ersten 9 Strophen.
Der druck ist im ganzen correct; zu verbessern sind s. 12
z. 21: in s. 118 (statt n), s. 33 z. 19: parentis (statt patris); un-
angenehm ist es, dass das letzte cital des buches: W. K. m p. 565
und 566 unrichtig ist; da die anfange der lieder nicht gegeben
sind, so ist es dem leser nicht möglich, die zahlen zu verbessern.
Göttingen, 31 mai 1891. Karl Meyer.
Zur geschichte der freien verse in der deutschen dichtung. von Klopstock
bis Goethe, von Adolf Goldbeck-Loewe. Kieler diss. Kiel, HFiencke,
1891 (München, ABuchholz). 82 ss. 8°. — 2 m.
Das erste, zweite und vierte capitel der vorliegenden mono-
graphie bekräftigen, soweit sie ausschliefslich von Klopstock und
Goethe handeln, unsere kenntnisse in anerkennenswerter weise,
dh. sie erhärten durch beispiele das, was frühere forscher, nur
ihrem gefühle folgend, geahnt hatten, das dritte capitel dagegen,
das über Ramler, Willamov und die geuiezeit berichtet, wäre
besser fortgeblieben, wenn G.-L. s.46 Klopstock und Ramler darin
contrastiert, dass der eine in seinen freien rhythmeu die poesie
der barden , der andre die der alten neu beleben wollte, so ist es
selbstverständlich berechtigt, solche gegensätzlichen bestrebungen
anzumerken, nur darf man, was den erfolg anlangt, keinen priu-
cipiellen gegensatz daraus ableiten, die beiden dichter musten,
ob sie wollten oder nicht, doch den gesetzen ihrer spräche folgen
und taten es auch trotz aller Selbsttäuschung, die weiteren aus-
führungen über Ramler sind sehr mangelhaft und unvollständig.
über die entwicklung der cantate und des recitativs, sowie über
die versuche der musikalischen compositiou freier rhythmeu sollte
niemand reden, der sich nicht von gruud aus über Bletastasio
unterrichtet hat. — bei der betrachtuog der 'dithyrambrn' Willamovs
312 GOLDBECK-LÖWE FREIE VERSE V. KLOPSTOCK B. GOETHE
wird mit recht constatiert, dass der dichter sowol in der ersten
wie in der zweiten aufläge betreffs der form und des inhalts dieser
gesänge sich sehr schwankend verhielt und deshalb von der kritik
getadelt wurde, warum bricht G.-L. hier ab und zeigt nicht die
spätere besserung? denn in der gesamtausgabe, die nach Wil-
lamovs eigener hinterlassener augabe gedruckt und deren anord-
nung auch in der Wiener ausgäbe von 1793 beibehalten wurde,
sind die gedichte mit voller consequenz eingeteilt in enkomieu,
dithyramben und odeu. und die zweite gruppe euthält nur ge-
sänge in allerfreiester form, die sämtlich dem preise des Bacchus
und seiner gaben geweiht sind. — auf die cursorische betrach-
tung der geniezeit legt G.-L. wol selbst nicht allzuviel wert, sie
ist lückenhaft; aber das wörtchen 'zur' im titel der abhandlung
entwaffnet jede kritik, welche mehr fordern wollte.
Recht gut gelungen sind die abschnitte über Klopstock und
Goethe und die vergleichung beider dichter; und besonders zu
loben , nur noch nicht ausgedehnt genug ist der versuch , die
metrische form aus dem inhalt des gedichts zu erklären, da
liegen fruchtverheifsende keime.
Durchaus einverstanden muss mau mit dem tadel sein, der
Klopstock wegen der Zerlegung seiner freien rhylhmen in vier-
zeilige Strophen trifft; auch darf man viele der ungeschickten
enjambements auf diese gewaltmafsregel zurückführen, nur hätte
G.-L. in seiner feindschaft wider das enjambemeut nicht gar so
summarisch vorgehn sollen, er sagt einmal (s. 16) ganz richtig:
'auch erhöht es die würkung des verses, wenn bedeutungsvolle
Wörter am schluss desselben stehen.' hätte er diese seine eigene
ansieht öfter geltend gemacht, so würden die auf s. 16 f citierten
beispiele sich nicht gegen ihn selbst wenden, in den Klopstock-
schen versen (erste fassung):
Der wald neigt sich,
Der ström flieht,
Und ich falle nicht auf mein angestellt?
verlor sich das 'ich' gänzlich in dem zweisilbigen auftact. um das
als gegensatz bedeutungsvolle wort zu retten, teilte Klopstock die
Zeilen später so ab:
Der wald neigt sich, der ström fliehet, und ich
Fälle nicht auf mein angesicht?
G.-L. tadelt diese änderung, ebenso wie die stelle i 228, 63 f mit
unrecht.
Der standpunet des verf. ist durchaus der des modernen for-
schers. sobald wir bei einem dichter aus den gleichen bedingungen
stets dieselben folgen entstehn sehen, ist die Wissenschaft berech-
tigt, hier ein gesetz zu formulieren, auch wenn der dichter sich
dieser gesetzlichkeit gar nicht bewust war und in unklarem ge-
fühl von fall zu fall gehandelt hat. und anderseits: es mag ein
dichter in dem glauben gewesen sein, nach den sichersten theorien
GOLDBECK-LÖWE FREIE VERSE V. KLOPSTOCK R. GOETHE 313
zu handeln; sobald wir aber in seiner praxis diese tbeorien nicht
bestätigt sehen , sind wir berechtigt, sie zu leuguen. diese be-
fugnis moderner Wissenschaft nimmt G.-L. für sich in anspruch,
wenn er sich gegen die vier- und filnfsilbigen Senkungen bei
Klopstock ablehnend verhält und sie durch Vermehrung der
hebungen, die er freilich s. 31 nicht immer an die richtigen
stellen setzt, beseitigt, gerade aber, weil hier die theorien Klop-
stocks so unsicher sind , war strengere Scheidung nötig, die
fünfsilbigeu Senkungen sind wol sämtlich zu tilgen trotz des
dichters eigenem bekenntnis im vierten bände der Halleschen aus-
gäbe des Messias 1773 'Vom gleichen verse'. dagegen kommen
fälle von wahrscheinlicher viersilbiger Senkung vor, zb. n 15, 16:
Welcher die Orione,
ein vers, den man doch nur zweihebig lesen wird.
Übrigens ist das ganze gebiet der Senkungen in der nhd.
kunstdichtung so schlüpfrig und schwankend zugleich, wie ein
schiffsverdeck im regen, hier geht jeder forscher unsicher, die
gewichtigsten fragen warten noch der antwort: gehört rhyth-
misch jede unbetonte silbe ohne weiteres zur Senkung? und
sind alle Senkungssilben, so viele ihrer auch beisammen stehn,
gleichwertig? wenn man nur den stärkeren nachdruck, derauf
den hebungssilben liegt, und ihr übergewicht über die minder
betonten berücksichtigt, dann wird man mit der üblichen eintei-
lung und sogar mit den zeichen - und u auskommen, aber so-
bald mau die Zeitdauer der silben in erwägung bringt (uud hei
Klopstock muss man das; der begriff 'wortzeit', ein erbstück aus
der terminologie der poetiken des 17 jhs., ist bei ihm kein in-
haltsleeres wort), wird man zu feineren unterschieden unter den
sogenannten senkungssilbeu und damit zu einem tieferen einblick
in die verskunst gelangen, ein empfindliches ohr kann zwei solche
dreisilbige Senkungen, wie i 201), 122:
Des Weisen Sänger, und des Helden, Braga,
und i 210, 73:
Wir duldeten es nicht, und stäubten den Hügel wegl
nicht gleichmäßig beurteilen, in notenschrift, deren anweudung
bei der fixierung metrischer erscheinungen nicht dringend genug
befürwortet werden kann, müste der unterschied sofort zu tage
treten, selbstverständlich wäre es verfehlt, die Untersuchung eines
so schwierigen problems, wie es das Verhältnis der Senkungssilben
untereinander ist, bei den freien rhythmen Klopstock s zu be-
ginnen, den ausgangspunct müsten einfachere Verhältnisse bilden;
schulen könnte sich das ohr, das auf die mannigfalligkeit unter
den minder betonten und unbetonten silben im verse achten will,
zb. au Ludwig Tiecks behandlung der zweisilbigen Senkungen im
fünffüfsigen Jambus.
An manchen stellen der arbeit G.-L.s könnte man kleine ein-
wände oder zusätze machen, dass in der ganzen zeit yon Konrad
A. F. D. A. XVII. 21
314 GOLDBECK-LÖWE FREIE VERSE V. KLOPSTOCK B. GOETHE
von Würzburg bis Klopstock ein fehlen der Senkung zwischen zwei
hebungen und ein zweisilbiger auftact nicht zu constatieren sei,
ist ein grofser irrtum; man braucht nur Hans Sachs zu nennen.
— die darstellung des Verhältnisses von Klopstock zu Breitinger
(s. 4) ist anfechtbar. — zu den kritiken über die ausgäbe der
Klopstockschen öden von 1771 wäre die im altonaischen Gelehrten
Merkur von 1772 hinzuzufügen gewesen, hier findet sich auch
von der ode 'Dem unendlichen' ein abdruck, der bei Muncker
i 157 nicht verzeichnet ist.
Der stil G.-L.s leidet an einem weitverbreiteten übel, es
ist gewis hübsch, die rede durch eingefügte bilder anschaulicher
zu machen, aber ein 'rein äufserlicher weg' (s. 6), ein 'hin und
her' wogender ström der poesie (s. 40) und das unglücklich ge-
wählte architectonische gleichnis im beginn des § 19 erhöhen die
anschaulichkeit nicht, die zahlreichen druckfehler sind leicht zu
verbessern, das citat 'Lappenberg u 255' (s. 47) muss lauten
'Klamer-Schmidt u 235'.
Hamburg. Albert Köster.
Friedrich Hölderlins leben, in brieten von und an Hölderlin, bearbeitet und
herausgegeben von Carl C. T. Litzmann, mit einem bilde der Diotima
nach einem relief von Ohmacht. Berlin, WHertz, 1890. x u. 684 ss.
gr. 8°. — 10 m.*
Für Hölderlin hat die neuere litteraturgeschichte bisher
blutwenig getan. Wilbrandt zwar hat mit dem tiefen blicke, der
dem Kleistbiographen für gemütskranke dichternaturen zu geböte
steht, die vordeutungen der späteren geistigen Umnachtung in
leben und dichtung des von mütterlicher hand früh verzärtelten
nachgewiesen (Riehls Histor. taschenbuch 5 folge i 371 von 1871).
dann hat Scherer das traurige Verhältnis eines einzigen schaffens-
frohen lustrums zu dem an schmerzen überreichen leben von drei-
uudsiebzig jähren mitleidsvoll hervorgehoben und auf denkargen
lohn hingewiesen, den jene fünf jähre dafür boten, dass Hölderlin
im kämpfe um die idealen guter des lebens die brüst sich wund
gerungen (Vorträge und aufsätze s. 346). diese starken impulse
haben wenig gewürkt; konnte doch Wilbrandts aufsatz nach nun-
mehr zwanzig Jahren noch wie ein neues buch in Bettelheims Samm-
lung 'Führende geister' (bd 2) übergehn , um da mit einer Studie
über Frilz Reuter ein merkwürdig paar zu bilden, so blieb denn bis
vor kurzem Hayms Hölderlincapitel in seiner 'Romantischen schule'
die einzige quellenmäfsige und quellenerschöpfende darstellung
von Hölderlins leben — exact und eindringlich, in allen wesent-
lichen puncten richtige wege weisend und führend, belehrend und
* [vgl. Litt, centralbl. 1891 nr 12 (C.).]
LITZMA.NN HÖLDERLINS LEBEN 315
fördernd auch für denjenigen , der Hölderlin nicht gerne im
rahmen der romantischen schule erblickt.
Nicht in den fachkreisen haben Haym , Wilbrandt, Scherer
einen nachfolger gefunden; das schöne buch, das Wilhelm
Hertz, wie immer ein uneigennütziger mäcen litterarhistorischer
bestrebungen , auf den Weihnachtstisch des Vorjahres gelegt hat,
ist resultat der lebensarbeit eines stillen Hülderlinverehrers. Carl
C. T. Litzmann, der vater des Jenenser professors und vor kurzem
dankenswerter spender trefflicher bausteine zu einer Geibelbio-
graphie, hat die freien stunden einer verantwortungsvollen amts-
tätigkeit zur ergründung von H.s leben und schaffen verwertet,
biographie und briefsammlung hat der greis soweit fertigstellen
können , dass dem söhne nach dem abieben des vaters nur cor-
rectortätigkeit übrig blieb, eine kritische ausgäbe der Schriften
H.s verspricht prof. Litzmann baldigst aus den umfassenden vor-
arbeiten des vaters zu liefern, allerdings hat es auch, den reichen
schätz neuer mitteilungen heben zu können, jener liebevollen
Sammeltätigkeit bedurft, für die der fachmann bei dem schier
unabsehbaren anwachsen der litteratur umsoweniger zeit erübrigt,
als nur wenige bibliotheken so exact katalogisierte autographen-
sammlungen besitzen, wie etwa die kgl. öffentliche bibliothek zu
Dresden.
L. hat das briefmaterial in 7 capp. geordnet, jedem dieser
capitel eine ausführliche biographische einleitung voran fgesendet.
ein achtes rein referierendes capitel ist 'Geislesnacht, und ende'
überschrieben, die Vorbemerkungen bieten neben den daten zur
lebensgeschichte eingehnde erörterungen der litterarischen be-
ziehungen , dann literarhistorische Untersuchung und kritik der
dichtungen H.s; sie bilden die umfangreichste und gründlichste
der bisherigen Hölderlinbiographien, ersetzen aber nur zum teil
den leider fehlenden commentar1. eine menge litterarischer an-
spielungen bleibt unerörtert. s. 467 fühlt sich beispielsweise
H. durch 'einen kleinen lustigen Aufsatz in der allgemeinen Zei-
tung über das deutsche Dichterkorps' zu einer längeren erörterung
über das interesse der Deutschen für speculative philosophie und
für politische lectüre veranlasst, gerade weil dergleichen längere
erörterungen nicht oft widerkehren, möchte man über ihren an-
lass näheres wissen, ich glaube jenen auisalz in der Beilage
zur Cottaschen (jetzigen Münchner) allgemeinen zeitung vom 17 oo-
vemher 1798 gefunden zu haben, er klagt unter dem tilel 'Leipziger
messkatalog auf die michaelismesse 1798' über den miswachs der
deutschen litteratur; auf einen 'maafsbaltigen' rechnet er fünt kin-
der oder nur beiherlaufende trossbubeo; Schillers und Vosseos
Musenalmanache, Goethes Propyläen mildern allein seine pessi-
mistischen betrachtungen. — nicht einmal die anmerkungen seiner
1 was L. unter den text setzt, sind meist textkritische notizen , die
vielleicht besser dem briefverzeichnisse eingefügt worden waren.
21*
316 LITZMANN HÖLDERLINS LEBEN
Vorgänger, wie die von Urlichs zu H.s briefen an Schiller hat
L. aufgenommen, die mühe, die selbst dem lachmann aus dem
mangel eines commentars erwächst, ist umso bedauernswerter,
als das ohnedies umfangreiche buch durch einige energische striche
im text und in der einleitung, die durch lange citate aus den
wenige seiten später folgenden briefen nutzlos aufgeschwellt worden
ist, leicht räum für erklärende anmerkungen gewonnen hätte, und
wie soll der fernerstehende die anspielungen auf eine 'vocation'
Schillers (s. 262. 266) verstehn, wenn ihm nicht über die abge-
lehnte berufung nach Tübingen von 1795 näheres mitgeteilt wird?
mindestens ein verweis auf die Cottabriefe (s. 61 ff. 73) wäre am
platze gewesen, dass L. befähigt gewesen wäre, die commen-
tierung durchzuführen, dass nicht mangelnde fachmännische bil-
dung ihn abgehalten hat, beweist mir der strengwissenschaftliche
character seiner älteren Hölderlinaufsätze (Archiv f. litt. 15,61 und
VJS 2, 407), beweisen insbesondere die biographischen Vorbemer-
kungen, nur selten vermisse ich in ihnen diese und jene be-
merkung, die sich der fachmann nicht hätte entgehn lassen;
wenn L. von den 'Aldermanustagen' des dichterischen freund-
schaftsbundes Hölderlin -Neuffer-Magenau redet (s. 75), wäre ein
hinweis auf Klopstocks 'Gelehrtenrepublik' erwünscht gewesen,
für die wähl des namens 'Diotima' möchte ich in FSchlegels
Diotimaaufsatz von 1795 einen stärkeren anslofs vermuten, als
in einem pseudonym der fürstin Gallitzin (s. 316 anm. 1).
Den ernst der methode, mit der L. gearbeitet hat, beweist
ein flüchtiger blick in den kritischen apparat (s. 672 ff), von
238 briefen hat L. 143 zum ersten male aus den hss. veröffent-
licht; weitere 39 in mehr oder minder vollkommuer form schon
früher publicierte konnten mit der Urschrift verglichen und cor-
recter widergegebeu werden ; nur für den kleinen rest von 56 briefen
sind die originale nicht nachzuweisen gewesen, wesentliches ist
L., soweit ich sehe, nicht entgangen '.
Die briefsammlung L.s ist im ganzen und grofsen erfreulich
und förderlich; dennoch dürfte selbst den fachgelehrten eine leise
ermüdung heschleichen, wenn er den starken band durcharbeitet,
des spannenden, fesselnden bietet das buch wenig, erstlich hat H.s
existenz immer in eng begrenzten kreisen sich bewegt; dann aber
war ihm nicht vergönnt, das erschütternde seines lebenskampfes
in briefform ausströmen zu lassen; nur selten löst sich das
Siegel, das dem in sich gekehrten, verschwiegenen menschen zu-
meist die lippen schliefst, allein auch dann bleibt alles un-
plastisch; und das verschwimmende und verschwommene seiner
briefe würkt nicht belebend, sondern verwirrend auf den leser. —
1 dass der brief Hegels an Hölderlin (s. 390 f) nach dem concept bei
Rosenkranz, neuerlich von Karl Hegel (Briefe von und an Hegel [Werke bd 19],
Leipzig 1887. 1,23) abgedruckt worden ist, hat L. wol absichtlich nicht er-
wähnt, da er ja den brief selbst hat mitteilen können.
LITZMANN HÖLDERLINS LEBEN 317
weiter entspricht der Zuwachs, durch den L.s Sammeleifer die
Hölderlinbriefe bereichert hat, au wert nicht seinem umfange;
gerade für die interessanten beziehungen, für Schiller, Hegel,
Schelling hat sich keine Vermehrung der hriefe eingestellt, wie
denn überhaupt für die zeit der reife die neuen quellen spär-
licher geflossen sind, die neu puhlicierten lämilienbriefe an mutter
und Schwester drehen sich meist um häusliche sorgen, fassen
das anziehende in kahle und knappe notizen zusammen; H.s be-
ziehungen zu Louise Nast werden durch den briefwechsel mit ihr
und ihrem bruder illustriert, litterarisch wertvoller sind die briefe
an Neuffer, welche die bisher bekannten an zahl erreichen, einen
brief an Niethammer (s. 283) hat Erich Schmidt beigesteuert.
Wenig neue färben bieten die mitteilungeu L.s, um das
bild des für H. entscheidendsten Verhältnisses zu Schiller auszu-
malen , wie es Haym in den wichtigsten puncten fixiert hat, Haym,
der H. zwar als seitentrieb der romantik fasst, dennoch aber mit
feinem tacte Schillers einfluss auf seinen jüngeren landsmanu in
das rechte licht gerückt hat.
Schon der sechzehnjährige H. glaubt in den 'Räubern' das
ideal weiblicher liebe verkörpert zu sehn, nicht die socialen und
ethischen fragen, die Schillers tragödie aufwirft, fesseln ihn.
'Ach! wie manchmal', schreibt er an deu freund Immanuel Nast
(s. 25), 'hab ich ihm schon in Gedanken die Hand gedrükt , wenn
er so seine Amalie von ihrem Carl schwärmen last! Du wirst
denken, ich sei ein Narr; aber ich iceifs nicht, machts Eigenliebe
oder — oder — mir ists wohl bei dergleichen Gedanken!' H.s
weiches, an schonende, verzärtelnde weibliche band gewohntes
naturell verlangt von dem liebenden weihe schwärmerische be-
wnnderung, ehe er noch ahnt, wie er sie verdienen soll, frei-
lich darf, wer im jähre von Goethes Strafsburger aufenthalt
zur weit gekommen, wer in der lull des 'Weilher' aufgewachsen
ist, nicht belächelt werden, wenn er sein erwachendes liebes-
empfinden nicht frank und frei ausspricht, sondern nach litte-
rarischen reminiscenzen sucht; allein characteristisch bleibt doch,
dass H. die folie zu seinem liebesieben nicht in den lebenskräf-
tigen Schilderungen der älteren stflrmer und dränger sucht, son-
dern die schwächste, unwahrste, phantastischste Beite der Räuber
gut genug findet , um sich an ihr zu begeistern, solch über-
spannter idealismus lässt ihn auch schärfer über Wieland urleilen,
als Schiller seihst; neben die geläufige antithese Klopstock Wieland
tritt ihm der gegensatz Wieland - Schiller. lDu fragst', schreibl
er den 1s februar 17s7 an denselben Nasl (s. 30), 'wie mir Dein
Amadis gefalle — ich sage — schlecht, und warum'! — Nicht weil
Wieland ohnehin nicht mein Stekkenpferd ist, auch nicht — weil ich
gerner ein Mährchen gelesen hätte, das nicht ton der Satyre unter-
brochen wird — sondern — ich Sags mit aller Bescheidenheit —
weil Dinge drinn vorkommen . die füi reizbare Leute, wie ich hin.
318 LITZMANN HÖLDERLINS LEBEN
leider!!! — nicht zum lesen sind, o Bruder! meinst Du, ich hab
ihn über halb gelesen. — da dank ich Gott, dass meine Fantasie
noch unbefleckt ist, dass mir vor dem Dichter, der gewis eine
Unschuld schaamroth machen würde, ekelt!' ganz anders heimelt ihn
'Kabale und liehe' an, und auch in diesem drama vor allem die
weihliche gestalt Louisens. — sichtlich beherscht Schiller sein
ganzes empfindungsieben; begreiflich, dass er in Oggersheim den
4juni 1787 genug zu tun hat, an dem heiligen orte eine thräne
im äuge zu bergen (s. 56).
Dennoch verschwindet Schillers name während der univer-
sitätsjahre (1788 — 1793) aus den briefeu. dem freunde Magenau
widerkäut er zwar Schillersche regeln (s. 98, vgl. 91); sonst aber
liegen überhaupt wenig litterarische anspielungen aus dieser zeit
vor. vom grofsen Jean Jacques lässt er sich über meuschenrecht
belehren (s. 139). gleich auf den 'Contrat social' folgt ein 'herr-
liches Buch', eine 'Sammlung altdeutscher geschienten', die L.
leider nicht nachweisen kann (s. 151). ihr entnimmt er neue
begeisterung für Gustav Adolph, seine Griechen (s. 159), sein
Plato (s. 161) werden erwähnt; ebenso Kant (s. 159). das ist alles.
Auf Gustav Adolph hatte ihn Neuffeis schwager Gotth. Stäudiin
aufmerksam gemacht; eben dieser einstige gegner Schillers aus
den zeiten der anthologie und des würtembergischen repertoriums
(vgl. Minor i 51 8 ff. 585 f) hat ihn bekanntlich an Schiller selbst
empfohlen (s. 76). wie H. dann auf Schillers Verwendung nach
Waltershausen als hofmeister des sohnes Charlottens von Kalb
gekommen ist, seine traurigen erlebnisse dort hat L. ausführlich
dargelegt (s. 90. 97. 178. 180; eine neue briefnotiz s. 249). dass
H. in Waltershausen einen aufsatz über ästhetische ideen, eine
kritik von Piatos Phädrus geschrieben hat, war aus einem von
Schwab mitgeteilten briefe an Neuffer (s. 241) bekannt, den auf-
satz hat L. nicht nachweisen können (s. 184); er sollte im sinne
der abhandlung 'Über anmut und würde' noch einen schritt über
die Kantsche grenzlinie wagen, den ersten eindruck dieser Schiller-
scheu abhandlung gibt ein neuedierter brief an Neuffer (s. 218):
'Ich erinnere mich nicht etwas gelesen zu haben, wo das beste aus
dem Gedankenreiche und dem Gebiete der Empfindung und Fantaste
so in Eines verschmolzen gewesen wäre.'
Erst nach Waltershausen, in Jena anfang november 1794 ist
H. mit Schiller in unmittelbaren verkehr getreten. L. gibt nach
dem auch früher bekannten materiale die daten (s. 187 ff), sonst
unbedeutende neue notizen lassen gesellschaftliche erfolge als con-
sequenzeu seiner Verbindung mit Schiller erscheinen (s. 261 ; vgl.
s. 246. 250). die vermittelung des 'Hyperion' an Cotla, die auf-
nähme einzelner gedichte H.s in die Hören und in den Musen-
almanach (vgl. insbes. s. 318 anm. 1) fällt in diese zeit, allein die
Übersiedelung nach Frankfurt rückt H. seinem gönner ferner und
ferner, ein wichtiges document, Schillers brief an H. vom
LITZMANN' HÖLDERLINS LEBEN 319
28 juli 1797, scheint verloren zu sein. Schiller hat sich damals
von Goethe über H. referieren lassen (s. 304 ff), nur eine ent-
mutigende absage auf die einladung zu einer geplanten Zeitschrift
bedeutet Schillers letzter brief vom 24 aug. 1799 (s. 516). seine
ablehnende haltung bat den ganzen plan scheitern lassen; dem Ver-
leger Steinkopf hat er nicht einmal geantwortet (Cottabriefe s.354).
Noch 1801 wartet H. auf ein erlösendes wort von Schiller,
um endlich den 2 juni d. j. zum letzten male in einem von AvKeller
bekannt gemachteu briefe sich an ihn zu wenden, auf ein knappes
glaubeusbekenntnis hin möge Schiller entscheiden, ob er in Jena
florieren solle: 'Sie werden nicht verschmähen, durch Ihre Theil-
nahme meinem Lebensgany ein Licht zu leihen' (s. 590). Schiller hat
es verschmäht und fraglos schwere schuld durch diese gleich-
giltigkeit auf sich geladen. H.s geistiges zusammenbrechen wäre
bei tatkräftiger geistiger und materieller Unterstützung aufzuhallen
gewesen. . . nicht ohne rührung wird man L.s bericht lesen (s. 659),
wie dem kranken beim namen Schiller noch in spätester zeit
seine äugen aufgeleuchtet, wie er daun gerufen habe, 'Mein herr-
licher Schiller!'
L.s ganzes buch ist in seiner mafsvollen, objectiven haltung,
obwol es die frage nicht erörtert, ob H. zur romantik gehöre,
dennoch ein neuer und schlagender beweis für den mangel jeg-
licher beziehung zu ihr. schliefslich bleibt WSchlegels recension
des Neufferschen almanachs (s. Werke 11, 364 0 mit ihrem fein-
sinnigen urteil über H. das einzige Zeugnis, freilich hat WSchlegel
in gleicher weise einen Tieck, gelegentlich auch nur einen Neu-
beck entdeckt; allein die kurze Hölderlinnotiz hatte ebeu gar
keine persönlichen oder litterarischen consequenzeu. WSchlegels
Dame erscheint in L.s buche nur im zusammenhange jener re-
cension; der name FSchlegels, Tiecks, endlich der des geistes-
verwantesten, Hardenbergs, findet sich nicht. Schelling ist nicht
als philosoph der romantik, sondern schon als Tübinger stilller
H.s freund geworden, sein name erscheint zum erstenmale im
Spätherbst 1790 (s. 127); H. rechnet ihn der Schwester gegen-
über zu den 'braven Leuten', andere neumitgeleilte briefe lassen
erkennen, dass H. dem freunde auf seinen neuen und oeuernden
pfaden nicht immer nachgekommen ist. 1795 bemerkt H. gegen
Niethammer (s. 284): 'Schelling ist, wie Du wissen wirst, ein wenig
abtrünnig geworden von seinen ersten Überzeugungen'. 1798 setzt
er schon einige apologetische accente auf, wenu er der mutier
gegenüber sich wundert, dass man Schelling nicht zum Tübinger
professor gemacht habe: 'Das Alter thut zur Sache nichts; und da
sein Ruhm jezt frisch ist und nothwendig noch ein gut Theil steigen
müfste, wenn Schelling durch grofse Aufforderungen getrieben würde,
aller seiner Kraft und Wachsamkeit aufzubieten, so halt' er wohl
der Universität nicht wenig Ehre gemacht. Über seine Meinungen
hob' ich selber manchmal mich mit ihm gezankt ; aber immer hob'
320 LITZMANN HÖLDERLINS LEBEN
ich auch in seinen irrigen Behauptungen einen ungewöhnlich gründ-
lichen und scharfen Geist gefunden' (s. 447). — beiläufig erwähne
ich noch, dass bemerkenswerte notizen über Schellmgs lehrtätig-
keit in Jena in dem briefe eines ungenannten an H. vom sept.
1799 (s. 525f) durch L. uns geschenkt werden.
Wien, 16. 4. 1891. Oskar F. Walzel.
Lyrik und lyriker. eine Untersuchung von dr Richard Maria Werner. Ham-
burg und Leipzig, Voss 1890 (Beiträge zur ästhetik, herausgegeben
von ThLipps und RMWerner i). xvi und 638 ss. gr. 8°. — 12 m.*
Die lehre von der theopneustie hat in der ästhetik sich
länger behauptet als in der theologie. für die ästhetiker exi-
stierten die gedichte nur in ihrer letzten und abschliefsenden
gestalt, und in dieser hatte der dichter sie vom ersten bis zum
letzten buchstaben unter dem unmittelbaren dictat der muse nieder-
geschrieben, die Vorgeschichte des werkes ignorierte mau nicht
blofs, sondern wehrte sich heftig gegen jeden versuch 'den genius
vor gericht zu stellen', ganz allmählich entschloss sich die lehre
von der dichtkunst, den literarhistorischen anatomen einige opfer
zur section zu überlassen, epiker vor allem; aber die lyriker
schützte noch immer ein Tabu vor kritischer berührung. auf
die dauer half das alles nichts; die exacte forschung gedieh
fröhlich weiter, die anatomie erzeugte die physiologie und diese
die empirische psychologie.
'Physiologie der lyrik' wollte W. sein werk ursprünglich
nennen; eine ungerechtfertigte rücksicht auf die titel Mantegaz-
zascher marktläufer hat ihn zu dem weniger passenden uamen
bestimmt, eine 'psychologie der lyrik' hat schon du Prel 1887
veröffentlicht, gar kein übles buch; und neuerdings hat Jacobowski
sogar eine 'Physik der lyrik' angekündigt, man sieht, wir sind
im modernsten fahrwasser.
Aber nicht nur in äufserlichkeiten neigt sich VV. der natur-
wissenschaftlichen Strömung zu. freilich in äufserlichkeiten mehr
als gut ist. trotz aller Verteidigung bleibt die heranziehung einer
physiologischen abnormität zur erklärung sehr häufiger geistiger
erscheinungen (s. 477) unglücklich; dass das von Goethe her uns
geläufige bild vom krystallisieren des Stoffs durch die analogie
der gerinnenden milch ersetzt wird (s. 395), mag zeitgemäfs sein,
schön ist es nicht; auch auf die unvermeidlichen bakterien hätte
man lieber verzichtet, doch lässt man sich solche kleinigkeiten
gern gefallen, weil das gefühl entschädigt, sich hier würklich
auf festem, methodisch durchgeprüftem boden zu befinden und
von nebelhaften speculationen , von willkürlichen apriorismen be-
freit zu sein, der entschiedene tatsachensinn, der das buch aus-
* [vgl. Litt, centr. 1891 nr 22 (Eh.). — Beil. z. allg. zeitung 1891 nr 153
(MCarriere).]
WERNER LYRIK UND LYRIKER 321
zeichnet, ist das beste und wichtigste, was wir von unsern
'exacten' brüdern immer wider zu lernen haben ; in der methode
haben die nachkümmlinge und schüler der alten grammatiker es
nicht nötig, nach fremden meistern auszuschauen.
Aber auch in diesem puncte hat das buch die fehler seiner
Vorzüge, man fühlt sich überall eben deshalb auf festem hoden,
weil W. das construieren und erschliefsen nur ungern zu hilfe
nimmt; fast durchweg bedient er sich solchen materials, das für
den zu verfolgenden process, die entstehung lyrischer gedichte,
actenmäfsige belege liefert, nun liegt es aber in der verhältnis-
mäfsig improvisatorischen art der lyrik, dass die einzelnen erit-
stehungsphasen weit seltener als bei epischen oder dramatischen
werken aufgezeichnet und bewahrt bleiben, es sind daher nicht
viele dichter in grösserem umfange befragt worden , und unter
diesen nimmt neben Unland und Geibel bei weitem den breitesten
räum Hebbel ein. es ist durchaus verständlich, dass W. sich in
dies aufschlussreichste untersuchungsobject schliefslich beinah ver-
liebte, wie Kerner in die seherin von Prevorst; dass er, der
sonst — mit recht, meine ich — auf ein urteil den geprüften Ge-
dichten gegenüber durchaus nicht verzichtet, die gröslen Ge-
schmacklosigkeiten dieser grofsen gedankenspinne sorgfältig los-
löst und vorzeigt, während ein anderer sie als staub wegfegen
möchte, ich erinnere nur an das auch formell grässliche epi-
gramm :
'Künstler, nie mit Worten, mit Thaten begegne dem Feinde !
Schleudert er Steine nach dir, mache du Statuen d'raus!'
(s. 351). man male sich das bild doch nur aus: der feind wirft
mit felsblöcken (denn aus kieselsteinen ist doch keine statue zu
machen) — der künstler sammelt sie ruhig mit der rechten band
und verarbeitet sie mit der linken, oder die unmögliche und gro-
teske erfindung des gekitzelten leichuams (s. 385) oder der
'poetische' gedanke des zum wappen zu recht gehauenen ritters
(s. 429). solche Urteilslosigkeit dem liebliugsmodell gegenüber bat
schlimmere folgen als die aufuabme abschreckender pseudolyrik :
allzuleicht wird der bestbelegte Vorgang zum typischen umgedeutet
und der dichterische process des grüblers und selbstbeschauers
zu aufscblüssen über die grofse mehrheit völlig anders gearteter
poeten benutzt, und merkwürdiger weise bleib! W. völlig in die
zeitlosigkeil der alten ästhetik gebannt, soweit er sonst deren
bodenlosigkeit hinter sich wirft; es wird Hebbels übermodernes
verfahren als Schlüssel zur dichlkunsl der fernsten vorzeil be-
nutzt, überwiegend freilieb hall W. sieb aueb in den Verall-
gemeinerungen an neuere lyrik; der richtige titel würde lauten
'Physiologie der modernen lyrik', wie Bourget gerade jetzt ein
buch 'Physiologie der modernen liebe' betitelt bat.
Das werk beginnt mit einem einleitenden capitel über die
Stellung der lynk und die aufgäbe ihrer physiologie. wird man
322 WERKER LYRIK UND LYRIKER
die neuen definitiouen und ebenso zb. den salz, dass lyrik eine
einsame gattung sei (s. 5), schwerlich unterschreiben, so gehurt
dafür der schluss des capitels zu dem besten und lehrreichsten,
was neuere poetik hervorgebracht hat. unter der Überschrift 'Ein
classisches beispiel' stellt W. aus Hebbels tagebüchern alle ein-
drücke zusammen, die Hebbel von Schneeflocken und schmelzendem
eis empfangen zu haben verzeichnet, alle gedanken, die er aus
diesen erscheinungen herausgegrübelt, alle gedichte, die er aus
diesen gedanken herausgesponnen hat. in höchst interessanter
weise verfolgt W. so die mannigfachen auspräguugeu einer und
derselben deutung, die Hebbel aus dem schmelzenden schnee zog:
das problem, welches Verhältnis zwischen dem individuum und
dem all besiehe (s. 59), liegt allemal im Hintergründe, und dies
6iue problem wird mit der einen naturerscheinung unter dem
druck verschiedenartiger umstände, wozu auch die bereits ver-
fassten gedichte gehören, immer wider anders verknüpft, schliefs-
lich verschwindet das so ausgedeutete ereignis, dann auch das
problem aus dem gedankenlager Hebbels. — die ebenso sorg-
fältige als sinnreiche heobachtung gibt in Wahrheit ein classisches
beispiel für die im vierten und besten capitel abgehandelte 'be-
fruchtuug', und sie gibt zugleich für die methode W.s ein clas-
sisches beispiel. bedenkt man, wie vor kurzem Eugen Wolff in
einer anspruchsvollen schrift mit armen fündlein grofs getan hat,
ohne doch anderes zu stände zu bringen als den nicht eben neuen
satz, wer poetik treibe , müsse litteraturkenntnis besitzen, so wird
man angesichts so gründlicher litteraturkenntnis, so sorgfältiger
methode die bescheidenheit des autors dieses beitrages zur poetik
doppelt und dreifach anerkennen müssen, dabei fallen für die
characteristik einzelner dichter, wie Hebbels selbst (s. 65), Rückerts
(s.7l), der 'contrastierenden dichter' (s. 79), Hamerlings (s. 86 — 87)
beachtenswerte fingerzeige; dass auch Alfr. Friedmann (s. 85) ci-
tiert wird, überrascht freilich, diese zahlreichen parallelen zu
Hebbels gedieht sind leider etwas wirr geordnet; sie schneien
selbst fast wie ein Schneegestöber auf den leser ein.
Das zweite capitel behandelt das 'erlebnis', den äufseren Vor-
gang, der dem dichter durch directes oder indirectes anschauen
den wesentlichen anstofs gibt, auf diesen unterschied , ob der
poet ein ereignis mit körperlichen äugen oder nur mit geistigen
sinnen erschaut habe, scheint mir W. zu grofses gewicht zu legen.
Goethe hat die Schicksale des Odysseus auf Phaea sicher stärker
miterlebt, als zahlreiche von ihm mitgemachte und milbesungene
hoffeste; für Freiligrath war der losbruch der Schweizer revo-
lution oder die erzählung der irischen witwe ein innerliches er-
lebnis, wenn sie ihm auch nur durch die Zeitungen vermittelt
waren, und hätten Goethe die berichte vom kriegsschauplatz ebenso
stark interessiert, wie Freiligrath, so hätte er trotz seiner be-
kannten erklärung (s. 97) ebenso wol für diesen kämpf lieder
WERTER LYRIK UND LYRIKER 323
dichten können, wie er gediente gegen Newton verfasst hat. auch
sonst scheint mir VV. über der neigung zu äufserlich greifbaren
unterscheidungsmomenten oft psychologisch wichtigere kriterien
zu vernachlässigen, das zeigt sich besonders in der rein äufser-
lich genommenen einordnung bestimmter gedichte nach stand,
zeit, gegend des dichters. dass ein dichter in Steiermark ein lied
auf die Maria von Zell, Mickiewicz dagegen auf die Maria von
Czenstochau dichtet (s. 135), ist doch wahrlich für die Classi-
fication jener gedichte nicht von der geringsten bedeutung; aber
ob das lied die Madonna als schulzherrin des meuschengeschlechts
oder als persönliche patronin auffasst, ob als milde mutter oder
als mächtige herscherin, die tonart mit einem worte des liedes,
ist von grofser bedeutung , und sie findet in W.s rubrikeu keinen
platz, daher erhält denn auch die mit sichtbarer liebe aus-
gearbeitete tabelle (s. 138 — 139) ein so seltsam pedantisches an-
sehen, was sich bei den spätem tabellen, s. 188, s. 246 — 49,
s. 322 widerholt, und wenn VV. ausrechnet, es ergeben sich
256 möglichkeiten lyrischer gattuugen (s. 140), so erinnert das
bedenklich an das Schema des alten Varro, wonach es 280 denk-
bare philosophien gab (Mommsen Römische geschichte 3, 604 anm.).
man braucht zu den rubriken 'mensch', 'zeit', 'nation', 'stand',
'gegend' nur noch zb. die rubrik 'schule' zu fügen , um durch
die aufzählung aristokratisch-revolutionärer gesellschaftslyrik gegen-
über demokratisch-revolutionärer gesellschaftslyrik oder volkstüm-
lich-erotischer naturlyrik neben höfisch-erotischer naturlyrik die
maschen des netzes noch undurchlässiger zu machen; dann er-
hält man eine ganz andere zahl, welchen wert hat aber solche
rechentafel überhaupt und welchen wert halte es, könnte man
würklich alle vorhandenen lyrischen gedichte in ihr unterbringen?
Nebenbei möchte ich bemerken, dass W. gerade wie Jaco-
bowski in seinen interessanten 'Anfängen der poesie' auf die all-
gemein menschlichen grundtriebe hunger und liebe, wie sie Schiller
als die erhalter des weltgetriebes aufgestellt hat, zurückgreift
(s. 113). ich glaube auch hier nicht, dass es gut ist, in ab-
stracten dingen mit bestimmten zahlen zu operieren, und wäre
es auch nur die zweizahl, weshalb soll zb. nicht der ehrgeiz
unter den ältesten motoren der poesie gewesen sein? oder — wenn
man ihn unter die kategorie 'hunger' aufnehmen will, in die
dann aber ebenso gut die 'liebe' gehört, wie WHaabe im Huuger-
pastor so schön symbolisiert hat — warum nicht die einfache grund-
lose empfindung des wohligen behagens schlechtweg, die doch
sogar den tieren freudenrufe entlockt? gedichte wie 'Mich ergreift,
ich weifs nicht wie, himmlisches Behagen' oder auch 'Uns ist ganz
kannibalisch wohl' brauchen nicht an der trinktafel gehaftel zu
haben; sogar der moderne mensch sin^i noch manchmal 'ohne
jeden vernünftigen grund und zweck', hier, meine ich, hätte W.
wol etwas subtiler sein dürfen, während er in der aufteilt) nfi der
324 WERNER LYRIK UND LYRIKER
so rasch acceptierten hauptclassen den Vorwurf allzu subtil zu
sein (s. 142) doch nicht ganz wird abwehren können, das be-
dürfnis nach belegen für alle 256 Zettelkästen zwingt W. sogar,
den Schinderhannes unter die classischen zeugen der lyrik ein-
zuführen (s. 148); oder eigentlich zwingt ihn dazu nicht einmal
die dira necessitas, denn 'verbrecherlyrik in gottesdienstlicher
form' war auch sonst aufzutreiben , zb. in korsischen und italieni-
schen banditenliedern. auch andere beispiele scheinen nicht
glücklich gewählt. W. neigt, zumal bei Hebbel, dazu, alles für
ein gedieht zu erklären, was poetische form hat; aber schlechte
und trockene versificationen prosaischer gedanken (wie zb. s. 160
178.228) beweisen so wenig für das entstehn echter gedichte,
wie die gründung der mormonischen religion für die entstehung
des Christentums oder des buddhismus beweist.
Es liegt vielleicht an der allzu äufserlichen und allzu sche-
matisch durchgeführten einteilung der auf 'gefüblserlebnis' oder
'gedankenerlebnis' beruhenden gedichte, wenn der erste teil dieses
capitels mir ziemlich unfruchtbar scheint, wichtiger ist der zweite,
der über das 'indirecte erlebnis' handelt. W. stellt hier einen
meines erachtens ziemlich unwichtigen gesichtspunet an die
spitze; aber eben das ermöglicht es ihm, für die hier zusammen-
gefassten dichtungen fruchtbarere betrachtungen anzustellen als
vorher, wo er beständig nach seiner tabelle blickte, ich würde
hier gern mancherlei unterschieden gesehn haben: ob die an-
regung inhaltlich ist, oder durch formelle momente, wie reime,
rhythmus, refrain, einzelne reminiscenzen gegeben, oder ob beides
zur beeinflussenden Stimmung zusammenwürkt, das bedingt doch
sehr verschiedene arten der abhängigkeit. auch fällt die zeit-
losigkeit der betrachtungen VV.s wider stark auf. ganze poesien,
wie die mlat. epigrammatik oder die galante dichtung leben von
der reminiscenz; sie kennen kein anderes 'erlebnis' als die lecture.
sie geben sich aber auch als das, was sie sind: als virtuosenvaria-
tionen über gegebene themata. wol spricht W. s. 228 f über
solche conventionelle poesie; aber dass diese zu bestimmter zeit
stark genug wird, um auch dem ursprünglicher gearteten dichter,
zb. Opitz, jede ganz freie dichtung ebenso unmöglich zu machen,
wie einem doctoranden eine arbeit ohne citate ist, das sähe
mau als einen der sichersten belege für zeitliche Verschiedenheiten
im dichterischen process gern hervorgehoben, sehr hübsch ist
dagegen zb. die Untersuchung über 'weiterdichtung' s. 201 f und
'Widerspruch' s. 216. — gelegentlich werden die Übereinstim-
mungen und anklänge wol überschätzt, so s. 205 — 206. es be-
fremdet übrigens, hier (s. 228) einen nicht recht passenden ge-
dankenknäuel Hebbels angeführt zu sehn statt der schlagenden
worte Schillers:
Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache,
Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zn sein.
WERNER LYRIK UND LYRIKER 325
ebenso wird später (s. 459) Hebbel vor Schiller citiert und ein
andermal (s. 4*24) beifst es gar: 'dasselbe (wie Schiller) hat uns
bereits Hebbel gesagt'; ebenso s. 449: 'Hebbel hat Jugendgedichte
vernichtet, ebenso machte es Goethe'.
Sehr kurz ist das dritte capilel 'Stimmung', wobei Uhland
als beispiel dient, dann folgt das ganz vortreffliche vierte 'Be-
fruchtung', hier wird gezeigt, in welcher weise das erlebnis bei
günstiger Stimmung zum keim des gedichtes wird, ich halte den
nachweis typischer 'befruchiungsarten' zb. für Uhland und Hebbel
(s. 270 f) für durchaus gelungen, und ich glaube, dass innerhalb
der gesammten modernen poetik nirgends ein so grofser schritt
vorwärts gemacht ist zur exaclen ergründung der poetischen Psy-
chologie, wie Hebbel sich aus dem erlebnis einen gedichtkeim
'ergrübelt' (s. 289), wie ein Schwab oder ein Kosegarten es roh
herübernehmen in die versificierte Umformung (s. 320), das wird
deutlich und anschaulich gezeigt und erläutert, und damit für die
poetische embryologie endlich an einem wichtigen puncte eine
ganze ergebnisreihe gesichert.
Capitel v behandelt das 'innere Wachstum': wie der keim
vereinfacht oder verdichtet, erweitert, gesteigert oder sonst aus-
gestaltet wird, auch hier wird ein reiches und zuverlässiges
material aufschlussreich behandelt; interessant, obwol etwas breit,
ist zb. der commeutar zu der erweiterung, die Lenau einem ge-
dieht von KMayer zu teil werden liefs (s. 363 f). leider werden
hier neben Horaz, Goethe, Hebbel, Geibel auch MGreifs gereimte
trivialitäten citiert. durchweg aber wird gerade hier das gedieht
zu sehr alff einheit gefasst, als säfse gleichsam nach der alten
(Mitogenetischen anschauung in dem einen gedichtkeim das fertige
poem zusammengekauert und brauchte nur aufgerollt, zu werden.
die frage wird ganz umgangen, wie au den ersten vers der zweite
tritt und an die erste Strophe die zweite; wie bald ein conven-
tionelles reimpaar, bald ein typischer contrast weilerführt, bald
auch ein bestimmtes prineip der anordnung. Herwegh zb. ordnet
seine Strophen rein begriffsmäfsig: er sieht sich nach allem um,
was etwa mit den aus der erde gerissenen kreuzen gemacht
werden könnte und hängt so eine Strophe an die andere unter
dem zwange des refrains. oft lenkt ein reim schlechtere dichter
vom geraden wege ab, wie das zb. bei Mirza-Schaffy Öfters zu
beobachten ist; oft ist der weg auch wider zu schnurgerade, wie
nicht selten bei Immermann, gerade diesen gesichtspunet , die
innere Ordnung, hätte W. mit seinem wissen und seiner kritik
sehr fruchtbar abhandeln können; ihn hinderte der zu stralf ge*-
fasste begriff des 'gedichtes'. dies braucht doch auch in seiner un-
fertigsten tonn immer zeit um zu eutstehn, Bpringl nie auf ein-
mal hervor als ein ganzes. — für die Wortwahl gibt W. (s. 12s)
die holTuung auf die ergründung individueller geselze wol etwas
zu rasch auf. — für metrische Umformungen (s. 440) halten die
326 WERNER LYRIK UlND LYRIKER
experimente des Stilkünstlers CFMeyer einige gute beispiele liefern
können; Reitler in seinem büchlein teilt einige frappante Um-
gestaltungen mit. auch an die verschiedenen Übersetzungen, zb.
des Homer in prosa , Jamben, stanzen, hexameter konnte er-
innert werden.
Kurz ist wider das sechste capitel 'Geburt', in dem W. das
würkliche hervortreten des fertigen gedichtes behandelt, hier wie
öfter hätte ein engerer anschluss an Scherers poetik zur Vervoll-
ständigung der gesichtspuncte dienen können, die mit nachdruck
vorgetragene erläuterung des Goethischen begriffes 'gelegenheits-
gedicht' (s. 461) wird schwerlich beifall finden, nach W. ver-
steht Goethe hierunter jegliches gedieht, dessen gefühlserlebnis
durch ein äufseres ereignis angeregt sei. ich kann zunächst
überhaupt nicht die möglichkeit einräumen, dass es wahre ge-
dichte geben sollte, auf die diese definition nicht passt. aufser-
dem aber sagt Goethe doch ausdrücklich: 'Die Wirklichkeit muss
die Veranlassung und den Stoff dazu hergeben' ; er sagt noch-
mals: 'Alle meine Gedichte sind durch die Wirklichkeit angeregt'.
es genügt also nicht, dass ein erlebnis sich als keim in die phan-
tasie des dichters senkt, es muss auch ein äufserer, würklicher
anlass die poetische fassung anregen, wenn das gedieht ein 'ge-
legenheitsgedicht' in Goethes sinn sein soll, man würde also
statt der drei arten poetischer geburt, die W. unterscheidet, zu-
nächst vier annehmen müssen: improvisation , wobei das gedieht
durch die erste anregung gleich fertig hervorgezaubert wird; ge-
legenheitsgedicht, wobei die erste anregung bis zur Vollendung
des gedichtes nach- und mitwürkt; erinnerungsgedicht, wobei
die erste gelegenheit durch einen späteren anstofs gleichsam wider-
hergestellt wird (wie etwa in Geibels fall s. 462); bestellungs-
gedicht, wobei die innere Vorbereitung völlig durch äufseren auf-
trag, der ganz wol auch von dem 'commandierenden' dichter
selbst kommen kann , ersetzt wird. W. braucht für diese letzte
kategorie den wenig bezeichnenden ausdruck 'zufalP. genauere
betrachtung lehrt freilich, wie schwer die trennung durchzuführen
ist. die improvisation ist nur ein ungewöhnlich schnell gereiftes
gelegenheitsgedicht; umgekehrt wird bei etwas ausgedehnter reife-
zeit leicht ein zweiter anstofs von aufsen nötig, wie etwa bei den
arbeiten Goethes zum Faust: so verwandelt sich das gelegenheits-
gedicht in ein eriunerungsgedicht. und selbst das bestellte ge-
dieht wird in solchen poetischen naturen, die sich leicht 'in
Stimmung' zu versetzen wissen, den echten gelegenheitsgedichten,
ja den Improvisationen nahe treten: ein italienischer improvisator
gibt auf seinem inslrument einige töne an, die dem aufgegebenen
thema (etwa 'klagelied') entsprechen, und nun holt er aus diesen
tönen die Stimmung, die innere Vorbereitung, aus der heraus er
dichtet, so scheinen mir hier, wie oft bei W., die eng im räum
sich stofsenden begriffe durch allzu massive schranken getrennt.
WERNER LYRIK UND LYRIKER 327
— wertvoll sind die angaben über poetische ebbe und flut (s. 466).
die Untersuchung über das weiterkeimen nicht erschöpfter ge-
dichtkeime (s. 467 f) ist nicht klar genug gesichiet und ange-
ordnet, um jenem 'classischen beispiel' an die seite gestellt werden
zu können ; gleichwol gehört sie zu den wichtigsten stellen des
buches und ist für mancherlei fragen der höheren kritik in be-
tracht zu ziehen.
Hiermit ist der höhepunct der Untersuchung überschritten.
cap. vii 'Äufsere form' behandelt allerlei wichtige fragen, wie die
nach art und reihenfolge der darstellung, in wenig tiefgehnder
weise; der titel wird überwiegend als äufsere etiquette gefasst,
wahrend er als exponierende anrede an die zuhörer nachweislich
uralt und sehr wesentlich ist; auch fallen unglückliche ausdrücke
wie 'ich und nichtich' (s. 493) und 'darstellende darstellung'
(s. 519). höchst anfechtbar ist, was W. über 'beschreibung' vor-
trägt (s. 522 f), indem er nicht nur allzu dogmatisch jegliche
beschreibung misbilligt, sondern auch jede Schilderung innerer
zustände verwirft (s. 525).
Das 8 cap. 'Äufseres Wachstum' endlich behandelt nach-
trägliche änderungen am fertigen gedieht, es wird allzu scharf
geschieden zwischen correctur, wobei fehler verbessert, und revi-
sion, wobei gute ausdrücke durch bessere ersetzt werden; geht
die ' weilerführung' über ein bescheidenes mafs heraus, so liegt
'Umbildung' vor. ein gedieht kann ausgedehnt werden durch
fortsetzung, cyclischen abschluss, einfüguug in eine höhere eiu-
heit. viel neues war für all diese punete nicht zu gewinnen,
aber gute beispiele sind in lehrreicher besprechung vorgeführt,
den satz, dass ein hauptgrund der revision die absieht ist, das
allzu persönliche zu tilgen (s. 569), wird mau schwerlich allge-
mein gelten lassen können; wie oft hat zb. Heine die 'Zufällig-
keiten des erlebnisses' immer schärfer herausgearbeitet.
Ende gut alles gut. kurz vor dem schluss kommt noch eine
hochwichtige stelle: W. zeigt durch beispiele mancher art, wie
oft lyriker erst nachträglich ihre gedichte in quaodam similitu-
tinem epici carmiuis corrumpunt, und er zieht daraus (s. 594)
auf die liederbiieher der minnesänger den vollberechtigten schluss,
dass auch hier chronologische reihenfolge der gedichte durch ihr
zusammenschliefsen zu eiuem romau noch nicht bewiesen sei. es
wird dann über die arten der Sammlung (s. 607 I) verständig und
interessant gehandelt, und eine bescheidene selbstverwahrung des
autors schliefst sein wie wenige neuere werke verwanter art
dankenswertes buch. —
Noch zwei Kleinigkeiten möchte ich hervorheben, störend
wirkt die gewohnheit, die Damen mit majuskeln zu schreiben,
flexionsendungm dann aber in minuskelu beizufügen: Schilleru,
CoNzens; unsere endungen sind doch schon gedrückt genug; die
einst vielfach tonangebenden herren so demütig wie hündchen
328 WERNER LYRIK UND LYRIKER
hinter den stolzen Stammsilben hertrotten zu sehn, tut weh. freude
haben mir dagegen die meist schlagend, oft recht witzig ge-
wählten motti zu den einzelnen abschnitten gemacht; es ist eine
schöne sitte, die arbeit durch weihesprüche grofser männer zu
schmücken.
Soll ich endlich noch über das buch als ganzes urteilen, so
habe ich nur meinen dank für die ernste phrasenferne Unter-
suchung und für manche anregungen neben nicht wenigen po-
sitiven ergebnissen zu widerholen, schaden wird dem buche die
übermäfsige breite, die zb. in dem häufigen doppelabdruck, manch-
mal auch in doppelbesprechungen ein und derselben stelle stö-
rend hervortritt (so von stellen aus Unland s. 431. 451. 454, aus
Hebbel s. 421 wie s. 326, s. 577. 586. 590, ebenso bei Goethe
s. 481). zu angriffen werden die oft allzu äufserlichen und
mechanisch durchgeführten Scheidungen anlass bieten, und frucht-
los werden die tabellen zu boden fallen, aber keine arbeit, die
Scherers programm der empirischen poetik von irgend einer seite
aus durchzuführen versucht, wird an dieser ersten bedeutsamen
lrucht jenes genialen gedankens ungestraft vorbei gehn dürfen
und keine wird ohne förderung von ihr scheiden.
Berlin, dec. 1890. Richard M.Meyer.
LlTTERATURNOTIZEN.
Emil Brauns briefwechsel mit den brüdern Grimm und Joseph von
Lassberg, herausgegeben von REhwald. mit porträt. Gotha,
FAPerthes, 1891. xn und 169 ss. 8°. 3 m.* — das zierliche
büchlein bringt nach einer bis 1833 reichenden Selbstbiographie
des bekannten archäologen Emil Braun (1809 — 1856) dessen cor-
respondenz mit den brüdern Grimm und dem freiherrn von Lass-
berg aus den jähren 1829—1836, soweit sie sich erhalten hat.
drei briefe rühren von Jacob, zwei von Wilhelm Grimm, fünf
von Lassberg her, die übrigen 29 (nicht 27: der fünfte und der
sechste an Lassberg sind nämlich doppelt gezählt) haben Braun
zum Verfasser, für die geschichte der deutschen philologie ergibt
sich freilich kaum etwas wesentlich neues: denn die überraschende
nachricht von einer Heliandübersetzung Füglistallers in der vor-
rede s. vn beruht auf einem sonderbaren irrtum. wol aber ge-
winnt B.s persönlichkeit festere umrisse, überall, namentlich
in den an Lassberg gerichteten briefen, tritt seine pietätvolle
gesinnung, seine herzensgute, seine opferfreudigkeit auf das wol-
tuendste hervor, die ausführlichen noten, mit welchen der heraus-
geber seine publication begleitet, hätten hier und da aus dem
briefwechsel Lassbergs mit Zellweger (hg. von CRitter, SGallen
1889) und mit Pupikofer (Alem. 15) vermehrt werden können; in
* [vgl. Litt.centralbl. 1891 nr 21.]
BRIEFWECHSEL BRAUNS MIT DEN BRÜDERN GRIMM 329
Kleinigkeiten zu berichtigen sind sie öfters, s. 64 deutet wol auf
den Gothaer landschaftsmaler Christian VYenk, der nach Naglers
Künstlerlexicon 1836 noch lebte. St.
Die religion der alteu Deutschen und ihr fortbestand in volkssagen,
aufzögen und festbräuchen bis zur gegenwart. mit durchgreifen-
der religionsvergleichung. von prof. dr. Sepp. München, JLin-
dauer, 1890. xx und 419 ss. 8°. 6 m.* — der bekannte verf.
will 'nur gegen die bisherige uukunde und daraus erwachsene
Überschätzung allzeit zur ehre unserer nation die altväterliche
religion erheben und verkündigen', die mythologischen religionen
haben nach ihm ihren Ursprung nicht in natursymbolik, mond-
wechsel oder elementarereignissen, der blitzschlange und dem
donnerwagen, sondern wurzeln in höheren ideen, indem der
mensch über anfang und ende der weit, zweck des daseins und
seine eigene Zukunft aufschluss haben wollte, 'was lag näher
als das mannweibliche princip zum ausgangspunct der Schöpfung
zu nehmen, wenigstens den protogonos androgyn zu gestalten!'
als grundzug der mythe betrachtet er aber an anderer stelle einen
verklärten naturdienst, eine vergeistigte sonnenreligion. die feste
des sonnenlebens verfolgt er in diesem buche durch das ganze
jähr, indem er bei allen fest- und heiligentagen des kalenders
darauf bezügliche oder bezogene brauche und sagen, deutsche,
indogermanische, semitische und ägyptische and noch entlegenere
hintereinander erzählt, ohne alle kritik und ohne sich der ge-
wagtesten Vermutungen zu enthalten.
Freiburg, 28 juli 1891. El. II. Meyer.
Naturskildringarna i den norröna diktningen. akademisk afhandling af
Theodor Hjelmqvist. Lund, HMöller, 1891. 215 ss. 8°. 2,25 kr. —
Hjelmqvists arbeit lehnt sich im ganzen an das treffliche buch
Otto Lünings über die natur in der altgerm. und mbd. epik
an, leider nicht, ohne nach der jetzt üblichen art sich bei dem
Vorgänger durch kleinliche häkeleien zu bedanken, da Lünings
werk für übersichtliche anordnung nicht muster sein konnte, fehlt
diese auch hier und wird nicht einmal durch ein register er-
setzt, die schritt verliert dadurch viel von ihrer braucbbarkeit,
da die kurze inhaltsangabe zum bequemen nachschlagen nicht
genügt, dies ist zu bedauern, weil aus dem buch viel zu lernen
ist und doch nur wenige es hintereinander lesen dürften.
Dem Qeifsigen und belesenen autor ist am besten der erste
abschnitt gelungen, in dem er über den oatursinn der alten
Nordmänner spricht, mit hübscher benutzung historischer und
geographischer neben den rein litterarischen Urkunden hat er ge-
zeigt, dass im skandina\ ischen altertum wie wol bei jedem noch
nicht bis zu elegischer Sentimentalität civilisierten Volke die nalm-
freude wesentlich 'frauenhaft' war. wol fehlt es nicht ganz an
beweisen, dass auch die grofsartige natur auf die gemüler
* [vgl. Litt, centralbl. 1891 nr 20 (— gk).]
A. F. D. A. XVII. 22
330 HJELMQVIST NATURSKILDRINGARNA I KORR. DIKTNINGEN
würkte; die ideale landschaft aber, die sie in ihren paradiesen
verwürklicht träumten, trägt jenen character, der noch heut jedes
deutsche gemiit mit unstillbarer Sehnsucht erfüllt, wie im vorigen
Jahrhundert ein grofser und grofsarliger landschaft entsprossener
dichter, Haller, zur bewunderung der Alpen sich selbst erst er-
ziehen muste, so möchte man auch von den Skalden und ihren
zuhörern sagen, als ideale weit habe ihnen stets ein Italien vor-
geschwebt. — es befremdet, dass H. die etymologie der norröuen
hier in betracht kommenden worte nicht heranzieht; die personen-
uamen sind dagegen benutzt.
Im zweiten abschnitt handelt H. speciell von den natur-
beschreibungen. die allgemeinen hetrachtungen über mythen-
deutung wären besser fortgeblieben, sonst wird manches neu
beigebracht, besonders aus der skaldenpoesie. in der auffassung
des mondes (s. 124) wird hübsch ein Umschwung in der natur-
auffassung dargelegt: der mond, im 18 jh. der schutzherr der
liebenden, galt damals nur als patron der unholde, auch über
die vögel bringt H. (s. 140f) interessante beobachtungen; ebenso
einzelne wichtige litterarische nachweise (so s. 129).
Im dritten abschnitt sucht H. — meines erachteus vergeb-
lich — aus der bildersprache der altn. poesie lebhaften nalursinn
herauszulesen, die Skalden, denen der nackte ausdruck als pro-
saisch galt, konnten für Umschreibungen eine reichhaltigere
Schatzkammer doch gar nicht finden als die natur; und das lob,
welches JGrimm (Kl. sehr. 4, 165) den kenniugen durch verglei-
chung mit den kunstworten des rotwälsch erteilt, ist noch das
äufserste, das man der inneren form derselben zuerkennen darf.
Durchweg zieht H. hauptsächlich skaldenpoesie und daneben
sagalitteratur heran, die Edda ist nicht völlig ausgebeutet; so
kommen die jagdstücke der Rigsbula oder der Wassersport der
Hymiskvipa nicht zu ihrem recht, die aufsernordische alte poesie
ist nur sehr gelegentlich angezogen, meist nur durch Lüning
vermittelt, interessant ist für den deutschen leser die auswahl
der citate aus neuerer poesie: Rosselti und Swinburne werden
als gute bekannte angeführt, etwa wie man bei uns Ibsen oder
Tolstoi citiert. aus der fachlitteratur sind die wichtigsten arbeiten
benutzt, aber nicht in sklavischer abhängigkeil, sondern mit ge-
sunder kritik.
Berlin. Richard M. Meyer.
Untersuchungen zur Überlieferung Übersetzung grammatik der Psalmen
iNutkers von Johann Kelle (Schriften zur germ. philologie hg.
von iMRoediger lieft 3). Berlin, Weidmann, 1889. x und 153 ss.
8°. 7 m.* — Keiles academische abhandlung Die SGaller deut-
scheu Schriften und Notker Labeo (München 1888) hatte ua.
* [Zs. f. d. phil. 23, 380 (OErdmann). — Littbl. f. germ. u. rom. phil. 1891
nr2 (AHeusler). - Zs. f. östr. gymn. 1891 s. 421 (JSeemüller). — DLZ 1891
ni 'i' (MP.annow).]
KELLE N0TKERS PSALMEN 331
festgestellt, dass der abdruck des Notkerschen psalters, welchen
der erste band von Schilters Thesaurus enthalt, nicht, wie man
Wackernagel vielfach nachbetete, auf dem bekannten SGaller ms.
ur 21 beruht, sondern auf dessen original oder, was ebenso
möglich, auf einem mit ihm der gleichen vorlade entsprossenen
codex. 1675 liefs von dieser, damals in SGallen befindlichen,
jetzt verscholleneu Urkunde Simon de la Loubere zu Solotburn,
wo er als secretär des franzosischen gesanteu de SRomain weilte,
eine abschritt nehmen, die ihrerseits 1697 zu Paris auf Mabil-
lons vermittelung hin für Schilter copiert wurde, man wüste
nun zwar längst, dass während seines Pariser aufenthaltes, der
vom 1 Januar 1695 bis zum 14 mai 1698 dauerte, auch Friedrich
Rostgaard die psalmenparaphrase Notkers sich abgeschrieben hatte,
denn Pipers (Die Schriften Notkers 1, xcvn) gegen die klaren an-
gaben der autobiographie erhobene bedenken konnten niemanden
beirren: aber es bleibt Keiles verdienst, die Rostgaardsche copie
in der kgl. bibliothek zu Kopenhagen entdeckt und auf s. 1 — 26
der vorliegenden arbeit erschöpfend gewürdigt zu haben, fol-
gendes ergibt sich, mit hilfe dreier Schreiber copierte 1697
Rostgaard die für Schilter angefertigte abschritt — und zwar,
wie ich hinzufüge, ehe sie nach Strafsburg wanderte: denn Ma-
billon gelaugte erst anfangs august in den besitz von de la Lou-
beres ms. und hatte am S des monats noch keinen geeigneten
copisten gefunden; zum dreimaligen abschreiben des umfänglichen
werkes, ferner zum hin- und rücktransport nach und von Strafs-
burg würde indes der rest des Jahres schwerlich ausgereicht
haben — , collationierte das so gewonnene exemplar sorgfältig
und verglich es später mit dem original de la Louberes, nach-
dem dies gleichfalls ihm zugänglich geworden war. darum über-
trifft Rostgaards bs. den im Thesaurus veranstalteten abdruck,
der obendrein von flüchtigkeitsfehlem wimmelt, weit an wert
und verbessert sogar häufig den SGaller codex 21, wie das im
einzelnen die ss. 29 — 31 darlegen, zugleich bilden Keiles er-
örterungen einen wichtigen beitrag zur geschichte unserer disci-
plin. mit voller deutlicbkeit erhellt nämlich, dass der von
RvRaumer s. 150 kaum gestreifte Däne der gröste kenner der
ahd. spräche gewesen ist, den es vor Jncob Grimm gegeben hat. —
den hauptteil des buches (s. 48 — 153) nimmt eine formenlehre
der Psalmen ein, nach denselben priocipiea angelegt wie die
analogen Sammlungen, die der verf. für Boethius, Mareianus
Capeila usw. früher veröffentlichte, und zum nachschlagen recht
nützlich: noch dankbarer wäre allerdings ein vollständiges, mit
allen belegen versehenes Notkerglossar zu begrüfsen. St.
Beiträge zur entwickelungsgeschichte des gesellschaftlichen anstands-
gefühls in Deutschland, von dr ARTuun Denecke (Programm des
gymnasiums zum heiligen kreuz in Dresden. 1891. progr. or529).
Dresden 1891 (Leipzig, GFock in comm.). IXMU BS. 4°. 1 m. —
22*
332 DENECKE ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DES ANSTANDSGEFÜHLS
wenn auch der titel diese arbeit vor dem Vorwurf willkürlicher aus-
wahl zu schützen sucht, so muss doch darauf hingewiesen werden,
wie viel mehr aus der gründlichen und vollständigen beobachtuug
eines einzelnen punctes gewonnen wäre, statt dessen hat D.
hauptsächlich über die tischzucht einerseits, über das ceremoniell
der begrüfsung anderseits eine anzahl meist oft citierter stellen
zusammengedruckt, ohne zb. die gerade für das anstandsgefühl
so bezeichnenden monstrositäten der tracht irgeud zu berühren,
zwischen dem quellenwert satirischer oder pädagogischer stellen
und dem historischer Zeugnisse wird keine Scheidung versucht,
auf locale Verschiedenheiten kaum geachtet, trotz dieser mängel
aber — die einer gelegenheitsschrift vielleicht nicht zu hoch an-
zurechnen sind — hätte die schritt fördern können, wenn nur
würklich mit dem thema ernst gemacht wäre, aber gerade die
interessante frage, wie viele der hierhergehörigen bestimmungen
schon der gesellschaftliche anstand forderte und wie viele uur
das ceremoniell, gerade diese culturhistorisch überaus wichtige
frage drängt sich D. nirgends auf. heutzutage gilt es zb. ein-
lach als selbstverständlich , dass ein halbwegs erzogener mensch
nicht mit den fingern in den teuer greift; wer aber einen würk-
lichen geheimrat mit excellenz anzureden versäumt, verstöfst wol
gegen eine fest geregelte Ordnung, aber doch noch nicht gegen
den natürlichen anstand, für die älteren zeiten behandelt man
beides als völlig gleichartig, und die seltsamen Schlussworte
D.s scheinen auch für die zukunft solche gleichheit anzustreben,
falls er nämlich ernstlich das anstandsgefühl der zukunft von
dem vorbilde der militärischen Subordination beherscht zu sehn
wünscht, aber gerade das 17 jh. beweist, dass man zugleich
sehr soldatisch , sehr ceremoniell — und sehr unanständig sein
kann, bei dem verf. kommt niemals der unterschied der empfun-
denen höflichkeit von der gelernten zum bewustsein ; und die
wahrhaft ideale feinheit des gesellschaftlichen anstandsgefühls in
altgermanischer zeit scheint ihm völlig unbekannt.
Zu rühmen hätte ich somit an der abhandlung nichts als
einen punct: dass nach dem 30jährigen kriege das compliment
ebenso im mittelpunct der anstandslehre stand, wie vorher die
tischzucht, ist s. xxm gut hervorgehoben, die wichtigere lit-
teratur ist bemerkt; die arbeit selbst list sich leicht und mag
neben ähnlichen populären Zusammenstellungen sich wol be-
haupten können.
Berlin, im april 1891. Richard M.Meyer.
Die geschichte von den sieben weisen bei den Slaven. von dr MMürko.
Wien, Tempsky in comm., 1890 (Sitzungsberichte der kais. academie
der Wissenschaften in Wien, philos.-histor. classe, bandcxxn) 138ss.
lex. 8. 2,60 m. — hundert jähre, nachdem er in Deutschland er-
funden worden , wird der buchdruck in Kussland eingeführt, aber
weitere anderthalb Jahrhunderte müssen verstreichen, ehe unter
MURKO DIE SIEBE?« WEISEN BEI PEN SI.AVEN 333
Peter dem grofsen , der auch an t diesem gebiete reformatorisch
eingreift, durch die anwendung handlicherer formen des druck-
alphabets die kunst Guttenbergs jene unbeschränkte herrschaft ge-
winnt, wie sie sie im westeu sofort nach ihrem auftreten an sich
gerissen hat. so kommt es, dass, wer die russische litteratur
erforscht, an hss. des 17 und IS jhs. dieselben Studien machen
kann, die der deutsche philologe nur bis ins 15 jh. etwa fort-
zusetzen im stände ist. 40 solcher hss. sind allein von dem
russischen volksbuche von den sieben weisen bekannt, 3b davon
hat M. bei der vorliegenden Untersuchung benutzt (s. 87 ff): die
älteste stammt aus dem jähre 1634, die jüngsten aus dem anfange
des vorigen jhs. wie in so vielen anderen fällen bildeten auch
hier wider die Polen die vermittler des erzeugnisses westlicher
cullur (s. 103 ff): mittelbare quelle ist eine unbekannte lateinische
fassung der Historia Septem sapieutium, die trotz manchen ab-
weichungen wol dem Strafsburger Pontianusdruck von 1512 am
nächsten stand (s. 110 ff), es ist dies derselbe druck, auf den
auch die ältesten deutschen drucke zurückgehn; der Wiener druck
von 1526 ist nur ein schlechter nachdruck desselben (s. 16). der
älteste böhmische druck, den man bisher auch aus demselben
oder aus einem der daraus fliefsenden deutschen drucke ableiten
wollte, hat hingegen, wie M. zeigt (s. 15 ff), nichts mit ihm zu
tun, ist vielmehr eine Übersetzung der nach M.s ermittelungen
bei Goswin Gops von Euskirchen in Coln 1473 gedruckten (s. 17)
ältesten lateinischen incunabel. — besonderes Interesse für den
sagenforscher bietet die s. 27 II besprochene böhmische bearbeitung.
da die Überlieferung keine auskunfl gibt, schwankt M., ob ihre
ablassung mit Jungmann (Böhm, liltgesch.2 iv 200) in die zeit
1526 — 1620 oder ansende des vorigen resp. anlang unseres jhs.
zu setzen sei. dem eindrucke nach, den die ganze erzählung macht
— die sprachlichen kriterien zu prüfen, bin ich nicht in der
läge — möchte ich mich mit dem recensenten im Krok L891
für die letztere alternative entscheiden, ilafür scheint nur vor
allem die künstliche art zu sprechen, in der einzelne novellen
der rahmenerzählung angeglichen werden: so i>t die erzählung
der königin (s. 45 ff) von dem arabischen königssobne, der nach
langer Verbannung vom hole auf wünsch der /.weilen Iran, die
dadurch ihr eigenes kind benachteiligt, zurückberufen, sich un-
dankbar erweist und seinem vater nach dem leben stellt, nichts
anderes als die rahmenerzählung im sinne der königin zurecht-
gelegt, ebenso wird anderseits die bekannte geschichte vom Pa-
pirius (so heilst hier der vater, während der söhn Benjamin
genannt wird) durch den abweichenden zug, dass die geschwätzige
Iran die Stiefmutter, nicht die mutier des knaben ist, ferner
durch die eiiitiiguiig des inolivs, dass sie einen als Jungfrau V6X-
kleideten jungling immer m ihrer gesell6chafl hat (s. 64), vom
königssobne der rahmenerzählung angeähnlicbt. wenn wir jene
334 MÜRKO DIE SIEBEN WEISEN BEI DEN SLAVEN
Zeitbestimmung annehmen , so erklärt sich leicht die geschichte
von dem im walde gefundenen Sylwius (man merkt die gelehrte
erdichtung) als entlehnung aus Tausend und einer nacht (s. 36),
während sonst die erklärung der sagenverwantschaft bei dem
fehlen der Verbindungsglieder Schwierigkeiten macht, durch launige
erfindung wie ausführung hebt sich der folgende schwank von
den übrigen vorteilhaft ab: ein wider vermuten von seiner reise
zurückkehrender kaufmann findet einen fremden mann bei seiner
gattin. ohne sich lange zeit zum genaueren erforschen der Sach-
lage zu geben , eilt er fort seine waffen zu holen , wird aber von
seinem alten handlungsdiener bewogen, den schuldigen wenigstens
solange noch das leben zu lassen, bis sie gebeichtet haben, in
der Verkleidung des beichtigers begibt sich nun die freundin der
gattin zu dem gefährdeten liebespar, um, während der galan im
geistlichen habit sich wegschleicht, in dessen gewande dem er-
zürnten ehegatten recht unschuldig, als ob sie sich nur einen
fascbingsscherz erlaubt habe, entgegenzutreten (s. 49 ff), leider
ist die quelle dieser lustigen geschichte, die an eine bekannte
scene in Figaros hochzeit anklingt, selbst der umfassenden be-
lesenheit eines RKöhler unbekannt geblieben, die übrigen er-
zählungen sind die bekannten Arbor, Puteus, Vidua und 'Studien
über weibertücke' (= Boccaccio vn 7). zu erwähnen sind die
abenteuerlichen namen der hauptpersonen: Rhodygo, Efius, Ato-
mina , sowie Lewin , der geburtsort des ritters in 'Vidua', und
Ingrat, der name des Schlosses, auf welches die königin verbannt
wird. — aus dem reichen inhalt des buches hebe ich schliefs-
lich noch die besprechung der bearbeitungen modernster deutscher
Volksbücher in den slavischen sprachen (s. 25 ff. 70 ff) hervor.
Wien 2. 2. 91. S. Singer.
Zur geschichte der herzmäre, von Hermann Patzig (Wissenschaftl.
beilage zum programm des Friedrichs-gymnasiums zu Berlin, ostern
1891. progr. nr 54. Berlin, RGaertner). 4°. 22 ss. Im. — diese
in Europa weit verbreitete erzählung hat sich nun auch in einer
modernen indischen märchengruppe gefunden, es fragt sich also,
wo der Ursprung des motivs zu suchen ist, ob in Indien oder
im abendlande, der verf. der vorliegenden lesenswerten kleinen
programmabhandlung hat sich für die erste alternative entschieden,
er gibt 1) äufsere 2) innere gründe dafür an : 1) es sei das be-
stehn einer volkstümlichen fassung dieser erzählung bei Portu-
giesen, Engländern oder Holländern, die dieselbe etwa im 17 jh.
nach Indien gebracht haben könnten, nicht nachgewiesen. 2) die
untreue der frau erkläre sich in der indischen fassung gut aus
der geschlechtlichen enthaltsamkeit des mannes und diese aus
speciell indischen anschauungeu; nicht in Indien selbst, aber
bei den Battas auf Sumatra, die 'nach eigener Überlieferung auf
Hinducultur fufsen', werde der ehebrecher zur strafe aufgefressen,
wobei der betrogene sich das schönste stück auswählen darf.
PATZIG ZUR GESCHICHTE DER HERZMÄRE 335
dagegen ist nun zu bemerken: 1) ebenso wenig wie bei den
Portugiesen, Engländern oder Holländern ist bei den Persern
und Arabern, die docb das indische märcben den Europäern ver-
mittelt haben müsten, bis jetzt eine ähnliche tradition entdeckt.
2) die angeführten inueren gründe sind, wie man sieht, sehr
schwach; hingegen gibt es einen sehr starken inneren grund
für die annähme europäischer herkunfl dieser geschichte, der
nämlich, dass dieselbe sich aus zwei in Europa und, soviel ich
sehe, bisher nur in Europa nachgewieseneu motiven zusammen-
setzt, diese sind: a) eine schwangere frau hat gelüste ein herz
zu essen, ihr mann kann das eines tieres nicht gleich auftreiben
und gibt ihr nun, da er zufällig toiengräher ist, das eines ge-
storbenen menschen, des nachts kommt der tote, verlangt sein
herz zurück und erwürgt die frau (Tradizioni popolari veneziane
raccolta da DGBernoni Venezia 1875 p. 125). dasselhe findet
sich in französischen, spanischen, englischen und deutschen
märcben (vgl. Cosquin, Contes populaires de Lorraine ii 77), wo
nur statt des herzens meist die leber oder ein bein verzehrt
wird l. in einzelnen dieser märcben wird noch hervorgehoben,
dass diese speise der (oder dem) betreffenden besonders gut
schmeckt, b) die Tereusfabel : die frau setzt ihrem mann zur
strafe für seinen qualiöcierten ehebruch (durch entehrung ihrer
Schwester) den eigenen söhn gebraten vor. im entscheidenden
momente, als der mann mit dem essen fertig ist, zeigt ihm die
geschändete Schwester den köpf des knaben2. — von jener, meines
eracbtens unrichtigen, prämisse weiter fortschreitend stellt P.
die provenzalische erzählung, in der der gemahl ein herr von
Roussillon ist, an die spitze der abendländischen Fassungen,
sie direct aus der indischen ableitend, weil ihm die Ähnlichkeit
zwischen dem namen des beiden der indischen erzählung, Kasalu,
mit dem Ortsnamen Roselho- Roussillon zu grofs erscheint, um
zufällig sein zu können, ich glaube nicht, dass jemand geneigt
sein wird, ihm hier zu folgen, und möchte nach wie vor mit
GParis die geschichte von Gurun als die älteste form betrachten,
diesen Gurun des herzmäre muss ich übrigens trotz aller ein-
wendungen in der bekannten stelle bei Gottfried von Strafsburg
1 zu vergleichen der antike mythus von dem durch die Titanen zer-
stückten Zagreus, dessen herz Athene seinem rater Zeus bringt, welcher
es seiner geliebten, Semele, zu essen gil>t (Pauly Realencycl. d. cl. altert.
iv 1022).
- Ovid, Metamorph, vi ; auf ein anderes ehepaar übertragen hei Anto-
ninus Liberalis Msraftootpcöoscov avrnywyi] xi; abgeschwächt in dem märcben
vom Machandelboom (Grimm KuHM nr 17) und der dazu gehörigen märchen-
gruppe; modißeiert und noch barbarischer gemacht in Shakespeares Pitns
Audronicus: tot me go grind their bonos to powder small and wilh litis
hale/ul liquor temper it (vact 2scene). durch Shakespeare i-i dann wol
die darstellung unseres herzmäre im English chapbook (London 1707) beein-
flusst und hat schwerlich mit den gebrauchen wilder Völker (Patzig s. 9) zu
schaffen.
33(> PATZIG ZL'R GESCHICHTE DER HERZMÄRE
sehn, sowie den Grälant des herzmäre in der darauf folgenden;
denn es wäre doch ein sonderharer zufall, wenn diese namen
sich ganz grundlos so in nächster nähe von einander fänden;
vielmehr finde ich beahsichtigte rivalilät Tristans darin, dass er
die gleiche erzählung, wie der harfner vorträgt. — hingegen
glaube ich, dass Patzig gegen GParis recht hat, wenn er die
überlieferte provenzalische fassung für ursprünglicher erklärt als
die Boccaccios, die abweichungen des letzteren werden sich wol
am einfachsten daraus erklären, dass ihm die provenzalische er-
zählung durch mündliche tradifion zukam, aufserdem ist ihm
noch die fassung der Cento novelle bekannt gewesen.
Bern 20. 4. 91. S. Singer.
Ulrich von Hütten nach seinem leben und seinen Schriften geschil-
dert von dr Votsch. Hannover, Hahn, 1890. x und 73 ss. 8°.
1,20 m.* — gleich den vielen populären darstellungen, in denen
das Huttenjubiläum seinen beiden feierte, könnte auch diese post
festum erschienene arbeit unbeachtet von der wissenschaftlichen
kritik dahingehn, wenn sie nicht mit dem kühnen anspruch auf-
träte, nicht nur jene Schriften, über die sie sich natürlich weit
erhaben glaubt, sondern sogar die biographie von Straufs, die
V. selbst in seiner urteilslosen weise ein in jeder beziehung un-
übertreffliches werk nennt, aus den weiteren kreisen der ge-
bildeten leser verdrängen zu wollen, an diesem vorbild hat V.
mit rücksicht auf sein publicum zweierlei auszusetzen: es ent-
hält manches, was weiter vom wege abliegt, und kann auch nur
dann würklich ausgenutzt werden, wenn dem leser die wichtigsten
quellen, namentlich Huttens werke, zur band sind, wenn V.
nun dem ersten fehler durch eine knappe und übersichtliche dar-
stellung abhelfen will, so stellt er sich damit gewis eine recht
dankenswerte aufgäbe: nur hätte er sich für ihre lösung mehr
an das beispiel von Ulmann halten sollen, dessen arlikel in der
ADB er ja citiert, statt ein fast plagiatorisches und dabei nicht
einmal fehlerfreies excerpt aus Straufs biographie zu liefern, das
sich nicht besser als ein banausisches collegheft nach einem
lebendigen Vortrag list. vollends befindet V. sich im irrtum,
wenn er den zweiten zweck seiner arbeit — dem leser durch
heranziehung der wichtigsten quellen ein selbständiges urteil zu
ermöglichen — dadurch zu erreichen glaubt, dass er unter dem
text eine anzahl von belegen mitteilt und dann in einem anhange,
der die hälfte des buches einnimmt, eine auswahl aus Hutlens
briefen und aus den Epistolae obscurorum virorum beigibt, zu
dem gewünschten ziele fördern die biographischen citate, von
denen man übrigens in der ersten ausgäbe von Straufs werk
eine unvergleichlich gröfsere fülle findet, weit weniger als etwa
die vorzüglichen analysen von Straufs, die V. sich nicht hätte
entgehn lassen sollen, sie können auch nicht ersetzt werden
* [vgl. Berl. philol. Wochenschrift 1891, 277 ff (KHartfelder).]
VOTSCH ULRICH VOM HOTTEN 337
durch eine auf die brieflitteratur beschränkte auswahl: proben
aus den lateiniscben und l)esonders auch den deutschen Schriften
und gedichten hätten diesen teil fruchtbringender gestaltet, ohne
dass der umfang des buches ausgedehnt zu werden brauchte,
denn die deutschen Übersetzungen, die V. den lateinischen ori-
ginalen auf der gegenüberstehnden sehe seltsamerweise beifügt,
sind um so überflüssiger, als sie, wenigstens in den von V. her-
rührenden stücken, so schlecht sind, wie sie bei äufserer gram-
matikalischer richtigkeit nur sein können : die stilistischen eigen-
tümlichkeiten Huttens werden durch eine oberflächliche und glatte
manier völlig verwischt, der gröfsere teil der Übertragungen ist
obendrein fast so wenig wie einige metrische citate in der bio-
graphie V.s eigentum: die guten dienste, die ihm nach eigenem
geständnis Binders Verdeutschung der Epist. obsc. vir. leisten
konnte, haben ihn der eigenen lätigkeit nahezu ganz überhoben,
auf eine kritik eiuzelner fehler darf verzichtet werden, da schon
aus dem gesagten erhellt, dass V.s arbeit auch bei den bescheideneu
ansprüchen des 'gebildeten' lesers das buch von Straufs nicht ent-
behrlich machen kann und noch weniger Böckings ausgäbe von H.s
werken, von der wir übrigens trotz V.s gegenteiliger behauptuog
zur ehre deutscher bibliotheken doch annehmen möchten, dass
sie sich nicht nur in den Universitätsstädten findet, durch diese
wertlose arbeit wird immerhin ein fruchtbarer gedanke geweckt:
der plan zu einer gut eingeleiteten und gesichteten auswahl von
Huttens werken.
Berlin, märz 1891. Siegfried Szamatölski.
Die komische figtir in den wichtigsten deutschen dramen bis zum
ende des xvii jhs. von C. Beuliisg. Stuttgart, GJGöschen, 1890.
181 ss. 8°. 4 m.* — eine ausführliche besprechung verdient
dieses buch nicht, der verf. war sich weder über die Schwierig-
keit seines Unternehmens, noch über den umfang und die melhode
der Untersuchung, ja, wie es scheint, nicht einmal über den
begriff der komischen figur im klaren, die wichtigsten dramen
sind ihm fast ausschließlich diejenigen, welche in ueudrucken
vorliegen, dem Schweizer drama hat er mehr aufmerksamkeit
geschenkt, weil ihm Bächtolds Litteraturgeschichte das material so
bequem darbot, so bleibt die grofse masse von dramen des
16 jhs., die Goedeke nach landschaften geordoel hat, fast ganz
unberücksichtigt, ebenso die zahlreichen einzeluotersuchuDgeo,
welche die sichtuog dieses materials bezwecken, deshalb hat
B., wo vorarbeiten oder wenigstens kenne zu ähnlichen Unter-
suchungen bereits vorhanden sind, dies last durchweg übersehen,
für das capitel: Herzog Julius von Braunschweig (>. 1 l l ff) i>t ihm
die hübsche Untersuchung Pilgers: lDie dramatisierungen der Su-
sanna'(Halle 1879) s. 7 8 ff ganz entgangen, wir können den er-
müdenden und resultatlosen Zusammenstellungen nicht einmal die
* [vgl. Litt, centralbl. 1890 nr 14 (C). DLZ L891 nr 39 (AvWeilen).]
338 REULING KOMISCHE FIGUR IM DRAMA
bedeutung einer Vorarbeit zugestehn. urteil und stil R.s stebn
auf gleicher hübe, zum schlusse nur eine kurze probe gleich
aus der eiuleilung: 'neben dem knechte verdienen die teufel eine
genauere beachtung. sie haben gewis durch ihr äufseres, ihre
hörner und schwänze und sonstigen vermummungen eine komische
Wirkung erzielt; doch lege ich darauf weniger gewicht; weitaus
wichtiger erscheint mir der überall gleichartig auftretende zug
der dummheit. dummheit genügt stets, um heiterkeit hervorzu-
rufen; an den dummen entgegnungen der hofnarreu ergötzte man
sich; über dumme antworten lachen wir noch heute.'
Znaim in Mähren. Franz Spengler.
Die deutsche schulkomödie und die drameu vom schul- und knaben-
spiegel. von dr Paul Bermiard Rache. Leipz. diss. Leipzig,
EBaldamus, 1891. 78 ss. 8°. 2 m.— auf s. 3 — 32 gibt R.
eine übersieht über die entwickelung des dramas, aus der wir
nichts neues erfahren, oft und oft citiertes, wie Luthers urteile
über das buch Judith usw., unermüdlich wider citiereud, die
reiche litteratur nur mangelhaft ausnützend, daran schliefsen sich
(s. 33 — 78) 'die dramen von (!) schul- und knabenspiegel'. was
Holstein Das drama vom verlorenen söhn (Halle 1880 s. 45 ff) und
ref. in 2 capiteln seiner schrift: 'Der verlorene söhn' (Innsbruck
1880 s. 104 IT) ziemlich erschöpfend erledigt haben, wird hierin
breiten analysen nochmals widerholt, ohne dass dabei auch nur
an 6iner stelle neue gesichtspunete zu tage träten, die verschie-
denen richtungen, die ich zu scheiden versucht habe, werden
hier wider zusammengeworfen, ausführlicheres bietet R. nur über
JPondo, worauf ich des engen auschlusses an Wickram wegen
verzichtet hatte, die analyse des Speculum juventutis von Friedrich
Leseberg (1619) ist das einzige, was R. neues bringt, gerade
hier aber fehlt jedes urteil über das slück und seinen Zusammen-
hang mit anderen richtungen des Prodigusdramas, eine unnütze
arbeit, die unsere kenntnis des alten dramas in keiner weise
fördert.
Znaim in Mähren. Franz Spengler.
Johann Elias Schlegel als trauerspieldichter mit besonderer berück-
sichtigung seines Verhältnisses zu Gottsched, von dr Johannes
Rentsch. Erlanger diss. Leipzig, PBeyer in comm., 1890. m und
119 ss. 8°. 1,50 m.* — über J. Elias Schlegel sind in den letzten
jahren eifrig Untersuchungen angestellt worden. Söderbjelm,
vAntoniewicz, Walzel, Seeliger, Wolff haben ihn von einzelnen
seiten und im ganzen beleuchtet, dadurch, dass ihm die letzt-
genannten zuvorkamen, wurde R. von seinem vorhaben einer die
ganze schriftstellerei Schl.s behandelnden monographie abgelenkt;
er beschränkte sich auf drei capitel, welche, nicht als kritische
* [vgl. Litt, centialbl. 1890 nr 49 (C). — Revue crit. 1891 nr6(A.C). —
Zs. f. österr. gymn. 1891 s. 426 (JMinor). — PLZ 1891 nr3l (ASauer).]
BENTSCB SCHLEGEL ALS TRADEBSPIELDICHTER 339
nachlese, sondern als selbständige darstellung, die vorangegangenen
arbeiten ergänzen und berichtigen. R. behandelt zuerst Schlegels
persönliches Verhältnis zu Gottsched, eine undankbare aufgäbe, da
trotz Seeligers vollständigerer Veröffentlichung der briefe ein ent-
schiedenes für oder gegen Gottsched nicht auszusieben ist. er-
gebnisreicher ist der zweite, gröste abschnitt, über Schl.s trauer-
spiele. sie werden genauer als bisher mit ihren quellen verglichen,
wodurch sich Schl.s eigenes dramatisches talent und seine drama-
turgischen ansichten und absiebten klarer herausstellen, für die
Arminiuslitteratur sollte statt Rifferts Sammlung die reichere Hol-
mann-Wellenhofs citiert werden. Goltscbeds theorie und dramen
sowie Schl.s theoretische äufserungen sind zum mafsstabe ge-
nommen, und es bestätigt sich, dass Schi, wie sein Vorgänger
Gottsched begabter zum kritiker und theoretiker als zum dichter,
dass er wie sein nachfolger Lessing in der theorie fortschrittlicher
war als in der produetion. der letzte teil der R. scheu schritt
über spräche und metrische form der Schi. scheu trauerspiele bietet
das meiste neue, es wäre zu wünschen, dass betrachtungen, wie
sie hier angestellt sind, über die werke älterer und zeitgenössi-
scher dichter ausgedehnt würden, denn nur dann würden für
das bezeichnende und für das originelle Schl.s und seiner nach-
folger völlig stichhaltige ergebnisse gewonnen werden, aber R.
hat einen guten anfang gemacht, den dramatischen Wortschatz
und stil Gottscheds und Schl.s vergleichend zu characterisieren,
den einfluss des alexandrinerverses auf spräche und ausdrucks-
weise zu beobachten, reim, hiatus, caesur usw., alles im Zusammen-
hang mit den einschlägigen theoretischen auslassuugen beider zu
prüfen, so schliefsen sich die drei capitel darin zusammen, dass
sie Schl.s persönliches und dichterisches Verhältnis zu Gottsched
erläutern. R.s dissertation ist gründlich in der sache, anspruchs-
los und frei von Überschwang gesebrieben, im urteil über beide
poeteu mafsvoll. sie verlieft die kenntnis Schl.s und ist darum
eine erwünschte bereicherung, keine Überflüssige Vermehrung der
Schl.-Iitteratur.
Graz. R. Seiffert.
Züricb als Vermittlerin englischer litteratur im 18 jh. von Theodor
Vetter. Zürich, FSchullhess, 1891. 26 ss. 8°. — die vor-
liegende kleine monographie beschäftigt sieb in ihrem ersten
umfänglicheren teile mit Bodmers verdeulschungeo englischer
dichtungen. begreiflich und interessant isl es, dass t\^r durch
seine arbeiten über die 'Discourse der Mahlern' bekannte verf.
diese Rodmerscben bemühungen im lichte der anregungen i\r>
Addisonschen speetator zeigt, der zueile teil biete! über Waser,
Tobler, Escher und einige minder bedeutende Übersetzer kurze
lilteraturnotizen, die auf vollständigkeil keinen anspruch machen
dürfen und höchstens die erste grundlage für eine ausführliche
lebensvollere darstellung abgeben können, ein sein- sorgfältiges
340 VETTER ZÜRICH ALS VERMITTLERIN ENGL. LITTERATUR
Verzeichnis von Wasers Schriften findet sich jetzt bei LHirzel,
Wieland und Martin und Regula Kiinzli, s. 183 ff und 203 11'.
Hamburg. Albert Köster.
.I.Gaudenz von Salis-Seewis. von Adolf Frey. mitSalis bildnis und
einer ansieht des familiensilzes Bothmar. Frauenfeld, JHuber,
1889. 8°. iv und 272. 5 m.* — vor etlichen jähren hatte
Adolf Frey eine monographie über Salonion Gefsner angekündigt;
statt deren ist nun ein 'Johann Gaudenz von Salis' erschienen,
und der verf. hat den früheren plan fallen lassen, warum ?
Salis besitzt litterarhistorisch bei weitem nicht das interesse wie
Gefsner. er hat ein halbes hundert lieder gemacht, einige darunter
sind wol rund und lebendig gelungen, aber keines besitzt doch
eine höhere Selbständigkeit; sobald die Jugend vorbei war, ver-
siegte ihm die poetische ader, und gelegentlich lehnte er den
namen eines würklichen dichters auch selbst von sich ab. was
F. zu seinem entschlusse bewog, war die aussieht, als biograph
hier ganz aus dem vollen schöpfen zu können, ein noch un-
benutzter und viel versprechender handschriftlicher nachlass (aus
dem besitz der familie Salis) stand ihm zu geböte, briefe und
vor allem ein tagebuch, das der dichter als knabe begonnen und
bis ins 30 jähr fortgeführt hatte, und so war es möglich, zum
ersten mal ein volles bild von S.s leben zu gestalten, ob dieses
bild an rundung nicht gewonnen hätte, wenn hierund da noch mehr
vereinfacht worden wäre, darüber will ich mit dem verf. nicht
rechten; in jedem falle folgt man mit vergnügen den Schicksalen
des ritterlichen helden, der mit 17 jähren gardeoifizier in Paris
war, dann mit den Schweizern die schrecken der revolution
durchmachte und endlich auch noch der jungen republik für
kurze zeit seine dienste lieh, als 30jähriger kehrte er in die
heimat zurück, und der zweite teil des lebens verfliefst ihm fast
durchaus einförmig und still in kantonalen ämtern.
Von den 20 capp. des buches ist eins den 'gedienten' be-
sonders eingeräumt worden, im auschluss an die 1 ausgäbe (von
1793), die alles wichtige enthält, gibt F. eine treffliche charac-
teristik. hier drängt sich nur der wünsch auf, dass in S. mehr
der Schweizer, speciell der Bündner hervorgehoben worden wäre,
nicht nur wegen der heimwehlieder; in seinem ganzen wesen
ist S. ein typischer repräsentant bünduerischer art. untadelig
als offizier, meint man doch, er müsse in Paris ein traumlebeu
geführt haben, so sehr überrascht es, von all den dingen, die in
Frankreich damals zu sehen waren , bei ihm kaum einen Wider-
schein zu finden, das wichtigste für ihn ist die entfernung von
der heimat , von der geliebten , von der Schönheit der schweizeri-
schen berge und der einfalt und reinheit ländlicher sitten. todes-
gedanken und gräberwehmut stellen früh sich ein, und wenn
auch muntere klänge und helle bikler nicht fehlen, so möchte
* [vgl. Revue cril. 189 1 nr 9 (AChuquel). — Histor. zs. 67, s. 172 ff(M. v. K.).]
FREY, J. GAUDERZ V. SALI8 - SEEWIS 341
man den echten S. doch am meisten da suchen, wo am abend-
lichen weiber die zitterespen wehmut säuseln, es ist nur ein
engbegrenzter kreis von Stimmungen, die mau bei S. findet, und
nicht überall ist er frei von der mode des Zeitalters. F. urteilt
hier richtig und ruhig, ohne alle Übertreibung, er scheut sich
nicht auszusprechen, dass diese ganze poesie an einem 'unheil-
baren fehler' kranke: 'siebringt gefühle nicht unmittelbar, sondern
nur mittelbar durch das landschaftliche zum ausdruck, und aus
der detaillierten Schilderung resultiert eine ausgesprochene ein-
förmigkeit und armut'. wer nun aber die 'süfslächelnde melanchohe'
bei S. auf die dauer nicht erträgt, der wird in der schlichten
edlen mäuulichkeit, wie sie weniger in seinen gedienten, als in
seinem leben zu tage tritt, eine seite finden, von der er dem
dichter immer wider sich nähern kann.
Das Verhältnis zu Matlhison ist überzeugend und wol zum
ersten mal ganz richtig dargestellt, aucli den ausführungen , die
Hölty betreffen, wird man durchaus beistimmen, in diesem zu-
sammenbang hätte auch Salomon Gefsner genannt werden können
(vgl. namentlich die 'Elegie an die ruhe' mit der idylle 'Mein
wunsch'). in dem gedieht an Matthison: Wo weilt die Seele, wie
meine gestimmt? Der Stern des dunkelnden Abends vernimmt usw.
klingt Ossian an.
Die biographie ist würdig ausgestattet, vor allem freut man
sich zu anfang den köpf des berühmt schönen Offiziers zu sehen,
und auch der väterliche Stammsitz (heliogravüre nach einem
modernen aquarell) bietet ein hübsches bild. in einem anhang
ist das tagebueb über die wichtigsten revolutionszeiten wörtlich
mitgeteilt, ebenso wie im text (s. S6 — SS) die ganze, leider immer
noch zu kurze beschreibuug eines besuches in Weimar im
jähre 1790.
München, im märz 1S91. Beinbicb Wölfflin.
Die lehre vom gebrauch der grofseo anfangshuchstahen* in den au-
weisungen für die nhd. rechtschreibung. eine quellenstudie. von
P. Tesch. Neuwied-Leipzig, Heuser. 111 ss. 8°. 1,60m. — eine
fieifsige, fast ausschließlich beschreibende Zusammenstellung der
von schreiblehrern und grammatikern aufgestellten regeln, vom
Schryfftspiegel 1527 ab bis auf die heutigen amtlichen regelbücher
(unter denen das österreichische fehlt), die angaben sind be-
sonders für das 17 und 18 jh. sehr reichhaltig, wenn auch hier
und da eine ergänzung der quellen möglich wäre, die wesent-
lichen zöge der entwickelung sind jedesfalls vollständig — so
weit sie die genannten quellen bei reifen, aber man wünschte
auch den practischen gebrauch der Schriftsteller eingehender
beobachtet und dargestellt, namentlich für das 16 jh. dass der
verf. darauf nicht eingieng, kann man ihm Btreng genommen
freilich nicht zum Vorwurf machen, denn schon der t i t «-I der
schritt schliefst diese Untersuchungen aus. und doch wäre zu
342 TESCH LEHRE V. GEBRAUCH D. GROSSEN ANFANGSBUCHSTABEN
wünschen, dass wer diesen formalistischen gegenständ behandelt,
auch den tatsächlichen gebrauch der druckereien und autoren
heranziehe, für Luther hätte eiuiges Franke s. 106 tf, 86 ge-
boten, was dem verf. für den abschnitt s. 5 zu gute gekommen
wäre. — den namen seines Vorgängers in der bearbeitung des-
selben gegenständes — Hagemann, in den osterprogrammen 1875,
1876 des k. gymn. zu Graudenz, vereinigt Berlin 1880 — habe
ich in der vorliegenden schrift nirgends genannt gefunden.
Innsbruck, im april 1891. Joseph Seemüller.
Kleine Mitteilungen.
Die erste Universitätsprofessur der deutschen litteratur. durch
meine Studien über Schillers Kabale und liebe, von denen der
ii teil im Correspondenzblatt für die gelehrten- und realschulen
Württembergs soeben erschienen ist, wurde ich auf den 'Frei-
mütigen' hingeführt, dort fand ich in nr 132 des Jahrganges
1805 einen aufsatz über das 'Studium der deutschen spräche
und litteratur'. in diesem schreibt ein 'Hz.' ua., es sei ihm
keine Universität mit einer eigentlichen nominal -professur für
deutsche spräche und litteratur bekannt, er fährt dann fort:
'wol aber habe ich von einer gehört, wo vielleicht eine errichtet
werden wird, dieses ist Heidelberg, das unter seinem jetzigen
curatorium zwar langsam aber desto kräftiger aufzublühen anfängt.
man versichert nämlich , dass das einsichtsvolle curatorium ent-
schlossen sei, demnächst eine eigene professur für deutsche
spräche und litteratur zu fundieren, sobald nur noch gewisse
hindernisse beseitigt sind.' mit bezug auf diesen artikel schreibt
dann in nr 162 desselben Jahrganges ein gewisser K. (wol der
spätere Münsterer professor Katerkamp, der durch seine be-
ziehungen zur fürstin Gallitzin auch dem curator Fürstenberg
nahe stand): . . . 'ich meines orts weifs von einer einzigen (pro-
fessur für deutsche spräche und litteratur), und zwar findet sich
diese auf einer Universität, wo man sie am wenigsten vermuten
sollte, nämlich zu Münster, schon vor 4— 5 jähren ist hier
Schlüter (bekannt durch seine bearbeitung der Sallustischen ge-
schichte, sowie durch mehrere philologische arbeiten) als öffent-
licher lehrer des deutschen stils und der deutschen litteratur an-
gestellt worden, gewis verdient dieses, als etwas, das dem geiste
des bisherigen curatoriums der Münsterschen Universität ungemein
viel ehre macht, öffentlich bemerkt zu werden.' die correspondenz
bat Interesse als Symptom der teilnähme, die man auch in weitem
kreisen dem wissenschaftlichen Studium der deutschen spräche
und litteratur damals entgegen zu bringen begann, freilich der
rühm, den ersten wirklichen germanisten zum lehrer gehabt zu
haben, darf der Georgia Auuusla durch Münster nicht streitig
KLEINE MITTEILUNGEN 343
gemacht werden: Schlüter fand sich mit seinem lehrauftrag für
deutschen Stil und litteratur durch Vorlesungen über die 'ars
declamandi', 'notabilia de scriptoribus Germanoruni classicis' uä. ab,
wie sie ähnlich längst Boulerwek in Göttingen, Wachler in Mar-
burg ua. gehallen haben, und fühlte sich im übrigen als Vertreter
der römischen litteratur. aber R. scheint recht zu haben, wenn
er Schlüter die erste 'norni nalprofessur' für deutsche litteratur
zuspricht, auch sein nachfolger Deycks, der doch über Nibelungen
und altdeutsche litteraturgeschichte las, war wesentlich classischer
philologe: dessen nachfolger im Ordinariat ist dann aber würklich
der jetzige Münsterer germanist gewesen.
Tübingen. Dr Er.nst Müller.
Dl bist min, ich bin din (zu Zs. 34, 161). eine weitere parallele
aus der mhd. lyrik wies schon Burdach, Reinmar und Walther
s. 33 anm. nach: der Tannhäuser hat HMS 2, 84 str. 10: vrouwe
min, ich bin din, du bist min, der strit der müeze iemer sin;
auch Liechtenstein 436, 7 wis du min, so bin ich din sei ange-
führt. Gnapheus dagegen schöpft, wie ich inzwischen in meiner
ausgäbe des Acolastus s. xxn zu v. 832 bemerkt habe, direct aus
Terenz, Eunuchus 196:
Meus fac sis postremu animus, quando ego sum tuos.
das s. 163 citierte lied des Staiicius habe ich in der Zs. f. vergl.
littgesch. n. f. 3, 283 f vollständig abdrucken lassen; die dort an-
geführte zweite fassung in der Kopenhagener hs. der Wyffueke Bild
(Mscr. Thott fol. 778 bl. 15b) stimmt im Schlüsse der 10 Strophe
überein: Den ich bin ihr, vnd sie ist mein
In liebe vnd auch in leyde.
auch Hans Sachs bedient sich in seiner comedi Titus und Gisippus
(folioausgabe von 1561 m 2,7a =Kell. xn 25, 25) der alten formel;
Sophrooia spricht zu ihrem gemahle:
Du bist mein, so bin ich dein.
Dein red soll mir kein bschxcernus sein.
in dem von mir veröffentlichten Au»sburger liederbucbe v. j. 1454
(Alemannia IS, 203 nr 47, 19) heilst es in einem mädchen liede :
sein lieb mächt wol erfrewen mich,
wann ich pin er vnd er ist ich.
für die Verwendung der formel in der geistlichen litteratur ist
eine stelle in Thomas a Kempis berühmtem werke De imitatione
Christi 3, 5 (p. 145 ed. Husche 1874 = p. 158 ed. Puyol 1S86)
wichtig: 'Magnus clamor in miribus dei est, ipse ardens affectus
animae quae diät: Dens meus, amor mens, tu totus mens et ego
tolus tuus', wozu der letztgenannte herausgeber auf Cant, 2, 16
verweist: 'Dilectus meus mihi et ego Uli'; vgl. ebd. 3,37: 'Quo-
modo poteris esse mens et ego tuus'?' — einen druckfehler Zs.
34, 164 zeile 20 bitte ich nachträglich zu verbessern: 'neben uns
keiu (st. treue) volk'.
Berlin. J. Bolte.
344 KLEINE MITTEILUNGEN
Zu Webnheb von Elmendobf. BHaureau hat in seinem neuen, mir
soeben zugekommenen buch Notices et Extraits de quelques manu-
scrils latins de la Bibliotheque Nationale, tome premier (Paris,
Klincksieck 1890) s. 100 ff erstens nachgewiesen, dass die schritt
Moralis philosophia de honesto et utili oder Moralium dogma phi-
losophorum ein im mittelalter viel gebrauchtes schulbuch gewesen
ist, von welchem auch bis 1513 fünf drucke veranstaltet wur-
den; zweitens, dass diese schrift nicht Hildebert von le Maus zum
verlasser hat; drittens sucht er es wahrscheinlich zu machen,
Wilhelm von Conches sei der würkliche autor dieses centos. selbst-
verständlich wird durch Haureaus Untersuchungen das von mir
Zs. 34, 55 ff dargelegte Verhältnis zwischen dieser schrift und
Wernher von Elmendorf nicht berührt; nur erwähnen möchte ich,
dass eine genauere bestimmung der abfassungszeit des deutschen
gedichtes, wie sie ESchröder Anz. xvn 78 f anbahnt, möglicher-
weise auch etwas zur entscheidung der frage nach dem Verfasser
des lateinischen tractates beitragen könnte.
Graz, 6. 10. 91. Anton E. Schönbacb.
Deb vebfasser des vocabulabius PBAEDicANTiüM , magister Johannes
Melber von Gerolzhofen, ist schwerlich, wie ich in meiner pro-
grammschrift über Jac. Schöpper (Marburg 1889) s. 27 anm. 2
voreilig annahm, identisch mit einem zu Heidelberg am 18 sept.
1473 immatriculierten 'Johannes Melwer de Norenberga'. ich halte
au der abweichenden heimatsangabe keinen anstofs genommen,
denn es kommt oft genug vor, dass sich jemand, dessen wiege
in einem kleinen ort gestanden hat, in der fremde der Verständ-
lichkeit halber nach der nächsten gröfseren Stadt nennt: der be-
kannte romanschriftsteller Eberhard Werner Happel aus Kirch-
hain bei Marburg bezeichnet sich draufsen bald als Kirchhaynensis
bald als Marpurgensis usw. indessen, diese annähme ist in
unserem falle unnötig: das inzwischen erschienene register zu
Töpkes ausgäbe der Heidelberger matrikel (1 hallte, Heidelberg
1889) verweist mich auf bd. i s. 277 zurück, wo unter dem rec-
torate des Rilian Wolff von Haslach (seit 20 dec. 1453, an
34 stelle, also wol zu anfang des Jahres) 1454 inscribiert er-
scheint 'Johannes Melber de Gereltzhofen'. zum baccalaureus
artium wurde er — und zwar bei den 'anliqui' — am 8 nov.
1455 promoviert.
Ich benutze gern die gelegenheit, auf das in Töpkes mühe-
vollem register gegebene hilfsmittel hinzuweisen , das auch der
deutschen litteraturgeschichte eine fülle biographischer daten be-
quem zugänglich macht. See.
Philipp Zesen in Leipzig? KDissel in seiner reichhaltigen programm-
abhandlung 'Philipp von Zesen und die deutschgesinnte genossen-
schaft' (Hamburg 1890) s. 6f schliefst aus verschiedenen hin-
weisen in gelegenheitsgedichten usw. auf einen Studienaufenthalt
Zesens in Leipzig und bestimmt ihn näher auf das sommer-
KLEINE MITTEILUNGEN 345
semestcr 1641. hr dr Ernst Elster hat auf meine bitte die allen
immatriculationsverzeichnisse einer genauen durchsieht unter-
worfen und kann daraufhin versichern, dass Z. überhaupt nie-
mals das academische hürgerrecht in Leipzig erworben hat. der
Wittenberger Studiosus mag die 6 — 7 meilen entfernte musenstadt
an derPleifse recht wol auch durch vorübergehende besuche kennen
gelernt haben, ja, und Prirau (zwischen Dessau und Bitlerfeld),
wo sein Vaterhaus stand, Halle, wo er erzogen wurde, lagen
dafür noch näher. Sch.
SLNGULAR ARTIKEL VOR PLURALDATIVEN
(zu Anz. xvii 138).
Da mir mündlich bedenken gegen meine auffassung vom
Lessiugs zum Sternen, zum hindern kund getan worden sind,
mögen hier einige weitere belege folgen. Gottsched Grundlegung
einer deutschen sprachkunst (3. a. 1752) s. 159, sagt bei der lehre
vom artikel, man dürfe zusammenziehen zudem in zum, zu den
in zun (zun zeiten Herodis), nicht aber schreiben an galgen, in
himmel statt an den, in den, da von einem 'verbissenen' wort eine
spur übrig bleiben müsse. Es ist also auch falsch, wenn einige
hier in Obersachsen, auch xcohl im Reiche, in der dritten und sechsten
endung der einzelnen zahl, beym mannlichen oder Ungewissen ge-
schfechtsworte, ein n; in der mehrern zahl aber ein m sprechen
oder schreiben. Z. e. ich habe es den mann gesaget, anstatt dem
manne; ich habe es von keinen menschen gesehen, anstatt keinem.
Oder: erlag ihm zum füfsen, anstatt zun füfsen, oder zu den
füfsen; imgleichen zum Sternen erheben, anstatt zun, das ist zu
den Sternen, eine falsche ausspräche, oder ein eingebildeter Wohl-
klang, kann wider die rieht igkeit der regeln nichts falsches recht-
fertigen, ein Lausitzer, Schlesier, Brandenburger, Preufs oder
Niedersachs wird niemals so falsch sprechen.' in neuester zeit
schreibt Älbrecht Die Leipziger mundart 1881 s. 49: umgekehrt
wird zum für die leider fehlende[1] Zusammensetzung zun (mhd.
zen) gebrauch/, der kürze halber; an einem hause stand viele jähre
lang der name Zum drei rosen, und in Dresden Zum drei palm-
zweigen1. So auch im Horaz von Böhme.' der letzte, wol von
RHildebrand gegebene, verweis lehrt nun, dass die erscheinung
im Sächsischen keineswegs auf zum beschränkt ist. ich habe
mir aus dem in Dresden 1650 erschienenen, von den schülem
des M. Job. Bohemus greulich zusammengestöppelten Buche Defs
Hochberühmten lateinischen Pöetens Q. Horatii Flacci Vier Bücher
1 [auch der Göttinger könnt.' Bich Doch bis in jüngste zeit Bn dem
wirtshaD88cbilde Zum drei litten erfreuen, was immerhin gegen Gottscheds
localisiernng oVr erscheinung spreche ag. belege ans dem 'Reich' gewährt
HSachs in der Verbindung zum teilten, <li«' mir Edw. Schröder nachweist:
Kell, xil 213, 5 Hab ich so weit zum selben leuten? ebenda \.'ir> Da* ich
wider zum leiden kumbl \\.\
A. F. D. A. XVII. 23
346 SIIS'GULARARTIKEL VOR PLURALDATIVEN
Odarum, oder Gesänge in Teutsche Pöesi übersetzet angemerkt Ar
die der palmen krön zum göltern setzet muff; A3 drumb setzt
zum göttem mich, und sanften Pegasinnen der eppich ; B7 ich wil
dich zum steinen führen; L3 ich wil mich zum Skythen wagen,
welche pfeil und kodier tragen; \\ zum wolcken nauff; Ri zum
schafen; ferner Hi beim göttem, und bey allen Sternen ; \\\ beym
Jungfern; Hs im wolcken; I5 am b einen .. an den händen. da-
gegen I4 bein Sternen, wie zb. Hofl'manuswaldaus Gedichte 4, 10
zun hügeln, Triller 1740 s. 195 zun rosenzweigen, Rost 1744 s.87
von [von den, von'n] fingern, unsicher ist Schelmufsky Neudr.
59, 31 im gedancken. Creizenach Aus dem Kreise des Schelmufsky
(Schnorrs Archiv 13, 437) ändert in den versen Die sonne sich
gewendet Zum gegenfüfslern hat das Zum in Zun. Ehrliche frau
(Hall, neudr. nr 90 f) s. 4 dass es den göttem im wolcken erbarmen
möchte; s. 10/a dass es den göttem im wolcken erbarme, aber s. 34
ja dass es den göttem in wolcken erbarme; s. 10 im für in den
sing. : unschuldiger weise im verdacht gezogen. Meister schreibt
in einem Dresdener lobgedicht 1694 (Hoffmannswaldau 7, 177)
drum eilet sie zum waffen. in Henrici-Picanders lustspielen habe
ich bei raschem lesen kein beispiel gefunden. Lessings Leipziger
freund Ossenfelder Oden und lieder (Dresden und Leipzig 1753)
bietet s. 14 die verse auf einen geiger hört wie er durch die tiefen
rauscht, jetzt im erbeberungen [vom iterativ erbebern] lauscht, s. 41
jetzt strahlt die sonn hervor, die noch im tiefen liegt, wo zwar
das neutrum sing, möglich wäre, s. 42 und man zum fluren geht;
s. 126 im für in den sing, bis im lodt. die gediente von Mylius
sind von dem soloecismus frei; auffällig s. 517 tust am schaaf und
flur. in Lessings sehr ungelenker Hannibalübersetzung ist 1, 85
mir ewig zum beschwerden wol aus einem ungewöhnlichen genus
(vgl. der beschwer DWB 1, 1602), 2, 43 Rom hätte dann die müh
zum straffen ihn zu ziehn infinitivisch zu erklären.
Berlin. Erich Schmidt.
Am 23 aug. d. j. starb der bisherige präsident des Stuttgarter
litterarischen Vereins, prof. dr WLHolland in Tübingen , 69 jähre
alt; am 15 october verschied zu Leipzig Friedrich Zarncke im
67 lebensjahre. — der privatdocent der englischen philologie dr
ThVetter in Zürich wurde zum aufserordentlichen professor er-
nannt. — es habilitierten sich für deutsche philologie dr ABachmann
und dr ThOdinga in Zürich, für vergleichende Sprachwissenschaft
dr HHirt in Leipzig, der privatdocent der englischen philologie
dr FHolthausen in Göttingen hat sich auf wünsch der Giefsener
philosophischen facultät nach Giefsen umhabilitiert.
Druckfehler: in der Zs. s. 370 z. 19 v. u. 1. 'cherusk. SegifriPus'.
REGISTER
Die zahlen, vor denen ein A steht, beziehen sich auf die seiten des
Anzeigers, die übrigen auf die Zeitschrift.
Accallam na senörach, ir. text 43 f. 48
Achillenssage A 88 f
Actumerus? s. Catumerus
af, afar got. A 92
Afliae 316
ahorn, arab. handelsartikel ? A 273
-ahs, got. adjectiva auf, 376 ff
ai germ. A 279 ff, got. endung der
3 pers. sing. opt. praes. A 277, got.
vocal der reduplicationssylbe A 187
'Ainpthine mör a muig Lir' ir. ge-
dieht 100 f
Alaterviae 320
Alberich in der Siegfridsage A 88 f
Albrecht A 238
Alexander, Strafsburger, A 203
Alexanderromane, franz. A 200 ff
Ahit A 125
analogiebildung A 107. 191
anglo-fries. spräche A193f
Annaneptiae 321
anstandsgefühl, gesellschaftl. A 331 f
-ar schwed , endung des plur. ntr. A 97
Araber über deutsche Städte des lOjhs.
A 168, ihr handel mit den balt. län-
dern A 270 ff
ardrl Erenn 'oberkönig Irlands' 7 f
Arniagh, primat von, 75 f; Book of
Arm. 77rTanm.
Arminius, verwantschaft 361 ff, name
370
Arpus 365 f
Arvagasliae 320 f
asklepiadeische strophe gereimt A 110
assimilation, nur regressiv A 105
at-, got. A 92
-au, got. conjunetivendung A 279
Aue, Hartm. v., Gregorius 258 f
Aufaniae 317 f
auslautende fortis neben inlautender
lenis A 285 f
auslautgesetze, germ. A 27511; west-
germ. 206 f
Aventin A 225—232
babidne, beim Stricker 185
Babio A 10
bdl anord. 243 f
Bala 238
Bäldäg 242
Baldr, etymologie 241 ff; mythus
A269
Balkorn 239. A 184
Ballo, Ballomei'is usw. 240
Bahnung 244
Balqis 177. 183
balps got., pald ahd. 240
Balthi 241
MBalticus A 223 ff
bauernlieder A 4f
Beaujeu, Renaut de, Bei Inconnu
A 304 ff
belebe, ahd. pelicha 238
Belebe, Belchen 239
Belisar, name 244 ; name seines rosses
237 f
Beowulf, Widersprüche im, 265 ff
besprochne stellen: 161 ff: 277
202 ff: 275; 656 ff: 272; 772 ff
272 f; 1498—1512. 1519 f: 273 f
1564 91 :266f; 1808— 13: 279 ff
1995fT:275; 2138ff:266f; 2512(1
2533 fl : 275 ff; 2683 fT : 268 ff;
3010 — 17:276: 3031—76, bes.
3044 fl": 269 fT
Bernai, Alex, de, schreibername A
200 ff
bernsteinhandel A 274
Besancon, Aubry de, Alexanderdich-
tung A 197 ff." 2()2
bi-, got. A 92 f
bibelreminiscenzen in der ir. Finnsage
49 f
biber und otter verwechselt A 273
bibliotbeken im ma. A82ff
bihte (biechte) dreisilbig 384
BvBilach, kirchenlieder A 311
Bock . Hamletübersetzer A 175 f
Bodmer, briefwechsel mil Conti A 58.
65 f
Böhmens deutsche litteratur im 16jh.
A 31 17 f
Book of Leinsttr I
EBraan, briefe A 328 f
bflehercataloge im ma. A 81 ff
burgundisches Sprachgebiet A 283
23*
348
Cain Patraic s. Senchas mör
Carduino A305f
Carmina Burana, collation und text-
kritik 328 ff
Carzimasius A 27 1 f
Cath Finnträga, ir. text 42. 44ff
Catumerus 363 f
Cauteraria A 44
-cht hat schwäb. langen vocal vor
sich A 103
Cintio dei Fabrizii A 176
classische reminiscenzen in der ir.
Finnsage 49 f
Comthoth Löegairi, ir. text 55 f
Gonchobar, könig v. Ulster 40 ff
conjunetive, got. A 279
constitulive sprachfacloren A104I'
Conti, Paragone A 58 ff; briefwechsel
mit Bodmer A 58. 65 f, von Les-
sing benutzt A 65 ff
contrahierte formen songeben, sagen
schwäb. A 100
Cormac mac Airt, sagenkönig des
3jhs. 1 18 f ; Cormac mac Cuilen-
nain, bischof 118 f
Corneille, Discours sur le poeme dram.
A 57 ff, von Conti kritisiert A 58 ff.
63. 67 f
Craon, Moriz v., v. 1164: 182
Cuchullinsage, ihr alter 9f; beein-
llusst die Finnsage 36 ff. 156
Cüraz A209
daetylen, mhd. A 18 f
Dahlmann A 238. 240
Dänen herschen in Dublin 131 ff
dänische herkunft der Jüngern ir. vi-
kingen 131 ff; s. Lochlann
De casu Caesenae A 9
De Paulino et Polla A 10
Deutung der messgebräuche A 294 ff
Dialogus de divite et Lazaro, lat.
rhythmus 257 ff. A 263
dichtkunst in irischer sage unter nord.
einfluss 157 ff
diem mhd., schwäb. A 101
Dietrich, probst von Heiligenstadt
A78f
differenzierung A 97. 100 f
donnergott der Germanen und der
Kelten 372 ff
drama, technik und aufgäbe, A 162 ff;
s. auch tragödie
draumr altn. A 169
Dublin, von vikingern beherscht, 64 ff.
109 ff
Dungal, könig von Leinster, 118
e, geschlossenes A 185 — 89; offnes
A 190
Eckhart, meister, bruchstücke 215 ff.
222 ff (?)
eigen, 'possidere', mhd. A 291
Eist, Dietmar von, tagelied A 176
el, altn. A 186
ellipse des pron. pers. A 32
WvEImendorf, A78f. 344
-emo, -emu, ahd., dativendung des
A277
-ent, mhd., endung der 2 pers. plur.
adj. A 292
-er schwed., endung des plur. ntr.
A95ff
Erinnerung, von anderm verf. als das
Priesterleben 187 ff; abfassungszeit
281 ff; v. 121 f; 196; 156ff:187;
181 ff: 187 f; 225:309ff; 318 und
341 : 313 f; 398:294f
UvEschenbach , Alexander, bruchst.
415
WvEschenbach, Willehalm, bruchst.
345 ff
Euphrosynenlegende, mhd. A95
AvEyb, deutsche Schriften A 80
familiennamen aus Ortsnamen A 76
Faustsage 186
Fene, alter name der vikinger 54—98
Fiac Sleibte, erster bischof v. Leinster
4; sein angebl. hymnus auf Patrick
54 f
fjäll, fjällar schwed. A 97 f
f'lan neuir. 52
fiann irisch, name und sache aus der
vikingerzeit 1 — 25; etymologieuud
älteste Verwendung 15 f. 80; Um-
wandlung des alten begriffs 40 f
finnaim altir. 148
Finnsage, irische: bild des Finn mac
Cumaill nach quellen des lljhs.
25—29; ausbildungd.sage29— 51;
localer hintergi und und zeitliche an-
knüpfung 111 f, bes. 123 ff; F. ver-
tritt die Opposition der ir. Norweger
gegen den Dänenstaat von Dublin,
ist = Caittil Find 141 ff; weitere
nord. züge 147 ff
Fischart A 52 ff; name und familie
255 f. A55
Freidanks grabmal A 126
freie verse in der nhd. dichtung A
311 ff
frtär altn. 264
friesische spräche A 189 ff
frisch, friscing 262 ff
AvFürth A 179
349
ga-, got. A92, ge- mhd. A 1 72 f, go-,
gu- A 32
Gabiae 316 f
Gaill, Call, ir. = 'ausländer' 62 f
Gandeslrius 365 f
Gaudon, name im Oswald A123
Gavadiae 316
gebete des 15 jhs. A 176f
gemare mhd. A 291
OHvGemmingen A 147 ff
geschlecht, grammat. A 181 ff
gesten swv., mhd. 321
gimierit ahd. A 186 f
Glarean A 173 ff
glossen, aus Klagenfurt A 177 ff, Lai-
bach 407, Prag A 95; ags. Corpus-
gll. A 1 15 f ; altirische glossenhss.,
ihre lautgebung 138 f
Goethe, als theaterleiter A 235 f
götternamen, german., auf rheinischen
inschriften 207. 3 1 5. 324. 328. 3S8ff
Gottsched, litt. -bist, bedeutung A70I'
WvGrafenberg, Wigalois A 306
gralsage und -romane' A 169 ff
Grimm, brüder, briefe an Hirzel A
237 ff, an EBraun A328f
HGrimm A 247. 251
JGrimm, briefe an Fürth A IT*) f 1"
Grynaeus A309f
Gurun im Herzmäre A 335
gutturalreihen, germ. u. got. A 255 f
HvdHage, mhd. Margaretenlegende
A 171f
ChrLvHagedorn, Betrachtungen über
die mahlerey A 73
Halamarctus 389
haell altn. A 187
handschriften ausAdmont415; Brügge
261; Brüssel 437; Heidelberg A 77;
Hohenfurt 248; Innsbruck 209 ff;
Klagenfurt A 176 ff; Kopenhagen
244; Krumau A95; Laibadi 407;
London 262. 401 ; Milstatt A 289f;
München 328. 411. 413; .Mini A
lllff; Neubaus A95; ParisA263;
StPaul A 176f; Prag A 37 ff. 95;
Bheinau, Wettingen, Zürich A
lllff
Hanno (Hannini) 207 f. A 184
harpunen, handelsartikel A 27 1
LHätzer, kirchenlieder Ä310
MHaupt A 238. 240. 249
Hebbel, .«1- lyriker A :v:\ i
heile 'babuif A 290. 292
heldensage, irische, s. Cuchollins.,
Finiis.. ftn/in
her, alts. hvr A 1S6. 191
Hercules Saxo 396 ff
heriman 172 ff. 264
Hermann, bruder, Jolande 379 ff; zu
spräche u. versbau 381 11; einzelne
stellen 38411'
Herzmäre, heimat und eatetehung A
334 ff
HHeselloher A 213—20. 4
RHildebrand A 244. 251 f
Hildebrandslied 17311'. A 184
Himmlisches Jerusalem, besprochne
stellen A 23 f; v.269: A31; 146 ff:
A33
lijö altn. A 188
SHirzel, briefwechsel mit den Grimms
A 237 ff
Hochzeit, handschrift A 287; spräche
A 289 ff; zeit A 294 f; textkritische*
A 25 ff. 292 ff. 298 ff; ferner v. 251.
278: A 33; 800: A 31
FHölderlin, leben und briefe A 31411;
Diotima A 316; Verhältnis zu Schil-
ler A 317 ff, zu den Romantikern
A319f
Honorius Augustodunensis 201
Hordaland, heimat der altern irischen
vikinger 131. 134. 140
-hörn, Ortsnamen auf, 239. A 184
humanistendrama der frühzeit A4!
hurenhäuser im 12jh. 286ff
UvHntten A 221 ff. 336 f
hymnen, lat. A 109 ff; amdichtoogeu
A 109 f. 113; form A 110; hauche
nachweise und Varianten A 111 f;
lextkritisehes A 1 13 f
iarnguala ir., aus aori. jdrnkjöü ? 171
imperativische Wortbildungen A 76 f
•ims, westgerm. dativendung316. A 78
inn- got. A 93
Irland unter dem einflusse der vikinger
1—172
Jupiter Tanarus, s. Tanarus
Kentaurensage A 87 f
Kehrein A 240
JohKessler, kirchenlieddichter 4310
kinderlied, bedeutung für metrik A l
kirchenlied der Schweiz A 309 ff
Klage, brachstück A 95
kleiderluxas im 12 jh. 284 Bf
Klein, Kleinen, ortsname A 273
Klopstock, freie rhythmeo A 312 tl
'Dem unendlichen' A ;u i
komödie, im ma. A 7 II
Krimgoten A 168 f
Knperan ■= Gyprian A 12 l
Körenberger MFr. 8,6 : \ 289
350
laienbrüder 304 ff
Läland, Laithlinne, s. Lochlann
Lambert le tort, Alexanderroman A
201 f
Lamprecht, Alexander und seine franz.
quelle A 197—203
landsknechtsvers A 177
lautverschiebung, schwäb. A 104
Lebor na cert, alter und quellenwert
10 ff. 23 ff; der anhang 57 ff , be-
nutzt von Jocelin 60; entstehungs-
zeit 68
Lebor na huidre 1
led, pl. leder scbwed. A 97
Leinster, Book of 1
Lessing: sprachliches A 137 f. 345 f;
sein purismus A 146; doppeldrucke
seiner Schriften A 137; Alte Jungfer
A 140; Briefe an Mendelsohn A 58.
65 f. 68; Emilia Galotti A 140; Ge-
dichte A 138 f; Hamb. dramat. A
67 ff; Hamletübersetzung? A 175;
Henzi A 144; Matrone v. Ephesus
A 142 f; Minna v. Barnhelm A 140;
Miss Sara Sampson A 148; Nathan
A 141; Theatral. bibl. A 144; Vol-
taireübersetzung A 144 ff; Zorade
A 143 f
Leudisio 392
lewe A101
liederbücher der minnesinger A 327
lippenentrundung in Basel A 284
Ijopahättr A2ff
Lob Salomons v. 128 : A 31 ; 137ff :
A34; 167:A22
Lochlann, heimat der vikinger, seit
12 jh. = Norwegen 133 ff; entstellt
für Läland 135-140
Lokasenna Alf
Lomna Drüth 37 f
Loucetius 373
Luther, bibeldrucke A 127 ff; Verhält-
nis zum humanismus A 220 ff, zu
Hütten A221f
lyrik, ihre physiologie u. psychologie
A 320— 328; entstehung der urlyrik
A 164 ff
HvMelk, localisierung unsicher 292;
war mönch 302 ff; Sittenprediger
310 ff; vgl. Erinnerung
memoriale = leihschein A 85
Mercurius Hanno 207 f. A 184; Leu-
disio 392
WvMetz A 211
Milo A9f
Milton, Verlornes paradies, in der
deutschen litt, des 18 jhs. A 259 f
Mimir und Elias A 268
Minnesangs frühling 3, 1 : A 343;
39, 19 : A 176
miß- got. = missa- A 92 f
modraniht ags. 324
Moralis philosophia de honesto et
utili, ihr verf. A 344
KPhMoritz als ästhetiker A 260 ff
HvMorungen, echtes und unechtes
A 301 ff; einfluss auf Neidhart A
206
mr = man A 102
mundarten: anglofries. A 193 f; ober-
sächs. A345; schwäb. A 98 — 105;
schweizer, des Aargaus A 283 f, von
Basel-stadt A 284 ff, von Luzem
A281f
mythologie, methodik, wesen des
mythus: A90f. 265 ff. 329
n- stamme, nom. sing, im germ. A
278 f
Nabuchodonosor, v. 2 : A 22; 56 : A
22; 57:A3l; 216 : A 31 f
naturgefühl in nord. dichtung A329f
nefo ahd., nefi altn. A277f
Nehalennia 3 24 ff
Neidhart Fuchs A213f
Nerthus 327 f. 396 f
neujahrsspiel, Luzerner A46f
Nibelungenlied A 195 ff
Nibelungenstrophe A 19
SNicolaus, mlat. rhythmen 401 ff
nordische lehnwörter im irischen 96 ff
anm. 106. 149f. 164ff; nord. litte
ratur, ihr einfluss auf die irische 32 ff
Notker, Psalmen A 330 f
my> b in vortoniger silbe 383
Mai und Beaflor, textkritisches A 74 f
majuskeltheorie A 341 f
mäno ahd., mäni an. A 277f
Maria von Ungarn, lieder mit ihrem
namen 435 ff
Mars Loucetius 373
matronencult 323 f; matronennamen,
germ. 315 ff
JMrlber v. Gerolzhofen A 344
o vor nasalverbindungen, wfries. A 192
olnguala ir., aus nord. ölkjöll 164 ff
Orcain calhrach Mail Milscothaig, ir.
prosatext 34 f
Ordinalzahl mit dem pron. pers. ver-
bunden, niederld. 386 f
Orendel, gedieht des 14jhs.? A 124;
Orendelmythus A 90
Ortnit, zwergensage 182A
Oscar, Oscur ir. = nord. Asgeirr 252 ff
351
Osnin ir. = nord. Asvin 252 ff
Ossiansage, s. Finnsage
Oswald, gedieht des 14 jhs.? A 124f;
Oswaldsage 178 ff. A 95. 122 ff
Otfrid, quellen A 116 ff, versbau und
accente A 11 ff
JohOtmar, drucker A 80
otter s. biber
Ovidius de limaca A 10; 0. puella-
rum A 6
p im anlaut > f sebwäb. A 104
Palas 205
Pamphilus A 10
Papiriusanecdote A 333
Paternoster v. 7 : A 31
Pathelin, Mahre, enlstehung des
schwanks A47f; bearbeitungen u.
aufführungen A44ff. 49 f
Patrick, liymnus auf ihn 54. 73; als
bekehrer der vikinger 55. 71
Paulus Diaconus, Homiliarius A 117 ff
pelzhandel der Araber A 272 f
Perceval le Gallois A170f
Petrarca, De variis remediis, altd.
Übersetzung 227 ff
Philipps Marienleben, fragm. A 95
Pleier, Tandarois A 93 f , reihenfolge
seiner dichtungen A 94
plur. neutr. im schwed. A 95 ff
poetik, aufgaben und methode A 71 f.
154—167.320—8; poetik des ma.s
A 7 f ; s. auch lyrik und Iragödie
präfixvocale, frühmhd. A 32
predigten, altd., aus Aldersbach 413.
aus Inderstorf 411, ostmd. aus
Lemberg 355, vgl. 350 f
Priesterleben, v. 367—436 : 188 f;
396 ff: 193; 592 f: 196; s. Erinne-
rung
pron. pers. ausgelassen A 32
praeterita, reduplicierte A 187 ff;
schwache A 280 f
psalmenübersetzung d. 15 jhs., brach-
stück 225 ff
Quänland A 274
R urnord. > a ir. 15 anm. 170 anm.
-r, schwed. endung des neutr. pl. A97
Ra?nis 366 f
rd : rt, reime 380
Recht, herkunfl A 2ss f; spräche A
290 f; zeit A 294; textkrilisches:
A24f. 297 f. femer v. 36f : A 33;
367 :A31; 3961 : A 33
BvRegensburg, predigtbrachst, 209 ff;
praefix ge- A 172 f
Reichersberg, Gerh. v., 295 — 9
Reinmar der alte A 210 f
Reinmar der fiedler A 195
Requalh'aliatius ^74 ff
Reuchlin, komödien A43 — 52; Henno
A 44—49; Sergius A 51; biblio-
graphie A 51 f
NvReuental A 204 ff, von Heselloher
nachgeahmt A 214
rock Christi A 124
Rolandslied, im Orendel benutzt A
124; 21, 20 ff. 22, 6 ff : 184
Rosengarten A 35 — 43
FRostgaard A 331
OtmRot A310f
Rother, dialect 419 anm. A 108
Rumunu mac Colmain 103 — 7
Rus mac Tricim 56. 74
Saba, königin von, 177ff
sacer, lat. falkenname A 273
Sachs, Hans, Henno A 49
Sachsenspiegel, bruchst. 348 f
MSachsse, Erfurter drucker A 128
sacramentstraetat des 15 jhs. A 178 f
Saitckamiae 321 ff. A 78
JGvSalis-Seewis A340f
Salman und Morolt, gedieht d. 14 jhs. ?
A124f
Salomosagen in Deutschland 177 f
Saltair Caisil 'psalter von Cashel' 1 1 MI
Salzburger schuldrama A75f
sandrs, sandrei 390 f
Sandraudiga, dea 389 f
Sandrimer 390
sapphische Strophe, gereimt A HO
MSattler, kirchenlieder A 31 1
Saxnöt 400 f
Saxo als beiname des Hercules 396 ff
sedf ae. A 186
Schamir 178. 183
Schiff und regenbogen, altnord. 24411'
Schiller, von Kant beeinflussl A 14911';
Verhältnis zu Hölderlin A 31 7 II: aul
führungen seiner dramen in Weimar
A 236 f; 'WaHenstein' A 151 II'
JElSchlegel A 338 f
Schlüter, prof. in Munster \ 342 i
Schriftsprache, mhd. A los f; nhd.
A 1071'
FrLSchröder A 232ffj sein« Hamlet-
Übersetzung A 175 f
schuldrama in Salzburg A75; sohul-
komödie A 338
schwül), mundarl A 98- 106; itam-
me8geschichte A 106
segen aus Hohenfnrt '1 \B ff
Seg ettei , Segimeru» , Segimundus,
Segithanctu 361 f
352 REG
Senchas mör, ir. rechtsbuch 84 ff;
sein alter 87 f; histor. hintergrund
90 ff
Senkungen, mehrsilbige, bei ütfrid
A 14, bei Klopstock A 313
Siaburcharpat Conculaind, ir. text 43 f
sieben weisen bei den Slaven A332f
Siegfridsage A 88 f
Sigurösage wüikt auf Finnsage 159 f
Simon, clerc, verf. eines franz. Ale-
xandergedichts? A 202
KSimrock A 243
Singularartikel vor pluraldativen A
345 f; Wechsel von sing, und plur.
A30
skalden , an irischen vikingerhöfen
160 ff
Skeireins v«: A 92; vc: A 93
sklave A 272
Sklavenhandel der Araber A 270 ff
Spervogel von Tannhäuser benutzt
A211
stabzauber, nord., in Irland 149 ff
Stern-, Stirnhelle 239. A 1 84
strceti altnord. lehnwort im irischen
105 f anm.
stre afries. A 193
HvStretelingen A 211
ström nhd. A 101
Suleviae 319
Summa theologiae 85 f. : A 22
Sündenklage, Vorauer: heimat und
Überlieferung 417 ff, im Anegenge
benutzt 423; textbesserungen 424 ff.
A29ff, ferner v.501f : A 33; 385 :
A31; 721 f : A 33 f
suster, siister 385
t germ. im auslaut A 276 f
tacte im altgerm. vers A3; tactfül-
lung bei Otfrid A 13 ff
Täin bö Cüalnge, ir. text 40 ff
Tanarus 372 ff
Tandarius a Floribella, cech. gedieht
93 f
Tannhäuser A 207 — 13; Chronologie
A 207 anm.; bau der leiche A 208;
rätselspruch A79f; kritisches und
erklärendes A 209 — 13; obersteiri-
sches Volkslied 439
teinm Iwgda, ir., entlehnt aus dem
nord. 149
Tereusfabel A 335
Thumelicus 368. 371
Thusnelda 367. 371
Tirol und Fridebrant, sage 181
tragödie, theorie der tr. A 58 ff. 155 f;
ihre technik A 162 ff; tragödie im
ma. A 7 ff
träume in altn. saga A 169
Treviso, deutsche colonie in, A 126 f
UvdTürlin, Willehalm, bruchst. A 95
-«, altn., endung des dat. sing. adj.
A278
ü md. für germ. im, lautwert 382
Ucromerus 364
Ulfila, syntax A 92 f; Luc. 1,5.
19,29 : 92; Marc. 1,19 : 93
umlaut des a westgot. 173, schwäb.
vor*cA A102; des u in der Jolande
381, der Septemberbibel A 134
Unfachlas 204 f
unterweltsgott, german. 376
urform der poesie A 159 f. 164 fi
vagabundenbenennungen A 178
Fagdavercustis, dea 393 ff
Fapthiae 318
Vatviae 317
vel altn. 'schwänz' A 1S6
vela altn. 'betrügen' A 186
verbalcomposita , got. A 91 f
versbau, altgerm. A3, Otfrids 10 ff,
mhd. A 17 ff
vikinger in sage, geschichte und recht
der Iren 1 — 172
Vocabularius praedicantium A 344
vögel als boten A 123
WvdVogelweide A 210
Volker von Alzei A 195
Vorauer hs., s. Sündenklage
Wahrheit v. 108 ff: A 29; 168f:A33
waisen in reimpaaren A 292 ff
wan, Wortstellung nach, A 176
wasserkufe A 122
waten frühmhd. A 26
Weimarer theaterrepertoire 1791 bis
1817 A235ff
wiege nhd. A 187 anm.
JVieland, name, A 186; Wielandsage
A90
Wigamur v.2697 : 184
Willamow, dithyramben A311f
Wörterbuch , Deutsches A 240 — 54
UvZatzikhoven, Lanzelet A 305
Zauberformeln aus Hohenfurt 248 ff
PhZesen in Leipzig? A 344
zobel A 272
zum vor pluralen A 138. 345 f
Zuspruch für sterbende 251
Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.
0
JAN 2 3 1975
PF Zeitschrift für deutsches
3003 Altertum und deutsche
Z5 Litertur
Bd. 35
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