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Full text of "Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur"

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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DEUTSCHES  ALTERTHUM 

UND 

DEUTSCHE  LITTERATUR 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

EDWARD  SCHROEDER  UND  GUSTAV  ROETHE 


FLNFUNDDREISSIGSTER  BAND 
DER  NEUEN   FOLGE   DREIUNDZWANZIGSTER  BAND 


BERLIN 
WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG 

1891  .  ^ 


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INHALT. 


Seite 

Keltische  beitrage  III,  von  Zimmer I 

Heriman,  nach  einer  mitteilung  von  Mommsen 172 

Nochmals  zum  Hildebrandsliede,  von  Roediger  (vgl.  Anz.  s.  184)     .     .  174 

Salomosagen  in  Deutschland,  von  Singer 177 

Erinnerung  und  Priesterleben  i,  von  Kochendörffer 187 

Unfachlas,  von  Much 204 

Mercurius  Hanno,  von  Much  (vgl.  Anz.  s.  184) 207 

Altdeutsche  funde  aus  Innsbruck,  von  Schönbach 

vm.  Aus  predigten  Bertholds  von  Regensburg 209 

ix.  Meister  Eckhart 215 

x.  (Meister  Eckhart?) 222 

xi.  Psalmenübersetzung 225 

xii.  Aus  einer  Übersetzung  Petrarcas 227 

Belisars  Ross,  von  Schröder  (vgl.  Anz.  s.  184) 237 

Nochmals  schiß' und  regenbogen,  von  Larsson 244 

Segen  und  Zauberformeln  aus  Hohenfurt,  von  Ammann 248 

Ossin  und  Oscar,  von  Zimmer 252 

Die  herkunft  Fischarts,  von  Schenk  zu  Schweinsberg 255 

Dyalogus  de  Divite  et  Lazaro,  von  ßolte  (vgl.  Anz.  s.  263)  ....  257 

Frisch,  von  Schröder 202 

Die  herkunft  der  'heriman',   von  Kossinna 264 

Die  Widersprüche  im  Beowulf,  von  Jellinek  und  Kraus     ....  265 

Erinnerung  und  Priesterleben  n,  von  Kochendörffer 281 

Germanische  matronennamen,  von  Much 315 

Nehalennia,  von  Much 324 

Zum  text  der  Garmina  Burana,   von  Wustmann 328 

Altdeutsche  bruchstücke  aus  polnischen  bibliotheken  n,  von  Werner  .  343 

i.  Wolframs  Willelialm 1(45 

ii.  Sachsenspiegel 348 

m.  Predigtbruchstück? 350 

iv.  Eine  md.  evangelienharmonie? :;.">! 

v.  Predigtbruchstücke    . 355 

Die  sippe  des  Arminitis,  von  Much ....  361 

Jupiter  Tanarus.    von  Much 372 


IV  INHALT 

Seite 

Requalivahaniis,  von  Much 374 

Excurs  über  die  gotischen  adjectiva  auf  -ahs,   von  Schröder     .  376 

Zu  bruder  Hermanns  Jolande,  von  Franck 379 

Germanische  götternamen  auf  rheinischen  Inschriften,  von  vGrienberger 

1.  Mars  Halamardus 388 

2.  Dea  Sandraudiga 389 

3.  Mercurius  Leudisio 391 

4.  Dea  Vagdavercustis 393 

5.  Hercules  Saxo 396 

Legenden  vom  heiligen  Nicolaus,   von  Dümmler 401 

Altdeutsche  glossen  aus  Laibach,  von  Petschenig 407 

Zwei  altdeutsche  predigten,  von  Schönbach 411 

Ein  bruchslück   aus   dem  Alexander  des  Ulrich  von  Eschenbach,    von 

Schönbach 415 

Heimat  und  Überlieferung  der  Vorauer  sündenklage,  von  Schröder  .     .  417 

Königin  Maria  von  Ungarn  und  die  ihr  zugeeigneten  lieder,  von  Bolte  435 

Eine  obersteirische  fassung  des  Volksliedes  vom  Tanhäuser,  von  Levissohn  439 


KELTISCHE   BEITRÄGE. 

III.  weitere  n  ordgermanische  einflösse  in  der 
ältesten  Überlieferung1  der  irischen  heldensage; 
Ursprung  und  entwickelung  der  Fiun-(Ossiau-) sage; 
die  vikinger  Irlands  in  sage,  geschiente  und  recht 
der  Iren. 

Die  erzählungen  der  jüngeren  irischen  heldensage,  der  so- 
genannten Ossian-  oder  Finnsage,  wie  sie  in  den  sammelhand- 
schriften  des  15  jhs.  vorliegen,  beanspruchen  auf  folgendem 
historischen  hintergrund  zu  beruhen. 

Im  2  und  3jh.  unserer  Zeitrechnung,  noch  vor  einführung 
des  Christentums,  war  in  Irland  ein  stehendes  kriegercorps 
(miliz)  vorhanden,  das  den  namen  fiann  (fem.  a- stamm)  führte; 
ein  einzelnes  mitglied  der  fiann  heifst  fennid.  dieses  Söldnerheer 
remitierte  sich  aus  allen  teilen  Irlands,  und  auch  jedes  einzelne 
dieser  contingente  führt  den  namen  fiann,  sodass  fiann  Irlands 
und  fianna  Irlands  in  den  texten  der  Finnsage  gleich  gebraucht 
wird,  zehn  bedingungen  muste  einer  erfüllen,  bevor  er  in  dies 
Söldnerheer  aufgenommen  wurde:  seine  eitern  und  sein  clan 
musten  in  erster  linie  garantien  geben,  dass  sie  den  eventuellen 
tod  des  aufzunehmenden  nicht  einklagen  wollten  an  seinem  gegner, 
der  ihn  erschlagen;  er  selbst  muste  unbedingten  gehorsam  und 
treue  dem  haupte  der  fiann,  dem  rigfPnnid,  schwören  (s.  Keatings 
History  of  Ireland,  INew-York  1866,  s.  349  ff),  oberfeldherr  der 
fiann  war  im  3  jh.  der  hauplheld  der  jüngeren  heldensage  Finn 
mac  Cumaill,  dessen  vater  schon  die  gleiche  Stellung  zurzeit 
des  irischen  oberkönigs  Conu  Cetchathach  eingenommen  hatte; 
1  unter  ältester  Überlieferung  verstehe  ich  wie  in  meinem  früheren  auf- 
satz  (Zs.  32,  196  ff)  die  beiden  handschriften  Labor  na  huidre  (LU)  und 
Book  of  Leinsler  (LL),  von  denen  die  erstere  ende  des  11  jhs.,  die  andere 
vor  1160  geschrieben  ist.  zur  weiteren  allgemeinen  Orientierung  über  Cu- 
chulinn-  und  Finnsage  verweise  ich  auf  s.  196— 198  des  genannten  auf- 
satzes  sowie  auf  die  Göttinger  gelehrten  anzeigen  1890  s.  495  fT. 
Z.  F.  D.  A.     XXXV.    N.  F.    XXIII.  1 


2  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

Cumall  mac  Trenmöir  war  in  der  Schlacht  von  Cnucha  vor  der 
gehurt  seines  sohnes  Finn  gefallen  und  sein  mörder  Goll  mac 
Morna,  ein  angesehener  fiihrer  eines  der  contingente,  war  oher- 
feldberr  der  fiann  von  Irland  gewesen ,  bis  Finn ,  Cumalls  söhn, 
herangewachsen  war.  dieser  Finn  hielt  sich  für  gewöhnlich  auf 
seinem  erbsitz  zu  Almu  in  Leinster  (heute  Allen  in  county  Kildare) 
auf,  umgeben  von  einigen  contingenten;  kleinere  trupps  waren 
in  den  verschiedenen  gegenden  Irlands  verteilt,  besonders  in  den 
bäfen,  um  das  herannahen  von  feinden  zu  beobachten  und  für 
die  erste  zeit  stand  zu  halten.  Finn  zog  dann  auf  benach- 
richtigung  die  gesammten  Streitkräfte  der  fiann  Irlands  an  sich, 
besiegte  den  feind  und  verfolgte  ihn  aufser  landes  nach  Schott- 
land und  Norwegen  (Lochland)  usw.  war  ruhe  im  lande  und  an 
den  gränzen ,  dann  lagen  Finn  und  seine  genossen  der  jagd  ob 
oder  brachten  mit  einzelnen  abenteuern,  in  denen  immer  la 
femme  eine  hauptrolle  spielte,  die  zeit  hin.  die  Privilegien  der 
fiann  waren  bedeutend,  die  jagd  gehörte  ihnen  allein;  kein 
mädchen  durfte  verheiratet  werden,  ohne  anzufragen,  ob  sie 
nicht  einen  liebhaber  in  der  fiann  habe,  und  wenn  dies  nicht 
der  fall  war,  muste  eine  Steuer  gegeben  werden,  ehe  sie  heiraten 
durfte,  diese  und  andere  Privilegien  (s.  Cath  Finnträga  ed. 
KMeyer  s.  29,  521  ff;  62,  116  ff)  drückten  sehr  auf  die  be- 
völkerung  Irlands,  als  Finn  und  die  fiann  Irlands  in  dem  kample 
am  'weifsen  Strand'  (Finnträig,  heute  Ventry  harbour  in  der 
Dingle  bay,  county  Kerry)  gegen  Daire,  den  könig  der  weit1,  zu 
unterliegen  drohten  und  ein  böte  dies  Irlands  oberkönig  Cormac 
nach  Tara  meldete,  da  freute  er  sich  über  die  üble  läge  der 
fiann,  als  ob  ihn  die  sache  nichts  augienge,  und  meinte  gerade- 
zu, dass  es  für  ihn  besser  sei,  wenn  die  feinde,  die  übers 
meer  gekommeneu  (allmuraich  s.  Zs.  32,  244  ffj ,  die  überhand 
behielten  (Cath  Finnträga  s.  29,  528).  anders  dachte  freilich  der 
tbronerbe  Cairbre  Lifeocbair  damals;  später  jedoch  wird  er  diese 
auflässung  bereut  haben,  denn  als  er  oberkönig  geworden  war, 
muste  er  selbst  gegen  Ossln  (Ossian),  Finus  söhn,  und  den  grösten 
teil  der  fiann  zu  leide  ziehen:  in  der  furchtbaren  schlacht  von 
Gabair  wurden  die  fianna  Irlands  vernichtet,  nur  Ossln  mit 
wenigen    überlebte    den    Untergang,     diese  schlacht   soll   stattge- 

1   die  idee  ist  eine  Verbindung   der  Trojanersage  mit  dem  zuge  des 
Darius  gegen  das  kleine  Griechenland;  s.  Göttinger  gel.  anz.  1890  s.  505. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  3 

funden  haben  283  n.  Chr.,  während  das  datum  jener  schlacht,  in 
der  Oscars  urgrofsvater  Cumall  fiel,   174  n.  Chr.  sein  soll.1 

Werden  durch  diese  jüngere  irische  heldensage  tatsächliche 
zustände  Irlands  bis  zu  einem  gewissen  grade  widergespiegelt?2 
Keating,  Irlands  historiker  (1570 — 1644),  ist  entschieden  der 
ansieht  (History  of  Ireland  s.  343  ff)  und  die  Iren  in  heutiger 
zeit  fast  alle,  ihnen  schliefst  sich  Windisch  an.  in  seinem  in 
den  Verhandlungen  der  33  Versammlung  deutscher  philologen  und 
schulmänner  zu  Gera  gedruckten  (Leipzig  1879)  Vortrag  sagt  er 
s.  24  bei  besprechung  der  erzählung  'ursache  der  schlacht  bei 
Cnucha'  folgendes:  'Finn  erscheint  hier  in  seinem  historischen 
character,  ohne  phantastische  Übertreibung,  ohne  mythologische 
zutat,  er  war  der  nachfolger  seines  vaters  Cumall  in  der  führer- 
schaft  der  Fenier.  diese  bildeten  ein  stehendes  national- 
heerlrlands,  ursprünglich  bestimmt,  die  königliche 
gewalt  zu  stutzen  und  die  insel  gegen  feindliche 
einfalle  zu  verteidigen.'  auch  das,  was  weiter  s.  24  —  26 
gesagt  wird,  geht  von  der  Voraussetzung  aus,  dass  tatsächliche 
Verhältnisse  durch  die  anschauung  von  der  fiann  Irlands  wider- 
gespiegelt werden,  so  sagt  er  auch  im  Wörterbuch  zu  den 
irischen  texten  s.  547  unter  fiann  'name  für  die  stehenden 
kriegercorps,  wie  sie  vor  und  zu  Finns  zeit  ursprünglich 
zum  schütze  Irlands    und  der  königlichen  gewalt    bestanden.'3 

1  die  ähnlichkeit  der  institution  der  fiann,  wie  sie  zur  zeit  des  irischen 
oberkönigs  Cormac  bestanden  haben  soll,  mit  der  janitschareninstitution  in 
der  zeit,  als  die  Osmanenherscher  zu  serailfürsten  herabgesunken  waren, 
drängt  sich  auf.  das  jähr  1826  wurde  für  die  janitscharen  was  das  jähr  283 
für  die  fiann  Irlands. 

2  die  erzählungen  der  Finnsage  sind  heutiges  tages  im  süden  und  Süd- 
westen von  Irland  in  aller  munde,  'the  reader  who  speaks  irish  may  have 
often  heard  a  labourer  in  the  field  discussing  ex  cathedra  of  the  laws  and 
the  weapons  of  the  Fenians,  and  detailing  to  his  admiring  and  credulous 
hearers  the  seven  qualifications  required  by  them  in  a  nevvly  admitted  com- 
rade'  sagt  O'Grady,  Ossianic  society  m  28.  die  in  der  sage  lebendige  Vor- 
stellung von  den  kämpfen  der  fiann  Irlands  für  die  Unabhängigkeit  Irlands 
gegen  fremde  eindringlinge  hat  bekanntlich  in  unserem  Jahrhundert  dazu 
geführt,  den  namen  Fenier  einem  irisch -amerikanischen  bund  von  Ver- 
schwörern für  die  Unabhängigkeit  Irlands  zu  geben. 

3  dies  ist  von  Windisch  ziemlich  wörtlich  aus  dem  nicht  citierten  Todd, 
Cogadh  Gaedhel  s.  clxxxii  anm.  genommen  (it  may  be  here  mentioned  that 
the  ancient  order  of  Fenians  were  a  body  of  militia  whose  objeet 
was   the    support    of   monarchy    and    the   maintenance   of  law 

1* 


4  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

an  sich  schliefst  diese  ansieht  nichts  unwahrscheinliches  oder  gar 
unmögliches  in  sich;  hei  näherer  betrachtung  erweist  sie  sich 
jedoch  als  so  völlig  unhaltbar,  dass  wir  sie  aufgeben  müsten, 
selbst  wenn  wir  nicht  zeit  und  veranlassung  ihrer  entstehung 
nachzuweisen  im  stände  wären,  aber  auch  dieses  ist  der  fall: 
name  und  sache  verdanken  ihre  entstehung  dem 
vikingerzeitalter  in  Irland,  also  dem  9  — 11  jh.  den 
nachweis  gedenke  ich  führen  zu  können  an  der  hand  der  uns 
erhaltenen  documente. 

Hat  der  historische  hintergrund  der  Finnsage,  wie  er  oben 
kurz  seizziert  wurde,  eine  berechtigung  in  tatsächlichen  zuständen 
Irlands?  diese  frage  ist  zuerst  zu  beantworten. 

Mit  dem  endgiltigen  sieg  des  Christentums  in  Irland,  also 
der  zweiten  hälfte  des  5jhs.,  beginnt  für  die  einheimischen  quellen 
die  geschichtliche  zeit  Irlands:  in  den  zahlreichen  klöstern,  die 
bald  in  den  verschiedensten  teilen  Irlands  entstanden,  wurden 
annalistische  aufzeichnungen  der  wichtigsten  begebenheiten  ge- 
macht, aber  auch  für  die  der  einführung  des  Christentums  un- 
mittelbar vorausgehenden  Jahrhunderte  trägt  das,  was  die 
älteste  annalistik  des  10  und  lljhs.  angibt,  vielfach  den  Stempel 
relativer  Wahrheit  an  sich:  wir  dürfen  nicht  vergessen,  dass 
das  Christentum  in  Irland  seit  alters  her  hier  wie  in  Gallien  be- 
stehende litterarische  stände  vorfand  und  dass  die  mit  dem 
Christentum  nach  Irland  gelangte  classische  eultur  deshalb  dort 
zu  so  rascher  und  hoher  blute  gelangte,  weil  die  träger  dieser 
eultur  längst  vorhanden  waren,  ich  habe  sebon  früher  (Zs.  33, 275, 
vgl.  32,  200  ff)  darauf  hingewiesen,  dass  Patricks  genösse  Dubthach 
ober  -fde  von  Irland  und  der  erste  Leinsterbischof  Fiac  Sleibte 
Dubthachs  bester  schüler  war.  so  werden  wir  den  annalisti- 
schen notizen  über  die  oberkönige  Irlands  in  den  ersten 
Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  bis  zum  endgiltigen  sieg  des 
Christentums  sowie  einigen  aus  dieser  zeit  gemeldeten  einschnei- 
denden ereignissen  a  priori  das  gepräge  relativer  Wahrheit  nicht 
absprechen  können,  ohne  dass  die  gegebenen  Jahreszahlen  bis 
auf  die  einer  zuverlässig  zu  sein  brauchen,  wie  Windisch  richtig 

and  order).  auch  die  angaben  über  Finn  und  die  fiann  indem  genannten 
Vortrag  slammen  meistens  aus  dem  nicht  citierten  Keating  (History  oflreland, 
New -York  1866,  s.  343  —  354)  und  beruhen  nicht  auf  kenntnis  der  sagen- 
texte des  15  jhs.,  wie  ein  unkundiger  glauben  könnte. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  5 

bemerkt  (aao.  s.  23).  Conn  Cetchathach,  ArtOenfer,  Cormac  mac 
Airt  und  Coirpre  Lifeochair  mögen  Irlands  oberkönige  in  dem 
dem  beginn  der  historischen  zeit  um  140  jähre  voraufliegenden 
Zeitraum  gewesen  sein  und  die  schlachten  von  Cnucha  und  Ga- 
bair mögen  geschlagen  worden  sein1:  aber  alles  das,  was  die 
spätere  so  genannte  geschichtschreibung  (Keating)  auf  grund 
sagenhafter  er  Zählungen  um  die  kurzen  daten  der  anna- 
listik  gewoben  hat,  muss  auf  Wahrscheinlichkeit  streng  geprüft 
werden,  ist  es  denn  nun  wahrscheinlich,  dass  um  170  —  280 
eine  stehende  miliz  vorhanden  war,  ursprünglich  bestimmt, 
dieköniglichegewalt  zu  stützen  unddie  inselgegen 
feindliche  einfalle  zu  verteidigen? 

Wie  mangelhaft  wir  auch  in  vielen  puncten  über  die  Römer- 
herschaft in  Britannien  von  Cäsars  zug  (55  v.  Chr.)  bis  zur  end- 
giltigen  aufgäbe  der  insel  (erstes  viertel  des  5  jhs.  nach  Chr.)  be- 
richtet sein  mögen,  darüber  kann  kein  zweifei  bestehen:  die 
Römer  machten  in  dieser  zeit  nie  einen  versuch  der  landung 
in  Irland.  Agricola,  der  ja  eam  partem  Britanniae  quae  Hibermam 
aspicit  copiis  instruxü  (Tacitus,  Agricola  24),  expulsum  sedüione 
domestica  unum  e  regulis  gentis  exceperat  ac  specie  amicitiae  in 
occasionem  retäiebat.2  aber  auch  nur  zu  einem  versuch  der  be- 
drohung  Irlands  kam  es  nicht,  dass  aber  im  2  und  3  jh.  unserer 
Zeitrechnung  Irland  an  allen  ecken  von  IMormanneneinfällen  be- 
unruhigt worden  sei ,  wie  texte  der  Finnsage  voraussetzen ,  oder 
dass  Daire,  der  könig  der  ganzen  weit,  einen  zug  nach  Irland 
unternommen  habe,  wie  Cath  Finnträga  erzählt,  das  wird  doch 
niemand  für  bare  münze  nehmen,  das  ist  sicher  sagenbildung 
in  folge  der  berührung  mit  den  vikingern  im  9  — 11  jh.  und 
des  bekanntwerdens  mit  Trojanersage  und  alter  geschichte.  also 
zur  Schaffung  einer  miliz  zum  schütze  Irlands  gegen  feind- 
liche einfalle  lag  im  2  und  3  jh.  und  früher  bis  in  den  anfang 
unserer    Zeitrechnung    keine    veranlassung   vor.      hierzu    stimmt 

1  ich  schliefse  mich  hiermit  vorläufig  der  allgemeinen  annähme  an. 
in  wiirklichkeit  haben  die  daten  aus  vorhistorischer  zeit  nur  den  wert,  dass 
sie  uns  zeigen,  wie  man  im  lOjh.  in  Irland  die  sagenhaften  er- 
innerungen  sich  chronologisch  einordnete. 

2  saepe,  fährt  Tacitus  fort,  ex  eo  audivi  legione  una  et  modicis  au.ri- 
liis  debellari  oblincrique  Hiberniam  posse;  idque  cliam  adversus  liritan- 
niam  pro  futurum,  si  Romana  ubiquc  arma ,  et  velut  e  conspectu  Überlas 
lolleretur  (Agricola  24). 


6  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

denn  auch,  dass  die  annalistischen  werke,  Lebor  Ga- 
bäla,  die  annalistischen  gedichte  des  10  und  lljhs. 
(LL127aff)  von  einer  bedrohung  Irlands  durch  feind- 
liche einfalle  für  jene  Jahrhunderte  nichts  wissen, 
also  sich  mit  den  anderweitig  bekannten  geschichtlichen  tat- 
sachen  in  vollem  einklang  befinden.1 

Eines  stehenden  kriegercorps  zum  schütze  Irlands  gegen 
feindliche  einfalle  bedurfte  es  also  im  2  und  3  jh.  nicht;  dann 
aber  vielleicht,  um  'die  königliche  gewalt  zu  stützen'?  einer 
solchen  stütze  hätte  Irlands  oberkönig  allerdings  nicht  nur  in 
jener  zeit  bedurft;  sie  war  aber  nie  vorhanden,  die  'königliche 
gewalt'   an    sich  war   in  Irland  fast  zu   allen  Zeiten    tatsäch- 

1  dieser  einklang  mit  den  geschichtlichen  tatsachen  documentiert  sich 
auch  darin,  dass  sie  andererseits  mehrfach  melden,  dass  in  folge  innerer 
zwistigkeiten  irische  häuptlinge  in  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeit- 
rechnung nach  Schottland  flohen,  wozu  ja  in  dem  regulus  bei  Agricola  ein 
beleg  vorhanden  ist.  eine  füglich  schon  mehr  als  auffallende  Unkenntnis 
geschichtlicher  tatsachen  in  bezug  auf  Irland  bekundet  Windisch  aao.  s.  26  ff, 
wenn  er  sagt:  'durch  die  Schlacht  bei  Gabar  war  aber  überhaupt  Irlands 
kriegerische  kraft  gebrochen'  (also  um  283).  das  heifst  doch  etwas 
zu  sehr  auf  grund  von  fabeleien  des  ausgehenden  mittelalters  geschichte 
machen,  denn  gerade  mit  dem  4 jh.  beginnt  die  periode  von  Irlands  kriegeri- 
scher kraftbetätigung:  im  jähre  360  finden  wir  nach  dem  zeugnis  Ammians 
(xx  1)  Iren  (Scotti)  und  Picten  in  Britannien  gegen  die  Römer  kämpfend; 
Scotti  per  diversa  vagantes  beunruhigen,  mit  Picten  vereint,  auch  später 
die  römische  gränze  in  Britannien  (Ammian  xxvn  8.  9).  um  400  gelang  es 
Stilicho  auf  kurze  zeit  Iren  und  Picten  zurückzuwerfen  (Claudian,  Getica 
31,89;  22,250.253),  die  dann  bald  um  so  heftiger  über  die  entblöfsten 
gränzen  eindrangen,  ende  des  5jhs.  siedelt  sich  ein  nordirisches  geschlecht 
nördlich  vom  firth  of  Clyde  in  Britannien  an  (Beda,  Hist.  gentis  Angl.  i  1), 
von  wo  die  Iren,  durch  fortwährende  nachzügler  verstärkt,  ihre  herschaft  er- 
weiterten, bis  ihnen  Aedelfrid  von  Northumberland  in  der  Schlacht  bei  Deg- 
sastan  im  jähre  603  nach  einer  seite  ein  ziel  setzte  (Beda  i  34;  Skene,  Celtic 
Scotland  i  137  ff),  in  derselben  zeit  hatten  die  Südiren  in  Wales  und  Corn- 
wales  festen  fufs  gefasst,  wo  ja  noch  heutiges  tages  die  ogaminschriften 
Zeugnis  ablegen;  die  annalistischen  werke  Irlands  melden  übereinstimmend, 
dass  Irlands  vorletzter  heidnischer  könig  Niall  Noigiallach  auf  einem  solchen 
zug  beim  Muir  Icht  (mare  Ictium,  dem  canal  la  Manche)  ermordet  worden 
(405),  und  sein  nachfolger  Üathi  soll  sogar  einen  zug  durch  Frankreich  bis 
an  die  alpen  gemacht  haben  (LU  38a).  von  den  küsten  von  Wales  (Gwyned 
und  Dyfed)  wurden  die  Iren  verdrängt  durch  die  Kymren,  die  vor  den 
Sachsen  zurückwichen  (vgl.  Nennius  §14;  Cormacs  glossar  s.  v.  mogkeime ; 
Laud  610  fol.  100a,  1 ;  Rawl.  B  512  fol.  73a,  1).  hiermit  halte  man  Windischs 
ausspruch  zusammen. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  7 

lieh  gleich  null  und  der  titel  'oberkönig  von  Irland'  (ardrl  Erenn) 
ohne  besondere  macht,  maebt  war  bis  zu  einem  gewissen  grade 
nur  bei  den  so  genannten  teilkönigen  und  auch  nur  so  weit, 
als  sie  sich  gegenüber  mächtigen  bäuptlingen  grofser  clane  an- 
sehen zu  verschaffen  wüsten,  derartige  cöicedaig  (LL  23\  42.  48. 
Annalen  der  vier  meister  s.  a.  56)  oder  rig  na  cöiced  (LL  294b,  42) 
gab  es  für  gewöhnlich  5  oder  6:  von  Ulster,  Connacht,  Mide, 
Leinster  und  Munster,  wobei  letzteres  lange  zeit  in  Nord-  und 
Südmunster  (Tuatk  Muman  und  Dess  Muman,  Tbomond  und 
Desmond)  mit  eigenen  herschern  zerfiel ;  auch  in  Leinster  herschten 
öfters  mehrere  brüder  an  verschiedenen  puneten.  in  der  hand 
eines  der  teilkönige  befand  sich  für  gewöhnlich,  doch  nicht 
immer,  die  würde  des  oberkönigs.  vereinzelt  wurde  diese  könig- 
liche würde  durch  reine  wähl  übertragen:  so  treten  nach  LU  46a 
die  cöicedaig  Irlands  mit  ausnähme  des  Ulsterherschers  Conchobar, 
mit  dem  sie  im  streit  lagen,  zusammen,  um  das  nach  ermordung 
Conaire  Mors  im  palast  des  Da  Derga  entstandene  7jährige  Inter- 
regnum zu  beendigen ,  und  ihre  wähl  fiel  auf  den  Lugaid  Reoderg, 
der  zwar  aus  königlichem  blute,  aber  kein  teilkönig  war.  für 
gewöhnlich  gieng  indes  die  würde  des  ardrl  Erenn  in  anderer 
weise  über:  ein  oberkönig  gerät  in  streit  mit  einem  oder  mehreren 
der  teilkönige;  war  seine  hausmacht  —  andere  besafs  er  nicht  — 
und  die  seiner  bundesgenossen  schwächer,  so  unterlag  er  und 
fiel,  der  sieger,  der  die  macht  hatte,  wurde  oberkönig,  bis 
nach  einigen  jähren  der  söhn  des  früheren  oberkönigs  ein  ge- 
nügend starkes  bündnis  zu  wege  gebracht  hatte,  um  dem  mörder 
seines  vaters  gleiches  mit  gleichem  zu  vergelten,  in  solch  schöner 
abwechselung  flössen  die  Jahrhunderte  dahin  —  es  war  eine  in 
den  annalen  bemerkenswerte  ausnähme,  wenn  ein  oberkönig  auf 
dem  'kopfkissen'  starb  —  und  selbst  die  vikingerzeit  vermochte 
keine  änderung  herbeizuführen:  Brian  mac  Cenneilig  verbündet 
sich  mit  vikingern,  um  den  irischen  oberkönig  Maelsechlaiun  zu  be- 
seitigen (Annalen  der  vier  meister  a.999  ff;  Todd,  Cogadh  Gaedhel 
s.  cxlviii  ff);  und  170  jähre  später  rief  Dermod  mac  Murrogh 
von  Leinster  im  streit  um  die  würde  des  oberkönigs  mit  Roderick 
o  Connor  von  Connacht  die  Engländer  ins  laud,  wie  der  legulus 
beinahe  11 00  jähre  früher  den  Agricola  verlocken  wollte.  —  in 
derselben  weise  wie  in  der  historischen  zeit  wechseln  nach  den 
annalistischen  werken  die  oberkönige  Irlands  im  2  und  3  Jh.:  Cathir 


8  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

Mor  wird  von  Conn  Cetchathach  erschlagen,  dieser  von  Tibraite 
Tirech,  dem  Ulsterherscher;  nach  7  jähriger  herschaft  Conaires  n 
folgt  Art,  der  söhn  Conns;  dieser  Art  wird  von  dem  Munsterführer 
Mac  Con  besiegt,  der  dann  selbst  oberkönig  wird;  ihn  vertreibt 
Cormac,  der  söhn  Arts,  der,  nachdem  ihm  ein  äuge  ausgeschlagen 
war,  die  würde  aufgeben  muste;  sein  söhn  Cairbre,  der  ihm  nach 
einer  kurzen  Zwischenregierung  folgte,  soll  in  der  berühmten 
schlacht  von  Gabair  (283)  gefallen  sein,  nun,  bei  all  den 
zahlreichen  schlachten,  die  diesen  'oberkonigen 
Irlands'  zugeschrieben  werden,  ist  nirgends  die 
rede  von  einem  so  gewaltigen  stehenden  krieger- 
corps  'zum  schütze  der  königlichen  gewalt',  wie  wir 
uns  die  fiann  Irlands  nach  der  sage  denken  müssen,  hierzu 
kommt  bestätigend  zweierlei,  wir  haben  schon  in  LU  und  LL 
eine  reihe  alter  texte  geschichtlichen  inhalts,  die  sich 
eingehend  mit  den  verschiedenen  kriegerischen  ereignissen  zu 
den  Zeiten  der  irischen  oberkönige  Art  mac  Cuinn,  Lugaid  mac 
Con  und  Cormac  mac  Airt  beschäftigen,  also  gerade  derjenigen 
herscher,  in  deren  regierungszeit  die  Institution  der  fiann  nach 
den  sagentexten  des  15  jhs.  auf  ihrem  hohepunct  stehen  müste: 
in  diesen  texten,  in  denen  die  fiann-  Institution  in  jedem 
satze  vorkommen  müste,  ist  von  ihr  absolut  keine  rede, 
die  texte,  die  ich  im  äuge  habe,  sind  die  erzählung  von  Cormacs 
kämpfen  mit  den  Desse  und  deren  Vertreibung  nach  Munster 
(LU  53\  34  — 54b,  ende  =  Rawl.  ß  502  fol.  72%  2.  Laud  610 
fol.  99d  ff;  H.  2.  15  s.  67  ff.  H.  3.  17  col.  730  ff  TCD)  und  die  er- 
zählung LL  2S8a,  16—292%  34  (=Laud610  fol.  94%  17— 96%30, 
nur  anders  angeordnet),  welche  die  schlacht  von  Mag  MuccrTma 
mit  ihren  Ursachen  und  folgen  schildert  (Arts  tod ,  Lugaid  mac 
Cons  herschaft,  Cormacs  geburt,  Jugend  und  erwerbung  der 
künigswürde,  Lugaids  tod).  die  zeit,  in  welcher  genannte  texte 
entstanden  sind  (10 — 11  jh.),  hatte  sicher  von  dem  Vorhan- 
densein einer  /uznn- Institution  in  Irland  im  2  und  3  jh.  keine 
ahnung.1  —  sodann  ist  bemerkenswert,  dass  die  ältesten  texte, 
1  höchst  lehrreich  ist  Keating  in  seiner  Geschichte  Irlands,  als  kind 
seiner  zeit  (1570 — 1644)  und  guter  patriot  glaubt  er  fest  an  die  erzählungen 
der  Finnsage  des  15  jhs.;  andererseits  schreibt  er  traditionell  die  ältere 
geschichte  Irlands,  die  documente  und  arbeiten  irischer  gelehrten  des  10  bis 
12  jhs.  compilierend.  dies  hat  zur  folge,  dass  der  abschnitt  'Finn  mac  Cu- 
maill  and  the  fianna  hErenn'  (s.  343  —  354)  geradezu  wie  eine  interpolation 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  9 

in  denen  die  fiann  mit  Finn  vorkommt,  unter  fiann  alles  andere 
verstehen  als  ein  'kriegercorps  zum  schütze  Irlands  und  der  könig- 
lichen gewalt':  Cumall  der  rigfennid  Erenn  fällt  im  kämpfe 
gegen  Irlands  oberkönig  Cond  Cetchathach  (LU  42",  4  ff), 
und  als  Cairpre  Lifeochair,  Irlands  oberkönig,  den  in  folge  Ver- 
trags auf  Leiuster  ruhenden  tribut  (boroma)  einfordern  will,  da 
stellt  sich  Finn  und  seine  fiann  ohne  besinnen  auf  seite  der 
gegner  des  rechts  und  des  oberkönigs  (LL  296%  48  bis 
299b,  10).  man  muss  den  letztgenannten  text  lesen,  um  zu 
sehen,  dass  sein  verf.  Finn  und  die  fiann  noch  nicht  im  ent- 
ferntesten in  der  rolle  dachte,  die  ihnen  Windisch  mit  jungen 
texten  der  Finnsage  zuschreibt. 

Diese  tatsachen  allein  würden  wol  hinreichen  zum  beweis, 
dass  der  angebliche  historische  hintergrund  der  Finnsage  in  den 
tatsächlichen  zuständen  Irlands  während  des  2  und  3  jhs.  keinen 
anhält  findet,  hierzu  treten  die  argumente,  die  sich  aus  einer  be- 
trachtung  der  texte  der  alten  heldensage,  der  Cuchulinnsage,  er- 
geben, die  irische  Chronologie  des  10  jhs.  lässt  die  persönlich- 
keiten der  Cuchulinnsage  um  150  —  200  jähre  früher  leben  als 
die  Cormac,  Finn  mac  Cumaill  und  andere  figuren  der  Finnsage, 
die  cultur,  die  uns  in  den  erzählungen  der  Cuchulinnsage  ent- 
gegentritt, ist  eine  primitivere  als  selbst  in  den  ältesten  texten  der 
Finnsage:  sie  repräsentiert  echt  altkeltisches  leben  und  gemahnt 
an  die  keltische  cultur  Galliens,  die  politischen  zustände  Irlands 
sind  im  grofsen  und  ganzen  dieselben  wie  im  beginn  der  ge- 
schichtlicben  periode:  teilkönige  und  mächtige  Häuptlinge,  die 
bündnisse  eingehen  mit  einander,  um  einen  benachbarten  teil- 
könig  mit  krieg  und  plünderungszug  zu  überziehen,  kurz  die 
politischen  zustände  Irlands  sind  der  art,  dass  das  Vorhanden- 
sein einer  institution  wie  die  fiann  der  Finnsage  eine  bare  Un- 
möglichkeit ist.  darüber  scheint  ja  auch  Windisch  gar  nicht  im 
zweifei  zu  sein  (aao.  s.  22):  der  hintergrund  ist  irisches  leben 
und  irische  zustände  um  den  beginn  unserer  aera.  sofern 
eine  art  fiann  in  Irland  überhaupt  existierte,  muss 
ihre  einrichtung  jünger  sein  als  der  historische 
hintergrund  der  Cuchulinnsage.  auch  das  wird  Windisch 
zweifelsohne   zugeben,    da  man  ebenso    gut    das  factum  läugnen 

aussieht:  er  hat  den  versuch  nicht  gemacht,  die  jüngeren  sagenfabeleien 
in  die  älteren  quellen  hinein  zu  verarbeiten. 


10  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

könnte,  dass  2  X  2  =  4  ist.  eine  betrachtung  der  auf  uns  ge- 
kommenen texte  der  Cuchulinnsage  in  LU  und  LL  ergibt  weiter, 
dass  die  Cuchulinnsage  ende  des  5  jhs.  ihren  abschluss  fand, 
dass  im  7 — 8  jh.  umfassende  texte  dieses  Sägenkreises  schriftlich 
vorhanden  waren  und  dass  einzelne  der  texte  in  LU  und  LL 
mit  fug  und  recht  beanspruchen  können,  durch  Zwischenstufen  auf 
jene  aufzeichnungen  des  7  —  8  jhs.  zurückzugehen  (s.  Zs.  f.  vgl. 
sprachforsch.  28,426— 441  und  diese  Zs.  32,229— 239).  in  diese 
texte  hat  nun,  wie  ich  an  letztgenannter  stelle  gezeigt,  eingang 
gefunden  alles,  was  irgendwie  in  die  geschicke  Irlands,  speciell 
des  nordens,  eingriff,  und  zwar  um  so  organischer,  je  früher, 
einen  organischen  bestandleil  bildet  die  erinnerung  an  die  teil- 
nähme Irlands  an  den  kämpfen  auf  Schottlands  boden  gegen  ende 
der  Römerherschaft;  nicht  an  den  kern  der  sage  rühren  —  aber 
sind  vorhanden l  —  die  niederschlage  der  litterarischen  berührung 
mit  dem  classischen  altertum;  tiefer  gehen  die  einflösse  des 
vikingerzeitalters  in  spräche  und  sage,  ist  es  denkbar,  dass  in 
diesem  spiegel  der  irischen  geschicke  während  eines  Jahrtausends 
eine  so  eigenartige  und  grofsartige  institution  wie  die  fiann 
Irlands  nicht  sich  widerspiegeln  sollte?  ist  es  denkbar,  dass  diese 
institution,  die  weder  früher  noch  später  etwas  vergleichbares 
auf  Irlands  boden  hatte,  entstehen,  blühen  und  degenerieren 
konnte,  ohne  eindrücke  in  der  auf  älteren  zuständen  aufgebauten 
Cuchulinnsage  zu  hinterlassen?  ich  glaube  kaum,  dass  jemand 
diese  fragen  mit  'ja'  wird  beantworten  wollen,  höchst  eigenartig 
ist  auch,  dass  von  entstehung  der  fiann  Irlands  geschichte  und 
sage  nichts  meldet;  sie  taucht  mit  Fiun  auf  und  verschwindet 
mit  ihm:  sie  wäre  ein  phäuomen  in  Irlands  geschichte,  von  der 
nur  junge  sage  zu  melden  weifs. 

Ein  weiteres  moment,  das  für  sich  allein  nicht  entscheidend 
wäre,  verdient  noch  angeführt  zu  werden,  im  Lebor  na  cert 
haben  wir  ein  während  der  vikingerzeit  (frühestens  ende  des 
10  jhs.)  entstandenes  werk,  'it  gives  an  accouut  of  the  rights 
of  the  monarchs  of  all  Ireland ,  and  the  revenues  payable  to  them 
by  the  principal  kings  of  the  several  provinces,  and  of  the  sti- 
pends  paid  by  the  monarchs  to  the  inferior  kings  for  their  Ser- 
vices, it  also  treats  of  the  rights  of  each  of  the  provincial  kings, 
and  the  revenues  payable  to  them  from  the  inferior  kings  of  the 

1  s.  noch  Göttinger  gel.  anz.  1890  s.  496. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  11 

districts  or  tribes  subsidiary  to  them,  and  ot'  the  stipends  paid 
by  the  superior  to  the  inferior  provincial  kings  for  their  Services' 
(O'Donovan,  Leabhar  na  g-ceart  s.  vi),  bei  einiger  Überlegung 
sieht  man  sofort,  dass  wir  in  den  zahlreichen  rechten  und  Ver- 
pflichtungen, die  abgehandelt  werden,  nicht  immer  actuelles 
recht  des  10 — 11  jhs.1  vor  uns  haben  können,  sondern  dass 
in  Lebor  na  cert  'buch  der  rechte  und  Verpflichtungen'  wir  eine 
litterarische  Zusammenstellung  alles  dessen  haben,  was 
in  tradition  und  sage  bekannt  war  (vgl.  O'Donovan  s.  vm).  hält 
man  diesen  character  des  Werkes  fest  und  bedenkt,  dass  es  bis 
in  einzelheiten  handelt  von  den  rechten  und  pflichten,  einkünften 
und  tributen  der  teilkönige  im  Verhältnis  sowol  zu  hervorragenden 
namentlich  genannten  clankönigen  als  zum  oberkönig  von  Irland, 
dass  es  bei  einzelnen  teilkönigen  bezug  nimmt  auf  den  fall,  wenn 
sie  die  würde  des  oberkönigs  haben,  dass  es  rechte  und  Ver- 
pflichtungen des  oberkönigs  von  Irland  schließlich  insgesammt 
behandelt,  dass  es  sogar  das  berühmte  testament  des  sagenhaften 
ir.  oberkönigs  Cathir  mör,  der  noch  vor  Finn  50  jähre  lebte,  ent- 
hält (O'Donovan  s.  192  ff):  ist  es  denkbar,  dass  im  10  bis  zum 
beginn  des  11  jhs.  derartige   anschauungen  von  einer  fiann- 

1  dass.  die  gedichte  des  Lebor  na  cert  nicht  aus  dem  anfang  des 
10  jhs.  stammen  können,  wie  O'Donovan  annimmt,  ergibt  sich  schon  daraus, 
dass  die  vikinger  (Gaill,  Fortuatha)  durch  das  ganze  werk  hin  in  solchen 
Verhältnissen  in  den  verschiedenen  teilen  Irlands  sich  finden,  wie  sie  erst 
nach  der  Christianisierung  derselben,  also  frühestens  in  der  zweiten 
hälfte  des  10  jhs.  möglich  waren,  eine  angäbe  macht  es  im  höchsten 
grade  wahrscheinlich,  dass  das  werk  nicht  vor  dem  ersten  j  ahrzehnt 
des  11  jhs.  entstanden  ist.  O'Donovan  s.  50  (=  Book  of  Ballymote 
269b,  4S  ff )  erfahren  wir:  Dligid  dano  oGallaib  Atha  Cliath  7  odeoradaib 
Erenn  arceana  dula  lais  acend  catha  artelgud  atir  'die  vikinger  Dublins 
und  die  (nordischen)  fremdlinge  Irlands  überhaupt  sind  ihm  (dem  könig  von 
Munster)  verpflichtet,  mit  ihm  in  den  kämpf  zu  ziehen,  dafür  dass  er  sie 
rm  lande  lässt.'  dies  trifft  für  das  gesammte  vikingerzeitalter 
in  Irland  nur  für  die  jähre  1001 — 1014  zu,  in  denen  der  Munster- 
herscher  Brian  Boroma  sich  zum  oberkönig  von  Irland  gemacht  hatte  und 
1001  Dublin  unterworfen  hatte  (s.  Annalen  der  vier  meister  s.a.);  die  vikinger 
Dublins  sind  bei  allen  versuchen  Brians,  sich  an  die  stelle  Maelsechlainns 
zu  setzen,  seine  verbündeten  (s.  Annalen  999  ff  und  O'Donovan  u  745 
anm.  1).  dass  der  verf.  unseres  Lebor  na  cert  ein  älteres  werk  aus  der  zeit 
des  903  gefallenen  Cormac  vor  sich  hatte,  wie  er  angibt  (s.  O'Donovan 
s.  vniff),  ist  möglich;  aber  der  auf  uns  gekommene  text  spiegelt  in  den 
actuellen  angaben  die  zustände  Irlands  ums  jähr  1000  wider. 


12  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

Institution  Irlands  in  alter  zeit  mit  den  rechten  und  pflichten, 
wie  sie  die  sagentexte  des  15  jhs.  kennen,  sollten  in  Irland  be- 
kannt gewesen  sein,  ohne  dass  sie  in  diese  Sammlung  of  tradi- 
tional  stipends  and  tributes  aufnähme  fanden,  ja  ohne  erwähnt 
zu  werden?  ich  halte  es  aufgrund  des  Stillschweigens  des  Lebor 
na  cert  für  vollständig  ausgeschlossen,  dass  im  10  und  anfang 
des  11  jhs.  irgendwie  ähnliche  anschauungen  in  Irland  existierten, 
wie  sie  vom  15  jh.  an  über  die  fiann  und  deren  rechte  und 
pflichten  im  irischen  volke  vorhersehen,  daraus  folgt,  dass 
die  oben  s.  1  und  2  nach  den  erzählungen  des  15  jhs.  kurz  ge- 
schilderten Vorstellungen  von  den  zuständen  Irlands  im  2  und 
3  jh.  unserer  Zeitrechnung  jünger  sein  müssen  als  das 
10  jh.;  dies  datum  stimmt  vortrefflich  zu  der  s.  10  constatierten 
tatsache,  dass  die  in  redactionen  des  11  jhs.  auf  uns  gekommenen 
texte  der  Cuchulinnsage  von  derartigen  zuständen  Irlands  nichts 
wissen. 

Hiermit  habe  ich  schon  in  den  zweiten  teil  dieser  Studie 
übergegriffen,  in  die  Untersuchung  nach  herkunft  des  namens 
und  der  in  den  texten  des  15  jhs.  damit  verknüpften  Vor- 
stellungen, die  erzählungen  aus  der  älteren  heldensage  kennen 
also  in  der  ältesten  Überlieferung  (LU  und  LL)  die  von  den 
texten  der  Finnsage  des  15  jhs.  vorausgesetzte  institution  eines 
stehenden  kriegercorps  in  Irland  nicht;  sie  kennen  aber  wo], 
ebenso  wie  andere  ins  10  jh.  zurückgehende  texte,  das  wort 
fiann  und  fennid,  und  zwar  an  so  vielen  stellen,  dass  über 
die  älteste  bedeutung  des  wortes  kein  zweifei  ob- 
walten kann,  ehe  ich  diese  aus  den  stellen  darlege,  sind  noch 
einige  worte  über  die  form  zu  sagen. 

Fiann  ist  nach  seiner  flexion  femininer  a- stamm;  das  aus- 
lautende nn  kann  sowol  ursprüngliches  nn  als  nd  sein,  da  im 
irischen  wie  in  den  anderen  indogerm.  sprachen  das  gesetz  gilt, 
dass  so  genannte  wurzeln  mit  innerem  i  und  u  nicht  auf  doppel- 
consonanz  ausgehen  (also  dass  neben  7tev&  novS  nvd-  ein  Tteid- 
?toi&  Ttid-,  aber  nicht  ein  nsivS  noivd-  vorkommt),  so  ist  unter 
der  Voraussetzung,  dass  das  wort  genuin  irisch  ist,  ein  doppeltes 
möglich:  entweder  der  zweite  consonant  des  auslautes  ist  suffixal 
(*vein-nä,  *vein-dä)  oder  der  diphthong  ia  ist  nach  Schwund 
eines  consonanten  zwischen  i  und  a  entstanden  (also  p,  j,  v,  s). 
dem  in  den  glossen   nicht  vorkommenden  worte  fiann  nun    ent- 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  13 

spricht  in  den  britannischen  sprachen  und  im  altgallischen  nichts, 
und  auch  wenn  wir  alle  durch  irische  Iautgesetze  erlaubten  grund- 
formen  ansetzen  mit  ihren  weiteren  möglichkeiten  (vipandä  usw.), 
so  ergibt  sich  weder  eine  etymologie  im  allgemeinen  noch  an- 
lehnung  an  ein  bekanntes  wort  britannischer  oder  gallischer 
zunge.  empfehlend  ist  dies  gerade  nicht  für  die  annähme,  dass 
wort  und  begriff  in  vorchristliches  irisches  altertum  hinaufgehen 
sollen. 

Fassen  wir  nun  vorkommen  und  bedeutuug  des  wortes  ftann 
in  den  alten  texten  von  LU  und  LL  ins  äuge,  zu  den  ältesten 
uns  erhaltenen  sagentexteu  gehört  unstreitig  schon  nach  seiner 
spräche1  Orgain  (togail)  bruidne  üi  (da)  Dergae  (LU  83a  —  99a 
ende):  bekannt,  ist  der  text  in  den  beiden  alten  sachcatalogen 
epischer  Stoffe;  der  inhalt  wird  erwähnt  in  einem  so  alten  text 
wie  Serglige  Conculaind  (LU  46%  8  ff),  niederschlag  der  histori- 
schen ereignisse  in  diesem  texte  habe  ich  Zs.  32,  206  ff.  243. 
268  ff  angeführt:  er  weifs  von  dem  aufenthalt  des  Sachsenprinzen 
Oswald  in  Irland  (617  —  633)  und  kennt  auch  vikinger  im  ge- 
folge  Conaires.  dieser  text  erzählt  folgendes.2  im  beginn  der 
zeit,  in  welcher  Conchobar,  Conall  Cernach,  Cormac  Condlongas, 
Sencha,  Maue  Milscothach  und  andere  beiden  der  Cuchulinnsage 
lebten,  herschte  in  Irland  als  oberkönig  Conaire  mör.  mit  mächtiger 
hand  schirmte  er  den  frieden,  griff  bei  Streitigkeiten  von  königen 
schlichtend  ein  und  jagte  gewalttätige  Häuptlinge,  die  sich  auf 
eigene  laust  recht  verschaffen  wollten,  aufser  landes3,  damit  sie 
in  Schottland  und  an  der  kiiste  Britanüiens  ihren  raub-  und 
plünderungsgelüsten  fröhnen  könnten.4  zu  diesen  verbannten  ge- 
hörten   unter  anderen  die  5  söhne  des  Dond  Desa,    7  söhue  des 

1  ich  erinnere  nur  an  die  altertümlichen  formen  des  reduplicierten 
s-futurs  von  orgim  (iuras  usw.  s.  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  29,49  —  53),  die 
dem  abschreiber  der  Mailänder  glossen  (9  jh.)  schon  Schwierigkeiten  machten 
(s.  Ascoli,  II  cod.  lrl.  n  s.  cxix). 

2  eingehende  analyse  habe  ich  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  28,556  —  563 
gegeben. 

3  in  der  sage  erscheint  diese  friedenszeit  Conaires  immer  im  gegensatz 
zu  den  jähren  wilden  kampfes,  die  auf  seine  ermordung  folgten:  in  dieses 
7jährige  Interregnum  legt  die  sage  die  hauptereijjnisse  der  alten  heldensage 
(s.  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  23,  554  fT). 

4  hierin  spiegeln  sich  die  historischen  Verhältnisse  des  4und5jhs., 
wo  die  Scolli  per  diversa  vagantes  von  Schottland  und  von  Wales  aus 
Britannien  beunruhigten  uiiil  plünderten;  s.  oben  s.  6  anm. 


14  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

Ailill  und  der  Medb,  des  kouigspars  von  Connacht  (LU  84a,  40  IT) 
mit  zahlreichem  gefolge  —  'ein  drittel  der  männer  Irlands  war 
Seeräuber  während  der  herschaft  Conaires'  LU  84b,  15  —  begaben 
sie  sich  auf  die  see  und  stiefsen  dort  auf  den  britannischen  königs- 
sohn  Ingcel  caech  o  Conmaic ,  der  gleichfalls  von  der  heimat  ver- 
bannt war.  als  sie  über  ihn  herfallen  wollten ,  schlug  er  ihnen 
vor,  lieber  ein  bündnis  zu  schliefsen :  sie  sollten  mit  ihm  in 
seine  heimat  einen  raubzug  unternehmen  und  er  mit  ihrer  hilfe 
einen  solchen  nach  Irland,  das  bündnis  wurde  abgeschlossen, 
geisein  gestellt  und  gelost:  das  los  entschied,  dass  die  Iren 
zuerst  die  britannische  küste  plündern  sollten,  unter  führung 
von  Ingcel  landeten  sie  dort  und  mordeten  unter  anderem  Ing- 
cels  vater,  mutter  und  6  brüder.  beutebeladen  ziehen  sie  ab, 
um  dem  Ingcel  zu  seinem  banditenrecht  zu  verhelfen,  zuerst 
landen  sie  an  der  küste  von  Mide  und  verwüsten  alles  mit  feuer 
und  schwert;  sie  ziehen  sich  auf  die  schiffe  zurück,  um  etwas 
weiter  südlich  in  Leinster  eine  bessere  beute  sich  zu  holen,  in 
den  tagen  kehrte  Conaire  mit  gefolge  aus  Munster  zurück,  wo 
er  zwischen  den  beiden  Coirpre  in  Thomond  frieden  gestiftet 
hatte,  als  er  mit  seinem  gefolge  an  Usnech  in  Meath  vorbei  nach 
Tara  zog,  wurden  sie  den  raub  und  brand  gewahr,  und  da  sie 
die  rauher  vor  sich  glaubten,  ihnen  sich  aber  nicht  gewachsen 
dünkten,  bogen  sie  südöstlich,  um  in  der  bürg  des  Da  Derga 
bei  Dublin  für  die  nacht  unterkommen  zu  finden,  wo  ihnen  auch 
eine  glänzende  aufnähme  ward,  die  piraten ,  die  in  der  nähe 
der  küste  kreuzten ,  hatten  Conaire  und  sein  glänzendes  gefolge 
bemerkt  und  wollten  sich  den  fang  nicht  entgehen  lassen,  sie 
landen  in  der  dunkelheit,  senden  einen  späher,  um  die  Verhält- 
nisse der  bürg  zu  erkunden,  und  treffen  alle  Vorbereitungen  zu 
einem  erfolgreichen  Überfall,  als  die  nacht  so  weit  vorgeschritten 
war,  dass  man  annehmen  konnte,  dass  die  bewohner  der  bürg 
nebst  den  unerwarteten  zahlreichen  vornehmen  gasten  schliefen, 
schickt  man  sich  zum  Überfall  an  'auf,  erhebt  euch  nun, 
o  fianna,  zum  hause,  sagte  Ingcel.  es  erheben  sich 
bei  diesen  Worten  die  piraten  (nad'tbergaig)  nach  dem 
palast  und  machen  ihren  lärm  und  getöse  um  ihn. 
horch  (still  ein  wenig),  sagte  Conaire,  was  ist  das? 
fianna  sind  vor  dem  hause,  erwiderte  Conall  Cer- 
nach,    junge  männer  (ök)  sind  für  sie  (dh.  solche,   die  ihnen 


KELTISCHE  BEITRÄGE  111  15 

gewachsen  sind)  hier,  sagte  Conaire.  du  wirst  ihrer  diese  nacht 
bedürfen,  erwiderte  Conall  Cernach'  (LU  97%  11  — 16).  den 
schluss  der  erzählung  lese  man  Zs.  f.  vgl.  Sprachforschung  28, 
561  ff  nach. 

In  dieser  stelle  haben  wir  die  älteste  Verwendung  von 
fianna  vor  uns;  es  dient  hier  zur  bezeichnung  der  scharen  bri- 
tischer und  irischer  Seeräuber  (dibergaig) ,  die  alles  andere 
waren  als  ein  'kriegercorps  zum  schütze  Irlands  und  der  könig- 
lichen gewalt.'  versetzen  wir  uns  in  die  beginnende  vikinger- 
zeit,  in  den  ausgang  des  8  und  anfang  des  9  jhs. :  Nordleute 
kamen  von  einem  plünderungszug  an  der  britannischen  küste 
nach  Irland,  um  an  der  küste  von  Leinster  im  dunkel  der  nacht 
einen  Überfall  auszuführen,  welches  wort  kann  wol  an  das  ohr 
der  erschreckten  Iren  geschlagen  sein,  als  sie  die  bis  dahin  un- 
bekannten nordischen  gaste  fragten,  wer  sie  seien?  fiandr  'feinde', 
denke  ich.  irisch  fiann,  plur.  fianna  ist  nordisches  fiandi, 
plur.  fiandr  hostis,  inimicus;  irisch  fiann  ist  der  'tapfere  feind' 
einzeln    und  collectiv  (feindesschar).1     der   Übergang   zu  'tapfere 

1  habe  ich  nötig,  daran  zu  erinnern,  dass  die  erste  nachricht  von 
der  landung  der  vikinger  an  Irlands  küsten  795  in  den  Annalen 
der  vier  meister  mit  den  Worten  gegeben  wird  Loscad  Reachrainde  ö 
diberccaib  'Verbrennung  von  Lambay  (bei  Dublin)  von  Seeräubern'? 
hier  werden  die  'vikinger'  mit  dibergaich  bezeichnet  und  in  obigem  texte 
von  LU  heifsen  würkliche  (irische  und  welsche)  dibergaich  einfach  fianna 
(fiandr).  die  nordischen  fiandr,  die,  von  Englands  küsten  kommend,  die 
insel  Lambay  bei  Dublin  plünderlen  (vgl.U'Donovan,  Annalen  der  vier  meister 
i  307  anm.  h)  waren  piraten  (dibergaich),  was  wunder,  wenn  der  sagen- 
erzähler  die  piraten  unseres  textes  nun  fianna  'vikinger'  nennt.  —  das 
irische  fianna  ist  genaue  widergabe  des  gehörten  urnord.  fiandlt  (vgl. 
got.  fij'ands);  ebenso  wird  das  aus  tönendem  s  (z)  entstandene  lispelnde 
urnord.  R  des  auslauts  nach  consonanten  im  irischen  durch  a  widergegeben 
in:  earla,  iarla  =  nord. earlK,  iarlti;  fena  =  noi d.fendR;  ol/iguala  =  \\OTd. 
ölkjölR;  ir.  lat.  grunna  'palus  seu  locus  bituminosus  et  uliginosus,  unde 
cespes  eruilur,  qui  siccatus  foco  struendo  non  secus  ac  carbones  adhi- 
betur'  (DuCange),  sumpf,  moorland  =  nord.  grunnR  'the  bottom  of  sea  or 
water';  ir.  gilla  'kräftiger  bursche' =  nord.  gildli  'kräftig'  (stout,  brawnvi 
vom  manne:  gildr  ?naitr,  d  gildasla  aldri  usw.;  ir.  garda  =  nord.  garftlt 
'geholte,  bürg,  haus',  dieser  irische  plural  fianna  =  nord.  fiandll  i<t 
vom  irischen  standpunct  der  plural  eines  femin.  «-Stammes  wie  tuatha 
von  tuath  und  daher  wird  der  im  irischen  zu  fianna  (aus  fiandll)  gebildete 
sing,  fiann  als  feminin  um  behandelt;  ir.  fiann  ist  also  nicht  aus  ur- 
nord. fiande   direct  entstanden,   sondern   zu    dem   aus   fiandlt    lautlich   ge- 


16  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

kriegerschar,  tapferer  krieger'  ist  im  9  jh.  bei  den  zuständen 
Irlands  von  selbst  gegeben:  die  fiandr  von  gestern  sind  morgen 
verbündete  eines  irischen  fürsten,  der  mit  ihnen  an  einem  be- 
nachbarten clan  oder  fürsten  die  längst  geplante  räche  kühlt.1 
da  in  fiann  der  collectivbegriff  'feindesschar,  kriegerschar'  überwog, 
bildete  man  regulär  fennid  zur  bezeichnung  eines  einzelnen:  die 
behandlung  des  ia  vor  hellem  vocal  der  folgenden  silbe,  als  ob 
es  Vertreter  eines  alten  auf  ei  beruhenden  keltischen  e  wäre,  ist 
ganz  wie  in  giall  geisel:  geill,  geillius.  das  wort  fiann  reiht 
sich  also  dem  reichen  contingent  nordischer  lehnwörter  in  den 
alten  sagentexten  an,  wie  es  Zs.  32,267—289.  464 — 470  nach- 
gewiesen ist,  und  wurde  bald  so  heimisch  wie  elta,  sceld,  mergge, 
bröc,  amor,  sop,  oilen,  öl,  laith  usw.,  sodass  es  von  den  sagen- 
erzählern  bald  mit  Vorliebe  in  die  einheimischen  alten  erzählungen 
hineingetragen  wurde,  sämmtliche  nuancen  der  bedeutung,  die 
das  wort  in  LU  und  LL  aufweist,  lassen  sich  im  hinblick  auf 
seine  herkunft  leicht  verstehen. 

Es  sind  neben  den  beiden  angeführten  bedeutungen  — 
1.  'der  tapfere  feind'  einzeln  und  collectiv,  2.  'tapfere  krieger- 
schar, tapferer  krieger'  —  noch  folgende:  3.  'söldnerschar, 
Söldner',  4.  'im  lande  umherziehende  kriegerschar,  recke',  zu 
diesen  beiden  bedeutungen  lieferten  die  nordischen  fiandr  im 
9  und  10  jh.  in  Irland  die  modelle:  sie  stellten  sich  in  die  dienste 
irischer  häuptlinge  und  könige2  und  zogen  auf  eigene  faust  im 
lande  umher,  betrachtete  man  das  Verhältnis  der  fiandr  zu  den 
fiihrern,  so  war  dies  analog  dem  echt  irischen  des  gefolges  zum 
clanhäuptliug,   daher  fiann  als  5  bedeutung  'gefolge,  Streitmacht 

bildeten  fianna  als  singular  gebildet,  also  der  singularis  zu  'feinde'  und 
'feindesscharen',  'tapfere  krieger'  und  'tapfere  kriegerscharen'. 

1  man  vergleiche  die  Annalen  der  vier  meister  zu  den  jähren  852. 
857.  860.  866.  878.  890.  893  fürs  9  jh.  auch  darf  ich  wol  an  die  bekannte 
bedeutungsentwickelung  von  ags.  vreccea,  alts.  ivrekkio,  ahd.  reccho  erinnern 
(1.  verbannter,  vertriebener  und  in  der  fremde  befindlicher  krieger,  2.  krieger, 
held  im  allgemeinen),  um  so  mehr,  als  im  irischen  an  einem  einheimischen 
wort  eine  gleiche  nachzuweisen  ist:  ecland  'der  aus  dem  clan  ausgestofsene, 
ein  mann  ohne  cland'  bedeutet  in  den  alten  sagentexten  einfach  'tapferer 
krieger'  LL  252b,  15  (da  ecland  da  threnfer).  291%  18.  LU  126a,  26  (hier  be- 
zeichnet es   nordische  helden). 

2  im  Lebor  na  cert  s.  207  wird  der  sold  aufgezählt,  den  der  könig 
von  Leinster  an  vikinger  zahlte. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  17 

eines  Stammes,  clans'  aufweist,  also  wie  ir.  teglach,  montar  ver- 
wendet wird. 

Ich  führe   die  hauptsächlichsten  stellen   aus  LU  und  LL  in 
möglichster  kürze  vor. 

In  Togaü  bruidne  DaDerga  kommt  fianna  noch  6  mal  vor 
(LU  86b,  41 ;  91%  2.  22;  97%  31.  41 ;  98a,  40).  an  den  stellen  98% 
40.  91b,2  wird  es  von  den  piraten  gehraucht;  91b,  22.  97%  31.  41 
werden  die  krieger  bei  Conaire  genannt  fianna  fer  nEren  7  Alban 
'fianna  der  männer  Irlands  und  Schottlands',  sodass  also  der 
nicht -irische  Ursprung  noch  gefühlt  wird.1  —  der  text  LL  292% 
36  ff  handelt  von  dem  ende  lngcels,  des  britischen  künigssohns, 
der  den  Überfall  und  die  Verheerung  der  bürg  leitete,  wobei 
Conaire  ermordet  wurde;  hier  heifst  es  batar  dino  maic  Conaire 
immaig  Breg  iarmarbad  an  athair  imbruidin  DaDerga,  bäi  Intel 
caech  doBrelnaib  infennid  'es  waren  nun  die  sühne  Couaires  in 
Mag  Breg  nach  ihres  vaters  ermordung  im  palast  des  DaDerga, 
es  war  Incel  caech  von  den  Briten  der  fennid'  (LL  292%  41  ff), 
das  heifst  doch  deutlich:  Ingcel  von  den  Briten  war  der  mörder, 
der  führer  der  fiandr,  welche  den  mord  ausführten.  —  in  Toch- 
marc  Feirbe  (LL  253a — 259b),  einem  text,  der  von  nordischen 
lehnwörtern  durchsetzt  ist  und  eine  fülle  von  nordischen  ein- 
flössen aufweist  (s.  Zs.  32,  244  ff;  464  ff),  wird  die  um  Con- 
chobar  versammelte  nordische  hilfetruppe  infiand  fodbach  'die 
bewaffnete  fiand'  genannt  (LL  259%  20).  —  in  der  Tüin  bü  Cäalnge 
tritt  die  beziehung  von  fiann  und  fennid  zu  den  vikiogern  be- 
sonders hervor:  nach  LL  90%  15  wird  Cethern  von  zwei  kriegern 
der  fiann  (dias  oac  feinne)  verwundet  und  Fingin  erkennt  nach 
Untersuchung  der  wunden,  dass  es  zwei  von  den  Söldnern  Nor- 
wegens (dias  dofennedaib  na  Hirnade)  im  heere  der  Medb  waren 
(s.  Zs.  32,  204.  205);  weitere  Söldner  aus  der  nordischen  fiann 
im  'besonderen  dienst'  der  Medb  treten  LL  90%  8.  19.  101%  31 
(na  noecharptig    defennedaib   na  Hirüade   'die  schiffswageufahrer 

1  an  erster  stelle  LI)  86b,  41  wird  von  einer  sitte  lästia  fianna  be- 
richtet, von  der  wir  sonst  nichts  wissen,  stammt  die  bemerkung  aus  der 
feder  Fland  Manislrechs,  dem  wir  die  redaction  des  textcs  in  LU  verdanken, 
dann  kann  von  einer  irischen  sitte  die  rede  sein,  da  im  U  jh.  fianna 
so  weit  eingebürgert  war,  dass  man  den  fremden  Ursprung  vergessen  hatte, 
gehört  sie  aber  nicht  dem  gelehrten  compilalor  an,  sondern  war  in  der 
erzahlung  vorhanden,  dann  kann  kaum  von  einer  alten  iiischen  sitte  die 
rede  sein,  sondern  nur  von  einem  brauch  (kr  vikinger. 

Z.  F.  D.  A.    XXXV.    N.  F.    XXIII.  2 


18  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

aus  den  Söldnern  Norwegens')  auf,  daher  wir  auch  die  9  fennid 
aus  dem  gefolge  der  Medb  (LU  70b,  19),  die  Cuchulinn  tötet,  für 
nordische  Söldner  nehmen  dürfen,  der  Connachtrecke  Nath- 
crantail  im  gefolge  der  Medb  wird  fennid  (recke)  genannt  (LU 
69%  43).  die  bewunderung  für  diese  nordischen  fiandr  ist  so 
grofs,  dass  unter  den  zahlreichen  clancontingenten,  die  aus  ganz 
Ulsterland  dem  Conchobar  zu  hilfe  ziehen  (LL  97%  10—100%  20), 
die  tapfersten  und  daher  zuletzt  genannten ,  die  männer  von 
Murthemne,  neben  leomain  londa  (wilde  löwen)  als  höchsten  trumpf 
das  beiwort  fianna  feochra  forderga  'wilde,  über  und  über  ge- 
rötete fianna  (fiandr)'  erhalten  (LL  100%  36).  —  in  Fochond 
loingse  Fergusa  (LL  252a)  kommen,  als  die  Iren  das  fest  von 
Emain  feiern,  dias  oac  fene  do  Emain  Macha,  da  ecland  da 
threnfer  'zwei  /iann-krieger,  recken,  tapfere  männer  nach  Emain 
Macha'  (LL  252%  14.15);  sie  werden  ganz  wie  sonst  nordische 
krieger  beschrieben ,  und  geben  —  nach  ihrem  beruf  gefragt  — 
an:  'in  erster  linie  machen  wir  kämpf  mit  männern  (LL  252%  47), 
wir  stellen  auch  unseren  mann  beim  essen,  mit  stein-  oder 
gabelwerfen  und  feueranzünden  geben  wir  uns  nicht  ab.'  —  in 
Longes  mac  nUsnig  erfahren  wir,  dass  die  söhne  des  Usuech  'den 
fianna  der  männer  Schottlands'  angehörten  (LL  261\  3),  nachdem 
vorher  gesagt  ist,  dass  der  könig  von  Schottland  'sie  in  sein  ge- 
folge aufnahm  und  dass  sie  kriegsdienst  bei  ihm  nahmen'  (Conad- 
ragaib  inamunteras  ocus  corogabsat  amsai  ake  LL  260%  10).  — 
in  Scel  mucci  mic  Däthü  wird  der  aufgeregte  zornige  Mac  Däthö 
poetisch  in  ferg  fene  'berserkerwut'  genannt  (LL  112%  27).  — 
unter  den  manigfachen  Verwandlungen,  welche  in  dem  text  Cophur 
in  da  muccide  die  beiden  mit  übernatürlichen  kräften  begabten 
schweinhirten  annehmen  (habichte,  fische,  wild,  drachen),  ist 
auch  die  in  'zwei  fennid',  die  sich  gegenseitig  wild  verwunden 
(LL  246%  41.  247%  14);  Rind  und  Faebur  (Speerspitze  und 
schwertschneide)  hiefsen  sie  als  solche.  —  lehrreich  für  be- 
deutung  4  'recke'  ist  die  erzählung  von  der  geburt  Conchobars 
LL  106a:  Cathbad  mac  Rossa  war  ein  gewalttätiger  recke  (fennid) 
in  Ulster,  zugleich  druide;  ihn  triebs  einst  auf  eine  fahrt  (cuaird 
fennidechta)  und  er  kam  nach  Munster,  mit  seinem  gefolge 
(conafein)  vollführte  er  in  der  nacht  einen  Überfall  und  sie  töteten 
die  beschützer  der  tochter  des  Munsterkönigs,  diese,  durch  das 
grause   geschick   hart   geworden,    durchzog   mit    dreimal    9  be- 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  19 

gleitern  Irland  auf  plündern ogszug  (for  fennidecht);  auf  diesem 
plünderungszug  (forfiannas)  kam  sie  auch  nach  Ulster,  wo  sie 
mit  dem  genannten  recken  (fennid)  Cathbad  zusammentraf:  der 
söhn  dieses  recken  und  des  kriegerweibes  war  Conchobar,  der 
berühmte  Ulsterherscher.  —  in  Serglige  Conculaind  findet  sich 
sich  das  wort  zweimal,  ohne  dass  eine  andere  bedeutung  als 
'tapferer  krieger,  held'  sich  aus  dem  Zusammenhang  ergäbe: 
Labraid  der  feenherscher  wird  'angreifer  der  fiati  ('feindes- 
scharen'?)  genannt  (LU  45%  8),  und  Furbaide,  Conchobars  söhn, 
heifst  Furbaide  na  fian  'F.  der  heldenscharen'  (LU  47%  31).  — 
in  Fled  Bricrend  sind  tüchtigkeit  (feba)  und  Sättigung,  bewirtung 
(fothud)  der  fiandr  (feinne)  bekannt  und  hervorgehoben  (LU  102% 
42.  107%  5),  womit  man  die  oben  gegebene  antwort  der  beiden 
nordischen  recken  (LL  252%  47)  vergleiche. 

Von  welcher  bewunderung  die  schmächtigen  Iren  für  die 
germanischen  hünengestalten  erfüllt  waren,  die  sich  mehr  als 
200  jähre  an  Irlands  küsten  umhertriebeu ,  durch  Irlands  gefilde 
plündernd  zogen  und  an  vielen  stellen  durch  300  jähre  festen 
fufs  fassten,  davon  habe  ich  in  meinem  früheren  aufsatz  zahl- 
reiche proben  gegeben,  diese  bewunderung  führte  zur  nachäffung 
des  fremden  in  allen  dingen ,  nicht  zum  wenigsten  bei  den  scelide 
'den  sagenerzählern'  des  9  und  10  jhs.  um  den  rühm  des  ein- 
heimischen fürsten  und  helden  Conchobar  zu  erhöhen,  gab  man 
ihm  nordische  ahnen  (Zs.  32,  263  —  266),  andere  helden  erhalten 
eine  hornhaut  (aao.  290  —  307;  322  ff),  in  nordischer  weise 
schliefsen  irische  helden  den  blutbund  (aao.  307  ff) ,  Cuchulinn 
kämpft  zu  ross  (aao.  s.  332).  die  irischen  helden  führen  elta 
an  den  Schwertern ,  decken  sich  mit  sceld,  haben  bröca  aus  lethar, 
legen  sopp  in  die  wunden,  führen  mergge  mit  sich;  sie  feiern 
feste  in  borg,  bei  denen  drenga  dreppa  singen ,  während  laith  aus 
iarnguala  über  die  bord  geschöpft  wird;  bei  traurigen  gelegen- 
heiten  erheben  sie  amor;  als  münze  dient  der  penning  (aao. 
s.  267 — 289.  464—470).  wundern  wir  uns  bei  dieser  nachäffung 
alles  nordischen1,  wenn  in  denselben  texten,  die  obige  und 
andere  nordische  lehnwörter  enthalten,  Laeg  eine  /m»-ausrüstung 
(fianerred)  anzieht  (LU  78%  44.  45.  LL  76%  50.  51),  ehe  es  zum 

1  es  ist  dies  dieselbe  nachäflung  des  ausländischen,  wie  sie  in  Deutsch- 
land im  17  jh.  vorkam  und  von  Gryphius  so  trefüich  im  Horribilicribrifax 
verspottet  wurde. 

2* 


20  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

kämpfe  geht?  Fergus  nimmt  den  fianbrat  (vikingermantel)  LL  114% 
42;  Cuchulinns /mn-triumph  kommt  niemand  gleich  (LU  104%  11); 
zur  erhühung  der  würde  sitzt  Conaire  auf  einem  fochlui  fennida 
'einem  thron,  wie  ihn  die  fiandr-i'ürsten  hatten'  (LU  87%  5),  ebenso 
Conchobar  (LL  111%  6.  263%  12);  Schachbrett  und  Schachspiel, 
wie  die  der  fiandr  (fianchlar  LL  261%  25;  fianfidchell  LU  47%  4); 
fianlach,  fiallach  dh.  fiann- schar  ist  eine  gewöhnliche  bezeichnung 
für  'kriegerschar,  schar'  LU  57%  8;  59%  40.  44;  70%  26;  84%  3; 
112%  40;  LL  84%  34.  85%  33.  87%  28.  290%  34;  fianläech  ein 
tapferer  laech  (krieger),  ein  laech  wie  die  fiandr  (LU  74b,  45. 
75%  2). 

Überblickt  man  diese  fülle  von  belegen  aus  LU  und  LL, 
dann  ist  klar:  von  einer  'fiann- Institution  zum  schütze  Irlands 
und  der  königlichen  gewalt'  haben  die  sageuerzähler,  denen  wir 
diese  texte  in  der  überlieferten  form  verdanken,  keine  ahnuug. 
mit  einer  so  fest  ausgeprägten  Vorstellung,  wie  sie  in 
den  texten  des  15  jhs.  herscht,  ist  die  Verwendung  des  Wortes 
fiann,  fennid  im  10  und  11  jh.  unvereinbar;  diese  technische 
bedeutung  von  fiann,  fennid  muss  also  jünger  sein,  als 
die  periode  des  vikingerzeilalters,  in  der  in  die  texte  der  alten 
heldensage  die  nordischen  einQüsse  eindrangen,  also  jünger  als 
das  9 — 10  jh.  freilich,  wenn  bewiesen  wäre,  dass  von  alters 
her,  also  im  2  und  3  jh.,  in  Irland  eine  Institution  bestaud,  wie 
sie  eingangs  nach  sagentexten  des  15  jhs.  geschildert  ist,  und 
wenn  fiann  von  alters  her  als  der  technische  ausdruck  für  diese 
Institution  gegolten  hätte,  dann  liefsen  sich  die  meisten  der  an- 
geführten stellen  von  LU  und  LL  allenfalls  auch  erklären,  man 
müste  annehmen ,  dass  mit  dem  aufhören  der  iustitution  im  4  jh. 
auch  die  technische  bedeutung  des  wortes  fiann  allmählich  ver- 
blasst  und  dem  bewustsein  der  späteren  zeit  (9  — 11  jh.)  ent- 
schwunden sei,  sodass  es  in  den  nachgewiesenen  allgemeineren 
bedeutungen  und  Übertragungen  konnte  gebraucht  werden,  nun 
treffen  aber  die  beiden  Voraussetzungen  nicht  zu, 
wie  wir  sahen :  iustitution  und  technische  bedeutung  von  fiann 
kommen  erst  in  sagentexten,  die  nach  Überlieferung  und  spräche 
um  mehrere  Jahrhunderte  mindestens  j  ünger  als  die 
betrachteten  texte  von  LU  und  LL  sind,  klar  vor.  patriotische 
Iren  werden  keine  Schwierigkeit  sehen:  in  der  sage  des  15  jhs. 
und  der  erinnerung  des  volkes  heutiger  tage  lebt  jene  institution 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  21 

des  2  und  3  jhs.,  folglich  muss  sie  gewesen  sein  in  jener  zeit; 
was  texte  des  9 — 11  jhs.  dazu  sagen,  ist  gleichgiltig,  zumal  man 
die  doch  nicht  lesen  kann.1  für  wissenschaftliche  betrachtung 
lautet  die  folgerung  etwas  anders:  weil  die  institution  der  fiann 
und  die  technische  bedeutung  der  Wörter  fiann,  fennid  im  9  und 
10  jh.  noch  unbekannt  sind,  muss  die  jüngere  Überlieferung 
eine  jüngere  entwickelung  repräsentieren,  -die  sich  als  Weiter- 
bildung aus  dem  nachgewiesenen  älteren  gebrauch  von  fiann  muss 
erklären  lassen,  ehe  ich  zum  nachweis  dessen  übergehe,  will 
ich  noch  einige  belege  für  fiann  aus  texten  des  10  jhs.  anführen, 
welche  nicht  der  älteren  heldensage  angehören. 

Im  jähre  975  starb  Cinaed  hua  Artacain,  der  in  den  Annalen 
der  vier  meister  und  Ulsterannalen  prlmeices  Erenn  inaaimsir 
1  einen  köstlichen  beleg  für  die  logik  irischen  Patriotismus  liefert  der 
herausgeber  von  Cath  Fionnträigh  or  the  battle  of  Ventry  harbour  which 
took  place  in  the  third  Century,  Dublin  1884.  diese  englische  bearbeitung 
gründet  sich  auf  eine  ganz  moderne  version  der  zuerst  im  15  jh.  vorkom- 
menden erzählung  und  ist  mit  einer  introduction  versehen,  wo  es  heifst 
is.  vi  ff):  'there  is  one  incident  mentioned  which  is  so  startling,  and  is  so 
opposed  to  all  present  and  preconceived  notions,  that  it  is  desiderable  to 
refer  to  it  here.  Oscar  is  stated  to  have  'leaped  to  his  feet,  and  in  that 
sudden  bound  he  cleared  nine  ridges  of  potato  ground'.  in  the  irish 
text  it  is  writlen,  nine  ridges  of  reddened  potato  ground.  well, 
it  is  not  too  much  to  assume  that  the  nine  ridges  were  there,  as  in  fact  their 
outlines  are  still  [!nach  1650  jähren]  and  can  be  easily  traced  on  the  surface 
of  the  grass-grown  sands.  such  beeing  facts[l],  whal  becomes  of  the  re- 
puted  discovery  of  the  potato  by  sir  Walter  Raleigh  and  of  his  introduction 
of  it  into  Irland,  A.  D.  1586?  the  fact  that  the  irish  people  have  lived  on 
the  potato,  and  almost  on  it  alone  for  centuries,  is  a  sufficient  argument 
to  advance  in  proof  that  it  is  and  had  been  the  natural  and  indigenous 
growth  of  the  country.'  das  ist  dem  manne  heiliger  ernst,  da  die  kartoffel 
also  im  3  jh.  schon  in  Irland  stark  angebaut  war,  so  ist  die  möglichkeit 
sogar  abgeschnitten,  dass  sie  Brendan  aus  dem  lande  der  seligen  mitgebracht; 
vielleicht  aber  wars  sein  Vorgänger  aus  heidnischer  zeit  Maelduin.  jedes- 
falls  verdanken  die  Iren  —  wie  so  bewiesen  ist  —  die  woltat  der  kartoffel 
nicht  dem  verhassten  Engländer  Raleigh,  der  von  1580  — 1583  im  auftrag 
der  gehassten  Elisabeth  den  aufstand  in  Munster  blutig  niederschlug,  mit 
gleicher  patriotischer  logik,  mit  der  obige  worte  im  5  jähre  der  landliga 
(1884)  geschrieben  wurden,  schaffte  ein  Ire  die  tatsache  aus  der  weit,  dass 
in  London  die  sonne  35  minuten  früher  aufgeht  als  in  Dublin,  indem  er 
sagte:  'no  sun  ivir  riz  anywhere,  afore  it  did  in  ould  Ireland!  England 
afore  Ireland  nivir!'  wäre  die  kartoffelgeschichte  nicht  in  einem  buche  ge- 
druckt, das  als  Volksbuch  heutiges  tages  in  Irland  verbreitet  wird,  dann 
möchte  man  letztere  geschichte  als  fun  auffassen. 


22  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

'hauptdichter  Irlands  iü  seiner  zeit',  im  Chron.  Scotorum  pri- 
meices  Lethe  Cuinn  'hauptdichter  Nordhiands'  genannt  wird,  unter 
den  von  ihm  erhaltenen  gedichten  findet  sich  LL  31a,  42  ff  ein 
solches,  in  welchem  die  todesarten  und  begrähnisplätze  der  haupt- 
helden  irischer  sage  in  einzelnen  Strophen  abgehandelt  werden,  es 
beginnt  mit  den  Worten: 

Fianna  batar  in  Emain  i  Raith  Cruachan  i  Temair 
il  Luachair  luatis  curaid  in  Alind  in  JarMumain 
'fianna  waren  in  Emain  (in  Ulster),  in  Rath  Cruachan  (in  Con- 
nacht),  in  Tara  (in  Meath),  in  Luachar  tummelten  sich  hei  den, 
in  Alind,  in  Westmunster'  (LL  31%  43.  44) ,  und  dann  werden 
die  berühmten  helden  der  Cuchulinnsage  aufgezählt,  also  'neiden' 
gabs  in  allen  teilen  Irlands  und  fianna  ist  rein  synonym  zu 
dem  echt  irischen  curaid  verwendet;  jegliche  nebenbe- 
ziehung  zu  dem  begriff  fianna  der  sagentexte  des 
15jhs.  ist  absolut  ausgeschlossen,  um  so  wichtiger  ist 
die  beziehung,  die  am  schluss  des  gedichtes  auftritt,  welcher 
lautet: 

Andso  döib  matät  ipein     cenadrad  rlg  roithes  grein 
Rochoscair  mac  Maire  mass     conosros'cair  fri  fiannas 
Mac  De  romanact  cose     arimad  nanecraite 
Ise  rommain  iarmothä     conatoithus  la  fianna 
'das  sind  sie  (die  helden);  wenn  sie  in  der  quäl  siud1  ohne  an- 
betung  des  königs,  der  die  sonne  rötet,   so  siegte  der  stattliche 
söhn  der  Maria,   dass  er  sie  trennte  vom  heldentum.     der  söhn 
gottes   beschützte    mich    bisher  vor    der   menge   der   feiude,    er 
schütze   mich    fürderhin,    dass  ich  nicht  falle  durch   die  fianna.' 
das  ist,  denke  ich,  klar:  wer  einen  blick  in  die  irischen  annalen 
wirft,  sieht  sofort,   wie  sehr  Irland  zur  zeit  Cinaed  o  Artacains 
von  den  raubenden  und  mordenden  vikingern  zu  leiden  hatte,    der 
gott,   der  bisher   ihn  vor  der  menge  der   feinde  schützte,   soll 
ihn  fürderhin  schützen,  dass  er  nicht  durch  die  fianna  falle,    wie 
im  eingang  fianna  und  irisch  curaid  (helden),  so  sind  hier  fianna 
und  ecraite  (feinde)  synonym,  und  die  fianna,  vor  denen  gott  ihn 
schützen   soll,  sind   die  nordischen  fiandr.     hier  haben  wir  ein 
sicheres  zeugnis  für  den  Sprachgebrauch  um  die  mitte  des  10  jhs., 

1  dass  kirchlicher  zelotismus  die  helden  der  irischen  sage  bis  auf  Con- 
chobar  und  Cuchulinn  im  vikingerzeitalter  in  die  hülle  gesteckt  hatte,  dafür 
habe  ich  Zs.  32,  255  belege  gegeben. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  23 

das    uns    zudem    über   den    Ursprung   von   fianna   aus    nordisch 
fiandr  nicht  im  zweifei  lässt. 

Das  ganze  9  Jh.  hindurch  wurde  nach  dem  Zeugnis  der 
irischen  annalen  und  der  zusammenfassenden  geschichte  über 
die  vikingerzeit  LL  309.  310  Munster  von  Waterford  bis  Lim- 
merick  von  den  Nordleuten  heimgesucht:  nicht  nur  in  küsten- 
plätzen  wie  Waterford,  Cork,  Limmerick  fassten  sie  auf  kürzere 
oder  längere  zeit  festen  fufs,  sondern  auch  au  orten,  die  hier 
im  Süden  mehr  nach  dem  inneren  zu  lagen,  das  heutige  Fermoy 
liegt  32  kilom.  nordöstlich  von  Cork  am  rechten  ufer  des  in  die 
Youghalbai  mündenden  Blackwater,  daher  zu  schiff  von  Water- 
ford, Youghal,  Cork  leicht  zu  erreichen,  die  bewohner  des 
districtes  heifsen  altir.  nom.  Fir  maigi,  gen.  Fern  maigi,  dat. 
Feraib  maigi,  acc.  Firu  maigi.1  so  wird  Fermoy  und  seine  be- 
wohner erwähnt  in  den  Annalen  der  vier  meister  a.  640  (Cuana 
toisech  Fermaige  'Cuana,  fürst  von  Fermoy'  =  Cuana  r%  Fern- 
maige  'Cuana,  konig  von  Fermoy'  Chron.  Scot.  a.  641),  a.  843 
( Caicher  tigerna  Fermaige  'C,  herr  von  Fermoy'),  1013  (Gebheanach 
tigherna  Fermaige  'G. ,  herr  von  Fermoy'  =  Gebennach  rlg  Fer- 
maige Chron.  Scot.  1012).  im  jähre  862  ist  nun  notiert,  dass 
Cerball  auf  einem  plüuderuugszug  in  Munster  kam  co  Fioru 
maige  Fene  'bis  Fermoy  Fene'  und  942  wird  erwähnt,  dass  der 
tigerna  Corca  Laighde  ('herr  der  südwestlichen  grafschaft  Cork') 
dferaibh  maige  Fene  'von  den  Fermoy  Fene'  (==  Annais  of  Ulster 
943  riCorco  Laighdhi  do  marbad  do  Feraibh  maighi  Feine)  ermordet 
wurde,  der  grund ,  warum  Fermoy  in  der  zweiten  hälfte  des 
9  und  der  ersten  des  10  jhs.  in  den  annalen  auf  einmal  den 
zusatz  Fene  —  womit  O'Donovan  und  Hennessy  nichts  anzufangen 
wissen  —  erhält,  ist  klar:  vikinger  hatten  sich  hier  fest  an- 
gesiedelt, wie  Mayo  in  Connacht  in  den  irischen  annalen  Magh 
eo  na  Saxan  'Mayo  der  Sachseu'  genannt  wird  von  dem  umstand, 
dass  sich  hierher  die  Sachsen  mit  Colman  zurückzogen  (664), 
die  mit  ihm  die  römische  osterberechnung  nicht  annehmen  wollten 
(Beda,  Hist.  gentis  Angl.  4,4  und  die  Zs.  32,202  —  203  bei- 
gebrachten irischen  Zeugnisse),  so  heifst  Fermoy  im  9  und  10 jh. 
Fermoy  Fene  'Fermoy  der  fiann',  weil  nordische  fiandr  dort  safsen. 
dies  zeugnis  der  annalen  wird  durch  ein  werk  des  10 — 11  jlis.  be- 

1  dh.  'die  männer  der  ebene'  (fir  maigi)  am   oordabhange  der  Naglee 

inounts. 


24  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

stätigt ,  den  schon  erwähnten. (s.  10  ff)  Lebor  na  cert.    hier  wird 
unter   den    Verpflichtungen    des   königs    von   Munster   (rl   Caisil 
'könig  von   Cnshel')  an  die  häuptlinge  der  clane  aufgeführt: 
Dlighidh  oirrigh  Muighi  Fian         each  ö  righ  Caisil  is  srian 
(Uighidh  sciath  is  daidheam  cain     rl  Fer  Muighi  co  firgail 
'es  hat  anspruch   der   regulus   (der  männer)   von  Mag  Fian   auf 
ein  ross  vom  könig  von  Cashel  und  einen  zügel,   es  hat  anspruch 
auf  einen  schild  und  ein  schönes  schwerl  der  könig  von  Fermoy 
mit  wahrer  tapferkeit'  (O'Donovan,  Leabhar   na   g-ceart    s.  82, 
Book    of  Ballymote  s.  27 la,  39).     hier   ist  rl  (Fer)  maigi  Fian 
gleich  rl  Fermaigi  und  'Fermoy  der  fiandr'  ist  dieselbe  bezeich- 
nung  wie  'Mayo    der  Saxan' ;   es  beweist   zudem    die   richtigkeit 
meiner  auffassung  des  Zusatzes  Fene  in  den  annalen. 

Diese  belege  des  9  und  10  jhs.  zeigen  uns,  dass  der  Zusammen- 
hang zwischen  dem  ins  irische  aufgenommenen  fianna,  fiann  und 
den  nordischen  fiandr  noch  gefühlt  wurde,  was  ja  auch  in  vielen 
belegen  aus  den  sagentexten  von  LU  und  LL  zu  tage  trat, 
ebenso  lässt  sich  in  texten  derselben  zeit,  die  aufserhalb  der 
heldensage  stehen,  die  auf  combination  der  tatsächlichen  Ver- 
hältnisse mit  irischen  anschauungen  beruhende  bedeutung  'ge- 
folge,  Streitmacht  eines  Stammes  oder  clans'  für  fiann  (vgl.  s.  16), 
die  ebenfalls  in  den  sagentexten  vorkam,  nachweisen. 

Das  s.  21  ff  benutzte  gedieht  des  975  gestorbenen  Cinaed 
o  Artacain  enthält  folgende  Strophe: 

Mongan  bamind  cachdlne  docer  la  fein  Cindtlre 

La  fein  Luagne  aided  Find  oc  Ath  Brea  for  Boind 
'Mongan  —  er  war  die  kröne  jeder  generation  —  fiel  durch  die 
fiann  von  Cantire,  durch  die  fiann  der  Luagne  (geschah)  der 
tod  Finds  bei  Ath  Brea  an  der  Boyne.'  Mongan  war  der  söhn 
eines  am  ende  des  6  jhs.  lebenden  Ulsterkönigs  Fiachna  Lurga 
(LL  41  col.  3  und  5)  und  fiel  nach  den  verschiedenen  annalen 
um  620  (624  Annais  of  Ulster,  625  Chronicon  Scotorum,  620 
Vier  meister,  624  Annais  of  Cloumacnoise)  in  den  kämpfen  in 
Schottland.1  dass  unter  fiann  Cindtlre  (die  Ulster  gegenüber 
1  um  diesen  Mongan  ist  manche  sage  gewoben,  das  Chronicon  Sco- 
torum weifs  von  seinem  tod  näher  anzugeben  Mac  Fiachna  i.  Mongan  ab 
Arthur  fitio  Bicuir  Britoni  lapide  percussus  interiit;  die  Vier  meister 
ebenso  Mongan  mac  Fiachna  Lurgan  domarbad  docloich  la  hArtur  mac 
Bicair  do  Bretnaib  'M.  wurde  mit  einem  stein  getötet  von  Artur  mac  Bicair 
von  den  Brüten',     von  ihm  gieng  auch  eine  sage,  dass  er  der  euhemerisierte 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  25 

liegende,  sich  zwischen  Islay  und  Arran  hinziehende  schottische 
halbinsel  Cantire)  nicht  an  fiann  in  dem  s.  1  und  2  entwickelten 
sinne  der  jungen  Finnsage  gedacht  werden  kann,  sondern  dass 
la  fein  Centire  so  viel  sagt  wie  la  firu  Centire  'durch  die  männer 
von  Cantire',  ist  klar,  dieselbe  bedeutung  liegt  auch  in  la  fein 
Luagne  der  folgenden  zeile.  die  Luague  waren  ein  stamm  in 
Meath  (s.  O'Donovan  zu  Vier  meister  i  102  note  i)  und  la  fein 
Luagne  ist  so  viel  wie  la  firu  Luagne  'durch  die  männer  der 
Luagne'  oder  auch  la  Luagniu  'durch  die  Luagnis'.  dieiden- 
tität  dieser  ausdrucksweise  wird  durch  parallele  Wendungen  für 
dasselbe  ereignis  belegt:  von  Cathair  mör  wird  im  Lebor  na  cert 
(O'Donovan  s.  204,  Book  of  Ballymote  27 8b,  2)  berichtet,  dass 
er  fiel  la  fein  Luaigne,  ebenso  Lebor  gabala  (LL  24\  11)  la  fein 
Luaigne  i  Temraig,  aber  in  den  Vier  meislern  a.  122  la  Luaigh- 
nibh  Teamra.  hier  ist  also  la  fein  Luaigne  'durch  die  fiann 
(waffenfähige  mannschaft)  der  Luagne'  gleich  la  Luaigniu  'durch 
die  Luaignis'. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  Finn  mac  Cumaill,  um  zu  sehen, 
welche  Stellung  er  in  den  ältesten  texten,  in  denen  er  auftritt, 
einnimmt  und  welche  bedeutung  fiann  in  den  ältesten  auf  Finn 
bezüglichen  texten  von  LU  und  LL  hat.  vorausgeschickt  sei, 
dass  keiner  dieser  auf  Finn  bezüglichen  texte  in  LU  und  LL, 
wie  die  spräche  erweist,  seiner  ersten  niederschrift  nach  so  alt 
sein  kann  wie  die  wichtigsten  texte  der  alten  sage  (Togail  bruidne 
DaDerga,  Tüin  bo  Cüalnge,  Fled  Bricrend,  Serglige  Conculaind  usw.). 
in  erster  linie  kommt  in  frage  die  sagenhafte  geschichte  von  dem 
Uroma  (LL  294b,  25  — 308b  ende).  Tuathal  Techtmar,  Irlands 
oberkönig  im  anfang  des  2  jhs.,  hatte  als  vater  von  dem  Leinster- 
könig  Eochu  mac  Echacb  Domlen  schweres  leid  erfahren,  das 
er  mit  hilfe  der  übrigen  irischen  teilkönige  an  Eochu  und  den 
Leinsterleuten,  die  sich  auf  seite  ihres  königs  stellten,  rächte, 
zur  strafe  wurde  auf  Leinster  ein  ewiger  tribut  (böroma)  an 
Irlands  oberkönig  gelegt  (LL  295b,  18  ff),  die  Leinsterleute 
suchten  sieb  natürlich  diesem  tribut  zu  entziehen  und  dies  führte 
durch  jhh.  mit  abwechselndem  glück  ausgefochtene  kriege  der  ober- 
alte meergott  .Manandän  mac  Lir  in  Verjüngung  gewesen  (Imram  Brain  mac 
Febail  in  Rawl.  B  512  fol.  120a,  1  ff.  H.  2.  16  col.  397  ff  und  in  dem  bruch- 
stück  LU  133a,  1  — 24);  eine  andere  sage  behauptete,  er  sei  Finn  mac  Cu- 
maill in  einer  jüngeren  gestalt  (LU  133a,  25  ff). 


26  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

könige  gegen  Leinster  herbei,  zur  zeit  des  heiligen  Moling  und 
Adomnans,  in  der  zweiten  hälfte  des  7  jhs.  wurde  dieser  tribut 
in  folge  einer  listigen  ausnutzung  des  doppelbegriffes  von  ir.  luan 
('montag'  und  'jüngster  tag')  bis  zum  jüngsten  tag  sistiert.  Brian, 
der  könig  von  Munster,  soll,  als  er  Irlands  oberkönig  geworden 
war  (1001  —  1014),  den  tribut  erneuert  haben,  woher  sein  name 
Brian  Boroma,  unter  dem  er  in  der  geschichte  bekannt  ist. 
unser  text  in  LL  bricht  s.  308  in  folge  Verlustes  eines  oder 
mehrerer  blätter  in  der  hs.  ab  bei  erzählung  der  ereignisse,  die 
zur  Sistierung  des  tributes  in  der  zweiten  hälfte  des  7  jhs.  führten, 
die  erzählung  verdankt  offenbar  ihren  aulass  der  versuchten  er- 
neuerung  des  tributes  zur  zeit  Brians,  stammt  also  aus  dem 
11  jh.,  wozu  auch  die  spräche  stimmt  und  sonstige  diuge,  die  ich 
Zs.  32,  307 — 308  zusammengestellt  habe.1  in  einem  teile  dieses 
textes  nun  spielt  Finn  mac  Cumaill  eine  hervorragende  rolle  und 
wir  werden  das,  was  hier  über  ihn  berichtet  ist, 
als  die  authentischen  anschauungen  des  11  jhs.  über 
Finn  in  Leinster  und  Munster  betrachten  müssen, 
also  in  den  teilen  Irlauds,  wo  die  Finnsage  ihren  Ursprung  und 
bis  auf  den  heutigen  tag  ihre  gröste  beliebtheit  hat.  hier  lesen  wir 
nun  über  Finn  und  seine  zeit  folgendes  (LL  296a,43— 299b,  10): 
'Art  übernahm  die  königswürde  Irlands  und  forderte  den 
tribut  ein  und  erlangte  ihn  nicht  ohne  kämpfe.  Cormac  mac 
Airt  erhielt  ihn.  Fergus  Dubdctach  erhielt  ihn  ein  jähr,  darauf 
übernahm  Coirpre  Lifeochair  die  herschaft  und  suchte  den  tribut 
von  Leinster  einzuziehen.  Bressal  (der  Leinsterkönig)  sagte  aber, 
er  würde  ihn  nicht  ohne  kämpf  geben,  darauf  wurde  von  Coirpre 
eine  oceauversammlung  (lerthinöl  dh.  unzählige)  der  männer 
Nordirlands  nach  Cnamross  in  Leinster  veranstaltet,  die  Leinster- 
leute  versammelten  sich  bei  Garbtonaig.'  Bressal  fragt  nun  die 
Leinsterhäuptlinge,  was  zu  tun  sei:  ob  den  kämpf  zu  wagen  oder 
den  tribut  zu  zahlen,  die  raten:  'sende  botschaft  zu  Finn  des 
kampfes,  die  fianna  des  schneidigen  Finn  sammle,  o  königssohn; 

1  bemerkenswert  ist,  dass  in  LL  nach  der  lücke  direct  folgt  die  ge- 
schichte der  vikingerzeit  in  Irland,  die  bis  zum  tod  Brians  in  der  Schlacht 
von  Glontarf  (1014)  geführt  ist  und  von  einem  Zeitgenossen  Brians  und 
augenzeugen  der  schlacht  geschrieben  sein  muss  (s.  Todd,  Gogadh  Gaedhel 
s.  xix  —  xxvn).  beide  werke  stehen  mit  Brian  Boroma  in  engster  be- 
ziehung,  sodass  man  wol  erste  hälfte  des  11  jhs.  als  ihre  abfassungszeit 
annehmen  darf. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  27 

mit  dir  au  einem  orte  vereinigt,  werden  sie  voran  in  den  kämpf 
gehen.  Find,  der  schöne,  berühmte  (uirnide)  mann  —  zahlreich 
sind  die  geschienten  von  ihm  — ,  wenn  er  kommen  wird,  Find 
von  Almu ,  dann  mache  waffenkampf.'  Bressal  gieng  darauf  süd- 
lich nach  Rind  Descirt,  das  heutiges  tages  Rind  Dubain  Ailithir 
genannt  wird,  dem  ort,  an  dem  Find  mac  Cumaill  war.  neuig- 
keiten  wurden  vom  könig  von  Leinster  in  des  rigfenniä  Irlands 
dh.  Find  mac  Cumaills  hause  erfragt.  es  erzählt  darauf  der 
könig  sein  nicht -gewachsen -sein  (dem  Lifeochair)  und  sucht  den 
Finn  zur  teilnähme  zu  gewinnen ,  indem  er  mit  den  worten 
schliefst:  'o  söhn  des  Cumall  von  gewaltigen  taten,  rüste  dich 
und  wir  wollen  gehen;  ergreift  eure  waffen  prächtig  und  erhebt 
euch,  o  fiann  des  Find.'  'es  erhob  sich  darauf  Find  und  seine 
fiann  mit  ihm  und  marschierten,  den  Barrowfluss  (hauptfluss 
Leinsters,  mündet  bei  Waterford)  links  lassend,  nach  Rind  Roiss 
Bruicc  über  (an)  dem  Barrowfluss.  es  setzte  sich  der  rtgfennid 
auf  einen  hügel  oberhalb  des  waldes  (ross);  er  erblickte  ein 
zauberhaftes  unkörperliches  beer,  in  scharen  zum  himmel  und 
herab  sich  bewegend,  was  ist  das  für  ein  heer  dort?  sagte  die 
fiann.  engel  sind  dies,  sagte  Find,  nämlich  die  familie  des 
königs  des  himmels  und  der  erde,  und  tonsurierte  (talcind) 
werden  kommen  an  den  ort,  wo  die  engel  dort  sind,  an  diesem 
orte  hatte  Find  drei  leibliche  pflegebrüder,  nämlich  die  3  söhne 
des  Flacha  mac  Conga ,  mit  namen  Molling  Lüath  (der  schnelle), 
Cellach  nuel  (der  glatzkopf)  und  Brsen.  sie  waren  nicht  lange 
dort,  so  sahen  sie  Molling  Lüath  auf  sie  zukommen.'  derselbe 
begrüfst  Find  und  prophezeit,  dass  heilige  (Brennaind  Birra, 
Molling)  in  der  gegend  sich  ansiedeln  würden.1  'darauf  fragte 
Molling  Lüath:  warum  kommt  ihr  hierher?  da  sagte  Finn:  der 
könig  von  Leinster  kam,  um  seine  bedrängnis  und  seine  Ver- 
gewaltigung uns  zu  beklagen,   dass  nämlich  die  mänuer  Irlands 

1  es  ist  mir  rein  unverständlich,  wie  Alkinson  in  den  contents  von 
LL  (s.  68)  annehmen  kann,  es  handle  sich  hier  um  ein  zusammentreffen 
Finns  mit  dem  bekannten  heiligen  Molling.  dieser  Molling  Lüath  ist  nur 
ein  400  jähre  älterer  namensvetter  und  der  heilige  Molling  tritt  ja  später, 
wo  die  erzählung  in  die  2  hallte  des  7jhs.  kommt,  wüiklich  auf.  es  handelt 
sich  LL  297a,  5 ff  nur  um  eine  Prophezeiung  (doragal  'sie  werden  kommen'), 
ebenso  297b,  41  ff  ('Ross  in  Brocc  heute  ist  weg  der  hunde.  bald  werden 
kommen  heilige  hierhin,  haus  des  Molling  wird  sein  name  sein),  298*,  15 
steht  ja  ausdrücklich,  dass  es  sich  um  eine  'vision'  (fis)  handelt. 


28  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

um  Cairpre  Lifeochair  ihm  kämpf  angesagt  hahen ,  wenn  er  nicht 
den  boirama  entrichte,  wir  beabsichtigen,  zum  kämpf  der  Leinster- 
leute  uns  zu  begeben.  Molling  aber  sagte  zu  Find,  er  solle 
nicht  vereinzelt  dem  könig  von  Irland  mit  den  um  ihn  ver- 
sammelten männern  Irlands  entgegen  gehen.  Finds  anzahl  aber 
war  dort  1500  rigfeinnid  und  30  mann  unter  jedem  rigfeinnid 
von  ihnen.'  Molling  forderte  Find  auf,  über  nacht  bei  ihm  zu 
bleiben;  er  werde  ihm  und  seinen  leuten  das  beste  aus  allen 
teilen  Irlands  und  Schottlands  (Cantire)  zur  bewirtung  bieten,  er 
warnt  ihn,  ohne  genügende  Streitkräfte  den  kämpf  aufzunehmen, 
erinnert  an  den  tod  des  vaters  durch  die  scharen  von  Tara 
(racathaib  Temra)  und  bittet  ihn,  botschaft  auszuschicken,  um 
verschiedene  führer —  die  LL  297b,  15  —  35  aufgezählt  werden  — 
mit  ihren  leuten  heranzuziehen.  Finn  willigt  ein,  sie  liefsen 
ihre  hunde  los  und  'machten  sich  auf  nach  der  königsburg1 
(dorlg  bruidin)  des  Molling  Luath.  sie  wurden  (beim  mahl)  ge- 
ordnet nach  würden  und  stand ,  es  wurden  gesänge  gesungen, 
sodass  das  ganze  haus  von  einer  ecke  bis  zur  anderen  voll  von 
gesang2  war.  es  befanden  sich  3  krieger  in  der  nähe  Finds, 
mit  namen  Miledan,  Ethladan  und  Enan  von  der  kalten  hütte 
(na  hüarbothi);  Enan  von  der  kalten  hütte  safs  zwischen  ihnen.' 
dieser  Enan  hat  eine  vision,  er  sieht  kleriker  beim  opfer  (ocaf- 
friund  apud  offerendum),  sich  unter  ihnen;  und  diese  waren  der 
spätere  Molling  und  seine  genossen,  als  er  sich  (aus  seinem 
rausch)  erhob,  erblickte  er  zu  seioem  staunen  ein  heer  von 
kriegern  um  sich  'und  er  machte  ein  lied  und  prophezeite,  dass 
kleriker  kommen  würden.'  '3  tage  und  3  nachte  war  Find  mit 
seiner  fiann  an  diesem  orte,  bis  kamen  die  fianna  Irlands  aus 
jeder  himmelsrichtung  zu  ihm.  sie  brachen  nun  alle  auf  und 
kamen  nach  Rath  Immil ,  was  heutiges  tages  Garbthonnach  heifst 
(wo  ja  die  Leinsterleute  waren),  da  fragte  der  rigfennid:  wo  ist 
der  ort,  wo  die  mädchen  gestorben  sind,  die  die  veranlassung 
zu  dem  tribut   gaben?    es  wurde   ihm  der  ort  gezeigt  und  Find 

1  wie  passt  dies  und  das  folgende  zu  Atkinsons  annähme,  dass  dieser 
Molling  Liiath  der  heilige  des  "jhs.  sei?  wie  passt  dazu  die  LL  297», 
28  —  45  gebotene  üppige,  königliche  bewirtung? 

2  wörtlich  'sodass  das  ganze  haus  von  einer  ecke  bis  zur  anderen  eine 
cairche  des  gesangs  war'  (LL  298a,  39.  40);  ist  eairche  ein  abstractum  zu 
caira  gen.  cäirech  'dasschaf?  also  eine  'Schafherde  von  gesang',  voll  von 
gesang,  wie  eine  Schafherde  die  hürde  anfüllt  mit  geblök? 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  29 

setzte  sich  dahin  und  machte  ein  lied'  (LL  298b,  34  — 299a,  46). 
'es  waren  darauf  die  fuinn  in  der  nacht  bei  Garbthonach;  sie 
erhoben  sich  am  anderen  morgen  in  der  frühe  vereint  mit  dem 
könig  von  Leiuster.  es  kamen  darauf  die  mächtige  schar  der 
fiann  und  die  mächtige  von  Leinster  und  wandten  sich  vereint 
gegen  Nordirland,  die  nun  (die  leute  von  Nordiriand)  waren  bei 
Cnamross.  es  wurde  eine  harte,  an  kämpfen  reiche  schlacht 
zwischen  ihnen  geliefert  auf  beiden  seiten.  indessen  vermochte 
INordirland  nicht  stand  zuhalten,  sie  unterlagen  und  es  wurden 
von  ihnen  9000  getötet  mit  den  3  söhnen  von  Cairpre  Lipheochair, 
nämlich  Eochaid  und  Eochaid  Domlen  und  Fiachu  Roptene.'  die 
Leinslerleute  zahlten  darauf  den  boroma  nicht  bis  zur  zeit  von 
Dunlang  mac  Enna  Nlad. 

Mit  diesem  ältesten  bilde  von  Finn  aus  dem  11  jh.  vergleiche 
man  nun  das  s.  1  und  2  nach  den  sagentexten  des  15  jhs.  ent- 
worfene, kann  hier  die  rede  sein  von  einem  'stehenden  national- 
heer  Irlands,  ursprünglich  dazu  bestimmt,  die  königliche 
gewalt  zu  stutzen  und  die  insel  gegen  feindliche  einfalle  zu 
verteidigen'  (Windisch) ,  das  unter  der  führung  Finns  stand?  der 
Finn  des  11  jhs.  ist  einfach  ein  Leinsterregulus  des 
3  jhs.,  idealisiert  nach  dem  vorbild  nordischer  jarle, 
wie  sie  von  800 — 1000  in  Leinster  und  Munster  safsen. 
man  lese  die  annalen  für  jene  beiden  Jahrhunderte  und  die 
schon  erwähnte  (s.  2G  anm.),  aus  dem  11  jh.  stammende  irische 
Schilderung  der  vikingerzeit  (Todd,  Cogadh  Gaedhel  re  Gallaibh, 
London  1867),  und  man  wird  die  Vorbilder  finden  zum  Finn  des 
11  jhs.  und  zu  vielen  Zügen,  die  die  spätere  zeit  von  ihm  weifs. 
zuerst  noch  einige  worte  zu  obigem  text.  fiann  ist  nicht  'stehendes 
uationalheer  Irlands',  sondern  gefolge  des  Leinsterregulus  Finn, 
und  so  wird  auch  an  zwei  stellen  des  textes  das  gewöhnliche  wort 
der  alten  sagentexte  tnontar  'gefolgschaft'  ganz  verwendet  wie 
fiann  (LL  297%  47.  297b,  8).  Finn  wird  (LL  297",  47)  von  Mol- 
ling  angeredet  a  male  na  flalha  'königssohn'  wie  296b,  16  Bressal 
der  Leinslerherscher  von  den  clanköniglein.  das  erklärt  die  be- 
zeichnung  ftgfennid:  er  ist  nicht  blofser  fennid  'held'  wie  die 
übrigen  nordischen  fiandr,  sondern  königlichen  blules,  jarl  (ru/- 
fennid).  die  schönste  besläliguug  bietet  uns  ein  in  den  Annalen 
der  vier  meisler  s.  a.  283  citiertes  gedieht  auf  den  tod  Finds: 
von  den  mördern  Finds  lieifst  es,   dass  sie  hatten  ilach  imchenn 


30  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

ind  riglmiadh  'jubel  um  das  haupt  des  königlichen  neiden', 
hier  ist  rlgnia  'königlicher  held'  ebenso  genuinere  bezeichnung 
für  rigfennid  wie  LL  297%  47.  297b,  8  montar  für  fiann.  wie 
Finn  wartet  und  seine  Streitkräfte  sammelt,  so  werden  die  Amlaib, 
Imar,  Aralt,  Sitric1  ihre  auf  plünderung  ausgegangenen  kleineren 
contingente  zusammengezogen  haben,  ehe  sie,  wie  verabredet, 
dem  Munster-  oder  Leinsterkönig  gegen  Meath  und  Ulster  bei- 
standen. 

Es  kann  hier  nicht  meine  aufgäbe  sein,  alle  die  Zeugnisse 
des  12jhs.,  die  sich  in  den  gedichten  von  LL  finden,  zu  sammeln  — 
die  wichtigsten  sind  Gott.  gel.  anz.  1887  s.  162,  vgl.  s.  184  ff  an- 
geführt — ,  noch  die  entwickelung  bis  in  die  anschauungen  des 
15  jhs.  ausführlich  darzulegen,  ich  will  nur  die  elemente  kurz 
scizzieren,  die  bei  der  ausbildung  der  Finnsage  erkennbar  sind. 

I.  Find  ist  vermutlich  eine  figur  der  Leinster-Munstersage  ge- 
wesen vor  der  vikingerzeit,  jedoch  wissen  wir  absolut 
nichts  sicheres  über  ihn  aus  dieser  zeit,  da  kein 
denkmal  uns  erhalten  ist,  das  nur  entfernt  anspruch  darauf  er- 
heben könnte ,  in  diese  zeit  zu  reichen,  ihm  eigentümlich  ist, 
worauf  ich  schon  Gott.  gel.  anz.  1887  s.  190  hinwies,  die  Vor- 
stellung, dass  er  ein  vollendeter  frfe  (dichter)  ist.2  in  den 
Laud  610  fol.  94d,  17  —  96%  35  erhaltenen  altertümlichen  texten 
zur  Munster-  und  Leinstergeschichte  erscheint  Find  hua  Baiscni 
neben  anderen  als  gefolgsmann  (fennid)  des  von  Cormac  mac  Airt 
entthronten  oberkönigs  Lugaid  mac  Con,  dem  er  bis  zum  tode 
treu  blieb:  er  begleitete  ihn  sogar  auf  seiner  flucht  vor  Ailill 
Aulom  und  rächte  7  jähre  nach  Lugaids  tode  dessen  ermordung 
an  Ferches.    auch  hier  ist  er  ein  dichter,  der  den  zauber  imbas 

1  die  angaben  über  den  mit  mächtiger  flotte  831  in  Nordirland  er- 
scheinenden Tuirgeis,  wie  sie  LL  309a,  43  ff-  und  in  den  annalen  vorliegen, 
fasst  Todd,  Cogadh  Gaedhel  s.  xlvii  ff  zusammen  in  die  worte:  he  seems 
to  have  had  in  view  a  higher  object  than  the  mere  plunder  which  influenced 
former  depradators  of  his  nation.  he  aimed  at  the  establishement  of  a  re- 
gulär government  or  monarchy  over  his  countrymen  in  Ireland  (die  fiandr), 
the  fundation  of  a  permanent  colony.  for  this  purpose  the  forces  under 
his  command  or  in  connection  with  him,  were  skilfully 
posted  on  Loch  Ree,  at  Limerick,  Dundalk  bay,  Carling- 
ford,  Lough  Neagh  and  Dublin. 

2  diese  Vorstellung,  die  gerade  in  den  älteren  Zeugnissen  am  stärksten 
hervortritt,  kann  wenigstens  nicht  aus  der  alten  heldensage  auf  ihn  über- 
tragen sein. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  31 

forosnai  kennt  (Laud  610  fol.  95d,  31  —  96%  34).  warum  gerade 
Finn  der  kristallisationspunct  wurde,  wissen  wir  nicht;  da  wir 
ja  über  ihn  vor  seiner  Verbindung  mit  fiann  überhaupt  nichts 
wissen,  es  ist  denkbar,  dass  der  anstofs  ein  rein  localer  war, 
Finn  also  vorher  gar  keine  hervorragende  rolle  in  der  Leinster- 
Munstersage  spielte,  wenn  er  überhaupt  eine  figur  süd- 
irischer sage  im  allgemeinen  und  nicht  vielmehr  ursprüng- 
lich locale  sagenfigur  war.  von  einer  südirischen  heldensage 
im  sinne  der  nordirischen  Cuchulinnsage  ist  uns  nichts  erhalten, 
was  nicht  besouders  für  ein  Vorhandensein  gröfserer  erzählungen 
vor  der  vikingerzeit  spricht,  wären  aber  solche  vorhanden  ge- 
wesen, dann  war  sicher  der  gewaltige  Munsterheld  Curöi  mac 
Bare,  Cuchulinns  Zeitgenosse,  träger  derselben,  und  dann  wären 
dieselben  wol  nicht  spurlos  verschwunden,  sondern  einfach  unter 
dem  einfluss  des  vikingerzeitalters  umgestaltet  worden ,  wie  die 
texte  der  nordirischen  alten  heldensage.  die  Verbindung  von 
Fiun  mit  fiann,  worauf  ja  zu  einem  wesentlichen  teil  die  ent- 
wickelung  jüngerer  Jahrhunderte  beruht,  mag  sogar  durch  den 
anklang  der  würter  (gesprochen  finn  und  fienn)  mit  veranlasst 
und  befördert  worden  sein. 

II.  im  10  jh.  war  Finn  nach  dem  vorbilde  nordischer  jarle 
und  der  nordischen  fiandr  entstanden  oder1  umgestaltet  worden, 
wenn  man  liest,  was  Cogadh  Gaedhel  s.  40  ff ,  48—52  berichtet 
wird  über  die  ansprüche ,  welche  die  in  Munster  überall  fest  an- 
gesessenen vikinger  erhoben,  dann  wird  man  manches  verständlich 
finden  von  den  Privilegien,  mit  denen  nach  den  texten  des  15 jhs. 
die  fiann  Irlands  das  land  und  die  könige  drückte,  hierzu  treten 
noch  zwei  weitere  würkungen  der  vikingerzeit:  mit  dem  11  jh. 
hören  die  einfalle  und  plünderungszüge  fast  ganz  auf  und  die  Nord- 
leute beschränken  sich  auf  die  bis  ins  12  jh.  besetzten  küsten- 
plätze  von  Dublin,  Wexford,  Wateribrd  usw.,  was  jedoch  den 
verkehr  mit  den  Iren  fördert,  der  auch  nach  dem  zeugnis  der 
annalen  von  der  mitte  des  10  jhs.  ab,  besonders  nachdem  die 
vikinger  von  Dublin  und  an  anderen  platzen  zum  Christentum 
übergetreten  waren,  ein  viel  intensiverer  ist,  als  man  allgemein 

1  ich  lasse  diese  frage  hier  absichtlich  noch  unentschieden,  da  erst 
in  einem  späteren  teil  der  Untersuchung  das  material  verwertet  werden 
kann,  auf  grund  dessen  sich  eine  bestimmte  entscheidung  hierüber  sowie 
über  punet  i  des  textes  fallen  lässt. 


32  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

annimmt,  noch  einmal  scheinen  die  schrecken  des  9  und  lOjhs. 
sich  erneuern  zu  wollen,  als  Magnus  von  Norwegen  1101  in 
Ulster  landet,  Nordirlaud  plündernd  durchzieht,  Dublin  erobert, 
westwärts  plündernd  ins  herz  von  Connacht  dringt,  um,  mit  beute 
beladen,  nach  Ulster  zurückzukehren,  ehe  er  mit  den  seinen  ab- 
fahren kann,  sammeln  sich  die  Ulsterleute,  zwingen  ihn  zu  einer 
schlacht,  in  der  könig  Maguus  und  die  meisten  Norweger  fallen 
(1103),  wie  dies  Snorri  in  der  Heimskringla  schildert,  es  ist  nun 
ganz  natürlich,  dass,  je  ferner  dem  volksbe wustsein  diese  mit 
1103  definitiv  zu  ende  gehende  vikingerzeit  rückte,  der  im 
10  und  11  jh.  nach  dem  bilde  nordischer  führer  gestaltete  Finn 
und  seine  fiann  zu  kämpfern  gegen  die  nordischen  eindringlinge 
selbst  werden,  so  werden  in  der  zweiten  periode  der  ausgeslal- 
tung  der  Finnsage,  in  der  zeit  von  der  mitte  des  12  bis  zum 
15  jh.  Finn  und  die  fiann  Verteidiger  Irlands  gegen  die  vikinger, 
wovon  die  texte  des  11  jhs.  noch  nichts  wissen;  aus  dem  zug 
des  Magnus  nach  Irland  wird  ein  zug  Finns  nach  Lochland  gegen 
Magnus,  mit  dieser  Verlegung  der  vikingerzeit  ins  3  jh.  und  der 
dadurch  bedingten  Umgestaltung  der  anschauungen  von  Finn  und 
der  fiann  geht  band  in  hand  die  einwürkung  der  nordischen 
sagen,  die  den  Iren  bekannt  geworden  waren,  war  dieser  ein- 
fluss  schon  so  mächtig,  dass  er  im  10  und  11  jh.  so  tief  in 
texte  der  alten,  vor  dem  8  jh.  abgeschlossenen  heldensage  ein- 
dringen konnte,  wie  ich  Zs.  32,289  —  334  gezeigt  habe,  ist  es 
da  wunderbar,  dass  die  in  folge  und  unter  einfluss  der  vikinger- 
zeit sich  ausbildende  Finnsage  nordische  sagen  als  constituierende 
elemente  aufnahm? 

Auch  einen  formalen  einfluss  üble  das  bekanntwerden 
der  Iren  mit  nordischer  litteratur  aus,  der  zuerst  deutlich  in  den 
älteren  erzählungen  aus  der  Finnsage  uns  entgegentritt,  die 
form  der  sagentexte  der  alten  nordirischen  heldensage,  sowol  der 
kürzeren  episodenartigen  als  der  umfassenderen,  in  denen  eine 
reihe  einzelepisoden  durch  eine  idee  oder  eine  persönlichkeit  als 
träger  zusammengehalten  wird,  die  form  ist  p  rosa  erzähl  u  ng. 
nur  die  lyrischen  und  dramatischen  elemente  einer  sage  erfahren 
häufig  dichterische  bearbeitung:  monologe  und  dialoge  sind  in 
versen  abgefasst,  und  zwar  die  dialoge  so,  dass  es  wechselrede 
vers  um  vers,  Strophe  um  Strophe  ist  oder  dass  mehrstrophige 
gedichte    sich    antworten,     der   umfang    dieser    poetischen   teile 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  33 

hält  sich  in  den  gröfseren  sagentexten  der  alten  heldensage  in 
sehr  mäfsigen  gränzen:  sie  sind  weder  älter  noch  jünger  als  die 
epische  prosaerzählung,  sie  machen  vielmehr  einen  organischen 
hestandteil  der  sagentexte  aus.1  ein  anderes  bild  bieten  uns 
die  texte  der  Finusage  schon  in  der  älteren  periode  bis  zur  mitte 
des  12  jhs.  es  liegen  hier,  wie  bei  der  Jugend  der  sagenbildung 
erklärlich  ist,  noch  keine  umfassenderen  gesammtdarstellungen 
vor,  sondern  einzelepisoden,  und  die  form  dieser  einzel- 
episoden  ist  vorwiegend  die  romanze-ballade  oder 
besser  gesagt  das  germanische  heldenlied,  wie  wir  es 
im  norden ,  bei  den  Angelsachsen  und  bei  den  festländischen 
Germanen  seit  den  ältesten  Zeiten  kennen,  diese  form  der  sage, 
erzählung  von  einzelepisoden  in  abgeschlossener  poetischer  form, 
ist  in  Irland  vor  der  vikingerzeit  absolut  unbekannt2, 
sie  taucht  mit  der  in  jener  zeit  entstandenen  Finn- 
sage auf  und  ist,  abgesehen  von  einzelnen  nachahmungen 
der  form  der  alten  heldensage  im  14  und  15  jh.,  die  charac- 
teristische  form  der  Finn-(Ossian-)sage  bis  auf  den 
heutigen  tag.  eine  reihe  von  Zeugnissen  für  die  ältere  periode 
bietet  LL  202  ff  in  den  so  genannten  gedienten  aus  der  Finn- 
sage, von  denen  ein  characteristisches  mit  Übersetzung  von  Stokes 
(Revue  celtique  vii  290 — 305)  veröffentlicht  ist.  ich  glaube  noch 
ein  weiteres  moment  für  diese  ansiebt  von  dem  vikingereinfluss 
auf  die  form  der  irischen  sage  anführen  zu  können.  Zs.  32, 
248  —  256  habe  ich  den  in  LU  113a— 115b  erhaltenen  text 
Staburcharpat  Conculaind  besprochen  und  übersetzt;  innere  und 
äufsere  gründe   in  fülle    beweisen,   dass  dieser  text  ein  produet 

1  wenn  in  gröfseren  texten  wie  Täin  bö  Cüalnge  ua.  diese  lyrisch- 
dramatischen teile  in  versen  schwieriger  sind  als  die  schlichte  prosaerzählung 
und  sprachlich  einen  altertümlicheren  eindruck  machen,  so  beruht 
dies  darauf,  dass  bei  fortpflanzung  der  alten  erzählungen  des  7  und  8  jhs. 
die  prosa  der  Sprachverjüngung  leichter  zuganglich  war  als  die  teile  in  ge- 
bundener rede,  letztere  sind  in  einigen  texten  der  alten  sage  im  11  jh.  schon 
durch  ihre  altertümliche  form  vielfach  dem  Schreiber  von  LU  unverständ- 
lich, daher,  um  den  gang  der  erzählung  nicht  unverständlich  werden  zu 
lassen,  mit  einigen  worten  in  prosa  die  Verbindung  hergestellt  wird.  — 
ausführlicher  kennzeichnet  Windisch  (Verhandl.  der  33  vers.  d.  philol.  und 
Schulmänner  s.  20.  27)  die  form  der  alten  irischen  heldensage. 

2  sie  ist,  wie  ich  fest  überzeugt  bin,  überhaupt  unkeltisch  und  auch 
in  Wales  und  Bretagne  unursprünglich,  wofür  Zeugnisse  vorliegen,  s.  Gott, 
gel.  anzeigen  1890  s.  522 fT  und  ausführlicher  in  nr  20  (1  od.). 

Z.  F.  D.  A.    XXXV.     N.  F.   XXIII.  :'. 


34  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

des  vikingerzeitalters  sein  muss:  es  wird  hier  erzählt,  dass 
Patrick  auf  drängen  von  Irlands  oberkönig  Loegaire  den  haupt- 
helden  der  alten  sage ,  Cuchulinn ,  auf  seinem  Streitwagen  in  der 
luft  erscheinen  lässt.  Loegaire  will  aus  des  helden  munde  näheres 
über  seine  grofsen  taten  hören,  Cuchulinn  entspricht  dem  wünsche 
(LUll4a,37  —  115a,  27).  die  in  sich  abgeschlossene  er- 
zähl ung,  die  ich  im  urtext  und  Übersetzung  aao.  s.  249  —  255 
gegeben  habe,  hat  vollkommen  die  form  des  germani- 
schen heldenliedes,  48  Strophen  zu  2  langzeilen.  so  hat 
also  das  vikingerzeitalter,  auch  wo  es  für  die  alte  sage  zu 
ganz  neuen  productionen  sich  aufraffte,  die  neue  durch  die 
vikinger  gebrachte  kunstform  angewendet.1  der  träger  der  alten 
irischen  heldensage  ist  bis  zur  vikingerzeit  und  darüber  hinaus 
nicht  der  Sänger  wie  bei  den  Germanen,  sondern  der  scelid,  der 
ein  repertoire  von  zahlreichen  prosaerzählungen  hat.  hier 
ist  der  eine  begebenheit  aus  der  2  hälfte  des  10  jhs.  erzählende 
text  Rawl.  B  512  fol.  109,  1  — 114%  17  lehrreich:  ürard  mac 
Coisis  bürg  in  Meath  war  in  seiner  abwesenheit  von  leuten  des 
oberkonigs  geplündert  und  zerstört  worden,  sein  besitz  weg- 
getrieben, offene  klage  gegenüber  Domnall  mac  Murchertaig  mic 
Neill  (Irlands  oberkönig  von  956 — 979)  wagte  er  nicht;  er  gieng 
deshalb  als  scelid  an  den  hof  Domnalls.  Domnall  fragte  ihn, 
welche  scela  er  kenne,  und  Mac  Coisi  führt  sein  repertoire  auf, 
die  bekannte  liste  von  alten  prosaerzählungen,  die  uns  zum 
grofsen  teil  erhalten  sind,  zum  schluss  nennt  er  (fol.  110a,  6 — 11) 
Orcain  cathrach  Mail  Milscothaig  mic  Anma  Airmiten  mic  Sofis 
sochaidi  mic  Olloman  airdcetail  mic  Dana  dligthedaig  mic  Lugdach 
ildänaig  mic  Ruaid  rofessa  mic  Creitmi  in  spiruta  naim  athar 
sceo  mac  'die  plünderung  der  Stadt  des  Mael  Milscothach',  dessen 

1  hervorheben  will  ich  noch  —  was  mir  schon  bei  meinen  früheren 
Untersuchungen  aufgefallen ,  aber  nicht  klar  zum  bewustsein  gekommen 
war  — ,  dass  in  dem  teile  der  Täin  bö  Cüalnge,  für  welchen  der  stärkste 
einfluss  nordischer  spräche  und  sage  nachgewiesen  worden  ist  (LL  70 — 89; 
vgl.  aao.  290 — 322),  die  poetischen  partien  ein  teilweise  erdrückendes  über- 
gewicht bekommen  und  zwar  der  art,  dass  die  monologartigen  partien  be- 
nutzt werden,  um  in  sich  abgeschlossene  kleinere  heldenlieder  einzulegen; 
so  LL  88a,  41 — 88b,  23,  welches  stück  ich  aao.  s.  305—306  in  text  und  Über- 
setzung gegeben  habe  mit  der  angeknüpften  bemerkung:  'hier  liegt  deutlich 
eine  Schilderung  einer  vikingerfahrt  vor,  die  damit  endete,  dass  die  führer 
nach  der  rückkehr  blutfreundschaft  schlössen.'  — 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  35 

Stammbaum  auf  'Rot  all  wisser,  söhn  des  glaubens  au  den 
heiligen  geist  vater  und  söhn'  zurückgeführt  wird,  unter  diesem 
titel  mit  fingiertem  namen  barg  Mac  Coisi  sein  eigenes  Unglück, 
der  könig,  der  alle  übrigen  erzählungen  kennt,  hat  von  dieser 
noch  nichts  gehört  und  verlangt  sie  zu  hören,  was  eben  Mac 
Coisi  beabsichtigt  hatte,  welcher  nun  (fol.  110a,  21 — 113*,  5)  das 
dem  Mael  Milscothach  angetane  unrecht  schildert  und  wie  es 
von  dem  damaligen  oberkönig  Irlands,  dessen  leute  die  plün- 
derung  begangen  hatten,  wider  gut  gemacht  wurde,  dann  ent- 
hüllt sich  Mac  Coisi  und  erklärt,  er  sei  der  Mael  Milscothach 
und  dessen  uuglück  sein  eigenes;  Domnall  macht  es  dann  auch 
in  der  von  Mael  Milscothach  mehr  zart  als  bescheiden  angedeuteten 
weise  wider  gut.  die  hier  ein  gelegte  fin  gierte  erzählung 
Orcain  cathrach  Mail  Milscothaig  hat  die  characteristische 
form  der  alten  sagentexte,  ist  eine  prosaerzählung. 
die  prosaerzählung  galt  also  ende  des  10  jhs.  in  Irland  noch  als 
die  form  für  die  heldensage  und  in  der  tat  braucht  keines  der 
in  LL  überlieferten  heldenlieder  der  Finnsage  älter  als  die  mitte 
oder  das  ende  des  11  jhs.  zu  sein;  hervorgehoben  zu  werden 
verdient,  dass  die  durch  Cormacs  glossar  s.  v.  orctreith  bezeugte 
Finnerzählung,  die  also  die  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat,  dem 
10  jh.  anzugehören,  noch  prosaerzählung  ist.1 

1  der  einfluss  des  vikingei Zeitalters  —  es  ist  dieselbe  nachäffung  des 
ausländischen  wie  sie  s.  19  ff  besprochen  —  erstreckt  sich  hinsichtlich  der 
form  litterarischer  erzeugnisse  der  Iren  gewis  weiter  als  auf  die  entstehende 
Finnsage,  obwol  hier  vorsieht  in  Schlüssen  geboten  ist.  unter  diesem  ein- 
fluss stehen  meines  erachtens  noch  die  versificationen  alter  prosaerzählungen 
wie  Imram  Maelduin  usw.,  worüber  ich  Zs.  33,  148ff  gehandelt  habe;  auch 
die  der  prosaerzählung  des  alten  Sagenkreises  LL  114a,  27  angehängte  ver- 
sification  mag  hierher  gehören,  jedesfalls  steht  so  viel  fest:  irische  ge- 
dichte,  die  keine  ältere  gewähr  als  das  11  oder  12  jh.  haben,  dürfen  nicht 
benutzt  werden,  wie  man  dies  tat,  um  irischen  einfluss  auf  nordische  ver- 
sification  wahrscheinlich  zu  machen,  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Iren 
hierin  die  empfänger  waren,  ist  unendlich  gröfser  als  die  umgekehrte.  — 
für  eine  andere  litteraturgattung  können  jedoch  die  Nordländer  das  vorbild 
in  Irland  geholt  haben  in  der  vikingerzeit,  worauf  schon  Todd,  Cogadh 
Gaedhel  s.  xxvm  anm.  hinwies,  für  die  saga-litteratur.  saga- texte  ent- 
sprechen in  Irland  vor  und  in  der  vikingerzeit  den  heldenliedern  der  Nord- 
germanen, die  saga-form  ist  die  keltische,  das  heldenlied  die  germanische 
form  der  epischen  dichtung.  jedesfalls  ist  im  norden  sagenschreibung  und 
geschichtliche  prosa  jünger  als  das  vikingerzeitalter  in  Irland,  wo  beides 
vor  der  vikingerzeit  schon  in  höchster  blute  stand. 

3* 


36  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

111.  die  ältere  nordirische  heldensage  (Cuchulinn- 
sage)  bildet  das  dritte  der  elemente,  die  bei  der  ausbildung  der 
Finnsage  in  frage  kommen.  Nordirland,  Conns  hälfte  (dh.  Ulster, 
Meath  und  Connacht),  und  Südirland,  Mogs  hälfte  (dh.  Leinster 
und  die  beiden  Munster:  Thomond  und  Desmond)  standen  sich 
Jahrhunderte  lang  ziemlich  fremd  gegenüber:  so  weifs  Beda  (Hist. 
gentis  Angl.  in  3)  vom  jähre  636  zu  bemerken ,  dass  die  gentes 
Scottorum  quae  in  australibus  Hiberniae  insulae  partibus 
morabantur  jamdudum  (636!)  ad  admonitionem  apostolkae  sedis 
antistitis  pascha  canonico  ritu  observare  didicerunt,  während  die 
Nordiren  erst  nach  701  auf  zureden  Adamnäns  die  römische 
osterberechnung  einführten  (Beda  v  15.  22).  noch  in  dem  s.  25  ff 
analysierten  text  des  lljhs.  ist  'männer  Irlands'  geradezu  identisch 
mit  Leth  Cuinn  'Conns  hälfte'  dh.  Nordirland  (vgl.  LL  296a,  51  ff 
mit  297a,  20.  24.  29  usw.).  seit  der  einführung  des  Christentums 
waren  die  irischen  oberkönige  hauptsächlich  Nordiren:  'it  must  be 
ackuowledged  that  the  irish  monarchs  had  little  influence  in 
Leth  Moga  or  the  southern  half  of  Ireland'  (O'Donovan ,  Lebor  na 
cert  s.  xiii).  diese  absonderung  Nord-  und  Südirlands  wurde 
bis  zu  einem  gewissen  grade  durch  die  vikingerzeit  aufgehoben, 
die  heftigsten  stöfse  von  den  heidnischen  vikingern  hatten  in  der 
ersten  zeit  die  alten  sitze  der  bildung  in  Nordirland  auszustehen: 
im  jähre  823  oder  824  wurden  Bangor  und  Movilla  in  Ulster 
(couuty  Down)  zerstört  und  die  weisen  männer  und  gelehrten 
getötet  (LL  309%  25 ff);  830  wurde  Armagh  dreimal  in  einem 
monat  von  vikingern  geplündert  und  alle  klöster  der  Ulstergraf- 
schaften Armagh,  Monaghan,  Louth  schwer  heimgesucht  (Annais 
of  Ulster  s.  a.  831.  LL  309a,  49  ff);  bald  darauf  sah  sich  der  abt 
von  Armagh  gezwungen,  vor  Turgeis  nach  Munster  zu  fliehen, 
woselbst  er  4  jähre  lebte  (LL  309a,  50  ff),  in  gleicher  weise 
werden  in  der  ersten  hälfte  des  9  jhs.  manche  insassen  der  zer- 
störten Ulster-  und  Meathklöster  in  Munster  schütz  gesucht  haben, 
auf  diese  klöster  der  grafschaften  Armagh,  Monaghan,  Louth 
führen  die  uns  erhaltenen  Zeugnisse  über  die  ältesten  hss.  der 
Cuchulinnsage  (s.  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  28,  683  ff),  sie  liegen  ja 
auf  dem  classischen  boden  der  alten  heldensage  (Emain  Macha, 
Mag  Murthemne,  Dun  Deka,  Sliab  Fuait).  mit  diesen  ÜUcht- 
lingen  aus  Ulsterland  in  der  ersten  hälfte  des  9  jhs.  kam  sicher 
nicht  blofs  der  schrein    Patricks  (LL  390a,  51)    nach   Munster, 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  37 

sondern  auch  hss.  und  damit  eingehendere  künde  von  der  alten 
nordirischen  heldensage.  das  characteristische  der  Cuchulinnsage 
gegenüber  der  Ossian-(Finn-)sage  besteht  ja  nicht  blofs  darin, 
dass  erstere  vor  der  vikingerzeit  abgeschlossen  war,  letztere  erst 
in  und  nach  der  vikingerzeit  entstand,  sondern  ebenso  sehr 
darin,  dass  —  wie  ich  schon  Zs.  32,  233 ff  anm.  gezeigt  —  die 
alte  irische  heldensage  speciell  nordirische,  Ulstersage  ist,  die 
nordirischen  Verhältnisse  und  zustände  in  den  mittelpunct  stellt 
und  in  Nordirland  ausbildung  und  pflege  fand,  unter  den  an- 
gegebenen Verhältnissen  wurde  im  9  jh.  eingehendere  kenntnis 
der  alten  nordirischen  heldensage  nach  Südirland  gebracht,  also 
in  einer  zeit,  wo  man  dort  vielleicht  anfieng,  einen  in  südirischer 
sage  bekannten  streitbaren  häuptling  Finn  zum  ausgangspunct 
neuer  sagenbildung  zu  machen  unter  einfluss  der  fremdlinge 
(fiandr)  auf  Irlands  boden.  das  zusammenwürken  beider  um- 
stände, also  das  nähere  bekanntwerden  der  Südiren  mit  der  zwar 
irischen ,  aber  Südirland  fremden  Cuchulinnsage  in  der  zeit  der 
entstehung  einer  eigenen  heldensage  in  Südirland,  trug  wesent- 
lich dazu  bei,  dass  die  alte  heldensage  auf  die  ausbildung  der 
Finnsage  in  allen  phasen  bis  ins  15  jh.  einen  so  tief  gehenden 
einfluss  ausübte.1  zwei  perioden  lassen  sich  unterscheiden,  in 
der  älteren  Finnsage  bis  zur  mitte  des  12  jhs.  sind  es  wesentlich 
einzelne  züge  der  älteren  sage,  die  mit  Finn  und  der 
fiann  verknüpft  erscheinen,  um  einiges  anzuführen,  sei  erwähnt: 
in  dem  mehrfach  besprochenen  (s.  13  ff.  17)  altertümlichen  text 
Orgain  bruidne  Da  Derga  ist  eine  hervortretende  figur 
im  heere  der  fianna -'piraten'  Lomna  Drüth,  ein  söhn  des 
Dond  Desa;  er  ist  der  warner,  der  immer  wider  von  dem 
Überfall  abredet  (LU  87b,  37.  39.  88a,  35.  45  usw.),  bei  dem  ei- 
sernen tod  finden  muss,  wie  er  weifs  (LU  88a,  9.  13  ff);  ihm 
wird  denn  auch  beim  ersten  versuch,  in  die  bürg  einzudringen, 
der  köpf  abgeschlagen  (LU97a,  IG  ff),  in  dem  so  genannten 
Sanas  Cormaic  des  903  gefallenen  Munstergelehrten,  bischofs 
1  nimmt  man  noch  hinzu,  dass  Nord-  und  Südirland  durch  die  vikinger- 
zeit überhaupt  sich  näher  gebracht  wurden,  so  erklärt  sich,  wie  die  in 
Munster  und  Leinster  neu  sich  bildende  Finnsage  zur  gemeinirischen 
heldensage  wurde,  die  schon  im  16  jh.  an  den  küsten  von  Antrim  in  Ulster 
und  in  Cantire,  in  den  Lochs  und  auf  den  höhen  von  Argyle  in  Schottland 
ebenso  beliebt  war  wie  in  den  buchten  von  Cork  und  Kerry  in  Südwest- 
irLand. 


38  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

und  königs  Cormac  mac  Cuclennäiu  ist  uns  unter  dem  worte 
orc  treith  eine  Finngeschichte  erhalten,  in  welcher  Finn  ganz 
in  der  gestalt  eines  nordischen  führers  erscheint,  der  mit  seiner 
fiann  auf  jagd  und  beute  im  lande  umherzieht:  'jeder  berg  und 
jeder  wald,  den  Finn  mit  seiner  fiann  besuchte,  da  fand  sich 
eine  bestimmte  frau  für  ihn  und  die  frauen  der  landleute  (ban- 
brugada)  hatten  es  auszuhalten  von  den  fianna;  denn  ihre  (sc.  der 
fianna)  leute  waren  über  das  ganze  land  zerstreut,  dass  niemand 
etwas  gegen  sie  wagte.'  dieses  bild  ist  so  entsprechend  dem 
bilde,  welches  wir  uns  nach  Cogadh  Gaedhel  s.  40  ff.  48  —  52 
von  dem  auftreten  nordischer  führer  und  ihrer  leute  (fiandr)  in 
Leinster  und  Munster  im  9  und  10  jh.  machen  müssen,  dass  der 
artikel  orc  treith  wol  noch  dem  10  jh.  angehören  kann,  die  er- 
zählung  basiert  nun  auf  der  untreue  der  in  Tethba  (in  Meath) 
für  Finn  vorhandenen  frau,  die  sie  mit  einem  gewissen  Coirpri 
begieng.  unter  der  fiann  Finns  befindet  sich  Lomna  Drüth, 
er  ist  der  warner  gegenüber  Finn,  und  durch  Coirpre  wird 
ihm  dafür  der  köpf  abgeschlagen  (Sanas  Cormaic  s.  34)1 
auch  der  zug,  dass  das  abgeschlagene  hau pt  später  redet, 
hat  sein  vorbild  in  dem  alten  text:  als  mac  Cecht  zurückkehrte 
und  über  Conaires  rümpf  und  nacken  wasser  sprengte,  da  sagte 
Conaires  abgeschlagener  köpf  noch  'ein  guter  mann  ist 
mac  Cecht,  ein  trefflicher  mann  mac  Cecht,  er  bringt  trunk, 
rettet  den  könig'  LU  98a,  34  ff.  ich  denke,  dieses  beispiel,  bei 
dem  auch  nicht  der  geringste  zweifei  über  die  priorität  von  Togail 
bruidne  Da  Derga  und  die  abhängigkeit  der  Finnerzählung  auf- 
tauchen kann,  ist  lehrreich  für  die  art,  wie  die  tatsächlichen 
zustände  des  9  und  lOjhs.  ins  3  jh.  verlegt  und  die  flicken  eines 
alten  sagentextes  im  10  jh.1  in  Munster  und  Leinster  neu  ver- 
wendet wurden,  so  kann  denn  auch  in  dem  s.  25  ff  besprochenen 
text  LL  294%  24  — 308b  ende  die  (LL  297a,  15  —  35)  gegebene 
Schilderung  von  dem  heranziehen  der  einzelnen  führer  mit  ihren 
fiann  ihr  litterarisches  vorbild  gehabt  haben  in  der  Täin  bö 
Cüalnge  LL  94a,  35  — 95a,  2,  wo  der  könig  von  Ulster,  Conchobar, 
ebenso  vor  dem  kämpf  mit  den  'männern  von  Irland'  (hier  Irland 
aufser  Ulster)  zu  den  clanhäuptlingen  Ulsterlands  botschaft  schickt, 
während  das  tatsächliche  vorbild  die  vikingerzeit  lieferte  (vgl. 

1  dass  der  artikel  orc  treith  dem  ältesten  bestandteil  des  glossars  an- 
gehört, dafür  spricht  auch  die  prosaform  der  erzählung,  wie  wir  s.  35  sahen. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  39 

oben  s.  30  anm.).  dass  die  erzähluugen  von  dem  hervorragend- 
sten helden  der  allen  sage  Cuchuliun  benutzt  wurden,  um  die 
figur  des  ins  irische  übersetzten  und  idealisierten  vikingerhäupt- 
lings  auszustaffieren,  lag  nahe.  Finn  bekam  seine  Jugendgeschichte 
nach  Cuchulinii.  wie  jener  zuerst  Setanta  hiefs  und  in  folge 
einer  berühmten  tat  den  in  der  sage  bekannten  namen  Cuchulinn 
erhielt,  so  hiefs  Fiuu  ursprünglich  Demne  (LU42b,  11),  wofür 
er  später  den  namen  Finn  erhielt  (LU  42b,  21).  ebenso  wurden 
nach  vorbild  der  knabentaten  Cuchulinns,  wie  sie  in  Täin  bö 
Cäalnge  (LU  59a,  6  ff)  berichtet  werden ,  von  Finn  allerlei  knaben- 
taten erzählt,  wofür  das  älteste  zeugnis  in  den  versen  des  Gilla 
in  chomded,  eines  dichters  aus  dem  anfang  des  12  jhs.,  vorliegt 
(LL  144b,  40  ff),  in  demselben  gedieht  (LL  145a,  13  ff)  haben 
wir  auch,  wie  Kuno  Meyer,  Cath  Finnträga  s.  x  sah,  ein  zeugnis 
des  12  jhs.,  wie  ein  anderer  zug  der  alten  heldensage  (LL  125b,  42) 
auf  einen  genossen  Finns,  den  Cailte,  ganz  deutlich  über- 
tragen ist.  — 

In  der  zweiten  periode  der  entwickelung  der  Finnsage 
von  der  mitte  des  12  bis  zum  15  jh.,  in  der  die  nur  mehr  in 
der  erinnerung  verzerrt  lebenden  zustände  des  vikingerzeitalters 
die  oben  s.  32  schon  besprochene  Umgestaltung  der  älteren  Finn- 
sage bewürken  —  die  verwandeluug  des  nach  nordischen  jarlen 
und  den  fiandr  gestalteten  Finn  und  seiner  fiann  in  einen  kämpfer 
gegen  die  nordischen  eindringlinge,  allerdings  mit  natürlicher 
zurückschiebung  in  die  zeit  Finns  — ,  in  dieser  zeit  würkt  die 
alte  nordirische  heldensage  auf  die  gemeinirisch  gewordene  oder 
werdende  Finnsage  mit  unverminderter  kraft  fort,  äufserlich 
macht  sich  dies,  wie  ich  schon  Güttinger  gel.  anz.  1887  s.  187  ff 
ausgeführt  habe,  dadurch  kenntlich,  dass  die  abschriften  der 
texte  der  alten  heldensage  seltener  werden  und  in  dem  mafse 
die  gedichte  und  episoden  aus  der  Finnsage  zunehmen,  bis  in 
mehreren  grofsen  sammelhss.  des  15  jhs.  (Laud  610,  Rawl.  B  487, 
Book  of  Lismore)  die  Finnsagentexte  fast  allein  das  fehl  beher- 
schen.  dies  beruht  nicht  zum  geringsten  teil  darauf,  dass  wesent- 
liche sagenzüge  der  alten  heldensage  nach  und  nach  in  der  Finnsage 
aulgiengen  und  hier  in  erneuerter,  den  auschauungeu 
der  Iren  des  13  — 15  jhs.  näher  stehender  form 
dargebracht  wurden,  so  wird  die  ausgestaltung  der  fiann  zu 
einem  stehenden  nationalheer  zum  schütze  Irlands,  die  ja  in  der 


40  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

zweiten  periode  vor  sich  gegangen  sein  muss,  ihr  vorbild  wesent- 
lich aus  der  alten  heldensage  genommen  haben,  wurde  in  der 
ersten  periode  namentlich  Cuchulinn  beraubt,  um  Finn  auszu- 
statten, so  ist  es  in  der  zweiten  periode  mehr  der  mächtige 
Ulsterherscher  Conchobar,  Cuchulinns  ohm  und  lehusherr.  zur 
zeit  Conchobars  galt  für  eine  reihe  von  jähren  das  wort  'feinde 
ringsum'  für  Ulster;  einen  teil  seiner  besten  kräfte  hatte  es  in 
folge  innerer  zwistigkeiten  verloren  und  diese  lebten  als  ver- 
bannte am  hofe  des  Conchobar  feindlichen  herscherpares  von  Con- 
nacht,  Medb  und  Ailill.  diese  brachten  ein  bündnis  mit  Meath 
und  Leinster  und  hervorragenden  Munsterhäuptlingen  zu  stände 
zu  einem  grofsen  kriegszug  all -Irlands  gegen  Conchobar  und 
Ulsterland,  es  wurde  dies  der  berühmte  plünderungszug,  von 
dem  der  umfangreichste  fürs  7  jh.  bezeugte  text  der  alten 
heldensage  Täin  bö  Cüalnge  seinen  namen  hat.  für  Ulster- 
land und  Conchobar  galt  es  in  diesen  Zeiten  wachsam  zu 
sein,  und  so  erfahren  wir  denn  auch,  dass  die  grofsen  heer- 
strafsen  nach  Meath  und  Counacht  von  hervorragenden  einzel- 
neren bewacht  wurden  (LU  61b,  27  ff.  57\  30  ff;  LL  65% 
44  ff.  58a,  23  ff),  die  beim  herannahen  feindlicher  scharen  stand 
hielten,  bis  hilfe  aus  dem  der  gränze  nicht  allzu  fern  liegenden 
Emain  kam. 

Diese  Schilderungen  und  anschauungen  der  alten  nord- 
irischen heldensage ,  die  zustände  Irlands  vor  seiner  berührung 
mit  der  aufsenwelt  widerspiegeln,  denke  man  sich  einwürkend 
auf  die  phantasie  der  Iren  im  12 — 14  jh.  seit  800  jähren,  nicht 
zum  wenigsten  durch  einfübrung  des  Christentums,  hatte  sich 
der  horizont  der  Iren  theoretisch  und  practisch  ungeheuer  er- 
weitert: Iren  waren  seit  dem  6  jh.  überall  im  abendland  zu  finden 
und  auf  Irlands  boden  hatten  schon  ein  jh.  nach  dem  grofsen 
Sachseneinfall  (683)  germanische  Nordläuder(l\orweger  und  Dänen) 
sich  durch  300  jähre  Stelldichein  gegeben,  an  stelle  des  pro- 
vinzialbegriffs  (Ulster,  Munster  usw.)  war  mit  dem  erweiterten 
gesichtskreis  der  begriff  Irland  getreten,  lag  es  nicht  nahe,  in 
der  zeit  der  umwandelung  des  nach  nordischen  jarlen  und  den 
fiandr  gestalteten  Finn  und  seiner  fiann  in  kämpfer  gegen  fremde, 
speciell  nordische  eindringlinge,  die  erwähnten  alten  sagenzüge 
im  sinne  des  erweiterten  horizonts  zu  verwenden?  Ulsterlaud 
wurde  zu  Irland,    Finn  und  die  fiann  nach  Conchobar  und  den 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  41 

clanhäuptlingen  der  Ulstersage  umgestaltet,  so  weit  dies  möglich 
war.  wie  Conchobar  in  Emain  seine  residenz  hat,  so  sitzt  Finn 
für  gewöhnlich  zu  Almu  in  Leinster;  die  clanhäuptlinge  Ulster- 
lands, die  auf  ihrem  erbe  sitzen  und  bei  ausbrechendem  kriege 
mit  ihren  contingenten  aufgeboten  werden,  sind  fiann- iührer  in 
verschiedenen  teilen  Irlands;  die  gränzwächter  an  den  haupt- 
strafsen  von  Ulster  nach  Meath  und  Conuacht  werden  zu  wacht- 
habenden fiann -führern  an  den  haupthäfen  Irlands,  ein  punct 
bot  bei  dieser  Übertragung  Schwierigkeiten,  er  ist  daher  lehrreich 
und  beweisend  für  die  richtigkeit  meiner  auffassung.  Con- 
chobar ist  Ulsterkönig  und  feldherr  in  einerperson, 
wie  dies  irischen  Verhältnissen  in  historischer  und  vorhistorischer 
zeit  entspricht:  wo  in  den  grofsen  entscheidungsschlachten  die 
Schlachtordnung  der  Ulsterleute  zu  wanken  beginnt,  da  erscheint 
er  im  vordersten  treffen,  diese  Übertragung  auf  Finn  war  im 
12 — 15  jh.  noch  unmöglich  in  Irland,  dazu  waren  Cormac 
mac  Airt,  Cairpre  Lifeochair  in  der  sage  .  zu  berühmte  ober- 
herscher  Irlands,  dazu  standen  die  oberherscher  Irlands  durch 
die  zahlreichen  annalistischen  und  synchronistischen  arbeiten  in 
prosa  und  versen  vom  10  jh.  an  für  die  zeit  von  Christi  geburt 
ab  zu  fest,  konnten  diese  herscher  selbst  durch  die  sage  nicht 
verdrängt  werden,  so  wurden  sie  wenigstens  degradiert,  in  dem 
mafse  als  Finn  in  die  rolle  des  oberfeldherrn  Conchobar  hinein 
wächst,  also  oberfeldherr  Irlands  wird,  in  dem  grade  wird  die 
andere  seite  Couchobars,  wenn  ich  so  sagen  darf,  die  irischen 
oberkönige  zur  zeit  Finns,  bedeutungslos,  der  Cormac  der 
Finnsage  des  15  jhs.,  wie  wir  ihn  s.  2  kennen  lernten,  ist  ein 
schattenkönig:  ein  derartiges  Merowingertum  hat  nie  in  Irland 
bestanden,  von  Cormac  mac  Airt  haben  wir  ja  gerade  in  LU 
und  LL  zahlreiche  und  umfangreiche  alte  texte  (s.  oben  s.  8), 
die  ihn  uns  als  tapferen  feldherrn  und  persönlichen  sieger  in 
zahlreichen  schlachten  gegen  Ulster  und  Munster  schildern.  Cor- 
mac mac  Airt  ist  in  der  Finusage  des  15  jhs.  ebenso  eine  degra- 
dierung des  Cormac  der  älteren  sage,  wie  der  Artus  der  franzö- 
sischen romane  eine  degradierung  des  Arthur  der  britannischen 
heldensage  bei  Nennius  und  in  der  welschen  erzählung  Kilhwch 
und  Olwen.  ob  bei  diesem  sich  gegenseitig  bedingenden  auf- 
und  absteigen  Finns  und  Cormacs  die  kenntnis  der  Artusromane, 
die   im    14  — 15  jh.    für  Irlaud   oachweisbar  ist,   wie  wir  sehen 


42  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

werden,  nicht  auf  die  Umgestaltung  Cormacs  mit  eiugewürkt  hat, 
verdient  erwägung. 

Eine  weitere  einwürkung  der  erzählungen  aus  der  alten 
nordirischen  heldensage  auf  die  gestaltung  der  Finnsage  vom 
13  —  15jh.  ist  formaler  art.  an  stelle  der  kurzen  episoden- 
artigen erzählungen,  wie  sie  die  Finnsage  in  der  älteren  periode 
bis  zur  mitte  des  12  jhs.  kennt  und  zwar  vereinzelt  in  prosa, 
in  grösserer  zahl  in  der  form  des  germanischen  heldenliedes  (vgl. 
s.  32  ff),  erscheinen  in  den  hss.  des  14— 15  jhs.  umfangreichere 
compositionen:  teils  sind  sie  eioheitlicherer  natur  als  ausführung 
einer  art  grundidee  (Cath  Finnträga) ,  teils  rahmenerzählung, 
worin  nur  die  kurzen,  in  sich  selbständigen  erzählungen  ihr 
unterkommen  gefunden  haben  (Accallam  na  senörach).  diese  texte 
sind  in  doppelter  hinsieht  von  den  texten  der  alten  nordirischen 
heldensage  beeinflusst.  ihrer  äufseren  form  nach  sind  sie  prosa- 
erzählungen  wie  die  alten  texte  und  zwar  sind  die  episoden 
der  genannten  grofsen  rahmenerzählung  vielfach  aufgelöste  lieder, 
die  in  sich  selbständig  waren ,  wie  die  lieder  des  12  jhs.,  und 
sehr  oft  direct  auf  die  prosaerzählung  folgen,  es  tut  sich  hierin 
eine  bemerkenswerte  künstlerische  Unfähigkeit  der  Iren  kund: 
sobald  sie  den  versuch  machen,  vom  einzelnen  heldenlied  zu 
einem  grösseren  epischen  ganzen  überzugehen ,  verfallen  sie  wider 
in  die  einheimische  form  der  prosaerzählung  der  älteren  helden- 
sage.1   diese  nachahmung  der  kunstform  der  alten  heldensage  ist 

1  sehen  wir  von  diesen  gröfseren  prosatexten  des  14— 15  jhs.  ab,  die 
auch  heutiges  tages  noch  in  Irland  bekannt  sind,  so  ist  die  form  der  Finn- 
(Ossian-)sage  in  Irland  und  Schottland  bis  zur  stunde,  wie  im  12  jh.,  das 
germanische  heldenlied.  eine  grofse  anzahl  solcher  lieder  (poems),  die  noch 
heute  in  Irland  bekannt  sind,  führt  O'Grady,  Ossianic  society  m  s.  17  ff 
auf.  Macpherson  machte  wider  im  vorigen  Jahrhundert  den  versuch,  von 
dem  liede  zum  gröfseren  epischen  ganzen  überzugehen  mit  beibehaltung  der 
gebundenen  rede,  die  art  Verachtung,  mit  der  man  noch  jetzt  vielfach  auf 
Macphersons  arbeit  herabschaut,  ist  völlig  unangebracht,  die  Ossiansage  des 
15  jhs.  ist  schon  ein  solches  conglomerat  von  älteren  irischen,  germanischen, 
classischen,  allgemein  mittelalterlichen  sagenerinnerungen,  dass  nur  dilet- 
tanten  und  ignoranten  sie  als  quelle  für  keltisches  altertum  verwenden 
können,  irgendwie  belangreiche  Verschiebungen  mit  dem  material  des  18  jhs. 
hat  Macpherson  nicht  vorgenommen ,  wenigstens  sind  sie  alle  im  geiste  der 
sagenentwickelung.  warum  betrachtet  man  seine  gedichte  nicht  vom  rein 
künstlerischen  standpunet?  die  Schotten  brauchen  sich  seiner  nicht  zu 
schämen,  die  Iren  haben  im  18  und  19  jh.  keinen  dichter  in  einheimischer 
zunge,  der  Macpherson  an  die  seile  zu  setzen  wäre. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  43 

gewisser  mafsen  natürlich  und  nicht  so  schlimm,  wie  der  andere 
einfluss,  der  bei  mehreren  der  genannten  prosatexte  des  14  bis 
15  jhs.  zu  tage  tritt:  die  idee  und  die  composition  sind 
nachbildungen  von  texten,  die  sich  mit  der  alten  helden- 
sage  beschäftigen,  ich  will  hier  wenigstens  an  zwei  texten  Cath 
Finnträga  und  Accallam  na  senörach  dies  kurz  nachweisen  (vgl. 
Gott.  gel.  anz.  1887  s.  189  anm.).     ich  beginne  mit  letzterem. 

LU  113a — 115b  ist  uns  ein  text  Siaburcharpat  Conculaind 
'gespensterstreitwagen  Cuchulinns'  erhalten,  der  uns  schon  ver- 
schiedentlich beschäftigte  (Zs.  32,248  —  256  und  oben  s.  33  ff), 
entstanden  ist  der  text  erst  im  vikiugerzeitalter,  wie  wir  sahen; 
die  spräche  besonders  des  poetischen  teiles  LU  114",  37 — 115a,  27 
ist  die  des  10  jhs. ;  zwischen  der  ursprünglichen  niederschrift 
und  LU  müssen  wir  aus  verschiedenen  gründen  mindestens 
eine  Zwischenstufe  ansetzen  (Zs.  32,256  anm.):  mitte  des  10 jhs. 
dürfen  wir  als  abfassungszeit  annehmen,  hier  wird  nun  erzählt, 
dass  Irlands  oberkönig  Loegaire  auf  Patricks  drängen,  endlich 
an  den  christengott  zu  glauben,  erwiderte  nococretiubsa  duitsiu 
nach  doDia  ndcorodusce  Coinculaind  damsa  fömladamla  feib  ad- 
fiadar  iscelaib  conidnacur  7  conidnarladur  armobelaib  sund  is 
iarsain  nocretiubsa  duitsiu  'nicht  werde  ich  dir  glauben  noch  an 
gott,  bis  du  mir  den  Cuchulinn  erweckst  in  der  würde,  wie  er 
geschildert  wird  in  den  sagenerzählungen,  dass  ich  ihn  sehe  und 
dass  ich  ihn  hier  vor  mir  anredete,  und  dann  werde  ich  dir 
glauben' (LU  113a,  4  ff).  Loegaires  wünsch  geht  in  erfüllung:  auf 
dem  wall  von  Tara  sieht  er  Cuchulinn  auf  seinem  Streitwagen 
mit  dem  wagenlenker  Laeg,  erklärt  aber  dem  Patrick,  er  werde 
nicht  glauben,  bis  er  Cuchulinn  länger  gesprochen,  nun  er- 
scheint Cuchulinn  aufs  neue  in  kriegerischer  pracht:  Loegaire 
und  Cuchulinn  unterhalten  sich  längere  zeit  über  Cuchulinn  und 
seine  zeit,  und  zum  schluss  gibt  Cuchulinn  in  form  eines  liedes 
einen  abriss  seiner  taten  (LU  114a,  37  ff).  —  der  text  des  14  bis 
15  jhs.  der  Finnsage  Accallam  na  senorach1  erzählt,  dass  die  beiden 
beiden  Ossian  und  Cailte  mac  Ronain  mit  zweimal  9  begleitern 
allein  von  der  fiann  übrig  blieben  und  altersgrau  bis  zur  zeit 
Patricks  (schlacht  von  Gabra  283,  Patricks  ankunft  in  Irland  431) 
lebten,  sie  treuen  mit  ihm  zusammen,  ziehen  mit  ihm  in  Irland 
umher   und   jeder  hügel,   jeder   wald    und   jeder   wasserlall    gibt 

1  vgl.  hierüber  Götl.  gel.  anzeigen  1887  s.  157  II.  192  fT. 


44  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

ihnen  gelegenheit,  von  den  taten  und  abenteuern  Finns  und 
seiner  fiann  zu  erzählen,  ist  nun  die  idee,  die  neiden  Ossian 
und  Cailte  mit  Patrick  im  leben  zusammenzubringen,  wo- 
durch der  rahmen  für  eine  Sammlung  von  episoden  der  Finn- 
sage gegeben  wurde,  nicht  eine  offenbare  vergröberung  der 
älteren  erzählung,  wonach  Cuchulinn  dem  Patrick  leib- 
haftig auf  seinem  Streitwagen  erscheint  und  seine  und  seiner 
genossen  taten  berichtet?  die  Übertragung  und  vergröberung 
geht  noch  ins  12  jh.  zurück,  wie  aus  LL  208a,  26  erhellt1;  die 
rahmenerzählung  selbst  ist  als  ganzes  wol  kaum  älter  als  das 
14  jh.  einzelne  prosaepisoden  sind  uns  als  heldenlieder  in  LL 
erhalten. 

Viel  interessanter  ist  noch  Cath  Finnträga  im  Verhältnis  zu 
dem  vorbild  aus  der  alten  heldensage  Täin  bö  Cüalnge,  weil 
die  nachahmung  der  compositiou  auch  manche 
einzelepisoden  mit  herübernahm,  in  dem  umfangreich- 
sten texte2  der  alten  sage,  der  Täin  bö  Cüalnge,  lassen  sich 
drei  grofse  abschnitte  machen:  1)  das  heranziehen  des  mächtigen 
heeres  und  überschreiten  der  gränze Ulsterlands  nebst  plünderungs- 
zug  bis  Cüalnge;  2)  Cuchulinns  versuche,  von 'montag  vorsommer- 
ende bis  mittwoch  nach  frühlingsanfang'  (LL  76%  47)  das  in- 
vasionsheer  durch  überfalle  zu  hindern,  dass  es  nicht  mit  der 
beute  abzog,  sondern  stand  hielt,  bis  die  macht  Ulsterlands 
herankam;  3)  Sammlung  der  Ulstermacht  und  entscheidungskampf. 
von  diesen  3  teilen  der  Täin  bö  Cüalnge  ist  es  wesentlich 
der  zweite,  der  dem  Urheber  von  Cath  Finnträga  zum  vorbild 
diente,  vor  allem  muss  die  erweiterung  des  gesichtskreises,  die 
wir  schon  s.  40  ff  als  wichtigen  factor  bei  der  Übertragung  der 
alten  heldensage  auf  die  Finnsage  kennen  lernten,  mit  in  be- 
tracht  gezogen  werden.  Ulsterland  wird  zu  Irland,  wie  in  der 
Täin  all -Irland   gegen  Ulsterlaud  zieht,   so  hier  die  ganze  weit 

1  wir  werden  im  verlauf  sehen ,  wie  erinnerung  an  tatsächliche  Vor- 
kommnisse des  9jhs.,  verbunden  mit  Vorstellungen,  die  am  ende  des  10  jhs. 
aufkamen,  zusammenwürkten. 

2  eine  eingehendere  inhaltsangabe  des  textes  nach  LU  und  LL  habe 
ich  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  28,  442— 475  gegeben.  Cath  Finnträga  ist  nach 
Rawl.  B  487  mit  Übersetzung  ediert  von  Kuno  Meyer,  Oxford  1885.  mir 
steht  eine  unabhängige  ältere  abschrift  von  Rawl.  zu  geböte  nebst  collation 
mehrerer  jüngerer  hss.  ich  ciliere  im  folgenden  nach  Meyers  ausgäbe  seite 
und  fortlaufende  Zeilenzählung. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  45 

gegen  Irland;  wie  Cuchulinn  in  zahlreichen  kämpfen  au  der  fürt 
das  mächtige  heer  Irlands  beschäftigt,  so  werden  hier  die  scharen 
des  königs  der  weit  am  strande  in  zahlreichen  kämpfen  auf 
1  jähr  und  1  tag  beschäftigt  und  besiegt,  hierzu  kommen  nun 
die  vielen  einzelzüge,  die  aus  der  Täin  bö  Cüalnge  stammen, 
von  denen  ich  nur  die  wichtigeren  hervorheben  will. 

Cath  Finnträga  7,  111  ff.  120  ff.  wie  hier  dämonen  um 
Conncrithir  schwirren,  heulen  und  den  feinden  schrecken  einjagen, 
so  um  Cuchulinn  ganz  gewöhnlich  LL  77b,  15  ff  =  LU  79b,  17  ff; 
LL  76a,  11  =  LU  77b,  34;  LL  82b,  47  ff.  86b,  47  ff. 

Cath  F.  8,  141  ff.  9,  155.  Conncrithir  und  Glas  mac  Dreamain 
sind  nahe  verwandt,  ja  briider  (9, 155),  wie  Cuchulinn  und  Fer  Diad 
blutbrüder  sind  (LL  81a,  20 — 88  ende),  der  irische  flüchtling  im 
heere  des  königs  der  weit,  Glas,  geht  ebenso  zu  Verhandlungen 
mit  Conncrithir  hin  und  her  wie  in  der  Täin  die  Ulsterflücht- 
linge Lugaid  mac  Nois  und  Fergus  zwischen  dem  heer  des  Ailill 
und  Cuchulinn  LU  67b,  21  ff.  70b,  33  ff.  72b,  16  ff.  68a,  41  ff  =  LL 
71%  37  ff  usw. 

Cath  F.  10,  172  ff.  Conncrithir  wird  in  der  nacht  von  seinen 
wunden  geheilt  wie  Cuchulinn  LL  84b,  30  —  85a  ende  (vgl. 
89a,  1  ff). 

Cath  F.  11,  186  ff.  Taistellach  wird  von  Conncrithir  ge- 
schickt, um  Finn  und  die  fiann  zu  benachrichtigen,  wie  Sualtam 
von  Cuchulinn  geschickt  wird  zur  benachrichtigung  Conchobars 
und  der  Ulsterleute  LU  57%  38  ff  =  LL  58%  32  ff. 

Cath  F.  13,  229  ff  ziehen  die  Tuatha  De  Danand,  'eine  schar 
von  männern  Irlands',  die  nicht  mehr  auf  der  erde  leben ,  sondern 
sich  in  die  hügel  zurückgezogen  haben  (16,  277),  ebenso  zur 
hilfe  gegen  das  heer  des  königs  der  weit,  wie  in  der  Täin  bö 
Cüalnge  die  alten,  die  in  ihrer  ausrüstung  schon  eine  ver- 
gangene zeit  repräsentieren,  gegen  die  männer  Irlands  dem 
Cuchulinn  zur  hilfe  eilen  (LL  91%  46  ff;  92%  45 ff;  vgl.  Zs.  32,  275 
s.  v.   clap). 

Cath  F.  19,  345  ff.  Oissin  und  der  söhn  des  Garb  geraten 
beim  kämpf  vom  Strand  in  das  wasser  und  kämpfen  dort  ganz 
wie  Cuchulinn  mit  Luch  in  der  fürt  im  wasser  kämpft  LU  76'', 
1  —  77%  26;  ebenso  fechten  Cuchulinn  und  Fer  Diad  den  ent- 
scheidungskampf  im  wasser  in  der  fürt  aus  LL  S6\  41  IV. 

Cath  F.  20,  350  11'.     in   diesem    kämpf  schien  Oissin  unter- 


46  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

liegen  zu  sollen;  da  trat  Fergus  Finnbel  in  die  nähe,  um  den 
Oissln  durch  lobende  und  tadelnde  worte  anzufeuern,  ganz  so 
in  dem  vorbild  dieser  episode  in  der  Täin:  LU  76b,  20  ff  reizt 
Bricriu  den  Cuchulinn,  als  er  dem  Loch  zu  unterliegen  schien, 
und  LL  86b,  18  ff  Loeg  den  Cuchulinn,  als  Fer  Diad  die  Ober- 
hand zu  behalten  schien,  diese  art,  durch  tadelnde  worte  den 
gesunkenen  mut  des  kämpfenden  zu  heben,  durch  lobende  noch 
mehr  anzufeuern ,  kommt  noch  Cath  F.  35,  635  ff.  38,  687  ff. 
41,734ff.  43,780ff.  46,  840  ff  vor  und  ist  in  der  Täin  und 
anderen  texten  der  alten  heldensage  ganz  ebenso 
gebräuchlich:  LU  82b,  40.  105b,  9.  109%  19;  LL108b,44ff. 
257b,  38  (vgl.  Zs.  32,  214  mit  anm.  6). 

Cath  F.  21,  372  ff.  Dolar  Durba  legt  kampfgewand  ab,  fest- 
gewand  an,  um  die  feinde  zu  höhnen,  ganz  wie  Cuchulinn  nach 
der  grofsen  niederlage ,  die  er  dem  feinde  beigebracht,  sein  fest- 
kleid  (dillat  oenaig  'marktrock')  anzieht  und  sich  den  feinden 
zeigt  LU  81\  lff=LL  78b,  22  IT).  Dolar  Durba  führt  dabei  im 
angesicht  des  feindes  bravourstiicke  aus  (Cath  F.  21,  373  ff)  wie 
Cuchulinn  (LU  81\  37  =  LL  79a,  10). 

Cath  F.  22,  400  ff.  der  13jährige  söhn  des  Ulsterkönigs 
mit  seinen  Spielgefährten  zieht  zur  hilfe  an  den  Strand,  ebenso 
wie  Folloman,  der  söhn  Conchobars,  mit  den  Ulsterknappen  dem 
Cuchulinn  an  die  fürt  zur  hilfe  kommt  (LU  78b,  2—13  =  LL  76b, 
6—19.  LU  71b,  40  — 72a,14). 

CathF.  29,  518  ff.  Fergus  Finnbel  geht  ungeschickt, 
um  hilfe  von  Tara  in  der  not  zu  holen,  wie  Sualtam  ungeschickt 
nach  Emain   zu   gleichem  zweck   stürmt  (LL  93\  31  —  94a,  24). 

Cath  F.  67,  313  ff.  47,  858  ff.  49,  890  ff.  Daire,  der  könig 
der  weit,  ist  unverwundbar,  sein  körper  besteht  aus  einem 
brett  (aonchlär)  und  nicht  rötet  sich  die  waffe  an  ihm.  so  be- 
steht FerDiad  aus  hornhaut  (conganchness),  'ihr  ist  nicht  gewachsen 
schlacht  noch  kämpf,  ihn  fasst  nicht  Speerspitze,  ihn  schneidet 
nicht  scharfe  waffe'  (LL  81%  31;  82%  24.  25.  28— 30.35;  84%  14 
vgl.  Zs.  32,291—303). 

Cath  F.  67,  317  ff.  32,  575  ff.  48,  875  ff.  trotzdem  wird  Daire 
von  Finn  tödlich  getroffen,  wie  Fer  Diad  durch  Cuchulinn;  der 
entscheidungskampf  Cath  F.  48,  890  ff  hat  die  auffallendste  ähn- 
lichkeit  mit  dem  Cuchulinns  gegen  Fer  Diad  (LL  87%  15  — 36) 
und  die  waffe,   die  Finn  anwendet,   mit  dem   gae  bulga  Cuchu- 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  47 

linns.  in  der  Täin  bleibt  es  in  folge  der  unvollständigen  assi- 
milierung  der  germ.  sage  etwas  dunkel,  wie  Fer  Diad  trotz  der 
hornhaut  konnte  getütet  werden  (s.  Zs.  32,  295—301).  in  Cath  F. 
ist  dies  damit  motiviert,  dass  die  waffe  Fiaus  von  Vulcan,  dem 
schmied  der  hölle,  gefertigt  ist  und  aus  dem  lande  der  'weifsen 
männer'  (dem  feen  lande)  stammt,  alte  irische  sagenelemente 
und  classische  reminiscenzen  sind  in  dieser  motivierung  vermischt: 
LU  77b,  39  ff  —  LL  76%  18  ff  kommt  ein  krieger  aus  dem  feen- 
lande  Cuchulinn  zur  hilfe  (vgl.  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  28,  533  ff), 
und  nach  LU  79b,  20  ff  =  LL  77b,  19  ff  legt  Cuchulinn  'das  ge- 
wand  der  unsichtbarmachung'  über  seine  rüstung  'vom  kleider- 
stoff  des  landes  der  verheifsung,  welches  gegeben  war  vom  pflege- 
vater  der  druidenkunst'  (LU  79b,  20  —  22),  'welches  gegeben 
worden  von  Manandän  mac  Lir,  von  dem  könig  des  landes  des 
lichtglanzes'  (LL  77b,  19—22).  ri  tlre  na  Sorcha,  'konig  des  landes 
des  lichtglanzes',  ist  ri  tlre  na  bhfear  bhfionn,  'könig  des  landes 
der  weifsen  männer'  Cath  F.  67,  310.  327  ff. 

Cath  F.  49,  890  —  900.  nicht  nur  der  entscheidungskampf 
zwischen  Donn  und  Finn  wird  ganz  wie  der  gleiche  zwischen  Fer 
Diad  und  Cuchulinn  geschildert,  auch  der  ausgang:  Donn  erhält 
den  tödlichen  streich  und  Finn  selbst  fiel  in  ohnmacht  und  be- 
wustlosigkeit  (dothuit  Finn  fein  a  taisibh  7  taimnellaibh  Cath  F. 
49,899);  so  fällt  auf  Cuchulinn  bewustlosigkeit  und  ohnmacht 
am  haupte  Fer  Diads  (darochair  nel  7  tamtassi  bar  Coinculaind 
LL  87\  1.  2).     sogar  die  worte  sind  identisch. 

Dies  sind  nur  die  sofort  in  die  äugen  springenden  be- 
ziehungen  des  textes  aus  dem  14 — 15  jh.,  der  auch  seiner  spräche 
nach  nicht  älter  sein  kann,  zum  alten  text  Täin  bd  Cüalnge, 
der  aus  dem  11  — 12  jh.  überliefert  ist  und  nach  seiner  ersten 
aufzeichnung,  in  der  natürlich  die  nordgerm.  eiuflüsse  fehlten, 
ins  7  —  8  jh.  zurückgeht,  von  dem  und  vielem  anderen  hat 
Kuno  Meyer  in  seiner  ausgäbe  von  Cath  F.  nichts  gesehen, 
obwol  er  nach  dem  index  verborum  die   Täin  gelesen  hat! 

IV.  die  übrigen  alten  sagen  texte  lieferten  vom  12  bis 
15  jh.  ein  weiteres  dement  zur  ausbildung  der  Finnsage,  neben 
der  alten  nordirischen  heldensage  gab  es  vor  und  im  beginn  der 
vikingerzeit  noch  eine  ganze  reihe  von  sagentexten,  die  man 
einem  mythologischen  cyclus  mit  niolir  oder  weniger  recht  zu- 
rechnet,    die  alten  gölter  waren   euhemerisiert,   man  dachte  sie 


48  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

als  frühere  bewohner  Irlands,  die  sich  vor  den  Iren  in  die 
grofsen  grabhügel  aus  heidnischer  zeit  zurückgezogen  hatten, 
hier  führten  sie  ein  teils  friedliches,  teils  kriegerisches  leben,  wie 
es  auf  der  erde  vorkam,  und  traten  auch  vielfach  in  berührung 
mit  den  menschen,  manches  aus  diesen  alten  erzählungen  hat 
unzweifelhaft  mythologischen  hintergrund,  vieles  ist  aus  der 
einmal  angenommenen  Situation  gefolgert,  daneben  liefen  in 
älterer  zeit  andere  texte,  die  sich  mit  den  heidnischen  Vorstel- 
lungen der  Iren  von  den  'inseln  der  lebenden'  im  fernen  ocean 
beschäftigten,  ein  schwanken  und  ineinanderfliefsen  der  er- 
zählungen von  den  Tuatha  De  Danand  (side)  und  den  bewohnern 
der  inseln  der  seligen  lässt  sich  schon  in  den  ältesten  in  LU 
erhaltenen  texten  beobachten,  die  ihrer  spräche  nach  ebenso 
alt  sein  müssen  wie  die  ältesten  texte  der  alten  nordirischen 
heldensage;  und  im  weiteren  verlauf  fliefsen  die  verschiedenen 
Vorstellungen  mehr  und  mehr  in  einander  über  (s.  Zs.  33, 
274 —  280).  die  vikinger -fiandr,  die  das  vorbild  zu  Finn  und 
seiner  fiann  abgegeben  hatten,  waren  offenbar  stark  hinter  den 
schönen  irischen  frauen  hergewesen  (Cogadh  Gaedhel  s.  42), 
und  so  haben  wir  denn  auch  gesehen,  dass  in  der  vermutlich 
ältesten  erzäblung  von  Finn  und  seiner  fiann  ausdrücklich  be- 
zeugt wird  'jeder  berg  und  jeder  wald,  den  Finn  mit  seiner 
fiann  besuchte,  da  fand  sich  eine  bestimmte  (vornehme)  frau  für 
ihn  und  die  frauen  der  landleute  hatten  es  auszuhalten  von  den 
fianna,  denn  ihre  (der  fianna)  leute  waren  über  das  ganze  land 
zerstreut,  dass  niemand  etwas  gegen  sie  wagte'  (Sanas  Cormaic 
s.v.  orc  treith,  oben  s.  37  ff),  mit  den  wandelungen  und  der 
entwickelung,  welche  die  Finnsage  in  den  Jahrhunderten  durch- 
machte, trat  auch  hier  ein  ganz  natürlicher  wandel  ein:  die  be- 
ziehungen  der  fiandr  zu  den  schönen  frauen  Irlands  wurden  zu 
beziehungen  der  fiann  zu  den  schönen  hügelbewohnerinnen,  den 
feen,  und  damit  war  die  handhabe  geboten,  die  älteren  erzäh- 
lungen von  Tuatha  De  Danand,  fürsten  und  frauen  von  den 
inseln  der  seligen,  in  die  Finnsage  einzubeziehen.  eine  analyse 
des  textes  Accallam  na  senörach  würde  nach  der  seite  für  die 
Finnsage  ebenso  lehrreich  sein,  wie  sich  Cath  Finnträga  für  die  be- 
ziehungen zur  alten  nordirischen  heldensage  erwiesen,  eine  solche 
analyse  würde  aber,  da  der  text  unveröffentlicht  ist,  einen  gröfseren 
umfang  einnehmen  müssen ,  als  ich  an  diesem  ort  beanspruchen 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  49 

kann,  man  wird  mir  zudem  die  richtigkeit  nach  den  voran- 
gegangenen erürterungen  vvol  auch  so  glauben.1  ich  will  nur  aus 
Cath  F.  ein  beispiel  anführen:  Conncrithir,  der  Wächter  der  fiann 
am  weifsen  Strand  (Finnträig),  ist  mac  Brain  micFeabhail,  'söhn 
des  Bran  mac  Febail'  (Cath  F.  5,91),  und  er  sendet  Taistellach 
zur  bürg  seines  vaters  Bran  mac  Febail,  dass  dieser  die  Tuatha 
De  Dauand  aus  ihren  hiigelpalästen  sammle  (Cath  F.  13,  224  ff), 
in  meinen  Untersuchungen  über  die  quellen  der  IS'avigatio  Brendani 
habe  ich  den  sehr  altertümlichen  text,  der  von  dem  abenteuer 
des  Bran  mac  Febail  auf  den  inseln  der  seligen  handelt,  aus- 
führlich analysiert  und  besprochen  (Zs.  33,  257  —  261):  Bran 
mac  Febail  hatte  eine  lange  oceanfahrt  nach  den  inseln  der 
seligen  gemacht  und  mit  seinen  genossen  viele  jähre  dort  auf 
einer  der  inseln,  dem  lande  der  fraueu  (tlr  namban) ,  zugebracht; 
in  folge  des  heimwehs  eines  genossen  trenut  er  sich  trotz  den  ab- 
mahnungen  der  fürstiu  von  der  insel  und  kehrt  zurück;  in  Irland 
erkennt  man  ihn  nicht  und  vveifs  nur  aus  alten  geschienten  von 
seiner  meerfahrt;  nachdem  Bran  den  mann  ans  land  gesetzt  hatte, 
der  sofort  zu  asche  wird,  als  ob  er  viele  100  jähre  in  der  erde 
gelegen  hätte,  und  nachdem  er  seine  erlebnisse  vom  kahn  aus 
erzählt  hatte,  nimmt  er  abschied  von  den  männern  am  Strand 
und  'von  seiuen  weiteren  erlebnisseu  vveifs  man 
nichts'  (7  nifessa  aimthechla  önduairsin),  schliefst  der  alte  text 
(Lü  121%  25.  Rawl.  B  512  fol.  120b,  2).  dass  sie  wider  ins  land 
der  frauen  zurückgekehrt  seien ,  ist  ja  nach  dem  gemeinsamen 
character  dieser  erzählungen  bei  allen  indogerm.  volkern  aus- 
geschlossen und  hier  direct  durch  die  worte  der  fürstin  beim 
scheiden  Brans.  diese  combiuation  hat  also  die  jüugere  sage 
vorgenommen,  und  indem  die  weitere  confusion  der  Vorstellungen 
von  den  euhemerisierten  göttern  (Tuatha  De  Dauand)  mit  den 
bewohnern  der  inseln  der  seligen  hinzukam,  wurde  Bran  mac 
Febail  zu  einer  art  gutsuachbar  der  Tuatha  De  Dauand  und  sein 
söhn  trat  in  die  fiann  Irlands. 

V.    classische    rem  in  iscenzen,    biblische    fabeln 

1  als  Bodb  Derg  in  Cath  F.  einwände  macht,  Finn  und  der  liann 
Irlands  zur  liilfe  zu  ziehen,  erwiderte  üolb:  'rede  nicht  so,  denn  es  gibt 
keinen  königssohn  oder  thronerlxu  oder  fiann-führer  unter  den  fiunna  Irlands, 
dessen  frau  oder  mutter  oder  pflegemutter  oder  liebelten  nicht  von  den 
Tuatha  De  Danann  stamme'  (Cath  F.   14,  241  ff). 

Z.  F.  D.  A.    XXXV.    N.  F.    XXIII  4 


50  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

und  die  Stoffe  der  allgemein-mittelalterlichen  lit- 
ter a  tu  r  lieferten  ein  weiteres  element  zu  der  ausbildung  der 
Finnsage  von  der  mitte  des  12  bis  zum  15  jh.  classische  remi- 
niscenzeu ,  vermischt  mit  biblischen  (kirchlichen)  anschauungeu, 
sind  schon  teilweise  in  die  alten  sagentexte  eingedrungen,  wie 
ich  verschiedentlich  gelegenheit  hatte  nachzuweisen  (Zs.  32,332; 
33,  325  ff;  Gölt.  gel.  anz.  1890  s.  496  und  anm.);  je  ferner  Irlands 
classische  periode  (600  —  900)  rückte,  um  so  mehr  werden  die 
eingedrungenen  sagenzüge  einheimischem  gute  angeglichen  worden 
sein:  vom  12 — 15  jh.  sind  die  eindringlinge  aus  jener  zeit  inten- 
siver berührung  mit  classischem  altertum  sicher  für  den  Iren  von 
einheimischem  gut  nicht  mehr  zu  unterscheiden  gewesen,  mit 
dem  12  jh.  beginnt  nun  in  Irland  jene  intensive  berührung  mit 
den  allgemein-mittelalterlichen  sagenstoffen,  die  wir  in  Frankreich, 
Deutschland,  England  ebenso  antreffen.  Trojanersage  und  Alexan- 
dersage werden  durch  verschiedene  irische  bearbeitungen  in 
form  und  geist  der  alten  sagentexte  vom  10  jh.  ab  in  Irland 
heimisch  gemacht,  die  romane  aus  dem  Arthursagenkreise  und 
andere  texte  (Gui  de  Wanvick,  Bovon  de  Hanstone)  folgten  nach, 
ich  darf  hier,  um  widerholungen  zu  vermeiden,  auf  meine  Gott, 
gel.  anz.  1890  s.  500 — 510  gegebenen  belege  verweisen,  auch  diese 
Stoffe  haben,  wie  am  letztgenannten  orte  gezeigt,  in  den  um- 
fassenden texten  der  Finnsage  aus  dem  14  — 15  jh.  (Cath  Finn- 
träga  und  Accallam  na  senörach)  schon  ihren  niederschlag  in 
episoden  und  motiven   gefunden. 

Dies  ist  im  wesentlichen  das  material,  in  welches  sich  die 
am  ende  der  zweiten  periode  der  entwickelung  der  Finnsage  (von 
mitte  des  12  bis  zum  15  jh.)  auftauchenden  umfassenden  texte 
der  Finnsage  bei  historischer  betrachtung  zerlegen  lassen,  ich 
glaube,  wenn  man  die  von  mir  nachgewiesene  entstehung  der 
Fiunsage  in  der  vikingerzeit  im  äuge  behält,  wenn  mau  beachtet, 
dass  wir  von  einer  Finnsage  vor  der  vikingerzeit  nichts  an- 
nähernd sicheres  wissen,  wenn  man  die  assimilierung  von 
sagenmaterial  aller  art  von  den  ältesten  Zeugnissen  an  (s.  s.  37) 
bis  ins  14  — 15  jh.,  wie  es  in  den  erörterungen  von  s.  30  bis 
hierher  nachgewiesen  ist,  genügend  in  betracht  zieht  —  dann 
wird  man  mir  zustimmen,  dass  wir  gut  daran  tun,  alles,  was 
in  der  Finnsage,  besonders  vom  12  jh.  an,  als  assimilierung 
und   herübernahme    von    ihr    fremdem    sagenmaterial    aufeefasst 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  51 

werden  kann,  auch  unbedingt  so  aufzufassen,  wir  werden  da- 
durch gewis  der  Wahrheit  viel  näher  kommen ,  als  wenn  wir 
dinge  in  der  jungen  Finnsage,  deren  unursprünglichkeit  in  ihr 
noch  nicht  strict  bewiesen  werden  kann,  als  bestandteile  einer 
Finnsage  vor  der  vikingerzeit  fassen,  das  meiste,  was  in  der 
Finnsage  des  15jhs.  ursprünglich  aussieht,  erweist  sich  ja  als 
hinzugekommen,  nicht  zum  wenigsten  unursprünglich  ist  der 
vermeintliche  historische  hintergrund.  freilich,  dilettanteu  werden 
dadurch  die  brauchbarsten  bausteine  für  ihre  luftschlosser  ein- 
büfsen,  aber  die  Wissenschaft  kann  nur  gewinnen. 

Hiermit  hoffe  ich,  die  s.  4  aufgestellten  Sätze  bewiesen  zu 
haben,  und  die  leser,  die  mir  geduldig  gefolgt  sind,  zur  richtigen 
Würdigung  von  Windischs  vor  den  deutschen  philologen  getanem 
ausspruch  (aao.  s.  31)  'erst  etwa  von  800  an  werden  die  Nor- 
mannen zu  einer  plage  Irlands,  aber  damals  war  in  Irland 
die  Finnsage  längst  ausgebildet'  genügend  vorbereitet 
zu  haben.1 

1  die  weitere  entwickelung  der  Finnsage  in  Irland  und  Schottland  liegt 
aufser  dem  bereich  dieser  arbeit,  wenige  orientierende  notizen  mögen  hier 
anmerkungsweise  folgen,  die  Finnsage  hat,  worauf  ich  meines  wissens  zu- 
ersthinwies (Zs.32,233  anm.),  ihren  Ursprung  in  süd-Irland  (Leinster-Munster), 
wofür  die  anhaltspuncte  im  verlauf  meiner  Untersuchung  hervorgetreten  sind, 
die  zeit,  welche  sie  entstehen  sah,  führte  auch  engere  beziehungen  zwischen 
nord-  und  süd-Irland  herbei  (vgl.  s.  36  ff),  im  11  jh.  war  die  sage  in  Ulster 
bekannt:  LU,  in  Clonmacnois  nach  hss.  von  Monasterboice ,  Druim  Snechta, 
Armagh  oder  vielmehr  nach  compilationen  aus  hss.  von  dort  zusammen- 
geschrieben, enthält  die  erzählung  von  der  todesursache  Cumalls  und  Finns 
geburt  (LU  41b,  42).  in  dieser  hs.  lesen  wir  auch  die  schon  erwähnte  an- 
gäbe (s.  s.  24  anm.),  dass  der  im  anfang  des  7  jhs.  gefallene  Ulsterfürst 
Mongan  eine  incarnation  Finns  sei  (LU  133a,  25ff).  dies  weist  darauf  hin, 
dass  man  in  Ulster  im  11  jh.  den  helden  der  Leinster. Munstersage  gewisser 
mafsen  zu  assimilieren  suchte,  indem  man  ihn  mit  einem  Ulstersagenhelden 
der  historischen  zeit  identificierte.  Ulster  und  die  schottischen  hoch- 
lande  stehen  in  jenen  jhh.  in  den  denkbar  engsten  beziehungen:  in  Antrim 
sitzen  zweige  derselben  häuptlingsfamilie,  die  wir  in  Argyle  und  den  vor- 
gelagerten schottischen  inseln  treffen;  genaueste  localkenntnis  jener  schot- 
tischen gegenden  bemerken  wir  in  dem  text  der  alten  heldensage  Tüin  bö 
Fräich,  wie  wir  Zs.  32,256  —  263,  besonders  261  ff,  sahen,  war  die  Finn- 
sage in  Ulster,  so  war  sie  auch  auf  den  schottischen  inseln  und  an  der 
Westküste,  das  älteste  zeugnis  für  sie  in  Schottland  ist  wol  bei  Barbour 
im  Bruce  in  67 —  70  (um  1375).  die  weiterentwickelung,  die  nun  die  Finn- 
sage auf  der  ganzen  linie  seit  dem  15  jh.  genommen  hat,  besteht  im  wesent- 
lichen in  2  puncten:    1)  die  allgemein   mittelalterlichen  sagenelemente  (oben 

4* 


52  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

Es  bleibt  mir  noch  übrig,  einen  scheinbar  untergeordneten 
punct  zu  erledigen,  der  aber  sich  als  höchst  wichtig  und  die 
vorangegangene  Untersuchung  bestätigend  herausstellen  wird. 

Im  neuirischen  schreibt  man  vielfach  fian,  feine  mit  einem  n, 
woher  auch  das  engl.  Fenian.  dies  lässt  sich  durch  die  Jahr- 
hunderte zurück  verfolgen :  in  Cath  Finnträga  schreibt  die  hs. 
des  15  jhs.  Rawl.  B  487  regelmäfsig  oder  so  gut  wie  regelmäfsig 
fian,  fiana,  fianaib,  feine,  fein  usw.,  während  Egerton  149  fiann, 
fianna,  feinne  hat.  im  Accallam  na  sendrach  haben  die  hss.  die 
Schreibung  mit  einem  n  und  mit  mm  und  nd  oft  neben  einander, 
in  dem  s.  25  — 29  besprochenen  text  LL  296%  48  —  299\  10 
findet  sich  geschrieben  fiann  LL  296b,  44.  299a,  50,  fianna 
296b,  16,  fennid  296b,  26.  46.  297a,  25.  26.  297b,  38.  298",  30, 
fian  296b,  43.  49.  297b,  11.  20.  37.  298b,  26.  299%  47.  die 
Vereinfachung  des  aus  nd  regelmäfsig  entstandenen  mm  ist  begründet 
in  dem  s.  12  hervorgehobenen  lautlichen  Verhältnis,  dass  auf 
einen  diphthongen  (id)  doppelconsonanz  folgt:  das  doppel-M 
kommt  in  fienn  nicht  zum  gehör  und  noch  weniger  in  feinne, 
fennid,  wo  der  nasal  mouilliert  war.  nimmt  man  noch  hinzu, 
dass  in  solchen  compositis  wie  fl  anlach,  flanchlär,  fianbrat,  fian- 
fidchell  (s.  20),  fiangalach  (LU  83b,  30),  panruth  (LL  216%  19) 
auch  die  Schreibung  mit  einem  n  sich  von  selbst  einstellte, 
so  ist  begreiflich ,  wie  auch  in  fian,  feine  phonetische  Schreibung 
eingang  fand ,  neben  der  die  historische  mit  mm  immer  bestehen 

nrv)  machen  sich  in  erhöhtem  mafse  geltend.  2)  nachdem  die  ältere  helden- 
sage  und  ihre  hauptpersönlichkeiten  in  der  früheren  periode  ausgeplündert 
worden  waren,  um  Finn  und  die  fiann  aufzuputzen,  werden  die  zeitlichen 
schranken  zwischen  den  beiden  Sagenkreisen  niedergerissen  und  einzelne 
figuren  der  alten  sage  in  die  Finnsage  hineingezogen,  hierin  geht  Schott- 
land entschieden  weiter  als  süd- Irland,  und  dies  ist  natürlich:  denn  in  Ulster 
war  eben  die  alte  Guchulinnsage  heimisch,  daher  die  Persönlichkeiten  fester 
gewurzelt,  noch  eine  weitere  besonderheit  zeigt  die  entwickelung  der  sage 
in  Schottland:  das  nordische  dement  spielt  eine  stärkere  rolle,  wie  schon 
Windisch  aao.  s.  31  bemerkte,  auch  dies  ist  natürlich:  hier  safsen  ja  in 
Argyle,  Gaithness  und  auf  den  inseln  die  männer  Lochlands  noch  jhh.  länger 
als  in  Munster:  die  Hebriden  und  südlichen  inseln  kommen  erst  1266  unter 
schottische  herschaft  und  auf  den  Orkneys  und  Shettlandinseln  dauert  die 
norwegische  herschaft  bis  ende  des  15  jhs.  die  heutige  Ossiansage  ist  eine 
allmählich  gewordene  Vermischung  aus  irischen  sagenelementen  aller  art 
mit  allem  dem,  was  mehr  als  1000  jähre  an  Irlands  ufer  angespült  haben: 
richtiges  material  für  dilettantenhafte  sagenforscher. 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  53 

blieb.  Windisch  hat  in  seinem  Wörterbuch  zu  den  irischen 
texten  die  beiden  stellen  aus  Serglige  Conculaind  (LU  45b,  8. 
47%  31,  s.  s.  19)  benutzt,  um  ein  wort  fian  'held'  zu  con- 
struieren;  dazu  stellt  er  einige  composita,  wie  flanbrat  usw.,  führt 
sie  aber  ein  mit  den  Worten  'fian  in  composition  means  relating 
to  the  Fenians,  hence  adapted  for  or  belonging  to  hunting, 
which  was  there  chief  employment  and  pastime  O'Grady,  Torr- 
Dharm.  p.  110.'  nun,  da  ist  doch  klar,  dass  O'Grady  nicht  an 
ein  von  geschriebenem  flann  verschiedenes  fian  denkt,  denn  er 
gibt  ja  letzterem  die  bedeutung,  die  Windisch  für  flann  reserviert, 
die  Unterscheidung  ist  haltlos:  flann  und  fian  ist,  wie  wir 
sehen,  in  LL  in  demselben  text  geschrieben  für  das  gefolge 
Finns;  fian  ist  in  LL  geschrieben,  wo  Windisch  au  Fenier  denkt, 
und  fiann,  wo  'held'  gemeint  ist.1  die  bedeutung  'held'  ist  bei  fiann 
1  das  älteste  handschriftliche  zeugnis  für  die  Schreibung  fian 
mit  einem  n  rindet  sich  im  Book  of  Armagh  fol.  13b.  Patrick  trifft  in  Dicuil 
auf  ein  riesengrab  von  120  fufs  länge;  als  seine  begleiter  zweifei  aus- 
sprechen, dass  ein  mensch  könne  so  larlg  gewesen  sein,  erweckt  Patrick 
den  toten  riesen  und  erhält  auf  seine  frage,  wer  er  gewesen  sei,  die  ant- 
wort  Ego  su?/i  macc  maicc  Cais  maic  Glais  (dh.  ßlius  filii  Cas  filii 
Glas),  qui  fui  subulcus  i'Ig  Lugir  rlg  Hirotae  (dh.  regis  Lugar  regis 
Hirotae);  jugulavit  7/ie  fian  maicc  Con  (dh.  miles  mac  Con)  in 
regno  Coirpri  Niothfer  anno  C.  usque  hodie.  im  Sanas  Gormaic,  wo  sich 
dieselbe  erzählung  findet,  wird  gesagt,  dassGlass,  söhn  des  Gass,  dßanaib 
maic  Con,  'von  den  fiana  des  Mac  Gon'  ermordet  wurde  (s.v.  ?nogfiei?ne). 
schon  die  Verbindung  von  fian  mit  Hirota,  irisch  Hiruatk,  der  ältesten 
irischen  bezeichnung  Norwegens  und  in  den  älteren  sagentexten 
mit  fennid  oft  vorkommend  (s.  Zs.  32,  204  —  206),  genügt  zum  beweis, 
dass  wir  es  mit  einem  sagenhaften  vikinger  zu  tun  haben,  auch  die 
gröfse  ist  besonders  characteristisch,  wie  ich  aao.  216.234  gezeigt.  —  da- 
gegen halte  ich  die  aao.  s.  231  im  anschluss  an  die  allgemeine  ansieht  ge- 
machte angäbe,  dass  hier  ein  zeugnis  aus  dem  jähre  807  vorliegt,  nicht 
mehr  aufrecht,  fest  steht  nur,  dass  Ferdomnach  das  neue  testament  bene 
dietante  Torbach  (f  808)  herede  Patricii  scripsit;  aber  kein  anhält 
liegt  vor,  dass  der  845  erst  gestorbene  Ferdomnach  auch  die  bunten  notizen 
über  Patrick  im  jähre  807  oder  vorher  geschrieben  habe,  wir  werden  im 
verlauf  noch  innere  gründe  kennen  lernen,  dass  einzelne  dieser  notizen  nicht 
lange  vor  der  mitte  des  9jhs.  können  geschrieben  sein,  auch  obige  notiz 
spricht  eher  dafür  als  für  807.  nachdem  Normannen  79t  resp.  793  Eng- 
lands küsten  verheert,  plünderten  sie  794  (nach  Ulslerannalen)  die  insel 
Lambay  an  der  Leinsterküste,  797  SPatricks  islarid  ebendaselbst  und  er- 
schienen 806  in  Sligo  und  Roscomon;  810  melden  Llsterannalen  sfraget 
gentilium  apud  L'llu;  811  waren  sie  in  Mayo  und  Munster  und  in  der 
folge  allüberall  in  Irland,    dass  um  807  oder  gar  vorher  in  einer  erzählung 


54  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

so  natürlich  wie  bei  ags.  vrecca,  deutsch  recke,  ir.  ecland  (s.  s.  16 
anm.).  zudem  steht  fian  ebeuso  unerklärt  und  ohne  heziehung 
in  den  übrigen  keltischen  sprachen  und  im  irischen  da,  wie 
bisher  fiann  und  seine  sippe.  das  letztere  nun  wird  Windisch 
bestreiten,  denn  er  verweist  unter  'flan  held'  auf  fene  und  sagt 
daselbst  'fene  einer  der  namen  für  die  alte  bevölkerung  Irlands.' 
der  entscheidende  beleg  hierfür  findet  sich  in  dem  Fiacc  Sleibte 
zugeschriebenen  hymnus  auf  Patrick,  dh.  in  dem  versiflcierten 
leben  Patricks,  woselbst  es  zeile  40  heifst: 

Pridchais  tri  flehte  bliadan  croieh  Crist  do  thuathaib  Fene 
'er  predigte  dreimal  20  jähre  das  kreuz  Christi  den  heidnischen 
scharen  der  Fene.'  man  sieht  hier  in  Fene  den  gen.  plur.  eines 
alten  namens  der  Iren  wie  Scot.  an  eine  beziehung  zu  den 
flanna  der  Finnsage  des  15  jhs.  denkt  Windisch  nicht  und  hat 
auch  sonst  niemand  gedacht,  in  der  tat,  wer  den  sagentexten  des 
15  jhs.  unbesehen  glaubt,  dass  sie  würkliche  zustände  des  2  und 
3  jhs.  zum  Hintergrund  haben,  der  muss  ihnen  auch  glauben, 
dass  in  der  schlacht  von  Gabra  die  flanna  bis  auf  Oskar  und 
Cailte  nebst  zweimal  9  mann  vernichtet  wurden,  die  convertierung 
dieser  wenigen  leute,  die  nicht  decrepit  genug  geschildert  werden 
können ,  kann  doch  auch  in  obiger  langzeile  nicht  gemeint  sein, 
da  sie  nicht  tuatha  'scharen'  genannt  wurden ,   und   die  dreimal 

das  naive  erstaunen  der  Iren  über  die  hünengräber  dieser  nordischen 
riesen gestalten  —  das  liegt  doch  in  der  erzählung  —  aufgetreten  sei, 
ist  ganz  unwahrscheinlich ;  da  musten  doch  wol  2  Jahrzehnte  und  mehr  ins 
land  gehen,  ehe  man  fabeln  konnte,  dass  schon  Patrick  einen 
solchen  vikingerriesen  aus  seinem  hünengrab  erweckt 
habe,  um  ihn  zu  taufen,  wenn  auch  vikingerhorden  sich  sehr  bald  in  den 
dienst  irischer  herscher  stellten,  die  sie  in  den  kämpfen  gegen  stammes- 
genossen verwendeten,  vor  810  wird  dies  kaum  vorgekommen  sein,  und 
da  muss  doch  auch  einige  zeit  vergangen  sein,  ehe  man  sagenhaften  her- 
schern  des  3 jhs.  vikingersöldner  andichtete,  ich  denke,  der  text  weist 
eher  ins  zweite  viertel  des  9jhs.  als  ins  erste.  —  hinweisen  will 
ich  noch  darauf,  dass  die  Vier  meister  für  a.m.  4169,  dh.  1023 jähre  v.Chr., 
von  einem  könig  der  Fomöri  namens  Lugair  wissen,  der  mit  den  Fomoiri 
einen  einfall  in  Meath  machte,  wenn  man  sich  erinnert ,  was  ich  Zs.  32, 242  ff 
über  die  sage  des  10  und  11  jhs.  ausgeführt  habe,  die  die  heidnischen 
vikinger  des  9  jhs.  zu  Fomöri  machte,  und  wenn  man  im  äuge  behält,  dass 
Lugir  könig  von  Hirota  (Norwegen)  ist  in  obiger  stelle  des  Book  of 
Armagh,  dann  hat  man  wider  einen  fingerzeig,  mit  welchem  material  das 
10  jh.  die  geschichte  Irlands  von  der  sintflut  bis  zur  alten  heldensage  zum 
teil  ausfüllte. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  55 

20  jähre  wären  lächerlich,  hierzukommt,  dass  für  die  zeit,  der 
wir  spätestens  den  hymnus  oder  diese  Strophe  zuschreiben 
können,  ende  des  10  jhs.  nach  den  resultaten  meiner  Unter- 
suchung, die  dann  der  laogzeile  zu  gründe  liegende  Vorstellung 
schwerlich  vorhanden  war.  kurz,  an  eine  beziehung  dieser 
Strophe  zu  den  fianna  der  Finnsage  des  15  jhs.  hat  niemand 
gedacht  und  eine  solche  ist  ausgeschlossen. 

Wenn  also  bei  tuatha  Fene  in  Fiaccs  hymnus  nicht  an  die 
fiann  der  Finnsage  des  14 — 15  jhs.  gedacht  werden  kann,  warum 
sollen  wir  nicht  au  die  fiann  des  9  und  10  jhs.  und  ihr  vor- 
kommen in  den  texten  der  älteren  sagen  denken?  die  tuatha 
fene  wären  'heidnische  scharen  der  vikinger',  fene  gen.  sing,  zu 
flan  und  so  verwendet  wie  in  zwei  schon  angeführten  (s.  22  ff) 
Zeugnissen  des  9  und  10  jhs. :  862  und  942  wird  in  den  annaleu 
Fir  maige  fene  'Fermoy  der  vikinger'  erwähnt  und  diese  be- 
zeichnung  wird,  wie  wir  sehen,  durch  Lebor  na  cert  mit  seinem 
Fir  maige  fian  'Fermoy  der  fiandr'  (der  vikinger)  gestützt.1  man 
schlage  die  bände  ob  solcher  verwegenen  ansieht  nicht  allzu  sehr 
überm  köpf  zusammen,  aber  Fene  (mascul.  jo- stamm)  ist  neben 
Scot  und  Gaidel  einer  der  drei  alten  namen  der  Iren:  das 
läugne  ich  eben,  trotzdem  es  auch  in  Gramm,  celt.  s.  vm  anm. 
steht,  und  werde  beweisen,  dass  es  kein  alter  name  der  Iren 
ist,  sondern  durch  fabulierende  Iren  des  11  —  13  jhs.  aus  obiger 
stelle  von  Fiaccs  hymnus  gefolgert  ist.  aber  Patrick  hat  doch 
den  vikingern  nicht  gepredigt!  fällt  mir  auch  gar  nicht  ein  zu 
glauben  oder  zu  behaupten ,  aber  darauf  kommt  es  nicht  an, 
sondern  was  man  im  lOjh.  in  Irland  glaubte  und  wie 
man  dazu  kam.  tatsachen  vergangener  Jahrhunderte  dürfen 
wir  nicht  erwarten,  sondern  ansc hauungen  des  Zeitalters  der 
entstehung  des  litterarischen  produetes  über  die  vergangene  zeit, 
und  da  hat  man  im  10  jh.  unzweifelhaft  in  Irland  den 
glauben  verbreitet  und  gehabt,  dass  Patrick  den 
vikingern  das  Christentum  gepredigt  habe,  ich  lasse 
zuerst  zwei  irische  texte  aus  der  zeit  reden. 

LU  117b,  20— HSb,  44  haben  wir  den  text  Comthoth  Lr.egairi 

1  die  möglichkeit,  fSne  der  form  nach  auch  noch  anders  denn  als 
gen.  sing,  zu  fian  'vikingerschar'  zu  erklären,  werden  wir  im  verlauf  kennen 
lernen,  sie  könnte  die  oben  entwickelte  ansieht  über  tuatha  FSne  nur 
stützen. 


56  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

cocretim,  'bekehrung  des  Loegaire  zum  Christenglauben',  heraus- 
gegeben und  übersetzt  von  Plummer  Revue  cell,  vi  162 — 172. 
hier  wird  erzählt:  als  durch  Patricks  mächtige  predigt  und  wunder 
Loegaire,  Irlands  oberkönig,  endlich  zum  Christentum  bekehrt 
war,  da  berief  er  die  clanfürsten  Irlands  nach  Tara  zu  einer  be- 
ratung,  wie  man  die  alten  institutionen  gemäfs  den  anforderungen 
des  neuen  glaubens  umgestalten  müsse,  auch  Patrick  war  ein- 
geladen, in  einer  Vorbesprechung  am  tage  vor  Patricks  ankunft 
war  man  einstimmig  der  meinung,  dass  dasjenige,  was  von  der 
lehre  des  Christentums  irischem  brauch  und  irischem  recht  am 
meisten  widerspreche,  sei  cain  dilguda  'das  gebot  der  Ver- 
gebung', und  man  war  der  ansieht,  dass  die  stricte  einführung 
eines  solchen  gesetzes  völlige  anarchie  in  Irland  herbeiführen 
würde:  'denn  sobald  jedermann  dessen  gewis  sein  wird,  dass  er 
für  alles  böse,  was  er  tun  wird,  Vergebung  haben  wird,  dann 
wird  man  keine  macht  mehr  haben  über  den  räuber,  und  jeder 
mann  wird  den  anderen  töten,  denn  er  hat  keine  furcht  vor 
widerVergeltung.'  man  einigte  sich  nun  auf  ein  exemplum  ad 
hominem,  dh.  man  wollte  probieren,  wie  Patrick  das  von  ihm 
gepredigte  gebot  der  Vergebung  verstehe,  und  beschloss,  dass  ein 
dazu  bestimmter  Ire  —  Nuada  der  rote,  Loegaires  pflegesohn,  soll 
es  gewesen  sein  —  den  wagenlenker  Patricks  töten  solle  bei 
Patricks  ankunft.  so  geschah  es  am  nächsten  tag.  Patrick 
blickte  starr  vor  schrecken  um  hilfe  nach  dem  himmel.  alsbald 
wackelte  ganz  Irland  von  einem  heftigen  erdbeben  und  die  in 
Tara  versammelten  clanhäuptlinge  fielen  vor  furcht  und  schrecken 
auf  die  erde  und  baten  Patrick  um  die  Verzeihung ,  die  er  predige. 
Patrick  gewährte  sie  und  erklärte  das  gebot  von  der  Verzeihung, 
wie  es  zu  verstehen  sei:  der  schuldige  solle  büfsen  und  nur 
seiner  seele  solle  verziehen  werden,  dann  wurde  eine  neuner- 
commission  eingesetzt,  um  recht  und  gesetz  zu  ordnen.  3  mann 
der  kirche  (Patrick,  Benen  und  Cairnech),  3  mann  für  die  kröne 
(Lugaire,  der  oberkönig,  und  die  beiden  mächtigsten  teilkönige 
von  Ulster  und  Munster)  und  endlich  3  Vertreter  der  noch  nicht 
repräsentierten:  Dubthach  maccu  Lugair  (er  war  ober -file  Irlands 
bei  Patricks  ankunft),  Fergus  der  dichter  (fili)  und  Rus  mac 
Tricim  sui  berla  feni  'Rus,  söhn  des  Tricem1,  ein  kun- 

1  Tricem  ist  nach    irischer  Orthographie  des  9  — 11  jhs.  wider- 
gabe  eines  phonetischen  trigv  und  Rus  mac  Tricim  ist  Rus  Tryggva- 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  57 

diger  der  vikingersprache  (berla  feni)  LU  118b,  I.  diese 
neuner- cominission  ordnete  nun  die  Privilegien:  glocke  und 
psalm  der  kirche;  geiselu  den  königen;  drei  geziemende  worte 
den  dichtem  (doßledaib) ;  aithgabnil  donafennethaib  'pfand1 
(Pfandrecht,  privileg  der  heschlagnahme)  den  uiitgliedern 
der  fiann'  dh.  den  vikingern. 

Mit  diesen  klaren  angaben  hat  man  bis  jetzt  nichts  ver- 
nünftiges anzufangen  gewust.  Plummer  übersetzt  sui  berla  feni 
'learned  in  the  fenian  tongue'  und  macht  dazu  die  anmerkung 
(aao.  s.  170)  'the  fenian  tongue  supposed  to  he  the  language  in 
which  the  most  ancient  laws  were  couched';  er  schliefst  sich 
also  den  fabeleien  der  Iren  des  12 — 14  jhs.  an,  die  von  den 
zuständen  Irlands  im  9 — 1 1  jh.  keine  ahnung  hatten  und  die 
texte  jener  zeit  nicht  verstanden,  die  darauf  folgende  notiz 
aithgabäü  donafennethaib  übersetzt  Plummer  'right  of  distraint 
to  the  warriors'.  das  scheint  mir  klar:  neben  3  Vertretern 
des  altars,  3  der  kröne  und  2  der  gelehrten  stände  ist  in  der 
commission  ein  sui  berla  feni,  'kundiger  der  spräche 
der  fiann7,  und  neben  altar,  kröne,  gelehrten  ständen  erhalten 
Privilegien  die  fennida.  der  sw*  berla  feni  ist  also  der  Vertreter 
der  fennida,  der  angehörigen  der  fiann,  der  vikinger.  das 
entspricht  ja  ganz  den  irischen  zuständen  des  9  bis 
11  jhs.  der  parallelismus  in  unserem  text  ist  schlagend,  ich 
führe  noch  den  zweiten  text  an,  ehe  ich  die  weiteren  consequenzen 
ziehe  und  die  nötigen  erläuterungen  aus  den  tatsächlichen  zu- 
ständen gebe. 

In  dem  so  wichtigen  und  schon  des  öfteren  (s.  L0  ff.  23  ff) 
herangezogenen  Lebor  na  cert  findet  sich ,  nachdem  die  Privi- 
legien des  königs  von  Leiuster  abgehandelt  sind,  ein  anhang 
über  die  zurzeit  der  abfassung  des  werks2  in  Dublin  sitzen- 

sonr.  m  und  b  dienen  schon  in  den  glossenhss.  zur  widergabe  des  fremden 
v,  w,  weil  sie  zwischen  vocalen  im  irischen  so  gesprochen  wurden,  und 
zahlreiche  Zeugnisse  der  Verwendung  der  tenuis  für  reine,  nicht-aspirierte 
media  in  der  schrift  habe  ich  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  27,449—468.  28,374  ff 
(vgl.  diese  Zs.  32,  27U  s.  v.  röt)  gesammelt. 

1  s.  LL288«,46.  294a,  19.  114",  38  zur  bedeutung  von  ailhgahnil. 

2  unter  den  Verpflichtungen  des  königs  von  Leinster  werden  an  erster 
stelle  diejenigen  an  die  vikinger  von  Dublin  und  in  der  gegend  von 
Wicklow  aufgeführt  (O'Donovan  s.  206.  Book  of  Ballymote  27S1',  21  ll'l, 
ebenso  unter  den  einkünften  diejenigen  von  den  vikingern  von  Dublin   und 


58  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

den  vikinger.  die  Überschrift  lautet  (O'Donovan  s.  224.  Book 
of  Ballymote  279b,  9  ff)  Benen  dono  rochachain  annso  dosenchus 
Gall  Athacliath  'Benen1  nun  sang  dies  über  die  geschichte 
der  vikinger  von  Dublin.' 

Ata  sund  senchus  suairc  seang       asmaith  leferaib  Erenn 
Sochur  Atha  Cliath  nichel      amal  forfagaib  Benen. 
Diatainic  tuaid  aTetnraig        hua  Deochain  indegtheglaig 
D'apstal  Breatan  7  Breag       nirchret  Loegaire  lanmer. 
5  Luid  desel  Banba  buidi      hua  Deochain  indegduini 
Gutorracht  Dun  nanGall  nglan       duchobair   cland  mac  Miled. 
he  bafl  anAth  Cliath  chruaid      diatainig  Padraic  atuaid 
Ailpln  mac  Aeoil  fhathaig       ducloind  Domnaill  dubdamaig. 
Inlä  tainig  cohAth  Cliath       Padraic  Macha  na  moirflüach 
10  Is  and  rosfuc  bas  bagach       enmac  Ailpin  imnarach. 
Adagar  guhua  Deochain       aenmac  rig  Gall  gairg  Eochaid 
Diachrad  7  diachelgad       donabstal  robimdergad. 
Diatuctha  anmain  andsin      achlerig  chaid  chumachtaig 
Siechfad  duit  conchaill  Cenaind      slechtfaid  Gaill  inglaisferaind. 
15  Luid  inadesel  fothri      intapstal  is  intairdri 
Gurerig  inabethaid       feinnid  älaind  aird  Eochaid. 
Arsin  adnagad  do  inslog      screpal  gach  fir  unga  d'or 
Unga  gacha  sröna  sain       iscrepal  oir  gach  ainfir. 
Trihuinge  forfaccad  tall       dunchäin  angardaib  nanGall 
20  Airgthir  fothri  indAth   Cliath       oGaidelaib  nangallsciath. 
Dianamtora  ingach  bliadain       inchäinsea  Hb  oLiamain 
Nochonedfad  fir  thalman       barndunsi  dodithfaglad. 
Indun  itaid  gudreman       noscerfa  friduib  deman 
Bide  intres  teni  nach  tim       bias  fodered  anErinn. 
25  Facbaim  foranAth  uile       buaid  mban  fora  banchuri 
aus   der  Wicklowgegend  (O'Donovan  s.  218.   Book  of  Ballymote  279a,  3  ff), 
wenn  wir  uns  erinnern,  dass  Lebor  nacert  nicht  eine  codiflcierung  actueller 
rechte  und  pflichten   des  lOjhs.  ist,   sondern   ein  litterarisches  werk, 
welches  die  in  geschichte  und  sage  bekannten  rechte  und  pflichten  in  einzelnen 
gedienten  abhandelt,   so  wird  der  erwähnte  umstand  so  zu  verstehen  sein, 
dass  die   Verpflichtungen  des  Leinsterkönigs    sich  auf  zeiten  beziehen,    in 
denen    er  den   Dubliner  vikingern    unterlegen  war,  und  die   einkünfte   auf 
solche   zeiten ,   wo   er  ihnen   über  war.     derartige   kämpfe  spielten  sich  ja 
länger  als  einjh.  ab. 

1  Benen  (Benignus),  Patricks  genösse,  welcher  ja  auch  der  eben  er- 
wähnten neuner-commission  soll  angehört  haben,  gilt  als  der  fingierte 
urheber  der  einzelnen  gedichte  des  Lebor  na  cert. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  59 

Buaid  ar[a]Gallaib  glana       buaid  nailli  araingena. 
Buaid  snama  armacaib  amban      buaid  cogaid  is  buaid  comram 
Buaid  diadaltaib  gonna       imluaid  com  is  comola. 
Buaid  rig  caidchi  inAth  Cliath      buaid  namus  buaid  noglaig  uaid 
30  Buaid  cadusa  inacellaib      buaid  narusa  is  nimchennaig. 
Indult  asatanag  tuaid       niraba  arl  robuaid 
Is  mor  gallacht  agaille      mumallacht  arLoegaire. 
Is  de  nachbia  sith  nanGall      reri  Midi  namorcland 
Etir  Temair  is  Liamain       gandebaid  gach  enbliadain. 
35  Hesiti  senchus  Atha  Cliath       indisim  daib  tarcenn  flach 

Biaid  amlebraib  gubrath  mbras  marata  sutid  isenchas.  Ata. 
'Hier  folgt  eine  hübsche,  feine  geschichte,  die  den  männern 
Irlands  gefällt,  den  guten  vertrag  von  Dublin  werde  ich  nicht 
verhehlen,  wie  ßenen  hinterliefs.  —  als  nordwärts  nach  Tara 
kam  Patrick  des  (dh.  mit)  schönen  gefolges,  da  glaubte  Loegaire 
nicht  dem  apostel  der  Briten  und  ost-Meaths.  —  es  gieng  süd- 
lich gewandt  zum  gelben  Irland  Patrick  der  gute  mann,  bis  er 
kam  zur  bürg  der  glänzenden  fremdlinge  (Nordleute, 
Galt),  zu  helfen  den  stammen  der  söhne  des  Miled.  —  der  nun 
war  könig  in  Dublin  dem  harten ,  als  Patrick  von  norden 
kam ,  nämlich  Ailpin  mac  Aeoil  Fathaig  (Alpin  ,  söhn  des  riesen 
Aeolus?)  vom  geschlecht  des  üomuall  dubdhamach  ('schwarze 
scharen  habend').  —  an  dem  tage,  als  Patrick  des  (von)  Ard- 
macha  mit  den  grofsen  einkünften  uach  Dublin  kam ,  da  trug  ihn 
hinweg  der  siegreiche  tod,  nämlich  den  einzigen  söhn  des 
Alpin,  den  schamhaften.  —  er  wird  zu  Patrick  gebracht,  der  eine 
söhn  des  königs  der  vikinger  (Gall),  der  feurige  Eochaid,  ihn 
(sc.  den  Patrick)  zu  quälen  und  ihn  zu  überlisten:  es  war  ein 
Vorwurf  für  den  apostel.  —  wenn  du  bringst  die  seele  in  ihn, 
o  reiner  und  mächtiger  cleriker,  will  ich  mich  beugen  dir  bei 
Coli  Cenainn,  es  werden  sich  beugen  die  vikinger  (Gaill)  des 
grünen  landes  (dh.  Irlands).  —  dreimal  um  ihn  (den  toten)  gieng 
herum  der  apostel  und  der  oberkönig  (der  vikinger),  und  es 
erhob  sich  zum  leben  der  hübsche  flann-  angehörige,  der  hohe 
Eochaid.  —  darauf  bringt  ihm  das  heer  (die  schar  der  vikinger) 
ein  scrupel  für  (von)  jeden  mann,  eine  unze  gold,  eine  unze 
von  jeder  nase  besonders  und  ein  scrupel  gold  von  jedem  mann.  — 
drei  unzen  waren  auferlegt  dort  zum  tribut  in  den  holen  (häusern) 
der  vikinger,   Dublin  wurde  verheert   dreimal   von    den  Iren  mit 


60  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

den  vikingerschilden.  —  wenn  mir  jedes  jähr  kommen  wird  dieser 
tribut  durch  euch  von  Dunlavin,  werden  die  männer  der  erde 
nicht  im  stände  sein,  eure  bürg  zu  plündern.  —  die  bürg,  in 
welcher  ihr  ungestüm  seid,  werde  ich  trennen  von  dem  schwarzen 
dämon,  es  wird  (euer  feuer)  das  dritte  feuer  sein,  welches  bis 
zum  ende  in  Irland  sein  wird.  —  ich  lasse  auf  ihrer  (der  vikinger) 
ganzen  Stadt  (Dublin)  den  vorzug  (vorrang)  der  frauen  für  ihre 
weiber,  den  vorzug  für  ihre  glänzenden  vikinger,  den  vorrang 
der  Schönheit  für  ihre  mädchen.  —  den  vorrang  im  schwimmen 
für  die  söhne  ihrer  frauen,  den  vorrang  im  kämpf  und  den  vor- 
rang im  streit,  den  vorrang  ihren  ....  palästen,  das  rundgehen 
der  hörner  und  des  zusammen -trinkens.  —  den  vorrang  des 
königs  in  Dublin  für  immer,  den  vorrang  für  die  Söldner  und 
den  vorrang  für  den  ....  krieger,  den  vorrang  der  ehrfurcht 
(frömmigkeit)  in  ihren  kirchen,  den  vorrang  für  wohnsitz  und 
für  handel.  —  die  bürg,  aus  der  ich  vom  norden  kam  (also 
Tara),  nicht  soll  ihr  könig  grofsen  vorrang  haben,  grofs  ist  das 
vikingertum  seiner  vikingerei1:  (nichtsdestoweniger)  mein  fluch 
auf  Loegaire.  —  in  folge  dessen  (dieses  fluches)  wird  nicht  friede 
der  vikinger  (Gall)  mit  dem  könig  von  Meath  der  grofsen  stamme 
sein,  zwischen  Tara  und  Dunlavin  wird  streit  sein  jedes  jähr.  — 
das  ist  die  geschichte  von  Dublin ,  ich  erzähle  sie  euch  für  (wegen) 
lohn  (schulden),  sie  wird  bis  zum  jüngsten  tage  in  büchern  sein, 
wie  sie  hier  gemeldet  wird  in  der  geschichte.' 

Gewis  ein  wunderbares  document,  das  in  jeder  Strophe  die 
ungefähre  zeit  seines  Ursprungs  verrät,  constatieren  wir  zuerst, 
dass  Jocelin,  der  um  1183  aus  allen  erreichbaren  lateinischen 
und  irischen  quellen  seine  Acta  Patricii  schrieb ,  obigen  text  be- 
nutzt hat;  er  schreibt  cap.  lxxi  (Colgan,  Triadis  thaumaturgae 
acta,  Lovanii  1647,  s.  90  ff):  advenit  Patricius  in  urbem  nobilem 
quae  vocatur  Dublinia.  haec  enim  a  Norwagiensibus 
et  insularum  populis  habita,  eisdem  tempore  pacis  ob  neces- 
sariorum  administrationem  a  rege  üibemiae  concessa,  in  favorem 
regis  sub  regina  filia  regis  Norwagice  initiata;  in  posterum  per 
varias  verum  vices  modo  foederata  modo  rebellis  regibus  Hibemiae 
consistit.  adveniens  igitur  SPatricius  ad  hanc,  invenit  eam  spur- 
citiis  idolornm  faeculentam ,  propriique  creatoris  ignaram.    qui  vero 

1  offenbar  ist  mit  gallacht  agaille  ein  Wortspiel  zwischen  Gall  'vikinger' 
und  irisch  gal  'die  tapferkeit'  versucht. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  61 

seras  mortis  et  infemi  dirupit ,  suo  famulo  ad  hanc  facilem  fecit 
ingressum.  nam  rex  et  cives  ita  luctu  erant  dejecti,  uhilatibus  et 
lamentis  occupati,  ut  omnis  memoria  sollt ae  ferocitatis,  barbaricae 
scurrilitatis  omnisque  ülolatriae  fastus  sopiretur;  miserabili  namque 
spectaculo  illa  die  gemina  spes  regni  et  civium  civitatis  deliciae, 
solatia  senum,  sodales  juvenum,  filius  scilicet  regis  Dubli- 
niae  thalamo  fuit  defunctus,  sororque  ejus  germana  studio 
natandi  flumen  vicinum  subiens  medio  gurgite  absorpta  interiit. 
ingens  in  urbe  tumultus  oritur  et  adolescentis  ßlii  regis  neglectis 
exequiis  online  cotifuso  littus  aditur:  pars  non  depositis  vestibus 
flumen  subinlrat,  alia  pars  notabili  agilitate  profunda  aquarum 
penetrat ,  alii  praevcniunt  navigio  curswn  maris ,  ne  forte  praeceps 
in  abyssum  corpus  puellae  regiae  devolvat.  sed  speculatores  viri 
ascensa  navi  et  expanso  aureo  scuto  aspiciunt  in  aqua  puellam 
glareis  inherentem  similemque  dormienti:  passa  moram  nullam 
regia  puella  defertur  a  profundis  aquarum ,  vehitur  thalamo  fratris 
ad  exequias.  sicque  gentilium  superstitione  praeparantur  mau- 
solea.  interea  rumor  fit  in  aula  quod  ille  Patricius 
Ardmach  anus,  qui  in  nomine  ignoti  plures  mortuos  jam  re- 
suscitaverat ,  cemebatur  illa  die  novus  hospes  in  urbe. 
audiens  hoc  rex  gavisus  valde  fecit  eum  venire  quo  duorum 
natorum  pignora  jacuerant.  plenus  jam  fide  fidel em  se  totam- 
que  civitatem  fore  promittit,  si  deus  sancti  viri  pre- 
cibus  natos  ejus  vitae  restitnat.  huic  voto  favent  omnes 
proceres  ac  tota  civitas  ad  fidem  anhelabat ,  si  resurgendi  juvenibus 
facultas  veniat.  videns  igitur  sanctus  animarum  lucra  ibi  esse 
parata,  fusis  precibus  presentibus  rege  et  populo  re- 
gios  adolescentes  vitae  pristinae  reparavit;  qui  coope- 
ratores  fidei  illico  effecti  resurgentes  in  corporibus  animarum  resur- 
rectionem  sunt  cooperati  in  patre  et  populo.  et  rex  qui  dem 
vocabatur  Alphinus,  filius  Eochad,  filia  vero  Dublinia 
quae  civitati  nominis  sui  dedit  vocabulum.  hoc  ergo  miraculo 
stupefacti  rejicientes  idola  cum  ceteris  spurcitiis  daemonum ,  rex 
totusque  suus  populus  conversi  sunt  ad  Christum  et  baptizati  ad 
fontem  Patricii  juxta  civitatem  ad  austrum,  quem  ad  augendam 
credentium  fidem  percutiens  terram  cum  cuspide  baculi  Jesu  fecerat 
ebullire.  unde  et  juxta  eum  victimam  salutarem  sanctus  obtulit, 
ibique  usque  hodie  b.  Patricii  et  successorum  ejus  Ardmachanorum 
primatum  honor   conservatur  et  reverentia.     ex  illa  ergo  die  rex 


62  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

Alpinus  et  omnes  Dubliniae  cives  voverunt  se  et  omnes  posteros  suos 
in  servitum  sancti  Patricii  et  Ardmachanorum  patronatum  sta- 
tuentes  ecclesiam  juxta  prefatum  fontein  et  aliam  mansionem  juxta 
ecclesiam  s.  trinitatis  in  civitate  ad  occidentem  ejnsdem  sedis  archi- 
praesulis.  statuerunt  ergo  reddilum  SPatrkio  suo  patrono  vide- 
licet  de  singulis  navibus  mercimonialibus  cappam  competentem  Ard- 
machano  primati  aut  cadum  mellis  seu  vini  mit  ferri  falcem  seu 
mensuram  salis;  de  singulis  vero  tabernis  medonis  seu  cervisiae 
metretas  singulas;  de  omnibus  etiam  officinis  et  virgultis  excenia 
donumque  conveniens  in  sotularibus ,  chyrothecis ,  cutellis ,  pectinibus 
et  aliis  hujus  modi  rebus,  et  illa  quidem  die  rex  et  alii 
proceres  singula  talenta  obrisi  auri  obtulerunt,  alii 
vero  quod  poterant  offerebant.  quae  omnia  collata  pauper  Christi 
Patricius  pauperibus  er ogavit  parte  retentapro  structuris  ecclesiarum. 
benedixit  ergo  senior  benedictionibus  Jacob  patriarchae  bene- 
dictionibus Moysi  servi  dei,  ejusque  aetate  et  spirituali  ducatu 
gessit  formam,  prophetans  et  precans  eos  invictos  fore 
et  fortunatos,  si  dictis  facta  compensarent,  imbecilles 
vero  et  miseros  eos  redderet  votorum  praevaricatio.  quod  liquido 
fuerat  comprobatum,  quando  superbiens  populus  oblitus  benedictionis 
SPatricii  debitos  reddilus  neglexit  persolvere. 

Dass  das  irische  gedieht  im  Lebor  na  cert  die  gruudlage 
dieser  ausgeschmückten  erzähluug  war,  ist  klar,  im  verlauf 
komme  ich  noch  einmal  darauf  zurück,  suchen  wir  zuerst  die 
zeit  zu  bestimmen,  welcher  die  in  dem  gedieht 
prophezeiten  zustände  entsprechen,  das  ist  ja  das 
characteristische  aller  post  -  Prophezeiungen ,  dass  sie  in  dem, 
was  sie  prophezeien,  gewöhnlich  treue  zeugen  für  die  zeit 
ihrer  entstehung  sind,  dass  sie  aber  in  den  angaben  über 
die  zeit  und  die  umstände,  unter  denen  die  prophezeiung  ent- 
standen sein  soll,  meistens  phantasievolle  erfindung  bieten,  so 
auch  hier:  es  gab  eine  zeit,  wo  in  Dublin  christliche 
vikinger  safsen,  aber  dass  Patrick  sie  bekehrt  habe, 
ist  frommer  trug,  wann  derselbe  in  dem  gläubigen  Irland  zu- 
erst geglaubt  wurde,  das  müssen  wir  näher  zu  bestimmen  suchen. 

Gall,  n.  pl.  Gaill,  ist  in  den  annalen  und  werken  geschicht- 
lichen inhaltes  aus  dem  9  —  1 1  jh.  der  gebräuchliche  name  für 
'vikinger',  neben  dem  selten  Nortmannar,  Danar  vorkommt,  wie 
ich  Zs.  32,  326 ff  anm.  gezeigt,  stammt  Gall  für  'ausländer,  nicht- 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  63 

Ire'  von  den  gallischen  händlern,  die  Irlands  küste  besuchten,  das 
blieb  durch  1500  jähre  die  ofßcielle,  wissenschaftliche  oder  ge- 
lehrte bezeichnung  der  ausländer.1  vom  4  —  7  jh.  bezeichnet  es 
die  nicht -irischen  Völker  Schottlands  und  Nordbritanniens,  vom 
S  — 12  jh.  die  Nordleute  (Norweger,  Dänen)  und  von  ende  des 
12  jhs.  bis  heute  die  Engländer,  wie  aber  meine  Untersuchungen 
gezeigt  haben,  war  im  9  und  10  jh.  die  daneben  gebräuchliche 
volkstümliche  bezeichnung  der  vikinger  panna,  indem  der 
nationale  gegensatz  von  Iren  zu  ausländem  zurücktrat  und  die 
vikinger  als  fiandr  'tapfere  feinde'  gefasst  wurden:  daher  er- 
klären sich  die  rasche  assimilierung  des  wortes  und  seine  be- 
deutungswandelungen.  unser  text  ist  darum  sehr  wichtig,  weil 
er  beide  bezeichnungen  für  die  Dubliner  vikinger  hat:  der 
einzige  söhn  des  königs  der  Gall  (zeile  11),  der  verschämte  (im- 
narach  dh.  jugendliche)  Eochaid  erhebt  sich  zum  leben  und  wird 
hier  bezeichnet  feinnid  älaind  aird  Eochaid i  der  schöne  hohe  Eochaid, 
der  fiatin -angehörige'  (z.  16).  hier  ist  feinnid  gleich  Gall  ver- 
wendet, in  einem  text,  der  echtes  vikingerleben  atmet  und  uns 
ein  nordisches  wort  in  echt  nordischer  bedeutung  bewahrt  hat, 
wie  wir  noch  sehen  werden  (garda  z.  19). 

Die  herschaft  des  christlichen  vikingerkönigs  erstreckte  sich 
über  Dublin  hinaus  nach  Süden  bis  Dunlavin  (z.  21.  34),  denn 
Liamain  ist,  wie  O'Donovan  s.  228  richtig  bemerkt,  gleich  Dun 
Liamna  'bürg  von  Liamain'  und  liegt  im  westlichen  teile  der 
grafschaft  Wicklow  an  der  gränze  von  Kildara.2  diese  christlichen 
vikinger  waren  ganz  wie  in  ihrer  nordischen  heimat  angesiedelt, 
und  das  dafür  gebrauchte  wort  (z.  19)  ist  heimatliche  bezeichnung: 
angardaib  nanGall  'in  den  gardr'6  der  vikinger'.  in  Dublin  hatten 
sie   ein    festes   castell  (dun  z.  6.  22.  23);    ihre  frauen  zeichneten 

1  bei  uns  hat  sich  ja  noch  viel  länger  eine  solche  gemeinbezeich- 
nung  für  alles  fremde  erhalten,  die  auch  nach  den  verschiedenen  Zeiten  und 
orten  verschiedene  Völker  bezeichnet:  wälsch;  vgl.  jetzt  IMiilltnholf,  Deutsche 
altertumskunde  n  279  ff.  im  orient  werden  so  alle  Europäer  'Franken'  ge- 
nannt. 

2  dieselben  gränzen  des  vikingergebiets  von  Dublin  treffen  wir  in 
einem  früheren  abschnitt  des  Labor  na  cert,  oben  s.  57  anm. 

3  altn.  garctr  (%ot.gards,  ags.  geard)  bezeichnet  'espec.  in  Norway, 
Denmark  and  Sweden  a  house  or  building  in  a  ( o  w  n  or  village', 
2.  a  stronghold  (üsgardr,  midgardr  usw.).  es  ist  also  garda  auch 
die  vikingerbezeichnung  für  dun  auf  irischem  boden,  wie  ja  auch  bei  den 
Slaven  (gardar,  .Xovgorod  usw.). 


64  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

sich  aus  und  ihre  töchter  durch  Schönheit  (z.  25. 26),  die  söhne  waren 
tüchtige  Schwimmer  und  hervorragend  in  kämpf  und  streit  (z.  27); 
die  männer  feierten  gelage,  bei  denen  die  trinkhörner  kreisten 
und  zutrinken  herschte  (z.  28).  als  junge  Christen  zeichneten  sie 
sich  in  ihren  kirchen  durch  ehrfürchtige  haltung  aus  (z.  30).  in 
fortwährender  feindschaft  lebten  sie  mit  dem  könige 
von  Meath  (z.  33),  der  zugleich  Irlands  oberkönig 
war(z.  32)1:  kein  jahrvergieng  ohne  einen  kriegs- 
z  u  g  (z.  34).  dies  war  erklärlich :  dreimal  war  dasvikinger- 
Dublin  von  den  Iren  mit  denvikingerschilden!*  ver- 
heert worden  (z.  20)  und  einen  tribut  von  3  unzen 
hatten  sie  auf  jedes  vikingergehöfte  gelegt  (z.  19). 

Suchen  wir  nun  an  der  hand  der  annalen  den  zeitpunct  in 
der  vikingerherschaft  von  Dublin  zu  bestimmen,  auf  welchen 
diese  angaben  passen.  795  erscheinen  Normannen  zuerst  an  der 
küste  von  Leinster,  indem  sie  die  nördlich  von  Dublin  liegende 
insel  Lambay  verbrannten ;  3  jähre  später  verheeren  sie  die  noch 
etwas  weiter  nördlich  liegende  kleine  insel  Inis  Patraic  (Patricks 
island).  von  800  an  sind  vikinger  allenthalben  in  Irland  (819 
plündern  sie  Howth  bei  Dublin  und  die  inseln  des  Wexford 
hafen);  Dublin  erobern  sie  zuerst  836  und  errichten  hier  840 
ein  castell,  von  wo  aus  sie  durch  300  jähre  mit  kurzen  Unter- 
brechungen3 über  weite  districte  Leinsters  herschen ,  zuerst  unter 

1  so  muss  der  fluch,  der  gegen  Loegaire  geschleudert  wird,  gedeutet 
werden;  er  sollte  den  Loegaire  jener  zeit  treffen,  in  der  das  gedieht  ent- 
standen, dh.  den  könig  von  Meath,  der  zugleich  oberkönig  war.  verstanden 
wurde  die  pointe. 

2  oGaidelaib  nangallsciath  kann  entweder  besagen,  dass  die  Iren 
des  oberkönigs  und  königs  von  Meath  vikingersöldner  in  ihrem  heer  hatten, 
wie  es  ja  ganz  gewöhnlich  ist,  dass  sowol  Iren  durch  Iren  verbündet  mit 
vikingern  als  auch  vikinger  durch  vikinger  verbündet  mit  Iren  bekämpft 
werden,  man  lese  die  oben  s.  16  anm.  citierten  stellen  der  irischen  annalen 
nach,  oder  der  ausdruck  will  nur  besagen ,  dass  die  Iren  die  vikingeraus- 
rüstung  (panzer,  heim,  lederschild)  angenommen  hatten,  wie  in  dem 
sagentext  Täin  bo  Cüalnge  die  irischen  helden  ganz  nach  vikingerart  ge- 
rüstet sind,  der  unterschied  wird  besonders  klar,  wenn  man  den  mit  nor- 
dischen dementen  ganz  durchsetzten  text  Trän  bö  Cüalnge  vergleicht  mit 
den  verhältnismäfsig  viel  weniger  beeinflussten  Fled  Bricrend  und  Serglige 
Conculaind. 

3  die  wichtigsten  waren  897.  942.  998.  1014,  wobei  aber  nicht  an  eine 
völlige  Vertreibung  aller  vikinger  aus  ihrem  besiedelten  gebiet  zu  denken 
ist,  sondern  nur  an  Vertreibung  der  herscher  in  Dublin  und  ihrer  kriegsmacht. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  65 

forsten,  die  von  der  heimat  abhängig  waren,  dann  aber  selbständig 
wurden,  weitere  solche  festen  Standorte  waren  Wicklow,  Wex- 
ford,  Waterford1,  Cork,  waren  diese  ursprünglich  nur  Stationen 
zu  plünderungsziigen2  und  zum  festhalten  der  herschaft,  so  wurden 
sie  allmählich  vikingercolonien,die  sich  insland  hinein  erstreckten, 
gelegentlich,  im  jähre  936,  erfahren  wir  den  umfang  der  vikinger- 
herschaft  in  Dublin :  'Donnchad  (der  irische  oberkönig  in  Tara) 
und  Muirchertach  machten  sich  auf  mit  ihren  zahlreichen  ver- 
einten kräften,  um  die  vikinger  von  Dublin  zu  überziehen  (be- 
lagern), und  sie  plünderten  und  verwüsteten  alles,  was  war  unter 
der  herschaft  der  vikinger  von  Dublin  bis  Ath  Truisten'  (coro- 
chrechsat  7  coroindradset  inamböi  fomümus  Gall  ö  Ath  Cliath 
co  Ath  Trusten);  Ath  Truisten  ist  nach  O'Donovan  (Annaleu 
der  vier  meister  a.  936  anm.  p)  'a  ford  on  the  river  Greece, 
near  the  hill  of  Mullaghmast  in  the  south  of  county  Kildare',  was 
ja  vortrefflich  zu  dem  gedieht  im  Lebor  na  cert  stimmt,  da  Duu- 
lavin  an  der  gränze  von  süd-Kildare  liegt,  das  heutige  Svvords, 
9  meilen  nördlich  von  Dublin,  gehörte  nach  den  annalen  1035 
zum  vikingergebiet  von  Dublin,  wann  diese  vikinger  von  Dublin 
zum  Christentum  übertraten,  hält  schwer  nach  irischen  quellen 
genau  zu  bestimmen:  O'Donovan  denkt  an  830  (Annalen  der  vier 
meister  s.  a.  979  anm.  w) ,  Ware  (De  Hibernia  et  antiquilatibus 
ejus,  London  1654,  s.  111.  141)  nimmt  ungefähr  948  an.  sicher 
ist,  dass  sie  979  Christen  waren,  denn  im  Chrouicou  Scotorum 
zum  jähr  978  wie  in  den  Annalen  der  vier  meister  zu  979  wird 
übereinstimmend  gemeldet,  dass  Amlaib  mac  Sitricca  (=  ags. 
Anldf  Syhtrices  sunu),  der  oberkönig  der  vikinger  von  Dublin, 
nach  Jona  (Hl)  pilgerte  und  dort  nach  heiligem  leben  und  bufse 
starb,  er  hat  also  ganz  die  gewohuheit  irischer  könige,  und  da 
sein  Christentum  als  etwas  selbstverständliches  auftritt,  seine 
tochter  den  christlichen  taufuamen  Maelmutre  führt,  so  werden 
wir  annehmen  dürfen,    dass   das   Christentum   schon   geraume 

1  Waterford  hat  ja  einen  nordischen  namen:  Vedrafjiirdr,  während 
es  in  den  irischen  annalen  wie  heute  im  irischen  Port  Lairge  heifst. 

2  in  den  Ulsterannalen  zum  jähre  840,  also  3  jähre  nach  der  ersten 
landung  der  vikinger  in  Dublin,  heifst  es  Long/jorl  uc  JJuioIinn  asrortu 
Laigin  7  oi  Neill  etir  tuatha  7  cealla ,  corice  sliab  Bludma  'ein  festes 
lager  in  Dublin,  von  wo  aus  Leinster  und  das  gebiet  der  O'Neills,  sowol 
die  gegenden  wie  die  kirchen,  verheert  wurden  bis  Slieve  Bloom  Mountains' 
(gränze  von  Kings  und  Oueens  county). 

Z.  F.  D.  A.     XXXV.    N.  F.    XX11I.  5 


66  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

zeit  vor  979  bei  den  Dänen  Dublins  eingang  gefunden  hatte, 
wir  sind  in  der  glücklichen  läge,  aus  englischen  quellen  das 
jähr  genau  feststellen  zu  können.  Amlaib  mac  Sitricca,  von  den 
Iren  gewöhnlich  Amlaib  Cuaran  genannt,  war  seinem  vetter  Am- 
laib mac  Gothfrith  zur  behauptung  der  herschaft  von  Northumber- 
land  zu  hilfe  gezogen  und  hatte  in  der  schlacht  von  Brunanburh 
(937)  gegen  Aethelstan  gefochten,  als  dieser  Anldf,  söhn  des 
Gudfrid,  942  gestorben  war,  riefen  die  Dänen  von  Northumber- 
land  den  Amlaib  mac  Sitricca  zum  herscher  aus  Irland  herbei; 
er  erschien,  besiegte  Eadmund  bei  Tamworth,  wurde  aber  dann 
von  ihm  in  Leicester  (Ligora  ceaster)  eingeschlossen:  beide  Par- 
teien machten  frieden  und  Anldf  Syhtrices  sunu  (=  ir.  Amlaib 
mac  Sitricca)  empfieng  943  die  taufe,  wobei  Eadmund  sein  tauf- 
pate  war  (s.  Earle,  Saxon  chronicles  s.  116.117;  Annales  Win- 
tonienses  s.  a.  942  bei  Liebermann ,  Ungedruckte  anglonorman- 
nische  geschichtsquellen  s.  68;  Todd,  Cogadh  Gaedhel  s.  283  ff), 
indes  verlor  er  schon  945  die  herschaft  in  Northumberland  und 
kehrte  nach  Irland  zurück,  hieraus  erklärt  sich  denn  auch,  dass 
die  irischen  annalen  von  dem  übertritt  Amlaibs  zum  Christentum 
nichts  wissen,  dieser  schritt  macht  sich  aber  bald  in  anderen 
umständen  bemerkbar,  seit  der  ersten  hälfte  des  10  jhs.  erscheint 
das  dänische  vikingerkönigtum  in  Dublin  mehr  und  mehr  wie  ein 
legitimer  irischer  Staat:  bald  sind  sie  mit  dem  Leinsterkönig  gegen 
Meath  verbündet,  bald  liegen  sie  im  streit  mit  dem  Leinsterkönig, 
ganz  wie  zwei  benachbarte  irische  herscher  jener  zeit,  um 
dieselbe  zeit  heiraten  auch  die  vikingerherscher  von  Dublin  frauen 
aus  irischen  familien.  Gormflaith,  die  Schwester  des  Leinster- 
königs  (von  956  —  970  erwähnt)  Murchad  mac  Finn,  war  zuerst 
an  den  oben  schon  genannten  christlichen  vikingerherscher  Am- 
laib, söhn  des  Sitricc,  verheiratet,  dem  sie  zum  wenigsten  einen 
söhn,  den  nachfolger  in  der  vikiugerherschaft,  Sitricc,  söhn  des 
Amlaib  (Sigtryggr  Olafssonr),  und  eine  tochter  Maelmuire  gebar; 
dann  war  sie  mit  Domnall  dem  oberkönig  (956  —  979)  vermählt, 
dem  sie  den  nachfolger  Maelsechlainn  gebar,  der  widerum  Mael- 
muire, des  Amlaib  tochter  heiratete  (s.  Todd,  Cogadh  Gaedhel 
s.  cxlviii  note;  O'Donovan,  Annalen  der  vier  meister  982.  1021. 
1030    noten).     dies    beförderte   natürlich   die  assimilation1;   seit 

1  von  einem  nationalen  gegensatz  ist  keine  rede,  dies  gefühl  war 
den  Iren  in  jener  zeit  ebenso  fremd  wie  im  mittelalter  den  kleinen  deutschen 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  67 

1052  sind  die  vikingerkönige  von  Dublin  durch  solche  heiraten 
irisch:  Echmarach,  Murchad  (1059),  Diarmait  (1072,  ist  Leinster- 
könig  und  künig  der  vikinger  in  Dublin)  usw. 

Auf  welche  zeit  der  vikingerherschaft  in  Dublin  passt  nun 
die  Schilderung  im  Lebor  na  cert?  geht  man  die  annalen  genau 
durch,  so  kann  man  nicht  einen  moment  zweifeln,  dass  nur  die 
jähre  zwischen  988  und  1000  etwa  in  betracht  kommen,  von 
956 — 1001  waren  könige  von  Tara,  oberkönige  von 
Irland,  wie  es  die  prophezeiung  voraussetzt,  Domnall  söhn  des 
Donnchad  (956  —  979)  und  Maelsechlainn  söhn  des  Domnall 
(979  — 1001).  obwol  sie  in  der  oben  erwähnten  weise  mit  dem 
könig  der  vikinger  verwandt  waren,  vergieng  doch  in  der 
ganzen  zeit  kaum  ein  jähr,  in  dem  nicht  der  könig  von 
Tara  vor  Dublin  erschien  oder  die  vikinger,  meist  mit  dem  Leinster- 
könig  verbündet,  in  Meath  einfielen,  die  annalen  weisen  dies  ja 
aus.  drei  eroberungen  Dublins  werden  aus  dieser  zeit 
gemeldet:  979  belagert  Maelsechlainn  mit  Ulsterhilfe  Dublin  3  tage 
und  3  nachte  und  bezwingt  es,  sodass  er  die  'geisein  Irlands', 
die  sich  in  Dublin  befanden,  befreit,  schätze  und  kleinode  davon- 
trägt und  die  O'Neills  vom  Shannon  bis  zur  see  tributfrei  werden; 
989  besiegt  er  die  vikinger  vor  Dublin,  belagert  ihr  castell 
20  nachte,  sodass  sie  nur  Salzwasser  zum  trinken  hatten:  'zuletzt 
gaben  sie  sich  ihm  in  allem  zu  willen  so  lange  er  könig  wäre, 
und  eine  unze  gold  von  ihnen  aus  jedem  geh  oft  (haus) 
(as  gach  garda)  in  jeder  weihnachtsnacht.'  die  Übereinstimmung 
der  worte  uince  öir  gacha  garda  (Chronicon  Scotorum,  Annalen 

dynasten.  auch  die  Schlacht  von  Clontarf  (1014)  ist,  wie  schon  Todd  be- 
merkt, absolut  keine  nationale  tat:  die  annalen  beweisen  jähr  für  jähr,  wie 
Brian  zuerst,  zum  teil  mit  südirischen  vikingern,  die  volle  herschaft  über 
Munster  sich  aneignete,  dann  den  ewigen  streit  zwischen  Maelsechlainn 
könig  von  Meath  und  oberkönig  (979  — 1001)  mit  den  verbündeten  Leinster 
und  Dubliner  vikingerkönigen  benutzte ,  um  mit  hilfe  der  letzteren  die 
würde  des  oberkönigs  zu  erringen,  dann  verbündete  er  sich  mit  dem  unter- 
worfenen Maelsechlainn,  um  die  verbündeten  Leinster  und  Dubliner  vikinger- 
herscher  zu  bekämpfen,  wobei  er  zwar  siegte,  aber  seinen  tod  fand,  die 
folgen  der  Schlacht  von  Clontarf  sind  politisch  gleich  null,  denn  1017  herschen 
die  vikinger  wider  in  Dublin,  alle  diese  kämpfe  sind  stürme  in  einem  glas 
wasser.  man  muss  sich  immer  gegenwärtig  halten ,  um  wie  kleine  Ver- 
hältnisse es  sich  bei  diesen  'königen'  handelt,  auch  die  so  genannten  'könige 
von  Leinster,  Ulster  usw.'  verfügten  meistens  nur  über  ihre  hausmacht,  so 
grofs  wie  Reufs- Greiz  oder  Lichtenstein. 

5* 


08  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

der  vier  meister)  mit  trikuince  forfaccad  toll  dunchüin  an  gardaib 
nan  Gall  (zeile  16)  in  dem  nordischen  lehnwort  garda  ist  be- 
zeichnend. l  natürlich  hielten  die  vikinger  in  Dublin  den  vertrag 
nicht,  sondern  fielen  gleich  im  folgenden  jähr  (990),  mit  Leinster- 
leuten  verbündet,  in  Meath  ein;  992  fielen  sie  wider  in  Meath 
ein  und  plünderten  Ard  Brecain,  Domnach  Patraic  und  Muine 
Brocain;  994  wurde  Domnach  Patraic  in  Meath  aufs  neue  von 
den  vikingern  in  Dublin  geplündert;  da  rückt  Maelsechlainn, 
nachdem  er  Brian  von  Munster  geschlagen ,  heran  und  'der  ring 
des  Tomar  und  das  schwert  des  Carlus  wurde  von  Maelsechlainn 
mit  gewalt  den  vikingern  von  Dublin  genommen.'  das  wäre 
also  die  dritte  reguläre  plünderung  Dublins,  denn  das  familien- 
erbstück  der  vikingerkönige  in  Dublin  (der  ring  des  ahnherrn 
Tomar)  konnte  nur  nach  einer  solchen  in  die  bände  des  königs 
von  Meath  fallen. 

Wir  werden  demnach  die  entstehung  des  gedichtes  über  die 
bekehrung  der  vikinger  Dublins  durch  Patrick  zwischen  994 
und  998  setzen  dürfen2,  wozu  die  spräche  stimmt,  später 
geht  es  nicht  an:  998  wird  Dublin  zum  vierten  mal  erobert 
von  Maelsechlainn ,  1001  wird  Brian  oberkönig,  sodass  die  Pro- 
phezeiung nicht  mehr  zutrifft,  der  zweck  des  gedichtes 
ist  vollkommen  klar.  Armagh  beanspruchte  schon  früh  den 
primat  von  Irland,  nun  wissen  wir  aber  noch  aus  jüngerer  zeit 
als  994,  dass  die  vikingerbischofe  von  Dublin  den 
primat  des  erzbischofs  von  Canterbury  anerkannten. 
Ware  (De  Hibernia  et  antiquit.,  London  1654)  sagt  s.  118  zum 
jähre  1074,  als  er  den  tod  des  Dubliner  vikingerbischofs  Dunan 
gemeldet:  Tumque  Patricius  quidam,  Ostmannus  itidem,  Godredo 
rege  petente  successor  electus  a  Dublinensibus ,   in  Angliam  missus 

1  ich  kenne  das  wort  im  irischen  nur  an  diesen  stellen,  aus  dem  genitiv 
uinge  öir  gacha  garda  Chron.  Scot.  987,  dativ  uince  öir  as  gach  garrda 
Annalen  der  vier  meister  988  ergibt  sich  ein  irisches  garda,  worin  also 
das  auslautende  a  widergabe  des  dorsalen  urnordischen  R  ist  (gariR)  wie 
in  fianna,  fena,  iarla,  gilla,  grunna  usw.  O'Donovans  und  Hennessys 
Übersetzung  'an  ounce  gold  for  every  gar  den'  ist  natürlich  falsch,  da  ir. 
garda  wie  altnorweg.-dän.  garctr  'bauernhof  mit  herschaftshaus  (bürg),  haus 
in  Stadt  oder  dorf  bezeichnet  (vgl.  engl.  yard). 

2  ich  will  daran  erinnern,  dass  ich  s.  11  anm.  gezeigt  habe,  dass  die 
gedächte  des  Lebor  na  cert,  in  die  diese  geschieht*  eingeschoben  ist,  aus 
der  zeit  von  1001  —  1014  stammen  müssen. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  69 

est,  a  Lanfranco  Cantuariensi  archiepiscopo  consecrandus  cum 
epistola  sequente:  Venerando  SCantuariensis  ecclesiae  metropolitano 
Lanfranco,  clerus  et  populus  ecclesiae  Dubliniensis  debitam  sub- 
jectionem.  vestrae  patemitati  est  cognitim,  quod  ecclesia  Dubli- 
niensis, quae  Hibemiae  insulae  metropolis  est,  suo  sit  viduata 
pastore  ac  destituta  rectore.  propterea  elegimus  presbyterum 
nomine  Patricium,  nobis  snfficientissime  cognüum,  natalibus  et 
moribus  nobilem,  apostolica  et  ecclesiastica  disciplina  imbutum, 
fide  catholicum,  in  scripturarum  sensibus  cautum,  in  dogmatibus 
ecclesiasticis  exercitatum ,  quem  nobis  quantocius  petimns  ordi- 
nari  episcopum,  quatenus  authore  deo,  regulariter  nobis  praeesse 
valeat  et  prodesse  et  nos  sub  ejus  regimine  salubriter  militare  pos- 
simus,  quia  integritas  praesidentium  salus  est  subditorum  et  ubi 
est  incolumitas  ibi  est  firma  doctrina.  auch  den  eid,  den  er 
in  ecclesia  SPauli  Londini  ablegt,  teilt  Ware  aao.  mit,  worin  es 
heifst :  Propterea  ego  Patricius  ad  regendam  Dubliniam  metropolim 
Hibemiae  electus  antistes,  tibi,  venerande  pater  Lanfrance  Britan- 
niarum  primas  et  sanctae  Doroborniensis  ecclesiae  archiepiscope, 
professionis  meae  chartam  porrigo ,  meque  tibi  tuisque  successo- 
ribus  in  omnibus  quae  ad  christianam  religionem  pertinent  obtem- 
peraturum  esse  promitto.  als  dieser  Patricius  am  10  october  1084 
in  der  irischen  see  ertrunken  ist,  wird  sein  nachl'olger  ebenfalls 
in  Canterbury  geweiht  (Ware  s.  119),  und  so  noch  mehrere.  — 
dass  100  jähre  früher  die  christlichen  vikiuger  von  Dublin  sich 
der  Jurisdiction  von  Canterbury  und  nicht  der  von  Armagh  unter- 
stellten,  ist  natürlich;  hatte  doch  Olaf  Cuarau  (das  ist  Amlaib 
mac  Sitricca),  der  erste  christliche  Dänenherscher  in  Dublin, 
als  könig  von  Northumberland  im  jähre  943  von  Wulfhelm ,  erz- 
bischof  von  Canterbury,  die  taufe  erhalten,  wie  wir  s.  66  sahen. 
Die  geschichte  von  der  bekehrung  der  vikinger  (Gall,  Fennid) 
Dublins  durch  Patrick  ist  nach  dem  satze  cui  bono  eine  auf 
Armagh  zurückgehende  erfindung,  ausgeheckt,  um  die  ansprüche 
des  primas  von  Irland  auf  Dublin  zu  unterstützen,  viel  älter 
als  unser  text  wird  die  erfindung  kaum  sein ;  denn  wenn  man 
auch  annehmen  will,  dass  die  anfange  des  Christentums  unter 
den  Dänenvikingern  Dublins  in  den  auläng  des  10  jhs.  zurück- 
gehen, so  bleibt  doch  die  tatsache  bestehen,  dass  der  erste 
christliche  Dänenherscher  in  Dublin  Olaf  Cuaran  erst  980 
starb,     da  er  nun  943  vom  erzbischof  von  Canterbury  die  taufe 


70  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

erhalten  hatte,  so  konnte  man  bei  seinen  lebzeiten  doch  kaum 
die  erfindung  aufbringen,  dass  Patrick  die  vikinger  Dublins  be- 
kehrt habe,  selbst  in  dem  leichtgläubigen  Irland  hätte  schwerlich 
eine  solche  erzählung  vor  Olaf  Cuarans  tode  glauben  gefunden.1 
Patrick  tritt  in  dem  gedieht  direct  als  advocat  des  primas  von 
Armagh  auf:  er  heifst  (z.  9)  Patraic  Macha  na  möirfiach  'P.  des 
Armagh  mit  den  grofsen  einkünften';  er  offeriert  (z.  21.  22)  'wenn 
mir  jedes  jähr  kommen  wird  dieser  tribut  eurerseits  von  Dun- 
lavin,  werden  die  männer  der  erde  nicht  im  stände  sein,  eure 
bürg  zu  plündern.'  der  erzbischof  von  Armagh  tritt  im  9.  10 
und  11  jh.  in  den  annalen  des  öfteren  als  friedensstifter  zwischen 
irischen  forsten  auf  (vgl.  zb.  Ulsterannalen  858):  sollte  nach  994 
von  Armagh  den  vikingerkönigen  das  anerbieten  gemacht  worden 
sein,  dass,  wenn  sie  den  989  von  Maelsechlainn  auferlegten 
tribut  an  Armagh  zahlen  würden,  der  primas  seinen  einfluss  auf 
Maelsechlainn  einsetzen  wolle  zu  einem  frieden  und  zu  dauernder 
ruhe?  jedesfalls  zogen  die  vikinger  Dublins  in  den  kämpfen  mit 
Maelsechlainn  meistens  den  kürzeren,  sie  hatten  also  gröfseren 
vorteil  vom  frieden.  Armagh  wäre  der  tertius  gaudens  gewesen, 
dass  die  anerkennung  des  primats  von  Armagh  durch  die  christ- 
lichen vikinger  Dublins  einen  klingendeu  erfolg  für  Armagh  ge- 
habt hätte,  ist  klar:  der  sitz  von  Armagh  hatte  seinen  equonimus  — 
so  schreiben  die  Ulsterannalen  statt  oeconomus  —  für  verschiedene 
teile  Irlands  (s.  Annais  of  Ulster  813.  837.  868.  887.  893.  908. 
921.928),  meistens  einen  abt  der  betreffenden  gegend,  der 
bischof  verschmähte  es  auch  selbst  nicht,  die  kühe  zusammen- 
zutreiben (a.  972.  1050).  die  worte  z.  31.  32  können  daher  sehr 
wol  im  munde  eines  Unterhändlers  des  bischofs  von  Armagh  ge- 
dacht werden,    lehrreich  ist  auch  Jocelin:   um  1183  war  es  mit 

1  ein  vikingerkönig  in  Dublin  namens  Ailpin  mit  einem  söhne 
Eochaid  hat  nie  existiert,  aber  wunderbar:  um  834,  also  in  der  zeit, 
in  der  die  vikinger  in  Dublin  erscheinen,  lebt  ein  Schottenkönig  Alpin 
(s.  Skene,  Geltic  Scotland  i  306);  der  söhn  dieses  Alpin  ist  Domnall  mae 
Ailpin,  Pictenkönig  860  —  864  (s.  Skene  i  322  ff),  es  scheint  also  in  unserem 
gedieht  mit  bewustsein  dies  benutzt  zu  sein,  aber  dazu  geflunkert:  Ailpin 
ist  'söhn  des  riesen  Aeolus'  und  gehört  zum  geschlecht  Domnalls  'mit  der 
schwarzen  schar',  wol  mit  anspielung  auf  die  meerfahrten  der  vikinger  und 
darauf,  dass  die  Dänen  dubgenti  'schwarze  heiden'  genannt  werden,  der 
zuerst  bei  den  Iren  Schottlands  auftretende  name  Alpin  ist  unstreitig  ein 
ags.  Alfwine. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  71 

der  vikingerherschaft  iü  Dublin  zu  ende,  und  da  ist  er  sofort  bei 
der  band,  die  lügen  gestrafte  prophezeiung  des  gedientes  dadurch 
zu  erklären,  dass  superbiens  populus  oblitus  benediltionis  SPatricü 
debitos  redditus  neglexit  persolvere.  dass  Jocelin  es 
1183  wagte,  den  Untergang  des  vikingerstaates  in  Dublin  so  zu 
erklären,  ist  die  kröne  der  Unverschämtheit:  1121  liefs  sich  der 
vikiugerbischof  von  Dublin  noch  vom  erzbischof  von  Canterbury 
consecrieren;  1140  der  Limmericker  vikingerbischof  desgleichen; 
erst  1162  liefs  sich  der  erste  Dubliner  bischof  vom 
erzbischof  vonArmagh  consecrieren  (Ware,  De  Hibernia 
et  antiquitatibus  ejus  s.  123).  wollte  man  also  den  grundsatz 
post  hoc  propter  hoc  anwenden ,  dann  müste  man  in  directem 
gegensatz  zu  Jocelin  behaupten:  weil  die  vikinger  sich  Armagh 
unterwarfen,  erreichte  sie  10  jähre  später  die  strafende  hand.1 
Jocelins  abweichungen  von  dem  gedieht  sind  alle  verständlich: 
aus  z.  27  hat  er  die  beim  schwimmen  umgekommene  königs- 
tochter  erfunden  und  ihr  einen  namen  nach  Dublin  gegeben; 
die  unterdessen  in  Dublin  erbaute  Patricks  cathedrale  wurde 
natürlich  hinzugefügt;  die  gränzenlose  habsucht  des  Armagher 
Stuhles  tritt  bei  ihm  viel  schroffer  noch  hervor,  als  in  dem 
gedieht. 

Es  steht  also  nach  den  vorausgegangenen  erörteruugen  fest, 
dass  man  ende  des  lOjhs.  in  Irland  glaubte  oder 
glauben  zumachen  suchte,  Patrick  habe  die  vikinger 
(tuatha  Gull  oder  tuatha  FeneJ  Dublins  zum  Christentum 
bekehrt,  und  dass  Armagh,  der  erzbischöfliche  sitz, 
wenn  er  diese  mär   nicht   direct  erfunden  hat2,   so   doch   ein 

1  Jocelins  im  auftrage  des  erzbischofs  von  Armagh  geschriebene  Vita 
saneti  Patricii  ist  wol  das  stärkste,  was  die  katholische  kirche  des  mittel- 
altere in  Verunstaltung  des  Christentums,  Verdrehung  geschichtlicher  tat- 
sachen  und  beleidigung  des  gesunden  menschenverstandes  sich  geleistet  hat. 
die  Bollandisten  befinden  sich  gegenüber  den  unverschämten  lügen  der  im 
auftrage  des  primas  von  Irland  geschriebenen  Vita  Patricii  in  sichtlicher  Ver- 
legenheit und  helfen  sich  nach  der  maxime ,  dass  man  die  kleinen  diebe 
aufhängt  und  die  grofsen  laufen  lässt.  sie  lassen  also  capitel,  wie  das 
oben  gegebene  71,  in  Jocelins  Vita  einfach  weg  und  verweisen  auf  Colgan 
(s.  Acta  sanetorum  m.  mart.  n  s.  556  anm.  a),  aber  die  grofsartige,  vom 
8  — 10  jh.  lawinenartig  anwachsende  erfindung,  dass  der  Beda  total  un- 
bekannte (735)  Patrick  Irland  christianisiert  und  den  priiiiat  von  Armagh 
gegründet  habe,  wird  gläubig  hingenommen. 

2  Jocelin,  der  ja  alles  auf  Palrick  bezügliche  Armagher  material  com- 


72  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

interesse daran  hatte,  diesen  glauben  zu  verbreiten 
zur  stütze  seiner  ansprüche  auf  den  primat  auch  über  die 
vikingerchristen  in  Dublin,  damit  sind  denn  auch  die  beiden 
anderen  texte  Fiaccs  hymnus  40  und  LU  117b,  20  — 118b,  44 
(oben  s.  54  —  57)  vollkommen  klar,  die  älteste  Überlieferung 
der  hymnen  in  irischer  spräche  bilden  2  hss.  des  ausgehenden 
11  oder  wahrscheinlicher  des  beginnenden  12  jhs.  das  alter  der 
einzelnen  documente  muss  also  aus  inneren  indicien  bestimmt 
werden,  hier  liegt  nun  hinsichtlich  des  hymnus  auf  Patrick 
die  sache  so:  er  enthält  dinge  oder  auch  nicht,  die  ihn  älter 
erscheinen  lassen  als  die  ältesten  mitteilungen  im  Book  of  Armagh 
(geschrieben  in  erster  hälfte  des  9  jhs.);  andererseits  enthält  er 
angaben  und  fabeleien ,  die  entschieden  viel  jünger  sind  als  diese 
mitteilungen,   darunter  nicht  weniges   zur  stärkeren   stütze   der 

pilierte,  hat  uns  auch  noch  die  ältere  form  der  erzählung,  aus  der  erst 
die  geschichte  von  der  vikingerbekehrung  in  Dublin  ende  des  10  jhs.  heraus- 
gearbeitet wurde,  erhalten,  er  meldet  nämlich  nur  2  capitel  vor  dem  bericht 
über  die  vikingerbekehrung  (Colgan,  Triadis  thaum.  acta  s.  90  cap.  lxix): 
Discedens  Patricius  de  Midiae  finibus  versus  Lageniam  evangelizandi 
gratia  dirigebat  gressus.  cumque  iter  agens  devenisset  Irans  flumen 
Finglas  nomine  ad  quendam  collem  qui  a  pago  Ath  Cliath  qui  modo 
dicitur  Dublinia  uno  ferme  militari  distal;  considerans  locum  et  circum- 
jacentia  ejus  et  benedicens  in  hanc  fertur  prophetando  prorupisse  vocem: 
pagus  iste ,  nunc  exiguus,  eximius  erit,  divitiis  et  dignitate  dilatabitur 
nee  crescere  cessabil,  donec  in  regni  solium  sublimetur.  post  p aululum 
praefatam  intravit  vi  11  am  ejusque  habitatores  auditis  signis, 
quae  fecerat  dominus  in  manu  illius,  cum  gaudio  processerunt 
ei  obviam:  domini  vero  loci  illius  filius  unicus  laborabat 
in  extremis,  ita  ut  jam  expirasse  diceretur  a  multis. 
sanetus  autem  rogatu  patris  et  caeterorum  aecurrentium 
ad  aegroti  lectum  accessit,  genua  in  terram  fixit,  preces 
fudit,  seminecem  benedixit,  ereptumque  de  faueibus  mortis 
mox  in  oculis  omnium  sanum  exhibuit.  homines  autem  vi- 
dentes  hoc  signum  in  au  ctorem  vitae  crediderunt  et  in  ejus 
nomine  a  saneto  pontifice  6  aptizati  sunt. 

Wir  haben  also  3  stufen  erhalten:  1)  das  8  —  9  jh.  erfand,  dass  Patrick 
den  söhn  des  herren  (dominus)  von  Ath  Cliath  vom  tode  erweckt  habe 
und  dass  die  bewohner  des  ortes  dadurch  an  gott  glaubten  (Jocelin  cap.  69). 
2)  das  ausgehende  10  jh.  gestaltete  diese  geschichte  im  interesse  Armaghs 
um,  machte  den  dominus  loci  zu  dem  vikingerkönig  Alpin,  erfand  einen 
namen  für  den  söhn  und  liefs  die  vikinger  Dublins  (Ath  Cliath)  von  Patrick 
bekehrt  werden  (Lebor  na  cert).  3)  Jocelin  arbeitete  diese  erzählung  weiter 
um,  erfand  eine  tochter  Dublinia  und  anderes  dazu  (cap.  71).  harmlos 
nahm  er  stufe  1  und  3  in  seine  compilation  auf. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  73 

aosprüche  Armaghs  auf  den  primat.  ich  habe  daher  Kelt.  Studien 
heft  ii  s.  160 — 1841  angenommen,  dass  ein  älterer  kürzerer 
hymnus  im  10  jh.  interpoliert  worden  sei,  und  habe  damals  aus 
sprachlichen  gründen  und  solchen  der  composition  die  lang- 
zeilen  37  —  40  der  Interpolation  zugewiesen,  das  geschah,  ohne 
dass  ich  an  den  worten  dothualhaib  Fem  anstofs  nahm ,  da  ich 
damals  den  Ariadnefaden  für  Irlands  sage  und  geschichte  vom 
9  jh.  an  noch  nicht  gefunden  hatte  und  mit  allen  anderen  'den 
fenischen  heiden'  übersetzte,  ohne  mir  etwas  klares  dabei  zu 
denken.  Thurneysen  hat  Revue  celt.  vi  326  ff  dagegen  die  an- 
sieht verfochten,  dass  der  ganze  hymnus  jünger  sei.  wie  man 
sich  auch  dazu  stellen  mag2,  das  alter  von  zeile  40  ist  fest- 
gelegt: sie  setzt  die  fabel  von  der  bekehrung  der  vikinger  (fiann) 
durch  Patrick  voraus ,  kann  also  frühestens  im  vorletzten  Jahr- 
zehnt des  10  jhs.  entstanden  sein,  in  zeile  35.  36  war  erzählt 
worden,  dass  Patrick  die  Iren  (do  Scotaib)  bekehrt  habe;  hier 
schloss  sich  37  —  40  dann  die  bekehrung  der  vikinger  (tuatha 
Fene)*  an:  wunderbar  ist  nur,  dass  man  nicht  eher  sich  fragte, 
was  hiermit  gemeint  sei ,  da  doch  in  den  umfangreichen  angaben 
über  Patricks  leben  und  lehrtätigkeit  im  Book  of  Armagh  nichts 
derartiges  steht,  und  auch  an  die  Fenier  der  Finnsage  späterer 
zeit  nicht  gedacht  werden  kann. 

Was  nun  das  andere  denkmal  LU  117b,20 — 118b,44  (s.  oben 
s.  55  —  57)  anlangt,  so  ist  die  älteste  Überlieferung  eben  diese 
hs.  aus  dem  ende  des  11  jhs.  dass  uns  in  diesem  denkmal  mit 
der  spräche  des  10 — 11  jhs.  ein  authentischer  bericht  über 

1  1884,  zu  einer  zeit,  wo  ich  von  den  ergebnissen  dieser  Untersuchung 
nichts  ahnen  konnte,  wo  mir  aber  unbewust  immer  die  Überzeugung  schon 
vorschwebte,  dass  den  vielen  neuen  nachrichten  über  Patrick,  die  im  10  jh. 
gegenüber  älteren  auftauchen,  ein  bestimmter  zweck  zu  gründe  liege 
(vgl.  Kelt.  stud.  ii  197.198):  die  ansprüche  Armaghs  auf  den  primat  von 
Irland  zu  unterstützen. 

2  wenn  auch  Thurneysen  aao.  einiges  der  beachtung  werte  vorgebracht 
hat,  widerlegt  hat  er  die  ansieht  nicht,  dass  Fiaccs  hymnus  auf 
interpolation  eines  kürzeren  älteren  gedichtes  beruhe,  obwol  ich  dessen 
alter  nicht  mehr  so  hoch  hinaufrücke  wie  früher. 

3  wie  hier  do  thuathaib  Fcne  'den  vikingern',  so  heifst  es  im 
Lebor  na  cert  bei  aufzählung  der  tribute  des  Leinsterkönigs:  '700  ochsen, 
700  widder'  usw.  ö  thuathaib  Gall  'von  den  vikingern'  (Book  of  Bally- 
mote  279a,  28),  wofür  einige  zeilen  vorher  in  der  prosa  gesagt  war  o  Gal- 
laib (Book  of  Ballymote  279«,  6). 


74  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

ein  ereignis  aus  Patricks  zeit  vorliege ,  ist  wenig  wahrscheinlich, 
dazu  kommt,  dass  von  der  ganzen  erzählung  und  der 
wichtigen  neuordnuug  irischer  Verhältnisse  unter 
vorsitz  Patricks  in  den  umfangreichen  documenten 
über  Patrick  aus  der  ersten  hälfte  des  9jhs.  (Book  of 
Armagh)  nichts  bekannt  ist.  auch  die  vorausgesetzte  völlige 
Unterwerfung  und  bekehrung  Loegaires  widerspricht  den  ältesten 
nachrichten.  das  früheste  zeugnis  für  die  neuner-commission 
kann  man  in  einem  artikel  von  Cormacs  glossar  s.  v.  noes  sehen 
(Sanas  Cormaic  s.  31):  er  würde  also  für  anfang  des  10  jhs. 
zeugen ,  wenn  wir  sicher  wüsten ,  dass  er  der  ursprünglichen 
Sammlung  angehört  hat;  da  aber  das  glossar  erst  —  abgesehen 
von  einem  bruchstück  in  LL  —  in  hss.  des  14  jhs.  vorliegt  und 
nachweislich  vielfach  einschub  erfahren  hat,  so  gewinnen  wir 
keinen  sicheren  anhält  hieraus,  bemerkenswert  ist  auch,  dass 
Rus  mac  Tricim  sui  berla  feni  'Ross  Tryggvasonr  kundig  der 
vikingersprache'  (LU  118b,  1)  in  den  alten  quellen  aus  dem  anfang 
des  9  jhs.  nicht  vorkommt,  sondern  erst  in  der  aus  dem 
15  jh.  überlieferten  homilie  über  Patrick  (L.  Brecc  26b,  38).  ich 
habe  nun  schon  oben  s.  57  hervorgehoben,  dass  der  parallelismus 
verlangt,  dass  Rus  mac  Tricim  sui  berla  feni  als  Vertreter  der 
neben  kirche,  fürsten  und  litteraten  noch  genannten  vierten 
gruppe  privilegierter  (athgabüil  donafennethaib)  gefasst  werden 
muss,  und  dass  man  nicht  gedankenlos  an  erster  stelle  'feuian 
tongue'  und  an  zweiter  'warrior'  übersetzen  darf,  ohne  sich 
etwas  weiteres  dabei  zu  denken,  der  Schreiber  des  denkmals 
hatte  concrete  Verhältnisse  im  äuge,  und  da  derartige,  wie  sie 
ihm  vorschwebten,  zu  Patricks  zeit  nicht  existierten  nach  den 
ältesten  Urkunden  über  ihn ,  so  müssen  es  spätere  sein ,  die  er 
in  die  zeit  versetzt :  waren  die  vikinger  von  Patrick  zum  Christen- 
tum bekehrt  worden,  wie  man  am  ende  des  10  jhs.  glauben  zu 
machen  suchte,  dann  musten  sie  auch  bei  neuordnung  der  Ver- 
hältnisse hinzugezogen  werden,  diese  fiction  liegt  dem  denkmal 
in  LU  zu  gründe:  Rus  Tryggvasonr,  kundig  der  spräche  der 
fianna,  ist  ihr  Vertreter  und  das  privileg,  das  man  den  fennethaib* 
'den  angehörigen  der  fiann'  bewilligt,  ist  characteristisch  für  die 
vikinger.     es   handelt  sich  ja  weniger  um  Privilegien  und  vor- 

1  bei  do  fennethaib   denke   man  daran,   dass  der  söhn  des  vikinger- 
königs  von  Dublin  feinnid  genannt  wird  (oben  s.  63). 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  75 

rechte  als  um  factische  merkmale  oder  characteristik  der 
verschiedenen  gruppen  (s.  s.56):  das  den  fennethaib  zugesprochene 
characteristische  ist  athgabäil  'sie  legen  auf  alles  beschlag'.  ich 
denke,  das  hätten  die  Iren  an  den  vikiugern  des  9  und  lOjhs. 
nur  zu  oft  erprobt. 

Fassen  wir  nun  die  ergebnisse  der  Untersuchung  von  s.  52 
bis  hierher   zusammen  und  betrachten   noch  einige  folgerungen. 

Für  die  irische  kirchengeschichte  ergibt  sich,  dass  in  den 
3  texten  bewuste  fälschungen  vorliegen,  die  von  Ar- 
magh  ausgehen,  um  die  ansprüche  auf  den  primat 
Irlands,  speciell  über  die  christlich  gewordenen 
vikinger,  zu  unterstützen,  von  einem  primat  Armaghs 
in  Irland  kann  bis  in  die  erste  hälfte  des  8  jhs.  überhaupt  keine 
rede  sein:  Beda  nennt  nicht  einmal  Patricks  namen  und  weifs 
von  tiefgreifenden  unterschieden  (tonsur,  osterberechnung)  zwi- 
schen nord-  und  süd-lrland,  die  erst  in  seinerzeit  ausgeglichen 
wurden  (s.  Kelt.  stud.  n  196  — 198).  mit  diesem  ausgleich  und 
der  endgiltigen  Unterwerfung  nord- Irlands  unter  Rom  (701  resp. 
716,  Bedavl5.22)  geht  hand  in  hand  Armaghs  anspruch 
auf  den  primat.  war  dies  der  kaufpreis,  den  Rom  zahlte? 
die  höchst  wichtigen  Ulsterannalen  melden  zu  733  Commotatio 
martirum  Petir  ocus  Phoil  ocus  Patraic  ad  legem  perficien- 
dam  und  schon  736  lex  Patricii  tenuit  Hibemiam. 
dies  wird  wol  nur  bedeuten,  dass  eine  so  genannte  lex  Patricii, 
die  neben  anderem  auch  die  ansprüche  Armaghs  auf  den  primat 
und  sein  recht  auf  erhebung  von  kirchensteuern  enthielt,  pro- 
clamiert  wurde;  eingang  fand  sie  so  bald  noch  nicht,  namentlich 
in  süd-Irlaud,  wo  Cashel,  der  sitz  Ailbes,  metropole  war.  766 
steht  lex  Patricii;  7S2  Forus  Cana  Patricii  hiCruachnib  la  Dub- 
daleithe  7  la  Tipraiti  filium  Taidgg  'bekanntmachuug  der  lex 
Patricii  in  Cruachan  (hauptstadt  von  Connacht)  durch  Dubdalethe 
(erzbischof  von  Armagh!)  und  Tipraite,  söhn  des  Tadg'  (künig  von 
Connacht).  dieser  act  wird  wol  nicht  viel  erfolg  gehabt  haben, 
denn  798  heifst  es  lex  Patricii  for  Connachta  la  Gormgal  mac 
Dindataig  'lex  Patricii  über  Connacht  durch  Gormgal,  söhn  des 
Dindalach'  (abt  von  Armagh!).  805  lex  Patricii  la  hAed  mac  Neiü 
'lex  Patricii  durch  Aed ,  söhn  des  Niall'  (oberkönig  von  Irland, 
anerkannt?).  810  Nuada  abbas  Ard  Machae  migravit  cu  Con- 
nachta (nach  Connacht)  cum  lege  Patricii  et  cum  armario  ejus;  das 


76  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

jähr  811  meldet  Nuadas  tod  und  812  hat  wider  die  notiz  lex  Dar ii 
for  Connachtu  (über  Connacht),  813  lex  Quiarani  for  Cruachna 
elevata  est  la  Muirgius  (könig  von  Connacht).  vollständig  drangen 
Armaghs  ansprüche  erst  durch,  als  der  820  könig  und  bischof  von 
Cashel  gewordene  Fedlimid  im  jähre  822  sich  beugte:  lex  Patricii 
for  Mumain  la  Feidlimthe  mac  Cremthain  et  la  hArtrig  mac  Con- 
cobair  'lex  Patricii  wurde  in  Munster  eingeführt  durch  Feidlimid 
mac  Crimthain  und  Artri  mac  Conchobair'  (bischof  von  Armagh). 
nun  folgte  auch  Connacht  nach :  824  lex  Patricii  for  teora  Connachta 
la  Artri g  mac  Concobair  'lex  Patricii  wurde  in  den  3  Connachts  ein- 
geführt durch  Artri  mac  Conchobair'  (bischof  von  Armagh),  aber  825 
heifst  es  wider:  lex  Dari  co  Connacta  iterum.  834  wurde  in  folge 
innerer  Streitigkeiten  der  nachfolger  Artris  im  primat,  Diarmait, 
abgesetzt  und  Forinnan  trat  an  seine  stelle;  835  zieht  nun  Feidli- 
mid von  Cashel  dem  Diarmait  als  rechtmäfsigem  nachfolger  Patricks 
zur  hilfe  und  nimmt  den  Forinnan  gefangen;  in  demselben  jähr 
heifst  es  Dermait  dodnl  co  Connacta  cum  lege  et  vexillis  Patricii 
'Diarmait  gieng  nach  Connacht'  usw.  838  tritt  wider  Diarmait 
an  Forinnans  stelle  in  Armagh. 

Wir  können  also  sagen,  dass  nach  100 jährigem  zähem  fest- 
halten der  primat  Armaghs  und  was  damit  zusammeuhieng  um 
840  feststand,  als  nun  weitere  100  jähre  später  die  vikinger 
von  Dublin  mit  ihrem  gebiet  nach  und  nach  zum  Christentum 
übertraten,  da  war  es  natürlich,  dass  Armagh  seine  ansprüche 
auf  sie  ausdehnte,  da  der  erste  christliche  vikingerkönig  Du- 
blins als  gleichzeitiger  herscher  des  Dänenstaates  von  Northum- 
berland  (Anlaf  Syhtrices  sunu  =  Amlaib  mac  Sitricca)  943  vom 
erzbischof  von  Canterbury  die  taufe  empfangen  hatte  (s.  s.  66), 
so  wird  er  sich  auch  mit  den  Dänenchristen  Irlands  dem  primas 
von  England  unterstellt  haben :  ein  Verhältnis,  das  bis  ins  12  jh. 
hinein  bestehen  blieb,  wie  wir  (s.  68  ff)  sahen,  zur  Unterstützung 
der  ansprüche  Armaghs  wurde  am  ausgang  des  lOjhs.  in  Armagh 
eine  litterarische  tätigkeit  gepflegt  im  geiste  der  mitte  des 
9jhs.  im  Frankenreich  erschienenen  pseudo-isidorischendekretalen. 
dieser  tätigkeit  verdanken  die  3  denkmäler  (Fiaccs  hymnus,  LU 
117b,  20  —  118b,  44,  und  der  anhang  im  Lebor  na  cert)  in  der 
form,  wie  sie  auf  uns  gekommen  sind,  ihr  dasein.1     sie  wollen 

1  die  litterarische  tätigkeit  Armaghs  am  ende  des  lOjhs.  zur  Unter- 
stützung der  ansprüche   auf  den   primat   über  die   normannischen   kirchen 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  77 

den  vikingern  zeigen,  dass  die  ansprüche  Armaghs  alt  und  be- 
rechtigt sind. 

Die   erfinduog    des    10  jhs.,    dass    Patrick    die  vikiuger    in 

Irlands  hat  eine  schlagende  parallele  in  einer  etwa  200  jähre  älteren 
litterarischen  tätigkeit:  im  sogenannten  Book  of  Armagh  haben  wir 
eine  ganze  reihe  verschiedenartiger  auf  Patrick  und  Armaghs 
Stellung  bezüglicher  documente.  von  diesen  documenten  ist  wol 
kaum  eins  so  alt  wie  Beda,  und  doch  sind  mehrere  absichtlich  vordatiert, 
zwischen  den  pauca  de  sancti  Patricii  peritia  et  virtutibus,  welche 
Muircha  maccu  Macktheni  dictante  Aeduo  Slebtensis  civitatis  episcopo 
conscripsit  (fol.  2a,  1 — 8b),  und  den  notizen,  welche  angeblich  Tirechän 
episcopus  scripsit  ex  ore  vel  libro  Lltani  episcopi  cujus  ipse  alumnus  vel 
discipulus  fuit  (fol.  9a.  2  —  16a,  1)  stehen  stücke,  welche  die  zeit  ihres 
Ursprungs  deutlich  an  der  stirne  tragen,  hier  wird  zuerst  Patricks 
reise  nach  Rom  und  sein  aufenthalt  daselbst  erwähnt,  wenn  man  an  die 
Hartnäckigkeit  denkt,  mit  der  die  nordirische  kirche  sich  den  f  orderungen 
Roms  in  bezug  auf  osterfeier  und  tonsur  widersetzte  bis  zum  ende  des 
7  jhs.;  wenn  man  erwägt,  dass  Adamnän  701  speciell  nach  nord-Irland 
kommen  muste,  um  durch  zureden  die  forderung  durchzuführen,  und  dass 
Adamnäns  eigene  mönche  in  Hi  erst  715  Rom  nachgaben  (Beda  m  26. 
w  15.22),  dann  ist  klar,  dass  die  notizen  auf  fol.  9a,  1  nicht  vor 
der  ersten  hälfte  des  8  jhs.  können  entstanden  sein,  wir 
können  sie  sogar  noch  näher  bestimmen,  auf  fol.  9a,  1  wird  von  einem 
Feradach,  den  Patrick  bekehrte,  gesagt:  Et  exivit  cum  Patricio  ad 
legendum  trigenta  annis  et  ordinavit  illum  in  urbe  Roma  et  dedit  Uli 
nomen  novum  Sachellum  et  scripsit  Uli  librum  psalmorum,  quem  vidi  et 
portavil  ab  illo  partem  de  reliquiis  Petri  et  Pauli,  Lau- 
renlii  et  Stefani  quae  sunt  i ?i  Mac/ii.  zum  jähre  733  melden  die 
Ulsterannalen  Commotalio  martirum  Pelir  ocus  Phoil  ocus  Palraic  ad 
legem  perficiendam!  und  dann  736  lex  Patricii  tenuit  Hiberniam.  dass 
aber  noch  100  jähre  vergiengen,  ehe  diese  ansprüche  durchdrangen,  haben 
wir  oben  gesehen,  zu  ihrer  Unterstützung  ist  erfunden,  was  9a,  1  auf  die 
eben  citierten  worte  folgt:  Caetiacus  et  Sachalins  ordinabant  episcopos, 
presbiteros,  diaconos,  clericos  sine  consilio  Patricii  in  campo 
AU.  et  accusavit  illos  Patricias  et  mittens  aepistolas  Ulis  exivrunt  ad 
poenitentiam  ductl  ad  Arddmachae  ad  Palricium  et  fecerunt  poenitentiam 
monachorum  duo  pueri  Patricii  prumpti.  wenn  man  bedenkt,  dass  nach 
dem  ausdrücklichen  zeugnis  der  Ulsterannalen  Connacht  von 
782  —  830  gegen  den  primat  A  rmaghs  ankämpft,  dann  ist  zweck 
und  ungefähre  zeit  obiger  erfindung  klar:  in  Mag  Ai  (campus  AU)  liegt 
die  Hauptstadt  Connachts  Cruackan,  wo  732  zuerst  die  lex  Patricii 
eingeführt  wurde  (s.  oben).  —  das  fol.  9a,  2  — 16%  1  folgende  denkmal  er- 
hebt den  anspruch,  ex  ore  vel  libro  des  656  gestorbenen  Ultün  nieder- 
geschrieben zu  sein,  nun,  dies  denkmal  enthält  ein  so  offen- 
kundiges zeugnis  für  längeren  aufenthalt  der  vikinger  in 
Irland    (s.  s.  53  note),  dass   es  in  der  form,    wie   es  vorliegt,  kaum  vor 


78  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

Dublin  bekehrt  habe,  wurde  natürlich  in  dem  gut  gläubigen 
Irland  bald  fest  geglaubt,  dies  führte  zu  consequenzen  in  sage 
und  so  genannter  geschichtschreibung.    man  muss  sich  vor  allen 

820  kann  entstanden  resp.  niedergeschrieben  sein,  das  darauffolgende 
document  kann  nach  dem,  was  wir  s.  93  kennen  lernen  werden,  kaum 
vor  840— 850  geschrieben  oder  entstanden  sein,  ich  denke,  diese 
tatsachen  werden  uns  wenig  geneigt  machen,  aufs  wort  zu  glauben,  dass 
das  stück  fol.  2a,  1  —  8b,  2  auf  den  699  gestorbenen  Aed  von  Sleibte  zu- 
rückgeht. 

Wie  sehr  man  noch  ums  jähr  1000  sich  in  Armagh  bewust  war,  dass 
Armaghs  ansprüche  auf  den  primat  Irlands  sich  auf  diese  gefälschten 
documente  des  Book  of  Armagh  stützen,  dafür  haben  wir  einen 
interessanten  beleg.  Brian  Boroma  hatte  in  stetigen  kämpfen  von  975  an 
sich  endlich  zum  unbeschränkten  herscher  von  süd-Irland  gemacht;  999  ver- 
bindet er  sich  mit  den  vikingern  Dublins  gegen  Maelsechlainn,  Irlands 
oberkönig  und  könig  von  Meath,  um  das  ziel  seines  ehrgeizes,  die 
würde  des  oberkönigs,  zu  erlangen,  er  erreicht  es  1001.  Brian  war  Usur- 
pator in  doppeltem  sinne:  einmal  weil  er  den  rechtmäfsigen  oberkönig  ent- 
thront hatte,  und  dann  weil  er  die  würde,  die  Jahrhunderte  lang  bei  nord- 
Irland  gewesen  war,  zuerst  für  süd-Irland  eroberte,  er  muste  also  Ulster 
mit  gewalt  zur  anerkennung  zwingen  und  unternahm  zu  dem  zweck  alsbald 
einen  zug  nach  Ulster  (1104),  'um  geisein  zu  fordern'  (dochuinged  giall). 
liier  melden  nun  sämmtliche  annalen  (Vier  meister,  Ulsterannalen,  Chronicon 
Scotorum),  dass  Brian  eine  volle  woche  in  Armagh  verweilte 
und  20  unzen  gold  auf  dem  altar  von  Armagh  niederlegte, 
das  resultat  der  Verhandlungen  zwischen  dem  Usurpator  der  kröne  und  dem 
inhaber  des  usurpierten  primats  von  Irland  verrät  uns  eine  notiz  in  eben 
dem  Book  of  Armagh,  woselbst  fol.  16b,  1  auf  leerem  räum  eingeschrieben 
ist:  Sanctus  Patricius  iens  ad  caelum  mandavit  totum  fructum  laboris 
sui  tarn  babtismi  tarn  causarum  quam  elemoisinarum  deferendum  esse 
apostolicae  urbi  quae  scottice  nominatur%  Ardmacha.  sie  reperi  in 
bebliothecis  Scotorum.  ego  scripsi,  id  est  Calvuc  Perennis,  in 
conspectu  Briain  imperatoris  Scotorum  et  quod  scripsi 
finivit  pro  omnibus  regibus  Maceriae.  so  erkennt  also  Brian 
1104  diese  fälschungen  für  sich  und  seine  nachfolger  in  Cashel  (pro  omnibus 
regibus  Maceriae)  als  bindend  an,  und  diese  anerkennung  liefs 
man  ihn  zu  den  gefälschten  documenten  abgeben. 

Nun  noch  einige  beobachtungen.  das  document  fol.  20b,  1— 21b,  2,  ge- 
nannt Liber  angeli ,  fingiert,  dass  ein  engel  vom  himmel  dem  Patrick  den 
primat  Armaghs  verkündigt  habe,  es  enthält  das  dictum  des  engeis:  Quae- 
cumque  causa  valde  difficilis  exorta  fuerit  atque  ignota  cunctis  Scotorum 
gentium  iudicibus  ad  cathedram  archiepiscopi  Hibernensium ,  id  est  Pa- 
iricii  atque  hujus  antestitis  examinationem  rede  refferenda.  si  vero 
in  illa  cum  suis  sapientibus  facile  sanari  non  poterit  talis 
caussa  praedictae  negotionis,  ad  sedem  apostolicam  decre- 
vimus  esse  mittendam,   id   est,  ad  Petri  apostoli  cathedram 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  79 

dingen  gegenwärtig  halten,  dass  die  ausbildung  der  Finnsage  in 
ihrer  ersten  periode,  wie  wir  sie  s.  25  —  39  betrachteten,  im 
11  und  12  jh.  hand  in  hand  geht  mit  der  abnähme  der 

auctoritatem  Romae  urbis  habentem.  dass  der  Liber  angeli  701 
noch  nicht  kann  existiert  haben,  ist  klar  aus  dem  widerstand  der 
kirche  nord-Irlands  gegen  Roms  forderung  in  bezug  auf  oster- 
berechnung  und  tonsur.  wann  er  muss  vorhanden  gewesen  sein,  ergibt 
eine  andere  notiz  des  engeis:  Praeest  ergo  quodani  privilegio  ormübus 
aeclesiis  ac  monasteriis  cunctorum  Hibernensiam  vel  superna  aucloritate 
summi  pontificis  illius  fundaloris.  nihilominus  venerari  debet  ho- 
nore  summorum  martyrum  Petri  et  Pauli,  Stefani,  Laurendi  et 
caeterorum.  nun  melden,  wie  schon  erwähnt,  die  Ulsterannalen  zu  733 
Commotatio  martirum  Petir  ocus  Phoil  ocus  Patraic  ad  legem 
perficiendam.  zwischen  701  und  733  ist  der  Liber  angeli  entstanden 
und  er  ist  höchst  wahrscheinlich  die  lex  Patricii,  deren  ein- 
führung  in  Irland  von  736  an  versucht  wird. 

Ferner:  von  sämmtlichen  auf  Patrick  und  Armagh  bezüglichen  docu- 
menten  des  Book  of  Armagh  fol.  1 — 24b,  1  ist  nur  ein  einziges  in  anderen 
hss.  enthalten,  die  an  letzter  stelle  stehende  so  genannte  Confessio  (fol. 
22a,  1 — 24b,  1).  und  dieses  denkmal  ist  das  einzige,  welches  anspruch  darauf 
machen  kann,  über  jene  im  ersten  viertel  des  8jhs.  beginnende  periode 
der  documentenfälschung  hinaufzugehen,     genuin  ist  es  auch  nicht. 

Ferner:  Armagh  besafs  im  9.  10  jh.  eine  reiche  bibliothek:  Armagher 
ir.  hss.  werden  vom  11  jh.  an  überall  citiert  (s.  Zs.  f.  vgl.  sprachforscli. 
28,  67Sff,  Gott.  gel.  anz.  1887  s.  182  ff),  nichts  ist  aber  erhal  ten  aus 
jener  zeit  als  diese  hs.  mit  der  Sammlung  der  gefälschten  documente,  auf 
die  Armaghs  primat  sich  stützt:  auch  ein  zeichen  für  den  wert,  den  man 
in  Armagh  diesem  talmikleinod  beilegte. 

Die  aus  habsucht  und  herschsucht  entstandenen  lügen  vom  ende  des 
lOjhs.  über  Patricks  bekehrung  der  vikinger  haben  nie  officielle  an- 
erkennung  gefunden,  sie  sind  zu  unverschämt;  die  noch  grofsartigeren  des 
Sund  beginnenden  9jhs.  haben  nicht  nur  die  anerkennung  Brian  Boromas, 
sondern  auch  der  kirche  erhalten,  weil  sie  von  einer  zeit  handeln,  in  der 
Irlands  geschichte  ein  blatt  weifses  papier  ist,  und  sie  nicht  durch  docu- 
mente des  5  jhs.  können  widerlegt  werden. 

Wir  haben  also  zwei  perioden  in  der  litterarischen  fälschertätigkeit 
Armaghs:  1)  die  zeit  vom  beginn  des  8  bis  zur  mitte  des  9  jhs. ;  ihr  ent- 
stammen die  denkmäler  Book  of  Armagh  fol.  1— 22b,  2,  welche  Armaghs 
anspräche  auf  den  primat  Irlands  stützen  sollten,  eine  art  abschluss, 
offenbar  erst  angefertigt,  als  Armaghs  anspräche  de  facto  in  Irland  durch- 
gedrungen waren,  bildet  die  so  genannte  Vita  tripartita  Patricii.  2)  mit 
ende  des  10  jhs.  beginnt  die  zweite  periode,  in  der  man  die  alte  tätigkeit 
wider  aufnahm,  um  Armaghs  primat  über  die  neuen  vikingerkirchen  in 
Dublin,  Waterford,  Limmerick  usw.  zu  erreichen,  das  jähr  1102  krönt  das 
werk  der  lüge,  als  der  Dubliner  bischof  sich  vom  erzbischof  von  Armagh 
consecrieren   lässt;    1172   brachte  Eugens  in  legat  -1  pallia    nach  Irland   und 


80  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

kenntnis  von  den  würklichen  fiandr.  in  jener  zeit  safsen 
vikinger  als  solche  nur  mehr  an  einzelnen  küstenplätzen  und 
deren  Umgebung,  sie  waren  im  innern  Irlands  assimi- 
liert und  völlig  zu  Iren  geworden:  des  Magnus  zug  ist 
eine  ephemere  erscheinung,  und  gerade  der  umstand,  dass  nur 
er  und  keiner  der  mächtigen  und  viel  furchtbareren  heidni- 
schen vikingerherscher,  wie  Turgeis  im  9  jh.,  in  der  Finnsage 
erscheint,  ist  ein  beweis,  dass  die  erinnerung  an  sie  schon 
muste  dem  gedächtnis  entschwunden  sein,  als  die  Finnsage  ge- 
stalt  zu  gewinnen  begann,  diejenigen  vikinger  aber,  die  im 
11  und  12  jh.  noch  in  Dublin,  Waterford  usw.  safsen,  waren 
auch  keine  fiandr  mehr:  sie  waren  Christen  und  standen  zu 
den  Iren  wie  Iren  zu  Iren;  hier  wird  mit  dem  Christentum  auch 
annähme  irischer  spräche  hand  in  hand  gegangen  sein,  ähnlich 
wie  in  der  Normandie  sich  die  entwickelung  vollzog,  warum  die 
vikinger  Dublins,  über  die  von  1052  ab  fürsten  mit  irischen 
namen  herschen ,  um  1060  sollten  weniger  irisiert  gewesen  sein, 
wie  die  vikinger  an  Frankreichs  küste  zur  zeit  Wilhelms  des 
eroberers  franzüsisiert,  ist  nicht  einzusehen,  zumal  nichts  gegen 
diese  annähme  spricht,  dazu  kommt  noch  ein  weiteres:  der 
name  fianna  für  die  'vikinger'  ist  ja  nicht  eigentlich 
bezeich nung  des  volkes,  sondern  kann  nur  in  den 
ersten  Zeiten  der  berührung,  also  in  der  1  hälfte  des 
9  jhs.  entstanden  sein:  er  ist  gewisser  mafsen  das  echo, 
welches  die  nordischen  fiandr  bei  den  Iren  hervorlockten,  mit 
dem  sesshaftwerden  der  Nordländer  treffen  wir  denn  auch  in  den 
annalen  neben  dem  generellen  namen  für  ausländer  Gall  bald 
die  bezeichnungen  Nortmann,  Danar,  Lochlannach  (vgl.  Annalen 
der  vier  meister  zu  857.869.878.918  usw.),  deren  kenntnis 
mit  dazu  beitrug,  die  ursprüngliche  bedeutung,  die  fiann  im 
9  und  10  jh.  hatte,  im  ausgehenden  11  und  im  12  jh.  in  völ- 
lige Vergessenheit  zu  bringen,  dies  erwägend  halte  man 
zusammen:  1)  das  ausgehende  11  und  beginnende  12  jh.  wüste 
von    heidnischen  fiandr,   die   sich   auf  Irlands  boden   getummelt 

auf  der  synode  im  märz  dieses  Jahres  wird  die  einteilung  der  irischen 
kirche  in  4  erzbistümer  (Armagh,  Dublin,  Cashel,  Tuam)  mit  Armagh  als 
sitz  des  primas  festgesetzt,  ist  es  zufall,  dass  schon  1183  Jocelin  im  auf- 
trage des  primas  eine  neue  Vita  Patricii  schrieb,  die  alle  seit  der  zweiten 
hälfte  des  10  jhs.  begangenen  fälschungen  aufnahm?  Vita  tripartita  und 
Vita  Patricii  des  Jocelin  sind  die  abschlüsse  der  beiden  perioden. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  81 

hatten,  nichts  mehr,  es  kannte  nur  christliche  ausländer  hei 
Dublin,  Waterford  und  sonst,  die  aber  ihrer  spräche  nach  irisiert 
waren.  2)  alte  texte  —  natürlich  alt  im  sinne  jener  zeit,  und 
was  50  jähre  alt  ist,  unterliegt  längst  der  sage  —  meldeten  nun, 
dass  Patrick  den  tuathaib  Fene  ebenso  wie  den  Scotaib  gepredigt 
habe,  dass  er  einen  fennid  in  Dublin  vom  tode  erweckt,  dass 
ein  sui  (kundiger)  berla  feni  in  der  neuner-commission  gesessen, 
die  Irlands  recht  neu  ordnete.  3)  die  sage  dieser  zeit  (1 1 — 12  jh.) 
wüste  nur  von  dem  Munsterhelden  Finn  und  seiner  fiann.  — 
ist  es  nun  nicht  natürlich,  dass  man  —  um  die  sage,  die  Finn 
und  seine  fiann,  fennid  zur  zeit  Cormacs  und  Cairpres  leben 
Iässt,  wenigstens  etwas  mit  der  vermeintlichen  geschichte  in  ein- 
klang  zubringen  —  annahm,  einige  aus  der  fiann  Finns  hätten 
bis  auf  Patricks  zeit  gelebt?  diese  Vorstellung  taucht,  wie  wir 
s.  44  sahen,  mitte  des  12jhs.  auf  und  ihre  ausführung  nach 
einem  text  der  Cuchulinnsage  ist  der  text  des  14 — 15jhs.  Accal- 
larn  na  senörach  (s.  43  ff). 

Aber  auch  die  gelehrten  (geschichtsforscher  und  antiquare) 
waren  nicht  müfsig.  was  sind  denn  das  für  tuatha  Füne  und 
was  ist  es  mit  der  wunderbaren  berla  fene?  auf  beides  sog  man 
antworten  aus  den  fingern,  und  ich  habe  mich  oft  gefragt,  was 
gröfser  sei:  die  phantasie  und  die  sei  bstbelügung  dieser 
guten  leute  —  es  ist  die  zeit  Gottfrids  von  Monmouth !  —  oder 
die  naive  glaubenseinfalt  des  19  jhs.  entscheidend  für  die  falschen 
folgerungen  wurde,  dass  man  die  form  fene  in  Verbindungen 
wie  tuatha  Fene,  b elre  fene  wol  schon  ende  des  10  jhs.,  als  man 
den  sinn  'Normannenvölker,  Normannensprache'  noch  hatte,  nicht 
mehr  recht  verstand :  man  nahm  sie  für  einen  gen.  plur.  (tuatha 
Gall,  belre  Gall)  von  einem  nom.  sing,  fene  (stamm  fmjos)  statt 
gen.  sing,  zu  fiann.1  was  konnten  sich  nun  die  irischen  ge- 
lehrten in  der  zweiten  hälfte  des  11  jhs.,  die  von  der  fabulosen 
vikingerbekehrung  durch  Patrick  nichts  wüsten  oder  nicht  an  sie 
glaubten,  denken  bei  den  Worten  'Patrick  predigte  den  tuathaib 
Fene'?  zumal  wenn  sie  der  tradition  gemäfs  annahmen,  der 
hymnus  stamme  von  Fiacc.  hier  konnte  doch  nur  in  tuathaib 
Fene  eine  andere  bezeichnung  liegen  für  'den  Iren',  und  da  man 
die  bezeichnung  nicht  auslegen  konnte,   so  legte  man  ihr  etwas 

1  eine  andere  möglichkeit,  die  form  fgne  'die  vikinger'  zu  erklären, 
werden  wir  alsbald  kennen  lernen. 

Z.  F.  D.  A.    XXXV.    N.  F.    XXIII.  0 


82  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

unter,  wer  sich  gegenwärtig  hält,  aus  welch  kleinen  anfangen 
die  Trojanersage  der  Franken  entstanden  ist,  wird  das,  was  die 
Iren  unterlegten,  nicht  besonders  unbegreiflich  finden,  es  lag 
nämlich  für  sie  die  aualogie  nahe:  die  fabeleien  des  9  und 
töjhs.  hatten  eine  irische  geschichte  von  der  Schöpfung  bis  in 
die  historische  zeit  geschaffen,  in  der  unter  annähme  verschiedener 
colonisationen  nicht  nur  alles,  was  von  mythologischen  Vorstel- 
lungen vorhanden  war,  hübsch  gescbichtet  Unterkunft  fand,  sondern 
auch  die  phantasien  über  die  namen  Scottus,  Gaedel  durch  Schaf- 
fung von  Stammvätern  zur  zeit  des  turmbaus  von  Babel,  lag 
es  nun  nicht  nahe,  so  für  die  vermeintlichen  fene  einen  Stamm- 
vater zu  schaffen,  wie  Jocelin  Dublin  von  ei ner  Dublinia  ableitet 
(s.  s.  61)?  man  erfand  einen  'Fenius  den  alten'  (Fenius  far- 
said) ,  der  ein  enkel  Japhets,  konig  der  Skythen  war;  er  gründete 
eine  schule  in  der  ebene  Sinear,  um  hier  beim  turmhau  zu  Babel 
die  sprachen  zu  lehren,  sein  unterschulmeister  war  Gaedhel, 
mit  dem  er  nach  20jähriger  Lehrtätigkeit  in  der  ebene  Sinear 
nach  Skythenland  zurückkehrte  und  den  er  dort  zum  hauptlehrer 
machte,  von  den  beiden  söhnen  des  Fenius  war  der  jüngere  so 
berühmt  als  Schulmeister,  dass  er  von  Pharao  einen  ruf  erhielt, 
den  Schulunterricht  in  Egypten  zu  ordnen;  dort  heiratete  er 
Scota,  des  Pharao  tochter,  von  der  er  einen  söhn  bekam,  den 
er  nach  seinem  lehrer  und  väterlichen  freund  auch  Gaedhel 
nannte,  die  nachkommen  dieses  Schulmeisters  sind  die  Iren, 
und  daher  stammen  die  drei  namen  Fene,  Goidil  und 
Scotti.  dieser  egyptische  roman  findet  sich  im  Book  of  Bally- 
mote  und  Lecan  (14 — 15  jh.)  und  ist  seitdem  oft,  und  immer 
weiter  ausgeschmückt,  mit  vielem  ernst  als  wahr  oder  doch  ein 
körn  eben  Wahrheit  enthaltend  ausgegeben  worden,  constatiereu 
wir,  dass  Nennius,  der  die  irischen  colonisationssagen  seiner 
zeit  gut  kennt,  von  diesem  'Fenius  dem  alten'  nichts  weifs; 
auch  die  irische  bearbeitung  des  Nennius  aus  der  zweiten  hälft« 
des  1 1  jhs.  weifs  noch  nichts  von  ihm.  zu  ende  des  1 1  oder 
im  beginne  des  12  jhs.  ist  er  erfunden:  in  den  beiden  hss. 
mit  Fiaccs  hymnus  finden  sich  in  glossen  zu  zeile  35  und  40 
in  nuce  die  fabeleien  über  Scotta,  Gaidel  und  Fenius,  bezeich- 
nend dafür,  dass  die  fabel  aus  dem  zu  ende  des  11 
oder  anfang  des  12  jhs.  unverständlichen  dotuathaib  Fene 
geflossen,     natürlich    ist   sie   auch    in  Lebor  gabala  'buch  der 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  83 

besiedlungen'  verarbeitet  (LL2a).  aber  gerechtes  bedenken  werden 
wir  tragen ,  dem  Schreiber  von  LL  zu  glauben ,  dass  das  gedicbt 
LL  133k,  12  ff,  welches  ebenfalls  die  fabelei  kennt,  von  dem  884 
gestorbenen  Maelmuire  Olhna  herrühre,  und  ebenso  wenig  werden 
wir  den  artikel  bräthchoei  dem  ursprünglichen  bestandteil  des 
Sanas  Cormaic  zuschreiben,  das  schweigen  des  lateinischen  und 
irischen  Nennius  ist  für  die  früheste  annähme  der  entstehung 
entscheidend:    zweite  hälfte  des  11  jlis. 

Nicht  minder  anlass  gab  vom  11  jh.  ab  die  berla  fene  zur 
speculation;  die  bezeichnung  fand  sich  wol  noch  in  manchen 
documenten  des  9  und  10  jhs.,  die  uns  verloren  gegangen  sind, 
erwies  sich  der  mangel  an  historischem  sinn  so  grofs,  dass  man 
zu  ende  des  10  jhs.  die  erfindung  wagen  durfte,  die  vikinger 
Dublins  seien  von  Patrick  bekehrt  worden,  so  wird  man  ende 
des  11  jhs.,  als  die  spräche  der  vikinger  seit  mehr  denn  einem 
halben  jh.  verschwunden  war,  für  die  bezeichnung  berla  fene 
kein  historisches  versländnis  mehr  erwarten  dürfen,  um  so  weniger 
als  tuatha  Fene,  berla  fene  nach  dem  s.  80  bemerkten  wol  nie 
eine  art  officieller  bezeichnung  der  vikinger  und  ihrer  spräche 
war.  das  aber  darf  ich  wol  betonen,  dass,  wenn  berla  fene 
nicht  ursprünglich  bezeichnung  der  'spräche  der  fianna  dh.  der 
fiandr'  wäre,  uns  in  den  irischen  denkmälern  des 
9  und  10  jhs.  jeglicher  hinweis  auf  die  den  Iren  doch 
ganz  unverständliche  nordische  spräche  fehlte,  aus  der  sie 
so  viel  geborgt.1  gewis  sehr  wunderbar.  —  aus  der  angäbe, 
dass  in  der  neuner-commission  sich  ein  sui  berla  fene  befand, 
folgerte  man,  die  berla  fene  sei  das  alte  irische  gewesen 
vor    Patricks    zeit,    in    dem    die    geselze    ursprünglich    ge- 

1  im  letzten  viertel  des  9  und  beginn  des  10  jhs.,  gleichzeitig  mit  dem 
streitbaren  Casheler  kirchenfürsten  Cormac  mac  Cuilennain,  heischte  in 
Leinster  Cerball  mac  Muricain,  dem  LL  39c,  3  eine  regierungszeit  von 
24  jähren  zugeschrieben  wird,  er  hatte  in  seinen  kämpfen  gegen  die  vikinger 
Dublins  glück,  denn  es  gelang  ihm  897,  die  vikingerherschaft  in  Dublin  auf 
einige  zeit  zu  brechen;  er  starb  nach  den  Vier  meistern  904.  auf  diesen 
mitten  im  vikingerzeitalter  lebenden  und  in  fortwährender  berührung  mit 
den  vikingern  stehenden  Leinstei herscher  besitzen  wir  LL  20 lb,  1  —  51  ein 
gedieht  (eigentlich  auf  seine  grabstätte),  in  dem  ausdrücklich  von  ihm  her- 
vorgehoben wird,  dass  er  war  ollam  berla  f&ne  'ein  studierter  kenner  (doctor) 
der  spräche  der  vikinger'  (LL  201b,  42).  ich  denke,  das  ist  deutlich,  wenn 
man  zeit  und  person  ins  äuge  fasst. 


84  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

schrieben  waren,  ohne  zu  überlegen ,  dass  doch  Dubthach  und 
die  anderen  anwesenden  aufser  Patrick  die  spräche,  in  der  bis 
dahin  die  gesetze  geschrieben  waren,  vernünftiger  weise  auch 
müssen  gekannt  haben,  hat  man  diese  törichte  erfindung  des 
mittelalters  in  ermanglung  einer  erklärung  auch  heutigen  tages 
noch  widerholt,  die  hauptsammlung  irischen  volksrechtes  führt 
den  titel  Cain  Patraic  'gesetz  des  Patrick'  oder  Senchas  mär 
'grofse  gesetzsammlung'.  da  man  nun  annahm,  dieses  durch 
Patrick  und  die  neuner- commission  festgestellte  irische  volksrecht 
sei  aus  der  berla  fene,  dh.  dem  irischen  vor  Patricks  zeit,  um- 
geschrieben, so  bildete  man  alberner  weise  nach  senchas  (=  althr. 
hencasson  gl.  monimenta)  ein  wort  fenchas  zur  bezeichnung  des 
vorpatricianischen  rechtsbuches  der  Iren,  auch  diese  Spielerei 
stammt  aus  der  zweiten  hälfte  des  1 1  jhs.,  da  sie  LU  7a,  85  ff  im 
commentar  zu  Dallan  Forgails  Amra  Choluim  Chilli  (elegie 
auf  Columba)  vorkommt;  ja  man  gieng  dazu  über,  auf  grund 
dieser  und  anderer  misverständnisse  'gesetze',  wenn  ich  so  sagen 
darf,  für  eine  fingierte  alte  spräche  aufzustellen. 

Ich  will  die  leser  nicht  länger  mit  diesen  fabeleien  ermüden, 
die  ihren  Ursprung  der  unbekanntschaft  der  Iren  vom  ende  des 
11  jhs.  ab  mit  den  zuständen  und  Verhältnissen  im  9  und  lOjh. 
verdanken,  verbunden  mit  ihrer  natürlichen  Veranlagung,  sich 
das  tollste  aus  den  fingern  zu  saugen.1  ich  möchte  nur  noch 
daraufhinweisen,  dass  die  von  mir  gefundene  ursprüngliche 
bedeutung  von  fiann,  feinnid,  tuatha  Fene,  berla  fene  usw.,  so 
fern  man  immer  den  nachgewiesenen  bedeutungswandel  im  äuge 
behält,  ein  Ariadnefaden  ist,  der  uns  noch  dujrh  manches  laby- 

1  es  ist  heutigen  tages  ton ,  mit  einer  art  sittlicher  entrüstung  Gottfrid 
von  Monmoulh  als  bewusten  lügner  zu  bezeichnen,  man  kennt  eben 
das  keltische  mittelalter  zu  wenig,  eine  gränze  zwischen  phantasie  und 
würklichkeit  existiert  bei  keltischen  erzählern  im  mittelalter  kaum,  nimmt 
man  noch  hinzu,  dass  sie  beim  erzählen  der  kleinsten  ereignisse  den  mund 
riesig  voll  nehmen  — jede  Schilderung  eines  kriegszugs,  bei  dem  eine  anzahl 
kühe  erbeutet,  einige  äugen  aus-  und  einige  nasen  abgeschlagen  wurden, 
liest  sich  im  irischen  wie  ein  welterschütterndes  ereignis  — ,  so  ist  Gott- 
frids  geschichte  klar,  er  ist  ein  gewaltiger  aufschneider,  der  mucken  für 
elephanten  ansieht,  und  seinen  lesern  von  solchen  erzählt,  wenn  man  die 
oben  s.  60  ff  gegebene  erzählung  Jocelins  mit  dem  ihr  zu  gründe  liegenden 
gedieht  (oben  s.  58  ff)  vergleicht,  dann  wird  man  ein  annäherndes  bild  be- 
kommen davon ,  wie  sich  Gottfrids  von  Monmoulh  Schilderungen  zu  seinen 
quellen  verhalten. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  85 

rinlh  irischer  sagen-,  geschichts-  und  rechtslitteratur  führen  wird.1 
die  letztere  habe  ich  hier  besonders  im  äuge. 

Die  bei  den  Iren  im  mittelalter  höchstes  ansehen  geniefseude 
Sammlung  volkstümlichen  rechts  in  irischer  spräche  führt  den 
titel  Se7ichas  mar.  die  älteste,  aber  fragmentarische  hs.  dieses 
rechtsbuches  stammt  aus  der  mitte  des  14  jhs.  hier  treten  uns 
drei  schichten  deutlich  entgegen :  text  der  gesetze,  einleitung 
und  drittens  eine  grofse  fülle  von  commentarartigem  und  glos- 
sierendem material  zu  text  und  einleitung.  was  man  bis  jetzt 
zur  geschichte  dieser  Sammlung  geleistet  hat,  ist  ganz  unbefrie- 
digend, wir  sind  nunmehr  in  der  läge,  das  alter  der 
auf  uns  gekommenen  redaction  genau  zu  bestimmen, 
die  einleitung  zum  Senchas  mör  (Ancient  laws  of  Ireland  bd.  i. 
ii.  in  1—78  Dublin  1865  IT)  enthält  die  oben  (s.  55—57.  73  ff) 
behandelte  geschichte  von  Loegaire  und  der  neuner-commission 
so,   dass  sie   einen   integrierenden  teil   der   einleitung 

1  schon  durch  den  Zs.  32,279  —  284  geführten  nachweis,  dass  das 
ir.  gedieht  auf  könig  Aed  mit  nordischen  lehnwörtern  durchsetzt  ist,  wird 
die  auf  rein  paläographische  gründe  gestützte  annähme  unmöglich,  dass  die 
SPauler  hs.  aus  dem  8jh.  stamme,  hinzu  kommen  noch  in  dem  ersten 
stück  die  oaic  fciw  'junge  männer  der  fian?i'  (vikinger),  die  neben  'wilden 
hunden  und  ochsen'  (dh.  wölfen  und  hirschen)  und  'umherschweifern  im 
gebirge'  genannt  werden:  com  altai  ocus  ois  ocus  imtkeclit  siebe  ocus 
oaic  fene;  ich  denke,  das  bild  hat  färbe.  —  Aed,  dem  das  5  gedieht  dieser 
hs.  gilt,  war  ein  Leinster-regulus  und  zwar  der  beziehung  in  z.  2.  4.  10 
(vgl.  Annals  of  Ulster  s.  a.  818)  nach  im  gebiet  der  heutigen  grafschaften 
Wicklow  und  Kildare,  also  in  der  gegend,  wohin  sich  im  jähre  936  die 
vikingerherschaft  von  Dublin  erstreckt  (s.  oben  s.  65).  er  war  ein  söhn 
Diarmaits  und  ein  enkel  eines  Muircdach.  nun  melden  die  Ulsterannalen, 
dass  804  Leinster  zwischen  zwei  Muiredach  geteilt  wurde:  der  eine  stirbt 
817,  der  andere  828.  als  nachfolger  des  817  gestorbenen  Muiredach  jnac 
Brain  wird  in  dem  Verzeichnis  der  Leinsterkönige  Murican  mac  Diarmala 
'.M.  söhn  des  DiarmaW  aufgeführt  (LL  'M)h  unten)  mit  dem  zusatz  Locldan. 
rosmarb  'die  Lochländer  töteten  ihn',  zum  jähre  852  melden  Ulster- 
annalen, Vier  meister,  Chron.  Scotorum  übereinstimmend,  dass. ein Bruatar, 
söhn  Aeds ,  in  Verbindung  mit  dem  könig  von  Ossory  den  Echtigem,  könig 
von  süd-Leinster,  mordete,  wir  kommen  also  für  den  beiden  unseres  ge- 
dichtes  in  die  erste  hälfte  des  9 jhs.  um  840  kamen,  wie  wir  aus  der 
Vita  Findani  wissen  (s.  Glossae  Hibernicae  xxvm),  in  folge  der  vikinger- 
einfälle  kleriker  aus  Leinster  (darunter  t'indan)  nach  Alemannien  und  traten 
in  dortige  klöster  (ttheinau,  Heichenau).  sie  brachten  die  SPauler  hs.  mit, 
ebenso  die  Carlsruher  Bedahs.  (nrCLXYÜ),  die  ja  genau  der  oben  festgestellten 
zeit  entstammt  (s.  Glossae  Hibernicae  p.  xxiv —  mix). 


86  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

bildet,  sie  ist  LH  U7b,  20  ff  nur  als  ein  ausschnitt  aus  dieser 
eiuleitung  zu  fassen,  aber  diese  bs.  vom  ende  des  11  jhs.  bat 
uns,  wie  natürlich  ist,  diesen  teil  der  einleitung  in  einem  wich- 
tigen puncle  viel  besser  bewahrt  als  die  liss.  des  15  und  16  jhs., 
die  uns  den  gleichen  abschnitt  des  Senchas  mör  bieten,  hin- 
sichtlich der  wichtigen  neuner-commission  heilst  es: 

LU  118',  40  ff  Senchas  mar  i  16 

Patraic   7   Benen  7    Caimech  Patraic  ocus  Beneoin  ocus  Cair- 

oeclais.j.  tri  epscoip.  —  Loegaire  nech,tri  epscuib.  — Loegaire  ocus 
mac  Neill  ri  hErenn  7  Däiri  ri  Corc  ocus  Daire  .%.  tri  rig.  — 
Ulad  7  Corc  mac  Lugdech  ri  Rosa.j.  mac  Trichim  ocus  Dub- 
Muman  na  tri  rig.  —  Dubthach  thach  ./.  sni  berla  ocus  Fergus ./. 
mac  uLugair  7  Fergus  file  7  fded. 
Rus  mac  Tricim  sui  berla  feni. 

'Patrick  und  Benen  und  Cair-  'Patrick  und  Benen  und  Cair- 

nech  von  seilen  der  kirche,  näm-      nech,  drei  bischöfe.  —  Loegaire 
lieb  3  bischöfe.  —  Loegaire  mac      und  Corc  und  Daire,  dh.  3  könige. 
Neill,  könig  von  Irland,  und  Dairi,      —  Rosa,  dh.  mac  Trichim,  und 
könig  von  Ulster,  und  Corc  mac      Dubthach,  dh.  ein  kundiger  der 
Lugdech,  königvon  Munster,  die      berla  (feni),    und    Fergus,    dh. 
3  könige.  —    Dubthach    maccu      der  dichter.' 
Lugair  und  Fergus,  der  dichter, 
und  Rus  mac  Tricim, der  kundige 
der  vikingerspracbe.' 

Halten  wir  uns  gegenwärtig,  dass  man  vom  12  jh.  an  mit 
berla  fene  der  älteren  texte  in  Irland  nichts  mehr  anzufangen 
wüste  und  fabelte,  dass  dies  das  irische  vor  Patricks  zeit  be- 
zeichne, aus  dem  die  neue  redaction  stamme  (s.  s.  83).  nun  war 
der  bekannteste  name  der  letzten  gruppe  sicher  Dublhach, 
der  ja  heidnischer  ober-/?/e  Irlands  zu  Patricks  zeit  war;  dieser 
hatte  keine  nähere  angäbe  seines  amtes  und  muste  doch  gerade 
der  'kundige  der  uririschen  spräche'  sein,  indem  man  also  sui 
berla  (fene)  auf  ihn  übertrug,  nahm  man  scheinbar  eine  natür- 
liche correctur  vor.  dadurch  hatten  Dubthach  und  Fergus  eine 
Stellung;  nun  muste  auch  Rus  eine  solche  bekommen:  man 
machte  ihn  zum  'söhn  seines  vaters';  Rosa  hat  als  eigenschaft 
mac  Trichim,  wie  Dublhach  sui  berla  hat,  und  Fergus,  dass  er 
file  war.  so  ist  er  dann  als  'söhn  seines  vaters'  mitglied  der 
neuner-commission.     dass   man    bis   jetzt    noch    nicht   dazu    ge- 


KELTISCHE  BE1TIIÄC.E  III  87 

•  kommen  ist,  diesen  unsinn  auf  grund  der  klaren  alten  hs.  zu 
verbessern,  ist  um  so  auffallender,  als  uns  ein  anderes  deukmal 
noch  erhalten  ist,  welches  das  richtige  bietet,  in  dem  alten 
Wörterbuch  Sanas  Cormaic  ist  auf  obige  neuner- com  mission  be- 
zug  genommen  unter  dem  arlikel  noes,  wo  es  heifsl  noes  ./•  nö~- 
ßss  ./.  fis  nonbair  ./.  tri  fig  7  tri  nöib  7  tri  said  ./.  suid  ßlidechla 
7  said  Iure  7  said  berla  feni  'noes  bedeutet:  neun- wissen ,  dh. 
das  wissen  von  9  mann,  nämlich  3  könige  und  3  heilige  und 
3  gelehrte,  dh.  ein  in  dichtkunst  gelehrter,  ein  in  litteris  kundiger 
und  ein  kundiger  der  berla  feni (vikingersprache)' ;  diese  alle  waren 
beim  anfertigen  des  Senchas  mör  tätig,  derjenige,  welcher  diesen 
artikel  ius  Wörterbuch  des  Cormac  eintrug,  hatte  uoch  das  richtige 
vor  sich. 

Wir  können  also  auf  gruud  dieser  richtigstelluug  und  der 
ausführuog  oben  s.  73  IT  mit  bestimrntheit  annehmen,  dass  die 
uns  erhaltene  redaction  irischer  volksgesetze,  die 
den  namen  Senchas  mör  führt,  erst  aus  dem  ende  des 
lOjhs.  stammen  kann,  zugleich  möchte  ich  aber  betonen, 
dass  ich  dies  keineswegs  für  die  zeit  halte,  in  der  das  irische 
recht  in  irischer  zunge  zum  ersten  mal  aufgezeichnet  wurde, 
wenn  man  den  hohen  cultui  zustand  Irlands  im  7  und  8  jh.  im 
äuge  behält,  dann  wird  doch  die  annähme,  dass  die  Iren  ihr 
recht  in  jeuer  zeit  nicht  ebenso  gut  aufzeichneten,  wie  schon 
früher  die  germanischen  stamme,  lächerlich,  nach  der  erwähnung 
der  arbeiten  der  neuner- commissiou  lieifst  es  in  der  einleitung 
(Ancieut  laws  i  18):  'dies  ist  die  Cain  Patraic  (gesetz  des  Patrick) 
und  kein  menschlicher  breho  von  den  Iren  (nach  brithem  daenna 
doGaedelaib)  kann  etwas  von  dem  aufheben,  was  im  Senchas 
mör  sich  findet.'  wir  sehen  also  hieraus,  dass  Cain  Patraic 
hier  als  ein  anderer  name  für  Senchas  mör  gegeben  wird,  diese 
Verwendung  von  Cain  Patraic,  die  nach  der  Patrick  dabei  zu- 
geschriebenen tätigkeil  natürlich  ist,  darf  nicht  verführen  zu 
der  annähme,  dass  die  lex  Patricii,  für  deren  einführung  in 
ganz  Irland  der  bischöfliche  sitz  von  Armagh  von  736 — 840  be- 
müht war  (s.  oben  s.  75  IT),  eine  ältere  redaction  dieser 
volksgesetze  war.  jene  lex  Patricii,  die  Ulsterannalen  782  auch 
Cain  Patricii  genannt  wird,  verfolgte  hierarchische  und  kirch- 
liche zwecke,  gedacht  haben  wird  man  hei  der  henennung  Cain 
Patraic  für  die  redaction  der  volksgesetze  im  ausgehenden   LO  jh. 


88  KELTISCHE  BEITRÄGE  111 

an  jene  lex  Patricii.  unsicher  ist  es  auch ,  ob  wir  in  den  zahl- 
reichen citaten ,  die  sich  im  so  genannten  Sanas  Cormaic  finden, 
Zeugnisse  für  eine  ältere  redaction  des  Senchas  mar  sehen  dürfen, 
einmal  ist  es  nicht  absolut  sicher,  dass  würklich  das  glossar 
selbst  in  seinen  gruudbestandteilen  von  dem  903  gefallenen  streit- 
baren Casheler  kirchenfürsten  Cormac  herrührt;  sodann  stammen 
die  ältesten  handschriftlichen  fragmente  erst  aus  LL  (um 
1150  —  1160  geschrieben):  es  können  also  die  vielen  beziehungen 
im  Sanas  Cormaic  auf  Senchas  mör  im  10  und  11  jh.  hineinge- 
kommen sein,  dies  wird  sehr  wahrscheinlich  durch  die  tatsache, 
dass  der  artikel  noes  des  Wörterbuchs  sicher  aus  der  uns  er- 
haltenen redaction  vom  ende  des  10  jhs.  stammt  (s.  s.  87). 

Also  die  auf  uns  gekommene  recension  des  Senchas  mör 
stammt  frühestens  aus  dem  ende  des  10  jhs.  welches  die 
Verhältnisse  Irlands  zu  der  zeit  waren  hinsichtlich  der  nationali- 
täten  auf  seinem  boden,  haben  die  vorangegangeneu  Untersuchungen 
vielfach  gezeigt,  neben  der  grofsen  masse  der  alteingesessenen 
keltischen  bevölkerungen  befanden  sich  damals  christianisierte 
vikinger  in  nicht  unbeträchtlicher  anzahl  auf  Irlands 
boden  und  zwar  in  doppelter  Stellung:  1)  an  einzelnen  puncten 
befanden  sich  Normannenstaaten  (Dublin,  Waterford,  Wexford), 
in  denen  die  herschenden  vikinger  noch  ihre  germanische  spräche 
redeten  und  vermutlich  germanisches  recht  hatten.  2)  an  zahl- 
reichen puncten  Irlands  an  der  küste  und  im  innern  vom  norden 
bis  Süden  müssen  wir  uns  unter  der  irischen  bevölkerung  vikinger- 
colonien,  wenn  ich  so  sagen  darf,  sesshaft  denken,  die  aufser 
dem  Christentum  durch  heirat  der  männer  mit  irischen  trauen  im 
10  jh.  auch  schon  irische  spräche  meistens  angenommen  hatten, 
wenn  man  die  Ulsterannalen  für  die  zeit  von  795  —  950  durch- 
liest, dann  muss  man  sich  fragen:  gibt  es  einen  ort,  ein  kloster, 
einen  see,  einen  berg,  ein  tal,  einen  bach  Irlands,  wohin  in 
dieser  zeit  vikinger  nicht  gekommen  sind,  wo  nicht  grüfsere 
trupps  längere  oder  kürzere  zeit  gesessen  hätten?  kaum,  das 
liegt  aber  doch  auf  der  band,  dass  in  Ulster,  Connacht,  Munster, 
wo  solche  vikingerherschaften  nach  kürzerem  oder  längerem  be- 
stände niedergeworfen  wurden  ,  nicht  alles,  was  mit  den  vikingern 
gekommen  war,  mit  kind  und  kegel  abzog,  wir  sind  in  der 
glücklichen  läge,  durch  ein  denkmal  in  irischer  spräche  das 
Vorhandensein    dieser    beiden    arten    von    vikingern    auf  Irlands 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  89 

boden  nachweisen  zu  können  für  die  zeit  ums  jähr  1000.  der 
bisher  nach  seinem  wert  nicht  genügend  geschätzte  Lebor  na 
cert,  dessen  abfassung  zwischen  1001  und  1014  oben  s.  11  aniu. 
nachgewiesen  wurde,  unterscheidet  durch  den  Sprach- 
gebrauch scharf  Gaill  und  fortuatha.  mit  Gaul  (s.  über 
diesen  namen  s.  62)  bezeichnet  er  die  unabhängigen, 
ein  eigenes  Staatswesen  mit  der  hauptstadt  Dublin 
bildenden  vi  kinger,  und  mit  fortuatha  ('die  dazu  gekom- 
menen Völker,  fremdlinge')  die  an  verschiedenen  puncteu 
Irlands  (Ulster,  Leinster,  Munster)  unter  irischer  bot- 
mäfsigkeit  stehenden,  sicher  christianisierten  und  sprach- 
lich irisierten  vikingercolonien.  verbunden  ist  Gaill  mit 
AthCliath  (Dublin)  Lebor  na  cert  s.  50,  18.  224,  15.  226,  1. 
228,  16.  252,21;  an  den  anderen  stellen  ist  entweder  im  Zu- 
sammenhang mit  Dublin  davon  die  rede  (218, 1.  4.  220,  2.  228,  6. 
230,  3)  oder  es  kann  nur  an  den  vikingerkönig  von  Dublin  ge- 
dacht werden  wie  248,26,  wo  zu  den  Vorrechten  des  Ulster- 
köuigs  gerechnet  wird  cleamnas  re  rig  Gall  nglasfuar  'ver- 
schwägerung mit  dem  könig  der  blau(äugigeu)  kalten  Gall.'  das 
letztere  kann  um  1000  nur  der  vikingerherscher  Dublins  sein. 
fortuatha  'vikingercolonien'  sitzen  in  Donegal  (120,  1)  und  au 
anderen  orten  Ulsters  (168,  16.  172,  7),  in  der  grafschaft  Wicklow 
in  Leinster  (206,  11.  208,  5)  und  in  der  grafschaft  Cork  in 
Munster  (78,  6).  O'Douovan  sieht  in  diesen  fortuatha  'stranger 
tribes',  aber  Iren,  und  meint,  sie  seien  so  genannt,  weil  sie 
sich  später  in  bestimmten  clangebieten  angesiedelt  hätten  (vgl. 
Lebor  na  cert.  s.  78  note  f)  und  s.  120  note  e  sagt  er  'stränge 
tribes  who  settled  in  the  province ,  not  of  the  kings  own  race.' 
das  ist  richtig,  wenn  eben  stränge  tribes  =  vikinger  ist.  es 
lässt  sich  nachweisen ,  dass  unter  fortuatha  nicht  'Iren'  ver- 
standen sein  können:  gegen  'Iren'  spricht  der  name,  der  in 
Donegal,  in  Wicklow  und  Cork  auftritt;  ein  irischer  clan  bliebe 
doch  immer  ein  irischer  clan  und  hat  seinen  namen.  hinzu 
kommt,  dass  tuatha  das  gewöhnliche  wort  ist,  um  'vikinger'  zu 
umschreiben:  tuatha  Gall,  tuatha  Fme  usw.;  die  überall  auf- 
tretenden fortuatha  'stränge  tribes'  sind  also  vikinger.  nun 
können  wir  auch  noch  nachweisen,  dass  würklich  vikinger- 
ansiedlungen  dort  im  '.)  und  10  jh.  bestanden,  wo  Lebor  na  cert 
die  fortuatha  kennt.     Lebor  na  cert  120,  I    nenn!  fortuatha   im 


90  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

gebiet  des  rig  Ailig  'des  königs  von  Ely'  (Ailech).  'Ely  a  fort 
with  remains  in  slone,  in  Donegal,  near  LoughSwilly  and 
on  the  Isthmus  dividing  it  Crom  Lough  Foyle,  barouy 
of  Inishowen'  (O'Donovan  s.  120  note  d).  diese  gegend  ist  nun 
im  beginn  des  lOjhs.  von  Normannen  heimgesucht:  Chron. 
Scotorum  904  (=  Anualen  der  vier  meister  900)  Ailech  dargain 
do  Gallaibh  ('Ailech  von  den  vikingern  verwüstet');  Chron.  Sco- 
torum 938  (=  Annalen  der  vier  meister  937,  Annais  of  Ulster  938) 
Togail  Ailig  ö  gentib  ('Zerstörung  Ailechs  von  den  beiden');  die 
in  der  nähe  von  Ailech  am  Lough  Foyle  sitzeuden  vikinger  ver- 
wüsten 893  Armagh,  sind  941  mit  Ulsterleuten  gegen  Ulsterleute 
verbündet,  ihre  christianisierten  und  durch  heirat  mit  irischeu 
Trauen  auch  in  der  spräche  irisierten  eukel  sind  die  fortuatha 
ums  jähr  1000,  die  dem  könig  von  Ailech  gehorchen,  ebenso 
iuteressant  sind  die  fortuatha  Munsters  in  der  grafschaft  Cork 
(O'Donovan  s.  78,  6):  hier  ist  fortuatha  identisch  mit  Fir 
maige  Fem,  also  die  stränge  tribes  sind  die  vikinger 
von  Fermoy  (vgl.  oben   s.  23  ff). 

Dass  diese  fortuatha  im  11  und  12  jh.,  als  sie  vollständig 
assimiliert  waren,  sich  als  Iren  unter  Iren  fühlten,  ist  natür- 
lich; es  blieb  nur  die  tatsache,  dass  sie  inmitten  eines  Stammes 
safsen,  und  dass  man  dies  durch  einwauderung  irischer  clane  zu 
erklären  suchte,  begreift  sich. 

Da  also  nachweislich  am  ende  des  lOjhs.  in  den  verschie- 
densten teilen  Irlands  vikingercolonien  unter  den  Iren  vorhanden 
waren,  so  müssen  die  verschiedensten  stufen  der  rechtszustäude 
damals  bestanden  haben,  es  gehört  zu  den  vielen  unbegreiflich- 
keiten,  die  mir  bei  näherer  bekanntschaft  mit  keltischen  Studien 
entgegen  getreten  sind,  dass  man  die  frage,  ob  im  Se?i- 
chas  mar  nicht  beziehungen  zu  diesen  teils  nachweis- 
lich vorhandenen,  teils  notwendig  vorauszusetzenden  zuständen 
sich  finden,  nicht  einmal  ernstlich  aufgeworfen 
hat,  geschweige  denn  eine  lösung  versucht  hat.  deshalb  ist  die 
seit  1866  erscheinende  grofse  ausgäbe  der  Sammlungen  irischer 
volksgesetze  mit  Übersetzung  und  einleitungen  eine  wissenschaft- 
liche totgeburt.  Senchas  mär  spiegelt  die  am  ende  des 
10  jhs.  vorhandenen  rechts  Verhältnisse  in  voller 
klar  heil  wider,  nur  haben  O'Donovan  und  O'Curry  und  die 
Verfasser  der  einleitungen    zu  den  einzelnen  bänden  dies  ebenso 


KELTISCHE  BEITRAGE  111  91 

wenig  verstanden,  wie  die  unwissenden  eommeulatoren  und  Glos- 
satoren des  12 — 14  jhs.,  von  denen  sie  sclavisch  abhängig  sind, 
bei  jedem  einzelnen  puuct  der  r  e  c  b  t  s  m  a  t  e  r  i  e  wird 
das  geltende  recbt  dargestellt  und  dann  hinzu- 
gefügt: die  und  die  bestimm  ungen  haben  keine 
oder  doch  nur  bis  zu  einem  gewissen  grad  geltuug 
laFetie;  ol't  wird  sogar  angegeben,  dass  ursprünglich  (d  b. 
bei  den  Iren)  eine  bestimm  ung  in  dem  und  dem  um- 
fang gellung  hatte,  dass  sie  aber  mit  rücksicht  auf 
recht  oder  brauch  la  Fene  so  und  so  erweitert  sei. 
ich  miisle  das  ganze  rechtsbuch  seite  für  seile  ausschreiben,  um 
alle  belege  beizubringen.1  wir  haben  im  Senchas  mar  einen 
grofsartigen  und  eigenartigen  versuch  aus  dem  ende  des  10  oder 
beginn  des  11  jhs.,  den  unterschied  des  rechtes,  der  zwischen 
der  alteingesessenen  irischen  bevölkerung  und  der  seit  au  lang  des 
9  jhs.  nach  und  nach  auf  irischem  boden  augesiedelten  vikinger- 
bevolkerung  noch  bestand,  auszugleichen,  und  das  werk  wird 
für  germanische  wie  vergleichende  rechtsgeschichte  von  höchster 
bedeutung  werden,  so  fern  eine  unter  diesem  neu  gewonnenen 
gesichtspunct  gemachte  Übersetzung  vorliegt,  der  Schlüssel 
liegt  in  der  er  kennt  nis  des  ausdrucks  Fene:    fasst  man 

1  nur  eins  sei  erwähnt  wegen  einer  klaren  parallele  in  dem  mit  Senchas 
mör  so  ziemlich  gleichaltrigen  Lebor  na  cerl.  es  handelt  sich  in  letzterem 
um  eine  stelle  (s.  120,  1  —  4),  die  wir  schon  oben  betrachteten,  der  könig 
von  Ailech  ist  einer  der  mächtigsten  ülsterherscher,  er  gebietet  fast  über 
ein  drittel  von  Ulsterland,  der  aufzählung  nun  alles  dessen,  was  ihm  die 
einzelnen  reguli  schulden  (s.  120, 5— 126, 8),  geht  voran  die  bemerkung. 
dass  er  sein  einkommen  —  'nicht  ist  es  tribul'  —  bezieht  ö  finib  o  for- 
tuatliaib  'von  den  stammen  und  von  den  fremden  colonien'.  hier  stehen 
also  fine,  dh.  'die  irischen  clane1  und  f'ortualha,  dh.  die  'stränge 
tribes,  die  vikingerco  lonien'  als  die  beiden  teile  seines  Volkes 
neben  einander,  im  Senchas  mar  haben  wir  einen  abschnitt,  welcher  von 
den  ungeschriebenen,  den  auf  dem  wort  beruhenden  Vertragsverhältnissen 
(corus  besena  customary  law)  haudell  (in  1  ff),  hier  werden  wir  belehrt, 
dass  kleriker  und  Donnen  der  kirche  unterstehen,  die  anderen  glieder  des 
Staates  dem  forsten  (flaith).  nun  wird  die  frage  aufgeworfen,  wie  vielerlei 
solcher  Vertragsverhältnisse  (corus)  es  im  Staate  gibt  und  die  antworl  ist 
drei:  corus  flatha  corus  fine  corus  FSne,  also  'das  Vertragsverhältnis 
des  forsten,  der  (irischen)  clane  und  der  vikingercolonien'  (in  l(i).  hier 
stehen  Fene  neben  fine,  wie  oben  fortuatha  uehen  fine!  so  tuten  im 
Senchas  mür  ü  her  all  die  Fene  'vikinger'  als  /.  w  e  i  t  e  s  e  I  e  in  e  n  t  n  e  b  e  D 
den  Iren  auf. 


92  KELTISCHE  BEITRÄGE  111 

dies  für  'Normannen'  (vikinger),  so  ist  alles  klar;  wenn  nicht, 
so  bleibt  der  Senchas  mör  als  ganzes  und  in  wichtigen  teilen 
absolut  unverständlich.  Ferne  bezeichnet  'die  vikinger,  die  Nor- 
mannen', und  es  ist  diese  Verwendung  vvol  aus  den  Verbindungen 
tuatha  Fene,  berla  fene  geschlossen ,  die  im  beginne  der  vikinger- 
zeit,  während  der  ersten  hälfte  des  9  jhs.  aufgekommen  waren, 
als  mit  näherem  bekanntwerden  die  speciellen  namen  N ortmann, 
Danar  in  gebrauch  kamen  und  fiann,  gen.  feinne,  die  im  ersten 
teil  dieser  Untersuchung  vorgeführte  bedeutungsentwickelung  durch- 
machte, da  war  feine  in  den  festen  Verbindungen  wie  tuatha  feine, 
berla  feine  grammatisch  unverständlich;  man  fasste  es  wie 
tuatha  Galt,  dh.  als  gen.  plur.  'spräche  der  Fene',  wie  'spräche 
der  Gatt',  man  könnte  ja  annehmen,  dass  fene  eine  bildung 
sei,  wie  feinid,  fennid  von  fiann ,  also  'auf  die  fiandr  bezüglich'; 
dagegen  spricht  nicht  nur,  dass  eine  solche  bildung,  wenn  sie  im 
9  jh.  entstanden  wäre,  sich  auch  anderweitig  adjectivisch  müste 
nachweisen  lassen,  sondern  auch  manches  andere:  einmal  die 
s.  81 — 84  angeführten  tatsachen,  die  wenigstens  zeigen,  dass 
vom  ende  des  11  jhs.  ab  man  weder  für  form  noch  für  be- 
deutuug  von  feine  in  tuatha  Fene,  berla  fene  ein  Verständnis 
hatte;  dann  wird  aber  durch  die  identität  von  Fir  maige  Fene 
in  den  annaleu  für  9  und  10  jh.  mit  Fir  maige  Fian  im  Lebor 
na  cert  des  10  jhs.  (s.  s.  23  ff),  sowie  durch  die  parallele  aus- 
drucksweise tuatha  Fene  in  Fiaccs  hymnus  und  tuatha  Gatt  im 
Lebor  na  cert  (s.  oben  s.  73  anm.)  die  combination,  dass  Fene 
wie  Gatt  zu  fassen  sei,  gewisser  mafsen  auf  dem  präsentierbrett 
entgegengebracht,  da  nichts  verkehrter  wäre  als  die  acten  zu 
einer  zeit,  wo  der  erste  schritt  erst  getan  ist  auf  dem  wege 
würklicher  erkenntnis  der  irischen  zustände  im  vikiuger- 
zeitalter,  früh  zu  schliefsen,  so  will  ich  noch  auf  eine  im  ver- 
lauf schon  mehrfach  angedeutete,  die  form  Fene  für  'vikinger' 
erklärende  möglichkeit  hinweisen,  die  nomina  des  altn.,  welche 
gleiche  bildung  und  gleiche  flexion  haben,  wie  fiandi,  haben 
fast  alle  im  nom.  und  acc.  plur.  /-umlaut,  wie  auch  die  ein- 
silbigen consonantischen  stamme,  also  gefandi : gefendr,  büandi: 
büendr  usw.  mw  fiandi  half iandr,  daneben  in  jüngerer  zeit  auch 
fendr.  dürften  wir  einen  solchen  nom.  acc.  plur.  neben  fiandR 
in  der  vikingersprache  des  9  und  10  jhs.  annehmen  —  sprach- 
lich möglich  ist  dies — ,  dann  würde  wie  dem  fiandR  irisch 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  93 

ftanna,  f'iana  diesem  umgelauteten  nom.  plur.  fendR  eiu  irisches 
fenna,  fena  entsprechen,  für  dieses  fena  konnte  man  einen 
beleg  im  Book  of  Armagh  fol.  18b  sehen  in  dem  Fena  for  Fid 
(mör).  hier  wird  erzählt,  dass  die  7  söhne  Cathbads  von  dem 
noch  heidnischen  süd-Leinsterherscher  Endae  Cennselach  in  die 
Verbannung  gejagt  wurden,  weil  vor  allen  sie  glaubten;  bischof 
Filh  gieng  mit  ibnen  ins  exil.  als  nun  Patrick  später  den  Crim- 
thann,  den  söhn  des  Ende  Cennselach,  taufte,  erbat  er  von 
ihm,  'dass  er  (Crimlhann)  lassen  möchte  die  7  söhne  Catbbads 
und  Fith  (in  ihrem  gebiet)1;  er  erlangte  die  bitte,  es  giengen 
darauf  die  söhne  Cathbads  zu  ihrem  heim.  Is  de  attäa  Fena  for 
Fid  'von  da  gibt  es  Fena  an  (dem  ort  oder  gegend)  Fid  (mör)' 
hier  sind  zwei  dinge  aus  einander  zu  halten:  einmal,  dass  zur 
zeit,  als  diese  irischen  notizen  geschrieben  wurden,  Fena  in 
Fid  mör  existierten,  und  zweitens,  dass  der  Schreiber  sie  mit 
bischof  Fith  in  Verbindung  brachte,  dass  letzteres  unsinn  ist, 
liegt  auf  der  hand;  Fid  (mör)  ist  eine  gewöhnliche  orts- 
bezeichnung,  die  auch  in  Ulster  vorkommt  (Täin  bö  Cüalnge 
in  LU  66a,  9.  56\  38.  LL  56c,  35):  es  bezeichnet  'grofswald', 
wie  Fid  ard  in  Tipperary  'hocbwald'.  ist  also  die  in  der  notiz2 
gegebene  Verknüpfung  der  ortsbezeichnung  Fid  mör  mit  dem 
sagenhaften  bischof  Filh  unhaltbar,  so  bleibt  die  tatsache,  die 
zu  ihr  anlass  gegeben ,  bestehen,  eine  erklärung  scheint  mir 
durch  combination  zweier  anderer  nachrichten  nahe  gelegt,  in 
den  erzählungen    von    dem  vertreiben  der  Dessi  aus  Meath  nach 

1  Stokes  übersetzt  arateilced  maccu  Cathbad  ocus  Isernium  leo  'to 
let  go  Cathbads  sons  and  Iserninus  together  with  theni'  (Vita  triparlita 
ii  343) ;  aber  sie  gehen  zu  lassen  brauchte  Crimthann  nicht,  da  sie  ja  ver- 
bannt waren,  die  bedeutung  von  arateilced  ergibt  sich  aus  Lebur  na  cerl 
(O'Donovan  s.  52, 1  =  Book  of  Bailymote  269b,  50),  woselbst  es  heifst,  dass 
die  vikinger  dem  könig  von  Munster  und  oberkönig  Irlands  zu  kriegsdiensl 
verpflichtet  sind  artelgud  atir  'dafür,  dass  er  sie  im  lande  lässt'.  Crim- 
thann sollte  also  die  Verbannung  aufheben,  und  so  heifst  es  denn  aucli 
Book  of  Armagh  18b  weiter:  'es  giengen  darauf  die  söhne  Cathbads  zu 
ihrem  heim.' 

2  wenn  man  sich  den  irischen  text  ansieht  Dullotar  maicc  Cathbad 
diammennul  ierfin.  Is  de  attäa  Fena  for  Fid,  Conlullali/r  dochum 
Patrice  ocus  Oremtkinn  maic  Endi  uc  Sei  Palrie,  so  ist  klar,  dass  die 
Worte  /.«  de  attäa  FSna  for  Fid  von  dem  Schreiber  des  Book  of  Armagh 
in  seine  vorläge  hineingebracht  oder  wenigstens  eine  bemerkung  in  paren- 
these  sind,  da  sie  die  grammatische  construetion  unterbrechen. 


94  KELTISCHE  BEITRÄGE  111 

Leinster  und  Munster,  die  fürs  11  jb.  als  vorhanden  durch  das 
brucbstück  LL1  53a,  34 — 54b  ende  erwiesen  werden  und  die  offen- 
kundige ereignisse  des  9  jhs.  mit  sagenhaften  erinnerungen  des 
3jhs.  verknüpfen1,  finden  wir  in  Rawl.  B  502  fol.  73b  =  Laud 
010  fol.  102a,  2  die  notiz,  dass  neben  den  Dessi  in  Gabran 
und  <leu  Fothart  östlich  von  Gabran  sitzen  Fene  in  Fid  mW. 
Gabran  ist  Gowran  in  Ossory  (grafschaft  Kilkenny).  andererseits 
melden  die  Annalen  der  vier  meister  zum  jähre  852,  dass  Mael- 
sechlainn i  einen  zug  unternahm  bis  Indeoin  nan  Deisi  'now  Mul- 
lacli  Indeona  in  the  territory  of  the  Northern  Deisi,  harony  of 
OlTa  and  Offa  East' ;  und  zwar  unternahm  Maelsechlainn  den  zug, 
'weil  sie  ihm  widerstand  leisteten  auf  antreiben  der  fremden 
stamme'  (ar  rothriallsat  frühbert  fris  ahucht  echtarchenel). 
sind  diese  echtarchenel  ' fremde  stamme'  nicht  fortuatha  'zu- 
gekommene stamme"?  und  was  können  die  echtarchenel  im  gebiet 
der  nördlichen  Dessi  um  852  anderes  sein  als  'angesiedelte 
vi  kinger'?  diese  echtarchenel  sind  die  Fene  for  Fid  mör  in 
Rawl.  B  502  und  Laud  010  und  die  Fena  for  Fid  (mör)  im 
Book  of  Armagh,  und  sie  können  sehr  wol  auf  jenen 
vi  kin  « er  seh  warm  zurückgehen,  der  nach  den  Ulster- 
annaleu 17  jähre  früher  (835)  gerade  diese  nördlichen 
Dessi  heimsuchte  (ar  catha  forsin  Deis  tuaisciurt  o  genntib 
'Schlachtniederlage  der  nördlichen   Dessi   vou  den  beiden').2    wie 

1  ich  erinnere  daran,  dass  Dunlang  —  wie  nach  LU  54a,  4  der 
Leinsterkönig  des  3  jhs.  heifst  —  name  von  wirklichen  herschern  in 
Leinster  im  9  jh.  und  um  900  ist;  dass  analog  den  sagenhaften  kämpfen 
der  Dessi  mit  den  ir.  oberkönigeu  Cormac  und  Cairbre  im  3  jh.  würkliche 
kämpfe  mit  dem  ir.  oberkönig  Maelsechlainn  i  852  und  im  beginn  des  10  jhs. 
stattfanden. 

2  zu  den  angeführten  momenten  (s.  53  anm.)  ein  neues,  dass  die 
notizen  über  Patrick  im  Book  of  Armagh  nicht  807  können  geschrieben  sein, 
da  von  vikingercolonien  in  Carlow,  Kilkenny  und  Tipperary  viel  vor  mitte 
des  9  jhs.  kaum  kann  die  rede  gewesen  sein,  ist  die  ansieht  richtig,  dass 
die  852  unter  den  nördlichen  Dessi  sitzenden  echtarchenel  auf  den  vikinger- 
schwarm  von  835  zurückgehen  und  identisch  sind  mit  den  Fena  for  Fid 
(mor)  im  Book  of  Armagh,  dann  vermögen  wir  ziemlich  genau  die  zeit  zu 
bestimmen,  in  der  die  notizen  Book  of  Armagh  fol.  16a, 2 — 18b,  2  geschrieben 
sein  müssen.  LL  309»,  50  ff  erfahren  wir,  dass  der  83t  in  nord- Irland 
landende  vikingerführer  Turgeis,  in  der  absieht,  Armagh  zum  sitz  einer 
heidnischen  vikingerherschaft  zu  machen,  den  Forannän,  Patricks  nachfolger, 
vertrieb  corröcht  Mumain  7  scrJn  Patri'c  leis  7  bai  Forannän  cothri  hl. 
i?n  Mumain  7  Turgeis  in  Ardmacha   'sodass  er  nach   Munster  kam    und 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  95 

rasch  solche  vikingercolonien  durch  ihre  irischen  frauen1  —  und 
auf  solche  waren  sie  ja  allein  angewiesen  —  halbwegs  irisiert 
wurden,  dafür  hahen  wir  gerade  für  die  in  frage  kommende  zeit 
(852)  Zeugnisse:  zum  jähre  555  melden  Ulsteraonalenf— 854  Annalen 
der  vier  meister),  dassAed,  söhn  des  Niall,  die  vikinger-Iren 
(Gall-Gaedü)  von  Glenn  Foichle  (dh.  Glenelly  in  grafschaft  Tyrone) 
hesiegt  habe;  andererseits  besiegen  a.856  Imar  und  Amlaib,  führer 
von  neuen  dänischen  vikingerscharen,  Caittil  Find  (ahn.  Ketill 
der  weifse)  mit  seinen  norwegischen  vikinger-  Iren  (Gall-  Gaidil) 
in  Munster;  zum  jähr  855  erfahren  wir,  dass  der  Munstcrkönig 
im  kample  mit  'den  heiden'  (dh.  neu  einfallenden  vikingern) 
vikinger-Iren  (Gall-Gaedü)  auf  seiner  seite  hatte.  Gall-Gaedil 
bezeichnet  'ausländer- Iren',  dh.  halbwegs  irisierte  ausländer,  was 
hier  nur  vikinger  sein  können,  mit  demselben  namen  werden 
auch  die  irisierten  Britannier  im  heutigen  Galloway  (zwischen 
firth  of  Clyde  und  Solway  firth)  bezeichne!;  aber  daraus  mit 
Hennessy  (Annais  of  Ulster  i  365  anm.  10)  schliefsen  zu  wollen, 
dass  hier  von  den  niederland-Scbotten  die  rede  sei,  wäre  töricht, 
wie  Gall  an  sich  (vgl.  s.  62)  nur  den  ausländer  bezeichnet  und 
erst  aus  zeit  und  umständen  sich  ergibt,  ob  vikinger,  Eng- 
länder usw.  gemeint   sind,   so  können   auch  Gall-Gaedil  überall 

der  schrein  Patricks  bei  ihm,  und  Forannän  war  4 jähre  in  Munster  und 
Turgeis  in  Armagh.'  nach  des  Turgeis  tode  kehrte  Foranniin  845  (Ulslcr- 
annalen)  nach  Armagh  zurück,  nur  in  diesen  4  jähren  841  —  845  konnte 
man  die  kenntnis  von  den  erst  wenige  jähre  in  Fid  mör  sitzenden  Fcna 
erhalten  haben.  Book  of  Armagh  16a,  2  — 18b,  2  ist  also  nach  841  ge- 
schrieben. 

1  dass  die  vikinger  es  auf  frauen  bei  raubzügen  abgesehen,  wird 
häufig  erwähnt  und  ist  bei  der  langen  abwesenheit  von  hause  —  auch  für  den 
fall,  dass  sie  heimkehrten  —  natürlich;  S2U  melden  die  Ulsterannalen  Orgain 
Etir  ogenntib,  praed  mor  di  mnaib  dobrith  ass  'plünderung  von  Howth 
(bei  Dublin)  von  den  heiden,  grofse  beute  an  weibern  wird  fortgeschleppt.'  — 
wie  stark  der  irisierende  einfluss  der  frauen  war,  das  haben  ja 
auch  die  1172  ins  land  kommenden  Engländer  erfahren;  um  ihm  vor- 
zubeugen und  die  irisierung  der  Engländer  zu  verhindern,  erliefs  Eduard  in 
im  jähre  1367  das  berüchtigte  Statut  von  Kilkenny,  wonach  es  unter 
strafe  des  hochverrats  den  englischen  colonisten  Irlands  untersagt  war, 
sich  durch  heirat  mit  den  Iren  zu  verbinden;  zur  zeit  Eduards  iv 
(14G1  —  1483)  wurde  ein  englischer  baron  enthauptet,  weil  er  eine  Irin  ge- 
heiratet (s.  Hassenkamp,  Geschichte  Irlands  s.  5).  nur  denke  man  sich  die 
vikinger  des  9jhs.  diesem  einlluss  hingegeben,  und  vieles  wird  ;ius  dieser 
zeit  in  sage  und  geschiente  klar. 


96  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

erscheinen,  wo  die  Iren  nicht-irische  bevölkerung  mehr  oder 
weniger  assimiliert  haben,  mir  nicht  zugängliche  fragmente  von 
anualen  melden  nach  Todd ,  Cogatlh  Gaedhel  s.  xxx  anm.  über 
die  Gall-Gaedü  von  Munster  (s.  oben),  dass  sie  waren  'a  people 
who  had  renounced  their  baptism  and  they  were  usually  called 
Normannaig,  for  they  had  the  customs  of  the  Northmen  and  had 
been  fostered  by  them,  and  also  the  original  Northmen  were  bad 
to  the  churches,  these  were  far  worse,  in  whatever  part  of  Erinn 
they  used  to  be.'  das  ist  natürlich  irische  auffassung  jüngerer 
zeit;  es  mögen  auch  Iren  unter  diesen  'vikinger-Iren'  mit  ge- 
wesen sein,  aber  die  Gall-Gaedü  in  den  verschiedenen  teilen 
Irlands  um  850  sind  in  irischen  territorien  sitzen  gebliebene 
vikinger,  die  im  anfang  wol  noch  heiden  waren. 

Wir  haben  also  für  die  mitte  des  9  jhs.  vier  bezeichnungen 
solcher  vikinger-Iren:  echtarchenel  ('ausländische  geschlech- 
ter'), fortuatha  ('dazu  gekommene  stamme'),  Gall-Gaedü  ('aus- 
länder-Iren')  und  Fena.  diese  namen  werden  natürlich  in  den 
einzelnen  gegenden  nach  und  nach  gewisser  mafsen  eigennamen, 
wie  wir  die  fortuatha  in  Wicklow  im  Lebor  na  cert  und 
sonst  treffen,  so  die  Fene  in  Fidmor  neben  Dessi  und  Fotharta 
in  Rawl.  R  502  und  Laud  610.  was  nun  die  form  Fena  mit 
auslautendem  a  im  Rook  of  Armagh  anlangt,  so  ist  es  meines 
erachtens  völlig  ausgeschlossen,  dass  seihst  bis  ende  des  9  jhs. 
in  einer  irischen  hs.  Fena  als  nom.  plur.  zu  einem  jo- stamm 
nom.  sing.  Fene  auftreten  kann:  er  müste  Feni  lauten,  es  kann 
daher  die  älteste  form  Fena  nur  aus  fendR  entstanden  sein,  wie 
fiana  aus  fiandR:  a  gibt  das  aus  %  entstandene  lispelnde  R  des 
urnordischen   im  auslaut  nach  consonanten  wider.1     die  jüngere 

1  vgl.  oben  s.  15  anm.,  wo  weitere  beispiele.  ich  habe  jetzt  eine 
Sammlung  von  nahezu  60  speci  fisch  nordischen  lehn  Wörtern  in  der 
älteren  irischen  spräche  und  werde,  sobald  ich  einige  angefangene 
Untersuchungen  erledigt  habe,  den  versuch  machen,  im  einzelnen  zu  zeigen, 
was  wir  aus  ihnen  für  die  nordische  spräche  vornehmlich  des  9  und  10  jhs. 
lernen  können,  ich  möchte  schon  hier  mit  rücksicht  auf  fiandR  und  fendR 
auf  einen  gesichtspunct  aufmerksam  machen,  die  zeit  von  800  — 1000, 
aus  der  die  dem  lebendigen  verkehr  entstammenden  nordischen  lehn- 
wörter  im  irischen  herrühren,  ist  die  wichtige  zeit  der  allmäh- 
lichen sonderung  des  urnordischen  in  die  westnordische  und  ost- 
nordische sprachgruppe.  die  ersten  vikinger  auf  Irlands  boden  gehörten  der 
späteren  westnordischen  sprachgruppe  an,  es  waren  Norweger  vom  Har- 
dangerfjord  (s.  Zs.  32,205  und  passim);  sie  führten  wol  als  beinamen  häufig 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  97 

form  Fene  wäre  dann  die  unter  einfluss  des  hellen  vocals  der 
Wurzelsilbe  entstandene  abschwächung  aus  Fena,  wie  altir.  mora 
aber  tlre.  sind  diese  combinationen  richtig,  dann  wäre  Fena,  Fene 
hvili '(vgl.  Hvitr,  Olafr  Hviti ,  Porsteinn  Hviti ,  Ilvitaskäld ,  Hvitasky,  //<•/- 
takollr,  Hvitalectr  usw.  im  Landnämabök)  und  werden  daher  von  den  Iren 
Findgenti  'Hvitileute,  H  vitiheiden '  (nicht  etwa  'weifse  heiden'  im 
gegensatz  zu  'schwarze  heiden')  genannt,  um  850  kommen  angehörige  der 
ostnordischen  sprachgruppe  (Dänen)  als  vikinger  nach  Irland,  oder  viel- 
mehr um  diese  zeit  fieng  man  in  Irland  an,  norwegische  und  dänische 
vikinger  zu  unterscheiden,  das  in  LL  fol.  309.  310  bewahrte  fragment  einer 
aus  der  ersten  hälfte  des  11  jhs.  stammenden  irischen  geschichte  der  vikinger- 
zeit  bis  1014  meldet  LL  310a,  11  ff,  nachdem  es  die  Normannenzüge  auf 
Irlands  boden  bis  gegen  850  eingehend  geschildert  hat,  folgendes:  Tan- 
catar  iarsain  Dubgenti  Danarda  ocus  rolaeset  foh  Erend  ocus  robatar 
oc  dichor  na  Findgenti  a  Herinn  ocus  romarbsat  coic  mili  dona  Find- 
gentib  oc  Snüm  Aignech  'es  kamen  darauf  dänische  Dubgenti  und 
warfen  sich  (zerteilten  sich)  über  Irland  und  begannen  die  Findgenti  aus 
Irland  zu  vertreiben  und  töteten  5000  Fmdgenti  bei  Snam  Aignech.' 
hierzu  stimmen  nun  die  annalen:  Ulsterannalen  850  (=  Chronicon  Scotorum 
851)  tetact  Dubgennti  du  Ath  Cliath  combat  ar  mar  du  Finngallaib  7  co- 
roslatsat  inlongport  elir  doine  7  moine.  slat  do  Dubgenntib  oc  Lind 
Duachail  7  ar  möv  diib  'kommen  der  Dubgenti  nach  Ath  Cliath  (Dublin), 
und  sie  richteten  eine  grofse  niederlage  unter  den  Findgall  (Norwegern)  an 
und  sie  plünderten  deren  festes  lager,  sowol  menschen  als  schätze,  plün- 
derung  durch  die  Dubgenti  bei  Linn  Duachail  und  eine  grofse  niederlage 
durch  sie  (an  den  Findgenti).,  und  im  folgenden  jähr  851  haben  die  Ulster- 
annalen (=  852  Chron.  Scot.)  lucht  ocht  xx  long  di  Finngentib  doroacht- 
adar  du  cath  fri  Dubgenti  do  Snam  Aignech.  tri  la  7  tri  aitchi  oc  cath- 
ngud  doaib  act  is  ren  Duibgennti  rommeabaid  cofarggabsat  aceile  allonga 
leu.  Stain  fugitivus  evasit  et  Jevcne  decollatus  jacuit  'eine  schar  von 
8  mal  20  schiffen  von  Findgenti  (Norwegern)  kamen  zu  kämpfen  gegen  die 
Dubgenti  nach  Snam  Aignech.  3  tage  und  3  nachte  kämpften  sie,  aber 
die  Dubgenti  blieben  siegreich,  sodass  die  anderen  (die  Norweger)  ihnen 
ihre  schiffe  überliefsen.  Stain  (ein  Norwegerführer)  fugitivus  evasit,  Jercne 
(ein  Norwegerführcr)  decollatus  jacuit.'  wenn  die  Norweger  in  160  schiffen 
kamen,  dann  ist  begreiflich,  wie  5000  von  ihnen  bei  Snam  Aignech  fallen 
konnten,  von  da  an  tummelten  sich  Norweger  und  Dänen  auf  Irlands 
boden:  west-  und  ostnordische  zunge  wurde  von  da  an  auf  Irlands  boden 
geredet,  da  die  lehnwörler  aus  dem  nordischen  dem  lebendigen  verkehr 
entstammen,  so  können  solche  dialectunt  erschiede  sich  wol  wider- 
spiegeln. —  ist  die  eben  vorgetragene  Vermutung,  dass  die  ersten  nor- 
wegischen vikinger  aus  Hönlaland  deshalb  Findgenti,  Findgaill  (Find 
heiden,  .FVw/ausländer)  genannt  wurden,  weil  unter  ihnen  der  beiname  Hvite 
oder  beinamen  mit  Ilvita-  componiert  häufig  waren,  dann  wird  verständlich, 
wie  man  dazu  kam,  die  Dänen  Dubgenti,  Dubgaill'Dubhe'ulei),  Zfadausländer' 
zu  nennen,  die  annähme  liegt  nahe,  dass  man  in  Irland  um  850  \ri- 
Z.  F.  D.  A.     XXXV.     N.  F.    XXIII.  7 


98  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

schon  im  9  jli.  eine  bezeichnung  für  'vikingercolonien'  in  Irland, 
so  weit  sie  als  residua  der  grofsen  raubzüge  im  beginn  des  9  jhs. 
sitzen  blieben  und  unter  die  herschaft  irischer  könige  gerieten, 
also  synonym  mit  fortuatha  im  Lebor  na  cert.  dann  könnte 
die  Verwendung  von  Fene  im  Senchas  mär  darauf  zurückgehen 
und  es  erhöbe  sich  auch  die  frage,  ob  Fene  in  Fir  maige  fene 
in  den  annalen  862.  942  (s.  oben  s.  23  ff) ,  in  tuathaib  Fene 
in  Fiaccs  hymnus  (oben  s.  54  ff)  nicht  auf  dieses  Fene  —  gram- 
matisch aufgefasst,  wie  Desse  —  der  form  nach  zurückzu- 
führen ist. 

Wie  man  aber  auch  die  entstebung  der  form  Fenex  fassen 
möge,  sie  bezeichnet  im  Senchas  mär  die  in  irischen  ter- 
ritorien  —  also  aufserhalb  des  gebietes  des  vikingerkönigs  von 
Dublin  —  zu  ende  des  10 jhs.  sitzenden  vikingercolonien, 
und  Senchas  mör  wird  wol  tatsächlich  zu  stände  gekommen  sein 
unter  mitwürkung  eines  mannes,  der  nicht  nur  kundig  war  der 
spräche  der  vikinger  (berla  fene),  sondern  auch  ihres  rechtes, 
das  werk  ist  entstanden  aus  dem  bedürfnis:  es  sollte  gewis 
zugleich  die  assimilierung  dieser  aller  orten  am  ende  des  10  jhs. 
in  irischen  dominien  sitzenden,  z.  t.  schon  längst  christlichen 
gessen  hatte,  dass  Findgenti  eine  art  Scherzname  'Hvitiheiden ,  Hviti- 
ausländer'  (dh.  heiden,  die  alle  Hviti  heifsen)  war,  und  dass  man  die  zu- 
erst als  feinde  der  Norweger  (Findgenti,  Findgaill)  auftretenden  Dänen, 
um  den  gegensatz  der  beiden  stamme  zu  bezeichnen,  einfach  Dubgenti 
'schwarze  heiden' im  gegensatz  zu  Findgenti  'weifse  heiden',  wie  man 
Findgenti  fälschlich  auffasste,  nannte,  es  kann  noch  eine  tatsache  hinzuge- 
kommen sein,  während  die  norwegischen  vikinger  um  Schottland  herum  von 
norden  kamen,  kommen  die  dänischen  vikinger  mitte  des  9  jhs.  von  süden, 
von  Frankreichs  küste  und  um  süd -England  herum,  von  843  —  845  waren 
dänische  vikinger  bis  nachdem  südlichen  Spanien  gelangt,  den  Guadalquivir 
hinauf  gezogen  und  hatten  Sevilla  belagert,  bis  sie  von  emir  Abdorrahman 
zum  rückzug  gezwungen  worden  waren  (vgl.  Kunik,  Berufung  der  Rodsen  n 
285  ff),  bald  darauf  traten  dänische  vikinger  in  England  und  Irland  zuerst  auf. 
sollten  sich  unter  ihnen  scharen  befunden  haben,  die  von  den  gestaden 
Spaniens  und  Africas  küsten  zu  erzählen  wüsten?  sollte  dies  auf  die  be- 
zeichnung Dubgenti  'schwarze  heiden'  in  den  irischen  annalen,  gentiles  nigri 
in  den  Annales  Gambriae  (853  Mon  vastata  a  gentilibus  nigris)  von  be- 
stimmendem einfluss  gewesen  sein? 

1  die  bezeichnung  des  volkes  der  Nordleute  (fiana,  fena)  nach  der 
cha  racteris tischen  seite,  von  der  diese  Nordgermauen  zuerst  den 
Iren  bekanntwurden  fßandr),  hat  ein  gegenstück  im  deulschen,  wo  die 
unfreien  (servi)  nach  den  zahlreichen  slavischen  kriegsgefangenen 
'sclaven'  genannt  werden. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  99 

vikingercolonien  mit  befördern ,  wenn  man  ihm  die  fiction  vor- 
ausschickte, dass  dieses  gemeinsame  rechtsbuch  unter  vorsitz  des- 
selben Patrick,  der  schon  die  noch  unabhängigen  vikinger  in 
Dublin  bekehrt  hatte,  und  unter  der  kundigen  mitwürkung  eines 
vikingers  zu  stände  gekommen  sei.  dass  mit  Ras  Tryggvasonr 
(Rüs  mac  Triam)  nicht  ein  vikinger  aus  dem  ende  des  10  jhs. 
kann  gemeint  sein,  liegt  auf  der  hand :  er  muss  ebenso  fingiert 
sein,  wie  die  anderen  mitglieder  der  neuner-commission.  ob  er 
bei  den  vikingern  eine  sagenhafte  oder  eine  mit  sage  umwobene. 
geschichtliche  persönlichkeit  war,  wie  die  anderen  mitglieder  der 
commission  bei  den  Iren,  vermag  ich  nicht  zu  bestimmen:  wahr- 
scheinlich ist  es.  —  für  die  geradezu  erdrückende  fülle  des 
commentarartigen  und  glossenartigen  materials,  das  in  den  hss. 
durch  kleine  schrift  scharf  vom  text  geschieden  ist,  erwächst  als 
erste  aufgäbe  zu  prüfen:  wie  viel  von  diesem  material  stammt 
aus  einer  zeit  (11  jh.),  in  der  mau  noch  ein  volles  oder  halbes 
Verständnis  für  die  rolle  der  Fem  im  rechtsbuch  besafs?  alles 
andere  material  hat  für  die  erklärung  des  textes  ebenso  viel 
wert,  wie  die  oben  s.  81  ff  mitgeteilte  geschichte  von  Fenius 
und  Gaedhels  schulmeistertätigkeit  in  der  ebene  Sinear  und  im 
Scythenlande  für  die  erkenntnis  der  würklichen  geschichte;  leider 
ist  dies  wertlose  material  für  O'Donovan  und  O'Curry  der  haupt- 
leitfaden  im  Verständnis  des  textes. 

Als  abschluss  dieser  partie  der  Untersuchung  will  ich  zur 
beleuchtung  einer  noch  nicht  zur  spräche  gekommenen  seile  der 
berührungen  zwischen  Iren  und  vikingern  in  der  zweiten  hälfte 
des  10  jhs.  zwei  kurze  notizen  aus  irischen  texten  mitteilen,  die, 
obwol  jüngeren  hss.  entstammend,  das  gepräge  ihrer  entstehungs- 
zeit  deutlich  verraten,  da  mau  seit  der  mitte  des  11  jhs.  nach 
allem,  was  uns  die  vorhergegangenen  betrachtungen  gelehrt  haben, 
so  etwas  nicht  mehr  erfinden  konnte. 

Ich  habe  oben  (s.  34  ff)  den  gang  einer  erzählung  skizziert, 
wie  Urard  mac  Coisi  auf  listige  weise  von  Irlands  oberkönig 
Domoall  mac  Muirchertaig  (956  —  979)  hülse  erhält  für  die  ihm 
von  leuten  des  konigs  zugefügte  unbill.  hier  heilst  es  unmittelbar 
nachdem  gemeldet  ist,  dass  Mac  Coisi  die  maske  des  erzählers 
abgeworfen  hat:  Amal  roncuala  Domnall  tra  inna  fegbriathra 
fidnaisi  si  doräd  doMael  Mihcothach  fiada,  dochuatar  echlacka 
üad    indiaid    innagabala.      ocns    bahr    luide  forsanechl(achus)  sin 


100  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

Robud  mac  Rofuacra  dithuataib  fian  fdedachta  cofuair  side 
na  köcu  immanngabail  ocroinniud  'als  nun  Domnall  diese  scharfen 
worte  des  gutes  (?)  reden  hörte  vor  sich  von  Mael  Milscothach, 
da  brachen  auf  boten  von  ihm  hinter  dem  raube  her.  und  der 
war  es,  welcher  auf  diese  botschaft  gieng,  Robud  mac  Rofuacra 
('warnung,  söhn  der  grofseu  ankilndigung')  von  den  vikinger- 
dichtern,  und  er  fand  die  krieger  um  die  beute  beim  verteilen' 
(Rawl.  B  512  fol.  113a,  15  —  23).  Robud  mac  Rofuacra  ist  natür- 
lich ein  fingierter  name,  wie  fast  alle  in  der  erzählung;  er  war 
dithuathaib  fian  'von  den  vikingern'.  dies  dithuathaib  fian  ver- 
hält sich  zu  dotuathaib  Fene  des  Fiacchymnus  (oben  s.  54  ff), 
wie  Fir  maige  fian  des  Lebor  na  cert  zu  Fir  maige  fene  der 
annalen  (s.  23  ff),  eine  gewöhnliche  irische  ausdrucksweise  von 
der  ältesten  zeit  bis  zum  heutigen  tag  ist  es,  statt  des  nomen 
agentis,  wie  'sänger,  dichter'  usw.,  zu  sagen  'mann  oder  leute 
des  gesangs,  der  dichtkunst',  also  fer  fdedachta  'mann  der  dicht- 
kunst'  für  file  'dichter',  aes  filedechta  'volk  der  dichtkunst'  für 
den  plur.  filid  'die  dichter',  so  heifst  Robud  hier  dithuathaib 
fian  filedechta  'von  den  vikingern  der  dichtkunst',  also  skalde. 
unser  text  denkt  sich  also  am  hofe  des  königs  von 
Meath,  des  oberkönigs  Domnall  mac  Muirchertaig  (956  —  979), 
dessen  friedliche  und  feindliche  beziehuugen  zu  den  vikingern  Du- 
blins wir  (s.  66)  kennen  lernten,  einen  nordischen  skalden. 
Nun  das  gegenstück  am  hofe  des  vikingerkönigs  in  Dublin. 
Laud  610  fol.  9d,  18  ff  findet  sich  ein  gedieht  auf  stürm  und 
ocean  in  zehn  Strophen,  Ainpthine  mör  ar  muig  Lir  'grofser 
stürm  herscht  auf  dem  gefilde  des  Ler'  (dem  meere)  beginnend, 
dann  fährt  der  text  fort  (fol.  10%  19)  Rumund  [mac  Colmain.j. 
mac  fig  Loegaire  doclannaib  Neill  righfile  Erenn]  ise  dorigne  an- 
duansa  7  laid  luascach  ainm  na  haiste  aranemad.  Ise  adbur  im- 
morro  adenma  dö  ./.  [dia  ailithri  tanicc  se  coRathan  inaimsir 
gorta  moire.  Robo  meiste  lalucht  anbaue  athuidecht  donbaili 
con  ann  adubratar  frisin  soer  robui  iedenum  indurtaigi  moir 
diultad  dodenum  frisin  fer  ndäna  conid  ann  atbert  insaer  frifer 
diamuintir:  Erig  anagaid  Rümuind  7  abair  fris  naticed  don 
bailin  nocondernase  rand  imbia  ainm  nafil  doclaraib  sund  dochum 
indurtige  conid  ann  doroinsiom  inrandsa: 

A  mueoimdiu  cid  dodensa  frisin  adbur  marsa? 

Cuin  bus  aicdi  foseeim  dluta  na  x.c.  clarsa. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  111  101 

Ised  sin  robui  doclaraib  and  ./.  mile  dar  7  nifetad  diultad  fris 
ursin  orafaillsigh  dia  da  trianaeicsi  iniin  dar  robui  ocunsoer]. 
Doroine  mördüain  doGallaibh  Atha  Cliath  [ärsin]  acetoir  7  ad- 
ubratar  na  Gaill  conatibritis  luach  aduaine  dö  conid  ann  doröin- 
siom  inrand  irdairc  connebairt:  Mersa  madail  doneoch  dogena  7 
ärsein  beratsa  einech  daine  dasgena  cotucad  abreth  fein  dö  ärsin. 
Conid  si  breth  ruesum ./.  pingind  cech  drochGaill  7  daplnginn  cech 
deGaill  connafrith  accu  Galt  nach  tue  dapingind  dö  arnifiti  re 
Gallaib  drochGall  dorad  frie  fein  iter.  Connebratar  fris  na 
Gaill  indfairge  domolad  coßntais  indan  bunaid  bui  aiege.  Conid 
ann  romolsom  infair -ge  7  se  armeisce  connebuir:  Anpthine  mör  ar 
muig  Lir.  Cotucsom  immorro  inetail  sin  leis  coCell  Belaig  ar 
Mtiig  Constantin  arba  docellaibh  Ua  Suanaid  incell  sin  7  Mag 
Constantin  uile  cach  magh  dano  7  cech  ferann  doreiged  Con- 
stantin ba  reMurchatu  conid  doConstantin  ainmnigter  inmagh. 
Is  amlaid  bui  cell  antansin  7  vn  sraitde  doGallaib  ann  7  ara- 
meit  7  dorat  Ramann  trian  aetala  di  7  trian  doseoil  7  trian  leis 
fein  coRaithen.  Conid  ann  is  marbh  conid  adnacht  on  enleabad  re 
hm  Suanaid  armet  anoire  ladia  7  ladaine. 

'Ruraund  [mac  Colmaiu  ,  dh.  der  söhn  des  köuigs  Loegaire 
vom  geschlecht  des  Niall,  der  königliche  dichter  Irlands],  er 
machte  dies  gedieht  und  laid  luascach  ist  der  name  des  metrunis, 
in  dem  es  gemacht  ist.  dies  ist  aber  der  grund ,  aus  dem  er 
es  machte:  [er  kam  nämlich  auf  der  pilgerschai't  nach  Rathan  iu 
der  zeit  einer  grofsen  hungersnot.  es  gefiel  den  leuten  deshalb 
um  so  weniger1  sein  kommen  zu  der  Stadt  uüd  sie  sagten  da 
zu  dem  künstler,  welcher  beim  bauen  des  grofsen  Oratoriums 
beschäftigt  war,  den  manu  der  dichtkunst  abzuweisen,  und  da 
sagte  der  architect  zu  einem  mann  seiner  Umgebung  (einem 
seiner  gehilfen):  gehe  dem  Rumund  entgegen  und  sage  ihm,  er 
solle  nicht  zur  Stadt  kommen,  bis  er  nicht  eine  Strophe  gemacht, 
in  der  die  zahl  der  breiter  angegeben  werde,  die  sich  da  befand 
für  das  Oratorium,  und  da  machte  er  folgende  Strophe:  o  mein 
herrgott,  was  soll  ich  tun  in  bezug  auf  dies  grofse  material? 
wann  werden  diese  1000  breiter  ein  gebäude  unter  festem  Schema 
(?dach?)  bilden?  dies  befand  sich  von  bretlern  dort,  Dämlich 
1000  breiter,    und  nicht  konnte    man   ihn    darauf  abweisen,    da 

1  über  die  redensart  Robo  meiste  tu  vergleiche  meine  ausführungen 
Zs.  f.  vgl.  sprach  forsch.  28,  370  —  376. 


102  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

gott  ihm  durch  seine  dichterische  inspiration  die  zahl  der  bretter 
bei  dem  architecten  offenbart  hatte],  er  machte  ein  grofses  ge- 
dieht den  ausländem  von  Dublin  [darauf]  zuerst  und  die  aus- 
länder sagten ,  sie  würden  ihm  nicht  den  lohn  für  sein  gedieht 
geben,  und  da  machte  er  die  berühmte  Strophe  und  sagte:  meine 
Zurückweisung,  wenn  es  jemand  gefällt,  möge  er  tun  und  dann 
werde  ich  sie  tragen,  ehre  der  menschen,  ich  werde  sie  machen, 
sodass  sein  eigenes  urleil  von  ihm  dann  gesprochen  wird,  und 
dies  ist  das  urteil,  das  er  fällte:  ein  pfennig  für  (von)  jeden 
schlechten  ausländer  und  zwei  pfennige  für  (von)  jeden  guten 
ausländer,  und  es  wurde  bei  ihnen  kein  ausländer  gefunden,  der 
ihm  nicht  zwei  pfennige  gab,  denn  es  galt  nicht  für  würdig  hei 
den  ausländem,  dass  einer  überhaupt  schlechter  ausländer  ge- 
nannt wurde,  und  es  sagten  zu  ihm  die  ausländer,  er  solle  den 
ocean  preisen,  damit  sie  erkennen  könnten,  ob  Originalpoesie 
er  (geliefert)  hatte,  und  da  pries  er  den  ocean  und  in  der 
trunkenheit  sagte  er:  ein  grofser  stürm  ist  auf  dem  gefilde  des 
Ler.  und  er  nahm  den  gewinnst  mit  sich  nach  Cell  Belaig  in 
Mag  Constantin,  denn  es  war  diese  kirche  (Cell  Belaig)  eine  von 
den  kirchen  des  Ua  Suanaid  und  Mag  Constantin  hiefs  alles; 
denn  jedes  feld  und  jeder  strich,  den  Constantin  geebnet1  (ge- 
rodet) hatte,  gehörte  dem  Muchatu  (heiligen  Mochuda),  und  von 
Constantin  wird  das  gefilde  genannt,  so  war  aber  der  ort  (Cell 
Belaig)  damals:  7  strafsen  von  ausländem  dort  und  wegen  seiner 
gröfse  gab  Rumann  ein  drittel  eines  gewinnstes  ihr  (der  kirche) 
und  ein  drittel  der  schule,  und  ein  drittel  nahm  er  mit  sich  nach 
Rathen.  dort  starb  er  und  wurde  in  einem  bette  mit  Ua  Suanaid 
beerdigt,  wegen  der  ehre,  die  er  bei  gott  und  den  menschen  genoss.' 
Man  sieht  sofort,  dass  die  erzählung  einen  einschub  erfahren 
hat.  zuerst  ist  das  gedieht  gegeben,  dann  der  dichter  genannt 
und  darauf  folgt  'der  grund,  aus  dem  er  es  machte.'  hier  wird 
aber  eine  geschichte  erzählt,  die  mit  dem  gedieht 
im  anfang  nichts  zu  tun  hat,  und  gar  nicht  erklärt,  wie 
er  es  machte,  im  verlauf  kommt  dann  der  grund.  es  ist  alles 
klar,  wenn  man  die  oben  sowol  im  irischen,  wie  im  deutschen 
texte  in  eckige  klammern  gesetzten  worte  ausscheidet,    es  schliefsen 

1  dureiged  natürlich  schlechte  Orthographie  der  jungen  hs.  für  doreided, 
da  so  genanntes  aspiriertes  d  und  g  in  der  ausspräche  in  j  (engl,  ij)  zu- 
sammenfielen. 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  103 

sich  dann  eng  au  einander  an  die  vvorte:  'dies  ist  aber  der  gruud, 
aus  dem  er  es  machte:  er  machte  (hatte  gemacht)  ein  grofses 
gedieht  den  ausländem  von  Dublin  zuerst  (acetoir)  und  sie  sagten.' 
der  compilator  hat  blofs  vor  acetoir  'zuerst'  das  uopassende  ärsin 
'darauf  eingeschoben,  um  den  einschub  zu  verknüpfen,  endlich 
müssen  noch  gleich  im  anlang  die  zwischen  klammern  stehenden 
worte  fallen:  sie  erklären  uns  den  einschub.  Rumunn  mac 
Colmaiu  war  ein  hochberühmter  irischer  dichter,  dessen  tod 
die  Ulsteraunalen  zum  jähr  746  (Ruman  mac  Colmain  poeta 
optimus  quievit),  Tigernach  a.  747  melden  (s.  O'Donovan,  An- 
nalen  der  vier  meister  i  344  anm.  i);  von  ihm  heifst  es  im 
Naemsenchas  (geschichte  der  irischen  heiligen)  Ruman  mac  Col- 
main anfili  diata  sil  Rumain  inAth  Truim ;  trlfiletha  andomain  ./. 
Emhar  oGregaibh  7  Feirgil  oLaidinaibh  7  Ruman  oGaedelaibh 
'Ruman  mac  Colmaiu,  der  dichter,  von  welchem  die  familie  Ruman 
in  Trim;  drei  dichter  gibt  es  auf  der  weit,  nämlich  Homer  von 
den  Griechen ,  Vergil  von  den  Lateinern  und  Ruman  von  den 
Iren' (Book  of  ßallymote  225a,  42  ff).  Ruman  ist  ein  ehren- 
name  'der  Römer'  und  ist  im  8  — 11  jh.  ebenso  häufig  in 
Irland  bei  dichtem  und  gelehrten,  wie  Fergil  (Virgilius)  s.  Zs. 
33,  327:  ein  Ruman  mac  Cathasaig  stirbt  nach  den  Annalen  der 
vier  meister  919,  ein  Rumann  hua  Acdacain  stirbt  979  nach 
Ulsterannalen.  also  von  eiuem  solchen  Rumann  des  10  oder 
beginnenden  11  jhs.  handelte  die  geschichte  von  den  ausländem 
in  Dublin,  und  ein  jüngerer  compilator,  der  nur  den  im  ganzen 
mittelalter  berühmten  Ruman  mac  Colmain  aus  dem  anfang  des 
8  jhs.  kannte,  identificierte  beide  und  benutzte  die  gelegenheit, 
eiue  geschichte  von  diesem  Ruman  mac  Colmain  ungeschickt 
einzufügen,  dass  zu  Ruman  mac  Colmains  Zeiten  noch  keine 
vikinger  in  Dublin  sein  konnten,  ist  klar,  da  irische,  kymrische, 
englische  und  nordische  quellen  darin  übereinstimmen,  dass  die 
vikiuger  im  jähre  795  zuerst  an  Irlauds  küsten  erschienen,  dazu 
kommt,  dass  von  einer  fremden,  im  anfang  des  8  jhs.  zu  Dublin 
h ersehenden1  —  und  dass  sie  herren  dort  waren,  ist  klar  — 
bevolkerung  keine  rede  sein  kann,  und  ferner,  dass  die  ausländer 
'vikinger'  sein  müssen,  wie  wir  sehen  werden. 

1  daran  denkt  Ü'Curry ,  Manners  and  customs  in 38,  ohne  die  Unmög- 
lichkeit zu  erwägen,  die  eben  durch  contamination  eines  spateren  Uumann 
mit  dem  berühmten  dichter  des  beginnenden  8  jhs.  entstanden  ist. 


104  KELTISCHE  BEITRÄGE  111 

Demnach  ist  der  gang  unseres  textes  der:  zuerst  steht  das 
mit  Ainpthine  mor  beginnende  zehnstrophige  gedieht  auf  den 
oceau,  dann  heifst  es  weiter  Rumund  .  .  .  .'  ise  dorigne  an- 
duainsa  7  laid  luascach  ainm  na  haiste  aranemad.  Ise  adbur 
immorro  adenma  du  ./.  doroine  mördüain  doGallaibh  Atha  Cliath 
acetoir  7  adubratar  na  Gaul  usw.  'Rumann  ....  er  machte  dieses 
gedieht  und  laid  luascach  ist  der  name  des  metrums,  in  welchem 
(eigentlich :  durch  welches)  es  gemacht  ist.  dies  ist  aber  der 
grund,  aus  dem  er  es  machte,  er  hatte  nämlich  ein  grofses 
gedieht  den  ausländem  von  Dublin  zuerst  gemacht  und  die  aus- 
länder sagten'  usw.  constatieren  wir  zunächst,  dass  die  Gaill 
Atha  Cliath  nur  in  Dublin  herschende  'vikinger'  sein  können, 
der  stärkste  beweis  dafür  liegt  in  der  uns  ent- 
gegentretenden nordgerm.  sitte  der  'selbstein  - 
schätzuug'.  hüren  wir  Cleasby-Vigfusson:  'sjdlfdoemi  as  a 
law-term  selfjudgment,  when  instead  of  submitling  a  case 
to  arbitration  or  to  the  judgment  of  a  court,  one  party  gave  it 
over  to  his  adversary  to  give  judgement  himself;  this  was  by 
the  oid  customs  the  greatest  satisfaction  that  could  be  given, 
and  it  often  was  allowed  to  au  iujured  man ;  it  was  also  some- 
times  used  as  the  last  appeal  to  the  justice  and  generosity  of  a 
powerful  adversary.'  ich  denke,  Rumanns  vorgehen,  um  zu 
seinem  rechte  zu  gelangen,  ist  nun  verständlich;  er  offeriert  själf- 
dwmi  den  vikingern:  'meine  Zurückweisung2,  wenn  es  jemand 
gefällt,  möge  er  tun  und  ich  werde  sie  tragen;  ehre  der  menschen, 
ich  werde  sie  machen  (dh.  ich  werde  den  mafsstab,  die  scala 
für  die  ehrschätzung  unter  den  menschen  aufstellen),  sodass  sein 
eigenes  urteil  von  ihm  gesprochen  wird3  (dh.  durch  die  eiu- 
schätzung).'      nun   stellt   der   schlaue   Ire   seine   scala    auf:    'ein 

1  hier  muss  natürlich  die  nähere  bezeichnung  dieses  Rumann  in  folge 
seiner  identificierung  mit  Rumann  mac  Colmain  weggefallen  sein. 

2  dh.  'die  Zurückweisung  meiner  anspräche. ' 

3  die  berühmte  strophe  (in  rand  irdairc)  ist  wol  so  zu  schreiben: 

M'erasa  mad  ail  doneoch       dogena  is  beratsa 
Eineck  düine  dasgena  cotticad  abreth  fein  dö. 

die  strophe  ist  sprachlich  von  höchster  Wichtigkeit:  im  einfachen  verb  ist 
das  pronominale  objeet  suffigiert  (beratsa  —  bera-tsa)  und  im  componierten 
verb  Mitigiert  (dasgena  —  da-s-gena) ;  sie  liefert  also  einen  weiteren  beweis 
zu  der  von  mir  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  28,  318  ff  aufgestellten  theorie  über 
den  Ursprung  der  um  t  erweiterten  personalendungen  und  des  so  genannten 
t-  futurums. 


KELTISCHE  BEITRAGE  111  105 

pfeunig  von  jedem  drochGall  ('schlechten  vikinger')  und  zwei 
pfennige  von  jedem  degGall  ('guten  vikinger').'  dass  sich  alle 
als  degGaill  einschätzten,  ist  natürlich,  und  mit  reichem  gewinnst 
zog  Rumann  ab.  dass  diese  Gaill  Atha  Cliath  Dubliner  vikinger 
waren,  scheint  mir  sicher,  noch  andere  momente  treten  hinzu. 
die  werteinheit  bei  den  Gaill  von  Dublin  ist  der  pingind,  der 
nordische  pmningr  (s.  Zs.  32,  288),  während  in  Irland  der  scre- 
pall  (scripulnm)  werteinheit  gewesen  war;  nicht  minder  ist  die 
wilde  £reude  am  ocean ,  dessen  preis  die  Gaill  fordern,  um 
Rumanus  dichterische  begabung  zu  erproben,  echt  nordisch,  und 
dass  sie  Rumann  trunken  machen,  weist  auf  gebrauche,  die 
wenigstens  nicht  gegen  das  vikingertum  der  Gaill  sprechen. 

Aus  diesem  interessanten  denkmal  ergibt  sich  noch  manches 
andere:  wenn  der  irische  barde  am  hofe  der  vikinger  ein  grofses 
gedieht  auf  bestellung  macht,  müssen  diese  schon  irisch  gesprochen 
oder  wenigstens  verstanden  haben,  was  ja  für  ende  des  10  jhs. 
sehr  wahrscheinlich  ist.  in  Cell  Belaig  bei  Rathain,  dh.  heutigem 
Rahin  in  Kings  county  gab  es  7  strafsen  mit  christlichen 
vikingern  in  jener  zeit,  ein  zeichen,  wie  notwendig  ende 
des  10  jhs.  in  dem  irischen  rechtscodex  die  rücksichtnahme  auf 
die  Föne  ist.  die  stelle  vn  sraitde  do Gallaib  ann  ist  aber  auch 
sprachlich  von  höchstem  wert,  weil  hier  ein  neues  nor- 
disches lehnwort  vorliegt,  die  directe  herübernahme 
des  lat.  sträta  in  älterer  zeit  muss  im  irischen  unbedingt 
sräth  ergeben,  nom.  plur.  srätha;  so  haben  wir  auch  das  wort 
sndh  via  allein  und  in  compositis  wie  Ardsräth  (ags.  Ardstraio 
in  grafschaft  Tyroue).  daneben  hat  das  neuir.  ein  sraid  'a  street', 
dessen  ältesten  beleg  wir  in  vu  sraitde  doGallaib  vorfinden:  es 
ist  das  nordische  streeti  'a  street  in  a  town'.  und  die  Ver- 
wendung des  wortes  an  dieser  stelle,  mit  doGallaib  verbunden,  ist 
gewis  ein  lautredendes  zeugnis  für  die  treue  copie  würklicher 
zustände  in  unserem  texte,  aber  auch  noch  in  anderer  hinsieht 
ist  das  vorkommen  des  nord.  streeti  auf  irischem  boden  im  10  jh. 
wichtig,  da  nämlich  das  wort  streeti  erst  im  11  und  12  jh.  in 
nordischen  sagas  häufig  wird,  mochte  Cleasby-Vigfusson  Ilam- 
dism.  13,  wo  sich  streeti  findet,  für  corrupt  erklären  und  die  Ver- 
wendung in  der  Kormaks  saga  für  mitte  des  10  jhs.  als  einen 
anachronismus  des  textes  aus  dem  12  jh.  (s.  Cleasby- Vigf.  s.v. 
streeti).     vollständig  grundlos:    die  vikinger  von   Cell  Belaig  pro- 


106  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

testiereil  dagegen,    besonders  lehrreich  ist  gerade  Hamdismäl  13, 
wo  es  heilst:    Gengu  ör  gardi     görvir  at  eiskra, 

fundu  d  strceti  störbrögdöttan 
'sie  giengen  aus  dem  gardr  (haus,  gehöft)  wutentbrannt,  sie 
fauden  auf  dem  strceti  den  hocharglistigen.'  oben  s.  68  habe  ich 
aus  den  aunaleu  zu  a.  989  und  einem  gedieht  des  ausgehenden 
10  jhs.  nachgewiesen,  dass  die  vikinger  damals  in  einzelnen  gardr 
(angardaib)  wohnten,  und  aus  unserem  text  erfahren  wir,  dass 
die  häuser  der  vikinger  iu  Cell  Belaig  7  sraitde  einnehmen,  ich 
denke,  Hamdismäl  13  ist  durch  diese  Zeugnisse  gerettet.1 

Ehe  ich  das  interessante  denkmal  verlasse,  möchte  ich  noch 
einige  faden  zu  einem  dem  behandelten  gleich  interessanten 
spinnen,  deren  luftigkeit  ich  nicht  verkenne,  in  dem  in  Lebor 
na  cert  eingeschobenen  gedieht  über  die  bekehrung  der 
vikinger  Dublins  durch  Patrick  (s.  s.  58  ff)  ist  manches,  was 
dazu  reizt,  der  unbekannte  verf.  redet  in  erster  und  letzter 
Strophe  (z.  1.2  und  35.  36)  in  eigener  person,  während  er  im 
übrigen  erzählt  oder  andere  reden  lässt.  er  beginnt:  'hier  folgt 
eine  hübsche,  feine  geschichte,  die  den  männern  Irlands  gefällt, 
den  guten  vertrag  Dublins  werde  ich  nicht  verhehlen ,  wie  Benen 
hinterliefs  (meldet)'  und  schliefst:  'das  ist  die  geschichte  von 
Dublin,  ich  erzähle  sie  euch  um  lohn  (tarcenn  flach),  sie 
wird  bis  zum  jüngsten  tage  in  büchern  sein,  wie  sie  hier  ge- 
meldet ist  in   der   geschichte.'     mir  scheint  darnach  klar:    der 

1  Kluge,  Engl.  Studien  9,  312  und  Pogatscher  QF  64,  119  nehmen  an, 
dass  nord.  strceti  aus  dem  ags.  street  stamme,  was  ja  gegen  die  annähme, 
dass  die  vikinger  im  9 — 10  jh.  das  wort  nach  Irland  und  in  die  nordische 
heimat  gebracht  haben,  nicht  spricht,  zwei  punete  bleiben  bei  dieser  an- 
nähme unerklärt:  das  auslautende  i  des  nordischen  und  das  abweichende 
genus.  beides  erklärt  sich  sehr  schön,  wenn  man  sich  die  tatsache  gegen- 
wärtig hält,  dass  bei  entlehnungen  aus  mündlichem  verkehr  häufig  redens- 
arten  den  ausgangspunet  bilden:  so  ist  aus  der  vikingerredensart 
halda  vict  funa  'ans  feuer  halten'  für  'braten'  ir.  fiine  'das  braten'  in  oc 
fune  'beim  braten'  entstanden ,  wie  wir  noch  sehen  werden,  eine  solche 
ags.  redensart  ist  on  streete  'auf  der  strafse,  auf  die  strafse';  ihr  ent- 
spricht altn.  in  älterer  zeit  d  streete,  jünger  d  strceti  und  gerade  in 
diesen  Verbindungen  belegt  Cleasby  strceti  in  ältester  zeit:  fundu  d 
strceti  Hamdismäl  13,  gekk  üti  d  strceti  Fornsögur  115,  gekk  um  strceti 
Kormaks  saga  228.  dies  d  streete,  d  strceti  stellte  sich  nach  flexion 
und  scheinbarem  umlaut  der  Wurzelsilbe  zu  dat.  acc.  kveeete, 
kveecti ,  daher  ein  neutraler  j'o- stamm  strceti  'die  strafse'. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  111  107 

Urheber  des  gedieh tes  brachte  eine  sousther  be- 
kannte geschichte  im  auftrag  der  Dubliner  vikinger 
gegen  versprochene  belohnung  in  irische  verse. 
dürfen  wir  die  zeile  28  für  die  Situation  heranziehen,  in  der 
dies  bestellte  gedieht  abgeliefert  wurde,  dann  war  es  ein  fest- 
liches gelage,  bei  dem  'rundgehen  der  hörner  und  zu- 
sammentrinken (zutrinken)'  imluad  com  is  comola  stattfand, 
wenden  wir  uns  nun  zu  dem  text  Laud  610  fol.  9d,  18 — 10b,  24: 
Rumami  hatte  zuerst  (acetoir)  ein  grofses  gedieht  für 
die  vikinger  Dublins  gegen  versprochenen  lohn 
(luach)  gemacht;  er  kam  erst  durch  listige  anwenduug  des 
sjdlfdoemi  zu  seiner  bezahlung,  jedoch  nicht  eher,  als  bis  er  be- 
wiesen ,  dass  er  originalpoesie  (dän  bunaid)  geliefert  hatte:  hieraus 
dürfen  wir  folgern ,  dass  der  Stoff  seines  grofsen  gedichtes  ihm 
gegeben  war  und  sie  erproben  wollten,  ob  die  dichterische  be- 
handlung  von  ihm  herrühre  oder  ob  er  sich  einer  fremden  arbeit 
bediene,  zu  dem  zwecke  stellten  sie  ihm  ein  thema,  das  er  vor 
ihnen  ausführen  muste,  preis  des  oceans  (indfairge  domolad). 
dem  kam  Rumaun  in  dem  10  strophigen  gedieht  Ainpthine  mör 
nach  und  zwar  in  trunken heit  (armeisce):  rundgehen  der 
hörner  und  zusammentrinken  hatte  also  wol  schon  reichlich 
stattgefunden. 

Fordert  diese  Übereinstimmung  der  Situationen  —  trotz  der 
möglichkeit,  dass  dies  oft  zu  ende  des  10  und  im  beginn  des  11  jhs. 
vorkam  —  nicht  auf  zur  combination,  dass  das  in  Lebor  na  cert 
eingeschobene  gedieht  über  die  bekehrung  der  vikinger  Dublins 
durch  Patrick  das  grofse  gedieht  ist,  welches  Rumann  um  lohn 
gemacht  hatte?  durch  solch  gedankenloses  anhäufen  vom  einzel- 
facten ,  wie  es  zb.  Stokes  zweibändiges  Tripartite  life  of  SPatrick 
darstellt,  gewinnt  man  kein  bild  von  der  Vergangenheit,  ebenso 
wenig,  wie  die  gleich  sand  am  meere  zusammengetrageneu  iri- 
schen verbalformen  verständlich  waren ,  ehe  die  combination  der 
facta   mit  der  idee   des  accentes  Ordnung  in  das  chaos  brachte. 

Nunmehr  will  ich  noch  einmal  so  kurz  wie  möglich  auf 
einen  punet  aus  dem  ersten  teil  meiner  Untersuchung  zurück- 
kommen, da  er  sich  mit  den  s.  51 — 106  gewonnenen  resultatui  und 
einblicken  schärfer  beleuchten  lässt:  Finns  localer  Ursprung 
und  die  politischen  Verhältnisse  dort  im  9  und  10 Jh., 
also  in  der  zeit  der  entstehung  der  Fi nn sage. 


108  KELTISCHE  BEITRAGE  111 

Von  825  ab  finden  wir  vikinger  in  den  heutigen  irischen 
grafschaften  Mcath,  Dublin,  Kildare,  Wicklovv,  Carlow,  Queens 
county,  Kilkenny,  Tipperary:  824 ]  überziehen  sie  Ossory  und 
Wicklow;  825  plündern  sie  Lusca  in  der  grafschaft  Dublin; 
826  überfallen  sie  das  lager  der  Leinsterleute;  827  werden  sie 
von  süd-Leinsterleuten  in  Wexford  besiegt;  833  plündern  sie  in 
Meath  und  Wicklow;  834  wider  in  Meath;  835  ziehen  sie  von 
Wexford  quer  durch  und  plündern  Kildare;  836  fabren  sie  mit 
schiffen  die  Boyne  und  den  Liffey  aufwärts  und  plündern  süd- 
Meath  und  Kildare;  840  wird  in  Dublin  durch  errichtung  eines 
castells  der  grund  zu  einer  dauernden  vikingeransiedelung  gelegt, 
von  der  aus  sie  das  land  westlich  bis  Sliab  Bladma,  dh.  Slieve 
Bloom  mountains  auf  der  gränze  von  Queens  county  gegen 
Kings  county,  beherschen.  als  südgränze  wird  von  den  Vier 
meistern  936  Ath  Truisten,  dh.  süd- Kildare  angegeben  (s.  O'Do- 
novan  zu  dem  jähre). 

Neue  scharen  kommen  in  den  drei  ersten  vierteln  des  9jhs. 
fast  alljährlich  und  manche  schar,  die  ursprünglich  nur  einen 
plünderungszug  beabsichtigt  hatte,  liefs  sich,  von  dem  schönen 
lande  angelockt,  verführen,  festen  fufs  zu  fassen,  das  in  die 
mitte  des  9  jhs.  gehörende  gedieht  auf  könig  Aed  in  süd-Leinster 
weist  auf  solche  feste  vikingercolonie  im  gränzgebiet  von  Wicklow 
und  Kildare  um  840  (s.  oben  s.  85  anm.).  852  sitzt  eine  vikinger- 
colonie (echtarchenel,  Fem)  im  gebiet  der  nördlichen  Dessi  in 
grafschaft  Kilkenny  (s.  s.  94).  wie  werden  wol  die  vikinger 
Dublins  ihre  herschaft  südwestlich  bis  an  die  gränzen  von  Kings 
county  und  Tipperary,  südlich  bis  Carlow  und  Kilkenny  aufrecht 
erhalten  haben?  darüber  belehrt  uns  ein  blick  auf  die  gleich- 
artigen und  fast  gleichzeitigen  Verhältnisse  nord- Irlands, 
hier  meldet  das  alte  fragment  über  die  vikingerzeit  (LL  309.  310) 
sehr  anschaulich  (LL  309%  43 ff):  Tancatar  arsain  rlglonges  adbul 
mor  laTuirgeis  ituaisciurl  nHerenn.  Ragab  inTurges  rigi  Gall 
Heremi.  Rahindred  tuascert  nHerenn  leo  et  rascailset  foLeth 
Cuind.  Ragab  longes  dib  forLoch  Echach,  ragab  longes  aile 
ULugmud,  longes  aile  forLoch  Rl.  Rahindred  dano  Ardmacha 
fothrt  sinnoenmls  leo  et  rogab  Turgeis  fein  abdaine  Ardmacha  et 
rainnarb  ass  Forannan  abaid  Ardmacha  corrocht  Mumain  7  scrin 

1  wo  nichts  weiter  hinzugesetzt  ist ,  sind  im  folgenden  immer  die 
wichtigen  Ulsterannalen  gemeint. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  111  109 

Patraic  leüs.  et  bäi  Forannän  cethri  bl.  imMumain  et  Turgeis 
in  Ardmacha  7  nert  Tuascirt  Herenn  aice  'es  kam  darauf  eine 
gewaltig  grofse  königliche  flotte  mit'  Turgeis  [vvol  altn.  Thorgils] 
in  den  norden  Irlands.  Turgeis  übernahm  die  herschaft  der 
vikinger  (nord-) Irlands,  sie  verwüsteten  nord- Irland  und  ver- 
teilten sich  über  nord-Irland:  ein  teil  der  zu  schiffe 
gekommenen  nahm  Standort  am  Lough  Neagh  (cen- 
tralpunct,  an  den  die  grafschaften  Antrim,  Down,  Armagh, 
Tyrone  und  Londonderry  gränzen),  ein  anderer  in  Loulh, 
ein  anderer  am  Lough  Ree  (see,  an  den  die  grafschaften 
Roscommon,  Longford  und  west-Meath  gränzen).  Armagh  wurde 
dreimal  in  einem  monat  von  ihnen  geplündert  und  Turgeis  selbst 
nahm  besitz  von  der  abtei  (bischofssitz)  von  Armagh  und  vertrieb 
daraus  den  abt  Forannan,  sodass  er  nach  Munster  gieng  und  den 
schrein  Patricks  mitnahm,  und  Forannan  war  4  jähre  in  Munster 
und  Turgeis  in  Armagh  und  er  besafs  die  macht  über  nord- 
Irland.'  die  aunalen  setzen  uns  in  stand  zu  bestimmen,  dass 
des  Turgeis  ankunft  in  nord-Irland  ins  jähr  831  fällt;  hier 
suchte  er  einen  heidnischen  vikingerstaat  zu  gründen  mit  der 
bauptstadt  Armagh.  vikinger posten  wurden  zur  auf- 
rechterhaltung der  herschaft  an  allen  strategisch 
wichtigen  puneten  nord-Irlands  stationiert,  trotz 
siegreichen  kämpfen  bis  tief  in  Connacht  gelang  Turgeis  die  aus- 
führung  seines  Vorhabens  nicht:  er  unterlag  844  Irlands  ober- 
könig  Maelsechlainn  i  und  wurde  in  Lough  Owel  (grafschaft 
Meath)  ertränkt,  womit  der  selbständige  vikingerstaat  in 
nord-Irland  nach  13 jähriger  dauer  ein  ende  hatte  (vgl.  Todd, 
Cogadh  Gaedhel  s.  xlii  ff). 

In  analoger  weise  wird  der  Dubliner  vikingerstaat  sein  gebiet 
beberscht  «haben,  nach  dem  zeugnis  aller  annalen  müssen  wir 
852  als  den  beginn  eines  festen  königreiches  mit  Dublin  als 
hauptstadt  annehmen:  'Amlaib,  der  söhn  des  königs  von  Loch- 
lann,  kam  nach  Irland  und  die  vikinger  Irlands  gehorchten  ihm 
und  er  erhielt  tribut  von  den  Iren'  berichten  die  annalen  über- 
einstimmend, als  eine  der  festen  bürgen  im  gebiet  der  Dubliner 
vikinger  lernten  wir  Dunlavin  kennen:  es  liegt  in  der  heutigen  gral- 
schalt Wicklow  an  der  gränze  von  Kildare  (s.  oben  s.  63).  jeder, 
der  die  grafschaft  Kildare  kennt,  wird  mir  zugestehen,  dass  es 
nach  der  gränze  von  Kings  und  Queens  counly  keinen  geeigneteren 


110  KELTISCHE  BEITRAGE  111 

punct  zu  einem  ähnlichen  waffenplatz,  wenn  ich  so  sagen  darf, 
gibt  als  den  hill  of  Allen,  kommt  man  mit  der  bahn  von 
Dublin  und  hat  die  gränzen  der  grafschaft  Kildare  überschritten, 
dann  erheben  sich  östlich  (links)  die  bügel  von  Oughterard; 
während  man  sie  beim  weiterfahren  noch  im  gesicht  hat,  erhebt 
sich,  noch  ehe  man  den  Liffey  überschreitet,  südwestlich  hoch 
emporragend  der  hü  gel  von  Allen,  er  liegt  Newbridge  am 
nächsten,  5  engl,  meilen  nördlich  von  der  Stadt  Kildare,  'beau- 
tiful  situated  in  the  midst  of  a  lovely  country,  over  which  it 
commands  a  wide  prospect,  it  is  well  adapted  for  a  place  of 
assembly  or  for  the  chase'  (Hennessy,  Revue  celtique  n  87).  die 
strategische  Wichtigkeit  des  hill  of  Allen  geht  schon  daraus  her- 
vor, dass  hier  mehrfach  wichtige  schlachten  von  den  Leinster- 
königen  gegen  einfallende  feinde  geliefert  wurden:  schon  530 
besiegt  Irlands  oberköuig  hier  die  Leinsterleute  (Chronicon  Sco- 
torum)  und  am  13  december  718  (in  Id.  Decembris  die  feriae 
in  ae)  schlägt  hier  der  Leiusterkönig  Murchad  den  eingefallenen 
irischen  oberkönig  Fergal  (Chron.  Scotorum).  sicher  werden  die 
vikinger  836  bei  ihrem  zug  den  Liffey  aufwärts  diesen  be- 
herschenden  punct  besetzt  haben,  wenn  er  nicht  gar  schon  von 
den  824  bis  Carlow  und  Ossory  vordringenden  vikingerscharen 
occupiert  worden  war.  als  Amlaib  852  in  Dublin  eine  feste 
vikingerherschaft  errichtete  und  die  seit  etwa  820  an  den  ver- 
schiedensten puncten  der  küste  und  überall  im  innern  sitzenden 
vikingerhorden  süd-Irlands  sich  unterstellte,  wird  der  hügel  von 
Allen  sicher  eine  feste  Station  zur  behauptung  der  herschaft  ab- 
gegeben haben,  dass  hier  eine  vikingerstation  war,  wie 
in  Dunlavin,  können  wir  sogar  direct  beweisen.  942 
ist  ein  ungliicksjahr  für  die  vikinger  in  Dublin:  Maelmordha,  der 
Leinsterkönig,  besiegt  sie  und  erobert  sogar  Dublin  vorüber- 
gehend, in  den  Annalen  der  vier  meister  findet  sich  ein  gedieht 
auf  diesen  berühmten  sieg,  in  dem  es  heifst,  dass  das  schwert- 
berühmte Dublin  zerstört  und  die  dort  herschendeu  nachkommen 
Tomars  gequält  wurden;  dann  heifst  es  wörtlich  weiter: 

Oral  Almain  con  a  slogad 

As  la  rig  Laigean  lainech 

Rocraided  is  rocoscrad 
'The  golden    rock  of  Almain  with  bis  host,   it  was  by  the  king 
of'Leinster  of  swords  it  was  oppressed  and  destroyed' (O'Donovan). 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  111 

942  waren  also  Dublin  und  der  hü  gel  von  Allen 
die  beiden  festesten  puncte  des  vikingerkönigreichs 
Dublin. 

Nun  noch  einen  punct,  ehe  wir  uns  zu  Finn  wenden,  an 
verschiedenen  stellen  der  Untersuchung  hatte  ich  gelegenheit, 
hervorzuheben,  wie  bald  irische  fürsten  diese  vikinger  als  will- 
kommene bundesgenossen  zur  ausführung  ehrgeiziger  plane  und 
kühlung  alter  rachegedanken  an  anderen  irischen  herschern  be- 
nutzten, besonders  sind  es  die  Leinsterherscher,  welche  zeit- 
weilig die  einmal  nicht  zu  hindernde  vikingerherschaft  in  einem 
teile  von  Leinster  hinnahmen  und  sich  der  vikingerschwerter  in 
ihren  fortwährenden  kämpfen  gegen  den  könig  von  Meath ,  der 
im  9  und  lOjh.  zugleich  oberkönig  war,  bedienten,  die  annalen 
unter  den  jähren  841.  849.  855.  860.  861.  862.  867.  888  geben 
fürs  9  jh.  auskunft,  fürs  ganze  10  jh.  ist  jede  seite  der  annalen 
belehrend. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  Finn  mac  Cumaill.  vorerst  ist 
im  äuge  zu  behalten,  dass  kein  document  über  Finn 
existiert,  welches  irgendwie  anspruch  erheben 
könnte,  über  das  lOjh.  hinaufzugehen. 

Finn  hat  seine  bürg  auf  dem  hügel  von  Allen  (Dün  Almain), 
also  an  einem  ort,  welcher  von  824  an  im  vikin ger- 
gebiet liegt,  hier  wird  zuerst  ein  nordischer  jarl  unabhängig 
mit  einer  vikingerhorde  gesessen  haben,  und  von  852  an  unter- 
tänig dem  vikingerherscher  in  Dubliu.  wie  Finn  zu  diesem  be- 
sitztum  gekommen,  meldet  uns  ein  text  des  lljhs.  in  LU41b,  10 ff. 
darnach  hatte  Dan  Almain  'die  bürg  von  Allen'  einem  Iren 
Tadg,  söhn  des  Nuadu,  gehört;  dieser  Tadg  hatte  eine  so  schöne 
tochter,  dass  sich  söhne  von  königen  und  grofsen  besitzern  um 
sie  bewarben,  auch  Cumall,  der  söhn  Trönmörs  ('der  grofse  held'), 
ein  'vikinger  königlichen  blutes'  (rlgfennid)  in  Irland  bewarb  sich 
um  sie.  als  sie  ihm  abgeschlagen  wurde,  da  Nuadu  fürchtete, 
dass  mit  der  tochter  auch  sein  besitz  verloren  gehen  würde, 
kam  Cumall  und  nahm  sie  ihm  mit  gewalt.  Tadg  beschwert 
sich  beim  könig  von  Irland,  der  Cumall  auffordert,  Irland  zu 
verlassen  oder  das  mädchen  zurückzugeben.  Cumall  zieht  seine 
Streitkräfte  zusammen,  unterliegt  aber  in  der  schlacht  bei  Castle- 
knock  am  Liffey  bei  Dublin  und  fällt.  Cumalls  schwangen-  frau 
gebiert,    nach    dem    tode    ihres   manncs   einen    söhn,    den    später 


112  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

unter  dem  namen  Finn  berühmten  beiden,  als  er  so  weit  er- 
wachsen war,  dass  er  raub  und  plünderung  an  jedem  aus- 
üben konnte,  der  ihm  feind  war,  forderte  er  von  Tadg  bufse 
für  seinen  vater.  in  folge  eines  Spruches  trat  Tadg  ihm  Almu 
ab.  hier  hatte  Finn,  so  lange  er  lebte,  seinen  festen  wobnsitz. 
Was  steckt  in  dieser  ältesten  erzählung  (LU  41b,  10 — 42b 
ende),  das  nicht  für  eine  sagenhafte  Umgestaltung  würklicher 
Vorgänge  in  der  ersten  hälfLe  des  9  jhs.  gelten  konnte?  gar  nichts, 
es  verdient  auch  noch  darauf  hingewiesen  zu  werden,  dass  dies 
alte  zeugnis  für  die  sage  von  Finn  über  seine  vorfahren 
nichts  weiter  wüste,  als  dass  er  der  söhn  eines  'vikingers 
aus  königlichem  blut'  (figfennid)  und  einer  geraubten  schönen 
Irin  war.  Cumall  heifst  zwar  mac  Trenmdir,  'söhn  des  Trenmor', 
aber  letzteres  ist  gar  kein  vorkommender  irischer  name,  sondern 
einfach  ein  epitheton,  entweder  'grofser  (mür)  held  (tren)'  oder 
'unter  beiden  grofs'.  weiter:  was  wissen  die  ältesten  texte  sonst 
über  Finns  treiben?  er  lebt,  wie  wir  uns  einen  vikinger- 
führer  aus  der  ersten  hälfte  des  9  jhs.  in  Dan  Almain 
denken  müssen,  bald  ist  er  auf  jagd  und  liebesabenteuern1 
in  west-Meath  (vgl.  s.  38),  bald  unterstützt  er  mit  seinen 
fianna    den   Leinsterkönig    im    kämpf    gegen    Irlands    oberkönig 

1  zu  den  mehrfach  gegebenen  beispielen  für  diese  seite  der  vikioger 
will  ich  noch  ein  zeugnis  aus  Giraldus  Cambrensis  beibringen,  in  der  Topo- 
graphia  Hibernica  weifs  er  über  den  lod  des  mächtigen  vikingerherschers 
Turgesius  (s.  oben  s.  109)  folgendes  zu  melden  (cap.  xl)  Cum  igitur  ea  tem- 
pestale  f'iliam  regis  Medensis ,  sei  licet  Omachlachelini ,  Turgesius 
adamasset,  rex  ille,  virus  sub  pectore <  versans,  filiam  suam  ipsi  con- 
cedens,  ad  insulam  quamdam  Mide,  in  stagno  scilicet  Locherino ,  illam 
cum  quindeeim  puellis  egregiis  ei  misswum  se  spospondit.  qiäbus  et 
Turgesius  gavisus,  cum  totidem  nobilioribus  gentis  suae,  statuto  die  et 
loco  obviam  venu,  et  inveniens  in  insula  quindeeim  adolescentes  im- 
berbes,  animosos,  et  ad  hoc  electos ,  sub  habitu  puellari  dolum  palliantes, 
cultellis ,  quos  oeculte  secum  attulerant ,  statim  inter  ipsos  amplexus  Tur- 
gesius cw7i  suis  oeeubuit.  die  annalen  melden  nur  des  Turgeis  ertränken 
in  eben  jenem  see  von  Meath  (Loch  Uair)  und  die  Iren  sind  seit  Golgan 
wütend  auf  Giraldus,  dass  er  ihnen  eine  solche  geschichte  angehängt  habe, 
hält  man  sich  aber  gegenwärtig,  dass  Giraldus  sich  in  seinen  fabeln  über 
Irland  als  ein  durchaus  glaubwürdiger,  wenn  auch  leichtgläubiger 
mann  erweist,  da  diese  fabeleien  tatsächlich  und  nachweislich  in 
Irland  zu  seiner  zeit  geglaubt  wurden;  denkt  man  an  Finns  vater,  an  den 
idealisierten  vikingerführer  Finn  selbst,  dann  hat  die  erzählung  des  Giraldus 
gar  nichts  unwahrscheinliches. 


KELTISCHE  BEITRAGE  Ilt  113 

und  hilft  ihm  bei  Cnamross  letzteren  schlagen  (vgl.  oben  s.25 — 29). 
von  solchen  ziigen  verschiedener  irischer  oberkönige  bis  tief  in 
Kilkenny  und  Wexford  hinein  gegen  den  Leinsterkönig  wissen 
die  annalen  in  der  ersten  hälfte  des  9  jhs.  zu  melden:  818.  8451, 
und  später  bis  zur  mitte  des  10  jhs.  öfters,  sodass  die  genaue 
angäbe  des  weges  von  Finns  zug  (s.  oben  s.  27  ff)  sehr  vvol  der 
würklichkeit  entsprechen  kann,  in  den  drei  texten  LU  41b,  20  bis 
42b  ende,  Sanas  Cormaic  s.  v.  orc  treith  und  LL  296a,48— 299b,  7, 
die  wir  wol  als  die  ältesten  erzählungen  aus  der  Finnsage  be- 
trachten dürfen,  ist  nur  ein  wesentlicher  punct,  der  auf 
einen  solchen  nordischen  führer  einer  halbwegs  angesiedelten 
vikingerhorde  in  der  ersten  hälfte  des  9  jhs.  nicht  passt:  in  den 
beiden  texten  von  LU  und  LL  ist  Finn  an  ereig- 
nisse  des  3  jhs.  angeknüpft,  ehe  ich  die  frage  zu  beant- 
worten suche,  wie  und  wann  die  Verschiebung  staltgefunden  hat, 
will  ich  zuerst  den  nachweis  führen,  dass  Finn  nachträg- 
lich in  die  erzählungen  des  3  jhs.  gebracht  wurde,  hierauf 
weist  schon  der  umstand,  dass  Finn  ein  jh.  lang  gewisser 
mafsen  in  der  luft  schwebt.2  nach  LU  42%  41  ff  ist  Finn 
zur  zeit  Conn  Cetchathachs  geboren  und  nach  LL  296\  48  ff  ist 
er  ein  rüstiger  führer  der  vikingerhorde,  ohne  dass  von  einem 
söhn  (Oissin)  oder  enkel  (Oscar)  —  ohne  die  ihn  die  jüngeren 
texte  kaum  kennen  —  die  rede  wäre.  Cairpre  Lifeochair 
nun  ist  die  vierte  generation  von  Conn  an  (Conti,  Art 
mac  Cuinn,  Cormac  mac  Airt,  Lifeochair  mac  Cormaic)  und  die 
beiden  mitleleren  erreichen  nach  der  sage  ein  hohes  alter:  Conn 
herscht  35  jähre;  dann  kommt  dazwischen  Conaire  mit  8  jähren, 

1  bei  dem  zuge  845  ertrank  sogar  der  irische  oberkönig  Niall  im  Kings 
river  in  Kilkenny,  also  in  jener  gegend,  wo  Finn  und  die  Lcinsterleute 
den  Cairpre  Lifeochair  schlugen,  die  Vier  meister  zu  844  haben  ein  gedieht 
des  'pilgers  Moengal'  auf  dies  ereignis,  dh.  des  SGaller  Moengal, 
der  um  850  nach  SGallen  kam.  während  wir  aus  SGaller  Urkunden  blofs 
feststellen  können,  dass  er  865  noch  am  leben  war,  notieren  die  irischen 
annalen  zu  869  seinen  tod. 

2  dass  man  ihm  schon  im  11  jh.  einen  söhn  (Oissin)  und  einen  enkel 
(Oscar)  gibt,  die  aber  neben  ihm  und  gleich  rüstig  erscheinen,  wird 
den  ausgangspunet  gehabt  haben  in  dem  bestreben,  dies  wunderbare  alter 
Finns  hinwegzuschafTen.  diese  erfindungen  konnten  aber  neben  der  auf 
tatsächlichen  ereignissen  sich  aufbauenden  figur  Finns  nicht  nebt  aufkommen  ; 
sie  erscheinen  neben  ihm  und  gleich  rüstig,  sodass  das  unmögliche  in  Finns 
alter  noch  drastischer  entgegentritt. 

Z.  F.  D.  A.     XXXV.     N.  F.    XXIII.  8 


114  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

darauf  Art  20  jähre;  dazwischen  Lugaid  mac  Con  und  Fergus 
Dabdetach  31  jähre,  dann  Cormac  40  jähre;  dazwischen  Eochu 
1  jähr,  dann  Coirpri  17  jähre  (LL  24a).  dass  Finn  in  dem  oben 
s.  25  ff  analysierten  text  LL  296%  48  ff  als  ein  greis  auftrete, 
der  drei  menschenalter  sah,  wird  niemand  behaupten  können, 
und  ein  solcher  müste  er  sein,  die  personen  der  sagen- 
haften geschichte  des  2  —  3  j h s.  haben  ein  in  den 
g ranzen  des  möglichen  und  würklichen  liegendes 
alter;  nur  Finn  ist  durch  beinahe  einjh.  der  stets 
gleichalte  führer  einer  vikingerhord  e.  er  ist  eben 
dieser  sage  des  2  —  3  jhs.  fremd  und  erst  später  hineingekommen: 
der  ankniipfungspuncte  boten  sich  für  dies  jh.  mehrere,  und 
weil  er  zu  allen  in  beziehung  gesetzt  wurde,  schwebt  er  ge- 
wisser mafsen  über  dem  jh.  an  einem  und  dem  wichtigsten 
texte  für  die  südirische  sagengeschichte  des  3  jhs.  können  wir 
direct  nachweisen,  dass  Finn  in  die  sage  dieser  zeit  n  ach- 
träglich  hineingekommen  ist.  LL  288%  16  —  292%  34  haben 
wir  den  ältesten  und  umfangreichsten  text  über  die  Verhält- 
nisse süd -Irlands  zum  irischen  oberkönig  von  der  mitte  des  2  bis 
zur  mitte  des  3  jhs.  hier  wird  uns  von  der  regierung  Ailill 
Auloms  berichtet,  der  ein  Schwiegersohn  Conn  Cetchathachs  und 
Zeitgenosse  Arts  und  unbeschränkter  oberkönig  in  süd -Irland 
war;  wir  erfahren  die  geschicke  seines  pflegesohns  Lugaid  mac 
Con  und  wie  derselbe,  aus  der  Verbannung  zurückkehrend,  den 
nordirischen  oberkönig  in  der  schlacht  von  Mag  Muccrlma  be- 
siegt, tötet  und  sich  zum  oberkönig  Irlands  macht;  wir  erfahren, 
wie  der  am  abend  vor  der  schlacht  bei  Mag  Muccrlma  von  Art 
gezeugte  Cormac  als  pflegesohn  jenes  Lugaid  mac  Con  aufwächst 
in  Tara,  wie  er  herangewachsen  den  pflegevater  und  Usurpator 
Lugaid  mac  Con  aus  Tara  vertreibt  und  selbst  die  herschaft  über 
Irland  übernimmt;  wir  lesen  endlich,  wie  der  greise  Ailill  Aulom 
den  flüchtigen  pflegesohn  von  sich  stöfst  und  durch  Ferches 
mac  Commäin  ermorden  lässt.  —  dies  ist  nun  diejenige  periode 
irischer  geschichte,  in  welcher  der  nach  LU  42%  41  ff  angeblich 
zu  Conn  Cetchathachs  Zeiten  geborene  Finn  etwa  im  alter  von 
20 — 70  Jahren  stehen  müste;  aber  diese  älteste  und  aus- 
führliche darstellung  der  Leinster- Munstergeschichte  in 
beziehung  zum  könig  von  Tara  jener  zeit  kennt  nicht  ein- 
mal   den    »amen    F i  n  n s ,    geschweige    denn   etwas    von    der 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  115 

Institution  der  fiann,  die  nach  der  sage  des  15  jhs.  damals  in 
bliite  stand,  es  ist  klar,  dass  der  Verfasser  von  LL  288% 
16  —  292%  34  die  Verschiebung  Finns  ins  2  —  3  jh.  noch 
nicht  kannte,  ein  äufserst  glücklicher  umstand  will  es  nun, 
dass  uns  in  einer  jüngeren  hs.  derselbe  text  erhallen  ist  und 
dass  hier  an  einer  stelle  der  versuch  gemacht  ist,  Finn  in  die 
alte  erzählung  zu  interpolieren.  Laud  610  toi.  94d,  17  bis  97\ 
26 •  findet  sich  der  gleiche  text  wie  in  LL,  nur  dass  einzelne 
episoden  aus  der  geschichte  etwas  verschoben  sind,  an  einer 
stelle  ist  Finu  hineingebracht,  in  die  erzählung  nämlich  von  der 
ermorduug  des  flüchtigen  Lugaid  mac  Con  LL  292a,  9  IT.  mit 
LL  291b,  45  —  292%  8  stimmt  Laud  610  fol.  95%  42  —  95%  24 
überein;  dann  erzählt  LL  einfach,  dass  der  alte  Ailill  Aulom 
den  Ferches  mac  Commäin  beauftragt  habe,  den  flüchtigen  Lugaid 
mac  Con  zu  töten,  und  wie  Ferches  dies  in  bälde  ausführt, 
hier  hat  Laud  610  fol.  95%  24 — 96%  25  eine  erweiterung.  es 
wird  zuerst  das  gefolge  des  flüchtigen  Lugaid  mac  Con  aufgezählt: 
30  scharen  waren  es  und  300  in  jeder  schar;  unter  den  führern 
werden  genannt  Find  hua  Baiscni  und  Cailte  Camcass.  Find 
warnt  den  Mac  Con  vor  dem  nachkommenden  Ferches  mac  Com- 
mäin, aber  vergebens:  Ferches  schleudert  den  speer,  sodass  er 
durch  Mac  Con  gieng.  'darauf  gieng  Find  hua  Baiscni  dem 
Ferches  nach  (forslicht  Ferchiss) ,  um  den  Mac  Con  zu  rächen, 
denn  Finn  war  vikingersöldner  (fennid)  desselben,  und 
er  tötete  ihn  nach  7  jähren.'  über  den  ort,  wo  Find  den  Ferches 
tötete,  werden  dann  noch  2  relationen  gegeben. 

Ist  es  nun  denkbar,  dass  bischof  Finn  von  Kildare,  auf  den 
die  sammelhs.  LL  mit  dem  reichen  material  der  älteren  Finn- 
sage zurückgeht  (f  1160),  in  seiner  zeit  (mitte  des  12  jhs.)  Finn 
aus  diesem  texte  eliminiert  habe?  ist  es  nicht  vielmehr  wahr- 
scheinlich, dass  er  eine  ältere  vorläge2  benutzte  als  der  Schreiber 
von  Laud  610,  eine  vorläge,  welche  die  Verbindung  Finns  mit 
jener  geschichte  des  2  —  3  jhs.  noch  nicht  kannte?  aus  LL  folgt 

1  also  in  dem  teile  von  Laud  G1U,  welcher  aus  dem  'psalter  von 
Cashel',  einer,  wie  wir  bald  sehen  werden,  zu  Brian  Boromas  Zeiten 
(1002—1024)  angefertigten  Casheler  hs.,  stammt. 

2  Cormacs  glossar  s.  v.  ringcene  (Sanas  Cormaic  s.  38)  setzt  die  er- 
zählung in  der  erweiterten  form  von  Laud  610  fol.  «I5'1,  24—  ,.)(>a,  24  voraus, 
auch  dieses  werk   stammt   aus  dem  'psalter  von  Cashel'. 

8* 


116  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

natürlich  nicht,  dass  um  1150  Finn  noch  nicht  ins  3  jh.  ver- 
setzt gewesen  sei;  das  ist  er  sicher  schon  im  11  jh.  (LU  41b, 
20  ff);  der  Schreiber  von  LL  hatte  nur  eine  ältere  vorläge,  gerade 
der  umstand,  dass  um  1150  Finns  Verbindung  mit  den  personen 
der  erzählung  in  LL  288  —  292  längst  feststand,  macht  es  — 
von  anderen  gründen  abgesehen  —  besonders  unwahrscheinlich, 
dass  der  schreiber  von  LL  Finn  aus  der  erzählung  herausgebracht 
habe,  wir  haben  also  in  LL  288a,  16  —  292\  34  ein  zeugnis 
dafür,  dass  es  eine  zeit  gab,  in  der  Finn  noch  nicht 
mit  dem  2 — 3  jh.  verknüpft  war. 

Fragen  wir  jetzt,  wie  man  dazu  kam,  den  sagenhaft  ge- 
wordenen führer  einer  vikingerhorde  aus  der  ersten  hälfte  des 
9  jhs.  ins  dritte  zu  versetzen,  ereignisse  und  personen,  über 
die  ein  jh.  hingegangen  ist,  sind  der  Vorstellung  der  jüngeren 
generation  —  vorausgesetzt,  dass  sie  überhaupt  so  bedeutend 
waren,  dass  sie  noch  in  der  erinnerung  hafteten  —  so  fern 
gerückt,  dass  jedesfalls  eine  mehrere  Jahrhunderte  liefe 
kluft,  die  sie  von  voraufgegangenen,  in  der  sage  verher- 
lichten  trennt,  der  jüngeren  generation  weniger  breit  vor- 
kommt als  die  kluft  von  100  jähren,  die  sie  von  der  gegenwart 
trennt,  analoge  Vorgänge,  namenanklänge  brauchen  nur  hinzu- 
zukommen, um  die  durch  Jahrhunderte  getrennten  ereignisse  für 
den  blick  einer  jüngeren  generation  zusammenfliefsen  zu  lassen, 
das  9  jh.  und  nicht  zum  wenigsten  das  2  und  3  viertel  desselben 
hat  nun  in  der  irischen  geschichte  manches  aufzuweisen,  was 
an  die  sagenhafte  geschichte  Irlands  im  2  —  3  jh.  erinnert,  jene 
Zweiteilung  Irlands  am  ende  des  2  jhs.  zwischen  Mug  Nuadat  und 
Conn  Cetchathach,  wonach  ja  nord- Irland  Utk  Chuinn  'Conns 
hälfte'  und  süd-Irland  leth  Moga  'Mugs  hälfte'  genannt  wird,  be- 
stand tatsächlich  in  Irland  auch  von  840  —  847:  839  war  Fed- 
limid  mac  Crimthain,  der  mächtige  Munsterherscher,  bis  vor  Tara 
gezogen  und  galt  bis  zu  seinem  tod  (847)  als  unbestrittener 
herscher  von  süd-Irland  (Munster  und  Leinster)  neben  Niall 
(f  845)  und  Maelsechlainn  (vgl.  O'Donovan,  Book  of  rights 
s.  xv.  xvi).  die  kämpfe  Nialls  (832  —  845)  und  Maelsechlainns  i 
(845  —  859),  wie  sie  uns  in  den  annalen  jähr  für  jähr  getreu- 
lich, wenn  auch  kurz  geschildert  werden,  haben  so  viel  ähn- 
lichkeit  mit  den  kämpfen  der  irischen  oberkonige  Art  und  Cormac 


KELTISCHE  BEITRÄGE  111  117 

dachtes  nicht  erwehren  kann,  dass  in  den  erzählungen,  welche 
das  10. —  lljh.  von  den  kämpfen  im  2  —  3  jh.  entwarf,  vieles 
ebenso  aus  dem  9  jh.  stammt,  wie  Finn  als  sagenheld  aus  der 
ersten  hälfte  des  9  jhs.  in  das  2 —  3  verpflanzt  wurde,  ein  ab- 
solut sicheres  beispiel  lässt  sich  nachweisen,  in  zahlreichen 
mittelirischen  hss.  liegt  ein  text  in  zwei  etwas  abweichenden 
recensionen  (i  Rawl.  B  502  fol.  72b  — 73b  =  Laud  610  fol.  99d, 
15—  102b,  13;  ii  LU  53a,  34  — 54b  ende  =  H.  2.  15  fol.  67a, 
1—65%  2  =  H.  3.  17  col.  720— 723)  vor,  welcher  von  den 
Schicksalen  des  grofsen  südirischen  Stammes  der  Dessi  handelt: 
dieselben  wohnten  ursprünglich  in  Meath  (uord- Irland) ,  wurden 
aber  von  Cormac  mac  Airt  und  seinem  söhn  Cairpri  vertrieben, 
wandten  sich  nach  Leinster,  wo  sie  auch  keine  bleibende  statte 
fanden,  bis  sie  endlich  in  den  grafschaften  Wexford,  Carlow, 
Kilkenny,  Waterford  zur  ruhe  kamen,  dieser  text  bildet  gewisser 
mafseu  die  fortsetzung  zu  den  betrachteten  erzählungen  aus  LL 
288%  16  —  292%  34,  in  so  fern  als  letztere  mit  dem  tode  Lugaid 
mac  Cons  und  dem  regierungsantritt  Cormacs  schliefsen,  der 
hier  in  frage  stehende  text  aber  ereignisse  aus  der  regieruugs- 
zeit  Cormacs  und  seines  nachfolgers  behandelt,  hier  müssen 
wir  widerum  vor  allem  constatieren,  dass  auch  diesem  in 
5  hss.  (worunter  LU  aus  dem  lljh.)  vorliegenden  text 
Finn  vollkommen  unbekannt  ist,  also  auch  diese  er- 
zäblung  aus  einer  zeit  stammen  muss,  in  der  Finn  noch  nicht 
mit  der  sagenhaften  geschiebte  des  3  jhs.  und  ihren  hauptpersön- 
lichkeiten,  wie  Cormac  und  Cairbre,  verknüpft  war.  wol  aber 
hat  eine  andere  begebeuheit  des  9  jhs.  nebenbei  schon  aufnähme 
gefunden,  im  9  jh.  sitzen  die  Dessi  von  grafschaft  Wexford  bis 
Tipperary  und  südlich  in  grafschaft  Waterford ;  sie  haben  scharfe 
stöfse  von  den  irischen  oberkönigen  INiall  (f  845)  und  Mael- 
sechlainu  i,  Domuall  (845  —  879)  auszuhalten:  INiall  fällt  auf  einem 
kriegszug  in  ihrem  gebiet  am  Calleun  (Kings  river)  in  Kilkenny 
845;  der  nachfolger  Nialls  Maehechlainn  rex  Temro  dodul  cofuu 
Muman  corici  Indeuin  nanDesi  angialla  dotabairt  (853)  lM.,  der 
könig  von  Tara,  zog  gegen  Munster  bis  Mullach  Indeoua  (bei 
Clonmel  in  Tipperary)  der  Dessi  und  nahm  geisein  von  ihnen\ 
wozu  die  Vier  meister  (852)  noch  fügen  arrothrialhat  frithbert 
fris  a  hucht  echtarcheinel  'denn  sie  versuchten  Opposition  gegen 
ihn   auf  antreiben   der   fremden   stamme';    im  jähre  868    macht 


118  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

Cerbal,  söhn  desDungal,  der  Leinsterkönig,  einen  plün- 
derungszug  ins  gebiet  der  Dessi  (Vier  meister  868).  halten  wir 
uns  gegenwärtig,  dass  die  Dessi  von  den  beiden  irischen  ober- 
kö n igen  Cormac  und  Cairbre  im  3  jh.  aus  ihren  alten  sitzen 
in  Meath  vertrieben  wurden,  dass  der  Leinsterkünig  Dun- 
lang die  flüchtlinge  bekämpft  (LU  54%  3),  so  ist  begreiflich,  wie 
im  10  jh.  geschichte  und  sage  in  einander  iiberfliefseu  konnten, 
nun  hatte  aber  835  ein  vikiugereinfall  ins  gebiet  der  nördlichen 
Dessi  staltgefunden;  852  werden  die  Dessi,  wie  wir  sehen,  von 
Maelsechlainn  gezüchtigt,  weil  sie  auf  anstacheln  der  unter  ihnen 
wohnenden  echtarcheinel  'fremden  stamme',  dh.  der  sitzen 
gebliebenen  vikingerhorden  sich  ihm  widersetzten,  das 
Book  of  Armagh  weifs  nach  841  von  Fem  for  Fid(mor),  dh. 
'vikinger  in  Fidmor'  (vgl.  s.  96  ff),  diese  vikinger  erscheinen  nun 
in  recension  i  der  Dessi -erzählungen;  in  Laud  610  fol.  102%  2 
heifst  es  zum  schluss  übereinstimmend  mit  Rawl.  B  502  fol.  73b: 
Isinund  aimser  hilotar  na  Deisse  for  Gabruan  7  Fem  for  Fidmor  7 
Fothairt  for  Gabruan  sair  'in  derselben  zeit  kamen  die  Dessi 
nach  Gowrau  (in  Kilkenny) ,  die  Fene  nach  Fidmor  und  die 
Fothart  östlich  von  Gowran.'  von  den  Fene  war  in  der 
ganzen  erzählung  keine  rede:  sie  sind  hier  nach  den 
Verhältnissen  um  840  ins  5  jh.  versetzt,  denn  um  diese  zeit 
sollen  nach  der  erzählung  die  Dessi  ruhe  gefunden  haben. 

Hier  haben  wir  also  einen  beleg  dafür,  wie  offenkundige  zu- 
stände aus  der  ersten  hälfte  des  9  jhs.  zu  ende  des  10  oder  zu  be- 
ginn des  11  jhs.  in  die  alte  sagenhafte  vorchristliche  geschichte 
gerückt  werden,  diese  Verschiebung  ist  eine  natürliche,  wenn 
ich  so  sagen  darf,  wir  haben  aber  auch  einen  beweis  dafür, 
dass  dinge,  die  mit  einer  hervorragenden  Persönlichkeit  der 
vikingerzeit  verknüpft  sind,  zwischen  1014  und  1022  zu  be- 
stimmtem zweck  iu  die  zeit  Cormacs  (3  jh.)  versetzt  wurden, 
in  dem  im  verlauf  der  Untersuchung  so  oft  benutzten  Lebor  na 
cert  herscht  die  anschauung,  dass  Benen ,  Patricks  schüler  und 
genösse,  die  prärogative,  rechte  und  pflichten  des  königs  von 
Munster  (Cashel)  aufgezeichnet  habe  in  ein  buch,  genannt  Saltair 
Caisil  'psalter  von  Cashel'1  (O'Donovau,  Lebor  na  cert  s.  52,  17), 
und  dass  zur  zeit  des  streitbaren  Casheler  kirchenfürsten  Cormac 

1  man  erinnere  sich ,  dass  die  prärogative  Armaghs  in  eine  hs.  des 
neuen  testaments  eingeschrieben  wurden. 


KELTISCHE  BEiTBÄGE  111  119 

mac  Cuilennain  (f  903)  die  uns  erhaltene  Fassung  entstanden 
ist.  wie  wir  oben  s.  11  anm.  sahen,  sind  die  uns  erhaltenen 
gedichte  100  jähre  später  unter  dem  mächtigen  Munsterköuig  und 
irischen  oberkünig  Brian  (1002—  1014)  wiirklicli  entstanden,  es 
ist  nun  sehr  leicht  möglich,  dass  ein  älteres  auf  Cormac  mac 
Cuilennain  zurückgehendes  werk  vorläge  war  und  dass  mau,  wie 
in  Armagh,  das  neue  werk,  welches  die  erst  durch  Brian  er- 
rungenen rechte  Munsters  alt  machen  sollte,  unterschob,  also 
die  Sammlung  Saltair  Caisil,  die  Brian  (1002 — 1014)  veran- 
staltete, für  den  Saltair  Caisil  des  Cormac  mac  Cuilennain  aus- 
gab, eine  solche  hs.  gab  es  im  mittelalter  und  grofse  stücke 
von  Laud  610  sind  nach  positiven  angaben  daraus  abgeschrieben 
(s.  O'Donovan,  Lebor  na  cert  s.  xxn  —  xxiu).1     es  waren  also 

1  die  annähme,  dass  die  talsächlich  einst  vorhandene  hs.  Saltair 
Caisil,  aus  der  grofse  stücke  von  Laud  610  abgeschrieben  sind,  aus  Brians 
zeit  (1002  — 1014)  stammte,  dass  sie  werke  einer  älteren,  auf  den  be- 
rühmten gelehrten  und  streitbaren  kirchenfürsten  Gashels,  Cormac  mac 
Cuilennain  (f  903),  zurückgehenden  hs.  in  abschriften,  Umarbeitungen  und 
erweiterungen  enthielt  und  als  der  Saltair  Caisil  dieses  Cormac  mac  Cuilen- 
nain vielfach  angesehen  wurde,  erklärt  vieles:  1)  die  irischen  gelehrten  des 
späteren  mittelalters  schreiben  diese  hs.  bald  Brian,  bald  Cormac  zu  (s.  O'Do- 
novan, Book  of  rights  s.  xxniff);  erstere  ansieht  wäre  schwerverständlich, 
wenn  Brian  nicht  würklich  der  Urheber  wäre.  2)  unser  Lebor  na  cert  kann  aus 
dem  Saltair  Caisil  (dh.  des  Brian)  stammen.  3)  die  vorläge  von  LL  288a, 
16 — 292a,34  geht  auf  eine  abschritt  zurück,  die  der  Umarbeitung  des  textes  in 
Saltair  Caisil  vorausliegt,  während  Laud  610  fol.  94d,  17 — 97a,  26  eben  aus 
diesem  Saltair  Caisil  Brians  geflossen  ist  (s.  oben  s.  115).  4)  schon  Stokes, 
Three  irish  glossaries  s.  xviii  wies  darauf  hin,  dass  es  wahrscheinlicher  sei, 
dass  das  Cormac  zugeschriebene  glossar  im  jh.  seines  todes  entstanden  sei, 
denn  durch  ihn;  hinzu  kommt,  dass  artikel,  die  sich  fixieren  lassen,  wie 
orc  treith,  noes  (s.  oben  s.  88),  auf  ende  des  lOjhs.  hinweisen;  auch 
darauf  darf  ich  aufmerksam  machen,  dass  im  glossar  s.  v.  ringeene  die  er- 
weiterte erzählung  LL  288a,  16  — 292a,  34  bekannt  ist,  wie  sie  Laud  610 
aus  dem  Saltair  Caisil  abgeschrieben  ist  (s.  oben  s.  115  anm.  2).  stammt  das 
glossar  aus  dem  Saltair  Caisil  des  Brian,  dann  sind  diese  tatsachen  ohne 
annähme  von  interpolationen  verständlich  und  es  ist  begreiflich,  wie  man 
es  dem  Cormac  zuschrieb.  5)  die  aus  dem  11  jh.  stammende  erzählung  von 
dem  vikingerzeitalter  meldet  ausdrücklich  aus  Brians  regierungszeit  von 
1002  — 1014:  llocuirit  sauithe  ocus  maigislreacka  da  l/ieaccasc  ec/ia  ocus 
eulais  ocus  do  chendaen  leabar  tar  inair  ocus  tar  mürfairge;  uair  do 
loisged  ocus  do  baided  a  screptra  ocus  a  liubair  in  gack  tili  ocus  in 
gach  neimed  ina  robattar  la  diberceavhaib  o  tosach  go  deired.  Brian 
imorro  do  beired  side  luach  f'oglama  ocus  luach  leabar  do  gack  aon  f'o- 
leitk  datteiged  annsin  'es  wurden  von  ihm  gelehrte  und   magister  geschickt 


120  KELTISCHE  BEITRÄGE  111 

in  der  auffassung  des  ersten  Jahrzehnts  deslljhs. 
folgende  3  dinge  mit  einander  verknüpft:  1)  Lebor  na 
cert  (buch  der  rechte  und  pflichten);  2)  verfasst  von  Cormac 
mac  Cuilennain  (f  903)  und  3)  geschrieben  in  der  hs. 
Saltair  Caisil.  was  hat  ein  auf  Munsters  rühm  eifersüchtiger 
nordirischer  dichter  kaum  10  jähre  nach  Brians  tod  (f  1014) 
daraus  gemacht?  der  1024  von  den  bewohnern  Teffias  (ein  gebiet 
in  heutiger  grafschaft  west-Meath)  ermordete  dichter  Cuan  o 
Löchäin  hat  ein  gedieht  über  die  geasa  ocus  bnada  rlg  Erenn, 
dh.  'die  tabus  und  specialrechte  des  oberkönigs  von  Irland'  ver- 
fasst, welches  dem  Lebor  na  cert  in  den  hss.  vorangeschickt  ist 
(O'Donovan  s.  2  —  25);  es  war  offenbar  als  eine  ergänzung  des 
Lebor  na  cert  gedacht  und  setzt  dieses  voraus,  von  dem- 
selben O'Löchain  nun  haben  wir  Book  of  Ballymote  351a,  47  ff 
ein  gedieht  auf  den  sagenhaften  Cormac  mac  Airt  des  3  jhs.  uud 
seine  residenz  Tara,     hier  heifst  es: 

1.  Temair  toga  natulach  fota  Eriu  indradach 
Ardchathair  Cormaic  maic  Airt  Maie  Cuind  Cetcathaig  comnairt. 

2.  Cormac  ba  cundal  amaith       ba  sui  ba  fili  ba  ßaith 
Ba  firbrethem  fer  Fette  ba  cara  ba  coigele. 

3.  Cormac  raclai  caegad  cath      ilai[gai]d  Saltair  Temrach 
IsinSaltair  sin  atä  anusdech  sunn  senchusa. 

4.  IsinSaltair  sin  adbeir  m  nairdri  Erenn  inbir 
Coicrlg  naeoiged  dosgnl          ri  hErenn  isa  hairri. 

5.  Is  inti  atü  dogach  leith  inandlig  cach  ri  eoieid 
Inandlig  ri  Temra  tair  dort  gach  cuigid  ceolaig. 

'1)  Tara  ist  der  herlichste  der  hiigel  —  lang  ists  her,  dass  Irland 
durch  einfalle  verwüstet  worden  — ,  die  hohe  Stadt  Cormac  mac 
Airts,  des  sohnes  des  kräftigen  Conn  Cetchathach.  2)  Cormac  — 
es  war  geziemend  seine  gute  —  war  ein  weiser,  war  ein 
dichter,  war  ein  herscher,  er  war  ein  gerechter 
lichter  der  vikingermänner  (ferFene),  er  war  freund, 
war  genösse.  3)  Cormac  siegte  in  50  schlachten  —  der  psalter 
•von  Tara  vervielfältigt  —  dieser  psalter  (von  Tara)  ist  das 
zur  Unterweisung  in  Wissenschaft  und  kenntnis  und  bücher  zu  kaufen  übers 
meer  und  die  grofse  see;  denn  ihre  Schriften  und  bücher  waren  verbrannt 
und  ins  wasser  geworfen  worden  vollständig  durch  die  (nordischen)  See- 
räuber in  jeder  kirche  und  jedem  heiligtum,  wo  sich  solche  fanden.  Brian 
aber  gab  lohn  fürs  lernen  und  lohn  für  bücher  einem  jeden,  der  daran 
gieng'  (Todd,  Cogadh  Gaedhel  s.  138). 


KELTISCHE  BEITRÄGE  111  121 

wertvollste,  was  vom  alter  tum  erhalten.  4)  dieser 
psalter  nennt  7  könige  für  das  hafenreiche  Irland:  5  könige  für 
die  5  provinzen,  der  köuig  von  Irland  und  sein  unterköuig. 
5)  in  ihm  ist  von  allen  Seiten  (enthalten),  worauf  jeder  pro- 
vinzialkönig  auspruch  hat,  worauf  der  könig  von  Tara  von  dem 
könig  jeder  sangesreichen  provinz  anspruch  hat.' 

Hier  hahen  wir  eine  offenkundige  lüge  und  fälschuug  vor 
uns,  die  in  ihrer  Unverschämtheit  kaum  von  der  lüge  Armaghs 
über  die  hekehrung  der  vikinger  Dublins  durch  Patrick  über- 
troffen wird,  der  1024  gestorbene  O'Löchain  hat  den 
mut,  alles,  was  von  dem  streitbaren  Cas heier  kirchen- 
fürsten  Cormac  mac  Cuilennain  (f  903)  ums  jähr  1000  be- 
kannt war,  auf  den  sagenhaften  könig  Cormac  mac  Air t 
des  3  j h s.  zu  übertragen.  Cormac  mac  Cuilennain  war,  wie 
dies  im  9  und  10  jh.  die  regel  ist,  könig  von  Munster  und 
bischof  von  Cashel  und  als  gelehrter  hoch  gefeiert  (s.  annalen 
zu  903) ,  für  ihn  passt  ba  sui  ba  file  ba  flaith  'er  war  gelehrter, 
dichter  und  fürst.'  ihm  wurde  auch  die  Sammlung  der  rechte 
und  pflichten  der  könige  Irlands  zugeschrieben,  die  notwendige 
folge  der  Übertragung  auf  den  sagenhaften  Cormac  mac  Airt  war, 
dass  aus  dem  Saltair  Caisil,  der  im  15  jh.  würklich  noch  vor- 
handenen hs.,  ein  Saltair  Temrach  'psalter  von  Tara'  wurde, 
wobei  die  absurdität  gar  nicht  in  betracht  gezogen  wurde,  dass 
dann  dieser  200  jähre  vor  Patrick  lebende  sagenhafte  heidnische 
monarch  den  Lebor  na  cert  in  ein  psalterium  geschrieben  hätte, 
für  eine  hs.  Saltair  Temrach  'psalter  von  Tara'  ist  keine  spur 
eines  anhaltes  vorhanden,  so  wurde  denn  Cormac  mac  Airt 
auch  gerechter  richter  'der  vikinger männer'  (ferFene),  was 
bei  Cormac  mac  Cuilennain  (f  903)  sinn  hat. 

O'Löchain  war  nord-Ire  (aus  Meath)  und  brachte  seine  familie 
in  beziehung  zum  sagenhaften  Cormac  mac  Airt  des  3  jhs. 
(s.  O'Curry,  Manners  and  customs  n  136  ff;  O'Douovan,  Lebor 
na  cert  s.  XLiifl);  er  stand  in  beziehungen  zu  Maelsechlainn  n, 
der  nach  des  verhassten  südirischen  Usurpators  Brian  tode 
(1014)  wider  oberkönig  wurde  (f  1022).  in  dessen  und  in 
eigenem  interesse  vollbrachte  O'Löchain  die  plumpe  fälschung, 
die  also  zwischen  1014  und  1022  lallt,  in  dem  gutgläubigen 
Irland,  wo  Tertullians  Credo  quia  absurdum  durch  ein  Jahr- 
tausend   leitender   Grundsatz    ist,    wurde   auch    diese   schier    un- 


122  KELTISCHE  BEITRÄGE  111 

glaubliche  falsch uog  geglaubt:  Book  of  Ballymole  und  Yellow 
book  of  Lecau  sind  Zeugnisse  fürs  14 — 15  jh.  (s.  O'Curry,  Ma- 
ouscript  materials  s.  11),  die  Vier  meister  s.  anno  266  fürs 
17  jh.  und  O'Curry  (aao.)  fürs  19  jh.  dieser  glaube  erzeugte 
wider  andere  erfindungen:  man  liefs  Cormac  mac  Airt,  nachdem 
er  ein  äuge  verloren,  viele  jähre  in  Aicil  (grafschaft  Meath) 
leben ,  wo  er  zu  den  genannten  werken  auch  noch  einen 
'fürstenspiegel'  (Tecosc  na  rlg)  —  schon  LL  343%  1  ff  erhalten  — , 
ein  'gesetzbuch'  (Lebor  Aide)1  und  anderes  verfasste.  schliefs- 
lich  liefs  man  ihn  schon  vor  Patricks  ankunft  an  den  einen 
wahren  gott  glauben  und  als  rector  einer  art  fürsten-  (kloster-) 
schule  zu  Cleitech  an  einer  im  halse  stecken  gebliebenen  lachsgräte 
sterben  (LU  40b,  16  ff).  unter  den  händen  der  klosterschul- 
meisler  des  11  und  12  jhs.  werden  alle  berühmten  leute  der 
vorzeit —  in  sage  vorhandene  und  erfundene,  wie  Feuius  s.  s.  82 ff 
—  auch  zu  schulmeistern. 

In  der  weise  gerade,  wie  der  gelehrte  und  streitbare  Casheler 
kirchenfürst  Cormac  mac  Cuilennaiu  (831 — 903)  in  die  sage  des 
3 jhs.  kam,  kann  der  führer  der  vikiugerhorde ,  Cormacs  älterer 
Zeitgenosse  Finn,  nicht  in  die  sagenhafte  geschichte  des  2 — 3  jhs. 
versetzt  worden  sein,     die   sagenhafte   geschichte   des  2  —  3  jhs. 

1  dies  uns  erhaltene  rechtsbuch  (Lebor  Aide  Ancient  laws  of  lreland 
in  82  —  546)  kennt  Fene ,  wie  Senchas  mar.  ob  wir  darin  eine  süd- 
irische rechtssammlung  zu  sehen  haben  —  wie  Senchas  ?nör  ja  ent- 
schieden nach  nord- Irland  weist  — ,  die  eben  dorther  stammt,  woher  Lebor 
na  cert  kommt?  die  einleitung  ist  dann  natürlich  nach  der  idenliflcierung 
des  heidnischen  sagenkönigs  Cormac  mac  Airt  mit  dem  streitbaren  Casheler 
kirchenfürsten  Cormac  mac  Cuilennain  verfertigt  worden.  —  der  LL  343a,  1  ff 
erhaltene  Tecosc  na  rlg  ist  eine  offenkundige  nac ha  Innung  eines 
mit  Cormac  mac  Cuilennain  verbundenen  werkes.  LL  147b,  1  ff 
haben  wir  ein  gedieht,  beginnend  Diambad  messe  bad  rl  'wenn  ich  könig 
wäre':  es  enthält  in  einer  reihe  von  maximen  über  die  pflichten  eines 
königs  eine  art  fürstenspiegel.  dies  gedieht  findet  sich  Laud  610  fol.  72b 
mit  der  Überschrift  Fingi?i  cecinit  doChormac  mac  Cuilennain  'Fingin 
sang  für  Cormac  mac  Cuilennain.'  es  stammt  aus  dem  Saltair  Caisil.  es 
enthielt  also  der  Saltair  Caisil  einen  'fürstenspiegel',  der  von  Fingin  für 
den  könig  von  Munster  und  bischof  von  Cashel  verfasst  war.  als  nun 
O'Löchain  in  der  oben  gezeigten  plumpen  weise  den  streitbaren  Casheler 
kirchenfürsten  Cormac  mac  Cuilennain  (f  903)  mit  dem  sagenhaften  irischen 
oberkönig  des  3  jhs.  zusammengeworfen  hatte,  schrieb  ein  anderer  einen 
'fürstenspiegel'  (Tecosc  na  rlg)  und  legte  ihn  dem  Cormac  des  3  jhs.  unter! 
den  unsinn  hat  man  natürlich  bis  jetzt  ebenfalls  geglaubt. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  111  123 

kennt  eben  eine  figur  mit  uameu  Finn  überhaupt 
nicht,  wie  wir  s.  113  ff  sahen,  daher  auch  eine  ideotificieruug  — 
sei  es  eine  natürliche,  in  der  eutwickeluug  der  sage  liegende, 
sei  es  eine  künstlich  erfundene  —  zweier  namengleicher  figuren 
ausgeschlossen  ist.  die  Verknüpfung  Finns  mit  den  sagenhaften 
gestalten  des  2 —  3  jhs.  wird  im  allgemeinen  ihren  grund  haben 
in  dem  zusammenfliefsen  der  ereignisse  aus  der  ersten  hüllte  des 
9  jhs.  mit  der  sagenhaften  geschichte  des  2  —  3  jhs.  (s.  s.  11611). 
im  besonderen  werden  zwei  mit  Finn  verknüpfte  namen  die  Ver- 
kettung gefördert  haben,  in  dem  oben  s.  111  behandelten  text 
von  der  Jugend  Finns  (LU41\  10 — 42b  ende)  erfahren  wir,  dass 
er  der  söhn  eines  'vikingerführers  aus  königlichem  blut'  (rig- 
fennid),  namens  Cumall,  und  einer  geraubten  schönen  Irin, 
Murni,  der  tochter  des  Tadg  mac  Nuadat,  besitzers  der  bürg 
von  Allen,  ist.  dürfen  wir  nun  annehmen,  dass  diese  namen 
mit  Finn  im  10  jh.  verknüpft  waren,  ehe  er  in  die  sage  des 
2  —  3  jhs.  gekommen,  dann  ist  klar,  wie  Finn  in  die  sagen- 
hafte geschichte  des  2  —  3  jhs.  verflochten  wurde.  AHM  Aulom, 
der  mächtige  herscher  Munsterlands,  Schwiegersohn  des  Conu 
Cetchathach,  Schwager  des  Art  mac  Cuinu,  pflegevater  Lugaids 
mac  Con,  onkel  des  Cormac  mac  Airt  ist  mac  Moga  Nuadat, 
dh.  söhn  des  Mug  Nuadat  (LL  288a,  16.  Laud  610  fol.  94d,  18); 
so  konnte  Tadg  mac  Nuadat,  Finns  grofsvater  mütterlicher- 
seits, sehr  vvol  an  AHM  mac  (Moga)  Nuadat  erinnern,  und  war 
Tadg  mac  Nuadat  ein  Zeilgenosse  (bruder)  des  AMll  mac  (Moga) 
Nuadat,  dann  muste  Finn  Zeitgenosse  des  pflegesohus  Ailills  sein, 
des  Lugaid  mac  Con.  so  treffen  wir  denn  auch  tal- 
sächlich in  der  in  Laud  610  fol.  95d,  24 ff  in  terpol  ierten 
stelle  (gegenüber  LL292a,9ff;  s.  s.  114  ff)  Finn  in  beglei- 
tuug  des  Lugaid  mac  Con  und  dessen  tod  rächend, 
hinzu  kommt  noch,  dass  auch  einer  der  7  söhne  des  Ailill  Aulom, 
die  ihrem  oheim,  dem  oberkönig  Art,  zur  hilfe  gezogen  und 
gleich  ihm  in  der  schlacht  auf  dem  leide  von  Muccrün  gegen 
Lugaid  mac  Con  gefallen  waren,  Tadc  heifst  (LL  146b,  27),  der 
also  ein  eukel  des  Mug  Nuadat  war.  nicht  auf  diese  ankuüpfuug 
Finns  an  die  Munstersage  des  2  —  3  jhs.  geht  jedoch  die  Umge- 
staltung zurück,  dass  Finn  mac  CumaM  zu  einein  Finn  hua  Baiscne, 
einem  angehörigen  des  clans  der  Baiscne  (in  grafschaft  Cläre), 
wird,   wie   er  Laud  610    fol.  95°,  24  IT   und  Sanas  Connaic  s.v. 


124  KELTISCHE  BFITHÄGE  111 

orc  treith  zuerst  erscheint,  worauf  dies  beruht,  werden  wir 
später  (s.  129  anm.  3)  sehen. 

Wurde  Fiun  so  in  Munster  an  die  ältere  generation 
der  sagenfiguren  des  2 —  3  jhs.  angeknüpft,  so  fand  in  Leinster 
und  Meath  eine  anknüpfung  an  eine  jüngere  generation 
statt,  in  den  kämpfen,  die  Cormac  mac  Airt  nach  der  Ver- 
treibung des  Lugaid  mac  Con  (pflegevater  Cormacs  und  mörder 
seines  vaters)  mit  dem  Ulsterherscher  Fergus  Dubdetach  zu  be- 
stehen hatte,  spielt  eine  hervorragende  rolle  Tadg  mac  Cein; 
er  war  der  söhn  des  in  der  Schlacht  auf  Mag  Muccrlma  gefallenen 
Clan,  enkel  Ailill  Auloms,  grofsenkel  des  Mug  Nuadat  (vgl.  Cinaed 
hua  Artacain  f  975  in  seinem  gedieht  über  die  irischen  beiden 
LL  31b,  41  ff),  dachte  man  bei  Tadg  (mac  Nuadat),  dem 
grofsvater  Finns  mütterlicherseits,  an  diesen  Tadg  (mac  Cein), 
dann  ist  begreiflich,  wie  Finn  als  rüstiger  mann  zu  Cairpre 
Lifeochairs  zeit,  Cormacs  söhn,  dem  Leinsterkönig  zur  hilfe  ziehen 
konnte  (LL  296a,  49  ff),  so  erklärt  sich  denn  nicht  nur, 
wie  Finn  mac  Cumaill,  der  führer  einer  vikingerhorde  des 
9  jhs.,  in  die  sage  des  2  —  3  jhs.  verflochten  wird, 
sondern  auch  wie  er  durch  fast  ein  jh.  als  nicht 
alternder   tapferer  führer   erscheint  (vgl.  oben  s.  113). 

Wenden  wir  uns  der  frage  zu,  wann  ungefähr  Finn  mac 
Cumaill  in  die  sage  des  2  —  3  jhs.  verflochten  wurde,  da 
Laud  610  fol.  94d,  17—97%  26  aus  dem  Saltair  Caisil  ab- 
geschrieben ist,  Finn  auch  in  der  erzählung  im  Sanas  Cormaic 
s.  v.  orc  treith  den  beinamen  ua  Baiscne  führt,  so  können  wir 
mit  Sicherheit  annehmen,  dass  Finn  zur  zeit,  als  Brian  ober- 
könig  war  (1002  — 1014),  in  Munster  schon  in  die  sage  des 
2 — 3  jh.  verflochten  war.  vielleicht  können  wir  noch  etwas 
weiter  kommen,  das  älteste  zeitlich  fixierte  Zeugnis  über 
die  Finnsage  ist  das  gedieht  des  Cinaed  hua  Artacain  (f  975) 
über  die  berühmtesten  irischen  helden  (LL  31a,  43  ff),  hier 
werden  in  zeitlicher  reihenfolge  die  zu  Cinaeds  lebzeiten  be- 
rühmten helden  der  sage  und  historischeu  persönlichkeiten  ab- 
gehandelt, welches  gedieht  dann  der  bischof  Finn  von  Kildara, 
der  urheber  der  hs.  LL,  bis  auf  seine  zeit  (1151)  fortführte,  in 
diesem  Verzeichnis  wird  Finn  in  derselben  Strophe 
mit  dem  624  in  Schottland  (Cantire)  gefallenen  Ulster- 
regulus    Mongan    aufgeführt    und    zwar    nach    ihm 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  125 

(s.  oben  s.  24  IT),  die  einwendungen ,  die  man  gegen  die  Schluss- 
folgerung aus  dieser  tatsache  machen  kann ,  scheinen  mir  hin- 
fällig, auf  den  einvvurf,  dass  die  Verbindung  von  Mongan  und 
Finn  auf  der  LU  133a,  25  ff  überlieferten  sage  beruhe,  wonach 
Mongan  eine  art  widergeburt  Finns  aus  dem  3  jh.  ist,  auf  diesen 
einwand  ist  zu  erwidern:  1)  es  ist  unwissenschaftlich,  ein  mög- 
licherweise 150  jähre  jüngeres  denkmal  zu  einem  beweiskräftigen 
einwand  zu  benützen;  es  ist  vielmehr  wahrscheinlich,  dass  man 
im  11  jh.,  weil  man  Finn  verbunden  mit  der  sage  des  2  —  3  jhs. 
kannte  und  weil  man  die  Stellung  Finns  hinter  Mongan  in  Cinaeds 
berühmtem  gedieht  nicht  mehr  verstand,  aus  jener  stelle  in  Cinaeds 
gedieht  die  sage  LU  133a,  25 ff  erfand:  hierzu  lockte  ja  die  ältere 
sage,  dass  Mongan  eine  incarnation  des  euhemerisierten  alten 
meergottes  Manandän  gewesen  sei  (s.  oben  s.  24  anm.).  2)  bei 
der  deutung  der  Strophe  in  Cinaeds  gedieht  aus  der  jünger  über- 
lieferten sage  bleibt  immer  unverständlich,  warum  Finn  von  den 
anderen  helden  der  sage  des  2  —  3  jhs.  getrennt  ist  und  nach 
Mongan  erscheint,  der  einwand  aber,  dass  bei  der  Stellung, 
welche  die  Strophe  in  LL  einnimmt,  Mongan  und  Finn  nicht 
in  der  zeitlichen  reihenfolge  stehen,  sondern  vor  den  im 
5  jh.  gefallenen  herschern  Niall  und  Dathi,  erledigt  sich  leicht, 
unsere  hs.  stammt  aus  einer  zeit  (1160),  in  welcher  die  Ver- 
bindung Finns  mit  dem  2  —  3  jh.  schon  150  jähre  feststand  und 
sehr  eng  geworden  war.  als  bischof  Finn  von  Kildara  Cinaeds 
gedieht  bis  auf  seine  zeit  (1151)  fortführte,  muste  ihm  die  Stel- 
lung Finns  hinter  Mongan  und  hinter  Niall  und  Dathi  auffallen. 
da  nun  um  1151  Finn  der  weitaus  berühmtere  hehl  ist,  so  lag 
es  nahe,  den  Cinaed  vom  standpunet  des  Jahres  1151  aus  so  zu 
corrigieren,  dass  man  die  Strophe  mit  Mongan  und  Finn  vor  die 
Niall -Dathistrophe  stellte;  dies  muste  vom  standpunet  des  12  jhs. 
aus  als  die  g  eri  ngere  ungenau  igk ei  t  erscheinen,  ich  glaube 
demnach  den  schluss  ziehen  zu  dürfen ,  dass  Cinaed  hua  Artacain 
(f  975)  bei  abfassung  seines  gedieh tes  von  der  Ver- 
knüpfung des  sagenhelden  Finn  mit  dem  2  —  3jli. 
nichts  wüste,  also  ebenso  wenig,  wie  die  LL  288%  16  bis 
292\  34  auf  uns  gekommenen  texte  (s.  oben  s.  113  II);  ihm  war 
(um  die  mitte  des  10  jhs.)  Finn  ein  held  aus  historischer  zeit, 
jünger  als  der  historische  Mongan  (f  624),  wenngleich  er  eine 
ganz  genaue  Vorstellung  des  jhs.  nicht  halte     hierbei  ist  jedoch 


126  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

ein  punct  zu  beachten:  der  975  gestorbene  Cinaed  hua  Artacain  ist 
ein  Ulsterdichter,  das  Chronicon  Scotorum  sagt  (973)  aus- 
drücklich Cinaed  h.  Artaccdn  prtmheges  Lethe  Cuinn  moritur  (C. 
hauptdichter  nord-  Irlands  f)  und  die  Vier  meister  melden 
nur  wenige  jähre  nach  seinem  tode  (976)  den  tod  eines  Fiachra 
hua  hArtacäin  abb  Ia  Choluim  Chille  'abt  von  Jona',  was  auch 
auf  Ulsterherkunfl  dieses  Fiachra  hinweist,  es  ist  daher  immer- 
hin möglich,  dass  in  Munster  und  Lein ster  im  dritten  viertel 
des  10  jhs.  die  Verknüpfung  Finns  mit  den  sagenhaften  persön- 
lichkeiten des  2 —  3  jhs.  schon  eingetreten  war. 

Ein  weiteres  denkmal  führt  uns  auch  nicht  über  ende  des 
10  jhs.  weit  hinaus,  die  dem  s.  34  ff.  99  ff  besprochenen  text 
zu  gründe  liegende  begebenbeit  ereignete  sich  zur  zeit  des  ober- 
königs  Domnall  (956  —  979);  Airard  mac  Coissi  stirbt  nach  den 
Ulsterannalen  989  (dh.  990).  der  text  kann  meines  erachtens  aus 
mancherlei  gründen  nicht  jünger  sein  als  die  wende  des 
10 — 11  jhs.  hier  interessiert  nun  das  repertoire,  welches  die 
erzählung  den  Urard  mac  Coisi  vor  dem  oberkönig  Domnall  mit- 
teilen lässt  (s.  oben  s.  34). l  es  sind,  wenn  ich  richtig  gezählt, 
177  titel  von  erzählungen.  Mac  Coisi  geht  so  vor,  dass  er  dem 
Domnall  die  titel  der  28  gnäthscela  Erenn  'bekannten  erzählungen 
Irlands'  zuerst  nennt,  und  dann  —  nachdem  offenbar  Dom- 
nall zu  erkennen  gegeben,  dass  die  ihm  nichts  neues  bieten  — 
fährt  er  fort:  madferr  latsu  atpasur  duit  na  täna  'wenn  du 
aber  vorziehst,  will  ich  dir  die  'herdenwegtreibungen'  erzählen.' 
nunmehr  gibt  er  eine  sachliche  anordnung,  in  der  manche  der 
zuerst  genannten  gnäthscela  widerkehren,  hier  ist  von  gröster 
Wichtigkeit,  dass  unter  den  vorangestellten  und  aus- 
gehobenen 28  gnäthscela  Erenn  'bekannten  erzählungen 
Irlands'  sich  kein  titel  aus  der  Finnsage  befindet. 
es  sind  27  texte  der  alten  nordirischen  heldensage  (Cuchulinn- 
sage)  und  Scela  Alexandir  maic  Pilip  oc  gabail  rlgi  ocus  imperechta  in 
domain  'die  geschichten  von  Alexander,  dem  söhne  Philipps, 
als  er  die  herschaft  und  die  kaiserwürde  der  weit  ergriff.'2    fassen 

1  dieser  teil  des  textes  (Rawl.  B  512  fol.  109b,  4—  110%  7)  ist  ab- 
gedruckt bei  D'Arbois,  Essai  d'un  calalogue  s.  260  —  263. 

2  diese  und  die  noch  zu  erwähnenden  tatsachen  bieten  die  innere 
gewähr,  dass  der  text  würklich  aus  dem  ende  des  10 jhs.  stammt  und 
dass  die  liste  in  der  jungen  abschritt  aus  späterer  zeit  nicht  interpoliert 
ist;    eine  wesentlich  jüngere   zeit  würde  eine  ganz  andere  liste    von  titeln 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  127 

wir  nun  die  149  sachlich  geordneten  titel  ins  äuge,  so  ist  klar, 
dass  wir  vom  standpunct  des  ausgehenden  10  jlis.  die  texte  Echtra 
Cuind  Chetchathaig  und  Echtra  Corbmaic  hui  Cnind  (abenteuer 
des  C.  C.  und  abenteuer  des  Cormac  ua  Cuind),  Tochomlad  nan 
Desi  a  Temraig ,  Tochomlod  Cein  a  Caisil  nicht  zur  Fi  nn  sage 
rechnen  dürfen,  da  ja  Finn  darin  nicht  vorkommt,  wenn 
man  dies  heutiges  tages  gewöhnlich  tut,  so  beruht  dies  auf  der 
lorheit,  alle  sagentexte,  welche  das  2 —  3  jh.  voraussetzen,  dem 
'cycle  ossianique'  zuzuschreiben;  aber  derartige  sagentexte  waren 
vorhanden,  ehe  Finn  mit  der  sage  des  2  —  3  jhs.  verknüpft  war, 
ja  ehe  eine  Finnsage  existierte,  aus  der  Finnsage  kennt  das 
repertoire  des  Urard  mac  Coisi  nur  zwei  erzählungen  unter  den 
149  titeln  und  sie  zeigen  die  Verknüpfung  Finns  mit  der  sage 
des  2 — 3  jhs.:  Tochmarc  Ailbe  ingine  Cormaic  hui  Cnind  laFind 
hüa  mBaiscne  'das  freien  der  Ailbe,  tochter  Cormacs  ua  Cuind,  durch 
Find  hua  Baiscne'  und  Aithed  Grainne  ingine  Corbmaic  laDiar- 
mait  hüa  nDuibni  'das  durchgehen  der  Gr.,  tochter  Cormacs,  mit 
Diarmait  ua  Duibni.'  hierdurch  erhalten  wir  allerdings  nur  eine 
bestätiguug  des  s.  124  ff  gewonnenen  resultates,  dass  Finn  ums 
jähr  1000  in  die  sage  des  2  —  3  jhs.  verflochten  war;  aber  der 
umstand ,  dass  unter  den  28  'bekannten  erzählungen  Irlands' 
keine  Finngeschichte  sich  befindet  und  dass  unter  den  149  titeln 
nur  zwei  sicher  der  Finnsage  angehören,  ist  —  zumal  wenn  wir 
die  fülle  der  Finnerzählungen  um  die  mitte  des  12  jhs.  im  äuge 
behalten  —  lehrreich  und  die  dargelegte  entwickelung  der  Finn- 
sage mit  ihrem  Ursprung  im  9  jh.  bestätigend. 

Verlockend  ist  es  ganz  gewis,  in  der  irischen  geschichte 
des  9  jhs.  nach  der  person  umschau  zu  halten ,  die  iu  der  er- 
innerung  des  10  jhs.  in  süd- Irland  (Munster  und  Leinster)  als 
Finn  kräftig  fortlebte  und  gegen  ende  des  10  jhs.  in  die  sage 
des  2  —  3  jhs.  verflochten  wurde,  um  den  Zeitraum  des  9  jhs. 
näher  zu  umschreiben,  in  welchem  wir  nach  dem  vorbild  Finns 
suchen  dürfen,  ist  ein  gesichtspunct  im  äuge  zu  behalten:  die 
persön  I  ichk  eit,  die  in  Finn  fortlebt,  muss  vor  der 
etablierung  eines  viki  ngerkönig  tums  in  Irland  in  i  I 
geben,  das  aber  mögen  sich  alle  sonderbaren  schwiirmer  für  eine  alte  vor 
der  vikingerzeit  bestehende  Finnsage  ad  notam  nehmen,  dass  schon  zu  einer 
zeit,  wo  eine  irische  bearbeitung  der  Alexandersage  zu  den  'bekannten  er- 
zählungen Irlands'  gehörte,  noch  keine  erzählung  der  Finnsage  unter  den 
28  bekannten  erzählungen  Irlands  vorkommt. 


128  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

der  hauptstadt  Dublin  oder  um  diese  zeit  existiert 
haben,  also  vor  oder  um  852.  wir  finden  Finn  mit  seiner 
vikingerscbar  (fiann)  in  west-Meath  (Sanas  Cormaic  s.  v.  orc 
trVith);  wir  finden  ihn,  wie  er  aus  Kildare  zur  rechten  des  Barrow 
durch  Queens  county,  Kilkenny  zieht  bis  dahin,  wo  Kilkenny, 
Carlow  und  Wexford  an  einander  slofsen  (Tech  Moling  =  heutigem 
SMullins),  um  dem  Leinsterkönig  gegen  Irlands  oberkönig  bei- 
zustehen (LL  296%  49  ff,  s.  oben  s.  25  ff);  ebenso  fällt  sein  vater 
Cumall  im  kämpf  mit  dem  könig  von  Tara  (LU  42%  22 IT).  Finn 
erscheint  überall  als  unabhängiger  führer  einer 
vikingerhorde  und  in  der  sage  ist  keine  andeutung  erhalten, 
dass  neben  dem  Leinsterkönig,  neben  dem  könig  von  Tara  usw. 
in  Irland  eine  reguläre,  gesetzmäfsig  anerkannte  vikingerherschaft 
mit  der  hauptstadt  Dublin  vorhanden  war.  hält  man  damit  zu- 
sammen,  dass  bald  nach  852  eine  solche  figur,  wie  Finn  mit 
seiner  fiann,  in  jenen  gegenden ,  wo  er  in  den  ältesten  texten 
auftritt,  nicht  wol  möglich  ist,  so  wird  man  mir  zugeben,  dass 
das  vorbild  für  Finn  in  der  ersten  hälfte  des  9  jhs.  bis  bald  nach 
852  gesucht  werden  muss.  weitere  momenle  kommen  bestätigend 
hinzu,  jene  einzelbanden,  die  von  824  an  (s.  oben  s.  108)  in 
den  grafschaften  Dublin,  Meath,  Kildare,  Wicklow,  Queens  county, 
Kilkenny,  Carlow,  Wexford  erscheinen,  waren  bei  dem  fehlen 
einer  centralgewalt  der  vikinger  in  süd- Irland  vor  852 
sehr  bald  einer  art  irisierung  ausgesetzt,  wenn  sie  irgendwo 
festen  fufs  fassten.  so  treffen  wir  ja  852  solche  vielleicht  2  Jahr- 
zehnte angesiedelte  vikinger  in  Kilkenny  als  eine  art  von  irischem 
clan  (echtarchenel,  Fena,  s.  oben  s.  93  ff,  118);  und  gerade  um 
jene  zeit,  als  ein  eigentliches  vikingerkönigtum  in  Dublin  etabliert 
wurde,  erscheinen  in  den  annalen  (855.  856)  Gall-Gaedäl,v\k\nger- 
Iren'  in  Ulster,  Meath  und  Munster  (s.  oben  s.  95),  die  dann 
auf  ein  jh.  verschwinden,  die  errichtung  des  vikingerreiches  mit 
der  hauptstadt  Dublin  hielt  die  um  850  schon  im  flusse  be- 
findliche assimilierung  der  von  824  an  im  lande  sitzen  gebliebenen 
vikinger  fast  für  ein  jh.  auf  oder  hinderte  wenigstens,  dass  in  der 
zweiten  hälfte  des  9  jhs.  neue  vikingerscharen  sich  dieser  assi- 
milierung hingaben,  diese  vikingertrupps  im  zweiten  viertel  des 
9  jhs.  in  jenen  teilen  des  Südostens  von  Irland  müssen  wir  uns 
vielfach  wesentlich  als  räuberbanden  denken;  so  schildert  sie 
ja  das  oben  s.  96  angeführte  annalenfragment.    die  Ulsterannalen 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  129 

haben  zu  846  die  characteristische  notiz:  Togal  innsi  locha  Muin- 
remair  la  Maehechlainn  for  fianlach  mar  di  maccaib  bais  Luigne  7 
Galeng  robatar  oc  indriud  na  tuath  more  gentilium  'die  Zerstörung 
der  insel  in  Loch  Muinremair  durch  Maelsechlainn  gegen  eine 
grofse  räuber-(7?an-J schar  von  üheltätern  (eigentl.  'söhnen  des 
todes')  aus  Lune  und  Morgallion  (zwei  baronies  in  county  Meath), 
welche  die  landschaften  nach  art  der  vikinger  (möre 
gentilium)  verwüsteten.'1  also  eine  art  von  räuberbanden 
waren  im  zweiten  viertel  des  9  jhs.  die  vikingerhorden,  die  im 
Süden  Irlands  zurückgeblieben  waren.2  den  historischen 
Finn  dieser  zeit  können  wir  uns  als  einen  berühmten  vikinger- 
räuberhauptmann  denken,  der  in  Almu  seinen  sitz  hatte,  den 
Südosten  Irlands  heimsuchte,  halbwegs  irisiert  war  oder  doch  in 
keinem  nationalen  gegensatz  zu  den  Iren  stand,  höchst  charac- 
teristisch  leuchtet  diese  räuberhauptmannseite  des  beiden  durch 
in  der  erzählung  von  Finns  Jugend,  wo  es  heifst  (LU  42b,  12  ff): 
'der  knabe  wird  von  ihnen  aufgezogen,  bis  er  gewachsen  (im 
stände)  war,  raub  auszuüben  (corbotaalaing  fogla  dodenum) 
an  jedem ,  der  ihm  verfeindet  war.'  dass  irische  fürsten  in  ihren 
kämpfen  unter  einander  den  beistand  des  berühmten  vikinger- 
räuberhauptmanns  nicht  verschmähten,  ist  natürlich,  zumal  wenn 
er  eine  art  oberherschaft  über  andere  gleiches  handwerk  treibende 
banden  von  vikingern  und  Iren  besafs,  wie  wir  für  Finn 
aus  LL  297a,  15  ff  3  schliefsen  dürfen. 

1  hier  scheint  in  fianlach  (=  fiatislog)  more  gentilium  noch  die  be- 
deutung  des  fiann  'vikinger'  durch,  ich  brauche  wol  kaum  darauf  hinzu- 
weisen, dass  die  Überarbeitung  von  Togail  brudne  Da  Dergw  mit  seinem 
gebrauch  von  fianna  (s.  oben  s.  13  — 15)  solche  zustände  widerspiegelt,  wie 
sie  die  Ulsterannalen  zu  846  bezeugen. 

2  in  dieser  zeit  war  fennid  'angehöriger  der  fianna  der  vikinger' 
identisch  mit  foglaid  'räuber',  oder  vielmehr  es  war  eine  Verstärkung:  868 
haben  die  Ulsterannalen  Maelciarain  mac  Ilonairi  rignia  airthir  Erend, 
feinid  fogla  Gall  jugulatus  est  'Maelciarain,  söhn  des  Ronan,  ein  haupt- 
held  des  ostens  Irlands,  ein  helden-räuber  ('Fenier  des  raubes')  jugu- 
latus est.'  LU  54b,  10  ff  (=  H.  3, 17  col.  722)  wird  die  not  der  von  ort  zu 
ort  gehetzten  Dessi  geschildert  mit  den  Worten:  'sie  waren  wie  Schweine 
zwischen  hunden,  jedem  fennid  und  jedem  räuber,  der  ins  land  kam,  gab 
Ethne  gold  und  silber,  damit  er  den  Dessi  helfe';  es  ist  also  fennid  synonym 
mit  foglaid. 

3  dieser  text  ist  noch  durch  2  dinge  wichtig:  l)Finn  heifst  noch  mac 
Cumaill;  2)  unter  den  führern ,  die  Finn  bei  Tech  Aluling  (SMullins)  mit 
ihren  scharen  erwartet,  wird  aufgeführt  Bressal  hua  Jiaiscne  (LL  297b,  24), 

Z.  F.  D.  A.   XXXV.    N.  F.    XXIII.  9 


130  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

Können  wir  nun  in  dem  so  begränzten  Zeitraum  eine  figur 
nachweisen,  die  in  dem  Finn  der  sage  lebendig  ist?  ich  glaube, 
diese  frage  mit  'ja'  beantworten  zu  dürfen. 

Das  alte  fragment  der  erzählung  über  die  vikingerzeit  meldet 
LL  310%  36  ff:  Tanic  arsain  Amlaib  mac  rig  Lochlainne  ocus 
longes  lan  mor  leis  ./.  sindechmad  bliadain  renec  Maehechlainn  coro- 
gaib  rigi  Gall  nErend  ocus  isleis  robaded  Conchobar  mac  Dond- 
chada  rigdomna  Temrach  'es  kam  darauf  Amlaib,  der  söhn  des 
königs  von  Lochlann,  und  eine  volle  grofse  flotte  mit  ihm,  näm- 
lich im  10  jähre  vor  dem  tode  Maelsechlainns,  und  er  (Amlaib) 
ergriff  die  herschaft  über  die  vikinger  Irlands,  und 
durch  ihn  wurde  Conchobar,  der  thronerbe  Taras,  ertränkt.'  im 
10  jähre  vor  Maelsechlainns  tode  ist  852  —  853.  hier  meldet 
Chronicon  Scotorum  853  (=  852  Ulsterannalen)  Amlaib  mac  Rt 
Lochlainne  do  toigect  an  Erinn,  gur  giallsat  Gaill  Erenn  du  et 
eis  o  Gaidelaib  do  'Amlaib,  der  söhn  des  köuigs  von  Lochland, 
kam  nach  Irland  und  die  vikinger  Irlands  unterwarfen 
sich  seiner  herschaft  und  von  den  Iren  wurde  ihm 
tribut  gezahlt.'  dieses  neue  vikiugerreich  in  Irland  mit 
der  hauptstadt  Dublin  wurde  nun,  wie  natürlich  ist,  nicht 
ohne  grofse  kämpfe  errichtet,  die  erzählung  in  LL  310a  führt 
zeile  39  ff  eine  ganze  reihe  derartiger  kämpfe  gegen  Iren  auf, 
ebenso  die  annalen  zu  den  ersten  auf  852  folgenden  jähren, 
hier  ist  zunächst  hervorzuheben  die  angäbe  zu  855:  Cocad  mor 
etir  gennti  7  Maelsechnaill  con  Gall-  Goidelaib  leis  'ein  grofser 
kämpf  zwischen  den  vikingern  (heiden)  und  Maelsechnaill,  der 
die  vikinger-Iren  auf  seiner  seite  hatte.'  daraus  er- 
sehen wir,  d;iss  die  in  süd- Irland  vorhandenen,  bis  dahin  un- 
abhängigen vikingerhorden  (Gall-  Gaedil)  auf  seite  desMun- 
sterkünigs  Maelsechnaill  von  Cashel  gegen  Amlaib  und 
die  mit  ihm  gekommeneu  vikinger  stehen,  diese  un- 
abhängigen vikingerhorden  wollen  sich  der  neuen  herschaft  offenbar 
ebenso  wenig  unterwerfen,   wie  der  Munsterkönig;   für  sie  mag 

er  ist  also  Ire,  wird  aber  genannt  dobrathair  feine  'dein  bruder  der  räuber- 
bande',  ist  somit  häuptling  einer  irischen  räuberbande,  wie  sie  die  annalen 
S46  ausdrücklich  kennen,  aus  diesem  bralhair  feine  'bruder  im  räuber- 
handwerk'  wird  dann  ein  wirklicher  bruder  und  Finn  mac  Cumaill  dem- 
nach zu  Fhin  lata  Baiscne.  wir  haben  also  ein  criterium,  dass  der  text 
LL  2(J6a,  49  ff  älter  ist  als  die  erzählung  unter  orc  treith  in  Sanas  Cormaic 
und  die  interpolation  in  Laud  610  fol.  95d,  24  ff. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  131 

ein  factor  eine  wichtige  rolle  mitgespielt  haben:  der  852  in 
Dublin  errichtete  vikingerstaat  ist  ein  dänischer 
Staat,  die  seit  beginn  der  20e«"  jähre  in  süd- Irland  sitzenden 
vikingerhorden  sind  Norweger,  dies  ist  ein  bis  jetzt  ent- 
weder völlig  verkanntes  oder  in  seiner  ganzen  Wichtigkeit  für 
irische  zustände  und  nordische  geschichte  nicht  genügend  be- 
achtetes factum,  sodass  ich  es  hier  zuerst  sicher  stellen  muss. 
dabei  werden  wir  auch  erfahren,  woher  die  ersten  däni- 
schen vikinger  kamen. 

Die  vikinger,  die  bis  in  die  40"  jähre  des  9  jhs.  in  Irland 
sich  herumtrieben  oder  wieTurgeis  ein  reich  zu  errichten  suchten 
(s.  oben  s.  108),  waren  Norweger:  ihre  heimat  ist  Hiröta  (Book 
of  Armagh),  Hiruath  (in  den  alten  sagentexten),  dh.  Hördaland 
am  Hardangerfjord  (s.  Zs.  32,  205);  sie  werden  nach  meiner 
Vermutung  (s.  s.  97  anm.)  deshalb  Findgenti,  FindGaill  genannt, 
weil  sie  häufig  den  beinamen  Hviti  oder  mit  hvita-  componierte 
namen  führten  (Hviti -beiden,  Hviti- ausländer),  die  erste  hin- 
deutung in  den  annalen  auf  andere  nordleute,  oder,  sagen  wir, 
die  erste  hindeutung,  dass  die  Iren  einen  unterschied  machten, 
liegt  Ulsterannalen  848  vor:  Muirfecht.  vir.  xx.  long  di  muinntir 
rig  Gall  du  thiachtain  dutabairt  gremma  forma  Gaillu  robadar 
araciunn  cocommascsat  hErenn  nuile  iarum  'eine  meerexpedition 
von  140  schiffen  mit  den  leuten  des  königs  der  vikinger  kam,  um 
die  herschaft  zu  ergreifen  über  die  vikinger,  die  vor  ihnen 
da  waren,  sodass  sie  ganz  Irland  in  folge  in  Verwirrung 
brachten.'  2  jähre  später  (850)  folgt  nun  die  oben  s.  97  anm. 
mitgeteilte  angäbe,  dass  die  Dänen  Dublin  erobern,  nachdem  sie 
das  befestigte  lager  der  Norweger  zerstört,  und  dass  die 
Dänen  in  demselben  jähr  die  Norweger  von  Linn  Duachail 
schlagen,  im  folgenden  jähr  (851  s.  oben  s.  97  anm.)  kommen 
Norweger  mit  160  schiffen  und  liefern  bei  Snam  Aignech  den 
Dänen  eine  3 tägige  schlacht,  in  der  die  Norweger  total 
geschlagen  werden,  5000  mann  verlieren  und  sogar  ihre  schiffe 
den  Dänen  überlassen  müssen,  die  norwegische  vikinger- 
macht  ist  gebrochen  und  die  850  und  851  in  Dublin, 
bei  Linn  Duachail  und  Snam  Aignech  siegreichen 
Dänen  haben  die  macht  und  Dublin  in  den  bänden, 
wenn  es  nun  zum  unmittelbar  folgenden  jähre  einfach 
heifst   (852),    dass  Amlaib,   der   söhn   des  königs  von  Lochland, 


132  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

nach  Irland  kam  und  dass  die  vi  kinger  Irlands  seine 
her schaft  anerkannten,  so  kann  doch  kein  zweifei  sein, 
dass  er  ein  Däne  war.  wäre  er  führer  einer  neuen  nor- 
wegischen expedition  gewesen,  wie  die  von  851,  welche  die 
850  verlorenen  positionen  wider  erobern  wollte,  dann  wäre 
sicher  ein  mindestens  ebenso  heftiger  widerstand  der 
im  besitz  Dublins  befindlichen  Dänen  zu  erwarten  gewesen,  wie 
851 :  davon  ist  keine  rede,  weder  in  den  annalen  noch  in  Cogadh 
Gaedhel.  Amlaib  erscheint  einfach,  um  von  der  in  den  kämpfen 
850  und  851  gegründeten  herschaft  besitz  zu  nehmen,  sie  aus- 
zudehnen und  gegen  widerspenstige  irische  herscher  und  halb 
irisierte  vikingerhorden  (Norweger)  zu  festigen,  dazu  kommt, 
dass,  wenn  nicht  mit  850,  resp.  852  die  Dänenherschaft  in 
Dublin  beginnt,  gar  nicht  abzusehen  ist,  wann  sie  begonnen 
haben  soll,  da  die  tatsache,  dass  die  vikingerherschaft  Dublins 
im  10  jh.  eine  Dänenherschaft  war,  absolut  sicher  steht. 

Mit  diesen  aus  den  annalen  gewonnenen  resultaten  stimmt 
nun  die  in  die  erste  hälfte  des  11  jhs.  zurückgehende  geschichte 
der  vikingerzeit  (Cogadh  Gaedhel  re  Gallaib)  vortrefflich.  LL  309a 
bis  310%  11  führt  die  ereignisse  der  vikingerzeit  in  nord-  und 
süd-Irland  bis  in  die  40er  jähre  des  9  jhs.  nun  heifst  es  310a,  11 
Tancatar  iarsain  Dubgenti  danarda  'es  kamen  darauf  die  däni- 
schen Dubgenl?  (s.  s.  97  anm.).  der  erzähler  geht  also  zur 
Däneninvasion  über  und  meldet  alsbald  das  entscheidende 
ereignis,  die  Vernichtung  der  Norweger  bei  Snam  Aignech 
(851);  danu  wendet  er  sich  den  eiuzelheiten  zu,  die  in  nord- 
und  süd -Irland  zwischen  848  und  852  sich  ereigueten,  und 
fährt  fort  310\  36  ff  Tank  arsain  Amlaib  usw.  'es  kam  darauf 
Amlaib'  usw.  (oben  s.  130).  Amlaib  ist  also  Dänenkönig  in 
Dublin,  und  die  LL  310a,  39  ff  geschilderten  kämpfe  gegen  Iren 
und  Gall-Gaedil  sind  kämpfe  der  Dänen  um  befestigung  ihrer 
herschaft,  wie  besonders  aus  LL  310b,  13  ff  erhellt,  wo  der  er- 
zähler mitteilt,  dass  in  folge  neuerer  zwistigkeiteu  zwischen  Nor- 
wegern (Findgenti)  und  Dänen  (Dubgenti)  letztere,  die 
Dänen,  vorübergehend  aus  Irland  vertrieben  und  nach  Schott- 
land gegangen  seien  und  dort  den  könig  von  Schottland,  Con- 
stantin  mac  Cinaeda,  besiegt  hätten:  die  Dubliner  vikinger  unter 
Amlaib  machen  nach  den  Ulsteranualen  solche  züge  865.  869, 
sie   sind   also  Dänen,     dieses   resullat  wird   noch   durch   andere 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  133 

umstände  gestützt,  der  Norwegerführer,  der  in  der  verhängnis- 
vollen schlacht  beim  Suam  Aignech  mit  5000  Norwegern  unter 
den  Schwertern  der  Dänen  sein  leben  einbüfste,  hiefs  Jercne 
(Ulsterannalen  851).  nun  melden  dieselben  Ulsterannalen  zum 
jähr  S52  Mors  mic  Ausli  o  mac  Jercni  7  o  ingain  Maehechnaill 
'tod  des  sohnes  von  Ausle  durch  den  söhn  von  Jercne  und  die 
tochter  Maelsechnaills.'  bedenken  wir,  dass  Amlaib,  Ivar  und 
Ausli  die  drei  führer  sind,  die  852  den  vikiugerstaat  errichten 
(Ulsterannalen  S62),  so  ist  klar,  dass  der  söhn  des  848  gefallenen 
Norwegerhäuptlings  Jercne  im  jähre  882  blutrache  an  dem  söhne 
des  mörders  seines  vaters  (dem  söhne  des  Ausli)  nimmt:  also 
auch  hier  bilden  die  vikinger  von  852  die  fortsetzung  der  von 
848  —  851   erscheinenden  Dubgenti,  also  Dänen. 

So  sehr  nun  gründe  der  verschiedensten  art  gebieterisch  die 
annähme  fordern,  dass  der  852  in  Dublin  errichtete  vikingerstaat 
Dänenherschaft  und  nur  die  krönungder  kämpfe  von  848 — 851 
ist,  ebenso  bestimmt  scheint  eine  tatsache  zu  widersprechen: 
Amlaib  heifst  LL310\  36  und  in  allen  annaleu  mac  rig  Loch- 
lainne  'söhn  des  königs  von  Lochlann'.  'the  term  Lochlann 
seems  used  to  denote  the  country  of  the  white  foreigners,although 
not  perhaps  with  entire  uniformity,'  sagt  Todd,  Cogadh  Gaedhel 
s.  xxxi,  und  durch  acceptierung  (vgl.  Todd,  Cogadh  Gaedhel  s.  Lxnff) 
der  seit  dem  12  jh.  geläufigen  an  schauung,  dass  Loch- 
lann 'Norwegen'  bezeichne,  hat  er  sich  das  volle  Verständnis 
für  die  wichtigste  periode  der  vikingerzeit  Irlands  zugebaut.  'Nor- 
wegen' im  gegensatz  zu  'Dänemark'  bezeichnet  das  wort  im  Cogadh 
Gaedhel  in  der  hs.  LL  (also  um  1160),  woselbst  der  eingang  des 
werkchens  lautet:  bni  dochraiti  mar  forferaib  hErenn  coforlethan 
oLochlannchaib  ocus  oDanaraib  dulgib  durchridechaib  'grofse  be- 
drängnis  war  auf  den  männern  Irlands  überall  von  den  Lochlann- 
leuten  und  von  den  heftigen,  hartherzigen  Dänen'  LL  309a,  1  —  3. 
hier  kann  gar  kein  zweifei  sein,  dass  Lochlann  'Norwegen'  ist 
im  gegensatz  zu  'Dänemark',  aber  ebenso  wenig  kann  ein  zweifei 
sein ,  dass  dies  in  dem  ursprünglichen  werk  des 
11  jhs.  nicht  stand,  die  anderen  hss.  des  werkchens  Cogadh 
Gaedhel  sind  zwar  jünger  als  LL,  aber  unabhängig  von  LL;  in 
ihnen  beginnt  der  text  bai  docbaitte  iongnad  adbal  mar  ar  Erinn 
uile  gofoirlethan  o  gentib  gormglasa-  gusmara  ocns  ö  Da- 
naraib    doilge    durchroidecha    'unerhört  grofse  bediüngiiis 


134  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

war  auf  ganz  Irland  überall  von  den  blau  (äugigen)  mäcb- 
tigen  beiden  und  den  heftigen,  bar t herzigen  Dänen.' 
hier  liegt  trotz  jüngeren  sprachformen  unzweifelhaft  das  echte 
vor:  1)  für  ö  Lochlannchaib  hätte  im  13  oder  14  jh.  niemand 
T>  gentib  gormglasa  gusmara  eingesetzt,  da  ja  damals  jeder- 
mann unter  Lochlannaig  'die  Norweger'  verstand ,  ö  gentib  gorm- 
glasa gusmara  hingegen  undeutlich  ist;  wol  aber  konnte  der 
weniger  gewissenhafte  schreiber1  von  LL  das  schon  für  die  mitte 
des  12jhs.  wenig  verständliche  ö  gentib  gormglasaib  gusmaraib 
(so  muste  natürlich  in  der  vorläge  stehen)  in  ö  Lochlannchaib 
bessern.  2)  dass  in  dem  text  aus  der  ersten  hallte  des  1 1  jhs. 
stand  d  gentib  gormglasaib  gusmaraib  7  o  Danaraib  dulgib  durchri- 
dechaib  ist  auch  aus  stilistischen  gründen  höchst  wahrscheinlich, 
gerade  diese  allitteration  der  adjective  mit  dem  Sub- 
stantiv (ö  gentib  g.  g.,  d  Danaraib  d.  d.)  ist  eine  beliebte 
kunstform  in  texten,  die  wir  dem  11  jh.  zuweisen  müssen  (wie 
Togal  Tröi):  sie  ist  durch  den  einsalz  von  ö  Lochlannchaib  zer- 
stört, ist  also  sicher,  dass  um  1160  Lochlannach  'Norweger'  be- 
zeichnete, so  ist  andererseits  sicher,  dass  es  von  dem  verf.  des 
Cogadh  Gaedhel  (erste  hälfte  des  11  jhs.)  so  nicht  verwendet 
wurde,  es  existiert  überhaupt  kein  denkmal,  das 
sicher  übers  11  jh.  hinausgeht,  in  dem  Lochlann,  Loch- 
lannach im  sinne  von  'Norwegen,  Norweger'  vor- 
kommt, diese  deutung  von  Lochlann,  Lochlannach  auf  'Nor- 
wegen ,  Norweger'  geht  auf  dieselben  irischen  gelehrten  zurück, 
die  auch  mit  den  Fene  nichts  anzufangen  wüsten  und  jenen 
Schulmeister  in  der  ebene  Sinear  erfanden,  kurz,  die  mit  wenig 
wissen ,  viel  verschrobener  phantasie  und  ungeheurem  Selbst- 
betrug alle  die  s.  81  ff  erörterten  dinge  erfanden,  die,  leicht  ge- 
glaubt, überall  den  weg  zur  wirklichen  erkenntuis  irischen  alter- 
tums  versperren. 

Die  so  gewonnene  erkennlnis,  dass  Lochlann  ursprünglich 
ebenso  die  heimat  der  ersten  dänischen  vikinger  bezeichnet, 
wie  Hiruath  'Hörctaland'  die  heimat  der  ersten  norwegischen 
gaste,  wird  aufs  schönste  bestätigt  durch  die  etymologie  des 
wortes.    die  gewöhnliche  etymologie ,  wonach  lochlann  Make-land' 

1  wir  werden  noch  sehen,  wie  er  ein  ihm  unverständliches  gut  nor- 
disches wort  durch  eine  seichte  conjectur  ersetzte,  während  die  unab- 
hängigen jüngeren  hss.  das  alle  bewahrt  haben. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  135 

('a  name  which,  if  we.understand  the  term  'lake'  to  include  fiords 
or  arms  of  the  sea,  would  well  describe  the  coast  of  Norway'  Todd 
aao.  s.  xxxi)  bedeutet,  ist  unhaltbar:  einmal  ist  die  Voraussetzung, 
dass  es 'Norwegen'  ursprünglich  bezeichnet,  falsch  und  dann  ist 
ein  solches  irisch -germanisches  compositum  [ir.  loch  (see)  und 
nord.  land]  fürs  9  jh.  sehr  unwahrscheinlich,  in  jenen  trüben 
Zeiten  des  9  jhs.  hatte  man  in  Irland  keine  lust  zu  schlechten 
etymologien ;  was  wir  aus  nordischer  zunge  treffen,  ist  wid  er- 
gäbe gehörter  Wörter,  die  dann  im  verlaufe  manch- 
mal volksetymologische  Umgestaltung  erfuhren:  ihre 
grundlage  ist  aber  immer  rein  nordisch,  so  mag  es  auch  mit 
dem  uamen  Lochland  sein,  wir  sind  nun  in  der  glücklichen 
läge ,  eine  ältere  form  des  Wortes  nachweisen  zu 
können  auf  grund  der  Übereinstimmung  der  Ulsterannalen  mit 
einer  Schreibung  im  SGaller  Priscian  aus  der  mitte  des  9  jhs. 
diese  Schreibung  ist  um  so  wichtiger,  wenn  wir  das  erstere 
denkmal  näher  ins  äuge  fassen,  die  Ulsterannalen  sind  in  der 
zweiten  hallte  des  15  jhs.  geschrieben  (s.  O'Curry,  Manuscript 
materials  s.  83  ff)  und  sind  auch  lautlich  ziemlich  ge- 
treue abschrift  von  klosterannalen,  die,  sicher  im  be- 
ginn des  8  jhs.  angelegt,  durch  Jahrhunderte  jähr  für  jähr  getreu 
die  ereignisse  berichten,  ich  erinnere  nur  au  die  oben  s.  75  ff 
angeführte  gewissenhafte  notierung  aller  schritte  des  Stuhles  von 
Armagh  zur  erlangung  des  primats  von  Irland  zwischen  733  uud 
830.  hält  man  sich  gegenwärtig,  welche  ertindungen  Armagh 
machte,  um  diese  kämpfe  in  Vergessenheit  zu  bringen,  und  wie 
sehr  überhaupt  die  irische  kirche  im  10  jh.  von  dem  durch 
Patrick  gegründeten  primat  Armaghs  überzeugt  war,  so  ist  klar, 
dass  die  vielen  nolizen  in  der  angelegenheit  von  733  —  830  nur 
gleichzeitige  eintragungen  sein  können,  ein  nicht  geringerer 
wert  der  Ulsterannalen  liegt  darin,  dass  die  alte  form  bis  auf 
kleinigkeiten  gewissenhaft  beibehalten  ist  und  wir  so  eiue  ge- 
schichte  der  irischen  spräche  vom  8 — 14  jh.  in  ihnen  haben, 
der  nichts  ähnliches  auf  irischem  boden  an  die  seite  zu  setzen 
ist.  bis  zum  beginn  des  9  jhs.  sind  sie  wesentlich  lateinisch  und 
nur  die  namen  irisch  mit  irischer  flexion;  im  9  jh.  fliefsen 
immer  mehr  irische  Sätze  ein.  dieses  irisch,  wie  es  uns  in  der 
sclavisch  getreuen  abschrift  des  15  jhs.  erhalten  ist,  hat  die  durch 
gleichzeitige    hss.    aus   dem   beginn   des   9  jhs.   bezeugten    alten 


136  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

formen,  ich  erinnere  nur  an  Maeleduit^  (811.  818.  821.  822. 
824.  832.  835.  862.  867);  da  boo  deac,  dana  (803);  die  genitive 
Ailello  (818.824.833.845.855),  atho  (820.837),  Murchado 
(818),  Imlecho  (842) ,  ceniuil  (836.  846),  flexion  im  vorgesetzten 
adjectiv  deig  mic  (796);  die  dative  ac  airtiu  (823) ,  Coirpriu  (835), 
diriuth,  ocinbiur,  dodilgiunn  (836),  in  uisciu  (863),  domadmaim 
(830);  an  deac  (846),  doaib  (851),  oaib  Garbain  (822).  an  der 
hand  der  namen  und  kurzen  Sätze  dieser  annalen  lässt  sich  eine 
vortreffliche  geschichte  der  irischen  declination  vom  8 — 1 1  jh. 
schreiben,  ebenso  treffend  lassen  sich  die  beiden  tatsachen, 
dass  die  notizen  spätestens  von  der  2  hälfte  des  8  jhs.  an  müssen 
gleichzeitig  mit  den  jahren  in  alte  annalen  eingetragen  seiu,  und 
dass  unsere  Ulsterannalen  bis  auf  kleinigkeiten  eine  sclavisch  ge- 
treue abschrift  darstellen ,  durch  interessante  Zeugnisse  für  nor- 
dische Sprachgeschichte  nachweisen,  aus  dem  6— 7  jh. 
liefern  uns  runeninschriften  in  Schweden  die  urnord.  form 
nom.  sing,  erilar,  die  gewöhnliche  a  1 1  n.  form  ist  jarl,  älter 
earl;  die  Zwischenstufen  des  für  nordische  sprach- 
entwickelung  so  wichtigen  9  und  10  jhs.  sind  uns  in 
den  Ulsterannalen  erhalten:  847  Tomrair  ereil,  dh. 
Thormeer  ereil;  892  la  Sichfrit  n  ierll  'mit  dem  jarl  Sigfrid'; 
917  iarla  (aus  iarlR).  alle  anderen  annalen  und  CogadhGaedhel 
kennen  nur  die  jungen  formen  earla,  iarla  auch  für  jene  zeit, 
ich  denke,  diese  für  die  nordische  Sprachgeschichte  einzigen 
formen  (847  ereil,  892  ierll,  917  iarla)  in  den  Ulsterannalen  des 
15  jhs.  zeigen  neben  dem  schon  angeführten,  eine  wie  sclavisch 
treue  abschrift  alter  aufzeichnungen  in  diesem  werk  vorliegt. 
wir  können  sie  also  vertrauensvoll  über  die  Sprachgeschichte  von 
lochlann  fragen,  zum  jähre  1014  haben  sie  schon  lochlamach, 
aber  in  der  absolut  sicheren  bedeutung  'dänisch'  (toisech  na  loingsi 
lochlannaighi  'führer  der  dänischen  flotte'),  jedoch  852  bieten  sie 
Amlaim  mac  rig  Laithlinde  für  Lochlainne  aller  übrigen  quellen; 
und  ebenso  haben  sie  847  Tomrair  ereil  tanise  rig  Laithlinne 
'Thormaer1  der  ereil,  Statthalter  (wörtlich :  der  zweite)  des  königs 
1  dieser  Tomrair  ereil,  der  als  eine  art  Stammvater  der  Dubliner 
Dänen  noch  im  10  jh.  erscheint  (Lebor  na  cert  s.  xxxvff),  dessen  als 
familienheiligtum  in  Dublin  aufbewahrten  ring  Maelsechlainn  994(Vier  meister) 
erbeutet  (s.  oben  s.  68),  ist  natürlich  nicht,  wie  Todd  (Gogadh  Gaedhel 
8.  lxvii  note  4)  behauptet  und  man  allgemein  nachbetet,  ein  Scandinavian 
Thormottr,   sondern    ein    dänischer    Thormeer,     die    Übereinstimmung    der 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  137 

von  Lathlann.'  die  Vier  meister  und  das  Chronicon  Scotorum 
haben  auch  an  letzterer  stelle  die  jüngeren  formen  eingesetzt, 
die  in  ihrer  zeit  die  allein  bekannten  waren  (iarla,  erla  und 
lochlainne).  wer  aber  die  form  ereil  als  schöne  urnordische  form 
für  späteres  iarla  acceptiert,  muss  auch  Laithlinne  für  späteres 
Lochlainne  annehmen ,  selbst  wenn  wir  die  form  weder  sonst 
nachweisen  noch  erklären  könnten,  da  es  undenkbar  ist,  dass 
im  15  jh.  für  das  damals  gewöhnliche  Lochlann  eine  solche  form 
eingesetzt  wurde,  wir  sind  nun  in  der  glücklichen  läge,  aus 
einer  hs.,  die  jener  zeit  augehören  muss,  die  richtigkeit  der 
form  beweisen  zu  können,  die  in  SGallen  befindliche  Priscianhs. 
ist  eine  in  den  50er  jähren  des  9  jhs.  in  Irland  geschriebene 
hs.  und  war  um  863,  sicher  vor  869  auf  dem  continent  (s.  Nigra, 
Reliquie  celtiche  s.  8 — 15).  in  dieser  hs.  ist  s.  112  am  oberen 
rande  beigeschrieben: 

Is  acher  ingäith  innocht  fufuasna  fairggae  findfolt 
ni  ägor  reimm  mora  minn  dondläechraid  lainn  ua  loth  lind 
'rauh  ist  der  wind  in  dieser  nacht,  es  wütet  das  meer  mit  weifsen 
kämmen  (wörtlich  'weifshaarig');  nicht  fürchte  ich,  dass  (bei  diesem 
wetter)  die  wilde  heldenschar  aus  Lothland  über  das  klare  meer 
kommt.'  obwol  nach  dem  zeugnis  von  Nigra  und  Ascoli  in  der 
hs.  loth  lind  sonnenklar  steht,  hat  man  hier  immer  unbesehen 
Lochlind  geschlimmbessert   wegen  der  jüngeren   form  lochlann. l 

Ulsterannalen  mit  den  anderen  quellen  in  dem  ai  der  endsilbe  fordert  ein 
Thormaer  und  nicht  ein  Thormär  (wie  Hreictrndr).  wir  haben  also  für 
847  die  dänische  form  Thormccr  ereil  sicher;  er  ist  zugleich,  so  weit  wir 
mit  unseren  quellen  nachweisen  können,  der  erste  Däne  auf  Irlands  boden. 
offenbar  um  ihn  zu  rächen ,  kamen  von  848  ab  die  Dänenscharen ,  wie  oben 
geschildert  (s.  131).  der  name  Thormeer  ist  übrigens  durch  Thormerus  bei 
Saxo  grammaticus  sicher  gestellt,  und  die  widergabe  des  umgelautelen  langen 
ü  (w :  Thormeer)  durch  ix.  ai  haben  wir  in  secht  sraitde  (oben  s.  105  ff) 
=  nord.  strwti  kennen  gelernt. 

1  dass  Windisch  die  eifindungen  des  12 — 14  jhs.  unbesehen  auf  treu 
und  glauben  annimmt,  hat  diese  Untersuchung  zur  genüge  bewiesen,  ebenso 
nimmt  er  in  seinem  Wörterbuch  alle  einfalle  von  glossographen  des  16  und 
17  jhs.  für  bare  münze.  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  30,  56  ff  habe  ich  gezeigt, 
dass  in  einem  fall,  wo  sich  Windisch  zur  kritik  gegen  den  lexicographen 
des  17  jhs.  O'Clery  aufrafft,  er  unglücklicher  weise  etwas  unzweifelhaft 
richtiges  beanstandet,  dasselbe  misgeschick  ist  ihm  auch  hier  passiert; 
während  er  in  seinen  Irischen  texten  die  unglaublichsten  dummbeiten  von 
Schreibern  des  15  und  16  jhs.  kritiklos  hinnimmt  und  sie  verewigen  hilft 
(s.  Kelt.  stud.  heft  i),  druckt  er  in  den  lesestücken   zur  Ir.  granim.   s.  118 


138  KELTISCHE  BEITRÄGE  HI 

dieser  dativ  Lothlind  aus  den  50«  jähren  des  9  j  h  s. 
wird  durch  die  genitive  Laitklinde,  Laithlinne (Uteleranmlen 
847.852)  absolut  sicher  gestellt,  wir  haben  also  zwei 
unabhängige,  gleichzeitige  Zeugnisse  über  den  namen  des  landes, 
aus  welchem  die  ersten  dänischen  vikinger  847 — 852  kamen : 
der  dativ  lautet  in  irischer  flexion  und  widergabe 
Lothlind,  der  genitiv  Laithlinde,  Laühlinne;  wir  dürfen  als 
nom.  sing,  ein  Lothland  oder  Lathland  ansetzen,  um  zu 
verstehen,  welches  nordische  wort  damit  widergegeben  ist,  muss 
ich  eine  kurze  bemerkung  zur  irischen  lautlehre  vorausschicken, 
das  irische  hat  noch  heutiges  tages  im  wesentlichen 
hinsichtlich  des  consonantismus  dieselbe  Orthographie,  wie  vor 
1000  jähren,  obwol  die  ausspräche  sich  so  verhält,  als  ob  man 
schriebe  ille  pater  est  bonus  und  spräche  franz.  le  pere  est  hon. 
dies  legt  den  gedanken  nahe,  dass  diese  Orthographie  im  grofsen 
und  ganzen  hinsichtlich  des  consonantismus  unverändert  ge- 
blieben ist  seit  der  einführung  des  lat.  alphabets,  dh.  mindestens 
seit  dem  5  jh.,  und  es  erhebt  sich  die  frage,  wie  weit  sich  im 
9  und  10  jh.  noch  schritt  und  ausspräche  deckten,  wie  weit  die 
ausspräche  des  9  und  lOjhs.  eine  mittelstellung  einnimmt  zwischen 
der  durch  die  Orthographie  angedeuteten  älteren  ausspräche  und 
der  heutigen ,  die  sicher  im  wesentlichen  schon  500  jähre  alt 
ist.  man  nahm  ganz  allgemein  unbesehen  als  selbstverständlich 
an,  dass  fürs  9  und  10  jh.  sich  laut  und  schrift  hinsichtlich  des 
consonantismus  decken,  dem  gegenüber  habe  ich  Zs.  f.  vgl. 
sprachforsch.  27,451  zuerst  Stellung  genommen,  wo  ich  schrieb: 
'unterwirft  man  das  altirische  sprachmaterial  einer  genaueren  durch- 
sieht und  hält  dabei  die  frage  vor  allem  im  äuge:  in  wie  weit 
deckt  sich  die  gesprochene  spräche  (8.  9.  10  jh.)  mit  der  regu- 
lären lautgebung  der  gleichzeitigen  hss.,  so  kommt  man  zu  dem 
resultat,  dass  die  reguläre  lautgebung  der  altirischen 
glossenhss.  in  den  meisten  puneten  schon  eine  histori- 
sche ist  und  ganz  und  gar  nicht  mehr  den  lautstand  der 
spräche  repräsentiert;  mit  ganz  verschwindenden  ausnahmen  sind 
alle  abweichungen  von  der  gebräuchlichen  Ortho- 
graphie, sowie  die  Schwankungen  erklärlich  unter 
dem    gesichtspu  net,    dass   die    ausspräche   entweder 

obige  strophe  mit  oa  Lochlind  ab,    ohne   auch  nur  anzugeben,  dass 
in  der  hs.  des  9jhs.  Loth  lind  steht. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  139 

die  heutige  neuirische  war  oder  doch  schon  die 
mitte  hielt  zwischen  der  in  der  überlieferten  Ortho- 
graphie repräsentierten  und  der  neuirischen.'  ich 
glaube  durch  vielfache  ausführungeo  (Glossae  Hibernicae  s.  xiv  ff; 
Kelt.  stud.  heft  i  51  ff;  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  27,  449  — 46S; 
28,  331  ff.  370  ff;  30,  21  ff.  208.  452  ff)  den  beweis  für  meine 
ansieht  erbracht  zu  haben1;  namentlich  über  den  hier  in  frage 
kommenden  punet  kann  kein  zweifei  herschen:  die  in  einer 
früheren  periode  des  irischen  unter  gewissen  bedingungen  aus 
dem  verschlusslaut  t  entstandene  tonlose  dentalspirans/» 
(geschrieben  th)  ist  im  beginn  des  9jhs.  durch  einen  laut- 
vorgang,  wie  er  in  engl,  dialecten  /  hink  für  I  (hink  hervorruft, 
zu  dem  Ä-laut  (tonlosen  vocal,  vgl.  Hoffory,  Zs.  f.  vgl. 
sprachforsch.  23,  554  ff)  geworden;  sie  fiel  also  in  der  aus- 
spräche mit  der  tonlosen  gu ttural-paiatalspirans  ch 
(ach-,  ich  -  laut)  nahe  zusammen,  ich  möchte  hier  nur  auf 
zweierlei  aufmerksam  machen:  1)  wäre  in  der  vikingerzeit  h\  tli 
noch  tonlose  dentalspiraus  gewesen,  so  würde  man  es  doch  in 
lehnwörtern,  ebenso  wie  das  angelsächsische  in  nor- 
dischen Wörtern  es  tut,  zur  widergabe  von  nord.  J)  verwendet 
haben;  dies  ist  nicht  der  fall,  sondern  man  schreibt,  um  den 
dem  irischen  des  9  jhs.  schon  unbekannten  laut  p  widerzugeben, 
einfachen  verschlusslaut  Tomrair  =  Thormwr,  Turgeis  —  Thorgils. 
2)  schon  vor  800  wird  in  den  Canones  hibernenses  das  ir.  aihrige 
latinisiert  mit  arreum  nach  ausspräche  arri-e  und  in  der  Berner 
vor  840  geschriebenen  irischen  Horaz-,  Virgil-  und  Ovid-hs. 
(s.  Nigra,  Revue  celtique  ii  447)  ist  fol.  117a  in  einem  irischen 
verse  cüilh  für  cäich  geschrieben. - 

1  ein  buchstabenglaube  strengster  Observanz,  wie  ihn  Windisch  in 
seinen  irischen  beitragen  zu  Curtiu9  Grundzügen  und  in  seiner  Irischen 
grammalik  vertrat,  ist  heutiges  tages  ganz  unmöglich,  einem  etwas  ge- 
milderten buchslabengl  auben  hängt  noch  Thurneysen  an,  aber  da  er  den 
tatsachen  gegenüber  sich  wesentlich  auf  die  Versicherung  beschrankt, 
dass  er  anderer  ansieht  sei,  so  lässt  sich  nicht  discutieren. 

2  Stokes  las  Goidelica  lauft,  s.  35  cüitli;  ebenso  Nigra  in  seiner  treu- 
lichen ausgäbe  der  Berner  glossen  Revue  celtique  n  44b,  wo  haarsträubende 
irrtümer  von  Stokes  verbessert  sind,  zuerst  fand  Stokes,  Remarks  (Cal- 
cutta  1875)  s.  (38,  dass  zu  verstehen  ist  cäich  u  uuair.  diese  absolut 
sichere  Verbesserung  im  sinn  habe  ich  den  codex  eingesehen,  konnte  aber 
nicht,  so  gern  ich  es  wollte,  cäich  lesen.  Stokes  liest  nunmehr  auch 
(Academy  xxx   s.  228)  cäich.     dies   hat  gar  keinen  weit,   da  Stokes  krank- 


140  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

Ich  denke,  nunmehr  sind  wir  hinlänglich  gerüstet  zu  be- 
stimmen, welchen  gehörten  nordischen  namen  die  Iren  um 
850  mit  Lathland,  Lothland  ausdrücken  wollten,  welches  die 
engere  heimat  der  ersten  dänischen  vikinger  war:  nämlich- 
dänisch Läland,  die  heutige  insel  Laaland  südlich  von 
Filnen  und  Seeland,  und  mit  Lath-Loth  ist  der  versuch  ge- 
macht, den  eigentümlich  nordischen  a-laut  wider- 
zugeben, die  flexion  von  Lathland,  Lothland  im  genitiv 
Laithlinde,  dativ  Lothlind  ist  ganz  wie  in  den  derselben  zeit 
entstammenden  Würzburger  glossen  persan  :  persine :  persin.  wir 
haben  also  die  tatsache,  dass  die  ersten  Dänen  847  unter  einem 
führer  Thormver  (Tomrair),  einem  ereil  von  Läland  (Lathland, 
Lothland)  nach  Irland  kamen,  aus  diesem  Lathland,  Lothland 
ist  in  jüngerer  zeit  mittels  einer  durch  die  ausspräche  nahe  ge- 
legten Volksetymologie  Lochland  geworden.1  wir  können  also  mit 
bestimmtheit  sagen,  dass  die  ersten  Norweger  um  die  wende 
des  8  —  9  jhs.  aus  Hördaland  am  Hardangerfjord  kamen  und 
fast  50  jähre  später  die  ersten  Dänen  von  Läland. 

Nehmen  wir  nun  den  s.  131  fallen  gelassenen  faden  wider 
auf.  wir  sahen ,  dass  wir  bei  der  suche  nach  einer  persönlichkeit, 
die  in  der  erinnerung  des  10  jhs.  in  süd- Irland  alsFinn  fort- 
lebte, die  zeit  vor  etablierung  der  Dänenherschaft  in  Dublin  (852) 
und  die  ersten  kampfjahre  ins  äuge  fassen  müssen,  da  Finn 
überall  als  unabhängiger  führer  einer  vikingerhorde  erscheint,  wie 
wir  uns  die  um  jene  zeit  in  süd-lrland  befindlichen  norwegischen 
vikinger  denken  müssen  (s.  s.  127  fl).  wir  sahen  ferner,  dass 
diese  halb  irisierten  norwegischen  vikinger  (Gall-Gaedil)  süd-Irlands 
855  auf  seiten  des  Munsterkönigs  Maelsechnaill  stehen  (s.  130): 
der  Selbständigkeitstrieb  und  die  grausame  Vernichtung  ihrer  lands- 
leute    bei   Carlingford    (grafschaft   Louth)    durch    die   Dänen   im 

hafte  phantasie  seit  7  jähren  alles  in  hss.  sieht,  was  er  sehen  will,  im 
übrigen  wäre  es  für  obige  frage  auch  ganz  irrelevant,  wenn  cäich  tatsächlich 
in  der  hs.  stände. 

1  im  irischen  Nennius  ist  (Todd  s.  84)  für  in  una  ciula  ex  eis  venit 
puella  pulcra  facie  atqtie  decorosa  valde  filia  Hencgesti  (SMarte  §  37  s.  50) 
gesagt:  is  in  loingis  sin  tainic  a  ingean  co  hEngist,  is  iside  ba  caime 
domnaib  Lochlainde  uile  'in  dieser  flotte  kam  seine  tochter  zu  Hengist, 
und  sie  ist  es,  die  war  die  schönste  von  den  frauen  ganz  Lochlands.' 
hier  bezeichnet  Lochland  offenbar  noch  Dänemark  (Schleswig,  Jütland 
und  die  inseln),  zeigt  also,  wo  man  sich  zur  zeit  der  abfassung  des  ir.  Nen- 
nius die  heimat  des  Hengist  dachte. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  141 

jähre  851  (s.  s.  131)  wiesen  ihnen  die  Oppositionsstellung  gegen 
den  neu  errichteten  Dubliner  Däneustaat  an.  aber  ihr  ge- 
schick  erreichte  sie  bald  und  ebenso  gründlich,  wie  ihre  lands- 
leute  im  norden  (850.  851);  hierbei  erfahren  wir  den  namen 
des  führers  dieser  unabhängigen  norwegischen  vi  - 
kingerhorden  in  süd-Irland.  zu  dem  auf  den  kämpf  des 
Munsterkönigs  und  der  Gall-Gaedil  süd -Irlands  gegen  die  DäneD 
unmittelbar  folgenden  jabre  melden  die  Ulsterannalen  856  (=  857 
Chronicon  Scotorum)  Roiniud  ren  Imar  7  ren  Amlaib  for  Caittil 
Find  con  a  Gall-  Gaedelaib  hitirib  Muman  'ein  Siegeslauf  des 
Imar  und  Olaf  über  Caittil  Find  mit  seinen  vikinger-Iren 
in  den  gebieten  von  Munster.'  dem  entsprechend  hat  das  alte 
fragment  über  die  vikingerzeit  unter  der  aufzählung  der  kämpfe 
und  siege  Olafs  zur  begründung  der  Dubliner  vikingerherschafi 
folgendes:  Is  leo  romarbad  Caur  Find  lin  a  longport  'durch  sie 
(Olaf  und  seine  vikinger)  wurde  getütet  Caur  Find  und  sein 
ganzes  lager.' 

Hier  haben  wir  den  historischen  Finn  vor  uns,  um 
den  sich  die  sage  wob.  alles  stimmt,  er  ist  der  führer  der  in 
süd -Irland  bis  zur  ankunft  Olafs  (852)  eine  art  räuberleben 
führenden  Gall-Gaedil  'vikinger-Iren';  zur  strafe  dafür,  dass  er 
855  sich  auf  die  seite  des  Munsterkönigs  mit  seinen  horden  ge- 
stellt hatte,  jagte  ihn  Amlaib  vor  sich  her  (roiniud  re)  bis  in 
Munsterland  und  tötete  ihn  und  seine  horden.  dass  er  eine  be- 
kannte persönlichkeit  war,  beweist  der  umstand,  dass  er  in 
Ulsterannalen,  Chronicon  Scotorum,  Annalen  von  Innisfallen 
(s.  Todd,  Cogadh  Gaedhel  s.  lxxi  anm.  2)  mit  namen  genanrft 
wird,  das  fragment  in  LL  nennt  ihn  Caur  Find;  da  aber  die 
jüngere,  vollständigere  hs.  von  Cogadh  Gaedhel,  die  nicht  auf  LL 
zurückgeht,  ebenfalls  Caetil  Find  hat  =  Caittil  Find  der  Ulster- 
annalen (Cathal  Finn  Chronicon  Scotorum),  so  wird  Caur  Find 
eine  besserung  des  im  12  jh.  unverständlichen  Caittil  sein:  caur 
ist  das  gewöhnliche  wort  für  'held'.1  Caittil  isl,  wie  schon  Todd, 
Cogadh  Gaedhel  s.  lxxi  note  2  bemerkt,  irische  widergabe  des 
nordischen  Ketill,  was  ja  ein  bekannter  mannsname 
ist.     eins  der  gebräuchlichsten  epilbeta  der  norwegischen  vikinger 

1  wir  lernten  schon  oben  ein  beispiel  kennen,  wie  der  besserungs- 
lüsterne  aber  unwissende  Schreiber  von  LL  309.  310  seine  vorläge  aus  der 
ersten  hälfte  des  lljhs.  verballhornte  (s.  s.  134). 


142  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

war  Hviti  oder  mit  hvita-  componierte  worter,  woher  sie  ja  scherz- 
halt Hviti-hekten ,  /foto-ausländer'  (Findgenti,  Findgaill)  von  den 
Iren  genannt  wurden  (s.  s.  97  anm.),  und  so  ist  der  führer 
der  südirischen  vikingerhorden  um  850  Caittil  Find 
ein  norwegischer  Ketill  Hviti.  —  die  vollständige  vernichtuug 
der  fianna  dieses  Caittil  Find,  wie  sie  gemeldet  wird,  spiegelt 
sich  noch  in  der  sage  des  15jhs.  wider,  welche  ja  auch 
s  am  mt  liehe  Fenier  in  der  Schlacht  von  Gabair  fallen  lässt, 
bis  auf  Cailte  mac  Ronain  und  Oissln  mit  2 mal  9  mann,  aber 
noch  manches  aus  der  späteren  sage  wird  als  entstellung  und 
Verschiebung  der  ursprünglichen  historischen  grundlage  klar. 
Caittil  Finn  ist  857  mit  seinen  fianna  gefallen:  die  spätere 
sage  lässt  Finn  nach  der  Versetzung  ins  2  —  3  jh.  283  bei  Ath 
Brea  an  der  Boyne  getötet  werden,  während  die  für  die  Fenier 
vernichtende  schlacht  bei  Gabair  284  staltfand,  das  bewustsein, 
dass  Finn  mit  den  fianna  gefallen  war,  dass  mit  Finns  tode  die 
tatsächlichen  zustände,  die  die  existenz  dieser  vikinger-räuber- 
horden  möglich  machten ,  aufhörten ,  hat  eine  weite  Ver- 
schiebung des  endes  Finds  von  der  katastrophe  der  fianna 
nicht  zugelassen,  obwol  eine  solche  bei  anknüpfung  von  Finns 
geburt  an  die  zeit  Conn  Cetchathachs  (soll  von  123 —  157  regiert 
haben)  geboten  war.  auch  in  dem  namen  der  schlacht  von 
Gabair  kann  eine  richtige  erinuerung  erhalten  sein :  Gabair,  geuitiv 
Gabra,  ist  ein  in  vielen  teilen  Irlands  vorkommender  name,  'Rosse- 
feld, Ziegenfeld'  etwa  (s.  O'Donovan,  Annalen  der  vier  meister 
vh  62  und  Joyce  i  475.  n  24);  eins  der. häufigsten  in  den  annalen 
erwähnten  ist  Gabair  in  der  grafschaft  Limmerick :  das  gebiet  der 
O'Conaill  Gabra  umfasst  'now  the  baronies  of  Upper  and  Lower 
Conello,  in  the  county  Limmerick'  (O'Donovan,  Vier  meister 
i  489  anm.  a).  bedenkt  man,  dass  ein  roiniud  ren  Amlaib  'ein 
herjagen  vor  Amlaib'  itirib  Muman  'in  Munsterland'  stattfand, 
dann  kann  der  ort,  wo  Caittil  Find  mit  seinen  fianna  857 
getötet  wurde,  sehr  wol  dies  Gabair  in  der  grafschaft  Lim- 
merick sein,  aus  dem  die  spätere  Leinstersage  Gabair  in  Meath 
machte,  indem  sie  den  Dubliner  vikingerkönig  —  der  ja  um 
857  factischer  oberkönig  Irlands  war  —  zu  Cairbre,  dem  könig 
von  Tara,  machte:  durch  die  anknüpfung  an  Cormac  und  Cairbre 
war  Gabair  in  Meath  gegeben. 

Damit  sind  die  erinnerungen  der  jüngeren  sage  an  die  würk- 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  143 

liehen  zustände,  die  die  grundlage  bilden,  noch  nicht  erschöpft, 
ich  will  nur  noch  auf  drei  hinweisen,  dass  die  vollkommene 
Vernichtung  der  fianna  der  jüngeren  sage  bei  Gabair  (284)  in 
Meath  mit  der  völligen  Vernichtung  Caittil  Finds  und  seiner  fianna 
(Gall-Gaedil)  im  jähre  857  (bei  Gabair  in  Limmerick)  stimmt, 
habe  ich  schon  hervorgehoben,  die  jüngere  sage  lässt  nur  den 
Cailte  mac  Ronai7i  und  Oissln  mit  2 mal  9  mann  entkommen. 
hierzu  halte  man  folgende  interessante  notiz  der  Ulslerannalen 
zum  jähre  868 :  Maekiarain  mac  Ronain  rignia  airthir  Erend 
feinid  fogla  Gall  jugulatus  est  'Maelciarain  mac  Ronain,  ein 
hauptheld  des  Ostens  Irlands,  ein  räuberhauptmann  an  den  Dänen 
(Gall),  wurde  getötet.'  bemerkenswert  ist,  dass  Maelciarain  mac 
Ronain  nicht  ein  fer  fogla  'mann  des  raubes',  sondern  feinid 
fogla  'held  des  raubes'  oder  gar  'Norweger  des  raubes'  an  den 
Gall,  dh.  'Dänen'  genannt  wird,  dass  wir  grammatisch  den 
genitiv  Gall  so  fassen  müssen,  zeigen  die  Vier  meister  zu  867, 
wo  es  heifst  feindid  fogla  for  Gallaib;  und  dass  unter  den  Gaill 
die 'Dänen'  verstanden  sind,  lehrt  eine  andere  stelle  der  anualen, 
die  sich  mit  Maelciarain  mac  Ronain  beschäftigt,  die  Ulster- 
annalen  melden  nämlich  zu  867 :  Loscad  duine  Amlaim  oc  Cluain 
Dolcain  la  mac  JiGaithini  7  la  Maelciarain  mac  Ronain  7  ar  cet 
cenn  diairechaib  Gall  in  eodem  die  apud  duces  predictos  in  con- 
finio  Chiana  Dolcain  'Verbrennung  der  bürg  des  Amlaib  bei  Clon- 
dalkin  durch  den  söhn  des  Gaithin  und  Maelciarain  mac  Ronain 
und  eine  schlachtbeute  von  100  köpfen  von  vornehmen  der 
Dänen  (Gall)  in  eodem  die  apud  duces  predictos  in  confinio  Chiana 
Dolcain.'  da  Cluain  Dolcain  das  heutige  Clondalkin,  einen  kurzen 
nachmittagsspaziergang  von  Dublin  entfernt,  ist,  welches  noch 
stattliche  reste  der  bürg  Amlaibs  aufweist,  so  kann  es  sich  in 
diesem  jähr  (867)  nur  um  Dänen  handeln;  wichtig  ist  auch, 
dass  der  verbündete  Maelciarains  mac  Ronain  regulus  von  Laighis 
(Leix  in  Queens  county)  ist,  also  dorthin  weist,  wo  wir  uus 
Finn  und  seine  horde  denken  müssen,  erwägen  wir  nun,  dass 
die  jüngere  sage  den  Cailte  mac  Ronain  als  grösteu  beiden 
neben  Finn  kennt,  dass  sie  ihn  der  vernichtenden  schlacht  ent- 
kommen und  nach  der  Versetzung  Finns  ins  2  —  3  jh.  ilm  so 
lange  leben  lässt,  bis  Patrick  nach  Irland  kommt  und  ihn  lauft 
(s.  oben  s.  43  ff.  81),  so  scheint  es  mir  nicht  schwer,  die  würk- 
lichkeit  zu  reconstruieren.    Cailte  mac  Ronain  war  neben  Caittil 


144  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

Find  der  berühmteste  führer  der  norwegischen  halb  irisierten 
räuberhorden  (Gall-Gaedü);  er  entkam  der  vernichtenden  schlacht 
im  jähre  857,  liefs  sich  taufen  und  nahm  den  christlichen 
tau fn amen  Maelciarain  (wie  Maelbrigte,  Maelmuire  usw.)  an, 
hiefs  also  nun  Maelciarain  mac  Ronain.  den  kämpf  gegen  die 
Dänen  setzte  er  fort,  überfiel  mit  einem  Leinsterregulus  aus 
Queens  county  die  dänische  bürg  in  Clondalkin  bei  Dublin  (867), 
muste  aber  im  folgenden  jähre  (868)  seine  gegen  die  Dänen  ge- 
richteten räubereien  mit  dem  tode  büfsen.  der  interessanteste 
punct  in  der  ins  3  jh.  versetzten  sage  ist  nun,  dass  die  er- 
innerung  an  die  tatsächliche  Christianisierung  dieses 
norwegischen  räuberhauptmanns  Cailte  mac  Ronain  dazu  geführt 
hat,  dass  man  ihn  nach  Verlegung  der  sage  ins  3  jh.  so  lange 
leben  liefs,  bis  Patrick  kam  und  ihn  taufte,  der  historische 
Finn  war,  danach  zu  schliefsen,  auch  tatsächlich  noch  heide. 

Nach  der  jüngeren  sage  werden  die  Fenier  Finns  in  der 
schlacht  von  Gabair  vernichtet  durch  Fenier,  die  im  dienst 
des  oberkönigs  Cairbre  Lifeochair  stehen,  und  zwar  weil  die 
Fenier  süd-Irlands  dem  oberkönig  den  gehorsam  verweigern,  hier 
ist  gegenüber  der  würklichkeit  mit  der  Versetzung  ins  3  jh.  nur 
Cairbre  Lifeochair  an  stelle  Amlaibs  getreten,  derselbe  war, 
wie  wir  s.  130  ff  sahen,  von  852  an  tatsächlich  oberkönig  in 
Irland,  in  so  fern  als  die  vikinger  sich  ihm  unterwarfen  und 
die  Iren  tribut  (eis)  zahlten;  Amlaib  mit  seinen  dänischen 
vikingern  (fianna)  bekriegte  und  vernichtete  857  Caittil  Find 
mit  seinen  norwegischen  viki  nger  hör  de  n  (fianna,  Gall- 
Gaedü),  weil  letztere  die  oberherschaft  Amlaibs  nicht  anerkennen 
wollten  (s.  oben  s.  140). 

Nach  der  sage  ist  hauptfeind  Finns  und  seiner  Fenier  der 
Fenierführer  Goll.  er  hatte  Finns  vater  getötet  (LU42\  30  ff), 
mit  dem  herangewachsenen  Finn  frieden  geschlossen  und  sich 
ihm  unterstellt,  bis  sie  sich  bei  einer  bestimmten  gelegenheit 
wider  entzweiten,  diese  Fenier  des  Goll  stehen  in  der  ver- 
nichtenden schlacht  unter  Cairbre  gegen  Finn  und  seine  scharen, 
hier  ist  zuerst  darauf  hinzuweisen,  dass  Goll  talsächlich  der 
irische  name  eines  mächtigen  vikingerführers  muss 
gewesen  sein:  wir  haben  Zs.  32,208 — 216  gesehen,  dass  die 
nordirische  sage  den  alten  sagenhelden  Cuchulinn  einen  riesigen 
kämpf  mit  dem  vikinger hünen  (sein  schwert  ist  30  fufs  lang) 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  145 

Goll  bestehen  lässt.  ziehen  wir  die  durch  Versetzung  der  Finn- 
sage ins  3  jh.  notwendig  gewordene  Umwandlung  Amlaibs  in 
Cairbre  ab,  so  enthält  die  sage  in  den  hauptzügen  auch  liier 
nichts,  was  nicht  der  wiirklichkeit  im  2  und  3  viertel  des  9  jhs. 
entsprochen  haben  könnte.  Goll  war  wie  Cumall,  Finn,  Cailte 
führer  einer  vikingerhorde;  er  mag  Finns  vater  getötet  und  sich 
später,  als  Finn  eine  art  oberherschaft  über  die  vikingerhorden 
süd-Irlands  gewann,  dem  Finn  unterworfen  haben,  nach  Amlaibs 
ankunft  S52  wird  er  sich  diesem  unterworfen  und  ihn  in  der 
bekriegung  Finns  unterstützt  haben. 

Wer  der  Untersuchung  von  s.  108  bis  hierher  gefolgt  ist, 
wird  mir  zugeben,  dass  die  s.  30  noch  offen  gelassene 
möglichkeit,  dass  der  Finn  der  sage  eine  figur  der  Leinster- 
Munstersage  vor  der  vikingerzeit  gewesen  sei,  die  erst  im  1 0 jh. 
nach  dem  Vorbild  nordischer  jarle  und  der  fiandr  umgestaltet 
wurde,  völlig  unhaltbar  ist1:  der  Finn  der  sage  ist 
der  historische  vikingerführer  Kelill  Eviti  (Caittil  Find), 
derwollänger  alseindecennium  in  mittel-  undsüd- 
Irland  mit  seinen  räuberbanden  von  vikingern  und 
Iren  sein  wesen  trieb  und  857  von  Amlaib  von  Dublin, 
dem  tatsächlichen  irischen  oberkönig,  (bei  Gabair  in  der 
grafschaft  Limmerick)  in  Munster  mit  seinen  hör  den  ver- 
nichtet wurde;  der  Vernichtung  entkam  der  berühmte  Unter- 
führer Cailte  mac  Ronain,  dessen  tod  —  unter  dem  christlichen 
namen  Maekiarain  mac  Ronain  —  zum  jähre  868  gemeldet  wird. 

1  ich  darf  wol  bitten,  zu  beachten,  dass  ich  in  dieser  Studie  eine 
Untersuchung  gebe,  die  resultale  stehen  nach  allen  Seiten  hin  zu  allem, 
was  bis  jetzt  unbesehen  und  ungeprüft  als  richtig  angenommen  wurde,  in 
so  diametralem  gegensatz,  dass  ich  es  für  geraten  hielt,  den  weg,  auf 
dem  ich  zu  meinen  resultaten  kam ,  in  dieser  Studie  im  wesentlichen  bei- 
zubehalten, ich  gehe  daher  immer  vom  allgemein  angenommenen  aus  und 
anticipiere  nie  resultate  der  späteren  Untersuchung  anders  als  in  kurzen 
hinweisungen  in  den  anmerkungen.  dadurch  komme  ich  natürlich  vielfach 
dazu,  früher  allgemein  gegebene  ergebnisse  und  unbestimmt  gelassene 
dinge  im  verlauf  präciser  zu  fassen,  bei  der  unsumme  an  bösem  willen, 
der  von  einer  bestimmten  clique  meinen  arbeiten  entgegengebracht  wird, 
sehe  ich  mich  ausdrücklich  veranlasst,  darauf  hinzuweisen,  dass  diese  art 
der  darstellung  aus  methodischen  rücksichten  gewählt  ist.  wenn 
ich  einmal  dazu  komme,  meine  verschiedenartigen  Studien  zu  einer  systema- 
tischen darstellung  einer  geschichte  der  irischen  sage  zu  verarbeiten,  dann 
wird  natürlich  der  weg  ein  anderer  sein. 

Z.  F.  D.  A.     XXXV.     N.  F.    XXIII.  10 


146  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

dies  ergebnis  fordert  geradezu  heraus  zu  der  Untersuchung,  ob 
die  übrigen  incommensurablen  Züge  in  der  älteren  Finnsage,  die 
oben  s.  30  noch  constatiert  werden  musten,  sich  nicht  auch 
aus  den  tatsächlichen  Verhältnissen  erklären  lassen,  dies  ist 
in  der  tat  der  fall,  die  s.  30  gemachte  angäbe,  dass  Fiun 
gerade  in  älteren  erzähluugen  als  'vollendeter  dichter'  auftrete, 
bedarf  zuerst  der  nähereu  feststellung.  Gott.  gel.  anz.  1887 
s.  184  ff  habe  ich  aus  Ravvl.  B  502  fol.  59b,  2  ff  eiue  altertüm- 
liche Finngeschichte  veröffentlicht,  deren  erste  hälfte  auch  LL 
208%  36—51  sich  findet,  hier  wird  erzählt:  Finu  entfernte  sich 
eines  nachts  mit  dem  in  seinem  gefolge  (hitegluch)  befindlichen 
mac  Lese  abseits  von  der  schar  (foleüh  ondfein)1,  als  sie  im  ge- 
birge  von  Culend2  (hisleib  Chulind)  waren.  Finn  schickte  ihn 
hinaus,  wasser  zu  holen,  der  aber  sagte,  er  werde  nicht  wasser 
holen  gehen  ,  und  begründete  diese  Weigerung  in  einigen  Strophen 
mit  Schilderung  der  grimmigen  kälte,  die  draufsen  hersche, 
in  folge  deren  jede  fürt  zugefroren  und  der  schuee  den  männern 
bis  an  den  hintern  reiche.  Finn  sagte,  er  (mac  Lese)  lüge,  und 
er  begann  in  einer  reihe  von  Strophen  das  weiter  und  die 
Jahreszeit  zu  preisen,  als  ob  das  reine  frühlingswetter  herschte. 
'sie  sagen  darauf,  dann  müsse  er  (mac  Lese)  wasser  holen  gehen, 
und  Finn  band  ihn  splitternackt  bis  zum  morgen  an  den  Stein- 
pfeiler von  Colt,  sodass  es  von  da  niemand  in  der  schar  (tfein) 
Fiuns  gab,  welcher  hervorragender  und  unermüdlicher  war.'  — 
dies  ist  ein  etwas  rohes  vikingerstückchen.  man  darf  nicht  ver- 
gessen, dass  in  Irland,  besonders  im  Süden  und  westen,  in  folge 
der  nähe  des  golfstromes  ein  klima  herscht  wie  an  der  Riviera, 
dass  schuee  selten  ist  und  kälte,  wie  in  Norwegen,  gar  nicht 
vorkommt,  diesen  abgehärteten  norwegischen  vikingern  kam  das 
irische  winterwetter  wie  nordischer  früblingsanfang  vor,  und  dass 
Finn  sich  an  einem  klimatisch  verweichlichten  Iren  seiner  bände 
einen  solchen  etwas  groben  scherz  erlaubt  habe,  ist  doch  ganz 
glaublich,  ein  dichter  aber  braucht  er  wegen  des  ihm  von  dem 
erzähler  der  geschichte  in  den  mund  gelegten  preises 
des    nordischen    frühlingsanlangs    nicht   gewesen    zu   sein,      wir 

1  hier  ist  das  alte  irische  wort  teglach   (tegslög  =  kymr.  teulu  'die 
waffenfähigen   hausgenossen')  identisch  verwendet  mit  fian. 

2  Sliab  Culind  wol  bei  CHI  Cuilind,  dh.  heutigem  Kilcullen  in  graf- 
schaft  Kildare  (vgl.  Ulsterannalen  937.  938). 


KELTISCHE  BEITRÄGE  111  147 

haben  oben  s.  32  ff  gesehen,  dass  alte  echt  irische  form 
der  sagenerzählung  prosaerzählung  ist,  in  der  nur  die  lyrischen 
und  dramatischen  elemente  in  gebundener  rede  auftreten,  diese 
form  der  erzählung  hat  eine  jüngere  zeit,  wie  wir  noch 
sehen  werden,  misverstanden,  und  hat  aus  den  Finn  in  den  mund 
gelegten  gedichten  auf  ihn  als  dichter  geschlossen  und  dazu 
weitere  fabeleien  erfunden.1  das  zweite  alte  Finn  in  den  mund 
gelegte  gedieht  findet  sich  in  dem  commentar  zu  Dallän  Forgaills 
elegie  auf  Columba  (Lü  llb,  22— 27;  Liber  hymnorum  27a),  wo 
als  beleg  für  eine  erklärung  des  wortes  rian  (die  wogeu ,  flut, 
meer2)  angeführt  wird  ut  Find  hua  Baiscne  dixit: 

Scel  lern  duib:  dordaid  dam     snigid  gaim  rofaith  sam; 

Gäeth  ard  huar  Jsel  grlan      gair  arrith  ruthach  rian. 

Roruad  rath  rocleth  cruth       Rogab  gnath  giugrand  guth 

Rogab  uacht  ete  en  Aigre  re ,  e  moscle. 

'ich  habe  eine  geschichte  für  euch:  der  ochse  brüllt;  der  winter 
schneit;  der  sommer  ist  gegangen;  der  wind  (weht)  hoch  (von 
norden),  kalt;  niedrig  (steht)  die  sonne;  kurz  (ist)  ihr  lauf; 
wogenbrausend  die  see.  hoch  gerötet  (ist)  der  wall(?),  verhüllt 
die  gestalt  (der  menschen);  die  schneegans  erhob  die  gewohnte 
stimme;  kälte  ergriff  die  flügel  der  vögel;  eiszeit  ist  die  Jahres- 
zeit: wehe,  bald  (wird  sie  sein)  unheilvoll  (eigentlich  'links',  de).' 
das  gedieht  ist  wol  ebenfalls  aus  einer  kleinen  erzählung  ge- 
nommen, wie  dasjenige  in  Rawl.  B  502  fol.  60%  1,  und  durch 
die  ältere  epische  stilform  Finn  in  den  mund  gelegt,  beweisen 
also  diese  zwei  gedichte  nicht,  dass  Finn  in  älterer  zeit  als 
dichter  gedacht  wurde,  so  sind  sie  in  anderer  hinsieht  nicht  un- 
wichtig, indem  sie  im  verein  mit  der  das  erste  gedieht  um- 
rahmenden erzählung  den  oben  nachgewiesenen  vikinger- 
ursprung  des  sagenhelden  stutzen  und  veranschaulichen,  ich 
möchte  im  anschluss  hieran  gleich  im  voraus  bemerken ,  dass  ich 
nicht  glaube,  dass  alles  nordische,  was  ich  im  folgenden  in 
Verbindung  mit  Finn  nachweisen  werde,  ursprünglich  braucht  in 
würklichkeit  dem  vikingerräuberhauptmann  Caittil  Find  eigen  ge- 
wesen zu  sein,    lebte  diese  figur  in  Leinster  und  Munster  in  der 

1  schon  Windisch  hat  Verhandlungen  der  33  Versammlung  deutscher 
Philologen  s.  27  richtig  gesehen,  dass  so  in  noch  jüngerer  zeit  aus  dem 
alten  invaliden  Ossian  ein  greiser  sänger  geworden  ist. 

2  es  entspricht  altgallisch  *renos  'der  Rhein'. 

Ut* 


148  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

sage  fort,  so  ist  es  bei  ihrem  offenkundigen  vikingerursprung 
natürlich,  dass  die  Iren  vom  ende  des  9jhs.  an  alles, 
was  ihnen  an  den  heidnischen  Nordgermanen- 
gestalten als  characteristisch  auffiel,  schliefslich 
auf  sie  als  repräsentantin  übertrugen:  nicht  zum 
wenigsten  die  bei  den  Nordgermanen  blühende  wahr- 
sagekunst,  das  vorhersehen  verborgener  dinge,  ge- 
rade dieser  punet  ist  besonders  lehrreich  für  Finns  vikinger- 
ursprung: das,  was  von  Finn  erzählt  wird,  ist  den  irischen 
erzählern  des  10/11  jhs.  dem  wesen  nach  unverständlich  und  nur 
zu  begreifen  als  irische  umdeutung  oder  auffassung 
heidnischer  vikingerbräuche  und  nordischer  sage. 

In  der  im  Sanas  Cormaic  s.  v.  orc  treith  überlieferten  Fiun- 
erzählung  (s.  oben  s.  37  ff)  erfahren  wir,  dass  das  durch  Lomna 
verratene  weib  den  Coirpre  aufstachelt,  der  auch  eines  tages, 
als  Fion  wider  einmal  abwesend  ist,  den  Lomna  erschlägt  und 
seinen  abgeschnittenen  köpf  mitnimmt,  als  Finn  mit  seiner  be- 
gleitung  zurückkommt,  erkennen  sie  den  leichnam  nicht,  'mache 
uns  ausfindig1,  wessen  (leichnam)   er  ist,   sagten  seine  begleiter 

1  finnta  'mache  ausfindig',  in  dem  altir.  finnaim  'ausfindig  machen' 
haben  wir  ein  schönes  beispiel,  wie  die  bedeutung  einer  keltischen  form 
unter  einfluss  anklingender  altn.  formen  umgestaltet  wurde,  die 
flexion  des  präteritopräsens  =  ind.  veda,  gr.olSa,  got.  vait  ist  in  den  brit. 
dialecten  die,  dass  in  erster  p.  sing,  und  nur  hier  ein  kymr.  gwnn,  körn. 
gon  (gwon),  arem.  go7i,  g-ourc 'ich  weifs'  erscheint,  also  eine  art  nasalierter 
form  der  wurzel  vid,  von  der  die  2  pers.  lautet  kymr.  gwdost,  körn,  gozas, 
arem.  gousot  (ZE  602  ff),  so  können  wir  denn  auch  im  irischen  entsprechend 
dem  brauch  der  britannischen  dialecte  eine  erste  p.  sing,  find,  finn  'ich 
weifs'  erwarten,  wir  finden  aber:  1)  ein  verbum  finnaim,  2)  nur  die 
bedeutung  'ausfindig  machen'  statt  'wissen',  3)  in  der  älteren 
zeit  fast  nur  imperativformen  oder  ihnen  gleich  gebrauchte,  die 
letztere  tatsache  will  ich  zuerst  belegen:  finta,  fintasu  'mache  ausfindig' 
aufser  obiger  stelle  LL  55b,  26.  59%  15.  251a,  18,  finta  latt  'mache  bei  dir 
ausfindig'  LL  74b,  51.  254a,  41;  finnaid  'macht  ausfindig'  LL  58b,  21 ;  dass 
auch  die  ZE  502  aus  den  Wb.  MI.  Sg.  glossen  zusammengetragenen  formen 
alle  die  bedeutung  'ausfindig  machen'  haben  und  die  meisten  impera- 
tivische  bedeutung,  kann  jeder  selbst  nachprüfen,  woher  dies  sonderbare 
verhalten  des  irischen  zu  den  übrigen  keltischen  dialecten?  mit  welcher 
redensart  werden  wol  die  ersten  des  landes  und  der  spräche  unkundigen 
vikinger  die  Iren  angefahren  haben?  finn  [tu  'mache  ausfindig',  finniit 
'macht  ausfindig',  denke  ich.  nordisch  finna  (=  got.  finpan,  ags.  finden, 
ahd.  findan)    hat    ja    als    gewöhnliche    bedeutung:    'to    find   out, 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  149 

(infiann).  Finn  legte  darauf  seinen  daumen  in  seinen 
mund  und  sang  mittels  des  teinm  leegda ,  indem  er  sagte: 
nicht  tötete  ihn  ...  (4  kurze  sätze,  die  in  der  schlechten  Über- 
lieferung schwer  verständlich  sind),  der  leichnam  des  Lömna 
ist  dies,  sagte  Finn;  feinde  haben  seinen  köpf  mitgenommen.' 
hier  sind  zwei  dinge,  die  sonst  bei  Finn  getrennt  werden,  zu- 
sammengeworfen: Finn  enthüllt  anderweitig  unbekannte  dinge 
dadurch,  dass  er  den  daumen  in  den  mund  steckt,  oder  ver- 
mittels zweier  brauche,  die  imbas  forosnai  und  teinm  leegda  ge- 
nannt werden,  indem  wir  letztere  zuerst  betrachten ,  ist  zu  con- 
statieren,  dass  damit  nicht  an  zauber  gedacht  ist, 
sondern  einfach  an  wahrsagerei  vermittels  zweier  Vor- 
gänge, die  imbas  forosnai  und  teinm  leegda  genannt  werden. 
Finn  ist  nirgends  ein  Zauberer,  sondern  immer  nur 
Wahrsager,  die  herschende  ansieht  ist,  dass  wir  es  in  den 
beiden  imbas  forosnai  und  teinm  Iwgda  genannten  brauchen  mit 
altirischem  heidentum  aus  der  zeit  vor  Patrick  zu  tun  haben, 
alles  weist  jedoch  darauf  hin,  dass  hier  Überreste  der 
heidnischen  vikinger  vorliegen,  wir  dürfen  nicht  vergessen,  dass 
auf  Irlands  boden  150  jähre  nordisches  heidentum  blühte 
(bis  zur  mitte  des  lOjhs.);  wollte  doch  der  mächtige  vikinger- 
führer  Turgeis  ein  heidnisches  vikingerreich  mit  dem  sitz  in 
Armagh  errichten  (s.  oben  s.  108  ff),  und  von  seiner  frau  Otta 
meldet  die  alte  erzählung  von  dem  vikingerzeitalter  (LL  309b,  15 ff), 
dass  'sie  ihre  antworten1  gab  von  dem  altar  des 
discover,  discover  a  country.'  dass  den  Iren  dies  ihnen  ins  ohr  schallende 
finn  l>u ,  finniit  an  ihr  finn  'ich  weifs'  anklang,  begreift  sich,  wie  kräftig 
aber  vikingerfäuste  ihnen  finn  f>u,  finniit  eingebläut,  erhellt  daraus,  dass 
*  finn  'ich  weifs'  (=  kymr.  gwnn,  kom.gon,  arem.  goun)  auf  irischem 
boden  verloren  gieng  und  das  daran  angelehnte  n  eue  finnaim  lange 
nur  als  ein  imperati vverb  gefühlt  wurde,  die  beiden  ir.  formen  finta, 
finnaid  können  laut  für  laut  altn.  fimi  f>u,  finniit  sein,  dieses  nord. 
finna  hat  natürlich  mit  wurzel  vid,  zu  der  ir.  *  finn  'ich  weifs'  gehörte, 
nichts  zu  tun,  sondern  kommt  von  pent.  die  herausbildung  eines  irischen 
finnaim  'ich  mache  ausfindig'  aus  den  vikingeraufforderungen  finn  f>u, 
finniit  ist  darum  von  besonderer  Wichtigkeit,  weil  sich  formen  mit 
meist  imperati visc her  bedeutung  in  den  drei  grofsen  com- 
men  tarhand  seh  rif  ten  (sogenannten  glossen)  zu  Würzburg  (paulinische 
briefe),  Mailand  (psalmen),  SGallen  (Priscian)  vorfinden  und  zwar  reich- 
lich, dadurch  ist  auch  für  die  Würzburger  und  Mailänder 
glossen  ein  terminus  nach  unten  gegeben. 

1  vgl.  Tacitus    Germania  8:   inesse  (feminis)   >/ui/i    etiam    sanetum 


150  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

domes  von  Clonmacnois  herunter'  (isand  rabered  a  fre- 
cartha  daltoir  intempoil  möir):  sie  erteilte  also  die  orakel- 
spriiche  sitzend  auf  dem  altar  des  in  Irland  nächst  Armagh 
angesehensten  christlichen  heiligtums.  ist  es  nun  nicht  auf- 
fallend, dass  die  alte  nordirische  heldensage,  die  ja  ihren  histori- 
schen hintergrund  in  den  zuständen  des  heidnischen  Irlands  hat, 
von  keinem  ihrer  helden  etwas  ähnliches  wie  das 
teinm  leegda  kennt1  und  dass  Finn,  der  repräsentant 
des  vikingertums  in  den  älteren  texten  der  Finnsage,  auch 
wo  es  nach  der  Situation  ganz  überflüssig  ist2,  mit  imbas  forosnai 
und  teinm  leegda  operiert?  auch  das  verdient  Beachtung:  der 
name  teinm  leegda  ist  aus  dem  irischen  unverständlich; 
der  Schreiber  von  Laud  610  (fol.  51v)  und  Rawl.  B  512 
(fol.  114b,  30.  114c,  15)  macht  daraus  temin  laida  'dunkelheit  des 
liedes.'  dies  ist  natürlich  irische  deutung  aus  einer  zeit,  als  man 
die  heidnische  mit  teinm  leegda  bezeichnete  handluog  nicht  mehr 
kannte  und  in  den  dunklen  prophetischen  Worten  das  wesen  der 
sache  sah.  wenn  'dunkelheit  des  liedes'  aber  das  wesen  des 
teinm  leegda  ausgemacht  hätte,  dann  wäre  ja  die  erfindung  des 
10  jhs.,   dass  Patrick   teinm  leegda   wie    imbas  forosnai  verboten 

aliquid  et  providum  putant,  nee  aut  consilia  earum  aspernantur  aut 
responsa  neglegunt.  vidimus  sub  divo  Vespasiano  Veledam  diu  apud 
plerosque  numinis  loco  habitam  ;  sed  et  olim  Albrunam  et  compluris  alias 
venerati  sunt,  non  adulatione  nee  tamquain  facerent  deas;  und  Hist.  iv  65 
von  der  Veleda:  ipsa  edita  in  turre,  delectus  e  propinquis  consulta 
responsaque  ut  Internuntius  numinis  portabat.  Otla  (nordische  kose- 
form  aus  einem  vollnamen,  wie  Odd-björg,  Odd-katla,  Odd-laug,  Odd-leif) 
war  also  eine  völva  oder  spdkona  und  gab,  wie  Veleda  von  dem  türm,  so 
von  dem  hohen  altar  des  domes  responsa  (=  ir.  frecartha). 

1  die  alten  sagentexte,  die  uns  ja  nur  in  der  durch  das  vikinger- 
zeitalter  umgestalteten  form  erhalten  sind,  wie  ich  Zs.  32, 197— 334 
gezeigt  habe,  kennen  imbas  forosnai  nur  an  zwei  stellen:  LU  55b,  10  ff 
(=LL  55b,  50  ff)  und  LU  125b,  8  ff;  beide  male  sind  es  frauen ,  die  ihn  aus- 
üben und  denen  ihr  Ursprung  als  nordische  Seherinnen  an  die 
stirn  geschrieben  ist  (vgl.  Zs.  32,  333.  305  ff  zu  Scäthach). 

2  die  stellen  sind  Laud  610  fol.  95",  42.  96a,  20  in  der  in  die  alte  er- 
zählung  LL  289a,  8  ff  interpolierten  episode  (s.  oben  s.  83  ff),  imbas  fo- 
rosnai und  teinm  leegda  sind  auch  noch  Rawl.  B  512  fol.  114b,  36.  114c,  15 
bekannt,  also  der  erzählung,  die  einen  nordischen  skalden  am  hofe 
des  irischen  oberkönigs  kennt  (s.  oben  s.  34  ff,  99  ff);  ferner  Laud  610 
fol.  57v  und  Sanas  Cormaic  s.  v.  mogheime  und  imbas  forosnai.  nir- 
gends eine  quelle,  die  über  das  10/11  jh.  hinaufgehen  kann. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  151 

habe  als  gleichbedeutend  mit  abrenuntiation  der  taufe,  über- 
flüssig, da  ja  mit  'dunkelheit  des  liedes'  nichts  dem  Christentum 
widersprechendes  verbuuden  sein  muss,  und  dann  manches  in 
den  erhaltenen  irischen  gedichteu  des  lOjhs.  unter  dies  verbot 
fiele,  es  heilst  Sanas  Cormaic  s.  v.  himbas  forosnai  ausdrücklich: 
'Patrick  verbot  nun  dieses  (den  himbas  forosnai)  und  das  teinm 
leegda  db.  er  bezeugte,  dass  weder  teil  an  himmel  noch  erde  ein 
jeder  habe,  der  es  ausübe  (das  teinm  leegda),  denn  es  ist  ab- 
sage an  die  taufe  (dh.  Christentum);  dichetal  dochennaib  ward 
gestaltet  zu  tun,  und  zwar  aus  dem  gründe,  weil  dabei  Dicht 
nötig  opfer  der  dämonen.'  hier  wird  positiv  constatiert,  dass 
Patrick  die  beiden  methoden  der  Wahrsagung  imbas  forosnai  und 
teinm  leegda  verboten,  weil  heidnisches  opfer  damit  verbunden 
war,  aber  den  zauber  dichetal  dochennaib1  gestattet  habe,  weil 
heidnisches  opfer  nicht  notwendig  dabei  war.  darin  haben 
wir  eine  angäbe,  wie  die  christliche  kirche  des  10  jhs.  sich  in 
Irland  mit  den  oft  nur  äufserlich  neu  bekehrten  vikingerchristen 
abfand,  ihnen  das  eine  liefs,  um  das  gröbste  heideutum  auszu- 
rotten, dass  die  entscheidung  Patrick  in  den  mund  gelegt  wurde, 
entspricht  ja  dem  geiste  des  ausgehenden  10  jhs.  (s.  oben  s.  55 
bis  77).  ausschlaggebend  ist  es,  dass  die  ältesten  docu- 
mente  über  Patrick,  die  gröstenteils  im  8  jh.  entstanden 
und  aus  der  ersten  hälfte  des  9  jhs.  hslich  uns  erhallen  sind, 
nämlich  Book  of'Armagh  fol.  1 — 21b, 2,  von  imbas  forosnai,  teinm 
leegda  und  Patricks  verboten  absolut  nichts  wissen, 
nachdem  man  Patrick  zum  bekehrer  der  vikiuger  gemacht  hatte, 
war  es  natürlich,  dass  man  ihn  auch  Stellung  nehmen  liefs  zu 
dem  heidnischen  und  halbheidnischeu  treiben  der  juugeu  vikinger- 
christen. da  nun  der  ausdruck  teinm  leegda  aus  dem  irischen 
absolut  unverständlich  ist,  so  liegt  es  nahe,  sich  für  ausdruck 
und  sache  bei  den  vikingern  umzusehen,  von  denen  die  sache 
herstammen  muss.  was  war  das  teinm  leegda  ursprünglich? 
die  bekannteste  methode  der  Wahrsagung  überhaupt,  um  un- 
bekannte dinge  zu  erfahren,  war  im  heidnischen  germanischen 
norden  hrista  teina.  die  prächtige  alte  Hymiskvida  beginnt  mit 
der  erzählung,   dass   die  götler  (valtivar),   als  sie  nicht  wüsten, 

1  wird  erwähnt  als  dichetal  docoüaib  cenn  Rawl.  B  512  fol.  114c, 
3.  14  (s.  s.  150  anm.  2).  Laud  610  fol.  57\  vgl.  LU  74\  3'J  und  Laud  610 
fol.  96%  6. 


152  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

wo  das  gelage  abzuhalten  sei,  hristu  teina  ok  ä  hlaut  sä  'schüt- 
telten (warfen)  die  Stäbe  und  sahen  ins  opferblut'; 
hier  fanden  sie,  dass  es  bei  Oegir  abzuhalten  sei.  altn.  teinn 
(got.  tains,  ags.  tan,  ahd.  zein)  ist  speciell  'der  zweig  zum  los- 
werfen und  wahrsagen',  vir g am  frugiferae  arbori  decisam  in 
surculos  amputant  eosque  notis  quibusdam  discretos  super  can- 
didam  vestem  temere  ac  fortuito  spargunt;  mox,  si  ptiblice  con- 
sultetur,  sacerdos  civitatis,  sin  privatim,  ipse  pater  familiae,  precatus 
deos  caelumque  suspiciens,  ter  singulos  tollit,  sublatos  secundum 
impressam  ante  notam  interpretatur  berichtet  Tacitus  (Germania  10) 
über  den  Vorgang  bei  den  Germanen,  mit  surculos  temere  ac 
fortuito  spargunt  ist  nordisch  hrista  teina  'die  stäbe  schütteln 
und  hinwerfen'  erklärt;  das  precatus  deos  caelumque  suspiciens  ist 
römische  auffassung  des  sjd  d  hlaut  'ins  opferblut  schauen', 
jedesfalls  bezeugen  uns  Tacitus  und  die  Hymiskvida ,  dass  es  sich 
bei  dieser  art  der  erforschung  unbekannter  dinge  um  einen 
gottesdienstlichen  act  handelte,  es  war  also  hrista  teina 
wie  teinm  leegda  im  sinne  des  Christentums  götzendienst.  nun 
ist  das  teinm  leegda  klar,  wie  ich  glaube:  altn.  nom.  plur. 
teinar  leegdir,  acc.  plur.  teina  leegda  s  i  n  d  '  d  i  e  hingeworfenen 
stäbe'  (surculi  sparsi)  und  Finns  erforschung  des  un- 
bekannten tria  theinm  leegda  ist  eine  nordische  durch 
teina  leegda  (per  surculos  sparsos).  heidnische  vikinger  haben  so 
auf  Irlands  boden  vielleicht  vor  erstaunten  Iren  den  ausfall  eines 
plünderungszuges  von  den  göttern  erforscht,  warum  nicht  Ketill 
Hviti  (Caittil  Find)  selbst  als  pater  familiae,  wie  Tacitus  sagt. 
in  dem  festen,  weil  später  unverstandenen  m  von  teinm  leegda 
liegt  uns  wol  noch  eine  altertümlichkeit  des  urnordischen  vor. 
nach  ausweis  des  gotischen  müssen  wir  für  gewöhnliches  altn. 
teinar  leegdir  als  urnordische  form  ansetzen  *teinor  leegder. 
wenn  man  bedenkt,  dass  ir.  Amlaib  uns  die  urnord.  form  (An- 
leifr)  für  Ölafr  bewahrt  hat,  dass  in  ir.  elta  'schwertgriff'  die 
urnordische  ungebrochene  form  (hello)  für  hjalt ,  hjblt  vorliegt 
(s.  Zs.  32,  267  ff),  dass  in  den  irischen  annalen  die  urnordische 
form  (erill)  für  jarl  in  der  form  ereil  vorliegt  (s.  s.  136),  dann 
darf  man  sich  über  meine  annähme,  dass  in  der  Schreibung 
teinm  leegda  der  alte  flexionsunterschied  im  auslaut  teinor  leegder 
unverstanden  bewahrt  ist,  nicht  wundern,  irisches  m  und  b 
waren  im  beginn  des  9jhs.  zwischen  tönenden  elementen 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  153 

schon  zur  tönenden  lahialspirans  v  geworden,  woher  man  Rus 
Tryggvasonr  im  irischen  als  Rus  mac  Tricim  (dh.  nord.  Tryggve 
mit  Trigpv)  gab  (s.  oben  s.  56  anm.).  war  das  erste  der  tönenden 
elemenle  ein  consonant  (r,  nasal,  media)  und  der  ursprünglich 
auf  b,  m  folgende  vocal  in  folge  auslaulsgesetzes  geschwunden, 
so  vocalisierte  sich  die  aus  m,  b  entstandene  labialspirans  (o,  u): 
so  wird  also  in  der  ältesten  widergabe  ir.  teinm  leegde1  ein  ur- 
nordisches *teinoR  IcegdeR  repräsentieren. 

Hier  ist  also  an  einem  eclatanten  beispiel  die  nordische 
herkunft  eines  bisher  dem  heidnischen  irischen  altertum 
zugeschriebenen  brauches  nachgewiesen,  die  consequenzen  daraus 
muss  man  ziehen,  gewis  war  auch  in  Irland  durch  die  Jahr- 
hunderte (400  —  800)  mancher  aus  heidnischer  zeit  stammende 
brauch  unverstanden  erhalten  geblieben,  aber  dieses  krasse  heiden- 
tum,  wie  es  uns  fürs  10  jh.  aus  der  litteratur  in  zauber-  und 
segenssprüchen  mit  ihrer  wunderbaren  ähnlichkeit  mit  germani- 
schen Zaubersprüchen  entgegentritt,  sind  nicht  jene  unverstandenen 
irischen  brauche"2:  das  ist  das  heidentum  der  vikinger-Iren  (Gall- 
Gaedil,  Fene,  echtarchenel,  fortuatha),  welches  nur  unverstandenes 
Christentum  als  leichte  decke  einhüllte,  für  das  10/11  jh.  lag  es 
nach  assimilierung  dieser  fremden  massen  nahe,  die  erinnerung 
an  diese  heidnischen  brauche  aus  dem  alten  irischen  altertum 
vor  einführung  des  Christentums  herzuleiten  und  den  während 
des  8  — 10  jhs.  zum  bekehrer  Irlands  von  Armagh  emporge- 
schwindelten Patrick  (s.  s.  75  ff  und  anm.  zu  s.  76)  als  den 
vertreiber  anzusehen. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  der  letzten  noch  incommensurablen 
gröfse  in  der  älteren  Finnsage:  Finn  steckt  seinen  daumen 
in  den  mund  und  verkündet  dann  das  bisher  dunkle  und  ver- 
hüllte, der  erzähler  der  geschichte  im  Sanas  Cormaic  s.v.  orc  treith 
verbindet  dies  mit  der  ceremonie  von  dem  teinm  leegda  (s.  s.  149), 
weil  er  offenbar  beides  in  der  ursprünglichen  bedeutung  nicht 
mehr  verstand;  auch  in  der  Laud  610  fol.  122",  1  ff  erhaltenen 
erzähl ung  vom  tode  Finns  —  die  übrigens  wol  kaum  ins  11  jh. 

1  so  (leegde)  müssen  wir  statt  twgda  des  10/lt  jhs.  für  anfang  des 
9  jhs.  im  irischen  schreiben. 

2  süd -Irland  ist  sicher  im  3/4 jh.  christlich;  hier  also  konnte  in  der 
ersten  hälfte  des  9  jhs.  doch  nicht  mehr' tatsächliches  heidentum  vorhanden 
sein,  ebenso  wenig  wie  zb.  in  Deutschland  im  12/13  jh. 


154  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

zurückgehen  kann1,  da  sie  Finn  als  eine  art  oberfeldherrn  Cormacs 
kennt!  —  wird  beides  verbunden,  aber  aus  'den  daumen  in  den 
mund  stecken'  ist  geworden  'den  daumen  unter  den  Weis- 
heitszahn (fodetfis)  legen.'  in  dieser  form  kehrt  der  zug  in 
Accallam  na  senörach  und  anderen  texten  des  15  jhs.  sehr  oft 
wider;  er  ist  aber  in  dieser  form  —  die  ja  auch  die  jüngere 
der  Überlieferung  nach  ist  —  offenbar  nur  eine  deutung  des  un- 
verständlich gewordenen  ausdrucks:  den  daumen  in  den  mund 
stecken,  was  soll  letzterer  besagen?  den  Schlüssel  hat  uns  ein 
jüngerer  text  des  14/15  jhs.  bewahrt,  die  Laud  610  fol.  1 18% 
2 — 121b,  1  erhaltenen  Macgnimartha  Find  'jugendtaten  des  Finn'. 
dieser  text  gehört  als  ganzes  in  die  categorie  der  oben  s.  42  bis 
47  betrachteten  texte  der  jüngeren  Finnsage:  idee  und  com- 
position  ist  n  achbil düng  eines  textes  der  alten  nord- 
irischen heldensage  (Macgnimartha  Conculaind  'jugeudtaten 
des  Cuchulinn'  LU  59%  5— 63%  45  =  LL  62a,  18—68%  21),  und 
auch  ein  teil  des  materials  ist  dem  älterentext  ent- 
nommen oder  nachgebildet,  ganz  wie  ich  dies  oben 
s.  44  —  47  für  Cath  Finnträga  nachgewiesen  habe,  ich  führe 
nur  als  sofort  in  die  äugen  springend  an2:  R.  c.  v  199,  episode 
8—  10  =  LU  59%  21  ff,  verbunden  mit  LU  60%  41 —61%  15; 
R.  c.  v200,  episode  12  =  LU  62\  30  —  43.  aber  diese  ent- 
lehnungen  und  nachbildungen  des  materials  der  alten  sage  kommen 
hier  weniger  in  betracht  als  die  in  den  rahmen  eingefügten 
episoden  aus  Finns  jugend,  die  nicht  der  älteren  sage  nach- 
gebildet   sind3,   vornehmlich    die  episode  18  (Revue  cell.  v201): 

1  Laud  610  fol.  12 lb,  1  —  122b  ende  stammt  nicht  aus  dem  Saltair 
Caisil,  da  der  Schreiber  zu  ende  von  fol.  116  ausdrücklich  bemerkt,  dass  er 
alles,  was  er  von  dem  alten  buch  Saltair  Caisil  finden  konnte,  in  seine 
hs.  aufgenommen  habe,  es  folgen  dann  texte  der  Finnsage,  die  ihrer 
spräche  nach  sich  sofort  als  jünger  ausweisen  denn  die  von  fol.  93  an 
aus  dem  Saltair  Caisil  abgeschriebenen  texte  der  sagenhaften  geschichte 
Munsters.  —  mit  bezug  auf  Kuno  Meyer,  Cath  Finnträga  s.  72  bemerke  ich, 
dass,  wenn  der  975  gestorbene  Cinaed  hua  Artacain  den  tod  Finns  (aided 
Finn)  erwähnt,  doch  daraus  nicht  folgt,  dass  er  diesen  text  des  15 jhs. 
oder  eine  ältere  erzählung  der  art  muss  gekannt  haben,  weil  der  titel  des 
textes  Aided  Finn  ist.     der  sehluss  wäre  absurd. 

2  die  Macgnimartha  Find  sind  zuerst  von  O'Donovan  gedruckt  und  über- 
setzt in  der  Ossianic  society  iv  288  —  303.  einen  correcteren  textabdruck  hat 
Kuno  Meyer,  Revue  celtique  v  197  — 204  gegeben;  nach  diesem  citiere  ich. 

3  dass  schon  im  10  und  noch  mehr  im  11  jh.  von  dem  repräsentanten 


KELTISCHE  BEITRAGE  III  155 

Ceilebraid  Finn  do  Crimall  ocus  luid  roime  d'foglaim  eicsi  co 
Finneces  roboi  for  Boin . . .  Secht  mbliadna  do  Finnecis  for  Boin 
oc  urnaige  iach  Linne  Feie;  air  dobui  a  tairngire  do  eo  Feie  do 
tomailt  ocas  cen  ni  na  ainfis  itir  iarum.  Früh  in  mbradan  ocus 
roherbad  doDemne  immorro  in  bradän  dofuine  ocus  asbert  infile 
fris  cen  ni  donbradan  dotomailt.  Dobert  in  gilla  do  anbradan 
iarnafuine.  Inartomlis  nl  donbradan,  a  gilla?  ol  infile.  Nito, 
ol  ingilla ,  acht  moordu  doloisces  ocus  doradus  imbeolu  iartain.  Cia 
hainm  fil  ortsa ,  a  gilla?  ol  se.  Demne,  ol  ingilla.  Finn  do  ainm, 
olse,  a  gilla,  ocus  is  duit  tucad  inbradan  diatomailt,  ocus  istu  in 
Find  cofir.  Toimlid  ingilla  inbradan  iartain.  Ised  sin  tra  dorat 
infis  doFinn  ./.  antan  dobered  aordain  inabeolu  ocus  nochana  tria 
teinm  laega  ocus  nofaillsithea  do  inni  nobid  naainfis.  Rofogluim- 
sium  in  treide  nemtigius  filid ./.  teinm  laega  ocus  imus  forosna 
ocus  dicedul  dicennaib.  Isann  sin  doroine  Finn  inlaigsi  oc  fromad 
a  eicsi :  Cettemain  cain  ree  usw.  'Finn  nimmt  von  Crimall  ab- 
schied und  geht  vor  sich  hin  zu  Finn  dem  dichter,  der  an  der 
Boyne  lebte,  um  die  dichtkunst  zu  lernen.  7  jähre  hielt  sich 
Finn  der  dichter  an  der  Boyne  auf  und  wartete  auf  den  lachs 
von  Linn  Feie,  denn  es  war  ihm  prophezeit  worden,  dass  er 
den  lachs  von  Linn  Feie  essen  solle  und  dass  kein  ding  über- 
haupt ihm  von  da  an  unbekannt  sei.  der  lachs  wurde  gefunden 
und  Demne  ward  beauftragt,  den  lachs  zu  kochen,  und  der 
dichter  sagte  ihm,  ja  nichts  von  dem  lachs  zu  essen,  der  junge 
mann  brachte  ihm  den  lachs,  nachdem  er  gekocht  war.  hast 
du  nicht  etwas  von  dem  lachs  gegessen,  o  junger  mann?  sagte 
der  dichter,  nein,  sagte  der  Jüngling,  ich  habe  blofs  meinen 
daumen  verbrannt  und  ihn  darauf  in  meinen  mund  gesteckt, 
welches  ist  dein  name,  o  Jüngling?  sagteer.  Demne,  sagte  der 
junge  mann.  Finn  soll  dein  name  sein,  o  Jüngling,  sagte  er, 
und  dir  ward  der  lachs  zum  essen  bestimmt  und  du  bist  der  wahre 
Finn.     der   junge    mann    afs   darauf  den    lachs.     dies 

des  vikingertums  (s.  s.  148)  viele  geschichten  umliefen,  ist  natür- 
lich und  wird  auch  durch  LL  296b,  18,  einen  text,  der  Finns  anknüpfung 
an  den  clan  der  O'Baiscne  noch  nicht  kennt,  direct  bestätigt,  daraus  nun, 
dass  LL  144b,  30  in  der  Weltgeschichte  in  niemorialversen  des  Gilla  in 
chomded  hau  Curmaic  (anfang  des  12jhs.)  anspielungen  auf  geschichten, 
von  denen  die  eine  oder  andere  mit  einer  episode  aus  der  rahmenerzählung 
Macgnimarlha  Find  identisch  sein  wird,  vorkommen,  darf  man  auf  einen 
text,    wie  die  rahmenerzählung  des  14/15  jhs.,  keinen   schluss  ziehen. 


156  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

verlieh  dem  Finn  das  wissen,  dh.  wenn  er  seinen  daumen 
in  seinen  mund  steckte  und  vermittels  des  teinm  laega  sang, 
dann  wurde  ihm  offenbar  die  sache,  welche  ihm  unbekannt  war. 
er  lernte  die  drei  dinge,  welche  einen  dichter  ausmachen,  nämlich 
teinm  laega  und  imbas  forosnai  und  dichetal  dichennaib.  darauf 
machte  Finn  folgendes  gedieht,  um  seine  dichtkunst  zu  erproben, 
maientag  eine  schöne  zeit'  usw. 

Diese  erzählung  ist  von  grofser  Wichtigkeit,  weil  sie  uns 
einen  tiefen  blick  tun  lässt  in  die  art,  wie  die  zweite  periode 
der  entvvickelung  der  Fiunsage  (s.  s.  31  ff.  39  ff)  die  drei 
demente  mischt,  aus  denen  sich  bis  zum  15  jh.  wesent- 
lich die  Finnsage  zusammensetzt:  1)  die  historische  grund- 
lage  des  9  jhs.  in  bezug  auf  person  und  zustände;  2)  die  aus 
der  nordischen  sage  stammenden  elemente;  3)  die  erzähluugeu 
der  alten  nordirischen  heldensage  und  der  sagen  des  mytho- 
logischen cyclus.  der  hauptheld  der  alten  nordirischen 
heldensage  Cuchulinn  hatte  als  kind  einen  anderen 
namen  gehabt  (Setanta)  und  den  n a m e n  Cuchulinn  von 
einer  berühmten  tat  erhalten,  die  er  als  Gjähriger 
junge  vollbrachte,  wie  in  den  'jugendtateu  Cuchulinns'  (LU 
60a,  38 — 61%  16  =  LL  63%  20— 64b,  5)  erzählt  wird,  so  wurde 
denn  auch  im  11  jh.  von  dem  auf  den  historischen  vikinger- 
räuberhauptmann  Caittil  Find  zurückgehenden  sagenhelden  Finn 
behauptet,  er  habe  als  kind  einen  anderen  namen  gehabt,  Demne 
(LU  42b,  11).  damit  war  grund  gegeben  zu  geschichten  für  die 
namenänderung.  der  verf.  des  textes  Macgnimartha  Find  kannte 
zwei  dahin  zielende  erzählungen ,  die  er  stupid  vereinigt,  in 
episode  8,  9  (Rev.  celt.  v  199),  die  eine  offenkundige  nachahmung 
der  ersten  knabentat  Cuchulinns  ist  (LU  59%  21  ff  =  LL  62% 
45  ff),  erhält  Demne  den  namen  Finn,  weil  er  von  den  knabeu, 
die  er  im  fufsballspiel  besiegt  hat,  beschrieben  wird  als  'hübscher 
weifser  junge'  (maccaem  tuchtach  find),  diese  erzählung  von  der 
namenänderung  ist  also  nach  motiv  und  Stoff  nachahmung 
der  alten  nordirischen  sage,  der  erzähler  unseres  textes  nennt 
den  neiden  von  da  an  immer  Finn  und  so  beginnt  denn  auch 
die  oben  gegebene  episode  damit,  dass  sie  Finn  von  Crimall 
abschied  nehmen  lässt,  um  bei  Finn  eces  (Finn  dem  dichter)  an 
der  Royne  dichtkunst  zu  lernen,  hier  hat  der  verf.  der  rahmeu- 
erzählung  ungeschickt  eine  andere  geschichte  über  die  namen- 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  157 

änderung  eingefügt,  denn  die  episode  kennt  plötzlich  nur  einen 
dichterlehrling  Deimne  und  erzählt,  wie  er  zum  namen  Finn 
kommt,  diese  zweite  geschichte  ist  dem  stoff  nach  die  originalere 
und  sehr  lehrreich,  wir  haben  oben  s.  146  ff  gesehen,  dass  es 
in  der  form  der  epischen  erzählung  liegt,  dass  dem 
Finn  in  den  erzählungen  des  9  und  lOjhs.  die  lyrischen  und 
dramatischen  momente  in  gebundener  rede  in  den  mund 
gelegt  werden  ebenso  wie  den  anderen  handelnden  personen, 
und  dass  man,  wol  schon  im  11  Jh.,  aus  dieser  älteren,  echt 
irischen  form  der  epischen  erzählung  den  falschen  schluss  auf 
Finn  als  dichter  zog.  wir  haben  ferner  s.  149  ff  gesehen,  wie 
mit  der  vollen  assimilierung  der  vikinger-Iren  und  dem  allmäh- 
lichen verschwinden  der  heidnischen  nordgermanischen  gebrauche 
beim  wahrsagen  (also  wol  seit  der  zweiten  hälfte  des  11  jhs.) 
das  Verständnis  von  teinm  Iwgda  und  den  anderen  gebrauchen 
(imbas  forosnai  und  dichetal  dochennaib)  verloren  gieng,  und 
dass  man  in  den  dunklen  Worten  und  abrupten  versen  das 
wesen  der  sache  sah.1  da  nun  teinm  leegda  und  imbas  forosnai 
in  den  erzählungen  des  10  jhs.  mit  Finn,  naturgemäfs  wie  wir 
sahen,  immer  verknüpft  sind,  drängte  auch  dies  dazu,  in  Finn 
einen  dichter  zu  sehen,  dichtkunst  ist  aber  in  Irland  im  11  jh. 
ein  handwerk:  compeudien  der  Weltgeschichte  und  universal- 
geographie  werden  in  versen  abgehandelt  (vgl.  Zs.  f.  vgl.  sprachforsch. 
28,680)  und  alle  hervorragenden  irischen  dichter  des  ausgehenden 
10,  des  11  und  12  jhs.  stehen  als  dichter  nicht  höher  als  bei- 
spielsweise Zumpt  in  unserem  jh.  in  Deutschland,  war  also  Finn 
der  sagenheld  ein  dichter,  dann  muste  er  nach  der  anschauung 
des  11/12  jhs.  irgendwo  sein  handwerk  gelernt  haben,  und  dies 
um  so  mehr,  da  er  so  schwer  verständliche  dichtungen  verfasst 
hatte,  wie  nach  ausweis  der  Überlieferung  die  in  die  erzählungen 
des  9/10  jhs.  eingestreuten  poetischen  stücke  im  12  jh.  schon 
waren,  mit  dieser  erlernung  der  dichtkunst  liefs  sich  die  namen- 
änderung,  die  man  auf  grund  von  einwilrkung  der  nordirischen 
sage  für  notwendig  hielt  und  erfand,  hübsch  verbinden,  im 
1  dies  ist  auch  bei  dem  erzähler  der  episode  18  unseres  textes  der 
fall:  er  lässt  Finn  durch  das  teinm  laega  singen,  also  das  Hcinm  des 
liedes',  denn  dass  laega  (schlechte  Orthographie  für  laeda,  welche  möglich, 
da  so  genanntes  aspiriertes  #•  und  d  in  dem  laut  /  engl,  y  zusammenfallen) 
der  genitiv  zu  laeg  f=  laid)  sein  soll,  erhellt  daraus,  dass  in  dem  folgenden 
satz  'daraus   machte  Finn  folgendes  gedieht'  geschrieben  ist  in  In  ig  si. 


158  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

11  jb.  war  aber  der  sagenheld  Finn  schon  in  die  sage  des  2/3  jhs. 
versetzt  (s.  oben  s.  116  ff),  einen  strengen  unterschied  zwischen 
Wahrheit,  dichtung  und  lüge  haben  ja  in  Irland  weder  die  diener 
der  ewigen  noch  die  der  zeillichen  Wahrheit  gemacht,  wie  wir  dies 
des  öfteren  constatierten.  die  Finnsage  miiste  kein  irisches  product 
des  9  — 15  jhs.  sein,  wenn  man  nicht  im  11/12  jh.  die  eben 
blofsgelegten  fäden  verknüpft  hätte,  die  Leinstersage  bot  sich 
von  selbst  dar.  in  Leinster  herschte  zu  der  zeit,  als  das  haupt- 
ereignis  der  alten  sage  sich  abspielte,  der  raub  der  linder  von 
Cualnge,  als  provinzialkönig  Finn  mac  Rossa:  er  war  an  der 
Schlacht  bei  Ross  naRlg  gegen  die  Ulsterleute  beteiligt  (LL  173b, 
26  ff ;  174\  12  ff;  178a,  13);  er  war  zugegen  bei  der  Versamm- 
lung irischer  teilkönige,  die,  um  dem  interregnum  ein  ende  zu 
machen,  einen  kleinen  Ulsterregulus  Lugaid  Riabnderg  zum  ober- 
könig  wählten  (LU  46\  13ff);  sein  grofsvater  war  der  sagenhafte 
irische  oberkönig  Nuadu  Necht  und  sein  söhn  Conchobar  wurde 
nach  des  genannten  Lugaid  tode  oberkönig.  wie  man  dazu  kam, 
diesen  Finn  mac  Rossa  auch  zu  einem  dichter  zu  machen,  weifs 
ich  nicht;  tatsache  ist,  dass  er  LL  200a,  30  ff  als  file  auftritt  und 
ein  kleines  gedieht  verfasst,  und  dass  in  Rawl.  B  502  fol.  64, 
einer  hs.  des  12  jhs.,  ein  gedieht  —  welches  den  Stammbaum 
des  Loegaire  Lore,  der  ein  sagenhafter  irischer  oberkönig  um 
500  vor  Chr.  geburt  war  und  auf  den  die  angesehenen  Leinster- 
familien  ihren  Stammbaum  zurückführen  (LL  22a,  26;  35b,  25  ff), 
auf  Adam  zurückleitet —  diesem  königlichen  dichter  Finn 
mac  Rossa  zugeschrieben  ist.  da  nun  für  die  irischen  sagen- 
fabricanten  des  ll/12jhs.  das  wort  der  schrift  gilt,  dass  1000  jähre 
vor  ihnen  sind  wie  ein  tag  und  wie  eine  nacht,  die  gestern  ver- 
gangen ist,  so  können  wir  uns  nicht  wundern,  wenn  sie  den 
ins  2/3  jh.  versetzten  sagenhelden  Finn  zu  diesem  dichter  (file) 
Finn  in  die  lehre  gehen  lassen:  also  der  zu  Cairbre  Lifeochairs 
zeit  rüstige  vikingerführer  Finn  (LL  296a,  48  ff)  ist  zur  zeit 
von  dessen  urgrofsvater  Conn  Cetchathach  geboren  (LU  42\  4  ff) 
und  bei  dem  noch  150  jähre  älteren  dichter  Finn  in  die  lehre 
gegangen!  hier  also  lernte  Finn  der  sagenheld  die  dichtkunst  und 
empfieng  den  namen,  unter  dem  er  berühmt  wurde,  was  nun 
das  zum  schluss  der  episode  erwähnte  gedieht  anlangt,  in  dem 
Finn  gewisser  mafsen  sein  meisterstück  ablegte,  so  habe  ich 
schon   Gott.  gel.  anz.  1887   s.  190   darauf  hingewiesen,   dass  es 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  159 

uicht  nur  inhaltlich  mit  dem  Finn  in  der  oben  s.  146  ff  aus 
Rawl.  B  502  fol.  60%  1  behandelten  erzählung  in  den  mund  ge- 
legten preis  des  frühlingsanfangs  übereinstimmt,  sondern  ganze 
Zeilen  sogar  mit  ihm  gemein  hat.  es  ist  also  wol  aus  einer  ähn- 
lichen älteren  Finnerzählung  genommen  und  in  der  episode  der 
Macguimartha  zum  meisterstück  gestempelt. 

Diese  episode  nun  von  Finns  lehrzeit  bei  dem  dichter  Finn 
gibt  uns  den  Schlüssel  zu  dem  rälsel,  was  es  mit  dem  in  den 
mund  stecken  des  daumens  für  eine  bewandtnis  hat.  es  ist  ein 
unverstandener  zug  einer  bekannten  nordischen 
(germanischen)  sage,  der  junge  Sigurd  hatte  im  auftrage  Regins 
den  Fäfnir  erschlagen;  Regin  schnitt  darauf  Fäfnir  das  herz  aus 
und  beauftragte  den  jungen  Sigurd,  das  herz  Fäfnis  am  feuer 
(vid  funax)  zu  braten,  während  er  schliefe.  'Sigurd  nahm  Fäfnis 
herz  und  steckte  es  auf  deu  spiefs.  als  er  dachte,  dass  es  voll- 
kommen gerüstet  wäre,  und  der  saft  aus  dem  herzen  schäumte, 
da  griff  er  mit  seinem  finger  daran  und  untersuchte,  ob  es  voll- 
kommen geröstet  wäre,  er  verbrannte  sich  und  fuhr 
rasch  mit  dem  finger  sich  in  den  mund.  als  aber 
Fäfnis  herzblut  ihm  auf  die  zunge  kam,  da  verstand 
er  vogelstimme'  (Sigurdr  tök  Fäfnis  hjarta  ok  steikdi  ä  teini. 
Er  hann  hugdi  at  fulhteikt  vceri  ok  freyddi  sveitinn  ör  hjartanu, 

1  altn.  funi  'feuer'  (funheitr,  funristir,  funrögnir)  weist  sich  durch 
die  Übereinstimmung  mit  got.  funa  'feuer'  (funisks)  und  durch  das  daneben 
liegende  furr,  fyr:  alid.  fiur,  alts.  fiur,  ags.  fyr  als  echt  germanisch  aus 
mit  einem  aus  p  regelrecht  verschobenen  f  (gr.  tivq,  armen,  hur  s.  Schmidt, 
Vocalismus  ii271ff).  nun  hat  das  irische  in  den  sagentexten  ein  fune 
in  Verbindungen  wie  ocfune  'beim  kochen,  braten',  iarfune  'nach  dem 
kochen',  dazu  kommt  ein  verb  fninim  'ich  brate,  koche',  von  dem  formen 
gebildet  sind,  als  ob  es  aus  präposition  fo  mit  einer  wurzel  nu  zusammen- 
gesetzt sei  (fonöiset  LL  120a,  13.  123a,  43.  nofonaidfidc  LU  85b,  10.  mucc 
fonaithe  LU  60a,  14.  LL  264a,  14  usw.).  dieses  fuine  steht  in  den 
keltischen  sprachen  vollkommen  isoliert  da;  auch  keine 
etymologie  ergibt  sich,  weder  wenn  man  von  fune.  ausgeht  (ir. /' 
=  \\\A.v)  noch  von  einer  wurzel  nu  mit  fo.  ich  glaube,  dass  redensarten 
wie  n.icfune  'beim  braten'  aus  vikingerausdrücken ,  wie  viit  funa  'am  feuer, 
an  der  flamme',  entstanden  sind:  halt  Fäfnis  hjarta  vid  funa  'halte  Fäfnis 
herz  ans  feuer',  sagt  Regin  zu  Sigurd  (Fäfuismal  27),  dh.  brate  Fäfnis  herz, 
altn.  halda  viit funa  ist  der  ausgang  für  ir.  fune  'das  braten,  kochen',  und 
hieraus  ist  erst  ein  verb  fuinim  entstanden,  das  irische  /'  also  wie  in 
finnaim  =  nord.  finna  nicht  gleich  indogerm.  v,  sondern  gleich  germ.  f  aus 
indogerm.  p. 


160  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

pd  tök  hann  d  fingri  sinum  ok  skynjadi,  hvdrt  fullsteikt  vmri. 
Hann  bran  ok  brd  fingrinum  i  murin  ser.  En  er  hjartblöd  Fdfnis 
kom  d  tungu  hdnum  ok  skildi  hann  fugls  rödd)  Fäfnismäl  prosa 
nach  Strophe  26  —  32.  Sigurd  gelangte  durch  das  Verständnis 
der  vogelrede  zur  kenntnis  von  Regins  vorhaben,  schlug  ihm 
den  köpf  ah,  als  dann  Fäfnis  herz  und  erfuhr  aus  der  adlerinnen 
rede  von  seiner  zukunft  (Fäfnismäl  str.  32  ff,  Völsunga  saga 
cap.  19;  man  vergleiche  Thidreks  saga  cap.  166  für  die  jüngere 
Nibelungensage),  diese  episode  der  Nibelungensage  wurde  in 
Irland  ebenso  wie  die  ganze  sage  im  9jh.  bekannt,  wie  ich  Zs.  32, 
289 — 334  gezeigt  habe,  zwei  dinge  hafteten:  das  den  finger  in 
den  mund  stecken  und  die  erlangung  verborgener  kenntnis;  alles 
andere  blieb  unverstanden  und  fiel  daher  weg.  so  wurde  Finn, 
der  sagenheld  der  vikinger-Iren  (Gall-Gaedil),  heraus- 
geputzt mit  zügen  des  haupthelden  der  germani- 
schen heldensage  (Sigurd)  und  des  haupthelden  der 
alten  nordirischen  heldensage  (Cuchulinn),  wie  er  ja 
auch  nach  alter  tradition  söhn  eines  vikingerjarls  und  einer 
schönen  Irin  ist  (LU  41%  10  —  42b  ende),  die  episode  in  den 
'jugendtaten  Finns'  bewahrt  die  nordische  sagenepisode  in  ir.  Um- 
bildung, aber  dem  wesen  nach  auch  unverstanden,  aus  dem 
'den  finger  in  den  mund  legen'  ward  im  weiteren  verlauf  'legen 
des  daumens  unter  den  Weisheitszahn'  (detfis). 

Durch  die  ergebnisse  der  Untersuchung  von  s.  108  bis  hierher 
ist  die  s.  30  —  51  noch  offen  gelassene  lücke  in  der  kette  der 
beweisführung  geschlossen.  Finn  mac  Cumaill  (Fingal),  der  ge- 
feierte irische  und  schottische  sagenheld,  ist  seinem  Ursprung 
nach  jener  führer  der  vikingerhorden  in  Irland  um  die  mitte  des 
9  jhs.  Ketill  Hviti  —  Caittil  Find,  der  856  (857)  von  dem  tat- 
sächlichen oberkönig  Irlands,  dem  Dubliner  vikingerherscher 
Amlaib,  in  Munster  (Gabair  in  grafschaft  Limmerick)  vernichtet 
wurde,  er  war  der  sagenheld  der  vikinger-Iren  (Gall-Gaedil, 
Fena)  süd -Irlands  ursprünglich,  und  je  mehr  diese  sich  den 
Iren  assimilierten,  wurde  er  auch  irischer  sagenheld:  auf  ihn  über- 
trugen die  Iren  in  der  ersten  hälfte  des  10  jhs.  alles,  was  ihnen 
von  dem  tun  und  treiben  der  heidnischen  Nordgermanen  als 
characteristisch  in  der  erinnerung  haftete,  die  freude  an  stürm 
und  kälte,  die  wahrsagerei;  auf  ihn  häuften  die  irisierten 
vi  kinger,  was  vom  vater  oder  grofsvater  ihnen  aus  Nordlands 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  161 

sagen  erzählt  worden  war.1  das  ausgehende  10  jh.  knüpfte  ihn 
zuerst  in  loser  weise  an  die  Munster-  und  Leinstersage  des 
2/3  jhs.  nun  war  er  der  geeignete  träger  einer  pangälischen 
1  ich  möchte  darauf  hinweisen,  dass  wir  uns  natürlich  diese  vikingtr- 
Iren  norwegischer  herkunft,  wie  sie  besonders  in  den  ersten  50 jähren 
vor  errichtung  einer  festen  herschaft  in  Dublin  überall  unter 
den  Iren  sich  ansiedelten,  als  die  hauptsächlichsten  vermittler  der  ältesten 
nordischen  entlehnungen  in  spräche  und  sage  der  Iren  denken  müssen,  ein 
solcher  etwa  um  840  in  Munster  oder  Leinster  einem  halbwegs  angesiedelten 
vikinger  und  einer  Irin  entsprossener  vikinger-Ire  (Gall-Gaedel)  mochte  ein 
ähnlich  arg  mit  nordischen  Wörtern  durchsetztes  irisch  reden,  wie  es  in 
manchen  sagentexten  von  LL  nach  meinen  nachweisen  in  nr  i  dieser  bei- 
trage vorliegt;  ein  solcher  vikinger-Ire  konnte  die  ihm  vom  vater  er- 
zählte germanische  Sigfridsage  in  der  weise  in  die  erzählungen  der  alten 
nordirischen  heldensage  verweben ,  wie  ich  es  aao.  nachgewiesen  habe.  Zs. 
32,  329  ff  bestimmte  ich  das  jähr  975  als  den  zeitpunct,  in  welchem  die 
Umgestaltung  des  wichtigsten  alten  sagentextes  der  Iren  (der  Täin  bö 
Cüalnge)  durch  eindringen  der  Nibelungensage  spätestens  muss  bekannt 
gewesen  sein,  ich  kann  jetzt  ein  älteres  und  interessanteres  zeugnis  an- 
führen: der  ortsname  Ath  Firdiad,  heutigen  tages  Ardee  in  der  grafschaft 
Louth,  kommt  zum  ersten  mal  in  den  annalen  942  Chronicon  Scotorum 
=  941  Vier  meister  vor:  Blacair,  der  führer  der  Dubliner  vikinger,  tötet 
den  mächtigen  könig  von  Ailech ,  Muirchertach  (Ecloir  iarthair  betha 
'Hector  des  westens  der  weit'  setzen  die  Ulsterannalen  942  hinzu)  bei  Ath 
Fhirdiad.  es  muste  also  942  schon  seit  einiger  zeit  die  hauptumgestaltung 
der  Täin  bö  Cüalnge  stattgefunden  haben  ,  da  die  sage  bereits  die  fürt  locali- 
siert  hatte,  wo  Cuchulinn,  der  hauptsagenluld  der  Iren,  den  hauptsagen- 
helden  der  vikinger  Iren  Ferdiad  conganchnessach  'den  mit  homhaut 
versehenen  Aibelung'  (Sigfrid)  getötet  hatte,  noch  ein  moment  spricht  für 
die  aufnähme  der  germ.  sagenelemente  in  die  ir.  heldensage  in  einer  frühen 
periode  der  vikingerzeit.  nachdem  die  vikinger-Iren  etwas  assimiliert 
waren  und  nachdem  sie  mit  den  Iren  dasselbe  interesse  gegen  die  ober- 
herschaft  in  Dublin  verband  (also  von  852  an),  wird  man  die  sagenhelden 
dieser  vikinger-Iren  von  seilen  der  echten  Iren  nicht  als  feinde  der  alten 
irischen  sagenhelden  gedacht  haben,  so  treten  denn  auch  Cuchulinn  und 
Sigfrid  (Ferdiad  conganchnessach)  als  blutbrüder  in  der  Täin  auf, 
die  nur  ein  widriges  geschick  zum  kämpfe  zwingt  (s.  Zs.  32,  303  —  312); 
also  eine  Widerspieglung  der  tatsächlichen  Verhältnisse  um  860.  darin  aber 
spricht  sich  die  renommisterei  der  Iren  aus:  im  Fled  Bricrend  lassen  sie 
den  Cuchulinn  als  höchste  leistung  den  Hercules  (Ercoil)  besiegen, 
in  Täin  bö  Cüalnge  ist  Cuchulinns  höchste  und  letzte  leistung,  nach 
der  er  in  todesohnmacht  fällt,  die  besiegung  Sigfrids  (Ferdiad  conganch- 
nessach). schliefslich  sei  tioch  auf  einen  zug  hingewiesen,  der  mir,  als 
ich  meinen  ersten  aufsatz  schrieb,  nicht  ganz  klar  geworden  war:  in  der 
Täin  bö  Cüalnge  sind  die  nordischen  söldner  aus  Hiruath,  dh.  Norwegen, 
Höritaland ,  in  Cath  Ruiss  na  llig  sind  die  bundesgcnosseii  Conchobars  aus 
Z.  F.  D.  A.    XXXV.    N.  F.    XXIII.  11 


162  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

heldensage  von  den  höhen  Argyles  bis  zu  den  buchten  Kerrys, 
die  verschiedenartigen  elemente,  die  in  der  weiteren  entwickelung 
das  alles  mischende  irische  mittelalter  zur  ausbildung  dieser 
paugälischen  heldensage  verwendete,  habe  ich  s.  31  —  51  be- 
sprochen. 

Als  ich  vor  bald  3  jähren  meinen  ersten  aufsatz  über  die 
Nordgermanen  in  Irland  und  ihren  einfluss  auf  spräche  und  alte 
heldensage  Irlands  (Zs.  32,  196 — 334)  abschloss,  da  schwebte  mir 
manches  von  dem  weitgehenden  einfluss  unserer  germanischen 
Stammesvettern ,  den  ich  jetzt  zum  teil  glaube  klar  gelegt  zu 
haben,  schon  mehr  oder  weniger  dunkel  vor.  bei  dem  offen- 
kundigen Widerwillen,  ja  hass,  der  von  einer  mächtigen  clique 
auf  keltischem  gebiet  meinen  arbeiten  entgegengebracht  wird, 
habe  ich  mich  gehütet,  das  damals  sichere  durch  vorführen  des 
damals   mir   wahrscheinlichen    zu    compromittieren.1     ich    wollte 

Lochlann  'Dänemark'  (Zs.  32,220  —  239).  da  der  name  Hiruath  (Hiröta) 
früh  vollständig  verschwindet,  so  haben  wir  einen  neuen  beweis,  dass  die 
Umgestaltung  der  Täin  bö  Cüälnge  ins  9jh.  zurückgehen  wird,  jedesfalls 
in  den  vikingereinflüssen  die  zeit  vor  errichtung  des  Dänenstaales  in  Irland 
widerspiegelt.  —  die  nordischen  hilfstruppen  Gonchobars,  die  unter  Amlaib, 
dem  enkel  des  Inscoa ,  demkönig  von  Lochlann,  stehen ,  landen  an  der 
mündung  des  Linn  Luachainne  (LL  172b,  21),  was  ein  punct  in  der 
Dundalkbay  sein  muss,  'vielleicht  am  eingang  in  das  haff,  in  das  der 
Castletown-river  fliefst'  (Zs.  32,225  anm.).  nun  erfahren  wir,  dass  die 
Dänen  850  bei  niederwerfung  der  Norweger  in  Dublin  und  bei  Li  nn  D  uach  ail 
landen:  letzteres  ist  aber  ein  hafen  an  der  küste  von  Louth  'most  probably 
Dundalk  harbour'  (Hennessy,  Ulsterannalen  i  344  anm.  7).  ich  denke, 
Linn  Luachainne  der  sage  in  der  Dundalkbay  und  Linn  Duachail  der 
annalen  wird  identisch  sein,  und  in  LL  172  haben  wir  die  sagenerinnerung 
an  die  Dänenlandung  850,  was  wegen  der  vielen  nordischen  namen 
wichtig  ist. 

1  ich  hatte  mir  an  der  behandlung,  die  mir  in  folge  von  Kelt.  Studien 
lieft  2  Über  altirische  betonung  und  verskunst  zu  teil  wurde,  eine  lehre 
genommen,  meine  entdeckung  des  altirischen  accentes,  wodurch  die  irische 
grammatik  auf  eine  neue  basis  gestellt  wird,  steckte  man  ruhig  ein,  um 
über  den  zweiten  teil  der  Untersuchung  herzufallen,  keiner  der  Don  Quixote, 
die  mich  wegen  meiner  ansieht,  dass  im  altirischen  vers-  und  wortaccent 
zusammenfielen,  lächerlich  zu  machen  suchten,  hat  genug  gelernt,  um  zu 
verstehen,  worauf  es  ankommt,  das  altirische  hat  im  wort  neben  haupt- 
accent  einen  starken  nebenaccent,  der  so  stark  war,  dass  er  im  heutigen 
Munsterdialect  zum  hauptaccent  geworden  ist  und  den  alten  hauptaccent 
zum  nebenaccent  herabdrückte,  also"  für  altes"  (s.  Kelt.  Studien  n 
s.  147 — 153).    dieser  nebenaccent  imworte  ist  im  altir.  für  den  vers- 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  163 

erst  die  würkung  dieser  in  ihren  resultaten  allen  hergebrachten 
anschauungen  über  die  absolute  autochthonie  der  alten  irischen 
heldensage  und  ihre  reinheit  von  fremden  dementen  schnurstracks 
zuwiderlaufenden  Untersuchung  abwarten,  der  erfolg  war  der 
erwartete:  die  resultate  fanden  bei  allen  aufserhalb  jener  clique 
stehendeu  forschem  freudige  Zustimmung;  die  milglieder  der 
clique,  welche  mir  nicht  verzeihen  kann,  dass  ich  vor  9 jähren 
mit  rauher  hand  ihr  thönernes  götzenbild  zerschlug,  spielten  die 
rolle  des  vogels  straufs  gegenüber  den  alles  bisher  geglaubte 
über  den  häufen  werfenden  resultaten  des  aufsatzes;  im  übrigen 
beschäftigten  sie  sich  damit,  weggefallene  z'-tüpfelchen  aufzusetzen, 
bliesen  mucken  zu  elephanten  auf  und  suchten  naiv  den  auf  ihrer 
brille  sitzenden  staub  auf  meiner  arbeit  (s.  Revue  celtique  ix  420. 
x  360  ff),  nirgends  verraten  sie  eine  ahnung  davon ,  dass  alle 
ihre  herbeigeschleppten  bausteinchen  und  sandkörnchen  nur  als 
material  zu  einem  bau  wert  und  interesse  gewinnen.1    ich  kann 

ictus  gleichwertig  mit  dem  hauptaceent:  dass  leute,  die  vom  germani- 
schen gar  nichts  verstehen  und  glauben,  mit  zählen  von  1,  2  an  den  fingern 
lasse  sich  eine  metrik  feststellen,  dies  lächerlich  finden,  ist  traurig  genug, 
übrigens  sind  auch  die  beispiele  gar  nicht  selten,  wo  der  versictus  nur 
auf  den  hauptton  des  wortes  fällt,  ich  führe  zb.  aus  den  in  die  Ulster- 
annalen  eingestreuten  gedichten  an  das  zum  jähre  879: 

Ni  essib  bdss  cen  dölmäi  ni  röact  gnds  comdrbi) 

Air  ladad  tdlam  trebtäcb  for  senchaid  bddid  dmru 

oder  zum  jähre  886: 

Ni  färlaig  tdlam  lögii  ni  Ibdrgai  Temru  liwii 

Ni  täircell  Eriu  irmdr  fer  fö  Mael  minglan  mv.ru,. 

man  vergleiche  noch  die  Strophen  zu  den  jähren  808.  814.  840.  850.  878.  die 
schulmeisterdichter  des  11. 12jhs.  ä  la  Zumpt  (s.  oben  s.  157)  haben 
vielfach  blofs  an  den  fingern  gezählt,  wie  in  Deutschland  die  meistersänger. 
welcher  vernünftige  deutsche  philologe  wird  aber  bei  den  meistersängern 
anfragen,  um  das  princip  der  deutschen  metrik  festzustellen? 

1  seitdem  Schuchardt  und  Bartsch  herrn  D'Arbois  zu  verschiedenen  Zeiten 
und  in  hinblick  auf  verschiedene  Schriften  das  Zeugnis  ausgestellt  haben, 
dass  er  keine  ahnung  habe,  worauf  es  ankomme  —  Schuchardt, 
Zs.  f.  vgl.  sprachforsch.  22,  167:  'der  eigentlichen  Schwierigkeiten, 
welche  mit  dieser  Untersuchung  verbunden  sind,  ist  sich 
D'Arbois  nicht  bewust  geworden'  (1874);  und  Bartsch,  Zs.  f.  rom. 
phil.  in  360:  'diese  darlegung  (D'Arbois)  erscheint  in  einer  achtenswerten 
und  ernsten  Studien  gewidmeten  Zeitschrift...  und  doch  hat  herr  D'Arbois 
de  Jubainville  offenbar  keine  ahnung  davon,  um  was  es  sich  bei 
metrischen  Studien  handelt'  (1879)  — ,  seit  der  zeit  ist  herr  D'Arbois 
ein  grofser  kcltologe  geworden  und  gibt  sich,  wie  nicht  abzustreiten  ist,  red- 

11* 


164  KELTISCHE  BEITRAGE  111 

mir  nicht  versagen,  den  lesern  dieser  Zs.  ein  instructives  bei- 
spiet dafür  vorzuführen,  welch  ein  schuft  in  dieser  kärnertätig- 
keit  zusammengefahren  wird.  Stokes  schreibt  in  der  Academy 
vol.  xxxiv  s.  120  (Dummer  vom  25  august  1888):  'Another  loan- 
word  which  has  puzzled  lrish  scholars  since  the  twelfth  Century 
is  güal  in  the  phrase  öl  ngüala  LU  12 lb  ==  ol  gualai  LL  254b,  29. 
This  is  not  hing  but  the  Auglo-Saxon  geöl  'Yule', 
and  öl  ngüala  means 'Yule- drinking'  the  Old-Norse  j<ila-drykkja 
and,  io  a  secondary  sense,  the  brazen  cauldron  containing  the 
ale  brewed  at  Yule,  the  jöla-öl,  as  the  Norsemen  said.  So  the 
lrish  phrase  oc  öl  ind  iemgüali  LU  12 lb  means  'drinking  the 
after-Yule'  (Anglo-Saxon  ceftera  geöla  a  name  for  January),  and 
prof.  Zimmers  recent  rendering  in  Kuhns  Zs.  30,  54  of  öl  ngüala 
by  'kohlentrinkgelage'  is  one  of  his  many  mistranslations.' 

Diese  wenigen  Zeilen  sind  ein  vortreffliches  specimen  für  die 
art,  wie  Stokes  Wissenschaft  betreibt,  ganz  im  geiste  irischer 
Schriftsteller  des  10  — 12  jhs.,  die  ja  auch  eine  feste  gränze 
zwischen  tatsachen,  phantasievollen  erfindungen  und  bewuster 
Unwahrheit  nicht  kennen,  wie  wir  des  öfteren  sahen,  ich  con- 
statiere  zuerst,  dass  Stokes  in  gewohnter  ehrlichkeit  verschweigt, 
dass  mein  Zs.  32,  196— 334  veröffentlichter  (märz  1888. erschie- 
nener) aufsatz  zuerst  gezeigt  hat,  welche  bedeutung  die  zahl- 
reichen nordischen  und  selteneren  ags.  lehnwörter 
im  altirischen  für  die  sagen  geschiente  haben;  er  gibt 
nachtrage,  ohue  mich  zu  nennen. 

Ich  constatiere  zweitens,  dass  ich  mich  Zs. f. vgl. sprachforsch. 

lieh  mühe,  immer  wider  nachzuweisen,  dass  er  das  zeugnis  auch  auf  diesem 
gebiet  verdient,  so  weist  er  denn  auch  nach  Revue  celtique  ix  421,  dass 
keineswegs  der  germanische  Ursprung  für  alle  von  mir  Zs.  32,265  —  289 
aufgeführten  irischen  Wörter  von  mir  zuerst  erkannt  sei,  dass  zb.  schon 
O'Donovan  und  Windisch  ir.  penning  mit  penny  übersetzten.  ich  will 
herrn  D'Arbois  noch  eine  viel  wichtigere  tatsache  verraten:  im  anfang 
dieses  Jahrhunderts  lebte  in  Dublin  ein  mann  namens  Edw.  O'Reilly;  der- 
selbe verstand  fast  ebenso  wenig  vom  irischen  wie  herr  D'Arbois;  er 
schrieb  ein  irisches  Wörterbuch ,  in  derselben  weise  wie  herr  D'Arbois  seine 
werke  schreibt,  durch  ausschreiben  von  anderer  leute  arbeiten;  nur  darin 
unterschied  sich  dieser  O'Reilly  von  herrn  D'Arbois,  dass  er  in  ehr- 
licher weise  die  leute  nannte,  von  denen  er  seine  Weisheit  hatte,  in  dem 
Wörterbuch  des  besagten  O'Reilly  findet  sich  auch  schon  pingin  'a  penny'! 
und  da  kommt  Zimmer  und  will  uns  mit  seiner  Studie  Zs.  32,  196  —  334 
etwas  neues  lehren,     o  saneta  simplicitas! 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  165 

30,54  (geschrieben  juni  1886)  mit  der  erklärung  von  oZ  guala 
in  LL  254b,  29  gar  nicht  beschäftige,  sondern  in  der 
wegen  des  wortes  nofiurad  gegebenen  Übersetzung  der  stelle 
LL  258b,  14  ff  einfach  in  klammer  bemerke,  dass  'kohlentrink- 
gelage'   die  irische  auffassung  des  12  jhs.  von  olnguala  ist. 

Ich  constatiere  drittens,  dass  ich  zur  zeit,  als  Stokes  obige 
worte  schrieb,  die  richtige  erklärung  von  olnguala,  iarnguala 
schon  gegeben  hatte  in  dem  nachtrag  zu  oben  genannter  Studie 
(Zs.  32,  467.  469,  datiert  2  mai  1888,  erschienen  September  1888), 
eine  erklärung,  die  ich  jetzt  noch  gegen  die  phantasien  von  Stokes 
aufrecht  erhalte. 

Stokes  beweist  mit  seiner  behauptung,  dass  irisch  gual1 
'nothing  but  the  Anglo-Saxon  geöl  Yule'  ist,  einfach,  dass 
er  von  angelsächsischer  lautlehre  nichts  versteht 
und  über  irische  lautlehre  nicht  nachgedacht  hat.  das  angel- 
sächsische hat  bekanntlich  —  ebenso  wie  das  kymrische  —  kein 
eigenes  zeichen  für  den  halbvocal/  (=  engl.?/  im  anlaut) : 
teils  wird  er  wie  im  lateinischen  durch  i  ausgedrückt:  iung, 
iugud,  iül,  iüla  usw.,  teils,  und  zwar  im  westsächsischen  gewöhn- 
lich, durch  g;  diese  letztere  Orthographie  erklärt  sich  leicht 
daraus,  dass  ags.  g  im  anlaut  spirans  (palatal  und  guttural)  ist, 
und  die  zahl  der  durch  g  ausgedrückten  anlautenden  Spiranten 
ist  gegenüber  den  wenigen  indogerm.  und  germ.  Wörtern  mit 
ursprünglicher  spirans  j  so  erheblich,  dass  die  Schreibung  dieser 
alten  spirans  durch  g  natürlich  ist.2  nimmt  man  noch  hinzu, 
dass  der  palatale  halbvocalj  vor  a  und  o  ein  e  (i)  entwickelt  (vgl. 
got.  jiuka  streit,  jiukan  kämpfen,  jiuleis  julmouat),  so  sind  die 
westsächsischen  Schreibungen  geong,  geognd,  geöl,  geöla  klar,  dass 
hier  ge  einen  gutturalen  verschlusslaut  ausdrücke,  wie 
Stokes  bei  gleichsetzung  von  ir.  gual  mit  ags.  geöl  annehmen  muss, 
ist  absolut  ausgeschlossen,  irisch  g  im  anlaut  ist  dagegen 
nur  verschlusslaut  (lat.  g,  gr.  y).  der  alte  indogerm.  halb- 
vocal  j  ist  im  irischen  entweder  spurlos  geschwunden 
(ir.  öac,  öc  =  kymr.  ieuanc,  lat.  Juventus ;  ir.  oa  jünger,  oam  am 

1  dieses  irische  gual  existiert  nur  in  der  phantasie  von  Stokes:  tat- 
sächlich haben  wir  olgualai,  olnguala,  iernguali  zu  erklären. 

2  die  analogie  italienischer  Orthographie  drängt  sich  sofort  auf:  weil 
altes  y  und  g  vor  hellen  vocalen  in  der  ausspräche  zu  palataler  media  (g) 
zusammenfallen,  schreibt  man  gesuita,  gerusalemme,  wie  genle,  generale, 
generoso. 


166  KELTISCHE  BEITRAGE  III 

jüngsten  =  kymr./ew,  ieuaf,  yeuaf)  oder  hat  sich  vocalisiert 
(ir.  ia  ja  =  kymr.  ie,  dh.ye;  ir.  ic  salus  aus  *iac,  wie  öc  aus  öae, 
dec  aus  deac  =  kymr.  iach  sanus,  ieehyt  sanitas,  arem.  jeehet). 
Übergang  eines  indogerm.  j  iu  den  verschlusslaut  g  ist  im  irischen 
unerhört,  ganz  so  werden  die  lehn  Wörter  behandelt 
(s.  Güterbock,  Lat.  lehnwörter  s.  44  ff):  Enair  (januarius),  wie 
oac,  aber  aniacob  (zo  Jacob),  lahiacob  (bei-/a-Jacob),  Eoin  (Johannes), 
wie  ia,  und  hu  aus  *iesu,  wie  tec  aus  *iacc  (=  kymr.  iach).  so 
muste  aus  ags.  geöl  =  nord.  jöl  (vgl.  got.  fruma  jiuleis  'erster 
julmonat'  =  Naubaimbair)  im  irischen  entweder  öl  (ual)  oder 
iol  werden,  es  konnte  aber  unter  keinen  umständen 
gual  werden,  damit  ist  Stokes  erklärung,  die  sich  blofs  auf 
seine  Unkenntnis  aufbaut,  der  boden  entzogen. 

Aber  sehen  wir  einmal  davon  ganz  ab,  wie  denkt  sich  Stokes 
die  entstehung  bei  den  Iren?  das  ags.  geöl,  iül  bezeichnet  nur 
'festum  nativitatis  domini'  und  geöla,  iüla  nur  'Christmas  month', 
Cßftera  geöla  nur  'januar'  (vgl.  got.  fruma  jiuleis  .,.  Naubaimbair) ; 
dagegen  a\ln.  jöl  die  festlicbkeit  in  dieser  zeit  und  was  damit 
zusammenhängt  (zur  zeit  des  heidentums  das  fest  der  Winter- 
sonnenwende, im  Christentum  'Weihnachten'),  es  hat  sich  offenbar 
ein  Ire  im  9  oder  10  jh.  hingesetzt  mit  Skeats  oder  ßosworth- 
Tollers  Wörterbuch  auf  der  einen  seite  und  Cleasby- Vigfussons 
lcelandic-english  dictionary  auf  der  anderen  seite:  lesen  konnte 
er  wie  Stokes  und  in  ags.  und  nord.  zunge  war  er  ebenso  be- 
wandert wie  Stokes.  aus  Skeat  oder  Bosworth  nahm  er  das  g,  die 
bedeutung  aus  Cleasby  und  er  hatte  ir.  gual  und  olnguala  'Yule- 
drinking';  dann  fand  er  bei  Skeat  ein  mftera  geöla  'januar', 
übersetzte  ceftera  richtig  mit  ir.  iarri  (nach)  und  bildete  ein  iarn- 
guala  'Yul-  nachfeier'.  so  etwas  kann  wol  nur  in  den  pbautasien 
eines  geistig  gestörten  vor  sich  gehen ,  aber  nicht  in  würklich- 
keit.  das  schlimmste  aber  ist,  dass  Stokes,  um  seine  phautasieu 
glaubhaft  zu  machen,  nicht  den  mut  hat,  der  Wahrheit  die 
ehre  zu  geben1  und  zuerst  ein  fach  zu  sagen,  was  olgualai, 

1  notwehr  zwingt  mich,  wenigstens  durch  ein  beispiel  nachzuweisen, 
wie  genau  der  juristische  dilettant  es  mit  der  Wahrheit  nimmt,  in  der 
Academy  vom  2  october  1886  (vol.  xxx  228)  gibt  Stokes  eine  nachcollation 
der  von  mir  Glossae  hibernicae  (s.  270  ff)  gedruckten  incantationes  Sangal- 
lenses  und  leitet  diese  ein  mit  den  worten :  'I  found  the  following  discre- 
pancies,  which  may,  perhaps,  be  aecounted  for  by  the  fact  that  prof. 
Zimmer  had  never  seen  the  ms.:   so  the  librarian,  pfarrer  Idtensohn 


KELTISCHE  BEITRÄGE  111  167 

ölnguala,  iemguali  im  irischen  tatsächlich  bedeutet,  es 
handelt  sich  im  ganzen  um  vier  stellen  in  LL  und  LU  und  die 
sind  so  klar,  dass  selbst  ein  anfänger,  wie  ich  bin,  nicht  irren 

assured  me.'  als  echo  erschallt  in  herrn  D'Arbois  Revue  celtique  vn448: 
'le  bibliothecaire  lui  fit  la  surprise  de  lui  apprendre  que  jamais  M.  Zimmer 
ne  s'etait  rendu  ä  Saint-Gall,  ce  qui  explique  les  imperfections  du  texte  des 
incantations  donne  par  Zimmer.'  ich  denke,  die  grundlage  dieser  ehren- 
rührigen insinuation  ist  Stokes  mangelhafte  kenntnis  des  deutschen,  da  ich 
nicht  annehmen  kann,  dass  herr  Idtensohn  so  etwas  sagte:  wir  haben 
mehrfach  briefe  gewechselt,  bis  ich  den  wichtigen  sammelcodex  nr  1395 
nach  Berlin  auf  die  königl.  bibliothek  erhielt  (winter  1880/81); 
dort  habe  ich  ihn  wochenlang  benutzt,  dr  Güterbock  hat  meine  abschrift 
collationiert,  und  die  königl.  bibliothek  in  Berlin  kann  ja  leicht  aus  ihren 
büchern  —  der  codex  war  hoch  versichert  und  geheimrat  Lepsius  trug 
zuerst  überhaupt  bedenken,  auf  die  SGaller  bedingungen  einzugehen  — 
die  bescheinigung  bringen,  dass  ich  den  codex  in  Berlin  hatte,  was  nun 
die  ehrabschneiderei  zu  einer  bodenlos  leichtfertigen  von  Stokes  Seiten  macht, 
sind  folgende  tatsachen:  1)  Glossae  hibernicae  s.  270  gebe  ich  ein  facsi- 
mile  aus  dem  codex  mit  den  worten  'Hae  litterae  accurate  depictae  unum 
versum  in  codice  continent';  dies  facsimile  ist  nach  einer  von  Güterbock 
und  mir  angefertigten  durchzeichnung  geschnitten,  und  da  Stokes  den 
codex  mit  meiner  ausgäbe  collationierte,  muste  er  wahrnehmen,  dass  ich 
den  codex  gesehen  und  benutzt  habe.  2)  in  der  beschreibung  des  codex 
s.  xli  sage  ich  :  'Discerni  possunt  tres  librariorum  manus  saeculi  octavi  vel 
noni;  prima  manus  scripsit  tres  priores  incantationes  usque  ad  finem 
lineae  15;  sequitur  manus  crassior  artisque  scribendi  minus  perita,  quae 
quartam  formulam  adjecit,  quam  equidem  non  e  memoria  librarii  sed  ex  alio 
libro  haustam  esse  crediderim.  Tertius  librarius  penna  acuta  nonnulla  de 
caerimoiiiis,  quibus  incantationes  juvarentur,  addidit';  soll  ich  das  aus  den 
fingern  gesogen  haben?  3)  in  der  praefatio  (datiert  Berolini,  Calendis  Fe- 
bruariis 1881)  schreibe  ich:  Idtensohn  praefectus  bibliothecae 
conventus  SGalli  benigna  i  n  terventio  ne  codicem  formulas 
incantationum  Hibernicas  continentem  transmittendum  cu- 
ravit.  viel  unanständiger  als  Stokes  ist  noch  herr  D'Arbois.  er  hat  meine 
Glossae  hibernicae  nach  allen  richtungen  so  oft  ausgeschrieben,  dass  ihm 
die  eben  angeführten  facta  sicher  gegenwärtig  waren,  der 
Wahrheit  die  ehre  zu  geben,  wäre  verläugnung  seines  ichs  gewesen,  er 
macht  also  aus  Stokes  positiver  angäbe  'the  fact  that  prof.  Zimmer  had 
never  seen  the  ms.' einfach 'que  j  am  ais  M.  Zimmer  ne  s'etait  rendu 
ä  St.-Gall.'  das  ist  ja  an  sich  nicht  unwahr,  aber  durch  verschweigung 
der  tatsache,  dass  ich  die  hs.  in  Berlin  hatte,  bleibt  die  für  mich  ehren- 
rührige insinuation  dieselbe,  während  für  Stokes  die  annähme  möglich  ist, 
dass  er  unter  einfluss  einer  krankhaften  phaulasic  nur  bodenlos  leichtfertig 
gehandelt,  ist  für  herrn  D'Arbois  diese  annähme  kaum  zulässig:  er  ist  mit 
bewustsein  und  Überlegung  ehrabschneider.  von  ähnlichen  ehrenrührigen 
beschuldigungen  seitens  der  herren  Stokes  und  D'Arbois  sowie  ihrer  trabanten 


168  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

kann:  LL  107b,  lüff(=Book  of  Ballymote  24 Sa,  31  ff)  heifst  es 
bei  der  beschreibung  von  Couchobars  palast  in  Emain  Macha  und 
des  darin  herschenden  treibens  tricha  läth  ngaile  inimdai  Con- 
chobair  ocöl.  OInguala  ./.  dabach  Geirg  forlär  intige  bithlän ;  isl 
thucad  aglind  Ge[i]rg  diarort  Gerg  laConchobar  '30  beiden  sind 
auf  Conchobars  lager  beim  trinken  (oc  öl);  olnguala,  dh.  das 
fass  des  Gerg  (befindet  sich)  auf  dem  flur  des  hauses  immer 
(?ganz?)  voll;  es  wurde  aus  dem  tal  des  Gerg  mitgenommen,  als 
Gerg  durch  Conchobar  getötet  (seine  bürg  zerstört)  wurde.'  zwei 
weitere  stellen  beschäftigen  sich  mit  dem  hier  zum  schluss  er- 
wähnten ereignis;  sie  stammen  aus  einem  texte  (LL  253 — 259b), 
der  von  nordischen  lehnwörtern  wimmelt  (s.  Zs.  32,  244.  464). 
als  Conchobar  mit  seinen  nordischen  hilfstruppen  gegen  die  bürg 
des  Gerg  vorrückte,  war  man  dort  im  begriff,  Verlobung  oder  hoch- 
zeitsschmaus  zu  feiern :  isandsin  dano  rosudiged  dabach  umai  thall 
istaig  diarbachomainm  olgualai  iarsin;  et  robas  ocallnad  dondfin;  do- 
rochair  dano  aescra  feig  finnargaü  alläim  indaleman  insindabaig  co- 
rodöirt  atrüonna  darborddaib  'da  nun  wurde  ein  ehernes  fass 
(knie,  kessel)  dort  im  hause  niedergesetzt,  dem  später  (im  verlauf  der 
erzählung)  der  name  olgualai  gegeben  ist,  und  man  war  dabei, 
es  mit  wein  zu  füllen,  es  fiel  nun  dem  schenken  sein  glänzender 
becher  von  weifsem  silber  in  das  fass,  sodass  er  3  wellen  aus  ihm  über 
seine  ränder  verschüttete'  LL  254b,  27 — 31.  Conchobar  stört  die 
festesfreude  und  erobert  die  bürg  et  ataig  Conchobar  lais  inafüair 
dör  7  dargut  7  dindruini  7  dochornaib  7  dochoppanaib  7  descraib  7 
darm  7  detuch.  Rofuc  dano  leis  indabaig  umai  roböi  istig  7  no- 
flurad  forba  Ulad  uili  allän  dolind  7  isria  atberthea  olnguala  la 
Ultu,  fobllh  isteniguail  nobld  in  Emain  istig  inibthea  hl  7  isuad 
roainmniged  Loch  Guala  Umai  in  Barnims  criche  Ulad  arisföi 
ata  indiu  indiamraib  'und  Conchobar  führte  mit  sich  weg,  was 
er  vorfand  an  gold  und  silber  und  zinn(?)  und  hörnern  und 
trinkschalen  und  schöpfgefäfsen  und  waffen  und  rüstung.  er 
nahm  auch  mit  sich  weg  das  eherne  fass,  welches  im 

sind  seit  jähren  Academy,  Revue  celtique  und  Revue  critique  voll,  da  ein 
mensch  wie  herr  D'Arbois  in  einem  satz  die  latsachen  so  verdrehen  kann,  dass 
man  zu  ihrer  richtigstellung  eigentlich  eine  abhandlung  schreiben  müste,  so 
bin  ich  wehrlos,  der  ich  mir  kein  pressbureau  einrichten  kann,  nur  bei 
gelegenheit  kann  ich  einmal  eine  verläumdung,  die  sich  mit  verhältnismafsig 
wenigen  Worten  klar  stellen  lässt,  tiefer  hängen,  im  übrigen  lebe  ich  des 
glaubens  magna  est  veritas  et  praevalebit. 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  169 

hause  war  und  welches,  mit  trank  gefüllt,  sättigte  die  scharen  (?) 
von  ganz  Ulsterland,  und  es  wurde  von  den  Ulsterleuten 
genannt  olnguala,  weil  ein  koh\en(gual)teuer  in  Emain  im 
hause  war,  in  welchem  aus  ihm  getrunken  wurde1,  und  von 
ihm  erhielt  Loch  Guala  Umai  (see  des  ehernen  Guala)  auf  (der 
insel)  Devenish  (im  Loch  Eine)  im  Ulsterland  seineu  uanien, 
denn  unter  ihm  befindet  es  sich  heute  im  versteck'  LL  25Sb, 
12  —  19. 

Bis  hierher  ist  in  bezug  auf  olgualai,  ölngüala  alles  klar; 
auch  die  vierte  und  letzte  stelle  ist  deutlich :  Dlambatär  dino 
Ulaid  fecht  and  inEmain  Maciia  laConchobar  ocöl  ind  iemgüali: 
cet  mbrothe  notheiged  ind  delind  imlräth  cacha  nöna;  basisin 
ölngüala  issi  nofired  Uhu  uli  inoensist  'als  die  Ulsterleute  eines 
tages  beschäftigt  waren  mit  Conchobar  beim  trinken  des  iemgüali: 
hundert  (gewöhnliche)  gebräuevon  trank  (bier)  gie  ngen 
in  es  (dh.  iernguala)  gegen  jeden  abend;  es  war  dieses  das 
ölngüala,  es  sättigte  alle  Ulsterleute  in  einer  weile  (auf  einmal, 
dh.  in  einer  füllung)'  LU  12 lb,  7  ff.  ich  denke,  wenn  man  die 
drei  anderen  stellen  im  äuge  behält,  kann  kein  zweifei  sein,  dass 
iernguala  ein  anderer  name  ist  für  das  'eherne'  ölngüala. 
der  irische  text  mit  basisin  ölngüala  erhebt  es  über  jeden  zweifei, 
dass  zu  dem  masc.  oder  neutr.  iernguala  (gen.  indierngual[a]i)  ein 
femininum  wie  dabach  Mass'  zu  ergänzen  ist.  also  'es  war  dieses 
(eben  genannte  fass  iernguala)  das  (bekannte)  ölngüala.'  da  das 
olnguala  mehrmals  dabach  umae  'ehernes  fass'  genannt  wird 
und  da  iarn  'eisen'  ist,  so  ist  iarnguala  'das  (oder  der)  eiserne 
guala.' 

Dies  sind  die  tatsachen  und  darnach  ermesse  man  Stokes 
phantasie  und  Wahrheitsliebe  vor  einem  urteilslosen  publicum. 

1  darnach  urteile  man  über  die  Unverfrorenheit,  mit  welcher  Stokes  an 
der  in  rede  stehenden  stelle  der  Academy  mich  vor  urteiislosen  lesern,  ohne 
das  material  vorzuführen,  schlankweg  als  einen  Ignoranten  hinstellt, 
ich  habe  Zs.  f.  vgl.  «prachforsch.  30,54  einfach  hinter  ölngüala  in  klammer 
gesetzt  (kohlen- trinkgelage),  um  die  idee  zu  cha  r  a  <■  tcri  s  i  eren  ,  die 
der  Schreiber  von  LL  mit  dem  wort  verband,  ich  hatte  auch 
(kohlentrank)  schreiben  können,  da  Dl  sowol  den  'trank'  als  das  'trinken, 
trinkgelage'  bedeutet,  was  Stokes  an  ähnlichen  beschuldigungen  gegen 
mich  in  der  Academy  seit  1384  vor  seinem  gewissen  zu  verantworten  hat, 
lässt  sich  nicht  auf  eine  kubhaut  schreiben,  semper  aliquid  haeret  bei 
urteilslosem  und  nicht  informiertem  leser. 


170  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

Was  bedeutet  üuü  der  nauie  dieses  fasses  olgualai,  ülngüala, 
ierngüala?  darauf  habe  ich  schon  Zs.  32,  469  uach  Vorführung 
obiger  tatsachen  folgende  antwort  gegeben:  'ölkjöll  (bierschiff) 
hiefs  der  grofse  kessel,  den  Tliörr  nach  der  Hymis- 
kvitfa  bei  Hymir  holte  und  aus  dem  die  äsen  das 
grofse  gelagebeiCEgir  hielten;  ölkjöll  (bierschiff)  na  nnteu 
wol  die  nordischen  führer,  die  im  9  und  10  jh.  am  Loch  Erne 
und  an  vielen  anderen  puncten  Ulsterlands  sich  niederliefsen  und 
mit  Iren  in  berührung  kamen,  ihren  grofsen  braukessel.'  es 
ist  also  Ölkjöll  (bierschiff1)  eine  tatsächliche  nordische  be- 
zeichnung  des  braukessels,  und  aus  einem  nordischen 
olkjölR  des  9jhs.  muste  irisch  einfach  olcüala'1  werden. 

1  darf  ich  daran  erinnern,  dass  in  den  kleinen  ländlichen  brauereien 
meiner  Pfälzer  heimat  noch  heutigen  tages  die  grofsen  eisernen  gefäfse,  in 
denen  das  gebräu  abgekühlt  wird,  'kühlschiff  genannt  werden? 

2  das  a  wie  in  fianna,  fiana  aus  fiandR,  fena  aus  fendR,  earla,  iarla 
aus  earlR.  zu  den  beiden  s.  15  anm.  angeführten,  im  verlauf  noch  nicht  näher 
besprochenen  belegen  für  den  wandel  des  urnord.  R  in  a  im  irischen  sollen 
hier  noch  einige  bemerkungen  folgen,  das  wort  grunna  für  'moor,  sumpf 
kommt  in  der  vikin^erzeit  auf  und  kann  als  characteristicum  des  irischen 
lateiu  gellen,  es  findet  sich  aufser  den  stellen  bei  DuCange  noch:  vier- 
mal bei  Nennius  §  76  (de  mirabilibus  Hiberniae);  Vita  tripartita  des  Patrick 
(Colgan,  Triadis  thaum.  acta  s.  159,  lh);  elfmal  in  den  Acta  sanctorum 
Hiberniae  ex  codice  Salmanticensi  edita  (London  1888)  col.  204,  27 ;  258.  2 
(statim  grues  huc  illuc  in  grunnas  diviserunt  se);  286,28.30;  310,16. 
20.22;  329,37.38;  383,2;  391,10  (wolf  hält  sich  in  grunna  auf);  479,31 
(via  facta  est  eis  per  montes,  silvas  et  grunnas  sine  impedimento).  das 
bisher  unerklärte  wort  ist  aus  der  vikingerbezeichnung  der  in  Irland  überall 
auftretenden  sumpf-  und  moorflächen  grundR  (ags.  fries.  alts.  grund,  ahd. 
grünt)  entstanden,  wie  das  a  im  plur.  fianna  =  fiandR  dazu  führte,  das 
wort  als  feminin  zu  fassen,  so  führte  das  a  im  sing,  grunna  die  flexion 
nach  lat.  a-declination  herbei;  vgl.  auch  nord.  strcete  als  neutr.  jo- stamm 
aus  d  strcete  =  ags.  on  strcete  (oben  s.  106).  —  das  wort  gilla  bezeichnet 
ein  männliches  individuum  im  'burschenalter'  und  hat  ganz  die  doppel- 
bedeutung  des  deutschen 'bursche':  1) 'jungermann' ;  2)'diener'(s.  Windisch, Wb. 
s.  594).  es  spottet  jeder  etymologie  aus  dem  irischen  und  sonstigen  keltischen 
sprachen,  hat  auch  nichts  verwandtes  in  ihnen,  für  die  zeit,  in  der  das 
wort  in  Irland  h  ei  misch  wird  ,  ist  eine  tatsache  lehrreich:  seit  den  ältesten 
Zeiten  ist  es  in  Irland  üblich,  taufnamen  mit  mael  (calvus,  tonsuriert)  zu  bilden : 
Maelpatricc,  Maelbrigtce  usw.;  in  dem  index  zu  den  Annalen  der  vier  meister 
werden  vom  6  —  12  jh.  354  Persönlichkeiten  aufgeführt,  deren  name  mit 
mael  gebildet  ist,  und  zwar  gleichmäfsig  durch  alle  Jahrhunderte,  hier  treten 
nun  namen  mit  gilla  in  concurrenz:  Gillachrist  =  Maelisa,  Gillap/iatraic 
=  Maelpatraic,  Gillabrigtw  =  Maelbrigtce  usw.;  in  dem  index  zu  denselben 
annaleii  finden  sich  56  persönlichkeiten,  deren  name  mit  gilla  gebildet 
ist.  zum  ersten  mal  wird  ein  solcher  name  erwähnt  a.  982:  in 
diesem  jähr  fällt  Gillapatraic ,  der  söhn  des  christlichen  Dänen- 
herschers  von  Wateiford  (Port  Lairge).  im  ausgehenden  10  jh.  kommen 
solche  namen  noch  von  7  Persönlichkeiten  vor.  rechnen  wir  50  jähre  zurück, 
so  kommen  wir  auf  950:  dies  ist  die  zeit,  in  der  die  Christiani- 
sierung der  Dänen-vikinger  vor  sich  geht  (s.  oben  s.  66),  mit 
ihnen  kommen  die  mit  gilla  gebildeten  namen  auf.  es  ist  ahogilla  ursprüng- 
lich ein  dänisch -irisches  wort,  das  um  die  mitte  des  lOjhs.  im  irischen 
heimisch  ist,  aber  dessen  herkunft  aus  der  vikinger- (Dänen-) spräche  noch 


KELTISCHE  BEITRÄGE  III  171 

aus  diesem  olcuala  ist  olgüalai,  olngüala  volksetymologische 
Umbildung:  die  stelle  LL  258b,  12 — 19  zeigt,  dass  mau  bei  dem 
unverständlichen  cüala  an  güal  (gen.  güail)  'die  kohle'  dachte  und 
das  wort  damit  in  Verbindung  brachte,  weil  ein  'kohlenfeuer' 
(tene  guaiJ)  während  des  gelages  im  hause  brannte,  anderer- 
seits war  aus  dem  -nord.  neutrum  öl  (=  ags.  ealu,  alts.  alo  in 
alofat  'bierfass',  mhd.  al  in  ahchaf)  ein  als  genuin  gefühltes 
irisches  neutrum  ol,  öl  'trank'  und  'trinken'  geworden,  wie  ich 
Zs.  32,  466  IT  gezeigt  habe,  so  war  die  volksetymologische 
Umgestaltung  des  aus  dem  nordischen  stammenden  namens  für  einen 
grofsen  bierkessel  olcüala  in  olngüala  gegeben,  es  ist  ja  unstreitig 
olngüala  als  ganzes  gefasst  ('kohlentrinkgelage'  oder  'kohlenfeuer- 
trank')  unsinn,  aber  Hängematte,  eichhörnchen,  ab ent euer  usw.  sind 
als  ganzes  betrachtet  ebenso  unsiun  und  doch  sind  die  einzelnen 
glieder  durch  volksetymologische  umdeutung  entstanden,  damit  ist 
auch  die  andere  bezeichnung  iernguala  vollkommen  klar:  der 
*  olcuala  (olngüala)  war  'ehern'  (umae),  wonach  die  beuennung 
iarnguala  'eiserner  guala'  nahe  lag;  es  ist  aber  auch  möglich, 
dass  järnkjöll  'eisenschiff'  eine  andere  nordische  bezeichnung 
für  ölkjöll  'bierschiff'  war.  auch  darauf  habe  ich  schon  hin- 
gewiesen (Zs.  32,470),  dass  die  bezeichnung  Loch  Guala  Umai 
'see  des  eheruen  kesseis'  LL  258b,  18  darauf  zurückgehen  kann, 
dass  ein  vikingerf uhrer  beim  schleunigen  abzug  von  Damiuis  — 
wo  zu  verschiedenen  Zeiten  von  836  an  vikinger  safsen ,  s.  Zs. 
32,  468  note  —  seineu  grofsen  braukessel  in  den  kleinen  see 
der  insel  versenkte. 

Ich  habe  also  von  meiner  Zs.  32,  467 — 469  gegebenen  und 
hier  widerholten  deutung  nichts  zurückzunehmen,  zur  charac- 
terisierung  von  persönlichkeiten,  die  auf  keltischem  gebiet  das 
grofse  wort  führen,  nur  noch  einiges  hinzuzufügen.  Kuno  Meyer 
krönt  den  Revue  celt.  x  360  —  369  aufgerichteten  Schutthaufen 
mit   folgendem    schlussstein:    'I  take    this   opportunity  of  adding 

gefühlt  wurde.  —  zwei  puncte  seien  hervorgehoben:  1)  der  Übergang  des 
urnord.  R  in  a  weist  darauf  hin,  dass  die  ausspräche  des  urnord.  R  eine 
dorsale  war.  2)  diejenigen  texte  der  altirischen  heldensage,  welche  die 
geringste  sachliche  beeinflus  sun  g  durch  nordische  sage  aufweisen 
(Fled  Bricrend,  Serglige  Conculaind,  Scela  mucci  mic  Däthö)  bieten  das 
wort  gilla  ganz  gewöhnlich  (25  belege  hat  Windisch,  Wb.  s.  594), 
während  es  in  den  unter  einfluss  der  nordischen  heldensage  wesentlich  um- 
gestalteten texten  (wie  Täin  bö  Cüalnge)  verhältnismässig  selten 
ist.  hält  man  damit  zusammen,  dass  das  wort  von  den  dänischen 
vikingern  ins  irische  gekommen  ist,  so  erhalten  wir  einen  neuen  beweis 
für  die  oben  s.  161  anm.  aufgestellte  ansieht,  dass  der  hauptsäch- 
lichste sachliche  einfluss  der  vikinger  von  den  Norwegern  aus- 
gieng,  die  in  erster  hälfle  des  9jhs.  Aberall  bandenweise  safsen  und  schon 
um  850  als  halbirisier  t  (GallGae&l,  eehtarchenSl)  vielfach  auftreten,  sie 
stehen  auf  seiten  der  Iren  gegen  die  Dänen,  die  errichlung  der  Dänen- 
Staaten  in  Dublin,  Waterford,  Limmerick  um  650  hielt  den  BBsimilierungs- 
process  der  neu  ankommenden  vikinger  um  100  jähre  auf  bis  zum  beginne 
der  Christianisierung  dieser  selbständigen  vikingerreiche. 


172  KELTISCHE  BEITRÄGE  III 

a  new  explanation  of  the  curious  word  iernguala  which 
I  owe  to  a  private  co  mm  unicatio  n  of  Stokes.  He  sug- 
gests  thai  iernguala  (which  is  masc,  gen.  oc  öl  ind  ierngüali 
LU  12tb)  is  a  loan  from  Teutonic[!!l]  'afteryule',  A.  S.  se  ceftera 
geöla  (Skeat  s.  v.  yule).'  da  Meyers  artikel  'Liverpool,  april  1889' 
unterzeichnet  ist,  Stokes  notiz  aber  schon  in  der  Academy  vom 
25  august  1888  stand,  so  darf  ich  wol  den  mich  sehr  beruhigenden 
schluss  ziehen ,  dass  selbst  die  trabanten  von  Stokes  nicht  mehr 
seine  wöchentlichen  expectorationen  in  der  Academy  lesen,  anderer- 
seits liefert  Kuno  Meyer  den  traurigen  nachweis,  dass  denken  noch 
immer  nicht  seine  sache  ist,  sonst  würde  er  den  auf  private  coni- 
munication  beruhenden  unsinn  nicht  unbesehen,  ja  verballhornt 
durch  'Teutonic  afteryule',  weiter  verbreiten. 

Es  ist  natürlich  durchaus  nicht  meine  absieht,  durch  vor- 
stehende bemerkuugen  die  betreffenden  herren  von  ihrer  kärner- 
tätigkeit  abzubringen:  Quam  quisque  norit  artem,  in  hac  se 
exerceat. 

Greifswald,  osterferien  1890.  H.ZIMMER. 


HERIMAN. 

NACH  EINER  MITTEILUNG  THEODOR  MOMMSENS. 

'Als  kaiser  Justinus  u  und  der  Caesar  Tiberius  nach  ablauf  des 
mit  den  Persern  geschlossenen  Waffenstillstandes  sich  zum  wider- 
beginn des  schweren  krieges  anschickten,  übertrugen  sie  nicht 
blofs  dem  jüngeren  söhn  des  vetters  des  kaisers  Justinian  Ger- 
manus, dem  Justinianus,  also  einem  prinzen  des  kaiserhauses,  den 
Oberbefehl,  sondern  es  wurden  auch  ganz  ungewöhnliche  an- 
strengungen  gemacht,  um  ein  schlagfertiges  heer  aufzustellen,  dies 
berichten  Johannes  von  Epiphania  (Fragm.  hist.  Graec.  4  s.  276 
Müller)  und  Theophylaklos  3,  11,  6,  letzterer  hinzufügend, 
dass  namentlich  nichtrömische  foederaten  mit  grofsen  kosten  in 
dasselbe  eingestellt  worden  seien,  genauer  führt  der  bischof 
Euagrius  (Eccl.  hist.  5,  14)  dies  aus  mit  folgenden  Worten:  'die 
übel  zusammengebrachten  gelder  wendete  Tiberius  gut  für  die 
kriegsrüstung  an  und  brachte  ein  solches  heer  von  helden- 
männern  (ctvÖQwv  rjQtowv)  zusammen  von  den  Völkerschaften 
jenseit  der  Alpen  am  Rhein  mit  persönlicher  auswahl  nach  der 
tiiehtigkeit  und  ebenfalls  diesseit  der  Alpen  von  den  Massageten 
(dh.  den  Hünen)  und  anderen  skythischen  Völkern,  sowie  aus 
Pannonien,  Moesien,  Illyricum  und  von  den  Isaurern,  dass 
die  trefflichen  reiterschwadronen  150  000  köpfe  zählten.'  von 
denselben  Vorgängen  erzählt  ein  spanischer,  in  jenen  jähren  aber 
in   Constantinopel  verweilender  chronist,  Johannes  von  Gerunda 


HER1MA.N  173 

unter  dem  jähre  575  n.  Chr.:  Iustinianus  dux  Romanae  militiae 
et  magist  er  milüum  Orientis  a  Tiberio  destinatus  bellum  parat  et 
in  campis,  qui  inter  Daras  et  Nizivios  (=  Nisibis)  ponuntnr, 
forti  pugna  congressus,  habens  secum  gentes  fortissimas,  quae  bar- 
baro  sermone  herinam  nuncupantur,  memoratum  imperatorein 
bello  super at.  es  kaun  wol  kein  zweifei  sein,  dass  dies  'bar- 
barische' wort  jenen  nordischen  recken  gehört ,  von  denen  der 
griechische  prälat  erzählt,  herinam  oder  herinani  hat  die  relativ 
beste  haudschrift  des  Johannes,  geringere  herinam;  sollte  nicht  he- 
riman  zu  lesen  und  die  laugobardischen  Arimannen  gemeint  sein?' 

Die  frage  ist  natürlich  zu  bejahen,  und  zu  dem  historischen 
interesse  an  dem  wortinhalt  gesellt  sich  für  uns  germauisten  ein 
ganz  bestimmtes  grammatisches  an  der  wortform:  wir  haben  hier 
den  ältesten  etymologisch  unanfechtbaren  beleg  für  den  i-  Um- 
laut des  kurzen  a,  und  zwar  kommt  dies  Zeugnis  von  einem  West- 
goten, aus  dem  dialect  also,  der  auch  bisher  als  derjenige  galt, 
in  dem  sich  die  erscheinung  am  frühesten  beobachten  lasse.1 
nur  freilich  war  es  Sievers  nicht  ganz  zu  verdenken,  wenn  er 
neuerdings  in  Pauls  Grundriss  i  416  die  mehrdeutigkeit  des 
nameumaterials  hervorhob,  auf  das  allein  man  seither  die  an- 
nähme eines  westgotischen  umlauts  gründen  konnte:  zwischen 
einem  Agila  und  einem  Igila  stehend  zeigt  Egila  eine  keineswegs 
klare  lautphysiognomie.  um  so  erwünschter  kommt  uns  das 
heriman  des  Johannes  von  Geruuda,  denn  das  e  ist  durchaus  ge- 
sichert, und  man  kann  nur  erwägen,  ob  die  Überlieferung  nicht 
allenfalls  auch  ein  latinisiertes  herimani  zulässt.  der  zweifei,  ob  die 
form  mit  e  gerade  dem  westgotischen  angehöre,  wiegt  nicht  schwer, 
der  spanische  Gote  gibt  das  wort  freilich  in  einem  zusammenhange, 
der  es  einem  der  östlichen  Germanenstämme  zuzuweisen  scheint, 
aber  würde  er  wol  in  einem  worte,  das  sicher  als  gemeingermanisch 
auch  dem  Sprachschätze  seines  eigenen  volkes  augehörte,  das  er 
etymologisch  verstehen  muste,  die  fremde  lauiuüance  bewahrt 
und  nach  15  jähren  niedergeschrieben  haben?  eher  glaube  ich 
das  umgekehrte:  das  wort,  wenn  es  J.  in  Constantinopel  hörte, 
mag  dort  immerhin  hariman  gelautet  haben,  die  westgotische  vocal- 
färbung  stellte  sich  unwillkürlich  ein.  der  weitere  zweifei,  ob 
das  e  nicht  die  ausspräche  eines  jüngeren  Schreibers  widergebe, 
würde  nur  das  alter  des  umlauts  berühren ,  nicht  seine  existenz 
im  westgotischen  in  frage  stellen,  da  deutsche  copisteo  hier  nicht 
iu  betracht  kommen,  lange  über  600  hinaus  wird  (las  gotische 
in  Spanien  aber  schwerlich  lebendig  geblieben  sein. 

Auf  eine  anfrage  hat  mir  Mommsen,  dem  ich  tili  den  wert- 
vollen hinweis  auch  hier  meinen  dank  ausspreche,  die  beruhigende 
auskunft    gegeben,    dass    die  textüberlieferung    des  Johannes  von 

1  zuletzt  hat  sich  dafür  ausgesprochen  MGoldschmidl  Zur  kritik  der 
altgerm.  demente  im  spanischen  (Bonner  diss.  lssT)  s.  12,  obwol  gerade 
die  spanischen  lehnwörter  keine  spur  des  umlauts  aufweisen 


174  HERIMAN 

Gerunda  (oder  Joh.BicIarensis)  wie  des  Victor  Tonnouensis  durchaus 
auf  spanischen  hss.  beruhe:  'die  chronik  des  Johannes,  590  ge- 
schriehen,  ist  wie  manche  andere  stücke  aus  dieser  spätesten 
zeit  durch  weit  weniger  schreiberhände  gegangen  als  ältere  pro- 
duetionen  und  m.  e.  viel  sicherer  überliefert  als  Cicero  und  Livius. 
aufser  dem  cod.  Madrid,  univ.  ur  134  saec.  xm  kommt  eine  kri- 
tische bearbeitung  der  spanischen  Chroniken  durch  Juan  Bapt. 
Perez  (f  1597)  in  betracht,  der  neben  jenem  einen  verlorenen 
codex  von  Soria  benutzte,  die  erstgenannte  hs.  liegt  jenseit  aller 
emendation,  wenn  sie  auch  nicht  sorgfältig  geschrieben  ist,  und 
kann  mit  voller  Sicherheit  zu  gründe  gelegt  werden,  sie  ist  es, 
die  an  der  fraglichen  stelle  herinam  oder  herinani  liest,  das  Pe- 
rezsche  exemplar  bietet  hermam.'  SCH. 


NOCHMALS  ZUM  HILDEBRANDSLIEDE. 

Martin  erinnert  Zs.  34,  280  daran,  dass  auf  meine  gliederung 
der  reden  im  Hildebrandsliede  früher  schon  Konrad  Hofmann  ge- 
kommen sei.  vom  text  der  Denkmäler  und  nicht  von  den  an- 
merkungen  ausgehend  übersah  ich  das,  freue  mich  aber  dieses 
Zusammentreffens  ebenso  sehr  wie  darüber,  dass  Heinzel  in  seiner 
Ostgot.  heldensage  zwar  nicht  55  —  57,  wie  Martin  sagt,  aber 
doch  wenigstens  46 — 48  dem  Hadubrand  in  den  mund  legt,  im 
übrigen  verfahren  Hofmann  und  Heinzel  anders  als  ich  und 
denken  sich  auch  den  Zusammenhang  anders,  aber  dass  57  dem 
söhn  gehöre,  behauptet  Martin,  sei  unmöglich  wegen  der  worte 
ibu  du  dar  enic  reht  habes:  'der  zweifei  an  der  rechtmäfsigkeit 
des  kampfes  kann  nur  von  Hildebrand  ausgesprochen  werden.' 
ganz  ähnlich  fasst  Heinzel  aao.  s.  48  f  den  halbvers  auf.  allein 
von  recht  und  unrecht  ist  hier  nicht  die  rede,  sondern  nur  von 
einem  anrecht.  mag  Hildebrand  oder  Hadubrand  die  worte 
sprechen,  so  können  sie  sich  nur  auf  das  unmittelbar  vorher- 
gehende beziehen,  mit  dem  sie  in  demselben  satze  stehen  und 
worauf  dar  hinweist,     in  den  versen 

doli  mäht  du  nu  aodlihho,       ibu  dir  diu  eilen  taue, 
in  sus  he'remo  man  hrusti  giwinnan, 

rauba  birahanen,  ibu  du  dar  enic  reht  habes 

sind  die  beiden  sätze  mit  ibu  parallel,  variieren  nur  nach  epischem 
stil  den  gleichen  gedanken ,  und  das  recht  ist  das  auf  die  beute, 
welches  der  stärkere  besitzt,  wenn  diese  auslegung  richtig  ist, 
so  müssen  wir  es  uns  gefallen  lassen,  dass  sowol  der  vater  als 
auch  der  söhn  her  genannt  weiden,  aber  in  den  verschiedenen 
bedeutungen,    deren  das  wort  fähig  ist  (Zs.  33,414). 

Da  ich  einmal  auf  das  Hildebrandslied  zurückkommen  muste, 
will  ich  noch  einiges  hinzufügen ,  was  sich  mir  bei  weiterer  be- 
schäftigung  damit  ergeben  hat. 


NOCHMALS  ZUM  HILDEBRANDSLIEDE  175 

Im  ersten  verse  berief  sich  der  dichter  gewis  auf  mündliche 
Überlieferung,     er  lautete  daher  vielleicht 

Ik  gihörta  (tat  seggen  södfastero  vvero  filu. 

Der  schwierigen  stelle  23  ff  kann  man  doch  wol  nicht  durch 
so  engen  anschluss  an  die  hsliche  Überlieferung  aufhelfen,  wie 
ihn  Heinzel  versucht,  ich  sehe  ab  von  den  sachlicben  Schwierig- 
keiten, die  dadurch  entstehen  und  die  Heinzel  nicht  zu  heben 
vermag:  auch  äufserlich  betrachtet  hat  hier  der  abschreibe!'  sicher 
Verwirrung  angerichtet.  schon  nach  hina  wollte  er  Detrihhe 
schreiben ,  dann  hat  er  ummet  tiuri  statt  ummet  irrt  gesetzt 
und  nachträglich  verbessert,  weiter  hat  er  nach  Wackeruagels 
correctur  miti  in  unti  verlesen  und  endlich  ist  er,  woran  man 
bei  so  vielen  benachbarten  irrtümern  nicht  wol  zweifeln  kann, 
vom  zweiten  Detrihhe  auf  das  erste  abgeirrt  und  hat  daher  darbd 
gistöntun  widerholt,  im  übrigen  darf  man  der  hs.  folgen,  nur 
mochte  ich  27  her  was  streichen ,  womit  der  Schreiber  nur  ver- 
versuchte zu  einem  vollständigen  satze  zu  gelangen,  nachdem  er 
das  vorhergehende  in  Unordnung  gebracht  hatte,  ich  lese  also 
sid  Detrihhe  darbd  gistuontun 

fateres  min  es.  dat  was  so  friuntlaos  man! 

25  her  was  Otachre  ummet  irrt, 

degano  denchisto  miti  Deolrihhe, 

eo  folches  at  ente:  imo  was  eo  fehta  ti  leop. 

wir  werden  so  wenigstens  ein  her  was  los  und  vermindern  in 
etwas  die  eiuförmigkeit  der  zeilen  24  —  28  mit  ihren  dat  was, 
her  was,  imo  was,  was  her. 

Wird  Hildebrand  24  ein  verlassener,  hilfloser  mann  genannt 
(vgl.  Heinzel  aao.  s.  44),  so  müssen  die  vielen  degen  in  v.  19 
Dietrichs  sein,  die  ja  auch  26  erwähnt  werden ,  und  das  komma, 
welches  in  den  Denkm.  hinter  Theotrihhe  steht,  ist  nach  dem 
Vorgang  anderer  herausgeber  zu  tilgen. 

Der  erste  halbvers  von  29  ni  wdniu  ih  iu  Hb  habbe  erscheint 
mir  im  hinblick  auf  die  Wendungen  unter  'leben'  in  Sievers  He- 
liand  s.  431  I  so  prosaisch  nicht  und  der  zweite  könnte  gelautet 
haben  an  desemo  Höhte  f'ord.  er  findet  seine  stützen  in  dem 
bei  Sievers  s.  407  oben  zusammengestellten,  vgl.  ferner  Hei.  4033 
than  ni  uuari  nu  min  bruolher  dod,  Lazarus  fan  theson  Höhte, 
ac  hie  mahti  im  libbian  forth.  4113  lfb~es  losan  :  thuo  muosla 
im  libbian  forth  hei  an  hemon.  meine  ergänzung  entspricht  un- 
gefähr dem  von  Heinzel  s.  45  gewünschten  'länger  auf  dieser 
well',  doch  gebe  ich  sie  gern  für  eine  bessere  hin,  wofür  ich 
allerdings  «las  matt  nachschleppende  min  leober  fater  bei  Möller, 
Zur  ahd.  allitterationspoesie  s.  93,  nicht  halte. 

V.  31  ist  die  allitteration  dütdinc,  welche  der  lex!  der  Denkm. 
durch  eine  Umstellung  gewinnt,  schwerlich  zulässig,  du  trägt 
keinen  satzton  und  statt  seiner  etwa  dana  reimen  zu  lassen,  gebt 
deswegen  nicht,  weil  dana  (alts. than)  schwächer  betont  ist,   als 


176  NOCHMALS  ZUM  HILDEBRANDSLIEDE 

das  darauf  folgende  adverbium.  aber  auch  wenn  man  sich  fester 
an  die  hs.  hält  und  mit  Grein  schreibt 

dat  du  neo  dana  halt  mit  sus  ndhsippan  man 

dinc  ni  gileüös, 
bleibt  das  bedenken,  dass  neo  im  Hei.  niemals  allitteriert,  selbst 
nicht  3894  that  thu  nio  sid  aftar  thius  sundig  ni  uuerdes,  wo 
wir  ihm  unbedingt  einen  stab  zuteilen  würden,  aber  wir  werden 
doch  diese  abweichung  von  der  strengeren  regel,  wie  so  manche 
andere  hinnehmen  müssen,  denn  sonst  könnte  nur  halt  reimen, 
was  eine  Veränderung  von  sippan  in  das  minder  treffende  holdan 
oder  holdlican  nach  sich  zöge. 
37  ff  schreibe  ich 

mit  geru  scal  man  geba  infdhan, 

ort  widar  orte,  so  imo  se  andsaco  gihit. 

du  bist  dir,  alter  Run,  ummet  spdher:       [speru  werpan. 

40  spenis  mih [mit dinem]  wortum,  wili  mih  [dinu  nicht  in  der  hs.] 
man  in  37  ist  substautivum,  noch  nicht  pron.  indef.,  und  des- 
halb stelle  ich  es  lieber  an  den  anfang  der  zweiten  halbzeile  als 
an  das  ende  der  ersten,  im  Hei.  schliefst  nicht  nur  die  lang- 
zeile  gern  mit  einem  hilfsverb,  wofür  Sievers  Zs.  19,  51  f  belege 
gab,  sondern  auch  die  erste  halbzeile.  scal  findet  man  an  dieser 
stelle  889.  1531.  1866.  2444.  3315.  4043.  4048.  4281.  4627. 
4666.4774.4779,  andere  formen  von  sculan  1093.  1629.  1702. 
1900.  1985.  3350.  3379.  3522.  3811.  4088.  4618.4821.4869. 
4894.  5216.  5407.  5923.  allerdings  müste  nun  man  den  haupt- 
stab  tragen,  aber  es  heifst  auch  51  in  folc  sceotantero :  scerita 
statt  in  sceotantero  folc.  wegen  der  allitteration  in  40  vergleiche 
man  52  und  Rieger  in  der  Zs.  f.  d.  phil.  7,  24.  sie  ist  auch 
hier  nicht  tadellos,  doch  mag  der  nebenreim  wortum  :  werpan 
die  hervorhebung  des  verbums  spenis  über  das  substautivum 
wortum  entschuldigen,  die  einführuug  des  instrumentals  und  das 
streichen  des  possessivums  dünkt  mich  dem  altertümlichen  stile 
des  epos  gemäfs.  blofse  instrumentale  bietet  unser  gedieht  an 
der  in  rede  stehenden  stelle  (speru  werpan)  und  v.  2.  9.  34.  53. 
63.  64.  in  v.  54  hat  schon  Lachmann  mit  gestrichen,  ebenso 
tilgte  er  iro  v.  5.  auch  der  sogenannte  artikel  weist  im  Hilde- 
brandsl.  nur  auf  etwas  bekanntes  hin.  6  dö  sie  tö  dero  hiltiu 
ritun  zu  dem  eben  erwähnten  kämpfe.  12  deödre  die  bekannten 
anderen.  34  der  chuning  der  bekannte  und  berühmte  Hunen- 
könig.  60  de  mötti  dieses  zusammentreffen.  61  dero  hregilo  mit 
hindeutender  handbewegung,  erläutert  durch  desero  brunnöno  be- 
dero  62.  aber  die  schilde  64  sind  noch  nicht  erwähnt,  sodass 
ich  dem  lieber  streiche,  und  hregilo  ohne  artikel  wäre  wol  auch 
vorzuziehen,  stil-  und  obenein  sinnwidrig  kommt  mir  erdo  62 
vor.  die  hregil  schliefsen  ja  die  brünnen  ein  und  62  ist  nur 
Variation  von  61. 

Berlin  25.  10.  90.  MAX  ROEDIGER. 


SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND  177 

SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND. 

Orientalische  tradition  erzählt:  eiust  hielt  der  mächtige  könig 
Salomo  heerschau  über  die  vögel ,  er  vermisste  einen ,  den  Wiede- 
hopf1, nach  anderen  den  auerhahn  oder  wilden  bahn2,  dieser 
kommt,  als  der  könig  bereits  sehr  zornig  ist,  und  meldet  von 
dem  reiche  Saba  jenseits  des  meeres,  dessen  köuigin  noch  heidin 
und  Salomo  nicht  unterworfen  sei.  darauf  bindet  S.  unter  die 
flügel  des  vogels  einen  brief,  in  dem  die  königin  Balqis  zur  Unter- 
werfung aufgefordert  wird,  auf  diese  botschaft  hin  kommt  die 
königin,  und  nachdem  sie  S.s  Weisheit  und  wundertätigkeit  er- 
probt hat,  bekehrt  sie  sich  und  wird  seine  frau.  der  wiedehopf 
bekommt  zur  belohnung  seine  schöne  federkrone3.  in  den  legenden 
der  Mandäer  ist  es  der  vogel  Simurg,  der  eine  prinzessin  auf  S.s 
befehl  entführt4,  unbestimmt  wird  nur  von  einem  vogel  im  all- 
gemeinen  gesprochen   in    der   apokryphen  Apocalypsis  Baruchi5. 

Mittelhochdeutsche  gedichte  von  SOswald  erzählen0:  0.,  ein 
mächtiger  könig,  will  heiraten,  ein  piiger  erzählt  ihm  von  einer 
heidnischen  königstochter,  namens  Pauge7,  jenseits  des  meeres. 
ihr  vater  will  sie  selbst  zur  ehe  nehmen  und  lässt  daher  jeden 
boten  der  um  sie  wirbt  umbringen,  als  auf  einen  passenden 
boten  weist  der  piiger  auf  den  raben  hin.  der  rabe  erscheint 
zögernd,  zum  lohne  bekommt  er  eine  goldene  kröne.  0.  bindet 
ihm  einen  brief  unter  die  flügel.  über  das  meer  fliegend  wird 
der  rabe  von  einem  meerweibe  in  die  tiefe  entführt  und  rettet  sich 
nur  durch  list.  am  hofe  des  heidenkönigs  besiegt  er  diesen  im 
Schachspiel,  die  königstochter  wird  durch  des  raben  botschaft 
für  0.  gewonnen,  will  sich  von  ihm  entfuhren  lassen,   wenn  er 

1  Koran  sure  27.  Grünbaum  Ztschr.  der  deutschen  morgenl.  gesell- 
schaft  31,  211.  2  Geiger   Was   hat  Mohammed    aus   dem  judentume 

aufgenommen?    s.  186;   Grünbaum    Jüdisch -deutsche   Chrestomathie  s.  212. 

3  Grünbaum  Ztschr.  der  deutschen  morgenl.  gesellschaft  31,  208. 

*  Petermann  Reisen  im  Orient  n  110.  5  Jahrb.  für  protest.  theologie 

6,556.  6  meine  nacherzählung  beruht  auf  den  beiden  gedichten,  dem 

sogenannten  älteren  »und  jüngeren  Oswald,  sie  scheinen  mir  unabhängig 
auf  mündliche  tradition  zurückzugehn.  eine  dritte  fassung,  die  quelle  der 
von  Zingerle  edierten  deutschen  und  der  nordischen  prosa,  erweist  sich  als 
ganz  belanglos  für  die  sagenforschung  durch  ihre  zusälze  aus  Beda,  wie 
durch  ihre  Übertragung  der  geschienten  vom  chrisem  aus  der  legende  vom  hl. 
Remigius,  von  der  richtglocke  aus  der  sage  von  Karl  dem  grofsen. 

7  Pfeiffer  Germ.  5,  165  anm. 
Z.  F.  ü.  A.    XXXV.    N.   I  .    XXIII.  12 


178  SALÜMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND 

gewisse  Wunderwerke  vollbringe.  sie  sendet  den  raben  mit 
dieser  botschai't  und  einem  ring,  der  wunderbare  eigenscbaften 
bat,  zurück,  als  er  über  das  meer  fliegt,  fällt  ibm  der  ring 
hinein,  den  ein  fisch  verschlingt,  ein  fischer  fängt  den  tisch, 
in  dem  sich  der  ring  findet.  0.  fährt  jetzt  selbst  in  Verkleidung 
über  meer  und  gewinnt  die  königstochter. 

Die  Übereinstimmung  scheint  mir  so  grofs,  dass  ich  in  dieser 
Salomosage  die  quelle  für  die  sage  von  SOswald  erblicke,  soweit 
sich  dieselbe  über  die  dürftige  kirchliche  legende  hinaus  ent- 
wickelt hat.  die  Übertragung  konnte  leicht  geschehn,  nachdem 
bereits  die  legende  von  O.s  Werbung  um  eine  heidnische  königs- 
tochter, die  bekehrt  wird,  erzählte,  doch  finden  wir  in  der 
obigen  nacherzählung  ein  mehr  von  zügen,  die  kaum  auf  willkür 
der  spielleute  zurückzuführen  sind,  wir  werden  berechtigt  sein 
uns  nach  denselben  ebenfalls  in  der  Salomosage  umzusehn. 

Salomo  bedarf  des  wundersteines  Schamir  oder  Schamur1. 
der  böse  geist  Aschmedai  in  der  jüdischen,  Schachr  in  der  arabi- 
schen tradition,  nennt  den  wiedehopf  resp.  auerhahn2,  adler3, 
raben4  als  zur  herbeischaffung  geeignet,  der  vogel  hat  den  stein 
vom  herru  des  meeres,  dem  er  eidlich  verpflichtet  ist,  anvertraut 
erhalten.5  durch  list  wird  er  ihm  abgenommen.  Aschmedai 
stürzt  später  S.  vom  thron,  indem  er  ihm  jenen  ring,  der  die 
weltherschaft  verleiht,  entwendet,  einst  fliegt  A.  über  das  meer, 
der  ring  entfällt  ihm  und  wird  von  einem  fisch  verschluckt,  ein 
fischer,  bei  dem  S.  mittlerweile  dienste  genommen  hat,  fängt  den 
fisch:  S.  erhält  die  weltherschaft  zurück6. 

Eine  Vermischung  der  nachrichten  von  der  Verschaffung  des 
Schamir  und  der  königiu  war  leicht  geschehn,  und  Aschmedai 
drängte  sich  neben  dem  vogel  in  Salomos  liebesgeschichte  ein. 
in  der  Oswaldsage  erscheint  das  an  zwei  stellen,  die  ähnlichkeit 
der  gestalt  des  pilgers   mit  Morolt,   dem  deutschen  Vertreter  des 

1  die  schrift  von  NLGrundtvig  Lösningsstenen,  in  der  auch  über  den 
Schamir  gehandelt  ist  (vgl.  FLiebrecht  Litteraturbl.  für  germ.  und  rom.  philo- 
logie  1881  sp.  45  0)  war  m'r  leider  nicht  zugänglich.  2  Grünbaum  Ztschr. 

der  deutschen  morgenl.  gesellschaft  aao.,  Wünsche  Der  babylon.  talmud  u, 
1,179  ff.  .  3  Grünbaum  aao.  213.     Bochard  Hierozoicon  (Leipzig  1796) 

in  112.  843.  4  Weil  Biblische  legenden  der  Muselmänner  236. 

5  Wünsche  aao.  6  Wreil  aao.  273;   unausführlich  Wünsche  aao. 

183;  abweichend  Grünbaum  aao.  319,  Jüdisch- deutsche  Chrestomathie  449  ff. 
Wünsche  Ruth  Rabba  s.  79. 


SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND  179 

Aschmedai1,  ist  auch  sonst  schon  aufgefallen,  die  ringsage  konnte 
um  so  leichter  auf  den  vogel  übertragen  werden ,  als  dieser  selbst 
in  einem  gewissen  Verhältnisse  zum  meere  stand  und  ein  ring 
und  ein  stein,  die  beide  wunderbare  eigenschaften  haben,  nicht 
zu  weit  von  einander  entfernt  sind,  vollständig  verdrängt  hat 
aber  der  dämon  den  vogel  in  einer  anderen  sage,  in  der  die 
gestalt  der  ägyptischen  gemahlin  Uönig  Salomos  mit  der  der 
königin  von  Saba  vermengt  erscheint,  der  inhalt  dieser  sage, 
soweit  sie  in  den  obigen    Zusammenhang   gehört,   ist  folgender: 

Salomo  entführt  die  tochter  des  heidenkönigs  Pharao2  resp. 
Cypriän3.  sie  knüpft  ein  liebesverhältnis  an  mit  Före4  resp.  dem 
könig  von  Cypern5.  da  somit  vater  und  liebhaber  in  verschie- 
denen sagengestaltungen  gleiche  namen  tragen,  sind  wir  berechtigt, 
ursprüngliche  identität  von  vater  und  liebhaber  anzunehmen: 
die  braut  muss  entfuhrt  werden,  weil  deren  vater  sie  selbst  liebt. 
Före  entführt  sie  dem  Salomo  und  sie  muss  jetzt  wider  ent- 
führt werden,  der  europäische  Vertreter  des  Aschmedai  erweist 
sich  dabei  hilfreich,  er  erscheint  verkleidet  am  hole  des  heiden- 
königs, erkundet  die  königin  durch  Schachspiel,  bei  welchem 
ihm  ein  in  einen  ring  verschlossener  vogel  hilft,  als  er  verfolgt 
wird,  flüchtet  er  in  das  meer  hinab,  er  kehrt  wider,  Salomo 
geht  jetzt  selbst  in  einer  Verkleidung  hin  und  gewinnt  die 
königin  zurück,  sie  wird  ihm  ein  zweites  mal  entführt,  wider 
hilft  der  dämon,  der  sich  diesmal  an  seine  muhme,  eine  meer- 
frau ,  um  rat  gewendet  hat. 

Den  beiden  besprochenen  sagen  sind  zwei  züge  gemein,  die 
in  der  Salomosage  bisher  nicht  nachgewiesen  sind,  der  erste 
ist  die  absieht  eines  blutschänderischen  Verhältnisses  zwischen 
der  braut  und  ihrem  vater.  gab  die  sage  der  ßalqis  selbst  anlass 
dazu?  die  erzählung  des  Persers  Bel'ami  könnte  etwa  ein  mis- 
verständnis  erlauben:  '1a  peri  (ßalqis'  mutter)  dit,  notre  Separation 
est  inevitable,  et  eile  disparut.  le  roi  se  consola  avec  sa  fille, 
qu'ü  nomma  Balqis'K  doch  dürfte  sich  der  verbreitete  sageuzug7 
auch  ohne  erkennbares  motiv  hier  angeschlossen  haben. 

1  Vogt  Salman  und  Morolf  s.  lv,  Weselofsky  Archiv  für  slav.  philologie 
6,549.    dass  auchFöre  =  Aschmedai,  verschlagt  nichts:  doppelheit  dersagen- 
figur,  vgl.  Vogt  aao.  xlii.        2  i  Reg.  3,  1.         3  Salman  3.         '  Salman  22  11. 
5  Weselofsky  Archiv  für  slav.  philologie  6,  406.  6  Jahrb.  für  protest. 

theologie  6,  566.  7  man  denke  an  die  weitverzweigte  geschichle  von 

der  geduldigen  Helena,  an  die  sage  von  Apollonius  uam. 

12* 


180  SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND 

Der  zweite  zug  ist  das  Schachspiel,  er  dürfte  etwa  im 
weisheitswettkampf  mit  der  königin  von  Saha  an  die  Salomosage 
gefügt  worden  sein,  vielleicht  bezieht  sich  der  Spervogelsche 
spruch  von  dem  Schachspiele  des  wolfs1  mit  dem  'witzigen  mann' 
auf  Salomo?  wenn  wir  diesen  spruch  so  auffassen,  dass  der 
witzige  mann  einen  wolf  soweit  abgerichtet  hat,  dass  er  mit  ihm 
schach  spielen  kann,  dass  dieser  aber  alles  vergisst,  was  er  ge- 
lernt hat,  im  moment,  wo  ein  widder  vorübergeht  —  so  hat 
das  eine  wol  nicht  zufällige  ähnlichkeit  mit  der  bekannten  er- 
zählung  von  Salomo,  der  eine  katze  abrichtet  ihm  seine  leuchter 
zu  tragen:  als  Markolf  eine  maus  vorbeilaufen  lässt,  vergisst  die 
katze  ihres  auftrags,  lässt  den  leuchter  fallen  und  verfolgt  die 
maus,  so  macht  auch  Bertoldo  die  hunde  des  königs  Salomo 
durch  losgelassene  hasen  ihres  Wächteramtes  vergessen'2,  der 
sinn  aller  dieser  erzählungen  ist,  dass  natur  durch  erziehung 
niemals  vollständig  besiegt  werden  kann,  naturam  plus  valere 
quam  nutrituram:  diese  moral  wird  in  Salomonis  et  Marcolphi 
dialogus  ausdrücklich  daraus  gezogen,  wenn  wir  diese  entwickelung 
annehmen ,  müste  die  schachspielscene  von  dem  köuige  auf  dessen 
boten  übertragen  sein. 

Dass  wir  es  in  dem  oben  erwähnten  Schachspiel,  wobei  ein 
in  den  stein  eines  ringes  verschlossener  vogel  hilft,  nicht  blofs 
mit  einem  der  gewöhnlichen  kunststücke  der  spielleute  zu  tun 
haben,  sehn  wir  daran,  dass  dieselbe  geschichte,  und  doch  so 
abweichend,  dass  das  gedieht  von  Salman  nicht  die  vorläge  ge- 
bildet haben  kann ,  von  könig  Tirol  erzählt  wird,  ihm  hilft  beim 
Schachspiel,  bei  dem  sein  haupt  zu  pfände  steht,  der  böse  geist 
Rleströnis,  den  er  in  gestalt  einer  fliege  in  den  rubin  seines 
ringes  verschlossen  trägt.  Aristoteles  war  es,  der  ihn  in  das 
'glas'  gebannt  hat3,  nach  anderen  hat  dies  der  zauberer  Zabulou 
getan4,  aus  dem,  was  dann  folgt,  wie  Virgilius  den  geist  auf 
dessen  bitten  erlöst,  später  ihn  aber  wider  mit  list  verschliefst5, 
sehen  wir,  dass  wir  es  mit  dem  bekannten  märchen  vom  geist 
im  glase6  zu  tun  haben,  welches  wider  in  letzter  linie  auf  Salomo 

1  MF  27,  20.     JGrimm   Reinhart  fuchs  cxcni;  349. 

2  Dunlop-Liebrecht   Gesch.  der  prosadichtungen  330a. 

3  Wartburgkrieg  160  ff.  4  Reinfrit  21532  f.  5  Simrock 
Wartburgkrieg  s.  303.  Reinfrit  21622  ff.  6  Germania  7,508.  Laistner 
Das  rätsei  der  Sphinx  i  113. 


SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND  181 

zurückgeht,  der,  nachdem  er  seinen  thron  wider  gewonnen  hat, 
den  aufrührerischen  Aschmedai  auf  diese  weise  bestraft1. 

Von  der  sage  von  könig  Tirol  und  dessen  söhn  Fridebrant 
wissen  wir  sehr  wenig,  der  letztere  ist  jedenfalls  die  haupt- 
person ,  sowol  in  dem  uns  fragmentarisch  erhaltenen  erzählenden 
gedieht2  als  in  dem  didactischen  Zwiegespräch  mit  seinem  roter. 
seine  länder  werden  angegriffen3,  der  vater  gibt  ihm  nur  guten 
rat  dazu:  im  Parzival  tritt  er  gar  nicht  auf.  im  erzählenden  ge- 
dieht wird  es  wol  schliefslich  auf  die  erwerbung  einer  braut 
hinauskommen4,  half  ihm  dann  der  vater  dabei,  wie  Morolt  seinem 
bruder  Salman?  ist  das  Schachspiel  in  diesen  Zusammenhang  zu 
stellen?  ist  das  Zwiegespräch  nur  eine  ernste  contrafactur  oder 
ein  älteres  Stadium  jenes  anderen  zwischen  Salomon  und  Mar- 
kolf?  hat  der  in  Fridebrants  diensten  stehende  Morholt5  nur  der 
erinneruog  au  die  Tristansage  den  beinamen  'von  Irlant'  zu  ver- 
danken? 

Wie  hier  ist  es  auch  der  vater,  der  als  heller  auftritt,  in 
der  zwergensage  des  Ortnit.  diese  sage  zeigt  ihren  selbständigen 
Ursprung  dadurch,  dass  wir  in  ihr  bestandteile  der  Salomosage 
treffen,  denen  wir  bisher  nicht  begegnet  sind.  Ortnit  wird  von 
seiner  mutter  angewiesen  mit  einem  ringe,  welcher  macht  über 
die  geister  verleiht11,  sich  zu  einem  quell,  der  an  einem  berge 
liegt,  zu  begeben,  dort  trifft  er  einen  dämon  in  schlaf  ver- 
sunken, überwindet  ihn  und  macht  ihn  sich  dienstbar,  dieser  aber 
gewinnt  ihm  den  ring  durch  list  ah,  wird  dadurch  unsichtbar, 
verspottet  und  quält  ihn.  dann  gesteht  er  ihm,  dass  er  seine 
mutter  einst  beschlafen  habe,  er  gibt  ihm  den  ring  zurück,  sie 
versöhnen  sich,  und  der  dämon  hilft  ihm  hei  der  erwerbung  einer 
1  Weilaao.  273,  vgl.  die  legenden  von  der  hl.  Margaretha  und  das  Testa- 
mentum  Salomonis  ,  Migne  Patrol.  graeca  122,1354.  Rein fri t  21042  ff.  Le- 
sage  Diable   boiteux.  2  ed.  JGrimm  Ztschr.  1,7  ff.  3  MSH  i  7b 

Parz.  25,  2 ff.  4  Herlinde?  Parz.  25,  5.    könig  Schiltungs  tochter?  ebend. 

48,18.  ein  frauenname  Velsiane,  den  Grimm  in  fragm.  Ab  finden  wollte, 
beruht  vielleicht  nur  auf  einem  Schreibfehler,  ich  möchte  vlesiane  lesen, 
was  wie  Vlesiant  Lohengrin  47,5  (fehlt  bei  Lexer,  vgl.  pkesian  Wartburg- 
krieg 142,  2)  zeigt,  einen  Kleiderstoff  bedeuten  muss.  diese  werden  von 
zwei  riesen  getragen,  wie  die  [w]dt  von  nüweu  [snitm]  von  zwei 
elephanten.  5  Parz.  4<J,5.  67, 19  usw.  '    ich   miiett  dir  immer 

dienert  hiets  du  daz  vingerlin  Ortn.  143,  3.  die  ahnlichkeit,  welche  man 
mehrfach  zwischen  der  Ortnitsage  und  der  von  Huon  de  Bordeaux  bat 
finden  wollen,  scheint  mir  rein  äufserlicher  natur. 


182  SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND 

heidnischeu  königstochter,  jenseits  des  raeeres,  die  ihr  vater 
jedem  freier  verweigert,  weil  er  sie  selbst  heiraten  will,  die  art 
seiner  hilfe  ist,  wie  schon  öfters  bemerkt  worden  ist,  der  des 
raben  im  Oswald  sehr  ähnlich. 

Auch  der  erste  teil  dieser  sage  geht  auf  die  Salomosage 
zurück  wie  der  bereits  besprochene  zweite:  S.  erkundigt  sich 
nach  Aschmedais  aufenthalt.  die  dämonen  weisen  ihn  an  einen 
brunnen,  der  an  einem  berge  liegt,  durch  list  versenkt  S.  den 
geist  daselbst  in  schlaf  und  bezwingt  ihn  dann  durch  die  kraft 
seines  ringes,  welcher  die  macht  über  die  geister  verleiht,  durch 
list  gewinnt  A.  ihm  diesen  ring  ab,  nimmt  dadurch  die  gestalt 
des  königs  an  und  regiert  an  seiner  statt,  während  dieser  zeit 
macht  er  einen  versuch  die  mutter  des  königs  zu  beschlafen.  S. 
bleibt  in  bedrängter  Situation,  bis  es  ihm  gelingt  den  ring  zurück- 
zuwinneu1.  —  die  ähnlichkeit  ist  wol  nicht  zweifelhaft,  an  stelle 
des  gestaltentausches  ist  unsichtbarkeit  getreten,  wie  in  der  Sieg- 
friedsage. 

Wie  sich  zu  den  orientalischen  darstellungen  das  im  Moriz 
vCraon  erwähnte  gedieht  Heinrichs  vVeldeke  verhielt,  wissen  wir 
leider  nicht,  an  der  existenz  desselben  zu  zweifeln2  ist  kein 
grund,  nur  muss  man  v.  1164  für  das  darynne  der  hs.  nicht  mit 
Haupt  da  er  inne  lesen,  sondern  am  ehesten,  nach  einer  conjeetur, 
die  mir  prof.ESchröder  freundlichst  mitteilt,  darinne  in.  das  schiff 
des  helden  dieses  gedichtes  ist  übrigens  vielleicht  selbst,  gleich 
anderen  nach  geschichtlichen  berichten  bei  Umzügen  verwendeten 
prunkschiffen,  nur  eine  nachahmung  des  schiffes  des  Salomo,  wie 
es  in  der  Histoire  du  grand  s.  Graal  beschrieben  ist3,  anderseits 
erinnert  dieses  schiff,  das  zugleich  ein  wagen  ist,  allerdings  an  die 
deutsche  vorzeit4.  in  den  letzteren  vorstellungskreis  gehören  auch 
das  bett  das  zugleich  ein  wagen  ist,  das  lit  marveille5,  anderseits 
der  wagen,  der  als  bett  benutzt  wird,  wie  jener,  auf  dem  Karl 
Martell6  oder  Karl  der  grofse7  oder  die  nachkommen  der  auf  dem 

1  Wünsche  Babyl.  talmud  n  1,  180.  183.     Weil  aao.  235.  2  Be- 

haghel  Eneide  s.  clxxiii.  3  Archiv  für  slav.  philologie  6,  587. 

4  Myth.4  218;  nachtr.  86.  5  Parz.  566,  16.     Grestien  9070. 

6  Cronica  regum  Francorum  MG.SS.  m214.  Jean  des  Preis  dit  d'Outre- 
meuse  p.  350.617  (Corps  de  chron.  liegeoises  xi  2).  7  Chron.  de  Saint- 

onges  (bei  GParis  Hist.  poet.  de  Charlemagne  p.  225),  Reali  di  Francia  vi  13. 
Berta  de  li  gran  pie  1132  (Romania  m).  Leken  spieghel  iv,  xvii,  138.  139. 
Deutsche  Volksbücher  s.  xv.  17  (Litter.  verein  nr  185). 


SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND  183 

fehlzuge  befindlichen  ritter  gezeugt  werden1,  wie  ans  der  letzten 
stelle,  auf  die  mich  prof.  Heinzel  aufmerksam  macht,  hervorgeht, 
habeu  wir  es  hier  weder  mit  einem  mythischen  zugu  noch  mit 
einer  andeutung  unehelicher  geburt  zu  tun3  noch  mit  einer 
blofsen  erfindung  behufs  erklärung  des  uamens  Karl4,  vielmehr 
wird  man  durch  die  Selbstverständlichkeit,  mit  der  in  diesem 
falle  die  sache  vor  sich  geht,  an  die  alte  Wagenburg  erinnert,  die 
als  wagen  und  wohnung  zugleich  dient. 

Den  bis  hierher  besprochenen  grofsen  sagencomplex  können 
wir  nun  nicht  nur  in  seinem  Zusammenhang  in  mehr  oder  minder 
veränderter  form  in  Deutschland  nachweisen ,  sondern  auch  die 
meisten  seiner  einzelneu  teile. 

Der  rätselwettkampf  mit  der  königin  von  Saba  ist  im  ganzen 
abeudlande  sehr  bekannt5,  sie  führt  dabei  immer  den  aus  Jo- 
sephus  Ant.  vm  6,  2  stammenden  namen  Nicaula:  der  name  Pauge 
unserer  Oswaldsage  könnte  eine  Umgestaltung  und  einzige  spur 
des  namens  Balqis  sein. 

Der  erzählung  vom  weisheitswettkampfe  mit  der  königin  ist 
es  auch  zuzuschreiben ,  wenn  der  Schamir  teilweise  allerdings, 
der  älteren  tradition  folgend,  als  stein6,  teilweise  aber  auch  als 
wurm1  erscheint,  antike  tradition  von  der  springwurzeh  ist  es, 
wenn  er  ein  kraut  genannt  wird9,  in  Jans  Eneukels  weltchrouik 
ist  er  allerdings  ein  wurm,  aber  die  gewünschte  würkung  wird 
erst  erzielt,  wenn  man  das  blut  dieses  wurmes  mit  einem  kraute 
mischt10,  auch  die  vögel,  die  das  Wunderding  verschaffen,  wechseln, 
wie  wir    es  schon   im  Orient  bemerkt   haben:    es  erscheinen  der 

1  Gui    de    Bourgogne    p.  122    (Anciens    poetes    de    France  i). 

-  Feist   Zur  kritik    der  Berthasage  s.  28.  3  GParis  aao.  441. 

4  Bajna,   Ricerchj   intorno    ai  reali  di  Francia  p.  230.  5  W'Hertz 

Ztschr.  27,  1  ff.  6  Zarncke  Graltempel  38.     Weselofsky  Archiv  für  slav. 

philologie  6,  52.  7  MSD2  375.     Diemer  Deutsche   gedichte  des   11  und 

12jhs.  anm.  s.  44,  und  auch  bei  dem  mittelalterlichen  französischen  bibel- 
exegeten  Raschi  (Wünsche  aao.  i  220).  8  Aelian  Historiae  m  26. 

1  üiinfiit  20951.  10  der  betretfende  abschnitt  ist  mir  aus  schwellhand- 

schriften  der  Crist- herre-chronik  bekannt,  das  blut  des  wurmes  allein  ist 
das  würksame  mittel  bei  Vincentius  Bellovacensis,  Ilistoiia  scolastica  zu 
in  Regum  8,  bei  Gervasius  und  Albert  dem  grofsen.  alle  diese  haben  die 
form  thamir  (thamur)  für  schamir,  die  englischen  gesta  Romanorum  die 
form  thumare;  vgl.  Cassel,  Schamir,  denkschrift  der  academie  in  Erfurt  1854 
s.  50  f.  77  f.  die  alternativa  lhamur  oder  tamir  haben  Albert  der  grofse, 
Thomas  Cantimpratentensis,   Konrad  vMegenberg;    vgl.   auch    Lexer  n  140. 


184  SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND 

st  r  aufs1  und  der  specht2.  die  aulfassung  als  wurai  hat  nun 
ihren  grund  darin ,  dass  unter  den  aufgaben ,  die  die  königin  von 
Saba  dem  Salomo  stellt,  auch  die  erscheint,  einen  faden  durch 
einen  diamant  zu  ziehen :  er  lässt  die  aufgäbe  durch  eine  art 
seidenwurm  erfüllen3. 

In  manchen  orientalischen  quellen  wird  die  abwesenheit  des 
die  botschaft  bringenden  vogels  auf  folgende  art  bemerkt:  über 
dem  teppich,  auf  dem  S.  seine  wunderbaren  reisen  durch  die 
luft  macht,  müssen  immer  sämmtliche  vögel,  um  ihn  zu  beschatten, 
fliegen,  er  bemerkt  nun  ein  sonnenstreifchen  und  erkennt  daran, 
dass  ein  vogel  fehle4,  ein  adler5  oder  eine  taube6  schwebt  auch 
über  seinem  throne,  um  ihn  vor  der  sonne  zu  schützen. 

Mit  bewustsein  wird  eine  Übertragung  dieser  beschattung 
durch  vögel  von  Salomo  auf  eine  künigin  vorgenommen  Wigamür 
2697,  wenn  meine  besserung  der  stelle  richtig  ist.  die  hs.  liest 
Das  Saloman  der  weyse  man  War  der  frawen  adler  an:  ich  würde 
vorschlagen  als  Salomon  den  wisen  man  wdt  die  frowen  ein  adler 
an.  etwas  anderes  ist  es  mit  dem  adler,  der  über  Wigamurs 
haupte  selbst  schwebt  (ebenda  2710),  dort  ist  dieser  zug  in  der 
erzahlung  begründet:  der  autor  wurde  dadurch  wol  auf  den  ge- 
danken  gebracht,  den  erst  erwähnten  anzubringen. 

Als  die  heidnischen  boten  zu  Karl  dem  grofsen  kommen,  sehn 
sie  ihn  in  grofser  herlichkeit  dasitzen :  sie  sähen  daz  die  adelaren 
dar  zuo  gewenü  wären  daz  si  scate  baren',  und  einige  Zeilen 
später  heifst  es:  sit  Salomön  erstarp  sone  wart  nie  so  gröz  her- 
scaft  noh  newirdet  niemer  meres.  beides  sind  Zusätze  des  deut- 
schen dichters  gegenüber  der  französischen  quelle,  der  zweite 
zeigt,  wie  wir  den  ersten  aufzufassen  haben:  als  bewuste  Über- 
tragung von  Salomo  auf  Karl,  auch  in  sonstigen  sagengeschicht- 
lichen quellen  hat  ja  eine  solche  stattgefunden9,    mit  recht  wurde 

1  Vincentius  Bellovacensis  (Bochard  Hierozoicon  m  843),  Jans  Enenkel, 
Historia  scolastica,  Reinfrit  aao.  2  Laudiert  Geschichte  des  physiologus 

39.143;   vgl.  Musaeus  Volksmärchen:  der  Schatzgräber.  3  Weil  aao.  263. 

4  ebenda  246.  5  Wünsche   Midrasch   zum   buche  Esther   s.  81. 

Grünbaum  Jüdisch-deutsche   Chrestomathie  206.  6  Wünsche  aao.  s.  15. 

7  Konrads  Rolandslied  21,  20  ff.  8  ebenda  22,  6  ff.  9  Tur- 

pin  cap.  xx,  Aretin  Älteste  sage  über  die  geburt  und  Jugend  Karls  des  grofsen, 
München  1803,  cap.  4.  5.  Konrad  überträgt  auch  sonst  züge  von  Salomo 
auf  einen  von  ihm  verherlichten  mann  (MSD2  378.  Golther  Rolandslied 
s.  149). 


SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND  185 

schon  von  anderen  Seiten  Bartschs1  auffassung,  als  liege  blofs  ein 
misverständnis  der  entsprechenden  französischen  stelle  vor  ,  abge- 
lehnt2, wenn  auch  mit  ungenügenden  gründen;  denn  an  eine 
deutsch-mythologische  erklärung3  ist  dabei  nicht  zu  denken,  eher 
wäre  solches  möglich  bei  den  vielen  metallenen  adleru,  die.  wir  als 
auf  zelten  ,  dächern  usw.  angebracht  erwähnt  linden;  die  analogie 
mit  den  eberhelmen  könnte  dazu  verleiten :  aber  welchem  gott 
war  der  adler  nachweisbar  so  geweibt,  wie  der  eher  dem  Freyr? 
wenn  es  von  einem  solchen  adler  irgend  einmal  lieifst  als  ob  er 
lebete,  so  ist  das  ein  ganz  natürliches  lob  auch  unbeweglicher 
kunstwerke,  manchmal  vielleicht  aucb  als  eines  der  mechanischen 
kunststücke  der  spielleute  zu  lassen,  ähnlich  wie  die  singenden 
vögel  im   Wolfdietrich  uä. 

Zum  zwecke  des  bescbattens  tliegt  ein  adler  auch  über  dem 
hl.  Servatius4,  fliegen  10  adler  über  der  königstochter  im  Oswald5. 
zu  verändertem  zweck,  um  vor  dem  regen  zu  schützen,  in  den 
legenden  der  hhl.  Bertulpbus6  und  Medardus".  unklar  ist  es, 
ob  wir  es  bei  dem  adler,  der  über  dem  Schenktisch  im  palaste 
des  Xerxes  schwebts,  mit  einem  lebenden  oder  einem  künstlichen 
adler  zu  tun  haben. 

An  stelle  der  adler  sind  pfauen  getreten  in  der  sage  von 
Hilde9  und  in  Strickers  Daniel  von  Blumental10,  dessen  babidne 
der  ganzen  beschreibung  nach  nichts  anderes  sein  können,  obwol 
die  wortform  Schwierigkeiten  macht:  vielleicht  liegt  eine  Ver- 
mischung von  pavones  und  papiones  vor11. 

1  aiini.  zur  stelle;  Über  Karlmeinet  s.  102.  zuzugeben  ist  allenfalls, 
dass  ein  misverständnis  des  französischen  verses  Konrad  zu  der  Über- 
tragung angeregt  hat.  2  Berger  ßeitr.  11,  369.  Gollher  Das  Ro- 
landslied 145.  3  Myth.4  527. 948.  Berger  aao.  4  AASS  mai 
m  215.  5  Olmützer  hs.  6  AASS  februar  i  679.  7  AASS  juni 
ii  87  ff.  8  Pseudocallisthenes  in  28.  ESchröder  macht  mich  auf 
diese  stelle  aufmerksam,  die  ganze  Schilderung  beruht  auf  einer  nach- 
ahmung  des  thrones  Salomos,  vgl.  Zacher  Pseudocallisthenes  171;  die 
hier  citierte  schritt  von  Cassel  ist  mir  leider  unbekannt  geblieben,  die 
erzählung  von  der  dort  befindlichen  cither,  die  ohne  berührung  durch 
menschenhand  tönt,  geht  vielleicht  zurück  auf  die  von  der  über  Davids 
bette  hängenden  harte,  auf  der  täglich  um  mitternacht  der  nordwind  spielte 
(Wünsche  Bab.  talm.  i  4.  5).  9  Thidrekssaga  cap.  236;  vgl.  Edzardi 
Untersuchungen  über  das  spielmannsgedicht  von  Süswald  20.  JGrimm 
Lat.  gedichte  des  10  und  tljh.s  s.  385.  10  Karl  ed.  Bartsch  s.  x.  \i.  \n. 
xxvii.              u  vgl.  papiones  quos  appellant  uns  silvestrei    Osterr.  viertel- 


186  SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND 

Verwandt  mit  der  eben  abgehandelten  ist  die  sage,  wonach 
S.  einen  adler  herbeiruft,  um  die  leiche  seines  vaters  David  vor 
den  strahlen  der  sonne  zu  schützen1,  schon  in  jüdischer  tradition 
ist  dieser  zug  auf  die  leiche  eines  anderen  heiligen  mannes  über- 
tragen worden2,  das  abendland  ist  bereits  im  6  oder  7jh.  diesem 
beispiel  gefolgt3. 

Über  die  Vertreibung  Salomos  durch  Aschmedai  ist  bereits 
mehrfach  gehandelt  worden4,  ob  der  in  deutschen  märchen 
häuüg  erscheinende  zug,  dass  elfen  und  zwerge  an  ihren  vogel- 
füfsen  erkannt  werden,  auf  orientalischer  tradition5  beruht,  möge 
dahiu   gestellt  bleiben. 

Vielleicht  gehört  auch  die  Faustsage  nach  abzug  des  histo- 
rischen und  mutatis  mutandis  in  diesen  Zusammenhang,  die 
disputationen  mit  Mephisto  im  volksbuche  erinnern  sehr  an  die 
Salomos  mit  dem  geiste6.  der  name  Mephostophiles  ist  aller- 
dings vielleicht  ad  hoc  präpariert,  aber  der  des  geistes  Auerhahn", 
den  Faust  seinen  schülern  hinterlässt,  gemahnt  doch  auffallend 
an  den  dienstbaren  vogel  der  Salomosage.  der  zauhermantel,  auf 
dem  F.  drei  grafen  mit  sich  führt8,  entspricht  dem  teppich, 
mittels  dessen  Salomo  sich  und  seineu  bofstat  befördert,  hier 
wie  dort  wird  ein  dämonisches  weib  verschafft,  hier  wie  dort 
verschwindet  ein  kurz  vorbei*  geborenes  kind  auf  wunderbare 
weise9,  der  streit  der  geister  um  den  vorrang  an  Schnelligkeit 
beim  anbieten  ihrer  dienste  im  Puppenspiel  entspricht  dem  streit 
um  den  vorrang  an  Schnelligkeit,  als  es  sich  um  die  Verschaf- 
fung des  thrones  der  königiu  von  Saba  handelt:  ein  geist  will 
ihn  bis  zur  mittagszeit  schaffen,  Assaph  dagegen  so  schnell,  als 
Salomo  seinen  blick  hebe  und  senke10,  freilich  kann  hier  Crei- 
zenachs    nachweisen   zu    folge    nur   von   mittelbarem   zusarnmen- 

jahrsschrift  für  kath.  theologie  5,  276.  über  die  endung  -iän  vgl.  Heinzel 
\VSB117,78.     Weselofsky  Archiv  für  slav.  philologie  6,  573.  l  Wünsche 

Ruth  Rabba  27.  2  Wünsche  Babyl.  talmud  n  2,101.  3  AASS  juni 

ii  1025  ff.  4  RKöhler    Germania  2,  431.      Vogt    Salomon   und  Morolf 

i  213.  5  Wünsche  aao.  n  1,  183.    die  reine  Pedauque,  das  ist  doch  wol 

die  königin  von  Saba  [Ztschr.  27,  23],  hat  gänsefüfse,  die  orientalische  tradition 
weifs  von  eselsfüfsen;  Weil  aao.  267.  da  auch  das  altertum  bocks-  und 
pferdefüfsige  naturgeister  kannte,  so  ist  die  annähme  einer  Übertragung 
wenigstens    nicht    notwendig.  6  Vogt  aao.  liii  ff.  "'  Volksbuch 

ed.  Braune  cap.  61.  8  aao.  cap.  37.  9  Hammer  Rosenöl  i  213. 

10  Weil  aao.  265. 


SALOMOSAGEN  IN  DEUTSCHLAND  IST 

hange  die  rede  sein,  die  Verwandlung  der  von  F.  verkauften 
pferde  und  schweine  in  strohbündel,  im  momente  als  sie  ans  wasser 
getrieben  werden1,  beruht  wenigstens  auf  orientalischer  tradition : 
der  von  einem  Ägypter  verkaufte  esel  wird  unter  denselben  um- 
ständen in  ein  brett  verwandelt2. 

Selbständig  rindet  sich  die  einleitende  vogelbotschaft  ziem- 
lich übereinstimmend  in  verschiedenen  märchen3  wider,  wie 
thron  und  tempel  Salomos  ist  auch  sein  grab  im  Oriente  sagen- 
umsponnen4: ein  schwacher  nachklang  davon  ist  es  vielleicht, 
wenn  er  in  Deutschland  nach  dem  muster  einheimischer  helden 
in  den  hohlen  berg  versetzt  wird5,  romauischer  vermittelung 
endlich  verdankt  das  deutsche  mittelalter  die  mit  der  S.sage  zu- 
sammenhängenden sagen  von  Virgil  und  von  Cliges6. 

1  Volksbuch  cap.  39.  43.  2  Wünsche,  Babyl.  talmud  n  3, 115. 

3    HCosquin  Contes  populaires   de  la  Lorraine  i  48  4  de  Goeje 

De    reizen    an    Sindebaad    (De    Gids   1889,    s.  291).  5    nachweis    von 

ESchröder:    FXvSchönwerth  ,   Aus   der  Oberpfalz  m  354  und  355. 

6  GParis  La  litt,  franc.  au  moyen  äge  84. 
Wien,  im  Juli  1890.  S.  SINGER. 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN. 

I 

Erinnerung  156  ff  wird  die  frage  aufgeworfen  'swenne  des 
briesters  hant  wandelt  gotes  lichnamen,  sol  si  sich  danne  nicht 
zamen  von  wiplichen  umgriffen?'  die  antwort  darauf  lautet  175  ff: 
'ez  sul  got  missecemen  daz  wir  der  misse  verneinen.'  nicht  nur 
dass  solche  priester  (188  f),  die  ir  christenlichen  anthäiz  mit 
andern  gehäizzen  habent  gemeret,  verdammt  sind,  sie  bringen  auch 
nach  dem  worte  der  schrift  (256  0  'swd  ein  blinde  dem  anderm 
git  geläite,  da  vallent  si  be'de  in  die  grübe',  die  ihrer  seelsorge 
anvertrauten  zur  Verdammnis  (261  f).  'die  blinden  sint  die  boesen 
lercere  die  die  verworchten  hoercere  mit  in  läitent  in  den  ewigen  val.' 

Der  Verfasser  der  Erinnerung  steht  also  durchaus  auf  dem 
standpuncle,  den  Gregor  vu  und  nach  ihm  Urban  n  und  Inno- 
cenz  ii  vertreten  haben,  dass  des  nikolaitischen  priesters  messe 
ungültig  sei  und  deshalb  der  laie  sie  nicht  hören  solle. 

Der  wolgefügte  Zusammenhang  dieser  scharf  und  klar  aus- 
gesprochenen auffassuug  wird  nun  mit  vers  181  — 186  durch  einen 


188  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  I 

lehrsatz  durchbrochen ,  welcher  das  gerade  gegenteil  verficht: 
swd  aber  daz  gotes  wort  unt  diu  gewihte  hant  ob  dem.  gotes  tische 
wurchent  ensant,  dd  wirt  der  gotes  lichname(n)  in  der  misse  von 
einem  sundcer  so  gewisse  so  von  dem  häiligistem  man  der  briester- 
lichen  namen  ie  gewan.  beide  hier  unvermittelt  und  ohne  urteil 
neben  einander  gestellte  ansichten  sind,  zu  verschiedenen  Zeiten, 
von  der  kirche  als  dogmen  betrachtet  worden;  dass  sie  einander 
völlig  widersprechen  und  ausschliefsen,  leuchtet  ein.  darf  man 
dennoch  den  dichter  der  Erinnerung,  dessen  werk  weit  entfernt 
ist  von  planloser  aneinanderreihung  verworrener  gedanken,  solcher 
gedankenlosigkeit  für  fähig  halten?  ich  verneine  es  auf  das  ent- 
schiedenste, der  mann ,  welcher  die  messe  der  Nikolaiten  als 
verderben  bringend  verwirft,  kann  sie  nicht  zugleich  als  gültig  an- 
erkennen und  damit  den  zuhörern ,  die  von  spitzfindigen  dogmen- 
unterschieden nichts  wissen ,  zu  empfehlen  scheinen,  die  verse 
181 — 186  müssen  interpoliert  sein,  dann  aber  kann  der  dichter 
(es  sei  denn,  dass  man  unzweifelhaft  nachzuweisen  vermöchte, 
er  habe  seine  anschauung  von  grund  aus  geändert)  auch  nicht 
in  einem  anderen  werke ,  in  welchem  er  das  gleiche  thema  be- 
handelt, diejenige  ansieht  mit  eifer  verfechten,  welche  er  dort 
mit  demselben  eifer  verworfen  hat;  kurz:  der  dichter  der  Erin- 
nerung kann  nicht  auch  das  Priesterleben  verfasst  haben. 

Eine  betrachtung  der  entsprechenden  stelle  im  Prlb.  wird 
das  bestätigen.  253  ff  werden  der  nikolaitische  und  der  simoni- 
tische  priester  vorgenommen  und  ihnen  für  ihren  sündhaften 
wandel  gottes  Strafgericht  verheifsen.  wie  aber,  so  fährt  der 
dichter  367  ff  fort,  ist  die  Stellung  der  laieu  zu  solchen  priestein? 
hier  muss  die  ansieht  vieler  laien ,  dass  die  messe  des  schlechten 
priesters  unrein  sei ,  bekämpft  werden ,  denn  'daz  ist  ein  groez- 
lichiu  mdine'.  gott  selbst  wird  dadurch  beschulten,  da  ja  damit 
nichts  anderes  gesagt  würde,  als  dass  gottes  wesen  durch  den 
armseligen  menschen  gebessert  oder  verschlechtert  werden  könnte: 
375  wer  wa>r  der  got  gelochte,  den  dehäin  armer  mensch  möchte 
geboesern  oder  gibezzem  an  sinem  leben?  das  wunder  der  Ver- 
wandlung in  leib  und  blut  Christi  geschieht  allein  durch  den 
segen  (380  die  toufe  unt  gotes  lichnamen  machet  nicht  wan  der 
segen).  wer  in  Sünden  das  sacrament  spendet,  der  verurteilt 
sich  selbst,  aber  die  würkung  des  sacramentes  ist  dieselbe,  ob 
es  von  einem  guten  oder  bösen  priester  kommt  (386  swaz  aber 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  I  189 

ze  dem  ewigem  haue  gendden  uns  da  von  chomen  sol ,  daz  ist  als 
statte  unt  als  tool  von  dem  ubelen  sam  von  dem  besten),  deshalb 
soll  sich  der  laie  nicht  um  die  person  des  Spenders  kümmern 
(382  wir  sulen  nicht  vorsehen  umb  sin  leben,  der  daz  ampt  da 
für  bringet),  wenn  dieser  nur  die  weihe  hat,  die  allein  zur 
würkung  ausreicht  (421  von  diu  solt  uns  sin  wihe  sin  gewizzen- 
lich,  so  weere  sin  ampt  nicht  ungewislich). 

Oh  der  priester  das  amt  hat,  des  gebent  die  urchunde  die 
under  den  ph äffen  der  mäisterschaft  phlegent:  daz  megen  die  läien 
xeol  vertragen,  wan  si  sin  anders  chunde  nicht  mngen  haben  (423  ff), 
des  dichters  meinung  entspricht  genau  den  Worten  in  einem 
decrete  Nicolaus  ii:  de  presbyteris  vobis,  qui  laici  estis,  nee  iudi- 
candum  est,  nee  de  vita  eorum  qnidquam  investigandum ,  sed  epi- 
scoporum  iudicio,  quidquid  illud  est,  reservandum.  sumite  ab  omni 
sacerdote  intrepide  Christi  mysteria,  quoniam  omnia  in  fide  pur- 
gantur  (mitgeteilt  in  Gerhochs  Dialogus  de  differentia  cler.  saecul. 
et  regul.  Migne  194,1394).  diese  ansieht  wurde  dann,  nachdem 
Gregors  und  seiner  nachfolger  rigorose  bestimmungen  wegen  der 
damit  verbundenen  gefabr  für  die  macht  der  kurie  sich  als  un- 
ausführbar erwiesen,  allmählich  wider  von  der  kirche  als  allgemein 
gültig  angenommen  und  war  seit  ungefähr  der  mitte  des  12  jbs.  un- 
bestrittenes dogma. 

Die  von  dieser  grundverschiedene  Stellung  der  Erinnerung 
zu  der  frage  ist  evident,  ihr  dichter  gibt  dem  laien  keine  be- 
lehrung,  wie  er  sich  dem  nikolaitischen  priester  gegenüber  zu 
verhalten  habe,  er  ruft  vielmehr  das  laienurteil  an:  sprechet  wel- 
ker räinichäit  er  bedürfe  (173)?  und  die  aus  der  angerufenen 
menge  erschallende  antwort  ist:  dar  umbe  heb  wir  uns  ze  rüffe 
unt  sprechen  ez  sul  got  missecemen  daz  wir  der  misse  vernemen 
die  wir  so  nicht  sehen  leben,  . .  .  als  si  von  rechte  solden:  dar  umbe 
si  wir  in  erbolgen.  dem  satze  des  Priesterlebens  421  f  von  diu 
solt  uns  sin  wihe  sin  geicizzenlich ,  so  weere  sin  ampt  nicht  unge- 
wislich widersprechen  auf  das  schärfste  die  worte  Erinnerung 
55  ff  chrislenlicher  orden  der  ist  harte  erworden:  s  u  m  lieh  h  a  h  e  n  t 
den  namen  dn  daz  ambet. 

Im  Priesterleben  hält  ein  orthodoxer  priester  ,  der  der  macht 
des  priestertums  nichts  vergeben  will,  seinen  standesgenossen  ihre 
Sünden  vor,  verwehrt  den  laien  aber  jedes  urteil,  in  der  Erin- 
nerung  klagt   ein   geistlicher,   dessen    frommer   glaubenseifer  es 


190  ERINNERUNG  UNI»  PRIESTERLEBEN  1 

mit  der  Gregorianischen  strenge  hält,  den  verkommenen  priester- 
stand öffentlich  an  und  lässt  laien  darüber  zu  gericht  sitzen. 

Den  Widerspruch,  in  welchem  Erinnerung  175  ff  mit  Prlb. 
367(1  steht,  hat  Heinzel  auch  hervorgehoben  (s.  21),  aber  er 
gibt  nur  den  schein  eines  Widerspruchs  zu,  'da  ja  in  der  Erin- 
nerung vorausgesetzt  wird,  man  wisse  um  die  Sünden  des  priesters, 
im  Priesterleben  ihnen  nachzuspüren  verboten  wird.'  ihm  stimmt 
zu  Ottomar  Lorenz,  Heinrich  von  Melk,  der  Juvenal  der  ritterzeit 
(Halle  1886)  s.  38  f.  aber  der  gegensatz,  in  welchen  hier  Heinzel 
die  worte  'wissen'  und  'forschen'  zu  setzen  sucht,  ist  dogmatisch 
gar  keiner,  von  der  kirche  ist  er  niemals  gemacht  worden,  wenn 
in  dem  oben  erwähnten  decrete  Nicolaus  ii  den  laien  verbietet 
über  das  leben  der  geistlichen  zu  forschen ,  so  geht  aus  dem 
folgenden  satze  hervor,  warum  er  es  verbietet,  nämlich  nur 
weil  ein  solches  forschen,  dessen  resultat  für  den  communicie- 
renden  laien  völlig  gleichgültig  sein  konnte,  geeignet  war,  die 
würde  und  das  ansehen  des  priesterstandes  in  den  äugen  der 
laien  herabzusetzen,  wer  aber  den  satz  aufstellte,  dass  das  sacra- 
ment  des  unzüchtigen  priesters  dem  empfänger  nichts  nütze,  wer 
wie  Gregor  sogar  den  laien  zur  mitwürkuug  an  der  reform  des 
clerus  heranzog,  der  konnte  ihm  auch  nicht  den  weg  verlegen, 
auf  dem  er  zur  kenntnis  von  der  unsittlichkeit  des  priesters  ge- 
langen konnte,  deshalb  wird  auch  von  keinem  concil,  das  das 
messehören  bei  nikolaitischen  geistlichen  untersagt,  dem  laien 
verboten,  über  das  leben  der  geistlichen  nachforschungen  an- 
zustellen, capitel  5  des  concils  von  Rheims  (1131)  bestimmt: 
Ad  haec  praedecessorum  nostrorum  Gregorii  vii,  Urbani  et  Paschalis 
Romanorum  pontificum  vestigiis  inhaerentes  praecipimus ,  ut  nullus 
missas  eorum  audiat  quos  uxores  vel  concubinas  indubitanter  habere 
cognoverit  (Mausi  21,  459).  im  concil  von  Lültich  (1131)  sta- 
tuilur  uxorati  presbyteri  missam  nemini  audiendam  esse  (Mansi 
21,475).  art.  8  des  Londoner  concils  (1138)  lautet:  Sanctorum 
patrum  vestigiis  inhaerentes  presbyteros,  diaconos,  subdiaconos 
uxoratos  aut  concubinarios  ecclesiasticis  ofßciis  et  benefeciis  priva- 
tum: ac  ne  quis  eorum  missam  audire  praesumat ,  apostolica  aucto- 
ritate  prohibemus  (Mausi  21,  512).  nicht  anders,  nur  schärfer, 
hatte  sich  auch  Gregor  ausgesprochen,  in  einem  breve  vom 
jähre  1079  an  die  deutschen  und  italienischen  bischöfe,  das 
Berthold   von   Reichenau    in    seinen    Annalen    mitteilt   (MG.  SS. 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  I  191 

v  317)  heilst  es:  Si  qui  sunt  presbiteri  diaconi  vel  subdiaconi, 
qui  iaceant  in  crimine  fornicationis ,  interdicimus  eis  ex  parte 
omnipotentis  Bei  et  auctoritate  SPetri  introitum  ecdesiae,  usque 
dum  poeniteant  et  emendent.  si  qui  vero  in  peccato  suo  per- 
severare  maluerint,  nullus  vestrum  officium  eorum  auscultare  prae- 
sumat,  quia  benedictio  Ulis  in  maledictionem  vertetur  et  oratio  in 
peccatum.  wir  sehen,  von  einem  verböte  der  nachforschungen 
ist  keine  rede,  nur  muss,  wie  das  Rheimser  concil  sehr  natür- 
lich verlangt,  das  vergehen  des  priesters  unzweifelhaft  sein,  wie 
er  aber  die  unzweifelhafte  Sicherheit  erhält,  das  bleibt  ganz  dem 
laien  überlassen. 

Es  kann  sonach  auch  Heinzeis  ansieht  über  den  gegensatz 
zwischen  forschen  und  wissen  nicht  richtig  sein,  nicht  'an- 
scheinend' ist  der  Widerspruch  zwischen  Erinnerung  und  Priester- 
leben,  sondern  unverkennbar  und  unversöhnlich,  der  unterschied 
in  der  auffassung  beider  gedichte  besteht  keineswegs  darin,  dass 
in  der  Erinnerung  von  offenkundiger  Unzucht,  in  dem  Priesler- 
leben von  dem  verdachte  einer  solchen  gesprochen  wird,  sondern 
darin,  dass  in  jener  die  messe  offenbar  unzüchtiger  priester  ver- 
boten, in  diesem  die  messe  offenbar  unzüchtiger  priester  erlaubt 
wird,  wo  letzteres  der  fall  ist,  da  ist  aber  auch  das  forschen 
nach  dem  leben  der  priester,  als  für  den  laien  bedeutungslos, 
für  die  kirche  aber  bedenklich,  zu  untersagen,  wie  es  von  Niko- 
laus geschehen  ist. 

Das  unpassende  der  verse  Erg.  181  —  186  hat  auch  Wilmanns 
gefühlt  und  sie  darum  als  einschub  aufgefasst.  da  aber  auch 
für  ihn  der  dichter  von  Erinnerung  und  Priesterlebeu  dieselbe 
person  ist,  muss  er  folgerichtig  ebenso  die  stelle  des  Priester- 
lebens, in  weicher  jene  verse  widerholt  werden,  für  interpoliert 
halten,  er  scheidet  deshalb  gleichfalls  Prlb.  367 — 436  aus.  seinem 
urteile,  dass  diesen  versen  die  lebendige  beredsamkeit  fehle,  die 
sonst  in  diesen  gedienten  heischt,  dass  der  ausdruck  undurch- 
sichtig sei  und  die  lose  aneinanderreihung  der  sätze  unsicheren 
gedankeugang  verrate,  kann  ich  mich  nicht  anschliefsen ;  ich  würde 
dies  urteil  höchstens  erklärlich  finden,  weun  VV.  an  die  fragliche 
partie  nur  den  mafsstab  der  Erinnerung  gelegt  hätte,  mit  der 
darstellung  des  Priesterlebens  steht  sie  meines  erachleus  weder 
äufserlich   noch  inhaltlich   in  Widerspruch. 

Aber,    so    lautet    der    hauptrin\wii T,    wenn    die    verse    Prlb. 


192  ERINNERUNG  UND  PH1ESTERLEBEN  I 

367  —  436,  in  welchen  der  dichter  mit  den  vvorlen  als  ich  in 
vor  gesaget  hän  sich  ausdrücklich  zu  dem  gleichlautenden  satz 
181 — 186  in  der  Erinnerung  bekennt,  nicht  interpoliert,  sondern 
echt  sind,  dann  müssen  auch  jene  verse  in  der  Erinnerung  echt 
und  diese  selbst  von  dem  dichter  des  Priesterlebens  gedichtet 
sein,  so  einfach  und  unanfechtbar  diese  folgerung  zu  sein  scheint, 
sie  ist  doch  trüglich.  wäre  sie  richtig,  so  müste  vor  allen  dingen 
feststehen,  dass  die  beiden  dichtungen  ein  einheitliches  ganzes 
hauen  bilden  sollen ,  in  welchem  die  Erinnerung  gewissermafsen 
der  erste  teil  gewesen  wäre,  denn  auf  ein  irgend  einmal  früher 
von  ihm  verfasstes  gedieht  hätte  der  Verfasser  nicht  in  dieser  un- 
bestimmten form  verweisen  können,  ohne  dem  publicum  gänzlich 
unverständlich  zu  bleiben. 

Man  hat  sich  nun  freilich,  vorzüglich  durch  Heinzeis  aus- 
gäbe verleitet,  daran  gewöhnt,  die  beiden  dichtungen  in  dieser 
folge  in  Zusammenhang  zu  bringen,  und  sie  findet  scheinbar  ihre 
bestätigung  in  der  handschrift,  worin  dem  Priesterleben  die  Erin- 
nerung, allerdings  nicht  unmittelbar,  vorausgeht,  in  der  tat  aber 
ist  die  umgekehrte  folge  die  ursprüngliche. 

Am  ende  des  Priesterlebens  steht  als  rubrum:  daz  buch 
heizzet  daz  gemeine  leben,  woraus  ersichtlich  ist,  dass  der  Schreiber 
des  Priesterlebens  das  gedieht  'vom  gemeinen  leben',  also  die 
Erinnerung,  nach  dem  Priesterleben  abschreiben  wollte  resp. 
abgeschrieben  hat.  mit  grund  glaubte  daraus  Scherer  (Zs.  f. 
d.  öst.  gymn.  19,  577)  auf  eine  verlorene  zweite  handschrift  der 
Erinnerung  schliefsen  zu  dürfen,  und  liefs  die  Vorstellung  frei, 
dass  auch  in  unserer  hs.  auf  dem  13  quaternio,  welcher  aus- 
geschnitten ist,  der  Erinnerung  das  Priesterleben  vorangieng. 
beide  Vermutungen  werden  nun  durch  Hugo  Herzogs  mitieilung 
Anz.  xv  217  bestätigt,  nur  mit  der  einschränkung,  dass  die  er- 
schlossene zweite  hs.  der  beiden  gedichte  mit  der  uns  erhaltenen 
identisch  ist.  Scherers  annähme,  dass  die  5  biälter  des  Priester- 
lebens von  anderer  band  geschrieben  seien,  ist  unrichtig;  Herzog 
hat  erwiesen,  dass  diese  blätter  mit  der  abweichenden  Signatur 
der  erhaltene  rest  der  20  blätter  sind,  welche  vor  der  Erinnerung 
ausgeschnitten  sind,  das  rubrum  hinter  dem  Priesterleben  be- 
zieht sich  also  auf  unsere  niederschrift  der  Erinnerung,  so  wird, 
was  vor  dieser  entdeckung  schon  sicher  schien,  nur  bestätigt, 
nämlich    dass  die  ursprüngliche  anordnung  der  gedichte,    soweit 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  I  193 

wir  sie  überhaupt  verfolgen  können,  Priesterleben -Erinnerung 
war.  da  somit  in  der  Überlieferung  jeder  anhält  dafür  fehlt,  im 
Priesterleben  anspielungen  auf  die  Erinnerung  voraussetzen  zu 
dürfen,  so  sehen  wir  uns  dazu  gedrängt,  im  Priesterleben  selbst 
nach  einer  erkliirung  zu  suchen,  und  eine  solche  bietet  in  der 
tat  keine  Schwierigkeit,  sie  liegt  vielmehr  recht  nahe,  die  verse 
396  ff  sind  eine  nochmalige  eingehendere  erläuterung  der  ge- 
dauken,  welche  der  dichter  von  v.  369  ab  entwickelt,  speciell 
eine  Umschreibung  der  worte  386  ff  swaz  aber  ze  dem  ewigem 
häile  gendden  uns  da  von  chomen  sol,  daz  ist  als  stcete  unt  als 
wol  von  dem  ubelen  sam  von  dem  besten,  auf  sie  greift  der 
dichter  zurück:  'wenn  ihr  meine  vorhergehende  auseinander- 
setzung  recht  verstehen  wollt,  so  seid  versichert,  dass,  wo  gottes 
wort  und  geweihte  hand  usw.'  etwas  schwerfälliger  wird  so  die 
redeweise  des  dichters,  wenn  sie  äufserlich  sich  auch  in  nichts 
ändert,  aber  die  Schwerfälligkeit  ist  eine  folge  des  strebens  nach 
allgemeinverständlichkeit,  die  belehrung  der  laien  liegt  ihm  um 
so  mehr  am  herzen,  je  mehr  sie  durch  seine  ganze  strafrede  über 
den  priesterstand  zu  der  ansieht  verleitet  werden  könnten,  er 
teile  den  standpunet  vieler  über  die  Verwerflichkeit  der  durch 
schlechte  priester  verrichteten  gottesdienstlichen  handlungen.  da- 
her die  übermäfsige  breite  in  diesem  abschnitte  und  die  wider- 
holung  desselben  gedankens  in  anderer  form. 

Für  unsere  erklärung  des  verses  396  des  Priesterlebens  sprechen 
nun  auch  ganz  analoge  beispiele  in  anderen  gedienten,  einmal  in 
der  Erinnerung  977  ff:  als  wir  davor  haben  gesprochen:  weer  dem 
tivel  sin  recht  an  im  zebrochen,  daz  er  uns  nicht  möchte  geschaden,  so 
solde  wir  doch  die  minne  haben  zuo  dem  obristem  riche.  Heinrich 
erinnert  mit  diesen  worten  an  seinen  ausspruch  913  ff:  habe  ditz 
ze  einem  spelle ,  daz  der  tivel  oder  diu  helle  uns  nach  disem  Übe  ich 
mugen  geschaden.  die  andere  zutreffende  stelle  findet  sich  in  der 
Warnung,  da  heifst  es  2541  ff:  wer  sich  ehre  auf  erden  er- 
werben will,  der  muss  gar  manche  bequemlichkeit  entbehren 
und  heifs  ringen,  wen  sollte  also  mühseliger  kämpf  von  der 
erwerbuug  der  himmlischen  ehre  abschrecken ,  die  doch  weit  be- 
ständiger ist  und  zugleich  auch  irdische  ehren  einbringt?  darum 
(2591)  vle'get  got  dar  under  alle  zit ,  diu  werlt  tu  vollen  Ion  gif 
aller  tugentlichen  sinne:  so  kumt  iu  ze  gewinne  ir  e're,  swd  ir  si 
weit,  an  diese  entwickeluug  knüpft  2601  in  derselben  weise  an, 
Z.  F.  Fi.  A.    XXXV.    N.  F.    XXIII.  13 


194  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  1 

wie  diefs  Erinnerung  396  geschieht:  swaz  ich  iu  vor  hdn  geseit, 
ob  iuch  der  muot  dar  zuo  treu  daz  ir  ere  minnet  mit  die  gerne 
gewinnet,  nu  sehet  wd  ir  daz  liep  ist,  daz  ir  den  heiligen  Krist 
in  dem  herzen  habt  ze  minne  mit  allem  iurem  sinne ,  mit  e'rt  iuch 
immer  dester  baz  daz  ir  gote  lobet  etewaz. 

Nachdem  so  das  augenfälligste  beweismoment  für  die  identität 
der  dichter  in  Wegfall  gekommen  ist,  empfiehlt  es  sich,  ehe  die 
weiteren  gründe  geprüft  werden,  zu  sehen,  wie  sich  die  forschung 
zu  der  frage  gestellt  hat.  der  erste,  der  sich  darüber  äufsert,  ist 
Haupt,  aber  er  hat  nicht,  wie  Koberstein-Bartsch  l6, 261,  33  und 
Rödiger  Zs.  19,285  sagen,  das  Priesterleben  dem  Heinrich  von 
Melk  zugesprochen,  seine  worte  (Altd.  blätter  1,  237)  lauten: 
'ob  dieses  bruchstück  (das  Priesterleben)  von  dem  Heinrich  her- 
rührt, der  vor  dem  jähr  1163  von  des  tödes  gehügede  dichtete, 
werde  ich  bei  der  herausgäbe  dieses  bisher  nur  teilweise  ge- 
druckten gedichtes  zu  erörtern  haben.'  vorsichtiger  kann  man 
sich  nicht  ausdrücken,  wäre  Haupt  seiner  sache  sicher  gewesen, 
so  hätte  er  schwerlich  von  'erörtern'  gesprochen  und  gewis  kein 
zweifelndes  'ob'  gebraucht,  in  dem  'ob'  scheint  mir  zu  liegen, 
dass  Haupt  auf  gelegentliche  mündliche  erörterungen  über  die 
gedichte  rücksicht  nimmt,  oder  auch  auf  eigene  noch  nicht  zu 
völliger  klarheil  durchgedrungene  Untersuchung  hindeutet,  dabei 
aber  eher  der  meinung  zuneigt,  dass  trotz  den  leicht  hervor- 
zuhebenden berührungen  schwere  bedenken  gegen  die  identität 
obwalten,  und  darum  mag  er  auch  schliefslich  von  der  ver- 
sprochenen herausgäbe  und  weitereu  Untersuchung  abgestanden 
sein,  um  so  mehr  als  die  frage  nicht  durch  kritische  erörterungen 
allein  zum  abschlusse  gebracht  werden  konnte,  sondern  kirchen- 
geschichtliche Studien  erforderte,  die,  soweit  ich  erkennen  kann, 
Haupts  arbeitsfelde  ferner  liegen,  was  hätte  ihn,  der  sich  später 
noch  mehrfach  mit  den  gedienten  dieser  hs.  beschäftigt  hat,  sonst 
abhalten  sollen,  seinem  versprechen  nachzukommen? 

Wilhelm  Grimm  hat  in  der  Geschichte  des  reims  s.  40,  wo 
er  die  Erinnerung  mit  der  Litanei  vergleicht,  das  Priesterleben 
nicht  mit  in  seine  betrachtung  gezogen,  würde  er  es  bei  der 
augenfälligen  ähnlichkeit  im  reimgebrauch  unterlassen  haben,  wenn 
er  von  der  identität  der  dichter  überzeugt  gewesen  wäre?  Wacker- 
nagel hält  es  nur  für  wahrscheinlich,  dass  die  beiden  gedichte 
von    einem    Verfasser   herrühren,      der   erste,    welcher    diefs    für 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  I  195 

sicher  ansieht,  ist  Diemer.  er  äufsert  sich  (Kl.  beitr.  15,  W'SR 
18,255)  wie  folgt:  'wir  wollen  hier  von  dem  geiste,  welcher  das 
ganze  durchdringt,  von  dem  inhalte,  welcher  in  beiden  dichtungen 
genau  zusammenstimmt,  dann  von  denselben  gedanken,  welche 
in  beiden  oft  fast  mit  den  gleichen  worten  widerkehreu ,  wie  zb. 
Pfaffenl.  592  mit  Gehiigde  121,  122;  Pfaffenl.  279  IT  mit  Gehügde 
161  —  168;  Pfaffenl.  11,37,  130  mit  Gehügde  246  — 263  nicht 
weiter  reden,  sondern  weisen  nur  auf  die  stelle  hin  Gehiigde 
v.  181 — 186,  auf  welche  sich  der  Verfasser  im  Pfaffenl.  395  aus- 
drücklich mit  den  worten  beruft,  ob  ir  in  der  rede  recht  wellet 
enstdn,  als  ich  iu  da  vor  gesaget  hdn,  und  dann  die  6  verse 
397  —  402,  auf  die  er  sich  bezieht,  mit  denselben  worten  wider 
hersetzt,  nach  dieser  ausdrücklichen  bemerkung,  dass  er  jene 
rede  früher  gesprochen  habe,  wenn  man  sich  derselben  noch 
erinnern  wolle,  kann  man  doch  wol  mit  Zuversicht  schliefsen, 
dass  es  nicht  blofs,  wie  man  bisher  meinte,  wahrscheinlich, 
sondern  fest  und  gewis  sei,  dass  das  Pfaffenleben  auch  von  dem- 
selben Verfasser  herrühre.'  von  nun  an  gilt  es  für  entschieden: 
Erinnerung  und  Priesterleben  sind  von  6inem  Verfasser,  die  frage 
wird  von  Heinzel  und  allen ,  welche  sich  nach  ihm  mit  den  ge- 
dienten beschäftigt  haben,  überhaupt  nicht  mehr  aufgeworfen, 
sondern  wie  selbstverständlich  als  gelöst  betrachtet1,  einen  zweifei 
hegt  selbst  Wilmanns  nicht;  er  hätte  freilich  damit  seiner  hypo- 
these  auch  allen  und  jeden  boden  entzogen,  denn  mit  zwei 
ungarischen  poeten  auf  einmal  die  deutsche  litteratur  zu  be- 
reichern, das  würde  doch  des  guten  zuviel  geworden  sein. 

Den  punet,  woraus  es  Diemer  als  fest  und  gewis  hervor- 
geht, dass  Erinnerung  und  Priesterlehen  von  demselben  Verfasser 
herrühren,  habe  ich  oben  ausführlich  besprochen,  wenn  man 
meiner  beweisführung  beipflichtet,  dann  ist  nicht  nur  festgestellt, 
dass  Prlb.  396  sich  auf  die  kurz  vorhergehenden  worte  desselben 
gedichtes  bezieht,  sondern  es  tritt  damit  für  die  nachträgliche 
einschiehung  der  verse  Erinnerung  181  — 186,  die  schon  aus 
anderen  Ursachen  als  eine  notwendige  annähme  erschien,  ein  neuer 
ausschlaggebender  grund  hinzu,    befreit  von  diesem  irreführenden 

1  nur  Goedeke  Grundr.  1-,  '61  widerstrebt  der  gleichsetzung  des  verf.s  und 
auch  Zarncke  scheint  zu  zweifeln,  wenn  er  Gentralbl.  1868,500  sa^l:  ver- 
gebens sucht  man  nach  einer  klaren  erörterung  der  Überlieferungsfrage,  nach 
einer  erörterung  der  Zusammengehörigkeit  der  beiden  gediente.' 

13* 


196      ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  I 

satze  aber  lässt  die  Erinnerung  Diemers  ausführung  von  dem 
gleichen  geiste,  welcher  das  ganze  durchdringt,  und  dem  inhalte, 
welcher  in  beiden  gedienten  genau  zusammenstimmt,  nur  in 
so  weit  bestehn ,  als  dasselbe  thema  in  demselben  geiste  zornigen 
Schmerzes  und  bitterer  aufrichtigkeit  behandelt  wird;  dagegen  tritt 
eine  unüberbrückbare  kluft  zwischen  den  grundanschauuogen  beider 
gedichte  über  die  bedingungen  des  gültigen  opfers  scharf  zu  tage. 
Was  von  Übereinstimmungen  in  den  gedienten  sich  findet 
und  von  Diemer  herbeigezogen  wird,  ist  nicht  erheblich,  die 
einzige  wörtlich  übereinstimmende  stelle  ist  Erinnerung  121  die 
muhen  si  lichent ,  die  olbenden  si  verslichent  =  Prlb.  592  die 
muhen  ir  liehet,  die  olbenden  ir  slichet.  es  ist  dieses  eine  sprich- 
wörtliche redensart,  die  aus  Matlh.  23,  24  duces  caeci  excolantes 
culicem ,  camelum  autem  glutientes  herstammt  und ,  wie  Heinzel 
in  der  anmerkuug  zu  Erinnerung  121  nachweist,  in  der  popu- 
lären lateinischen  poesie  sehr  beliebt  war.  sollte  sie  es  weniger 
in  der  populären  deutschen  gewesen  sein?  jedenfalls  sind  Sprich- 
wörter herrenloses  gut  und  ihre  Verwendung  steht  jedem  zu. 
immerhin  möchte  die  völlige  gleichheit  im  ausdrucke  (in  den  von 
Jos.  Haupt  herausgegebeneu  evangelienbruchstücken  lautet  die 
Übersetzung  (Germ.  14,450)  ir  spient  uz  die  muegen  unt  slindent 
die  olbinten)  die  annähme  desselben  Verfassers  nahe  legen  können 
und  eine  directe  entlehnung  scheint  in  der  tat  vorzuliegen  ,  da  das 
verbum  liehen  nur  an  diesen  beiden  stellen  belegt  ist.  aber  die 
ungleiche  behandlung  des  Sprichworts  kann  man  geradezu  für  die 
Verschiedenheit  der  dichter  anführen,  in  der  Erinnerung  121,  wo 
es  heifst:  die  muhen  si  lichent,  die  olbende7i  si  verslichent:  si  refsent 
niewan  die  armen;  die  solden  in  erbarmen,  swaz  der  riche  man 
getuot,  daz  dunchet  siu  suz  unt  guot,  wird  zwar  eine  Übertragung 
des  Sprichworts  ins  practische  leben  gegeben,  die  specielle  be- 
ziehung  aber  dem  Verständnis  des  hörers  überlassen,  im  Prlb.  592 
dagegen,  wo  das  Sprichwort  als  ausspruch  des  Heilandes  er- 
scheint, wird  daran  mit  den  worten  daz  welle  wir  iu  bediuten, 
waz  daz  erzäiget  an  den  armen  Hüten  eine  eingehendere  be- 
lehrung  geknüpft,  in  der  das  bibelwort  zergliedert  und  für  jedes 
glied  ein  practisches  beispiel  vorgebracht  wird,  dass  beide  aus- 
führungen  von  demselben  manne  gemacht  seien,  würde  mir  nur  dann 
wahrscheinlich  vorkommen,  wenn  das  Prlb.  mit  seiner  längeren 
auseinandersetzung  vor  der  Erinnerung  gedichtet  wäre,  eine  sach- 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  I  197 

läge,  die  hinwiderum  den  Verteidigern  der  einheit  unbequem  er- 
scheinen möchte. 

Die  beiden  anderen  von  Diemer  noch  angeführten  stellen 
zeigen  ähnliche  gedanken  über  denselben  gegenständ,  weiter 
nichts,  es  wäre  weit  wunderbarer,  wenn  solche  gedankenconcor- 
danzen  in  zwei  gedienten,  die  zum  teil  dasselbe  und  im  selben 
geiste  behandeln,  nicht  vorhanden  wären. 

Mit  der  ähnlichkeit  in  reimen  und  Wortschatz  wird  niemand 
mehr  die  hypothese  stützen  können,  seitdem  wir  wissen,  dass 
darin  ein  jedes  der  beiden  gedichte  der  Litanei,  sowol  der  ur- 
sprünglichen, wie  der  Strafsburger  fortsetzung  mindestens  ebenso 
nahe  steht,  als  beide  untereinander,  man  vergleiche  darüber  nur 
die  reichhaltige  Zusammenstellung  bei  Rüdiger  Zs.  19,  311  IT. 
klingt  doch  auch  im  wortgebrauche  so  vieles  an  unsere  gedichte 
an  im  Servatius,  der  nach  inhalt,  kunst  und  tendenz  sich  voll- 
kommen von  ihnen  unterscheidet,  gerade  wo  so  vieles  gemeinsame 
in  der  spräche  dem  gemeinsamen  Zeitalter,  der  heimat  und  dem 
gleichen  Stoffe  verdankt  wird,  ist  auf  die  abweichungen  um  so 
sorgsamer  zu  achten,  ihnen  gröfseres  gewicht  beizumessen  als 
den  Übereinstimmungen,  es  muss  doch  befremden,  dass  die 
Erinnerung,  welche  den  wissagen  so  oft  beruft,  nicht  auch  einmal 
den  orthaben  des  Priesterlebens  dafür  citiert,  dass,  wo  so  oft  des 
herrgotts  gedacht  wird,  dieser  nicht  auch  mit  dem  ehrwürdigen 
namen  trehtin  wie  im  Prlb.  genannt  wird,  dass  Wörter  wie  in  lachen 
und  das  im  Prlb.  so  häufige  gehlen  dort  gänzlich  fehlen;,  dass 
dagegen  im  Prlb.  nicht  von  wistuom  frituom,  sondern  nur  von 
wisheü  friheit  gesprochen  wird,  und  wenn  wir  die  reimwörter 
untersuchen,  so  finden  wir  auch  da  manches  trennende.  P.  hat 
viermal  (103.  200.  214.  533)  wip  im  reim,  E.  nur  einmal  863. 
P.  reimt  fünfmal  (175.188.206.216.621)  auf  brinnen*,  E.  nie. 
ferner  hat  P.  viermal  (539.  557.  667.  728)  überschussiges  n(e:en), 
während  E.  diese  reime  nicht  kennt  (203  und  603  lassen  en  zu, 
weshalb  ich  sie  auch  nicht  zu  den  unreinen  reimen  gezählt  habe), 
dahingegen  reimt  E.  dreimal  (197.  289.  623)  frowetr.schowen,  vier- 
mal (417.429.  557.  9S7)  si :  vri,  sechsmal  (81.321.  561.789.  849. 
999)  mac  :  tac ;  V.  wendet  von  diesen  reimen  keinen  an.  sechsmal 
(135.217.229.493.771.803)  steho  in  E.   im  reime   Wörter  auf 

1  beziehungen  auf  geschlechtliche  Verhältnisse,  die  diesen  reim  er- 
klären, fehlen  ja  auch  in  E.  nicht. 


198      ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  I 

unge,  w;ts  in  P.  Die  vorkommt  (das  einzige  auf  unge  endigende 
wort  in  P.  ist  310  verdampnunge).  beispiele  ähnlicher  arl  würden 
sich  noch  häufen  lassen. 

Durch  die  einwendung,  diese  par  Verschiedenheiten  seien  bei 
der  überwiegenden  gleichartigkeit  der  reimwörter  von  keiner  be- 
deutung ,  würde  der  kern  des  auffälligen  keineswegs  getroffen, 
dieses  liegt  ja  nicht  in  dem  an  sich  unauffälligen  Vorhandensein  von 
Verschiedenheiten,  sondern  in  der  art  derselben,  dass  nämlich 
der  dichter  einmal  von  ihm  beliebte  bindungen  von  ganz  alltäg- 
lichem character,  wie  lacmac,  oder  solche  Wörter  wie  sie  für 
sein  thema  so  zu  sagen  auf  der  hand  lagen  (frowen,  wip,  brinnen, 
vri,  gehien)  in  einem  anderen  gleichzeitigen  werke  so  gaöz  habe 
vermeiden  können1. 

Äufserlich  am  kenntlichsten  unterscheidet  sich,  wie  Diemer 
aao.  254  hervorhebt,  das  Prlb.  von  der  Erinnerung  durch  den 
sechzehumal  vorkommenden  dreireim  und  die  grofse  zahl  der 
übermäfsig  langen  verse.  an  und  für  sich  würde  darin  noch 
kein  beweis  für  die  annähme  zweier  gesonderter  Verfasser 
liegen,  da  aber  die  für  die  Identität  der  dichter  geltend  ge- 
machten gründe,  wie  wir  gesehen  haben,  so  wenig  oder  nichts 
besagen,  so  darf  man  wol  diese  eigentümlichkeit  mit  für  die  er- 
weisung des  gegenteils  verwerten,  mit  erhöhter  berechtigung 
der  herschenden  ansieht  gegenüber,  nach  welcher  Prlb.  396  auf 
die  Erinnerung  bezogen  wird,  die  beiden  gedichte  in  engem  zu- 
sammenhange stehn  und  das  Prlb.  von  dem  dichter  als  fort- 
setzung  der  Erinnerung  gedacht  worden  ist.  eine  mir  sehr  er- 
wünschte Unterstützung  gewährt  Heinzeis  versuch  (s.  11)  die 
triplete  zu  erklären ,  welche  nicht  immer  an  wichtigen  abschnitten 
sich  finden,  'dieser  umstand  lässt  uns  hier  noch  genauer  die 
art  und  weise,  wie  Heinrich  componierte,  erkennen.'  'der  dichter 
mochte  wol  die  gewohnheit  haben ,  so  oft  er  zu  schreiben  auf- 
hörte, ein  triplet  gleichsam  als  schlusspunct  zu  setzen,  hob  er 
dann  von  neuem  an ,  so  las  er  die  voraufgehenden  verse  und 
spann  dann  weiter.'  will  man  diese  erklärung,  die  mir  freilich 
nicht  besonders  glücklich  erscheint,  gelten  lassen,  dann  ist  damit 

1  ich  sage  'gleichzeitigen'  werke  mit  bedacht,  denn  freilich 
braucht  ja  die  gleichzeitigkeit  nicht  behauptet  zu  werden,  um  die  identität 
aufrecht  zu  halten,  aber  alles,  was  überhaupt  für  die  identität  geltend  ge- 
macht worden  ist,  kann  nur  unter  der  Voraussetzung  beweisen,  dass  die 
beiden  gedichte  in  einem  gusse  gedacht  und  entstanden  sind. 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  1  199 

allein  schon  erwiesen,  dass  P.  und  E.  von  verschiedenen  autoren 
verfasst  sind,  denn  wer  die  gewohnheit  hat,  auf  solche  weise 
seine  schlusspuncte  zu  machen,  der  wird  sie  doch  nicht  nur  in 
dem  einen  werke  äufsern,  in  dem  anderen  ganz  verläugoeo. 

Üher  das  Verhältnis  der  unreinen  reime  zu  den  reinen  sind 
Vogt  (Beitr.  1,142)  und  Rüdiger  aao.  285  zu  verschiedenen  resul- 
taten  gelangt,  wenn  ersterer  sagt,  dass  die  Erinnerung  etwas 
mehr  unreine  reime  habe  als  das  Priesterleben,  so  ist  er  damit 
gegen  Rodiger,  der  diefs  in  abrede  stellt,  im  recht,  ich  stelle, 
zur  erleichterung  der  Dachprüfung,  sämmtliche  unreinen  reime 
zusammen  und  bemerke,  dass  ich  E.  203  minne: gewinnen,  603 
ernstliche :vroelichen,  287  herremeren,  649  bette: stete1;  P.  679  büch- 
vel  (wie  unbedingt  für  buche!  zu  lesen  ist)  :trütspel,  726  ste- 
tenen :  chetene ,  304.  341.  529.  608  herre : lere : ere  zu  den  reinen 
gerechnet  habe,  nach  363  nehme  ich  ausfall  einer  zeile  an,  da 
die  drei  folgenden  verse  ein  triplet  bilden. 

E.  1.  19.  23.  41.  51.  57.  59.  61.  69.  71.  75.  91.  105. 
111.  127.  131.  133.  147.  149.  151.  155.  159.167.  173.  179. 
213.  215.  231.  243.  257.  285.  301.  317.  319.  337.  355.  357. 
365.  371.  373.  391.  393.  401.  407.  411.  423.  427.  431.  437. 
441.  447.  449.  451.  455.  457.  477.  483.  521.  527.  529.  537. 
541.  547.  555.  559.  563.  597.  607.  615.  629.  631.  635.  639. 
643.  647.  655.  661.  671.  673.  683.  687.  697.  705.  717.  719. 
735.  743.  745.  749.  755.  759.  763.  775.  791.  795.  813.  821. 
827.  835.  847.  861.  865.  873.  875.  879.  881.  891.  897.  915. 
923.  975.  979.  9S5.  995.   1011.   1013.    1021.   1041. 

P.  13.  19.  33.  49.  59.  71.  81.  85.  115.  121.  127.  163. 
167.  225.  243.  272.  278.  294.  300.  325.  327.  339.  353.  355. 
365.  379.  381.  407.  413.  419.  423.  425.  455.  460.  476.  511. 
539.  557.  578.  631.  657.  659.  663.  667.  683.  693.  695.  709.  728. 

Die  Erinnerung  hat  521  reimpare.  auf  sie  fallen  also  118 
unreine  reime,  mithin  22 '/2%.  das  Priesterleben  bat  362  voll- 
ständige reimpare  (incl.  16  dreifache),  davon  sind  49  unrein, 
es  hat  folglich  1 3  V^  %  unreine  reime,  die  vergleichung  ergibt 
einen  bedeutenden  unterschied  in  der  reimbehandlung  beider  ge- 
diente,   der    dadurch    noch    gesteigert    wird,    dass  P.  mit    seinen 

1  stette  ist  hier  nicht  dativ  zu  stal  stf.,  sondern  gehört  einer  j'6- 
ableitung  zu  stat ,  Stades  an.  das  fem.  «fette  'gestade'  wird  in  dem  hei 
Lexer  2, 1184  s.  v.  stete  citierten  beispiel  sogar  schwach   flectiert. 


200  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  I 

tripleteo  ungenauen  bindungeu  leichter  ausgesetzt  war,  als  die 
nur  einfache  reimpare  bindende  Erinnerung,  ihn  etwa  so  er- 
klären zu  wollen ,  dass  der  autor  bei  abfassung  des  zweiten 
gedichtes  in  der  dicht-  und  reimkunst  sich  vervollkommnet  habe, 
geht  nicht  an.  in  der  Erinnerung  fallen  unreine  reime  auf  das 
erste  drittel  33,  auf  das  zweite  47  und  auf  das  dritte  37,  denen 
im  Priesterleben  15,  17  und  17  entsprechen,  also  innerhalb  der 
gedichte  selbst  nach  dem  ende  zu  keine  fortbildung  und  besserungl 
worauf  könnte  sich  die  annähme  einer  solchen  von  einem  zum 
anderen  stützen,  die  ja  kurz  nach  einander  entstanden  sein 
müsten? 

Aber  zugegeben ,  die  sache  verhielte  sich  doch  so ,  beide  ge- 
dichte hätteu  einen  Verfasser,  so  stehen  wir  vor  einem  anderen, 
nicht  geringeren  rätsei.  dieser  dichter  ist  in  seinem  zweiten 
werke  in  behandlung  des  reimes  weit  sorgfältiger  als  im  ersten, 
er  wendet  die  schwierigere  und  kunstvollere  form  des  triplets 
mit  geschick  an,  dagegen  hat  sich  sein  metrisches  gefühl  in 
anderer  hinsieht  merkwürdig  vergröbert;  er  dichtet  verse,  die 
jeder  metrischen  einrenkung  spotten ,  und  die  in  diesem  mafse 
der  Erinnerung  noch  unbekannt  sind,  der  gedanke  lag  nahe 
und  ist  von  Rödiger  s.  311  verfolgt  worden,  dass  diese  über- 
langen Zeilen  besonderen  künstlerischen  zwecken  haben  dienen 
sollen,  da  in  einzelnen  (175.188.206.218)  immer  derselbe 
satz  widerkehrt,  allem  auch  R.  hat  dafür  keinen  anhaltspunct 
gefunden,  'die  bezeichneten  worte  kehren  nur  deshalb  stets  in 
^inem  verlängerten  verse  wider,  weil  der  dichter  sie  das  erste 
mal  nicht  anders  unterzubringen  vermocht  hatte.' 

Dieses  urteil  trifft  nicht  blofs  die  metrische  nachlässigkeit 
des  dichters  des  Priesterlebens,  sondern  vornehmlich  seine  sprach- 
liche ungewandtheit.  und  würklich  steht  in  spräche  und  stil  das 
Priesterleben  hinter  der  Erinnerung  zurück,  wie  die  fülle  seiner 
sätze  die  schranken  des  metrums  durchbricht,  so  weifs  der  dichter 
die  fülle  der  gedanken  im  satze  nicht  recht  unterzubringen,  so 
entstehen  parenthetische  einschiebungen,  für  einen  dichter  immer 
ein  ootbehelf;  vgl.  102.  136.  197.  279.  474.  5S0.  742.  der  satz- 
bau des  Priesterlebens  ist  bei  weitem  nicht  so  klar  und  correct 
wie  in  der  Erinnerung,  und  nicht  alle  dunkeln  stellen  werden 
schlechter  Überlieferung  zur  last  fallen. 

Unsere  betrachtung  hat  bisher  ergeben ,  dass  der  beweis  für 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  1  201 

die  identität  der  beiden  dichter  auf  recht  schwachen  füfsen  steht, 
und  dass  dagegen  für  die  annähme  zweier  verschiedener  dichter 
einige  recht  erhebliche  gründe  geltend  gemacht  werden  können, 
ich  kehre  noch  einmal  zum  ausgangspuncte  zurück  und  hülfe  der 
hauptstütze  der  identitätstheorie,  die  in  den  6  gemeinsamen  versen 
über  das  abeutlmahl  besteht,  noch  auf  einem  anderen  wege  den 
boden  zu  entziehen. 

Dass  die  Schriften  des  Honorius  von  hervorragendem  ein- 
flusse  auf  die  theologischen  anschauungen  unserer  gedichte  ge- 
wesen sind,  erscheint  nach  Heinzeis  sorgfältigen  Zusammenstel- 
lungen als  ganz  sicher,  ich  mache  nur  noch  auf  eine  stelle 
aufmerksam,  welche  in  kurzen  Worten  ein  bild  des  menschlichen 
lebens  entwürft,  wie  es  dann  der  dichter  der  Erinnerung  4S3  ff 
in  grofsartiger,  packender  darslellung  ausgeführt  hat.  Spec.  eccl. 
Mighe  1083:  Omnis  Jwmo  cum  dolore  mundum  ingreditur ,  cum 
dolore  iterum  egreditur.  mox  natus  plorat ,  quia  laborem  et  do- 
lorem sibi  futurum  pronunciat.  deinde  supervacuo  labore  totum 
Studium  ut  aranea  impendens  thesaurizat,  neseims  cui  ea  congregat. 
post  pusillum  alienis  divicias  suas  relitiquit  et  solum  sepulcrum 
domus  ejus  in  aeternum  erit,  sicque  homo  vermes,  bestias,  ser- 
pentes  hcereditabit.  ich  zweifle  nicht,  dass  diese  stelle  des  so 
vielfach  benutzten  Speculum  ecclesiae  für  unseren  dichter  vorbild- 
lich gewesen  ist. 

Wie  nun,  wenn  sich  bei  Houorius  eine  Verbindung  der  an- 
sichten  über  die  zweifellose  gültigkeit  des  von  Nikolaiten  ge- 
spendeten opfers  und  des  Verbotes  für  lai'en  ein  solches  zu 
empfangen  ausgesprochen  fände,  eine  Verbindung,  die  ich  für  den 
dichter  der  Erinnerung  als  undenkbar  hingestellt  habe?  würde 
auf  dieses  Zeugnis  hin  nicht  behauptet  werden  dürfen,  dass  die 
Erinnerung  auch  hier  nur  dem  Honorius  gefolgt  sei,  und  dass 
die  verse  18111"  also  keine  Interpolation ,  mithin  auch  beide  ge- 
dichte nur  einem  Verfasser  zuzuschreiben  seien?  im  Elucidarium 
buch  1,  abschnitt  29  (Migne  1130)  de  digne  mit  indigne  commu- 
nicantibus,  aut  sacrificantibus  setzt  Honorius  auseinander,  dass  der 
priester,  welcher  mit  unreinen  banden  und  unreinem  gewissen 
die  messe  celebriere,  den  herrn  verrät  und  kreuzigt  und  zugleich 
auch  den  empfänger  des  abendmahls  in  schuld  und  verderben 
zieht,  selbst  denjenigen,  welcher  unwissend  bei  dem  schlechten 
priester  communiciert,  nach  dem  Spruche  'qui  tangit  picem  inqui 


202  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  I 

nabitur  ab  ea'.  im  folgende»  abschnitt  aber  versichert  Honorius, 
dass  so  verworfen  auch  der  priester,  doch  das  opfer  ein  gültiges 
sei.  Quamvis  damnatissimi  sint,  tarnen  per  verba  quae  recitant  fit 
corpus  Domini ;  nonenimipsi,  sed  Christus  consecrat,  et  per  amicos 
et  inimicos  salutem  filius  operatur:  Uli  ad  perniciem  sumunt,  alii  ad 
sahttem  accipiunt.  unde  et  a  pessimis  non  peioratur  et  ab  optimis 
non  melioratur.  und  auf  die  berechtigte  frage  des  schülers,  warum 
denn  doch  das  opfer,  wenn  es  gültig  ist  und  nicht  von  dem  priester, 
sondern  von  Christus  selbst  gespendet  wird,  dem  empfänger  zum 
verderben  gereiche,  lautet  die  antwort  des  lehrers:  Bonum  acci- 
pienti  non  solum  non  prodest,  imo  etiam  obest,  si  contra  inter- 
dictnm  hoc  ab  eo  accipit ,  a  quo  non  debet. 

Stimmt  diese  auseinandersetzung  nicht  überein  mit  der  in 
der  Erinnerung  (wenn  wir  keine  interpolation  annehmen),  wo  den 
laien  verboten  wird  das  opfer  eines  schlechten  priesters  zu 
empfangen,  das  aber  nichts  destoweniger  ein  gültiges  opfer 
bleibe?  zweifellos!  und  doch  behaupte  ich,  dass  der  dichter  der 
Erinnerung  nicht  das  habe  aussprechen  können,  was  Honorius 
sagt,  und  wie  es  uns  in  der  hs.  des  gedichtes  überliefert  ist. 
man  muss  nur  Voraussetzung  und  zweck  des  theologen  und  des 
dichters  prüfen.  Honorius  schreibt  nicht  für  das  grofse  publicum, 
sondern  lateinisch  für  priester  ein  compendium  der  theologie.  er 
wendet  sich  selbstverständlich  nicht  an  den  schlechten  priester, 
so  wenig  wie  sich  der  Verfasser  einer  pädagogik  an  den  schlechten 
lehrer  wendet,  sondern  an  den  angehenden  priester,  dem  er  die 
pflichten  seines  hohen  amtes  ans  herz  legen  will,  bei  der  be- 
sprechung  des  dogmas  von  der  unbedingten  gültigkeit  des  sacra- 
mentes  ist  es  daher  nicht  nur  erklärlich,  sondern  geradezu  er- 
forderlich, dass  er  den  schüler  auf  die  ungeheure  Verantwortung 
des  priesters  hinweist,  der,  falls  er  unwürdig  spendet,  nicht  nur 
sich  selbst  sondern  auch  den  unschuldigen  empfänger  ins  ver- 
derben stürzt,  dahingegen  hat  der  dichter,  der  auf  dem  Gre- 
gorianischen standpuncte  steht,  nur  schlechte  priester  im  äuge, 
vor  deren  sacramenten  er  das  volk  mit  hinreifsender  beredsamkeit 
warnt,  der  ganze  erfolg  seines  leidenschaftlichen  angriffes  ist 
vernichtet,  wenn  er  die  Verwerfung  des  vom  unwürdigen  priester 
gespendeten  opfers  krönt  mit  der  Versicherung,  dass  es  für  die 
gültigkeit  des  opfers  ganz  einerlei  sei,  ob  ein  guter  oder  schlechter 
mensch    die  messe  verrichte,     denn  das  volk,    dem  die  dogmati- 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  I  203 

sehen  Spitzfindigkeiten  völlig  fern  liegen,  könnte  doch  nur  daraus 
folgern,  dass  es  auch  für  die  gnadenwürkung,  die  der  leib  des 
herrn  in  sich  schliefst,  gleichgültig  sei,  wer  ihn  mitteilt;  und 
damit  wäre  der  zweck,  den  der  dichter  verfolgt,  gründlich  vereitelt, 
was  hei  Honorius  kein  Widerspruch  ist,  da  er  eine  wissenschaft- 
liche erläuterung  des  schwierigen  dogmas  vor  wissenschaftlich 
gebildeten  entwickelt,  das  bildet  in  der  Erinnerung  einen  unlös- 
baren Widerspruch,  lösbar  nur  dadurch,  dass  man  ihn  durch  aus- 
scheidung  der  interpolation  beseitigt. 

Doch  nehmen  wir  einmal  an,  der  dichter  habe  würklich,  was 
Honorius  sagt,  auch  sagen  wollen,  ohne  sich  die  Verwirrung  klar 
gemacht  zu  haben ,  in  die  er  notwendig  seine  hörer  stürzen 
pauste,  müste  dann  nicht  doch  Prlb.  396  als  ich  iu  vor  gesaget 
hau  auf  diese  stelle  der  Erinnerung  zu  beziehen  sein,  und  wäre 
dann  nicht  unbedingt  derselbe  Verfasser  dargetan?  im  gegenteil,  wir 
würden  dann  nur  einen  neuen  grund  gegen  die  Identität  haben, 
denn  dann  behauptet  ja  die  Erinnerung  mit  Honorius,  dass  die 
messe  des  sündhaften  priesters  zwar  gültig  sei ,  alter  von  dem 
laien  nur  zu  seinem  schaden  gehört  werden  könne,  dahingegen 
das  Prlb.  spricht  sich  klar  und  deutlich  nicht  nur  dafür  aus, 
dass  das  opfer  gültig  sei,  sondern  dass  es  auch  dem  laien  geboten 
sei,  das  opfer  zu  empfangen,  das,  auch  von  dem  schlechten  priester 
gespendet,  die  gnade  bewürke  (Prlb.  356  swaz  aber  ze  dem 
ewigem  haue  gendden  uns  da  von  chomen  sol,  daz  ist  als  steete 
unt  als  wol  von  dem  ubelen  sam  von  dem  bestell). 

Nun  könnte  man  ja  vielleicht  zuzugeben  bereit  sein,  dass 
der  dichter  seine  ansieht  der  entwickelung  des  dogmas  folgend  im 
laufe  der  zeit  geändert  habe  (was,  wenn  es  würklich  behauptet 
werden  würde,  doch  immer  erst  zu  beweisen  wäre),  aber  das 
wäre  doch  ein  ganz  sonderbarer  heiliger,  der  an  die  worte, 
mit  denen  er  früher  eine  behauptung  ausgesprochen  hat,  ab- 
sichtlich erinnern  würde,  um  diese  selben  worte  nun  zu  einer 
der   ersten    behauptung  gerade    entgegengesetzten    zu  verwenden. 

Mögen  wir  also  Erinnerung  181  ff  als  interpolation  betrachten 
oder  nicht,  der  Widerspruch  in  beiden  gedienten  ist  zu  grofs,  als 
dass  wir  einen  dichter  für  beide  annehmen  dürften,  ja  ich  möchte 
nicht  einmal  glauben,  dass  der  dichter  des  Priesterlebens  selber,  bei 
dem  man  die  kenntuis  der  älteren  Erinnerung  wol  voraussetzen  darf, 
die  interpolation  vorgenommen  habe,    so  plumpe  Qickarbeit  würde 


204  ERINNERUNG  UND  PR1ESTEKLEBEN  I 

der  kenuer  des  dognias  nicht  gemacht  haben,  wol  aber  ist  es 
glaublich,  dass  ein  aufmerksamer  leser  und  abschreiber  beider 
gedichte  den  Widerspruch  der  anschauungen  empfand  und  durch 
übernähme  der  fraglichen  verse  in  die  Erinnerung,  wozu  er  sich 
durch  den  falsch  verstandenen  vers  Prlb.  396  als  ich  iu  vor  ge- 
saget hdn  für  um  so  mehr  berechtigt  halten  konnte ,  gelöst  zu 
haben  glaubte. 

Kiel,  im  September  1890.  KARL  KOCHENDÖRFFER. 


UNFACHLAS. 

Bei  Lindenschmidt  Die  altertiimer  unserer  heidnischen  Vor- 
zeit bd.  i,  lieft  3,  tafel  8  ist  ein  aus  dem  altchristlichen,  in 
römische  zeit  zurückreichenden  friedhofe  in  der  nähe  der  Lieb- 
frauenkirche in  Worms  stammender  grabstein  abgebildet,  der  die 
in  seh  ritt  trägt:  Hie  quiesjeet  Unfac/hlas  qui  \  vixit  annjus  v  ti(tu- 
lum)  po(suit)  \  pater. 

Der  uame  Unfachlas,  der  uns  hier  in  urgermanischer  ge- 
stalt  überliefert  ist,  hat  sich  als  familienname  Unfahl  erhalten: 
eine  Apollonia  Unf ahlin  wird  in  den  Nürdlinger  hexenprocessen 
s.  47  genannt,  sein  erstes  compositionsglied  ist  das  gemeingerm. 
negationspräfix  un,  idg.  n,  das  nicht  nur  in  germanischen,  sondern 
auch  in  altindischen,  iranischen  und  griechischen  personennamen 
vielfach  belegt  ist;  siehe  Fick  Die  griech.  personennamen  cxcnr, 
Förstemann  i  1212;  der  zweite  teil  ein  mit  dem  suffix  -lo-  von 
der  germ.  wurzel  fah  (fag)  gebildetes  adjeetivum,  das  sonst 
freilich  nicht  nachgewiesen  werden  kann,  von  dem  aber  got. 
* fahrs,  das  sich  aus  gafahrjan  ■/.axa.OY.evä'C.etv  ergibt  und  durch 
würkung  alten  stammaccentes  von  dem  oxytonierten  gebräuch- 
lichen fagrs  abweicht,  nur  durch  die  ableitung  sich  unterscheidet, 
so  wie  ahd.  tunkal  von  as.  duncar.  die  bedeutung  von  *nnfahlaz 
wird  mithin  'ungefüge'  oder  eine  verwandte  gewesen  sein,  dass 
dabei  leicht  ein  übler  sinn  herauskommt,  steht  der  Verwendung 
des  wortes  als  eigenname  nicht  im  wege;  man  vgl.  ahd.  Unfrid, 
ags.  Unf'erd  uam. 

Von  welchem  volksstamme  die  inschrift  herrührt,  wird  nicht 
so  leicht  zu  ermitteln  sein,  die  ältesten  germ.  bewohner  der 
Umgebung  von  Worms,  die  Vangiones,  waren  zu  ende  der  Römer- 
herschaft, wenn  auch  durch   nachbarlichen  verkehr  teilweise  des 


DNPACHLAS  205 

germanischeu  noch  mächtig,  doch  gewis  so  weit  romanisiert ,  dass 
an  eine  einmischung  barharischer  formen,  ja  selbst  an  germ. 
namen  bei  ihnen  nicht  mehr  gedacht  werden  kann,  neu  ange- 
siedelte Germanen  gab  es  im  übrigen  an  zahlreichen  orten  des 
Römerreiches  und  vor  allem  in  den  grenzproviuzen.  vorüber- 
gehend hatten  dann  im  4  jh.  Alamanuen  am  linken  Rheinufer, 
bis  über  Worms  hinab,  festen  fufs  gefasst  (siehe  Ammianus  Mar- 
cellinus xvi  2,  dazu  Zeufs  Die  Deutschen  317),  wurden  aber  wider 
vertrieben,  zu  beginn  des  5  jhs.  ergreifen  die  Rurgundionen  von 
Worms  und  dem  umliegenden  lande  besitz,  erliegen  aber  im 
jähre  537  im  kämpfe  gegen  Aetius  und  die  Hunnen,  und  einige 
jähre  später  ziehen  die  reste  des  volkes  nach  Sapaudia  ab 
(Zeufs  470).  an  ihre  stelle  treten  in  dem  südlichen  teil  des  von 
ihnen  am  Rheine  verlasseneu  gebietes  die  Alamannen;  auch 
Worms  fällt  diesen  zu,  wie  aus  dem  geographen  von  Ravenua 
4,  24  hervorgeht,  während  derselbe  aao.  das  nördlichere  Mainz 
schon  im  besitze  der  Franken  kennt,  nach  dem  siege  Chlodo- 
wechs  über  die  Alamannen  im  jähre  496  endlich  wird  auch  Worms 
und  alles  land  bis  zum  elsässischen  Nordgau  und  zwar  für  alle 
folgezeit  fränkisch,  die  Alamannen  aus  dem  von  den  Franken 
ihnen  abgenommenen  gebiete  am  rechten  und  linken  Rheinufer 
werden  unter  dem  schütze  des  ostgotenköuigs  Theoderich  in  Raetia 
secunda  angesiedelt  (Cassiodor.  var.  u  41);  vgl.  Henning  Runen- 
denkmäler 89.  merkwürdiger  weise  begegnet  uns  gerade  im  Hiefs 
später  der  familienname  Unfahl,  das  könnte  natürlich  auch  ein 
zufall  sein,  allein  das  Salfränkische  der  Malbergischen  glossen 
zeigt  das  auslaut-s  bereits  geschwunden,  und  auch  dieser  um. 
stand  weist  den  Unf achlas  eher  ins  5  als  ins  6  jh.  und  somit 
eher  zu  den  Alamannen  als  zu  den  Franken. 

Eine  ähnliche,  auch  wol  alamannische  casusform  gewährt  uns 
Ammianus  Marcellinus  xvin  2:  cum  ventum  fuisset  ad  regionem, 
cui  Capellatii  vel  Palas  nomen  est,  ubi  terminales  lapides  Ala- 
mannorum  et  Burgundionum  confinia  distinguebant ,  castra  sunt 
posita.  Zeufs,  der  s.  311.312  diese  stelle  bespricht,  ist  offenbar 
im  irrtum,  wenn  er  Palas  für  eine  germ.  Umgestaltung  des,  wie 
ihm  dünkt,  dem  keltischen  entstammenden  namens  Capellatiinn 
ansieht;  aber  für  die  deutsche  bezeichnung  des  ortes  wird  es 
gelten  müssen ,  weil  es  unwahrscheinlich  ist,  dass  zwei  römische 
namen  neben  einander  angegeben   wären,    vor  allem    aber,    weil 


206  UNFACHLAS 

Palas  nicht  ins  lat.  declinaüonsschema  sich  einfügen  lässt.  und 
recht  wird  Zeufs  auch  behalten,  wenn  er  aao.  Palas  für  den 
"pfähl ,  pfahlgraben'  erklärt,  der  name  wird  für  die  zeit  des  Am- 
mianus  als  *pälaz  anzusetzen  sein,  wobei  lat.  pälus  im  sinne  von 
grenzpfahl  zu  gründe  liegt. 

Auch  für  das  ubische  wird  man  aus  den  inschriftlichen 
dativen  Vatvims,  Aflims,  Saitchamims  nicht  auf  vorgeschrittene 
syncopierung  der  endsilben,  also  etwa  auf  ein  gleichzeitiges 
ubisches  *  dagz  oder  *dags  schliefsen  dürfen,  denn  die  behand- 
hing des  endvocals  in  ein-  und  zweisilbigen  casussuffixen  war  gewis 
nicht  die  gleiche;  kaum  diejenige  zwei-  und  mehrsilbiger  dative. 
auch  ubisches  tuaimiz  neben  *  Aflimz  wird  um  so  sicherer  an- 
zusetzen sein,  als  sich  noch  für  das  urenglische  aus  dem  umlaut 
der  ags.  formen  twcem,  dcem,  hwcem  *twämi(z),  *dämi(z),  hwä- 
mi(z)  neben  *dagiim(z)  erschliefsen  lässt;  vgl.  Kluge  in  Pauls 
Grundr.  1  387.  nebenbei  bemerkt  scheint  somit  germ.  * paimiz, 
vorgerm.  *toimis  nicht  *toimos  vorauszuliegen;  es  müste  denn 
sein,  dass  i  oder  der  umlaut  erst  durch  analogiewürkung  später 
eingetreten  ist. 

Dass  wir  bereits  *dagaz,  nicht  mehr  *dagoz  für  das  ubische 
aufzustellen  haben,  ergibt  sich  daraus,  dass  auch  in  der  compo- 
sitioosfuge  der  stammauslaut  germanischer  o-stämme  auf  rheinischen 
oder  von  Rheinländern  herrührenden  inschrifteu  regelmäfsig  als  a 
erscheint,  zb.  in  Alagabiabus,  Alatervis,  Alateiviae,  Halamard, 
Abiamar.  es  fügt  sich,  dass  der  stein,  auf  dem  der  letztgenannte 
name  steht  (CIRh.  635) ,  von  einem  C.  Jul.  Proculas  dediciert  ist, 
worauf  mich  ThRvGrienberger  aufmerksam  macht,  dass  der  name 
Proculas  soviel  als  Proculns,  also  ein  römischer  ist,  wird  nicht 
hindern ,   seine  nominativendung  als    germanische   zu  betrachten. 

Darf  man  nach  all  dem  auch  für  die  westgermanischen 
sprachen  vielleicht  bis  zur  wende  des  5  zum  6  Jh.,  denn  in  diese 
zeit  fällt  wol  der  Unfachlas,  —  aber  natürlich  nicht  überall  gleich 
laug  —  casusendungen  voraussetzen,  welche,  was  altertümlich - 
keit  anbelangt,  denen  der  sogenannten  urnordischen  runen- 
inschriften  nichts  nachgeben,  so  wird  leicht  die  frage  entstehn, 
ob  nicht  sogar  ein  teil  dieser  runendenkmäler  gar  nicht  nordi- 
schen Ursprunges  ist.  jedenfalls  kommt  diese  möglichkeit  bei 
jenen  funden  ernstlich  in  betracht,  die,  wie  zb.  das  berühmte 
goldene  hörn  von  Gallehus,  altingvaeonischem  boden  entstammen. 


UiNFACHLAS  207 

So  wenig  als  zwischen  der  wandiliscbeo  sprachgruppe  und 
dem  westgermanischen,  gab  es  ursprünglich  zwischen  diesem  und 
dem  nordischen  feste  grunzen,  vielmehr  muss  die  spräche  der 
bewohner  des  nördlichsten  Jutland  uud  der  dänischen  inseln 
zwischen  beiden  sonderentwickelungeu  des  germanischen  während 
ihrer  ersten  Stadien  ein  mittelglied  gebildet  haben,  erst  durch 
den  vorstofs  eines  im  engeren  sinne  skandinavischen  Stammes, 
der  Dänen,  wurden  die  früher  gewis  vorhandenen  Übergänge  ver- 
wischt und  der  bereich  der  nordischen  spräche  bis  zur  Eider 
ausgedehnt. 

Es  wird  also  bei  solchen  runendenkmälern  aus  Dänemark 
und  Schleswig,  deren  spräche  es  unentschieden  lässt,  ob  sie 
nordischen  Ursprunges  sind  oder  nicht, —  wobei  jedenfalls  das  aus- 
lautende Y  nicht  mehr  als  k riter ium  des  nordischen  gelten  darf  — 
aufgrund  archäologischer  Untersuchungen  ermittelt  werden  müssen, 
ob  sie  aus  der  zeit  vor  oder  nach  der  ausbreitung  der  Däuen 
stammen,  in  der  tat  ist  auch  schon  ein  ernster  versuch,  die 
zeitstellung  der  ältesten  runeninschriften  zu  erkunden,  durch 
einen  der  bedeutendsten  Vertreter  der  altertumsforschung  im 
engeren  sinne,  Oskar  Montelius,  unternommen  worden;  siehe 
Svenska  fornminnesföreningens  tidskrift  vi  236  ff.  M.  ist  hier- 
bei zu  dem  ergebnis  gelangt,  dass  eine  reihe  von  runen- 
inschriften bis  ins  4  und  3jh.  zurückreicht,  sein  beweisgaug  ist 
vielleicht  nicht  ganz  einwandfrei;  gewis  aber  darf  man  nicht,  wie 
Noreen  in  Pauls  Grundr.  i  419  tut,  seiuen  datierungen  zustimmen 
uud  doch  die  betreffenden  denkmäler,  auch  die  schleswigscheu 
uud  dänischen,  als  quellen  des  urnordischen  verwerten. 
Salzburg  im  august  1890.  RUDOLF  MUCH. 

[Indem  ich  das  impiimatur  geben  will,  kommt  mir  die  neuste  publication 
des  Utifachlas-steines  in  die  hand :  FXKraus  Die  christl.  Inschriften  der  Rhein- 
lande i  (Freiburg  i.  B.  1890)  nr  28,  dazu  tafel  n  3.  der  kundige  herausgeber 
weist  das  denkmal  freilich  'der  mitte  oder  dem  ausgang  des  7  jhs.'  zu  !     SGH.] 

MERCURIUS  HANNO. 

Im  53  hell  der  Bonner  Jahrbücher  (1873)  172  11  gibl 
JFreudenberg  nachricht  von  dem  fund  eines  altarbruchstückes  zu 
Rohr  bei  Blankenheim,  dessen  inschrifl  Dach  seinem  dafürhalten  in 
den  zwei  ersten  Zeilen 


208  MERCURIUS  HANNO 

MERCVRI 
CHANNINI 

lautet;  die  buchstaben  der  dritten  sind,  wie  er  mitteilt,  unleser- 
lich und  der  untere  teil  des  Steines  fehlt,  zu  zeile  2  bemerkt 
er  jedoch,  dass  mau  auf  den  ersten  blick  in  dem  anfangsbuch- 
staben  ein  0  vermuten  könne,  bei  näherer  betrachtung  ergebe 
sich  aber,  'dass  die  bogenförmige,  bis  zu  M  in  die  erste  zeile 
hinauf  verlängerte  Vertiefung  wahrscheinlich  beim  reinigen  der 
buchstaben  vom  mörtel  durch  einritzen  unwillkürlich,  oder  auch 
in  der  nicht  ganz  ungerechtfertigten  Voraussetzung,  dass  der 
name  des  gottes  im  dativ  stehn  müsse,  durch  nachhülfe  ent- 
standen sei.'  aber  wenn  die  möglichkeit  vorhanden  ist,  MER- 
CLRIO  zu  lesen,  so  werden  wir  schon  lieber  an  diesem  fest- 
halten, statt  den  aufsergewöhnlichen  fall  anzunehmen,  dass  die 
widmung  den  namen  der  gottheit  im  genitiv  enthält,  warum  sich 
Freudenberg  nicht  für  das  offenbar  näher  liegende  entscheidet, 
ist  ja  auch  klar,  er  sucht  nämlich  in  der  folgenden  und  dritten 
zeile  den  namen  der  Canninefates  im  gen.  plur.  und  knüpft  sogar 
einen  excurs  über  denselbeu  an.  ihm  zu  liebe  erkennt  er  auch 
im  letzten  buchstaben  der  zweiten  zeile  ein  E,  obwol  davon 
nach  seiner  eigenen  aussage  nur  der  rest  des  verticalstriches  er- 
halten ist  und  er  bei  der  widergabe  der  inschrift  I  dafür  setzt, 
die  Canninefateu  haben  aber  hier  auf  jeden  fall  aus  dem  spiel 
zu  bleiben,  weil  ihr  name  mit  germanischem  K  anlautet,  das 
weder  durch  H,  noch  durch  Ch  transscribiert  werden  konnte,  ich 
lese  darum  unbedenklich  Mercurio  Hannini,  und  es  fragt  sich 
nur,  was  mit  letzterem  worte  zu  machen  ist.  völlige  Sicherheit 
wird  hier  eine  deutung,  da  uns  der  schluss  der  inschrift  fehlt,  von 
vornherein  nicht  beanspruchen  dürfen,  für  sehr  wahrscheinlich 
halte  ich  es  aber  doch,  dass  uns  in  Hannini  der  beiname  des 
Mercurius  im  dativ  vorliegt;  und  da  sonst  latinisierung  germa- 
nischer m- stamme  nach  dem  muster  von  lat.  homo,  hominis  nicht 
üblich  ist,  wird  man  sogar  an  eine  germ.  dativform,  also  an 
ein  seitenstück  zu  Vatvims,  Aflims,  Saitchamims  und  Vercanu  (für 
*  Uerkanö ;  vgl.  Bucinobantes ,   Cruptorix)  denken  dürfen. 

Wien  den  13  hornung  1891.  RUDOLF  MüCH. 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK  209 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK. 

VIII. 

AUS  PREDIGTEN  BERTHULDS  VON  REGENSBURG. 

1.  Fragment  eines  pergamentenen  doppelblattes ,  des  innersten 
einer  läge,  dem  unten  und  an  der  seile  stücke  weggeschnitten  sind, 
und  zwar  so,  dass  von  a  und  b  die  unteren  vier  zeilen  fehlen, 
indefs  bei  cd  außerdem  noch  etwa  ein  drittel  der  zeilen  ihrer 
lange  nach  verloren  ist.  das  blatt  besafs  12  cm.  höhe  und  hat 
eine  breite  von  9,5  cm.,  der  codex,  dem  es  entnommen  wurde,  war 
also  ziemlich  klein,  es  ist  kein  rest  einer  Seitenbezifferung  vor- 
handen, die  schrift,  21  zeilen  auf  der  seite,  tintenlinien,  ist  schön, 
grofs,  fast  ohne  abkürzungeil  und  gehört  wahrscheinlich  noch  dem 
13  jh.  an.  das  blatt  enthält  bruchstücke  aus  einer  predigt  Bertholds 
von  Regensburg,  welche  durch  Strobl  im  zweiten  bände  s.  104 — 113 
als  nr  xlvii  [von  den  die  got  l'rö  machent  und  deo  tiuvel]  aus 
fünf  handschriften  herausgegeben  ist.  ich  drucke  im  folgenden  das 
fragment  ab  und  ergänze  das  fehlende  cursiv  aus  Strobls  text. 

[Strobl  108,  10]  ir  schmier,  ir  knehte,  ir  dierne,  junc  und 
alt,  geleret  und  ungeleret,  seht,  als  ofte  ir  die  selben  sünde  tuot, 
als  ofte  krcenet  ir  den  tiuvel,  und  so  irs  ie  schelclicher  und  ie 
öfter  tnont ,  so  ir  den  tiuvel  ie  schöner  und  ie  öfter  (a)  chrooet. 
und  also  wirt  euch  der  tivel  chronent,  im  ze  rinne  danne  als  5 
des  viures  des  er  ie  gewau.  Daz  fumfte  daz  sint  über  ezzär  und 
über  trinchär,  daz  sehste  sint  die  die  mit  hol'  vart  umbe  gent, 
und  die  sibenten  daz  sint  die  gitigeu.  alle  die  mit  disen  siben 
sunden  umb  gent,  als  oft  si  ez  tuut,  und  swie  siz  tuot  ir  iege- 
licher,  als  oft  chronent  si  den  tivel,  die  si  da  tunt,  und  die  lo 
wirt  er  ouch  chronent,  im  gebrest  danne  alles  des  fiures  des 
er  indert  hat.  ;ils<»  mache!  ir  den  tivel  vil  l'ro  und  tut  dem 
almahtigem  got  ein  herzenleit.  wau  namen  im  die  tivel  den 
Dianen    und  die  steru    und  daz  mer,   daz  wcere   im  so  leit  niht, 

6  E)  ül  rot  durchzogen.  7  es  steht:  daz  sint  die  die  mit  hof  vart 

umbe  fjent  "'•'  sebsten  und  die  sibenten  —  durch  versetzzeichen  ist  der 
fehler  berichtigt,  daz  nach  trinchar  in  dar  geändert  und  nach  am  rande 
beigefügt,     alle  besserungen  rühren  von  späterer  hand  her.  9  nach 

als  vor  oft  steht  al  radiert.  \'.\   im    ist    von  der   späteren   hand  in 

klammer  geschlossen . 

Z.  F.  D.  A.     XXXV.     N.  F.    XXIII.  14 


210  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

15  sam  daz  si  im  die  sele  nement.  wan  got  der  hat  sin  bluot  ver- 
gozzen  durch  den  menschen.  Des  hat  er  durch  ander  dinc  (b) 
niht  und  da  von  mag  er  im  an  nihtiu  leider  getfin.  Swie  man 
den  tivel  mit  iegelicher  tot  sunde  chronet,  so  chronet  man  in 
sunderlichen  mit  siben  sunden,    und  daz  tunt  siben  ley  sundär, 

20  die  diu  werlt  ie  gevvan  und  nimmer  gewinnen  sol.  und  die 
chront  er  aller  meist  und  aller  nähst  an  dem  gründe  der  helle, 
und  da  vor  wil  ich  euch  warn,  daz  dem  tivel  leit  ist,  wan  ez 
ist,  ob  got  wil,  ettewer  hie  der  im  enget,  ie  doch,  ir  tivel,  ge- 
habt iuch  wol;  ich  furht  doch,  eu  helibe  daz  merer  teil,  wan  si 

25  wellent  sich  niht  der  sunden  ab  tun.  und  da  von  wirt  ouch 
der  tivel  gar  i'ro ,  als  pharao ,  der  was  ouch  gar  unmügelichen  frö, 

du  er  umbe  sach (Strobl  109, 1)  Der  erste  ist  Assür:  daz 

ist  alse  vil  </e(c)sproehen  als  ein  vorst.  daz  »int  die  alse  vil  sunden 
habent  als  der  walt  ftoum,  daz  si  alse  lange  in  den  Sünden  gelegen  sint 

30  von  der  gewonheit.  wan  ettelich,  den  halt  niht  wol  mit  den  sunden  ist, 
die  habent  sin  gewont,  daz  si  da  von  niht  chomen  mngen  von  der  ge- 
wonheit,  untz  er  als  vil  sunden  uf  ladet,  daz  ir  rebte  ein  walt  wirt. 
so  lanch  man  nur  umb  eine  feeflieh  sunde  verloren  ist  und  ewic- 
lichen  brinnen    muz  dar   mwbe,   wie  danne  sol  der  brinnen,    der 

35  sehtz  uf  im  hat  oder  hundert  oder  zweinzic  hundert.  Ich  han 
ettelich  hie  vor  mir  der  sehtz  huudert  tötlic/ier  sünde  uf  im  hat. 
owe  des  owe  wie  griulich  des  marler  wirt  an  dem  gründe  der 
helle.  Vi,  Assür,  sitzestü  iendert  da,  alliu  diu  werlt  möhte  (d) 
diu  marter  niht  gezeln.    Ja  ist  ettelicher  firzich  jar  oder  funfzeh 

40  jar  in  töllichen  sundeu  gewesen  und  hat  alle  tag  ie  mer  und  mer 
dar  zuo  gesundet,  sit  man  umb  eine  sünde  immer  briunen  muz, 
als  da  ein  schü  an  einem  fiure  lit,  und  der  einez  dar  zu  lit,  so 
machet  er  daz  fiuwer  grozzer  und  heizzer,  so  denne  drizzech  oder 
hundert  oder  ein  ganzer  walt   da  lit.     Nu  sihe,    Assür,  also  stet 

45  ez  umb  din  dinch  und  umbe  dein  marter  an  dem  gründe  der 
helle.  Der  ander  heizzet  Elamidaz  ist  als  vil  gesprochen  als  ein 
aber  huiär.  daz  sint  alle  die  als  grozze  sunde  tunt,  die  hocA 
über  ander  sünde  reichem .  .  . 

18  vor  so  chronet  steht  Q   von  späterer  hand  am  rande.  19  siben 

vor  ley  avf  rasur.  20  gewinnet  sol.  34  die  oberste  zeile  von  cd 

ist  arg  durchgerieben,  weil  kante  und  heftlöcher  darüber  giengen. 

44  N  rot  durchzogen.         45  mater,  von  späterer  hand  r  übergesetzt. 

46  D  rot  durchzogen.  heizzet  auf  rasur. 


ALTDEUTSCHE  FINDE  ALS  INNSBRUCK     211 

2.  Vier  kleine  Stückchen  derselben  handschrift,  welche  sich 
zur  oberen  und  unteren  aufsenecke  eines  Mattes  zusammenfügen, 
sodass  inzwischen  neun  Zeilen  vollständig  fehlen,  sie  gehören  zu 
der  -predigt  nr  uv,  Von  den  engein,  bei  Strobl  s.  174 — 184.  auch 
hier  ergänze  ich  den  Zusammenhang  durch  den  cursiv  gedruckten 
text  der  ausgäbe. 

[Strobl  179,  34]  (e)  wan  weit  ir  der  untugende  (zornj  wider- 
striten,  so  sit  ir  behalten  an  dem  teile.  'Bruoder  Berhtolt,  so  hän  50 
ich  da  her  niht  getan.'  Pfi,  vvoll  got,  Uetest  dii  ez  noch,  so  ge- 
bär el  ettesl icher  sam  er  besezzen  st  mit  dem  tivel.  sich  daz  ist 
gar  ein  gröziu  nntugent.  vva  sitzest  du  da?  tuo  dich  der  un- 
tugent  ab  als  liep  dir  daz  himelrich  si.  so  du  iezuo  rehte  tivel- 
winnich  sin  wellest,  so  soltu  dir  gedeuchen 55 

[Strobl  180,  7]  ((')  daz  ander  her  daz   her  Machab  eus   über- 

want bezeichent  ouch  ein  gröze  nntugend.     die  sult  ir  auch 

an  eu  selben  über  winden  und  suh  da  wider  slrtien  rehte  mit 
allen  euren  sinnen ,  und  diu  selbe  untugeyit  heizzet  tracheit  (g) 
an  gotes  dinst.  daz  ist  gar  ein  orozziu  Untugend  und  tuot  uns  60 
grozzen  schaden  an  manioer  sele.  owe  des!  Nu  seht,  daz  ist 
von  der  untugende  daz  ir  gar  un gerne  betent  und  ungern  almusen 
gebt,  ungerne  predig  höret  und  swa  man  gote  mit  dienen  sol  da 
sil   ir  gar  trcege  zuo 

[Strobl  180,18]  (h)  Ir  wellet  klaffen  und  mcere  sagen,  sam  65 
ez  an  einem  market  si.  Pfi,  unvolcl  Ja  müezet  ir  vor  einem 
herren  zühtic  sin  der  niur  ein  mensche  ist  als  ein  ander  mensche; 
wie  «etarstü  daz  iemev  geleben,  das  dii  din  imzuhte  übest  vor 
dem  grözen  herren,  der  himel  und  erden  mit  einem  worte  ge- 
machet hat.  "0 

Beide  fragmente  sind  der  handschrift  {,{\  F  entnommen  (15  jh. 
Flores  ex  libris  B.  Gregorii  Papae,  Sermones  S.  Hieronymi!  de  as- 
snmtione  B.  V.  Mariae) ,  wo  sie  als  deckblatt  und  als  Schutzstreifen 
für  die  rückenbünde  verwendet  waren.  — 

Im  allgemeinen  muss  ich  zunächst  bemerken,  dass  die  neuen 
bruchstücke  um  mehr  als  ein  volles  Jahrhundert  älter  sind  als  alle 
die  fünf  Handschriften,  nach  denen  Strobl  seinen  kritischen  text 
hergestellt  hat.    denn  II,  die  Heidelberger  nr  35  ist  von   L439,    />, 

67  bei  dem  ersten  mensche  ist  s  vom  Schreiber  nachträglieh  über- 
gesetzt. 


212  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

die  Donaueschinger  nr  292  und  K,  die  Klosterneuburger  nr  886 
stammen  beide  aus  dem  \5jh.,  W,  die  Wiener  2829  ist  vom 
jähre  1444,  und  ebenso  gehören  dem  15//*.  an  M,  die  Münchener 
Cgm.  1119  und  m,  Cgm.  632,  sowie  E  und  e  (Strobl  s.  xiv).  da  ferner 
A,  die  Heidelberger  hs.  nr  24,  auf  der  Pfeiffers  erster  band  beruht, 
1370  hergestellt  wurde,  die  Brüsseler  hs.  nur  um  weniges  älter  ist 
(Strobl  s.  282),  die  längst  verloren  gegangene  Strafsburger  hs.  im  1 4/A. 
geschrieben  war  (vgl.  Haupt,  in  der  Zs.  3,  534  f) ,  Gemolls  frag- 
mente  aus  dem  \bjh.  stammen  (vgl.  Zs.  f.  d.  philol.  6,  468)  und 
die  Halberstädter  bruchstücke  (Zs.  f.  d.  philol.  12,  130  ff  und  183  ff) 
an  der  gränze  des  14  und  15 jhs.  entstanden  sind,  so  bilden 
die  Innsbrucker  fragmente  die  reste  der  weitaus 
ältesten  unter  den  bisher  bekannten  Überlieferungen 
der   deutschen    predigten    Bertholds   von   Regensburg. 

Unter  diesen  umständen  ist  das  Verhältnis  der  neuen  bruch- 
stücke zu  dem  durch  Strobl  hergestellten  texte  von  besonderem 
interesse.  Strobl  entscheidet  sich  nach  seiner  kritischen  Unter- 
suchung dafür  (s.  xvi) ,  dass  'nur  in  den  seltensten  fällen  von  H 
(der  Heidelberger  hs.  nr  35)  abzuweichen'  sei;  'wo  eine  der  hss.  der 
anderen  gruppe  (DKWMm)  mit  H  stimmt,  haben  wir  wol  eine 
willkommene  bestätigung  dieser  lesart:  notwendig  ist  eine  solche 
hilfe  nicht.'  darüber  hatte  ich  in  meiner  besprechung  des  buches 
(Anz.  vn  379)  gesagt:  'im  voraus  muss  ich  bemerken,  dass  ich 
die  beziehungen  der  6  hss.  unter  einander,  aus  denen  die  neuen 
stücke  genommen  sind,  wie  Strobl  sie  s.  xw  ff  entwickelt ,  einer 
besonderen  nachprüfung  nicht  unterzogen  habe,  die  durchsieht 
des  textes  hat  mir  allerdings  zu  einigen  zweifeln  anlass  ge- 
geben, inso ferne  nämlich,  als  mir  nebenhss.  wie  M  und  K  mit- 
unter das  richtige  zu  enthalten  schienen ,  oder  wenigstens  demselben 
näher  zu  stehen  als  die  anderen,  auch  D  zeigte  sich  mir  in  manchen 
stücken  besser  als  H.  aber  ich  beschei.de  mich  da  gerne  und  über- 
lasse es  späterer  zeit ,  darauf  vielleicht  zurückzukommen.'  ich  gehe 
nun  die  Überlieferung  von  1  —  den  Innsbrucker  fragmenten  —  mit 
hilfe  von  Strobls  Variantenapparat  durch  und  zähle  dabei  nach  den 
zeilen  meines  abdruckes. 

5  haben  IM  und  also  wirt  euch  der  tievel  chroneot  gegen 
wirt  ouch  dich  HD  (die  lesarten  von  KW  gibt  Strobl  nicht  an).  — 
6  /  viures  des  er  ie  gewan  gegen  des  er  iendert  hat  von  HDM.  — 
Daz  f'umfte  daz  sint  I,  Die  fünften  daz  sint  H,  Daz  fünfte  sint  D, 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK  213 

die  fünft  ist  .1/.  —  6  1  ist  verschrieben.  —  S  siben  vor  sundeu 
hat  I  allein.  —  9  D  hat  und  vor  als  oft  allein.  —  und  swie  siz 
tunt  hat  I  allein  gegen  und  swenue  si  ez  t.  der  übrigen  hss.  — 
der  passus  in  I  ir  iegelicher,  als  oft  chronent  si  den  tivel  die 
si  da  tunt  ist  in  H  ausgefallen,  offenbar  durch  überspringen  des 
auges  von  einem  tunt  auf  das  andere,  M  fehlt  hier  eine  größere 
stelle,  und  nur  D  hat  von  dem  alten  und  notwendigen  folgendes 
bewahrt:  ir  iegleicheu  als  oft  chronent  si  den  tenlel.  —  11  im 
gebrest  /,  iem  zepreste  D,  im  zerrinne  H.  —  12  vil  vor  tro  hat  I 
allein.  —  \Z  fehlt  I  nach  got  ein  gar,  das  HDM  haben.  —  herzen- 
leit  IDM,  herzeleit  H.  —  den  manen  und  die  stein  IDM,  die 
steine  und  den  manen  H.  —  17  an  nihtiu  /,  an  nichteu  D, 
niht  HM.  —  doch  vor  sunderlichen  fehlt  HI  gegen  DM.  —  mit 
siben  sumlen  /,  mit  siben  fehlt  H,  suuden  fehlt  DM.  den  mangel 
des  ausdruckes  habe  ich  empfunden  Anz.  vu  36S,  aber  anders  (mit 
disen  siben)  zu  bessern  gesucht.  —  nach  siben  ley  sundär  ist  in 

1  eine  stelle  ausgefallen,  welche  HD  enthalten  und  die  unbedingt 
für  den  Zusammenhang  des  Sinnes  gefordert  wird:  die  krosoent  in 
noch  aller  meiste  und  aller  schönste  vor  allen  den  Sündern; 
Ursache  war  überspringen  von  siinder  auf  Sündern.  M  fehlt  hier 
ein  größerer  passus.  —  21  aller  meist  und  aller  nähst  IH,  aller 
nächste  und  aller  maist  D.  —  an  dem  gründe  /,  an  den 
grünt  H,  an  dem  abgrunde  D.  es  bestätigt  somit  I  die  Vermutung 
von  Bartsch  Beiträge  zur  quellenkunde  der  altdeutschen  litteratur 
s.  133.  —  wil  ich  euch  warn  /,  ich  iuch  warnen  wil  //,  wil 
ich  waren  D.  es  ist  also  'bewahren'  in  ID  gemeint.  —  dem 
tivel  ID,  den  tiufeln  //.  —  vor  leit  hut  II  gar,  das  ID  fehlt.  — 
2:'»  ez  wil  ob  D  verschieben.  —  daz  einer  hie  sei  D.  —  im  /, 
in  HD.  —  enget  ///,   enge  D.  —  so  vor  gehabt  in  D  gegen  IH.  — 

2  1  ich  tiirht  doch  /,  wan  ich  lürhte  HD.  —  die  Vermutung  von 
Bartsch  aao.  bltbe  ir  (aus  pleiber  II)  wird  durch  I  nicht  be- 
stätigt. —  merer  ID,  merre  //.  —  si  wellen!  sich  niht  der 
suoden  ab  tun  ///,  si  w.  sich  der  s.  nicht  ab  t.  D.  —  26  gar 
fro  I,  gar  Uberfro  D ,  gar  unmügelicben  l'ro  //.  —  2S  vorst  /, 
fürst  //,  veste  /;.  —  30  ettelich  ID,  etlichen  //.  —  den  ///. 
fehlt  D.  —  ist.  IHD.  —  31  habent  /,  haben  D,  haut  //.  —  da 
vun  ///,  der  von  D.  —  chomen  /,  fehlt  HD.  —  32  untz  IDM, 
hin/.  //.  —  ir  IM,  er  HD.  —  so  laoch  man  IHD.  seit  man  ,1/, 
dem  auch  nur  fehlt.    —  ^">    tötlich  sunde  /,    totsünde  HDM.   — 


214  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

ist  1DM,  wirt  H.  —  wie  daune  sol  muss  es  nach  dem  erhaltenen 
sol  in  1  geheißen  haben,  gegen  wie  sol  danne  der  in  H  und  wie 
sol  der  denue  DM.  —  35  ich  hau  ID  (noch  leicht  in  D),  peicht 
//.  —  36  etlelich  /,  etelichem  H  (D?).  —  owe  des  /,  owe  ain 
H,  owe  dein  D;  so  bestätigt  sich  Strobls  Vermutung  des,  welche 
Bartsch  als  'ganz  verfehlt'  bezeichnet.  —  39  firzich  jar  oder 
lunl'zeh  IH(D),  vierz.  o.  funfz.  j.  M.  —  tötlichen  sundeD  IHD, 
totsunden  M.  —  40  und  mer  dar  zuo  gesundet  IH,  ges.  dar 
zuo  D.  —  41  immer  vor  brinuen  hat  I  allein.  —  da  vermute 
ich  für  I  wegen  des  verbums  lit.  deshalb  ist  auch  der  dativ  an 
einem  fiure  /  (dem  üure  D)  berechtigter  als  der  accusativ  in  H.  — 
dagegen  ist  das  zweite  lit  in  /  fehlerhaft  gegen  leit  HD.  —  31  so 
machet  er  /,  daz  machet  HD.  —  grozzer  und  heizzer  IH,  h.  u. 

g.  D.    —   so  daune ein  ganzer   walt  IH,   so    man  ainen 

ganzen  walt  D.  —  44  da  /,  dar  an  HD.  —  lit  IH,  leit  D.  — 
45  umb  din  dinch  und  /,  fehlt  H,  in  D  ist  davon  geblieben:  umb 
dich  und.  —  47  ergänze  ich  über  hurär  nach  dem  sichtbaren  r'est 
in  I,  dessen  text  hier  entschieden  gegen  das  richtigere  in  HDM 
zurücksteht.  —  grozze  IDM ,  grozzer  H.  —  da  ho  am  ende  der 
zeile  in  I  steht,  so  ist  zu  vermuten,  dass  es  vielleicht  hohe  heißen 
soll.  —  51  sam  er  ID,  als  er  HM.  —  Pfi  Gardian  fehlt  IDM 
gegen  H.  —  53  der  vor  untugenl  fehlt  H  gegen  ID.  —  daz  vor 
himelreich  fehlt  H  gegen  ID.  —  ob  rehte  in  1  gestanden  hat,  kann  man 
nicht  ivissen.  —  55  sin  wellest  IH,  seist  D.  —  58  da  vor  wider 
fehlt  II  gegen  IDM.  —  67  mensche  nach  ander  in  1  gegen  HD. 

Aus  dieser  Zusammenstellung  ergibt  sich  meines  erachtens  ganz 
unwiderleglich,  dass  I  mit  der  gruppe  von  hss.  geht,  an  deren 
spitze  sich  D  befindet  und  insbesondere  zu  D  selbst  in  einem 
näheren  Verhältnisse  steht,  welches  freilich  nicht  eng  genug  ist, 
um  D  als  einen  sprössling  von  I  erscheinen  zu  lassen;  das  ver- 
bietet sich  schon  durch  die  fehler  und  auslassungen  von  I,  an  deren 
stelle  D  das  richtige  enthält,  aus  dem  beitritt  von  I  erwächst  nun 
der  gruppe  DM  KW  eine  mächtige  autorität  gegenüber  H,  und  man 
wird  jetzt  in  gar  manchen  zweifelhaften  fällen  geneigter  sein ,  D 
gegen  H  recht  zu  geben,  als  man  vorher  durfte. 

Die  eine  bedeutende  auslassung  in  I  z.  18  gestattet,  in  Ver- 
bindung mit  den  übrigen  angemerkten  fehlem  der  fragmente,  den 
schluss,  dass  auch  1  keine  Originalaufzeichnung  enthält,  sondern 
absdirift  ist.    da  nun  I  noch  im   \'S  jh.  hergestellt  wurde,  so  wird 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  ALS  INNSBRUCK     215 

die  unmittelbare  vorläge  von  I  in  die  eigene  zeit  Bertholds  von 
Regensburg  hinaufgerückt  und  für  eine  directe  niederschrift  oder 
bearbeitung  seiner  predigten  gehalten  werden  müssen,  das  ist  in- 
so ferne  von  grofser  Wichtigkeit ,  als  die  predigt  nr  xlvii  bei  Strobl, 
zu  welcher  die  Innsbrucker  abschnitte  a  —  d  gehören,  die  kürzere 
fassung  der  predigt  nr  xiv  darstellt  bei  Pfeiffer  s.  196  ff.  auch  die 
predigt  nr  liv  bei  Strobl,  aus  der  die  fragmente  e — h  stammen, 
steht  der  weiteren  fassung  in  der  predigt  nr  vn,  Pfeiffer  s.  94  ff, 
ziemlich  nahe,  die  älteste  der  bis  jetzt  bekannten  Überlieferungen 
von  deutschen  predigten  Bertholds  schliefst  sich  also  den  kürzeren 
fassungen  an.  somit  dürfen  diese,  von  Strobl  herausgegebenen, 
nicht  mehr,  wie  diefs  wol  allgemein  unter  den  fachgenossen  ge- 
schieht, um  einer  gewissen  knappheit  und  dürftigkeit  willen  gegen 
die  reicheren  und  weitläuf tigeren  fassungen  in  Pfeiffers  bände  zu- 
rückgesetzt werden,  ich  finde  in  der  beschaffenheit  der  neuen 
fragmente  eine  bestätigung  meiner  im  Anz.  vn  381  geäufserten 
ansieht,  dass  die  kürzeren  fassungen  nur  andere  aufzeichnnngen 
derselben  predigten  Bertholds  sind,  von  denen  uns  ausführlichere 
fassungen  in  der  Heidelberger  hs.  nr  24  und  der  Brüsseler  vor- 
liegen, die  hypothese  über  die  entstehung  der  deutschen  sammelhss. 
von  Bertholds  predigte)!,  welche  ich  soeben  in  meiner  arbeit  'Über 
eine  Grazer  hs.  lateinisch  -deutscher  predigten.  Graz  1890'  vor- 
getragen habe,  wird  durch  diu  Innsbrucker  bruchstücke  nicht  be- 
rührt, zumal  diese  uns  ja  auch  keine  Vermutung  über  umfang 
und  einrichtung  der  vollständigen  hs.  erlauben. 

Die  aufzeichnung  der  Innsbrucker  fragmente  wird  sich  bei 
ihrem  geringen  umfange  kaum  mit  Sicherheit  einer  bestimmten 
gegend  zuweisen  lassen,  die  ch  für  k,  die  häufigen  eu  für  iu 
weisen  nach  Baiern,  die  eine  merkwürdige  Schreibung  ou  für  ö 
in  tötsunde  18  nach  Alemannien.  alles  andere  ist  mehrdeutig, 
und  somit  wird  man  nichts  sonst  behaupten  dürfen,  als  ilass  nach 
dem,  was  uns  jetzt  vorliegt ,  die  bruchstücke  in  einem  grenzgebiete 
des  bairischen  dialectes  gegen  Alemannien  hin  geschrieben  sein  mögen. 

IX. 
MEISTER  ECKBART. 

Zwei  streif en  pergament ,  die  aus  einem  blatte  der  länge  nach 
geschnitten  sind  und  dann  noch,  der  eine  oben ,  der  andere  unten, 
durch  selniitte  verkürzt  wurden,     das  blatt,   von   dem  die  streifen 


216     ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

einen  kleinen  teil  bilden,  war  31  cm.  hoch  und  enthielt  43  Zeilen 
auf  der  seite.  weder  horizontale  noch,  verticale  Unten  sind  für  den 
Schreiber  vorhanden  gewesen,  der  erste  streifen  reicht  1 — 2  cm. 
über  die  schrift  hinaus  und  umfasst  noch  ein  stück  leeren  randes. 
aus  der  beschaffenheit  dieses  randstreifens,  dem  bug,  den  heftlöchern, 
möchte  man  schliefsen,  dass,  was  ich  als  b  auffasse,  die  Vorder- 
seite vnd  mein  a  die  rückseite  gewesen  sei;  das  ist  aber  nicht  der 
fall,  bug  und  heftlöcher  sind  durch  die  spatere  Verwendung  des 
Mattes  erst  hervorgebracht  worden,  die  schrift  ist  sehr  schon  und 
sorgfältig,  sie  muss  noch  in  die  erste  hälfte  des  \-ijhs.  fallen  und 
ihr  nrheber  muss  in  einer  schule  alter  tradition  schreiben  gelernt 
haben ,  da  er  einzelne  buchstaben ,  zb.  e ,  h ,  z  so  bildet ,  wie  das 
ein-  bis  anderthalb  jhh.  vorher  üblich  gewesen  war. 

Die  grofse  geschmückte  rote  initiale  H  auf  seite  b  bezeichnet 
den  an  fang  eines  neuen  Stückes,  dieses  ist  identisch  mit  nr  19  der 
von  Sievers  (1872)  aus  einer  Oxforder  hs.  herausgegebenen  pre- 
digten des  meister  Eckhart,  Zs.  15,  413  ff.  diese  predigt  macht 
aber  nur  etwa  das  erste  drittel  eines  tractates  aus,  der  mit  der 
Überschrift  'Kraft  von  Boyberg  durch  Pfeiffer  Zs.  8,  23 S  ff  ver- 
öffentlicht wurde.  Sievers  hatte  dieses  Verhältnis  nicht  bemerkt  und 
auch  Wilhelm  Preger  war  es  entgangen,  als  er  (1874)  das  ergebnis 
seiner  in  der  Zeitschrift  für  historische  theologie  1864  und  1S66 
geführten  Untersuchungen  in  seine  Geschichte  der  deutschen  mystik 
1,  317//'  aufnahm.  Preger  hatte  nämlich  dort  nachzuweisen  ver- 
sucht, dass  jette  abhandlung  nicht  dem  Kraft  von  Boyberg,  sondern 
vielmehr  meister  Eckhart  selbst  zugeschrieben  werden  müsse. 

Was  vor  dem  kleinen  a  und  b  unserer  fragmente  sich  be- 
findet,  stammt  aus  einem  tractat,  der  ebenfalls  von  Pfeiffer  aao. 
s.  243  ff  publiciert  wurde  und  zioar  als  eigentum  eines  'bruoder  Franke 
von  Kölne.'  auch  von  diesem  iverkchen  ('von  zweierlei  wegen')  be- 
hauptete Preger,  es  habe  meister  Eckhart  zum  Verfasser,  die  hs.,  der 
die  Innsbrucker  bruchstücke  entnommen  sind,  muss  eine  ähnliche 
Sammlung  mystischer  Schriften  enthalten  haben,  wie  die  Basler  Co- 
dices und  der  Einsiedler,  welche  Pfeiffer  bei  seiner  Veröffentlichung 
benutzt  hatte,  nur  folgen  hier  die  beiden  stücke  in  anderer  Ord- 
nung auf  einander  als  dort,  der  text  der  neuen  fragmente  weist 
nicht  unerhebliche  unterschiede  von  dem  gedruckten  auf.  diese 
können  am  bequemsten  klar  gelegt  und  der  vergleichung  zugänglich 
gemacht  werden,    wenn  ich  unter  den  bruchstücken  die  bereits  be- 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK  217 

kannten  texte  abdrucke,  ich  lasse  beim  zweiten  stück  Sievers' 
mitteldeutsche  fassung  bei  seite  und  gebe  nur  die  von  Pfeiffer  ober- 
deutsch hergestellte,  mit  eckigen  klammem  umschliefse  ich,  ivas 
unseren  fragmenten  fehlt. 

Die  beiden  streifen  sind  aus  der  incunabel  ^-B  abgelöst,  die 
predigten  Johann  Ecks  aus  Ingolstadt  1534  und  1539  enthält  und 
aus  dem  kloster  Neustift  bei  Brixen  stammt. 

a  en  hat.     allez  des  man 

t  aller  ding.     e.    daz  si  geschehen.     Diu 
svvebenden  lieht.     Hier  uf  sprichet 
z  sin  selbes  vvesen.     daz  niemen  be 
5   it.     da  nie  creatur  inne  ge 
en  ob  den  iuren  als  hoch  als 
niht  nützers  ens!.     noch  geistlich 
ein  bechantnüsse  der  heiligen  dri 
ist  der  personeu.     und  des  wesens.     Waz 
lu    weseo  daz  da  niht  eugit.     und  niht 
vermugentheit  des  weseus  ist.     daz 
nen  scheid,     mer  daz  selbe  wesen  der 

Zs.  S,  246:  diu  riclieit  gotes  ist  daz  er  nilit  enlial  noch  niht  enist 
allez  daz  man  geworfen  mac.  diu  wisheit  ist  an  der  wolgeordenheit  aller 
dinge,  diu  kunst  gotes  ist  diu  vernemunge  sin  selbes  in  eim  erhaben 
liehte.  hie  von  spricht  sant  Dyonisius  'daz  lieht  da  got  inne  wont  daz  ist 
sin  selbes  wesen,  daz  nieman  bekant  ist  dan  im  selber.'  di/.  ist  der  höhe 
wec  der  gotheit,  da  nie  cieätdre  inne  gewandelt  hat.  hie  von  spricht  got  (5) 
durch  den  propheten  'mine  wege  sint  erhaben  über  die  himel  also  hoch  als 
der  himel  über  die  erden.'  sant  Augustinus  sprichet  daz  niht  sorclicher 
noch  nützer  noch  seliger  der  seien  si  dan  ze  wandelen  in  dem  bekentnisse 
der  heiligen  dnvallikeit  und  einikeit.  Nu  merket  mit  vlize  daz  underscheit 
der  persönen  unde  des  wesens.  waz  ist  persöne  in  der  drivaltikeit?  [daz 
ist  persöne  daz  sunderlich  unde  vernünfticlich  beneidet  sine  eigenschaft 
gesundert  von  einander  nah  den  persönen  an  ir  underscheit.  her  umbe  ist 
ein  persöne  diu  ander  niht.  daz  (247)  werc  der  persönen  daz  ist  daz  si 
üzberen  unde  geben  alliu  dinc.  diu  gebeiunge  gehceret  den  vater  an  alleine, 
diu  üzgebunge  gehceret  die  drivaldikeit  an  gemein,  waz  ist  wesen  der  drier 
persönen  in  der  drivaldikeit?]  daz  einveldiclich  al  in  im  beslozzen  häl  nah 
einvaldikeit  unde  doch  weder  enbirt  noch  engibel  an  im  selber  weslich  waz(io) 
iz  gibet.  [daz  geschult  von  den  drin  persönen  sunder,  die  daz  wesen  wir- 
kent,  oder  iz  enmac.  wan  die  persönen  wirken t  niht  als  drle,  si  wirken) 
als  ein  got.]  welich  ist  diu  vermügenheit  des  wesens?  diu  vermügenheil 
des  wesens  ist  daz  iz  niht  persöne  i^t  näh  redt-  unde  staete  bllbet  in  stner 
weslicher  einikeit;  niht  also  daz  iz  sich  von  den  persönen   scheide,  mer  daz 


21  ^  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

der  wesenden.     und  ist  auch  leben,     der  leb 

ii  die  person.     wan  si  siut  niht  person 
15   vermak  der  vater  niht  Jemandes 

person,     uz  siner  person  niht  uz 

so  hat  daz  wesen  der  wesenlicheit. 

henne.     einen  ze  geberne.     gelich 

uzgange  der  personell.     Daz  ist  diu  ver 
20  daz  sich  von  im  selben  niht  geoffen 

mugentheit  des  vvesens.     ist  sin  höhst 

offenbaren  mak.     mer  ez  ist  doch 

griffent  gantzllch  daz  wesen.     dar 

heit  begriffen  und  bechennen.     ze 
25    n  personen.     wan  wesen  wirt 

ent  die  personen  daz  wesen.     dar 

aturlich  wesen  ist.     und  also  verre 

t  got.     Mer  daz  ist  doch  also  chleiu 

selbe  wesen  daz  ist  natürlich  der  personen  wesen  und  ist  ouch  wesen  aller 
dinge,  iz  ist  wesen  der  wesenden,  iz  ist  leben  der  lebenden,  iz  ist  lieht  der 
liehte  und  ist  nätür  der  nätüre:  diz  ist  iz  alliz  an  siner  einvaldikeit. 
also  ist  iz  umbe  die  personen  niht,  wan  si  sint  niht  personen  aller  dinge 
alse  daz   wesen   aller  dinge   wesen  ist.     des  vermac  der  vater  niht  iemans 

(15)  persöne  ze  sin  dan  sin  selbes,  er  gebar  ein  ander  persöne  üz  siner  per- 
söne, niht  üz  dem  wesen,  mer  mit  dem  wesen  in  daz  wesen.  daz 
der  vater  den  sun  bern  mac  mit  aller  volkomener  seiden,  glich  im 
selber,  volkomener  got  als  er  selber  got  ist,  daz  hat  er  an  sinem  natür- 
lichen wesen.  [da  der  vater  birt  den  sun,  da  git  er  im  ein  ander  persöne 
dan  sin  selbes  persone  ist,  er  git  im  aber  niht  ein  ander  nätüre  noch  ein 
ander  wesen  dan  sin  eigen  wesen  ist.]  alsus  ist  geoffenbäret  daz  wesen 
von  dem  üzgange.    diz  ist  diu  mugenheit  der  personen  zuo  offenbaren  daz 

(20) wesen  daz  sich  von  im  selber  niht  offenbaren  mac,  wan  iz  weder  git  noh 
birt  an  im  selber  weslich.  diu  unmugenheit  des  Wesens  daz  ist  sin  hoehstiu 
mugenheit,  mer  iz  ist  doch  offenbar  im  selber,  die  persöne  bekennent  unde 
begrifent  glich  diz  wesen.  diz  wesen  heldet  sich  glich  zuo  den  personen. 
Nu  ist  ein  vräge  under  den  meistern  ,  ob  diu  persönlichen  begrife  unde  be- 
kenne zuo  gründe  oder  niht.    diu  persönlichen  begrifet  unde  bekennet  zuo 

(25) gründe  daz  wesen,  wan  iz  der  persöne  natürlich  wesen  ist,  unde  diz  wesen 
wirt  von  nihte  begriffen  zuo  gründe  dan  von  den  drin  personen  (248) 
den  ez  natürlich  ist.  her  umbe  begrifent  die  persöne  daz  wesen,  und 
hie  von  sint  die  personen  got  persönlich  von  der  begrifunge  des  Wesens, 
daz  ir  natürlich  wesen  ist.  und  also  verre  als  diu  sele  diz  wesen  begrifet, 
also  verre  ist  si  gotlich.  mer  des  ist  doch  also  kleine  daz  si  begrifen  mac 
als  ein  trän  wider  dem  wilden  mere.     doch  ist  iz  gotes  alzemäle.     mer  daz 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK  219 

dem  mer.     doch  begriffet  si  iht  got 
30   az  ir  ewiklich  bliben  sol.      daz  ist 

d  Nu  mölit  mau  fragen,     war 

ir  merkeu.     an  allen  dingen  die  da 

get  von  einer  sache.     diu  ir  selbes  selb 

st  der  sun.     minne  zu  den  selben  pil 
35   1er  ding  ewiklich  in  dem  va 

ben.     Ditz  ist  gesprochen  von 

te  mer  persouen  sin  dann  einiu. 

m  vater   sint  uz  geflozzen  elliu  di 

ch  aller  ding,     an  der  ewicheit.     aber 
40   tur.     aber  in  dem  ewigen  uz  fluzze. 

si  got  mit  got.    ([  Dar  üf  spr 

nach  dem  gelichnüsse  ir  selb 

cheit  und  in  der  zit.     waz  ist  ein 
b  ist  ein  wolgevallen  sin 

45    uz  gegangen  in  der  zit.     in  dem  gelw 

barung  sin  selbes,     im  selben  also  fl 

selben.     Da  ist  bechennaer  daz  selbe 

inlili bende  guot,  daz  ir  ewiclich  entpliben  sol  also  daz  si  iz  niht  durch- (30) 
gründet,  daz  ist  der  vorspilende  abgrunt.  der  tuot  si  ewiclich  versinken 
von  ir  selber,  nü  möhte  man  vrägen,  war  umbe  ist  niht  ein  persüne 
als  ein  wesen  ist"?  diz  merket,  alliu  diu  dinc  diu  da  sint,  diu  sint 
von  in  selber  niht,  mer  si  sint  geursprunct  in  der  ewikeit  von  einem 
Ursprünge  der  sin  selbes  ursprunc  ist,  und  in  der  zit  geschaffen  von  nihte 
von  der  heiligen  drivaldikeit.  ir  ewic  ursprunc  ist  der  vater  und  aller 
dinge  bilde  in  im  daz  ist  der  sun;  minne  zuo  dem  selben  bilde  daz  ist 
der  heilige  geist.  dar  umbe,  hete  der  bildenere  aller  dinge  in  dem (35) 
vater  ewiclichen  niht  geswebet,  so  möhte  der  vater  niht  geworht  haben, 
diz  ist  gesprochen  von  der  unsatter  mugenheit  des  vaters.  her  umbe 
muosten  me  persönen  sin  dan  einiu,  wan  an  dem  ewigen  vluzze  den 
sun  von  dem  vater  sint  üz  gevlozzen  alliu  dinc  unde  niht  von  in  selber, 
also  ist  der  ewige  vluz  ein  ursprunc  aller  dinge  an  ir  ewikeit,  aber  in 
der  zit  sint  si  von  nihte  geschaffen,  unde  da  von  sint  si  creätüren.  aber (40) 
in  dem  ewigen  vluzze,  in  den  si  gevlozzen  sint  sunder  sich  selber,  da 
sint  si  gotan  gote.  hie  von  spricht  sant  Dyonisius  daz  diu  erste  sache 
sachet  alliu  dinc  näh  dem  glichnisse  ir  selbes.  Nu  merket  den  ander« 
scheit  des  üzfluzzes  in  der  ewikeit  und  in  der  zit.  waz  ist  ein  üzfluz? 
daz  ist  ein  behegelicheit  sins  willen  mit  eiin  lihten  onderscheit.  also 
sin  wir  üz  gegangen  in  der  zit  in  dem  getwange  Sinei  minne.  der  ewic  (45) 
üzvluz  ist  ein  offenbaren  sin  selbes  in  im  selber,  di  ist  der  kcnnere  daz 
daz  ist,   daz  da   bekant  ist.    diz  ist  der  fiwige  vluz,    des  nie  ein  trän  üz 


220  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

ein   zseher   uz  chom.      in   die   ver 

in  einem  zitlichem  fluzze  flie 
5U    fluzze  sint  si  sunder  mazze  belibe 

richet  Dyonissus.     Got  der  ist  ein  br 

des  suns.     daz  ist  an  siner  ewigen  g 

bereut,      daz  ist  ein  ewigiu  inguz 

vseterlicheit.     weder  si  si  ursprinkli 
55  der  vseterlicheit.     Nu  verstet  min  eine 

nibt.     Wser  daz  wesen  ursprinklic 

ez  niht.     Waer  aber  diu  vseterlicheit  ur 

also  ist  ez  auch   nibt.     Da  daz  wes 

wesen.     mer  diu  nature  des  we 
60    genaturet  nature.     daz  ist  der  ursprin 

quam  in  die  vernemunge   einiger  creätüre;  daz  ist  der  sun  von  dem  vater. 
an  dem  zitlichen  üzvluzze  vluzzen   allin  dinc  üz   mit  mäze.     aber  in  disem 

(öo)  ewigen  vluzze  sint  si  sunder  mäze  bliben.  also  ist  (249)  der  vluz  vervlozzen 
in  sich  selber,  her  üf  spricht  sant  Dyonisius  'got  ist  ein  brunne  der  in  sich 
selber  ist  vervlozzen.'  der  vater  ist  ein  ursprunc  sins  sunes,  daz  ist  an 
siner  ewigen  geberunge.  der  vater  unde  der  sun  die  ursprungent  iren  geist, 
daz  ist  an  einer  ewiger  entgiezunge. 

Eyä,  nü  möhte  manviägen,  wie  iz  si  umbe  die  veterlicheit,  weder  si 

(55)ursprunclich  si  der  veterlicheit.  diz  verstet  mit  einem  erliuhten  geiste.  daz 
wesen  git  noh  nimt  niht  an  im  selber  wesenlich,  her  umbe,  were  daz 
wesen  ursprunclieli  des  vaters,  so  were  daz  wesen  bernde,  so  möhte  iz  niht 
wesen  sin,  sunder  iz  were  ein  persöne.  also  ist  iz  niht,  wan  wesen  ist 
niht  persöne  näh  siner  einikeit.  were  aber  diu  veterlicheit  ursprunclich  des 
wesens,  so  were  ursprunc  von  des  vater  persöne.  also  ist  iz  ouch  niht, 
alleine  der  vater  ursprunc  si  nach  siner  persöne,  er  ursprunget  doch  daz 
wesen  niht,  wan  veterlicheit  unde  weslicheit  eine  eigenschaft  tragent.     dar 

(60)  umbe  ist  er  algewaltic  zuo  Ursprüngen  näh  der  veterlicheit.  [daz  wesen 
mac  niht  gesin  äne  persöne  unde  persön  mac  niht  gesin  äne  nature,  als  ir 
prüeven  müget.  ein  ieclich  dinc  daz  da  ist  daz  mac  niht  gesin  äne  sine 
nätüre,  wan  iz  mac  sin  selbes  niht  gelangen,  iz  muoz  ie  sin  daz  iz  ist. 
seht  also  verstet,  wan  dan  der  vater  ein  persön  ist,  so  mac  er  niht  persöne 
gesin  äne  nätüre,  unde  nature  mac  ouch  niht  sin  äne  persöne.  wan  ist  si 
nätüre,  so  muoz  iz  sin  des  nätüre  si  si.  seht,  also  merket  daz  daz  wesen 
keine  wis  sin  mac  äne  underscheil  und  understöz.  persön  und  understöz 
mac  keine  wis  sin  äne  nätüre,  daz  daz  wesen  ist.  seht,  also  ist  bewiset 
daz  daz  wesen  niht  ursprunget  die  veterlicheit,  noch  diu  veterlicheit  ouch 
niht  ursprunget  daz  wesen,  wan  ir  kein  äne  daz  ander  sin  mac.  der  sun 
mac  niht  sin  äne  den  vater  noch  der  vater  äne  den  sun  noch  si  beide  äne 
den  heiligen  geist;  noch  danne  behaldent  si  drie  eigenschaft  die  si  sun- 
derent  in  ir  underscheit.     seht,   also  ist  iz   niht   umbe   die  veterlicheit  und 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK  221 

die  Verborgenheit  ir  selbes  oatur.      Da 

ein  ist  si  al.    von  dem  al.    ist  sie  al.    in  d 

er  einik  ein.     und  ist  auch  al.    an  al.    da 

rinklicheit  des  suues  und  si  beide 
65    den  ist.     {[  Eia  wol  dem  geist.     der 

chennen.     daz  doch  unbechant.     d 

mit  irm  verstantuüss  iht  gotes  en 

wie  si  zii  im  hoert.    und  wie  si  b 

men.     si  belib  stcetiklichen  da.     Daz 
70    ntheit.     Daz  ist  daz  Jop  sprichet.     D 

et  zfl  den  oren  der  manne,     und  sprich 

griilicheit.     daz  ist  diu  so  sorksamich 

diu  oftenbarunge  der  blozzen  verborgen 

umbe  daz  wesen.  ir  kein  mac  gesin  äne  daz  ander.]  alleine  wesen  niht 
persöne  si  unde  persöne  niht  wesen,  noch  danne  behaldet  veterlicheit  unde 
weslicheit  ein  eigenschaft,  also  daz  man  niht  sprechen  mac  daz  ir  kein  des 
andern  ursprunc  si,  (250)  wan  iz  ein  eigenschaft,  ist,  als  der  vater  ursprunget 
den  sun  unde  si  beide  ursprungent  ir  geist,  der  näh  der  nätüre  ein  mit  in 
beiden  ist.  Eyä,  wol  dem  geiste,  der  dar  üf  genomen  ist  in  diz  riche  blöz,  (65) 
bekennen  daz  allen  den  unbekant  ist  die  niht  blöz  sint  ir  selbes,  [sol  diu 
sele  blöz  sin ,  so  muoz  si  haben  ein  abkeren  von  allen  bilden  und  formen, 
die  ir  offenbar  sint,  daz  si  üf  der  keiner  blibe.  wan  gotlich  nätür  ist  niht 
bilde  noch  forme,  also  daz  si  iz  verstän  müge.  wan  swanne  diu  sele  sich 
keret  von  allem  dem  daz  da  oben  ist  —  daz  heizet  gescheiden  von  bilden 
unde  von  formen  —  so  enpfehet  si  glichnisse  der  formelösen  nätüre  gotes, 
des  eigenlichiu  forme  nie  creätüre  offenbar  wart  in  disem  leben,  diz  ist 
der  heimliche  inganc,  den  diu  sele  hat  in  gotliche  nätüre  an  eim  glichnisse. 
wan  swenne  diu  sele  niht  enhät  üf  dem  si  ste,  so  ist  si  bereit  zuo  gän  in 
ein  glichnisse  gotes,  da  nieman  zuo  komen  mac,  er  si  geblcezet  von  allen 
geistlichen  niatei ii-n.  —  Eyä,  wie  sere  si  sich  hinderent  dis  heimlichen  in- 
ganges,  die  so  übte  blibent  üf  liplichen  dingen!  hie  an  bekenne  ich  selber 
min  armuot.  hie  zuo  mante  sant  Dyonisius  einen  sinen  junger  unde  sprach 
'wilt  du  komen  in  die  kuntschaft  der  verborgenen  heimlicheit  gotes,  so  muost 
du  iibergän  allez  daz  dich  hindert  an  eime  lütern  verstentnisse.']  wan  swenne 
diu  blöze  sele  mit  ir  blözem  verstentnisse,  daz  da  erliulitet  ist  von  einem 
gotlichen  liehte,  gotes  — ,  so  bekennet  si  sich  selben,  swenne  si  danne 
bekennet,  wie  si  zuo  im  gevüeget  ist  unde  wie  si  zuo  im  gehceret  unde 
wie  si  beide  ein  sint,  möhte  si  vor  der  swerde  irs  lichamen,  si  blibe  ste- 
teclich  dar  an.  diz  höhe  bekennen,  daz  diu  stMe  hat  von  der  verborgener 
heimlicheit  gotes,  daz  ist  daz  Job  sprichet  'in  der  griulicheit  des  Deutlichen (70) 
gesihtes  kumt  er  unde  rünet  zuo  den  dren  des  mannes.'  waz  meinet  er  mit 
der  griulicheit?  daz  tuot  er  die  sorgsamikeit  in  disem  bekentnisse,  von  dem 
hie  «eschriben  ist.    daz  uehtlich  gesihte  daz  ist  diu  offenbärunge  der  heim- 


222     ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

bechantnüss.     und  der  bechennser  ein. 
75    Herre  almsehtiger  got.     elliu  d 

gewalt.     uüd  herschaft  ligent 

guter  ding  in  frid.     Waz  ist  friheit 

daz  an  niht  enhanget.     und  al 

erst,     der  da  sache  ist  aller  ding 
80  er  ding.     Got  ist  alein  allez  gut. 

ist  er  in  allem  zemal.     Daz  man  sp 

gut.     daz  ist  er.     Wan  got.  ist.     daz  is 

Got  hat  chein  vor.     noch  chein   na 

vor.     noch  nach  noch  chein  vo 
85    einem  unbescheidenlichen  lie 

ner  stille.     Daz  ist  daz  man 

licher  wärheit.  daz  rünen  ist  diu  vervlozzen  einunge,  da  daz  bekante  und 
der  bekenner  ein  sint.  —  der  schließende  zasatz  der  Basler  hs.  fehlt 
also  hier. 

(75)  Zs.  8,  238:  Herre  almehtiger  got,  alle  ding  sint  in  diner  gewalt.    gewalt 

und  herschaft  lit  an  zwein  dingen,  an  friheit  und  an  besitzunge  vil  guoter 
dingen  in  friden.  was  ist  friheit?  da  sprichet  ein  heidenischer  meister  'das 
ding  ist  fri  das  an  nihte  hanget  und  an  dem  ouch  niht  enhanget.'  dar 
umbe  enist  nihtes  niht  fri  wan  diu  erste  sache,  diu  da  ist  ein  sache  aller 
Sachen,     zuo   der  herschaft   beeret  ouch,   daz   man   besitze  vil  guoter  ding 

(80)unde  scheener.  nü  ist  got  al  guol  in  al;  dar  umbe  besitzet  er  sich  in  al. 
want  swas  got  hat,  das  ist  er  in  al.  daz  man  sprichet  das  er  habe  minne 
unde  willen,  wisheit,  güete  etc.,  das  ist  er.  wan  dis  got  ist,  har  umbe 
enist  nit  niht,  wand  got  e  was  dan  niht.  got  enhät  kein  vor  noch  nach: 
er  niht  hat  volgen;  sin  volgen  ist  iht.  des  nihtes  vor  ist  got,  wan  er  & 
was   dan   niht.     des   nihtes  volgen    ist    iht:    also    enhät   got  kein  vor   noch 

(S5) volgen.  eyä,  diu  sache  aller  dinge,  diu  in  ir  selber  swebet  in  einem  under- 
scheidenlichen  Hellte,  das  er  selber  ist!  got  ist  ein  lieht  in  ime  selben 
swebende  in  einer  stillen  stillekeit,  das  ist  das  einege  lieht,  das  einege 
we"sen  sin  selber,  das  sich  selbe  verstet  unde  bekennet. 


X. 

(MEISTER  ECKHART?) 

Ein  doppelblatt  und  ein  einzelnes  Matt  sind  die  reste  einer 
pergamenths. ,  welche  in  der  ersten  hiilfte  des  1 4  jhs.  entstanden 
ist.  die  blätter  besitzen  eine  höhe  von  11,8  cm.,  sind  9,8  cm. 
breit,  indes  der  text  selbst  mit  19  zeilen  auf  der  seite  nur  7,25  cm. 
breit  und  9,9  cm.  hoch  ist.     etwa  27  buchstaben  stehen  auf  einer 


ALTDEUTSCHE  FINDE  AUS  INNSBRUCK  223 

der  Zeilen,  welche  durch  tintenlinien  vorgezeichnet  und  durch  ab- 
schnittlinien  eingerahmt  werden,  das  einzelne  blatt  trägt  die  alte 
bezifferung  60,  das  doppelblatt  die  nummern  62  und  79  (?).  die 
stücke  sind  vom  buchbinder  als  rückenschutz  verwendet  und  um- 
gebogen aufgeleimt  worden ,  in  den  kanten  ist  daher  das  pergament 
fast  ganz  durchgescheuert ,  und  was  ich  an  den  bezüglichen  stellen 
cursiv  drucken  lasse,  ist  mehr  von  mir  conjiciert  als  würklich  ge- 
lesen, die  blätter  waren  von  der  incunabel  -^  F  ( Vocabularius 
hreviloquus  1482)  abgelöst  worden. 

Vielleicht  gehören  die  bruchstücke  zu  einem  codex,  der  Schriften 
meister  Eckharts  enthielt,  zwar  vermag  ich  sie  in  der  mir  be- 
kannten Überlieferung  Eckharts  nicht  nachzuweisen,  doch  stimmen 
die  fragmente  ziemlich  überein  mit  Eckharts  erörterungen  (ausgäbe 
von  Pfeiffer)  361,  25.  376,  32  ff.  380,  6  ff.  3S1,  32  ff.  die  deß- 
nition  der  'wahren  freude  z.  14  ff  steht  beinahe  wörtlich  in  den  von 
Sievers  herausgegebenen  predigten  Eckharts  Zs.  15,  391,  25  ff.  die 
ganze  ausdrucksweise  der  bruchstücke  scheint  es  nahe  zu  legen, 
dass  meister  Eckhart  als  ihr  verf.  vermutet  werde,  doch  will  ich 
nicht  verschweigen,  dass  auch  manche  eigenheiten  in  satzbau  und 
Wortstellung  auf  eine  lat.  vorläge  zu  schliefsen  gestatten. 

(60a)  alse  vlizich  ist  aller  dinge  di  got  ane  gen,  daz  her 
keine  versumet  an  keiner  stat  noch  an  keiner  zit,  di  ime  rauge- 
lich  sin  zu  tune.  Da  von  sprich  di  heilige  geist:  'Der  got 
vorchtet,  der  tut  gute  werc  unde  versumet  ir  nicht.'  ([  Urkunde 
unrechter  vorchte  ist,  wenne  ein  mensche  durch  äugest  sines  5 
libes  eder  gutis  nicht  Ritterlichen  durch  got  gute  werc  tut  unde 
iz  ubele  lezit.  Dise  vorchte  verhütet  got  seiher:  Mnvorchtet  nicht 
di  lute,  di  uch  den  lip  mugen  nemen,  sunder  got,  der  uvver  seli 
in  di  helle  mach  weilen.'  wen  die  lute  sin  af  gote,  an  den  ir 
trost  habit,  lazet  se  uf  sten,  daz  se  uch  hellen.  War  vroude  10 
ist  minne 

(60b)  materia  aller  vroude  stet  an  goli:  gewalt,  wisheil, 
gute,  mildicheit,  Schönheit,  minne,  edelicheit,  clarheit.  Di  ding 
sin  ummezich  unde  ewich  an  goti:  Dise  mensche  hat  wäre  vroude, 
der  lutter  samwizicheit  hat  an  allen  sinen  werken  unde  Dimmer  15 
von  mutwillen  brich  gotis  bot  noch  sin  gelubde,  sunder  der  alle 
zit  willen    hat   vor   huz   zu    comene   an    geisllicheu    Sachen    unde 

4  Eccle.  7,19.  —  das  zeichen  ist  rot  7  Hatth.  10,  28.  [Orot 

2V2  zeilen  sind  abgeschnitten.  15  alle  -. 


224  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

sich  zu  vereinene  mit  gütlichen  siten  uude  mit  den  heiligen  siten 
Jhesu  Christi,     von   diser   samwizicheit   rumit   unde   vrowit   sich 

20  sente  Paul,  so  he  sprich:    'unse  lere  unde  rum  ist,   wenne  wir 

hahen  ein  orkunde  an  unser  samwizicheit einval- 

tichliche  unde  lutlerliche 

(62a)  materie  vvarir  vroude  hat  der  mensche,  der  anme 
herzen  wisheit  intpheit  von  goti,  daz  ime  sin  alle  sine  sunde  ver- 

25  geben,  mit  den  he  got  unde  alle  creatura  so  grobeliche  irzurnet 
hatte  uude  alle  gotis  gabi  verloren  hat,  di  he  hatte,  unde  ver- 
worcht  hat  alliz  daz  ime  noch  werden  mochte.  Dise  wisheit  hatte 
sente  Marie  Magdalena,  zu  der  got  selber  sprach:  'dine  sunde 
sin  dir  vergeben.'     Ein   ander    orkunde   unde    materie   ist  warer 

30  vroude  sicherkeit  des  herzen,  daz  man  gotis  kint  si,  erbe  des 
hemelriches.  Dise  sicherkeit  gibit  der  heilige  geist:  'Urkunde 
unde  gezuc  gibit  got  von  sinem  geiste,  daz  wir  gotis  kindere 
sin;  unde  si  wir  kinder,  so  si  wir  erben.'  Dise  sicherkeit  hatte 
sente  Paul,    do  he  sprach:    'Ich  bin  (62bJ  sicher,    daz  noch  tot 

35  noch  leben  noch  kein  creatura  uns  gesunderen  mach  von  gotis 
minne.'  C  Urkunde  valscher  minne  unde  iteler  unrechter  vroude 
ist  daz  mau  lust  suchit  an  vergenglichen  dingen,  iz  si  werlich 
eder  geistlich  mach  eder  werlich  vroude.  so  getan  vroude  ist 
jamers  strit,  wen  wan  daz  ding  vergeit ,  so  verget  di  vroude  unde 

40  cumit  jamer.  unde  joch  minner  cumit  war  vroude  an  diz  herze, 
jene  wollust  intowe  alterst,  wen  se  sich  alle  ubele  unter  ein 
ander  mugen  liden  alse  win  unde  wazer.  Ouch  cumet  ittiswanne 
von  uature  vroude  in  daz  herze,  wenne  man  gedenket  eder  sprich 
eder  höret   sprechen    eder   lisit  von  gotlicher  salde  eder  so  man 

45  gerunge  hat  von  nature  hemelischer  vroude,    der  alle 

(79a)  vallen  ist  eder  vallen  mach,  kumet  aber  di  gnade 
weder,  so  sal  man  sich  aber  vorchten,  daz  man  se  anderweide 
veilise.     zur  rechter  nuz  sal  uns  bringen  der  jemerliche  val  der 

18  2  Cor.  1,  12:  namgloria  nosirahaec  est,  testimonium  conscientiae 
nostrae,  quod  in  simplicitatc  cordis  et  shiceritate  Dei,  et  no?i  in  sapientia 
earnali,  sed  in  gratia  Dei,  conversati  sumus  in  hoc  mundo:  abundantius 
autem  ad  vos.  30  Luc.  7.  48.  31  Rom.  8,  16 /V  ipse  enim  Spi- 

ritus testimonium  reddit  spiritui  noslro,  quod  sumus  filii  Dei.    si  autem 
filii,  et  heredes.  34  Rom.  8,  39:  certus  enim  sum,  quia  neque  mors 

neque  vita neque  creatura  alia  poterit   nos   separare  a  charitate 

Dei.  41   nach  alterst  steht  ve.  43  vroude  nach  nature  ist  am 

runde  nachgetragen. 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK     225 

engele,  von  dem  sente  Jacob  sprich:  'Di  got  dienen,  di  sin  nicht 
stete  an  sime  dieneste,    unde  got  vant  Irakeit  an   allen  engelen.  50 
wilichen  angist  muzzen  danne  haben  arme  lute  di  von  erden  sin 
gemachet?'     Ouch   sal   uns  bringen   zur  rechter  vorchte  heiliger 
lute  jemerfrc/ier  val  von  anegenge  der  weide:    her  Adames,  Sam- 
sonis,    Danielis,    Salomonis    unde   ander   apostolen.      unde   hüte 
vallen  leider  tusent  von  gotis  siten,   daz  sin  so  heilige  lute,  daz  55 
se    anme  jungesten    tage   solten    sitzen    bi    unsem   herren   Jhesu 
Christo    zu    gerichte,   unde   zen    dusent  von    siner   rechter  hant, 
(79b)  daz  sin,  di  man  mit  urteile  wisen  solde  zume  hemelriche. 
Ouch   solde   uns   bringen    zu  rechter  vorchte   der  heiligen   lute 
vorchte,  alse  sente  Job  sprich  von  ime  selber:    'Ich  vorchte  got  60 
alle  zit  über   mir  alse  eine  vlust   des  meres.'     Ouch   sprich   ein 
glosa  uf  sente  Johannes  buche:   'wilich  unser  mach,  gewis  sin  der 
ewigen  ruwe,  ob  sich  sente  Job  so  sere  vorchte,  den  got  selben 
lobete,   daz    ime   nieman   glich  was    uf  ertriche?'     Ouch  sprich 
sente  Jeronimus  von  ime  selber:  'wen  ich  gedenke  des  jungesten  65 
tagis,   so  irzitere  ich  an  al  mime  übe.'     waz  sole  wir  böse  lute 
denne   tun,   dat    so    heilige   lute   sich  vorchten?    Urkunde  warer 
vorchte  hat  der  mensche,  der 

49  vielmehr  Job  4,  18  f:  ecce  qui  serviunt  ei,  non  sunt  stabiles,  et 
in  angelis  suis  reperit  pravitatem.  quanto  magis  hi,  qui  habitant  domos 
luteas,   qui  terrenum  habent  fundamentum,   consumantur  velut   a  tinea? 

60  Job  3,  24/".-  antequam  comedam,  suspiro:  et  tamqüam  inun- 
dantes  aquae ,  sie  rugitus  meus:  quid  timor,  quem  timebam,  evenit  mihi, 
et  quod  verebar,  aeeidit.  62  gewiss  nicht  diu  glöse  über  daz  ewan- 

geliuni  s.  Johannis  bei  Pfeiffer,  Mystiker  n  578  ff.  vielleicht  ist  auch  hier 
statt  Johannes  zu  schreiben  Julies,  denn  in  Gregors  Moralia  in  Job  finden 
sich  ga?iz  ähnliche  stellen,  vgl.  besonders  lib.  5,  cap.  8  — 10,  Migne  75, 
688/1  65  unter  den  möglichen  stellen  kommt  besonders  in  betracht: 

Comment.   in  lsaiam  lib.  6,  cap.  13  (Migne  24,215/7)- 


XI. 

PSALMENÜBERSETZUNG. 
Ein  blatt  pergament,  im  \b  jh.  zweispaltig  beschrieben,  oben 
und  an  der  seile  ist  ein  stück  des  textes  abgeschnitten,  es  sind 
Untenlinien  für  die  zeilen  vorhanden,  ebenso  verticale  abgrenz-init/ai. 
die  höhe  beträgt  jetzt  2G  cm.,  wobei  der  bewahrt  gebliebene  untere 
rand  allein  6  cm.  misst ,   die   breite  20  cm.     auf  dem   erhaltenen 

Z.  F.  D.  A.     XXXV.    N.  I  .     XXIII.  15 


226  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

teile  des  Mattes  stehen  32  zeilen,  oben  mögen  etwa  4  Zeilen  fehlen, 
sodass  das  ganze  Matt  mit  dem  oberen  rande  35  cm.  höhe  gehabt 
haben  wird,  darf  eine  Wahrnehmung,  welche  sich  bei  mittelalter- 
lichen hss.  so  oft  machen  lässt,  auch  hier  angewendet  werden,  dass 
nämlich  höhe  und  breite  der  Matter  im  Verhältnis  der  proportion 
des  goldenen  Schnittes  zu  einander  stehen,  so  wäre  eine  breite  von 
22  cm.  für  das  vollständige  Matt  zu  vermuten,  darnach  kann 
vielleicht  über  die  Zugehörigkeit  weiterer  fragmente  entschieden 
werden. 

Die  schrift  ist  sehr  sorgfältig  und  mit  allerlei  zierstrichen 
ausgestattet,  das  Matt  enthält  auf  den  spalten  a  b  die  Übersetzung 
des  99,  auf  c  d  den  anfang  der  Übersetzung  des  100  psahnes.  die 
historische  Vorbemerkung  zu  den  psalmen  sowie  der  lateinische 
text ,  auf  dessen  einzelne  verse  sogleich  die  deutsche  Übersetzung 
und  erläuterung  folgt,  sind  rot  geschrieben,  die  psalmen  beginnen 
mit  grofsen  roten  initialen,  das  Matt  ist  kläglich  verwüstet,  weil 
es  als  Umschlag  für  die  incunabel  l^-D  (tractate  des  Juristen  Bo- 
cerus)  gedient  hat.  die  spalten  c  d  haben  dabei  als  aufsenseite  noch 
viel  mehr  gelitten  als  a  b.  ich  denke,  es  wird  genügen,  wenn  ich 
als  probe  den  inhalt  von  a  b  abdmcke,  bei  c  d  hätte  ich  reagentien 
anwenden  müssen,  durch  deren  nachwürkung  das  vielfach  ab- 
geriebene und  durchlöcherte  pergament  noch  mehr  geschädigt  wor- 
den wäre,  die  interpunction ,  welche  gänzlich  fehlt,  habe  ich  bei- 
gefügt. 
%  Sprechent    etleicb  lerer,  Moyses   hab  disen   salm  gemachet, 

et.leich,  in  hab  David  gemachett.  da  ist  nicht  vil  chriegs  umb, 
wan  ir  igleicher  hett  den  geist  der  weyssaguug.  und  disen  salm 
sungen  si  hincz  got,  wenn  si  got  pitten  woldenn  oder  wenn  si 
5  im  gewärt  waren  guter  dinge.  Also  sol  ein  igleich  mensch  be- 
rait  sein  ze  aller  zeit  got  ze  lobenn.     dovon  sprichet  er: 

Jubilate  domino  omnis  terra,  servite  domino  in  leticia. 

Jubiliert   got   alles   eder,    daz  ist,    lobt  got  alle  di  auf  dem 
ederreich    sind,     dient   unserm  herren    in    frawden,    daz   ist  mit 
10 willigen  mut,  wenn  betwungner  dinst  gevelt  got  nicht. 

Introite  in  conspectu  eius  in  exultacione. 

8  über  r  von  eder  steht' ',  die  gewöhnliche  abkürzung  für  ra  (zb.  in 
sprach)  und  daneben  ein  verschliaigener  haken,  der  in  der  abkürzung 
von  ewichlich  z.  35  ich  bedeuten  soll;  das  gäbe  also  ederraich.  —  daz  ist 
lobt  got  steht  zweimal. 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK     227 

Get  in  seinem  anplickch  in  frawdeun,  daz  ist,  get  in  an  di 
stat  da  man  daz  heilig  opfer  gocz  leichnam  mag  gesehen,  daz 
ungelawbhaft  läwt  nicht  angehört. 

und  daz  sol  mit  geistleichen    f'rawdenn    und    nicht   mit    üppigen  15 
i'rawdenn  geschehen. 

Er  sprichett: 

Scitote  quoniam  dominus  ipse  est  deus:  ipse  fecit  nos,  et 
non  ipsi  nos. 

Wizzet  daz  unser  herr  selb  got  ist,   er  hat  uns  beschallen,  20 
und  wir  haben  uns  nicht  beschaffen. 

b   waid,    get   in    seinew   tor gechung.      Bei    dem   vos(?) 

di  laynn  beczaichent  Go schaffen  gocz  waide. 

di  er di  sich  nerent  von  den da  czden  altern  ge- 
opfert wirt.     di  sullenn   unsern  herren  mit  lob  und  mit  andacht  25 
seiner  pnsgug  verjehenn.      Get  in  sein  \vonung(?)   mit  lob,   daz 
ist  czden  altern  verjeh ym  mit  lob. 

Laudate  nomen  ejus,  quoniam  suavis  est  dominus,  in  eter- 
num  misericordia  ejus  et  usque  in  generacione  in  generacionem 
veritas  ejus.  30 

Lobt  seinen  namenn,  wann  unser  herr  istsüzz,  daz  ist  daz 
er  sich   schir  lat  erpittenn  milt  andachtigem   lob.     Sein  parmh 

er  stät  ist   beraitt  ze n 

di    ir    sund    rewent    und   püzzent,    wann    sein    warhait    ist  daz 

geslä  .  .  .,  daz  ist  di  genad,  di  er  be hat,  di  wert  ewich-  35 

lieh slächt.     Diser  salm 

allew  läwt  zder  andacht,  die  man  haben  sol  zder  chirchen  und 
ze  vodrist  ze  unsers  herren  leichnam ,  der  got  dem  vatter  ein 
genäm  opfer  \st. 

Sprechent  di  maister  daz  David  den  lobsalm  gemachett  hab,  40 

do  er  verstund  daz  in  got  an  dem  chiim 

12  vor  seinem  steht  frawden    durchstrichen  26  pnsgug  steht  iö 

da;  das  u  ist,  wie  überhaupt  auf  dem  blatt,  dem  n  fast  gleich  vor 
wonung  sieht  lob  mit  verjehung  durchstrichen. 

XII. 

AUS  EINER  ÜBERSETZUNG  PETRARCAS. 
Acht    zweispaltig    beschriebene    doppelblätter    pergament    von 
durchschnittlich  154  cm.   höhe   and   27  cm.  breite,      die   spaltenhöhe 
betrügt  etwa  26  —  27  cm.,  die  breite  je  10  cm.     44  zeilen  stehen 

15* 


228  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

gewöhnlich  auf  einer  spalte,  die  schrift  gehört  dem  \b  jh.  an, 
eher  der  ersten  als  der  zweiten  hälfte.  sämmtliche  blätter  haben 
als  umschlage  für  hefte  und  bücher  gedient  und  sind  in  folge 
dessen  arg  beschädigt,  abgerieben,  durchlöchert,  befleckt;  auch 
wurden  stücke  abgerissen  und  abgeschnitten,  zu  welchen  zwecken 
sie  nach  Zerstörung  der  ursprünglichen  hs.  gebraucht  wurden,  das 
ergibt  sich  aus  aufschriften ,  welche  bei  einzelnen  blättern  mit 
grofsen  buchst aben  der  quere  nach  über  den  alten  text  gesetzt  sind, 
so  steht  blatt  4ef:  Verfach  Buech  für  Hannsen  Pürcher  und 
Adamen  Freitag  zur  ....  Statt  und  Landtgerichtfs  Stuben  an 
Meran    Gehörig    auff    Anno    1630.      Statt:   und   Lantrichter   Al- 

lexann sert.  (?)  —  auf  8ef  steht:  Herrn  Slattschreibers  an 

Meran  Hannsen  Kaufmanns  Dienner  Christan  Sibeuferchers  und 
Christan  Wiren  Verfach  Puech  auf  das  Jar  1631.  Statt:  und 
Lanntrichter  Thoman  Pranntmair.  —  auf  6ef:  Herrn  Stattschreibers 
an  Meran  Hannsen  Kaufmanns  Dienner  Hanfs  Mairs  und  Ulrichen 
Parzellers  Verfach  Puech  auf  das  Jar  1631.  Statt:  und  Lannt- 
richter Thoman  Pranntmair.  —  auf  5ef:  Herrn  Stattschreibers 
an  Meran  Hannsen  Kaufmanns  Dienner  Sebastian  Kiernens  Ver- 
fachpuech  auf  das  Jar  1631.  Statt:  und  Lanndtrichter  Thoman 
Pranntmair.  —  das  wird  derselbe  Thoman  Pranntmair  sein,  der 
mit  seinen  brüdern  Georg  %ind  Sebastian  am  21  mai  1594  vom 
erzherzog  Ferdinand  wappenbrief  und  lehensartikel  ausgestellt  er- 
hielt, vgl.  Hugo  von  Goldegg  Die  Tiroler  wappenbücher  im  adels- 
archive  des  k.  k.  ministerium  des  innern.  Zeitschrift  des  Ferdi- 
nandeums  für  Tirol  und  Vorarlberg,  dritte  folge,  19  heft  (1875) 
s.  132,  nr  974. 

Zum  teil  ist  auf  den  blättern  oben  eine  paginierung  mit 
roten  römischen  Ziffern  erhalten,  und  es  ist  demnach:  2ab  =  u; 
3ef  =  Lvn;  2ef  =  lviii;  4ab  =  lxxv;  4ef  =  lxsxu;  5ab  = 
lxxxxvii;  6ab  =  Lxxxxix;  7ab  =  c;  8ab  =  ci;  7ef=cxi.  es 
gehören  also  zu  einer  läge  die  doppelblätter  1.  2.  3,  und  zwar 
fehlte  zwischen  1  und  2  ein  doppelblau,  zwischen  3cd  und  3ef 
fehlten  vier  solche  blätter;  die  läge  enthielt  also  acht  doppelblätter. 
zu  einer  anderen  läge  gehört  das  doppelblatt  4,  zwischen  dessen 
beiden  teilen  sich  noch  drei  doppelblätter  befanden;  es  wird  also 
wol  das  fünfte  einer  läge  von  acht  doppelblättern  gewesen  sein, 
die  blätter  5.  6.  7.  8  gehören  zu  einer  läge;  zwischen  5  und  6 
fehlt  ein  doppelblatt,  zwischen  den  beiden  teilen  von  8  fehlen  dem 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK  229 

anscheine  nach  vier  doppelblätter ,  somit  muss  diese  läge  mehr  als 
acht  doppelblätter  ursprünglich  besessen  haben,  irgend  eine  Signierung 
der  lagen  vermochte  ich  nicht  zu  entdecken. 

Die  angeführten  beobachtungen  icerden  durch  den  inhalt  der 
blätter  bestätigt,  das  werk,  aus  xoelchem  die  fragmente  stammen,  war 
eine  deutsche  Übersetzung  der  schrift  Petrarcas:  De  variis  reme- 
diis  utriusque  fortunae  (ich  benutze  die  Rotterdamer  ausgäbe 
von  1649)  und  zwar  entsprechen  die  einzelnen  blätter  folgender 
mafsen  den  abschnitten  des  originales:  V-11  =  Ub.i  cap.  64  De 
aviariis  avibusque  loquacibus;  cap.  65  De  conjugii  claritate.  — 
2a-d  =  Hb.  i  cap.  68  De  optima  dote;  cap.  69  De  gratis  amo- 
ribus.  —  3a_d  =  Ub.i  cap.  69  De  gratis  amoribus.  —  3e~h  = 
lib.  i  cap.  80  De  excellente  praeceptore;  cap.  81  De  insigni  disci- 
pulo;  cap.  82  De  patre  bono;  cap.  83  De  matre  amantissima.  — 
2e_h  =  lib.  i  cap.  84  De  piis  fratribus  bonisque  sororibus;  cap.  85 
De  bono  domino.  —  le~h  =  lib.  i  cap.  90  De  tranquillo  statu.  — 
4a  —  d  =  lib.  i  cap.  114  De  filii  vel  amici  vel  villici  vel  uxoris  ex- 
spectatione;  cap.  115  De  exspectatione  meliorum  temporum.  — 
4e— h  =  Praefatio  libri  secundi.  —  5a~d  =  lib.  ii  cap.  \6  De  ad- 
verso  ludo  taxillorum;  cap.  17  De  sponsa  alteri  adjudicata;  cap.  18 
De  uxoris  amissione.  —  6a— d  =  lib.  n  cap.  19  De  importuna 
uxore;  cap.  20  De  raptu  conjugis;  cap.  21  De  uxore  impudica.  — 
7a_d  =  lib.  ii  cap.  21  De  uxore  impudica;  cap. 22  De  uxore  sterili; 
cap.  23  De  fdia  impudica.  —  8a  —  d  =  lib.  ii  cap.  23  De  filia  im- 
pudica; cap.  24  De  adventitio  dedecore.  —  86-h  =  #6.  n  cap.  28 
De  ingratis;  cap.  29  De  servis  malis.  —  7e— h  =  lib.  n  cap.  29 
De  servis  malis;  cap.  30  De  servis  fugitivis.  —  6e— h  =  lib.  n 
cap.  30  De  servis  fugitivis;  cap.  31  De  vicinis  importunis;  cap.  32 
De  inimicitiis.  —  5e-u  =  lib.  n  cap.  36  De  contemptu;  cap.  37 
De  promissi  muneris  tarditate.  — 

Nicht  immer  decken  sich  die  capitelzahlen  der  Übersetzung  mit 
denen  des  originales,  so  ist  von  cap.  80  des  ersten  buches  ab  die 
Übersetzung  um  eine  nummer  zurück,  ihr  cap.  80  entspricht  dem 
81  Petrarcas,  da  sich  die  sache  beim  zweiten  buch  ähnlich  ver- 
hält und  von  cap.  16 — 31  die  Übersetzung  um  eine  nummer  zurück- 
bleibt, bei  cap.  36  (=34),  37  (=35)  sogar  um  zwei,  so  ist  zu- 
fälliges versehen  ausgeschlossen,  und  man  wird  annehmen  müssnt, 
dass  der  Übersetzer  absichtlich  einen  oder  den  anderen  abschnitt 
weggelassen  habe,    diese  freiheit  entspricht  der  haltung,  welche  der 


230  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

Übersetzer  auch  sonst  widerholt  seinem  original  gegenüber  einnimmt: 
er  kürzt  gerne  und  bisweilen  stark.  —  ob  die  fragmente  zur 
ersten  niederschrift  der  Übersetzung  gehören?  dass  am  Schlüsse  einer 
läge  (Sh)  etliche  worte  vom  anfange  der  nächsten  vorausgenommen 
sind,  spricht  dagegen ;  verschiedene  Schreibfehler  und  versehen  dafür, 
wahrscheinlich  dünkt  es  mich  im  ganzen  doch,  dass  die  auf  Zeich- 
nung der  bruchstücke  schon  eine  abschrift  bildete,  wenn  auch  das 
original  vielleicht  nur  ein  brouillon  war. 

Es  scheint  mir  keine  Ursache  aufzufinden,  weshalb  man  den 
Ursprung  der  Übersetzung  anderswohin  als  auch  nach  dem  deutschen 
Südtirol  verlegen  sollte,  die  spräche  schickt  sich  dazu,  aber  auch 
die  litt  er  arischen  Verhältnisse,  in  dieser  gegend  hat  Hans  Vintler 
seine  'Pluemen  der  tugenf  um  dieselbe  zeit  aus  den  'Fiori  di  virtü' 
des  Tomaso  Leoni  (1320)  übersetzt,  Oswald  von  Wolkenstein  kennt 
Dante  und  Petrarca  (vgl.  IvZingerle,  Die  Pluemen  der  tugent 
des  Hans  Vintler  s.  xxxi).  es  wäre  somit  die  arbeit,  deren  bruch- 
stücke sich  jetzt  gefunden  haben,  nur  ein  zeugnis  mehr  für  das 
i nteresse,  welches  die  deutschen  Südtiroler  im  15  jh.  der  benach- 
barten italienischen  litteratur  zuwandten. 

Den  zwecken  dieser  Zeitschrift  wird  es  entsprechen ,  wenn  ich 
aus  den  umfangreichen  fragmenten  nur  einige  proben  bekannt 
mache  und  dabei  solche  stücke  unter  beifügung  dss  originales  aus- 
wähle, bei  denen  sich  einesteils  die  Schwierigkeit  der  vom  Über- 
setzer zu  bewältigenden  aufgaben,  anderesteils  sein  verfahren  deut- 
lich erkennen  lässt.  dass  später  die  gesammlen  bruchstücke  werden 
veröffentlicht  werden  müssen,  unterliegt  keinem  zwei  fei.  es  gäbe 
eine  hübsche  arbeit  für  einen  anfänger,  wenn  in  dieser  publication 
mit  den  Innsbrucker  fragmenten  auch  das  Stückchen  einer  zweiten 
Übersetzung,  das  Adam  Wernher  von  Themar  1516  drucken  liefs 
(vgl.  KHart fehler  Zeitschr.  für  die  geschichte  des  Oberrheins  1888, 
s.  1  ff.  Gödeke  Grundr.2  1,  445  nr  7.  Wackernagel  Litteratur gesch. 
2,  140  anm.  6),  und  die  späteren  deutschen  Übersetzungen,  deren 
drucke  (aus  dem  IQ  jh.  vier)  Blanc  in  Ersch  und  Grubers  Ency- 
clopädie  m  19,  237  anm.  anführt,  verglichen  würden,  ferner  wäre 
das  werk  Petrarcas  selbst,  dessen  Vollendung  Körting  in  seiner 
Geschichte  der  italienischen  litteratur  im  Zeitalter  der  renaissance 
an  den  schlnss  des  Jahres  1366  verlegt,  einer  erneuten  prüfung, 
besonders  mit  rücksicht  auf  seine  mittelalterlichen  Vorläufer  zu 
unterziehen,     denn  wie  es  keinen  zweifei  leidet  (was  schon  durch 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK  231 

Mussafia  hervorgehoben  wurde  (Ztschr.  f.  roman.  philol.  3, 592  anm.), 
dass  Petrarcas  vorbild  dem  inhalte  nach  die  Seneca  fälschlich  zuge- 
schriebenen Excerpta,  auch  unter  dem  titel  De  remediis  fortuitorum 
im  Umlauf  befindlich ,  abgegeben  haben ,  so  scheint  es  mir  anderesteils 
sicher,  dass  auch  die  form  seiner  schrift  durch  ältere  arbeiten,  zl. 
den  Dialogus  anime  conquerentis  et  Talionis  cousolantis  (vgl.  darüber 
Romania  5,  269  ff.  6,  141.  Ztschr.  f.  roman.  philol.  1,  556)  aus 
dem  13  jh.  bestimmt  worden  ist.  im  16  und  noch  im  17  jh.  waren 
diese  dialoge  Petrarcas  beliebt,  und  vielleicht  lassen  sich  die  spuren 
ihres  einflusses  in  den  einzelnen  nationalen  litteraturen  Europas 
weiter  verfolgen  als  die  gegenwärtige  kenntnis  erlaubt.  — 

(la) Fräwde:     Ich    hab    redende    atetern und 

staro.  Vernunft:  Der  chaiser  Augustus  der  f'räwte  sich  in 
solchen  und  chawft  mit  grossen  gelt  solch  vogel ,  dy  da  grüssen 
chunden  dy  uberwiutter  und  sigear.  Und  so  man  denn  andre 
und  ander  pracht  und  er  genüg  hette  da  haim  dy  in  griissoten,  5 
der  allerleste  den  man  pracht,  der  must  pesundrer  wunderleichait 
machen  und  an  wunderlicher  stat,  das  man  in  chawfte.  Als 
man  das  list  in  saturnalibus  hystoriis.  Auch  was  list  man  in 
der  natürleichen  hystorien  ewrs  nahen  landes  und  stat  Bern? 
Das  ain  rapp  gewesen  sey  als  gelert,  das  er  von  Suters  da  man  10 
in  zoch  aus  flog  ettwann  und  gruesste  den  chaiser  Tyberiü, 
Drusum  und  Germanicum  mit  iren  pesundern  nameu  und  den- 
noch daz  gancz  römisch  volkch;  der  von  dem  volkch  in  solcher 
gnade  und  gunst  gehabt  wart,  das  ainer  der  in  leicht  aus  zürn 
oder  aus  neyd  löttet,  der  wart  des  ersten  ausgetriben  von  dem  15 
volkch  und  darnach  getöttet  mit  grossen  pechlagen  dez  getütten 
rappen.     Und   der  rappe   mit  grösser  feyer   und  erberchleichen 

Gaudium:  Habeo  loquaces  corvos  ac  picas  et  psittacos.  Ratio:  Laetatus 
his  Augustus  Caesar,  eos  ma^nis  emit  preliis,  qui  victorem  ac  triumphantem 
Caesarem  salutarent.  Cumque  subinde  alii  atque  alii  ingererentur,  satis  se 
salutatorum  talium  domi  habere,  respondit,  ponens  illi  metam  vanitati,  nisi  (5) 
corvus  ipse  novissimus,  loco  illo  mirabili,  pluris  se  quam  caeteros  redimi 
coegisset.  Et  liaec  quidem  in  Satunialibus  leguntur.  Quid  in  naturaü  vi- 
cini  nostri  Veronensis  historia?  Corvus  ille  tarn  docilis  e  sutrina,  ubi  impense(io) 
alebatur,  in  publicum  evolare  solitus,  et  Tiberium  Caesarem  Drusumque  et 
Germanicum  nominatim,  totum  denique  Romanum  populuin  salutaret  tanta 
plebis  gratia,  tantoque  omniuni  favore,  ut  cum  cum  vicinus,  vel  invidia  vrl 
ira  percilus  occidisset,  logeati  omniusi  maerore  occisor  ipse,  ex  ea  victOM 
pulsus  primuni,  deinde  etiam  a  populo  interfectus  sit.    Corvus  autem  operoswW) 


232  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

wart  pegraben.  0  werlt,  aiu  wundersam  törhait  des  volkchs  waz 
dicz  daz  der  rapp  als  wirdigchleich  pestatet  wart  und  sein  mördßr, 

20  ain  römischer  purger,  als  grawsamichleich  getött  wart,  das  auch 
der  grösste  Affricanus  nicht  gehabt  hat  ain  sämleich  grebnusse 
als  derrappe,  noch  der  mynner  Affricanus  ain  gleiche  rachunge 
seins  tödes.  Der  rapp  grüsste  daz  volkch,  als  denn  dy  appt- 
götter  wolten,    sunder  dise   zwen   dy   grüssten    nicht  alain   daz 

25  volkche,  sunder  auch  sy  gewunnen  in  er  und  guet.  noch  waz 
dem  volkche  genemer  dy  stymme  dez  rappen  dann  dy  tugent  der 
zwayer  edlen  mannen.  Darumb  so  sol  nyemaud  sich  sicher 
achten,  so  er  sich  empholhen  hat  dem  richte  des  volkches,  und 
wie    wol    daz    sey    daz    den    schäczern    der    gerechlichait    nicht 

30  wunder  ist  dise  versmßhung 

(lb) und   pesunder    der  fursten,   denn hat  in 

gemacht  als  ainen  pesundern  zu  ....  der  menschen ,  da  von  da 
pechömen  ist  der  spruch  diz:  'Ich,  sitich,  lere  anderer  menschen 
namen  von  euch,  sunder  ze  sprechen  'pis  gegruesset,   chaiser!' 

35  das  hab  ich  gelernt  von  mirselbs?'  Fröwde:  mir  ist  gar  ain  ge- 
sprächig allster.  Vernunft:  Nvv  sind  gar  selczäm  gar  gespräche 
menschen,  und  du  hast  ain  gar  gespräch^  allster?  Ich  pechenn 
wol  das  sy  mag  gechläfftig  sein,  sunder  nicht  gespräche,  sunder 
gruesspär.    davon  da  spricht  derpoeta:    'Ich,  allster,  mag  dich, 

40  meinen  herren  gruessen  mit  gewisser  stymme,  also  das  du  mich 
nicht  chennest  das  ich  ain  vogel  pin,  ob  du  mich  nicht  siehst.' 
Wärleichen  man  spricht  wunderleiche  ding  von  der  allstem,   von 

exequiis  et  solenni  funere  elatus  ac  traditus  sepulturae.  0  ineffabilis  popu- 
lorum  semper  insania!  in  illa  urbe  fletum  et  sepultum  corvum,  et  ejus  inter- 

(20)fectorem,  Romanum  civem,  morte  multatum:  in  qua,  nee  Africanus  major 
sepulchrum  habuit    nee  minor  ultorem,   quia  (si  diis  placet)  corvus  hie  po- 

(25)pulum  salutabat,  ut  diximus,  5111  autem  non  salutabant,  sed  salutem  populo 
gloriamque  contulerant.  Adeo  gratior  vox  corvorum  quam  virorum  virtus 
illustrium.  Neget  nunc  aliquis  tutum,  populi  consensisse  judicio,  quam- 
quam  veris   aestimatoribus   non    sit  mirus   publicus   hie  virorum   contemp- 

(30)tus? Verum  psittacus  salutator  magnus,  et  praesertim  prineipum, 

quasi  illum  plane  adulatorem  fecerit  natura,  ünde  distichon  illud  innotuit: 
'Psittacus   a  vobis  aliorum  nomina  discam,  hoc  didici  per  me  dicere  'Cae- 

<35)sar  ave.'  —  Gaudium:  Est  mihi  pica  disertissima.  Ratio:  Cum  perrari  sint 
homines  diserti,  tibi  disertissima  pica   est?    loquax  fateor  et  salutatrix  est 

(40)sedula,  unde  et  illud:  'Pica  loquax  certa  dominum  te  voce  saluto.  si  me 
non  videas,  esse  negabis  avem.'  Certe  de  hujus  avis  intentione,  dicendique 
studio,  mira,  nescio  an  vera,  narrantur.     Illud  imprimis  vix  credibile,  pro- 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK     233 

iren  synne  und  von  irm  fleisse  zu  lern,  ich  waizz  aber  nicht, 
ob  es  war  ist.  Man  redt  das,  ob  sy  ains  ie  vergisst,  daz  sy  sich 
zwinget  und  swerleich  laydiget  (?)  mit  ynnerleicher  petrachtung,  45 
daz  man  es  auch  aufssleich  merkchet;  und  geschieht  es  daz  man 
ir  zu  gedächtnüzz  wider  pringet  dasselb  vergessen  wort,  so  frewet 
sy  sich  mit  wunderleichen  weisen.  Und  wirt  sy  aber  ains  über- 
wunden mit  swäre  des  worttes  oder  mit  swachait  der  gedächtnüzz, 
so  maynt  man  daz  sy  etwen  sterb  vor  layde,  das  man  wälleichen  50 
nicht  als  wundersam  achten  möcht  den  töd  Homeri,  des  grossen 
poeten.  doch  sein  nicht  all  allstem,  dy  solche  lernunge  haben, 
sunder  alain  die  dy  aus  aicheln  nemen  cly  speise.  Dy  gestalt  und 
syn  der  allstem  ist  wundersam.  Fräwde:  Ich  hab  vil  unzelleich 
vogel  gesammet.  Vernunft:  So  du  vil  und  nu  gnw<7  sy  gesam-  55 
mest,  so  wän  ich  nicht  daz  da  sey  dir  der  Fenix,  der  ettwenn  ainer 
oder  chainer  ist,  ob  wir  das  gelawben  wellen  daz  mau  schreib, 
das  der  selb  vogl  in  dem  achthundertu  jare  der  stat  Röme  ge- 
flogen sey  von  Arabia.  —  (am  unt.  rande  federzeichnung  e.  vogels.) 

positum  ei  verbum  ,  si  oblita  sit,  angi  illam  graviter  et  affligi,  molestiam-(45) 
que  animi  tacita  meditatione  testari;  si  ipsum  sibi  verbum  ad  memoriam 
reducatur,  miris  modis  hilarescere.  At  si  prorsus  seu  verbi  difficultate  seu 
memoriae  imbecillitate  vincatur,  prae  dolore  etiam  interdum  niori,  ut  jam(50) 
minus  mira  Homeri  mors  poetae  sit  habenda,  si  tarnen  illa  etiam  vera  est. 
Neque  vero  picis  omnibus  haec  docilitas  datur,  sed  Ins  tantum,  et  quae 
glande  eibum  nomenque  pereipiunt,  et  apud  vos  vulgo  glandariae  vocitantur: 
picarum  species  et  forma  insignis  et  ingenio.  —  [das  /'olgende  lässt  der 
Übersetzer  ganz  fort:  Gaudium:  Dulcisonam  canoramque  lusciniam  nactus 
sum.  Ratio:  Et  hanc  quoque,  stuinum  graeci  latinique  sermonis  dociles 
inveniri  et  turdum  insuper,  sua  aetate  sermones  humanos  imitantem  Bomae, 
fuisse,  autor  est  Plinius  seeundus.  Quod  de  sturno,  nuper  publice  notum 
fuit,  quem  seriatim  plurima  verba  proferentem  humanis  accentibus,  saepe  in 
ipsius  Plinii  patria,  et  audire  tibi  contigit  et  mirari.  Nam  de  psittaco  jam 
trita  res  est,  ut  mirabilis  jam  esse  desieiit.  Quoties  hunc  audistis  eibos 
unum  atque  alterum  clara  voce  poscentem?  Quoties  nutritorem  suum  proprio 
nomine  vocantem  atque,  ut  persuaderet,  multa  illi  gestuum  ac  verboium 
dulcedine  blandientem?  Quoties  sie  ridentem,  ut  astantes  in  risum  cogeret, 
nee  omnino  alitis,  sed  veri  risus  hominis  crederetur?  Quae,  quamvis  ita  sint, 
tarnen  hi  omnes,  lusciniae  praesertim,  multo  melius  (mihi  credite)  suis  in  ramis 
canerent  quam  vestris  in  caveis;  nisi  quia  vestra  cupiditas  niliil  aestimat,  nisi 
quod  sibi  proprium  fecit,  cum  natura  fecerit  euneta  communia:  sie  ultra  suos 
fines  atque  ultra  suum  nomen  tendit  avaritia.]  Gaudium:  Aves  innumeras 
congregavi.  Ratio:  Ut  multas,  sive  ut  omnes  habeas;  phoenix,  puto,  deerit,(55) 
sive  unus,  sive  est  nullus;  sive  illud  in  fidem  reeepimus,  quod  quidam  tradi- 
dere:  anno  urbis  octingentesimo  aveni  haue  ex  Arabiam  Aegyptum  evolasse.  — 


234  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

O  (3s)  Vo*  dem  gueten  vater.    lxxxi  cap.     Frewde:      Ich    hab 

ainen  guetten  vater.  Vernunft:  pechenne  deiu  güet;  das  ist 
leichte  chlain.  Frewde:  Ich  hab  ainen  allerpesten  vater.  Ver- 
nunft: Ettwenn  wirt  er  dir  machen  das  wainen  oder  du  im. 
Frewde:    Mir  ist  gar  genädig  mein  vater.     Vernunft:    Ist  es  daz 

65  da  gehalten  wirt  dy  zßel  der  natur,  so  vollget  dir  nach  sam  daz 
erbtail  ains  grossen  waynens;  ist  daz  aber  nicht,  so  peschicht 
es  dem  vater.  Frewde:  Ich  hab  noch  ainen  vater.  Vernunft: 
Geprawch  des  stätichleich.  Ain  fröleichs  alter  des  vaters  ist  ain 
flüchtige  frewd.     Frewde:   Ich  hab  ainen  alten  vater.    Vernunft: 

70  Hie  ist  nicht  zeit  der  sawmunge.  (3k)  Eyle  ze  nemen  von  im 
dy  fruchte  als  von  pawme,  der  snelle  vallen  wirt;  du  sein  sich(?) 
fleisch  anhange  in  seiner  seyten  als  vil  du  magst.  Sich  in  pe- 
girleich  und  noch  pegirleicher  höre  in  und  sein  leste  vermanung 
dy    pehalt    mit    gedechtsamen    herczen.      Und   wenn   du   von   im 

75  geest,  so  pesorg  in,  als  ob  du  ainen  verren  weg  geen  wellest. 
Du  wirst  sein  mangeln  zu  ainem  ratgeben,  so  wirstu  in  suechen 
da  haym  und  nicht  vinden.  FreVde:  Ich  hab  ainen  alten  vater. 
Vernunft:  Dar  umb  so  erpewt  im  dy  aller  höchsten  dinste  der 
gute  dy  weil  du  magst;  und  tust  du  daz  nicht,  so  wirt  es  dich 

80  ewigchleich  gerewen.  Gaudium:  Ich  hab  ainen  guetigen  vater. 
Vernunft:  Du  hast  der  da  sterbe  vor  dein  und  darnach  ungern 
vor  dein  lebin  wolt.  Frewde:  Ich  hab  ainen  aller  pesten  vater.  Ver- 
nunft: Du  hast  den  du  nicht  erchennest,  du  mangelst  sein  denn, 
und  du  hast  über  den  du  waynen  wirst,  so  du  in  verlewsest. 

(60)  De  Patre  bono.  Dial.  lxxxii.  (das  folgende  distichon  fehlt  wie  bei 
allen  capiteln.)  Gaudium:  Habeo  patrem  bonum.  Ratio:  Bonum  nosce  tuum, 
breve  est.  Gaudium:  Patrem  habeo  Optimum.  Ratio:  Aut  ille  tibi  luctum 
pariet  aut  tu  sibi.     Gaudium:    Indulgentissimus  mihi   est  pater.     Ratio:    Si 

(65)naturae  ordo  servatur,  magni  fletus  haereditas  te  manet;  illumque,  si  per- 
vertitur.  Gaudium:  Patrem  adhuc  habeo.  Ratio:  Utere  sedulo,  fugitiva 
jucuuditas  pater  senex.     Gaudium:  Patrem  habeo  grandaevum.    Ratio:  Non 

(70) est  locus  inertiae:  festina  carpere  fructus  extremos  tamquam  ex  a<bore 
ruinosa.  Charo  lateri  inhaere,  quantum  potes:  cupide  illum  vide  ceu  con- 
festim  abiturum,  cupidiusque  audi  et  extremos  monitus  memori  mente  re- 

(Tö)condito;  desertumque,  velut  iter  acturus,  necessariis  permunito.  Egebis 
illo  consultore  quaeresque  eum  nee  invenies  domi.  Gaudium:  Patrem  habeo 
decrepitum.      Ratio:    Propera    novissima    pielatis  officia    in  illum  congerere, 

(so)  dum  licet:  si  quid  nunc  omiseris,  dolebis  semper.  Gaudium:  Patrem  pium 
habeo.  Ratio:  Habes  qui  ante  le  mori  cupiat,  post  te  vivere  metuat.  Gau- 
dium: Habeo  patrem  optimum.  Ratio:  Habes  quem,  priusquam  habere  de- 
sieris,  vix  agnoscas;  habes  et  quem  perditum  suspires. 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK  235 

(Alis  der  vorrede  zum  zweiten  buch.) 

(4f)  Daz  hab  ich  auch  of'te  erfaren   (4&),    do  85 

mir  der  himel  und  auch  das  mer  gedröwet  hat  den  tod ,  do  dez 
nachtes  alle  zaichen  dez  hymels  mit  vinstern  wolkchen  pedekchet 
wurden  und  daz  schef  nahen  mit  dem  wasser  pedekchet  war, 
und  also  die  schefläwt  sam  in  der  mitte  des  töds  chriegten  umb 
weise  ze  pegreifl'en  das  haile.  Dar  zw  nym  auch  die  diug  in  den  90 
der  chrieg  ist  auch  an  widrige  veiut.  Sich  waz  Streits  mit  ain- 
ander  haben  daz  papir  uud  dy  veder  und  dy  tiute  mit  den  Schreibern ! 
Und  auch  was  Streits  haben  dy  smide  mit  dem  hammer  und  mit 
dem  ammpas!  Und  auch  waz  streite  haben  die  pawern  mit  dem 
phlüge,  mit  hakchen,  mit  ärn  und  mit  ochsen  und  was  Streites  95 
haben  dy  rytter  (nicht  sprich  ich  mit  irn  veinten),  sunder  auch 
mit  irn  harnasch  und  mit  rossen,  wenn  dy  harnasch  drukchen, 
eltwann  dy  roz  daz  sy  widerspänig  sein!  Was  geschäftnüzz, 
wäustu ,  ist  den  tichtendn  und  den  schreibendn,  die  ettwenn 
zwynget  ir  maynung  ze  schreiben  ettwas  unvolchomens,  und  ett-100 
wann  zwynget  sy,  daz  sy  ettwaz  volchomens  nicht  volbringen 
mügen;  dar  zu  sy  zwynget  ettwenn  vergessenhait  uud  auch  ett- 
wanus  älichait  und  unstetichait  des  gemüts.  Und  waz  sol  ich 
sunderleichen  sagen,  wenn  auch  chain  hantwerch  mangelt  seiner 
aigen  anvechtung.  Ettleiche  ander  chünste,  gleich  als  sy  haben  t05 
ettleich  merkchleichait  der  snellichait  (l.  suessichait) ,  also  haben 
sy  auch  zaichen  der  pitlerchait.  Uud  auch  nichts  der  dinger, 
dy  da  erlustigen  den  menschen,  mag  für  pracht  werden  an  chrieg 

Didici  hoc  ego  ultimum  magnis  sacpe  periculis  meis,  dum  mari  coelo-  (85) 
que  mortem  minitantibus,   nocte  simul  ac  nubibus  cuucta  terrarum  ac  stel- 
larum    signa    tegentibus,    puppe  jam    fatiscente    et    semioppleta   fluctibus, 
uautae  de  summa  rerum ,   media  in  morte,   conlraiiis  studiis   atque  opinio- 
nibus  obstinatissime  litigarent.    Adde  in  quilius  sine  adversario  lis  est.    Quae  (90) 
gcriptprnm  praelia  cum  membranis,  cum  atramento,  cum  calamis,  cum  pa- 
pyro?    Quae  fabrorum  cum  malleis,  cum  forcipibus,  cum  incude?    (Juae  aia- 
torum  cum  stiva,  cum  vomere,  ipsisque  cum  glebis  et  cum    bobus?     (juae  (95) 
mililum   (non  dien    cum  hoste),    sed  cum    equis   atque  armis  propriis,   dum 
et   Uli    rebellant    et   haec    praegravant  aut  comprimunt?     Quid   dietantibus 
scribentibusque  negotii  est?   dum  hos  inexpletum  loqui  multa  cogil  intentio,(100) 
»Mos  vel  expleta  pereipere  vetat,    hinc  inscitia,   hinc  volatilis  et  inconstans 
aiiinnis  semperque  aliud  cogitans  quam  quod  a^it.    Sed  quid  sigillat  imago? 
Nulla   mechanicorum  difficultatibus  suis  vacat.     Reliquae  vit<>,   a\  quiddai» (105) 
notae  dulcedinis,   sie  latentis  amaritudinis  multum  habent,   nihilque  eorum, 


236  ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK 

und    an   streit.     Lüge   auch,    was  Streites  haben  dy  chinder   mit 

110  vallen!  Was  chriegs  da  auch  haben  die  chnaben  mit  den  puech- 
staben,  dy  mit  grossen  arbaiten  sehen,  daz  sy  nachmals  mit 
irevvden  meen !  Und  auch  was  vechten  sey  dez  jungling  mit 
der  wollust,  oder  ich  sprich  (4h)  pas,  was  vechten  sey  der  Wol- 
lust mit  den  junglingen;  wennwarumb?  mit  Wollüsten  ist  chain 

llöchrieg  nicht,  sunder  mer  mit  trechtichait(?),  dy  da  wirser  ist 
denn  chain  streit.  Ich  glawb,  als  ich  es  versuecht  habe,  chainem 
gesuchte,  chainem  alter,  allen  menschen  an  leyt  grösser  streyt, 
den  jungen  lewten.  In  leit  auch  an  wer  dez  unüberwintleichen 
champhes,  dy  man  swarleich  sichet  und  ist  doch  nymand  so  pe- 

120  trübt  und  als  dürftig.  Sich  auch  zum  lesten  was  da  sey  dy 
swäre  der  weiber  in  der  chiudelunge  und  wie  vil  sorgleichait! 
Merkehe  auch  was  Streites  sey  dem  manne  mit  armuet  und  mit 
höchfart,  wie  grozz  sein  die  angsten  des  lebens,  daz  da  mer 
verzeren  wil  denn  es  hat!    Und  was  auch  unrüwe  der  alten  mit 

125 dem  alter,  das  mit  manigerlay  seuche  sich  naiget  zu  dem  tode! 
Und  was  Streits  alle  menschen  haben  mit  dem  tode  und,  das 
noch  swärer  ist,  mit  der  vorchte  des  tödes.  Ich  macht  dise  red 
nu  tawsenterlay  pewärung  aussprechen.  Sunder  ez  ist  als  du 
woltest,    das    du    daz  voder   puech    mit  disen  vörredendn   handel 

I30an  sehen  wilt,  so  sich  ich,  wie  vil  er  übertreten  hat.  Darumb 
so  wil  ich  chürtzen  dy  materie  und  auch  wider  ziehen  dy  für- 
wiezigehait,  Und  darumb  zu  ainer  summen  und  pesliessung  der 

etiam  quae  delectant,  sine  lite  agitur.    Jamque  infantum  bella  cum  lapsibus; 

aiO)C[uae  puerorum  rixa  cum  literis,  amarissime  serentium,  quod  praedulciter 
metant?  Quaenam  insuper  adolescentium  Iis  cum  voluptatibus  (dicam  verius), 
imo  quanta  secum  lis  affectuumque  collisio?    Cum  voluptatibus  est  nulla  lis 

(H5)penitus,  sed  consensus  est  omni  lite  funestior.  Credo  expertus,  nulli  hominum 
generi,  nulli  aetati  plus  litigii  esse,  plus  inextricabilis  laboriosique  negotii, 

ü20)nullos  bominum  tarn  laetos  videri,  nullos  esse  tarn  miseros  aut  tarn  meestos. 
Postremo  quaenam  feminis  puerperii  difficultas,  quantumque  discrimen?  Quae- 
nam viris  cum  paupertate  atque  ambitione  luctamina?  Quanta  vitae,  plus 
quam  expedit,  satagentis  anxietas?    quod  denique  illud  senum  cum  aetate 

(125)  ac  morbis,  propinquante  morte?  quod  omnium  ipsa  cum  morte,  quodque 
ipsa  quoque  est  morte  molestius,  cum  perpetuo  mortis  terrore  certamen? 
Possem  hunc  sermonem  mille  rerum  argumentis  extendere. 

Sed  si   (ut  libro  superiore  voluisti)  sie  epistolam  quoque   hanc  prologi 
locum  obtinere  et  libri  hujus  partem  esse  volueris,  jam  hinc  video,  quantum 

(l30)haec  ipsa  praefatio  libri  modum  excedat.  Itaque  frenanda  curiositas  et  cohi- 
bendus  est  slilus.     Ad  summam  ergo  omnia,   sed  inprimis  omnis   hominum 


ALTDEUTSCHE  FUNDE  AUS  INNSBRUCK  237 

matery,  sich,  das  daz  gancze  lebin  dez  menschen  ist  ain  streit  auf 
erdn.  Und  das  ich.  gesweige  des  äussern  Streits,  von  dem  ich 
nu  vil  gesagt  hab,  Merkch  nu,  waz  sey  der  ynner  streit.  0  und  135 
wäre  er  als  vil  chlainer  als  vil  als  er  ist  haymleicher!  Wenn 
warumb?  er  peschicht  nicht  alain  wider  andre  gestalt,  sunder 
auch  wider  dy  aygue,  und  nicht  wider  ainen  pesundereu  menschen 
alain ,  sunder  auch  wider  sich  selben   — . 

vita  lis  quaedam  est.    Verum  hac  externa  lite  Interim  omissa,  de  qua  paulo 
ante  diximus,  et  quae  minor,   utinam,  et  ob  id  minus  nota  esset!     Lis  in- (135) 
terior,  quanta   est,   neque  enim  solum  contra   aliam,  sed  contra  suam  (ut 
dixi)  speciem,  neque  contra  aliud  individuum,  sed  contra  semetipsum. — 
Graz.  ANTON  E.  SCHÖNBACH. 


BELISARS  ROSS. 

In  dem  heifsen  gefecht  am  pons  Milvius,  das  der  einschliefsung 
des  Belisar  durch  Witigis  und  seine  Ostgoten  im  jähre  537  un- 
mittelbar vorausgieng,  ritt  der  oströmische  feldherr,  stets  in 
der  vordersten  reihe  der  kämpfenden,  ein  ross,  das  sich  durch 
seltene  kampftüchtigkeit  auszeichnete,  aber  durch  seine  auffäl- 
lige Zeichnung  dem  reiter  fast  zum  Verhängnis  geworden  wäre. 
triye  de  i7t7t(p  —  so  meldet  der  historiker  des  Gotenkrieges 
Procop  i  18  (ed.  Bonn.)  —  t^vr/.avra  6yov(.ievog,  noXe^aov  re 
Xiav  tiircELQO)  v.ai  dict(Ji<jOao&ca  xbv  ertißaTTjV  eTciOTauev(n, 
og  ör]  olov  fiev  rb  oco/.icc  cpaibg  r\v ,  %b  (xextOTtov  de  anav  ex 
y.6(pa'/.)]g  ccxqi  eg  qlvag  Xevxog  /.iciliora.  tovtov  El.Xrjveg  (.isv 
Oahbv ,  ßäqßaqot  de  Bälav  v.alovoi.  römische  Überläufer, 
denen  das  tier  bekannt  war,  schrieen  laut,  man  solle  auf  den 
Bälag  zielen,  der  ruf  pflanzte  sich  im  Gotenheere  fort,  ohne 
dass  man  seine  bedeutung  ganz  verstand,  und  von  den  meisten 
gar  nicht  erkannt,  wurde  Belisar  doch  bald  der  mittelpunct  des 
schlachtgetümmels,  aus  dem  ihn  nur  die  übermenschliche  tapfer- 
keit  seiner  leibwache  befreite. 

FWrede,  der  in  seiner  Sprache  der  Ostgoten  (QF  6S)  s.  58 
anm.  2  auf  diese  stelle  hingewiesen  hat,  wirft  die  Vermutung 
hin,  es  könne  ein  'welsches'  ross  (loalha,  wala,  vgl.  Bavöa- 
XÜQiog  —  Wandala-harjis?    JGrimm   Kl.  sehr.  5,  433)    gemeinl 


238  BELISARS  ROSS 

sein,  das  verbietet  schon  der  Zusammenhang,  den  sich  Wrede 
nicht  vor  äugen  gehalten  hat.  die  griechische  und  die  gotische 
bezeichnuug  müssen  ein  und  dasselbe  ausdrücken,  sie  beziehen 
sich  beide  auf  die  färbung  des  tieres  und  siud  auch  lautlich 
identisch,  sobald  man  von  der  Verschiedenheit  des  suffixes  (dort 
-jo,  hier  -an)  absieht:  griech.  (pal-  =  germ.  bal-  <<  idg.  bhal-. 
das  griechische  kennt  zwei  adjectiva  cpalög  und  cpcchog  in  der 
bedeutung  'splendidus,  albus',  und  das  letztere  wird  bereits  bei 
den  antiken  lexicographen  mit  der  specielleren  bedeutung  'albos 
crines  habens  in  fronte'  aufgeführt:  vgl.  die  stellen  aus  Eustathius, 
Aristophaues  und  dem  Etymologicum  magnum  bei  Stephanus  (ed. 
Hase  und  Dindorf)  vm  612  und  für  den  pferdenamen  Oahog 
auch  Jeschonnek  De  nominibus  quae  Graeci  pecudibus  domesticis 
indiderunt  (diss.  Regim.  1885)  s.  40,  dem  griechischen  cpalog  aber 
entsprach  aufs  genauste  ein  germ.  balaz,  got.  bals  'leuchtend  weifs', 
dessen  schwache  form,  substantivisch  als  eigenname  gebraucht, 
Bala,  -ins  lautete  und  von  den  Griechen  als  Bctlag  (acc.  Bälctv) 
ebenso  widergegeben  wurde,  wie  umgekehrt  Ulfila  Esaias,  -ins 
und  Satana(s),  -ins,  papa,  -ins  flectierte;  vgl.  jetzt  auch  Wrede 
aao.  s.  183:  den  ausgangspunct  der  Verschmelzung  bildete  die 
in  beiden  sprachen  gleiche  accusativform. 

Ein  tier  wie  es  die  Griechen  (fraliog,  die  Goten  Bala  nannten, 
das  bei  dunkeler  grundfarbe  einen  weifsleuchtenden  streifen  von 
der  stirnhöhe  bis  zu  den  nüstern  hat,  nennt  man  heutzutage 
Bläss,  Bläfschen,  Blässei:  vgl.  VVackernagel  Kl.  sehr.  3,  86,  DVVR 
ii  67  s.v.  Blas,  Blas,  Bles;  n  71  s.w.  Bläsle;  Blasse,  Blässe, 
Blesse,  und  den  gleichen  namen  führt  neben  pferden  und  kühen 
auch  das  Wasserhuhn  oder  'blässhuhn'  (fulica  atra),  das  bei 
schieferschwarzer  grundfärbung  von  der  stirnhöhe  bis  zur  schuabel- 
wurzel  blendend  weifs  ist.  den  älteren  namen  dieses  vogels  nun 
bewahren  der  bairische  und  schwäbische  dialect  als  belche  oder 
belch  bis  heute  (Schmeller  i  170,  Schmid  s.  54)  in  verschiedenen 
formen ;  aus  Nemnich  führt  das  DWB  i  1439  (neben  Messe,  blesz, 
bleszhun  usw.)  auf:  belch,  belchine,  böleher,  bellhenne,  und  die  alt- 
hochdeutsche gestalt  bietet  Graff  in  332 :  pelicha  'fulix',  pelichon 
'fulicae'.  das /r-suffix,  von  haus  aus  deminutivischer  bedeutung, 
ist  für  vogelnamen  besonders  beliebt  (vgl.  Kluge  Etym.  wb.  s.  v. 
'belche',  Nom.  stammbildungslehre  §61),  pelicha  stellt  sich  zu 
bala   ähnlich    wie    cranuh    zu    crane.      anderseits    aber   begegnet 


BELISARS  ROSS  239 

das  abgeleitete  wort  auch  wider  als  bezeichnung  eines  pferdes, 
denn  Belche  heifst  im  Biterolt  (v.  2275.  26S7.  11973)  das  ross 
Dietleibs! 

Mit  dem  alten  namen  des  Wasserhuhns  hat  EMartin  (Jahrb. 
des  vogesenclubs  n  193  f)  den  bergnamen  Belchen  zusammen- 
gebracht, der  in  Niederhesseu  sogut  wie  am  Oberrhein  vorkommt, 
ich  glaube  mit  gutem  recht,  ein  bergname  wie  Sternhelle  (eine 
meile  nördlich  von  Marburg)  weist  deutlich  auf  das  hin,  was 
auch  einem  'Belchen'  seine  bezeichnung  verschafft  hat,  eine  kahle, 
weithin  leuchtende,  vielleicht  auch  den  schnee  lauge  haltende, 
Stirnfläche;  vgl.  das  alte  Sprichwort:  es  heifst  kein  küw  piäslin, 
sie  hab  dann  ein  sternlin  (aus  Frank  im  DWB  n  71,  aus  Sailer 
bei  Wackernagel  Kl.  sehr.  3,  86).  und  die  volle  bestätigung 
findet  Martins  deutung  dadurch,  dass  sich  zu  Belchen  auch  noch 
der  bergname  Blesse,  Blässe  gesellt:  ich  kann  hier  nicht  ge- 
nauer untersuchen,  wie  viele  der  ähnlich  klingenden  namen  heran- 
zuziehen sind,  sondern  weise  nur  auf  den  Blessberg  bei  Frauen- 
breitungen  an  der  Werra  hin,  der  in  einer  Urkunde  Heinrichs  n 
vom  jähre  1016  als  Blessi  erscheint  (Förstemann  Namenbuch 
n2  281).  so  wären  die  beiden  bezeichnungen  Messe  und  belche(n) 
für  das  haustier  und  den  vvasservogel  mit  weifser  stirnzeichnun^ 
wie  für  den  berg  mit  kahlem  oder  schneebedecktem  höhen- 
streifen erwiesen,  und  die  schönsten  parallelen  hierzu  bietet  das 
griechische:  neben  (pal-a/.QÖg  'auf  dem  köpfe  hell,  kahlköpfig' 
steht  tc  (päla/.oa  für  'kahle  felsgipfel',  und  neben  rj  cpa/.aoig, 
gxtXrjQig  'das  blässhuhn'  tritt  die  wendung  ogtj  %l6vzggi  cpaArjQa 
(Nie.  Ther.  461)  'berge  mit  weifsen  schneespitzen';  vgl.  den  lehr- 
reichen artikel  in  Buttmanus  Lexilogus  u  240 — 250. 

Wir  dürfen  aber  das  bisher  unbeachtete  germanische  ad- 
jeclivum  balaz  noch  weiter  auf  dem  gebiete  der  eigenuamen  ver- 
folgen, da  ist  zunächst  ein  mehrfach  —  in  Hessen  und  West- 
falen —  vorkommender  ortsname  Balhorn ,  Ballhorn:  sowoi  die 
heutige  ausspräche  wie  die  vom  8  bis  ins  11  jh.  belegten  formen 
Balahorna,  Balahormm  usw.  (Förstemann  n"  19S)  mit  ihrem  be- 
wahrten suffixvocal  beweisen,  dass  nicht  an  an.  bäl,  ae.  bwl  'rogtts' 
zu  denken  ist,  wie  JGrimm  Kl.  sehr.  2,  260  (Ober  d;\*  verbrenneil 
der  leichen,  1849)  wollte,  die  bezeichnung  gehört  vielmehr  in  di<> 
gleiche  kategorie  mit  namen  wie  Lichtenberg,  Schauenburg,  Kahlen - 
berg  usw.    dass  sich  bala-  gerade  nur  in  der  Verbindung  mit  hom 


240  BELISARS  ROSS 

erhalten  hat,  braucht   nicht  ganz  zufall  zu  sein;   vgl.  hierzu  auch 
die  griechischen  berg-    und  Ortsnamen   (Däla/.QOv,    (Daläy.oior, 

OdXä'KQa,    &<xIÜy.Q(U1. 

Sodann  die  ahd.  personennamen  mit  Bai-,  Pal-  (s.  Pipers 
index),  zu  denen  wol  auch  Ballo  gehört:  es  ist  eine  koseform, 
von  ähnlicher  bedeutung  wie  Berhto  (ebenda  i  239),  und  die 
doppelconsonanz  darum  selbstverständlich,  wenn  aber  die  gleiche 
gemination  bei  einem  Markomannen  Ballo /.läoiog  des  2  (KMiiller 
Hist.  gr.  iv  196)  und  bei  einem  Franken  Ballomeris  des  6  jhs. 
(Greg.  Tur.  7,  14)  auftaucht,  so  wird  man  wol  der  annähme, 
dass  hier  wie  nicht  selten  die  consonantengemination  der  kose- 
form in  das  compositum  übertragen  sei  (vgl.  Otlegebe  uä.)  die  an- 
setzuug  eines  balla  <C  bhal-nö  neben  bala  vorziehen,  die  erschei- 
nuug  hätte  ihre  parallele  in  alla  neben  ala,  nur  dass  freilich  die 
für  composita  beliebtere  form  gerade  ala-  ist. 

Als  eine  Weiterbildung  mit  fo-suffix  hat  man  zu  gr.  cpalög 
längst  lit.  baltas  'weifs'  gestellt  (inf.  bal-ti  'weifs  werden'),  und 
JGrimm  Myth.  202  f  warf  schon  die  frage  auf,  ob  nicht  dieses 
baltas  'weifs'  mit  dem  lautlich  identischen  got.  balßs  'kühn'  aufs 
engste  zusammengehöre,  ich  glaube,  dass  an  der  identität  der 
beiden  ein  zweifei  kaum  möglich  ist  und  dass  die  bedeutungs- 
vermittelung  keinerlei  Schwierigkeit  macht,  auch  wenn  man  das 
blasse  'gut',  das  JGrimm  als  vermittelnde  bedeutung  anzusetzen 
scheint  (doch  vgl.  anhang  s.  78),  aus  dem  spiele  lässt.  man  halte 
sich  nur  einen  vergleich  wie  'schnell  wie  der  blitz'  oder  die 
doppelheit  der  bedeutung  von  gr.  ctgyög  vor  äugen:  1)  'hell 
schimmernd,  glänzend';  2)  'schnell',  oder  man  denke  an  die 
engen  beziehungen,  die  idg.WmJin  seinen  verschiedenen  ableituugeu 
zu  'stirn'  bat  (got.  bah,  yr.  cpaliog  heifsen  'mit  weifser  stirn', 
6  cpdlog  und  tcc  qxxlaoa  bezeichnen  die  blanken  teile  des  stirn- 
schützenden heims,  sskr.  bhdla  'glänz,  stirn')  und  erinnere  sich 
an  melonyme  wie  'mit  freier  stirn',  'die  stirn  haben',  'die  stirn 
bieten';  auch  das  lateinische  kennt  frons  in  ähnlicher  Verwendung, 
sodass  alteglossen  geradezu paldi  dafür  einsetzen (Abd.gll.ii  344, 17. 
762,  18)).  oder  schliefslich:  mau  ziehe  die  bedeutungslinie  von 
'hell  leuchtend'  über  'sichtbar',  'öffentlich',  'freimütig'  zu  'kühn',  wie 
wahrscheinlich  auch  diese  letzte  entwickelung  ist,  das  zeigt  schön 

1  wie  (pal  und  bal  in  bergnanien,  so  finden  sich  aktp  und  alb  in  fluss- 
namen  auf  beiden  Seiten:    A).(peiös  und  Albis. 


BELISARS  ROSS  241 

die  glosse  bairhtaba  —  balpaba  (Sept.  lv  rcaoQ^aia,  Vulg.  palam) 
Col.  2,  15.  kurz  es  besteht  keine  Schwierigkeit,  die  bedeutungen 
von  got.  bals  und  balps  zu  vermitteln,  kein  grund,  die  identischen 
formen  lit.  baltas,  germ.  balpaz  zu  trennen,  und  es  muss  bei  dem 
hohen  alter  der  betr.  namengebungen  trotz  Jordanes  unentschieden 
bleiben,  ob  das  westgotische  köuigsgeschlecht  der  Balthi  (Jord. 
ed.  Mommsen  64,  22.  96,  14)  ursprünglich  als  'die  leuchtenden' 
oder  als  'die  kühnen'  benannt  wurde,  ja  ob  nicht  balp,  bald  im 
ersten  und  vor  allem  im  zweiten  gliede  germanischer  eigen namen 
in  frühester  zeit  dasselbe  wie  dag  und  berht  besagte. 

Fest  zu  stehn  scheint  mir,  dass  germ.  bal-  zu  gründe  liegt 
und  dass  auch  das  mit  fo-suffix  abgeleitete  *bal-paz  ursprüng- 
lich die  bedeutung  'licht,  hell,  glänzend'  hatte,  dadurch  wird 
die  etymologie  von  an.  Baldr,  ae.  Bealdor,  ahd.  Paltar,  das  seiner 
bildung  nach  in  ein  weit  höheres  alter  als  die  composita  mit 
balp  zurückreicht,  bereits  entschieden,  germ.  Baldr  steht  im 
grammatischen  Wechsel  zu  balps,  dh.  jenes  ist  mit  einem  betonten 
fr- suffix,  dies  mit  einem  unbetonten  fo-sufßx  von  idg.  bhal-, 
germ.  bal-  abgeleitet,  und  da  dies  grundvvort  auf  licht,  glänz  hin- 
weist, so  berechtigt  uns  nichts,  zur  erklärung  von  Baldr  eine 
ganz  andere  ableitung  des  alten  bhal,  nämlich  balps  'kühn' 
heranzuziehen.  die  Vermutung,  dass  balpaz  auch  im  germ. 
ursprünglich  nicht  'kühn',  sondern  'licht,  glänzend'  bedeutete, 
kann  dabei  ganz  aus  dem  spiel  bleiben;  wol  aber  mag  es  nicht 
unangebracht  sein,  vor  einer  directen  ableitung  von  Baldr  aus 
balpaz,  balps  zu  warnen:  eine  solche  hätte  *Balstr,  ahd.  *  Palstar 
ergeben  müssen.  Kluge  iNom.  stammbildungslehre  §  30  und 
Bugge  Studien  s.  68  (der  Übersetzung),  die  den  Zusammenhang 
zwischen  bealdor-baldr  und  balps  betonen,  ohne  die  wurzelbedeutung 
zu  kennen  ,  und  Kaulfmann  in  seinem  bücheichen  über  Deutsche 
mythologie  s.  79,  der  aus  Baldr  'den  kühnen  kriegsfürstea'  heraus- 
liest, zeihe  ich  freilich  nicht  dieses  lautlichen  irrtums. 

Baldr  d.i.  bhal-tr'  bezeichnet  den  'leuchtenden,  licht  ver- 
breitenden', und  diese  deutung  stimmt  aufs  schönste  zu  dem, 
was  uns  die  skandinavische  mythologie  über  die  äufsere  erschein 
nung  des  schönsten  der  götter  berichtet.  Gylfag.  c.  22:  hann  er 
svd  fagr  dlitum,  svd  at  lysir  afhonum,  ok  eitt  gras  er  svd 
hvitt,  at  jafnat  er  til  Baldrs-brdr,  pat  er  allra  gram  Itvitast ;  ok 
par  eptir  mdtpü  marka  hans  fegurd,  Imdi  hdr  ok  liki;  ham  er 
Z.  F.  D.  A.    XXXV.    N.  F.     XXIII.  16 


242  BEL1SARS  ROSS 

hvitaslr1  Asanna  ok  fegrst  taladr  ok  liknsamastr.  es  ist  höchst 
beachtenswert,  dass  sich  in  dieser  beschreibung  des  gottes  als 
wesenhafter  zug  das  erhallen  hat,  worauf  die  einzig  mögliche  her- 
leitung des  namens  hinweist,  und  zwar  obwol  mit  dem  frühen  unter- 
gang  des  alten  adj.  *balr  im  norden  jedes  etymologische  verstäudnis 
geschwunden  sein  muste.  die  gefahr  einer  umdeutuug  seines 
weseus  durch  directe  anlehnuug  an  balßaz,  ballr  lag  nahe  genug, 
sie  scheint  bereits  in  der  dänischen  fassung  des  Saxo  grammaticus 
eingetreten  zu  sein  und  würkt  bis  heute  nach:  Kaufl'manu  (aao. 
s.  76  f)  zählt  jenen  hervorragend  characteristischeu  zug  —  auf 
den  übrigens  auch  Baldrs  wohnung  Breidablik  hinweist  —  zu 
den  'fremdartigen',  ihm  ist  der  Balderus  Saxos  die  ursprüngliche 
gestalt,  der  held  nach  nordgermanischem  durchschnittsideal,  der 
unter  dem  uameu  des  'kühnen'  einmal  'auf  erden  gewandelt  hat' 
und  einer  kette  von  misverständuissen  seine  erhebung  unter  die 
götter  verdankt. 

Auf  eine  andere  art  findet  unsere  deutung  von  Baldr  auf 
englischem  boden  bestätiguug.  bekanntlich  weisen  die  alten  königs- 
genealogieu  von  Wessex  und  Beruicia  (Myth.4  3,  379  ff,  Müllen- 
hofl  Beovulf  s.  63.65)  als  söhn  Vodeus  einen  Bceldceg  (Bäldäg, 
Beldeg)  auf,  an  dessen  stelle  dann  der  Chronist  Ethelwerd  (Mon. 
bist.  Brit.  i  512)  geradezu  Balder  bietet,  nun  mag  man  Bugge 
(Studien  s.  312  ff)  immerhin  einräumen,  dass  der  anspruchsvolle 
ealdorman  vom  ende  des  10  jhs.  hier  nicht  aus  einer  besseren 
quelle  schöpfte,  sondern  aus  eigener  machtvollkommenheit  änderte: 
damit  ist  die  Wahrscheinlichkeit  nicht  beseitigt,  dass  Bceldceg 
ein  beiuame  oder  auch  eine  hypostase  des  Baldr  —  Bealdor  war. 
das  lautliche  hindernis,  das  Bugge  s.  313  aum.  2  zwischen  beald 
und  bcel  aufrichtet,  um  die  beiden  namen  scharf  auseinander- 
zuhalten, ist  für  uns  nicht  mehr  vorhanden,  seit  wir  neben 
baldr  und  balpaz  ein  gerin.  balaz  wolbezeugt  aufgefunden  haben, 
wir  teilen  das  wort  wie  Bugge  —  aber  auch  wie  JGrimm, 
den  B.  hier  wider  nirgends  berücksichtigt!  —  in  Bcel-dceg  ab, 
deuten  es  sehr  einfach  als  'heller  tag,  glanztag'  und  finden 
in  der  last  verblüffenden  etymologischen  durchsichtigkeit  dieses 
compositums  eine  neue  beslätigung  für  das  wesen  und  den 
namen   Baldrs. 

1  so  nach  A  (Upsalaer  hs.),  gegenüber  vitrastr  der  vulgata ,  Mogk 
FBBeiti.  6,  528. 


BEL1SARS  ROSS  243 

lu  der  poetischen  spräche  der  Skandinavier  und  wol  noch 
häufiger  bei  den  Angelsachsen  erscheint  ein  subst.  6aMr —  bealdor 
in  der  bedeuUing  'fürst',  dass  es  sich  hier  aber  lediglich  um 
eine  nietapher  aus  der  Werkstatt  und  dem  apparat  der  berufsdichter 
handelt,  scheint  bewiesen,  weil  wir  es  nordisch  last  nur  im 
zweiten  teile  von  compositen  (mannbaldr,  fölkbaldr,  herbaldr),  alt- 
englisch wol  ausschliefslich  in  der  formelhaften  Verbindung  mit 
genitiven  finden  (Wedera,  wigena,  gumena,  beorna,  rinca,  sinca 
bealdor  usw.).  fürs  alteuglische  ist  überdies  bezeichnend ,  dass 
die  naheliegende  reimbiudung  ealdor :  bealdor  unterbleibt,  recht 
im  gegensatz  zu  jener  beliebtheit,  welche  Kluge  PBBeitr.  9,  424f 
und  OHoffmaun  Reimformeln  im  westgerm.  s.  73  f  für  eorlas: 
ceorlas  auch  in  der  prosa  erweisen:  bealdor  war  eben  kein  wort 
der  rechts-  und  Umgangssprache,  was  aber  den  Übergang  des  alten 
götternamens  in  ein  zunächst  poetisches  appellativum  angeht,  so  hat 
JGrimm  gleich  im  eingaug  seines  Paltar-capitels  darauf  hingewiesen, 
dass  er  in  dem  Schicksal  von  Fred  —  Fr  6  seine  genaueste  parallele 
findet,  und  gleichwol  bekommt  man  den  altklugen  hinweis  auf 
das  englisch -nordische  substantivum  immer  wider  zu  boren. 

Was  ich  im  obigeu  für  die  etymologie  des  namens  Baldr 
beigebracht  habe,  ist  im  wesentlichen  nur  eine  bestätigung  dessen, 
was  schon  in  der  Mythologie  s.  201  IV  (vgl.  anhang  s.  182  I)  aus- 
geführt steht,  der  glückliche  fund  des  gotischen  bala  —  *bals 
setzte  mich  in  den  stand,  das  dort  verwendete  litu-slavische 
sprachmaterial  aus  heimischem  gute  zu  ergänzen  und  in  einigen 
puucteu  JGrimm  gegen  JGrimm  zu  verteidigen,  denn  freilich 
hat  der  altmeister  in  späteren  jähren,  zuerst  in  der  erläuterun^ 
der  Merseburger  Zaubersprüche  (1842,  jetzt  Kl.  sehr.  2,  14), 
Bceldceg  als  'dies  rogi ,  ignis'  gedeutet,  und  als  er  für  seiue 
schöne  academische  abhandlung  über  das  verbrennen  der  leicheu 
sprachliche  Zeugnisse  suchte  (1849),  festigte  sich  ihm  die  neigung, 
Baldr  selbst  mit  au.  bäl,  ae.  beel  'ignis,  flamma,  rogus,  pyra'  in 
beziehung  zu  setzen  (Kl.  sehr.  2,  275).  die  erstere  etymologie 
stellt  jetzt  zweifelnd  auch  Bugge  (Studien  s.  312  anm.2)  wider  auf. 

Jenes  au.  bäl,  ae.  bäl,  got.  *bel  steht  natürlich  in  keinem 
zusammenhaue  mit  >skr.  bhdla  'glänz,  slirn',  wie  man  früher 
(Fick  i  152)  annahm,  und  ebensowenig  darf  es  mii  unserem 
bala  zusammengebraebt  werden:  'weifslich  helle  färbe'  und  'feuers- 
glut'    vertragen    sich    —    trotz    'weifsglühendem'    eisen    —   nur 

16* 


244  BELISARS  ROSS 

schlecht  zusammen,  dagegen  mag  es  bei  der  Verlegenheit,  mit 
der  wir  noch  immer  dem  mhd.  buole  'amator'  (ahd.  n.  pr.  Buolo) 
gegenüberstehn,  gestattet  sein  auf  jenes  germ.  *bel  als  ent- 
sprechende ablautsform  hinzuweisen:  'der  brünstige'  und  'die 
brunst'  würden  ja  recht  gut  zu  einander  passen,  doch  leuchtet 
mir  selbst  die  von  Heyne  in  seinem  wb.  vertretene  auffassung 
ein ,  dass  buole  ein  altes  kosewort  sein  mag. 

Und  nun  noch  ein  kurzer  abstecher  zur  heldensage.  wie 
sich  zur  germ.  wurzel  hei  ein  stm.  helm(az),  zu  gal  desgl.  galm, 
zu  mel  mal  die  Zwillinge  ahd.  mehn  ae.  mealm  stellen,  so  dürfen 
wir  zu  bal  ein  stm.  got.  *balms  ahd.  *palm  'splendor'  ansetzen, 
eine  patronymische  ableitung  davon  liegt  in  dem  namen  von  Sieg- 
frieds schwert  vor:  Balmung,  etwa  'söhn  des  glanzes'. 

Weit  genug  hat  uns  der  ritt  mit  Belisars  schlachtrosse  ge- 
führt, und  vielleicht  wünscht  mancher,  dass  ich  nun  auch  am 
namen  seines  reiters  nicht  vorübergeh.  JGrimms  bekannte  deu- 
tung  Walis(a)-harjis  (Kl.  sehr.  3,  232  uö.)  ist  schon  wegen  des 
umlauts  unwahrscheinlich,  an  Wili-sarws  oder  Wilisarweis  (vgl. 
Wiliger,  Wilihelm,  Wilibrand)  scheint  Förstemanu  i  1074  gedacht 
zu  haben;  zu  seinem  bedenken,  dass  sarw  im  zweiten  com- 
positionsglied  unbelegt  sei,  tritt  das  weitere,  dass  Procop  germ. 
Wüi  durchweg  als  Ovfo,  nie  als  Bell,  BiXt  widergibt  (Wrede 
Ostgotische  spräche  s.  32  f).  so  bleibt  die  von  Müllenhoff  Zs. 
12,  288  vorgeschlagene  deutuug  als  die  einzig  mögliche  übrig: 
Bilisharjis  zu  ahd.  Piliheri,  wie  got.  Sigismer  zu  ahd.  Sigimdr. 
sie  wird  aufs  schönste  bestätigt  durch  den  ■  Pilsari  bei  Piper 
Libri  confrat.  n  456,  4  (ca.  800),  und  es  lohnt  sich  wol  einmal 
wider  darauf  hinzuweisen,  weil  der  hier  vorliegende  alte  neutrale 
as(is)  -  stamm,  derselbe  der  verkürzt  in  billich  und  dem  häufigen 
bergnamen  Bihtein,  volksetymologisch  umgedeutet  in  wichbilde 
vorliegt,  bei  Kluge  (Nom.  Stammbildungslehre  §  84,  Etym.  wb. 
s.  v.  'weichbild')   und  sonst  unbeachtet  geblieben  ist. 

Marburg.  EDWARD  SCHRÖDER. 


NOCHMALS  SCHIFF  UND  REGENBOGEN. 

Die  vorarbeiten  zu  einem  isländischen  glossar,  das  sich  jetzt 
im  drucke  befindet,  veranlassten  mich,  den  von  Kölbing  Zs.  23, 
258  —  261    gegebenen  abdruck   der    in   der   arnamagncBischen   hs. 


NOCHMALS  SCHIFF  UND  REGENBOGEN  245 

6734  4°  enthaltenen  auslegung  von  schiff  und  regenbogen  mit 
dem  original  zu  vergleichen,  es  stellte  sich  dabei  heraus,  dass  K.s 
ab  druck  an  zahlreichen  ungenauigkeiten  und  sogar  einigen  groben 
fehlem  leidet,  die  keineswegs  durch  seine  berichtigungen  im  Anzeiger 
vi  112  erschöpfend  beseitigt  wurden,  iceil  die  auslegung  sehr  kurz 
ist,  schien  es  mir  unyr actisch ,  noch  einmal  berichtigungen  zu 
geben :  ich  drucke  also  den  text  vollständig  ab.  cursive  buchstaben 
bezeichnen  aufgelöste  abkürzungen.  was  ich  in  klammem  ein- 
schliefse,  habe  ich  nicht  sicher  lesen  können,  sondern  aus  noch 
vorhandenen  resten  von  buchstaben  oder  nach  dem  sitm  der  um- 
gebenden worte  ergänzt,  wo  ich  keine  ergänzring  gewagt  habe, 
wird  dies  durch  *  *  *  *  angedeutet,  was  ich  durch  U  widergebe  ist 
ein  t  mit  einem  unten  angehängten  haken,  die  Seiten  bezeichne 
ich  mit  den  zahlen,  die  sie  nach  Dahlerups  Untersuchung  über  die 
Zusammensetzung  der  hs.  (Arbeger  for  nordisk  oldkyndighed  og 
historie  18S9  s.  232  —  238)  tragen  sollen. 

seite  17. 
Pa  er  per  erom  askipum  s[tadde]r  pa  scolum 
per  oss  lata  lhug  koma  hpa[t]  skipet  iar 
teiner  allt  sam[a]n  •  Pat  lartemer  he[i]me[is] 
allan  saman  -  En  kiolr  eis  lartemer  tru  retta  • 
Stafnar  larteina  skirn  ora  •  En  naglarner  lar- 
teiner  aost  pip  gup  almatkan  droMen  varn 
i'yr  ppi  at  hon  helSr  saman  allre  tru  se[m] 
naglar  halda  saman  aollo  skipeno  •  iNpip  *  *  *  * 
teiner  göpgerning  raaiva  •  fyn  pvi  at  spa  &em 
in  pipir  remma  allt  skipet  •  spa  ******* 
göp  perc  •  hugskot  maNz  til  gups  misktiNar 
En  är[a]r  larteina  f'ramf'orslo  göpra  perka  •  fy 
rer  pvi  at  skipet  er  skamfert  ef  eige  fylgia 
ararnar  •  Styret  lartemer  tu[n]gu  marsz  •  i'yr 
pvi  at  stiörnen  slyrer  skipeno  •  sein  tun 

17,1  P  in  Pa  grofs  und  mit  roter  färbe.  3  he[i]me[N]  vielleicht 

he[i]me[nn].  5  ora  vielleicht  ora.  6  teiner  vielleicht  teiner. 

9  von  tv  in  Iva  nur  geringe  überregte,  die  aber  die  letung  Ina  nicht  ge- 
statten. 10  die  rette  des  letzten  buchstaben  der  teile  scheinen  von 
einem  a  nicht  herrühren  zu  können;  holhin^s  Vermutung  reinina  ist  somit 
unwahrscheinlich.  14  ararnar  vielleicht  ararnar.  LS  zwischen  at 
und  stiörnen  steht   ein  als  ungiUig    miterpuncüertes   Imn. 


246  NOCHMALS  SCHIFF  UND  REGENBOGEN 

ga  roaNZ  styrer  aallom  maisenom  til  gojira 
liluta  lllra  epa  lila  •  En  ef  styre  mapr  styrer 
lila  skipeno  •  pa  *  *  *  afleipes  skipet  •  oc  fyrer 
ferse  allt  pat  er  a  er  askipeno  •  Spa  fynfeR 
20       oc  sä  mapr  ser  •  er  lila  styrer  tungu  siwe  •  oc 
perpr  morgom  pat  at  bana  •  En  ef  haN  gseter 
prel  tungu  siNar  •  pa  styrer  bann  ser  til  himmnkis  • 

seile  18. 
Siglu  tre  *  *  *  *  larteiner  +  drottens  pars  • 
En  seglet  [iar]teiner  drohen  p[a]rn  sialfan  •  fin  pvi  • 
[at]  bann  [er]  yfer  aollom  heimi  s[va]  sem  segll  er  yfer 
skipe  •  En  rakeis  ä  treno  larteiner  po:ngio:p  •  [ja 

5       er  gypingar  leto  ahofub  drotne  o:om  •  t[a]umar 

[oc]  stepiugar  larteina  blop  b[at  er  r]ann  or  hondom 
[drotle]ns  pars  •  Pat  eigom  per  at  pita  at  messa  sii 
[er  ke]ise  meN  syngva  •  larteiner  skipet  sem  apr 
************  dagtipir  larteina  arar  skips  ens 

10       *****  skipet  er  scamfert  ef  eigi  fylgia  ä- 

rar  •  En[arar  er]o  eigi  psel  i  halo  ef  eigi  fylgia  ber 
skipeno  •  *********  dewm  •  larteiner  kioleN  aski[p]eno  •  En 
s[k]i[r]n  aor  larteiner  stafna  skipsens  •  Pater  noster  ■  oc  göp 
perc  iartein[a  na]glana  i  skipeno  •  En  aost  sü  er 

15       mapr  hefer  pip  gup  almatkan  •  larteiner  rornar 
a  sauminum  •  fyn  pvi  •  at  pat  fester  allt  saman  • 
bo:b  skipsens  oc  naglana  ■  Gopgerning  maisa 
larteiner  iispip  l  skipenu  •  fyn  pvi  at  spa  sem  iispiper 
remma  allt  skipet  •  spa  remma  oc  göp  perc  hug  — 

20       skot  gott  •  allan  pnfuop  ibrioste  marcz  Iil  gups 
miskuNar  •  oc  tenger  saman  alla  göpa  blute  •  En 
ef  per  [m]issom  messoisar  •  pa  missom  per  skipsens 

seite  19. 
pess  er  oss  er  aoll  hiolp  i  •  oc  spa  [ef]  ver  missom  dag 
ti]>a  •  pa  missom   per  [araiv]a  skipsens  •  Sp[a   verpr  o]c  ef  per 

17,  18  der  räum  zwischen  pa  und  afleipes  scheint  für  ein  snysc 
(Kölbing)  nicht  hinreichend. 

18,2  let  von   seglet  nicht  ganz  sicher.  7  pars   vielleicht  pars. 

13  s-[k]i[i](i  undeutlich. 

19,  2  von  p  in  verpr  sind  noch  Überreste  zu  sehen. 


NOCHMALS  SCHIFF  UND  REGENBOGEN  247 

missom  oc  örokiom  g[uj)s]  p[ionost]o  oc  ti|>a  p[a]r|Dv[ei]z 

lu  hselgrar  •  oc  göpra  perka  •  pa  megom  per  eige  coma 

til  himinnkis  •  heldr  en  skipet  ma  til  gobrar  haf 

nar  coma  ubrot[ei]  •  ef  bat  misser  sma  hialpa  •  En  ef 

skipet  er  ppel  skipat  mep  aollom  f'arbunab[e  *****] 

styrt  •  pa  komr  bat  f'agrlega  til  göprar  haf[nar] 

mep  gnbs  miskuN  •  Oss  perpr  oc  [sva]  ef  *  *  *  *  * 

to?w  pel  boborba  drottens  pars  1  pessofm  hei  nie] 

pa  monom  per  halldasc  oc  komasc  til  [*****  fa]g 

na)>ar  mep  gupe  ahio^com  drotfne  [orjom  •  En  peir  nenn  er 

ö  i:aiimgaefer  ero  um  sitt  far  ip[ess]om  heime  •  oc 

pilia  eige  gups  bopojpe  [hlypa]  •  mono  fyr 

farasc  oc  glatasc  til  eilifra  quala  mep  fianoa 

nom  oc  bans  amim  •  i  aelde  breNanda  •  nema  beir 

bäte  i  bessom  heime  bat  er  beir  hafa  misgort  •  oc 

ibresc  adhugat  lllra  perka  sma  •  oc  af  läte  1 

göpom  pilia  iscriftfa]  höbe  sins  keNe  maiv>z  •  Pa 

mono  beir  f'ara  me}>  febr  oc  syni  oc  anda  ■ 

helgom  ■  1  himinrikes  faognop  •  oc  bar  pera 

ei  oc  ei  6n  enda  •  amen;  • 

seite  20. 
*  reguboga  er[o  b]nr  liter  •  paz  oc  breisosteinsloga 
oc  c*elldz  [b]at  miwer  oss  a  [ajt  ottasc  brel'allda 
reibe  gubs  ba  er  komr  fy]fer  heimiiN  •  Vatn 
kom  i  noa  Höbe  •  Breisosteinsloge  •  kom  yper 
sodomam  oc  gomorram  •  Eldr  mon  ganga  yper 
allan  heim  i'yrer  domsdag  •  besser  ener  somo  litir 
[**regn]boga  •  merk[i]a  prefalda  f'yrgefmng  syn- 
pa [e]in  er  iskirn  ■  aoNor  er  i  ipron  synpa  • 
enp[npia]  er  i  liflate  fyr  <;ubs  sakar  •  Vats  litr 
[******  fy]rgefmng  synl)a  i  skirn  •  \*vi  fylger 
bli|)leik|r]  mikill  oc  enge  torpelde  •  BreNOStems 
löge  merker  [i]|>ron  synpa  •  pvi  fylger  beiscleicr 
mikill  •  E[n  eldr]  merker  fyrgefning  synpa  i  — 
19,10  toTümvielleicht  a'trum. 

20,  1  der  grofse  anfangsbuchsta.be  der  zeile  ist  unleserlich}  man 
kann  ebensogut  .1  als  A  vermuten;  man  rieht  noch  dass  er  mit  roter 
färbe  bemalt  geioesen.  12  das  erste  c  in    beiscleicr  ist  com  Schreiber 

über  der  zeile  zugeschrieben. 


248  NOCHMALS  SCHIFF  UND  REGENBOGEN 

liflate  i'yr  gubs  sakar  •  Jjvi  fylger  ogn  mi 

5     kil  oc  biartleicr  m[i]kill  •  I>essa  brefallda 
[o]gn  reibe  gubs  taknar  regnboge  •  Uann  var 
[e]ige  seN  fyrer  noa  flob  •  Sibau  er  [hann]  synör 
********  heitz  bess  er  gub  het  noa  ■  at  ei- 
ge  skylde  oftaR  flöb  koma  J>at  er  hei?« 

q     eN  e[y]be  spa  sem  ä  haus  dogom  hafpe 

?  orbet;  • 
Lund.  LUDVIG  LARSSON. 


SEGEN    UND    ZAUBERFORMELN 
AUS  HOHENFURT. 

Bei  einem  besuche  des  Stiftes  Hohenfurt  im  Böhmerwald 
fand  ich  in  der  kloslerbibliothek  3  beschwörungs formein ,  2  segen 
und  1  Zauberformel ,  die  meines  Wissens  noch  nicht  veröffentlicht 
sind,     sie  verdienen  nach  inhalt  und  spräche  beachtung. 

i.    Beschwörungsformel,  einen  verlorenen  oder 
gestohlenen  gegenständ  widerzufinden. 

Unter  ms.  nr  cxcvn  (vgl.  hs.-catalog  i  146)  wird  ein  kleines 
pergamentblatt  aus  dem  14  jh.  aufbewahrt,  das  von  einem  decket 
abgelöst  sein  dürfte,  wie  entsprechende  löcher  und  einschnitte  an- 
deuten, die  schrift  füllt  die  eine  seite  des  blattes  aus  und  ist 
nur  an  wenigen  stellen  einigermafsen  verwischt,  das  pergament- 
stück ist  in  ein  blatt  papier  eingehüllt,  das  bereits  eine  abschrift 
des  pergaments  enthält,  ebenso  findet  sich  im  hs.-catalog  i  145 
noch  eine  abschrift,  beide  sind  aber  diplomatisch  ungenau,  daher 
gebe  ich  die  formet  nach  der  ursprünglichen  hs.  wider,  buchstaben 
oder  Wörter,  die  zweifelhaft  waren,  sind  durch  cursiven  druck 
hier  und  im  folgenden  hervorgehoben. 

So  du  icht  vsloren  habst  so  tue  waz  alhie  geschriben  stet 
drei  chlein  vinger  lang  cherzcen  psu  in  eren  der  drei  chvnig. 
Caspar,  balthasar.  Melcher.  vn  sprich  inzedienst  an  deinem 
Chnie.  den  salm  afferte  dno.  vn  ein  vings  lang  chszen  psnne 
ze  eren  dem  engel.  ds  die  drei  chvnig  weiste.  an  den  wech. 
da  si  vnssn  hsren  fvnden.  vn  sprich  den  salm.  Confitebor 
tibi    dno  f  toto.     vn    frume    ein    sei    messe,     vn   mizz    dev  hohe 


SEGEN  UND  ZAUBERFORMELN  AUS  HOHENFURT     249 

tuer  vn  dev  weite,  da  icht  vsloren  ods  avz  getsgen  sei.  mit 
zwain  chszen.  vn  psnn  sei  chrevzling.  in  ern  sant  pantaleon. 
vn  opfer  ein  ganz  prot.  auf  sant  nicla  alter,  vn  nim  iz  hs  wids 
aba.  vn  sneide  Hz  en  vier.  vn  gib  iz  vier  witben.  vn  psnn. 
ein  ckszen  alz  ein  hant.  an  deinem  chnie.  vn  sprich  dar  nach 
zehen  p.  n.  sant  nycla.  vn  zehen  p.  n.  sant  nycla  chaim  sei. 
vn  man  in  als  er  gewayl  wurt.  an  seins  sei.  daz  si  behalten 
wart,  vn  sprich  also  muezze  ich  gefrevt  wsden.  an  meins  flur. 
daz  si  mier  wids  wsde.  also  gefrevt  wart  mein  hsre  sant  nycla. 
an  seines  chaimes  sei.  daz  si  im  behalten  wart  am.  vn  sprich 
zwen.  p.  n.  dem  wege.  da  ds  devp  hin  ist  gegangen,  vü  zwen 
p.  n.  ier  gesehen,  vn  sprich  hsre  sant  nycla.  Nv  hilf  mier. 
daz  ier  gehören,  vn  ier  gesehen.  hs  wids  zv  mier  gechst  wst.  vn 
mier.  daz  wider  pringen  daz  si  mier  vsstollen  habt  Am.  den 
salm  dni  est  terra. 

n.    Beschwörungsformel  gegen  das  kalte  fieber. 

Ms.  nr  ex  (vgl.  hs.-catalog  i  146),  eine  pergamenths.  in  8° 
aus  dem  14  Jh.,  enthält  auf  blatt  63b  und  64a  innerhalb  des  buches 
auf  frei  gebliebenem  räum  in  sehr  enger,  aber  sauberer  Schrift 
folgende  beschwörungsformel. 

Ditze  tv  vur  den  kalten  weu.  Haiz  du  den  sieben  bringen 
vn  1er  in  daz  er  spreche,  ich  bit  weh  dvreh  got.  buzzet  mil- 
des riten.  swi  wol  dv  wizzest  wi  er  heizt,  so  soll  in  vrage  wi 
haizest  dv.  da  nach  nenne  in.  vnd  sprich.  Christus  tv  du  des 
riten  bvz.  sprich  ein  patsns.  vn  neun  in  aws  vn  sprich  xpe 
filis  det  (64a)  nivi  tvy  dir  dus  des  riten  bvz  sprich  ein  pr  ns 
nenne  in  aws  vnd  sprich,  xpe  nats  ex  maria  usgie  tv  dus  des 
riten  bvz  sprich  ein  pr  n  da  nach  leg  im  di  hant  of  daz  havbt 
vn  sprich,  ich  besws  dich  bi  dem  vats  vn  bi  de  svn.  vn  bi  de 
hiligen  geiste  da  dv  in  nimm5  gervrest  ezeu  si  danne  zea'/nal. 
Ditze  tvt  man  dehaine  mensche  im  wsde  des  riten  buz. 

in.     Gegen    zu   lange   Schwangerschaft. 

In  unmittelbarem  anschluss  an  die  vorausgehende  formel  und 
von  der  gleichen  hand  geschrieben  hei/st  es  weiter': 

Swen  ein  frowe  ze  dein  kinde  ze  lange  ge.  so  sol  man  ir 
di  lvuzehen  salm  enchreuzestal  an  der  venige  vnter  div  ovget) 
lesen  so  genest  si  ze  baut. 


250     SEGEN  UM)  ZAUBERFORMELN  AUS  HOHEINFURT 

iv.    Ein   wurmsegen. 

Ms.  nr  25  (vgl.  hs.-catalog  n  147),  pergamenths.  ans  dem 
jähre  1419  m  12°  m«Y  158  blättern;  auf  blatt  1561'  M?tfen  m 
dickerer  schrift : 

Wurm  im  fleisch  vnd  in  pain  |  wye  es  das  heylig  ewangeli 
main  Cher  dich  vmb  vnd  lig  tod  Als  dir  got  selhes  pot  |  durch 
der  vil  heylign  namen  drey  dy  lye  got  selber  frey  |  In  dem  Namen 
Gottes  vatts  vnd  Sun  vnd  des  heylign  geist.     Amen. 

Vgl.  MSD-  xlvii  2.     Myth.  anh.  xv.  xxvm.  xxxix. 

v.    Ein  fen  ersegen. 

Ms.  nr  43  (vgl.  hs.-catalog  n  147)  ist  eine  papierhs.  aus  dem 
jähre  1594  in  4°  mit  129  blättern  welche  auf  blatt  124b  und 
125a  +  b  in  lesbarer  zügiger  schrift  einen  fenersegen  enthält,  vor 
und  nach  dem  segen  stehn  unbeschriebene  blätter ,  den  Umschlag 
des  buches  bildet  ein  pergament,  das  teile  eines  breviers  aus  dem 
14  jh.  enthalt. 

Ein  bewerter  feur  Segen  wie  folgt, 

In  dem  Namen  Gott  des  Vatters,  Gott  des  sohns,  vnd  gott 
des  Heyligen  Geistes.     Amen. 

Vnser  Herr  Jesus  Christus  gieng  vber  landt,  Er  trueg  ain 
prinnenten  prandt.  in  seiner  handt,  derselbig  prinnent  prandt 
wer  vber  haul's  vnd  hoff  geworffen,  mit  Gottes  wordt  verfafset, 
mit  Gottes  wordt  verschriben,  vndt  mit  Gottes  wordt  verpunden  in 
do  (r  durchstrichen),  das  vnser  herr  Jesus  Christus  angesprochen 
hatt,  leg  dich  feur  Segen,  (125a)  Ich  sich  dich  An  mit  meinem  ge- 
sicht,  vnd  man  prausen  Sausen  vnd  gluett,  das  dafselbig  feur 
weitter  khein  Saden  thuett,  dan  der  selbigen  segen  dreuerley 
feur  Segen ,  der  Erst  feur  Segen  ist  das  heimlich  lieht  in  f  dodt, 
die  Gott  der  herr  gefangen  hatt.  Der  ander  feur  Segen  ist  ain 
gelegts  feur  von  der  Bösen  weit,  vnd  Nachtparschafft  in  f  Gott, 
das  vnser  herr  angesproclf  hatt.  Was  ist  das  dritte  feur,  Das 
ist  von  dem  wüten  wetter  ein  geschlagen,  Also  sein  die  selbig*" 
drey  feur  Segen  geschriben  gleich  wie  der  Khelh  vnd  der  Wein, 
gleich  wie  das  wirdig  himelbrott,  das  vnser  lieber  herr  Jesus 
Christus  gefang~  hatt,  (125b)  Wie  Gottes  wordt  verfafset,  wie 
Gottes  wordt  gepunden  an,  das  khein  feur  weitter  greifen  khan, 
flammen  vnd  gluett,  das  du  weitter  kheinen  schaden  thuest,  das 


SEGEN  UND  ZAUBERFORMELN  AUS  HOHENFURT     251 

Sey  in  dem  Namen  Jesu  Christi  gesprochen,  c/;an  gewaltig  dein, 
wiill  Gott  allem  fenr  genedig  Sein,  Gott  Vatter,  Sun  vnd  hey- 
liger  Gaist    Amen. 

Vgl.  Myth.  arih.  xxiv. 

vi.    Zauberformel  zum   erzwingen  der  liebe. 

Ms.  nr  12  (vgl.  hs.-catalog  11  147),  eine  papierhs.  in  12°  mit 
152  blättern  ans  dem  lö  jh.,  weist  auf  seite  S9b  (ein  leeres  blatt) 
in  sehr  blasser  tinte  folgende  Zauberformel  auf: 

Itm  wildu  machen  das  eine  kain  rueh  mag  hahen  den  sy 
thue  daine  willen  So  schreih  aufT  ein  weyss  Glas  dyse  wart  f  as- 
soael  t  mammens  f  baldus  f  rebaldus  f  tausent  listiger  vnd 
leg  das  das  glas  czu  dem  feure  vnd  sprich  dise  vvartt  als  hayss 
das  glas  ist  als  hayss  sy  der  n  nach  mir  N     Etc. 

Anhang. 

Die  pergamenths.  lxii,  127  6//.  in  8°  aus  dem  13  jh.,  enthält 
auf  bl.  46b  einen  Zuspruch  für  sterbende  aus  späterer 
zeit  als  die  hs.,  der  darum  bemerkenswert  ist,  weil  er  sich  als 
mittel  gegen  einen  unglückseligen  tod  bereits  den  segensformeln 
nähert,  hier  wird  der  tod  Christi  um  den  sündigen  menschen 
gleichsam  herumgegeben  oder  zwischen  ihn  und  gottes  gericht  und 
zorn  gestellt,  auch  zwischen  seine  bösen  werke  und  gott ,  vgl.  MSD- 
iv,  &  und  anm.  —  im  nachfolgenden  text  habe  ich  nur  die  inter- 
puuction  eingeführt. 

Swenne  ein  mensche  siehe  ist  vü  nahent  zv  dem  tote,  so 
sol  man  in  vragen  vi!  sol  er  antehtichlich  antwurten.  Lieher 
mensche  vrevst  dv  dich,  daz  dv  sterhest  in  Christen  gelovben? 
ia.  vreuste  dvdich,  daz  dv  stirbest  in  rechtem  leben?  ia.  ver- 
gihst  dv  des,  daz  dv  so  wol  niht  gelebet  hast  als  dv  soltest?  ia, 
des  vergihe  ich.  Ist  iz  dir  lait  vn  rivt  dich?  iz  ist  mir  leit  vn 
rivt  mich.  Hast  dv  willen  din  leben  ze  bezzern,  ob  dir  got  dines 
lebens  gan?  Ja,  ich  han  sin  gvten  willen.  Gelovbest  dv,  daz 
vnser  herre  iesus  xpe  vur  dich  tode  ist?  Ja,  daz  gelovbe  ich 
wol.  Danchest  dv  im  sines  todes?  Ja,  ich  danck  im  sin.  <.r- 
lovbest  dv,  daz  dv  niht  mäht  behalten  werden  denne  mit  sinem 
tode?    Daz  gelovb  ich  wol. 

So  sol  der   gesvnt  sprechen  zv  dem  sieben:    Lieber  vrivot, 


252     SEGEN  UND  ZAUBERFORMELN  AUS  HOHENFURT 

die  weile  dv  nv  lebest  vn  div  sele  bei  dir  ist,  so  sol  dv  an 
nihtes  dinen  gedingen  setzen  denne  an  den  tode  vnsers  herren 
ihu  xpc.  In  den  tode  sencbe  dich,  mit  dem  tode  bedeche  dich, 
in  den  tode  wikchel  dich.  Vn  sprich  denne  zv  dem  sichen:  wil 
got  mit  dir  ze  geriht  gen,  so  sprich:  Herre,  den  tode  vnsers 
herren  ihu  xpc  setze  ich  zwischen  din  gerihte  vn  mich  armen 
svnder,  anders  wil  ich  herre  mit  dir  niht  gerillten.  Sprechet 
denne  got,  daz  dv  habst  verdient  die  ewigen  verdampnvsse,  so 
sprich:  Herre,  den  toden  vnsers  herren  ihu  xpc  den  lege  ich 
zwischen  dich  vn  miniv  posev  werch,  vn  opher  dw  div  werch 
vnsers  herren  ihu  xpc,  die  er  geworht  hat  vur  div  werch,  div 
ich  haben  solt  vn  doch  leider  niht  han.  vn  der  siehe  sol  denne 
aver  sprechen:  Herre,  den  tode  vnsers  herren  ihu  xpc  lege  ich 
zwischen  mich  vn  dinen  zorne.  Vn  der  siehe  sol  denne  sprechen 
dristvnt:  Herre  got,  minen  gaist  vn  min  sele  euphilhe  ich  in 
din  hant.  vn  div  levt  di  da  pi  sint  di  soln  dristvnt  sprechen 
daz  selbe. 

Swem  man  dise  rede  vor  saget  vn  mit  andechtigem  hercen 
antwurdet,  stirbet  sicherlich  vn  gesiech  den  ewigen  tode  Dum- 
mer,  amen. 

Dise  rede  hat  gelert  saut  anshelmus.  da  von  ist  si  gvt  ze 
behalten. 

Eine  reiche  Sammlung  volkssegen  aus  dem  Böhmerwald  wird 
in  der  neuen  Zs.  des  Vereins  für  Volkskunde  von  KW  einhold  folgen. 
Krummau  im  august  (october)  1890.  J.  J.  AMMANN. 


OSSIN  UND  OSCAE. 

EIN  WEITERES  ZEUGNIS  FÜR  DEN  URSPRUNG  DER  IRISCH-GÄLISCHEN 
FINN-(OSSIAN-)SAGE  IN  DER  VIKINGERZE1T. 

Für  den  oben  s.  1 — 172  versuchten  nachweis  des  Ursprungs 
der  Finn  -  oder  Ossiansage  in  der  vikingerzeit  habe  ich  mir 
leider  ein  wichtiges  argument  entgehn  lassen:  die  namen  von 
Finns  söhn  und  enkel.  wenn  der  Finn  (Fingal)  der  sage 
der  historische  vikingerführer  Caittil  Find  ist  —  der  länger  als 
ein  decennium  in  Mittel-  und  Südirland  mit  einer  art  räuber- 
banden  von  norwegischen  vikingern  und  Iren  sein  wesen  trieb; 
der  S57,  weil  er  sich  dem   852  in  Dublin  errichteten  Dänenstaat 


OSSIN  UJND  OSCAR  253 

nicht  unterwerfen  wollte,  von  Amlaib  von  Dublin  sammt  seinen 
hordeu  vernichtet  wurde;  der  dann  der  sagenheld  der  im  9  jh. 
sich  den  Iren  nach  und  nach  assimilierenden  vikinger-Iren  (Gall- 
Gaedel)  wurde,  auf  den  sie  häuften,  was  vom  vater  und  grofs- 
vater  ihnen  von  Nordlands  sagen  erzählt  worden  war;  auf  den 
die  Iren  im  10  jh.  übertrugen,  was  ihnen  von  dem  tun  und 
treiben  der  heidnischen  Nordgermanen  als  characteristisch  in  der 
erinnerung  haftete  — ,  dann  ist  klar,  dass  die  namen  des  sohnes 
und  enkels,  wenn  sie  nordischen  Ursprungs  sind,  schwer  ins 
gewicht  fallen. 

Die  ältest  überlieferten  namensformen  sind  für  Finns  söhn 
Ossin  (LL  154% 44.  193\45),  Ossln  (LL208a,33),  für  Finns  enkel 
Oscur  (LL  154a,  44.  154b,  1).  wenn  man  bedenkt,  dass  wir  auf 
bretonisch -kymrischem  bodeu  für  die  seit  dem  7  jh.  vorhandene 
Arthursage  vom  9 — 12  jh.  zahlreiche  Zeugnisse  über  das  vor- 
kommen der  hauptnamen  der  sage  (Arthur,  Euuen-Ouein,  Uualch- 
moe - Gwalchmei  usw.)  besitzen,  dann  muss  der  umstand,  dass 
Ossin  und  Oscur  als  personennamen  im  irischen  bis  ins  13  jh. 
und  länger  unerhört  sind,  zu  denken  geben,  mau  pflegt  das 
erstere  wort  als  deminutiv  von  oss  (=  kymr.  ych,  plur.  gehen, 
körn,  ohan,  germ.  ohsan-)  zu  fassen:  Ossln  Mittle  deer'.  dies  ist, 
da  die  personennamenbihlung  im  irischen  dieselbe  ist  wie  in  den 
übrigen  indogermanischen  sprachen  und  für  annähme  eines  Spitz- 
namens im  irischen  jede  parallele  fehlt,  nicht  möglich,  es 
liefse  sich  blofs  denken,  dass  Ossln  ein  kosename  ist  zu  einem 
mit  Oss-  beginnenden  vollnamen.  derartige  vollnamen  mit 
oss-  kommen  aber  im  irischen  überhaupt  nicht  vor. 
in  den  Ulsterannalen  649.  655.  670.  679.685.703.712  findet 
sich  der  Dame  Ossu;  aber  ich  brauche  nur  a.  649  Bellum  Ossu 
fri  Ponte,  dh.  Bellum  Ossu  contra  Penda  und  679  bellum  Saxonum 
ubi  cecidit  Ailmine  filius  Ossu  anzuführen:  die  Ossu  der  irischen 
annalen  sind  angelsächsische  Oswiu;  Älfwine  söhn  des  Öswiu 
fiel  679.  zum  jähr  648  notiert  das  Chronicon  Scottorum  Jugu- 
latio  Oisine  mic  Oisirg;  dass  mit  diesem  Osine  söhn  des  Osirg 
(Oisine  und  Oisirg  sind  jüngere  Orthographie  des  Schreibers  der 
hs.)  ein  angelsächsischer  Oswine  söhn  des  Ösrlc  gemeint  ist,  be- 
darf keines  nachweises.  wenn  wir  bedenken:  dass  Osuald  von 
Nordbuinberland  cum  magna  nobilium  juventute  in  Irland  im 
exil  lebte  (Beda  Hist.  eccl.  geut.  Augl.  3,  1)  und  tarn  longo  cxilii 


254  0SS1N  UND  OSCAR 

sui  tempore  linguam  Scottkam  jam  plene  didicerat  (Beda  aao. 
3,  3)1;  dass  zahlreiche  Äugeln  664  mit  dem  Irenbischof  Colmäu 
ihre  heimat  verliefsen,  weil  sie  sich  Rom  iu  der  frage  der  oster- 
berechnuug  und  toosur  nicht  unterwerfen  wollten  (Beda  aao.  4,4), 
und  iu  Connacht  ein  Angleukloster  gründeten  (Mageo  =  heut. 
Mago) ,  das  wie  die  Irenklöster  in  Deutschland  im  ganzen  mittel- 
alter  bestand  (siehe  Zs.  32,203);  dass  im  7  und  8  jh.  Angelu 
uud  Sachsen  in  scharen  in  irischeu  klösteru  sich  aufhielten  uud 
zum  teil  dauernd  blieben  .(siehe  die  Zeugnisse  aus  Beda  und 
Aldhelm  Zs.  32,  202)  —  dann  wird  es  uns  nicht  wunder  nehmen, 
dass  im  7  und  8  jh.  öfters  der  angelsächsische  uame  Öswine  in 
Irland  als  Ossine  und  Ossene  auftritt,  hauptsächlich  unter  klerikern 
(Ulsteraunalen  653.  686.  705.778).  es  bleibt  als  einziger 
name  noch  der  einmal  belegte  Osbran:  Vier  meisler  a.  747 
Osbran  angcoire  7  epscop  Cluana  crema  decc  'Osbran,  anachoret  und 
bischof  von  Clooncraff  (iu  Roscommou  bei  Elphin)  starb.'  dieser 
Osbran  wird  unter  den  Ossine  (Osalt,  Ossu,  Osirg)  kein  weifser 
rabe  sein,  sondern  den  angelsächsichen  uameu  Ösbrand  tragen: 
er  war  vermutlich  einer  der  in  Irland  gebliebenen  angelsächsi- 
schen besucher  des  8  jhs.  damit  ist  alles  erschöpft ,  was  sich 
aus  dem  reichen  schätze  irischer  namen  mit  den  namen  Ossin 
und  Oscur  vergleichen  liefse.  Irland  bietet  nichts  zu  ihrer 
erklärung. 

Die  namen  des  sohnes  (Ossin)  und  enkels  (Oscur)  des 
vikinger  räuberhauptmanns  (Caittil)  Finn  siud  nord.  Äsvin  und 
Äsgeirr.  in  urgerm.  ansu-  war  schon  im  urnordischeu  das  n  vor  s 
geschwunden  (siehe  Noreen  Altn.  gramm.  §  220,  anm.  1 ;  Pauls 
Grundrissi423:§6, 13);  der  schwuud  des  w  nach  consonanten  beim 
Übergang  germanischer  Wörter  ins  altirische  ist  nicht  nur  durch  die 
entlehnung  der  angelsächsischen  namen  Öswiu,  Oswine,  Oswald 
in  der  form  Ossu,  Ossine,  Osalt  bezeugt,  sondern  auch  durch  die 
aus  dem  nordischen  stammenden  lehnwörter  des  irischen  sopp 
=  altn.  svöppr,  rossäl  —  altn.  hrossvalr  (Zs.  32,  271.274).  dem 
nordischen  Äsvin  'asenfreuud'  entspricht  also  der  name  von  Fiuus 
söhn  Ossin  regulär.  —  dass  für  den  uameu  von  Finus  enkel  als 
älteste  form  Oscur  belegt  ist,  während  die  gewöhnliche  form  Oscar 

1  er  erscheint  als  Ösalt  in  einem  altirischen  sagentext  im  gefolge  eines 
sagenberühmten  irischen  herschers  und  wird  genannt  rigdomna  do  Saxanaib 
'thron folger  von  den  Sachsen'  (Zs.  32,  206  ff). 


0SS1N  UND  OSCAR  255 

lautet,,  ist  irrelevant,  in  der  auf  die  tonsilbe  folgenden  silbe  ist 
im  irischen  der  vocal  irrational  und  sein  timbre  durch  den  nach- 
folgenden cousonauten  bestimmt,  im  urnordischen  bestand  be- 
kanntlich bei  vielen  Wörtern,  deren  erstes  glied  eiusilbig  war, 
ein  schwanken  im  haupttou,  indem  bald  das  erste  glied  bald  das 
zweite  glied  ihn  hatte  (Noreen  in  Pauls  Grundriss  §  52,  ib): 
Güttormr  und  Godörmr,  Ölafr  und  Oleifr,  Porlakr  und  Porleikr, 
Pörarr  (aus  Pörgarr)  und  Pörir  (aus  Porgeirr),  Hröarr  und 
Hrödgeirr  beruhen  hierauf,  so  ist  entsprechend  Pörarr,  Hroarr, 
ndfarr  'der  bohrer'  (aus  näf(g)ärr  =  ahd.  nabager Noreen  im 
Grundriss  $  45b),  Ästläkr  ein  nordisches t  Äsgarr  neben  belegtem 
Asgeirr  auzusetzeu.  diesem  nordischen  Asgärr  entspricht  altirisch 
regelrecht  mit  deu  würkungen  des  acceutes  Oscar,  Oscur. 

Die  nordische  herkunft  der  Damen  von  Finus  söhn  undeukel, 
die  nebeu  Fiun  auch  die  haupttiguren  der  sage  sind,  ist  ein  neues 
zeuguis  für  den  urspruug  der  Ossiansage  im   vikingerzeilalter. 
Greifswald.  H.  ZIMMER. 

DIE  HERKUNFT  FISCHARTS. 

Urkundliche  nachlichten  über  Johann  Fischart  und  seine 
familie  sind  aus  Strafsburg  erst  in  allerjüngster  zeit  bekannt  ge- 
worden (vgl.  Anzeiger  xvu  53).  für  deu  beinameu  'Mentzer'  und 
die  etwaigen  beziehuugeu  des  dicbters  oder  seiner  eitern  zu 
Mainz  fehlt  es  noch  immer  an  jeder  aulklärung.  kürzlich  nun 
stiefs  ich  auf  eine  spur,  die  vielleicht  zum  ziele  führt,  wenn  sie 
auch  in  die  ferne  weist. 

Im  jähre  1618  willigte  der  erzbischof  von  Mainz  in  den 
kauf  ein,  welchen  Veit  Vißcardt,  maurerhaudwerks,  bürger 
zu  Mainz,  als  erwerber  des  bauses  zum  Limperger,  gegenüber 
der  St.  Christophskirche  daselbst,  geschlossen  halte1. 

In  dem  jetzt  dem  grofsh.  haus-  und  Staatsarchive  einver- 
leibten 'Burgatiousbuch'-  des  weltlichen  gerichts  zu  Mainz  aus 
den  Jahren  1616 — 1621  fand  sich  weiter  das  testameni  dieses 
Mainzer  maurers    und    stadtwerkmanns    vom    23  april  102 1    ein- 

1  erzbischöfliches  ingrossaturbuch  nr  84  im  königl.  kreisarchive  zu 
Würzburg  fol.  313,  Urkunde  vom  1 7 .j mii.  das  haus  war  judenerbe,  weshall) 
der  landesherrliche  consens  erforderlich  war.  über  da-  haus  vgl.  Schasb  Ge- 
schichte der  stadt  .Mainz  i  523. 

2  abieilung  gerichtsbücher ,  Mainz,  nr  23,  fol.  291',  §  220. 


256  DIE  HERKUNFT  F1SCHARTS 

getragen,  danach  lebte  er  in  kinderloser  ehe  mit  seiner  frau 
Katharina  und  wählte  sein  begräbnis  in  der  St.  Christophskirche  zu 
Mainz,  im  falle  er  ohne  leibeserben  versterben  würde,  vermacht 
er  'seinem  bruder  Anthonio  Wießkart  und  Schwester  Matthießen 
im  Misoccothall  in  Sant  Victor  wonhaft  under  den  Grobinden'1 
alles  dasjenige,  was  er  von  seinen  eitern  der  ort  noch  hat  und 
was  er  mit  seiner  handarbeit  erobert  und  dahin  transportiert 
hat,  zu  gleichen  teilen;  alles  andere  vermögen  zu  Mainz  usw.  er- 
hält seine  gattiu  als  erbin. 

Veit  Vißcardt  war  also  einer  der  bei  den  bauten  in  hiesiger 
gegend  damals  so  oft  verwendeten  wälschen  maurer.  es  steht 
meines  erachtens  nichts  der  Vermutung  entgegen ,  dass  der  vater 
Johann  Fischarts  vor  der  mitte  des  16  jhs.  als  wälscher  würz- 
krämer'2  zu  Mainz  tätig  war  und  dann  nach  Strafsburg  über- 
zog. Veit  Vißcardt  mag  den  spuren  des  älteren  verwandten  ge- 
folgt sein,  der,  wie  er,  mit  einer  Deutschen  verehelicht  gewesen 
sein  wird. 

Der  name,  der  sich  in  der  form  Wisigard  uä.  als  frauen- 
name  bei  Fürstemaun  findet  und  wie  in  den  heutigen  familien- 
namen  Weintraut,  Herbnrg,  Luckhardt  usw.  metronymisch  ver- 
wandt ist,  deutet  auf  germanische  abstammung  der  familie  hin, 
über  die  möglicher  weise  die  archivalien  der  wälschen  heimat 
noch  aufschluss  geben  werden3. 

Die  italienischen  Studien  Johann  Fischarts  würden  sich  aus 
seiner  abstammung  leicht  erklären,  seine  namensformen  Wis- 
sartisch  und  Guicciard  schliefsen  sich  an  die  des  Mainzer  wälschen 
maurers  an  und  scheinen  uns  über  die  Schwierigkeit,  dass  Wis- 
gart  zu  Fischart  verdeutscht  wurde,  hinwegzuhelfen. 

Eine  hindeutung  auf  wälsche  herkunft  könnte  das  1588er 
Pseudonym  'M.  Adamus  Nacheumoser  von  Brandenwalden  aus 
Churland'  enthalten,  da  das  tal  Misocco  zum  bistum  Chur  ge- 
hörte,    auch  sonst  kommen  die  Churwalen  bei  Fischart  vor4. 

1  San  Vittore  bei  Roveredo  im  tal  Misocco  im  canton  Graubünden. 

2  Anzeiger  xvn  53.  es  gab  gerade  im  Mainzischen  viele  solcher  lom- 
bardischen händler,  so  zb.  ein  zweig  der  Brentano  in  Bingen. 

3  freilich  liegt  der  normannische  beiname  Guiscard,  den  F.  selbst  mit 
Vischart,  Gwischard  widergibt  (Gargantua  s.  369  und  -443),  noch  näher. 

4  Gargantua  s.  53.  213.     Wendeler  Fischartstudien  s.  291. 
Darmstadt  im  november  1890. 

GUSTAV  FREIHERR  SCHENK  ZU  SCHWEINSBERG. 


DYALOGUS  DE  D1VITE  ET  LAZARO  257 


DYALOGUS  DE  D1VITE  ET  LAZARO. 

D.    Audi,  sancte  senior,  auch  nie  loqueutem! 

Dives  ego  morior:  audi  morientem ! 

In  inferno  crucior:  audi  patientem ! 

Respice,  quid  patior  et  consolare  dolentem ! 

L.    iNoli,  pater,  credere  viro,  qui  sie  orat,  5 

Qüia  fallax  fallere  verbis  te  laborat ; 

Pro  patrato  scelere  veuiam  implorat 

Et  verbis  struit  insidias,  dum  verba  colorat ! 

D.    Nuper  eram  plenus,  dives,  felix  et  amenus 

Et  miebi  grande  genus:  modo  sum  miser,  exul,  egenus.  10 

L.    Multum  dives  beri,  miser  es  modo,  cum  misereri 
Nolueris  miseri,    cumulando  subditus  eri. 

D.   Cum  sit  celi  solium  locus  gloriosus, 

i\on  inlrabis  gaudium  celi  tu  leprosus; 

Generares  odium  eunetis  odiosus,  15 

Non  reeipit  vicium    paradysus  deliciosus. 

L.    Ascendam  palatium  iudicis  superni, 

Miser  ad  incendium  descendes  iuferni, 

Ubi  Stridor  dentium  et  planctus  eterni. 

Ha  plus  quam  miser  es,  quem  torquet  earcer  Avernil        20 

D.   Cur  bona  nostra  metis?    locus  hie  locus  est  locupletis. 
Que  mea  »unt,  repetis:  mea,  non  tua  porta  quietis. 

L.    lste  locus  modicos  fidei,  dites  et  iniquos 

Non  reeipit  nisi  quos  Christus  sibi  fecit  amicos. 

[B  bezeichnet  die  laa.  der  Briigger  hs.,  E  die  des  Egerton-ms.  (s.  u.) 
die  personenbezeichnung  steht  nur  in  E.  ebenso  enthüll  nur  E  statt 
der  Überschrift  den  text  Luc.  16,  19-21  bis  nemo  ilii  dabat.  Dahinter: 
Quadam  autem  die  ambo  defuneti  sunt  etc.   Diues  ad  ahraham  sie  loqoitur.  H.J 

In  v.  1  und  107  gehl  senior  natürlich  auf  Abraham,  ebenso  pater  fn 
D.  5  und  103.  3  crutior  E.  4  et  fehlt  B.  S  fehlt  in  B,  doch  ist 

räum  gelassen.  10  exul  et  egenus  B.  12  runiulatas  IL  13  celi 

fehlt  B.  18  peruenit  E.  19    plantus  B.  20  plus]  ha   ha   //. 

est  B.  earcer  torquel   />'.  21  est  fehlt  E.  22  parta  E. 

24  sibi  Christus  B. 

Z.  F.  D.  A.    XXXV.    N.  F.    XXIII.  17 


258  DYALOGUS  DE  DIVITE  ET  LAZARO 

25       D.   Paupertate  melior  est  argenti  marcha. 

Homo  cuuctis  ditior  est  rex  et  monarcha; 

Tunc  est  honoratior,  tuue  est  patriarcha, 

Quanto  plus  aliquis  numorum  servat  in  archa. 

L.    Tuum  cor  pecunia  cur  sie  excecavit? 

30  Rapiet  mors  omnia,  que  vita  donavit, 

Nee  censum  nee  alia  caro  deportavit, 

Infantem  nudum  cum  te  natura  creavit. 

D.   Per  genus  elatum,  per  censum  multiplicalum 
Perque  potentatum  nie  glorior  esse  beatum. 

35       L.    Iure  potentatus  uunquam  potes  esse  beatus 
Sis  ni  purgatus  totius  labe  reatus. 

D.    Non  est  grande  Vitium  ueque  contra  mores 

Habere  dominium  vel  res  ampliores: 

Census  parit  gaudium,  census  dat  honores; 

40  In  precio  precium  nunc  est:  dat  census  amores. 

L.    Ultra  modum  cupere  census  non  est  sensus, 

Cum  deus  in  opere  tali  sit  ofl'ensus. 

Dum  res  solent  crescere,  crescit  et  accensus. 

Accensum  generat  magni  custodia  census. 

45       D.   Egregie  ceno  lete  vultuque  sereno 

Neque  satis  pleno  do ,  quidquid  restat,    egeno. 

L.    Verum  non  dicis,   quia,    quando  clamito  vicis 
(Juerens  de  micis,  me  pulsas  et  maledicis. 

D.   Precepi  multociens,  quod  tiagmentum  detur, 

50             Ut  tu  vel  esuriens  quivis  saturetur; 

Sed  non  facit  serviens  omne,  quod  iubetur. 

Si  f'uit  insipiens,  dominum  cur  pena  sequetur? 

L.    Tui  canes  veniunt  ad  limen  portarum, 

INicbil  miebi  l'aciunt  triste  vel  amarum, 

26  est  fehlt  E.         32  arauit  B.         36  Ni  sis  B.         38  dominum  B. 

40  fehlt  B.    p5etii  E  (wut  fehler  der  al/schrifl).         42  in  tali  opere  B. 

43  Cum  E.  crescit]  magis  E.  die  bedeutung  von  accensus  (doch  wol 
zu  acceudere)  ist  mir  unklar;  brennende  begier'i  oder  höllenbrand,  wie 
v.  18?    II.  50  vel]  et  B.      sacietur  B. 


DYALOGUS  DE  DIVITE  ET  LAZARO  259 

Sed  lingendo  liniunt  ulcera  plagarum:  55 

Mitius  inveni  quam  te  genus  omne  ferarum. 

I).   0  quam  vilis  facies,  quam  turpis  aspectus, 

Quanta  cutis  Scabies  et  quam  raucum  pectus! 

In  celo  quid  facies  a  muudo  deiectus? 

Sanos  inficies  ad  celica  culmina  vectus.  60 

L.    Corporalis  sanitas  nichil  operatur, 

Nisi  mentis  puritas  corpori  iungatur. 

Plus  valet  inürmitas,  in  qua  vir  salvatur. 

Quam  decor  aut  probitas,  in  qua  male  mortificatur. 

D.   Ego  sum  res  strennua:  contra  quis  opponat?  65 

Sed  tu  res  es  mortua,  non  laus  te  coronat. 

Tua  bursa  vacua,  mea  bursa  sonat, 

Et  genus  et  formam  regina  pecunia  donat. 

L.    De  statu  miserie  multum  me  derides. 

In  me  plenum  scabie  dentes  tuos  strides,  70 

Sed  non  conscienlie  puritatem  vides. 

Non  caret  hie  specie,  quem  probat  alma  fides. 

D.  Flores  collegi  de  mundo  par  ego  regi, 

Tot  bona  delegi,  nisi  velle  meum  nichil  egi. 

L.    Sunt  mundi  flores  t'astus,  census  et  honores,  75 

Sed  violant  mores  et  agunt  in  fine  dolores. 

Ü.  Delicias  vel  divicias  cur  sie  reprehendis? 

Sepe  valent  hominesque  calent  pro  rebus  habeudis. 

L.    Delicie  vel  divicie  sunt  causa  malorum 

Et  minime  prodest  anime  tot  summa  bonorum.  80 

55  vulnera  B.  56  Micius  quam  te  inueni  omne   genus  f.  ß. 

57  turpis]  uilis  E.  60  ad  proxima  teeta  prouectus  E.  63  in 

fehlt  B.     qua  homo  B.  64  in  fehlt  B.      male]  ipse  //.  66  Et  B.    es 

res  B.     laus  te  non  B.      deeorat  E.         68    regnum  B.         70  dente  tuo  B. 

72  man  erwartet  einen  hexameter;  doch  tritt  am  schhut  gr öfterer 
abschnitte  der  penta?neler,  der  als  rechter  ahschlussvers  empfunden  wurde, 
nicht  selten   an   seine   stelle.     B.  73  —  76  stehn  in   E.    Kicker  mit  un- 

recht, hinter  v.  84.    B.  7)1  de   mundo  colleg-i  B.     legi  E.  75  c»'[imi^ 

fastus  B.  7^  hominesque]  sepeque  B.  79  Diuicie  vel  delicie  B. 

80  prosunt  ß. 

17* 


260  DYALOGUS  DE  DIV1TE  ET  LAZARO 

D.   Est  michi  non  carum,  quod  copia  diviciaruni 
Seit  prodesse  parum ,  me  torquet  abusio  quarum. 

L.    Divicie  domine  sunt  mundi,  sed  quasi  spine 
Pungunt  in  fine,  quem  post  sunt  causa  ruine. 

85       D.   Quare  per  divicias  sum  male  dampnatus? 

L.    Quia  nimis  in  eas  ardes  totus  datus 

[Ad  mundi  divicias  tuus  cogitatus.] 

Quid  dixerit,  audias,  Catho  vir  sensatus: 

'Despice  divicias,  si  vis  animo  esse  beatus!' 

90       D.  Quidquid  mali  fecerim,  penitet  et  fleo. 

Culpam  si  gemuerim,  remittatur  reo; 

Volo,  si  peceaverim,  reformari  deo. 

Penitet  et  facto  torqueor  ipse  meo. 

L.    Stultus  est,  qui  venie  spem  post  mortem  querit; 

95  Locus  penitentie  post  decessum  perit. 

Lugeat  cotidie,  qui  peccata  gerit; 

Qui  non  est  hodie,  cras  minus  aptus  erit. 

D.  Lazare  sanete,  venu  miser  ad  penas  ego  veni. 
Me  miserum  leni  digiti  moderamine  lenil 

100     L.    Non  potes  exire,  quia  debes  iure  perire. 

Nee  miebi  fas  ire,  tibi  non  licet  inde  redire. 

Ardeat  hie  igne  tua  lingua  locuta  maligne! 
Torquetur  digne.     Salve,  pater,  oro  benigne. 

81  Et  B.  nunc  darum  ß,  besser  vielleicht:  nunc  carum:  es  kommt 
mir  jetzt  teuer  zu  stehn.     R.  82  Sat  B.     nie  fehlt  B.  83  mundi 

domine  sunt  B.  84  Pongunt  E.     quem  fehlt  B.     post  hec  summa  cä  B. 

86  ades  E:  ardet?  In  B  heifst  der  vers:  Quia  nimis  inhras  et  es, 
was  etwa  hinführen  würde  auf  inhias  et  est.  wahrscheinlicher  ist  mir, 
dass  v.  87  interpolirt  wurde  von  einem  Schreiber,  der  nicht  erkannte,  dass 
die  Strophe  durch  v.  84  vervollständigt  wird:  der  inlerpolator  vergafs 
aber  in  v.  86  die  2  person  (ades  oder  es)  zu  ändern,  auch  der  gehäufte 
reim  divicias  verdächtigt  v.  87.     R.  89  =  Disticha  Catonis  4,  1 

90  male  E.  91  culpa  E.  93  torqueo  B.  95  pfiie  E,  in- 

dulgencie  B.     descessum  B.  97  minus]  nunquam  B.  99  leni  (1)] 

leui  B.     leni  (2)]  letij  E.  100  exire]  exues  B.     Cur  petis  huc  ire.  cum 

possis  igne  perire  E.  102.  103  fehlen  in  B.  102  hs  E. 


DYALOGUS  DE  DIVITE  ET  LAZARO  261 

D.   Ha  quid  agam !  morior  miser  ego  reusl 

Mon  est  dolor  gravior,  quam  sit  dolor  meus. 

In  inf'erno  crucior  tamquam  pharizeus. 

Parce  mihi,  senior,  tu  mihi  parce,  deus! 

104  Heu  mihi  quid  faciam  miser  B.  105  sit]  est  B.  10H  crü- 

tior  E.     tamquam]  celo  E.  107  senior  parce  mihi  deus  B. 

Die  vorstehende  dichtung  habe  ich  aus  dem  ms.  547  der  stadt- 
bibliothek  zu  Brügge  abgeschrieben,  der  von  Laude  Catalogue  des 
manuscrits  de  la  bibliotheque  publique  de  Bruges  1859  s.  485  ge- 
nauer beschriebene  codex  (B)  ist  im  1  bjh.  im  Benediktinerkloster  Ouden- 
burg  bei  Ostende  entstanden  und  enthält  auf  seinen  127  quart- 
blättern ua.  den  Floretus  und  den  Liber  de  contemptu  mundi  des 
Johannes  de  Garlandia  und  die  komödie  Amphitrio  s.  Geta.  den 
dialog  zwischen  dem  zur  hölle  fahrenden  reichen  und  dem  schon 
im  Himmel  angelangten  Lazarus  kann  man  nicht  zu  den  dramati- 
schen bearbeitungen  der  biblischen  erzählung  Luc.  16,  19  rechnen; 
denn  er  beschränkt  sich  auf  die  rhetorische  ansmalung  des  con- 
trastes  zwischen  irdischer  mühsal  und  himmlischer  ent Schädigung, 
zwischen  dem  wolleben  des  selbstsüchtigen  schlemmers  und  seiner 
strafe  im  jenseits,  dabei  hat  die  freiheit  des  gedankenganges  und 
die  klarheit  des  ausdruckes  oft  unter  dem  zwange  der  künstlichen 
form,  einer  Zusammensetzung  von  rhythmischen  und  quantitier en- 
den versen,  gelitten,  es  wechseln  zwei  verschiedene  Strophen  mit 
einander,  die  erste  besteht  aus  drei  trochäischen  dreizehnsilblern 
(7  +  6,  sogenannte  'vagantenzeile')  mit  zweisilbigem  reim  in  der 
mitte  und  am  Schlüsse  ans  einem  hexameter ,  der  durch  einfachen 
oder  doppelten  reim  mit  jenen  verbunden  ist,  also  nach  mittelalter- 
licher bezeichnung*  zu  den  'eaudafi'  oder  'collaterales'  gehört;  vier- 
mal (v.  72.  93.  97  und  105)  ist,  ein  pentameter  dafür  eingetreten, 
der  gleichfalls  doppelten  reim  aufweist,  die  zweite  strophenart  setzt 
sich  aus  zwei  hexamelern  zusammen,  die  vor  der  cäsur  und  am 
Schlüsse  den  gleichen  reim  haben  (nnisoni  oder  uniformes),  nennt 
man  die  erste  vierzeilige  Strophengattung  a  und  die  andere  zwei- 
silbige h,  so  kommt,  worauf  mich  GBoethe  besonders  aufmerksam 
macht,  folgendes  interessante  Schema  für  den  aufbau  des  gedichtes 
heraus: 

2a    21»    2a    21»    2a    2h    2a    2h 

6  a    6  h 

3a2    31» 

1  a 

1  //  Meyer  Sitzungsberichte  der  Miinehener  academie,  philo*.- hittor. 
ct.  lSTIi,  1,  74/. 

-  Irfir  erste  der  3  9-slrophen  bestünde  aus  den  vv.  v..  86.  sv  89,  /•'. 

Berlin.  JOHANNES  BOLTE. 


105 


262  DYALOGUS  DE  01V1TE  ET  LAZARO 

[erst  während  des  drucket  bemerkte  ich,  aufmerksam  gemacht  durch 
Chevaliers  Repertorium  hymnologicum,  dessen  bekanntschaf't  ich  WMeyers 
oft  bewährtein  rate  danke,  dass  Paul  Meyer  in  den  Archive«  des  missions 
scientifiques  et  litleraires ,  «er.  n,  t.3,  p.  295  aus  der  hs.  des  brit.  mus. 
Eg ertön  274  den  an  fang  des  obigen  gedichls  mitgeteilt  hat.  diese  hs. 
(ende  des  13,//w.)  ist  der  Briigger  (B)  offenbar  überlegen:  sie  heilt  fast 
alle  Verderbnisse  von  B  und  zeigt  nur  in  den  vv.  86.  87  einen  gemein- 
samen fehler,  ihr  Inhalt  macht  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  unser  gedieht 
auf  französischem  boden  entstanden  ist,  wofür  wol  auch  das  widerholte 
senior  (seigneur)  angeführt  werden  kann,  mit  freundlicher  Zustimmung 
Bulle's  habe  ich  noch  in  letzter  stunde  das  Egerton-ms  (E)  für  te.cl 
ujid  tesarten  verwertet  und  bin  also  für  die  textgestaltung,  soweit  sie  — 
imd  das  ist  fast  durchweg  der  fall  —  auf  E  beruht,  allein  verantwortlich, 
eine  abschrift  von  E  danke  ich  der  vermittelung  dr  Rv Fleischhackers, 
auch  in  den  geringen  orthographischen  differenzen  der  beiden  hss.  muste 
ich  mich  der  älteren  hs.  E  anschliefsen;  doch  habe  ich  gleichgiltige  eigen- 
heiten,  wie  zb.  den  ungeregelten  Wechsel  zwischen  v  und  dem  überrviegen- 
den  u  nicht  copiert.  die  abkürzungen  wurden  auch  in  den  Varianten 
tunlich  aufgelöst.     R.J 


FRISCH. 

Für  das  adjeetivum  'frisch'  ist  eine  befriedigende  etymologie 
bisher  nicht  gefunden,  und  namentlich  entbehrt  der  Zusammen- 
hang von  ahd.  frisc  mit  ahd.  friscing,  als  so  selbstverständlich  er 
meist  hingenommen  wird,  der  erklärung.  in  der  regel  setzt  man 
wol  frisc  =  'jung',  friscing  =  'junges  tier'  an ,  aber  beide  be- 
deutungen  sind  erst  jüngeren  Sprachperioden  entnommen,  und 
schief  ist  auch  die  (durch  nhd.  frischling  geförderte)  ansieht,  als 
sei  friscing  eine  patronymische,  deminutive  bildung,  in  der  also 
das  jugendliche  gevvissermafsen  doppelt,  durch  den  alten  wort- 
stamm und  die  ableitungssilbe  ausgedrückt  sei. 

Im  gotischen  ist  gilstr  'Zahlung,  abgäbe',  während  die  alter- 
tümlichere bedeutung  'opfer'  bei  ahd.  gelstar  erhalten  ist.  das  opfer 
wird  als  eine  abgäbe  aufgefasst,  oder  richtiger:  es  ist  die  älteste 
form  der  abgäbe,  so  dürfen  Wortbildungen,  wie  sie  für  'Zahlungs- 
mittel' in  gebrauch  sind,  auch  für  'opfergaben'  vorausgesetzt  werden: 
friscing  ist  eine  bildung  wie  penning,  scilling,  cheisuring. 

Nun  lassen  unsere  älteren  quellen  für  friscing  eine  be- 
schränkung  auf  das  'tierjunge'  keineswegs  erkennen:  die  zahl- 
reichen beispiele  bei  Graff  in  832  geben  als  Übersetzung  vor- 
wiegend 'victima',  'hoslia',  'holocaustum',  vereinzelt  'pascuarius', 
'vervex',  'ovis  occisionis'.  in  der  mehrzahl  der  fälle  und  durch- 
weg bei  den  compositis  ophar  friscing,  slaht friscing,  östarfriscing  usw. 
ist  das  biblische  Opferlamm  oder  das  paschalamm  gemeint,  das 
bekanntlich  ein  1  jähriges  Jungtier  (Ex.  12,  5)  war,  kein  tier- 
junges, wie  wir  es  unter  nhd.  frischling  verstehn.  und  auch 
nachdem  der  begriff  des  'opfertieres'  längst  von  dem  des  'zins- 
tieres'  verdrängt  und  das  schwein  der  wichtigste  repräsentant  der 
naturalienabgaben    geworden    war,    ward   der   friscing   vom   por- 


FRISCH  263 

cellus  oder  l'erkel  uoch  deutlich  geschieden:  man  sehe  bei  Uu- 
cange  (ed.  Favre)  3,  611  nach,  wo  eine  sehr  hübsche  Stellen- 
sammlung die  jüngere  geschiente  des  wortes,  von  der  Karolinger- 
zeit bis    in    das   lehnwort  frezange  hinab    zu  verfolgen    gestattet. 

Der  friscing  war  ein  Jungtier  'absque  macula':  das  alter  er- 
gab sich  aus  der  bestimm ung  als  selbstverständlich,  im  worte 
selbst  war  davon  nichts  enthalten,  denn  frisc  heilst  selbst  auf 
jüngeren  sprachstufen  nur  selten  und  im  nebensinne  'iuvenis, 
adolescens',  die  hauptbedeutung  ist  'recens',  und  es  wird  schwer- 
lich zufall  sein,  wenn  die  beiden  einzigen  beispiele,  welche 
Graf!  in  832  für  das  adjeetivum  bietet,  zur  Übersetzung  einmal 
von  'crudus'  und  das  andere  mal  von  'recens  (caro)'  dienen,  der 
grundbegriff  des  'unberührten'  hat  sich  bei  dem  deutschen  worte 
wie  bei  dem  romanischen  lehnworte  frz.  frais,  it.  fresco  trotz 
allen  seitentrieben  der  bedeutung  bis  heute  erhalten  und  durch 
composita  wie  'taufrisch',  'morgenfrisch',  'blühtenfrisch'  wird 
er  immer  von  neuem  auferweckt,  es  ist  sehr  wahrscheinlich, 
dass  diese  bedeutung  sich  direct  vom  opfer  herschreibt:  frisc 
fleisc  ist  ursprünglich  das  fleisch  des  opfertieres,  des  gehegten, 
unter  religiösen  brauchen  geschlachteten  viehes ,  im  gegensatz  zu 
dem  fleisch  des  geheizten,  mit  spiefs  oder  pfeil  erlegten  tieres. 
das  wort  'frisch'  weist  uns  also  in  eine  urferne  Vergangenheit 
zurück,  wo  der  Germane  im  täglichen  haushält  keinen  anderen 
tleischgenuss  als  wildbret  kannte,  während  'frisches  fleisch'  auf 
die  opfermahlzeiten  beschränkt  blieb. 

Hängt  nun  friscing  unzweifelhaft  und  frisc,  von  dem  es  ab- 
geleitet ist,  sehr  wahrscheinlich  mit  dem  alten  opferbrauch  zu- 
sammen, so  ist  es  nicht  schwer,  eine  etymologie  zu  finden,  das 
opfertier  ist  das  reingehaltene,  geschonte,  gehegte;  das  weist  uns 
von  selbst  auf  die  bekannte  idg.  Wurzel  pri  zurück,  die  wir  in 
frijön  und  anderen  Wörtern,  mit  einer  dentalableituug  in  germ. 
fripus,  got.  freidjan,  an.  fridr  antreffen,  mag  man  nun  direct  von 
pr*  ausgehn,  oder,  das  zweifelhafte  sto-suffix  meidend,  lieber  mit 
Wurzelerweiterung  prit-kos^>  friskaz  als  grundform  ansetzen', 
die  bildung  bietet  keine  Schwierigkeiten,  und  als  bedeutung  von 
'frisch'  ergibt  sich:  'gehegt,  geschont,  unberührt.' 

Ich  habe  die  formen  und  bedeutungen  des  altenglischeu, 
sächsischen  und  friesischen  bei  seite  gelassen,  da  sie  zur  ent- 
scheidung  über  die  abkunft  des  wortes  und  seinen  ältesten  sinn 
nichts  mithelfen,  im  gotischen  fehlt  es,  ins  nordische  scheint 
es  als  ferskr  erst  im  15  jb.  aus  dem  niederdeutschen  einzu- 
dringen, dass  unser  adjeetivum  dem  ostgermanischen  von  haus 
aus  fremd  war,  ist  damit  nicht  gesagt,  aber  möglich  erscheint 
es  darum,  weil  die  beiden  dialecte  eine  andere  ableitung  der 
gleichen    wurzel    kennen,    welche   die   gleichen    bedeutungsfiinc- 

1  das  n.  pr.  Frisco  (Piper  n  246,  40)  ist  schwerlich  ein  vom  adj.  fri.se 
genommenes  agnomen,  sondern  sogut  wie  Fricco  koseform  zu  Frißu  . 


264  DIE  HERKUNFT  DEH    HER1MAN'. 

tioneu  versieht:  au.  fridr  (got.  *freips)  zu  dem  sich  got.  freidfan 
ganz  ähnlich  verhält,  wie  unser  'schonen'  zu  'schön'.  Kluge 
hat  widerholt  (PBBeitr.  8,  526,  Nom.  Stammbildungslehre  §  222) 
auf  die  eigentümliche  doppelheit  der  bedeutung  von  an.  fridr 
hingewiesen:  1)  'schön',  2)  'in  naturalien  bezahlt',  wenn  wir 
nun  an  die  nicht  nur  möglichen,  sondern  vielfach  bezeugten  be- 
deutungen  von  frisc  —  friscing  denken:  'schön'  —  'naturalien- 
abgabe',  so  ist  es  nicht  nötig,  zu  zwei  verschiedenen  wurzeln 
seine  Zuflucht  zu  nehmen,  aus  der  sphäre  des  Opfers  würdeu 
sich  beide  bedeulungen  recht  wol  ableiten  lassen:  1)  gehegt 
=  schön,  2)  gehest  =  geweiht,  denn  der  bedeutung  'bezahlt' 
liegt  die  bedeutung 'geweiht' oder,  'geopfert'  f  voraus:  es  ist  die- 
jenige, welche  für  namen  wie  Asfrietr  (>>  Astridr,  Hoffoiy  Arkiv 
1,  38  lf)  anzusetzen  ist.  über  die  Stellung  des  griech.  TtQiao&cti 
zur  wurzel  pri  'hegen',  'lieben'  halte  ich  das  urteil  zurück,  fürs 
germanische  brauchen  wir  gewis  keine  zweite  wurzel  anzusetzen. 
Marburg.  EDWARD  SCHRÖDER. 


DIE  HERKUNFT   DER  'HERIMAN'. 

(ZU  ZS.  35,  172  f.) 

Zu  den  von  Mommsen  angeführten  quellen  über  den  persi- 
schen krieg  vom  jähre  575,  in  dem  der  kaiserliche  neffe  Justi- 
nian  die  stelle  des  obei feldherrn  bekleidete,  tritt  noch  einer 
der  wichtigsten  autoren  für  die  geschichte  Ostroms  unter  Justin  n, 
Johannes  von  Ephesus.  dessen  Kirchengeschichte,  abgefasst  in 
syrischer  spräche,  bietet  in  ihrem  dritten,  von  Cureton  (Ox- 
ford 1853)  herausgegebenen  teile  zwar  nur  ein  verwirrtes  bild 
von  dem  kriege  in  Armenien,  enthält  aber  eine  für  uns  wichtige 
bemeikuug  über  die  Stammeszugehörigkeit  der,  wie  Euagrius 
sagt,  jenseil,  der  Alpen  angeworbenen  auserlesenen  hilfstruppeu 
des  Justinian.  die  eiuwohner  der  stadt  Tela  antworten  dem  sie 
belagernden  Perser  Adarm'hün:  'wir  können  sie  (unsere  ge- 
sandten) euch  jetzt  nicht  übergeben,  weil  wir  briefe  erhalten 
haben,  dass  der  Patricius  Justinian  ausgezogen  ist,  um  (hierher) 
zu  kommen,  und  dass  60  000  Longo  bar  den  bei  ihm  sind' 
(vi  13;  Cureton  s.  378,  Übersetzung  von  Schönfelder,  München 
1862,  s.  241).  wir  sehen  also  Mommsens  Vermutung  aufs  schönste 
bestätigt  und  können  nun  mit  Sicherheit  sagen,  dass  das  wort 
heriman  bei  den  Langobarden  gehört  wurde;  freilich  nicht  in 
dieser  gestalt.  denn  auch  viel  später  noch  kennen  die  Lango- 
barden keinen  z'-umlaut;  dieser  muss  vielmehr,  wie  Schröder 
bereits  vermutet  hat,  auf  die  rechnung  des  westgotischen  chro- 
nisten  gesetzt  werden. 

Bonn  im  Januar  1891.  KOSSINNA. 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  REO  WULF  265 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF. 

Der  vorliegende  aufsatz  will  den  nachweis  erbringen,  dass 
man  zu  der  annähme  von  sachlichen  Widersprüchen  im  Reowulf 
meistens,  vielleicht  immer  durch  unrichtige  Interpretation  der  be- 
treffenden stellen  oder  durch  verkennung  von  stilistischen  eigen- 
heiten  der  dichtung  gelangt  ist.  auch  nach  den  Schriften  von 
Hornburg  (Die  composition  des  Reowulf,  progr.  des  Metzer  lyceums 
von  1877)  und  Röuning  (Reovulfs-kvadet,  Kopenhagen  1883)  er- 
scheint eine  arbeit  wie  die  unsere  nicht  zwecklos,  denn  diese 
abhandlungen  enthalten  neben  manchen  richtigen  beobachtungen 
auch  vieles  falsche,  sodass  ihnen  ein  merkbarer  erfolg  ver- 
sagt blieb. 

Uns  kommt  es  vor  allem  darauf  an,  tatsachen  richtig  zu 
stellen;  dagegen  haben  wir  hier  keine  veranlassung,  uns  mit  der 
entstehung  des  Reowulf  zu  beschäftigen,  den  Vertretern  der 
einheitstheorie  wird  es  erwünscht  sein,  ihren  gegnern  ein  argu- 
ment  weggenommen  zu  sehn ,  die  anhänger  der  liedertheorie  er- 
halten einen  beitrag  zur  Charakteristik  ihres  redactors,  der,  wenn 
unsere  ausführungen  richtig  sind,  ein  besonnenerer  mann  ge- 
wesen sein  muss,  als  man  sonst  annimmt,  unsere  persönliche 
meinung  in  der  ganzen  Streitfrage  geht  dahin ,  dass  einerseits  die 
stärksten  Widersprüche  in  sachlicher  beziehuug  kein  absolutes 
kriterium  für  verschiedene  Verfasser  sind,  dass  aber  anderseits 
ein  gedieht  auch  ohne  directe  Widersprüche  recht  wol  von  mehreren 
herrühren  kann,  was  den  Reowulf  im  besonderen  betrifft,  so 
glauben  wir,  dass  sich  die  einzelnen  lieder  niemals  werden  her- 
ausschälen lassen  und  dass  mit  einer  einzigen  ausnähme  keine 
überzeugenden  Schlüsse  auf  frühere  bearbeitungen  gezogen  werden 
können,  diese  ausnähme  betrifft  das  sogenannte  zweite  abenteuer. 
dieses  scheint  uns  allerdings  durch  eine  ältere  darstellung,  nach 
der  Reowulf  mit  Grendel  im  wasser  kämpfte,  beeinflusst  oder  aus 
ihr  hervorgegangen. 

Es  ist  oben  gesagt  worden,  dass  man  entweder  durch  un- 
richtige Interpretation  oder  durch  verkennung  stilistischer  eigen- 
tümlichkeiten  des  gedieh ts  zu  der  annähme  von  Widersprüchen 
gekommen  ist.  es  bedarf  zum  voraus  einiger  worte  darüber,  wie 
wir  dies  nachweisen  wollen,  dass  eine  interpretation  unrichtig 
Z.  F.  D.  A.     XXXV.    N.  F.    XXIII.  18 


266  DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWÜLF 

ist,  wenn  sie  unmöglich  ist,  versteht  sich  von  selbst;  aber  auch 
wo  neben  einer  möglichen,  welche  die  annähme  eines  Wider- 
spruchs mit  sich  bringt,  eine  andere  mögliche  vorhanden  ist,  bei 
der  diese  annähme  wegfällt ,  ist  die  letztere  interpretation  zu  be- 
vorzugen, so  halt  man  es  bei  gedichten,  über  deren  verf.  kein 
zweifei  möglich  ist,  und  eine  besonnene  kritik  hat  die  aufgäbe,  bei 
namenlos  überlieferten  litteraturwerken  nach  derselben  methode 
zu  verfahren  wie  bei  anderen,  durch  unsere  erörterungen  über 
den  stil  des  Beowulf  werden  wir  freilich  diejenigen  nicht  über- 
zeugen, welche  a  priori  zu  wissen  glauben,  wie  ein  altenglisches 
gedieht  beschaffen  sein  müsse,  hier  kann  nur  durch  den  nach- 
weis  geholfen  werden,  dass  die  übrige  altengl.  poesie  dieselben 
eigentümlichkeiten  hat,  wie  der  Beowulf.  dazu  wird  uns  hoffent- 
lich ein  anderes  mal  die  gelegenheit  werden,  freilich  vollkom- 
mene Übereinstimmung  wird  auch  hier  niemand  voraussetzen 
können,  anders  schreibt  wer  nach  einer  schriftlichen  quelle, 
anders  wer  nach  mündlicher  Überlieferung  dichtet,  anders  wer 
unter  dem  stilistischen  einfluss  einer  fremden,  anders  wer  nur 
unter  dem  der  nationalen  litteratur  steht. 

Die  Widersprüche  behandeln  wir  in  der  reihenfolge,  wie  sie 
Heinzel  in  der  recension  des  Rönningschen  buches  Anz.  10,  234  f 
aufgezählt  hat.  sie  sind  dort  am  übersichtlichsten,  ohne  ver- 
mengung  mit  anderen  fragen,  vorgeführt,  auch  hatten  wir  so 
einen  mafsstab  dafür,  was  Rönning  uns  noch  zu  tun  übrig  ge- 
lassen, was  sonst  noch  von  belang  vorgebracht  worden  ist,  findet 
am  schluss  seine  erledigung. 

1)  Man  hat  zwischen  1564 — 1591  und2138ff  einen  Wider- 
spruch sehn  wollen,  nach  der  ersteren  stelle  schneideBeowulf  dem 
toten  Grendel  das  haupt  ab,  nach  der  späteren  seiner  mutter. 

Nun  ergibt  sich  aber  aus  den  vv.  1564 ff  ganz  klar,  dass  auch 
Grendels  mutter  enthauptet  wurde:  B.  schlägt  mit  dem  riesen- 
schwerte  gegen  Grendels  mutter,  sodass  dieses  sie  am  halse  trifft, 
die  halswirbel  zerschneidet  und  ganz  durchfährt1,    hält  man  daran 

1  wenn  ten  Brink  Beowulf  s.  80  bemerkt:  'freilich  hat  der  held  auch 
dem  meerweib  den  köpf  abgehauen,  allein  dies  ist  uns  1565 — 1568  zwar  deut- 
lich genug,  jedoch  nicht  mit  dürren  Worten  gesagt',  so  können  wir  nur  auf 
seine  eigenen  worte  s.  144  anm.  hinweisen:  'was  verlangt  man  denn  eigent- 
lich von  einem  dichter?  dass  er  zähle  und  messe,  wo  es  ihm  nur  darauf 
ankommt,  einen  möglichst  starken  eindruck  hervorzurufen?'.  —  übrigens 
sei  auch  daran  erinnert,   dass  810  —  819  ebenso  wenig  'mit  dürren  worten 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  REOWULF  267 

fest,  so  bleibt  nur  noch  zweierlei  aufzuklären:  warum  nimmt 
R.  das  haupt  Gr.s,  nicht  das  seiner  mutter  mit  sich?  und  ferner: 
warum  erwähnt  er  die  enthauptung  Gr.s  in  seinem  berichte  vor 
Hygelac  nicht? 

Zur  erklärung  des  ersteren  müssen  wir  auf  861  ff  zurück- 
gehn:  aus  diesen  versen  geht  ganz  unzweideutig  hervor,  dass 
R.  nicht  zufrieden  ist,  dass  ihm  Gr.,  wenn  auch  tötlich  ver- 
wundet, entfloh,  sondern  dass  er  wünschte,  Hrodgar  mehr  als 
Gr.s  arm  zeigen  zu  können,  immerhin  aber  bleibt  den  Dänen 
der  arm  als  siegestrophäe;  er  wird  denn  auch  würklich  an  einem 
platze,  wo  er  von  allen  leicht  gesehn  werden  konnte,  angebracht. 
nun  kommt  Gr.s  mutter  und  nimmt  diese  trophäe  mit  sich  (1303  f). 
was  ist  da  natürlicher,  als  dass  R.,  wenn  er  Gr.  liegen  sieht,  ein 
neues,   noch  beweisenderes  Siegeszeichen  sich  holt?1 

Man  hat  eingeworfen :  wozu  das ,  da  alle  über  Gr.s  tod  be- 
ruhigt sind  (so  zb.  Schneider  s.  7)?  man  hat  diesen  zug  eines 
helden  unwürdig  gefunden  und  dgl.  mehr,  nun  wäre  ja  gewis 
die  handlung  vereinfacht  worden,  wenn  R.  das  haupt  der  mutter 
mitgebracht  hätte;  allein  man  erwäge  doch  die  Situation:  R.  sieht 
Gr.;  sofort  erwacht  ihm  die  erinnerung  an  all  das  unheil,  das 
jener  über  die  Dänen  gebracht,  und  er  schlägt  aus  wut  auf 
ihn  los  (1577  ff;  rede  cempa  1586;  vgl.  auch  1670  f).  dass  er 
damit  und  mit  dem  vorweisen  von  Gr.s  haupt  einem  wünsche 
des  königs  entgegenkommt,  zeigt  dessen  rede  1770  ff;  hier,  nach- 
dem er  nochmals  in  drastischer  weise  das  ungeheure  unglück, 
das  Gr.  über  ihn  gebracht,  durch  contrastierung  mit  seinem 
früheren  glücklichen  zustande  hervorgehoben,  ruft  er  aus:  'Pas 
sig  metode  panc  —  pces  pe  ic  ort  aldre  gebdd,  pcet  ic  on  pone 
hafelan  heorodreorigne  ofer  eald  gewin  eagum  starige!' 

Ganz  anders  verhält  es  sich  mit  Gr.s  mutter,  gegen  die  auf 
seite  Hrodgars  kein  so  lange  aufgestapelter  hass  vorliegt;  auch 
ist  zu  erwägen,  dass  die  Dänen  an  der  tatsache,  dass  auch  Gr.s 
mutter  nun  tot  sei,  kaum  zweifeln  können;  sonst  wäre  R.  nicht 
in  der  läge  gewesen ,  Gr.s  haupt  und  die  hilze  vorzuweisen. 
gesagt  ist',  dass  B.  Grendel  den  arm  ausgerissen  hat;  und  doch  zählt  ten 
Brink  die  verse  zum  ursprünglichen  bestände  von  A;  ähnlich  ist  es  ferner, 
wenn  2691  ff  die  tatsache,  dass  B.  verwundet  wurde,  nur  aus  den  folgen 
der  Verwundung  zu  erschliefsen  ist. 

1  ähnlich  schon  Hornburg  s.  27;  was  Schneider  dagegen  s.  7  vor- 
bringt ist  nicht  von  belang. 

18* 


268  DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF 

Es  erübrigt,  den  zweiten  punct  aufzuklären:  für  die  Geaten 
kommen  die  rachegefühle  gegen  Gr.,  die  wir  oben  für  die  Dänen 
geltend  gemacht  haben ,  natürlich  nicht  in  betracht.  es  genügt 
daher  vollkommen,  wenn  B.  in  seiner  'kurzen,  mehr  referierenden 
als  darstellenden  erzählung'1  (ten  Brink  s.  123)  den  tod  Gr.s  er- 
wähnt, was  in  den  vv.  2098b  und  2120b  auch  geschieht;  natür- 
lich muste  die  tötung  der  mutter  noch  folgen,  und  dies  geschieht 
durch  den  gegenüber  1 566  ff  jedesfalls  kurzen  ausdruck  heafde 
becearf  (2139). 

2)  2683  ff  sollen  in  Widerspruch  stehn  mit  früheren  be- 
schreibungen  von  Beowulfs  kämpfen;  denn  hier  werde  gesagt, 
dass  B.  so  stark  war,  dass  er  alle  Schwerter  zerbrach,  während 
er  sich  sonst  des  Schwertes  bedient,  wäre  die  stelle  würklich 
so  zu  verstehn,  wie  es  gewöhnlich  geschieht,  so  wäre  der  Wider- 
spruch allerdings  unleugbar,  denn  1)  Beowulf  kämpft  glücklich 
mit  einem  schwert  gegen  die  meerungetüme  555  ff,  gegen  Grendels 
mutter  mit  dem  riesenschwert  1558  ff,  gegen  feinde  im  krieg 
2491—2493;  vgl.  auch  2499—2501.  2)  er  kämpft  mit  der  faust, 
sagt  aber  dabei  nicht,  dass  er  nicht  mit  dem  schwert  kämpfen 
könne ,  sondern  gibt  andere  gründe  oder  gar  keine  an  433  ff. 
678  ff.  2507  ff;  vgl.  auch  2519  ff.  3)  ein  schwert  versagt  ihm, 
ohne  aber  zu  zerbrechen:  Hrunting  1523  ff  (vgl.  1808 ff),  Nseg- 
ling  2578.  4)  er  bekommt  von  Hygelac  ein  wertvolles  schwert 
2191.  endlich  müste  man  auch  die  schliefsliche  erlegung  des 
drachen  durch  das  sachs  als  im  Widerspruch  mit  2683  ff  stehend 
auffassen;  denn  an  der  stelle,  die  gewöhnlich  als  allgemeiner 
satz  verstanden  wird,  ist  zunächst  nicht  nur  von  Schwertern, 
sondern  überhaupt  von  irenna  ecge  die  rede,  allein  es  ist  eben 
falsch,  die  worte  allgemein  zu  fassen,  wir  setzen  der  deutlich- 
keit  halber  die  stelle  her: 

Hirn  poet  gifede  ne  toces, 
poet  htm  irenna  ecge  mihton 
helpan  cet  hüde;  wces  sio  hond  tö  strong, 
se  pe  meca  gehwane  mine  gefrcege 
swenge  ofersöhte,  ponne-  he  tö  scecce  bar 
wcepen  wundrum  heard,  nces  htm  wihte  pe  sei. 

1  vgl.  ß.s  eigene  worte  2094.  in  ähnlicher  weise  kürzt  B.  seinen 
bericht  959  ff,  indem  er  die  tötung  des  Hondscio  (740  ff)  übergeht. 

2  oder  pone  nach  Bugge  Beitr.  12,  105. 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  REOWULF  269 

wol  durch  das  wort  gifede  verleitet,  hat  man  in  den  versen  den 
sinn  gesucht,  dass  Reowulf  überhaupt  kein  schwertkämpfer 
gewesen  sei !  allein  gifede  kann  auch  von  einem  speciellen  falle 
gebraucht  werden ,  zb.  Reowulf  555  f  hwcedre  me  gyfede  weard, 
poet  ic  aglcecan  orde  gerd'hte;  vgl.  auch  8191'.  2492  uö. 

Und  nun  erwäge  man  noch  folgendes:  wie  stellt  man  sich 
vor,  dass  ein  schwert  durch  die  stärke  dessen,  der  es  führt,  zer- 
brochen werden  soll?  wenn  man  nicht  eine  kolossale  Übertreibung 
annehmen  will,  der  zu  folge  schon  das  schwingen  in  der  luft 
genügen  würde,  so  kommt  man  notwendig  zu  der  auffassung, 
dass  die  klinge  dann  zerbrechen  wird,  wenn  sie  mit  übergrofser 
gewall  auf  einen  körper  geschlagen  wird,  der  härter  ist  als  sie, 
in  den  sie  nicht  einzudringen  vermag,  kann  diewaffedas  hindernis 
zerschneiden,  dann  wird  sie  auch  nicht  zerbrechen,  wollte  man 
nun  die  meinung  aufstellen,  dass  Reowulf  durch  seine  stärke 
jedes  schwert  zerbrochen  habe,  so  würde  man  damit  behaupten, 
dass  er  jedesmal  auf  undurchdringliche  gegenstände  losgeschlagen 
habe,  auch  das  macht  es  unwahrscheinlich,  dass  die  verse2683ff 
so  aufgefasst  werden  dürfen ,  wie  es  gewöhnlich  geschieht,  die 
stelle  ist  wol  so  zu  interpretieren:  'ihm  war  es  nicht  beschieden, 
dass  ihm  das  eisenschwert  (Neegling,  ecg  =  schwert,  wie  2141) 
in  (diesem)  kämpfe  helfen  konnte;  denn  seine  band  war  zu 
stark,  die  ein  jedes  schwert,  soweit  ich  erfuhr,  im  schwung 
überanstrengte  usw.';  dh.  Reowulf  schlug  vermöge  seiner  kraft 
immer  stärker  drein  als  es  nötig  war;  er  strengte  das  schwert 
nutzlos  (nces  hm  wihte  pe  sei)  an;  aber  zerbrechen  konnte  es 
dabei  nur,  wenn  es  auf  einen  härteren  körper  stiefs.  ein  solcher 
fall  lag  hier  vor;  denn  R.  trifft  den  drachen  offenbar  auf  das  haupt: 
deshalb  zerbrach  Naagling1.  also  die  allgemeine  bemerkung 
über  Reowulfs  Verhältnis  zum  schwertkampf  beginnt  erst  mit  wces 
sio  hond  tö  strong;  die  vorhergehenden  verse  beziehen  sich  nur 
auf  den  kämpf  mit  dem  drachen.  damit  entfällt  auch  der  Wider- 
spruch mit  den  oben  angeführten  stellen. 

3)  In  v.  3031  — 3076  soll  der  drachenhort  auf  freiem  feld 
liegend  gedacht  sein ,  während  er  nach  anderen  stellen  in  einer 
bohle  liegt. 

Allein  es  ist  entschieden  in  abrede  zu  stellen,  dass  niii  den 

1  diese  erfahrung  wird  von  Wiglaf  genutzt;  er  schlägt  den  drachen 
2700  niottor  hwene. 


-270  DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF 

versen  3048  ff  der   ganze    schätz    gemeint    ist.     dagegen    spricht 
3050  f:  swä  hie  wid  eordan  fcedm 

püsend  wintra    pcer  eardodon. 
hier  wird  deutlich  gesagt,  dass  die  dinge,  von  denen  die  rede  ist, 
früher  im  schofse  der  erde  geruht  hatten,    das  pckr  3051  spricht 
nicht  dagegen,     es  bedeutet   'dort,    in   der  gegend'    vom   stand- 
punct   des  dichters  aus.     die    bunan  and   orcas,   discas   sind    die 
kleinode,  die  Wiglaf  aus  der  höhle  herausgeschafft  hat: 
v.  2774  Pd  ic  on  hlcewe  gefrcegn  hord  reafian, 
eald  enta  geweorc  dnne  mannan, 
him  on  bearm  hladan  bunan  and  discas. 
wenn  ein  Widerspruch  vorhanden  ist,  so  kann  er  nur  darin  be- 
stehn,  dass  Wiglaf  2777    auch  ein  segn  genommen  hat,  während 
3049  f  von  Schwertern  die  rede  ist.    allein  es  ist  sehr  wol  mög- 
lich, dass  hier  etwas  nachgetragen  ist,  was  nach  unserer  modernen 
empfindung  früher  hätte  erzählt  werden  sollen,    analog  ist  es,  wenn 
B.  Hunferd   den  Hrunting  zurückgibt,  ohne  dass  erzählt  wurde, 
dass   er   ihn    aus  der  tiefe   heraufgebracht  hatte1;     vgl.    Heinzel 
Anz.  10,224. 

Rönuing  nimmt  übrigens,  was  Heiuzels  bemerkung  s.  234 
nicht  erkennen  lässt,  an  dieser  stelle  einen  anderen  Wider- 
spruch an.  aber  entschieden  mit  unrecht,  er  meint,  dass  der 
d räche,  der  nach  3040  on  wonge  liegt,  gleich  darauf  sammt  den 
schätzen  in  die  höhle  versetzt  wird,  zu  dieser  auffassung  ge- 
langt R.  durch  eine  falsche  Interpretation  der  vv.  3044  ff.  er 
glaubt,  die  verse  könnten  keinen  rückblick  auf  die  zeit  ent- 
halten, da  der  drache  abwechselnd  in  den  lüften  herumflog 
und  sich  in  seiner  höhle  aufhielt,  denn  es  heifse:  wces ßä  deade 
fcest  'og  pd  vil  kun  kunne  forstäs,  hvis  de  foregäende  linjer 
lortolkes  säledes,  at  dragen,  efter  at  vaere  säret  af  Beovulf ,  kreb 
ned  i  hulen'. 

Allein  3046  f  ist  nur  eine  der  oftmals  widerkehrenden  be- 
teuerungen,  dass  der  drache  jetzt  tot  ist.  vgl.  v.  2772 f.  2778 ff. 
2825  ff.    besonders  die  beiden  letzten  stellen  sind  zum  vergleich 

1  dass  das  segn,  wenn  auch  3049  f  nicht  wider  erwähnt,  doch  auch 
weiterhin  auf  dem  felde  befindlich  gedacht  wird,  geht  aus  3125  f  deutlich 
hervor:  dieser  stelle  zufolge  brauchen  die  Geaten  ein  licht;  ein  solches  war 
aber  nur  nötig,  wenn  eben  das  die  höhle  erhellende  banner  (2770 f)  entfernt 
worden  war. 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  REO  WULF  271 

heranzuziehen:  erst  wird  gesagt,  dass  der  drache  getötet  wurde 
(2778  ff  Bill  (kr  gescöd  ealdhldfordes  pdm  pdra  mddma  mundbora 
toces,  2825  ff  Bona  sivylce  leeg,  egeslic  eorddraca,  ealdre  bereafod), 
dann,  dass  er  früher  in  der  nacht  umherflog  (2781  ff  longe  hwile 
ligegesan  wceg  hdtne  for  horde,  hioroweallende ,  middelnihtum ; 
2833  ff  nalles  cefter  lyfte  läcende  hwearf  middelnihtum,  mddmd'hta 
tolonc  ansyn  ywde).  dann  wird  widerum  gesagt,  dass  er  tot  war 
(2783  öd  pwt  he  mordre  swealt,  2835  f  ac  he  eordan  gefeoll  for 
pws  hildfruman  hondgeweorce).  ähnlich  ist  3039  ff  gebaut,  erst 
die  Versicherung,  dass  der  drache  tot  war  3039  —  3044%  dann 
die  recapitulation  seiner  nächtlichen  fahrten  3044b  — 3046%  dann 
wider  die  bemerkung:  er  war  jetzt  tot  3046b — 3047.  wir  haben 
liier  eben  die  stilistische  form  RAR,  vgl.  Heinzel  Anz.  10,  220  ff. 
xv  157  (an  der  stelle  2825  ff  wird  der  tod  des  drachen  sogar 
dreimal  hervorgehoben ,  nämlich  auch  2829  f :  form  RCRAR). 

Rerücksichtigt  man  diese  stilistische  eigentümlichkeit  der  ags. 
poesie,  so  erledigen  sich  auch  die  bedenken,  die  der  sonst  so 
conservative  Hornburg  s.  39  gegen  unsere  stelle  vorbringt,  ihm 
will  nicht  behagen,  dass,  nachdem  die  Geaten  Reowulfs  leichnam 
erblickten,  es  heifst:  cer  hi  gesegan  syllicran  iciht.  allein  auch 
hier  liegt  nichts  anderes  vor,  als  die  in  ags.  poesie  häufige 
erscheinung,  dass  ein  zeitlich  vorangehendes  ereignis  später 
erzählt  wird:  form  RA.  man  beachte  auch,  dass  die  erwäh- 
nung  des  toten  Reowulf  meist  die  des  drachen  nach  sich  zieht 
—  auf  psychologisch  leicht  erklärbare  weise,  so  2822  ff  und 
2825  ff;  2865  ff  und  2875  ff;  2901  ff  und  2904  ff.  auch  der 
comparativ  syllicran  3039  hat  nichts  anstöfsiges;  man  darf  ihn 
nur  nicht  als  vergleichenden  comparativ  auffassen;  er  hat  hier 
lediglich  steigernde  bedeutung1.  dergleichen  kommt  auch  sonst 
vor:  so  im  Traumgesicht  4  syllicre  treow;  Andr.  1598  drdge 
hndgran. 

Die  erzählung  ist  im  übrigen  ganz  der  Situation  gemäfs.  Reo- 
wulf kämpft  mit  dem  drachen  vor  der  höhle,  der  drache  kommt 
2558  aus  der  höhle  heraus.  Reowulf  ist  also  zunächst  den  Geaten- 
wohnsitzen  näher  als  der  drache.  allein  nachdem  der  drache 
getötet  ist,  verändert  R.  2716  ff  seinen  Standplatz,  er  setzt  sich 
so,  dass  er  in  die  höhle  hineinblicken  kann,  da  aber  der 
drache  ursprünglich  den  eingang  verteidigte,  uiu>.s  l!.  an  dem 
1  anders  Bugge  Beitr.   12.  372  f. 


272  DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF 

toten   drachen   vorbeigegaogen    sein.      so    kommt    es,    dass  die 
Geaten  erst  den  drachen  und  dann  den  könig  erblicken. 

4)  Aus  473 — 488  soll  hervorgehen,  dass  Hrodgar  seinen  kriegern 
erlaubt  hat,  die  halle  gegen  Grendel  zu  verteidigen,  während  er 
es  nach  656  ff  verboten  haben  soll,     die  zweite  stelle  lautet: 

Ncefre  ic  cenegum  men  cer  älyfde, 
siddan  ic  hond  and  rond  hebban  mihte, 
prijdcern  Dena  büton  pe  im  pii. 
schon  der  zweite  vers  verbietet  es,  die  stelle  so  zu  verstehn ,  als 
ob  Hrodgar  sagen  wolle,  er  habe  niemanden  die  Verteidigung  der 
halle  Heorot  gegen  Grendel  gestattet,  denn  Hrodgar  ist  früher 
mannbar  geworden,  als  er  Heorot  gebaut  und  mit  Grendel  zu  tun 
hatte,  die  stelle  ist  vielmehr  mit  Beowulfs  bitte  426  ff  in  Ver- 
bindung zu  bringen,  aus  dem  pathetischen  ton,  mit  dem  diese 
worte  gesprochen  sind,  geht  hervor,  dass  es  etwas  besonderes 
war,  was  Beowulf  erbat,  wenn  er  allein  mit  seinen  leuten  die 
halle  bewachen  wollte,  und  doch  möchte  es  scheinen,  dass  es 
ja  selbstverständlich  ist,  dass  die  Dänen,  die  den  kämpf  längst 
aufgegeben  haben ,  deren  halle  idel  stöd,  sich  nicht  in  die  gefahr 
wagen  werden,  es  muss  also  als  etwas  besonderes  gegolten 
haben,  wenn  ein  fremder  allein  in  der  halle  gelassen  wurde, 
nach  der  tötuug  Grendels  wird  Heorot  auch  gleich  wider  mit 
Dänen  besetzt  und  Beowulf  bekommt  ein  anderes  gemach  an- 
gewiesen (v.  1300  ff)1,  die  vv.  656  ff  sind  also  so  zu  verstehen: 
'nie  habe  ich  früher,  seit  ich  mannbar  wurde,  irgend  einem 
fremden  die  königshalle  der  Dänen  (allgemein,  nicht  gerade 
Heorot)  anvertraut,  aufser  jetzt  dir'!  seinen  eigenen  leuten  braucht 
der  könig  ja  die  halle  nicht  erst  anvertrauen,  denn  ihr  geschäft 
besteht  ja  eben  in  dem  schütze  derselben,  wol  aber  sind  die 
worte  einem  fremden  gegenüber  am  platze,  der  bisher  zu  dem 
könig  in  keinem  treueverhältuis  staud2. 

5)  772  —  778  sollen  in  Widerspruch  stehu  mit  779 — 783. 
in  den  ersten  versen  werde  erzählt,  dass  nur  einige  metbänke 
durch  den  kämpf  zwischen  Beowulf  und  Grendel  verrückt  wurden, 
aus  der  zweiten  stelle  gehe  hervor,  dass  das  haus  beschädigt 
wurde,     hier  hat  schon  Homburg  s.  20  im  grofsen  und  ganzen 

1  allerdings  scheint  Beowulf  nach  v.  1800  in  der  dritten  nacht  seines 
aufenthaltes  in  der  halle  zu  schlafen. 

2  vgl.  auch  Bugge  Zs.  f.  d.ph.  4,200. 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF  273 

das  richtige  getroffen,  vor  allem  ist  sein  hin  weis  auf  998  ff  wol 
zu  beachten.  772  f  wird  ja  durchaus  nicht  gesagt,  dass  Heorot 
nicht  beschädigt  wurde,  es  wird  nur  hervorgehoben,  dass  die 
halle  nicht  zu  boden  stürzte,  dem  pcBt  he  on  hrüsan  ne  feol 
entspricht  v.  1000  hröf  dna  gences.  der  sinn  der  stelle  wird 
klarer,  wenn  wir  die  gedanken  in  umgekehrter  reihenfolge  auf- 
führen, die  Dänen  hätten  nicht  geglaubt,  dass  Heorot  je  anders 
als  durch  feuer  hätte  beschädigt  werden  können ,  so  stark  war 
die  halle  durch  eisenklammern  geschützt,  trotzdem  wurde  sie 
beschädigt,  denn  Beowulf  und  Grendel  rangen  heftig,  ja  es  war 
ein  wunder,  dass  das  haus  nicht  ganz  zusammenstürzte,  aber 
das  verhütete  eben  der  eisenschutz1.  —  dass  übrigens  die  be- 
schädiguug  Heorots,  wie  Hornburg  will,  nur  im  verrücken 
der  bänke  bestand,  ist  höchst  unwahrscheinlich,  der  ausdruck 
listum  tölücan  782a  ist  nämlich,  auf  das  verrücken  der  bänke  be- 
zogen, sehr  auffällig;  denn  durch  listum  ist  jedesfalls  eine  absieht 
ausgedrückt,  man  wird  aber  Gr.  nicht  zumuten,  dass  er,  wo 
er  nur  an  seine  rettung  denkt,  auch  noch  die  Zerstörung  des 
gebäudes  beabsichtige,  es  liegt  also  nahe,  diesen  ausdruck  auf 
etwas  früheres  zu  beziehen,  und  da  stellen  sich  ganz  ungesucht 
die  vv.  722  ff  ein:  dum  söna  onam  fyrbendum  fwst,  syddan  he 
hire  folmum  hrän;  onbrdtd  pä  bealohydig,  pä  he  dbolgen  toces 
recedes  müdan.  dass  wir  an  ein  gewaltsames  einbrechen  der 
türe  zu  denken  haben,  ist  nach  fyrbendum  feest,  das  doch 
wol  concessiv  gefasst  werden  muss,  und  nach  der  ausdrücklichen 
hervorhebung  von  Gr.s  zorn  höchst  wahrscheinlich,  dazu  stimmt 
auf  das  beste,  wenn  v.  1000  die  heorras  töhlidene  hervorgehoben 
werden,  schliefslich  liegt  es  auch  der  ursprünglichen  bedeutung 
von  tölücan  näher,  es  in  der  angegebenen  weise  aufzufassen,  als 
es  auf  die  verrückung  der  bänke  zu  beziehen. 

6)  Ein  weiterer  Widerspruch  liegt  angeblich  zwischen  der  auf- 
fassung  in  den  vv.  15191'  und  1498—1512  vor:  nach  1498  ff 
werde  Beowulf  von  der  riesin  gepackt  und  zu  ihrem  Wohnsitze 
geschleppt,  während  aus  den  späteren  versen  hervorgehe,  dass 
er  sie  erst  in  ihrem  saale  erblickt  hätte2. 

1  Müllenhoff  hat  auch  daran  anstofs  angenommen,  dass  hit  780  von 
reced  771  so  weit  abstehe,  reichliche  belege  für  derartiges  bei  Heinzel 
Anz.  15,191. 

2  wir  erklären  nachdrücklich,  dass  wir  nur  diesen  Widerspruch  be- 
handeln, dass  wir  also  über  die  sonstigen  auffälligen  stellen  dieses  abenteuers 


274  DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF 

Schon  Rönning  s.  17  hat  hervorgehoben,  dass  B.  das  ihn 
umklammernde  ungeheuer  erst  im  saale  als  Gr.s  mutter  erkennen 
konnte,  da  dieser  saal  durch  ein  licht  erhellt  wurde1,  diese 
zweifellos  richtige  erklärung  hat  wol  deshalb  wenig  anklang  ge- 
funden, weil  R.  für  die  weitere  Schwierigkeit,  wieso  B.  das 
schwert  gebrauchen  konnte,  da  ihn  doch  die  riesin  so  fest  um- 
klammert hielt,  swd  he  ne  mihte  nö  —  wcepna  gewealdan,  keine 
aufklärung  gegeben  hat. 

Man  erwäge  jedoch  folgendes:  aus  B.s  Situation  ergibt  sich 
deutlich,  dass  es  drei  factoren  sind,  die  ihn  am  gebrauche  des 
Schwertes  verhindern:  1)  die  dunkelheit,  2)  die  meerungeheuer, 
3)  die  Umklammerung  der  riesin.  dass  auf  2)  viel  gewicht  gelegt 
wird,  zeigt  die  hervorhebung  der  vv.  1510aff  durch  ac,  wodurch 
sie  nachdrücklich  in  gegensatz  zu  B.s  absieht,  das  schwert  zu 
gebrauchen,  gesetzt  werden;  ferner  die  nähere  ausführung  dieses 
umstandes. 

Nun  gelangt  B.  in  einen  schützenden  (1515  ff)  und  erleuch- 
teten (1517  ff)  räum:  somit  fallen  2)  und  1)  weg;  dadurch  lässt 
es  sich  erklären,  dass  er  sich  nun  losreifsen  kann,  ist  somit 
die  sozusagen  physische  möglichkeit  des  Vorgangs  nachgewiesen, 
so  erübrigt  es  noch,  dem  einwand  zu  begegnen,  der  dichter 
hätte  in  diesem  falle  eine  bemerkung  über  die  art,  wie  Beowulf 
loskommt,  geben  müssen. 

Dergleichen  erklärungen  vermissen  wir  eben  sehr  oft;  so 
bekommen  wir  keine  Vorstellung,  wie  B.  mit  leichtigkeit  wider 
aufstehn  konnte  (1557):  der  beistand  gottes  muss  das  Unvermögen 
des  dichters  verbergen  (vgl.  Müllenhoff  Zs.  14,211);  553  ff  wird  B. 
von  einem  untier  zu  gründe  gezogen,  dessen  fester  griff  nachdrück- 
lich hervorgehoben  wird :  hweedre  me  gifede  weard,  peet  ic  aglcecan 
orde  gerechte  usw.  —  wie,  ist  nicht  gesagt;  denselben  mangel 
fühlen  wir,  wenn  1541  Gr.s  mutter  niederstürzt,  gleich  darauf 
jedoch  Beowulf  zu   falle   bringt,   ohne   dass  die  art,   wie   sie  in 

(hierher  gehören  sinnigne  secg  1380,  he  1393.  1395,  wighryre  wrätra 
1620  und  ofslöh  hüses  hyrdas  1666;  was  Schneider  sonst  vorbringt,  hält 
genauer  pröfung  nicht  stand)  in  keiner  weise  präjudicieren  wollen. 

1  man  vgl.  1571  ff,  wo  unzweifelhaft  dasselbe  licht  gemeint  ist,  das 
zur  motivierung  des  wlät  wider  erwähnt  wird ;  deutlicher,  weil  Subordination 
statt  der  coordination  angewendet  ist,  sind  2770  f.  anders,  aber  wol  un- 
richtig Hornburg  s.  26.  27. 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  REOWULF  275 

die  höhe  kommt,  erzählt  wird;  wie  Reowulf  aus  dem  rächen  des 
drachen  seinen  hals  befreit  (2692  11),  ist  ebenso  wenig  gesagt  uam. 

7)  Nach  202  ff  waren  kluge  leute  mit  der  Unternehmung  Reo- 
wulfs  gegen  Grendel  einverstanden  (vgl.  415  ff);  1995  ff  sagt 
Hygelac  dem  glücklich  heimgekehrten  R.,  er  habe  ihn  lange  ge- 
beten, die  fahrt  zu  unterlassen. 

Schon  Rönning  s.  17  f  (und  ähnlich  Schneider  s.  6)  haben 
ausgesprochen ,  das  Hygelac  unter  den  snotere  ceorlas  nicht  not- 
wendig inbegriffen  sein  muste.  da  sie  jedoch  beide  zweifeln  räum 
lassen,  wollen  wir  noch  darauf  hinweisen,  dass  snottor  im  Reo- 
wulf öfter  in  ahgeblasster  bedeutung  verwendet  wird  (vgl.  1592; 
1787),  sodass  also  R.s  bemerkung  durchaus  kein  ungünstiges 
licht  auf  seinen  könig  wirft.  1592  ff  ist  unserer  stelle  ziemlich 
parallel:  söna  pcet  gesdwon  snottre  ceorlas,  [>d  pe  mid  Hrödgäre 
on  höhn  wliton;  auch  hier  ist  Hr.  nicht  unter  den  snottre 
ceorlas. 

Dass  wir  erst  1995  ff  erfahren,  dass  Hygelac  nicht  einver- 
standen gewesen  sei,  kommt  auf  rechnung  der  unter  1)  er- 
wähnten eigentümlichkeit  der  ags.  poesie.  eine  treffende  analogie 
dazu  finden  wir  im  vierten  abenteuer:  nachdem  Reowulf  vom 
drachen  längst  getötet  ist,  erfahren  wir  aus  Wiglafs  munde,  dass 
man  R.  vom  kämpfe  abzuhalten  versucht  habe  (3080  ff). 

8)  Reowulf  soll  den  kämpf  gegen  den  drachen  unternehmen, 
einerseits  um  das  land  zu  befreien ,  anderseits  um  des  goldes  und 
des  heldenruhmes  willen.  Heinzel  hält  an  und  für  sich  mischung 
der  motive  für  möglich;  allein  wir  glauben  nicht,  dass  eine 
solche  hier  vorliegt,  wenn  sich  Reowulf  2512  ff  auf  seine  früheren 
taten  beruft,  so  ist  das  in  der  vorliegenden  Situation  ganz  natür- 
lich; derjenige,  der  einen  gefährlichen  kämpf  unternimmt,  wird 
gerne  sich  und  seine  freunde  auf  diese  weise  ermutigen,  dass 
der  kämpf  unternommen  wird,  um  den  heldenmut  zu  bewahren, 
wird  mit  keinem  worte  gesagt,  ebenso  wenig  an  der  stelle 
2533  ff:  Nis  pat  eower  sict, 

ne  gemet  maiines  nefne  min  dnes, 

j)cet  he  wid  aghicean  eofodo  da-le, 

eorlscype  efne. 
auch  hier  liegt   nur  der   gedanke  zu    gründe:    der  drache  muss 
wegen  seiner   Schädlichkeit  bekämpft  werden,     dieser  kampl   ist 
eine  heldentat,  die  kein  anderer  leisten  kann  als  ich  Reowulf.  — 


276  DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF 

gerade  dass  die  mitwürkung  der  mannen  abgelehnt  wird,  zeigt 
deutlich,  dass  die  hauptsache  eben  die  erlegung  des  drachen 
ist,  die  ja  ebenso  gut  von  einem  anderen  als  von  Beowulf  vor- 
genommen werden  könnte,  wenn  er  nur  die  genügende  kraft 
hätte,  eben  weil  nur  Beowulf  diese  kraft  besitzt,  will  er  den 
kämpf  unternehmen ,  nicht  um  sich  heldenruhm  zu  erwerben ; 
denn  dann  verstände  es  sich  ja  von  selbst,  dass  die  anderen 
nichts  dabei  zu  suchen  hätten. 

Auch  die  folgenden  worte: 

Ic  mid  eine  sceall 
gold  gegangan 
wollen  kein  neues  motiv  bringen,  wenn  der  drachenkampf  ein- 
mal als  erwerbung  einer  heldentat,  das  andere  mal  als  erwerbung 
des  goldes  bezeichnet  wird,  so  liegt  hier  eine  art  Synekdoche 
vor.  der  drachenkampf  ist  eine  heldentat  und  zieht  die  gewin- 
nung des  goldes  mit  sich;  es  wird  hier  gerade  so  der  teil  für 
das  ganze  gesetzt,  wie  wenn  etwa  das  gehn  gerüsteter  krieger 
als  helmas  heran  bezeichnet  wird. 

Auch  darin  ist  Heinzel  nicht  beizustimmen ,  wenn  er  meint, 
dass  3080  ff  kaum  jemand  gedichtet  haben  könne,  der  auch  an 
Verteidigung  des  Volkes  gegen  den  drachen  dachte,  denn  die 
Geaten ,  welche  die  gefährlichkeit  des  kampfes  wol  kannten, 
konnten  wol  denken:  'besser  wir  ertragen  das  übel,  als  dass 
wir  den  könig  verlieren',  auch  die  worte  pwt  he  ne  grette  gold- 
weard  pone,  Ute  hyne  licgean,  pder  he  longe  wces,  sind  ganz  am 
platz,  denn  B.  greift  den  drachen  nicht  während  seiner  nächt- 
lichen streifzüge  an ,  sondern  er  fordert  ihn  vor  seiner  höhle 
heraus  (vgl.  besonders  2515  f). 

In  bezug  auf  9)  verweisen  wir  auf  ten  Brink  Beowulf  s.  144 
anm.  übrigens  ist  es  durchaus  nicht  unmöglich ,  dass  hord 
'schatzhaus'  bedeutet  haben  kann,  man  vgl.  Beow.  3057  hord 
openian,  Elene  790  f  goldhord  geopenie.  auch  Beow.  2213  und 
2320  scheint  hord  in  dieser  bedeutung  vorzuliegen,  da  es  durch 
stdnbeorh,  resp.  dryhtsele  variiert  wird,  (dadurch  erledigt  sich, 
was  ten  Brink  s.  127  au  2213  auffälliges  findet).   — 

Man  hat  ferner  daran  anstofs  genommen,  dass  Wealhbeow 
1176  f  sagt  me  man  saegde,  pcet  pu  pe  for  sunu  wolde  hererinc 
(hs.  hereric)  habban,  während  sie  nach  924  f  selbst  dabei  war, 
als  Hrodgar  dergleichen  sagte  (947  ff). 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF  277 

Dieser  Widerspruch  schwindet  jedoch  sofort,  wenn  man,  einem 
vorschlage  folgend,  den  Heinzel  uns  freundlichst  mitgeteilt  hat, 
das  hereric  der  hs.  als  eigennamen  fasst  (wie  schon  Grundtvig 
tat),     wir  lassen  Heinzeis  ausführungen  folgen. 

'Wealbbeow  wünscht  ihrem  gemahl  glück  und  heifst  ihn  jede 
sorge  schwinden  lassen ,  da  das  einzige  würkliche  übel ,  Grendels 
besuche  in  Heorot,  gehoben  sei.  es  gebe  nun  gar  keinen  grund 
zur  besorgnis,  denn  das  hohe  alter  Hrodgars  und  die  Jugend  der 
kinder  seien  keine  gefahr  für  das  reich ,  wie  er  wol  meine,  es  sei 
unnötig,  dass  er  deshalb  Hereric  adoptiere,  wie  man  ihr  als  seine 
absieht  gesagt  habe,  er  möge  sein  leben  geniefsen  so  lange  es 
währe,  falls  er  stürbe,  bevor  die  kinder  erwachsen  seien,  so 
hätten  sie  Hrodulf.  —  wer  dieser  Hereric  ist,  wissen  wir  nicht, 
unmöglich  wäre  es  nicht,  dass  der  gautische  Hereric,  dessen 
neffe  Heardred  war,  gemeint  ist'. 

Durch  diese  Interpretation  gewinnen  wir  einen  guten  fort- 
gang  der  gedanken  in  der  rede  der  Wealhbeow,  vermeiden  die  im 
ganzen  Zusammenhang  der  erzählung  sehr  unpassende  ablehnung 
Reowulfs  von  Seiten  derkönigin,  brauchen  keine  conjeetur,  und 
die  worte  nie  mon  seegde  verlieren  alles  auffällige,  da  sie  sich 
nicht  auf  Beowulfs  adoption  947  ff  beziehen ,  die  nicht  rechtlich 
gemeint  war,  sondern  auf  die  Hererics  (949  freogan  —  1177 
habban).'  — 

Heinzel  hat  angedeutet  (Anz.  15,  175),  dass  die  vv.  161  ff  mit 
anderen  stellen  in  Widerspruch  ständen,     die  verse  lauten: 
Sinnihte  heold 
mistige  möras;  men  ne  eunnon 
hwyder  helrünan  hwyrftum  scridad. 
dem   soll   nun  widersprechen,   dass  Hrodgar    1358  ff  weifs,    wo 
Grendel  wohnt  und  166  f,  wonach  sich  Grendel  sweartum  nihtum 
in  Heorot  aufhält. 

Betrachten  wir  die  vv.  161  ff,  so  ist  klar,  dass  der  dichter 
nicht  hat  sagen  wollen,  die  menschen  wüsten  überhaupt  nicht,  wo 
Grendel  weilte,  denn  er  selbst  weifs  es  ja ,  wenn  er  erzählt,  dass 
Grendel  sich  in  sümpfen  aufgehalten  hat,  und  der  dichter  kann 
sich  doch  nicht  von  den  menschen  ausnehmen,  über  die  er  eine 
allgemeine,  für  alle  Zeiten  giltige  bemerkung  macht;  das  präseus 
eunnon  beweist  ja,  dass  unter  den  men  nicht  die  Dänen  Hrodgars, 
sondern  das  menschengeschlecht  überhaupt  verstanden  ist.     dar- 


278  DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  REOWULF 

nach  sind  zwei  möglichkeiten  vorhanden,  entweder  beziehen  sich 
162 f  gar  nicht  auf  die  kenntnis  vom  wohnort  Grendels,  sondern 
hwyrftum  scridad  ist,  wie  Rugge  Reitr.  12,  83  will,  zu  übersetzen: 
wohin  sie  schreiten ,  indem  sie  sich  (von  dem  regelmäfsigen  wege) 
seitwärts  (oder  abwärts)  wenden,  dann  würde  der  sinn  der  stelle 
sein:  im  allgemeinen  wohnte  Grendel  im  sumpfland,  wohin  er 
sonst  noch  gieng,  weifs  man  nicht,  oder,  was  wahrscheinlicher 
ist,  cunnon  heilst  soviel  wie  'genau  wissen':  Gr.  wohnte  im 
sumpfland ,  näheres  kann  der  dichter  nicht  sagen ,  'denn  die 
menschen  wissen  nicht  genau,  wohin  die  teufel  sich  wenden', 
bei  der  ersten  interpretation  fällt  jeder  Widerspruch  mit  1358  ff 
weg,  aber  auch  bei  der  zweiten;  denn  Hrodgar  weifs  auch  nur 
im  allgemeinen ,  dass  die  unholde  die  Sumpfgegenden  in  der  nähe 
seiner  bürg  bewohnten,  näheres  weifs  niemand: 

1366  Peer  meeg  nihta  gehweem  nidwundor  seon, 
fyr  on  ßöde;  nö  pees  fröd  leofad 
gumena  bearna,  peet  pone  grund  wite. 

Aber  die  bemerkung,  dass  Grendel  sinnihte  in  den  sumpf- 
gründen sich  aufhält,  soll  auch  in  Widerspruch  mit  der  anderen 
stehn,  dass  er  sweartum  nihtum  Heorot  bewohnt,  allein,  die 
worte  Heorot  eardode  besagen  durchaus  nicht,  dass  er  immer 
(jede  nacht)  in  Heorot  sich  aufhielt,  das  wäre  auch  sehr  un- 
wahrscheinlich. Grendel  ist  keiner  von  jenen  spukgeistern,  die 
in  irgend  ein  haus  gebannt  sind  und  nachts  die  menschen  be- 
unruhigen, er  sucht  Heorot  auf,  weil  die  freude  der  menschen 
ihn,  den  verfluchten,  ärgert,  er  lässt  seinen  groll  an  ihnen  aus 
und  tötet  sie.  wenn  es  nichts  mehr  zu  morden  gibt,  hat  er 
auch  nichts  mehr  in  Heorot  zu  schaffen;  er  begibt  sich  dann 
mit  seiner  beute  in  seine  behausung.  in  den  meisten  fällen  wird 
er  überhaupt  nichts  gefunden  haben,  denn  esheifstja,  dass  die 
Dänen  die  halle  geräumt  haben  (145  f  öd  peet  idel  stöd  hnsa  seiest). 
dann  hatte  er  gar  keine  veranlassung  in  H.  die  nacht  zuzubringen, 
ferner  braucht  sinnihte  161  nicht  auf  die  zeit  bezogen  zu 
werden;  der  sinn  der  worte  könnte  sein:  'in  ewiger  nacht  be- 
wohnte er  neblige  sümpfe',  dh.  Gr.s  aufenthalt  war  in  finsternis 
gehüllt.  — 

Endlich  hat  man  daran  anstofs  genommen,  dass  Grendel 
nach  802  ff.  988  ff  durch  eisen  nicht  verwundet  werden  kann, 
während  ihm  Reowulf  1573  —  1591  mit  einem  Schwerte  den  köpf 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  REOWULF  279 

abschlägt.  Heinzel  Anz.  15,  175  anm.  weist  auf  etwas  ähnliches 
in  der  Thorsteinssaga  Vikingssonar  hin.  er  stellt  es  gleichwol 
nicht  als  wahrscheinlich ,  wenn  auch  als  möglich,  hin,  dass  hier 
kein  Widerspruch  bestehe,  wie  es  scheint,  hauptsächlich  deshalb, 
weil  in  der  genannten  saga  eine  art  erklärung  gegeben  wird, 
wir  können  auch  in  diesem  falle  den  Widerspruch  nicht  an- 
erkennen, vor  allem  kommt  in  betracht,  dass  nirgends  aus- 
gesprochen wird ,  dass  sich  die  unverwundbarkeit  Gr.s  auch  über 
seinen  tod  hinaus  erstrecke,  ferner  ist  zu  bedenken,  dass  eine 
art  motivierung  für  die  möglichkeit  der  enthauptung  auch  im 
Beowulf  vorgebracht  wird:  Gr.  wird  durch  ein  riesenschwert, 
kräftiger  als  die  Schwerter  der  menschen,  enthauptet  (sollte  nicht 
803  cenig  ofer  eordan  im  eigentlichen  sinne  zu  verstehn  sein?). 

Schliefslich  sei  an  Gunnlaugssaga  cap.  6  erinnert:  Gunnlaug 
soll  mit  einem  Viking  einen  Zweikampf  bestehn.  als  er  dem 
könige  Abalräd  davon  mitteilung  macht,  sagt  dieser:  Nu  er 
iwcent  efni  komit,  pviat  ßessi  madr  deyfir  hvert  jdrn.  trotz 
dieser,  wie  es  scheint,  für  jeden  fall  giltigen  bemerkung  ge- 
lingt es  Gunnlaug  in  dem  unmittelbar  darauf  erzählten  zweikample, 
durch  eine  list  seinen  gegner  mittelst  eines  vom  könig  geschenkten 
Schwertes  von  besonderer  kraft  zu  töten. 

Wir  dürfen  also  in  derartigen  fällen  wol  annehmen,  dass 
die  dichter  es  verschmähten,  die  ausnahmen,  die  eine  im  all- 
gemeinen giltige  tatsache  durch  ganz  specielle  umstände  erleiden 
konnte,  ausdrücklich  hervorzuheben,  wenn  sie  sich  aus  der 
weiteren  folge  der  begebenheiten  ohnedies  ergaben,  diese  er- 
zählungsweise konnte  in  vielen  fällen  zur  erhöhung  der  Spannung 
beitragen,  etwas  ähnliches  ist  es,  wenn  tatsachen  nicht  erzählt 
werden,  die  später  vorausgesetzt  werden  (vgl.  3). 

NACHTRAG.  Nach  abschluss  unserer  arbeit  erschien  Schröers 
aufsatz  Zur  texterklärung  des  Beowulf  (Anglia  n.f.il33ff).  Sehr,  be- 
spricht ua.  die vt.  1808 — IS  13  und  kommt,  nachdem  er  verschiedene 
von  anderer  seite  gemachte  vorschlage  bekämpft  hat1,  zu  dem  resul- 
tate,  es  seien  in  diesen  vv.  (1808— 1810  stehn  nach  seiner  auffassung 
nicht  in  logischem  Zusammenhang  mit  1811 — 1813:  'denn  letztere 
hätten  nur  sinn  in  rücksicht  auf  die  vv.  1456 — 1465.  1489 — 1492 

1  es  beruht  wol  auf  einem  irrtum,  wenn  Sehr,  gegen  Müllenholls  and 
Holders  Vorschlag,  in  v.  1810  leenes  statt  leanes  zu  lesen,  geltend  macht, 
dass  Irin  sonst  nur  als  feminin  belegt  sei;  vgl.  Sievers  Ags.gr.  $  2 


280  DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF 

und  1519  —  1537.  1660 — 1661,  iü  denen  von  dem  verleihen  des 
Schwertes  und  dessen  nutzlosigkeit  im  kämpfe  die  rede  ist')  in 
ungeschickter  weise  zwei  motive  mit  einander  verschmolzen: 
1808  — 1810  enthalten  'das  ältere  und  zwar  dem  redactor  recht 
verschwommene  motiv  der  Schenkung'  Hruntings,  während  in 
1811 — 1813  das  motiv  der  schwertverleihung  zu  einem  bestimmten 
waffengange  auftrete  (wie  in  1456  ff),  somit  scheine  es  notwendig, 
bei  annähme  von  ten  Brinks  Variantentheorie  'seine  Scheidung  von 
jüngeren  und  älteren  bestandteilen  in  D  auch  auf  unsere  vv.  1808 
bis  1813  auszudehnen'  (s.  340).  'und  wenn  überhaupt  Widersprüche 
die  theorie  epischer  Varianten  glaubwürdig  machen,  so  dürfteu 
es  die  hier  vorliegenden  sein'  (s.  339). 

Dieser  Sicherheit  der  argumentation  gegenüber  wird  es  nicht 
überflüssig  sein,  zu  zeigen,  dass  die  besprochenen  verse  auch  eine 
andere  erklärung  zulassen ,  welche  die  annähme  so  complicierter 
und  unwahrscheinlicher  Vorgänge  entbehrlich  macht,  wir  gehn 
hierbei  aus  von  den  vv.  1489 ff;  Beowulf  bittet  den  könig  Hrodgar, 
dem  Hunfercl  sein  (Beowulfs)  schwert  zu  überreichen,  diese 
Schenkung,  die  wol  aus  erkenntlichkeit  für  den  leihweise  über- 
lassenen  Hrunting  erfolgte,  ist  keine  bedingungsweise,  nur  für 
den  fall  von  Beowulfs  Untergang  geltende,  wie  die,  welche  1483  ff 
berichtet  wurde,  sondern  sie  bleibt  unter  allen  umständen  aufrecht; 
dies  geht  aus  dem  gegensatze  deutlich  hervor,  in  dem  die  verse  zu 
den  Schlussworten  B.s  stehn,  die  beide  möglichkeiten ,  sieg  oder 
tod,  andeuten,  diese  stelle  liefert  nun  den  Schlüssel  zur  erklärung 
unserer  verse:  unter  lean  (1810)  ist  das  geschenk  Beowulfs  an 
Hunfercl  gemeint,  nicht,  wie  man  bisher  angenommen  hat,  Hrun- 
ting. somit  sind  die  verse  so  aufzufassen:  'da  liefs  der  tapfere 
söhn  Ecglafs  den  Hrunting  herbeibringen  (beran  wie  1025  und 
2153),  bat  ihn  (den  eben  erwähnten  cuma  collenferhd,  Beowulf), 
das  schwert  anzunehmen,  und  dankte  ihm  zugleich  für  sein  ge- 
schenk, dessen  vortrefflichkeit  er  überaus  lobte  (nicht  wie  Sehr, 
will  'er  tadelte  die  schneidigkeit  nicht'). 

Bei  dieser  auffassung  erledigen  sich  auch  die  bedenken ,  die 
Sehr.  s.  339  über  den  zeitpunet  äufsert,  in  dem  die  rückgabe 
des  Hrunting  erfolgt  sei.  'als  er  (Beowulf)  aus  dem  wasser  stieg' 
(wie  Sehr,  will),  kann  sie  nicht  gut  stattgefunden  haben,  denn 
die  Dänen  waren  zu  dieser  zeit  schon  nach  hause  zurückgekehrt, 
vgl.  1601  ff.     unmittelbar  darauf  folgt  das  gelage,  das  durch  eine 


DIE  WIDERSPRÜCHE  IM  BEOWULF  2S1 

rede  B.s  eröffnet  wird,  nach  diesem  ergreift  sogleich  Hrodgar 
das  wort  (1688  ff),  am  Schlüsse  seiner  rede  1784  f  sagt  der  könig, 
er  werde  B.  am  kommenden  morgen  beschenken,  es  ist  somit 
ganz  natürlich,  dass  Hunferd,  der  bis  zu  diesem  augenblick  keine 
gelegenheit  gehabt  hat,  Beowulf  ein  gegengeschenk  zu  machen 
und  ihm  zu  danken,  beides  gleichfalls  auf  den  nächsten  morgen 
verschiebt,  dass  die  rückgabe  Hruntings  an  Hunferd  nicht  aus- 
drücklich erzählt  wird,  gehört  zu  einer  im  vorhergehenden  mehr- 
fach belegten  stilistischen  eigentümlichkeit,  die  im  Beowulf  be- 
sonders oft  hervortritt.  — 

Der  halbvers  1813b  ßcet  wces  mödig  secg  geht  nun  auf 
Hunferd;  ebenso  se  hearda  1808;  daran  wird  wol  niemand  an- 
stofs  nehmen,  denn  Hunferds  mut  wird  auch  1168  nachdrück- 
lich hervorgehoben. 

Wien,   6  oct.  (17  nov.)  1890. 

MAX  HEBMANN  JELLINEK.     CARL  KRAUS. 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN. 
II 

Hat  die  neuere  forschung  der  frage,  ob  Erinnerung  und 
Priesterleben  auch  würklich  von  demselben  dichter  herrühren ,  so 
gut  wie  gar  keine  aufmerksamkeit  geschenkt,  weil  man  sie  eben 
für  endgültig  gelöst  ansah,  so  ist  über  die  zeit,  in  welche  die 
gedichte  zu  setzen  seien,  des  öfteren  und  recht  eingehend  ge- 
handelt worden,  die  meinungen  sind  dabei  weit  genug  auseinander- 
gegangen, wenn  ich  mich  jetzt  einer  erneuten  prüfung  der  zeit- 
frage zuwende,  so  kann  ich  die  beiden  gedichte,  wie  sie  den 
seitherigen  betrachtungen  gemeinsam  zu  gründe  gelegen  haben, 
getrost  auch  in  dieser  gemeinsamkeit  belassen,  da  es  für  die 
feststellung  der  entstehungszeit  gleichgültig  ist,  ob  beide  werke 
von  demselben  oder  von  verschiedenen  Verfassern  herrühren, 
denn  Übereinstimmung  in  spräche,  metrum  und  reim  sichert  ihre 
ungefähre  gleichzeitigkeit,  während  sich  aus  manchen  berührungen 
des  inhaltes  und  ausdruckes  kenntnis  der  Erinnerung  beim  dichter 
des  Priesterlebens  zu  ergeben  scheint,  sodass  eine  gewisse  Zu- 
sammengehörigkeit auch  von  niemandem  bestritten  wird. 

Der  einhelligen  ansieht,  dass  die  gedichte  dem  12  jh.  an- 
gehören,  ist  Wilmanns  in  seinem  'sogenannten  Heinrich  von 
Z.  F.  D.  A.     XXXV.     N.  F.    XXIII.  19 


282  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II 

Melk'  (Beiträge  zur  geschiente  der  älteren  deutschen  litteratur. 
he  ff.  1.  Bonn  1885)  entgegengetreten  und  hat  sie  vielmehr  ins 
14  jh.  hinabzurücken  versucht,  soweit  mir  bekannt  geworden 
ist,  hat  Wilmanns  nirgends  Zustimmung  gefunden,  und  ich  könnte 
mit  rücksicht  auf  die  anzeigen  von  Schröder  DLZ  1886,  885  ff 
und  Seemüller  Zs.  f.  d.  phil.  19,  369  ff  und  Zs.  f.  d.  ö.  g.  38,  372  ff 
davon  abstand  nehmen,  auf  seine  schrift  nochmals  zurückzukommen, 
wenn  es  einer  arbeit  über  'Heinrich  von  Melk'  gestattet  wäre,  an 
einer  so  einschneidenden  hypothese  stillschweigend  vorbeizugehu, 
die  von  einem  der  bedeutendsten  Vertreter  der  deutschen  philo- 
logie  aufgestellt  ist  und  schon  deshalb  anerkennung  oder  Wider- 
legung fordern  darf,  würde  Wilmanns  recht  haben,  so  wären 
wir  damit  nicht  nur  zwei  kleine  gedichte  umzudatieren  genötigt, 
sondern  es  wären  die  grundlagen  unseres  seitherigen  wissen- 
schaftsbetriebs  erschüttert,  grund  genug,  um  von  möglichst  vielen 
gesichtspuneten  aus  die  frage  zu  beleuchten. 

Dass  der  weg,  den  Wilmanns  einschlug,  um  das  unmethodische 
der  bisherigen  forschung  klar  zu  machen,  kein  besonders  glück- 
licherwar, wird  wol  niemand  bestreiten,  denn  während  er  den 
abschnitt ii  einleitet  mildern  satze:  'in  nähere  erörterungen  über 
spräche  und  Stil  will  ich  mich  nicht  einlassen,  leichter  und 
sicherer  glaube  ich  zum  ziele  zu  kommen ,  wenn  ich  den  inhalt 
der  satiren  ins  äuge  fasse,  zunächst  ein  paar  bemerkungen  über 
den  eulturzustand,  welchen  die  gedichte  voraussetzen;  derselbe 
zeigt  eine  vielgestaltigkeit  und  entartungen ,  wie  sie  ein  öster- 
reichischer dichter  aus  der  mitte  des  12  jhs.  schwerlich  kennen 
zu  lernen  gelegenheit  hatte',  —  gibt  er  selbst  mit  dem  eingange 
seines  abschnittes  iv  ('es  ergab  sich  als  mislich,  Heinrichs  aus- 
lassungen  über  das  unzüchtige  leben  der  priester  auf  eine  andere 
zeit  als  das  12  jh.  zu  beziehen')  zu ,  dass  der  inhalt  der  satiren 
wenigstens  teilweise  direct  gegen  seine  hypothese  zeugt,  so 
bleiben  tatsächlich  die  'paar  bemerkungen'  die  einzige  handhabe 
für  Wilmanns,  die  gedichte  dem  12  jh.  abzusprechen,  hier  nun 
muss  ich  von  vornherein  mich  als  gegner  der  historischen  auf- 
lassung  bekennen,  die  sich  in  Wilmanns'  worten  über  den 
vielgestaltigen  eulturzustand,  welchen  die  gedichte  zur  Voraus- 
setzung haben,  kundgibt,  so  lange  der  mensch  mit  seinen 
individuellen  wünschen,  fähigkeiten  und  trieben  existiert,  so 
lange  die  gesellschaft  sich  aus  vielen  tausenden  dieser  moralisch 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II  283 

und  physisch  verschieden  gearteten  menschen  zusammensetzt,  so 
lange  müssen  auch  vielgestaltigkeit  und  entartung  dieser  mensch- 
lichen gesellschaft  erb-  und  eigentümlich  gewesen  sein,  um  so 
mannigfaltiger  freilich  wird  sich  dies  bild  gestalten,  je  einschnei- 
dender sich  sociale  unterschiede  und  gegensätze  herausgebildet 
haben,  denken  wir  uns  die  sittlichen  mängel  verschiedener  Jahr- 
hunderte graphisch  dargestellt,  so  werden  sich  die  linien  nirgends 
decken,  geringere  erhebungen  hier  grösseren  höhen  dort  ent- 
sprechen; aber  zur  geraden  werden  die  curven  nie  herabsinken, 
ein  niveau  der  Sitteneinfachheit  und  reinheit  kann  nirgends  an- 
genommen werden,  dem  nicht  vergleichenden  beobachter,  dem 
nur  das  bild  seiner  zeit  vorläge,  würden  auch  die  geringeren 
erhebungen  schon  überhoch  erscheinen,  der  Sittenrichter  wird 
sie  dem  zeitgenössischen  publicum  in  das  riesige  übertrieben 
schildern,  stoff  genug  für  den  Satiriker  bietet  jede  zeit,  und 
dem  bufsprediger  ist  die  seinige  allemal  die  schlechteste. 

Was  nun  speciell  das  12  jh.  angeht,  so  steht  es  gewis  an 
erscheinungen  der  sittenlosigkeit  keinem  anderen  nach,  neben 
die  entwickeluug  des  edelsten  enthusiasmus  und  des  idealsten 
strebens  stellt  das  Zeitalter  der  kreuzzüge  die  entfesseluug  des 
elendesten  egoismus  und  der  niedrigsten  leidenschaften.  in  Deutsch- 
land tobt  der  bürgerkrieg,  und  das  ansehen  der  kirche  und  mit 
ihm  die  religion  wird  durch  das  beständige  schisma  schwer  ge- 
schädigt, es  wäre  wunderbar,  wenn  bei  der  fortwährenden  auf- 
regung  der  gemüter,  dem  ah-  und  zuströmen  kriegs-  und  beute- 
lustiger schaaren,  der  stetigen  berührung  mit  den  verschiedensten 
Völkern  das  deutsche  land  freigeblieben  wäre  von  entartung  schlimm- 
ster art,  wenn  das  leben  des  deutschen  volkes  durch  die  be- 
deutende erweiterung  seines  gesichtskreises  und  seines  wissens, 
die  kennlnisnahme  einer  ganz  fremden  cultur  und  aufnähme 
ihrer  erzeugnisse  nicht  eine  bis  dahin  ungeahnte  vielgestaltigkeit 
erfahren  hätte,  wenn  zum  jähre  1092  die  Augsburger  Jahrbücher 
(MGSS  in  123)  die  folgende  Sittenschilderung  geben:  imperatore 
in  ltalia  neyotiis  occapato,  provincia  Suevorum  cladibus  oppriiiti- 
tur;  nulla  timoris  Domini  respectio,  nulla  ministris  Domini  erat 
reverentia;  gratuito  quisque  reprobus  erat,  et  ut  Salomon  loquititr, 
alius  alium  per  rapinam,  per  invidiam  occidit;  omnia  commixta 
sunt;  sanguis,  homicidium,  furtum  et  fictio ,  corruptio,  infidelitas, 
tnrbatio,  perjurium,  tumultuatio,  nulla  bonorum  Domini  memoria, 

19" 


284  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II 

animarum  inquinatio,  nuptiarum  inconstantia ,  mechia  et  impu- 
dicitia,  wenn  so  das  bild  der  socialen  und  moralischen  zustände 
vor  beginn  des  12  jhs.  gezeichnet  werden  konnte,  wie  sollte  man 
da  im  verlaufe  dieses  säculums,  bei  all  den  kämpfen  und  Un- 
ruhen, besserung  erwarten?  wir  sind  in  der  läge,  aus  den  quellen 
gar  manche  Zeugnisse  für  die  sittliche  hohlheit  der  zeit  bei- 
zubringen, ich  brauche  nur  auf  Prutzens  culturgeschichte  der 
kreuzzüge  hinzuweisen ,  wo  proben  des  vagabundismus  mitgeteilt 
werden ,  wie  sie  unser  modernstes  industrierittertum  nicht  raf- 
finierter aufzuweisen  hat. 

Fünf  dinge  besonders  möchte  Wilmanns  dem  österreichischen 
leben  des  12  jhs.  absprechen,  den  minnesang,  die  putzsucht  der 
weiber  besonders  niederen  Standes,  die  kenntuis  von  bordellen 
und  Schwitzbädern  und  schliefslich  den  weltlichen  gelehrtenstand. 
zur  entscheidung  über  den  ersten  punct,  mit  dem  ein  haupt- 
zeugnis  gegen  seine  auffassung  unserer  ältesten  liebeslyrik  weg- 
geschafft werden  soll,  hat  Wilmanns  nichts  neues  beigebracht, 
dass  der  'weltliche  gelehrtenstand'  auf  einer  falschen  deutung  von 
Prlb.  552  beruhe,  hat  Schröder  in  seiner  anzeige  dargetan,  und 
dass  die  Schwitzbäder  in  Deutschland  länger  bekannt  sind  als 
Wilmanns  annehmen  möchte,  ist  seit  Martins  einleitung  zu  Murners 
Badenfahrt  und  durch  die  von  Wilmanns  selbst  s.  9  angezogene 
stelle  aus  Thomasin ,  die  geradezu  eine  kirchliche  tradition  für 
das  Erg.  945  ff  gebrauchte  bild  zu  beweisen  scheint,  so  gut  wie 
sicher,  ich  hoffe  demnächst  noch  andere  Zeugnisse  dafür  vorlegen 
zu  können. 

Was  den  kleiderluxus  der  weiber  anlaugt,  so  ist  es  doch 
gewis  ein  sonderbares  beweisverfahren,  wenn  W.  die  erste  uns  zu- 
fällig bekannte  erwähnung  solcher  dinge,  wie  schminke,  schleppen 
und  gelwez  gebende  um  deswillen  in  eine  spätere  zeit  versetzen 
will,  weil  sie  sonst  eben  die  erste  erwähnung  sein  würde,  der 
gebrauch  der  schminke  war  den  Italienern  seit  der  römischen 
zeit  niemals  fremd  geworden  und  wird  es  auch  in  Deutschland 
zu  keiner  zeit  ganz  gewesen  sein,  in  einer  stelle  der  Eneide, 
die  keine  zwei  Jahrzehnte  später  fällt  als  die  seither  angenommene 
entstehung  unserer  gedichte,  erfahren  wir  die  namen  des  roten 
und  weifsen  schminkstoffes:  5171  f  wale  gemisket  rot  end  wiz 
an  blenke  end  dne  verniz,  und  wenn  diese  stelle  auch  wol  das 
vorbild    abgab    für   ähnliche   anspielungen    in  den  Nib.  (A  1594), 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II  285 

im  Parz.  (776,8)  und  bei  Walther  111,  12,  so  wird  doch  durch 
sie  alle  die  weite  Verbreitung  der  Unsitte  für  eine  wenig  spätere 
zeit  bezeugt,  für  die  schleppen  führt  Wilmanns  selbst  mehrere 
französische  Zeugnisse  des  12  jhs.  an,  er  scheint  sich  also  nur 
gegen  die  rasche  und  weite  Verbreitung  der  mode  zu  sträuben : 
sollte  es  aber  damit  zu  jener  zeit  wesentlich  anders  gestanden 
haben,  als  etwa  im  14  jb.,  wo  wir  durch  zahlreiche  eclatante 
beispiele  von  dem  rapiden  Umsichgreifen  der  kleiderneuerungen 
unterrichtet  sind?  oder  auch  im  13  Jh.,  wo  wir  Neidharts  hauern 
im  besitze  der  neuesten  französischen  modeartikel  antreffen?  ich 
glaube  auch  nicht,  dass  sich  W.  die  baurenweiber  des  16  jhs. 
so  vorzustellen  pflegt,  wie  sie  gelegentlich  in  den  Sittenpredigten 
dieser  zeit  erscheinen,  eine  stelle,  wie  die  nachfolgende  aus 
der  Christlichen  haustafel  des  Cyr.  Spangenberg,  auf  die  mich 
Schröder  hingewiesen  hat,  kann  ich  mir  nicht  versagen,  hier 
herzusetzen,  zumal  sie  bis  in  einzelheiten  hinein  mit  der  Schil- 
derung des  altösterreichischen  Sittenpredigers  zusammentrifft:  Also 
gehets  unter  dem  Weibervolck  auch  zu,  Burger  vnd  Bawren -Weiber 
wollen  schlechte  dem  Adel  gleich  sein\  mit  Schweiften,  Kragen, 
Zöpfen,  Ermein,  Geprem,  Schurtzen,  Hauben,  Schauben,  Scheub- 
lein  vnd  Mentel,  ja  auch  mit  dem  treuen,  schwentzeln2 ;  vnd  Krantz 
setzen  (ausgäbe  von  1564,  F  iub).  —  mag  für  die  schleppe 
noch  zugestanden  werden,  dass  es  sich  um  eine  neue  mode 
handelt,  so  fällt  bei  dem  gelwen  gebende  auch  dies  bedenken 
fort:  so  lange  man  'gebende'  trug  und  freude  an  grellen  färben 
hatte,  wird  es  nie  ganz  gefehlt  haben,  und  dass  es  von  jeher  als 
ein  zeichen  der  Üppigkeit  galt,  beweist  Prudentius,  wenn  er  die 
Luxuria  croceo  religamine  bekleidet  sein  lässt:  mit  gelwem  ge- 
bende (Psychom.  359).  richtig  ist  es,  dass  dieser  gelbe  kopfputz 
auf  der  höhe  des  mittelalters  besonders  im  schwänge  war,  aber 
bis  zu  Etienne  de  Bourbon  und  ßerthold  von  Regensburg  braucht 
man  da  auch  nicht  herabzusteigen:  schon  der  mönch  von  Mon- 
taudon  klagt  über  die  Verteuerung  des  saffrans  durch  die  trauen 
(Wackernagel  Kl.  sehr.  1,  1S8). 

Luxus  in  der  tracht  und  extravaganzen  der  mode  lassen  sich 
nun  einmal  keiner  zeit  absprechen;    ihre  ausbreitung  beruht  auf 

1  vgl.  wellent  sich  die  gebiurinne  an  allem  ende  des  riehen  mannen 
lohter  penözzen  Prl.  330 f. 

2  vgl.  mit  ir  chratzen  und  mit  ir  stozzen  Prl.  332. 


286  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II 

dem  nachahmungstriebe  des  menschen:  swes  sumlich  beginnent, 
dar  nach  briutent  sich  die  andern,  dieser  process  beginnt  natur- 
gemäfs  in  den  höchsten  kreisen  der  gesellschaft,  aber  auch  hier 
schon  pflegt  der  anstofs  zu  auffallenden  neuerungen  in  der  sucht 
zu  liegen,  fremdes  nachzuäffen,  ein  beredtes  Zeugnis  dafür  bietet 
ein  brief  des  abtes  Siegfried  von  Gorze  an  Poppo  von  Stablo 
aus  dem  jähre  1043  (Giesebrecht  2,  679 ff),  den  ich  auszugsweise 
hier  mitteile:  . .  .  Ignominiosa Franciscarum  ineptiarum  consuetudo 
introducitur,  scilicet  in  tonsione  barbarum,  in  turpissima  et  pu- 
dicis  obtulibus  execranda  decurtatione  ac  deformitate  vestium  mul- 
tisque  aliis  novitalibus.  ...  At  nunc  plnrimi  patrios  et  honestos 
mores  parvi  pendunt.  et  exterorum  hominum  vestes  simulque  mox 
perversitates  appetunt  ac  per  omnia  his  etiam  similes  esse  cupiunt, 
quos  hostes  et  insidiatores  suos  esse  sciunt,  et  quod  magis  dolendum 
est,  hi  tales  non  modo  non  corriguntur,  verum  etiam  apud  regem 
et  quosdam  alios  principes  familiariores  habentur.  .  .  .  Hoc  vero 
alii  videntes  eorum  similes  fieri  non  verecundantur  et,  quia  eos 
impune  ferre  simul  et  munerari  considerant,  maiores  novitatum 
insanias  excogitare  festinant.  —  dass  bei  irgend  einer  menschen- 
classe  dieser  nachahmungs-  und  luxustrieb  weniger  oder  gar 
nicht  entwickelt  wäre,  wird  niemand  behaupten  wollen,  und  so 
kann  es  doch  nicht  im  geringsten  auffallen,  weun  im  12  jh.  die 
gebiurinne  des  riehen  mannes  tochter  sich  iceüent  genözzen.  man 
dürfte  selbst  mit  Wilmanns  gebiurinne  wörtlich  mit  'bäurin'  über- 
setzen, obgleich  das  durchaus  nicht  notwendig  ist,  da  gebiurinne 
im  übertragenen  sinne  häufig  genug  ganz  allgemein  das  weib  ge- 
ringer herkunft  und  gemeinen  benehmens  bezeichnet,  die  Wiener 
metzgerswittwe  (Prunhilt  relicta  Hartwici  carnificis),  welche,  nicht 
allzuviel  später,  der  kirche  pro  remedio  anime  sue  surgotam  suam 
sericeam  überwies1,  liefert  den  beweis,  dass  luxus  und  wolleben 
auch  in  jener  zeit  nicht  auf  den  adel  und  die  städtischen  patricier 
beschränkt  blieben. 

Ein  bordeil  ist,  wie  ich  mit  Schröder  DLZ  1886,  885  anuehme, 
erst  von  Wilmanns  in  das  Priesterleben  hinein  interpretiert  worden, 
sein  vorhanden  sein,  wie  sein  fehlen  würde  durch  diese  dichtung 
keinerlei  bestätigung  erhalten,  immerhin  kann  es  nicht  schaden, 
einiges  über  das  alter  solcher  einrichtungen  zu  erfahren.  Wil- 
manns   hat   bei    Alw.  Schultz    eine   stelle   des  Jacques  de  Vitry 

1  fragment  eines  liber  dativus  ed.  Zappert  WSB  xm  (1854)  1.90. 


ERINNERUNG  Ur\D  PRIESTERLEREN  II  287 

(f  1240)  gefunden,  worin  dieser  das  leben  der  Pariser  geist- 
lichen schildert,  wie  sie  von  den  dirnen  in  die  bordeile  geschleppt 
werden,  daraus  zieht  er  den  trugschluss:  was  im  13  jh.  erst 
von  den  Pariser  Verhältnissen  gesagt  wird,  das  kann  unmöglich 
schon  im  12  jh.  in  Österreich  an  der  tagesordnung  gewesen  sein, 
'natürlich  bestreite  ich  nicht,  dass  auch  damals  viele  geistliche 
den  gerügten  lästern  verfallen  konnten,  aber  sie  musten  die  be- 
friedigung  des  triebes  auf  anderem  wege  suchen.'  warum  aber 
und  auf  welchem  wege?  dirnen,  welche  für  geld  sich  preisgeben, 
hatte  man  damals  so  gut  wie  heute.  Thietmar  (vm  2)  sieht  in 
ihnen  noch  das  geringere  übel,  wenn  er  klagt:  Apud  modernos, 
quia  libertas  peccandi  plus  iusto  atque  solito  ubique  dominaiur, 
plus  quam  compressa  ancillarum  multitudo,  quaedam  pars  matro- 
narum,  cupidine  veneria  pruritui  noxio  subscalpente ,  marito  vi- 
vente  nunc  mechatur.  unter  compressa  ancillarum  multitudo  wird 
er  wol  nichts  anderes  als  gewerbsmässige  huren  verstanden  haben, 
auch  über  den  in  jener  zeit  üblichen  preis  erhalten  wir  wenig 
später  aufklärung  aus  einer  stelle  im  Eraclius;  2219  ff  sagt  die 
alte,  bei  welcher  Athenais  lebt,  zu  Eraclius:  get  zuo  andern 
binden!  ir  muget  hie  manege  vinden,  diu  iuch  iwers  willen  wert 
und  niht  wan  drier  phenninge  gert.  von  der  gewerbsmäfsigen 
unzucht  zur  gewerbsmäfsigen  kuppelei  ist  der  schritt  nicht  weiter, 
als  vom  diebstahl  zur  hehlerei.  muss  auch  das  eine  logisch  dem 
anderen  vorausgehn,  so  zwingt  nichts  dazu,  ihre  entstehung 
auch  würklich  zeitlich  zu  trennen,  nach  Gilbert  Stuarts  View  of 
society  in  Europe  in  its  progress  from  rudeness  to  refinement 
(übers.  Leipzig  1778)  s.  391,  dessen  quelle  ich  augenblicklich  nicht 
nachprüfen  kann,  gab  Heinrich  n  den  bordeilen  in  Southwark  einen 
freiheitsbrief,  'dem  alten  gebrauch  zu  folge,  welcher  seit  undenk- 
lichen Jahren  im  schwänge  war.'  sollte  Deutschland  eine  ausnahme- 
stellung  in  diesen  dingen  eingenommen  haben?  das  unsittliche  leben 
in  nonnenklöstern  sowol  wie  das  bestehn  von  bordellen  im  12  jh. 
in  Deutschland  bezeugt  ein  schreiben  des  abtes  des  Marienklosters 
Flechtorp  im  Paderbornischen  an  papst  Eugen  in,  in  welchem 
er  von  diesem  kloster  aussagt :  non  divina  servitia  sed  lupanarium 
ludibria  potius  exercebantur  (Havemann  Gesch.  der  lande  firaun- 
schweig  und  Lüneburg  1,  315).  bei  der  Übersetzung  von  lupa- 
nar,  lupercal,  prostibulum,  meritorium  wenden  die  ahd.  glossen 
stets  und  ohne  schwanken  huorhüs  an,   nie  eine  Umschreibung: 


288  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II 

ein  beweis,  wie  bekannt  der  begriff  und  das  wort  schon  dem 
früheren  mittelalter  waren,  noch  characteristischer  ist,  dass  sie 
für  gymnasium,  amphitheatrum  neben  dem  üblichen  spilhüs  zu- 
weilen huorhüs  sagen,  ja  gelegentlich  auch  delubrum,  sacellum 
(weil  es  heimliche  räume  zu  heimlichen  zwecken  sind)  mit  huorhüs 
übersetzen,  vgl.  Graff  iv  1055.  einen  sehr  deutlichen  einblick 
in  sitte  und  sittliche  anschauung  des  12  jhs.  gewährt  uns  die 
stelle  im  Eilhart,  wo  von  Morolts  bordeil  gesprochen  wird, 
439:  so  wil  ich  die  magedin  minem  hürhüse  tun  zu,  daz  sie  mir 
spate  unde  frü  gewinnen  dar  inne  silber  und  Pfenninge,  die  Ver- 
wertung der  bordelle  zu  königlichen  steuerobjecten  kann  doch 
nur  ein  letztes  glied  einer  langen  entwickelungsreihe  sein1. 

Fassen  wir  nun  das  ergebnis  unserer  prüfung  der  Wil- 
mannsschen  aufstellungen  zusammen,  so  lautet  es  dahin,  dass 
keiner  der  zweifei,  welche  Wilmanns  in  betreff  der  hinaufrückung 
der  gedichte  Erinnerung  und  Priesterleben  in  das  12  jb.  hegt, 
berechtigung  hat,  sondern  dass  sich  alles  dem  rahmen  dieser 
zeit  passend  einfügt,  kommt  hinzu ,  dass  der  Inhalt  der  gedichte, 
soweit  er  vom  unzüchtigen  leben  der  geistlichen  handelt,  nach 
Wilmanns  selbst  auf  keine  andere  zeit  als  das  12  jh.  bezogen 
werden  kann,  so  ist  nichts  methodischer  als  der  schluss,  dass 
die  gedichte  auch  dem  12  jb.  angehören,  selbst  wenn  der  ver- 
blüffende gedanke,  dieselben  nach  Ungarn  zu  verpflanzen,  auf 
bessere  stützen  sich  angewiesen  sähe,  als  in  der  tat  der  fall  ist. 

Das  argumentum  e  silentio  halte  ich,  wenn  es  nicht  inner- 
halb ganz  genau  bestimmter  grenzen,  die  allein  ihm  einiges  ge- 
wicht verleihen,  angewandt  wird,  für  das  nichtigste  argumeut, 
das  sich  denken  lässt.  das  gebiet  dessen,  was  der  mensch  alles 
mit  und  ohne  grund  stillschweigend  übergehn  kann,  ist  so  uner- 
messlich,  dass  es  ein  unding  ist,  daraus  irgend  etwas  ableiten 
zu  wollen,  ich  kann  es  daher  auch  nicht  mit  Wilmanns  höchst 
auffallend  finden,  dass  in  unsern  gedichten  der  papst  nur  zwei 
mal,  der  kaiser  gar  nicht  genannt  wird,  ja,  wenn  es  sich  um 
ein  politisches  gedieht,  wenn  es  sich  um  eine  episode  aus  den 
kämpfen  zwischen  papst-  und  kaisertum  handelte,  dann  würde 
das  auffallen,     aber  auch   in  einem  gedichte  moralisierenden  in- 

1  aus  einer  Urkunde  Roberti  ducis  Normanniae  Richardi  filii  führt  Du 
Cange  an:  Custos  meretricum  publice  venalium  in  lupanari  de  Rothomago 
et  marescallus  meus,  quando  moror  Rothomagi. 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II  289 

halts,  in  einer  satire  auf  die  sittenlosigkeit  der  stände?  könige 
und  bischöfe  siud  doch  nur  typen  ihres  Standes;  in  kaiser  und 
papst  fällt  typus  und  Individuum  zusammen,  die  hereinziehuug 
des  persönlichen  aber  liegt  der  satire  fern,  und  gesetzt  auch  dieser 
grund  fiele  weg,  wie  viele  werke  haben  wir  nicht  in  unserer  lit- 
teratur,  in  denen  sich  von  gleichzeitigen  ereignissen  auch  nicht  das 
geringste  spiegelt!  wo  finden  wir  denn  in  andern  werken  des  12jhs. 
solche  anspielungen  auf  den  weltbewegenden  kämpf  der  beiden 
höchsten  gewalten,  die  ein  deutsches  publicum  vom  deutschen 
dichter  nach  Wilmanns  erwarten  muste?  wo  bietet  sich  in  der 
poesie  des  12  jhs.  ein  bild  von  dem,  was  am  meisten  die 
gemüter  der  zeit  erregte,  was  ihr  recht  eigentlich  das  charac- 
teristische  gepräge  gibt,  von  den  kreuzzügen?  ein  paar  matte, 
erst  durch  kritik  zu  deutende  anklänge  und  niederschlage,  das 
ist  alles,  wenn  selbst  in  einem  werke  wie  der  Kaiserchronik  der 
päpste  kaum  gedacht  wird,  wenn  in  der  eigentlichen  historio- 
graphie  des  12  jhs.  die  wichtigsten  begebenheiten  oft  kaum  be- 
rührt werden,  wie  will  man  dann  sich  wundern,  dass  in  un- 
politischen gedichten  nichts  von  politik  vorkommt?  und  doch 
ist  dieser  umstand  wider  das  einzige  argument,  das  Wilmanns 
gegen  die  deutschheit  des  verf.s  ins  fehl  zu  führen  hat:  ein 
dichter  Deutschlands  würde  papst  und  kaiser  nicht  mit  still- 
schweigen haben  übergehn  können!  ist  diese  folgerung  ver- 
wunderlich, so  ist  es  nicht  minder  das  verfahren,  durch  welches 
der  dichter  zum  Ungarn  gestempelt  wird.  Prlb.  632  f  lauten  :  ze 
Ungern  unt  ze  Behaim  unt  in  allen  diutschen  landen,  wenn  hier 
an  erster  stelle  Ungarn  genannt  wird,  so  'darf  man  darin  ein 
anzeichen  sehn,  dass  Ungarn  auch  in  des  dichters  interesse  die 
erste  stelle  einnahm'!  ich  denke,  mit  nichten  darf  man  das.  den 
dichter  hat  zu  der  Stellung  der  namen  nichts  anderes  bewogen, 
als  die  rücksicht  auf  den  vers  und  den  reim,  wie  heutzutage 
auch  noch,  soviel  ich  davon  verstehe,  dichter  von  drei  gleich- 
wertigen begriffen  denjenigen  in  den  reim  setzen,  auf  welchen 
sie  das  beste  reimwort  linden,  mit  gleicher  folgerichtigkeit  darf 
dann  auch  Wilmanns  die  im  Prlb.  662  ff  beliebte  Ordnung  der 
hören  (sexta,  nona,  tertia,  prima,  completorium,  vesper)  für  inals- 
gebend  halten ,  oder  gar  nach  635  be'diu  dreschen  unde  sniden 
dem  landwirtschaftlichen  verstände  des  dichters  zutrauen,  dass 
er  das  körn  erst  dreschen  und  dann  schneiden  würde. 


290  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II 

Noch  einiges  wird  von  Wilmanos  angeführt,  was  eher  sich 
für  einen  ungarischen  als  für  einen  deutschen  Verfasser  schicken 
solle,  da  ich  über  ungarische  Verhältnisse  nicht  unterrichtet  bin, 
sehe  ich  von  einer  weiteren  erörterung  dieser  academischen  frage 
ab.  nicht  übergehn  aber  will  ich  doch  Wilmanns'  behauptung, 
dass  wir  in  Heinrich  von  Mügeln  wenigstens  ein  beispiel  von 
einem  dichter  besäfsen,  der  in  Ungarn  eine  geeignete  statte  für 
seine  litterarische  tätigkeit  gefunden  habe,  für  einen  aufent- 
halt  Heinrichs  von  Mügeln  in  Ungarn  besitzen  wir  aber  gar 
kein  Zeugnis!  dass  er  eine  ungarische  chronik  übersetzte,  kann 
für  ein  solches  schon  deshalb  kaum  gelten,  weil  er  sein  werk  dem 
erzherzog  Rudolf  iv  von  Österreich  widmete,  in  dessen  auftrage 
also  wol  auch  schrieb,  und  selbst  für  den  fall  dass  Wilmanns 
recht  hätte,  so  besteht  zwischen  den  beiden  Heinrichen  ein  solcher 
unterschied,  dass  die  existenz  des  einen  in  Ungarn  nicht  die 
geringste  stütze  für  die  Wahrscheinlichkeit,  auch  der  andere  sei 
dort  gewesen,  bieten  würde.  Heinrich  von  Mügeln  würde  vor- 
übergehend am  ungarischen  hofe  gelebt  haben,  unbeeinflusst  von 
Ungarns  socialen  Verhältnissen  und  ohne  einfluss  auf  dieselben, 
ein  gast  in  fremdem  laude,  dahingegen  zeigt  sich  in  dem  verf. 
unserer  dichtungen  ein  mann,  der  mitten  inne  steht  im  kämpfe 
der  meinungen,  der  nach  Wilmanns  eine  genaue  kenntnis  des 
landes  und  der  silten  hat,  der  das  seinige  redlich  tut  zur  ab- 
stellung  der  übelstände,  er  müste  durch  und  durch  sich  als 
angehöriger  des  ungarischen  landes  fühlen  und  dadurch  für  uns 
völlig  isoliert  dastehn,  durch  Heinrich  vou  Mügeln  keinerlei  er- 
klärung  findend,  wenn  etwas  aber  im  stände  ist,  den  unter- 
schied in  spräche  und  form  von  gedienten  des  12  und  14  jhs. 
uns  klar  zu  machen,  so  ist  dies  eine  vergleichende  betrachtung 
der  dichtungen  Heinrichs  von  Mügeln  mit  unseren  geistlichen 
gedienten,  die  jeden  von  dem  weiten  zeitlichen  abstände  über- 
zeugen wird,  eine  eingehende  Untersuchung  der  spräche  würde 
überflüssig  sein,  da  die  äufsere  form  der  gedichte  ihre  entstehungs- 
zeit  deutlich  genug  bezeichnet. 

Es  fehlt  uns  leider  eine  ausgäbe  von  Mügelns  gedieht  Der 
meide  kränz,  doch  lassen  schon  die  kurzen  auszüge  bei  Wilken 
(Geschichte  der  Heidelberger  büchersammlungen  309  ff)  und 
WMüller  (Göttinger  Studien  1847,  905)  zwei  untrügliche  kenn- 
zeichen  des   14  jhs.  erkennen,  die  durchgängige  achtsilbigkeit  der 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II  291 

verse  und  deü  mangel  des  klingenden  reimes.  wenn  in  den 
38  mitgeteilten  reimpaaren  kein  klingender  reim  vorkommt,  so 
wird  es  nicht  zu  kühn  sein ,  auf  seine  Seltenheit  überhaupt  zu 
schliefseu ,  da  sich  damit  Der  meide  kränz  nur  einer  regel  fügen 
würde,  die  sich  mir  aus  beobachtung  allerdings  unvollständigen 
materials  ergeben  hat1,  danach  hat  kein  erzählendes  gedieht  des 
14jhs.  über  20%,  keines  des  13  jhs.  über  40°'o  und  keines  des 
12jhs.2  unter  40%  klingender  reime,  ich  teile  die  procentzahl 
der  klingenden  reime  in  den  von  mir  geprüften  dichtungen  mit. 
14  jh.:  Claus  Wisse  12%;  Heinrich  von  Berngen  14%;  Visio 
Philiberti  B  (in  Karajans  Frühlingsgabe)  5,7%;  Vis.  Phil.  C  9%; 
Boners  Edelstein  6,5%.  —  1 3  jh. :  Parzival  ca.  23%;  Erec31%; 
Iwein  27%;  1  Büchl.  26%;  Gregorius  36%;  Arm.  Heinr.33%; 
2  Büchl.  30%;  Konrads  Kindheit  Jesu  30,5%;  Urstende  30%; 
Jüdel  26,5%;  Lamprechts  tochter  Syon  38%;  Franzisken  leben 
27%;  Meleranz  20% ;  Mai  27%;  Silvester  30% ;  Parton.  33%; 
Heinrich  von  Freiberg  22,5%;  Erlös.  24%;  Ulrichs  Alexander  30%. 
—  12  jh.:  Jüngst,  gericht  (Diemer  283 ff)  55,5%;  Wernhers  Maria 
(Fdgr.  2)  55,5%;  Heinrichs  Litanei  67%  ;  Arnsteiner  Marienieich 
53%;  Tundalus  51%;  Anegenge  ca.43%  ;  Himmelreich  74%.  es 
wäre  wünschenswert,  dass  diese  beobachtungen  einmal  zu  einer 
vollständigen  Untersuchung  erweitert  würden,  die  dann  natürlich 
auch  auf  die  landschaftlichen  unterschiede,  besonders  zwischen 
oberdeutschen  und  mitteldeutschen  dichtem  achten  müste;  das 
resultat  im  allgemeinen  würde,  glaube  ich,  nicht  erheblich  ge- 
ändert werden,  auf  jeden  fall  aber  wird  es  nunmehr  keinem  zweifei 
unterliegen,  dass  Erinnerung  mit  55,5%  und  Priesterleben  mit 
59%  klingender  reime  nur  dem  12  jh.  angehören  können. 

Aus  der  spräche  der  dichtungen  will  ich  nur  das  eine  her- 
vorheben, dass  sich  in  beiden  nicht  ein  einziges  französisches 
fremdvvort,  nicht  eine  einzige  bildung  auf  -ie  oder  -ieren  findet, 
ich  behaupte  getrost;  man  wird  aus  dem  14  jh.  kein  episches 
oder  didactisches  werkchen  von  auch  nur  :Sl>0  versen  auftreiben 
können,  in  dem  jener  sprachliche  einfluss  von  westen  her  sich 
nicht  geltend  macht,  hier  aber  haben  wir  über  1800  verse  und 
keine  spur  davon ! 

Stand  die  Chronologie  der  beiden  gedichte  einmal  soweit  fest, 
dass  man    sie    nach  spräche   und  inhalt   in  das   12  jb.   und  zwar 

1  vgl.  auch  (JF  44, 19.  2  vorhöfische  zeit ! 


292  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II 

nach  Österreich  weisen  durfte,  so  suchte  man  nach  anderen  an- 
zeichen,  welche  eine  engere  datierung  und  örtliche  begrenzung 
gestatteten,  ein  solches  fand  man,  da  der  name  des  dichters 
Heinrich  nichts  ergab,  in  der  erwähnung  eines  abtes  Erkenfried 
am  Schlüsse  der  Erinnerung,  man  suchte  nach  und  fand  zwei 
äbte  dieses  namens  in  österreichischen  klösteru,  den  einen  zu 
Göttweig  (1090— 1120)  und  den  anderen  in  Melk  (1122— 1163). 
einer  von  diesen  beiden,  so  schloss  man,  muste  unser  Erken- 
fried sein,  je  nachdem  sich  nun  aus  anderen  anhaltspuncten 
das  höhere  oder  geringere  alter  für  die  abfassungszeit  der  dich- 
tungen  wahrscheinlich  machen  liefs,  erklärte  man  sich  für  den 
einen  oder  den  anderen ,  setzte  den  dichter  nach  Göttweig  oder 
nach  Melk,  für  ersteres  entschied  sich  Diemer,  letzteres  nahmen 
nach  Lachmanns  Vorgang  (Rhein,  mus.  3,  426)  alle  anderen  an. 
ich  muss  Wilmanns'  urteil  zustimmen,  dass  der  weg,  auf  dem 
diese  Schlüsse  gewonnen  wurden  kein  einwandfreier  ist.  denn  bei 
der  lückenhaften  Überlieferung  der  abtverzeichnisse  ist  es  denkbar, 
dass  noch  anderen  österreichischen  klöstern  des  12  jhs.  äbte  des 
nicht  gar  so  seltenen  namens  Erkenfried  vorgestanden  haben, 
aber  da  Melk  eines  der  nicht  allzu  zahlreichen  österreichischen 
klöster  ist,  die  sich  damals  durch  reges  geistiges  leben  aus- 
zeichnen, da  ferner  die  zeit  jenes  Erkenfried  durchaus  passend 
ist,  so  dürfen  wir  immerhin  die  Wahrscheinlichkeit  zugeben,  dass 
der  dichter  der  Erinnerung  ein  Heinrich   von  Melk  war. 

Diemer  hat  zur  weiteren  begründung  seiner  Zeitbestimmung 
für  die  Erinnerung  hauptsächlich  zweierlei  ausgeführt:  erstens 
dass  die  klagen  über  die  sittenlosigkeit  der  geistlichen,  unter  denen 
besonders  die  landsleute  des  dichters,  also  die  österreichischen 
geistlichen,  verstanden  seien,  sich  nur  auf  den  an  fang  des 
12  jhs.  beziehen  könnten,  und  zweitens,  dass  in  dem  gedichte 
directe  anspielungen  auf  das  Verhältnis  Heinrichs  iv  und  seines 
sohnes  Konrad  enthalten  seien. 

Heinrichs  worte  142  ff:  'nu  wellent  die  phaffen  übereil  in  daz 
haben  ze  einem  rechte  gar,  daz  sich  under  der  phaffen  schar  sul 
der  wibe  niemen  dnen'  seien,  so  meint  Diemer,  der  das  nu  zeit- 
lich auffasst  und  darin  das  staunen  über  etwas  neues  und  un- 
erhörtes sieht,  nur  möglich  in  dem  anfange  der  bestrebungen  der 
geistlichkeit,  die  ehelosigkeil  zu  beseitigen,  nach  dem  Wormser 
concordate  1122    wäre  eine   solche  äufserung  kaum  mehr  mög- 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II  293 

lieb  gewesen,  da  in  Österreich  durch  die  strenge  papst  Urbaus  n 
(1088 — 1099),  durch  die  erzbischöfe  von  Salzburg  und  die  bischöfe 
von  Passau  der  coelibat  wenigstens  im  allgemeinen  schon  völlig 
durchgeführt  und  der  widerstand  gegen'  ihn  längst  aufgegeben 
gewesen  sei.  unterstützt  wird  diese  behauptung  durch  mehrere 
stellen  österreichischer  schriftsteiler,  in  welchen  den  österreichi- 
schen geistlichen  complimente  gemacht  werden,  über  die  dauer 
jener  kämpfe  ist  Diemer  in  wunderlichem  irrtum  befangen  ge- 
wesen, was  für  ihn  wenige  jähre  umschliefsen,  hat  Jahrhunderte 
gedauert,  von  einem  anfange  jener  bestrebungen  der  geistlichen 
gegen  die  ehelosigkeit  um  1114  kann  noch  weniger  geredet 
werden,  als  von  ihrem  aufhören  nach  dem  Wormser  concor- 
date.  wie  wenig  dieses  auch  für  Österreich  eiuen  wendepunet  be- 
deutet, das  geht  schon  aus  Gerhochs  von  Reichersberg  äufserungen 
hervor,  der  in  seinem  1148  geschriebenen  buche  De  corrupto 
statu  ecclesiae  und  in  seinen  späteien  Schriften  die  laster  der 
geistlichkeit  scharf  geifselt.  wie  gerade  die  erzdiöcese  Salzburg 
um  das  letzte  drittel  des  jhs.  ein  trauriges  beispiel  für  die  ver- 
lotterung des  klerus  abgab,  das  schildert  uns  der  archidiakon 
Heinrich  in  seiner  Historia  calamitatum  ecclesiae  Salisburgensis 
cap.  9  (Pez  Thesaurus  2,  3,  215  f).  die  interessante  stelle  steht 
bei  Heinzel  s.  31  abgedruckt,  das  bild,  das  wir  hier  vom  clerus 
des  ausgehenden  jhs.  empfangen  (und  zwar  durch  einen  geist- 
lichen der  diöcese),  ist  gewis  nicht  weniger  widerwärtig,  als  es 
von  den  geistlichen  vor  dem  concordate  sein  kann,  fehlt  hier 
also  jeder  characteristische  unterschied,  der  für  die  datierung 
von  bedeutung  sein  könnte,  so  beruht  die  von  Diemer  behauptete 
heziehung  der  Erinnerung  auf  Heinrich  iv,  trotzdem  er  mit 
grofsem  eifer  und  nicht  ungeschickt  den  beweis  zu  erbringen 
sucht,  doch  nur  in  seiner  phantasie.  Erg.  272  ff :  diu  triwe  ist 
gurlich  erslagen  under  den,  die  läien  sint:  der  vater  müz  hazzen 
daz  chint;  er  wirt  des  nimmer  an  sorgen,  volwähset  ez  hiut  oder 
morgen,  ern  verstözze  in  alles  des  er  hdt.  ob  sin  dinch  unhäilich 
ergdt,  daz  er  ndch  richtüm  erarmet,  öwe  wie  lützel  sich  iemen 
erbarmet  alles  sines  chunnes  über  in!  lassen  Diemer  nur  an  Hein- 
rich iv  denken,  'welchen  Konrad,  sein  zweitgeboreoer  söhn,  in 
Italien  verriet  und  vom  throne  zu  stofsen  suchte,  \\;is  seinem 
dritten  söhne  Heinrich  später  würklich  gelang',  'es  wird  durch 
diese   heziehung  der   aussprach   unseres  verf.s,   dass   unter  den 


294  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II 

laien  treue  und  redlichkeit  gänzlich  totgeschlagen  sei,  voll- 
kommen gerechtfertigt,  während  er  ohne  sie  völlig  unbelegt 
bliebe',  ebenso  ist  Erg.  511  ff:  eines  chuniges  sun  welle  wir  iu 
nennen,  auf  Heinrich  v  zu  beziehen,  auf  den  die  Schilderung  des 
lebens  bei  dem  Satiriker  'buchstäblich  passt'.  die  Unterredung 
zwischen  vater  und  söhn  über  die  schrecken  der  hülle  lasse 
noch  deutlicher  erkennen,  dass  die  beiden  Heinriche  gemeint 
sind,  nun,  die  ähnlichkeit  der  Schilderung  in  der  Erinnerung 
mit  dem  unglücklichen  geschick  Heinrichs  iv  darf  ganz  wo! 
zugegeben  werden,  aber  sie  berechtigt  noch  lange  nicht  zu  dem 
Schlüsse,  dass  nun  auch  jene  dieses  geschick  speciell  meint, 
eines  historischen  beleges  für  so  allgemeine  Wahrheiten,  wie  sie 
unsere  gedichte  enthalten,  bedürfen  wir  nicht,  sie  erfahren  ihre 
bestätigung  zu  allen  zeiten  im  leben  der  grofsen  wie  der  ge- 
ringen. 

Auch  der  behelf  der  Zeitbestimmung,  den  Diemer  in  den 
wnrten  Erg.  398  f  Röme  aller  werlte  houptstat  din  hat  ir  alten 
vaters  niht  findet,  indem  er  sie  nur  auf  Gregor  vii  beziehen 
will,  taugt  nichts,  schon  der  umstand,  dass  sie  Heiuzel  seiner- 
seits nur  auf  den  tod  Eugens  in,  Ottomar  Loreuz  nur  auf  die 
abwesenheit  dieses  papstes  von  Rom  und  Wilmanns  auf  das  Avig- 
nouesische  exil  beziehen  zu  können  glauben,  muss  uns  davor 
warneu,  dem  unbestimmten  satze  eine  bestimmte  historische  unter- 
läge zu  geben,  in  ihu  eiuen  sinn  zu  legen,  an  den  der  dichter 
nicht  gedacht  zu  haben  braucht.  ich  sehe  deshalb  auch  in 
v.  398  f  überhaupt  keine  anspielung  auf  eine  zeitgenössische 
persönlichkeit  und  bin  überzeugt,  dass  mit  dem  alten  vater 
kein  bestimmter  papst  gemeint  ist,  sondern  der  typus  und  das 
vorbild  der  päpste  selbst,  Petrus,  wie  dieser  auch  Servat.  1545 
minem  reite  sult  ir  volgen  unt  gehörsamen  iuwerm  alten  vater 
so  genannt  wird,  ganz  so  allgemein  wie  in  den  übrigen  teilen 
des  gedachtes  wird  auch  hier  gesprochen:  die  päpste  gleichen 
nicht  ihrem  vorbild,  sie  sind  wie  die  übrige  geistlichkeit  schlecht 
geworden,  diese  erklärung  ist  es  auch  allein,  welche  sich  aus 
den  worten  des  gedichtes  entnehmen  lässt.  der  genitiv  vaters 
abhängig  von  niht  zeigt  deutlich ,  dass  niht  hier  nicht  negation 
in  unserem  heutigen  sinne  ist,  sondern  das  ursprüngliche  nega- 
tionssubstantivum.  die  Übersetzung  ist  deshalb  nicht:  'Rom  hat 
seinen  alten  vater  nicht',  sondern:  'Rom,  dh.  das  geistige  haupt 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II  295 

der  weit,  das  papsttum ,  hat  nichts  von  dem  heiligen  vorbilde 
Petrus  an  sich:  die  päpste  sind  keine  päpste  im  rechten  sinne 
des  wortes.'  dieselbe  betrachtung  finden  wir  fast  300  jähre  später 
in  Des  teufeis  netz  wider.  Petrus  wird  hier  als  vorbild  der 
päpste  hingestellt:  3064  Den  sollen  die  bcebst  zuo  aim  Vor- 
bilder han  und  sich  nach  im  richten,  aber:  3077  si  hand  sant 
Peters  so  gar  vergessen.  Also  hat  si  gittikeit  und  gemalt  besessen. 
Si  wend  sant  Peter  nit  glich  tuon  und  hand  weder  frid  noch  suon1. 
Einen  ungleich  sichereren  weg  als  Diemer  hat  Heinzel  zur 
losung  der  zeitfrage  eingeschlagen,  zwar  hat  auch  er  aus  der 
Erinnerung  eine  trügerische  historische  anspielung  zur  Zeitbe- 
stimmung mit  benutzt,  nämlich  den  'alten  vater'  399.  aber 
sein  beweis,  für  die  engste  datierung  freilich  dadurch  be- 
stimmt, enthält  sich  doch  sonst  gänzlich  der  deutung  einzelner 
partien  der  gedichte  aus  gleichzeitigen  historischen  tatsachen  und 
beruht  vornehmlich  auf  dem  Zusammenhang  der  in  den  gedienten 
zum  ausdruck  gebrachten  dogmatischen  anschauungen  mit  den 
lehrmeinungen  des  12  jhs.  durch  Heinzeis  eingehende  Unter- 
suchungen auf  diesem  gebiete  ist  allein  schon  das  12  jh.  ge- 
sichert, und  zwar  eine  zeit  desselben,  in  welcher  die  benutzten 
Schriftsteller  tonangebend  waren,  im  14  jh.  ist  ein  werk  nicht 
denkbar,  dessen  ganzer  inhalt  auf  die  theologen  des  12  jhs.  ge- 
gründet ist.  wenn  ich  nun  aber  auch  Heinzeis  ausführungen  im 
allgemeinen  und  grundsätzlich  zustimme,  so  bin  ich  doch  in 
einem  hauptpunete  zu  abweichender  auffassung  gelangt,  ich  meine 
das  Verhältnis  'Heinrichs  von  Melk'  zu  Gerhoch  von  Reichersberg, 
dessen  Schriften  nach  Heinzel  ganz  besonders  eingewirkt  haben 
sollen  und  darum  auch  vorzugsweise  zur  engeren  datierung 
unserer  gedichte  herangezogen  sind. 

Heinzeis  beweisführung  ist  folgende.  Heinrich  von  Melk  legt 
seine  ansichten  im  zusammenhange  mit  dem  wissenschaftlichen 
stände  der  frage  dar:  es  wäre  doch  wunderbar,  wenn  er  einer 
von  der  seinigen  abweichenden,  mit  viel  gelehrsamkeit  und  logi- 
scher prätension  vorgebrachten  und  verfochtenen  lehre  vom  abend- 
mahle nicht  begegnet  wäre,  welche  Gerhoch  von  Reichersperg, 
der  dem  kloster  Melk  so  nahe  war,  in  seinem  zwischen  1  143  und 
1147  geschriebenen  Tractatus  adversus  Simoniacos  vorgetragen 
hat.     kurz  vor  den  deutschen  gedichten   kann  also  dieser  traetat 

1  vgl.  auch  Roethe  zu  Reinm.  v.  Zw.  127,11. 


296  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II 

nicht  geschrieben  sein,  es  muss  eine  geraume  zeit  darüber  ver- 
strichen sein,  ich  lasse  die  unbewiesene  hypothese  von  Melk  als 
dem  abfassungsorte  sowie  die  nicht  zutreffende  Zeitbestimmung 
Heinzeis  für  den  tractat,  der  schon  1135  verfasst  wurde,  bei  seite, 
und  will  blofs  die  hauptsache  untersuchen,  ob  eine  kenntnis  von 
Gerhochs  ansieht  über  das  abendmahl  für  unsere  gedichte  irgend- 
wie von  nachweisbarem  einflusse  gewesen  sein  müste.  dazu 
sind  wir  genötigt,  Gerhochs  ansieht  oder  richtiger  ansichten  uns 
genau  klar  zu  machen,  seine  verschiedenen  Schriften  auf  diesen 
gesichtspunet  hin  zu  prüfen. 

Im  Dialogus  de  clericis  saecul.  et  regul.  (Migne  1379  ff), 
welcher  noch  im  jähre  1131  geschrieben  ist,  erklärt  Gerhoch  so- 
wol  den  nikolaitischen  priester  wie  den  simonitischen  für  außer- 
halb der  kirche.  ihr  opfer  ist  interdiciert,  und  damit  zugleich 
exeommuniciert.  Fornicantes  altaris  ministri,  si  postquam  forni- 
cati  fuerint,  ofßcia  non  praesumpserint,  erunt  in  minori,  videlicet 
in  ofßciorum  tantnmmodo  privatione.  at  si  contra  interdictum 
sedis  apostolicae  praesumunt,  peccatum  paganitatis  ineurrunt,  et 
ipsi,  et  qui  scienter  eorum  interdieta,  imo  et  exeommunicata  ofßcia 
audinnt  (1393  C).  unde  pluribus  magis  quam  uni  [Nicolaus]  ob- 
ediens,  et  inter  caetera  Gregorium  vn  quasi  tubam  audiens,  ego  de 
missis  eorum  magis  non  curo,  quam  si  cantarentur  a  pagäno 
(1394  C). 

In  dieser  ersten  uns  von  ihm  bekannten  schrift  also  erklärt 
Gerhoch  jeden  nikolaitischen  priester  für  eo  ipso  exeommuniciert 
und  dessen  opfer  nicht  nur  ihm,  sondern  dem  wissentlichen  em- 
pfänger  für  fluch  statt  segen  bringend,  ganz  anders  laulet  seine 
ansieht  in  dem  Tractatus  adversus  Simoniacos  aus  dem  jähre  1135 
(Migne  1335  ff),  hier  unterscheidet  erzwischen  der  forma  sacra- 
menti  und  der  virtus.  Mit  dem  hl.  Augustinus,  den  er  gegen 
solche  flüchtige  leser  verteidigt,  welche  dessen  lehre  von  der  inte- 
gritas  der  sacramente  von  häretikern  falsch  ausdeuteten,  nimmt 
er  an,  dass  derartige  sacramente  zwar  integra,  aber  doch  mortua 
seien  (1353  C).  er  unterscheidet  zwischen  dem  effectus  sacra- 
menti  passivus  und  activus  (1354  D).  jener  effectus  ist  die  Hand- 
lung, durch  welche  das  sacrament  hervorgerufen  wird,  der  effectus 
activus  dagegen  die  würkung,  welche  das  sacrament  hervorbringt, 
der  effectus  passivus  tritt  überall  ein,  wenn  nur  das  sacrament 
ritu   ecclesiastico   integre  celebratur  (1355  A),   also   auch   bei  dem 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II  297 

häretiker.  aber  der  effectus  activus,  quem  agunt  et  perßciunt  sa- 
cramenta,  non  est  nisi  in  catholica  ecclesia.  quoniam  ipsum  qui- 
dem  sacramentum  efficitur  vel  conficitur,  dum  verbo  accedente  ad 
elementnm  sacrae  rei  Signum  perficitur;  sed  qnia  sacra  res  illic 
deest,  non  efficit  suos  effectus  ipsum  sacramentum  (1359D).  doch 
ist  auch  der  eintritt  des  effectus  activus  nicht  so  völlig  abhängig 
allein  von  der  person  des  Spenders,  insofern  der  gläubige  em- 
pfänger, wenn  er  keine  ahnung  von  der  häresie  des  spendeis 
hat,  doch  des  opfers  teilhaftig  werden  kann,  denn  memorem  vo- 
lumus  esse  lectorem ,  quia  non  nisi  de  manifestis  et  indubitatis 
atque  synodaliter  damnatis  haereticis  agimus,  illosque  tanlum  Simo- 
niacos  quasi  reos  concilio  in  sanctis  conciliis  damnatos  asserimus.  .  . 
tibi  mim  Simoniaci  vel  caeteri  haeretici  sie  latent,  ut  pro  catholkis 
a  catholicis  habeanlur,  non  eos  iudicamus  reos  concilio  sed  reos  iu- 
dicio. . .  credimus  tarnen  fideles  Christi,  qui  istos  latentes  haereticos 
ignorant,  et  eorum  sacramentis  in  fide  Christi  communicant ,  non 
fraudari  mutiere  Christi  et  operatione  spiritus  saneti  (1362 ß CD). 

Um  den  unterschied  von  Gerhochs  lehre  aus  dem  jähre  1131 
und  der  aus  dem  jähre  1135  kurz  zu  fixieren,  so  ist  nach  jener 
das  sacrament  des  interdicierten  priesters  kein  opfer,  der  unwis- 
sentliche empfänger  hat  davon  keinen  nutzen,  dem  wissentlichen 
wird  es  zum  unheil.  nach  der  späteren  dagegen  ist  das  sacra- 
ment der  'forma'  nach  ein  opfer,  aber  nicht  der  'virtus'  nach, 
der  wissentliche  empfänger  hat  keinen  vorteil,  aber  auch  keinen 
uachteil,  der  unwissentliche  aber  hat  den  segen  des  sacramentes. 

An  dieser  späteren  ansieht  hält  Gerhoch  im  ganzen  in  seinen 
folgenden  Schriften  fest,  nach  dem  Liber  contra  duas  haereses 
(geschrieben  1147)  haben  der  häretiker  oder  Schismatiker  und  der 
abgesetzte  priester,  da  sie  nicht  dieuer  der  kirche  sind,  wenn  sie  das 
sacrament  spenden,  wol  das  sacrament,  aber  nicht  die  wiirkung  des- 
selben; ein  solcher  priester  hat  zwar  das  sichtbare  bild  des  leibes 
Christi,  dagegen  ist  das  wesen,  der  Stoff  und  die  wiirkung  weit  von 
ihm  entfernt,  weil  er,  wie  papst  Pelagius  sagt,  nicht  weiht,  sondern 
entweiht  und  durch  die  entweihende  teilung  das  bild  von  seinem 
wesen  trennt,  dadurch  wird  er  schuldig  an  dem  leibe  und  blute 
Christi,  durchaus  wie  diejenigen,  welche  durch  Christi  ermordung 
das  leben  von  dem  belebten  geschieden  haben,  und  wie  jenen 
das  tote  fleisch  Christi  nichts  genützt  hat,  bei  welchen  und  durch 
deren  verbrechen  er  nach  seinem  lode  im  herzen  der  erde  ge- 
Z.  F.  D.  A.    XXXV.    N.  V.    XXIII.  20 


298  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II 

wesen  ist,  so  nützt  diesen  nichts  das  bild  des  lebens  entbehrend* 
ja  es  schadet  nicht  nur  denen,  welche  auf  diese  weise  opfern, 
sondern  auch  jenen,  welche  wissentlich  trotz  dem  interdicte  das 
abendmahl  empfangen,  aber  des  nicht  interdicierten  schlechten 
priesters  opfer  ist  gültig:  ubi  vero  intus  a  malis  ministris  non 
interdictis  missa  celebratur,  quia  species  et  essentia  corporis  Christi 
apud  eos  est,  nihil  officit  eorum  malitia  simpliciter  communicanti- 
bus  et  rem  percipientibus,  quibus  nunquam  salutaris  effectus  deesse 
poterit,  etiamsi  malus  minister  sit  (Migue  1183.  1184).  Gerhoch 
geht  also  hier  im  antigregorianischen  sinne  noch  einen  schritt 
weiter,  indem  er  auch  das  opfer  des  wissentlich  schlechten  priesters, 
solauge  er  nur  nicht  interdiciert  ist,  für  gültig  erklärt. 

Ähnlich  erklärt  Gerhoch  in  dem  Liber  de  corrupto  statu 
ecclesiae,  der  im  folgenden  jähre  erschien,  die  sacramente  ritu 
ecclesiastico  celebrata  tarn  foris  quam  intus  inviolabilia.  aber  in 
den  sacramenten,  welche  aufserhalb  der  kirchlichen  gemeinschaft 
gespendet  werden,  wirkt  der  geist  Christi  nicht  mehr,  als  in  den 
zeichen  der  ägyptischen  magier.  gegen  diese  Wahrheit  kämpfen 
die  feinde  der  Wahrheit,  deren  meiste  als  verheiratet,  hurer  und 
Simoniten  interdiciert  sind  (Migne  99). 

Wider  mehr  der  strengeren  auffassung  seiner  ersten  zeit 
nähert  sich  Gerhoch  in  einer  seiner  letzten  arbeiten,  dem  1162/63 
verfassten  Liber  de  gloria  et  honore  filii  hominis,  zwar  dass 
jeder  Nicolait  an  sich  schon  interdiciert  und  excommuniciert  sei, 
behauptet  er  nicht  mehr,  aber  doch  steht  es  ihm  fest,  dass  ein 
iuterdicierter  überhaupt  kein  opfer  vollbringen  könoe.  missa 
enim  dicitur,  sagt  Augustin,  eo  quod  coelestis  missus  ad  consecran- 
dum  vivificum  corpus  adveniat,  iuxta  dictum  sacerdotis  dicentis: 
omnipotens  deus,  iube  haec  perferri  per  manus  sancti  angeli  tui 
in  sublime  altare  tuum  et  caetera,  idcirco,  nisi  angelus  venerit, 
missa  nequaquam  iure  vocari  potest.  nunquid  enim  si  hoc  myste- 
riiim  haereticus  fuerit  ausus  usurpare  angelum  de  coelis  miltit 
deus  oblationem  eius  consecrare?  maxime  cum  eisdem  per  pro- 
phetam  comminatur  sie  dicens:  maledicam  benedictionibus  vestris 
(Malach.  2,  2).  quod  si  benedictionibus  eorum  se  asserit  maledicto- 
rum,  quid  erit  de  hostia?  .  . .  ex  his  colligitur  quod  in  ecclesia 
sola  corpus  Christi  praesentatur,  ubi  a  sacerdotibus  catholicis  missa 
ritu  ecclesiastico  celebratur.  in  quorum  consortio  non  reputantur 
Simoniaci,  et  sub  exeommunicatione  interdicti:   Nicolaitae  videlicet 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II  099 

sacerdotes  et  reliqui  altaris  ministri  manifeste  incestuosi  (Migne 
1122.  1123). 

Gerhoch  hat  also  während  der  Jahrzehnte,  in  welche  seine 
schriftstellerische  tätigkeit  fällt,  seine  ausichten  über  die  sacra- 
mentenfrage  verschiedentlich  geändert,  von-  dem  Verfechter  des 
gregorianismns  strengster  Observanz,  wie  er  sich  im  Dialogus  er- 
weist, wird  er  allmählich,  wol  der  not  gehorchend,  ein  Vertreter 
der  längst  schon  practisch  gewordenen  lehre  von  der  unbedingten 
gültigkeit  des  priesterlichen  sacramentes,  einer  lehre,  welche 
die  kirche  um  soviel  nach  aufsen  stärkte,  wie  sie  im  innern 
zu  ihrem  verfalle  beitrug,  und  an  einem  lebensabend  sehen  wir 
ihn  wider  zum  teile  denselben  weg  zurück  machen  und  zu 
seinen  frühesten  meinungen  zurückkehren,  denen  er  innerlich 
gewiss  nie  untreu  geworden  ist. 

Wenn  schon  an  und  für  sich  Heinzeis  combination  wenig 
bestechendes  für  mich  hat,  in  die  zeit  des  Tractatus  contra  Si- 
moniacos  (den  er  ca.  10  jähre  zu  spät  ansetzt)  könne  das  Priester- 
leben nicht  fallen,  weil  es  auf  die  darin  niedergelegte  gegenteilige 
lehre  nicht  eingehe,  so,  glaube  ich,  verliert  diese  annähme  alle 
Wahrscheinlichkeit  eben  durch  die  zahl  der  verschiedenen  lehr- 
meinungen  Gerhochs,  die  alle  von  der  in  Erinnerung  und  Priester- 
leben aufgestellten  ebenso  abweichen,  wie  die  einzelne  des  Trac- 
tatus. in  welcher  zeit  aber  dürfte  man  dann  das  Priesterleben 
unterbringen,  da  Gerhochs  Schriften  einen  Zeitraum  von  mehr  als 
einem  menschenalter  umfassen?  denn  das  wird  man  zugeben, 
dass  Heinzeis  einwurf  ebensoviel  berechligung  bei  jedem  anderen 
werke  Gerhochs  hat,  wie  bei  dem  Tractatus  contra  Simoniacos  — 
oder  vielmehr  ebensowenig,  freilich  kenntnis  von  den  Schriften 
Gerhochs,  soweit  sie  schon  erschienen  waren,  werden  die  Ver- 
fasser unserer  gedichte,  besonders  der  des  Priesterlebens,  wol 
gehabt  haben,  die  gemeinsame  engere  heimat  wie  die  bedeutung, 
welche  Gerhoch  in  dem  kämpfe  um  die  hebung  des  clerus  zu- 
kommt, machen  das  wahrscheinlich,  aber  zu  einer  polemik  gegen 
Gerhoch  lag  schon  um  deswillen  kein  grund  vor,  weil  die  Sätze, 
welche  in  den  gedienten  einerseits,  in  Gerhochs  Schriften  ander- 
seits verteidigt  werden,  gleichsam  concentrische  kreise  darstelleu, 
die  sich  nirgends  schneiden.  Gerhoch  sucht  vom  theologisch- 
wissenschaftlichen  standpunete  aus  die  frage  zu  lösen,  ob  die 
kraft  des  sacramentes  durch  die  person  des  Spenders  aufgehoben 

20* 


300  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II 

werden  könne  und  unter  welchen  bedingungen  dieser  aufhebende 
einfluss  eintrete,  unsere  gedichte  dagegen  sind  nichts  weniger 
als  wissenschaftliche  abhandlungen,  sie  sind  predigten  in  poeti- 
scher form,  die  nicht  darauf  angelegt  sind,  spitzfindige  theolo- 
gische probleme  zu  lösen,  sondern  das  gedachte  publicum  zu 
packeu,  zu  rühren  und  zu  bessern,  so  wird  auch  die  abend- 
mahlsfrage  rein  practisch  behandelt,  der  dichter  der  Erinnerung 
hält  den  schlechten  prjester  für  aufser  stände,  die  gnaden  des 
sacramentes  zu  erwirken,  und  nimmt  für  den  laien  das  recht  in 
anspruch,  selbst  über  die  unwürdigkeit  des  priesters  zu  urteilen, 
wahrend  der  verf.  des  Priesterlebens  auch  das  sacrament  des  un- 
würdigen Spenders  für  gültig  erklärt,  dem  laien  jedes  eigene  urteil 
abspricht  und  damit  auch  jede  Verantwortung  nimmt,  was  zur 
begründung  dieser  ansichten  namentlich  im  Priesterleben  über 
die  eigenschaften  des  sacramentes  beigebracht  wird,  das  muste 
ein  jeder  priester  aus  seinem  Studium  wissen  und  konnte  es  aus 
den  compendien  erfahren,  dass  unser  dichter,  wie  Heinzel  meint, 
seine  ansichten  über  die  bedingungen  des  gültigen  messopfers  im 
zusammenhange  mit  dem  wissenschaftlichen  stände  der  frage  dar- 
lege, dass  er  womöglich  direct  gegen  wissenschaftliche  lehrmei- 
nungen  französischer  und  anderer  theologen  polemisiere,  muss 
ich  bestreiten,  was  an  theologischer  gelehrsamkeit  in  unseren 
gedichten  steckt,  die  citate  aus  der  bibel  sowol  wie  aus  den 
kirchenschriftstellern,  das  sind  gemeinplätze  für  die  theologen  der 
damaligen  zeit,  das  handwerkszeug  ihrer  täglichen  arbeit,  so 
wenig  es  nötig  und  wahrscheinlich  ist,  dass  der  dorfschulmeister, 
der  seinen  schülern  von  den  wundern  der  electricität  erzählt, 
die  schriften  von  Gauss  und  Weber  oder  Siemens  studiert  hat, 
so  wenig  sind  wir  berechtigt  zu  der  annähme,  dass  die  kennt- 
nisse,  die  der  practische  theologe  des  mittelalters  entwickelt,  auf 
die  Urschriften  zurückgehn.  diese  ursprünglichen  quellen  nach- 
zuweisen ist  gewiss  nicht  nur  verdienstlich,  sondern  geboten,  und 
so  möchte  ich  Heinzeis  gelehrte  Untersuchungen,  die  für  die  ge- 
schichte  der  theologie,  insbesondere  der  deutschen,  äufserst  wert- 
voll sind,  um  keinen  preis  missen,  aber  den  für  unsere  gedichte 
daraus  gezogenen  allgemeinen  folgerungen  kann  ich  nicht  zu- 
stimmen. 

Nicht  weiter,    was  die  engere  datierung  anlangt,   führt  uns 
die  durch   den  'sogenannten  Heinrich  von  Melk'  von  Wilmanns 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II  301 

veranlasste  schritt  von  Ottomar  Lorenz,  Heinrich  von  Melk,  der 
Juvenal  der  ritterzeit  (Halle  18S6),  deren  verf.  im  übrigen  mit 
glück  front  macht  gegen  eine  Verschiebung  der  gedichte  ins 
14  jh.  freilich  scheint  mir  das  verdienstliche  seiner  arbeit  mehr 
in  einzelnen  guten  beobachtungen  zu  liegen,  als  in  dem,  was  er 
selbst  als  die  hauptsache  seines  buches  ansieht,  nämlich  der  all- 
gemeinen characterisierung  der  drei  in  betracht  kommenden  Jahr- 
hunderte, allerdings  hat  ein  jedes  sein  eigenes  geistiges  gepräge, 
und  wir  können  aus  dem,  was  uns  von  ihnen  bekannt  ist,  uns 
ein  ungefähres  bild  davon  machen,  wir  werden  aus  jedem  neuen 
sichern  fund  dieses  bild  im  einzelnen  ergänzen,  aber  wir  können 
nicht  jeden  neuen  fund  ohne  weiteres,  weil  er  characteristische 
merkmale  einer  periode  hat,  ihn  dieser  mit  Sicherheit  einreihen, 
denn  die  von  uns  aufgestellten  characteristischen  eigenschaften 
sind  nicht  nur  der  zahl  nach  gegenüber  der  unbeschränkten  mög- 
lichkeit  recht  beschränkt,  sie  lassen  auch  dem  subjectiven  er- 
messen zu  weiten  Spielraum,  als  dass,  wie  Lorenz  behauptet,  jeder 
zweifei  darüber,  welchem  der  drei  Jahrhunderte  geistesproducte 
von  so  entschiedenem  gepräge  zuzurechnen  seien,  völlig  ausge- 
schlossen wäre. 

Von  der  deutschen  philologie  hat  Lorenz  offenbar  eine  recht 
geringe  meinung,  aber  auch  nur  unklare  Vorstellungen,  'eins  hat 
sich  bisher  deutlich  herausgestellt',  meint  er  s.  5,  'nämlich  dass 
die  deutsche  philologie  noch  nicht  in  der  läge  ist,  mit  Sicherheit 
nach  spräche  und  versen  allein  dem  dichter  seine  stelle  anzu- 
weisen, sonst  wäre  ein  sprung  aus  dem  12  ins  14  jh.  bei  einem 
kenner  wie  Wilmanns  nicht  möglich,  die  einzig  sicheren  hand- 
haben bietet  Heinrichs  werk  auf  theologischem  gebiete.'  die 
deutsche  philologie  begnügt  sich  so  wenig  wie  eine  andere  mit 
der  Untersuchung  von  spräche  und  versbau  eines  gedichtes,  um 
daraus  dessen  zeit  festzustellen,  die  Untersuchung  der  äufseren 
form  ist  doch  nur  eines  der  mannigfaltigen  mittel,  welche  der 
philologe  anwenden  muss.  in  solchen  fragen  kann  eine  jede 
andere  Wissenschaft  zur  philologischen  hülfswissenschaft  werden 
und  zur  entscheidung  mitwirken,  so  bei  Heinrich  von  Melk  die 
theologie,  und  dass  diese  vor  allen  dingen  nicht  nur  herange- 
zogen werden  muss,  sondern  von  der  philologie  auch  wirklich 
herangezogen  worden  ist,  das  beweist  doch  eine  jede  seite  von 
Heinzeis  buch,    hauptsächlich  auf  grund  der  theologischen  unter- 


302  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II 

suchungen  hat  die  deutsche  philologie  entschieden,  dass  Heinrich 
von  Melk  dem  12  jh.  angehören  müsse,  und  wenn  dennoch  einer 
der  kenntnisreichsten  und  vielseitigsten  der  heutigen  germanisten 
zu  anderem  resultate  gelangt  ist,  so  ist  das  nicht  ein  zeichen 
für  die  anuoch  bestehende  unreife  unserer  Wissenschaft,  sondern 
die  folge  zu  rascher  und  völliger  hingäbe  eines  gelehrten  an  eine 
liebgewordene  idee,  die  ihm  den  klaren  blick  auch  in  philolo- 
gischen dingen  getrübt  bat. 

Lorenz  verlegt  die  gedichte  in  die  jähre  1145/46,  ebenfalls 
auf  grund  der  vielgedeuteten  verse  Röme  aller  werlde  houptstat 
diu  hat  ir  alten  vaters  tiiht.  ihm  ist  der  'alte  vater'  Eugen  in, 
der  vor  der  aufständischen  römischen  bevölkerung  flieht  und  sich 
in  Frankreich  aufhält,  ich  habe  mich  oben  dahin  ausgesprochen, 
dass  ich  die  bisherige  Übersetzung  von  diu  hat  ir  alten  vaters 
niht  für  falsch  und  damit  eine  jede  historische  erklärung  für 
verfehlt  halte,  so  genügt  es  zu  constatieren,  dass  auch  der  chro- 
nologische versuch  von  Lorenz  mislungen  ist.  ich  selbst  sehe 
mich  vorläufig  aufser  stände,  eine  genauere  datierung  zu  geben. 
so  lange  es  uns  dafür  an  guten  gründen  fehlt,  müssen  wir  uns  bei 
der  annähme  beruhigen,  dass  die  gedichte  etwa  nach  der  mitte 
des  12jhs.  entstanden  sind. 

Ist  somit  das  resultat  unserer  Untersuchung  hinsichtlich 
der  Zeitbestimmung  kein  ganz  positives,  so  erzielen  wir  in  der 
frage  nach  den  Verfassern  insofern  ein  günstigeres  ergebnis,  als 
wir  deren  stand  mit  ziemlicher  bestimmtheit  eruieren  können, 
zunächst  freilich  hat  auch  hier  die  kritik  eine  polemische  auf- 
gäbe, es  würde  recht  wunderbar  sein,  wenn  die  seither  aus 
beiden  gedichten  für  den  stand  des  verfs.  als  laienbruder  abge- 
leiteten gründe  auch  mafsgebend  bleiben  sollten,  wenn  man  ge- 
nötigt ist,  zwei  verschiedene  dichter  anzunehmen;  einmal  weil 
ja  dann  dieselben  gründe  aus  jedem  gedichte  für  sich  entnommen 
werden  müsten,  dann  auch,  weil  wir  damit  zwei  verschiedene 
dichter  desselben  Standes  erhalten  würden,  eines  Standes,  dessen 
teilnähme  an  der  litleratur  höchst  problematisch  ist.  ich  kann 
mich  nicht  damit  begnügen,  festzustellen,  dass  dem  stände,  in 
welchem  man  seither  Heinrich  von  Melk  gesucht  hat,  keiner  der 
beiden  autoren,  die  ich  unterscheide,  angehören  könne,  sondern 
ich  will  versuchen,  die  unwahrscheinlichkeit  nachzuweisen,  dass 
dieser  stand   überhaupt  für   einen   geistlichen   dichter  jener  zeit 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II  303 

angenommen  werden  darf,  so  lange  wir  keinen  directen  beweis 
dafür  beizubringen  in  der  läge  sind. 

Die  berscbende  Vorstellung  von  den  personlichen  Verhältnissen 
Heinrichs  ist  seit  Heinzel,  dass  er  ritterlichen  Standes  gewesen 
sei  und  sich  nach  mancherlei  widrigen  Schicksalen  im  beginnen- 
den alter  als  ein  sogenannter  laienbruder  ins  kloster  zurückge- 
zogen habe,  dass  er  als  laie  sich  fühlt,  soll  er  in  der  Erinnerung 
direct  aussprechen;  die  durchgehende  feindseligkeit  gegen  den 
priesterstand  soll  die  Vorstellung  abwehren,  dass  Heinrich  zum 
priester  geweiht  worden  sei.  anderseits  aber  scheide  er  sich 
auch  bestimmt  von  den  weltleuteu.  er  war  kein  priester  und 
doch  gelehrter  bildung  teilhaftig,  'dies  war  in  keinem  stände  so 
wol  möglich  als  in  dem  eines  laienbruders  an  einem  grofsen,  mit 
den  mittein  zu  gelehrter  bildung  ausgerüsteten  kloster.'  Heinzel 
sieht  also  in  dieser  Stellung  einmal  die  erklärung  für  sein  unver- 
hülltes vorgehn  sowol  gegen  die  laien,  als  gegen  die  kleriker, 
indem  er  als  laienbruder  gewissermafsen  in  der  mitte  zwischen 
beiden  stand  und  keinem  von  beiden  angehörte,  und  dann  auch 
die  quelle  seiner  grofsen  geistlichen  gelehrsamkeit,  die  ein  ge- 
wöhnlicher laie  damals  sich  zu  erwerben  nicht  im  stände  war.  — 
mir  scheinen  beide  Schlüsse  auf  durchaus  fragwürdigen  Voraus- 
setzungen zu  beruhen. 

Könnten  wir  wirklich  glauben,  dass  es  einem  laienbruder, 
der  den  klosterregeln  unterworfen  war  und  den  mönchen  gegen- 
über eine  untergeordnete  Stellung  einnahm,  eher  nachgesehen 
worden  wäre,  solche  dinge,  wie  sie  Erinnerung  und  Priesterleben 
enthalten,  über  das  leben  der  geistlichen  auszusagen,  als  einem 
geistlichen  selber?  ich  würde  vielmehr  nicht  bezweifeln,  dass 
es  jenem  recht  schlimm  ergangen  wäre,  in  seinem  munde  würde 
sieb  der  harte,  schonungslose  tadel  weit  eher  als  eine  Schmähung 
des  ganzen  geistlichen  Standes  ausgenommen  haben,  würde  doch 
ihm  die  hauptsächlichste  entschuldigung  für  die  das  mafs  des  er- 
laubten überschreitende  erbitterung  fehlen,  der  tiefempfundene 
schmerz  über  die  räudigen  mitglieder  des  eigenen  Standes,  nicht 
'durchgehende  feindseligkeit  gegen  den  priesterstand'  sprich!  ans 
den  gediebien  heraus,  heilst  es  doch  im  Priesterleben  51(>  If 
deutlich  genug  und  versöhnend :  ivir  wellen  die  täten  gerne  leren 
daz  nicht  so  gnot  ist  ze  e'ren  so  der  brlster,  ob  er  recht  lebt  mit 
des  namen  mit  werch  rechte  phlegt:  wir  Heeren  den  ic/ssagen  leren. 


304  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II 

er  si  ein  engel  unsers  Mrren.  der  stand  wird  nicht,  es  werden 
die  schlechten  Vertreter  des  Standes  angegriffen;  und  wenn  öfters 
ganz  allgemein  von  den  'pfaffen'  die  rede  ist,  so  darf  sich  der 
dichter  so  unbestimmt  ausdrücken,  weil  aus  der  ganzen  tendenz 
des  Werkes  hervorgeht,  dass  nur  die  bösen  pfaffen  gemeint  sind, 
und  warum  sollte  es  einem  priester  nicht  anstehu,  so  scharf 
über  seine  standesgenossen  zu  urteilen?  haben  nicht,  um  nur 
einige  zu  nennen,  ein  Rernhard  von  Clairvaux,  ein  Gerhoch  von 
Reichersberg  und  namentlich  ein  Peter  von  Rlois  mit  kolben- 
schlägen  das  zuchtlose  leben  ihrer  geistlichen  brüder  angegriffen? 
sind  doch  fast  alle  berichte  über  die  Verworfenheit  der  priester 
von  priestern  selber  uns  überliefert! 

Die  geistliche  gelehrsamkeit  Heinrichs  ist  augenfällig,  sie 
soll  er  sich  nach  Heinzel  nach  seinem  rücktritt  aus  dem  welt- 
lichen leben  als  laienbruder  angeeignet  haben,  meines  wissens 
ist  Heinzel  der  erste,  welcher  diese  laienbruder  in  die  litteratur- 
geschichte  eingeführt  hat,  und  Heinrich  darin  der  einzige  Ver- 
treter dieser  gattung.  wir  wissen  sonst  nichts  von  solchen,  die 
sich  durch  irgend  welche  geistige  tätigkeit  bekannt  gemacht  hätten, 
was  uns  von  dem  stände  aber  überliefert  ist,  das  gibt  uns  über- 
haupt kein  recht,  litterarische  interessen  bei  ihnen  vorauszusetzen, 
das  sollten  schon  die  namen  beweisen,  welche  die  laienbruder 
neben  den  gewöhnlichen  'conversi'  oder  'barbati'  führen,  nämlich 
'illiterati'  und  'idiotae'  (s.  Helmsdörfer  Forschungen  zur  ge- 
schichte  des  abts  Wilhelm  von  Hirschau,  Göttingen  1874  s.  52). 
wie  die  arbeiten,  welche  den  laienbrüdern  oblagen,  dem  äufsern 
wirtschaftlichen  betriebe  angehörten,  so  wohnten  sie  auch  meistens 
aufserhalb  des  klosters.  über  ihre  Stellung  können  uns  am  besten 
Rernolds  berichte  aufklären,  der  als  Zeitgenosse  die  damals  in 
Deutschland  zuerst  auftretende  sucht  vieler  laien,  klösterlich  zu 
leben,  in  seinem  Chronicon  schildert,  zum  jähre  1083  erzählt 
er  (MGSS  v  439):  ad  quae  monasteria  (SRlasien,  Hirschau,  Schaff- 
hausen) mirabilis  multitudo  nobilium  et  pradentium  virorum  hac 
tempestate  in  brevi  confugit,  et  depositis  armis  evangelicam  per- 
fectionem  sub  regulari  disciplina  exequi  proposuit,  tanta  inquam 
numero,  ut  ipsa  monasteriorum  aedificia  necessario  ampliarent,  eo 
quod  non  aliter  in  eis  locum  commanendi  haberent.  in  his  itaque 
monasteriis  nee  ipsa  exteriora  ofßcia  per  seculares,  set  per  reli- 
giosos  fratres  administrantur,  et  quanto  nobiliores  erant  in  seculo, 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II  305 

tanto  se  contemptilioribus  officiis  occupari  desiderant,  ut,  qui  quon- 
dam  erant  comites  vel  marchiones  in  seculo,  nunc  in  quoquina  vel 
pistrino  fratribus  servire,  vel  porcos  eorum  in  campo  pascere  pro 
summis  delictis  Computern,  hi  nempe  et  porcarii  et  bubulci  praeter 
habitum  idem  sunt  quod  monachi.  ferner  berichtet  Beruold  zum 
jähre  1091  (aao.  452  f):  his  temporibus  in  regno  Teutonicorum  com- 
munis vita  multis  in  locis  floruit,  non  solum  in  clericis  et  mo- 
nachis  religiosissime  commanentibus ,  verum  etiam  in  laicis,  se  et 
sua  ad  eandem  communem  vitam  devotissime  offerentibus,  qui  etsi 
habitu  nee  clerici  nee  monachi  viderentur,  nequaquam  tarnen  eis 
dispares  in  meritis  fuisse  creduntur.  Se  enim  servos  eorumdem 
pro  Domino  fecerunt,  imitantes  ipsum  qui  non  venu  ministrari  set 
ministrare,  qui  et  suos  seetatores  ad  maioritatem  per  servicii  ex- 
hibitionem  doeuit  pervenire.  nempe  ipsi  abrenunciantes  seculo,  se 
et  sua  ad  congregationes  tarn  clericorum  quam  monachorum  regu- 
lariter  viventium  devotissime  contulerunt,  ut  sub  eorum  obedientia 
communiter  viuere  et  eis  servire  mererentur. 

Es  ist  die  strengste  askese,  welche  die  leute  dazu  treibt,  ihr 
eigen  aufzugeben  und  den  mönchen  zu  dienen:  mutantes  ipsum 
qui  non  venu  ministrari  set  ministrare.  dementsprechend  ist  ihnen 
keine  arbeit  zu  gering,  wer  zu  solchem  dienste  bildung  und 
gelehrsamkeit  mitbrachte  (und  gewis  waren  deren  nicht  wenige), 
der  konnte  nicht  nur  sicher  keinen  gebrauch  davon  machen,  son- 
dern muste  es  als  einen  noch  höheren  grad  der  frömmigkeit 
empfinden ,  auch  auf  solche  geistige  guter  im  dienste  des  Herrn 
freudig  zu  verzichten,  der  ungelehrte  aber  bekam  gewis  keine 
gelegenheit,  sich  wissen  anzueignen,  ganz  abgesehen  davon,  dass 
das  dem  eigentlichen  zwecke  der  conversion  direct  zuwidergelaufen 
wäre,  wer  in  sich  den  drang  fühlte,  ein  klösterliches  leben  zu 
fuhren  und  dabei  die  Wissenschaften  zu  pflegen,  der  wurde  eben 
nicht  laienbruder,  sondern  mönch,  wie  der  von  Diemer,  Kl.  beitr. 
14,  221  erwähnte  Erkenfried  von  Göttweig,  von  welchem  die 
Vita  Altmanni  §  41  berichtet:  cum  dominus  Hartmannus  regimen 
Campedonensis  Monasterii  tenebat,  interiin  nobilis  f rater  Erchin- 
fridus  nomine  abbatiam  in  Gottewicli  ex  consensu  Hartmanni  et 
Uodalrici  episcopi  et  electione  fratrum  regebut.  hie  primitus  laicus 
in  armis  vivens,  deinde  saeculum  relinquens,  Uterus  studiose  didicit 
et  usque  ad  nomen  abbatis  pervenit.     AIGSS  xn  212. 

Es  sollte  sich  eigentlich  von  selbst  versteht!,  dass  ein  solcher 


306  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II 

von  liebe  zur  Wissenschaft  erfüllter  mann  in  das  kloster  eine  ge- 
lehrte bildung  schon  mitbrachte,  mindestens  die  anfangsgründe 
des  Schulunterrichts  weit  hinter  sich  hatte,  denn  ein  bejahrter 
analphabet  wird  wohl  die  elemente  des  wissens  sich  haben 
aneignen  können,  aber  die  für  das  amt  eines  klosterabtes 
erforderliche  geistliche  bildung  nachzuholen,  würde  ihm  kaum 
gelungen  sein,  und  wenn  man  die  richtigkeit  dieser  behaup- 
tung  zugeben  will,  so  muss  man  auch  die  Voraussetzung  gelten 
lassen,  dass  die  höhere  bildung  nicht  blofs  auf  die  geistlichkeit 
beschränkt  bleiben  konnte,  sondern  auch  dem  laien  zugänglich 
war  und  von  solchen  weit  häufiger  erstrebt  und  bewältigt 
wurde,  als  dies  gemeinhin  angenommen  wird,  wir  sind  noch 
immer  gewohnt,  den  laienstand  des  mittelalters  für  einen  im 
höchsten  grade  ungebildeten  zu  halten,  man  lese  nur  die  zu- 
sammenhängenden darstellungen  über  die  laienbildung  des  mittel- 
alters, etwa  das  10  kapitel  von  Spechts  Geschichte  des  unter- 
richtswesens  in  Deutschland,  überall  wird  man  durch  eine  reihe 
von  citaten  belehrt,  dass  selbst  schreiben  und  lesen  überaus  seltene 
fertigkeiteu  beim  laien  waren,  man  übersieht  dabei  leicht,  dass 
der  angeführten  belege  doch  recht  wenige,  dass  diese  zum  teil 
an  sich  nichts  beweisende  sind,  uud  dass  sie  obendrein,  den  ver- 
schiedensten Jahrhunderten  entnommen,  doch  dazu  verwandt  werden 
sollen,  den  ganzen  Zeitraum  des  mittelalters  gleichmäfsig  zu  cha- 
racterisieren.  es  ist  aber  historisch  falsch,  Zeugnisse  verschiedener 
Perioden  promiscue  zu  verwerten;  und  es  ist  logisch  falsch,  aus 
ganz  individuellen  zügen  Schlüsse  machen  zu  wollen  auf  die  ge- 
samtheit.  so  ist  offenbar  unerlaubt  ein  schluss,  wie  ihn  Specht 
s.  233  gestattet,  dass  'erprobte  kriegsmänner  es  nicht  einmal 
gerne  sahen,  wenn  ihre  söhne  mit  den  anfangsgründen  des  Schul- 
unterrichts vertraut  gemacht  wurden':  das  soll  hervorgehn  aus 
dem  umstände,  dass  der  vater  des  abtes  Dietrich  von  SHubert,  der 
aus  seinem  söhne  einen  kriegsmann  machen  wollte,  in  zorn  geriet, 
weil  seine  frau,  die  jenen  gern  als  geistlichen  gesehn  hätte,  ihn 
heimlich  in  geistlicher  gelehrsamkeit  unterrichten  liefs.  hier  geriet 
aber  der  vater  in  zorn,  nicht  etwa  weil  sein  söhn  unterrichtet  wurde, 
sondern  weil  sein  weib  seinem  ausdrücklichen  wünsche  entgegen 
heimlich  daran  arbeitete,  den  söhn  für  die  kirche  zu  erziehen,  dieser 
vater  hatte  meines  dafürhalteus  ganz  recht,  und  wir  haben  gar 
keinen  grund,ihn  deswegen  für  einen  homo  rudis  und  geschworenen 


ERINNERUNG  UND  PRIEST  ERLEREN  II  307 

feind  der  bildung  zu  halten,  um  so  weniger  als  der  brave  mönch, 
der  uns  die  geschiente  berichtet,  ganz  gewis  selbst  partei  ist. 

Nicht  minder  verfehlt  ist  es,  die  worte  der  Kaiserchronik 
Diemer  135,  25  ff,  in  welchen  eine  nicht  sehr  tiefgehnde  Unter- 
haltung mitgeteilt  ist,  dahin  auszubeuten,  dass  der  kriegerische 
adel  sich  mehr  und  mehr  aller  Schulbildung  entschlug  und  nur 
von  pferden,  hunden,  falken  und  hübschen  weibern  zu  reden 
wüste,  wenn  derartige  Schlüsse  aus  gesellschaftsgesprächen  be- 
rechtigt wären,  dann  dürfte  uns  auch  um  den  zustand  unserer 
heutigen  bildung  bange  sein,  denn  ganz  ähnlich  ist  der  unter- 
haltungsstoff  noch  gegenwärtig  in  gewissen  kreisen,  die  sich  zu 
den  gebildetsten  rechnen. 

Die  ansieht,  die  kirche  sei  im  ma.  ausschliefsliche  Vertreterin 
der  wissenschaftlichen  bildung  gewesen,  schiefst  weit  über  das 
ziel  hinaus,  unbestritten  war  sie,  da  alles  Schulwesen  von  ihr 
ausgieng,  die  Vermittlerin  der  bildung,  waren  die  klöster  in  erster 
liuie  zu  hütern  der  Wissenschaft  berufen  und  gaben  ihren  an- 
gehörigen  die  vollkommenste  gelegenheit  zu  geistigem  schaffen, 
aber  hierbei  ist  doch  ein  unterschied  zu  beachten:  wissenschaft- 
liche produetion  ist  etwas  anderes  als  erwerbung  und  besitz 
gründlicher  kenntuisse.  mag  immer  ein  wissenschaftlich  tätiger 
laie  recht  selten  gewesen  sein,  für  den  niedrigen  grad  der  bil- 
dung des  laienstandes  erhalten  wir  daraus  keine  bestätigung. 
dagegen  spricht  vielmehr  eine  andere  erwägung.  die  kämpfe 
zwischen  weltlichem  und  geistlichem  regimente,  wie  sie  zu  allen 
zeiten  des  mittelalters  bestanden,  hätten  zu  einer  hoffnungs- 
losen niederlage  des  ersteren  führen  müssen,  wenn  intelligenz 
und  Wissenschaft  so  überaus  ungleich  zwischen  beiden  parteien 
verteilt  gewesen  wären,  eingehender  und  wissenschaftlich  genau 
ist  bisher  der  grad  der  bildung  in  den  verschiedenen  zeiten 
des  mittelalters  noch  nicht  untersucht  und  dargestellt  worden, 
der  umlang  der  dazu  erforderlichen  quellenstudien  mag  von  der 
aufgäbe  abschrecken,  welche  gewis  wertvolle  anfklärungcn  brächte, 
dabei  würde  nicht  einmal  in  erster  linie  in  betracht  kommen, 
worauf  bisher  meist  die  forschung  sich  besbhfädkte,  directe 
erwähnung  von  gelehrten  laien,  wie  zb.  Ekkehard  von  Aura 
zum  jähre  1104  von  den  graten  Rotho  und  Aerbo  beneblet,  qaO- 
rum  ntrwnque  literis  et  armis  atque  rebus  iatis  profüisse  cogno- 
visse,   oder  zum  jähre  1114  den  graten   Dietrich   von  Katlenblirg 


308  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II 

literis  non  minime  instructus  nennt;  solche  Zeugnisse  würden  wir 
übrigens  viel  reichlicher  haben,  wenn  die  litteratur,  in  der  sie 
vorkommen,  nicht  eben  ausschliefslich  geistlichen  federn  verdankt 
würde ,  die  wenig  interesse  daran  hatten,  weltliche  bildung  heraus- 
zustreichen, mehr  als  diese  directen  angaben,  wie  gesagt,  ver- 
dienen andere  gelegentliche  fingerzeige  beachtung.  so  wenn 
nach  Ekkehard  bei  den  gesandten,  welche  von  Heinrich  v  nach 
Rom  geschickt  werden ,  um  über  die  heilung  der  schaden  der 
kirche  zu  urteilen,  viele  adeliche  aus  dem  laieustande  sich  be- 
finden, oder  wenn  auf  dem  concil  zu  Guastalla  ebenfalls  eine 
grofse  zahl  laien  zusammen  mit  klerikern  tagen,  leute  mit  nur 
elementarster  bildung  konnte  man  zu  solchen  geschaffen  damals 
ebenso  wenig  verwenden  wie  heute,  sie  müssen  doch  schon 
recht  reichlich  literis  imbuti  gewesen  sein,  recht  lehrreich  ist 
auch  folgende  äufserung  Ekkehards  zum  jähre  11 10  (MGSS  vi  243) 
David  [capellanus  Henrici  v]  iussus  a  rege  totam  huius  expeditionis 
[inltaliam]  seriem  rerumque  in  illa  gestarum  stilo  tarn  facili ,  qui 
pene  nichil  a  communi  loquela  differat ,  tribus  libris  digessit,  con- 
sulens  in  hoc  etiam  lectoribus  laicis,  vel  aliis  minus 
doctis,  quorum  haec  intellectus  capere  possit.  hier  ist  Voraus- 
setzung, dass  die  laien  interesse  an  historischer  litteratur  haben 
und  dass  sie  völlig  latein  lesen  und  verstehn  können;  denn  an 
deutsche  abfassung  dieses  geschichtswerkes  ist  selbstverständlich 
nicht  zu  denken. 

Ich  lasse  es  bei  diesen  andeutuugen  bewenden,  sie  sollten 
nur  als  beweis  dienen:  erstens  dafür,  dass  die  laien  nicht  in 
einem  besonderen  Verhältnisse  zum  kloster,  etwa  als  laienbrüder, 
zu  stehn  brauchten,  um  sich  wissenschaftliche  bildung  anzueignen, 
und  zweitens  gegen  die  richtigkeit  der  Heinzelschen  annähme, 
dass  laienbrüder  durch  ihre  Stellung  schon  bei  erwerbung  von 
gelehrsamkeit  begünstigt  worden  seien,  nur  das  letztere  stand 
zu  unserer  Untersuchung  in  unmittelbarer  beziehung ,  denn  daran, 
dass  die  dichter  von  Erinnerung  und  Priesterleben  laien  gewesen 
seien,  ist  nicht  zu  denken. 

Die  andeutungen,  die  Heinrich  selbst  in  der  Erinnerung 
über  seinen  stand  macht,  scheinen  mir  vollkommen  auszureichen, 
um  ihn  zweifellos  als  mönch  erkenneu  zu  lassen,  gleich  in  der 
ersten  zeile  spricht  er  es  aus :  mich  läitet  mines  gelouben  gelubde. 
darin  sind  alle  erklärer,  Heinzel,  Wilmanns,   Lorenz  einig,   dass 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II  309 

dieses  'gelübde'  mehr  umfasse  als  das  allgemeine  Christentum,  dass 
es  dem  lat.  votum  religionis  genau  entspreche,  eine  bestätigung 
bringen  die  folgenden  worte  daran  ist  aller  min  gedinge,  daz  ich 
werltlichen  Hüten  beschäidenliche  müze  bediuten  ir  aller  vräise 
unt  ir  not.  denn  die  annähme  ist  ausgeschlossen ,  dass  die  werlt- 
lichen Hute  die  menschen  überhaupt  bezeichnen  sollen,  es  wäre 
das  ein  ebenso  gesuchter  wie  der  bedeutung  des  wortes  loerltlich 
fremder  ausdruck.  eher  könnte  man  vermuten ,  dass  leute  mit 
weltlicher  gesinnuug  gemeint  seien,  wie,  um  nur  ein  beispiel  an- 
zuführen, En.  13109  die  spielleute  werltlike  lüde  heifsen.  darunter 
könnten  ja  dann  auch  zum  geistlichen  stände  gehörige  verstanden 
sein,  aber  es  ist  wol  zu  bedenken,  dass  Des  tödes  gehugde  nur 
an  laien  sich  wendet,  und  dass  der  erste  teil  des  gedichtes,  'vom 
gemeinen  lebene',  worin  auch  der  geistlichen  gedacht  wird,  vom 
dichter  selbst  als  eine  abschweifuug  von  seinem  ursprünglichen 
thema  bezeichnet  wird,  es  ist  deshalb  mehr  als  wahrscheinlich, 
dass  er  hier  schon  die  laien  in  bewusten  gegensatz  zu  sich  und 
seinem  stände  bringt,  etwa  wie  dies  in  der  predigt  Leyser  59,  33 
geschieht,  wo  den  werltlichen  Unten  der  klösterman  gegenüber 
gestellt  wird,  so  deutlich  wie  der  anfang  lässt  auch  der  schluss 
des  gedichtes  Heinrich  als  mönch  erkennen,  wenn  schon  kein 
anderer  als  ein  geistlicher  sich  gotes  armen  chnecht  nennen  wird, 
so  lässt  die  fürbitte  für  den  abt  keinen  zweifei  zu ,  dass  wir  es 
mit  einem  angehörigen  des  klosters  zu  tun  haben,  dessen  abt 
jener  Erkenfried  war.  der  gedanke,  dass  ein  laie  die  Erinnerung 
geschrieben  haben  könne,  ist  sonach  verfehlt,  und  doch  sagt 
Heinrich  225  Dar  üf  hab  wir  laien  ein  archwdn!  sollte  unser 
schluss,  so  sicher  er  uns  erschien,  durch  des  dichters  eigenes 
zeugnis  nicht  umgestofsen  werden?  diese  unumwundene  erklärung 
müste  doch,  da  die  annähme  einer  bewusten  fiction  als  völlig 
unverständlich  verworfen  werden  muss,  ausschlaggebend  sein,  so 
geht  denn  auch  Heinzel  bei  seiner  Untersuchung  über  die  per- 
sönlichkeit des  dichters  von  ihr  aus:  'einen  laien  nennt  sich 
Heinrich  selbst;  das  übrige  ist  zu  erschliefsen'.  um  die  unlösbar 
scheinenden  Widersprüche  zu  versöhnen,  hat  Heinzel  den  aus- 
weg  gefunden,  den  dichter  zu  einem  laieubruder  zu  machen, 
meine  ausführungen  haben  hoffentlich  das  unwahrscheinliche 
einer  solchen  annähme  dargetan,  hier  darf  auch  noch  darauf 
hingewiesen  werden,   dass  durch    sie   der  Widerspruch    nicht  im 


310  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II 

geringsten  gehoben  wird,  denn  ein  solcher  bliebe  es  immer, 
auch  wenn  ein  laienbruder  so  sprechen  würde,  als  frater  con- 
versus  (auch  im  deutschen  'laienbruder'  liegt  ja  der  schwerpunct 
auf  dem  'bruder')  darf  und  wird  er  sich  nicht  mehr  zu  den  laien 
schlechthin  rechnen,  aber  im  namen  der  laienbruder,  wenn  wir 
hier  mit  Heinzel  läie  als  'in  einer  um  den  begriff  laienbruder 
vermehrten  sphäre'  gebraucht  ansehn  wollen,  kann  doch  Heinrich 
ernstlich  nicht  reden  sollen,  welch  wunderliche  äufserung  wäre: 
'wir  laienbruder  trauen,  was  wir  die  schlechten  priester  begehn 
sehen ,  auch  allen  andern  zu',  die  laienbruder  müsten  doch  ein 
besseres  Verständnis  besitzen,  oder  eben  keine  laienbruder  sein, 
eher  liefse  sich  denken,  dass  Heinrich  noch  nicht  lange  mönch 
gewonleu  und  hingerissen  von  dem  schmerze  über  seine  jetzigen 
standesgenossen  sich  in  die  Stimmung  derer,  denen  er  noch  vor 
kurzem  selber  angehorte,  so  lebhaft  versetzt  habe,  dass  er  sich 
gewissermafsen  noch  selber  zu  ihnen  rechnet,  auffallender  wäre 
diese  deutung  gewis  nicht  als  die  Heiuzelsche.  beide  aber  sind 
unrichtig,  weil  sie  unnötig  sind,  in  Wahrheit  liegt  gar  kein 
Widerspruch  vor. 

Scherer  hat  Heinrich  'den  ältesten  deutschen  Satiriker  des 
mittelalters',  'den  Juvenal  der  ritterzeit'  genannt,  mit  einer  ge- 
wissen eiuschränkung  lasse  ich  diesen  vergleich  als  zutreffend 
gelten,  der  römische  wie  der  mittelalterliche  dichter  scheuen  sich 
nicht,  das  lasier  offen  aufzudecken  und  anzugreifen,  beide  sind 
voller  grimm  über  ihre  sündhafte  zeit.  Juvenal  aber  glaubt  an 
keine  besserung,  deshalb  will  er  auch  nicht  bessern,  er  wählt 
seinen  Stoff,  freilich  nicht  weil  ihm  das  laster  gefällt,  aber  doch 
weil  es  ihm  gefällt,  das  laster  zu  zeichnen,  und  deshalb  hat  er, 
der  von  der  rhetorenschule  ausgeht,  trotzdem  ihm  Wahrheit  der 
empfindung  nicht  abzusprechen  ist,  doch  vieles  rein  declamato- 
rische  in  seiner  satire.  Heinrich  dagegen  verzweifelt  keineswegs 
an  dem  siege  des  guten,  ihn  treibt  unverkennbar  nur  die  absieht, 
das  laster  zu  verurteilen  und  zugleich  die  gefährdete  tugend  zu 
retten,  und  wie  bei  Juvenal  die  einwürkung  der  rhetorenschule 
in  der  ganzen  anläge  seiner  dichtung  sich  bemerkbar  macht,  so 
zeigt  uns  Heinrichs  gedieht  nach  inhalt  wie  form  aufs  deutlichste 
seinen  ausgang  von  der  predigt,  dies  gedieht  soll  in  erster  linie 
gar  keine  satire,  sondern  eine  bufspredigt  sein,  die  den  sün- 
digen menschen   wieder  auf  den   rechten  weg  weist,     die  satire 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II  311 

ist  ihm  nicht  zweck  wie  dem  dichter  der  cäsarenzeit,  sondern 
mittel. 

Der  einfluss  der  predigt  mag  an  einigem  nachgewiesen  werden. 
zunächst  zeigt  er  sich  in  den  vielfachen  citaten  aus  der  hl.  schritt 
und  den  kirchenvätern.  eine  Zusammenstellung  der  ersteren  hat 
Lorenz  s.  61  ff.  gegeheu.  die  berufung,  wo  nicht  einfach  ein 
biblischer  satz  ohne  weitere  angäbe  einfliefst,  geschieht  ganz  nach 
art  der  prediger:  11.  373  die  machet  uns  der  wissage  dnuit;  254 
daz  ist  uns  off'enlichen  verendet;  133  als  wir  diu  buoch  hören 
schriben  usw.  es  folgt  dann  das  citat  selbst  lateinisch  und  mit 
deutscher  Übersetzung,  oder  nur  in  letzterer,  uud  dann  die  deu- 
tung  der  stelle  mit  daz  sprühet,  dise  rede  verstent  genüge,  die 
wir  an  disen  worten  bewwren  usw. ,  ganz  wie  es  auch  in  der 
predigt  üblich  ist. 

Die  zuhörer  werden  direct  angeredet:  187  getorst  ich  iu  sagen 
daz  ich  wäiz;  264  noch  hoeret  einen  andern  sturmschal;  511 
eines  chuniges  sun  welle  wir  iu  nennen ;  542  f  me're  denne  ich  mege 
iu  oder  ander  iemen  gesagen.  an  einzelne  wendet  sich  der 
dichter  im  zweiten  teile:  455  nu  gedench  aber,  mensch,  dines 
tödes;  566  nu  sich,  armer  mensch,  wie  er  lit;  911  f  hdstu  die  rede 
wol  vernomen?   die  läz  niht  üz  dinem  herzen  chonien. 

Häufig  findet  sich  ein  hauptmittel  würksamer  kanzelbered- 
samkeit,  der  lebhafte  ausruf,  meist  mit  owe  eingeleitet;  20  oioe, 
waz  wir  alle  tage  gevräischen !  280  owe,  wie  lützel  sich  iemen  er- 
barmet :  ferner  35.  82.  385.  581.  588.  636.  481.  820.  878. 1004.  — 
nicht  seltner  sind  die  fragen  an  die  horer  zb.  86  swer  gäistliche 
gäbe  verchoufet  hat,  wie  möchte  des  missetdt  immer  me're  werden 
rdt?  158  sol  si  sich  danne  nicht  zamen  von  wiplichen  umgriffen? 
vgl.  noch  40.  129.  138.  146.  173.  230.  388.  492.  556.  563.  658. 
916.  928. 

Von  besonderer  würkung  wird  die  predigt,  wenn  frage  und 
antwort  sich  folgen,  das  volk  als  (ragend  gedacht  wird,  der  pre- 
diger antwortet,  oder  umgekehrt  dieser  selbst  eine  frage  aufwirft 
und  nun  seineu  hürern  die  antwort  aus  dem  munde  nimmt,  die 
erstere  methode  ist  bei  Rerlhuld  von  Regensburi:  sehr  ausgebildet : 
zb.  eid  bruoder  Berhtoll ,  nu  strichest  dfi  uain.  auch  meister 
Eckhart  verwendet  diese  form  sehr  oft  zb.  t,  320  'wie  sol  ich 
dan  got  minneri?  du  soll  got  miauen  niht  geistliche.  —  332  'um» 
erel  den  valef?  daz  tuot   nieman   dan   der  sun. 


312  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II 

Packender  noch  kann  die  andere  form  werden,  sie  wendet 
der  dichter  der  Erinnerung  an.  156  swenne  des  briesters  haut 
wandelt  gotes  Hchnamen  sol  si  sich  danne  nicht  zamen  von  wiplichen 
anegriffen?  'entriwen,  si  sint  dar  an  beswichen',  lautet  die  erwide- 
rung  der  gemeinde,  lebhafter  noch  mit  directer  aufforderung  zur 
antwort  172  die  daz  ampt  für  bringent,  sprechent,  welher  räini- 
chäit  er  bedürfe?  'dar  umbe  heb  icir  uns  ze  rüffß  mit  sprechen,  ez 
sul  got  missecemen,  daz  wir  der  misse  verneinen,  die  wir  so  nicht 
sehen  leben  noch  den  segen  so  rechte  geben,  als  si  von  rechte 
sohlen:  darumbe  si  wir  in  erbolgen.' 

Wie  nun  in  der  predigt  sehr  häufig  nur  die  frage  gestellt 
wird,  ohne  dass  eine  antwort  darauf  folgt,  weil  sich  diese  eben 
von  selbst  versteht,  so  kann  auch  nichts  auffallendes  darin  ge- 
funden werden,  dass  einmal  blofs  die  äufserung  der  gemeinde 
hervortritt,  ohne  dass  gerade  unmittelbar  davor  die  frage  auf- 
geworfen ist;  wenn  nur  der  Zusammenhang  den  dialog  zwischen 
priester  und  gemeinde  erkennen  lässt.  so  ist  es  mit  der  wich- 
tigen stelle  der  Erinnerung  225  ff  'darüf  hab  ivir  läien  ein  archwdn: 
sioaz  wir  die  wandelbare  sehen  bigdn,  des  verwcenß  wir  uns  ouf 
die  andern  alle.'  es  ist  nicht  die  erklärung  des  priesters,  die  sich 
vielmehr  erst  zustimmend  daran  anschliefst,  sondern  die  fingierte 
äufserung  der  gemeinde,  so  hätte  174  ebenso  gut  dar  umbe  heb 
wir  läien  uns  ze  ruffe  statt  des  einfachen  wir  stehn  können, 
von  einer  Verwendung  des  verses  zur  bestimmung  von  des  Ver- 
fassers lebensstellung  kann  also  nicht  die  rede  sein,  er  war 
kein  laie,  sondern  ein  geistlicher  klosterbruder.  ob  er  von  Jugend 
auf  für  diesen  beruf  erzogen  worden  war,  oder  ob  er  später  erst 
der  weit  entsagt  hat  und  geistlich  geworden  ist,  das  zu  entscheiden 
fehlt  jedes  sichere  kriterium.  bevorzugen  möchte  ich  die  erstere 
annähme  als  die  natürlichere. 

Dagegen  beruht  jene  auffassung,  die  ich  zurückweisen  muste, 
dass  nämlich  der  dichter  der  Erinnerung  eine  satire  habe  schreiben 
wollen,  hauptsächlich  auf  der  Voraussetzung,  dass  er  aus  ekel  an 
der  weit  in  das  kloster  getreten  sei  und  in  dem  gedieht  ein  bild 
seines  eigenen  lebens  gemalt  habe,  wir  haben  für  diese  Voraus- 
setzung nicht  den  geringsten  anhält  aufserhalb  des  gedichtes 
selbst,  aus  ihm  allein  hat  Heinzel  die  bausteine  für  seine  geist- 
reiche, aber  durch  und  durch  romanhafte  hypothese  von  den 
lebensverhältnissen  Heinrichs   entnommen,   die   mir  auf  falscher 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II  313 

entwickeln ng  eines  richtigen  gedankens  zu  beruhen  scheint,  denn 
wenn  die  von  Scherer  öfters  ausgesprochene  anschauuug  richtig 
ist,  dass  man  in  sorgfältiger  und  besonnener  aufsuchung  von 
ähnlichkeiten  in  dem  leben  und  der  bildung  eines  dichters  einer- 
seits und  in  seinen  werken  anderseits  gar  nicht  weit  genug 
gehn  könne,  so  ist  doch  in  consequenz  dieses  methodischen 
satzes  da  Zurückhaltung  zu  üben,  wo  von  dem  leben  rein  gar 
nichts  bekannt  ist. 

'Es  ist  kein  zweifei,  Heinrich  ist  von  adel'  ist  das  ergebnis, 
das  Heinzel  s.  17  aus  einer  reihe  von  beobachtungen  gewinnt. 
ich  sehe  davon  ab,  auf  allerlei  allgemeinere  gründe,  die  Heinzel 
anführt,  einzugehn,  wie  die  genaue  kenntnis  der  adlichen  gesell- 
schaft,  der  häuslichen  Verhältnisse  der  adlichen  ehe  mit  ihrer 
eigentümlichen  galanterie  und  innigkeit  usw.  zum  teil  sind 
es  nicht  notwendige  Wesenheiten  der  adlichen  gesellschaft,  zum 
teil  braucht  ihre  kenntnis  nicht  den  standesgenossen  voraus- 
zusetzen, wichtiger  ist  die  Heinzelsche  auffassung  einiger  stellen, 
in  denen  Heinrich  aus  angeborener  ritterlicher  galanterie  es  sich 
versagen  soll,  den  damen  ühles  nachzusagen,  'den  damen,  obwol 
sie  um  nichts  besser  sind  als  die  ritter,  will  er  nichts  böses  nach- 
sagen; statt  dessen  macht  er  seinem  ärger  über  die  hoffärtigen 
bürgersfrauen  luft  und  spottet  über  ihren  unverständigen  aufwand 
sovvol  als  besonders  über  ihre  schlechten  manieren'.  gemeint  hat 
Heinzel  die  verse  318  hie  muge  wir  der  frowen  wol  geswigen  und 
341  von  den  frowen  sul  wir  niht  übel  sagen,  was  hier  dem 
dichter  untergelegt  wird,  ist  recht  wunderlich;  es  wird  ganz  un- 
glaubhaft, wenn  man  sich  den  Zusammenhang  der  verse  289 — 372 
besieht,  ihr  inhalt  ist  folgender,  die  ritterliche  gesellschaft  ist 
verderbt,  ganz  ausdrücklich  werden  die  frauen  mit  eingeschlossen: 
Riter  unde  frowen,  der  leben  sul  wir  Idzen  schowen  daz  got  vil 
widerwertic  ist.  das  erste  grundübel,  das  Heinrich  brandmarkt, 
ist  die  hoffart,  der  übel  gröstes.  ausgeprägt  findet  sie  sich  be- 
sonders bei  dem  weihlichen  geschlecht,  wir  brauchen  zum  beleg 
nicht  einmal  die  frauen  der  höheren  stände  (hei  denen  es  doch 
noch  erklärlicher  wäre)  anzuführen  (hie  muge  wir  der  frowen 
wol  geswigen  318,),  sehen  wir  doch,  wie  seihst  die  arme  tage- 
löhnerin  ihren  letzten  groschen  ausgibt,  um  recht  geputzt  auf 
der  gasse  und  in  der  kirche  zu  erscheinen,  in  allem  wollen  es 
die  weiber  niederen  Standes  den  töchtern  der  mächtige]]  gleich- 
Z.  F.  D.  A.    XXXV.    N.  I  .     XXIli.  21 


314  ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEBEN  II 

tun,  denn  es  ist  eine  alte  Wahrheit,  was  einzelne   beginnen,  das 
ahmen  die  andern  alle  nach,    das  verstöfst  gegen  alle  gerechtig- 
keit.    damit  wird  der  dichter  zu  dem  andern  hauptlaster  der  zeit 
geführt,   der   gewalt,    die   wider  das  recht  streite,    während  die 
hoffart    hauptsächlich    den    weibern    eigentümlich   ist,    tritt    das 
andere   laster  mehr   bei   den  männern  hervor,     deshalb  von  den 
fr owen  sul  wir  niht  übel  sagen  (341),   vielmehr  jetzt  die   ritter 
vornehmen,   die   ihren    rühm    in    hurerei   und    totschlag  suchen, 
am  schluss  fasst  der  dichter  nochmals  alle  zusammen:  die  ganze 
weit  liegt  im  argen,  geistliche  und  weltliche,  fürsten  und  Unter- 
tanen,   männer  und  weiber   sind  gleich   schlecht:   427  ff  frowen 
unt  riter,  dine  dürfen  nimmer  gestriten,  weder  ir  leben  bezzer  si! 
da    sowol   am    Schlüsse,  wie  am  anfang  die  verderbtheit  der  ad- 
lichen   frauen   ausdrücklich  betont  wird,    kann  Heinzeis  deutung 
von    318    und  341    nicht  richtig  sein,   wonach   der  dichter  aus 
galanterie   die    frauen  des  ritterstandes  schonen  will,    von  ihnen 
glaubt  er  vielmehr  absehen  zu  dürfen,  das  erste  mal,  weil  die  Ver- 
breitung der  lasterhaften  hoffart  schon  weit  über  ihren  kreis  hinaus 
zu  den  niedersten  ständen  gedrungen  ist,  das  zweite  mal,  weil  der 
misbrauch    der   gewalt  mehr  ein  männliches  laster  ist.    sehr  ge- 
schickt  freilich    ist   der    Übergang  341    von   den   frowen  sul  wir 
niht  übel  sagen  nicht,    möglich  ist  ja  aber  auch  immer,  dass  die 
Überlieferung    das    ursprüngliche    gestört    hat1.      eine   nötigung 
für  die  annähme,  Heiurich,  der  dichter  der  Erinnerung,  sei  von 
adel,  liegt,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  vor.     da  aus  der  frage 
übrigens  weiter  keine  consequenzen  entspringen,  so  können  wir 
uns   dabei    beruhigen   festgestellt   zu  haben,    dass  er,    als  er  die 
Erinnerung   dichtete,    einem  kloster  als  mönch  angehörte,    noch 
weniger   als   bei   ihm   kann   man  bei   dem  dichter   des  Priester- 
lebens zweifeln,    dass   er  geistlichen  Standes   war.    bezeichnet  er 

1  ich  möchte  hieran  anknüpfen,  dass  ich  mit  Heinzel  die  widerholung 
von  v.  418  in  430  ir  undet-tdnen  wellent  westn  vri  für  unpassend  halte 
trotz  der  erklärung  von  Wilmanns,  der  das  erste  mal  die  niedere  geist- 
lichkeit,  das  zweite  mal  die  kleinen  leute  darunter  verstanden  sieht,  aber 
die  niedere  geistlichkelt  als  Untertanen  der  höheren  bezeichnet  zu  denken 
erscheint  mir  recht  gewagt,  zu  dem  ist  v.  418  besser  auf  die  weltlichen 
und  geistlichen  fürsten  zu  beziehen,  als  auf  die  letzteren  allein,  ich  glaube, 
dass  bei  den  gleichen  reim  Wörtern  si:vri  ein  abirren  des  Schreibers  von 
einer  in  die  andere  zeile  vorliegt  und  dass  430  ein  vers  gestanden  haben 
mag  wie:    si  sint  beide  gotes  minne  vri. 


ERINNERUNG  UND  PRIESTERLEREN  II  315 

sich  doch  lS4ff  im  gegensatze  zu  den  laien  als  einen  der  oitch 
diu  buoch  gelesen  hdt,  also  als  geistlichen  ;  vgl.  dazu  Leyser  76,  39 
do  sprach  der  patriarcha  'nein  vil  liebe,  ich  bin  michil  schuldiger, 
wane  ich  kan  die  buch',  auch  ebenda  86,  5.  ob  er  ein  Ordens- 
bruder war,  dafür  möchten  in  dem  umstände,  dass  seine  klagen 
vor  allem  dem  seelsorgeclerus  gelten,  die  einen  vielleicht  eine  be- 
stätigung,  die  andern  das  gegenteil  zu  sehen  geneigt  sein,  mir 
selbst  hat  sich  keine  Sicherheit  ergeben,  und  die  erwägungen, 
die  ohne  resultat  blieben,  hier  vorzuführen  wäre  überflüssig,  das 
bild  aber,  das  wir  von  beiden  dichtem  erhalten  haben,  erscheint 
hinreichend  klar:  zwei  strengkirchlich  gesinnte  geistliche,  lebhaft 
beseelt  von  dem  wünsche,  die  macht  der  kirche  durch  die  morali- 
sche hebung  des  clerus  zu  stärken;  der  eine  in  den  anschauungen 
der  älteren ,  der  andere  in  denen  der  neuen  kirche  wurzelnd, 
der  dichter  der  Erinnerung  ausgehend  von  dem  gregorianismus, 
der  den  abscheu  des  frommen  laien  vor  dem  schlechten  priester 
mit  heranziehen  will  zur  Säuberung  des  priesterstandes,  der  dichter 
des  Priesterlebens  Verfechter  des  neukirchlichen  dogmas,  das  dem 
laien  jegliches  urteil  über  den  geweihten  priester  entzieht,  wäh- 
rend Gregors  gedanke,  der  hierarchie,  der  er  dienen  sollte,  äufserst 
bedrohlich,  nur  in  ketzersecten  sein  dasein  fristet,  um  in  der 
reformation  zu  ungeahnter  kraft  sich  zu  entfalten,  gipfelt  das 
neue  dogma  in  dem  die  heutige  katholische  kirche  beherschen- 
den  jesuitismus. 

Kiel.  KARL  KOCHENDORFFER. 


GERMANISCHE  MATRONENNAMEN. 

EIN  EXCURS  ZU  SAITCIIAM1MS. 

Zu  den  drei  bisher  bekannten  ubischen  dativen  pluralis  ist 
nunmehr,  wie  die  leser  dieser  Zeitschrift  bereits  durch  eine  nni- 
teilung  Kossinnas  im  Anz.  xvn  78  erfahren  haben,  ein  vierter 
getreten,  nämlich  Saitchamims;  und  wider  steht  dieser  germani- 
schen  form  auf  einer  anderen  inschrift  ein  lateinisch  flecliertes 
Saithamiabus  gegenüber,  gerade  wie  dem  Vatcims  und  AfNms 
Vatviabus  und  Aßiabus. 

Wenn  es  einen  weg  gibt,  zum  Verständnis  der  germanischen 
mütter-  und  matronennamen   zu  gelangen,   so  isi  es  jener,   der 

21* 


316  GERMANISCHE  MATRONENNAMEN 

von  der  Untersuchung  ihrer  suffixe  seinen  ausgaug  nimmt,  auch 
der  vorliegende,  auf  den  ersten  blick  recht  befremdliche  riame 
wird  uns  immer  dunkel  bleiben,  wenn  wir  nicht  alle  gleich  ab- 
geleiteten ,  die  wir  bisher  aus  den  inschriftlichen  denkmäleru 
kennen  gelernt  haben,  mit  in  betracht  ziehen. 

Wie  immer  man  die  endung  -IMS  auffasst,  ob  mit  Kluge  in 
Pauls  Grundr.  i  387  als  -im{i)z  für  -je-m(i)z  -fe-mis  oder  mit 
Brugmaun  Grundr.  d.  vergl.  gr.  u  718  als  -i-ms,  steht  doch  su 
viel  fest,  dass  im  gotischen  ihre  stelle  durch  -jöm  vertreten  wird, 
dass  also  ubischem  Aflims,  Vatvims  got.  *Afljöm,  *Watwjöm  ent- 
spräche. 

Gerade  der  erstgenannte  dieser  beiden  namen,  der  uns  zwei- 
mal belegt  ist,  einmal  als  Aflims,  das  anderemal  als  Afliabus,  ist 
vielleicht  am  leichtesten  zu  verstehn.  im  altnordischen  begegnet 
nämlich  ein  der  poetischen  spräche  angehörendes  nomen  agentis 
eflir  m.  'qui  äuget,  promovet',  gebildet  zu  dem  zeitworte  efla,  das 
eigentlich  besagt  'mit  afl,  di.  mit  kraft  versehen';  es  findet  sich 
in  ausdrücken  wie  eflir  vingards  'cultor  vineae',  eflir  krapta  'pa- 
trator  miraculorum',  eflir  alls  söma  'omnium  virtutum  promotor', 
eflir  ärs  'auctor  laetae  annonae,  felicitatis'  und  anderen  mehr; 
s.  Egilsson  Lex.  poet.  119.  hier  haben  wir  also  das  genaue 
männliche  gegenstück  zu  dem  namen  Afliae,  und  dieser  ist  damit 
nach  form  und  inhalt  durchaus  befriedigend  erklärt,  auffallen 
könnte  dabei  nur,  dass  ebenso  wie  im  altnordischen  masculine 
nomina  agentis  auf  -ir  gebildet  werden  (worüber  Kluge  Nom. 
stammbild.  §  7  und  Hj.  Falk  Beitr.  xiv  20  ff  zu  vergleichen  ist), 
so  im  ubischen  sogar  noch  das  entsprechende  weibliche  suffix  in 
gleicher  bedeutung  fruchtbar  gewesen  sein  soll,  dass  dies  aber 
würklich  —  vielleicht  übrigens  wie  im  nordischen  hauptsächlich 
in  gehobener  spräche  —  der  fall  war,  ergibt  sich  gleich  aus  den 
folgenden  beispielen. 

So  aus  dem  namen  der  Gavadiae,  sechsmal  in  der  dativform 
Gavadiabus  belegt,  den  Kern  Germaansche  woorden  in  Latijnsche 
opschriften  aan  den  Beneden  Rijn  (Verslagen  en  mededeelingen 
der  k.  Akad.  van  wetenschappen.  Afdeeling  Letterkunde,  n  reeks, 
2  deel  p.  304  — 336)  312  zweifellos  richtig  nach  got.  gawadjön 
'ocQfj.oZeiv,  verloben'  als  'sponsales'  erklärt  hat. 

Auch  denjenigen  der  Gabiae,   achtmal  als  Gabiabus1,  und 
1  von  den  matronen  dieses  namens   zu  trennen  ist  dea  Jdban.  Gabia 


GERMANISCHE  MATRONENNAMEN  317 

der  Alagabiae,  einmal  als  Alagabiabus  vorkommend,  hat  Kern 
aao.  309  zutreffend  als  die  'gebenden,  schenkenden'  und  als  die 
'allschenkenden',  gleichsam  IlavdiüQai  gedeutet,  ihr  name  ist 
wider  ein  nomen  agentis  zu  einem  verbum,  das  gotisch  *gabjön 
lauten  würde  und  erhalten  ist  in  der  altnordischen  kenning 
Njords  als  gefjanda  gud,  Skaldskaparmäl  6.  auch  der  name  der 
Gefjon  ist  aus  diesem  verbum  gebildet,  gerade  wie  skipon  aus 
skipa;  vgl.  Herjan  und  herja  'heeren'. 

Der  name  Vatviae,  zweimal  als  Vatvims,  sechsmal  als 
Vatviabus  überliefert,  gehört  um  so  sicherer  zur  germanischen 
wurzel  uat  iu  westgerm.  watar,  got.  watö,  altn.  vatn  und  in 
waschen  (aus  *watska-  Kluge  EW4)  —  vgl.  die  ablautenden  formen 
ijet  in  altschw.  Vcetur,  Noreen  Urg.  judl.  §  12  nr55,  ut  in 
Otter,  Kluge  EW4,  ußt  in  ags.  waet,  an.  vätr ,  nordfries.  wiat, 
—  als  die  Vatviae  einmal  Nersihenae  zubenannt  sind  (CIRh  626; 
Ihm,  Der  mütter-  und  matr.-kult.  nr  314),  worin  man  längst 
beziehung  zum  flüsschen  Neers  oder  Niers,  einem  nebenfluss 
der  Maas,  Nersa  im  9  jh.  (s.  Förstemann  n2  1144)  gesucht  hat. 
aber  unmittelbar  aus  jener  wurzel  ist  Vatviae  doch  nicht  ent- 
sprungen, setzt  vielmehr  ein  nach  art  von  got.  wal-w-jan  'wälzen' 
(vgl.  Noreen  Urg.  judl.  §  50  [Reduplikatjon]  b)  gebildetes  ver- 
bum, das  got.  *wat-w-jan  lauten  müste,  voraus,  die  Vatviae  sind 
somit  die  'bewässernden'. 

Von  gleicher  bildung  ist  auch  der  name  der  Aufaniae. 
von  12  denkmälern,  die  diesen  gewidmet  sind,  zeigen  8  die  dativ- 
form Aufaniabus,  3  Atifanis,  1  Aufanis  mit  über  die  zeile  hinauf 
verlängertem  /,  das  für  7  oder  ii  genommen  werden  kann;  10  da- 
von stammen  aus  den  germanischen  Rheinlanden,  1  aus  Lyon,  1 
aus  dem  südlichen  Spanien;  s.  Ihm  aao.  29,  Klein  Ronner  jahrb. 
h.  88,  119.  dass  wir  es  dabei  mit  einem  germanischen,  nicht  mit 
einem  keltischen  worte  zu  tun  haben ,  wird  jeder  zugeben ,  der 
den  lautstand  dieser  beiden  sprachen  kennt,  der  name  setzt  nach 
der  analogie  der  vorher  besprochenen  ein  ubisches  zeitwort  *au- 
faniana  oder  aufamöna  und  ein  zu  gründe  liegendes  adjectiv 
*aufanaz  voraus,  man  vergleiche  damit  das  aus  dem  germanischen 
entlehnte  span.  port.  ufano  'eitel',  prov.  ufana,  ufanaria,  ufanesc 

nach  Max  Ihm  Der  mütter-  und  matronenkult  (Sonderabdruck  aus  den  Bonner 
jahrb.  heft  83)  27.28;  ihr  name  ist  natürlich  der  gleiche,  wenn  wir  von  der 
näheren  bestimmung,  die  in  Idban.  enthalten  ist,  absehen. 


318  GERMANISCHE  MATRONEISNAMEN 

'eitelkeit,  Übermut',  Diez  Wb.  i3  435,  ferner  was  die  bedeutung 
anbelangt  got.  ufjö  'überfluss';  zur  selben  wurzel  gebort  auch 
unser  auf,  ob,  oben,  ober,  über  und  anderes;  s.  Kluge  EW4, 
Johansson  Beitr.  xv  231  ff,  239ff.  die  ablautsstufe ,  die  uns  im 
matronennamen  vorliegt,  ist  allerdings  sonst  nicht  belegbar,  kann 
indes  nicht  zu  bedenken  anlafs  geben,  da  im  übrigen  in  der- 
selben wurzel  Stammabstufung  vorliegt;  vgl.  ahd.  üf,  as.  üp,  ags.  üp, 
npp,  got.  iup,  germanisch  also  *üpa,  *appa,  *eupa,  wobei  pp  aus 
vorgerm.  pn  bei  suffixbetonung  hervorgegangen  und  p  nach  langem 
vocal  wider  aus  pp  gekürzt  ist;  vgl.  Noreen  Urg.  judl.  §  37 
(s.  97  f)  und  §  39  (s.  103),  Johansson  Beitr.  xv  241.  der  sinn 
von  Aufaniae  ist  darnach  die  'emporbringenden'  oder,  um  ein 
stammverwandtes  wort  zu  gebrauchen,  das  auch  seiner  bedeutung 
nach  am  besten  entspricht,  die  'äufnenden'.  wenn  sie  einmal,  auf 
einem  altar  in  Bonn  (Ihm  nr.  207)  Aufaniae  domesticae  genannt 
werden,  so  sind  das,  falls  die  worte  nicht  beigeordnet  sind,  die 
'häuslichen  Äufnerinnen'. 

Die  Vapthiae  sind  nur  durch  eine  inschrift  mit  dem  dativ 
Vapthiabus  vertreten,  die  Verbindung  pth  ist  dabei  sicher  wider- 
gabe  des  germ.  ft,  wofür  auch  Kern  sie  genommen  hat,  und  zwar 
von  dem  h  abgesehn,  die  gewöhnliche;  vgl.  Cruptorix,  cPämog, 
repti,  "QrtTaQiQ,,  Scaptharius,  tualepti,  vor  allem  Optant  der  Neapler 
Urkunde  gegenüber  der  gotischen  Unterschrift  desselben  mannes: 
Ufitahari  (s.  Wrede  Spr.  d.  Ostg.  98).  *Vaftiae  deutet  Kern  im 
hinblick  auf  das  druftin  und  gesifte  der  niederfräuk.  psalmen  an- 
sprechend als  eine  mundartliche  form  statt  Vahtiae.  die  Vapthiae 
wären  also  die  'hüterinnen'.  doch  wird  ihr  name  eher  als  eine 
nominale  ableitung  wie  nordisch  fylkir,  hihnir,  erßr,  got.  hairpeis 
oder  als  analogiebildung  zu  erklären  sein,  denn  ein  ubisches 
verbum  uafüana  ist  wegen  ahd.  wahten,  mhd.  wählen  nicht  wahr- 
scheinlich, jedenfalls  sind  die  Vapthiae,  falls  hier  würklich  Ver- 
tretung von  ht  durch  ft  vorliegt,  die  'hüterinnen'. 

Der  name  Suleviae  ist  niemals  mit  dem  beisatz  Matronae 
belegt,  kommt  aber  sichtbarlich  verwandten  gestalten  zu;  viel- 
leicht gehören  sie  zu  den  Matres;  vgl.  darüber  Ihm  71.  78.  80; 
Mommsen  Korresp.-bl.  d.  westd.  zs.  v  nr88.  dass  ihr  kult  und  name 
deutschen  Ursprunges  sei,  lässt  sich  nicht  streng  erweisen,  ist  je- 
doch wahrscheinlich  genug,  von  über  20  steinen,  auf  denen  sie 
genannt  sind,  stammen  allerdings  nur  2  aus  Germania  superior, 


GERMANISCHE  MATRONENNAMEN  319 

1  aus  Germania  inferior.  13,  also  weitaus  die  meisten,  sind  in  Rom 
selbst  gefunden;  von  diesen  aber  sind  11  von  den  equites  sin- 
gulares,  also  mitgliedern  der  germanischen  kaiserlichen  leibgarde, 
gesetzt,  2  von  Soldaten  unbestimmbarer  herkunft.  die  übrigen 
stammen  aus  verschiedenen  römischen  proviuzen.  dass  der  no- 
minativ  als  Suleviae  anzusetzen  ist,  erweist  sich  einzig  durch  das 
Suleviabus  auf  einer  der  beiden  obergermanischeu  inschriften 
(Rrambach  CIRh  673;  Ihm  nr  194)1.  die  gewöhnliche  dativform 
ist  Sulevis;  daneben  begegnet  fünfmal  Stdeis,  eine  nebenform  des 
namens,  die  seiner  herleitung  aus  dem  germanischen  durchaus 
nicht  im  vvege  steht,  da  /  vor  i  unfest  und  gelegentlich  schon  in 
gemeingermanischer  zeit  ausgefallen  ist;  s.  Kluge  in  Pauls  Grundr. 
i  334  -.  von  allen  bisherigen  deutungsversuchen  kommt  nur 
jener  ThRvGrienbergers  in  betracht,  der  das  wort  in  Su-levtae 
abteilt  und  davon  den  ersten  bestandteil  mit  germ.  m-  'wohl 
in  Su-gambri,  idg.  su-,  gleichstellt,  den  zweiten  mit  got.  lew  n. 
'gelegenheit,  mittel,  Stoff,  a(poQ/urj'  zusammenbringt,  das  aus 
diesem  lew  abgeleitete  got.  verbum  lewj'an  und  ga-,  fra-lewjan, 
ebenso  ags.  läwan,  ge-,  be-lcewan,  ahd.  gi-,  fir-lden  hat  eine  be- 
deutungsentwicklung  in  übler  richtung  durchgemacht;  aus  dem 
sinne  'gelegenheit  schaffen'  ist  jener  von 'verraten'  hervorgegangen. 
*su-lewj'an,  *su-lceuiana  aber  würde  bedeutet  haben  'gute  gelegen- 
heit, gute  mittel  schaffen'  und  Suleviae  wäre  wider  ein  nomen 
agentis  zu  diesem  verbum.  zu  dem  angegebenen  wortsinne  ihres 
namens  passt  ganz  gut  die  nähere  bezeichnuug  ihrer  tätigkeit 
durch  den  zusatz:  'qui  (sie)  curam  vestra  aguut'  auf  einem  der 
steine  aus  Germania  superior,  Ihm  nr  155. 

Volksnamen  oder  von  solchen  abgeleitete  adjeetive  als  bei- 
namen  der  mütter  bleiben  hier  natürlich  aufser  betracht,  wenn 
darunter  auch  ein  par  -vi-  ableitungen  stecken  sollten,  ebenso 
sicher  keltisches  material,  das  übrigens  gegenüber  dem  germa- 
nischen recht  geringfügig  ist:  es  besteht  nur  in  ein  par  inschrift- 
iichen  namen,  für  die,  abgesehen  davon,  dass  sie  sich  sonst  als 
keltische  zu  erkennen  geben,  germanischer  Ursprung  schon  wegen 

1  was  es  mit  der  augeblichen  göttin  Sulivia  für  eine  bewandtnis  hat, 
lese  man  bei  Ihm  81. 

2  auch  den  namen  des  Ostgotenkünigs  Te/ti  wird  man  darum  trotz 
Wrede  Spr.  d.  Ostg.  149  f  immer  noch  mit  Dietrich  Ausspr.  d.  got.  62  für 
wulfilanisch  *ti"'wja  'der  onlner'  nehmen  dürfen. 


320  GERMAISISCHE  MATRONENNAMEN 

ihrer  fundstätten,  die  in  das  geschlossene  keltische  Sprachgebiet 
fallen,   nicht  leicht  in  frage  kommt. 

Sicher  germanisch  benannt  sind  noch  die  Alaterv(i)ae, 
Arvagast(i)ae  und  Annanept(i)ae.  aber  nicht  völlig  fest 
steht  es,  ob  ihre  namen  zu  der  hier  behandelten  gruppe  ge- 
hören, da  sie  nur  je  einmal  in  der  form  Arvagastis,  Alatervis  und 
Annaneptis  belegt  sind,  doch  sind  einfache  -ä-ableitungen  unter 
den  germanischen  mütter-  und  matronennamen  sonst  gar  nicht 
vertreten,  und  dass  -iis  nicht  erwartet  werden  darf,  zeigt  das  bei- 
spiel  Aufanis  und  Sulevis,  Suleis.  dass  auch  Alaterviae,  Arva- 
gastiae  anzusetzen  sei,  darf  also  von  vornherein  als  das  wahr- 
scheinlichere gelten  und  wird  überdies  durch  die  bessere  deut- 
barkeit dieser  namensformen  bestätigt. 

Stünde  Terv(i)ae  allein,  so  liefse  sich  dabei  an  Dryaden 
denken;  bei  Alaterviae  ist  das  schon  nicht  gut  mehr  möglich, 
aber  gerade  so  wie  neben  der  wurzel  drü ,  dreu  'holz,  bäum' 
eine  nebenform  dem  vorkommt,  ist  auch  neben  unserem  treue, 
trauen,  trost  eine  verwandle  bildung  urgermanisch  Herrn-  mög- 
lich, ja  vielleicht  liegen  hier  überhaupt  nur  verschiedene  be- 
deutungsentwicklungen  nach  der  sinnlichen  und  nach  der  sitt- 
lichen seite  vor,  gerade  wie  im  lateinischen  robur  'kern,  holz, 
eiche'  einerseits  und  'kraft  und  stärke'  anderseits  bedeutet,  mit 
germ.  *teruaz  'fest'  könnte  der  keltische  frauenname  Derva  und 
slav.  dorvü  'gesund'  verwandt  sein.  *teruiana  würde  dann  'stark, 
fest  machen'  und  Alaterviae  die  'allkräftigenden'  bedeuten,  der 
denksteiü,  der  ihren  namen  enthält,  zu  Cramond  bei  Ediuburgh 
gefunden  (CIL  vn  1084;  Ihm  nr  378),  ist  ihnen  zugleich  mit  den 
'Matribus  Campestribus',  wie  es  scheint  kampfgöttinnen  (s.  Ihm 
86),  von  der  'cohors  Tungrorum'  errichtet,  auch  die  Alaterviae 
können  leicht  kriegerische  bedeutung  gehabt  haben  als  Verleihe- 
rinnen körperlicher  kraft  und  riistigkeit. 

Der  stein,  der  den  Matronis  Arvagastis  gewidmet  ist, 
aus  Müddersheim  (CIRh  590;  Ihm  nr  268),  enthält,  wie  übrigens 
eine  reihe  von  matronendenkmälern,  auch  einige  unter  den  schon 
besprochenen,  eine  bildliche  darstellung  der  drei  gottheiten.  sie 
sind  über  der  inschrift  in  einer  nische  sitzend  dargestellt  mit 
schusseln  und  fruchten  im  schoofs.  die  rechte  Schmalseite  zeigt 
ein  füllhorn,  unten  einen  vogel,  wahrscheinlich  eine  gans,  die 
linke  einen  tisch,  auf  dem  ein  schweinskopf  liegt,  daneben  einen 


GERMANISCHE  MATRONENNAMEN  321 

korb  und  einen  krug.  —  Arvagastis  ist  jedenfalls  in  Arva-  und 
gastis  zu  zerlegen,  der  zweite  teil  davon  würde  wider,  wenn 
dieselbe  bildung  wie  bei  den  bereits  besprochenen  namen  vor- 
liegt, auf  ein  verbum  *gastiana  zurückweisen,  nicht  anders  ist 
die  germ.  grundform  zu  mhd.  gesten  praet.  gaste  anzusetzen,  das 
einerseits  'zum  gaste  machen',  anderseits  'kleiden,  schmücken, 
mit  lobe  schmücken,  rühmen,  preisen'  bedeutet,  man  hat  dieser 
zwiefachen  bedeutnng  halber  mit  unrecht  zwei  verschiedene  verba 
unterscheiden  und  das  zweite  aus  franz.  vestir  lat.  vestire  ableiten 
wollen,  was  nach  form  und  sinn  des  wortes  gleich  unmöglich 
ist.  der  Übergang  des  begriffes  'als  gast  behandeln'  in  den  von 
'begaben,  auszeichnen,  schmücken,  preisen'  usw.  ist  dagegen  bei 
der  altgermanischen  auffassung  der  gastfreundschaft  ein  ganz 
natürlicher  und  wird,  da  er  sich  aus  den  jüngeren  Verhältnissen 
nicht  mehr  erklärt,  sehr  frühzeitig  schon  erfolgt  sein,  bereits 
für  jenes  ubische  ^gasHana  wird  man  ihn  voraussetzen  dürfen. 
arva-  ist  dann  wenigstens  in  seiner  bedeutung  nicht  dasselbe  wie 
as.  aru,  ags.  earu,  altn.  orr  'schnell,  bereit,  fertig',  sondern 
gleich  altn.  orr  (stamm  arua-)  im  sinne  von  'liberal,  openhanded', 
vgl.  miklu  orvari  af  fe,  orr  ok  olmusu-gödr,  müdr  ok  orr,  orr 
ok  gjofull  uam.  bei  Cleasby-Vigfusson  767.  die  Arvagastiae  sind 
die  'freigebig  spendenden,  mild  begabenden'. 

Identisch  mit  den  matribus  Anna  n  eptis  (CIRh  219;  Ihm  nr  33 1) 
scheinen  die  Matres  patemae  Hannanef.  einer  anderen  inschrilt 
(CIRh  321;  Ihm  nr  287)  zu  sein,  deren  name  aber  auch  als 
Hiannanef.  und  als  H.annanef.  überliefert  wird,  da  auch  der 
name  Annaneptis  keine  gewähr  richtiger  Überlieferung  bietet  (s. 
Ihm  19)  —  die  iuschriften  selbst  sind  nämlich  beide  verloren  — , 
so  ist  es  doppelt  schwer  über  seine  etymologie  etwas  abschliefsen- 
des  zu  sagen,  so  viel  ist  indes  klar,  dass  die  Verbindung  pt  wider 
so  beurteilt  werden  muss,  wie  oben  in  Cruptorix  usw.,  und  -neptiae 
dasselbe  ist  wie  unser  nichte,  germ.  *neftl,  'verwandte',  selbst- 
verständlich hatte  das  suflix  -iä-  im  ubischen  nicht  ausschliefslich 
die  function,  nomina  agent.  zu  bilden,  es  dürfte  uns  daher  nicht 
wundern,  einmal  einem  matronennamen  zu  begegnen,  in  dem 
derselben  ableitung  eine  andere  bedeutung  zukommt. 

Wir  können  uns  nunmehr  den  Saitchatnims  selbst  zu- 
wenden, was  sofort  über  ihren  namen  sich  sagen  lässt,  ist,  dass 
er  aus  saü  und  chamims  oder  hamiabus  nach  der  anderen  inschrifl 


322  GERMAMSCHE  MATRONENNAMEN 

zusammengesetzt  ist.  auffallend  ist  dabei  nur  das  fehlen  des 
compositionsvocales;  doch  gibt  es  dafür,  abgesehen  von  der  syn- 
kopierung vor  v  in  Catualda,  Chasuarii  und  anderen  namen, 
einige  alte  Seitenstücke  zb.  Hermunduri,  ytov7tcpovQÖov;  viel- 
leicht gehört  hierher  auch  Ovioßovqyioi  (germ.  *  Uesuburgjöz, 
die  'gute  bürgen  besitzenden'?),  vielleicht  auch  Verritus  bei  Tacitus 
Ann.  xiii  54.  im  allgemeinen  entspricht  der  lautstand  der  inschriften 
viel  mehr  dem  lebendigen  Sprachgebrauch,  als  jener  der  namen 
in  literarischer  Überlieferung,  und  zeigt  vielfach  jüngere  formen, 
so  begegnet  uns  auf  jenen  denkmälern  so  gut  wie  ausschliefslich 
a  als  compositionsvocal,  während  von  den  Schriftstellern  bekannt- 
lich noch  Ammianus  Marcellinus  Hariobaudus,  Vadomarius,  Cho- 
nodomarius  usw.  schreibt,  daneben  aber  Alamanni,  wie  denn 
überhaupt  Alomanni  nirgends  sich  findet,  ein  umstand,  der  Kluge 
hätte  abhalten  sollen,  den  Westgermanen  für  die  zeit  jenes  ge- 
währsmannes  noch  den  compositionsvocal  o  zuzusprechen  (Pauls 
Grundr.  i  316;  dagegen  auch  Wrede  Spr.  d.  Ostg.  48). 

Suchen  wir  nun  zunächst  wider  nach  einem  verbum,  zu 
dem  chamims  nom.  ag.  seiu  kann,  so  bietet  sich  sofort  unser 
hemmen,  mhd.  hemmen,  harnen,  'aufhalten,  hindern',  an.  hemja, 
desgl.  Sau-  muss  dann  eine  objective  bestimmung  enthalten  und 
zwar  muss  in  diesem  worte  nothweudig  ein  übler  sinn  gelegen 
sein,  wenn  anders  die  Saitchamien  gütige  wesen  sind,  wie  alle 
anderen  matronen.  mit  satt,  wenn  man  an  der  tenuis  festhält, 
wird  sich  jedoch  nichts  anfangen  lassen,  allein  T  steht  hier 
ebensogut  für  germanisches  b,  wie  in  Tinxo  auf  der  inschrift 
aus  Cumberland  (Ephemeris  epigr.  m  n.  85;  Rruce  Lapidarium 
septentrionale  n.  807)1  oder  in  Alatancus'2  (CIL  v  8738).  auch  in 
den  handschriften  ist  t  und  th  ganz  durcheinander  geworfen  (vgl. 
Wrede  Spr.  d.  Ostg.  170);  obwol  den  Schriftstellern  das  th  als 
widergabe  des  griech.  #  geläufig  war,  von  wo  aus  der  gebrauch 

1  dass  die  übliche  abteilung  dieser  inschrift:  Deo  Bclatucadro  a  muro 
sivi  tus  Tinxo  ex  cuneum  (Fr)is(iorum  Ger)manortim ,  woraus  man  sogar 
einen  Tius  Thinxus  herauslesen  wollte,  ein  unsinn  ist,  liegt  auf  der  hand. 
richtig  deutet  sie  ThRvGrienberger  als  Deo  Belatucadvo  Amuro  Sivitus 
Tinxo  usw.  dh.:  dem  gölte  Belatucadrus  Amuro,  Sivitus  dem  Thinxus,  und 
vergleicht  dazu  den  keltischen  namen  Amuro. 

2  diesen  namen  sowie  den  der  matres  Alalerv(i)ae  und  den  der  göttin 
Alateivia  (CJRh  197)  das  ist  *Alatceuiö  —  vgl.  got.  gatewjan  —  nimmt 
Holder  Altkeit,  sprachschsalz  unverantwoitlieherweise  für  keltisch. 


GERMANISCHE  MATRONE» AMEN  323 

desselben  zur  transscription  des  germ.  p  sich  herschreibt.  der  des 
griechischen  unkundige  Steinmetz  muste  diesem  germanischen  laute 
um  so  hilfloser  gegenüberstehn.  mau  muss  also  auch  saifi-  in  er- 
wägung  ziehen,  dieses  ist  nichts  anderes  als  au.  seidr  m.  'zauber'. 
daneben  kennt  das  allnord.  auch  ein  st.  verbum  sida  'zaubern', 
aus  dem  sich  offenbar  der  name  Sitones,  Sithones  —  beide  formen 
finden  sich  in  den  handschriften  bei  Tacitus  Germ.  45  —  die  ger- 
manische bezeichnung  de~r  Quaenen ,  der  skandinavischen  Finnen 
also,  herleitet,  diese  sind  nach  germanischer  Vorstellung  zauberer 
viax  eBox^v ,  so  zwar,  dass  im  altnordischen  Finnr  oft  gerade- 
zu im  sinne  von  'zauberer'  gebraucht  wird  (s.  Cleasby-Vigfus- 
son  154),  ja  heute  noch  in  Nordland  Finngjerd  so  viel  als 
Trolddom  bedeutet  (s.  Aasen  156);  und  in  heidnischer  zeit  kam 
es  vor,  dass  Norweger  und  Schweden  ihre  kinder  zu  den 
Finnen  schickten,  damit  sie  dort  diese  kunst  sich  aneigneten 
(s.  Weinhold  Altnord.  leb.  399).  später  ersetzt  das  nordische  den 
ausdruck  *s7ponez  durch  seidmenn,  seidberendr,  und  auch  sida 
selbst  ist  nur  selten  belegt,  'zauber  wirken'  heifst  im  nordi- 
schen gewöhnlich  seida  oder  fremja  seid;  doch  ist  ein  gegen- 
sätzlicher ausdruck  hemja  seid  nicht  gebräuchlich;  dafür  findet 
sich  ein  subst.  seidvilla  für  den  gegenzauber;  rista  seidvillur 
heifst  es  beispielsweise  Fas.  in  319.  damit  wird  aber  eigentlich 
eine  tätigkeit  bezeichnet,  die  dem  zauber  eine  andere  richtung 
oder  würkung  gibt  als  der  zauberer  wollte;  vgl.  Hävam.  151. 
*hamiana  *saißa  dagegen  bedeutete  'den  zauber  abwehren,  schwa- 
chen, zu  oicbte  machen'. 

In  seiner  dankenswerten  abhandlung  über  den  mütter-  oder 
matronencult  ist  Max  Ihm  zu  dem  ergebnisse  gelangt,  dass  wir  uns 
diese  wesen  durchaus  als  gütige,  spendende  gottheiten  zu  denken 
haben,  'daher  sind  sie  auch  auf  einer  oberitalischen  inschrilt 
indulgentes  genauut.  sie  verleihen  segen  und  häuslichen  Wohl- 
stand, fülle  und  fruchtbarkeit  des  ackers.  darauf  deuten  ihre 
attribute  hin:  die  mit  fruchten,  ähren  ausgefüllten  körbe  und 
die  füllhüincr.  bezeichnend  ist,  dass  sie  einmal  im  verein  mit 
Mercur,  der  als  hicrorum  polens  characterisicrl  ist ,  angerufen 
werden,  daher  erklären  sich  die  zahlreichen  dedicationen  'pro 
se  et  suis',  'pro  salute'  von  Familienmitgliedern ,  'pro  natie  suis' 
und  ähnliche,  denen  nicht  selten  die  (besonders  am  Rhein  häuti- 
gen)  formein    'ex   imperio'  oder   'ex    imperio   ipsarum'  beigefügl 


324  GERMANISCHE  MATRONENNAMEN 

sind',  das  bild,  das  wir  aus  den  namen  entnehmen  konnten,  ist 
ein  ganz  ähnliches,  demselben  vorstellungskreis  wie  die  übrigen 
gehören  aber  auch  die  'zauberbannenden'  matronen  an.  denn 
wenn  die  gröste  get'ahr  nicht  nur  den  feldern,  dem  vieh  und 
dem  hauswesen ,  sondern  auch  dem  leiblichen  wolbefinden  der 
menschen  nach  heidnischer  anschauung  durch  zauber  drohte,  so 
gehörte  es  eigentlich  mit  zum  geschäft  jener  den  menschen  freund- 
lichen wesen,  vor  diesem  zu  schützen,  und  es  darf  uns  gar  nicht 
wundern,  einmal  einen  namen  zu  finden,  in  dem  sich  diese  eine 
seite  ihres  berufes  deutlich  ausspricht. 

Dass  wir  es  am  Niederrhein  mit  der  aufnähme  römischer 
oder  gallischer  Vorstellungen  von  den  müttern  durch  die  Ger- 
manen der  beiden  grenzprovinzen  zu  tun  haben,  daran  ist  bei 
dem  inhalt  der  germanischen  denkmäler  und  ihrer  überwiegenden 
zahl  gegenüber  denen  keltischer  und  anderer  herkunft  nicht  mehr 
zu  denken,  der  austausch  und  die  Wanderung  der  Vorstellungen 
gehört  hier  sichtbarlich  der  urzeit  dieser  Völker  an.  die  deutsche 
mythologie  wird  also  mit  ihnen  rechnen  müssen,  es  wird  auch  nicht 
schwer  halten,  mit  den  rheinischen  müttern  verwandte  gestalten 
anderweitig  auf  germanischem  boden  zu  erkennen,  vor  allem 
andern  kommt  dabei  die  folgende  nachricht  Redas,  De  temporum 
ratione  c.  13,  in  betracht:  Incipiebant  autem  annum  (Anglorum 
populi)  ab  octavo  calendarum  lanuariarum  die,  ubi  nunc  natale 
Domini  celebramus,  et  ipsam  noctem  nunc  nobis  sacrosanctam  tunc 
gentili  vocabulo  M odraniht,  id  est  matrum  noctem,  ap- 
pellabant,  ob  causam,  ut  suspicamur,  ceremoniarum ,  quas  in  ea 
pervigiles  agebant.  aus  dem  umzug  der  gaben  spendenden  mütter 
erklären  sich  vielleicht  unsere  Weihnachtsgeschenke. 

Wien,  am   1  hornung  1891.  RUDOLF  MÜCH. 

NEHALENNIA. 

Es  wäre  eine  langwierige  arbeit,  wollte  mau  all  die  dilet- 
tantischen erklärungsversuche,  denen  der  name  der  Nehalennia 
bisher  ausgesetzt  war,  und  den  ganzen  modernen  mylhenkreis, 
der  sich  um  ihn  gebildet  hat,  verzeichnen  und  kritisch  beleuchten, 
und  es  lohnte  auch  nicht  die  mühe;  denn  die  haltlosigkeit  so 
ziemlich  alles  dessen,  was  bisher  über  namen  und  wesen  dieser 
göttin  vorgebracht  wurde,  liegt  für  den  einsichtigen  klar  zu  tage. 


NEHALENNIÄ  325 

Das*  wir  es  bei  Nehalennia  nicht  mit  einer  gallischen  gott- 
heit  zu  tun  haben,  zu  der  sie  die  keltomanen  stempeln  wollten, 
ergibt  sich  sofort  daraus,  dass  in  den  perioden ,  die  hier  einzig 
in  betracht  kommen,  der  laut  /*  dem  keltischen  völlig  abgeht, 
von  den  denkmälern,  die  ihr  gewidmet  sind,  stammen  mindestens 
23  (Brambach  CIRh  24.  27  —  45.  48.  (49?)  50.  Bonner  jahrb. 
h.  57.  s.  195)  aus  Doomburg  auf  Walcheren,  wo  nach  dem  Zeug- 
nisse des  Plinius  NH  iv  98  noch  Germanen  safsen,  2  aus  Deutz, 
also  widerum  aus  germanischem  gebiet,  auch  unter  den  namen 
der  dedicanten,  auf  die  hier  nur  deshalb  nicht  näher  eingegangen 
werden  soll,  weil  sich  einmal  eine  passendere  gelegenheit  finden 
wird,  sie  einzeln  vorzunehmen,  überwiegen  germanische  gegen- 
über keltischen. 

Für  die  form  Nehalennia  sprechen  15  Inschriften  (CIRh  27. 
29.  32.  34.  36.  37.  39.  40.  41.  42.  43.  48.  50.  442.  Bonner  Jahr- 
bücher h.  57  s.  195),  denen  gegenüber  3,  auf  welchen  Nehalenia 
steht  (CIRh  28.  38.  441)  eine  recht  unbedeutende  minderzahl 
sind,  durchaus  genaue  Unterscheidung  doppelter  und  einfacher 
liquida  ist  nicht  zu  erwarten,  wie  Scherer  BSB  1884,  579 
richtig  bemerkt  hat.  dass  für  das  inschriftliche  Fimmile(na), 
von  dem  dort  die  rede  ist,  im  germanischen  würklich  ein- 
fache consonanz  vorausgesetzt  werden  muss,  ergibt  der  durch 
Heinzel  entdeckte  Zusammenhang  dieses  namens  mit  friesisch 
fimelping,  und  die  etymologie  desselben,  denn  die  schon  von 
JGrimm  RA  838  vorgeschlagene  herleitung  von  fimelping  aus 
ferne,  die  wenn  sie  richtig  ist,  auch  für  Fimmile(na)1  gelten  muss, 
ist  um  so  ansprechender,  weil  das  ableitende  element,  das  hier 
vorliegt,  als  ein  gemeiugermanisches  sufiix  zur  bildung  von  ab- 
stracten  der  gerichtlichen  terminologie  sich  erweisen  lässt;  vgl. 
got.  inilö  'vorwand',  ags.  bindete  'das  binden',  tihtle  'anklage', 
ondetle  'geständnis'  und  anderes  bei  Kluge  INom.  stammbild.  §  157'-. 
auch  auf  Matronis  Vacallinehis  (CIRh  529)  neben  Matronis  Va- 
calinehis  (CIRh  530)  und  auf  den  chattischen  namen  Flanallus 
(CIL  in  4228)  durfte  sich  Scherer  aao.  580  als  auf  Seitenstücke 
zu  Fimmile(na)  berufen,    andererseits  steht  einlache  an  stelle  von 

1  über  die  endung  -ena,  vgl.  Scherer  aao.  und  Heinzel  Über  «li.  oslg. 
heldensage  (WSB  cxix)  53. 

2  Beda  und  Fimmile(na)  sind  also  'gebot'  und  'urteil',  bodping  und 
fimelping  'gesetzgebende'  und  'geiichtsversanimlung'. 


326  NEHALENNIA 

doppelter  liquida  in  Canonefas  (CIL  vi  3203),  und  der  seinem 
Ursprünge  nach  undeutsche  matronenname  Octocanabus  (Ihm  Der 
mülter-  oder  matronencultus  nrr  321.  327)  gegenüber  Oclo- 
cannis  (322)  Octocannabus  (323)  [Octo]  cannabus  (325)  gehört 
wol  gleichfalls  hierher,  sehr  häufig  lassen  sich  ähnliche  fehler 
bei  lateinischen  vvorten  beobachten,  und  zwar  sind  Schreibungen 
mit  einfachem  statt  doppeltem  consonanten  aus  inschriften  viel 
öfter  zu  belegen  als  solche  mit  doppeltem  statt  einfachem ,  ein 
Verhältnis,  an  dem  durchaus  nichts  befremdendes  ist,  das  wir 
vielmehr  von  vornherein  erwarten  müssen,  und  wenn  auf  matro- 
nensteinen  5  mal  Vesuniahenis,  12  mal  Auf aniabus,  Aufanis  belegt 
ist  und  daneben  nicht  e  i  u  mal  Vesunniahenis,  Aufanniabus  sich 
findet,  so  ist  ein  zweifei,  ob  das  15 mal  vertretene  Nehalennia 
oder  das  3  mal  vertretene  Nehalenia  das  richtige  ist,  schon  aus- 
geschlossen. 

Von  einem  suffix  germ.  -eniö-  mit  dem  nom.  -eni  (Kluge 
Nom.  stammb.  §  39)  wie  in  Bacenis  bei  Caesar  kann  also  hier 
nicht  mehr  die  rede  sein;  vielmehr  ist  der  name  Nehalennia  als 
ein  zusammengesetzter  aufzufassen;  und  für  jeden  seiner  bestand- 
teile  gibt  es,  so  viel  ich  sehe,  nur  je  ein  germanisches  wort,  das 
sich  zur  erklärung  beiziehen  lässt.  Neha-  ist  westgerm.  näha- 
got.  nthwa-  'nahe';  -lennia  gehört  zu  got.  aßinnan,  ahd.  bilinnan, 
ags.  linnan  und  zu  altn.  Unna,  praet.  linta.  urgermanisch  muste 
dieses  verbum  *lennana  und  *lenniana  lauten  mit  e  wie  in  Fenni 
bei  Tacitus  und  in  dem  mannsnamen  Gennalo  auf  einem  der 
Nehalennia-sle'me  (CIRh  27).  die  bedeutung  desselben  ist  'ce- 
dere,  cessare';  got.  aßinnan  übersetzt  a7to%ioQ£iv ;  bei  Zusammen- 
setzung mit  näha-  ergibt  sich  aber  leicht  die  bedeutung  des 
gestattens,  gewährens,  nachgebens,  nachkommens  gerade  wie  in 
griech.  E7ti%o)Qelv  oder  die  des  hilf  bereiten  nahens,  des  bei- 
stehns,  beispringeus,  und  ebenso  wie  die  oben  behandelten 
matronennamen  mit  -iä-  (germ.  -iö-)  ableitung  (nominativ  -I) 
nomina  agentis  sind,  ist  auch  Nehalennia  ein  solches,  wir  haben 
es  dabei  wol  nur  mit  einem  beinamen  und  zwar  wegen  der 
grofsen  zahl  der  denkmäler  wahrscheinlich  mit  dem  einer  der 
höheren  germanischen  göttinnen  zu  tun. 

üass  die  Nehalennia  auf  die  schifffahrt  bezug  hat,  deutet 
das  schiff  an,  das  widerholt  als  ihr  attribut  erscheint,  ausdrücke 
wie  ob  merces  rede  conservatas  (CIRh  43),  ob  meliores  actus  (39) 


NEHALEiNJNIA  327 

in    den    weihinschriften   erweisen    sie    als    eine    reichturn   spen- 
dende  gottin.     wer  anders   sollte   sie   gewesen  sein   als  die   im 
nordischen  mythus    verdunkelte1  Schwester  und  gemahlin  Njords 
von  Nöatün,  des  gefjanda  gud,  von  dem  es  Gylfaginning  23  heifst: 
Hann  rcedr  fyrir  gongu  vinds,  ok  stillir  sjd  ok  eld;  d  hann  skal 
heita  til  scefara   ok  til  veida.     hann   er  svd  audigr  ok  festtdl,  at 
hann   mä   gefa  peim    and  landa    edr  lausafjdr,    er  d  hann  heita 
til  pess.    wenn  Njcudr  'gefjanda  gud'  genannt  wird,  so  ist  sicher 
auch  Gefjon  nur  ein  anderer  name  der  Nerthus,   und  ebenso  ist 
Freyja  Gefn  Mar  doli,  oder  wie  diese  sonst  noch  heifst,  nur  eine 
verjüugung  desselben  wesens.    der  letztgenannte  name  zeigt  aber 
wider  die  beziehuug   zum  meere.     ich   denke  darum,   dass   auch 
die  'Isis',  welche  nach  Tacitus  Germ.  9  von  einem  teil  der  Sueben 
verehrt    wurde    und    deren  Signum  in  modum  libumae  ßguratum 
zu  der  vorliegenden  interpretatio  Romana  anlass  gab,  nichts  ande- 
res ist  als  die  Nerthus  in  einer  von  derjenigen  der  Nerihusvölker 
etwas   abweichenden   auffassung.     jener   sicher  meeranwohnende 
teil    der  Sueben   sind  kaum   andere   als  vandilische  stamme,    die 
ja  sämtlich   unter  den  Sueben  des  Tacitus  inbegriffen  sind,     wenn 
Njordr  'gefjanda  gud'  heifst  uud  gemahl  und  bruder  der  Gefjon, 
Gefn    ist,    wird    auch    klar,    dass   JGrimm   Myih.3  219   den   alt- 
sächsischen  Getan,    angelsächsischen   Geofon,   der  sich  aus  ken- 
uingen  wie  as.  Gebenesström ,  ags.  Geofenes  begang  für  meer  und 
anderen  erschliefsen  lässt,  mit  unrecht  für  den  JEgir  erklärt,    er 
ist  vielmehr  zweifellos  derselbe  wie  Njordr  und  beweist  nur  aufs 
neue ,  dass  dieser  seinen  machtbereich  über  das  meer  ausgedehnt 
hatte,    welche  gottin  konnte  nach  all  dem  bei  seefahrenden  kauf- 
leuten   in  höherem   ansehen   stehn    als  Nerthus,    unter    welchem 
namen  immer  man  sie  kannte  und  anrief,     dass  wir  in  der  Ne- 
halennia   die   germanische   erdmutter  zu    erkennen   haben,   wird 
endlich  dadurch  bestätigt,  dass  auch  die  griechische  Demeter  nach 
Hesych   in   Lakedaimon    das   epitheton   Lu/cö/.a   führte  (Preller 
Gr.  myth.2  634,2),  das  aus  iycutikeod-ai'sich  herzu,  heranbewegen' 
zu  erklären  und  somit  gleichen  sinnes  ist  wie  Nebalennia. 

Ja,  wenn  im  norden  mit  der  Vorstellung  von  der  herschaft 
der  Wanen  jene  von  einem  goldenen  Zeitalter  sich  verband  und 
wenn  im  besonderen  Njords  reichtum  so  sprichwortlich  war,  dass 

1  au  sie  erinnert  nur  noch  die  Lokasenna  36  wider  Niordr  erhobene 
beschuldigung,  dass  er  den  Freyr  mit  seiner  eigenen  Schwester  erzeugt  habe. 


328  KEHALENMA 

ein  aufsergewöhnlich  reicher  mann  audigr  sem  Nojrdr  (Fs.  80) 
genannt  werden  konnte ,  so  zweifle  ich  nicht  daran ,  dass  auch 
die  göttin  Sandraudiga  (CIRh  132),  in  deren  namen  der  zweite 
teil  schon  von  JGrimm  GDSpr  588  richtig  verstanden  wurde  und 
der  blofs  verstärkende  erste  demnächst  durch  ThRvGrienberger 
seine  erklärung  finden  wird,  keine  andere  ist  als  die  Nerthus. 
Wien,  am  5  märz  1891.  RUDOLF  MUCH. 

ZUM  TEXT  DER  CARMINA  BURANA. 

Rei  einer  genauen  vergleichung  des  codex  Buranus  mit 
Schmellers  ausgäbe ,  die  ich  diesen  sommer  auf  der  kgl.  hof-  und 
Staatsbibliothek  in  München  vornehmen  konnte,  ergaben  sich  mir 
eine  reihe  beobachtungen  über  den  text,  die  der  Veröffentlichung 
nicht  unwert  erscheinen. 

Wenn  es  auch  gegenwärtig  wol  allgemein  zugestanden  wird, 
dass  eine  einzig  dastehende  hs.  von  dem  character  der  unsrigen 
in  der  editio  prinecps  bis  auf  den  buchstaben  getreu  widerzu- 
geben sei,  so  wird  man  doch  dem  germanisten  Schmeller  keinen 
Vorwurf  daraus  machen,  dass  er  bestrebt  gewesen  ist,  die  lateinische 
Orthographie  des  13  jhs.,  die  sich  für  unser  an  die  classische  rechts- 
schreibung  gewöhntes  äuge  bisweilen  recht  seltsam  ausnimmt  und 
dem  ungeübten  das  sofortige  Verständnis  oft  erschwert,  durch 
die  allgemein  übliche  zu  ersetzen,  so  hat  er  stets  michi  in 
mihi,  nichil  in  nihil,  ewangelium  in  evangelium,  rethor  in  rhetor, 
menbra  in  membra,  ungentum  in  unguentum,  hii  (hiis)  in  hi  {his){ 
geändert,  freilich  consequent  ist  er  darin  nicht:  er  schreibt 
bald  Bacchus,  bald  Bachus  (hs.  immer  Bachus),  einmal  karitas, 
dann  wider  Caritas  (hs.  immer  karitas),  und  wechselt  beliebig  ab 
zwischen  tirannus  und  tyrannus,  Syon  und  Sion,  während  die 
hs.  durchgängig  tirannus  und  Syon  aufweist;  das  präfix  con-, 
das  in  der  hs.  meist  durch  das  bekannte  abkürzungszeicheu 
widergegeben  ist,  assimiliert  er  bald  dem  folgenden  labial,  bald 
nicht  (conmovere  s.  181,  committere  s.  247).  fast  auf  jeder  seite 
fallen  ähnliche  Ungleichheiten  auf;  ganz  besonders  aber  springt 
es  in  die  äugen,  wenn  mau  innerhalb  einer  Strophe  die  formen 
nunties  und  nunciavit  (s.  139)  oder  expirante  und  cxspirat  (s.  47) 
gedruckt  findet,     ich  erwähne  diese  geringfügigen  dinge,   durch 

1  die  einzige  ausnähme  hiervon  findet  sich  s.  175,  wo  gedruckt  ist: 
Tfiis  assint  usw. 


ZUM  TEXT  DER  CARM1NA  BURANA       329 

die  ja  an  der  sache  nichts  geändert  wird ,  nur  um  den  Schreiber 
der  hs.  von  dem  Vorwurf  einer  höchst  ungleichmäfsigen  Schreib- 
weise zu  befreien,  der  ihn,  wenn  man  nach  Schindlers  ausgäbe 
urteilen  wollte,  notwendigerweise  treffen  müste.  auch  die  Strophen- 
abteilung der  einzelnen  lieder,  die  ja  von  Schmeller  stammt  —  denn 
in  der  hs.  ist  alles,  soweit  es  nicht  die  Überschrift  versus  trägt,  dh. 
inhexametern,  distichen  oder  leoninen  abgefasst  ist,  in  fortlaufenden 
zeilen  geschrieben  —  auch  die  Strophenabteilung  zeigt  ab  und  zu 
Ungleichheiten,  abgesehen  von  würklichen  Unrichtigkeiten,  einiges 
der  art  haben  schon  Bartsch  (Deutsche  liederdichter,  siehe  bes.  die 
anm.)  und  Martin  (Zs.  20,  46  ff),  anderes  hat  BPeiper  (in  seinem 
Gaudeamus,  Leipzig  beiTeubner)  berichtigt;  ein  auffälliges  beispiel 
möge  hier  noch  platz  finden  aus  dem  liede  clxx,  in  dessen  drei 
Strophen  es  von  der  5  zeile  ab  bei  Schmeller  s.  65  heifst: 
1 .  talium  si  fidem  2.  tenui  fortuna  3.  explicas  decreta 

incurreret,  desereret      omnimoda  ad  commoda       ad  libitum, 
Pylades  Atridem,  omnium  mens  una,  si  sonitum 

dederit  moneta. 
Ebenso  sehr  fällt  die  unregelmäfsigkeit  der  anordnung  s.  148 
in  nr  56  auf,  wo  die  5  ersten  zeilen  jeder  Strophe  von  Seh. 
bald  in  3,  bald  in  5  zeilen  gedruckt  worden  sind;  in  Strophe  2 
sind  wol  vor  remuneror  3  silben  verloren  gegangen;  nicht  minder 
scheint  der  anfang  von  str.  4  verdorben. 

Auch  an  den  folgenden  stellen  lassen  sich  gegen  Sch.s  Schrei- 
bung der  Strophe  einwände  erheben. 
S.  6 :  vii  2  ordnet  Seh.  : 

0  conditio  miseral 

considera, 

quam  aspera 

sit  hec  vita  mors  altera, 

quq  sie  inmutat  statum. 

Cur  non  purgas  reatum 

sine  mora,  cum  sit  hora 

mortis  tibi  incognita, 

et  inoita1  karitas, 

qiir  non  proficit, 

prorsus  aret  et  deficit 

nee  ef/icit  beatum. 
1  hs.  invieta;  invita  aus  Flacius  Varia  de  conupto  ecclesiae  statu  poemata. 
Z.    F.  D.  A.     XXXV.    N.  F.    XXIII.  22 


330       ZUM  TEXT  DER  CARMINA  BURANA 

zunächst  sind  zeile  2  und  3  in  eine  zusammenziehen;  denn  auch 
die  erste  Strophe  beginnt  nur  mit  3  gleichgereimten  versen  in 
dem  rythmus  ^4.  umgekehrt  ist  kein  grund  vorhanden,  die  beiden 
Zeilen  sine  mora —  cum  sit  hora  als  eine  zu  schreiben;  denn 
diese  stelle  der  Strophe  entspricht  durchaus  nicht  irgend  welchen 
anderen  Strophen  des  gedichtes.  wol  aber  scheinen  mir  die 
letzten  5  Zeilen  widerum  den  5  zeilen  zu  entsprechen,  die  bei 
Seh.  str.  4  ausmachen  und  deren  reim  durch  das  schema  ge- 
kennzeichnet ist:  a  a  b  b  b.  dann  ist  aber  dieser  schluss  der 
zweiten  Strophe  vielmehr  so  zu  schreiben: 
mortis  tibi  incognita 
et  invita 

karitas,  que  non  proficit, 
prorsus  aret  et  deficit 
neque  (hs.  nee)  beatum  efficit, 
wenn  nicht  zwischen  den  Wörtern  incognita  und  et  invita  4  silben 
ausgefallen  sind,  sodass  diese  5  zeilen  ursprünglich  von  gleichem 
rhythmus  gewesen  wären  (vgl.  str.  4). 

S.  25:  in  nr  XXIII  ordnet  Seh.  mit  der  hs.  in  den  letzten 
4  zeilen  der  ersten  Strophe  die  worte  so: 
mundus 

abdicatur  ab  inmnndis, 
per  quem  iste  iudicatur 
mundus. 
wie  die   4  folgenden   Strophen   zeigen ,    ist   die   reimfolge   dieser 
4  zeilen  a  b  b  a ,   also  die   zweite  zeile   ab  inmnndis  abdicatur  zu 
schreiben. 

S.  32:  in  nr  xxvii  bilden  wol  die  worte  zu  beginn  des  re- 
frains  Proh  dolor  eine  zeile  für  sich. 

S.  76:  in  nr  cxcvu  entsprechen  sich  in  der  zweiten  Strophe 
zeile  1  und  zeile  3;  es  ist  also  o  prqlati  nobiles  umzustellen  in: 
o  nobiles  prqlati. 

S.  130:  40,4,10—13  ist  ohne  Umstellung  des  hsl.  textes  so 
zu  ordnen: 

Allicit  verbis  dulcibus 
et  osculis, 
labellulis 

castigate  tumentibus. 
z.  6  ist  producitur  binnenreim  zu  nee  premitur  in  z.  9. 


ZUM  TEXT  DER  CARM1NA  BURANA       331 

S.  131:  42,1,8 — 9.  die  reihenfolge  der  worte  in  der  hs., 
wie  sie  auch  Seh.  abdruckt,  tut  dem  rhythmus  gewalt  an;  die 
Schwierigkeit  ist  gehoben,  wenn  man  liest: 

quia  statum  nemoris 

felicem  vis  frigoris. 
S.  149:  ur  57.  den  refrain  der  ersten  Strophe  lässt  Seh.  schon 
mit  den  worten  visa  captns  virgine  beginnen  gegen  die  hs.,  deren 
bemerkung  Refl.  erst  vor  der  folgenden  zeile  steht,  ein  vergleich 
mit  den  beiden  übrigen  Strophen  des  gedichtes,  die  am  Schlüsse 
2  viertactige  zeilen  haben  und  durch  Sch.s  änderung  der  ersten 
gegenüber  um  einen  vers  zu  lang  erscheinen  würden,  ergibt, 
dass  die  angäbe  der  hs.  richtig  ist. 

S.  170:  die  Strophen  des  liedes  nr  84  bestehn  aus  14  zeilen, 
von  denen  jedesmal  die  4  letzten  nach  folgendem  Schema  gebaut 
sind:  .,4a,  ^4a,  2a,  4a.  nur  str.  2,  wie  Seh.  sie  ordnet,  macht 
davon  eine  ausnähme;  von  z.  11  ab  heilst  es: 

h?c  novo,  curialior, 

formosior, 

nobilior,  Iqtior,  potior. 
das  sind  aber  3  zeilen  statt  4,   in  denen  noch  dazu   die  endung 
ior  bald  einsilbig,   bald  zweisilbig  gebraucht  wird;  jedesfalls  ist 
zu  lesen: 

hqc  nova  curialior, 

formosior,  nobilior, 

Iqtior, 

potior 
und   anzunehmen,   dass   am   schluss   4  silben  verloren   gegangen 
sind  (vielleicht:  et  gratior  oder  et  clarior,  et  carior). 

S.  224:  nr  159.  in  str.  1  und  2  ist  jedesmal  die  6  zeile  in 
2  zeilen  zu  zerlegen: 

1,  ratione  2.  delicias 

'tun  Dione  venereas. 

in  str.  3  r  t  Seh.  geglaubt,  das  nachstehende  doppelte  subjeet 
amor  'atque'  ratio  (wie  er  statt  des  seltsamen  deutschen  vnde  in 
einem  ganz  lateinischen  gedieht  schreibt)  verlange  einen  plural 
der  verba,  hat  dadurch  die  ursprünglichen  reime  zerstört  und 
nun  die  Strophe  ziemlich  wunderlich  geordnet;  sie  ist  wol  so  zu 
schreiben : 

22* 


332  ZUM  TEXT  DER  CARMINA  RURANA 

Sicut  in  arbore. 

frons  tremula, 

navicula 

levis  in  qquore, 

dum  caret  anchorq 

subsidio, 

flatu  concussa  flnitat, 

sie  agitat, 

sie  turbine  sollicitat 

me  dubio 

amor  et  ratio. 
was   den   numerus   des   verbums   bei    nachgestelltem   subjeet   im 
plural  betrifft,  so  vgl.  s.  226:  162,  2,5  quam  collaudat  sol  et  luna 
und  s.  227:  164,  1,1  Transit  nix  et  glacies. 

S.225:  nrl61  ist  die  hsl.  fassung  der  beiden  Strophenschlüsse 
schon  von  WMeyer  Ludus  de  Antichristo  (Münchener  Sitzungs- 
ber.  philol.  hist.  cl.  1882,  lieft  1)  s.  153  wider  hergestellt  worden. 
Aber  nicht  nur  diese  äufserlichkeiten ,  auch  der  eigentliche 
text  bedarf  an  mehreren  stellen  einer  berichtigung,  die,  soviel 
ich  sehe,  noch  niemand  gebracht  hat.  aufser  von  Jllberg,  der  in  der 
Zs.  f.  d.  öst.  gymn.  1 889,  s.  103  die  Überlieferung  des  codex  nach  seiner 
Zusammensetzung  einer  genauen  prüfung  unterzieht,  von  WMeyer 
in  der  genannten  schrift  und  von  RPeiper,  dem  herausgeber  der 
schon  erwähnten  liedersammlung  Gaudeamus,  die  sich  zum  grofsen 
teil  aus  gedichten,  die  dem  codex  Ruranus  entnommen  sind,  zu- 
sammensetzt, ist  die  hs.  selbst  wol  nie  wider  zu  rate  gezogen  worden, 
wenigstens  citieren  Wackernagel,  Rartsch  ua.  nur  Schmellers  aus- 
gäbe, auch  EMartin  gründet  auf  sie  seine  Untersuchung,  wenn  ich 
im  folgenden  zeigen  werde,  dass  es  nicht  ratsam  ist,  zumal  wenn  es 
auf  den  buchstaben  ankommt,  Schmeller  zu  citieren,  so  bitte  ich, 
das  nicht  als  die  kecke  kritik  eines  neulings  auszulegen,  der  an 
Schmellers  autorität  rütteln  möchte,  im  gegenteil,  je  länger  man 
sich  mit  der  Sammlung  beschäftigt,  umsomehr  wird  man  Schmellers 
arbeit  bewundern  und  es  verstehn  lernen,  mit  welchem  recht 
Jacob  Grimm  in  seinem  aufsatz  über  Gedichte  des  mittelalters 
auf  Friedrich  r  den  Staufer  sagt:  von  wem  könnte  die  bekannt- 
machung  der  Sammlung  besser  erwartet  werden  als  von  Schmeller? 
es  gehörte  Schmellers  gründliche  litteraturkenntnis  dazu,  seine 
glückliche    gäbe,    verdorbene    stellen    durch    das    nächstliegende 


ZUM  TEXT  DER  CARMINA  BURANA  333 

zu  ergänzen,  um  die  bisweilen  sehr  fehlerhatte  hs.  in  das  ge- 
wand  zu  kleiden,  in  dem  sie  uns  vorliegt,  alle,  die  um  das 
Verständnis  der  schönen  liedersammlung  bemüht  sind,  stehn  auf 
Schmellers  schultern  und  dürfen  das  nicht  vergessen,  wenn  sich 
auch  hie  und  da  eine  kleinigkeit  an  seiner  arbeit  zu  bessern 
finden  sollte. 

VVol  das  wichtigste  von  den  werken,  die  Schmeller  bei  der 
feststellung  des  textes  zur  vergleichung  herangezogen  hat,  ist  die 
Sammlung  des  MFlacius  Ulyricus  Varia  doctorum  virorum  de  cor- 
rupto  ecclesiae  statu  poemata  (1557 '),  die  einige  lieder  in  der- 
selben reihenfolge  und  unmittelbar  hintereinander  wie  unsere  hs. 
aufweist,  die  innere  Verwandtschaft,  die  sich  schon  daraus  zwi- 
schen beiden  ergibt,  ist  so  grofs,  dass  man  stellenweise  auf  eine 
gemeinsame  vorläge  schliefsen  möchte;  jedesfalls  haben  wir,  wenn 
auch  hier  und  da  überarbeitet  oder  umgearbeitet,  oft  gediente 
ein  und  desselben  Verfassers  vor  uns.  vielfach  ist  nun  Schmeller 
in  der  läge  gewesen,  nach  diesem  druck  des  Flacius  unverständ- 
liches zu  berichtigen,  schlechte  lesarten  zu  bessern ;  vielleicht  ist 
er  aber  doch  manchmal  auch  darin  zu  weit  gegangen,  so  wenn 
er  ii  3  die  5  zeile,  die  in  der  hs.  ganz  verständlich  lautet  dfgne 
dare  poteris,  nach  Fl.  ändert  in  dare  dignis  poteris.  das  adverb 
scheint  mir  schon  deshalb  unbedingt  am  platze,  weil  es  genau 
dem  ut  convenit  (sc.  dare)  n  3,1  entspricht,  dann  wenn  er  xvm  9,1 
mit  Fl.  schreibt:  ibi  venu  colliduntur.  die  hs.  hat  hier  die 
sinnlosen  worte  ibi  fruetus  colligwitur;  wie  nahe  liegt  aber  die 
besserung:  ibi  fluetus  colliduntur!  in  dem  folgenden  liede  xix 
hat  schon  RPeiper  die  überflüssigen  correctureu  Schmellers  nach 
Fl.  wider  beseitigt,  jedesfalls  ist  aber  hier  3,7  et  mit  Fl.  in  ut 
zu  bessern,  wenn  man  nicht  auch  congruit  für  consonat  ein- 
setzen will. 

Unrichtig  gelesen  hat  Schmeller  an  folgenden  stellen: 
s.  35:  xxix  8,4  captitavit;  hs.  captivavit,  vgl.  s.  33 :  captivatur  und 

s.  126:  captivato. 
s.  56:  cxlix  1,8  hospitatrix;  hs.  hospitavit. 
s.  58:  cl12,5  Nunc;  hs.  Tnnc. 

1  nicht  1556,  wie  Wattenbach  (wol  nach  Leyser)  angibt  (Zs.  15,  472); 
die  vorrede  des  Flacius  ist  zwar  datiert:  l  Maij,  au.  Domini  1556,  aufdem 
letzten  blatt  aber  rindet  sich  die  angäbe  desdruckers:  'tue,  ex  ofßchw 

Ludouici  Lucij,  Anno  Cliristi  .)/.  1).  LVll  jMense  Martio. 


3^0  7ITM   TFXT   IWR    CARMINA    RflRANA 


334       ZUM  TEXT  DER  CARMINA  RURANA 

s.  58:  cl  16,3 — 5  prqponebas  tarnen      hs.  prqponebar  tarnen 
in  tut  gratia  in  tui  gratia 

Jarb$  'me'  nobili;1         Jarbe  nobili  (lies  Jarbe 
dreisilbig), 
s.  60:  cli  14, 1  Solvit  tarnen',  hs.  Solvit  ratem. 
s.  61 :  clii  18,2  turpia  facta;  hs.  turpia  ficta. 
s.  65:  clxx  3,10  pqna  Bei  diluitur;  hs.  pqna  rei  diluitur. 
s.  72:  clxxxvi  4,2  in  Venere;  hs.  in  ventre  (!),  s.  Gaud.  s.  71. 
s.  82 :  ccii  9,  l — 4  Ad  nos  illa  prodeant 2     hs.  Ad  nos  Uta  prodeat 
tenebris  abscondita;  tenebris  abscondita 

et  se  nobis  offerat  et  se  nobis  offerat 

gens  errori  subdita ;  gens  errori  subdita. 

s.  90:  ccii  38,1  Audi,  frater,  verum;  hs.  Audi,  frater,  iterum. 
s.  90:  ccii  40,2  ut  heredem  audiat;  hs.  ut  kerodem  audiat. 
s.  90:  ccii  40 — 41  archisynagoga;  hs.  archisynagogus. 
s.  93:  ccii  49,7  dum  fugati  fugierunt;  hs.  dii  fugati  fugierunt. 
s.  95:  ccii  62,9— 12  lntende,  tibi  canimus,  hs.  Intende,  tibi  canimus, 
quam  vilis  sis  futurus :      quam  vilis  sis  futurus : 
roderis  a  vermibus  rodens  a  vermibus 

perhos'tibi'interitus;       per  hos  interiturus. 
s.  96:  ccm  1,3  cuius  conversatio;  hs.  eius  conversatio. 
s.  96:  ccm  1,8  evitare;  hs.  devitare. 

s.  104:  ccm  z.  6  v.  u.  Resumite  vestra;  hs.  Resumite  vestrum. 
s.  128:  39,  3,12  ex  'partu'  (für  ex  parte);  hs.  experte. 
s.  133:  43,  4,6  inextinguilis ;  hs.  inextinguibilis,  wie  es  der  rhyth- 

mus  verlangt, 
s.  135:  45,  2,1  Visu;  hs.  Risu,  vgl.  aber  s.  192:  116b,  8. 
s.  139:  49,  7,3 — 4  sie  h$c  verba  Veneri     hs.  ut  hqc  verba  Veneri 

nunties  legata,  nuncies  legata. 

s.  140:  49,  22,6  quocumque  'vos'  itis;  hs.  vos  quocumque  itis. 
s.  144:  50,  29,7  illud  est;  hs.  istud  est. 
s.  147:  54,  1,5  et  quod;  hs.  per  quod. 

s.  169:  83,  1,1  Humor  letalis:  in  der  hs.  ist  das  ursprüngliche 
Humor,  von  der  band,  wie  mir  scheint,  die  das  ganze 
übergangen  und  die  i- striche  hinzugefügt  hat,  in  das 
verständlichere  Amor    corrigiert   worden,    indem   das   H 

1  c  '  bedeutet:    Schindlers  conjeetur. 

2  hier  hat  Schindler,  wie  es  scheint,  ein  musikzeichen  für  den  quer- 
strich  angesehen,  der  das  einzuschiebende  n  bezeichnet. 


ZUM  TEXT  DER  CARMINA  RURANA       335 

durchgestrichen,  unter  das  u  ein  punct,  Ober  dasselbe  das 
a  gesetzt  worden  ist;  das  richtige  ist  wol  Rumor  (Gaud. 
s.  223). 
s.  171:  88,  3,9  acsi  mirum  fuerim;  hs.  ac  si  mirum  fecerim. 
s.  188:  113,  1,6  dulcissimis;  hs.  dulcisonis. 
s.  195 :  121, 4,  l  Si  teuerem,  quam  capio ;  hs.  Si  teuerem,  quam  cupio. 
s.  215:  144,6  avulso  procul  tqdio;  hs.  propulso  procul  tqdio  (!). 
s.  233:  173  a,  1,2  et  dea  iuncta  deo;  hs.  est  dea  iuncta  deo. 
s.  237:  176,7,2  mox  auditur;  hs.  vox  auditur. 
s.  241:  180,  2,7  plena  detur  tabula;  hs.  plana  detur  tabula  (um 

zu  würfeln,  vgl.  s.  238:  177,  2,1). 
s.  243:  182,  2,1  Locus  est  'genialis';  hs.  Jocus  est  generalis. 
s.  247:  185,  12,2  minimus;  hs.  minimis,  wie  es  der  reim  verlangt, 
s.  251 :   190,  2,7  plurima;  hs.  plurimum  (vgl.  Gaud.  s.  9). 

Man  ist  geneigt,  viele  dieser  versehen  nur  als  druckfehler 
zu  betrachten;  was  aber  Seh.  als  solche  erkannte,  hat  er  im  an- 
hang  mit  einem  'lege'  berichtigt,  an  folgenden  stellen  aber  ist 
die  möglichkeit,  an  druckfehler  zu  denken,  ausgeschlossen,  wäh- 
rend sich  s.  225:  160,  3,2  ein  et  eingeschlichen  hat,  das  die  hs. 
nicht  kennt  und  das  der  rhythmus  verbietet,  sind  Wörter  weg- 
geblieben : 
s.  7:  ix  1,9  corpus  et  animam ;  hs.  corpus  et  rem  animam,  vgl.  Gaud. 

s.  130,  wo  freilich  die  interpunetion  stutzig  macht. 
s.  53 :  cxlviii  6, 2  Flos  amoris  servo ;  hs.  Flos  amoris  Tharsya  servo, 

wie  es  rhythmus  und  reim  verlangen, 
s.  71:  clxxii  30,1— 2  Pater  mi,subbrevi    hs.  Pater  mi,subbrevi tarn 
multa  comprehendi;      multa  comprehendi. 
durch  das  ganze  lange  gedieht  schliefsen  in  jeder  Strophe 
die  1,  3,  5  und  7  zeile  mit  der  vierten  hebung. 
s.  96,  z.  5  v.  o.  Quum  appropinquaret,  et  cum  audisset;  hs.  Quum 

appropinquaret  dominus  et  cum  audisset. 
s.  102.  in  dem  gespräch  zwischen  Petrus  und  der  magd  sind  die 
am  rande  stehenden  worte  weggeblieben  :  Nescio  quid  dicis, 
nach  Matth.  xxvi  70  die  antwort  des  Petrus  auf  die  zweite, 
nach  Luc.  xxu  60  auf  die  dritte  beschuldigung.  da  in 
unserm  passionsspiel  die  beschuldigung  nur  zweimal  aus- 
gesprochen wird  (beidemal  durch  die  magd,  vgl.  dagegen 
Matth.  xxvi,  Luc.  xxu  und  Joh.  xviii),  so  ist  diese  entgegnung 
wol  mit  der  folgenden  zu  verbinden  und  z.  22  zu  schreiben  : 


336      ZUM  TEXT  DER  CARMINA  BURANA 

Nescio,  quid  dicis;  non  novi  hominem.    3  Zeilen  später  ist 
zwischen  den  worten  comprehendere  me  etc.  und  Et  pontifices 
folgende  stelle  ausgefallen:  Et  ducatur  Jesus  ad  pontifices 
et  chorus  cantet:    Colle  gerunt  pontifices  usw. 
s.  103,  z.  4.  v.  o.  non  tradidissemus  eum;  hs.  non  tibi  tradidisse- 

mus  eum  (vgl.  Joh.  xvm  30). 
s.  103,  z.  7  v.  u.  Ergo  quem  te  facis;  hs.  Ergo  quem  te  ipsum  facis. 
s.  104,  z.  7  v.  o.  Pilatus  dicat;  hs.   Cui  Pilatus  dicit. 
s.  104  u.  zu  den  versen  des  Judas:  Poenitet  me  graviter  etc.  steht 
am  rande  geschrieben:  peccavi  tradens  sanguinem  iustum 
(vgl.  Matth.  xxvh  4). 
s.  148:  56, 1,7:  vices  temporum;  hs.  novas  vices  temporum;  der  vor- 
letzte vers  jeder  Strophe  des  gedichtes  besteht  aus  4  tacten. 
s.  171:  88,  1,5  amoris  gandia;  hs.  sunt  amoris  gaudia,  also  4tacte, 
wie   es  als  reimzeile  zu  eya,  qualia  verlangt  wird;   denn 
eya  sind   zwei  volle  tacte,  wie  heu  und  vae  jedes  einen 
ganzen  ausmacht  (s.  31  u.  s.  195). 
s.  193  fehlt  die  Überschrift  zu  nr.  118:  De  vere. 

Unverständlich  ist  es  mir,  wie  in  dem  ersten  gedieht  auf 
Aeneas  und  Dido  (cxlix  s.  56)  zwischen  der  7  und  8  Strophe 
bei  Seh.  eine  ganze  Strophe,  die  mitten  in  der  hs.  steht,  hat 
wegfallen  können;  hier  ist  sie: 

Propositionibus 
tribus  dux  oppositis 
sylogizat,  motibus 
fallit  h(;c  oppositis, 
et  quamvis  cogentibus 
argumentis  utitur, 
tarnen  eis  brevibus 
tantum  horis  fallitur. 
unklar  ist  nur,  worin  die  tres  propositiones  des  Aeneas  —  denn 
dieser  ist   natürlich   der  dux  —  bestanden   haben;    im  übrigen 
passt   die   etwas  zerfahrene  darstellungsweise,   die  widerholt  das 
subjeet  wechselt,  mehrere  male  hinter  einander  dieselben  Wörter 
gebraucht,  recht  gut  zu  dem  schülerhaften  stil,  in  dem  die  ganze 
reihe   der  gedichte  aus  dem  Sagenkreis  der  Aeneis  und  der  Ilias 
abgefasst  ist. 

S.  237:  177,1,4  non  ist  in  der  hs.  durchgestrichen  und 
unterpunetiert,  wie  es  ja  auch  der  rhythmus  verlangt;  der  gefan- 


ZUM  TEXT  DER  CARMINA  BURANA       337 

gene  hat  also  nicht  blofs  die  Würfel,   sondern  auch  den  becher 
bei  sich. 

Nach  diesen  berichtigungen  der  ausgäbe  möchte  ich  noch 
einige  Vermutungen  über  den  text  wagen,  die  hoffentlich  für  sich 
selbst  sprechen  werden. 

S.  4:  v  3,2  ändert  Schmeller  das  hsl.  religiönis  in  Dei  cölis. 
dagegen  spricht  zunächst  der  umstand,  dass  durch  das  ganze  ge- 
dieht jede  zeile  mit  einem  auftact  beginnt,  dann  stört  aber  auch 
das  dreimal  unmittelbar  aufeinanderfolgende  Dei.  wie  in  str.  1 
und  2  auf  die  ersten  worle  vide  qui  jedesmal  das  zweisilbige  ver- 
bum  folgt  (nosti,  colis),  glaube  ich,  ist  auch  in  str.  3  zu  schreiben : 
Vide,  qui  colis  mutiere 
religiönis  gloriam. 
Dei  in  z.  1  ist  als  prolepsis  aus  z.  3  zu  erklaren ,  wo  das  wort 
allein  hingehört. 

S.  5:  vi  5,6  ersetzt  Seh.  das  hsl.  in  cqlesti  gaudia  durch 
Colestid  nos  gaudia,  widerum  gegen  die  analogie  der  übrigen 
Strophen,  in  denen  überall  z.  3  und  6  aus  4  tacten  ohne  vor- 
schlagsilbe  besteht,  wie,  wenn  in  der  vorläge  unsers  Schreibers 
die  scheinbare  präposition  in  über  dem  cqlesti  (cqlesta)  oder  am 
rande  gestanden  hätte,  sodass  wir  cqlestina  gaudia  lesen  könnten? 

S.  14:  xvii  1,5 — 6 
hs.  custodes  sunt  raptores;   Seh.  custodes  sunt  raptores 
atque  lupi  raptores,  'et'  lupi  'praedatores' . 

wie  in  z.  5  so  erwartet  man  auch  z.  6  einen  gegensatz,  und 
welcher  läge  da  näher  als  der  zwischen  wollen  und  —  hirtenl 
s.  21:  xx  3,5— 6  findet  sich  auch  würklich :  pastor  cedit,  lupus 
redit;  vgl.  auch  Flacius  s.  397:  nonne  pastor  ovium  lupus  vult  vo- 
cari?  ('ex  antiquo  codice').  es  ist  also  zu  lesen: 
custodes  sunt  raptores, 
atque  lupi  pastores. 

S.  14:  xvii  3,6  schreibt  Seh.  mit  der  hs.  sie  offers  sacra- 
mentum;  wie  aus  dem  Zusammenhang  hervorgeht,  ist  sie  off'er 
sacramentum  zu  lesen,  denn  nur  an  diesen  imperativ  schliefseu 
sich  die  folgenden  imperative  natürlich  au. 

S.  18:  xviu  18,5  hs.  lunc  secuti  viatores;  Seh.  tunc  'nudati' 
viatores.  ich  lese  tunc  seenri  viatores  mit  rücksicht  auf  die  worte 
bei  Fl.  s.  413:  Tunc  securtis  fit  viator,  quin  nudtis.  schwieriger 
zu   entscheiden   ist  es,   ob   man   in  demselben  gedieht  str.  15,4 


338       ZUM  TEXT  DER  CARM1NA  BURANA 

statt  des  hsl.  lata  cute  mit  Fl.  lesen  will:  Iota  cute;  dafür  scheint 
folgende  andre  stelle  bei  Fl.  s.  353  zu  sprechen: 

cute  clara  vesteque  mtinda 
Splendidus  incedit,  calida  bene  lotus  ab  unda. 
S.  26:  xxm  5,15.  der  wegfall  eines  tibi,  das  Seh.  ergänzt, 
lässt  sich  vor  ubi  leicht  erklären;  dass  es  würklich  hierher  und 
nicht  vor  sanciatur  gehört,  zeigt  der  bau  der  übrigen  Strophen, 
wo  nirgends  drei,  sondern  stets  zwei  viermal  gehobene  verse 
zwischen  die  gereimten  zweisilbler  eingeschoben  sind. 

S.  33:  xxviii  2,8.  das  vereinzelte  dies  nach  der  langen  paren- 
these  ist  ganz  unwahrscheinlich  in  einer  Strophe  von  solcher 
einfachheit  der  darstellung,  wo  eine  tatsache  an  die  andere  ge- 
reiht wird;  man  tilge  Schmellers  komma  und  lese:  dient  colamus 
igitur. 

S.  41 :  nr  lxxi.  schon  ThWright  und  nach  ihm  JGrimm  haben 
auf  die  ähnlichkeit  aufmerksam  gemacht,    die  zwischen  dem  an- 
fange dieses  gedichts  und  einer  Strophe  des  Walther  Mapes  (bei 
Fl.  s.  151)  besteht,     auch   die   hinweisung   am  Schlüsse  des  ge- 
dichtes  auf  den  pontifex  futurus,  der  sich  im  gegensatz  zu  dem 
jetzigen  clerus  als  freigebig  auro  et  peeunia  erweisen  soll,  kehrt 
bei  WMapes  4  Strophen  später  mit  den  Worten  wider:  Quisquis 
eris  pontifex  usw.     wichtiger   war  es  mir,    verwandtes   zwischen 
zwei  anderen  gedienten  Walthers  und  dem  unsrigen  zu  erkennen, 
der   gleichklang   folgender  verse  könnte  zwar  auch  zufällig  sein: 
iuvenantur   corda  senum  (7,3  unseres  gedichtes)   und:    In  senili 
corpore  sordes  iuveneseunt  ('Sermo  Goliae  ad  praelatos',  Fl.  s.  152); 
gewis  nicht  zufällig  ist  folgende  Übereinstimmung: 
str.  3,5—8  veneunt  altaria, 
venu  eucharistia, 
cum  sit  nugatoria 
gratia  venalis 
str.  4,1 — 4  Donum  dei  non  donatur, 
nisi  gratis  conferatur, 
quod  qui  vendit  vel  mercatur, 
lepra  Syri  vulneratur. 
vgl.  dazu  Golias  ad  Christi  sacerdotes  (Fl.  s.  154)  str.  1 1  und  12, 1—2 
Spectat  ad  officium  vestrae  dignitatis, 
Gratiae  petentibus  dare  dona  gratis: 
Quae  si  contra  fidei  regulam  vendatis, 


ZUM  TEXT  DER  CARM1NA  BURANA       339 

Vos  lepram  miseriae  ferre  sentiatis 
Gratis  Eucharistiam  plebi  ministrate 
Et  gratis  conficite,  gratis  consecratel 
conferre    in    der    bedeutung  'angedeihen   lassen,    zuwenden'   ist 
zwar  nicht  ungewöhnlich;   w-ird  man   aber  nicht   gut  tun,    con- 
feratur  nun  durch  das  viel  näher  liegende  consecratur  zu  ersetzen? 
endlich  vgl.  noch  zu  6,7 — 8  den  vers  bei  Flacius  s.  116:  Fallit  mim 
Vitium  specie  virtutis,   der  übrigens  auch  carm.  Bur.  s.  3:  na  4 
in  gestalt  eines  hexameters  mit  dem  zusatz  in  umbra  am  schluss 
widerkehrt,  wo  natürlich  ebenfalls  specie  statt  speciem  zu  lesen  ist. 
S.  58:  cl  9,3 — 4  Schmeller  (wie  die  hs.): 
atque  Lavinie 
thalamus  sequitur. 
es  liegt  kein  grund  vor,  um  des  nom.  thalamus  willen  sequi  hier 
als  passiv  aufzulassen,   man  ersetze  ihn  durch  thalamos  mit  be- 
ziehung   auf   die    parallele   s.  59:    cli  6,2:    et  thalamos   LavinU; 
Troianus  hospes  sequitur. 
S.  73:  clxxxviii  4: 
hs. :     quas  si  transgredior,  male  de  monitore  mereris 
Seh. :  quas  si  '  tr  ansgr  edier  is',  male  de  monitore  mereris 
lies:    quas  si  transgrederis,  male  de  monitore  mereris 
dass   der  schlechte  reim  transgrederis   und  mereris   nicht  stutzig 
machen  darf,  zeigen  andere  leonine  desselben  gedichtes  wie: 
9:    Postquam  dormieris,  sit  mos  tuus,  ut  mediteris 
10:    Qnec  meditatus  eris,  tabulis  dare  ne  pigriteris. 
S.  87:    ecu  20,6  hs.:  tunc  habent  planet q ;  Seh.:  tum  'latent' 
planet? ;  zu  lesen  ist  wol:   tunc  hebent  planet],  vgl.  unten  20,20 
in  planeta  quolibet  splendor  hebetatur  und  s.  204:    131,  1,1  Hebet 
sidus  usw. 

S.  87:  ecu  21,5.  das  hsl.  noturum,  das  ebenso  wie  das  da- 
für  von   Seh.   eingesetzte   secretum   den  vers   mit   einem  auftact 
belastet,  wird  aus  einem  novum  der  vorläge  entstellt  sein. 
S.  119:  35,4.    Schmeller  schreibt  die  Strophe: 
Cuncta  sprevi  virginum 
ego  tripudia, 
te  volens  mihi  iungere, 
modo  'nori  diludiaveris 
inique  gratiam; 
sed  iam  alterius 


340       ZUM  TEXT  DER  CARMINA  DURANA 

captas  benevolentiam, 
quo  nil  deterius. 
diese  von  der  dritten  bis  zur  fünften  zeile  ziemlich  verdorbene 
Strophe  einzurichten,  wird  es  des  Scharfsinns  eines  erfahrenen 
textkritikers  bedürfen;  ich  glaube  nur  soviel  zu  sehen,  dass  Schmel- 
lers  zusatz  non  zu  streichen  und  diludiaveris  in  zwei  Wörter  zu 
zerlegen  ist,  und  zwar  so,  dass  diludia  (als  reim  auf  tripudia) 
den  schluss  des  vierten  und  veris  (velis?)  den  anfang  des  fol- 
genden verses  bildet,  dann  würde  wenigstens  die  äufsere  form 
der  Strophe  richtig  sein,  was  den  sinn  betrifft,  so  scheint  mir 
Seh.  zu  irren,  wenn  er  bei  einem  diludiare  an  Hindere  denkt; 
diludium  ist  aufschub  (vgl.  Hör.  epist.  i  19,  47)  und  unserer  ver- 
dorbenen stelle  sinnverwandt  wol  die  zeile:  parce  nunc  in  hora 
(s.  146:  52,  6,6). 

S.  122:  36,  11,1 — 2  Apollo  mire  vinetus  est 
Peneide  respeeta. 
eine  Peneis  kennt  weder  die  griechische  noch  die  römische  my- 
thologie;    es  ist   wol   zu    lesen   Perseide.      Perseis   (Perse),    eine 
tochter  des  Okeanos,  war  von  Helios  die  mutter  des  Aeetes,  der 
Kirke  und  der  Pasiphae,  der  gemahlin  des  Minos. 

S.  127:  38,8.  die  am  fufse  der  seite  stehnden  verse,  die 
Seh.  im  anhang  mitteilt, 

Nisi  (hs.  nij)  fngias  tactus, 
vix  evitabitur  actus 
sind   zwischen  v.  3  und  4   einzuschieben,   wodurch   die   Strophe 
elfzeilig  wie  str.  5  und  6  wird.    z.  3  ist  resero  vor  seris  zu  setzen. 

S.  140:  49.    in  den  Schlusszeilen  von  str.  21  sind  3  silben 
ausgefallen,  wodurch  sich  Seh.  veranlasst  gesehen  hat,  die  Strophe 
—  gegenüber  21  achtzeiligen  —  als  eine  siebenzeilige  zu  schreiben ; 
die  nächstliegende  ergänzung  ist  vielleicht  diese: 
nummis,  atque  sie  'ego' 
sum  'nunc'  allevatus. 

S.  142:  50,10,5.  die  lesart  der  hs.  nam  quondam  didici 
ist  um  eine  silbe  zu  kurz,  Schmellers  einfügung  von  ego  zwi- 
schen nam  und  quondam  überlädt  aber  die  zeile  um  eine  silbe; 
schon  aus  graphischen  gründen  scheint  mir  namque  statt  nam 
die  einfachste  besserung  zu  sein. 

S.  147:  54,  3,5  ist  natürlich  nicht  obruens,  sondern  obruerat, 
zu  lesen;  so  verlangen  es  der  reim  und  die  satzconstruetion. 


ZUM  TEXT  DEK  CARMINA  BÜRANA       341 

S.  185:  108,3,2.  iu  fler  hs.  fehlt  das  verbum,  Schmeller 
ergänzt  'nitet'  tern;  facies,  besser  liest  man  wol  ridet,  vgl.  s.  148: 
55,4,1  ridet  terre,  facies;  s.  1S4:  ll)7,  1,3  terrr  ridet  facies; 
s.  189:  114,1,4 — 6  florum  data  mundo  grata  rident  facie. 

S.  249  anm.  morte  ist  in  sorte  zu  ändern,  eine  besserung, 
die  Seh.  selbst  oben  3,  4  vorgenommen  hat. 

Nach  diesen  vorschlagen  für  den  text  der  carmina  Burana 
mögen  mir  zu  dem  inhalt  einiger  unserer  lieder  nur  noch  wenige 
bemerkungen  erlaubt  sein,  die  vielleicht  auch  ein  geringes  zur 
feststellung  des  textes  beitragen  werden. 

S.  3:  ii  a,  2  kehrt  wider  s.  169  als  82  a. 

S.  23  zu  xxi  a,  15  und  16  vgl.  die  verse,  die  Flacius  s.  418 
'ex  veteri  quodam  miscellaneorum  libro'  mitteilt: 

Roma  manus  rodit,  nil  dantem  crimine  prodit 
Curia  Romana  quasi  febris  cotidiana 
Clerum  corrodit,  corrosum  spernit  et  odit. 

S.  44:  Lxxiua  33  hs.  Nummus  honoratur  sine  nummo  nullus 
amatur.  Schmeller  interpungiert  falsch,  indem  er  das  beide  verba 
trennende  komma  nach  nummo  setzt,  und  sieht  sich  nun  ge- 
nötigt, statt  Nummus  im  eingang  Nullus  zu  lesen,  dass  diese 
änderung  überflüssig  ist,  wenn  man  sine  nummo  zum  zweiten 
verbum  zieht,  leuchtet  sofort  ein. 

S.  56:  mit  nr  cxlix  beginnen  die  gediente  von  Aeneas  und 
Dido,  die  iu  zweiter  linie  auch  den  inhalt  der  Uias  in  ihre  dar- 
stellung  hereinziehen,  zum  teil  sind  sie  blol'se  auszüge  aus  der 
Aeneide,  aus  der  ganze  Satzteile  wörtlich  widerkehren,  zu  ge- 
schweigen  von  einzelnen  begriffen,  wie  wenn  statt  Troianos  die 
epische  form  Troas  gebraucht  oder  Aeneas  einfach  als  dux  be- 
zeichnet wird,  zu  cxlix  2,7 — 8  vgl.  Aen.  i  588 — 591.  die  worte 
actos  per  maria  (str.  2,  l)  finden  sich  Aen.  i  32.  slr.  4  und  5 
geben  den  anfang  des  4  buches  wider  (etwa  v.  11 — 29),  str.  6 
eine  Zusammenfassung  der  worte  Annas  (v.  31 — 49).  5,5  beruht 
jedesfalls  auf  Aen.  iv  19: 

huic  uni  forum  potui  suecumbere  eulpae. 
also  ist  das  hsl.  ludere  nicht  in  iungere,  sondern  eher  in  subdere 
zu  bessern  und  eulpt;,  das  Seh.  ganz  streicht,  zu  erhalten,  der 
ausruf:  o  amor  improbe  (s.  57:  cl  4,1),  abrumpere  in  der  be- 
deutung  'töten'  sind  vergilisch;  nicht  minder  j,relm  .ml  die  Aeneide 
zurück  die  sütze:  Iam  volant  carbasa  aura  ßnitima  und  Hqu  vo- 


342       ZUM  TEXT  DER  CARMINA  RURANA 

laut,  heu  volant,  tarn  volant  carbasa  (vgl.  Aen.  iv  417:  vocat  tarn 
carbasus  auras;  las  der  deutsche  dichter  hier  volat  —  auris?). 
zu  cli  2  vgl.  Aen.  i  29  (iactatos  aequore)  und  in  197  (iactamur 
dispersi),  zu  derselben  Strophe  z.  4  Aen.  i  200  (rabiem  Scylleam) 
und  m  618 — 632  (wo  dreimal  sanies  von  Polyphem  gebraucht 
wird),  str.  8  deserta  siti  regio  ist  wörtlich  aus  Aen.  iv  42  ent- 
nommen und  str.  13,  t  beruht  auf  Aen.  iv  52. 

S.  74:  cxciv.  die  ersten  4  Strophen  kehren  in  dem  gedichte 
wider,  das  Grimm  aao.  an  vierter  stelle  abdruckt;  nach  diesem 
ist  3,4  und  4,5—8  zu  bessern.  9,2  hat  der  Schreiber  der  hs. 
da,  wo  das  verbum  hingehört,  eine  lücke  gelassen,  die  eine  hand 
des  14  jhs.  durch  die  form  mutata  ausgefüllt  hat.  von  viel 
früherer  hand  aber  findet  sich  am  rande  forma  geschrieben,  das 
zu  formata  zu  ergänzen  und  für  mutata  in  den  text  zu  setzen 
ist,  zumal  da  mutata  als  reim  z.  6  widerkehrt,  dass  man  an 
der  widerholung  in  formas  formare  keinen  anstofs  zu  nehmen 
braucht,  zeigt  cxcix  1 :  Mundus  est  in  varium  saepe  variatus.  über 
die  Thais  dieses  zuletzt  citierten  Streitgedichtes  gegen  den  geizigen 
clerus  vgl.  die  kleine  von  Leyser  veröffentlichte  hs.  'De  sancta 
Thaide.' 

S.  105:  ccui  8.  diese  worte  der  Maria  sind  zweimal  in  der 
hs.  überliefert,  und  zwar  mit  einigen  abweichungen,  die  Seh.  nicht 
gesehen  zu  haben  scheint;  leider  hat  er  die  schlechtere  lesart 
abgedruckt,  auf  fol.  55  steht  nämlich  (zu  8, 18)  das  richtige  senex 
statt  felix,  entsprechend  ist  für  mentis  (8,14)  die  lesart  matris 
einzusetzen. 

Soviel  über  den  lateinischen  text.  der  deutsche  teil  hat 
sich,  sehe  ich  recht,  bis  auf  eine  stelle1  von  fehlem,  die  den 
sinn  der  worte  ändern  könnten,  freigehalten;  dafür  hat  aber 
Schmeller  die  mittelhochdeutschen  formen  mit  einer  freiheit  be- 
handelt, die  wol  kaum  mehr  gebilligt  werden  kann,  orthogra- 
phische kleinigkeiten  sind  es  zwar  auch  hier,  wenn  er  noh  statt 
noch,  ih  statt  ich  (aber  auch  ich  statt  ih),  sih  statt  sich,  bin  statt 
pin,  sie  statt  st,  di  statt  die  usw.  schreibt;  etwas  anderes  ist  es 
schon,  wenn  er  für  den  hsl.  richtigen  nominativ  diu  den  aecu- 
sativ  die  einsetzt  und  den  diphthong  u  bald  mit  ou,  bald  mit  uo, 
in  den  meisten  fällen  aber  mit  blofsem  u  widergibt.  am  meisten 
ist  die  Orthographie  der  beiden  nummern  der  hs.  verändert,  die 

1  s.  216:  145,  1,3  hs.  bürde;  Seh.  bunde. 


ZUM  TEXT  DER  CARMINA  BURANA       343 

etwas  später  eingetragen  worden  sind  und  in  der  tat  schon  ver- 
änderte formen  zeigen:  das  Passionsspiel  und  die  Freidankischen 
sprüche,  denen  Schmeller  durch  seine  änderungen,  die  er  übrigens 
hier  gar  nicht  als  solche  anmerkt,  ein  ganz  anderes  gepräge 
aufgedrückt  hat,  als  sie  es  nach  der  hs.  tragen. 

Also  auch  für  diesen  teil  ist  im  falle  einer  neuen  ausgäbe 
der  Sammlung  eine  gründliche  vergleichung  mit  der  hs.  geboten; 
der  bei  Köbner  in  Breslau  erschienene  abdruck  ist  ja  nur  eine 
genaue  widergabe  von  Schmellers  arbeit. 

Leipzig  im  herbst  1890.  R.  WUSTMANN. 


ALTDEUTSCHE  BRUCHSTÜCKE 
AUS  POLNISCHEN  BIBLIOTHEKEN  IL 

Schon  vor  einiger  zeit  machte  mich  herr  director  dr  WvKv- 
trzynski  aufmerksam ,  er  erinnere  sich,  in  der  bibliothek  des  hiesigen 
dominicanerklosters  bruchstücke  in  deutscher  spräche  gesehen  zu 
haben,  ich  ersuchte  nun  in  diesem  sommer  den  herrn  pater  prior 
Kundrat  um  die  erlaubnis ,  die  bibliothek  durchsuchen  zu  dürfen, 
was  mir  nicht  nur  in  der  liebenswürdigsten  weise  bewilligt,  son- 
dern in  jeder  hinsieht  erleichtert  wurde,  ich  spreche  dafür  dem 
herrn  prior  Kundrat,  dem  herrn  pater  bibliothekar  CMasny,  sowie 
den  anderen  herren  des  klosters,  welche  mir  freundliche  handgriffe 
leisteten,  auch  öffentlich  meinen  besten  dank  aus. 

Leider  steht  die  ausbeute  nicht  ganz  im  Verhältnisse  zu  der 
aufgewandten  zeit  und  mühe,  denn  ich  fand  viel  weniger,  als  ich 
erwartet  hatte;  immerhin  aber  verließ  ich  die  bibliothek  nicht  mit 
leeren  händen.  sie  ist  sehr  reich  an  schön  erhaltenen  incunabeln 
und  drucken  des  16  jhs.,  deren  einbände  jedoch  zum  teil  nur  mehr 
die  nackten  holzdeckel  zeigen  und  daher  die  Vermutung  nahe  legen, 
dass  sie  ihrer  pergamentbekleidung  schon  verlustig  gegangen  seien, 
davon,  ob  und  wer  die  fragmente  abgelöst  haben  könnte,  wurde 
mir  nichts  bekannt,  was  ich  auffand,  hat  zur  falze  und  zur 
rückenverkleidung  gedient,  ist  daher  sehr  verschieden  in  der  er- 
hallung, alle  fragmente  sind  von  mir  sorgfältig  herausgelöst,  be- 
stimmt und  nun  wolgeordnet  dem  pater  bibliothekar  übergeben  worden, 
welcher  versprach,  sie  gesammelt  aufzubewahren,  da  kaum  tu  aller- 
nächster zeit  ein  fachgenosse  diese  privatbibliothek  zu  besuchen  in 


344         ALTDEUTSCHE  BRUCHSTÜCKE 

der  läge  sein  wird,  glaubte  ich  mich  verpflichtet,  die  reste  trotz 
ihrer  geringfügigkeit  durch  den  druck  wenigstens  der  litter  arischen 
benntzung  erhalten  zu  dürfen,  was  ich  sonst  noch  ablöste,  Ur- 
kunden usw.,  wird  von  anderer,  berufenerer  seite  verwertet  werden. 

Interessant  wäre  die  frage,  auf  welchem  wege  und  wann  die 
bände  hierher  nach  Lemberg  verschlagen  wurden,  darüber  fehlt  aber 
jede  auskunft.  meiner  meinung  sind  die  bücher  zumeist  nicht  hier 
gebunden  worden,  natürlich  mit  ausnähme  jener,  welche  polnische 
Urkunden  zu  buchbinderzwecken  benutzten,  die  frage  hätte  wenig- 
stens in  dem  einen  falle  vielleicht  allgemeinere  bedeutung:  unter 
den  fragmenten  befindet  sich  ein  stück  des  Sachsenspiegels,  es  wäre 
daher  wichtig  zu  wissen,  ob  die  hs.  dieses  rechtsbuches  hier  in 
Galizien  vom  buchbinder  zerschnitten  worden  sei,  oder  in  Strafs- 
burg,  wo  das  werk,  von  dem  ich  das  bruchstück  ablöste,  gedruckt 
wurde,  mir  ist  es  hier  am  ort  und  bei  meinen  beschränkten  hülfs- 
mitteln  unmöglich,  hiefür  gewisheit  zu  schaffen,  nur  muss  erwähnt 
werden,  dass  sehr  viele  bücher  grofse  ähnlichkeif  des  einbandes 
zeigen,  was  aber  kaum  genügt,  um  die  frage  zu  entscheiden. 

Wichtig  wäre  ein  guter  katalog  der  vorhandenen  drucke,  weil 
die  bibliothek  an  classikerausgaben  udgl.  in  Wiegendrucken  vieles 
enthält,  was  als  selten  bezeichnet  werden  imiss. 

Unter  den  hss.,  welche  die  bibliothek  besitzt  —  das  archiv 
habe  ich  diesmal  nicht  gesehen  —  wiegen  lat.  predigtsammlungen 
des  15  jhs.  und  andere  geistliche  Schriften  vor,  so  Libellus  de  ho- 
nestate,  Speculum  peccaloi  um,  Manuale  Sancti  Augustini,  De  arte 
bene  moriendi  tractatus.  in  einem  sammelbande  findet  sich  die 
Visio  Tundali,  welche  datiert  ist:  Explicit  visio  Tundali,  anno 
diu  m°cccc°xxx  q'into.  sc'pta  p  Johanne  et  <p  iohäne  eode  d'Char- 
mantovv.  in  Sandomiria  ad  scm  paulü.  über  sie  behalte  ich  mir 
spätere  mitteilungen  vor. 

Hoffentlich  wird  man  es  mir  nicht  verübeln,  dass  ich  nur  das 
rohe  material  gebe,  die  hiesigen  bibliotheken  bieten  gar  keine  mög- 
lichkeit,  weitere  forschungen  anzustellen,  es  fehlt  alle  einschlägige 
litteratur  so  vollständig,  dass  ich  auf  das  angewiesen  bin,  was  ich 
selbst  besitze,  man  kann  sich  keinen  begriff  machen,  wie  hier  in 
Lemberg  die  arbeit  des  germanisten  in  jeder  hinsieht  erschwert  ist. 
ich  muss  dies  betonen,  weil  ich  nur  ungerne  halbfertiges  vorlege, 
eine  gewisse  beruhigung  gewährte  mir  übrigens  Schönbach,  gegen- 
wärtig  der  genaueste  kenner  der  deutschen  predigt;   ich  legte  ihm 


AUS  POLNISCHEN  BIBLIOTHEKEN  II  345 

eine  abschliß  der  prosaischen  fragmente  vor ;  er  loar  so  freundlich 
sie  zu  prüfen,  ohne  jedoch  ihre  Zugehörigkeit  bestimmen  zu  können, 
doch  schienen  auch  ihm  die  stücke  den  druck  zu  verdienen. 

Ich  habe  die  aussieht,  meine  Mitteilungen  fortsetzen  zti  können, 
da  sich  mir  noch  andere  bibliotheken  erschliefsen  dürften,  es  muss 
selbstverständlich  unser  bestreben  sein,  den  bestand  an  hsl.  material 
so  weit  als  möglich  zu  überblicken,  erst  wenn  unsere  handschriften- 
kunde  durch  eine  umfassende  fundstatistik  über  alle  fragmente,  vor 
allem  poetischer  werke,  ergänzt  sein  wird,  kann  die  litter  atur- 
geschichte  an  die  erledigung  von  aufgaben  denken,  wie  sie  KBurdach 
im  Centralbl.  f.  bibliothekswesen  5,  131  ff  und  ich  in  Schnorrs 
archiv  15,  3*25 /f,  bes.  328  hingestellt  haben,  für  die  geschichte 
der  litterarischen  interessen,  der  man  neben  der  geschichte  der  lit- 
terarischen produetion  seither  viel  zu  wenig  beachtung  geschenkt 
hat,  sind  nicht  nur  alter  und  herkunft  der  handschriften,  sondern 
auch  die  fundumstände  der  einzelnen  bruchstücke  von  interesse: 
wann  hat  man  allgemeiner  begonnen  mhd.  hss.  zu  zerschneiden'? 
welche  gründe  würken  bei  dieser  teilweisen  Vernichtung  der  alten 
litteraturschätze  mit  ?  hier  wird  weit  feindliche  richtung  derer,  denen 
die  aufbeicahrung  oblag,  dort  das  aufkommen  und  überwiegen  ge- 
lehrter humanistischer  interessen  entschieden  haben;  vielfach  wird 
das  schwinden  des  sprachlichen  Verständnisses  mit  im  spiele  sein, 
aber  die  notwendige  grundlage  solcher  Untersuchungen  ist  der  voll- 
ständige überblick  über  die  hsl.  fragmente  —  und  darum  möge 
man  sich  auch  den  abdruck  einzelner  fetzen  gefallen  lassen,  deren 
hier  im  fernen  osten  doch  ein  immerhin  unsicheres  loos  harrt. 
Lemberg  im  sommer  1890.  B.  M.  WEBNEB. 

I.  WOLFRAMS  WILLEHALM. 
Als  falze  von  Pelbarts  Stellarium  coroue  henetlicte  virginis 
Marie,  Hagenau  1501,  sumpl.  Joh.  Byiiman  impr.  Hein*.  Gran 
(Gräfse  Tresor  v  187.  vi  1,  491)  dienten  zwei  streifchen  22,5  cm. 
hoch,  2,7  und  3,1  cm.  breit,  sie  entstammen  einer  hs.  von  Wolframs 
Willehalm  aus  dem  ende  des  l'Sjhs.;  sie  war  zweispaltig  geschrieben, 
die  anfangsbuchstaben  aller  zeilen  sind  herausgerückt  und  rot  durch- 
strichen, die  einfachen  initialen  rot.  beide  streifen  gehören  einem 
blatte  an,  der  schnitt  geht  gerade  zwischen  den  beiden  spalten 
hinab;  sie  enthalten  von  den  vv.  340,  27 — 345,24  nur  die  enden 
beziehungsxoeise  die  anfange. 

Z.  F.  D.  A.     XXXV.     N.  F.    XXIII. 


346 


ALTDEUTSCHE  BRUCHSTECKE 


Vorderseite 

t  gevalt 
gezalt 
ven  mach 
e  dot  gelach 
341,1      eile 
eile 
len  mane 

01  din  vane 
5             sin 

er  manhait  diu 
rvnder  nim 
m 

10        nde 

er  dän  im 
pin  iamerich 

2  son  erslagen 
nnet  er  klagen 

15        m  vane  din 

esin 

:  atris 

genigen  pris 

pern 
20        wt  tioste  gern 

c  ein  wip 

ie  den  lip 

aude  zekanach 

schach 
25        : 

alimon 

nige  her 

ch  dir  zewer 

nen  striten 

her  riten 
342,  1     sere 

ere 


340,27—343,10 

d  ie  vinde  vo 
v  nt  daz  an  si 
M  in  fünf  lan 
s  in  zedienst 
D  ie  warn  \v 
T  erramer  sp 
G  edench  hei 
Z  er  vnverzag 
L  a  dir  hivt  w 
D  az  dich  min 
A  ls  si  ir  vn 
D  in  milt  vn 

V  nt  diu  ritte 

V  nt  dinen  11 

d  en  mocht  ein 
1  mmer  gerne 
D  iv  sich  vviph 
D  im  richeit 
W  eer  rechtevv 
N  v  soltv  man 
D  v  vnt  Eme 
S  vvederhalp  d 
D  az  wirt  au 
N  ach  dinem  v 
D  ins  vater  el 
S  o  bistu  in  al 
b  ewart  vor  h 
D  er  maulich 
t  ibalt  der  ar 
S  prach  herre 
D  och  hat  div 

V  on  mir  nv  la 
H  et  ich  prise 

I  r  gäbet  mir 
D  iv  gäbe  al  m 

V  nt  minem  ho 
L)  a  man  mich 


20 


343,  1 


AUS  POLNISCHEN  BIBLIOTHEKEN  II 


347 


20 


25 


344,1 


15 
Das 


breit 

eleit 

esendet 

hendet 

z 

iz 

der  varn 

nder  scharn 

ovften  strite 

der  site  [kis 

dvrch  de  mar 

is 

rne 

ne 

z 

uneiz 

t  nv  zwo 

vaste  zv 

gen  in 

in  gewin 

ie 

eis  vri 

r  howetmä 

ob  ich  chan 

im  seh  vi' 

r  rvf 

tampaste 

Sissabre 

sura 

alda 

lt  wol  tvn 

zovvir 

e 

ovften  we 

c  Arfficlant 

fragment   zeigt 


20 


25 


folgende  stellen  beweisen. 


rückseite  343,  11—345,  24 

V  nt  des  brvder 
A  vch  bi  sinagvn 
D  ie  wol  mit  den 
I  n  Sinagvns  p 
F  vr  her  des  kv 

V  on  ingalie  des 
E  lli  oren  nie  geh 
D  az  er  begienge 
D  er  wibe  Ion  i 

V  ntz  an  sinen  r 
D  er  minne  er  sich 
T  erramer  von  345,  1 
s  prach  die  zeh 
ir  sult  hawen  d 
N  emt  mins  vnv 
D  az  ich  in  iwsu  5 
D  0  man  mir  p 
I  r  sit  kvnige  v 
I  glichem  svnd 

V  il  chunige  die 
D  az  si  chron  von  10 
G  eu   den  getov 
S  vit  ir  vnsern 
M  it  sigenvf'te  b 
1  r  svlt  oveh  bi  i 
I  we:: vetern  li  15 
D  az: ::  von  Samir 
D  ie  l'ursten  gar 
A  rolTel  hat  si  d 

V  il  ritterlich  g 

D  es  ir  pris  wart  20 

A  n  des  ringe 
G  edeochet  hiv 
1   we:  iegliclic 

V  ntz  er  den  lip 

übereinsliinmuiHj   mit    den  hss.  lt,    was 
es   liest  342,  .">/  ähnlich    wie   lt,    wenn 


348        ALTDEUTSCHE  BRUCHSTÜCKE 

auch  nicht  gleich;  342,  19  fehlt  und  wie  Inopt;  343,  5  erinnert 
von  mir  ov  la[nge]  an  Imnt;  344,  3  r  howetman  deutet  darauf 
hin,  dass  die  reihenfolge  was  der  dritten  schar  houbetman  wie  in 
lt.  gewählt  war;  344,  23  daz  er  ie  begienge  lesen  lopt;  344,27 
bis  30  fehlen  It  wie  unserem  fragmente ;  345, 8  fehlt  Jwer  It ; 
345,  17  hat  l  nur  breiten;  345,  17  fehlt  und  lopt;  345,22  nu 
fehlt  lopt;  gedenket  lesen  Ipt.  gegenüber  dieser  Verwandtschaft  mit 
It  zeigt  unser  fragment  ein  paarmal  Übereinstimmung  mit  anderen 
hss.,  so  341,12  iamerich  =  m;  341,14  [beginnet  ev  =  Kmt; 
341,23  [l]andeze  kanach  =  [K]lmn;  342,20  erinnert  anK;  345, 10 
fehlt  ir  wie  in  Kmn;  345,  20  des  =  opt.  fehler  von  It  teilt  unser 
fragment  nicht  341,  27.  29  und  342,  14.  trotzdem  bleibt  es  dabei, 
dass  die  hs.  It  am  nächsten  gestanden  hat. 

Da  unsere  hs.  die  Unten  nicht  vorzeichnete ,  erklärt  sich  die 
Verschiedenheit  der  Zeilenzahl  auf  beiden  Seiten. 

II.    SACHSENSPIEGEL. 

Von  einem  quartbande  enthaltend  Sequentiarum  luculenta  inter- 
pretatio  nedü  scholasticis :  sed  et  ecclesiasticis  cognitu  necessaria: 
p.  Joan.adelphüphysicüArgetin  collecta  annodüiM.D.xix.  MwdHymni 
de  tempore  et  de  sanctis:  in  eä"  forma  qua  a  suis  autoribus  scripti 
sunt  denuo  redacti:  et  secundum  legem  carminis  diligeter  emeu- 
dati  atque  interpretati  anno  dni  MDxix,  drucke  von  Johannes 
Knoblauch  in  Strafsburg,  habe  ich  zwei  streifen  etwa  20  cm  breit 
und  ungefähr  6  (resp.  5,5)  cm  hoch  abgelöst,  welche  einer  pracht- 
vollen handschrift  aus  dem  anfange  des  14  jhs.  angehörten;  sie 
waren  auf  der  innenseite  zur  befestigung  der  heftschnur  aufgeklebt, 
die  beiden  streifen  gehören  demselben  Matt  an  und  bildeten  den 
oberen  und  mittleren  teil  einer  kleinfoliohs.  der  linke  rand  ist  bis 
auf  0,5  resp.  1  cm  abgeschnitten,  vom  rechten  sind  4, 5  resp.  4  cm 
erhalten,  die  große  deutliche  schrift  steht  auf  vorgezogenen  tinten- 
linien,  bietet  zwei  spalten  auf  der  seite  und  zeigt  rote  initialen 
und  rote  Überschriften,  das  blatt  trägt  in  der  mitte  oben  die  be- 
zeichnung  vi.  da  es  nun  vom  Sachsenspiegel  i  22  §  1 — 24  §  4 
enthält  und  für  etwa  6  zeilen  der  zweiten  Homeyerschen  ausgäbe 
durchschnittlich  13  zeilen  braucht,  zwischen  den  spalten  aber  un- 
gefähr je  10  zeilen  Ho mey er s  fehlen,  so  muss  die  spalte  35  zeilen 
enthalten  haben,  das  gäbe  als  format  der  hs.  26  cm  x  23  cm.  es 
müsten  nach  dieser  berechnung,  wenn  unser  blatt  das  sechste  ioar, 


ALS  POLNISCHEN  BIBLIOTHEKEN  II 


349 


700  Zeilen  vorausgegangen  sein;  Homeyers  text  bietet  378  oder 
(vom  cursivgedruckten  abgesehen)  21 1  druckzeilen,  das  icären  950 
oder  515  Zeilen  unserer  hs.  rechnen  wir  noch  den  gereimten  prolog 
hinzu ,  dann  scheint  die  Übereinstimmung  mit  Homeyers  antiqua- 
text  ziemlich  vollständig,  dann  bekämen  wir  gerade  700  zeilen  (der 
prolog  zählt  184  verse). 

Der   text  unserer  hs.  ist   ein  sehr  guter  und  ursprünglicher, 
die  spräche  hat  mitteldeutschen  character. 


VI 


[22,1  in  getrifet.     Mit  sime  ra 
te  sol  ovch  di  vrowe  di 
graft  vnd  drizzegisten 
tvn.     Anders  sal  er  nicht 
Gewalt  han  an  dem  gu 
te  biz  an  den  drizigesteu. 
Uon  waz  mä  gehle  sulle 
dem  erbe  nach  def  manef  tode 
sai  man  aller  erst  gelde 
dem  ingesinde  ir  vordinet 
Ion.  als  in  gebnret  biz 
an  den  tac.    daz  ir  herre 
starp.    vnd  man  sal  si  hal 


spise  di  nach  dem  drizzi 
gestern  über  bleip.   in  igli 
chem  houe  ires  mannes 
So  sal  di  vrowe  zv  herwe 
te  ires  mannes  swert  ge 
ben  vnd  daz  beste  vrs 
oder  pfert  gesatelet.    vnd 
daz  beste  harnasch  daz  er 
hatte,   zv  eines  mannes  li 
be  do  er  starb  binnen  sineu 
weren.    Dar  nach  sal  si  ge 
ben  einen  herpfnl  daz  ist 
ein  bette  vnd  ein  küssen 


rückseite 


5  zv  eime  herwete  geborn  sin 
der  eldiste  nimt  daz  swert 
zv  vorne.    Daz   ander  teilen  si 

23, 1  glich  vnder  sich.    Svva  di  kin 
der  binnen  iren  iaren  sin. 
ir  eldeste  swertmage  nimt 
daz  herwete  alleine,    vnd 
ist  der  kinder  vormunt  dar 
an.   biz  daz   si   zu    ir  iaren  ko 
men.    so  sal  erz  in  wider  gebe 
2  Er  ist  ovch  der  witwG  vormü 
: ::   d:z  si  man  nimt  von 

24, 1  Nach  dem  herwete 


de  dinc  daz  darzv  höret 
aleine  nene  ich  svnderliche 
nicht  als  bürsten  vnd 
scheren  vnd  spiegele 
alle  lachen  vngesniten. 
zv  vrowen  cleider.    Noch 
golt.    noch  silber  vngewor 
cht.  daz  gehört  den  vrowe 
nicht  zu.    Swaz  so  hoben 
ditz  benvmede  dinc  ist. 
daz  boret  allez  zv  dem  erbe. 
Swaz  so  dar  vzen  si  :  : 
in  des  mannes  libe.    daz 


350 


ALTDEUTSCHE  BRUCHSTÜCKE 


III.    PREDIGTBRUCHSTUCK? 

Dem  foliobande  Practica  valesci  de  Tharäta,  titel  ganz  wie  bei 
Hain  nr  15252,  am  Schlüsse  'Impressum  Venetijs  per  Joaunein 
et  Georgia  de  Gregorijs  patres.  Anno  domini  M.ccccc.  die  xvij.  feb', 
entstammen  drei  streifen,  zwei  querstreifen  und  ein  Meiner  längsstreifen , 
die  zusammengehören,  die  breite  des  doppelblattes  beträgt  24  cm,  die 
streifen  sind  3  und  3, 5  cm  hoch,  der  längsstreifen,  1, 7  cm  hoch 
und  3  cm  breit,  stammt  vom  unteren  ende  des  Mattes,  die  Zeilen 
sind  mit  tinte  vorgezogen,  die  1  sind  lichtblau,  der  schrift  nach 
gehörte  die  hs.  dem  14  jh.  an.  auf  der  seite  steht  17  zeilen, 
die  hs.  besass  eine  grö/'se  von  14  X  12  cm. 


Vorderseite 


[4] 


heisen  trän  göysit  Doch  xpo.  vnd 
owe  ist  ds  menz6  n*vil  cluk  zo  uul 
lin  im  zyne  burne.  di  vnreinen 
palistini.  dz  ist  irdizche  ere.  vnd 
wollust  vn  obsege  uotdorft  di  mä 
che  en  alliz  trüge,  dz  en  ds  owgen 
burne  zulde  erin  edelin  vluz  ge- 
bin.  S  Worüe  ist  dz.  do  ist  hsn* 
I  dsczel 
gotlichs  gotl  gehorzams.  di  en  dz 


[1] 


owch  wi  we  ms  zülle  gesehen.  S  Do 
hszich  zins  vvillin  alzo  genczlich 
abe  getet.  do  nam  hs  uf  zieh  den 
slussil  des  heilige  cröyciz  vn  gik 
hen  czum  erste  yndi  czelle  des  ge 
horzäis  *\  Do  hs  dryn  qwü  vnd 
zieh  drynge  begunde  mit  de  vn 
gemache.  Daz  vnz  lange  gehindst 
hatte,  zet  do  geschach  im  zesvve. 
az  hs  mit  zul 
lez  ertryc.    w 
:  do  qwam  : 
*T  Alz  hs  zelb  sp 
:  inuaret  ^  E 
röyen  do  ro 
vngemach: 
olde  uf  daz. 


[2] 


wir  mit  gutim  rowine  dorinne 
mochte  wone  1  Di  czelle  waz 
im  czü 
ersten  alz  enge  wo  hs  zieh  hen  bot 
do  stach  ds  tot  mit  vngemache  uf 
en^Mit  denvüsin  trat  hs  yndi  seh 


rück  seite 

einteil  hoei 


[3] 

vn   begsn  dene  des 

hemil 

ryches  m*  iamsnege  hscze  vn  mit 

nasse 

owgen  mtvilgebetiz  m*.  weynevd 

m*  kirchgange  *\  Js  ist  gut  bestet  iz 


also    T 

Idoch 

wz    lyplich   mit 
etlichen 

zachin  czu  trilit 

dz  tritovchlyp" 

lieh  ;ibe 

mit  ds  zelbin  zache,  vud 

do  von 

ist  dz  i 

prichwort  come. 
q  Do 

ds  toyui 

genas 

do  wft  hs  alz 
hs  e  waz. 

am    Rande    neben    der    vorletzten 

Zeile : 

No" 

AUS  POLNISCHEN  BIBLIOTHEKEN   II  351 

arfin  nagele  mit  dem  edele 
howpte    drank   hs   yn   mauchin 
spieze  dorniz  stift  ds  im  zse  vsre  T 
zvn  howpt  gink  <\  Den  müt  stis 

yn  di  galle  .  d 

er  1  Eya  wor : 

z  dir  dz  lert 

:  gehorzäis  : 

bin  muts  ha 

din  1  Symeo 

n  durch  ere 

:  üste  ze  vn  : 

Der  obige  abdruck  gibt  gewis  kein  völlig  zutreffendes  bild;  ich 
glaube  aber,  die  reihenfolge  der  seiten  ist  durch  die  von  mir  darüber- 
gesetzten zahlen  richtig  gedeutet,  darnach  bildete  das  Matt,  von 
dem  sich  ein  streifchen  mehr  erhalten  hat,  den  anfang,  das  andere 
folgte;  ob  und  wie  viele  Matter  dazwischen  fehlen,  vermag  ich 
nicht  festzustellen,  auch  nicht,  ob  ich  die  richtige  Überschrift  ge- 
wählt habe.  Schönbach  bemerkt:  'zu  der  älteren  gattung  'predigten 
gehört  das  stück  jedenfalls  nicht,  auch  nicht  zu  Grieshaber'.  viel- 
leicht gehört  es  einem  traetat  an? 

Die  lautverhältnisse  des  denkmals  weisen  nach  dem  mittel- 
deutschen Sprachgebiet:  nur  i  und  u,  kein  ie  und  uo;  e  statt  i, 
o  statt  u  (ü)  in  Stammsilben:  hemil,  erin,  hen  —  notdori't,  ober- 
egen;  aus fall  des  intervocalischen  h:  trän,  gesehen,  zel;  metathese 
des  r  in  burne.  durch  das  merkwürdige  öy  für  altes  in  in  göysit, 
cröyciz,  toyuil  wird  die  heimatsbestimmung  auf  diejenigen  ost- 
mitteldeutschen gegenden  eingeschränkt,  welche  dem  bairisch-öster- 
reichischen  Sprachgebiet  benachbart  sind,  und  damit  stimmt  recht 
wol  der  in  der  Schreibung  der  Zischlaute  deutlich  zu  tage  tretende 
slavische  einfluss:  Schreibungen  icie  zo,  zulde,  zyne,  gehorzam 
kommen  dabei  weniger  in  betracht  als  menz6  (mensche),  irdizehe, 
die  in  Binnendeutschland  xool  unerhört  sind. 

IV.    EINE  MD.  EVANGELIENHAKUOMK/ 

Drei  streifen  verschiedener  erhaltung  fanden  sich  in  einem 
Vocabularius  de  partibus  indeclinabilibus  in  4°,  s.  I.  et  a.,  vielleicht 
dem  von  Panzer  Ann.  typ.  iv  211   (1301)  verzeichneten. 


352        ALTDEUTSCHE  BRUCHSTÜCKE 

Die  streifen  gehören  zu  einer  hs.  aus  dem  ende  des  14  oder 
dem  anfange  des  15  jhs.  die  zeilen  sind  mit  tinte  vorgezogen, 
die  initialen  rot,  die  anfangsbuchstaben  der  sätze  rot  durchstrichen, 
wenigstens  zwei  streifen  entstammen  einem  doppelblatte,  wenn  dies 
auch  nur  aus  dem  inhalte  hervorgeht,  nicht  aus  dem  aussehen  der 
fragmente;  diese  bestehn  nämlich  1)  aus  einem  längsstreifen  von 
19  cm  höhe  und  durchschnittlich  6  cm  breite;  doch  ist  gerade  der 
obere  teil  nicht  geschnitten  sondern  gerisse7i,  und  so  kann  man  die 
Schnittflächen  nicht  aneinander  halten,  von  diesem  längsstreifen 
enthält  die  Vorderseite  nur  die  zeilenenden,  die  rückseite  die  zeilen- 
anfänge  einer  spalte,  der  untere  rand  fehlt,  so  dass  wir  nicht  die 
ganze  höhe  des  Mattes  kennen.  2)  aus  einem  querstreifen,  20  cm 
breit,  6  cm  hoch,  einem  doppelblatte  mit  je  zwei  spalten  auf  der 
seite  entstammend;  es  sind  erhalten  auf  beiden  seiten  bei  ganz 
aufgeschlagenem  doppelbl.  die  enden  der  au/sen-,  die  zwei  innen-, 
die  anfange  der  aufsenspalte;  nun  tragen  die  zeilen  rechts  die  rote 
Überschrift  auf  der  Vorderseite  .  lxxxn . ,  auf  der  rückseite  einge- 
rahmt |  ixxui.  |;  dies  rnuss  aber  ein  irrtum  sein,  denn  wir  haben 
jedesfalls  die  unmittelbar  aufeinanderfolgenden  Seiten  82  und  83 
oder  72  und  73  vor  uns,  das  heifst  das  innenblatt  einer  läge, 
endlich  3)  aus  einem  längsstreifen  von  7,5  cm  höhe  und  3  cm 
breite,  welcher  als  rückenfalze  diente  und  daher  nur  noch  teilweise 
mit  hilfe  von  reagens  und  Spiegel  zu  entziffern  war;  dieser  streifen 
zeigt  weder  oberen  noch  unteren  rand,  die  Vorderseite  enthält 
das  zeilenende,  die  rückseite  den  Zeilenanfang,  ob  dieser  streifen 
zu  demselben  doppelbl.  gehörte,  bleibt  zweifelhaft. 

Nehmen  wir  an,  dass  der  untere  rand  etwas  gröfser  als  der 
obere  war,  welcher  1,5  cm  einnimmt,  dann  erhalten  wir  eine  hs. 
von  etwa  21  cm  höhe  und  etwa  16  cm  breite,  die  spalten  sind 
nicht  ganz  5  cm  breit,  von  längslinien  eingerahmt,  für  welche  oben 
ebenso  wie  für  die  zeilen  am  rande  die  entfernungen  mit  dem 
zirkel  vorgestochen  sind,  auf  der  spalte  stehn  27  zeilen  und  die 
rote  Seitenbezeichnung. 

Ich  habe,  soweit  es  mir  möglich  war,  die  behandelten  bibel- 
verse  neben  dem  texte  bemerkt;  zweifelhaftes  ist  mit  fragezeichen 
versehen,  dass  toir  es  mit  einer  in  Mitteldeutschland  aufgezeich- 
neten evangelienharmonie  zu  tun  haben,  beweist  das  i  der  flexions- 
silben,  monophthong  für  diphthong  zb.  uch  für  iuch,  ginc  für 
gienc,  e  für  i  im  pronom.,  en  für  in  und  ähnliches. 


AUS  POLNISCHEM  BIBLIOTHEKEN  II 


353 


.  lxxxn . 

[Matth.  22,  7]  vü  vsbrante  ire  stat      kome  : 

: ny  hus 

[22, 8]  Do  sprach  ds  konin k      vol  w  : 

Ich  sage 

czu  sinen  knechten      uch  ab 

or  wore 

dibrutlouft  ist  gereit     Das 

ant  von 

abir  di  geladene  wo  5  den  d  : 

ade  wore 

ren  nicht  wirdic  czu      gespr 

en  sal  von 

:  ene  mach 

age  di  knech 

di  wege  vn 

10 

en  alle  di  se 

:  böse  vnde 

:  wart  di  brut 

rvullit  7n  ds 

ginc  vü  czu 

15 

e  di  essende 

do  einen  me 

r  hatte  nicht 

eutcleit  an 

räch  czu  im. 

20 

wi  bistu  heryn 

e  so  dri  hoch 

ewandis  an 

n   ienir  vsstü 

Do  sprach  ds 

25 

czu  den  dine 

indit  im  hen 

vuse  vn  werfit 

[22,13) 


[22,14] 


[22,15] 


[22,10] 


[22,11] 


[rückseäe] 


en  I  di  v 

stirn  is 
nüge  vn 
ge  der  cz 
vil  sint  g 
wenink  v 
Do  di 
pharise 
gehorten  do 
se  I  irme  rot 


de  vin 
sin    wei 
schun 
icene 
•Mi  vn 
lt  ma 


dir  nicht  vn  ihesus 
woste  ir  schalkheit 
vn  antwste  vü  sp'ch 
Iv  ypocrite  was  vir 
suchit  ir  mich   U'isit 
mir  di  muncze  des : 


12] 


[22,13] 


[22,  IS] 


[22,  L9] 


354  ALTDEUTSCHE  BRÜCHSTÜCKE 

mete  se  en   v  : 

mohten  !  si 
[22,16]         ten  vn  sant : 

ire  iügere  m 

dis  leute  di  15 

Tfcfeistir  wir  w 

das  du  worh 

bist  vn  den  w 

tis  I  der  wor 

rist  vn  dz  du  20 

de  vortreist  v 

du  sihest  nich 

di  psone  der 
[22,17]        sage  vns  wa 

kit  dich  Ist  v  25 

loubit  czu  g 

czins  deme  k 

[Zweite  hälfte  des  doppelblattes] 

|     Ixxm     | 

[Luc.  14, 11] iadin  sint  Dene  wer  diu  w                              [14,15] 

sich  hoet  der  wirtge  ist  seli  : 

nedirt  vü  wer  sich  ne  essen  1: 

dirt  der  wirt  gehoet  gotis 

[14, 12]  Do  sprach  Im. mar.  5  D  o                                [14,16] 

rftc  czu  deme  der  w 

[rückseüe] 
[Marc.  10, 17?]  ait  gro       von  des  mescheson  [Marc.  10,33] 

:  bende      der  sal  gegebe  wsde 
czu  ihü     den  vorsten  ds  pristes 
er  im        vn  den  schribern  vn 
:  grose   5  se  sullen  en  geben  de 
hs  was       heiden  vn  her  sal  mit 


\rückseite] 


[Dritter  streifen] 

[Vorderseite] 

: :: 

he :  he : 

vsgifte 

mars : 

AUS  POLNISCHEN  BIBLIOTHEKEN  11  355 

dz  sal  D  :  :  p 

adenen  

1t  5 

.  te  . . .  sinen  c 

:  esen  dorf  da 

t  siezen  seman  [Luc.  8,5??] 
. .  bro  . .                                           das  bel- 
aden 10  heisit  de 
n  bobin                                            ein  gar 
rte  sens                                             hs  in  mu 
vri  mit                                              ren  : : 

4  —  6  lesung  ist  nicht  ganz  sicher.  lb.  2b  die  fehlenden  buch- 

staben  waren  rot  12b  die  zwei  fehlenden  buchstaben  rot. 

V.    PREDIGTBRUCHSTÜCKE. 

Die  nachfolgenden  blätter  entstammen  den  einbänden  des 
werkes:  Bepertorium  apostillarum  vtriusq}  testamenti  domin i 
Hugonis  Cardinalis;  die  vorrede  ist  unterzeichnet  Ex  artaualle  ultra 
Basileanam  birsam  xvi.  calend'  novembris.  M.D.m.  Das  werk  be- 
steht aus  sechs  foliobänden,  auf  deren  rücken  in  streifen  von  11,5  cm 
breite  und  4,5cm  höhe  die  fragmente  fest  aufgeklebt  waren;  es 
gelang  nicht,  sie  ganz  unbeschädigt  abzulösen,  überdies  waren  sie 
vielfach  dort,  wo  sie  den  rücken  mit  den  deckein  verbanden,  schon 
zerrissen,  so  dass  eigentlich  ein  xoirrsal  von  nicht  weniger  als 
14  ziemlich  gleich  grofsen  und  vielen  kleineren  streifchen  vor- 
lag, mit  hilfe  von  reagens  und  zum  teil  durch  den  spiegel  war 
es  aber  möglich,  das  allermeiste  zu  entziffern,  und  aus  der  ver- 
gleichnng  des  inhalts  ergab  sich,  dass  sämmtliche  Stückchen  zu  einer 
reihe  von  vier  quartblättern  gehören,  welche  einer  md.  prediglhs. 
vom  ende  des  14  jhs.  entstammen,  die  lesung  wurde  noch  er- 
schwert, weil  an  verschiedenen  bänden  unter  unseren  fragmenlen 
andere  mit  lateinischem  texte  oder  mit  noten  eines  missales  auf- 
geklebt waren,  so  dass  sich  die  buchstabenabdrücke  vermischten,  was 
ich  an  text  biete,  ist  als  völlig  gesichert  anzusehen,  zioeifelhaftes 
ist  im  drucke  hervorgehoben,  der  buchbinder  hat  die  vier  blätter 
nach  seinem  bedürfnisse  verschieden  zerschnitten,  zwei  nur  in 
4  qnerstreifen ,  zwei  so ,  dass  er  in  der  breite  von  4, 5  cm  den 
unteren  rand  und  einen  teil  des  texles  wegschnitt  und  das  übrige 
in  je   drei  längsstreifen  von  derselben  breite  teilte;   leider  fanden 


356        ALTDEUTSCHE  BRUCHSTÜCKE 

sich  aber  nur  je  zwei  davon  vor,  denn  auf  dem  zweiten  und 
sechsten  bände  hat  er  fragmente  einer  anderen  lat.  hs.  verwertet, 
die  fragmente  bringen  wol  zwei  predigten1,  eine  passionspredigt 
und  eine  kreuzpredigt,  jene  lasse  ich  vorangeht,  diese  folgen, 
weil  nach  dem  Schlüsse  der  kreuzpredigt  der  übrige  teil  des  Mattes 
unbeschrieben  blieb,  vielleicht  bildete  sie  daher  den  schluss  der 
ganzen  hs. 

Diese  hatte  eine  blatthöhe  von  etwa  16  und  eine  breite  von 
etwa  12  cm,  war  deutlich  geschrieben  und  mit  einem  ziemlichen 
druck,  so  dass  vielfach,  wo  die  tinte  ganz  verschwunden  ist,  der 
eindruck  in  dem  pergament  die  entzifferung  ermöglichte,  die  linien 
sind  mit  tinte  vorgezeichnet,  es  stehn  22  Zeilen  auf  der  seite.  die 
schrift  ist  schön,  der  abdruck  wurde  so  eingerichtet,  dass  linien 
die  schnitte  bezeichnen ,  während  die  bruchstellen  nicht  angegeben 
werden;  die  Ordnung  der  Matter  erfolgte  nach  dem  Inhalte,  man 
wird  sich  an  dem  ergreifenden  pathos  besonders  des  Schlusses  er- 
freuen, für  Petrus  cardinalis  verweist  Schönbach  auf  S.  Petrus 
Damiani,  dessen  werke  in  Mignes  Patrologie  144  und  145  stehn, 
'aber  nur  die  beiden  sermones  de  exaltatione  sanetae  crucis  144, 
761  —  777  scheinen  die  möglichkeit  zu  bieten,  dass  auf  sie  das 
citat  könnte  zurückgeführt  werden',  unter  dem  Gebhardus  ver- 
mutet Schönbach  den  erzbischof  von  Salzburg  1060 — 1088,  ohne 
es  beweisen  zu  können. 

Auch  diese  fragmente  werden  durch  die  spräche  nach  Mittel- 
deutschland und  zwar  nach  dem  osten  verwiesen. 

1  es  wäre  jedoch  ganz  gut  möglich ,  dass  alle  vier  bll.  eine  einzige 
predigt  enthalten,   welche   der  passion  folgend  über  das  kreuz  handelte. 

Erstes  Matt. 

(streife?i  1:  Tertia  pars  huius  operis  continens  poslillam  domini  Hugonis 
cardinalis;  streifen'!:  erster  teil,  nur  mit  dem  gesamttitel  bezeichnet; 
streifen  3:     Tertia  pars.) 


eder  hoch  czit  was 
mpil  als  got  hatt 
le  iuden  czu  allin  o 
dem  tempil  JNu 
oubt  stat  voller  g 
eiden   dy  lisman  se 
Ibir  czu  schandin 


komen  czu 
e  gebutin 
stirn  salden 
was  dy  gewal 
este  iuden 
hen  den  hsren 
\ü  dorüme 


AUS  POLNISCHEN  BIBLIOTHEKEN  11 


357 


n  dy.   dy  ynvurte 
n  Fnd  dorüme  d 
nde  woren  gebun 
Vü   nymant  ne 
hette  uf  gehaldi 
vallen  vnd  das 
ng  von  herodes  g 
ndir  dy  vuzse  da 
dir  vil  so  swerlich 
ngin  eyo  ytil  blut 
misbte   sich  mit  de 


n   nicht  vahen 
as  dem  hsren 
den  uf  den 
beo  ym  gink 
u  Wen  her 
gewant  das 
ebot  das  gink 
s  der  hsre  dicke 
das  her  vndir 
was.     Das 
m  kote  do  her 


[25] 


130] 


yn  vil  mit  dem  houbte  vn  wart  der 
mensche  so  yemirlich  gestalt  das 
sine  gestalt  mochte  bymel  vn  erde 
dirbarmen  dy  grozsen  velle  sach 

rückseite. 
herodis  wib      |  vn  dirbarmite  si.v 


czu  pylato  da 
nicht  hette  c 
stalt  brocht 
dir  czu  pyla 
der  Cardina 
clegelichen 
eren  weg  wi 
aller  werlde 
wa  wirt  din 
allmechtikei 
wi  mag  di 
schamde  w 
kindes  so  gr 
15    dyne  engelis 
das  man  v 
0  edeler  cza 
ir  sele  0    spi 


in 


rnoch  das  her  im 
zu  schafhn  Mit  d 
en  dy  iuden  den  IrT 
to  Petrus  da 
l  spricht  also  von 
gespotte  0  konig 
rstu  hüte  czu  schan 

0  lebindinge  \\ 
hüte  gespol  0  : :: 
t  wi  wirstu  vndir 
n  vnschult  liden  hu 
i  mag  der  vater  lid 
ozse  vn  ere  vn  mo 
cheu  dyuer  das  dy 
s  dir  machen  men 
rtir  mensche  0  si 
"il  allir  wunne  v 


vor  Worten  wurden  Der  koning  ist 
20     worden  knecht  Cot  ist  wurdin  ein 
tore  Der  hsre  ist  wurden  ein   wurm 
Der  scheppher  ist  winden  getretin 


358 


ALTDEUTSCHE  BRUCHSTÜCKE 


Zweites  blatt. 

(alle  3  streifen    vom   1  teil   des  Werkes. 
Streifens  ist  etwas  durchlöchert.) 


das  pergament   des  dritten 


be  der  sache  keyne 
ir  besagit  Czu  de 
nit  d:me  das  pyla 
ich.     Ich  wil  yn  la 
vinften  mole  mit 
lichte  dyme  schech 
iuden  vor  yn  bete 
also  ledig  wurden 
n  mole  mit  deme 
en  slug  an  der  zuht  i 
as.   das  dy  iuden  w 
pyne  vn  lizsen  yn 
m  sebinden  mole 
atus  wusch  sine  he 
n  noch  mit  syme  t 
czu  schaffin.    vn 
das  ym  dy  iuden  d 
eyser  do  nam  her 


:  en  ym  Do 
m  virden 
tus  sprach 
zsen  Czu 
deme  das 
er  dorvme 
n  das  her 

Czu   dem 
das  pylatu 
das  tet  her 
wurden  s  .  .  . 
dennoch  lebin 
mit  deme  das 
nde  vn  wolde 
ode  nichtis 
do  pylatus 
reuten  mit 
den  hsren  vli 


vurte  yn  in  ein  ding  gezesse.    das  was 
gemachet  hoch,   als  eyn  cleyne  hüs 
do  man  yn  mochte  obir  al  gesen  vn 
do  sprach  man  das  orteil  obir  dy.    di 


rückseite. 

mau  wolde  ]  toten  Do  vurte  : 

den    hsren   him  J  vn  gah  ihm  den  iu 

[25]  in  ere  gewa  I  lt  das  sy  yn  : :  :  den 

gin  Do  sti  zin  yn  alrest  dy  diu 

5    iuden  den  hsr        en.   vn  vurten  yn  in 
ut  den  placz  vn  saczten  den  IrYen 

eynen  stul   in        it  gebunden  heude 
[3üJ  der  crone.    vn       mit  dem  purpur  g 

vn  riffen  all :         z  volk  czu  ym.    vn   ve 
10    ten  do  ym  al        le  syne  wunden  vn 
mit  der  sy  yn       vol  manch  veldich 

den  gemarti  '  rt  Sy  liffen  vm  y 

[35j  sungen  vn  sp  )  rungen  alle  durch 

der  stis  den  hsr  |  en  mit  der  viist  iu  d 
lö    der  czukte  yn        by  dem  höre  das  h 

mit  dem  stül  j  e  do  her  uffe  sas  sw 
czu  der  erden       hindir  sich   vil  Do 
[40]             lange  mit  de         m  hsren  getrebin.   d 


AUS  POLNISCHEN  BIBLIOTHEKEN  359 

syrpei  ya  eynir  nach  dem  andirn  vn 
2o         sprachen  Gegrust  seistu  der  iuden  ko 

nig  vn  irre  iczlichir  gah  ym  eynen  groz 

sen  slag  an  synen  baken  Dor  noch 
19  syspei  ist  zu  entziffern  oder  spspei. 

Drittes  Matt, 
(der  1,2  und  istreifen:  Quinta  pars  huius  operis  cötines  postillam  dfli 
Hugonis  cardinalis  super  quattuor  euägelia;   streifen  3:    Quarta  pars  huius 
operis:  contines  textü  vnacü  postilla  dni  Hugonis  cardinalis.) 

als  Augustinus  hy  spricht  Der  hsre  spscht 
heten  vorlazsen  das  sprach  der  hsre  durch 
vnser  sache  wille  Czv  dem  ersten  mole 
dorumme  das  dy  czit  uymant  walde 

5    behalden  werden  von  synir  martir 
d::e  der  schecher  Czu  dem  andirn 
::e  dorume  Das  kein  mertere  ny 
alse  vorlazsen  wart  von  vnnen  vn 
vorlazsen  in  allen  trösten  als  he  Czu 

10    den  dritten  mole  dorüme  das  her  den 
noch  an  dem  crucze  nicht  mochte  gna 
de  dem  menschen  vinden  by  dem  vatir 
her  stürbe  denne  tot  Her  sach  den  va 
tir  in  der  czit  der  lihlichen  vinstirnisse 

15    von  vzsen  vn  sach  das  her  brante  vü 
allis  sin  wesen  was  ein  yuflame  T 
die  ernste  des  das  di  lüte  so  vntogent 
haftig  waren  gewesin  kegin  dem  ge 
benediten  sone.   mit  dem  nv  der  tot 

2ü  cret'ticlichin  rank  In  der  bittirkeit  des 
todis  sprach  der  hsre  mit  lutir  styme 
Mich  durstet  vn  geistlich  als  Ambro 

rückseite. 
siussen  ir  alle  rede  der  suleu  .  .  vfi 

weizage  was 

[25j      hercz    .  .  d 

h das  spricht   d  .  .  lrYen  .... 

5s..  sgen  .  .  das  spricht  dem 


die  h  : : :  höre  czu  der  erden  geriff'en 
styssen  vn  hymelich  was  mit  .  . 

]      alse  ir  smercze  in  uprspotten  .      <l;is 
0  marterer  spricht  :  :  :  Johann  .  .  in 

lo    Nv  sprechin  dy  ewn    ^eisten  :  :  :  noch 
den  warten  wart  vinstir  D:ch  :  :  en 
alse  deme  ....  wi ire 


360   ALTDEUTSCHE  BRUCHSTÜCKE  AUS  POLEN  IL 

[35]         das vlle  :  :  togenlich  deu  cz  .  .  .  den 

...  s  zu  der  :  :  :  e  czit  vn vir  vin 

15    stirn  schrey  der  hsre  mit  lutir  stymme 
min  got  myn  got  .  .  .  .  hastu  mich  vor 
lazsen  Merke  di  stimme  dy  cristus  hat 

[40]         geZazsin  an  dem  crucze  dem  grozen  smerze 
der  ersten  vnd  der  leczten  versen  mit 
20    lutir  styme  dy  andirn  sprach  der  her 

mensch  vn  sint  dem den  cze  :  .  . 

vn  andirthalphundert  versen  Merke 

Viertes  blatt. 
(alle  streifen:  Quarta  pars.) 
in  das  selbe  liden  sulle  wir  vns  wedir 
bilden  durch  sinen  willen  so  komt 
vns  das  nochvolgin  synis  lidens  czu 
eynir  reynekeit.     vn  czu  eynem  iwren 
5    gnaden  dy  mitte  lyduuge  czu  synir 
not  das  wundirn  sines  lydens  czu 
eynir  dirbebunge  des  herczen.    dy  vreu 
de  synir  martir  czu  eynem  dir  wyten 
des  herczen.     Das  czu  flizsen  in  synir 

10    martir  irvast  uns  dor  czu  das  wir 
vns  bilden  genczlich  noch  ym  Dy  rue 
vnd  das  ruen   in  synir  martir  kvmt 
vns  so  czu  das  wir  vns  ....  volbracht 
alle  andacht  sin  :  :  gnaden  Darumme 

15    sprach  Gebhardus  Ich  vmme  gee 
hymel  vn  erde  wassir  berge  vn  tal 
vn  vinde  dich  libir  lrYe  nyndirt  bas 
denne  an  dem  crucze  do  slaffestu.    do 
ruestu  do  sp  :  :  st  du  Au  dem  crucze 

20  vinden  dich  di  dich  s:chen  vn  welche 
sele  sich  hengit  czu  dir  an  das  crucze 
dy  wirt  hoch  dirhabin  von  der  erden 

rückseite. 
sy  dirstirbit  ir  selbir  vnd  allen  ge 
selten  dingen  sy  vorwirft  das  ir 
[25]         dische  vh  lernet  togent  vben  Do 

mitte  vindet  sy  an  erem  ende  di  e  :  ul 
5    des  lebingeden  hultzes  Den  vatir 

den  sun  vn  den  heiligen  geist  ....  re 
spigel  der  gotheit  Amen 

[der  rest  des  Mattes  unbeschrieben]. 


DIE  SIPPE  DES  ARMINIIS  361 


DIE  SIPPE  DES  ARMINIUS. 

Über  den  führer  der  Cherusker  und  ihrer  verbündeten  im 
ireilieitskaiupfe  gegen  die  Römer  erfahren  wir  durch  Velleius 
Paterculus  11  88,  dass  er  der  söhn  eines  cheruskischen  fürsten 
Sigimerus  gewesen  sei.  mit  diesem  haben  JGrimm  GDS  615  und 
andere  den  Segimerus,  bruder  des  Segestes,  gleichgestellt,  während 
Müllenhoff  in  seinen  späteren  arbeiten  die  beiden  auseinander- 
hält, auch  Dahn  Urgesch.  63  (vgl.  Könige  i  127)  weist  mit  recht 
darauf  hin,  dass  es  viel  weniger  auffallend  sei,  wenn  ein  bruder 
des  Segestes  und  einer  des  Inguiomerus  denselben  namen  trugen, 
als  wenn  Tacitus  verschwiegen  hätte,  dass  Segestes  der  oheim 
des  Arminius  war.  auch  dass  Segimerus,  des  Segestes  bruder, 
der  vater  des  Arminius  war,  hätte  uns  Tacitus,  wenn  es 
der  fall  gewesen  wäre,  berichten  müssen,  umsomehr  als  er 
einen  söhn  dieses  Segimerus  erwähnt,  aber  nicht  nennt;  offenbar 
könnte  er  nicht  schlechtweg  von  dem  'filius  Segimeri'  sprechen, 
wenn  noch  zwei  andere  söhne,  Arminius  und  Flavus,  da  waren. 
Strabo  überliefert  uns  s.  292  sogar  den  namen  dieses  sohnes 
des  (Sjcuyi^gog,  allerdings  in  verderbter  gestalt  als  2eoi&axog, 
woraus  man  2tyi&ayxog  hergestellt  hat;  aber  auch  Strabo  weil's 
nichts  davon ,  dass  dies  vater  und  bruder  des  '^guiviog  seien, 
so  wenig  als  er  vou  (Z)aiyioirjg  etwas  anderes  weifs,  als  dass 
er  der  vater  des  Seyi/uovvzog  und  der  Qovovelöa  ist.  man 
erwäge  auch,  wie  unwahrscheinlich  es  ist,  dass  der  vater  des 
cheruskischen  freiheitshelden  dessen  sache  verlassen  habe,  über- 
dies darf  mau  voraussetzen,  dass  er  zur  zeit  der  rachekriege 
des  Germanicus  gar  nicht  mehr  am  leben  war.  denn  anderes- 
falls  hätte  Arminius  seinen  abtrünnigen  bruder  Flavus,  als  er 
mit  ihm  über  die  Weser  hinüber  sich  unterredete,  nicht  nur 
an  seine  mutter  erinnert;  notwendig  hätte  sich  ferner  Flavus, 
wäre  der  vater  auf  römischer  seite  gestanden ,  darauf  berufen 
müssen,  da  er  sich  doch  auch  darauf  beruft,  dass  gattin  und 
sühn  des  Arminius  von  den  Römern  rücksichtsvoll  behandelt 
würden,  dass  der  Wortlaut  des  gespräches  dabei  von  Tacitus 
selbst  erfunden  ist,  kann  natürlich  nicht  bestritten  werden,  doch 
hat  er  die  worte  auf  grund  dessen,  was  ihm  von  den  t.iisai  li.n 
bekannt  war,  und  ganz  aus  dem  geiste  der  handelnden  persnnen 
Z.  F.  D.  A.     XXXV.     N.  F.    XXIII.  24 


362  DIE  SIPPE  DES  ARMINIUS 

heraus  gewählt,  wenn  sein  vater  bereits  gestorben  war,  ist  auch 
die  hervorragende  rolle ,  welche  Arminius  in  seinem  volke  spielt, 
am  besten  verständlich,  dass  Segestes  sein  oheim,  er  und  Thus- 
nelda geschwisterkinder  gewesen  seien,  ist  also  ganz  ausgeschlossen, 
wenn  auch  eine  fernere  verwaDtschaft  beider  geschlechter  zugegeben 
werden  darf,  dass  in  beiden  der  name  Segimerus  vorkommt,  ist 
gar  nicht  so  auffallend,  war  es  doch  auch  mittelst  beiuamen 
leicht  möglich,  von  haus  aus  gleichbenannte  personen  zu  unter- 
scheiden, man  denke  an  den  Theoderik  Strabo  im  gegensatze 
zum  Theoderik  Valamer. 

Es  stehn  also  auf  der  einen  seite  Segimerus  mit  zwei  söhnen, 
Arminius  und  Flavus,  und  einem  bruder  Inguiomerus;  auf  der 
anderen  ebenfalls  zwei  bruder,  Segestes  und  Segimerus.  des 
ersteren  kinder  sind  Segimundus  und  Thusnelda,  des  anderen 
söhn  *Segithancus.  aus  der  ehe  des  Arminius  mit  Thusnelda 
stammt  bekanntlich  Thumelicus,  mit  dessen  tod  die  nachkommen- 
schaft  des  Arminius  erlischt. 

Flavus  sowol  als  Segithancus  sind  mit  chattischen  fürsten- 
töchtern  vermählt;  ersterer  nach  Tacitus  mit  einer  tochter  des 
Catumerus,  der  an  anderer  stelle  Actumerus  genannt  wird; 
letzterer  nach  Strabo  mit  einer  tochter  des  Oiy.QOf.nQog  namens 
'Papig.  söhn  des  Flavus  aus  jener  ehe  ist  Italicus,  und  dessen 
söhn,  also  enkel  des  Flavus,  wahrscheinlich  XaQi6/.irjQog  bei  Dio 
Cass.  67,  5;  vgl.  JGrimm  GDS  616. 

Dass  Catumerus- Actumerus  bei  Tacitus  und  OvxQO/LiiQog 
bei  Strabo  dieselbe  person  sind  ,  wird  so  ziemlich  allgemein  an- 
genommen,  so  auch  von  JGrimm,  Müllenhoff  und  Wackernagel. 
schwierig  war  es  natürlich,  den  richtigen  nameu  festzustellen, 
und  hierin  gehen  die  ausichten  bedeutend  auseinander,  während 
er  nach  JGrimm  Actomerus,  ahd.  *  Ahtomdr  'genere  clarus',  ge- 
heifsen  haben  soll,  nennt  ihn  Wackernagel  Vacrumerus ,  Müllen- 
hoff Actumerus.  letzterer  ansatz  (Zs.  9,  246)  hat  sichtbarlich  am 
meisten  anklang  gefunden  und  man  hat  sogar,  obwol  Müllenhoff 
selbst  das  compositionsglied  Actu-  noch  nicht  für  identisch  er- 
klärt mit  unserem  substantivum  'die  acht',  mhd.  dhte,  ahte,  ahd. 
dhta,  ags.  öht  'feindliche  Verfolgung',  einem  worte,  das  vielfach 
in  namen  belegbar  ist,  eben  jenem  Actu-  zu  liebe  für  diesen 
wortstamm  eine  grundform  *a(n)ktu-  aufgestellt,  deren  n-suffix 
im  übrigen  durch  nichts  erwiesen  werden  kann. 


DIE  SIPPE  DES  ARMINIUS  363 

Man  muss  aber  doch  zugeben,  dass  es  an  und  für  sich 
nicht  wahrscheinlicher  ist,  dass  Segithancus  und  Flavus  2  töchter 
desselben  mannes  geheiratet  haben  ,  als  jeder  die  eines  anderen, 
dass  Catumerus-Actumerus  einerseits  und  Ovxgö/nigoc;  anderseits 
dieselbe  persönlichkeit  sind,  konnte  also  einzig  aus  der  identität 
ihrer  namen  geschlossen  werden. 

Actumerus  steht  bei  Tacitus  Ann.  xi  16;  im  folgenden  cap.(17) 
Catumerus;  beide  formen  haben  also  dieselbe  handschriftliche 
gewähr  für  sich,  mit  Actumerus  aber  ist  schlechterdings  nichts 
anzufangen.  nicht  wegen  des  u  der  ableitung  von  Actu-, 
denn  das  erwähnte  'acht'  ist  ja  möglicherweise  ursprünglich 
mit  tu- suffix  gebildet.  dieses  wort  kann  aber  hier  aus  dem 
gründe  nicht  vorliegen  ,  weil  zu  beginn  unserer  Zeitberechnung 
n  vor  h  noch  nicht  geschwunden  war.  dies  beweist  der  volksname 
Tencteri,  der  got.  *Teihtröz  lauten  müste,  sowie  der  burgundische 
personenname  Hanhavaldus  (Kraus  Inscr.  Christ,  nr  102)  d.  i. 
ahd.  Hdholt,  auf  den  mich  ESchröder  aufmerksam  macht,  mit 
recht  betont  auch  Noreen  Urg.  judl.  §  7,  dass  n  auch  nach 
solchem  i  schwindet,  das  verhältnismäfsig  spät  erst  aus  e  ent- 
standen ist,  woraus  sich  ergibt,  dass  sein  ausfall  erst  spät  er- 
folgt sein  kann1,  tief  in  die  zeit  nach  der  trennung  des  ger- 
manischen in  eine  reihe  besonderer  sprachen  hat  sich  noch 
nasalierung  der  vocale,  die  aus  an,  in,  un  vor  h  hervorgegangen 
waren,  erhalten  (s.  Kluge  in  Pauls  Grundr.  356),  woraus  wiederum 
auf  den  verhältnismäfsig  jungen  f Schwund  des  n  geschlossen 
werden  darf. 

Catumerus  auf  der  andern  seite  wird  durch  Catualda  bei 
Tacitus  gestützt  und  ist  genau  derselbe  name  wie  ahd.  Ha- 
dumdr.  nur  ist  in  beiden  fällen  bei  Tacitus  germ.  hapu-,  das 
regelrecht  durch  chalhu,  hathu  oder  doch  durch  chatu,  hatu  zu 
transscribieren  gewesen  wäre,  durch  das  gleichbedeutende  be- 
quemere keltische  catu  vertreten,  der  zweite  teil  beweist  daneben 
zur  genüge,  dass  der  name  nicht  wilrklich  keltisch  war.  in 
dieser  spräche  hätte  er  Katumüros,  lat.  trausscribiert  Catumarus 
gelautet    und    kymr.  Catmör   (Lih.  Land.  267)   ist    in  der  tat  be- 

1  ein  prächtiges  beispiel  eines  trugschlusses  liefert  Bremer  Zs.  .f. 
(I.  phil.  22,251  durch  die  anmerkung:  'wäre  damals  noch  nasalvocal  ge- 
sprochen worden,  so  würden  die  Römer,  die  in  ihrem  mSsa  den  nasalvocal 
durch  en  widergaben.  '  tnctumerut  geschrieben  haben'. 

24* 


364  DIE  SIPPE  DES  ARMINIUS 

legt;  s.  Glück  Die  kelt.  namen  49.  alles  spricht  also  für  Ca- 
tumerus  als  das  richtige. 

Und  aus  diesem  namen  sollte  Ovy.QOu.iQoq  verderbt  sein  ? 
aber  gesetzt  auch,  Actumerus  wäre  zu  rechtfertigen,  etwa  als  eine 
Zw-ableitung  der  germ.  wurzel  ak,  idg.  ag,  entsprechend  dem  lat. 
actus,  so  ist  doch  selbst  dann  noch  nicht  einzusehn,  wie  daraus 
Ovxqo-  entstehn  konnte,  am  sonderbarsten  wäre  es,  wie  bei 
dieser  Verderbnis  zuletzt  wider  ein  uame  von  gut  germanischem 
aussehn  herausgekommen  wäre. 

Wenn  Wackernagel  Vacru-  ansetzen  wollte,  war  dabei  nur  der 
versuch  zu  tadeln,  eine  compromissform  zwischen  Ovy.qo-  und 
Actu- herzustellen,  aber  Müllenhoffs  einwand  Zs.  9,  224,  dass 
Wackeruagel  doch  seinen  eigenen  namen  nicht  zum  zeugnis  an- 
führen krtnne,  dass  das  adj.  wacker  einmal  als  erstes  compositious- 
glied  in  namen  verwendet  wurde,  ist  nicht  mehr  am  patze,  da  es  einen 
Wacarolf  gibt,  belegt  aus  demNecr.Fuld.  a.905  beiFörstemann  DNb 
1 1224  uudals  Uuachrolf  bei  Piper  Libri  confrat.ii  179,23.  allerdings 
nicht  Vacrumerus,  wol  aber  Vacromerus,  Uakramceraz  kann  der 
Schwiegervater  des  Segithancus  geheifsen  haben,  dieser  name  ist 
ganz  unbedenklich,  und  OwQÖ(j.iQog  brauchte  eigentlich  gar  nicht 
eine  Verderbnis  desselben  zu  sein,  sondern  liefse  sich  durch  die  eigen- 
tümlichkeiten  griechischer  transscription  erklären,  man  vergleiche 
,A[j.aXaoovv&a,MaTaoovv&a,  OvllaQig,  OvliyioaXog,  OvXi&eog, 
OvlLag  beiProkop,  vor  allem  aber  BaiovQrj  'Baiern'  bei  Constantinus 
Porphyrog.  De  caerim.  aulae"  Byz.  2,  s.  598.  ov  war  eben  im 
griechischen  ein  vocal  und  seine  Verbindung  mit  einem  folgenden 
muste  unnatürlich  erscheinen,  wenn  man  einwendet,  dass  diese 
beispiele  für  die  Unterdrückung  von  folgendem  i  und  a  durch  ov 
viel  späterer  zeit  angehören,  so  ist  das  zuzugeben;  der  name  Ovhqo- 
fMQog  zeigt  aber  auch  in  seinem  zweiten  teil  den  eiufluss  eines 
abschreibers  der  byzantinischen  zeit,  dem  got.  namen  auf  -mirus 
geläufig  waren;  dass  Strabo  selbst  bereits  -[uQog  geschrieben 
habe,  ist  ja  schon  wegen  des  daneben  stehnden  (2)aiyifir]Qog 
nicht  vorauszusetzen,  einer  gütigen  mitteilung  ESchröders  danke 
ich  indessen  den  nachweis  eines  germ.  wortstammes  *ukra-,  der  sich 
zu  *uakra-  ebenso  verhält  wie  got.  dwals  zu  ahd.  toi  oder  altn. 
vatn  zu  altn.  otr.  erhalten  ist  er  im  eigennameu  Oker,  Ocher,  der 
widerholt  bei  Piper  Libri  confr.  (s.  register)  belegt  und  nicht  ver- 
schieden ist  von  Ocer,  wie  bei  Cassiodor  Var.  v  29  die  geringeren 


DIE  SIPPE  DES  ARMINIUS  365 

hss.  anstatt  Anduit  bieten ,  wobei  wir  es  offenbar  mit  nomeu  und 
agnomen  zu  tun  haben ,  zwischen  denen  die  einzelnen  hss.  eine 
auswahl  getroffen  haben,  man  vgl.  auch  die  zahlreichen  mit  iigra- 
'gewaltig'  zusammengesetzten  ai.  eigennamen.  der  Schreibung 
Ov/.QÖuiQog  bei  Strabo  kann  also  geradezu  germ.  *  Ukramceraz 
zu  gründe  liegen. 

Dafür,  dass  wir  es  mit  zwei  ChattenfUrsten,  Catumerus  und 
Ucromerus,  zu  tun  haben,  ergibt  sich  eine  weitere  stütze  noch 
von  anderer  seite.  hei  Tacitus  Ann.  u  7  geschieht  nämlich  der 
tochter  eines  Chattenfürsten  Arpus  erwähuung  und  Ann.  11  88  wird 
ein  anderer  Chattenfilrst  Gandestrius  genannt.  JGrimm  GDS  580 
bringt  diese  beiden  namen  in  gegenseitige  beziehung  und  deutet 
sie  'enterich'  und  'gänserich';  gewis  mit  recht,  germ.  *arpaz 
lebt  noch  in  dem  nnd.  mit  deminutivsuffix  versehenen  Erpel 
mit  der  nebenform  Arpel  (vgl.  JGrimm  DWb  m  937)  fort;  da 
auch  das  e  der  erstangesetzten,  gebräuchlicheren  form  aus  a  um- 
gelautet ist  (grundf'orm  ist  *Arpilo)  und  a  überdies  aus  dem 
Ortsnamen  Arpingi,  jetzt  Erpingen  bei  Dissen,  SO  von  Osna- 
brück (Fürstemann  n'  119),  bestätigung  findet,  ist  es  nicht  erlaubt, 
das  a  in  Arpus  für  eine  besondere  auflassung  des  germ.  e  vor  r 
zu  erklären,  vielmehr  gibt  es  ein  germ.  *arpaz  'anas  mas'  neben 
*erpaz  'fuscus'  (a gs.  eorp,  altn.  jarpr).  beides  sind  natürlich  nur 
verschiedene  auffassungen  derselben  wurzel  und  der  Erpel  ist 
geradeso  ursprünglich  als  der  'braune'  bezeichnet,  wie  der  'hase' 
'der  graue'  (Kluge  EWb4  132)  und  der  'bär'  und  'biber'  (Kluge 
aao.  19.  29)  widerum  'die  braunen'  sind. 

Gandestrius  zeigt  dieselbe  ableitung,  nur  in  masculiner  form, 
wie  and.  agastria  'elster'  und  ags.  hulfestre  'regenvogel';  vgl. 
noch  die  tiernamen  ags.  loppestre  'hummer',  and.  hamstra  'hamster' 
und  den  pflanzennamen  rumestra;  s.  Kluge  Nom.  stammbild.  §49. 
das  d  in  Gand-  vergleicht  sich  dem  in  ags.  gandra,  engl,  gander; 
altn.  gandr,  worin  r  dem  nominativ  zugehört,  ist  das  ganda-  ger- 
manischer namen  (vgl.  Forstemann  i  468  u*  610)  und  wird 
als  'lupus'  gedeutet  (s.  Egilsson  Lex.  poet.  221),  und  sowie  'gans' 
der  den  schnabel  aufsperrende  vogel  ist  (Kluge  EWb4),  wird 
auch  diese  andere  bedeutungsentwickelang  von  derselben  Grund- 
bedeutung des  'gähnenden'  tieres  ihren  ausgang  nehmen,  mög- 
licherweise identisch  mit  dem  allchattischcn  * gaitdestriaz  ist 
österreichisch    ganster,    gansterer,    formen    die    hier    auch    ;ds 


366  DIE  SIPPE  DES  ARMINIUS 

Familiennamen  vorkommen,  wofür  das  Wiener  adressbuch  ein  paar 
belege  enthält;  in  Wien  gibt  es  überdies  einen  Gansterertekh. 
die  widerholung  des  ableitenden  r  ist  dabei  gerade  so  zu  be- 
urteilen, wie  in  mundartlichem  Ganserer  neben  Ganser,  d.  i.  mhd. 
ganzer,  auch  im  elsässischen  begegnet  gunster  als  bezeichnuug 
des  gänserichs.  aber  leider  lässt  diese  form  so  wenig  wie  jene 
österreichische  erkennen,  ob  die  ableitung  an  eine  wurzel  gan 
oder  eine  erweiterte  gand  angetreten  ist. 

Müllenhoff  hat  Zs.  9,  225  den  beiden  namen  Arpus  und  Gan- 
destrius  den  character  von  beinamen  zugesprochen,  und  als  solche 
muss  man  sie  wol  betrachten,  denn  als  eigentliche  namen  wären 
sie  doch  zu  sonderbar,  gerade  tiernameu  sind  als  Spitznamen 
von  aufang  an  sehr  beliebt;  man  denke  nur  an  den  Goten 
BavdalÜQLog,  der  auch  Oviaavöog  hiefs  (Henning  Runendenk- 
mäler 140,  Wrede  Sprache  der  Ostg.  101)  oder  an  den  Danihel, 
der  sich  Igila  unterschreibt  (Wrede  s.  144),  ferner  an  Albrecht 
den  hären,  Heinrich  den  löwen  usw.  aus  dem  ungemein  aus- 
gibigen nordischen  material  (s.  Weinhold  Altu.  leben  280)  hebe 
ich  nur  als  besonders  einstimmend  ein  paar  vogelnamen,  nämlich 
skarfr,  krdka,  cedikollr,  orri,  hani,  rjüpa  hier  hervor,  nichts 
liegt  dann  näher,  als  Arpus  und  Gandestrius  als  beinamen  der 
Chattenlürsten  Ucromerus  und  Catumerus  zu  nehmen,  und  es 
kommt  nur  noch  in  frage,  wie  die  beiden  namenpaare  zusammen- 
gehören. 

Auch  dafür  findet  sich  ein  aufschluss.  denn  wenn  während 
der  feldzüge  des  Germanicus  nach  dem  bericht  des  Tacitus  die 
tochler  des  Chattenfürsten  Arpus  den  Römern  in  die  bände  fiel, 
so  sollte  man  erwarten,  dass  Strabo  ihrer  ebenso  erwähnung 
lue,  wie  der  anderen  edlen  gefangenen,  die  im  triumphzug  des 
Germanicus  aufgeführt  wurden;  und  wenn  er  uns  statt  der 
tochter  des  Arpus  eine  tochter  'Pafxig  des  OvxQOfxiQog  nennt, 
von  deren  gefangennähme  anderseits  Tacitus,  der  die  feldzüge 
des  Germanicus  beschreibt,  nichts  berichtet,  so  ist  damit  die 
identität  des  Arpus  und  Ucromerus  erwiesen. 
Gandestrius  ist  dann  notwendig  derselbe  wie  Catu- 
merus. beide  könige  werden  als  brüder  oder  vettern  gelten 
dürfen. 

Wenn  die  tochter  des  Oungö/nigog  Ta/uig  bei  Strabo  mit 
Segithancus  vermählt  ist,   so  erfolgte  diese   Verbindung  sichtbar- 


DIE  SIPPE  DES  ARMINIUS  367 

lieh  in  der  römischen  gefaugenschaft,  die  beide  zusammen- 
geführt hatte,  die  aber  bei  Segithancus,  dem  man  verzieh 
(s.  Tacitus  Ann.  i  71),  kaum  diesen  namen  verdient,  abgesehen 
davon,  dass  er  später  den  triumph  des  Germanicus  mit  verher- 
lichen  muste. 

Nach  Tacitus  Ann.  n  S8  hätte  man  im  römischen  senat  (im 
jähre  19  n.Chr.)  einen  brief  des  Chattenfürsten  Gandestrius,  worin 
dieser  des  Arminius  tod  versprach,  wenn  mau  ihm  zur  ausführung 
des  mordes  gift  schicken  wolle,  abschlägig  beantwortet,  dass 
dieser  brief  eine  fälschung  war,  liegt  auf  der  hand,  da  es  den 
Germanen  an  giften  nicht  fehlte  (vgl.  Dahn  Urgesch.  u  104)  und 
Gandestrius  überdies,  wenn  er  einen  meuchelmord  plante,  dies 
möglichst  heimlich  getan  haben  wird,  ja  gerade  wegen  der  Ver- 
lesung dieses  angeblichen  briefes  im  senat  könnte  der  verdacht 
aufkommen,  dass  die  römische  politik  bei  dem  mordplane  mit 
im  spiele  war  und  dass  Tiberius  in  schlauer  berechnung  zu 
gleicher  zeit  die  komödie  mit  dem  briefe  inscenierte,  um  sich 
vor  der  weit  den  anschein  der  Unschuld  zu  geben,  tatsächlich 
fiel  Arminius  im  selben  jähre,  wie  Tacitus  in  unmittelbarem  an- 
schlusse  an  das  besprochene  erzählt,  durch  die  tücke  seiner  ver- 
kanten, wer  dabei  gemeint  ist,  könnte  von  vornherein  zweifel- 
haft erscheinen,  feindselig  standen  ihm  ja  sein  tapferer,  aber 
unbedachter  und  eitler  oheim  luguiomerus,  sein  Schwiegervater 
Segestes  und  sein  bruder  Flavus  gegenüber,  bedenkt  man  aber, 
dass  letzterer  der  Schwiegersohn  des  Catumerus- Gandestrius  ist 
und  dass  dieser  bei  der  ermordung  des  Arminius  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  beteiligt  war  —  sonst  wäre  ja  die  geschichte 
mit  dem  brief  gar  zu  schlecht  erfunden  — ,  so  kommt  man  zu 
dem  Schlüsse,  dass  von  dem  anhang  des  römisch  gesinnten 
bruders  Flavus  der  anschlag  ausgieng,  und  umsomehr  wird  der 
verdacht  rege,  dass  auch  die  Römer  selbst  dabei  nicht  ohne 
schuld  sein  mochten. 

Zu  den  namen,  soweit  sie  nicht  schon  behandelt  sind,  ist 
noch  einiges  zu  bemerken;  vor  allem  zu  dem  der  Thusnelda. 
'thursenkämpferin',  wie  JGrimm  wollte,  kann  er  natürlich  nicht 
bedeuten;  er  würde  sonst  bei  Strabo  QovQioxrtöig  oder  ähn- 
lich lauten  müssen,  vielmehr  ist  sein  erstes  compositionsglied 
deutlich  germ.  püs,  dasselbe  wort,  das  in  unserem  'tausend', 
Ihüs-chunde   in  der  Lex  salica,    vorliegt    (vgl.  zu    diesem  Bugge 


368  DIE  SIPPE  DES  ARMIN1US 

Beitr.  13,  327,  Kluge  in  Pauls  Grundriss  i  406)  und  'kraft'  be- 
deutet, sofern  wir  germ.  Püs-neldö  ansetzen,  ist  für  den  zweiten 
compositiousteil  allerdings  nicht  leicht  eine  erklärung  zur  hand. 
da  innerhalb  verschiedener  germanischer  sprachen  die  Verbindung 
dl  gerne  umgestellt  wird  (s.  Sievers  Beitr.  5,  528.  529),  wie  bei- 
spielsweise in  altn.  bilda  neben  ahd.  bihal  (aus  *bipl),  ags.  hold 
neben  botl,  ahn.säld  'sieb'  (aus  sädl,  Bugge  Zs.  f.  vgl.  spr.  20, 139  f), 
ahd.  ndlda,  mhd.  ndlde,  anld.  naald  neben  nddala,  nddel,  so  liefse 
sich  vielleicht  für  neldö  eine  grundform  nedlö  ansetzen  und  aus 
der  germ.  würzet  neß,  ncep  in  got.  nißan  'unterstützen'  und  in 
'gnade',  ahd.  gindda,  as.  gindtha,  ndtha,  an.  ndd  erklären, 
ein  germ.  *  nedlö,  'Unterstützung,  hilfe,  gnade'  würde  sich 
in  form  und  bedeutung  abstractbildungen  mit  /o-ableitung  bei 
Kluge  §  156.157  an  die  seite  stellen;  aber  auch  eine  adjectiv- 
bildung  mit  demselben  suffix  (Kluge  §  188),  germ.  *nedlaz, 
wäre  möglich.  ein  wort,  sei  es  nun  mit  dem  sinne  'hilfe, 
gnade'  oder  'hilfreich,  gnädig',  würde  sich  zur  Verwendung  als 
frauenname  gewis  eignen,  weit  besser  aber  als  ein  solcher  aus- 
weg  empfiehlt  es  sich,  den  namen  &OY2NEAJA  bei  Strabo, 
dem  einzigen,  der  ihn  —  und  auch  nur  an  einer  stelle  —  über- 
liefert, für  einen  Schreibfehler  anstatt  00 YSNEAslA  zu  nehmen 
und  demgemäfs  als  *Püs-snellö  die  'kraftkühne,  vielkühne'  zu 
verstehn. 

Thumelicus  wird  noch  immer  von  manchen,  so  abgeschmackt 
diese  deutung  ist,  aus  lat.  thymelicus,  gr.  &v/nelix6g  'Schauspieler' 
erklärt,  um  einigermafsen  zu  rechtfertigen,  warum  dann  Strabo 
nicht  Ov^slr/.ög  schrieb,  müste  man  wenigstens  ein  lat.  thume- 
lkus nachweisen  können,  das  er  in  dieser  gestalt  nicht  als  lehn- 
wort  aus  dem  griechischen  erkannt  hätte,  vor  allem  aber  war 
Thumelicus,  als  er  im  triumphzuge  aufgeführt  wurde  (im  jähre  17 
nach  Chr.),  erst  3  jähre  alt  (zQierrjg)  und  zur  zeit,  als  Strabo 
seinen  namen  niederschrieb,  höchstens  5,  da  Arminius,  der  im 
jähre  19  fiel,  damals  noch  am  leben  war;  vgl.  die  stelle:  . .  .'Ag- 
utviov  xov  TVohe/xctQxtjoavTog  iv  xolg  XrjQOvoxoig  ev  rf]  ngng 
Ovccqov  KovtvrilXiov  nagaaTtovörjasL  xal  vvv  exi  ovve%ovrog 
tov  nölefxov.  allerdings  scheint  der  name  Thumelicus  durch  ähn- 
liche Wortbildungen  wie  Thymelicus  beeinflusst  zu  sein,  so  zwar 
dass  er  statt  als  zusammengesetzt  als  abgeleitet  empfunden  wurde; 
ähnlich  erklärt  sich  Vindelici  neben  OvtvdoXixoL    mit  dem  namen 


DIE  SIPPE  DES  ARMINIUS  369 

Thusnelda  ist  Tkumelicus  durch  Stabreim  verbunden,  ja  sogar  noch 
durch  eine  innigere  beziehung;  denn  sein  erstes  glied  ist  wol 
als  germ.  *püma-  anzusetzen  und  steht  dann  zu  jenem  *püs  im 
selben  Verhältnis,  wie  germ.  *rüma-  zu  lat.  ri7s,  rüris.  erhalten 
ist  das  adj.  *pümaz  in  seiner  consonantischen  form  in  'daumen', 
das  ist  'der  starke';  man  vgl.  av.  tüma  'stark'  und  anderes  bei 
Kluge  EWb1  51.  dieses  tuma  findet  sich  auch  in  namen,  wie 
av.  Thftmdcpa,  skyth.  Tov/jßayog,  s.  Fick  Die  griech.  Personen- 
namen cxxiv.  -lc/.og  ist  am  ehesten  das  got.  leik  n.  'leib,  leich- 
nam',  Thumelicus  also  etwa  'kraftgestalt'.  ebenso  dürfte  Müllen- 
hoff  das  zweite  compositionsglied  dieses  namens  aufgefasst  haben, 
wenn  er  Zs.  7,  527  Thumelicus  schreibt,  vgl.  Forstemann  Germ. 
23,  189,  wo  beispiele  für  -lik  in  personennamen  gesammelt  sind; 
bei  Förstemaun  i  844  steht  auch  eine  Lichardis.  was  sonst  über 
Thumelicus  gesagt  worden  ist,  bedarf  keiner  Widerlegung. 

Zu  den  namen  Segimerus,  *Segithancus,  Inguiomerus,  Chario- 
merus  ist  nichts  neues  zu  bemerken,  über  Segestes  s.  Müllenhoff 
Zs.  23,  173,  wo  der  name  mit  adjectivischen  bildungen  wie  lat. 
funestus,  scelestus  zusammengestellt  und  als  'der  siegreiche'  ge- 
deutet wird,  derselbe  adjectivstamm  ist  über  das  germanische 
hinaus  verbreitet;  vgl.  die  Ortsnamen  Segeste  (stadt  der  Carni), 
Segesta  (römischer  name  der  alten  Stadt  *A*.£oTr\  auf  der  nord- 
küste  Siciliens  und  name  einer  Stadt  in  Ligurien)  und  ähn- 
liche, ein  alts.  ortsname  Sigusti,  jetzt  Segeste  S.  v.  Hildes- 
heim, steht  bei  Förstemann  n2  1321.  bei  Strabo  enthalten  die 
handschriften  alyeoTrjg  und  aiyi(xrtQov(g) ;  beide  male  aber 
endigt  das  vorausgehende  wort  auf  g,  sodass  der  anlaut  des  fol- 
genden sichtbarlich  erst  später  abgefallen  ist.  beachtenswert 
aber  ist  ai  als  Vertretung  des  germanischen  e,  das  sich  noch  ein 
par  mal  in  den  griechischen  quellen  widerholt,  so  bekanntlich 
in  XctiQovoxoL  und  in  Ailovaiwveg  bei  Ptolemaeus,  ferner  in 
rai(o)ßö/uaQog  bei  Dio  Cassius  77,  20,  d.  i.  got.  Gibamers,  ahd. 
Gebomar  (Kossinna  Zs.  29,  268),  und  in  FaXatyia,  dem  namen 
einer  der  städte  in  Grolsgermanien  bei  Ptolemaeus,  d.i.  germ. 
*  Galegm  n.  Mager',  vielleicht  sogar  *Galegrki  n.,  also  dasselbe 
wie  got.  galigri,  mhd.  geligere,  da  dieses  wort  infolge  der  Schwierig- 
keit seiner  ausspräche  für  die  Römer  leicht  entstellt  werden 
konnte. 

Der   irauenname   lPa(xig    gehört    wol    zu    altn.  ramr   'stark, 


370  DIE  SIPPE  DES  ARMIN1US 

kräftig',     ob  er  als  germanisch   *  Ramiz  oder  *Rami  anzusetzen 
ist,  bleibt  unentschieden. 

Im  namen  des  führers  der  Cherusker  in  ihrem  freiheitskampfe 
hat  man  neuerdings  ziemlich  allgemein  den  der  römischen  gens 
Arminia  zu  erkennen  geglaubt,  den  er  durch  adoption  zugleich 
mit  dem  titel  eines  eques  Romanus  erhalten  habe:  eine  an- 
sieht, der  indes  Hübner  Rom.  herschaft  in  Westeuropa  153  ff 
aufs  entschiedenste  widerspricht,  aber  wenn  Arminius  auch, 
wie  dieser  gelehrte  versichert,  nicht  der  geschlechts -,  sondern 
der  beiname  des  Cheruskerfürsten  war,  so  braucht  er  deshalb 
noch  nicht  germanisch  zu  sein,  vielmehr  ist,  da  mit  ihm  auf 
deutscher  seite  nichts  rechtes  anzufangen  ist,  auf  römischer  aber 
ein  name  Arminius  zur  Verfügung  steht,  sein  fremder  Ursprung 
kaum  zu  bezweifeln,  auch  der  Hermundurenkönig  Vibilius  und 
der  Quadenkönig  Gabinius  fuhren  meines  erachtens  lateinische 
namen.  wie  der  germanische  held  in  der  spräche  seines  eigenen 
Volkes  hiefs,  entzieht  sich  unserer  sicheren  kenntnis.  seines 
vaters  Segimerus  wegen  ist  es  jedoch  einigermalsen  wahrschein- 
lich, dass  auch  sein  name  Segi-  als  erstes  compositionsglied 
enthielt,  man  wird  darum  mit  LSchmidt  Germ.  23,  346  die  mög- 
lichkeit,  dass  derselbe  Sigfrid  (cherusk.  *  Segifrepuz)  gewesen 
sei,  zugeben  müssen,  und  ebenso  die  möglichkeit  seiner  identität 
mit  dem  Sigfrid  der  Nibelungensage,  es  ist  indessen  nicht  zu 
bestreiten,  dass  Sigfrid  auch  ein  rein  mythischer  name  sein 
kann,  und  auch  sonst  wüste  ich  keinen  zug  der  Sigfridsage, 
der  nicht  aus  dem  mythus  oder  aus  jüngeren  historischen  be- 
ziehungen  seine  erklärung  fände,  es  sei  denn  etwa  der  um- 
stand, dass  Hagen,  der  mörder  Sigfrids,  ebenso  wie  Flavus,  der 
feindliche  bruder  des  Arminius,  der  vielleicht  dessen  tod  ver- 
schuldete, durch  eine  Verwundung  das  eine  äuge  eingebüfst 
hat;  allein  es  fragt  sich,  ob  die  einäugigkeit  Hagens  ein  älterer 
sagenzug  ist;  s.  Heiuzel  Walthersage  24.  es  liefse  sich  übrigens 
denken,  dass  durch  die  Verbindung  der  sage  von  Arminius  mit 
dem  mythus  eines  sommer-  und  tagesgottes,  zu  der  allgemeine 
ähnlichkeiten  anlass  geben  konnten,  der  historische  hintergrund 
der  ersteren  mehr  und  mehr  verdunkelt  worden  sei.  dazu 
könnte  auch  der  umstand  beigetragen  haben,  dass  es  sich  um 
Verhältnisse  handelt,  für  die  später  jedes  Verständnis  abhanden 
gekommen  sein  muss. 


DIE  SIPPE  DES  ARMINIÜS  371 

Gewis  haben  die  ereignisse,  bei  deuen  Arminius  eine  rolle 
spielt,  seine  erfolge,  seine  heldengröfse  und  sein  tragisches 
ende  einen  mächtigen  eindruck  in  der  ganzen  germanischen  weit 
hinterlassen,  und  es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  dass  die  lieder,  in 
denen  zur  zeit  des  Tacitus  der  befreier  Deutschlands  gefeiert 
wurde,  mit  seinem  namen  die  Vorstellung  höchsten  heldeutumes 
und  heldenruhmes  verbanden,  dass  dieser  name  trotzdem  ganz 
vergessen  worden  sei,  ist  nicht  so  wahrscheinlich,  als  dass  er 
auf  die  Umbildung  eines  gottes  übertragen  in  einer  sage  von 
wesentlich  mythischem  gehalt  fortlebt,  immer  noch  als  der  eines 
beiden,  in  dem  Deutsche  und  Nordleute  das  urbild  und  die 
edelste  Verkörperung  ihrer  nationalen  eigenart  erblickten. 
Wien,  Weihnachten   1890.  RUDOLF  MUCH. 

In  dem  mittlerweile  erschienenen  hefte  der  Beiträge  (15,506) 
hat  auch  Streitberg  die  Vermutung  ausgesprochen ,  dass  in 
Qovavelöa  derselbe  stamm  püs  vorliege  wie  in  got.  püsundi. 
diesen  sucht  er  aber  auch  im  namen  Qovf.iiliy.og,  in  welchem 
zunächst  gerade  wie  in  got.  pamma,  imma  gegenüber  ai.  tasmäd, 
asmüd  eine  form  mit  doppel-m  sich  ergebeu  habe,  deren  Ver- 
einfachung dann  durch  die  voranstehende  länge  bewürkt  worden 
sei.  wenn  aher  im  namen  der  mutter  ein  erstes  compositions- 
glied  püs  vorlag,  so  hätte  sich  im  anschluss  daran  gewis  auch 
in  den»  ihres  kindes  dieselbe  form  des  Wortes  erhalten,  die  mög- 
lichkeit  einer  gleichbedeutenden  form  />ü  neben  püs  wird  mau 
indes  nicht  bestreiten  können,  nur  wird  man  sie  dann  in  beiden 
namen  in  anschlag  bringen  müssen,  ohnedies  konnte  * Püssnellö 
leicht  nicht  nur  in  der  transscription  zu  *Thusnella,  sundern 
auch  in  germanischem  munde  schon  zu  *  Püsnellö  vereinfacht 
werden,  ebenso  wie  *  l'üs-snellö  und  *  Püma-likaz  ist  also  auch 
*  Püsnellö  und  *  Pü-melikaz  zu  erwägen,  *  melikaz  wäre  eine 
bildung  wie  ahd.  altih,  got.  ibuks  uam.  bei  Kluge  Nom.  stamm- 
bild.  §  212.  213  und  wesentlich  dasselbe  wort  wie  der  name 
Miluh,  Miloh  bei  Förstemann  i  930 )  man  vgl.  auch  den  namen 
des  Sugambers  Meto,  Mtluov  und  die  wurzel  mel,  von  der  das 
adj.  mild  abgeleitet  ist. 

Groningen,  im  juli  1891.  RUDOLF  MUCH. 


372  JUPITER  TANARUS 

JUPITER  TANARUS. 

Eine  zu  Chester  in  England  gefundene  inschrift  (CIL  vn  168) 
aus  dem  jähre  154  n.  Chr.  enthält  die  widmung  J(ovi)  O(ptimo) 
M(aximo)  Tauaro.  Holtzmann,  dem  dieser  denkstein  aus  Orelli 
(nr  2054)  bekannt  war,  hat  natürlich  nicht  unterlassen,  zur  stütze 
seiner  theorie  von  der  einheit  der  Kelten  und  Germanen  den 
Tartarus  als  den  germanischen  Thunar  zu  erklären;  s.  Kelten 
und  Germanen  83.  in  seinem  sinne  gehören  beide  namen  gewis 
nicht  zusammen,  doch  lä'sst  sich  leicht  zeigen,  dass  sie  derselben 
quelle  entspringeu. 

Unser  Donner  sammt  den  verschiedenen  anderen  germani- 
schen formen  dieses  Wortes  weist  auf  ein  urgermanisches  *  Pu- 
naraz  zurück,  das  zu  ags.  ßunian  'donnern',  weiter  zu  lat. 
tonare,  zur  skr.  wurzel  tan  Maut  tönen,  rauschen'  und  griech. 
zovog  'sehne,  seil,  Spannung,  ton,  accent'  gestellt  wird;  s.  Kluge 
EWb4  56.  in  lat.  tonitrus  liegt  sogar  dieselbe  bedeutung  wie  in 
Bonner  vor.  die  idg.  wurzel  ten  scheint  übrigens  ursprünglich 
'spannen',  'ausdehnen' bedeutet  zu  haben;  s.  Kluge  unter  dünn, 
dehnen  und  dohne.  wenn  nun  unserem  dünn  altir. tan-a,  com.  tanow, 
bret.  tanav  gegenübersteht  und  überhaupt  aus  idg. n  vor  sonanten  im 
an  hervorgeht  (s.  Brugmann  Grundr.  i  193.  204),  gerade  wie  im 
Keltischen  germanischen  un,  so  ist  kelt.  *Tanaros,  latinisiert  Ta- 
narus,  genaueste  entsprechung  zu  germ.  *Punaraz.  auch  der  fluss 
Tanaro  in  Italien,  Tanarus  bei  Plinius  WH  m  16(20)  wird,  ob- 
wol  nur  an  seiner  mündung  in  den  Po  Gailier,  oberhalb  Ligurer 
safsen,  einen  keltischen  namen  tragen,  der  ihn  als  den  'rauschen- 
den' bezeichnet,  ursprünglich  war  das  wort  *tanaros,  *ßunaraz 
indes  kaum  ein  o- stamm,  wird  vielmehr  so  zu  beurteilen  sein, 
wie  ahd.  wazzar,  ütar,  tenar,  denen  griech.  vSwq,  ov$<xq,  d-evaq 
gegenüber  stehen,  und  dann  ist  wol  auch  lat.  tenor  'ton',  sofern 
dies  nicht  etwa  ein  s-stamm  ist,  was  sich  schwer  entscheiden  lässt, 
unmittelbar  mit  donner  zusammenzustellen;  lat.  en  ist  regelrechte 
entsprechung  zu  kelt.  an,  germ.  un,  idg.  n;  s.  Brugmann  Grundr. 
i  193.  201.  202. 

Dass  es  einen  mit  dem  namen  des  germanischen  Punaraz 
übereinkommenden  beinameu  des  keltischen  donnergottes  gibi, 
ist  ein  neuer  beleg  für  die  enge  verwantschaft  der  keltischen 
und  germanischen  götterlehre.    gemeinsam  ist  beiden  Völkern  auch 


JUPITER  TANARUS  373 

die  Vorstellung  von  einem  besonderen  donnergotte,  während 
bei  den  Griechen  und  Italern  der  blitz  aus  der  hand  des  bimmels- 
gottes  Zeus -Jupiter  kommt. 

Dass  bei  den  Germanen  der  alte  himmelsgott  Tius  (germ. 
*  Tiuaz)  durch  den  windgott  Wodan  von  seinem  herscherthron  im 
gotterstaate  verdrängt  wurde,  ist  eine  durch  Müllenhoff  längst  sicher 
gestellte  tatsache;  vgl.  Schmidts  Ztschr.  f.  gesch.  8,  241  ff,  Zs. 
18,  251.  23,  8.  auch  bei  den  Kelten  wird  'Mercurius'  nicht  von 
anfang  an  oberster  gott  gewesen  sein. 

Die  Übereinstimmung  geht  aber  uoch  weiter,  denn  gerade 
wie  bei  den  Germanen  Tius  wesentlich  auf  seine  kriegerische 
lunction  eingeschränkt  wurde,  so  ist  auch  bei  den  Kelten  aus 
dem  himmelsgott  ihr  kriegsgott  geworden,  dies  beweist  der  auf 
Inschriften  häufig  genannte  gallische  und  britische  Mars  Loucetius 
oder  Leucetius,  der  gerade  wie  Tius- Zeus -Dyäus  schon  seinem 
namen  nach  ein  gott  des  lichtes  ist.  dieser  name  ist  überdies, 
worauf  besonderes  gewicht  zu  legen  ist,  ganz  derselbe  wie  der 
des  oskisch- römischen  Loucetius  Lücetius,  di.  Diespiter  (s.  über 
diesen  Preller  Rom.  myth.3  i  188,  1).  grundform  desselben  ist 
*Leuketips,  deren  eu  sich  im  keltischen  teilweise  noch  erhalten 
hat ,  weil  hier  der  wandel  dieses  diphthongs  zu  ou  noch  nicht 
völlig  durchgeführt  ist  (s.  Rrugmann  Grundr.  i  57  ;  Zeuss-Ebel 
34  f),  während  dies  im  Italischen  der  fall  ist,  wo  dann  ou 
weiter  zu  lat.  (7  wurde  (Brugmaun  i  76). 

Vielleicht  hat  gerade  die  Vorstellung  von  einem  besonderen 
donoergotte  zu  der  Umwälzung  im  keltischen  und  im  germani- 
schen gotterstaate  mit  anstofs  gegeben,  sofern  dadurch  die  be- 
deutuog  des  himmelsgottes  herabgesetzt  und  es  dann  leichter 
möglich  wurde,  dass  eine  andere,  ursprünglich  untergeordnete 
gestalt  ihm  den  rang  ablief. 

Jedesfalls  haben  in  allen  hauptsachen  die  germanische  und 
die  keltische  religionsentwicklung  schritt  gehalten,  doch  scheint 
die  Übereinstimmimg  noch  weiter  zu  reichen,  denn  Herodot  be- 
richtet uns  \7  von  den  Thrakern:    &eoig  de  oißovrai  (.wvvovg 

TOVQÖ6,    ^Q6CC     /Ml     JtÖwOOV     7.CU    ^QTBfXLV'     OL     Öh     jiaOl/^£g 

avxiiov,  TtaghB,  tiov  a'/J.tov  icokiyziiov,  oißovTccicEQui]v  [.ia'/.ioia 
■freiuv  y.a.1  o[ivvovoi  [.lolvov  zovtov  xal  Xiyovoc  yeyovevai  arco 
cEQ[xiio  ewvTovg.  dass  nach  dieser  mitteilung  der  Hejrmesdienst 
nur   die    religion    der   thrakischen  könige   ist  im  gegeusat/.e  zum 


374  JUPITER  TANARÜS 

übrigen  volke,  verdient  besondere  beachtung,  weil  auch  dem 
Odinn  vor  allem  die  adeligen  anhiengen,  wie  am  deutlichsten  aus 
dem  Härbardsljöd  hervorgeht,  schon  als  culturgott  hatte  Wodan- 
Odinn  für  die  höchsten  stände  des  volkes  am  meisten  bedeutung, 
und  ein  solcher  wird  auch  der  Hermes  bei  den  Thrakern  ge- 
wesen sein,  die  religiöse  Sonderstellung  ihrer  herschenden  ge- 
schlechter könnte  allerdings  auch  auf  den  gedanken  führen,  dass 
diese  keltischen  oder  germanischen  Ursprunges  seien;  doch  wird 
dies  niemand  annehmen  wollen,  so  lange  eine  andere  und  ein- 
fachere erklärung  der  tatsachen   möglich  ist. 

An  der  spitze  der  vom  volke  verehrten  gottheiten  der  Thraker 
nennt  uns  Herodot  den  Ares,  dessen  besonderes  ansehen  in 
Thrakien  noch  dadurch  bestätigt  wird,  dass  dieses  land  den 
Griechen  als  seine  heimat  und  sein  liebster  aufenthalt  galt 
(s.  Preller  Griech.  myth.3 1  263)  und  zwar  schon  zur  zeit  Homers 
(s.  Dias  xiii  301 ,  Odyssee  vm  361).  ob  der  thrakische  Ares 
derselbe  ist  wie  der  griechische,  kommt  indessen  noch  in  frage. 
vielleicht  haben  wir  es,  wie  bei  Kelten  und  Germanen,  so  auch 
hier  mit  dem  alten ,  den  himmel  beherschenden  allgott  zu  tun, 
welcher  der  hauptsache  nach  kriegsgott  geworden  war.  notwendig 
musten  ihn  dann  die  Griecheu  mit  ihrem  Ares  identißcieren,  ge- 
rade wie  Mars  die  interpretatio  Romana  für  den  keltischen  Leu- 
cetius  und  germanischen  Tius  ist;  und  sie  musten  weiter  zu  der 
Vorstellung  gelangen ,  dass  Ares  unter  den  Thrakern  einer  be- 
sonderen Verehrung  sich  erfreue,  denn  dem  thrakischen  kriegs- 
gott war  von  seiner  alten  machtstellung  gewis  noch  so  viel 
geblieben,  dass  er  den  griechischen  Ares  au  bedeutung  und  an- 
sehen weitaus  überragte. 

Wien,  10  hornung  1891.  RUDOLF  MUCH. 


REQUALIVAHANÜS. 

Nachdem  der  Hercules  Magusanus  durch  Kauffmann  in  über- 
zeugender weise  als  ein  germanischer  Maguso  gedeutet  ist,  wird 
man  auch  zu  dem  dativ  deo  Requalivahano  einer  im  regierungs- 
bezirk  Köln  gefundenen,  von  Zangemeister  Ronner  jahrb.  81,  78 ff 
veröffentlichten  inschrift  eiuen  nominativ  Requalivaho  ansetzen 
dürfen.  Requolivaho  oder  Requolivacho  würde  der  name  in  literari- 
scher Überlieferung  lauten,    ihn  zu  deuten  hat  bereits  Holthausen 


REQüALIVAHANUS  375 

aao.  81  f  versucht  und,  was  den  ersten  teil  betrifft,  den  er  mit 
got.  riqis,  altn.  rekkr,  griech.  s-geßog,  sanskr.  rdjas  zusammen- 
stellt, jedesfalls  das  richtige  getroffen,  nur  wird  vielleicht  nicht 
unmittelbar  an  dieses  Substantiv  anzuknüpfen  sein;  denn  wenn 
würklich ,  wie  Noreen  Urgerm.  judl.  93  will,  germ.  *erpaz,  ahd. 
erp,  isl.  -jarpr  'dunkel,  braun'  mit  riqis  verwant  ist,  darf  man 
für  dieses  adjectivum  eine  nebenform  *rekuaz  aufstellen,  auf 
die  sich  dann  Requa-  zurückführen  liefse,  sodass  wir  es  hier 
nicht  notwendig  mit  einem  fall  von  Unterdrückung  des  suffixalen  s 
in  der  Zusammensetzung  zu  tun  haben,  ob  dies  oder  jenes  das 
richtige  ist,  kann  übrigens  am  sinne  des  namens  wenig  ändern, 
für  den  zweiten  teil  konnte  von  den  beiden  müglichkeiten ,  die 
Holthausen  erwogen  hat,  von  anfang  an  diejenige,  dass  liva  ein 
germanischer  nominativ  und  -h-ano  lateinisches  anhängsei  sei, 
nicht  ernstlich  in  betracbt  kommen;  wol  aber  die  zweite,  dass 
in  livah-  ein  germanisches  wort,  das  got.  leibahs  hiefse,  eine  ab- 
leitung  von  lif,  Üb  'leben'  vorliege,  dieser  erklärung  steht  die 
auffassung  der  endung  -ano  als  latinisierung  des  ausganges  eines 
germ.  »-Stammes  nicht  im  geringsten  im  wege,  und  was  die 
Zusammenstellung  des  -ah-  mit  der  ableitung  in  got.  -barnahs, 
stainahs,  waurdahs  betrifft,  ist  sie  auch  ohne  weiteres  zu  bil- 
ligen ;  nicht  aber  die  deutuug  der  wurzel  selbst,  ein  yöltername 
des  sinnes  'der  im  dunkel  lebendige'  wird  niemandem  ansprechend 
erscheinen,  und  als  der  'ein  leben  in  der  finsternis  führende', 
was  noch  eher  annehmbar  wäre,  lässt  sich  Requalivahanus  schon 
nicht  wol  versteht),  da  das  suffix  -qo-,  germ.  -ha-,  -ga-,  nicht 
nomina  agentis  bildet,  dabei  wird  überdies  das  v  der  inschrift  als 
widergabe  von  germ.  b  aufgefasst,  was  gewis  nicht  unbedingt  ab- 
zuweisen ist;  aber  besser  ist  es  doch,  wenn  wir  mit  einer  er- 
klärung auskommen,  die  v  als  transcription  von  germ.  u  gelten 
lässt.  eine  solche  ist  aus  dem  erhaltenen  germanischen  sprach» 
gut  freilich  nicht  möglich,  wol  aber  wenn  wir  auch  die  ver- 
wauten  sprachen  zum  vergleich  herbeiziehen,  in  diesem  falle 
kommen  lat.  liveo ,  lividus,  livor;  kymr. /w,  llho  'coior',  ir.  U 
'color,  splendor',  gall.  Llvius,  Llvo,  kymr.  Gwynlllw  in  betracbt; 
rgl.  Glücfe  Die  kelt.  aarnen  bei  Caesar  47.  zumal  aber  der  letzt- 
erwähnte eigenname,  der  -allisch  *  Uindolnws  (Yindoliviis)  lauten 
würde,  da  gall.  uindo-,  kymr.  gwyn  'albus,  candidus1  bedeutet, 
also  gerade    das  gegenteil  von   germ.  rekua-,    haben   wir  liier  ein 


376  REQUALIVAHANUS 

genaues  gegenslück  zum  Requalivahanus  vor  uds,  sofern  wir  von 
der  ableitung  absehn,  aber  auch  für  diese  findet  sich  leicht  eine 
erklärung.  denn  wenn  in  *liua-  im  germanischen  der  sinn  'färbe' 
lag,  war  eine  ableitung  mit  dem  suffix  -ha-,  -ga-  im  sinne  von 
'farbig'  ganz  am  platze;  ja  auch  wenn  *lluaz  selbst  schon  'farbig' 
bedeutete,  war  eine  nebenform  *liuahaz,  *liuagaz  ebensogut 
möglich  als  ags.  haswig,  salwig  neben  völlig  gleichbedeutendem 
haso,  salo.  man  vgl.  die  zahlreichen  derartigen  Weiterbildungen 
von  adjectiven  bei  Kluge  Nom.  stammbild.  §  205. 

Requalivahanus,  germ.  Rekualliiahö ,  ist  also  'der  dunkel- 
farbige', ein  unterweltgott,  wie  Holthausen  meinte,  kann  er 
deshalb  immer  noch  sein.  wenn  dieser  gelehrte  aber  fragt, 
ob  wir  darunter  wol  Wodan  als  todesgott  verstehn  dürfen ,  ist 
das  zu  verneinen,  einen  Wodan  als  todes-  oder  unterweltgott 
hat  es  niemals  gegeben,  und  als  seelenführenden  windgott  sich 
ihn  schwarz  vorzustellen ,  lag  kein  grund  vor.  ich  möchte  schon 
—  lieber  auch  als  an  Surtr  —  an  einen  würklichen  germanischen 
Pluto  denken  und  hoffe  diesen,  den  die  Nordleute  zu  ende  der 
heidnischen  zeit  allerdings  schon  vergessen  hatten ,  auch  noch 
einmal  nachweisen  zu  können.  Rekualmahö  ist  ein  passendes 
epitheton  für  einen  gemahl  der  schwarzen  oder  halb  schwarzen 
Hei ;  vgl.  JGrimm  myth.3  289.  auch  Pluto  führt  den  beinamen 
2/.Ötioq;  s.  Preller  Gr.  myth.2  1,  656. 

Wien,  im  märz  1891.  RUDOLF  MUCH. 


EXCURS  ÜBER  DIE  GOTISCHEN  ADJECTIVA  AUF  -AHS. 

Hr  dr  Much  hat  mir  freundlich  gestattet,  an  seine  aus- 
führungen  einen  hinweis  anzuschliefsen ,  der  der  Holthausenschen 
etymologie  des  zweiten  teils  von  Requalivahanus  den  boden  ent- 
zieht, —  ohne  freilich  der  neu  vorgetragenen  eine  eigentliche 
stütze  zu  bieten. 

Das  gotische  besitzt  bekanntlich  neben  einer  gröfseren  an- 
zahl  von  adjectiven  auf  -ags  {-eigs)  eine  kleine  gruppe  auf  -ahs, 
und  Kluge  Nom.  Stammbildungslehre  §  202  hat  die  Spaltung  des 
alten  fco-suffixes  in  ga-ha  mit  der  verschiedenen  accentlage  in 
Verbindung  gebracht,  indem  er  zugleich  auf  die  in  §  67  seines 
buches  behandelten  ahd.  collectiva  auf  -ha  uä.  hinwies,  abgelehnt 
wurde  diese  ausetzung  zweier  durch  urgerm.  Vorgänge  geschiedener 


GOTISCHE  ADJFXTIVA  ALT  -AHS  377 

suffixe  ga  und  ha  von  Kauffmann  Beitr.  12,206,  der  vielmehr  'kein 
hindernis  sieht,  ein  hs  nur  als  orthographische  Verschiedenheit  auf- 
zufassen: gs:hs^=  ds:ps'.  also  stainahamma  soll  sich  aus  einer 
nominativform  stainahs  <^stainags  erklären,  ein  von  uns  nur  theore- 
tisch gefordertes,  niemals  würklich  belegtes  nominativisches  hs<Cgs 
soll  einer  mächtigen  gruppe  auf  -ags  (-eigs)  trotzend  sich  das  pa- 
radigma  einiger  weniger  adjectiva  ganz  unterworfen  haben ! 

Dieser  Widerspruch  war  nur  möglich,  weil  Kauffmann  Kluges 
hinweis  auf  die  collectiva  unbeachtet  gelassen  hat.  es  besteht 
ein  durchgreifender  bedeutungsunterschied  zwischen  den  adjec- 
tiven  auf  ga  (-ags,  -eigs)  und  denen  auf  ha  (-ahs):  den  ersteren 
liegt  ein  abstracter  nominalstamm,  natürlich  mit  der  Vorstel- 
lung des  Singulars,  zu  gründe,  den  letzteren  der  nominalstamm 
eines  concretums  mit  der  Vorstellung  der  mehrheit.  es  bedeuten 
mödags,  wulpags,  ansteigs,  mahteigs:  'iracuudia,  gloria,  dementia, 
polentia  praeditus  (affectus)' l  —  dagegen  stainahs:  'saxosus, 
saxorum  plenus',  nnbarnahs:  Miheris  carens'  zu  *barnahs:  'liberis 
praeditus',  waurdahs  (Skeir.  iv):  'verbis  se  manifestans'  (Upp- 
ström)2.  schon  Kluge  §  67  hat  zu  got.  stainahs  ahd.  steinahi,  zu 
got.  *barnahs  ahd.  chindahi  gestellt  und  auf  das  Vorhandensein 
ähnlicher  collectivhildungen  im  gotischen  (bairgahei,  bröprahans) 
hingewiesen;  er  unterlässt  es  aber,  den  von  mir  hervorgehobeneu 
unterschied  im  Ursprung  und  wert  der  bildungen  auf  -ag  einer- 
seits, auf-aA  anderseits  ausdrücklich  zu  betonen,  und  so  stehn  denn 
in  seinem  §  207   beide  gruppen  wider  ungeschieden  beisammen. 

Dass  dieser  unterschied  weder  ein  rein  graphischer  noch 
auf  das  gotische  beschränkt  war,  ergibt  sich  schon  indirect, 
wenn  man  das  von  Kauffmann  für  die  nichlgolischeu  sprachen 
herangezogene  material  aao.  204  f  durchmustert:  K.  führt  nahezu 
ausschließlich  adjectiva  vor,  die  aus  abstracten  gebildet  sind,  also 
das  ga-suifix  haben  müssen,  wahrend  die  dem  gotischen  stainahs, 
barnahs,  waurdahs  entsprechenden  adjectiva  unbemerkt  unter  den 
tisch  gefallen  sind,  denn  got.  stainahs  wird  im  ahd.  nicht  durch 
steinac  vertreten,   das  vielmehr  erst   eiue  relativ  jüngere  bildung 

1  auch  hieraus  ergibt  sich,  dass  die  alte  ableitong  des  adj.  managt 
von  mana-'homo',  die  man  jetzt  aus  anderen  gründen  in  zweifei  zieht,  nicht 
richtig  sein  kann. 

2  ein  viertes  wort,  das  Kauffmann  anführt,  niuklah»  vrjrnoe  gehört 
gewis  nicht  hierher:  es  darf  aus  dein  Zusammenhang  mit  veoyi.uyi'i  schwer- 
lich herausgelöst  werden. 

Z.   F.  D.  A.     XXXV.    N.  F.    XXIII.  25 


378  GOTISCHE  ADJECTIVA  AUF  -AHS 

zu  sein  scheint,  sondern  durch  steinaht.  die  collectivadjectiva,  wenn 
der  ausdruck  einmal  gestattet  ist,  zeigen  im  westgermanischen  und 
nordischen  ein  suffix  -aht,  -oht,  -eht,  -iht,  das  in  einem  langsamen, 
nun  schon  ein  Jahrtausend  währenden  processe  von  -ag,  -ig  ver- 
drängt wird:  denn  erst  heute  vollzieht  sich  der  letzte  act 
des  kampfes  zwischen  den  zurückweichenden  dornicht,  steinicht, 
haaricht,  lockicht  und  den  vordringenden  steinig,  dornig,  haarig, 
lockig,  während  umgekehrt  die  collectivsubstautiva  wie  kehricht, 
röhricht  sich  das  im  substantivierten  adj.  dickicht  mit  recht  be- 
wahrte t  ungebührlich  angeeignet  haben,  für  das  ahd.,  ags.,  an. 
führt  die  Grammatik  n  380  f  reichlich  belege  an,  die  den  unter- 
schied klarstellen.  das  nahe  Verhältnis  der  ahd.  adjectiva  auf 
-aht(i)  zu  den  collectiven  auf  -ahi  wird  zb.  deutlich,  wenn  es  an 
der  Ulfila  Marc,  iv  5.  16  {ana  stainahamma)  entsprechenden  stelle 
bei  Tat.  71,  3  heifst  fielun  in  steinahti  laut  und  75,  2  ubar 
steinaht  gisdwit  ist.  die  Monseer  fragmente  (Hench  vm  7)  haben 
freilich  hier  schon  feal  in  steinag. 

Sind  die  functionen  von  ahd.  -aht  und  gol. -ah  gleich,  so 
sind  es  natürlich  noch  nicht  die  formen,  etwa  au  einen  alten 
lautübergang  hts  >>  hs  zu  denken  und  aus  diesem  nom.  stai- 
nahs  <<  stainahts  in  Kauffmanns  weise  die  flectierten  formen  ab- 
zuleiten, das  verbietet  eben  schon  das  dem  got.  und  westgerm. 
gemeinsame  collectivsuffix  -aha,  -ahi  usw.  so  weifs  ich  nur  den 
einen  ausweg,  dass  von  zwei  gemeingermanischen  suffixen,  welche 
neben  -ag  (-ig)  bestanden,  und  von  denen  vielleicht  das  eine, 
-aht,  stoffadjectiva,  das  andere,  -ah,  collectivadjectiva  bildete, 
im  gotischen  das  erstere,  in  den  übrigen  sprachen  das  letztere 
unterdrückt  worden  ist.  diese  Unterdrückung  war  der  anfang 
eines  uniformierungsprocesses,  der  im  deutschen  in  absehbarer 
zeit  zur  alleinherschaft  des  suffixes  -ig  führen  wird. 

Komme  ich  auch  hier  nicht  über  Vermutungen  hinaus,  so 
hat  doch  die  betrachtung  mit  Sicherheit  das  eine  ergebeu:  mit 
der  bedeutung  'vita  praeditus'  darf  man  zwar  ein  got.  adj.  *lei- 
bags,  aber  gewis  kein  *leibahs  ansetzen,  wie  das  Holthauseu  tut; 
und  nun  gar  diesem  *leibahs  die  bedeutung  eines  agens  zu  geben: 
'(in  tenebris)  vitam  degens'  scheint  mir  völlig  ausgeschlossen, 
günstiger  steht  es  immerhin  mit  der  etymologie  von  Much,  obwol 
auch  sie  vorläufig  nur  ein  versuch  bleibt,  den  neuen  wort- 
stamm fürs  germanische  einmal  zugestanden,  so  wäre  *ttvahs  eine 


GOTISCHE  ADJECTIVA  AUF  -AHS  379 

bildung,  die  sich  am  nächsten  mit  got.  waurdahs  vergleichen 
liefse:  also  'coloribus  se  manifestans'.  das  dazu  gehörige  col- 
lectivum  ahd.  *livahi  würde  'farbenfülle'  heifsen,  aber  wol  auch 
die  allgemeine  bedeutung  'färbung,  erscheinung'  beanspruchen 
können. 

Marburg  i.  H.  EDWARD  SCHRÖDER. 

ZU  BRUDER  HERMANNS  JOLANDE. 

In  der  recension  von  John  Meiers  ausgäbe  der  Jolande, 
DLZ  1891  nr  12,  war  es  mir  nicht  möglich,  eine  reihe  mehr  oder 
weniger  wesentlicher  dinge,  die  mir  auf  dem  herzen  lagen,  zu 
besprechen,  sie  mögen  hier  als  beitrage  zur  Überlieferung,  spräche 
und  erklärung  dieses  interessanten  textes,  sowie  zur  begründung 
meines  in  der  recension  ausgesprochenen  urteils  eine  stelle  und 
damit  zugleich  entschuldigung  für  die  form  finden,  in  welcher 
sie  hier  auftreten. 

1.  Zur  handschrift.  Meier  kommt  zu  dem  Schlüsse, 
dass  die  vorläge  Wiltheims  mehr  enthalten  habe,  als  seine  ab- 
schritt jetzt  bietet,  indes  nehmen  die  s.  v  angezogenen  worte 
des  Jesuiten  deutlich  bezug  auf  den  uns  vorliegenden  letzten  teil 
des  textes:  prodigia  multa  atque  magna  patrasse  Yolandam  cum 
viveret  et  maxime  cum  sodalibus  praeesset  ist  eine  Übersetzung 
von  5944  —  47.  sed  haec  cuncta  cum  postremis  libri  ipsius  foliis 
irreparabili  damno  periere  fährt  Wiltheim  fort,  wenn  er  dann 
hinzufügt  unicum  paginae  ultimae  adhaesit  tale,  so  spricht  der 
ausdruck  nicht  sehr  dafür,  dass  der  Jesuit  das  erzählte  wunder 
nebst  dem  bruchstück  eines  zweiten  in  Hermanns  versen  ge- 
funden habe,  der  'anhang'  scheint  sich  allerdings  auf  dessen 
namen  bezogen  zu  haben;  aber  es  muss  trotzdem  dahin  gestellt 
bleiben,  ob  der  deutsche  dichter  die  wunder  würklich  behandelt 
hat.  mir  will  scheinen ,  dass  er  das  erste ,  welches  in  die  zeit 
fällt,  deren  Schilderung  im  gedieht  erhalten  ist,  wenn  er  es  ge- 
kannt hätte,  oder  hätte  mitteilen  wollen,  im  chronologischen  Zu- 
sammenhang wenigstens  nicht  ganz  unterdrückt  haben  würde. 

M.  kommt  weiter  zu  dem  resultat,  dass  VV.s  vorläge  nicht 
die  originalhs.  gewesen  sei.  seinen  hauptgrund  gewinnt  er  aus 
der   von    ihm    und  Sievers   gleichzeitig   gemachten   beobachtung1 

1  vgl.  Sievers  üxf.  Benedictinerregel  s.  xvn  anm.  1. 

•2.'.  * 


380  ZU  BRÜDER  HERMANNS  JOLANDE 

einer  durch  das  mittelfränkische  gebiet  laufenden  grenze  zwischen 
rt  und  rd  aus  germ.  rd.  in  der  hs.  ist  meistens  rt  geschrieben, 
während  der  text  zweimal  das  adj.  werde  zum  praet.  begerde  reimen 
lässt;  daraus  ergebe  sich,  dass  der  Schreiber  rt,  Hermann  aber  rd 
gesprochen  habe,  beide,  der  Schreiber  und  der  dichter,  sitzen 
im  Luxemburger  gebiet,  durch  welches  nach  M.s  beobachtungen 
würklich  die  dialectische  grenze  zwischen  rt  und  rd  hin- 
durch zu  laufen  scheint,  aber  in  den  litterarischen  äufserungen 
dieser  gegend  gehen  die  Schreibungen  rd  und  rt  meist  durch- 
einander, wenn  nun  ein  in  dieser  gegend  entstandener  text  nur 
in  einem  einzigen  fall  die  enlsprechungen  von  germ.  rd  und  rp 
zusammen  reimt,  und  wir  aus  den  reimen  auf  den  dialect  schliefsen 
dürfen  —  was  aber  durchaus  nicht  sicher  ist,  da  sich  die  lit- 
terarische spräche  und  ganz  besonders  noch  die  spräche  der 
reime  nie  vollständig  mit  dem  dialect  deckt  — ,  so  müsten  wir 
m.  e.  eher  zu  dem  schluss  kommen,  dass  rd  nicht  dem  dialect 
des  dichters  angehört  habe1,  somit  fiele  die  beobachtete  Ver- 
schiedenheit weg  und  bliebe  die  möglich  keit,  dass  unserer 
hs.  doch  ein  ganz  authentischer  text  vorgelegen  habe,  da  aber 
W.s  vorläge,  wenn  sie  auch  eine  abschrift  war,  kaum  fehler  des 
sinns  enthielt,  so  könnte  die  frage  höchstens  bedeutung  für  die  be- 
urteilung  der  sprachformen  beanspruchen. —  es  sei  hier  denn  noch 
auf  eine  orthographische  gepflogenheit  der  hs.  hingewiesen ,  die 
vor  labialen  häufig«  statt  m  setzt,  zb.  unber  st.  umber,  unbe  st. 
umbe,  kunber  st.  kumber  (s.  xxxix).  der  laut  war  selbstverständ- 
lich m,  die  Schreibung  kaun  sehr  wol  eine  sogenannte  umgekehrte 
sein  (nach  fällen  wie  umberaden,  ummaze :  unberaden ,  unmaze). 
ganz  dasselbe  haben  wir  aber  auch,  wo  es  von  M.  verkannt  ist, 
in  unman,  nimman,  nunmer,  wie  die  hs.  durchgängig  sehreibt 
für  ümman,  nümman,  nümmer.  die  letzten  formen  wären  natür- 
lich in  den  text  zu  setzen,  und  der  etymologische  versuch  s.  xxxm 
muss  verfallen. 

1  hierzu  bemerkt  mir  Edw.  Schröder:  'es  finden  sich  ähnliche  reime 
gerade  mit  werde  auch  in  oberdeutschen  mundarten,  sodass  ich  auf  die  Ver- 
mutung gekommen  bin,  ob  nicht  in  dem  uns  überlieferten  adjectiv  t)  werpaz, 
2)  werdäs  stecke,  das  nhd.  wert  mit  seinem  unangefochtenen  t  würde 
auf  das  letztere  zurückgehn,  ebenso  aber  auch  unsere  reime  aus  ihm  zu 
erklären  sein,  in  einem  unbestritten  echten  Neidhart  fand  ich  noch  dieser 
tage  in  vollem  werde : verkerte  (34,1)  gereimt,  der  einzige  derartige  reim 
bei  N.,   der  sonst  rd  nie  mit  rt  bindet.' 


ZU  BRUDER  HERMANNS  JOLANDE  381 

2.  Zu  spräche  und  versbau.  s.  xxi.  die  angeführten 
Schreibungen  beweisen  doch  eher  für  die  ausspräche  des  o  als 
des  a.  vor  ch  ist  geradezu  Übergang  in  a  möglich;  vgl.  meine 
Mnl.  gr.  68.  —  s.  xxiv  3).  vgl.  auch  Mnl.  gr.  §  147.  —  wegen 
gen  (mit  kürze)  für  geben,  vgl.  auch  Vogt  Salom.  und  Mor.  s.  c; 
Kauffmann  Schwab,  mundart  175  anm.  2;  heute  an  der  ganzen 
Mosel  gen  (3  pers.  git)  oder  gin,  das  letztere  auch  im  Luxem- 
burgischen. —  s.  xxv.  wegen  des  aDgeblichen  mhd.  e  in  venster, 
vgl.  Anz.  xi  19.  —  s.  xxviii.  besser  als  die  Mediascher  muudart, 
in  welcher,  wie  bei  Scheiner  s.  136  nachzusehen  gewesen  wäre, 
ein  i  für  germ.  ai  nicht  so  ganz  vereinzelt  dasteht,  würde  M. 
das  dem  yrst  seines  textes  ganz  sicher  entsprechende  mnl.  ierst 
angezogen  haben,  mit  dem  ich  mich  Mnl.  gr.  §  81  herumgeplagt 
habe,  am  eude  entpuppt  sich  das  i  noch  einmal  als  ablaut  des 
ai.  —  dass  die  reime,  wie  gyt :  yt,  ganz  in  Ordnung  sind,  indem 
die  verba  mit  ursprünglichem  eh  den  laut  ie  (in  unserem  text  y) 
erhalten,  ist  bei  Weinhold  Mhd.gr.2  §424  zu  lernen,  noch 
besser  freilich  im  ndl.  —  s.  xxxi.  als  ich  die  worte  Anz.  xi  106  f 
und  xin  212  anm.  niedersclirieb,  hätte  ich  nicht  gedacht,  dass 
doch  noch  ein  herausgeber  aus  guter  schule  bezüglich  eines 
textes,  in  dessen  heimatsdialect  heute  der  umlaut  in  vollstem 
mafse  herscht,  eines  textes,  der  im  opt.  praet.  mehte,  dehte  uä. 
sagt,  der  redet  'rät'  schreibt  (5197),  der  den  indic.  künde  stets 
zu  würtern  mit  u,  den  opt.,  meist  kuinde  geschrieben,  stets  zu 
solchen  mit  m  reimt  (vgl.  zb.  vrunde  :  kuinde  4027  und  die  Zu- 
sammenstellung für  die  Schreibung  ui,  die  M.  selbst  s.  xxxiv, 
allerdings  in  ganz  anderem  sinne,  gibt)  sagen  würde  'es  ist  kein 
umlaut  von  u  >  ü  eingetreten'  und  das  auf  die  einzige  tatsache 
hin,  dass  mögen  'mögen' :  gezögert  reimt,  wenn  in  dem  reimwort 
würklich  o  vorliegt  —  die  vielleicht  als  m-participia  zu  erklärenden 
regelmäßigen  besluzzen,  verdruzzen,  genumen i,  bekamen  unseres 
textes  lassen  eine  andere  aulfasuug  nicht  ganz  umlenkbar  er- 
scheinen —  so  würde  ich  schliefsen,  dass  entweder  der  form 
mögen  keine  umzulautende  form  zu  grunde  liegt,  oder  dass  wir 
einen  der  renne  fürs  äuge  haben,  deren  Ursprung  und  Ver- 
breitung die  heuligen  herausgeber  zu  untersuchen  hätten,  mir 
ist  in  unserem  gedichte  kein  fall  aufgestofsen ,  welcher  der  an 
sich  ganz  selbstverständlichen  annähme  des  umlaute  von  ü  wider- 
spräche,    nicht  minder  hätte  der  herausgeber  für  die  länge   viel- 


382  ZU  BRÜDER  HERMANNS  JOLANDE 

fach  ü  zu  setzen  gehabt,  uud  nicht  nur  bei  umgelautetem  u.  man 
behauptet  immer  noch,  germ.  tu  sei  im  md.,  nd.  und  nl.  zu 
u  geworden,  während  tatsächlich  die  dialecte  u  aufweisen; 
so  hätte  es  auch  in  unserem  text  zb.  uch  zu  lauten,  vur, 
gezüch,  lüde,  vrünt.  desgleichen  kommt  dem  unserem  je  in 
Zusammensetzungen  entsprechenden  u  der  laut  ü  zu ,  also  zb. 
iimmer  'immer',  als  einzige  scheinbare  ausnähme  u:u  habe 
ich  mir  angemerkt  drüf.gebüt  4154:  vielleicht  ist  die  form  des 
erstem,  wahrscheinlich  eines  litterarischen  Wortes,  aus  nl.  drut 
(oder  frz.  drut)  entlehnt,  aber  wenn  der  reim  sich  auch  nicht 
als  rein  dartun  lässt,  so  darf  doch  die  einzige  ausnähme  die 
grundsätzliche  auffassung  nicht  beeinträchtigen,  ebensowenig  wie 
ohne  weiteres  der  einzige  reim  krönen :  schönen  (370)  genügt, 
um  den  umlaut  des  d  zu  bestreiten,  weiter  wird  auch  dem  um- 
laut  des  ü  (ahd.  uo)  von  unserem  gedieht,  soweit  ich  sehe,  nir- 
gends widersprochen,  was  M.  s.  xxxiu  darüber  sagt,  wird  man 
jedesfalls  nicht  als  gegenbeweis  gelten  lassen;  der  heutige  dialect 
hätte  auch  darüber  unwidersprechlich  zu  entscheiden.  —  auch 
die  äufserliche  art,  wie  dann  weiter  das  Verhältnis  u:o  behandelt 
wird,  kann  heute  wenig  wert  mehr  beanspruchen,  wenn  ein 
herausgeber  solche  dinge  überhaupt  zur  spräche  bringt,  sollte  er 
sie  auch  eingehender  untersuchen  und  genau  sagen,  was  wir  von 
den  tatsachen  verstehn  können,  was  uns  noch  unerklärlich  bleibt, 
hier  würde  er,  abgesehn  vielleicht  davon,  dass  nicht  ein  einheit- 
licher dialect  streng  festgehalten  ist,  kaum  Schwierigkeiten  ge- 
funden haben,  zumal  bei  berücksichtiguug  des  ndl.  ich  hebe  hervor 
die  auch  sonst  verbreiteten  formen  loft,  lost,  kos,  kossen  'küssen', 
die  sich  aus  alter  doppelgestaltigkeit  im  wurzelvocal  der  w-stämme, 
bezüglich  des  verbalst,  aus  *kussön  erklären,  auch  scholt  (neben 
schult)  findet  sich  in  mnl.  scout  (neben  schult)  wider  und  ist  — 
von  schulde  verschieden  —  gleichfalls  als  w-  stamm  zu  erklären, 
oder  wenigstens  in  einer  ähnlichen  weise,  die  den  Wechsel  von 
u  und  o  als  altberechtigt  ergibt.  —  s.  xxxvi.  über  die  doppel- 
schreibung  der  consonauten,  besonders  des  d,  wird  eine  genauere 
Untersuchung  und  ein  urteil  abgelehnt,  in  diesem  falle  hätte, 
zumal  bei  einer  sonst  so  äufserst  conservativen  behandlung  des 
textes,  denn  doch  die  Schreibung  der  hs.  eher  mafsgebend  sein 
müssen,  als  die  mhd.  norm.  M.  aber  gestattet  sich  nach  der 
letzteren  überall  zu  vereinfachen,  sogar  in  bidden,   obwol  es  stets 


ZU  BRUDER  HERMANNS  JOLANDE  383 

mit  dd,  niemals  mit  d  geschrieben  wird,  obwol  v.  4765  bit  ich 
steht,  obwol  das  wort  auch  sonst  überall  mit  ausnähme  des  älteren 
oberdeutschen  doppelconsonanz  hat.  auch  hinsichtlich  der  anderen 
Wörter,  wenigstens  derer  mit  urspr.  kürze,  muss  ich  ohne  nähere 
Untersuchung  die  Vereinfachung  für  unberechtigt  erklären;  für 
kürze  des  vocals  —  also  für  doppelschreibung  —  sprechen  auch 
andere,  ältere  und  neuere,  md.  und  nd.  dialecte  sowie  der  reim 
sydden:bidden  4151.  —  xxxvm  ff.  es  nimmt  sich  sonderbar  aus, 
wenn  für  die  form  bit  'mit'  zwar  Bugge  Beitr.  xii  419  f  citiert 
wird,  wo  vom  koischen  dialect  und  construierten  uridg.  formen 
die  rede  ist,  aber  das  benachbarte  ndl.,  wo  die  form  bit  bekannt 
genug  ist,  zumal  im  limburgischen,  ganz  aus  dem  spiel  bleibt,  es 
wäre  doch  bequem  genug  gewesen  Verdams  mnl.  Wörterbuch  nach- 
zuschlagen !  für  den  gesunden  sinn  M.s  spricht  es  indessen,  dass 
er  sich  durch  die  Beiträge,  die  auf  manche  einen  so  unentrinn- 
baren zauber  ausüben,  nicht  von  einer  selbständigen  und  richtigen 
erklärung  hat  abhalten  lassen,  er  hätte  diese  freilich  auch  schon 
in  meinem  Etym.  woordenb.  unter  niemendal  finden  können,  als 
parallele  für  den  Übergang  von  m  zu  b  in  vortoniger  silbe  habe 
ich  mir  aufser  besan(segel)  aus  mesana  angemerkt  westfäl.  beschäten- 
mo^'muscatnuss'  (Woeste  Wörterb.),  bereits  altwestfäl.,  s.  Chron.  d.  d. 
Städte  xx  470,  10.  dass  bei  miz  für  biz  nicht,  wie  in  so  vielen 
fällen,  zb.  gleich  s.xl,  an  'umgekehrte  Schreibung'  gedacht  wird,  ist 
mir  auffällig.  —  über  das  'euphonische  »'  ist  s.  li  ff  recht  ver- 
ständig gehandelt,  wenn  auch  einzelnes  übersehen  oder  falsch  auf- 
gefasst  ist.  sicherlich  ist  es  geboten,  der  früheren  willkür  in  der 
textbehandlung  einhält  zu  tun.  aber  es  zeigt  sich  doch  gleich, 
dass  auch  diese  art  der  betrachtung  noch  nicht  die  ganz  richtige 
ist,  dass  wir  auf  diesem  wege  nur  dazu  gelangen,  uns  hilflos  vor 
jedem  Schreibfehler  zu  beugen,  es  ist  zb.  ganz  gewis  845  von 
golde,  2954  müde,  4666  juncfroiwen  zu  schreiben.  —  ich  merke 
dann  noch  an  brengeri  s.  xxix,  verre  s.xl,  das  'unorganische'  b 
in  umber  s.  xlii  (vgl.  meine  Mnl.  gr.  §  115,  1),  die  erklärung 
von  g  in  sagen,  sowie  den  formen  von  fliehen  s.  xliv,  das  'pro- 
thetische'  h  in  den  pronominalformen  wie  her  und  im  praetix  her- 
s.  xlvi,  dinge  über  die  M.  sich  leicht  besser  hätte  unterrichten 
können,  und  die  Schnitzer:  germ.  t  in  twingen  s.  xmx,  h'sclwn 
st.  leschen  s.  lx.  der  s.  lxiv  besprochene  reim  ist  doch  wol  ein- 
fach als  sereihere  aufzufassen.  —  s.  lxvii.    das  wort  bthte  steht, 


384  ZU  BRUDER  HERMANNS  JOLANDE 

so  oft  ich  es  bemerkt  habe  (1078.  1095.  1115.  4591.  4594),  in 
versen  mit  einer  fehlenden  Senkung,  wenn  wir  sehen,  wie  spär- 
lich verse  dieser  art  überhaupt  sind,  zumal  von  compositis  ab- 
gesehen, so  drängt  sich  die  Vermutung  auf,  dass  bihte  noch  drei- 
silbig war.  entsprechendes  hat  der  hg.  von  werld  angenommen, 
auch  die  sehr  wenigen  anderen  verse  mit  syncopierter  Senkung 
bei  nicht  in  prosa  nebentonigen  Wörtern  dürften  wol  zu  be- 
seitigen sein;  1316  fehlt  gewis  etwas,  ebenso  4335,  wenn  nicht 
worte  beizubehalten  ist.  zugleich  würde  die  tatsache,  dass  die 
ursprüngliche  form  von  beichte  grundsätzlich  beseitigt  ist,  ein 
fingerzeig  dafür  sein,  in  wie  weit  wir  die  überlieferte  spräche 
als  den  luxemb.  dialect  vom  ende  des  xm  jhs.  ansehn  dürfen, 
vielleicht  hatte  indessen  die  alte  hs.  überhaupt  noch  die  Schreibung 
ie  für  W.s  y;  dreisilbiges  biechte  und  zweisilbiges  lieten  konnten 
orthographisch  gleich  sein.  —  wenn ,  um  zum  metrischen  zurück- 
zukehren, M.  an  dem  rhythmus  von  versen  wie  dy  sich  wol 
zürnen  soüde,  du  noch  ein  deil  den  willen  min  etwas  anzumerken 
findet  (s.  lxxi),  so  möchte  ich  doch  fragen,  was  für  rhythmus  er 
denn  überhaupt  vom  dichter  verlangt,  mir  scheint  diese  tüftelige 
Untersuchung  ganz  unfruchtbar,  wie  auch  der  unterschied  in  der 
'schwebenden  betonung',  der  bei  fällen  wie  juncfröiwe,  unvrö  ge- 
macht wird,  jenachdem  sie  im  reim  oder  im  versinnern  stehn. 
beides  ist  für  den  dichter  der  Jolande  genau  dasselbe,  und  er 
bedient  sich  damit  der  gleichen  freiheit  wie  die  mnl.  dichter 
ganz  allgemein,  im  gegensatz  zu  diesen  hat  er  aber  die  Senkungen 
in  Übereinstimmung  mit  dem  gebrauche  ober-  und  mitteldeut- 
scher dichter  gebaut  und  wol  auch  nach  deren  vorbild.  doch 
wären  die  speciell  limb.  dichter  auf  diese  letztere  frage  hin 
noch  einmal  anzusehn. 

3.  Zum  text.  während  wir  einzelnes  zu  erwähnen  hatten, 
betr.  dessen  M.  zu  unrecht  von  der  hs.  abgewichen  ist  —  auch  vroinde 
801,  arrebeit  1138  und  sonst  (vgl.  dagegen  4516),  herrebergen 
4537  uä.,  dorte  (st.  dorfte)  2151  wären  zu  erwägen  —  hat  er 
sich,  wie  wir  schon  sahen,  auch  öfter  ihr  gegenüber  eine  nicht 
zu  billigende  enthaltsamkeit  auferlegt,  enmacheit  1407,  dunkeit 
2489  sind  sicher  Schreibfehler  und  kundes  4207  ist  getrost  in 
künden  zu  verbessern.  —  24.  die  conjectur  ze  bile  ist  ohne 
zweifei  richtig.  —  412.  denze'rinne.  das  e  mit  absieht?  jedes- 
falls  nicht  berechtigt.  —  451.  der  jdre  strich,  wie  ich  DLZ  aao. 


ZU  BRUDER  HERMANNS  JOLANDE  385 

vermute,  wäre  Umschreibung  für  der  järe.  es  sollte  dann  eigent- 
lich Striches  stehn,  doch  kann  die  flexion  unterdrückt  werden; 
vgl.  4024.  5697.  5728  hs.  —  1000  und  1912  lag  es  wol  nicht 
in  der  absieht  des  dichters,  einen  einschnitt  durch  rede  und 
gegenrede  in  den  vers  zu  bringen.  —  2247.  näher  liegt  gecryget. — 
2685.  was  ist  burnensklancl  lies  burnenspraticl  mnd.  bomespranc 
'brunnenqueü'.  —  2765  1.  krüsK  —  3152  wol  nicht  zu  lesen 
kalde,  ze  sondern  nach  der  parallele  in  der  anmerkung  balde.  — 
3608  wol  des  st.  der.  —  3610.  zu  der  DLZ  angegebenen  bes- 
serung  Tich  st.  uf  vgl.  nachtrag  zu  s.  xliii.  weder  der  ausdruck 
suster  entfdn  für  'ins  kloster  aufnehmen'  noch  uf  entfdn  noch 
die  Wortstellung  wären  gerechtfertigt;  der  folgende  vers  gäbe 
keinen  sinn,  und  die  von  M.  vorgestellte  änderung  wäre  in 
unserer  hs.  nicht  gestattet,  nicht  besser  steht  es  mit  der  form 
sester,  die  M.  in  der  eiuleitung  s.  xxiv  (vgl.  s.  xx)  für  diesen  vers 
und  3587  als  'compromissbildung'  aus  swester  und  suster  ver- 
teidigt, mit  den  'compromissbildungen'  ist  es  eine  eigene  sache. 
jedesfalls  ist  es  keine  so  häufige  erscheinung,  wie  man  das  zu 
bequemen  erklärungen  annimmt,  es  verhält  sich  damit  wie  mit 
der  erklärung  aus  analogie ,  die  man  doch  auch  nicht  handhaben 
sollte,  ohne  sie  vor  seinem  sprachwissenschaftlichen  gewissen  ge- 
nügend zu  rechtfertigen,  bei  der  bekannten  nebenform  von 
swester,  die  unser  text  wie  wahrscheinlich  auch  der  dialect  in 
Übereinstimmung  mit  dem  ndl.  allein  kennt,  haben  wir  auch 
wider  das  oben  erörterte  Verhältnis:  sie  lautet  suster,  nicht  suster, 
und  so  überall,  so  weit  ich  zu  urteilen  vermag:  nl.  zuster  (wo 
u  immer  ü  ist),  md.  suster,  ud.  suster,  ags.  *syster,  engl,  sister, 
an.  syster.  auch  im  altfries.  ist  suster  (geschrieben  suster)  an- 
zunehmen, zumal  da  sich  so  auch  die  von  Siebs  Zur  gesch.  der 
engl. -fries.  spräche  s.  135  f  aufgeworfenen  Schwierigkeiten  er- 
ledigen, man  kann  diese  form  nicht  etwa  auf  einen  germ.  ab- 
laut  *sustir  zurückführen,  denn  dann  müste  es  altfries.  *  sester 
lauten,  vielmehr  ist  säst-  (ohne  umlautuug)  aus  swist-  hervor- 
gegangen2 (Tatian  106,  6  suister),  wie,  ungefähr  auf  demselben 
Sprachgebiet,  tuschen  (nicht  tuschen)  aus  twisken.  so  wird  auch 
der  bisher  rätselhafte    laut  von    nd.  süs    'so'    klar:    er  wird    eine 

1  1854  oiwe.    s.  xeix  am  schluss  der  anm.  I.  Momohau;  cxxx  anm.  \ 
Weidenbach  st.  Willheim. 

2  auch  Meier  führt  s.  xxxi  m  in  nuter  auf  swi  zurück. 


386  ZU  BRÜDER  HERMANNS  JOLANDE 

form  *swis  (aus  *swesi-l)  voraussetzen1,  also  süster  ist  die  alt- 
luxemb.  form,  auf  ihr  beruht  auch  die  angebliche  compromiss- 
bihlung,  die  aus  dem  neuluxemb.  als  sester,  seschter,  auch  einmal 
sester  in  einem  älteren  lext,  belegt  wird;  sie  hat  nur  e  aus 
früherem  ü,  wie  ja  auch  das  s.  xx  anm.  1  daneben  gestellte 
tessche  'zwischen',  wie  ferner  zb.  neuluxemb.  fer  'für',  jengste 
'jüugste'  und  der  name  Letzeburg  selbst,  es  widerspricht  mithin 
nicht  weniger  als  alles  der  erklärung  M.s,  und  ich  begreife  nicht 
recht,  wie  er  Wiltheims  richtige  auffassung  eam  sextam  zurück- 
weisen konnte,  die  formen  ir  sester  (eam  sextam)  und  uch  sester 
(vos  sextam)  sind  aufs  schönste  in  Ordnung,  für  'zu  dreien'  sagt 
das  mnl.  wi  drie,  si  drie,  acc.-dat.  (vgl.  meine  Mnl.  gr.  §  237) 
ons  drien,  hem  drien.  häufiger  noch  wird  statt  dessen  eine  Ver- 
bindung des  Personalpronomens  mit  der  Ordinalzahl  gebraucht, 
wie  im  französischen,  welches  lui  dicieme,  soi  quinte,  vos  tiers 
sagt,  steht  das  pron.  im  accus. ;  es  sei  dahingestellt,  ob  in  nach- 
ahmung  des  französischen,  oder  aus  gleichem  gründe  (vgl.  engl. 
himself).  das  ordinale  kann  stehn  1)  in  der  nominativform  : 
haer  ander,  mi  derder,  hem  twentichste;  2)  in  der  accus. -dativ- 
form: haer  anderen,  di  derden,  hem  tienden;  3)  in  einer  form 
auf  -er:mi  derder,  hem  sevender,  u(wer)  vyftichster.  durch  einfluss 
einer  anderen  constructiou  mit  met  (met  hem  vyftich)  wird  auch 
gesagt  met  hem  vyftichsten,  met  hem  vyftienster'1,  und  noch  andere 
constructionsverwirrungen,  sowie  auch  eine  Unsicherheit  der  be- 
deulung,  ob  nämlich  der  herausgehobene  in  der  zahl  mitgerechnet 
wird  oder  nicht,  sind  zu  beobachten,  über  diese  füguugen  handeln 
Huydecoper  zu  Stoke  i  s.  501  ff,  De  Jager,  Archief  voor  nederl.  taal- 
kunde  3,  199  ff.  4,  24911',  Tijdschr.  voor  nederl.  taal-  en  letterk.  2, 
192(1",  vHelten  ebenda  5,  215  (f.  auch  nach  diesen  arbeiten  wäre 
noch  das  eine  und  andere  diese  constructionen  betreffend  sicher  zu 
stellen,  die  bis  ins  nl.  fortbestehn,  zunächst  als  zyn  achtster,  zyn 
tiender,  dann  als  met  zyn  drien,  met  ons  vieren,    ich  hatte,  Mnl.  gr. 

1  es  ist  natürlich  bedenklich,  die  laute  in  Wörtern  erklären  zu  wollen, 
deren  etymologie  ganz  unbekannt  ist  und  die  vielleicht  ungewöhnliche 
laulveränderungen  erfahren  haben,  es  soll  darum  auch  nicht  versucht 
werden,  über  würkliches  u  in  diesem  worte  zu  sprechen,  aber  fragen  möchte 
ich:  in  wie  weit  gilt  überhaupt  u  in  demselben?  das  u  der  hss.  beweist 
natürlich  gar  nichts,  und  auch  oberdeutsche  hss.  bieten  das  «. 

2  darnach  ist  wol  auch  Eilhart  418  zu  lesen  mit  im  achte  siner  man, 
wie  es  im  mnl.  heifsen  könnte  met  hem  achtende(n)  siere  man. 


ZU  BRUDER  HERMANNS  JOLANDE  387 

§241  anm.,  die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  die  endung  -er 
analogisch  aus  ander  übertragen  sei  {mi  derder  nach  mi  ander); 
vHelten  aao.  erklärt  sie  vielleicht  richtiger  aus  dem  angewachsenen 
genit.  plur.  des  personalpronomeDS  iro,  also  mi  sevender  aus  *mi 
sibundo  iro.  für  diese  auffassung  sprechen  vereinzelte,  allerdings 
nur  jünger  bezeugte,  formen  auf  -ere:hem  vyftichslere  Kronyk 
v.  Viaenderen  1,  147,  ebenda  kern  vierdere  1,  154,  hem  darddere 
2,  41,  wy  tweestere  Belg.  mus.  6,  327,  und  die  construction  wäre 
dann  ein  analogon  zu  mnd.  welker(e)  (gen.  welkers)  aus  *hwilik 
iro.  in  den  obliquen  casus,  im  fem.  und  plural  galten  dieselben 
formen,  zb.  acc.  masc.  hem  twelfde,  nom.  pl.  hem  twelfde ,  hem 
vierder,  acc.  pl.  hem  derder,  fem.  mi  derder  Belg.  mus.  10,54. 
demnach  würde  'sie  zu  sechsen'  mnl.  lauten  haer  sester,  'euch 
zu  sechsen'  u  sester,  und  das  sind  eben  die  ausdrücke,  die  wir 
hier  widerfinden,  entsprechend  hat  denn  auch  die  hs.  5810 
dritter;  das  fem.  pron.  lautet  an  dieser  stelle  dy ,  von  M.  wol 
mit  recht  in  sy  gebessert,  das  wäre  dann  eine  art  widerherstellung 
der  constr.  ir  dritter,  entspr.  der  in  v.  3587  belegten  ir  sester. 
aus  v.  3587  und  3610  ist  zu  entnehmen,  dass  es  ein  besonderer 
Vorzug  war,  in  gröfserer  gesellschaft  in  ein  kloster  aufgenommen 
zu  werden,  und  es  liegt  nahe,  an  eine  parallele  zwischen  der 
aufnähme  adeliger  Jungfrauen  in  einen  geistlichen  orden  und  der 
der  Jünglinge  in  den  ritterorden  zu  denken,  wie  wenig  dieser 
vergleich  auch  zu  den  eigentlichen  grundsätzen  der  demokrati- 
schen orden  stimmen  will,  es  ist  mir  nicht  gelungen  eine 
anderweitige  bestätigung  der  tatsache,  die  wir  hier  lernen,  bei- 
zubringen, ein  zvveifel  an  der  auffassung  der  stellen  ist  indessen 
gänzlich  ausgeschlossen1.  —  4728  ist  vor  dan  zu  interpungieren; 
dan  als  gehört  zusammen.  —  5278  1.  quam.  —  5652  ist  sicher 
nicht  richtig;  vielleicht  dan  st.  da.  —   5660  fehlt  müz  oder  sal 

1  dr  Jos. Hansen  schreibt  mir:  'der  nachdruck  scheint  mir  auf  dem  grafen 
von  Vianden  zu  liegen,  das  kloster  will  gern  mit  ihm  in  Verbindung  treten, 
durch  ihn  vorteile  irgend  einer  art  erreichen,  und  so  erbietet  es  sich,  aufser 
seiner  tochter  noch  fünf  freundinnen  derselben,  jedesfalls  ohne  die  sonst 
erforderliche  dos,  aufzunehmen  und  nach  bestandenem  noviziat  einzukleiden, 
auf  diese  weise  konnte  die  junge  gräfin  fünf  freundinnen  gefällig  sein 
(denn  es  war  für  die  töchter  der  adlichen  immer  von  grofser  finanzieller  be- 
deutung,  in  einem  kloster  untergebracht  zu  werden),  und  das  kloster  hoffte 
durch  die  beziehung  zum  grafen  von  Vianden  schon  wider  auf  seine  rech- 
nung  zu  kommen'. 


388  ZU  BRUDER  HERMANNS  JOLANDE 

vor  sin.  —  5695  weder  der  lautstand  der  hs.,  noch  die  bedeutung 
empfehlen  lovene;  ze  Idzene  wäre  auch  noch  zu  farblos;  vielleicht 
stand  ze  lackene.  —  5892  1.  nöste.  —  5914  fehlt  der  punct 
hinter  mäht,  einige  andere  Verbesserungen  sind  bereits  DLZ 
angegeben. 

Auch  in  den  anmerkungen  macht  sich  die  mangelnde  kennt- 
nis  des  ndl.  oft  genug  recht  unangenehm  fühlbar,  das  mnl.  hätte 
zb.  gelehrt,  dass  die  zu  2178  besprochene,  nicht  and  xoivov  auf- 
zufassende construction,  eine  ganz  geläufige  ausdrucksweise  für 
das  relativverhältnis  ist;  vgl.  auch  Lübben  Mnd.  gr.  s.  112,  Gr. 
iv  592  anm.  und  vor  allem  das  englische,  die  construction  stand 
in  unserem  text  auch  v.  4526,  wo  also  dy  zu  streichen  ist.  im 
übrigen  will  ich  nur  noch  einige  wenige  anmerkungen  berühren, 
verfehlt  ist  die  erklärung  des  zur  aufnähme  vorangehender  Satz- 
teile dienenden  so  (z.  27).  —  dass  die  construction  v.  677  ungelenk 
sei,  ist  keineswegs  zuzugeben.  —  was  v.  1847  'aufbinden,  auf- 
schürzen' soll,  vermag  ich  nicht  einzusehn,  auch  bleibt  die  form 
des  angenommenen  verbums  problematisch;  dem  sinne  nach  würde 
statzede  gut  passen.  —  über  provende  3407  hätten  die  Wörterbücher 
bessere  belehrung  erteilt.  —  gesaz  4024  kann  nicht  gleich  nd.  gesäte 
sein,  dessen  bedeutung  auch  nicht  passt;  es  ist  vielmehr  eine 
bildung  * gi-sato-  syn.  mit  gesetz;  vielleicht  ist  westfäl.  gesät 
identisch. 

Bonn,  december  1890.  FRANCK. 


GERMANISCHE  GOTTERNAMEN 
AUF   RHEINISCHEN  INSCHRIFTEN. 

1.    MARS  HALAMARDUS. 

MAPTI 
HALAMAP-B-/ 

SACPVM 

T-  DOMITA/INDEX 

3LEG-XX-V-V 

V   •    S    •     L     •     M 

In  vico  Hornano,  Niederlande.    CIRh  Add.  2028  (dorf  Hörn 

in  der  niederländ.  prov.  Limburg  bei  Ruremonde?). 


GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN     3S9 

Zeile  5  ist  vollständig  'centurio  legionis  xx  Valeriae  victricis'. 
die  legion,  welche  aus  Dalmatien  kam,  verweilte  nicht  lange  in 
den  Rheinlanden,  da  sie  nach  Tacitus  bereits  an  den  britannischen 
kriegen  teil  nimmt,  sicher  verliefs  sie  Germanien  unter  Claudius, 
der  stein  müste  also  vor  Claudius  fallen,  wenn  man  nicht  an- 
nimmt, was  allerdings  das  wahrscheinlichste  ist,  dass  der  centurio 
T.  Domitius  Vindex  in  den  Niederlanden  zu  hause  war  und  so 
auch  später,  etwa  nach  beendigung  seines  felddienstes,  gelegenheit 
nehmen  konnte,  den  stein  zu  stiften. 

Der  beiname  des  Mars  wird  in  HALAMARDO ,  kaum 
HALAMARD1,  zu  ergänzen  sein,  derselbe  ist  ein  compositum, 
dessen  ersten  teil  ich  durch  an.  halr,  gen.  hals,  pl.  halir  (somit 
allerdings  e'-stamm),  'der  mann',  vgl.  auch  den  /o-stamm  ags.  hcele 
'vir',  repräsentiert  finde,  den  zweiten  teil  mardus  aber  stelle  ich 
zu  unserem  mord,  morden,  mörder,  lat.  mori  sterben  und  setze  ein 
germ.  *mardäs  oder  vielleicht  besser  *  mardus,  vorgerm.  mortüs  (?) 
'der  mörder'  an,  welches  wol  in  mhd.  mart,  ags.  mearth,  meard, 
an.  mordr,  'der  marder'  erhalten  ist.  die  bekannte  mordlust  des 
marders  muss  in  seinem  namen  characterisiert  sein,  welcher  ein 
triftiges  seitenstück  in  dem  namen  eines  ebenso  mordlustigen 
vogels,  des  Würgers  (lanius  excubitor)  besitzt,  ich  erkläre  dem- 
nach Halamardus  als  den  'mannmörder',  ein  beiname,  wie  griech. 
avÖQoy.Tovog ,  und  halle  es  für  nicht  ausgeschlossen,  dass  er 
dem  unter  Augustus  verehrten  Mars  Ultor  zu  vergleichen  wäre, 
im  germanischen  göttersysteme  aber,  an  welches  wol  zunächst 
zu  denken  ist,  kann  der  Mars  Halamardus  nur  dem  *  Tius,  Tyr 
entsprechen,  mit  welchem  er  durch  die  begriffsreihe  alttweutisch 
Mars  Thincsus,  nid.  dingsdag,  alem.  ziestag,  ags.  tivesdwg,  an.  tys- 
dagr,  lat.  dies  Martis  verbunden  ist.  eine  nahe  liegende  andere 
auffassuug  des  ersten  teiles  gleich  ala,  somit  alamardus  der  all- 
tötende, verwerfe  ich,  da  einerseits  Mars  als  kriegsgott  doch  wol 
nicht  all  tötender  ist,  anderseits  —  und  dies  ist  ein  zwingen- 
derer grund  —  anlautendes  h  in  den  germanischeu  namen  der 
Inschriften  vom  Niederrheine  niemals  blofses  aspirationszeichen, 
sondern  immer  echter  consonant  ist. 

2.    DEA  SANDKAUDIGA. 
Aus  Groot  Zundert,   Sundert  in  Nord-Brabant,  Niederlande 

stammt,  der  stein  CIIUi  132: 


390     GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN 

D  E  AE 
SANDPAVDIG/E 
CVLTOPES 
TEM-PLI 
An    den    schmalseilen  der  ara  befindet  sich  je  ein  füllhorn. 
Der  name    zerfallt   in   zwei  teile,    und  es    ist  leicht   in  dem 
zweiten  das  an.  audigr,  ags.  eadig,  got.  audags,  as.  ödag,  ahd.  ötac, 
'reich',  'glücklich',  'selig'  zu  erkennen,  und  bemerkenswert,  dass 
aus  demselben  ein  germ.  *  audigas  gefolgert  werden  muss,  welches 
nach  Kluge  Nom.  Stammbildung  204  den  got.,   as.,  ahd.  formen 
gegenüber  älteren  stand  des  suffixvocales  aufzuweisen  scheint. 

Der  erste  teil  des  namens  der  göttin  war  nicht  zu  deuten, 
so  lange  nicht  der  name  des  Westgoten  Sandrimer  beigezogen 
wurde,  welchem  könig  Sisebut  (612 — 620)  das  bei  Riese  Antho- 
logia  latina  fasc.  n  p.  13  abgedruckte  epigramm  gewidmet  hat, 
welches  ich  um  den  sinn  von  sandri  zu  erläutern  vollständig 
hierhersetze. 

'Magnus  ubique  deus,  nunquam  mutabilis  auctor' 
Chare  mihi  in  aeuum  ualeas  tu  Teudila  semper 

Atque  animo  grato  nomen  amantis  ama. 
Qui  tibi  diuinum  iussit  concedere  uotum 

Ipse  tibi  tribuat  Sandrimer  alme  uiam. 
Te  dominus  uerax  ueraci  gratia  servet, 

Vt  nomen  meritis  uindices  ipse  tuis. 
Sit  leo  de  tribu  Juda  tibi  fautor  ubique 
Sit  tibi  uitae  lux  Christus  ubique  piusl 
die  erste  zeile  ist  ein  citat  aus  Dracontius  i  128,  wo  maculabilis 
statt  mutabilis;  alme  uiam  z.  5  stellt  Riese  her,  Burmann  Anth. 
lat.  ii  p.  325  hat  alma  uia. 

Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dass  das  epigramm  des 
königs  an  einen  scheidenden  freund  'Sandrimer  qui  et  Theudila' 
gerichtet  sei,  wenn  wir  auch  über  den  inhalt  des  'diuinum  uotum', 
welchem  dieser  folgt,  nichts  erfahren. 

Für  den  nächsten  zweck  wichtig  ist  indessen  nur  der  name 
und  das  auf  ihn  zeile  6—7  begründete  Wortspiel,  welches  eine 
deutung  des  namens  Sandrimer  im  sinne  von  'uerax'  voraussetzt 
und  beweist,  dass  dem  dichter  das  Verständnis  des  namens  gegen- 
wärtig gewesen  sein  muss.  sandr-  kann  demnach  nur  eine  suf- 
fixale ervveiterung  des  germ.  *santh,  an.  sannr,  sadr,  as.  söth,  ags. 


GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN     391 

sod  'wahr',  'wahrhaft'  sein ,  welche  zum  einfachen  worte  sich 
genau  so  verhält,  wie  as.  hedor,  ags.  hddor,  ahd.  heitar  zu  an. 
heidr,  heid,  heilt,  oder  wie  got.  fram-aldrs  zu  as.  ald,  ags.  eald, 
ahd.  alt,  und  vorgerm.  als  *  sontrös  germ.  als  *  Sandras  anzusetzen 
ist.  wenn  nun  aber  Sisebut  zu  seinem  freunde  sagt:  'der  wahr- 
hafte Herr  möge  mit  wahrhafter  gnade  dich  bewahren,  dass  du 
mit  deinen  Verdiensten  deinen  namen  rechtfertigest',  so  scheint  er 
den  namen  Sandrimer  nicht  als  'den  wahrhaft  berühmten',  sondern 
als  'den  durch  Wahrhaftigkeit  berühmten'  verstanden  zu  haben, 
nach  der  auffassung  des  epigrammes  muss  sandrimer  notwendig 
mit  'ueracitate  eminens',  'ueracitate  clarus'  übersetzt  werden,  und 
sandri  kann  dann  nicht  als  blofs  steigerndes  adj.  gefasst  werden, 
sondern  erheischt  die  Unterstellung  eines  swf.  abstractums  auf  -ei 
*sandrei,  wie  digrei :  *  digrs,  baitrei :  baitrs,  hlutrei :  hlutrs  mit  der 
bedeutung  'ueracitas'. 

Für  die  Sandraudiga  aber  kommt  nur  das  adj.  *sandras,  'wahr', 
'würklich'  in  betracht,  welches  den  begriff  audigas  in  modalem 
sinne  steigert,  die  dem  locale  nach  texuandrische  Dea  Sandraudiga 
ist  dem  wortsinne  gemäfs  die  wahrhaft  und  wesentlich  reiche 
und  glückliche  und  daher  eine  göttin  der  fülle,  wofür  die  orna- 
mentalen embleme  eine  erwünschte  bestätigung  darbieten1. 


3.   MERCUR1US  LEUDISIO. 

[mer]  CVPIO    LEVD 
///  ANOH  •  AKRT 
///  A  IMPENDIO 
///  VI    PPOCVL  I 
Fragment  aus  Weisweiler  kr.  Düren    rgbz.  Aachen  ClHh  592. 
Den  namen  der  frau  zeile  2  —  3  las  Lersch  Amarat[tini]a  und 
vermutet  als  gentilnamen  des  zeile  4  genannten  inannes  Salvius. 
für    die    ergänzung   des  beinamens  des  Mercurius  schlug  er,  ich 

1  mit  dem  namen  des  localcs,  welchem  der  stein  angehört,  hat  die 
göttin  demnach  nichts  zu  tun.  Sondert  var.  Sundert  saec.  10  Förstern. 
muss  in  durchaus  unabhängiger  weise  erklärt  werden  —  man  denke  etwa 
an  sand  oder  sund ,  allesfalls  auch  an  eine  vermengung  beider  —  denn  es 
müste  doch  befremden,  wenn  uns  ein  alles  * Sandraud  im  10, jh.  nicht 
mehr  als  *San(lröt  überliefert  wäre,  aufserdem  ist  das  ^-suflix  für  locale 
Zugehörigkeit  im  germ.  kaum  erweislich  und  nur  ags.  celtkßodig  •pciegrinus' 
würde  ein  annäherndes  analogem  abgehen  können. 


392     GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN 

weifs  nicht  auf  grund  welcher  analogien,  ist,  ehi  oder  ici  vor. 
jedesfalls  ist  die  zahl  der  zu  ergänzenden  huchstahen,  das  ergibt 
sich  aus  der  ersten  zeile,  auf  3  zu  veranschlagen,  aber  die  frage, 
welche  buchstaben  zu  ergänzen  seien,  wird  mit  bestimmlheit,  da 
die  vorliegende  inschrift  fragment  ist,  nur  durch  den  allfälligen 
fund  eines  zweiten  Steines  gelöst  werden  können,  es  ist  aber 
möglich,  die  ergänzung  -ist-,  zu  welcher  ich  nicht  eben  abhängig 
von  Lersch  auf  grund  sprachlicher  erwägung  gelange,  zu  ver- 
teidigen und  zu  erklären,  ein  beiname,  der  mit  leud  beginnt, 
hat  allen  anspruch  für  germanisch  genommen  zu  werden,  aber 
ein  compositum  ist  nicht  wahrscheinlich,  da  für  das  zweite  wort 
mit  abrechnung  eines  themat.  i,  das  zu  leudi-  gehören  müste, 
nur  2  buchstaben  übrig  blieben ,  ano  aber  anderseits  mit  grolser 
Wahrscheinlichkeit  als  germ.  flexion  plus  latein.  dativ-o  zu  deuten 
ist.  es  lässt  sich  demnach  mit  gröfserem  rechte  eine  ableitung 
erwarten,  und  ich  denke  zunächst  an  einen  germ.  neutralen 
s-stamm.  die  existenz  eines  solchen,  germ.  *leudis,  lässt  sich  aus 
den  p.  u.  Leudisma  fem.  saec.  8  Pol.  Irm.  (vgl.  Teodisma  ebenda), 
sowie  Leudeshis,  Leodesius  saec.  7  Cbrou.  Moissiac.  mit  Sicherheit 
erweisen,  da  aber  die  ergänzung  auf  3  buchstaben,  nicht  auf  2 
zu  berechnen  ist,  so  setze  ich  nicht  Leudiso  au,  das  wie  die 
ohnehin  als  abstracta  nicht  gut  passenden  egiso  lingiso  (Kluge 
Nom.  stammbildg.  146)  sich  verhielte  oder  andersfalls  eine  swm. 
adj.  form  sein  könnte,  sondern  ein  swm.  nomen  agentis  leudisjo, 
welches  auf  grund  eines  ideellen  verbums  -isjan,  ags.  -sjan 
gegen  an.  -sa  ahd.  -isön  Grimm  gr.  2,  272  zu  erklären  ist. 
*leudisjan  verhält  sich  wie  ags.  ricsian  ahd.  rihhisön  und  muss 
wie  dieses  den  begriff  des  herschens  ausdrücken,  der  parallelis- 
mus  von  ricsian  zu  ags.  -ric  in  p.  n.  got.  reiks  wie  *leudisjan 
zu  ags.  leod  stm.  'fürst'  ist  zwar  nicht  fehlerfrei,  aber  doch  auch 
nicht  ohne  wert  für  die  bestimmung  des  zu  erwartenden  sinnes. 
in  anderer  weise  betrachtet  lässt  sich  der  s-stamm  leudis,  welcher 
in  Leudisma  und  Leudesius  eine  weitere  ableitung  erfahren  hat, 
als  alte  nebenform  zu  gemeingerm.  leudi-  mn.  'volk',  'leute', 
begreifen,  aus  welchem  *leudisjan  'herschen'  sich  von  selbst  er- 
gibt, ähnlich,  aber  wieder  grammatisch  nicht  genau  zutreffend, 
ist  got.  thiuda,  thiudans,  thiudanön. 

Mercurius   Leudisio  ist  also  der  regnator  omnium,   im 
german.  sinne   offenbar  Woden,   und  er  wird  identisch  sein  mit 


GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN     393 

dem  Mercurius  rex,  welchem  der  Bataver  Blesio  Burgionis  filius 
den  stein  CIRh  70,  gefunden  am  ufer  der  Waal,  gewidmet  hat. 
Zu  dem  bypothet.  verbum  *leudisjan  'herschen'  vergleiche  ich 
noch  got.  talzjan  und  airzjan,  welche  augenscheinlich  auf  synco- 
pierten  s-stämmen  *tals  und  *airs  beruhen,  für  den  behaupteten 
dativ  sing,  des  swm.  beinamens  auf  -an  *Leudisjan  wird  es  ge- 
nügen ,  auf  die  dative  sing.  ags.  hanan,  afris.  hona,  an.  hana,  so- 
wie auf  den  im  instrumentalen  sinne  gebrauchten  casus  forman 
im  abecedarium  Nordmannicum  zu  verweisen. 

4.    DEA  VAGDAVERCUSTIS. 

Die  inschrift  des  'in  de  Linge,  tusschen  Hemmen  en  lndoor- 
nik',  prov.  Geldern,  gefundenen  fufsgestelles  'basis  cuprea  ro- 
tunda'  CIRh  67: 

DEAE  VAGDAVER-CVSTI -SIMPLI 
CIVS-SVPER-DEC-ALAE-VOCONTIOR 
EXERCITVVSBRITANNICI. 
ist  nach  Brambachs  angaben    nur   bezüglich    der  von  mir  unter- 
pungierten    buchstaben    E    und  P    in   z.  1   und  T   in  z.  3    etwas 
undeutlich,  aber  in  ihrem  textlichen  bestände  sonst  völlig  fraglos, 
durchweg  sicher   ist  auch   der  name  der  göttiu,    welchen  Bram- 
bach    im    index    des   CIRh    bei    dem    scheinbar   worttrennenden 
puncte  abbrechend  als  dea  Vagdavera  ansetzt,  während  er  aller- 
dings mit  dem  folgenden  Custi  nichts  zu  beginnen  weifs  und  es 
ebenda  zweifelnd   unter  die  'nomina'  einreiht. 

Der  beiname  der  Göttin  ist  aber  nicht  Vagdavera  sondern 
Vagdavercustis ,  denn  puncte  im  wortinnern  sind  epigraphisch 
nicht  selten,  vgl.  TEM.-PL1  oben  s.  389,  und  für  Vagdavercustis 
entscheidet  sich,  wie  ich  durch  freundliche  mitteilung  weiss,  gegen- 
wärtig auch  Zangemeister. 

Die  Vocontii,  welche  am  linken  Rhöneufer  in  der  gegend  von 
Montelimar  dep.  Dröme  safsen,  sind  allerdings  Kelten,  aber  dass 
deshalb  auch  der  decurio  Simplicius  Super  ein  Kelle  gewesen 
sein  müsse,  ist  keineswegs  notwendig;  er  kann  sehr  wol  auch 
Germane1    gewesen    sein,    und    der    schluss    von   der  keltischen 

1  vgl.    die   inschrift    des  Steines  aus    Bergendael   bei  Cleve  CIRh  161, 

auf  welcher   ein  Silvanus  Loupi  filiu.s  Treverut  eque»  alae  Vocontiorum 

erscheint   und   uns   die   ohnehin   bekannte  tatsache  befestigt,  dass   officiere 

und  unterofficiere   im    römischen  beere   so  wenig   die  Btammesgemeinschaft 

Z.  F.  D.  A.    XXXV.     N.  F.    XXIII.  26 


394     GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN 

nationalität  seiner  'ala'  auf  keltische  Zugehörigkeit  der  von  ihm 
verehrten  'dea'  wäre  in  jedem  betracht  übereilt,  der  fundort 
gewis  spricht  eher  für  die  germanische  abkunft  des  namens  der 
göttin,  denn  er  liegt  in  dem  gebiete  der  germanischen  Cugerni, 
und  es  kann  die  annähme  nicht  ohne  weiteres  abgelehnt  werden, 
dass  der  decurio  jene  'basis  cuprea  rotunda'  in  seiner  heimat 
errichtet  habe,  dass  er  selbst  cugernischer  abstammung  gewesen 
und  somit  auch  die  göttin  für  eine  cugernische  zu  halten  sei. 
diese  Vermutung  will  nicht  als  behauptung  gelten,  aber  sie  stützt 
sich  auf  das  aller  Wahrscheinlichkeit  zunächst  liegende  und  ist 
demnach  an  sich  gerechtfertigt,  viel  dringender  aber,  als  die 
nationalität  des  Stammes  zu  ermitteln,  welchem  die  dea  Vagda- 
vercustis  zunächst  zugeschrieben  werden  mag,  liegt  es  mir  an, 
den  germanischen  character  ihres  beinamens  überhaupt  darzulegen, 
der  beiname  zerfällt  ohne  mühe  in  die  componenten  vagda  und 
vercustis,  von  denen  der  zweite  sofort  mit  dem  nameu  der  göttin 
Vercana  aus  dem  Nemetergau,  Ernstweiler  bei  Zweibrücken,  in 
etymologischen  Zusammenhang  gebracht  werden  kann,  welchen 
RMuch  Zs.  31,  357  als  germ.  entsprechung  zu  griech.  'Egyavij, 
benennung  der  Athene,  nachgewiesen  hat.  wie  Vercana  so  ist 
auch  vercustis  aus  unserem  werk,  an.  verk,  as.  werk,  ags.  weorc, 
stn.  abgeleitet,  und  ich  denke  keinen  fehlgriff  zu  tun,  wenn  ich 
den  wert  dieser  ableitung  als  'die  würkende',  'die  bewürkerin' 
bestimme. 

Kluges  s?-suffix  (Nom.  stammbihlung  §  160)  in  ahd.  dionöst 
stm.,  ernust  stuf.,  angust  stf.  mag  man  allerdings  noch  als  dunkel 
bezeichnen,  allein,  wenn  angust  =  asl.  azosti  mit  lat.  angustus 
urverwant  sein  soll  (Kluge  EW4),  was  wir  ja  gerne  glauben,  so 
kann  es  nach  dem  Verhältnisse  von  angustus  zu  angor,  wie  ve- 
tustus,  venustus,  robustus,  honestus,  funestus  zu  vetus,  venus,  robur, 
honor,  funus  nicht  bezweifelt  werden,  dass  dieses  germ.  si-suffix 
zum  teil  von  alten  s-stämmen  ausgeht  und  ursprünglich  denomi- 
native  nomina  bildet,  diese  herkunft  des  sf-sufüxes  wird  des 
weiteren  erhärtet  durch  as.  *obast  in  'ötastliko  'eifrig',  ags.  öfost, 
öfest  stf.  'eile',  welches  ich  zu  sskr.  dpas  n.,  ablautend  lat.  opus, 

ihrer  truppe  teilen  musten  wie  in  irgend  einer  modernen  armee.  die  'ala' 
hat  auch  in  Britannien  epigraphische  spuren  hinterlassen,  s.  den  stein  aus 
\ewstead,  Roxburgshire  bei  Ihm  Matronencult.  377,  welcher  von  Ael.  Marcus 
dec.  alae  Aug.  Focontior.  den  Campestribus  geweiht  ist. 


GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN    395 

s.  Fick  Vgl.  wb.3  in  20,  zu  stellen  geneigt  bin ,  sowie  durch  die 
tadellose  beziehung  von  salfränk.  sunesta,  sunista  Lex  salica  und 
sonesti,  sonista  'duodecim  equae  cum  admissario  aut  sex  scrofae 
cum  verre  vel  duodecim  vaccae  cum  tauro'  Lex  Ripuar.  lit.  18  zu 
dem  s- stamme  ags.  sunor,  suner  'grex',  langobard.  in  sonorpair 
'verres'  edictus  Rothari  351.  das  schwanken  des  vocales  vor  dem 
st- suffixe,  ust,  ost,  ast  einerseits  und  est,  ist  anderseits,  erklärt 
sich  demzufolge  ganz  einfach  aus  dem  ablaut  der  s-stämme,  gr. 
-og  und  -sg,  und  nur  das  anscheinend  verbale  ahd.  dionöst  fällt 
mit  seinem  ö  aus  dem  rahmen  und  kanu  etwa  als  spätere  analogie- 
bildung  angesehn  werden,  für  *werkustis  lege  ich  ein  altes 
neutrum  *werkos  'das  werk'  zu  gründe  und  glaube  den  auslaut 
des  Wortes  als  einen  «'-stamm  beurteilen  zu  dürfen,  analog  zu 
Albis  (Kluge  in  Pauls  Grundriss  i  359)  und  noch  näher  zu 
Segestes,  denn  dieser  name  ist  wie  *vercustis  eine  f-ableitung  aus 
dem  neutralen  s- stamme  got.  sigis  und  ich  zweifle  nicht,  dass 
auch  sein  suffixvocal  kein  anderer  als  i  sein  kann:  *Segestis,  got. 
*Sigists  'der  sieger'. 

Rei  vagda,  dem  ersten  teile  des  compositums,  ist  nicht 
an  an.  vcegct  f.  'mercy'  'forbearance',  vcegdarlauss  adj.  'merciless' 
(Cleasby-Vigfusson)  zu  denken,  so  passend  uns  auch  ein  begriff 
wie  'gnade'  für  den  namen  der  göttin  wäre,  deun  vcegd  zu  an. 
vwgr,  mhd.  wcege,  ahd.  uniodgi  erfordert  ein  got.  *we'güha  und 
der  Übergang  von  germ.  e  zu  d  ist  in  den  namen  der  alten  rhei- 
nischen Inschriften  weder  zu  erwarten  noch  irgendwie  zu  be- 
weisen, wol  aber  ist  der  Zusammenhang  mit  ahd.  *ivagida  in 
kiuuegida  'vegetamen'  und  nötuuegida,  nöduuekitha  'violentia'  Graff 
i  660  augenscheinlich  und  führt  zur  aufstellung  eines  germ.  *wagda, 
das  ohne  miltelvocal  aus  der  wurzel  wag  'bewegen'  abgeleitet  sich 
verhält,  wie  germ.  skanda  (aus  skamda)  zu  * skamitha,  nihil,  sc/w- 
mede,  schemede,  schemde,  au.  skemd.  die  lautverbindung  gd  findet 
sich  auch  in  got.  gahugds  (vgl.  den  namen  des  Batavers  Ilucdio 
CIRh  37),  und  wenn  Kluge  in  Pauls  Grundriss  i  327  diese  laut- 
verbindung als  idg.  ghdh  beansprucht  und  sie  nach  einem  älteren 
gesetze  aus  idg.  gh-\-t  entstehn  lässt,  so  ist  nichts  im  wege, 
auch  vagda  sich  in  derselben  weise  entstanden  zu  denken,  und 
der  mangel  der  erwarteten  lautverbindung  lit  aus  idj,'.  kl  wird 
für  unser  wort  keinen  Vorwurf,  sondern  nur  die  beglaubigung 
höheren  alters  in  sich  schliefsen.    die  allgemeine  bedeutung  von 

26* 


396     GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN 

*vagda  liefse  sich  mit  'bewegung'  feststellen,  allein  'die  bewegung 
würkende'  scheint  für  den  namen  der  göttin  zu  verschwommen 
und  vieldeutig,  um  als  befriedigende  erklärung  gelten  zu  können, 
wenn  aber  skanda  und  *skamitha  sich  in  der  bedeutung  zum 
grofsen  teile  decken,  sollte  es  dann  nicht  erlaubt  sein,  den  wert 
von  ahd.  kiuuegida  'vegetamen'  auf  älteres  vagda  zu  übertragen? 
vegetamen  ist  'vegetandi  vis',  'vegetatio',  'die  belebende  kraft': 
sunt  trta  nempe  simul  lux  et  calor  et  vegetamen  Prudentius  Ha- 
martig.  75  und  nostrae  vegetamina  vitae  ebenda  299,  und  dieser 
begriff  allerdings  steht  im  schönsten  einklange  mit  dem  für  *ver- 
custis  erschlossenen ,  denn  Vagdavercustis  ist  sodann  'die  be- 
würkerin  der  belebenden  kraft'  'die  lebenskraft  würkende',  worin 
ein  beiname  der  Terra  mater,  der  Nerthus,  sich  mit  einigem 
rechte  vermuten  lässt. 

5.    HERCULES  SAXO. 

Das  CIRh  verzeichnet  18  steine,  welche  diesem  gotte  ge- 
weiht sind,  und  zwar  die  nummern  651.  652.655—58.  662  —  65. 
668.  670.  672.  674.  678  —  80.  685.  bei  der  nr  660,  welche  im 
index  gleichfalls  dieser  reihe  zugerechnet  ist,  finde  ich  zwar  den 
Hercules,  nicht  aber  das  entscheidende  beiwort.  die  Überein- 
stimmung dieser  inschrift  mit  662  mag  es  nahe  gelegt  haben, 
sie  den  voranstehnden  anzuschliefsen,  aber  das  beiwort  steht, 
bei  Rrambach  wenigstens,  nicht  da,  und  ich  sehe  daher  von  ihr 
ab.  die  lesung  der  steine  658  und  664  ist  in  den  Ronner  Jahr- 
büchern lieft  81  s.  115  und  112  durch  Klein  berichtigt,  zu 
diesen  18  inschriften,  welche  sämtlich  dem  rgbz.  Koblenz  an- 
gehören und  zwar  kr.  Ahrweiler  Ortschaft  Rrohl  11  stück,  kr. 
Mayen  ortsch.  Rurgbrohl  1,  Schweppenburg  1,  Tönnisstein  1, 
Andernach  4,  kommen  noch  ein  weiterer  stein  aus  Rrohl,  Ronner 
jahrb.  h.  84  s.  85,  ferner  eine  inschrift  aus  Trient  CIL  v  5013, 
eine  aus  dem  Lavantthale  in  Kärnthen  CIL  in  5093  und  ein  frag- 
ment  aus  Middleby  in  Schottland  CIL  vn  1077.  wir  verfügen 
demnach  über  ein  material  von  22  inschriften,  von  denen  19  sich 
um  Rrohl  concentrieren  und  nur  3  entfernteren  localen  aufser- 
halb  Germaniens  augehören,  sodass  wir  schon  jetzt  in  der  läge 
sind,  die  behauptung  JGrimms  Myth.2  s.  339  'die  inschriften ,  auf 
welchen   der  Hercules  Saxanus   angetroffen   wird,   reichen   über 


GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN     397 

Deutschland  hinaus  und  fallen  mehr  dem  römischen  cultus  zu' 
auf  ihren  wahren  wert  zurückzuführen. 

Die  Inschriften  zerfallen  in  zwei  gruppen,  je  nachdem  auf 
ihnen  der  Hercules-  S.  allein  oder  in  Verbindung  mit  Jupiter 
genannt  ist.  zur  zweiten  gruppe  typus  IOM|ETHER  SAX  662 
gehören  noch  die  nummern  651.  652.  656.  657.  665,  zur  ersten 
gruppe  alle  übrigen,  der  name  des  Hercules  in  Verbindung  mit 
dem  beiworte,  typus  HERCVLI  SAX|SANO  655,  erscheint  in  der 
überwiegenden  zahl ,  in  einzelnen  fällen  aber  steht  das  beiwort 
allein,  sicher  in  657  IOM|E[t]  SAXSANO  sowie  in  685,  unent- 
schieden in  dem  fragmente  von  Middleby  //AXSAN//,  sicher  aber 
auch  auf  der  iuschrift  vom  Lavantthale,  wo  demselben  die  epitheta 
Sanctus  und  Augustus  beigelegt  siud ,    CIL  in  5093: 

S-SAXANO 
AVG.SAC 
ADIVTOR 
■E-SECVNDINVS 

das  CIL  allerdings  fasst  an  dieser  stelle  das  S.  nicht  als 
*  Sanctus  sondern  als  *  Süvanus,  aber  die  kürzung  S.  für  Silvanus 
leuchtet  nicht  recht  ein  und  ein  zweiter  *  Silvanus  Saxanus 
kommt  nicht  vor.  der  dativ  des  beinamens  ist  nicht  immer 
ausgeschrieben,  sondern  des  öfteren  gekürzt,  das  X  häufig  durch 
ein  S  vermehrt,  volle  formen  und  zwar  SAXANO  gewähren  656. 
670.672.  678.  679.  CIL  in  5093 ,  SAXSANO  655.  657.  658. 
663.  674;  zur  ersten  Schreibung  gehören  die  gekürzten  oder 
verstümmelten  651.652.662.664.  665.  668.685.  CIL  v  5013, 
zur  zweiten  CIL  vu  1077;  unbestimmbar  sind  680  und  Ronner 
jahrb.  84  s.  85.  die  orthographische  Variante  xs  für  x,  welche 
in  lateinischen  Wörtern  wie  Maxsimus  neben  Maximus  ua.  aus 
Inschriften  hinlänglich  bekannt  ist,  hat  freilich  durchaus  keine 
besondere  bedeutung  und  entscheidet  nicht  das  geringste  für  die 
berkunft  des  beinamens,  aber  um  der  feststellung  der  formen 
willen  mag  es  entschuldigt  sein,  dieselben  hier  ausgezahlt  zu 
finden,  aus  dem  dativ  Herculi  Saxano  wurde  bisher  ein  oom. 
Hercules  Saxanus  gefolgert,  welchen  Preller  Rom.  inyili.  O.'iO  zu 
saxum  stellend  (also  lat.  *saxdnus  wie  montänus)  als  römischen 
gott,  als  beschützer  der  in  den  Steinbrüchen  arbeitenden  Soldaten 
erklärte,  HKern  aber  in  Germaanische  woordeo  s.  312  zu  germ. 


398     GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN 

sahs  bezog  und  als  einen  germ.  schwertgott  mit  dem  as.  Saxnöt, 
ags.  Saxneat  in  Verbindung  brachte. 

Die  ansieht  Prellers  beruht  auf  den  tatsachen,  dass  einer- 
seits der  römische  Hercules  auch  als  gott  körperlicher  arbeit  und 
rüstigkeit  verehrt  wurde  und  anderseits  von  den  rheinischen 
steinen,  die  sich  so  auffallend  um  Rrohl  gruppieren,  die  nummern 
655.  656.  662.  665.  670  unmittelbar  in  den  Steinbrüchen  von 
Brohl  und  Burgbrohl  gefunden  sind.  Preller  hat  richtig  gesehen, 
dass  die  dedicanten  der  steine,  soweit  sie  angegeben  oder  er- 
halten sind,  durchaus  Soldaten  sind,  aber  er  hat  in  der  Voraus- 
setzung, dass  das  beiwort  Saxanns  von  lat.  saxum  abzuleiten  sei, 
den  functionellen  schluss  in  einer  falschen  richtung  gezogen  und 
das  aller  erwarlung  zunächstliegende  nicht  erwogen,  dass  ein 
augenscheinlich  speeifisch  militärischer  gott  auch  eine  speeifisch 
militärische  bedeutung  haben  müsse,  wofür  doch  die  gelegent- 
liche arbeit  der  Soldaten  in  Steinbrüchen  gewis  nicht  angesprochen 
werden  kann. 

Beachten  wir  die  form  der  inschriften,  so  sehen  wir  jene 
dedicationeu  in  ganz  überwiegender  zahl  vertreten,  welche  ich  als 
collectivdedicationen  bezeichnen  möchte,  indem  sie  nicht  von 
einer  einzelnen  person,  sondern  von  einer  ganzen  militärischen 
abteilung  ausgehu.  so  treffen  wir  als  dedicanten  je  einen  cen- 
turio  legionis  x  et  commilitones  651.  652.  655.  679,  einen  cen- 
turio  leg.  xxn  et  commilitones  674,  eine  vexillatio  derselben 
legion  672,  ferner  vexillarii  leg.  i  Minerviae  680,  vexillatio  classis 
Germanicae  665,  vexillarii  der  legio  xvi  657,  einen  imaginifer 
cohortis  Asturum  et  vexillatio  678,  eine  vexillatio  cohortis  i  ci- 
vium  Bomanor.  670,  einen  centurio  der  15  oder  16  legion  685, 
centurio  et  commilitones  663,  cohors  ii  658,  centurio  leg.  xxi  et 
milites  leg.  eiusdem  656,  centurio  cohortis  Varcianorum  664, 
vexillarii  leg.  vi  victr.  p.  f.  &c.  662,  endlich  auf  dem  steine 
Bonn,  jahrb.  h.  84  s.  85  einen  officier  classis  Germanicae  et  com- 
militones. diesen  dedicationen,  welche  ein  ausgesucht  militärisches 
gepräge  tragen,  entspräche  es  gewis  nur  schlecht  im  Hercules 
Saxanus  einen  beschützer  der  etwa  zum  steinbrechen  comman- 
dierlen  Soldaten  zu  suchen;  denn  was  sollte  der  centurio  dabei, 
der  doch  sicher  nicht  selbst  körperliche  arbeit  leistete?  und  was 
sollte  der  bunte  Wechsel  der  truppen?  der  einzig  einleuchtende 
schluss   ist  vielmehr   der:    die   Brohler  Steinbrüche   waren    eine 


GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN    399 

werkstätte  für  die  fabrication  von  Saxanus- steinen,  welche  von 
den  garnisonen  der  Umgebung  daselbst  bestellt  wurden  und  zum 
teil,  das  gilt  von  den  in  den  brüchen  selbst  gefundenen  steinen, 
vielleicht  gar  nicht  zur  ablieferung  gelangten,  sondern  au  ort  und 
stelle  liegen  geblieben  sind,  wir  haben  also  den  beinamen  sicher 
nicht  von  lat.  saxum,  sondern  von  germ.  sahs  'kurzes  schwert'  ab- 
zuleiten und  in  dem  gotte  'den  schwertbewaffneten',  'den  Schwert- 
träger' zu  erblicken,  was  die  germ.  gestalt  des  beinamens  be- 
trifft, so  scheint  Kern  an  *sahsanas  gedacht  zu  haben,  denn  er 
bringt  zur  bekräftigung  seiner  ableitung  aus  Geldernschen  Ur- 
kunden vom  j.  882  die  p.  n.  Saxani  und  Saxini  bei  und  es  ist 
nicht  zu  leugnen,  dass  *  Sahsanas  nach  Kluge  Nom.  stammb.  §  2U 
möglich  ist  und  etwa  'den  herrn  des  Schwertes'  bezeichnen  würde, 
ja  es  könnte  diese  gestaltung  des  suffixes  noch  durch  den  p.  n. 
der  Ulpia  Sacsena  CIRh  194  gestützt  werden,  allein  ich  nehme 
anstofs  an  den  drei  a  des  gemutmafsten  *  Sahsanas  und  mache 
aufmerksam,  dass  ein  völliger  parallelismus  mit  thiudans,  dryhten, 
kindins  überhaupt  nicht  statt  hat,  denn  die  diesen  ableitungen 
zu  gründe  liegenden  thiuda,  dryht  und  *kind  =  gens,  gentis  sind 
persönliche  und  collectivische  begriffe,  was  für  sahs  nicht  zu- 
trifft, ich  denke  daher  die  lat.  form  Saxano  besser  aus  dem 
germ.  dativ  *Saxati  einer  swm.  a/t-bildung  *Sahso,  Saxo  abstra- 
hieren zu  dürfen,  welche  mit  dem  späteren  volksnamen  Sahso 
geradezu  identisch  ist  und  wie  dieser  'den  mit  dem  Schwerte 
bewaffneten'  bezeichnet,  über  die  abstraction  eines  lat.  dativs 
-ano  aus  einem  germ.  auf  an  habe  ich  schon  unter  Leudisio 
gesprochen,  es  gibt  gewis  fälle,  wo  gezweifelt  werden  kann, 
ob  eine  solche  Vermischung  germ.  und  lat.  flexionselemente  vor- 
liege oder  nicht,  denn  diese  Vermischung,  welche  allerdings  bei 
den  Schriftstellern  des  6  und  7jhs.,  Jordanes  zb.,  häufig  genug 
ist,  wird  bei  den  römischen  autoren  der  guten  zeit  nicht  ge- 
troffen, allein  die  epigraphischen  Zeugnisse  für  diese  Vermischung 
aus  dem  2 — 3  jh.  unserer  Zeitrechnung  haben  mit  der  Schreibart 
grammatisch  geschulter  Schriftsteller  nichts  zu  tun,  sondern  be- 
ruhen auf  gewohnheiten  der  Volkssprache,  auf  der  ganzen  Urteils- 
losigkeit, roheit  und  Unbefangenheit  von  leuten,  welchen  es  ein 
leichtes  ist,  aus  einem  vorzugsweise  gehörten  casus  obliquus 
*Saxan  virtuell  einen  lat.  nominativ  *  Saxanus  zu  folgern  und 
in  dedicationsiuschriften  die  stehende  formel  Saxano  auszubilden, 


400     GERM.  GÖTTERNAMEN  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN 

wofür  ein  Tacitus,  sofern  er  den  nominativ  kannte,  gewis  nicht 
anders  als  *  Saxoni  geschrieben  haben  würde,  es  gibt  aber  auch 
fälle,  wo  kein  anderer  ausweg  möglich  ist,  als  eine  derartige 
Vermischung  anzunehmen;  denn  die  anziehende  Inschrift  deo  Re- 
qualivahano  Ronner  Jahrbücher  1886  zb.  kann  vernünftiger  weise 
nur  auf  einen  germ.  deus  * RequalivaJw  (s.  oben  s.  374)  und  nicht 
auf  einen  sesquipedalen    *  Requalivahanas   zurückgeführt  werden. 

Für  den  beiuamen  des  Hercules  wäre,  wenn  nicht  germ. 
Saxo  beliebt  würde,  noch  die  eine  möglichkeit  offen,  dass  der- 
selbe als  germ.  w-stamm  *Sahsarms  gefasst  würde,  wofür  jedoch 
eine  stützende  analogie  mir  nicht  vor  äugen  liegt,  war  nun  aber 
der  Hercules  Saxo,  nach  seinem  beinamen  geurteilt,  ein  germ. 
gott,  so  ist  es  kaum  ein  verdienst,  denselben  mit  jenem  germani- 
schen Hercules  zu  identificieren,  welchen  Tacitus  Germ.  3  erwähnt, 
und  die  aus  den  dedicationsformeln  erschlossene  specifisch  mili- 
tärische bedeutung  des  gottes  durch  den  satz:  'Fuisse  apud  eos 
[Germanos]  et  Herculem  memorant ,  primumque  omnium  virorum 
fortium  ituri  in  proelia  canunf  erläutert  zu  finden,  diesen  Her- 
cules der  Germanen  hat  schon  Zeufs  Die  Deutschen  s.  25  auf  den 
nordischen  Thor  gedeutet  und  Simrock  Myth.  6  aufl.  s.  245 
folgt  ihm  darin  und  erklärt  dementsprechend  den  beinamen 
Saxanus  als  den  zerspalter  der  felsen ,  wozu  ich  mich  indessen 
in  keinem  falle  entschliefsen  kann,  da  mir  der  beiname  weder 
lateinisch  ist  noch  auf  das  bekämpfte  object  bezogen,  sondern 
germanisch  und  von  der  characteristischen  watfe  ausgehend. 

Die  selbst  vielfach  verwickelten  und  alles  eher  als  einheit- 
lichen Verhältnisse  der  nordischen  mythologie  dürfen  nicht  ohne 
weiteres  auf  die  rheinischen  Germanen  übertragen  werdeu,  und 
wenn  wir  auch  zugeben,  dass  in  der  person  des  nordischen  Thor 
züge  auftreten,  welche  ihn  dem  Hercules  vergleichen  lassen  (Zeufs 
legt  das  hauptgewicht  auf  die  körperliche  kraft),  so  ist  es  doch 
zweifelhaft,  ob  der  germanische  Hercules  ebenso  sicher  wie  der 
nordische  Thor  von  einem  physicalischen  donnergolte  abzuleiten 
ist.  die  westgermanische  trilogie  Mercurius  Mars  Hercules  ist 
eine  trilogie  für  sich,  zu  der  nicht  einmal  mehr  die  sächsische 
trilogie  der  Abrenunciatio  Thunaer  Wöden  Saxnöt  stimmt,  viel 
weniger  gewis  die  späteren  nordischen  complicationen.  mit 
Saxnöt  aber,  ags.  Saxneat,  dem  söhne  Wodens  ist  der  Hercules 
Saxo  durch    den    namen  verbunden  ,   vielleicht  also  auch  inhalt- 


GERM.  GÖTTERNAMEM  AUF  RHEIN.  INSCHRIFTEN     401 

lieh,  und  es  dürfte  vollends  begreiflich  erscheinen,  warum  der 
goit  bei  den  Völkern,  welche  sich  selbst  Saxan  Seaxan  nannten, 
nicht  mehr  Saxo  schlechtweg  heifsen  konnte,  sondern  mit  einem 
compositum  genannt  werden  muste.  nicht  ganz  ohne  bedeutung 
ist  es  ferner,  dass  der  Hercules  Saxo  6 mal  in  Verbindung  mit 
Jupiter  genannt  ist;  denn  wenn  auch  die  nennung  Jupiters 
eine  allgemein  formelhafte  und  eine  concession  an  den  römischen 
eultus  ist,  so  dürfte  doch  gemutmafst  werden,  dass  der  genea- 
logische Zusammenhang  des  Jupiter  und  Hercules  im  germani- 
schen glauben  eine  parallele  gehabt  habe,  welche  zu  dieser  Zu- 
sammenstellung einlud,  eine  parallele,  welche  indessen  möglicher- 
weise gar  nicht  weiter  reichte,  als  dass  der  germanische  Hercules 
so  wie  der  römische  als  söhn  eines  urgottes  des  himmels  auf- 
gefasst  war.  und  dass  der  germanische  Hercules  nicht  eigent- 
licher gott,  sondern  nur  heros  oder  halbgott  war,  ist  nicht  zu 
bezweifeln  nach  der  citierten  stelle  aus  Tacitus,  welche  ihn  nicht 
'deum',  sondern  nur  'primum  omnium  virorum  fortium'  nennt, 
ich  schliefse  daher:  der  germanische  Hercules,  mit  besonderer 
characterisierung  auch  Hercules  Saxo  genannt,  fortgesetzt  im  as. 
Saxnot,  ags.  Saxneat,  ist  wie  der  antike  kein  eigentlicher  gott, 
sondern  ein  heros,  eine  idealisierung  menschlicher  kraft  und 
rüstigkeit,  und  wie  dieser  ein  söhn  des  collectivischen  urgottes 
der  meteorologischen  erscheinungen,  welcher  bei  den  Skandinaviern 
in  der  gestalt  des  Thor  aufgegangen  ist,  während  in  der  Abrenun- 
ciatio  der  physicalische  gott  Thunaer  und  der  germ.  Hercules 
Saxnot  unverschmolzen  neben  eiuander  stehn. 

Wien  1891.  THEODOR  VON  GR1ENBERGER. 


LEGENDEN  VOM  HEILIGEN  NICOLAUS. 

In  der  dem  1 1  jh.  angehörenden  hs.  des  britischen  museums, 
additional  manuscripts  22411,  bezeichnet  als  Liber  saneti  Gode- 
hardi  in  Hild(esheim) ,  finden  sich  auf  /'.  3  —  4  ohne  Überschrift 
2  nicht  deutlich  unterschiedene  rhythmische  gedichte ,  die  bisher  un- 
gedrnckt  waren,  ihre  abschrift  verdanke  ich  hrn  KWild,  lein  er  am 
Anglo  -  (jerman  College  in  Brixton-Lambeth,  eine  nochmalige  ver- 
gleichung  der  bekannten  gute  des  hrn  EMaunde  Thompson,  prm- 
cipal  librarian.    der  text  ist  ohne  rücksicht  auf  die  verse  zusammen- 


402  LEGENDEN  VOM  HEILIGEN  NICOLAUS 

hängend,  nachlässig  und  schwer  leserlich,  mit  vielen  fehlem 
geschrieben,  ganz  verstümmelt  und  unvollständig  ist  der  schluss 
beider  rhythmen,  obgleich  nicht  gerade  viel  fehlt,  man  kann 
zweifeln,  ob  man  es  mit  einem  concept  oder  einer  schlechten  ab- 
schrift  zu  tun  hat,  deren  urheber  manches  in  seiner  vorläge  nicht 
lesen  konnte. 

Die  verse  sind  durchaus  nur  rhythmisch  gebaut  und  besteht 
aus  5  zeiligen  Strophen,  von  denen  die  ersten  4  zeilen  10  silbig  sind 
und  auf  einander  reimen,  die  fünfte  ist  ein  4 silbiger  refrain. 
nur  die  reden  der  handelnden  personen  werden  in  den  versen  wider- 
gegeben, die  handlung  selbst  —  in  dem  ersten  gedieht  das  rettende 
geschenk  des  heil.  Nicolaus,  in  dem  zweiten  die  ermordung  und 
beraubung  der  drei  fremdlinge  —  muss  ergänzt  und  sollte  also 
vielleicht  dramatisch  dargestellt  werden. 

Für  die  zweite  der  beiden  in  unseren  rhythmen  behandelten 
legenden  vermag  ich  keine  schriftliche  quelle  nachzuweisen,  die 
erste  dagegen  findet  sich  bei  Surius  (De  probatis  sanetorum  historiis 
t.  vi  797),  ioo  der  Vorfall  nach  Patara  verlegt  wird,  die  einzel- 
heiten  weichen  so  stark  ab,  dass  man  glauben  möchte,  der  dichter 
habe  nur  aus  einer  umgewandelten  mündlichen  Überlieferung  ge- 
schöpft, in  der  legende  widerholt  sich  das  heimlich  durch  das 
fenster  in  das  gemach  geworfene  geschenk  des  heil.  Nicolaus  dreimal 
und  dient  jedesmal  zur  aussteuer  einer  tochter.  nicht  von  diesen, 
sondern  von  dem  vater  geht  dort  der  gedanke  der  preisgebung 
ans  usw. 

I 

1.  'Cara  mihi  pignora,  filie,  (Pater.) 
opes  patris  inopis  hunice 

et  solamen  mee  miserie, 
michi  mesto  taudem  consulite. 
Me  miserum. 

2.  Olim  dives  et  nunc  pauperrimus 
luce  feror  et  nocte  aoxius 

et  quam  ferre  non  coüsuevi(mus) 

1,  1  die  bezeichming  der  personeti  steht  in  der  Iis.  links  vor  den 
einzelnen  versen,  fehlt  aber  überall  wo  sie  in  klammern  gesetzt  wor- 
den ist. 

2,  1  anetius  hs.  2,  3  consueui  hs. 


LEGENDEN  VOM  HEILIGEN  NICOLAUS  403 

paupertatem  graviter  ferimus. 
Me  miserum. 

3.  Nee  me  mea  tantum  inopia 
quautum  vestra  vexat  peauria, 
quarum  olim  laseiva  corpora 
modo  domant  longa  geiunia. 

Me  miserum.' 

4.  'Care  pater,  lugere  desine        (Prima  filia.) 
nee  nos  lugeus  lugendo  promove 

et  quod  tibi  valeo  dicere 
consilium  hoc  a  me  suseipe, 
Care  pater. 

5.  Unum  nobis  restat  auxilium 
per  dedecus  et  per  obprobrium, 
ut  nostrorum  species  corporum 
victum  nobis  lucretur  puplicum, 

Care  pater. 

6.  Et  me  primam  si  (modo)  iubeas, 
dedecori  submittet  pietas, 

ut  seutiat  primam  anxietas 
quam  contulit  primam  nativitas, 
Care  pater.' 

7.  'Consilium  hoc  miserabile        (Responsum.) 
mihi  prebet  cor  lammentabile, 

corpus  tuum  tarn  venerabile 
meum  frangit  senio  debile 
Suspirando.' 

8.  'Noli  pater,  noli  carissime       Secunda  filia. 
doloribus  dolores  addere, 

ne  pro  damno  velis  inducere 
periculum  irreparabile, 
Care  pater. 

9.  Seimus  quidem,  quod  fornicantibus 

3,  3  laciua  ht.  4, 1  lucere  ht.  4,  3  ualeti  verb.  o  fis. 

4,  4  sueipe  hs.  5,  1  ausilium  ht. 

6,  1  die  zwei  fehlenden  gilben  werden  so  besser  als  durch  mihi  er- 
gänzt SCH.  6,  3  anetietas  hs.  8,  1  carisime  hs.  9,  1  Simus  ht. 
quid  hs. 


404  LEGENDEN  VOM  HEILIGEN  NICOLAUS 

obstrusus  est  celorum  aditus; 
care  ergo,  te  nos  deposcimus, 
ne  nos  velis  addere  talibus, 
Care  (pater). 

10.  Nee  te  velis  nee  nos  infamie 
submittere,  pater,  perpetue 
nee  ab  ista  labi  pauperie 

in  eterne  lacum  raiserie, 
Care  pater.' 

11.  'Tuum,  nata,  placet  consilium         Responsum. 
et  exemplum  placet  egregium, 

sed  paupertas  augetur  nimium, 
que  me  gravat  quem  domat  Senium 
Heu  frequenter.' 

12.  'Meum  quoque,  pater  perpetue,  (Tertia  filia.) 
consilium  audire  sustine 

adque  finem  breviter  collige: 
Deum,  pater,  time  et  dilige, 
Care  (pater). 

13.  Nichil  enim  deesse  novimus 
per  scripturas  Deum  timentibus 
et  omnia  ministrat  omnibus 
omnipotens  se  diligentibus,  ' 

Ca(re  pater). 

14.  Neu  desperes  propter  inopiam, 
Deo  esse  quam  seimus  placidam, 
lob  respice,  pater,  penuriam 

et  deinde  secutam  copiam, 
Care  pater.' 

15.  'Siste  gradum,  quisquis  es,  domine,       (Pater.) 
siste  gradum  et  qui  sis,  exprime, 

qui  dedecus  tolles  infamie, 
onus  quoque  levas  inopie. 
Me  beatum.' 

16.  'Nicolaum  me  vocant  nomine,      (S.  Nicolaus.) 
lauda  Deum  ex  dato  munere 

9,3  depotimus  fis.  10,  2  per  de  tue  hs.  10,3  lacu  lis. 

11,  2  palcet  egreguum //*•.        15, 3  infamine  As.         15, 4  inopine  hs. 


LEGENDEN  VOM  HEILIGEN  NICOLAUS  405 

et  non  velis  ulli  ascribere 
largitatis  laudes  dominice, 
Deum  lauda.' 

17.  'lam  iam  mecum  gaudele,  filie,  (Pater.) 
pauperlatis  elapso  tempore: 

ecce  eüim  in  auri  pondere 
quod  sufßcit  nostre  miserie. 
Me  beatum.' 

18.  Gr hospes  gaudeto 

pacemque  salutis  habeto  .... 

19.  Vobis  letis  iam  Deus  eximiam.        Respousum 
.  .  o  filie  .  .  hospi  tis. 

Te  Deum. 

II 

1.  'Hospes  care,  tres  sumus  socii,  (Primus.) 
litterarum  quos  causa  studii 

cogit  ferre  penas  exilii, 
nos  sub  tui  tectis  hospitii 
hospitare.' 

2.  'Fessi  sumus  longo  itinere,  Secundus. 
tempus  esset  iam  nos  quiescere, 

nobis  velis  amoris  federe 
hospitium  noctu  coucedere, 
quo  egemus.' 

3.  'Summo(mane)cras,  hospes,  ibimus,       Tertius. 
non  de  tuo  vivere  querimus, 

quia  victum  nobiscum  gerimus, 
hospitium  tantum  deposcimus 
causa  Dei.' 

4.  'Cum  vos  ita  f'essos  conspitiam,        Respoudet 
propter  summam  Dei  clementiam         hospes. 
vos  hie  intus  ooclu  suseipiam, 

vobis  ignem  cum  lecto  faciam, 

17,2  e  in  elapso  kaum  sichtbar.         17,4  misere  h».         18,  1  Grorum  ^ 
pe  hospes  /is. 

1,  2  letterüiuin  verb.  in  litt,    nacli  sludii  ratur  von  8  buehstaben. 

2,  2  quiesere  h».  3, 1  Sommo  cras  tu.  '■'<.  I  deposimus  h». 


406  LEGENDEN  VOM  HEILIGEN  NICOLAÜS 

ite  sessum.' 

5.  'Uxor,  audi  meum  consilium,  (Hospes.) 
isti  censum  gerunt  eximium, 

inpendamus  eis  exitium, 
ut  eorum  tesauri  pretium 
habeamus.' 

6.  'Tantum  nefas,  couiux,  si  fieret,  (Uxor.) 
creatorem  nimis  offenderet, 

et  si  quisquam  forte  perciperet, 
nos  per  orbis  spalium  gereret 
infamia.' 

7.  'Frustra  times,  bene  celabitur,  Responsum. 
nemo  seiet  (si)  pertraetabitur; 

horum  nobis  morte  parabitur 
in  manticis  qui  clauditur 
opum  census.' 

8.  'Fiat  quod  vis,  ego  consentiam,  Uxor  re- 
que  pro  posse  tibi  subveniam,  spondet. 
tarn  iofeste  cladis  nequiciam 

caute  tecum,  coniunx,  ineipiam 
uxor  tua.' 

9.  'Ad  te  gradu  nocturno  venio        Verba  saneti 
tuo  pauper  admotus  hostio,  Nicolai, 
hie  exoro  frui  hospitio, 

fave  mihi  pro  Dei  filio 


10.  'Precor,  hospes,  intra  hospitium,    (Hospes.) 
ut  per  noctis  istius  spatium 

meum  tibi  prosit  auxilium, 
quod  exigis  habe  remedium, 
vade  sessum.' 

11.  'Nove  carnis  si  quidquam  habeas,   Nicolaus, 
inde  mihi  parumper  tribuas, 

5,  1  Voxor  hs.         5,  2  scensum  hs.  6, 1  fiere  hs.  6,  2  offen- 

dere  hs.  6,  3  pereipere  hs.  6,  4  gere  hs.  7,  2  siet  hs. 

7,  3  parantur  hs.  7,  4  zwei  silten  fehlen.  8,  4  coniuns  hs. 

8,  5  vuxor  hs.  9,  1  nicoli  hs.      atte  gradum   hs.  9,  2  amotus 
hs.  verb.  R.         9,  5  ergänze  care  hospes  oder  dergleichen. 


LEGENDEN  VOM  HEILIGEN  NICOLAUS  407 

quam  si  mihi  prebere  valeas, 
adiuro  te  per  Deum  nequeas 


12.  Quae  tu  poscis,  hospes,  non  habeo   Responsum. 
nee  hanc  tibi  prebere  valeo, 

non  sinn  dives,  sed  pauper  maneo, 
multis  enim  semper  indigeo 
diutius.' 

13.  'Falsum  refers  atque  mendacium,  Sanctus 
nuper  enim  per  iufortunium  Nico  laus. 
peregisti  opus  nefarium 

elericorum  fundens  exitium 
per  corpora. 

14.  Ergo  prece  mentis  sollicite 
nostro  simul  pectora  tundite 
et  dominum  mecum  deposcite 
indulgere  vobis  illicite 

crimen  mortis.' 

15.  'Miserere  nostri,  rex  glorie,  Oratio  saneti 
nobis  locum  concede  venie  Nicolai. 

et  clericis  peremtis  inpie 
per  virtutem  (tuae)  potentiae 
redde  vitam.' 

16.  Nicolai»,  vita  fidelibus  Angelus. 
reddita  est  a  Den  (t)uis  preeibus 


11,4  vielleicht  prebeas  zu  verb.  SCH.  11,5  fehlt,  vielleicht  care 

hospes.  12,1   possis  hs.  13,4  exium  hs.  14,2  tondite  hs. 

14,3  depossite  hs.  14,4  illite  /<*•.  15,1  misere  hs.  15,5  o 
Christi  pietas  folgt  in  der  hs.  16,  2  der  vers  ist  zu  lang. 

Berlin   im  Juni  1891.  ERNST  DÜMMLER. 


ALTDEUTSCHE  GLOSSEN  AUS  LAIBACH. 

Einzelne  rechnutujsbücher  der  Stadt  Laibach  uns  dem  anfang 
des  vorigen  Jahrhunderts  (zwei  von  mir  eingesehene  sinit  aus  den 
Jahren  1710  und  1711)  sind  mit  pergamentblättern  überklebt ,  welche 


408  ALTDEUTSCHE  GLOSSEN  AUS  LAIBACH 

reste  lateinischer  glossarien  enthalten,  für  die  lateinische  glossen- 
litteratur  bieten  sie  nichts  neues;  aber  10  Matter  ans  diesen  resten 
weisen  deutsche  glossen  auf,  allerdings  nur  wenige  und  gelegent- 
lich eingefügte,  die  aber  dennoch  der  Vergessenheit  entrissen  zu 
werden  verdienen,  herr  gymnasialer ofessor  Som  in  Laibach,  der 
mich  auf  die  pergamentblätler  aufmerksam  machte,  hat  auf  mein 
ansuchen  auch  ihre  loslösung  von  den  einbanddeckeln  erwürkt.  ihm 
sowie  der  Verwaltung  des  Staatsarchivs  von  Laibach  sei  hiermit  der 
herzlichste  dank  für  ihr  freundliches  und  verständnisvolles  ent- 
gegenkommen ausgesprochen. 

Die  10  blätter  gehörten  zu  einer  handschrift  im  grasten 
oclavformat.  einzelne  sind  am  oberen,  unteren  und  seitlichen 
rande  beschnitten,  das  glossar  war  in  2  columnen  geschrieben,  an 
den  rändern  war  ein  anderes  in  viel  kleinerer  und  engerer  schrift 
hinzugefügt,  der  schriftchar acter  weist  mit  Sicherheit  auf  das 
12 jh.  hin;  rundes  s  fehlt  fast  ganz,  die  deutschen  glossen  stehn 
zumeist  über  den  lateinischen  und  sind  dann  kleiner  geschrieben, 
aber  im  randglossar,  wo  der  räum  zum  darüberschreiben  fehlte , 
sind  sie  in  gleich  großer  schrift  danebengesetzt,  hinter  oder  auch 
über  der  deutschen  glosse  steht  gewöhnlich,  doch  nicht  immer,  ein 
.  t.,  was  wol  theotisce  oder  teutooice  bedeuten  mag.  in  dem 
folgenden  abdruck  sind  die  deutschen  Wörter  durchweg  neben  die 
lateinischen  gesetzt  und  die  oft  recht  zahlreichen  lateinischen  er- 
klärungswörter  weggelassen;  nur  in  einzelnen  fällen,  wo  das  Ver- 
ständnis es  erforderte,  ist  davon  abgegangen. 

Graz,   im  mai  1891.  M.  PETSCHENIG. 

[Der  he7'r  einsende?'  war  so  freundlich ,  mir  die  pergamentblätter 
zu  persönlicher  einsieht  zu  verschaffen:  danach  habe  ich  seine  sorg- 
fällige abschrift  mit  einigen  ergänzungsversuchen  ausstatten  können, 
witei'punctiert  sind  im  abdruck  verwischte,  abgeschabte  oder  teilweise 
weggeschnittene  btichslaben.  was  in  eckigen  klammern  steht,  hat  keinerlei 
hsl.  gewähr:  ich  habe  die  forlgeschnittenen  Wörter  und  wortteile  unter 
berücksichtigung  des  raumes  und  der  Wortfolge  wie  unter  anlehnung  an 
aridere  glossen  zu  ersetzen  gestrebt.         SCH.] 

1.    GLOSSEN  DES  TEXTGLOSSARS, 
carbasus.    segal  .t.  careeta.   sahor  .t.  i  loca  carice 

caracter.    himelgerte.  pleua 

cardo.    sc  er  dir  .t.  Caritas,    m  in  na  .t. 


ALTDEUTSCHE  GLOSSEN  AUS  LAIBACH 


409 


.t. 


spin 


pi 


cariua.    podam   .t. 
carnifico.    martiro  .t. 
carpentum.    wagan  .t. 
carptim.    [gijzalo1  .t. 
cartilago.    brustlofel 
casa.    hus  .t. 
casses.    aranearum  tela. 

neweppe  .t. 
cassis.    h  e  1  ra  .t. 
cassicula.    helmili  .t. 
cassia.    wichböum  .t. 
casus,    gipurida  .t. 
castimonia.    reine  .t. 
castus,    reiner, 
cataplasma.     faska    .t. 

lidi  .t. 
catax.     hüls  lach    .t.     claudus 

coxa2. 
catus.    gilerter  .t. 
cauillum.    spod  .t. 
cauillatio.    ganewizi. 
caule.    ouiles    ouium.    chlusa 

.t.    t  porta. 
cauo.    irholon  .t. 
caupo.      win  tauern  o    .t.    .i. 

emptor 
cautes.    brant  .t. 
cautela.    gewerida  .t. 
cautus  .im.  dect.  gewerida  .t. 
cauius    a  cauendo  diclus  t  sol- 

licitus.     prudens    .i.    gi wä- 
re- .1. 

cilicium.    hara. 


cingulum.    gurtila  .t. 
circiter.    nahe  .t. 
circumlator.    rizzari  .t. 
citus.    horscer  .t. 
ciuis.    geburo  .t.  communiter 

uiuens. 
ciuicus.    ge burlicher  .t. 
clades.  balo  .t.  pestis.  erumpna. 

pericula.    uindieta. 
clamosus.    lutreissiger  .t. 
clamis.    lach  an.     e  uestis   mi- 

litaris. 
clarus.    zorlter  .t. 
classicus.    wichhorn  .t. 
claudus.    halzer  .t. 
clauis.    sluzel  .t. 
claua.    cholbo  .t. 
clauus.    stivrröder  .t.  remus. 
claua.    contus  1  stanga3. 
dementia,    gnada  .t. 
cliuum.  descensum möllern,  ste- 

chal  .t. 
clunis.  iullexio  dorsi.   hul'beiu 

.t.  i  goll'a  .t.  1  stivz  .t. 


fahre,    meisterliche  .t. 
facessite.     recedite   uel   cessate. 

gelid  &  .1. 
iactio.    consensio  in  malo.    ge- 

semine.     contio. 
liiciindus.    gezungiler  .t. 
falaux.  multitudo  inilitiun.  legio. 

.i.  gesemi  n  e  .1. 


1  das  z  ist  bäum  zweifelhaft)  der  glossator  {der  unten  auch  clavia 
und  clavus   verwechselt)  mag  hier  an  raptim  gedacht  haben. 

2  die  glosse,  hiev  nach  dem  context  gegeben,  steht  L0  Zeilen  vorher 

schon  einmal,  voreilig  eingetragen:    huofslach.    claudus  ;i  coxa. 

3  die  ganze  glosse  ist   von   anderer  liand   und   mit  /teuerer  tinte  fein- 
strichelig   eingeschaltet. 

Z.  F.   U.  A.    XXXV.    N.  F.    XXIII.  27 


410 


ALTDEUTSCHE  GLOSSEN  AUS  LAIBACH 


feruidus.      iracundus.      calens. 

st  red  enter  .t. 
l'erus.    grimmer  .t. 
fessus.    möder  .t. 
i'etidum.    stinchentez  .t. 
fex.  truosana  .t. 
fibra.    adra  .t.  .i.  ueDa  iecoris. 

herzadra  .t. 
fideiussor.    burige  .t. 
figura.    bilidi  .t. 
fimbriae.    fasen  .t. 
fimum.    gor  .t. 
findit.    chluibet  .t. 
flabra.    spiramina.   flatus  uento- 

rum.    winde  .t. 
flagitat.  reposcit.  enadatur.  wet- 

tit   .t. 
flagitium.     deformit.as.     firin- 

tad   .t. 
flamma.    loch  .t. 
flatus,    geblade  .t. 
flauellum.  muscarium.  vv i  n  t  ta  .t. 

Irumentum.   fruges.   \vcher  .t. 


l'rutectum.    spreid  .t. 

lücata.    gezehetiu1   1  ornata. 

fucus.    treno  .t. 

fulcit.    stivret  .t. 

fulgidum.      splendidum.     gli- 

zenantez  .t. 
l'uluus.    roter  .t. 
funda.    slinga  .t. 
funesta.    l'ulemo. 
funestus.    vnchuster  .t. 


propugoacula.     brustweri  .t. 
prora.     gransa  .t. 
prouehit.    gevorderot  .t. 


rabidus.    razzer  .t. 

rabula.    razar.  1  razo  .t. 

radicitus.    garliche  .t. 

ramnus.    agaleia  .t.2 

rapax.    griphliher  .t. 

rapidus.    gezaler  .t. 

rari.    pauci.    foha  .1. 
1  die  lesung   ist   nicht  ganz   sicher:    es  kann   auch  gezohetiu   (ver- 
schrieben für  gezehotiu?)    dastehn.  2  eine  zweite  deutsche  glosse 
scheint  verwischt. 

II.    GLOSSEN  DES  RANDGLOSSARS, 

cathegita.    doctrix.    lere  .t.  [cippo.    stipite]  i.  stoche  .t. 

castrimaria1.    gitigi  .t.  cythisum.    genus  frutecti.    ze- 
cataplectatio.  wizi  .t.  dampnatio  phun  .t. 

iaustera.    zuntra  .t.  ciuicus.     °e burlicher  .t. 


cauterio.    ferro  prennisen  .t.      clauis.    clauicula.    nagel  .t. 
cilium.  öberbr[a.]                          claua.    stanga  .t. 
[cirrhus.    har]  uel  loch2  .t.  

1  d.  i.  yaaxqifjiaqyia.  2  es   steht  uelloch  .t.  da   und  in  der 

nächsten  zeile  ist  capilli  erhalten:  das  uel  führt  darauf,  dass  ?iach  dem 
lemma  zunächst  noch  eine  deutsche  glosse  folgte,  der  räum  verbietet  mehr 


ALTDEUTSCHE  GLOSSEN  ALS  LAIBACH 


411 


expeditio.    herefart  .t.  farragioe.    .zza 

explicatio.  ordioatio.  1  ostensio.      fascia.     aestila    .t.     alligatura 


arrechida3  .t. 
explicabilis.    irreclicher. 


i.  gebuntelin   .t. 
fasciculus.    gebun talin  .t. 

[t'emur.]    hu  t  .t. 


fantasma.    uisio  mala  1  uana  .i.      prodigus.    spilder  .t. 

getroch  .t.  prodo.     offino  .t. 

far.    amar  t  ei  i.ichorn.  i   ador      profanus.    ferwazener  .t. 

buchstaben  anzuwenden,  als  in  der  obigen  andeutung.  3  es  scheint 

freilich  urrechida  zu  lesen. 


ZWEI  ALTDEUTSCHE  PREDIGTEN. 


1. 

Die  Handschrift  Cod.  lat.  Monacensis  nr  7775  aus  dem 
kloster  Inderstorf,  pergament,  erste  hälfte  des  I3jhs.,  enthält  latei- 
nische predigten  des  papstes  Innozenz  in  und  anderer  autoren. 
darunter  befindet  sich  auch  das  folgende  deutsche  stück,  allem  an- 
scheine nach  eine  fastenpredigt  (Dom.  in  in  Quairag. '?) ;  es  wird 
nicht  viel  älter  sein  als  die  auf  Zeichnung. 

(189b)  Sume  cytharam,  circui  civitatem ,  meretrix,  oblivioni 
tradita:  bene  cane,  frequenta  canticum,  ut  memoria  sit  tua.  Diu 
hselige  botschaft  unsers  herreu,  die  er  uns  bi  sancto  Luca  eu- 
boten  hat,  diu  botschaft  sprichet  also:  er  ist  ein  sselich  man  der 
daz  gotes  wart  gerne  huret  unde  och  ez  behaltet,  wan  swer  iz  5 
höret  unde  niht  behaltet,  der  ist  dem  mailigen  antluze  gelich, 
daz  in  den  Spiegel  lüget  unde  sich  doch  niht  vürbet;  der  hat 
mere  sin  leit  gesehen,  sit  uns  aver  der  tach  hiute  gemeint  ist 
zeinem  spiegel,  da  wir  unser  sunden  suln  ane  werden,  so  bitet 
unsern  herren,  daz  wir  daz  gotes  wart  also  hören,  daz  wir  sin  10 
gnade  erwerven.  diu  wort  diu  ich  e  latin  sprach,  diu  sprichel 
ein  heiliger  wissage  Ysayas  zu  der  armen  sele,  diu  von  unserm 
herren  sich  gescheiden  bete  mit  u Drehten  gedanchen  rede  und 
werche,    unde  spricht  also:    'gewin  herze,    uoreiniu  sele,    habe 

1  Isai.  23,  16.  —  cireuit  —  oblivionis.  2   die  oulgata  liest:    ut 

memoria  tui  sit  —  Luc.  11,28.  6  vgl.  Jacob.  1,23.  7  wrbet. 

27* 


412  ZWEI  ALTDEUTSCHE  PREDIGTEN 

15  gedingen !  wan  also  daz  öle  swebet  ob  dem  wazzer,  also  tut  diu 
grozze  gotes  barmuuge  ob  sinem  gerihte.  wider  den  bösen  ge- 
danchen,  habe  in  dem  herzen  riwe!'  wände  (190a)  Gregorius 
sprichet:  Si  incipis  manum  ad  aratrum  dei  mittere  quasi  per 
quemdam  compunctionis  vomerem,  ipse  tut  cordis  terram  ad  per- 

20  cipiendos  fructus  incipit  aperire.  entsliuzest  du  din  herze  mit 
warer  riwe,  so  sseet  got  sin  gnade  dar  in.  Augustinus  dicit: 
Nondum  pronuncias  ore  et  tarnen  dem  jam  audit  in  corde,  quia 
ipsi  promittere  est  quasi  quedam  pronunciare,  votum  ei  pro  facto 
reputatur,  maxime  ubi  deest  tempus  confitendi.    daz  sprichet  also: 

25  'hastu  der  zit  niht  daz  du  din  bihte  tust,  so  habe  riwe,  so  ver- 
git  dir  got  din  schulde  unde  hat  din  riwe  für  din  bihte.'  die 
bihte  lobet  uns  Jeronimus  dicens:  Christus  de  ernte  in  paradysum 
etiam  latronem  confitentem  tulit,  et,  ne  quis  aliquando  seram  con- 
f'essionem   inutilem  putaret,  penitencia  homicidii  fecit   martirium. 

30  sicut  enim  martyr  sie  et  latro  inter  penas  Christum  confiteri  non 
timuit  et  jam  eternum  premium  quasi  martyr  confitendo  reeepit. 
diu  rede  spricht  also:  'unser  herre  Jhesus  Christus  der  nam  des 
Schachers  sele  ab  deme  cruce,  der  ein  morder  was  gewesen, 
unde  fürt  si  in  daz  paradyse,   wan  er  au  in  gejehen  hete,   und 

35  tete  daz  dar  umbe,  daz  nimen  an  sinen  Jesten  ziten  sol  zwiveln, 
ob  er  sin  sunde  luterlichen  in  gotes  namen  bejehe.'  nach  der 
riwe  get  diu  bihte,  nach  der  bihte  diu  büzze:  ob  du  übel  (190b) 
habest  getan,  daz  du  och  wol  tust,  diu  buzze  lobt  uns  Ambro- 
sius  dicens:    'Qui  vere  agit  penitentiam,   non  solum  diluere  pec- 

40  catum  lacrimis  contricionis  et  confessionis  oris  debet,  sed  etiam 
dignis  operum  emendationibus  operire  et  legere  delicta  sua,  ut 
non  (ei)  inputentur.'  'Arbitror  enim  quod  et  Judas  potuisset  tanta 
misericordia  dotnini  a  venia  non  exeludi,  si  penitentiam  non  apud 
Judeos  sed  apud  Christum  egisset.     non  enim  apud  Judeos  invenit 

45  auxilium  sed  potius  desperationis  augmentum,  dixerunt  ergo:  'quid 

18  Homil.  in  Ezec/i.  i  4,   Migne  76,  813.  19  bei  Migne:    ad  pro- 

ferendos  fr.  incipis.  21  saete  —  Enarratio  in  psalm.  125,  Migne 37, 1662  f. 

vgl.  in  psalm.  134,    Migne  37,  1746  und  in  psalm  137,    Migne  37,  1774/". 

23  ipsum  pr.  27  bis  29  martirium  Hieronymus,  Epist.  lviii,  Migne 

22,  580.  37  nach  riwe  get  diu  steht  zuerst  büzze,  durchstrichen 

39  bis  42  inputentur:  Ambrosius  De  poenitenia  Hb.  n,  cap.  5,  Migne 
16,  527.  41  Migne  liest  dignis  factis  emendatioribus.  41  aperire  et 

regere  42  von  Arbitror  ab  Ambrosius  De  poenitentia   Hb.  n   cap.  4, 

Migne  16,524/*. 


ZWEI  ALTDEUTSCHE  PREDIGTEN  413 

ad  nos?  tu  videris',  quasi  dicant:  si  peccasti,  tibi  sit;  non  onera 
tua  comportanda  promittimus,  non  qualiter  deponas  docemus.  Christus 
sero  et  penitentiam  admisisset  et  peccatum  remisisset,  (daz  aver  dem 
menschen  sin  sunde  werden)  vergeben  —  hat  er  die  zit,  so  habe 
riwe  unde  bejehe  ir  unde  buzze  si  och  —  daz  bediutet  unser  herre,  50 
do  er  einen  ausetzigen  rürt  und  rainigt  und  gebot  im  daz  er  sich 
dem  briester  zaiget  und  och  sin  opfer  braeht.  Gregorius  dicit:  'Le- 
prosus  tangitur  cum  respectu  divine  pietatis,  mens  peccatoris  illustrata 
compungitur :  ecce  contricio.  Leprosus  per  semetipsum  sacerdoti prae- 
sentatur,  dum  peccatum  suum  sacerdoti  penitens  conßtetur:  ecce  con-  55 
fessio.  Sacrificium  ex  lege  a  leproso  offertur,  dum  satisfactionem  judi- 
cio  ecclesie  sibi  impositam  humilibus  f actis  exequitur:  ecce  satisf actio.' 
Nu  merchet  wes  diu  bihte  bedurffe.  (191 a)  daz  ist  uns  bedutet  au 
miner  ersten  rede,  die  der  w\(ssage  Ysaias)  sprach:  'vertanez 
wip,  nim  din  harphen,  ginch  umbe  din  stat;  offeniu  hürariuue,  60 
der  ich  vergezen  hau ,  sever  din  gesanch ,  so  wirde  ich  din  ge- 
denchent'.  diu  wort  sprichet  unser  herre  zu  einem  ieglichem 
sunligem  menschen:  'nim  din  harphen',  ich  meein  die  bihte;  wan 
alse  an  der  harphen  ist  manich  süeitte,  als  ist  au  der  bihte 
manich  slaht.  diu  bihte  sol  von  willen  chomen,  so  ist  si  gute;  05 
da  von  sprichet  er:  'nim',  wände  unser  herre  wil  niht  ertwungens 
dienstes.  diu  bihte  sol  diemüt  sin,  wand  als  daz  geplset  öge 
niht  gesehen  mach,  also  enmach  der  hohevertige  sunder  got  niht 
erchennen.  si  sol  och  glich  sin  unde  hellen,  daz  der  sunder  tu, 
swaz  er  gebiete,  diu  bihte  sol  och  offen  sin  unde  an  deche.  70 
David:  Beatus  vir,  cui  non  imputabü  dominus  peccatum,  nee  est 
in  spirilu  l'/ks  dolus,  sei  licet  palliandi  peccatum.  iste  quatuor 
nltime  proprietates  de  confessione  notantur,  cum  dicitur:  'sume 
cytharam'.     cythara  enim  habet  distinetum  sonum,  dulcem.  — 

Darauf  folgt  eine  lateinische  Marienpredigt. 

46  Matth.  27,4  52  lJ.rp</s.   in   iRegum,   lib.6,   cap.2,    Vi!?7ie 

79,438/1    '•/,'•/.  Ambrosius,   Expos,   in    Lucam  .">,  12,    Migne  1.".,  171'.)//. 
Ilabanus  Maurus,  (»mm.  in  Matth.  li/j.'.i.  cap.^,  Mi^m-  107, 853  ff. 

58  ff  diese    deutung  sieht   ausführlich   bei  Haymo  von  Halberstadt, 
Comm.  in  Isaiam,  Hb.2,  cap.  23,  Migne   Uli,  vis.  :i    Psalm.  31,2. 

2. 
Cod.  Im.  Monacensis.   m.  2631,  aus  '/<•///  kloster  Aldersbach, 
pergament  und  papier  gemischt,   13  und  \  Ijh.,  enthält  lateinische 

predigten    und    darunter    (papier,    14  jh.)    das    folgende    deutsche 


414  ZWEI  ALTDEUTSCHE  PREDIGTEN 

stück,  welches  jedoch  erheblich  älter  ist  als  die  aufzeichnung  und 
schon  deshalb  beachtung  verdient,  weil  lateinische  und  deutsche 
sermone  auf  das  fest  Allerseelen  verhältnismäfsig  selten  sind. 
Linsenmayer  hat  diese  homilie  in  seiner  'Geschichte  der  deutschen 
predigt  in  Deutschland'  s.  480  f  ins  neuhochdeutsche  übersetzt. 

(190b)  Beati  mortui  qui  in  domino  moriuntur.  Di  genad 
uusers  etc.  Di  wort  scribet  uns  der  gut  sanctus  Johannes  und 
hefft  sich  der  mit  an  die  leczzen,  leccio,  di  man  heut  list  von 
den  lieben  seien,  der  jarleich  tag  ist  und  der  gehugnüsse  wir 
5  pegen  heüt  über  all  di  heiligen  christenhait.  si  sprechent  also 
ze  tausch:  'salich  sint  all  di  di  also  sterbent,  daz  si  sicher  sind 
daz  si  mit  got  wonüng  schuhen  haben  in  dem  himel  ewichleich'. 
an  disen  wörten  is  eü  ze  merchen  wer  die  sein  di  so  salichleich 
sterbent,    daz  si    mit  got  wonuug  habent.     nü   mircht,    in  diser 

10  werlt  sint  vir  lay  laut,  also  wir  lesen:  di  ersten  di  sterbent  in 
got,  di  andern  mit  got,  di  dritten  durch  got,  di  virden  an  got. 
nü  wer  sind  di  ersten  di  in  got  sterbent?  daz  sint  di,  da  uns 
sant  Matheus  in  dem  ewangelio  von  schreibet  heüt:  'Beati  pau- 
peres  spiritu,  quia  ipsorum  est  etc.'    all  arme  laut  di  ir  armemut 

15  dultichleich  leident,  die  vrein  (191a)  sich,  war  ümb?  da  siut  si 
salich,  daz  si  sterbent  in  got  und  mit  got  wonung  habent  in 
dem  himelreich,  daz  in  got  an  irem  töd  geit  für  aygen.  di 
andern  di  mit  got  sterbent  sint  all  di  den  ir  sünd  so  laid  sind, 
daz  si  dar  umb  wainnent.    unde  Matheus:    'Beati  qui  lugent,  quia 

20  consolabuntur' .  salich  sint  all  di  di  so  güet  gewizzen ,  so  gross 
rew  habent  umb  ir  sünd,  daz  si  lauterleich  pittent  und  dar  umb 
haizz  zäher  wainent  von  dem  grünt  irs  herzens;  di  sint  so  salich, 
daz  si  mit  got,  daz  ist  mit  unsers  herreu  gotes  lichnam  sterbent 
und  daz  si  da  mit  fröleich  erstend  an  dem  jüngsten  tag  und  von 

25  got  mit  dem  himelreich  getrost  werdent.  C  Di  dritten  di  durch 
got  sterbent  daz  sint  di,  da  got  selber  auch  von  gesprochen  hat: 
'Beati  estis,  cum  maledixerint  vobis  et  persecuti  vos  sint'.  salich 
sind  all  di  di  sich  lazzent  hassen  neyden  schelten  fluchen  stozzen 
slohen  verdirben   töten    durch    mich  (191b)   umb    christenleichen 

30  gelaüben;  di  sind  so  salich,  daz  si  grossen  lön  von  mir  enpha- 
hent.     und  da  von  spricht  er  zu  den  selben :    'Gaudete  et  exul- 

1  Apoc.  14,  13.  11   di  ander.  13  Mailh.  5,  3.  18  all  di 

di  ir  sünd.  19  Matth.h,b.         27  Matth.  5,11.  —  vobis  bis  sint  durch 

wasser  teilweise  verlöscht.  31   spricht  er  an  den  selben,  zu  ist  über 


ZWEI  ALTDEUTSCHE  PREDIGTEN  415 

täte,  quia  merces  vestra  copiosa  est  in  celis'.  all  di  übel  gehandelt 
werdent  durch  meinen  willen  di  frawn  sich  und  gehaben  sich 
wol.  war  umb?  da  sint  si  so  salich,  daz  ich  in  wil  mit  tailen 
all  die  vraüd,  di  ich  han  mit  tailet  allen  den  heiligen,  di  ir  plüt  35 
vergossen  habent  auf  ertreich  durch  meinen  willen.  (£  Di  virden 
di  an  got  sterbent,  wer  sint  di?  daz  sint  di  untaüfTent  haidenisch 
sint,  di  Juden  di  got  habent  gemörtert  und  auch  smahent  an 
disem  tag  heut  und  unsern  christenleichen  gelaüben.  nu  sint 
si  mer  di  an  got  sterbent:  daz  sint  di  volschen  Christen  di  so  40 
geitig  sint  mit  irm  gut,  mit  ir  hilffe,  mit  ir  vreuntscbalTt ,  daz 
an  dem  tag  heut  aller  der  sei  (swi  vil  der  ist  der  zal ,  niemant 
anders  wais  nur  der  almachtig  got  allain  der  si  beschaffen  hat) 
ainigeü  sei  nicht  tröstet  (192a)  wirt.  stirbt  er  nicht  pilleich  an 
got,  an  unsers  herren  gotes  leichnam,  nimt  er  nicht  pilleich  45 
unrechten  töd,  ist  er  nicht  pilleich  verdamet,  dem  daz  grozz  ge- 
schray  der  toten  vreunt  und  aller  gelaübigen  seien  nicht  ze 
herczen  ga3t,  daz  si  heut  schreien t?  wie  schreient  si?  si  sprechent 
also:  'Miseremini  mei!  Miseremini  meil  all  unser  vreünt  di  uns 
wol  gehelffen  mügen  und  unser  vergessent  daz  lang  jar,  di  helffen  50 
uns  lieüt  mit  irem  pet,  mit  irem  almüsen,  ze  chirchen  mit  irm 
mess  friimen  und  mit  opffer,  und  ze  haus  mit  prot,  wann  wir 
aüz  gotes  vanchnüs  nimmer  chommen  mügen  an  ewer  hilff  mit 
samt  der  ganczen  heiligen  christeuhait'.  daz  man  heut  sol  helffen 
und  geholffen  sein  dacz  der  chirchen  und  dacz  dem  haüsse,  dar  55 
umb  so  ist  ez  auf  gesetzet  allen  gelaübigen,  st  solen  pegen  des 
nächsten  tages  nach  Aller  heiligen  tag,  der  gester  begangen  ist. 
war  umb?  daz  wir  in  heüt  dez  geholffen  sein,  da  si  erlediget 
werden  von  allen  iren  nöten.    daz  wir  in  daz  heüt  erwerf'en  jrux\. 

an  gesetzt  —  Malth.  5,12.  44  ainigeü  zweimal.  46  gesray. 

56  so  ist  er  auf  g. 

Graz.  ANTON  E.  SCHÖNBACII. 

EIN  BRUCHSTÜCK    AUS    DEM   ALEXANDER 
DES  ULRICH  VON  ESCHENBACH. 

Herr  Jakob  Wichner,  archivar  und  bib/iothekar  des  stifte* 
Admont,  dessen  freundlichkeit  ich  schon  vieles  verdankt',  sandte 
mir  unlängst  zwei  pergamentstreifen,  welche  sich  zu  einem  zwei- 
spaltig beschriebenen  blatte  zusammenfügten,   das  ein    bmchstück 


416     BRÜCKST.  AUS  D.  ALEXANDER  D.  ÜLR.  V.  ESCHENBACH 

eines  altdeutschen  gedachtes  enthält,  die  höhe  des  Mattes  beträgt  jetzt 
24.5  cm.,  da  jedoch  der  untere  rand  5  cm.,  der  obere  nur  1  cm. 
breit  ist,  so  lässt  sich  vermuten,  dass  vom  oberen  rande  ein  stück 
weggeschnitten  ist,  das  ganze  Matt  also  ursprünglich  höher  war 
als  jetzt,  die  breite  beträgt  21.5  cm.,  wovon  die  ränder  je  3.5  cm. 
in  anspruch  nehmen,  die  spalten,  deren  jede  36  Zeilen  enthält, 
(das  ganze  Matt  somit  144)  sind  18.5  cm.  hoch,  mit  tintenlinien 
eingerahmt,  wie  denn  auch  die  zeilen  mit  tinte  vorgezogen  sind, 
die  ungeraden  reimzeilen  beginnen  mit  capitalbuchstaben ,  die  geraden 
mit  gewöhnlicher  minuskel  und  sind  eingerückt,  die  abschnitte  sind 
durch  abwechselnd  rote  und  blaue  initialen  ausgezeichnet,  die  von 
blauen  und  roten  arabesken  umzogen  werden,  die  schrift  ist  sauber, 
gleichmäfsig ,  enthält  wenig  abkürzungen  und  stammt  eher  aus  der 
ersten  ah  der  zweiten  hälfte  des  14 /äs.  die  spräche  ist  im  all- 
gemeinen oberdeutsch,  jedoch  mit  ziemlichen  mitteldeutschen  spuren. 
Das  fragment  umfasst  die  verse  3869 — 401 2  ans  dem  Alexander 
des  Ulrich  von  Eschenbach  und  gehört,  soiceit  ich  nach  den  ge- 
druckten beschreibungen  urteilen  kann,  zu  keiner  der  jetzt  be- 
kannten handschriften  oder  bruchstücke.  P.  Wichner  hat  die  streifen 
von  den  deckein  eines  miscellanbandes  der  Admonter  bibliothek 
abgelöst,  welcher  lateinische  Schriften  von  humanisten,  gedruckt 
1525—1555  enthält,  der  text  des  fragmentes  stimmt  mit  dem 
jüngst  durch  Wendelin  Toischer  kritisch  hergestellten  (bibliothek 
des  Stuttgarter  litt  er  arischen  Vereines,  band  183)  so  genau  überein, 
dass  es  nicht  lohnt,  ihn  besonders  abzudrucken,  ich  führe  also 
hier  nur  die  abweichungen  von  Toischers  ausgäbe  an,  und  bemerke 
noch,  dass  aus  diesen  Varianten  ein  beweis  dafür,  welcher  stufe 
der  Überlieferung  des  gedicktes  das  neue  bruchstück  angehörte, 
meines  erachtens  nicht  erbracht  werden  kann. 

3873  uf  ir  zeher.  3875  suzze  were.  3881  D.  .  w  suzzes. 
3896  hertz.  3900  kan  sorgen  vertriben.  3901  Ein  wiplich 
wip.  3906  ein  reines  wip.  3908  dem  si  suzzer.  3909  ge- 
naden.  3911  mit  suzze  ersuchet.  3913.  4  sinnet  :  minnet. 
3919  wirde  drucken.  3924  sin  m.  3926  wart  gestört. 
3927  Innen  was.  3928  dez  musten.  3930  ziten.  3937  Pho- 
tides  und  Declon.  3939  Alexandro.  3942  vil  dinst.  3946  so 
des  mordes.  3948  dazn  wert.  3949  iclich  man.  3955  solde. 
3958  recht  strazze.  3960  hette.  3961  unwizzende.  3966  di 
gote  gestifte.     3969  Daz  er  der.     3971  Er  hette.     3973.  4  ge- 


BRUCHST.  AUS  D.  ALEXANDER  D.  ULR.  V.  ESCHENBACH     417 

zelde  :  gelde.  3976  der  forsten  (n  getilgt)  von  Smaragone. 
39S4  ich  uch  lazze.  3987  gespreclieD.  3995  schier  of. 
3998  man  sach.  4000  von  deinen  gezelde.  4004  aren. 
4005  Dar  abe  so  gaben  si.  4006  zwein  knopphen.  4010  daz 
des  criechen.     4011  decheinem. 

Graz.  ANTON  E.  SCHÖNBACH. 


HEIMAT  UND  ÜBERLIEFERUNG  DER 
VORAUER  SÜNDENKLAGE. 

Die  Sündenklage,  die  uns  auf  bl.  125 — 128  der  Vorauer  hs. 
überliefert  ist  (Diemer  s.  295  —  316)  und  von  der  die  ersten 
13  zeilen  auch  als  zufälliger  eintrag  in  einem  Zvvettler  codex 
(Fundgr.  i  260)  begegnen,  lockt  den  textkritiker  mehr  als  andere 
gedichte  des  12  jhs.,  denn  es  sind  zwar  zum  teil  schwierige, 
aber  durchaus  nicht  unlösbare  aufgaben,  welche  die  Überlieferung 
dem  herausgeber  stellt.  Diemers  kritische  noten  und  ausrufungs- 
zeichen  und  MHaupts  flüchtige  beisteuer  zu  den  aushängebogen 
liefsen  noch  eine  reiche  ernte  übrig,  die  auch  durch  Scherers 
besprechung  des  werkchens  (QF  vn  77 — 81)  und  die  fleifsige 
und  bescheidene,  aber  ergebnisarme  dissertation  von  Anton  Müller 
(Breslau  1887)  kaum  verkürzt  wurde,  fast  das  einzige,  was  der 
neuste  herausgeber,  VYaag  in  seinen  Kleinem  deutschen  gedichten 
des  11  und  12  jhs.  (Halle  1890)  nr  xn  s.  131—154  für  das  denk- 
mal  getan  hat,  ist  die  absetzung  der  verse  und  die  einführung 
einer  sehr  fragwürdigen  interpunction:  so  stellt  er  die  gramma- 
tischen und  logischen  Unmöglichkeiten  der  Überlieferung,  die 
verstümmelten  salze,  reimlosen  zeilen,  gestörten  gedankeu  recht 
aufdringlich  vor  den  leser  hin;  und  nachdem  nun  Ckraus  im 
Anz.  xvn  29  f  an  diesem  rohtext  einige  der  schwierigsten  stellen 
fördernd  behandelt  hat,  erscheint  es  auch  mir  als  pflicht,  mit  den 
kritischen  ergebnissen  einer  mehrfach  widerholten  lectüre  her- 
vorzutreten. 

Ich  schicke  voraus,  dass  das  Zwettler  fragment  offenbar  nichts 
anderes  ist,  als  eine  momentanem  einfall  entsprungene  mr. In- 
schrift ohne  vorläge,  die  wol  nur  gerade  so  weit  reicht  wie  das 
gedächtnia  des  Schreibers,  so  kann  seihst  die  tatsache,  dass  es 
in  dem  kleinen  stück  an  spuren  mitteldeutscher  lautbezeichnung 


418  VORAUER  SüNDEMvLAGE 

fehlt,  kein  weiteres  interesse  beanspruchen,  und  wir  bleiben  einzig 
auf  die  Vorauer  hs.  angewiesen,  den  abdruck  bei  Diemer  hat 
neuerdings  Piper  einer  peinlich  genauen  collation  unterworfen 
und  ihr  ziemlich  gleichgiltiges  ergebnis  in  seinem  Riirschner-buche 
Die  geistliche  dichtung  des  mittelalters  i  83  f  in  der  anmerkung 
versteckt. 

Die  meiste  aufmerksamkeit  haben  von  vorn  herein  die  reste 
mitteldeutscher,  ja  wie  es  schien,  zum  teil  gar  niederdeutscher  laut- 
gebung  erregt,  welche  diesen  text  aus  seiner  unmittelbaren  nach- 
barschaft  in  der  grofsen  sammelhs.  scharf  herausheben.  Scherer 
und  AMüller  aao.,  auch  Waag  Reitr.  11,  135  ff  haben  alles  ein- 
schlägige zusammengestellt;  das  interesse  concentriert  sich  einmal 
um  die  Schreibung  d  für  mhd.  t  und  dann  um  ein  paar  angeb- 
liche fälle  von  unverschobenem  t,  die  unten  bei  behandluug  von 
v.  424  und  707  zur  spräche  kommen. 

Der  Vorauer  Schreiber  ist  an  diesen  erscheinungen  un- 
schuldig, ja  bei  seiner  peinlichen  gewissenhaftigkeit,  welche  über- 
all den  orthographischen  character  der  unmittelbaren  vorlagen 
treu  bewahrt,  wird  er  kaum  viel  mitteldeutsches  verwischt  haben: 
er  muss  also  bereits  eine  vorläge  mit  obd.  dementen  gehabt  haben, 
und  mit  dieser  halbschürigen  vorläge  ist  für  Waag  das  fränkische 
original  gesicbert,  das  er  zunächst  (Reitr.  11,  138)  zögernd, 
dann  (Kl.  gedichte  s.  xxxv)  ohne  vorbehält  für  Mittelfrauken  in  an- 
spruch  nimmt.  Für  John  Meier  in  seiner  mir  soeben  zugegangenen 
habilitationsschrift  s.  32  [jetzt  Reitr.  16,  95]  genügt  diese  bestim- 
mung  noch  nicht,  und  flugs  setzt  er  zu  mittelfränkisch  noch 
erläuternd  'ripuarisch'  hinzu. 

Etwas  vorsichtiger  sind  Scherer  und  AMüller  zu  werke  ge- 
gangen. Scherer  OF  vn  79  hielt  mischung  und  ausgleichuug 
verschiedener  dialecte  bei  dem  Verfasser  nicht  für  ausgeschlossen, 
und  wenn  er  dann  auch  QF  xn  38  das  werkchen  unter  die 
fränkischen  denkmäler  einreihte,  so  dachte  er  doch  dabei  nur  an 
Oberfranken,  und  speciell  Ramberg  schwebte  dann  mir  vor,  als 
ich  QF  xliv  74  die  gründe  für  mitteldeutsche  heimat  des  dichlers 
durch  die  reime  mit  überschiefsendem  n  verstärken  wollte;  Müller 
aber,  der  diesen  neuen  anhaltspunct  aufnahm,  kam  doch  der 
Wahrheit  näher  mit  der  erwägung,  das  gedieht  könne  ein  ober- 
deutsches original  sein,  das,  ehe  es  dem  Vorauer  Schreiber  zu- 
gänglich wurde,  einem  Mitteldeutschen  durch  die  bände  gegangen 


VORAUER  SÜNDENKLAGE  419 

sei  (aao.  s.  57).  Müller  betonte  ausdrücklich,  tlass  die  reime  ein 
oberdeutsches  original  nicht  ausschlössen ,  und  die  gründe,  aus 
denen  er  sich  schliefslich  doch  für  den  umgekehrten  Vorgang, 
oberdeutsche  Umarbeitung  eines  mitteldeutschen  Originals,  ent- 
schied und  den  dichter  mit  Waag  nach  Mittelfranken  setzte,  sind 
der  schwächste  teil  seiner  sonst  ganz  verständigen  arbeit. 

Halten  wir  uns  einmal  die  Vorstellung  fern,  welche  ein  paar 
auffällige  orthographische  erscheinungen  wachrufen,  und  sehen  uns 
die  reime  an,  so  kann  dem  bajuvarischen  Ursprünge  des  werk- 
chens auch  nicht  der  leiseste  zweifei  entgegentreten,  und  selbst 
der  gedanke  an  eine  mitteldeutsche  bearbeitung  schwindet,  wenn 
wir  weiter  sehen,  wie  alle  characteristischen  bairischen  reime  auch 
in  der  Schreibung  treu  zum  ausdruck  kommen.  Ich  greife  nur 
wenige  der  am  meisten  augenfälligen  heraus:  sie  werden  vollauf 
genügen. 

v.  3.  4  (D.  295,  4f)  mege  conj. :  phlege  imp.  in  keiner  echt 
mitteldeutschen1,  geschweige  denn  in  einer  mittelfränkischen  quelle, 
wird  sich  eine  e-form  des  verbums  mugen  nachweisen  lassen,  die 
«-formen  herschen  hier  seit  ahd.  zeit  durchaus  (vgl.  Whld.'2  §  409), 
ja  sie  dringen  von  hier  aus  auch  ins  alemannische  und  bairische 
vor,  während  sich  das  gebiet  der  e-formen  nur  verengt,  nie  aus- 
breitet. —  aber  auch  das  swv.  phlegen  spricht  in  diesem  reimpaar 
gegen  mitteldeutsche  herkunft:  es  ist  nur  bezeugt  in  zwei  regens- 
burgischen  werken:  Roland  und  Kehr.;  in  drei  augsburgischen: 
Wernhers  Maria,  Servatius,  Buch  der  rügen;  und  in  den  gleich- 
falls dem  bairisch- Österreich.  Sprachgebiet  angeböligen  Warnung, 
Bonus,  Krone,  Helmbiecht  und  Helbling. 

v.  725.  26  u.  731.  32  (D.  312,  25.  313,1)  erbe:  wer  gen  ist 
als  re'm  in  keinem  andern  dialecte  als  dem  bairischen  möglich, 
wo  diese  formen,  soviel  ich  sehe,  zuerst  im  Freisinger  Otfrid  auf- 
tauchen (zb.  iv  13,  54  tergen);  aus  dem  12  jh.  gibt  reichliche  bei- 
spielc  Whld.  Bair.  gr.  §  178. 

v.289  (Ü.  302, 10)  chot(:  got)  kommt  gleichfalls  nur  dein  bai- 
rischen dialect  zu,  denn  nur  hier  und  etwa  in  dem  alemannischen 

1  man  muss  dabei  freilich  zwei  werke  des  I2jhs.  ganz  aus  dein  spiele 
lassen,  den  Hother,  der  in  einem  aasgeprägten  mischdialect  von  einem  rheini- 
schen spielmann  in  Baiern  gedichtet  wurde  (nanz  ähnlich  wie  L 50 jähre  später 
das  Marienleben  Philippe  des  Karthäusers,  vgl.  ADB  26, 71),  und  Hartmanns 
Credo,  das,  wie  ich  Zs.  :;:;,  L04  anm.  bereits  angedeutel  habe,  nachträglich 
bairische  einfliisse  erfahren  hat. 


420  VORAUER  SÜNDENKLAGE 

grenzgebiet  gilt  das  lautgesetz :  qua  >  ko,  qud  ]>  kö,  que  >  ko, 
qui  >  ku  (kü),  qui  >  kiu.  in  mitteldeutschen  quellen  bleibt  die 
alte  lautgruppe  unverändert,  im  hochalemannischen  und  teilweise 
im  schwäbischen  wird  qu^>k,  ohne  dass  eine  Veränderung  des 
vocals  eintritt,  in  den  nhd.  Wörtern  quecksilber,  keck,  kochbrunnen 
(s.  DWB)  haben  wir  abkömmünge  der  drei  hauptdialecte  neben 
einander.  —  wenn  neben  chot  im  reime  die  form  cham  (:  nam 
v.  41.  82)  auftritt,  statt  des  zu  erwartenden  chom  (526),  so  ist 
das  schriftsprachlicher  einfluss;  auf  chom  gibt  es  kein  reimwort, 
auf  cham  um  so  mehr. 

Und  sehen  wir  uns  dem  gegenüber  einmal  nach  den  aner- 
kannten kriterien  mitteldeutscher  herkunft  um.  in  einem  mittel- 
deutschen denkmal  erwartet  man  mit  bestimmtheit  beispiele  für 
den  ausfall  resp.  abfall  des/t:  nichts  davon  findet  sich,  im  gegen- 
teil  wird  die  festigkeit  des  lautes  bezeugt  durch  reime  wie  in- 
phdhen: gendden  418,  höhen: chören  203,  anslahen: haben 821. 
eine  ausnähme  macht  das  ntr.  negationssubstantiv  mit  seinen 
für  die  altbairischen  deukmäler  characteristischen  doppelformen 
nieht  (:  lieht)  67.  840  und  niet  (:  gehiez)  533.  664,  während 
reime  niht :  geschiht  oder  gar  nitimit  durchaus  fehlen;  als  histo- 
rische Schreibung  ist  niht  ebenso  constaut  wie  etwa  in  der  Kehr, 
der  gleichen  hs.  —  die  lautgruppe  ht  ruft  auch  nirgends  die 
fürs  mitteldeutsche  seit  dem  lljh.  bezeugte  kürzung  des  voraus- 
gehenden vocals  hervor:  neben  vier  fällen,  wo  brdhte :  ddhte  uä. 
reimen  (87  f.  141  f.  147  f.  787  f),  steht  kein  fall  brdht:  naht  oder 
gar  brdht :  craft,  wie  er  dem  mittelfränkischen  zukäme,  wol  aber 
wird  die  länge  des  vocals  bezeugt  durch  brdht :  hat  161  f,  bilde : 
bitterlichen  526  f.  —  neben  dem  st.  praes.  bringen,  das  170.  220. 
603  im  reime  steht,  ist  die  im  md.  herschende  sw.  form  breiigen 
weder  überliefert  noch  durch  den  reim  gefordert.  —  es  heifst 
herte  (:  geverte)  738  und  nicht  hart. 

Nirgends  findet  sich  ein  reim  wie  gienc :  jungelinc  (vgl.  die 
Schreibung  ergie  :  hie  1 1 7  f ),  stuont :  munt,  friunt :  kunt,  der  für 
mitteldeutsche  herkunft  sprechen  würde.  —  nirgends  ist  ei<iage 
oder  ege  überliefert,  wol  aber  die  reime  maget :  geladet  9  f  igechlaget 
31  f. —  der  reim  gndde :  trage  486  f,  welcher  widerstand  gegen 
den  umlaut  des  d  bezeugt,    sieht  gewis   nicht  mitteldeutsch  aus. 

Aus  den  verbalformen  hebe  ich  noch  heraus  du  wil(:vil)  175; 
es  passt  am  wenigsten  an  den  Niederrhein,  wo  schon  fürs  12  jh. 


VORAUER  SÜNDENKLAGE  421 

du  wolt  bezeugt  ist  (Whld.2  §  421).  —  scol:val  263 f.  332f  darf 
so  wenig  wie  etwa  im  Anegenge  11,  71  f.  13,  35  t'  für  die  alte,  in 
Mitteldeutschland  bewahrte  a-form  angeführt  werden,  es  ist  viel- 
mehr ein  bairischer  reim  wie  geborn :  durchvarn  Ulf  und  hat 
überdies  die  normalbiudung  vol:sol  275  f  zur  seite. 

Resonderes  Interesse  erregen  die  formen  des  verbums  haben. 
der  infinitiv  ist  nur  als  haben  bezeugt:  im  reim  auf  scaden  144, 
-.entragen  190,  :irslagen!62,  :  anslahen§20  überliefert  muss  er  auch 
eingesetzt  werden  701  :  scaden.  dagegen  ist  in  der  Qexion  des  ind. 
praes.  bereits  die  gekürzte  form  durchgedrungen,  wie  die  reime 
ich  hdnigdn  330.  439,  :  stdn  779,  :  getan  355.  378.  558  be- 
legen, im  praet.  sind  nur  contrahierte  formen  mit  langem  vocal 
bezeugt,  aber  ihre  vocalfarbe  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  fest- 
stellen, weil  einmal  der  sog.  klingende  reim  noch  weitgehnde 
freiheiten  zulässt  und  dann  unser  text  mit  6iner  unsichern  aus- 
nähme (284 ')  nur  conjunctive  bietet,  wenn  aber  von  diesen 
conjunctiven  zwei  (596.  748)  auf  miete  reimen,  einer  gar  (662) 
auf  enlieze,  so  wird  man  hier  die  bairische  form  hiete  für  wahr- 
scheinlich halten,  und  an  den  beiden  andern  stellen  (:nöte  284, 
: beten  777)  ist  sie  jedesfalls  nicht  unmöglich,  mit  mittelfränkischen 
formen,  mögen  sie  nun  hede  oder  hedde  (hette)  heifsen,  wird  der 
reim  auf  enlieze  nur  verschlechtert,  und  auch  das  verzweifelte  mittel 
einer  niederfränkischen  form  enliete  curiert  ihn  nicht  vollständig, 
während  er  bairisch  als  hiete :  enlieze  gefasst  zwar  eine  auffällige 
lautbinduug  darstellt,  aber  in  niet :  gehiez  533.  664  seine  genauen 
entsprechungeu  hat. 

Ich  breche  hier  ab,  denn  ich  will  keine  vollständige  gram- 
niatik  des  denkmals  geben:  eine  solche  würde  nur  mit  dem  aus- 
blick  auf  die  gesamte  gleichzeitige  litteratur  des  bairisch  -  öster- 
reichischen gebiets  lohnend  sein,  worauf  ist  denn  nun  die 
annähme  'mittelfränkischer'  herkunft  gegründet  worden?  in  erster 
linie  auf  die  graphische  erscheinung,  dass  mittelhochdeutsche  t 
vielfach  als  d  widergegeben  sind,  entsprechen  dein  auch  die 
reime?  ueinl  denn  nirgends  ist  ein  reim  wie  ziteniltden,  fride  : 
mite,  nerte :  erde  vorhanden,  die  tatsache  aber,  dass  wurde(n)  so- 
wol  auf  bürde  (79.  95),    erde  (136)  als  auf  geburtc  (325),  ufverte 

1  hier  sprechen  die  parallelen  verse  190.  235.  237.  239  für  den  con- 
junctiv,  während  durch  \.  15,  39  ua.  auch  der  indicath  als  möglich  garan- 
tiert wird. 


422  VORAUER  SÜNDENKLAGE 

(237),  wurmgarten  (72)  reimt,  erklärt  sich  sehr  einfach:  wir  be- 
finden uns  in  einer  zeit,  wo  der  grammatische  Wechsel  im  praet. 
von  werden  sich  zu  verwischen  beginnt,  ohne  schon  völlig  ge- 
schwunden zu  sein,  die  gleiche  erscheinung,  bis  in  die  gleichen 
reimworte  hinein,  habe  ich  QF  xliv  8  fürs  Anegenge  nachgewiesen: 
ich  kenne  überhaupt  kein  denkmal,  das  der  Vorauer  Sündenklage 
sprachlich  näher  stünde  als  das  etwa  ein  menschenalter  jüngere 
Anegenge.  ua.  begegnen  hier  auch  ganz  wie  in  der  Ski.  die 
doppelformen  ist  und  is,  mit  den  gleichen  reimbelegen:  ist :  Christ 
Ski.  145.  An.  13,  9;  isigewis  Ski.  595.  An.  2,  48. 

Es  bleibt  für  die  reime  nur  eine  auffällige  erscheinung  festzu- 
halten —  und  auch  die  lässt  sich  für  das  mittelfränkische  des  I2jhs. 
nicht  verwerten,  ich  meine  die  zahlreichen  bindungen  mit  über- 
schiefsendem  n.  man  kann  deren  unter  ca  410  sichern  reimpaaren 
60  zählen,  und  wenn  auch  ein  und  der  andere  fall  in  abzug 
kommen  kann  und  kommen  muss,  so  ist  ein  procentsatz  von  12 
doch  immerhin  recht  auffallend,  indessen,  dass  es  sich  hier  (wie 
oben  bei  den  fällen,  wo  t :  z  reimte)  lediglich  um  eine  frage  der 
reimtechnik  und  nicht  um  eine  mundartliche  erscheinung  handelt, 
ist  für  jeden  klar,  der  die  im  reim  stehnden  formen  näher  ins 
äuge  fasst:  denn  so  gern  man  die  möglichkeit  einer  lautlichen 
erklärung  auch  etwa  bei  den  infinitiven  zugesteho  wird,  so  un- 
bedingt wird  man  sie  für  dative  pluralis  wie  sculden  (11),  wiben 
(43),  höhen  (203),  strichen  (315),  brüsten  (471),  stunden  (591), 
dingen  (602),  tieren  (717),  snnden  (721)  ablehnen,  so  kann  ich 
diesen  reimen  (die  ich  einst  selbst  zuerst  ins  feld  geführt  habe  QF 
xliv  74)  keinerlei  wert  für  die  bestimmung  der  muudart  beimessen, 
und  noch  weniger  erscheinen  mir  Schreibfehler  wie  die  3  p.  pl. 
bestieze  (809  =  D.  315,3)  oder  das  part.  gebunde  (314  =  D. 
302,  28)  so  bedeutungsvoll  wie  hrn  Waag,  der  sie  in  seinen  text 
aufnimmt. 

Die  bairisch-österreichische  oder  doch  oberdeutsche  herkunft 
des  denkmals,  der  in  den  reimen  nichts  im  wege  steht,  wird 
weiterhin  auch  bestätigt  durch  den  Wortschatz,  wenn  er  auch 
nicht  eben  viel  originelles  bietet,  das  swf.  kone  (493),  so  ver- 
breitet es  in  Oberdeutschland  ist,  fehlt  rheinischen  quellen  durch- 
aus. —  das  stm.  huoch  (482  niwar  huh  unde  spot)  kann  ich  aus 
dem  Leben  Jesu  der  Ava,  aus  Gen.  und  Exodus,  Kehr.,  Himml. 
Jer.,  Milst.  skl.  nachweisen  —  aber  aus  keiner  mittelfränkischen 


VORAÜER  SÜNDENKLAGE  423 

quelle.  —  dass  dige  stf.  (151)  in  mhd.  zeit  nur  noch  im  Spec. 
eccl.  133  bezeugt  ist,  mag  immerhin  zufall  sein.  —  für  das  swv. 
ingalten  (365)  beschränken  sich  die  belege  auf  Erinneruug,  Grazer 
Litanei,  Tundalus  und  Erec.  —  das  adj,  lenge  (ze  lenge :  ende  363) 
kennen  die  Wiener  Genesis,  das  Anegenge,  Alber,  Wolfram,  Fleck. 

Schliefslich  zeigt  auch  die  reimtechnik  freiheiten,  die  in 
oberdeutschen,  speciell  in  bairiseh-osterreichischen  quellen  von  der 
Genesis  bis  zur  Kaiserchronik  ziemlich  verbreitet,  anderwärts  nicht 
bezeugt  und  fürs  mittelfränkische  einfacb  unmöglich  sind,  ich 
denke  hier  vor  allem  an  reime  wie  genam :  Uchnamen  542  f,  hul- 
de(n)  :  sculdigen  300  f.  631  f,  gehuldigen  :  sculde  574  f;  gerade  die 
beiden  letztern  haben  in  Rol.  und  Kehr,  ihre  genauen  parallelen, 
in  rheinischen  gedienten  sind  sie  mw.  anerhört. 

Was  die  bildung  des  dichters  anlangt,  so  habe  ich  QF  xliv  74 
bekantschaft  mit  Ezzo  nachgewiesen  und  einfluss  des  Honorius 
wahrscheinlich  gemacht  —  was  dann  von  AMüller  breit  ausge- 
führt worden  ist.  das  gedieht  war  in  Österreich  verbreitet,  wie 
uns  neben  der  Vorauer  hs.  das  Zwettler  fragment  und  vor  allein 
die  zahlreichen  reminiscenzen  im  Anegenge  bezeugen ;  zu  den  aao. 
s.  75  aufgezählten  trage  ich  nach: 

Ski.  138—141:  Aneg.  29,79—82: 

toande  aller  der  zorn  du  het  diu  barmunge  vertriben 

unde  elliu  diu  vientscaft        alle  die  vientschaft 
diu  ander  mennisken   unt      diu  zwischen  dem  menschen 

under  gote  was  unt  gote  was  bihaft '. 

mit  dir  ze  suone  wart  brdht.      ze  suonewas  chomen  derchneht. 

Weisen  nun  die  mitteldeutschen  schreiberspuren,  die  die  bis- 
herige forschung  auf  einen  fränkischen  Ursprung  des  gedichtes 
führten,  überhaupt  aus  Österreich  hinaus?  muss  die  originalhand- 
schrilt  einmal  gewandert  sein,  um  mit  diesem  nid.  aufputz  zurück- 
zukehren? keineswegs!  wir  haben  es  weder  mit  einer  mittel- 
deutschen Umschrift  noch  gar  mit  einer  Umarbeitung  zu  tun. 
die  mehrzahl  jener  characleristischen  bairischeo  reime,  so  vor 
allem  die  an  die  spitze  gestellten  mege :  phlege,  erbe :  wergen, 
chot:got,  sind  in  der  Überlieferung  treu  bewahrt,  ebenso  im  vers 

1  wenn  Bartsch,  ohne  die  parallelstelle  zu  kennen ,  Beitr.  8,503  dies 
biliaf't  als  schreiberzutat  streicht,  so  leitet  ihn  ein  richtiger  tuet,  abei  auch 
den  Verfasser  des  Anegenge  selbst  kann  man  solcher  reimflickerei  wol  für 
fähig  halten. 


424  VORAUER  SÜNDENKLAGE 

formen  wie  mege  206,  chom  526:  nirgends  begegnet  ein  muge 
oder  quam,  mit  einer  einzigen  ausnähme  i  ist  altes  h  nach  vocal 
nie  aus-  oder  abgestofsen  ,  nie  ist  ein  ph  durch  p  ersetzt,  ein 
breiigen  für  bringen,  -scaf  für  -sca/i  eingeführt,  um  zu  zeigeu, 
wie  treu  jener  'mitteldeutsche'  Schreiber  der  Zwischenhandschrift 
den  oberdeutschen  lautstand  in  einzelnen  puncten  gewahrt  hat, 
greife  ich  die  Schreibung  des  germ.  k  im  gestützten  inlaut  heraus, 
für  das  folgende  belege  vorhanden  sind:  werch,  icerche,  werchen 
5.  93.  158.  165.  226.  252.  286.  497.  513;  starchen  158,  sterchorre 
855;  scalh  641;  gedanchen  168.  479,  denche,  gedenche  647.  676. 
795; — schliefslich  das  lehnwort  marchet  390.  also  bei  18  fallen 
nirgends  ein  ausweichen  aus  dem  bairischen  brauche,  der  mithin  dem 
Schreiber  doch  berechtigt  erschienen  und  vertraut  gewesen  sein  muss. 

Die  gesamtheit  dieser  beobachtungeu  lässt  nur  den  einen 
schluss  zu,  dass  die  vorläge  unserer  handschrift,  vielleicht  direct 
nach  dem  bairisch-österreichischen  original,  in  einem  österreichi- 
schen kloster  von  einem  Schreiber  hergestellt  wurde,  der  zwar 
längst  mit  der  spräche  und  rechtschreibung  seiner  Umgebung 
und  des  denkmals  selbst  vertraut  war,  aber  doch  gelegentlich 
laute  seiner  mitteldeutschen  heimat  einmischte,  in  der  haupt- 
sache  beschränken  sich  diese  unfreiwilligen  zutaten  auf  die  ein- 
führung  eines  anlautenden  und  inlautenden  d  für  obd.  t  (germ.  d 
und  t{r))~  und  auf  die  ausbreitung  des  umlauts  von  ä,  der  im 
original  wol  nur  vereinzelt  auftauchte,  von  den  reimen  nicht 
streng  gefordert  wird:  unsere  hs.  bietet  bei  66  fällen,  in  denen 
um  1200  umlaut  obd.  regel  sein  würde,  10  mal  a,  25 mal  cß, 
31  mal  e3.  der  weitere  anteil  des  Schreibers  der  vorläge  an  der 
sprachlichen  entstellung  des  textes  wird  in  den  kritischen  erürte- 
rungen ,  zu  denen  ich  mich  nun  wende,  speciell  zu  v.  28.  52. 
61.  83  ff.  153.  386.  545.  608,  zu  tage  treten. 

Obwol  sich  die  verszählung  Waags  als  nachlässig  (s.  Kraus 
aao.  34)  und  unhaltbar  herausstellt,  halte  ich  vorläufig  an  ihr  fest 
und  füge  jedesmal  die  citate  nach  Diemer  in  klammer  bei. 

1  stdl  für  slahel,  das  760  im  verse  steht;  es  ist  schon  im  Bit.  ST93 
durch  den  reim  gesichert. 

2  die  fälle  sind  aufgezählt  von  AMüller  s.  42. 

3  es  sei  ein  für  allemal  bemerkt,  dass  die  von  Waag  in  seinem  auf- 
satz  ßeitr.  11,  76  —  158  gegebenen  lautstatistiken  durchweg  unbrauchbar 
sind:  so  setzt  er  hier  nur  16  ce  und  11  e  an  (s.  135),  und  in  der  Statistik 
der  diphthonge  (ebenda)  hat  er  blofs  36  ei  gezählt  statt  127! 


VORAUER  SÜNDENKLAGE  425 

V.  18ff  (D.  295,14—16)  1.: 

nu  wis  Mute  ein  böte 

an  dinen  einbom  sun, 

an  unseren  herren  (Jhesum). 
die  ergänzung  ist  notwendig,  denn  etwa  hemm  einzustellen  (Kraus 
aao.  33),  verbietet  spräche  und  reirotechnik  unseres  gedientes,  das 
nur  selten  die  flexionsendung  reimt  und  von  alten  vollen  formen 
blofs  das  bis  tief  ins  13  jh.  übliche  verwandelöt  (:töt2öb)  auf- 
weist. —  v.  26  (295,  20)  hat  Kraus  Auz.  xvn  29  jedesfalls  besser 
als  Diemer  ergänzt:  doch  will  mir  die  Übertragung  des  sdlkh  aus 
v.  136,  wo  es  als  nachdrucksvoller  abschluss  einer  kette  von  preis- 
werten erscheint,  gar  nicht  einleuchten,  ich  ziehe  es  vor,  an 
seiner  stelle  einfach  eine  anrede  zu  setzen,  wie  sie  v.  30.  77.  110. 
175.  182  uö.  erscheint,  also: 

25  durch  willen  der  geburte, 

(daz  du,  vrouwe,  wurte) 

her  in  dise  werlt  geborn. 
v.  28  (295,  21)  uorhte  dialectisch  oder  verschrieben  für  uorhte  d.  i. 
vurhte.  —  v.  30  f  (295,221)  1.  nu  bivilhe  ich,  frouwe,  minen  geist  zu 
(diner)  helve,  wdriu  maget;  vgl.  v.  57.  —  v.  52  (296,  13)  im  reim 
auf  inphienge  1.  niemen  st.  niernan  (Kraus  aao.  33);  die  abge- 
schwächte form  war  dem  Schreiber  der  vorläge  fremd:  auch  551 
ist  iemen  st.  iemannen,  741  niemen  st.  niemanne  einzusetzen.  — 
v.  61  (296, 19)  ähnlich  gieug  es  ihm  mit  dem  in  süddeutschen  quellen 
dieser  zeit  häufigen,  aber  auf  diese  (Wiener  und  Milst.  Gen.,  Ezzo, 
Summa.  Theol.,  Ava,  Kehr.,  Aneg.,  Credo,  Tund.,  predigten)  be- 
schränkten und  im  13  jh.  (letztes  beispiel  i  ßiichl.  730)  ausgestor- 
benen compositum  (allez)  manchunne,  das  er  zwar  v.  22. 326  bewahrt, 
aber  hier  in  manneschunne ,  v.  74  (296,  27)  in  aller  manne  chunne 
(aus  allem  manchunne)  aufgelöst  hat. —  v.  83  ff  (297,  4  ff)  zeigen 
die  reimworter  eine  eigentümliche  durchkreuzuug  verschiedener 
formen  der  2  p.  s.  ind.  praet.  in  unseren  gediente  kommen  hier  dem 
starken  verbum  regulär  die  alten  conjunetivfürmen  zu:  sie  sind  im 
reime  massenhaft  bezeugt  (vgl.  51.  89  f.  91  f.  95.  131.  136.  239. 
322.  325.  625.  627  f.  797.  816)  und  im  versiunern  ausschließ- 
lich Überliefert,  denn  das  von  NVIihl.^  ^j  374  gerade  aus  der  Vor. 
skl.  v.  HO  (297,23)  angeführte  wurdest  ist  ein  conjunetiv.  ja 
nach  oberdeutscher  weise  (WhldV  §  386.  407)  überträgt  der  autor 
diese  bildung  auch  auf  ilie  verba  denken  und  bringen:  v.  253  (301, 10) 
Z.  F.  D.  A.     XXXV.    X.  F.     XXIII.  28 


426  VORAUER  SÜNDENKLAGE 

ist  du  brehte  überliefert,  und  selbst  einen  reim  du  vrumde  :  ur- 
chunde  703  (312,  11)  könnte  man  anstatt  des  überlieferten  vrume- 
dest  auf  grund  eben  bairischer  analogien  des  12  jhs.  (Whld.2  §  402) 
einsetzen,  die  sf-formen  an  unserer  stelle  erklären  sich  einmal 
aus  einem  Wechsel  der  construction,  der  dann  den  Schreiber  in 
Verwirrung  brachte,  dann  aber  auch  daraus,  dass  ihm  selbst  als 
Mitteldeutschem  diese  formen  mit  -st  auch  im  ind.  praet.  der 
starken  verba  geläufig  waren  (Whld.2  §  374).  dass  er  tatsächlich 
mit  der  vorläge  in  conflict  geriet,  zeigt  besonders  die  form  breh- 
dest,  die  nur  auf  einem  compromiss  von  brehte  und  brdhtest  be- 
ruhen kann.  v.  83  bringt  den  von  daz  v.  80  abhängigen  con- 
junctiv  huobest,  der  aber  auch  den  reimgesellen  truogest  mit  sich 
zog;  die  abhängige  construction  kann  also  erst  mit  v.  85  verlassen 
sein,  und  die  ursprüngliche  gestalt  der  verse  lässt  sich  etwa  so 
widerherstellen : 

80  daz  du  die  bürde, 

die  er  uf  sich  nam, 

dö  er  in  dise  werlt  cham, 

mit  samt  ime  huobest, 

in  dinem  buche  du  in  truogest: 
85  maget  wesende  du  in  gebcere, 

sin  chintamme  du  wcere, 

ze  dem  vrönen  sale  du  in  brcehte, 

windelline  du  ime  gedcehte. 

dö  du  in  enphienge  usw. 
das  du  in  v.  84  habe  ich  mit  gutem  bedacht  gelassen:  in  dieser 
form   leitet  die  zeile  gewissermafsen   aus  dem  nebensatz   in  den 
folgenden  hauptsatz  über. 

V.  109  (297,  23)  1.  chomen.  —  v.  153  (298,  22)  ist  der  reim 
gegeben  :  wissagen  schon  wegen  des  ausdrucks  geben  zu  zu  be- 
seitigen, man  schreibe 

152  du  da  ze  den  niun  chören 

michele  froude  hdst  getragen 

den  (zwelf)boten  unde  den  wissagen. 
vrouwede  ist  eine  form,  die  höchst  wahrscheinlich  dem  Schreiber 
der  vorläge  gehört.  —  v.  157  (298,  24  f)  1.  unt  (den)  patriarchen. 
—  v.  181  (299,  11)  1.  bete.  —  v.  187  (299, 16)  an  die  form  vrende 
(hs.  urende)  für  verende  glaube  ich  nicht;  hier  liegt  offenbar  nur 
eine  graphische  eigentiimlichkeit  des  Originals  zu  gründe,  die  auch 


VORAUER  SÜNDENKLAGE  427 

v.  229  (300,  19)  die  überlieferte  lesart  (des  bludes)  daz  got  an 
dem  cruce  uzgoz  für  vergöz  (aus  urgoz  <<  usgoz)  verursacht  haben 
mag.  —  v.  198  (299,  24)  die  überlieferte  reimlose  langzeile  muss 
natürlich  geteilt  werden,  der  reim  ist  derselbe  wie  in  der  zweifel- 
freien ergänzung  Diemers  v.  160,  also: 
loier  mohte  gezieren 
unde  (wol?)  geren. 
V.  203  (299,  28)  scheint  mir  die  änderung  den  engelen  in 
der  höhe  (:  chöre)  für  in  den  hohen  der  hs.  zwar  nicht  unbedingt 
nötig,  aber  sehr  naheliegend.  —  v.  211  (300,  5)  1.  danne  st.  denne; 
der  sinn  ist:  'gestatte  mir  die  rückkehr  [dorthin],  von  wo  ich 
hierher  verbannt  bin',  denne  als  localadverb  ist  mir  wenigstens 
unbekannt.  —  v.  229  (300,  19)  s.  zu  v.  187.  —  v.  269  (301,  22) 
die  Umstellung  fach  unde  naht  (:  mäht)  liegt  nahe,  ohne  aber  not- 
wendig zu  sein.  —  v.  278  (301,  28)  in  der  anrede  an  Maria 
muss  es  heifsen: 

.  meile 

durch  willen  der  reine,  (hs.  reinen) 
der  ime  got  selbeme  behielt  an  dir. 
dh.  'um  der  reinheit  willen,  welche  got  für  sich  selbst  an  dir  auf- 
sparte',  adjectivisches  reinen  gibt  keinen  sinn,    (h)reini  'castitas'  ist 
bei  Graff  iv  1161  noch  reichlich  bezeugt;  die  mhd.  wbb.  bieten  dafür 
nur  wenige  belege:  aus  dem  Linzer  Entechrist,  Spec.  eccl.  und  dem 
pseudo-gottfried.  lobgesang,  den  Pfeiffer  in  die  gegend  des  Boden- 
sees setzt:    einem  mitteldeutschen  gedichte  käme   wol  reinde  zu 
(oberhess.  Himlf.  Mariae  v.  444).   —  v.  285  —  287  (302,  6  —  8) 
folgen  sich  bei  Waag  und  scheinbar  ja  auch  in  der  hs.  drei  reim- 
lose zeilen,  denn  die  ausgänge  tonte :  werche :  froute  können  in  der 
technik  unseres  dichters  unmöglich  einen  dreireim  ergeben,    die 
langzeile,   welche  Scherer  QF  vu  80   und  AMüller  s.  21    richtig 
erkannt  haben,  stellt  das  reimpaar  her: 
dö  er  hangende  drane  tonte, 

unde  durch  willen  aller  der  werche  dd  er  dich  ie  mite  froute. 
V.  314  (302,  28)  1.  gebunden.  —  v.  338  (303,  16)  ist  das  Uarre 
der  hs.  in  Wdrre  (=  wdrer)  zu  ändern,  nicht  in  Ware;  die 
gleiche  Schreibung  führt  Waag  irrig  v.  431  (305,20)  und  v.  6S9 
(312,  2)  ein.  —  nach  v.  340  (303,  18)  fehlt  eine  reimzeile,  die  sich 
mit  einiger  Sicherheit  ergänzen  lässt: 

28* 


428  VORAUER  SÜNDEINKLAGE 

unde  si  ouch  gerne  buozen  welle, 

(nu  löse  mich  von  der  helle?) 

nu  habe  erbarmede  über  mich, 

des  bite  ich  armer  menske  dich  usw. 
man  wende  nicht  etwa  ein,  dass  gleich  darauf  wider  steht  (344  f) 
nu  hilf  mir,  daz  ich  mine  sele  inphuore  von  deme  beche,  denn 
gerade  in  immer  erneuter  wideraufnahme  und  variierung  des 
gleichen  gedankens  beruht  die  stilistische  eigenart  und  würkung 
dieses  gedichtes.  —  v.  345  (303,  20)  ist  der  schw.  dat.  (von  dem) 
bechen  unerhört  und  gewis  nur  durch  den  reimklang  (:  rechen) 
eingeschmuggelt. —  zu  v.  361  f  (304,  4.  5)  ist  ein  überblick  über 
den  gedankengang  von  v.  344 — 367  notwendig:  der  dichter  fleht 
um  errettung  seiner  seele;  am  leibe  möge  gott  ihn  strafen,  dafür 
vor  allem,  dass  er  Christi  opfertod  so  schlecht  gelohnt  habe 
(350  ff),  ja  er  will  in  diesem  erdenleben  sich  selbst  dazu  ver- 
urteilen, gottes  räche  zu  erdulden  (dd  wil  ich  mir  selbe  umbe 
irteilen  den  dinen  michelen  gerich  in  disem  Übe  über  mich  358  ff ). 
'denn  was  mir  dort,  im  jenseits,  zu  teile  werden  würde,  das  würde 
ich  ungern  erleiden';  dieser  letztere  gedanke  muss  in  den  verseu 
361  f  stecken,  die  ich  so  lese: 

daz  mir  dort  ze  teile  solde  werden,     bs.  leide 
daz  irlite  ich  nngeme.  hs.  irteile 

ze  leide  möchte  noch  angehn,  obwol  der  neutrale  ausdruck  ze 
teile  unstreitig  würksamer  ist,  irteile  ich  ist  ohne  nähere  bestim- 
mung  (mir)  überhaupt  nicht  zu  halten  und  fiele  auch  dann  noch 
aus  sinn  und  construction.  es  leuchtet  ein,  wie  leicht  äuge  und 
ohr  von  teile-irlite  auf  leide-irteile  abirren  konnten,  zumal  ir- 
teilen eben  dagewesen  war;  und  dass  der  so  gewonnene  gedanke 
der  richtige  ist,  beweist  die  weitere  ausfiihrung  v.  363 — 367: 
'jenes  (die  strafe  im  jenseits)  könnte  leicht  zu  lange  währen  (daz 
wnrde  lihte  ze  lenge  ist  dieselbe  ironische  ausdrucksweise  wie  mein 
daz  irlite  ich  ungerne),  während  dies  (die  irdische  strafe)  bald  ein 
ende  nimmt;  darum  sei  gepriesen,  herr,  dass  du  mich  hier  entgelten 
lässt  und  dafür  die  seele  rettest.'  —  bei  v.  386  (304,  20)  daz 
ist  hinen  vurder  der  rät  min  möchte  ich  glauben ,  dass  vurder 
für  vur  nur  einer  dittographie  des  artikels  seinen  Ursprung  ver- 
dankt: so  oft  ich  in  der  obd.  litteratur  des  12  jhs.  hinnen  vur 
gelesen  habe,  hinnen  vurder  ist  mir  nicht  vorgekommen. 

V.  423.  24.  (305,  15.  16)  bergen  eins  der  reizvollsten  verderb- 


VORAUER  SÜNDENKLAGE  429 

nisse.  'diese  weit'  heifst  es  'hat  mich  hetrogen',  sie  hat  mir  armen 
getan  also  vil  manegem  man,  den  sie  hat  bestrichen,  ein  teil  hdn 
ich  irite  harte  gehenget,  hier  ist  die  vorletzte  zeile  reimlos  und 
die  letzte  birgt  jenes  rätselhalte  irite,  das  Scherer  zuerst  als  tri  te 
auflöste  und  das  seither  als  ein  rest  niederdeutscher  lautgebung 
(=  ir  ze)  aufgefasst  wird,  wie  unwahrscheinlich  so  etwas  über- 
haupt in  unserm  denkmal  ist,  wurde  oben  gezeigt,  die  frage  ist 
die:  steckt  die  fehlende  reimzeile  zu  424  —  bestrichen  verstüm- 
melt in  425?  oder  muss  sie  als  gänzlich  verloren  angesehen  und 
durch  conjectur  ganz  neu  hergestellt  werden?  die  erstere  even- 
tualität  ergäbe  etwa  folgende  fassung: 

den  sie  hat  beswichen. 

ein  teil  hdn  ich  (ir  entwichen,}  oder  (mich  ir  geßizzen) 

ir  ze  harte  gehenget, 
entwichen  hätte  hier  die  keineswegs  seltene  bedeutung  'nachgeben', 
also  ziemlich  die  gleiche  wie  gehengen,  und  ausgefallen  wäre  der 
erste  zweier  parallelen  verbalen  ausdrücke,  der  reim  beswichen  : 
entwichen  begegnet  zb.  Raraj.  112,  3.  4  (QF  vn  25).  ich  wähle 
diesen  weg  der  emendation  aber  darum  nicht,  weil  er  das  sonder- 
bare irite  unerklärt  lässt,  ja  durch  die  widergabe  ir  ze  seinen 
niederdeutschen  Ursprung  zuzugeben  scheint:  der  obige  einfall 
stammt  denn  auch  bei  mir  aus  einer  zeit,  wo  ich  Scherers  deutung 
noch  für  möglich  hielt,  jetzt  bin  ich  überzeugt,  dass  die  reimzeile 
ganz  verloren  ist  und  sich  eben  nur  andeutend  ergänzen  lässt, 
und  ich  schreibe  das  ganze  so: 

den  sie  hdt  beswichen 

(mit  ir  argen  slichen,)  oder  (ich  hdn  mich  ir  geflizzen,) 

ein  teil  hdn  ich  ir  itelchaite  gehenget. 
'partim  eius  vanitati  iudulsi'.  man  deuke  sich  nur  im  original 
die  buchstaben  Ic  verwischt  oder  vernichtet:  irite  haue;  irite  blieb 
unverstanden  (denn  gewis  hat  kein  mittelalterlicher  leser  die 
Scherersche  deutung  vorgenommen),  haue  wurde  als  harte  'ge- 
bessert', das  subst.  itelchait  begegnet  im  12  jh.  zb.  Prl.  681;  die 
obd.  Schreibung  des  diphthonges  ai  muss  im  original  unbedingt 
häufiger  gewesen  sein  als  in  unserer  hs.^  wo  sie  nur  noch  spo- 
radisch begegnet  (306,  10  laider,  tau.  314,  13  waiz).  —  v.  425 
(305, 17)  s.  zu  v.  28.  —  v.  427  (305,  18)  I.  gnediger  (vgl.  v.  446). 
—  v.  431  (305, 20)  s.  zu  v.  338.  —  v.  437  (305, 25)  I.  mit  Diemer  m 
Id  du  den  zorn  din.  —  v.  447  (300,5)  s.  zu  v.  28.  —  v.451  (306,8) 


430  VORAUER  SÜNDENKLAGE 

1.  diu.  —  v.  473  (306,  25)  nit :  ubermuot  ist  zu  keiner  zeit  ein 
reim  gewesen;  die  änderung  untriuwe  und  ubergit  liegt  nahe 
und  sie  wird  dadurch  nicht  unwahrscheinlicher,  dass  das  suhst. 
übergit  zufällig  in  unsern  wbb.  unbelegt  ist:  übergiteclich  und  über- 
girlich  findet  man  bei  Lexer  ii  1618,  übergitic  in  der  sündeuklage 
Montforts  25,  60,  und  so  gut  überdz,  übertranc,  übergehist,  über- 
giude  ua.  in  beichtformeln  und  verwanten  denkmälern  vorkommen, 
dürfen  wir  auch  zu  dem  stm.  git  ein  compos.  übergit  ansetzen; 
das  abirren  von  dem  ungewöhnlichen  in  das  geläufige  wort  er- 
klärt sich  leicht.  —  zu  v.  478  (307,  1)  s.  Kraus  Anz.  xvii  30. 

V.  500  ff  (307,  16  ff),  von  den  grammatischen  Unmöglichkeiten 
dieses  satzes  hat  Kraus  aao.  30  eine  beseitigt,  indem  er  das  ich 
v.  502  strich,  es  bleibt  der  dreifach  austöfsige  vers  500.  der 
dichter  hat  sich  v.  491 — 499  als  einen  rechten  frauenjäger  ge- 
schildert und  er  will  offenbar  fortfahren:  'da  aber,  wo  ich  selbst 
kein  interesse  hatte,  würkte  ich  doch  dahin,  dass  eine  anständige 
frau  ihren  leib  mit  ehebrechern  befleckte',  unbedingt  falsch  ist 
in  v.  500  iehtes,  wir  erwarten  niht  oder  auch  lihte;  aber  auch 
mich  was  umbe  ist  eine  unerhörte  Verbindung;  die  änderung  mir 
aver  niht  umbe  war :  — dar  schneidet  zu  tief  ein,  lieber  schlage  ich 
vor  zu  lesen: 

v.  500  da  mich  aver  lihte  umbe  wach, 

vil  sciere  vrumet  ich  daz, 

daz  alzoges  guot  wip 

ze  meile  brühte  ir  lip 

mit  unrehten  maimen. 
zu  ze  meile  bringen  vgl.  ülr.  v.  L.  Frb.  623,  24.  —  v.  502  (307,25) 
halte  ich  im  gegensatz  zu  Kraus  aao.  30  für  tadellos:  höchstens 
mag  man  anderre  st.  andere  schreiben ,  und  in  der  folgenden 
zeile  wird  der  gegensatz  zu  diesem  anderre  durch  minen  st.  dinen 
herzustellen  sein  ,  also : 

ich  räch  halt  anderre  Hute  dinch, 

an  minen  werchen  was  ich  Mint  usw. 
nirgends  ist  hier,  wie  Kraus  behauptet,  von  'lancrdche'  die  rede, 
und  so  würken  die  von  ihm  eingefügten  chint  (st.  dinch)  geradezu 
verblüffend,  der  dichter  klagt  sich  der  'rachsucht'  an,  die  nach 
altem  Sprachgebrauch  'scheltsucht,  tadelsucht'  einschliefst:  'ich 
rächte  mich  für  alles,  was  man  mir  mit  wort  und  tat  zufügte; 
ich  schalt  eben,   was  ich   au  andern  sah   und   war  blind   gegen 


VORAUER  SÜNDENKLAGE  431 

meine  eigenen  werke'.  —  v.  537  (308, 14)  s.  zu  v.  28.  —  v.  545 
(308,20)  die  form  trehten  (:  unrehte),  die  v.  734  (313,  3)  (ivehten) 
widerkehrt  und  beidemal  vom  Schreiber  mit  drehtin,  threktin 
verwischt  worden  ist,  wird  für  nähere  bestimmuug  von  zeit  und 
heimat  im  äuge  zu  behalten  sein.  —  v.551  (308, 24  f)  s.  zu  v.52. — 
v.  568—585  (309,  8—19)  kommt  der  dichter  auf  das  thema  von 
v.  358  ff  zurück:  er  fleht  gott  an,  ihn  hier  auf  erden,  am  fleische 
zu  strafen,  damit  für  den  teufe)  (den  leidigen  wizencere)  nicht 
allzuviel  aufgespart  bleibe  (578);  'hilf  gott,  dass  ich  noch  vor 
meinem  ende  nach  deinem  sinne  werde'  (585  f).  —  v.  599  (309,28) 
s.  Kraus  aao.  30;  v.  600  ist  zu  übersetzen  'was  ich  etwa  von  ihr 
hier  verdient  haben  sollte'. 

V.  608  (310,5)  im  reim  auf  rede  1.  antsege  st.  antsage,  wie 
auch  der  einzige  anderweitige  beleg  W.  Gen.  81,  21  antsegi  bietet. 
—  v.  624  (310,  14)  zu  der  verwaisten  zeile  hiute  also  gnedich  ist 
das  reimwort  leicht  gefunden,  denn  ein  anderes  reimwort  auf 
genwdic  als  scelic  und  dessen  composita  ist  im  12  jh.  kaum  be- 
legt (vgl.  zb.  Milst.skl.95f.  Rol.  23,  8.  Kehr.  119  f,  150771)  und 
liutselich  ist  hier  der  denkbar  passendste  ausdruck.   also  lese  ich: 

wm  weiz  ich  wol  daz  du  bist 
624  hiute  also  gencedich 

(und  also  liutscelich,) 

so  (du)  dö  (weere,) 

dö  du  dem  sedcheere 

sine  meinteete  verlieze  usw. 
v.  661  (311, 12)  ist  von  der  wunderbaren  erreltung  und  heiligung 
der  Maria  Aegyptiaca  die  rede:  jd  ist  uns  (von)  ir  daz  geleren.  — 
v.  665  (311,  15)   1.  unze  si  (in)' riuwen  gihiez  ze  buozzene   ir 
sculde.  —  v.  693  (312,4)  1.  bewarfest  st.  bewdrst. 

V.  701  (312,  10)  1.  haben  (:scaden),  s.  oben  s.  421.  —  v.  707 
(312,  13)  hs.  wände  sit  alle  taten  wird  seit  Scherer  sit  =  si  ez 
genommen;  wie  unwahrscheinlich  das  ist,  hat  schon  die  einlei- 
tende betrachtung  ergeben,  man  hat  aber  auch  gar  nicht  beachtet, 
dass  das  alle  dieser  zeile  (wände  sit  alle  täten  du  alle  ir  sculde)  nicht 
zum  subjeet  gehören  kann,  denn  die  ankläger  Susan nens,  von  denen 
hier  die  rede  gewesen  ist,  waren  nur  'duo  senes'  und  können 
nicht  als  alle  bezeichnet  werden,  es  liegen  min  verschiedene 
mögliebkeiten  vor:  1)  alle  ist  einlach  aus  der  folgenden  zeile  ein- 
gedrungen,   2)   es    ist   verschrieben    für   allcz    oder    alles;    diese 


432  VORAUER  SÜNDENKLAGE 

beiden  entstellungsarten  erklären  das  wunderliche  sit  nicht:  man 
muss  zu  jeder  von  beiden  noch  eine  weitere  entstellung  hinzu- 
nehmen, wie  etwa  die,  dass  sit  die  conjunction  sit  und  als  Variante 
zum  ersatz  des  gleichbedeutenden  wände  bestimmt  war,  statt 
dessen  aber  das  ähnlichaussehende  siz  verdrängt  hat.  ich  ziehe 
eine  dritte  erklärung  der  Verderbnis  vor,  welche  das  alle  nicht 
antastet,  und  schreibe: 

wände  siz  mit  alle  taten  usw. 
der  Schreiber  sprang  einfach  von  i  zu  i  und  schrieb  sitalle,  das 
unsere  herausgeber  dann  als  sit  alle  gedeutet  haben.  —  v.  721  f 
(312,  22  f)  1.  nu  entlip  minen  sunden  durch  din  selbes  hui  de 
st.  gute;  der  ersatz  des  reimworts  durch  ein  abstractum  ähnlicher 
bedeutung  erscheint  mir  einfacher,  als  das  von  Kraus  aao.  33  f 
vorgeschlagene  wunden ;  hulde  steht  im  reim  409.  619.  631.709. 

—  v.  726  (312,  26)  1.  (der)  tievel!  —  v.  733  (313,  1)  natürlich 
ist  daz  zu  streichen.  —  v.  743.  44  (313,9.10)  den  reim  Irinnen: 
ende  halte  ich  bei  unserem  dichter  für  entschieden  verdächtig,  so 
geläufig  der  formelhafte  ausdrtick  gerade  dieser  Zeilen  ist.  — 
v.  773  (314,4)  Du  ist  allerdings  verderbt,  aber  nicht,  wie  Kraus 
aao.  30  als  selbstverständlich  ansieht,  aus  Die,  sondern  durch  den 
gleichen  fehler  des  rubricators,  der  auch  v.  616  (310,9)  vorliegt, 
aus  Nu,  das  hier  conjunction  ist:  Nu  sögetdne  chamfwdt,  herre, 
niemen  nehdt  — ,  nu  wcere  reht  usw.,  ganz  wie  v.  339  ff  nu 
mich  mine  sunde  riuwen  — ,  nu  habe  irbarmede  über  mich;  der 
conjunctiv  im  letztern  falle  ist  wol  mehr  durch  reimnot  (getriuwe : 

—  <:  helle))  herbeigeführt.  —  v.  799  (314,  23)  1.  daz  (du)  vil  wol 
weist  daz. 

V.  810.  11  (315,  2.  3)  hs.  ob  sie  diu  gotheit  von  himele  her  in 
erde  treip  bleibt  bei  den  herausgebern  ungeändert,  der  besserungs- 
versuch  von  Kraus  aao.  31  sagt  mir  nicht  zu.  der  gedankengang 
ist  von  v.  805  ab  deutlich  dieser:  'ich  habe  keine  kraft  gegen 
die  (teufel),  die  mich  täglich  anfechten  und  mich  gar  zu  gerne 
des  ewigen  riches  bestiezen  (808.  9),  wenn  sie  [deine  gute  gewähren 
liefse.  herr,  dich]  sandte  die  gottheit  vom  himmel  auf  erden  usw.' 
die  ergänzung  ist  danach  recht  einfach  und  kann  fast  als  sicher 
gelten,  weil  die  Verderbnis  sich  graphisch  von  selbst  erklärt: 


vil  gerne  bestiezen, 

ob  sie  (diu  guote  lieze. 


VORAÜER  SÜNDENKLAGE  433 

herre,  dih)  diu  gotheit 
von  himele  her  in  erde  treip. 
der  Schreiber  sprang  von  din  gote  auf  diu  gotheit  über,  din 
guote,  das  er  unterdrückte,  kommt  eben  in  diesem  passus 
kurz  vorher  (791)  und  kurz  nachher  (817)  vor.  —  v.  832.  33 
(315,  19.  20)  1.  dö  du  in  dem  töde  himel  und  erde  allez  (lieze} 
erweget  werden.  Waag  beseitigt  v.  832  das  überlieferte  du  und 
setzt  v.  833  scolde  ein,  was  ganz  unpassend  ist.  die  Schwierig- 
keit des  Verständnisses  scheint  durch  die  eigentümliche  Scheidung 
des  angeredeten  heilands  in  du  821  ff.  832  und  din  gotlich  ge- 
walt  827  (=  er  828.  830.  831)  hervorgerufen;  die  stelle  (831  ff) 
ist  zu  übersetzen:  'inzwischen  brach  deine  göttliche  gewalt  die 
hölle,  als  du  sterbend  himmel  und  erde  zur  erschütterung  brachtest'. 
—  v.  834  (315,  21)  !.  die  steine  zebrdsten.  —  nach  v.  838  (315,  24) 
fehlt  die  reimzeile:  der  erhaltene  Vordersatz  ist  offenbar  als  parallel 
zu  v.  835  aufzufassen  und  das  ganze  so  zu  lesen: 
835  genuoge  erstuonden  an  dem  tage, 

die  vor  manegen  jdren 

gar  ervület  waren; 

sich  zaten  die  über  elliu  diu  laut, 

(die  lange  wären  unbechant.) 
die  Überlieferung  von  D.  316,  1 — 3  teilt  Waag  in  einer  mir  und 
jedesfalls  auch  ihm  selbst  unverständlichen  weise  ab: 
daz  er  dd  hete  verstoln,  (verholn:) 
845  im  was  sin  sterchorre  chomen. 

daz  ime  ouch  alle,  die  benomen  werden.  (:  erden) 
man  sieht  auf  den  ersten  blick:  zu  v.  844  fehlt  der  nachsatz, 
zu  v.  845  die  reimzeile;  was  im  erstem  gestanden  haben  muss, 
ist  klar  und  kann  überdies  aus  dem  von  dem  dichter  benutzten 
Ezzolied  17,  9f  (dö  ime  der  sterchore  cham,  der  zevuorte  im  sin 
geroube  al)  und  noch  deutlicher  aus  dem  Anegenge  entnommen 
werden,  das  ihn  ausschreibt,  vgl.  Aneg.  39,  64 f  und  besonders 
das  verspaar  38,  69  f,  das  wir  umgestellt  fast  wörtlich  in  die  lücke 
nach  844  einsetzen  könnten:  daz  xcart  im  fiz  der  hant  gezogen,  dd 
wart  der  tiuvel  mit  betrogen,  natürlich  will  jeder  derartige  ergän- 
zungsversuch  nur  den  gedanken  und  nicht  den  Wortlaut  widerher- 
stellen, und  mit  rücksicht  auf  v.  845  könnte  man  etwa  auch 
folgendes  eintragen: 


434  VORAÜER  SÜNDENKLAGE 

daz  er  da  hete  verstoln, 

{daz  muose  er  allez  wider  geben. 

an  dem  töde  gesigete  daz  leben:} 

im  was  sin  sterchorre  chomen. 
ich  fahre  fort:     daz  ime  ouch  alle  die  benomen 

(hinnen  vur)  werden 

die  nffe  dirre  erden 

sin  gebildet  nach  dire, 

daz  gib  in  unde  ouch  mire  usw. 
'alles  was  der  teufel  vor  deinem  opfertode  an  menschen  geraubt 
hatte,  das  muste  er  herausgeben,    dass  ihm  auch  hinfort  alle  die 
nach   deinem  bilde   geschaffen  sind    entzogen   werden,    das   ge- 
währe du  ihnen  und  mir!' 

Ich  hebe  zum  Schlüsse  hervor,  dass  durch  die  grofsenteils 
notwendigen  und  gewis  stets  in  der  hauptsache  wahrscheinlichen 
vorschlage  zu  v.  198.(286.)  340.  423.  624.  810.  838.  845  die  reim- 
losen Zeilen  der  Überlieferung  beseitigt  sind  l,  soweit  sie  Diemer 
noch  übrig  gelassen  hatte,  das  gedieht  zählt  nach  meiner  re- 
cension  858  verse:  426  reimpaare  und  dazu  2  dreireime  (643 — 45, 
718—20)  mitten  im  text.  interpolationen  oder  sonstige  spuren 
einer  Überarbeitung  habe  ich  nirgends  gefunden,  der  text,  wie 
ich  ihn  hier  durchgesprochen  habe,  scheint  mir  persönlich  kaum 
noch  andere  Schwierigkeiten  der  auslegung  zu  bieten,  als  die, 
welche  bei  den  emendationsversuchen  zur  spräche  gebracht  worden 
sind,  einen  gedankensprung,  der  ohne  zweifei  mit  einem  hand- 
schriftlichen fehler  zusammenhängt,  habe  ich  nur  noch  v.  195 
(299,  21  f)  bemerkt:  vielleicht  gelingt  es  einem  glücklichern  hier 
über  Diemers  Vorschlag  hinauszukommen:  mir  scheint  uz  nihte 
hier  mit  rücksicht  auf  das  folgende  doch  immer  besser  als  zu 
niht(e),  aber  der  Zusammenhang  mit  dem  vorausgehnden  bleibt 
freilich  auch  so  recht  locker. 

1  Waag  hat  die  von  Diemer  ergänzten  zeilen  26.  160.  803/4.  829  in 
seinen  text  aufgenommen,  sonst  aber  nirgends,  wie  es  scheint,  eine  lücke 
empfunden. 

Marburg.  EDWARD  SCHRÖDER. 


MARIA  VON  UNGARN  435 

KÖNIGIN  MARIA  VON  UNGARN  UND  DIE 
IHR  ZUGEEIGNETEN  LIEDER. 

In  der  litteraturgeschichte  ist  Maria  von  Ungarn,  die  Schwester 
Karls  v,  (1505 — 1558)  durch  zwei  ihr  zugeschriebene  lieder  be- 
kannt, von  denen  das  eine  'Mag  ich  unglück  nit  widerstan'1  das 
gottvertrauen  eines  voo  gefahren  bedräugten  menschen  mit  deut- 
lich protestantischer  färbung  ausspricht,  während  das  andere  'Ach 
gott,  was  soll  ich  singen'2  eine  klage  über  den  tod  ihres  bei 
Mohacz  im  Türkenkriege  gefallenen  jugendlichen  gemahls  Ludwig 
von  Ungarn  enthält,  ihnen  vermag  ich  eine  weitere  liebesdichtung 
anzureihen,  die  mit  dem  ersten  liede  den  strophenbau  und  das 
aus  den  anfangsbuchstaben  der  drei  ersten  Strophen  sich  ergebende 
akrostichon  MaRiA  gemeinsam  hat,  und  von  der  sich  aufserdem 
nachweisen  lässt,  dass  sie  einst  im  besitze  der  königin  war. 
nichtsdestoweniger  ist  an  ihre  Verfasserschaft  in  diesem  falle 
ebensowenig  zu  denken  wie  in  jenem. 

Schon  Goedeke3  hat  vor  dem  irrtume  gewarnt,  als  seien  die 
häufig  vorkommenden  namenlieder  von  den  fürstlichen  personen 
gedichtet,  denen  sie  in  den  mund  gelegt  und  gewidmet  wurden, 
und  Böhme,  der  in  dem  liede  'Mag  ich  unglück  nit  widerstan' 
eine  geistliche  Umbildung  des  weltlichen  meisterliedes  mit  gleichem 
anfange  4  erkannte,  schreibt  dasselbe  aus  diesem  gründe  nicht  der 
königin,  sondern  irgend  einem  protestantischen  dichter,  zb.  Luther, 
zu,  der  es  der  königin  zugesandt  haben  könne. 

Aber  auch  andre  gründe  als  diese  allgemeine  erwägung 
müssen  uns  abhalten,  der  traditbn  des  16  jhs.  glauben  zu 
schenken.  Maria5  war  als  die  tochter  des  erzherzogs  Philipp 
und  der  prinzessin  Juana  von  Castilien   zu  Brüssel  geboren    und 

1  Wackernagel  Das  deutsche  kirchenlied  3,  nr  156 — 159;  Böhme  Alt- 
deutsches liederbuch  nr  637b;  KvLiliencron  Deutsches  leben  im  Volkslied  um 
1530  nr  8.  der  text  auch  in  der  Heidelberger  hs.  171,  bl.  126*.  zum  fort- 
leben der  melodie  vgl.  Bäumker  Das  katholische  deutsche  kirchenlied  2, 270f 
und  Erasmus  Widmann  Lieder  (1622)  tu '24. 

2  Liliencron  Die  historischen  Volkslieder  der  Deutschen  3,560  nr.  Iwl. 
die  melodie  'Es  wonet  Heb  bei  liebe'  steht  bei  Böhme  nr.  L9. 

3  Grundriss  n*  199.295. 

4  Altdeutsches  liederbuch  nr  637". 

5  über  ihr  leben  vgl.  Maurenbrecher  ADB  20,  374—378  und  die  dort 
angeführte  litteratur. 


436  MARIA  VON  UNGARN 

fern  von  ihren  eitern  bei  ihrer  tante  Margarete  *  von  Österreich 
in  Löwen  erzogen  worden,  dass  sie  neben  grofser  politischer 
begabung  und  einer  fast  männlichen  tatkraft  auch  ein  entschie- 
denes Sprachtalent  besafs  und  aufser  der  französischen  und  nieder- 
ländischen auch  die  spanische,  lateinische  und  deutsche  spräche 
kannte,  wissen  wir;  ob  sie  aber  das  deutsche  genügend  be- 
herschte,  um  sich  darin  auch  in  poetischer  form  zu  bewegen, 
wird  besonders  dadurch  zweifelhaft,  dass  ihre  mit  den  brüdern 
gewechselten  briefe,  von  denen  FBvBucholz 2  proben  veröffent- 
licht hat,  durchweg  in  französischer  spräche  abgefasst  sind,  einen 
genaueren  blick  in  ihre  lectüre  verstattet  uns  das  von  Gachard3 
veröffentlichte  Verzeichnis  ihrer  handschriftensammlung,  die  sie 
1555  nach  der  niederlegung  ihrer  vierundzwanzigjährigen  Statt- 
halterschaft in  den  Niederlanden  zurückliefs:  hier  werden  fast 
nur  französische,  lateinische  und  spanische  werke  aufgezählt, 
deutsche  gar  nicht,  hätte  Maria  aber  sich  selber  als  deutsche 
dichterin  versucht,  so  würden  doch  wol  auch  deutsche  hand- 
schriften  als  zeichen  ihres  tiefergehenden  interesses  für  diese 
litteratur  in  ihrer  bibliothek  gewesen  sein. 

Müssen  wir  somit  den  gedanken  an  eine  dichterische  tätig- 
keit  in  deutscher  spräche  bei  der  Schwester  Karls  v  abweisen,  so 
ist  doch  ihre  grofse  Vorliebe  für  die  musik  durch  die  sorgsamen 
forschungen  Edmonds  vander  Straeten  4  für  die  zeit  ihrer  regent- 
schaft  ausreichend  dargetan,  sie  hielt  eine  von  Rogier  Patie  ge- 
leitete musikkapelle,  in  deren  mitte  sie  auf  einem  holzschnitte  vom 
jähre  1544  dargestellt  wird;  sie  spielte  selbst  das  manicordium,  und 
sie  besafs  eine  wertvolle  musikalische  bibliothek,  die  sie  mitnahm, 
als  sie  1556  ihren  bruder  nach  Spanien  begleitete. 

Nicht  mitgenommen  wurden    damals  von  ihr   zwei  jetzt   auf 

1  auch  dieser  fürstin  werden  französische  gediente  und  ein  niederlän- 
disches lied  'Myn  kert  altijt  heefl  verlangten'  zugeschrieben,  letzteres  auf 
jeden  fall  mit  unrecht;  vgl.  Willems  Belg.  museum  1, 196—205.  9, 141;  Oude 
vlaemsche  liederen  (1848)  nr  15  u.  161.  Hoffmann  v.  F.  Nl.  Volkslieder  nr96. 

2  Gesch.  d.  regierung  Ferdinands  i  bd.  9  (Wien  1838),  8— 14.  262— 264. 
495.  535.  728. 

3  Compte  rendu  de  la  commission  royale  d'histoire  10  (Bruxelles  1845), 
224—246.  vgl.  Chr.  Sepp  Biographische  mededeelingen  (Leiden  1883)  s.  110 
bis  182:  'De  bibliotheek  eener  koningin'. 

4  La  musique  aux  Pays-Bas  avant  le  xix.  siecle  7  (1887),  199.  429. 
450.  469. 


MARIA  VON  UNGARN  437 

der  königlichen  bibliothek  zu  Brüssel  (mscr.  11691.  11692)  be- 
findliche musikalien  von  eigentümlicher  ausstattung.  das  eine  ist 
ein  quadratisches  stück  leinwand,  auf  das  ein  lateinisches  Marien- 
lied: ' Sancta  Maria,  succurre  mihi'  mit  einem  vierstimmigen 
satze  von  Benedictus  Appenzeller  und  einer  widmung  vom  j.  1548 
aufgedruckt  ist ' ;  das  andere  ist  das  oben  erwähnte  deutsche 
liebeslied,  ebenfalls  für  vier  stimmen  gesetzt,  in  vier  notenheften 
von  besonderer  art.  die  papierblätter  dieser  quarthefte  sind  näm- 
lich mit  leinwand  überzogen  und  auf  diese  mit  schwarzer  seide 
die  noten  und  textworte,  letztere  in  antiquaversalien ,  gestickt, 
da  nun  die  seidenfäden  im  laufe  der  zeit  an  vielen  stellen  ganz 
verschwunden  sind,  wird  die  entzifferung  des  textes,  den  ich 
unten  beifüge,  zu  einer  etwas  mühseligen  arbeit. 

Ein  liebhaber  tut  darin  seinen  entschluss  kund,  der  erkore- 
nen geliebten  treue  zu  halten,  und  fleht  zum  schluss  zu  s.  Jacob 
(an  dieser  lesung  kann  kaum  ein  zweifei  walten)  um  beistand: 
eine  Situation,  die  auf  Maria  von  Ungarn  so  wenig  wie  möglich 
passt.  dagegen  weist  auf  einen  Zusammenhang  mit  ihr  das  akro- 
stichon  der  drei  ersten  gesätze:  MaRiA,  in  dem  man  wol  nicht, 
wie  in  ähnlichen  fällen,  eine  anspielung  auf  den  namen  der 
geliebten  und  noch  weniger  auf  die  himmelskönigin  zu  sehn  hat. 
der  in  str.  4  angerufene  Jacobus,  der  Schutzheilige  Spaniens,  mag 
auf  den  namen  des  unbekannten  katholischen  dichters  anspielen; 
eine  beziehung  zur  königin  Maria  scheint  nicht  darin  zu  stecken, 
unverkennbar  ist  die  anlehnung  an  das  protestantische  trostlied 
'der  königin  von  Ungarn':  'Mag  ich  unglück  nit  widerstan',  .nicht 
nur  in  den  anfangsworteu  und  im  akrostichon,  sondern  auch  in 
der  strophenform.  völlige  gleichheit  herscht  freilich  nicht,  viel- 
mehr ist  im  liebesliede  die  erste  zeile  des  zweiten  Stollens  ver- 
kürzt und  im  abgesange  noch  eine  zeile  eingeschoben,  sodass 
eine  zehnzeilige  strophe  statt  einer  neunzeiligen  entsteht,  also  in 
einem  Schema  verdeutlicht: 

Mag  ich  unglück  nit  Mag  ich  dem  glück  nit 

widerstan.  danken  vil. 


4a 
2a 
3b 


4a 
2  a 
3b 


in  lichtdruck  widergegeben  bei  E.  vander  Straeten  7, 421. 


438  MARIA  VON  UNGARN 


4c 
2c 
3b 


2c 
2c 
3b. 


2  d  +  2  d  2  d  +  2  d 

2  e  +  2e  2  e -f- 2  e 

3bu  1  f-i-1  f -f- 1  g^ 

über  das  Verhältnis  der  melodien  zu  einander  auskunft  zu  geben, 
bin  ich  leider  aufser  stände,  da  ich  die  des  Brüsseler  liedes  aus 
mangel  an  zeit  nicht  copiert  habe. 

Die  entstehung  der  drei  besprochenen  lieder  hat  man  sich 
hiernach  so  zu  denken,  dass,  als  nach  der  unglücklichen  schlacht 
bei  Mohacz  das  loos  der  jungen,  früh  verwitweten  fürstin  in 
Deutschland  allgemeine  teilnähme  hervorrief,  als  ihr  Luther  1526 
seine  trostpsalmen l  und  Erasmus  drei  jähre  später  sein  buch 
'Vidua  christiana'  zueignete,  ein  mitfühlender  Zeitgenosse  jene  klage 
um  den  verstorbenen  gatten  und  ein  anderer  das  von  protestan- 
tischem geiste  durchwehte  trostlied  für  sie  dichtete  und  ihr  in  den 
mund  legte,  später  suchte  ein  componist  ihr  durch  eine  neue 
an  das  sogenannte  'lied  der  königin  von  Ungarn'  anknüpfende 
weltliche  weise  eine  freude  zu  machen. 

1.  MAg  ich  dem  glückh  nit  dannken  vil, 
so  sich  mein  spil 

hat  kert  zue  ruf  und  eeren, 

das  mir  ain  pildt 

freundtlich  und  mild 

mein  freyd  wil  helfen  meren? 

Ade  schabab,         ich  lass  nun  ab 

von  frembder  lieb,         nit  weytter  yeb, 

alleyn         der  rayn         vnd  werden: 

der  gleich  lebt  nit  auf  erden. 

2.  Richtig  getrew  und  wanndels  frey, 
holdselig  dabey, 

von  worteu  sües  und  schone, 
züchtig  von  schäm, 
mein  hertz  mir  nam, 
doch  nur  on  argen  wone. 
darumb  mein  freidt,         so  mir  die  zeyt 
gibt  statt  mit  fueg,         das  ich  mir  gnueg 
mit  trew         on  rew         mög  denncken, 
ewig  vou  ir  nit  wencken. 
»  Köstlin  Martin  Luther  22,  113.230. 


MARIA  VON  UNGARN  439 

3.  Ach  das  sy  west  mein  trews  gemüet, 
wye  das  statt  wüet 

on  underlass  mit  synnen ! 

wye  möcht  doch  sein , 

sy  würd  auch  mein 

bey  ir  zue  dennkhen  finden 

als  iren  knecht;         dann  ich  mains  recht, 

die  fasenacht         nach  meiner  macht 

mit  iust         und  lust         wolfaren: 

got  wel  mir  sie  bewaren. 

4.  J[ac]ob,  erwyrb,  heyliger  man, 
leg  dein  bett  an, 

erlang  bey  got  vns  gnade, 
das  kein  ungfell 
sich  zue  uns  gsell, 
des  uns  mög  bringen  schade, 
vnd  hilft"  vns  sehyr,         das  payde  wyr 
in  freid  und  gsundt         zu  rechter  stundt 
alleyn,         ich  meyn,         beywesen: 
ich  hab  mirs  auserlesen. 
Rerlin.  JOHANNES  ROLTE. 

EINE  OBERSTEIRISCHE  FASSUNG  DES 
VOLKSLIEDES  VOM  TANHÄUSER. 

Zu  den  von  Unland  (Sehr.  4,  259 — 286)  verzeichneten  Tan- 
häuser-dichtungen ,  an  die  sich  ein  meisterlied  aus  einer  Weimari- 
schen hs.  (Germ.  28,  44/7  reiht,  wären  noch  anhangsweise  je  zwei 
steirische  und  kärntnerische  sowie  ein  tirolisches  Volkslied  zu  er- 
gänzen: Schlössen-  (Deutsche  Volkslieder  aus  Steiermark  1881)  führt 
s.  351  ein  solches  aus  Eisenerz  an  'And  dazu  s.  434  das  fragment 
eines  Tiroler  liedes,  Herrmann  und  Pogatschnigg  (Volkslieder  aus 
Kärnten  1869)  n  176  ff  zwei  fassungen  aus  dem  Oberdrau-  und 
MöUthale.  characteristisch  für  alle  angeführten  ist  das  fehlen  jeg- 
licher erwähnung  der  Venus;  die  er  Zählung  beginnt  sofort  mit  der 
Romfahrt  des  büfsers,  woran  sich  beichte  und  reue,  das  stabwunder 
und  der  selige  tod  des  begnadigten  schliefst,  mit  der  tirolischen  und 
den  kärntnerischen  formen  deckt  sich  zum  teile  der  inhält  eines  klein 
8°  Mattes,  das,  von  mir  in  dem  obersteirischen  orte  Altaussee  auf- 
gefunden, durch  seine  schrift  auf  das  ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
zurückweist,  das  lied  unterscheidet  sich  von  den  vier  anderen  bereits 
dadurch,  dass  es  allein  den  namen  'Donhauser'  nennt,  während  die 
Möllthaler  fassung  dafür  'Antoni',  die  Tiroler  'Ballhauser ,  die  übrigen 


440       OBERSTEIR.  FASSUNG  D.  TANHÄUSER -LIEDES 

keinen  namen  haben,  auch  im  einzelnen  weicht  das  obersteirische  lied 
trotz  mehrfacher  congruenz  widerholt  beträchtlich  von  den  anderen 
typen  ab,  bei  denen  auch  die  zurückfuhrung  der  himmlischen  stimme 
auf  St.  Petrus  mangelt,  den  Wortlaut  des  Altausseer  liedes  gebe  ich, 
indem  ich  die  verse  absetze,  an  der  urwüchsigen  Orthographie  aber  nur 
wenige  Schreibfehler  zum  zwecke  des  bessern  Verständnisses  beseitige. 

9.  es  dath  nit  lang  anstehen 
das  stabelein  das  wurd  sehen 

grm, 
es  trug  vil  rothe  Reselein 
und  andre  Bleimlein    mehr, 

10.  der     Babst     nint     g(r)osen 
Wunder 

wie  kunt  er  selig  seyn, 
hört  er  ein  Stirn  von  Himmel, 
Sankt  Petrus  war  dabeich  (!), 
[lücke] 

11.  der  Bab(s)t   biet    dran    ein 
Wunder 

fragt  er  den  Sünder  nach, 
er    aber    nichts    kann    (er- 
fragen,) 
ihm  niemahl  gesehen  hab, 

12.  Dan(hau)ser  ist  gestorben 
auf  einem  hohen  berg, 
mit  den  Hinabsehen   gloken 
in   den  Himel   ein    geläutet 

werd, 

13.  Christus  ging  ihm  entgegen 
mit  einen  rothen  Fahn, 
zeugt    ihm     seyn    Heiligste 

Wunden 
o  Sünder  du  bist  mein, 

14.  Für  99  gerechte 
sollst  gniesen  du  mein  reich, 
das    machen    die   ßufs    und 

Zäher 
hast  ghabt  ein  grose  reu, 
das   machen   die  Bufs   und 

Zäher 
hast  ghabt  grose  reu. 
11,  4  /.  niemand. 
ROBERT  LEVISSOHN. 


l.Ein  Sünder  war  bega(n)gen 
wohl  gegen  der  Romstodt, 
Donhauser  war  seyn  Nahm 
erholt  von  den  Babsten  gnad, 

2.  die  gnad  dod  er  erbagen(?) 
dafs  er  son  Babsten  kirnt, 
ich  bitt  die  Bäbstlich  Heilig- 
anhöret meine  Sund,       [keit 

3.  die  Sund  Wolter  rein  beichten 
von  Jugent  bis  dot  hin, 

er  biet  3  schwer  Sü(n)den 
die  nie  verzigen  sind, 

4.  der  Babst  mit  grossen  grim 
schaut  er  den  Sünder  an, 
damit  bist  du  verlohren 
ich  dir  nicht  helfen  kann, 

5.  der    Babst    nihmt    her    ein 

di(r)sch  Stabelein 
und  stekts  ind  erd  hinein, 
so»wenig  das  Stabalein  grin 

wird  wem 
so  wenig  du  selig  wirst 

6.  der  Sünder  nicht  verzweiflet 
er  selber  tröstet  sich, 

er  trug(?)  die  reu  in  Herzen 
und  bitt  gott  innerlich, 

7.  der  Sünder  ging  von  danen 
und  lies  die  rom  Stadt  seyn, 


8.  o  helfet  doch  mir  weinen 
ihr  hohen  berg,  und  Thal, 
helft  mir  meine  Sünden  be- 
weinen 
die  ich  begangen  all, 
2,  2  /.  zun.  10, 1  /.  nimt. 

Wien,  im  januar  1891. 


Druck  von  J.  B.  Hirsclifeltl  in  Leipzig 


ANZEIGER 

FÜR 

DEUTSCHES  ALTERTHUM 

UND 

DEUTSCHE  LITTERATUR 


HERAUSGEGEBEN 


EDWARD  SCHROEDER  UND  GUSTAV  ROETHE 


SIEBZEHNTER  BAND 


BERLIN 

\Y  Kl  DM  A  N  N  S  G  II  E  BU GH  II  A  NDLÜNG 
1891 


INHALT. 


Seite 

Acta  germanica,  hsg.  von  Henning  und  Hoffory,  i,   von  Heinzel     .     .  1 
Auerbach,  s.  Moritz 

vBerger,  Dramaturgische  vortrage,  von  RMWemer 161 

Besson,  Etüde  sur  Jean  Fischart,  von  Martin       .     .           52 

Bielschowsky.   Geschichte  der  deutschen  dorfpoesie  im  13  jh.    i,   von 

RMMeyer 204 

Blattner,  tber  die  mundarten  des  Aargaus,  von  Heusler 2>o 

Bolte,  Der  bauer  im  deutschen  liede,  von  Heinzel 4 

Braitmaier,  Geschichte  der  poet.  theorie  und  kritik  von  den  Discoursen 

der  maier  bis  auf  Lessing,  von  Walzel 55 

Brandstetler,   Prolegomena  zu  einer  geschichte  der  Luzerner  mundart, 

von  Heusler 281 

Braun,  Die  letzten  Schicksale  der  Krimgoten,  von  Steinmeyer    .     .  167 

Brauns,  Die  Schrödersche  bearbeitung  des  Hamlet,  von  Minor    .     .     .  175 
Buikhardt,  Das  repertoiie  des  Weimarischen  l beaters  1791 — 1S17,  von 

Küster 2M5 

Cloetta ,  Komödie  und  tragödie  im  mittelalter,  von  LVoigi     ....  5 
Denecke,    Beiträge  zur  entwickelungsgeschichte    des  gesellschaftlichen 

anstandsgefühls,  von  RMMeyer 331 

Dreves,  Analecta  hymnica  medii  aevi  iv,  von  J  Werner 109 

Eckhardt,  Das  präfix  ge-  bei  BvP.egensburg,  von  Rötteken  ....  172 
Ehwald,  EBrauns  briefwechsel  mit  den  brüdern  Grimm  und  Lassberg, 

von  Steinmeyer  .  

Flaischlen,  Otto  Heini,  v.  Gemmingen ,  von  .Minor 147 

Frey,  J.  Gaudenz  v.  Salis-Seewis,  von  Wölfflin 340 

Fritzsche,  Glarean,  von  Hartfelder 173 

Gietniann,  Ein  gralbach,  von  Bötticher 169 

Goldbeck -Löwe,  Zur  geschichte  der  freien   \eise,  von  Köster     .     .     .  311 

Gottlieb,  Über  mittelalterliche  bibliotheken ,  von  GMeier 81 

Hampe,    Die    quellen    der    Strafsburger    fortsetzung    von    Lamprechts 

Alexanderlied,  von  Singer 197 

Hartmann,  Hans  Hesellohers  lieder,   von  Zwierzina 213 

Henning  und  Hoffory,  s.  Acta  germanica 

Benzen,  Über  die  träume  in  der  altnord.  sagalitteratur,  von  Detter  10^ 

Hesseis,   An  eighth  -  Century  Latin- Anglosaxon  glossary,  von  Lübke  .  114 

Heusler,  Der  Ijöpahattr,   von  Heinzel 2 

Hirschfeld,  Untersuchungen  zur  Lokasenna ,  von  Heinzel 1 

Bjelmqvist,  Naturskildringarna  i  den  norrüua  diktningen,  von  RMMeyer  329 

Hoff,  Die  kenntnis  Germaniens  im  altertum,   von   Niese 254 

Boffmann,  Her  mundartliche  vocalismos  von  Basel-stadt,   von  Heusler  284 

Holstein ,  Joh.  Reuchlins  komödien,  von  vWeilen                        .     .     .  4:< 

Holz,  Zum  Rosengarten,  von  Singer 35 

,  Drgerman.  geschlossenes  5,    von  Holthausen 1^5 

Jacob,  Ein  arab.  berichterstatter  über  Fulda  usw.,   von  GKaufmann    .  16S 
,  Welche  Handelsartikel  bezogen  die  Araber  ans  den  nord.- 

balt.  ländern,  von  Krause 269 


IV  INHALT 

Seite 

Jacobowski,  Die  anfange  der  poesie,  von  RMWerner 164 

Jellinek,  Beiträge  zur  erklärung  der  germ.  flexion,  von  Collitz .     .     .  275 
Jenny,   Miltons    verlornes   paradies   in   der  deutschen  litt,  des  18  jlis., 

von  Köster 259 

Kahle,  Die  altnord.  spräche  im  dienste  des  Christentums  i,  von  Heinzel  5 

Kauffmann,  Geschichte  der  schwäbischen  mundart,  von  Franck  ...  98 
Kelle,    Untersuchungen   zur   Überlieferung  usw.   der  psalmen  Notkers, 

von  Steinmeyer 330 

Kraus,  Vom  rechte  und  Die  hochzeit,   von  Schröder 287 

Kühnemann,  Die  Kantischen  Studien  Schillers,  von  Köster     ....  149 
Lachmann-Muncker,  Lessings  sämtliche  Schriften  i — vi,  von  Erich  Schmidt  136 
Linder,  Om  -er,  -r,  -ar  och  -or  säsom  pluraländelser  för  neutrala  sub- 
stantiver, von  Kock 95 

Litzmann,  Friedr.  Hölderlins  leben,  von  Walzel 314 

,  Friedr.  Lud  w.  Schröder  i,  von  Minor 232 

Loeck,  Die  homiliensammlung  des  Paulus  Diaconus,  von  Marold    .     .  116 
Mennung  ,  Der  Bei  Inconnu  des  Renaud  de  Beaujeu,  von  Bethge  .     .  304 
Moritz,  Über  die  bildende  nachahmung  des  schönen,    hsg.  von  Auer- 
bach, von  Walzel 260 

Mourek,  Syntax  der  gotischen  präpositionen,  von  Heinzel     ....  91 

,  Tandarius  und  Floribella,  von  Heinzel 93 

Müller,   Sinn  und  sinnverwantschaft  deutscher  Wörter,   von  Roethe     .  262 

,  Zur  mythologie  der  griechischen  und  deutschen  heldensage, 

von  HEMeyer 86 

Muncker,  s.  Lachmann 

Murko,  Die  geschiente  von  den  7  weisen  bei  den  Slaven,    von  Singer  332 

Odinga,  Das  deutsche  kirchenlied  der  Schweiz,  von  KMeyer      .     .     .  309 

Oehlke,  Zu  Tannhäusers  leben  und  dichten,  von  Kück 207 

Patzig,  Zur  geschichte  der  herzmäre,  von  Singer 334 

Rache,  Die  deutsche  schulkomödie,  von  Spengler 338 

Reiffenscheid,   Marcusevangelion  M.Luthers   nach  der  septemberbibel, 

von  Luther 127 

Reindell,  Luther,  Crotus  und  Hütten,  von  Szamatölski 220 

vReinhardstöttner,  Martin  Balticus,  von  Herrmann 223 

Rentsch,  JESchlegel  als  trauerspieldichter,   von  Seuffert 338 

Reuling,    Die  komische  figur  in  deutschen  dramen  bis  zum  ende  des 

ljjhs.,  von  Spengler 337 

Rode,  Über  die  Margaretenlegende  des  Hartwig  v.  d.  Hage,  von  Schönbach  171 

Rydberg,  Untersökningar  i  Germanisk  mythologi  n,  von  HEMeyer  .     .  265 
Schultz,    Die  Überlieferung  der  mhd.  dichtung  'Mai  und  Beaflor',   von 

Steinmeyer 74 

Schultze,  Die  entwickelung  der  deutschen  Oswaldlegende,   von  Singer  122 

Schütze,  Die  lieder  Heinrichs  v.  Morungen,  von  Bielschowsky    .     .     .  301 
Seegers,  Neue  beitrage  zur  textkritik  von  Hartmanns  Gregorius,   von 

Zwierzina 258 

Sepp,  Die  religion  der  alten  Deutschen ,   von  EHMeyer 329 

Siebs,  Zur  geschichte  der  englisch-friesischen  spräche  i,  von  Franck  .  189 

Simonsfeld,  Eine  deutsche  colonie  zu  Treviso,  von  Leitzmann  .     .     .  125 
Tesch,  Die  lehre  vom  gebrauch   der  grofsen  anfangsbuchstaben,    von 

Seemüller 341 

Trautmann,  Oberammergau  und  sein  passionsspiel,  von  Schönbach     .  259 

Verdam,   De  geschiedenis  der  nederlandsche  taal,   von  Schwarz     .     .  257 

Vetter,  Zürich  als  Vermittlerin  der  engl,  litteratur  im  18  Jh.,  von  Köster  339 

Votsch,  Ulrich  von  Hütten,  von  Szamatölski 336 

Waag,  Kleinere  deutsche  gedichte  des  11  und  12jhs.,  von  KKiaus  .     .  20 

Wagner,  Das  schuldrama  in  Salzburg,  von  RMWerner 75 

Wappen ,  helmzierden  und  Standarten  der  grofsen  Heidelberger  minne- 

sängerhs.,  von  Roethe 77 


INHALT  V 

Seite 

Webster,  Zur  gutturalfrage  im  gotischen,  von  Wrede 255 

vWegele,  Aventin,  von  Herrmann 225 

Werner,  Lyrik  und  lyriker,  von  RMMeyer 320 

Wilmanns,  Der  altdeutsche  reimvers,  von  Heusler 10 

Wilmanns,  Untersuchungen  zur  mhd.  metrik,  von  RMMeyer  ....  17 

Wöber.  Die  Skiren  und  die  deutsche  heldensage,  von  Seemüller    .     .  194 

Wolff,  Prolegomena  der  litterar-evolutionistischen  poetik,  von  RMVVerner  154 
Wolkan,  Böhmens  anteil  an  der  deutschen  litteratur  des  16  jhs.  i,  von 

Spengler 307 

Wossidlo,  Imperativische  Wortbildungen  im  niederdeutschen,  von  Tümpel  76 

Zu  'Belisars  ross'  (Zs.  35,  239),  von  Schröder 184 

Beneke'sche  preisauigabe 264 

German.  dativ  aus  der  Römerzeit,   von  Kossinna 78 

Zum  'Dialogus  de  divite  et  Lazaro'  (Zs.  35,  257),  von  Steinmeyer  .     .  263 

Du  bist  min,  ich  bin  din  (zu  Zs.  34, 161),  von  Bolte 343 

Zu  WvElmendorf,  von  Schröder 78 

Zu   WvElmendorf,    von  Schönbach 344 

Zu  den  deutschen  Schriften  AvEybs,  von  Herrmann 80 

Noch  einmal  das  indogerm.  genus,  von  Roethe 181 

Ungedruckte  briefe  von  JGrimm ,   von  Fromm 179 

Nachlese    aus    dem   briefwechsel    zwischen    den    brüdern   Grimm   und 

SHirzel,  von  Lexer 237 

Aus  Klagenfurter  handschriften ,  von  Kukula 176 

Mercurius  Hanno  (vgl.  Zs.  35,  207),  von  Much 184 

Zu  Minnesangs  frühling  39,  19,  von  Martin 176 

Personalnotizen 80.  184.  264.  346 

Singularartikel  vor  pluraldativen  (zu  Anz.  xvii  138),  von  Erich  Schmidt  345 

Zu  Tannhäusers  rätselspruch,   von  Kück 79 

Die  erste  Universitätsprofessur  der  deutschen  litteratur,  von  EMüller  .  342 

Der  Verfasser  des  Vocabnlarius  praedicantium,  von  Schröder      .     .     .  344 

Philipp  Zesen  in  Leipzig?,  von  Schröder 344 

Zu  Zs.  29,  456  ff,  von  Holthausen 176 


ANZEIGER 

FÜR 

DEUTSCHES  ALTERTHUM  UND  DEUTSCHE  LITTERATUR 

XVII,  1     JANUAR  1891 


Acta  germanica,  organ  für  deutsche  philologie  herausgegeben  von  RHennino 
und  JHoffory.  bd.  i.  Berlin ,  Mayer  &  Müller,  1889.  90.  441  ss. 
8°.  —  12  m. 

In  dieses  Sammelwerk  sollen,  wie  der  prospect  angibt,  wert- 
volle arbeiten,  welche  wegen  ihres  umfanges  oder  ihres  characters 
in  den  vorhandenen  germanistischen  Zeitschriften  oder  periodi- 
schen publicationen  keine  aufnähme  finden  können  und  blofs  als 
einzelschriften  veröffentlicht  vielleicht  nicht  hinreicheode  beachtung 
finden  würden ,  aufgenommen  werden.  —  der  vorliegende  erste 
band  enthält  vier  abhandlungen ,  welche,  wie  alle  dieser  Samm- 
lung, auch  einzeln  mit  besonderer  paginierung  erschienen  sind: 

1)  Max  Hirscbfeld,  Untersuchungen  zur  Lokasenna.  s.  1 
bis  86.* 

2)  Akdreas  Heusler  ,  Der  Ljöbahättr.     s.  91  —  172. 

3)  Joha>>es  Bolte,  Der  bauer  im  deutschen  liede.  s.  177 
bis  303  und  4  ss.  musikbeilagen.** 

4)  Berishard  Kahle,  Die  altnordische  spräche  im  dienste  des 
Christentums,     i  teil:    Die  prosa.    s.  307  —  441. 

1)  Die  wähl  des  ersten  aufsatzes  zur  eröffnung  der  Samm- 
lung war  keine  glückliche,  die  unhaltbarkeit  von  Hirschfehls 
mythologischen  aufstellungeu  hat  —  gk  im  Litt,  centralbl.  1890 
sp.  594  zur  genüge  dargetan,  aber  auch  der  philologische  teil 
ist  schwach,  vor  allem  hat  der  Verf.  seinen  text  nicht  immer 
genau  aufgefasst  und  seine  Herstellung  desselben  ist  recht  nach- 
lässig. 

S.  41.  'strophe  30 — 31:  der  dichter  hebt  die  beiden  haupt- 
fehler  Freyjas  geschickt  hervor:  Jähzorn  und  buhlerei',  der  Jäh- 
zorn soll  darin  liegen,  dass  Freyja  sag! :  reiperro  eser  ok  dsynjor.  — 
s.  47.  strophe  60  droht  Thorr  Loki  mit  dem  hammer  zu  schlagen, 
svat  per  brotnar  beina  hvat.  das  versteht  II.  als  ein  entzwei- 
hauen  der  beine.  in  der  Übersetzung  s.  85  dagegen  richtig 
'sodass  dir  jeder  knochen  kracht',  nur  ist  durch  'kracht'  etwas 
fremdartiges  hineingetragen.  —  dagegen  fällt  in  der  Übersetzung 
auf:  s.  71  snjallr  est  i  sesse,  skalat  svd  gera  =  'kühn  Inst  du, 
so  lange  du  ruhig  sitzest,  doch  nicht  wenn  es  i^ili  zu  streiten';  — 
s.  75   ek  pvA  rep,    es  ripa  serat   sipan  Badlr   at    solom  =  'ich 

*  [vgl.  DLZ  1890  nr  14  (FNiedner).  —  GGA  1890  nr  21  (AHeusler).  — 
Li«,  centrall.l.  1890  nr  17.] 

**  [vgl.  IiLZ  1890  nr  33  (RKöhler).] 

A.  F.  1).  A.    XVII.  1 


I  ACTA  GERMANICA  I 

bracht'  es  dahin,  dass  du  Baldr  nicht  mehr  siehst  reiten  zum 
güttersaal',  während  in  der  ahhandlung  s.  40  wie  in  der  text- 
gestalt  das  präsens  von  räpa  angenommen  wird;  —  s.  81  lett 
es  per,  Loke  =  'wie  liebreich  bist  du  doch,  Loke!';  —  frd  veom 
minom  ok  vongom  =  'aus  meinen  Auren  und  feldern',  was  auch 
zu  der  erklärung  auf  s.  58  nicht  stimmt;  —  s.  83  deigja  =  'koch- 
mamsell'. 

Im  text  fehlen  interpunctionen  s.  70  (14)  nach  hende  mer, 
(15)  nach  i  sesse,  s.  76  (35)  nach  slikan  mog,  (36)  nach  kono,  s.  82 
(55)  nach  oll  est,  (58)  nach  austrvega.  —  s.  70  (15)  steht  snjalr 
statt  snjallr,  bekskrautopr  statt  bekkskrautopr,  s.  72  (24)  firar  statt 
fira,  s.  74  (27)  rep  statt  rep,  (30)  reiper'ö  statt  reifer  ro,  80 
(47)  Heimdalr  statt  Heimdallr,  s.  82  (54)  hann  repr  ro  statt  hann 
repr  rö.     dazu  der  druckfehler  s.  76  (39)  penning  statt  penning. 

In  der  allgemeinen  auffassung  des  gedichtes  begegnet  sich 
der  verf.  mit  vielen  und  hervorragenden  forschem,  wenn  er 
es  als  einen  angriff  auf  die  bestehende  religion  bezeichnet,  der 
ihren  Umsturz  vielleicht  beschleunigt  habe,  man  könnte  mit 
eben  so  viel  recht  den  conservativen  Aristophanes  einen  umsturz- 
mann nennen,  aber  das  athenische  publicum,  das  sehr  empfind- 
lich in  religionssachen  war,  hat  seine  uns  in  der  tat  verwegen 
vorkommenden  scherze  über  die  götter  nicht  als  angriffe  auf  die 
bestehende  religion  aufgefasst.  so  viel  humor  können  wir  auch 
den  skandinavischen  hörern  und  lesern  zutrauen,  um  so  mehr, 
wenn  wir  bedenken,  dass  diese  geistesanlage  gerade  bei  ihnen 
sehr  entwickelt  war. 

Gelungen  scheint  mir  die  polemik  gegen  Weinholds  ansieht 
von  Loki  als  ehegott  s.  13  und  gegen  Niedner  in  bezug  auf  das 
alter  des  Harbardlisliedes  s.  49  ff.  auch  die  gründe  gegen  die 
echtheit  der  einleitung  zur  Lokasenna  wird  man  billigen  und 
den  hinweis  auf  eine  localität  in  Island ,  welche  die  durch- 
löcherte felsplatte  bei  bestrafuug  Lokis  erklären  kann,  dankbar 
annehmen. 

2)  ist  eine  feinsinnige  und  verdienstvolle  arbeit,  welche 
einige  wertvolle  resultate  für  die  altnordische  metrik  bietet,  so 
werden  die  ausnahmen  von  der  ßuggeschen  regel,  dass  auf  der 
letzten  oder  vorletzten  silbe  der  kurzzeile  (so  nennt  Heusler  die 
dritten  und  sechsten  verse)  des  Liodhahattrs  ein  starkton  ruhen, 
und  dass  die  vorletzte,  wenn  sie  den  starkton  habe,  kurz  sein 
müsse,  in  ansprechender  weise  erklärt,  s.  139.  es  zeigt  sich 
nämlich,  dass  unter  den  32  ausnahmen  nur  4  fälle  vorkommen, 
in  denen  das  letzte  trochäisch  gestaltete  wort  die  zweite  allit- 
teration  trägt,  zb.  vip  sokom  ok  sorgom,  während  die  übrigen 
28  fälle  die  allitteratiou  auf  der  dritt-  oder  viertletzten  silbe 
haben,  zb.  hier  at  hvivetna,  Geirropar  sunr  Gotnalande.  darnach 
scheint  es,  dass  jeder  versaus^ang  erlaubt  war,  wenn  die  zweite 
allitteration  nicht  auf  die  vorletzte  silbe  fiel: 


ACTA  GERMANICA  I  6 

visom  vilja  frd 

hlendom  Jblöpe  saman 

hier  at  hvivetna 

Geirropar  sunr  Gotna  lande,  — 
dass  dagegen,  wenn  die  vorletzte  silbe  allitterierte,  diese  nicht 
lang  sein  durfte,  also  nur  gambansumbl  at  (jeta,  aber  nicht 
heiler  peirs  hlyddo.  der  vers  geht  demnach  auf  eine  beliebige 
mit  einem  nebenaccent  versehene  silbe  aus,  der  nach  sich  noch 
eine  silbe  haben  kann  oder  nicht,  —  oder  auf  einen  haupt- 
accent,  dem  keine  weitere  silbe  folgt. 

Hübsch  und  lehrreich  sind  auch  die  beobacbtungen,  dass 
der  auftact  in  seiner  existenz  und  ausdehnung  abhängig  ist  von 
der  gestalt  sowol  des  zu  ihm  gehörenden  verses,  s.  144,  als  des 
ihm  voraufgehenden,  s.  163,  —  dass  die  langverse  des  Liodha- 
hattrs,  d.  i.  die  ersten,  zweiten  und  vierten,  fünften  verse,  trotz 
ihrer  ähnlicbkeit  mit  den  versparen  des  Fornyrdhalags  doch  von 
diesen  verschieden  sind,  s.  152,  —  über  das  tongewicht  der 
prädicativen  adjectiva  und  die  Verringerung  des  satzaccentes  bei 
der  figur  der  anapher,  s.  127. 

Dagegen  vermag  ich  mich  den  allgemeinen  theorien  über  den 
altgermanischen  versbau,  also  jenem  teil  seiner  abhandlung,  auf 
den  der  verf.  das  gröste  gewicht  zu  legen  scheint,  nicht  an- 
zuschliefsen.  Heusler  vertritt  nämlich  in  Übereinstimmung  mit 
Möller  die  ansieht,  der  altgermanische  vers  zerfalle  in  gleich- 
lange tacte  und  zwar  der  halbvers  in  zwei  viervierteltacte,  jeder  von 
der  gestalt  xxx x;  diese  tacte  können  entweder  voll  sein,  wenn 
alle  vier  teile  ein  sprachliches  Substrat  haben,  das  ist  eine  sprach- 
liche kürze  für  das  viertel  oder  eine  spraebliche  länge  für  zwei 
viertel,  —  oder  der  tact  ist  verkürzt  entweder  um  das  letzte 
viertel  rike,  —  er  nennt  das  einer  klingenden  tact,  —  oder  um 
die  beiden  letzten  viertel  miket,  was  ein  stumpfer  tact  genannt 
wird,  s.  106.  das  führt  zu  der  folgerung:  ein  vers  wie  miket 
eitt,  Havamal  52,  ist  zu  notieren  |  J  J  )  ?  |  J  )  t  j,  also  zur  an- 
nähme einer  pause  von  zwei  vierteln  oder  einer  halben  note 
zwischen  miket  und  eitt,  s.  106.  aber  würkliche  pausen  zwischen 
so  nah  zusammengehörenden  Worten  scheinen  dem  verf.  doch 
selbst  unwahrscheinlich,  und  er  nimmt  s.  113  dafür  lieber  folgende 
versgestalt  an:    |  J  J.   |    J  >  >  |. 

Ich  muss  gestehen,  diese  längung  von  -et  in  miket  scheint 
mir  nicht  weniger  unglaublich,  als  zwei  Viertelpausen  nach  miket 
von  eitt,  oder  in  einem  uorte,  wie  glüpnanda  =  j  J  )  I  |  J  J  )  j 
s.  110. 

Ebenso  mistrauisch  gegen  die  theorie  des  vciT.s  macht  seine 
erlaubuis,  ein  wort  wie  alla  als  zwei  viertel  oder  als  eine  halbe 
mehr  einem  viertel  oder  als  zwei  halbe  zu  verwendeu.     ja  ,  eine 

t* 


4  ACTA  GERMANICA  1 

silbe,  wie  die  erste  von  alla  kann  unter  umständen  einen  ganzen 
tact  füllen,  s.  106.  113. 

Die  kinderlieder  scheint  mir  Heusler  s.  104  ebenso  zu  über- 
schätzen, wie  andere  neuere  metriker.  soll  sich  etwa  in  der 
unverdorbenen  kinderseele  die  altgermanische  metrik  erhalten 
haben,  während  sie  in  der  der  erwachsenen  durch  schule,  antike 
und  fremde  überwuchert  und  erstickt  wurde?  die  kinder  singen 
und  declamieren,  wie  sie  es  von  erwachsenen  gelernt  haben, 
in  der  schule  oder  im  haus,  markieren  nur  den  rhythmus  stärker, 
weil  sie  das  podische  oder  dipodische  geklapper  noch  mehr 
ergötzt  als  der  inhalt. 

3)  bietet  eine  ausgäbe  von  32  bis  jetzt  noch  unedierten 
baueruliedern  des  15 — 19  jhs.  zumeist  aus  hss.  und  fliegenden 
blättern  der  kgl.  bibliothek  zu  Berlin,  was  unter  baueruliedern 
hier  verstanden  wird,  ist  nicht  mit  einem  worte  zu  sagen.  Bolte 
hat  gesammelt,  was  in  liedform  vom  bauernstand  handelt,  ent- 
weder in  der  weise,  dass  ein  bauer  zu  sprechen  scheint  oder 
mehrere  bauern,  nr 6. 7. 8. 14. 15. 16. 1 7. 18. 19. 27. 28.  29,  mitunter 
im  bauerndialect,  oder  dass  ein  Städter  über  die  bauern  oder 
auch  zu  den  bauern  spricht,  nr  1.  2.  3.  4.  10.  11.  12.  13.  20.  21. 
22.25.26.30.31.  dazu  kommen  dialoge,  in  denen  dem  bauer 
die  eine  hälfte  der  Strophen  in  den  mund  gelegt  wird,  nr  9.  19. 
20.  32.  von  den  anderen  berufsliedern  scheidet  sich  diese  gruppe 
dadurch ,  dass  ihre  lieder  wol  niemals  von  einem  angehürigen 
des  bauernstandes  herrühren,  woher  es  kommt,  dass  die  auffas- 
sung  des  bäuerlichen  lebens  entweder  doctrinär  ist,  nützlichkeit 
des  bauernstandes,  —  oder  sentimental,  Unschuld  des  bauern- 
standes, —  oder  satirisch  gegen  die  bauern,  ihre  roheit  und  hoffart, 

—  oder  satirisch  gegen  die  Städter,  natürlichkeit,  freiheit  des 
bauern   gegenüber   dem  zwang  der  städtischen  sitte  (nur  nr  13). 

Auffällig  ist  in  diesen  liedern,  deren  poetischen  wert  wol 
niemand  sehr  hoch  anschlagen  wird,  die  Zähigkeit  einiger  alter 
motive,  so  der  bauernhochzeit  nr  22,  s.  290.  297,  des  bauern- 
gecken ,  den  der  bairische  ritter  Heselloher  um  die  mitte  des 
15  jhs.  noch  ebenso  verspottet,  wie  sein  laudsmann  Neidhart  im 
13  jh.  ja,  wie  Neidhart  zum  namen  einer  poetischen  gattung 
ward,  so  auch  der  name  Hesellohers,  s.  223  Da  man  den  He- 
selloher sprang,  s.  Böhme  Ältd.  liederbuch  nr451;  —  oder  der 
bauer,  der  den  apothekengeruch  nicht  ertragen  kann  s.  200,  wie 
in  den  fastnachtsspielen  Keller  nr  82,  Ziugerle  Sterzinger  spiele 
nr  21;  —  oder  der  schlechte  hausrat  s.  203  f,  s.  Tannhäuser  HMS 
ii  95b.  96b,    Pfeiffer  Altdeutsches  Übungsbuch  s.  137. 

Der  text  ist  oft  stark  verderbt  und  sehr  viel  hat  der  heraus- 
geber  zur  besserung  nicht  getan,  s.  220,  str.  13,  z.  6  I.  vntter 
derd  die  lewt  hin  danchen  statt  vntter   der  die  hewt  hin  dauchen, 

—  s.  224  str.  4  1.  Ein  rechter  fiess  statt  Ein  rechter  siess.  —  da- 
gegen   ist  s.  282  z.  61   in    dem  salze:    Thestu,   so  müst  mancher 


ACTA  GERMANICA  1  0 

in    sorgen  alden   Dicht    mit  Bolte    zu   conjicieren:     Thetestu  nit 
(du  bauer  usw.).     Thestu  steht  für  entwtestu,  ist  also  ganz  richtig. 

Wertvoll  ist  das  register  über  bauerulieder  s.  291  ff  mit 
seinen  kategorien :  Lob  des  bauerlebens,  Bauernhoffart,  Bauern- 
klagen, Bauer  und  soldat,  Bauerngesinde,  Liebeswerbung,  Cupido 
bei  den  bauern,  Edelmann  und  bauerndirne,  Bauernhochzeit, 
Kindelbier,  Bauernkalender,  Bauerntanz  (kirmes),  In  der  schenke, 
Wallfart,  Necklieder,  Historische  lieder.  man  ersieht  daraus  ua., 
wie  wenig  verhällnismäfsig  diese  gattung  im  Böhmeschen  Lieder- 
buch vertreten  ist,  nur  gegen  20nrn,  auch  wenn  man  lieder, 
wie  die  von  den  graserinnen  mitzählt. 

Nr  23  Buhlhochzeit  und  nr  24  Der  hanrei  in  Boltes  Samm- 
lung haben  keinen  näheren  bezug  auf  das  bauernleben,  blieben 
also  besser  ausgeschlossen. 

4)  ist  eine  sorgfältige  und  dankenswerte  Zusammenstellung 
der  altnordischen  ausdrücke,  welche  sich  auf  die  christliche 
religion  und  kirche  beziehen,  ähnlich  Baumers  bekannter  schrift 
über  die  einwürkung  des  Christentums  auf  die  althochdeutsche 
spräche,  dass  die  Orthographie  des  isländischen  homilienbuches 
bei  der  Schreibung  der  altnordischen  Wörter  zu  gründe  gelegt 
wurde,  hat  den  von  dem  verf.  s.  319  selbst  hervorgehobenen 
übelstaud,  dass  ein  wort,  welches  vielleicht  erst  im  14jh.  ent- 
standen ist,  hier  in  einer  form  erscheint,  welche  es  nie  gehabt 
hat.  die  einheit  der  Orthographie  wäre  durch  die  jüngere  gestalt 
desselben  auch  bewahrt  worden,  und  ohne  historische  Unrichtig- 
keit, da  die  christlichen  Wörter,  welche  uns  im  homilienbuch 
bezeugt  sind ,  ja  fortlebten. 

Attersee,  September  1890.  R.  Heinzel. 


Beiträge  zur  litteraturgeschiclite  des  mittelalters  und  der  renaissance  von 
Wilhelm  Cloetta.  i  komödie  und  tragödie  im  mittelalter.  Halle  a/S., 
.Max  Niemeyer,  1890.     xi  und  167  ss.     8°.  —  4  m. 

Das  vorliegende  werk  bringt  auf  grund  ausgedehnter,  er- 
sichtlich allen  seilen  des  gegenständes  gleichmäfsig  zugewandter 
Vorstudien  eine  klare,  die  bisherigen  forschungsergebnisse  mit 
verständiger  kritik  zusammenstellende  und  manches  neue  bietende 
erörterung  der  mittelalterlichen  gelehrten  komödie  und  tragödie 
vor  AMussato  und  dem  renaissancedraina  überhaupt. 

Es  zerfällt  in  folgende  abschnitte:  i  Die  römische  kaiserzeit 
und  <ük  theoretische  auffassung  der  begriffe  komödie  und  tragödie 
während  des  mittelalters  (s.  1 — 54);  u  Die  tragödie  De  casu  Cae- 
senae,  eine  in  die  form  von  l  dialogeo  gekleidete  Schilderung  des 
blutbads  von  Cesena  im  jähre  1377  (s.  54 — 67);  in*  1  * i<-  epischen 
komödien,   nämlich  Amphitryon,   Aulularia,    Thraso,  Alda,  Müo, 


6  CLOETTA    KOMÖDIE  UND  TRAGÖDIE  IM  MA. 

Miles  gloriosus,  Lydia,  De  Pamphilo,  De  tribus  sociis,  Babio,  Pam- 
philus,  De  clericis  et  rustico ,  De  Panlino  et  Polin,  Ouidius  puel- 
larum  und  trium  puellamm,  De  Lumaca  et  Lombardo,  die  comoedia 
des  Joannes  Grammaticus  in  der  Poetria  Parisiana,  De  mercatore 
und  De  uiro  et  uxore  moecha  (schneekind),  De  paupere  ingrato 
(s.  68 — 109),  mb  Die  epischen  tragödien,  nämlich  De  Patricida, 
De  Flaura  et  Marco,  De  Affra  et  Flauio,  De  Pyramo  et  Thisbe, 
De  lupo  und  die  tragödie  des  oben  genannten  Joannes  (s.  109 
bis  127);  uic  Die  art  der  recitation  (s.  127  — 138).  es  folgen 
schlussbemerkungen,  zumal  über  die  übertragene  bedeutung  beider 
begriffe  (s.  138 — 147),  Zusätze  und  berichtigungen  (s.  148 — 160) 
und  ein  register  (s.  161  —  167). 

Schon  diese  inhaltsübersicht  zeigt,  dass  das  buch  nicht  erst 
nach  abschluss  erschöpfender  zettelarbeit  und  scharfer  formu- 
lierung  der  zu  lösenden  aufgäbe  planmäfsig  entworfen  ist:  wir 
sehen  den  verf.  einen  weitschichtigen  Stoff  bewältigen,  aber  wir 
sehen  es  zu  deutlich,  als  dass  wir  reinen  genuss  an  seinem 
werke  empfänden,  er  kehrt  notizenschwer  von  der  bibliothek 
heim  und  füllt  nun  seine  anmerkungen  mit  citaten;  ein  buch 
war  gerade  verliehen,  nun  so  heben  wir  den  darin  stehenden 
beleg  für  die  Schlussergänzungen  auf;  ein  anderes  war  nicht  vor- 
handen (Berger  De  Glossariis),  eine  anfrage  bei  der  kgl.  bibliothek 
zu  Berlin  hätte  es  binnen  einer  woche  in  die  bände  des  suchenden 
geführt,  aber  wir  haben  eile,  und  wer  weifs,  ob  etwas  daran 
ist?;  ein  Du  Merilsches  citat  (Bavaissons  handschriftenverzeichnis 
von  Laon)  hatte  sich  nicht  auffinden  lassen ,  das  buch  war  weder 
im  Damen-  noch  im  sachcatalog  aufgeführt,  also  wegen  des 'un- 
genauen' hinweises  'unzugänglich',  aber  im  nachtrag  ist  es  ent- 
deckt und  zwar  im  —  Catalogue  gen6ral  des  mss.  12  ss. 
ergänzungen  und  berichtigungen  auf  147  ss.  text  sind  doch 
wahrlich  etwas  zu  viel,  die  inhaltsangaben  der  einzelneu  stücke 
erscheinen  in  ungleichmäfsiger  behandlung:  meist  werden  sie  an 
entsprechender  textstelle  mit  hinreichender  ausführlichkeit  vor- 
geführt, zum  teil  aber  dort  nur  ganz  kurz  angedeutet  und  dann 
im  nachtrag  (für  den  Miles,  De  tribus  sociis  und  De  Panlino  et 
Polla)  eingehend  mitgeteilt,  zum  teil  auch  bei  ineditis  wegen  un- 
zugänglichkeit einer  hs.  fortgelassen,  obwol  letztere  von  einer 
der  gröfseren  inländischen  bibliotheken  unschwer  zu  beschaffen 
gewesen  wäre:  so  steht  Ouidius  puellamm  in  unserem  cod.  Diez. 
C.  4°.  79  (vgl.  Bethmann  in  Pertz'  Archiv  8,  855  und  meine 
Klein,  lat.  denkmäler  s.  9)  und  ebenso  wie  Ouidius  trium  puel- 
lamm in  der  schon  bei  Leyser  angegebenen  Leipziger  hs.  der 
ganze  n  abschnitt  ferner  über  die  tragödie  von  Cesena  gehört 
offenbar  gar  nicht  in  dieses  dem  eigentlichen  mittelalter  gewid- 
mete buch;  wie  vollends  der  verf.  dazu  kam,  ihm  gerade  diese 
stelle  zwischen  i  und  in  anzuweisen ,  vermögen  wir  nicht  zu 
ergründen,    die  erörterungen  auf  s.  140 — 144  wären  besser  dem 


CLOETTA    KOMÖDIE  (J.\'D  TRAGÖDIE  IM  HA.  / 

abschnitt  i  eingereiht  worden,  öfter  stöfst  man  auf  widerholungen, 
so  ist  112  aum.  5=  120,  8  =  126,  5— 11,  114,  9—12  =  114, 
25  —  29,  145,  3  v.  u.  =  151,  7. 

Lesen  wir  uns  nun  in  abschnitt  i  hinein,  so  wiirkt  das  an- 
einanderreihen und  aufhäufen  einer  unzahl  von  gleichlautenden 
oder  doch  recht  ähnlichen  erklärungen  auf  die  (lauer  abspannend 
und  ermüdend,  das  mittelalter  hat  sich  in  allen  fragen  der 
kunstlehre  auf  das  sammeln  und  aufzählen  aus  dem  altertum  er- 
erbter einzelvorschriften  beschränkt,  ist  nie  zu  einer  zusammen- 
hängenden und  systematischen  poetik  gelangt  und  hat  nicht  blofs 
die  gattungen  der  bildenden  und  der  dichtenden  kunst  —  worauf 
Lessing  im  Laokoon  nur  vereinzelt  für  das  mittelgriechische,  mit 
keinem  worte  für  das  mittellateinische  eingegangen  ist  —  sondern 
auch  die  arten  der  poesie  vielfach  in  einander  überfliefsen  lassen. 
erwägt  man  nun  lerner,  dass  der  gelehrten  komödie  und  tragödie 
dieser  zeit  nicht  ein  hebräisches  (im  Hiob  und  Hohen  lied  kaum 
geahntes)  drama ,  auch  nicht  das  reichentwickelte  griechische 
drama,  sondern  nur  dessen  nachhall,  das  römische,  zum  Vorbild 
dienen  konnte,  und  dass  von  den  Vertretern  des  letzteren  widerum 
nicht  Seneca  und  Plautus,  sondern  nur  Terenz  bekannt  war, 
der  eine  ebenso  der  bürgerlichen  sitte,  wie  der  priesterlichen 
Observanz  und  der  klosterregel  des  mittelalters  weitabgelegene  weit 
entrollte,  und  schliefslich  dass  die  geistlichen  ludi  keinen  einfluss 
auf  die  entwickelung  des  gelehrten  dramas  ausübten  und  somit 
jede  unmittelbare  theatralische  anschauung  und  erfahrung  fehlte, 
so  kann  man  sich  eine  Vorstellung  von  der  Verworrenheit  macheu, 
die  in  ausehung  beider  begriffe  in  den  köpfen  der  gelehrtesten 
männer  herschte.  dass  aber  nun  die  beweise  für  diese  begriffs- 
ver wirrung  aus  allen  möglichen  grammatikern  und  glossatoren, 
von  denen  doch  immer  nur  der  eine  den  anderen  ausschreibt 
und  wol  gar  ausschreibend  verfälscht,  von  den  spätlateinern  bis 
auf  Joannes  de  Janua  herab  vollständig  und  wortgetreu  im  texte 
mitgeteilt  würden,  hätten  wir  nicht  für  notwendig  gehalten: 
stercus  ölet  foedum,  quo  plus  uertendo  mouetur. 

Erscheint  uns  somit  der  in  i  den  theoretischen  belegen  zu- 
gewiesene räum  als  zu  grofs,  so  gestattet  anderseits,  wenn  wir 
zu  abschnitt  in  übergehen,  die  schwankende  begriffsbestimmung 
kein  sicheres  urteil  über  den  umfang  der  hierhergehörigen  lit- 
teratur.  sehen  wir  ab  von  der  ganz  vereinzelten  erscheinung 
Hrotsviths,  so  gab  es  während  des  ganzen  mittelalters  vor  der 
renaissance  weder  eine  komödie  noch  eine  tragödie;  man  über- 
trug eben  nur  diese  terniini  auf  epische  erzählun^en  mit  stärker 
entwickeltem  dialog  und  einer  deutlich  herausgearbeiteten  peri- 
petie  ins  glück  bez.  unglück.  so  bezeichnet  ein  so  hervor- 
ragender dichter  und  kenner  der  römischen  poesie,  wie  INivard 
von  Gent,  als  den  gröstcn  iragiker  der  weit  den  —  Vergil,  vgl. 
Ysengrimus  7,  4S9  f: 


8  CLOETTA    KOMÖDIE  UIND  TRAGÖDIE  IM  MA. 

Incidit  attonitam  lacrrmosa  tragqdia  meutern, 
Quam  posset  uates  uix  superare  Maro. 
und  tragqdia  bezeichnet  hier  nicht  einmal  den  epischen  bericht 
über  dieses  ereignis,  sondern  das  unheilvolle  ereignis  selbst, 
nämlich  den  zweiten  kreuzzug.  legen  wir  nun  jene  definition 
zu  gründe,  so  fragen  wir  unwillkürlich:  warum  ist  die  innen- 
fabel  der  Ecbasis,  die  ein  so  reiches  dramatisches  leben  entfaltet, 
den  dialog  kräftig  handhabt  und  statt  des  gebrauchs  der  rede- 
einführuugsformeln  fast  durchweg  die  jedesmal  sprechenden  per- 
sonen  am  rande  angibt,  nicht  auch  eine  komödie?  etwa  weil  sie 
nicht  ausdrücklich  als  solche  bezeichnet  ist?  aber  wie  wenig 
sind  die  hss.  in  solchen  puncten  zuverlässig,  wie  oft  haben  die 
dichter,  wenn  es  nicht  gerade  Schulmeister  waren,  die  genaue 
Classification  ihrer  werke  unterlassen?  oder  weil  nichts  von  ehe- 
bruch  darin  vorkommt?  dann  wäre  auch  De  tribus  sociis  keine 
komödie.  und  ferner:  warum  sind  so  ausgeprägt  dialogische 
epen  ,  wie  der  ßrunellus  (ine.  Instabat  festiua  dies)  und  der  Ysen- 
grimus,  zumal  in  dem  der  redeeinführungsworte  ganz  ermangeln- 
den 6  und  7  (auch  dem  4  und  5  in  der  fassung  von  y')  buche, 
nicht  als  tragödien  aufzufassen?  etwa  weil  tiere  darin  vorkommen? 
aber  das  ist  ja  auch  beim  Renerus  de  Bruxella  der  fall,  und  wie 
viele  von  den  kleineren  dichtungen,  die  Hugo  von  Trimberg  im 
dritten  abschnitt  des  Registrum  aufzählt,  liefsen  sich  gleichfalls 
hierher  ziehen?  kurz,  bei  den  fortwährenden  grenzüberschrei- 
tungen  der  mittelalterlichen  gelehrtenpoesie  bietet  die  stoffliche 
gliederung  einer  litterarhistorischen  arbeit  nach  den  uns  ge- 
läufigen artbegriffen  der  dichtung  so  erhebliche  Schwierigkeiten, 
dass  mäuner  wie  Wattenbach  und  Ebert  wolweislich  davon  ab- 
stand genommen  haben,  nun  mag  ja  immerhin  durch  Terenz 
und  die  schulemachenden  paradigmata  des  Vitalis  der  kreis  der 
dichtungen,  die  als  epische  komödie  angesehen  werden  können, 
zur  not  hinreichend  umschlossen  sein:  für  die  tragödie  aber 
fehlte  durchaus  ebenso  ein  classisches  wie  ein  mlat.  musterbild, 
das  wie  der  Amphitryon  und  die  Aulularia  kanonische  geltung 
und  poetische  nachfolge  erhalten  und  einer  ganzen  reihe  von 
dichtungen  seinen  Stempel  aufgedrückt  hätte;  denn  Seneca  war 
unbekannt,  und  die  Orestis  tragoedia  kann  sich  an  litterar- 
geschichtlicher  Wichtigkeit  nicht  entfernt  mit  dem  Vitalis  messen ; 
und  so  kann  von  einer  epischen  tragödie  als  einem  annähernd 
ebenbürtigen  und  gleichwertigen  pendant  zu  der  epischen  komödie 
nicht  die  rede  sein,  auch  wird  von  den  sechs  hierher  gestellten 
gedichten  nur  dreien  der  name  'tragödie'  beigelegt,  und  von 
diesen  widerum  ist  De  Flaura  et  Marco  verloren  und  somit 
unbestimmbar,  De  lupo  vom  dichter  selbst  als  res  ridiculosa  be- 
zeichnet, und  endlich  die  dritte,  die  geschichte  von  den  60  Sol- 
daten und  ihren  2  buhldirnen,  ein  für  die  bedürfnisse  des  Unter- 
richts in  der  poelik  angefertigtes  machwerk  von  einer  roheit  und 


CLOETTA    KOMÖDIE  U>0  TRAGÖDIE  IM  MA.  y 

abgeschmacktheit,  die  ihres  gleichen  sucht,  die  antike  komödie 
hatte  somit  eine  art  von  mlat.  nachwuchs,  die  tragüdie  nicht; 
vereinzelte  ansätze  zur  veranschaulichung  dieses  begrifl's  bez. 
distichische  erzäblungen  tragischer  sagen  des  altertums  berech- 
tigen uns  noch  lange  nicht,  von  einer  epischen  tragödie  des 
mittelalters  zu  sprechen. 

Wenn  uns  daher  abschnitt  i  nutzlos  breit,  11  nicht  hierher 
gehörig,  mb  ein  erster  anlang  auf  einem  reicheren  materials  bez. 
schärferer  urteilshildung  bedürftigen  gebiete  zu  sein  scheint,  so 
können  wir  anderseits  der  in  mc  vorgetragenen  ansieht  rück- 
haltlos zustimmen,  dass  diese  epischen  dramen  nicht  aufgeführt, 
sondern  eben  nur  in  gelehrter  tafeirunde  von  einem  stimm- 
gewandten Vorleser,  in  besonders  günstigen  fällen  vielleicht  auch 
einmal  von  mehreren  mit  verteilten  rollen  recitiert  sein  mögen, 
den  kern  des  buches  aber  bildet  jedesfalls  der  teil  ma,  der  mit 
umfassender  Sachkenntnis  und  besonnenem  urteil  eine  gute  über- 
sieht der  epischen  komödie  bietet  und  über  die  vorarbeiten  Du 
Merils,  Peipers,  Müllenbachs  ua.  erheblich  hinausgeht. 

Wir  schliefsen  mit  einzelnen  nachtragen  und  berichtigungen. 
15  anm.2:  so  lange  Peipers  behauptung,  dass  Joa.  de  Garlandia  in 
der  Poetria  des  Joannes  Grammaticus  citiert  wird,  unwiderlegt 
bleibt,  wird  man  billigerweise  davon  abstand  nehmen  müssen, 
beide  als  6ine  person  aufzufassen;  überhaupt  ist  bei  mlat.  autor- 
fragen einstweilen  noch  gröfsere  Zurückhaltung  am  platze.  — 
24  anm.  2:  hier  waren  Bäblers  Beiträge  zu  einer  geschichte  der 
lat.  grammatik  im  miltelalter  (Halle,  Waisenhaus,  1885)  in  erster 
linie  zu  benutzen.  —  47,  9:  wenn  verf.  meint,  die  comoedia 
habe  am  ende  nur  noch  ein  'unnütz  gefräfse'  bezeichnet,  so  ge- 
winnt er  mit  dieser  Wendung  allerdings  eineu  volltönenden 
gruppenschluss,  macht  doch  aber  einen  blofsen  Schreibfehler  zu 
einem  denkfehler:  die  glosse,  auf  die  er  sich  stützt,  ist  sicher 
verstümmelt  und  lautete  ursprünglich,  wie  unmittelbar  davor  bei 
Diefenbach  steht,  unnueze  gesanck  uel  gevre/se.  —  66  f:  der  leb- 
haften anerkennung,  die  hier  der  tragödie  von  Cesena  gezollt 
wird,  vermögen  wir  nicht  beizupflichten,  sie  erscheint  uns  als 
ein  in  der  darstellung  formelhaftes,  in  der  gesprächsteebnik  noch 
ziemlich  ungeschicktes  mach  werk,  und  wenn  man  eben  behauptet 
hat,  dass  in  diesen  dialogeu  'eine  gewisse  lebendigkeit  und  Irische, 
eine  kraft  des  ausdrucks  und  eine  feurige  patriotische  gesionung 
herscht',  dann  kann  man  doch  nicht  wol  nachher  von  ihnen 
sagen,  dass  sie  'im  gesprächston  des  täglichen  lebens  gehalten 
sind'.  —  69  anm.  1 :  der  Amphitryoo  ist  auch  m  der  Breslauer  hs. 
iv  Q.  126,  1.  K»7a— 119",  erhalten  (Kl.  lat.  denkm.  s.  S).  — 
TS  anm.2:  verf.  übersah  Müllenbach,  Aulularia  7,  6 —  8,  der  es 
wahrscheinlich  macht,  dass  der  Tobias  oichl  erst  in  den  acht- 
zigern,  sondern  kurz  nach  117  1  gedichtet  ist.  —  7->  anm.  '■'<:  eine 
dritte  hs.  des  Milo   befindet   sich   in  Melk,    vgl.  Huemer  in  den 


10  CLOETTA     KOMÖDIE  UND  TRAGÖDIE  IM  MA. 

Wiener  Studien  9,  63.  —  89  anm.:  dass  der  Pamphilus  schon  dein 
12  jh.  angehört,  beweist  auch  ein  citat  des  Odo  de  Ciringtonia 
(Kl.  lat.  denkm.  s.  122).  ein  bruchstiick  einer  altnordischen  be- 
arbeitung  des  Pamph.  hat  Kölbing  Germ.  23,  129 — 141  heraus- 
gegeben. —  97  anm.  3:  auch  der  cod.  Laurentianus  (acquisti)  28, 
4°,  saec.  14  und  der  cod.  82  saec.  15  der  Stadtbibliothek  zu 
Cortona  enthält  den  Ouidius  de  limaca.  —  102  ff:  verf.  hätte, 
bevor  er  an  eine  analyse  der  comoedia  Babionis  gieng,  Wrights 
recht  schlechten  text  doch  einigermafsen  emendieren  sollen;  auf 
der  hier  in  betracht  kommenden  strecke  217 — 360  wird  zu  lesen 
sein:  245  o  petulans  Petula,  247  für  pendet ,  moecha  cremetur, 
256  Babio ,  semper  eras  uirque  bouinus  eris  (255  f  spricht  Fodius 
leise  zu  sich;  zu  uir  bouinus  vgl.  274),  277  terra  nee  est  plana, 
coeli  mons  culmina  nescit,  281  loquor  hinc  mala,  288  mens  est 
moechus  uterque  parens  (der  vers  ist  der  Viola  in  den  mund  ge- 
legt), 297  laedes,  304  tardior  ira,  309  improperat,  335  quod 
erat  arcanum,  prodo;  fidelis  Det  deus,  343  minuetur,  346  Stro- 
gule  und  Olla  (die  namen  des  knechtes  und  der  magd,  die  zur 
schleunigen  Verfolgung  des  diebes  herbeigerufen  werden),  347  huc 
cedes  —  uillus  miete  barba  relinquit  (uillus  als  neutr.  statt  uillum 
ist  objeet  zu  barba),  358  non  nimis.  —  107  anm.  2:  vgl.  jetzt  Her- 
vieux  2,  419  ur  3.  —  108  anm.  3.  schon  bei  Egbert,  Fecunda 
Ratis  1,212  wird  Thalia  der  Clio  gleichgestellt  und  als  muse  des 
epos  aufgefasst.  —  157,20 — 25:  verf.  übersieht  hier  und  anderswo, 
dass  Flores  poetarum  de  uirtutibus  et  uitiis  nur  ein  jüngerer  titel 
für  das  Poleticon  ist;  hätte  er  die  152  unten  citierte  stelle  der 
Jahrbb.  der  lit.  nachgeschlagen,  so  würde  er  sie  nicht  erwähnt 
haben.  —  159  f:  in  De  Paulino  et  Polla  7 — 10  ist  weder  an 
rollenverteilung  noch  an  gegenseitiges  vorlesen  zu  denken;  der 
dichter  bestimmt  sein  werk  ebenso  für  weise  wie  für  narren; 
jenen  bietet  er  sensus,  diesen  iocos;  nehme  nun  jeder  von 
beiden  sein  teil  aus  der  dichtung  und  bewahre  es  im  gedächtnis: 
der  weise,  um  den  narren  zu  belehren,  der  narr,  um  den  weisen 
aufzuheitern. 

Berlin,  1  october  1890.  Ernst  Voigt. 


Beiträge  zur  geschiente  der  älteren  deutschen  litteratur.  herausgegeben  von 
WWilmanns.  heft  3:  Der  altdeutsche  reimvers.  Bonn,  EdWeber, 
1887.     152  ss.     8°.  —  3  m.* 

Der  schrift,  mit  welcher  Wilmanns  der  Verslehre  einen  so 
dankenswerten  dienst  erwiesen  hat,  ist  von  manchen  seilen  aus- 
führliche Würdigung  zu   teil   geworden,     die  jähre   seit  dem  er- 

*  [vgl.  Zs.  f.  d.  phil.  21  s.  346  ff  (FKauffmann).  —  DLZ  1888  nr  35 
(RMMeyer).  —  Litteraturbl.  f.  germ.  und  rom.  phil.  1889  nr  6  (HPaul).  — 
Zs.  f.  österr.  gymn.  40,  s.  1021  ff  (JSeemüller).] 


WILMAMSS    DER  ALTDEUTSCHE  REIMVERS  1  1 

scheinen  des  buches  haben  seinen  wert,  ja  seine  unentbehrlich- 
keit  für  die  geschichte  des  altdeutschen  Versbaues  dargetan,  wenn 
an  dieser  stelle  erst  jetzt  eine  besprechung  erscheint,  so  wird 
sie  sich  kürzer  fassen  dürfen ,  um  nur  bei  etlichen  puncten  zu 
verweilen. 

Für  eine  geschichte  der  deutschen  verskunst  wäre  es  er- 
strebenswert, dass  jedes  der  wichtigeren  poetischen  denkmaler 
nach  seinem  rhythmischen  formenschatz  erschöpfend  behandelt 
würde,  allzulange  hat  man  eine  kleine  anzabl  von  dogmen  durch 
die  dichtungen  vom  9  bis  zum  13  jh.  tot  gehetzt,  die  texte,  wo 
es  nur  angieng,  unter  das  joch  6ines  gesetzes  gebeugt  und  den 
blick  für  die  individuellen  Verschiedenheiten  und  für  die  ent- 
wickelung  sich  geschwächt,  eine  Statistik  der  rhythmen,  so  vor- 
urteilslos, so  sorgfältig  und  feinfühlig  angestellt  wie  die  vor- 
liegende, tut  der  metrik  not.  aber  es  ist  leider  nicht  möglich, 
dass  VV.s  buch  nachfolger  finde,  was  bei  Otfrid  glückt,  kann 
bei  keinem  zweiten  werke  der  reimdichtung  gelingen.  Otfrid 
allein  stellt  uns  auf  den  sicheren  boden ,  auf  welchem  sich  die 
mannigfaltigkeit  der  formen  bestimmen,  abteilen,  zählen  lässt. 
es  ist  seine  unvergleichliche  Überlieferung,  noch  mehr  seine 
ictensetzung,  der  wir  diesen  vorteil  verdanken,  von  Verderbnissen 
ist  nicht  die  rede;  die  wenigen  versehen  sind  durch  die  beiden 
hss.  zu  controlieren.  die  ictenzeichen  lehren  uns,  wie  zu  lesen 
ist.  an  wie  wenigen  stellen  sieht  sich  der  verf.,  so  achtsam  er 
allen  möglichkeiten  der  scansion  rechnung  trägt,  vor  einem  nicht 
zu  beseitigenden  dilemma !  bei  allen  späteren  dichtwerkeu  müste 
sich  die  Schätzung  der  formen  mit  fragezeichen  umzäunen  — 
selbst  bei  denen  der  classischen  zeit,  wie  viel  mehr  bei  den  früh- 
mittelhochdeutschen! der  versuch  Dütschkes  zb.  mit  der  Litanei, 
so  lobenswert  er  ist,  hinterlässt  doch  das  bedenkliche  geftthl: 
möglicherweise  ist  die  rechnung  richtig,  —  vielleicht  ist  ein 
fünftel,  vielleicht  die  hälfte,  vielleicht  zwei  drittel  der  verse 
anders  zu  lesen  und  zu  rubricieren.  und  dieser  zweifei  besteht, 
selbst  wenn  man  über  die  leitenden  gesichtspuncte  sich  ge- 
einigt hatl 

'Lieblingsrhythmen'  überschreibt  W.  den  ersten  abschnitt. 
aus  der  'wähl  und  fügung  der  worte'  und  aus  der  accentuierung 
(den  ictenzeichen)  liest  W.  den  rhythmischen  fall  heraus,  von 
den  accentstrichen  lässt  er  den  rhythmus  unmittelbar  abhängen: 
sie  geben  die  grundlage  ab  für  die  einteilung  der  verse.  da 
nun  aber  doch  wider  rücksicht  auf  die  natürliche  lonstärke  der 
redeteile  genommen  wird,  geraten  wir  in  den  alten  conflict,  an 
welchem  schon  Sobel  und  Piper  sich  abgemüht  halten,  accente 
und  natürliche  lonstärke  decken  sich  hei  weitem  nicht  immer, 
welcher  der  beiden  mächte  sollen  wir  uns  anvertrauen?  welche 
spricht  das  letzte  wort  über  den  rhythmus  der  verse?  —  es  ist 
merkwürdig,  dass  \Y.  s.  48  note,  s.  49  o.  sich  den  ictenzeichen 


12  WILMANNS    DEB  ALTDEUTSCHE  REIMVERS 

gegenüber  euiancipiert:  die  acceutuierte  silbe  ordnet  er  hier  'un- 
bedenklich' der  nicht  accenluierten  unter;  der  ictus  soll  nicht 
immer  die  überlegene  stärke  bezeichnen,  ich  stimme  durchaus 
bei.  aber  verhängnisvoll  scheint  es  mir,  dass  dann  doch  die 
icten  zum  dominierenden  einteilungsprincip  erhoben  werden,  also 
ein  vers  wie  thar  zaltaz  er  ubar  lut  wird  in  dieselbe  abteilung 
gestellt  wie  ich  uueiz  iz  göt  uuorahta  und  wird  getrennt  von 
einem  verse  wie  thar  lisist  scöna  gilüst.  und  doch  kann  ja  kein 
zweifei  sein,  dass  der  erste  und  dritte  dieser  verse  sehr  nah 
zusammengehören  und  sich  von  dem  zweiten  sehr  stark  ab- 
sondern. 

Warum  wurden  die  liebliugsrhythmen  nicht  einzig  und  allein 
nach  dem  natürlichen  Longewicht  bestimmt?  warum  legte  man 
den  accentstrichen  eine  autorität  bei,  die  man  in  nebenpunclen 
doch  in  frage  zu  ziehen  nicht  umhin  konnte?  meines  erachtens 
hätte  die  erste  und  wichtigste  Scheidung  geschehen  müssen 
zwischen  den  versen,  die  auf  starktonige,  und  denen,  die  auf 
schwacbtonige  hebung  auslaufen;  also  zwischen  den  vollen  (oder 
'stumpfen')  und  den  klingenden  versen.  allein  W.  darf  die 
beiden    verse  ioh  ther  heilogo  geist 

ioh  then  einegon  sun, 
deren  rhythmus  identisch  ist,  nicht  zusammenordueu;  denn  auf 
geist  hat  der  accentuator  einen  strich  gesetzt,  auf  sun  nicht,  das 
ist  ein  grofser  übelstand,  denn  wenn  man  auch  mit  W.  glaubt, 
diese  verse  seien  verschieden  vorgetragen  worden,  wird  man  doch 
nicht  leugnen  können,  dass  zwischen  dem  einfach  accentuierten 
ioh  then  einegon  sun  und  dem  einfach  accentuierten  bi  thaz  ärnnti 
ein  ungleich  wichtigerer  unterschied  bestand. 

W.  legt  sich  nirgends  die  frage  vor,  was  eigentlich  die 
Schreiber  mit  ihren  accenten  wollten,  er  fasst  die  accente  kurzweg 
als  integrierenden  bestaudteil  des  versmaterials,  etwa  so,  wie  man 
in  der  allitterationsmetrik  die  reimstäbe  behandelt,  aber  schon 
die  zahllosen  abweichuugen  der  beiden  hss.  und  inconsequenzen 
der  einzelnen  hs.  nötigen  zu  einer  reservierteren  haltung. 

Au  anderer  stelle  habe  ich  meine  ansieht  über  Otfrids  accente 
und  versmafs  eingebend  entwickelt  und  dort  auch  den  hauptfall 
besprochen,  da  ictensetzung  und  sprachton  auseinander  gehen. 
W.  kommt  s.  42  ff  hierauf  zu  sprechen,  durch  zwei  umstände 
wird  sein  erklärungsversuch  widerlegt,  wenn  die  accentuierung 
von  versen  wie  then  brunnon  reinota,  thie  kristes  ältmaga  darin 
seine  eiklärung  fände,  dass  'je  weiter  sich  die  herschaft  seines 
(sc.  des  wortes)  haupttones  ausdehnt,  dh.je  mehr  ictus  ihm  unter- 
geordnet sind,  um  so  kräftiger  seine  belouung  hervortritt',  so 
könnteu  nun  und  nimmer  accentuieruugen  vorkommen  wie  thie 
drutmennisgon  usw.  (s.  50) :  der  hauptton  auf  drut-,  dessen  her- 
schaft sich  hier  über  die  vier  tacte  ausdehnen  sollte,  müste  da- 
durch  zu    gewaltiger   kraft   anschwellen    und    könnte  schlechter- 


WILMANNS    DER  ALTDEUTSCHE  REIMVERS  13 

dings  nicht  durch  die  folgende  hehung  entthront  werden.  —  ferner: 
unter  den  verslüfsen  gegen  das  gesetz,  dass  ein  einsilbig  ge- 
bildeter tact  stärkeren  ton  tragen  muss  als  die  nächstfolgende 
hebung,  wird  der  beträchtlichste  durch  die  zahlreichen  fälle  wie 
gibot  füllentaz  gebildet  (um  so  auffallender,  als  sonst  gerade  der 
erste  tact  am  seltensten  einsilbig  gebildet  ist),  —  wofern 
nämlich  die  accentuierte  zweite  hebung  würklich 
stärker  ist  als  die  erste.  W.  nimmt  dies  an  und  weifs 
folglich  mit  dem  erwähnten  Widerspruch  nichts  anzufangen  (s.49  bis 
51). l  tatsächlich  ist  jedoch  -bot  stärker  betont  als  ful-.  dieser 
punct  ist  für  die  kritik  der  accentzeichen  von  bedeutung.  die 
auffassung,  der  schon  Kauffmann  ausdruck  gegeben  hat:  dass  die 
accentuierte  zweite  hebung  bei  weitem  nicht  immer  die  stärkste 
im  verse  ist,  sondern  sich  häufig  der  ersten,  unbezeichneteu 
hebung  unterordnet,  findet  hier  eine  objective  bestätigung. 

Es  war  nicht  W.s  absieht,  der  frage  nachzugehen ,  wie  weit 
die  prosabetonung  von  Olfrids  spräche  in  den  accentstrichen  ihren 
ausdruck  finde  (s.  41).  So  bei  war  es  in  erster  linie,  der  sich 
mit  dieser  frage  beschäftigt  hatte,  ich  kann  nicht  finden,  dass 
seine  Zusammenstellungen  'aus  zu  einseitigem  gesichtspunet  ge- 
macht' sind.  Sobel  stellte  sich  eine  sprachgeschichtliche,  nicht 
metrische  aufgäbe:  gehorcht  Otfrids  spräche  den  satztonregeln, 
welche  Rieger  und  Hildebrand  in  der  spräche  der  stabreimenden 
dichtungen  nachgewiesen  hatten?  seine  Zusammenstellung  reicht 
hin,  um  eine  bejahende  antwort  zu  geben,  die  scheinbaren 
Widersprüche  wüste  er  nicht  zu  erklären,  aber  an  ihnen  ist,  wie 
wir  gesehen   haben ,  auch   W.  gescheitert. 

Mit  hilfe  dieser  satztongesetze  lässt  sich  auch  eiuiges  licht 
in  die  frage  bringen,  deren  lösung  W.  als 'vergeblichen  und  un- 
fruchtbaren versuch'  bezeichnet  (s.  20):  in  wie  weit  einsilbige 
worter  den  ganzen  tact  füllen  oder  aber  als  Senkung  der  voraus- 
gehenden silbe  sich  unterordnen  müssen,  zb.  ih  bin  uueg  rehtes 
ist  eine  unmögliche  betonuug,  weil  uueg  stärkeren  ton  trägt  als 
reht-.  dasselbe  gilt  für  zi  uns  riht  er  hörn  heiles,  thaz  ist  ouh 
däg  hörnes,  die  in  der  hier  bezeichneten  weise  vorgetragen 
werden  müssen,  beide  moglichkeiten  gelten  aber  zb.  für  thaz 
minu  werk  suuinen;  denn  dem  vorausgehenden  possessiv  kann 
sich  das  Substantiv  unter-   oder  überordnen. 

Ich  hebe  den  vortrefflichen  dritten  abschnitt  hervor,  der  die 
obere  gränze  der  tactfüllung  verfolgt,  er  sticht  woltätig  ab  gegen 
die  entsprechende  partie  bei  Hügel,  hatte  dieser  einer  erson- 
nenen  theorie  zu  liebe  mit  apocopen  und  mit  schwebender  be- 
tonung  verheerend  gewirtschaftet,  so  hisst  \Y.  unvoreingenommen 
das  material    zur  spräche  kommen  und  gewährt    uns  den   besten 

1  ich  bemerke  auf  s.  50  folgende  versehen:  /..  3  v.  o.  lies  i  4,  46,  z.  4 
v.  o.  vers  in  22,  26  ist  form  1,  vers  iv  16,  39  ist  1'orm  2.  4;    z.  5  v.  o.  lies 

in  6,  28. 


14  W1LMANNS    DER  ALTDEUTSCHE  REIMVEBS 

einblick  in  die  mehrsilbigen  Senkungen  bei  Otfrid.  die  ver- 
schiedenen grade  der  tactfüllung  stellen  sich  dar  als  das,  was  sie 
sind:  als  ein  mehr  oder  weniger,  ohne  absolute  gränze,  —  ganz 
im  sinne  von  Paul,  Beitr.  8,  188  f.  was  W.  s.  52.  64  über 
' silben verschleifung '  äufsert,  dürfte  wol  zu  mafsvollerer  an- 
weudung  dieses  terminus  mahnen. 

In  der  füllung  der  vier  verstacte  beobachten  wir  an  der 
band  W.s  allerlei  Ungleichheiten ,  die  über  den  zufall  hinaus- 
gehen, ich  glaube,  dass  die  Verhältnisse  im  dritten  tacte  von  W. 
nicht  ganz  zutreffend  gedeutet  werden,  die  Sachlage  ist  folgende: 
zweisilbige  füllung  mit  sprachlich  langer  hebungssilbe  ist  im 
dritten  tacte  gar  nicht  selten ;  wir  haben  erstens  die  verse  wie 
selp  so  helphantes  bein  (s.  25.  27.  32.  36);  zweitens  solche  wie 
ioh  sconu  vers  uuolles  düan  (s.  25.  28.  103  ff);  drittens  solche 
wie  arges  mallen  gilüst,  theist  sconi  vers  sar  giddn  (s.  25.  28); 
endlich  solche  wie  thoh  sint  thie  liuti  missilih  (s.  119  ff),  dagegen 
verse  wie  sih  fianton  zirrettinne  sind  spärliche  ausnähme  (s.  108); 
dh.  dreisilbige  uncomponierte  Wörter  mit  langer  Stammsilbe  werden 
fast  nie  den  zwei  letzten  verstacten  überlassen.  W.  sagt,  dies 
habe  seinen  grund  in  dem  bedeutenden  gewicht  der  Stammsilbe 
solcher  Wörter,  aber  ich  verstehe  uicht,  dass  nirsmahetin,  uuachorot 
für  ihre  Stammsilbe  mehr  räum  fordern  sollten  als  ungimah, 
kerzistal.  vielmehr  wird  man  hier  entschieden  auf  die  lagerung 
der  natürlichen  starktöne  recurrieren  müssen  (auch  W.  s.  120 
erwähnt  dies,  aber  offenbar  im  Widerspruch  mit  der  auffassung 
auf  s.  108):  uncomponierte  Wörter  der  form  -  -  ~  hatten  in 
pausa,  dh.  am  ende  eines  satzcolons,  die  (mit  der  Lachmann- 
schen  regel  stimmende)  betouung  "";  im  versschluss  konnten 
sie  also  nicht  wol  zwei  tacten  zugeteilt  werden,  da  sonst  die 
Unterordnung  der  zweiten  silbe  unter  die  dritte  einen  Widerspruch 
gegen  die  prosabetonung  erzeugt  hätte,  im  satzinnern  da- 
gegen wechselte  die  tonabstufung  nach  dem  zusammenhange: 
dieser  Wechsel  spiegelt  sich  im  ver sinnern  (s.  109). 

In  abschnitt  vn  und  viu  bringt  W.  in  klaren,  wol  durchdachten 
Sätzen  zusammenfassende  rückblicke,  allgemeinere  bemerkungen 
über  die  natur  des  verses,  eine  vergleichung  des  Otfridschen 
metrums  mit  dem  des  Beowulf,  endlich  einen  streifblick  auf  die 
weiterentwickelung  zum  rnhd.  verse.  nach  den  wertvollen  capiteln, 
die  uns  in  alle  einzelbeiten  des  rhythmizomenon  eingeführt  haben, 
können  diese  abschnitte,  die  dem  rhythmus  und  seiner  geschicht- 
lichen entwickelung  näher  treten,  nicht  in  gleichem  mafse  be- 
friedigen, den  fragen,  wie  das  'fehlen  der  Senkung',  der  metrische 
wert  der  langen  und  kurzen  Silben,  die  viergliedrigkeit  des  reim- 
verses  verglichen  mit  der  zweigliedrigkeit  des  allitterierenden 
aufzufassen  sind,  lässt  sich  nur  von  anderer  seite  beikommen, 
bei  W.  kommt  die  grundlegende  bedeutung  des  metrischen  tactes 
(dessen  existenz  doch  anerkannt  wird,  s.  66)  und  des  versrhythmus 


WILMAJNKS    DER  ALTDEUTSCHE  REIMVKRS  15 

als  eines  akustischen  gebildes  nicht  genugsam  zur  geltuüg.  der 
'declamatorische  Vortrag'  erscheint  als  der  factor,  der  den  vers 
von  einer  gleich  zusammengesetzten  prosaischen  wortkette 
unterscheidet,  aber  was  ist  dieser  declamatorische  Vortrag  anders 
als  die  reproduction  bestimmter  rhythmen,  die  ihrerseits  das 
vvesen  des  verses  ausmachen  ?  der  satz  'das  fehlen  der  Senkung 
ist  nicht  etwas  an  und  für  sich  wesentliches  und  characteristisches, 
sondern  nur  die  folge  der  gedehnten  Vortragsweise,  denn  wenn 
einer  silbe  ein  ganzer  fufs  eingeräumt  wird,  ergibt  sich  von 
selbst,  dass  diesem  fufse  die  Senkung  fehlt'  (s.  127)  ist  mir  völlig 
unverständlich,  dass  die  Vortragsweise  .'gedehnt'  sein  darf, 
dass  einer  silbe  ein  ganzer  tact  eingeräumt  werden  kann,  das 
ist  doch  gewis  etwas  sehr  wesentliches  und  characteristisches;  es 
ist  ja  der  hauptcharacterzug  der  neudeutschen  verskunst,  dass 
sie  diese  freiheit  ausschliefst. 

In  der  auffassung  des  stabreimverses  divergiert  W.,  wenn 
ich  ihn  recht  verstehe,  von  Sievers  in  einem  sehr  wichtigen 
puncte.  er  leitet  nämlich  die  'neigung,  die  lange  silbe  auszu- 
halten' (dh.  also  die  einsilbige  tactfüllung)  aus  dem  Vortrag  des 
allitterierenden  verses  ab  (s.  130).  damit  trägt  er  etwas  nach 
Sievers'  anschauung  ganz  fremdes  in  den  stabreimvers  hinein, 
denn  in  diesem  soll  ja  zb.  nicht  fölce  to  fröfre  gelesen  werden 
dürfen :  syncope  der  Senkung  ist  der  rentierenden  Vortragsweise 
fremd;  s.  ßeitr.  13,  128.  136  (vgl.  den  treffenden  einwand  von 
Hirt  Unters,  zur  westgerm.  verskunst  s.  9).  so  sagt  W.  auch 
s.  131,  die  versform  hyran  scolde  habe  sich  bei  Otfrid  als  seltene 
alterlümlichkeit  gehalten,  zb.  fingar  thinan.  offenbar  setzt  er 
aber  damit  trotz  dem  beigegebenen  Sieversschen  A  -  Schema 
eine   ganz    andere    messung    voraus,    nämlich    hyrdn   scölde   = 

Der  Zusammenhang  des  Otfridschen  verses  mit  dem  stab- 
reimenden erscheint  in  der  ganzen  darleguug  als  ein  viel  engerer, 
als  er  bei  näherem  zusehen  sich  bewährt,  wenn  es  zb.  auf 
s.  134  heifst:  'die  form  2.  4  beruht  auf  dem  typus  B.  dem 
Schema  des  allitterierenden  verses 

entsprechen  bei  Otfrid  als  die  üblichsten  formen 

2.  41:     -  X  £■  |  X  -  X  ^ 

2.  42:  -X^|-X^, 
so  nimmt  sich  das  auf  dem  papier  recht  plausibel  aus.  aber 
wenn  man  nun  bedenkt,  dass  in  dem  neuen  Schema  zwei  icten 
herzugekommen  sind ;  dass  aus  dem  gewichtlosen  auftact  der 
erste  tact  geworden  ist;  dass  dadurch  der  ganze  vers  seinem 
sang  und  klang  nach  als  ein  völlig  verschiedenes  gebilde  sich 
darstellt,  —  so    muss    man  fragen:    hat  die  parallelisierung  den 


16  WILMANNS    DF.n  ALTDEUTSCHE  REIMVERS 

wert  der  würklichkeit?  beruht  die  ähnlichkeit  auf  abstammung 
des  einen  aus  dem  anderen?  allerdings  unterlässt  W.  nicht,  au 
den  lateinischen  hymnenvers  zu  erinnern;  die  durchführung  der 
vier  hebungen  leitet  er  von  ihm  her  (s.  140).  aber  wie  sollen 
wir  uns  die  metamorphose  des  stabreimenden  Schemas  B  zu  der 
Otfridschen  versform  2.  4  in  concreto  vorstellen?  schob  man  vor 
jeden  hauptictus  einen  nebenictus  ein?  dieses  'einschieben'  ist 
eine  halsbrechende  procedur.  in  der  grammatik  ist  es  als  solche 
gefürchtet,  auch  die  metrik  muss  sich  ausbitten,  von  ihr  ver- 
schont, zu  bleiben.  —  ich  möchte  die  frage  aufwerfen:  stellen 
sich  Wilmanns  und  Sievers  den  Zusammenhang  des  verses 

tho  sprach  er  erlicho  über  dl 
mit  dem  allitterierenden  ß-typus  in  der  gleichen  weise  vor,  wie 
er  auch  zwischen  dem  verse     , 

denn  deine  Mhnheit  wird  zur  pßicht 
und  dem  allitterierenden  B-typus  besteht?  einen  unterschied 
vermag  ich  nicht  zu  erkennen,  die  darlegungen  von  W.  und 
Sievers  lassen  mich  nicht  die  notwendigkeit  oder  berechtigung 
einsehen,  jeden  viertactigen  vers,  der  die  stärksten  natürlichen 
sprachtöne  im  zweiten  und  vierten  tacte  enthält,  dem  typus  B 
des  stabreimverses  gegenüber  zu  setz  n,  die  viertactigeu  verse 
mit  dem  dominierenden  sprachton  im  zweiten,  event.  auch  im 
ersten  tacte  dem  typus  C  oder  D  usf.  da  Otfrid  in  einer  spräche 
dichtete,  die  ihre  exspiratorischen  elemente  dyuamisch  abstuft, 
muste  es  sich  so  treffen,  dass  von  den  vier  hebungen  bald 
diese  bald  jene  an  stärke  hervortreten,  der  deutsche  (und  nicht 
blofs  der  deutsche)  vers  zeigt  diese  naturgemäfse  erscheinung  bis 
auf  den  heutigen  tag.  ein  nachwürken  der  allitterierenden  rhythmen 
kann  darin  unmöglich  erblickt  werden,  wären  Otfrids  verse  die 
ersten,  die  in  der  deutschen  zunge  gedichtet  wurden,  —  auch 
dann  müsten  sie  jenen  characterzug  notwendig  tragen. 

Man  hat  hier,  unterstützt  von  den  accentstrichen  —  die 
nichts  anderes  sind  als  ein  hilfsmittel  Otfrids  für  den  lauten  Vor- 
trag —  ein  überraschendes  Schauspiel  in  scene  gesetzt,  eine 
wunderbare  verwantschaft  des  reimverses  mit  dem  allitterierendeu 
in  neuem  costüme  vorgeführt  —  und  wenn  man  eindringt  und 
fragt:  wie  war  der  Vorgang?  wo  ist  die  genetische  verwantschafW? 
so  bleibt  man  ohne  aulwort  und  ahnt  unüberwindliche  psycho- 
logische Schwierigkeiten. 

W.  hat  nicht  den  schwerpunct  seiner  arbeit  in  dieses  letzte 
capitel  legen  wollen,  so  wird  auch  dem,  der  mir  beistimmt, 
der  wert  seines  buches  nicht  beeinträchtigt  scheinen,  und  auch 
auf  diesen  letzten  Seiten  finden  sich  genug  der  schönen  und  er- 
hellenden aussprüche.  dass  W.,  der  den  versrhythmus  aus  dem 
natürlichen  Sprachrhythmus  erwachsen  glaubt,  doch  auch  die 
zaubermacht  des  freien,  selbstherrlichen,  über  der  spräche  stehen- 
den   und    ihr    gebietenden    rhythmus  anerkennt,    das   zeigt    der 


WILMANNS    DER  ALTDEUTSCHE  REWVERS  17 

sehliefsende  satz,  —  der  zwar  an  eurhythmie,  nicht  aber  au 
Wahrheit  verlöre,  wenn  er  vor  dem  einschränkenden  'wenn  auch' 
schlösse: 

'Der  rhythmus  lebt  zunächst  in  dem  material  der  spräche, 
wie  die  seele  im  leibe;  aber  er  würkt  auch  an  und  für  sich 
und  prägt  sich  der  erinnerung  ein,  ähnlich  wie  liedermelodien, 
wenn  auch  nicht  in  gleichem  mafse.' 

Basel,  3  sept.  1890.  Andreas  Heusler. 


Beiträge  zur  geschiente  der  älteren  deutschen  litteratur.  herausgesehen 
von  WWilmahhs.  heft  4:  Untersuchungen  zur  mhd.  metrik.  Bonn, 
Ed.  Weber  1888.     196  ss.     8°.  —  4  m.* 

Man  hat  die  Statistik  das  gewissen  der  politik  genannt,  aber 
auch  in  anderen  Sphären  beginnt  apriorischen  doctrinen  und  be- 
quemen declamationen  gegenüber  dies  gewissen  sich  zu  regen, 
für  die  metrik  hat  Sievers  vor  allem  die  erneute  wendung  zur 
genauen,  zahlenmäfsiiipn  aufnähme  eingeleitet;  in  vollendeter  kuust 
der  Statistik,  vor  allem  in  der  feinheit  und  Übersichtlichkeit  der 
anordnung  übertrifft  ihn  Wilmanns.  dass  aber  leider  die  unfehl- 
barste Statistik  in  der  deutung  ihrer  zahlen  mehr  räum  lässt. 
als  beim  gewissen  erwünscht  wäre,  das  zeigt  auch  diese  höchst 
bedeutsame  neue  arbeit  unseres  jetzt  ersten  mhd.  metrikers. 

Die  beiden  gröfseren  stücke  beschäftigen  sich  mit  einer 
cardinalfrage  der  metrik;  sie  prüfen  die  tatsächliche  dauer  be- 
stimmter silben  im  verse,  ein  problem,  das  man  früher  durch 
die  kategorien  lang,  kurz,  aneeps  allzurasch  erledigt  glaubte.  W. 
untersucht  zwei  wichtige  fälle,  in  denen  einmal  die  metrische, 
das  andere  mal  die  rein  sprachliche  beschaffenheit  der  nachbar- 
silben  auf  die  tatsächliche  Sprechdauer  gewisser  silben  einwinkt. 
zwischen  beide  Studien  schiebt  sich,  ein  nicht  eben  glücklicher 
erhoiungsritt  zwischen  zwei  erfolgreichen  bergbesteigungen ,  eine 
umdatierung  der  Kürenbergweise. 

Die  eioheit  für  die  silbenlänge  im  vers  bildet  überall  die 
sog.  hebung.  die  deutsche  rhythmik  liebt  es,  diese  mafsgebende 
silbe  mit  einer  kürzeren  möglichst  gleichmäfsig  wechseln  zu 
lassen ;  so  entsteht  als  normaler  rhythmus  der  sog.  trochäus.  ist 
aber  die  senkuog  nicht  einsilbig,  so  bringt  der  sog.  'deutsche 
daetylus'  die  frage  mit  sich:  wie  verhalten  sich  die  beiden 
niederen  silben  zu  der  höheren?  und  ist  die  hebung  oiehl  ein- 
silbig, so  entsteht  das  problem  der  verscbleifung:  wie  weit  bilden 
die  beiden  höheren  silben  eine  einheit? 

*  [vgl.  Litteraturbl.  f.  gmn.  und  rom.  phil.  1889  nr  6  (HPaul).  —  Zs 
f.  d.  österr.  gymn.  40,  1023  (JSeemüller).  —  Arch.  f.  d.  stnd.  der  neueren 
spr.  1888,  s.  489  (Ellenrici).  -  BLZ  1890,  nrl6  (GRoetb«).] 

A.  F.  D.  A.    XVII.  2 


18  WILMANNS    UNTERSUCHUNGEN  ZUR  MHD.  METRIK 

Beide  erscheinungen  sind  schon  altdeutsch,  die  sog.  dactylen 
kommen  in  altgerm.  dichtuug  reichlich  vor;  gleich  der  zweite 
langvers  der  Vpluspä  ist  ein  gedoppelter  Adonius.  sie  fehlen 
uirgends  in  volkstümlicher  dichtung;  sie  sind  in  der  mhd.  zeit 
selbst  durchaus  nicht  auf  solche  dichter  beschränkt,  die  starke 
romanische  einflüsse  verraten,  kaum  diesen  auch  nur  besonders 
eigen.  W.  selbst  endlich  stellt  fest,  wie  nah  die  lebensfähigsten 
lieblingsrhythmen  Otfrids  der  dactylischen  langzeile  stehn  (s.  31). 
trotz  alledem  soll  der  dactylus  der  romanischen  dichtuug  ent- 
stammen, die  ihn  seihst  gar  nicht  kennt,  soll  eine  bei  uns  überall 
natürliche  rhythmische  form  der  mühsamen  halbgelungenen  nach- 
ahmung  fremder  Systeme  verdankt  werden!  denn  W.  hält  es  wie 
Bartsch  und  Weifsenfeis  für  unzweifelhaft,  dass  die  mhd.  dacty- 
lischen verse  auf  dem  romanischen  zehnsilbler  beruhen,  gerade 
seine  Untersuchungen  aber  nehmen  dieser  Voraussetzung,  wie  mir 
scheint,  den  grund  unter  den  füfsen  fort.  W.  weist  nach,  'dass 
der  dactylische  zehnsilbler  sich  nicht  nur  auszeichnet  durch  den 
reichtum  hebungsfähiger  silben ,  sondern  specieller  durch  den 
reichtum  solcher  silben,  die  vor  anderen  hebungsfähig  sind,  durch 
den  reichtum  an  Stammsilben'  (s.  23);  er  macht  wahrscheinlich, 
dass  der  so  geartete  dactylus  in  einen  ditrochäus  aufgelöst  werden 
kann  (s.  37  f);  wenn  aber  auf  so  ungeahnt  einfache  weise  das 
alte  princip  des  germanischen  rhythmus  wider  zu  ehren  kommt, 
wozu  dann  noch  die  schwierige,  aus  unbeweisbarer  ausländerei 
geholte  erklärung?  das  princip  der  silbenzählung  nachzuahmen 
ist  so  kinderleicht,  dass  man  nicht  versteht,  weshalb  die  mhd. 
dichter  vom  fünffüfsigen  iambus  aus  deu  fortschritt  in  der  nach- 
bildung  des  frz.  verses  und  seiner  gleichmäfsig  getragenen  weise 
(s.  30)  durch  ein  ungefähres  gleichgewicht  der  silben  (s.  27)  her- 
stellten; wollten  sie  würklich  in  undeutscher  weise  den  tou- 
unterschied  verläugnen,  weshalb  sollten  sie  dann  nicht  eben  auch 
alle  silben  gleich  gerechnet  haben?  wie  könnten  sie  bei  jener 
tendenz  den  cäsurreim  uud  den  binnenreim  überhaupt  gepflegt 
haben  (s.  11  f),  der  doch  unzweideutig  eine  silbe  aus  dem  idealen 
gleichgewicht  heraushebt?  alles  das  wird  klar,  wenn  man  den 
durch  W.  selbst  hergestellten  weg  von  der  ahd.  reimzeile  zum  mhd. 
dactylischen  vers  von  jenem  romanischen  schlagbaum  befreit,  trotz 
der  abschwächung  der  endsilben  hatte  die  frühmhd.  poesie,  wie  jede 
technik  archaisierend,  zweisilbige  worte  mit  tonloser  endungs- 
silbe  noch  lange  zeit  als  zweihebig  behandelt;  ganz  dieselbe  Un- 
sicherheit nun  hat  sie  auch  sonst  gefühlt,  seit  die  zweisilbige 
Senkung  verpönt  war,  muste  man  'dactylische  worte',  um  sie  in 
den  vers  zu  bringen,  entweder  wie  trocbäen  behandeln  oder  wie 
ditrochäen.  man  vermittelte:  wie  W.  zeigt,  gab  man  diesen 
Worten  würklich  zwei  icten,  die  aber,  wie  VVeifsenfels  erwiesen 
hat,  durch  den  einhebigen  trochäus  vertreten  werden  konnten, 
und    also  leichter  waren    als   der    gewöhnliche    accent.     der  alle 


WILMANNS    UNTERSUCHUNGEN  ZUR  MHD.  METRIK  19 

regulator  des  germanischen  rhythmus,  der  tonverstärkende  accent, 
muste  wider  aushelfen ,  um  drei  silben  ohne  zu  grofse  Verzerrung 
des  wortbildes  mit  zwei  anderen  silben  gleichwertig  zu  machen, 
natürlich  forderte  die  melodie  in  der  regel,  namentlich  bei  ver- 
vollkommneter kunst,  die  widerkehr  des  dactylus  an  den  gleichen 
stellen,  so  kehrt  W.s  Untersuchung  des  dactylus  nahezu  zu 
jenen  'triolen'  zurück,  die  Schade  gelehrt  hatte,  allerdings,  wie 
Burdach  Walther  anm.  6  zeigt,  in  noch  unzureichender  weise 
(vgl.  jetzt  auch  W.  s.  56  anm.  2).  was  aber  bleibt  für  das  Vor- 
bild des  zehnsilblers?  nicht  einmal  die  silbenzahl,  denn  diese 
stimmt  keineswegs  immer:  oft  wird  eine  silbe  unterdrückt (s.  34.42), 
öfter  tritt  durch  auftact  eine  silbe  hinzu  (s.  9  f),  und  völlig  unter- 
scheidet sich  die  cäsur  des  nachgeahmten  und  des  nachahmenden 
verses  (s.  8).  die  beiden  versikel  der  dactylischen  langzeile  sind 
also  von  einander  abhängig  (s.  33)  gerade  wie  zwei  altgerm. 
kurzverse:  da  die  eigentliche  einheit  der  langvers  ist,  muss  die 
eine  hälfte  ergänzen,  was  der  anderen  an  dauer  fehlt;  sonst  aber 
geht  ihre  Selbständigkeit  bis  zum  rechte  des  hiatus  (s.  9). 

Ist  diese  interpretation  von  W.s  höchst  zuverlässiger  dar- 
stelluug  richtig,  so  erledigt  sich  damit  die  von  W.  im  zweiten 
stück  im  anscbluss  an  Lachmanns  gelehrte  ableitung  der  Nibelun- 
genstrophe aus  dem  romanischen  zehusilbler.  hiergegen  hat  sich 
schon  Roethe  (DLZ  1S90,  sp.  593)  mit  triftigen  gründen  erklärt; 
und  niemand  sieht  ein,  weshalb  denn  der  dichter  am  strophen- 
schluss  die  characteristische  cadenz  festhielt,  während  er  sie  sonst 
durchweg  aufgab  (s.  87).  wenn  aber  Roethe  (wie  neuerdings  zb. 
auch  Heusler  Ljöpahättr  s.  6)  sich  wider  für  Simrocks  erklärung 
ausspricht,  so  steht  und  fällt  diese  möglichkeit  mit  der  annähme 
von  8  hebuugeu  in  der  allitterierenden  zeile.  die  erklärung  Scherers 
scheint  mir  noch  immer  durchaus  siegreich,  reimverlegungen 
und  cadenzänderungeu  sind  unerweislich,  vorschlagen  von  waisen 
steht  völlig  fest,  dass  bei  solchem  vorschlagen  nun  aber  der 
zweite  vollvers  fast  regelmäfsig  verkürzt  wurde,  glaube  ich  QF 
58,  60  mehr  als  wahrscheinlich  gemacht  zu  haben,  so  eutstand 
höchst  natürlich  jenes  verspar,  welches  die  erste  hälfte  sowol 
der  Nibelungen-  und  Kudruostrophe  als  der  Hildebrands-  und 
Waltherstrophe  bildet,  und  es  wurde  wahrscheinlich  zuerst  ein- 
fach verdoppelt  (gerade  wie  die  beiden  altgerm.  Strophenformen 
entstanden  zu  sein  scheinen);  später  trat  wider  ein  unendlich 
oft  belegter  Vorgang  ein,  die  Verlängerung  der  schlusszeile. 
warum  aber  in  der  letzten  halbzeile  so  gern  die  Senkung  zwi- 
schen zweiter  und  dritter  hebung  fehlt  (s.  86  u.),  glaube  ich 
ebenfalls  (aao.  111)  erklärt  zu  haben:  sie  richtet  sich  einlach 
nach  der  aualogie  anderer  vierbebiger  verse.  einzig  diese  her- 
leitung fügt  in  die  gesetzmäßige  entwickelüng  der  atrophen  formen 
auch  die  königin  der  deutscheu  Strophen  ein. 

Dagegen    kann    ich    mich    für   die    driite    Studie,    über    die 

2* 


20  WILMANNS    UNTERSUCHUNGEN  ZUR  MHD.  METRIK 

Wörter  mit  kurzer  Stammsilbe,  dem  begeisterten  lobe  Roetbes  nur 
anschliefsen.  für  die  individuelle  tecbnik  der  minnesinger  baben 
wir  kaum  je  so  frucbtbare  beobachtungen,  für  zeitliche  und  locale 
gruppen  kaum  je  so  sichere  merkmale  kennen  gelernt,  wie  sie 
hier  vorliegen;  und  auch  dem  dank  Roethes  für  die  volle  mit- 
teilung  des  schön  geordneten  materials,  das  auch  für  andere 
fragen  wertvoll  ist,  habe  ich  nichts  hinzuzufügen  als  meine 
eigene  danksagung.  nur  möchte  ich  in  der  kurzen  geschichte 
der  Vortragsweise  (128  f)  dem  allgemeioen  satz  widersprechen, 
dass  das  deutsche  altertum  nur  recitation  gekannt  habe,  er  ist 
vielmehr  auf  die  uns  erhaltenen  reste  einzuschränken,  die  ja  alle 
den  mehr  pathetischen  dichtungsgattungen  angehören,  für  liebes- 
und  tanzliedchen,  für  improvisationen  aller  art  wird  man  tac- 
tierenden  Vortrag  auch  der  ältesten  zeit  zuschreiben  müssen;  er 
ist  die  unentbehrliche  Voraussetzung  für  die  rasche  Verbreitung 
des  minnesangs.  das  eindringen  lyrischer  demente  war  es  wol 
auch,  was  im  11  und  12  jh.  die  epischen  verse  auflösen  half, 
bis  sie  über  das  vorlesen  hinweg  zur  völligen  musiklosigkeit  der 
prosa  gelangten,  die  epik  gab  die  musikalische  begleitung  und 
Vortragsweise  auf,  weil  sie  mit  derjenigen  der  lyrik  doch  nicht 
mehr  zu  rivalisieren  vermochte,  bald  gieng  dann  auch  diese  an 
künstelei  zu  gründe,  wer  aber  diese  entwickelung  im  einzelnen 
studieren  will,  wird  zuverlässigere  führung  schwer  finden  können 
als  in  W.s  metrischen  Studien. 

Rerlin.  Richard  M.  Meyer. 


Kleinere  deutsche  gediente  des  xi  und  xn  Jahrhunderts  herausgegeben  von 
Albert  Waag.  (Altd.  textbibliothek.  herausgegeben  von  HPaul. 
nr  10.)  Halle  a/S.,  Max  Nierrieyer,  1890.  xli  und  167  ss.  8°.  — 
2  m.* 

Waags  buch  enthält  nach  einer  einleitung,  die  über  die 
einzelnen  stücke,  ihre  Überlieferung,  ihre  litterargeschichtliche 
Stellung  udgl.  kurz  das  wichtigste  beibringt  und  in  anmer- 
kungen  seltenere  ausdrücke  übersetzt,  sowie  parallelstelleu  aus 
der  lateinischen  litteratur  mitteilt,  die  texte  folgender  gedichte: 
i.  Ezzolied  (älteres  und  jüngeres);  u.  Summa  theologiae;  in.  Lob 
Salomons;  iv.  Nabuchodonosor  (==  MSD  xxxvi  und  xxxvii);  v.  Aus- 
legung des  vaterunsers;  vi.  Von  der  siebenzahl;  vii.  Himmlisches 
Jerusalem;  vui.  Vom  rechte;  ix.  Die  hochzeit;  x.  Arnsteiner 
Marienlied;  xi.  Die  Wahrheit;  xn.  Vorauer  Sündenklage;  xm.  Up- 
salaer  Sündenklage;  xiv.  Benedictbeurer  gebet;  xv.  Melker  Marien- 
lied; xvi.  Mariensequenz  aus  St.  Lambrecht;  xvii.  Mariensequenz 
aus  Muri. 

*  vgl.  DLZ  1890  nr  29  (Edw.  Schröder). 


WAAG    GEDICHTE  DES  XI  UND  XIIJBS.  21 

Der  herausgeber  äufsert  sich  über  die  principien ,  die  ihn 
bei  der  textgestaltuug  leiteten,  s.  vi  des  Vorwortes  in  folgender 
weise:  'ich  habe  mich  deshalb  (dh.  weil  bei  herstelluag  der  texte 
in  MSD  'eine  allzu  grofse  willkür  und  gewaltsamkeit  tätig  ge- 
wesen ist')  möglichst  an  die  mit  so  grofser  genauigkeit  ge- 
schriebenen hss.  angeschlossen  und  eine  äuderung  derselben  nur 
aus  inhaltlichen  gründen  vorgenommen;  niemals  bin  ich  dagegen 
aus  metrischen  und  strophischen  gründen  von  der  Überlieferung 
abgewichen.' 

Wir  wollen  mit  dem  verf.  über  diese  etwas  allgemein  ge- 
haltenen principien  nicht  weiter  rechten,  sondern  untersuchen, 
ob  es  ihm  gelungen  ist,  sie  in  consequenter  weise  durchzuführen, 
um  möglichst  engen  anschluss  an  die  Überlieferung  zu  erreichen, 
wäre  zweifellos  eine  collation  der  verschiedenen  in  betracht 
kommenden  hss.  nötig  gewesen  (die  Vorauer  stücke  ausgenommen, 
für  die  Pipers  collation  vorliegt),  leider  hat  der  herausgeber 
diese  arbeit  unterlassen,  somit  waren  die  vorhandenen  hsl.  ab- 
drücke mit  den  durch  die  rücksicht  auf  den  inhalt  gebotenen 
ausnahmen  und  abgesehen  von  solchen  orthographischen  Schwan- 
kungen, die  der  herausgeber  in  der  einleitung  ein  für  allemal 
abtut,  mit  peinlichster  Sorgfalt  nachzudrucken,  dass  dies  nicht 
geschehen  ist,  wird  jeder  erkennen,  der  sich  der  mühe  einer 
vergleichung  von  W.s  texte  mit  dem ,  den  die  abdrücke  bieten, 
unterzieht,  so  herscht  gänzliche  inconsequenz  in  bezug  auf  das 
verzeichnen  von  Schreibfehlern,  dittographieen ,  grofsen  anfangs- 
buchstaben  und  kürzuugen;  dgl.  wird  in  6inem  und  demselben 
texte  bald  angemerkt,  bald  mit  stillschweigen  übergangen. 

Aber  auch  wichtigere  abweichungen  bleiben  uo verzeichnet 
oder  sind  unrichtig  angegeben,  so  hat  i  12  W.  gendde,  die  hs. 
gnade;  21  W.  die,  hs.  di;  76  W.  diu,  hs.  den;  122  f  W.  der 
teilet  uns  daz  sin  lieht,  daz  gab  uns  Abel,  hs.  der  teilet  uns  daz 
sin  lieht,  sin  lieht  daz  gab  uns  abel;  255  W.  meintetun,  hs. 
meinteten;  393  schlechte  angäbe  der  la.;  u  61  W.  habitin,  hs. 
gihabitin;  153  W.  craft  er  dö  irstarbti,  hs.  craft  do  irstarbti; 
158  W.  mit  des  vleischis  brödi,  hs.  mit  uleischis  br.;  205  W.  wili, 
hs.  voil;  263  W.  als  imo,  hs.  alsiz  imo;  in  33  la.  schlecht  an- 
gegeben; 68  W.  vullan,  hs.  uulli;  151  W.  scöno,  hs.  sconi; 
167  W.  scuzzilin  undi  nepphi,  hs.  scuzzilin  uh  di  nepphi;  201  W. 
Salmon  der  was  heri,  hs.  Salmon  heri;  256  W.  mid  michilimo, 
hs.  mid  uil  michilimo;  iv  31  W.  giluti,  hs.  guluti;  81  W.  la. 
dorosti,  hs.  dorosti;  122  W.  an,  hs.  ani;  140  W.  uzzir  (so!), 
hs.  uzzi;  vh  152  W.  gelouben,  hs.  geloben;  172  W.  ewen,  hs. 
hewen;  317  W.  tem  selben,  hs.  tem  selbem;  vm  46  W.  im  selben, 
hs.  im  selbem;  374  W.  geloube,  hs.  goloube;  ix  781  IV  vermisst 
man  die  angaben,  was  hsl.  und  was  ergänzt  sei;  861  \\ .  Hfl 
hantgetdt,  hs.  sine  hantgetat;  1082  W.  dem  ist  alsü,  bs.  dem  ist 
si  also;  x  161   W.  geduldige,  hs.  geduldiga  (Jellinghaus,  Zs.  I.  d. 


22  WAAG    GEDICHTE  DES  XI  UND  XII  JHS. 

phil.  15,355);  260  W.  kunigin,  hs.  kuningin;  xi  76  W.  gerne, 
hs.  uil  gerne;  xn  245  W.  arme,  hs.  w«7  arme;  xv  68  W.  du  bist 
der  cederboum,  hs.  du  bist  sam  d.  c.  —  aus  diesen  proben  geht 
zur  genüge  hervor,  dass  die  ausgäbe  auf  genauigkeit  in  keiner 
weise  anspruch  erheben  darf,  wer  sie  zu  benutzen  gedenkt, 
muss  unbedingt  die  alten  textabdrücke  daneben  zu  rate  ziehen. 
Mit  der  ä'nderung  aus  inhaltlichen  gründen,  dem  zweiten 
puncte  seines  programmes,  hat  sich  der  herausgeber  in  merk- 
würdiger weise  abgefunden,  er  folgt  nämlich  aufs  ängstlichste 
seinen  Vorgängern,  haben  diese  an  einer  stelle  keinen  austofs 
gefunden,  so  setzt  sie  der  herausgeber  in  seinen  text;  haben 
sie  jedoch  einer  corruptel  durch  conjectur  abzuhelfen  gesucht, 
so  kann  man  sicher  sein,  in  W.s  ausgäbe  dieselbe  conjectur  an- 
zutreffen, wenn  auch  ihre  Unzulänglichkeit  auf  der  band  liegt. 
bei  dieser  Unselbständigkeit  W.s  ist  es  erklärlich,  dass  die  texte 
der  gedichte,  die  in  MSD  bereits  kritisch  bearbeitet  vorliegen, 
die  gelungensten  in  der  neuen  ausgäbe  sind,  im  einzelnen 
bleibt  freilich  auch  bei  ihnen  manches  zu  erinnern,  so  ist  nicht 
zu  ersehen,  warum  der  herausgeber  Ezzol.  123  sin  lieht  tilgte.  — 
Summa  61  muste  der  hsl.  text  ziri  herrin  si  sich  gihabitin  un- 
geändert  bleiben,  da  die  änderung  der  Dkm.  habilin  aus  metri- 
schen ervvägungen  erfolgte,  denen  der  herausgeber  die  berech- 
tigung  abspricht.  —  auch  85  f  bedarf  die  Überlieferung  keiner 
besserung.  die  hs.  hat:  Von  unsir  herrin  gischepphidi  gab  er  uns 
misilichi  crefti.  die  Dkm.  ändern  in  Von  dir  errin,  W.  Von  sinir 
errin.  nach  meiner  auffassung  ist  von  causal  zu  fassen:  'weil 
wir  als  edlere  geschaffen  wurden,  vereinigte  gott  die  auf  die 
anderen  Schöpfungen  verteilten  kräfte  in  uns.'  das  schliefst  sich 
trefflich  an  die  vorhergehende  str.,  in  der  von  der  erhabenen 
Stellung  des  menschen  gegenüber  der  natur  gesprochen  wird.  — 
158  war  mit  vleischis  brodi  zu  belassen;  W.  schreibt  mit  des  vi. 
br.  auch  263  ist  die  hsl.  Überlieferung  alsiz  imo  gizemi  untadel- 
haft;  W.  streicht  iz.  im  Lob  Salom.  167  führt  die  Schreibung 
der  hs.  di  scuzzilin  vn  di  nepphi  auf  vnd  di  n.;  so  auch  die  Dkm.; 
W.  undi  n.  da  in  allen  drei  fällen  die  angäbe  der  hsl.  la.  fehlt, 
handelt  es  sich  vielleicht  nur  um  fiüchtigkeitsfehler.  —  im  Na- 
buchodonosor  2  bleibt  W.  bei  der  Überlieferung  do  wilt  er  aller  dirri 
werihi.  was  das  dirri  bei  dieser  auffassung  zu  besagen  hat,  ist 
nicht  zu  ersehen,  ebenso  wenig  was  für  werih  (doch  wol  =  werch) 
gemeint  sind,  die  besserung  werldi  (MSD)  ist  evident.  —  auch  56 
scheint  uns  W.  mit  unrecht  bei  der  hs.  geblieben  zu  sein,  denn 
v.  51—56  sind  =  v.  127—132.  132  aber  heifst  es :  'dinü  (so !)  ab- 
got  sint  ein  drugidinc'  es  ist  schon  danach  unwahrscheinlich, 
dass  in  v.  56  ursprünglich  'ungihuiri  ein  dr.'  gestanden  sei.  zu- 
dem können  wir  aber  noch  erraten,  warum  der  schreiber  ungi- 
huiri  hinzugefügt  hat:  er  hatte  noch  50  'dinü  abgot  sint  ungi- 
huirf  im  Gedächtnis.  —  im  Paternoster  226    hätte  auf  Rüdigers 


WAAG    GEDICHTE  DES  XI  Ui\D  XII  JHS.  23 

(Zs.  33,  423)  ergänzung  dö  virlös  er  unsich  hingewiesen  werden 
sollen,  der  grammatische  fehler  verderbte,  den  W.,  angeblich 
nach  MSD,  in  den  text  setzt,  fällt  natürlich  nicht  Scherer 
zur  last. 

Die  bisher  besprochenen  texte  sind  bei  W.  immerhin  lesbar, 
von  den  nun  folgenden  (vi — xn)  kann  ich  das  nicht  zugeben, 
ich  enthalte  mich  aber  gerne  jedes  weiteren  Urteils  und  lasse 
die  tatsachen  reden. 

vii.  Himmlisches  Jerusalem  132  ff  wird  vom  Jaspis  erzählt, 
dass  er  grün  wie  gras  sei;  'der  tiuvel  dannen  flühet'  (138),  sowie 
er  ihn  erblickt,  dann  folgt  die  ausdeutung:  der  grüne  stein 
sei  der  glaube,  wenn  wir  den  besitzen,  'so  lige  wir  zunteriste 
an  der  gerunt feste  unte  bezechenen  den  Jospin.'  nun  (156  ff)  fährt 
das  gedieht  nach  der  Überlieferung  fort:  Er  fluhet  sam  man  in 
berune.  gerune  bir  wir  denne.  swer  so  geloben  nine  hat.  der  ist 
dürre  unde  thot.  der  tiunel  in  nine  midet.  wante  er  den  geloben 
nidet.'  soviel  ist  auf  den  ersten  blick  klar,  dass  156  nur  auf  den 
teufel  gehen  kann,  das  ergibt  sich  aus  138  wie  aus  160.  daraus 
muss  geschlossen  werden,  dass  die  waise  155  keine  vom  dichter 
beabsichtigte  ist  (auch  W.  meint  in  der  anm.  'vielleicht  ist  ein  vers 
ausgefallen'),  was  schlägt  nun  W.  in  bezug  auf  das  berune  vor?  er 
meint  'brüne,  braun  macht?'  fürwahr  ein  treffliches  bild:  der  teufel 
flieht  als  ob  man  ihn  braun  machte!  mit  dem  grünen  Jaspis!  natürlich 
ist  'sam  man  in  beretme'  (=  brenne,  vgl.  124  perinne)  zu  lesen.  — 
259 ff  ist  vom  sardouix  die  rede,  er  hat  dreierlei  färben:  unten 
schwarz,  in  der  mitte  weifs,  oben  rot.  die  hs.  fährt  nun  fort  (267  ff): 
Nu  bezaihint  diu  riareue  rot.  suver  lidit  marter  unt  not.  durch 
diu  gotes  minne.  diu  wize  darinne.  dem  lutter  ist  sin  herce. 
dem  müth  tu  fu  werce.  pezeichenet  ane  zuiuel  (waise)  usw.  YV. 
nimmt  zur  bessern ng  von  272  f  den  Vorschlag  üiemers  auf  und 
schreibt:  der  mut  üfwerze.  daz  er  suwarz  ist  so  daz  gelas,  (ze  wäre 
sagen  ick  iu  daz),  unseren  viant  den  tivel pezeichenet  ane  zwivel  usw. 
ein  adj.  oder  adv.  üfwerce  ist  natürlich  undenkbar;  vgl.  179  üfwerde: 
erde,  aber  auch  die  ergänzuugen  können  nicht  befriedigen  (ich  sehe 
davon  ab,  dass  es  etwas  gewagt  ist,  gleich  3  zeilen  zu  ergänzen), 
denn  nach  Marbods  deutung  geht  die  schwarze  färbe  nicht  auf  den 
teufel,  sondern  auf  die  sünder.  wie  man  272  zu  lesen  hat,  ist  klar: 
fu  werce  =  fuwerce;  vgl.  im  selben  gedichte  (wir  citieren  hier 
nach  Diem.,  weil  W.  dgl.  öfter  nicht  anmerkt)  uf  st.  uf  363,  3 
und  fu  uuer  st.  fuuuer  365,24;  htu  =  diu.  wir  dürfen  da- 
nach etwa  schreiben:  den  (st.  dem,  wie  367,  26  dem  man  accus.) 
mut  diu  suwerce  pezeichenet  ane  zwivel,  (der  stdt  uf  den  tiuvel).  — 
395  11'  heifst  es:  ddmite  zaichenet  er  dt,  di  sich  ferwandelent  hi 
in  aller  selahte  veraisen.  vil  dicke  näh  ten  waisen  den  armen  ist 
er  mute,  den  guten  gehente  usw.  es  scheint  unzweifelhaft,  dass 
hier  der  Schreiber  ein  wisen  oder  weisen  in  waisen  (orphanus) 
änderte,    wenn    man  den  commenlar    des  Marbod    zu  rate  zieht: 


24  WAAG    GEDICHTE  l»ES  XI  UND  XII  JUS.    . 

'significat  eos  qui  cum  sapientibus  sensu  contendunt';  es  ist 
also  näh  ten  wisen  ==  sapieutium  modo;  daher  ist  der  puoct  397 
hinter  veraisen  zu  streichen  und  398  hinter  waisen  zu  setzen.  — 
eine  weitere  schlecht  überlieferte  stelle  ist  438  f.  nachdem  vorher 
berichtet  wurde,  dass  die  Stadt  Jerusalem  gleich  hoch,  weit  und 
lang  sei,  folgt  in  der  hs.  bezaihenet  ist  uns  dabi  der  uur  steun 
wente  doch  tri.  W.  setzt,  Diemer  folgend  'der  vir  stainwente 
doch  tri'  in  den  text.  dass  dies  nicht  richtig  sein  kanu,  war 
doch  nicht  so  schwer  zu  erkennen;  erstens  ist  nicht  von  4, 
sondern  von  3  dimensionen  (und  in  der  folge  tugendeu)  die  rede, 
und  zweitens  kann  man  hohe,  weite  und  länge  doch  nicht  als 
3  wände  bezeichnen!  wir  schlagen  daher  vor  zu  lesen: 

uursteu  n  wente 
der  tiursten  tugente  doch  tri.  —  ganz  unklar  sind  die  vv.  450  ff; 
darüber  s.  u.  s.  33.  —  458  ff  hat  VV.  ganz  falsch  aufgefasst;  er 
schreibt:  der  eine  (sc.wec)  ist  brait  untwit,  offen  stdt  er  en  alle  zit, 
er  trau  inch  in  di  helle,  ime  volge,  der  der  welle;  der  ander  enge 
unt  semal,  er  wiset  iuch  inne  den  sal  der  sorge  unt  al  des  iu  hi 
ze  laide  gescah.  sön  darf  inch  daz  ungemach  nimer  geriuwen,  daz 
ir  hie  habet  en  triuwen  erliten  durch  di  gotes  e.  so  ist  ave  den 
vile  we,  di  de  helle  müzen  büweii.  wie  der  gegeusatz  von  v.  463 
(er  wiset  iuch  inne  den  sal)  zu  den  vv.  460  (er  trait  iuch  in  di 
helle)  uud  469  f  (so  ist  ave  den  vile  we,  di  de  helle  müzen  biiwen), 
lerner  die  hier  angezogene  bibelstelle  uam.  beweist,  kann  unter 
sal  nur  das  himmelreich  gemeint  sein;  vgl.  über  diese  Vorstel- 
lung MSD  zu  xliv  2,  10.  zudem  hängt,  wenn  man  mit  VV.  einen 
sal  der  sorge  annimmt,  das  folgende  unt  al  usw.  ganz  in  der 
iut't.  es  ist  daher  nach  463  (inne  den  sal)  stark  zu  inter- 
pungieren  und  464  diu  sorge  zu  lesen,  der  sinn  ist:  'dann  wird 
euch  das  erlittene  ungemach,  nämlich  die  sorge  und  alles  andere, 
das  euch  hier  auf  erdeu  zustiefs,  nicht  mehr  anfechten.'  viel- 
leicht kann  übrigens  das  hsl.  der  sorge  auch  bestehen  bleiben, 
es  hienge  dann  von  ungemach  ab.  —  im  auschluss  an  die  obige 
stelle  fährt  die  hs.  fort:  'des  inscule  wir  gote  getruen.'  aufser 
dem  herausgeber  wird  kaum  jemand  die  negation  in-  bei- 
behalten. 

Im  gedichte  'Vom  rechte'  (viii)  heifst  es  40  f  mannechlich 
sinem  vriunde  gestdt,  als  er  in  geminnet  hat.  dieser  satz  kann 
unmöglich  als  eine  ausiührung  über  Pflichtverletzung  betrachtet 
werden,  eine  solche  ist  aber  hier  zu  erwarten;  denn  nach  der 
aufzählung  der  drei  pflichten,  wahr,  gerecht  und  treu  zu  sein, 
folgt  eine  allgemeine  bemerkung,  dass  dieselben  leider  selten  ge- 
übt  würden  (34  —  39).  im  anschluss  daran  wird  42  f  die  lüge, 
44  ff  die  Ungerechtigkeit  besprochen,  wir  müssen  also  in  40  1 
eine  besprechung  der  untreue  erwarten,  diesen  inhalt  bekommen 
die  verse  sofort,  wenn  wir  maneger  statt  mannechlich  lesen  (die 
änderung  war  durch  v.  38  veranlasst)  und  nach  vriunde  ein  niht  ein- 


WAAG    GEDICHTE  DES  XI   UND  XII  JHS.  25 

setzen:  'viele  steho  ihren  freunden  nicht  in  dem  mafse  hei,  wie 
es  der  liebe  dieser  (er  bezieht  sich  auf  vriunde)  entspräche.'  —  auch 
268  f  sind  unbefriedigend  überliefert:  Swd  diu  luge  in  dem  dorfe 
gdt,  daz  ze  dem  vrumen  si  bestdt,  wil  er  minnen  daz  reht,  er 
heizzet  steigen  sinen  chneht  usw.  es  ist  269  zu  lesen:  dd  ze 
und  nach  bestdt  stärker  zu  interpungieren.  der  Schreiber  hat 
übrigens  wol  dd  ze  gemeint;  denn  er  schreibt  auch  sonst  duzze, 
vgl.  Gen.  D.  5,8;  auch  Hochz.  1081  ist  dazze  so  zu  fassen  (vgl. 
datze  Ddvidis  hüse  Fundgr.  i  145).  —  308  wärmt  W.  sehr  mit 
unrecht  eine  conjeetur  Karajans  auf,  abermals  obne  die  hsl.  la. 
anzugeben!  die  hs.  überliefert:  uil  ist  des  mich  wnderot,  daz 
sich  der  hunt  arch  man  niht  uerdenchen  chan.  Kar.  conjiciert 
chunt ;  chunt  heifst  aber  nie  'verständig,  schlau',  sondern  immer 
'bekannt',  die  stelle  ist  schwierig  zu  bessern,  vielleicht  darf 
man  tump  lesen,  dann  erhält  man  etwa  folgenden  sinn:  'es 
wundert  mich  sehr,  dass  der  geizige,  wenn  er  auch  nur  ein  leie 
ist,  nicht  erwägen  kann  (es  folgt  nun  in  directer  rede):  'diu 
erge  daz  ist  schaute,  diu  ist  lastir  und  sunte.'  ähnlich  ist  Hochz. 
667  ff  die  beichte  des  Sünders  in  directer  rede  widergegeben.  — 
ganz  überflüssiger  weise  wird  418  'Der  ist  der  zweir  meist er,  daz 
sol  sin  der  briestir',  Der  in  Wer  geändert;  ebenso  499.  und  beidemal 
rührt  diese  äuderung  obendrein  von  Scherer  QF  vn,  10.  11  her, 
ohne  dass  dessen  name  genannt  wird!  —  443  war  nach  Bechs  vor- 
schlage (Germ.  8,  480)  mite  zu  ergänzen.  —  451  erg.  nach 
Scherer  man,  nicht  mare.  —  465  war  das  hsl.  ueruaren,  das  nur 
intrans.  gebraucht  wird,  in  ervaren  zu  ändern;  vgl.  481. 

Besonders  schlimm  steht  es  mit  der  W.schen  ausgäbe  des 
nun  folgenden  gedichtes,  der 'Hochzeit',  bekanntlich  bat  die  Über- 
lieferung dieses  denkmals  sehr  stark  unter  der  vermoderung  der  hs. 
gelitten,  dadurch  werden  viele  ergänzungen  nötig,  die  Karajan 
denn  auch  meist  vorgenommen  hat.  es  ist  nur  begreiflich,  dass 
manche  dieser  ergänzungen  sich  heute  (das  buch  ist  1846  er- 
schienen) als  unbaltbar  herausstellen,  man  durfte  also  gerade 
hier  erwarten ,  ein  neuerer  herausgeber  würde  manches  zu  ändern 
haben.  W.  nimmt  jedoch  auch  liier  überall  die  alten  vorschlage  Kara- 
jans auf.     das  nötigt  uns,   auf  dies  gedieht  etwas  näher  eiozugehn. 

141  ff  beifsl  <js  viuii  gerechten:  der  mach  vröliclten  varen 
in  des  harren  Abrahamen  baren:  dd  wirt  im  leben  ver(hei)zzen, 
des  w(irt)  er  niht  bestözzen.  in  Abrahams  schofse  erhält  aber  der 
gerechte  das  ewige  leben,  verheifsen  wird  es  ihm  schon  früher. 
dabei  i>t  'verldzzen'  zu  ergänzen  (vgl.  946  1'  ldzzen:gestdzzen).  — 
267  ist  nicht  michil  hereschare  zu  schreiben  (man  zieht  nicht 
mit  einem  beere  zu  einer  so  friedlichen  brautwerbung),  sondern  m. 
hereschare.  —  271  11'  lauten  nach  der  bs.  do  nam  er  under  der 
menegin,  die  allertiurist  sohle  sin,  diu  heristen  litte  usw.  W. 
schreibt  272  diu  und  273  die.  es  ist  aber  klar,  dass  es  darauf 
ankommt,   dass  die  ausgewählten  die  'allertiuristen'  seien;  daher 


26  WAAG    GEDICHTE  DES  XI  UND  XII  JUS. 

ist  272  die  zu  belassen  und  solde  in  solden  zu  ändern,  'da  nahm 
er  aus  der  menge  diejenigen ,  die  am  tüchtigsten  wären ,  die 
hehrsten  leute'  usw.  (vgl.  383  f).  —  279  ff  lauten  bei  W.:  dö 
dem  loirte  diu  botschaft  dö  wart  gesaget,  dö  Ute  er  gerwen  die 
maget:  er  badet  si  mit  vlizze.  in  gewaete  daz  wizze  mit  porten 
behängen,  mit  guldinen  spangen,  die  guldinen  wiere  fuor  (hs. 
für)  die  maget  here.  der  satz  282  ff  hat,  wie  man  sieht, 
kein  subj.,  anderer  Sonderbarkeiten  zu  schweigen.  die  ein- 
fachste besserung  scheint  uns  die  änderung  von  badet  in  watet 
und  von  für  die  286  in  fürt  diu.  dann  fällt  natürlich  die  inter- 
punction  nach  281  (vlizze)  fort,  während  nach  284  (spangen)  ein 
semicolon  zu  setzen  ist.1  es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  diese 
änderung  des  ursprünglichen  waten  in  baden  eine  halbwegs  ab- 
sichtliche war.  so  wird  dieses  wort  in  der  Gen.  W.  59,  33  und 
61,  13  gebraucht,  während  die  Milst.  hs.  einmal  in  'gechleiden 
und  geben',  im  zweiten  falle  auf  audere  weise  ändert,  im  Leb. 
Jes.  Diemer  260,  8  (Piper  v.  1567  f)  heifst  es:  Dö  wdten  si  den 
guoten  in  einen  phellel  röten;  die  jüngere  Görl.  hs.  ändert:  Dö 
vazten  si.  der  Oberaltacher  cod.,  Roth  (Pred.  56,  35)  setzt  padet 
st.  watet  ein  (der  inlaut  verbietet,  an  den  Wechsel  zwischen  b 
resp.  p  und  w  zu  denken),  ist  der  grund  zu  diesen  änderuugen 
im  veralten  des  wortes  zu  finden?  jedesfalls  kann  das  nur  für  ein 
beschränktes  gebiet  zugegeben  werden;  denn  es  ist  andererseits 
sehr  häufig,  vgl.  Hohesl.  (ed.  Haupt)  80,  12.  14;  MSD  77,  20;  94, 
26;  86,  4,  20;  43,13,4;  Zs.  33,  56;  Adelbr.  54;  Vaterunser  50; 
Glaub.  1361;  3084;  Schönbach,  Pred.  i  125,  13.  15;  359,  39; 
181,  19  hs.  a;  n  8,  35;  112,  13;  160,  3.  9.  19;  Hochz.  492  (be- 
wußten). 

In  287  f  fehlt  nach  Karaj.  und  W.  das  obj.  zu  enphiench;  die 
richtige  ergänzung  war  schon  iu  Löbuers  dissertation  s.  42  anm. 
zu  finden,  wo  als  ergänzung  Scherers  unde  si  d(en  he)rr(en)  en- 
phiench angeführt  ist.  —  290  (man  gesach)  nie  so  herliches  niht 
Karaj.  uud  W.;  wahrscheinlicher  ist  nach  analogie  vou  207  und 
469  (iane  wcere  oder  wart).  —  ganz  unverständlich  ist  bei  VV.  die 
stelle  322  ff:  da  was  diu  beste  Wirtschaft,  die  der  ie  dehein  man 
ze  sinen  broutlouften  gewan,  wände  si  die  nuzzen,  die  ir  e  nine 
enbizzen.  wird  si  die  umgestellt  und  e  nine  in  ewich  geändert, 
so  erhält  das  in  322  ausgesprochene  urteil  seine  begründung. 
derselbe  grund  wird  1066  ff  dafür  angeführt,  warum  diese  hochzeit 
die   hehrste   sei.  — ;  423  ff  lässt  W.  uach  Karaj. s  beispiel   uner- 

gänzt.     die  stelle  lautet:    Westent  choment  die  unde sich 

becherent  schöne,  die  helfent  riuten  den  erren  mietliuten  usw. 
Heinzel  schlägt  vor  zu  ergänzen:  'die  under  nöne'  usw.  diese 
ergänzung  ist   zweifellos  richtig,     das  ergibt  sich  zb.  aus  Bruno 

1  man  wende  nicht  ein,  dass  608  ff  die  frühere  erwähnung  des  bades 
voraussetzen;  diese  verse  sind,  wie  ich  an  anderer  stelle  zu  erweisen 
hoffe,  später  hinzugekommen. 


WAAG    GEDICHTE  DES  XI  UND  XII  JHS.  27 

von  Asti  Homil.  xxn  Domin.  in  Septuages.  (Migne  165,  770):  'in- 
trant  autem  per  portas  australes  (I.  et  occidentales)  jiwenes  et  senes 
qui  sexta  et  nona  hora  in  vinea  Domini  laborare  coeperunt.'  — 
433  f:  so  gdhe(nt  si  drdte)  zuo  der  himelischen  porte.  zweifellos 
ist  harte  st.  drdte  zu  ergänzen ,  denn  harte  gdhen  ist  gewisser- 
mafseu  stehende  Verbindung,  vgl.  Scherer  QF  vn  53  und  die 
wbb. ;  porte -.harte  441.  455.  —  529  ist  '(mit  dem)e  schulen  wir 
uns  begdn'  zu  ergänzen,  nicht  '(an  dem)e'.  —  geradezu  trostlos 
ist  es,  den  Schreibfehler  der  hs.  funkit  st.  funkit  601  auch  bei 
W.  wider  anzutreffen.  —  über  607  wollen  wir  bei  anderer  ge- 
legenheit  sprechen.  —  611  ff:  so  der  man  gevalle  (unde  h)ie 
twelle,  er  schol  im  einen  hdn  erkoren,  der  obenan  si  beschoren  usw. 
der  sinn  verlangt  das  gegenteil  zu  ergänzen,  also  etwa  (nine  er  hie) 
twelle.  —  623  ist  wegen  des  überlieferten  Miede  der  gen.  plur.  bihte 
wahrscheinlicher  als  Karajans  bihten.  —  629  ff  wird  von  der  schlechte- 
sten beichte  gesprochen,  das  ist  diejenige,  wo  der  Sünder  gar  welt- 
lich lebt ,  unz  er  daz  guot  geniuzzet  unde  den  lip  vervlizzet  (so  die 
hs.).  W.  nimmt  (mit  Lexer)  ein  trans.  verbum  vervliezzen  an  und 
setzt  dieses  in  den  text.  man  wird,  wie  mir  Heinzel  freundlichst 
mitteilte,  uerslizzet  zu  lesen  haben  (u  <C  f  <i  f).  den  um- 
gekehrten fehler  f  <C  f  hatten  wir  soeben  bei  funkit  st.  funkit 
601.  —  653  ff  lässt  W.  die  lücken  unergänzt.  die  hs.  schreibt 
(mit  Karaj.s  ergänzungen):  ich  wmne,  daz  ist  der  w(ille  so  der 
sine)  sele  bevelle,  so  scheidet  sele  unde  lip.  man  wird  etwa  er- 
gänzen dürfen:  (daz  er  sine)  s.  b.  —  689  hat  schon  Diemer  im 
wb.  zu  Gen.  und  Exod.  mit  valtundir  hende  für  das  sinnlose 
mit  waltundir  hende  vermutet.  —  auch  697  ff  folgt  W.  widerum 
mit  unrecht  Karaj.  die  verse  lauten :  diu  bihte  ist  guldin :  daz 
Idt  (die  guldin  spangejn  sin,  die  diu  brout  an  ir  hcete  also 
(hangende  an  ir  wce)te.  Daz  golt  vil  ziere  daz  be(zeichent  ir  sele), 
die  lühte  also  he're  usw.  nach  analogie  von  625  ff:  'einiu  (sc.  bihte) 
heizzet  silberin :  daz  Idt  die  bezzeron  sin.  diu  dritte  ist  guldin :  daz 
Idt  die  heristen  sin  (vgl.  659  'diu  bihte  diu  ist  chuphirin,  daz  Idt  die 
bösisten  sin'  und  683  'diu  bihte  ist  silberin,  daz  Idt  die  bezzeron 
sin')  wird  es  698  heifsen  müssen:  'daz  Idt  die  heristen  sin.' 
mehr  lässt  auch  der  räum  nicht  zu.  das  folgende  mag  man 
etwa  so  herstellen:  'die  diu  brout  an  ir  hcete,  also  geziert  wären 
ir  wmteidaz  golt  vil  ziere  daz  bezeichent  zewdre  die  bihte1  also 
here  (die  drei  letzten  verse  nach  Scherer),  die  auf  diese  weise 
entstehende  vorausstelluug  des  relativsatzes  699  hat  ihre  ent- 
sprechung  zb.  21  f  siu  spannet  für  ir  brüste,  daz  ist  geworht 
mit  listen,    ain   guldin  gewiere   oder    148    in  dem   mceren  mere- 

['  die  bilde  (nicht  luhte)  steht  tatsächlich  in  der  hs.  und  der  räum 
vorher  lässt  weiter  nichts  als  die  ergänzung  be(zeichent)  zu,  sodass  also 
der  dreireim,  den  Kar.,  W.  und  in  anderer  form  mit  Scherer  auch  der 
hr  recensent  annehmen,  räumlich  ausgeschlossen  ist;  die  zeile  lautet:  daz 
bezeichent  die  bilde  also  here.       Seil.] 


28  WAAG    GEDICHTE  DES  XI  UND  XII  JHS. 

(/arten  stdt,  daz  in  daz  apgrunde  gdt,  ein  vil  hoch  gebirge;  vgl. 
183  11'.  dass  die  hs.  701  einen  grofsen  anfangsbuchstaben  setzt, 
braucht  uns  nicht  zu  beirren ;  vgl.  Vnde  585.  jedesfalls  aber 
muste  W.,  wenn  er  bei  dem  hsl.  luhte  blieb,  das  vorhergehende 
die  in  diu  ändern.  —  ebenso  unrichtig  ist  es,  dass  der  kämpf, 
von  dem  747  gesprochen  wird,  'dicke  ergdt' ;  man  wird  etwa 
schiere  zergdt  zu  ergänzen  haben.  —  790  ist  die  unrichtige 
änderung  Karaj.s  dem  st.  den  aufgenommen.  —  824 — 831  lauten 
bei  W.:  da  tet  got  als  ein  vogil  tuot,  der  i(st  also)  gemuot:  so  er 
sin  jungide  gebirt  u(nde  daz  tötjlich  wirt,  hoi  wie  leide  im  danne 
ges(chihet),  swenne  er  ez  also  swarzziz  gesihet!  selb(e  git  er) 
im  den  tot,  des  chutnet  er  in  michil  n(öt).  wie  jeder  sieht, 
stirbt  bei  dieser  fassung  das  junge  zweimal  (827  und  830); 
was  swarzziz  heifsen  soll,  ist  unverständlich  und  warum  der 
vogel  sein  junges  tötet,  bleibt  uns  auch  verborgen,  in  den 
meisten  mir  bekannten  lat.  darstelluugen  dieser  geschichte  wird 
berichtet,  dass  das  junge  den  alten  vogel  ins  gesicht  geschlagen 
habe,  oder  es  wird  im  allgemeinen  gesagt,  es  habe  sich  un- 
ehrerbietig benommen  ua.  das  habe  den  anlass  zur  tötuug 
desselben  ergeben,  der  alte  vogel  betrauert  (meist  3  tage  hin- 
durch) sein  junges,  dann  erweckt  er  es  wider,  danach  wird 
827  etwa  böslich  st.  tätlich  zu  ergänzen  und  829  swceriz  (==  lästig) 
st.  swarzziz  zu  conjicieren  sein,  schlief slich  sei  bemerkt,  dass 
die  wendung  einem  den  tot  geben  kaum  mhd.  ist.  man  wird 
besser  tun,  selbe  tuot  er  im  d.  t.  zu  schreiben.  —  ganz  unver- 
ständlich sind  ferner  die  verse  846  ff:  also  tet  got  der  riche  uns  allen 
geliche,  dö  er  des  ze  dem  geddhte,  daz  er  uns  ze  dem  Hellte  brdhte. 
wahrscheinlich  las  der  Schreiber  zu  der  vorläge  als  zed  und  schrieb 
nach  dem  folgenden  verse  abirrend  ze  dem.  es  wird  sich  empfehlen 
zu  uns  zu  lesen,  vgl.  Parz.  695,  12.  —  864  f  dürfte  dem  unklaren 
'dö  ne  habet  (uns  der  herre) ,  dö  ne  ruohte  er  unsir  mere'  'dö  ne 
habet(en  wir  die  erej  vorzuziehen  sein.  —  870  ff  lässt  W.  un- 
ergänzt.  man  wird  etwa  unde  ouch  der  arme  ubirgdt  (des  riehen 
guot)en  rat  erwarten  dürfen,  das  unde  ist  condicional  zu  fassen; 
ouch,  nämlich  wie  Adam  (beispiele  für  condicion.  und  mit  der 
Stellung  des  hauplsatzes  bei  Jellinek,  Hero  und  Leander  s.  83).  — 
warum  nach  880  das  alle  geliche  der  hs.  nicht  in  den  text  ge- 
setzt wurde,  begreife  ich  nicht.  Karaj.s  worte  'ein  mülsiger  und 
störender  zusatz'  sind  hierfür  doch  keine  genügende  motivierung. 
waisen  finden  sich  auch  sonst  im  gedichte;  vgl.  459.  504.  524. 
531.  550.  610.  1023;  alle  geliche  kommt  auch  436  vor.  —  910  f 
schreibt  W.  nach  Karaj.  bei  Schilderung  des  einzuges  Christi 
in  Jerusalem:  manich  wip  unde  man  sac(h  dö  den  md)ren. 
die  hs.  lässt  jedoch  noch  deutlich  san  erkennen,  es  ist  daher 
san(ch  dö  dem  mdren)  zu  vermuten,  den  begrüfsungsgesang  der 
leute  hebt  nach  der  bibel  schon  Otfrid  hervor  iv  4,  5;  vgl.  auch 
Kehr.  D.  296,  23  si  sungen  ingegen  im  gewis.  —  die  ergänzung 


VVAAG    GEDICHTE  DES  XI  UND  XII  JHS.  29 

zu  945  hat  schon  Diemer  (glossar  zu  Gen.  und  Exod.)  gemacht.  — 
982  wird  dem  mhd.  nach  Karaj.s  und  W.s  ergänzung  die  con- 
struction  an  gdn  c.  dat.  zugemutet,  man  ergänze  etwa  (dö  got 
die  not)  der  martir  an  giench.  —  983  ergänze  st.  dd  er  uns  (ze 
sinen  handen)  geviench  vielmehr  (ze  sinen  gnaden)  geviench.  — 
986  war  für  den  fehler  der  hs.  in  vil  maneger  ende  nicht,  wie 
VV.  es  tut,  in  vil  manegem  ende,  sondern  in  vil  manegen  ende 
zu  schreiben  (vgl.  Grimm  Gr.  in2  153).  —  1024  f  ze  dem  all- 
ersten  man,  den  er  (schephen  bejgan.  Dach  857  wird  besser 
bilden  began  ergänzt.  —  ganz  verunglückt  sind  Karaj.s  und  dem- 
gemäfs  auch  W.s  versuche,  die  lücken  1080  ff  sinngemäfs  aus- 
zufüllen, sie  schreiben:  (diu  brout)  daz  reht  begdt,  daz  ze  den 
selb(en  ziten  bejstdt.  dem  ist  si  (W.  lässt  si  aus)  also  edil  unde 
also  (here,  also  dem)  alle'rsten  zwdre.  wenn  VV.  diese  stelle  zu 
erklären  wüste,  so  hätte  er  gut  getan,  dies  in  einer  anm.  aus- 
einander zu  setzen,  ich  wenigstens  weifs  mit  dem  obigen  nichts 
anzufangen  unrl  schlage  daher  vor  zu  ergänzen:  swer  daz  reht 
begdt,  dd  ze  (vgl.  oben  meine  bemerkung  zu  Recht  269)  den 
selben  ziten  bestdt;  dem  ist  si  (die  Wirtschaft  oder  broutlouft  106611) 
also  edil  usw. 

In  xi,  der  'Wahrheit',  erregen  aufser  44  ff,  wo  die  Verderbnis 
allerdings  ziemlich  tief  zu  liegen  scheint,  die  w.  108  IT  an- 
stofs.  nachdem  von  den  pfeilen  des  teufels  nach  bekanntem 
bibl.  muster l  gesprochen  wurde,  heifst  es,  man  möge  beim 
priester  heilung  suchen:  er  vindet  uns  die  Straten,  dd  wir 
mit  gescozen  wären,  belibet  si  dar  inne  ...  so  ne  kan  si  nimmer 
enhein  man  .  .  .  geheilan  usw.  da  das  belibet  si  dar  inne  den 
gegensatz  fordert,  dass  der  priester  den  pfeil  herauszieht,  so 
wird  st.  vindet  uns  etwa  ziuhet  ouz  zu  lesen  sein. 

Auch  in  der  ausgäbe  der  umfangreichen  'Vorauer  sünden- 
klage'  hat  W.  nirgends  veranlassung  gefunden,  von  der  Über- 
lieferung oder  Diemers  vorschlagen  abzugehen. 

Gleich  25  ff  wäre  letzteres  geboten  gewesen,  die  hs.  hat: 
zu  sinen  hui  den  hilf  du  mir  durch  willen  der  geburde  her  in 
dise  werlt  geborn  harte  vorhte  ich  sinen  zorn  usw.  W.  ergänzt 
nach  Diemers  Vorgang  daz  du  geborn  wurde  (nach  v.  325),  setzt 
nach  wurde  punct  und  bezieht  somit  den  folgenden  satz  auf  den 
Sünder,  dagegen  erheben  sich  mehrfache  bedenken,  die  syn- 
taclische  Stellung  von  v.  27  ist,  gelinde  gesagt,  sehr  auffallend. 
dazu  kommt  noch,  dass  die  wendung  her  in  dise  werlt  geborn 
später  136  f  vil  sdlich  du  dö  wurde  her  in  dise  werlt  geborn 
widerkehrt,  jedoch  nicht  mit  bezug  auf  den  sünder,  sondern  auf 
Maria,  es  wird  sich  daher  empfehlen,  unsere  stelle  nach  dieser 
zu   ergänzen    und   etwa    zu  schreiben:    durch  willen  der  geburde, 

1  vgl.  Heinzel  Anz.  f.  d.  a.  15,  188;  zu  den  daselbst  gegebenen  ags. 
belegen  kommt  noch  eine  stelle  aus  einem  Anglia  11,  103  z.  1  ff  veröffent- 
lichten  gebete. 


30  WAAG    GEDICHTE  DES  XI  UND  XII  JHS. 

daz  du  vil  sdlich  wurde  usw.  —  476  ff  dem  ich  wol  zu  sprach, 
ich  ne  verliez  iz  tue  durch  daz,  ich  ne  riete  ime  an  sine  gut.  W. 
kann  hier  doch  nur  au  güete  gedacht  hahen.  die  gute  des  be- 
schädigten kommt  jedoch  in  diesem  zusammenhange  gar  nicht  in 
betracht.  auch  ist  eine  derartige  apocope  (denn  klingenden  reim 
auf  stumpfen  gestattet  sich  der  dichter  niemals)  ganz  unerhört. 
es  war  daher  sine  in  sin  zu  ändern :  'wenn  ich  auch  freundlich 
zu  den  leuten  sprach,  trachtete  ich  doch,  sie  in  ihrem  besitze 
zu  schädigen.'  —  491  ff  bekennt  der  sünder,  er  habe  mit  jedem 
weibe  in  werken  oder  in  gedanken  gebuhlt,  die  hs.  fährt  fort 
(500  —  505):  da  mich  auer  iehtes  umbe  was,  vil  sciere  urvmet  ich 
daz,  daz  ich  alzoges  gut  wip  ze  leide  brahte  ir  lip  mit  unrehten 
mannen:  des  han  ich  uil  begangen,  ob  der  satz  500  richtig 
überliefert  ist ,  lasse  ich  dahingestellt,  geradezu  evident  aber 
ist  es,  dass  im  folgenden  etwas  nicht  in  Ordnung  ist.  hier  sind 
entweder  zwei  subjecte  oder  zwei  objecte.  durch  die  annähme, 
dass  der  Schreiber  ich  501  gegen  seine  vorläge  502  nochmals 
eingeführt  habe,  fügt  sich  alles  aufs  beste,  'weun  ich  selbst  aber 
keine  begierde  hatte,  so  wüste  ich  es  zu  machen,  dass  selbst 
eine  sittsame  frau  ihren  leib  mit  hurern  schändete.'  er  klagt 
sich  also  auch  der  kuppelei  an.  —  509  tf  ich  pflac  des  ie,  herre, 
daz  ich  ein  recher e  was :  der  mir  iht  getet  oder  gesprach,  ich  räch  halt 
andere  Hute  dinch.  an  dinen  werchen  was  ich  blint  usw.  so  W. 
dass  andere  nicht  ricbtig  sein  kann ,  ist  klar,  weun  man  be- 
denkt, dass  sich  der  dichter  hier  der  lanchrdche  anklagt,  wird 
man  vielleicht  der  änderung  von  dinch  in  chint  zustimmen,  dann 
ist  zu  schreiben  ich  räch  halt  an  dere  Hute  chint.1  'wenn  mir  die 
leute  durch  wort  oder  tat  etwas  zu  leide  taten,  rächte  ich  es  an 
den  kindern  derselben.'  wegen  der  ergänzung  des  objectes  ez 
vgl.  Lob  Salom.  81,  wo  freilich  VV.  ez  ganz  überflüssiger  weise 
einsetzt,  der  Übergang  von  der  auf  Hute  ist  allerdings  hart;  doch  vgl. 
Otfrid  ii  2,  14;  n  9,  36;  u  19,  16  f;  Schönb.  Pred.  u  106,  8  und 
die  verse  der  Hochzeit  714,  715,  die  W.  mit  unrecht  von  einander 
trennt.2  —  597  ff  ist  die  Überlieferung  gleichfalls  in  augenfälliger 
weise  unbefriedigend,  er  (sc.  der  teufel)  scol  die  selben  mite,  die 
er  mir  dd  wolde  geben,  vil  lange  ein  ubele  leben,  daz  ich  ir 
hie  verdienet  habe,  die  nim  du  mir  hie  abe  usw.  wie  zu  bessern 
war,  hätte  W.  aus  746  ff  ersehen  können  so  getane  we'wen  gibet 
er  (der  teufel)  ze  mite:  mir  wmre  lieber  daz  erz  ime  hete,  da- 
nach werden  wir  schreiben  vil  lange  im  ubele  haben,  daz  600  ist 
concessiv  zu  fassen  und  die  interpunction  entsprechend  zu 
ändern.  —  773  schreibt  W.  nach  der  hs.  Du  sögetdne  chamf- 
wdt,   herre,   niemen   ne   hat,    wane  deme  du   sie  geben  wil.      die 

1  nachweise   für   die  construction  von  rechen  an   c.  acc.  werden  ge- 
geben Mhd.  wb.  ii  1,  683b. 

2  weitaus    stärkere    inconcinnitäten   dieser   art   finden   sich    zb.  Otfrid 
h  5,  15;  Schönb.  Pred.n  61,37  f;  Credo  2530  ff;  2549  ff;  vdHagen  GA  42, 180 ff. 


WAAG    GEDICHTE  DES  XI  UIND  XIIJHS.  31 

besserung  Die  ergibt  sich  von  selbst.  —  805  ff  hat  W.  ich 
nehdn  necheine  craft  wider  die  mich  .  .  .  des  ewigen  riches  vil 
gerne  bestiezen.  ohne  lücke  fährt  W.  mit  der  hs.  fort  (810 — 817): 
ob  sie  diu  gotheit  von  himele  her  in  erde  treip  in  einer  armen 
magede  buch  zu  diu  daz  du  hülfest  uf  dem  der  da  gevallen  was. 
daz  du,  he'rre,  ie  daz  durch  vnsich  getete:  daz  riet  dir  din  gute  usw. 
wie  auch  W.  bemerkt,  ist  809  bestiezen  reimlos,  dass  hier 
eine  zeile  ausgefallen  ist,  ergibt  sich  daraus,  dass  der  folgende 
satz  ohne  jede  syntactische  beziehung  ist.  was  fehlt ,  ist  ganz 
gut  zu  erkennen,  etwa:  ich  wcen  du  daz  niht  lieze,  ob  dih  (st. 
hsl.  sie)  diu  gotheit  usw.  im  vorliegenden  falle  können  wir 
sogar  noch  nachweisen,  dass  der  blick  des  Schreibers  von  be- 
stieze  gleich  auf  lieze  abirrte;  denn  die  hs.  hat  bestieze.  nach 
was  814  ist  natürlich  ein  komma  zu  setzen,  nach  getete  816  ein 
punct. 

Hiermit  könnten  wir  die  erörteruug  über  die  art,  wie  W. 
den  zweiten  punct  seiner  principien  durchgeführt  hat,  schliefsen, 
wenn  nicht  noch  einige  fälle  zu  besprechen  wären ,  die  W.  un- 
beanstandet gelassen  hat,  trotzdem  sie  in  offenkundiger  weise  in 
grammatischer  hinsieht  anstöfsig  sind. 

So  behält  er  du  viole  im  Lob  Salom.  128  bei.  die  Dkm. 
änderten  in  di  viole.  wir  dächten,  die  berausgeber  hätten  sich  durch 
das  der  la.  beigesetzte  ' ahd.  phiala,  phialün'  über  die  notwendig- 
keit  dieser  änderung  klar  genug  ausgesprochen,  das  versehen  des 
Schreibers  ist  hier  zudem  ganz  erklärlich:  es  gehn  zwei  sub- 
stantiva  mit  dem  artikel  du  voraus,  drei  solche  folgen.  — 
ebenso  war  im  Nabuch.  57  di  heidini  st.  du  heidini  zu  schreiben, 
auch  hier  ist  die  art,  wie  der  fehler  entstand,  einleuchtend:  in 
der  nächsten  zeile  folgt  du  dru  kint.  vor  heidini  ist  dru  ge- 
strichen, der  Schreiber  ist  also  offenbar  in  die  nächste  zeile 
geraten,  hat  daun  sein  verseheu  bemerkt  und  nur  unvollständig 
gutgemacht.  —  im  Vaterunser  7  ist  diu  chint  st.  die  chint 
zu  schreiben,  Himml.  Jerus.  269  durch  die  .  .  .  minne,  nicht 
diu.  —  im  gedichte  'Vom  rechte'  367  war  sioelhe  so  welle  in 
swelher  so  welle  zu  ändern,  wenn  schon  nicht  aus  anderen  gründen, 
so  doch  wegen  v.  336,  der  swelher  so  welle  hat.  —  in  der 
Hochz.  703  muste  W.  nach  seiner  auffassung  der  stelle  die  in 
diu  ändern.  —  ebenso  wenig  geht  es  an,  einen  accus,  sg.  fem. 
diu  der  Milst.  hs.,  die  sonst  so  scharf  zwischen  die  und  diu 
scheidet,  zu  belassen,  wie  dies  W.  Hochz.  800  tut.  —  Vor. 
sündenkl.  385  war  werven  (3  pl.  indic.  prs.)  in  wervent  zu 
ändern. 

Schwerer  als  die  zuletzt  angefühlten  verseben,  die  immerhin 
in  der  flüchtigkeit  des  herausgebers  ihren  grund  haben  mögen, 
ist  es,  wenn  VV.  Nabuch.  216  im  ginin  stüch  in  den  texl  setzt, 
die  hs.  hat  stuchin.  dies  beizubehalten  verbietet  das  vorher- 
gehende reimwort  buch,    daher  änderten  die  Dkm«  in  sluch.    denn 


32  WA.VG    GEDICHTE  DES  XI   UND  XIIJHS. 

ein  slm.  stück  (W.s  anm.  zu  dieser  stelle)  ist  unbelegt.  —  den 
salz  Himrnl.  Jerus.  80  alliu  sin  tngente  erlischenl  hat  schon 
Schröder  (ULZ  aao.)  beleuchtet. 

Anderseits  hat  der  herausgeber  änderungen  an  der  hsl. 
Überlieferung  vorgenommen,  die  durch  nichts  geboten  waren, 
so  setzt  er  st.  'wärt'  (=  ez  enwazre)  'ni  warf  Nabuch.  94  und 
ändert  Vor.  sündenkl.  569  f  'daz  der  min  arme  geist  iht  verlorn 
werde'  iht  in  niht. 

Hierher  gehören  auch  die  fälle,  wo  W.  ganz  mit  unrecht 
das  pron.  pers.  ergänzen  zu  müssen  geglaubt  hat,  wie  Summa 
153;  Lob  Salom.  232;  Vom  rechte  318;  Vor.  sündenkl.  381; 
770.  schon  die  zahlreichen  belege,  die  bei  Diemer  Vor.  hs.  zu 
28,  7,  in  den  Dkm.  zu  47,  4,  93  und  bei  Kinzel  zu  Alex.  3520 
angeführt  sind,  hätten  W.  eines  besseren  belehren  können, 
weitere  fälle  sind  mit  bänden  zu  greifen;  vgl.  zb.  Hohesl.  (ed. 
Haupt)  42,  24;  54,  24;  102,  14;  127,  28;  Schönb.  Pred.  i  134, 
41 ;  Summa  D.  94,  16;  J.  Jud.  D.  141,  24;  156,  6;  Leben  Jesu 
D.  251,  14;  261,  15;  J.  gericht  D.  285,  6;  287,22;  289,  11; 
Aneg.  25,  38;  Lob  Salom.  D.  112,  19. 

Ebenso  war  den  hss.  in  folgenden  fällen  zu  folgen:  Nabuch. 
31  gulüti;  173  zasamini;  Himml.  Jerus.  198  puhuete;  430  gu- 
wisse;  Vom  rechte  374  goloube;  Vor.  sündenkl.  643  unphüre. 
W.  setzt  an  all  diesen  stellen  ge-  usw.  ein,  ungeachtet  der  be- 
lege in  MSD  zu  36,  3,  9  und  Beitr.  11,  288  ff ,  zu  denen  noch 
vorborgen  Zs.  4,  289  und  gobot  Schönb.  Pred.  ii  138,  21  zu 
stellen  ist. 

Der  dritte  punct  des  W.schen  programmes  gieng  dahin,  von 
den  hss.  aus  metrischen  oder  strophischen  gründen  nicht  ab- 
zuweichen, ref.  gesteht  gerne,  dass  er  darin  mit  W.  überein- 
stimmt, wofern  unter  dem  ausdruck  'metrisch'  der  reim  nicht 
inbegriffen  ist.  auch  W.  scheint  die  berechtigung,  aus  gründen 
des  reimes  änderungen  an  der  Überlieferung  vorzunehmen,  zu- 
zugeben, denn  er  hat  in  seinen  text  zb.  folgende  änderungen 
früherer  herausgeber  aufgenommen:  Ezzo  255  meititetun(:sun), 
hs.  meinteten;  Summa  3  dnwal(:al),  hs.  diuvil;  2hl  irbarmen 
(:armen),  hs.  irbarmin;  Lob  Salom.  68  vnllan  (:  gdn) ,  hs.  uulli; 
151  scöno  (:  Lybano),  hs.  sconi;  193  Salomonen  (:  scöni),  hs.  Sa- 
lomon;  257  gisen  (:  Hiersalem),  hs.  gisehin;  Nabuch.  85.  117 
Holofemi  (:  gerni),  hs.  holofem;  101  Olofemi  dö  giwan(:vreis- 
sam) ,  hs.  Uo  giwan  ol.;  114  irchämin  (:  wdrin) ,  hs.  irchomen; 
Hochz.  536  reinin  nach  Paul  (:sin),  hs.  reinen;  Arnst.  Marl.  38 
drehten  (icreften),  hs.  geist;  109  wertet  (:  vortet) ,  hs.  werlt;  St. 
Lambr.  Marienseq.  10  Maget  aller  maget  wunne  (:  sunne) ,  hs. 
lounne  fehlt;  21  prophetae  (:  e) ,  hs.  wissagen;  Marienseq.  aus 
Muri  18  here(:ere),  hs.  heru;  25  mdre  (:  gebäre) ,  hs.  mere.  — 
danach  waren  wir  zu  der  erwartung  berechtigt,  W.  würde  dieses 
verfahren  auch  auf  die  jjedichte   anwenden,    bei  denen  derartige 


WAAG    GEDICHTE  DES  XI  UND  XII  JHS.  33 

änderungen  von  den  früheren  herausgeben)  unterlassen  worden 
waren,  zumal  da  sich  einzelne  ansalze  hierzu  zeigen,  so  ändert 
er  Hochz.  3S8  creftichlichen  wegen  des  reimes:  riche  in  creftich- 
liche  und  Vor.  sündenkl.  112  durch  uaren(:gebom)  in  durchvarn. 
aber  auch  in  dieser  erwartung  werden  wir  getäuscht,  wir  wollen 
uns  mit  der  besprechung  von  reimen,  wie  stdn:  Jerusalem  Himm\. 
Jerus.  45  f  (die  hs.  hat  zb.  3.  187  sten);  uf getan :  haben  73  f; 
herist :  e'riste  130  f;  zif.wile  434  f;  drieibi  Vom  rechte  48  f; 
alle :  gevallet  36  f  (das  ged.  hat  sonst  kein  überschüssiges  t  im 
reime);  he'te  :  seite  Hochz.  375  f  (hexte  :  seite  schreibt  die  hs.  916); 
sun:triwen  Wahrh.  96  f;  man  :  missetrösten  112  f;  138  f;  sun  : 
herren  Vor.  sündenkl.  19  f  usw.  gar  nicht  weiter  aufhalten, 
sondern  nur  -einiges  erwähnen,  das  die  aufmerksamkeit  jedes 
Herausgebers  erregen  muste. 

Himml.  Jerus.  446  ff  lauten  bei  W.:  Nu  habent  ir  alle  wol 
vernomen,  wi  ir  in  di  burch  sculet  chomen  unt  ici  irs  ouch  muget 
verwerchen,  violtent  ir  daz  merchen.  swd  man  aine  gute  rede  tut 
dem  tumben  ummäre,  der  haizet  ime  singen  von  wertlichen  (hs. 
werltl.)  dingen  unt  von  der  degenhaite,  daz  endunchet  in  arbaite. 
wir  haben  noch  zuwaigere  icege  gewalt  usw.  hier  ist  nach  450 
offenbar  ausfall  zweier  Zeilen  anzunehmen.  einen  reim  tut: 
ummdre  gibt  es  nicht,  zudem  ist  nicht  zu  ersehen,  wie  die 
vv.  450  —  454  in  den  Zusammenhang  passen.1  —  Vom  rechte 
396  f  mit  rehtir  gemehelen  so  sol  si  sin  chone  sin  muss  gemehelin 
st.  gemehelen  gelesen  werden.  —  Hochz.  251  und  278  reimt 
VV.  entwdlte  resp.  entwdlten  auf  wolle  resp.  wollen,  vorzuziehen 
ist  die  annähme,  dass  hier  das  praet.  von  twellen  reimt.  — 
in  der  Wahrheit  168  f  belässt  W.  den  reim  gebot :  gesunt ,  trotz- 
dem die  besserung  hier  eine  sehr  leichte  ist,  uämlicb  gesundöt.  — 
auch  in  der  Vor.  sündenkl.  scheint  in  bezug  auf  den  reim  nicht  alles 
in  Ordnung,  so  lauten  die  vv.  50  ff:  wände  du  den  ewigen  lop  (:got) 
durch  die  sundere  inphienge;  unde  newe're  nie  nieman  mit  sunden 
bevangen  (:  unergangen)  usw.  diese  bindung  ist  im  ganzen  ge- 
dichte  ohne  analogie:   es  war  daher  niemen  zu  schreiben. 

Die  Überlieferung  der  verse  Vor.  sündenkl.  721  f  gibt  gleichfalls 
anlass  zu  bedenken:  nu  entlip  minen  sunden  durch  din  selbes 
gute,  das  vorkommen  von  reimen  auf  unbetontes  e  ist  aller- 
dings für  das  gedieht  erwiesen;  vgl.  werche: fruote  286  (I.  guote?) 
und  he'te :  inlieze  662.  im  obigen  fall  tritt  aber  noch  das  über- 
schüssige -n  dazu,  wenn  man  bedenkt,  dass  der  dichter  hier 
ein  weit  besseres  reimwort  zur  Verfügung  hatte,  das  er  auch 
an  anderer  stelle  verwendete  (233  f  enbunden :  wunden),  dass  Cerner 
die  wunden  Christi  öfter  zur  geltendmachung  des  anspruches  auf 
Vergebung   verwendet   werden    (vgl.  234    durch    willen    der  vinf 

1  wie  mir  Schröder  soeben  freundlichst  mitteilt,  ergänzt  er  Dach  450 
(tut.)  daz  dunchel  dem  wisen  gut  und  nach  451  (ummdre:)  te  hörenne 
vil  swäre. 

A.  F.  D.  A.     XVII.  3 


34  WAAG    GEDICHTE  DES  XI  UND  XII  JHS. 

wunden  und  Wahrh.  34  f  mit  sinen  fiunf  wunden  virtilget  er 
unser  sunten),  so  ist  m.  e.  nicht  daran  zu  zweifeln,  dass  gute 
vom  Schreiber  st.  wunden  eingesetzt  wurde,  nimmt  man  dies 
an,  so  erhält  din  selbes  722  erst  seine  rechte  bedeutuug:  'um 
deiner  eigenen  wunden  willen  schone  meiner  Sünden'  (=  wunden, 
nach  der  Vorstellung  auch  dieses  dichters  749  ff),  eine  geistreiche 
antithese,  die  beiläufig  bemerkt  auch  in  einer  der  unter  Anglo- 
Saxonica  miuora  von  Logeman  Anglia  xu  veröffentlichten  sünden- 
klagen  angewendet  wird,  hier  heifst  es  (s.  507)  Forgif  nie  for 
pinra  wunda  dre  pcet  pu  gehcel  on  me  ealra  minra  firena 
(übergeschrieben  synna)  wunda  usw. 

Manches  wäre  über  die  abteilung  einzelner  verse,  über  die 
interpunction  (besonders  schlimm  ist  das  mtb  xoivov  Hochz.973ff 
behandelt!),  über  die  einleitungen  und  anmerkungen  zu  sagen. 
um  den  umfang  dieser  rec.  nicht  noch  gröfser  zu  gestalten ,  will 
ich  nur  einen  punct  hervorheben,  bei  dem  ich  mich  mit  W.  in 
übereinstimmug  befinde,  die  von  Müllenhoff  angenommene  Um- 
stellung der  verse  137  — 144  und  145  — 154  im  Lob  Salomons 
hat  W.  m.  e.  mit  recht  zu  gunsten  der  in  der  hs.  überlieferten 
reihenfolge  aufgegeben. 

Was  die  äufsere  einrichtung  des  buches  anbelangt,  so  wäre 
es  erwünscht  gewesen,  wenn  W.  durch  am  rande  angebrachte 
zahlenhinweise  das  vergleichen  seiner  ausgaben  mit  den  abdrücken 
der  hss.  erleichtert  hätte,  auch  wäre  es  für  den  leser  bequemer, 
wenn  W.  die  ergäuzungen  durch  cursivdruck  oder  klammern 
im  texte  kenntlich  gemacht  hätte,  statt  in  den  laa.  dem  er- 
gänzten worte  die  betreffende  anzahl  von  puncten  gegenüber 
zu  stellen. 

Der  druck  des  buches  ist  sehr  wenig  sorgfältig,  s.  x  z.  4 
v.  o.  1.  Gedichte;  s.  xm  z.  4  v.  o.  zunächst;  ebend.  z.  20  Script.; 
s.  xv  z.  13  v.  o.  habe;  s.  xx  z.  9  v.  u.  Nabuchodonosor  usw.  auch 
im  texte  selbst  wimmelt  es  von  druckfehleru.  der  störeudste 
ist  Ezzol.  46  f:  von  dem  grase  gab  er  ime  daz  pluot ,  von  dem 
mere  gab  er  ime  daz  hdr.  hier  haben  'daz  pluot'  und  'daz  hdr' 
ihre  Stellungen  getauscht. 

Auf  die  setzung  der  längezeichen  ist  nicht  immer  geachtet: 
i  17  l.alsö;  130  gehörsam;  251  sin;  n  96  schidinti;  322  holdin; 
in  104  virböt  (praet.);  147  silbirin  usw.  gibot  (praeceptum)  wird 
von  W.  beharrlich  giböt  geschrieben ,  so  i  76.  234.  iv  23. 

Schliefslich  sei  bemerkt,  dass  bei  der  verszählung  mehrerer 
gedichte  irrtümer  untergelaufen  sind;    im  gedichte  'Vom  rechte' 
ist   239   st.  240,  240   st.  241  usw.    zu   citieren,    in  der  Hochz. 
79  st.  80  usw.,  in  der  Vor.  Sündenklage   189  st.   190  usw. 
Wien,  2  oct.  1890.  Carl  Kraus. 


HOLZ    ZUM  ROSENGARTEN  35 

Zum    Rosengarten.      Untersuchung    des    gedientes  n.     von   dr  Georg  Holz. 
Leipzig,  GFock  1889.     151  ss.     8°.  —  4m.* 

Der  verf.  gesteht  (s.  5)  selbst ,  dass  ihm  die  anordnung  des 
Stoffes  grofse  Schwierigkeit  bereitet  habe,  es  ist  ihm  wol  nicht 
ganz  gelungen ,  diese  Schwierigkeit  zu  überwinden :  ref.  wenig- 
stens muss  einen  dem  seinigen  entgegengesetzten  weg  von  den 
einzelnen  hss.  zum  archetypus  für  weitaus  natürlicher  halten, 
dies  ist  aber  auch  der  einzige  halbwegs  methodische  Vorwurf, 
der  sich  der  im  übrigen  ungemein  gründlichen  und  scharfsin- 
nigen schrift  machen  lässt. 

In  cap.  i  bespricht  H.  die  Überlieferung  und  ihre  grup- 
pierung.  die  redaction  n  des  Rosengartens  ist  uns  in  einer 
längeren  (ua),  einer  kürzeren  (nb)  und  einer  durch  mischung 
mit  i  entstandenen  fassung  (f,  ed.  WGrimm,  Der  Rosengarte, 
Gott.  1836)  erhalten.  na  wird  repräsentiert  durch  die  hss.  b  (ed. 
WGrimm,  Zs.  11,  536),  h  und  s  (beide  gemischt  in  vdHagens 
heldenbuch  von  1820) l,  s'  (fragment  bei  Grimm,  Roseng.  s.  91), 
K  (ed.  Müllenhoff,  Zs.  12,  411  ff),  endlich  «  (umreimung  des  ge- 
druckten heldenbuchs  ed.  Keller,  einschiebsei  darin  s.  635,  39 
bis  640,  11),  nb  durch  die  hss.  p  (ed.  Bartsch,  Germ.  4,  8  ff),  T 
(ed.  Neuwirth,  Zs.  28,  139  ff)  und  C,  eine  cechische  Übersetzung. 
zu  der  Übersetzung,  die  H.  von  den  in  Casopis  musea  krälovstvi 
Ceskeho  jahrg.  1881  s.  464  ff  durch  Patera  gedruckten  frag- 
menten  liefert,  teilt  mir  dr  Murko  freundlichst  die  nachfolgenden 
bemerkungen  mit:  es  ist  bedenklich  mit  H.  s.  8  von  'trochäischen 
(meist)  achtsilbigen  versen'  zu  sprechen ,  da  der  cechische  acht- 
silbler  kein  accentuierender  oder  quantitierender,  sondern  ein 
rein  silbenzählender  vers  ist.  zeile  31  ist  Pateras  texte  gemäfs 
die  klammer  zu  tilgen  und  nach  heran  eine  liieke  zu  bezeichnen, 
z.  57  ist  gegen  sie  statt  gegen  ihn  zu  lesen ,  denn  nym  kann  nur 
dat.  plur.  sein,  dat.  sing,  wäre  nyemu.  z.  65  ist  jedoch  für 
einmal  einzusetzen,  denn  gednak  heifst  jedoch,  während  einmal 
nur  gednou  (gednau)  heifsen  könnte,  z.  73  ist  die  conjeetur  H.s 
zu  verwerfen ,  denn  nechway  als  dualform  ist  unmöglich,  ebenso 

.     *  [vgl.  Litter.  centralbl.  1889,  nr  22.] 

1  wozu  H.  übrigens  den  abscheulichen  mischtext  vdHagens  noch  buch- 
stabengetreu abdruckt  (s.  30),  ist  nicht  einzusehen,  überhaupt  hat  es  mit 
der  diplomatischen  widergabe  gleichgiltiger  citate,  die  er  liebt,  sein  be- 
denken, sie  nutzt  niemandem  etwas,  und  es  kommen  nur  druckfehler 
heraus:  so  steht  s.  2t  Gippich  st.  gypis,  s.  29  guomy  st.  quomy,  vor  vor- 
byte  fehlt  das  zeichen  der  lücke,  st.  briue  1.  brüte  und  st.  brief  in  der  letzten 
Strophe  1.  brif,  s.  30  in  der  letzten  zeile  des  citates  aus  n1  I.  sprach  st. 
spraeh,  s.  31  z.  219  st.  ritler1  1.  Ritler,  z.  220  >t.  bey  1.  j'cij,  s.  97  st.  vz 
1.  tiz,  st.  künc  I.  küne  uam.  es  fällt  mir  nicht  ein ,  H.  aus  diesen  kleinig- 
keiten  einen  Vorwurf  zu  machen  —  aber  wozu  dann  das  alles?  wenn  man 
diese  stricheichen,  ringelchen  und  häkchen  auflöst,  u  und  v  ihrem  laut- 
werte nach  verwendet,  so  geschieht  der  akribie  kein  schade  und  man  er- 
leichtert dem  setzer  sein  band  werk  und  sich  die  correctur. 


36  HOLZ    ZUM  ROSENGARTEN 

tay  für  neußechisch  te,  dessen  ältere  form  nur  tey  sein  kann 
(vgl.  Miklosich  Vergl.  gramm.  m2  362).  z.  90  ist  der  singular  des 
cechischen  textes  nicht  fehlerhaft,  da  die  singularformen  des 
relativs  auch  für  den  plural  gebraucht  werden,  z.  153  ist  horzye 
mit  schlimm  st.  mit  weh  (interjection)  übersetzt,  z.  161  ist 
wyehlassny  eher  mit  berühmt  als  mit  klug  vviderzugeben ,  obwol 
das  wort  beide  bedeutungen  hat,  ebenso  z.  192.  nach  z.  163 
wäre  wenigstens  noch  das  fragment  einer  zeile  welche  ihm  alle 
gegeben  sind  mitzuteilen  gewesen,  z.  197  1.  diesen  =  tomu  st. 
ihn,  was  nyemu  wäre,  der  name  Perchylia  (z.  181)  für  Volkers 
mutter  zeigt  selbständige,  wenngleich  verworrene  sagenkenntnis 
des  Übersetzers,  denn  er  ist  wol  kaum  cechischen  Ursprungs, 
sondern  vielmehr  gleich  Birkhild,  Fasolts  mutter  (HS3  247). 

In  cap.  2  behandelt  H.  das  Verhältnis   der   drei  redactionen 
zu  einander  und  kommt  zu  folgendem  Stammbaum: 
Original 


/     ii'        "        nb 
f        "        ii* 

Ich  muss  gestehn,  dass  mich  die  ausführungen  H.s  in  §  9, 
welche  die  Selbständigkeit  von  in  beweisen  sollen,  von  vorn- 
herein durchaus  nicht  überzeugt  haben,  dass  mir  vielmehr  in 
ebenso  wie  f  als  eine  nur  viel  selbständigere  contamination  von 
*i  und  *n  erscheint,  die  vom  contaminator  mit  allerhand  will- 
kürlichen zutaten  aus  eigener  sagenkenntnis  ausgeschmückt 
wurde.  H.s  ansieht  würde  mir  begründet  scheinen ,  wenn  m 
irgendwo  das  ursprünglichere  gegenüber  i  und  n  bewahrt  hätte, 
das  ist  aber  nirgends  der  fall,  vor  allem  nicht  in  der  §  13  an- 
geführten stelle;  denn  da  ist  in  i  und  u  alles  in  schönster  Ord- 
nung, während  in  m  etwas  unmögliches  steht,  in  i  sind  die 
hehlen  eben  mit  dem  essen  zu  ende  und  wollen  aufstehen,  do 
erhuob  sich  von  (so  m  statt  vor  b)  dem  tische  ein  michel  gröz 
schar;  darauf  ermahnt  sie  Dietrich  still  sitzen  zu  bleiben,  weil 
er  eine  mitteilung  zu  machen  hat.  in  u  ist  Dietrich  nicht  mit 
seinen  mannen  zusammen,  er  tritt  in  den  sal,  als  sie  eben  beim 
essen  sind;  da  sie  nicht  so  lange  warten  wollen,  bis  man  die 
tafeln  aufgehoben  hat,  um  ihm  entgegenzugehn,  schicken  sie 
sich  an  über  die  tische  zu  springen,  das  ist  vielleicht  etwas 
grotesk,  aber  immerhin  vernünftig,  in  m  aber  sitzen  alle  zu- 
sammen bei  tische,  und  als  sie  aufgegessen  haben,  wollen  sie 
über  die  tische  springen,  worauf  sie  Dietrich  stille  sitzen  heifst. 
ja,  warum  wollen  denn  die  herren  diese  gymnastische  Übung  vor- 
nehmen? das  war  doch  nie  und  nirgends  die  gebräuchliche  manier 
von  tafel  aufzustehn.  zu  besonderem  zwecke,  wie  in  der  durch  n 
geschilderten  Situation,  oder  iu  außerordentlicher  aufregung  wie 


HOLZ    ZUM  ROSENGARTEN  37 

Willehalm  179,  7  (vgl.  auch  Nib.  1903.  1904)  mochte  derartiges 
vorkommen,  so  lässt  sich  denn  die  lesart  von  in  nur  erklären, 
wenn  man  annimmt,  dass  es  i  und  ii  contaminierl  habe.1 

Diese  ansieht  über  die  Stellung  von  in  wird  nur  bestätigt 
durch  die  neu  gefundenen  und  von  Mourek  in  den  Sitzungs- 
berichten der  kgl.  böhmischen  gesellschaft  (jahrg.  1889,  s.  118  ff) 
veröffentlichten  bruchstücke,  auf  die  mich  Roethe  aufmerksam 
macht,  das  erste  erzählt  das  ausrichten  der  botschaft  an  Dietrich 
durch  Seburg,  schliefst  sich  also  mit  seinem  anfange  an  das 
erste,  mit  seinem  ende  an  das  zweite  der  von  Müllenhoff  ver- 
öffentlichten Danziger  bruchstücke.  an  letzteres  fügt  sich  dann 
wider  die  beratung  der  helden  im  zweiten  Prager  bruchstücke, 
sodass  zwischen  D\  P1,  D2,  P2  bei  der  abrupten  darstellungs- 
weise von  in  kaum  viel  verloren  gegangen  sein  dürfte.  Seburgs 
botschaft  ist  jedesfalls  nur  eine  umkehrung  von  Sabins  botschaft 
(Seburg:  Dancwart  =  Bersabe:  Sabin),  die  zahl  von  500  rittern 
findet  sich  da  wie  dort,  die  gestalt  des  wirtes  hat  ihre  seiten- 
stücke  im  kunstepos  (zb.  Wimar  im  Willehalm)  und  verrät  den 
unvolkstümlichen  Ursprung  schon  durch  den  namen.  die  wört- 
lichen Übereinstimmungen  von  P2  mit  i,  ii  und  f  sind  besonders 
lehrreich  und  werden  es  rechtfertigen,  wenn  ich,  um  die  ver- 
gleichuug  für  andere  zu  erleichtern,  das  fragment  soweit  notwendig 
hier  zum  abdruck  bringe: 

1 des  man  mir  geloben  mach, 

ich  sluoge  ir  vor  ir  [krö]nen      einen  backenslach. 

2.  Doch  volge  ich  mime  herren      [billich]  war  ich  sol. 

der  mich  hie  keime  Uze,  ich  entpüre1  ir(re)  rösen  wol: 

soldich  durch  ir  küssen  riten  an  den  Rin, 

wie  wol  ich  [sin  e]ntpürev  mochtich  hie  heime  sin. 

3.  'Nu  [dar],  nü  [dar]',  sprach 

Alpart,  'wir  muozen  beide  dar. 

retestü  heime2,  bruoder,  [und]  daz  ich  mit  in  var?' 

1  in  demselben  aus  m  mitgeteilten  abschnitt  liest  H.  in  der  3  Strophe 
mit  Müllenhoff  Her  Dyterich  von  Berne  [hys]  synin  [cjafpelanj  und 
synin  schri[be]re  [beyde  vurj  sich  gan,  ich  halte  diese  lesung  für  falsch 
und  jene  andere,  die  M.  in  der  anmerkung  zur  stelle  in  anlehnung  an  ii 
andeutet,  Her  Dyterich  von  Berne  [ryf'J  synin  [cjafpelanj  und  synin 
schri[be]re  [hyz  er  cur]  sich  gan,  für  die  einzig  mögliche,  es  ist  ja 
nicht  einzusehn,  wozu  Dietrich,  um  sich  einen  brief  vorlesen  zu  lassen, 
einen  Schreiber  und  einen  caplan  braucht,  vielmehr  sind  beide  ein  und 
dieselbe  person :  synin  capelan  und  synin  scliribere  bedeutet  nur  'seinen 
caplan,  der  zugleich  sein  Schreiber  war',  wie  etwa  swestersun  und  der 
herre  min  Parz.  798,  10  =  'mein  neffe,  der  du  zugleich  mein  hm  bist, 
dieses  doppelobjeet  ist  dann  änb  xoivov  zu  ruofen  und  heizen  construiert, 
woraus  sich  der  aecusativ  bei  jenem  zeitwort  erklärt,  dazu  stimmt  auch 
allein  die  letzte  zeile  des  mitgeteilten  textesm,  und  auch  n,  freilich  nicht 
nach  h,  wol  aber  nach  s  und  f  'der  hoere  dise  meere  (und  sol  her  iuo  mir 
ttdn),  was  stdt  an  dem  briefe',  sprach  der  kapeldn.  natürlich  ist  auch 
in  ii  z.  82  ouch  mit  s  zu  streichen. 

1  entpure  -  Ydeime 


3S 


HOLZ    ZUM  ROSENGARTEN 


'ich  wil  dir  sagen,    bruoder, 
ich  vorlobete    ir  küssen   vil- 
lichte, 

4.  '[  Wan]  daz,  weiz  got',  sprach 

Witige, 
mich   het  ir  küssen  unhohe, 
'nein,  hinen  chlibet  niemant' 
'und  weren  üwer  tüsent, 

5.  'Nu  endrowet  uns  nicht  zu  sere' , 
'jd  hat  die  juncfrowe  Krimilt 
ich  ne'me  ir  hissen  gerne, 

so  breng  ich  der  Üben  Uoten 

6.  'Im  sprehet  nicht:'   [sprach 

Wolfart], 
die  dort  der  rösen  huoten, 
nemt  ein  aide  risen 
die  dort  der  rösen  huoten, 

7.  'Nu  dar,  nü  dar!'  sprach 

Heyme, 
ob  mirz  min  herre  heizet, 
ich  sage  üch  vor  die  wdrheit: 
ich  gienc  durch  ire  rösen 

8.  'Nu  wirret  mir  daz  selber', 
'rite  ich  dar  durch  ir  rösen, 
ich    muoz    im    trotz    ver- 

suochen8, 
lesent  an,  he're  meisler: 

9.  'Ich  sage  waz  si  üch  unt- 

pütet, 
so9  ir  die  reise  läzet, 


swaz%  mir  dort  geseicht, 

des  campes  vorlobe  ich  nicht. 

'ich  volge  den  herren  min, 
mochtich  hie  heime  sin.' 
sprach  der  tobende  Wolfart, 
ir  müstet  alle  an  die  vart.' 
sprach  meister  Hildebrant, 
her  nach  mir  gesant. 
sie  ist  ein*   scöne  magetin, 
ein  rösenkrencellin.' 


'ob  got  wil(le),  daz  geschieht; 
sie  lazent  uns  vorgebens  nicht, 
mit  üch  umb  ein  houbetkrazb: 
die  haben  ouch  der  seeidere6  bizen 
gdz.' 

'ich  weiz  wol,  ich  muoz  dar; 

wi  buche  ich  denne  var. 

wen  daz  ich  doch  dar(e)  muoz, 

nimer  einan  fuoz.' 

sprach  vonBerne  her  Bietherich' , 

daz  were  unmogelich: 

swie  mirz  darnach  er  gel 
ist  an  deme  brive  icht  me? 

von  Beme  her  Bietherich': 
so  tuot  ir  lästerlich 


10.  Hie  steit  me  an  dem  brive: 
durch  aller  vrowen  ere,  — 
daz  irchumet  zu  irrehöchzit: 
Idzet  ir  die  reise, 

11.  'En  numer  dummen  amen!' 
'wes  zigen  mich  die  vrowen  ? 
daz  nü  keine  vrowe 

noch  nicht  bi(e)  im  sldphen, 

12.  Gibt  im  got  gelucke, 
und  her  an  scönen  bette 
und  ich  den  sig  vorlise 


si  lezet  üch  de[s]  biteni0 

der  lop  hat  ir  denne  irstriten  — 

si  wil  iren  man  nemen. 

ir  mugetlles  üch  immer  Schemen.' 

sprach  vonBerne  her  Bietherich"', 

ist  daz  [njicht  wonderlich, 

wil  nemen  iren  man 

ichn  muoze  mich  mit  ime  sldn? 

daz  her  mir  angesiget, 

an  [ir  arme]  liget, 

und  werde  von  im  gewunt, 


d  war 

8  verfugen 


ein  5  ?vn  ein  lioubet  maz  6    i 

9  swie  10  bitten  "  mugest 


Diec/f 


HOLZ    ZUM  ROSENGARTEN 


39 


so  scrige  [ich  denne]  icä[fen « 2, 

13.  'Ich  wetz  wol',  sprach  [der 

getrüwe] , 
swie  sere  ich  bekümmeret 
wüst  ich,  weme  ich  die  Uze, 
'die   Idz  hie  vrowen   Uoteti, 

14.  Du    sprach    Voknant    der 

milde : 
'ich  wil  mit  tir  riten', 
dö  sprach  der  von  Berne, 
ichn  habe  keinen  dienst 


so  er]  si  chusset  [an]  iren  mimt. 

Eckehart,  'ich  muoz  dahin, 
von  den  Härtungen  bin: 
ich  rümete  gerne  disse  lant'. 
sprach  meister  Hildebrant. 

'ich  muoz  ouch  an  die  vart.' 
sprach  sin  bruoder  Hdwart.1* 
'so  sit  mir  willekomen, 
gerne  an  mich  genomen'. 


Es  folgt  nun  die  aufzähluüg  der  helden  abweichend  von  den 
übrigen  fassungen:  1.  Volcnant;  2.  Häwart,  dessen  bruder; 
3.  Dietrich;  4.  Witege;  5.  Heime;  6.  Hildebrant;  7.  Eckehart; 
8.  Nüding,  Rüdigers  söhn;  9.  einer  von  Hildebrands  brüdern 
Hache  (hs.  hagen)  oder  Herebrant  von  Biterne  (hs.  heckerant  von 
bucherne);  10.  Yseher  von  Garten;  11.  Diellieb  der  Steirer.  nun 
beginnt  wider  wörtliche  Übereinstimmung: 


19.  'wir  haben  eilf  recken 
war  nemen  wir  den  zwelften  ? ' 

20.  'Der  ist  uns  trüwen  türe' 
'idoch  wil  ich  in  suchen, 
e  ich  in  hie  heime  Uze, 
herre,  ob  irz  gebitet, 

21.  'Enummer  dummennämen ! ' 

(sprach  der  Berne're) 
her  ist  in  sime  clöster- 
sult  ich  in  gote  unt fremden, 
ich  hettes  immer  sunde, 

22.  'Wizter,  herre  von  Berne      

Wenn  mau  dieses  fragment  mit  den  entsprechenden  stellen 

der  anderen  lassungen  vergleicht,  so  bestätigt  sich  auch  hier 
wider,  dass  i  und  n  von  m  benutzt  worden  sind,  und  zwar  ii  in 
einer  redactiou ,  die  eine  mittelstufe  zwischen  n'  und  na  bildete, 
sodass  der  Stammbaum  von  ii  sich  jetzt  folgendermafsen  gestaltet: 


so  rechte  wunniclich, 
sprach  von  Berne  her  Dietherich. ' 
sprach  meister  Hildebrant, 
da  ich  in  b(i)ewilen  vant. 
so  muosteu  der  munich  llsdn, 
uz  siner  apsen1'0  gdn.' 

'mach  daz  [werden]  wdr? 
gewelbe  wol  zwelf  jdr[n; 
dem  her  sich  hat  ergeben, 
vorstörte  ich  ime  sin  leben.' 


Dass  in  nicht  auf  *n  oder  n'  zurückgeht,  zeigt  die  ein- 
führung  der  gestalt  Eckharts,  die  diesen  beiden  fassungen,  wie 
H.  (s.  48.  86.  144)  richtig  zeigt,  fremd  ist.  dass  es  nicht  auf 
na  beruht,  erweisen  die  zahlreichen  näheren  Übereinstimmungen 


12  Mourek   liest  nach  wa  noch   ein  undeutliches  s 
14  müzle  i5  aspen  ,0  gar 


13  hauwart 


40  HOLZ     ZUM  ROSENGARTEN 


gegen  na  237;  5,4  mit  f  260  gegen  na  240 ;  6,1  mit  f  261 
gegen  na  241;  6,2  mit,  f  262  gegen  na  242.  für  na  ergibt 
sich  durch  die  vergleichung  bestätigung  der  la.  von  s  224 
aus  1,  4  (in  . . .  ir),  s  228  aus  3,  4  (verswer),  s  231  aus  4,  2 
(küssen),  s  236  aus  4,4  (noch  zu  streichen),  s  240  aus  5,4 
(so),  s  242  aus  6,  2  (die  .  .  .  uns),  s  267  aus  10,  3  (komen  ilen), 
s  268  aus  10,4  (müget),  s  271  aus  11,  3  (ir  keine),  s  272  aus 
11,  4  (müez  vor),  der  la.  von  h,  soweit  sie  nicht  schon  in 
vdHagens  text  steht,  h  238  aus  5,2  (juncfrowe  . . .  her),  be- 
uutzung  von  i  251  ff  zeigt  str.  11;  vgl.  auch  str.  12,4  mit  i  256 
gegen  na  276.  vielleicht  nur  zufällig  ist  die  Übereinstimmung 
von  str.  1  mit  i  839. 

Mit  diesem  resultat  haben  wir  einen  terminus  a  quo  für  die 
abfassungszeit  von  *i  und  *u:  später  als  in  den  anfang  des 
14  jhs.  kann  sie  nicht  fallen. 

i  hat  gewis  den  dem  ursprünglichen  am  nächsten  stehenden 
text.  der  ausgangspunct  der  abweichungen  von  n  ist  die  ein- 
führung  köuig  Etzels  in  die  sage,  dadurch  entsteht  gleich  am 
anfang  ein  Widerspruch.  Etzel  bekommt  eine  ausforderung  von 
Gibich,  darauf  reitet  er  zu  Dietrich,  dieser  geht  in  den  sal  zu 
seinen  recken  —  und  lässt  dort  einen  ganz  anderen  brief  ver- 
lesen, worin  Kriemhilde  ihn  selbst  herausfordert,  dieser  Wider- 
spruch wird  kaum  geringer,  wenn  man  mit  H.  annimmt,  dass 
Etzel  die  herausforderung  nicht  allein,  sondern  nur  mit  unter 
den  anderen  königen  seiner  zeit  erhalten  habe,  aufserdem  be- 
ruht seine  auffassung  nur  auf  der  verderbten  la.  von  s,  der  gegen- 
über er  nicht  die  schlimmbesserung  vdHagens  rieh  st.  lant  hätte 
annehmen  sollen  (s.  21),  während  doch  die  vergleichung  mit  h 
deutlich  ergibt,  dass  hinter  jeder  der  beiden  Zeilen  je  eine  zeile 
in  s  ausgefallen  ist.  die  entsprechende  zeile  13  in  p  wird  kein 
unbefangener  anders  als  von  einer  besonderen  ausforderung  Etzels 
verstehn. 

Mit  H.  (s.  25)  von  dem  'sonst  nicht  weiter  bekannten  riesen 
Ortwin'  zu  sprechen,  ist  nicht  ganz  genau,  als  riese  ist  er 
freilich  sonst  nicht  bekannt,  wol  aber  als  ritter;  denn  es  ist 
kein  anderer  als  Ortwin  von  Metz,  darüber,  dass  derselbe  hehl 
zugleich  auf  gegnerischer  seite  erscheint,  vgl.  Heinzel  WSB 
119,  94.  —  dass  durch  willen  ua  276  jemals  die  von  VVGrimm, 
Roseug.  lx,  dem  sich  H.  (s.  33)  anschliefst,  geforderte  bedeutung 
haben  könne,  scheint  mir  sehr  zweifelhaft,  es  ist  wol  mit  ge- 
änderter interpunetion  und  einem  auch  sonst  vorkommenden  Über- 
gang aus  einer  Strophe  in  die  andere  zu  lesen :  'so  bin  ich  ver- 
houwen  und  ouch  sere  wunt  durch  willen  scheener  frouwen.'  'küsse 
ich  ein  röten  munt',  dö  sprach  Sigstap  der  junge,  'ich  wil  gerne 
an  die  fort.' 

Im    3  cap.    wird   nb   genau    untersucht, 


HOLZ    ZUM  ROSENGARTEN  41 

von  p  und  T  festgestellt  und  die  moglichkeit  erwogen,  dass  C 
von  T  abgeleitet  sei.  im  einzelnen  ist  folgendes  zu  bemerken : 
s.  44  die  'übertreibende  bemerkung'  ub  69  kann  nicht  als 
zeichen  jüngeren  alters  gelten;  vgl.  Heinzel  WSB  119,  83  anm. 
ub  81 — 84  scheint  mir  durchaus  keine  gut  passende  Strophe, 
denn  12  ist  doch  keine  so  grofse  zahl,  dass  man  sagen  konnte 
vrou  Herche  bi  dem  Rin  gewan  ni  so  mangen  (legen,  dort  wo 
davon  die  rede  ist,  dass  jeder  der  12  recken  auch  12  knappen 
haben  müsse  wie  in  na,  mag  man  sich  das  erstaunen  allenfalls 
gefallen  lassen.  —  s.  48.  den  schluss  der  interpolation  in  na  resp. 
n'  kann  ich  nicht  so  unsinnig  finden,  wenn  man  von  dem  Wider- 
spruch mit  dem  bereits  erzählten  absieht,  der  interpolator  kannte 
eben  die  redaction  i  und  wollte  nun  Eckehart,  Amelolt  und  die 
aufsuchung  Dielleibs  anbringen,  dass  die  beiden  Harlunge  dem 
schütze  Dielhers  anvertraut  werden ,  hat  wol  seinen  grund  in 
verwirrter  erinuerung  an  die  Rabenschlacht,  wo  die  zwei  söhne 
der  Helche  mit  dem  etwas  älteren  Diether  (298.  299)  ausreiten. 
war  er  nun  einmal  in  die  handlung  eingeführt,  so  wurde  ihm 
auch  au  Sigestaps  stelle  die  aufsuchung  Dietleibs  anvertraut, 
denn  niemand  anders  als  dieser  ist  wol  unter  Gotelindes  swester- 
kint  zu  verstehn.  im  Biterolf  5577  ist  er  der  söhn  von  Gote- 
lindes cousiue.  über  kint  als  mascul.  vgl.  Gramm,  nr  321,  doch 
ist  dies  hier  nicht  notwendig,  da  ir  lieben  swester  genitiv  sein 
kann.  —  s.  58.  wie  sich  H.  das  Verhältnis  von  nb  427  f  zu  f  1320  f 
und  na  1219  ff  vorstellt,  ist  mir  nicht  klar  geworden.  na  soll  das 
ursprüngliche  in  den  reimen  bekantiwigant,  leben: geben  erhalten 
haben,  in  einer  nb  und  f  gemeinsamen  Vorstufe  sei  dann  daraus 
durch  ausfall  zweier  zeilen  wigant : geben  geworden,  woraus  einer- 
seits in  f  (legen: geben,  in  nb  durch  vermitteluug  eiuer  Zwischen- 
stufe sant:hant  entstanden  sei.  aber  eine  nb  und  f  gerneinsame 
Vorstufe,  die  na  ausschlösse,  suche  ich  in  seinem  ganzen  Stamm- 
baum umsonst.  warum  nicht  schon  *n  eine  unvollständige 
Strophe  gehabt  haben  solle,  ist  nicht  abzusehn.  —  s.  65  drückt 
sich  verf.  über  denselben  punct  vorsichtiger  aus,  er  gibt  die 
moglichkeit  principiell  zu,  meint  aber,  dass  wir  es  nicht  erkennen 
könnten,  weil  zwischen  *u  und  den  uns  unmittelbar  zugäng- 
lichen texten  eine  ganze  reihe  bewuster  bearbeitungen  lägen, 
die  einen  in  ihrer  vorläge  vorhandenen  fehler  der  Strophen- 
abteilung selbstverständlich  beseitigen  musteu.  eine  solche  'reihe 
bewuster  bearbeitungen'  zwischen  *n  und  ii'  hat  aber  verf.  nir- 
gends nachgewiesen,  handschriften  werden  wol  dazwischen  liegen, 
aber  zu  unserem  glücke  gab  es  auch  Schreiber,  die  nicht  nach 
dem  rühme  strebten  'bearbeiter'  zu  sein  und  tiberlieferte  fehler 
ruhig  abschrieben,  auffallen  könnte  es  höchstens,  dass  u'  den 
fehler  unbeanstandet  liefs.  doch  ist  das  auch  nicht  unbegreiflich; 
wenn  die  uns  überlieferten  'bewusten  bearbeitungen'  neue  fehler 
gegen  die  Strophenabteilung  hineinbrachten,  so  konnte  eine  von 


42  HOLZ     ZUM  ROSENGARTEN 

ihnen  auch  irgend  einmal  einen  überkommenen  übersehen.  na,  f 
und  nb  nahen  dann  jedes  selbständig  geändert.  —  s.  70.  unter 
Wolfdietrichs  sachs  ist  wol  nicht  der  Eckesahs,  vielmehr  das 
schwert  Rose  zu  verstehen  (HS3  275).  der  dichter  wagt  in 
komischer  gewissenhaftigkeit  und  gelehrsamkeit  nicht  zu  ent- 
scheiden ,  mit  welchem  seiner  beiden  Schwerter  Dietrich  den 
streich  geführt  habe.  —  s.  71.  es  ist  ja  wahrscheinlich,  dass 
Siegfrid  und  Dietrich  in  einer  ursprünglichen  sagengestalt  nur  zu 
fufs  kämpften;  in  dem  all  unseren  gedichten  zu  gründe  liegenden 
archetypus  kämpften  sie  jedesfalls  bereits  zu  pferde  und  dann 
erst  zu  fufs ,  wie  es  bei  den  anderen  Zweikämpfen  der  fall  ist, 
bei  denen  keine  riesen  beteiligt  sind,  dass  dadurch  schon  der 
archetypus  unglücklich  componiert  erscheint,  weil  er  den  zug 
vom  aufstofsen  der  türe  mit  dem  fufse  nicht  aufgeben  wollte, 
also  Dietrich  erst  absteigen,  dann  auf  ermahnung  Wolfharts  wider 
aufsteigen,  endlich  zum  fufskampf  wider  absteigen  muss,  ist 
ja  richtig;  aber  warum  soll  ein  archetypus  gegen  schlechte 
composition  gefeit  sein?  speciell  der  zug  der  Intervention  Wolf- 
harts beim  aufsteigen  in  i  und  nb  ist  kaum  durch  zufälliges  über- 
eintreffen zu  erklären.  na  hat  selbständig  geändert,  aber  auch 
in  na  1800  reitet  Siegfrid  in  den  garten.  —  s.  72.  über  die  reime 
t:z  in  nicht  niederdeutschen  denkmälern  vgl.  Vogt,  Salomon 
und  Markolf  i,  cv.  —  s.  73  z.  6  f  v.  o.  1.  2286,  3—2287,  2.  — 
s.  74  in  der  rede  Hildebrands  nb  844  ff  kann  ich  den  'witz' 
nicht  finden. 

Im  4  cap.  wird  ebenso  f  abgehandelt,  s.  94  drückt  sich 
der  verf.  in  beziehung  auf  na  575  —  78  recht  unklar  aus:  'eine 
neue  beigesetzte  Strophe'  soll  wol  eine  an  den  rand  geschriebene 
bedeuten.  —  s.  98.  ich  halte  die  fassung  von  f  809  ff  für  wenig- 
stens teilweise  ursprünglich,  der  sagenzug  ist  eben  aus  dem 
Laurin  entlehnt  (vgl.  BPhilipp,  Zum  Rosengarten,  Halle  1879, 
s.  lxv)  und,  wie  das  bei  entlehnungen  geschieht,  nicht  ganz  gut 
angebracht,  in  der  fassung  na  ist  es  nicht  verständlich,  woher 
der  ferge  737  ff  weifs,  wer  die  überfahrt  heischenden  sind.  — 
s.  101.  der  reim  Rüedtger :  mcer  ist  würklich  anstöfsig,  viel- 
leicht ist  f  921.  922.  925.  926  als  eine  Strophe  zu  lesen.  — 
s.  121.  hier  und  s.  69  behauptet  H.  die  Unvereinbarkeit  von 
f  1692  —  95  mit  der  folgenden  Strophe,  ich  kann  diese  Unver- 
einbarkeit nicht  finden,  ja  ich  finde  die  Strophen  in  f  sogar 
besser  als  die  durch  allzugrofse  knappheit  schwer  verständlichen 
in  nb.  —  s.  124.  ohne  die  Strophe  na  1983  —  86  verteidigen  zu 
wollen ,  muss  ich  doch  bemerken ,  dass  der  grund ,  den  H.  für 
deren  Verwerfung  angibt,  nicht  stich  hält;  denn  zugen  (1987) 
kann  plusquamperfectum  sein.  —  s.  125.  ihre  einführung  in  das 
gedieht  hat  Brünhilt  wol  weniger  der  Verwechselung  von  Irland 
und  Island  zu  danken  als  ihrer  traditionellen  gegnerschaft  gegen 
Kriemhilt.  —  s.  126.     na  2109  f  ist  vielleicht  die   lesart  von   na 


HOLZ    ZUM  ROSEISGARTEN  43 

mit  dem  einen  reimwort  von  i  einzusetzen,  indem  man  warf: 
scharf  für  schöz  :  gröz  liest.  —  s.  128.  dass  die  beiden  Strophen 
na  2199— 2202  und  2215—18  zusammengehören,  hat  H.  richtig 
gesehen,  aber  der  sinn,  den  er  ihnen  unterlegt,  ist  nicht  nur 
schief,  sondern  lässt  sich  auch  aus  den  überlieferten  worten 
nicht  herauslesen,  die  Königin  verspottet  den  alten,  dass  sein 
schwert  und  schild  schon  krump  seien;  dieser  antwortet,  er 
wüste  wol  eine  bürg,  die  er  ohne  schwert  und  schild  erobern 
könnte  und  möchte,  der  ursprüngliche  gegeuredner  war  wol 
nicht  Hildebrand,  sondern  Ilsan.  die  Strophen  scheinen  mir  bruch- 
stück  eines  gesprächs  mit  obscöner  tendenz ,  das  ein  später  be- 
arbeiter  eingefügt  hat. 

Im  letzten  capitel  behandelt  verf.   die  hss.  der  redaction  na 
und  kommt  zu  folgendem  Stammbaum: 


K?  | 

b 


S.  135.  na  767  würde  ich  mit  vdHagen  maniges  recken  leben 
lesen;  leben  =  lip  zur  Umschreibung  der  person  wie  Barlaam 
21,  2.  na  769  f  möchte  ich  den  reim  genttwent  weniger  gewaltsam 
als  H.  in  geben  :  sweben  ändern;  über  sweben  =  schiffen  vgl. 
Lexer  s.  v.  —  s.  137.  wenn  man  den  sinn,  den  H.  in  der  stelle 
sucht,  beibehalten  will,  so  kann  man  dem  texte  näher  bleiben, 
indem  man  liest  wie  lützel  frowe  Gotelint  mir  der  volge  gan; 
freilich  ist  einem  der  volge  günnen  nicht  belegt,  kann  aber  ohne 
zu  viel  kühnheit  für  gleichbedeutend  mit  einem  der  volge  geben  = 
'einem  beistimmen'  angesehen  werden,  aber  es  bleibt  immerhin 
ein  schiefer  sinn  und  müste  wol  auch  günde  heifsen.  ich  glaube, 
dass  der  fehler  auch  in  lützel  steckt  und  schlage  vor:  wie  liez  ich 
min  fron  Gotelint  mit  der  wilen  gdn?  —  s.  140.  den  text  von  na 
1147 — 54,  den  H.  in  b  besser  findet,  verstehe  ich  in  dessen  text- 
herslellung  nicht.  —  s.  149.  auf  eine  so  kleine  Übereinstimmung, 
wie  wanne  gegen  war,  möchte  ich  nichts  geben :  das  kann  nur 
allzu  leicht  zufall  sein. 

Baden  bei  Wien  4.  8.  1S90.  S.  Singer. 


Johann  Reuchlins  komödien.  ein  beitrat  zur  geschiente  des  lateinischen 
schuldramas  von  Hugo  Holstein.  Halle  a/S.,  Waisenhaus,  188S.  vm 
und  172  ss.     8°.  —  4  m. 

Durch  das  gefällig  ausgestattete  kleine  bändelten  werden  die 
komödien  Reuchlins,  die  nur  in  gröfseren  bibliotheken  zu  finden 
waren,  allgemein    zugänglich   gemacht,     aufser   dem    gedruckten 


44  HOLSTEIN     REUCHLINS  KOMÖDIEN 

material  konote  der  herausgeber  auch  zwei  hss.  aus  Erfurt 
und  Upsala  seinem  texte  zu  gründe  legen,  der  kritische  apparat 
wäre  allerdings  an  den  meisten  stellen  entbehrlich  gewesen,  er 
ist  nur  ein  koketter  gelehrter  aufputz.  welchen  gewinn  wird 
selbst  der  philologe  daraus  ziehen,  wenn  er  lernt,  dass  zb.  im 
Henno  v.  183  C  tercius  schreibt,  oder  dass  v.  105  ein  Schreibfehler 
wie  neglgienter  stehn  geblieben  ist?  nur  an  wenigen  stellen  waren 
würkliche  Varianten  zu  verzeichnen ,  auf  diese  hätte  sich  H.  be- 
schränken können,  eine  hs.  der  k.  k.  hofbibliothek  (nr  10214n) 
aus  dem  anfange  des  16  jhs.  enthält  ein  fragmeut  des  Henno 
(v.  47 — 141)  mit  böhmischer  Übersetzung,  auch  sonst  macht  H.s 
ausgäbe  oft  den  eindruck  des  künstlich  inscenierten,  manch 
schwerer  bailast  lässt  sich  ohne  jede  gefahr  über  bord  werfen, 
besonders  die  nichtssagenden  widmungsbriefe  und  gedichte.  hat 
H.  in  seiner  Ackermann -ausgäbe  das  vorwort  ungerechtfertigter 
weise  weggelassen  (vgl.  Spengler,  Verl.  söhn  s.  51),  so  tut  er 
hier  des  guten  wider  zu  viel,  dafür  aber  geht  die  literarhisto- 
rische Untersuchung,  die  sich  naturgemäfs  nur  auf  den  Henno 
beschränkte,  nicht  tief,  sondern  nimmt  die  gewöhnlichen  ansichten 
über  abkunft  aus  dem  Maitre  Pathelin  auf  treu  und  glauben  hin. 
der  herausgeber  des  Henno  hätte  nicbt  unterlassen  dürfen,  dieser 
schwierigen  frage  aufs  neue  nahe  zu  treten  und  den  versuch  einer 
lösung  zu  wagen,  nicht  einmal  Schaumburgs  fingerzeige  (Zeit- 
schrift für  neufranzösische  spräche  9,  1  —  47)  sind  genügend  be- 
achtet, einen  wichtigen  beitrag,  unabhängig  von  H.,  hat  Banzer 
in  seinen  Verbesserungen  zu  Schaumburgs  artikel  (ebenda  10,  93 
— 112)  geliefert,  der  auch  H.s  arbeit  in  vieler  beziehuug  ergänzt. 
In  einem  buche  über  Reucblins  dramatische  wiirksamkeit 
hätte  ich  zunächst  einige  beobachtungen  über  das  humanisten- 
drama  der  frühzeit  erwartet,  drei  richtungen  characterisieren 
dasselbe:  1)  strenge  anlehnung  an  die  antike  komödie,  wie  bei 
Hegeudorfinus,  Zambertus  ua.  hierher  gehört  auch  die  bisher 
wenig  beachtete  Cauteraria  (Anzeiger  für  künde  der  deutschen 
vorzeit  1878  sp.  161,  1879  sp.  15  1):  eine  buhlgeschichte,  der 
liebhaber  Auelardus  wird  gebrandmarkt  und  rächt  sich  an  der 
geliebten,    dürfen  wir  bei  dem  namen  nicht  an  Abälard  denken? 

2)  neigung,  kleine  schwanke  dramatisch  auszugestalten  (s.  Bolte 
im  Hermes  1886  s.  313  und  Zs.  für  vergl.  htteraturgeschichte 
und    renaissancelitteratur    n.   f.    i  231,    vgl.    Anzeiger    13,  253). 

3)  tendenzdramen  wie  Codrus,  Stylpho,  die  von  Peiper  zuerst 
veröffentlichte  komödie,  welche  H.  s.  72  erwähnt,  vgl.  dazu 
die  ganz  abweichende  deutung  Boltes  (Zs.  für  vergl.  htteratur- 
geschichte und  renaissancelitteratur  n.  f.  i  17  und  231).  Reucblins 
Sergius  gehört  ganz  in  die  dritte  gruppe,  während  der  Henno, 
wie  zahlreiche  humanistendramen ,  eine  Verbindung  der  ersten 
und  zweiten  gruppe  repräsentiert,  form  und  aufbau  ist  antik; 
der  stoff  ist  ein  volkstümlicher,     die  geschichte  vom  betrogenen 


HOLSTEIN     REUCHLINS  KOMÖDIEN  45 

advocaten  wird  in  einer  reihe  von  schwanken  behandelt,  be- 
sonders Italien  liefert  mehrfache  beitrage.  Finnamore,  Tradizioni 
popolari  Abruzzesi  i  136  erzählt:  ein  bursche  verkaufte  sein 
schwein  an  mehrere  parteien,  an  jede  für  acht  quatrini.  später 
wird  ihm  bange,  er  geht  zu  einem  advocaten  und  bietet  ihm 
das  halbe  schwein,  wenn  er  ihm  beistehe  wolle,  dieser  rät  ihm, 
sich  verrückt  zu  stellen  und  allen  leuten  ins  gesiebt  zu  schreien  : 
eiffe,  caffe,  gniffe,  gnaffe.  die  list  gelingt,  aber  auch  der  advocat 
kann  keine  andere  antwort  erhalten,  ähnliches  erzählt  Parobosco 
in  Gli  diporti  giorn.  i  nov.  8  (Venezia  1586).  ein  junger  mann, 
Tommaso,  verkauft  sein  haus  an  mehrere  leute,  er  wird  ein- 
gesperrt, ein  ihm  befreundeter  advocat  rät  ihm,  nachdem  Tom- 
maso ihm  25  ducaten  versprochen,  sich  vor  gericht  verrückt  zu 
stellen,  eine  feige  zu  machen  und  zu  pfeifen,  das  tut  er  vor 
gericht,  aber  auch  bei  forderung  der  25  ducaten,  'sodass  der 
betrüger  der  betrogene  war.  und  das  muste  er  in  geduld  auf 
sich  nehmen,  wenn  er  nicht  durch  darlegung  des  wahren  Ver- 
halts sich  selbst  anklagen  und  sich  selbst  strafbarer  hinstellen 
wollte,  als  Tommaso  selbst.'  an  unklaren,  fast  unmöglichen 
Voraussetzungen  leidet  Lodovico  Domenichis  darstellung  in  Fa- 
cettie,  motu  e  burle  (Firenze  1564  s.  198).  da  handelt  es  sich 
um  die  zolldefraudation  eines  schäfers,  der  anwalt  verlangt  zwanzig 
ducaten,  rät  ihm,  sich  verrückt  zu  stellen  und  zu  pfeifen,  auch 
ihm  wird  pfeifen  als  bezahlung.  der  doctor  konnte  ihn  nicht 
zur  Verantwortung  ziehen  'seiner  ehre  wegen'  und  verwünschte 
die  bosheit  des  bauern.  dramatisch  behandelt  in  Italien  den  stoff 
Grazzini  (um  1570)  in  seinem  L'arzigogolo  (Commedie  1750,  vgl. 
Gaspary,  Ital.  litteraturgeschiebte  2,610).  uns  interessiert  nur  ein 
teil  der  handlung.  sir  Alesso  klagt  über  armut.  sein  diener  Va- 
lerio  verspricht  ihm  grofsen  gewinn:  ein  arbeiter  der  Iran  Papera, 
Arzigogolo,  hat  ein  par  ochsen  verkauft  und  will  das  geld  für 
sich  behalten,  für  zwei  seudi  rät  ihm  Alesso,  sich  blödsinnig  zu 
stellen  und  nur  zu  pfeifen,  der  richter  weist  die  klage  ab.  im 
fünften  acte  verlangt  Alesso  sein  geld.  es  entspinnt  sich  ein 
dialog,  der  in  deutscher  Übertragung  ungefähr  so  lautet:  'AI. 
siehst  du,  Arzigogolo,  was  dir  mein  rat  geholfen  bat,  du  wirst 
deine  ochsen  behalten,  wol  bekomms.  nun  zeige,  dass  du  ein 
ehrlicher  mann  bist,  und  dass  du  dich  an  die  zwei  seudi  erinnerst. 
Arz.  sff.  AI.  ah,  ich  muss  noch  jetzt  lachen ,  wie  (luden  richter 
angepfiffen  hast,  du  hast  dich  sehr  gut  benommen,  aber  nun 
ists  nicht  mehr  zeit,  den  wachtein  etwas  vorzupfeifen,  wann 
wirst  du  mich  zahlen?  Arz.  sff.  AI.  höre  auf,  jetzt  ist  der  spafs 
aus.  wann  wirst  du  mich  zahlen?  Arz.  sff.  AI.  pfeif  nur,  du  vidi! 
ich  sage,  meine  zwei  seudi.  Arz.  sff.  AI.  du  glaubst,  du  kannst 
es  mir  wie  dem  richter  machen;  weifst  du  nicht,  dass  es  meine 
erfindung  ist?  Arz.  sff.  AI.  zum  teufet,  ich  werde  dich  pfeifen 
lehren,  Schwindler,  warte  nur.     Arz.  slT,  sff,  sff.     AI.  da  ist  er 


46  HOLSTEIN     REUCIILINS  KOMÖDIEN 

fort,  o  gott,  wie  alles  auf  das  gleiche  ausgeht,  ich  bin  mit 
meinem  eigenen  Schwindel  gefangen  worden,  und  von  wem? 
von  einem  groben  bauern ,  und  dazu  muss  ich  noch  aus  schäm 
schweigen.'  bei  Grazzini  sind  diese  scenen  nur  als  episode  für 
die  komische  figur  des  Arzigogolo  eingescboben.  aber  deutlich 
zeigt  sich  sowol  die  Übereinstimmung  mit  der  dramatischen  aus- 
gestaltung  von  Pathelin  und  Henno,  als  auch  mit  der  italieni- 
schen volkslitteratur.  besonders  die  moralische  schlusswenduog 
ist  eine  so  auffallende,  dass  man  an  eine  ursprünglich  gemein- 
same quelle  denken  muss.  es  liegt,  wenn  man  die  italienischen 
maskeutypen  ins  äuge  fasst,  die  in  den  hauptumrissen  noch  deut- 
lich zu  erkennen  sind,  nahe,  sie  in  einer  italienischen  komödie 
zu  vermuten,  die  italienische  form  der  erzählung  ist  auch  weiter 
gedrungen:  RKühler  teilt  mir  ein  jütländisches  märchen  mit,  wo 
der  bauer  sein  ferkel  an  mehrere  personen  verkauft  und  auf 
rat  des  advocaten  nur  pyhy  sagt,  in  der  Bretonne  (S6billot, 
Litterature  orale  de  la  haute  Bretagne  i  139)  hat  einer  sein  kalb 
an  mehrere  personen  verkauft,  ein  geistlicher  rät  ihm:  'Quand 
on  vous  interrogera,  vous  ne  repondrez  rien,  mais  vous  sifflerez 
au  nez  de  celui  qui  vous  questionera.'  er  wird  auch  würklich 
für  'fou'  gehalten,  aber  wie  der  geistliche  kommt,  Thomme 
se  mit  ä  siffler  comme  ä  l'audience  et  c'est  tout  ce  que  le  recteur 
put  obtenir.' 

Die  hypothese  des  italienischen  lustspiels  wird  uns  durch  eine 
deutsche  nachahmung  noch  wahrscheinlicher.  Goedeke  und  Keller 
haben  das  Luzerner  neujahrsspiel  bis  ins  jähr  1560  hinausschieben 
wollen,  dagegen  erklärt  Bächtold  (Geschichte  der  deutschen  lit- 
teratur  in  der  Schweiz  s.  210  f)  mit  voller  bestimmtheit  auf  grund 
der  hs.,  dass  das  stück  dem  ende  des  15  jhs.  angehöre,  auch 
litterarisch  scheint  dieser  frühe  Ursprung  viel  wahrscheinlicher. 
Mone  hat  es  bereits  (ii  375)  wegen  der  zigeuner  ins  15  jh.  ge- 
setzt und  auch  auf  italienische  anklänge  in  der  spräche  aufmerk- 
sam gemacht.  Parmentiers  beobachtung,  dass  sich  anklänge  an 
Gengenbach  und  Hans  Sachs  finden,  konnte  ich  nicht  nachprüfen, 
da  mir  Parmentiers  arbeit  nicht  zugänglich  war;  jedesfalls  dürfte 
aber  auch  ein  umgekehrtes  Verhältnis  möglich  sein,  wie  im 
Henno  handelt  es  sich  um  tuchkauf,  wie  in  Finnamores  märchen 
bildet  die  summe  von  acht  goldstücken  den  gegenständ  der  klage, 
das  eigentümlichste  an  dem  stücke  ist  die  zigeunerscene,  die  in 
die  handlung  sehr  wenig  eingreift,  dagegen  fehlt  der  scene  Gretas 
mit  der  nachbarin  der  eigentliche  abschluss,  sodass  man  der  Ver- 
mutung Bauzers,  hier  sei  eine  zweite  zigeunerscene,  in  der  Greta 
fragen  kommt,  ausgefallen,  gerne  zustimmen  möchte,  um  so 
mehr,  als  sich  hier  die  acteinteilung  in  augenscheinlicher  Ver- 
wirrung befindet,  die  antwort  des  knechtes  lautet  hier  'weiw'. 
die  behauptung  H.s  s.  90,  aus  diabetischen  gründen  sei  hier  ble 
zu  weiw  geworden,    ist  ganz  unhaltbar,     wir  haben  einfach  den 


HOLSTEIN     REUCHL1NS  KOMÖDIEN  47 

pfiff  der  italienischen  tradition.  aus  dieser  heraus  klingt  auch  die 
moral  (Keller,  Fastuachtspiele  849,  14):  'das  ist  bös,  du  muost  im 
vertragen  und  darfst  kein  menschen  darzuo  segen.'  weist  das 
schon  auf  italienischen  Ursprung  hin,  so  führt  die  zigeunerscene 
direct  zur  italienischen  komödie.  Klein  (Geschichte  des  dramas 
iv 238)  spricht  von  der  italienischen  farsa,  zu  der  auch  zingaresche, 
zigeunerdialoge,  gehören,  welche  sich  meist  um  wahrsagerei  drehten, 
nehmen  wir  Goldonis  bericht  über  die  typen  der  italienischen  ko- 
mödie dazu ,  so  wird  uns  eine  ursprünglich  italienische  farce 
als  ausgangspunct  des  Luzerner  spieles  im  höchsten  grade  wahr- 
scheinlich, wie  Herman  Grimm  bereits  in  seinen  Essays  1859 
vermutet  hatte. 

Viel  complicierter  als  diese  italienisch -deutsche  gruppe  ist 
der  französische  Maitre  Pathelin,  dessen  ausgaben  Petit  de  Julle- 
ville,  Repertoire  du  theätre  comique  au  moyen-äge  s.  191  f, 
verzeichnet.  Lucien  Schöne  hat  in  seiner  neuen  schritt:  Le 
Jargon  et  Jobelin  de  Villon  s.  47  wider  einmal  Villou  als  autor 
zu  nennen  versucht,  zunächst  wird  sofort  klar,  dass  zu  der 
ursprünglichen  handlung  eine  zweite  hinzugetreten  ist:  wie  allen 
populären  tiguren  hat  man  dem  Pathelin  eben  verschiedene 
schwanke  zugeschrieben,  und  zwei  derselben  sind  in  einer  gewis 
geschickten  Verknüpfung  zu  dem  possenspiele  geworden,  dass 
die'  prellerei  um  das  tuch  durch  totstellen  eine  ursprünglich 
selbständige  anecdote,  möglicher  weise  sogar  ein  dramatischer 
schwank  war,  macht  das  von  Banzer  mitgeteilte  schäferspiel  aus 
den  Coventry  plays  wahrscheinlich,  da  stiehlt  Mak  ein  schaf, 
seine  trau  stellt  sich  krank,  er  mahnt  die  suchenden  gelahrten 
zur  ruhe,  ganz  wie  im  Pathelin  Guillemette.  sie  wollen  aber 
dem  schlummernden  neugeborenen  sprössling  geschenke  über- 
reichen, dabei  entdecken  sie,  dass  in  der  wiege  statt  des  kindes 
das  vermisste  schaf  liegt,  im  detail  sind  starke  ähnlichkeiten  mit 
Pathelin  vorhanden,  die  weitere  entwickeluug  zeigt  aber  das 
Zwischenspiel  als  parodie  der  scene  der  heiligen  drei  könige.  die- 
selbe episode  findet  sich  in  denWildkirk  plays  (vgl.  Collier,  History 
of  the  english  dramatic  poetry  u  182  ff)  und  berührt  sich  mit 
einem  schwanke,  der  auch  in  den  Hunderd  merry  tales  erzählt 
wird  (Shakespeares  jest  books  i  106).  die  elemente  der  italieni- 
schen farce  lassen  sich  aber,  besonders  in  der  streitscene  zwi- 
schen mann  und  frau,  den  klagen  über  die  schlechten  kleider  usw. 
nicht  verkennen,  nur  bilden  sie  die  einleitung  zu  dem  ersten 
schwanke,  während  im  zweiten,  der  dem  italienischen  den  um- 
rissen nach  vollkommen  entspricht,  für  den  pfiff  der  laut  bee 
eingetreten  ist.  vergegenwärtigt  mau  sich,  dass  es  sich  bin-  um 
einen  schalhirten  uud  schatdiehstahl  handelt,  so  kann  man  dieser 
änderung  eine  entschiedene  bedeutllDg  nicht  absprechen,  es  beiüsl 
zb.  auch  ausdrücklich  v.  313:  II  cuide  parier  ä  ses  betes.  dies»- 
fassung  des  schwankes  mit  dem  bee-laut  erscheint  auch  öfters  in 


48  HOLSTEIN     REUCHLINS  KOMÖDIEN 

der  populären  liüeratur,  so  erzählen  die  Merry  tales  and  quick 
answers  'of  hiin  that  payde  bis  debt  vvith  crying  l)ea'  (Shake- 
speares jest  books  i  nr  60,  ähnlich  auch  die  Pasquils  jests  ebenda 
in  45).  ein  eigentümliches  misversländnis  bieten  die  Amusemens 
francais  ou  contes  ä  rire  (Venise  1752)  2,  56  ff.  sie  folgen  der 
italienischen  tratlition,  wenn  sie  den  bauer  ein  schwein  an  ver- 
schiedene personen  verkaufen  lassen,  der  anvvalt  rät  ihm  aber, 
'plai'  zu  sagen,  'c'est  un  mot  de  pays  qui  signifie  que  vous 
plait-il.'  dass  die  beiden  schwanke  vor  ihrer  Vereinigung  zum 
Maitre  Pathelin  ein  selbständiges  dramatisches  leben  geführt,  wäre 
nicht  undenkbar:  zwischen  der  ersten  und  zweiten  abteilung  liegt 
ein  deutlicher  einschnitt,  der  drappier  setzt  vollständig  neu  ein 
(s.  Lacroixs  ausgäbe  s.  51).  die  Verknüpfung  ist  jedoch  eine 
vollkommen  feste,  der  Maitre  Pathelin,  in  der  gestalt,  wie  er 
auf  uns  gekommen,  scheint  dem  brandenburgischen  Volksmärchen 
zu  gründe  zu  liegen,  das  WSchwarz  im  Bär  2,  117  mitteilt,  es 
bietet  eine  wunderliche  verquickung  verschiedener  motive.  ein 
bauer  verkauft  sein  schwein  an  fünf  schlächter.  wie  sie  es  ab- 
holen wollen,  legt  er  sich  auf  den  rat  seiner  frau  zu  bette  und 
stellt  sich  tot.  die  schlächter  zanken  sich ,  begnügen  sich  aber 
schliefslich  mit  einer  teilung  des  Schweines,  wie  sie  den  bauer 
aber  gesund  herumwandeln  sehen,  verklagen  sie  ihn  beim  richter. 
der  advocat,  dem  er  25  thaler  (vgl.  Paroboscos  25  ducaten)  in 
aussieht  stellt,  rät  ihm,  vor  gericht  nur  immer  'abgepfiffen!'  zu 
erwidern,  er  wird  als  unzurechnungsfähig  weggeschickt ,  auf 
dem  heimwege  kommt  er  beim  hause  des  advocaten  vorbei,  der 
ihm  vom  fenster  aus  zuruft:  nun,  wie  steht  es  mit  meinen 
25  thalern?  der  bauer  blickt  hinauf,  erwidert:  abgepfiffen!  und 
geht  geraden  wegs  nach  haus. 

Reuchlins  Henno  steht  vollständig  auf  dem  boden  der  italieni- 
schen tradition  und  weist  mit  seiner  astrologenscene  auf  eine  dem 
Luzerner  spiele  ganz  nahe  stehende  quelle  hin.  auch  einzelbeiten, 
wie  die  summe  octo  aurei,  der  stall  als  versteck,  die  Schilderung 
der  marktausrüstung,  stimmen  so  auffällig  überein,  dass  mau  an 
eine  dem  Luzerner  spiel  und  Henno  gemeinsame  quelle  denken 
muss.  directe  anlehnung  an  das  Luzerner  spiel  scheint  dagegen 
höchst  unwahrscheinlich,  der  name  Greta,  den  Bächtold  für 
diese  annähme  ins  treffen  führt,  ist  nicht  beweiskräftig.  Heuchlin 
muss  das  stück  vollständig  durchcomponiert  haben,  ehe  er  das 
französische  drama  kennen  lernte.  dass  es  ihm  nicht  fremd 
geblieben ,  macht  ein  motiv  vor  allem  sehr  augenscheinlich,  es 
ist  das  bee,  bei  Reuchlin  ble.  ich  habe  früher  betont,  dass 
dieser  ausruf  nur  im  munde  des  schäfers  eine  gewisse  berech- 
tigung  hatte.  Dromo  ist  aber  bei  Reuchlin  ein  knecht,  und  da- 
durch verliert  das  ble  seine  eigentliche  bedeutuug.  das  ble  muss 
Reuchlin  sehr  gefallen  haben,  da  er  es  im  Sergius  ebenfalls  an- 
gebracht,    solche  interjectionslaute    sind   dem   humanistendrama 


HOLSTEIN     REUCIILINS  KOMÖDIEN  49 

auch  sonst  nicht  fremd,  ich  erinnere  nur  an  das  'mock'  Nao- 
georgs.  dass  es  sich  schon  im  italienischen  originale  um  einen 
tuchhandel  drehte,  macht  die  ühereinstimmung  des  Henno  und 
des  Luzerner  Spieles  fast  sicher,  auch  einige,  allerdings  wenige, 
«örtliche  anklänge  an  den  Pathelin  finden  sich.  zb.  Donc  tu 
auras  ta  cause  bonne;  Henno  v.  313  Causam  bonam  foves.  A 
son  conseil  il  faut  tout  dire;  Henno  v.  307  Nam  oportet  sci- 
scitari  singula.  Je  tiens  que  le  juge  est  assis;  v.  322  Judex 
tribunal  occupat.  Je  l'absoulz  de  votre  demande ;  v.  355  Et  ego 
Petruci  absolvo  sie  clientulum.  im  ganzen  hat  aber  eigentlich 
Petit  de  Julleville  aao.  s.  196  nicht  unrecht,  wenn  er  sagt :  11  y 
a  fort  peu  de  ressemblance  entre  les  deux  pieces.  daher  möge 
man  auch  von  allen  zu  weit  gehenden  vergleichungen  absehen, 
die  nur  den  ungeheueren  reichtum  des  französischen  witzes  immer 
deutlicher  machen  werden,  der  neueste  biograph  des  Hans  Sachs, 
Schweitzer  (s.  304),  behauptet  dagegen  wider,  dass  Reuchlin  aus 
dem  Palhelin  eine  lateinische  komödie  gemacht  habe,  die  namen 
holt  Reuchlin  zum  teil  aus  der  antike,  zum  teil  aus  dem  ge- 
wöhnlichen leben.  Petrucius  klingt  italienisch,  ich  weise  aber 
daraufhin,  dass  ein  Petrucius  schon  in  Wimphelings  Stylpho  er- 
schienen war  (s.  Martin ,  Strafsburger  Studien  3,  480).  die  antike 
hat  aber  auch  anderweitig  Reuchlin  beeiuflusst.  zu  den  hübschen 
nachweisen,  die  H.  s.  140  über  den  Sprachschatz  gegeben,  hätte 
er  noch  eiuige  allgemeine  bemerkungen  hinzufügen  können,  so 
schweben  dem  dichter  im  ersten  teile  sichtlich  die  eingaugsscenen 
der  Aulularia  vor,  in  denen  es  sich  auch  um  einen  vergrabenen 
schätz  handelt,  die  Aulularia  ist  es  ferner,  die  nach  meiner  an- 
sieht die  Reuchlin  angehörige  eiofflhrimg  des  liebespares  Dromo- 
Abra  bedingt  hat.  er  versucht,  in  echt  humanistischer  weise, 
eine  versittlichte  ausgäbe  des  liebesverhältnisses  zwischen  Lyko- 
nides  und  Phaedra,  wie  sie  die  christliche  schule  forderte,  der 
antike  mag  auch  die  Wandlung  des  Drappier- Duochman  zum  Da- 
nisia  zu  danken  sein;  nach  Reuchlins  eigenem  aussprudle  (H. 
s.  99)  verwendet  er  diese  bezeichnung  als  nomen  proprium  mer- 
catoris.  ich  glaube  nach  all  dem  gesagten  zu  dem  Schlüsse  be- 
rechtigt zu  sein,  dass  es  eine  italienische  komödie  gab,  aus  der 
Reuchlin,  das  Luzernerspiel  und  Pathelin  unabhängig  von  einander 
schöpften,  der  Henno  verrät  aber  zugleich  oberflächliche  be- 
kanntschaft  mit  dem  Pathelin. 

H.  bespricht  weiter  die  bekannten  deutschen  bearbeitungen. 
bei  Hans  Sachs  war  auf  die  echt  fastnachtspielmäfsige  vergröberung 
des  liebes-  und  ehepares  hinzuweisen  (Kellers  ausg.  bd.  7  ;  133,  8  ff. 
150,  31  ff),  die  Schlusswendung  des  Petrucius  1 4(5,  19  'Betreugt 
mich  gleich  der  baurenknecht  Dunkt  mich  mir  gscheh  nit  gar 
unrecht'  klingt  an  die  inoral  der  italienischen  tradition  an.  Betz 
arbeitet  nach  Reuchlin,  benutzt  aber  auch  lhms  Sachs.  Gregor 
Wagner  kennt  alle  drei  Vorgänger,  der  aneedote  Wickrams  lässl 
A.  F.  D.  A.    XVII.  4 


50  HOLSTEIN     REUCHLINS  KOMÖDIEN 

sich  die  aller  details  entbehrende  fassuug  aus  Büttners  Claus 
narren  an  die  seite  stellen  (s.  1.  1752,  teil  9  nr  58):  'ein  vor- 
sprach hatte  einen  dieb  vnterrichtet,  dass  er  vor  dem  gerichte 
thete  wie  ein  stumme  und  nirgend  zu  antwortet,  allein  sagte  zu 
allem  das  man  fragen  würde:  pa  pi  pa  pi  pa.  als  wollte  er  jn 
vom  galgen  lofs  machen,  vnd  zehn  gülden  zu  lohne  haben,  der 
dieb  thete  also  vor  dem  gerichte  und  ward  ledig,  der  vorsprach 
fordert  zehen  gülden,  da  bleib  der  dieb  auff  diesem  weg,  wie 
jn  der  vorsprach  geleret  hatte,  vnd  sprach  auch  zv  jhm:  pa  pi 
pa  pi  pa,  vnd  machte  sich  vom  vorsprachen  auch  ledig.'  auf 
spätere  französische  Umarbeitungen  ist  H.  nicht  weiter  eingegangen, 
über  sie  orientiert  Petit  de  Julleville  und  Banzer  aao.  s.  103  f.  die 
neueste  deutsche  biihnenbearbeitung  von  Albrecht  grafYVickeuburg 
(1883,  Neues  Wieuer  theater  nrll6),  der  eine  sehr  kurze  lebens- 
zeit  auf  der  Wieuer  bübue  beschieden  war,  hätte  erwähnt  werden 
sollen.  Ticknor  (1,616  der  deutschen  ausgäbe)  bringt  ein  Entremes 
del  Letrado  des  Lope  de  Vega  mit  dem  Pathelin  in  Zusammenhang; 
davon  kann  bei  diesem,  iu  denObras  sueltas  18,8  abgedruckten  diebs- 
schwanke keine  rede  sein,  holländische  bearbeitungen  des  Maitre 
Pathelin  existieren  von  Cammaert  1715,  Esgers  1779  und  Lamme 
c.  1783  (s.  Catalogus  der  bibliotheek  van  de  maatschapij  te  Leiden 
r  2,  72.  90.  131). 

Von  einzelheiteu  habe  ich  nachzutragen :  zur  aufführung  des 
Henno  vgl.  Bäcbtold  aao.  s.  396  f.  das  'revenons  ä  nos  moutons' 
H.  s.  42  ist  nach  meiner  ansieht  in  Deutschland  erst  sprich- 
wörtlich geworden ,  nachdem  es  Kotzebue  in  den  Deutschen 
kieinstädtern  verwertet  hatte,  von  deutschen  aufführungen  des 
Pathelin  sprechen  aufser  Lessing  Meyer  und  Herder,  in  Bremen 
wurde  das  stück  1765  mit  Schröder  als  Aguelet  gegeben,  'den 
Pathelin  gab  Ekhof  mit  allen  zoten,  die  seine  gebehrden  ver- 
stärkten' (Meyer,  Schröder  i  138).  mitte  mai  1765  sah  Herder 
Bhyusolt  und  Saphira  und  'das  noch  schlechtere  lustspiel  Pathelin' 
(Herders  briefe  an  Hamann  hg.  von  OHoffmann  s.  25.  Lebens- 
bild i  2,  138).  zu  gründe  lag  die  deutsche  Übersetzung  von  JCS. 
Danzig  1762  (Hoffmann  aao.  s.239).  der  französische  Pathelin  kam 
auch  auf  die  bühne  der  Jesuiten  und  erhielt  sich  bis  in  die  mitte 
unseres  jhs.  (s.  Vautrey,  Histoire  du  College  de  Porrentruy  s.  306). 
Daniel  Megels  compositionen  der  chöre  in  Henno  nennt  Ambros 
(Musikgeschichte  iv  215)  wahre  bänkelsängerstücklein.  derselbe 
erwähnt  auch,  dass  'Hans  Holbeiu  d.  j.  die  verse  mortalium  ju- 
eunditas'  (v.  144  ff)  seinem  Triumph  der  armut  als  denkspruch  bei- 
gegeben, das  stück  Ayrers  (s.  87)  ist  eine  bearbeitung  von 
Machins  drama  Dumb  knight,  das  öfter  auf  dem  repertoire  der 
englischen  banden  erscheint  (s.  Creizenach,  Deutsche  natioual- 
litteratur  29,  xlviii).  ich  finde  das  heranziehen  des  Stückes  der 
sprichwörtlichen  Wendung  wegen  sehr  unnötig.  Domenichi  schliefst 
mit  einem  Spruche:    mali  corvi,  malum  ovum,  auf  den  Schaum- 


HOLSTEIN     REUCHLINS  KOMÖDIEN  51 

bürg  aao.  s.  3  viel  zu  sehr  gewicht  gelegt  hat.  Abraham  a  S.  Clara 
überschreibt  den  zweiten  teil  seines  Centifolium  stultorum:  mala 
gallina,  malum  ovum. 

Über  den  Sergius  lässt  sich  nichts  sagen,  ehe  die  tendenziöse 
grundlage  vollständig  klar  geworden,  als  drama  hält  er  mit  dem 
Henno  keinen  vergleich  aus.  eine  comedia  del  Sergio,  Venecia 
zwischen  1550  und  1562  erschienen,  die  Barrera  im  Catalogo 
del  teatro  Espanol  p.  582  aus  dem  index  von  1707  anführt,  hat 
schwerlich  etwas  mit  Reuchlin  zu  schaffen,  die  Sceuica  progym- 
nasmata  standen  ebenfalls  auf  dem  index,  und  zwar  auf  dem 
portugiesischen  von  1581  und  dem  spanischen  von  1585.  ich 
entnehme  diese  angaben  der  ausgäbe  der  lndices  librorum  prohi- 
bitorum  des  I6jhs.  von  Reusch  (s.  354  und  414),  kann  aber  bei 
dieser  publication  des  Stuttgarter  litterarischen  Vereins  die  be- 
merkung  nicht  unterdrücken,  dass  fast  die  einzige  arbeit,  die  bei 
einem  derartigen  abdrucke  zu  machen  gewesen  wäre,  in  der  an- 
fertigung  eines  guten  registers  bestanden  hätte,  dieses  fehlt,  und 
somit  ist  die  ganze  ausgäbe  eigentlich  unbrauchbar. 

Die  bibliographie,  sowie  die  nachweise  der  druckorte  kann 
ich,  gestützt  auf  angaben  drBoltes,  der  meine  Untersuchung  auch 
anderweitig  förderte,  ergänzen,  zu  Connibertus  s.  44  vgl.  Jacob 
[Lacroix] ,  Bihliotheque  Soleinne  nr  673  —  675.  der  druck  von 
1543  auch  in  Kopenhagen,  Luzern  [kantonsbibliothek] ,  Paris 
[bibliolheque  nationale];  ein  anderer  s.  I.  et  a.  im  Haag.  —  Betz 
(s.  77)  auch  in  London. 

Scenica  progymnasmata  (ich  citiere  nach  den  nummern  bei 
H.  s.  155  ff.  ein  beigesetztes  a  oder  b  usw.  bezeichnet  einzu- 
schiebende ausgaben):  1)  in  Darmstadt,  Tübingen.  2)  in  Bam- 
berg, Erlangen,  Kopenhagen.  2a)  Tubingae  1502  in  Lübeck. 
3)  Budapest.  5)  Stuttgart.  6a)  Monasterii  1509,  erwähnt  in  der 
Bihliotheque  Soleinne  nr  279.  PBahlmann  teilt  aus  eiuem  Münsterer 
exemplar  ein  epigramm  des  Murmellius  mit,  das  H.  nicht  kennt 
(ein  nachtrag  zu  Holsteins  bibliographie  der  Beuchlinschen  ko- 
mödien  im  Correspondenzblatt  der  Westdeutschen  Zeitschrift 
1889  sp.  72  ff).  6b)  s.  1.  1510  in  Bamberg.  7)  in  Strafsburg. 
7a)  Phorce  1512  in  Heidelberg.  8)  in  Strafsburg.  8a)  Argeu- 
torati  1513  in  München.  9)  in  Kopenhagen.  9a)  Coloniae  1515, 
erwähnt  von  Bahlmann.  9b)  Monasterii  1516,  ebenda,  in  dieser 
ausgäbe  steht  das  oft  gesuchte  Laus  sive  encomium  Reuchlini. 
11)  in  üpsala.  12)  vgl.  Denis  s.l  13.  13)  in  Strafsburg.  14a)Da- 
vent.  1515  in  Strafsburg.  14b)  Davent.  1516  in  Heidelberg.  15)  io 
Kopenhagen.  16)  in  Budapest.  17)  im  Haag.  19)  in  Kopenhagen, 
Prag,  Wernigerode.  20a)  Lovanii  1534  (London).  2()h)  Coloniae 
1537  (?).  20c)  Lips.  1538.  20d)  Coloniae  1540  (?).  20e)  Antver- 
piae  1544.  20b  e  in  der  Bibliolheque  Soleinne  or  285.  24)  in 
Augsburg,  Hamburg,  Budapest,  Frankfurt  a/M.,  London,  Strafsburg. 
25)  in  Augsburg,  Carlsruhe,   Erfurt,   Prag,    Strafsburg,  Upsala. 

4* 


52  HOLSTEIN    REUCHLINS  KOMÖDIEN 

Sergius  (s.  163).  4a)  Tubingae  1516  in  der  Bibliotheque 
Soleinne  nachtr.  nr  27.  6)  in  Augsburg,  Kopenhagen.  6a)  Lip- 
siae  1521  in  Augsburg,  Kopenhagen ,  Lübeck,  Zwickau.  7)  in 
Augsburg,  Berlin,  Darmstadt,  Kopenhagen,  London,  München, 
Bostock ,  Strafsburg,  Tübingen,  Wernigerode,  Zwickau.  8)  in 
Erfurt,  Erlangen,  Fraukfurt  a/M.,  Heidelberg,  Köln,  Kopenhagen, 
London,  Oxford.  10)  in  Augsburg,  Erfurt,  Frankfurt  a/M.,  Kopen- 
hagen, London,  Paris,  Upsala,  Wernigerode. 

Comoediae  duae  (s.  165).  la)  Coloniae  1528  im  Haag.  2)  in 
Cassel,  London.  3)  in  Giefsen,  Jena,  Stralsund,  Weimar.  4)  in 
London,  Paris. 

Ein  böser  druckfehler  ist  im  texte  des  Heuno  stehn  ge- 
blieben, s.  28  v.  325  Dromo  für  Danista.  s.  87  z.  4  muss  es 
heifseu:    17  Jahrhundert. 

Hat  H.  auch,  wie  sich  gezeigt  haben  dürfte,  die  Unter- 
suchung nirgends  wesentlich  weiter  geführt,  so  bleibt  man  ihm 
doch  für  die  ausgäbe  selbst  zu  danke  verpflichtet. 

Wien  im  märz  1890.  Alexander  von  Weilen. 


Etüde    sur  Jean   Fischart   par   P. Besson.     Paris,  Hachette  1889.  —  364 ss. 
8°.  —  6  m.* 

Dem  eifer,  mit  welchem  wir  Deutschen  im  Elsafs  die  ge- 
schichte  des  wider  gewonnenen  landes  studieren,  setzt  sich  auf 
französischer  seite,  zumal  bei  den  nach  Frankreich  übergesiedelten 
Elsässern,  ein  gleiches  bestreben  entgegen,  und  soweit  es  würk- 
lich  wissenschaftliche  forschung  gilt,  kann  mau  sich  darüber  nur 
freuen,  hr  Besson  hat  seine  beiden  thesen  (dissertationen)  diesem 
zweck  gewidmet:  zu  der  oben  angeführten  kommt  die  lateinische 
De  Sebastian}  Braut  sermone,  Argentorati  1890.  der  grammatische 
ertrag  dieser  letzteren  wird  dem  Elsässischen  Idiotikon  zu  gute 
kommen,  welches  ref.  mit  HLienhart  zusammen  und  mit  Unter- 
stützung der  landesverwaltung  vorbereitet. 

Allgemeineres  interesse  wird  die  Fischartstudie  erwecken 
und  durch  die  klare,  muntere  darstellung  kommt  sie  diesem 
interesse  in  der  tat  entgegen,  auf  französische  leser  berechnet 
muss  sie  freilich  manches  vorbringen,  was  dem  eigentlichen 
Fischartforscher  längst  bekannt  ist;  aber  wie  viele  dürfen  sich  so 
nennen,  selbst  unter  den  deutschen  germanisten?  auch  ihnen  aber 
wird  namentlich  die  beständige  berücksichtigung  der  französischen 
litteratur  und  der  französischen  staatsverhältuisse  in  Fischarts  zeit 
erwünscht  sein. 

Selbstverständlich  wird  der  deutsche  Satiriker  vor  allem  mit 
Babelais  verglichen,    bei  aller  bevorzugung  des  letzteren  in  hin- 

[*  Litter.  centralbl.  1890,  nr  27.  —  Revue  crit.  1890,  nr31.] 


BESSO>*     ETÜDE    SDR  FISCBART  53 

sieht  auf  schriftstellerische  Verdienste  ist  B.  doch  gerecht  genug, 
sowol  die  überströmende  fülle  und  die  eigentümlich  deutsche  art 
in  der  behandlung  des  entlehnten  Stoffes  vollauf  anzuerkennen, 
wie  die  strenge,  insbesondere  in  den  geschlechtlichen  beziehungen 
ernste  Sittlichkeit  des  Deutschen  zu  loben,  einzelne  stilistische 
eigenheiten  Fischarts,  zb.  sein  zusammenstellen  von  fremden  und 
deutschen  ausdrücken  für  dieselbe  sache:  der  tyrann  oder  hals- 
herscher  Dionysius  uä.,  werden  gut  vorgeführt  und  glücklich  bei 
der  kritik  einiger  zweifelhafter  stücke  verwendet. 

Inwieweit  die  forschung  über  Fischart  durch  ßesson  gefördert 
worden  ist,  kann  ref.  jetzt  nicht  im  einzelnen  erörtern,  dagegen 
ist  es  ihm  möglich  zu  dem  biographischen  eingangscapitel  selbst 
neues  material  beizubringen,  wesentlich  durch  die  gute  des  herrn 
Adolph  Seyboth,  von  welchem  eben  eine  sorgfältige  topographie 
'Das  alte  Strafsburg  vom  13  jh.  bis  zum  jähre  1870"  (Strafsburg, 
Heitz  und  Mündel)  veröffentlicht  worden  ist.  hier  wird  in  den 
nachtragen  s.  327  erwähnt,  dass  Fischart  wahrscheinlich  bis  1581 
im  hause  nr  39  der  Gewerbslauben  wohnte,  wo  sein  vater  wurz- 
krämer  (spezereihändler)  war.  auf  meine  anfrage  verwies  hr  Sey- 
both zur  begründung  seiner  angäbe  auf  zwei  Urkunden. 

In  der  ersten  hat  hr  Seyboth  mit  vollem  recht  Fischarts 
namen  trotz  der  entstellung  zu  Vischer  wider  erkannt.  1)  Ge- 
mein Contractbuch  de  anno  1593  fol.  53b:  Kauffbrief  Albrecht 
Ackermanns  des  Wurtzkremers,  vber  sein  behausung  am  Prediger- 
gässlein  (am  rande:  Confirmiren  Donnerstag  den  ersten  Augusti 94) 
.  .  .  Erschienen  Georg  Kirchhoff'er  der  handelsmann,  als  Vogt  Tobiae, 
Susannen,  Lucretiae,  Davidts  und  Daniels,  wie  auch  unsers  Burgers 
Bernhard  Jobins  mit  Annen  Vi  seh  er  in  auch  sei.  in  seiner 
ersten  Ehe  erzeugter  Kinder,  jetzgemelter  Georg  Kirchhoff'er  als 
Ehevogt  Barbar  ae  Vi  scher  in  und  beneben  ihme  erstgedachte  sein 
eheliche  Hausfrau,  sodann  auch  als  geschworener  Vogt  Hans  Bern- 
harden und  Annen  Elisabethen  w.  des  hochgelehrten  Johann 
Vischer  der  Rechten  Docloris  selig  nachgelassener  Kinder,  alle 
als  Erben  weil.  Johann  V ischers  des  Wurzkraemers  selig,  und 
freiwillig  und  öffentlich  bekanndt  und  angezeigt  haben  wie  dass 
sie  umb  Weinacht  des  verschinenen  wenigeren  Zahl  89  Jahrs  be- 
neben obgedachtem  DrJoh.  Vischern,  auch  unser m  Burger,  der 
damals  noch  in  Leben  geioesen,  mit  Albrecht  Ackermann  dem  Wurz- 
kraemer  einen  Kauff  abgeredt,  verglichen  und  beschlossen,  der  aber 
noch  nit  ordentlicher  Weis  verschriben  und  darüber  gepürender 
Kauffbrief  uffgericht  worden.  .  .  . 

2)  in  das  Gemein  Contractbuch  de  anno  1599  fol.  2*  ist 
folgende  abrechnung  als  doppelblatt  eingeheftet:  (v°.)  Voigt  wafs 
Do  et  or  Johan  Fischart  genant  Mentzer  seligen  Kitider 
noch  zu  gelten  schuldig: 

Item  Erstlich  fordert  Niclaus  Schmidt  der  Kinder  Steyffgroflt- 
vatter  für  Haupt  gut  vnd  Zinss  dut  .     .     .      20  //.       ,/y.         CS. 


54  BESSON    ETÜDE  SUR  FISCHART 

Item  Hr  L  :  Cristoff  Butzmans  Seligen 
Erben  Laut  Zedul 21  //.       ,/y.         .^S. 

Item  Bernhart  Garding  gewesenen  Rraun- 
schweygers  S.  Erben  Lant  Zedul    ....  -    13  -         4  - 

Item  Sigmund  Feyr abend  von  Frank- 
furt Seligen  Erben  Laut  Zedul    ....       11-12-         8  - 

Item  einem  Buchbinder  von  Hagnau 
hatt  sich  nit  vnderschriben -    19  -         8  - 

Item  Caspar  Cherums  Buchbinder  von 
Speyr  Laut  Zedul 1-      5-         4  - 

Item  Johan  Külheuser  Duchgewender 
von  Hagnau  Laut  Zedul 16    -    14  - 

Item  Georg  Kirchouer  für  dar  gelihen 
gelt  in  a"  90  beschehen  Laut  Handschrifft 
in  Hauptguet 100  - 

Item  pleibt  man  mir  dem  gewesenen 
Vogt  an  meiner  Letsten  Rechnung  vnd 
anderen  seithero  ausgeben  düt      ....       3   -    10  - 

Sa.  Düt  175#.    15J^.        ^§. 
Also  Rest  vnd  pleibt  noch  vbrig  vorstandt  Düt     33   -      6  -        3    - 

(r°,  gegenüber:)  Voigt  wafs  Doctor  Johan  Fischart 
Seligen  Kinder  noch  Eigenthumblich  in  Hauptgnet  vnd  Zinss  ver- 
mögen : 

A.  Item  an  dem  Heuslin  in  der  grienen  Bruoch  alhie  gelegen 
an  25  &.  -eS.  der  Dritte  theil  Dut       .     .  8  €t.     6  .fy .  &  «§, 

H.  Item  so  gebürth  Inen  an  300  R 
Strasburger  Wehrnng  so  M.  Hanss  Holm  Der 
Kanttengiefser  noch  aus  der  behausung  zum 
grienen  bäum  alhie  gelegen  am  Haupt guet 
soll  der  Dritte  Deil  Dut 52    -     10  - 

Item  für  1  verfallenen  Zinss  auf  Wey- 
nachten  a"  98  an  15  R  Str  Wehrung  der 
Dritte  Deil 2   -     12  -      6  - 

C.  Item  auff  Valtin  Jäger  Defs  ge- 
toesenen  Metzgers   S  behausung  am  Staden 

alhie  gelegen  an  160  R  der  dritte  Deil  Dut      28    - 

Item  an  1  verfallenen  Zinss  auf  Vr- 
bani  a°  98  der  Dritte  Deil 1    -       8  - 

D.  Item  so  gebürth  gedachten  Kindern 
mehr  an  100  R  Strasburger  \V  auff  Lorentz 
Engelhart    dem    Schuhmacher    neben     dem 

Gerner  fisch  alhie  der  dritte  Deil  Dut    .     .      17    -     10  - 

Item  an  1  verfallenen  Zinss  auff  nechst 
künfftig  Mathistag  a"  99  an  5  R  gedachter 
Wohnung  der  dritte  Deil  Dut      ....  -     17  -       6  - 

Item  so  gebürth  Inen    dann  auch   an 


BESSOiN    ETÜDE  SUR  FISCHART  55 

500  R  Strasburger  Wehrung  so  Niclaus 
Schmied  von  Frau  Barbara  Kyrmanin  her 
grofsmutter  Selg.  sein  Lebtag  zu  ntessen  der 

Dritte  Beil  Dut 87  €f.   10  jf .       og. 

Item  sollen  die  Bauweren  von  Friefnen 
(?  ist  Friesenheim  hei  Benfeld  gemeint?) 
vermag  einer  abrechnung  im  Datum  a"  98 
mit  In,  beschehen 10-6-       7  - 


Sa  209  €L     l./9.    3^. 

Aus  diesen  Urkunden  geht  zunächst  hervor,  dass  Fischarts 
vater  recht  vermöglich  war,  da  er  wenigstens  vier  häuser  in  Strafs- 
burg besafs:  das  an  den  Gewerbslauben,  das  im  grünen  Bruch,  das 
zum  grünen  Baum  und  das  am  Staden  gelegene;  von  ihm  rührt, 
nach  den  angeführten  miterben  zu  schliefsen,  der  anteil  der  kinder 
Fischarts  an  allen  diesen  häusern  her.  sodann  bezeugt  die  erste 
Urkunde,  dass  Fischart  zu  Weihnachten  1589  noch  lebte,  1593  aber 
verstorben  war.  dass  er  1590  starb,  darf  wol  daraus  geschlossen 
werden,  dass,  der  zweiten  Urkunde  zufolge,  der  vormund  seiner 
kinder  in  diesem  jähre  der  familie  die  bedeutende  summe  von 
100  pfund  vorzuschiefsen  veranlasst  war. 

Der  grofse  besitz  an  liegenschaften  in  Strafsburg,  welcher 
Fischarts  vater  gehörte,  wird  wol  erst  nach  längerem  verweilen 
in  dieser  Stadt  zusammen  gekommen  sein,  und  so  wird  es  auch 
von  dieser  seite  her  wahrscheinlich,  dass  Fischart  würklich  in 
Strafsburg  geboren  war.  hr  Seyboth  versichert  mich,  dass  er 
Mentzer  auch  schon  als  beinamen  des  vaters  in  den  Urkunden 
gelesen  habe,  hoffentlich  gelingt  es  seinen  weiteren  nach- 
forschungen ,  auch  in  diesem  puncte  sicheres  zu  ermitteln. 

Strafsburg,  4  juli  1890.  Er>st  Martin. 


Geschichte  der  poetischen  theorie  und  kritik  von  den  discursen  der  maier 
bis  auf  Lessing,  von  Friedrich  Braitmaier.  Frauenfeld,  JHuber. 
1  teil.  1888.  x  und  313  ss.  2  teil.  1889.  [vm]  und  288  ss. 
gr.  8°.  —  10  m.* 

Vor  kurzem  noch  befand  sich  die  litteraturgeschichte  in  der 
unangenehmen  läge,  in  allen  fragen  aus  der  geschichte  der 
ästhetik  auf  darstellungen  angewiesen  zu  sein,  deren  entstehung 
und  bestimmung  sie  für  literarhistorische  zwecke  wenig  brauchbar 
erscheinen  liefs.  hat  doch  der  philosoph  —  und  nur  dieser 
hatte    bisher    auf   jenem   gebiete    gearbeitet  — ,    wenn    er   seine 

[*  GGA  1890  nr  1  (BScufTcrt).  —  Litter.  centr.  1888  nr  50.  1889 
nr  40.] 


56  BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER  FOET.  THEORIE  UND  KRITIK 

Wissenschaft  historisch  betrachtet,  lediglich  die  absieht,  seine 
eigene  theorie  an  den  aufstelluugen  der  Vorgänger  zu  prüfen, 
kein  wunder,  dass  von  diesem  gesichtspunet  aus  das  moment 
der  entwickelungsgeschichte  zurücktritt,  dass  der  einzelne  äslhe- 
tiker  nur  so  weit  herangezogen  wird,  als  er  sich  mit  fragen  be- 
schäftigt, welche  das  System  seines  kritikers  aufwirft,  für  die 
litteraturgeschichte  dagegen  liegt  der  mafsstab  ihrer  kritik  aus- 
schliefslich  in  der  würkung  der  theorie,  in  den  consequenzen 
für  die  schaffende  dichtu ng.  jedes  System  wird  sich  ihr  als  ver- 
werflich erweisen,  dessen  befolgung  durch  den  dichter  traurige 
fruchte  gezeitigt  hat.  nicht  weil  Gottscheds  Kritische  dichtkunst 
zu  Robert  Zimmermanns  ästhetik  in  Widerspruch  steht,  ist  sie 
zu  verurteilen,  sondern  weil  der  sterbende  Cato  in  ihr  seine 
existenzberechtiguug  sucht,  und  Lessings  neuaufstellungen  werden 
da  die  gränzen  ihrer  richtigkeit  Qnden  lassen,  wo  lffland  und 
Kotzebue  die  theoretische  grundlage  ihrer  thränenseligen  rühr- 
dramen  anzutreffen  sich  berechtigt  glauben.  ebenso  werden 
manche  Herderschen  apereüs  nach  den  ausschreitungen  des  sturm- 
und  drangdramas  zu  richten  sein  usw. 

Dennoch  möge  man  sich  hüten,  die  historisch-philologische 
methode  der  modernen  litteraturgeschichte  ohne  weiteres  auf  die 
geschichte  der  ästhetik  anzuwenden,  wer  lediglich  die  Schöpfungen 
der  phantasie  des  dichtenden  künstlers  zu  betrachten  sich  an- 
schickt, wird  einer  genauen  kenntnis  der  philosophie  der  zeit 
entbehren  dürfen,  anders  der  geschichtsschreiber  der  ästhetik: 
er  muss  Leibniz  und  Wolff  kennen,  wenn  er  über  Gottsched 
und  Lessing,  er  muss  Kant  und  Fichte  beherschen,  wenn  er 
über  Schiller  und  die  Romantiker  arbeiten  will;  ja,  er  wird  auch 
jener  fähigkeit  der  ideenentwickeluug  teilhaft  sein  müssen,  die 
nur  dem  philosophisch  geschulten  köpfe  eigen  ist.  reiche  fruchte 
lassen  sich  für  die  litteraturgeschichte  von  den  einschlägigen 
bemühungen  erwarten,  wenn  einmal  die  geschichte  der  theorie 
gründlich  durchforscht  ist,  so  werden  die  würkungen  der  ästhe- 
tischen lehrmeinungen  auf  die  poesie  leicht  zu  verfolgen  sein, 
schon  heute  wissen  wir,  auf  welchem  wege  Lessings  dramen  der 
theorie  entkeimt  sind;  dann  wird  das  gleiche  für  alle  übrige 
dichtung  bekannt  werden,  die  ihre  quelle  in  der  abstraction  hat. 

Nachdem  man  längere  zeit  sich  in  arbeiten,  die  sich  mit 
der  genesis  der  deutschen  poetik,  mit  Martin  Opitz,  beschäftigten, 
nicht  hatte  genug  tun  können,  ist  in  den  letzten  jähren  eine 
reihe  von  monographien  hervorgetreten,  die  in  erfolgreicher  weise 
die  geschichte  der  ästhetik  des  17  und  18  jhs.  bearbeitet  haben. 
Rorinski  vor  allem  hat  in  einem  ebenso  gründlichen  und  ge- 
lehrten, als  schwerlesbareu  buche  die  deutsche  poetik  von  Opitz 
bis  Gottsched  verfolgt,  dann  hat  der  frühverstorbene  vStein  mit 
richtigem  blicke  die  ersten  keime  dessen,  was  man  heute  ge- 
meiniglich ästhetik    nennt,    erkannt   und,    während  Rorinski  die 


BRAITMAIER     GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  UND  KRITIK  57 

aller  philosophischen  Systematik  entbehrenden  poetischen  recept- 
sammlungen  des  17jhs.  mühsam  durchackert  hatte,  seinerseits 
die  ersten  versuche  einer  im  grofsen  Stile  arbeitenden  theorie, 
wie  sie  in  Frankreich,  England  und  Deutschland  in  derzeit  von 
Boileau  bis  Winckelmann  sich  abspielten,  in  grofsen  und  klaren 
zügen  dargestellt,  das  wesentliche  glücklich  heraushebend  hat 
Servaes  die  poetik  Gottscheds  und  der  Schweizer  analysiert,  end- 
lich hat  Joh.  vAntoniewicz  den  versuch  gemacht,  die  sämmt- 
lichen  von  einem  ä'sthetiker  des  18  jhs.  berührten  probleme 
historisch  zu  begründen;  er  hat  die  quellen  der  erörterungen 
JESchlegels  mit  ebenso  viel  kenntnis  als  geschick  in  französi- 
schen theorien  nachgewiesen. 

Diese  schritten  waren  eben  erst  erschienen,  als  Friedrich 
ßraitmaier  mit  einem  umfangreichen  werke  hervortrat,  das  —  eine 
Fortsetzung  zu  Borinskis  buche  —  die  geschichte  der  poetischen 
theorie  und  kritik  von  den  discursen  der  maier  bis  auf  Lessing 
zu  liefern  beabsichtigt.  B.  hatte  schon  in  dem  Correspondenz- 
blatte  für  die  gelehrten  und  realschulen  Württembergs  (1885, 
9  und  10;  1886,  1 — 4)  eine  einschlägige  Studie  geboten:  'Über 
die  Schätzung  Homers  und  Virgils  von  CScaliger  bis  Herder' 
(sep.-abdr.  Tübingen,  FrFues  1886).  ein  parergon  der  grösseren 
arbeit,  das  bei  seiner  grofsen  unvollständigkeit  keine  besonderen 
erwartungen  wecken  mochte. 

Anders  steht  es  mit  dem  neueren  werke;  dieses  baut  B.  auf 
breitester  basis  auf.  freilich  war  ihm  auch  jetzt  nicht  vergönnt, 
die  quellen,  deren  eine  geschichte  der  ästhetik  des  18  jhs.  bedarf, 
erschöpfend  zu  verwerten:  wer  aber  jemals  gezwungen  war,  fern 
von  gröfseren  bibliotheken  zu  arbeiten,  wird  mit  dem  verf.  nicht 
rechten,  dass  er  sein  buch  'Geschichte'  und  nicht  'Beiträge  zur 
geschichte'  usw.  genannt  hat.  tatsächlich  zerfällt  es  in  vier  lose 
verknüpfte  monographien:  Gottsched  und  die  Schweizer,  AGBaum- 
garten,  JGSulzer,  Moses  Mendelssohn. 

Die  solide  basis  erhellt  aus  der  mitteilung  des  verf.s  (1,  vin), 
er  habe  auch  eine  darstellung  der  aufserdeutschen  ästhetik  von 
Vida  bis  Du  Bos  einerseits,  Shaftesbury  andrerseits  zum  drucke 
fertig  gestellt.  B.  geht  von  dem  unbestreitbaren  grundsatze  aus, 
dass  die  deutsche  ästhetik  eine  frucht  der  englischen  und  französi- 
schen sei,  also  nur  von  ihnen  aus  richtig  begriffen  werden 
könne,  logische  folge  wäre  allerdings  gewesen,  die  geschichte 
der  nicht- deutschen  ästhetik  dem  vorliegenden  buche  voraul'zu- 
senden.  nicht  nur  für  die  darstellung  hätte  das  wesentliche 
vorteile  ergeben,  ich  nenne  nur  einen  fall,  im  jähre  1660  fasste 
der  greise  Corneille  die  erfahrungen  einer  langjährigen  tätig- 
keit  für  die  französische  bühne  in  seine  drei  'Discours  sur 
le  poeme  dramalique'  zusammen,  auf  eine  lange  reihe  von 
triumphen  zurückblickend,  will  er  seine  abweichungen  von  der 
antiken    theorie    rechtfertigen,     kein    besserer  weg    in  Corneilles 


58  BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  UND  KRITIK 

absiebten  einzudringen,  als  das  Studium  dieser  discours.  allein 
das  doctrinäre  17  und  18  jh.  fasste  die  selbstbewuste  äufserung 
eines  starken  dichtergeistes,  der  die  practischen  erfolge  seines 
lebeus  gegen  halbverstandene  gesetze  ins  feld  führte,  als  einen 
neuen  kanon ,  um  ihn  entweder  urteilslos  naebzubeten  oder  seiue 
absiebt  verkennend  zu  verdammen,  in  Deutschland  zieht  sich 
dann  die  reihe  der  an  Corneilles  discours  anknüpfenden  Schriften 
bis  zu  Lessings  Hamburgischer  dramaturgie,  die  mit  dem  streite 
wie  mit  seinem  Urheber  gründlich  aufräumte,  wie  sehr  eine  ge- 
schichte  der  deutschen  ästhetik  an  Übersichtlichkeit  und  durch- 
sichtigkeit  gewänne,  wenn  sie  an  die  äufserungen  Corneilles  als 
an  etwas  bekanntes  sich  anlehnen  dürfte,  liegt  auf  der  hand. 
und  vStein  hat  sicherlich  den  besseren  weg  gewählt,  wenn  er  mit 
Boileau  anfangend  erst  zum  Schlüsse  nach  Deutschland  sich  ge- 
wendet hat.  dass  sich  aus  mangelhafter  durchforschung  der 
nichtdeutschen  ästhetik  aber  sogar  eine  erhebliche  Verzeichnung 
des  bildes  der  entwickelung  ergeben  kann,  möchte  ich  an  einem 
weiteren  beispiele  zu  erweisen  suchen. 

B.  zieht  1,  190  ff  anlässlich  des  briefwechsels  zwischen  Bod- 
mer  und  dem  italienischen  grafen  Pietro  de'  Conti  di  Ca- 
lepio  aus  Bergamo  des  letzteren  'Paragone  della  poesia  tragica 
d'Italia  con  quella  di  Francia'  heran,  ganz  richtig  findet  er 
eine  merkwürdige  ähnlichkeit  zwischen  den  aufstellungen  Bod- 
mers  und  den  äufserungen  Lessings  gegen  Mendelssohn  im  brief- 
wechsel  über  die  tragodie  von  den  jähren  1756  und  1757.  leider 
scheint  B.  seine  beobachtung  bei  der  erörterung  dieses  brief- 
wechsels (2,  247  ff)  ganz  aus  den  äugen  verloren  zu  haben,  wenn 
man  von  einer  gelegentlichen  anspielung  (s.  272)  absieht.  B.s 
referat  über  Contis  arbeit  ist  kurz  und  nicht  frei  von  versehen; 
es  sei  deshalb  gestattet  zunächst  eine  analyse  zu  geben;  ich  be- 
nutze dabei  die  ausgahe  Venedig  1770,  welche  aufser  dem  texte 
der  1  ausg.  (Zürich  1732)  noch  die  in  der  2  ausg.  (Padua  1738) 
hinzugekommene  Verteidigung  C.s  gegen  ein  Esame  critico  des 
Salio  und  eine  reihe  posthumer  notizen  bietet. 

Contis  schrift  characterisiert  sich  schon  in  der  einleitung 
durch  einen  energischen  angriff  auf  Corneille  als  gegenschrift 
der  Discours.  ihm  steht  eine  deduetive,  auf  Aristoteles  sich 
stützende  methode  höher,  als  Corneilles  auf  eigenen  leistungen 
ruhendes  willkürliches  schalten  mit  der  antiken  poetik.  an  aristo- 
telische gesichtspunete  schliefst  sich  C.  auch  an,  wenn  er  seinen 
stoff  in  7  capp.  abbandelt,  das  1  ist  der  definition  der  tragodie 
gewidmet,  das  2  der  peripetie,  das  3  den  episoden;  im  4  wird 
die  öconomie  des  dramas  erörtert;  das  5  behandelt  die  charactere, 
das  6  den  stil ,  das  7  die  metra.  im  wesentlichen  nimmt  C.  den 
gang  der  aristotelischen  poetik  au. 

Er  geht  also  von  der  aristotelischen  definition  der  tragodie 
aus :  sie  sei  il  pur  gar  con  piacevolezza  lo  fregolamento  delle  pas- 


BRAITMAIEK    GESCHICHTE  DER  POET.   THEORIE  DND  KRITIK  59 

sioni  per  mezzo  della  compassione  e  del  terrore.  auch  er  bedient 
sich  mithin  der  ungenauen,  die  Schwierigkeiten  escamotierenden 
fassung  Corneilles;  dennoch  betont  er  sofort  im  gegensatz  zu 
diesem  die  notwendigkeit  der  erregung  beider  leidenschaften. 
gegen  Aristoteles  freilich  setzt  er  fest,  auch  der  mann  von  gröster 
moralischer  Vollkommenheit  könne  gegenständ  der  tragödie  sein, 
da  auch  er  nach  christlicher  lehre  fehlen  könne,  wenn  Corneille 
die  aristotelische  definition  für  unnötig  erklärt,  weil  etwa  sein 
Cid  der  reinigung  der  leidenschaften  entbehre,  ohne  auf  drama- 
tische würkung  verzieht  zu  leisten,  so  weist  ihm  Conti  nach, 
dass  auch  Cid  ein  vergehen  begangen,  also  eine  reinigung  vor- 
liege, auch  Oedipus,  auf  den  Corneille  sich  berufen,  ist 
nicht  schuldlos;  C.  betont  den  unterschied  der  dauernden  ixo%- 
■d-rjQia  und  des  einzelnen  a/iictQTrltua:  Dacier  irre,  wenn  er  dem 
Oedipus  eine  (j.o%&r}Qta  zuschreibe,  Terrasson,  wenn  er  glaube, 
lediglich  die  unentrinnbarkeit  des  fatums  habe  dargestellt  werden 
sollen,  in  dieser  beziehung  seien  die  italienischen  dramatiker 
von  Trissinos  Sofonisba  bis  zur  Merope  des  Maffei  den  Franzosen 
überlegen:  Corneilles  helden  erweckten  entweder  nur  mitleid  oder 
nur  schrecken,  oder  es  sei  gar  heroismus  und  liebe  an  die 
stelle  der  dramatischen  ziele  getreten.  Racine  habe  überhaupt  nur 
zwei  dramatische  gestalten  geschaffen:  Phaedra  und  Britannicus; 
im  übrigen  verfalle  er  in  die  fehler  seines  Vorgängers,  beiden 
gemeinschaftlich  sei,  die  erregung  der  leidenschaften  von  dem 
helden  auf  uebenpersonen  überzuleiten,  die  guten  Seiten  der 
Franzosen  resümiert  Conti  unter  vier  gesichtspuncle:  1)  sie 
werden  den  geboten  der  delicatesse  mehr  gerecht  als  die  Italiener, 
schädigen  freilich  dadurch  das  mitleid  und  müssen  von  der  ge- 
schichte  abweichen;  2)  die  affecte  sind  trefflich  dargestellt;  3)  sie 
haben  das  heroische  drama  reformiert;  4)  die  Italiener  bedieneu 
sich  weitaus  mehr  frei  erfundener  Stoffe;  die  Griechen  haben 
das  vermieden,  sieht  man  ab  von  der  Blume  des  Agathon  (vgl. 
Aristoteles  Poetik  c.  9)  und  von  dem  Schlüsse  der  Euripideischen 
Medea. 

Im  2  capitel  prüft  C.  die  tragödieu  beider  länder  nach  den  von 
Aristoteles  als  für  die  tragödie  notwendig  bezeichneten  drei  gesichts- 
puneten:  neQntixua,  avayvtüQiotg  und  rtäd-iq.  C.  setzt  dafür 
maraviglia,  riconoscenza ,  passione.  dass  seine  maraviglia  nichts 
anderes  ist  als  die  aristotelische  7t€Qi7ter€ia,  ergibt  sich  aus  der 
definition:  maraviglia  ist  ihm  das  eintreten  fürchterlicher  um- 
stände bewürkt  durch  unerwartetes  —  mitbin  der  glückswechsel. 
übereinstimmend  mit  Aristoteles  Poetik  c.  11  wird  auf  die  Stei- 
gerung hingewiesen,  welche  dann  eintritt,  wenn  das  Unheil  ron 
einer  seite  kommt,  von  der  man  es  nicht  erwartet  hatte.  Cor- 
neille kennt  nur  heroische  handlungen;  er  legt  allen  weit  auf 
die  lediglich  accessorische  bewundern  Dg  dieser  und  lässt  daneben 
den  glückswechsel  nicht  aufkommen,     das  war  ein   fehler:    Cor- 


60  BRAITMAIEK    GESCHTCUTE  DER  POET.  THEORIE  U.ND  KRITIK 

neille  und  mit  ihm  andere  Franzosen,  wie  Terrasson,  verwechseln 
epos  und  tragödie.  die  tragödie  verlangt  nicht  so  grofse  heldeu, 
wie  das  epos,  das  als  allgemeine  darstelluug  des  menschlichen 
lebeus  einen  weit  gröfseren  umfang  hat  als  die  tragödie,  welche 
sich  auf  die  darstellung  zweier  leidenschaften  einschränken  muss. 
vermöge  dieses  enghegränzten  gebietes  der  tragödie  wäre  es  falsch, 
in  den  tragedie  doppie  (den  aristotelischen  (.ivd-ot  nerckey^evoi), 
in  denen  die  schlechten  untergehn,  die  guten  sich  den  gefahren 
entziehen,  moralische  helehrung  als  zweck  anzunehmen,  das 
widerspräche  den  absichten  der  tragödie.  auch  jene  haben  viel- 
mehr un  giovamento  suo  proprio,  ein  ihnen  eigentümliches  er- 
götzen, durch  welches  sie  winken,  wie  Aristoteles  c.  14  ver- 
langt: ov  yaQ  Tiäoav  öel  Crjreiv  fjdovrjv  ano  Toccycodiag,  alka 
zrjv  oi/.eiav. 

Die  avayvcoQioig  hat  Corneille  den  Italienern  zum  vorwürfe 
gemacht:  sie  entzögen  sich  durch  sie  die  gelegenheit  zur  äufserung 
pathetischer  gefühle.  C.  findet  im  gegenteil,  gerade  weil  die 
widererkennung  die  erweckung  des  mitleids  bis  zum  Schlüsse 
hinausschiebe  (pietä  finale),  mache  sie  die  katastrophe  um  so 
würksamer.  gleichwol  möchte  er  die  avayvtoQioig  uicht  für  un- 
bedingt notwendig  erklären;  vielmehr  gesteht  er  ein,  dass  durch 
ihre  allzuhäufige  anwendung  die  italienischen  tragödien  an  einer 
laugweiligen  einförmigkeit  leiden,  der  vorteil  der  widererkennung 
liege  in  drei  umständen:  sie  steigert  die  Spannung;  die  schreck- 
lichsten dinge  können  vorfallen,  ohne  die  charactere  in  allzu- 
grofse  schuld  zu  verstricken ;  die  maravtglia  wird  durch  sie  erhöht. 

Die  näSr^  das  leiden  (nach  Ueberwegs  Übersetzung),  betrachtet 
C.  von  drei  gesichtspuncten  aus:  1)  die  qualitä  des  leidens;  2)  die 
vorbereitenden  und  3)  die  begleitenden  umstände,  in  erster  hin- 
sieht weichen  die  Franzosen  von  den  Italienern  ab;  nicht  grofse 
Unglücksfälle  nehmen  sie  zum  gegenstände,  sondern  intimere  Vor- 
gänge, und  sie  entgehn  dadurch  dem  fehler,  charactere  zu 
schildern,  die  der  grofse  des  Vorgangs  nicht  genügen,  die  Vor- 
bereitung ist  die  stärke  der  Franzosen,  auf  die  begleitenden 
umstände  wenden  die  Italiener  gröfsere  Sorgfalt,  sie  suchen  die 
afflizioni  finali  dadurch  rein  zu  erhalten,  dass  sie  sie  nicht  durch 
fremde,  seeundäre  schwächen,  als  beleg  der  gegenteiligen  an- 
sieht der  Franzosen  dient  Corneilles  Rodoguue.  auch  an  Racines 
Iphigenie  weifs  C.  die  Untergrabung  des  interesses  an  der  heldin 
durch  die  einführung  einer  rivalin  darzulegen. 

Das  3  capitel  ist  den  episoden  gewidmet.  Aristoteles  be- 
hauptet, die  Odyssee  sei  durch  ihre  episodeufülle  über  den  um- 
fang einer  tragödie  angewachsen,  ganz  richtig  sucht  C.  die  be- 
gründung  dieser  behauptung  nicht  in  der  kurzen,  der  tragödie 
zugewiesenen  zeit;  vielmehr  in  der  aufgäbe  der  tragödie,  uicht 
durch  anhäufung  vieler  Vorgänge  zu  unterhalten,  sondern  durch 
die   peripetie    zu  würken.     die  Italiener   haben    im    wesentlichen 


BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  U>'D  KRITIK  61 

schädliche,  unnütze  zusälze  vermieden,  auch  hei  den  Franzosen 
nahen  einzelne  dramen  durch  die  episodeu  gewonnen;  allein  eine 
ganze  reihe  von  fehlschritten  lässt  sich  anführen:  müfsige  per- 
sonen,  wie  die  Infantio  im  Cid  und  zahlreiche  vertraute;  schlecht 
eingefügte  episoden,  welche  die  lösung  erschweren ;  episodeu,  die 
durch  die  kürze  der  zeit,  zu  der  sie  gezwungen  sind,  unwahr- 
scheinlich werden.  Corneille  nämlich  interpretiere  das  aristote- 
lische avay/.alov  als  le  besoin  du  poete  pour  arriver  d  son  but; 
also  als  utile,  verstöfsen  gegen  die  Wahrscheinlichkeit  ist  damit 
tür  und  tor  geöffnet,  fehlerhaft  des  weiteren  ist  das  vordringen 
der  episodeu  in  räumlicher  heziehung,  die  einschränkung  des 
hauptinteresses  durch  sie,  die  Zerstörung  der  einheil,  wie  sie 
hesonders  durch  iutriguen  der  episodenfiguren  eintritt. 

Zu  den  episoden  ordnet  C.  die  liehe.  Saint  Evremond  be- 
gründet ihre  notwendigkeit  durch  die  engere  heziehung,  die  sie 
zwischen  Zuschauer  und  helden  schafft,  ohne  den  helden  herab- 
zusetzen; überdies  sei  eine  tragödie  ohne  Iran  undenkbar;  und 
diese  spräche  über  nichts  besser,  als  über  liebe,  dagegen  C: 
die  liebe  als  bindemittel  zwischen  held  und  Zuschauer  sei  über- 
flüssig; das  weih  sei  auch  ohne  liebe  durch  seine  schwäche  der 
würkung  sicher,  wenn  es  leidet;  endlich  werde  —  wenigstens 
wie  die  Frauzosen  die  sache  anfassen  —  der  tragische  ernst  ge- 
schmälert, ihnen  ist  die  liebe  nur  episode;  um  so  trauriger, 
wenn  die  helden  sich  mehr  um  ihre  liebesaffairen  kümmern ,  als 
um  die  ziele,  die  ihnen  der  stoff  der  tragödie  vorschreibt,  wenn 
freilich  die  liebe  zu  einer  tragischen  höhe  gehoben  wird,  kann 
das  resultat  erfreulich  sein,  allein  Hacines  Athalie  zeige,  dass 
auch  ohne  liebe  ein  französisches  drama  würken  könne. 

Das  4  capitel  widmet  C.  den  technischen  vorteilen  der  französi- 
schen tragödie;  zunächst  ihrer  methode,  den  Zuschauer  mit  den 
Voraussetzungen  des  Stoffes  bekannt  zu  machen,  der  antike  prolog 
gilt  ihm  lediglich  als  zeichen  einer  unausgebildeten  kunst.  die 
Italiener  haben  ihn  ruhig  adoptiert,  höchstens  götter  oder  in 
nachahmung  dv<,  Sophokles  sonstige  characlere  aufgenommen,  nicht 
um  ihrer  selbst  willen,  sondern  nur,  um  die  fabel  verständlich 
zu  machen,  letzterem  begegnet  man  auch  bei  Corneille,  dennoch 
ist  den  Franzosen  ein  besonderes  geschick  gegeben,  vorzubereiten, 
ohne  die  belebrung  fühlen  zu  lassen,  die  gränze  der  französischen 
technik  sieht  C.  in  den  contidents,  die  ebenso  ein  nolbehell  sind, 
wie  die  prophetischen  träume  und  die  orakel  des  italienischen 
dramas.  —  auch  in  der  schilrzung  des  knotens  sind  die  Franzosen 
ökonomischer.  C.  macht  seinen  laudsleuten  die  fülle  der  mono- 
löge  zum  Vorwurf;  besonders  findet  er,  hier  wie  sonst  ^unz  ra- 
tionalist,  (\cu  monolog  verwerflich,  wenn  der  chor  dauernd  auf 
der  bühne  sich  befindet.  —  die  Vorbereitung  der  katastropbe  sei 
ebenfalls  nicht  die  stärke  der  Italiener.  oft  nehmen  sie  den 
zufall  zu  hülfe,    während    die  Franzosen    einen    strengen  causal- 


62  BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  UND  KRITIK 

nexus  festhalten,  besonders  trefflich  zeige  sich  die  technik  der 
Franzosen  in  der  einführung  der  personen.  jede  ist  uns  sofort 
nach  ihrem  auftreten  bekannt;  der  held  verweilt  viel  auf  der 
biihne;  das  auftreten  der  personen  ist  immer  motiviert,  lange, 
interesselose  erzählungen  fehlen  den  Franzosen ;  das  nötige  wird 
im  verlaufe  des  Stückes  mitgeteilt,  in  den  reden  sündigen  die 
Italiener  durch  Weitschweifigkeit  und  übermafs  des  rhetorischen 
dementes,  auch  den  französischen  monologen  kann  C.  nur  den 
einen  Vorwurf  machen,  dass  die  innere  bewegtheit  zuweilen 
maugelt,  die  allein  den  monolog  berechtigt  erscheinen  lässt.  ra- 
tionalistisch wird  auch  dem  vermeiden  des  a  parte  das  wort  ge- 
redet und  den  Franzosen  deshalb  lob  gespendet,  in  dem  rein 
äufserlichen  der  architektonik  des  dramas  gesteht  C.  gleichfalls 
den  Franzosen  die  palme  zu.  selbst  den  Griechen  macht  er  zum 
Vorwurf,  dass  sie  einen  act  mit  einer  einzigen  scene  ausfüllen, 
ganz  beiläufig  kommt  er  bei  dieser  gelegenheit  auf  die  einheit 
von  zeit  und  ort  zu  reden,  er  findet  in  italienischen  tragödien 
starke  verstöfse  gegen  die  Wahrscheinlichkeit  der  zeit,  während 
Corneille  höchstens  in  den  letzten  acten  sich  freiheiten  erlaubt, 
auch  Corneilles  Vorzüge  in  der  beobachtung  der  bella  legge  der 
einheit  von  ort  und  zeit  bleiben  unvergessen,  und  ausdrücklich 
wird  Racine  zu  ihm  in  gegensatz  gebracht,  im  wesentlichen  will 
C.  den  scenenwechsel  auf  die  zwischenacte  beschränkt  sehen. 

Die  technische  Überlegenheit  der  Franzosen  glaubt  C.  durch 
die  sclavische  nachahmung  der  antiken  tragödie  seitens  der  Italiener 
veranlasst,  sicher  sei  eine  bessere  theorie  der  tragödie  noch 
nicht  geschaffen  als  die  der  antike,  allein  die  gröfsere  freiheit 
und  Unabhängigkeit,  welche  die  Franzosen  sich  in  technischen 
fragen  gewahrt  haben,  gewährt  ihnen  die  möglichkeit,  den  an- 
sprüchen  des  modernen  publicums  gerechter  zu  werden. 

Das  5  capitel  beschäftigt  sich  mit  dem  gegenständ  des  15  cap. 
der  aristotelischen  Poetik:  die  regeln,  welche  sich  auf  die  co- 
stumi,  die  ij&i] ,  die  charactere,  beziehen,  kommen  zur  er- 
örterung.  jede  poesie  müsse  einen  sittlichen  zweck  (indirizzo 
morale)  haben.  Le  Bossu  irre,  wenn  er  meint,  es  bedürfe  nur 
einer  honte  poetique,  die  ebenso  wol  im  bösen  wie  im  guten 
bestehu  kann,  überhaupt  hätten  die  Franzosen  nie  daran  gedacht, 
ihren  beiden  jenen  grad  von  rechtschaffenheit  zu  leihen,  der  zur 
erregung  des  mitleids  notwendig  ist.  Corneille  behauptet,  es  ge- 
nüge ein  charactere  brillant  et  eleve  d'nne  habitude  vertuense  ou 
criminelle  sehn  qu'elle  est  propre  et  convenable  d  la  personne  qu'on 
introduit.  Corneille  stützt  sich  aui  Horazens  'Sit  Medea  ferox  invic- 
taque,  flebilis  lo'  usw.  und  auf  die  den  realismus  befürwortende 
äufserung  des  Aristoteles  über  die  maier:  'cc7todid6vTeg  tiov 
oi/.euov  (.lOQcpwv  6/iioiovg  TtoLovvreg  -/.akXiovg  ygacpovoi.'  aber 
Horaz  spricht  nur  vom  festhalten  des  gewählten  characters,  Aristo- 
teles sucht  vages  idealisieren  zu  verhüten;  keiner  behauptet,  ein 


BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  USD  KRITIK  63 

geistiger  vorzug  könne  einen  verbrecherischen  character  drama- 
tisch möglich   machen. 

Corneille  begnügt  sich  indessen  nicht,  schlechte  charactere 
auf  die  bühne  zu  bringen;  er  macht  sie  beifallswürdig,  wie 
seinen  Menteur,  und  glaubt  geradezu  einen  vorzug  der  antike 
gegenüber  aus  diesem  vorgeben  zu  schöpfen,  die  bestrafung  der 
schlechten  und  die  belobnung  der  guten  habe  moralisch  günstige 
folgen,  wie  wenn  Euripides  nicht  auch  einen  Ixion  in  strafe 
verfallen  liefse,  und  wie  wenn  —  bei  aller  höhe  der  modernen 
moral  —  nicht  in  Oedipus  und  Antigone  ideale  sittlicher  Voll- 
endung vorlägen.  C.  glaubt,  das  epos  sei  eigentlich  berufen, 
durch  sittliches  beispiel  zu  wiirken  und  findet  da  denn  freilich, 
dass  Vergil  dieser  aufgäbe  besser  nachgekommen  ist,  als  Homer, 
also  auch  hier  haben  die  Franzosen  der  tragödie  die  ziele  des 
epos  untergeschoben,  wenn  vollends  La  Bruyere  behaupte,  Ra- 
cine bilde  die  menschen,  wie  sie  sind,  Corneille,  wie  sie  sein 
sollten  ,  so  sei  dies  lediglich  eine  schlechte  anwendung  des  von 
Sophokles  auf  sich  und  Euripides  gemachten  apercüs.  Racine 
macht  die  menschen,  wie  sie  sein  sollten,  Corneille,  wie  sie 
nicht  sind,  immerhin  gesteht  C.  selbst  der  Rodogune  des  Cor- 
neille zu,  dass  sie  sich  vor  einem  maximum  von  Schlechtigkeit 
bewahre,  und  contrastiert  sie  ausdrücklich  mit  dem  Caton  von 
Des  Champs  und  der  Polyxene  von  De  la  Fosse,  die  nur  um  des 
contrastes  halber  Schlechtigkeit  ohne  allen  inneren  grund  zur 
schau  bringen. 

Neben  der  wähl  der  charactere  zieht  C.  noch  zwei  ein- 
schlägige gesichtspuncte  an :  il  decoro  und  la  somiglianza.  jenes 
ist  ihm  die  Übereinstimmung  der  reden  und  haudlungen  einer 
person  mit  dem  einmal  gewählten  character  —  also  cousequente 
characteristik,  diese  die  historische  treue. 

Jenes  haben  für  C.  schon  die  Griechen  zu  wenig  beachtet; 
die  Franzosen  aber  gar  nicht,  während  sie  doch  ihre  männlichen 
gestalten  gern  überlebensgrofs  machen,  erniedrigen  sie  sie  durch 
die  liebesverhältnisse,  die  ihnen  angedichtet  werden,  als  clas- 
sisches  beispiel  erscheint  Racines  Alexandre,  die  frauencharactere 
sind  ihm  zu  männlich,  von  einer  characterisierung  der  nationalen 
unterschiede  findet  er  keine  spur:  Racines  Porus  ist  Franzose, 
nicht  Inder.  am  besten  beachteten  die  Franzosen  den  rang, 
weniger  die  pflichten  der  Jugend  gegenüber  dem  alter,  gerade 
im  gegenteil  hätten  die  Italiener  —  wie  auch  schon  die  Griechen  — 
auf  rang  wenig  acht,  kein  zweifei,  dass  die  Italiener  sich  durch 
die  sclavische  nachahmung  der  Griechen  haben  verleiten  lassen, 
Vorstellungen  zu  reeipieren,  die  dem  modernen  gefühle  hete- 
rogen sind. 

Als  auffallende  beispiele  unleidlicher  abweiebungen  von  der 
historischen  treue  nennt  C.  Voltaires  Philoktet,  Racines  Bippolyte, 
Crebillons  Elektra.     die  Italiener    haben    sich   um  die  hi:-torische 


64  BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  UiND  KRITIK 

treue  herumzudrücken  gewust,  indem  sie  freierfundene  personell 
einführten;  sonst  hätten  sie  sich  zu  ängstlich  an  die  Überlieferung 
gehalten,  die  Corneille  oft  mit  feinem  tacte  gemildert  hat. 

Die  charactere  zur  geltung  zu  bringen  verstehn  die  Franzosen 
fraglos  besser  als  ihre  Vorgänger.  Griechen  wie  Italiener  haben 
jene  Intensität  der  vvürkung,  jene  verlebendiguug  der  charactere 
nicht  erreicht,  schou  Aristoteles  deutet  auf  eine  schwäche  der 
characteristik ,  wenn  er  über  einzelne  griechische  tragödien  be- 
merkt, sie  seien  aTqd-EiQ,  sie  entbehrten  der  charactere. 

Von  Contis  erörterungen  über  stil  und  metrik  sei  hier  nur 
das  wichtigste  erwähnt. 

Der  stil  der  älteren  italienischen  tragödie  wird  einer  scharfen 
kritik  unterzogen,  ihr  breites  geschwätz,  ihre  häufung  von  me- 
taphern,  vergleichen,  allegorien ,  ihre  der  lyrik  entnommeneu 
concetti  an  stellen  hohen  affects  werden  getadelt.  ausdrück- 
lich wendet  sich  C.  gegen  die  behauptung,  der  stil  müsse  etwas 
poetisches,  übernatürliches  haben ;  das  verstofse  gegen  die  /.il/urjoig- 
theorie.  auch  Corneille  und  die  Franzosen  finden  keine  gnade. 
Corneilles  Sentenzen  sind  bizarr,  sein  stil  habe  die  gonfiezza  des 
epischen,  ein  übermafs  an  fragen  würkt  durch  die  allzuhäufige, 
bis  zur  catachrese  ausartende  Verwendung  ermüdend.  kurz, 
C.  zweifelt  nicht,  der  neueren  italienischen  tragödie  der  Maffei  usw. 
die  palme  zuzuerkennen.  —  in  metrischen  fragen  ist  C.  gegner 
einer  aufnähme  des  Alexandriners  in  die  italienische  tragödie: 
der  elfsilbler,  sei  er  rein,  sei  er  gemischt  mit  dem  achtsilbler, 
habe  den  grofsen  vorzog,  die  klapprigen  reime  und  die  diaerese 
des  Alexandriners  zu  entbehren. 

Ich  habe  die  inhaltsangabe  der  schrift  C.s  mit  absieht  aus- 
führlich gehalten,  um  eines  näheren  erweises  überhoben  zu  sein, 
wenn  ich  in  B.s  darlegung  folgendes  als  verfehlt  bezeichne: 

1)  die  antike  griechische  tragödie  ist  für  C.  nicht  ausschliefs- 
liches  ideal ,  noch  weniger  die  Senecas.  er  weifs  den  an- 
forderungen  des  modernen  gesebmacks  concessionen  zu  machen. 

2)  ebenso  wenig  ist  er  blinder  Verehrer  des  dramas  seiner 
landsleute.  er  sucht  sichtlich  den  technischen  Vorzügen  der 
französischen  tragödie  gerecht  zu  werden,  wenigstens  gegenüber 
der  älteren  italienischen  tragödie;  die  neuere,  die  ihm  durch 
Maffei  vor  anderen  repräsentiert  scheiut,  hat  nach  seiner  ansieht 
die  fortschriüe  der  französischen  aufgenommen. 

3)  unberechtigter  weise  setzt  B.  für  'terrore'  den  von  C. 
selten  gebrauchten  ausdruck  'timore',  der  insbesondere  in  C.s 
Übersetzung  der  aristotelischen  definition  nicht  erscheint. 

4)  ausdrücklich  erklärt,  C.  die  moralische  besserung  nicht 
für  die  hauptsache  und  setzt  ihr  das  ergötzen  vor.  er  denkt 
ebenso  wenig  an  eine  absichtliche  moralische  vvürkung,  wie  Les- 
sing in  derHamb.  dram.  (vgl.  ESchmidt,  Lessing  2,  118  ff),  woher 
B.  das  gegenteil  nimmt,  ist  mir  unerfindlich. 


BRAITM.UER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  Ui\D  KRITIK  65 

5)  C.s  polemik  gegen  Aristoteles  reduciert  sich  auf  ein  mini- 
mum.  auch  Lessing  steht  ganz  auf  dem  standpuncte  des  Aristoteles, 
wenn  er  sittliche  höhe  neben  der  einzelnen  a/nagzia  fordert. 

6)  warum  B.  'die  widererkennung,  die  forderung,  dass  sich 
der  conflict  zwischen  verwandten  abspiele  ua.'  als  'ganz  seltsame 
dinge'  bezeichnet,  verstehe  ich  nicht,  auch  Lessing  hat  sich  mit 
diesen  'ganz  seltsamen  dingen'  im  38  st.  der  Hamb.  dram.  be- 
schäftigt; und  dass  C.  sie  nicht  'für  einen  notwendigen,  wesent- 
lichen bestandteil  der  tragödie'  hält,  dürfte  aus  dem  obigen  er- 
kennbar sein. 

Als  Übereinstimmung  des  Lessing- Mendelsso  hu- 
schen briefwechsels  mit  der  schrift  C.s  betrachtet  B.  in 
erster  linie  die  Stellung  in  der  bewunderungsfrage.  beiden  ist 
der  bewunderte  held  gegenständ  des  epos,  der  bemitleidete  gegen- 
ständ der  tragödie.  beide  begründen  diese  behauptung,  indem 
sie  betonen,  dass  erhabene  gesinnungen  und  bandlungen  nur 
einen  kleinen  ausgewählten  teil  zur  bewunderung  und  nacheiferung 
hinreifsen,  während  die  tragödie  auf  die  masse  des  Volkes  würken 
will,  beide  gestehn  dennoch  der  bewunderung  eine  secuudare 
stelle  zu.  endlich  verlangen  beide  zum  helden  einen  character 
von  hohen  tilgenden ,  der  nur  gelegentlich  einen  fehltritt  begeht. 

Alle  diese  Übereinstimmungen  sind  unleugbar;  allein  eine 
abbängigkeit  Lessings  von  C.s  Paragone  ist  damit  noch  lange 
nicht  erwiesen,  in  sämmtlichen  puncten  kann  Lessing  auf  den 
'Briefwechsel  von  der  natur  des  poetischen  ge- 
sell mackes'  von  Bodmer  und  Conti  (Zürich  1736)  zu- 
rückgehn.  nicht  dass  B.  sich  dieser  möglichkeit  nicht  bewust 
war  (1,  192  11);  allein  er  konnte,  da  ihm  doch  das  ganze  material 
vorgelegen  hat,  leicht  über  möglichkeiten  zur  gewisheit  kommen. 

Jedesfalls  ist  es  methodisch  nicht  gerechtfertigt,  auf  die 
ältere,  italienische  schrift  zurückzugreifen,  so  lange  der  Lessing 
viel  leichter  zugängliche  briefwechsel  ausreicht,  einzelne  züge, 
wie  die  bemerkung,  dass  Cato  kein  tragischer  held  sei,  kann 
Lessing  viel  leichter  der  ausführlichen  erörterung  dieses  büchleins 
entnommen  haben,  als  der  gelegentlichen  notiz  im  Paragone. 
und  die  frappanteste,  von  B.  aufgedeckte  Übereinstimmung,  das 
von  beiden  zur  erklärung  der  rührung  gebrauchte  bild  von  zwei 
gleichgestimmten  sailen ,  von  denen  die  zweite  mitschwingt,  wenn 
die  erste  berührt  wird,  beraubt  B.  selbst  aller  beweiskralt,  indem 
er  es  in  Daciers  Aristotelescommentar  nachweist  (vgl.  1,  189 
und  192). 

Mich  wundert  B.s  annähme  um  so  mehr,  als  er  selbst  in 
der  analyse  des  Lessing-Mendelssohnscben  briefwechsels  im  2  bände 
ganz  richtig  und  sehr  scharfsinnig  aufzeigt,  wie  Lessing  sieb  das 
ganze  spiel  verdirbt,  indem  er  dem  tragischen  mitleid  ein«' 
moralische  würkung  zuschreibt.  C.s  Paragone  beseitigt  die 
tragische  bewunderung  gerade  durch  den  hin  weis,  dass  sie  einen 
A.  F.  D.  A.    XVII.  5 


66  BRAITMAIEP.     GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  UND  KHITIK 

untragischen  moralischen  zweck  der  tragödie  unterschiebe,  ganz 
anders  die  briete  an  Bodmer  in  der  Übersetzung  des  adressaten. 
sei  es  dass  die  Übertragung  in  die  deutsche  spräche  ein  fremdes 
timbre  hineinbringt,  sei  es  dass  C,  durch  Bodmers  ausstellungen 
bedrängt,  sich  auf  einen  ihm  ursprünglich  fremden  standpunct 
zurückzieht:  er  lehnt  die  bewunderung  jetzt  aus  denselben  gründen 
ab,  wie  der  offenbar  durch  seine  ausführungen  geleitete  Lessing; 
auch  er  findet  die  moralische  würkuug  des  dramas  durch  die  be- 
wunderuug  gefährdet. 

Ja  ein  kleiner  zug  des  ersten  C.schen  briefes  scheint  mir 
geradezu  von  Lessing  fruchtbar  weiter  entwickelt  worden  zu  sein. 
C.  (s.  98  f)  schreibt:  'Ich  vergleiche  die  Würkung ,  so  gewisse 
grofse  Charactere  thun ,  mit  dem  Nutzen ,  so  wir  daraus  ziehen, 
wann  wir  Leute,  so  die  Natur  mit  ungemeiner  Stärke  begäbet 
hat,  öffentliche  Proben  davon  auf  dem  Marckt  ablegen  sehen.  Ein 
jeder  läuft  sie  zu  sehen,  ein  jeder  bewundert  sie  mit  Lust:  Den- 
noch müfste  das  ein  seltzamer  Kopf  seyn,  der  sich  in  Sinn 
kommen  liefse,  ihnen  dergleichen  nachzuthun ,  weil  er  eben  so  wohl 
als  sie  von  Fleisch  und  Bein  gemacht  sey.  Derowegen  halten  die 
Zuseher,  als  die  sich  ihrer  eignen  Schwäche  wohl  bewußt  sind, 
diese  Leibes -Hebungen  vor  desto  unnachahmbarer ,  als  sie  ver- 
wunderungswürdiger sind.'  also  je  gröfser  die  bewunderung, 
desto  geringer  die  seelische  würkung  auf  den  nachahmungstrieb. 
ganz  im  gleichen  sinne  schreibt  Lessing  an  Mendelssohn  am 
18  decbr.  1756  (Hempel  20,  1,85 f):  'Gesetzt,  ich  sagte  zu 
Jemand:  'Heute  ist  der  Tag,  da  Titus  seinen  alten  Vater  auf 
einem  Seile,  welches  von  der  höchsten  Spitze  des  Thurms  bis  über 
den  Fluß  ausgespannt  ist,  in  einem  Schubkarren  von  oben  herab- 
führen soll.'  Wenn  ich  nun  dieser  gefährlichen  Handlung  wegen 
Mitleiden  für  den  Titus  erwecken  wollte,  was  muß  ich  thun?  Ich 
müßte  die  guten  Eigenschaften  des  Titus  und  seines  Vaters  aus- 
einandersetzen und  sie  Beide  zu  Personen  machen,  die  es  um  so 
viel  weniger  verdienen ,  dass  sie  sich  einer  solchen  Gefahr  unter- 
ziehen müssen,  je  würdiger  sie  sind.  Aber  nicht  wahr,  dem  Mit- 
leiden ist  der  Weg  zu  dem  Herzen  meines  Zuhörers  auf  einmal 
abgeschnitten,  sobald  ich  ihm  sage,  Titus  ist  ein  Seiltänzer,  der 
diesen  Versuch  schon  mehr  als  einmal  gemacht  hat.  Und  gleich- 
wohl habe  ich  doch  weiter  nichts  als  eine  Vollkommenheit  des  Titus 
den  Zuhörern  bekannt  gemacht.  Ja,  aber  es  war  eine  Vollkommen- 
heit,  welche  die  Gefahr  unendlich  verringerte  und  dem  Mitleiden 
also  die  Nahrung  nahm.  Der  Seiltänzer  wird  nunmehr  bewundert, 
aber  nicht  bedauert.'  Lessing  wie  C.  suchen  Leide  das  unfrucht- 
bare, würkungslose  der  bewunderung  aus  dem  beispiele  des 
athleten  zu  erweisen. 

Aber  wäre  es  nicht  mehr  als  sonderbar,  wenn  der  bücher- 
kundige Lessing  bei  den  für  die  Hamb.  dram.  bestimmten  Studien 
der   dramatischen   theorie    ein    buch    aufser   acht   gelassen  hätte, 


BKAITMA1ER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  UND  KRITIK  67 

das  allein  in  dem  ganzen  wüste  der  theoretischen  Schriften  des 
18  jhs.  vollkommen  seinen  principiellen  standpuuct  teilt?  Hamb. 
dram.  und  Paragoue  spielen  beide  die  Aristotelische  poetik  gegen 
das  französische  drama  aus,  speciell  gegen  Corneille  und  seine 
Discours.  für  Lessing  wie  für  C.  ist  Aristoteles  kanon.  man 
hat  mit  recht  behauptet,  Lessing  habe  in  der  poetik  des  Aristo- 
teles erst  die  wesentlichen  gesetze  der  dramaturgischen  kunst 
entdeckt,  die  man  vor  ihm  in  Deutschland  nur  entstellt  und  ent- 
kräftet durch  die  willkürlichen  erklärungen  und  einschräukungen 
der  Franzosen  gekannt  habe,  wenn  diese  annähme  richtig  ist, 
dann  darf  auch  der  mann  nicht  vergessen  werden,  der  vor 
Lessing  auf  eine  richtige  anwendung  der  Aristotelischen  sätze  ge- 
drungen und  mit  einer  der  Lessingschen  interpretation  nahe- 
stehenden auffassung  die  französischen  Unterstellungen  nachzu- 
weisen versucht  hat.  nicht  dass  auch  andere,  wie  Dacier  oder 
Du  Bos,  sich  haben  entgehn  lassen,  wie  wenig  Corneilles  be- 
hauptungen  zu  Aristoteles  stimmen!  allein  keiner  aufser  C.  hat  mit 
gleicher  energie  wie  Lessing  satz  für  satz  die  französische  theorie 
vermittelst  der  Aristotelischen  poetik  über  den  häufen  geworfen. 

Jeder  kenner  der  Hamburgischen  dramaturgie  wird 
in  der  obigen  analyse  der  schritt  C.s  wie  im  ganzen  tenor, 
so  im  detail  die  fülle  des  übereinstimmenden  gefühlt  haben,  ich 
kann  mir  nicht  versagen  auf  einzelnes  noch  besonders  das  augen- 
merk  zu  lenken. 

Selbstverständlich  häufen  sich  die  Übereinstimmungen  Les- 
sings  und  C.s  in  den  stücken  75  —  83  der  Hamb.  dram.,  welche 
die  bekämpfung  der  Discours  sich  zum  ziele  setzen,  punct  für 
punct  arbeitet  Lessing  mit  den  bemäuglungeu  C.s:  falsch  sei  es, 
wenn  Corneille  behaupte,  die  tragödie  brauche  nur  mitleid  oder 
nur  furcht  zu  erregen;  beide  fühlen  durch,  dass  Corneille  seinem 
Rodrigue  und  seiner  Cleopatra  zu  liebe  Aristoteles  willkürlich  um- 
deutet (st.  75.  76.  81).  überhaupt  verzichte  er  auf  die  reinigung; 
er  miskenne  den  ethischen  zweck  der  tragödie,  die  reinigen, 
nicht  moralisch  bessern  will  (st.  77).  mit  unrecht  halte  er  für 
unnötig,  mitleid  und  furcht  durch  6ine  person ,  dh.  durch  den 
hehlen,  zu  erregen  und  verteile  diese  affecte  auf  mehrere  cha- 
ractere  (st.  81).  ganz  gegen  Aristoteles  lasse  er  den  guten 
unglücklich  werden ,  führe  anderseits  lasterhalte  charactere  als 
beiden  ein  (st.  82).  endlich  befinde  er  sich  in  würklicher  Un- 
kenntnis über  die  bedeutung  der  Aristotelischen  forderung  (c.  15): 
die  sitten  sollen  gut  sein  (st.  83).  namentlich  die  ausführung 
des  letzten  moments  stimmt  auffallend  mit  dem  entsprechenden 
capitel  bei  C.  beide  wenden  sich  gegen  die  interpretation  Cor- 
neilles, dem  ein  caractere  brillant  et  eleve  genüge.  Lessings 
gegengründe  stammen,  wie  dir  C.s,  aus  Aristoteles,  beide  brand- 
marken die  äufserung  Corneilles  über  seineu  Meuteur.  wenn  C. 
meint,    Corneille    leiste   sich    schliefslich    ein    render  piacevole  lo 

5* 


68  BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  UND  KRITIK 

stesso  vizio ,  so  verurteilte  Lessing  den  'trügerischen  glänz'  des 
lasters,  die  'falsche  folie',  die  demselben  untergelegt  werde,  und 
beide  bekämpfen  die  Übersetzung  Le  Bossus,  die  der  Corneille- 
schen  Interpretation  zu  hilfe  kommen  will:  die  sitten  sollten 
'bien  marquees'  sein.1 

Eine  reihe  von  Übereinstimmungen  lässt  sich  noch  anführen: 
wenn  nicht  ebenso  auffallende,  doch  den  beweis  stützende;  etwa 
bezüglich  der  charactere.  die  fülle  von  regeln,  die  die  dram. 
über  dies  thema  gibt,  findet  zum  nicht  geringen  teile  ihre  pen- 
dants  bei  C.  die  belonung  der  consequenz  und  der  inneren 
Wahrheit  kehrt  wider,  ebenso  das  gebot,  die  charactere  historisch 
treu  zu  halten.  Corneilles  Cleopatra  in  der  Rodogune,  die  bei 
C.  mehrfach  als  beleg  der  irrwege  des  französischen  tragödien- 
dichters  erscheint,  hat  bekanntlich  Lessing  zu  ausführlichen  er- 
örterungen  in  sachen  der  characteristik  gedient,  auch  wenn 
Lessing  an  der  Rodogune  das  verwirrende  der  episodenhäufung 
tadelt,  simplicität  der  handlung  fordert,  steht  er  auf  einem  und 
demselben  boden  mit  C. 

Auffallender  weise  kehrt  das  thema  des  Lessing -Mendels- 
sohnschen  briefwechsels,  die  behauptung,  der  bewunderte  held 
sei  gegenständ  des  epos  und  nicht  der  tragödie,  in  der  Hamb. 
dram.  nicht  wider,  allerdings  wurde  schon  oben  bemerkt,  dass 
Lessing  tugendideale  aus  der  tragödie  verbannt;  und  wie  er  in 
dieser  forderung  mit  C.  übereinstimmt,  so  entsprechen  auch  die 
äufserungen  über  Corneilles  Polyeukt  den  ansichten  des  Italieners, 
allein  von  allen  erörterungen  der  fünfziger  jähre  ist  nur  das 
verlangen  nach  mittelcharacteren  geblieben.  Lessing  ist  vom 
Bodmer-Contischen  briefwechsel  zum  Paragone  zurückgegangen. 

Eine  auffallende  Übereinstimmung  mit  C.  in  der  Interpre- 
tation Aristotelischer  Vorschriften  zeigt  sich  fast  überall ,  wo 
Lessing  auf  den  höllenrichter  zu  sprechen  kommt,  selbst  in 
nebenfragen,  wie  anlässlich  von  7tEQL7texeia,  avayvwQioig  und 
Ttct-d-n]  deckt  sich  der  standpunct  beider;  auch  Lessing  legt  das 
hauptgewicht   auf  die   7td&r] ,   lässt   wie   C.   die   beiden   anderen 

1  wenn  B.  von  C.  behauptet,  er  entnehme  seine  warfen  vielfach  den 
französischen  gegnern  Corneilles,  Hedelin ,  Brumoy,  Du  Bos,  ohne  einen  zu 
nennen  (1,  191),  so  bemerke  ich  ausdrücklich,  dass  Lessing  Hedelins  polemik 
gegen  Corneilles  Discours  auf  eine  höhe  mit  der  Daciers  stellt;  sie  seien 
zwei  pedanten,  die  oft  selbst  nicht  wüsten,  was  sie  wollten  (st.  82).  Du 
Bos  bietet  in  den  einschlägigen  stellen  (bd.  1  sect.  14  'Des  sujets  propres  ä 
la  Tragedie',  sect.  15  'Des  personnages  de  scelerats  qu'on  peut  introduire 
dans  les  Tragedies'J  wol  ähnliche  gedanken,  kommt  aber  auf  Aristoteles 
gar  nicht  zu  reden.  Brumoy  nimmt  die  frage  noch  leichter;  der  §  16  seines 
'Oiscours  sur  l'origine  de  la  tragedie'  begnügt  sich  mit  der  vagen  bemerkung: 
'//  [Aristoteles]  veul  que  les  moeurs,  sur  toul  du  personnage  sur  qui  tout 
roule,  soient  bonnes,  c'esl  ä  dire,  qu'il  ait  cette  probite  commune  qui  le 
fasse  plaindre  dans  ses  malheurs;  ou  bien,  disent  quelques  uns  (car  le 
passage  est  equivoque,)  il  demande  en  gener al  que  les  moeurs  soient 
bien  marquees'.  ein  unentschiedenes  schwanken  zwischen  unvereinbaren 
gegensätzen. 


BRAITMAIER    GESCHICBTE  DER  POET.  THEORIE  UND  KRITIK  69 

momente  als  weniger  wesentlich ,  doch  nicht  als  verwerflich  er- 
scheinen (st.  38). '  — 

Wenn  ref.  also  auch  überzeugt  ist,  dass  eine  geschichte  der 
poetischen  theorie  in  Deutschland  formell  und  inhaltlich  gewönne, 
sobald  man  sie  auf  einer  darstellung  der  frauzösischen  und  eng- 
lischen ästhetik  aufbaute,  so  wäre  es  doch  ungerecht,  sich  in 
der  beurteilung  von  B.s  buche  ausschliefslich  auf  diesen  stand- 
punct  zu  stellen,  um  so  mehr,  als  B.  selbst  offeubar  mit  be- 
wustsein  andere  wege  wandelt,  er  fasst  nämlich  unter  dem 
titel  'Die  anfange  der  poetischen  theorie  und  kritik  im  engsten 
anschluss  an  Franzosen,  Engländer  und  die  Alten'  seine  be- 
sprechung  Gottscheds,  der  Schweizer  und  ihrer  nebenmänner 
zusammen,  Baumgarten,  Sulzer,  Mendelssohn  hingegen  unter 
dem  gesichtspuncte  'Die  versuche  einer  philosophischen  ästhetik 
und  poetischen  theorie  auf  grundlage  der  Leibniz -Wolffischen 
Psychologie.  —  fortschritt  der  kritik  im  Berliner  kreise.'  aber 
steht  Gottsched,  stehn  die  Schweizer  der  Leibniz -Wolffischen  phi- 
losophie  gar  so  ferne?  kann  man  Mendelssohn  mit  Nicolai,  kann 
man  insbesondere  Sulzer  nicht  als  verarbeiter  der  französischen 
und  englischen  ästhetik  ausehn?  mindestens  leistet  es  misver- 
ständnissen  Vorschub,  Sulzer  und  Mendelssohn  einer  kategorie 
anzugliedern ,  die  im  besten  falle  für  Baumgarten  passt.  ich 
kann  den  versuch,  durch  jene  bandtitel  eine  festere  Zusammen- 
fassung der  einzelnen  monographien,  in  die  das  werk  zerfällt, 
zu  schaffen ,  nichts  weniger  als  glücklich  finden. 

Die  beiden  bände  des  B.schen  werkes  fallen  auch  in  ihrem 
inneren  aufbau  wesentlich  auseinander,  die  tätigkeit  Gottscheds 
und  der  Schweizer  ist  chronologisch  —  ich  sage  absichtlich  nicht 
historisch  —  dargestellt:  zuerst  die  discurse  der  maier,  dann 
die  vernünftigen  tadlerinnen  und  der  biedermann,  weiter  Gott- 
scheds kritische  dichlkunst  und  seine  kritische  tätigkeit  in  den 
beitragen,  endlich  die  'vier  grofsen  werke'  der  Schweizer  und 
die  an  sie  sich  schliefsenden  kämpfe,  bei  Baumgarten,  Sulzer, 
Mendelssohn  war  dieser  weg  nicht  möglich,  der  erste  mit  nur 
einem  hauptwerke,  Sulzer,  in  dessen  ästhetik  wenig  entwickelung 
sich  zeigt,  Mendelssohn  mit  seinem  grofsen  reichtum  sich  zer- 
splitternder einzeläufseruugen,  widerstrebten  einer  chronologischen 
behandlung.  so  hat  denn  B.  mit  recht  vorgezogen,  hier  nach  ideen, 
nach  ästhetischen  kategorien  zu  disponieren. 

Vielleicht  hätte  er  besser  getan  auch  für  seinen  ersten  band 

1  den  einwurf  habe  ich  wol  nicht  zu  fürchten,  dass  C.  von  Lessing 
genannt  worden  wäre,  hätte  er  ihn  als  gewährsmann  benützt,  kein  schrifl- 
steller  des  18jhs.  fühlt  sich  eines  plagiats  in  wissenschaftlichen  darstel- 
lungen  schuldig,  wenn  er  fremde  ideen  weiterentwickelnd  seine  nächste 
quelle  nicht  namhaft  macht,  und  besonders  bei  Lessing  i-t  an  dem  mangel 
eines  citats  kein  anstofs  zu  nehmen,  wissen  wir  doch  heute  manche  quelle 
des  Laokoon  mit  positiver  Sicherheit  anzugeben,  die  Lessing  arglos  ver- 
schwiegen hat. 


70  BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  ILND  KRITIK 

die  systematische  disposition  zu  wählen,  freilich  lag  ihm  daran, 
die  priorität  der  Schweizer  darzulegen,  richtiger  vielleicht:  die 
annähme  von  Gottscheds  priorität  zu  widerlegen,  die  frage  stellt 
sich  allerdings,  oh  es  günstig  ist,  ein  so  umfangreiches  werk 
auf  negation  aufzubauen;  ferner,  ob  in  einer  geschichte  der  ent- 
wickelung  von  ideen  eine  solche  chronologische  anordnung  über- 
haupt zulässig  ist. 

Ich  möchte  es  geradezu  als  den  fehler  des  eisten  bandes 
hinstellen,  dass  er  zu  polemisch  gehalten  ist.  die  dauernden  an- 
griffe auf  Danzel  und  Crueger  werden,  zumal  sie  am  anfang 
etwas  breitspurig  einherschreiten,  manchen  abschrecken,  B.s  sonst 
vortreffliche  leistung  durchzulesen,  man  gewinnt  den  eindruck, 
als  habe  sich  B.  durch  den  consequeuten  antagonismus  gegen 
seine  Vorarbeiter  die  moglichkeit  eines  objectiven  urteils  über 
Gottsched  geraubt,  nicht  nur  der  fernerstehende  wird  jetzt 
Crueger  das  richtigere  Verständnis  für  Gottscheds  bedeutung  zu- 
erkennen: denn  wie  exact  auch  B.  die  einzelnen  schritte  ent- 
wickelt hat,  welche  an  der  Limmat  und  an  der  Pleifse  zur  Schaf- 
fung einer  neuen  poetik  getan  worden  sind,  er  hat  die  auffassung 
nicht  erschütteru  können,  dass  Gottsched,  der  geschicktere  fai- 
seur,  die  entscheidende  leistung,  nicht  die  conception  (vgl.  s.  66), 
sondern  die  abfassung  einer  neuen  poetik,  eines  ästhetischen 
kanous  mehr  als  ein  decennium  vor  den  Schweizern  geliefert 
und  sich  die  intensivere  würkung  dadurch  gesichert  hat.  so 
wird  trotz  B.  das  urteil  eines  maunes,  der  wie  kein  zweiter  die 
geschichte  der  ästhetik  des  18  jhs.  beherschte,  der  anderseits 
den  ereignissen  der  vierziger  jähre  fern  genug  stand,  um  sie 
objectiv  zu  beurteilen,  so  wird  Blankenburgs  unparteiisches  ver- 
dict  (bei  Sulzer  l2,  68T)  unverrückt  bleiben.1 

Danzel  hat  auf  die  behauptung  ein  besonderes  gewicht  ge- 
legt, 'der  streit  zwischen  Gottsched  und  Leipzig  sei  die  geburts- 
stätte,  so  zu  sagen  der  zeugungsact  der  gesammten  modernen 
deutschen  litteratur.  .  .  .'  gewis  hat  er  sich  hier  in  einem  para- 
doxon  gefallen,  allein  B.  weicht  doch  sicher  noch  mehr  von  der 
Wahrheit  ab,  wenn  er  behauptet  (1,8),  Klopstock,  Wieland, 
Lessing,  Goethe,  Schiller  wären  auch  ohne  Gottsched  'den  ihnen 
von   ihrem   eigenen   genie  wie   von   der  gesammten  bilduug   der 

1  Blankenburg  sagt:  'So  sehr  diese  Herren  [die  Schweizer]  Hecht 
hatten,  Gottscheds  Werk  für  höchst  mittelmäfsig  zu  halten,  und  so  gewis 
schon  die  blofsen  Überschriften  der  Kapitel  einen  Mangel  an  bestimmten 
Begriffen  von  der  Poesieverrathen :  ebenso  sehr  beweisen,  meines  Bedünkens, 
jene  Kritiken,  dass  ihre  Urheber  selbst  nicht  dergleichen  Begriffe  hatten. 
Und  Dinge,  welche  sie  ihm ,  als  unerhört,  anrechneten,  z.B.  die  Wahl  der 
Bey spiele ,  in  den  ersten  Ausgaben,  aus  seinen  eigenen  Gedichten,  waren 
ganz  gewöhnliche,  in  allen  seinen  deutschen  Vorgängern  anzutreffende 
Dinge.  Überhaupt  hat  Gottsched  nichts  eigenes  in  der  ganzen  Schrift. 
Sie  ist  aus  arideren,  auswärtigen  Schriftstellern,  und  höchst  elend  zu- 
sammen geschrieben.  Indessen  lehrte  sie  denn  doch  zu  ihrer  Zeit,  dass 
Poesie  nicht  blas  in  Beimerei  besteht.' 


BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  ÜNB  KRITIK  71 

zeit  angewiesenen  weg  gegangen. '  zunächst  ist  es  immer  mislich 
bei  historischen  betrachtungen  mit  'wenn'  zu  arbeiten;  dann  hat 
Danzel  für  seine  behauptung  die  unleugbare  Wahrheit  anzuführen, 
dass  Gottscheds  würken  tatsächlich  eine  der  historischeu  Vor- 
bedingungen unserer  classikerzeit  war;  endlich  schlägt  sich  doch 
eine  brücke  von  Gottscheds  einseitiger  bevorzugung  des  franzö- 
sischen dramas  über  Lessings  17  Litteraturbrief  so  leicht  zur 
Hamb.  dram.,  dass  diese  die  ganze  classische  litteraturepoche  be- 
herschende  ästhetische  kundgebung  Lessings  als  naturgemäfse 
reaction  auf  das  würken  Gottscheds  gelten  darf. 

Obendrein  fragt  es  sich  noch ,  ob  B.s  polemik ,  die  stellen- 
weise soweit  geht,  ihren  gegnern  unterzuschieben,  sie  teilten 
Gottscheds  ansieht  von  der  lehrbarkeit  der  poesie,  würklich  in 
den  resultaten  derart  von  den  aufstellungen  Danzels  und  Cruegers 
abweicht,  dass  sie  insofern  als  berechtigt  erscheinen  darf,  der 
cardinalpunct  des  Streites  ist,  ob  Gottscheds  leistungen  nur  eine 
copie  der  von  den  Schweizern  vor  diesen  gelieferten  sind  oder 
nicht,  in  dieser  frage  repräsentiert  die  Stellung  der  vernünf- 
tigen tadlerinnen  zu  den  discursen  der  maier  ein  nicht  un- 
wichtiges problem.  man  vergleiche  nur  Cruegers  urteil  über 
jene  (s.  xxxvi)  mit  B.s  resum6  (1,  51)  und  frage  sich,  wer  an- 
erkennender über  Gottscheds  verdienst  spricht.  — 

B.  stellt  sich  die  aufgäbe,  eine  geschichte  der  poetischen 
theorie  und  kritik  zu  liefern,  die  Zusammenstellung  hat  ihr  be- 
denkliches, unter  poetischer  theorie  versteht  B.,  wie  billig,  was 
man  heute  gewöhnlich  poetik  nennt,  dass  er  nicht  eine  ge- 
schichte der  ästhetik  sich  vorgesetzt  hat,  wird  man  begreiflich 
finden,  auch  wenn  man  bedenkt,  dass  alle  poetik  des  18  jhs. 
von  der  frage  nach  dem  wesen  des  schönen  ausgeht,  also  de- 
duetive  ästhetik  ist,  auch  dann,  wenn  man  sich  ins  gedächtnis 
ruft,  dass  die  wichtigsten  ästhetischen  werke,  wie  Lessings 
Laokoon ,  sich  nicht  auf  die  poesie  allein  einschränken,  sondern 
mehrere  künste  zu  umfassen  suchen,  aufgäbe  einer  geschichte 
der  poetik  wird  ohne  zweifei  sein ,  die  Wandlungen  der  Vor- 
stellungen zu  verfolgen,  welche  man  mit  den  begriffen  von 
dichtung,  dichterischer  phantasie,  dichtungsart  usw.  verbunden 
hat.  —  kritik  ferner  ist  nichts  anderes,  als  die  anwendung  dieser 
Vorstellungen  auf  die  beurteilung  der  einzelnen  dichterischen  er- 
scheinungen.  die  geschichte  der  kritik  wird  also  entweder  jene 
Vorstellungen  zu  entwickeln  suchen,  und  dann  ist  sie  mit  der  ge- 
schichte der  poetik  einfach  identisch;  oder  sie  wird  die  einzelurteile 
protocolliereu.  in  letzterem  sinne  fasst  B.  ihre  aufgäbe  auf  und 
liefert  neben  der  darstellung  der  ästhetischen  ideen  eine  Zusammen- 
stellung der  einzelnen  urteile  über  dichter  und  dichtungswerke. 
eine  solche  Zusammenstellung  hat  indes  mit  einer  geschichte  der 
poetik  gar  nichts  zu  tun.  freilich  wirft  es  sofort  ein  helles 
licht  aut  Mendelssohns  ästhetische  anschauuu<'en,  wenn  wir  seine 


l2  BRAITMAIER    GESCHICHTE   DER  POET.  THEORIE  UISD  KRITIK 

Stellung  zu  Corneille  kennen  lernen;  auf  Gottscheds  kritische 
borniertheit,  wenn  wir  seine  urteile  über  Shakespeare  lesen, 
allein  mehr  gewinnen  wir  nicht;  solche  dinge  haben  nur  die 
kraft  des  beispiels.  oder  sollte  man  in  einer  geschichte  der 
poetik  des  19jhs.,  weil  Scherers  poetik  gelegentlich  sich  über 
Zola  äufsert,  seine  Stellung  zu  allen  erzeuguissen  dichterischer 
phantasie,  über  welche  dieser  selbständigen  Urteils  frohe  geist  sich 
ausgesprochen  hat,  erörtern?  nicht  dass  Gottsched  Milton  ver- 
worfen hat,  sondern  weshalb  er  ihn  ablehnt,  ist  für  die 
ästhetik  wichtig.  Schillers  urteil  über  Matthisson  ist  uns  herzlich 
gleichgiltig;  AWSchlegel  hat  vollkommen  recht  gehabt,  gegen 
diese  seite  der  Matthissonrecension  zu  polemisieren:  dennoch 
bleibt  sie  wegen  ihrer  principiellen  kundgebuugen  wichtig  für  die 
geschichte  der  ästhetik.  und  anderseits  sind  auch  die  glänzend- 
sten characteristiken  AWSchlegels  für  die  geschichte  der  poetik 
ziemlich  unbedeutend;  geht  er  gelegentlich,  wie  in  der  recension 
von  Hermann  und  Dorothea,  auf  ästhetische  ideen  ein,  so  pflügt 
er  mit  dem  kalbe  Schillers  oder  mit  dem  seines  bruders  Friedrich, 
für  die  geschichte  der  litteratur  dagegen,  soweit  man  diese  nicht 
rein  formal  fasst,  im  weiteren  sinne  für  die  culturgeschichte  sind 
Zusammenstellungen  ästhetischer  Werturteile  von  hohem  interesse. 
eine  historische  darstellung  der  querelle  des  anciens  et  des 
modernes  (sie  findet  bei  B.  häufig  erwähnung)  sollte  keiner  cultur- 
geschichte des  17  und  18  jhs.  fehlen  und  wäre  vor  allem  in 
dieser  zu  erörtern ,  wäre  jener  streit  auch  nie  von  anderer 
seite,  als  von  der  ästhetischen  behandelt  worden.  die  Wert- 
schätzung Homers  im  18  jh.  zu  untersuchen,  ist  zunächst  auch 
nicht  aufgäbe  des  histonkers  der  poetik:  er  hat  nur  zu  fragen, 
ob  die  Vertiefung  in  das  Studium  Homers  eine  consequenz  für 
die  anschauungen  vom  epos,  im  weiteren  sinne  dann  von  dichtung 
überhaupt  gehabt  haben.  Lessings  Laokoon,  dem  Homer  dazu 
dient,  das  successorische  der  dichtkunst  zu  entwickeln ,  käme 
hier  wesentlich  in  betracht. 

Die  geschichte  der  ästhetik  kann  nur  gewinnen,  wenn  man 
sie  auf  ihr  eigentliches  feld  einschränkt,  wir  sind  noch  lange 
nicht  so  weit,  die  entwickelung  der  Vorstellungen  über  künst- 
lerische, über  dichterische  phantasie  sauber  überblicken  zu  können, 
wollen  wir  wissen,  wie  das  18  jh.  über  das  naive  in  der  kunst 
gedacht  habe,  so  finden  sich  noch  immer  die  besten  Übersichten 
bei  Sulzer-Blankenburg,  wie  wir  denn  in  der  geschichte  einzelner 
ästhetischer  probleme  über  dieses  werk  keineswegs  hinausge- 
kommen sind. 

Dass  eine  darstellung,  welche  mühsam  von  kritischer  Zeitschrift 
zu  kritischer  Zeitschrift,  von  einem  handbuch  der  poetik  zum  anderen 
in  chronologischer  reihenfolge  sich  fortwindet,  diesen  Vorstellungen 
von  einer  geschichte  der  ästhetik  nicht  entspricht,  brauche  ich 
wol    nicht   zu    betonen,     wollte    man    doch    endlich   mit   solcher 


BRA1TMAIER    GESCHICHTE  DER  POET.  THEORIE  U.\D  KRITIK  73 

äufserlichen  Chronologie,  überhaupt  mit  allem  biographischen  in 
einer  geschichte  von  ideen  brechen !  dass  B.  das  fehlerhafte  seiner 
methode  gefühlt  hat,  erhellt  aus  manchen  zügen  seiner  arbeit, 
den  streit  der  Züricher  und  Leipziger  tut  er  glücklich  auf  fünf- 
zehn Seiten  ab.  und  der  abschluss  seines  werkes,  das  capitel 
über  Mendelssohn,  verzichtet  tatsächlich  auf  allen  chronologischen 
behelf:  es  gruppiert  nach  den  ästhetischen  kategorien  seinen  stoff. 

Das  äufserliche  hantieren  mit  den  Jahreszahlen  hat  noch 
eine  weitere  böse  consequenz.  erscheinungen,  die  ohne  frage 
zusammengehören,  werden  isoliert,  teilweise  gar  nicht  erwähnt. 
1762  gab  Hagedorns  bruder,  Christian  Ludwig,  seine  'Be- 
trachtungen über  die  mahlerey'  heraus,  allerdings  fallen  sie  zeit- 
lich später  als  wichtige  äufserungen  Lessiugs;  dennoch  überzeugt 
man  sich  auf  deu  ersten  blick  von  der  art  und  weise  der  vor- 
lessingischeu  ästhetik  und  wird  in  den  für  theorie  der  poesie 
nicht  unwichtigen  einleitenden  capiteln  ('Grundsätze  zur  bildung 
des  geschmacks  des  nachahmenden  künstlers')  deu  schüler  Baum- 
gartens nicht  verkennen.  —  B.  erwähnt  Hagedorn   nicht. 

Allein  ungerecht  wäre  es,  zu  läugnen,  dass  B.s  buch  ein 
reiches  material  mit  unverkennbarer  Vertiefung  verarbeitet  hat. 
eine  eindringlichere  darstellung  der  lehren  der  Schweizer  besitzen 
wir  nicht:  auch  das  büchleiu  von  Servaes  kann  gegen  B.  nicht 
aufkommen,  dessen  historische,  die  quellen  aufsuchende  methode 
der  rein  analysierenden  ihres  Vorgängers  manches  versehen  nach- 
zuweisen im  stände  war.  alles  dankes  wert  sind  die  erörterungen 
über  JESchlegel,  JASchlegel  und  Geliert;  allerdings  kann  ich 
der  polemik  B.s  gegen  vAntoniewicz  (s.  292  IT)  nicht  überall  bei- 
stimmen, es  ist  leicht,  quellennachweise  ad  absurdum  zu  führen, 
indem  man  anklänge  an  anderweitige  äufserungen  aufzählt,  allein 
der  grofse  unterschied  ist  wol  zu  bedenken,  ob  ein  salz  voll- 
inhaltlich in  einem  Vorgänger  sich  aufdecken  lässt,  oder  ob  dem 
Schriftsteller  zuzumuten  ist ,  aus  so  und  so  viel  einzelnen  ele- 
menteu  selbst  einen  neuen  gedanken  gebildet  zu  haben,  gewis 
hat  vAntoniewicz  seinen  beweis  nicht  immer  streng  genug  ge- 
führt, aber  nichts  ist  schwerer  als  die  genesis  eines  geistes- 
productes  in  so  streng  logischer  folge  zu  erörtern,  dass  die  be- 
nulzung  einer  bestimmten  quelle  unumgänglich  notwendig  erscheint, 
das  gelingt  nur  dem  meister. 

Ganz  auf  eigenen  füfsen,  der  erste,  der  auf  diesem  felde 
wissenschaftlich  geforscht  hat,  steht  B.  in  dem  capitel  über  Baum- 
garten. Sulzer  hätte  vielleicht  eingehendere  behandlung  verdient. 
mag  seine  theorie  der  schönen  künste  noch  so  eklektisch  sein, 
sie  hat  doch  aufserordentlich  gewürkt,  und  die  lehren  des  IS  jhs. 
sind  durch  ihr  medium  auf  die  classische  zeit  übergegangen. 
man  sollte  doch  näheres  zu  erfahren  suchen  über  ein  buch,  zu 
dem  Schiller  nachweisbar  zuerst  gegriffen  hat,  als  er  seine  phi- 
losophisch-ästhetische epoche  begann,    über  Mendelssohn  hat  B. 


I  4  BRAITMAIER    GESCHICHTE  DER   POET.   THEORIE  UND  KRITIK 

gleichfalls  das  ausführlichste  geliefert,  was  wir  bisher  hesitzen. 
freilich  wird,  wer  sich  mit  Mendelssohn,  beschäftigen  will,  gut 
tun,  die  weit  übersichtlichere  und  prägnantere  einleitung  JMinors 
in  bd.  73  von  Kürschners  Deutscher  nationallitteratur  zuerst  durch- 
zuarbeiten, bezüglich  Nicolais  (B.  2,  242  ff)  sich  an  bd.  72,  an 
Minors  'Jugendfreunde  Lessings',  zu  halten,  beide  bücher  scheint 
B.  nicht  zu  kennen. 

Dem  buche  B.s  ist  kein  alphabetisches  register  beigegeben, 
nicht  nur  ein  autorenverzeichnis,  sondern  auch  ein  sachliches 
register  wäre  dringend  nötig  gewesen,  um  die  nachteile  der  un- 
glücklichen disposition  einigermafsen  zu  heben. 

Wien,   12.  7.  1890.  Oskar  F.  Walzel. 


LlTTERATURNOTIZEN. 

Ferdinand  Schultz,  Die  Überlieferung  der  mhd.  dichtung  'Mai 
und  Beaflör'.  Kieler  diss.  Leipzig,  Fock,  1890.  61  ss.  8°. 
1,50  m.  —  die  zahl  der  dissertationeu,  welche  mhd.  litteratur- 
denkmäler  eingehend  erörtern,  hat  in  der  letzten  zeit  erheblich 
zugenommen,  zwar  wesentliche  resultate  lassen  sich  dadurch 
kaum  erreichen:  denn  die  grofsen  aufgaben,  welche  auf  mhd. 
gebiete  noch  der  lösung  harren,  erfordern  umfassendere  in- 
duetion  und  gereifteres  urteil ,  als  dass  sie  von  Studenten  be- 
wältigt werden  könnten,  indessen  die  tatsache  an  sich  zeugt 
für  eine  wachsende  reaction  gegen  die  einseitig  grammatische 
richtung,  unter  deren  banne  unsere  diseiplin  seit  drei  lustren 
gestanden  hat,  und  erweckt  die  holTnung,  dass  die  echt  philo- 
logische arbeit  in  bälde  sich  ihre  alte  Wertschätzung  zurück- 
erobern werde,  auch  die  vorliegende  dissertation  gelangt  zu 
keinen  neuen  ergebnissen ,  sondern  bestätigt  in  der  hauptsache 
uur,  dass  Pfeiffers  ausgäbe  des  Mai  nach  richtigen  kritischen 
grundsätzen  hergestellt  ist:  beide  hss.  des  gedichts  gehen  indirect 
auf  einen  ziemlich  fehlerhaften  archetypus  zurück,  aber  ihr  verf. 
bekundet  gute  methode  und  verständige  Überlegung;  uur  selten 
sieht  man  sich  veranlasst,  den  vorgetragenen  argumentationen 
zu  widersprechen,  das  ist  der  fall  s.  39,  wo  Seh.  die  ursprüng- 
lichkeit der  in  AB  nach  201,  10  überlieferten,  von  Pfeifler  ge- 
strichenen verse  Als  mir  hat  kunt  getan  daz  buoch,  Er  gewan 
alles  des  genuoch  behauptet:  er  vergisst  dabei,  dass  zufolge 
3,  17.  19  der  dichter  keine  schriftliche  quelle  besafs,  sondern 
einem  mündlichen  berichte,  der  seinerseits  allerdings  aus  einer 
chronik  geschöpft  war,  folgte,  auch  die  s.  37  verteidigte  echt- 
heit  der  nach  109,  26  von  den  hss.  gebotenen  Zeilen  Sand  er 
im,  diu  was  wol  gesniten,  Gröz  richeit  niht  dar  an  [was]  ver- 
miten  leuchtet  nicht  ein:  denn  wenn  in  drei  reimparen  nach 
einander   dieselbe    person    im    dativ    vorkommt,    zuerst  als    Dem 


SCHULTZ  MAI  UND  BEAFLOR  75 

werden  siner  sicester  sun,  zulelzt  als  dem  Bürsten  höchgemuot ,  so 
macht  es  sich  recht  matt,  wenn  sie  in  der  mitte  nur  durch  im 
angedeutet  wird.  —  sehr  verdienstlich  ist  die  neue  collation 
beider  mss.,  deren  fruchte  der  erste  anhang  verzeichnet,  gegen 
die  emendationen,  welche  anhang  n  enthält,  lässt  sich  bis  auf 
die  vorschlage  zu  43,  40  und  44,  31  wenig  einweuden.  der 
abschnitt  über  die  orthographische  darstellung  des  gedichtes 
(s.  49  —  55)  hätte  fortbleiben  können.  St. 

Das  schuldrama  in  Salzburg,  von  Hermann  FWagner.  Salzburg, 
Heinrich  Dieter,  1890.  7  ss.  gr.  8°.  0,30  fl.  —  W.  versteckt 
leider  seine  wichtigen  beitrage  zur  geschichte  des  Schulwesens 
in  der  wenig  verbreiteten  Zeitschrift  des  Salzburger  lehrervereines, 
und  so  liegt  die  gefahr  nahe,  dass  auch  der  sehr  interessante 
aufsatz,  welcher  oben  genannt  ist,  gerade  den  beteiligten  kreisen 
entgeht,  es  sei  daher  auf  den  Separatabdruck  aufmerksam  ge- 
macht, welcher  durch  den  buchhandel  zugänglich  ist.  nach  einigen 
einleitenden  bemerkungen  hauptsächlich  für  die  leser  der  ge- 
nannten Zeitschrift  bringt  der  verf.  auszüge  aus  den  Salzburger 
Stadtratsprotokollen  und  kammeramts-raitungen  über  schulauf- 
führungen  in  Salzburg  während  des  16  jhs.  die  erste  erwäh- 
nung  einer  deutschen  comödie  stammt  aus  dem  october  1540, 
die  reihe  der  einzeichnungen  geht  bis  zur  gründung  der  Univer- 
sität im  jähre  1617.  leider  sind  nur  in  den  seltensten  fällen  titel 
und  verf.  dieser  schuldramen  genannt;  so  erhält  23  febr.  1563 
der  Schuelmaister  in  Thuemb  die  erlaubnis  sein  Spiel,  als  nemb- 
lich  tragediam  portii  und  den  teutschen  Abraham ,  auf  nechsten  Son- 
tag  der  Herren  Vafsnacht ....  halten  zu  lassen,  mit  dem  Abraham 
könnte  Joachim  Greifs  drama  gemeint  sein,  da  Rollenhagens  be- 
arbeitung  von  Hier.  Ziegler  chronologische  Schwierigkeiten  bietet; 
doch  erschien  schon  1544  Zieglers  drama  in  deutscher  Übersetzung 
(vgl.  Holstein,  Die  Information  s.  82.  Bolte,  Mark,  iörschungen  18, 
204  f).  die  tragoedia  Portii  kann  ich  nicht  nachweisen,  an) 
16  februar  1582  lesen  wir:  Schuellmaister  aus  dem  Thuemb  er- 
legt drey  underschidenliche  Spill  an  heur  zuhalten:  Lateinisch  ist 
Parabola  chrj  de  Decem  Yirginibus,  in  comicotragicum  redacta. 
das  ist  der  genaue  titel  des  dramas  von  Hier.  Ziegler,  welches 
Scherer  in  Wagners  Archiv  s.  481  ff  besprochen  hat,  1555  er- 
schienen. Teutsch  von  'Khunig  Herode,  wie  Er  sein  Gemahell  umb- 
bringen  last.'  dies  köunte  man  etwa  auch  auf  Ziegler  beziehen, 
dessen  Infanticidium  vom  jähre  1555  Wolfgang  Herman  (Kyriander) 
zwei  jähre  später  (1557)  zu  Salzburg  in  deutscher  Übersetzung 
erscheinen  liefs  (Goed.  2,  405),  näher  aber  liegt  wol  die  tragödie 
von  Hans  Sachs:  Der  Wüterich  Herodes,  wie  der  sein  drey  Sö'n  vnd 
sein  Gemahel  vmbbracht  vom  jähre  1552  (Goed.  2,  429  nr  205). 
Pauernspill  von  Müllnern,  und  Ainem  Müll-Esel  etc.  halten  wir 
es  mit  dem  Stoff  von  Greifs  Manilas  zu  tun,  mit  der  anekdote 
vom   tragen  des   esels?    (vgl.  Goed.  2,  357.     Scherer,    Deutsche 


76  WAGNER    SCHULDRAMA  IN  SALZBURG 

Studien  in  46  IT.)  am  gleichen  tage  legte  vor  Schuellmaister 
zu  St.  Peter:  Tragedia  latine  Hecasti,  darin  haben  wir  jedesfalls 
das  drama  des  Macropedius  zu  erkennen.  Comoedia  Teutsch  von 
denen  gehorsamen  und  ungehorsamen  Khindern;  kaum  wird  damit 
etwas  anderes  gemeint  sein ,  als  Hans  Sachs  Comedia  der  un- 
gleichen kinder  Eve  vom  6  nov.  1553  (vgl.  JGrimm  Zs.  2,  257  ff 
und  Schnorr  in  seinem  Archiv  12,  176  ff).  Ain  pauernspill  von 
bösem  Rauch  ist  das  fastnachtsspiel  von  Hans  Sachs  bei  Goeze 
nr  28.  das  sind  alle  titel,  welche  wir  erfahren,  folgende  schul- 
meisteruamen  sind  erwähnt:  1568  Hanns  Goller,  1593  Johann 
Laurenz  Rotmaier,  Andreas  Faber,  1596  zuerst  und  dann  widerholt: 
Georg  Ulrich  und  Carolus  Christmanus,  1599  und  öfter  Gottfried 
Hueber,  1603  Johann  Veith  Schönlinus,  ob  sie  blofs  leiter  der 
aufführungen  oder  auch  selbst  dichter  waren,  das  erfahren  wir  nicht. 
Wagners  heft  ist  eine  wichtige  ergänzung  unserer  bisherigen 
keuntnis  und  der  Zusammenstellungen  Boltes  in  der  Zs.  32,  9  ff. 
Lemberg  6.  6.  90.  R.  M.  Werner. 

Imperativische  Wortbildungen  im  niederdeutschen  von  R.  Wossidlo. 
erster  teil,  beilage  zum  programm  des  gymnasiums  zu  Waren, 
ostern  1890.  commissions-verlag  von  G.  Fock  in  Leipzig.  17  ss. 
4°.  1,20  m.*  —  eine  sorgfältige  Zusammenstellung  der  nieder- 
deutschen Wortbildungen  mit  einer  adverbialen  bestimmung,  bei 
der  besonders  die  mundarten  und  unter  diesen  wider  die  mecklen- 
burgische ausgebeutet  sind,  man  ist  erstaunt,  mit  welchem  er- 
folg, mit  ausschluss  aller  irgendwie  anstöfsigen  worte,  die  wol 
auch  zahlreich  genug  sind,  hat  W.  290  nummern  zusammen- 
gebracht, die  andersartigen  bildungen:  blofse  imperative  und 
imperative  mit  einem  object,  sowie  erklärung  und  datierung  der 
Spracherscheinung  sollen  folgen,  dann  wird  auf  die  arbeit  zurück- 
zukommen sein,  hier  nur  wenige  bemerkungenl  was  die  Unter- 
abteilungen der  vorgeführten  classe  betrifft,  so  ist  die  Überschrift 
der  ersten:  'imperative  mit  einer  präposition'  sonderbar  gewählt, 
in  fällen  wie:  driwachter,  fangan  ist  achter,  an  doch  nicht  prä- 
position, sondern  adverb.  es  müste  heifsen:  'imperative  mit 
adverhien ,  die  auch  als  präpositiouen  gebraucht  werden.'  und 
auch  dann  passt  verschiedenes  nicht  hierher,  da  zb.  dal  schwer- 
lich als  präposition  vorkommt.  —  unter  den  beigebrachten  Zu- 
sammensetzungen findet  sich  eine  grofse  anzahl  solcher,  die  ent- 
weder nur  oder  auch  als  orts-  und  familienuamen  erscheinen,  aber 
wenigstens  bei  den  familiennamen  ist  gröfsere  vorsieht  nötig,  als 
der  verf.  sie  angewandt  hat.  gelegentlich,  zb.  bei  nr  106  werpup, 
weist  er  freilich  selbst  auf  die  möglichkeit  einer  anderen  deutung 
hin.  aber  eine  solche  liegt  auch  sonst  öfters  nahe  und  verdient 
nicht  selten  den  vorzug.  die  neuere  forschung  ist  mit  recht 
darauf  aus,    die  schiebt  der  familiennamen  zufälligen  Ursprungs, 

*  [Nd.  correspondenzbl.  14,31  (KEHKrause).  —  Litteraturbl.  für  germ. 
und  rom.  phil.  1890  nr  11  (RSprenger).] 


WOSSIDLO    IMPERATIVISCHE  WORTBILDUNGEN  /  / 

zu  der  auch  solche  imperativischen  bildungen  gehören,  immer 
mehr  einzuschränken  (vgl.  zb.  Preufs,  Die  Lippischen  Familien- 
namen. Nd.  Jahrbuch  9,37).  so  können  die  s.  10  angeführten 
geschlechtsnamen :  beuthin,  beuthau  geographischen  Ursprung 
haben;  Rudolphs  Ortslexikon,  das  nicht  benutzt  scheint,  weist 
einen  Beuthinerhof  bei  Eutin  und  ein  dorf  Beutau  im  regierungs- 
bezirk  Lüneburg  nach,  und  auch  pettendrup  s.  11  könnte  ganz 
gut  auf  einen  Ortsnamen  petten dorp  zurückgehn.  allerdings  werden 
solche  orts-  und  familiennameu  jetzt  oft  im  volksmund  im- 
perativisch  gedeutet,  und  insofern  sind  sie  auch  im  sinn  W.s 
zu  verwerten,  aber  doch  nur  als  ein  beweis,  wie  geläufig  der 
heutigen  spräche,  besonders  der  muudart,  die  imperativischen 
bildungen  sind.  —  schließlich  noch  ein  par  verweise,  zu  nr  57 
kehrum  vgl.  Rudolph,  Ortslexikon  i  2073;  zu  nr  73  helpup:  Nd. 
correspondenzbl.  9,  41;  zu  s.  11  bindup:  Nd.  correspondenzbl. 
9,  71.  zu  nr  123  finde  ich  auf  Liebenows  Topogr.  karte  der 
Rheiuprovinz  und  der  proviuz  Westfalen,  sect.  Münster,  bei 
2  höfen  südlich  von  Everswinkel  die  bezeichnung  Gr.  und  Lt. 
Schufut.  —  möge  der  schluss  der  gediegenen  und  lehrreichen 
abhandlung  bald  folgen  1 

Bielefeld,  aug.  1890.       H.  Tümpel. 

Die  buch-  und  kunstverlage  von  CAStarke  in  Görlitz  und 
ASiebert  in  Heidelberg  gedenken  das  gesammte  heraldische  material, 
das  die  miniaturen  der  grofsen  Heidelberger  (sog.  manefsischen) 
liederhandschrift  enthalten,  in  einem  reich  ausgestatteten  werke: 
'Wappen,  helmzierdeu  und  Standarten  der  grofsen  Heidelberger 
minnesängerhandschrift'  durch  farbendruck  zu  reproducieren.  ganz 
gewis  ist  gerade  für  heraldische  forschungen  die  unfarbige  photo- 
graphische widergabe  jener  miniaturen,  die  wir  FXKraus  ver- 
danken, nicht  ausreichend,  und  so  freue  ich  mich  jenes  er- 
gänzenden plans,  wenn  mir  auch  die  behauptung  des  prospectes, 
'dass  die  wappen  des  codex  wesentlich  authentischen  quellen  ent- 
nommen sind',  sehr  wenig  glaublich  erscheint:  dem  widerspricht 
neben  vielem  anderen  schon  der  umstand,  dass  in  C  auch  die 
bilder  mehrerer  bürgerlicher  fahrenden  mit  heraldischen  abzeichen 
versehen  sind,  ich  hin  gespannt,  ob  Zaisgemeister,  der  das 
werk  mit  einleitung  uud  erklärungen  begleiten  wird,  jene  ansieht 
des  prospectes  teilt,  ein  probeblatt,  das  mir  vorliegt,  lässt  in  der 
Zeichnung  freilich  nicht  verkennen,  dass  die  reproduetion  auf 
einer  copie,  nicht  auf  dem  original  selbst  beruht;  doch  beein- 
trächtigen kleine  ungenauigkeiten,  die  so  kaum  ausbleiben  konnten, 
die  wissenschaftliche  brauchbarkeit  der  publicalion  schwerlich. 
die  farbige  ausstattung  ist  glänzend  und  trifft,  wenn  mich  die 
erinnerung  nicht  trügt,  den  farbenton  des  Originals  so  gut  wie 
wünschenswert:  dass  die  zerstörenden  würkungen,  die  die  zeit 
auf  die  bilder  geübt  hat,    nicht  ängstlich  widergegeben   weiden. 


78  WAPPEN    DER  HEIDELB.  MINNESÄNGERHS. 

ist  nur  zu  billigen,  unter  dem  namen  Johanns  vBrabant  bringt 
die  hs.  ein  schlacbtenbild,  das  auch  den  gegnern  und  den  be- 
gleitern  der  hauptgestalt  heraldische  attribute  verleiht:  auf  dem 
probeblatt  sind  diese,  die  doch  keinesfalls  irgend  welchen  heral- 
dischen wert  beanspruchen  können ,  zum  teil  ohne  besondere 
kennzeichnung  mit  unter  den  uamen  Brabants  gestellt,  zum  teil 
fortgelassen,  eine  inconsequenz ,  die  ich  nicht  verstehe:  hoffent- 
lich wird  sie  auf  den  später  erscheinenden  blättern  vermieden, 
der  durchaus  nicht  billige  subscriptionspreis  (57  mk.  für  55  tafeln 
nebst  text  in  mappe)  rechtfertigt  sich  einigermafsen  durch  den 
reichen  gold-  und  silberdruck,  der  notwendig  war,  und  durch 
die  sonstigen  Schwierigkeiten  treuer  widergabe.  R. 


Kleine    Mitteilungen. 

Germanischer  dativ  aus  der  Römerzeit.  den  fachgenossen,  die 
nicht  regelmäfsige  leser  der  Jahrbücher  des  Vereins  von  alter- 
tumsfreunden im  Rheinlande  sind,  wird  es  nicht  unerwünscht 
sein,  zu  erfahren,  dass  nunmehr  zu  den  beiden  von  RMuch  (Zs. 
31,  355)  besprochenen  allgermanischen  dativen  pluralis  auf  -ms 
sich  ein  dritter  gesellt  hat.  JKlinkenberg  veröffentlicht  im  89  hefte 
der  Ronner  Jahrbücher  (s.  231)  zwei  inschriften  von  matronen- 
steinen,  die  im  mai  1890  in  der  kirche  des  ehemaligen  Cister- 
zienserinneuklosters  zu  Hoven  bei  Zülpich ,  also  widerum  in  dem 
bereiche  der  alten  Ubier,  zum  Vorschein  kamen  und  folgender 
mafsen  lauten :      Matronis  \  Saitchamimsj 

Primus.     Freiatjtonis  l.  m. 
und  Matron(is)  \  Saithamia[b](us)  j 

Q.  Cominiusj  Primio.  I.  [m.J 
Bonn.  Gustaf  Kossinna. 

Zu  Wernher  von  Elmendorf.  durch  Schönbachs  überraschenden  quel- 
lenfund  (Zs.  34,  55  ff)  ist  zwar  die  eigene  leistung  Wernhers  von 
Elmendorf  herabgedrückt,  das  litterargeschichtliche  interesse 
aber  an  seinem  werke  wie  an  seiner  person  kaum  gemindert 
worden,  ich  habe  mich  als  ein  halber  landsmann  des  Heiligen- 
städter poeten  schon  lange  nach  einem  historischen  beleg  oder 
anhält  umgesehen,  aber  auch  der  beste  kenner  des  eichsfeldischen 
urkundenmaterials,  hr  Oberlehrer  dr  Jäger  in  Osnabrück,  konnte 
mir  dazu  nicht  verhelfen,  nur  Wernhers  gönner,  den  propst 
Dietrich ,  um  den  sich  Sauerland  (Zs.  30,  3)  in  vier  archiven  um- 
sonst bemüht  hat,  kann  ich  jetzt  nachweisen,  in  Falckenheiuers 
Geschichte  hessischer  Städte  und  Stifter  bd.  n  (1842)  171  ff  findet 
sich  eine  Urkunde  des  erzbischofs  Christian  i  von  Mainz  abgedruckt, 
die  aus  anlass  einer  kirchenvisitation  zu  Fritzlar  1171  (vor  dem 
1  sept.,    vgl.  Böhmer -Will,  Regesten   zur  gesch.  der  erzbischöfe 


KLEI.\E    MITTEILUNGEN  79 

von  Mainz  n  30)  ausgestellt  wurde:   unter  den  zeugen  steht (s.  173) 
auch  der  prepositus  in  Helegenstat  Theodoricus. 

Ich  lasse  diese  gelegenheit  nicht  vorübergehn,  ohne  zu  be- 
tonen, dass  mir  alles,  was  Sauerland  Zs.  30,  2  ff  über  die  her- 
kunft  Dietrichs  und  Wernhers  aus  dem  Oldenburgischen  vor- 
gebracht hat,  durchaus  problematisch  erscheint,  auch  dem  zweifei 
möchte  ich  ausdruck  geben,  ob  unsere  Überlieferung  würklich 
in  Ordnung  ist,  wenn  sie  beiden,  dem  caplan  sowol  wie  dem 
propst,  den  beisatz  'von  Elmendorl"  gibt,  es  sieht  fast  so  aus, 
als  ob  hier  einmal  (an  zweiter  stelle?)  ein  anderes  wort,  viel- 
leicht auf  -dorf,  durch  (das  eben  dagewesene)  Elmendorf  ver- 
drängt sei.  und  zuletzt  mag  dem  Schlüsse  des  Schönbachschen  auf- 
satzes  (Zs.  34,  75)  gegenüber  gesagt  sein,  dass  die  reime  und 
der  Wortschatz  der  dichtung  zwar  auf  die  gränze  des  hochdeut- 
schen Sprachgebiets,  aber  nicht  über  den  Heiligenstadt  zukom- 
menden nordtüriugischen  dialect  hinaus  aufs  niederdeutsche 
weisen,  am  allerwenigsten  sind  etwa  im  Sprachgebrauch  an- 
klänge an  das  friesische  zu  finden:  ein  Friese  aber  müste 
Wernber  sein,  wenn  er,  wie  Sauerlaud  glaubhaft  machen  wollte, 
aus  Elmendorp  im  Ammerlande  stammte!  es  ist  wahr,  in  Tü- 
ringen ist  ein  Elmendorf  bisher  nicht  nachgewiesen  —  aber  wie 
grofs  ist  die  zahl  der  ausgegangenen  orte!  und  wie  schwer  hält 
es,  sie  ohne  gründliche  local-  und  terraiustudien  zu  überblicken! 
man  sehe  sich  nur  einmal  in  Landaus  bekannter  monographie 
(Zs.  d.  ver.  f.  hess.  gesch.  und  landeskunde,  7  suppl.)  das  register 
an:  es  bringt  allein  aus  dem  kleinen  Kurhessen  sieben  Wüstungen 
mit  Elm-  im  nameu;  auch  ein  'Ehninsdorf  (in  Oberhessen,  s.  275) 
ist  darunter,  das  ich  natürlich  nicht  zur  heimat  Weruhers  zu 
stempeln  gedenke.  Sch. 

Zu  Tannhäosers  Rätselspruch,  die  darlegungen  Roelhes  (Zs.  30,419) 
und  HM  Werners  (Zs.  31,  363)  haben  jeden  zweifei  daran  beseitigt, 
dass  der  spruch  MSH  2,  97b  keinen  komischen  unsinn,  auch 
keine  mischung  von  rätseln  und  lügen,  sondern  eine  reihe  von 
rätseln  im  stil  der  Joca  monachorum  enthält,  dann  aber  macht 
es  Schwierigkeiten,  sich  den  Vortrag  des  Spruches  anschaulich 
vorzustellen,  rätsei  werden  doch  aufgegeben,  um  vom  hörer 
gelöst  zu  werden,  und  die  ohnehin  zum  teil  recht  schwierige 
lösung  muste  durch  den  verwirrenden  fortlaufenden  Vortrag  von 
4  —  5  rätseln  in  einem  atem  geradezu  unmöglich  werden,  das 
problem  löst  sich,  sowie  wir  die  reimstellung  betrachten:  der 
spruch  zerfällt  metrisch  und  syntactisch  in  4  ganz  selbständige 
teile,  deren  jeder  ein  rätsei  für  sich  bildet:  v.  1  —  4  (Adam  und 
Eva),  v.  5— 10  (Adam,  Eva  und  der  hund  in  der  arche  Noah, 
der  zwar  nicht  syntactisch ,  aber  metrisch  gleichfalls  für  sich  ge- 
nommen werden  kann),  v.  11.  12  (die  erde  höher  als  der  himmel), 
v.  13.  14  (Thomas  Beckel).  aus  diesem  kunstslttck  erklärt  sich 
aucli  die  wunderlich  verzwickte  Strophen  tonn,    der  Spruch  konnte 


80  KLEINE  MITTEILUNGEN 

vollständig  recitiert,  aber  auch  jederzeit  die  einzelnen  rätsei  für 
sich  vorgetragen  werden;  also  nach  Rückerts  wünsche  'ein  ganzes, 
das  besteht  aus  vielen  kleinen  ganzen'. 

Hollenstedt.  E.  Kück. 

Zu  den  deutschen  Schriften  Albrechts  von  Eyb.  es  sei  mir  ge- 
stattet, an  dieser  stelle  einige  irrtümer  zu  berichtigen ,  diemeine 
soeben  vollendete  ausgäbe  der  deutschen  Schriften  des  Albrecht 
von  Eyb  (Berlin  1890,  2  bände)  enthält,  bd.  i  s.  ix  bitte  ich  die 
nummer  des  Cod.  germ.  Mon.  aus  4368  in  4358,  bd.  n  s.  xxv  und 
xxvii  den  namen  des  druckers  von  Ai  aus  Würdimg  in  Würsung 
zu  verbessern,  bd.  n  s.  xx  (vgl.  s.  vn)  ist  als  drucker  von  S 
Johann  Rynnman  genannt,  der  in  würklichkeit  nur  der  Verleger 
war.  der  drucker  verschweigt  seinen  namen,  es  handelt  sich 
indessen  ohne  frage  um  Johann  Otmar,  der  seit  dem  jähre  1503 
in  Augsburg  für  Rynnman  arbeitete  und  erst  1516  von  Silvan 
Otmar  abgelöst  wurde,  würklich  zeigt  auch  S  in  der  ausstattuug 
die  entschiedenste  Verwandtschaft  mit  den  drucken,  die  in  Rynn- 
mans  auftrage  aus  Johann  Otmars  officio  hervorgiengen ,  so  zb. 
mit  der  deutschen  bibel  von  1507  (Berlin  Bu  9041),  mit  Taulers 
Sermones  von  1508  (Berlin  Cs  3513)  und  der  Hystori  Katharine 
von  Senis  von  1510  (Berlin  Dw  6156),  während  die  arbeiten,  die 
Otmar  auf  eigene  faust  oder  für  einen  anderen  Verleger  herstellte, 
ganz  anders  aussehen,  und  vollständig  stimmt  es  mit  der  wie  S 
im  jähre  1511  von  Rynnman  veranstalteten  neuen  ausgäbe  des 
Tenglerschen  laienspiegels  im  format,  in  der  druckeinrichtung, 
in  den  typen  und  in  der  stilistischen  gestallung  der  schlussschrift 
überein;  nur  wird  im  laienspiegel  zuletzt  (fol. cclviii")  ausdrücklich 
bemerkt,    dass  der  druck  von  Maifter  Hansen  Othmar  besorgt  ist. 

Berlin,  october  1890.  Max  Herrmann. 


Die  41  Versammlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner 
findet  mittwoch,  den  20  bis  Sonnabend,  den  23  mai  1891  in 
München  statt,  das  präsidium  besteht  aus  den  herren  prof. 
dr  WvChrist  und  gymnasialrector  dr  BArnold.  die  vorbereitenden 
geschäfte  für  die  germanistische  section  führt  prof.  dr  Brenner 
(Georgenstr.  I3b).  anmeldungen  von  vortragen  sind  für  die  all- 
gemeinen Sitzungen  an  einen  der  beiden  Präsidenten,  für  die 
sectioussitzuugen  an  die  Vorsitzenden  der  sectionen  bis  zum  1  mai 
einzusenden.  

Am  2  october  starb  in  Waging  bei  Traunstein  prof.  Konr. 
Hofmann  aus  München,  71  jähre  alt.  —  Für  deutsche  philologie 
habilitierten  sich  in  Berlin  dr  AHeusler,  in  Marburg  dr  FWrede, 
in  Leipzig  dr  GHolz,  für  deutsche  spräche  in  Graz  dr  JYVNagl. 
der  aufserordentliche  prof.  dr  GRoethe  in  Göttingen  wurde  zum 
ordentlichen  prof.  an  derselben  Universität  ernannt. 


ANZEIGER 

FÜR 

DEUTSCHES  ALTERTHUM  UND  DEUTSCHE  LITTERATUR 

XVII,  2    APRIL  1S91 


Ueber  mittelalterliche  bibliotheken.  von  Theodor  Gottlieb,  mit  Unter- 
stützung der  kaiserlichen  academie  der  Wissenschaften  zu  Wien. 
Leipzig,  OHarrassowitz,  1890.     XI  und  520  ss.  gr.  8°.  —  14  m. 

Es  verdient  bemerkt  zu  werden,  dass  ein  germanist,  BJDocen 
zuerst  auf  die  Wichtigkeit  der  mittelalterlichen  büchercataloge 
aufmerksam  gemacht  hat:  'die  geschichte  der  litteratur  und  der 
Studien  im  mittelalter  genauer  zu  kennen,  hierzu  gibt  es  eine, 
wenigstens  äusserlich  sehr  belehrende,  noch  gar  nicht  hinlänglich 
benützte  quelle,  es  sind  dieses  die  authentischen,  nicht  selten 
zu  anfang  oder  ende  eines  alten  manuscripts  eingezeichneten 
listen  des  büchervorrats  eines  domstiftes  oder  einer  abtey'  (Hor- 
mayrs  Archiv  13,  248.  Wieu  1822).  drei  jähre  später  macht  auch 
FAEbert  (Zur  handschriftenkunde  1,  116)  darauf  aufmerksam  und 
bemerkt,  dass  die  mitteilung  solcher  listen  zur  nähern  kenntnis  des 
bücherwesens  im  ma.  sehr  nützlich  sei.  er  führt  dann  auch  bereits 
eine  auzahl  cataloge  an  und  vermerkt  die  bücher,  in  denen  sie 
gedruckt  sind,  in  den  letzten  jähren  vermehrten  sich  die  stimmen, 
die  nach  einer  Sammlung  solcher  cataloge  riefen,  auch  aus  Eng- 
land,  Frankreich  und  Italien,  es  erschienen  1885  GBeckers 
(f  1886)  Catalogi  bibliothecarum  antiqui.  sie  sind  auch  durch 
G.s  buch  nicht  entbehrlich  geworden,  beweisen  aber,  dass  das 
unternehmen  die  kräfte  eines  mannes  übersteigt  und  nur  die 
gemeinsame  arbeit  vieler  das  monumentale  werk  zu  stände  bringen 
kann,  zu  welchem  G.  material  und  pläue  liefert,  im  gegensatze 
zu  Becker  wendet  er  zum  erstenmal  die  wissenschaftliche  methode 
auf  diese  mittelalterlichen  denkmäler  an,  um  eine  möglichst  voll- 
ständige übersieht  über  sie  zu  gewähren  und  diejenigen,  die  im 
falle  sind  das  material  zu  vervollständigen,  zu  neuen  beitragen 
zu  reizen. 

In  einer  kurzen  einleitung  werden  wir  orientiert  über  die 
geschichte,  den  plan  und  umfang  des  Unternehmens,  sofort  folgt 
die  hauptsache,  756  und  mit  den  'Miscellen'  (s.  u.)  zusammen 
1391  cataloge  der  bibliotheken  von  Deutschland,  Frankreich,  Grofs- 
britanien ,  Italien,  den  Niederlanden,  Scandiaavieo  und  Spanien. 
bei  jedem  dieser  länder  sind  die  bibliotheken  in  alphabetischer 
Ordnung  aufgeführt,  während  die  nu Dimer n  der  cataloge  fortlaufen. 
die  einzelnen  nummern  sind  in  der  weise  verzeichnet,  <!.»<>  in 
der  Überschrift  durch  fetldruck  der  name  der  bibliothek,  der  Stadt, 
A.  F.  D.  A.    XVII.  6 


^2  GOTTLIEB    MITTELALTERUCHE  BIBLIOTHEKEN 

des  klosters  oder  besitzers  hervorgehoben  wird,  darauf  folgt  in 
neuem  alinea  die  Überschrift,  wenn  im  originale  eine  solche  vor- 
handen ist,  natürlich  in  der  Ursprache  entweder  lat.  oder  franz.,  engl., 
ags.,  ital.,  niederl.  usw.  hieran  schliefsen  sich  in  neuen  absätzen 
unter 'Inc.'  und  'Fin.'  anfang  und  schluss  des  Verzeichnisses,  wider 
neue  absätze  bilden:  'Quelle',  die  bezeichnung  des  Originals,  der 
bibliothek  oder  des  gröfsern  werkes,  aus  welchem  das  Verzeichnis 
entnommen  ist,  und  'gedr.',  wo  die  abdrucksteilen  angegeben 
werden,  natürlich  muss  nach  umständen  eine  oder  mehrere 
dieser  rubriken  wegfallen  oder  leer  bleiben. 

Weiteres  über  diese  fleifsige  und  genaue  Zusammenstellung, 
die  den  hauptteil  des  werkes  bildet,  läfst  sich  in  einer  recension 
kaum  sagen,  dagegen  dürfte  es  am  platze  sein,  wenigstens  auf 
den  einen  oder  andern  dieser  cataloge  aufmerksam  zu  machen, 
der  von  culturhistorischem  interesse  ist  und  geeignet,  uns  einen 
einblick  zu  bieten  in  das  lebendige  litterarische  treiben  des  mittel- 
alters.  natürlich  steht  hier  der  c ler us  voran,  aber  der  einzelne 
priester  konnte  doch  nur  wenige  bücher  besitzen,  ein  inventar 
der  kirche  Perechiricha  (Bergkirchen)  im  histum  Freising  um  die 
mitte  des  9.  jhs.  weist  blofs  zwei  bücher  auf  (nr  153).  der 
priester  Waldperht  derselben  diöcese  schenkte  der  kirche  Zarten- 
kirchen  im  jähre  830  4  bücher  (nr  810).  da  war  der  priester 
Walgarius  viel  reicher,  welcher  um  865  der  kirche  von  Cysoing 
bei  Tournay  16  bücher  vermachte  (nr  1267).  der  einsiedler 
Meinrad  (f  861)  'behielt  im  selb  ain  messbuch  mit  den  eppistlen 
und  ain  omilier ,  unser  regel  aine  und  die  bücher  Cassiani'  sagt 
Gallus  Oheim  (ausg.  v.  Barack  5,  54),  von  G.  nicht  erwähnt. 

Erst  später  kommen  die  laien.  da  haben  wir  (s.  278)  die 
bücher  des  angelsächsischen  königs  Äthelstan  (f  941).  nr  387 
ist  die  bibliothek  eines  advokaten  mit  angäbe  der  preise  v.  j.  1362; 
nr  266  die  eines  französischen  arztes  von  1438,  199  nummern, 
ebenfalls  mit  preisen;  nr  408  das  Verzeichnis  eines  buchhändlers 
zu  Tours  im  15.  jh.  es  umfasst  238  handschriften  und  29  drucke, 
dem  wäre  noch  hinzuzufügen:  ACorradi,  Biblioteca  d'un  medico 
marchigiano  del  secolo  XIV.  Milano,  tip.  Bichiedei.  in  8°,  8  p. 
auszug  aus  den  Annali  universali  di  medicina  vol.  272  (1885). 
Bibliotheque  de  l'Ecole  des  Charles  46  (1885)  p.  702.  —  'La 
petite  collection  d'un  bibliographe  breton  ä  la  fin  du  XVe  siede 
ou  au  commencement  du  XVI6  siecle'  steht  im  Bulletin  du  Bou- 
quiniste  publ.  par  Aubry,  3  annee  (1859)  nr  56,  s.  218  und  ist 
daraus  widerholt  bei  Petzholdt,  N.  anzeiger  1859,  s.  222.  — 
Bibliotheque  d'un  Mßdecin  [Jean  van  der  Hülst]  ä  Diest,  en  1489, 
par  Charles  Stallaert  steht  im  Bibliophile  Beige  11  (1876),  p.  56 
bis  62;  vgl.  Petzholdt,  N.  anzeiger  1876,  s.  344.  —als  im  jähr 
1483  zwei  Studenten  zu  Oxford  gepfändet  werden  sollten,  hatte 
der  eine  einen  über  de  forma  dictandi  und  pamplelte  cum  accu- 
sationilnis;  der  andere  hatte  uar  keine  bücher.   nr   1048. 


GOTTLIEB    MITTELALTERLICHE  BIBLIOTHEKE.N  83 

Was  Vollständigkeit  betrifft,  so  ist  hier  nicht  der  ort  des 
weitem  auf  diese  frage  eiuzugehn.  nachdem  die  zahl  der  von 
Becker  zusammengebrachten  nummern  um  mehr  als  ein  volles 
tausend  übertroffen  ist,  könnte  man  bald  glauben,  es  der  abso- 
luten Vollständigkeit  nahe  gebracht  zu  haben,  wenn  nicht  der  verf. 
selbst  dem  entschieden  widerspräche  (vorw.  s.  X).  er  bemerkt 
aber  richtig,  dass  es  gegenwärtig  darauf  auch  gar  nicht  an- 
kommt; die  hauptsache  ist,  dass  nun  einmal  die  wissenschaft- 
liche grundlage  gelegt  ist,  auf  der  sich  weiter  bauen  läfst.  dazu 
bedarf  es  eben  der  vereinten  kräfte  vieler,  mochte  sich  eine 
gelehrte  genossenschaft  finden,  welche  dem  unternehmen  leitend 
und  unterstützend  an  die  hand  gienge! 

G.  hat  aber  auch  noch  in  anderer  weise  würksam  vorge- 
arbeitet im  3  cap.  seines  buches:  mustercataloge.  bei  seiner 
fortwährenden  Beschäftigung  mit  den  hslichen  quellen  hat  er  oft 
genug  gelegenheit  gehabt,  das  gedruckte  material  mit  den  origi- 
nalen zu  vergleichen;  da  zeigte  es  sich  dann,  mit  welcher  Will- 
kür viele  herausgeber  verfahren  sind,  sie  haben  bücher,  die  ihnen 
nicht  wichtig  schienen,  die  Signaturen  und  Preisangaben  wegge- 
lassen, die  titel  unrichtig  abgeteilt;  bei  andern  finden  sich  die 
plumpsten  lesefehler,  irrtümer  und  flüchtigkeiten,  wodurch  ganz 
merkwürdige  litterarische  curiosa  entstehn.  dagegen  fordert  G. 
mit  recht,  der  herausgeber  solle  die  verschiedeneu  hände,  von 
welchen  der  calalog  herrührt,  und  die  spätem  zusätze  wol  unter- 
scheiden und  kenntlich  machen;  dann  auch  über  das  Schicksal 
der  hss,  über  den  verbleib  der  heute  noch  erhaltenen  aufschlufs 
geben,  freilich  scheint  mir  G.  bei  seinen  mustercatalogen  die 
genauigkeit  zu  weit  zu  treiben,  wenn  (s.  294)  durchstrichene 
Zeilen  und  corrigierte  buchstaben  durch  besondere  typen  wider- 
gegeben sind,  während  er  im  vorwort  (s.  VIII)  sich  gegen  den 
'typendruck'  ausspricht,  im  übrigen  ist  er  offenbar  nicht  abge- 
neigt, bei  einzelneu  puncten  mit  sich  reden  zu  lassen. 

Über  'anordnung  der  bibliotheken  im  mittelalter' 
enthält  cap.  4  viel  interessantes;  doch  dürfte  eine  geschichte  des 
catalogisierens  im  mittelalter  noch  nicht  sobald  an  der  zeit  sein, 
da  im  vergleich  zur  unsrigen  die  anzahl  der  bücher  meistens 
sehr  klein  war,  kam  es  auf  eine  rationelle  einteilung  weniger  an. 
last  immer  gehn  die  biblischen  bücher  voran,  auf  diese  folgen 
die  kirchenväter  ohne  bestimmte  Ordnung,  und  den  schluss  macht 
die  weltliche  litteratur.  bei  letzterer  ist  in  einzelnen  fällen  eine 
anordnung  nach  den  sieben  freien  künsten  versucht,  anderwärts 
sind  die  'libri  scottice  scriptf  ausgeschieden,  öfter  begegnen  wir 
einer  besondern  bibliothek  für  die  schule  und  für  die  kiiche 
oder  den  chor.  letztere  wurde  auch  meist  in  der  aacDistei  auf- 
bewahrt, und  das  erklärt,  warum  bei  so  vielen  kn •cheninventareo 
die  bücher  mitten  zwischen  pannnenteu  verzeichnet  sind,  das 
ist  unter  umständen  zu   beachten,    um   nicht   falsche   fok'erunj'eu 


84  GOTTLIEB    MITTELALTERLICHE  BIBLIOTHEKEN 

zu  ziehen,  etwas  anderes  ist  es,  wenn  eine  grofse  und  eine 
kleine  bibliotliek  unterschieden  werden  (s.  305.  307).  eine  ähn- 
liche einrichtung  bestand  in  Einsiedeln  bis  in  unser  Jahrhundert; 
vgl.  Calmet,  Diarium  helveticum  s.  50 — 51.  Helv.  kalender  f. 
1798,  s.  117.  erst  um  das  jähr  1805  wurde  die  Sammlung  der 
am  meisten  gebrauchten  buch  er,  usuale  genannt,  mit  der  haupt- 
bibliothek  vereinigt,  die  alphabetische  anordnung  der  titel  im 
cataloge  findet  sich  zuerst  im  12  jh.;  im  15  wird  sie  allge- 
meiner, aber  wie  waren  die  bücher  selbst  geordnet?  bekanntlich 
lagen  dieselben  auf  pulten  und  die  moderne  aufstellungsart  nach 
formaten  lässt  sich  nicht  vor  dem  15  jh.  nachweisen.  Signa- 
turen waren  wahrscheinlich  schon  im  11  jh.  im  gebrauch;  aus 
dem  13  haben  sich  manche  erhalten,  sie  bestehn  meist  aus 
römischen,  seltener  aus  arabischen  Ziffern  und  majuskelbuchstaben, 
und  mit  ihrer  hilfe  ist  es  geluugen,  von  manchen  hss.  die  her- 
kunft  nachzuweisen,  auch  verschiedenfarbige  Signaturen  je  nach 
den  Wissenschaften,  rot,  grün,  schwarz  kommen  vor  (s.  270). 
während  in  den  meisten  calalogen  nur  Verfasser  und  titel  des 
buches  genannt  werden,  fügen  andere  die  anfangsworte  des  Werkes 
bei,  oder  auch  anfang  und  ende,  was  namentlich  in  Italien  brauch 
war.  seit  dem  14  jh.  werden  sehr  oft  auch  noch  die  anfangs- 
worte des  zweiten  blattes  angeführt,  was  zur  sichern  bezeichnung 
mithalf,  von  der  natur  und  dem  zwecke  des  Verzeichnisses  hängt 
es  ab,  ob  auch  die  preise  beigefügt  sind,  dagegen  werden  kost- 
bare einbände  recht  häufig  erwähnt. 

Cap.  5:  'Beiträge  zur  geschichte  einzelner  bihliotheken'  ent- 
hält hauptsächlich  nachweise  über  den  verbleib  von  hss.  aus  den 
altern  bibliotheken  von  Lorsch,   Rheims,   Trier    und  Reichenau. 

Die  'Miscellen'  (cap.  6)  bilden  die  fortsetzung  der  cataloge, 
indem  auch  die  Zählung  ununterbrochen  fortgeht,  und  sie  sind 
wie  diese  nach  ländern  abgeteilt,  es  sind  meist  nur  teilverzeich- 
nisse,  geschenke,  ankaufe  udgl.  sie  sind  nicht  so  ausführlich 
verzeichnet,  wie  die  cataloge,  nehmen  oft  nur  eine  einzige  zeile 
in  anspruch,  dagegen  stehn  sie  an  bedeutung  und  oft  auch  an 
umfang  diesen  keineswegs  nach. 

'lndirecte  quellen'  nennt  G.  citate  und  uachahmuugen  antiker 
autoren  bei  den  Schriftstellern  des  mittelalters;  auch  sie  sind 
Zeugnisse  über  die  bücherbestände  der  bibliotheken.  mit  recht 
hebt  aber  G.  hervor,  dass  hier  kritisch  zu  verfahren  ist,  und 
tadelt  den  'groben  unfug',  der  in  jüngster  zeit  mit  seitenlangen 
nachweisen  dieser  art  getrieben  wurde,  wo  nur  zu  oft  der  schein 
sich  in  ein  nichts  auflöst,  dagegen  lässt  sich  mit  gehöriger  Sorg- 
falt aus  den  Schriften  Cassiodors  ein  Verzeichnis  der  bücher  des 
klosters  Vivarium  herausklauben,  bekannt  sind  die  verse  Theo- 
dulfs  von  Orleans  über  seine  lectüre,  und  ähnliche  bücherver- 
zeichuisse,  oft  von  bedeutender  ausdehnung,  finden  sich  in  mittel- 
alterlichen dichtem  noch  öfter. 


GOTTLIEB    MITTELALTERLICHE  BIBLIOTHEKEN  85 

Den  scbluss  bildet  ein  dreifacher  index,  der  bibliotheken  und 
bücherbesitzer,  resp.  schenker  oder  Schreiber,  der  namen  und 
Sachen  und  der  benützten  hss.  ich  hätte  noch  ein  Verzeichnis 
der  benutzten  druckvverke  gewünscht,  wenn  auch  nur  in  summa- 
rischer form,  es  sind  ja,  um  die  gestellte  aufgäbe  zu  vollenden, 
nicht  nur  hss.,  sondern  auch  drucke  heran  zu  ziehen,  und  eine 
bibliographische  übersieht  der  bereits  durchforschten  litteratur 
liefse  erkennen,  was  noch  auszubeuten  ist.  man  bekäme  dann 
auch  eine  Vorstellung  davon,  wie  weit  zerstreut  das  material  ist, 
nicht  nur  in  bibliographischen  werken,  Zeitschriften  und  Pro- 
grammen; auch  eine  masse  Specialschriften  über  klöster,  Stiftungen, 
schulen,  dann  die  vielen  Stadtgeschichten,  endlich  eine  anzahl 
reisebeschreibungen  gehören  hierher,  indirect  wäre  ein  solches 
Verzeichnis  auch  ein  mafsstab  für  den  sammelfleifs  und  Spürsinn 
des  verf.,  eigenschaften,  die  ausdrücklich  anerkennung  verdienen; 
er  hat  nicht  nur  einen  grofsen  teil  des  materials  auf  reisen  ge- 
sammelt, sondern  ist  auch  bemüht  gewesen,  auf  brieflichem  wege 
zn  möglichst  sichern  resultaten  zu  gelangen,  übrigens  ist  im  vor- 
stehenden der  reiche  inhalt  des  buch  es  noch  nicht  erschöpft ; 
gelegentlich  sind  noch  andere  nolizen  zusammengestellt,  so  s.  6 
über  mittelalterliche  Schreiber,  s.  324 — 328  über  verschollene 
bücherverzeichnisse  uam. 

Betreffs  zweier  punete  erlaube  ich  mir  hier  noch  ein  par 
bemeikungen.  die  bücherp reise  sind  gewis  von  bedeutung 
für  die  kenntnis  des  mittelalterlichen  bücherwesens,  und  eine 
Zusammenstellung  der  zahlreichen  erhaltenen  notizen  wäre  in- 
teressant, freilich  fragt  G.  s.  320:  'was  aber  soll  man  dann 
mit  den  zahlen  anfangen?'  nun,  wir  sind  bereits  über  die  geld- 
werte der  verschiedenen  Zeiten  soweit  orientiert,  dass  die  reduetion 
auf  einen  gemeinsamen  nenner  nicht  allzu  schwierig  sein  dürfte.  — 
zu  dem,  was  G.  über  die  vorsieht  beim  ausleihen  der  bücher 
(s.  319)  gegen  schein  (s.  313)  oder  pfand  (s.  290)  sagt,  wäre 
hinzuzufügen,  dass  ein  solches  Unterpfand,  gewöhnlich  in  einem 
buche  bestehend,  memoriale  genannt  wurde,  diese  bedeutung  des 
Wortes  fehlt  auch  in  der  neuesten  aufläge  von  Du  Cange,  findet 
sich  aber  bei  Delisle  Cabinet  des  manuscrits  n  125,  239  und 
anderwärts,  daselbst  43,  nr  2  steht  auch  ein  ausleihschein  vom 
jähre  1488. 

Nicht  nur  der  philologe,  sondern  auch  der  historiker,  der  paläo- 
graph  und  bibliograph,  und  —  last  not  least  —  der  theologe, 
werden  dem  Verfasser  für  seine  fleifsige  Zusammenstellung  dank 
wissen,  möchten  sie  ihn  auch  durch  zahlreiche  ergänzungen 
betätigen! 

Einsiedeln  im  december  1890.  P.  Gabriel  Msier. 


86  MÜLLER  ZUR  MYTHOLOGIE  DER  HELDENSAGE 

Zur  mythologie  der  griechischen  und  deutschen  heldensage.     von  Wilhelm 
Müller.    Heilbronn,   Henninger  1889.     vi  und  177  ss.     8°.  —  3  m.* 

Der  bald  nach  dem  erscheinen  dieser  seiner  letzten  schritt 
verstorbene  Verfasser  sucht  in  ihr  die  angriffe  abzuschlagen,  die 
seine  1886  herausgegebene  Mythologie  der  deutschen  heldensage 
von  verschiedenen  kritikern  erfahren  hat.  er  beschränkt  sich 
aber  nicht  auf  die  abwehr,  sondern  geht  nun  seinerseits  nament- 
lich gegen  den  unterzeichneten  zum  angriff  vor,  indem  er  ihn 
auf  dem  hauptgebiete  der  Indogermanischen  mythen,  auf  dem 
gebiete  der  griechischen  sage,  aufsucht,  mit  seiner  früheren 
Untersuchung  verglichen,  erweitert  diese  letzte  einerseits  den 
kreis,  um  ihn  anderseits  zu  verengern,  wie  die  inhaltsangabe 
der  sechs  capitel:  1.  Die  Kentauren.  2.  EHMeyers  Achilleis. 
3.  Zu  der  Nibelungensage.  4.  Zu  der  Wielandssage.  5.  Zu  der 
Walthersage.  6.  Orendel  bereits  andeutet.  M.  lässt  also  hier  die 
Dietrich-,  Ortnit-  und  Wolfdietrich-,  die  Rother-,  Rudrun-  und 
Oswaldsage  fallen  und  zieht  dafür  zwei  wichtige  griechische  mythen- 
gruppen  heran,  um  nachzuweisen,  dass  die  atmosphärische  deutung 
derselben ,  die  ich  mit  hintansetzung  ihrer  geographischen  und 
geschichtlichen  beziehungen  auf  dem  wege  der  vergleichenden 
mythologie  ersonnen  hätte,  für  die  Wissenschaft  ganz  wertlos  sei. 
schon  dieser  satz  enthält  die  zwei  hauptvorwürfe,  die  der  verf. 
durch  sein  ganzes  buch  hin  immer  von  neuem  gegen  mich  erhebt, 
misachtung  der  historischen  momente  und  willkürliche  dichtung 
statt  wissenschaftlicher  erklärung. 

Gegen  den  ersten  darf  ich  mich  wol  der  kürze  halber  auf 
die  worte  eines  OCrusius  berufen,  der  von  meinen  Keulauren 
sagt:  'langjährige  beschäftigung  mit  der  vergleichenden  mythologie 
und  ethnologische  Studien  haben  den  verf.  nicht  blind  gemacht 
gegen  die  so  häutig  verkannte  uotwendigkeit,  dem  griechischen 
mythus  zunächst  mit  philologisch-historischen  waffen  zu  leibe  zu 
gehn.  es  werden  sich  unter  den  vergleichenden  mythologen  nicht 
viele  namhaft  machen  lassen,  die  mit  der  Sicherheit  des  verf.  die 
heikelsten  archäologischen  probleme  anzufassen  oder  auf  den  ver- 
schlungenen pfaden  der  Stammmythologie  sich  zurecht  zu  finden 
wüsten.'  schwerlich  wird  jemand  dem  im  antiken  mythus  sehr 
wenig  bewanderten  verf.,  der  noch  dazu  pro  domo  redet,  mehr 
vertrauen  schenken  als  jenem  an  dem  streite  ganz  unbeteiligten 
bewährten  classischen  philologen  und  mythologen,  und  wer  es 
doch  versuchen  sollte,  wird  es  nach  der  lectüre  von  M.s  Kentauren- 
und  Achilleisaufsätzen  bald  bereuen,  um  meine  mühsame  quellen- 
kritik  kümmert  sich  M.  einfach  gar  nicht;  kein  einziges  neues 
mythologisches  oder  historisches  Zeugnis  bringt  er  bei,  geschweige 
denn  einen  neuen  gesichtspunct.  sein  material  schöpft  er  bequem 
ausECurtius  und  MDuncker,  meinen  Indogermanischen  mythen  und 

[*  vgl.  Litteraturblatt  für  germ.  und  rom.  phil.  1890,  sp.  89  (WGolther).] 


MÖLLEB  ZUR  MYTHOLOGIE  DER  HELDENSAGE  87 

Roschers  lexicon,  und  im  äufsersten  falle  muss  HDMüller  mit 
einer  etymologischen  oder  mythologischen  auskunft  brüderlich 
einspringen,  was  ist  ihm  nun  der  Kentauren  kern?  ihre  feinde, 
die  Lapithen  und  Herakles,  waren  nach  M.  Achaeer  uud  Aeolier, 
die  sich  mit  den  Kentauren  dh.  Thessalern  in  Thessalien,  Aetolien 
und  Elis  herumschlugen,  die  streitohjecte,  weih  oder  wein,  be- 
deuten ein  strittiges  land.  mit  der  winddämonennatur  der  Ken- 
tauren und  ihrer  Verwandtschaft  mit  den  Gandharven  ist  es  nach  M. 
nichts,  denn  in  der  griechischen  Vorstellung  seien  die  kentau- 
rischen tiermenschen  aus  den  im  kämpf  berittenen  Thessalern 
entstanden,  wie  in  der  indianischen  die  spanischen  reiter  zu 
mischgeburten  aus  ross  und  mensch  wurden,  diese  indianische 
phantasieleistung  ist  schon  oft  bei  der  Kentau rendeutung  als  ana- 
logon  verwendet  worden,  als  ob  die  Griechen  nicht  seit  unvor- 
denklicher, indogermanischer  zeit  pferde  gekannt  hätten  und  nach 
der  llias  schon  im  trojanischen  krieg  sowol  wageulenker  als  reiter 
gewesen  wären,  trotzdem  und  obgleich  Nestor  11.  1,  262  f  die 
Kentauren  der  vortrojanischen  zeit  zuweist,  hat  für  M.  der  nach 
Thucydides  1,12  sechzig  jähre  nach  Trojas  Zerstörung  unter- 
nommene einlall  der  Thessaler  in  das  nach  ihnen  benannte  land 
ihre  Umbildung  in  pferdemenschen  hervorgerufen,  wie  schlecht 
passt  aufserdem  an  jener  lliasstelle  die  älteste  bezeichnung  der 
Kentauren  als  wilder  bergtiere  oder  -ungeheuer,  (prjoeg  oQtoy.yoi, 
für  ein  auf  die  ehene  angewiesenes  reitervolk!  und  auch  abge- 
sehn  von  der  hypothetischen,  übrigens  stets  an  Wahrscheinlich- 
keit gewinnenden,  ältesten  nur  zweibeinigen  Kentaurenform,  wie 
schlecht  passt  die  anerkannt  ältere,  vor  dem  j.  500  v.  Chr.  allein 
herschende  form  der  auf  menscheubeinen  trippelnden  Kentauren 
zu  reitern  auf  wild  heransprengenden  rossen!  ebenso  verfehlt  ist 
M.s  sprachliche,  auch  nicht  neue,  ableitung  der  Kentauren  von 
y.tvTen)  und  auQog  als  plenlestachler,  denn  das  betreffende  sahst. 
war  in  der  griechischen  spräche  nicht  vorhanden,  feiner  sind 
kämpfe  der  Thessaler  mit  Aeolern  in  Aetolien  und  Elis  nicht 
überliefert  und  höchst  unwahrscheinlich,  und  die  nachrichten  von 
ihren  kriegen  mit  den  Achaeern  in  Thessalien  melden  unglück- 
licher weise  das  gerade  gegenteil  von  dem,  was  der  vermeintliche 
historische  Kentaurenmythus  angibt,  denn  nach  diesem  wären 
die  Kentauren  in  Thessalien  uransässig,  während  umgekehrt  in 
der  geschichte  die  Thessaler  dort  andere  Völker  gewaltsam  ver- 
drängten; und  in  Thessalien  wurden  die  Kentauren  besiegt, 
während  dort  die  Thessaler  sieger  waren,  auf  einem  der  zeit 
und  dem  wesen  nach  undenkbaren  psychologischen  Vorgang,  auf 
einer  mit  einem  erfundenen  worte  operierenden  etymologie,  auf 
einem  historischen  Verhältnis,  das  historisch  nicht  nachweisbar 
ist,  und  auf  zwei  gleichungen,  die  aus  zwei  Widersprüchen  her- 
gerichtet worden  sind,  beruht  also  M.s  lehre  von  den  Kentauren 
als  Thessalern.     aber   auch    wenn    diese    lehre    in    allen  puncten 


88  MÜLLER  ZUR  MYTHOLOGIE  DER  HELDENSAGE 

recht  hätte,  dürfte  sie  den  anspruch  erheben,  das  Kentaurenpro- 
blem  auch  nur  annähernd  gelöst  zu  haben?  der  höchst  eigen- 
artige, voll  und  reich  entwickelte  character  dieser  ungeheuer,  die 
einen  Eurytion,  einen  Pholos  und  einen  Cheiron  zu  den  ihrigen 
zählten,  ihre  wunderbare  abstammung,  die  reizvollen  motive  ihrer 
kämpfe,  freuden  und  leiden,  ihre  Verflechtung  in  die  schönsten 
und  ältesten  mythen  des  altertums,  wodurch  ihnen  unter  allen 
mythischen  miscbfiguren  der  erde  die  weitaus  bedeutendste  rolle 
zugefallen  ist,  und  endlich  ihre  merkwürdige  Verwandtschaft  mit 
den  dämonen  anderer  Völker,  all  dieses  und  vieles  auderes  bleibt 
in  M.s  betrachtung  völlig  unaufgeklärt. 

M.s  kritik  meiner  Achilleis  ist  weit  persönlicher  und  ver- 
steigt sich  bis  zum  Vorwurf  grober  Unwahrheit,  man  urteile! 
M.  behauptet  zweimal  (s.  53.  57),  dass  ich,  um  die  hochzeit  des 
Peleus  und  der  Thetis  zu  einem  dämonenfest  zu  machen,  die 
Nereiden  wie  die  Kentauren  als  gaste  hinzugedichtet  habe,  — 
und  doch  weise  ich  an  drei  stellen  (Idg.  m.  1,  45.  80.  2,  438) 
darauf  hin,  dass  nicht  nur  ein  pompejanisches  Wandgemälde, 
sondern  auch  Euripides  lphig.  Aul.  1046  f  die  Kentauren  wie  die 
Nereiden  an  diesem  feste  teil  nehmen  lässt.  dazu  kommt,  dass 
dieses  nach  mehreren  quellen  in  der  hole  des  Kentauren  Cheiron 
gefeiert  wurde.  M.  behauptet  s.  59,  ich  hätte  das  leuchten  der 
waffen  und  das  tönen  der  trompete  bei  der  überlistung  des  in 
mädchenkleider  gesteckten  Achilleus  durch  Odysseus  hinzugesetzt, 
das  leuchten  von  waffen,  namentlich  von  solchen,  die  ein  jüng- 
lingsherz  begierig  machen  sollen,  versteht  sich  meines  erachtens 
von  selbst,  und  der  stofs  in  die  trompete  kommt,  um  nur  ein 
beispiel  anzuführen,  bei  Apollodor  3,  13,  8  vor.  M.  behauptet 
ferner  s.  77,  die  griechische  sage  erzähle  nicht,  wie  ich  bemerke, 
dass  Peleus  die  Nereide  in  einer  höhle  festhalte,  dies  behauptet 
er  allen  von  Preller  Gr.  myth.3  (2,  398)  angeführten  alten  Zeug- 
nissen und  der  neugriechischen  Nereidensage  zum  trotz,  die  Polites 
und  Beruh.  Schmidt  zuerst  eingehender  besprochen  haben  (Idg. 
m.  2,  42 lf).  eine  bewust  oder  unbewust  falsche  darstellung  nennt 
er  s.  84  meine  behauptung,  Alberich  oder  Euglin  habe  dem  Sig- 
frid  das  schwert  Balmung  verschafft,  und  zu  den  schönsten  Über- 
einstimmungen gehöre  es,  dass  Alberich  dem  deutschen  blitzheros 
ein  von  ihm  geschmiedetes  schwert  besorge,  ich  verwies  dabei 
auf  WGrimmsHS2  59.  273,  wozu  ich  allerdings  noch  die  M.  jeden- 
falls bekannte  stelle  s.  79  hätte  hinzufügen  müssen,  die  ich  offen- 
bar vorzugsweise  im  sinne  hatte,  denn  hier  hebt  WGrimm  die 
verworrene  Schilderung  des  kampfes  Sigfrids  mit  den  Nibelungen, 
ihren  riesen  und  Alherich  aus  dem  Nibelungenlied  heraus  und 
sucht  sie  durch  einige  vortreffliche  Vermutungen  aufzuklären,  das 
resultat,  dem  ich  durchaus  beistimmte  und  noch  beistimme,  läuft 
nun  darauf  hinaus,  dass  in  der  Thidrekssaga  die  echtere  form 
jenes  kampfes,  der  hier  nur  auf  Dietrich  übertragen  worden  sei, 


MÜLLER  ZUR  MYTHOLOGIE  DER  HELDENSAGE  S9 

vorliege,  wie  auch  das  Sigfridslied  bestätige,  darnach  verschafft 
allerdings  Alberich  oder  Euglin  direct  oder  indirect  dem  Sigfrid 
das  schwert  und  ist  dieses  schwert  von  Alberich  selbst  geschmiedet, 
und  allerdings  bleibt  jene  von  mir  hervorgehobene  wichtige  Über- 
einstimmung besteh d,  der  auch  Mogks  nichtssagende  bemerkuug, 
eine  und  dieselbe  gestalt  könne  nicht  zugleich  dämon  des  Sturms 
und  Wetterleuchtens  sein  (Z.  f.  d.  phil.  21,  342),  nichts  anzuhaben 
vermag.  M.  wird  es  s.  97  schwer  zu  glauben,  dass  ich  von  der 
richtigkeit  meiner  behauptung,  in  nordischer  sage  werde  überall 
Finnr  für  ein  zauberisches  wesen  gebraucht,  selber  überzeugt 
sei,  indem  er  hinzufügt,  freilich,  wer  die  Trojaner  und  Griechen 
Homers  für  dämonen  halte,  könne  auch  in  den  Finnen  nur 
zauberer  und  keine  Finnen  sehen,  dieser  satz  bezieht  sich  auf 
meine  bemerkung  über  Finnr  im  Anz.  13,  24  I;  ich  bin  überzeugt, 
dass  aus  dem  im  zusammenhange  durchaus  verständlichen  wört- 
chen überall  s.  25,  z.  8  v.  o.  niemand  aufser  M.  ein  solches 
misverständnis  wie  das  obige  zu  stände  gebracht  haben  würde. 
endlich  zeiht  er  mich  einer  groben  Unwahrheit  s.  95,  weil  ich 
ihm  den  schluss  unterschöbe,  dass  das  reich  der  Wilcinen  in 
Finnland  liege,  während  er  doch  behauptet  habe,  dass  Finnland 
zum  reich  der  Wilcinen  gerechnet  werden  müsse.  M.  übersieht 
das  wörtchen  'auch'  in  meinem  satze  (Anz.  13,  26):  'also,  schliefst 
M.,  mufs  das  reich  der  W'ilzen  auch  in  Finnland  liegen',  ich 
meine  doch,  wenn  ich  sage,  dass  Deutschland  fortan  auch  in 
Helgoland  liegt,  so  bedeute  das  so  viel  wie,  dass  Helgoland  nun 
zu  Deutschland  gehöre,  nimmt  man  dazu,  dass  mir  M.  den 
druckfehler  'Vali's'  statt  'Valis"  und  den  gebrauch  des  wortes 
'kreuz'  für  rückgrat  als  misverständnis  des  schon  der  Schuljugend 
bekannten  von  Kriemhild  aufgenähten  'kriuze'  aufmutzt  und  dass 
er  aus  allen  kriliken  über  meine  bücher  die  minder  angenehmen 
stellen  zu  freundlicher  erinnerung  sorgsamst  hervorsucht,  so  er- 
kennt man  mit  bedauern,  dass  die  letzte  arbeit  dieses  um  die 
Wissenschaft  vielfach  verdienten  gelehrten  nicht  immer  rein  wissen- 
schaftliche ziele  verfolgt. 

Beachtenswerter  als  diese  beiden  ersten  aufsätze  ist  M.s  mit 
Mogks  oben  citierter  besprechung  oft  übereinstimmende  recension 
meiner  vergleichung  der  Achilleus-  und  der  Sigfridsage,  der  beide 
mangel  an  prüfung  und  zusammenschweißen  der  quellen  vor- 
werfen, sie  berücksichtigen  aber  beide  nicht,  dass  ich  auf  der  636 
seite  einer  umfassenden  Untersuchung,  wo  ich  zur  Nibelungensage 
gelangte,  unmöglich  noch  eine  ausführliche  quellen kritik  geben 
und  die  auswahl  der  sagenmotive  im  einzelnen  begründen  konnte; 
ob  diese  arbeit  meiner  angäbe  der  grundzüge  jener  sage  nicht 
doch  vorangegangen  sei,  wird  die  zukunft  lehren,  nach  der 
ganzen  anläge  meines  uerks  war  ein  solcher  überblick  notwendig 
und,  wie  ich  glaube,  auch  nicht  unnütz.  M.  hat  sich  unleugbare 
Verdienste   um   die  erklärung  einzelner  partieen  der  Nibelungen- 


90  MÜLLER  ZUU  MYTHOLOGIE  DER  HELDENSAGE 

sage  erworben,  aber  das  berechtigte  ihn  nicht,  mir  mythologisch 
notwendig  erscheinende  combinationen  nur  dann  nicht  als  will- 
kürliche Phantastereien  zu  bezeichnen,  wenn  sie  mit  den  seinigen 
stimmten,  ich  bin  doch  nirgend  so  weit  gegangen  wie  er,  wenn 
er  zb.  in  seiner  Mythologie  der  deutschen  heldensage  s.  97  in 
Günther  nur  den  finsteren  Sigfrid  und  s.  98  sogar  in  diesem 
um  Brünhild  werbenden  Günther-Sigfrid  den  drachen  selber  er- 
blickt, für  seine  annähme  der  finnischen  herkunft  Wielands,  die 
wol  nirgendwo  anklang  gefunden  hat,  führt  M.  jetzt  eine  finnische 
märchensammlung  ins  feld,  eine  bekanntlich  wegen  ihres  kosmo- 
politischen characlers  sehr  bedenkliche  hilfstruppe.  da  wird  zb. 
als  wertvolles  Wielandssagenzeugnis  nr  5  angeführt,  wo  der  held 
des  märchens  sich  die  schönste  von  drei  aus  gänsen  verwandelten 
mädchen  als  gattin  aussucht,  als  ob  nicht  dies  geschichtlein  durch 
die  halbe  weit  liefe,  im  capitel  'zur  Walt  hersage5  bekämpft  er 
vergebens  in  möglichst  verächtlichem  ton  Rödigers  berechtigte 
einwände  gegen  seine  lieblingsidee,  dass  der  held  in  der  helden- 
sage das  volk  und  dass  dessen  gattin  das  vom  stamm  des  gemahls 
eroberte  land  bedeute,  den  meisten  fleifs  hat  der  verf.  in  seinem 
polemischen  ergänzungsbuch  auf  den  Orendel  verwendet  und 
einige  neue  der  näheren  prüfung  werte  historische  dateu  beige- 
bracht, wie  nachlässig  behandelt  er  aber  auch  hier  die  mythi- 
schen elemente!  s.  153  heilst  es  zb. :  'Örvandil,  von  dem  sonst 
nichts  erzählt  wird,  muss,  da  Thor  ihn  aus  Jötuuheim  über  die 
Elivagar  trägt,  ein  riese  sein',  dann  muss  ja  die  ebenfalls  aus 
Jötunheim  getragene  göttin  Idunu  auch  wol  eine  riesin  sein  und 
sich  das  gröfsenverhältnis  des  im  däumling  eines  riesenhandschuhs 
platz  findenden  Thors  und  des  riesen  auf  den  Elivagar  plötzlich 
umgedreht  haben,  dieser  neucreierte  mussriese  raubt  nach  M. 
dann  auch  seiner  gemahliu  Groa  die  ihr  früher  zugesprochene 
segnende  bedeutung,  da  nun  auch  sie  durch  ihn  zu  einer  bösen 
riesin  degradiert  wird,  und  muss  als  solcher  auch  weiterhin  trotz 
seiner  so  sehr  dürftigen  riesenlegitimation  zu  ähnlichen  ent- 
deck un gen  verhelfen. 

Es  empfiehlt  sich  nicht,  nach  diesen  einzelbemerkungen  noch- 
mals auf  den  M.schen  codex  der  mythengesetze  einzugehn.  er 
ruht  auf  der  falschen  grundanschauung,  dass  das  volk  historische 
Verhältnisse  zu  individuellen  Persönlichkeiten  symbolisiere  und  so 
einen  historischen  mythus  schaffe,  das  volk  geht  vou  einer  ein- 
zelnen persönlichkeit,  wie  zb.  Dietrich,  aus,  und  die  darstelluug 
seiner  persönlichen  Schicksale,  mit  denen  allerdings  auch  die  seiner 
vorfahren  oder  nachkommen  verschmolzen  werdeu  können,  spiegelt 
dann  ja  in  gewissem  sinne  die  historischeu  Verhältnisse  wider, 
wo  aber  die  sage  —  und  dies  ist  weit  häufiger  der  fall  —  solche 
historischen  gröfsen  nicht  nennt  und  die  Schicksale  des  helden 
solche  historischen  Verhältnisse  nicht  widerspiegeln,  sondern  ledig- 
lich in  wundersamen  taten  bestehn,  da  haben  wir  einen,  wie  M. 


MÜLLER  ZUR  MYTHOLOGIE  DER  HELDENSAGE  91 

sagen  würde,  religiösen  mythus  als  kern  anzuerkenneu.  ein 
solcher  mythus  ist  aber  nicht,  wie  M.  will,  aus  allgemeinen 
Vorstellungen  von  einem  walten  höherer  mächte  in  der  nalur 
überhaupt  und  dem  gefühl  der  menschlichen  abhängigkeit  — 
denn  diese  tätigkeiten  kommen  bei  der  mylhenbildung  wenig  in 
betracht  — ,  sondern  gerade  widerum  aus  einer  möglichst  speciellen 
Vorstellung  von  einer  einzelnen  naturkral't  herzuleiten,  allerdings 
einer  solchen,  die  wie  die  grofsen  lufterscheiuungen  dreierlei 
eigenschaften  in  sich  vereinigt,  nämlich  geheimnisvolles  wesen, 
lebendigen  formen-  und  kraftwechsel  und  bedeutenden  einfluss 
auf  die  menschliche  existenz.  denn  nur  diese  eigenschaften  treiben 
die  phantasie  zur  bildung  wirklich  lebensfähiger  persouificationen 
an.  derartig  sind  namentlich  drei  naturerscheinungen:  donner 
und  blitz,  stürm  und  wind,  und  die  wölke,  während  die  soge- 
nannten chthonischen  wesen,  denen  M.  und  sein  bruder  eine  so 
einflussreiche  stelle  einräumen,  erst  im  späteren  mythus  und  auch 
dann  nur  eine  untergeordnete  rolle  spielen,  die  M.sche  auffassung 
der  heldensage  ist,  weil  sie  die  mytheohildung  überhaupt  verkehrt 
auffasst,  gleichfalls  verkehrt  und  deswegen  unfruchtbar,  die  aus 
ihr  entspringenden  Vorschriften  sind  aufserdem  so  lax  und  leisten 
der  vom  verf.  an  andern  so  eifrig  gerügten  Verschiebung  und 
umkehrung  der  quellenmotive  mindestens  ebenso  viel  Vorschub, 
wie  die  l'reieste  atmosphärische  mythendeutuug.  dennoch  teilt 
dies  buch  mit.  seinem  Vorgänger  das  verdienst,  dass  es  die  helden- 
sagenforscher von  neuem  eindringlich  an  die  pflicht  erinnert,  die 
grenzen  der  mythischen  und  historischen  demente  möglichst  sorg- 
sam und  sicher  abzustecken. 

Freiburg,   10.  aug.   1890.  Elard  Hugo  Meyer. 


Dr  V.E.  MoüREK,  Syntaxis  gotskych  piedlozek.  Spisflv  pocti-nychjubilejni  cenou 
kräl.  ceske  spolecnosti  näuk  v  Praze  cisto  V.  (Syntax  der  gotischen 
Präpositionen,  nr  5  der  mit  dem  Jubiläumspreis  der  k.  böhmischen 
gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Prag  gekrönten  Schriften.)     Prag 

1890.    232  ss.   8°. 

Eine  sehr  sorgfältige  und  den  Stoff  erschöpfende  arbeit, 
welche  die  intimere  Kenntnis  des  gotischen  überhaupt  entschieden 
fördert  und  durch  Vorführung  des  ganzen  materials  die  Ähnlich- 
keit und  unähulichkeil  der  gotischen  und  slavischeu  componierten 
verba  viel  deutlicher  erkennen  lässt  als  der  aulsatz  Sireitbergs  in 
den  Beitr.  15,  70  ff.  nicht  das  geringste  verdienst  des  buches 
ist  es,  dass  die  öfter  gewaltsame  behandlung,  welche  die  goti- 
schen verbalcomposita  durch  Sireitberg  erfahren  haben,  hier  einer 
auf  Sammlung  des  vollständigen  materials  gestützten  kritik  unter- 
zagen  wird,     gar   viele  'perfecliva' ,    welche  durch  einzelne  aus- 


92  M01REK    SYNTAX  DER  GOTISCHEN  PRÄPOSITIONEN 

gewählte  beispiele  allerdings  sehr  scheinbar  gemacht  werden 
können,  fallen  weg,  wenn  man  in  M.s  Sammlungen  daneben  die- 
selben verbalcomposita  findet,  welche  nicht  uur  an  gewissen  stellen 
griechischen  präsentien  und  imperfecteu  entsprechen,  sondern  auch 
dem  sachlichen  Zusammenhang  nach  dort  nur  imperfectivebedeutung 
haben  können;  vgl.  s.  9.  41.  117  anm.  121  anm.  126.  136  anm. 
nur  geht  M.  117  anm.  zu  weit,  wenn  er  hier  Streitberg  die  kenntnis 
der  durativ-perfectiven  verba  abzusprechen  scheint,  s.  Str.  s.  72. 
Str.  hat  sich  vielleicht  s.  82  f  nur  nicht  vollkommen  genau  ausge- 
drückt, wenn  er  in  fällen,  wie  saei  habai  ausöna  hausjandöna, 
gahausjai  das  hauptgewicht  in  gakausjai  auf  den  moment  der 
Vollendung  legt,  es  ist  in  der  tat,  wie  man  im  cechischen  so  gut 
sagen  kann,  ein  dovrsovati,  nicht  ein  dovrsiti,  eine  Vollendung, 
der  eine  dauer  vorhergeht,  und  darin  wird  Str.  wol  recht  haben, 
dass  der  gotische  Übersetzer  öfters  durch  eine  andere  auffassung 
perfectivisch  übersetzte,  wo  der  griechische  text  imperfectivisch 
gehalten  ist;  so  zb.  inbranjada  kciietcu  usw.,  s.  147,  eine  mög- 
lichkeit,  die  auch  M.  zugibt,  s.  136  anm.  das  erfordert  weitere 
Untersuchung,  vor  der  hand  hat  M.  gezeigt,  dass,  wenn  man  die 
widergabe  des  griechischen  textes  berücksichtigt,  fast  nur  bei  ga- 
die  fälle  der  deutlich  perfectivischen  bedeutung  so  über  die  der 
imperfectivischen  überwiegen,  dass  man  mit  einiger  Sicherheit  von 
einer  perfecthierenden  kraft  der  partikel  reden  darf. 

Von  dem  übrigen  iuhalt  des  buches  hebe  ich  nur  einiges 
hervor,  um  zu  zeigen,  wie  nützlich  Sammlungen  wie  M.s  für  die 
erklä'rung  einzelner  textstellen  sind.  Luc.  19,  29  biße  nehwa  was 
Beßfagein  jah  Beßanijin  af  fairgunja,  «5g  rjyyiosv  elg  Bij&cpayr] 
Aal  Bt]$aviav  Ttobg  %b  ooog.  Bernhardt  conjiciert  hier  at 
fairgunja,  anscheinend  ganz  plausibel,  aber  wenn  man  die  von 
M.  s.  22  aufgeführten  fälle  af hleidumein,  aftaihswön  vergleicht,  so 
wird  man  ihm  darin  recht  geben,  dass  die  conjectur  überflüssig  sei. 

—  ebenso  wahrscheinlich  geht  aus  dem  artikel  über  a/ar  23  ff  hervor, 
dass  Luc.  1,  5  was  gudja  namin  Zakarias  ms  afar  Abiins  lyhe.ro 
Isoevg  rig  6v6f.ian  Za%aQiag  e£  ecpt]f.t€Qiag  !dßiä  nicht  richtig 
sein  kann  und  statt  afar  wol  ein  substantivum ,  das  dem  ags. 
eafora  entsprach,  gestanden  haben  wird.  —  der  gebrauch  von 
mißsökjan,  mißrödjan  s.  178  zeigt,  dass  Vollmers  und  Bernhardts 
conjectur  zu  Sk.  v  a  ei  —  ni  missaqißaina  (neve  rixarentur) 
verfehlt  ist,  wenigstens  nicht  bewiesen  werden  kann,  da  die  mög- 
lichkeit  vorliegt,  dass  miß-  die  bedeutung  von  missa-  haben  kann. 

—  wie  sehr  in  einzelneu  fällen  die  locale  bedeutung  von  at- 
abgeschwächt  ist,  sieht  man  aus  den  Zusammenstellungen  s.  46, 
wo  du-  neben  at-  an  das  verb  tritt:  duatgaggan,  duatsniwan,  duat- 
rinnan  oder  atgaggan  mit  dem  adverb  du.  —  die  ursprüngliche 
bedeutung  von  bi-  'herum'  wie  a/iupi,  mit  dem  es  vielleicht  ver- 
wandt ist,  lehren  die  beispiele  s.  57.  daneben  aber  entwickelte 
sich  in  der  präposition  bi  auch  die  bedeutung  des  mittels,  durch 


MOORES    SYNTAX  DER  GOTISCHE*  PRÄPOSITIONEN  93 

welches  etwas  geschieht,  und  Bernhardt  bat  unrecht  bi  atlin  in 
der  Skeireins  v  c  ei  andnimai  bi  attin  siceripös  durch  secundum 
patrem  zu  Obersetzen,  es  ist  a  patre,  wie  insandjands  bi  sipönjam 
seinaim  Blattb.  11,2.  —  belehrend  für  die  ersetzung  der  localeu 
hedeutung  durch  die  modale  der  vollständigen  durchführung  eines 
verbalbegriffes  sind  die  für  dis-,  üf-,  us-  gesammelten  lalle  s.  71. 
191.  203.  —  oder  da  inn-  sonst  nicht  einlach  tzqo-  widergibt, 
muss  Marc.  1,  19  Jah  jainprö  inngaggands  framis  leitil  gasahw 
Jacobu  — jah  pans  in  skipa  xal  Trgojag  e/.ei&sv  b't.lyov  ddsv 
Iaxüjßov  —  "/.cd  avrovg  Iv  toj  tc/.oLo),  —  inn-  etwas  andres 
bedeuten,  und  M.  vermutet  ansprechend,  dass  Ulfilas  sagen  wollte: 
Jesus  trat  näher  an  den  uferrand  oder  stieg  vom  uferrand  zum 
wasser  hinab,  um  so  den  auf  dem  schiff  im  see  befindlichen 
Jakob  und  Johannes  näher  zu  sein;  s.   143  anm. 

Ich  verweise  noch  auf  fair-  s.  88  und  seine  ähnlichkeit  mit 
dem  eechischen  pri-  'bei',  'neben',  miß-  s.  177  und  seine  mit  der 
des  griechischen  uerä  übereinstimmende  hedeutung  'zwischen 
zwei  grenzpuncten  oder  grenzlinien';  —  auf  die  ingressiv-inchoa- 
tive  natur  von  in-  und  us-  s.  148. 2 1 1 ;  —  auf  die  aus  mipinngaleipan 
folgende  möglichkeit,  inn  als  praefix  aufzufassen  s.  148.  dass 
auch  inna  als  praefix  gebraucht  wurde,  ist  s.  143  nicht  bewiesen, 
und  die  auffassung  von  gaumjan  als  ga-um-jan ,  s.  eech.  uineti 
'kennen',  'verstehen',  s.   118.   135,  wird  befremden. 

Da  auch  die  übrigen  arbeiten  M.s  zum  teil  in  cechischer 
spräche  geschrieben  sind,  zum  teil  an  orten  stehn,  wo  sie  sich 
der  kenntnis  des  germanistischen  publicums  leicht  entziehen,  so 
berichte  ich  noch  kurz  über  jene,  welche  für  germanisten  von 
grösserem  interesse  sind,  so  besitzen  wir  von  M.  eine  abhaud- 
lung  über  das  cechische  und  das  deutsche  (Pleiersche)  gedieht 
vonTandarois  und  Flordibel  in  den  Abhandlungen  der  k. 
böhmischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  1887  (4°)  s.  3 — 103. 
{Pojedndni  k.  ceske  spolecnosti  nduk.  —  vn  rada,  1  svazek,  ßo- 
soficko-historickd  trida,  cislo  6.  —  Tandarms  a  Floribella.  Sklddäni 
staroceske  s  nemeekym  Pleyerovi/m  srovnal  Dr  V.  E.  Mourek.) 

Nach  einer  sehr  eingehenden  vergleichung  des  deutschen 
mit  dem  eechischen  werk  s.  4 — 69,  über  welches  letztere  M. 
schon  in  kürze  hinter  Khulls  ausgäbe  des  Pleierschen  gedichtes 
auskunft  gegeben  hat,  s.  242  f,  kommt  derselbe  zu  dem  resultat, 
dass  nur  das  werk  Pleiers,  und  zwar  als  buch,  nicht  als  münd- 
liche Überlieferung,  s.  72,  grundlage  des  öeebischeo  gedichtes 
sein  könne,  da  der  Oechische  text  zuweilen  ohne  den  deutschen 
unverständlich  sei,  s.  71,  und  eine  französische  quelle,  die  mau 
etwa  für  beide  gediente  annehmen  könnte,  nicht  nur  nicht  auf- 
gefunden, sondern  höchst  unwahrscheinlich  sei,  s.  74.  mit  recht 
verschmäh!  M.  bei  seiner  beweisfübrung  von  den  germanismen 
des    eechischen    dichters    gehrauch    zu    machen,     sie    gehn    nicht 


94  MOUBEK    TAINDARIUS  UND  FL0R1BELLA 

aus  wörtlicher  Übersetzung  Pleierscher  verse  hervor  und  erklären 
sich  aus  allgemeinen  culturverhältnissen,  s.  72  t.  79.  das  cechische 
gedieht  stellt  sich  hierbei  vor  allem  als  eine  kürzung  des  deutschen 
heraus,  1824  verse  statt  18339,  s.  69.  70.  die  gröfsere  gedrungen- 
heit  sowie  einige  feinere  züge  kommen  dem  werke  hier  und  da 
zu  gute,  s.  69  f.  93.  —  bei  der  Untersuchung  über  das  alter  des 
cechischen  werkes  wird,  wie  billig,  erst  die  Vorfrage,  das  alter 
des  deutschen  gedichtes,  behandelt.  M.  vertritt  die  ansieht,  dass 
die  reihenfolge  der  Pleierschen  gedichte  war:  Garel,  Tandarois, 
Meleranz,  s.  81  f  (nach  Steinmeyer,  Anz.  16,296:  Garel,  Meleranz, 
Tandarois)  und  dass  der  Tandarois  bald  nach  1264  geschrieben 
sei,  da  sich  in  diesem  werke  anspielungen  auf  die  überaus  pracht- 
volle hochzeit  der  nichte  Ottokars  n  mit  ßela  von  Ungarn  finden, 
s.  83  f,  wozu  auch  die  versteckte  erwähnung  des  königs  Alfons 
von  Castilien  (Castel)  und  Richards  von  Cornwall  stimmen,  s.  84anm. 
aber  ein  sicherer  terminus  ad  quem  lässt  sich  für  das  cechische 
gedieht  nicht  finden.  M.  setzt  nur  vermutungsweise  den  Zeit- 
raum von  1270 — 1330  an,  s.  85.  wenn  würklich  die  erwähnung 
der  vierjährigen  trist,  welche  zwischen  der  einladung  zu  dem  der 
hochzeit  von  1264  entsprechenden  feste  und  diesem  selbst  in  dem 
cechischen,  nicht  in  dem  deutschen  gedichte,  s.  84,  mehr  als 
zufall  ist ,  so  müste  man  die  entstehung  des  cechischen  werkes 
möglichst  bald  nach  dem  deutschen  annehmen,  die  spräche  des- 
selben, welche  M.  s.  85 — 94  untersucht,  weist  nach  ihm  auf 
eine  ältere  vorläge,  s.  91.  —  s.  94 — 103  behandelt  die  metrik. 

Gegen  viele  annahmen  M.s  in  bezug  auf  das  cechische  ge- 
dieht hat  sich  EKraus  ausgesprochen  in  seiner  kritik  der  in 
rede  stehenden  abhandlung  im  Athenaeum  (Prag  1887)  s.  260ff, 
auch  gegen  M.s  meinung,  dass  der  cechische  dichter  ein  manu- 
script  des  Pleier  benutzte,  s.  262b.  hier  aber  scheint  mir  M.  im 
recht  zu  sein,  wenn  das  cechische  gedieht  die  bei  Pleier  1691  ff 
namentlich  angeführten,  aber  nicht  gezählten  ritter  nicht  benennt, 
aber  ihre  zahl  richtig  auf  neun  angibt,  so  ist  es  schwer  zu 
glauben,  dass  der  cechische  dichter  bei  seiner  ersten  leetüre 
des  werkes  die  zusammenzählung  vorgenommen  und  sich  des 
resultates  bei  der  später  erfolgenden  ausarbeitung  seines  werkes 
erinnert  habe. 

Was  M.  über  das  deutsche  gedieht  mitteilt,  ist  zur  Orientie- 
rung der  Slavisten,  welche  sich  mit  dem  cechischen  gedichte  be- 
schäftigen ,  gewis  ganz  zweckentsprechend ,  enthält  aber  wenig, 
was  nicht  aus  JVZingerle,  EHMeyer  und  Steinmeyer  bekannt 
wäre,  die  grundlagen  für  die  oben  angedeuteten  bestimmungen 
der  relativen  und  absoluten  Chronologie  Pleiers  scheinen  mir 
nicht  hinlänglich  gesichert. 

In  deutscher  spräche  sind  ferner  von  M.  in  den  Sitzungs- 
berichten (8°)  der  k.  böhmischen  gesellschaft  der  Wissenschaften 
folgende  abharidlungen  erschienen: 


HOUBEK    BÖHMISCHE  ffÄNDSCHRIFTENFRAGMENTE  95 

1)  10  jänner  1887.  Prager  bruchstück  einer  pergament- 
handschrift  der  Klage,    s.  ,3 — 24. 

2)  5  uiärz  18S8.  Kiiimauer  hruchstiick  eines  mitteldeut- 
schen geistlichen  gedichls.  s.  3 — 33.  wie  der  herausgeher  seihst 
gesehen  hat,  ist  es  aus  brucler  Philipps  Marienleben. 

3)  3  juni  1889.  Prager  bruchstück  einer  pergamenthand- 
schrift  des  Rosengartens,  s.  118 — 130.  ein  wichtiger  fund.  das 
stück  gebort  zur  redaction  im  höfischen  ton,  von  der  so  wenig 
erhalten   ist  [vgl.  in  diesem   Anz.  obeu  s.  37  ff]. 

4)  1  juli  1SS9.  Neuhauser  bruchstücke  einer  pergament- 
handschrift  altdeutscher  gedichte  ernsten  inhalts.  s.  131 — 176. 
darin  findet  sich  eine  fassung  der  Euphrosynenlegende,  welche 
zwar  aus  den  Vitae  patrum  stammt,  aber  unabhängig  von  dem 
väterbuch  ist,  —  dann  eine  selbständige  fassung  der  aus  der 
kaiserchronik  (Diemer  136,  15  ff)  bekannten  novelle  von  der 
Lucretia.  s.  Oesterley  Gesta  Romanorum.  cap.  135,  s.  489  und 
734,  Cloetla  Beiträge  i  145  anm. 

5)  13  jänner  1890.  Prager  ahd.  glossen.  s.  16 — 21.  wie 
der  herausgeber  nachweist,  sind  diese  glossen  bairisch  und  aus 
dem  9  jh. 

6)  28  april  1890.  Prager  pergamentfragmente  der  Oswald- 
legende, s.  275 — 282.  das  erste  fragment  hat  nichts  mit  der 
Oswaldlegende  zu  tun,  sondern  ist  aus  dem  an  fang  des  Willehalm 
des  Ulrich  vom  Türlein. 

Wien,  20.  december  1890.  R.  Hei.\zel. 


Om  -er,  -r,  -ar  och  -or  säsom  pluraländelser  för  neutrala  substantiver  i 
svenska  spraket  af  Nils  Linder.  Stockholm,  PANorstedl  &  söners 
förlag.     101  ss.    kl.  S°.  —  pris  1  kr.  50  öre. 

Der  Verfasser  dieses  büchleins  hat  sich  schon  durch  andere 
verdienstliche  abhandlungen  auf  dem  neuschwedischen  Sprach- 
gebiete bekannt  gemacht,  gemeinsam  ist  diesen  arbeiten  L.s  das 
streben,  in  zweifelhaften  fällen,  wo  die  jetzige  spräche  doppel- 
formen besitzt,  die  zweckmäßigere  zu  empfehlen,  auch  in  dem 
werkchen,  das  ich  hier,  nach  der  aufforderung  der  redaction, 
mit  einigen  worteu  bespreche,  behandelt  verl.  eine  die  neuschw. 
spräche  betreffende  frage  von  practischem  Interesse,  er  empfiehlt 
die  benutzung  der  pluralendung  -er  (-r)  für  mehrere  kategorien 
neutraler  substantiva:  denn  trotz  dem  tilel  behandeil  die  schrill 
fast  ausschliesslich  die  frage  von  -er  (-r)  als  neutraler  plural- 
ettdtmg. 

Wählend  im  gemeinnord.  (ebenso  wie  im  isl.)  iiom.  BOC.  pl. 
fier    neutra  jeder  endung  entbehren,   und  deshalb  nom.  acc.  pl. 


96  LINDER    OM  -ER,  -R,  -AR  OCH  -OR 

und  sing,  der  meisteu  Wörter  gleich  lauteten  (borp  usw.),  so  hat  das 
schwedische,  und  zwar,  wenn  auch  selten,  schon  das  altschw.,  die 
von  alters  her  von  vielen  inasc.  und  fem.  henutzte  pluralendung  -er 
auf  mehrere  neutra  (besonders  lehnvvürter  wie  fierter,  elementer  usw.) 
übertragen,  aber  wahrscheinlich  ist  die  einführung  dieser  neuen 
neutralen  pluralendung  teilweise  unter  ausländischem  (dänischem 
und  deutschem)  einfluss  vor  sich  gegangen,  obgleich  viele  schw. 
neutra,  wie  L.  hervorhebt,  auch  ohne  diesen  einfluss  die  endung 
-er  wahrscheinlich  würden  bekommen  haben.  Der  umstand,  dass 
diese  neutrale  pluralendung  verhältnismäfsig  jung  ist,  veranlasste 
das  streben  der  einseitig  sprachgeschichtlichen  schule,  deren  be- 
deutendster Vertreter  Rydqvist  war,  die  pl.  elementer,  fierier  usw. 
als  angebliche  Sprachfehler  abzuschaffen,  obgleich  dies  streben, 
das  seit  den  fünfziger  jähren  sich  geltend  machte,  von  einzelnen 
forschem  Widerspruch  erfahren  hatte,  war  die  anwendung  der 
neutr.  pluralform  -er  vor  ein  paar  jahrzehuten  entschieden  im 
abnehmen,  und  wenn  sie  auch  während  der  letzten  jähre,  nachdem 
die  einseitig  sprachgeschichtliche  richtung  nicht  mehr  mafsgebend 
ist,  wider  etwas  an  hoden  gewonnen,  so  hat  man  sich  doch 
nicht  darüber  einigen  können,  wie  weit  die  anwendung  des  pluralen 
-er  reichen  soll. 

Die  schritt  L.s  ist  für  diese  frage  entschieden  von  bedeutung, 
und  ich  kann  mich  seiner  hauptansicht  wesentlich  anschliefsen. 
nach  L.  hängt  die  anwendung  der  pluralendung  -er  in  den 
meisten  fällen  von  einem  analogieprincip  ah,  nach  welchem  die 
ableitungseudungen  der  neutra  für  die  pluralform  bestimmend  sind, 
und  zwar  so,  dass,  wenn  viele  masc.  oder  fem.  mit  einer  gewissen 
ahleitungsendung  (zb.  -ens:  Ingrediens,  reminiscens  usw.)  die  plural- 
endung -er  haben  (ingredienser  ua.J,  die  neutra  mit  derselben  ah- 
leitungsendung (residens  ua.J  auch  diese  pluralendung  angenommen 
haben  (residenser  ua.).  diese  tendenz  der  spräche  muss  auch  in 
zweifelhaften  fällen  die  entscheidung  abgeben. 

Nach  einer  geschichtlichen  einleitung,  in  der  L.  nach  den 
angaben  alter  grammatiker  eine  kurze  Übersicht  des  pluralen 
-er  der  neutra  im  älteren  neuschw.  gibt,  werden  die  verschiedenen 
ansichten  dieses  Jahrhunderts  referiert;  besonders  verweilt  L. 
bei  der  meinung  Rydqvists.  alsdann  bespricht  er  die  verschiedeneu 
kategorien  der  neutr.  substantiva,  und  zwar  zuerst  die  im  sing, 
auf  einen  konsonanten,  später  die  auf  einen  vocal  ausgehenden, 
und  erörtert,  inwiefern  die  pluralendung  -er  von  jeder  kategorie 
benutzt  wird  oder  früher  benutzt  worden  ist.  mehrere  dieser 
Untersuchungen  hat  er  auf  eine  wertvolle  Statistik  über  die  zahl 
der  neutralen  und  nicht-neutralen  subst.  mit  gewissen  endungen 
aufbauen  können ,  und  diese  methode  kam  besonders  der  ersten 
von  ihm  aufgestellten  kategorie,  den  auf  einen  konsonanten  aus- 
gehenden Wörtern  mit  betonter  endsilbe,  zu  gute,  so  besitzt  das 
neuschw.  nach  L.  zb.  43  nicht  neutrale  subst.  auf  al  (amiral  ua.J, 


LINDER    OH  -ER,  -R,  -AR  OCH   -OR  \)  t 

aber  nur  15  neutra  dieser  endung  (fodral  u.a.),  welche  deshalb  uach 
der  analogie  von  amiraler  ua.die  pluralenduog  -er  bekommen  haben. 

Unter  den  übrigen  kategorien  mögen  noch  die  folgenden 
erwähnt  werden,  vou  den  neutr.  landskap,  sällskap  usw.  sind 
sowol  die  pl.  landskap,  sällskap,  als  die  pl.  landskaper,  sällskaper 
(nach  den  masc.  ddrskaper.  egenskaper  usw.)  gebräuchlich  und 
berechtigt,  mit  recht  befürwortet  verf.  pluralfonnen  auf  -er  von 
vin,  gift  (viner,  gifter,  verschiedene  arten  von  wein,  gifti  usw. 
dagegen  misbilligt  er  die  formen  brefver,  mynter,  fälter  usw.  (voo 
einigen  anderen  auf  consonanten  ausgehenden  einsilbigen  neutren  : 
bref  usw.),  die  im  älteren  neuschw.  dann  und  wann  begegnen. 
ein  versuch  sie  einzuführen  würde  jedesfalls  am  widerstreben 
der  heutigen  spräche  scheitern. 

Unter  den  neutren  auf  vocal  hatten  die  auf  -nde  ausgehen- 
den (aufbrande,  ärende  usw.)  im  älteren  neuschw.  oft  die  plural- 
endung  -r ,  die  aber  in  der  modernen  spräche  wenig  benutzt 
wird;  nach  L.  haben  sie  mit  recht  die  flexion  der  zahlreichen 
auf-e  ausgehenden  neutra  (aufbranden  nach  rike,  pl.  riken  usw.) 
angenommen,  neutra  auf  -  ehe  (fängeise,  häktelse,  spökelse),  die 
früher  den  pl.  sowol  auf  -n  {fängeisen)  als  auf  -r  (fängelser) 
bildeten,  haben  jetzt  im  anschluss  an  die  zahlreichen  nicht-neu- 
tralen subst.  auf  -eise  (rättelser  usw.)  gewöhnlich  die  endung  -r. 
schon  seit  dem  16  jh.  benutzten  die  Wörter  auf  -  eri  (frieri  ua.) 
die  pluralendung  -er,  die  sowol  für  diese  als  für  die  übrigen 
neutra    mit    betontem    endvocal  (kafe,  parti  usw.)  berechtigt  ist. 

Nach  L.  soll  nun  aber  nicht  nur  die  analogie,  sondern  teil- 
weise auch  der  differenzierungstrieb  und  eudlich  auch  das  streben 
nach  wollaut  und  bündigkeit  die  pluralendung  -er  hervorgerufen 
haben,  dass  auch  diese  letzteren  factoren  eine  beschränkte  rolle 
haben  spielen  können,  darf  ich  nicht  bestreiten,  aber  jedesfalls 
scheint  mir  L.  dem  differenzierungstrieb  zu  viel  zuzumuten. 
so  zb.  wenn  nach  ihm  die  erhaltung  des  pl.  leder  (von  led  n. 
'glied,  reihe',  vgl.  nhd.  glieder,  dän.  geleder)  dadurch  bewirkt 
sein  soll,  dass  pl.  led  'gaüertore'  bedeuten  kann,  vielmehr  ist 
leder  'reihen'  durch  anschluss  an  das  masc.  led  'glied,  gelenk", 
pl.  leder,  und  an  led  'glied,  grad  der  verwantschaft',  das  ursprüng- 
lich auch  masc.  mit  pl.  leder  war,  erhalten  worden. 

Endlich  behandelt  L.  -ar  und  -or  'als  neutrale  pluralsuftixe'. 
jene  endung  begegnet  nur  in  fjällar  (sing,  fjäll)  und  in  den 
veralteten  skärar  (sing,  skär),  töcknar  (sing,  tacken);  dieses  nur 
in  den  seltenen  deltor ,  anatemor  von  <\an  lehnwörtern  delta, 
anatema,  das  aber  auch  die  form  anatem  pl.  anatemer  haben  kann. 
diese  endungen  haben  also  für  neutr.  subst.  so  wenig  bedeutung, 
dass  es  wol  zweckmäfsiger  gewesen  wäre,  wenn  veiT.  den  zusatz 
'-ar  och  -or'  aus  dem  litel  der  schrill  ausgeschlossen  hätte. 

Ein  paar  beinci  klingen   über  die  pluralform  fjällar  gen 

aber  als  eine  kleine  Vervollständigung  der  erörterungen  L.s  hier 

A.   F.  I).  A.    XVII.  7 


98  LLNDER    OM  -ER,  -B,  -AR  OCH  -OB 

mitgeteilt  werden,  der  sehr  auffallende  pl.  fjällar  vom  Deutrum 
fj'dll  'hohes  gehirge'  wird  dadurch  erklärt,  dass  fjäll  im  älteren 
neuschw.  auch  masc.  sein  konnte.  Möller1  (1790)  verzeichnet 
nämlich  fjäll  als  masc.  mit  pl.  fjällar,  und  Lindfors2  (1815)  hat 
fjäll  als  masc.  und  neutr. ,  während  Weste3  (1807)  unter  fjäll 
neutr.  die  definile  form  fjällen  'Les  Alpes'  (Lappska  fjällen  'les 
Alpes  lapounes')  als  masc.  aufuimmt.  jedesfalls  ist  sowol  das 
masc.  geschlecht  als  auch  der  pl.  fjällar  verhältnismäfsig  jung. 
im  isl.  und  altschw.  ist  fiall,  ficel  neutrum,  und  das  wort  ist  be- 
kanntlich ursprünglich  ein  neutr.  o^es-stamm.  da  diese  stamme 
wegen  der  endung  -an,  -in  bisweilen  früh  masc.  geworden 
sind,  würde  man  vermuten  können,  dass  dies  auch  bei  schw. 
fjäll  der  fall  gewesen  sei;  da  aber  fjäll  erst  spät  als  masc.  be- 
legt ist,  so  beruht  der  genuswechsel  wahrscheinlicher  darauf,  dass 
die  definite  pluralform  fjällen  (vom  neutr.  fjäll)  als  eine  sing.- 
form  von  einem  masc.  subst.  aufgefasst  worden  ist,  und  dies  mis- 
verständnis  erklärt  sich  leicht,  da  das  ziemlich  seltene  fjäll 
verhältnismäfsig  oft  in  der  definiten  form  begegnete,  so  verzeichnet 
Schenberg4  (1739)  nur  die  form  fjellen  'Alpes';  nach  Möller 
'wird  bisweilen  besonders  das  hohe  gebirge  zwischen  Schweden 
und  Norwegen  fjällen  genannt' ;  vgl.  namentlich  auch  die  soeben 
aus  Weste  mitgeteilte  notiz:  fjäll  neutr.,  aber  fjällen  masc.  vom 
masc.  fjäll  wurde  pl.  fjällar  regelmäfsig  gebildet,  und  um  so  viel 
leichter  als,  wie  L.  selbst  bemerkt,  die  spräche  schon  ein  anderes 
masc.  fjäll  'grundstück'  mit  pl.  fjällar  besafs.  ob  aber  der  dän. 
pl.  fj'elde,  wie  L.  meint,  zur  bildung  des  schw.  fjällar  mitgewirkt 
hat,  bleibt  wol  sehr  fraglich. 

Ich  beende  diese  anzeige,  indem  ich  die  hoffnung  ausspreche, 
dass  verf.  seine  fruchtbaren  Untersuchungen  auf  dem  neuschwe- 
dischen  gebiete  fortsetzen  möchte. 

1  Tysk  och  svensk  samt  svensk  och  tysk  ordbok  af  JGPMöller. 

2  Svenskt  och  latinskt  lexicon  af  And.  Otto  Lindfors. 

3  Parallele  des  langues  francoise  et  suedoise.     par  mr.  Weste. 

4  Lexicon  latino-svecanum. 

Lund,  3.  dec.   1890.  Axel  Kock. 


Geschichte  der  schwäbischen  mundart  im  mittelalter  und  in  der  neuzeit.  mit 
textproben  und  einer  beschichte  der  Schriftsprache  in  Schwaben  dar- 
gestellt von  dr  Friedrich  Kauffmann.  Strafsburg,  Triibner  1890.  xxvm 
und  355  ss.     8°.  —  8  im* 

Der  verf.  hat  im  Litteraturbl.  f.  germ.  und  rom.  phil.  1887 
sp.  56  ff  die  schrift  von  Holthausen  über  die  Soester  mundart, 
welche  ich  als  'die  beste  darstellung,  die  wir  zur  zeit  von  einer 
deutschen  mundart  besitzen'  bezeichnen  zu  müssen  glaubte,  einer 

*  [vgl.  Archiv  f.  d.  stud.  d.  neueren  sprachen  85,  s.  62  (KWeinhold).  — 
Litter.  centralbl.  1890  nr  40  (R.  K.).  —  Litteraturbl.  für  germ.  und  rom.  phil. 
1891  nr  1  (Oßehaghel).  —  DLZ  1891  nr9  (AHeusler).] 


KAUFFMANN    GESCHICHTE  DER  SCHWÄBISCHEN  MUNDART  99 

strengen  kritik  unterzogen,  die  über  dingen,  welche  sie  bei  der 
darstellung  vermisste,  dem  würklich  geleisteten  nicht  gerecht  ge- 
worden ist.  augenscheinlich  schwebten  dem  kritiker  schon  die 
gedanken  vor,  die  in  dieser,  Sievers  gewidmeten,  Geschichte  der 
schwäbischen  mundart  gestalt  gewonnen  haben,  der  eingehenden 
und  von  Selbständigkeit  zeugenden  phonetischen  darstellung  der 
neueren  spräche  ist  die  mundart  von  Horb  in  den  vorbergen  des 
Schwarzwalds  am  oberen  Neckar  zu  gründe  gelegt,  nicht  ohne 
dass  auch  andere  schwäbische  dialecte  reichlich  berücksichtigt 
werden;  und  an  der  hand  gedruckter  und  ungedruckter  quellen 
wird  die  geschichte  der  heutigen  laute  bis  in  die  früheste  histo- 
rische zeit  zurückverfolgt,  ob  das  buch  dem  schwäbischen  in 
seinem  ganzen  umfange  genügend  gerecht  wird,  um  seinen  titel  zu 
verdienen,  kann  ich  nicht  beurteilen,  scheint  mir  aber  auch  nicht 
von  belang,  da  ich  die  Anz.  13,223  ausgesprochene  ansieht 
auch  heute  noch  gern  widerhole,  eher  wäre  wegen  des  titeis 
insofern  zu  rechten,  als  doch  nur  die  laute  und  gelegentlich 
einzelne  züge  der  Wortbildung  und  flexion  behandelt  werden,  in 
dieser  beschränkung  leistet  das  in  einem  guten,  nur  manchmal 
zu  gedrängten,  stil  geschriebene  buch  sehr  tüchtiges  und  wird 
dauernd  seinen  wert  behalten.  K.  ist  in  der  deutschen  Sprach- 
wissenschaft vorzüglich  geschult,  er  verfügt  über  ausgebreitete 
kenntnisse,  er  besitzt  echte  forschertugeuden,  indem  er  grofsen 
und  kleinen  problemen  entschlossen  entgegentritt  und  sie  durch- 
weg mit  Scharfsinn  und  umsieht  behandelt,  so  konnten  bei  der 
ähnlich  wie  von  Hollhausen  geübten  methode,  die  jetzige  muudart 
auf  ihre  sicheren  historischen  gruudlagen  zu  stellen  und  das  tote 
material  der  alten  spräche  hinwiderum  an  jener  zu  verlebendigen, 
wertvolle  resultate  nicht  ausbleiben,  mancher  gewinn  auch  für 
die  ahd.  und  mhd.  zeit  ist  zu  verzeichnen  (zb.  §  106,  2a).  be- 
sonders möchte  ich  noch  die  eingehende,  lichtvolle  und  ergebnis- 
reiche behandlung  der  nebensilbenvocale  hervorheben  ,  obwol  bei 
ihr  nicht  alles  gleich  überzeugend  ist.  schade  dass  die  klarheit 
dadurch  beeinträchtigt  wird,  dass  in  §  106  ff  beim  druck  eine  un- 
beabsichtigte Unterscheidung  von  e  und  e  hereingekommen  ist. 

Dass  ich  bei  einer  sonst  so  vielseitigen  behandlung  ungern 
eine  erwägung  über  die  fremdwörter  im  dialect  vermisse ,  versteht 
sich  nach  Anz.  13,  213  f  von  selbst,  wenn  s.  151  Wörter  wie 
hite  hütte,  send  Sünde  als  importiert  anerkannt  werden,  so  kann 
schliefslich  jemand  alle  hier  aufgestellten  lautgesetze  anzweifeln, 
für  die  nicht  vorher  das  material  in  diesem  sinne  untersucht 
worden  ist.  auch  sonst  habe  ich  unbeschadet  aller  anerkennting 
nicht  nur  im  einzelnen  manches  auszusetzen,  sondern  auch  die 
methode  vielfach  zu  beanstanden,  und  finde  mich  in  folge  dessen 
in  der  bedauerlichen  läge,  die  zusammenfassenden  ergebnisse,  auf 
die  K.  grofsen  wert  legt,  teilweise  entschieden  zurückweisen  zu 
müssen. 


100  KAUFFMANN     GESCHICHTE    DER    SCHWÄBISCHEN    MUNDART 

Bei  einem  buch  der  gekennzeichneten  art  befremdet  es,  dass 
öfter  die  tatsachen  ohne  jeden  erklärungsversuch  hingestellt  werden, 
so  finde  ich  zb.  kein  wort  darüber,  wie  es  aufzufassen  ist,  dass 
mhd.  e  und  ce  sowol  durch  e  als  durch  ae  vertreten  sind  (§§  71  f. 
85);  ebensowenig  sind  die  §  87  f  besprochenen  entwickelungen 
erklärt  oder  als  erklärungsbedürftig  bezeichnet,  hier  ist  auch  kaum 
genügendes  material  mitgeteilt;  mau  kann  sich  nicht  einmal  ver- 
gewissern ,  ob  irgendwo  noch  ein  unterschied  zwischen  altem  iu 
und  umlaut  des  u  bemerkbar  wird,  noch  auffallender  ist  es, 
die  öfter  zurückgewiesene  ansiebt,  es  gebe  analogische  lautüber- 
gänge,  widerzufinden.  sie  macht  sich  an  mehreren  stellen  be- 
merklich, am  deutlichsten  §  110  anm.  5:  'in  einsilbigen  Wörtern 
mit  der  auslautsverbindung  vocal  -+-  r  hat  sich  bei  pausastellung 
ein  9  gebildet,  zb.  doartor,  /par  vor,  analogisch  auch  iu  frjodrd 
gegohren'.  analogiebildung  istdoch  nur  denkbar  auf  grund  einer 
einfachen  association  tatsächlich  vorhanden  er  formen;  frjord 
kann  unmöglich  o  in  od  wandeln,  weil  dodr  früher  einmal  dor  war. 
wenn  etwa  K.s  meinung  ist,  dodr  könne  analogisch  ein  mehr- 
silbiges dodre  zeugen,  und  das  nebeneinander  von  dord,  dodrd 
sowie  die ' satzdoublette  for,  fodr  ein  frjowd  neben  frjord,  so  wäre 
die  vorausgesetzte  association  sicher  zu  verwickelt.  —  ähnlichen 
geisles  ist  die  erklärung  der  contrahierten  formen  von  geben 
(§  144  anm.  2).  organisch  soll  der  cousonant  nur  im  imp.  gip 
im  Satzzusammenhang  schwindeu.  es  ist  nicht  sehr  wahrschein- 
lich, dass  auf  dieser  grundlage  ein  vb.  gen,  du  gist  entstehn 
konnte,  auch  in  Koblenz  gilt  gen;  einen  veränderten  imperativ 
kenne  ich  nur  in  der  Verbindung  gimmdr  'gib  mir',  und  die- 
selbe erkläruug  soll  auch  für  hän  gelten,  an  welche  form  ist 
liier  gedacht?  doch  nicht  etwa  an  den  imperativ?  sonst  könnte 
wol  nur  hammdr  'haben  wir'  herangezogen  werden,  ist  diese 
form  indes  schwäbisch?  —  an  die  erklärung  von  gen  schliefst 
sich  ferner  die  von  sä  sagen  uä.  §  154  anm.  an.  m.e.  dürfen  die 
schwäbischen  formen  nicht  von  den  übereinstimmenden  getrennt 
werden,  die,  schon  in  alter  zeit,  weit  den  Rhein  abwärts  gehn. 
da  „dort  mag  nicht  ebenso  erscheint,  so  ist  im  gegenteil  schwäb. 
imä  eher  von  den  anderen  zu  trennen,  hieraus  würde  sich  er- 
geben, dass  die  entwickelung  gerade  nicht  auf  formen  mit  aus- 
lautendem consonauteu  beruht,  wie  für  die  Wahrscheinlichkeit, 
dass  die  contraction  bei  zweisilbigen  formen  eingetreten  ist,  auch 
der  umstand  spricht,  dass  die  contrahierten  das  n  im  infinitiv 
bewahren,  wo  sonst  der  inünitiv  auf  a  lautet,  zb.  son  gegen 
frögd.  —  auch  die  erklärung  von  ?pis  anm.  3  hält  nicht  stich; 
wenigstens  gilt  die  assimilierte  form  auch  in  rheinischen  münd- 
arten, die  kein  b  für  w  kennen.  —  das  ärgste  beispiel  dieser 
papiernen  Wissenschaft  ist  aber  die  deutung  von  fatsdnetle  aus 
it.  fazzoletto  (§190  anm.  3)  durch  volksetymologische  anlehuung  — 
an  nasel   in  Wahrheit  liegt   die  sattsam   bekannte  differenzierung 


KAUFFMA.NX     GESCHICHTE    DER    SCHWÄBISCHE*    MODART  101 

vor,  für  die  ich  hier  nur  die  ganz  entsprechenden  beispiele  von 
wenzelen  frequent.  von  wälzen  (Zs.  27,  142)  und  nl.  kandeel 
aus  caldel  (Franck  Etym.  woordenb.  s.  v.)  anführe;  vgl.  auch  nhd. 
freventlich.  —  §  65b.  die  laute  scheinen  mir  bei  schräg  auf  germ. 
*skre'gi-  zu  weisen,  wenn  die  form  richtig  beobachtet  ist,  müste 
das  wort  wol  entlehnt  sein,  für  l?p  verweist  K.  trotz  Beitr. 
13,  384  ff  auf  seinen  aufsatz  ebenda  12,  207  IT,  der  besser  un- 
geschrieben wäre,  in  meinem  Nederl.  wb.  ist  länge  des  vocals 
angenommen,  nur  in  lewo  können  sich  mnd.,  mnl.  und  mhd. 
lewe  vereinigen.  Grimm  war  schon  Gr.  I2,  401  auf  der  spur; 
vgl.  auch  s.  459.  le'we:e'ne  Rother  760  ist  beweisend,  wie  auch 
der  reim  bei  Veldeke  (vgl.  Behaghel  Eneide  lxxvi).  —  §  70b. 
die  von  Braune  angenommene  diphthongierung  eines  aus  ai  ent- 
standenen e  ist  haltlos;  in  dem  demonstrativpronomen  kann  der 
diphlhong  organisch  nur  entstehn  entweder  aus  auslautend  ver- 
längertem e  (nom.  sg.  masc.)  oder  aus  e  +  flexionsvocal  (nom. 
plur.  *pe-ai);  mithin  ist  der  dat.  thiem  entweder  aus  *pe-aim 
zu  deuten  oder  aus  directer  Übertragung  des  diphthongen.  — 
§  94b.  was  ström  betrifft,  so  ist  von  germ.  straum  ein  mit  strahl 
verwandtes  ahd.  as.  strdm,  strahl,  streifen,  ström,  zu  trennen, 
in  nhd.  ström  können  dialectformen  beider  Wörter  zusammen- 
gefallen sein.  —  §  96  anm.  3.  daest  stimmt  zu  gut  mit  sonstigen 
entwickelungen  vor  nasalen,  um  nicht  an  eine  kürzung  *dinst 
oder  *denst  aus  *  dienst  zu  denken,  die  dann  regelrecht  zu  daest 
wurde;  der  gedanke  an  ein  * piunist  liegt  jedesfalls  sehr  fern.  — 
§  124,  s.  150  z.  1  lies  eintritt  statt  nicht-eintritt?  —  §  131  anm. 
die  urkundlichen  formen  meinen  doch  wol  analogiebildungen,  wie 
sie  häufiger  sind,  mit  neu  angetretenem  inf. -dnisenen,  woraus  dann 
regelrecht  neuschwäb.  sed.  —  was  §  135  absatz  1  angeführt  wird, 
sind  bekannte,  zum  teil  auch  wol  erklärte  dinge,  die  sich  nicht  so 
kurzer  band  der  'ängstlichen  Schreiberseele'  zur  last  legen  lassen. — 
§  151c.  bei  dieser  frage  —  ebenso  für  §  146,  2  —  ist  das  affec- 
tierte  sprechen  nach  der  schritt  in  belrachl  zu  ziehen,  so  ver- 
breitet sich  heute,  ausgehend,  wenn  ich  nicht  irre,  von  der 
höheren  töchterschule,  der  geburtsslätte  auch  anderer  sprach- 
licher unarten,  immer  mehr  die  ausspräche  sp  sf.  die  frage 
nach  der  herkunft  der  aspirierten  tenuis  überhaupt  bleibt  hierbei 
natürlich  unberührt.  —  $  155  anm.  3.  ist  es  zufall,  dass  fast 
sämmtliclie  beispiele1  die  lautung  vor  s,  s  zeigen?  wenn  nicht, 
so  gibt  dieser  umstand  doch  zu  denken.  —  anm.  1.  mikte  ist 
metathese  aus  mitken,  welches  durch  die  Zwischenstufen  mitchen, 
mittdchen  auf  mütawechun  zurückgeht.  —  §  158  anm.  1.  wegen 
helfenbein  vgl.  Anz.  11,  18.  —  die  ausführungen  §  161,  2  sind 
wider  nicht  sonderlich  klar.  K.  scheint  hier,  wie  $  176,  1, 
zu  übersehen,  dass  die  lautgruppe  ut  aus  alt  auch  nach  verein- 

1  krenl  wird  wol  zu  altem  kring  gehören;  auch  alemannisch,  von  Bach- 
mann Beitrage  z.  g.  der  Bchweiz.  gutturallaute  s.  12  falsch  gedeutet. 


102  KAUFFMANiN     GESCHICHTE    DER    SCHWÄBISCHE*    .MUNDART 

facluiDg  des  consonanten  durchaus  nicht  ohne  weiteres  mit  altem 
at  identisch  zu  sein  hraucht;  sie  kann  eiüen  anderen  einsatz 
des  consonanten  wahren  und  wird  dies  wol  auch  durchgehends 
tun.  ich  habe  diesen  unterschied  auch  Mnl.  gr.  §  97  geltend 
gemacht.  —  §  166  wird  eine  schlussfolgerung  aufgebaut  auf  dem 
Untersatz,  dass  man  Uten  gesprochen  und  bitten  geschrieben 
habe  —  auf  dies  einzige  beispiel!  und  dies  Uten*  soll  aus  bitten 
'reduciert'  sein,  vielleicht  verstehe  ich  K.  nicht  recht.  —  §177. 
was  ist  denn  an  dem  g  von  ahd.  figa,  nhd.  feige,  mnl.  vige  (aus 
rom.  figa)  auffällig?  die  hier  vorgetragene  theorie  über  in-  und 
auslautendes  g  ist  sonst  wol  zu  erwägen;  sie  wird  noch  wahr- 
scheinlicher unter  der  annähme,  dass  auch  auslautendes  g  im  Satz- 
zusammenhang häufig  verschlusslaut  ergab.  —  die  erklärung 
§  187  anm.  1  kann  nicht  stimmen,  da  rheinische  dialecte, 
die  eine  entsprechung  für  eteioer  nicht  kennen,  gleichfalls  namer 
haben,  man  könnte  an  eine  Verallgemeinerung  des  r  als  endung 
des  nom.  sg.  masc.  denken,  diese  erklärung  auch  auf  das  ver- 
breitete mr  man  zu  übertragen,  ist  bedenklich,  weil  es  auch  in 
mundarteu  herscht,^die  kerne  einsilbigen  pronominalnominative 
sg.  auf  r  haben  (hü  er,  da,  da  der),  es  liegt  aber  auch  die  er- 
klärung durch  differenzierung  der  nasale  aus  mn  nahe  genug.  — 
§  170,  2.  warum  wird  denn  das  hier  richtig  als  citer-pfin  ge- 
fasste  wort  zweimal  (s.  220  und  226)  zu  iulaut.  p  gestellt?  pfin 
ist  übrigens  'pflock',  nd.  nl.  engl,  pin,  nhd.  pinne.  —  wenig  über- 
zeugend ist  auch  das  §  123  vorgetragene,  das  vb.  wqh  ist jedes- 
falls  mit  den  vorher  besprochenen  Substantiven  zusammenzustellen, 
denn  auf  ahd.  weskis  kann  nicht  zurückgegangen  werden,  weil 
dann  e,  nicht  $  zu  erwarten  wäre,  und  ein  etwa  umgelautetes 
ptcp.  giwascaniu  wäre  doch  eine  zu  seltene  form,  um  damit 
etwas  zu  gewinnen,  was  die  Substantive  betrifft,  so  ist  der  um- 
laut  aus  einem  plural  wie  deg  von  dag  nicht  zu  erklären ,  denn 
es  handelt  sich  um  feminina,  und  für  diese  fehlt  das  vorbild.  auch 
gelten  die  e- formen  in  mundarteu,  in  denen  sogar  das  vorbild 
der  masculina  fehlt;  in  Bendorf  (rechtsrhein.  unterhalb  Koblenz) 
heifst  es  esch,  tesch ,  weschd,  aber  flasch  (uiederrheiu.  und  nl. 
wider  flesch),  auch  rasch,  maschd  mascheu,  naschd.  die  von  mir 
(Etym.  woordenb.  s.  v.  flesch)  und  von  Holthausen  Beitr.  10,  600 
aufgeworfene  frage  eines  sc/t-umlauts  ist  jedesfalls  durch  K.s  er- 
örterungen  nicht  abgetan,  bei  qrbdt,  übrigens  auch  eine  weit- 
verbreitete form,  möchte  ich  eher  glauben,  dass  die  nebensilbe 
infolge  der  unbetontheit  eine  umlaut  würkende  gestalt  bekam: 
*arbit;^  vgl.  s.  198  ewerk  aus  dwirki;  die  frage  liefse  sich  auch 
bei    medix  montag  (und  enj^l.  wednesday?)  aufwerfen. 

Für   verfehlt    halte    ich    den    abschnitt    über  die   quantität, 

1  biten  ist  doch  die  regelrechte  und  durchaus  geläufige  mhd.  form;  od 
nhd.  bitten  die  alte  gemination  wahrt,  ist,  nebenbei  bemerkt,  ungewis,  da 
es  wie  schritten  uä.  zu  beurteilen  sein  kann. 


KAUFF.MANN     GESCHICHTE    DER    SCHWÄBISCHEN    MUNDART  103 

§  127  ff.  K.  stellt  ein  einheitliches,  möglichst  phonetisch  klingendes 
'gesetz'  auf,  und  vor  dem  'gesetz'  findet  nichts  gnade,  kein 
unterschied  von  einfacher  und  doppelter  consonanz,  keine  deh- 
nende und  kürzende  würkung  von  consonanten,  nichts  was  man 
früher  gelehrt  und  geglaubt  hat.  das  gesetz  lautet:  'jeder  mhd. 
ictusvocal  hat  sich  in  pausastelluug  zu  überlaugem  vocal  (mit 
zweigipfliger  helonung)  entwickelt,  da  im  satzinnern  diese  deh- 
nuug  organisch  nicht  eintreten  konnte,  ist  quantitativer  Wechsel 
bei  denselben  Wörtern  vorauszusetzen,  dieser  Wechsel  ist  meist  zu 
gunsten  der  länge  aufgehoben ,  diese  auch  im  tactiuneren  einge- 
führt; hier  ergab  sich  nur  die  reduction  des  überlangen  vocals 
zum  langen ,  indem  der  hochton  zur  folgenden  nebensilbe  fiel', 
was  damit  nicht  stimmt,  ist  durch  ausgleich  zu  erklären,  aber 
diese  gewaltschritte  werden  uns  nicht  so  einschüchtern,  dass  wir 
nicht  leise  zweifei  hegten,  wenn  §  127  bis  auf  fol  kein  einziges 
gemeinschwäb.  beispiel  mit  früherer  doppelconsonanz  beigebracht 
wird,  wenn  die  §  130  besprochenen  bis  auf  ein  paar  diabetische 
fälle  (dehuung  vor  nk ,  sowie  fatr  gegenüber  dem  merkwürdigen 
nhd.  väter)  nur  die  klaren  nhd.  Verhältnisse  widerspiegeln,  denen 
zufolge  wir  zb.  sichel,  schüssel,  halten,  hammel,  aber  über,  kügel 
sprechen,  für  das  nhd.  soll  doch  nicht  etwa  auch  K.s  'gesetz' 
gelten?  was  nutzt  es  denn,  Wörter  wie  tslpl  zwiebel,  hämpfl 
handvoll  zu  einsilbigen  zu  stempeln,  um  behaupten  zu  können, 
sie  haben  deshalb  langen  vocal,  weil  am  satzende  der  ictusvocal 
sich  in  pausastelluug  befinde?  sind  sie  denn  würklich  einsilbig? 
welche  vorwürfe  musten  sich  andere  leute  gefallen  lassen ,  weil 
sie  Wörter  wie  ritter  für  einsilbig  erklärten!  und  da  war  es  doch 
nur  metrisch  gemeint,  wir  haben  es  bei  den  erscheinungen, 
die  hier  unter  eine  einzige  formel  gezwängt  werden ,  mit  den  er- 
gebnissen  ganz  verschiedener  entwickelungszüge  zu  tun.  trotz 
s.  155  anm.  werden  zu  den  Ursachen  auch  consonantische  ein- 
flösse gehören,  soweit  ich  sehe,  haben  sämmtliche  im  buch  mit- 
geteilte Wörter  mit  cht  (bis  auf  den  besonderen  fall  s.  114  fufs- 
note)  langen  vocal.  indem  K.  das  verkennt,  verschliefst  er  sich 
auch  die  deutung  von  brixt  brauchte  optat.,  das  er  §  88  anm.  3 
rätselhaft  nennt.  es  scheint  mir  doch  einfach  zu  deuten  als 
brühte  >>  brühte  (vgl.  Anz.  11,  107)  >  brihte  >  brixte. 

In  deucapiteln  über  die  geräuschlaute  und  die  lautverschiebung, 
sowie  den  abschnitten,  die  darauf  ausgehn ,  die  Chronologie  der 
lauterscheinungeu  festzulegen,  steigert  sich  die  subjeetivität  und 
willküi.  die  art,  wie  die  Orthographie  der  denkmäler  manchmal 
verwertet  wird,  ist  ohne  genauere  Untersuchung  der  einzelnen 
fälle  nicht  zu  rechtfertigen:  aus  vereinzelten,  zweifelhaften  Vor- 
kommnissen werden  weitgehende  Schlüsse  gezogen;  wo  es  in  den 
kram  passt,  werden  die  Schreiber  für  leute  angesehn,  die  mit 
peinlicher  Überlegung  die  lautndancen  /um  ausdrueb  gebracht 
haben    sollen;    einzelnes,    was   schwer    in    die   wagschale    gelegt 


104  KAUFFMANIS     GESCHICHTE    DER    SCHWABISCHEN    MUNDART 

wird,  dürfte  auf  einen  Schreibfehler  hinauslaufen;  und  auch  wo 
das  richtige  aus  den  texten  herausgelesen  wird,  bleibt  die  er- 
wägung  aufser  acht,  dass  lauterscbeinuugen  sich  doch  nur  all- 
mälich  und  oft  recht  langsam  über  gröfsere  gebiete  verbreiten 
und  die  spräche  der  verschiedenen  gesellschaftsschichten  erobern, 
reime  wie  wort : gisamanot  bei  Otfrid  werden  für  das  alter  von 
neuschwäb.  h'odn  körn  fof  fort  uä.  geltend  gemacht.  K.  kommt 
zb.  §  168  zu'  der  ungeheuerlichen  theorie,  p  im  anlaut  sei  zu 
f  verschoben,  und  dies,  wie  auch  etym.  f,  im  sandhi  zuweilen 
zu  pf  geworden,  dass  tatsächlich  pf  für  etym.  p  viel  häufiger 
als  für  etym.  f  ist  (dh.  es  ist  die  regel),  erkläre  sich  daraus,  dass 
unverschobenes  p  und  f  (aus  p)  neben  einander  bestanden  hätten 
(inwiefern?)  und  daraus  ein  'compromiss'  gebildet  worden  sei.  für 
diese  theorie  wird  die  alte  Schreibung  ph  als  f  gefasst,  während 
es  da,  wo  es  t  +  f  und  älteres  pp  vertritt,  ruhig  für  pf  gilt. 
ohne  allen  zweifei  ist  anlautendes  p,  wie  man  bisher  glaubte,  zu 
^/"verschoben  worden,  nun  wäre  für  die  einzelnen  denkmäler  zu 
untersuchen ,  in  wie  weit  statt  dessen  erscheinendes  f  würklich 
einen  anderen  laut  meint,  wo  das  der  fall,  ist  anzunehmen,  dass 
^/"zuweilen,  dh.  im  sandhi,  zu  f  geworden.  —  mit  'ich  bin  der 
ansieht'  wird  §  165  der  heutige  tatbestand,  in  dem  germ.  /  und  d 
zusammengefallen  sind,  in  das  9  und  10 jh.  verlegt,  vorher  wird 
richtig  die  Schreibung  bei  den  dentalen  für  unzuverlässig  erklärt; 
es  herschen  für  p  und  d  gleiche  oder  ähnliche  Schreibungen  — 
freilich  war  hervorzuheben,  dass  p  intervocalisch  nie  als  t  er- 
scheint (falsch  wird  atem  hierhin  gestellt)  — ,  aber  die  laute 
gelten  als  verschieden,  nun  jedoch  wird  aus  denselben 
Schreibungen  auf  einmal  der  entgegengesetzte  schluss  gezogen.  — 
kaum  minder  willkürlich  ist  die  übrige  Chronologie  zu  nicht 
geringem  teile.  Wendungen  wie  'wird  geherscht  haben',  'alle  diese 
Veränderungen  müssen  noch  dem  13  jh.  angehören',  'ich  nehme 
an,  dass'  uä.  ersetzen  die  beweise,  man  vergl.  zb.  noch  s.  245 
und  ferner  die  angäbe  ?  >  s  9  — 10  jh.  §  193  mit  §  160. 

Man  ahnt,  dass  diese  versuche  einem  bestimmten  ziel  zu- 
streben, zunächst  wird  die  ganze  fülle  des  lautwandels  auf  mög- 
lichst wenige  Ursachen  zurückgeführt,  auf  das,  was  K.  'die  con- 
stitutiven  sprachfactoren'  nennt  und  deren  ausserachtlassung  er 
bei  andern  so  hart  tadelt,  in  den  §§  43.  140.  192.  193  gipfelt 
diese  anschauung  in  folgenden  Sätzen:  'der  druck,  unter  dem  der 
exspirationsstrom  von  den  hingen  ausgetrieben  wird,  ist  nieder; 
die  musculatur  des  kehlkopfs  wirkt  mit  geringer  energie,  dasselbe 
gilt  von  den  muskeln  des  ansatzrohrs'.  die  erscheinung  hängt 
aufs  engste,  zusammen  mit  einer  'erweiterung  der  mundöffnung 
(Senkung  des  Unterkiefers)'  und  'abflachung  des  zungenrückens'. 
auf  dieser  Constitution  beruhen  die  im  dialect  heischenden  kleinen 
tonintervalle,  der  schwach  geschnittene  accent,  und  weiter  sämmt- 
liche  lautveränderungen  der  mundart.     ja,    da  die  schwäb.  nasa- 


KAUFFMANN     GESCHICHTE    I>ER    SCHWÄBISCHEN    MUNDART  105 

lierung  s.  24  mit  den  übrigen  hauptcliarakterziigen  der  mundart 
in  eine  reihe  gestellt  und  anderseits  s.  xii  ausdrücklich  aus 
einer  'historisch  eingetretenen  coutraction  des  musculus  glossopala- 
tinus'  abgeleitet  wird,  so  muss  sogar  als  K.s  ansieht  gelten,  dass 
all  das  genannte  auf  die  contraction  dieses  muskels  zurückgeht, 
recht  überzeugend  macht  sich  seine  anschauung  §  192:  'der 
schwach  geschnittene  accent  erzeugt  im  inneren  der  sprechtacte 
stets  offene  silben ;  da  nun  consonantenverbindungen  niemals  eine 
silbe  schliefsei),  sondern  dieselbe  eröffnen,  und  da  bei  assimilationen 
stets  der  schallkräftigste  consonant,  dh.  der  unmittelbar  dem  vocal 
benachbarte,  ausschlaggebend  ist,  so  gibt  es  nur  regressive,  nie- 
mals progressive  assimilation  der  consouanten.  dieses  gesetz 
der  regressiven  consonantenassimilation  im  tact- 
inneren  ist  ausnahmslos',  im  directen  Widerspruch  damit 
steht  die  assimilation  von  -mb-  zu  -mm-  (§  189  d).  nach  §  193 
gehört  sie  dem  13  jh.  an.  darnach  könnte  also  das  ausnahmslos 
würkende  gesetz  nebst  seiner  Ursache,  mit  der  alle  lautwandluugen 
seit  anfang  der  historischen  zeit  im  Zusammenhang  stehn  sollen, 
im  13  jh.  noch  nicht  bestanden  haben. 

Die  wege,  die  K.  hier  gegangen  ist,  müssen  m.  e.  allerdings 
beschritten  weiden;  allein  das  können  steht  noch  nicht  im  ein- 
klang  mit  dem  wollen,  die  phonetik  befindet  sich  doch  noch 
in  ihren  anfangen,  sie  hat  uns  in  den  stand  gesetzt,  manche 
auf  historischem  wege  gewonnene  kenntnis  besser  zu  begreifen, 
sie  tut  uns  gute  dienste  bei  der  beschreibung  der  laute,  sie  hat 
uns  gelehrt  momente  zu  berücksichtigen,  welche  die  Sprach- 
wissenschaft vorher  gar  nicht  oder  nicht  genügend  beachtet  hatte, 
aber  sie  hat  uns  meines  wissens  noch  nie  eine  tatsache  der  laut- 
geschichte  an  die  band  gegeben,  der  wir  nicht  auf  anderem  wege 
schon  nahe  gekommen  waren;  und  selbst  wenn  sie  dazu  einmal 
im  stände  sein  sollte,  so  wird  man  doch  immer  noch  zunächst 
philologe  und  historiker  bleiben  müssen,  um  nicht  in  die  irre 
zu  schweifen. 

Neben  den  'constitutiven  sprachfäctoren'  ist  es,  wie  wir  sahen, 
die  Chronologie,  auf  welche  K.  in  dem  bestreben,  die  lautüber- 
gänge  möglichst  alt  anzusetzen,  besondern  nachdruck  legt,  die 
Zuverlässigkeit  dieser  Chronologie  haben  wir  bereits  geprüft;  nicht 
einmal  den  satz  in  §  194  'seit  dem  13  bis  14  jh.  ist  keine  prin- 
cipielle,  gesetzmäfsige  Veränderung  im  sebwäb.  lautbestande  nach- 
weisbar' vermögen  wir  als  stichhaltig  anzuerkennen,  in  der  mehr 
hochgetragenen  als  klaren  einleitung,  in  der  mir  einzelnes  über- 
haupt unverständlich  bleibt,  werden  dann  die  beiden  gesichtspuuete 
zu  einer  kühneu  hypothese  vereinigt  (s.  XI):  'seit  5  Jahrhunderten 
hat  sich  der  sebwäb.  lautstaod  überhaupt  nicht  mehr  verändert, 
und  ich  bezweifle  nicht,  dass  die  Stabilität  desselben  in  noch 
ältere  Zeiten  zurückreicht  | !].  dieses  merkwürdige  ereignis  der 
sprachveränderung  darf  nun  aber  nicht  isoliert  gehalten,  sondern 


106  KAÜFFMAPMS     GESCHICHTE    DER    SCHWÄBISCHEN    MUNDART 

muss  iü  den  Zusammenhang  der  stammesgeschichle  gestellt  werden, 
wir  wissen,  dass  der  Schwabenstamm  im  3  jh.  aus  seinen  nörd- 
lichen Wohnsitzen  in  die  Neckargegeud  eingewandert  ist1,  so 
meine  ich  denn  und  wage  zu  behaupten:  unter  dem  veränderten 
himmel,  bei  verändertem  luftdruck,  unter  gänzlich  anderen  boden- 
und  lebensverhältnissen  hat  sich  (in  Darwinschem  sinne)  die  phy- 
sikalische function  der  sprachorgane  den  neuen  Verhältnissen  im 
lauf  der  Jahrhunderte  angepasst'. 

Es  denkt  wol  niemand  daran ,  dem  geltend  gemachten  um- 
stand seinen  anteil  an  dem  character  der  mundart  zu  bestreiten, 
aber  bei  der  allerdings  neuen  ausdehnung,  die  dem  gedanken 
hier  gegeben  wird,  ist  man  doch  zu  der  frage  versucht,  ob  dann 
nicht  eher  eine  sommer-  und  Wintersprache  zu  erwarten  wäre, 
als  ein  vom  fränk.  verschiedener  schwäb.  dialect?  wohin  man 
auch  schaut,  stufst  die  hypothese  auf  den  greifbarsten  widerstand, 
ich  erinnere  an  das  Friesische,  die  Friesen  haben  Norddeutsch- 
land  und  zwar  genau  dasselbe  gebiet,  das  sie  heute  einnehmen, 
seit  vordenklicher  zeit  nicht  verlassen,  und  nach  dem  14  jh.  hat 
ihre  spräche  sogar  eine  ganz  aufsergewöhnliche  lautentwickelung 
durchgemacht,  der  dialect  der  bewohner  einer  nordseeinsel  unter- 
scheidet sich  wesentlich  von  dem  der  Stammesbrüder  auf  der 
nächst  benachbarten  insel.  und  wie  stellt  K.  sich  zu  der  meines 
wissens  genügend  verbürgten  tatsache,  dass  bei  Völkern  auf  tiefer 
kulturstufe,  die  ihren  boden  nicht  verlassen,  die  sprachen  sich 
innerhalb  eines  menschenalters  bis  zur  Unkenntlichkeit  verändern, 
dass  nirgends  eine  buntere  Sprachmannigfaltigkeit  herscht  als  bei 
den  wilden  Südostasiens?  K.s  hypothese  stempelt  ja  zwar  die 
spräche  nicht  zu  einem  rein  physikalischen  product,  nur  ihre  laut- 
liche entwickelung  fasst  sie  so  auf.  woher  haben  wir  denn  aber  das 
recht,  den  geistigen  gehalt  von  jedem  einfluss  auf  die  lautgestalt 
auszuschliefsen?  ist  ein  solcher  Zusammenhang  vorhanden,  so 
kann  bei  der  aufserordentlichen  empfindlichkeit  der  physikalischen 
laute  der  geringste  derartige  einfluss  von  den  grösten  folgen 
sein,  warum  sollten  nicht  syntactische  Veränderungen  und  neue 
Wörter  mittelbar  einwinken?  sie  könnten  zb.  einen  bestimmten 
rhythmus  geläufiger  macheu  und  dadurch  die  lautung  umgestalten, 
ein  unmittelbarer  einfluss  ist  denkbar,  wenn  die  Sprachgemein- 
schaft sich  der  spräche  eines  gröfseren  gebietes  anpasst  oder  die 
spräche  anderer  gesellschaftsschichten  auf  sich  würken  lässt. 
doch  selbst,  wenn  die  lautgebung  rein  physikalischer  natur  wäre, 
so  wären  auch  dann  noch  andere  factoren ,  als  die  berücksich- 
tigten, zu  erwägen,  ein  muskel  kann  von  der  Veränderung  eines 
andern  in  mitleidenschaft  gezogen  werden,  und  eine  neue  tracht 
zb.  könnte  sehr  wol  bei  dieser  frage  in  betracht  kommen,  und 
1  in  den  'Stammheitlichen  Vorbemerkungen'  s.  25  ff  ist  die  Strabostelle 
iv  0.  !i  falsch  aufgefasst  nach  Kossinna,  Westd.  zeitschr.  für  gesch.  und  kunst 
9,209  anm.  27.  auf  diesen  aufsatz  über  die  Sweben  möchte  ich  die  Ger- 
manisten aufmerksam  machen. 


KAIFI.MA.VN     GESCHICHTE    HER    SCHWÄBISCHEN    MUNDART  107 

soll  man  uicht  glauben,  dass  die  spräche  der  menschen,  wenn 
ganz  neue  auschauungen  ihren  einzug  halten,  wenn  neues  streben 
sie  ergreift,  sich  nach  ihrer  physikalischen  seite  ebenso  gut  ver- 
ändern könne,  als  wenn  die  topographischen  Verhältnisse  andere 
werden?  die  neueren  idg.  nationen  haben  durchweg  als  sprachton 
den  iclus  in  den  Vordergrund  treten  lassen  gegenüber  dem  accente 
ihrer  vorfahren,  ein  wandel,  dessen  umgestaltende  kraft  für  die 
lautgebung  man  nicht  läugnen  wird,  welche  rein  physikalische 
Ursachen  will  man  für  ihn  geltend  machen?  was  wir  am  sichersten 
wissen,  ist  die  tatsache,  dass  der  lautwandel  um  so  mehr  gehemmt 
ist,  je  dringender  für  die  menschen  der  anlass  wird,  beim 
sprechen  auf  sich  acht  zu  geben,  und  das  deutet  doch  wol 
darauf  hin,  dass  die  neigung  zum  lautwandel  in  der  menschlichen 
natur  liegt  und  unmöglich  mit  der  acclimatisieruug  eiues  bestimmten 
orgaus  abgetan  sein  kann  l.  mit  der  aufmerksamkeit  der  sprechen- 
den auf  Vorbilder  und  schliefslich  auch  auf  Vorschriften  ist  in 
ihrem  wesen  die  analogiebildung  zu  vergleichen,  deren  von  K. 
s.  xiii  gegebene  definition  mir  keineswegs  genügt:  ich  sehe 
wenigstens  nicht,  wo  in  ihr  räum  ist  für  die  so  charakteristische 
art,  die  man  vortrefflich  als  systemzwang  bezeichnet,  wenn  zb. 
nl.  neben  dem  lautlichen  praet.  gout  von  gelden  das  dem  system 
gemäfse  galt  erhalten  oder  neu  geschaffen  wird,  die  leichtigkeit 
aber,  mit  der  die  sprachen  jederzeit  analogisch  verfahren,  beweist, 
dass  die  neigung  zu  lautveränderungen  von  einem  zwang  sehr 
weit  entfernt  ist.  und  auch  das  ist  wol  für  K.s  hypothese  nicht 
günstig,  die  Wissenschaft  muss  noch  andere  fragen  lösen ,  ehe 
sie  den  von  K.  aufgeworfenen  mit  erfolg  näher  treten  kann,  ich 
zweifle  indes  nicht,  dass  die  lösung  anders  ausfallen  wird,  die 
Sprachgeschichte  ist  nicht  blofs  lautgeschichte,  und  diese  letztere 
kann  unmöglich  so  unabhängig  sein  von  allem  anderen,  was  das 
wesen  der  spräche  ausmacht. 

Der  auhang  über  die  geschiente  der  Schriftsprache  in  Schwaben 
verfolgt  an  der  band  eines  reichen  materials  und  auf  grund  der 
bekannten  kriterien,  die  teilweise  blofs  die  Orthographie,  teilweise 
laut-  und  formenlehre  betreifen,  die  alhnäliche  entwickelung  des 
Gemeindeutschen,  der  buchdruck  hat  die  schon  vorher  angebahnte 
bewegung  der  Vollendung  entgegengeführt;  weit  wesentlicher  als 
der  einfluss,  den  die  reichskanzlei  der  Luxemburger  und  die 
Wittenberger  drucke  übten,  erscheint  der  ausgleich  innerhalb  der 
oberdeutschen  landschalten  seihst,  'wir  sind  berechtigt,  der schwäb. 
drucksprache  einen  hervorragenden  anteil  an  der  coustiluierung 
unserer  heutigen  Schriftsprache  zuzugestehen'  (s.  308).  aber  'seit 
dem  auftreten  Luthers  ins  auf  Gottsched  sind  alle  weiteren  neue- 
rungen  der  spräche  aus  Mitteldeutschland  importiert  worden'  (s.  291). 

1  nur  das  russische  würde  zu  dieser  ansieht  nicht  stimmen,  wenn  es 
wahr  sein  sollte,  dass  die  dialeclbildung  innerhalb  dieser  spräche  eine  sehr 
geringe  ist. 


108  KAUFFMANN     GESCHICHTE    DER    SCHWÄBISCHEN    MUNDART 

man  vgl.  dazu  jetzt  auch  Burdach  DLZ  1890,  1459  ff.  wer  ein- 
mal eine  befriedigende  geschichte  unserer  litteratursprache  schreiben 
wird,  die  neben  dem  äufseren  gewande  auch  ihrem  geistigen  wesen 
gerecht  wird,  der  wird  seinen  blick  noch  entschiedener  nach 
norden  gewendet  halten  müssen,  wie  im  gedankengehalt  unserer 
modernen  litteratur  norddeutsches  wesen,  die  mehr  auf  sich  allein 
angewiesene  menschenseele,  die  langsam  gelernt  hatte,  ihren 
dunkeln  regungen  worte  zu  verleihen,  ihren  sieg  gefeiert  haben, 
so  führt  auch  die  vielleicht  mächtigste  wurzel  der  spräche  dieser 
litteratur  zurück  in  die  kräftigschöne  prosa,  welche  das  mittel- 
alter  in  INiederdeutschland  ausgebildet  hatte,  noch  ein  anderer 
nährboden  für  unsere  moderne  Schriftsprache  ist  bisher  nicht 
genügend  beachtet:  ich  meine  die  zumal  in  der  vorreformatorischen 
zeit  besonders  gesteigerte  litterarische  tätigkeit,  die  den  Niederlanden, 
Niederdeutschland  und  dem  Niederrhein  ungefähr  gemeinsam  war. 
Für  die  zeit  vor  dem  buchdruck  ist  die  Untersuchung  natur- 
gemäfs  schwieriger;  für  die  erste  mhd.  periode  beschränkt  sich 
K.  darum  auf  die  betrachtung  der  reime,  schon  in  ahd.  zeit 
wird  in  gewissem  sinne  eine  litteratursprache  oder  auch  eine  ge- 
sellschaftssprache  anerkannt,  in  der  mhd.  dichtung  werden  ihre 
spuren  nur  sehr  vereinzelt  aufgefunden,  indes  s.  285  zugegeben, 
dass  tatsächlich  ihr  walten  wesentlich  stärker  gewesen  sein  mag. 
es  durfte  das  nachdrücklicher  betont  werden,  die  leute  von  damals 
konnten  recht  gut  wissen,  dass  die  allermeisten  reimbindungen 
auch  für  andere  litterarische  dialecte  oder  eine  Schriftsprache 
richtig  waren,  wenn  sie  in  ihrer  eigenen  ausspräche  auch 
einen  diabetischen  anflug  hatten,  sobald  sie  also,  wie  ausdrück- 
lich zugegeben  wird,  'die  heimatliche  lautform  soweit  opfern,  dass 
reime  zugelassen  werden,  die  in  der  mundartlichen  ausspräche 
nicht  dem  künstlerischen  prineip  reiner  reimbildung  entsprochen 
hätten',  oder  sobald  sie  nur  'von  der  geschriebenen  spräche  fern- 
halten, was  im  vergleich  mit  auswärtigen  litterarischen  erzeug- 
nissen  den  Vorwurf  des  diabetischen  zu  erleiden  gehabt  hätte',  so 
erkennen  sie  eben  voll  eine  Schriftsprache  an.  Anz.  9,  36  wurde, 
nebenbei  bemerkt,  vermutet,  dass  in  diesem  sinne  auch  Veldeke 
eine  Schriftsprache  bezeugt,  das  gleiche  gilt  zb.  von  Rother,  wo 
der  gesichtspunet  zugleich  wichtig  ist  für  die  frage  nach  ver- 
schiedenen bearbeitungen.  in  bezug  auf  die  f-laute  im  reim  ver- 
hält sich  der  dichter  ähnlich  wie  die  Eueide;  seiner  spräche 
dürften  aufserdem  dehnung  der  wurzel vocale  und  die  schw.  form 
des  partic.  praet.  von  geschehen  augehören,  wie  wenig  auch  die 
reime  dafür  zeugen.  Widersprüche  in  diesen  dingen  zwischen 
dem  versinnern  und  reim  können  Schreibern  und  bearbeitern,  aber 
auch  den  dichtem  selbst  zur  last  fallen,  an  eine  über  den  mund- 
arten  stehende  spräche,  die  in  bezug  auf  concentration  und  stätig- 
keit  mit  der  modernen  zu  vergleichen  wäre,  hat  für  die  ältere 
zeit  nie  jemand  gedacht,    und  es  ist  natürlich  ein  leichtes,  eine 


KAUFFMANN     GESCHICHTE    DER    SCHWÄBISCHEM    MODART  109 

solche  Voraussetzung  zu  widerlegen,  darum  ist  der  streit,  ob  es 
eine  mhd.  Schriftsprache  gab,  eigentlich  ein  leerer  zank,  sobald 
man  so  viel  zugibt,  dass  die  leute  auch  damals  nicht  schrieben, 
wie  ihnen  der  schnabel  gewachsen  war;  und  wenn  K.  es  ver- 
meidet, seineu  ansichteu  zum  trotz  von  einer  Schriftsprache 
schlechthin  zu  reden,  so  ist  das  wol  nur  im  parteiinteresse  ge- 
schehen. 

Auch  die  meines  erachtens  verfehlten  partien  des  buches 
werden  mannigfache  anregung  gewähren,  zumal  denen,  die  sich 
dem  bedürfnis,  die  äufseruugen  des  sprachlebens  in  ihrem  innern 
wesen  zu  begreifen,  verschliefsen;  aber  die  tüchtigen  ergebnisse 
des  buches,  denen  wir  unsere  anerkennuug  zollen,  sind  doch 
wesentlich  da  gewonnen,  wo  der  verf.  sich  mehr  auf  betretenen 
bahnen  gehalten  hat. 

Bonn,  november  1890.  France. 


Analecta  hymnica  medii  aevi.  iv.  Hymni  inediti.  Liturgische  hymuen  des 
mittelalters  aus  handschriftlichen  breviarien,  antiphonalien  und  pro- 
cessionalien.  herausg.  von  Guido  Maria  Dreves,  S.  J.  Leipzig,  BReis- 
land  1888.     270  ss.     8°.  —  8  m. 

Schnell  folgen  D.s  reichhaltige  Veröffentlichungen  aufeinander; 
der  vierte  band  bringt  fast  500  bisher  unbekannte  hymnen.  wahr- 
haft staunenerregend  ist  die  grofse  zahl  von  hss.  aus  den  ver- 
schiedensten läuderu,  die  der  herausgeber  benutzt  hat.  die  gröste 
ausbeute  haben  die  hss.  der  österreichischen  hibliothekeu  und 
klöster  geliefert,  nicht  uuerheblich  ist  auch  die  zahl  der  benutzten 
Münchner  hss.  au  schweizerischen  hss.  sind  die  von  Morel  nicht 
ausgeschöpften  und  die  aus  dem  kloster  Muri  1841  nach  Muri- 
Gries  verschleppten  zu  rate  gezogen  worden,  eine  übersieht  aller 
benutzten  hss.  in  der  eiuleitung  mit  kurzer  angäbe  ihrer  her- 
kunft  und  ihres  aufbewahrungsortes  hätte  wesentlich  dazu  bei- 
getragen ,  von  der  Verbreitung  der  lieder  ein  bild  zu  geben  und 
die  verwandtschalt  und  das  abhäugigkeitsverhältuis  der  hss.  zu 
veranschaulichen,  allerdings  hat  D.  bei  jedem  lied  die  hs.  als 
hymnar,  brevier,  oratiouale,  antiphonar,  piocessionale  usw. 
bezeichnet  und  die  herkuuft  mitgeteilt;  aber  die  übersieht  wird 
dadurch  nicht  eben  leicht  gemacht,  man  würde  auch  gern  er- 
fahren ,  mit  welchen  gebräuchlichem  hymnen  zusammen  diese 
neuen  vorkommen. 

Fast  alle  beuutzten  hss.  stammen  aus  den  späteren  Jahr- 
hunderten ,  sodass  «lie  hier  gebotenen  hymnen  zum  grösteu  teil 
nachahniungeii  bekannter  lieder  sind,  bei  einzelnen  gilt  das  nur 
von  melodie  und  rhythmus,  Ihm  anderen  sind  alle  stropbenanfänge 
wie  eiu  gerippe  beibehalten  worden,  das  nur  mit  anderen  Worten 
ausgefüllt  zu  werden  brauchte  (nr  230  —  232.493  usw.);  wider 
andere  sind    in  der  weise  "ebildet,    dass  die  ersten  oder  letzten 


110  ÜREVES     AINALECTA    HYMMCA   IV 

zeilen  jeder  Strophe  aus  versa n taugen  gebräuchlicher  hymneu  be- 
stehn  (nr  215.  216.  233.  434  usw.).  diese  nachahmung  hätte,  wie 
es  schon  Mone  getan ,  consequent  durch  den  druck  hervor- 
gehoben werden  sollen,  äufserst  beliebt  zur  nachahmung  war 
der  Marienhymnus  Ave  maris  Stella,  der  manchmal  um  eine  oder 
mehrere  Strophen  verkürzt  (nr  73.  373.  86.  175  — 177)  oder  er- 
weitert wurde  (nr  91.  221).  Quem  terra  pontus  aethera  liegt 
liedern  auf  Auna  (130.  131)  und  Apollonia  (160)  zu  gründe,  ein 
merkwürdiges  beispiel  bietet  der  hymnus  Iam  Christus  astra 
ascenderat  (Dreves  2,  p.  49),  der  dem  hymnus  auf  Edmund  (nr  230) 
zum  muster  diente ;  dieser  letztere  wurde  dann  wider  für  den 
hymnus  auf  Claudius  (nr  217)  benutzt,  angäbe  des  jeweiligen 
stammliedes  und  hinweis  auf  die  übrigen  nachahmungen  hätten 
den  wert  der  Veröffentlichung  noch  erhöht. 

Bei  der  heimat  der  quellen  ist  es  selbstverständlich,  dass 
besonders  österreichische,  böhmische,  ungarische  heilige  mit  liedern 
bedacht  sind,  doch  sind  auch  in  dieser,  wie  in  allen  Samm- 
lungen, gewisse  andere  nicht  locale  heilige  häufig  gegenständ  der 
lieder,  so  die  hl.  Katharina  (305—318)  Barbara  (168—178)  Mar- 
garetha  (357  —  375).  gemäfs  der  Jugend  der  hss.  werden  auch 
viele  erst  spät  zur  Verehrung  gelangte  heilige  durch  zahlreiche 
hymnen  gefeiert,  so  die  eitern  der  Jungfrau  Maria  (Anna  122 — 141. 
Joachim  284),  Clara  (213  —  216),  Augustiu  (163  —  167),  Leopold 
333  —  336),  Ludwig  (344  —  351). 

Was  die  formen  der  hymnen  betrifft,  so  sind  gewisse  strophen- 
formen  in  äufserster  Vielseitigkeit  ausgebildet  worden,  während 
die  bunte  maunigfaltigkeit  der  strophenarten  gegenüber  früheren 
zeiten  abgenommen  hat.  aufser  den  verschiedenen  gestaltungen 
des  iambischendimeters  ist  besonders  die  rhythmisch-accentuierende 
Umbildung  der  sapphischen  Strophe  durch  ihren  reim  bemerkens- 
wert (vgl.  10.263:  ab  ab  cc  d;  146.180:  aa  bb  ccc;  359. 
428:  a  a  b  b  c  c  d).  ähnlich  verhält  es  sich  mit  der  asklepiadei- 
schen  Strophe  (80:  ab  ab  cbc;  363:  aa  bb  ccc;  381:  ab 
a  b  a  b  b). 

Die  freude  au  dem  reichhaltigen  inhalt,  an  dem  deutlichen 
druck  auf  schönem  papier  wird  uns  leider  beeinträchtigt  durch 
die  äufserst  mangelhaft  besorgte  correctur.  formen  wie  puim, 
dididit,  aunua,portmodum,alacritrer  finden  sich  zu  vielen  dutzenden. 
diese  ungenauigkeit  schafft  auf  schritt  und  tritt  bedenken;  wo  irgend 
eine  auffallende  form  sich  zeigt,  weifs  man  nicht,  ob  sie  der  hs. 
entnommen  ist  oder  dem  setzer  zur  last  fällt,  auch  die  citate  er- 
wecken manchen  zweifei:  nr  158. 159  stammen  doch  wol  aus  der 
gleichen  hs.,  und  doch  trägt  sie  hier  die  nummer  8,  dort  nr80; 
ebenso  nr  176. 177.  über  die  vielgerühmte  akribie  des  herausgebers 
wird  man  stutzig,  wenn  so  viele  fehler  ohne  mühe  nachzuweisen 
sind,  das  register  ist  vollständig,  aber  auch  nicht  fehlerfrei, 
noch  in  einem  anderen  puncte  ist  D.s  eilfertigkeit  zu  bedauern, 


DREVES     A.NALECTA     HYMISICA  IV  111 

bei  der  schwankenden  Orthographie,  zwar  versichert  er  (2,  12): 
'in  der  Orthographie  folge  ich  der  in  der  liturgie  nun  einmal 
üblichen.'  so  aber  haben  wir  inclita  neben  inchjtum;  apperit- 
repulit;  caeteris-ceteris;  caelibem-coelibatus ;  taetri-teterrime;  caelos- 
coelum-celestinus ;  litteras-literis ;  millium-milium.  sonderbar  fällt 
auf  die  Verdoppelung  der  consouanteu  in  gewissen  Worten:  cor- 
riiscat,  cummnlato ,  commestibilis ,  commedens  (neben  comeditur), 
consummas.  D.  scheint  sie  zuweilen  angewendet  zu  haben,  um 
eine  lange  silbe  zu  erzielen,  doch  nicht  immer  (vgl.  18,3,1: 
acculeis,  dagegen  85,4,2:  duodenem;  278,2,1:  comodis).  für 
die  kenntnis  von  ausspräche  und  metrik  wäre  es  von  bedeutung 
zu  wissen,  ob  jene  gemination  in  allen  fällen  bandschriftlich  ist. 
eine  Verbesserung  nur  um  der  quantität  willen  ist  in  diesen 
hymnen,  die  meist  accentuierend,  oft  auch  scheinbar  blofs  silben- 
zählend gebaut  sind,  überflussig;  besser  als  solche  formenbunlheit 
wäre  es  gewesen,  entweder,  wie  Milchsack  es  tut,  gauz  den  hss.  zu 
folgen,  obwol  ich  dazu  bei  der  Verschiedenheit  der  quellen  nicht 
raten  mochte,  oder  eine  einheitliche  Schreibweise  durchzuführen. 

So  grofs  D.s  verdienst,  im  vergleich  zu  seinen  Vorgängern 
ist,  er  hätte  ihnen  immerhin  hier  und  da  mehr  ehre  antun 
könneu,  indem  er  angab,  wie  manche  seiner  hymnen  schon 
durch  jene  ganz  oder  in  den  anfangen  bekannt  gemacht  sind,  so 
hat  Daniel  im  1  bände  eine  reihe  von  hymnen  citiert,  die  von 
D.  als  völlig  neu  geboten  werden,  namentlich  aber  wäre  die 
Sammlung  Milchsacks  bei  den  betreffenden  hymnen  (nr  121.  180. 
265)  für  den  text  vod  nutzen  gewesen,  da  sie  diplomatisch  ge- 
treue texte  gibt,  davon  nur  ein  beispiel:  bei  1).  lautet  der  fünfte 
vers  eines  hymuus  auf  Gertrud:  Nunc  et  te  rogat  pupillus,  Ger- 
trudis vir  go,  grex  tuus  suffragia,  quo  precibus  votisque  y  r e c e s 
fundimus;  bei  Milchsack  dagegen:  Nunc  te  rogat  pupillus,  Ger- 
trudis virgo ,  grex  tuus,  suffrageris  quo  precibus  votisque, 
lau  des   fundimus. 

Üass  zu  vielen  hymnen  nachtläge  gegeben  werden  können, 
liegt  in  der  natur  des  gegenständes  und  darf  D.  nicht  angerechnet 
werden,  jeder,  der  sich  mit  diesen  dingen  beschäftigt,  wird 
solche  nachtrage  zu  geben  wissen,  neue  hss.,  wenn  sie  auch 
nicht  immer  zur  besserung  des  textes  beitragen ,  sind  doch  ein 
Zeugnis  für  die  Verbreitung  und  den  gebrauch  des  liedes;  von 
diesem  standpuncte  aus  mögen  die  folgenden  zusätze  angesehn  werden. 

2  steht  auf  dem  letzten  blatt  der  Expositio  hymnoruin  per- 
nlilis  mit  der  jahrzahl  1501;  dieses  buch  ist  aus  Muri  nach 
Aarau  gekommen,  abweichungen:  1,  1  Laus  honor  magno 
tibi  sit;  3,  3  adigisque.  —  4  bei  Mone  nr  7  ohne  die  aus 
einem  anderen  hymnus  entlehnte  fünfte  Strophe;  ebenso  in 
einem  Murenser  und  einem  Wettinger  brevier;  beidemal  1,  :t 
quem  (wie  Mone)  statt  quod.  —  18  hat,  nur  wenig  verändert, 
Mone  nr  134.  135,  der  den  hymnus  wol  aus  dein  gereimten  Of- 


112  DREVES     ANALECTA    HYMMCA  IV 

ficium  de  coroua  domini  aushob;  wenigstens  enthält  eine  bre- 
vierhs.  des  14  jhs.  aus  Muri  den  hymnus  im  reimofficium.  — 
20  (vgl.  Daniel  1,236)  in  2  Rheinauer  hymnaren  (ur  97  saec.  xi ; 
nr  129    saec.  xii)   in   ziemlich    abweichender   form:    1,1   unicus; 

1,  2  inclitus;  1,  4  gloriam;  2,  2  dira;  2,3  ascenderas;  4,2  ful- 
gens;  4,  3  vivido.  cod.  97  hat  vor  der  doxologie  Praesta  beata 
noch   die  Strophe: 

Quo  te  sequentes  omnibus 

worum  processu  saeculis 

adversus  omne  scandalum 

crucis  feramus  labarum.  — 
46  hei  Morel  nr  45  aus  der  Eiusiedlerhs.  83  saec.  xii,   sowie  in 
zwei  Rheinauer  hymnaren  mit  fast  denselben  besseren  lesarten  (zb. 

2,  2  benignis).  der  hymnus  ist  bemerkenswert  durch  die  in  so 
früher  zeit  (cod.  Rhenov.  83  stammt  aus  dem  11  jh.)  genau  und 
vollständig  durchgeführten  reimassonanzen.  —  66  schon  von 
Daniel  (1,  277)  nachgewiesen,  bei  Mone  (nr  122)  gedruckt,  ich 
habe  den  hymnus  in  3  hss.  angetroffen  (Muri,  Rheiuau ,  Zürich), 
deren  eine  (cod.  Turic  C  8a  saec.  xv)  die  melodie  bietet;  die 
texte  sind  ziemlich  verwildert  und  weichen  unter  sich  wie  von 
D.  nicht  unbedeutend  ab  (3,  1  virga  ist  wol  druckfehler  wie 
409,  1,  1?).  —  68  in  dieser  verkürzten  gestalt  schon  in  der  Ex- 
positio  hymuorum  des  Mich.  Furter  (Basel  1497)  und  bei  Milch- 
sack nr  24.  die  ältere  form  im  Rheinauer  hymnar  nr  97  saec.  xi 
s.  192.  —  zu  79  bringt  der  cod.  Turic.  C  8a  saec.  xv  die  melodie 
und  eine  abweichende  doxologie.  —  80.  81  mit  der  melodie 
schon  im  Psalterium  Choräle  ordinis  Cluuiacensis  (Paris  1566) 
fol.  ccv  gedruckt.  —  9S  bei  Daniel  1,  284  unter  dem  richtigeren 
titel:  de  x.  mtl.  mart.  —  101  hat  Mone  nrll23  (Daniel  1,283, 
Roth  nr  407)  als  hymnus  auf  Petrus  Martyr  herausgegeben,  das 
lied  findet  sich  auch  in  dem  reimofficium  auf  diesen  heiligen  im 
cod.  Murens.  5  q.  saec.  xiv  fol.  336v.  auf  diese  billige  weise, 
dh.  durch  blofse  Veränderung  des  namens,  ist  Afra  im  cod.  Murens. 
1  q.  saec.  xiv  zu  einem  hymnus  gekommen,  indem  im  liede  Jesu 
Christe  auctor  vitae  die  worte  Afrae  beatissimae  statt  Mariae  Mag- 
dalenas eingesetzt  wurden,  nicht  anders  verhält  es  sich  mit  109 
(Agapitus?) ,  welchen  hymnus  Mone  nr  978  der  Juliana  gibt.  — 
155-157.  166.  167  bei  Morel  nach  dem  in  Venedig  1527  ge- 
druckten gallicanischen  brevier.  —  182  im  hymnar  von  Rheinau, 
cod.  97  saec.  xi  s.  183  mit  folgenden  abweichungen:  3,  3  ut  recto 
pede  (4,  1  O  Christe  tuum  secretale);  4,  3  morte  cordis  noxios; 
4,  4  a  morte  prava;  5,  3  gaudiis,  was  der  reim  fordert;  (5,  4 
psallimus;)  5,  4  sä  laus  tibi.  —  183  ist  in  beziehuug  zu  setzen 
zu  493  (nachahmung);  zudem  scheint  dieser  hymnus  teil  eines 
grüfseren  zu  sein  (vgl.  Daniel  1,  110).  —  194  im  Murenser- 
brevier  9  fol.  saec.  xv  —  xvi  nebst  einigen  hymnen  auf  Maurus: 
Aeterna    Maure   gaudia;    Forma    iubarque   fidei;    Luce    refulgens 


DUEVES     A.XALECTA    HYMMCA  IV  113 

aurea.  —  der  hymnus  229  auf  Dorothea  (vgl.  Mone  3,  s.  274, 
Morel  nr  395)  scheint  vielfach  überarbeitet;  eine  dritte  redaction 
mit  der  melodie  im  cod.  Turic.  C  8a  saec.  xv  fol.  158v,  während 
der  text  des  cod.  Murens.  9  fol.  meist  mit  Morel  stimmt.  — 
für  die  nachgeahmten  hyinnen  230 — 232  ist  das  Cistercienser- 
brevier  von  Wettiogeo  (eod.  Wett.  7  saec.  xiv)  eine  ältere  quelle; 
in  ihm  finden  wir  die  hyninen  im  reimofficium  an  ihren  orten; 
der  text  weicht  stellenweise  ab:  230,  1,  4  locum;  2,  3  novus; 
0,2  protegas,  durch  den  reim  gefordert;  7,  4  primum;  (9,4  finis 
sine);  232,  2,  4  noctem  quietam;  231,  1,  3  quo  fideli;  3,2  dum 
vivitur  in  homine;  3,  3  male;  4,  1  Tremunt ;  4,  2  quaerit.  — 
255 — 257  weist  schon  Roth  s.  47  nach,  zum  teil  mit  bessern  laa.: 
257,  6,  3  munerum;  6,  4  dones-corones.  —  288  besser  bei  Morel 
nr  222  aus  einer  Einsiedler  hs.  saec.  xiv.  —  300  bei  Moneööl.  — 
314  im  Cistercieuserbrevier  aus  Rheinau  cod.  60  saec.  xv  s.  423 
mit  folgenden  abweichungen :  2,3  truncato  capite;  3,  1  residens ; 
5,2  sacro;  (7,3  ac  spirilui;)  7.4  sancta;  die  varr.  aus  dem 
Cistercienserbrevier  von  Wettingen  (7  saec.  xiv)  habe  ich  nicht 
notiert.  —  zu  404  (schon  bei  Mone  nr  1100)  in  zwei  Murenser 
hss.  eine  andere  doxologie  (und  6,  3  ad  te  clamitantes).  —  406  in 
zwei  Rbeiuauer  hss.  —  432  in  Mich.  Furteis  Hymuarius  und  bei 
Milchsack  s.  29.  —  461  im  Rheinauer  brevier  cod.  94  mit  der 
jahrzahl  1468,  s.  88;  darin  die  bemerkenswerten  varr. :  1,  3  qui 
dum  pro  Christo;  (1,4  nascente  Christo;)  2,  2  ridet  mater  in  filio; 
(2,  4  laudans  orat;)  3,  3  fugatur  terminis;  4,  1  vel  merita;  (4,  3 
sanet;)  5,  2  vero  et.  —  471  bei  Morel  nr  554  und  nach  ihm  bei 
Kehrein  nr  862  als  sequenz  aus  dem  Rbeinauer  brevier  cod.  133 
saec.  xiv  s.  542.  Morel  edierte  ungenau,  doch  ist  der  text  der 
hs.  sehr  verdorben,  da  der  abschreiber  das  versmafs  nicht  ver- 
stand, der  hymnus  ist  in  der  gleichen  hs.  mit  geringen  ab- 
weichungen auf  Caecilia  angewendet:  2,  3  sexu;  2,  4  viriliterque 
decertant  (so  auch  s.  642) ;  5,  1  sq.  sancta  i  hodie  Caecilia ;  6  Haec 
quidem  suum  j  sponsum  Valerianum  /  una  cum  Tyburcio  j  fidei  iunxit 
gremio;  7.  8  fehlen.  —  472  in  zwei  Cistercienserbrevieren:  cod. 
Rbenov.  60  saec.  xiv  s.  421  mit  divisio  nach  der  fünften  Strophe 
(und  schon  s.  411,  aber  ohne  initialen),  cod.  Wettingens.  7  saec. xiv. 
2,  4  decoratur;  4,  2  sprevit;  7,  2  sanctorum;  (8,  3  huic;)  9,  3 
fugate;  10,  3  haec  fulget.  —  der  bymnus  493  auf  Wilhelm  stammt 
aus  dem  reimofficium  auf  denselben  (cod.  Welt.  7  saec.  xiv)  und 
ist  eine  nachahmung  des  liedes  bei  Daniel   1,  s.  110. 

D.s  kritischer  standpunct  ist  äufserst  conservativ:  er  wendet 
sich  in  verschiedeneu  seiner  vorreden  gegen  die  conjectureu- 
macherei,  was  ihn  aber  nicht  hindert,  auch  seinerseits  hier  und  da 
Verbesserungen  in  den  text  zu  setzen,  wie  sie  ihm  gerade  während 
des  Schreibens  in  die  feder  kommen,  so  las^i  sich  die  Über- 
lieferung gegen  ihn  verteidigen  zb.  109,  5,  3:  det,  verglichen  um 
257,  6,  3,  wo  allerdings  Roths  text  dones-corones  bietet.  371,  2,  3 
A.  F.  D.  A.    XVII.  8 


114  DREVES     ANALECTA    HYMNICA  IV 

ist  das  handschriftliche  bidentibus  doch  gewis  nicht  weniger  ein- 
leuchtend als  die  conjectur  balantibus.  219,  6,  4  ist  salvas  eher 
in  salvans  als  in  salves  zu  verbessern.  241,  l,  3  liegt  es  näher, 
das  fehlerhafte  ab  hac  miseria  zu  ab  hac  (mundi)  miseria  als  zu 
(qnando)  ab  hac  miseria  zu  ergänzen  usw. 

Bei  jenen  grundsätzen  D.s  bleibt  der  Verbesserung  ein  weiter 
Spielraum,  wiewol  man  nie  weifs,  ob  man  wirklich  die  falsche 
Ja.  der  hs.  bessert  oder  eine  nachlässigkeit  des  setzers.  dass 
diese  hymnen  noch  sehr  der  emendation  bedürfen,  sieht  jeder; 
zudem  gibt  ja  jede  neue  hs  abweichungen  und  bessere  laa.  mit 
glück  hat  D.  mehrmals  den  reim  zur  äuderung  benutzt;  doch 
hätte  das  noch  weit  öfter  geschehen  können,  genauere  beobach- 
tung  des  lateins  der  hymnen  und  tiefere  einsieht  in  die  metri- 
schen grundsätze  werden  sicher  noch  mancher  verstümmelten 
oder  verdorbenen  stelle  heilung  bringen,  was  sich  mir  beim 
durchgehn  des  bandes  an  änderungen  darbot,  will  ich  hier  auf- 
führen: 14,  5,  2  visitas  (reim);  139,  5,  3  Quae;  141,  1,  2  Um; 
159,  4,  4  Quae  (nach  158,  7,  4);  169,  2, 1  noverit  (reim);  172,2,3 
sedulo  (reim);  209,  5,  3  sit  simul  trino  (reim);  225,  1,  3  annue; 
242,  5,  3  praedicens  (reim);  323,  3,  3  primus  (reim);  327,  4,  1 
Et;  332,  3,  4  levans;  345,  1,  2  mundo;  381,  4,  3  concineris  (reim); 
384,  1,  2  decora  (ohne. -que);  400.  6,  3  securi  simus  (reim,  nach 
cod.  A);  401,3,4  Propitietur;  408,4,2  mirabüibus  (reim).  — 
auch  folgende  formen  und  construetionen  werden  nicht  den 
dichtem,  sondern  den  abschreiben!  oder  dem  setzer  zur  last  fallen : 
7,2,3  increbuit;  169,3,1  ense  tradittir;  169,3,3  omnis  angeli; 
259,  9,  4  coela  perfrui;  349,  3,  3  somnolentes,  doch  vergleiche 
das  durch  den  reim  geschützte  seefestes — pestes  483,  1,3. 

Schade,  dass  diese  inhaltlich  äufserst  reichhaltige  gäbe  uns 
in  so  wenig  geniefsbarer  form  geboten  wird,  dem  herausgeber 
bleibt  das  nicht  gering  anzuschlagende  verdienst  des  sammelns; 
die  offenbare  eilfertigkeit  seiner  arbeit  hat  aber  die  böse  folge, 
dass  wir  dieselbe  ungenauigkeit,  wie  bei  der  correctur,  auch  bei 
der  benutzung  der  hss.  fürchten  müssen  und  dass  jedesfalls  gegen- 
über allen  schwierigen  laa.  oder  ungewöhnlichem  wortformen 
sich  zweifei  einstellen. 

Lenzburg,  august  1890.  J.  Werner. 


J.  H.  Hessels,  An  eighth -Century  Latin- Anglo-Saxon  glossary,  preserved 
in  the  library  of  Corpus -Christi -College,  Cambridge  (ms.  nr  144). 
Cambridge,  university  press,  1890.     xlviii,  226  ss.    8°.  —  10  sli.* 

Nachdem  der  altenglische  teil  der  Corpusglossen  in  letzter 
zeit  zweimal  —  von  Wülker  und  Sweet  —  neu  herausgegeben 
war,    macht  Hesseis  buch  endlich    das  ganze  glossar   zugänglich. 

*  [vgl.  Litteraturbl.  für  germ.  und  rom.  phil.  1890  nr  12  (FHolthausen). 
—  Le  moyen  äge  1890  nr  11  (HLogeman).] 


HESSELS     LATIN  -  A.NGLOSAXO.N    GLOSSART  115 

zweck  der  neuen  ausgäbe  ist  einzig  und  ausschliefslich  eine  ge- 
naue widergabe  der  hs.:  'merely  an  exact  reproduction  of  the 
Ms.,  that  is  to  say,  with  all  its  scribal  mistakes,  errors  of 
grammar,  erroneous  divisions  of  words,  peculiarities  of  spel- 
ling  etc.  etc.';  vou  erläuterungen  und  änderungen  hat  der  her- 
ausgeber,  seinen  eigenen  wünschen  und  den  Weisungen  des 
presssyudicats  entsprechend,  im  allgemeinen  abgesehen,  nur  ge- 
legentlich sind  aus  besonderen  gründen  erklärende  bemerkungen 
gegeben,  leider  ist  H.  diesem  grundsatze  auch  in  dem  sonst  vor- 
züglichen index  treu  geblieben,  obwol  die  anführung  der  rich- 
tigen formen  neben  den  falschen  doch  wol  nicht  allzuviel  räum 
in  anspruch  genommen  hätte,  die  benutzung  des  glossars  wäre 
dadurch  sehr  erleichtert  und  manchem  die  mühe  langen  suchens 
erspart  worden,  dies  ist  aber  auch  beinahe  das  einzige,  was  ich 
an  der  ausgäbe  auszusetzen  habe,  von  kleinen  einzelheiten  ab- 
gesehen, verdient  sie  alles  lob.  die  einleitung  berichtet  zunächst 
über  die  entstehung  des  buchs:  zu  gründe  gelegt  ist  eine  von 
Zupitza  herrührende  abschritt  der  hs.,  die  auch  schon  Wülker  be- 
nutzt hat;  doch  ist  die  hs.  durch  H.  von  neuem  sorgfältig  verglichen. 
H.s  ursprünglicher  plan,  die  ausgäbe  im  verein  mit  Zupitza  zu 
besorgen  ,  muste  später  aufgegeben  werden ;  er  ist  aber  bei  der 
arbeit  von  Zupitza,  Mayor  und  Skeat  bereitwillig  unterstützt 
worden,  über  das  alter  der  hs.  ist  H.  anderer  ansieht  als  Sweet: 
sie  stammt  nach  ihm  schon  aus  dem  anfang  des  8  jhs.,  ist  also 
erheblich  älter  als  die  hs.  des  Epinaler  glossars,  das  er  in  die 
erste  hälfte  des  neunten  setzt,  den  grösten  teil  der  einleitung 
nehmen  auseinandersetzungen  über  die  verschiedenen  Ursachen 
der  zahlreichen  textverderbnisse  und  eine  sich  daran  anschließende, 
sehr  dankenswerte  liste  aller  vorkommenden  Schreibfehler  ein. 
den  schluss  bildet  eine  besprechung  zweifelhafter  Wörter  und  ein 
Verzeichnis  der  von  H.  benutzten  glossenlitteratur. 

Eine  vergleichung  der  II. sehen  ausgäbe  mit  der  vorauf- 
gehenden Sweetschen  ergibt  für  den  ae.  teil  nicht  gar  soviel 
neues,  einige  versehen  Sweets  sind  gebessert;  doch  ist  die  zahl 
nicht  sehr  beträchtlich,  alle  diese  lalle  hier  aufzuführen,  scheint 
mir  nicht  nötig,  zweimal  sind  die  von  H.  gerügten  fehler  schon 
von  Sweet  selbst  in  den  Corr.  and  additions  geändert,  au  ein 
paar  anderen  stellen  hat  H.  Wörter  als  englisch  aufgenommen, 
die  Sweet  mit  recht  für  nichtenglisch  gehallen  hatte,  seine  ho  11- 
nung,  dass  kein  englisches  wort  als  lateinisch  und  kein  lateinisches 
als  englisch  aufgeführt  sein  möchte,  ist  danach  nicht  ganz  in 
erfüllung  gegangen,  einige  dieser  keineswegs  zahlreichen  ver- 
sehen sind  inzwischen  schon  von  anderer  seile  berichtigt  worden. 
ich  beschränke  mich  daher  auf  anführung  des  folgenden: 

Int.  92  decurat  hornnaap  ist  doch  wol  die  auch  bei  Papias 
vorkommende  glosse  decusata  ornata.  —  H  136  birbicariolus 
werna  kann  nicht  wol  lateinisch  sein;   es  ist  voroBfina  <Iit  zauo- 

8* 


116  HESSELS  LATIN-  ANGLOSAXON'  GLOSSARY 

könig;  vgl.  VVright-WülkerVocab.  260,21.31  in  dem  abschnitt  'De 
auibus',  der  mit  demCorpusglossar  auf  dieselbe  quelle  zurückgeht. — 
C256  caluiale  cosobricases  ist  wol  zweifellos  in  caluiale  bri  (vgl.Wr. 
W.  281,  2  s.  o.)  uud  caseus  cese  aufzulösen,  desgl.  C  257  caluarium 
caluuerclim  in  caluarium  caluuer,  calmilla  lim;  vgl.  Wr.  W.  280,36 
und  Corp.  G  18  und  22.  —  C  882  (cripta)  ascussum  möchte  H. 
jetzt  als  englisch  auffassen,  etwa  als  eiue  form  von  ascunian;  ist  es 
nicht  besser  absconsum  zu  lesen  ?  —  A  483  (alites)  challes,  das  im  glos- 
sar  als  englisch  angefübrt  wird  (im  iudex  mit  fragezeichen),  halte  ich 
für  eine  entstellung  aus  taues;  alites  uel  aues  ist  eine  häutige,  auch 
im  Corp.  belegte  glosse.  —  0  91  obesca  grestu  erscbeint  in  Wr. 
W.  459,2,  wo  Corp.  ausgeschriebeu  wird,  als  obesca  beost.  an 
breost,  das  zu  nhd.  mundartlichen  formen  stimmen  würde,  ist 
schwerlich  zu  denken,  vermutlich  liegt  ein  Schreibfehler  vor.  — 
statt  (accintu)  denetle  A  172,  im  index  mit  fragezeichen,  lies 
acanthus  blinde  neue;  vgl.  Du  Cauge:  acantum  urtica  und  acanthus 
biowyrt  in  englischen  glossaren.  —  A  744  artura  tot,  vgl. 
A  824  armatura  totius  militis?  —  L  34  lacesso  suto ,  lies  saco?  — 
L  93  ladascapiae  briensis  id  est  hondwyrm;  lies  ladasca  piae;  vgl. 
auch  Sievers  Angl.  13,352  u.  —  P  572  probum  seuuin,  Uesprobrum 
(oder  improbum)  sceuum? 

Diese  und  einige  hier  nicht  erwähnte  offenbare  irrtümer 
fallen  aber  neben  den  grofsen  Vorzügen  der  ausgäbe  gar  nicht 
ins  gewicht,  um  so  weniger  als  sie  ja  nur  ein  getreues  bild  der 
hs.  bieten  will,  es  ist  nur  zu  wünschen,  dass  H.  seinen  plan, 
auch  andere  glossare  in  ähnlicher  weise  herauszugeben  und  im 
auschluss  daran  auch  die  quellen  zu  untersuchen,  recht  bald 
zur  ausführung  bringt. 

Braunschweig,   19.  2.  91.  H.  Lübke. 


Die  homiliensammlung  des  Paulus  Diaconus,  die  unmittelbare  vorläge  des 
Otfridischen  evangelienbuchs  von  Georg  Loeck.  diss.  Kiel  1890. 
Leipzig,  GFock.     8°.     47  ss.  —  1,50  m.* 

Mit  berechtigter  Spannung  wird  jeder  germanist  dieses 
schriftcheu  zur  hand  nehmen;  verheilst  es  doch  die  endgiltige 
lösung  einer  frage,  die  jeden  beschäftigt  hat,  den  der  gang  seiner 
Studien  einmal  zu  Otfrids  evangelieubuch  geführt,  uud  die  trotz 
der  mühsamen  und  sorgfältigen  Untersuchungen  Keiles,  Pipers, 
Erdmauns  ua.  immer  noch  nicht  ihren  befriedigenden  abschluss 
gefunden  hatte,  immer  noch  fehlte  für  eine  anzahl  von  capiteln 
ganz  oder  teilweise  der  nachweis  der  zu  gründe  liegenden  quellen 
(vgl.  Erdmann  s.  lxx);  vor  allem  aber  konnte,'  seit  Lachmaun 
(Kl.  sehr,  i  451)  es  ausgesprochen  hatte,  dass  dem  evangelieubuche 
ein  einziges  umfassenderes  und  kürzeres  werk  zu  gründe  gelegen 
haben  mag,  der  wünsch  nicht  unterdrückt  werden,  diesem  werke 
nachzuspüren  und  so  eine  einheitliche  quelle  festzustellen. 

*  [Zs.  f.  d.  phil.  23,474  (OErdmann)  ] 


LOECK     DOMILDSNSAHHLDNG    DES    PAULUS    DIACONUS  11" 

Diese  eiDheitliche  quelle  nun  will  L.  gefunden  haben  und 
zwar  in  dem  Homiliarius,  den  Paulus  Diaconus  auf  befehl  Karls 
des  grofsen  7S3  anfertigte,  dass  nach  L.s  ausführungen  s.  6  f 
sich  a  priori  eine  beuutzung  dieser  mustersammlung  von  predigten1 
durch  Otfrid  als  wahrscheinlich  ergeben  soll,  kann  ich  nicht  ein- 
räumen, denn  daraus,  dass  die  synode  von  Tours  und  das  concil 
zu  Mainz  die  bestimmung  treffen,  jeder  priester  solle  homilien 
besitzen  (man  beachte  den  allgemeinen  ausdruck!)  und  bestrebt 
sein,  sie  in  die  Volkssprache  zu  übertragen,  damit  das  volk  die 
predigt  leichter  verstehe,  daraus  folgt  doch  nicht,  dass  es  Otfrid 
besonders  nahe  gelegen  habe,  gerade  den  Homiliarius  des  Paulus 
Diaconus  zu  benutzen,  da  ist  doch  sicher  die  Wahrscheinlichkeit 
grüfser,  dass  die  werke  seines  lehrers  Hraban  ihm  Wegweiser 
und  quelle  waren,  jedoch  die  möglichkeit  liegt  ja  vor,  und  sind 
die  Übereinstimmungen  zwingend  und  erschöpfend,  so  wird  die 
möglichkeit  zur  tatsache. 

Bei  der  nachprüfung  hat  sich  mir  nun  aber  ergeben,  dass 
es  verhältnismäfsig  recht  wenige  stellen  sind,  an  denen  der  Ho- 
miliarius gegenüber  den  bisher  ermittelten  quellen  entweder  allein 
eine  genaue  Übereinstimmung  mit  Otfrid  bietet  oder  eine  bessere 
als  die  von  den  früheren  forschem  gegebenen  citate.  dazu  rechne 
ichO.i8,10— 16;  11,55— 58.  n  9, 7—10;  11,41—50;  14,81—84. 
m  15,  15;  19—20;  25—26;  19,29—30;  22,  31—32  (zweifelhaft 
ist  noch  23,1—4).  iv5,43.  v4,7— 12  (doch  fehlt  in  dem  aus  P.  D. 
angezogenen  citat  wider  die  erwähnung  der  liebe,  die  die  trauen 
zum  grabe  trieb,  während  sie  in  Erdmauns  Bedacitat  erscheint); 
39 — 40;  6,  11  — 14;  20,23 — 24.  wenn  nun  daneben  nur  alle 
übrigen  quellencitate  sich  ebenfalls  bei  P.  D.  vorfänden,  so  wäre 
es  mit  evidenz  erwiesen,  was  L.  will,  dass  an  stelle  der  evangelien- 
commentare  von  Hraban,  Beda,  Alcuin  und  der  vereinzelten  citate 
aus  anderen  kirchlichen  auloreu  als  hauptquelle  der  Homiliarius 
anzunehmen  sei.  dieser  beweis  ist  aber  meiner  meinung  nach 
nicht  erbracht,  denn  nicht  allein  für  den  weitaus  grösten  teil 
des  4  buches  von  Otfrid  lässt  uns  der  Homiliarius  ganz  im  stich, 
was  ja  auch  L.  bekennen  muss,  aber  in  seiner  bedeutung  ab- 
zuschwächen sucht,  sondern  auch  in  allen  capitelu,  für  die  L. 
vollgiltige  citate  aus  dem  Homiliarius  beibringt,  sind  dieselben 
entweder  aus  Hraban,  Beda,  Alcuin  usw.  ebenfalls  erwiesen,  teils 
wörtlich,  teils  dem  inhalte  nach,  zuweilen  sogar  dem  Wortlaut 
bei  Otfrid  besser  entsprechend,  oder  es  sind  daneben  noch  andere 
Übereinstimmungen  mit  jenen  commentatoren  vorhanden,  die  so 
evident  sind,  dass  dadurch  die  annähme  des  Homiliarius  als  haupt- 
quelle schwer  erschüttert  wird,    ich  glaube,  dass  L.  selbst,  wenn 

1  [das  ist  ein  irrtani  Loecks,  dem  gegenüber  auf  Cruel  Gesch.  d.  d- 
pred.  im  ma.  s.  47  f  verwiesen  sei :  die  Sammlung  wird  in  der  cric yclica  von 
782  ausdrücklich  als  ein  lectionar  für  das  officium  DOCturnale 
eingeführt  und  hat  in  Deutschland  nie  die  rolle  einer  'mustersammlung  von 
predigten'  gespielt,  wie  Loeck  sich  vorstellt.     v 


118  LOECK     HOMILIENSAMMl.UNG    DES    PAULUS    DIACOINUS 

er  genauer  die  vorhandenen  quelleunachweise  zusammengestellt 
und  abgewogen  hätte,  dieser  übelstand  nicht  entgangen  wäre. 

Eine  nicht  geringe  anzahl  von  stellen  zeigt  also  genauere 
Übereinstimmung  des Otfridischen  textes  mit  den  bisherigen  quellen- 
citaten  als  mit  denen  L.s  aus  dem  Homiliarius.  nur  wenige  zähle 
ich  hier  auf;  eine  ausführlichere  besprechung  muss  ich  mir  des 
raumes  wegen  versagen,  in  parenthese  füge  ich  zu  jeder  stelle 
den  quellenautor  hinzu:  i  4,  85  — 86  (Beda);  6,2  (Beda);  8,6 
(Hrab.);  17,  67  — 72  (Beda).  n  3,  59  — 66  (Beda  oderHrab.); 
17,  3  (Hrab.);  21,  5—6  (Hrab.).  ru  6,  36  (Hymn.  de  epiph.  dorn, 
und  Sedul.  c.  p.  m  257;  vgl.  meine  abhandlung  Germ.  32,  385 ff); 
16,33—48  (Ale);  20,139—142  (Beda  und  Ale);  21,7  ff  (Sedul., 
Beda,  Ale);  23,  15—18  (Ale),  iv  3,  13  —  16  (Beda  und  Ale); 
5  (Hrab.  s.  u.);  11,  18  (Sedul.). 

Weit  zahlreicher  aber  sind  die  stellen,  wo  innerhalb  des- 
selben capitels  die  citate  aus  dem  Homiliarius  im  Wortlaut  bezw. 
iuhalt  mit  den  bisher  erschlossenen  quellen  übereinstimmen,  da- 
neben aber  nicht  zu  unterschätzende  quelleunachweise  beigebracht 
sind,  für  die  sich  im  Homiliarius  entsprechendes  nicht  findet, 
ich  citiere  diejenigen  stellen ,  an  denen  ,  die  benutzung  des  Ho- 
miliarius vorausgesetzt,  noch  annähme  anderer  quellen  nötig 
bleibt,  wobei  zugleich  einige  ungenauigkeiten  in  L.s  angäbe  cor- 
rigiert  werden  sollen,  i  5,52  (Beda):  17,  9 — 13  (Ale  und 
Hrab.);  51  (Hrab.);  22,  13ff  (Beda);  59  f  (Beda);  28,  1  ff  (Beda). 
ii  2,  24—26  (Beda);  3,  38  (Beda);  4,  43  f  und  61  ff  (Hrab.).  für 
das  letztere  capitel  erwähnt  L.  selbst,  dass  Keiles,  Pipers  und 
Erdmanns  quellencilate  in  der  betr.  homilie  bei  P.  D.  fehlen, 
für  ii  5  ist  L.s  angäbe  insofern  unrichtig,  als  Erdmann  den  Beda 
citiert,  der  in  der  reihenfolge  der  drei  Versuchungen  mit  Otfrid 
übereinstimmt;  Hraban  aber  zählt  zwar  auf:  gula  et  avaritia  et 
vana  gloria,  jedoch  die  sich  anschliefsende  erklärung  hält  an 
der  reihenfolge  g.,  v.  gl.,  a.  fest,  sodass  dadurch  die  bemerkung 
L.s,  wenn  anders  ich  den  unklaren  ausdruck  'während  Hraban 
in  dieser  reihenfolge  von  Otfrid  abweicht'  richtig  verstehe,  hin- 
fällig wird,  für  u  7  ist  die  von  Erdmann  nachgewiesene  Über- 
einstimmung von  v.  1  mit  dem  anläug  des  2  buches  von  Hrabaus 
Matthäuscommentar  wichtig.  u  8  will  L.  neben  der  homilie 
i  53  noch  eine  zweite  i  49  als  quelle  für  v.  23 — 26  heranziehen; 
aber  abgesehen  davon,  dass  es  mislich  ist,  zwei  verschiedene 
homilien  als  quellen  für  ein  capitel  anzunehmen,  bildet  Pipers 
und  Erdmanns  stelle  aus  Alcuin  eine  viel  bessere  parallele,  zu 
ii  11  gibt  L.  die  bibelworte:  in  Mo  tempore  prope  erat  pascha 
Judaeorum  als  Überschrift  für  Hom.  i  74  an;  sie  stehn  aber  über 
i  98.  für  v.  41  f  ist  die  stelle  aus  Beda,  die  Erdmann  anführt, 
wider  bezeichnender,  für  n  12  hat  Erdmann  auch  parallelen  aus 
Beda  citiert,  die  L.  übergeht,  für  ii  16,  1  —  2  muss  er  selbst 
eingestehn,  dass  das  citat  aus  Hraban  sich  nicht  in  der  angeführten 


LOECK     HOMILTENSAMMLUNG    DES    PAULUS    DIACONUS  119 

homilie  finde,  dass  n  19  die  randbemerkung  odies  inimicum  tuum 
sich  ebenso  in  Hom.  i  69  findet,  beweist  nichts,  da  eine  reihe 
von  Itala-  und  Vulgatatexten  dieselbe  lesart  haben;  dass  im  selben 
capitel  zu  9  ff  von  Piper  und  Erdmann  eine  stelle  aus  Hraban 
beigebracht  wird,  verschweigt  L.,  desgleicben  zu  n  21,  33  f  die 
erklärung  des  panis  quotidianus  nach  Hraban.  ferner  gehören 
hierher  ir  22  mit  der  stelle  aus  Hraban  zu  v.  25;  23,  23  —  30 
(Hrab.);  24,  7ff(Hrab.);  m  1,  1  f  (Hrab.);  m  7  (Ale);  13  (Hrab.). 
die  zu  in  4  gegebeue  bemerkung  über  die  bibellesart  ist  hiufällig, 
weil  in  derselben  homilie  auch  das  grabatum  der  Vulgata  ge- 
braucht ist  neben  lectus  und  lectulus.  für  in  14  muss  L.  eine  gleiche 
contamination  aus  zwei  homilien  annehmen  wie  für  n  8;  ebenso 
für  in  21.  sehr  übel  sieht  es  in  Otfrids  4  buche  mit  dem  Ho- 
miliarius  als  quelle  aus,  was  schon  berührt  wurde;  fast  für  alle 
capitel  vom  2  bis  zum  37  sind  längst,  wenn  auch  zum  teil  kurze, 
so  doch  sichere  parallelen  von  den  herausgebern  beigebracht, 
während  die  entsprechungen  aus  dem  Homiliarius  ganz  unbedeutend 
sind,  sodass  ich  von  einer  aufzählung  abstehe,  für  v7  sind 
mehrere  parallelen  aus  Alcuin  und  Hraban  nachgewiesen,  was  L. 
übergeht,  zu  v  8  citiert  Erdmann  auch  Gregor,  desgleichen 
zu  v  12  (und  fügt  hinzu:  'das  folgende  auch  Alcuin'),  v  14  den 
Gregor  und  nicht  Alcuin  (in  pareuthese:  'danach  Ale.  zu  J.  21'); 
v  17  ist  zu  bemerken,  dass  Piper  auf  Beda  verweist. 

Wenn  nun  für  so  viele  stellen  der  Homiliarius  des  Paulus 
Diaconus  nicht  als  quelle  gelten  kann  und  fast  überall  da,  wo 
L.  ihn  als  quelle  angibt,  die  bisher  erwiesenen  autoren  dasselbe 
oder  gar  besser  entsprechendes  bieten  (manches  von  dem,  was  L. 
als  parallele  anführt,  ist  als  zu  unsicher  ganz  zu  streichen),  so 
kann  man  den  beweis  auch  umkehren  und  behaupten :  in  erster 
linie  gelten  die  bisher  nachgewieseneu  quellen  als  sicher,  und 
das  wenige,  was  in  dem  Homiliarius  eine  genauere  parallele  findet, 
muss  als  'unwillkürliche  erinuerung'  augesehn  werden,  dabei 
wäre  die  zahl  dieser  'unwillkürlichen  erinnerungen'  eine  viel 
kleinere,  als  bei  L.s  umgekehrter  annähme,  selbst  wenn  der 
Homiliarius  des  Paulus  Diaconus  'dem  dichter  in  fleisch  und  hlut 
übergegangen'  war,  was  doch  erst  weniger  anfechtbar  bewiesen 
werden  müste,  selbst  dann  wäre  die  art  der  benutzung  eine 
recht  complicierte  gewesen,  wenn  sie  sich  so  verhielte,  wie  L. 
beweisen  will,  schon  oben  wurden  einige  capitel  des  evangelien- 
buches  erwähnt,  für  die  L.  zwei  verschiedene  homilien  heran- 
zieht; das  gewagteste  enthalten  die  nachweise  zu  iv  5:  vier  ver- 
schiedene homilien  sollen  von  Otfrid  für  dieses  capitel  benutz! 
sein,  aber  —  glücklicherweise  —  die  Übereinstimmungen  er- 
weisen sich  durchaus  nicht  als  zweifellos,  für  iv  5,  5 — 18  gibt 
L.  eine  stelle  aus  Hom.  i  1  als  quelle  an ,  für  19 — 23  aus  Hom. 
i  95  (bis),  für  23—34  wider  aus  Hom.  i  1,  für  35—40  aus 
Hom.  i  113,   desgleichen    für  41—45,  53  — 56,  (>1 — 64    und   auf 


120  LOEClf-  HQMILIENSAMMLUNG    DES    PAULUS    DIACONUS 

s.  42  nocli  für  61 — 66  aus  Hrab.  Hom.  de  die  palmarum.  die 
erste  stelle  ist  wörtlich  aus  Chrysostomus  auch  von  Hraban  iu 
seinen  MaUhäuscommentar  aufgenommen;  daneben  aber  enthält 
Hrabans  commentar  zu  derselben  stelle  noch  ein  citat  aus  Ve- 
nantius,  das  bei  Otfrid  in  v.  13  f  nachklingt:  populum  nationum 
perfidiae  vinculis  irretitiim.  funiculis  enim  peccatorum  suorum 
unusquisque  constrktus  erat,  derselbe  Hraban  bringt  im  commentar 
zu  demselben  capitel  auch  die  quelle  zu  v.  19  —  23;  er  citiert 
nämlich  nach  Hieronymus:  in  monte  Oliveti  —  id  est  in  ipso 
domino,  qui  nos  nnctione  spiritalium  charismatum,  et  scientiae 
pietatisque  luce  refovet.  —  idem  mons  Oliveti,  id  est  summus  spi- 
ritalium distributor  gratiarum.  eben  derselbe  gibt  auch  für 
v.  23 — 34  die  richtige  quelle,  denn  die  vvorte:  quibus  nisi  anima 
instructa  fuerit  et  ornata,  sessorem  habere  dominum  non  meretur 
entsprechen  besser  Otfrids  w orten  v.  31  ff  als  das  citat  aus  der 
homilie  des  Chrysostomus  bei  L.,  trotzdem  er  auf  s.  28  mit  be- 
stimmtheit  behauptet,  dass  der  satz  sich  allein  bei  Chrysostomus 
finde,  auch  das  citat  aus  Hom.  i  113  zu  Otfr.  v.  35  —  40  ist 
weniger  zutreffend  als  die  von  Piper  und  Erdmann  bereits  citierte 
stelle  desselben  commentars.  es  kommt  hinzu,  was,  soweit  ich 
sehe,  noch  nicht  bemerkt  worden  ist,  dass  wir  den  gedanken 
von  v.  36  f  bei  Hraban  zu  Mt.  21,8  widerfinden:  ad  supemae 
moenia  civitatis,  quo  Jesus  ducit.  auf  die  nächste  stelle  v.  41 — 46 
legt  nun  L.  ein  grofses  gewicht,  und  in  der  tat  ist  die  Über- 
einstimmung von  Otfr.s  worten  iro  selono  gifang  mit  animarum 
tegumenta  recht  auffallend,  aber  wir  dürfen  auch  widerum  nicht 
übersehn,  dass  daneben  v.  42  und  46  ein  gedanke  auftaucht,  der 
nur  bei  Hraban  augedeutet  ist:  simplicioribus  dei  famulis  viam 
suo  sanguine  parant ,  ut  videlicet  inoffenso  gressu  mentis  —  ince- 
dant.  die  worte  Hrabans:  sancti  martyres  propriae  se  carnis 
amictu  exuentes  stehn  zudem  Otfr.s  worten  auch  nicht  allzu 
fern,  selbst  wenn  man  jedoch  an  der  homilie  hier  festhält,  ist 
man  bei  einer  so  vereinzelten  Übereinstimmung  innerhalb  eines 
capitels,  das  sonst  evident  auf  eine  andere  quelle  zurückweist, 
gewis  berechtigt,  entweder  eigene  unabhängige  Verdeutlichung 
des  Hrabanischen  ansdruckes  oder  'unwillkürliche  erinnerung'  an- 
zunehmen, für  die  nächste  stelle  v.  53—56  sind  nuu  die  patrum 
praecedentium  exempla  aus  dem  citat  bei  L.  gar  nicht  zu  brauchen, 
sondern  allein  das  auch  von  Piper  und  Erdmann  gegebene  citat  aus 
Hraban.  für  den  schluss  endlich  ist  weder  das  von  L.  auf  s.  27  noch 
das  auf  s.  42  gegebene  citat  eine  geeignete  parallele,  sondern  wider 
nur  die  von  den  herausgebern  beigebrachte  stelle  aus  Hraban,  inso- 
fern die  nachfolgenden  indem  zuge  bei  Otfr.  auf  uns  gedeutet  werden. 
So  ist  in  diesem  capitel  aus  äufseren  und  inneren  gründen 
die  directe  benutzung  des  Homiliarius  unwahrscheinlich,  und 
wir  sind  hier,  wo  Otfr.  dem  Matthäusevangelium  folgt,  in  erster 
linie   auf  Hrabans    commentar   verwiesen,      nun   aber   vergegen- 


LOECK     HOM1LIENSAMMLUNG    DES    PAULUS    DIACONDS  121 

wältige  mau  sich  noch  den  springenden  weg,  den  Otfr.  ge- 
nommen haben  müste,  wenn  er  würklich  den  in  seinem  ersten 
teile  nach  den  sonn-  und  festtagen  in  der  reihenfolge  des  kirchen- 
jahres,  in  seinem  zweiten  teile  nach  heiligen  geordneten  Homi- 
liarius  in  der  weise  benutzt  hätte,  wie  L.  meint,  ich  will  nur 
für  das  erste  buch  Otfr.s  die  betreffenden  homilien  ohne  rück- 
sicht  auf  die  beweiskraft  der  parallelen  hersetzen:  i  92.  n  19 
(ii  14).  i  7  (i  9).  ii  43  (i  9).  i  17,  ii  22.  i  18.  n  22  (i  18).  i  20. 
i42. 1 48.  1 52.  i  11.  1 51  (die  zahlen  in  parentbese  bedeuten  die  für 
dasselbe  capitel  angenommene  benutzung  einer  zweiten  homilie). 

Dass  schliefslich  Otfr.  im  4  buche  deshalb  nur  kurze  com- 
mentierende  zusätze  in  die  fortlaufende  erzählung  eingefügt  haben 
soll,  weil  ihn  da  der  Homiliarius  im  Stiche  liefs,  scheint  mir 
doch  ein  ungerechtfertigtes  testimonium  paupertatis  zu  sein,  das 
man  dem  dichter  ausstellt:  der  grund  kann  auch  in  etwas  anderem 
liegen;  doch  das  würde  zu  weit  führen,  auch  dass  Otfr.  der 
grösten  anzahl  der  capitel  des  4  buches  als  Überschrift  eine  den 
inhalt  des  ganzen  capitels  zusammenfassende  angäbe  voransetzte 
statt  der  anfaugsworte  des  behandelten  evangelischen  textes,  kann 
unmöglich  aus  derselben  Veranlassung  fliefsen;  sollte  denn  Otfr. 
keinen  bibehext  zur  hand  gehabt  haben?! 

Aus  den  angeführten  gründen  kann  ich  mich  nicht  über- 
zeugen ,  dass  der  Homiliarius  des  Paulus  üiaconus  die  haupt- 
quelle, das  von  Lachmann  vermutete  umfassendere  und  kürzere 
werk  sei.  mir  scheint  es  immer  noch  natürlicher,  einen  fort- 
laufenden commentar  zu  den  einzelnen  evangelisten  als  quelle 
anzunehmen  und  die  gruppierung  des  Stoffes  dem  dichter  als 
geistiges  eigentum  zuzusprechen,  sehr  zu  bedauern  ist  es,  dass 
die  commentare  Hrabans  zu  den  anderen  drei  evaugelisten  nicht 
erhalten  sind;  vielleicht  würde  durch  sie  ßeda  und  Alcuin  über- 
flüssig, es  wird  aber  bei  dem  compilatorischen  character  der 
bibelcommentare  und  theologischen  Schriften  dieses  Zeitalters  immer 
seine  Schwierigkeiten  haben ,  mit  bestimmtheit  eine  einzelne  quelle 
nachzuweisen,  ja  es  ist  überhaupt  fraglich,  ob  es  zutreffend  ist, 
wenn  wir  durchaus  darauf  ausgehn,  ein  werk  als  hauptquelle 
für  den  dichter  ausfindig  zu  machen,  das  positive  ergebnis  der 
vorliegenden  schritt  sind  einige  weitere  parallelen  zu  Otfrid,  die 
ein  neues  Zeugnis  von  der  umfassenden  belesenheit  und  theo- 
logischen ausbildung  Otfrids  geben1. 

1  von  druckfehlern  sind  mir  aufser  den  auf  der  letzten  seite  berich- 
tigten noch  einige  aufgefallen,  auf  s.  8  ist  i  6.  2  min/tu  zu  lesen  ,  s.  1  1 
z.  9  v.  u.  ii  1  statt  n3,  s.  17  z.  18  v.u.  ille  statt  Uli,  /..  !l  v.  u.  Erdmann,  8,  24 
z.  10  v.o.  santiin,  s.  29  z.  20  v.  o.  fehlt  hei  dem  Otfridcitate  die  angäbe  der 
verszahl  21  —  22.  ein  neckischer  zufall  hat  sogar  in  die  berichtigungen  neue 
fehler  hineingebracht:  z.  6  v.u.  ist  aus  der  11  das  zeichen  „  zu  machen; 
die  beiden  anderen  fehler  von  8.26  sind  nicht  ganz  correct  angegeben,  aber 
von  jedem  leser  leicht  selbst  zu  verbessern. 

Königsberg  i.  Pr.,  november  1890.  K.  Marold. 


122  SCHULTZE    OSWALDLEGENDE 

Die  entwiekelung  der  deutschen  Oswaldlegende  von  Siegmar  Schultze.    diss. 
Halle  a.S.,  RNietschmann.     1888.    60  ss.    8°. 

Tritt  man  an  eine  sage  heran ,  die  mit  einem  historischen 
namen  verknüpft  ist,  so  ist  es  der  naturgemäfse  weg,  vorerst  zu 
untersuchen,  inwieweit  ihr  inhalt  mit  dem  sich  deckt,  was  ge- 
schichtliche oder  geschichtlich  sein  wollende  quellen  von  der  betr. 
historischen  person  erzählen,  diese  vergleichung  wurde  für  die 
Oswaldsage  in  genügender  weise  von  Berger  Beitr.  11,  377  ff  vor- 
genommen; was  Schultze  dagegen  vorbringt  (s.  35  ff),  scheint  mir 
auf  vorgefasster  meinung  zu  beruhen,  hingegen  polemisiert  er  mit 
recht  gegen  die  annähme  damit  zusammenhängender  keltischer  ein- 
flösse, die  wasserkufe  zur  bewahrung  der  keuschheit  ist  wol  dem 
würklichen  leben  asketischer  zeit  entnommen  und  auch  sonst  in  der 
litteratur  bekannt  durch  jene  erzählung  von  dem  praepositus  von 
Aquileia,  die  von  der  französischen  bearheitung  der  pseudo-hierony- 
mianischen  schrift  Vitas  patrum  ausgehend  ihre  Verbreitung  ge- 
funden hat.  nach  derselben  erzählt  sie  das  Livre  du  Chevalier  de  la 
TourLandry  cap.25;  englische  Übersetzung  aus  der  zeit  Heinrichs  vi 
in  den  Publications  of  the  Early  English  text  society  ur  33.  1868. 
cap.  34;  Legrand  Contes  devots  in  M6ons  Nouveau  recueil  de 
fabliaux  2,  187;  nach  dem  letzteren  Wieland  Die  wasserkufe. 
etwas  abweichend  die  von  BKöhler  Jahrb.  für  roman.  und  engl, 
litter.  11,  231  ff  mitgeteilte  erzählung;  seiner  freundlichen  mit- 
teilung  verdanke  ich  auch  gröstenteils  die  oben  angeführten 
nachrichten.  ebenso  ist  der  einsiedler  auf  der  klippe  nichts  spe- 
cifisch  keltisches,  ein  solcher  ist  aufser  dem  h.  Gregorius  noch 
der  h.  Martinianus  und  Mordrain  im  Grand  S.  Graal.  übrigens 
scheint  auch  mir  wie  Seh.  der  iischer  in  dessen  gruppe  n  ur- 
sprünglicher, der  name  Ise  freilich  erst  späte  entlehnung  aus 
dem  Oreudel.  nur  mittelbar  geht  auf  keltischen  einfluss  zurück 
die  vision,  in  der  sich  dem  heidenkönig  lohn  und  strafe  nach 
dem  tode  offenbart.  Ähnlichkeit  mit  keltischer  sage  zeigt  der 
wünsch  der  zum  leben  erweckten  und  getauften  beiden  sofort 
wider  zu  sterben  (Zs.  33,  137.  Imram  Brenaind  nr5;  AASS  xvn. 
Mart.  557). 

Hat  man  so  diese  historischen  und  pseudo-historischen  züge 
zusammengestellt,  und  es  bleibt  noch  ein  unerklärter  rest  übrig, 
so  sucht  man  dann  unter  den  bekannten  sagen  eine,  die  alle 
diese  oder  einen  möglichst  grofsen  teil  dieser  unerklärten  züge 
ebenfalls  enthält,  und  man  wird  ziemlich  sicher  sein  die  quelle  ge- 
funden zu  haben,  wenn  man  noch  den  anlass  aufzeigt,  durch 
welchen  diese  beiden  sagen  vereinigt  wurden ,  etwas  gemeinsames, 
das  sie  bereits  ursprünglich  hatten,  sodass  sie  einem  ungeübten 
gedächtnis  und  einer  ungezügelten  phantasie  in  eins  verschwimmen 
konnten,  erst  wenn  dies  nicht  gelingt,  wird  man  die  einzelnen 
züge  da  und  dort  nachzuweisen  bestrebt  sein,  wobei  man  immer 
die   möglichkeit   offen   lassen  wird,    dass   gröfsere   sagenkenntnis 


schtltzf:  oswaldlegende  123 

irgend  einmal  eine  sage,  welche  einen  grüfsern  complex  von 
zilgen  enthält,  als  quelle  ergehen  könnte. 

Nichts  dergleichen  bieten  uns  jene  gelehrten,  zu  denen  sich 
jüngstens  der  verf.  der  vorliegenden  diss.,  kaum  neue  gründe  vor- 
bringend, gesellt  hat,  die  als  jene  zweite  quelle  unserer  sage 
einen  Wodanmythus  ansehn,  sie  speisen  uns  mit  sogenannten 
ankuüpfungspuncten  ab  und  mit  was  für  anknüpfungspuucten  1 
dass  der  held  unserer  geschichte  Oswald  heifst,  und  Wodan  allen- 
falls in  norddeutschen  gegenden  so  heifsen  könnte,  dass  der 
geguer  dieses  Oswald,  der  dennoch  Wodan  vorstellen  soll,  in  einer 
spaten  quelle  Gaudon  heifst,  was  sich  nur  dann  als  Umformung 
von  Wodan  rechtfertigen  liefse,  wenn  man  eine  romanische  quelle 
annähme,  was  aber  in  Wahrheit  ein  in  altfrz.  gedienten  beliebter 
name  für  heidenkönige  ist;  vgl.  Heiuzel  WSB  119,  m  S8.  dass 
Oswald  einen  raben  hat  und  Wodan  zwei  —  ich  erlaube  mir  zur 
weiteren  mythologischen  behandlung  die  heiligen  Guilielmus  Fir- 
matus,  Benedictus,  Meinrad,  Paulus  Eremita  und  Vincentius  zu 
empfehlen,  in  deren  legenden  gleichfalls  raben  vorkommen  und 
die  mit  raben  bildlich  dargestellt  werden;  auch  die  wölfe  der 
hb.  Bernhard  v.  Tironio,  Marcus  Eremita,  Guilielmus  a  Monte 
Virgine,  Poppo,  Vedastus,  Veit  und  Simpertus  sind  gut  zu  ver- 
wenden, die  h.  Radegundis  hat  sogar  deren  zwei,  ein  rabe  als 
böte  erscheint  schon  in  der  arche  Noae,  vögel  als  liebesboteu 
sind  nicht  nur  dem  deutschen  Volkslied  eigen  (Unland  Schriften 
in  109  ff.  171).  der  schwalbe  bedient  sich  schon  der  alte  Ana- 
kreon,  die  taube  wird  von  der  kirchlichen  legende  bevorzugt, 
und  die  gänse  in  Näl  und  Damajanti  haben  sogar  goldene  flügel 
wie  unser  rabe.  der  h.  Oswald  nimmt  in  bairischen  feldculten 
die  stelle  des  alten  gottes  ein,  aber  dass  funetionen  alter  götter 
auf  heilige  übertragen  wurden,  wissen  wir  ja  auch  sonst,  mag 
hier  auch  dadurch  motiviert  erscheinen,  dass  das  Zeitalter  von 
Osw.s  regierung  als  ein  besonders  fruchtbares  geschildert  wurde, 
auch  der  b.  Medardus  gilt  in  der  Normandie  für  den  patron  der 
fruchtbarkeit  und  besonders  der  Weinberge,  an  den  'Asenwalter' 
zu  deuken  sollte  schon  die  lautlehre  verbieten,  da  das  wort  im 
bairischen  doch  nur  Answalt,  nicht  Oswalt  lauteu  könnte,  auch 
die  Hildensage  hat  nicht  mehr  ansprüche  als  jene  zweite  quelle 
zu  gelten  als  der  Wodanmythus,  die  entfuhrung  durch  list  er- 
scheint unendlich  oft,  zb.  im  Rother;  die  erweckung  der  toten 
hat  bei  einem  heiligen  nichts  merkwürdiges;  die  fortsetzung  des 
kamples  nach  der  widererweckung  ist  eine  erweiterung,  die  sich 
erst  in  einer  späten  quelle  findet;  die  beschattung  durch  adler 
ist  jedesfalls  altertümlicher  als  die  durch  planen. 

Die  für  unsere  sage  anzusetzende  zweite  quelle  schein!  nur 
also  nicht  gefunden,  man  gestatte  mir,  hier  auf  meinen  aufsatz 
'Salomosageu  in  Deutschland'  Zs.  35,  177  11'  zu   verweisen. 

Was  gruppierung  und  aller  der  poetischen  und  prosaischen 


124  SCHULTZE     OSWALDLEGENDE 

fassungen  anbelangt,  so  bat  sich  Scb.  gaDz  an  den  erwähnten  auf- 
satz  Bergers  angeschlossen,  die  frage  nach  dem  alter  der  ge- 
dichte  lässt  sich  nicht  abgesondert  von  der  nach  dem  alter  des 
Orendel  und  des  Salman  beantworten,  alle  diese  gedichte  (nicht 
nur  ihre  bss.)  stammen,  sowie  sie  überliefert  sind,  aus  dem  14  jh. 
gedichte  früherer  zeit,  etwa  des  12jhs.,  mögen  zu  gründe  liegen, 
nachgewiesen  ist  es  nicht,  reconstruierbar  sind  sie  auf  keinen 
fall,  die  ähnlichkeit  mit  dem  könig  Rother  ist  grofs,  aber  die 
ähnlichkeit  mit  den  späteren  spielmannsgedichten  in  composition 
und  phraseologie  ist  nicht  minder  überraschend:  vgl. zb.  Vogts  anm. 
zu  Salman  16  und  23,    und  so  lässt  sich  vieles  anführen1,     die 

1  der  heide  im  Oswald  hat  besondere  ähnlichkeit  mit  dem  Machorel  im 
Otnit.  Orendel  als  pilger  zn  ross  ähnelt  sehr  dem  Loher  in  der  gleichen 
Situation  (Loher  und  Maller  erneuert  von  Simrock  s.  99),  meister  Ise  dem 
mönch  Usan,  Bride  mehr  den  streitbaren  flauen  der  französischen  epopoe 
wie  Guiborc  als  einer  deutschen  walküre,  der  pförtner  Achilles  dem  Gra- 
mabet  im  Wolfdietrich  und  dem  grafen  Adan  im  Wigalois,  der  kämpf 
Orendels  mit  Mentwin  dem  Heimes  mit  Aspilian,  Thidreksaga  cap.  430  ff. 
nur  dem  wünsche,  nach  dem  beispiele  der  französischen  moniages  die  komische 
figur  des  mönch  gewordenen  ritters  einzuführen,  scheint  mir  der  umstand  zu- 
zuschreiben, dass  speciell  im  erwähnten  gedieht  der  rock  aller  tradition 
(i  Mos.  49.  Jesaias  63,  2)  und  allen  wirklichen  tatsachen  (Gildemeister  und 
Sybel,  Der  h.  rock  s.  5.  6)  entgegen  grau  genannt  wird,  dass  in  der  Pilatus- 
sage, späte  märchen  aufser  acht  gelassen,  der  rock  keinen  zorn  gegen  den 
träger  desselben  aufkommen  lässt,  ist  doch  etwas  ganz  anderes,  als  dass 
er  gegen  wunden  schützt,  dieses  motiv  finden  wir  in  einem  französischen 
Alexanderroman:  C'etait  une  ckemise  sans  couture  ni  rep?'ise ;  eile  avait 
ete  faite  sur  les  bords  de  la  Tamise  et  portee  par  mer  en  Frise  au  roi 
Philippe.  Celui  qui  la  porte  est  protege  contre  les  blessures  et  sa  chair 
ne  sera  poinl  enflammee  des  ardeurs  de  la  luxure  (PMeyer  Alexandre  le 
grand  dans  la  litt,  du  moyen  age  i  19.  248).  meister  Ise,  der  riche  vischer, 
zeigtauch  ähnlichkeit  mitAmfortas,  dem  riche  pecheor,  worauf  mich  Heinzel 
aufmerksam  macht,  der  name  von  Oswalds  vater  Sewart  findet  sich  im 
Biterolf,  Merzian  (Berziän?  Salman  559.570)  im  Biterolf  und  Wolfdietrich, 
der  name  von  Salmes  vater  Cyprian  im  Kuperan  des  Siegfried liedes.  die 
mishandlung  des  kämmerers  in  unsem  gedichten  hat  ein  analogon  nicht 
nur  im  Bother:  vgl.  Martin  QF  65,  s.  70;  Zs.  f.  d.  phil.  23,498.  über  spiel- 
leute  und  pilger  vgl.  Jänickes  einleitung  zum  Deutschen  heldenbuch  iv 
s.  xlvi  ff.  wenn  man  mit  alle  dem  —  es  liefse  sich  noch  manches  anführen  — 
etwa  die  ähnlichkeiten  jener  spielmanns«edichte  mit  dem  herzog  Ernst  ver- 
gleicht, findet  man  erstaunlich  wenig,  benutzung  des  Bother  soll  nicht  ge- 
iäugnet  werden,  aber  sie  beweist  ebenso  wenig  als  die  benutzung  des 
Bolandsliedes,  die  wir  für  den  Orendel  wenigstens  nachweisen  können,  denn 
Pelian  1889ff  ist  kein  anderer  als  Paligan.  wie  dieser  zwei  halsberge,  so 
hat  jener  drei  brünnen  an ,  dem  gegner  kommt  hier  wie  dort  im  entschei- 
denden momente  himmlische  ermutigung.  an  derselben  stelle  finden  wir 
nun  wörtliche  Übereinstimmung  dö  sach  er  üf  der  heiden  ?na?iige  haniere 
sweiben,  bede  griiene  und  ouch  rot  Or.  1944  ff  =  do  sähen  si  von  den 
haiden  manegen  vanen  waiben  grüne  unl  waiti'n  Bol.  278,  19;  etwa 
auch  Or.  1999  ff  und  Bol.  288,  19  ff.  nicht  anders  zieht  sich  eine  uneon- 
trolierbare  kette  von  Übereinstimmungen  von  Sigelot  .  .  .  den  anpetten  die 
haiden  für  ain  got  Bol.  198, 21  über  den  Imelot.. .  her  wolde  sehe  wesen  got 
Bother  2576  zum  Nibehit  ....  selbe  wolde  er  got  sin  Biterolf  299.  den 
Paligan  finden  wir  noch  einmal  als  Beliän  im  Orendel,  Salman,  Woll- 
dietrich,   Wittich   vom   Jordan,   den   Marsilies   als  Marsiliän,  Mersiliän   im 


SCHILTZE    OSWALDLEGENDE  125 

allitterationen,  die  Berger  als  beweis  für  das  alter  der  Oswald- 
dichtung verwertet,  sind  ganz  belauglos:  ich  will  mich  verpflichten, 
verhältnismäfsig  ebenso  viele  etwa  aus  dem  Reiufrid  von  Braun- 
schweig beizubringen,  es  wird  ja  niemandem  der  unterschied, 
der  immerhin  zwischen  Wolfdietrich  etwa  und  Oswald  besteht, 
eotgehn.  viel  macht  dabei  die  äufsere  form  aus.  auch  ein 
französisches  gedieht,  unter  sonst  ganz  gleichen  umständen  ver- 
fasst,  wird  eine  bedeutende  Stilverschiedenheit  zeigen,  je  nach- 
dem es  in  tiraden  oder  iu  reimpaaren  verfasst  ist.  dazu  kommt 
dann  der  unterschied  der  gegend,  aus  der  die  gedichte  her- 
stammen, und  endlich  der  unterschied  des  Standes  der  Verfasser: 
jene  wellliche,  diese  geistliche  fahrende. 

Den  einzigen  sichern  historischen  auhaltspuuct  liefert  uns 
Salman  728,  3,  wo  das  1218  gegründete  castellum  peregrinorum 
erwähnt  wird  —  diese  Strophe  wird  aber  als  interpoliert  angesehu. 
vielleicht  steckt  Alhlit,  der  orientalische  name  dieses  hauptsitzes 
der  templer,  auch  in  dem  Alzit  des  Oreudel  2637.  will  mau  das 
nicht  zugeben,  so  bleibt  uns  mir  ein  termiuus  ad  quem:  später 
als  1350  ist  wol  die  vorläge  von  Sch.s  gruppe  in  des  Oswald 
nicht  gedichtet;  denn  INicolaus  von  Basel  (ed.  KSchmidt  s.  107) 
scheint  sie  zu  kenneu.  was  man  au  historischen  anspielungen 
im  Salman  und  Oreudel  hat  finden  wollen,  halte  ich  für  un- 
sicher. 

Orendel ,  Salman ,  Wolfdietrich,  es  läuft  eben  eine  niemals  abgerissene 
Verbindung  zwiseben  den  ältesten  liedern  germanischer  sänger  und  der 
jüngsten  bänkelballade.  wer  wollte  auf  die  Übereinstimmung  zwischen 
dem  Orendel  2S1  zivölf  smide  sdzen  ....  daz  silber  st  du  würkten  und 
dem  ags.  zaubersegen  (Grein -Wülcker  i  31S)  syx  smiltas  acelan,  tvälspera 
worhlan  irgend  etwas  bauen  ? 

Baden  bei  Wien,  juli  1890.  S.  Singer. 


Eine  deutsche  colonie  zu  Treviso  im  späteren  mittelalter.  mit  einem  exeure: 
Freidanks  grabmal.  von  Henry  Simonsfeld.  (Abhandlungen  der  königl. 
baii.  acad.  der  wissensch.  cl.  3,  bd.  19,  al>t.  3  s.  543 — 638.)  München. 
verlag  der  königl.  acad.  (GFranz)  1890.     96  ss.     4°.  —  2,80  m. 

Aus  einer  handsi  hriti  des  germanischea  nationalmuseums  zu 
Nürnberg  gibt  S.  das  lateinisch  und  deutsch  abgefasste  Statut 
sowie  das  mitgliederverzeichnis  einer  deutschen  bruderschaft  oder 
*schola'  (mutatis  mutandis  wol  am  ehesten  mit  gewissen  ten- 
denzen  unserer  i'reimaurerbiinde  im  vorigen  Jahrhundert  zu  ver- 
gleichen) heraus,  welche,  höchstwahrscheinlich  1439 — 10  ge- 
gründet, bis  ins  17  jh.  hinein  in  Treviso  bestanden  hat;  dei 
Schlips  bilden  eine  reibe  auf  die  bruderechafl  bezüglicher  Urkunden. 
voran  geht   eine  ausführliche  Untersuchung,    welche,    mit   einem 


126  SIMO.NSFELU     COLO.NIE    ZU    TREVISO 

überblick  über  die  gescbicbte  Trevisos  beginnend,  die  anderweitigen 
nacbricbten  über  dort  ansässige  Deutsche  zusammenstellt  und  die 
aus  dem  Statut  und  dem  milgliederverzeichnis  sich  ergebenden 
resultate  über  zweck,  tendenz  und  einrichtung  der  Vereinigung, 
ihre  commuuale  Stellung,  herkunft  und  gewerbe  der  mitglieder 
verzeichnet,  das  milgliederverzeichnis,  das  456  namen  aufweist 
(darunter  29  frauen),  nennt  S.  selbst  s.  36  (578)  einen  cultur- 
historisch  interessanten  beleg  für  die  'stärke  des  geographischen 
Verkehrs'  selbst  der  kleineren  deutschen  orte  unter  sich  und  für 
den  'grofsen  Wandertrieb  der  Deutschen',  vertreten  sind  in  dieser 
Trevisaner  colouie  alle  gegenden  Deutschlands,  auch  INiederdeutsch- 
land,  Holland,  Ungarn  und  Siebenbürgen:  das  hauptcontingent 
stellt  jedoch  der  bairisch-österreichische  und  schwäbische  stamm, 
offenbar  bairisch-österreichischen  character  trägt  auch  die  spräche 
des  Statuts,  wie  S.  s.  23  (565)  richtig  hervorhebt. 

Für  den  germanisten  das  meiste  interesse  hat  der  excurs 
'Freidanks  grabmal'  s.  42  —  47  (584  —  589),  der  der  frage  nach 
der  echtheit  jener  von  Hartmann  Schedel  überlieferten ,  zuerst 
Zs.  1,31  von  W Grimm  publicierten  grabschrift  des  spruchdichters 
Freidank  in  Treviso,  anknüpfend  an  einen  im  mitgliederverzeichnis 
erscheinenden  bruder  Lamprecht  Freidank  von  Petrazgabem  (das 
schwerlich  mit  S.  s.  46  (588)  anm.  1  als  Steingaden  aufzufassen 
ist),  von  neuem  nahe  tritt.  S.  kommt  zu  dem  resultat  Grimms 
zurück,  der  bild  und  grabschrift  ins  15 jh.  setzt,  lässt  jedoch 
unentschieden,  ob  beides  damals  neu  angebracht  oder  etwa  nur 
bereits  vorhandenes  renoviert  wurde,  dass  Schedel  würklich  ge- 
sehenes berichtet,  wird  allgemein  zugestanden:  die  grabschrift 
findet  sich  sogar  noch  einmal  in  dem  unmittelbar  nach  dem  Trevi- 
saner aufenthalt  geschriebenen  Orationale  Schedels,  dort  mit  der 
Variante  albeg,  deren  b  für  w  durchaus  zu  der  Orthographie  im 
Statut  der  bruderschaft  stimmt  und  daher  entschieden  den  Vor- 
zug verdient,  allerdings  kann  die  frage,  ob  die  grabschrift  sich 
auf  den  dichter  der  Bescheidenheit  bezieht  und  im  15  jh.  nur 
erneuert  wurde,  auch  jetzt  noch  nicht  sicher  gelöst  werden,  ich 
habe  mich  immer  der  ansieht  zugeneigt,  dass  sie  auf  den  alten 
Freidauk  bezug  hat  und  in  irgend  einer  älteren,  vielleicht  etwas 
abweichenden  form  schon  im  13  jh.  für  diesen  gestiftet  wurde, 
dass  ihre  zweite  zeile  auf  Freidank  176,4  anspielt,  hat  WGrimm 
Über  Freidank  zweiter  nachtrag  4  (Klein,  sehr.  4,  99  f)  richtig 
erkannt  (vgl.  auch  Behaghel  zu  En.  22),  nur  kann  ich  die  an- 
spielung  nicht  'albern'  finden,  gedanklich  und  durch  den  drei- 
fachen reim  ist  das  epitaphium  vollkommen  in  sich  geschlossen 
und  nicht,  wie  Sandvoss  und  Simonsfeld  gewillt  scheinen  anzu- 
nehmen, fragmentarisch  und  noch  der  ergänzung  durch  eine  vierte 
zeile  und  einen  lateinischen  spruch  bedürftig.  —  endlich  fördert 
S.  die  Freidankforschung  noch  durch  den  nachweis,  dass  das  in 
Schedels  besitz  gewesene  exemplar  der  lateinisch-deutschen  'rithmi' 


SIMONSFELD     COLOME    ZU    TREVISO  127 

Freidanks  sich  in  der  Münchener  hof-  und  Staatsbibliothek  be- 
findet: der  text  weicht  von  der  von  Joachim  herausgegebenen 
Görlitzer  hs.  ah  und  verdient  nähere  beachtung. 

Aus  dem  text  des  Statuts,  dessen  spräche  mancherlei  interes- 
santes dialectmaterial  bietet,  habe  ich  mir  folgende  worle  notiert, 
die  im  mhd.  wb.  und  bei  Lexer  fehlen:  behilfig  behulfig  s.  50  (592). 
54(596).  03(605);  vorweseryn  (lat.  advocata)  s.  50  (592);  beyspil 
(im  sinne  von  lat.  exemphm)  s.  58  (600).  67  (609);  vorvater  (lat. 
praedecessor)  s.  65  (607);  wiczung  (lat.  discretio)  s.  69  (611); 
laub  (=  mhd.  urlonp)  s.  70  (612);  schulen  (plur.  zu  Schilling) 
s.  74  (616).  75  (617).  —  s.  58  (600)  anm.  3  wird  unnötig  eine 
lücke  vermutet;  s.  59  (601)  zeile  23  lese  ich  tret  für  tiet  (druck- 
fehler?),  vgl.  s.  56  (598)  zeile  35. 

Jena,  29  Januar  1891.  Albert  Leitzmann. 


Marcus  evangelion  Mart.  Luthers  nach  der  septeniberbibel  mit  den  lesarten 
aller  Originalausgaben  und  proben  aus  den  hochdeutschen  nach- 
drucken des  16  Jahrhunderts  herausgegeben  von  dr  Alexander  Reiffer- 
scheid.  Heilbronn,  gebr.  Henninger,  1SS9.  xi  und  124  ss.  8°.  — 
4,20  m.* 

Der  verf.  will  mit  diesem  buch  dem  academischen  publicum 
ein  hilfsmittel  in  die  band  geben ,  welches  im  anschluss  an  die 
forderungen  der  neuen  Prüfungsordnung  dem  wissenschaftlichen 
Studium  der  nhd.  spräche  auf  den  Universitäten  eine  eiogehendere 
berücksichtigung  ermöglichen  soll,  dieses  Studium  muss  natur- 
gemäfs  von  der  spräche  Luthers  und  seiner  Zeitgenossen  aus- 
gehn.  und  wenn  auch  zb.  die  von  Braune  herausgegebenen 
neudrucke  diesen  bestrebungen  schon  sehr  entgegenkommen,  so 
kann  doch  nicht  geleugnet  werden,  dass  gerade  in  der  bibel- 
übersetzung  Luthers  ein  besonders  wertvolles  material  vorliegt. 
denn  an  den  verschiedensten  orten  und  zu  den  verschiedensten 
Zeiten  gedruckt,  gestattet  die  Lutherbibel  in  bequemer  weise  wie 
kaum  ein  anderes  litteraturdenkmal  nicht  nur  eine  fortwährende 
vergleichung  zwischen  älterer  und  neuerer  sprachstufe,  sondern 
sie  gewährt  auch  einen  einblick  in  den  kämpf  und  den  allmäh- 
lichen  ausgleich  der  verschiedenen  dialecte,  in  denen  die  drucker 
sie  nachdruckten,  zur  einheit  der  Schriftsprache. 

In  gewissem  grade  bietet  allerdings  schon  die  bibelausgabe 
vou  Bindseil  und  Niemeyer  (Halle  1845 — 1855)  eine  derartige 
Übersicht,  indem  sie  den  text  der  ausgäbe  letzter  band  vom 
jähre  1545  zu  gründe  legte  und  die  abweicbuogeo  der  früheren 
texte  hinzufügte,  aber  obwol  die  Herausgeber  die  ausgesprochene 
absieht  hatten,  auch  dem  philologen  das  nötige  material  zu 
geben,  so  saheu  sie  sich  doch  schliefslicb  genötigt,  den  formalen 

*  [vgl.  DLZ  1890  or40  (KBurdach).] 


128  REIFFEHSCHEID    MAUCUSEVANGELION  MAUT.  LUTHERS 

Varianten  eine  gleiche  ausführlichkeit  wie  den  sachlichen  zu  ver- 
sagen, nur  der  apparat  zum  ersten  huch  Mosis  bringt  auch  jene 
in  gröfserem  umfange,  ein  zweifellos  sehr  grofses  material  in 
dieser  beziehung  muss  der  handschriftliche  uachlass  GKFrom- 
manns,  des  im  jähre  1887  verstorbenen  sprachlichen  mitarbeiten 
für  die  herstellung  der  probebibel ,  bieten1;  aber  dieser  schätz  ist 
noch  nicht  gehoben.  da  nun  auch  die  Bindseilsche  ausgäbe 
heute  nicht  mehr  für  jeden  erreichbar  ist,  so  ist  R.s  unter- 
nehmen völlig  gerechtfertigt. 

Was  R.  schon  auf  dem  titelblatt  bemerkt,  dass  er  die  'les- 
arten  aller  Originalausgaben'  bringen  werde,  betont  er  noch- 
mals in  seiner  einleitung  s.  iv.  aber  er  erfüllt  dieses  versprechen 
nicht,  sein  'Verzeichnis  der  verglichenen  Originalausgaben'  um- 
fasst  achtzehn  nummern,  bis  auf  den  als  G  bezeichneten  lauter 
Wittenberger  drucke,  die  entweder  von  den  Lotthers  oder  von 
Hans  Lufft  gedruckt  sind.  G  enthält  zwar  auf  dem  titelblatt  die 
angäbe  Wittemberg,  M.D.XXvij,  aber  angaben  dieser  art  genügen 
bei  den  drucken  jener  zeit  für  eine  bestimmte  localisierung  be- 
kanntlich nicht,  und  in  der  tat  druckt  der  am  ende  angegebene 
Melchior  Sachsse  oder  Sachs  nicht  in  Wittenberg,  sondern  in 
Erfurt.  Weller  weist  im  Repertorium  s.  472  und  im  [i]  Supple- 
ment s.  63  zusammen  sieben  drucke  von  Melchior  Sachse  in 
Erfurt  nach,  von  denen  drei  ausdrücklich  neben  dem  namen  des 
druckers  die  Ortsangabe  Erfurt  im  impressum  tragen,  von  diesen 
drei  drucken  setzt  Weller  den  einen  etwa  in  das  jähr  1521,  die 
beiden  andern  gehören  dem  jähr  1526  an.  weitere  erzeugnisse 
dieser  druckerei,  die  gleichfalls  den  namen  des  druckers  und 
druckortes  nennen,  sind  zb.:  '(Mart.  Luther)  Deutsche  Messe  ..  . 
1526',  'Mart.  Luther  Auslegüg  der  Euangelien  . .  .  1528',  'Mart. 
Luther  Der  Prophet  Sacharja  .  .  .  1528',  'Mart.  Luther  Auslegung 
der  Zehen  gebot  .  .  .  1529',  'Phil.  Melanchthon  Ein  kurtze  Schrifft 
.  .  .  Von  rechter  vergleichung  vnd  friedshantllung  .  .  .  (1541)',  ein 
druck  der  fünf  bücher  Mosis  in  Luthers  Übersetzung  1544.  die 
von  R.  benutzte  ausgäbe  des  neuen  testaments  ist  1527/28  ge- 
druckt, gehört  also  zweifellos  ebenfalls  nach  Erfurt,  übrigens 
konnte  R.  dieses  resultat  bereits  aus  Bindseils  ausführungen  in 
dessen  einleitung  zum  6  teile  der  Rindseil -Niemeyerschen  bibel- 
ausgabe  entnehmen,  auf  die  er  in  anderer  beziehung  gerade  bei 
diesem  druck  ausdrücklich  verweist,  und  wenn  Rindseil  würk- 
lich  seine  Erfurter  ausgäbe  noch  im  siebenten  teile  der  bibel- 
ausgabe  zur  vergleichung  heranzog,  weil  er  'sie  als  stellvertreterin 

1  vgl.  RvRaumer  in  der  einleitung  zu  den  Vorschlägen  zur  revision 
von  dr  Martin  Luthers  Bibelübersetzung.  2  heft  (Halle  1862)  s.  8;  ferner 
WVogt  in  den  Mitteilungen  des  Vereins  für  die  geschiente  der  Stadt  Nürn- 
berg, vii  heft  (Nürnb.  1888)  s.  14  f,  auch  separat  erschienen  u.d.t.  Dr  Georg 
Karl  Frommann.  ein  wort  der  erinnerung  (Nürnb.  188S)  und  dazu  die  Zu- 
sammenstellung von  Zeugnissen  über  Frommanns  hergehörige  sprachliche 
arbeiten  in  der  Zs.  f.  d.  ph.20,42f. 


REIFFERSCHEID    MARCISEVA.NGELIO.N   MAUT.  LUTHERS  129 

der  fehlenden  Wittenberger  ausgäbe  von  1527'  betrachtete  und 
die  vergleichung  schon  deshalb  für  zulässig  hielt,  'weil  die  Ortho- 
graphie der  Erfurter  ausgaben  mit  der  der  Witteuberger  über- 
einstimmt' (B.-N.  vi  s.  xm),  so  durfte  dies  für  R.  noch  lange 
kein  grund  sein,  den  Erfurter  druck  ohne  weiteres  als  original- 
druck zu  betrachten  und  zu  behandeln,  von  den  übrigen  sieb- 
zehn 'Originalausgaben'  R.s  sind  vierzehn  einzelausgaben  des  neuen 
testaments,  die  drei  übrigen  nur  bestandteile  von  ausgaben  der 
ganzen  bibel.  die  ersteren  vierzehn  identifiziert  R.  durch  hinweis 
auf  die  entsprechenden  Signaturen  in  Bindseils  eiuleitung  zum 
6  teil  seiner  bibelausgabe.  die  von  Bindseil  aufserdem  noch  auf- 
geführten selbständigen  originaldrucke  des  neuen  testaments  hat 
dieser  bis  auf  einen  (Bindseil  e  17),  von  welchem  gerade  das 
impressum  mit  der  angäbe  des  druckers  fehlte,  selber  nicht  in 
bänden  gehabt,  sondern  nur  auf  bestimmende  gründe  hin  als 
existierend  angenommen ;  diese  drucke  sind  daher  von  R.  nicht 
mit  aufgezählt,  für  die  andern  drei  ausgaben,  in  denen  das 
neue  testament  nur  als  teil  der  ganzen  bibel  auftritt,  hat  R.  die 
identificierung  mit  den  bei  Bindseil  angegebeneu  drucken  nicht 
versucht,  obgleich  Bindseil  sowol  in  der  einleitung  zum  1  teile 
als  später  genauer  in  der  zum  7  teil  eine  ausfübrliche  über- 
sieht der  ihm  bekannten  originaldrucke  der  ganzen  bibel  ge- 
geben hat.  darnach  ist  der  von  R.  mit  0  bezeichnete  druck 
gleich  Biudseils  F,  R.s  R  gleich  Rindseils  K.  R.s  P  stimmt  im 
zweiten  teil  bis  auf  den  punet  hinter  Wtttemberg  im  schluss- 
impressum  zu  Rindseils  G,  die  angaben  über  den  ersten  teil  sind 
dagegen  verschieden,  dennoch  hat  auch  schon  Rindseil  das  jetzt 
von  R.  beschriebene  exemplar  im  äuge  gehabt,  da  er  in  seinen 
Ausführungen ,  teil  vh  s.  xx,  ausdrücklich  auf  zwei  in  der  Stral- 
sunder ratsbibliothek  befindliche  exemplare  hinweist,  deren  existenz 
er  dem  catalog  dieser  bibliothek  (•Alphabetisches  Verzeichnis  der 
in  der  ratsbibliothek  zu  Stralsund  befindlichen  bücher.  Stral- 
sund 1829'  s.  43)  entnahm,  in  dem  handexemplar  von  seinem 
'Verzeichnis  der  original-ausgaben  der  Lutherischen  Übersetzung 
sowol  der  ganzen  bibel,  als  auch  grüfserer  und  kleinerer  teile, 
Halle  1841',  welches  sich  auf  der  königl.  bibliothek  zu  Berlin 
befindet  und  eine  grofse  menge  von  verbessernden  und  ergänzenden 
Zusätzen  enthält,  hat  er  ausdrücklich  die  auch  von  R.  als  A  10 
gegebene  Signatur  des  Stralsuuder  exemplars  als  A0  (=  fol.)  10 
angemerkt,  aufser  diesen  drei  drucken  führt  Bindseil  aao.  teil  vh 
einleitung  s.  u  ff  noch  acht  andere  vollständige  bibelausgaben  an, 
von  denen  er  nur  eine  (G*)  nicht  vollständig ,  von  dieser  jedoch 
gerade  den  zweiten  teil  mit  dem  neuen  testament,  in  bänden 
gehabt  hat.  diese  acht  ausgaben,  Bäramtlich  von  Lullt  in  Wit- 
tenberg gedruckt,  haben  aber  dasselbe  recht  als  Originalaus- 
gaben betrachtet  zu  werden,  wie  die  drei  von  R.  sub  OPR  be- 
schriebenen drucke,  indessen  war  es  auch  ohne  dein  ganz  und 
A.  F.  D.  A.     XVI.  .1 


130  P.EIFFFRSCHEID    MARCUSEVANGELION  MART.  LUTHERS 

gar  nicht  gerechtfertigt,  dass  R.  sich  auf  diese  in  den  jähren 
1545 — 55  gemachten  angaben  Bindseüs,  und  noch  dazu  nur  für 
die  selbständigen  drucke  des  neuen  testaraents  beschränkte;  denn 
was  Bindseil  an  Originalausgaben  der  bibel  in  händen  gehabt 
hat,  ist  bei  weitem  nicht  alles  vorhandene,  wie  dies  die  biblio- 
graphische einleitung  zu  der  von  PPietsch  für  die  kritische  ge- 
sammtausgabe  von  Luthers  werken  vorbereiteten  ausgäbe  der 
bibel  zeigen  wird,  in  die  der  herausgeber  freundlichst  einen  ein- 
blick  gestattete,  von  einer  berücksichtigung  'aller  Originalaus- 
gaben' durch  R.  kann  also  nicht  entfernt  die  rede  sein. 

Über  seinen  abdruck  bemerkt  R.  s.  iv,  derselbe  folge  'aufs 
genauste  der  Septemberbibel,  sodass  selbst  die  Zeilen  einander 
genau  entsprechen.'  auch  die  initialen  sind  nachgebildet,  sowie 
die  zwei  verschiedenen  formen  des  r,  die  aus  dem  handschrift- 
lichen gebrauch  früherer  zeit  auch  in  die  druckerzeugnisse  über- 
gegangen waren,  in  ihrem  Wechsel  genau  widergegebeu.  R. 
geht  in  seiner  genauigkeit  sogar  soweit,  dass  er  ganz  offenbare 
druckversehen  in  seinem  abdruck  nachbildet,  wie  zb.  s.  27,  36  — 
ich  citiere  im  folgenden,  wenn  nicht  anders  angegeben,  stets 
Seitenzahl  und  capitelzeile  nach  R.  —  hvtte  st.  hatte,  25,  6 
f  eyner  st.  feyner,  85,  37  mit  yhnwerden  st.  mit  yhn  werden  uä. ; 
die  Verbesserung  derselben  im  nächsten  druck  nimmt  er  dann 
in  den  varianteuapparat  auf.  R.  ist  sich  bewust,  dass  er  so  die 
forderungen  schärfster  philologischer  akribie  erfüllt,  aber  er 
fordert  damit  eine  gleiche  akribie  der  kritik  heraus,  hierbei 
kann  daher,  um  den  gröfseren  oder  geringeren  wert  von  R.s 
genauigkeit  zu  bestimmen ,  leider  nicht  umgangen  werden ,  dem 
leser  zu  einem  guten  teil  rein  typographische  fragen  aufzutischen, 
abweichend  von  der  vorläge  sind  nur  gewisse  siegel,  die  dem 
typenschatze  der  druckerei  fehlten  (s.  iv),  aufgelöst,  der  schräge 
interpunctionsstrich  ist  durch  das  komma  ersetzt,  randglossen, 
custoden ,  Signaturen  sind  fortgelassen,  im  allgemeinen  verdient 
die  Sorgfalt  des  herausgebers  volle  anerkennung.  gröbere  ver- 
sehen kommen  nicht  vor.  von  kleinigkeiteu  erwähne  ich  etwa 
7,  72  ydermann  st.  yderman,  29,  60  vnd  st.  vnnd,  5,  45  tagloner 
st.  tag  loner,  12,  8  erfahe  st.  er  fahe,  das  falsche  r-zeichen  33,28 
Höret,  82,  60  rhor  uö. 

Eine  gerade  bei  seiner  genauigkeit  auffällige  principlosigkeit 
zeigt  R.  dagegen  in  dem  druck  der  ligaturen ,  indem  er  entweder 
in  dem  Lottherschen  druck  der  Septemberbibel  —  wenigstens 
für  das  äuge  —  vorhandene  ligaturen  nicht  als  solche  widergibt, 
oder  aber  bei  Lotther  getrennt  stehende  consonanten  als  ligatur 
druckt,  zunächst  ein  wort  über  letzteren  fall.  Lotther  druckt 
stets  c  -f-  h  getrennt,  R.  ausnahmslos  ch  als  ligatur;  genau  so 
druckt  Lotther  stets  c  -+-  k,  R.  jedoch  besonders  am  anfang  (vgl. 
4,  19.  20.  21.  5,  48.  6,  65  usw.)  ck  als  ligatur,  und  erst  später, 
zuerst   12,  14,  dann  aber  principiell  von  18,  35  an  c  -j-  k;  ver- 


REIFFERSCHFJD    MARCDSEVANGELIOIS  MART.  LUTHERS  131 

einzeltes  ck  noch  59,  21.  ferner  ist  /  -f-  l  bei  Lotther  nie  ligatur; 
hier  ist  R.  ganz  regellos,  indem  er  es  bald  als  ligatur  bald  ge- 
trennt druckt,  häutig  in  unmittelbarster  nähe;  vgl.  zb.  für  die 
ligatur  3,  16.  4,  29.  5,  39.  6,  58.  7,  75.  77  usw.,  für  den  ge- 
trennten druck  4,  24.  5,  35.  6,  50.  56.  65.  7,  75.  10,  45,  dann 
wider  63,  86.  88.  71,  40.  79,  24  usw.  für  t  +  z,  bei  Lotther 
gleichfalls  nie  ligatur,  druckt  auch  R.  nur  ganz  vereinzelt  (9,23. 
16,  11.  28,46)  die  ligatur,  sonst  stets  t  +  z.  umgekehrt  gibt 
R.  die  Lottherschen  ligaturen,  soweit  dieselben  für  den  neudruck 
zu  geböte  standen,  nicht  immer  als  solche  wider,  von  dem  ver- 
einzelten fall  1.3,  18,  wo  R.  f -\- fl  st.  ff  +1  hat,  will  ich  ab- 
sehen, obwol  ein.  zweifei  hier  nicht  obwalten  kann,  da  R.  sonst 
die  ligaturen  ff  und  fl  gewahrt  hat.  inconsequenz  tritt  aber  hervor 
bei  der  widergabe  der  Lottherschen  ligatur  ff,  indem  R.  17,  15 
und  18,37  f-\-fi  druckt  st.  ff-\-i,  und  weiter  /' +  f  +  z 
(10,  32.  45.  11,  56.  15,  55)  neben  dem  richtigen  ff  -\-  z  (3,  13. 
4,  19.  22,  15.  25  usw.);  auch  die  Lotthersche  ligatur  ft  findet 
sich  bei  R.  sicher  als  f-\-t  3,  10  und  28,  41.  unleugbar  ver- 
leiht diese  principlosigkeit  für  ein  typographisch  geschultes  äuge 
dem  neudruck  ein  buntscheckiges  aussehen ,  welches  das  original 
nicht  bietet. 

Für  die  controle  der  von  R.  gebotenen  Varianten  habe  ich 
mich  im  allgemeinen  auf  eine  eingehende  vergleichung  der  ersten 
sechs  und  des  letzten  capitels  von  A,  der  decemberausgabe  vom 
jähre  1522,  und  R,  der  folioausgabe  vom  jähre  1524,  beschränkt. 
R.  vergleicht  jede  der  von  ihm  benutzten  Originalausgaben  in 
peinlichster  weise,  sodass  selbst  die  druckfehler  aufnähme  finden, 
mit  dem  texte  der  zunächst  vorhergehenden  ausgäbe,  also  A  mit 
dem  texte  der  septemberbibel  —  übrigens  mit  dem  original,  nicht 
mit  seinem  nachdruck  — ,  R  mit  A,  C  mit  R  usw.  diese  methode 
hat  zweifellos  den  nachteil,  dass  ein  einmal  durchgeschlüpftes 
versehen  so  lange  für  alle  ausgaben  bestehu  bleibt,  bis  in  einer 
endlich  eine  Änderung  eintritt,  hierfür  mögen  wenige  beispiele 
genügen.  R.  druckt  in  seinem  text  der  septemberbibel  —  ich 
werde  das  original  mit  S  bezeichnen  —  7,  72  fälschlich  yder- 
mann  st.  yderman;  da  er  nun  den  text  von  A  nur  mit  dein 
original  S  vergleicht,  und  A  ebenfalls  yderman  bietet,  so  fällt 
dieses  versehen  nicht  auf;  es  bleibt  weiter  auch  für  R  bestehen, 
welches  ebenfalls  ydernuni  hat  usf.,  bis  endlich  F  die  Variante 
Yderman  bietet,  und  damit  der  fehler  aus  den  Varianten  beseitigt 
ist.  nach  R.  also  haben  SABCC'DE  ydermann;  das  ist  aber  nicht 
der  fall.  23,  33  bietet  R.  das  wort  Jefus  genau  nach  S;  aber 
schon  A  druckt  Jhefus,  und  ebenso  R.  da  nun  R.  die  Variante 
bei  der  vergleichung  von  A  mit  S  übersehen  hat  ,  so  bleibt  die 
Schreibung  Jefus  nach  R.s  apparat  für  ABCC'D  bestehn;  erst 
in  den  Varianten  von  E  kommt  zu  21,  1<>  die  ootiz  'Je/um  so 
immer  ohne  h\     19,55  hat  S  reych ;   A  ändert    an  dieser  stelle 


132  REIEFERSCHEID    MARCÜSEVANGELFON  MART.  LUTHERS 

die  Wortstellung,  was  auch  die  Varianten  anmerken,  hierbei 
aber  druckt  R.  aus  versehen  reich,  obwol  auch  A  und  B  reych 
bieten;  diese  falsche  Schreibung  bleibt  nun  unverbessert,  bis 
F  zu  17,  19  mit  der  würklichen  Schreibung  reich  den  irrtum 
ausmerzt. 

Eine  Vereinfachung  in  der  varianteuangabe  führt  R.  dadurch 
herbei,  dass,  wenn  eine  bei  der  vergleichung  eintretende  ab- 
weichung  ihm  lediglich  als  druckversehen  erscheint,  er  dieselbe 
zwar  im  apparat  anmerkt,  sie  jedoch  einklammert  und  im  weiteren 
nicht  als  würkliche  Variante  berücksichtigt,  dieses  verfahren  ist 
völlig  gerechtfertigt;  es  hätten  dann  aber  auch  fälle  wie  25,  70 
verdolmetfch  B,  16,  3  mnfte  G  st.  muß  F  —  S  (H  hat  wider  muß) 
und  9,  20  ßebe  B  st.  ßand  AS  (C  hat  ßehe)  ebenso  behandelt 
werden  könoen. 

Eigenartig  ist  R.s  verhalten  gegenüber  der  abkürzung  dz 
für  das.  da  dieses  Siegel  keine  typographischen  Schwierigkeiten 
verursachte,  so  wurde  es  in  dem  abdruck  beibehalten  und  nunmehr 
in  den  Varianten  gewissenhaft  registriert,  wann  im  nächsten  druck 
dafür  die  volle  Schreibung  das  eintrat ,  zb.  17,  19  A,  24,  52(2)  A, 

30,  91 B;  dagegen  bleibt  das  umgekehrte  unberücksichtigt,  vgl. 
zb.  6,  56(1).  7,  81.  9,  22.  19,  57(2)  uö.,  wo  A  statt  des  das  des 
abdruckes  stets  dz  hat.  allerdings  setzt  B  an  allen  diesen  stellen 
wider  das  ein,  aber  wir  bleiben  über  den  inzwischen  statt- 
gehabten Wechsel  ununterrichtet. 

Weiter  führt  R.  in  den  Varianten  die  unterschiede  der  aus- 
gaben in  der  typographischen  zusammenrückung  oder  trennuug 
mehrteiliger  Wörter  an,  wie  zb.  11,  51  erdurch  A  st.  er  durch; 
9,  22  hyn  aus  A  st.  hynaus.  an  übersehungen  habe  ich  in  dieser 
beziehung    nur   bemerkt    17,  20    widderferet   A    st.   widder  feret, 

31,  104  vmbligende  A  st.  vmb  ligende;  umgekehrt  beruht  8,  3 
die  var.  alsbald  B  st.  als  bald  auf  versehen,  aber  R.  geht  noch 
einen  schritt  weiter,  indem  er  auch  solche  fälle  als  trennungen 
notiert,  wo  im  einen  text  der  erste  teil  eines  derartigen  wortes 
am  ende  der  einen  zeile  steht,  ohne  durch  die  stricheichen  mit 
dem  am  anfang  der  nächsten  zeile  stehenden  zweiten  teile  ver- 
bunden zu  sein,  während  das  betreffende  wort  in  dem  verglichenen 
druck  zusammengerückt  in  einer  zeile  steht,  so  zb.  —  ich  be- 
zeichne, was  R.  unterlässt,  das  ende  der  zeile  durch  zwei  senk- 
rechte striche  —  25,  68  hyneyn  A  st.  hyn  \\  eyn,  umgekehrt 
24,  50  auß  ||  gangen  A  st.  außgangen  usw.  abgesehen  davon, 
dass  R.  seine  beobachtungen  auch  in  dieser  beziehung  nicht  coo- 
sequent  durchführt1,  so  sind  diese  Varianten  als  solche  unbe- 
rechtigt; denn  das  fehlen  der  verbinduugsstrichelcheu  ist  in 
jenen  drucken    absolut   kein  beweis  für  die  trennuug;    vgl.  fälle 

1  es  fehlen  zb.  28,  50  hynaus  A  st.  hyn  \\  aus,  27,  31  auffer  |]  ftanden 
A  st.  auffer  ftanden;  vgl.  auch  die  bei  R.  fehlenden  10,32  war  ||  umb  A 
st.  war=  ||  umb,  27,  31   auffer  =  ||  ftanden  B  st.  auffer  ||  ftanden. 


REIFFERsCHEJI)    MARCUSEVAISGELION  MART.  LUTHERS  135 

wie  zb.  10,30  nachfoU  ||  geten  A  neben  nachfol  \\  gelen  S,  13,  18 
hieU  ||  ten  A  neben  hiel  \\  ten  S,  umgekehrt  10,  39  Jhe  \\  fus  A 
neben  Jhe*  \\  fus  S  usw.,  fälle,  die  auch  R.  nicht  als  Varianten 
betrachtet;  und  selbst  abbrechungen  wie  8,  84  ru  ||  chtbar,  9,  12 
geda  \\  chten,  11,  48  fchleu  ||  ch,  17,  17  gley  ||  chniffe  usw.  sind  in 
R.s  abdruck  so  wenig  als  sonst  in  den  drucken  jener  zeit  irgendwie 
auffällig,  ein  pendant  zu  dem  schon  oben  erwähuten  druck  ver- 
sehen 85,  37  yhnwerden  S,  wofür  in  den  Varianten  von  A  ge- 
treulich yhn  werden  registriert  wird,  hat  R.  übersehen;  sonst 
hätte  er  für  14,  40  yn  gleychniffen  die  var.  von  A  yngleychniffen 
wenigstens  in  runden  klammern  gleich  andern  offenbaren  druck- 
versehen anführen  müssen;  vgl.  für  den  vorliegenden  fall  be- 
sonders 19,  55  '(erfp  räch)'  D  st.  er  fprach. 

Au  versehen  in  dem  Variantenapparat  von  A  sind  mir  aufser 
den  bereits  angeführten  noch  folgende  aufgefallen:  zu  24,  65 
1.  hyneyn  st.  hynein;  zu  26,  14  fehlt  die  var.  (vud)  st.  vnnd  (1);  zu 
6,  60  hat  A  deutlich  fchwij  ||  ger,  was  R.  durch  '(fchwi,ger)' 
hätte  widergeben  müssen,  st.  fchwiger  S;  zu  5,  35  1.  ift  st.  ist; 
zu  18,  44  ist  mit  st.  Mut  als  var.  widerholt,  trotzdem  sie  schon 
zu  17,  21  aufgeführt  war;  sie  gehört  nach  R.s  princip  nur  zu 
18,  44,  da  sonst  bei  verschiedener  Schreibung  eines  wortes  in 
demselben  capitel  von  S  eine  Zusammenfassung  der  gleichen  Va- 
rianten für  verschiedene  stellen  nicht  stattfindet;  vgl.  zb.  cap.  6 
die  var.  brod  st.  brot  zu  26,  20.  (30),  74.  77.  78  und  nochmals 
besonders  brod  st.  brott  30,  82.  84. 

Aus  der  vergleichung  von  B  und  A  haben  sich  mir  für  die 
verglichenen  capitel  folgende  nachtrage  zu  R.  ergeben:  16,  14 
streicht  B  das  komma  nach  frucht;  29,  67  setzt  R  komma  nach 
yhn;  23,  32  setzt  B  punct  mit  folgender  majuskel  auch  nach  hat; 
zu  16,  4  1.  auf  ß  st.  auff(2);  zu  29,  59  1.  meydlin  ß  st.  meyd- 
lyn  (1);  zu  31,  98  1.  trat  B  st.  tratt;  zu  83,  5  1.  Sabbather  B  st. 
fabbather;  zu  5,  35  Lift  st.  ist,  wie  schon  in  den  Varianten  von 
A;  in  der  zeile  7,  77  würden  nach  den  Variantenangaben  aus  A 
und  B  in  ß  zwei  kommata  nach  wiltu  stehn ,  es  steht  aber 
nur  eins1,  dasselbe  recht  wie  das  oben  erwähnte  '(erfp  räch)' 
hat  ba  Id  7,  79  B  st.  bald;  hatmich  24,  52  ß  st.  hat  mich. 

Im  anschluss  an  diese  erorterungen  sei  noch  ein  wort  pro 
domo  gestattet,  als  beweis  für  seine  behauptung  auf  s.  iv,  dass 
der  abdruck  'aufs  genauste'  der  Septemberbibel  folge,  fuhrt  R. 
in  einer  eigens  hierzu  gegebenen  anm.  aus,  dass  im  .Marcus- 
evangelium an  zwei  stellen,  in  den  wortern  für  und  miujlich, 
sich  ein  ü  statt  eines  u  linde,  dieses  ü  zeige  sich  auch  sonst 
noch    in  S,  und  zwar   zur  bezeichnung  des  umlauts  (7  beispiele 

1  das  richtige  resultat  würde  sich  mit  voller  Sicherheit  ergeben,  wenn 
die  interpunctionsvariante  von  B  zu  dieser  stelle  gestrichen,  toilltu  du  A 
als  reines  druckversehen  in  klammern  gesetzt  und  die  Lesart  m»n  H  dareh 
willt  du]  iviltu   angezeigt  würde. 


134  REIFFERSCHEID    MARCUSEVANGELION  MART.  LUTHERS 

ohne  belege),  im  eü  (3  bei  spiele  ohne  beleg),  und  aus  versehen 
in  Wörtern  wie  'haüs,  Hierüfalem ,  thiin  ua.'  (ohne  beleg).  R. 
lügt  hinzu,  dass  der  von  Seherer  1883  herausgegebene,  auf  mecha- 
nischem wege  hergestellte  neudruck  der  Septemberbibel  diese 
puncte  über  dem  ü  nicht  widergebe,  und  dass  daher  ich,  der 
ich  zu  meiner  diss.  Die  spräche  Luthers  in  der  Septemberbibel  [i] 
(Halle  1887)  nur  den  Schererschen  neudruck  benutzt  habe,  'mit 
unrecht  vom  gänzlichen  maugel  eines  umlautzeichens  für  u  in 
der  Septemberbibel'  rede. 

Hierzu  erlaube  ich  mir  folgendes  zu  bemerken: 

1.  es  ist  richtig,  dass  an  den  beiden  von  R.  angeführten 
stellen  des  Marcusevangeliums  sich  eine  w-type  findet,  die  über 
den  beiden  grundstrichen  je  ein  winzig  kleines  pünctchen  auf- 
weist, aber  abgesehen  von  der  hochgradigen  Seltenheit  ihres  Vor- 
kommens sind  diese  pünctchen  im  Verhältnis  zu  den  schönen 
kräftigen  lettern,  mit  denen  S  gedruckt  ist,  viel  zu  minimal,  als 
dass  man  sie  für  beabsichtigt  halten  könnte,  man  wird  diese 
type  vielmehr  als  ein  mangelhaft  geschnittenes  u  betrachten,  wie 
sich  das  aus  ähnlichen  fällen  in  den  Wörtern  tuch  10,  44,  grünet 
19,  5U,  muhe  flu  24,  59  ergibt,  die  R.  mit  demselben  rechte 
durch  ü  hätte  widergeben  müssen  ,  weiterhin  auch  aus  Wörtern 
wie  Dauid  63,  78,  zu  78,  6  ua. 

2.  aber  würklich  den  fall  gesetzt,  es  läge  hier  eine  be- 
sondere type  vor,  so  könnte  sie  doch  nicht  als  beweis  für  die 
umlautsbezeichnung  augesehen  werden,  da  sie,  wie  R.  selbst 
s.  iv  angibt,  auch  in  den  Wörtern  haus,  Hierufalem ,  thun  'ua.' 
sich  findet,  wozu  aus  den  von  mir  aufgeführten  belegen  zweiten 
langes  noch  tuch,  Dauid,  zu,  auch  ein  auff  Ap.-gesch.  24  abs.  6 
treten,  entscheidend  wird  eine  umlautsbezeichnung  durch  die 
tatsache  ausgeschlossen,  dass  die  officin  Melchior  Lotthers  in 
Wittenberg,   soweit   mir   deren    Lutherdrucke   bekannt  sind,   bis 

1522  einschliefslich  noch  gar  keine  umlautszeicheu  anwendet-; 
selbst   die  Decemberbibel    v.  j.   1522   zeigt  sie  noch  nicht,     erst 

1523  fängt  die  genannte  druckerei  an,  den  umlaut  zu  bezeichnen, 
und  zwar  stets  mit  einem  dem  o,  u  übergesetzten,  (heraldisch) 
nach  links  offenen,  c- förmigen  bogen,  der  als  ersatz  des  von 
andern  drucken  gebrauchten  e  dient,  da  nun  auch  in  späteren 
drucken  dieser  officin,  soweit  ich  sie  kenne,  nie  zwei  puncte  als 
umlautbezeichnung  Verwendung  finden  —  R.s  Varianten  geben 
allerdings  6  und  u  stets  durch  ö,  ü  wider,  letzteres  auch  dann, 
wenn  in  dem  gleichen  druck  u  und  ü  in  bestimmter  Unterschei- 
dung neben  einander  vorkommen,  vgl.  unten  s.  52  — ,  so  glaube 
ich,  müssen  wir  sie  auch  für  die  Septemberbibel  in  dieser  be- 
deutung  als  ausgeschlossen  betrachten.  auch  KvBahder  sagt 
in  seinen  Grundlagen  des  nhd.  lautsystems  (Strafsb.  1890)  s.  57: 
'der  umlaut  des  u,  o  bleibt  im  n.  t.  von  1522  noch  ganz  un- 
bezeichnet'. 


KEIFFERSCHEID    MARCUSEVANGELION  MAßT.  LUTHERS  135 

3.  soweit  ich  sehe,  folgert  R.  lediglich  aus  dieser  meiner 
einen  äufserung  über  die  frage  der  umlautsbezeichnung  in  S, 
dass  ich  zu  meiner  damaligen  arbeit  nur  den  Schererschen  nach- 
druck  in  händen  gehabt  habe,  ich  betrachte  es  als  ein  com- 
pliment,  dass  R.  mir  bei  einer  benutzung  des  Originals  das  über- 
sehen jeuer  microscopischen  pünctchen  nicht  zugetraut  hätte;  er 
selbst  hat  trotz  aller  seiner  geuauigkeit  tatsächlich  übersehen, 
dass  jene  type  in  ebenso  klar  ausgeprägter  form,  wie  iu  seinen 
beiden  beispieleu,  sich  auch  noch  in  dem  worte  euch  65,  25 
findet,  indessen  muss  ich  gestehn,  dass  ich  aufser  dem  neudruck 
würklich  auch  das  original  benutzt  habe,  was  ich  R.  personlich 
nachzuweisen  gern  bereit  bin.  aber  wenn  auch  die  techuik  der 
reproduction  sich  in  den  letzten  jähren  wesentlich  vervollkommnet 
hat,  so  bin  ich  doch  auch  heute  noch  der  meinung,  dass  jener 
neudruck  der  Septemberbibel,  der  in  der  reichsdruckerei  hergestellt 
ist  und  durch  dessen  herausgäbe  die  Grotesche  Verlagsbuchhand- 
lung in  Berlin  sich  ein  grofses  verdienst  erworben  hat,  für  sprach- 
lich-wissenschaftliche arbeiten  allen  anforderungen  genügt. 

Weiter  druckt  R.  auf  s.  87 — 117  das  erste  capitel  aus  dem 
Marcusevangelium  nach  einer  reihe  von  hd.  nachdrucken  aus  den 
jahren  1522—1557  ab,  und  zwar  in  lateinischen  statt  der  in 
den  originalen  angewendeten  deutschen  typen,  von  diesen  ab- 
drücken habe  ich  nr  1  und  nr  9  mit  den  originalen  verglichen. 
nr  1  ist  abgedruckt  aus  einer  ausgäbe  von  Adam  Petri,  Basel  1522, 
welche,  ohne  titelblatt,  auf  der  gräflich  Stolbergischen  bibliothek 
zu  Wernigerode  aufbewahrt  wird,  der  abdruck  ist  bis  auf  eine 
principielle  änderung  R.s  fehlerlos;  diese  aber  ist  nicht  gerecht- 
fertigt. Petri  unterscheidet  nämlich  fast  ausnahmslos  u  (mhd. 
u,  u)  und  u  (mhd.  uo) ,  sowie  ü  (mhd.  ü)  und  u  (mhd.  üe)  — 
das  e  über  dem  u  ist  allerdings  mehr  nur  ein  c- förmiger  offener 
bogen  —  zb.  fun  \.  20.  35,  funden  63,  du  43.  44  uo.,  Jefus  16.  25 
uo.,  fände  9,  erfüllet  26,  über  39.  75,  thür  58,  fürbaß  34,  euch 
14.  15  uo.,  teüffel  59.  67,  bedreüivet  72,  neben  büß  7,  fchuch  14, 
brüder  30,  zu  7.  42.  43  usw.,  wufle  62,  wuften  4.  6  uö., 
ruffende  4,  auch  rumen  (corrigiam)  14.  dass  hier  eine  ganz 
bewuste  Unterscheidung  vorliegt,  lässt  ein  flüchtiger  blick  er- 
kennen, aber  R.  gibt  sowol  u  als  ü  durch  u,  sowol  ü  als  n 
durch  ü  wider  und  verwischt  damit  ein  characteristiscb.es  merkmal 
der  vorläge,  wenn  R.  das  nur  ein  paar  mal  vorkommende  u  durch 
ö  und  a  durch  ä  widergibt,  so  mag  das  gelten;  die  Vernach- 
lässigung der  oben  angeführten  unterschiede  in  der  vorläge  würde 
nicht  einmal  dadurch  genügend  entschuldigt  werden,  dass  der 
druckerei  die  sondertypen  gefehlt  hätten ;  zum  allerwenigsten 
aber  hätte  eine  besondere  ootiz  über  diese  dinge  gemacht  werden 
müssen,  um  nicht  den  leser  des  abdruckes  irre  zu  führen,  ähn- 
lich verhält  es  sich  mit  nr  9,  dem  druck  {\c*  n.  I.  von  Friderich 


136  REIFFERSCHEID    MARCUSEVAISGELIO.N  MARX.  LUTHERS 

Peypus,  Nürnberg  1524.  doch  beschränkt  sich  die  Unterscheidung 
hier  auf  ü  und  u,  jenes  in  Wörtern  wie  fünde.  9,  gürttel  11, 
erfüllet  27  ua.,  dieses  in  ru  ff  ende  4,  wufte  62,  ruret  70  ua., 
aber  auch  in  zufamen  36,  züfchaffen  42,  zuuerderben  43,  auß- 
zubringen  76;  Schwankungen  zeigen  für  (praep.)  47  neben 
für  68.  74  und  fürbaß  34,  über  39  neben  über  75,  auch  findet 
sich  thur  58,  Jüdifch  8.  auch  hier  liegt  offenbar  trotz  der  ver- 
einzelten Unsicherheiten  eine  beabsichtigte  Scheidung  vor,  über 
die  R.  sich  wider,  ohne  ein  wort  zu  sagen,  hinwegsetzt,  indem 
er  ü  und  u  durch  ü  widergibt,  im  übrigen  muss  es  in  diesem 
abdruck  heifsen  gefchriben  st.  geschriben  2,  und  das  komma  nach 
fun  20  gestrichen  werden. 

Zum  schluss  gibt  R.  auf  s.  118  — 124  noch  eine  höchst 
dankenswerte  Zusammenstellung  der  abweichungen  im  Wortschatz 
der  vier  evangelien ,  soweit  diese  bei  einer  vergleichung  der 
September-,  resp.  der  Decemberbibel  mit  den  nachdrucken  1  — 12 
sich  ergaben. 

Berlin,  im  august  1890.  Johannes  Luther. 


Gotthold  Ephraim  Lessings  sämmtliche  Schriften,  herausgegeben  von  Karl 
Lachmann,  dritte,  aufs  neue  durchgesehene  und  vermehrte  aufläge, 
besorgt  durch  Franz  Muncker.  1 — 6  band.  Stuttgart,  GJGöschensche 
Verlagshandlung  1886—1890.     gr.  8°.  —  jeder  band  4,50  m. 

Die  weit  über  Lessing  hinausreichenden  Verdienste  der  Lach- 
mannschen  ausgäbe  darzutun  ist  heute  ebenso  unnötig,  als  die 
schwächen  seines  nachfolgers  Maltzahn ,  der  zwar  einiges  nachge- 
tragen, aber  den  neudruck  ohne  akribie,  partienweise  sogar  mit  arger 
Unwissenheit  in  fremden  sprachen  und  litteraturen  besorgt  hat,  noch- 
mals aufzudecken,  die  Hempelsche  ausgäbe  brachte  nach  fünf 
wertlosen  bänden,  die  sammt  dem  siebenten  eingestampft  und 
würdig  ersetzt  werden  sollten,  einen  trefflichen  sechsten,  sank 
von  dieser  höhe  zu  Zimmermanns  elender  edition  der  Ham- 
burgischen dramaturgie  herab,  gewann  aber  dank  Schöne  und 
Redlich  vom  achten  an  eine  sichere  haltung,  die  ihr  trotz  einigen 
gebrechen  bis  zum  glorreichen  abschluss  durch  die  correspondenz 
verblieb,  sie  ist  uns  unentbehrlich,  obwol  ihre  auordnung  nicht 
eben  bequem  genannt  werden  kann  und  man  Lessings  Ortho- 
graphie vermisst;  auch  für  den  text  ward  hier  neben  der  er- 
lauterung  manche  emendation  geschaffen.  Maltzahn  freilich  hatte 
nicht  wissen  können,  dass  ein  auch  von  Lachmanns  kritischem 
äuge  übersehener  Oplet  in  einen  correcten  Optat  zu  verwandeln 
sei,  und  wo  der  grofse  philolog  ein  wenig  ausgespannt  (man 
sehe  zb.  die  druckfehler    der  Theatralischen  bibliothek)  oder  das 


LESSLNGS     SCHR1FTE.N    I  —  VI    ED.    Ml.NCKER  13" 

malerial  an  drucken  und  manuscripten  ungenügend  aufgeboten 
hatte,  war  in  der  zweiten  ausgäbe  keine  irgend  zulängliche  ab- 
hilfe  zu  finden,  wir  wollen  sogleich  erklären,  dass  Muncker  mit 
treuer  hingebung  und  einer  Sorgfalt,  die  er  seinen  Bremer  bei- 
trägern  nicht  im  gleichen  mafse  vergönnt  hat,  in  Lachmanns  erbe 
getreten  ist.  er  hat  alle  handschriften  nachverglichen,  ueue 
funde  eingetragen  und  mit  einer  sehr  angewachsenen  menge  von 
drucken  rechnen  können,  in  letzterer  hinsieht  förderte  ihn  sein 
inzwischen  ausgeschiedener  kenntnisreicher  Verleger  FWeibert. 
zum  beweis,  wie  eifrig  dieser  mann  in  alten  messcatalogeu ,  ofü- 
cinen  und  bibliotheken  gepirscht  hat,  führe  ich  stellen  aus  einem 
an  mich  gerichteten  briefe  vom  jan.  18S6  an:  'für  mich  ist  in 
dieser  beziehung  nichts  kleinlich  und  ich  jage  nach  doppeldrucken, 
die  sich  oft  nur  durch  commata  unterscheiden,  weil  ich  einen 
bis  ins  kleinste  ganzen  Lessing  zu  haben  wünsche,  wer  wüste 
zb.  bis  jetzt,  dass  es  von  den  fabeln  1759  drei  drucke  gibt? 
einen  ersten  correcten  ohne  carton,  denselben  mit  carton,  und 
einen  zweiten  iueorrecten  .  .  .  doppeldrucke  existieren  von  Jeru- 
salems Aufsätzen  1776,  Vom  zwecke  Jesu  1778,  Ernst  und  Falk 
177S  .  .  .'  und  so  gab  er  mehrere  Seiten  durch  einen  vorschmack 
dessen,  was  die  Lachmaun-Munckersche  ausgäbe  an  bibliographi- 
schem gewinn  aufweisen  sollte  und  weiterhin  zu  bringen  hat. 

Selbstverständlich  ist  Lachmanns  anordnung  gewahrt,  die  so 
weise  das  historische  prineip  mit  dem  sachlichen  verbindet,  wäh- 
rend bei  Hempel  das  zusammenlegen  in  manchen  fällen,  besonders 
was  die  recensionen  anlangt,  zum  zerreifseu  aller  Chronologie 
geführt  hat.  die  Sparsamkeit  des  apparates  ist  dieselbe,  aber  wir 
würden  nichtiges,  wie  die  gewis  nicht  von  Lessing  selbst  her- 
rührenden Varianten  des  Vademecum  1784,  freudig  hingeben  für 
die  zumeist  ausgelassenen  änderuugen  in  den  handschriften, 
denen  sich  die  weimarische  Goetheausgabe  nur  in  den  fällen  der 
Orthographie,  welche  die  ausspräche  nicht  berühren ,  und  in  den 
fällen  der  interpunetion,  die  keine  beziehung  auf  den  sinn  haben, 
verschliefst,  es  ist  gewis  ein  gesunder  Grundsatz,  all  die  alten 
druckfehler  stillschweigend  zu  verbessern ,  ohne  mit  Goedekes 
Schillerausgabe  den  kehrichl  wertloser  Varianten,  der  ganz  gleich- 
giltigen  posthumen  gar,  ins  haus  zu  fegen,  aber  bei  solcher 
strenge  gilt  es  doppelt  vorsichtig  sein,  denn  unsere  kenntnis  des 
Sprachgebrauchs  im  18  jh.  liegt  noch  im  argen,  und  leicht  dünkt 
den  ersten  blick  ein  druckfehler,  was  Lessingsche  eigenlüttlichkeil 
ist.  wie  viele  nachlässigkeiten  der  ausspräche,  die  gilji  und  halst, 
die  ungesundeste  und  unurißenfte  zb.,  giengen  mit  einer  niasse 
diabetischer  formen  und  Wendungen  auch  in  seine  feder  über, 
wimmeln  in  den  hss.,  behaupten  sich  in  den  drucken,  manche 
von  anfang  bis  zu  ende,  andere  in  den  Lustspielen  1767,  aber 
ohne  consequenz,  beseitigt,  wir  brauchen  eine  monograpbie  über 
Lessings   spräche;  einige  capitel   hoffe   ich   in    meinem  hiesigeo 


138  LESSirSGS     SCHRIFTEN    I VI    ED.    MUNCKER 

kreise  zu  fördern.  Rlvöhler  machte  mich  einmal  darauf  auf- 
merksam, dass  Lachmann  in  dem  Meifsner  fragment  Üher  die 
mehrheit  der  weiten  (Schriften  2,  66)  zum  Sternen  (als  schwache 
singularform  möglich,  im  Zusammenhang  plural)  wortlos  'emendiert' 
habe  zun  fternen,  während  man  doch  in  Mitteldeutschland  sogar 
wirtshausschilder  wie  Zum  drei  hirschen  und  ähnliches  kenne. 
Lessing  hat,  so  viel  ich  sehe,  zun  für  zu  den  nie  geschrieben. 
Lachmann  ist  schuldlos,  seine  vorläge  Schr.c  bot  zun;  aber  auch 
Munckerdruckt5,67  zun  ohnefufsnote.  es  gibt  bei  Lessing  noch  ein 
beispiel,  im  Henzi  (Schr.a  2,  159)  zum  Kindern  —  auch  da  setzen 
alle  neueren  herausgeber,  Muncker  5,  102,  mit  Lachmann  zun 
und  unterschlagen  uns  eine  seltsame  sprachbeobachtung.  —  1,  135 
Im  Zipfel  seines  Kleides  faßt:  Sehr.  1,  IUI  In  Zipfel  natürlich 
nicht  druckfehler,  sondern  syncopiert  für  in  den:  in'n,  wie  bei 
Goethe  in  Thurn  usw.  —  1,  138  Prunk:  Schr.b  1,  1 09  Prung  kaun 
sehr  wol,  neben  der  Schreibung  Brunk,  bei  Lessing  vorkommen, 
wie  noch  in  der  Emiliahs.  2,  387,  21.  also  waren  beide  Varianten 
zu  notieren.  1,238  Und  ihr  beglaubtes  Nichts  wohnt  nur  in  den 
Gedanken:  Sehr.  1,240  nun  nicht  ohne  weiteres  als  druckfehler 
zu  verschweigen,  während  ganz  sinnlose  Satzfehler,  wie  Sehr. 
1,  252  auch  Pindus  Höh  statt  auf  keine  Verewigung  fordern, 
aber  2,  40  seins  Aufenthalts ,  2,81  den  Stricke  und  meinen  Kinder 
würde  ich  anmerken.  Muncker  1,  128,7  muss  es  dem  metrum 
gemäfs  Stell  dich,  nicht  Stelle  dich  heifsen.  —  warum  1,  19  die 
noch  dazu  durch  den  reim  gelüften  geforderte  form  Küften  (ar- 
moire  in  der  französischen  vorläge)  dem  apparat  verloren  gegangen 
ist ,  verstehe  ich  um  so  weniger,  als  bei  Lessing  ü  für  i,  eu  für 
ei,  ö  für  e  —  aber  auch  das  umgekehrte  —  ebenso  massenhaft 
auftritt,  wieseine,  von  ihm  selbst  eingestandene,  sächsische  Un- 
sicherheit in  bezug  auf  media  und  tenuis.  Muncker  hat  das  treulich 
gewahrt,  soweit  meine  reichlichen  Stichproben  reichen;  nur  5,95 
vermisse  ich  erzüttern  (Sehr.3  2, 139).  formen,  die  Lessing  durch- 
weg, ja  mit  einem  gewissen  trotz  gegen  autoritäten  wie  Adelung, 
behauptete,  kömmft,  betauren,  dürfte  man  auch  da  einführen,  wo 
uns  nur  RGLessings  vielfach  normierter  text  vorliegt,  sinn- 
störende fehler,  wie  1,  245  Als  alle  Mufen  euch  im  einzigen  Homer 
statt  ein  einziger,  sind  mir  nicht  wider  aufgefallen.  1,  263  nur 
ist  sehr  mit  unrecht  der  druckfehler  nach  für  noch  in  den  text 
statt  in  den  apparat  gewandert: 

Der  Alterthümer  Schutt,  wo  in  verlaßnen  Trümmern, 
Des  Kenners  Augen  nach  Geschmack  und  Schönheit  schimmern. 
eine  verunglückte  bereicheruug,  das  Sinngedicht  auf  Se.  preufsische 
majestät,  hat  Redlich  ,  Vierteljahrschrift  2,  277,  ausgejätet  und  als 
JDLeydingsches  gewächs  erwiesen.  1,50  fehlt  zum  Stammbuch vers 
für  Schröder  der  erste  druck:  Schink,  Dichter-  manuscripte, 
1.  Sammlung  (Wien  1781)  s.  147  'An  Herrn  Schröder'  mit  an- 
geschlossenen   versen    Schinks.     wenn    für    den    andern    stamm- 


LESSIISGS     SCHRIFTEN    I VI    Ell.    MU.NCKER  139 

buchvers  Kunst  und  Natur  ein  nachdruck  von  17S0  citiert  wird, 
warum  uichl  auch  Berliner  litteratur-  und  theaterzeituug  2,  178 
(z.  4  Denn)  ?  zum  armen  Willebald  l,  47  ist  jetzt  Dörings  meidung 
an  Göckingk  (LGeiger,  Frankfurter  zeitung  20.  11.  1S90)  zu  ver- 
gleichen. 1,  150  Orpheus  ist  von  Bernays  (siehe  meinen  Lessing 
1,  331  f)  als  Übertragung  der  ersten  hälfte  einer  romauze  des 
Quevedo  erwiesen,  und  es  scheint  mir  nicht  ins  gebiet  der  hier 
ausgeschlossenen  sacherklä'rung  hinüberzuschweifen,  sondern  zur 
aufgäbe  des  kritischen  editors  zu  gehören,  dass  in  solchen  fällen 
an  der  spitze  des  apparates  die  wörtlich  übersetzte  vorläge  ge- 
nannt werde;  also  für  die  Virginia  die  von  Roethe  VJS  2,  520 
herangezogene  tragödie  Crisps,  für  die  spanischen  fragmente  die 
originale,  soweit  sie  bis  jetzt  ermittelt  sind  (vgl.  nun  auch 
PAIbrecht,  Prospect  zu  Leszings  plagiaten  18  f).  auf  die  Kleinig- 
keiten und  Sinngedichte  erstreckt  sich  diese  forderung  natürlich 
nicht,  ferner  würde  der  textkritiker  in  seinen  grenzen  bleiben, 
wenn  er  Lessingsche  abkürzungen  in  der  note  auflöste,  also  1,  90 
H[artmaun],  1,41  K[ant]  oder  in  der  Theatralischen  bibliothek, 
wo  der  dolmetsch  selbst  die  abbreviatur  noch  nicht  zu  ergänzen 
wüste,  C[hassiron] ,  denn  jeder  leser  verlangt  uach  dem  namen. 
Zum  ersten  bände  möchte  ich  hier,  mit  benutzung  von  hsl. 
notizen  des  historiographen  Preufs,  eine  reihe  compositioneu 
Lessingscher  Kleinigkeiten  zusammenstellen.  Friedrich  Wilhelm 
Marpurg,  Historisch  -  kritische  beyträge  zur  aufnähme  der  musik, 
Berlin  1754.  1,88  Scherzlied  von  herrn  M.  Lessing,  CPEBach 
(Ehret,  brüder,  meine  schöne,  Ehrt  die  märkische  Helene);  1,  272 
Scherzlied  Voll,  voll,  voll,  Agricola  (Muncker  1,  87,  128).  das 
letztere  trinklied  ist  auch  von  SWDehn,  Orpheus  v,  componiert.  — 
Marpurg,  Neue  lieder  zum  singen  beym  clavier.  Berlin,  verlegts 
Gottlieb  August  Lange  1756.  s.  2  Die  liebe  (1,  89)  Ohne  liebe, 
Rackemann ,  kammermusicus  in  Berlin;  s.  20  An  eine  kleine 
schöne  (1,68),  Quanz;  1,68  Die  Türken,  Marpurg  (ebenda  vier 
lieder  Ossenfelders,  drei  von  Marpurg,  eines  von  Seyfarth  gesetzt). — 
Berlinische  öden  und  lieder,  Leipzig  Breitkopf  1756;  s.  12  Die 
küsse  (1,62),  CPEBach;  s.  22  Die  biene  (1,89),  derselbe;  s.  40 
Das  aufgehobene  gebot  (1,  65),  Agricola;  2  (1759),  7  Der  alte  und 
der  junge  wein  (1,  68),  Graun;  s.  30  Phyllis  lobt  den  wein 
(1,  104),  Marpurg.  —  Lieder  mit  melodien.  Anspach,  Posch  175S 
nr  23  Der  tod  (1,  90);  26  Das  aufgehobene  gebot  (1,  65),  ohne 
uennung  des  oder  der  componisten.  —  Marpurg,  Kritische  briefe 
über  die  tonkunst,  mit  kleinen  cla vierstücken  und  singoden  be- 
gleitet von  einer  musikalischen  gesellschafl  in  Berlin.  Berlin, 
Birnstiel  1760.  s.  110  Das  aufgehobene  gebot  (1,65), Nichelmann; 
s.  134  Der  ueid  (Die  küsse  1,  86),  derselbe;  s.  27$  Phyllis  lobt 
den  wein  (1,  104),  Z.  —  Bamlers  und  Krauses  Lieder  der  Deut- 
scheu mit  melodieu  Übergehe  ich,  einstweilen  ;uit  Schüddekopfs 
listen    verweisend.    —   des    Lobes    der   faulheil    (1,  74,    Ramlers 


140  LESSINGS     SCHRIFTEN    I  —  VI    ED.    MUNCKER 

Lieder  2  buch  qr  22)  hat  sich  seltsamer  weise  Haydn  erbarmt, 
Oeuvres  completes  cahier  ix  mit  deutschem  und  französischem  text, 
Die  liebe  (1,  89)  auch  Beethoven,  Gesäuge  mit  begleituug  des 
klaviers  in  musik  gesetzt.  Leipzig,  Rühnel  o.  j.  3  lieft  nr  1, 
componiert. 

Das  gröste  verdienst  hat  sich  Muncker  um  die  dramen 
erworben,  im  2  und  3  bände,  soweit  ich  drucke  nachverglichen 
habe,  ist  text  und  apparat  bis  auf  einige  kleinigkeiten  (zb.  Alte 
Jungfer  202,27  Könige;  203,10  so  ärgern;  208,17  Korb;  210,22 
defswegen;  218,30  sehen;  227,  18  sehen;  229,  12  Ja  ja;  231,9 
Weis;  227,  9  ist  sie  Sie  alte  Sclnnidsche  emendation  für  er  Sie) 
mit  rühmlicher  Sorgfalt  behandelt,  zur  Minna  freilich  ist  schon 
jetzt  nach  Bielings  Berliner  programm  von  1888  und  der  von 
innen  und  aufsen  prächtigen  ausgäbe,  mit  der  CRLessing  im 
october  1890  eine  ausgewählte  schaar  beschenkt  und  beglückt  hat, 
mancherlei  einzuwenden  und  nachzutragen;  ich  will  einem  amerika- 
nischen gelehrten  nicht  vorgreifen,  der  mir  die  mangelhafte  aus- 
beutung  der  hs.  bei  M.  vordemonstriert  bat.  —  dem  abdruck  der 
Emilia  ist  mit  den  nötigen  kleinen  correcturen  die  einzelaus- 
gabe  1772c  zu  gründe  gelegt,  die  hs.  hätte  gründlicher  aus- 
gebeutet werden  sollen,  denn,  wir  widerholen  es,  das  princip, 
nur  ausnahmsweise  ihre  änderungen  zu  verzeichnen,  ist  unhaltbar. 
2,  387,  1  hat  der  druck  melancholischten;  389, 14  verholen;  395, 10 
So  gieb  mir,  gewis  druckfehler  für  nur;  415,18  sah';  424,  1.2 
ein  kleines  Verbrechen,  ein  kleines  stilles  heilsames  Verbrechen;  398,  5 
hat  die  hs.  O  Claudia!  Claudia!  was  M.  gegen  alle  drucke  aufnimmt, 
obwol  der  ausfall  des  zweiten  rufes  sehr  wol  der  beAvusten  absieht  ent- 
sprungen sein  kann,  die  Verdoppelung  für  398,  10  vorzubehalten; 
401,12  wird  zu  dem  vielbesprochenen  lapsus  nicht  ohne  Mi fs fallen 
eine  note  vermisst  (vgl.  Herders  gleichartiges  versehn  Ideen  13, 158 
Indessen  auch  bei  ihnen  noch  ist  das  Gesetz  der  Natur  nicht  un- 
verkennbar mit  der  fufsnote  Suphans  'Herder  wollte  sagen  nicht 
verkennbar');  410,  33  ist  kein  grund  mit  der  hs.  Genüge  für  Gnüge 
einzusetzen;  426,  14  könnte  das  der  der  drucke  ein  versehen 
sein,  vgl.  402,21;  die  neueste  conjeetur  zu  404,22,  in  der 
wendung  Locken,  wie  sie  die  Natur  schlug,  sei  schlang  oder  schlung 
zu  lesen,  ist  überflüssig,  auch  wenn  nicht  in  der  Theatralischen 
bibliothek  1,  55  (Muncker  6,  36)  stünde  in  Locken  schlägt.  —  die 
von  Lachmaun  vernachlässigten  Breslauer  papiere  suchte  nach 
Danzel  BBoxberger  zu  erledigen,  wie  weit  M.  sowol  in  der 
anordnung  als  in  der  entzifferung  mit  erfolgreicher  mühe  über 
ihn  hinausgekommen,  wie  unbrauchbar  der  Hempelsche  band  ll2 
ist,  zeigt  durch  eingehende  confrontation  der  älteren  und  der 
neuen  ausgäbe  Sauer  in  seiner  recension  Zs.  f.  österr.  gymn.  1888 
s.  36  ff  für  Hannibal,  Eraclio,  Fatime,  Schlaftrunk  (ganz  neue 
partien),  Matrone,  INathanentwurf.  leider  fehlt  bei  M.  fast  durchaus 
eine   beschreibung   der   hss.,    eine    Übersicht   über   die   folge  der 


LESSINGS     SCHRIFTEN    I  —  VI    ED.    HUHCKEB  141 

bruchstücke  auf  den  blättern,  das  ist  aber  nach  M.s  eigenem 
geständnis  gerade  beim  Nathan  unentbehrlich,  wo  der  uno  tenore 
geschriebene  und  zwar  ins  reine  geschriebene  grundriss  allerlei 
Zuwachs  erhalten  hat.  die  Verteilung  wird  auch  bei  Boxberger 
nicht  klar  genug;  ich  denke  in  einem  genauen  abdruck  die 
schichten  typographisch  zu  unterscheiden,  einige  mit  rötel  ge- 
kritzelte skizzen  sind  so  abgescheuert,  dass  sie  nur  mehr  erraten 
als  gelesen  werden  können,  anderes  aber  hat  auch  M.  verfehlt, 
und  ich  schliefse  daraus  auf  kleine  versehen  auch  gegenüber  den 
von  mir  leider  nie  geschauten  Breslauer  schätzen,  im  Nathan 
haben  sogar  gelegentlich  Danzel  und  Boxberger  die  richtige  lesart 
vor  M.  voraus,  ich  erwähne  folgende  besserungen  und  nachtrage 
zu  M.s  text  nach  meiner  collalion  der  teils  sehr  säubern,  teils 
sehr  flüchtigen  hs. :  474,  15  —  27  Sie  —  Nathan,  Nathan  später. 
spitzer  für  Eure  Rahel  Eure  Rahel,  darunter  steht  noch  Nathan. 
Ich  muss  dir  es  nur  gleich  zeigen,  Daja  [so].  Ich  habe  dir  einen 
recht  schönen  Zeug  aus  Babylon  mit  gebracht.  30  Bagdad  für 
Bassora?  475,  1  später  mit  aufnähme  der  worte  2  —  alles.  7  nach 
will  gestrichen  Aber  ich  höre,  sie  kömmt  selbst.  8 — 29  später. 
476,  5  folgt  in  eigner  Perso[n].  6  So  nach  gestr.  Seyd  ihr  es 
doch  mein  Vater.  477,  5 — 21  rechts  später  als  der  vorausgehende 
und  der  folgende  abschnitt.  478,2  gleichzeitig  links  nachgetragen. 
481,  15  — 17  oben  am  rande  links.  30  11'  links  gleichzeitig. 
484,  15  ff  offenbar  später;  ich  setze  diese  angaben  nicht  fort,  da 
eine  beschreibuug  entweder  sehr  weitläufig  oder  unklar  gerateu 
müste.  487,  21  aus  erzehlt.  23  eine.  488,  8  unter  gestr.  Dm 
hast  befohlen  \  Ich  kenne  Sultan  nicht.  20  aus  sehr  unsicher. 
489,  7  unter  zwei  gestr.  Zeilen  .  .  .  Sammlen  \  Was  ist  zu  Diensten 
lieber  Bruder?  490,  3  —  8  von  der  letzten  seite  des  einzelnen 
halbbogens  hier  sauber  eingetragen;  dort  steht  Yilnek.  11  euch. 
12  das  erstemal  euch.  491,13  Titlen.  492,5  nicht!?.,  sondern 
U[erbelot]l  12  xcarum  zweifellos.  16  mit  rötel  corrigiert  in  Aber 
nachgeschickt  bist  du  mir  doch?  M.s  Variante  kann  irreführen. 
19  nicht  wann,  sondern  eine,  nämlich  Mittagssuppe,  vgl.  23. 
22  Darum  —  nachgeschickt  ist  gestrichen.  27  nicht  Sey  es,  son- 
dern ganz  deutlich  Immerhin.  493,2  nicht  Wozu,  sondern  Warum. 
493,  7  fragezeichen  unnötig.  8  von  —  Herrn  über  derzeile,  ich 
lese  aber  von  Einem['l\  Mann.  9  wird  über  gestr.  ist  so.  das 
folgende  sälzchen  es  kam  ihm  lange  so  die  Geschichte  einj?]  heifst 
vielmehr  es  kam  ihm  lange  so  kein  Gesicht  vor.  dann  Er  .  .  .  das 
mir.  Ohne  Galle  usw.  12  nicht  Und  wie  heifit  er?  was  auch 
gar  keinen  sinn  hat,  sondern  A.  Card  von  Stau  ff  en!  13  dach 
Stauff'en?  noch  ein  So  oder  gestr.  S[lanff'en].  15  Mächtige  aus? 
zu  16  Tebnin  gewis  nicht,  vielleicht  Acca.  17  nicht  mehr  zu 
entziffern  Weis  ich  dergleichen  noch  oft  und  finde  ich  dii  Gnade. 
18  lese  ich  nicht  sage  sondern  sehe  und  von  Palest  ina]  doch 
nicht  aus  der  Seele,  Muncker:  von  heiligen  Dingen  nicht  in  untrer 


142  LESS1NGS     SCHRIFTEN    i — VI    ED.    MUNCKER 

Seele.  23  In  der  Dämmrung.  24  sieht  aus  wie  sie  zu  scheinen. 
26  nach  alles  abgebrochen  er.  28  die  verse  am  rande  von  5 
zu  5  gezählt.  0  über  der  zeile.  29  wollen  nach  gestr.  können. 
33  worden  über  wurde.  494,  2  merklich  nach  gestr.  eben  fördert. 
5  ,elend  nach  gestr.  /w«e£  ihr.  8  aus  Z)a/s  /cft  schon  alles  gehört 
auch  haben  mag.  10  nicht  Haus,  sondern  uns.  11  bequemers 
vor  gestr.  Hau[s].  15  meme  über  «nsre.  das  erste  von  zwei 
sie?  gestrichen.  16  hob,  nicht  halt.  18  Her!  20  Heraus! 
dann  gestr.  vollende [?],  und  nach  gestr.  f/oc/u  25  0  nachträg- 
lich. 495,  1  Gesuch  [?]  übergeben  vielmehr  .  .  .  Gefühl  Aber- 
glauben. 

Ich  habe  bei  herrn  Ernst  Mendelssohn  -  Bartholdy  auch 
einen  grofsen  teil  der  Matrone  von  Ephesus,  besonders  des 
schwierigen,  mit  raschen  abkürzungen  geschriebenen  älteren  quart- 
heftes,  nachverglichen  und  M.s  lesung  sehr  zuverlässig  gefunden, 
nur  wünschte  man  auch  hier  genaueres  über  die  folge  der  scenen 
oder  fragmente  zu  hören ,  zb.  ist  ohne  autopsie  der  hs.  nicht  zu 
verstehn,  was  s.  449  die  'zweite  fassung  der  älteren  hs.'  besagt, 
dass  nämlich  448,  28  ff  sich  unmittelbar  an  z.  3  des  apparates  zu 
449  anschliefst,  und  für  den  ausgetüftelten  dialog  sind  die  striche 
und  correcturen  H1,  soweit  radicales  ausmerzen  das  ursprüng- 
liche noch  erkennen  lässt,  interessant  genug,  einige  proben: 
439,  11  f  titel  gleichzeitig  mit  dem  scenar  oben  auf  den  ge- 
brochenen rändern;  440,  12  beginnt  H1  ohne  Überschrift;  fest 
nach  gestr.  scho[n];  kan  [so]  über  gestr.  werde;  14  Zwar  nach 
gestr.  .  . .  habe;  23  f  das  Weibchen  am  rande;  441,  3  Horch  nach 
gestr.  Aber;  nach  5  1  '/2  Seiten  leer;  6  daneben  personenverzeichnis 
Antiphila,  die  Wittwe  \  Philokrates  [gestr.  de]  |  Mysis.  Die 
Magd.  \  Dromo.  Der  Diener;  7  nach  schlaft  ein  satz  ausge- 
merzt; nach  15  gestr.  Mysis  der  Wein;  18  in;  442,  2  Philokr; 
4f  sagt  —  hungre  am  rande;  12  dem  —  halt  für  dem  Himmel 
zu  fi[nster];  443, 15  Das  nach  gestr.  Ich  will;  22  letztes  viertel  leer; 

23  Dromo  —  handeln  am  rande;  30  Armee  unsicher,  könnte 
auch  braves  heifsen,  jedesfalls  zu  trennen;  444  der  apparat 
führt  irre,  denn  Dromo  —  sieht  steht  am  Schlüsse  von  H1,  dann 
schlussschnörkel,  darauf  Dromo  —  dergleichen  und  z.  5  f ;  7 — 10 
unter  dem  scenar  3  auftritt;  12  in  nach  gestr.  ihm  nachfolge?; 
13  Mit  nach  gestr.  Noch;  nach  14  gröfseres  spatium;  18  beschul- 
digen schwerlich,  eher  besprechen  oder  versprechen;  444,21 — 445,9 
auf  dem  blatte,  wo  o.  r.  das  scenar  4;  21  vor  einigen  Monaten; 
23wol6eraY;  24  wurde  und  erfuhr  undeutlich;  445,22  den  — 
gelehnet    aus    mit   dem   Kopf  auf  dem  verdeckten  Sarge   liegend; 

24  das  Gesicht  aus  den  Kopf;  446,2  pfeipft;  20  er  braucht  kaum 
aus  dem  aparte,  oder  lessingisch  zu  reden,  dem  seitab  in  die 
anrede  Er  corrigiert  zu  werden;  23  Am  gewollt;  10  Holla,  darauf 
gestr.  Niemand  da?  H1;  25  Gott  —  Todten  über  gestr.  ...  Ein 
Schatten?    H' ;  28  aufhaltend  aus  festhaltend  H1 ;  447,3  Geistinn; 


LESSIKGS    SCHRIFTEN    I  —  VI    F.D.    Ml'NCUEK  143 

nach  Geist  gestr.  Wenigstens  H1;  9  wollte  über  gestr.  will  H1; 
17  geht  über  gestr.  zündet;  21  angezündete  nach  gestr.  Lat ferne] 
H1;  448,  6  >  icoM  über  gestr.  doch  H1;  8  f  Wird  — Herze  am 
rande  H1;  16  nach  meine  feine'?]  geslr.  Fr«?/  H1;  18  Gatten  über 
gestr.  J/a/m  H';  19  So  nach  Verfloren]  H1;  28  %/  So?  gestr. 
und  JtYi're  über  gestr.  ist  H1;  448  im  apparat  wenn  —  gibt  am 
rande  und  unter  todt  noch  zwei  gestrichene  Zeilen:  Mysis  Seit 
acht  Tagen  \  Dromo  Kann  in  ein  Paar  Tagen  wieder  nachsehen; 
449  im  apparat  /..  2  von  nach  geslr.  von  der  Zärtlichkeit ;  449,  1 
gestr.  Die  ihr  Herz  mir  einmal  verschenken  H1;  3  aus  So  giebt 
es  solche  H1;  4  t'  am  rande  und  Ey  nach  gestr.  Ewig!  H1; 
28  folgt  gestr.  Und  wie  fest  ich  an  Gespenster  glaube,  das  hat  sie 
gesehn,  mein  Kind.  Zwar  irrt  man  sich  manchmal  in  diesem 
Glauben  li1;  450,1  unter  mehreren  correcturen  lesbar  Liebe  über 
gestr.  Treue  H1 ;  3  Nach  nach  gestr.  Dergleichen  die  Welt  noch  nie 
gesehen  H1 ;  Lessing  hat  also  mehrmals  das  übertriebene  auffangen 
in  der  frageform  abgeschwächt;  4  denke  nach  gestr.  glafttbe]  Hl ; 
4f  wird  —  nie  über  gestr.  kan  gar  nicht  H1;  5  das  —  geschehen 
fehlt  H1.  wäre  es  übrigens  nicht  viel  einfacher  und  klarer, 
wenn  Muncker  siglen  eingeführt  hätte,  statt  hier  die  lästigen 
formein  'in  der  zweiten  fassung  der  älteren  hs.'  und  dgl.  zu 
brauchen? 

Die  fragmente  rücken  in  chronologischer  folge  auf,  soweit 
diese  bestimmt  werden  kann,  auch  ungeschriebene  oder  nicht 
erhaltene  plane  sind  durch  anführung  der  titel  gebucht,  und  au 
manchen  stellen  der  vorrede  zum  3  bände  wird  die  Interpretation 
gefördert,  ausgeschlossen  sind  die  bruchstücke  aus  Thomsons 
Tancred  und  Agamemnon,  wonach  vom  Hannibal  und  den  un- 
selbständigen Komischen  einfallen  an  gar  manches  hätte  unter  den 
tisch  fallen  müssen  ,  was  uns  doch  dank  einer  laxen  handhabung 
des  von  mir  wie  von  Sauer  und  anderen  bekämpften  princips 
nicht  vorenthalten  winde,  mit  dem  kleinen  trauerspiel  'Zorade' 
macht  Muncker  3,  vif  doch  wol  zu  kurzen  process,  freilich  im 
einklang  mit  allen  herausgebern,  trotz  Danzels  gewichtigen  be- 
gleitworten  zum  ersten  und  einzigen  abdruck  in  seinem  Lessiug 
1,  522 ff.  es  fehlt  auch  in  der  zweiten,  von  Maltzahn  und  Box- 
berger  auf  den  markt  geworfenen  auflade,  die  aufseien  Schwierig- 
keiten der  Überlieferung  verkenne  ich  nicht  und  weifs  sie  nicht 
zu  enträtseln;  dass  die  correcturen  und  raudnoten  der  schreiber- 
copie  (522  u.  Spornes  statt  Thrones)  nicht,  wie  Danzel  walinte, 
von  Lessin^  stammen,  müssen  wir  HOesterley  auf  seinen  sach- 
verständigeneid  glauben,  aber  ich  linde  nicht  blofs  mit  Danzel 
das  aachwort  des  L.  lessingischer  als  lessingisch,  sondern  sehe 
auch  schon  in  der  einactigen  anläge,  in  den  moliven  und  cha- 
racteren ,  in  Stil  und  spräche  des  geraume  zeit  vor  entwürfen 
wie  Fatime  anzusetzenden  Versuchs  trotz  allen  schwächen  eio  bei 
keinem  Zeitgenossen  wahrnehmbares  gepräge,  das  mich,  je  öfter 


144  LESSINGS     SCHRIFTEN    I VI    ED.    MUNCKER 

ich  allein  oder  im  semiuar  zu  dem  stück  zurückkehre,  immer 
stärker  von  Lessings  autorschaft  überzeugt,  in  meiner  mono- 
graphie  ist  der  'Zorade'  eine  knappe  Würdigung  im  anhang  vor- 
behalten, als  herausgeber  würde  ich  die  paar  Seiten  anhangs- 
weise mit  einem  fragezeichen  aus  den  Breslauer  papieren  abdrucken 
und  lieber  mit  Danzel  zu  viel  tun  als  mit  Boxberger  zu  wenig, 
jede  beschäftigung  aber  mit  Lessings  fragmeuten  hat  seit  1887, 
dankbar  für  einen  gesäuberten  und  ergänzten  text  und  manche 
winke,  von  Munckers  arbeit  auszugehn. 

Der  vierte  und  fünfte  band  tragen  den  grofsen  erweiterungen 
rechnung,  die  wir  für  die  von  Lachmanu  mit  einem  zu  späten 
einsatz  eröffnete  Übersicht  der  Lessingschen  tageskritik  dem  ge- 
lehrten und  scharfsinnigen  spüreifer  BA Wagners  verdanken,  mag 
immerhin  die  suche  bei  Boxberger  im  Danzel  l2  zu  einer  wilden 
jagd  ausgeartet,  mag  auch  von  M.  auf  dem  schlüpfrigen  boden 
sicherlich  hier  und  da  ein  stücklein  aufgeklaubt  worden  sein,  das 
entweder  den  Stempel  der  unechtheit  trägt  oder  doch  ebenso  gut 
aus  der  feder  eines  andern  jungen  litleraten  stammen  kann  —  in 
diesem  fall  ist  eine  lässliche  überfülle  einer  allzuleicht  gewalt- 
tätigen Sparsamkeit  vorzuziehen,  und  M.  hat  ganz  recht  daran 
getan,  den  einzelnen  Jahrgängen  solche  artikel  nachzuschicken, 
die  Boxberger  ohne  durchschlagende  gründe  auf  Lessings  kappe 
schrieb;  man  hat  so  die  dinge  hübsch  beisammen,  ob  die  Bey- 
träge  zur  historie  und  aufnähme  des  theaters  hier  erschöpft  sind, 
ist  sehr  zweifelhaft;  die  Wichtigkeit  der  Vollaireübersetzung  sammt 
den  Hamlet-alexandrinern  und  einiger  anmerkungen  habe  ich  in 
meinem  buche  betont.  M.  ist  nun  einmal  geneigt,  uns  Lessing 
als  dolmetsch  zu  unterschlagen,  wie  auch  die  vorrede  zum  ver- 
kürzten abdruck  der  Theatralischen  bibliothek  in  vi  lehrt,  auch 
die  unselbständige  skizze  der  Virginia  des  Montiano  würde  er 
verworfen  haben,  wäre  nicht  glücklicherweise  Hermillys  franzö- 
sische exposition  zu  spät  in  seine  hände  gekommen,  und  doch 
ist  hier  ein  starkes  sachliches  interesse,  auf  die  Emilia  Galotti 
hin,  im  spiel.  4,  6,  19  war  ein  ausgewähltes  Häufchen  Zuschauer, 
bey  welchen  ...  und  dessen  ruhig  aufzunehmen,  M.  corrigiert 
welchem,  während  er  so  oft  die  schwache  form  duldet;  170,  15 
wieder;  180,  31  da  hinabsteigen  —  warum  dahin  absteigen? 
wegen  der  zwei  folgenden  dahin?  182,  31  ist  stillschweigend 
die  tödliche  Keule  (0  tödlichen)  emendiert,  185,  18  Keule  für 
Keile;  204,  33  mit  dessem  Besitze,  derlei  'bettelvananten'  seien 
nur  im  flug  erwähnt,  um  die  correctheit  auch  dieses  bandes  ins 
licht  zu  setzen,  kleine  recensionen  habe  ich  nicht  nachverglichen 
(Briefe  5,  99,  12  im  Henzi  lies  er,  nicht  es;  5,  2,  9  in  der  Voltaire- 
vorrede ist  der  druckfehler  wichtige  statt  nichtige  fortgepflanzt, 
mindestens  eine  unsichere  lesart).  —  lesen  wir  hier  ua.  die  mehr 
oder  weniger  rasch  hingeschriebeneu  Übertragungen  aus  Chassi- 
rons   französisch    und  Gellerts    latein,    so    müssen  wir  wider  aui 


LESSINGS     SCHRIFTEN    I VI    ED.    MCNCKER  145 

das  obige  Sprüchlein  zurückkommen:  wo  bleiben  inbaltschwerere 
und  formal  unendlich  wichtigere  dolmetscharbeiten,  wenn  Lessing 
auch  nicht  immer  unmittelbar  eigene  urteile  und  ausführungen 
angekuüpft  hat?  niemand  wird  verlangen,  dass  in  einer  ausgäbe, 
die  sich  nicht  wie  die  weimarische  Goetheausgabe  von  fürstlicher 
muuificenz  nährt  und  darum  ein  übriges  tun  kann,  alle  Über- 
setzungen Lessiugs  platz  finden,  obwol  weitaus  die  meisten  nicht 
blofs  sprachgeschichtlich  so  bedeutsam  wie  originalwerke,  sondern 
auch  in  höherem  oder  geringerem  mafse  Urkunden  seiner  bildung 
sind,  es  darf  ohne  grofsen  schaden  abgesehn  werden  von  dem 
Huarte,  dem  Marigny,  von  Richardson  und  frau  Rowe.  wir  be- 
klagen aber  schmerzlich  das  fehlen  der  königlichen  Schreiben  an 
das  publicum  1753  und  der  unter  des  ersten  französischen  Schrift- 
stellers auspicien  ausgearbeiteten  Übersetzung  Des  herrn  von  Vol- 
taire kleinere  historische  Schriften  1752,  von  denen  der  glück- 
liche entdecker  Wagner  ausgibige  proben  vorlegte,  wir  brauchen 
einen  neudruck.  für  die  eutwicklung  der  Lessingschen  prosa 
ist  das  höchst  seltene  buch,  das  ich  mit  schwerem  geld  erworben 
habe,  von  gröster  Wichtigkeit:  ehrgeizig  ringt  der  schüler  Vol- 
taires mit  der  spräche  des  meisters,  deren  satzbau  er  bewahrt, 
wo  es  der  deutsche  sprachgeist  erlaubt,  die  er  zwar  oft  verbrei- 
tert, mit  partikeln  und  relativen  belastet,  aber  doch  im  ganzen 
so  schmiegsam  trifft  wie  damals  kein  Deutscher,  der  herausgeber 
hätte  beständig  rücksicht  auf  die  vorläge  zu  nehmen,  den  Dresdener 
druck  usw.,  wie  umgekehrt  auch  eine  erschöpfende  historisch- 
kritische behandlung  des  Voltaireschen  textes  nicht  ganz  au  Les- 
sings  von  Voltaire  persönlich  geförderter  Übersetzung  vorbeieileu 
dürfte,  an  manchen  stellen  ist  Lessing  aus  dem  französischen 
zu  emendiereu,  wo  sein  Wortlaut  nicht  etwa  unzulänglich,  sondern 
verderbt  ist,  oder  wo  ein  lapsus  den  ganzen  sinn  zerstört  liu 
letzteren  fällen  durch  eine  ful'snote).  Lessing  leistet  sich  s.  31 
das  spafsige  versehn  aus  Ferdinand  de  Gras  (Graz!)  zu  machen 
Ferdinand  der  Fette;  er  macht  s.  171  einen  Genfer  {Genevois) 
zum  Genueser;  126  ist  seine  Staatsklugheit  widersinnig,  da  la  po- 
litique  accusativisch  abhängt  von  einem  pour,  also  in  der  Staats- 
hoheit ;  im  aufsatz  über  Peter  den  grofsen  verwechselt  Lessing 
beständig  Moscovie  uud  Moscou,  wie  er  das  patronymicou  Mi- 
chaeloff s.  172  in  ein  deutsches  Michelhof  corrumpiert.  bös  ist 
>«.  134  der  Zuname  des  geschenkten  Gottes  {surnom  de  Dieudonne); 
s.  14U  seine  anmuthige  Gestalt  (les  agremens  de  sa  figure);  s.  143 
zerstört  die  widergabe  von  merile  durch  Liebe  den  ganzen  mihi 
des  für  die  Mainteuon  schmeichelhaften  satzes,  und  <li«'  24  QOO  livres 
ebenda  sind  nicht  das  einzige  Glück,  sondern  das  einzige  Ver- 
mögen (fortune);  304  Auf  die  bloße  Aussage  eines  gewissen 
Franzosen  —  d'im  nomme  Francon.  als  schreib-  oder  druck- 
versehen sind  nach  dem  original  zu  bessern  zb.  113  ihr  Vater- 
land, welches  sie  ehren  (qu'ils  honorem  t,  nicht  ehret;  127  Tei- 
A.  F.  D.  A.     XVII.  LO 


146  LESSINGS     SCHRIFTEN    I VI    ED.    MUISCKEK 

nieres,  Voltaires  form  für  Teniers,  nicht  Trinieres;  140  sie 
(lä),  nicht  ihn;  196  gehurt  das  datuui  im  Jahre  1750  iu  die 
folgende  /.eile  vor  als.  293  sprengt  ein  falsches  konnna  nach 
Welt  die  conslruction ,  und  belustigte,  au  sich  nicht  unpassend, 
ist  corruptel  statt  belastete  (chargea).  297  ihnen  (leur) ,  nicht 
ihm;  306  ward  er .  .  .gelobet,  nicht  toar;  329  M  6m  der  Gefahr 
eitel  zu  werden,  sehr  nahe  gekommen  (J'ai  ete  tente  d'avoir 
beaucoup  de  vanite),  nicht  ekel,  aber  ohne  das  original,  be- 
sonders da  ekel  ein  lieblingsvvort  Lessings  ist,  nicht  sogleich  zu 
erkennen;  304  das  kleine  Buch,  symbolum  mundi  —  Cym- 
balum  Voltaire.  —  sprachlich  interessant  ist  der  inafsvolle  pu- 
rismus :  zb.  anecdote  selten  herübergenonunen,  meist  geheime 
Nachricht;  memoire:  Denkwürdigkeiten,  Aufsatz;  critique:  Be- 
urtheilung ;  chapitre:  Hauptstück;  style:  Schreibart;  talent:  Ge- 
schicklichkeit, Kunst;  genie:  Seele  (s.  33  Genies)  usw.;  publique: 
Welt;  politique:  Staatsklugheit  usw.;  ministre:  Staatsbedienter 
(auch  Minister,  gerade  die  ämter  sind  fast  immer  mit  deutscheu 
wollen  bezeichnet);  luxe:  Pracht;  Industrie:  Flei/'s,  Emsigkeit  dgl., 
auch  wo  die  begriffe  sich  nicht  decken;  ressource:  Rettungs- 
mittel; pension:  jährliches  Gehalt;  rente:  jährliche  Einkunft;  re- 
forme: Verbesserung;  favorite:  Lieblinginn;  vicaire:  Amtsverweser, 
Pfarrer;  meridienne:  Mittagslinie;  geometre:  Mefskünstler ;  phy- 
sicien:  Naturforscher ;  compas:  Richtscheit;  geographe:  Erdbeschrei- 
ber;  injections:  Aussprützungen ;  marine:  Seemacht  usw.  die  ver- 
gleichung  von  satz  zu  satz  ist  höchst  lehrreich  im  grofsen  wie 
im  kleinen,  manches  ist  unübertrefflich,  zb.  Peters  Schwierigkeit 
d'accourcir  les  robes  et  faire  raser  les  barbes  de  son  peuple: 
seinem  Volke  die  Röcke  kürzer  und  das  Kinn  glatt  zu  machen. 
die  weit  spätere  Diderotübersetzung  ist  vielfach  ein  rückschritt. 
Und  nun  frage  ich:  soll  in  der  grofsen  historisch-kritischen 
ausgäbe  kein  räum  sein  für  Lessings  bemühung  um  ein  paar 
heftchen  Friedrichs  des  grofsen ,  für  seine  mit  aller  anstrengung 
geleistete  Übertragung  einer  sorgsam  ausgewählten  und  autori- 
sierten Sammlung  Voltairescher  Schriften,  aus  denen  er  stilistisch, 
kritisch,  sachlich  soviel  lernte,  für  drameu  und  aufsätze  Diderots, 
den  er  neben  den  Aristoteles  legte?  aber  nicht  einmal  den  inhalt 
des  Voltairebaudes  erfährt  man ,  während  platz  genug  ist  für 
den  verramlerten  Logau ,  für  die  überschätzte  Österliche  triumph- 
posaune wegen  der  lexikalischen  noten,  für  Paulus  Silentiarius  ua., 
was  kein  einziger  mensch  liest,  für  alle  kleinen  fetzen  der  col- 
lectanea.  vielleicht  entschliefsen  sich  Verleger  und  herausgeber 
zu  einem  ergänzungsbande,  wenn  ihr  schönes  unternehmen,  von 
der  so  verdienten  gunst  des  publicums  begleitet,  mit  oder  ohne 
die  correspondenz  zum  abschlusse  gediehen  ist. 

Berlin,  december  1890.  Erich  Schmidt. 


FLA1SCHLEN     OTTO  HEINK.  YO.\  GEMMINGEN  14" 


Otto  Heinrich  von  Gemmingen,  mit  einer  Vorstudie  über  Diderot  als  dra- 
matiker.  'Le  pere  de  famille'  —  'Der  deutsche  hausvater'.  beitrag 
zu  einer  geschichte  des  bürgerlichen  Schauspiels,  von  Cäsar  Flaischlen. 
Stuttgart,  GJGöschen,  vi  und  163  ss.    8°.  —  4  m. 

Der  Deutsche  hausvater  vou  Gemmingen  ist  als  Seiten-  und 
gegenstück  zu  Diderots  Pere  de  famille  und  als  Vorläufer  von 
Schillers  'Kabale  und  liehe'  durch  Eckardt,  Düntzer,  Erich 
Schmidt,  OBrahm  und  den  referenten  so  oft  in  betracht  gezogen 
worden,  dass  eine  besondere  Untersuchung  nach  dieser  richtuug 
hin  von  vornherein  wenig  aussieht  auf  neue  ergebuisse  bot.  eher 
hätte  man  sich  eine  förderung  unserer  wissenschaftlichen  erkennt- 
nis  versprechen  dürfen,  wenn  die  litterarische  persönlichkeit  des 
Verfassers  in  den  mittelpunct  gestellt  worden  wäre,  dessen  leben 
und  würksamkeit  bisher  nur  fragmentarisch  zu  übersehn  war. 
leider  hat  sich  auch  diese  hoffnung,  zum  teil  durch  die  schuld 
des  Verfassers,  zum  teil  aber  auch  ohne  seiu  verschulden,  nicht 
erfüllt.  F.  hat  das  verdienst,  die  dürftigen  daten  über  das  leben 
seines  beiden  ansehnlich  vermehrt  und  die  zahlreichen  Wider- 
sprüche in  den  gangbaren  compendien  beseitigt  zu  haben,  denen 
neben  andern  auch  ich  selbst  zum  opfer  gefallen  bin,  wenn  ich 
(Schiller  n  190)  die  möglichkeit  eines  Zusammentreffens  zwischen 
Schiller  und  Gemmingeu  im  salon  Dalbergs  offen  gelassen  habe 
(Gemmiugen  war  nach  F.  bereits  1782  nach  Wien  übergesiedelt), 
eine  ausgeprägte  physiognomie  als  Schriftsteller  und  als  mensch 
bietet  uns  der  verf.  des  Deutschen  hausvaters  aueb  in  dieser  mo- 
nographie  nicht  dar.  leider  hat  F.  die  vollständige  ausnutzung 
der  ohnedies  spärlichen  und  dürftigen  quellen  unterlassen :  die 
bearbeitungen  von  Bousseaus  Pygmalion  und  den  beiden  Bicharden 
Shakespeares  schliefst  er  von  der  näheren  betrachtung  ganz  aus; 
von  dem  Schauspiel  'Die  erbschaft'  gibt  er  nur  eine  ungenügende 
inhaltsangabe;  die  Zeitschriften  der  Wiener  periode  Gemmingens 
versteht  er  nicht  in  ihrem  Zusammenhang  mit  den  josefinischen 
tendeuzen  und  dem  'Mann  ohne  Vorurteil'  von  Sonnenfels  zu  cha- 
racterisieren,  sondern  er  begnügt  sich  mit  dürftigen  Inhaltsver- 
zeichnissen und  aus  dem  Zusammenhang  gerissenen  schlagworten 
(anhang,  beilage  v — vn).  da  er  das  drama  'Sidney  und  Silly'  dem 
verf.  des  Deutscheu  hausvaters  mit  gutem  grund  abspricht,  bleibt 
also  für  die  eingehende  analyse  nur  die  Mannheimer  drama  tu  rgie 
und  der  Hausvater  selbst  übrig,  die  Mannheimer  dramaturgie 
darf  eine  mehr  als  locale  bedeutung  für  sieb  nicht  in  ansprach 
nehmen,  sie  bietet  in  ihren  erörterungen  über  <l;is  monodrama, 
in  ihrem  kämpf  gegen  die  französischen  einheiten  und  für  Shake- 
speare nur  wenig  originelles  (zu  F.  s.  731  vgl.  Herder!),  und 
gerade  das  originellste  bat  unser  verf.  am  wenigsten  heraus- 
gehoben. Gemmingeu  gibt  i'wu-  analyse  des  Macbeth  (in  Wagners 
iibri'setzung)   und   der    letzten   acte   des  Hamlet,    in    welcher    er 

In- 


148  FLAlSCHLEN     OTTO  HEINR.   VON  GEMMINGEN 

das  original  der  Bodischen  bearbeituog  gegenüberstellt  und  das 
Shakespearische  werk  so  (ordert,  wie  es  ist.  Lessings  Miss  Sara 
tadelt  er  nicht  wegen  des  vorhersehenden  gefühles,  wie  F.  s.  75 
sagt,  indem  er  Gemmingens  ausführungen  s.  65  ff  misversteht, 
sondern  weil  es  die  Zuschauer  sehr  oft  kalt  lasse,  locale  bedeutung 
hat  dagegen,  wie  F.  selbst  hervorhebt,  Gemmingens  abueigung 
gegen  die  Übersetzung  französischer  trauerspiele,  welche  sich  auf 
die  Schauspieler  Beck ,  Beil  und  Iffland  forterbt,  aber  auch  die 
costümfrage  wird  s.  83  f  gelegentlich  des  'Montrose'  von  Dierecke 
erörtert:  'Warum  haben  sie  das  Stück  in  französischer  Kleidung  ge- 
spielt? so  fragte  mancher,  der,  gewohnt  an  die  Strenge  des  Costums  des 
französischen  Theaters,  diese  Hinrückung  in  die  Zeiten  der  wahren 
Geschichte  ungern  vermisste.  Die  Untersuchung  von  der  Notwendig- 
keit des  Costums  ist  hier  zu  weitläufig  —  ich  werde  es  versparen 
auf  ein  andermal  zu  untersuchen,  ob  man  mehr  gewinne,  durch  das 
Versetzen  ins  Alterthum ,  oder  ob  das  nur  Vergnügen  für  den 
Kenner  der  Geschichte,  für  den  Gelehrten  seye;  und  ob  wir  an 
dem  Manne ,  der  einen  Rock  trägt  wie  der  unsrige ,  nicht  mehr  Theil 
nehmen,  ihn  nicht  mehr  wie  unser  eins  glauben;  besonders  ob  das 
nicht  fürs  Volk  wahr  seye,  und  ob  die  Engländer  unrecht  haben, 
wenn  sie  Hamlet  und  alle  übrige  Stücke,  die  nicht  gerade  atis  denen 
jedermann  bekannten  griechischen  und  römischen  Zeiten  sind,  in 
gewöhnlicher  Kleidung  aufführen?  —  Ohne  also  diese  Untersuchung 
zu  machen,  antworte  ich  auf  jene  Frage  Mos  dieses:  So  lang 
unsre  teutsche  Bühnen  nicht  reich  genug  sind,  dass  sie  für  jedes 
Stück  die  gehörige  Kleider  haben  können,  so  ist  es  immer  besser, 
wenn  sie  dem  Costume  der  Tracht  ganz  entsagen,  da  Fehler  in 
dieser  Sache ,  falsche  Versetzung  der  Zeit,  noch  viel  unverzeihlicher 
ist.'  die  costümfrage  des  Mannheimer  theaters  hat  bekanntlich 
auch  Schillers  bearbeitung  der  Bäuber  und  seinen  Fiesco  be- 
rührt: Schiller  i  403 ;  ii  65  und  598.  —  s.  73  ff  spricht  Gem- 
mingen von  der  würkung  der  Schaubühnen  und  namentlich 
in  der  folgenden  stelle  ähnlich  wie  Schiller:  'Man  sage  mir 
wider  die  Wirksamkeit  des  Schauspiels,  was  man  will;  es  ist  nie- 
malen eine  Gelegenheit,  wo  der  Mensch  lebhafterer  Eindrücke  und 
Empfindungen  fähig  ist  als  dort ;  bei  jeder  andern  Versammlung 
kommen  die  Menschen  aus  Pflicht  oder  Zwang  zusammen;  im 
Schauspielhause  geht  jeder  aus  freyem  Willen,  räumt  in  dem 
Augenblick,  so  viel  er  nur  immer  kann,  alle  andre  Vorstellungen 
aus  seiner  Seele,  erwartet  mit  Lebhaftigkeit ,  ist  bereit  anzunehmen 
und  freuet  sich  zum  voraus  auf  jeden  Eindruck ,  den  man  seiner 
Seele  geben  will.  Zudem,  die  Menge  zum  nämlichen  Endzweck  ver- 
sammelter Menschen,  eine  gewisse  immer  damit  verbundene  Feyerlich- 
keit ,  das  Gefühl,  dass  in  der  ganzen  Versammlung  gewisse  Ein- 
drücke so  allgemein  wirken,   dass  sie  zur  Stimme  der  Menschheit 

werden, all   das  sind  Mittel,   um  auf  Menschen  zu  wirken, 

die  nur  die  Schauspielkunst  hat.'    ähnlich  freut  sich  auch  Schiller 


FLA1SCHLEN     OTTO  HEI.NR.   VON  GEMMI.NGE.N  149 

darüber,  dass  die  Schaubühne  die  durch  mode,  zwang  und  Schicksal 
geschiedenen  menschen  in  banden  schöner  gleichheit  wider  vereine 
(Schiller  n  291  f).  ...  nicht  immer  ist  die  spräche  in  Gemmingens 
dramaturgie  so  gehoben;  oft  redet  er  auch  im  gevatterton  des 
Wandsbecker  boten  zu  seinem  lieben  publicum. 

Die  Untersuchung  über  den  hausvater  bietet,  wie  zu  erwarten 
stand,  wenig  neues,  einem  hinweis  Erich  Schmidts  auf  etwaige  er- 
lebnisse  hat  F.  nicht  folgen  können,  auf  den  heimkehrenden  und 
die  Verwirrungen  seiner  söhne  schlichtenden  vater  im  römischen 
lustspiel  ist  er  nicht  gekommen,  selbst  die  einwiirkung  auf  Kabale 
und  liebe  ist  nur  äufserlich  aufgezeigt  (vgl.  jetzt  auch  Ernst  Müller 
in  Tübingen,  Correspondenzblatt  für  die  gelehrten  und  realschulen 
Württembergs  1891,  1  und  2  lieft  s.  27  ff),  dieses  capitel  recht- 
fertigt kein  neues  buch  über  Gemmingen. 

Leider  ist  auch  die  darstellung  ziemlich  nachlässig  und  schleu- 
derhaft, der  inhalt  ist  zwischen  der  biographie,  der  litterarhistori- 
schen  Untersuchung  und  dem  anhang  kunterbunt  verteilt,  hei 
der  aufzählung  und  benennung  der  zahlreichen  drucke  des  Haus- 
vaters bekundet  der  verf.  ein  rührendes  Ungeschick,  welches 
seineu  sammelfleifs  wider  um  das  verdienst  bringt,  namentlich 
aber  ist  der  Stil  unverantwortlich  salopp:  'diesbezüglich'  ist  hier 
geradezu  ein  lieblingswort;  s.  120  'Gotters  Marianne  spielt  am 
tag  deren  einkleidung  als  nonne';  s.  130  'in  mehr  nur  litterarischen 
beziehungen  zu  Gemmingen  steht  Brandes';  s.  132  'der  hausvater 
ist  im  präsident  Walter  zu  seinem  extremen  gegensatz  geworden.' 
der  begabte  verf.  hätte  an  einer  geschickteren  stelle  eingreifen 
und  weniger  nachlässig  arbeiten  sollen. 

Wien,  januar  1891.  Minor. 


Die  Kantischen  Studien  Schillers  und  die  komposition  des  'Wallenstein',  von 
dr  Eugen  Kühnemann.  Marburg:,  Oscar  Ehrhardt,  1889.  vm,  82. 
ll  88.    n  34  ss.     8°.  —  5  in. 

Das  buch  zerfällt  in  drei  selbständige,  auch  selbständig  pagi- 
nierte teile:  i.  Die  gedankenbildung  Schillers  unter  dem  einllusse 
Kants,  ii.  Entstehung  und  composition  des  'Wallenstein',  in.  Die 
persönlichkeit  Schillers. 

Die  erste  der  drei  abhandlungen  bildet  einen  wesentlichen 
fortschritt  gegen  die  bisherigen  darstellungen  von  Schillers  philo- 
sophischen ansichten,  insbesondere  gegen  die  arbeiten  von  Hemsen, 
Tomaschek  und  Ueberweg.  allerdings  ist  hier  nicht  alles  ver- 
dienst dem  verf.  zuzuschreiben,  dankbar  vielmehr  erkennt  er 
selbst  es  an,  dass  erst  das  geistvolle  buch  von  Hermann  Cohen 
'Kants  begründung  der  ethik'  ihm  die  rechte  methode  der  Unter- 
suchung gezeigt  habe,  dennoch  blieb  für  K.  noch  manches 
problem  selbständig  zu  lösen,  als  Vorarbeit  muste  die  Stellung 
der   ästhetik    innerhalb    des   Systems   der  Ka mischen   philosophie 


150  KÜHNEMANN     DIE  HÄMISCHEN  STUDIEN  SCHILLERS 

fixiert  werden,  dann  erst  bot  sich  genügende  Sicherheit  zur  be- 
antwortung  der  fragen,  wie  tief  Schiller  in  das  Studium  und  Ver- 
ständnis Kants  eingedrungen  sei,  in  welchen  puncten  er  mit  ihm 
übereinstimmt,  in  welchen  er  von  ihm  abweicht  und  in  welchen 
er  seine  lehre  weiter  gebildet  hat.  K.  hat  die  einzig  richtige 
methode  angewandt,  um  in  diese  Verhältnisse  licht  zu  bringen: 
er  stellt  nicht  die  ganze  Schillersche  philosophie  als  ein  einziges 
grofses  lehrgebäude  dar,  sondern  er  verfolgt  den  Werdegang  der 
einzelnen  ideen,  indem  er  die  philosophisch-ästhetischen  Schriften 
in  historischer  reihenfolge  bespricht  und  aus  jeder  diejenigen 
elemente  heraushebt,  welche  eine  weiterentwickelung  des  Schil- 
lerschen  geistes  auf  grundlage  seiner  bisherigen  anschauungen 
beweisen,  indem  dann  das  fertige  system  der  Kantischen  und  das 
werdende  System  der  Schillerschen  philosophie  zu  einander  in 
beziehung  gebracht  werden,  lässt  sich  der  einfluss  des  meisters 
auf  den  schüler  klar  erkennen. 

Als  ankniipfungspuncte  an  die  Kantische  lehre  boten  sich 
in  Schillers  gedankenbau  der  vorkantischen  periode  im  wesent- 
lichen ethische  grundlehren  dar,  nämlich  die  von  der  inneren 
sittlichen  notwendigkeit  und  die  von  einem  kämpf  der  sinnlichen 
triebe  mit  der  freien  Pflichterfüllung,  und  so  sucht  er  in  den 
ersten  beiden  ästhetisch -philosophischen  abhandlungen  durchweg 
von  ethischen  gedanken  aus  die  ästhetik  zu  bereichern,  ander- 
seits aber  einen  compromiss  zwischen  den  noch  mangelhaft  er- 
fassten  Kantischen  gedanken  und  seiner  eigenen  bisherigen  theorie 
von  der  Vollkommenheit  und  glückseligkeit  herzustellen,  gründ- 
liches Studium  Kants  erst  konnte  hier  im  jähre  1793  reinere 
ideen  zeitigen,  insbesondere  die  definition  der  Schönheit  als 
freiheit  in  der  erscheinung,  die  von  nun  an  das  fundament  der 
ganzen  Schillerschen  philosophie  ist.  auf  ethischem  wie  auf 
ästhetischem  gebiet  war  die  freiheitsidee  der  ausgangspunct.  kein 
wunder,  dass  in  der  folgezeit  Schillers  Untersuchungen  oft  von 
dem  einen  gebiet  in  das  andere  hinüberschweifen  und  dadurch 
an  klarheit  und  folgerichtigkeit  einbufse  erleiden,  eingehend 
weist  K.  nach,  wie  sich  ästhetik  und  moral  des  öfteren  in 
Schillers  betrachtungen  gegenseitig  gestört  und  gehemmt  haben, 
auch  die  gefahren,  welche  in  dem  streben  nach  unmittelbarer 
practischer  anwendung  und  historischer  Verallgemeinerung  der 
gefundenen  theorien  lagen,  sind  widerholt  berücksichtigt  worden, 
alle  diese  kleinen  Unsicherheiten  und  Übereilungen  jedoch,  welche 
zum  teil  daraus  entstanden,  dass  Schiller  nicht  die  'Kritik  der 
reinen  Vernunft',  sondern  die  'Kritik  der  Urteilskraft'  und  die 
'Kritik  der  praclischen  Vernunft'  zum  ausgangspunct  genommen 
hatte,  werden  weit  überstrahlt  von  der  strengen  consequenz, 
welche  durch  Schillers  ganze  gedankenarbeit  hindurchgeht,  von 
den  briefen  an  Körner  im  aufang  des  Jahres  1793  bis  zu  dem 
gipfelpunct  seiner  speculativen  Untersuchungen,  den  'Briefen  über 


RÜHNEMANN    DIE  KANTISCHE.N  STUDIEN  SCHILLERS  151 

ästhetische  erziehung'  und  der  eng  dazugehörigen  schritt  'Über 
naive  und  sentimentalische  dichtung'.  diese  consequenz,  in- 
sonderheit die  stete  einheit  des  ethischen  interesses  mit  dem 
ästhetischen  hei  Schiller  nachgewiesen  zu  haben,  ist  das  haupt- 
verdienst K.s;  eingehende  analyse  der  einzelnen  abhandlnngen 
Schillers  ergah  sogleich  klare  aufschlüsse  über  gruppierung  und 
Zusammengehörigkeit  derselben,  interessant  sind  hier  die  beiden 
aufsätze  'Über  das  erhabene',  deren  erster  die  notwendige  er- 
gänzung  zu  der  schrift  'Über  anmut  und  würde'  bildet,  der 
andere  zweifellos  unter  die  Supplemente  zu  den  briefen  über 
ästhetische  erziehung  gehört,  eine  empfindliche  lücke  der  arbeit 
K.s  —  die  aber  der  verf.  selbst  auszufüllen  verspricht  —  ist 
nur  die,  dass  er  die  entwickelung  von  den  Originalbriefen  an  den 
herzog  von  Augustenburg  bis  zu  der  schrift  über  ästhetische  er- 
ziehung, sowie  überhaupt  Fichtes  einfluss  auf  Schiller  in  jener 
zeit,  nicht  verfolgt  hat.  dankenswert  wäre  am  schluss  auch  ein 
hinweis  auf  Hölderlin  gewesen,  welcher,  fufsend  auf  Kant  und 
Schiller,  über  beide  hinauszugelangen  strebte. 

Den  fehler  so  mancher  monographien  ,  den  gegenständ,  ihrer 
Untersuchung  zu  überschätzen,  hat  K.  in  dieser  ersten  abhand- 
lung  glücklich  vermieden,  die  erkenntnis,  dass  beide  denker 
schon  unabhängig  von  einander  in  wichtigen  fundamentalsätzen 
übereinstimmten,  hat  ihn  davor  bewahrt,  Schillers  Kantische 
Studien  allzu  hoch  anzuschlagen,  der  einfluss  Kants  auf  Schiller 
besteht  mehr  in  der  systematischen  Schulung,  in  der  befestigung, 
neubelebung  und  Vertiefung  unklarer  tbeorien,  als  in  der  Über- 
tragung ausgeprägter  ideen.  er  stellt  sich  nur  als  die  fortsetzung 
eines  schon  früh  in  Schillers  innerem  vollzogenen  processes  dar, 
nämlich  als  die  Weiterbildung  der  psychologischen  methode,  welche 
zuerst  sicher  ausgebildet  in  den  Briefen  über  Don  Carlos  zu  er- 
kennen ist. 

Was  der  ersten  der  drei  abhandlnngen  von  K.  zum  vorteil 
gereicht,  das  ist  das  Verhängnis  für  die  zweite  geworden:  nur 
wer  sich  so  gründlich  in  das  Verhältnis  Schillers  zu  Kant  ver- 
senkt hatte,  konnte  aus  so  einseitigen  gesichtspuncten  die  'ent- 
stehung  und  composition  des  Wallenstein'  betrachten,  das  bild, 
welches  der  leser  aus  dieser  —  an  mehreren  stellen,  besonders 
in  den  mittelpartien ,  allzu  weitschweifigen  —  abhandlung  ge- 
winnt, ist  in  kürze  dieses:  sehr  unreif  und  fehlervoll  sind  sämt- 
liche vier  Jugenddramen  Schillers,  der  'Wallenstein'  dagegen  ist 
ein  unübertreffliches  kunstwerk.  der  grund  hierfür  ist  einzig 
darin  zu  suchen,  dass  der  dichter  bei  Kant  in  die  schulr  ge- 
gangen ist.  die  historischen  schrillen  der  zwischenzeil  (trotz 
ihrer  oft  meisterhalten  künstlerischen  disposition  und  ausfuhrung) 
sind  hier  ohne  einfluss  geblieben,  litterarische  einwürkungen  von 
aufsen  kommen  gar  nicht  in  frage. 

Gewis  wird   keiner  bestreiten,   dass   die  Kantischen   Studien 


152  KÜHNEMANN    DIE  KANTISCHEN  STUDIEN  SCHILLERS 

Schillers  dem  'Wallenstein'  zu  gute  gekommen  sind ,  und  jeder 
wird  mit  dank  die  ausführungen  in  K.s  schritt,  lesen,  wo  dieser 
zeigt,  dass  Schiller  in  seinen  früheren  kunsttheoretischen  Unter- 
suchungen sich  stets  an  einzelheiten  gehalten  und  erst  durch 
Kant  gelernt  habe,  das  kunstwerk  in  seiner  totalität  zu  betrachten, 
sowie  dass  er  deshalb  in  seinem  Wallensteindrama  einen  Orga- 
nismus, nicht  ein  conglomerat  von  einzelnen  wirkungsvollen 
scenen  schaffen  wollte,  gewis  wird  auch  jeder  zugeben ,  dass 
Wallenstein  und  Max  typen  jener  beiden  classen  der  menschheit 
sind,  welche  Schiller  in  der  abhandlung  'Über  naive  und  senti- 
mentalische  dichtung'  aufstellt,  der  realisten  und  der  idealisten. 
auch  manche  einzelheiten  der  composition  und  einige  der  in 
häufigem  gebrauch  abgenutztesten  citate  erhalten  durch  den  hin- 
weis  auf  Schillers  ästhetische  schrillen  ihre  tiefe  bedeutung  wider, 
aber  bei  alledem  bliebe  das  kunstwerk  nichts  anderes,  als  ein 
paradigma  zu  den  philosophischen  aufsätzen  des  dichters,  und  das 
ist  es  denn  doch  wol  nicht.  Schiller  konnte,  so  oft  er  die  arbeit 
um  ein  stück  gefördert  hatte,  hinterdrein  den  selbst  geschaffenen 
ästhetischen  mafsstab  an  das  erreichte  anlegen;  für  die  aus- 
arbeitung  selbst  aber  im  allgemeinen,  wie  im  besonderen  konnte 
keine  philosophie  ihm  nützen,  schreibt  er  doch  selber  an  Hum- 
boldt am  27  juni  1798:  'Ich  erfahre  täglich,  wie  wenig  der  poet 
durch  allgemeine  reine  begriffe  bei  der  ausübnng  gefördert  wird, 
und  wäre  in  dieser  Stimmung  zuweilen  unphilosophisch  genug, 
alles,  was  ich  selbst  und  andere  von  der  elementar ästhetik  wissen, 
für  einen  einzigen  empirischen  vorteil  hinzugeben.' 

Die  abhandlung  von  K.  verspricht  in  der  Überschrift,  die 
'entstehung'  und  'composition'  des  dramas  zu  behandeln,  erfüllt 
aber  nur  den  zweiten  teil  ihres  programms.  von  der  entstehung 
hören  wir  nichts  —  denn  ein  paar  briefnotizen  über  die  zeit  vom 
jan.  1791  bis  zum  nov.  1796  können  hier  doch  nicht  ausreichen, 
es  hätte  der  versuch  gemacht  werden  müssen,  den  ursprünglichen 
plan  zum  'Wallenstein',  wenn  auch  nur  in  allgemeinster  form, 
zu  reconstruieren.  des  dichters  ganzes  leben  in  den  jähren  von 
der  beendigung  des  'Don  Carlos'  an  hätte  zur  beantwortung  einer 
so  schwierigen  frage  geprüft  werden,  die  philosophischen  Studien 
mit  den  historischen  zusammen  gehalten,  die  beschäftigung  mit 
den  Griechen  in  rechnung  gezogen,  die  nachweisliche  lectüre  des 
dichters  in  jenen  jähren  und  das  repertoir  von  Ifflands  Weimarer 
gastspiel  im  jähre  1796  verglichen  werden  müssen,  dann  hätte 
sich  sicherlich  ein  anderes  bild  ergeben,  denn,  um  nur  eines 
zu  erwähnen,  sollte  Schiller  würklich  in  Wallenstein  und  Max 
nur  einen  realisten  und  einen  idealisten  haben  darstellen  wollen  ? 
sollten  ihm  nicht  ganz  bestimmte  greifbare  gestalten  vorgeschwebt 
haben,  Macbeth,  Egmont  und  Ferdinand,  der  söhn  des  herzogs  Alba? 

Das  Verständnis  der  composition  des  'Wallenstein'  hat  K.s 
Untersuchung  in  manchen  puncten  gefördert,  die  geschichte  der 


KÜHNEMANN    DIE  HÄMISCHEN  STUDIEN  SCHILLERS  153 

entstehung  aber  nicht,  das  schwierige  problem  bleibt  vielmehr 
besteho:  wie  wurde  der  dichter  des  Don  Carlos  der  dichter 
des  Wallenstein? 

Gleichen  characters  wie  die  zweite  abhandlung  ist  auch  die 
dritte,  auch  hier  finden  sich  nicht  nur  feine  einzelbemerkungen, 
sondern  auch  fruchtbare  principielle  gesichtspuncte.  durchaus 
gelungen  ist  der  nachweis,  wie  in  Schillers  leben  sich  die 
äufseren  erlebnisse  und  die  innere  geistesarbeit  gegenseitig  be- 
einflussten.  die  not  und  Unsicherheit  der  Jugend  hat  unreife 
lebensanschauungen  und  Unzufriedenheit  zur  folge,  aus  der  in 
Schillers  philosophie  ein  construiertes  bild  der  weit  und  im  leben 
die  Sehnsucht  nach  einer  schwärmerischen  freundschaft  entspringt, 
als  diese  ihm  zu  teil  wird  und  nach  und  nach  einen  ruhigeren 
und  ernsteren  character  annimmt,  ist  er  auch  im  stände,  sich 
der  reiferen  beschäftigung  mit  historischen  Studien  zu  widmen, 
aber  noch  immer  kann  er  nicht  zu  befriedigung  und  genuss 
kommen,  noch  immer  muss  er  hoffen  und  sein  leben  voraus 
construieren;  darunter  leidet  alle  seine  geistige  tätigkeit  in  jenen 
Jahren,  erst  nach  erfüllung  der  letzten  ansprüche,  die  er  an 
das  leben  stellte,  nach  seiner  eheschliefsung  und  der  erlangung 
einer  sicheren  existenz,  befestigte  sich  mehr  und  mehr  in  ihm 
das  gefühl  seiner  individualität  und  seines  berufes.  und  da  erst 
konnte  er  in  eine  periode  ruhigerer  und  planvollerer  arbeit  ein- 
treten, in  das  Studium  Kants. 

Bis  hierher  muss  mau  K.  ohne  zweifei  zustimmen,  und  auch 
der  salz:  'die  zeit  der  arbeit  am  'Wallenstein'  ist  die  zeit  der 
vollen  durchbildung  der  persönlichkeit  Schillers'  trifft  das  richtige, 
protest  erheben  muss  man  nur  dagegen,  dass  widerum  in  dieser 
ganzen  9jährigen  periode  einzig  das  Studium  Kants  die  Persön- 
lichkeit Schillers  ausgebildet  haben  soll,  erwähnt  werden  zwar 
gelegentlich  auch  andere  einflösse,  aber  sie  verblassen  sämtlich 
vor  dieser  einen  sonne,  den  grund  des  einseitigen  urteils  glaubt 
ref.  darin  zu  finden,  dass  K.,  der  doch  den  wert  der  Kantischen 
Studien  für  Schillers  ganzes  leben  nachweisen  wollte,  nicht  dieses 
ganze  leben  bis  zu  seinem  ende  ins  äuge  gefasst  hat.  der  'Wallen- 
stein' ist  das  letzte  werk,  welches  K.  bespricht;  die  ganze 
Weimarer  zeit  Schillers,  die  eine  gute  controle  der  vorgetragenen 
ansichten  dargeboten  hätte,  ist  aufser  acht  gelassen.  daher 
konnte  auch  das  ungerechte  urteil  entstehn,  welches  über  den 
einfluss  der  drei  freunde  Schillers  gefällt  wird:  der  anteil  Hum- 
boldts wird  zu  hoch  angeschlagen,  weil  Schiller  gerade  zur  zeit 
des  Kautstudiums  mit  ihm  in  regstem  briefwechsel  stand ;  der 
einfluss  Körners  in  der  späteren  zeit  wird  allzu  geringgeschätzt; 
und  von  Goethe  heifst  es  ausdrücklich,  er  habe  nur  deshalb  so 
woltätig  einwürken  können,  weil  Schiller  durch  das  Kantische 
Studium  vorbereitet  war.  kurz,  'erst  in  der  schule  Kants  ward 
Schiller  der  ganze  Schiller.'     nicht   also   durch    (Im    lebendigen 


154  KÜHNEMANN     HIE    KAMISCHEN    STUDIEN    SCHILLERS 

verkehr    mit    menschen,    somlern    durch    die  „beschäftigung    mit 
büchern  soll  sich  diese  starke  Individualität  ausgebildet  haben. 

Es  ist  wiirklich  schade,  dass  R.s  buch,  dessen  erster  teil 
in  so  objectiver  weise  seinen'  gegenständ  behandelt,  in  den 
schlusspartien  so  einseitige  urteile  vorträgt;  doppelt  schade,  weil 
der  lebhafte  ton  der  darstellung  —  die  freilich  nicht  stets  auf 
gleicher  höhe  bleibt  —  es  beweist,  mit  welcher  liebe  der  verf. 
seine  Untersuchung  geführt  hat.  dies  bedauern  soll  uns  aber 
nicht  hindern,  das  buch  dennoch  zu  empfehlen,  denn  die  geist- 
volle erste  abhandlung  verdient  durchaus  Zustimmung;  und  selbst 
die  späteren  partien  sind  anregend,  auch  wo  sie  den  Wider- 
spruch herausfordern. 

Hamburg.  Albert  Küster. 

Neue  Schriften  zur  Poetik. 

1)  Prolegomena  der  lilterar-evolutionistischen  poetik.     von  dr  Eugen  Wolff, 

privaldocenten  an  der  Universität  Kiel.   Kiel  und  Leipzig,  Lipsius  &  Tischer 
1890.     32  ss.    gr.  8°.  —  1  m.* 

2)  Dramaturgische  vortrage,     von   Alfred   freiherrn  von   Berger.     Wien, 

CKonegen  1890.     3  bll.  und  266  ss.  .  8°.  —  4  m.** 

3)  Die  anfange  der  poesie.    grundlegung  zu  einer  realistischen  entwickelungs- 

geschichte  der  poesie  von  Ludwig  Jacorowski.     Dresden  und  Leipzig, 
EPierson  1891.     vm  und  141  ss.     8°.  —  2,50  m. 

Immer  zahlreicher  werden  die  schritten,  die  durch  ihr  blofses 
erscheinen  lehren,  wie  tief  das  bedürfnis  nach  einer  neuen,  von 
der  bisherigen  in  ziel  und  methode  verschiedenen  poetik  in  stets 
sich  erweiternden  kreisen  sein  muss.  wer  mit  aufmerksamkeit 
die  arbeiten  verfolgt,  merkt  den  Umschwung  der  ganzen  auf- 
fassung,  der  sich  allmählich  vollzieht,  die  einzelnen  fragen  werden 
herausgegriffen  und  wenigstens  von  allen  seiten  erwogen,  wenn 
auch  noch  keine  befriedigende  antwort  bereit  liegt,  es  ist  eine  zeit 
des  versuchens  gekommen,  deren  wert  und  bedeutung  nicht  unter- 
schätzt werden  soll,  man  ist  bescheidener  geworden,  man  hofft 
nicht  mehr  in  kühnem  Sprunge  zu  erreichen,  was  nur  der  sorg- 
samen, eindringenden  arbeit  gelingt,  man  gleicht  dem  berghäuer, 
der  einen  Stollen  auf  gut  glück  anschlägt,  wenn  er  auch  nicht 
sicher  weifs,  dass  sich  ihm  eine  ergibige  ader  auftun  wird,  aber 
wir  alle  werden  von  der  Überzeugung  beseelt,  dass  nur  auf  diesem 
wege  sich  der  segen  des  berges  erringen  lasse,  und  erwarten 
für  die  zukunft  einen  gewinn,  den  vielleicht  die  gegenwart  noch 
wird  entbehren  müssen,  in  diesem  sinne  und  nur  in  diesem 
sinne  wollen  alle  diese  Schriften  betrachtet  werden,  und  deshalb 
muss  der  betrachtende  nicht  so  sehr  die  resultate  erwägen,  als 
die  methode  des  forschens. 

Wenn  wir  uns  dies  vor  äugen  halten,  wird  das  lieft  von 
EWolff   richtig  verstanden  werden,    wird  der   kritik   aber  auch 

*  [vgl.  Arch.  f.  d.  stud.  d.  neuern  spr.  86,  91  (ADöring).] 
**  [vgl.  Beil.  z.allg.  ztg.  1891   nr  62  (OFWalzel).] 


WOLFF     l'ROLEGOME.NA    DER    POETIK  155 

der  einzig  mögliche  standpunct  gewiesen,  darum  nimmt  sich 
die  arbeit  auch  selbst  wie  eine  recension  u.  z.  der  methode  von 
Scherers  nachgelassener  Poetik  aus.  wesentlich  zwei  dinge  sind 
es,  auf  welche  W.  wert  zu  legen  scheint,  das  litterar- evolutio- 
nistische  princip  und  die  urform  der  poesie.  ihr  Zusammenhang 
ist  nicht  zu  verkennen,  wenn  man  auch  nicht  läugnen  kann,  dass 
im  gegenwärtigen  augenblicke  ihr  gemeinsames  besprechen  noch 
recht  mislich  ist,  besonders  bei  W.s  etwas  zu  kühn  vordringender 
art.  W.  will  uns  lehren,  wie  der  boden  bereitet  werden  müsse, 
um  gute  frucht  zu  tragen,  lässt  aber  zu  gleicher  zeit  ein  wogendes 
ährenfeld  vor  unseren  blicken  erscheinen  und  möchte  sofort  auch 
die  reiche  ernte  in  die  scheuer  briugen  uud  das  alles  auf  dem 
engen  räume  von  32  Seiten,  das  ist  zuviel  auf  einmal;  es  wäre 
jedoch  vorschnell,  wenn  man  deshalb  das  schriftchen  kurzer  band 
ablehnte,  das  wesen  seiner  betrachtung  scheint  mir  zur  einen 
hälfte  richtig,  zur  andern  nach  unserer  bisherigen  kenntnis 
falsch;  an  dem  richtigen  teile  habe  wenigstens  ich  noch  nie  ge- 
zweifelt, muss  aber  annehmen,  dass  man  daran  zweifeln  kann, 
da  W.  so  eifrig  für  diesen  teil  eintritt.  W.  betont,  dass  die 
litteratur  etwas  immer  werdendes  sei,  dass  sich  die  verschiedenen 
dicbtungsarten  entwickeln,  dass  deshalb  auch  die  lehre  von  den 
dichtungsarten,  die  poetik,  nicht  unveränderlich  sei,  sondern  mit 
der  litteraturentfaltung  gleichen  schritt  halten  müsse,  aufgäbe 
der  poetik  ist  zu  erforschen,  was  bei  berücksichtigung  aller  (vor- 
handenen und  möglichen)  anwendungen  das  wesen  der  poesie 
sei.  eine  nicht  zu  umgehende  Voraussetzung  dieser  lehre  ist  die 
erforschung  dessen,  was  den  verschiedenen  Völkern  und  Zeiten 
als  poesie  galt,  nun  meint  W.,  dass  eben  weder  die  verschiedenen 
Völker,  noch  dasselbe  volk  zu  verschiedenen  Zeiten  seiner  ent- 
wickelung  darüber  einer  meinung  gewesen  sei,  dass  manches  volk, 
manche  zeit  mehr  die  eine,  mehr  die  andere  seite,  mehr  das 
ethische,  mehr  das  moralische,  mehr  das  humanistische  oder  mehr 
das  ästhetische  in  dichtung  und  theorie  bevorzugt  habe,  ist  es 
nun  überhaupt  möglich,  in  diesen  verschiedenen  formen  von 
poesie  und  poetischer  theorie  das  einheitliche  princip  zu  erfassen? 
W.  macht  an  der  deutschen  tragödie  seit  HSachs  eine  probe  dieser 
erkennt nismethode.  sein  weg  ist  etwa  folgender:  für  HSachs 
macht  erst  'absolut  trauriger,  entsetzlicher  endeindruck' die  tragödie, 
Ayrer  oder  der  Braunschweiger  sehen  das  ziel  des  tragischen  im 
'blutig  grässlichen  schlüsseltet',  Gryphius  bringt  den  schauer  bis 
zum  überwältigenden,  der  anfang  des  18  jhs.  'bewundern ng  und 
schrecken'  in  die  tragödie.  in  dieser  änderung  dürfen  wir  eine 
allmähliche  entwickelung  erkennen ,  es  fragt  sich  aber,  worin  sie 
besteht.  W.  antwortet:  im  streben  nach  der  rechten  mischung  'von 
aufsergewöhnlicher  gröfse  und  menschlicher  naturlreue';  besser 
ausgedrückt:  von  dem  aufsergewöhnlichen  und  dem  allgemein 
menschlichen.     Lessing  verstärkt  nun  die  menschlichkeit ,  Schiller 


156  SCHRIFTEIS    Zl'R    POETIK 

steigert  die  majestät  des  Schicksals,  also  das  aufsergewöhnliche, 
Goethe  dagegen  scheint  in  der  Gretchentragödie  die  richtige 
mischung  gefunden  zu  haben,  und  damit  ist  ein  abschluss  der 
entwickelung  erreicht  —  freilich  müsten  wir  hinzusetzen ,  nur 
ein  vorläufiger;  aber  W.  geht  auf  das  moderne  drama  nicht 
weiter  ein.  nach  seiner  ansieht  müste  nun  die  poetik  der  Zu- 
kunft auf  gleichem  wege  auch  bei  anderen  Völkern  die  ent- 
wickelung des  tragischen  bis  zu  einem  ähnlichen  abschlusse 
verfolgen  und  dann  fragen:  ist  gemeinsames  in  all  dem  be- 
obachtungsmateriale  zu  erkennen?  nehmen  wir  an,  die  litterar- 
evolutionistische  poetik  sei  bis  zu  diesem  punete  gelangt,  wer 
kann  nun  weiterhelfen?  wie  ist  es  überhaupt  möglich,  in  dieser 
buntheit  den  roten  faden  zu  entdecken?  nach  W.s  gewis  richtiger 
ansieht  muss  die  philosophie,  speciell  die  psychologie,  zu  hilfe  kom- 
men, sie  wird  erwägen  müssen,  welche  würkungen  alle  diese 
verschiedenen  formen  des  tragischen  auf  die  menschliche  seele  her- 
vorbringen, was  empfinden  wir  bei  der  tragödie?  W.  versucht 
auch  hierfür  eine  antwort  anzudeuten,  indem  er  feinsinnig  zwi- 
schen den  empfindungen  während  des  Verlaufes  der  tragischen 
handlung  und  den  empfindungen  nach  ihrem  abschluss  durch  die 
katastrophe  unterscheidet,  wol  fühlen  wir  furcht  und  mitleid  für 
den  helden,  aber  unser  Schlusseindruck  ist  weder  furcht  für  ihn 
noch  für  uns,  auch  nicht  mitleid  für  ihn;  trotzdem  erfahren  wir 
eine  tragische  würkung;  sie  besteht  in  einer  von  jedem  Stoffe 
losgelösten  erschütterung.  die  nächste  frage  ist,  wie  uns  eine 
solche  erschütterung  angenehm,  wolgefällig  sein  könne.  W.  meint, 
die  tragische  erschütterung  enthalte  zweierlei:  erleichterung  und 
anregung,  —  Schiller,  welchen  übrigens  VV.  dabei  nicht  erwähnt, 
nannte  dies  anspannung  und  abspannung.  anregung  bietet  nun 
aber  jeder  poetische  genuss,  also  müsse  die  erleichterung  die 
speeifisch  tragische  würkung  sein,  diese  erleichterung  bestehe 
in  der  entladung  der  in  uns  verborgen  ruhenden  wehmut,  in 
der  entladung  von  einem  uns  immanenten  thränenreiz.  wir 
sind  also  auf  diesem  wege  bei  der  aristotelischen  ansieht  augelangt; 
denn  nach  Bernays  heifst  eben  katharsis:  entladung.  nach  W.s 
meinung  könnte  demnach  die  lilterar-evolutionistische  poetik  die 
viel  behandelten  worte  des  'vaters  der  poetik'  etwa  übersetzen: 
die  tragödie  ist  die  nachahmende  darstellung  usw.  .  .  .  nicht 
durch  erzählung,  sondern  'durch  mit  -  leiden  und  furcht  be- 
wirkend die  entladung  von  solchen  immanenten  leidensempfin- 
dungen'.  die  tragische  würkung  wäre  zu  erklären  als  'entladung 
von  eigener  immanenter  wehmut  vermittelst  Vorstellung  eines 
starken,  zur  katastrophe  führenden  leidens  eines  anderen  menschen, 
durch  den  blofsen  schein  der  Vorstellung  losgelöst  von  aller  im 
leben  damit  verbundenen  Unlust',  so  glaubt  W.  gezeigt  zu  haben, 
wie  er  sich  das  gewinnen  eines  sicheren  resultates  durch  seine 
methode  denkt,     man  darf  nicht  vergessen,   dass   dieses  resultat 


WOLFF     PROLEGOME.NA    HER    POETIE  157 

ein  hypothetisches  und  vorläufiges  ist1;  oh  es  sich  bewähren  wird, 
ist  eine  andere  frage;  sie  zu  bejahen  würde  ich  nicht  wagen  und 
zwar  aus  folgendem  bedenken:  wir  müsten  annehmen,  dass  in 
uns  wehmut  gebunden  sei,  deren  teilweise  entladung  durch  die 
tragödie  uns  vergnügen  macht;  dies  setzt  natürlich  voraus,  dass 
für  uns  die  immanente  wehmut  etwas  unangenehmes  sei;  dann 
aber  müste  jene  tragödie  für  uns  die  angenehmste  sein,  welche 
den  größtmöglichen  teil  von  immanenter  wehmut  löste  oder  den 
stärksten  reiz  auf  unsere  thränendrüse  ausübte,  wohin  kämen 
wir  aber  auf  diesem  wege  als  zu  —  Charlotte  Birch  -  Pfeiffer  und 
consorten?  man  sage  nicht,  dass  ich  übertreibe;  diese  meinung 
wäre  nur  die  unzweifelhafte  consequenz  der  W.schen  ansieht, 
hier  hat  also  die  methode  noch  eine  lücke,  welcher  sie  die  auf- 
merksamkeit  im  vollsten  mafse  wird  widmen  müssen. 

W.  geht  kühn  noch  einen  schritt  weiter  und  wirft  einen 
blick  in  das  Kanaan  der  poelik  auch  für  die  andern  gattungeu  der 
poesie.  vielleicht,  so  träumt  er,  wird  die  poetik  der  Zukunft 
nachweisen,  die  würkung  der  komödie  sei  'entladuug  von  eigenem 
immanenten  lachreiz  durch  die  vorgestellte  lächerlichkeit  anderer 
menschen';  wider  müsten  wir  einwenden,  dass  dann  etwa  'Die 
gigerlu  von  Wien'  eine  vollendete  komödie  wären;  wenigstens 
wird  in  Wien  bei  jeder  aufführung  gebrüllt  vor  lachen2,  als 
würkung  des  epos,  so  sagt  W.  weiter,  könne  sich  'die  entladung 
von  uns  immanenter  neigung  zur  bewunderung  (des  erhabenen) 
durch  Vorstellung  der  gröfse,  hoheit  oder  furchtbarkeit  (bewun- 
dernswerter hehlen)',  als  würkung  der  lyrik  'entladung  von  eignen, 
in  uns  schlummernden  empfiudungen  durch  darstellung  der  em- 
pfindung  anderer'  ergeben ,  und  somit  wäre  die  würkung  der 
poesie  überhaupt:  entladung  von  eigenen  immanenten  seelen- 
affectionen,  tälige  erleichterung  der  eigenen  seele  durch  darstel- 
lung fremden  lebens;  da  nun  alle  poesie  auch  anregen  muss, 
würde  sie  durch  darstellung  fremden  lebens  nicht  blos  negativ- 
erleichternd, sondern  auch  positiv-bereichernd  lust  erwecken,  ich 
glaube  nicht,  dass  die  psychologische  beobachlung,  welcher  sich 
VV.  zur  erläuterung  bedient,  unzweifelhaft  richtig  ist;  denn  einmal 
ist  ihm  die  erschütterung  die  speeiüsch  tragische  würkung,  dann 
aber  entdeckt  er  sie  auf  alleu  gebieten  der  poesie;  auch  sinne 
ich  vergebens  nach ,  wie  ein  epos  gleich  der  Odyssee  zu  W.'s 
formel  passen  soll. 

1  \V.  selbst  hält  es  für  möglich,  dass  die  litterar -evolutionistische 
poetik  zu  einem  ganz  anderen  ergebnisse  kommen  könne;  er  deutet  eben 
nur  den  weg  an.  behält  man  dies  im  äuge,  dann  wird  man  den  anfangs 
verblüffenden  satz  s.  22 f  richtig  verstehn,  dass  er  diese  definilion  durch  seine 
methode  'unter  benutzung  des  gesammtmaterials'  und  nicht  blofs  einiger 
'classischer  beispiele'  gewonnen  habe,  allerdings  greift  auch  er  nur  einige 
classische  beispiele  heraus,  aber  nur  unter  der  annähme,  dass  sie  ihm  für 
jetzt  das  gesammtmaterial  repräsentieren. 

2  auch  macht  \V.  keinen  unterschied  zwischen  tragisch  und  tragödie, 
beziehungsweise  komisch  und  komödie! 


158  SCHUIFTEN    ZUR    POETIK 

üb  W.  gut  daran  tat,  in  so  umfassender  weise  schou  jetzt 
die  resultate  auszumalen ,  zu  welchen  die  von  ihm  geplante  poetik 
führen  könne,  möchte  ich  bezweifeln,  er  will  wie  wir  alle  eine 
iuductive  methode.  da  nun  die  poetik  von  den  dichtungsarten 
haudelt,  diese  aber  durch  dichtungen  vertreten  sind,  so  muss  sie 
unzweifelhaft  von  den  dichtungen  ausgehu,  und  die  frage  kann 
nur  sein,  ob  sie  einige  hervorragende  werke  jeder  gattung  heraus- 
greifen dürfe,  oder  ob  sie  möglichst  viele  dichtungen  durchforschen 
müsse.  W.  tritt  für  die  zweite  möglichkeit  ein,  und  ich  glaube 
nicht,  dass  er  dabei  Opposition  zu  fürchten  hat.  je  reicher  das 
beobachtungsmaterial,  desto  sicherer  die  iuduction,  desto  geringer 
die  fehlerquellen,  desto  wahrscheinlicher  ein  allgemeingiltiges 
resultat.  das  ideal  wäre  eine  durchforschuug  aller  dichtwerke 
aller  zeiten.  da  dies  natürlich  unerreichbar  ist,  so  müssen  wir 
nach  einem  ersatz  ausschauen,  die  litteraturgeschichte  muss  zu 
hilfe  kommen,  indem  sie  möglichst  genau  den  tatbestand  fest- 
stellt, und  damit  kommen  wir  zu  einem  puncte,  den  W.  ganz 
aufser  acht  gelassen  hat,  obwol  er  für  seine  methode  von  ein- 
schneidender Wichtigkeit  ist.  die  litteraturgeschichte  sucht  nicht 
nur  das  wesen  der  litteraturvverke  zu  erfassen,  sondern  auch 
darüber  ins  reine  zu  kommen,  wie  sie  auf  ihre  zeit  würkten. 
das  ist  freilich  meist  recht  schwer,  viel  schwerer  als  man  glaubt. 
Scherer  bemerkt  gelegentlich  in  seiner  Poetik,  es  wäre  wichtig 
zu  wissen,  bei  welchen  stellen  eines  Werkes  die  Zeitgenossen  ge- 
lacht haben;  ebenso  möchte  man  die  stellen  kennen,  bei  welchen 
sie  geweint,  sich  erschüttert,  bewegt  usw.  gefühlt  haben,  darauf 
vor  allem  müste  es  der  litterar-evolutionistischen  poetik  ankommen, 
wir  aber  vermögen  meist  nur  schlösse  zu  ziehen,  indem  wir 
voraussetzen,  die  werke  hätten  auf  die  Zeitgenossen  denselben 
eindruck  hervorgerufen,  wie  auf  uns.  das  ist  vielleicht  ganz, 
mindestens  aber  zum  teile  falsch.-  Goethes  Werther  hat  auf  die 
schwärmerische  generation  seiner  zeit  sicher  anders  gewürkt,  als 
auf  uns.  ja  nehmen  wir  unsere  zeit:  Kellers  novellen  würken 
verschieden  auf  männliche  und  auf  weibliche  leser;  das  Oberammer- 
gauer  passionsspiel  würkt  auf  einen  teil  der  Zuschauer  erbauend, 
auf  andere  ermüdend,  auf  weitaus  die  mehrzahl  nur  neugierstillend, 
lässt  sich  aus  so  verschiedenen  eindrücken  nun  die  künstlerische 
würkung  des  Werkes  objectiv  ermessen?  aber  wir  sehen  bald, 
dass  für  die  poetik  diese  würkung  auf  die  Zeitgenossen  nicht  das 
einzige  ist.  es  gibt  werke,  welche  nur  auf  sie  würken,  weil  sie 
zeitlichen  interessen  dienen  oder  zeitliche  Voraussetzungen  haben; 
sie  kennen  zu  lernen  ist  mehr  für  die  culturgeschichte  wichtig, 
als  für  die  poetik;  selbst  unsere  litteraturgeschichte  geht  an  ihnen 
meist  achtlos  vorüber,  obwol  sie  das  eigentliche  litteraturleben 
ausmachen,  anderseits  gibt  es  werke,  welche  weit  über  ihre  zeit 
hinaus  würken;  sie  hat  man  im  sinne,  wenn  mau  von  einer  welt- 
litteratur  spricht,     bei  ihnen,  so  glaube  ich,  kann  die  poetik  stehu 


WULFF     PROLEGOMENA    DER    POETIK  159 

bleibeu ,  weil  wir  hoffen  können,  dass  ihre  würkuug  eine  reiu 
künstlerische  sei,  losgelöst  von  besonderen  anti-  und  Sympathien, 
localeu,  zeitlichen,  stofflichen  und  anderen  kunstfeindlichen  iu- 
teressen.  insofern  darf  sich  die  poelik  allerdings  auf  einige  'clas- 
sische  beispiele'  beschränken,  sie  bieten  ihr  ein  material,  das  in 
gewissem  betrachte  schon  bearbeitet  ist.  die  öden  Piudars  haben 
auf  Pindars  Zeitgenossen  gewis  anders  gewürkt  als  auf  uns;  aber 
auf  uns  würken  sie  auch  noch,  auch  danu  noch,  wenn  wir  nicht 
etwa  das  historische,  culturhistorische,  philologische  interesse  vor- 
walten lassen,  wir  dürfen  demnach  wol  annehmen,  dass  in  ihnen 
ihre  gattung  bis  zu  einem  gewissen  grade  typisch  auftritt;  wenn 
wir  sie  also  als  'classisches  beispiel'  herausgreifen ,  so  begehn 
wir  keinen  fehler,  sondern  dürfen  hoffen,  das  richtige  getroffen 
zu  haben,  es  ist  ein  weiterer  schritt,  dass  wir  uns  nun  die 
psychologische  würkung  der  übrigen  werke  nach  diesem  vorbild 
auszumalen  suchen. 

Hans  Sachs  nennt  allerdings  erst  jene  drameu  tra^üdien, 
welche  einen  'absolut  traurigen,  entsetzlichen  endeindruck'  her- 
vorrufen; die  poetik  W.'s  sucht  diese  tatsache  psychologisch,  andere 
zeiten  vergleichend,  zu  erklären  und  muss  sagen,  dass  eben  erst 
solche  tragodien  die  Zeitgenossen  zu  erschüttern  vermochten,  das 
ist  aber  bereits  angewandte  poetik,  und  diese  bildet  einen  teil  der 
litteraturgeschichte.  nehmen  wir  mit  W.  an,  dass  die  von  ihm 
geplante  litterar -evolutionistische  poetik  für  die  tragüdie  wider 
bei  Aristoteles  anlangt,  danu  ist  ihre  durchführuug  eigentlich  nur 
eine  probe  für  das,  was  die  poetik  längst  auf  grund  einiger 
'classischer  beispiele'  erforscht  hat,  also  nicht  so  sehr  die  Voraus- 
setzung als  die  bestätigung  der  poetik  und  ihrer  erkenntnisse. 
sie  ist  aber  nötig,  um  zu  erkennen,  inwiefern  die  'classischen 
beispiele'  eheu  classische  beispiele  werden  konnten,  sie  ist  nötig, 
um  vergleiche  anstellen,  um  psychologische  Schlüsse  ziehen  zu 
können. 

Aber  sie  hat  noch  eine  zweite  bedeutung,  und  deshalb  dürfen 
wir  uns  mit  den  resultaten  der  eklektischen  poetik  nicht  begnügen. 
sie  sucht  nämlich  an  dem  historisch  erfassbaren  materiale  die 
gesetzmäfsigkeit  der  erscheinungen  zu  erkennen,  um  historisch 
dunkle  zeiten  aufzuhellen,  und  so  verstehn  wir  auch,  weshalb  W. 
sein  litterar-evolutionistisches  princip  mit  der  frage  nach  der  Ur- 
form der  poesie  verquickt,  hier  lässt  ihn  aber  »lie  vorsieht  im 
stiebe,  nach  s.  32  denkt  er  daran  'ein  ganzes  gebäude'  der  poetik 
auf  der  alten  annähme  einer  epischen  grund  form  zu  er- 
richten, er  bittet  'um  förderung  seiner  Studien  durch  einwürfe 
namentlich  gegen  seine  annähme  einer  epischen  grundform  der 
poesie'  und  plant  doch  schon  von  hier  ausgehend  eine  geschichte 
der  einzelnen  dichtungsgattungen.  erstaunt  fragl  man  sich,  oh 
VV.  denn  wirklich  mit  seiner  methode  schon  so  weil  sei.  sollen 
wir  glauben,  dass  seine  resultale  nicht  blos  hypothetisch,  sondern 


160  SCHRIFTEN    ZUR    POETIK 

fruchte  seiner  Studien  unter  berücksichtigung  des  gesamtmateriales 
seien?  danu  wäre  naturgemäß?  unsere  Stellung  zu  dem  hefte  eine 
ganz  andere,  aber  wir  haben  es  wol  auch  hier  nur  mit  einer  vor- 
läufigen idee  zu  tun,  ja  mir  kommt  vor,  als  habe  sich  W.  die  haupt- 
einwendung  gegen  seine  ansieht  noch  nicht  einmal  klar  gemacht. 
Soweit  ich  sehn  kann,  sind  wir  gegenwärtig  keineswegs  schon 
im  stände,  die  frage  uach  der  urform  der  poesie  anders  als  durch 
speculation  zu  beantworten;  von  einer  irgendwie  wissenschaft- 
lichen begründung  durch  litterar-evolution  kann  noch  gar  keine 
rede  sein,  was  W.  anführt,  siud  behauptungen,  keine  beweise, 
meines  erachtens  muss  man  bis  zu  der  frage  zurück:  was  ver- 
anlasst zuerst  poetische  ausspräche?  war  das  bestreben,  je- 
mandem etwas  mitzuteilen,  oder  die  innere  nötigung,  etwas 
auszusprechen,  das  ursprüngliche?  wollte  mau  zuerst  durch  er- 
zählung  eine  würkung  auf  andere  ausüben  (episch),  oder  wollte 
man  ein  'inneres  erlebnis'  loswerden  (lyrisch)?  bevor  nicht  die 
genaueste  beobachlung  der  ältesten  poesiereste  darüber  klarheit 
verbreitet  hat,  lässt  sich  gar  nichts  feststellen,  ja  mich  will  be- 
dünken, dass  nach  unserer  bisherigen  kenntnis  die  epische  gruud- 
form  der  poesie  recht  zweifelhaft  sei  (vgl.  Lyrik  und  lyriker 
s.  113Q-  genn  w'r  vou  ('er  Übereinstimmung  der  menschen-  und 
tierweit  aus,  dann  führt  uns  die  speculation  auf  die  lyrische  Ur- 
form, der  schrei,  das  jauchzen  sind  gewis  die  ursprünglichsten 
lyrischen  äufserungen  des  menschen  und  wol  auch  der  mensch- 
heit,  es  fragt  sich  nur,  ob  solche  lyrische  ausspräche  der  anfaug 
der  poesie  sei.  ich  glaube  ja  und  glaube  auch  —  das  verlangt  W.  — , 
dass  wir  ganz  gut  den  weg  zum  epischen  daraus  construieren 
können,  betrachten  wir  etwa  kinder  oder  naturvölker  (aao.  s.  451  f) ! 
wenn  der  australneger  singt:  'unstät  der  wind  —  o!  unstät  der 
wind  —  o!',  was  tut  er  anders  als  sein  lyrisches  gefühl  ausspre- 
chen, aber  dadurch,  dass  er  das  äufsere  erlebnis  nennt  und  sein 
inneres  erlebnis  nur  in  den  schrei  'o'  kleidet;  dieser  vers  ist 
lyrisch  ohne  'ein  produet  erst  der  reflectierten  Stimmung'  zu  sein 
(W.  s.  10).  nun  denke  man  sich  einen  vers:  'der  wind  ist  un- 
stät!' haben  wir  darin  nicht  sogleich  die  Voraussetzung  eines  zu- 
hörenden, also  einen  epischen  vers?  was  auf  den  dichter  eindruck 
gemacht,  in  ihm  ein  inneres  erlebnis  hervorgerufen  hat,  das  sucht 
er  nun  einem  anderen  mitzuteilen ,  doch  aus  keinem  anderen 
grund,  als  um  auch  in  ihm  eine  würkung  zu  erzielen,  das  setzt 
aber  einen  ungleich  verwickeiteren  seelenvorgang  voraus,  als  das 
aussprechen  des  lyrischen,  mir  fällt  natürlich  nicht  ein,  diese 
schwierige  frage  mit  solchen  erwägungen  entscheiden  zu  wollen, 
aber  mir  scheint  notwendig,  W.  auf  solche  allernächst  liegende 
speculationen  hinzuweisen,  um  ihn  vor  einem  abweg  zu  warnen '. 

1  W.  täuscht  sich  darin,  dass  die  annähme  einer  der  epischen  periode 
vorausgehenden  lyrisch- hymnischen  eine  art  parteisache  von 'Scherers  kreis' 
sei.     auch  ThBergk  spricht  in  seiner  Griech.  litteraturgesch.  i  404  die  über- 


YVOLFF     PROLEGOMENA    DER    POETIK  161 

Ich  will  nicht  fortfahren,  alle  stellen  von  W.s  schriftchen  zu 
hesprechen,  hei  welchen  mein  exemplar  fragezeichen  aufweist; 
aus  dem  gesagten  wird  hoffentlich  klar  geworden  sein,  dass  W.s 
einfalle  geistreich  sind,  aber  doch  nur  einlalle,  dass  er  nicht  recht 
tat,  in  einem  atem  eine  neue,  wesentlich  inductive  methode  der 
poetik  zu  verlangen  und  die  wahrscheinlichen  resultate  dieser 
poetik  auszusprechen,  da  man  hierdurch  den  eindruck  einer  in- 
duction  mit  gebundener  marschroute  empfängt,  ich  halte  für 
richtig,  dass  W.  von  der  poetik  vergleichende  litteraturgeschichte 
(aber  in  höherem  sinn  als  sie  mitunter  gefasst  wird)  und  Psycho- 
logie fordert,  aber  ich  sehe  sie  doch  nur  als  einen  zweig  der 
ästhetik  an,  und  das  scheint  W.  nicht  zu  tun. 

Mit  den  beiden  seiten  derF'rolegomena,die  hervorgehoben  wur- 
den, berühren  sich  die  zwei  anderen  im  titel  genanuten  Schriften; 
Bergers  Vorträge  behandeln  die  tragodie  und  treffen  in  einigen 
puncten  mit  VV.  zusammen,  Jacobowskis  Anfänge  dagegen  sind 
ausschliefslicb  der  frage  nach  der  poetischen  grundform  gewidmet. 

vB ergers  buch  nimmt  man  mit  begreiflicher  Spannung  in 
die  haud.  einem  dichter,  der  als  dramatiker  und  lyriker  durchaus 
nicht  auf  der  breiten  heerstrafse  wandelt,  der  als  secretär  des 
Wiener  Burgtheaters  durch  längere  zeit  mit  Sonnenthal  diese  wich- 
tige bühne  geleitet  hat,  der  als  privatdocent  der  philosophie  an 
der  Wiener  Universität  Vorlesungen  unter  dem  titel  'Beiträge  zur 
ästhetik  und  technik  des  dramas'  hielt  und  sie  nun  als  Drama- 
turgische vortrage  veröffentlicht,  bringt  mau  das  günstigste  Vor- 
urteil entgegen,  der  theoretiker  erwartet  von  ihm  aufschlösse, 
wie  sie  nur  das  lebendige  zusammenwürken  mit  einer  der 
ersten  deutschen  bühnen,  der  innige  contact  mit  dem  mo- 
dernen wie  classischen  drama,  die  eigene  dichterische  tätigkeit 
gewähren  kann,  der  erste  eindruck  des  buches  wird  aber  bei 
jedem  kundigen  wol  nur  enttäuschung  sein,  bittere,  vollständige 
enttäuschung.  man  hat  erkenntnis  erwartet  und  wird  mit  pbrasen 
abgespeist,  man  hoffte  winke  über  dramatische  technik  zu  er- 
halten und  muss  kokette  scheinweisheit  hinnehmen,  man  war 
begierig  die  schöne  form  zu  geniefsen  und  findet  eine  überaus 
flüchtige,  saloppe,  unsorgfältige  darslellung,  einen  aufdringlichen, 
hochmütig  bescheidenen  ton.     wenn  B.  von   den  drameu  spricht 

zeugung  aus,  schon  vor  Homer  habe  es  hymnendichter  und  priesterliche 
Sänger  gegeben,  von  denen  uns  nichts  erhalten  sei.  ich  betone  diesen  punct, 
weil  mich  dieser  seitenhieb  W.s  verletzt  hat.  muss  denn  immer  und  immer 
wider  in  jede  sachliche  Untersuchung  persönliches  gezerrt  werden?  glaubt  W. 
würklich  ,  dass  irgend  jemand,  der  wissenschaftliche  Wahrheit  und,  wo  die 
unmöglich  ist,  Wahrscheinlichkeit  anstrebt,  blind  und  kritiklos  fremdes  meinen 
sich  aneignen  wird?  wenn  ich  Scherers(?)  hypothese  vor  der  W. sehen  den 
Vorzug  gebe,  so  bin  ich  mir  bewust,  dies  nicht  zu  tun,  weil  ich  zu  'Scherers 
kreis'  gehöre,  sondern  weil  mir  bis  jetzt  diese  meiauug  begründeter  erscheint. 
vielleicht  gelingt  es  W.,  mich  vom  gegenleil  zu  überzeugen,  dann  werde  ich 
es  gewis  eingestehn  und  mit  mir  jeder  aus  Schereis  kreis,  aber  mit  ein 
paar  hingeworfenen   worten  kann  diese  ansieht  nicht  widerlegt  werden. 

A.  F.  D.  A.     XVII.  11 


162  SCHRIFTEN    ZUR    POETIK 

und  seine  ansichten  im  einzelnen  entwickelt,  da  sieht  man  ihn 
in  seinem  demente,  da  lässt  sich  etwas  von  ihm  lernen,  sobald 
er  aber  von  den  dramen  zum  drama  aufsteigt,  wird  er  unbeholfen, 
willkürlich  und  der  angenehme  eiudruck  verwischt  sich,  leider 
aber  besprechen  nur  sechs  von  den  fünfzehn  vortragen  einzel- 
heiten.  der  grund  für  B.s  scheitern  im  theoretisieren  liegt  wol 
in  seinem  mangel  an  sicherer  methode,  wenigstens  gelingt  es 
nicht,  sich  von  seiner  methode  ein  bild  zu  machen.  B.  geht 
weder  von  den  dramen  aus,  um  vergleichend  seine  resultate  zu 
gewinnen,  noch  von  einer  idee,  die  am  einzelnen  durchgeführt 
würde,  er  verwirft  die  litteraturgeschichte  (vgl.  zb.  s.  67  f),  er 
verwirft  aber  auch  die  philosophische  ästhetik  (s.  13),  trotzdem 
verlangt  er  eine  'gesetzgebende  ästhetik'  (s.  68),  freilich  mehr  vom 
standpuncte  des  theaterdirectors  als  des  ästhetikers;  ja  in  ge- 
wissem sinne  (vgl.  s.  242)  lässt  er  nur  eine  technik  des  dramas 
gelten,  in  den  vortragen  tritt  nun  aber  er  selbst  als  gesetzgeber 
auf,  und  sein  eclecticismus  kennt  nur  die  eine  methode:  sie  volo, 
sie  iubeo,  dh.  eben  gar  keine  methode.  dadurch  erhält  das  buch 
einen  dilettantenhaiten  anstrich,  man  wird  unwillig,  immer  wider  auf 
das  liebe  'ich'  des  autors  zu  stofsen ,  welches  all  das  'gedacht  und 
erkannt'  hat  (s.  6)  und  jede  autorität  verwirft.  B.  ist  gewis  mit 
der  dramatischen  litteratur  innig  vertraut,  seine  vortrage  hätten 
aber  in  dieser  form  nicht  dem  druck  übergeben  werden  sollen, 
sie  sind  unfertig,  eilig  zusammengerafft,  weder  tiefsinnig  noch  neu 
in  ihren  ansichteu,  obwol  sie  manches  interessante  enthalten. 

Bezeichnend  für  B.s  art  ist  eine  stelle  auf  s.  254;  er  will 
'die  methode,  nach  der  Shakespeare  den  Hamlet  characterisiert, 
klar  machen'  und  hofft  dies  am  besten  zu  erreichen  durch  'einige 
worte  über  dramatisches  characterisieren  im  allgemeinen'.  B.  steigt 
also  nicht  vom  einzelnen  zum  allgemeinen  auf,  sondern  er  sucht 
das  einzelne  durch  allgemeine  erwägungen  zu  erläutern,  die  nun 
ad  hoc  angestellt  werden  und  darum  nicht  notwendig  erscheinen, 
da  sind  die  vortrage,  welche  BGMoulton  in  Oxford  hielt  (Shake- 
speare as  a  dramatic  artist  1885),  in  jeder  hinsieht  instruetiver; 
B.  scheint  sie  nicht  zu  kennen,  sonst  hätten  sie  s.  259  genannt 
werden  müssen. 

Von  B.s  ausführungen  über  einzelnes  sei  vor  allem  der  interes- 
santeversuch  (s.  168 — 190)  hervorgehoben,  Grillparzers  Esther  zu 
reconstruieren;  sehr  einleuchtend  begründet  er  das,  was  wir  durch 
frau  vLittrow  von  dem  weiteren  plane  erfahren,  aus  dem  frag- 
mente.  hier  zeigt  sich  B.  feinfühlig  und  glücklich,  sehr  wahr- 
scheinlich ist  die  behauptung,  dass  die  Jüdin  von  Toledo  die 
erbin  Esthers  sei.  der  'Jüdin'  sind  zwei  Vorlesungen  gewidmet 
(s.  34— 64),  hauptsächlich  um  den  schluss  zu  motivieren  und  die 
figur  Allonsos  zu  erfassen;  gelungen  ist  der  vergleich  mit  Hebbels 
Agnes  Birnauer.  B.  hat  aber  nicht  erkannt,  dass  sich  seine  be- 
obachtungen  an  Rachel,    Agnes,   später  an  Ophelia  zu  einer  all- 


VON  RERGER     DRAMATURGISCHE    VORTRAGE  163 

gemeinen  forme!  dramatischer  teclmik  zusammenfassen  liefsen.  ich 
verweise  auf  ein  im  nächsten  jähr  erscheinendes  lieft  unserer 
Beiträge  zur  ästhetik,  in  welchem  ich  das  'Spiel  und  gegenspiel 
in  Schillers  dramen'  behandle;  ich  zeige  darin,  dass  in  sehr  vielen 
dramen  alter  und  neuer  zeit  zwischen  der  gruppe  des  Spielers  und 
des  gegenspielers  eine  mittelgruppe  steht,  die,  wenn  man  so 
sagen  darf,  das  kampfobject  repräsentiert;  die  figuren  dieser 
gruppe  sind  in  gewissem  sinne  opfer,  welche  zu  gründe  gehn, 
ohne  dass  wir  ihre  tragische  schuld  nachzuweisen  vermöchten, 
sehr  häufig  sind  die  dramen  nach  diesen  personen  betitelt,  was 
gerade  bei  Grillparzers  Jüdin  der  fall  ist.  dadurch  werden  meines 
erachtens  einige  zweifei  gelöst,  mit  denen  sich  die  theorie  oft 
vergebens  abplagte. 

Eine  sehr  hübsche  hypothese  trägt  B.  (s.  132  — 148)  über 
Hamlets  Wahnsinn  vor,  indem  er  den  Goethischen  gedanken  modi- 
flciert  und  sagt,  dass  in  dem  drama  nicht  eine  grofse  tat  auf  eine 
seele  gelegt  sei,  die  ihr  nicht  gewachsen  ist,  sondern  eine  tat, 
die  ihr  widerstrebt,  weil  sie  unter  ihrer  würde  ist  ('s.  148);  daraus 
folgert,  er  dann  Hamlets  Wahnsinn,  gegenüber  HTürk  läugnet  er, 
dass  Shakespeare  in  Hamlet  eine  entwickelungsphase  des  Jünglings 
habe  darstellen  wollen,  betont  vielmehr,  freilich  ohne  diesen  aus- 
druck  zu  brauchen,  das  symbolische  des  werkes.  überhaupt  ist 
ihm  der  unterschied  zwischen  symbolisch  und  allegorisch  (vgl. 
Anz.  15,261  f)  nicht  klar;  deshalb  nennt  er  seine  auffassung  des 
Gyges  (s.  191 — 210)  symbolisch,  obwol  sie  allegorisch  ist.  bei- 
stimmen wird  man  B.  in  der  Unterscheidung  von  naturalismus 
der  form  und  des  gehalts,  sowie  in  den  folgerungen  daraus 
(s.  83 — 98);  gewis  richtig  ist  auch  die  ansieht  (s.  116  ff),  zweck 
des  dramas  sei  die  darstellung  des  psychischen  durch  physisches. 
was  er  weiter  daraus  entwickelt,  erscheint  mir  dagegen  unrichtig, 
obwol  er  so  grofses  gewicht  darauf  legt.  B.  meint  nämlich,  um  es 
recht  drastisch  auszudrücken,  der  dramatiker  sei  nicht  der  alleinige 
Verfasser  des  dramas;  der  Schauspieler,  der  regisseur,  der  theater- 
ingenieur  (wie  man  im  17  jh.  sagte)  seien  mitverfasser,  weil  das 
drama  ohne  bühne  nur  etwas  halbes  sei.  13.  scheint  mir  damit 
auf  einen  abweg  geraten,  eine  lebensbedingung  des  menschen 
ist  die  luft,  ist  aber  deswegen  die  luft  der  mensch  oder  bildet 
sie  auch  nur  einen  teil  des  menschen?  lebensbedingung  des 
dramas  ist  die  aufführung,  soll  aber  deshalb  die  aufführuDg  das 
drama  sein?  schon  was  B.  s.  129  f  über  den  Macbeth  sagt, 
widerlegt  ihn;  er  meint,  zu  Shakespeares  zeil  kooDte  die  auf- 
führung einfacher  sein,  weil  seine  Zeitgenossen  lebhaftere  phan- 
tasie  hatten;  damit  ist  eben  ausgesprochen,  dass  das  äufsere  nur 
nebensache  sei  und  nicht  zum  drama  gehöre,  ich  sehr  die 
scenierung  nur  als  lulle  für  die  phantasie  an  und  Kann  dieses 
aeeidens  schon  deshalb  nicht  als  teil  des  dramas  lassen,  weil 
nicht  alle   menschen   derselben  hilfe  bedürfen,     wichtig  dagegen 

ii  * 


164  SCHRIFTEIN    ZUR    POETIK 

ist,  was  B.  von  dem  'meugegefühl'  sagt,  weil  es  uns  den  unter- 
schied der  würkung  von  drameu  bei  einsamem  lesen,  beim  vor- 
lesen und  bei  der  aufführung  erklärt.  GOhnet  hat  in  seinem 
romane  Lise  Fleuron  dieses  'mengegei'ühl'  lebhaft  geschildert,  sehr 
klar  sind  auch  die  gedanken  über  die  bedeutung  der  ausstattung, 
und  die  thesen  s.  131  f  müssen  beachtet  werden,  hier  spricht 
B.  eben  als  genauer  kenner  des  theaters,  und  wie  sehr  ihm  dies 
am  herzen  liegt,  beweist  der  umstand,  dass  in  5  vortragen  eigent- 
lich nur  davon  gesprochen  wird  fi.  n.  vii.  vm.  xiv)1. 

Damit  glaube  ich  aus  B.s  buch  das  wichtigste  hervorgehoben 
zu  haben2;  nur  an  einem  puncte  soll  noch  gezeigt  werden,  wie 
grofs  für  die  poetik  die  Schwierigkeiten  wahrer  erkenntnis  sind, 
weil  die  beobachtungen  der  forscher  sich  widersprechen.  B.  und 
Wolff  treffen  in  dem  gedanken  zusammen,  in  Aristoteles'  ausspruch 
über  die  katharsis  stecke  das  gefühl,  dass  die  tragödie  den  menschen 
befähige  vom  einzelschicksal  abzusehn  und  'das  ganze  menschen- 
leben  mitzulebeu'  (Wolff  s.  25.  B.  s.  106);  trotzdem  gehn  sie 
so  weit  auseinander,  dass  B.  s.  37  behauptet,  jeder  vater  erlebe 
andeutungsweise  das  Learschicksal,  während  Wolff  s.  19  vom  Lear  ua. 
meint:  'wer  von  uns  wird  ähnliche  geschicke  für  sich  fürchten?' 
nur  eines  von  beiden  kann  richtig  sein,  und  doch  nehmen  B.  und 
Wolff  diese  gegensatze  zu  ausgangspuncten  ihrer  darstellung. 

Anders  ist  die  Verschiedenheit  zwischen  Wolffs  und  Jacobowskis 
ansichten  aufzufasseu;  hier  handelt  es  sich  um  hypothesen,  nicht 
um  beobachtungen,  oder,  besser  gesagt,  um  beobachtungen  ganz 
anderer  dinge;  ja  ich  möchte  behaupten,  dass  sich  die  scheinbar 
widersprechenden  meiuungeu  beider  bis  zu  einem  gewissen  grade 
vereinigen  lassen. 

Jacobowskis  Untersuchung  bin  ich  von  anfang  bis  zu 
ende  mit  dem  grösten  interesse  gefolgt,  mit  einer  art  von  über- 
raschter freude;  denn  was  er  vorbringt,  ist  im  wesentlichen  mit 
dem  identisch,  was  ich  in  meinem  werke  Lyrik  und  lyriker  aus 
einem  anderen  gesichtspuncte  heraus  gefunden  habe,  er  sucht  der 
poetischen  urform  auf  ontologischem  wege  nahe  zu  kommen,  er 
betrachtet  die  kinderseele  in  ihren  ersten  äufserungen  und  zieht 
aus  den  beobachtungen  der  physiologen  und  psychologen  Schlüsse 
für  den  Urmenschen,  dabei  entdeckt  er  denn  ursprünglich  überall 
nur  lyrik,  wenn  wir  die  äufseruug  von  empfindungen  durch  laute 
lyrik  nennen,    diese  laute  können  aus  doppellen  erlebnisseu  hervor- 

1  in  der  ersten  Vorlesung  stellt  er  neben  das  buchdrama  die  buch- 
erzählung  und  die  buclilyrik,  um  sie  ebenso  zu  verwerfen;  buchei  Zählung 
ist  ihm  jede  erzählung,  welche  man  sich  nicht  erzählt  denken  könnte,  buch- 
lyrik  jedes  gedieht,  das  nicht  gesungen  werden  kann;  er  vermag  nun  nicht 
zu  bestreiten,  dass  sich  bucherzählung  und  buchlyrik  geltung  erkämpft 
haben,  was  dem  buchdrama  nicht  gelang;  daraus  folgert  er  eben,  dass 
zum  drama  die  scenierung  ebenbürtig  mit  dem  dichten  gehöre. 

2  die  Vorlesung,  welche  die  frage 'was  ist  dramatisch?'  behandelt  (s.  211  bis 
226),  kommt  weiter  nicht  in  betracht,  denn  das  spannende  und  das  erregen  von  ge- 
fühlen  ist  eben  poetisch  und  nicht  dramatisch;  Berger bleibtdie  antwort  schuldig. 


JACOBOWSKl     ANFÄNGE    DER    POESIE  165 

gehn,  aus  dem  lust-  und  dem  uulustgefühl,  ja  der  erste  laut,  welchen 
daskind  ausstöfst,  ist,  so  sagtJ.,  gewissermafsen  'das  erste  lied  vom 
schmerz',  hier  gleich  müssen  wir  widersprechen :  wäre  der  ausdruck 
richtig,  dann  hatte  Wolff  mit  seiner  behauptung  recht,  eine  solche  lyrik 
sei  bereits  das  product  reflectierter  Stimmung,  wir  müssen  vielmehr 
sagen:  der  schrei  ist  das  erste  lied  des  Schmerzes,  die  lorschung 
wird  nachweisen  müssen,  wie  aus  einer  lyrik  des  Schmerzes  eine 
lyrik  vom  schmerze  hat  werden  können;  und  gelingt  das,  dann 
dürfen  wir  hoffen,  eine  völlige  klarung  der  frage  erreicht  zu  haben. 
J.  hat  das  richtige  gefühlt,  aber  immer  wider  von  neuem  jenen  irrt  um 
begangen;  das  ist  mein  haupteinwand  gegen  seine  schritt,  halten 
wir  uns  an  die  reine  urlyrik  als  lautlichen  ausdruck  von  sinnes- 
empfindungeu,  so  haben  wir  von  anfaug  an  eine  doppelte  lyrik,  weil 
sowol  die  lust-  als  die  unlustgefühle  durch  laute,  dh.  lyrisch  ge- 
äufsert  werden.  J.s  folgerungen  aus  dieser  grundbeobachtung 
müssen  von  jedem  zugegeben  werden,  er  meint,  für  diese  lyrische 
äufserung  komme  zweierlei  in  betracht,  erstens  die  gefühlsruhe, 
welche  keineswegs  identisch  ist  mit  empfindungslosigkeit,  aber  un- 
producliv  bleibt,  und  zweitens  das  plötzliche  oder  allmähliche  ein- 
treten von  lust  und  unlust,  welches  lyrisch  allein  productiv  wird, 
durch  ein  gefiihl,  welches  die  seele  aus  einem  indifferenten  zustande 
aufrüttelt,  entsteht  der  erste  laut,  also  die  urlyrik,  aber  auch  die  Ur- 
sprache, nämlich  die  interjection,  und  wol  auch  der  urgesaug,  sodass 
pcesie,  spräche  und  gesang  'drei  zweige  derselben  wurzel'  wären. 
J.  sucht  nun  das  wesen  der  urlyrik  zu  erfassen  und  den  sicht- 
baren unterschied  zwischen  urlyrik  der  lust  und  urlyrik  der  unlust 
zu  erklären,  kommt  dabei  aber  zu  einer  behauptung,  die  mir  be- 
denklich erscheint,  es  ist  gewis  richtig,  dass  wir  die  lustemplin- 
dung  geniefsen ,  ohne  viel  nach  ihrer  Ursache  zu  fragen,  dass  wir 
dagegen  'ungemein  spürig  im  aufsuchen  der  Ursachen  der  unlust- 
emplindung'  sind,  führen  wir  nun  die  Unlustempfindung  auf  Ur- 
sachen zurück  —  die  Operation  mag  richtig  oder  falsch  sein ;  das  kind 
schlägt  den  tisch,  an  dem  es  sich  gestofsen  hat — ,so  nehmen  wir  eine 
verstaudesoperation  vor;  die  äufserung  der  lust  wird  länger  rein  ly- 
risch bleiben,  in  die  äufserung  der  unlust  wird  sich  eher  ein  verstan- 
desmäfsiges,  lyrikfeindliches  dement  mischen,  mit  andern  worten, 
die  lust  fördert,  die  unlust  hindert  reine  lyrik.  hier  beginnt  sofort 
eine  differenzierung,  welche  der  lyrik  bis  zum  heutigen  tag  ge- 
blieben ist.  der  schrei  aus  lust  und  der  aus  uulust  sind  ursprüng- 
lich gleich,  nur  verschieden  im  ton  (gesang)  und  in  der  beglei- 
tenden mimik,  sind  reine  lyrik.  aber  beim  unlustgefühl  ist  der 
primitive  mensch  früher  geneigt ,  nach  dem  unluslerreger  aus- 
zuschauen; das  kind  wird  viel  eher  'dummer  lisch'  rufen,  als 
'liehe  milch',  der  dank  i>t  eben  ein  zeichen  höherer  eultur,  wäh- 
rend der  undank,  dh.  das  vergessen  der  lustquelle,  das  natürlichere 
ist.  Unlustempfindungen  lassen  gröfsere  erinnerungsreste  zurück 
als  lustempfindungen,  sagt  J.  (s.  33)  richtig  :   'schaden  macht  klug'. 


166  SCHRIFTEN    ZUR    POETIK 

'das  gebrannte  kind  scheut  das  teuer',  so  drückt  das  Sprichwort, 
diese  einfachste  und  tiefsinnigste  psychologie,  unsere  erfahrung 
aus.  worin  besteht  nun  der  unterschied  zwischen  dieser  dop- 
pellen äufserung  des  unlustgefühles?  das  eine  mal  drängt  der 
innere  gefühlsvorgang  unwillkürlich  den  laut  hervor,  nur  das 
innere  erlebnis  wird  ausgesprochen ,  das  andere  mal  gesellt  sich 
dazu  schon  die  ausspräche  des  äufseren  erlebnisses,  es  ist  eine 
zweigliedrigkeit  eingetreten,  die  weiterer  ausbildung  fähig  und  bis 
heute  dem  einfachen  Volkslied  eigen  ist  (vgl.  Lyrik  und  lyriker 
s.  403  ff),  mir  scheint  dies  für  die  entwickelung  der  poesie  von 
Wichtigkeit;  eine  andeutung  mag  genügen,  das  erste  zurück- 
führen einer  unlustempfindung  auf  die  Ursache  wird,  so  können 
wir  beim  kinde  noch  heute  sehn,  wesentlich  anthropomorphisch 
sein,  dh.  ein  voraussetzen  von  inneren  regungen  bei  dem  unlust- 
erreger,  wie  sie  das  kind  an  sich  selbst  kennt,  natürlich  gehört 
dazu  schon  ein  höherer  grad  von  entwickelung.  in  solchem  rudi- 
mentären anthropomorphismus  haben  wir  das  erste  zeichen  der  phan- 
tasietätigkeit,  deren  auftreten  J.  zwar  im  7  cap.  berücksichtigt,  aber 
nicht  entwickelt,  dieser  anthropomorphismus  ist  jedoch  nötig,  um 
das  entstehn  von  poesie  im  engeren  sinne  des  vvortes  zu  begreifen. 
Und  damit  sind  wir  bei  dem  entscheidenden  punct  angelaugt, 
alles  was  J.  so  treffend  von  der  urlyrik  sagt ,  gilt  von  ihr ,  so  lange 
sie  die  einzige  urpoesie  ist,  so  lange  die  poesie  noch  die  unwillkür- 
liche äufserung  von  lust-  und  unlustgefühl  genannt  werden  kann, 
in  dem  augenblick,  da  der  primitive  mensch  mit  seiner  äufserung 
sich  an  ein  anderes  Individuum  wendet,  wahrscheinlich  zuerst  an 
das  weibchen,  zeigt  die  poesie  einen  andern  character;  sie  sucht 
würkungen  zu  erzielen,  das,  was  sie  selbst  fühlt,  auf  einen  andern 
zu  übertragen  (vgl.  oben  s.  160),  sie  hat  ein  publicum  und  das  ist 
die  urlörm  einer  dichtungsgattung,  für  welche  wir  keinen  uamen 
haben:  wir  scheiden  sie  in  epik  und  dramatik.  unter  poesie  im 
engeren  sinne  aber  verstehn  wir  eben  poesie  für  ein  publicum. 
Wolff  hat  einzig  diese  poesie  vor  äugen,  wenn  er  ihre  anfange 
sich  episch  vorstellt,  J.  verfolgt  gerade  nur  den  weg  bis  zum 
entstehn  einer  solchen  poesie.  damit  glaube  ich,  ist  auch  er- 
wiesen, weshalb  ich  mit  Scherer  eine  doppelte  bildung  der  lyrik 
annehme;  sie  ist  eben  selbst  eine  doppelte:  die  reine,  dh.  die 
unwillkürliche  äufserung  von  inneren  Vorgängen,  und  die  lyrik 
für  ein  publicum,  es  erklärt  sich,  dass  die  lyrik,  obwol  die  Ur- 
form der  poesie,  doch  in  den  litteraturen  zeitlich  später  be- 
gegnen muss,  ergibt  sich  aber  auch,  weshalb  die  urepik  so  stark 
lyrisch,  die  älteste  lyrik  so  episch  gefärbt  ist.  wird  diese  de- 
duction  zugegeben,  so  schwinden  alle  Schwierigkeiten,  und  die 
scheinbar  sich  ausschliefsenden  gegensätze  sind  vermittelt,  ich 
möchte  den  unterschied  so  ausdrücken:  J.  fragt  nach  den  an- 
fangen der  poesie,  W.  nach  den  anfangen  der  litteratur,  poesie 
alier  war  da  vor  der  litteratur,  und  so  haben  beide  recht. 


JACOBOWSKl     ANFÄNGE    DER    POESIE  167 

Nun  vermag  man  aber  auch  J.s  polemik  gegen  Scherer  und 
mich  (s.  37  if)  zu  widerlegen.  Scherer  suchte  sich  klarheit  darüber 
zu  verschaffen,  wie  das  unangenehme  gegenständ  der  poesie 
werden  konnte,  dh.  gegenständ  der  litteratur.  J.  bestreitet  die 
richtigkeit  dieser  fragestellung,  weil  er  eine  urlyrik  der  unlust 
nachweist;  wider  zeigt  sich  sein  grundirrtum:  es  ist  eben  ein 
unterschied,  ob  icli  aus  schmerz  oder  ob  ich  den  schmerz  'siuge'. 
Scherer  hatte  ebenso  wie  ich  das  zweite  im  sinne,  während  J. 
beides  identifiziert  und  daher  gegen  windmühlfliigel  kämpft,  so 
construiert  er  eine  lyrik  des  hungers,  nämlich  die  sogenannte 
'sociale  lyrik'  (s.  80):  das  ist  aber  eine  lyrik  vom  hunger,  also 
etwas  ganz  anderes. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  einen  einfall  erwähnen  mit  riick- 
sicht  auf  s.  48  IT,  für  welchen  mir  aber  noch  die  physiologische 
Begründung  fehlt,  ich  glaube,  dass  lust  und  unlust  eine  Ver- 
änderung der  herztätigkeit  zur  folge  hahen,  welche  sich  in  der  Ver- 
änderung des  atemholens  äufsert  und  bewegung  dh.  Veränderung 
des  ganges  hervorruft,  sodass  wir  das  einigende  princip  für  diese 
drei  begleiteischeinungen  der  urpoesie  hätten,  jeder  von  uns 
kann  an  sich  selbst  die  probe  machen  und  den  physiologischen 
grund  fühlen,  darin  haben  wir  dann  die  entwickelung  von 
rhythmus  und  tanz  für  die  urpoesie. 

J.  hat  mit  grofsem  Scharfsinn  unter  berücksichtigung  der 
modernen  psychologie  die  frage  der  urpoesie  genau  studiert  und 
klar  dargestellt,  sein  heft  verdient  sorgfältiges  erwägen  sowol  der 
methode  als  der  resultate.  auf  eine  beobachtung,  welche  J.  dem 
ethnologen  WTiesler  dankt,  lenke  ich  noch  besonders  die  auf- 
merksamkeit  (s.  115);  es  sollen  nämlich  diejenigen  Völker,  welche 
die  besten  Singvögel  besitzen,  auch  die  meisten  und  schönsten 
Volkslieder  haben,  während  Völker,  die  keine  Singvögel  ihr  eigen 
nennen,  auch  keine  lieder  kennen,  es  wäre  sehr  interessant  und 
wichtig  dieser  beobachtung  nachzugehn,  die  eine  weite  aussieht 
eröffnet;  mir  war  die  tatsache  ganz  neu,  und  so  geht  es  vielleicht 
auch  anderen. 

J.  verheifst  eine  'Physik  der  lyrik',  auf  die  man  gespannt 
sein  kann;  hoffentlich  nimmt  er  darin  zu  meinem  werke  Lyrik 
und  lyriker  bereits  Stellung. 

Burgfried  bei  Hallein  16.  9.  90.  H.  M.  Werner. 


I,  I  T  T  E  R  A  T  U  R  N  O  T  1  Z  E  N. 

Die  letzten  schicks;ib-  der  Krimgoten  von  FBbadn.  Separatabdruck  aus 
dem  Jahresbericht  der  reformierten  kircbenscbule  zu  SPetersburg 
1889/90.  SPetersburg, buchdruckerei RGolicke,  1890.  88ss.  8°.*  — 

*    [vgl.  Litteraturbl.  f.  germ.  und  rom.  pliil.  1891   ni  1   (ObVhauhel).    — 
DLZ  1891   nr  12  (FWrede).] 


16S  NRAUN     SCHICKSALE    DER    KRIMGOTEN 

unter  völliger  beherscliung  und  kritischer  Verwertung  der  weitver- 
zweigten litteratur  orientiert  nicht  nur  die  kleine  schritt  vortrefflich 
über  die  wechselsreiche  geschichte  der  in  die  Krim  verschlagenen 
gotischen  stamme  von  ihren  ersten  spuren  zu  beginn  des  5  jhs.  an 
bis  auf  das  j.  1778,  wo  die  kümmerlichen  reste,  um  der  tyrannei 
der  Tataren  zu  enigehn,  nach  Russland  auswanderten  und  von 
Katharina  u  am  Asowschen  meere  angesiedelt  wurden ;  sondern 
sie  unterwirft  auch  die  bekannten  nachrichten  Busbecks  über  die 
spräche  dieser  Krimgoten  einer  ebenso  sorgfältigen  wie  beson- 
nenen Untersuchung,  als  sicheres  resultat  ergibt  sich  daraus 
namentlich,  dass  das  vielberufene  liedchen,  das  Busbeck  mitteilt 
(am  zugänglichsten  abgedruckt  Zs.  1,  359),  keineswegs  gotischen, 
vielmehr  tatarisch- türkischen  Ursprungs  ist  und  von  einer  Über- 
schwemmung handelte.  St. 

Ein  arabischer  berichterstatter  aus  dem  10  oder  11  jh.  über  Fulda, 
Schleswig,  Soest,  Paderborn  und  andere  deutsche  Städte,  zum 
ersten  male  aus  dem  arabischen  übertragen,  commentiert  und 
mit  einer  einleitung  versehen  von  dr  Georg  Jacob.  Berlin, 
Mayer  &  Müller,  1890.  20  ss.  8°.  1  m.*  —  ein  langer  litel 
für  ein  kurzes  buch  —  nur  16  seiten  (5  —  20)  umfassend;  — 
aber  der  inhalt  ist  recht  beachtenswert,  in  der  Kosmographie 
des  Quazwini  [Zakarija  Ben  Muhammed  Ben  Mahmud  el-Cazwini, 
2  teile,  hsg.  von  FWüstenfeld.  Güttingen  1848/49],  der  im 
13  jh.  schrieb,  finden  sich  bruchstücke  aus  berichten  von  Arabern 
über  ihre  beobachtungen  im  abendlande,  die  J.  im  gegensatz  zu 
früheren  annahmen  auf  eine  im  11  jh.  verfasste  geographie  und 
weiter  auf  eine  maurische  gesandtschaft,  die  973  zu  Otto  dem 
grofsen  nach  Merseburg  kam,  zurückführt.  *  der  beweis  sei  der 
prüfung  der  Orientalisten  überlassen ,  streng  ist  er  keinesfalls, 
aber  das  ergebnis  scheint  mir  eine  bestätigung  in  dem  inhalt  zu 
finden,  von  Schleswig  heifst  es  nämlich,  dass  die  einwohner 
noch  heidnisch  seien  und  nur  eine  kleine  anzahl  Christen,  das 
passt  eher  auf  das  10  als  auf  das  11  oder  12  jh.  die  nachrichten 
enthalten  keine  geschichtlichen  ereignisse,  sondern  beobachtungen, 
wie  sie  ein  gebildeter  beobachter  im  voriibergehn  macht,  so 
schildert  er  bei  Utrecht  die  gewinnung  des  torfs,  'eines  lehms, 
welcher  die  stelle  des  holzes  vertritt',  die  opfer  in  Schleswig,  die 
gottesurteile  ua.  besonders  wichtig  scheint  mir,  dass  wir  einen 
einblick  gewinnen  in  die  Unbefangenheit,  mit  der  diese  Orientalen 
den  weslen  betrachteten,  und  dann  die  tatsache,  dass  eine  gröfsere 
reihe  von  orten  Deutschlands  diesen  aus  wirtschaftlich  entwickelteren 
und  reicheren  landen  stammenden  beobachtern  als  nennenswerte 
Städte  erschienen,  für  diese  beobachtung  ist  es  sehr  wertvoll, 
dass  der  bericht  in  das  10  jh.  zurückzureichen  scheint. 

Münster  i/'W.  Georg  Kaufmann. 

Über   die    träume    in    der   altnordischen    sagalitteratur   von    dr  Wil- 
*  [vgl.  Nd.  corresp.  14,  s.  86  (HJellinghaus).  —  DLZ  1S90  nr  52.1 


HE.NZEN     TRÄUME    IN    DER    ALTN.   SAGA  169 

helm  Henzen.  Leipzig,  Gustav  Fock,  1890.  89  ss.  8°.  2  m.*  — 
es  war  ein  ganz  glücklicher  gedanke,  die  träume  in  der  alt- 
nordischen lilteratur  zum  gegenstände  einer  Specialuntersuchung 
zu  machen.  H.  zeigt  eine  anerkennenswerte  belesenheit,  obgleich 
der  leser  nicht  die  volle  Sicherheit  gewinnt,  dass  das  ganze 
material  verwertet  wurde,  und  er  hat  die  verschiedenen  Vorstel- 
lungen übersichtlich  und  mit  geschick  gruppiert,  sodass  die 
schrift  auch  als  nachschlagebuch  gute  dienste  leisten  kann,  ich 
verweise  besonders  auf  die  sprachlich  interessante  Zusammen- 
stellung über  den  redensart-  und  wortwitztraum  s.  44  ff.  viele 
neue  ergebnisse  kamen  dabei  allerdings  nicht  zum  Vorschein, 
und  mitunter  sind  H.s  aufstellungen  uicht  genügend  gestützt :  so 
der  nachweis,  dass  der  träum  lediglich  ein  Verkehrsmittel  zwi- 
schen mensch  und  mensch  war,  und  dass  die  gütter  erst  in 
christlicher  zeit  im  träume  auftreten,  als  sie  zu  unholden  und 
dämoneu  herabgesunken  waren,  wenn  die  götter,  wie  zahlreiche 
beispiele  in  der  ahn.  litteratur  dartun,  es  nicht  verschmähten,  im 
prosaischen  leben  mit  den  sterblichen  zu  verkehren,  so  ist  nicht  ein- 
zusehen, weshalb  sie  es  nicht  in  der  luftigen  traumweit  hätten  tun 
sollen,  bemerkenswert  sind  die  parallelen,  die  H.  aus  dem  anglo- 
normanniscben  Rolandsliede  bringt,  wo  man  in  der  tat  einen  Zu- 
sammenhang mit  der  nordischen  litteratur  annehmen  darf  s.  38.42. 
An  der  spitze  des  buches  steht  eine  abhandlung  über  die 
etymologie  des  wortes  draumr.  es  wird  auf  die  wurzel  drüh, 
nachstellen,  schädigen,  zurückgeführt,  aus  welcher  sich  einer- 
seits eine  pessimistische  wortreihe,  trug,  draugr (unhold),  träum, 
entwickelt  hat,  anderseits  eine  optimistische,  yot.  driugan,  ags. 
dredm,  fröhliches  treiben,  man  fasste  den  krieger  als  Schädiger 
auf,  wie  das  altn.  adj.  gramr  'feindlich'  heifst ,  als  subst.  aber 
die  betleutun^  'fürsl'  angenommen  bat.  das  wird  sehr  über- 
zeugend nachgewiesen,  wol  mit  recht  verwirft  H.  die  deutung 
des  wortes  draumr  als  'trugbild'  und  erklärt  es  als  'totenerschei- 
nung,  totentraum';  vgl.  altn.  draugr.  die  seelische  erregung, 
welche  der  träum  im  nalurmenschen  hervorrief,  war  gewis  zu 
grofs,  um  ihn  von  vornherein  als  trugbild  zu  bezeichnen. 
Wien,  septeniber  1890.  Ferdinand  Detter. 

Ein  gralbuch  von  G.  Gietmann  S.  J.  a.  u.  d.  t.  Klassische  dichter  und 
dichtuogen  in.  Freiburg,  Herder  1889.  Lvund648ss.  6  m.**  — 
nachdem  der  jesuiteupaler  G.  im  2  bände  seiner  beleuchtuog 
'classischer  dichter  und  dichtuogen'  (Parzival,  Faust,  Job)  den 
Parzival  Wolframs  vom  ullramootaoen  standpuocte  aus  einer  kritik 
unterzogen  und  dabei  natürlich  wenig  -nies  an  ihm  gefunden, 
dafür  aber  selbst  einen  eotwurf  zu  einem  Parzivaldrama  vor- 
gelegt hatte,   der   eben  in  der  verherlichung   des   papsttums  als 

*  [vgl.  Zs.  f.  öBterr.  gymn.  1890  -.  1003  (RHeinzel).  —  Litt,  centr.  1890 
nr35  (-gk).] 

**  [vgl.  DLZ  1890  m  40  (EMaret).] 


170  GIETMANN     EIN    GRALBÜCH 

der  höchsten  gewalt  und  des  unbedingten  leiters  alles  irdischen 
gipfelte,  will  er  nunmehr  in  diesem  3  bände  diejenige  der  ver- 
schiedenen graldichtungen  dem  deutschen  volke  zugänglich  machen, 
welche  seiner  meinung  nach  die  idee  der  gralsage  am  voll- 
kommensten und  reinsten  zum  ausdruck  bringt,  dies  ist  der 
von  Potvin  Mons  1866  herausgegebene  'Perceval  le  Gallois' 
(keltischer  text  mit  englischer  Übersetzung  in  der  ausgäbe  des 
doppeltextes  der  grofsen  Gralsuche  von  Williams:  Y  Seint  Greal. 
by  Roh.  Williams,  London  1876).  G.  nennt  ihn  'den  grofsen 
Parzivalroman'  oder  'Parzival  und  der  heilige  Gral',  es  ist  nun 
gewis  schon  ein  grofses  verdienst,  dass  verf.  das  umfangreiche 
werk  ins  deutsche  übertragen  hat  (s.  1 — 386);  denn  die  be- 
schäftigung  mit  dem  wenig  beachteten  romane,  welche  doch  auch 
für  das  Studium  des  Wolframschen  Parzival  nicht  gleichgiltig  ist, 
wird  dadurch  erleichtert,  die  prüfuug  der  Übersetzung  auf  ihren 
wissenschaftlichen  wert  hin  muss  ich  freilich  andern  überlassen, 
da  ich  des  altfranzösischen  nicht  kundig  bin.  stilistisch  fällt  sehr 
unangenehm  die  vom  verf.  ganz  besonders  bevorzugte  inversion 
nach  'und'  auf.  gewis  ist  diese  construction  hier  und  da  auch 
von  den  meistern  der  spräche,  von  Luther  bis  JGrimm ,  in  loserer 
redeweise  gebraucht  worden;  aber  wenn,  wie  hier,  geradezu  ein 
princip  daraus  gemacht  wird,  so  legen  wir  das  buch  scbliefslich 
mit  Unbehagen  und  ärger  bei  seile,  aber  auch  abgesehen  davon 
wird  gar  mancher,  wenn  er  das  buch  nicht  gerade  zu  wissen- 
schaftlichen zwecken  in  die  hand  nimmt,  bei  der  lectüre  die  ab- 
sieht desverf.s  merken  und  —  verstimmt  werden,  der  hierarchische, 
das  weltliche  rittertum  bekämpfende  geist  und  die  verherlichung 
der  kirche  auf  kosten  der  weltlichen  macht  durchzieht  den  ganzen 
roman ,  und  das  ist  allein  der  grund,  weshalb  der  verf.  den  wert 
desselben  so  hochstellt,  und  was  nicht  im  texte  schon  selbst 
steht,  das  tut  er  durch  allegorische  auslegung  in  seinen  er- 
läuterungen  noch  hinzu. 

Verl,  sucht  aber  seine  beurteilung  der  erzählung  auch  wissen- 
schaftlich zu  stützen,  indem  er  sie  als  die  älteste  und  ursprüng- 
lichste aller  vorhandenen  gralgeschichten  zu  erweisen  sucht,  auch 
Potvin  hatte  das  allerdings  behauptet;  dagegen  hatte  Birch-Hirsch- 
feld  sie  als  die  jüngste  bezeichnet,  wir  wollen  nicht  behaupten,  dass 
Birch- Hirschfelds  beweisführung  schlagend  wäre,  aber  soviel  ist 
sicher,  dass  in  der  ganzen  gestaltung  des  romans,  nämlich  gerade 
in  seiner  tendenz  und  in  der  aufnähme  und  oft  willkürlichen 
verquickung  der  verschiedenartigsten  bestandteile  das  wichtigste 
kriterium  für  seine  späte  abfassung  liegt,  auf  das  äufsere 
zeuguis  des  erzählers  selbst  in  einer  Schlussbemerkung  ist  eben 
wider  der  tendenz  wegen  gar  kein  gewicht  zu  legen,  warum 
könnte  der  geistliche  verf.  sich  hier  nicht  ein  poetisches  gegen- 
stück  zu  den  pseudoisidorischen  decretalien  geleistet  haben  ?  G. 
ist  denu   in  seinen  aufstellungen  auch  sehr  schwankend,    er  neigt 


GIETMANN     EIN    GRALBUCH  171 

einmal  (s.  xlvii)  dazu,  den  roman  noch  in  das  11  jh.  hinauf- 
zuweisen, sowol  wegen  des  hierarchischen  geistes,  welcher  in  die 
zeit  Gregors  des  grofsen  passe,  als  auch,  weil  sich  keine  spur 
von  heziehungen  zu  den  kreuzzügen  fände,  dem  aber  wider- 
spricht zu  offenbar  das  vollkommen  ausgebildet  aultretende  ritter- 
tum  und  die  gegensätzliche  Stellung  der  kirche  zu  ihm,  ganz 
abgesehen  davon,  dass  zb.  in  ^Yolframs  Parzival  von  kämpfen 
gegen  die  Muhammedaner  auch  nicht  die  rede  ist.  so  stellt  er 
denn  schliefslich  (s.  515  f)  als  die  wahrscheinlichste  zeit  die  'kurz 
vor  dem  dritten  kreuzzuge  (1189)'  hin,  als  späteste  aber  1*220  bis 
1230,  was  Birch-Hirschfeld  behauptet,  G.  aber  s.  509 — 515  eben 
noch  bestritten  hatte,  die  quelle  des  werkes  ist  nach  der  schluss- 
bemerkung  ein  lateinisches  Gral-  und  Artusbuch,  das  in  einem 
kloster  auf  der  insel  Avalon  verfasst  wurde,  'dieses  werk',  sagt 
G.  'hat  einen  rilter-priester  oder  einen  gewesenen  ritler  unter 
den  mönchen  jeuer  berühmten  abtei  zum  verf.  und  muss,  wenn 
nicht  früher,  in  der  zeit  nach  dem  ersten  kreuzzug  bis  etwa 
1150,  spätestens  um  die  zeit  des  dritten  (I)  kreuzzuges  entstanden 
sein',  dh.  also  innerhalb  eines  Jahrhunderts  von  der  romanischen 
bearbeituug  rückwärts,  was  die  kreuzzuge  dabei  für  ein  kri- 
terium  abgeben  sollen,  bleibt  völlig  unklar,  und  ebenso,  wie 
der  verf.  in  dem  weiten  rahmen,  den  er  schliefslich  ziehen  muss, 
seine  behauptung,  der  'grofse  Parzivalromau'  sei  die  älteste  gral- 
"^eschichte,  als  erwiesen  ansehen  kann,  als  eine  Hauptstütze 
dieser  ansieht  betont  G.  auch  die  angeblich  durchaus  britisch- 
nationale  färbung  des  werkes.  wie  es  damit  steht,  kann  ich 
nicht  beurteilen;  aber  zugegeben  auch,  es  wäre  so,  folgt  daraus, 
dass  es  die  älteste  der  erhaltenen  gralgeschichten  ist?  es  wäre 
doch  erst  zu  untersuchen,  ob  sich  das  werk  dadurch  würklich 
characteristisch  von  den  andern  romanischen  gralgeschichten  unter- 
scheidet, nur  darauf,  dass  die  Ursprünge  der  gralsage  nach  Bri- 
tannien weisen,  lässt  sich  doch  ein  solcher  schluss  nicht  bauen. 
Die  wissenschaftliche  ausbeute  der  arbeit  G.s  ist  also  nicht 
bemerkenswert,  und  das  kann  um  so  unbefangener  ausgesprochen 
werden ,  als  der  verf.  selbst  ja  darauf  keinen  wert  legt,  er  will 
die  nach  seiner  meinung  vollendetste  darstellung  der  gralsage 
dem  deutschen  volke  zugänglich  macheu  und  ihm  darin  gewisser- 
mafsen  einen  ersatz  geben  für  das  viel  zu  unkirchliche  und 
weltliche  werk  Wolframs,  es  ist  eben  derselbe  mafsstab,  den 
der  verf.  auch  an  Goethes  Faust  gelegt  hat,  und  hier  ist  deut- 
lich einer  der  laden  zu  erkennen,  welche  jetzt  vom  ullramou- 
tanen  lager  aus  nach  allen  richtungen  hin  gesponnen  werden, 
um  Deutschlands  eultur-  und  litteraturgeschichte  zu  verun- 
glimpfen. 

Berlin,  juui  1890.  G.  Boetticheb. 

Über  die  Margaretenlegende  des  Hartwig  von  dem  Hage,     von  Albert 
Rode.    diss.    Kiel,  CSchaidt,  1890  (Leipzig,  GFock).    58  8S.    8.° 


172       RODE  MARGARETENLEGENDE  HARTWIGS  V.  D.  HAGE 

1,50  m.  —  diese  fleifsige  arbeit  bestätigt  zumeist,  berichtigt  ferner 
und  ergänzt  meine  aufstellungen  über  Hartwigs  von  dem  Hage 
Margarets  und  Tagzeiteu  im  Anz.  7,  247  ff.  aufserdem  wird  s.  22  ff 
als  quelle  der  Margareta  eine  lateinische  fassung  erwiesen  ,  welche 
der  des  textes  im  Sanctuarium  des  Mombritius  nahe  stellt,  und 
s.  53  f  eine  beziehung  Hartwigs  zu  Reinmar  von  Zweier  wahr- 
scheinlich gemacht,  die  dankenswerte  abhandlung  regt  von  neuem 
den  wünsch  an,  dass  die  vor  einigen  jähren  wider  aufgefundene 
echte  Margareta  Wetzels  (nicht  die  von  Bartsch  dafür  gehaltene) 
im  geleite  der  anderen  handschriftlich  überlieferten  poetischen 
fassungen  alsbald  veröffentlicht  werden  möchte. 

Graz.  Anton  E.  Schönrach. 

Das  praefix  GE-  in  verbalen  Zusammensetzungen  bei  Berthold  von 
Regensburg,  ein  beitrag  zur  mittelhochdeutschen  syntax  von 
Eduard  Eckhardt.  Freiburger  diss.  Leipzig,  GFock,  1889. 
107  ss.  8°.  3  m.*  —  verf.  beabsichtigt,  ein  möglichst  voll- 
ständiges bild  von  den  Verwendungsarten  des  ge-  bei  Berthold  zu 
geben,  er  beschränkt  sich  auf  diesen  einen  schriftsteiler,  nützt 
ihn  dafür  aber  um  so  gründlicher  und  sorgfältiger  aus.  und  die 
Zusammenstellung  einer  grofsen  menge  von  statistischen  zahlen 
hat  an  seinen  fleifs  und  seine  geduld  keine  geringen  anfor- 
derungen  gestellt,  er  begnügt  sich  nicht  damit  anzugeben,  wie 
oft  ge -composita  unter  bestimmten  bedingungen  vorkommen, 
sondern  er  führt  mit  einigen  wenigen  ausnahmen  auch  das 
gegenbild  vor.  eine  einheitliche  theorie  aufzustellen  uud  die 
einzelnen  Verwendungsarten  des  ge-  historisch  zu  erklären  hat 
E.  vermieden,  da  eine  solche  erklärung  erst  nach  durchforschung 
sämmtlicher  germanischer  dialecte  auf  festem  boden  stehn  könne, 
bisweilen  vermisst  man  aber  auch  da  ein  interpretierendes  wort, 
wo  E.  es  auch  von  seinem  standpunct  aus  recht  gut  hätte 
sprechen  können,  ebenso  wie  er  es  in  anderen  fällen  gesprochen 
hat1.  —  dass  das  ge-  in  vielen  fällen  durch  die  satzart  bedingt 
ist,  geht  aus  den  Zusammenstellungen  des  verf.s  deutlich  hervor, 
uud  daher  ist  auch  seine  einteilung  die  richtige,  er  scheidet  zu- 
nächst das  wortbildende  ge-  vom  syntactischen:  ersteres  bildet 
feste  composita  und  geht  durch  alle  wortformen  hindurch,  letzteres 
findet  sich  nur  unter  bestimmten  bedingungen.  ob  ein  einzelner 
fall  zur  einen  oder  zur  andern  gruppe  gehört,  ist  nicht  immer 
mit  Sicherheit  auszumachen,  wie  verf.  selbst  zugibt;  diese  Schwierig- 
keit dürfte  sich  aber  bei  weiterer  durcharbeitung  des  mhd.  materials 

*  [vgl.  DLZ  1890,  nr  34  (Tomanetz).] 

1  s.  60  ff  wird  das  verallgemeinernde  ge-  in  Wunschsätzen  und  sätzen, 
die  überhaupt  ein  geschehensollen  ausdrücken,  erörtert;  es  findet  sich 
namentlich  häufig  in  den  fällen,  wo  abhängiger  fragesatz  mit  wie  an  stelle 
des  finalsatzes  tritt,  da  verf.  gleich  darauf  nachweist,  dass  überhaupt  die 
Unbestimmtheit  des  geschehens  auf  das  eintreten  des  ge-  hinwürkt ,  so  hätte 
es  nahe  gelegen,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  in  den  finabätzen  mit 
wie  eine  solche  Unbestimmtheit  besonders  stark  hervortritt. 


ECKHARDT  PRAEFIX  GE -  BEI  BERTHOLD  173 

verringern,  und  jedenfalls  genügt  sie  nicht,  um  die  vorteile  der 
anordnung  aufzuwiegen.  —  im  zweiten,  größeren  teil  der  arbeit 
wird  das  wandelbare  ge-  besprochen,  die  belege  sind  in  eine 
grofse  menge  von  rubriken  geordnet,  und  es  ergibt  sich,  dass 
die  einzelneu  Satzarten  mit  sehr  verschiedener  kraft  das  eintreten 
des  ge-  begünstigen.  —  das  urteil  E.s  über  die  einzeluen  fälle 
ist  offenbar  wol  erwogen,  und  man  gewinnt  bald  vertrauen  zu 
seiner  fuhrung,  namentlich  wenn  man  sieht,  dass  er  das  un- 
sichere auch  unsicher  nennt,  trotzdem  wird  man  gelegentlich 
anderer  ansieht  sein  können,  als  er.  es  scheint  mir  nicht  richtig, 
wenn  E.  s.  39  sagt,  es  sei  zweifelhaft,  ob  wir  das  ge-  beim 
präsens  als  zum  ausdruck  zeitlicher  Vollendung  dienend  auffassen 
dürften,  und  wenn  er  nun  diesen  gesichtspunet  gar  nicht  weiter 
berücksichtigt,  es  sind  mir  augenblicklich  keine  belege  zur  band, 
wo  das  ge-  allein  auf  die  bedeutung  der  zeitlichen  Vollendung 
zurückgeführt  werden  müste.  aber  ganz  lehrreich  scheinen  mir 
zb.  die  belege,  die  E.  s.  55  angibt  für  durch  so  eingeleitete 
temporalsätze,  die  einen  allgemeinen  gedanken  enthalten.  24  mal 
steht  hier  ge-,  188 mal  das  simplex;  unter  jenen  24  fällen  sind 
die  meisten  deutlich  derart,  dass  die  handlung  des  nebensatzes 
als  abgeschlossen  betrachtet  werden  muss,  wenn  die  handlung 
des  hauptsatzes  eintritt,  die  beispiele  ohne  ge-  führt  E.  nur  bei 
denselben  verben  an,  die  auch  mit  ge-  vorkommen;  unter  den 
41  fällen  trifft  noch  nicht  in  einem  viertel  das  gleiche  zu.  das 
ist  doch  ein  merkwürdiger  unterschied! 

Würzburg.  Hubert  Roettekei\. 

Glareau.  sein  leben  und  seine  Schriften.  von  Otto  Fridolin 
Fritzsche.  mit  einem  porträt  Glareans.  Frauenfeld  ,  Huber  1890. 
vm  und  136  ss.  8°.  3  m.*  —  Heinrich  Loriti  aus  Mollis  bei 
Glarus,  wonach  er  gewöhnlich  Glareanus  genannt  wird,  ist  der 
gröste  unter  deu  Schweizer  humanisteu.  schon  mehrfach  hat  er 
biographische  Würdigung  erfahren,  am  ansprechendsten  durch 
HSchreiber,  welcher  in  einer  aus  dem  jähre  1837  stammenden 
Freiburger  uuiversitätsschrift  dem  verdien  leb  gelehrten  ein  wür- 
diges litterarisches  denkmal  errichtet  hat.  seit  Schreibers  arbeit 
hat  sich  das  quellenmaterial  beträchtlich  erweitert,  und  F.  hat 
sich  der  mühe  unterzogen,  den  an  sehr  verschiedeneu  orteu  zer- 
streuten stoff  sorgfältig  zu  sammeln  und  aus  den  zahllosen  einzel- 
heiten  ein  einheitliches  bild  zu  gestalten,  nach  dem  bekannten 
Schema  zerfällt  die  kleine  Schrift  in  zwei  grofse  abschnitte,  Gla- 
reans leben  (s.  1—82)  und  Glareans  schrillen  (s.  83 — 12G).  elf 
kleine  anhänge  beschliel'seu  das  gut  ausgestattete  werkchen. 

Als  knabe  hatte  Glarean  das  glück,  den  tüchtigen  Rubellus 
(Rölllin)  in  Rottweil  zum  iehrer  zu  haben,  als  ergänzung  zu  F.s 
darstellung    darf   hier    bemerkt  werden,    dass  es   nicht    auffallend 

[*  Zeitschr.  fiir  vergl.  litteraturKesch.  1890,  -.  395  (LGeiger).  —   Litter. 
ccntralbl.  1890  nr  41  (H.H.).  —  DLZ  1891  nrl2  (GKi iann).j 


174  FRITZSCHE    GLAREAN 

ist,  wenn  damals  ein  Schweizer  kuabe  in  dem  von  der  Schweiz 
abgelegenen  Roltweil  die  lateinschule  besucht;  denn  das  jetzt 
wiirttembergische  Rottweil  gehörte  ehemals  zur  Schweizer  eid- 
geuossenschaft.  seit  1506  an  der  Kölner  hochschule  immatriku- 
liert, wird  Glarean  mit  dem  berühmten  Hermann  van  dem  Busche, 
dem  'wanderprediger  des  humanismus',  bekannt,  was  für  sein 
ganzes  lebeu  und  für  die  richtung  seiner  Studien  entscheidend 
wurde,     im  griechischen  war  Joh.  Caesarius  sein  lehrer. 

Nach  beendigung  seiner  Kölner  lehrjahre  beginnen  die  fast  zwei 
Jahrzehnte  dauernden  wanderjahre,  die  er  zumeist  in  Basel  und 
Paris  zubrachte,  den  lebensunterhalt  gewann  er  während  dieser 
zeit  hauptsächlich  durch  unterrichten  junger  leute,  die  bei  ihm 
wohnten,  in  Basel  sprudelte  sein  ungezügelter  geist  nach  poeten- 
art  gelegentlich  einmal  übermütig  auf:  er  erschien  in  der  aula 
hoch  zu  ross,  um  die  feindlichen  Ordinarien  und  magistri  zu 
verhöhnen. 

Anfangs  wie  fast  alle  humanisten  für  Luther  begeistert,  zieht 
er  sich  im  laufe  der  zwanziger  jähre  des  16  jhs.,  wie  der  von 
ihm  verehrte  Erasmus,  von  der  religiösen  bewegung  zurück  und 
bleibt  der  katholischen  kirche  treu,  die  einführung  der  refor- 
matio in  Basel  vertreibt  ihn  1529  nach  Freiburg  i/B.,  wo  er 
bis  an  das  ende  seines  lebens  ausharrt,  er  stirbt  1563,  fast 
75  jähre  alt.  während  vieler  jähre  ist  er  die  glänzendste  leuchte 
der  Breisgauer  hochschule,  der  gröste  philologe,  welcher  zu 
Freiburg  im  16  jh.  gelehrt  hat.  der  humanist  verwandelte  sich 
nämlich  im  laufe  der  jähre,  dem  gange  der  zeit  folgend,  in 
einen  ausgezeichneten  philologen,  der  eine  grofse  auzahl  clas- 
sischer  Schriftsteller  seinen  Zuhörern  erklärte,  edierte,  mit  com- 
mentaren  versah  und  ebenso  eifrig  für  die  realien  der  altertums- 
wisseuschaft  bemüht  war.  die  fruchtbarste  zeit  seiner  litterarischen 
tätigkeit  ist  die  Freiburger  periode;  F.  verzeichnet  30  Schriften, 
die  zumeist  in  Freiburg  entstanden  sind. 

Der  verf.  hat  mit  fleifs  und  Sorgfalt  seinen  stolT  gestaltet; 
manchmal  freilich  möchte  man  wünschen ,  dass  wichtiges  und 
unwichtiges  mthr  geschieden  wäre,  weniger  erhebliche  angaben 
dürften  unbedenklich  in  die  anmerkungen  verwiesen  werden,  die 
darstellung  würde  dadurch  rascher  und  lebendiger  geworden  sein. 

Nur  selten  stöfst  man  auf  ungenaues  oder  unrichtiges,  wenn 
zb.  s.  13  von  dem  bekannten  pädagogen  Sapidus  angegeben  wird: 
'1538  professor  in  Strafsburg',  so  ist  dazu  zu  bemerken,  dass 
Sapidus  schon  1526  von  Schlettstadt  nach  Strafsburg  übersiedelte 
und  schon  1528  daselbst  eine  schule  eröffnete;  1538  bekam  er 
dann  eine  lehrerstelle  am  gymnasium  Sturms;  vgl.  die  näheren 
angaben  bei  CEngel  Das  Schulwesen  in  Strafsburg  (Strafsb.  pro- 
gramm  1886)  s.  47  und  den  wertvollen  artikel  Knods  über  Sapidus 
in  der  ADB.  —  wenn  sodann  s.  40  Beatus  Rhenanus  kurzweg 
als   Rheinauer    erklärt    wird,    so    ist    das   unrichtig,      denn    der 


FRITZSCHE     GLAREA.N 


175 


eigentliche  name  war  Bild,  und  die  benennung  Rheoanus  rührt 
davon  her,  dass  die  familie  aus  Rheinau  stammte  und  in  Schlett- 
stadt  Rinower  genannt  wurde,  vgl.  GKnod  Aus  der  bibliolhek 
des  Beatns  Rhenanus  (Leipzig  1889)  s.  1.  —  für  Rudolf  Agri- 
cola  (s.  2  anm.  6)  wäre  besser  nicht  auf  den  alten  Jücher  ver- 
wiesen worden,  sondern  auf  Aschbach  Gesch.  der  Wiener  Uni- 
versität ii  141.  —  die  form  der  Zusammenstellung  von  Glareans 
briefen  s.  133  ist  wenig  übersichtlich  und  recht  unzweekmäfsig. 
eine  chronologische  Ordnung  würde  die  beuutzung  dieses  ab- 
schnittes  erleichtert  haben.  —  auch  sollte  man  sich  jetzt  all- 
mählich gewöhneu ,  die  falsche  form  Virgil  durch  die  richtige 
Vergil  zu  ersetzen,  warum  nicht  das  deutsche  Bernhard  (s.  12) 
statt  des  französischen  Bernard?  auch  ist  in  einer  deutschen 
darslellung  die  bekannte  Stadt  in  Tirol  'Trient'  und  nicht 
halb  lateinisch  'Trident'  zu  schreiben,  ganz  bedenklich  aber 
ist  die  form  'abcopieren'  (s.  64);  copieren  heifst  schon  'ab- 
schreiben'. 

Diese    unbedeutenden   ausstellungen    sind    nicht   im    stände, 
den  wert  der  Qeifsigen   und  dankenswerten  schritt  zu  vermindern. 
Heidelberg.  Karl  Hartfelder. 

Die  Schrödersche  bearbeitung  des  'Hamlet'  und  ein  vermutlich  in 
ihr  enthaltenes  fragment  Lessings.  von  C.  W.  E.  Brau.ns.  Breslau, 
LFreund.  1890.  35  m.  8°.*  —  die  verf.  ist  der  irrigen  ansieht, 
dass  Schröders  Hamletbearbeitung  bisher  von  den  litterarhistorikern 
nicht  beachtet  worden  sei.  indessen  hat  BGenee  sowol  in  seiner 
'Geschichte  der  Shakespearischen  dramen  in  Deutschland'  (Leip- 
zig 1870)  s.  237  ff  als  in  einem  besonderen  artikel  der  monats- 
schrift  Nord  und  Süd  (m  398  ff)  Untersuchungen  angestellt,  hinter 
welchen  B.  weit  zurückbleibt,  der  nicht  einmal  dir  benutzuug 
der  Heufeldischen  bearbeitung  durch  Schröder  bekannt  ist.  auch 
die  Übersetzungen  des  Hamletmonologes  findet  man  schon  bei 
Genee  coufroutiert.  dass  die  Übersetzung  dieses  mouologes  in  der 
Schröderschen  bearbeitung  eine  arbeit  Lessings  sei,  ist  ein  ganz 
leerer  und  windiger  einfall  der  verf.,  welche  sich  weiter  keine 
mühe  gibt,  ihre  Vermutung  zu  begründen.  Heufeld  hat  auch 
hier  den  text  der  Wielandschen  Übersetzung  mit  den  Üblichen 
Varianten;  mit  Mendelssohns  bekannter  Übersetzung  bietet  die 
Schrödersche  keine  Übereinstimmungen,  nach  Genee  23S  wird 
die  erste  ausgäbe  der  Schröderschen  bearbeitung  im  Theater- 
journal  für  das  jähr  1777  dem  Hamburger  tbeaterdiebter  IJock 
zugeschrieben,  und  gerade  der  monolog  'sein  oder  uichtsein'  als 
probe  mitgeteilt;  eher  als  an  Lessini:  müsten  wir  also  immer 
noch  an  Bock  denken.  Gemmingen  in  seiner  Dramaturgie  schreibt 
die  Hamburger  bearbeitung  gar  Boden  zu.  Schröder  aber,  im 
dritten  band  t\<'±  Hamburgischen  tbeaters  (s.  \  ff)  und  in  den  briefen 
an  Gotter  (107 — 1 151),  nimmt  für  sich  die  ganze  arbeil  in  ansprach, 

*  [vgl.  Beil.  zur  allg.  zeitung  1890  m  158  (L.  6.).] 


176  BRAUNS      SCHRÖDERS    HAMLETBEARBEITUNG 

mit  ausnähme   des   totengräberliedes   in   der   fassung   von  1777, 

welches  von  Bock  gedichtet  sei,  der  Übersetzer  des  monologes  ist 

also  wol  Schröder  selbst,  [vgl.  jetzt  auchShakespearejahrb.25,205ff.] 

Wien.  J.  Minor. 


Kleine    Mitteilungen. 

Zu  Minnesangs  Frühling  39,  19.  die  von  Scherer  wegen  des  dem 
Wächter  zugehörigen  Weckrufs  angenommene  beeinflussung  dieses 
tageliedes  durch  die  provenzalische  alba  hat  W.  de  Gruyter  Das 
deutsche  tagelied  (Leipzig  1887)  s.  5  dadurch  widerlegen  wollen, 
dass  er  den  w eckruf  mit  dem  danach  erwähnten  vogelsang  verband: 
einem  vorschlage  Pauls  Beitr.  2,  466  anm.  folgend  fasste  er  wan 
als  adversalivpartikel,  wol  wie  Paul  'mit  einer  etwas  elliptischen 
ausdrucksweise:  aber  (du  darfst  nicht  weiter  schlafen;  denn)  uns 
weckt  leider  bald  ein  vöglein',  die  recensenten  de  Gruyters, 
Giske  in  der  Zs.  f.  d.  phil.  21,  243  und  Boethe,  hier  im  Anz. 
16,  92,  scheinen  zuzustimmen,  allein  die  Wortstellung  ist  völlig 
gegen  diese  aufiassung;  es  müste  heifsen  wan  unsich  icecket  leider 
schiere  ein  vogelin  oder  wan  ein  vogelin  wecket  unsich;  die  frage- 
stellung  bei  wan,  das  verb  au  der  spitze,  ist  uubelegt  und  un- 
glaublich, vgl.  die  beispiele  des  Mhd.  wb.s  und  Pauls  Mhd. 
Gramm.3  §  185,  wo  richtig  bemerkt  ist,  dass  die  reinen  über- 
gangspartikeln  aber,  wände  (denn) ,  wan  (sondern)  die  normale 
Wortfolge  nicht  stören.  E.  Martin. 

Zu  Zs.  29,  456  ff.  bereits  Germ.  31,  327  ff  habe  ich  zwei  nachtrage 
zu  Laistners  ausführungen  über  das  sagenmotiv  gegeben ,  dass 
ein  schiffer  auf  hoher  see  plötzlich  angehalten  wird  und  ins  reich 
des  seekönigs  hinabsteigen  muss.  einen  neuen  beleg  finde  ich 
in  der  neunten  erzählung:  'Ogni  cosa  e  per  lo  meglio'  des  Libro 
dell'  Origine  dei  volgari  Proverbii  (Venedig  1526)  von  Cintio 
dei  Fabrizii,  mitgeteilt  vou  Lemcke  im  Jahrb.  für  roman.  und 
engl,  literatur  i  312  ff,  wozu  noch  die  bemerkuug  Brunets  1.  c. 
in  90   zu  vergleichen  ist. 

Göttingen   19.  12.  90.  F.  Holthaüsen. 

Aus  Klagenfurter  Handschriften,  die  Handschriften  der  k.k.  studien- 
bibliothek  in  Klagenfurt,  etwa  400  an  der  zahl,  sind  bisher  noch 
keiner  genaueren  durchsieht  unterzogen  worden,  obwol  ein  grofser 
teil  nicht  unbeträchtlichen  wert  besitzt,  bei  der  abfassung  eines 
cataloges  dieser  hss.,  der  baldmöglichst  publiciert  werden  soll, 
fanden  sich  auch  einige  deutsche  stücke,  die  der  mitteilung  nicht 
unwert  erscheinen. 

In  der  papierhs.  nr  58,  die  1416  im  stifte  St.Paul  geschrieben 
wurde  und  aus  dem  jesuitencollegium  in  Millstadt  nach  dessen 
auflösung  in  die  Klagenfurter  bibliothek  gelangte,  finden  sich 
fol.  69  hinter  einem  ausgedehnten  lat.  vocabularium  von  der  hand 
desselben  Schreibers  folgende  verse: 


KLEI.-SE    MITTEILU.NGE.N 


177 


0  marter  gros  o  wunden  tieff  o  plutes  chrafft  o  todes  pitrewchait 

her  almechtiger  vater  hilf  vns  zu  der  ewigen   salichait.     Amen. 

In  gotes  namen  pin  ich  geporen 

In  gotes  nam  schol  ich  vffaren 

In  gotes  nam  schol  ich  ersten 

mit   seinem    heiligen    leichnam    vnd  mit   seinem  heyligen  rasen- 

varben  plut  schol  mir  mein  sei  ausgen. 
Got  gruz  dich  rainew  Maria  Rosen  rot 
Ich  man  vnd  pit  dich  durch  deines  liben  chindes  tod 
Daz  vor  dem  hing  an  dem  heyligen  chrewz  plut  varbes  rot 
Daz  du  chunegin  magt  seist  pey  mir  an  meines  endes  not 
Maria  chunegin  gib  mir  daz  hymlisch  prot 
ein  wäre  rew ,  ein  lawtrew  peicht  vor  meinen  tod.     Amen. 
Die  papierhs.  nr  96,   15  Jh.,  enthält  die  Summa  confessionalis 
des  Antonius  Florenlinus;    in    ihr   deutsche  glossen  von    zweiter 
hand:  fol.  33b  phisonomia]  ain  angesicht  oder  phisonomy;  fol.  34b 
diuinatorem]    war  sager  oder   zawberrer;   ut  usus  est  ad  sciendum 
aliqua]  kuntlich;  fol.  36a  cum  falce  messoria]  ein  mader  oder  ein 
schniter;  fol.  I27a  oblectamenta]  trägkeil ;  toi.  12Sa  trisulcis  Unguis] 
die  chunst  behent  rat  zw  geben. 

Auf  dem  zweiten  deckel  der  1469  geschriebenen  papierhs. 
nr  104  befinden  sich  folgende  glossen:  Liber  genesis.  Das  püch 
der  schephung.  liber  Exodi.  Das  püch  des  ausgangs  der  kinder 
von  israel.  liber  leuiticus.  Das  püch  der  briester.  Über  judicum. 
Das  püch  der  Richter,  liber  Ruth.  Das  puch  der  frauen.  liber 
Ecclesiasticus.  Das  püch  der  vppichayt.  liber  prouerbiorum.  Das 
puch  der  sprach,  liber  philippens.  Das  puch  der  versmachten, 
liber  appokalyps.  Das  püch  der  hamlichayt  gots.  liber  chorinthios. 
Das  püch  der  herettici.  ähnliche,  teilweise  ergänzende  glossen 
finden  sich  auf  dem  ersten  blatte  der  1450  geschriebenen  papierhs. 
nr  135,  in  der  des  Bartholomäus  Pisanus  Summa  florum  juris 
canonici  enthalten  ist:  Colocenses  i.  widerredent.  Athenis.  zue 
den  hohen  priestern  scheften.  ad  philippenses.  zue  den  ver- 
smachten. Corinlhios.  zu  den  herrn.  ad  galathas.  zue  den 
vbermuettigen.     ad  effesos.     zue  den  zweifflern. 

Die   papierhs.    nr  140    (16  jh.)  enthält  einige   schritten   des 
Leonharcl  Fronsperger.    vor  dem  kriegsfeldbüchlein  steht  folgendes 
gedieht,  welches  uns  mitten  in  die  wilde  landsknechtzeit  versetzt: 
Wellicher  dan  nun  lang  wil  leben 
vnnd  einen  alten  kriegsman  geben 
der  bleib  imerzu  bey  dem  Hauff en 
vnnd  thue  nit  auf  die  Paith  lauffen 
Rlünder  vnnd  entblbfs  khain  weibs  Person 
vnnd  mach  Dir  von  iren  klaider  nichts  an 
So  wirstu  Glueckh  vnnd  allen  Segen  hau. 
Interessant    in    verschiedener    hinsieht    ist    die    papierhs.  47. 
sie  enthält  hinter  der  Summa  florum  juris  canonici    des  Bartho- 
A.  F.  D.  A.    XVII.  12 


178  KLEINE    MITTEILUNGEN 

lomäus  Pisanus  einen  kurzen  lat.  auszug  aus  diesem  beliebten 
werke,  der  aus  dem  jähre  1464  stammt  und  von  dem  Schreiber 
der  ganzen  hs.  zu  Eberndorf  in  Kärnthen  angefertigt  wurde, 
diese  epitome  bringt  neben  vielen  andern  deutschen  Worten  am 
Schlüsse  eine  ganz  artige  blumeniese  von  schelmen-  und  vaga- 
bundenbenennuugen.  es  handelte  sich  für  den  verf.  der  epitome 
hauptsächlich  um  anführung  der  einzelnen  arten  von  heretici 
und  aller  jener  handlungen,  welche  die  kirchliche  excommuni- 
cation  bedingen,  im  folgenden  sollen  die  uns  hier  einzig  interes- 
sierenden deutschen  glossen  ausgehoben  werden. 

Es  heifst  also  auf  fol.  164a:  Omnes  heretici  sunt  et  apostate.  .  .  . 
Item  incantatatores.  Czaubrerin,  ansprecherin ,  Cuppier  in,  vor- 
sagerin,  lossarin,  vnholdin.  —  heretici  sunt,  qui  fendunt  anegang 
vnd  hantgift,  item  qui  faciunt  EbenJenng  fuzspar  subenfufs  vn- 
genant  vnmaine.  Item  qui  .  .  .  portant  literas  vel  Sivert  brieff.  .  .  . 
non  debent  sacramenta  uti  non  ad  ea  ad  quae  sunt  instilula  sicut 
aqua  baptismi  weychprun  weychkertzen.  .  .  .  Item  omnes  qui  tales 
diuinationes  i.  warsag'  in  domibus  eorum  tenent.  (fol.  164b)  Item 
omnes  sacrilegi  welcher  kyrich  pruchl  aufferens  sacrum  de  sacro.  . .  . 
Item  omnes  blasphemantes  maledicentes.  dy  do  vbel  sprechen  lesternt 
deum  et  sanctum  nomen  eius.  .  .  .  Item  qui  rectores  ciuitatis.  .  .  . 
aussetzen  super  sacerdotes  .  .  .  et  ecclesiarum  exactiones  sine  licentia 
sedis  apostolicae.  (fol.  165a)  Item  qui  .  .  .  vadunt  ad  spectacula 
propria.  zw  tagwalt.  .  .  .  Item  Omnes  vsuarii  faciunt  contra 
legem  dei  welcher  kaüffel.  .  .  .  Item  qui  emunt  vilius  et  vendunt 
rarius  welcher  furchaufel.  (fol.  165b)  Item  qui  falsificant  terminos. 
Ayn  aufgesetzte  tzaychn  Marchstain  Czilstekn  In  wisen  Ekkern 
Weingarten.  .  .  .  Item  qui  apponunt  valuis  scheltbrieff.  .  .  .  Item 
omnes  obsessi  lunatici.  welcher  mdniger  vnsinniger  demoniaci  fre- 
netici  apopletici.  .  .  .  Item  omnes  qui  sunt  hystriones  puebn. 
Spiler  zwleger.  Swelher  zwtrager  wunscher  gedencker  Raytter  wurfel- 
leycher.  Scholdrer  vmbsetzer  vnd  ansetzer  //  pueben  püebin  auf- 
macher per'ntreyber  pheyfer  fidler  laulenschlaher  Singer  loterphaffen 
Speckloter  //  (fol.  166a)  Gawkler.  Item  Rassler  Toppler  Geyger  Speher 
Sneller  Trincker  lewchter  Stewrer  Raytter  anchreyder  //  Güner  mit- 
halder  anpringer  Rayser.  Swerer.  Schelter  lugner  trugner  pritzner 
vmblauffer.  .  .  . 

In  der  papierhs.  2  aus  dem  anfange  des  15jhs.  steht  nach 
dem  Explicit  von  der  hand    des   Schreibers   der   hs.  punthschuch. 

Zum  Schlüsse  noch  eine  mitteilung  aus  der  dem  ende  des 
15jhs.  entstammenden  papierhs.  4.  in  diesem  sammelcodex  fehlen 
leider  die  letzten  blätter,  die  jedesfalls  einen  längeren  deutschen 
tractat  über  die  sacramenle  enthielten,  am  ende  des  letzterhaltenen 
fol.  445b  stehn  von  der  hand  des  letzten  Schreibers  der  hs.  in 
roter  tinte  die  worte: 

Vom  Sacrament. 

Darumb   solt  man   die   leute   also  fragen   wen  yemands  zum 


KLEINE    MITTEILUNGEN  179 

Sacrament  wolt  gen:  Au  ff  erst  was  das  Sacrament  sey.  Da  solt 
er  antwurten:  Die  wort  sind  das  Sacrament,  so  Christus  ver- 
sprochen hat  ym  abentessenn:  Nempt  hyn  das  ist  mein  leib  der 
für  euch  dar  geben  wird.  Das  ist  mein  bluet  das  für  euch  ver- 
gossen wird  zu  vergeben  der  sunde.  Dar  nach  das  er  zu  den 
Worten,  das  brot  vnd  wein  hat  ein  gesetzt  vnter  welchem  sein  fleisch 
vnd  bluet  ist.  zum  warzaichen  vnd  sigl.  das  die  wort  icar  sind. 
so  frage  den  weiter.  Wo  zu  sind  der  selbigen  wort  guet  die  Christus 
da  redet  vnd  warzaichen. 

Klagenfui t ,  anl'aug  november  1890.  Dr  Richard  Klklla. 


UNGEDRfCKTE    BRIEFE    VON    JACOB  GRIMM. 

Die  Stadtbibliothek  in  Aachen  bewahrt  drei  bisher  unbekannt 
gebliebene  briefe  von  Jacob  Grimm  an  August  freiherrn  von  Fürth 
aus  den  jähren  1835  und  1839,  welche  der  mitteilung  nicht  unwert 
sind,  weil  sie  einen  wenn  auch  kleinen  beitrag  zu  der  entstehungs- 
geschichte  der  Grimmschen  'Weistümer'  liefern.  AvFürlh  ist  be- 
kannt als  verf.  der  schrift  über  die  'Ministerialen ,  welche  Grimm 
in  dem  zweiten  der  hier  zum  abdruck  gebrachten  briefe  eine  schöne 
und  belehrende  abhandlung  nennt,  er  war  1812  in  Aachen  ge- 
boren, hatte  seit  dem  herbste  1829  in  Heidelberg  die  rechte  studiert 
und  war  dann  nach  München  gegangen,  im  august  1846  ist  er 
hier  zum  grofsen  bedauern  der  vielen,  welche  sich  durch  das  er- 
scheinen der  genannten  schrift  zu  grofsen  erwartungen  berechtigt  ge- 
glaubt hatten,  im  jugendlichen  alter  von  'SA  jähren  an  einem  brust- 
leiden gestorben. 

Der  zweite  teil  der  Weistümer  ist  bekanntlich  im  jähre  1840 
vor  dem  ersten  erschienen;  die  vorrede  ist  datiert  vom  7  december 
1839.  Grimm  hat  die  absieht  gehabt,  in  der  einleitung  zu  dem 
fünften  teile,  welcher  die  Sammlung  beschliefsen  sollte,  sowol  natur 
und  alter  der  weistümer  als  auch  die  bereicherung ,  welche  aus 
ihnen  nicht  nur  für  die  rechtsaltertümer,  sondern  auch  für  die 
künde  der  deutschen  spräche,  mythologie  und  silie  /loss,  zu  erörtern; 
zweifellos  würde  er  in  dieser  einleitung  auch  seiner  mitarbeitet 
gedacht  haben,  allein  der  tod  rief  ihn  ab,  ehe  er  hand  an  dieses 
vorhaben  legen  konnte,  der  hinterlassene  fünfte  tri/  der  Weistümer 
wurde  1866  von  HSchröder  herausgegeben,  wozu  1869  noch  ein 
sechster  kam. 

Aachen,  im  november  1890.  Dr  E.  Fromm. 


Vereinter  Herr, 
Bei    meiner  Rückkehr    von    einer  Ferienreise    fand    ich   ihre 
schätzbare  Zuschrift  vor.     Der  Beifall   und  die  Theilnahme,  welche 


180  DNGEDRUCKTE    BRIEFE    VON    JACOB    GRIMM 

Sie  meinen  Bestrebungen  angedeihen  lassen,  und  die  gütige 
Unterstützung,  welche  Sie  mir  für  einen  Theil  derselben  ver- 
heissen,  kann  mir  nicht  anders  als  willkommen  sein. 

Nach  Ausarbeitung  meiner  Mythologie,  die  vor  einigen 
Monaten  erschienen  ist,  hoffe  ich  neben  Beendigung  der  Gram- 
matik auch  Mufse  für  Herausgabe  der  Weisthümer  zu  erübrigen, 
die  mir  sehr  am  Heizen  liegen  und  von  deren  Wichtigkeit  ich 
mich  je  länger  je  mehr  überzeugt  habe. 

Beiträge  von  Ihnen,  gleich  dem  bereits  mitgetheilten  Stück, 
wofür  ich  ergebenst  danke,  sollen  mich  sehr  freuen;  der  Druck 
wird  kaum  vor  nächstem  Sommer  beginnen,  und  da  ich  die  Samm- 
lung nach  Ländern  ordne,  und  mit  Süddeutscbland  beginnen 
werde,  so  ist  Ihrer  Güte  ein  noch  weiteres  Ziel  gesteckt.  Mit 
vollkommenster  Hochachtung 

Göttingen  28  Oct.  1835.  Jacob  Grimm. 

P.  S.  meine  Mythologie  p.  330  berührt  einen  altcölnischen 
Brauch.  Sollten  von  ihm  noch  in  späterer  Zeit  Spuren  vor- 
handen sein? 

ii. 
Hochgeehrtester  Herr  Begierungsrath, 

Vor  mir  liegt  Er.  Hochwolgeboren  Zuschrift  vom  7  oct.  1835, 
worin  Sie  für  meine  schon  lange  vorbereitete  samlung  deutscher 
dorfweisthümer  ungedruckte  beitrage  mir  zu  verheissen  die  gute 
hatten,  ich  zauderte  damals  nicht,  dieses  erbieten  anzunehmen, 
und  vermutete  seitdem,  dass  Sie  durch  dienstgeschäfte  oder  andere 
literarische  arbeiten  von  erfüllung  jener  Zusicherung  abgehalten 
wurden.  Ihre  schöne  und  belehrende  abhandlung  über  die 
ministerialen  war  mir  beweises  genug  dafür,  dass  Ihr  lebhaftes 
interesse  lür  deutsche  rechtsalterthümer  nicht  ab  sondern  nur 
zunehmen  könne. 

Gegenwärtig  bin  ich  nun  willens  meine  reich  angewachsene 
samlung  in  einigen  bänden  herauszugeben,  ich  habe  noch  jüngst 
die  reichlichsten  miltheilungen  dafür  erhalten,  und  darf  hoffen 
unserm  vateiländ.  recht  einen  bedeutenden  dienst  zu  erweisen. 
Hr.  Minister  von  Kamplz  unterstützt  mein  vorhaben  auf  das 
wirksamste.  Darf  ich  mir  nun  jetzt  die  anfrage  erlauben,  ob  Sie 
die  gewogenheit  haben  wollen  mir  ungedruckte  weisthümer  aus 
dem  Cölnischen  und  der  benachbarten  gegend  zu  überlassen?  Ich 
bin  sehr  reich  geworden  an  Trierischeu  (weniger  an  Mainzischen) 
und  besitze  auch  durch  Rindlinger's  Papiere  manches  aus  dem 
Cölnischen;  doch  zweifle  ich  nicht,  dass  Ihnen  ein  volleres  und 
gesicherteres  material    in  bezug   auf  Cöln    zu  gebot  stehen  wird. 

Wenn  ich  binnen  3 — 4  monaten  dieser  miltheilung  eutgegen- 
sehn  dürfte,  würde  ich  sie  dann  gleich  unmittelbar  in  den  druck 
zu  geben  hoffen.  Den  ersten  band  sollen  die  schönsten  öfnungen 
aus  der  Schweiz,  aus  Schwaben,  dem  Elsass,  Franken  und  viel- 
leicht der  Wetierau  beginnen. 


INGEDRUCKTE    BRIEFE    VON    JACOB    GRIMM  181 

Mit  vollkommenster  Hochachtung  hahe   ich  zu  sein  die  ehre 
Er.  Hochwolgeboren 
Cassel,  5  febr.  1S39.  ergebenster  Diener 

Jacob  Grimm. 


Er.  Hochwolgeboren 
belieben  aus  den  einliegenden  drei,  etwas  unordentlich  gemachten 
Verzeichnissen,  zu  sehn,  welche  weisthümer  mir  für  das  gebiet 
von  Achen  ,  Jülich  und  Cöln  zu  gebot  slehn,  und  wo  es  Ihnen 
leicht  sein  wird  nachzuhelfen,  von  dem  bei  Ritz  gedruckten  habe 
ich  nichts  angeführt.  Da  sich  in  der  Eifel  die  grenzen  von  Cöln 
und  Trier  oft  berühren,  habe  ich  absichtlich  auch  die  namen 
einiger  w.  aus  der  gegend  von  Manderscheid  und  Blankenheim 
genannt,  doch  die  Prümischen  übergangen,  an  denen  ich  besonders 
reich  bin. 

Es  hat  mir  nemlich  geglückt ,  die  schöne  Beyersche  saml. 
mit  der  meinigen  zu  vereinen,  und  schon  sind  die  Trierer  weisth. 
im  vollen  druck. 

Hottenbach,  Dreiborn  und  Hoff,  deren  Dir  früherer  briet 
gedachte,  habe  ich;  doch  von  Conzen  und  Cornelismünster 
dürfte  ich  mir  die  Vervollständigung  der  Ritzischen  abdrücke  aus- 
bilten ;  auch  Buchholz  1470  und  Sendersdorf  1576,  so  wie  was 
Ihnen  unter  den  Jülichschen  buschordnungen  bedeutend  erscheint, 
oder  was  Sie  sonst  mittheilen  mögen  und   können. 

Vorläufig  meinen  verbindlichen  dank,  unter  Versicherung 
vollkommner  Hochachtung  und  ergebenbeit 

Cassel   1  Jul.  1839.  Jacob  Grimm. 


Noch  einmal  das  indogermanische  gemjs. 

Brugmann  hat  Beitr.  15,  523  ff  meine  bemerkungeu  über 
das  grammatische  geschlecht  der  idg.  sprachen  (Einleitung  zum 
3  bände  des  neudrucks  der  Grimmschen  Grammatik  s.  xxi  ff)  in 
einem  tone  herablassender  Überlegenheit  beantwortet,  der  mir 
den  entschluss  einer  entgegnung  um  so  mehr  erschwert  hat,  als 
Brugmanns  aufsatz  irgend  einen  sachlichen  anlass,  die  discussion 
wider  aufzunehmen,  nicht  enthält,  denn  die  Selbstzufriedenheit 
meines  geguers  tritt  nicht  zum  wenigsten  in  der  vollständigen 
inhaltlosigkeit  dieses  aufsatzes  zu  tage;  er  hat  sich  schwerlich  die 
mühe  geuommen,die  frage  nochmals  prüfend  durchzudenken,  aufser 
einem  unwesentlichen  hinweis  auf  Job.  Schmidts  Idg.  neutra  bringt 
er  nichts,  aber  auch  nicht  das  geringste  sachlich  fördernde  vor; 
in  der  annähme,  ich  habe  seine  ansieht  nicht  richtig  verstanden 
oder  nicht  richtig  dargestellt,  begnügt  er  sich,  genau  dasselbe 
zum  dritten  mal  zu  widerholen,  was  er  nun  schon  zwei  mal  aus- 
einander gesetzt  bat;  ich  inuss  wol  sehr  verstockt  sein,  dass  ich 
dieser  beharrlichkeit  zu  widersteht)  vermag,    trotz  alle  dem  glaube 


182  -NOCH    EINMAL    DAS    INDOGERMANISCHE    GENUS 

ich  ein  erstes  und  letztes  mal  erwidern  zu  sollen,  damit  mein 
schweigen  der  Sicherheit  gegenüber,  die  Brugmann  zur  schau 
trägt,  nicht  falsch  ausgelegt  werde. 

Ich  hatte  ausgeführt,  dass  die  personificierende  geschlechts- 
auffassung,  die  Humboldt  aus  dem  grammatischen  genus  unserer 
spräche  erschloss,  genau  zu  dem  stimmt,  was  uns  psychologie, 
poesie,  mythologie  und  ethnologie  auch  ohne  die  spräche  als  die 
wellanschauung  unserer  ahnen  erweisen,  dass  Brugmann  solchen 
allgemeinen  erwägungen  nicht  zugänglich  sein,  dass  sie  auf  ihn 
als  phrase,  als  Meere  declamation'  würken  würden,  darauf  war  ich 
gefasst;  ich  schrieb  ja  nicht  nur  für  ihn.  er  glaubt  sich  jedes 
eingehn  auf  diese  dinge  durch  die  Versicherung  ersparen  zu  können, 
er  habe  sich  das  alles  'und  noch  einiges  andre'  längst  selbst 
gesagt,  wie  er  trotzdem  die  von  mir  gekennzeichnete  kritik  der 
Grimm  -Humboldtschen  ansieht  in  Techmers  Zeitschrift  4,  100  ff 
hat  schreiben  können,  ist  mir  damit  freilich  zum  psychologischen 
rätsei  geworden,  diesmal  drückt  sich  B.  immerhin  vorsichtiger 
aus  und  zieht  namentlich  den  mythologischen  excurs  jenes  ersten 
aufsatzes  im  wesentlichen  zurück:  auch  scheint  er  jetzt  einzusehn, 
dass  anthropomorphische  anschauung  ohne  geschlechtserteilung 
nicht  denkbar  ist:  so  ganz  überflüssig  muss  meine  darlegung  doch 
also  auch  für  ihn  nicht  gewesen  sein,  wenn  er  nun  freilich,  oben- 
drein durch  eine  äufserung  von  mir  veranlasst,  neben  dem  an- 
thropomorphismus  auch  noch  den'theriomorphismus'  berücksichtigt 
wünscht,  bei  dem  die  sexualisation  nicht  so  selbstverständlich  ist, 
so  erklärt  sich  dieser  einwand  einzig  und  allein  aus  dem  be- 
streben, der  Grimm-Humboldtschen  erklärung  des  grammatischen 
geschlechts  eine  neue  künstliche  Schwierigkeit  zu  schaffen;  sollten 
die  erwägungen,  die  B.  längst  selbst  angestellt  hat,  ihn  würklich 
nicht  belehrt  haben,  dass  naive  belebung  die  umgebende  natur 
ursprünglich  und  weit  vorwiegend  vermenscht,  nicht  vertiert? 
wird  doch  das  tier  selbst  nach  menschlicheu  motiven  beurteilt 
und  wol  gar  als  eine  art  mensch,  etwa  als  ein  verzauberter 
mensch,  augesehn. 

Ich  hatte  ferner  die  äufserliche  B.sche  ableitung  des  gram- 
matischen geschlechts  aus  ein  paar  misverstandenen  Suffixen  da- 
durch als  unzulänglich  zu  erweisen  gemeint,  dass  ich  auf  die 
gleichartige  geschlechtsanwendung  in  nicht-idg.  sprachen  hinwies, 
auch  hier  macht  es  sich  B.  sehr  leicht,  über  meinen  einwand 
hinwegzukommen:  er  verzichtet  einfach  auf  die  berücksichtigung 
jener  anderen  sprachstämme,  weil  sie  zu  'verschiedene  wege  gehn'. 
gerade  diese  'verschiedenen  wege'  beweisen,  dass  das  grammatische 
geschlecht  nicht  aus  Zufälligkeiten  der  laut-  und  flexionsgeschichte 
zu  deuten  ist,  sondern  aus  der  menschenseele  heraus,  die  in 
den  verschiedensten  sprachen  dieselbe  geistige  anschauungsform, 
wenn  auch  in  verschiedenster  weise,  zum  ausdruck  bringt,  die 
frage  nach  der  entstehung  des  grammatischen  geschlechts  ist  eben 


NOCH    EINMAL    DAS    INDOGERMANISCHE    GENUS  183 

keine  rein  grammatische  oder  gar  lautliche,  es  ist  eine  eminent 
psychologische  frage,  und  wer  üher  sie  mitreden  will,  hat  nicht 
das  recht,  sich  mit  hewustsein  den  horizont  zu  verengern. 

Also  auf  meine  positiven  darlegungen  lässt  sich  B.  kaum 
ein.  statt  dessen  heschuhligt  er  mich  lieher,  ich  habe  das  ganze 
prohlem  aus  dem  richtigen  gleis  geworfen ,  sehe  als  bewiesen  an, 
was  zu  beweisen  war;  er  wirft  mir  unsolidität  vor,  da  ich  seine 
hypothese  über  die  bedeutung  des  suffixes  a  nicht  widerlegt  habe, 
und  hat  sogar  die  gute,  mir  den,  übrigens  ungangbaren,  weg 
zu  zeigen,  auf  dem  ich  ihn  hätte  widerlegen  müssen,  ich  kann 
mir  diese  polemik,  die  den  Sachverhalt  einfach  auf  den  köpf  stellt, 
nur  so  erklären,  dass  B.  iu  den  langen  jähren,  seit  denen  ei- 
serne hypothese  über  das  grammatische  geschlecht  mit  sich  herum- 
trägt (seit  '1875  oder  1876'),  durch  die  macht  der  gewohnheit  der- 
mafsen  in  den  bann  dieser  hypothese  geraten  ist,  dass  er  sie  von 
historischer  Wahrheit  nicht  mehr  zu  unterscheiden  vermag,  denn 
es  ist  eine  behauptung  ohne  jeden  schatten  eines  beweises,  wenn  er 
sagt,  dass  die  erklärung  des  grammatischen  genus  abhänge  von  der 
erklärung  der  suffixe  ä  und  ie ;  ich  wäre  von  selbst  gar  nicht  auf 
den  gedanken  gekommen,  B.  könne  in  dieser  ohne  jede  ernstliche 
begründung  hingestellteu  Vermutung  mehr  sehn  als  einen  Vorschlag 
zur  gute,  einen  unmafsgehlichen  versuch,  eine  möglichkeit.  aber 
nein  !  von  dieser  seiner  annähme  vermag  er  nicht  loszukommen,  von 
ihr  wird  sein  ganzes  denken  dermafsen  beherscht,  dass  er  sich  be- 
rechtigt glaubt,  als  ich  von  'sprachlichen  Zeugnissen'  für  personi- 
fizierende geschlechtsanschauung  rede,  mir  für  'sprachliche  Zeug- 
nisse' ohne  weiteres  'suffix  ö'  zu  substituieren,  nun  lehren  uns 
nicht-idg.  sprachen  mit  grammatischem  geschlecht,  dass  das  geschlecht 
sich  keineswegs  notwendig  im  suffix  auszuprägen  braucht;  ja  iu  den 
idg.  sprachen  selbst  decken  sich  geschlecht  und  sullix  bekannt- 
lich durchaus  nicht  immer,  und  es  wäre  an  sich  sogar  denkbar, 
wenn  ich  es  auch  nicht  für  wahrscheinlich  halte,  dass  das  suffix  <7 
würklich  einmal  mit  der  geschlechtsbezeichuung  nichts  zu  tun 
hatte,  ohne  dass  dieser  umstand  die  trage  nach  der  entstehung 
des  grammatischen  geschlechts  irgendwie  tiefer  berührte,  denn 
ein  viel  wertvolleres  Zeugnis  für  das  grammatische  genus  gibt  zb. 
die  anwendung  der  geschlechtigen  pronomina  ah.  wenn  die  idg. 
sprachen  dieselben  pronominalen  bezeichuungen,  zb.  'er'  und  'sie', 
mit  denen  sie  mann  uud  frau  unterscheiden,  in  reichem  mafse 
auch  auf  andere  begriffe  als  aut  persönliche  und  tierische  an- 
wenden, obgleich  sie  daneben  ein  sächliches  prouomen  zur  ver- 
fugung haben,  so  wird  der  unbefangene  torscher  zunächst  sich 
fragen,  ob  die  menschen,  die  so  sprachen,  nicht  würklich  das 
gemeint  haben  können,  was  sie  sagen,  ob  sie  Dickt  würklich 
in  jenen  syntactisch  als  männlich  und  weihlich  behandelten  be- 
griffen ursprünglich  etwas  dem  manu  und  dem  weih  analoges 
gesehn   haben,     erst  wenn    sich    diese    möglichkeit    als    unhaltbar 


184  NOCH    EIMMAL    DAS    INDOGERMANISCHE    GENUS 

erweist,  erst  dann  gewinnen  hypothesen  eine  existenzberechtigung, 
die  die  vorliegenden  tatsachen  aus  äufserlichen  Übertragungen, 
niisversläudnissen  uä.  erklären;  man  macht  keine  conjectureu,  so 
lange  der  überlieferte  text  sich  ohnedem  verslehn  lässt.  auch  B. 
schien  mir  in  seinem  ersten  aufsatz  noch  selbst  dieser  meiuung 
zu  sein:  da  sucht  er  wenigstens  zuvorderst  zu  zeigen,  dass  die 
annähme,  würkliche  geschlechtsanschauung  liege  dem  grammati- 
schen genus  zu  gründe,  unmöglich  sei;  und  dann  erst  trägt  er 
Vermutungen  darüber  vor,  in  welcher  richtung  eine  andere  er- 
klärung  wol  zu  suchen  sein  möchte,  wenn  ich  also  dieGrimm-Hum- 
boldtsche  ansieht,  die  aus  der  spräche  schlicht  herausliest,  was  sie 
würklich  ausspricht,  als  psychologisch  höchst  einleuchtend  erwies, 
so  waren  damit  B.s  hypothesen  erledigt,  da  sie  überflüssig  wurden: 
einen  andern  gegenbeweis  verdienen  weder  noch  ermöglichen  ihn 
behauptungen ,  die  ungefähr  ebenso  bewiesen  und  ebenso  un- 
widerleglich sind,  wie  die  hypothese,  der  dichter  des  Nibelungen- 
liedes habe  Heinrich  von  Ofierdingen  geheifsen. 

Göttingen,   7  april  1891.  G.  Roethe. 

Mercurius  Hanno  (vgl.  Zs.  35,  207). 
Was  der  name  Hanno  bedeutet,  lehrt  altn.  hannarr  'geschickt, 
kunstfertig'  und  weiter  griech.  xovvelv  'kennen',  ir.  conti,  con 
'sensus,  sententia,  ratio,  intellectus',  connaidhe  'sollers,  callidus' 
sammt  den  gall.  eigennamen  Connius,  Connonius;  vgl.  Glück  Die 
kelt.  namen  68.  ein  beiname  Wodans  mit  der  bedeutung  'der  ver- 
ständige' oder  'der  geschickte'  entspräche  ganz  den  Vorstellungen 
von  dieser  gtfttheit  ebenso  wie  denen  von  Mercurius  und  Hermes; 
auch  vom  gallischen  Mercur  berichtet  Caesar  B.  g.  vi  17:  hunc 
omnium  inventorem  artium  ferunt. 

Wien,  26märzl89l.  Rudolf  Müch. 

Berichtigung  zu  Zs.  35,  17t5:  aus  versehen  habe  ich  zu  Hilde- 
brandslied v.  39  dinu  vor  speru  als  in  der  hs.  fehlend  bezeichnet. 

Max  Roediger. 

Zu  dem  artikel  'Belisars  ross',  speciell  zu  s.  239  seien  zwei 
zusätze  gestattet,  der  bergname  Sternhelle  wird  auch  '  Stirnhelle' 
geschrieben,  was  zu  s.  240  unten  vortrefflich  passt:  die  aus- 
spräche im  volksmunde  ermöglicht  keine  entscheidung,  und  ur- 
kundliche belege  fehlen  wie  bei  bergnamen  so  oft.  ist  das  wort 
alt,  so  muss  es  natürlich  als  *  Stirnheide  aufgefasst  werden.  — 
zur  deutung  von  Balhorn  füge  ich  als  nächste  parallelen  die  Orts- 
namen Weifsenhom  (Oberschwaben)  und  Blankenhom  (in  familien- 
namen  erhallen).  Sch. 

Für  deutsche  philologie  habilitierte  sich  in  Bern  dr  SSinger. 


ANZEIGER 

FÜR 

DEUTSCHES  ALTERTHUM  UND  DEUTSCHE  UTTERATUR 

XVII,  JULI    3    1891 


Georg  Holz,  Urgermanisches  geschlossenes  e  und  verwandtes,  beitrag  zur 
laut-  und  flexionslehre  des  germanischen.  Leipzig,  GFock,  1890. 
m  und  49  ss.     gr.  8°.  —  1,50  m.* 

Zwei  ebenso  wichtige  wie  schwierige  fragen  der  germani- 
schen Sprachgeschichte,  die  entstehung  des  e  in  Wörtern  wie 
her,  hier,  und  die  ersetzuug  der  got.  reduplicierenden  praeterita 
durch  ablautende  im  nordischen  und  westgermanischen  hat  H. 
in  dieser  schrift  zu  beantworten  gesucht,  der  Zusammenhang 
beider  aufgaben  ergibt  sich  aus  der  tatsache,  dass  eben  jenes 
rätselhafte  e  auch  in  verbalformen  Avie  slep,  schlief,  erscheint.  — 
die  einleitung  erörtert  in  kürze  den  unterschied  zwischen  diesem 
und  dem  offenen  e  (te),  das  bereits  aus  idg.  urzeit  überkommen 
zwar  im  gotischen  mit  dem  geschlossenen  e  zusammenfiel ,  in 
den  übrigen  germ.  dialecten  dagegen  zu  ö  wurde  —  so  fasst  H. 
mit  recht  den  hergang  im  gegensatz  zu  Bremer  und  Siebs  — , 
um  dann  im  anglo- friesischen ,  wofern  es  nicht  erhalten  blieb, 
vor  nasalen  in  v,  sonst  in  w,  e  überzugehn. 

Im  ersten  teile  seiner  abhandlung  betrachtet  H.  zunächst  die 
einzelneu  Wörter  mit  wurzelhaftem  e  ausschliefslich  der  genannten 
praeterita,  und  kommt  zu  dem  ergebnis,  dass  e  aus  betontem  i 
vor  suffixalem  r,  vor  zd  und  vor  y  entstanden  sei,  sich  stützend 
auf  die  beispiele  her  zu  hi-;  fera,  seite,  gegend,  zu  g.  fijan, 
hassen1;  ahd.  zeri,  schön,  zier,  zur  wz.  dei;  ahd.  wera,  feines 
gold,  zur  wz.  wei;  ahd.  skeri,  schnell,  aus  *skeriaz,  *skerios  (zu 
abulg.  skorü ,  vgl.  auch  an.  skjarr,  furchtsam);  ahd.  gimierit,  ge- 
landet, befestigt,  —  an.  Xty.  bei  Olfrid  —  zu  ai.  minöti,  lat. 
moenia,  mürus,  an.  meidr,  pfähl,  stange,  bäum;  ae.  med,  ahd. meta, 
lohn,  miete,  =  g.  mizdö  (wo  ae.  meord  die  alte  suffixbelonung 
bewahren  soll);  —  und  endlich  für  y:  ahd.  kreg,  stiagil  und 
schiec,  die  in  den  anderen  dialecten  und  z.  t.  im  ahd.  selbst  i- 
und  ei- formen  neben  sich  haben,  leider  hat  H.  hierbei  eine 
anzahl  tatsachen  übersehn,  andererseits,  ohne  die  bereits  vor- 
handene litteratur  gehörig  zu  berücksichtigen,  erklärungen  auf- 
gestellt, die  alles  eher  als  überzeugend  sind,  ich  führe  kurz 
vor,  was  ich  im  einzelnen  einzuwenden  habe. 

*  vgl.  Litt. centralbl.  1891  nr5  (OBremer). 

1  der  verweis  auf  dlsch.  gegend  (vgl.  auch  frz.  contrve)  macht  jedoch 
diese  kühne  etymologie  nicht  gerade  viel  wahrscheinlicher. 

A.  F.  D.  A.    XVII.  13 


186  HOLZ     URGERM.  GESCHLOSSENES    E 

Unter  den  as.  beispielen  fehlt  die  nebenform  hlr ,  die, 
häufig  im  Heliand  überliefert,  auch  durchs  mnd.  und  nnd. 
bezeugt  wird  und  sich  zu  her  verhält  wie  ae.  wir,  tir  zu 
ahd.  wera,  zeri.  —  an.  here  für  here,  hase,  brauchte  nicht 
aufgeführt  zu  werden,  da  es  offenbar  nur  die  späte  dehnung 
in  offener  tonsilbe  zeigt;  el,  hagelschauer,  ist  nicht  'besser 
el  zu  schreiben'  (s.  4),  da  die  quantität  durch  die  Schrei- 
bungen iel,  eil  wie  durch  neunorweg.  el,  cel  bewiesen  wird, 
und  gehört  auch  gar  nicht  ursprünglich  zu  den  ja- stammen, 
wie  H.  mit  Noreen  angibt;  vgl.  Wimmer,  Fornnordisk  formlära 
s.  50,  b):  'Som  kyn  böjas  ätskilliga  ord,  som  hafva  kort  rot- 
stafvelse:  ....  likaledes  stundom  el,  hagelstorm  (vanligen  efter 
§  34,  a)\  dh.  wie  ord  und  land;  und  s.  51  oben:  'Endast  el 
afviker  genom  att  böjas  som  ord  met  kort  rotstafvelse ;  men  det 
är  urspruugligen  a-stam  og  böjas  blott  sällan  som  ./ö-stam'.  viel- 
leicht ist  es  nach  analogie  von  hregg ,  stürm,  in  diese  classe  ge- 
raten? da  das  wort  von  schwed.  il,  ilning,  windstofs,  Windsbraut, 
dän.  Hing,  regenschauer,  und  unserem  eile  kaum  zu  trennen  sein 
dürfte,  vermute  ich  entstehung  am*iplo-,  vgl.  mel  aus  *  midi. — 
vela,  betrügen,  hat  bereits  1884  Bugge  im  Ark.  for  nord.  fll. 
2,352  richtig  aus  *wihlan  zu  lit.  velkti,  velkalas,  vekd  =  an. 
veig,  erklärt,  worauf  sich  H.  s.  4  hätte  berufen  sollen1,  auch 
an.  heia,  reif,  ist  von  Bugge  s.  355  ansprechend  aus  *hehlö, 
*hihlö  =  skr.  cicira-,  kühle,  kälte,  frost,  abgeleitet  worden,  sodass 
sich  H.  seine  zurückführung  auf  *hvela,  ablautend  mit  lit.  szalnd, 
abulg.  slana  besser  erspart  hätte,  endlich  vel(i),  schwänz,  von  H.  zu 
lit.  valal  gestellt,  wird  auch  wol  sein  e  (nicht  cel)  mit  recbt  haben, 
wie  neunorw.  vele,  vile,  vyle  bei  Aasen,  Norsk  ordbog  s.  9 17  b,  be- 
weist, dieser  vergleicht  nhd.  wedel  (ahd.  wedil,  wadal,  von  Kluge 
zu  wehen  gestellt),  was  aber  kaum  richtig  sein  kann,  da  man 
dann  ce  erwarten  würde,  ich  möchte  es  zu  der  von  Kluge  unter 
weich  und  ivinken  besprochenen  wz.  wik  stellen  und  aus  einem 
urgerm.  wihlo-  erklären.  —  Wieland  heifst  im  an.  nicht  Volundr 
(s.  12),  das  H.  einem  im  urgerm.  'in  anlehnung  an  das  sinn- 
verwandte wera  (feines  gold)'  in  Weland  umgewandelten  *Waland 
gleichsetzt,  sondern  Vehindr  (vgl.  Sijmons  in  Pauls  Grundriss  n  l 
s.  61)  für  älteres  *Velundr.  —  an.  hvdrr  =  g.  hwapar  zeigt  nicht 
dehnung  vor  r  (s.  16),  sondern  ä  ist  hier  aus  ap  entstanden, 
vgl.  Noreen,  Altn.  gr.  s.  42,  §  104,  3.  —  zu  ae.  scdf,  schief,  ver- 
misst  H.  s.  6,  anm.  2  'einen  authentischen  beleg';  ein  blick  in 
Sweets  Oldest  english  texts  p.  645  b  hätte  ihm  3  alte  glossen- 
belege  verschafft.  —  ahd.  gimierit  halte  ich  für  einen  blofsen 
Schreibfehler  statt  gimerrit,  veranlasst  durch  das  vorhergehnde 
reim  wort  gifierit,  dem  es,   vielleicht  um  einen  zweisilbigen  reim 

1  jedoch  kann  ich  B.  nicht  beistimmen,  wenn  er  ein  zweites  vela  =  ae. 
wil,  lit.  vylius  annimmt,  da  sich  e  aus  i  in  keiner  weise  erklärt,  im  ae. 
kann,  wie  H.  richtig  bemerkt,  vor  /  ein  h  geschwunden  sein. 


HOLZ     URGERM.  GESCHLOSSENES    E  187 

zu  schaffen,  angeglichen  wurde,  es  gehört  zu  merren  =  g.  marz- 
jan,  vgl.  Frauck,  Etymol.  woordenb.  unter  marren  und  meren.  — 
mit  dem  auffälligen  as.  ttnöJi,  lernen,  wird  H.  (s.  18  anm.)  ein- 
fach dadurch  fertig,  dass  er  es  für  'eine  graphische  Variante' von 
Union  erklärt;  km,  kien,  aber  ist  (ebenda  f.)  ein  lehnwort  aus 
lat.  cinis  'asche',  oder  vielmehr  aus  roman.  cenisll  —  einspruch 
erhehen  möchte  ich  endlich  noch  gegen  die  annähme  (s.  9),  dass 
das  a  von  g.  par  und  hwar  gedehnt  sei,  sowie  gegen  die  gleich- 
setzuug  von  an.hcell,  ferse,  mit  lit.  kuhiis  (s.  17),  wo  dasselbe 
Verhältnis  obwalten  soll  wie  zwischen  heia  und  szalnd.  wie  ae. 
höh,  heia  heweisen,  war  vielmehr  die  germ.  grundform  *har]Xilaz, 
vgl.  Kluge  in  den  Engl.  stud.  9,  312. 

Um  vieles  andere  zu  iibergehn,  das  auch  zum  Widerspruch 
herausfordert,  will  ich  nur  die  unglaubliche  bedingung  hervorheben, 
unter  der  betontes  i^>  e  werden  soll:  wenn  nämlich  das  folgende 
r  uvular  war  (s.  15).  das  ist  doch  ein  zu  verzweifeltes  aus- 
kunftsmittel,  um  nur  im  geringsten  wahrscheinlich  zu  sein !  in 
kreg,  stiagil  und  schiec1  hat  dann  das  ähnlich  articulierte  y  die- 
selbe würkung  gehabt  (s.20).  dass  dies  e  mit  deri-reihe  irgendwie 
zusammenhängt,  ist  aufser  frage;  jedoch  kann  ich  H.s  erklärung 
ebenso  wenig  für  die  richtige  halten  als  die  neuerdings  vonSchrader 
in  Bezz.  Beitr.  15,  131  nach  Mahlows  vorgange  aufgestellte,  der 
sich  auch  Kluge  in  Pauls  Grundr.  i  356  anschliefst:  dass  er  aus 
ijar  entstanden  sei.  auch  Jellineks  ausfuhrungen  Beitr.  15,  297, 
der  e  <  ei  erklären  will,  sind  mir  nicht  überzeugend. 

Im  zweiten  teile  seiner  schrift  geht  H.  auf  die  Umgestaltung 
der  ursprünglich  reduplicierenden  praelerita  ein.  nach  einer  be- 
trachtung  der  Schicksale  des  idg.  perfects  im  germanischen,  wobei 
leider  die  wichtige  abhandlung  von  Ljungstedt:  'Anmärkningar 
tili  det  starka  preteritum  i  germanska  spräk',  Upsala  1887  (er- 
schienen in  'Upsala  universitets  ärsskrift,  1888')  keine  beachtung 
gefunden  hat,  bespricht  II.  die  im  ae.  und  alem.  erhaltenen  reste 
reduplicierender  bildung.  ich  freue  mich  diesen  auseiuander- 
setzungen  'fast  durchweg  beistimmen  zu  können2,  uur  glaube 
ich  nicht,  dass  got.  ai-  in  der  reduplic.-silbe  noch  das  idg.  e  ist, 
welches  wegen  der  unbetontheit  nicht  >  i  geworden  sei  (s.  25); 
im  gol.  ist  jedes  idg.  e  ^>  i  übergegangen,  und  somit  kann  ich 
nur  bei  der  alten  erklärung  bleiben,  wonach  dies  ai  <  (<e 
vor  /(,  lue  und  r  lautlich  entwickelt  auf  alle  anderen  lalle  übertragen 
wurde.  —  H.  wendet  sich  sodann  gegen  die  von  Hoffory  und  mir 
KZ  27,  593  If,  618  ff  aufgestellt«'  deutuog   des  ablauts  a  —  e  und 

1  wiege,  das  H.  als  zu  spät  bei  seite  lässt,  hatte  wenigstens  im  nd. 
auch  c,  wie  Soester  väiyo  beweist. 

1  meine  KZ  27, 621  anm.  2  etwas  voreilig  ausgesprochene  erklärung 
von  aUd.steroz  usw.  als  neubildung  nehme  ich  gern  zurück  und  glaube, 
dass  OsthofT  mit  den  von  H.  gegebenen  correcturen  das  richtige  getrotTen 
hat.  Zarnckes  ansieht,  das  ;•  sei  in  diesen  formen  nur  hiatosdeckend  (s.  Beitr. 
15,350),  kann  ich  demnach  nicht  beitreten. 

13* 


188  HOLZ     URGERM.  GESCHLOSSEISES    E 

ä  —  e,  wofür  er  eine  andere  erklärung  versucht,  er  geht  von 
der  reihe  au —  eo  aus,  wobei  er  in  derselben  weise  verfährt  wie 
ich  aao.1  und  auch  Übertragung  auf  die  ö-verba  annimmt,  sehr 
einleuchtend  ist  die  annähme,  dass  doppelformen  mit  und  ohne 
rednplication  die  ausbreitung  des  typus  vermittelten,  auch  für 
die  aj-verba  schliefst  er  sich  meiner  erklärung  an;  der  praet.- 
vocal  e  wurde  dadurch  verbreitet,  dass  er  sich  bei  den  «-verben 
(g.  letan)  in  unbetonter  silbe  hielt,  da  nur  betontes  ce  westgerm. 
und  nord.  >  ä  wurde,  diesen  gedanken  hat  auch  inzwischen 
Kluge  in  Pauls  Grundriss  i  356  ausgesprochen ,  wo  er  meine, 
wie  ich  jetzt  glaube,  verfehlte  annähme  eines  ursprünglich  germ. 
ablauts  ce — e  in  g.  slepati  —  saislep  glücklich  umdeutet,  den 
letzten  entscheidungspunct  für  den  neuen  ablaut  findet  dann  H. 
(s.  36)  in  ahd.  erjen  —  iar,  indem  er  mit  Bremer  ein  hochstufiges 
präsens  *ceran  neben  tiefstufigem  *arjan  (vgl.  die  auffassung  von 
got.  tekan  —  an.  taka  s.  37  gegenüber  Hofforys  darstellung)  an- 
nimmt, dessen  praet.  *ewra  ^>  *era  >  er,  iar  war.  dies  Ver- 
hältnis soll  nun  auch  auf  die  übrigen  ö?-verben  ausgedehnt  und 
vermittelst  doppelformen  wie  *lel(Bta:*leta  =  *heheta:*heta  auf 
die  ae-reihe  übertragen  worden  sein.  —  für  die  a-verba  bildet 
g.  alßan  den  ausgangspunct:  *  ealp  wurde  zu  elp ,  und  darnach 
held  usw.  H.  hält  die  länge  für  das  ältere,  die  ursprünglich  vor 
liq.  nas.  -j-  cons.  verkürzt  wurde  (as.  held),  vor  doppel-liq.  nas. 
blieb,  während  Vereinfachung  des  cons.  eintrat  (ahd.  fialun).  später 
traten  dann  in  den  einzelnen  sprachen  wider  ausgleichungen 
ein.  ich  gebe  auch  dieser  erklärung  gegenüber  mit  vergnügen 
meine  frühere  auf,  möchte  jedoch  bemerken,  dass  vielleicht  die 
reihe  ä  —  e  zum  Zustandekommen  dieser  vorbildlich  und  fördernd 
beigetragen  hat.  für  verfehlt  halte  ich  nur  die  ableitung  von 
an.  hjö  <C  *heggw,  *hjogg  (s.  40);  die  parallele  *  steig  >>  ste, 
*  laug  >>  16  ist  abzulehnen,  hjö  ist  durchaus  wie  hlj'öp  zu  er- 
klären, vgl.  das  westgermanische. 

Bleiben  noch  die  ursprünglich  unthemat.  stamme  mit  langem 
wurzelvocal.  die  auseinandersetzungen  darüber  sind  "klar,  ver- 
ständig und  methodisch,  ahd.  skrirum  fasst  H.  als  redupl.  bildung, 
nicht  als  sigmat.  aorist,  und  möchte  das  schwierige  biruwun  (zu 
büan)  damit  zusammenbringen,  wenn  auch  die  alten  Verkehrs- 
wege verschüttet  sind. 

Zum  schluss  kommt  H.  auf  das  Verhältnis  dieses  e  zu  dem 
im  1  abschnitt  —  weniger  glücklich,  wie  ich  meine  —  behan- 
delten zu  sprechen,    ersteres  brauche  nicht  mit  letzterem  identisch 

1  die  gleichzeitig  erschienene  schrift  von  Ottmann  über  die  redupl.  praet. 
kenne  ich  nur  aus  der  kurzen  anzeige  Behaghels  Litteraturbl.  11,  284,  der 
meine  auffassung  als  'vom  standpunct  der  methode  verfehlt'  bezeichnet, 
ebenso  wenig  aber  Otlmanns  erklärung  von  hloufan-hleof  nach  aukan-eok 
für  richtig  hält,  dieser  'sein  eigener  gedanke'  ist  aber  doch  gerade  meine, 
resp.  Hofforys  idee!    vgl.  jetzt  auch  Jahresber.  der  germ.  phil.  12,  16  nr78. 


HOLZ     URGERM.  GESCHLOSSENES    E  189 

gewesen  zu  seiu,  war  wahrscheinlich  sogar  offener,  fiel  aber 
nicht  mit  ä  =  idg.  e  zusammen ,  da  dies  bereits  in  ä  über- 
gegangen war.  aus  der  ahd.  diphthongierung  >  ea  geht  sein 
offener  laut  deutlich  hervor  (s.  49).  eine  schöne  stütze  erhält  diese 
ansieht  durch  die  betrachtuog  der  roman.  lehnwörter:  'westgerm. 
gab  es  ... .  wider  2e,  ein  geschlossenes  aus  dem  urgerm.  stam- 
mendes, und  ein  neu  entwickeltes  offenes;  die  e-laute  damals 
aufgenommener  roman.  worter  fanden  also  ihre  volle  entsprechung 
(1  periode).  späterhin  ward  urgerm.  e  auf  ahd.  boden  ebenfalls 
offen,  das  roman.  geschlossene  e  fand  also  keine  genaue  ent- 
sprechung, deshalb  ward  ihm  1  substituiert  (2  periode)'.  — 

Ljungstedt  hat  in  der  oben  genannten  schrift  ganz  neue  und 
sehr  beachtenswerte  ansichten  über  diese  praeterita  vorgetragen,  die 
Noreen  in  Pauls  Grundriss  i  511  bereits  als  richtig  annimmt, 
nach  ihm  hat  das  germ.  praet.  nicht  blofs  im  idg.  perfect,  sondern 
auch  im  imperf.  und  aorist  seinen  Ursprung;  hier  stand  oft  tief- 
und  mittelstufen-vocalismus,  daher  erklären  sich  formen  mejök 
als  ablau t.  L.  zieht  in  reicher  fülle  die  von  H.  gar  nicht  be- 
achteten abweichenden  formen  der  skand.  dialecte  älterer  und 
neuerer  zeit  heran  (vgl.  auch  mhd.  luffen,  geloffen)  und  be- 
trachtet die  sache  von  einem  ganz  auderen  standpunet.  seine 
ebenso  gelehrten  wie  scharfsinnigen  'Anmärkniugar'  seien  der 
beachtung  aller  germanisten  und  Sprachforscher  empfohlen;  manches 
ist  recht  plausibel,  vieles  auch  kühn,  sehr  kühn!  ich  kann  im 
rahmen  dieser  bereits  etwas  lang  gewordenen  anzeige  nicht  näher 
auf  die  frage  eingehn.  auf  Kluges  darlegungen  in  Pauls  Grund- 
riss habe  ich  bereits  hingewiesen;  hier  sei  noch  an  die  mögliche 
erklärung  von  ae.  weoldun  <C  *weuldun,  weopun  <  *weupun  — 
also  alter  ablaut!  —  (s.  374)  erinnert,  vgl.  auch  Siebs  über 
die  fries.  formen  ebenda  s.  752. 

Göttingen,    17  april  1891.  F.  Holthausen. 


Zur  geschiclite  der  englisch-friesischen  spräche  von  Theodor  Siebs,    i.    Halle 
a.S.,  Niemeyer  1389.     vra,  414  38.     6°.  —  10  m.* 

Dieses  gleichfalls  Sievers  gewidmete  buch  macht  neben  derver- 
wanten  früher  (in  diesem  Anz.  s.  98  ff)  besprochenen  schrift  Kaulf- 
manns keinen  vorteilhaften  eindruck.  es  übersteigt  ihren  umfang 
um  ein  beträchtliches,  obwol  es  sich  auf  die  vocale  der  Wurzelsilben 
beschränkt,  und  wenn  man  die  auf  entsprechendem  räum  mit- 
geteilte  und  behandelte  menge   des  materials   in  beiden  bücheru 

*  [vgl.  DLZ  1890  nr  32.  —  Litter.  rentralbl.  L890  nr  19  (R.  K.)  —  Zs. 
f.  d.  phil.  23,  s.  375  iH.Jdlinghaus).  —  Engl.  stud.  15,  108  (JFMinssen).  — 
Litteraturbl.  für  germ.  und  rom.  pbil.  1891  nr  :5  (MJellinek).] 


190  SIEBS     ENGLISCH-  FRIESISCHE    SPRACHE 

vergleicht,  so  springt  das  geringe  geschick  des  verf.s  deutlich  in 
die  äugen. 

Auch  hei  Siebs  ist  die  gute  grammatische  Schulung  nicht 
zu  verkennen,  auch  er  befolgt  die  methode,  die  ältere  und  die 
jüngere  sprachperiode  gegenseitig  zu  erhellen,  wir  gehen  ihm 
vollkommen  recht,  dass  nur  auf  diesem  wege  ein  richtiges  Ver- 
ständnis des  allfriesischen  angebahnt  werden  kann,  und  wir 
unterschreiben  gern  seine  ansieht  von  dem  hohen  werte,  den  das 
friesische  als  höchst  interessante  spräche  an  sich,  wie  als  wichtiges 
glied  in  der  reihe  der  germ.  dialecte  beanspruchen  darf,  wir  sind 
ihm  dankbar  dafür,  dass  er  die  neueren  dialecte  eifrig  an  ort  und 
stelle  studiert  und  der  Wissenschaft  zugänglich  gemacht  hat,  und 
bekennen  gern,  dass  es  ihm  gelungen  ist,  in  die  verwirrende 
fülle  von  Spracherscheinungen,  mit  denen  die  zahlreichen  muud- 
arten  vor  den  forscher  hintreten,  vielfach  Ordnung  und  licht  zu 
bringen  und  auch  die  erkenntnis  der  alten  spräche  zu  fördern1, 
der  weg  aber ,  welchen  S.  den  leser  führt ,  hätte  ihm  viel  leichter 
gemacht,  es  hä'tteu  ihm  geschickter  die  platze  bereitet  werden 
können,  um  sich  auf  den  langwierigen  pfaden  durch  die  ma- 
terialsammlungen  hin  ausruhend  zu  orientieren.  S.  versteht 
es  weder  sich  in  der  wähl  des  materials  zu  beschränken,  noch 
ihm  eine  vorteilhafte  anordnung  zu  geben,  nicht  einmal  in  dem 
sinne  scheint  mir  der  stoff  glücklich  ausgewählt,  dass  man  in 
die  möglichkeit  versetzt  wäre,  eine  einzelheit  der  lautlehre  in 
einem  bestimmten  dialect  mit  einiger  bequemlichkeit  und  der 
nötigen  Sicherheit  zu  übersehn,  dazu  kommt  eine  auffallende 
unbeholfenheit  und  Umständlichkeit  in  darstellung  und  stil.  man 
sehe  einen  satz  wie  s.  192:  'der  wichtigste  grund,  der  uns  ver- 
anlasst, die  entwickelung  des  germ.  e2  vor  nasalen  und  diejenige 
des  germ.  e2  vor  sonstigen  lauten  zu  trennen,  ist:  das  von  Sievers 
als  erhaltung  bezeichnete  vorkommen  des  ags.  d  vor  w  findet  im 
frs.  und  demgemäfs  auch  für  das  engl.-frs.  keine  stütze'!  auf 
s.  128  scheint  mir  die  beweisführung  völlig  unlogisch,  wenn 
ich  mich  mit  dieser  behauptung  irren  sollte,  nachdem  ich  mich 
als  recensent  redlich  um  das  Verständnis  bemüht  habe,  so  liegt 
darin  doch  ein  beweis,  wie  wenig  der  Verfasser  sich  klar  zu 
machen  versteht,  ich  will  hierher  ferner  nichtssagende  termini 
wie  'Schwächung'  und  'erweichung'  rechnen,  welch  letzteren  S. 
für  Übergang  von  e  zu  i  und  von  6  zu  ü  verwendet,  auch  darum 
hat  man  den  eindruck  der  unbeholfeuheit,  weil  es  dem  verf. 
offenbar    selbst    mühe   bereitet,    sich   durch    sein    material    und 

1  hervorgehoben  sei,  dass  nach  s.  191  ff  die  frage  wegen  germ.  e 
(ahd.  d)  jetzt  für  abgeschlossen  gelten  kann  im  sinne  Bremers:  e  war  im 
engl.-ffies.  geblieben,  nicht  zu  ä  geworden,  die  Fremdwörter  können  nach 
S.  nichts  beweisen,  zudem  haben  sie  nicht  einmal  den  laut  von  afrs.e  =  germ.t;. 
obehon  er  es  nicht  ausdrücklich  sagt,  ist  seine  ansieht  wol  dieselbe,  die 
Pogatscher  vertritt  (QF  64,  119),  dass  den  fremden  lauten  die  nächst  ver- 
wanten  eigenen  untergelegt  wurden. 


SIEBS     ENGLISCH -FRIESISCHE    SPRACHE  191 

die  aufgaben,  die  dasselbe  stellt,  hindurchzuarbeiten,  obwol 
er  anderseits  mit  seinem  urteil  oft  genug  recht  schnell  bei  der 
hand  ist.  es  ist  eine  ganz  stattliche  anzahl  recht  grober  Schnitzer 
aus  dem  buche  herauszucorrigiereu,  die  grofseuteils  zu  vermeiden 
gewesen  wären,  wenn  S.  sich  sorgsamer  in  der  einschlägigen 
litteratur  umgesehn  hätte,  es  werden  doch  auch  aufserhalb  Halle 
dinge  gedruckt,  die  nicht  ganz  ohne  belang  sind,  und  bei  einer 
arbeit  über  das  friesische  wäre,  sollte  man  glauben,  auch  auf  das 
nächstbenachbarte  ndl.,  besonders  soweit  es  bequem  zugänglich  ge- 
macht ist,  riicksicht  zu  nehmen,  ich  stelle  die  einzelheiten  zu- 
sammen ,  die  ich  mit  einiger  bestimmtheit  als  falsch  bezeichnen 
kann ;  fragwürdig  bleibt  mir  dabei  noch  manches  andere. 

S.  34  wird  germ.  e'1  ausdrücklich  als  geschlossener,  zwischen 
e  und  i  liegender,  laut  bezeichnet,  was  freilich  auch  sonst  ge- 
schieht, ohne  dass  man  für  nötig  fände,  die  tatsache,  dass  gerade 
die  offenen  laute  sich  diphthongieren,  die  von  Moller  und  anderen 
auch  fürs  germ.  geltend  gemacht  ist,  zu  widerlegen,  so  weit 
wir  die  Wörter  etymologisch  zu  beurteilen  vermögen,  beruht  ihr 
diphthong  ea,  ia  auf  ö'-lauten.  hir  neben  her  kann  ebenso  wenig 
für  geschlossenheit  beweisen,  wie  etwa  nimis  für  ein  geschlossenes 
e  in  neman,  denn  jenes  sind  nicht  etwa  wechselformen,  sondern 
alte  Verschiedenheiten,  deren  genaue  erklärung  freilich  aussteht, 
weil  uns  die  etymologie  von  hier  fehlt,  dass  wir  contractions- 
producte  vermuten  können  ,  habe  ich  schon  sonst  gesagt.  —  s.  35 
(germ.  au),  es  scheint  mir  widersinnig  als  umlaut  eines  d  ein 
cea  anzusetzen;  a>d  als  umlaut  würde  auf  einen  diphthongischen 
grundlaut  weisen,  das  ist  auch  für  s.  274  ff  und  288  zu  be- 
achten. —  s.  42  unwahrscheinlich  ist,  dass  man  jemals  garw  ge- 
sprochen habe.  —  s.  45  saterld.  wdxtjd  wird  =  al'ries.  wardia 
gesetzt  1  es  ist  das  nl.  wachten.  —  s.  47  wird  am  ernte  (got. 
asans!)  mit  am  ackern,  pflügen  (idg.  wz.  arl)  zusammengestellt.  — 
s.  57  wegen  hcelm  dünen^ras,  vgl.  nl.  heim.  —  die  s.  61  auf- 
gestellte behauplung,  dass  *hlahhia,  lachen,  nach  aualogie  des 
verbums  makia  (machen)  uä.  zu  *hlakia  geworden  sei,  gehört 
zu  den  merkwürdigen  analogien,  die  sich ,  wie  es  scheint,  nicht 
ausrotten  lassen,  es  ist  doch  nicht  allzu  schwer,  sich  klar  zu 
machen,  wann  eine  aualogie  eintreten  kann,  wo  findet  denn 
S.  den  berührungspunct  zwischen  den  beiden  Worten,  an  den 
sich  der  ausgleich  knüpfen  könnte?  ebenso  isls  mit  der  analogi- 
schen Umbildung  von  makia  nach  iagia,  klagia,  von  der  s.  68 
gesprochen  wird.  —  richtig  wird  s.  6S  erkannt,  dass  die  meisten 
fries.  formen  auf  pdsken  weisen;  S.  hätte  bemerken  sollen,  dass 
dies  die  nl.-nd.  (roman.)  form  ist.  —  s.  69  wird  noch  gol.  *fagjan, 
fegen,  angesetzt  trotz  llolthausen  Soester  ma.  s.  16  mit  Dach- 
trag (und  Kluge  etym.  \\tl>.').  —  s.  73  wesghen,  waschen,  i>i  wol 
nach  oben  s.  102  zu  beurteilen.  —  s.  96  wird  in  tat  'zm 
tunßus  vermutet ;  vgl.   al.tuit,  od.  tüte,  tuteua.  —  s.  1 00.  afries. 


192  SIEBS     ENGLISCH- FRIESISCHE    SPRACHE 

*rekka,  reifsen,  wird  nicht  =  recken,  sondern  =  nl.  rukken,  hd. 
rücken  sein.  —  s.  103  in  schwynstey  ist  nicht  stede  enthalten, 
sondern  ahd.  stiga  (=stija),  mnl.  stije,  engl.  sty.  —  s.  108  wie 
kann  man  nur  teffen,  neben,  zugleich,  zu  eft  und  ahd.  aftar  stellen? 
fries.  nl.  teffen  ist  bekannt  genug,  aus  te  effen,  effen  =  \u\.eben.  — 
die  rechtfertigung  der  Vermutung,  dass  in  bey,  beere,  (s.  111.  114) 
ey  auf  ag  beruhe,  wird  ja  wol  ein  späterer  teil  des  werkes 
bringen  sollen,  indessen  zweifle  ich  von  vorne  herein;  vgl.  nl. 
bei  (Franck  Etym.  wdb.  unter  bes).  —  wie  kommt  s.  118  stidi 
unter  westgerm.  e?  es  ist  wenigstens  nichts  davon  gesagt,  dass 
hier  etwa  von  jüngerem  fries.  e  im  allgemeinen  die  rede  sein 
solle.  —  s.  131  ff.  auf  welchen  grund  hin  wird  afries.  ia  (aus 
eh  -f-  vocal)  angenommen?  —  s.  133.  in  den  formen  für  regnen 
wird  eben  rignjan  anzunehmen  sein,  was  es  für  ein  i  der  flexion, 
'etwa  der  3  sg.  praes.'  sein  soll,  von  dem  hier  und  s.  131  ge- 
fabelt wird,  möchte  ich  gerne  wissen,  wenn  man  nicht  die  ge- 
nannte bildung,  die  S.  wol  nicht  kennt,  voraussetzt.  —  wegen 
der  ganz  verfehlten  erörterung  der  metathesis  des  r  (s.  148)  be- 
gnüge ich  mich  auf  meine  Mnl.  gramm.  §  106  f  zu  verweisen, 
für  s.  148  c  auf  vHelten  Altostfries,  gramm.  §  371  und  für  werd 
s.  160  auf  vHelten  Beitr.  14,  276  ff.  es  ist  der  mühe  wert, 
S.s  erklärung  dieses  werd  'wort'  mitzuteilen:  'die  einzige  er- 
klärung  scheint  mir  zu  sein,  dass  der  silbenaccent  von  dem 
vocal  auf  das  sonore  r  übergegangen  ist  und  vielleicht  dieses  r 
sogar  sonantisch  gemacht  hat';  sie  ist  um  so  kennzeichnender, 
als  sie  den  Vorgang  blofs  in  dem  einzigen  wort  unter  vielen 
gleichartigen  fällen  annimmt,  wenn  ich  nicht  irre,  kennen 
übrigens  auch  deutsche  dialecte  ein  entspr.  würd.  —  s.  151  steht 
ogenlidde  bei  lith  glied.  —  die  richtige  erklärung  von  ris,  mal, 
wäre  bestimmter  vorgetragen  worden,  wenn  S.  sich  im  benach- 
barten holl.  umgesehen  hätte.  —  wegen  dürfen  s.  162  ist  meine 
Mnl.  gramm.  §  107.  164  zu  vergleichen.  —  s.  165  krös  und 
krüs  können  weder  unter  sich  identisch ,  noch  'gleichen  Stammes' 
mitkrüke  sein;  zu  vergleichen  Kluge  Litteraturbl.  1884  sp. 428  und 
mein  Etym.  wdb.  —  s.  171  vermutet  man  sofort,  dass  die  be- 
hauptung,  das  westfrs.  zeige  'stets'  o  gegenüber  dem  u  der  östl. 
mundarten,  auf  die  Stellung  vor  nasalverbindungen  einzuschränken 
sei.  das  tritt  denn  auch  in  den  beispielen  deutlich  heraus,  und 
das  westfrs.  stimmt  also  mit  dem  nl.  —  in  bedon  ist  nicht,  wie 
s.  173  behauptet  wird,  e  'Schwächung'  aus  u  (was  heifst  Schwächung 
in  hochbelonter  silbe?),  sondern  i'-umlaut;  so  auch  bei  vHelten. 
die  Übertragung  des  umgelauteten  vocals  in  den  plur.  indic.  des 
praet.  hat  auch  auf  nl.  und  nd.  gebiet  weiten  umfang.  —  s.  215  f. 
die  unter  *skria  aufgeführten  formen  stimmen  zum  teil  gar  nicht 
in    den    lauten   und    sind    mit    nl.   schreeuwen  (s.    mein   Etym. 

1   das  folgende  w  zu   berücksichtigen    lag   doch    nahe  genug,   zumal 
nachdem  einmal  ahn. pjokkr  angeführt  war. 


SIEBS     ENGLISCH  -  FRIESISCHE    SPRACHE  193 

wdb.)  zusammenzuhalten;  ebenso  steht  das  fries.  mit  den  formen 
von  schule  (s.*230)  wol  teilweise  zum  nl.  (mnl.  schale  mit  ursprüng- 
lich kurzem  o,  s.  mein  Etym.  wdb.).  —  s.  237.  moei  sollte  doch  ein 
heutiger  grammatiker  genügend  von  mödire  zu  trennen  wissen. 
da  ich  nun  schon  zweimal  das  richtige  darüber  gesagt,  kann  ich 
mich  wol  mit  einer  Verweisung  auf  Anz.  11,  7  anm.  und  mein 
Etym.  wdb.  begnügen;  dies  dritte  mal  wirds  freilich  auch  noch  nicht 
sonderlich  helfen!  —  s.  239  findet  man  sköne  unter  germ.  6.  — 
s.  289.  die  gleichung  afries.  stre  =  ahd.  strö  wird  sich  schwerlich 
halten  lassen;  liegt  doch  auch  gar  kein  anlass  vor,  dem  worte 
ein  j  zu  geben,  stre  wird  vielmehr  auf  eiu  wort  mit  ai  weisen, 
wofür  ich  in  meinem  wdb.  noch  einige  daten  beibringen  werde.  — 
s.  302.  rieme  und  das  gleichlautende  wort  mit  der  bedeulung 
'rüder'  können  doch  nicht  ohne  weiteres  zusammengestellt  werden. 
—  s.  308.  in  melok,  milch,  soll  germ.  i  durch  o,  u  der  folgesilbe 
zu  e  umgelautet  sein,  wenn  man  das  überschaut,  so  kann  man 
den  stofsseufzer  nicht  gut  unterdrücken:  lieber  etwas  weniger 
ahnungsvolle  theoretische  Weisheit  und  dafür  die  bücher  nach- 
schlagen 1  auf  diesem  wege  wird  der  verf.  schwerlich  je  zu 
einer  sicheren  methode  und  zu  Selbständigkeit  des  Urteils  gelangen, 
wie  selten  fühlt  man  sich  von  seinen  erörterungen  würklich  be- 
friedigt, wie  selten  sieht  man  feste  kriteria  vor  sich  und  erhält 
auskünfte,  denen  man  sich  freut  zustimmen  zu  können!  häufig 
werden  'der  geschliffene  ton,  der  gestofsene  ton'  oder  andere 
feinheiten  der  phonetik  angerufen,  um  die  dinge  zu  erklären,  ohne 
dass  der  leser  in  den  stand  gesetzt  wäre,  die  angeblich  so  wich- 
tigen momente  zu  controlieren. 

Noch  weniger  ergebnisse,  die  dem  aufwand  entsprächen, 
liefern  die  fortlaufenden  erwägungen  über  eine  dem  fries.  und 
engl,  gemeinsame  grundsprache,  denen  das  buch  seinen  titel  ver- 
dankt, aus  Sievers  gramm.  und  anderen  büchern  werden  viele 
ags.  formen  citiert,  wo  eine  Verweisung  geuügt  hätte,  es  wird 
viel  über  das  Verhältnis  ihrer  und  der  fries.  laute  hin  und  her 
erwogen,  aber  an  augenfälligen  resultaten,  die  uns  über  das  be- 
kannte und  ungefähr  selbstverständliche  hinaus  brächten,  fehlt  es. 
dem  ergebnis  der  ethnographischen  einleitung,  'dass  wir  gar  keine 
berechligung  haben,  Schleswig  auf  grund  der  spräche  als  die 
alte  heimat  der  Angeln  und  Sachsen  zu  bezeichnen',  steht  das- 
jenige entgegen,  zu  dem  Weiland  in  dem  durchaus  vertrauen 
verdienenden  aufsatz  in  der  festgabe  für  Georg  Haussen  (Tübingen 
1889)  s.  119  — 158  gelangt,  anderes,  was  dann  in  einem  be- 
sonderen abschnitt,  s.  30(5  ff,  näher  ausgeführt  ist,  gerät  in  Wider- 
spruch mit  Müller,  mit  dem  binwiderum  Bremer  Jahrb.  d.  ver.  f. 
nd.  Sprachforschung  13,  1  ff  sieb  begegnet,  ich  trete  lieber  diesem 
bei  und  bebe  von  seinen  resultaten  hervor,  dass  er  das  anglo- 
friesische  (ingwaiwische)  in  drei  gruppeo  /erlallen  lässt,  das  eng- 
lische, das  siMringiscIi-  helgoläodisch  »amriugisch-  föbrische,  das 


194  SIEBS     ENGLISCH  -FRIESISCHE    SPRACHE 

nordfriesische  und  das  ost-  lind  westfriesische;  ein  näherer  ur- 
sprünglicher Zusammenhang  der  sprachen  von  Amrum ,  Föhr, 
Helgoland  und  Süd  mit  dem  nordfriesischen  wird  ausdrücklich 
bestritten,  ohwol  'die  Jahrhunderte  hindurch  bestehende  verkehrs- 
gemeinschaft  eine  grofse  anzahl  sprachlicher  Übereinstimmungen 
zur  folge  gehabt  hat';  dagegen  wird  eine  besonders  nahe  be- 
ziehung  der  spräche  der  genannten  inseln  zum  westsächsischen 
angenommen,  im  übrigen  begnüge  ich  mich,  um  nicht  schon 
gesagtes  zu  widerholen,  auf  DLZ  1890  sp.  1162  zu  verweisen, 
indem  ich  die  worte  dieses  recensenten  unterschreibe,  auch  was 
die  aus  der  Sprachbetrachtung  geschöpften  kriteria  betrifft,  es 
geht  doch  weit,  wenn  eine  einzelheit  aus  einer  in  der  lebhaftesten 
bewegung  begriffenen  lautgeschichte,  der  Übergang  von  ä  zu  ä,  6, 
der  zudem  nicht  das  mindeste  ungewöhnliche  an  sich  hat,  als 
'ein  zuverlässiges  kriterium  für  die  engere  Verwandtschaft  der 
ost-  und  nordfries.  dialecte'  hingestellt  wird  (s.  54).  ich  muss 
mich  um  so  mehr  wundern,  dass  S.  jetzt  bereits  diese  fragen 
zur  spräche  bringt,  als  er  seine  sprachlichen  Untersuchungen  ja 
noch  gar  nicht  abgeschlossen  hat.  vermutlich  werden  wir  die- 
selben dinge  noch  öfter  von  ihm  erörtert  sehen,  auch  in  diesem 
buche  begegnet  einiges  schon  zum  zweiten  oder  gar  zum  dritten 
male  (s.  Beitr.  11, 205  ff  und  Siebs  Die  assibilierung  der  fries. 
palatalen).  der  verf.  hätte  sich  von  anfang  an  ein  festes  programm 
für  seine  Veröffentlichungen  machen  und  seine  Studien  ruhiger 
ausreifen  lassen  sollen,  wir  haben  wahrscheinlich  noch  mehreren 
dicken  bänden  dieses  Werkes  entgegen  zu  sehn,  ohne  dass  der 
früher  von  mir  an  S.  gerichtete  wünsch  einer  wol  durchdachten 
darstellung  der  fries.  spräche  irgendwie  erfüllt  sein  wird,  wo 
soll  das  hinaus? 

Der  angehängten  bibliographie  zum  Studium  der  fries.  spräche 
und  litteratur  lässt  sich  das  lob  überraschender  reichhaltigkeit 
nicht  vorenthalten. 

Bonn,  november  1890.  Franck. 


Die  Skiren  und  die  deutsche  heldensage.  eine  genealogische  Studie  .über 
den  Ursprung  des  hauses  Traun,  von  F.  X.  Wöber.  Wien,  Konegen 
1890.     281  ss.     8°.  —  6  m.* 

Der  titel  dieses  buches  müste  eigentlich  sein:  Untersuchungen 
über  die  'Husier'  mit  beitragen  zur  genealogie  und  geschichte 
der  herren  von  Traun  und  ausblicken  in  die  deutsche  helden- 
sage —  ein  langer  titel  und  weit  weniger  hübsch  als  der,  den 
es  würklich  trägt;  aber  er  entspräche  besser  der  losen  compo- 
sition  des  ganzen,  das  was  es  zur  heldensage  bietet,  ist  in  den 
zahlreichen  anmerkungen  verstreut  und  im  texte  auf  s.  159  — 182 
*  [vgl.  Zs.  f.  östr.  gymn.  1891  s.  15  ff  (AFPribram).] 


WÖBER     DIE    SKIREN    UND    DIE    HELDENSAGE  195 

zusammengefasst.  der  einzige  gewinn  dabei  ist  die  Vermehrung 
der  nachweisuugen  von  namen  der  heldensage  aus  Urkunden, 
aber  der  verf.  legt  das  hauptgewicht  auf  die  neuen  beweisgründe, 
die  er  für  seine  1885  in  der  schrift  Die  Reichersberger  fehde 
dargelegte  hypothese  beibringen  zu  können  vermeint,  es  ist 
immer  aufserordentlich  peinlich,  über  eine  sogenannte  entdeckung, 
die  ihrem  Urheber  sichtlich  ans  herz  gewachsen  ist,  auf  die  er 
viel  liebevolle  mühe  verwendet  hat,  die  ihm  zu  einem  glaubens- 
artikel  wurde,  von  der  aus  er  ganze  capitel  der  litteratur-  und 
sagengeschichte  neu  umbauen  zu  können  vermeint,  so  gut  wie 
vollständig  den  stab  brechen  zu  müssen,  denn  auch  was  hier 
W.  zur  stütze  der  seinerzeit  fast  einstimmig  abgelehnten  früheren 
arbeit  nachtragt,  ist  unhaltbare  combination  oder  beruht  auf  will- 
kürlicher deutung  der  quellen,  wenn  er  von  der  grofsen  be- 
deutung  Bayerns  für  die  mittelalterliche  dichtung  und  cultur 
spricht,  so  wird  damit  altbekanntes  nur  nochmals  erörtert,  und 
für  seine  hypothese  ist  damit  noch  gar  nichts  gewonnen,  aber 
er  glaubt  auch  neue  beweisende  einzelheiten  gefunden  zu  haben: 
aus  dem  'für  die  heraldik  der  rheinländischen  geschlechter  höchst 
wichtigen  und  reichhaltigen'  Wiener  cod.  nr  9337  führt  er  die 
Überschrift  au,  die  über  der  abbildung  des  wappens  der  truch- 
sessen  von  Alzei  steht:  'Die  Volcker  von  Altzen  genant  fideler' 
und  schliefst  daraus,  dass  'Volcker'  nicht  individual-,  sondern 
familienname  war,  obwol  der  zusatz  der  hs. :  'weil  er  fürt  Ein 
fidelen  jm  schilt  laut  Helden  Buchs  deutlich  genug  lehrt,  dass 
der  epische  gebrauch  des  namens  auf  jene  benennung  mafs- 
gebend  eingewürkt  hat  (s.  auch  Roethe  in  der  ADB  unter  Reinmar 
d.  f).  nun  ündet  W.  aber,  dass  das  wappeu  des  'Reimar  der 
fiedler'  genannten  minnesingers  wesentliche  eigenschaften  mit  dem 
der  truchsessen  von  Alzei  gemeinsam  hat;  sogleich  schliefst  er, 
dass  dieser  Reimar  ein  truchsess  von  Alzei  gewesen  sei,  und  con- 
struiert  seinen  vollen  namen:  Dominus  Reginmarus  dictiis  Volker 
dapifer  de  Alzeia;  und  nicht  genug  —  ebenso  rasch  ist  dieser 
Reimar  mit  herrn  Volker  des  Nibelungenliedes  identiüciert:  'dieser 
Nibelungenheld  ist  also  nicht  eine  blofs  poetische  tigur,  gezeichnet 
nach  einer  sagenhaften  Überlieferung,  sondern  er  ist  eine  per- 
sönlichkeit von  leben  und  atem,  eine  würkliche  historische  In- 
dividualität', ich  habe  hiermit  alle  wesentlichen  beweisgründe 
W.s  für  diese  seine  verblüffende  folgerung  genannt!  denn  was 
er  noch  von  der  möglichkeit  sagt,  dass  dieser  —  neu  ent- 
deckte —  herr  Reimar  Volker  von  Alzei  1176  in  Enns  ge- 
wesen sei,  hat  einzig  dann  einigermafsen  weit,  wenn  dem  vor- 
hergehenden ein  wenig  Überzeugende  krafl  innewohnte,  ähnlich 
überwältigend  ist  der  gedankengang  in  einer  stelle,  welche 
die  gleichung  graf  Sighart  i  von  Burghausen  - Schala  ==>  Siegfried 
von  Niederland  stützen  soll:  die  tincturen  des  Schildes  der  Burg- 
hausen -  Schala   sind   silber   und   grün;    nun  verfertigl  Kriemhild 


196  WÖBER     DIE    SKJREN    UND    DIE    HELDENSAGE 

IN'ib.  353  für  Günther  und  seine  drei  gesellen  kleider  aus  weifser 
seide  von  Arabien,  aus  grüner  von  Zazamanc,  und  VV.  findet 
'merkwürdig  das  spiel  des  dichters,  welcher  im  Nibelungenliede 
aus  Burghausen  ein  Burgund  macht  und  die  hausfarben  der 
familie  Burghausen  -Schala  zu  den  hausfarben  des  burgundischen 
hofes  werden  lässt'!  dass  die  färben  weifs  und  grün  hier  rein 
typisch  sind,  sei  nur  nebenbei  bemerkt.  W.s  buch  gehört  zu 
denjenigen,  die  am  besten  beurteilt  werden  können,  wenn  man 
sie  selbst  reden  lässt. 

Der  verf.  ist  auf  die  germanisten  nicht  gut  zu  sprechen, 
er  selbst  ist  in  germanistischen  dingen  wol  liebhaber.  das  ist 
eine  durchaus  nicht  zu  unterschätzende  eigenschaft.  aber  was 
mit  seinem  Stoffe  zusammenhängt,  sollte  er  besser  beherschen. 
er  bringt  Wolfram  in  nahe  Verbindung  damit  und  erklärt  ihn 
(mit  den  worten  vdHagens)  für  den  verf.  des  Wartburgkriegs 
und  des  Lohengrins  (s.  80).  und  auf  diese  seine  gewährschaft 
hin  werden  an  die  betreffenden  stellen  geschichtliche  folgerungen 
geknüpft,  auch  anderweitig  leidet  der  historische  teil  des  buches 
an  ähnlichen  mangeln:  Ekkehart  wird  einem  Etihhohart  gleich- 
gesetzt (anm.  nr229),  Ernest  Harnustus  Harnulfus  sind  dasselbe 
nr  292.383;  dass  Pipin  den  herzog  Thassilo  n,  als  er  zwölfjährig 
ist,  wehrhaft  macht,  ist  in  den  äugen  des  verf.s  ein  'teuflischer 
gedanke'  —  er  hätte  doch  nur  Grimms  BA  s.  414  nachzuschlagen 
gebraucht,  um  zu  sehn,  dass  dieser  teuflische  gedanke  sehr  ge- 
wöhnlich war,  usw. 

Wie  nun  aber  seine  hypothese,  dass  'herr  Heinrich  von 
Traun -Stein -Kürnberg- Ofthering'  der  verf.  unseres  Nibelungen- 
liedes sei,  dass  in  dem  gedichte  ferner  die  Schicksale  des  verf.s 
und  seines  geschlechts  sich  spiegeln,  mit  allen  den  anderen 
fragen,  die  das  lied  vorlegt  —  und  die  doch  mit  jener  hypo- 
these nicht  aus  der  weit  geschafft  sind?  —  zu  vereinigen  sei, 
das  zu  erörtern  überlässt  W.  doch  der  liebesmüh  der  germanisten. 
oder  meint  er,  Ortner,  der  sich  redliche  mühe  gab,  seine  eigene 
Kürnberger-hypothese  mit  der  philologischen  kritik  des  gedichtes 
in  einklang  zu  bringen ,  habe  das  für  ihn  schon  in  der  haupt- 
sache  getan? 

Was  den  genealogisch-historischen  hauptteil  des  buches  be- 
trifft, so  kann  ich  über  diesen  nur  mit  vorbehält  sprechen.  W. 
bedient  sich  durchgängig  des  grundsatzes,  dass  dort,  wo  ander- 
weitige beweisgründe  fehlen,  rein  örtliches  zusammentreffen  für 
genealogischen  Zusammenhang  nicht  blofs  spreche,  sondern  geradezu 
beweise,  so  sind  ihm  namen,  die  auf  husischem  boden  vor- 
kommen, einzig  aus  diesem  gründe  oft  'entschieden'  'unzweifel- 
haft' husisch,  dh.  gehören  ihm  zur  familie  der  'Husier'.  trotz 
allem  fleifs,  den  der  verf.  aufwendet,  namentlich  in  topographi- 
schen dingen,  wird  der  boden,  auf  dem  er  sich  bewegt,  im 
verlaufe  der  darstellung   immer  schwankender,     auf  die  behand- 


WÖBER     DIE    SKIREN    UND    DIE    HELDENSAGE  197 

lung  ähnlich  klingender  namen  deutete  ich  schon  früher  hin 
und  möchte  hier  den  germanistischen  leser  noch  auf  ein  mir  be- 
sonders auftallendes  beispiel  hinweisen,  das  historisch  für  den 
Zusammenhang  des  huches  wichtig  ist,  die  art,  wie  s.  82  ff  ein 
Wolfher  von  Tegernwanch  mit  einem  Wolfram  von  Treffen  identi- 
fiziert wird,  weil  Wolfher  =  Wolfram  und  das  kärntnerische  Treffen 
=  dem  oberösterreichisch -bayrischen  Truna  (Traun)  sei. 
Innsbruck,  märz  1891.  Joseph  Seemüller. 


Die  quellen  der  Strafsburger  Fortsetzung  von  Lamprechts  Alexanderlied  und 
deren  benutzung.  von  dr  Theodor  Hampe.  Bonner  diss.  Bremen, 
Eduard  Hampe,  1890.     iv  und  110  ss.     8°.  —  2  m. 

Dit  Salomon  al  primier  pas,  quant  de  son  libve  mot  lo  das: 
'est  vanitatum  vanitas  et  universa  vanitas:  poyst  l'omne  fraynt 
enfirmitas1,  toyl  li2  sen  otiositas,  solaz  nos  faz  antiquitas,  que 
tot  non  sie  vanitas!'  Salomo  sagt  im  ersten  satz,  da  er  die 
stimme  seines  buches  erhebt:  'eitelkeit  aller  eitelkeiten ,  alles  ist 
eitel:  sobald  den  menschen  die  krankheit  schwächt,  die  (durch 
dieselbe  aufgezwungene,  unfreiwillige)  Untätigkeit  schwachsinnig 
macht,  dann  möge  uns  das  altertum  den  trost  geben,  dass  nicht 
alles  eitelkeit  sei!'  und  diesem  gedanken  folgend  wendet  sich 
nun  der  dichter,  Alberich  von  Besancon,  in  seiner  zweiten  laisse 
der  betrachtung  des  grösten  beiden  des  altertums  zu.  dieser 
stelle  entspricht  die  folgende  in  der  Alexandreis  des  mscr.  der 
bibl.  imp.789  (PMeyer,  Alex,  le  gr.  i  119):  Quant  li  rois  Salemons 
son  premier  livre  fist ,  du  vain  siede  parla  dont  il  l'estoire  quist. 
Salemons  si  vist  Diu  andwis  qu'el  mont  venist'1  pour  le  premier 
fourfait,  de  coi  li  Sathans*  rist,  quant  Dix  Adan  et  Eve  de  Paradis 
fors  mist  de  le  boine  eürle  oü  premiers  les  assist  par  l'enyien  del 
diable  ki  maint  home  tratst,  pour  chou  prophetisa  l'avenement  de 
Crist:  im  prophele  naistroist  en  ce  monde,  ce  dist ,  qui  sauveroit 
son  peuple,  ke  nus  neu  peresist,  et  geteroit  d'enfer  dteus  que  puis 
en  eslist.  et'0  non  porquant  l'estore  d'Alixandre  rescrit ,  por  le 
bonte  de  lui  que  tans6  regnes  conquist.  'als  der  könig  Salomo 
sein  erstes  buch  schrieb,  sprach  er  von  der  eitelkeit  der  weit, 
deren  geschichte  er  erforschte,  er  schrieb  von  der  künftigen 
erlösung  durch  Christus  und  trotzdem  (er  so  vieles  andere  zu 
schreiben  hatte)  schrieb  er  die  geschichte  des  Alexander,  um 
dessen  tugend  willen,  weil  er  so  viele  reiche  erobert  hatte',  die 
Umarbeitung  des  deutschen  Übersetzers  ihrerseits  ergibt  hingegen 

1  loume  fay  jnenßrmitas  die  hs.,  die  besserung  von   PMeyer. 

2  le  hs.,  besserung  von  CHofmann.  3  diese  zeile  steht  in  der  hs. 
nach  tratst.                *  sachans  die  hs.                '  e  die  lis.,  et  PMeyer. 

8  tant  die  hs.,  tans  PMeyer. 


198  HAMPE     QUELLEN    DES    STRASSBURÜER    ALEXANDERS 

folgenden  sinn :  'als  Alberich  dieses  lied  begann,  da  hatte  er  ein 
buch1  Salomos  vor  sich,  in  welchem  zu  lesen  stand:  vanitatum 
vanitas.  nachdem  Salomo  diese  eitelkeit  alles  dessen,  was  die 
sonne  umläuft,  an  sich  selbst  erfahren  halte,  darüber  traurig  und 
seiner  eigenen  Untätigkeit  müde  geworden  war,  begann  er  von 
witzen  zu  schreiben,  denn  müfsiggang  schadet  leib  und  seele; 
darum  ist  erst  Alberich  und  jetzt  ich  seinem  beispiele  gefolgt', 
es  liegt  nahe  von  witzen  auf  das  buch  Sapientia  zu  beziehen, 
welches  ja  auch  dem  S.  zugeschrieben  wurde;  aber  dann  stimmt 
das  citat  des  ersten  verses  des  Ecclesiastes  nur  schlecht  dazu, 
vielmehr  werden  wir  an  ein  von  'weiser  gesinnung'  handelndes 
buch,  an  ein  buch,  dessen  held  der  wise  Alexander  (Lamprecht 
4490)  war,  zu  denken  haben. 

Durch  vergleichung  der  ausgehobenen  drei  stellen  kommen 
wir  zu  folgenden  resultaten: 

1)  wenn  wir  nicht  annehmen  wollen,  dass  der  französische 
roman  und  Lamprecht  unabhängig  von  einander  ihre  vorläge 
misverstanden  haben,  müssen  wir  Alberich  so  verstehn,  dass  er 
in  seiner  ersten  laisse  als  seine  quelle  einen  Alexanderroman 
nennt,  der  dem  könig  Salomo  zugeschrieben  wurde,  wahrschein- 
licher ist  es  jedesfalls,  dass  beide  bearbeiter  ihn  richtig  ver- 
standen haben,  was  ihnen  leichter  werden  mochte  als  uns,  da 
ihnen  ein  derartiges  werk  bekannt  gewesen  sein  dürfte,  dass 
ein  solches  existierte,  bezeugt  uns  die  fälschlich  über  einen  Iter 
ad  paradisum  in  Pavia  gesetzte  superscriptio  Relatio  Salomonis 
didascali  Judeorum  de  Alexandro  magno  (PMeyer  Alex,  le  grand 
ii  395). 

2)  dieses  pseudosalomonische  buch  war  in  lateinischer  spräche 
geschrieben  und  begann  mit  jenen  Worten,  welche  Alberich,  nur 
soweit  sie  citat  aus  dem  Ecclesiastes  sind,  in  lateinischer,  von  da 
ab  übersetzend  in  der  vulgärsprache  gibt,  dass  dies  der  fall  ist, 
zeigt  einerseits  die  auffassung  Lamprechts,  anderseits  die  lateinische 
endung  -as  in  enfirmitas,  otiositas,  antiquitas,  vanitas  (=  frz.  e, 
provenz.  -atz),  wol  auch  die  bedeutuug  'trost'  für  solaz,  das  sonst 
'genuss,  vergnügen'  bedeutet. 

3)  der  überlieferte  text  von  Alberichs  gedieht  gibt  einen 
guten  sinn,  und  es  ist  kein  grund,  mit  Wilmanns  GGA  1885 
nr  7  anzunehmen,  dass  Lamprecht  ein  vollständigerer  vorgelegen 
habe,  auch  bei  der  erzählung  von  A.s  erziehung  ist  die  Ord- 
nung der  Unterrichtsgegenstände  bei  Alberich  wol  etwas  auffallend, 
wird  aber  durch  den  alexandrinerroman  gestützt2. 

4)  diesem  lateinschreibenden  gelehrten  autor  ist  wol  die  be- 

1  wie  Wilmanns  das  mut  der  Strafsburger  lis.  vor  dem  puch  der  Vorauer 
hs.  bevorzugen  kann,  verstehe  ich  nicht,  nachdem  das  libre  des  Origi- 
nals so  deutlich  für  letzteres  spricht.  2  bei  der  erklärung  des 
in  diesem  zusammenhange  allerdings  dunkeln  et  fayr  ä  seyr  et  ä  matin 
agayt  encimtre  son  vicin  ist  auf  die  entsprechung  que  ja  felon  cuivert 
n'ail  etitour  lui  souvent  rücksicht  zu  nehmen. 


HAMPE  QUELLEN  DES  STRASSBLRGER  ALEXANDERS       199 

nutzung  der  verschiedenen  quellen  uud  das  kritische  verhalten 
gegen  dieselben  zuzuschreiben1,  seine  hauptquellen  waren  Va- 
lerius  und  eine  mischhs.  der  Historia'2,  welche  in  ihrem  ersten 
teil  der  redaction  u.  nr,  in  ihrem  zweiten  der  redaction  i  vorzüg- 
lich folgte,  er  selbst  bevorzugte  im  anfange  seines  Werkes  den 
Valerius,  gegen  das  ende  desselben  die  Historia. 

Freilich  setzt  diese  annähme  voraus,  dass  Alberichs  gedieht 
ebenso  weit  gereicht  habe  wie  der  Strafsburger  Alexander,  das 
glaube  ich  nun  auch,  und  zwar  scheint  es  mir  bewiesen  durch 
die  Übereinstimmungen  des  deutschen  gedichtes  mit  dem  franzö- 
sischeu,  vor  allem  durch  die  sonst  nirgends  erscheinende  episode 
der  blumenmädchen.  dieser  hinweis  (vgl.  Schröder  DLZ  1885, 786  ff) 
hätte  früher  auch  vollkommen  genügt,  bevor  durch  die  forschungen 
Wilmanns  und  seiner  schüler  ASchmidt  und  Hampe  einerseits, 
PMeyers  anderseits  Verwirrung  in  die  klare  Sachlage  gekommen  ist. 
denn  jene  behaupten,  die  in  der  Strafsburger  und  Basler  hs.  über- 
lieferte zweite  hälfte  des  deutschen  Alexanderliedes  habe  mit  dem 
anfange  desselben  nichts  zu  tun,  und  dasselbe  meint  PMeyer  von 
dem  grösten  teile  des  französischen  romans  gegenüber  dem  anfange 
dieses  gedichtes.  nun  ist  aber  keine  dieser  behauptungen,  wie 
mir  scheint,  bewiesen  oder  beweisbar. 

Die  erste  hat  schon  Kinzel  Zs.  f.  d.  phil.  20,  96  ff  richtig 
widerlegt,  der  schluss  der  Vorauer  hs.  ist  ein  unding,  ein  mittel- 
alterliches Alexandergedicht,  das  vor  Alexanders  tod  abbräche, 
undenkbar,  'endlich  noch  ein  letzter  einwurf:  es  wird  wol  nicht 
angefochten  ,  dass  die  verse  V  1497  ff  mit  S  3248  ff  identisch  sind, 
sie  stehn  in  S  in  gutem  Zusammenhang,  während  in  V  mindestens 
ihre  gedrängte  aneinanderreihung  auffällt  und  sie  lehnen  sich 
in  S  d i r e c t  an  eine  stelle  der  Historia  an3:  so  lange 
hierfür  keine  ausreichende  erklärung  gefunden  ist,  sind  wir  ge- 
nötigt bei  der  annähme  zu  bleiben,  dass  derjenige,  welcher  den 
kurzen  schluss  im  Vorauer  Alexander  hinzufügte,  eine  umfang- 
reichere dichtung  vor  sich  halte,  aus  welcher  er  denselben  zu- 
sammenstoppelte', gegen  diese  sehr  überzeugende  auseinauder- 
setzung  Kinzels  hat  auch  Hampe  keine  irgend  stichhaltigen 
einwendungen  vorgebracht. 

1  vor  allem  in  dem  ablehnen  der  Nectanebusfabel.  dass  er  mit  dem 
drachenauge,  das  er  seinem  helden  zuschrieb,  wider  in  dieselbe  verfallen 
wäre,  kann  ich  nicht  finden,  vielmehr  lässt  er  ihn  von  vorne  herein,  indem 
er  ihn  mit  den  attributen  von  4  in  je  einem  der  demente  lebenden  tiere 
ausstattet,  als  herrn  über  die  gesammte  natur  erscheinen,  wenn  er  sein 
haar  'blond  wie  das  eines  fisches'  (die  conjeetur  PMeyers  i  33'.),  n  250 
teysson  für  peysson  ist  wol  abzulehnen)  nennt,  so  dachten  seine  hörer  wol 
sofort  an  das  einzige  wassertier,  welches  überhaupt  haare  hatte  und  doch  als 
'fisch'  bezeichnet  werden  konnte  —  an  die  Sirene;  vgl.  daz  houbet  der  SyrSnen 
clrir,  duz  Iruoc  von  gotde  reidez  hdr  KvWürzb.  Troj.  krieg  3779. 

8  bei  der  grofsen  menge  noch  unbekannter  hss.  ist  das  besteht!  von 
mischliss.  nicht  nur  möglich,  sondern  sogar  wahrscheinlich. 

3  dd  was  daz  feit  vi l  breit  mit  tri)  töten  uberspreit  V  L516f  8  32681 
=  ut  latus  campus  ex  semivivis  et  mortui*  veslirrtur. 


200  HÄMPE     QUELLEN    DES    STRASSBURGER    ALEXANDERS 

Dem  möchte  ich  noch  eins  hinzufügen:  wenn  die  ver- 
schiedene art  der  quellenbeuutzung  hier  und  dort  etwas  beweisen 
sollte,  so  müste  das  hüben  und  drüben  durch  einen  scharfen 
strich  an  jener  stelle  getrennt  sein,  wo  die  angebliche  fortsetzung 
beginnt,  sehen  wir  aber  genau  zu,  so  finden  wir  eine  un- 
bekannte, historischen  werken  nahestehnde  quelle,  die  mit 
6  versen  über  den  strich  hinausreicht,  dann  ausschliefsliche  be- 
nutzung  der  Historia  bis  2275,  wo  zum  ersten  mal  wider  Va- 
lerius  erscheint,  aber  der  Historia  nicht  nach  der  recension  i, 
die  für  die  fortsetzung  characteristisch  sein  soll,  sondern  haupt- 
sächlich nach  der  redactiou  n,  m1,  die  auch  vor  dem  strich  neben 
Valerius  als  herschend  erscheint,  ja  auch  so  wie  hier  ohne  den- 
selben V  1019  — 1042.  erst  später  beginnt  die  herschaft  der 
Historia  i. 

PMeyer  seinerseits  hat  die  meinung  aufgestellt,  dass  Alberich 
nicht  weiter  gedichtet  habe  als  bis  zur  besiegung  des  königs 
INicolaus.  gründe  hat  er  eigentlich  so  gut  wie  keine  angegeben, 
und  Kinzel  hat  das  auch  Anz.  13,  228  gebührend  hervorgehoben, 
wenn  es  noch  notwendig  wäre,  dem  etwas  hinzuzufügen,  so 
möchte  man  hervorheben,  dass  der  name  Daclym,  d.  i.  dan  Clin, 
wie  derselbe  im  roman  heifst,  für  Clitus2,  auch  für  die  spätere 
partie  wenigstens  des  Vorauer  Alexanders  die  benutzung  Alberichs 
beweist. 

Aber  man  kann  noch  weiter  gehend  behaupten:  1)  auch  der 
roman  in  zehnsilbigen  versen,  der  uns  nur  bis  zur  besiegung 
des  Nicolas  erhalten  ist,  sei  einst  vollständig  gewesen,  2)  der 
name  des  Alexandre  de  Bernai  sei  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
ein  blofser  schreibername,  der  name  des  eigentlichen  endgültigen 
redacteurs  des  romans  vielmehr  unbekannt. 

1)  wenn  uns  der  anfang  eines  romans  in  zehnsilblern,  der 
rest  in  alexandrineru  überliefert  ist,  so  kann  man  eine  doppelte 
auffassung  haben : 

a)  der  anfang  stammt  aus  älterer  zeit,  der  rest  ist  von 
einem  jüngeren  autor  dazu  gedichtet.  PMeyer  denkt  nur  an 
diese  eine  möglichkeit  und  kann  sich  dabei  etwa  auf  das  bei- 
spiel  des  Aiol  berufen,  nachdem  nun  die  annähme,  der  anfang 
in  zehnsilblern  sei  zuerst  in  alexandriner  umgearbeitet,  dann 
aber  von  einem  Schreiber  dieser  anfang  neuerdings  durch  den 
dekasyllabischen  ersetzt  worden,  und  auf  diese  weise  die  ge- 
mischte form,  wie  sie  uns  im  mscr.  de  l'Arsenal  (PMeyer  i  25  ff), 
im  mscr.  de  Venise  (ib.  237  ff)  und  in  dem  nur  durch  Fauchets 
beschreibung    (ib.  n  105)  bekannten   mscr.  vorliegt,    entstanden, 

1  nach  Hampe  ist  benutzung  von  n,  in  mit  mehr  oder  weniger  Sicherheit 
anzunehmen  2059  —  2062.  2079.  2090.  2132.  2144  —  2147.  2154.  2162  —  2163. 
2175.2188—2196.2198.2216—2217.2249—2250,  innerhalb  derselben  vers- 
reihe die  von  i  nur  2102.2159-2160.2202—2204.2237. 

2  vgl.  ASchmidt  Über  das  Alexanderlied  des  Alberic  von  Besancon 
(Bonner  diss.  1886)  s.67. 


HAMPE     QUELLEN    DES    STRASSBÜRGER    ALEXANDERS  201 

so  gut  wie  ausgeschlossen  ist,  kommt  Meyer  zu  der  auch  meiner 
meinung  nach  allein  richtigen  ansieht,  diese  gemischte  form  re- 
präsentiere uns  die  älteste  erhaltene  Überlieferung  des  romans 
(n  236).  da  er  aber  annimmt,  die  vierte  brauche,  die  in  jener 
gemischten  redaction  erscheint,  habe  Alexandre  de  Bernai  zum 
verf.,  aber  auch  die  erste  branche,  die  in  alexandrinern  ab- 
gefasst  ist,  in  jener  aber  natürlich  nicht  vorkommt,  rühre  von 
demselben  her,  so  dürfte  sich  für  seine  hypothesen  einige  Schwierig- 
keit ergeben,    wie  er  sich  hier  hilft,  ist  mir  unbekannt  geblieben. 

b)  eine  andere  annähme  scheint  mir  eine  bessere  lösung 
des  verwickelten  Sachverhaltes  zu  gewähren,  wie  wenn  Lambert  le 
tort  ein  älteres  vollständiges  gedieht  in  zehnsilblern  so  umgearbeitet 
hätte,  dass  er  den  anfang  im  ursprünglichen  versmafs  beliefs, 
nur  hier  und  da  etwa  modernisierend,  dann  aber  seiner  conser- 
vativeren  anfänglichen  absieht  untreu  geworden  und  in  die  zeit- 
gemäfseren  alexandriner  übergegangen  wäre?  dass  er  an  jener 
stelle  neu  anhebt  und  aufzählt,  was  er  noch  zu  berichten  ge- 
denke, und  seinen  namen  nennt,  darf  uns  nicht  verwundern, 
da  ja  in  Wahrheit  erst  von  hier  ab  eine  gewisse  Selbständigkeit 
seines  Werkes  datiert,  ein  überzeugendes  beipiel  dieser  art  einer 
Überarbeitung  haben  wir  im  Foulque  de  Candie1. 

Ein  umstand  vor  allem  scheint  mir  diese  möglichkeit  zur 
höchsten  Wahrscheinlichkeit  zu  erheben,  die  oben  aus  dem  mscr. 
bibl.  imp.  7S9  ausgehobene  stelle  über  Salomo  findet  sich  auch 
im  mscr.  de  Venise  in  einer  der  ersten  in  alexandrinern  ab- 
gefassten  tiraden,  an  unrechter  stelle  und  in  entstellter  form2, 
wie  ist  das  zu  erklären? 

Das  mscr.  789  (PMeyer  i  115  ff)  bietet  in  seineu  tiraden 
i  —  xvii  eine  contamination  der  zehnsilblerfassung  mit  der  ersten 
branche  des  romans,  ebenso  wie  xvm — xlix  die  einer  unbekannten 
quelle  mit  demselben  (xxxvi).  das  dekasyllabische  gedieht  lag 
aber,  wie  auch  Meyer  11  246  annimmt,  dem  contaminator  in 
einer  vollständigeren  gestalt  vor  als  uns,  wie  vor  allem  aus  dem 
vergleich  mit  Alberich  hervorgeht,  zu  diesen  verlorenen  und 
durch  das  mscr.  789  ihrem  inbalte  nach  erhaltenen  laisses  gehört 
unter  anderen  die  erwähnte  von  Salomo.  sie  steht  hier  Alberich 
entsprechend  im  anfang  des  gedichtes.  die  fassung  im  Ven. 
gibt  uns  nun  das  beispiel  einer  in  der  gemischten  redaction  in 
alexandriner  aufgelösten  dekasyllabischen  laisse.  was  liegt  näher 
als  anzunehmen,  dass  auch  die  anderen  alexandriner  alle  auf 
zehnsilbler  zurückgehn? 

1  die  ersten  4  gesänge  der  ausgäbe  von  Tarbe  (bis  s.  67)  sind  in  zehn- 
silblern abgefasst,  darauf  s.  67  — 111  in  alexandrinern,  111 — 133  in  zehn- 
silblern und  der  rest  in  alexandrinern. 

2  Por  ce  gu'il  (Lambert)  ere  sages  e  vit  en  la  Ircion  <!<■  I'cnfance 
Alx.comence  (comenci!)  un  termon  et  tot  primerement  parla  de  Salomon 
per  lo  segle  qu'esl  vans  comrnence  tin'acliun  (i  '274  If).  Meyer  erwähnt 
die  Übereinstimmung,  aber  ohne  eine  erklürung  zu  geben  (n  247). 

A.  F.  D.  A.     XVI.  14 


202  HAMPE     QUELLEN    DES    STRASSBURGER    ALEXANDERS 

2)  das  von  Fauchet  beschriebene  mscr.  der  gemischten  fas- 
sung  ist  unabhängig  von  Ars.  wie  von  Ven.,  wie  schon  der  erste 
mitgeteilte  vers1  desselben  beweist,  aber  aus  einer  glücklicher- 
weise durch  Fauchet  mitgeteilten  stelle  in  alexandrinern ,  welche 
in  Ars.  und  Ven.  fehlt,  welche  jedoch  inhaltlich  mit  einer  jener 
stelle  über  Salomo  vorausgehnden  des  mscr.  789  stimmt2,  also 
eine  verlorene  laisse  repräsentiert,  ersehn  wir,  dass  dieses  mscr. 
vollständiger  war  als  die  beiden  erhaltenen,  und  da  er  als  verf. 
den  clerc  Symon  nennt,  so  ist  somit  auch  die  zweite  in  Ven. 
erhaltene,  in  Ars.  verlorene  laisse,  worin  sich  dieser  als  verf. 
und,  wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  die  Historia  de  proeliis  als 
seine  wol  nur  mittelbare  quelle  nennt3,  als  echt  erwiesen,  denn 
als  seine  unmittelbare  quelle  nennt  er  in  der  verderbten  letzten 
zeile  der  ersten  Strophe4,  die  aber  kaum  einen  anderen  sinn 
haben  kann  und  die  wir  wol  als  authentisch  ansehn  müssen, 
obwol  sie  nur  in  Ven.  erhalten  ist,  einen  Auberin,  hinter  dem 
sich  sicher  niemand  anderer  als  unser  Alberich  verbirgt. 

In  ermangelung  des  Fauchetschen  mscr.s  stellt  uns  also  Ven., 
welches  die  in  Ars.  unterdrückten  Strophen  von  Symon  und 
Salomon  erhalten  hat,  die  freilich  durch  einen  italienischen 
Schreiber  entstellte,  aber  immerhin  vollständigste,  dem  original 
der  gemischten  redaction,  dem  werke  Lamberts  am  nächsten 
kommende  fassung  dar.  in  Ven.  nun  fehlen  an  den  beiden 
stellen,  an  denen  sie  sonst  erscheinen,  nämlich  zu  ende  des 
ganzen  und  nach  der  einnähme  von  Gadres,  die  erwähnungen 
des  Alexandre  de  Bernai.  in  Ars.  hingegen  findet  sich  die 
erste  und  würde  sich  auch  wahrscheinlich  die  zweite  finden, 
wenn   das  mscr.  nicht  gerade   an  dieser  stelle  eine  grofse  lücke 

1  Chanpon  voll  dire  gegen  Chancon  voll  faire  (Ars.)  und  Conte  voll 
dire  (Ven.). 

2  'le  clerc  Simon,  en  racontant  les  peuples  divers,  qui  sortirent  de 
Babylone,  apres  la  confusion  advenue  en  bastissant  la  tour,  ildit:  Li  enfant 
se  departent,  li  piere  en  (?li  primiers)  fu  dolans(?),  Et  li  atilre  devlent 
Mesopotamiens,  LI  autre  fu  Torquois,  li  aatre  Elimitans  Et  puis  quelques 
vers  apres:  Li  autre  fu  Romains  et  li  autre  Toscans  Et  encores  depuis: 
L' autre  fu  Espeingnos  et  V autre  fu  Normans,  Li  autre  Erupieifs]  et  parla 
bien  romans,  Li  autre  fu  Francois  et  li  autre  Normans'.  Meyer  (n  106) 
hat  diese  stelle  vergeblich  in  Ars.  und  Ven.  wie  in  dem  von  Michelant 
edierten  roman  gesucht,  in  dem  von  ihm  edierten  mscr.  789  (i  118)  findet 
sie  sich  wenigstens  (inhaltlich  wider:  puis  conquist  Babilone  ou  fu  mors 
par  poison  el  grant  palais  marbrin  que  firent  li  glolon  . . .  quant  Dias  de 
tous  langages  lor  fist  devision:  quant  l'uns  parloil  englois  et  li  autres 
gascon,  li  Hers  parloit  irois  et  li  quars  bourgegnon,  et  li  quins  alemans 
et  li  sistes  breton,  li  seplimes  galois ,  li  octimes  frison. 

3  traue  est  de  geste  tote  ceste  chancon  (l'ystoire  fu  trovee  droit  en 
un  dromon,  de  la  terre  d'Egypte  l'aporterent  Noon).  un  clers  la  fist 
c'om  apelle  Symon  (i  238).  ist  statt  des  unverständlichen  l'aporterent  Noon 
vielleicht  Vaporta  genl  Maon  zu  lesen?  jedesfalls  scheint  mir  der  mis- 
verstandene  anfang  der  historia  cap.  1  Sapientissimi  namque  Aegyptiorum  . . . 
domantes  undas  maris .  . .  tradiderunt  zu  gründe  zu  liegen. 

■  >.(■  ysloire  n'est  mie  d' Auberin  li  canoine,  1.  est  prise? 


HAMPE     QUELLEN    DES    STRASSBURGER    ALEXANDERS  203 

zeigte,  beide  male  haben  wir  es  meinem  gefühl  nach  deutlich 
mit  schreiberversen  zu  tun1. 

Ein  unbekannter'2  hat  dann,  die  gemischte  redaction  in  der 
form  von  Ars.  benutzend,  auch  den  in  zehnsilblern  geschriebenen 
anfang  in  alexaudriner  umgearbeitet  und  den  ganzen  roman  durch 
interpolationen  erweitert. 

Da  nun  bereits  die  fassung  in  zehnsilblern  ihrem  ende  zu 
stark  ändert  und  erweitert,  wie  uns  ein  flüchtiger  vergleich  vor 
allem  der  letzten  scene,  der  besiegung  des  Nicolas,  mit  den 
wenigen  Zeilen  Lamprechts,  dessen  weise  das  kürzen  seiner 
quelle  gegenüber  doch  sonst  nicht  ist,  lehrt,  da  wir  ferner  an- 
nehmen können,  dass  diese  änderungen  und  erweiterungen  viel- 
leicht zum  teil  im  anschluss  an  die  dem  clerc  Symon  bekannte 
Historia  im  verlaufe  der  erzählung  immer  stärker  und  stärker 
wurden,  da  dann  weiter  noch  Lambert  und  endlich  der  un- 
bekannte umarbeiter  des  ganzen  kam,  —  so  darf  es  uns  nicht 
wunder  nehmen,  wenn  der  ähnlichkeiten  mit  dem  in  S  vor- 
vorliegenden, überarbeiteten  Lamprechtschen  gedichte  nur  wenige 
geblieben  sind,  denn  Lamprecht  selbst  hat  seinerseits  wider 
seine  quelle  erweitert,  misverstanden ,  geändert,  und  ebenso  ist 
sein  bearbeiter  ihm  gegenüber  verfahren,  aber  was  nach  alle 
dem  doch  noch  an  ähnlichkeiten  zurückgeblieben  ist,  haben  wir 
ein  recht  der  gemeinsamen  quelle  zuzuschreiben. 

Hampe  hat  diese  ähnlichkeiten  übersichtlich  s.  44  ff  zusammen- 
gestellt, der  spanische  roman  (s.  52 ff)  würde  eiue  besondere 
quellenuntersuchung  erfordern.  Walther  von  Chatillon  (s.  57  ff) 
ist  natürlich  erst  von  S  benutzt  worden,  dass  S  auch  die  Historia 
gekannt  hat,  wissen  wir  aus  dem  vergleich  mit  V,  doch  können 
wir  natürlich  nicht  entscheiden,  wo  die  benutzung  ihm  zur 
last  fällt. 

H.s  schrift  schien  mir  auf  falschen  grundlagen,  deren  trag- 
kraft  er  allerdings  auch  nicht  um  das  geringste  verstärkt  hat, 
aufgebaut,  und  gegen  diese  muste  sich  meine  polemik  haupt- 
sächlich richten,  nur  scheinbar  führte  mich  daher  meine  aus- 
einandersetzung  von  seinem  buche  ab.  dieses  selbst  ist  eine 
tüchtige   leistung,    eine  gute   und   gewissenhafte  arbeit,   die  nur 

1  ci  fenisent  li  vers,  Pestorie  plus  ne  (Iure,  ce  reconte  AI.  de  Bernai 
ä  seüre.  qui  unques  nen  ot  j'or  longement  adventure,  s'un  for  la  trovu 
blanche ci  fenisent  li  vers  d? Alisandre,  dies  das  ende  des  ge- 
dientes in  Ars.,  Meyers  lesung  i  105  und  n  235  differiert  ein  wenig,  die 
andere  stelle  lautet:  Alixandre  natu  dist,  qui  de  Bernai  fu  nis  et  de 
Paris  refu  ses  seurnoms  apelds,  >pti  cht  a  les  siens  vers  o  les  Lambert 
jouttfo,  tjui-  li  'fiterres  de  Gadres?  est  iehi  afinis  (n  227).  ich  mache  be- 
sonders auf  den  vers  'welcher  hier  seine  verse  neben  die  Lamberts  gestellt 
hat'  aufmerksam,  den  AI.  de  B.  als  verf.  der  ridge  d'Athenes  hat  PMeyer 
ii  235 ff  wol  endgültig  ins  reich  der  fabel  verwiesen. 

2  es  könnte  allenfalls  Pierre  de  S.  Cloud  sein,  doch  würde  ich  trotz 
den  einwendungen  Meyers  die  stelle  (n  2'2(.i  ff)  ihrem  character  nach  eher 
für  citat  halten. 

14* 


204       HAMPE  QUELLEN  DES  STRASSBURGER  ALEXANDERS 

leider  etwas  unübersichtlich  ausgefallen  ist,  dadurch  dass  der 
verf.  seinen  stoff  nach  den  quellen  geordnet  vorführt.  ASchmidts 
arbeit,  die  sich  an  den  gang  des  gedichtes  hält  und  nach  den 
beiden  ersten  abschnitten  eine  sehr  practische  tabelle  beifügt,  ist 
viel  bequemer  benutzbar,  neben  der  italienischen  Historia  wäre 
Quilichinus  von  Spoleto  nach  den  mitteilungen  von  Neuling 
(Beitr.  10,  315  ff)  heranzuziehn  gewesen. 

Wien  im  Januar  1891.  S.  Singer. 


Geschichte  der  deutschen  dorfpoesie  im  13  Jahrhundert  i.  von  Albert  Biel- 
schowsky  (Acta  Germanica  n  heft  2).  auch  unter  dem  titel:  'Leben 
und  dichten  Neidharts  von  Reuenthal'.  —  Berlin,  Mayer  &  Müller. 
1590.    vn  und  294  ss.     8°.  —  9,50  m.* 

Der  wert  dieser  sorgsamen  und  ungewöhnlich  gut  geschrie- 
benen arbeit  liegt  mehr  in  der  vollständigen  und  verständigen  nach- 
prüfung  des  sonst  schon  für  Neidhart  geleisteten  als  in  neuen 
gesichtspuncten  oder  neuen  ergebnissen.  der  autor  hat  sowol  den 
text  selbst  (nicht  immer  auch  die  lesarten)  als  die  arbeiten  seiner 
Vorgänger  mit  grofser  aufmerksamkeit  studiert  und  sich  kritisch 
zu  eigen  gemacht;  dass  unter  diesen  arbeiten  sich  auch  hand- 
schriftliches material  befand,  welches  rec.  ihm  neben  gedrucktem 
zur  Verfügung  stellte,  hätte  der  sonst  mit  dank  nicht  kargende 
verf.  um  so  weniger  verschweigen  sollen ,  als  er  gegen  mich  mit 
Vorliebe  und  nicht  ohne  Voreingenommenheit  polemisiert.  —  die 
gründlichkeit  in  ausnutzung  und  besonders  besprechung  der 
vorarbeiten  geht  mir  oft  sogar  zu  weit;  es  wäre  für  den  ruf  der 
deutschen  philologie  besser,  wenn  nicht  immer  wider  in  langen 
capp.  der  beweis  geführt  würde,  dass  Mohammed  kein  römischer 
cardinal  gewesen,  zu  den  überflüssig  breiten  betrachtungen  rechne 
ich  besonders  die  erneute  darlegung  des  volkstümlichen  Ursprungs 
der  Neidhartischen  dichtung,  bei  der  es  jedoch  an  hübscheu  be- 
merkuugen  nicht  fehlt  (so  s.  16  über  den  mädchenchor) ,  und 
vieles  in  der  biographie  des  dichters  (cap.  n) ,  zb.  die  Unter- 
suchung über  seine  heimat1. 

Trotz  dieser  gründlichkeit  in  der  durcharbeilung  der  litteratur 
begegnet  es  dem  autor  nicht  selten ,  dass  er  die  citierten  stellen 
falsch  versteht,  so  zb.  s.  56.  Haupt  hat  (zu  102,  32)  keineswegs 
die  lieder,  welche  er  an  den  schluss  seiner  Sammlung  stellt,  für 
bairisch  erklären  wollen,  wie  eben  schon  diese  anordnung  be- 
weist.    Wackernagel  meint,   Neidhart  habe  damals  an  der  bairi- 

*  [vgl.  Litt,  centralbl.  1891  nr8.  —  Litbl.  f.  germ.  und  rom.phil.  1891  nr4 
(EMartin).] 

1  auch  eine  frage  wie  die,  wo  die  tochter,  welche  24, 13 f  sich  mit 
ihrer  mutter  streitet,  schlage  erhält,  verdient  wol  bei  mündlicher  inter- 
pretation  erörtert  zu  werden,  aber  schwerlich  waren  in  einem  buche  üher 
die  geschichte  der  deutschen  dorfpoesie  13  Zeilen  daran  zuwenden  (s.  157); 
es  handelt  sich  doch  schliefslich  nicht  um  den  ort  der  Varusschlacht! 


BIELSCHOWSKY     DEUTSCHE    DORFPOESIE    I  205 

sehen  grenze  gelegen,  Haupt  erwidert,  er  müsse  auf  der  fahrt 
ins  Baierland  begriffen  gewesen  sein,  und  deshalb  nahm  ich  eine 
rückkehr  aus  Österreich  nach  Baiern  an  in  allerspätester  zeit; 
daran  ist  nichts  'unerfindlich'.  —  oder  s.  151:  in  seinem  Wider- 
spruch gegen  meinen  tadel  des  Überganges  in  den  liedern  9,  13 
und  16,  3S  (deren  datierung  ich  aufrecht  erhalten  muss)  hat  B. 
völlig  das  moment  übersehn,  auf  das  ich  den  hauptton  legte:  die 
zähe  anknüpfung  an  ein  einzelnes  Schlagwort.  —  am  schlimmsten 
s.  170:  hier  sagt  B.  mir  nach,  ich  hätte  von  48  fällen,  in  denen 
die  directe  rede  ohne  einführung  beginnt,  nur  5  gesehn,  aber 
er  hat  seine  zahl  dadurch  zusammengebracht,  dass  er  fälle  mit- 
zählt, in  denen  nicht  eine  figur,  sondern  der  dichter  selbst  redet 
(wie  6,  19.  8,  12.  28,  36  uö.).  Neidhart  kann  doch  unmöglich 
anheben:  in  dem  tal  erhebt  sich  —  wie  ich  euch  mitteilen  will  — 
von  neuem  der  gesang  der  vögel! 

Anderseits  wird  der  text  Neidharts  oft  ungebührlich  gepresst; 
so  sind  zb.  die  auslegungen  von  'des  meien  stiuwer'  (s.  IS),  'durch 
des  landes  ere'  (s.  91)  und  andere  gezwungen  und  unwahr- 
scheinlich. — 

Sieht  man  von  solchen  kleinen  schwächen  ab,  so  bleibt  eine 
verdienstliche  und  beachtenswerte  arbeit  übrig,  das  erste  cap. 
widerholt  und  ordnet  die  Zeugnisse  über  die  Vorgeschichte  der 
dorfpoesie.  das  zweite  bespricht  Neidharts  leben;  einige  wert- 
volle neue  gesichtspunete  sind  geschickt  zur  datierung  mit- 
benutzt, und  eine  übersichtliche  tabelle  ist  beigefügt,  cap.  m — vn 
behandeln  die  sommerlieder,  vm  —  xrv  die  winterlieder.  als  ge- 
lungen hebe  ich  hervor  die  beobachtungen  über  die  umwandelung 
des  natureingangs  (s.  35  f),  über  den  wortgebrauch  in  den  reien 
(s.  129  f)  und  besonders  über  die  figuren  der  Substantivverbindung 
(s.  133  ff.  224  1  —  leider  nicht  auf  ihre  metrischen  bedingungen 
geprüft),  über  die  reimeroffnung  und  andere  metrische  eigen- 
heiten,  die  sommer-  und  winterlieder  scheiden  (s.  257;  261). 
minder  glücklich  scheinen  mir  B.s  versuche,  über  Neidharts  lebens- 
verhältnisse  neues  zu  ermitteln;  die  drizec  jdr ,  wie  das  kom 
koufen  (s.  48. 52)  bleiben  doch  wol  formelhaft,  und  dass  des 
dichters  frau  eine  wenn  auch  unbemittelte,  doch  tüchtige  und 
energische  person  war,  die  das  kleine  lehensgut  zusammenhielt 
und  das  gegengewicht  gegen  den  künstlerischen  leichtsinn  Neid- 
harts bildete  (s.  68),  würde  ich  aus  dem  umstand  allein,  dass  sie 
auf  Reuental  keine  nebenbuhlerin  haben  wollte,  noch  nicht  zu 
erschliefsen  wagen,  dass  Neidharts  'ich'  in  den  reien  nahezu 
verschwinde  (s.  106),  ist  eine  mehr  als  kühne  behauptung;  dass 
er  die  in  ihn  verliebten  bauernmädchen  als  närrinnen  darstelle 
(s.  176),  ist  ein  satz,  der  auf  völligem  verkennen  von  Neidharts 
Selbstgefälligkeit  beruht,  wie  viel  Bchnaderhüpferl  gibt  es,  in 
denen  der  bursch  halb  in  vergnüglichem  Blolz  und  halb  in  ab- 
wehrender selbstironie  seine  unwiderstehlichkeit  schildert!  hübsch 


206  BIELSCBOWSKY     DEUTSCHE    DORFPOESIE    I 

ist  die  Zusammenstellung  Waltherischer  und  Goethischer  verse 
(137,  2)  und  die  anmerkung  über  das  flachsschwingen  (s.  189). 
in  der  beurleiluug  derjenigen  dichter,  die  auf  1\.  gewürkl  haben, 
hat  B.  Morungen  in  überzeugender  weise  in  den  Vordergrund  ge- 
stellt (s.  195);  der  hauptgrund  der  Übereinstimmungen  ist  wol 
aber  doch  der,  dass  der  geniale  führer  der  thüringischen  schule 
so  gut  wie  der  geniale  reformator  der  bajuvarischen  lyrik  aus 
dem  volksgesang  schöpfte.  —  die  stilistischen  Untersuchungen 
halten  sich  mit  recht  eng  an  Burdachs  feststellungen  zu  MSF 
und  Walther;  den  Worten,  dass  ein  gutes  beispiel  mehr  wert  sei 
als  alle  blofse  Statistik  (s.  219),  stimme  ich  gern  zu.  ebenso  gebe 
ich  meine  eigene  beurteilung  der  liebliugsreime  Neidharts  preis; 
die  philologische  Statistik  hat  seit  jener  zeit  —  besonders  durch 
Sievers  und  Wilmanns  —  grofse  fortschritte  gemacht;  und  übrigens 
hätte  ich  es  schon  damals  besser  machen  sollen,  das  einzig 
richtige  war  natürlich,  alle  reime  zu  prüfen,  wie  schon  Strauch 
(Anz.  10,  299)  hervorhob.  B.s  eigene  rechnungen  sind  freilich 
seltsam  genug;  er  hätte  besser  getan,  einfach  auf  die  berichtigungen 
bei  Zöpfl  Höfische  dorfpoesie  s.  71  zu  verweisen,  in  bezug  auf 
Neidharts  Verhältnis  zu  den  pastourellen  stehe  ich*  ihm  auch  in 
den  von  ihm  bekämpften  worten  viel  näher  als  er  glaubt  (s.  283  f). 
aber  es  bleibt  die  6ine  tatsache:  unter  den  winterliedern  sind 
ein  paar  stücke,  die  durch  ihre  halbepische  concentration  auf- 
fallen; sie  könuten  durch  die  ähnlich  componierten  pastourellen 
beeinflusst  sein,  obwol  sie  inhaltlich  diese  keineswegs  nachbilden, 
könnten  durch  sie  gerade  deshalb  beeinflusst  sein,  weil  bei  deutsch 
volkstümlichen  mustern  ihre  Seltenheit  doppelt  auffiele,  indes 
wird  mau  ein  urteil  über  diese  frage  aufschieben  müssen,  bis 
wir  über  das  Verhältnis  der  deutschen  lyrik  zu  der  der  nachbarn 
endlich  einmal  mehr  wissen,  als  dass  Rudolph  von  Neuenbürg 
der  erste  meister  der  deutschen  Übersetzungskunst  war.  — 

Es  gibt  noch  mehr  dinge,  über  die  ich  mit  B.  verschiedener 
meinung  bin,  ohne  schon  beweise  für  möglich  zu  halten,  so 
hat  in  der  frage  der  lieder  und  einzelstropheu  mich  die  ruhelose 
tätigkeit  der  minnesangphilologen  allmählich  durch  die  nervosität 
hindurch  zur  apathie  geführt,  rastlos  und  unerschrocken  hat 
man  die  Strophen  bald  losgehauen,  bald  angeklemmt,  bald,  wie 
Haupt  (Opusc.  3, 41)  einmal  bei  anderer  gelegenheit  sagt,  wie 
Würfel  im  becher  durcheinander  geschüttelt  —  allemal  mit  un- 
widerleglichen gründen  natürlich,  mich  würde  es  nicht  wundern, 
wenn  dies  'atomisieren'  nächstens  zu  der  lehre  von  der  abso- 
luten einstrophigkeit  führen  sollte,  wonach  alle  Strophenverbindung 
den  spielleuten  oder  Sammlern  zur  last  fiele,  aber  ich  bin  kein 
Skeptiker,  sondern  erhoffe  von  einer  systematischen  durcharbeitung 
der  liederbücher  auch  hierfür  licht;  bis  dahin  will  ich  jeden  nach 
belieben  über  die  Souveränität  oder  lehuspflicht  der  Strophen 
entscheiden  lassen,    und  ebenso  muss  ich  es  wol  mit  der  strophik 


BIELSCHOWSKY     DEUTSCHE    DORFPOESIE    I  207 

machen ,  wo  immer  noch  die  meinnng  herscht ,  ein  dichter  habe 
neue  verse  gebildet,  indem  er  verse  auflöste,  die  zahl  der  hebungen 
erweiterte  (s.  273),  reime  verlegte  usw.  meinen  versuch,  gesetze 
statt  der  willkür  nachzuweisen,  hat  bis  jetzt  niemand  besser  oder 
auch  nur  anders  widerholt;  B.  war  dazu  gewis  nicht  verpflichtet, 
so  sehr  auch  gerade  Neidharts  Strophen  dazu  reizen ,  über  die 
zahl  der  verse  und  hebungen  zu  der  eigentlichen  Organisation 
der  metrischen  form  herabzusteigen.  — 

Berlin,  februar  1S91.  Bichard  M.  Meyer. 


Zu  Tannhäusers  leben    und  dichten,     von   Alfred  Oehlke.     Königsb.  diss. 
1890.     Mohrungen,  WEHarich.     71  ss.    8°.  —  1,20  m. 

Wunderbar  genug,  dass  heutzutage,  wo  kaum  ein  minne- 
singer  sicher  ist  vor  dem  Schicksal,  held  einer  dissertation  zu 
werden,  nicht  schon  längst  der  Tannhäuser  seinen  liebhaber  ge- 
funden hat.  freilich,  er  gibt  rätsei  auf,  wie  kein  anderer  unter 
den  mhd.  lyrikern;  aber  mit  seinem  höchst  eigenartigen  halb 
gelehrten,  halb  volkstümlichen  humor,  der  den  hauch  einer  ganz 
besonderen  lebenssphäre  in  sich  birgt,  lohnt  er  die  mühe  wahr- 
lich, so  heifse  ich  diese  erste  Tannhäuserdissertation  willkommen, 
wenn  sie  gleich  wenig  mehr  bietet  als  eine  Zusammenfassung  des 
bisher  geleisteten  und  den  vielseitigen  anforderungen  des  Stoffes, 
der  nicht  nach  dem  üblichen  Schema  abgetaü  werden  durfte,  nur 
zum  kleinsten  teile  gerecht  wird,  ihr  selbständiger  wert  liegt 
besonders  nach  der  chronologischen  seite  hin,  wo  0.  durch 
gründliche  ausnutzung  der  historischen  anspielungen  für  Tann- 
häusers leben  und  dichten  neben  vielem  unsicheren i  auch 
allerlei  erwägenswerte  resultate  erzielt  hat:  nur  ist  keineswegs 
alles  neu,  was  er  für  neu  hält;  es  ist  doch  ein  wenig  stark, 
dass  er  Müllenhoffs  bekannte  datierung  des  6  leichs  (Nordalbing. 
stud.  3,94)  nicht  zu  kennen  scheint:  sie  stimmt  ganz  zu  Ö.s  resul- 
tat.  als  leidlich  gelungen  darf  auch  die  characterisierung  der  Neid- 
hartschen  und  derTannhäuserschen  poesie,  teils  in  ihrem  Verhältnis 
zur  höfischen  minnedichtung,  teils  im  gegensatze  zu  einander, 
sowie  die  Schilderung  der  an  die  beiden  anschliefsendeu  paro- 
distischen  dichtergruppe  bezeichnet  werden ,  wenngleich  sie  neues 
nicht  bringt  und  auch  nichts  weniger  als  erschöpfend  ist-,     der 

1  auf  einer  bedenklichen  prämisse  beruht  die  Übertragung  der  Zeit- 
bestimmung von  xn  1  auf  die  übrigen  unter  dieser  numnier  stchndea 
Sprüche  (s.  40),  zumal  da  str.  3  auch  metrisch  von  den  andern  abweicht. 
auch  die  datierung  von  xiv  ins  jähr  1246  (s.  41)  kann  zunächst  nur  für  die 
str.  1.  2.  4  und  5  gelten  (s.  u.).  die  datierung  von  in  und  iv  im  Verhältnis 
zu  v  (*.  41)  steht  auf  gar  zu  schwachen  füfsen.  falsch  ist  endlich  die  von 
vm  —  x,  worauf  ich  in  anderem  zusammenhange  unten  zurückkomme. 

2  ich  vermisse  hier  zb.  den  Kol  von  Niunzen.  Steinmar  hätte  im  be- 
sonderen auch  als  parodist  des  tageliedes  genannt  zu  werden  verdient. 


208  OEHLKE     TANNHÄUSERS    LEBEN    UND    DICHTEN 

gedanke,  Taunhäuser  mit  den  dichtem  der  Carmina  Burana  zu  ver- 
gleichen, ist  Ö.  sehr  zum  schaden  seiner  arbeit  nicht  ernstlich 
gekommen,  obgleich  er  jene  lat.  lieder  ein  paar  mal  heranzieht; 
ihm  ist  Tannhäuser  ein  ritter  wie  Neidhart,  nun  hat  aber  die 
höchst  eigentümliche  zerfahrene  gelehrsamkeit,  die  zuweilen  heid- 
nisch naive,  keineswegs  rohe  Sinnlichkeit  Tannhäusers  nirgends 
im  deutschen  minnesang,  wol  aber  in  der  lat.  Vagantendichtung 
ihres  gleichen;  es  ist  sicher  viel  eher  erweisbar,  dass  er  vagant, 
fahrender  kleriker,  als  dass  er  adliger  war,  was  durch  jenes  ja 
freilich  nicht  ausgeschlossen  wird,  dadurch  dass  sich  Ö.  diesen 
höchst  fruchtbaren  gesichtspunct  entgehn  liefs,  ist  seine  diss.  von 
vornherein  zu  unerlaubter  einseitigkeit  in  der  litterarhistorischen 
auffassung  des  dichters  verdammt  gewesen,  höchst  einseitig  ge- 
halten ist  endlich  auch  der  metrische  abschnitt,  den  der  verf. 
in  ermüdender  ausführlichkeit  und  noch  dazu  mit  manchen  ver- 
sehen der  äufserlichen  aufstellung  und  erläuterung  der  einzelnen 
metrischen  gerippe  widmet,  während  er  auf  die  behandlung 
anderer  naheliegender  und  meist  interessanterer  fragen  fast  voll- 
ständig verzieht  leistet,  ich  habe  hier  in  erster  linie  die  leiche, 
zumal  die  tanzleiche  im  äuge:  das  längenverhältnis  ihrer  teile  zu 
einander,  die  wechselnde  lebhaftigkeit  der  touren,  rückschlüsse 
aus  dem  metrum  auf  die  beschaffenheit  der  melodie,  betrachtung 
der  daetylen  mit  rücksicht  auf  ihr  auftreten  in  den  einzelnen 
teilen  (bei  idaetylen  ausnahmsweise  bereits  im  ersten  teile:  1 15. 16), 
die  Verteilung  der  respondierenden  abschnitte  auf  die  verschiedenen 
teile  (in  der  regel  verlaufen  sie  innerhalb  des  ersten  teiles;  weit  sel- 
tener erstrecken  sie  sich  über  beide  teile,  wie  es  bei  der  gesteigerten 
lebhaftigkeit  des  zweiten  begreiflich  ist;  nur  2  widerholungen  ge- 
hören allein  dem  zweitenteile  an:  i  20.21,  iv  22.  23,  beide  ihn 
einleitend),  endlich  das  Verhältnis  zwischen  inhalt  und  form:  die 
andeutungen  Roethes,  Reinmar  v.  Zweter  355  ff,  sind  für  Ö.  ver- 
geblich geschrieben  gewesen,  er  hätte  meines  erachtens  durchweg 
besser  getan,  die  inhaltliche  und  die  formell-metrische  seite  nicht 
an  ganz  verschiedenen  stellen  seines  buches  zu  behandeln,  bei 
dem  spruchgedichte  xvi  hätte  ihn  eine  zusammenhängende  be- 
trachtung von  inhalt  und  metrum  vor  der  abenteuerlichen  auf- 
fassung desselben  als  eines  dreiteiligen  leiches  vielleicht  bewahrt 
(s.  59:  vgl.  dagegen  in  diesem  Anz.  oben  s.  79).  bei  n  scheint 
er,  aus  seinem  stillschweigen  s.  21  zu  schliefsen,  unteiligkeit  an- 
zunehmen: mit  str.  18  ist  aber  doch  wol  ein  zweiter  teil  zu  be- 
ginnen (bezugnahme  auf  den  gegenwärtigen  tanz  und  allgemeine 
reflexionen).  iv  fasst  er  als  zweiteilig  (s.  21):  ich  betrachte  nü 
dar  (28)  als  anfang  eines  dritten  teiles  (vgl.  nü  dar  i  20) ,  worin 
im  gegensatz  zu  den  beiden  vorangehnden  teilen  gesprungen 
wird ;  anderseits  ist  der  zweite  teil  des  dritten  leiches  verhältnis- 
mäfsig  so  kurz  ausgefallen,  weil  dort  die  sprungtour  sofort  nach 
schluss  des  ersten  teiles  einsetzt. 


OEHLKE     TAN.NHÄL'SERS    LEBEN    UND    DICHTEN  209 

Am  dürftigsten  ist  die  arbeit  in  rein  philologischer  beziehung, 
in  der  kritik  und  erklärung  des  schwierigen  Tannhäusertexles, 
ausgefallen,  dass  Ö.s  leistUDg  viele  lücken  lässt,  das  ist  kein  wun- 
der und  ist  ihm  an  sich  noch  nicht  zum  Vorwurf  zu  machen:  es 
gehört  nicht  nur  gelehrsamkeit,  es  gehört  sicherlich  auch  viel 
glück  dazu,  um  hinter  all  die  absichtlichen  und  unabsichtlichen 
rätsei  zu  kommen,  die  uns  dieser  coquett  halbgelehrte  vagant 
aufgibt,  aber  etwas  mehr,  als  Ö.  bietet,  durfte  immerhin  er- 
wartet werden,  es  sei  mir  gestattet,  hier  einige  fragen  zur 
spräche  zu  bringen ,  die  Ö.  nicht  aufgeworfen  oder  doch  nicht 
befriedigend  beantwortet  hat. 

Grundsätzlich  wird  Ö.  wol  mit  mir  einig  sein,  dass  wir  zu- 
nächst versuchen  müssen,  die  confusen  geographischen,  histori- 
schen, sagengeschichtlichen  curiositäten,  die  uns  Tannhäuser  so 
massenhaft  auftischt,  zu  verstehn,  dass  wir  möglichst  zögern 
müssen  mit  der  annähme,  der  schalk  habe  sich  allerlei  Schein- 
gelehrsamkeit einfach  aus  den  fingern  gesogen  oder:  'der  ganze 
abschnitt  soll  jedenfalls  gar  keinen  rechten  sinn  haben',  gewis, 
Tanuhäuser  wirft  absichtlich  zu  komischer  würkung  nicht  zu- 
sammengehöriges durcheinander:  das  einzelne  muste  dann  aber 
gerade  der  contrastwürkung  wegen  verständlich  bleiben,  dem- 
gemäl's  ein  paar  vorschlage,  zu  denen  auch  Roethe  beigesteuert 
hat:  sollte  Latricia  (iv  3),  die  sich  heimlich  sehn  liefs,  nicht 
Lucretia  meinen,  die  Tarquinius  unter  vier  äugen  überwältigte? 
c  und  t  werden  bekanntlich  sehr  leicht  verwechselt.  —  mit  der 
Amarodia  (iv  4),  die  dafür  büfsen  muste,  dass  infolge  des 
anstiftens  der  Eris  Helena  geraubt  wurde,  könnte  etwa  An- 
dromacha  gemeint  sein.  —  die  Lünete  diu  was  von  höher  art 
(iv  5)  kann  kaum  die  dienerin  ans  dem  Iwein  sein:  eher  wol 
die  Lünete  der  mantel-  oder  hornprobe ,  die  Tanuhäuser  ja 
kennt:  vgl.  Warnatsch  Der  mantel  s.  77  f,  eine  stelle,  die  Ö. 
wider  entgangen  zu  sein  scheint.  —  sicher  ist  Cüraz  (iv  9)  kein 
phantasiegebilde  des  dichteis.  bei  Boppe  (MSH  n  3S2b)  wird  ein 
doch  wol  mit  ihm  identischer  Güras  als  trüt  den  vrouwen  allen 
erwähnt,  der  an  sich  naheliegende  gedanke,  dass  der  schüler 
hier  den  meister  bestohlen,  ist  schon  deshalb  zurückzuweisen, 
weil  einerseits  die  Tanuhäuserschen  worte  ze  Cüraze  si  (Sarmena) 
da  mit  zorne  sprach  keinerlei  anlass  zu  der  von  Boppe  gegebenen 
characteristik  des  ritters  boten,  dann  weil  dieser  bei  Boppe  in- 
mitten von  fast  allbekannten  persönlichkeiten  auftritt,  zum  über- 
fluss  aber  kommt  derselbe  Cürdz  auch  noch  im  Weinschw.  344 
vor  in  einem  zusammenhange,  der  in  ihm  einen  mittelalterlichen 
Leander  ahnen  lässt:  vgl.  Edw. Schröder  in  diesem  Anz.  13,119. — 
es  folgen  11,3  die  unaufgeklärten  worte:  Tyspe  was  Elyon  be- 
kam, nur  ein  kleiner  schnitt,  und  der  vers  macht  ein  anderes 
gesicht:  Tyspe  was  ein  Hon  bekant.  —  ohne  weiteres  ferner- 
hin erledigt    sich    v   K  3:    ze  Jerusalem    zem    Gornetal   bin    ich 


210  OEHLKE      TANKHÄUSERS    LEBEN    UND    DICHTEN 

komen.  die  stillschweigende  Voraussetzung,  dass  Cometal  in  oder 
bei  der  sta dt  Jerusalem  zu  suchen  sei,  hat  Ö.  s.  67  zu  der  un- 
annehmbaren identificierung  mit  Golgatha  verleitet,  schon  der 
bestimmte  artikel  in  zem  zeigt,  dass  es  sich  um  eine  Zusammen- 
setzung mit  -tal  handelt,  gemeint  ist  offenbar  das  vom  Jordau 
und  Oroutes  durchströmte  Ghörtal  (vgl.  zb.  Daniels  Lehrb.  der 
geogr.  s.  74)  in  dem  den  grösten  teil  desselben  umschliefsenden, 
von  Friedrich  ii  neubegründeten  königreich  Jerusalem.  —  mit 
Tanagran  (v  7)  ist  vielleicht  einfach  'Donaugran',  Gran  an  der 
Donau  gemeint.  —  unter  den  winden  xm  vermisst  Ö.  den  West- 
nordwest, und  jedesfalls  scheint  einer  zu  fehlen,  da  Tannhäuser 
selbst  von  12  winden  spricht,  steckt  vielleicht  in  dem  merk- 
würdigen der  kriec  misverstanden  der  Circius  (wnw),  der  zb.  in 
der  Zs.  f.  d.  phil.  9,  137  mitgeteilten  Windrose  verzeichnet  ist? 

Auch  die  beziehungen  Tannhäusers  zu  den  anderen  minne- 
singern  erledigt  Ö.  nicht,  zwar  die  entlehnung  von:  er  hat  unt 
mac  unt  getar  getuon  (i  9)  aus  Walther:  er  mac,  er  hat,  er  tuot 
(35,  3)  ist  ihm  (s.  64)  nicht  entgangen,  aber  er  bemerkt  nicht, 
dass  Tannhäuser  hier  das  lob  des  vaters  auf  den  söhn  überträgt, 
dies  verfahren  wird  noch  dadurch  interessanter,  dass  er.  wie 
Lachmann  zu  W.  12, 3  notiert,  bei  Heinrich  von  Meifsen ,  dem 
söhne  des  von  Walther  12,  3  und  106,  7  gelobten  Dietrichs  von 
Meifsen,  vi  27.28  eine  gleiche  manipulation  vornimmt.  —  das 
parodistische  element  tritt  beim  Tannhäuser  am  klarsten  hervor 
in  den  liedern  vm  —  x.  parodiert  er  die  höfische  dichtung  nur 
im  allgemeinen  oder  schlägt  er  gelegentlich  auch  auf  einzelne 
dichter  mit  deren  eigenen  waffen  los?  Ö.  glaubt  eine  derartige 
stelle  gefunden  zu  haben,  aber  hier  ist  sein  versuch  zurück- 
zuweisen und  um  so  mehr,  als  er  einen  chronologischen  an- 
satz  darauf  baut,  er  belegt  die  in  dem  refrain  von  x  vorkom- 
menden worte:  swaz  si  (d.  geliebte)  mir  tuot,  daz  sol  mich  allez 
dünken  guot  durch  verschiedene,  sämmtlich  aber  mehr  oder 
weniger  von  der  obigen  stelle  abweichende  parallelen,  auf  grund 
zweier  derselben,  welche  er  in  Ulrichs  trauen  dienst  auf- 
getrieben hat,  hält  er  es  s.  27  für  sehr  leicht  möglich,  dass 
dieses  lied  und  somit  auch  die  beiden  anderen,  inhaltlich  sich 
mit  ihm  deckenden,  im  anschluss  an  das  Ulrichsche  buch,  also 
nach  1255,  gedichtet  sind  (vgl.  auch  s.  41).  parodiert  Tannhäuser 
einen  bestimmten  dichter,  so  kehrt  er  die  spitze  vielmehr  gegen 
Reinmar  (MSF  184,8):  ez  sol  mich  allez  dünken  guot,  swaz  si 
mir  tuotK    auf  jeden  fall  entbehrt  Ö.s  beweis  hiernach  jeglichen 

1  die  übrigen  stellen,  an  denen  Tannhäuser  an  Reinmar  anklingt,  be- 
weisen mit  einer  ausnähme  an  und  für  sich  noch  keine  nachahmung,  sind  aber 
dadurch  bemerkenswert, dass  die  Reinmaischen  fast  alle  prade  dem  obigen  liede 
angehören :  ich  sach  vilwunnectichen  stän  die  heide :  diu  heide  stätgar  wun- 
neclich  (iil,5);  zergangen  ist  de)'  winter  lanc:  der  winter  ist  zergangen 
(in  1,  1);  dö  liez  ich  vil  der  swiere  min:  liez  ich  vit  der  stvmre  (xv  1,14); 
vgl.  noch  unten  s.  211. 


OEULKE     TANNHÄUSERS    LEBEN    UND    DICHTEN  211 

Untergrundes.  —  noch  an  einer  andern  stelle  konnte  directe  Ver- 
spottung vorliegen.  Walther  v.  Metze  (MSH  i  309b)  äufsert  selbst- 
bewust,  er  könne  wol  einen  den  sommer  hindurch  ihn  erfreuenden 
vamden  Ion  erringen,  aber  dennoch  will  er  in  hoflnung  hei  dem 
bisherigen  liebesverhältnis  ausharren :  in  ger  eins  vamden  Jones 
niht ,  mich  vröut  noch  baz  ein  lieber  wdn.  wenn  Taunbäuser, 
der  auf  seite  des  vamden  lönes  steht,  den  minnedienst  auf  lieben 
wdn  hin  persifliert  und  hierbei  (ix  2,  1)  die  worte  fallen  lässt: 
mich  vröut  noch  baz  ein  lieber  wdn,  so  ist  dies  ebenfalls  wol 
mehr  als  blofser  zufall1. 

Als  spruchdichter  tritt  Tannhäuser  aufser  in  dem  rätsel- 
spruche  (xvi)  in  xn  auf.  in  str.  1  befindet  sich  eine  bisher  über- 
sehene, auffallende  Übereinstimmung  mit  dem  Spervogelschen 
Spruche:  so  tce  dir  armüele  (MSF  22,  9);  die  worte:  swenn  er  des 
guotes  niht  enhdt;  si  kerent  ime  den  rugge  zuo  und  grüezent  in 
vil  trdge;  so  hat  er  holde  mdge  kehren  fast  wörtlich  beim  Tann- 
häuser wider  und  füllen  dort  ungefähr  v.  2—4  der  ersten  Strophe. 
nur  die  erste  hälfte  von  v.  2  'ich  wcer  den  Unten  sanfte  bV, 
die  zweite  von  v.  3  'die  mich  da  gerne  sahen'  steht  nicht  schon 
bei  Spervogel:  beide  finden  sich  zusammen  bei  Reinmar  d.  a. 
(MSF  164,35):  die  mich  gerne  sahen  eteswenne,  die  mir  dö  sanfte 
waren  bi.  ich  zweifle  also  nicht,  dass  auch  diese  an  sich  be- 
langlosen Zwischensätze  auf  remiuiscenz  beruhen,  und  dieser  ecla- 
tante  fall  eines  ungewöhnlich  deutlichen  doppelplagiats  ergibt jedes- 
falls  die  methodische  forderung,  auf  die  auch  anderes  hinführt,  hei 
jedem  scheinbar  originellen  Tannhäuserschen  gedanken  oder  worte 
immer  die  frage  im  äuge  zu  behalten,  ob  da  ein  selbständiger  geist 
redet  oder  nur  die  reiche,  uns  noch  vielfach  nicht  einholbare  belesen- 
heit des  gewanten,  gedächtnisbegabten  vaganten  sich  offenbare.  — 
sodann  gehe  ich  auf  eine  von  Roethe  gelegentlich  aufgeworfene  frage 
ein:  ist  xiv,  wie  bisher,  als  lied  oder  als  spruchgedicht  zu  be- 
trachten? zunächst  ist  klar,  dass  der  inhalt  der  6  Strophen  eher 
für  spriiche  spricht  auch  das  metrum  ist  von  dem  der  unter 
xn  stehenden  sprüche  nur  insofern  verschieden ,  als  die  beiden 
letzten,  dort  selbständig  reimenden  Zeilen  hier  zu  einer,  im  reim  den 
vorhergehenden  angeglichenen  zeile  zusammengeschrumpft  sind, 
die  chronologische  betrachlung  hilft  nicht  weiter,  denn  die  beobach- 
tung,  dass  die  Strophen,  wenigstens  die  hälfte  derselben,  ungefähr 
gleichzeitig  abgefasst  sein  müssen  (1  hinweis  auf  die  agitatiou 
für  Raspe,  4.5  auf  den  tod  Friedrichs),  verträgt  sich  mit  beiden 
annahmen,  lauter  a  einzelstrophen  sind  es  jedesfalls  nicht,  die 
auf  den  hell  uz  Osterrkhe  (in  4)  zurückweisenden  pronomina  im 
und  Mi  (in  5)   schliefsen  wenigstens   str.  4  und  .">    im  Irislich  zu- 

1  wenn  Heinrich  vStretelingen  (.MSH  i  11 11')  in  den  Worten:  mich  twinget 
daz  mich  <'■  tl<i  imune  mit  Tannhiiuser  IV  31,  6  zusammenklingt,  BO  Wirf 
jenem  wenig  originellen  dichter  die  reminiscenz  an  Tannhäusei  im  köpfe 
gelegen  haben. 


212  OEHLKE     TANISHÄUSERS    LEBEN    UND    DICHTEN 

sammen.  der  letzte  vers  von  str.  1  und  2  ist  gegenüber  den 
entsprechenden  versen  der  andern  Strophen  je  um  einen  fufs 
zu  kurz;  beide  Strophen  fallen  also,  ähnlich  wie  —  nur  noch 
auffallender  —  der  spruch  xii  3,  aus  dem  metrum  der  übrigen 
Strophen  heraus,  da  die  genannten  Strophen  auch  das  gleiche 
thema  behandeln,  das  Verhältnis  des  dichters  zum  hofe,  so  trage 
ich  kein  bedenken,  sie  als  zweistrophigen  spruch  aus  den  übrigen 
auszusondern,  die  nunmehr  übrig  bleibenden  str.  3  und  6  sind 
zwar  nach  Stimmung  und  inhalt  nahe  verwant,  aber  ihre  Stel- 
lung lässt  ein  zusammenrücken  unrätlich  erscheinen:  es  sind 
einzelsprüche,  demselben  gegenstände  gewidmet,  wie  der  einzel- 
spruch  xii  3. 

Zum  schluss  noch  einige  Verbesserungsvorschläge,  der  text 
Tannhäusers  ist  in  erster  linie,  wie  ein  blick  aufvdHagens  und 
Bartschs  besserungen  zeigt,  durch  auslassungen  einzelner,  meist 
mit  ziemlicher  Sicherheit  zu  ergänzender  worte  entstellt,  noch 
an  folgenden  stellen  sind  einschiebungen  vorzunehmen:  i  10,  6 
dar  zuo  vor  guoten;  n  20,3  und  der  kle  (C  unde  kle);  iv  1,2 
noch  vor  schcener ;  8, 1  an  vor  allen  (i  3,  4  an  allen  dingen  wis) ; 
v  15,  3  von  vor  Tennemark  (4  des  von  Osterriche) ;  ix  1,  7  von 
(oder  dur?)  vor  Provenz;  xii  4,  6  der  vor  Sahsen  (8  dur  der  Unger 
lant);  tieferliegend,  aber  auf  gleiche  Ursache  zurückzuführen  ist 
die  Verderbnis  am  schluss  des  6  leiches.  ein  den  namen  des 
verherrlichten  forsten  enthaltendes  reimpaar  muss  ausgefallen  sein, 
entweder  nach  36,8  oder  besser,  weil  hierdurch  der  unbefriedigende 
parallelismus  von  sin  (9)  und  des  (11),  der  freilich  auch  33,3.4 
begegnet,  seine  erklärung  findet,  nach  v.  10.  Ö.s  ansieht,  dass 
der  gepriesene  der  damals  höchstens  14jährige  Konradin  sei 
(s.  12.  13),  bleibe  dahin  gestellt;  für  verfehlt  halte  ich  jedesfalls 
sein  verfahren,  die  letzten  4  verse  zu  streichen  und  den  schluss 
als  verstümmelt  anzusehn  (s.  13.  70).  die  fraglichen  verse  geben 
mit  ihrem  verallgemeinernden  gedanken  einen  möglichen  abschluss, 
und  die  reimlosigkeit  ist  ihr  einziger  fehler,  gegen  vdHagens 
gelegentlichen  Vorschlag,  die  reimbindung  durch  daz :  baz,  sitilit 
herzustellen,  spricht  nun  aber  nicht  nur  die  unsymmetrische 
terrassenförmigkeit  der  dann  entstehenden  verse,  sondern  auch 
der  umstand,  dass  in  diesem  falle  zwischen  1 1  und  dem  folgenden 
eine  wenig  wahrscheinliche  lücke  angenommen  werden  muss.  die 
einsprengung  der  reime  scheint  sich  am  leichtesten  auf  folgende 
weise  bewerkstelligen  zu  lassen: 

11.    des  munt  ist  kiusche  und  süeziu  wort, 
daz  vileget  nieman  hie  und  dort 
baz  danne  reinen  wiben,  sit  ir  güete  hilfe  git 
mangein  senden  man,   der   in  ir  minne  banden  IHK  — 
i  21,6  muss  vor  fallen  (xv  2  ich  hdn  dien  jungen   vil  ddher  ge- 
sungen). —  durch  Umstellung  löst  sich  xiv  6,  7  mir  ist  gebachen 

1    12  hie  und  dort  ergänzt.  13  hilfet  in  C. 


OEHLKE     TANWHÄÜSERS    LEBE.\    DHD    DICHTEN  213 

noch  gemaln  (C  gemaln  noch  gebachen).  —  ohne  eigentliche  iinderung 
des  überlieferten  sind  heilbar  i\  29,  4  und  xm  4,  7  ;  die  str.  iv29 
ist,  was  die  sicher  dactylische  und  gleich  der  unsrigen  an- 
hebende folgende  Strophe  wahrscheinlich  macht,  dactylisch  zu 
lesen,  woraus  sich  für  v.  5  die  änderung  machentz  für  machent 
ez  ergibt  (xiv  1,  3  teilentz);  an  der  anderen  stelle  ist  mir  die 
von  vdHagen  und  Bartsch  befolgte  interpunction  unverständlich: 

die  welle  und  ouch  die   ünde  gent   mir  grdz  ungemüete, 

daz  si  vür  mine  sünde  der  reine  got  min  hüete:  nach  sünde  ist 
zu  interpungieren  und  si  als  verbum  substautivum  zu  verstehn.  — 
i  9,  2  'das  lob  Friedrichs  wird  weit  und  breit  verkündigt,  sodass 
niemand  —  davon  abraten  kann"?  vielmehr:  'Widerspruch  dagegen 
erheben  kann',  also  widerredent.  grund  der  corruptel:  der 
anfang  des  vorigen  verses  sinem  rate.  —  in  21,  9  der  ist  enzwei 
halte  ich  für  verdorben,  teils  wegen  des  gleichlautenden  schluss- 
verses,  teils  weil  das  prädicat  den  worten  der  minne  grünt  nicht 
zukommt,  der  kurze  vers  sollte  offenbar  die  lange  reihe  der 
auf  —  mit  endigenden  vierhebigen  verse  durch  einen  gleichen 
reim  markant  abschliefsen.  ich  vermute:  der  ist  enzunt.  — 
v  14,  4  1.  noch  der  nigromanzie  (C  von  d.  «.). 

Goslar.  E.  Kick. 

Hans  Hesellohers  lieder.  von  dr  August  Hartmann,  custos  an  der  k.  hof- 
und  Staatsbibliothek  in  München.  Erlangen,  Fr.  Junge,  1890.  70  ss. 
gr.  8°.  (separatabdruck  aus  der  festschrift  für  Konrad  Hofmann,  Ro- 
manische forschungen,  bd.  v  lieft  2).  —  1,80  m. 

Von  den  vier  unter  des  Hesellohers  namen  überlieferten 
liedern  war  bis  vor  kurzem  nur  eines,  das  umfangreichste  und 
interessanteste,  gedruckt,  gleichzeitig  aber  mit  obiger  schrill, 
in  welcher  die  drei  übrigen  gedichte  aus  einer  Münchner  hs., 
die  schon  Schmeller  für  sein  Bayrisches  Wörterbuch  und  Unland 
für  die  anmerkungen  zu  den  Volksliedern  benutzt  hatte,  veröffent- 
licht wurden ,  gab  dieselben  JBolte  in  seiner  hübschen  Sammlung 
'Der  bauer  im  deutscheu  liede'  (Acta  germanica  i  3)  aus  der 
gleichen  quelle  heraus,  in  der  Sammlung  der  sogenannten  Pichard- 
sehen  hs.  (gedr.  Frankfürtisches  archiv  für  ältere  d.  lil.  und 
gesch.  in  1815,  s.  203  —  323)  entdeckte  Hartmann  (vgl.  s.  46  ff) 
ferner  ein  lied,  welches  gleiches  versmafs  und  gleichen  inhalt, 
ähnliche  behandlung  und  spräche  zeigte,  wie  das  erste  Hesel- 
lohersche  lied  seiner  ausgäbe,  und  brachte  den  verderbten  text 
desselben  aus  dem  Frankfurt,  arch.  aao.  283  IV  ziemlich  unver- 
ändert zum  abdruck.  wir  haben  es  hier  entweder  mit  einem 
fünften  auf  uns  gekommenen  liede  desselben  dichlers  zu  tun,  wie 
II.  zu  glauben  geneigt  ist,  oder  mit  einer  directen  nachahmung 
des  Heselloherliedes  i,  was  ich  für  wahrscheinlicher  halte,  end- 
lich weist  H.  in  der  liedersammlung,  die  unter  dem  namen  '.Neid- 
hart fuchs'   noch  im  15jh.  im  druck  erschien,  eine  Überarbeitung 


214  HARTMANN     HESELLOHERS    LIEDER 

des  liedes  11  seiner  ausgäbe  nach  (vgl.  s.  41  —  45).  er  vergleicht 
diese  aufnähme  Heselloherscher  dichtungen  in  die  beiden  alten 
liederbücher  ganz  richtig  mit  der  ebenso  rasch  erfolgten  ein- 
reihuug  Wolkensteinscher  poesien  in  dieselben  Sammlungen,  worauf 
H.  s.  45  und  47  anm.,  soviel  ich  weifs,  als  der  erste  aufmerksam 
macht,  bei  gleicher  gelegenheit  gibt  der  verf.  noch  andere  interes- 
sante nachweise  über  den  bestand  des  Neidhartdruckes,  die  alle 
Bobertags  einleitimg  zu  seiner  ausgäbe  dankenswert  ergänzen. 

Wir  sehen  die  tradition  der  winter-  und  dörperlieder  Neid- 
harts  in  Bayern  reichlich  zwei  Jahrhunderte  nach  dem  tode  ihres 
classikers  noch  ganz  frisch  in  der  erinnerung  (vgl.  s.  66  und  Anz. 
17,  4),  und  die  lieder  Hesellohers  (auch  er,  wie  der  Beueutaler, 
ein  edelmann,  der  auf  dem  lande  unter  den  bauern  lebte)  unter- 
scheiden sich  nicht  viel  mehr  von  den  echten  erzeugnissen  der 
Neidhartschen  poesie  als  etwa ,  wenn  wir  von  den  Veränderungen 
in  spräche  und  metrum  absehn,  die  Neidharte,  die  unter  Gölis 
namen  liefen  (s.  Haupt,  Neidhart  xxi  7  ff),  nicht  nur  motive  und 
form,  sondern  auch  die  allerkleinsten  züge,  den  ganzen  vorrat 
an  worten  und  Wendungen,  wie  Heselloher  sie  zeigt,  könnten 
wir  in  den  echten  und  falschen  Neidhartliedern  und  in  den  älteren 
oder  jüngeren  reimpaarsatiren  auf  bauernhochmut  nachweisen, 
es  mögen  sich  wol  viele  der  verspotteten  sitten  aus  der  zeit  der 
Neidharte  und  Tannhäuser  erhalten  haben  bis  in  die  zeit,  als 
man  um  Pähl  und  Weilheim  die  Heselloher,  bald  wol  auch  wider 
unechte  neben  den  echten,  tanzte;  manches  mag  aber  in  den 
späteren  gedichten  dieser  art  starrgewordene  Überlieferung  sein, 
was  und  wie  viel?  es  wäre  eine  interessante  aufgäbe  dies  zu  er- 
gründen und  festzustellen,  wie  der  vorrat  an  namen,  worten, 
phrasen,  formein  und  einzelzügen  vom  13  bis  ans  ende  des  15  jhs. 
der  gleiche  bleibt,  anderseits  vermehrt  und  vermindert  wird! 

Dem  günstigen  urteil  H.s  über  des  Hesellohers  kunst  (s.  54) 
schliefse  ich  mich  an.  die  popularität  von  wort  und  weise 
(vgl.  s.  65)  des  gedichts  'von  yppiklichen  dingen'  war  wolverdient. 
wie  hübsch  ist  das  überkommene  motiv  von  des  dichters  Schaden- 
freude über  das  unheil,  das  aus  den  bäuerlichen  raufhäudeln  ent- 
sprang: 'so  viele  wurden  verwundet  und  so  viele  blieben  tot,  ich 
freute  mich,  wären  es  mehr'  am  Schlüsse  des  liedes  iv  gewendet  I 
der  amtmann  beeilt  sich  nicht  sehr  den  streit  zu  schlichten,  je 
gröfser  die  wunden,  desto  höher  die  geldbufse.  das  mag  den 
verwundeten  wenig  gefallen,  aber  'die  herschaft'  verdirbt  dabei 
nicht,  davon  blüht  des  amtmanns  und  des  baders  weizen.  wir 
hören  den  landrichter  von  Pähl,  der  dieses  dichtet. 

Die  H.sche  publication  bringt  zunächst  s.  1  — 11  die  texte 
der  vier  überlieferten  lieder  Hesellohers. 

Für  den  text  von  i — m  lag  dem  verf.  nur  eine  hs.  vor,  uz. 
Cgm.  379,  aus  welchem  auch  Bolte  aao.  die  drei  lieder  heraus- 
gab,    vergleicht   man    H.s   und  Boltes  texte,   so  fallen   zunächst 


HARTMANN      HESELLOHERS    LIEDER  215 

eine  anzahl  discrepanzen  in  der  lesung  der  hs.  auf:  i  S  pringend 
H.]  pringen  den  B;  60  myt  undeutlich]  mut;  67  zäch]  jach; 
87  sprechen]  sprenzen;  92  anderen]  andern;  96  sein]  ain  fein; 
102  den]  der;  103  körn]  kam;  111  rechte]  rechtr;  u  29  zwüe] 
zwür?  30  mir  fehlt  ß.  in -4  sein  (2)  fehlt  B;  15  fiefs]  siess; 
36  tragts]  tregts  (s.  v.  32)*.  wer  hier  immer  die  richtige  lesart 
gibt,  kann  ich  nicht  entscheiden;  nach  i  102.  m  15.  36  zu 
schliefsen  scheinen  H.s  lesungen  mehr  gewähr  zu  besitzen;  nur 
i  87  mag  Bolte  genauer  gelesen  haben,  zwar  bietet  Schmellers 
auf  uns  gekommene  abschrift  dieser  lieder  i  8.  57  und  96.  n  29. 
in  15  gleiches  oder  ähnliches  wie  Bolte;  gerade  weil  sich  aber 
H.  (s.  68  anm.)  hier  des  gegensatzes  zu  Schmeller  bewust  ist, 
flöfsen  seine  lesungen  mehr  vertrauen  ein.  —  häufig  bleibt  B. 
bei  der  hs.,  wo  H.  die  (jedesfalls  nötige)  besserung  versucht; 
freilich  wollte  ich  nicht  sagen,  dass  diese  besserungen  stets  wahr- 
scheinlich seien,  den  geringsten  glauben  wird  wol  der  Vorschlag 
zu  ii  30  finden ,  jedoch  kann  ich  der  Verderbnis  auch  nicht  auf- 
helfen; lag  vielleicht  eine  obscönität  in  den  zwei  letzten  zeilen?  — 
ein  lesefehler  zwang  B.  i  102  (und  87?)  zu  falscher  auffassung 
und  interpunction,  sonst  interpungiert  er  hier  und  da  richtiger 
als  H.,  so  i  22  ff  (rot:  'se  —  schleck!');  i  64 ff  (henden  :  list);  m  2  ff 
(watten  :  geraten,  tut),  auch  H.s  auffassung  und  interpunction  von 
ii  26  f  ist  sicher  falsch  und  mit  B.  mein,  dichten;  zu  schreiben: 
auf  recht  z.  27  liegt  der  nachdruck,  im  gegensatz  zu  hinder  sich 
ze  messen  25.  —  ich  mochte  noch  vorschlagen:  Joppen  für  kappen 
i  37.  a  und  o  reimt  auch  sonst,  von  der  kappe  war  schon  v.  31 
die  rede;  vgl.  ferner  Neidh.  41,5  und  Unlands  Volksl.246,6.  tunt 
i42.  wider  für  vntter  78,  vgl.  Wittenw.  Bing  1 1\  16.  40c,  8.  i  105 
ist  hinter  selbs  wol  nit  einzuschalten:  es  ist  nicht  schön,  dass 
du  (nur  andere,  und)  nicht  dich  selbst  (spottend)  besingst,  der 
dichter  antwortet:  das  ist  bald  getan,  nur  geduld:  ich  pin  ain 
nur  und  pin  ain  läpp  usw.  eine  beziehung  zu  dem  verlorenen  von 
Wig.  Huudt  citierten  liede  'von  jhme  selbs':  Hdnsl  Heseloher,  wie 
lang  will  leppisch  sein  (s.  auch  Bolte,  aao.  222  anm.)  liegt  hier 
jedesfalls  vor;  vielleicht  gab  dieses  lied  Ellen  antwort  auf  unser 
gedieht.  —  für  m  kommt  noch  die  Überarbeitung  in  dem  alten 
drucke  von  Neidhart  Fuchs  in  betracht.  leider  hat  H.  diese 
quelle  zur  textherstellung  nicht  herangezogen,  er  hätte  doch 
nicht,  wie  Bolte,  m  16  ein  wunden  als  eilen  in  ein  wunden  als 
ein  eilen  bessern  sollen,  wenn  der  alte  druck  einer  wunden  lang 
als  eilen  gibt,  ferner  macht  mir  die  lesart  des  Cgm.  379:  v.  i;> 
tzwing  für  tzwingt  bei  H.  und  B.  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  der 
druck  mit  seinem:  es  wil  der  selbig  Öselszwing  (:  sing :  kling)  das 

[*  eine  gelegentlich  von  mir  vorgenommene  collation  des  1  liedes,  die 
allerdings  von  Boltes  text  Busgieng  nnd  an  vollständig  >ein  mag,  bestätigt 
Hartmanns  lesungen  v.  8. 102. 103;  v.  87  ist  die  hs.  Behr  undeutlich;  v.32 
ein  aus  sein  corr.;  v.  99  flickst;  v.  119  jm.      I!.] 


216  HARTMAN!«     HESELLOHERS   LIEDER 

richtige  bewahrt  habe,  endlich  mag  v.  66  des  Neidhartdrucks  die 
richtige  ergänzung  des  in  Cgm.379  ausgefallenen  verses  48  bieten, 
der  sinn  des  letzten  verses  von  in  braucht  uns  wol  nicht  erst 
'erschlossen'  zu  werden  (vgl.  s.  16):  der  bauer  tanzt  (in  der  wirts- 
stube)  so  gemefs,  als  hätte  er  (oder  man?)  drinnen  (nach  dem 
tacte)  gedroschen. 

Für  lied  iv  ist  die  Überlieferung  ganz  anders  geartet  als  für 
i — in.  es  ist  vor  IL  schon  fünfmal  neu  gedruckt  worden,  uz.  in 
Unlands  Volksliedern  (als  nr  249)  nach  Hundts  aufzeichnung  (H); 
im  neudrucke  des  Ambraser  (resp.  Frankfurter)  liederbucbes  vom 
jähre  1582,  ed.  Bergmann,  Lit.  ver.  1845  (F);  im  4  bände  von 
Arnims  Wunderhorn  (ed.  Erk,  1854,  s.  3 12  ff)  nach  einem  fliegen- 
den blatte,  Nürnberg,  Jobst  Gutknecht,  c.  1515 — 1536  (G),  end- 
lich in  Böhmes  Altdeutschem  liederbuche  (als  nr  451)  und  in 
Liliencrons  'Deutschem  leben  im  Volkslied  um  1530'  nr  107  nach 
PSchöffer  und  MApiarius  '65  teutschen  liederu',  Strafsburg  1536 
(S).  dazu  kam  für  H.  der  text  der  Wiener  hs.  3027  (W).  alle 
genannten  editionen  sind  unkritische  abdrücke  aus  guter  oder 
schlechter  quelle,  der  neudruck  des  in  anderen,  viel  benutzten 
Sammlungen  stehndeu  liedes  hätte  durch  eine  kritische  behand- 
lung  des  textes  seine  berechtigung  dartun  können,  das  material 
lag  bereit,  die  aufgäbe  war  nicht  schwer;  doch  hat  der  verf.  sie 
nicht  zu  lösen  versucht,  er  gibt  den  text  nach  der  recension 
in  Wig.  Hundts  Stammenbuch,  teil  in  (Cgm.  2298  vom  jähre  1588), 
welche  schon  in  der  allgemein  zugänglichen  Volksliedersammlung 
Unlands  zu  gründe  gelegt  war.  hier  und  da  verbessert  er  diese 
Überlieferung  in  eclectischer  weise  durch  die  Wiener  hs.  3027. 
der  teil  dieser  hs.,  welcher  unser  gedieht  enthält,  stammt  aus 
dem  16'jh.1,  ist  jedoch  sicherlich  älter  als  der  Cgm.  2298  (vgl.  s.  17); 
'gleichwol,  sagt  H.,  scheint  Cgm.  2298  die  ältere  vorläge  gehabt 
zu  haben ,  weil  der  sprachliche  ausdruck  und  das  versmafs  in 
der  Münchner  hs.  besser  erhalten  sind',  dies  ist  richtig,  wenn 
auch  H.s  gründe  nicht  zwingend  sind,  jedoch  wäre  der  text 
bei  methodischerer  benutzung  von  W  und  vor  allem  durch  Zu- 
hilfenahme der  alten  drucke  GSF  vielfach  zu  berichtigen  gewesen, 
des  verf.s  geringe  beachtung  der  Wiener  hs.  wird  dadurch  einiger- 
mafsen  entschuldigt,  dass  die  abschrift,  welche  AvWeilen  für  ihn 
anfertigte,  ungenau  und  fehlerhaft  war.  ich  gebe  im  folgenden 
eine  collation  der  hs.  mit  dem  in  den  anmerkungen  wider  brauch 
und  not  vollständig  gebrachten  abdruck  von  Weileus  abschrift2: 
8  mayde]  maydt  hs.;  17  stich]  stieß;  21  gemaincklich  hs.;  31  erhett] 
hett  er;   36  schnopßczer ;    49  stee;    53  varen]  verren;    56  eh]  es; 

1  dies  wird  auch  dadurch  bewiesen,  dass  die  hs.  auf  bl.  118b — 121b 
(also  vor  dem  lied  Hescllohers)  das  schlarafFengedicht:  uns  ist  in  khwtz 
vergangen  jaren  das  narrenschiff  vom  landt  gefaren  bringt,  das  Zarncke, 
Brants  Narrenschiff,  s.  cxxiif  nach  unserer  hs.  zum  abdruck  brachte. 

2  dabei  wurden  einige  ganz  uninteressante  abweichungen  orthographi- 
scher natur  übergangen. 


HARTMANN     BESELLOHERS    LIEDER  217 

vngelek]  vngekk;  61  chumbt;  69  fram]  kam;  72  hör.  vor  90  schalte 
mau  in  H.s  anmerkungen  der  Vollständigkeit  halber  ein:  88,89  W 
=  H;  9\)her;  91  ains;  92  scharmuczeln ;  107  hau]  heut;  109  thett] 
chött;  112 vor  hott  ist  vnd  getilgt;  1 13  ^am  ganz  deutlich;  114  mich 
.  .  .  und]  m.  deich  v.;  115  der]  ja  der;  116  fuert]  trueg;  133  wirft 
verlieret]  tvortt  uercheret;  13S  das]  des;  140  solicher;  144  Am 
solichen]  Ain  solich;  149  der]  der  der;  150  dy  sach]  dy  sach  dy; 
151  den]  dem;  160  augentl]  aigentl.;  163  pald.  das  hs.-ver- 
hältuis  liegt  nun  so:  die  drucke  GFS  bilden  zusammen  eine 
gruppe,  ihr  text  ist  stark  überarbeitet,  die  zahl  der  gemein- 
samen fehler  ist  legion.  GF  siud  eng  verwant  und  bieten  an  sehr 
zahlreichen  stellen  (bes.  zu  anlang  des  gedichts)  Überarbeitung, 
wo  S  das  ursprüngliche  erhalten  hat  und  zu  H  oder  W  stimmt, 
jedoch  geht  der  text  von  GF  nicht  auf  die  directe  vorläge 
von  S  zurück,  denn  es  finden  sich  auch  einige  fälle,  in  denen 
GF  mit  H  oder  W  gegen  S  das  richtige  bewahrten ,  zb.  6  auff 
ainem  ebenpfat  HW,  bey  aines  dorffes  pfad  FG,  an  einem  abend 
spat  S;  S  in  ainem  FGHVV,  mit  irem  S;  17  in  FGH,  an  S; 
42  du  frierst  ain  freies  scheffel  HW,  und  sprach  du  tregst  ein 
scheffel  FG,  und  truog  ein  freies  scheffel,  sprach  S;  43  aynen 
fehlt  S  gegen  FGHW;  51  t'cA  sehlach  FGHW,  ich  hau  S;  90  hör 
auf  FGHW,  ge  hin  S  uam.  GFS  zeigt  an  keiner  stelle  gegen 
die  Übereinstimmung  von  H  und  W  die  richtige  Überlieferung. 
da  ferner  überall,  wo  eine  der  beiden  hss.  mit  den  drucken  gegen 
die  andere  hs.  zusammensteht,  die  betreffende  lesart  ebenso  gut 
sein  kann  oder  besser  ist,  als  die  der  einzeln  stehnden  hs.,  so 
ist  die  methode  der  textherstellung  sehr  einfach:  steht  HW  gegen 
S(GF),  so  bietet  HW  die  gute  lesart,  stimmen  bei  Verschiedenheit 
von  H  und  W  die  drucke  näher  zu  H,  so  ist  die  lesart  von  H, 
stimmen  sie  näher  zu  W,  so  ist  die  vod  W  in  den  text  zu  setzen. 
es  bleiben  noch  die  ziemlich  zahlreichen  fälle,  wo  II  und  W  nicht 
übereinstimmen,  die  lesart  von  GFS  aber  vollständige  Überarbeitung 
bietet,  hier  mag  man,  wo  nicht  andere  erwägungen  entscheiden, 
im  allgemeinen  II  vorziehen,  schon  deshalb,  weil  dort,  wo  die 
drucke  nicht  versagen,  W  häutiger  gegen  HS(GF)  allein  steht  als 
H;  dazu  kommt,  dass  W,  aber  nicht  H,  so  grofse  fehler  auf- 
weist, wie  Strophen-  und  Zeilenversetzungen,  ich  schliefse  noch 
eine  diese  frage  betreffende  bemerkung  an.  man  kann  beobachten, 
dass  die  gute  der  Überlieferung  in  H  und  in  W  in  verschiedenen 
Strophen  verschieden  ist.  so  ist  str.  vi  (v.  60  IV)  und  str.  xi 
(v.  131  ff)  in  W,  besonders  aber  str.  ix  und  x  (v.  105  ff)  mit  aus- 
nähme von  zeile  123  f  in  H  ausnehmend  schlecht  überliefert, 
der  grund  dieser  erscheinuug  mag  darin  liegen,  dass  die  Über- 
lieferung hier  über  verschiedene  mittelglieder  doch  auf  aufzeich« 
nungen  aus  dem  gedächtnis,  dem  einzelne  Strophen  weniger 
genau  erinnerlich  waren  als  andere,  zurückgeht,  auf  grund  des 
gesagten  möchte  ich  folgende  Änderungen  des  II. sehen  lextes  vor- 
A.  F.  D.  A.     XVII.  15 


218  HARTMANN     HESELLOHERS    LIEDER 

schlagen:  3  am  icenig;  5  geschach  pey;  7  sach  man;  9  gelal?; 
21  als  gemaincklich ;  24  gross  vechten  und  räch;  32  do  hiefs  er 
in;  43  des;  46  uns;  48  chüd  ich?  (vgl.  v.  109  W,  sag  ich  SGF); 
54  strauss;  S7  und  Zmd  (ich  hau  dir  'ganz  sachte'  eine  herunter, 
als  wer  ichplind,  ohne  zu  schauen,  wo  ich  treffe,  s.Neidh.  Fuchs  xvn 
str.  10:  er  schlueg  als  sain  er  wer  plind);  94  ein  chleppern  und 
ein  glitzen;  97  von  letzer  h.;  101  trostlich  (==  W,  frutig  SGF); 
st.  ix  (v.  105 — 117)  ist  ganz  nach  W  herzustellen,  nur  ist  109 
sprach  HS  stall  chött  W;  114  deicht;  116  in  sedel  H  für  in  den 
sessel  W  zu  schreiben;  119  vnd]  er;  121  zu  letzt  da;  123  ridel 
(s.  Lexer,  Hwb.  n  422,  aber  wol  kurzes  i);  126 — 128  nun  wye 
umb  dye,  so  lob  (lobt?)  ich  ye,  do  das  vergie  (dh.  ich  lobte  es 
immer,  wie  die  sache  in  bezug  auf  diese,  die  verwundeten,  aus- 
gieng.  die  alte  freude  des  dichters  Neidhartscher  lieder  über 
die  Verluste  der  bauern.  vielleicht  ist  v.  127  und  128  umzu- 
stellen und  liegt  hier  ein  fehler  des  archetypus  vor.  die  folge 
der  10  und  11  Strophenzeile  ist  in  den  hss.  öfter  verwirrt,  so 
49, 50  und  101 ,  102  in  W,  62, 63  in  SGF);  144,  5  ain  solich  czank 
und  hader  verderbt  usw.;  1 47  den  a.  und  den;  149  vil pas  dann; 
151  den  fraidigen  (s.  la.  von  H  in  101);  156  pey  sechs;  164 
bietet  SGF  das  richtige  gueten  gegen  guette  in  HW,  doch  ist  der 
fehler  zu  gering  und  naheliegend,  als  dass  er  als  beweis  für  die 
verwantschaft  der  beiden  hss.  gelten  könnte,  in  bezug  auf  die 
interpunction  möchte  ich  noch  vorschlagen,  v.  46  und  48 — 52  als 
erwiderung  auf  Steffels  rede  zu  kennzeichnen  (was  schon  Unland 
und  Erk  taten),  und  ebenso  74  —  78  als  antwort  auf  die  worte 
des  zu  boden  geschlagenen  'üppigen'  tänzers  (68  —  73). 

S.  11 — 21  schliefst  H.  an  seinen  text  die  lesarten  und  an- 
merkungen  an.  letztere  sind  nach  dem  muster  der  anmerkungen 
gemacht,  die  Uhland,  Schriften  zur  gesch.  d.  dichtung  und  sage, 
iv  223  ff  den  einzelnen  versen  des  Hesellohers  von  yppiclichen 
dingen  mitgibt,  und  so  decken  sich  denn  auch  mehr  als  die 
hälfte  der  anmerkungen  H.s  zu  diesem  liede  (iv)  mit  denen  Uhlands. 
meist  sind  es  worterkläruugen  mit  citalen  aus  Schmellers  Bayri- 
schem Wörterbuch,  vieles  würde  man  da  gerne  missen;  wozu 
zb.  die  anm.  zu  i  13,  ii  15  (vgl.  zu  i  119  auf  derselben  seite!), 
m  34  (schluss)?  dagegen  hätten  die  nachweise  von  parallel- 
stellen aus  Neidhart  und  seinen  nachahmern  reichlicher  aus- 
fallen können. 

S.  21—41  bringt  die  mit  umsieht  und  fleifs  aus  gedrucktem 
und  ungedrucktem  material  gesammelten  urkundlichen  nachweise 
der  beiden  brüder  Hans  und  Andreas,  landrichter  zu  Pähl  und 
Weilheim,  und  ihres  vaters  Niclas.  freilich  tut  der  verf.  hier 
und  da  wol  etwas  zu  viel  des  guten,  so  wenn  er  die  Urkunden, 
in  denen  beide  brüder  zusammen  genannt  werden,  doppelt  bringt, 
unter  den  Zeugnissen  für  Hans  und  nochmals  unter  denen  für 
Andreas.     H.  geht   aus  von  Wig.  Hundts  Stammenbuch,   teil  in, 


HARTMANS      HESELLOHERS    LIEDER  219 

mit  dessen  nachriehten  sich  bisher  litteraturgeschichten  und  lieder- 
sammlungen  begnügt  haben;  nur  RSpiller  gab  Zs.  27,  284  einige 
weitere  urkundliche  belege  aus  den  Monum.  Boica.  so  ward 
bisher  allgemein  das  jähr  1470  mit  Hundt  als  das  todesjahr  der 
beiden  Heselloher  angeführt,  während  aus  H.s  Zusammenstellungen 
hervorgeht,  dass  dieselben  in  der  zeit  zwischen  1483  und  1486 
gestorben  sind,  wenn  sich  H.  aber  über  die  stelle  in  Ulrich 
Fueterers  Lohengrin ,  die  neben  einem  Jörg  von  Eisenhofen  nicht 
Hans,  sondern  Andre  Hesenloher  als  kunstgeübten  dichter  nennt, 
mit  einer  naheliegenden  conjectur  Docens  (und  Andre]  der  ander) 
hinweg  helfen  will,  so  wird  dies  wenig  glauben  finden,  da  die 
existenz  eines  Andre  Heselloher  in  gleicher  zeit  und  gegend  fest- 
steht, auch  kann  der  eine,  dem  H.s  der  ander  notwendig  entsprechen 
soll,  dasselbe  heifsen  wie  dereiner  oder  derein  dh.  deren  einer, 
s.  Wb.  i  417",  22.  der  dichter  der  bauernlieder  wird  gleich wol 
Hans  gewesen  sein,  da  das  directe  Zeugnis  Wig.  Hundts  mit  dem 
überlieferten  anfang  des  liedes  'von  jhme  selbs' :  Hänsl  Heseloher, 
wie  lang  usw.  schwer  in  die  wagschale  fällt.  Andre's  dichtungen 
mögen  dasselbe  Schicksal  erfahren  haben,  wie  die  seines  genossen 
Jörg  von  Eisenhofen.  —  auf  s.  41 — 50  werden  dann  die  schon 
eingangs  erwähnten  nachweise  Heselloherscher  lieder  in  dem 
bestände  des  Neidh.  Fuchs  und  der  Fichardschen  Iiederhand- 
schrift  gegeben. 

S.  51 — 69  verzeichnet  der  verf.  die  neuere  litteratur  über 
unseren  dichter,  uz.  in  chronologischer  reihenfolge.  die  angaben 
über  das  allmählige  bekanntwerden  eines  neuen  dichternamens  in 
der  litteraturgeschichte  sind  immer  von  interesse.  wenn  aber  im 
weiteren  verlaufe  einschlägige  ausführungen  und  urteile  aus  com- 
pendien  und  litteraturgeschichten  gebracht  und  zum  teil  citiert 
werden,  die  gar  nichts  neues  gaben,  ja  nicht  einmal  das  bereits 
bekannte  zusammenfassten,  so  kann  man  dem  verf.  den  Vorwurf 
der  breite  nicht  ersparen,  an  einzelne  dieser  litteraturangaben 
hat  H.  zusätze  und  längere  ausführungen  angeknüpft,  so  über 
berkunft  und  ältestes  vorkommen  des  namens  Heselloh,  s.  51  ff, 
über  das  geschlecht  der  Holensteiner,  nach  dem  sich  jene  Jung- 
frau von  Holenstein  nannte,  die  ihr  'freier'1  Hans  Heselloher  nach 
Liebs  Zusätzen  zu  Hundts  stammenb.  besungen  haben  soll,  s.  55  ff. 
dieselbe  quelle  gibt  uns  den  anfang  des  liedes  zu  ehren  dieser 
dame ,  die  erste  zeile  eines  tageliedes:  es  taget  von  dem  Ilolen- 
stain,  zu  welcher  ein  unberufener  eine  altdeutsch  sein  sollende 
erste  Strophe  hinzugedichtet  hat,  die  Hefner  in  seinen  'Bayrischen 
antiquarius'  aufnahm.  Hartm.  tut  ihr  zu  viel  ehre  an,  wenn  er  sie 
s.  64  mit  anmerkungen  und  parallelstellen  herausgibt;  übrigens 
kann  auch  er  seine  zweifei  an  ihrer  echt  hei  t  nicht  unterdrücken. 

1  daher  weifs  Schindler,  dass  die  Jungfrau  von  Holenstein  Hansens 
'braut'  war,  ohne  dass  er  den  ganzen  trxt  des  tageliedes  gekannt  zu  haben 
braucht,  wie  RSpiller,  Zs.  27,  2S4  anm.  meint. 

L5* 


220  HARTMANN     HESELLOHERS    LIEDER 

Auf  s.  68 — 70  endlich  gibt  der  verf.  kurz  rechenschaft  über 
die  grundsätze,  die  er  bei  der  orthographischen  widergabe  der 
benutzten  hss.  befolgte,  welchen  ausführungen  man  wol  zu- 
stimmen kann. 

Wien,  31.3.1891.  .   Konrad  Zwierzina. 


Luther,  Crotus  und  Hutleu.  eine  quellenmäfsige  darstellung  des  Verhält- 
nisses Luthers  zum  humanismus  von  dr  Wilhelm  Reindell.  Mar- 
burg, OEhrhardt,  1890.     vm  und  134  ss.     8°.  —  2,70  m.* 

Im  mittelpunct  der  forschung  über  Luthers  Verhältnis  zum 
humanismus  stand  das  litterarhistorische  problem  der  entstehungs- 
geschiehte  seiner  schrift  an  den  christlichen  adel  deutscher  nation, 
bis  vor  kurzem  Knaake  in  seiner  Voruntersuchung  zur  ausgäbe 
der  schrift  im  Weimarer  werk  (vi  381  ff)  diese  Verbindung  mit 
heftigem,  aber  festem  griff  zerriss.  eine  neue  auffassung  hat 
Knaake  hiermit  nicht  zum  ausdruck  gebracht:  denn  Luthers 
theologische  biographen  protestantischer  confession  haben  mit  aus- 
nähme von  Kolde,  der  sich  gegen  Knaakes  Vorwurf  der  halbheit 
in  dieser  frage  neuerdings  in  den  Gott.  gel.  anz.  1890,  s.  484  ff  ver- 
geblich zu  verteidigen  gesucht  hat,  die  aufstellungen  von  Kamp- 
schulte, Universität  Erfurt,  über  des  reformators  abhängigkeit 
vom  humanismus  nicht  angenommen,  ohne  jedoch  ihre  meinung 
kritisch  zu  verteidigen,  man  wird  Knaake  das  verdienst  nicht 
bestreiten  können ,  dass  er  mit  seiner  kritischen  Vorunter- 
suchung die  grundlagen  von  Kampschultes  darstellung,  auf  deren 
festigkeit  nicht  nur  die  ultramontane  lügende  unter  Janssen, 
sondern  auch  die  protestantische  historie  unter  Maurenbrecher 
haute,  gesprengt  und  zerstört  hat.  für  wissenschaftliche  kritik 
wäre  auf  diesem  gebiet  kaum  noch  etwas  zu  leisten  gewesen, 
wenn  nicht  mit  jener  ironie  des  zufalls,  die  auch  in  der  ge- 
schichte  der  Wissenschaft  ihr  spiel  treibt,  im  selben  jähre  mit 
Knaakes  aufsatz  von  protestantisch-theologischer  seite  ein  versuch 
erschienen  wäre,  auf  Kampschulte  mit  reichlicherem  material 
weiter  zu  bauen,  so  ergab  sich  die  dankbare  aufgäbe,  im  gegen- 
satz  zu  dem  buch  von  Werckshagen  über  Luther  und  Hütten 
das  von  Knaake  nur  in  kurzen  zügen  und  lediglich  in  be- 
ziehung  auf  Kampschulte  behandelte  problem  des  weiteren  und 
tieferen  zu  untersuchen:  in  einer  schrift  über  Luther,  Crotus  und 
Hütten  hat  WReindell  eine  quellenmäfsige  darstellung  von  des  refor- 
mators Verhältnis  zum  humanismus  versucht,  in  deren  mittelpunct 
widerum,  da  die  Untersuchungsich  negativ-kritisch  an  die  construc- 
lionen  Kampschultes  und  Werckshagens  anschliefst,  die  schrift  an 
den  adel  steht,  indem  R.  das  von  seinem  gegner  Maurenbrecher  zur 
lösung  der  frage  vorgeschlagene  verfahren,  'eine  litterarhistorische 
vergleichung  der  betreffenden  Schriften  im  detail  vorzunehmen  und 

*  [vgl.  DLZ  1891  nr  19  (KKnaake).] 


REI.NDELL  LUTHER  CROTUS  U.ND  HÜTTEN  221 

ebenso  den  historischen  verlauf  dieser  beziehungen  im  detail 
noch  einmal  zu  entwickeln',  in  anwendung  bringt,  gelingt  es  ihm, 
all  die  künstlichen  canäle  und  canälchen  abzugraben,  die  von 
jenen  forschem  mühsam  zwischen  den  beiden  grofsen  Strömungen 
der  zeit  hergestellt  wurden,  nach  einigen  kurzen  andeutungen  über 
die  wichtigsten  momente  der  entwickelung  des  humanismus  und 
des  reformators,  sowie  über  die  gründe  ihrer  annaherung  kommt 
R.  zum  ersten  hauptteil  seiner  Untersuchung,  dem  Verhältnis  zwi- 
schen Luther  und  dolus,  hatte  schon  Knaake  in  Kampschultes 
constructionen  gewaltig  bresche  gelegt,  so  zerstört  R.  sie  samt 
Werckshagens  fortführungen  in  grund  und  boden;  und  er  be- 
gnügt sich  nicht  mit  der  Vernichtung  dieser  geschichtsspielerei, 
sondern  setzt  an  ihre  stelle  den  wolgegründeten  versuch,  Luthers 
einfluss  auf  Crotus  zu  erweisen,  ein  kleiner  abschnitt  über  Luthers 
späteres  Verhältnis  zu  Erasmus  und  zum  humanismus,  der  in- 
haltlich und  formell  als  störender  einschub  erscheint,  trennt  den 
ersten  hauptteil  vom  gröfseren  zweiten:    Luther  und  Hütten. 

Mit  einer  besonnenen  kritik,  die  ihn  vor  gewissen  Über- 
stürzungen Knaakes  bewahrt,  und  einer  umfassenderen  belesenheit, 
durch  die  er  schon  allein  die  kurzsichtigen  behauptungen  Wercks- 
hagens leicht  überwindet,  führt  er  den  nachweis,  dass  Luthers  natio- 
nale Wendung  von  Hütten  im  wesentlichen  durchaus  unabhängig  ist 
und  vielmehr  auf  frühere  einwürkuugen  zurückgeht,  statt  wie 
Werckshagen  mit  einer  gegenüberstellung  nichtssagender  parallel- 
stellen zu  der  schrift  an  den  adel  aus  Hutteus  Trias  sich  selbst  und 
urteilslose  leser  zu  täuschen,  gibt  R.  in  dem  umfangreichsten  ab- 
schnitt, für  den  ihm  wolBenraths  commentar  zu  gute  kam,  mit  einer 
analyse  der  adelsschrilt  die  umfassendsten  nachweise  analoger  er- 
scheitiiingen  in  der  sachlich  und  zeitlich  angrenzenden  litteratur, 
darunter  also  auch  bei  Hütten,  ohne  jedoch  im  einzelnen  die 
frage  nach  der  abhängigkeit  Luthers  zu  untersuchen,  dieser  teil 
könnte  noch  mancherlei  ergänzung  erfahren ,  so  durch  die  in- 
haltreiche arbeit  von  BGehhanlt  über  dieGravamiua  oder  wenn  man 
einmal  jene  Vorgänger  Luthers  durchnähme,  die  einer  seiner 
ersten  kritiker  zusammen  mit  den  erst  von  der  modernen  forschung 
herangezogenen  dialogen  Huttens  und  des  Faustus  Andrelinus 
schon  1520  genannt  hat  (vgl.  mein  buch  Ulrichs  von  Hütten 
deutsche  schritten,  s.  152).  aber  auch  ohnedies  wird  man  R. 
darin  beistimmen  können,  dass  die  schrift  an  den  adel  die 
lruchl  eines  längeren  kirchengeschichtlichen  Studiums  Luthers 
ist  und  in  der  frage  der  quellen,  der  stofflichen  abhängigkeit,  in 
keiner  beziehuug  zu  der  Trias  oder  den  luspicientes  steht,  der 
erste  schritt  in  das  gebiet,  das  R.  ohne  Knaakes  Leitung  be- 
treten muss,  die  zeit  nach  der  schrift  an  den  adel,  ist  kein 
glücklicher:  er  versucht,  in  ähnlicher  weise  wie  hei  Crotus  die  be- 
hau ptung  der  gegner  umdrehend,  den  nachweis,  dass  nicht  sowol 
Butten  auf  Luthers  schrift  als  vielmehr  diese  auf  jenen  gewürkl 


222  REI>DELL     LUTHER    CROTUS    UISD    HÜTTEN 

habe,  und  führt  hierfür  drei  belege  an:  Huttens  übergaug  zur 
deutseben  spräche  und  zum  biblischen  Stil  und  seine  wendung 
zu  den  Städten,  für  den  ersten  punet  kann  ich  auf  meine  ein- 
gehenden Untersuchungen  (aao.  s.  63  ff)  verweisen,  nach  denen 
Luthers  einfluss  erst  in  letzter  reihe  in  hetracht  kommt;  für  den 
zweiten  punet  hätte  R.  die  treffenden  bemerkungen  von  Straufs 
(s.  303  f)  über  Huttens  Zuschrift  an  erzherzog  Ferdinand  vom 
aufang  des  Jahres  berücksichtigen  sollen;  hinsichtlich  des  dritten 
punetes  genügt  ein  hinweis  auf  Straufs  (21,  165)  um  so  eher, 
als  R.  sich  nicht  die  mühe  gibt,  seine  behauptung  irgendwie  zu 
begründen.  —  der  folgende  teil  polemisiert  glücklich  gegen  die 
auffassung,  nach  der  Luther  und  Hütten  von  der  zeit  der  schrift 
an  den  adel  bis  zur  zeit  des  reichstages  als  solidarisch  verbun- 
dene revolutionsmänner  erscheinen;  insbesondere  sind  die  Luther 
betreffenden  ausführungen  gegen  Maurenbrecher  gut  befestigt, 
durchaus  verfehlt  aber  ist  die  darstellung  von  Huttens  entwickelung 
zum  revolutionär:  R.  ist  über  die  gerade  für  diesen  teil  ganz 
ungenügenden  ausführungen  von  Straufs  so  wenig  hinausge- 
kommen, dass  er  nicht  einmal  Briegers  depeschenpublicationen 
heranzieht  und  sich  für  einen  so  wichtigen  punet  wie  die  Ebern- 
burger  Verhandlungen  auf  die  alte  Lutherhistorie  von  Seckendorf 
beruft.  Huttens  entwickelung  zum  revolutionär,  die  durchaus 
nicht  in  gerader  linie  erfolgte,  ist  nur  an  der  hand  der  deutschen 
Schriften  vollkommen  zu  verfolgen,  die  allerdings  in  der  chro- 
nologischen Unordnung  bei  Straufs  und  Böcking  bisher  nicht 
ausgenutzt  werden  konnten  (vgl.  jetzt  mein  capitel  'Historisches' 
aao.  s.  53  ff),  auf  dieser  grundlage  hätte  R.  auch  erkennen 
können,  dass  in  jenen  Verhandlungen  sich  nicht  der  antire- 
volutionär und  der  revolutionär,  sondern  vielmehr  der  radicale 
dogmatiker  und  der  conciliantere  politiker  auseinandersetzen: 
nur  so  ist  auch  Huttens  berühmte  äufserung  gegen  Luther 
über  den  unterschied  ihrer  plane  zu  verstehn  (aao.  s.  105). 
wenn  R.  diese  worte,  statt  auf  die  unmittelbar  vorhergehn- 
den  von  Butzer  geführten  Verhandlungen,  auf  einen  älteren  uns 
nicht  erhaltenen  brief  Luthers  an  Hütten  bezieht,  so  über- 
sieht er  auch  die  von  ihm  selbst  erwähnte  tatsache,  dass 
dieser  brief  den  adressaten  gar  nicht  erreicht  hat.  trotz  diesen 
mangeln,  die  ja  mehr  das  Verhältnis  des  humanismus  zu  Luther 
als  das  umgekehrte  treffen,  wird  man  auch  in  diesem  teil  R.s 
ergebnis  zustimmen  dürfen,  sodass  wir  mit  ihm  zu  dem  ge- 
samturteil kommen:  Luthers  vorgehn  in  den  jähren  1518 — 1521 
und  die  bestrebuugeu  Huttens  stellen  zwei  Strömungen  dar, 
deren  inhaltliche  verwantschaft  im  wesentlichen  nicht  aus  einem 
gegenseitigen  einfluss  erklärt  werden  darf;  vielmehr  daraus,  dass 
beide  auf  gemeinsame  quellen,  Verhältnisse  und  Schriften,  zurück- 
gehn.    aus  diesem  negativen  ergebnis  der  Untersuchung  folgt  die 


REINDELL     LUTHER    CROTÜS    UND    HÜTTEN  223 

mehr  mit  rücksicht  auf  Luthers  beziehungen  zum  liumanismus 
zu  schreiben,  sondern  von  ihrer  gemeinsamen  grundlage  aus- 
zugehn,  der  nationalen  bewegung  des  beginnenden  16  jhs.  einen 
ansatz  zu  einer  solchen  betrachtung  besitzen  wir  bereits  in  einer 
älteren  abhandlung,  die  von  der  forschuug  bisher  nicht  gewürdigt, 
ja  kaum  beachtet  worden  ist:  in  seinem  aufsatz  über  Luther 
(Hist.  zs.,  bd.  41,  229  ff)  hat  Waltz  bereits  all  die  nationalen 
demente  in  Luthers  entwickelung  dieser  jähre  aufgezeigt,  die 
dann  Werckshagen  von  neuem  aufspürte  und  aus  humanistischen 
einflössen  ableitete,  und  überzeugend  ihren  Ursprung  aus  den 
Augsburger  Verhandlungen  dargetan.  Waltz  schliefst  allerdings 
seine  vorzüglichen  ausführungen  seltsamerweise  mit  dem  hin- 
weis  auf  eine  fortsetzuug,  die  dem  anschein  nach  sich  mit  dem 
humanistischen  einfluss  beschäftigen  sollte:  'geschah  es  zunächst 
unter  einwürkung  der  reichsständischen  Verhandlungen ,  dass 
Luther  1518  die  nationale  bahn  betrat,  so  machten  sich  doch 
fast  gleichzeitig  noch  andere  einflüsse  gellend,  welche  nicht 
minder  mächtig  und  minder  merkwürdig  waren',  wenn  nun 
diese  fortsetzuug  nicht  erschienen  ist,  so  ist  das  kaum  als  zufall 
zu  betrachten. 

Berlin,  märz  1891.  Siegfried  Szamatölski. 


IYlartinus  Balticus.  ein  humanistenleben  aus  dem  16  Jahrhundert,  von  Karl 
von  Reinhardstoettner.  Zeichnungen  von  Philipp  Sporrer.  Bam- 
berg, Buchner  1890.  86  ss.  —  1,40  m.  (Bayerische  bibliothek.  be- 
gründet und  herausgegeben  von  KvReinhardstoettner  und  KTrautmann. 
1  band,     subscriptionspreis  1,25  m.)* 

Aventin.  von  Franz  X.  von  Wegele.  Zeichnungen  von  Peter  Halm  und 
Toni  Grubhofer.  Bamberg,  Buchner  1890.  (Bayerische  bibliothek. 
10  band.)     70  ss.  —  1,40  bezw.  1,25  m.** 

'Zu  allen  Zeiten  der  nun  nach  Jahrtausenden  zählenden  ge- 
schichte  der  menschheit  hat  es  besondere  träger  des  wissens  ge- 
geben, die  meist  zugleich  treue  unterrichter  in  demselben  waren'. 
mit  diesem  einleuchtenden  satze  beginnt  nicht  etwa  die  biographie 
eines  Juristen,  sondern  die  lebensbeschreibung  eines  humanisten, 
der  durch  seine  tätigkeit  an  den  schulen  zu  München  und  Ulm 
einen  bescheidenen  platz  in  der  schulgeschichte,  durch  seine 
lateinischen  elegieen  und  epigramme,  besonders  aber  durch  seine 
lateinischen  dramen  Josephus,  Daniel,  Christogonia  und  Senache- 
ribus,  sowie  durch  die  Verdeutschung  des  Joseph  einen  ebenso 
bescheidenen  platz  in  der  litteraturgeschichte  sich  verdient  li.it. 
mag  er  immerhin  in  der  ADB  vielleicht  gar  zu  kurz  gekommen 
sein,    auf  eine  besondere  schrill    hat   er  keinesfalls    ein  anrecht, 

*  [vgl.  Zs.  f.  vgl.  litt,  und  ren.-litt.  NF  m  249  ff.  —  Jahresberichte  über 
das  höhere  Schulwesen  iv  s.  i  9.] 

**  [vgl.  Zs.  f.  vgl.  litt,  und  ren.-litt.  NFnt391.] 


224  IIEI.NHARDSTOETTNER    BALTICUS 

und  Rein  ha r ilstoettuer  hat,  um  eine  solche  zu  stände  zu 
bringen,  zu  mafsloser  Übertreibung  der  Verdienste  desßalticus, 
zu  reichlicher  einflechtung  nicht  zur  sache  gehörigen  materials 
und  zu  halblyrischen  ergüssen  über  schulmeisterloos  im  allge- 
meinen seine  Zuflucht  genommen,  am  wenigsten  gehört  das 
heftchen  an  die  spitze  der  Bayerischen  bibliothek,  die  wesentlich 
populäre  zwecke  verfolgt  und  das  gelehrte  material  in  die  an- 
merkungen  verweist.  R.  hat  sich  nun  freilich  bemüht,  durch 
populäre  Stilisierung  seine  leser  zu  entschädigen,  aber  die  oben 
widergegebenen  eingangsvvorte  bilden  nur  eins  von  den  zahl- 
losen beispielen,  die  beweisen,  dass  der  Verfasser  doch  gar  zu 
tief  heruntergestiegen  ist;  auch  die  eingestreuten  Übersetzungen 
lateinischer  verse  des  Balticus  sind  wenig  gelungen,  ebenso  ist 
der  versuch,  im  interesse  des  weiteren  leserkreises  die  special- 
darstellung  auf  eine  allgemeinere  grundlage  zu  bauen,  nicht  recht 
geglückt;  denn  auf  der  wilden  jagd,  auf  der  in  wenigen  seiten 
die  bildungsgeschichte  vieler  Jahrhunderte  durchgehetzt  werden 
soll,  wird  mancher  bock  geschossen,  wie  weit  dann  die  be- 
sprechung  von  leben  und  Schriften  B.s  neues  bringt,  kann  ich 
nicht  feststellen ,  da  mir  Trautmanns  aufsätze  über  B.  in  nr  86 
und  87  der  Münchener  neuesten  nachrichten  vom  jähre  1884 
nicht  zugänglich  sind;  das  beste  sind  jedesfalls  die  in  den  anm. 
gegebenen  mitteilungen  aus  dem  Ulmer  Stadtarchiv,  die  Traut- 
mann beigesteuert  hat,  und  für  den  abdruck  des  interessanten 
reformgesuchs,  das  B.  betreffs  der  Unterrichtsgegenstände  an  den 
Ulmer  rat  richtete  (anm.  222),  kann  die  schulgeschichte  R.  auf- 
richtig dankbar  sein. 

Auf  der  anderen  seite  vermissen  wir  manches  wichtige,  mit 
ausnähme  des  Josephus,  für  den  in  den  langen  citaten  aus  Weilens 
Aegyptischem  Joseph  gelegentlich  auch  einige  quellennachweise 
herübergenommen  werden,  fehlen  solche  ganz  und  gar;  nichts 
als  analysen  und  lobende  worte:  nicht  einmal  der  naheliegende 
versuch  ist  gemacht,  das  Verhältnis  der  dramatik  des  B.  zu  der 
des  Hieronymus  Ziegler  zu  bestimmen,  über  die  wichtigsten 
lebensdaten,  soweit  sie  sich  nicht  ohne  weiteres  aus  urkundlichem 
material  ergeben,  wird  man  mit  dem  verf.  kaum  einer  meinung 
sein  können,  mit  dem  alten  Veesenmeyer  setzt  er  (s.  10)  B.s 
geburt  'um  das  jähr  1532'  au.  die  grundlage  dieser  aufstellung 
bildet  die  metrische  Unterschrift,  die  sich  unter  einem  noch  heute 
vorhandenen  ölbilde  des  dichters  findet,  der  zufolge  er  bei  der 
herstellung  des  gemäldes  42  jähre  alt  und  seit  20  jähren  Schul- 
meister war.  das  bild  ist  also ,  so  schliefsen  die  biographen, 
20  jähre  nach  seiner  ernennung  zum  Münchener  'poeten',  also 
1574  angefertigt,  B.  1532  geboren,  nun  ist  aber  erstens  (vgl. 
R.  s.  17)  R.  schon  1553  Schulmeister  zu  St.  Peter  in  München: 
wir  kommen  also  für  seine  geburt  spätestens  auf  das  jähr  1531; 
ferner   aber    können  wir   gar  nicht  sagen ,   ob  die  anstellung  zu 


REI>HARDSTOETTi>ER    BALTICUS  225 

St.  Peter  würklich  sein  erstes  amt  bedeutet,  ob  er  nicht  schon 
vorher,  etwa  zu  Wittenberg,  schule  gehalten  hat.  —  die  Über- 
siedelung au  die  Münchener  Stadtschule  erfolgte  nach  der  angäbe 
des  textes  s.  18  erst  1554,  nach  dem  urkundlichen  naehweis  auf 
s.  75  (anm.  63)  schon  1553,  —  wo  ist  der  fehler?  —  die  auf 
s.  19  stehnde  behauptung,  B.s  litterarisches  würken  datiere  erst 
von  der  zeit  nach  dem  antritt  des  Münchener  rectorats,  beruht 
offenbar  nur  auf  der  tatsache,  dass  die  Sammlung  seiner  gedichte 
erst  in  dieser  periode  gedruckt  worden  ist;  über  die  zeit  der 
entstehuug  dieser  arbeiten  hat  R.  keinerlei  Untersuchungen  an- 
gestellt, nun  steht  aber,  was  R.  entgangen  ist,  ein  gedieht  des 
B.,  und  zwar  Eleg.  n  6,  in  dem  drucke  des  Zieglerschen  dramas 
'Regales  nuptiae'  fol.  A  3  f;  dieser  druck  stammt  bereits  aus  dein 
jähre  1553  und  zwar  ohne  frage  aus  der  zeit,  wo  B.  noch  Schul- 
meister zu  St.  Peter  war:  denn  die  elegie  ist  dem  Anton  Are- 
singer,  decan  zu  St.  Peter  (danach  zu  verbessern  R.s  anm.  75) 
gewidmet.  B.  hat  also  schon  vor  der  Müuchener  poetenzeit  ge- 
dichtet, gedichte  B.s  stehen  auch,  wasR.  ebenfalls  übersehn  hat,  in 
Zieglers  'Dramata  sacra  duo' (Ingoist.  1555)  vor  dem  zweiten  stücke; 
ich  habe  das  buch  nicht  gesehn,  —  wenn  sie  in  die  Sammlung 
der  gedichte  des  B.  aufgenommen  siud,  gewinnen  wir  damit  einen 
anhaltspunct  für  die  bisher  unbekannte  zeit  der  drucklegung  der 
'carmiua'.  endlich  ist  es  falsch,  wenn  s.  63  als  datum  der  ab- 
setzung  in  Ulm  der  1  februar  1592  genannt  wird,  an  diesem 
tage  erfolgte  nur  die  entscheidende  beschwerde  der  prediger;  aus 
dem  von  R.  anm.  237  zu  anderem  zwecke  mitgeteilten  material 
geht  hervor,  dass  B.  am  8  märz  noch  im  amte  war.  dazu  kommen 
zahlreiche  fehler  im  einzelnen,  s.  22  f  zb.  braucht  R.  zur  er- 
läuterung  eines  B.schen  epigramms  nicht  erst  Schiller  zu  be- 
mühen ,  wo  er  eine  grobe  entlehnung  aus  Terenz  hätte  erkennen 
müssen;  die  s.  55  herangezogene  Terenzübersetzung  ist  nicht 
von  1567,  der  'decan  von  Tübingen'  entschuldigt  sich  ihretwegen 
vielmehr  schon  1539,  und  1567  erscheint  nur  die  letzte  aufläge 
seines  Werkes,  anm.  206  kennt  B.  von  der  Christogonia  nur 
die  ausgäbe  Ulm  1589;  Goedeke  (u2  141)  nennt  bereits  einen 
druck  Augsburg  1588,  sein  artikel  über  Balticus  stellt  indessen 
eine  so  auserlesene  Sammlung  von  fehlem  dar,  dass  auch  diese 
angäbe  erst  der  nachprüfung  bedarf. 

Die  druckleguug  der  R. sehen  schritt  ist  ziemlich  sorgfältig 
und  die  ausstatlung  so  allerliebst,  dass  der  preis  überraschend 
billig  erscheint. 

Auch  der  Weg el eschen  arbeit  über  Aveotio  muss  eigent- 
lich die  daseinsberechtrguug  abgesprochen  werden,  aus  andern 
gründen  freilich  wie  der  Balticusfoiographie.  die  gescliichte  der 
modernen  Aventinforecbuflg  weisl  drei  wichtige  erscheiaungen  auf: 
Wiedeiiiaiins  biographie  vom  jähre  L858,  die  trotz  mancher  mängel 
in    antiquarischer   hinsieht    das  wesentlichste    geleistet  hat;    Döl- 


226  VVEGELE   AVENTIN 

lingers  ausgezeichnete  academierede  vom  jähre  1877,  die  ein  scharfes 
bild  von  der  historischen  Stellung  des  grofsen  geschichtschreibers 
entwarf,  und  endlich  die  grofse  Aventinausgabe  der  Münchener 
academie  aus  den  jähren  1881  — 1886,  in  der  Riezlers  nachwort 
zum  in  band  die  arbeiten  Wiedemanns  und  Döllingers  vorzüglich 
ergänzt.  dazwischen  stellen  sich  populäre  darstellungen  von 
mehr  oder  minder  grofsem  umfang:  die  tüchtige  preisschrift  Ditt- 
mars,  die  trefflichen  aufsälze  Kluckhohns,  die  minder  gelungene 
arbeit  WVogts  im  l  band  der  werke  und  endlich  die  zusammen- 
fassende behandlung  Wegeies  in  der  ADB,  die  durch  die  auf 
Aveutin  bezüglichen  abschnitte  in  der  'Geschichte  der  deutschen 
historiographie'  ergänzt  wird,  an  specialarbeiten  (von  Muncker, 
Oefele,  WMeyer,  Rockinger,  vDruffel)  ist  ebenfalls  kein  mangel. 
was  hier  noch  zu  leisten  wäre,  ist  eine  auf  grund  des  neuen 
materials,  das  die  Münchener  ausgäbe  bietet,  hergestellte  ge- 
samtdarstellung,  die  ohne  frage  zu  vielen  neuen  ergebnissen 
kommen  müste.  nachdem  W.  diesen  gruudsatz  1882  in  seinem 
eben  genannten  buche  mit  gutem  grund  ausgesprochen,  durfte  man 
mit  recht  auf  eine  von  ihm  nach  der  Vollendung  der  grofsen  aus- 
gäbe verfasste  biographie  gespannt  sein,  aber  enttäuscht  legt  man 
die  jetzt  gebotene  aus  der  band,  denn  sie  bringt  wenig  mehr  als  eine 
neue  darstellung  des  allbekannten  oder  oft  behaupteten,  noch  dazu 
kann  von  einem  'gesamtbilde'  des  grofsen  mannes,  wie  es  auf 
s.  2  in  aussieht  gestellt  wird,  nicht  die  rede  sein,  für  die 
lebensführung  sind  freilich  die  älteren  darstellungen  sämtlich  be- 
nutzt, und  so  begegnet  hier  zum  ersten  male  in  einer  gesamt- 
biographie  A.s  nicht  mehr  die  durch  Riezlers  glänzenden  nach- 
weis  aus  der  weit  geschaffte  behauptung,  dass  A.  sein  geschicht- 
liches programm  von  den  behörden  erhalten  habe,  aber  den 
nichthistorischen  arbeiten  widmet  W.  nur  ein  paar  Sätze,  die  nichts 
characterisierendes  enthalten,  und  nicht  nur  der  germanist  wird 
sich  darüber  wundern,  dass  W.  für  A.s  Verdienste  um  die  deutsche 
spräche  nicht  ein  wort  übrig  hat.  die  partien  endlich,  die  A. 
als  historiker  behandeln,  sind  zum  gröslen  teil  wörtlicher  ab- 
druck  aus  W.s  Geschichte  der  deutschen  historiographie,  ohne 
dass  dabei  gänsefüfschen  zur  Verwendung  kommen. 

Indessen  die  darstellung  trifft  —  von  einigen  sehr  wunden 
puneten  abgesehn  (s.  28,  1 ;  52,  6  f.  anm.  63  usw.)  —  im  ganzen 
viel  besser  als  Reinhardstoettner  den  richtigen  ton,  die  ausstat- 
tung  ist  ungemein  reich,  der  preis  sehr  niedrig,  und  so  mag 
bei  dem  guten  klänge,  den  die  namen  des  grofsen  historikers 
und  seines  biographen  haben ,  vielleicht  doch  einmal  eine  zweite 
aufläge  nötig  werden,  in  ihrem  interesse  ist  es  nötig,  darauf 
hinzuweisen,  dass  das  büchlein  eine  solche  fülle  von  irrtümeru 
und  fehlem  enthält,  wie  sie  mir  bisher  nur  in  Wegeies  Geschichte 
der  deutschen  historiographie  vorgekommen  ist;  zumal  die  an- 
merkungen  sind  in  ihrem  gegenwärtigen  zustande  einfach  mibe- 


WEGELE    AVEMI.N  227 

nutzbar,  was  mir  aufgefallen ,  verbessere  ich  in  der  Ordnung, 
auf  die  die  darstellung  W.s  führt,  weil  sich  iu  vielen  fällen  nicht 
entscheideu  lässt,  ob  der  fehler  bei  der  drucklegung  oder  schon 
bei  der  abfassung  hineingekommen  ist;  nur  einige  puncte  spare 
ich  für  eine  zusammenhängende  besprechung  auf. 

S.  1:  bei  der  säcularfeier  in  Abensberg  1877  galt  es  nicht 
der  enthüllung  des  A.-denkmals  —  dies  steht  schon  seit  dem 
october  1861  — ,  sondern  der  befestigung  einer  tafel  an  A.s  ge- 
burtshaus.  —  anm.  1:  sl.  187  1.  189.  —  anm.  2.  z.  7:  st.  1882 
1.1 862;  z.  16:  streiche  beilage.  —  anm.  7:  1.  Rosa.  —  s.  3,9  bis  4, 2: 
kein  beweis.  —  anm.  8:  st.  SW  (dh.  Aventins  Sämtliche  werke) 
5  1.  SW  in.  —  s.  4,  14 — 17:  kein  beweis.  —  anm.  15,  1:  hinter 
137  1.  bes.  ii  486.  —  anm.  16,  4 — 5:  1.  Solchs  .  . .  maiestat;  6:  st. 
wie  1.  ain.  —  anm.  21,  5  f:  1.  künst .  .  .  nützlichsten  . .  .  dan  .  . .  kan 
sich;  9:  clöstern  .  ..spiegelfechten. —  s.  9,  11.  A.  bricht  im  märz 
von  Krakau  auf  und  gelangt  im  mai  nach  hause.  —  s.  10,  11: 
unbewiesen,  wenn  es  dann  anm.  25  heifst:  'seine  kenntnis  des 
griech.,  die  ihm  von  einem  seiner  neueren  biographen  abgesprochen 
wird,  wird  schon  durch  .  .  .  seinen  hauskalender  bestätigt',  so  kann 
das  nur  auf  Ditlmar  gehn ,  der  aber  s.  93  nur  schreibt,  dass  A. 
des  griechischen  'damals  noch'  nicht  mächtig  war.  unter  den 
stellen  des  kaleuders,  die  für  A.s  griech.  kenntnisse  sprechen, 
fehlt  bei  W.  die  früheste  vom  jähre  1509:  SW  i  664,  28  f.  — 
s.  11,  20:  st.  1507  1.  1505.  —  anm.  30,  7:  st.  647  1.  617.  — 
s.  12,  26  f:  die  absieht,  die  geschiente  Bayerns  zu  schreiben, 
geht  aus  den  in  der  anmerkung  angeführten  versen  nicht  her- 
vor. —  anm.  31,1:  st.  66  1.663.  —  s.  15,  10:  hinter  wurde  füge  ein 
im  Januar  1509.  —  anm.  35,  1 :  st.  Nr.  1.  v;  2:  st.  12  1.  14  . .  . 
priori .  .  .  3 :  Mattheus.  —  s.  17,  4 :  st.  12  1.  13 ;  7  IT:  der  zwist  der 
brüder  beginnt  auch  erst  1514.  —  anm.  37,  1:  st.  O  1.  60; 
2:  st.  8  1.  31.  —  anm.  38,  2:  st.  673  1.  672.  —  anm.  40,  1: 
st.  Nr.  I.  v.;  5:  st.  775  I.  575,  st.  Nr.  38  1.  v.  30  f;  zu  6  f 
hätte  der  erklärende  zusatz  gehört,  dass  Nicolaus  Perotus  und 
Aldus  Manutius  hier  grammatische  bücher  sind;  denn  die  bio- 
graphen, die  die  stelle  benutzen,  verstehn  darunter  zeitgenössische 
italienische  Universitätslehrer  (ebenso  Zeilsberg,  ADB  6,  249),  und 
fast  scheint  es,  dass  W.  derselben  ansieht  ist.  —  s.  20,  23:  hinter 
lehrer  lüge  und  schüfer.  —  anm.  43:  st.  2007  1.  200.  —  anm.  47: 
st.  100  etc.  1.99/".  —  s.  22,  11-14.  hier  hat  \Y.  den  cod. 
lat.  Mon.  1370  mit  dem  Oefeleschen  adversarienmanuscript  ver- 
wechselt und  die  auf  fol.  55  der  letztgenannten  bs.  eingetragenen 
worle  Aventins  'Hoc  chronicon  in  Burghusio  invenimus  anno  1509 
in  Decembri,  posthac  in  Monachio  a.  1511  in  januario'  (mit- 
geteilt bei  Vogt,  A.s  SW  i,  p.  xvi  anm.  1)  auf  den  eisten  annalen- 
entwurf,  statt  auf  den  (und  des  geheimnisvollen  chronicon 
Ludovici  iv  bezogen,  jene  ersten  aonalen  sind  eist  in  München 
1511  geschrieben  (vgl.  Kiezler,  SW  m  553  anm.  3).  —  s.  22,22: 


22S  WEGELE    AVEMI.N 

st.  1516  1.  1514  (und  was  bedeutet  zwei  Zeilen  vorher  das  in 
jenem  jähre?);  z.  34 — 36:  uicht  so  sicher  (vgl.  SW  1 1 ;  m  557).  — 
anm.  52:  hei  Mederer  steht  das  gedieht  nicht.  —  anm.  54,6: 
st.  1517 — 1520  1.  1513 — 1521;  es  handelt  sich  also  nicht  um 
die  zeit  seit  Luthers  auftreten;  die  z.  1  ff  aufgestellte  behauptung 
wird  dadurch  ziemlich  haltlos,  übrigens  bin  ich  mit  den  älteren 
biographen  dafür,  dass  diese  einzeichnungen  im  gegenteil  für 
äufsere  frömmigkeit  sprechen.  —  s.  24,  31:  st.  sieben  1.4  —  5 
(vgl.  anm.  31).  —  anm.  57,  4:  st.  22  1.  4;  5:  1.  perscribere.  — 
anm.  58, 2:  1.  Boiariae . .  .perreptavi. —  s.  26, 33:  st.  1519  1. 1518. — 
anm.  62, 2:  st.  201.21;  4:  1.  cwsum;  5:  st. 4  1.  9;  6:  st.  4  1.24. — 
s.  27,  20:  Vermutung;  22:  1.  'bayrischen  Cronik' ;  24:  tilge  sogen. 
(Aventin:  ein  kurzer  auszug) ,  1.  des  'bayrischen  Chronicon' '.  — 
anm.  64,1:  st.  111  1.  110;  5:  vor«.  15  1.  p.678.  —  anm.  66,  1: 
st.  bjuli  1.  18  august;  2:  st.  3  1.  6;  3  st.  13  1.  12,  st.  16  1.  15/"; 
4f:??  im  kalender  heifst  es  zum  12  oct. :  ' 12  dux  Ernestus,  Lu- 
dovicus  Abusinae'.  —  s.  28, 11:  die  Homerstudien  sind  im  kalender 
bis  ins  einzelne  geschildert,  der  name  Euripides  einmal  erwähnt.  — 
anm.  68:  erstlich  ist  der  brief  aao.  tatsächlich  undatiert,  aus  dem 
jähre  1521  stammt  nur  der  nächste;  zweitens  aber  kann  er  nicht 
in  dies  jähr  gehören,  denn  Reuchlins  berufung  erfolgte  schon 
ende  1519.  —  s.  28,  23:  ohne  zweifelt  —  anm.  70,  1:  st.  29 
1.  24,  st.  mai  l.juni.  —  s.  29, 18  fehlt  merkmal.  —  anm.  72,  7: 
st.  335  1.  334.  —  s.33,  4:  ein  paar  jähre  vorher?  Beatus  Rhenauus' 
'Rerum  Germauicarum  libri  m'  sind  doch  eben  im  jähre  1531 
erschienen,  also  fällt  gar  nichts  auf.  —  s.  33,  34:  st.  rühmen 
1.  wol  rügen.  —  s.  34, 14:  nicht  sowol  der  kirche  als  dem  clerus; 
31:  st.  77)  1.  76a);  32:  hinter  hervor  füge  ein  77).  —  anm.  76a: 
st.  nr  25  l.u.  26— 27.  —  anm.  77,2:  st.  688  1.680.  —  s.  35,  11: 
in  dieser  zeit?  1522?  —  anm.  80,  1:  st.  9  1.  8/";  5:  1.  drauf; 
6:  st.  28  1.22.—  anm. 82,1:  tilge  213;  2:  1.  Chronik.  —  anm.  83: 
citat  ganz  falsch.  —  s.  39,  6:  st.  1525  1.  1526;  10:  beiden!?  — 
anm.  89,  3  f :  eigentlich  darf  W.  die  einwände  vDruffels  gegen 
Muncker  doch  nicht  auf  sich  beruhen  lassen,  und  tatsächlich  hat 
er  manches  von  ihm  übernommen.  —  s.  39,  36 :  1.  bei  uns  und.  — 
anm.  94:  st.  224  1.  223.  —  s.  42,  1:  beweis?  —  anm.  97,  1: 
st.  613  1.  683,  st.  1507  1.  1527;  3:  st.  60  1.22  ff.  —  s.  42,  3—6. 
der  abschluss  des  ersten  buches  der  chronik  erfolgte  offenbar 
nicht  in  Abensberg,  sondern  in  Regeusburg,  vgl.  SW  i683  v.  31. — 
anm.  97a:  st.  1627  1.  1527.  —  s.  42,  6:  hierauf  ist  unrichtig, 
denn  vorher  ist  vom  december,  im  nächsten  satz  von  mai  bis 
September  des  Jahres  1527  die  rede.  —  anm.  98:  st.  1507  1.  1527. 
—  anm.  101 :  st.  26  1.  14.  —  anm.  103,  2:  tilge  bez.  das  falsche 
datum  1529  ist  aus  Horawitz- Hartfelder  ruhig  übernommen; 
Phckheymers  brief  gehört  natürlich  in  das  jähr  der  Verhaftung 
A.s,  also  ins  jähr  1528.  —  anm.  104:  W.s  behauptung,  vDruffel 
scheine  geneigt,  politische  gründe  der  Verhaftung  A.s  anzunehmen, 


WEGELE    AVEMIN  229 

ist  ganz  aus  der  luft  gegriffen.  D.  polemisiert  (Sitz.-ber.  d.  Münch. 
acad.  hist.  cl.  1879  s.  362)  nur  mit  gutem  recht  gegen  Munckers 
(er  hätte  besser  sagen  sollen  Wiedemanns)  allzu  phantastische 
quelleuinterpretation  und  stellt  fest,  dass  wir  nur  an  A.s  angäbe 
'captus  ob  evangelium'  uns  zu  halten  haben.  —  anm.  106,4:  die 
schrift  über  das  herkommen  der  Stadt  Regensburg  ist  nicht  1532, 
sondern  1528  entstanden  (s.  SWi  256);  das  von  W.  z.  1 — 4  ge- 
sagte wird  dadurch  hinfällig.  —  anm.  106a:  st.  645  1.  685.  — 
anm.  107,  2:  st.  14  1.  18.  —  anm.  108,  4:  st.  41  1.  43.  — 
anm.  109,2:  st.  von  1.  an,  st.  am  1.  vom;  3:  st.  1529  1.  152S  (s.o.) 
—  anm.  111:  st.  s.  111  1.  s.  1  und  267.  —  anm.  118:  st.  407 
1.409.  —  anm.  119,2:  was  heifst  N.  C?  —  s.4S,  3:  hinter  müssen 
füge  ein  122);  8:  st.  122)  1.  123);  18:  st.  123)  1.  124).  — 
anm.  122:  st.  371  1.  372.  —  anm.  123.  die  zahlen  272,  278, 
335,  588  sind  falsch.  —  anm.  124:  st.  397  l.wol  36.  —  s.  51,  30: 
1.  im  57  jähre.  —  anm.  126:  st.  3  1.  2,  st.  48  1.  41.  —  endlich 
ist  nicht  einzusehen,  warum  W.  die  briefe  von  und  an  Aventin, 
die  von  Horawitz-  Hartfelder  aus  der  grofsen  Aventinausgabe 
abgedruckt  sind,  nicht  nach  dieser,  sondern  nach  dem  ab- 
druck  citiert. 

Die  erürterung  einer*  anzahl  anderer  fragen  habe  ich  mir 
für  den  schluss  verspart,  weil  ich  mich  hier  nicht  nur  gegen  W., 
sondern  gegen  die  ganze  bisherige  Aventinforschung  wende  und 
weil  durch  sie  meiner  ansieht  nach  die  bis  heute  geltende  an- 
sieht über  die  letzte  lebenszeit  A.s  nicht  unwesentlich  verändert 
werden  muss.  für  W.  steht  ungefähr  folgendes  fest:  nachdem 
es  der  in  Bayern  allmächtigen  streng  katholischen  partei  geglückt 
war,  männer  zweiten  ranges  ihrer  evangelischen  gesinnung  wegen 
unschädlich  zu  machen,  wagte  sie  sich  auch  an  Aventin,  der  ihr 
wegen  seiner  mafslosen  angriffe  gegen  den  clerus  längst  ein  dorn 
im  äuge  war  und  der  sich  in  letzter  zeit  in  Regensburg  der  neuen 
lehre  ziemlich  ergeben  gezeigt,  am  8  oct.  1528  wurde  er  in 
Abensberg  'ob  evangelium'  verhaftet  und  nur  durch  die  f Ursprache 
des  kanzlers  Leonhard  von  Eck  am  18  oct.  beireit,  trotzdem  er 
nachher  noch  manche  jähre  der  herstellung  der  Bayrischen  chronik 
widmete,  wurde  er  doch  seit  jener  kalastrophe  des  lebens  in 
Bayern  nicht  mehr  froh,  nachdem  ihn  schon  1529  Spalatin  zu 
sich  nach  Altenburg  geladen,  trug  er  sich  in  den  jähren  1 530 — 1531 
würklich  mit  auswanderungsplänen;  er  versuchte  1530  sich  eine 
Stellung  beim  pfalzgrafen  Friedrich  zu  Amberg  zu  schaffen,  er 
bemühte  sich  1531,  durch  Melanchthons  vermittehing  eine  Zu- 
fluchtsstätte in  Wittenberg  und  peeuniäre  Unterstützung  für  die 
geplante  'Germania  illustrata'  zu  erhallen  ,  er  verhandelte  gleich- 
zeitig mildem  cardinalerzbischof  von  Salzburg,  »lein  er  seine 
Schriften  zur  herstellung  einer  copie  Ubersaote  und  der  ihm  eine 
Stellung  au  seinem  hoffe  anbot,  all  das  zerschlag  sich,  \w\t\  \., 
der  inzwischen   in  Regensburg  lebte    I    geheiratet   hatte,    war 


230  WEGELE    AVENTIN 

schliefslieh  froh,  von  L.  v.  Eck  zur  erziehuug  seines  sohnes  nach 
Ingolstadt  gerufen  zu  werden;  er  starb  schon  1534  bei  einem 
besuche  in  Regensburg. 

Quellen  für  diese  darstellung  sind  A.s  hauskalender,  der 
aber  für  diese  zeit  aufser  den  nachrichten  über  gefangennähme, 
Regensburger  leben  und  heirat  nur  zwei  interessante  eintrage 
bietet:  SVV  r  687,  21  (dazu  30.  31.  33;  688,  4.  16—18),  '1530. 
Jan.  Scripsit  C(omes)  Palatinits  Fridericus  mihi  ut  ad  se  venirem' 
und  688,  30,  '1531  Oct.  22.  emi  .  .  .  .  misi  libros  Myldorphium 
cardinali';  ferner  A.s  brief  an  Spalatin  vom  12  sept.  1529  0  649); 
ein  vom  sept.,  aber  ohne  jähr  datierter  brief  Melanchthons  an 
A.  (i  650 f.),  der  sowol  von  A.s  Wittenberger  planen  als  auch 
von  der  Salzburger  einladung  spricht  und  den  W.  wie  die  meisten 
andern  biographen  in  das  jähr  1531  verlegt,  um  ihn  mit  jener 
kalendernotiz  vom  22  oct.  zusammenzubringen;  endlich  die 
Aventinbiographie  des  Hier.  Ziegler. 

Beginnen  wir  mit  einer  belrachtung  der  kalendernotiz  vom 
22  oct.  1531.  zwischen  A.  und  dem  cardinal  bestanden  lange 
jähre  freundliche  beziehungen,  und  so  liegt  nicht  der  geringste 
grund  vor,  aus  den  angeführten  worten  einen  Zusammenhang 
mit  der  in  Melanchthons  brief  angedeuteten  berufung  an  den 
Salzburger  hof  herauszulesen,  mir  scheint  es  nicht  einmal  not- 
wendig, unter  den  libri  A ventinsche  Schriften  zu  verstehu,  die 
sich  der  cardinal  abschreiben  lassen  wollte:  wahrscheinlich  wäre 
das  höchstens,  wenn  A.  oct.  1531  grade  ein  neues  werk  abge- 
schlossen hätte;  die  notiz  besagt  vielmehr  weiter  nichts,  als  dass 
A.  für  den  cardinal  in  Regensburg  bücher  gekauft  und  ihm  zu- 
gesendet hat.  wir  haben  somit  für  die  datierung  des  Melanchthon- 
briefes  völlig  freie  hand.  in  der  grofsen  ausgäbe  ist  (SW  i  650  f, 
vgl.  Vogt  ibid.  p.  lvii)  auf  1530,  in  dem  abdruck  bei  Krafft, 
Briefe  und  documente  aus  der  zeit  der  reformation  (Elberfeld  1876, 
p.  58)  auf  1529  geraten,  —  keine  von  diesen  anschauungen  ist 
richtig.  Melanchthon  sagt  zum  schluss:  'tarn  senui  hie  perpetua 
febri,  cum  nondum  ingressus  sim  annum  tertium  supra  tricesi- 
mum' ;  er  hat  das  32  jähr  noch  nicht  vollendet.  32  jähre  wurde 
Melanchthon  am  16  febr.  1529:  der  brief  ist  also  sept.  1528  ge- 
schrieben, dadurch  gewinnt  er  nun  eine  ganz  neue  und  überaus 
merkwürdige  bedeutung.  A.  hat  sich  also  vor  seiner  Verhaftung 
nach  einem  anderen  Wirkungskreis  umgesehen,  von  Salzburg 
hatte  er  eine  einladung,  —  an  den  protestantischen  hof  von 
Wittenberg  wollte  er  gern  gehn,  um  von  den  einkünften  säcu- 
larisierter  klöster  bezahlung  für  die  geplante  Germania  illustrata 
zu  erhalten,  vielleicht  ist  grade  diese  Verhandlung  den  gegnern 
zu  obren  gekommen  und  hat  ihnen  Stoff  gegeben,  um  den  groll 
des  hofes  zu  schüren;  jedesfalls  sehen  wir  nun,  dass  es  nicht 
erst  die  erbitterung  über  die  gefangensetzung  war,  die  ihn  den 
Wittenbergern   näherte,    ferner   dass    er   schon   1528   den  längst 


WEGELE    AVENTIN  231 

gehegten  plau  des 'Zeitbuchs  über  ganz  Deutschland'  zu  verwürk- 
lichen  gedachte. 

Weiter  aber  lässt  sich  feststellen,  dass  sich  unmittelbar  nach 
seiner  freilassung  seine  bemiihungen  fortsetzten,  den  heifsen 
boden  so  rasch  wie  möglich  zu  verlassen,  jener  dankesbrief  an 
Spalatin  ist  zwar  erst  im  sept.  1529  geschrieben,  aber  er  beginnt 
mit  den  worten :  'Rettulit  mihi  superiore  decembri  Utas  litteras 
Ammonius  .  .  .',  Spalatins  ruf  wird  also  schon  im  nov.  152S, 
jedesfalls  unmittelbar  nach  dem  eintreffen  der  künde  von  A.s 
traurigem  loose  ergangen  sein  (hier  ist  Pirckheymers  brief  an 
Beatus  Rhenanus  vom  20  nov.  1528  zu  vergleichen).  A.  ant- 
wortete vor  der  hand  nicht,  sondern  sah  sich  zunächst  ander- 
weitig um. 

Nun  ist  durch  Horawitz  und  Hartfelder  zum  ersten  male  ein 
brief  Martin  ßutzers  an  Beatus  Rhenanus  gedruckt  worden,  in 
dem  der  adressat  gebeten  wird,  alles  daran  zu  setzen,  dass  Aventin 
für  Strafsburg,  speciell  für  das  dortige  Schulwesen  gewonnen 
werde,  die  herausgeber  setzen  ihn  ohne  rechten  grund  unter 
die  briefe  der  jähre  1523 — 1524;  einen  andern  versuch  macht  W., 
der  als  erster  der  Aventinbiographen  veranlassung  hatte,  sich  mit 
ihm  abzufinden.  Er  führt  (anm.  76)  zunächst  —  wol  für  die 
Horawitz -Hartfeldersche  deutung  —  ins  treffen,  dass  der  satz 
'patriae  .  .  .  interesse  existimo  talem  virum  hie  suum  fetum  in 
lucem  referre'  auf  die  zeit  vor  die  Vollendung  der  Annalen  schliefsen 
lasse,  meint  aber,  dass  man  wegen  des  als  bevorstehend  be- 
zeichneten reichstages  vielleicht  eher  an  1526  zu  denken  habe, 
warum  man  indessen  unter  dem  'fetas  durchaus  die  Annalen 
versteh n  muss,  lässt  sich  nicht  einsehen ;  ebensogut  wäre  an  die 
Bayrische  chronik  zu  denken,  aber  auch  diese  hat  Butzer  mit 
seinem  Elsässer  localpatriotismus  schwerlich  im  sinn;  viel  wahr- 
scheinlicher ist  es,  dass  er  die  Germania  illustrata  meint,  über 
die  A.  seit  1525  mit  Beatus  Rhenanus  correspondierte  und  an 
die  er,  wie  wir  sahen,  seit  1528  eifriger  denn  je  dachte,  den 
brief  in  eine  zeit  vor  1528  zu  setzen,  ist  aber  überhaupt  un- 
möglich, im  anfang  heifst  es  nämlich  mit  bezug  auf  Aventin: 
'Praefecti  scholarnm  nostrarum  LX  florenos  ei  in  'singulos  annos 
adsignaverunt  .  .  .' ;  die  hier  genannte  behörde  aber  gibt  es  in 
Strafsburg  erst  seit  dem  jähre  1528,  wie  folgende  stelle  in  der  vom 
1  märz  1529  datierten  vorrede  der  'Catechesis  puerorum'  des 
Otto  Brunfels  (s.o.  1529,  Berlin  Ep  303<i)  beweist,  welche  'cla- 
rissimis  senatoribus  D.  Jacobo  Sturmio ,  D.  Nicoiao  Cnyebsio  et 
D.  Jacobo  Meyer,  inelytae  urbis  Argentinae  scholarnm  prae- 
fectis'  gewidmet  i>i :  'Vidit  id proeul  dubio  prudentissimus  seno- 
tus  noster,  qui  exaeto  anno  publicas  scholas  instituit,  stipendia 
et  praemia  dedit ,  viros  undeeunque  doctissimos  accersivit  .  .  . 
ldque  senatus  consultum  .  .  .  jjrudentias  veitras  surrogavit,  simul 
id  negotii  dans,    .  .  .  si  </«</   in    /<-  quaestio   fieret,    vel  </<'  doctü 


232  WEGELE    AVEKTIN 

viris  adhibendis,  vel  de  pecunia  suppeditanda,  ad  vos  recurreretur 
.  .  .'  zu  den  frühesten  geschähen,  die  hier  den  drei  scholarchen 
zugewiesen  werden ,  gehörte  nun  gewis  die  Verhandlung  mit 
Aventin,  der  grade  zu  haben  war;  denn  unter  dem  bevorstehnden 
reichstag,  den  Butzer  erwähnt,  werden  wir  jedesfalls  den  zweiten 
reichstag  von  Speier  zu  verstehn  haben,  der  am  2  februar  1529 
ausgeschrieben  wurde. 

A.  blieb  indessen  in  Regensburg;  was  ihn  dort  hielt,  wissen 
wir  nicht,  aber  schon  im  September  1529  schreibt  er  an  Spalatin 
von  der  arbeitsüberlastung ,  die  ihn  nötigte,  ruhig  hinter  den 
büchern  zu  sitzen,  was  W.  s.  45 — 46  von  den  auswanderungs- 
plänen  A.s  in  den  folgendeu  jähren  erzählt,  gehört  jetzt  völlig 
ins  reich  der  mythen;  denn  auch  jenem  kalendereintrag  vom 
jan.  1530  und  den  widerholten  besuchen  A.s  in  Amberg  und 
Neumarkt  darf  man  nunmehr,  wo  sie  ganz  allein  stehn,  nicht 
mehr  mit  Sicherheit  entnehmen,  dass  es  sich  dabei  um  eine 
dauernde  anstellung  am  pfalzgräflichen  hofe  gehandelt  habe;  viel- 
leicht waren  es  nur  archivalische  Studienreisen,  wie  sie  A.  so 
eifrig  zu  unternehmen  pflegte,  phantasie  ist  nun  auch  die  an- 
nähme, dass  er  1533  nach  der  mentorstellung  bei  Oswald  von 
Eck  wie  nach  einem  letzten  rettungsmittel  griff,  wir  wissen  von 
der  ganzen  angelegenheit  nur  durch  Ziegler,  und  wie  weit  wir 
sie  überhaupt  als  tatsache  betrachten  dürfen,  wird  erst  der 
künftige  biograph  Aventins  beurteilen  können,  der  sich  endlich 
einmal  der  Wiedemannschen  quellenkritik  gegenüber  auf  eigene 
füfse  stellen  wird. 

Berlin,  29  märz  1891.  Max  Herrmaivn. 


Friedrich  Ludwig  Schröder,  ein  beitrag  zur  deutschen  litteratur-  und  theater- 
geschichte  von  Berthold  Litzmann,  prof.  an  der  Universität  Jena. 
1  teil.    Hamburg  und  Leipzig,  LVoss  1890,  xv  und  330  ss.  —  8  m.* 

Eine  biographie  des  grofsen  Schauspielers  und  schauspiel- 
directors  Schröder,  welche  in  bezug  auf  inhalt  und  form  allen 
anforderungeii  der  heutigen  Wissenschaft  entspricht,  war  schon 
lange  ein  dringendes  bedürfnis  geworden,  das  ältere,  sehr  ge- 
schätzte und  viel  gesuchte  werk  von  Meyer  ist  eine  wertvolle 
mah-rialiensammlung,  aber  von  künstlerischem  geiste  so  völlig  ver- 
lassen, dass  es  den  modernen  leser  kaum  mehr  zur  lectüre  lockt 
und  nur  als  nachschlagebuch  fleifsig  benutzt  zu  werden  pflegt, 
leider  stellt  sich  bei  genauerem  zusehen  immer  mehr  heraus,  dass 
das  werk  auch  im  eiuzelnen  nicht  immer  zuverlässig  und  mit 
völliger  Sicherheit  zu  gebrauchen  ist.  muss  schon  aus  diesen 
gründen  ein  neues  werk,  welches  in  ansprechender  form  einen 

*  [Litt,  centralbl.  1890  nr  49  (C).  —  Revue  critique  1890  nr50.  — 
DLZ  1890  nr  30  (AvWeilen).] 


LITZMANN    FRIEDR.  LUDVV.  SCHRÖDER  I  233 

gediegenen  wissenschaftlichen  iuhalt  bietet,  herzlich  willkommen 
geheifsen  werden,  so  sucht  der  Verfasser  nach  dem  vorwort  seinem 
buche  auch  eine  selbständige  bedeutung  zu  geben,  indem  er  'die 
Stellung  Schröders  in  und  seine  beziehungen  zu  den  litterarischen 
fragen  und  bewegungen  seiner  zeit'  zum  bauptgesichtspuncte  nimmt. 
während  Meyer  nur  das  theater  berücksichtigte,  will  L.  auch  einen 
beitrag  zur  litteraturgeschichte  liefern,  welche  ja  mit  der  theater- 
geschichte  iu  engem  Zusammenhang  steht. 

Der  vorliegende  erste  band  führt  uns  nur  bis  an  die  schwelle 
von  Schröders  eigentlicher  künstlerischer  tätigkeit:  bis  zum 
23  jähre  des  helden,  der  noch  im  ballet  seine  stärke  hatte, 
als  die  Ackermannsche  gesellschaft  dem  Hamburger  national- 
theater  platz  machte  und  der  junge  Schröder  sich  auch  als  Schau- 
spieler zum  ersten  mal  ganz  auf  sich  selbst  gestellt  sah.  den 
inhalt  bildet,  aufser  der  Vorgeschichte  der  eitern,  im  wesentlichen 
eine  geschichte  der  Schröderseben  und  Ackermannschen  theater- 
gesellschaft,  deren  wanderziige  im  norden  und  im  Süden  höchst 
anschaulich  und  zum  grofsen  teil  auf  grund  neuen  handschrift- 
lichen und  archivalischen  materials  geschildert  werden,  der  Zu- 
sammenhang mit  der  litteraturgeschichte  wird  schon  hier  fest  ins 
äuge  gefasst.  wir  sehen  noch  Schönemann  nach  dem  zurück- 
treten der  Neuberin  mit  Gottsched  anknüpfen  und  die  regel- 
mäfsige  Alexandrinertragödie  aufrecht  halten;  wir  wohnen  der 
ersten  aufführung  von  Lessings  Miss  Sara  Sampson  iu  Frank- 
furt a.  0.  und  der  ersten  aufführung  von  Wielands  Johanna  Gray 
in  Winterthur  bei;  wir  verfolgen  den  sieg  des  bürgerlichen  trauer- 
spiels  der  Engländer  über  die  frostige  Alexandrinertragödie  der 
Franzosen  auf  der  lebendigen  bühne.  namentlich  über  die  Schick- 
sale der  Ackermannschen  gesellschaft  in  der  Schweiz  und  im 
Elsafs  orientiert  uns  der  verf.  auf  grund  neu  erworbenen  materials, 
das  er  zum  teile  hilfreichen  Schweizern  verdankt,  um  die 
Verbindung  mit  der  litteratur  sich  und  den  lesern  immer  deut- 
lich vor  äugen  zu  halten,  entwirft  L.  von  den  litterarischen  persön- 
lichkeiten, die  seiner  truppe  auf  der  Wanderung  begegnen,  aus- 
führliche Charakterschilderungen,  die  mitunter  vielleicht  einen 
zu  breiten  räum  einnehmen,  nirgends  aber  ohne  Überlegung 
und  ohne  absieht  eingeflochten  sind,  überhaupt  aber  ergeht 
er  sich  in  einer  gleichmäfsig  bequemen  und  au  detailzügen 
reichen  erzählung,  welche  den  leser  zwar  nicht  durch  Spannung 
mit  sich  fortreifst,  aber  durch  behaglichen  reiz  an  das  Schicksal 
dieser  wandernden  comödianten  leise  und  doch  sicher  zu  fesseln 
vermag. 

Nur  ein  übelstand  macht  sich  bedenklicher  geltend:  dass  der 
held  selbst  nämlich  zu  wenig  hervortritt  und  namentlich  am  ein- 
gang  und  am  schluss  der  erzählung  völlig  verschwindet,  nun 
wird  allerdings  in  jeder  biographie  die  Jugend  eine  gröfsere  breite 
für  sich  in  ansprach  nehmen  als  die  zeit  der  reife  oder  gar  des 
a.  F.  it.  a.    XVII.  16 


234  LJTZMA»    FIUEDR.  LUDW.  SCHRÖDER  I 

alters,  die  Umgebung,  in  welche  der  held  durch  seine  gehurt 
tritt  und  welche  ihn  im  leben  nach  so  mannigfachen  richtungeii 
zu  bestimmen  sucht,  muss  auch  in  der  darstellung  zum  ausdruck 
kommen ;  und  jede  schüchterne  kundgebung  des  kindes  oder 
des  Jünglings,  die  auf  eine  Stellungnahme  zu  den  umgebenden 
personen  und  Verhältnissen  hinweist,  verdient  berücksichtigung, 
während  in  den  späteren  jähren  eine  flüchtige  begegnung  oder 
ein  beiläufiges  urteil  ganz  ohne  bedeutung  ist.  in  der  biographie 
eines  Schauspielers  liegt  der  fall  aber  doch  etwas  anders,  die  schule, 
ein  zwar  äufserlicher  aber  unentbehrlicher  gradmesser  für  die 
entwicklung  der  fähigkeiten,  kommt  hier  weniger  in  belracht. 
schriftliche  documente  fehlen  meistens  und  beweisen ,  auch  wo 
sie  vorhanden  sind,  nicht  so  viel  als  in  der  entwicklungsgeschichte 
eines  Schriftstellers,  dessen  haudwerk  mit  der  intelligenz  in  einer 
viel  unmittelbareren  beziebuug  steht,  über  die  entwicklung  der 
künstlerischen  fähigkeiten  eines  Schauspielers  sind  wir  vollends 
ganz  im  dunkeln  gelassen;  wir  dürfen  zufrieden  sein,  wenn  wir 
uns  von  seinen  leistungen  in  der  blütezeit  seiner  kunst  und 
seines  ruhmes  auf  grund  der  Schilderungen  der  Zeitgenossen  ein 
halbwegs  zuverlässiges  bild  machen  können,  von  jedem  andern 
künstler  liegen  dem  biographen  die  werke  vor;  von  dem  Schau- 
spieler aber  nicht,  dessen  tätigkeit  beginnt  für  den  historiker 
erst  mit  dem  augenblick,  wo  sie  auf  die  Zeitgenossen  gewirkt 
und  in  ihren  Schilderungen  sich  abgespiegelt  hat.  nur  die  selten 
zuverlässige  quelle  der  autobiographischen  aufzeichnungen  und  die 
spärlichen  nachrichten,  welche  etwa  die  genossen  der  werdezeit 
eines  grofsen  Schauspielers  hinterlassen  haben,  kann  der  biograph 
ausnutzen,  die  innere  entwicklung  darstellender  künstler  ist  also 
für  den  historiker  viel  undankbarer  und  für  die  leser  viel  weniger 
interessant,  als  die  entwicklungsgeschichte  grofser  schriftsteiler, 
die  sich  meist  an  der  band  schriftlicher  documente  verfolgen 
lässt.  so  gern  man  deshalb  auch  die  geschichte  der  Ackermann- 
schen  gesellschaft  bei  L.  lesen  wird,  so  wird  sie  doch  gewis  den 
meisten  lesern  als  basis  für  die  biographie  Schröders  zu  breit  er- 
scheinen, an  löblichen  bemühungen,  seinem  helden  gegenüber 
der  Umgebung  aufzuhelfen  und  bestimmte  abschnitte  in  seiner 
entwicklung  fest  abzugrenzen,  hat  es  der  Verfasser  nicht  fehlen 
lassen,  ganzen  erfolg  hätten  sie  nur  dann  gehabt,  wenn  er  sich 
hätte  dazu  entschliefsen  können,  die  geschichte  der  Ackermann- 
schen  gesellschaft  zusammenfassend  darzustellen,  ihre  ausführliche 
erzählung  aber  in  einem  besonderen  buch  oder  aufsatz  zu  geben. 
Die  arbeit  L.s  sachlich  zu  beurteilen,  wird  leider  dadurch  un- 
möglich gemacht,  dass  der  anhang  von  Urkunden  und  documenteu, 
auf  die  sich  seine  darstellung  stützt,  diesem  ersten  band  nicht 
beigegeben  ist,  sondern  am  Schlüsse  des  ganzen  folgen  soll,  den 
eindruck  einer  besonnenen  kritischen  Verwertung  des  materials 
und  genauer  Sachkenntnis  hat  man  überall,   nur  auf  s.  179  hat 


LITZMANN    FRIEDR.  LUDW.  SCHRÖDER  I  235 

mich  der  lapsus  calami  gestört,  dass  das  lied  'Wer  nur  den  lieben 
gott  lässt  walten'  Paul  Gerhardt  zugeschrieben  wird. 

Als  besonderes  verdienst  sei  der  darstellung  L.s  nachgerühmt, 
dass  sie  sich  aller  spuren  des  garstigen  theaterdeutsch  enthält, 
in  welchem  solche  bücher  fast  gemeiniglich  geschrieben  sind. 
mancher  glaubt,  seiner  darstellung  eine  besondere  theatralische 
färbung  zu  geben ,  indem  er  sie  mit  ein  paar  brocken  aufstützt, 
die  er  da  oder  dort  in  einer  kneipe  von  einem  fettschminker  auf- 
gegriffen hat.  solchen  billigen  und  unedlen  effecteu  verdankt  die 
erzählung  Litzmanns  nirgends  ihre  lichter,  trotzdem  er  sich  in  das 
lustige  und  traurige  leben  der  wandernden  comödianten  des  18  jhs. 
gut  eingelebt  hat  und  mit  sichtlichem  behagen  an  ihrem  wol  und 
weh  anteil  nimmt. 

Es  ist  alles  in  allem  ein  buch,  wie  jetzt  nur  wenige  im 
laufe  eines  Jahres  erscheinen,  und  man  darf  auf  die  fortsetzung 
begierig  sein. 

Wien,  im  januar  1891.  Mknor. 


Das  repertoire  des  Weimarischen  theaters  unter  Goethes  leitung  1791—1817. 
bearbeitet  und  herausgegeben  von  dr  CAHBurkhardt,  grofsh.  sächs. 
archivdirector  (Theatergeschichtliche  forschungen.  herausgegeben  von 
BLitzmann  i).  Hamburg  und  Leipzig,  Leopold  Voss,  1S91.  8°.  xl  und 
152  ss.  —  3,50  m.* 

Die  neue  schrift  von  Burkhardt  ist  eine  bis  zu  absoluter 
Vollständigkeit  erweiterte  ausfiihrung  jenes  repertoireentwurfs, 
den  der  verf.  vor  einigen  jähren  im  4  bände  des  Goethe-jahr- 
buches  veröffentlicht  hat.  welch  eine  fülle  andauerndem  Üeifses 
nötig  war,  um  diese  sauberen  register  herzustellen,  das  wird 
jeder  dankbar  anerkennen,  der  sich  eiumal  mit  theatergeschichte 
beschäftigt  und  dabei  erfahren  hat,  wie  mühselig  das  sammeln 
solches  matprials  ist.  B.  hat  sich  darauf  beschränkt,  die  titel 
der  stücke  und  die  daten  der  aufführung  ohne  commentar  zu 
verzeichnen,  und  erst  der  künftige  geschichtschreiber  des  Wei- 
marischen hoftheaters,  dem  es  zugleich  vergönnt  sein  wird,  die 
kürzlich  wider  aufgefundenen  bedeutenden  Überreste  des  theater- 
archivs  zu  benutzen,  wird  uns  erzählen,  welch  reicher  iuhalt  sich 
zwischen  den  Zeilen  dieser  anscheinend  trockenen  register  ver- 
birgt, nur  eine  kurze,  leider  stilistisch  eiw;is  ungelenke  ein- 
leitung  schickt  B.  voraus,  er  zeichnet  darin  im  wesentlichen 
die  geschickten  Operationen  Goethes,  des  ßnanzmannes ,  wie  er 
durch  die  stattlichen  sommereinnahmen  seiner  filialbühnen  Lauch- 
städt,  Erfurt  usw.  das  deficit  deckte,  das  jede  wintersaison  in 
dem  kleinen  Weimar  verursachte,    dabei  wird  widerum  dei 

*  [vgl.  Beilage  zur  allg.  ztg.  1891  nr  85  ( KKiiuin). ] 


236        BURKUARDT    REPERTOIRE  DES  WEIMAR.  THEATERS   1791 1817 

art  jeder  dieser  auswärtigen  bühnen  rcclinung  getragen,  an- 
deutend zeigt  B.  weiterhin,  dass  ein  auffälliges  numerisches  über- 
gewicht mittelmäfsiger  und  sogar  schlechter  stücke  im  repertöire 
widerum  durch  die  finanzverhältnisse  erklärt  wird:  mittelgut,  das 
der  menge  gefiel,  muste  die  casse  füllen;  nur  dann  war  es  mög- 
lich, ein  ensemble  guter  künstler  auch  für  die  darstellung  von 
meisterwerken  beisammen  zu  halten. 

Dreifach  bat  B.  das  repertöire  des  weimarischen  hoftheaters 
registriert,  zuerst  erhalten  wir  chronologisch  ein  Verzeichnis 
sämtlicher  Vorstellungen,  wie  sie  vom  7  mai  1791  bis  zum 
12  april  1817  in  Weimar  und  an  den  filialbühnen  stattfanden, 
dann  folgt  die  alphabetische  aufzählung  und  numerierung  aller 
stücke  (mit  abzug  von  nr  499  sind  es  genau  600);  und  endlich 
sind  in  einer  dritten  Zusammenstellung  die  namen  sämtlicher 
autoren  alphabetisch  geordnet,  das  dritte  register  verweist  rück- 
wärts auf  das  zweite,  das  zweite  auf  das  erste,  sodass  für  Über- 
sichtlichkeit ausreichend  gesorgt  ist.  für  die  Statistik  hätte  noch 
ein  letztes  getan,  nämlich  die  gesammtzahl  der  aufführungen 
jedes  Stückes,  die  summe  der  werke  jedes  Verfassers ,  sowie  end- 
lich die  anzahl  der  theaterabende,  an  denen  jeder  zu  worte  kam, 
tabellarisch  geordnet  werden  können,  doch  dieser  mangel  ist 
gering  gegenüber  dem  schwereren  vorwürfe,  dass  trotz  alles  fleifses 
das  buch  von  B.  in  hohem  grade  unzuverlässig  ist  und  nie  ohne 
strengste  controle  benutzt  werden  darf,  es  sollen  dabei  einfache 
druckfehler  nicht  hervorgehoben,  auch  willkürlichkeiten  nicht  ge- 
rügt werden,  wie  sie  sich  zb.  in  nr  158  zeigen,  ref.  hat,  so 
weit  es  an  der  band  des  buches  selbst  möglich  war,  alles,  was 
Schiller  betrifft,  geprüft  und  dabei  folgendes  notiert: 

Die  im  nameuverzeichnis  unter 'Schiller' angegebene  nr291 
gehört  zu  'Einsiedel',  wo  sie  fehlt,  dagegen  vermisst  man  bei 
Schiller  nr  297  die  aufführungen  der  'Glocke'.  —  nr  247  D  i  e 
braut  von  Messina:  1804  august  9  war  in  Lauchstädt,  nicht  in 
Weimar  Vorstellung.  —  die  aufführungen  am  3  und  17  october 
1808,  für  welche  das  chronologische  Verzeichnis  noch  die  drei- 
actige  bearbeilung  angibt,  hatten  doch  wol  schon  die  einteilung 
in  vier  acte.  —  ist  es  würklich  bezeugt,  dass  nur  die  zwei  Vor- 
stellungen Halle  1811  juli  25  und  Weimar  1813  november  24 
eine  fünfactige  bearbeitung  zu  gründe  legten?  —  nr  317  Die 
Jungfrau  von  Orleans:  register  A  und  B  widersprechen  sich 
betreffs  der  Vorstellung  von  1811  September  4.  war  nun  Halle 
oder  Lauchstädt  der  ort  der  aufführung?  —  nr  352  Die  rauher: 
1811  decemberl8  hat  keine  Vorstellung  der  'Bäuber'  stattgefunden. 
—  nr  390  Die  Verschwörung  desFiesco:  register  B  notiert 
abweichend  von  A  eine  vieractige  bearbeitung.  wo  steckt  der 
druckfehler?  —  nr488  Kabale  und  liebe:  mit  der  Vorstellung 
von  1811  September  9  verhält  es  sich  genau  wie  mit  der  Vor- 
stellung der 'Jungfrau  von  Orleans'  1811   September  4  (s.o.). — 


BL'RKHARDT    REPERTOIRE  DES  WEIMAR.  THEATERS  1791 1817  237 

nr  513  Macbeth:  das  stück  ist  von  B.  mit  einem  f  bezeichnet, 
dh.  es  ist  aus  Bellomos  repertoire  übernommen,  da  aber  dieser 
sicher  eine  der  älteren  Umgestaltungen  gab,  günstigsten  falls 
die  von  Bürger,  Goethe  dagegen  die  bearbeitung  von  Schiller 
aufführte,  so  war  hier  das  f  wol  kaum  am  platze,  ähnlich  ist 
es  dem  verf.  bei  anderen  Shakespeareschen  stücken  ergangen, 
zb.  nr  151.  und  dass  Goethe  schon  1792  die  Schlegelsche  Über- 
setzung von  Shakespeares  'König  Johann'  (nr  493)  aufführen 
lassen,  ist  natürlich  unmöglich.  —  nr515  Maria  Stuart:  auch 
dieses  stück  (siehe  das  f)  soll  aus  Bellomos  repertoire  stammen, 
was  sich  von  selbst  widerlegt,  aber  selbst  wenn  Bellomo  viel- 
leicht die  'Maria  Stuart'  von  Spiefs  aufgeführt  hat  (was  ich  nicht 
weifs),  so  durfte  das  f  dennoch  hier  nicht  stehn.  —  eine  auf- 
führung  von  1801  juni  14  ist  zu  tilgen,  fehlt  auch  im  register  A.  — 
nr  525  Nathan  der  weise  (Schillers  bearbeitung) :  zu  der  Vorstel- 
lung in  Lauchstädt  1S03  juni  16  wäre  eine  kritische  bemerkung  nötig 
gewesen;  denn  Schillers  kalender,  dessen  glaubwürdigkeit  nur 
mit  überzeugenden  gründen  zu  bezweifeln  ist,  gibt  den  13  juni 
an.  —  nr  587  Wallenstein:  1805  november  20  hat  zu  Weimar 
keine  aufführung  des  'Wallenstein'  stattgefunden.  —  nr  588 
Wallensteins  Lager:  1801  September 27  wurde  das  stück  nach 
dem  chronologischen  Verzeichnis  nicht  in  Rudolstadt,  sondern  in 
Weimar  gegeben.  —  im  jähre  1805  fand  nicht  die  Vorstellung 
vom  11  februar,  sondern  die  vom  25  juli  in  Lauchstädt  statt.  — 
1811  September  2  streiten  sich  das  Verzeichnis  A  und  B,  ob 
Halle  oder  Lauchstädt  der  ort  der  aufführung  war.  —  nr  595 
Wilhelm  Teil:  wie  ist  auf  s.  53  und  54  (1804  december  1  und 
1805  märz  9,  nur  diese  beiden  male)  die  auffällige  tatsache  zu  er- 
klären, dass  man  'Teil'  in  vier  acten  gab?  —  die  Vorstellungen 
1811  august  22  und  31  fanden,  wie  auch  das  register  A  richtig 
angibt,  in  Halle,  nicht  in  Lauchstädt  statt. 

Soviel  mag  genügen,  das  gesamturteil  muss  lauten:  so 
anerkennenswert  die  arbeit  als  ganzes  ist,  so  nötig  ist  die  gröste 
vorsieht,  wenn  man  die  angaben  des  buches  im  einzelnen  ver- 
werten will. 

Hamburg.  \i  bebt  Köster. 


Nachlese  aus   dem   Briefwechsel    zwischen    den  brüderm  Grimm 
und  Salomon  Hirzel. 

Die  im  Anzeiger  \\\  220 —  264  veröffentlichten  Mitteilungen 
mitsten  raummangels  wegen  hauptsächlich  auf  die  für  die  geschickte 
des  Deutschen  Wörterbuchs  erheblichen  briefe  und  auszüge  ein- 
geschränkt uerden.  im  folgenden  habe  ich  mm,  von  mehreren 
seiten  dazu   angeregt,   alles   uns  dem  briefwechsel  noch  mitteilens 


23 S  BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL 

werte  (mit  ausnähme  einiges  persönlichen  und  geschäftlichen)  zu- 
sammengestellt, wodurch  auch  die  arbeit  am  Deutschen  Wörterbuch 
noch  manche  aufklärung  erhält. 

Würzburg,  im  märz  1891.  M.  Lexer. 

1.  SHirzel  an  JGrimm.  31  december  1838. 
Lieber   herr   hofralb!    leb    schicke  Ihnen    hier   die  zeitung, 

worin  der  neueste  artikel  aus  Göltingen,  der  manchem  dort  die 
erste  nacht  im  neuen  jähr  unruhigen  schlaf  bereiten  wird,  dass 
und  wefshalb  Sie  so  schnell  von  Jena  aufbrechen  mufsten,  hat 
uns  recht  leid  gethan  zu  vernehmen,  desto  mehr  freuen  wir 
uns,   dass  es  wieder  besser  geht,  und  wünschen  herzlichst,  dass 

Ihnen  das  neue  jähr  heiter  anbrechen  möge 

Auf  einmal  heifst  es  wieder,  mit  wie  viel  grund  weifs  frei- 
lich niemand,  dass  D  ah  Im  an  n  hier  angestellt  werde,  zunächst 
kommt  das  gerücht  von  einem  briefe,  den  Weber  aus  Dresden 
erhalten,  der  aber  nur  ein  privatbrief  war.  der  kriegsminister, 
der  anfang  dieses  Jahres  hier  in  Leipzig  sein  wort  verpfändet, 
dass  D.  zu  michaelis  hieher  berufen  werde,  liegt  im  sterben, 
da  werden  wahrscheinlich  die  karten  neu  ausgetheilt  werden,  und 
man   sagt,    herr  v.  Falkenstein  solle   minister  des  eultus  werden. 

2.  SHirzel  an  JGrimm.  14  october  1839. 
Albrecht  war  aus  Teplitz  zurückkehrend  nur  wenige  tage 

hier,  ganz  von  liebesgedanken  erfüllt,  und  reiste  dann  nach  Berlin, 
wo  er  sich  letzten  sonntag  vor  acht  tagen  wirklich  verlobt  hat, 
mit  der  tochter  von  prof.  Ideler,  einem  blutjungen  mädchen  mit 
namen  Pauline.  mehr  wissen  wir  hier  zur  stunde  noch  nicht, 
ich  mufs  ihm  nun  eiligst  eine  wohnung  suchen,  da  er  ende  des 
monats  hieher  zurückkommen  und  den  winter  wieder  lesen  will. 
eine  solche  radieal-eur  thut  ihm  sehr  noth,  denn  die  Stimmung 
war  den  sommer,  ehe  er  nach  Teplitz  ging,  von  der  art,  dass  ihm 
seine  freunde  zuletzt  nur  zureden  konnten,  nach  Danzig  zu  gehen, 
wir  freuen  uns  alle  über  diese  unerwartete  wendung  seines  Schick- 
sals und  wünschen,  dass  sich  auch  die  nachricht  von  dem  be- 
vorstehenden rufe  nach  Tübingen  bestätigen  möge,  so  leid  es 
uns  in  vieler  hinsieht  thäte,  ihn  zu  verlieren,  aber  der  sächsi- 
schen regierung  möcht'  ichs  gönnen,  dass  sie  den  verlust  er- 
litte   

Haupt  ist  von  Zittau  zurück,  mit  Mafsmanns  urtheile  über 
den  Erec,  dass  er  'sauber  gearbeitet'  sei,  nicht  völlig  begnügt, 
er  und  Klee,  zuerst  aber  meine  frau,  grüfsen  Sie  aufs  herzlichste 

[Nachschrift.]  Mafsmann  empfiehlt  einen  jungen  mann,  den 
er  aber  nicht  nennt,  der  zeit  zum  excerpiren  habe  und  für  dessen 
treue  und  fleifsige  arbeit  er  einstehe,  er  wünscht  aber  für  den- 
selben ein  regelmäfsiges  honorar,  da  er  dessen  bedürftig  sei. 

Haben  Sie   denn   auch    von    einem    bundestagsbeschluss  ge- 


BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL  239 

hört,  wornach  den  juristenfacultäten  der  deutschen  Universitäten 
verboten  werden  soll,  rechtsgutachten  über  streitige  puncte  in 
der  bundesverfassung  oder  der  Verfassung  eines  einzelnen  deut- 
schen Staates  ohue  vorherige  genehmigung  der  regierung  zu  er- 
theilen?  Mecklenburg  soll  das  loos  getroffen  haben,  den  beschluss 
zuerst  zu  verkünden,  es  ist,  als  ob  die  herrn  in  Fr.  an  ihrem 
sarge  zimmerten. 

3.    SHirzel  an  JGrimm.     15  december  1840  (nach  Berlin). 

Während  wir  uns  mit  vermuthuugen  beschäftigen,  wann  Sie 
wohl  in  der  Leipziger  Vorstadt  Halle  eintreffen  möchten,  um  Sie 
dort  zu  sehen  und  wo  möglich  in  die  Stadt  hinein  zu  locken  — 
müssen  wir  heute  hören,  dass  Sie  schon  seit  tagen  in  Berlin  sind. 
Haupt  wollte  eben  den  inliegenden  brief  nach  Kassel  senden:  ich 
benutze  die  gelegenheit  Ihnen  zu  melden,  dass  schon  seit  einigen 
wochen  eine  altfranzösische  schrift  von  Imm.  Bekker  für  Sie  bei 
uns  liegt,  die  wir  in  der  erwartung,  sie  Ihnen  persönlich  ein- 
händigen zu  können,  bisher  nicht  absendeten. 

Zweimal  werden  Sie  uns  doch  nicht  vorüberreisen,  schon 
Ihrer  gesundheit  wegen  müssen  Sie  unterwegs  einmal  ruhen  und 
sich  wärmen,  und  dazu  ist  Leipzig,  wo  Sie  auch  nahe  au  Jena 
sind,  viel  geeigneter  als  Halle.  Sonnabend  ist  Hermanns  magister- 
jubiläum  und  dienstag  muss  Haupt  nach  Zittau,  und  vor  Weih- 
nachten wollen  Sie  gewifs  wieder  in  Cassel  sein. 

4.    SHirzel  an  JGrimm.  24  august  1S41. 

Die  anwesenheit  Ihres  bruders  ruft  uns  lebhaft  die  schönen 
tage  zurück,  wo  wir  Sie  bei  uns  hatten,  wären  Sie  doch  mit- 
gekommen! ....  Gustchen  gefällt  es  im  garten,  da  glücklicher 
weise  die  pflaumen  reif  sind,  sie  ist  ein  liebes  Hessenmädchen, 
mit  der  wir  bald  vertraut  geworden  sind. 

5.  SHirzel  an  WGrimm.  3  october  1841  (nach  Jena). 
Wenn  Sie  nun  donnerstag  oder  freitag  hier  ankommen,  bitte 
ich  Sie  bei  uns  vorzufahren  .  .  .  Sie  kommen  noch  in  dem  besten 
mefslärm,  dem  das  schöne  weiter  und  die  Berliner  eisenbahn  täglich 
frische  nahrung  zuführen,  einige  Türken  wollen  noch  so  lange 
warten,  bis  Gustchen  kommt,  für  das  es  sonst  noch  mancherlei 
zu  sehn  gibt,  was  ich  nicht  im  voraus  verrathen  will. 

6.    SHirzel  an  WGrimm.     4  december  1841  (nach  Berlin, 

Lenneslrafse  8). 
Gestern  sollen  sie  hier  die  Herweghschen  lieder  verboten 
haben,  doch  ist  der  rathsbote  bei  uns  noch  nicht  gewesen,  auch 
die  Lebensbilder  werden  ohne  zweifei  verboten  werden,  da  herr 
v.  Falkenstein  ein  exemplar  gekauft  hat,  das  gewöhnliche  an- 
zeichen  der  bevorstehenden  confification  .  .  .  dass  der  bundestag 
die  bekannten  Ordonnanzen  über  die  Universitäten  wieder  auf 
6  jähre    verlängert    hat,    haben    Sir    vielleicht    noch    nicht    ge- 


240  BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL 

hört,  iliefsmal  hat  Sachsen  den  beschluss  zuerst  veröffentlichen 
müssen. 

7.  SHirzel  an  JGrimm.  30  april  1842. 
[Nachschrift.]    Arndt  schreibt,  dass  die  Universität  Bonn  aufs 

neue  Dahlmann  vorgeschlagen. 

8.  SHirzel  an  JGrimm.  26  februar  1847. 
Die  beiden  glücklichen,  welche  von  früh  bis  abend  so  lange 

es  tag  ist  die  Wörterbuchzettel  sortiren,  sind  seit  etwa  zwei 
wochen  bei  dem  zweiten  theil  ihrer  aufgäbe  beschäftigt,  dh.  beim 
sortiren  der  beiden  hauptabtheilungen  A — L  und  M — Z  in  die 
einzelnen  buchstaben.  diese  anscheinend  so  durch  und  durch 
mechanische  arbeit  übt  augenscheinlich  einen  geistigen  einfluss 
auf  die  jungen  leute  aus,  die,  während  sie  früher  oft  fragen  auf- 
warfen, dass  man  an  dem  Vorhandensein  der  ersten  elemente 
jedes  Unterrichts  zweifeln  konnte,  nunmehr  nicht  selten  den  sie 
instruirenden  Haupt- mann  mit  sprachphilosophischen  bemerkungeu 
überraschen. 

Nächstens  werden  wir  uns  erlauben,  nachdem  ja  über  alles 
wesentliche  gegenseitiges  verständnifs  vorhanden  zu  sein  scheint, 
Ihnen  den  entwurf  eines  neuen  contractes  vorzulegen. 

9.  SHirzel  an  JGrimm.  15  februar  1849. 
Kehrein   ist   vor   einigen    tagen  bei  uns  eingekehrt,    aber 

der  passagier  flöfste  uns  kein  vertrauen  ein,  und  Ihr  brief  scheint 
unserer  meinung  nicht  zu  widersprechen. 

10.  SHirzel  an  JGrimm.  8  juni  1849. 
Unter  meine  unerledigten  papiere  war  leider  auch  das  blait 

von  Haupt  gerathen,  auf  dem  er  seine  gedauken  über  die  neue 
Orthographie  des  Wörterbuchs  niedergeschrieben,  sie  sind  zum 
glück  nicht  veraltet,  indem  ich  sie  Ihnen  erst  heute  übersende, 
auf  die  sache  selbst  eiiizugehn,  kann  ich  diefsmal  meinerseits 
füglich  unterlassen,  es  ist  vielleicht  eine  schicklichere  gelegen- 
heit  darauf  zurück  zu  kommen,  wenn  wir  Ihnen  das  material  zum 
Wb.  senden ,  wozu  wohl  binnen  8 — 14  tagen  rath  werden  kann, 
da  bis  dahin  endlich  Schiller  eingeordnet  sein  wird. 

11.  SHirzel  an  JGrimm.  23  november  1850. 
Ich  hatte  schon  überall  nach  der  Jubelschrift,  von  deren  exi- 

stenz  ich  in  den  Zeitungen  las,  vigilirt,  nun  darf  ich  wohl  stolz 
darauf  seyn,  sie  als  ein  geschenk  aus  Ihrer  hand  in  meinem  be- 
sitz zu  wissen,  die  vorrede,  um  die  es  sich  natürlich  bei  mir 
vorzugsweise  handelt,  ist  so  hinreifsend  geschrieben,  dass  man 
gleich  wieder  von  vorn  anfängt  wenn  man  sie  zu  ende  gelesen  hat. 

12.  SHirzel  an  JGrimm.  18  mai  1852. 
Ein  höchst  verdaukenswerther  aufsatz  über  das  Wb.  steht  in 

der  A.  allgem.  zeitung,  ohne  zweifei  von  prof.  Häusser  in  Heidel- 
berg,   das  Wb.  war  das  allgemeiue  mefsgespräch  unter  den  buch- 


BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DE.\    GRIMMS    L.ND    HII1ZEL  241 

händlern,  die,  höchstens  mit  ausnähme  einiger  neidhammel  alle 
die  günstigste  meinung  davon  hatten,  es  gilt  mit  recht  für  das 
gröfste  literarische  unternehmen  des  Jahrhunderts. 

13.  SHirzel  an  JGrimin.  24  mai  1852. 
Zarncke  hat  sich  vernehmen  lassen,  ich  denke  gut  ....   ich 

habe  Goethes  briefe  an  frau  von  Stein  und  an  Lavaler  excerpirt 
und  schicke  Ihnen  hier  den  buchstaben  A,  dein  zur  rechten 
zeit  B  und  ff  nachfolgen  sollen,  es  wird  \iel  unnützes  dabei 
sein,  aber  Sie  sehn  den  guten  willen  an. 

14.  SHirzel  an  WGrimm.  15  juni  1S52. 
Pass  das  Wörterbuch  neben  der  freudigen  anerkennung,  die 

es  überall  findet,  auch  einige  angriffe,  vielleicht  zunächst  durch 
jene  hervorgerufen,  erleiden  würde,  war  vorauszusehn.  aber 
dass  die  Nationalzeitung  gerade,  im  Widerspruch  mit  sich  selbst 
den  reigen  eröffnen  würde,  war  überraschend,  der  artikel  des 
herrn  B — s,  den  ich  nicht  zu  errathen  vermag,  macht  indefs 
keinen  nachhaltigen  eindruck,  da  er  den  geruch  von  einer,  gott 
weifs  wo  und  wann,  verletzten  giflkröte  an  sich  träjJ. 

15.  SHirzel  an  JGrimm.  28  juni  1852. 
Durch  Dietrich  Reimer    schickte    ich  .  .  .  auch    die  badische 

landeszeitung,  worin  ein  staiker  ausfäll  auf  die  Verleger  des 
Wb.  es  ist  billig,  dass  auch  diese  einmal  ihr  theil  abkriegen, 
und  es  sollte  mich  recht  freuen,  wenn  von  jetzt  an  alle  angriffe 
auf  das  Wb.  lediglich  auf  diese  sich  richteten. 

16.  JGrimm  an  SHirzel.  30  juni  1852. 
Zur  einstweiligen  beschwichtigung  des  setzers  folgt  hier  ms. 

1077 — 1  ISO.  im  sommer,  merke  ich,  fallt  die  ausarbeitung 
schwerer,  zumal  wegen  der  besuche,  die  stunden  und  viertelstage 
in  beschlag  nehmen,  auf  nächsten  monat  sind  angekündigt  Ger- 
vinus,  der  die  meusebachischen  bücher  gebrauchen  will,  Uhlaud, 
in  gleicher  absieht,  aus  Groningen  kommt  ein  prof.  de  Vries  fünf 
tage  her,  um  sich  wegen  eines  niederländ.  Wörterbuchs  zu  be- 
rathen  (als  fände  er  meinen  plan  nicht  ausreichend  im  erschie- 
nenen lieft!)  und  mein  bruder  aus  Cassel  mit  seinem  töchterchen, 
setzt  man  die  wörterbucharbeit  nur  zwei  tage  aus,  so  hat  sie  den 
dritten  mehr  Schwierigkeit,  auch  leide  ich  seit  einem  halben  jähr 
wieder  viel  an  kopfschmerzen,  die  mir  jede  woche  einen  tag  ver- 
derben .... 

Es  gelm  manche  verkehrte,  unnütze  beitrage  ein,  doch  auch 
bessere,  neulich  sogar,  was  mich  rührte,  ein  päcklein  aus  Neu- 
wied von  Hoffmann  \<>n  Fallersieben  .  .  unter  Ihren  buchen)  sind 
noch  manche  aus  dem  17  jli.  sehr  beachteoswerth.  Meusebachs 
bibliothek  würde  einen  häufen  darbieten,  wenn  ich  zeil  hatte. 
besitzt  n  Sie  Dedekinds  Grobianus?  der  verdiente  pxcerpte. 

[Nachschrift.]     Danziger  und  Badische  zeitung  liegen  wieder 


242  BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL 

bei.  ich  weifs  nicht  was  Schulmeister  mit  dem  vollständigen 
Wörterbuch  sollen;  für  die  müssen  Sie  demnächst,  wenn  es  fertig 
sein  wird,  einen  auszug,  ein  handbuch  in  zwei  bänden 
machen  lassen,  der  dann  sehr  wohlfeil  sein  kann. 

17.  JGrimm  an  SHirzel.  16  juli  1852. 
Empfangen  Sie  wiederholten  dank  für  die  verdienstliche  mühe, 

die  Sie  sich  ums  Wb.  durch  eigne  beitrage  wie  durch  Vermitt- 
lung anderer  machen. 

18.  SHirzel  an  JGrimm.  26  august  1852. 
Ich  bin  den  sommer  immer  in  stiller  bewunderung  gewesen, 

dass  Sie  so  unermüdlich  fortarbeiten  konnten,  und  habe  mich  an 
Ihrem  beispiel  gestärkt,  wenn  ich  meinte,  es  sei  in  Leipzig  nicht 
auszuhalten  .... 

Verdiente  Salomon  Gefsner  nicht  bescheiden  ausgezogen  zu 
werden?  ich  würde  den  Heinrich  Schweizer  in  Zürich,  der  das 
besser  als  ich  verstünde,  darum  bitten. 

19.  JGrimm  an  SHirzel.  6  September  1852. 
Da  mir  beide  freunde  ausdrücklich  zur  pflicht  gemacht  haben, 

zu  verreisen,  so  folge  ich,  und  gehe  morgen  als  den  7  sept.  auf 
etwa  zwei  wochen  weg.  so  lange  musz  also  der  druck  ruhen, 
ich  habe  eben  47a  corrigiert  und  zurückgesandt. 

20.  SHirzel  an  JGrimm.  21  September  1852. 
Zum  willkommen   in  Berlin  übersende  ich  Ihnen  einiges  in 

Ihrer  abwesenheit  eingegangene,  dabei  auch  eine  recension  aus 
der  Schulzeitung. 

21.  JGrimm  an  SHirzel.  28  September  1852. 
Es  war  hübsch  lieber  Hirzel,  dasz  wir  von  Braunschweig  bis 

Magdeburg  zusammenfuhren ,  doch  müssen  Sie  sehr  müde  ge- 
wesen sein,  weil  Sie  meistentheils  schliefen. 

22.  SHirzel  an  JGrimm.  20  december  1852. 
Haupt  meinte  letzthin,  bei  Schmellers  lebzeiten  hätte  Wurms 

machwerk  in  den  Münchener  gel.  anzeig,  keine  aufnähme  ge- 
funden, aus  Ihren  mittheilungen  ergibt  sich  erst  was  für  eine 
bodenlose    gemeinheit   und   frechheit  demselben  zu  gründe  liegt. 

23.  SHirzel  an  JGrimm.  15  Januar  1853. 
Die  eingetretene  Unterbrechung  thut  mir  wahrlich  um  ihrer 

Ursache  willen  nicht  geringer  leid  als  der  sache  selbst  wegen, 
folgen  Sie  doch  ja  dem  rathe  des  arztes  und  gehn  fleifsig  spa- 
zieren, es  gibt  ja  jetzt  oft  so  milde  tage,  wie  man  zu  dieser 
Jahreszeit  nicht  gewohnt  ist.  ich  wollte,  dass  ich  Sie  jeden  tag 
abholen  könnte,  Sie  brauchten  kein  wort  mit  mir  zu  sprechen, 
und  ich  wollte  mich  auch  still  halten,  man  wird  selbander  wan- 
delnd weniger  müde  als  allein,  doch  würde  es  Ihnen  ja,  wenn 
Sie  geleit  bedürften,  an  bessern,  als  meines  gleichen  nicht  fehlen 


BRIEFWECHSEL    ZWISCHE?;    DE>    GRIMMS    U.\D    HIRZEL  243 

Vorgestern  ist  Otto  Jahn  zurück  gekommen,  er  war  in  Mün- 
chen und  versichert,  dass  die  academie  die  Wurmsche  anzeige  des- 
avouiren  werde.  Thiersch  wäre  empört  gewesen,  dass  der  streich 
in  seiner  ahwesenheit  gelingen  konnte. 

24.  SHirzel  an  JGrimm.  13  august  1853. 
Die  liehe  heschäftigung  mit  dem  Wörterbuch  habe  ich  [iväh- 

rend  Grimms  reise]  recht  entbehrt,  freilich  haben  die  hunde  wieder 
lärm  gemacht:  ich  denke  aber,  Sie  setzen  Ihr  schweigen  fort, 
auf  Wurm  wollte  Zarncke  gar  nichts  erwidern,  den  Sanders  hatte 
er  gleich  abgethan. 

25.  SHirzel  an  JGrimm.  22  august  1853. 
Das  letzte  Wurmsche  pamphlet  habe  ich  noch  nicht  gelesen, 

mich  reuen  die  paar  groschen  und  noch  mehr  reut  mich  der  ver- 

driefsliche  tag,  den  es  mir  voraussichtlich  machen  wird mich 

bekümmert  bei  diesen  geschichten  nur  eins  ...  die  nahe  liegende 
befürchtung,  dass  Ihnen  nach  und  nach  die  frische  lust  am  weiter- 
schaffen verkümmert  und  vergällt  werden  könnte;  das  ists,  was 
mich  manchmal  quält,  indessen  wenn  mich  an  trühen  tagen  solche 
gedanken  heimsuchen,  muss  ich  mir  auch  bald  wieder  zum  tröste 
sagen,  dass  es  eine  thorheit  sei,  an  Sie  den  mafsstab  einer  kleinen 
gewöhnlichen  menschennatur  zu  legen. 

In  der  ostermesse  voriges  Jahres,  als  das  erste  lieft  mit  so 
allgemeinem  jubel  begrüfst  wurde,  sagte  ein  ruhiger  verständiger 
College  zu  mir:  'das  wäre  doch  ein  wunder,  wenn  dieser  bei  fall 
nicht  auch  einige  derbe  angriffe  hervorriefe',  solche  mifshand- 
lungen  müssen  also  doch  zu  den  deutschen  erfahrungen  gehören. 

26.  SHirzel  an  JGrimm.  4  october  1853. 
Ich  ärgere  mich  recht,  nicht  zu  rechter  zeit  an  Goethes 

'nur  die  lumpe  sind  bescheiden' 
gedacht   zu  haben ,   es  wäre    doch  ein  schickliches  citat  gewesen 
[s.  Dwb.  i  1550;    das  citat  ist  also  wol  erst  bei  der  druckrevision 
ins  Wb.  gekommen]. 

27.  SHirzel  an  JGrimm.  13  october  1S53. 
Heute    habe    ich    die   zweite   hälfte   des  100sten  bogens  mit 

vielen  stillen  glück  wünschen  an  Sie  abgesandt. 

28.  SHirzel  an  JGrimm.  29  october  1853. 
Dass  Simrock  zu  viel  schreibe,  höre  ich  von  allen  seilen. 

Den  Walther  mochte  ich  Wackernagels  wegen,  der  ihm  gerathen 
an  mich  zu  gehn,  nicht  absehlagen. 

29.  SHirzel  an  JGrimm.  22  november  1S53. 
Obgleich  das  B  so  viele  prächtige  artikel  enthüll,  fange  ich 

mich  «loch  manchmal  an  vor  ihm  zu  fürchten,  da  es  sieh  wie 
ein  bandwurm  fortspinnt  und  uns  den  ersten  band  Ober  erwarten 

anschwellt,      einmal    kam   mir   der  einlall,   oh   man    die   citate   aus 


244  BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UMD    IIIRZEL 

der  bibel  etwas  beschränken  konnte;  doch  sagte  ich  mir  gleich, 
dass  Sie  Ihre  gründe  haben  werden,  sie  in  dieser  fülle   zu  geben. 

30.  JGrimm  an  SHirzel.  31  Januar  1854. 
Lieber  freund,  dieser  monat  soll  nicht  ablaufen,  ohne  dasz 

ich  Ihnen  manuscript  zur  vorrede  sende,  worauf  Sie  mit  schmerzen 
gewartet  haben  werden;  es  kamen  viel  Störungen  über  mich,  auch 
war  ich  nicht  recht  wol  und  es  hielt  schwer,  so  vielerlei  dinge, 
die  sich  in  der  vorr.  zusammen  drängen,  zu  überschlagen,  hier- 
bei folgt  also  manuscript  zum  ersten  bogen ,  das  übrige  soll 
schneller  nachkommen,  ich  wünsche,  dasz  der  anfang  Ihnen  gefalle. 

31.  SHirzel  an  JGrimm.  1  februar  1854. 
Ich   habe   nicht  gezögert,   es  [manuscript  zum   1  bogen   der 

vorrede]  zu  lesen  und  habe  diese  32  Seiten  mit  steigender  freude 
gelesen,  es  ist  alles  eigenthümlich,  interessant,  überzeugend,  für 
jedermann  verständlich,  ich  wüfste  nicht  was  man  anders  wün- 
schen möchte,  aber  ich  wüfste  auch  nicht  wer  das  so  schreiben 
könnte  als  Sie.  auch  die  Stimmung,  in  der  Sie  geschrieben  haben, 
hat  etwas  ungemein  wohlthuendes. 

Aus  einer  stelle  muss  ich  schliefsen,  dass  Sie  mit  Ihrem 
herrn  bruder  sich  über  die  art  und  weise  seiner  mitarbeit  be- 
sprochen und  geeinigt  haben,  wie  sehr  würde  es  mich  beruhigen 
zu  hören,  dass  hierbei  das  resultat  erzielt  worden,  das  mir  noch 
immer,  und  immer  mehr,  als  das  für  das  gedeihen  des  Werkes 
einzig  mögliche  erscheint. 

32.  JGrimm  an  SHirzel.  21  februar  1854. 
Viel   hat   mich    in  dieser  woche    gestört   Holtzmanns  schrift 

über  die  Nibelungen,  gegen  Lachmann  gerichtet,  dessen  ansieht 
ohnehin  schon  unhaltbar  geworden  war  und  es  dadurch  noch 
mehr  wird,  doch  stellt  auch  Holtzmann  viel  seltsames  auf,  es 
kommen  aber  natürliche  und  feine  bemerkungen  vor. 

33.  SHirzel  an  JGrimm.  22  februar  1854. 
Dass   Sie   [in   der  vorrede]   die   namen  Sanders   und  Wurm 

nicht  unerwähnt  lassen,  finde  ich  in  der  Ordnung. 

34.  SHirzel  an  JGrimm.  3  märz  1854. 
Auch    der   schluss    der  vorrede   ist  richtig  eingetroffen:    ich 

darf  nichts  dazu  sagen,  aber  bei  dem  lesen  des  einen  blaues 
überlief  es  mich  heifs. 

35.  JGrimm  an  SHirzel.  15  märz  1854. 
Gott  sei  dank,  dasz  dieser  streifzug  durch  drei  Jahrhunderte 

unserer  literatur  zu  ende  ist;  Sie  erhalten  auch  zum  ersten  carton 
das  ms.  auf  Ihre  und  Hildebrauds  (der  wie  Sie  früher  einmal 
schrieben  über  viele  citate  den  köpf  schüttelte)  berichtigungen 
bin  ich  nun  gespannt  ....  aber  jetzt  werden  Sie  und  Reimer 
einsehen,    dasz    unmöglich    gleich  mit  der  ersten  lieferung,    wie 


BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL  245 

damals  begehrt  wurde,  vorrede  und  quellenverzeichnis  gegeben 
werden  konnte  .... 

Wollen  Sie  druckfehler  anzeigen?  ich  kann  noch  mit  mehr 
aufwarten. 

36.  SHirzel  an  JGrimm.  28  märz  1854. 
Der   erste    band   schliefst    also  nun  mit  biermolke,    nicht 

eben  für  jedermann,  bis  gestern  hatte  ich  noch  die  absieht 
1 V2  columnen  dazu  zu  geben,  bieten  wäre  dann  ein  schöner 
anfang  des  neuen  bandes  gewesen,  aber  das  hätte  neuen  auf- 
enthalt  gemacht,  und  Hirschfeld  rieth  mir  auch  ab. 

37.  JGrimm  an  SHirzel.  1S54  (ohne  datum). 
Mich   freut   sehr,    dasz    hinter  biermolke  am  schlusz  des 

bandes  kein  strich  gesetzt  steht,  was  mir  verbürgt,  dasz  der  zweite 
band  mit  dem  nächsten  worte  (biernahrung  oder  was  es  ist) 
ganz  obeu  anfängt  .... 

Nun  geht  der  krieg  los,  was  unserm  Wörterbuch  vorläufig 
auch  nichts  nutzt. 

38.    JGrimm  an  SHirzel.       1854  Sonnabend  (ohne  datum). 

Lieber  Hirzel,  ich  habe,  den  lockungen  von  Amnion  und 
Kerner  zum  trotz,  die  badereise  aufgegeben,  weil  ich  das  regen- 
wetter  und  die  langeweile  fürchte,  dagegen  ist  mirs  lieb  vom 
Wörterbuch  ein  wenig  aufathmen  zu  können,  um  eine  academische 
abhandlung  auszuarbeiten,  die  ich  den  10  august  lesen  musz. 
bin  ich  fertig  damit,  so  sende  ich  Ihnen  wieder  msp.  und  reise 
in  der  zweiten  hälfte  august  noch  ein  wenig,  auch  liegt  ein  berg 
von  briefen    zur  beantwortung  vor  mir,    der  abgethan  sein  will. 

39.  JGrimm  an  SHirzel.  13  november  1854. 
Der  artikel  buch  ist  einer,  wo  Sie  viel  zu  berichtigen  haben 

werden. 

40.  JGrimm  an  SHirzel.  30  december  1854. 
Ich    kann    diesmal  nur  wenig  msp.  beilegen,    um  diese  zeit 

sind  die  abhaltungeu  zu  viele  und  besonders  viel  briefe  zu  schreiben, 
womit  ich  leider  noch  nicht  zu  ende  bin.  auch  war  gerade  der 
artikel  bursch  schwierig  zu  behandeln  und  erforderte  vieles  nach- 
lesen, wobei  man  stets  auf  nebendiuge  gerälh.  dann  langte  Gö- 
dekes  Gengenbach  an,  worin  auch  viel  langweiliges  zu  lesen   ist. 

41.  JGrimm  an  SHirzel.  3  September  1855. 
Wilhelm  und  Hermann    sind   den   letzten   briefen  nach  noch 

zu  Cassel,  von  wo  die  reise  nach  Göttingen,  Hermanns  vielleicht 
auch  Harzburg  geben   soll,  damit  wird  die  buminelei  zu  ende  sein. 

42.  JGrimm  an  SHirzel.  12  october  1855. 
Lieber  freund,  ich  wollte  nicht  eher  antworten,  bis  ich  Ihnen 

Wilhelms   rückkehr  bleu  könnte,   die  nun  endlich  vorgestern 

abend  erfolgt  ist.  ich  linde  durch  diese  ausreise  seine  Gesund- 
heit wenig  gebessert,  die  empfindliche  Bchwäche  in  seinen  füszen 


246  BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL 

hat  eher  zu  als  abgenommen,  hoffentlich  wird  er  Ihnen  näch- 
stens auskuüft  über  das  Wörterbuch  geben,  dessen  Versäumnis 
mir  natürlich  am  herzen  liegt. 

Ich  selbst  habe  seit  drei  wocheu  wenig  vor  mich  gebracht, 
sodasz  ich  zweifle  ob  ich  zur  versprochnen  zeit  das  manuscript 
werde  liefern  können,  viele  empfinden  hier  den  einflusz  der 
bösen  choleraluft  und  mehrere  tage  war  mir  nicht  sonderlich  zu 
mute,  doch  ists  vorübergegangen. 

Von  Kosegartens  niederdeutschem  Wörterbuch  ist  die  erste 
lieferung  heraus  und  der  Verleger  meint  überhaupt  mit  sechs 
lieferungen  durchzukommen,  der  glückliche!  das  ist  doch  eine 
arbeit,  deren  ende  man  absieht,  die  wahrscheinlich  im  manuscript 
schon  ganz  fertig  liegt,  die  einrichlung  ist  vergnüglich  und  breit, 
das  ganze  werk  höchst  willkommen  und  nützlich,  auch  recht 
fleiszig,  dennoch  eigentlich  ungelehrt  und  auf  der  Oberfläche  her- 
gehend,    das  mögen  aber  gerade  viele  leser. 

43.  WGrimm  an  SHirzel.  16  october  1855. 
Vor  wenigen   tagen  bin  ich  endlich  wieder  hier  eingerückt. 

gleich  anfangs  hat  krankheit  mich  in  Bonn  zurückgehalten,  dann 
in  Hannover,  wo  ich  wochen  weilen  muste,  und  wohin  meine 
frau  vom  Harz  kam:  so  bin  ich  gerade  noch  einmal  so  lang 
weggeblieben  als  meine  absieht  war.  nun  steht  mir  der  winter 
bevor,  und  ich  wünsche  dasz  er  sich  gnädig  erweise. 

Ich  habe  in  stunden  wo  ich  etwas  thun  konnte,  manches 
nicht  unwichtige  ausgezogen.  Sie  werden  in  der  folge  citate 
finden  aus  Kotzebues  dramatischen  spielen,  wo  er  sich  gehen 
läszt  und  nicht  ziert,  aus  Ifflands  werken,  Freitags  [so]  soll  und 
haben ,  Gutzkows  ritter  vom  geist.  Mercks  briete  und  Jeans  Pauls 
Siebenkäs  habe  ich  nochmals  mit  nutzen  durchgesehen.  . .  . 

Die  cholera  schleicht  noch  immer  herum,  wie  bin  ich  er- 
schrocken über  den  plötzlichen  tod  der  frau  Haupt,  die  meine 
frau  im  Harz  noch  so  heiter  gefunden  hat. 

44.  JGrimm  an  SHirzel.  10  december  1855. 
Warum  wollen  wir  uns  iu  briefen,  die  doch  natürlich  manches 

ungenau  und  unvollständig  ausdrücken,  die  sorge  vervielfältigen 
die  uns  bedrängt?  ich  habe,  meines  wissens,  Ihnen  nicht  das  ge- 
ringste von  dem  verheiszenen  abgesagt,  das  wb.  geht  mir  zu 
herzen  und  sobald  diese  meine  gedanken  erfüllende  neue  arbeit 
beseitigt  ist,  beginne  ich  den  buchstaben  E  und  fahre  rasch 
darin  fort. 

45.  WGrimm  an  SHirzel.  13  april  1856. 
Es  war   mir   lieb,   dasz  Sie  mir   das   ganze   denken   [zur 

correctur]  zugesendet  hatten,  so  konnte  ich  noch  eins  und  das 
andre  nachtragen,  und  der  etwas  schwierige  artikel  ist  nun  zu 
ende  gebracht .  .  .•  es  wäre  mir  lieb  gewesen,  wenn  das  neue  lieft 
mit  der  die  das  hätte  beginnen  könuen. 


DHIEFWECHSEL    ZWISCHE.N    DE.N    GRIMMS    UMD    HIRZEL  247 

46.  WGrimm  an  SHirzel.  11  mai  1856. 
Mein  sohu  Hermann  hat  sich  entschlossen,  mit  Joachim,  der 

von  Hannover  hierher  kam,  eine  erholungsreise  nach  Venedig,  das 
in  dieser  zeit  alle  seine  reize  entfalten  soll,  über  Wien  zu  machen. 
von  daher  habe  ich  schon  einen  brief,  morgen  soll  es  weiter  nach 
Triest  sehen,  seine  novellen  sind  eben  fertig  geworden,  er  scheint 
mir  dafür  nicht  unbegabt  zu  sein,  die  geistreichste  ist  das  kiud, 
am  besten  gefällt  mir  der  landschaftsmaler. 

47.  WGrimm  an  SHirzel.  20  mai  1856. 
Von  Hermann  habe  ich  briefe  aus  Venedig,  die  zusammen- 
fallenden paläste,  die  veffallne  pracht  macheu  ihm  eineu  traurigen 
eindruck  und  er  wird  nicht,  wie  er  vorhatte,  länger  dort  weilen, 
die  reiselust  überhaupt  scheint  sich  bei  ihm  gemindert  zu  haben. 

Ein  dr  Kelle  aus  Augsburg  [so],  der  sich  hier  schon  ein 
jähr  aufgehalten  hat  und  hofft  professor  in  Würzburg  zu  werden, 
gibt  den  Otfried  heraus,  der  schon  grösztentheils  gedruckt  ist. 

48.  WGrimm  an  SHirzel.  29  mai  1856. 
Ich  habe  mich  über  die  anzeige  [in  den  Grenzboten]  gefreut, 

besonders  da  sie  nicht  etwa  veranlaszt  ist,  und  danke  Ihnen  für 
diese  freundliche  mittheilung.  meiner  frau  und  tochter  haben 
Sie  damit  einen  besondern  gefallen  getban.  Hermann  hat  noch 
eine  grosze  procession  in  Venedig  mit  angesehen,  und  ich  denke 
wir  werden  in  einer  novelle  davon  zu  lesen  haben,  eben  erhalte 
ich  einen  brief  von  ihm  aus  Mailand,  wo  der  dorn  einen  mäch- 
tigen eindruck  auf  ihn  gemacht  hat  ...  . 

Heute  abend  kommt  der  russische  kaiser  und  es  werden  an 
verschiedenen  stellen  musikchöre  aufgestellt,  die  ihn  mit  der  rus- 
sischen hymne  empfangen  sollen,  ich  werde  nichts  davon  hören, 
da  wir  eine  sitzung  der  academie  haben. 

49.  WGrimm  an  SHirzel.  11  Juni  1856. 
Hermann   ist  schon  am   1   d.  m.  zurückgekommen,    wo  wir 

ihn  noch  nicht  erwarteten,  er  hat  sich  nach  haus  gesehnt  und 
ist  nur  einen  tag  in  München  geblieben,  wo  das  treiben  der 
Parteien  im  schwang  zu  sein  scheint. 

50.  WGrimm  an  SHirzel.  26junil856. 
Der    artikel    der   wird   noch  etwa  zwei  halbe  bogen  in  an- 

spruch  nehmen;  er  hat  mir  mühe  genug  gemacht  und  in  den 
auszügen  fand  ich  sehr  wenig  vor. 

51.  WGrimm  au  SHirzel.  22  october   1856. 
Wenn  Sie  Zarncke  sehen,    so  bitte   ich  ihm    zu  sagen   dasz 

ich  seine  ausgäbe  der  Nibel.,  die  ja  schön  ausgestattet  ist,  erhalten 
habe  und  ihm  bestens  dafür  danke. 

Müllenhof  [so]  ist,  wie  ich  aus  der  zeitUDg  ersehe,  liier  an- 
gelangt, und  ich  vermute  daher,  das/,  man  mit  dun  in  Unter- 
handlung steht. 


24S  BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL 

52.  SHirzel  an  JGrimm.  3  Januar  1857. 
Vergönnen  Sie,  theurester  berr  hofrath,  dass  mit  den  vielen, 

die  morgen  Ihnen  ihre  huldigungen  und  wünsche  darbringen, 
auch  ich  zu  Ihnen  hineinzuschliipfeu  versuche,  wo  so  viel  ge- 
wünscht wird,  bleibt  für  mich  kein  besonderer  wünsch  übrig,  und 
wenn  ich  einen  solchen  äufserle,  wäre  es  ja  auch  nur  einer,  den 
tausende  mit  mir  theilen  und  auf  seine  erfüllung  hoffen. 

Mögen  Sie  den  glücklichen  tag  heiter  und  ungestört  ver- 
leben! wir  werden  es  uns  auch  nicht  nehmen  lassen,  auf  Ihr 
Wohlergehen  anzustofsen,  und  wissen,  dass  wir  damit  gott  wohl- 
gefälliger sind  als  die  Berliner  mefsjuden,  die  in  Auerbachs  keller 
'auf  die  eroberung  der  Schweiz'  anstofsen. 

53.  WGrimm  au  SHirzel.  8  Januar  1857. 
Sie  wissen  dasz  ich  das  mscrpt.  so  lange  als  möglich  be- 
halte, um  noch  nachtrage  machen  zu  können,  und  Sie  quälen 
mich  durch  Ihre  forderung  nicht;  im  gegenlheil  ich  rechne  auf 
Ihre  erinnerung.  ich  will  nur  bemerken,  dasz  es  mir  nicht  mög- 
lich ist  jede  woche,  eine  in  die  andere  gerechnet,  manuscript  zu 
einem  halben  bogen  oder  zwölf  spalten  zu  liefern,  welche  vor- 
zöge hat,  auszer  noch  andern,  mein  bruder,  der  gleich  fertig 
mahlt,  freilich  auch  ungestörter  arbeiten  kann. 

54.  WGrimm  an  SHirzel.  15  märz  1857. 
Gestern  abend  waren  alle  meine  fenster  besetzt  von  be- 
kannten, die  den  fackelzug  zu  Böckh,  der  sein  doctorjubiläum 
feierte,  sehen  wollten,  es  waren  an  400  Studenten  und  der  qualm 
von  den  fackeln  so  stark  dasz  uns  das  gesicht  geschwärzt  war, 
und  mein  zimmer  davon  ganz  angefüllt,  heute  ist  ein  groszes 
essen,  an  dem  nur  Jacob  theil  nimmt. 

55.  WGrimm  an  SHirzel.  17  märz  1857. 
Ich  danke  für  die  mittheilung  der  beiden  recensionen.    der 

beitrag  aus  Valenciennes  ist  eine  dummheit  und  der  andere  von 
der  malabarischen  küste  hätte  auch  die  weite  reise  nicht  brauchen 
zu  machen. 

56.  WGrimm  an  SHirzel.  16  october  1857. 
Ich    danke  Ihnen    für    die    bemühung  wegen    der   stelle  aus 

Göthe,  ich  weisz  dasz  Sie  solche  am  ersten  finden,  schon  oft 
hat  mich  solches  nachsuchen  mühe  und  zeit  gekostet,  indessen 
findet  sich  auch  wol  noch  eins  und  das  andere  bei  der  gelegen- 
heit.  so  trefflich  Klees  auszöge  aus  Göthe  sind,  so  habe  ich 
doch  noch  vieles  nachgetragen  und  manche  stelle  vervollständigen 
müssen. 

Prof.  Weigand  aus  Gieszen  war  mit  seiner  tochter  acht 
tage  oder  länger  hier,  ein  guter,  fleisziger  und  verständiger  mann, 
der  an  dem  Wörterbuch  theil  nimmt  und  mir  öfter  beitrage  sendet, 
alle  so  schön  geschrieben,  als  wenn  sie  in  kupier  gestochen  wären. 


BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    L>E.\    GRIMMS    ü.ND    HIRZEI.  249 

57.  WGrimm  an  SHirzel.  16  november  1S57. 
Mein    bruder    bat    einen    unfall  gehabt,    der   nocb  glücklich 

abgelaufen  ist.  vor  einigen  tagen  biegt  er  in  der  dämmerung 
um  die  ecke  in  unsere  strasze,  da  stöszt  ihm  ein  laternenanzünder 
die  quergelragene  leiter  heftig  ins  gesicht.  wäre  der  stosz  einen 
zoll  hoher  gekommen,  so  war  das  äuge  verloren:  so  erhielt  er 
auf  den  backen  neben  der  nase  eine  wunde,  die  heftig  blutete 
und  die  eine  narbe  zurücklassen  wird,  indessen  heilt  sie  gut 
und  schnell  und  ich  hoffe,  dasz  er  in  eiuigen  tagen  wieder  aus- 
gehen kann. 

Haupt  klagt  über  einen  rückfall  in  seinen  krankhaften  zu- 
stand und  hält  seine  Vorlesungen  nur  mit  anstrengung.  er  musz 
durchaus  längere  zeit  die  arbeit  aufgeben  und  in  voller  rube  leben. 

58.  WGrimm  an  SHirzel.  18  februar  1858. 
Hierbei  abermals  futter  für  den  setzer  ....  die  vielen  kleinen 

artikel  bei  drei  haben  meine  geduld  sehr  in  anspruch  genommen. 

59.  WGrimm  an  SHirzel.  25  februar  1858. 
Hochgeehrter  freund,  es  ist  sehr  freundlich   von  Ihnen  dasz 

Sie  sich  meines  geburtstages  erinnert  und  mir  so  gute  wünsche 
dazu  gesendet  haben,  je  weiter  man  in  den  jähren  voran  schreitet, 
je  lebhafter  und  dankbarer  empfindet  man  die  fortdauer  wohl- 
wollender gesinnung.  ich  habe  mich  an  dem  tage  nicht  stören 
lassen  durch  die  grippe,  die  mich  noch  immer  nicht  freigeben 
will,  mich  an  dem  hellen  himmel  erfreut,  der  zum  fenster  herein- 
leuchtete ,  und  die  kälte  in  dem  erwärmten  zimmer  nicht  em- 
pfunden. Jacob  war  noch  schlimmer  daran  und  muste  den 
gröszten  theil  des  tages  im  bett  zubringen,  kam  aber  doch  zu 
tisch  um  meine  gesundheit  auszubringen. 

Hr  Siegfrid  in  Königsberg  schreibt  mir,  dass  bei  Ihrem 
schwager  eine  kleine  schrift  gegen  Lewes  erscheinen  werde, 
vermutlich  eine  rechtfertigung  der  Bettine.  ßettine  ist  fortwäh- 
rend krank,  erhebt  sich  manchmal  auf  einige  zeit  und  zeigt  eine 
grosze  lebenskraft. 

60.  SHirzel  an  JGrimin.  17  mai  1S58. 
Diese  messe  ist  für  mich  die  wichtigste  von  allen  gewesen, 

die  ich  noch  erlebt  habe,  ich  hoffe  auch  die  glücklichste,  ich 
weifs,  dass  Sie  an  der  oachricht,  die  Ibuen  das  gedruckte  blatt 
gebracht  hat,  herzlichen  antheil  nehmen,  und  wenn  Sie  das 
glückliche  brautpaar  sahen,  würden  Sit;  so  grofses  Wohlgefallen 
daran  linden  wie  wir  alle,  freilich  hätten  wir  das  liebe  kind 
gerne  bei  uns  bebalten,  aber  die  kinder  sind  ja  Dicht  der  ehern 
wegen  da,  und  wenn  ich  »linke,  wie  meine  eigenen  eitern  mich 
einst  mit  schwerem  herzen,  aber  zufrieden  wenn  mir  ich  zu- 
frieden war,  von  ihnen  weg  io  weite  ferne  ziehen  sahen,  will 
auch  ich  das  Opfer  bringen,  uü(\  so  denkt  auch  meine  liehe  Iran. 
Oltilie  ist  jetzt  19,  ihr  bräutigam  24  jähre,  die  hochzeit  soll, 
A.  F.  D.  A.     XVII.  IT 


250  BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEM    GRIMMS    U«D    H1RZEL 

wie  ich  hoffe,  ei>t  im  nächsten  frühjahr  stattfinden,  er  ist  der 
älteste  söhn  des  hekannten  reisebücher-mannes,  mit  dem  ich  im 
j.  1S23  zu  gleicher  zeit,  er  als  gehülfe  ich  als  lehrling,  im 
Reimerschen  hause  eiuwanderte.  so  ist  er  in  Deutschland  mein 
erster  freund  geworden  und  stets  mein  hester  gehlieben. 

61.  JGrimm  an  SHirzel.  1  october  1858. 
Lieher  freund,  ich  hatte  vierzehn  tage  lang  in  diesem  herr- 
lichen September  ungetrübtes  wetter,  holte  erst  Auguste  in  Harz- 
burg ab,  mit  dem  plan,  sie  über  Stuttgart  und  Friedrichshafeu 
nach  dem  Bodensee  zu  führen,  als  wir  aber  zu  Frankfurt  saszen, 
hatte  meine  heiserkeit  so  zugenommen,  dasz  sie  mir  vernünftig 
anlag  lieber  nach  Ems  zu  gehn  und  meine  angegriffene  brust- 
haut zu  heilen,  wenigstens  zu  beruhigen,  sie  wolle  sich  gern  die 
freude  der  süddeutschen  reise  versagen,  gedacht  gethan,  wir 
kamen  über  Mainz  und  Coblenz  (denn  die  Lahnsteiner  eisenbahn 
ist  eingestürzt)  schnell  zum  krähnchen  und  kesselbrunnen,  wel- 
chen letzteren  ich  acht  tage  lang  pflichtmäszig  trank,  zwar  sagte 
der  arzt,  eine  woche  helfe  so  gut  wie  nichts,  es  müsse  sechs 
wochen  hindurch  geschehen,  ohne  mich  daran  zu  kehren,  reiste 
ich  über  Weilburg,  Wetzlar,  Gieszen  (wo  ich  den  Weigand  im 
bett  überraschte)  zurück,  brachte  einige  tage  vergnügt  in  Cassel 
zu,  und  bin  nun  wieder  hier,  befinde  mich  auf  dem  alten  punct. 

Dadurch  ist  in  der  ausarbeitung  des  ms.  ein  unvermeidlicher 
verzug  gekommen,  denn  hier  hatten  sich  unterdessen  manche 
dinge  aufgehäuft,  die  abgewickelt  sein  wollten,  ich  werde  aber 
bald  wieder  in  zug  geraten  und  die  andere  hälfte  des  hefts  soll 
im  november  fertig  sein. 

62.  WGrimm  an  SHirzel.  1  februar  1859. 
Mit  dem  vvorte  dumpfheit  werde  ich  geneckt,    eheu  bringt 

mir  Hermann  eine  stelle  aus  den  Propyläen,  die  eine  definition 
davon  enthält  und  noch  aufgenommen  werden  musz.  sie  ist  aus 
einem  brief  Wilhelms  von  Humboldt  aus  Paris  [nun  folgt  die  im 
W7>.  2,  1527  aufgenommene  stelle  aus  Propyl.  3,  76]. 

63.  JGrimm  an  SHirzel.  22  april  1859. 
Es  ist  noch  immer  möglich,  dasz  der  krieg  vermieden  wird. 

wo  nicht  verdient  der  unselige  anstifter  wahrlich  absetzuug. 

64.  WGrimm  an  SHirzel.  19  mai  1859. 
Es  zieht  ein  schweres  wetter  am  himmel,  noch  dürfen  wir 

hoffen  dasz  es  uns  nur  streift,  aber  wir  müssen  auf  das  schlimmste 
gefaszt  sein,  wie  betrübt  ist  die  abgünstige  verläumderische  ge- 
hässige gesinnuug  gegen  Preuszen,  die  es  nicht  verdient,  die  es 
nicht  erwidert,  die  aber  in  dem  grüszten  theil  von  Deutschland 
ausbricht.  Sie  thuu  recht  dasz  Sie  die  hochzeit  jetzt  feiern: 
wie  lebendig  hat  Gothe  diesen  zustand  im  Götz  geschildert, 
yrüszen   Sie   die    liebe   braut  von    mir    und  wiederholen  Sie  ihr 


BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL  251 

meine  herzlichen  wünsche,  welch  ein  schöner  augenblick  für 
die  eitern,  wenn  sie  bei  der  traunng  auf  ihr  kiud  hinsehen  und 
sich  seines  glückes  freuen,  möge  es  der  anfang  einer  langen 
und  heitern  bahn  sein  1 

65.  SHirzel  an  JGrimm.  ISjuni  1859. 
Tausend    dank    für  Ihren    liehen  schönen  brief.     am  Rhein, 

wo  die  mobilmachung  grofse  Verstimmung  hervorgerufen  hat  (nicht 
blos  bei  meiner  tochter)  hält  man  die  königin  für  die  anstifterin. 
wenn  es  nicht  wahr  ist,  zeigt  es  doch,  wie  man  von  ihr  denkt, 
es  ist  bald  gesagt,  dass  diese  aufstellung  am  Rhein  nur  die  fried- 
liche vermittelung  unterstützen  solle,  wenn  die  Franzosen  und 
die  Deutschen  sich  erst  zu  hunderttausenden  gegenüber  stehn, 
wird  es  nicht  lange  beim  friedlichen  einander  ansehen  bleiben. 
Nachdem  nun  Österreich  —  man  sagt,  es  sei  Metternichs 
letzter  rath  gewesen  —  den  Oberbefehl  und  die  alleinige  diplo- 
matische Vertretung  an  Preufsen  überlassen,  schreien  die  mittel- 
staaten  zeter,  wollen  sich  Preufsen  nicht  unterordnen,  sondern 
für  sich  als  bund  losgehn.  das  soll  zur  stunde  die  gröfste 
Schwierigkeit  sein. 

66.  W.Grimm  an  SHirzel.  1  September  1859. 
Eine  vorrede  [zum  zweiten  bände  des  Wb.]  will  ich  aus  ver- 
schiedenen gründen  nicht  schreiben. 

67.  SHirzel  an  JGrimm.  18  october  1859. 
Hildebrand  kam  den  tag  nach  meiner  rückkehr  zu  mir,  noch 

ganz  erfüllt  von  dem  eindruck  Ihres  besuchs,  der  ein  ereiguifs 
in  seinem  leben  war .... 

Mit  meinem  alten  treuen  freund  Bädeker,  mit  dem  ich  seit 
1823  in  ununterbrochenem  innigstem  verkehr  stand,  habe  ich  ein 
gutes  stück  meines  eigenen  lebens  begraben,  und  fühle  das  mehr 
als  ich  aussprechen  kann. 

68.  WGrimm  au  SHirzel.  5  november  1859. 
Hermanns  Verheiratung  werden  Sie  schon  aus  der  Kölnischen 

zeilung,  die  gleich  davon  nachricht  gab,  vernommen  haben,  die 
trauung  hat  am  24  october  abends  in  der  Dorolheenkirche  statt 
gefunden,  eine  festlichkeit  war  damit  nicht  verbunden,  da  die 
meisten  verwandten  der  braut  nicht  hier  waren,  am  andern 
mittag  asz  das  junge  paar  bei  uns.  Sie  kennen  ja  wol  die  Gisel, 
sie  hat  von  haus  ans  geist,  ist  freundlich  und  liebenswürdig,  sie 
kennen  sich  von  kindheil  an,  und  so  liolle  ich  das/,  es  eine  glück- 
liche ehe   wird. 

füt.    WGrimm  an  SHirzel.  2<>   november  1859. 

Jacob  ist  von  Lappenberg  eingeladen  Bein  Jubiläum  bei  ihm 
in  Hamburg  zu   feiern,     er  wird   also   in   achl    tagen  mil  Pertz 

und  Bänke  dahin  abreisen. 


252  BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    L.\D    H1RZEL 

70.  JGrimm  an  SHirzel.  2  december  1859. 
Lieber  freund,  ich  danke  für  das  viele  geld  und  die  Stiefel. 

Sie  halten  das  geld  in  die  Stiefel  stecken  können,  wie  man  ehraals 
ganz  gewöhnlich  that.    morgeu  früh  reise  ich  nach  Hamburg  ab. 

71.  JGrimm  an  SHirzel.  6  februar  1860. 
In    diesen    tagen  will   ich  eine  kleine  vorrede  [zum  zweiten 

bände  des  Wb.]  schreiheu;  ich  kann  mich  noch  immer  nicht  von 
meinen  schwermütigen  gedanken  los  machen  und  wollte  ich  wäre 
erst  wieder  mitten  in  der  alten  arbeit,  in  Wilhelms  stube  steht 
noch  alles  ebenso  und  wir  lassen  einen  mahler  ein  bild  davon 
aufnehmen. 

72.  SHirzel  an  JGrimm.  25  februar  1860. 
Das  buch  mit  den  briefen  zwischen  Humboldt  und  Varnhagen 

soll  schon  einige  monate  zur  ausgäbe  bereit  gelegen,  die  Lud- 
milla  aber  diese  bis  dahin  hinausgeschoben  haben,  dass  ihr  gesuch 
um  niederlassungsbewilligung  in  Berlin  erledigt  war.  schwerlich 
lag  es  in  Humboldts  wünschen,  dass  dieser  nachlass  so  unmittel- 
bar nach  seinem  tode  veröffentlicht  werde,  der  schlechteste  dienst 
ist  durch  dies  buch  der  Humboldt-Stiftung  erwiesen  worden. 

73.  SHirzel  an  JGrimm.  3  September  1860. 
Uns  ist  es  in  der  zeit  schlecht  genug  ergangen,  das  ent- 
setzliche weiter,  das  vor  acht  lagen  Stadt  und  umgegeud  verheert 
hat,  hat  auch  unser  haus  verwüstet  und  unsern  garten  zerstört, 
da  uns  104  Scheiben  zertrümmert  waren,  die  erst  gestern  wieder 
hergestellt  werden  konnten,  haben  wir  mehrere  tage  lang  so  zu 
sagen  unter  freiem  himmel  gewohnt  und  nachts  den  regen  zum 
offenen  dach  herunter  prasseln  hören,  das  mit  bretern  nicht  aus- 
reichend gedeckt  werden  konnte,  der  garten  war  eine  grofse 
eisfläche,  ganz  besät  mit  zweigen,  blättern,  blumen,  todten  vögeln 
und  dem  ganzen  reichen  segen  der  Obstbäume,  nun  ist  wieder 
Ordnung  geschafft,  aber  es  blüht  keine  blume  mehr,  viele  meiner 
lieben,  vor  16  jähren  selbst  gepflanzten  bäume  stehn  ganz  kahl 
da,  und  was  sie  von  zweigen  behalten  haben,  ist  wie  mit  scharfen 
messein  zerhackt,  niemand  ahnte  so  ein  Unglück,  nur  die  hühuer 
hatten  sich,  wie  meine  frau  bemerkt  hat,  schon  eine  stunde  vor 
dem  losbruch  in  den  stall  zurückgezogen der  arme  Hilde- 
brand  war  so  verhagelt,  dass  er  sein  logis  verlassen  musste. 

74.  JGrimm  an  SHirzel.  1860  (ohne  datum). 
Ich  werfe  alle  gebrauchten  zeltel,  um  nur  sie  vom  hals  und 

tisch  zu  schaffen,  gleich  in  den  papierkorb,  verloren  ist  also  ver- 
loren, aber  aus  ungebrauchten  zetteln  kann  ich  immer  neu  zu- 
tragen. 

75.  JGrimm  an  SHirzel.  5  februar  1861. 
Ich  hätte  beim  beginn  des  buchstaben  E  nicht  gedacht,  dasz 

ich  über   1900  Seiten   [des  manuscripts]  von  ihm  anfüllen  müste. 


BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL  253 

76.  JGrimm  an  SIlirzel.  15  februar  1861. 
Ei,    was    machen  Sie,  lieber  Hirzel,    krank  werden  müssen 

Sie  solchen  leuten  überlassen,  wie  ich  bin,  in  meinen  gedanken 
waren  Sie  nunmehr  von  Bonn  und  Coblenz  zurückgekehrt,  und' 
wieder  im  stände  mit  Ihrer  Stahlfeder  in  den  bogen  allerhand  hin- 
einzuschreiben, wie  in  der  letzte  nicht  mehr  geschehen  ist  .  .  . 
legen  Sie  sich  nicht  wieder  zu  bette,  sondern  halten  sich  aul- 
recht. 

77.  JGrimm  an  SHirzel.  4  august  1861. 
Das  Wh.  hat   [während  einer  reise  Hirzels]   seinen  fortgang 

genommen,  auf  den  letzten  bogen  aber  Ihre  hübschen  zusätze 
und  ausfiillungen  entbehrt. 

78.  SHirzel  an  JGrimm.  5  august  1861. 
Sehr  erfreut  hat  mich,  dass  das  Wb.  so  rüstig  vorwärts  ge- 
schritten, und  ich  bin  Ihnen  auch  dafür  herzlich  dankbar. 

79.  JGrimm  an  SIlirzel..  5  September  1861. 
Für  das  tagebuch  1810  [gedickt  von  Goethe]  danke  ich,   es 

wird  eine  grofse  Seltenheit  werden,  da  wahrscheinlich  nur  wenig 
exemplare  gedruckt  sind. 

SO.    SHirzel  an  JGrimm.  30  october  1861. 

Ich  habe  Ihnen  immer  zu  danken,  der  ungestörte  fortgang 
des  druckes  macht  mich  ganz  glücklich. 

81.  SHirzel  an  JGrimm.  31  Januar  1862. 
Ich  habe  mich  in  Berlin  herzlich  gefreut,  Sie  so  froh  und 

trotz  des  Unfalls  rüstig  zu  finden,  möge  es  ferner  so  bleiben! 
Eines  tage»  ging  ich  freilich  etwas  sorgenvoll  vuu  Ihnen, 
Sie  wissen  warum,  nachher  hatte  ich  wieder  bessern  mulh  und 
halte  au  der  Zuversicht  fest,  dass  die  zeit  des  unterbrochenen 
Wörterbuchs  sich  nicht  noch  einmal  erneuern  werde,  ich  würde 
ganz  glücklich  sein  zu  hören,  dass  Sie  den  Dümmlerischen  den 
unveränderten  abdruck  der  abhandlungen  gestallet  haben. 

82.  JGrimm  au  SIlirzel.  4  juui  1862. 
Löbels  anzeige  war  gut   gemeint,  aber  unbedeutend. 

83.  JGrimm  an  SHirzel.  25  october  1862. 

In  Nürnberg  [auf  der  rücbreise  aus  München]  war  es  regnicbt 
und  das  umherlaufen  in  den  vielen  straszen,  kirchen  und  Däusern 
hatte  einen  gründlichen  schnupfen  in  mir  angesetzt,  der  sich 
nach  meiner  rückkunft  nielu  langer  zurückhalten  liesz,  um\  den 
gewöhnlichen  ungünstigen  verlauf  nahm,  dh.  auf  die  brusl  warf, 
so  dasz  ich  schon  zwölf  tage  lang  schlechte  nachte  habe,  viel 
huste  und  mich  angegriffen  fühle,  boffentlich  gehts  nun  bald 
damit  zu  ende  .... 

Übrigens  habe  ich  Frommann,  Lexer,  Meyer  (der  den  Schiller 
tradiert i,  Riedel  sämtlich  gesehen  \)\\t\  im  rothen  rössel  zu  gasten 


254  BRIEFWECHSEL    ZWISCHEN    DEN    GRIMMS    UND    HIRZEL^ 

gehabt,  den  folgenden  tag  kamen  die  guten  leute  alle,  zum  theil 
mit  ihren  trauen,  auf  den  hahnhof  mir  das  geleit  zu  geben.  .  .  . 
Die  durchlesuug  des  quellenverzeichnisses  [zum  dritten  bände 
des  Wb.],  dem  ich  in  eile  noch  einiges  anfügte,  setzt  mich  fast 
in  Verwunderung,  ich  habe  doch  diesen  ganzen  band  selbst  ge- 
schrieben und  nun  finde  ich  einige  biicher  darin,  die  ich  nie 
gehabt  und  nie  gelesen  habe,  gott  weisz  wer  einzelne  citate 
daraus,  die  Ihnen  wol  vor  äugen  gekommen  sein  müssen,  einge- 
schmuggelt hat,  zb.  Göschen s  Vorlesungen,  die  sieben  bände 
von  Pertz  Stein,  aus  welchen  höchstens  ein  citat  vorkommt, 
das  auch  wegbleiben  könnte.  Falk  mensch  und  helden  werden 
nie  von  mir  angesehen,  dagegen  feblt  jetzt  im  abdruck  Lexers 
kärntisches  wb.,  das  anzuführen  weit  wichtiger  war,  ich  wollte 
fast  darauf  schwören,  dasz  es  im  Verzeichnis  gestanden  hat,  der 
setzer  musz  es  unbefugt  ausgestoszen  haben,  so  stebts  um  die 
quellen  des  wb. 

84.  JGrimm  an  Heinrich  Hiizel.        16  april  1863. 
Wir  lassen  oft  bei  Reimer  erkuudiguug  einziehen  und  hören, 

dasz  das  uuwolsein  Ihres  vaters  noch  dauert,  aber  ungefährlich 
scheint,  grüszen  Sie  den  kranken  und  ertheilen  mir  bald  gute 
nachricht. 

85.  JGrimm  an  SHirzel.  30  juli  1863. 
Eben    ist   eine  schrifl   von  Jonckbloet   über  Reinhart  Fuchs 

und  Weinholds  alemannische  grammatik  angelangt,  die  frisch  ge- 
lesen sein  wollen. 

86.  JGrimm  an  SHirzel.  1863  (ohne  datum). 
Haben  Sie  das  neue  fr.  wb.  von  Littre  angesehen?  offenbar 

durch  unser  werk  hervorgerufen,  schön  gedruckt,  in  etwas  gröszerm 
format,  mit  vielen  belegen,  aber  die  verse  nicht  abgerückt,  was 
dem  ganzen  die  ruhe  und  anschaulichkeit  nimmt;  gegen  die 
etymologische  behandlung  viel  einzuwenden. 

87.  JGrimms  letztes  schreiben  an  SHirzel.      15  august  1863. 

Liebster  freund,  endlich  nach  langem  zaudern,  bedenken  und 
aufenthalt  reisen  wir  ab,  könnten  noch  richtig  zum  fürstentag 
eintreffen,  wollen  aber  vorläufig  nur  nach  Suderode  bei  Quedlin- 
burg, wissen  nicht  einmal,  ob  wir  da  aufgenommen  werden,  ist 
kein  platz,  so  musz  der  stab  weiter  gesetzt  werden. 

In  drei  wochen  denke  ich  zurück  zu  sein  und  dann  naht 
gewitterschwer  die  reise  nach  München,  vielleicht  wird  sie  ganz 
aufgegeben  .  . .  bleiben  Sie  mit  den  Ihrigen  gesund  und  vergnügt. 


LlTTERATUR  NOTIZEN. 

Die  kenntnis  Germaniens  im  altertum  bis  zum  zweiten  Jahrhundert 
n.  ehr.  von    dr    Ludwig   Hoff  ,    director   des    k.  gymnasiums   zu 


HOFF      DIE    KENNTNIS    GER  HAMENS    IM    ALTERTUM  255 

Coesfeld.  Coesfeld  1890.  progr.  nr343.  (Leipzig, GFock).  86  ss. 
1,50  m.  —  die  kleine  schrill  ist  aus  werken  wie  Milllenhoffs 
Deutscher  altertumskunde,  Ukerts  Germania  ua.  zusammengestellt, 
ein  solches  unternehmen  kann  ja,  wenn  mit  sachkunde  und  urteil 
ausgeführt,  sehr  nützlich  sein;  die  brauchharkeit  jedoch  dieses 
werkchens  wird  dadurch  beeinträchtigt,  dass  es  demverf.  an  beidem 
fehlt.  H.  gibt  eine  übersieht  über  alle  antiken  autoren,  die  bei- 
trage zur  kenntnis  des  europäischen  Westens  und  nordens  gegeben 
haben  oder  hätten  geben  können,  der  erste  teil  dieser  Übersicht 
konnte  ohne  schaden  sehr  gekürzt  werden,  da  bei  den  wenigsten 
dieser  Schriftsteller  von  einer  kenntnis  deutscher  Völker  die  rede 
sein  kann,  auch  im  zweiten  teil  durften  manche  namen  solcher 
autoren,  die  gar  nichts  beigetragen  haben,  fehlen.  H.  hätte  dann 
räum  gewonnen,  über  die  schriftsteiler,  die  würklich  etwas  bringen, 
wie  Strabo,  Plinius  und  Tacitus  ausführlicher  zu  handeln.  Tacitus 
wird  jetzt  auf  etwa  drei  Seiten  besprochen  und  mit  einigen 
phrasen  abgetan,  nach  meiner  meinung  wäre  es  ferner  zur  eiu- 
führung  der  leser  zweckmäfsig  gewesen,  wenn  H.  auch  das  be- 
zeichnet hätte,  was  die  alten  denn  über  Germanien  wüsten;  zb. 
über  Eratosthenes  sagt  er  uns  allerlei  schönes,  aber  welche  Vor- 
stellung dieser  von  den  nordischen  gegenden  hatte  oder  haben 
konnte,  erfahren  wir  nicht,  es  wäre  hier  am  orte  gewesen,  sich 
über  die  ausdehnung  der  Germanen  in  älterer  zeit  und  namentlich 
über  ihr  Verhältnis  zu  den  Kelten  auszusprechen,  das  gleiche 
gilt  bei  Polybios  ua. 

In  den  uotizen,  die  den  einzelnen  Schriftstellern  beigegeben 
sind,  finden  sich  nicht  selten  irrtümer.  zb.  wird  s.  26  Hellauikos 
ins  jähr  500  v.  Chr.  gesetzt,  Herodot  von  484 — 404  v.  Chr.,  s.  44 
Herodor  von  Heraklea  ins  jähr  450  v.  Chr.,  was  alles  unrichtig 
ist.  zum  mindesten  misverständlich  sind  s.  52fdie  angaben  über 
Dionys  von  Halikarnass  und  Nikolaus  von  Damaskus.  Eins  der 
wunderlichsten  stücke  ist  endlich  s.  59,  wo  H.  sagt,  dass  die 
älteste  nachricht  der  Römer  über  einen  germanischen  volkstamm, 
die  Hermunduren,  sich  in  einer  schritt  des  L.  Cincius  Alimentus 
über  militärwesen  linde  (Gellius  N.  A.  xvi  4).  ich  vermute,  dass 
der  verf.  jene  stelle  nicht  selbst  angesehen  hat,  da  er  sie  sonst 
kaum  für  eine  nachricht  über  die  Hermunduren  erklärt  haben 
winde.  In  diesen  litterarischen  dingen  fehlt  es  II.  an  kennlnissen, 
wie  sie  für  eine  schrift,  die  fast  ganz  litterarhistorisch  ist,  nötig 
gewesen  wären. 

Marburg  i.  II.  Beisedictus  Niesi  , 

Zur  gutiuralfrage  im  gotischen,  von  Helen  L.  Webster.  Boston 
1889  (Leipzig,  GFock).  Züricher  diss.  90  ss.  8°.  4  m.*  — 
die  umstrittene  erscheinung  der  labialaffection  der  gutturale  '  ist 

*  [vgl.  DLZ  189U  nr51  (ABezzenberger).] 

1  Bezzcnbergers  aufsatz  'Die  iilg.  gutluralreihen'  in  Beinen  Beitr.  XVI  234 
kannte  die  Verfasserin  noch  nicht. 


256  WEBSTER     ZUR    GUTTURALFRAGE    IM    GOTISCHE.N 

schon  in  vorgerm.  zeit  vollendet,  dies  folgt  nicht  daraus,  dass 
die  labialisierung  auch  kelt. ,  ital.,  griech.  vorliegt:  denn  diese 
labialisierenden  sprachen  zeigen  die  affection  keineswegs  immer 
übereinstimmend  bei  denselben  paradigmen;  es  folgt  jedoch  aus 
lautlichen  gründen,  namentlich  daraus,  dass  der  velar  nur  vor 
germ.  a  <C  idg.  a  labialisiert  wird ,  nicht  vor  germ.  a  <T  idg.  o. 
aber  das  germ.  kann  zur  geschichte  des  idg.  labialisierungs- 
problems  wesentliches  beitragen,  wenn  jedes  vorkommen  eines 
ursprünglichen  velars  mit  den  entsprechungeu  der  andern  labiali- 
sierenden sprachen  verglichen  wird  und  es  gelingt,  die  etwaigen 
Übereinstimmungen  oder  abweichungen  auf  bestimmte  gesetze 
zurückzuführen,  diese  aufgäbe  sucht  vom  gotischen  aus  die  vor- 
liegende dissertation  zu  lösen;  sie  strebt  damit  dem  ziele  zu, 
welches  Kluge  in  seineu  Beitr.  z.  gesch.  d.  germ.  conjug.  s.  46  für 
die  gutturaluntersuchung  im  germ.  bezeichnete:  es  komme  darauf 
an,  von  jeder  einzelsprache  aus  die  vorhistorischen,  wenn  man 
will  die  idg.  grundformen,  wo  möglich  gleich  scharf  zu  präci- 
sieren.  dass  hier  mit  dem  got.  der  anfang  gemacht  wird,  hat 
wol  seinen  grund  nicht  blofs  in  dem  fest  umschlossenen  und 
leicht  zu  beherschenden  got.  Wortschätze,  sondern  vor  allem  darin, 
dass  das  got.  in  der  gutturalfrage  den  gemeingerm.  stand  noch 
am  deutlichsten  repräsentiert,  während  die  westgerm.  dialecte  die 
labialaffection  im  anlaute  z.  tl.  frühzeitig  schwinden,  im  inlaute  nur 
selten  durch  dehnung  der  vorhergehenden  consonanz  noch  er- 
kennen lassen,  die  verf.  sucht  den  character  jedes  in  got.  Wörtern 
auftretenden  gutturals  zu  bestimmen,  stellt  in  jedem  falle  die 
germ.  wie  aufsergerm.  parallelen  zusammen  und  nimmt  zu  den 
verschiedenen  etymologischen  ansichten  kritisch  Stellung,  sie  ist 
hierin,  soviel  ich  sehe,  erschöpfend  und  gibt  daher  für  zahlreiche 
fälle  die  erwünschte  ergänzung  zu  Feists  lückenreichem  Grundriss 
d.  got.  etymol. 

Von  Kluges  aao.  s.  43  f  aufgestellten  gesetzen  —  A:  die 
affectionen  hv  (f)  und  q  stehn  im  anlaut  nur  vor  hellen  vocalen; 
B:  die  affection  hv  und  q  tritt  ein  im  silbenauslaut  bei  folgendem 
l,r,  n;  C;  die  labiale  affection  tritt  im  anlaut  vor  duukelen  vocalen 
und  vor  consonanten  nicht  ein  —  bleibt  B  ganz  unsicher,  und 
das  got.  kann  zu  seiner  eutscheiduug  nichts  beitragen  (W.  s.  87). 
aber  für  A  und  C  bringt  die  verf.  die  möglichen  got.  eiuzeluntei- 
suchungen;  und  nachdem  Bersu  (Die  guttur.  u.  ihre  Verbindung 
mit  v  im  lal.)  gezeigt  hatte,  dass  die  labiale  affection  der  gutturale 
im  lat.  nur  vor  den  helleu  vocalen  a,  e,  i,  nicht  aber  vor  con- 
sonant  oder  u  und  o  auftritt,  kann  sie  am  Schlüsse  ihre  resultate 
dahin  formulieren,  dass,  wenn  der  labiale  nachklang  des  gutturals 
in  den  andern  labialisierten  sprachen  fehlt,  er  auch  im  got.  fehlt, 
dass  die  labiale  affection  im  got.  wie  im  lat.  nicht  nur  nicht  im 
anlaute,  sondern  an  keiner  stelle  des  wortes  vor  consonanteu 
auftritt,  und  andrerseits,  dass  das  got.  den  im  vorgerm.  vorhandenen 


WEBSTER     ZÜH    GUTTURALFRAGE    IM    GOTISCHEN  20  t 

lautstand    in    bezog    auf  diese  frage  beinahe  ausnahmslos  unver- 
ändert beibehalten  bat. 

Marburg  i.  H.  Ferd.   VVrede. 

De  geschiedenis  der  nederlaudsebe  taal  in  hoofdtrekkeo  geschetst 
door  J.  Verdam.  Leeuwarden,  HSuringar  1890.  xvi  u.  22-lss.  S°. 
2  f.  60  c.  —  V.  will  dem  holländischen  publicum  ein  ähnliches 
buch  bieten  wie  ßebaghel  dem  uusern  in  seinem  schriftcheo  'Die 
deutsche  spräche'.  Er  hat  dieses  denn  auch  vielfach  benutzt; 
doch  'für  Holländer  muss  ein  buch  anders  geschrieben  werden 
als  für  Deutsche;  vor  allem  muss  es  klar  und  verständlich  sein, 
weil  wir  Holländer  nicht  gern  unsere  aufmerksamkeit  vom  inhalt 
immer  wider  ablenken  lassen,  um  uns  mit  der  form  des  gedankens 
aufzuhalten',  es  soll  'nicht  gelehrt  sein,  sondern  nur  angenehm 
zu  lesen  und  geeignet  den  gebildeten  Niederländern  eine  klare 
und  richtige  kenntnis  von  den  Schicksalen  ihrer  muttersprache 
zu  vermitteln',  diese  aufgäbe  hat  V.  im  ganzen  recht  wol  gelöst ; 
das  buch  ist  frisch  und  flott  geschrieben,  und  der  leser  wird  aus 
seinen  plaudereien  manche  einzelheit,  wenn  er  recht  aufmerksam 
ist,  auch  ein  leidliches  gesamtbild  vom  werden  der  spräche  ge- 
winnen, ob  man  aber  jemand,  der  ein  buch  unter  diesem  titel 
überhaupt  in  die  hand  nimmt,  nicht  etwas  mehr  zumuten  und 
etwas  mehr  bieten   könnte? 

In  engerer  beschränkung  auf  die  ge schichte  der  spräche 
lä'sst  V.  erörterungen ,  wie  sie  ßebaghel  in  abschnitt  i  und  m — v 
seines  'besonderen  teiles'  über  Orthographie,  syntax,  laut-  und 
flexionslehre  bringt,  fort;  dafür  widmet  er  dem  'einfluss  der  bibel' 
und  dem  'sprichwörterschatz'  je  ein  besonderes  capitel.  am  wenig- 
sten befriedigt  der  erste  teil,  der  (s.  1 — 50)  von  der  Stellung  des 
niederländischen  unter  den  idg.  und  germ.  sprachen  handelt, 
diese  dinge  erfordern  leidliche  ausführlichkeit,  während  zu  viel 
gelehrsamkeit  gerade  am  anfang  leicht  abschreckt;  aber  zb.  der 
vocalismus  durfte  in  diesem  interessenstreit  nicht  ganz  verloren 
gehn:  dass  auch  er  eine  gesetzmäfsige  entwicklung  durchgemacht 
hat,  diese  allgemeine  tatsache  muste  der  leser  zum  wenigsten 
erfahren,  dagegen  konnten  die  —  schlecht  genug  begründete  — 
erörterung,  dass  der  Dame  'Grimms  gesetz'  dein  der  'lauherschie- 
bung'  vorzuziehen  sei,  die  seitenlangen  mitteilungen  über  mittel- 
alterliche Handschriften  füglich  fortbleiben.  —  ob  die,  auch  von 
Behaghel  angenommene,  gliederung  <\r>  weiteren  Stoffes  in  'innere 
und  äufsere  geschichte  der  spräche'  sehr  glücklich  ist,  lasse  ich 
dahin   gestellt. 

In  der  'äufseren  geschichte'  (>.  ."»1  — 140)  werden  ausfüh- 
rungen  über  dialect,  schrift-  und  Umgangssprache,  den  einfluss 
fremder  sprachen  und  der  bibel,  über  Sprichwörter  und  Damen 
vereinigt;  ein  bübsches  cap.  über  den  Wortschatz  zeigl  die  Ver- 
mehrung des  erbgutes  durch  ahlaut,  ableitung  und  Zusammen- 
setzung an  glücklich  gewählten  beispielen.     in  der  fremdwörter- 


258  VERDAM      GESCHIEDENES    DER    NEDERLANDSCHE    TAAL 

frage  nimmt  V.  eine  ziemlich  scharfe  Stellung  ein;  der  grofsen 
fähigkeit  des  niederländischen,  fremdes  sprachgut  nicht  nur  äußer- 
lich anzunehmen,  sondern  durch  anpassung  zu  seinem  eigentnm 
zu  machen,  wird  er  daher  nicht  gerecht,  sehr  zu  rühmen  ist 
dagegen,  dass  er  auf  die  ühernahme  von  redewendungen  und 
syutactischen  formen  seine  aufmerksamkeit  gewant  hat.  —  der 
dritte  abschnitt  (141 — 220),  die  'innere  geschichte',  behandelt  form- 
veränderuugen  im  Sprachschatz,  accent,  analogie,  das  veralten 
von  ausdrücken  und  die  Vermehrung  des  sprachgutes  durch  be- 
deutungswandel  oder  neubildung;  namentlich  unter  den  sprach- 
altertümern  findet  sich  manche  hübsche  einzelheit.  ein  buch  über 
Sprachgebrauch  und  Sprachrichtigkeit  wünscht  V.  als  practische, 
eines  über  den  einfluss  der  dichter  und  schriftsteiler  auf  die 
spräche  als  theoretische  ergänzung  zu  seinem  werkchen;  für 
jenes  zweite  fehle  es  allerdings  noch  an  material.  mit  einem 
uppell  an  die  Vaterlandsliebe,  in  der  spräche  die  nationalität  zu 
verteidigen,  schliefst  das  buch:  'spräche  verloren,  alles  verloren  ! 
mit  der  spräche  steht  und  fällt  unser  volk!' 

Bonn  6.  1.  1891.  Sebald  Schwarz. 

Neue  beitrage  zur  textkritik  von  Hartmanns  Gregorius.  von  Hermann 
Seegers.  Kieler  diss.  Kiel,  CSchaidt,  1890  (Leipzig,  GFock).  47  ss. 
8°.  1,50  m.  —  der  verf.  sucht  die  Übersetzung  von  Hartmanns  Gre- 
gorius durch  Arnold  von  Lübeck  (ed.  vßuchwald,  1886)  für  die 
textkritik  des  mhd.  gefliehtes  heranzuziehen,  die  resultate  sind 
spärlich,  nach  einigen  einleitenden  bemerkungen  (§  2  hätte  sich 
S.  durch  einen  hinweis  auf  die  viel  reichhaltigere  recension 
Steinmeyers  Anz.  12,  200  ff  ersparen  können)  sucht  §  3  zunächst 
ein  bild  von  Arnolds  freiem  Verhältnis  zu  seiner  vorläge  zu  geben. 
nachdem  S.  hierauf  eine  anzahl  von  stellen  vorgeführt  hat,  an 
denen  die  lesarten  des  Hartmannschen  Greg,  stark  auseinander- 
gehn,  die  freie  Übersetzung  jedoch  das  verhalten  ihrer  unmittel- 
baren vorläge  (X)  nicht  oder  nicht  mit  Sicherheit  erkennen  lässt 
(§  4.  5),  stellt  er  (§  6 — 9)  die  fälle  zusammen,  wo  ein  bestimmter 
anhaltspunct  für  X  zu  gewinnen  ist.  §  6  und  7,  wo  gezeigt 
wird,  wie  X  einige  fehler  mit  einzelnen  hss.  nicht  teilte,  bieten 
weniger  interesse  als  §8  und  9,  welche  6  stellen  bringen,  in 
denen  die  von  X  vertretene  lesung  nicht  die  auf  den  ersten  blick 
zweifellos  richtige  ist.  nirgends  trifft  X  mit  einer  anderen  hs. 
in  einer  sicher  falschen  lesart  zusammen  und  kann  daher  (§  10) 
von  S.  auch  keiner  hss.-gruppe  mit  bestimmtheit  zugeteilt  werden. 
—  hierauf  vergleicht  S.  die  von  Schmeller  herausgegebene  latei- 
nische Gregordichtung  (Zs.  2,  486  —  500)  mit  Hartmanns  werk 
und  kommt  (§  13)  zu  dem  resultate,  'dass  der  dichter  überhaupt 
nicht  unmittelbar  nach  Hartmanns  gedieht  gearbeitet  habe,  sondern 
den  stofl'  aus  andern  quellen  nahm  oder  vielleicht  aus  der  er- 
innerun<r  seböpfte'.  vielleicht  ergäbe  die  heranziehung  von  Hart- 
manns  französischer   quelle   Sicherheit  über   diese  frage.  —  der 


SEEGERS     ZUR    TEXTKRITIK    VON    HARTMANNS    GREGORIUS  259 

tlritte  teil  der  dissertation  (§14  —  schluss)  beschäftigt  sich  mit 
der  einleitung  des  Gregorius.  S.  kommt  da  auf  wunderlichen 
wegen  zu  der  'Vermutung',  dass  Hartm.  Arnolds  Übersetzung  ge- 
kannt habe  und,  durch  dessen  prologus  zum  Gregorius  peccator 
angeregt,  in  höherem  alter  den  in  A  fehlenden,  in  den  recen- 
sionen  von  GIK  überlieferten  anfang  zu  seinem  gedichte  hinzu 
componiert  habe,  die  germanisten  werden  über  diese  Vermutung 
wol  zur  tagesordnung  übergehn  können,  soviel  mühe  sich  auch 
der  verf.  gegeben  hat,  um  sie  zu  stützen.  —  überall  dort,  wo 
auf  die  lesarten  näher  eingegangen  wird,  ist  auch  die  von  mir 
neu  aufgefundene  hs.  herangezogen,  für  welche  S.  eine  abschritt 
zu  geböte  stand,  die  sich  OErdmann  seitdem  augefertigt  hat. 
aus  dieser  Koustanzer  hs.  werden  für  die  einleitung  auch  eine 
reihe  von  lesarten  angeführt,  die  zum  teil  als  besserlingen  gelten 
können  (§  14).  ich  gehe  hier  auf  diese  einzelheiten  nicht  näher 
ein,  da  ich  in  einem  der  folgenden  hefte  der  Zs.  über  das  hand- 
scbriftenverhältnis  im  Gregorius  und  den  wert  der  Konstanzer 
hs.  für  die  textkritik  dieses  gedichtes  zu  handeln  gedenke. 
Wien,   april  1891.  Konbaö  Zwierzina. 

Oberammergau  und  sein  passionsspiel.  von  Karl  Trautmann.  5  aufläge. 
(Bayerische  bibliothek ,  begründet  und  herausgegeben  von  KvRein- 
hardstoettuer  und  KTrautmann  bd.  15).  Bamberg,  Büchner  1890. 
110  ss.  8°.  1,10  m.*  —  dieses  überaus  zierliche  büchlein,  welches 
mit  ganz  prächtigen  feder-  und  tuschzeichnungen  von  Peter  Halm 
geschmückt  ist  (deren  beste  auf  dem  umschlage  leider  durch  die 
untergedruckten  bayerischen  wappenbilder  um  ihre  würkung  ge- 
bracht wird),  belehrt  im  angenehmsten  plaudertone  über  alles,  was 
einem  pilger  nach  Oberammergau  zu  wissen  nötig  uud  wünschens- 
wert ist.  dabei  schöpft  der  Verfasser  allerorts  aus  den  besten  quellen, 
fügt  auch  aus  eigener  kenntnis  und  forschung  verschiedenes  bei. 
dies  alles,  verbunden  mit  der  würklich  schönen  ausstattung  zu  einem 
fabelhaft  geringen  preise,  wird  dem  kleinen  buch  wol  weit  über  die 
(lauer  des  passionsspieles  hinaus  ein  bleibendes  interesse  wahren. 
und  so  sei  es  als  eines  der  gelungensten  bändchen  der  trefflichen 
'Bayerischen  bibliothek'  auch  den  lesern  dieser  Zeitschrift  aufs 
wärmste  empfohlen.  Anton  E.  Schönbach. 

Miltons  Verlornes  paradies  in  der  deutschen  litteratur  des  18jhs.  von 
Gustav  Jenny.  Leipziger  diss.  St.  Gallen,  Zollikofer  1890  (Leipzig, 
GFock).  8°.  97  ss.  1,60  m.**  —  in  gänzlich  unzulänglicher  weise 
bearbeitet  diese  diss.  ein  thema,  das  selbst  bei  geistvollerer  be- 
liandlung  der  Wissenschaft  kaum  noch  neue  resultate  hätte  zu- 
f Uhren  können,  mehr  als  die  hallte  der  arbeil  besiebt  aus  einer 
Zusammenstellung  der  landläufigsten  briefstellen  und  citate,  andere 
grofse  partien  stelin  in  gar  keinem  Zusammenhang  mit  dem 
gegenständ   der  Untersuchung,     die  verschiedenen  Übersetzungen 

*  [vgl.  Lit.  centralbl.  1890  nr33.] 
**  [vgl.  Zs.  f.  vgl.  lit.- gesch.  1891   8.  120  (MKoch).] 


260  JENNY     MILTONS    VERLOR.NES    PARADIES 

des  Verlornen  paradieses  zu  characterisieren,  ist  auch  nicht  der 
leiseste  versuch  gemacht,  geschweige  denn,  dass  der  verstecktere 
einfluss  Miltons  auf  einzelne  (lichter  dargestellt  würde,  für  Bodmers 
•Noah'  verweist  J.  einfach  auf  Mörikofers  excerpt;  und  selbst  über 
den  'Messias'  weifs  er  nichts  ausreichendes  zu  sagen,  von  der 
disposition  dieses  gedichts  und  der  des  englischen  Vorbilds  mit 
ihrer  auffälligen  Zweiteilung,  von  den  mittein  der  darstellung  ver- 
gangener und  künftiger  ereignisse,  vom  Stil,  von  den  übergangen, 
dem  anrufen  der  muse,  der  antiken  und  christlichen  mylhologie, 
der  auseinandersetzung  mit  den  theologen,  dem  hervortreten  der 
persönlichkeit  des  dichters  erfahren  wir  nichts,  einzig  die  teulel 
werden  ins  äuge  gefasst,  aber  wider  nur  oberflächlich.  Adra- 
melech  tritt  auch  im  Verlornen  paradies  auf;  den  character  aller- 
dings verlieh  ihm  erstKlopstock  in  anlehnung  an  Miltons  Beelzebub. 
Miltons  Ariel  heifst  nicht  einfach  im  Messias  Abbadona,  sondern 
es  ist  eine  Spaltung  eingetreten  in  den  seraph  Abdiel  und  Abdiel 
Abhadona,  wo  aber  bleibt  Satan?  wo  der  köstliche  humor  der 
teufel  bei  Milton  und  so  vieles  andere?  —  J.  hat  seiner  Unter- 
suchung bei  Klopstock  die  glänze  gesetzt,  nichts  desto  weniger 
hätte  ein  schneller  überblick  über  die  spätere  litteratur  sich  noch 
anschliefseu  dürfen.  allerdings  liegen  hier  die  einwürkungen 
Miltons  nicht  so  offen  zu  tage  wie  in  den  30er  und  40erjahren 
des  18jhs.  nur  eines:  widerholt  kommt  J.  auf  oratorientexte 
zu  sprechen,  da  hätte  er  doch  vor  allen  dingen  erwähnen  sollen, 
dass  der  lext  der  Schöpfung  von  Haydn  aus  den  miltelpartien 
des  Verlornen  paradieses  stammt. —  drei  anhänge  bilden  den  schluss 
der  diss.:  der  erste  bringt  ein  excerpt  aus  der  1797  erschienenen 
schrill  eines  gewissen  Benkowitz  über  Klopstocks  Messias;  der 
zweite  teilt  proben  von  den  verschiedenen  Milton -Übersetzungen 
mit,  aus  denen  sich  der  leser  die  characteristik  ableiten  muss, 
die  der  verf.  schuldig  bleibt;  der  dritte  enthält  zwei  briefe  Bod- 
mers an  Gotter,  die  mit  Milton  nichts  zu  tun  haben,  sie  handeln 
von  Bodmerschen  dramen  (ich  vermute  von  den  Schauspielen  aus 
der  geschichte  der  Schweiz),  den  beiden  homerischen  erzählungen 
(1776)  und  der  Eneis.  Albert  Köster. 

Über  die  bildende  nachahmung  des  schönen,  von  Karl  Philipp 
Moritz.  1888  (Deutsche  litteraturdeukmale  des  18  und  19  jbs.  in 
neudrucken  herausgegeben  von  BSeuffert  nr  31).  Heilbronu, 
gebr.  Henninger.  xlv  und  45  ss.  8°.  0,90  m.*  —  lebhaften 
dankes  wert  ist  die  erfüllung  eines  langgehegten  Wunsches  aller, 
die  sich  mit  der  deutscheu  ästhetik  zu  ende  des  vorigen  jbs.  be- 
schäftigen, der  neudruck  der  kleinen  anregungsreichen  schrift 
von  KPhMoritz  über  die  bildende  nachahmung  des  schönen,  war 
man  doch  bisher   hei  der  aufserordentlichen  Seltenheit  des  allem 

*  [vgl.  Zs.  f.  österr.  gymn.  1891  s.  429  (JMinor).  —  Litbl.  f.  germ.  und 
jom.  phil.  1890  m  12  (JVoJkdij.  —  Revue  crit.  1891  nr  5  (A.  Cli.).  —  Archiv 
f.  d.  stnd.  d.  neuem  spr.  1891  s.  320  (FSpeyer).] 


MORITZ      ÜBER    DIE    BILDENDE    NACBAHMUNG    DES    SCHÖNEN         261 

anschein    nach  früh   zur  maculalur  gemachten  heftchens  auf  die 

wenigen  seilen  angewiesen,  die  Goethe  im  Zweiten  römischen 
aufenthalt  (Hempel  24,  4S9  —  496)  weiteren  kreisen  zugänglich 
gemacht  hatte,  der  herausgeber  Sigmund  Auerbach  hat  sein  ver- 
dienst noch  vergröfsert,  indem  er  aufser  dem  an  Mendelssohn  ge- 
richteten und  in  der  Berliner  monatsschrift  von  17S5  abgedruckten 
briefe  von  M.  ('Versuch  einer  Vereinigung  aller  schönen  kiinste  und 
Wissenschaften  unter  dem  begriff  des  in  sich  selbst  vollendeten') 
noch  die  posthume,  an  entlegenem  orte  mitgeteilte  skizze  'Be- 
stimmung des  Zweckes  einer  theorie  der  schönen  kiinste'  zum 
abdruck  gebracht  hat.  freilich  wäre  zu  einer  erschöpfenden  er- 
örterung  der  ästhetisch-theoretischen  tätigkeit  M.s  noch  ein  wort 
über  seine 'Vorbegriffe  zu  einer  theorie  der  Ornamente' (Berlin  1793), 
ferner  über  den  aufsatz  'Ein  blick  auf  die  verschiedenen  zweige 
der  kunst'  (Deutsche  monatsschrift  1793  st.  7,  s.  177  ff)  erwünscht 
gewesen,  auch  wüste  ich  gerne,  welche  bewantnis  es  mit  den  von 
Jördens  6, 866  erwähnten 'Grundlinien  zu  einer  vollständigen  theorie 
der  schönen  künste'  hat,  die  er  für  seine  zuhörer  geschrieben  haben 
soll,  als  er  die  öffentlichen  Vorlesungen  über  jenes  thema  eröffnete, 
sind  sie  identisch  mit  der  oben  erwähnten  posthumen  skizze? 

Die  eiuleitung  führt  mit  richtigem  tacte Goethes  einfluss  auf  die 
entstehung  der  abhandlung,  den  der  greise  dichter  aus  undeutlicher 
erinnern ng  wol  etwas  zu  grofs  angenommen,  auf  das  bescheidenere 
mafs  einer  allgemeinen  seelischen  Läuterung  zurück  und  wahrt  M. 
die  priorität  seiner  gedanken.  in  dem  von  dem  hsg.  angezogenen 
aufsatze  über  eine  stelle  im  Werther  (1792)  kann  ich  indes  nur 
eine  anwendung  der  gedanken  unserer  abhandlung  erblicken;  zur 
reconstruction  von  Goethes  einfluss  finde  ich  ihn  wenig  geeignet, 
sehr  fein  betont  der  hsg.  eigene  erlebnisse  des  zu  selbständigem 
künstlerischen  würken  nicht  geschaffenen  M.,  die  ihn  zu  seinem 
hochgeschraubten  begriff  vom  schönen  mögen  geführt  haben. 

Leider  hat  der  hsg.  den  besten  weg  nicht  betreten,  um  die 
bedeutung  der  von  ihm  edierten  abhandlung  in  klares  licht  zu 
stellen,  dem  kahlen  abdruck  der  bekannten  briefstellen  von 
Goethe,  Herder,  Schiller  usw.,  sowie  dem  referat  über  die  herz- 
lich unbedeutenden  recensionen,  die  bei  Jördens  bequem  zu 
finden  sind,  hätte  ich  eine  kurze  darlegung  der  wiirkung  der 
abhandlung  weit  vorgezogen.  Schillers  'Briefe  über  ästhetische 
erziehung  des  menschen'  waren  nicht  nur  beiläufig  zu  nennen; 
Kants  name  erscheint  gar  nicht,  und  doch  erinnert  sein  begriff  (\c> 
schönen  als  zweckmäfsigkeit  ohne  zweck  sehr  an  M.s  schönes,  das  in 
dem  maximum  von  beziehungen  seiner  einzelnen  teile  zu  ihrem 
eigenen  zusammenhange, d.i. zu  sich  selber,  bestellt,  im  gegensatz  zu 

dem  nützlichen,  dessen  werl  in  de aximum  von  beziehnungen 

zu  dem  zusammenbang,  in  dem  es  sich  befindet,  liegt  (Neudr. 
13,  4  ff),  auch  die  auffassung  des  geschmacks  als  eines  der 
Jenkkraft  entgegengesetzten  organes  zur  empfindung  des  schönen 


262         MOBITZ      ÜBER    DIE    BILDENDE    NACHAHMUNG    DES    SCHÖNEN 

(Neudr.  20,  12)  ist  kantisch,  ja  die  von  Kaut  in  dem  jugend- 
aufsatze  'Beobachtungen  über  das  gefiihl  des  schönen  und  er- 
habenen' im  dritten  abschnitte  ('Von  dem  unterschiede  des  er- 
habenen und  schönen  in  dem  gegenverhältnisse  beider  geschlechter') 
angedeutete,  von  seinem  schüler  WvHumboldt  in  zwei  Horen- 
aufsätzen  breit  erörterte  parallelisierung  des  männlichen  und 
weiblichen  mit  bilduugskraft  und  empfindungsfähigkeit  finde  ich 
auch  bei  M.  (Neudr.  24,3),  ein  zusammentreffen,  das  um  so 
interessanter  ist,  als  es  uns  durch  Humboldt  zur  romantik,  spe- 
ciell  zu  FSchlegel  weiterleitet,  die  Übereinstimmungen  mit  Kant 
gewinnen  noch  an  bedeulung,  wenn  man  die  polemik  Hayden- 
reichs  gegen  M.s  aufstellungen  daneben  in  betracht  zieht,  die  er 
in  seiner  Kantiauischen  ästhetik  vor  Kant  niedergelegt  hat.  —  die 
schrift  von  MDessoir  'KPhMoritz  als  ästhetiker'  (Berlin  18S9)  hat 
der  Herausgeber  noch  nicht  benutzen  können. 

Alt -Aufsee,  20.  8.  90.  Oskar  F.  Walzel. 

Sinn  und  sinnverwantschaft  deutscher  Wörter  nach  ihrer  abstammung 
aus  den  einfachsten  anschauungen  entwickelt  von  dr  Ed.  Müller. 
Leipzig,  Herrn.  Österwitz  nachf.  vm  und  322  ss.  4  m.  —  ein 
mathematiker,  dem  die  deutschen  Wörterbücher  nicht  genug  wert 
auf  logische  begriffsbestimmungen  der  einzelnen  worte  legen,  will 
diesem  mangel  abhilfe  schaffen,  indem  er  zu  nutz  und  frommen 
von  lehrern  und  schülern  möglichst  viele  deutsche  worte,  der 
etymologie  und  dem  sinne  nach  geordnet,  scharf  definiert,  das 
ist  von  vornherein  ein  unglückliches  unternehmen,  unsere  spräche 
ist  etwas  lebendiges,  das  sich  jeden  augenblick  verändert;  jedes 
ihrer  worte  hat  in  einer  langen  lebensgeschichte  so  viel  Schick- 
sale durchgemacht,  die  ihre  spuren  hinterlassen  haben,  so  viel 
verschiedenartige  nüancen  der  bedeutung  angenommen,  dass  eine 
logische  definilion  ein  unding  ist.  reichtum  und  Schönheit  der 
spräche  liegt  in  ihrer  wechselreichen  freiheit,  und  das  ist  ein 
erbärmlicher  lehrer,  der  sie  in  die  fesseln  strenger  logischer  ein- 
schränkungen  schlagen  will,  wie  sie  für  mathematische  begriffe 
passen  mögen,  aber  für  nichts  lebendiges,  immerhin  kann  es  für 
schulzwecke  praclisch  sein,  im  einen  oder  andern  falle  zwei 
worte  nicht  nur  an  der  hand  von  beispielen  —  gewis  die 
weitaus  beste  methode  — ,  sondern  auch  durch  begriffliche  er- 
kläruugeu  zu  sondern,  der  verf.  aber  tut  das  in  einer  so  ab- 
stracten,  ungeschickt  tiftelnden  weise,  dass  seine  erklärungen 
schwerlich  viel  nutzen  stiften  werden,  selbst  da  wo  sie  richtig 
sind,  uuch  schlimmer,  er  zeigt  eine  so  crasse  Unwissenheit  in 
sprachlichen  dingen,  dass  es  geradezu  unbegreiflich  ist,  wie  ein 
wissenschaftlich  gebildeter  mann  —  er  ist  doctor  und  realschul- 
director  —  heutzutage  solche  Ungeheuerlichkeiten  drucken  lassen 
kann,  lugen  zb.  soll  von  loch  herkommen,  bedeuten:  'durch 
eine  lücke  sehen';  'um  ein  mädcheu  freien'  soll  heifsen:  es 
von  der  Vormundschaft  des  vaters    frei    machen,     selig  ist,   wem 


MÜLLEU     SI.N.N    UND    SINNVERWANTSCHAFT    DEUTSCHER    WÖRTER       2ü3 

ein  sal  eigen,  wer  also  reich  ist;  trübselig:  reich  au  be- 
trübnis.  der  truchsefs  setzt  dem  lehnsherru  den  trog  hin;  die 
diele  kommt  von  teil  her  und  ist  teil  eines  baumstamms;  innung 
soll  =  einung  sein,  meinung  zu  mein  gehören,  das  präüx  er- 
mit  eher  und  aus  verwant  sein,  und  was  der  Schnitzer  mehr 
ist.  dem  hrn  mathematicus,  der  all  das  verbrochen,  kann  ich 
uur  raten:  schuster,  bleib  bei  deinem  leisten!;  die  lehrer  und 
schüler  aber,  denen  er  seine  sprachliche  belehrung  zudenkt, 
seien  dringend  davor  gewarnt.  R. 


Zu  Zs.  35,  251 


Der  Dialogns  de  divite  et  Lazaro  wurde  bereits  ISS6  nach 
■zwei  Pariser  mss.  (nouv.  acquis.  1544  saec.  xv  und  latiu  11S67 
saec.  xiii  ex.)  in  den  Aotices  et  extraits  32,  1,  2U9  ff  von  Haureau, 
der  zugleich  auf  die  hss.  in  Brügge  und  London  hinwies,  bekannt 
gemacht,  sein  text  weicht  an  folgenden  stellen  ab:  4  ijukIJ  quod. 
8  Et  struit  insidias  lacrymis.  11  cum]  cur.  12  miseris.  14gau- 
dium]  ostium.  18  descendes]  perveuis  (E  peruenit).  20  Heu 
quam  plus  miser.  26  rex  est.  36  Si  non  purgatus.  39  amores. 
40  houores.  43  Cum  (E)  res  solet  crescere  magis  (E).  44  Ac- 
census.  50  quis  sit  satietur  (dies  verb  B).  53  Canes  quando 
veniunt.  54  vel]  nee.  57  turpis]  vilis  (E).  60  ad  proxima 
claustra  provectus  (vgl  E).  64  decor  aut]  decora.  in  qua]  per 
quam.  65  stenua  (druck fehler?).  66  es  fehlt.  73— 76  nach  84  (E). 
76  Sed]  Sic.  83  Divicie]  Deliciee.  mundi  sunt.  84  Promuut. 
quem]  quae.  86  inhias  et  est  (vgl  B).  87  delicias.  91  Culpa  (E). 
99  digito  miseramine.  100  Cur  petis  huc  ire  cum  possis  digne 
perire  (vgl  E).  101  michi)  tibi.  michi  nee  licet.  102  hoc. 
104  Heu.     106  tamquam]  sieuf. 

Aus  diesen  Varianten  erwächst  vielen  lesarten  von  E  erwünschte 
bestätigung;  nur  86  wird  B  geschützt  und  dadurch  noch  zweifel- 
hafter, ob  dem  verderbten  passus  85 — 89  durch  den  ausicurf  von  87 
zu  helfen  ist.  das  echte  Substantiv  bewahrten  die  Pariser  hss.  jedes  falls 
z.  8,  da  dieser  vers,  wie  Haureau  bemerkte,  eine  nachahmung  von 
C'ato  in  21  nam  lacrimis  struit  insidias,  cum  t'emina  plorat  dar- 
stellt, auch  32  wurde  aus  Cato  1 21  entlehnt;  56  begegnet  gleichlautend 
in  der  Causa  viri  ementulali  ei  ejus  uxoris  peteniis  divortium, 
welche  Haureau  s.  289  leider  nicht  hat  abdrucken  lassen.        St. 

I  Steinmeyers  sehr  dankenswertem  Hinweis  auf  Haureaus  publication 
lasse  ich  noch  den  ausdruck  meines  bedauern»  folgen  über  die  ort,  in 
der  tfaurSau  seine  beiden  Pariser  hss.,  die  dach  gewis  nicht  buchstäblich 
übereinstimmen,  verwertet  hat.  er  sagt:  'nous  eu  itablissons  le  texte 
sur  /ms  deu.r  munusci il.s' ,  gibt  aher  gar  keine  lesarten  an;  es  ist  also 
völlig  unmöglich,  aufgrund  seine*  textet  eine  gruppierung  der  4  hss. 
des  dlalogs  zu  versuchen,  wie  sie  allein  zu  einer  begründeten  entscheid 
düng    zh.   über  die  schwierige  stelle  85  —  89   fuhren   könnte,     und  sind 

Wir    denn     unter    diesen     umstünden    auch     nur    sieher,    dilss    er    sich    aller 

eigenen  besserungen   streng  enthielt?      li  / 


264  KLEINE     MITTEIL  UiVGE.N 

Für  das  jähr  1894  stellt  die  philosophische  facultät  der  Uni- 
versität Göttingen  folgende 

Beneke'sche   Preisaufgabe: 

Der  bedeutenden  rolle,  die  die  spräche  der  kaiserlichen  kanzlei  in  der 
entstehungsgeschichte  der  neuhochdeutschen  Schriftsprache  gespielt  hat,  ent- 
spricht es  nicht,  dass  uns  eine  zusammenhängende  und  umfassende  philo- 
logische Untersuchung  jener  spräche  bisher  noch  völlig  fehlt,  wir  wünschen 
eine  geschiente  der  kaiserlichen  kanzleisprache  von  ihren 
anfangen  bis  auf  Maximilian,  die  in  angemessenen,  zeitlich  be- 
grenzten abschnitten  das  constante  und  das  schwankende  in  den  laut-  und 
flexionsverhältnissen ,  sowie  möglichst  auch  in  Wortbildung  und  Wortwahl 
zur  anschauung  bringt  und  mundartlich  erläutert;  eine  beschränkung  auf 
das  lautliche  würde  nicht  genügen;  benutzung  ungedruckten  materials  wird 
nicht  verlangt,  äufsere  Verhältnisse,  wie  der  wechselnde  sitz  der  kanzlei, 
heimat  und  litterarische  beziehungen  der  kaiser  und  kanzleivorstände,  die 
herkunft  der  Schreiber,  der  einfluss  wichtiger  reichstage,  die  etwaige  rücksicht 
auf  die  mundart  der  adressaten  und  ähnliches  sind  eingehend  zu  berück- 
sichtigen und  darzulegen,  auch  das  Verhältnis  der  kaiserlichen  kanzleisprache 
zu  den  anfangen  einer  oberdeutschen  Koivt'  im  14  und  15jh.  darf  nicht  aufser 
acht  bleiben:  namentlich  wird  zu  untersuchen  sein,  ob  die  spräche  der  Nürn- 
berger kanzlei  auf  die  der  kaiserlichen  eingewürkt  habe  oder  umgekehrt. 

Erwünscht,  wenn  auch  nicht  unerlässlich,  ist  es  endlich,  dass  an  der 
spräche  der  Urkunden  und  der  ältesten  drucke  einiger  aufserbairischen 
litterarischen  centren  Süddeutschlands  die  bedeutung  der  kaiserlichen  kanzlei 
lür  die  milderung  der  mundartlichen  gegensätze  im  15  jh.  geprüft  werde: 
neben  Nürnberg  käme  etwa  Augsburg,  für  das  vorarbeiten  vorliegen,  und 
Slrafsburg  in  betracht. 

Bewerbungsschiiften  sind  in  deutscher  spräche  abzufassen  und  bis  zum 
31  august  1893  mit  einem  Spruche  auf  dem  titelblatte  einzusenden  zusammen 
mit  einem  versiegelten  briefe,  welcher  auf  der  aufsenseite  den  spruch  der 
abhandlung,  innen  namen,  stand  und  Wohnort  des  Verfassers  anzeigt,  in 
anderer  weise  darf  der  name  des  verf.s  nicht  angegeben  sein. 

Auf  dem  titelblatte  der  arbeit  muss  ferner  die  adresse  bezeichnet  sein, 
an  welche  die  arbeit  zurückzusenden  ist,  falls  sie  nicht  preiswürdig  be- 
funden wird. 

Der  erste  preis  beträgt  1700  mk.,  der  zweite  680  mk. 

Die  zuerkennung  der  preise  erfolgt  am  11  märz  1894,  dem  geburtstage  des 
Stifters,  in  öffentlicher  Sitzung  der  philosophischen  facultät  zu  Göttingen. 

Die  gekrönten  arbeiten  bleiben  unbeschränktes  eigentum  der  Verfasser. 

Am  25  mai  d.j.  starb  zu  Bonn  der  fleifsige  beohachter  und 
glückliche  darsteiler  neuhochdeutschen  Sprachgebrauchs,  prof. 
dr  RGAndresen,  78  jähre  alt;  am  1 5  juni  starb  ebenda  der  lang- 
jährige herausgeber  der  Alemannia,  der  gute  kenner  schwäbischer 
sitte  und  rede,  prof.  dr  ABirlingr,  im  58  lebensjahre.  —  der  ordent- 
liche prof.  dr  MvLexer  in  Würzburg  geht  in  gleicher  eigenschaft  an 
die  univ.  München.  —  der  aufserordentliche  prof.  dr  ASauer  in  Prag 
wurde  zum  Ordinarius  befördert.  —  es  habilitierten  sich  für  deutsche 
Philologie  in  Berlin  dr  MHerrmann,  in  Jena  dr  ALeitzmann,  in  Halle 
drJMEiER,  für  vergleichende  Sprachwissenschaft  in  Heidelberg 
dr  LSütterli.n,  iu  Berlin  dr  PKretscumer.  der  privatdocent  der 
deutschen  spräche  dr  JWNagl  hat  sich  von  Graz  nach  Wien, 
der  privatdocent  der  englischen  philologie  dr  KLüick  von  Wien 
nach  Graz  umhabilitiert. 


ANZEIGER 

FÜR 

DEUTSCHES  ALTERTHUM  UND  DEUTSCHE  LITTERATUR 

XVII,   4    OCTOBER    1891 


ündersökningar  i    Germanisk   mythologi   af  Viktor  Rydberg.     andra  delen. 
Stockholm,  Albert  Bonniers  förlag.  o.  J.    628  ss.    8°.  —  12m.* 

Mit  diesem  zweiten  bände  schliefst  Rydberg  sein  umfassendes 
werk  ab,  dessen  erster  band  im  Anz.  xiv  55  besprochen  worden 
ist.  die  an  diesem  wahrgenommenen  Vorzüge  und  fehler  kehren 
hier  wider,  und  zwar,  wie  ich  fürchte,  die  fehler  in  verstärktem 
mafse.  Scharfsinn  und  gedankenreichtum  streite  ich  auch  dem 
neuen  bände  nicht  ab,  aber  in  den  weiten  räumen  der  verglei- 
chenden mythologie,  die  R.  nun  betritt,  kann  sich  seine  gefähr- 
liche lust  am  combinieren  noch  freier  ergehn,  als  in  der  engeren 
heimat  des  nordischen  mythus.  im  1  cap.  behandelt  er  die  germa- 
nischen mythen  altarischer  herkunft,  im  2  cap.  diejenigen  späterer 
zeit,  das  3  cap.  liefert  einzelbeiträge  namentlich  zum  Baldrmythus, 
gibt  einen  überblick  über  die  epische  anordnung  der  germanischen 
mythen,  äufsert  sich  über  mythologische  methodik  und  druckt 
R.s  früheren  aufsatz  über  die  Sibyllen  und  die  Völuspa  wenig 
verändert  wider  ab. 

Der  schwerpunct  des  bandes  liegt  im  1  capitel  und  in  der 
mythologischen  methodik.  die  in  dieser  vorgetragene  theorie  ent- 
hält manche  gesunde  anschauungen,  wird  aber  leider  in  der  praxis 
des  1  capitels  viel  zu  wenig  befolgt,  auch  verlangt  R.  darin  eine 
sonderung  der  mythologischen  Wissenschaft  in  zwei  Wissenschaften, 
in  eine  namentlich  auf  dem  Folklore  begründete  mythogonie, 
welche  die  gesetze  der  praehistorischen  phantasiegebilde  aufzu- 
suchen hätte,  und  in  eine  mythologie  im  engeren  sinne,  welche 
die  götter  und  heroen  nicht  mehr  als  personificationen  von  natur- 
mächten ,  sondern  als  poetisch  verklärte  persönliche  mächt«'  von 
individuellem  Schicksal  characterisieren  müste.  gewis  können  beide 
gebiete  mit  erfolg  von  verschiedenen  forschem  gesondert  beackert 
werden,  gewis  hat  andererseits  schon  oft  das  willkürliche,  bin-  und 
herfahren  zwischen  dem  einen  und  dem  andern  eine  einträgliche 
bestellung  verhindert  dennoch  ist  R.s  Vorschlag  im  priocip 
durchaus  unannehmbar,  denn  die  späteren,  wenn  auch  an  sich 
noch  so  deutlichen  Litterarischen  mylbenligureii  sind  doch  erst 
ganz  verständlich,  wenn  man  ihre  früheren  Verkörperungen  kennt, 
und  keiner  Wissenschaft  soll  man  wehren,  möglichst  tief  zu  ihrer 
wurzel  hinabzusteigen,     freilich  geraten    die  forscher   bei  diesem 

*  [vgl.  Nord,  tidskr.  f.  vetenskap  1891,  B.  68ff  (ABaäth).] 
A.  F.  D.  A.    XVII.  18 


266  RYDBERG     UNDERSÖKISLNGAR    I    MYTHOLOGI 

streben  unweigerlich  unter  die  mythologen,  die  sich  aus  den 
himniels-  und  welterscheinungen  die  lösuug  so  manchen  mythi- 
schen rätseis  holen,  und  diese  bilden  nach  R.  eine  sehr  minder- 
wertige forscherclasse,  weil  sie  sich  nie  um  kritische  sichtung 
des  materials  kümmern  und  nie  begriffen  haben,  dass  der  litte- 
rarisch überlieferte  mythus  bereits  ein  rein  episches  erzeugnis 
sei,  in  dem  die  Indogermanen  schon  in  der  praehistorischen 
zeit,  das  denkbar  grofsartigste  thema,  nämlich  das  Schicksal  der 
weit  von  ihrem  chaotischen  anfang  bis  zu  ihrem  ende  und  ihrer 
erneuerung,  im  schönsten  zusammenhange  dargestellt  hätten,  sind 
die  beiden  ersten  vorwürfe  stark  übertrieben,  so  ist  der  dritte 
m.  e.  völlig  sinnlos;  denn  eine  solche  indogermanische  kosmo- 
logie  hat  nie  bestanden,  alle  drei  setzen  aber  umsomehr  in 
erstauuen,  als  R.  seine  kenntnis  und  auffassung  des  Avesta  und 
der  andern  iranischen  Urkunden,  die  er  als  hauptstutzen  seines 
vergleichungssystems  verwendet,  sowie  viele  vergleichungen,  zb.  die 
freilich  beide  unhaltbaren  des  Yimawinters  mit  dem  nordischen 
Fimbulwinter  und  die  Agnis  mit  Heimdall  niemand  anders  als 
dem  vortrefflichen  James  Darmesteter  verdankt,  dh.  einem  der  ent- 
schiedensten witterungsmythologen. 

Im  1  cap.  sucht  R.  vermittelst  der  vergleichenden  mylhologie 
den  einklang  der  wichtigsten  kosmologischen  mythen  der  indo- 
germanischen oder  vielmehr  der  arischen  Völker  und  der  Nord- 
germanen darzutun,  die  auswahl  gerade  dieser  vorstellungsgruppe 
ist  sein  erster  schwerer  fehler,  weltschöpfungs-  und  weltunter- 
gangstheorien  fallen  streng  genommen  gar  nicht  mehr  in  den 
bereich  der  mythologie,  sondern  in  den  der  philosophie;  sie  sind 
nicht  mehr  reine  producte  der  einbildungskraft,  sondern  wesent- 
lich solche  der  reflexion;  allerdings  einer  oft  an  mythen  an- 
knüpfenden und  religiös  gestimmten  reflexion.  daher  kommen 
sie  auch  erst  auf  den  höchsten  culturstufen  zum  Vorschein,  und 
wenn  wir  ihre  spuren  und  ausätze  auch  bei  einem  volke  mitt- 
lerer oder  gar  niederer  cultur  autreffen,  so  können  wir  sicher 
sein,  dass  sie  der  geistig  reiferen  fremde  entlehnt  worden  sind. 
R.  hat  also  die  mythenvergleichuug  beim  unrechten  ende  ange- 
fasst.  statt  die  offenbar  älteren  eiuzelgebilde,  wie  die  seelen,  die 
niederen  und  die  höheren  dämonen  und  darnach  etwa  noch  die 
götter  und  die  heroen  der  Indogermanen  auf  ihre  venvantschaft 
hin  zu  confronlieren,  glaubt  er  in  den  verhältnismäfsig  späten 
und  gelehrten  kosmologischen  Systemen  arischer  und  germanischer 
litteraturdenkmäler  die  blaue  blume  einer  urzeitlichen  kosmologie 
gefunden  zu  haben,  mit  der  man  auch  die  verborgensten  schätze 
des  indogermanischen  Volksglaubens  erschliefsen  könne,  aber,  wie 
schon  bemerkt,  eine  solche  blume  hat  nie  geblüht!  —  ein  zweiter 
fehler  liegt  in  dem  ausschluss  nicht  so  sehr  der  allerdings  dürftig 
bezeugten  mythologie  der  Slavo-Letten,  Kelten  und  Italer,  als  der 
reichen    griechischen    mythologie.     diese   scheint   nämlich  R.    zu 


RYDBERG  DNDERSÖKNINGAB  I  MYTHOLOGI  267 

stark  mit  riichtariseben  dementen  gemischt,  um  aber  müglichst 
sicher  zu  gehn,  vvill  er  sich  uur  auf  echt  arisches  verlassen, 
dh.  auf  den  Rigveda,  die  iranischen  religionsbücber  und  die  poe- 
tische Edda,  diese  vorsieht  war  höchst  unvorsichtig,  indem  er 
den  reineren  und  volleren  lauten  der  hellenischen  mythendichtung 
sein  ohr  verschluss,  schenkte  er  es  um  so  williger  den  irani- 
schen Urkunden,  die  mehr  religiöse  glaubenslehren  als  mytholo- 
gische darstellungen  enthalten  und  deswegen  nicht  nur  jünger, 
sondern  auch  fremden  eiuflüsseu  viel  stärker  ausgesetzt  gewesen 
sind  als  jene,  er  hat  dabei  die  mahnung  eines  so  nüchternen 
und  gründlichen  Iranisten  wie  Spiegel  (Eranische  altertumskunde 
ii  169)  zu  seinem  grofsen  schaden  vollkommen  überhört,  'wir 
haben  in  den  arischen  und  eranischeu  gebildeu  zusammenge- 
nommen blofs  einen  leib  ohne  seele.  da  ist  keines  unter  allen 
diesen  wesen ,  das  nicht  erst  durch  die  Stellung,  die  es  innerhalb 
des  Systems  einnimmt,  seine  bedeutung  und  die  fähigkeit  sich  zu 
bewegen  erhielte,  die  treibenden  kräfte  des  Systems  liegen  gauz 
ausserhalb  dieser  beiden  classen  von  wesen,  wir  linden  sie  in  den 
aufserweltlichen  gottheiten,  welche  die  ganze  iranische  Weltan- 
schauung bedingen,  dann  in  Ahura  Mazda  und  seiner  Stellung 
als  alleiniger  schöpfer,  endlich  in  den  Vorstellungen  von 
der  sc  hüpfung  und  dem  ende  der  körperweit,  bei  allen 
diesen  Vorstellungen  haben  wir  semitische  Vorbilder  gefunden.' 
schon  im  jähre  1 873  ist  es  Spiegel  nicht  zweifelhaft,  dass  die 
Babylouier  eine  ähnliche  Genesis  hatten,  wie  die  Hebräer  und 
nach  ihrem  vorbild  die  lranier,  und  nach  den  wichtigen  funden 
und  Untersuchungen  von  Smith,  Delitzsch,  Hummel,  Pinches, 
Jensen  ua.  kann  es  jetzt  noch  viel  weniger  bezweifelt  weiden, 
dass  schon  die  ;i\ estische,  noch  mehr  aber  die  sassanidische  litte- 
ratur  einen  glauben  lehrt,  der  durch  semitische,  babylonisch- 
assyrische wie  hebräische,  und  späterhin  auch  durch  griechische 
und  christliche  ideen  aus  einem  indogermanischen  in  einen 
durchweg  andersartigen  verwandelt  und  von  Jahrhundert  zu  Jahr- 
hundert immer  mehr  seinem  ursprünglichen  gehalte  entfremdet 
worden  ist.  unglücklicher  weise  sind  es  vornehmlich  diese  grofsen 
fremden  ideen,  die  R.  für  urarisch  hall  und  die  er  häufig  gerade 
mit  solchen  ideen  der  nordischen  litteratur  vergleichen  zu  dürfen 
meint,  die  unglücklicher  weise  (wie  zb.  die  einiger  Odinsgedichte  der 
Liederedda)  ein  noch  viel  entschiedueres  und  moderneres  fremdes 
und  gelehrtes  gepräge  tragen,  als  jene  semitischen  eindringlinge  des 
iranischen  glaubens,  nämlich  das  christliche  der  mittelalterlichen 
theologie.  —  es  tritt  hier  also  ein  dritter  fehler  hervor,  den  1». 
seinerseits  jenen  witterungsmylhologen  vorwirft,  der  mangel  einer 
eindringlichen  quellenkritik ,  wenn  auch  sein  wolbegründetes  nns- 
trauen  den  angaben  der  Prosaedda  gegenüber  anerkannt  werden 
uiuss.  endlich  glaube  ich  als  vierten  fehler  die  misachtung  be- 
zeichnen zu  müssen,  die  er  den  volkstümlichen  quellen  entgegen- 

L8* 


268  RYDBERG     UINDERSÖKMNGAR    I    MYTHOLOGI 

bringt,  diese  ist  zwar  nicht  radical,  aber  sie  geht  doch  soweit, 
dass  R.  das  gewicht  des  Unterschiedes  volkstümlichen,  heimischen, 
würklich  mythologischenwesens  von  individueller,  oft  fremdartiger, 
religiöser  oder  künstlerischer  production  nicht  immer  zu  würdigen 
weifs,  gleich  so  vielen  eddakritikern.  unter  solchen  umständen 
war  es  kaum  anders  möglich,  als  dass  selbst  ein  so  feinfühliger 
und  begabter  forscher,  wie  R.,  auch  da,  wo  er  möglichst  vor- 
sichtig vorzugehn  glaubte,  zu  zahlreichen  fehlschlüssen  gelangte, 
ja,  man  muss  leider  bekennen,  dass  der  bau  seines  ersten  capitels 
unter  dem  druck  der  erwähnten  fehler  fast  völlig  in  sich  zu- 
sammenbricht und  auf  dessen  trümmeru  nur  einige  wenige  eigent- 
lich mythische  gebilde,  wie  zb.  der  weltbaum,  als  indogermanische 
Schöpfungen  stehn  bleiben. 

Da  dem  character  dieses  Anzeigers  eine  ins  einzelne  gehnde 
kritik  dieses  capitels  vergleichender  mythologie  kaum  entspricht 
und  widerholungen  wenig  frommen,  darf  ich  wol  auf  meine  kürz- 
lich erschienenen  bücher:  Völuspa  1889  und  Die  eddische  kosmo- 
gonie  1891  verweisen,  welche  darzulegen  sich  bemühen,  dass  weder 
die  Indogermanen  eine  eigene  kosmogonie,  noch  auch  die  Ger- 
manen eine  eigene  eschatologie  aus  sich  heraus  entwickelt  haben, 
hier  genüge  nur,  um  wenigstens  ein  beispiel  hervorzuheben,  der 
kurze  hinweis  auf  ein  glied  dieser  kette  kosmologischer  gedanken, 
den  schon  oben  erwähnten  Yimawinter  persischen  glaubens,  den 
R.  (i  287.  ii  138)  nach  Darmesteters  Vorgang  (Ormazd  et  Ahriman 
1877  s.  298.  Sacred  books  of  the  East  1880.  4,  lxxv)  mit  dem 
eddischen  Fimhulwinter  vergleicht,  man  kann  durch  die  lange 
reihe  der  iranischen  religionsschriften  hin  genau  verfolgen ,  wie 
der  mit  dem  indischen  Yama  urverwante  iranische  paradieseskönig 
Yima  unter  dem  einfluss  verschiedener  biblischer  geschienten  sich 
schritt  vor  schritt  von  seinem  indischen  bruder  entfernt,  um 
schliefslich  der  hüter  eines  ortes  zu  werden ,  in  dem  während 
dreier,  dem  Weltuntergang  voraufgehnder  jähre  menschen  Zuflucht 
und  nahrung  fiuden.  aus  denselben  biblischen  oder  ähnlichen 
christlichen  Vorstellungen  wird  der  altgermanische  wald-  und 
quellgeist  Mimir  zum  hüter  eines  ortes  umgestaltet,'  in  dem  wäh- 
rend der  drei  dem  Weltuntergang  vorausgehnden  jähre  menschen 
Zuflucht  und  nahrung  finden;  vgl.  Vsp.  41  mit  Vafbr.  44.  45  und 
Sn.  Edda  i  186.  202.  dieser  merkwürdige  Zeitraum  findet  aber 
nur  in  der  biblisch-christlichen  idee  von  der  drei-  oder  dreiein- 
halbjährigen, dem  jüngsten  gericht  vorangehuden  herschaft  des 
Antichrist  seine  volle  erklärung,  während  deren  furchtbaren  wetter- 
erscheinungen  auch  ein  teil  der  menschen  zu  dem  nahrungspen- 
denden Elias  geflüchtet  wird,  sie  ist  von  Palästina  einerseits  ost- 
wärts nach  Persien,  anderseits  westwärts  ins  abendland  gedrungen 
und  hier  wie  dort  mit  vielen  anderen  eschatologischeu  ideen  in 
heimischere  formen  gekleidet,  älteren  beimischen  gestalten  unter- 
stellt worden,    der  gruud  ihrer  ähnlichkeit  ist  also  nicht  in  einem 


RYDBERG     U.\DERSÜKM>GAR    I    MYTH0L0G1  209 

indogermanischen  vorstellungskreise,  sondern  in  der  gemeinsamen 
herkuuft  aus  einem  in  sich  begründeten  semitischen  ideenzu- 
sammenhange  zu  suchen. 

Die  andern  capitel  des  buches,  die  manche  lehrreiche  einzel- 
heit  enthalten,  können  wir  kürzer  besprechen,  den  Widerabdruck 
der  grofsen  abhandlung  üher  die  Sibyllen  und  die  Völuspa  halte 
ich  für  überflüssig,  da  die  neuere  Völuspaforschung  sich  bereits 
ganz  anderen  gesichtspuncten  zugewendet  "hat.  auch  die  schwierige 
Baldrfrage  soll  hier  nicht  von  neuem  aufgerührt,  sondern  uur 
kurz  die  ansieht  Fi. s  mitgeteilt  werden,  nach  der  die  arische  her- 
kunft  des  ßaldrmytbus  als  eines  Acvinen-,  Dioskuren-  und  Alci- 
mythus,  wie  sein  von  Tacitus  bezeugter  fortbestand  nicht  be- 
zweifelt werden  könne.  R.  schliefst  sich  also  darin,  ohne  ihn  zu 
nennen,  Müllenhoff  (Zs.  12,  346)  an,  doch  sieht  er  nicht  in  Vau, 
sondern  in  Hodr  den  zweiten  bruder  des  Zwillingspaares,  welche 
künsteleien  aber  dabei  unterlaufen,  davon  nur  ein  beispiel!  Hodr 
soll  in  der  Gylfaginning  blind  dargestellt  worden  sein,  nur  des- 
wegen, weil  das  von  Ulfr  Uggason  in  der  Husdrapa  besungene 
kunstwerk  von  Hjardarholt  ihn  wahrscheinlich  mit  geschlossenen 
äugen  abbildete,  um  seine  blinde  abhaugigkeit  von  Gullveig  (Hyrro- 
kin!)  und  Loke  auszudrücken,  daher  erkläre  sich  die  im  übrigen 
bei  einem  kriegerischen  dracheutöter  und  bogenschützen  unbe- 
greifliche blindheit.  für  solche  Vermutungen  entschädigen  dann 
aber  auch  wider  andere,  wie  zb.  die  deutung  des  feralis  exer- 
citus  der  Harier  in  Tacitus  Germ.  c.  43  auf  Odins  Einherier.  der 
2  band  gipfelt  in  einem  s.  375  ff  entworfenen  überblick  der  epi- 
schen germanischeu  mythenordnung,  die  R.  in  den  'Fädernas 
gudasaga'  (Stockholm  1 887)  ausführlicher  für  die  Jugend  erzählt 
hat.  er  umfasst  in  154sceneu  das  ganze  kosmologische  epos  vom 
chaos  bis  zur  welterneuerung,  alle  wichtigsten  götter-,  heroen- 
und  menschengeschicke  vom  äufsersten  anfang  bis  zum  äufsersten 
ende,  die  mythologische  combinaliouskunst  feiert  darin  einen  ihrer 
grofsartigsten ,  aber  auch  vom  wissenschaftlichen  slandpunct  aus 
betrachtet  flüchtigsten  triumphe.  die  dichterische  Schöpferkraft 
hat  R.s  wissenschaftlichen  sinn  zu   boden   geworfen! 

Freiburg  i/B.,  28  Juli  1891.  Elard  Hugo  Meyer. 


Welche  Handelsartikel  bezogen  die  Araber  des  tnittelaltera  ans  den  nordisch- 
baltischen  landein?  von  dr  Georg  Jacob.  2  gänzlich  umgearbeitete 
und  vielfach  vermehrte  aufläge.  Berlin,  Mayer  &  Maller,  1891.  83  ss. 
8°.  -  2,50m. 

Wenn  die  redaction  dieser  Zs.  eine  besprechung  der  vor- 
liegenden schrill  durch  den  leiereilten ,  natürlich  ohne  n'icksichl 
auf  das  arabische,  nur  in  bezug  auf  ihre  wissenschaftliche  ausbeute 
für  die  altertumskunde,  wünschte,  so  wird  sie  dabei  sicher  voraus- 


270       JACOB  iSORD.-BALT.  HANDELSARTIKEL  DER  ARABER 

gesetzt  haben,  dass  mir  ein  eingehn  oder  nur  eine  antwort  auf 
die  von  Jacob  beliebte  weise,  auf's.  3f  und  s.  73 — 76  seiner  erbii- 
lerung  über  meine  der  ersten  ausgäbe  gewidmeten  sechs  (!)  Zeilen  • 
luft  zu  schaffen,  durchaus  überflüssig  erscheinen  werde,  übrigens 
bat  eine  mir  unbekannte  stimme  in  den  'Grenzboten'  50  nr  25 
s.  582  f  über  J.  schon  gericht  gebalten,  das  buch  ist  jetzt  vielfach 
ein  anderes  geworden,  die  darstellung  geht  aus  von  den  tausenden 
von  Scimäniden-Dirbems,  die  durch  Russland,  über  die  baltischen 
küsten  hin  auf  Gotland  und  in  Schweden  sich  gefunden  haben, 
fast  immer  mit  hacksilber  vergesellschaftet,  diese  weisen  teilweise 
wenigstens  auf  einen  lebhaften  verkehr  mit  den  'nordostmarken 
des  Khalifats'  hin,  obwol  das  edelmetall  erst  nach  vielfachem 
tausch  und  nicht  durch  Araber  oder  Chowaresmier  (Khiwaner) 
direct  an  die  Ostsee  kam.  ein  anderer  vielleicht  sehr  grofser  teil 
wird  als  beute  der  normannischen  (schwedischen)  Waräger  nach 
dem  norden  gelangt  sein,  deren  plündernde  züge  über  Nowgorod 
Kama  und  Wolga  abwärts  bis  nach  Astrachan  im  Grofsbulgaren- 
reiche  uns  ja  bekannt  sind,  zu  ihnen  können  wir  dann  auch  die 
züge  der  Rus,  dh.  der  in  Kiew  festen  fufs  fassenden  Normannen, 
rechnen,  von  einem  directen  handel  mit  den  baltischen  landein 
kann  danach  allerdings  kaum  die  rede  sein,  und  wenn  (s.  4) 
Maqdesis  Verzeichnis  der  handelsgegenstände,  welche  von  Grofs- 
bulgarien  aus  über  Chowaresmien  ins  Khalifat  giengen,  dem  Araber- 
verkehr zu  gründe  gelegt  wird,  so  ist  diese  liste  interessant  und 
wichtig  genug,  führt  aber,  abgesehen  vom  bernstein  und  vielleicht 
einigen  der  fischzähne  (walross  und  uarwal?),  auch  nicht  zur 
Ostsee,  sondern  mehr  ins  Russen-  und  Polengebiet  und  nach  dem 
rauhwerklande  Riarmien  (Perm),  dem  mittleren  der  3  östlichen 
Fiuneureiche  zwischen  Kaspisee  und  Eismeer:  Grofsbulgarieu, 
Riarmien,  Ugrien.  das  fossile  elfeubein  (s.  18.  19)  gehört  über- 
haupt nicht  in  dieses  gebiet;  ebensowenig  die  tiere  des  Khazaren- 
landes  au  der  Maeotis  und  dem  Kaspisee  (s.  19). 

Das  wichtigste  sind  die  sklaven,  welche  geradezu  'slawische 
sklaven'  genannt  werden;  die  Zusammenstellung  der  vielen  arabi- 
schen nachrichten  über  sie,  von  der  älteren  Karolingerzeit  bis 
über  die  salischen  kaiser  hinaus,  ist  von  grofsem  interesse.  der 
mittelpunct  dieses  bandeis  war  das  maurische  Spanien ,  wohin 
die  lebende  männliche  waare  von  westen  und  osten  gebracht 
wurde,  um  sie  kastrieren  zu  lassen;  dann  lief  der  eunuchen- 
handel  von  dort  durch  den  ganzen  Orient,  zwei  herkunftswege 
der  weifsen  sklaven,  der  östliche  und  der  westliche,  werden 
unterschieden,  zu  dem  ersten  gehört  der  der  Waräger- Russeu, 
also  Normannen,  die  zu  schiff  (also  auf  den  russischen  strömen) 
im  anfange  des  10  jhs.  sklavenraub  trieben    und    die  beute  nach 

1  Jahresb.  d.  gesch.  wiss.  x  (1887)  s.  130  anm.  37.  daselbst  im  reg. 
sind  die  übrigen  besprechungen  der  lausg.:  'Der  nordisch-baltische  handel 
der  Araber  im  mittelalter'  (Leipzig,  Böhme,  v  152ss.)  verzeichnet. 


JACOB     NORD.-BALT.  HANDELSARTIKEL  DER  ARABER  271 

Astrachan  zum  verkauf  brachten;  allerdings  wird  auch  von  russi- 
schen kaufleuten  erzählt,  welche  die  geraubten  schonen  mädchen 
direct  in  den  Orient  bis  Bagdad  auf  den  markt  brachten,  wo 
ihnen  die  dortigen  slawischen  eunuchen  als  dolmetscher  dienten, 
über  die  brutal-sinnlichen  Vorkommnisse  dieses  handeis  vgl.  s.  8 
und  9.  ebenso  nach  dem  osten,  nicht  ins  baltische  gebiet  gebort 
der  sklavenraub  und  -bandel  der  Magyaren,  welche  die  gefangenen 
zur  selben  zeit  zu  schiff  den  küsten  entlang  (Douau,  Pontus?) 
nach  dem  hafen  Karkb  des  landes  Rum  (byzant.  reich)  am  schwarzen 
meere  brachten,  wo  die  Griechen  sie  gegen  schweres  seidenzeug 
(dibdg),  Wolldecken  usw.  eintauschten.  ,Karkh  scheint  Karkinitis, 
Carcine  am  ■/.aQy.LvLriqg  y.6Xtco<;  der  Krim  zu  sein,  was  von  den 
männlichen  jungen  sklaven  auf  diesen  wegen  direct  nach  dem 
Orient  gieng,  wurde  nicht  verstümmelt;  was  verschnitten  werden 
sollte,  wurde  erst  nach  Spanien  gebracht,  dorthin  kamen  auch 
'über  das  westliche,  meer',  unfraglich  vorzugsweise  das  westbecken 
des  mittelmeers,  slawische,  römische  (griechische?),  fränki- 
sche und  langobard  ische  sklaven,  römische  und  spanische 
mädchen,  biberfeile,  storax  und  mastix,  die  beide  nicht  aus  dem 
norden  kommen  konnten,  pelzwerk  und  zobel.  solch  ein  aus 
Spanien  weiter  geführtes  mädchen  oder  ein  weifser  sklav  (eunuch?) 
ohne  besondere  fertigkeiten  kostete  in  Ägypten  1000  goldstücke 
(bisanten?)  und  mehr,  der  haupthandel  lag  in  der  band  der 
jüdischen  wanderkaufleute,  der  'Rhädämiten',  die  zwischen  abend-* 
land  und  morgenland  hin-  und  herfuhren  und  arabisch,  persisch, 
griechisch,  fränkisch,  spanisch  und  slavisch  sprachen,  im 
10  jh.  werden  (nach  Ibu  Hauqal)  in  Spanien  kriegsgefaugene 
Franken,  Galizier  und  Slaven,  nach  andern  Galizier,  Franken, 
Langobarden  und  Calabrier  eingeführt,  die  Mauren  haben  steten 
heiligen  krieg  mit  den  Galiziern,  um  sklaven  zu  gewinnen,  ebenso 
an  ihrer  ostmark  mit  den  mächtigen  Franken,  die  ihrerseits  aus 
dem  ihnen  benachbarten  laude  der  Slaven  gefangene  zuführen. 
den  Arabern  galten  aber  gelegentlich  auch  die  Deutschen  für 
Slaven  '.  die  Mauren  liefsen  diese  gefangenen  dann  durch  die 
jüdischen  kaufleute  in  der  nähe  dieses  landes  (s.  10),  nach  Ma<|- 
desi  in  einer  jüdischen  Stadt,  'hinter  Beggäre  (Pechina)'  kastrieren 
(s.  11).  für  die  Juden  als  Sklavenhändler  in  Böhmen  wird  auch 
die  Vita  Adalberti  citiert  und  ebenso  Liudprands  Antapodos.  hb.  vi  6 
(MG.  SS.  in  und:  in  us.  scholar.  ed.  Perlz,  Ilannov.  1840),  welcher 
949  -  als  eigenes  geschenk  für  den  byzantinischen  Kaiser  Kon- 
stantin vi  Porphyrogenitus  aus  Italien  l  'karzimastsche'  eunuchen 
bringen   wollte,    sie   ihm   aber    als  geschenk    des   koni^s   Berengar 

1  nach  Jacob  KJn  arabischer  berichterslatter  aus  dem  in  oder  11  jh. 
(Berlin  1890)  s.  17  bezeichnet  Qazwini  Soesl  und  Paderborn  als  'im  lande 
der  Slaven'  gelegen. 

1  .1.   sagt,   er  sei   !KiS   in  ISyzanz  gewesen,     das   war  /.um  zweiten  male, 

für  Otto  I. 


272  JACOB     INORD.-BALT.  HANDELSARTIKEL  DER  ARABER 

überlieferte,  diese  nahm  der  kaiser  mit  ganz  besonderer  freude 
an;  sie  waren  also  am  christlichen  hole  in  Byzanz  gesucht  und 
in  Italien  käufliche  waare.  einen  Carzimasius  nennen  aber  die 
Griechen  'amputatis  virilibus  et  virga  pueruni  eunuchum;  quod 
Verdunenses  mercatores  ob  immensum  hierum  facere  et  in  Hispa- 
niam  dueere  söhnt'1,  der  Carzimasius  ist  demnach  ein  'vir  emen- 
tulatus',  wie  wir  ihn  als  freiwillig  verstümmelten  schon  in  Lu- 
cians  Heliopoliten  finden,  und  wie  er  im  Orient  noch  heute  viel 
begehrt  ist.  die  rohe  operationsweise  der  Nubier  hat  Rüppell 
in  seiner  reise  beschrieben;  mitten  im  fränkischen  reiche  nahmen 
sie  also  zu  Ottos  i  zeit  .die  bändler  von  Verdun  an  geraubten 
kindern  vor.  J.  möchte  das  unerklärte  Carzimasius  vom  namen 
des  haupt-sklavenlandes  Khdrezm  (Chowaresmien,  Khiwa)  ableiten; 
aber  gerade  daher  kamen  ja  keine  Carzimasier,  sondern  aus 
Spanien,  ebenso  gibt  J.  anheim,  ob  die  bezeichnung  Sklave 
würklich  vom  volksnamen  der  Slaven  stamme,  da  es  ihm  nicht 
scheine,  als  ob  das  k  aus  dem  griechischen  (und  spätlateiuischen) 
durch  die  romanischen  sprachen  in  das  arabische  (und  das  deutsche) 
eingedrungen  sei,  oder  ob  der  arabische  begriff  Saqlab,  Siqlab 
gerade  umgekehrt  seinen  einfluss  geäufsert  habe  (s.  15 — 17).  da 
J.  das  k  im  volksnamen  aber  selbst  auf  griechischen  einfluss 
zurückführen  muss,  so  ist  an  die  zweite  Möglichkeit  nicht  zu 
denken,  in  das  deutsche  ist  Sklav  überhaupt  erst  durch  das 
romanische  eingedrungen,  und  zwar  vom  Südost  her,  in  Mitlel- 
und  Norddeutschland  hiefsen  in  der  ganzen  betreffenden  zeit  und 
noch  viel  später  die  Slaven  nur  Wenden,  und  Wend  hiefs  eben- 
falls der  unfreie,  damit  steht  aber  auch  fest,  dass  im  westen 
ein  directer  arabisch-baltischer  Sklavenhandel  nicht  bestand. 

In  der  besprechung  des  pelzwerks,  das  für  die  Araber  in- 
dessen ebenfalls  nicht  aus  den  baltischen  ländern  kam,  ist  J.  sehr 
vorsichtig  geworden ;  der  fennek  und  der  korsac  aber  gehören 
auch  nicht  zu  den  nordischen  erzeugnissen.  wegen  des  'stummen 
handeis'  der  Russen  im  lande  der  finsternis  kann  das  bild  auf 
des  Olaus  Magnus  karte  von  1539  (Brenner,  Christiania  1886)  an- 
geführt werden;  wenn  der  zobel  (semmur)  in  Spanien  im  wasser 
(Ebro)  und  gar  im  ocean  mit  feinem  weichen  haar  nach  arabi- 
schen quellen  vorkommen  soll,  so  ist  ersterer  gewis  der  fisch- 
otter,  letzterer  die  junge  robbe,  die  noch  heute,  freilich  erst  am 
eise,  das  feine  teure  sealskin  liefert,  der  semmur  im  lande  der 
Slaven,  'kleiner  als  die  katze',  der  auch  'wasserkatze'  heifse,  ist 
sicher  der  bis  Lübeck  hin  vorkommende  nerz  oder  nörz  (mustela 
lutreola),  dessen  pelz  in  den  ostländern  dem  zobel  am  nächsten 
kommt  (s.  33).  zur  färbe  des  zobels  (s.  34)  sei  bemerkt,  dass 
in  der  Wappenkunde  zobelpelz  (sable)  und  schwarz  identisch  ist, 
gerade  wie  blau  und  vehe.    dass  der  deleq  ein  marder,  und  zwar 

1  vOsten- Sacken  in  'Geschichtschr.  d.  d.  vorzeit'  hat  die  stelle  sehr 
ungenau  übersetzt. 


JACOB     NORD.-BALT.  HANDELSARTIKEL  DER  ARABER  273 

der  Steinmarder,  oder  ein  iltis  ist,  beweist  die  angäbe  vom  tauben- 
scblag  s.  36;  das  weifse  tier  dieser  art  ist  dann  die  frette.  vom 
eicbhörnchen  liefert  aufser  sciurus  vulgaris  L.  noch  das  fliegende 
eicbhorn  beiderseits  des  Ural  gutes  pelzwerk;  in  den  klöstern  des 
ma.s  afs  man  die  eicbhörnchen  unter  dem  namen  asperioli,  als 
firoli  (piroli)  und  proli  stehn  sie  auf  der  citierten  karte  des  Olaus 
Magnus,  der  bläuliche  pelz  der  Oberseite  heifst  jetzt  noch  grau- 
werk, während  vehe  im  pelzhandel  die  weifsgelbe  bauchseite  ge- 
nannt wird,  die  Verwechselung  von  biber  und  otter  (s.  43f), 
zu  der  vielleicht  der  sehr  ähnliche  pelz  beitrug,  findet  sich  ganz 
ebenso  im  hd.  wie  im  od.;  sie  gieng  so  weil,  dass  ihr  sogar  die 
flussnamen  folgten  und  zb.  ein  nebenfluss  der  Oste  im  herzogt. 
Bremen,  der  urkundlich  im  ma.  als  Bever  vorkommt,  jetzt  allge- 
mein Otter  heifst.  auch  dahin  hat  sie  geführt,  dass,  da  trotz  des 
päpstlichen  Verbotes  bei  den  Niederdeutschen  der  biber  stets 
seines  schuppenschwanzes  wegen  als  faslenspeise  galt,  nun  auch 
der  otter,  dessen  fleisch  mir  übrigens  als  wolschmeckend  geschil- 
dert ist,  als  solche  augesehn  wurde  und  zum  teil  noch  wird,  für 
biber  oder  otter  kommen  die  arabischen  namen  qundus,  kelb  el-ma 
('wasserhund',  der  fische  frisst;  also  otter)  und  daneben  khezz 
vor;  ohne  dass  ein  sicherer  unterschied  zu  machen  wäre,  da 
die  khezz-felle  alle  aus  den  flüssen  der  Rus  stammen  sollen  und 
das  russische,  so  viel  gebrauchte  bisampelzwerk  und  der  nerz  nie 
erwähnt  wird,  so  wäre  es  leicht  möglich,  dass  beide  tiere  hier 
mit  unterliefen,  also  widerum  eine  otterart  und  ein  nager,  näm- 
lich die  ebenfalls  einen  schuppenschwanz  führende  bisamratte. 

Hinsichtlich  der  habichte  (und  falken)  vermag  ich  J.  nicht 
zu  folgen,  sämtliche  arabische  nachrichteu  beziehen  sich  aber 
nicht  auf  baltische  lande,  ebensowenig  was  s.  56  f  von  fischen 
und  fischleim  und  s.  58  f  von  honig  und  wachs  berichtet  wird, 
bemerkt  sei  hier  noch,  dass  J.  (s.  54)  den  lateinischen  falken- 
namen  sacer  nicht  in  das  arabische  als  saqr  übergegangen  sein 
lassen  will,  sondern  in  fortführung  von  Lagardes  angaben  in  den 
GGA  1887  s.  303  umgekehrt  die  abstammung  des  lateinischen 
namens  mit  seinen  ableitnngen  in  den  roman.  sprachen,  mlid.  usw., 
aus  dem  arabischen  behauptet.  —  unter  den  nordischen  handeis- 
waareu  ist  der  'ahorn'  genannt,  weil  er  dein  holze  des  kbaleng- 
baumes  nach  bar.  vTiesenhausen  gleichgesetzt  ist;  der  russische 
klen,  die  deutsche  lähm,  lehne,  lenne  (acer  platanoides),  nach 
deren  slavischem  namen  klenu  die  mecklenburgischen  orte  Klein 
und  Kleinen  heifsen,  kann  aber  dieser  bäum  nicht  sein,  wenn 
er  Sehr  hartes  holz'  haben  soll  (s.  61).  denn  das  weifse  ahorn- 
holz  ist  sehr  weich;  zu  pfeilspitzeo  könnte  es  erst  recht  nicht 
taugen,  frisst  der  biber  würklich  seine  rinde  (s.  44),  so  uiuss 
der  khaleng  im  sumpfe  wachsen,  und  mau  könnte  versuch!  sein, 
auf  das  gelbrote  härtere  holz  der  erle  oder  schwarzeil  er  (alnus 
glutinosa)  zuraten;  in  den  arabisch-baltischen  handel  gehört  der 


274  JACOB     NORD.-BALT.   HANDELSARTIKEL  DER  ARABER 

bäum  nicht;  wäre  nicht  sein  vorkommen  bei  den  Rus  und  seine 
rinde  ;ils  biberspeise  augegeben,  so  würden  die  aus  ihm  im  Orient 
gefertigten  arbeiten  am  ersten  auf  buxus  und  pockholz  leiten. 

Für  einen  gegenständ  allein  ist  der  handel  vou  anfang  bis 
zu  ende  (s.  76 f)  nachgewiesen  in  der  nachricht  des  Abu  Hamid: 
'klingen'  (harpunen)  von  Adherbeitschan  (Tabris),  deren  4  dort 
einen  dinar  kosten,  werden  ins  laud  Bulgar  (Astrachan)  geführt, 
dort  gehärtet  ('häufig  mit  wasser  begossen',  natürlich  nachdem  sie 
erst  glühend  gemacht),  bis  sie  unter  dem  anschlage  klingen, 
darauf  an  die  ungläubigen  in  Isu  gegen  biberfelle  vertauscht, 
die  bewohner  von  Isu  vertauschen  sie  im  lande  uahe  dem  dunkel- 
meere  gegen  Zobelfelle,  und  dort  verwendet  man  sie  zum  fisch- 
fang,  ob  gerade  'walfischfang',  ist  nicht  gesagt. 

Über  den  uns  am  meisten  interessierenden  bernstein- 
handel  ist  nur  wenig  mitgeteilt,  da  J.  darüber  auf  seinen  1889 
in  der  Zs.  d.  d.-morgenl.  ges.  43,  s.  353 — 87  erschienenen  aufsatz 
verweist,  doch  ist  die  angäbe,  dass  die  Araber  den  von  ihnen 
viel  begehrten  bernstein  (kdhrubd)  aus  den  ländern  der  Rüs  und 
Bulgär,  oder  auch  den  hinterlandern  von  Kafa  (Feodosia)  erhielten 
(s.  63 f ),  völlig  ausreichend,  um  zu  zeigen,  dass  dieses  ein- 
zige baltische  product  des  Araberhandels  nicht  direct  von 
den  Arabern  aufgesucht  wurde,  sondern  erst  nach  weitem  tausch- 
wege  in  die  bände  ihrer  importierenden  kaufleute  am  kaspischen 
und  schwarzen  meere  kam.  münzen  und  hacksilber  sind  also 
auch  auf  dem  umgekehrten  wege  durch  zweite  und  dritte  hand 
an  die  Ostsee  gelangt. 

Für  die  cultur-  und  handelsgeschichte,  auch  das  treiben  der 
Juden  sind  demnach  eine  reihe  wichtiger  nachrichten  geboten; 
sie  betreffen  aber  fast  durchgängig  nur  die  aus  dem  innern  Russ- 
land, ja  selbst  aus  Sibirien  gekommenen  handelsartikel,  im  westen 
auch  die  aus  Frankreich  bezogenen  und  verstümmelten  sklaven. 
aus  den  baltischen  ländern  erhielten  die  Araber  nur  den  bern- 
stein auf  weitem  tauschwege  durch  das  innere  Russlands,  was 
auch  früher  schon  völlig   bekannt  war. 

Der  beweis,  dass  der  bei  Qaz"ini  genannte  Tarluschi  (Torto- 
saner),  der  fast  genau  die  gleichen  nachrichten  hat,  wie  sie  von 
Ibrahim  ihn  Jaqub  erhalten  sind,  diese  auf  demselben  wege  erhielt, 
wie  der  letztere,  dh.  am  hofe  Ottos  des  grofsen,  und  demnach  wol 
mit  Ibrahim  derselben  maurischen  gesandtschaft  angehörte,  wird 
als  erbracht  anzunehmen  sein,  diese  reise  tiel  ins  jähr  973;  vgl. 
Wigger,  Jahrbb.  f.  Meckl.  gesch.  45,  s.  3 — 20  und  ref.  im  Jahresber. 
d.gesch.-wissensch.  1880,  n  151  anm.  3 — 6  und  1881,  n  I44anm.8. 
die  geschichte  von  der  'frauenstadt'  bezieht  sich  auf  die  bekannte 
zusammenbringung  der  alten  Amazonen  mit  den  Quaenen  am  bottni- 
schen  meerbusen,  indem  man  das  finnische  Kainulaiset,  Quänland, 
des  ähnlichen  klanges  wegen  für  ein  'land  der  frauen'  hielt. 
Rostock.  K.  E.  H.  Krause. 


JELL1.NEK     GERMAMSCHE    FLEXIO.N 


275 


Beiträge  zur  erklärung  der  germanischen  flexion.     von  dr  Max  Hermann  Jel- 
linek.     Berlin,  Speyer  &  Peters.  1S91.  (iv)  u.  107  ss.  8°.  -   2,5U  m. 

Die  kleine  schritt  verdient,  als  blofses  specimen  doctrinae 
genommen,  entschieden  lob.  sie  fördert  auch  im  einzelnen  mehr- 
fach die  forschu ug,  sowol  durch  einwände  gegen  die  ansichten 
anderer  wie  durch  neue  beobachtungen.  zu  bedauern  ist  nur, 
dass  J.  sich  vielfach  an  aufgaben  gewagt  hat,  denen  er  einst- 
weilen noch  nicht  gewachsen  ist.  man  kann  freilich  zu  seinen 
gunsten  geltend  machen,  dass  es  sich  meist  um  probleme  handelt, 
die  bisher  allen  lösungsversuchen  hartnäckig  widerstanden  haben 
und  dass  ihm  andere  in  unhaltbaren  vorschlagen  vorangegangen 
sind,  aber  was  hilft  es,  in  solchen  fällen  die  verfehlten  ver- 
suche zu  häufen  und  die  tot  geborenen  hypothesen  um  eine 
neue  von  derselben  art  zu  vermehren?  ein  Fortschritt  in  diesen 
fragen  ist  nur  zu  erwarten,  wenn  ein  neuer  richtiger  gedauke 
von  erheblicher  tragweite  in  die  Untersuchung  eingeführt  wird: 
nicht  ein  flüchtiger  einfall,  den  man  bei  erneuter  prüfung  selbst 
wider  verwerfen  miiste,  sondern  ein  guter  gedanke,  wie  ihn  bei 
geduldigem  warten  nach  oft  widerholter  Untersuchung  eine  glück- 
liche stunde  eingibt,  wer  den  weg  zu  weisen  sucht,  ohne  diesen 
Ariadnefaden  gefunden  zu  haben,  der  wird  uns  statt,  aus  dem 
labyrinthe  heraus,  nur  tiefer  in  dessen  irrgänge  hinein  führen. 
ich  bemerke  dies  namentlich  in  bezug  auf  die  drei  letzten  capilel 
des  bucbes,  die,  wie  J.  in  der  vorrede  mitteilt,  zuerst  geschrieben 
sind,  das  später  hinzugefügte  erste  capitel  trägt  mehr  den  character 
einer  einleilung,  indem  es  weniger  der  aufstellnng  neuer  ansichten 
als  der  kritischen  erwägung  der  bisherigen  fassungeu  des  vocali- 
schen  auslautgesetzes  gewidmet  ist. 

Ich  gehe  hiernach  auf  die  einzelnen  capp.  ein. 

l  cap.  1)  die  Schicksale  auslautender  langer  »o- 
cale  (s.  1 — 14).  es  wird  eine  kritische  übersieht  der  ansichten 
Pauls,  Mahlows,  Müllers  usw.  über  die  behandlung  auslautender 
langer  vocale  gegeben,  hervorhebung  verdienen  namentlich  die 
treffenden  einwände  J.s  gegen  die  annähme  aberzeitiger  längen. 
am  Schlüsse  stellt  J.  seine  eigene  ansieht  in  einer  Labelle  dar. 
ich  erkenne  gern  an,  dass  er  darin  einige  jetzt  sehr  verbreitete 
irrtümer  vermieden  hat,  bin  aber  nicht  in  der  läge,  seinen  auf- 
stellungen  im  ganzen  beizustimmen,  meiner  ansieht  nach  bedarl 
die  jetzige  auffassung  einer  viel  gründlicheren  Umgestaltung. 

2)  die  Schicksale  auslautender  kurzer  vocale 
(s.  14 — 59).  J.  tritt  zunächst  der  annähme  eines  urgermanischeo 
apocopierungsgesetzes  entgegen,  nach  einem  kurzen  blick  auf 
das  gotische  legi  er  dann  einen  versuch  vor,  die  chronologische 
reihenfolge  der  syncopieruügserscheinungeo  im  nordischen  fest- 
zustellen, er  verwertet  dabei  die  >eit  Heinzels  Allnord,  endsilbea 
über  diese  frage  erschienene  litteratur,  sucht  aber  deu  entwicke- 
loch  schärfer  zu  gliedern    und  genauer 


276  JELLINEK    GERMAMSCHE    FLEXION 

zu  ermitteln,  ich  halte  diese  Untersuchung  für  einen  der  wert- 
vollsten abschnitte  des  buches.  zum  westgermanischen  über- 
gehend beschäftigt  sich  J.  zunächst,  im  wesentlichen  beistimmend, 
mit  Sievers'  ansichten.  die  vou  Paul  (Btr.  6,  144)  aufgestellte 
regel  wird  einer  eingeladen  kritik  unterzogen  und  verworfen, 
seine  eigene  meinung  fasst  der  autor  schliefslich  (s.  50)  dahin  zu- 
sammen, 'dass  in  zweisilbigen  Wörtern  (a,  e),  i,  u  nach  langer 
silbe,  in  dreisilbigen  unter  allen  umständen  in  dritter  silbe  ver- 
schwanden'. —  der  rest  des  abschnittes  ist  der  frage  uach  dem 
allgemeinen  gründe  des  abfalles  und  ausfalles  der  endsilbenvocale 
im  nordischen  und  westgermanischen  gewidmet,  von  analogen 
beispielen  im  litauischen  ausgehend  nimmt  J.  an,  es  liege  nicht 
sowol  Verkürzung  (articulationsschwächung)  als  articulationsver- 
schiebung  vor.  die  i  und  u  seien  anticipiert  und  im  vocale  der 
vorhergehnden  silbe  aufgegangen,  bei  dieser  auffassung  tritt  der 
vocalwegfall  in  enge  beziehung  zum  umlaut,  den  man  ja  längst 
ähnlich  erklärt  hat.  J.s  ansieht  ist  auf  der  einen  seite  sehr  an- 
sprechend, aber  ich  zweifle,  ob  es  ihm  gelungen  ist,  dabei  zb. 
den  gegeusatz  zwischen  demde  (mit  umlaut)  <<  *  domids  und  talde 
(ohne  umlaut)  <C  *talide  befriedigend  zu  erklären,  und  die  Schwie- 
rigkeiten häufen  sich,  je  weiter  man  diese  theorie  auszudehnen 
sucht,  auf  die  ältesten  fälle  von  apocope  im  germanischen ,  zb. 
got.  nimis  für  *nimizi,  wäre  sie  doch  kaum  anwendbar. 

ii  cap.  die  Schicksale  langer  ursprünglich  durch 
dental  gedeckter  vocale  (s.  60 — 74).  J.  beginnt  mit  dem 
salze:  'dass  auslautender  dental  schon  urgermanisch  wegfiel,  ist 
für  die  meisten  linguisten  eine  feststehende,  nicht  weiter  des 
beweises  bedürftige  tatsache'.  ich  glaube  nicht,  dass  der  stand- 
punet  derjenigen,  welche  den  abfall  des  ausl.  t  für  urgermanisch 
ansehen,  damit  richtig  characterisiert  wird,  ich  halte  es  für  er- 
laubt, anzunehmen,  dass  urspr.  ausl.  t  im  urgermanischen  weg- 
fiel (einsilbige  Wörter  ausgenommen):  1)  weil  ausl.  t  in  keiner 
germanischen  spräche  erhalten  ist,  2)  weil  die  vocale  der  end- 
silben  vor  urspr.  ausl.  t  efoeuso  behandelt  werden,  wie  im  unmittel- 
baren auslaute,  wenn  J.  hinsichtlich  des  zweiten  argumentes 
anderer  meinung  ist,  so  steht  hier  zunächst  ansieht  gegen  ansieht, 
und  es  wird  darauf  ankommen,  welche  ansieht  sich  besser  durch- 
führen lässt.  das  erste  argument  bleibt  jedesfalls  insofern  unan- 
fechtbar, als  die  tatsache,  dass  in  keiner  germanischen  spräche 
urspr.  ausl.  t  erhalten  ist,  zugegeben  werden  muss.  ohne  entschei- 
dende gegengründe  wird  man  daraus  folgern  dürfen  und  müssen, 
dass  der  verlust  des  t  dem  urgermanischen  angehört,  verdienen 
die  anhänger  dieser  theorie  darum  den  Vorwurf,  sie  sähen  ihre 
schlösse  für  tatsachen  an,  die  keines  beweises  bedürften?  —  doch 
sehen  wir,  ob  es  etwa  J.  gelungen  ist,  seinen  standpunet,  der 
sich  zunächst  in  Widerspruch  mit  den  tatsachen  der  einzelnen 
sprachen  setzt,  durch  besondere  gründe  zu  rechtfertigen,    er  be- 


JELLINEK     GERMANISCHE    FLEXION  277 

hauptet,  im  ganzen  an  Mahlow  sich  anschließend,  es  sei  mehr- 
fach in  endsilben  langer  vocal  oder  diphthong  vor  urspr.  ausl.  t 
anders  behandelt,  als  im  ungedeckten  auslaute.  Zeugnisse  dafür 
glaubt  er  aus  dem  althochdeutschen,  gotischen  und  altnordischen 
beibringen  zu  können,  ich  beginne  mit  dem  gotischen,  für 
einstiges  t  soll  die  endung  ai  der  3  sing.  opt.  praes.  (zb.  bairai) 
zeugen;  sonst  müste  die  endung  auf  a  auslauten,  aber  das 
ausl.  ai  ist  in  bairai  behandelt  wie  in  blindai  (nom.  pl.  m.  adj.) 
und  habai  (2  sg.  imper.).  in  den  beiden  letzteren  fällen  ist  an 
ausl.  t  nicht  zu  denken,  also  wird  man  auch  in  der  form  bairai 
nicht  das  ehemalige  t  für  das  auftreten  des  ai  verantwortlieb 
machen  dürfen,  sondern  wird  nach  einer  erklärung  suchen  müssen, 
die  auch  auf  die  übrigen  formen  passt.  eine  solche  erklärung 
lässt  sich  geben,  vgl.  Bezzenbergers  Beitr.  17,  1  ff.  —  aus  dem 
althochdeutschen  glaubt  J.  zwei  beweise  beibringen  zu  können, 
nämlich  1)  die  endung  der  beiden  nominative  mäno  und  nefo, 
2)  die  endung  -emo  des  msc.  und  ntr.  dativs  der  starken  ad- 
jectiva.  ohne  das  ausl.  t  hätte  seiner  ansieht  nach  die  endung 
in  allen  diesen  fällen  u  sein  müssen,  ich  erwidere  ad  1):  mäno 
und  nefo  teilen  im  ahd.  wie  in  den  übrigen  german.  dialecteu 
die  endung  von  hano  und  haben  also  urgerman.  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  denselben  ausgang  gehabt,  wie  der  nom. 
der  schwachen  masculina,  den  niemand  auf  dt  zurückführen 
wird,  ad  2):  Mint  emo  soll  nach  J.  ein  ganz  anderer  casus  sein, 
als  Mintemu.  ich  möchte  hier  zunächst  die  möglichkeit,  blintemo 
innerhalb  des  ahd.  aus  Mintemu  herzuleiten,  nicht  gauz  abweisen, 
man  könnte  zb.  aunehmeu,  es  habe  im  ahd.  die  lautueiguug 
bestanden,  -u  in  dritter  und  letzter  silbe  in  -o  übergehn  zu 
lassen,  sowol  in  dem  -emu  des  msc. -ntr.  wie  in  dem  -eru  des 
fem.  diese  neigung  aber  sei  im  fem.  bald  durch  den  nominalen 
dativ  (gibu,  gegen  tage  msc,  worte  ntr.)  gekreuzt  und  die  formen 
nun  in  der  weise  differenziert,  dass  im  masc.  sich  -mo  fest- 
setzte (auch  in  derno,  imo),  während  im  fem.  -ru  blieb,  gesetzl 
aber  auch,  wir  hätten  -emu  formell  von  -emo  zu  trennen,  so 
wäre  damit  noch  nicht  bewiesen,  dass  in  der  form  auf  -emo  ein 
alter  ablativ  auf  *-esmöt  stecke,  und  selbst,  wenn  man  dies  J. 
zugäbe,  folgte  daraus  noch  nicht,  dass  ausl.  t  urgerm.  erhalten 
war.  es  könnte  ja  ein  abl.  blintemo  zu  got.  Mindamma,  urgerm. 
*blindammö(t)  sich  verhallen  wie  ahd.  hano  zu  gut.  Iiatm  (wenn 
man  beide  auf  *  hano  zurückführt),  die  erklärung  der  tonn  blin- 
temo muss  nach  meiner  ansieht  einstweilen  in  suspenso  bleiben. 
als  sichere  stütze  für  ein  ehemaliges  ausl.  i  lässl  sie  sieb  jeden- 
falls nicht  verwerten.  —  wir  kommen  zum  nordischen,  hier 
spielen  zunächst  wider  die  nominative  nefi  und  mdni  eine  rolle. 
*nefod  soll  zu  *nefö  und  diese-  zu  *nefu  geworden  sein,  das 
wort  soll  dann  zunächst  in  die  llexion  übergetreten  sein,  welche 
wir   im    historischen    nordisch    bei    femininen  (!)  n-  stammen  (zb. 


278  JELLINEK     GERMANISCHE    FLEXION 

tunga)  und  einigen  wenigen  masculinen  eigennamen  (!)  treffen, 
und  demgemäß  durch  analogie  einen  nominativ  *nefa  erhalten 
haben,  wir  befinden  uns  nocli  nicht  auf  festem  boden,  denn  die 
flexion  *nefa  wird  von  einer  neuen  analogie  ergriffen;  das  wort 
tritt  in  die  flexion  hani  über,  so  dass  der  nominativ  nun  endlich 
die  gestalt  nefi  annehmen  kann,  ich  bedaure,  diese  wilde  jagd 
nicht  mitmachen  zu  können,  ich  setze  nord.  mäni  und  nefi  :  gut. 
mena  =  nord.  hani :  got.  hana  und  halte  alle  diese  formen  für 
regelrechte  nomiuative  von  masc.  n-stämmen,  wie  die  entspre- 
chenden ahd.  bilduugen,  von  deuen  vorhin  die  rede  war.  — 
einen  weiteren  'beweis'  für  einstiges  Vorhandensein  des  t  findet 
J.  nord.  in  dem  neutr.  dat.  sing,  des  starken  adjectivs  auf  -u, 
zb.  blindu:  'in  blindu  erblicke  ich  einen  ursprünglichen  ablativ, 
dessen  endung  -öt  gerade  so  behandelt  wurde,  wie  die  von  *ne- 
fnd'K  beim  ahd.  hatte  J.  einen  masc.  ablativ  blintemo  ange- 
nommen, ist  es  nun  wahrscheinlich  uud  durch  irgend  eine 
parallele  gestützt,  dass  der  ablativ  in  der  adjectivflexion  beim 
masculinum  ursprünglich  anders  gebildet  wurde  a's  beim  neutrum? 
ich  möchte  auf  die  erkläruug  der  form  blindu  einstweilen  lieber 
verzieht  leisten,  als  eine  hypothese  aufstellen,  die  mit  der  ur- 
sprünglichen flexion  der  adjeetiva  durchaus  in  Widerspruch  steht. 
—  J.  schliefst  mit  den  worten:  'mithin  hat  uns  auch  das  nor- 
dische vollgiltige  beweise  dafür  geliefert,  dass  der  abfall  auslau- 
tender dentale  nicht  in  die  urgerm.  zeit  zu  setzen  ist',  vollgil- 
tige beweise? !  — 

in  cap.  der  nominativ  singularis  der  n-  stamme 
(s.  74 — 94).  es  heifst  im  eingange:  'das  got.  -a  der  schwachen 
masculina  wie  hana  weist  auf  ursprüngliches  -ö,  vielleicht  auch  -e, 
das  ö  der  feminina  auf  ursprüngliches  -ön.  das  ahd.,  alts.  -o  vou 
hano  geht  auf  -ön,  das  -a  von  zunga  auf  -en  zurück,  umgekehrt 
deutet  das  uord.  -i  von  hani  auf  -en,  das  a  von  tunga  auf  -ön'. 
J.  schliefst  hieraus,  die  Verteilung  der  nominativausgänge  auf  die 
verschiedenen  geschlechter  sei  relativ  spät  erfolgt;  die  treunung 
der  genera  gehöre  erst  den  einzelnen  dialecten  an.  ich  kann 
mich  diesen  aufstellungen  nicht  anschliefsen.  aber  die  erörterung 
der  frage  würde  eine  umfassende  discussion  der  behandluug  langer 
vocale  im  auslaute  erfordern  und  hier  zu  weit  führen.  —  J.  be- 
müht sich  nun,  weitere  spuren  des  Schwankens  der  genera  in 
der  schwachen  declination  aufzufinden,  es  soll  im  gotischen  noch 
in  historischer  zeit  masculina  auf  o  gegeben  haben,  weil  ost- 
gotische namen  in  lateinischem  gewande  auf  o  endigen,  es  soll 
im  gotischen  schwache  feminina  auf  a  gegeben  habeu,  denn  nur 

1  man  wende  nicht  ein,  dass  die  endungen  im  nordischen  offenbar 
nicht  gleich  behandelt  seien,  da  die  eine  form  im  nord.  blindu,  die  andere 
nefi  lautet,  denn  nach  J.s  meinung  liegt,  wie  man  sich  erinnert,  hinter 
nefi  ein  *nefu,  welches  durch  zwei  gründliche  analogische  Umgestaltungen 
des  paradigmas  wider  beseitigt  ist. 


JELLINEE     GERMANISCHE    FLEXI0.N"  279 

so  lasse  sich  hegreifen,  dass  die  uichtgotischen  namen  Marja, 
Marpa,  Sarra  wie  hana  declinieren.  ähnliche  'nachweise'  gibt  J. 
fürs  nordische,  auf  mich  macht  der  gröfsere  teil  des  capitels 
den  eindruck,  als  stelle  J.  die  dinge  auf  den  köpf,  die  nordische 
flexion  ist  'am  weitesten  zurück';  das  nordische  wäre  also  am 
cooservativsten  verfahren,  während  es  nach  meiner  meinung  in 
der  zerrüttuug  der  alten  n-declinatioo  am  meisten  vorgeschritten 
ist.  das  gotische  soll  in  der  trennung  der  genera  am  weitesten 
gegangeu  sein,  verhielte  sich  also  der  vermeintlichen  allen  ein- 
iachheit  gegenüber  radical.  mir  gilt  die  gotische  flexion  der 
n- stamme  als  die  innerhalb  des  germanischen  altertümlichste, 
dankenswert,  weil  von  hastigen  theorien  verhältnismäfsig  frei  und 
an  guten  bemerkungen  im  einzelnen  reich  ist  die  Zusammenstel- 
lung über  die  flexion  fremder  eigennamen  im  gotischen  s.  76 — S4. 

iv  cap.  germanische  conjunctive  (s.  94  — 105).  es 
handelt  sich  um  die  auf  au  auslautenden  gotischen  verbalformen 
wie  bairau  (1  sing,  opt.),  lausjadau  (imper.),  haüaidau  (opt.  pass.). 
man  führte  das  ausl.  au  dieser  formen  früher  auf  urspr.  -am 
zurück:  eine  erklärung,  die  jetzt  wol  allgemein  aufgegeben  ist. 
J.  denkt  nach  dem  vorgange  anderer  an  eine  angetretene  Par- 
tikel u,  dieselbe  partikel  u,  welche  schon  so  viele  enduugen  in 
der  vergl.  grammatik  hat  erklären  sollen  und  so  wenige  würklich 
erklärt  hat.  von  diesem  standpuncte  aus  deutet  er  die  imperative 
atsteigadau,  lausjadau,  Uugandau  als  mediale  conjunctive.  das 
mittlere  a  soll  eigentlich  modusvocal  der  bindevocallosen  conju- 
gation  sein;  von  conjuncliven  dieser  art  aus  sollen  indicative  wie 
haitada  ihr  mittleres  a  erhalten  haben,  es  muss  bemerkt  werden, 
dass  J.  selbst  hervorhebt,  er  trage  seine  theorie  mit  aller  reserve 
vor.  mir  scheint  seinen  combinationen  schon  dadurch  der  bodeu 
entzogen  zu  werden,  dass  der  modusvocal  des  conjuuctivs  in  der 
3  sing.  med.  der  bindevocallosen  conjugation  ursprünglich  (nach 
ausweis  des  griechischen)  nicht  o  oder  a ,  sondern  e  war.  dazu 
steht  die  Voraussetzung,  dass  hier  die  bindevocalische  (thematische) 
flexion  durch  die  bindevocallose  (athematische)  verdrängt  sei,  im 
Widerspruch  mit  der  germanischen  Sprachgeschichte,  denn  im 
germanischen  zeigt  sich,  wie  ziemlich  überall  in  den  ansehen 
(idg.)  sprachen  die  neigung,  die  bindevocallose  conjugation  durch 
die  bindevocalische  zu  ersetzen:  nicht  umgekehrt,  die  summe 
der  unwahrscheinlichkeiten,  welche  die  hypothesen  J.s  enthalten, 
ist  hiermit  keineswe--  erschöpft,  aber  ich  glaube  auf  weitere 
kritik  verzichten  zu  dürfen.  — 

In  einem  nachtrage  (s.  106  und  107)  erwähnt  J.  ein  paar 
arbeiten,  die  nach  dem  abschlusse  seiner  Untersuchungen  er- 
schienen sind,  dabei  kommt  er  auch  auf  nieine  ansieht  über  die 
behandlung  des  urspr.  ai  im  germanischen  zu  sprechen,  ihm 
scheint  das  lundanient ,  auf  dem  meine  theorie  ruht,  nicht  ge- 
sichert,   und   er   hat   einen    einwand   auf  gnind   der   auslautgesetze 


280  JELLINEK     GERMANISCHE    FLEXION 

vorzubringen,  ich  möchte  zunächst  fliesen  erledigen,  meine  an- 
sieht lässt  sich  kurz  dahin  zusammenfassen,  dass  in  der  behand- 
lung  des  urspr.  -ai  die  übrigen  germanischen  sprachen  den  stand- 
punet  des  gotischen  voraussetzen,  wo  urspr.  m  durch  got.  ai 
reflectiert  wird,  weisen  auch  die  übrigen  sprachen  auf  ai;  wo  es 
durch  got.  a  reflectiert  wird,  setzen  auch  die  übrigen  sprachen 
zunächst  a  voraus;  letzteres  bleibt  im  ahd.  und  in  einem  teile 
des  alts.  gehietes  erhalten,  während  es  in  dem  anderen  teile  des 
altsächsischen,  sowie  im  friesischen,  angelsächsischen  und  nor- 
dischen weiter  zu  e  vorrückt,  als  urgermanische  Vertreter  der 
beiden  fortsetzer  des  urspr.  ai  habe  ich  dem  gotischen  entspre- 
chend ai  und  a  angenommen.  J.  wendet  ein,  das  a  hätte  durch 
die  einzelsprachlichen  syncopierungsgesetze  schwinden  müssen, 
von  diesem  einwände  wird  der  kernpunet  des  problems,  nämlich 
die  Vertretung  des  urspr.  ai  durch  ahd. -alts.  a  in  denselben  fällen, 
wo  das  gotische  a  hat,  gar  nicht  berührt,  wäre  der  standpunet 
J.s  begründet,  so  hätte  man  entweder  die  Scheidung  des  urspr.  ai 
in  ai  und  a  statt  in  das  urgermanische  in  die  einzelnen  sprachen 
zu  verlegen  oder  man  könnte  für  urspr.  ai  =  got.  ahd.  alts.  a 
dem  urgermanischen  einen  reducierten  diphthong  (etwa  a')  zu- 
schreiben, der  seinen  zweiten  bestandteil  dann  in  den  einzelnen 
sprachen  völlig  einbüfste.  der  einwand  gegen  meine  theorie 
würde  sich  also  auch  vom  standpunete  J.s  aus  leicht  heben  lassen, 
ich  teile  freilich  seinen  standpunet  nicht  ganz,  es  gibt  nach 
meiner  meinung  auch  noch  andere  urgermanische  a,  die  in  den 
einzelnen  sprachen  nicht  syncopiert  werden,  freilich  führt  diese 
ansieht  zu  einer  auffassung  der  ausl.  vocale  im  urgermanischen 
und  urnordischen,  die  von  der  bisher  üblichen  verschieden  ist. 
ich  habe  das  schon  in  Bezzenb.  Beitr.  17,  47  angedeutet  in  den 
worten:  'im  urnordischen  muss  das  ausl.  a  in  diesen  fällen  von 
dem  ausl.  a  in  horna,  hlaiva  uä.  verschieden  gelautet  haben,  ob- 
wol  die  runenschrift  zwischen  ihnen  keinen  unterschied  macht', 
eine  nähere  erörterung  dieser  fragen  muss  ich  auf  eine  andere 
gelegenheit  verschieben.  —  was  die  ablehnende  haltung  J.s  gegen- 
über meiner  theorie  des  schwachen  Präteritums  anlangt,  so  wäre 
es  mir  lieb  gewesen,  wenn  er  angegeben  hätte,  in  welchem  punete 
meine  argumentation  eine  lücke  hat.  ich  habe  für  meine  ansieht, 
dass  die  1  und  3  sg.  des  schwachen  präteritums  mit  der  1  und 
3  sg.  des  medialen  perfects  der  Ursprache  identisch  sei,  drei  von 
einander  unabhängige  beweise  gegeben,  nämlich 

1)  die  identität   der  endungen  dieser  formen    mit   den    ent- 
sprechenden endungen  des  präsens  passivi  im  germanischen, 

2)  die  identität  der  ohne  tlexions-J  gebildeten  präterita  iddja 
und  deda  mit  lat.  ii  und  ved.  dadlie. 

3)  die    identität    der    mit    fiexious-f    gebildeten    schwachen 
präterita  mit  der  3  sing.  perf.  med.  auf  -tat. 

Jeder  einzelne  dieser  drei  beweise  wiegt  schwerer  als  irgend 


JELLINEK     GERMANISCHE    FLEXION  281 

ein  argument,  das  von  den  auhängern  der  aoristtheorie  für  ihre 
auffassung  beigebracht  ist.  in  der  tat  hat  auch  keiner  der  fach- 
genossen, welche  vom  standpuncte  der  aoristtheorie  sich  gegen 
meine  deutung  ausgesprochen  haben,  nur  den  versuch  gemacht, 
eines  dieser  drei  argumente  anzufechten,  sie  alle  beschränken 
sich  darauf,  mir  irgend  eine  auf  schwachen  fiifsen  stehnde  theorie 
über  die  behandlung  des  auslautes  als  'gesetz'  entgegenzuhalten, 
ich  muss  gestehn,  dass  der  ausdruck  'gesetz'  mich  nicht  schreckt, 
auch  glaube  ich  nicht,  dass  es  meiner  theorie  zum  nachteile 
gereicht,  wenn  sie  die  bisher  übliche  auffassung  des  germani- 
schen auslautes  durchkreuzt,  so  lange  die  gründe,  auf  die  meine 
theorie  des  präteritums  sich  stützt,  nicht  widerlegt  sind,  halte 
ich  dafür,  dass  diejenigen  auslautgeseize,  die  sich  mit  ihr  nicht 
vereinigen  lassen,  abzuändern  sind,  in  dieser  meinung  werde 
ich  dadurch  bestärkt,  dass  es  mir  in  der  zunächst  und  haupt- 
sächlich in  betracht  kommenden  frage  —  nämlich  der  des  aus- 
lautenden ai  —  möglich  gewesen  ist,  ein  neues,  mit  den  tatsachen 
vollkommen  in  einklang  stehudes  gesetz  aufzustellen. 

Bryn  Mawr,  Pa.,   1  aug.  1891.  Hermann  Collitz. 


Prolegomena  zu  einer  urkundlichen  geschiente  der  Luzerner  mundart  von 
dr  Renward  Brandstetter,  professor  in  Luzern.  Einsiedeln,  Ben- 
ziger &  Co,  1890.  88  ss.  8°.  —  2  m.* 

Über  die  mundarten  des  kantons  Aaigau.  (grenzen;  einteilung;  phonetik.) 
vocalismus  der  Schinznacherniundart.  von  dr  H.  Blatt.ner.  Leipz.  diss. 
Brugg  1S90  (Leipzig,  GFock).    Süss,  mit  einer  karte.   8°.  —  2,50  m.** 

Der  mundartliche  vocalismus  von  Basel- Stadt  in  seinen  grundzügen  darge- 
stellt von  Eduard  Hoffmann.  Basler  diss.  Basel,  Ad.  Geering,  1890. 
vi  u.  94  ss.  8°.  —  2  m.  *** 

Von  den  drei  arbeiten  stellen  sich  die  beiden  letzten  in  den 
dienst  der  lautforschung,  während  uns  Brandstetter  seine  mund- 
art von  allen  sehen  her  beleuchtet  —  ähnlich  wie  in  seiner  dis- 
sertation  über  den  Beromünsterdialect,  aber  mit  vermehrter  kunst 
und  tieferdringendem  blicke,  jede  seile  dieser  prolegomena  bietet 
anziehende,  oft  überraschende  beobachtungen.  die  schritt  darf 
einen  viel  weiteren  leserkreis  fordern,  als  die  grofse  masse  der 
mundartlichen  monographien.  wir  fühlen,  dass  Br.  im  besitze 
eines  sehr  reichen  Stoffes  ist  und  nach  besonnener  auswahl  nur 
das  merkwürdige  und  schlagende  daraus  mitteilt,  er  ist  so  günstig 
gestellt,    in    den    Luzerner   gerichtsprotocollen    höchst    characte- 

*  [vgl.  Archiv  f.  d.  stud.  d.  neueren  sprachen  1891  8.309  (KWeinhold). 
—  DLZ  1891  in  8  (MRödiger).  -  Littbl.  f.  germ.  u.  rom.  phil.  1891  nr  I  (OBe- 
haghel).] 

**  [vgl.  DLZ  1891  ox38  (LTobler).  —  Littbl.  f.  germ.  u.  rom.  phil.  1891 
nr4  (OBehagnel).] 

***  [vgl.  Litt,  centr.  1890  nr  47  ( R.  K.).  —  Littbl.  I".  germ.  u.  rom.  phil.  1891 
nr  4  (OBehaghel).] 

A.  F.  D.   A.     XVII.  19 


282  SCHRIFTEN    ÜBER    SCHWEIZER    MUNDARTEN 

ristische  specimina  der  älteren  mundart  zu  besitzen:  deren  aus- 
beutung  für  lautform,  Wortbildung,  syntax,  Wortschatz,  cultur 
hat,  er  mit  sorgfältigst  abwägender  kritik  in  angriff  genommen, 
was  er  über  die  Stellung  der  kanzleisprache  zur  mundart  und 
zur  mhd.  gemeinsprache  bemerkt  (s.  29  ff),  ist  von  besonders  weit- 
gehendem interesse;  die  kurzen  concreten  hinweise  fördern  mehr 
als  ganze  bogen  raisonnement.  die  sonderung  der  gesprochenen 
spräche  von  der  geschriebenen  schon  für  das  12/13  jh.  ist  viel- 
leicht noch  nirgends  mit  solcher  einleuchtenden  bestimmtheit 
vorgenommen  worden. 

Für  die  chronologische  fixierung  der  lautvorgänge  hat  die 
schweizerische  dialectforschung  bisher  wenig  getan:  sicherlich 
wird  uns  gerade  hier  Br.s  'Urkundliche  geschichte'  viele  aufschlösse 
bringen. 

Br.  hat  sich  bei  der  abfassung  dieser  prolegomena  eines 
Schematismus  beflissen,  der  ans  monumentale  grenzt,  ob  er  diese 
pedantische  form  wählte,  um  die  betrachtung  des  bunten  und 
incohärenten  inhaltes  nicht  zum  nachlässigen  durchwandern  einer 
raritätenkammer  ausarten  zu  lassen?  jeder  gedankengang  wird 
in  abschnitte  und  abschnittchen  von  a  bis  x  zerfasert;  was  sich 
nachträglich  meldet,  wird  in  eine  serie  anmerkungen  von  a  bis  x 
auseinandergelegt,  jedem  kleinsten  teile  des  ganzen  ist  so  sein 
Schubfach  und  seine  etiquette  geworden,  die  'ziele'  der  mund- 
artengeschichle  werden  in  'niedere'  und  'höhere'  abgeteilt,  wenn 
Br.,  vom  tale  zum  gipfel  aufgestiegen,  als  die  wichtigste  der 
'höhern  aufgaben'  bezeichnet,  'einen  sprachlichen  wert  von  seinem 
ältesten  auftreten  bis  heute  in  all  seinen  Wandlungen  genau  zu 
verfolgen'  und  als  beispiel  die  entwicklungsreihe  höxtslt^>hdxtset 
>  höxset  >•  höxsig  anführt,  so  wird  er  schwerlich  allgemeine  Zu- 
stimmung finden,  die  spräche  scheint  sich  ihm  mehr  als  ein 
bündel  von  Wörtern  denn  als  ein  gewebe  von  articulationen  darzu- 
stellen, zu  dem  bestreben  Kauffmanns,  den  Sprachorganismus  als 
einheit  zu  fassen,  bildet  Br.s  betrachtungsweise  einen  gegenpol. 
man  vergleiche  äufserungen  wie  die  folgenden:  s.  24  um  die 
characterisierung  der  mundart  zu  vervollständigen,  'will  ich  aufs 
geratewol  einige  merkwürdigkeiten  aus  dem  gebiete  der  Wortbil- 
dung und  syntax  (der  lautstand  von  L  hat  keine  auffäl- 
lige besonderh ei ten) ...  herausgreifen';  s. 9  in  Sätzen  wie  ein 
kleine  hampffleten  saltz;  ein  arfel  holtz  holen;  aber  kein  mump  fei 
brot  sy  iren  nit  worden  sind  die  drei  Wörter  hampffleten,  arfel, 
mump  fei  mundartliches  sprachgut,  das  andere  (also  auch  saltz, 
holtz,  brot  usf.)  gehört  zur  kanzleisprache;  oder  s.  31  u.  'von  den 
verschiedenen    erscheinungen   in    der    KanzLuz,    welche    auf  die 

mundart  zurückgeführt  werden  müssen, ':    'mundart'  ist  hier 

offenbar  in  dem  sinne  gefasst  'was  von  der  Schriftsprache  ab- 
weicht', wider  im  hinblick  auf  die  einzelnen  wortgebilde,  nicht 
auf  den  lautlichen  habitus.  — 


BLATTNER  MUNDARTEN  DES  KANTONS  AARGAU        283 

Blattner  hat  sich  der  mühe  unterzogen,  den  mundartlichen 
grenzen  im  kanton  Aargau  nachzugehu.  er  cbaracterisiert  die 
verschiedenen  idiome  s.  16  ff  und  zeichnet  auf  einer  karte  die 
grenzen  ein.  die  mundartliche  forschung  schuldet  ihm  dafür 
dank,  einer  umfassenderen  darstellung  hat  er  kraftig  vorge- 
arbeitet, über  die  Fricktaler  mundart  gibt  Bl.  zum  erstenmal 
genauere  nachrichten:  diese  hat  buchst  eigentümliche  lauterschei- 
nungen  herausgebildet:  Schwächung  der  verschluss-  und  der 
sonoren  fortes  s.  35.  41;  dehnung  ungedeckter  vocalkürzen  s.  39; 
zweigipfligen  silbenaccent  s.  38.  man  möchte  wünschen,  das  bild 
dieser  mundart  von  einem  talgenossen  vervollständigt  zu  sehn, 
aus  der  Schiuznacher  mundart,  welche  Bl.  als  seine  angestammte 
in  den  Vordergrund  stellt,  hebe  ich  hervor:  mhd.  öü  wurde  mit 
lippenentrunduug  zu  ai;  mhd.  d  erscheint  schwankend  als  ü  und  ö 
'eine  in  vollem  flusse  befindliche  bewegung';  mhd.  ce  wird  durch  e, 
eine  mittlere  e-klangfarbe,  vertreten  (die  von  mir  Germ.  34,  121 
besprochenen  mundarten  gaben  alle  dem  mhd.  ce  die  offenste  Schat- 
tierung; vgl.  ebd.  s.  123  note  3).  man  beachte  noch  die  hübschen 
angaben  über  die  localadverbia  bei  Ortsnamen  s.  9  f,  über  die 
bedeutung  topographischer  und  kirchlicher  grenzen  s.  13  f,  über 
Verschiedenheiten  des  chromatischen  accentes  s.  43  f,  über  die 
eigenart  von  Stadt-  und  landmundart  s.  47  f. 

Als  seine  hauptaufgabe  betrachtet  Bl.,  zur  Unterscheidung 
burgundischen  und  alemannischen  Sprachgebietes  zu  verhelfen 
(s.  11).  aber  was  er  hierzu  beiträgt,  bringt  uns  nicht  viel  weiter. 
die  sehr  allgemein  gehaltenen  kennzeichen  burguudischer  zunge 
(andere  indifferenzlage,  'total  andrer  vocalismus',  vielerorts  />  ü) 
scheinen  mir  vorläufig  zu  einer  so  bedeutsamen  demarcation  nicht 
zu  berechtigen,  etwas  anderes  ist  es  mit  dem  palatalen  x.  aber 
dieses  reicht  lange  nicht  so  weit  nach  norden,  dass  das  bur- 
gundische  Sprachgebiet  sich  bis  an  den  Hallwylersee  und  jn  die 
nähe  von  Aarau  erstrecke,  ist  nicht  einmal  wahrscheinlich  ge- 
macht, eine  erneute  erwägung  der  geschichtlichen  Zeugnisse 
s.  12  ff  hat  nur  aufs  neue  gezeigt,  dass  uns  von  dieser  seite  die 
auskunft  gebricht,  lexicographische  Judicien  werden  schwerlich 
fordern:  worte  werden  leichter  entlehnt  als  physiologische  Ver- 
anlagungen, aufs  ungewisse  hin  mit  dem  begriff  'burgundische 
mundarten'  zu  operieren,  wie  es  auch  in  anderen  arbeiten  geschehen 
ist,  wäre  hesser  zu  vermeiden,  erst  muss  uns  eine  mundart  des 
Berner  Oberlands  in  genügender  darstellung  vorliegen. 

Bl.s  versuch,  Wintelers  System  des  schweizerischen  consoe 
nantismus  umzugestalten,  ist  gänzlich  misglückt.  bei  einer  un- 
verkennbaren gäbe  für  lautliche  beobachtung  hat  er  unterlassen, 
sich  über  die  sprachpbysiologischen  elemente  ms  kl.ue  zu  setzen« 
er  geht  davon  aus,  dass  die  verschlusslaute  momentanlaute,  die 
anderen  consonanten  dauerlaute  seien,  und  verwickelt  sich  von 
hier   aus    in    irrwege,    in    welche   wir    ihm    nicht    folgen    wollen. 

19* 


284  SCHRIFTEIN    ÜBER    SCHWEIZER    MUNDARTEN 

es  wäre  leicht  zu  zeigen,  wie  alle  seine  abweichungen  von  Win- 
teler:  die  ansetzung  von  longae;  die  leugnung  der  geminaten;  die 
behauptung,  die  forlis  habe  keine  wesentlich  gemehrte  dauer,  sie 
entstehe  durch  Spannung  der  luft  hinter  dem  kehldeckel;  ein  ver- 
schlusslaut ohne  folgenden  vocal  bilde  eine  stimmlose  silbe  usw. 
—  wie  alle  diese  dinge  durch  den  verhängnisvollen  irrtum  ver- 
schuldet wurden,  das  übergangsgeräusch  sei  das  wesentliche  an 
den  verschlusslauten. 

Nachlässig  ist  die  geschichtliche  erklärung  des  Schinznacher 
vocalstandes.  dass  die  e-laute,  die  quantitätsverhältnisse  ua.  nicht 
in  dieser  weise  abgetan  werden  dürften ,  hätte  Bl.  aus  zahlreichen 
arbeiten  der  letzten  jähre  ersehen  können,  dass  ihm  mit  einem 
flüchtigen  durchblättern  seiner  Vorgänger  genug  getan  schien, 
zeigen  viele  stellen  seiner  dissertation. 

Mit  ungleich  besserer  sprachgeschichtlicher  Vorbereitung  und 
mit  grofser  Sorgfalt  hat  Hoffmann  den  vocalstand  von  Basel-stadt 
behandelt,  er  überlässt  es  nicht  erst,  dem  leser,  nach  der  art  so 
mancher  dialectarbeiten,  die  localen  Vorgänge  in  den  gröfsern  Zu- 
sammenhang einzurechnen,  die  deutsche  grammatik  kann  seiner 
schrift  manches  gut  bearbeitete  material  entnehmen,  bei  der  fleifsi- 
gen  benutzung  älterer  sprachquellen  hätte  wol  mehr  für  die  datie- 
rung  der  lautwandel  geschehn  können,  ich  vermisse  zb.  belege  für 
die  lippenentrundung.  diese  muss  tief  ins  15  jh.  zurückreichen, 
seltsamer  weise  setzt  sie  H.  s.  8  später  au  als  die  diphthon- 
gieruug  von  i,  ü  im  hiatus.  die  Schicksale  des  mhd.  öü  lassen 
keine  andere  entwicklungsreihe  zu  als  diese: 

zuerst  ü^>i]      ,  .^     .         ...  .     — ^     . 

..  C     ?,  dann  eiZ>ai;  endlich  n  >>  et 
ö  >>e  \  " 

der  alte  diphthong  öü  wurde  von  dem  ersten  und  zweiten  dieser 

Vorgänge    betroffen;    er   lautete    daher    schon    ai,    als    aus    dem 

hiatus -i    der  ei- diphthong  erwuchs:    fraid  (<^vröüwen)  konnte 

nicht    mehr    mit    reid  «  riuwen)   zusammenfallen.    —    dass   im 

diphthong  uo  der  erste  component  geschlossen   war  (§  13),  geht 

auch  aus  dem  waudel  uots  >  üts  (mit  geschlossenem  u)  hervor, 

den  ich  Alem.  cons.  §  48  erwähne. 

Am  wertvollsten  ist  die  behandlung  der  schwachtonigen  silben. 
es  möchte  hier  wenig  nachzutragen  sein,  ich  verweise  auf  die 
umsichtige  erörterung  des  endungs-^  §  222  ff  —  ein  schätzbarer 
beitrag  zu  der  von  Behaghel  und  Rauffmann  besprochenen  frage 
nach  zeit  und  umfang  der  mhd.  vocalschwächung.  über  die  feminina 
wie  wirtd  —  wirtdnd  —  wirti  'wirtin'  urteilt  wol  Braudstetter  s.  Gl 
zutreffender:  darnach  ist  w<fssdrd  lautlich  =  wascherin,  wqssdri 
führt  auf  wascherin.  dass  es  sich  §  240  doch  um  ein  vordringen 
des  suffixes  -ing  handelt,  wird  wahrscheinlich  durch  die  formen 
tusing  schon  im  13  Jh.,  die  für  die  productivität  dieser  eudung 
sprechen. 

Zu  §  101:    die  präposition  nach  in  localer  function  ist  un- 


HOFFMANN      VOCALISMUS    VON    BASEL-STADT  285 

bedingt  schriftsprachlich!  die  mundart  sagt  auf.  —  die  formen 
dpusig  und  d^if/  mit  ihrer  alleinstehenden  diphthongierung  will 
H.,  und  ich  glaube  mit  recht,  aus  dem  emphatischen  accent,  ohne 
einfluss  der  Schriftsprache,  erklären  (§  186). 

Nicht  fehlen  sollte  eine  phonetische  bemerkung  über  das  ü 
von  Basel-stadt,  das  zwischen  dem  schweizerischen  »7  und  dein 
elsässischen  ü  eigentümlich  in  der  mitte  steht  und  ganz  anders, 
mit  viel  schlafferer  zunge  und  lippen  gebildet  wird  als  zb.  das 
bühnen deutsche  ü.  der  Basler  empfindet  seine  ausspräche  als 
w-mäfsig:  ein  Ostschweizer  versicherte  mir,  dass  er  im  Basler 
kirchengesang  an  den  betr.  stellen  ein  ü  zu  boren  glaube.  — 
auch  die  physiologische  beschreibung  der  diphthonge,  zumal 
hinsichtlich  der  dehnbarkeit  ihrer  componenten,  hat  uns  H.  vor- 
enthalten, im  übrigen  kann  ich  es  ihm  nicht  verdenken,  dass 
er  auf  eine  eiureihung  der  vocale  in  die  Sweet-Stormsche  tabelle 
verzichtet  hat.  dieses  allgemeinsystem,  welchem  manche  dialect- 
arbeiten  mit  einer  flüchtigen  Verbeugung  ihren  respect  kund- 
geben, hat  sich  zur  erhellung  mundartlicher  vocallagerungen 
minder  tauglich  erwiesen  als  die  einzelsysteme.  aus  der  unbe- 
grenzten menge  der  möglichen  articulalionen  hebt  ja  jedes  System 
eine  gewisse  beschränkte  anzahl,  alsaugelpuncte  gleichsam,  heraus, 
warum  soll  diese  auswahl  nicht  mit  rücksicht  auf  die  als  gegen- 
sätzlich empfundenen  vocalwerte  der  jeweiligen  einzelsprache  ge- 
troffen werden?  —  gegen  den  ersten  grundsatz  mundartlicher 
transscription  vergeht  sich  H.,  wenn  er  tatsächlich  übereinstim- 
mende lautgruppen  der  etymologie  zu  liebe  zwiefältig  schreibt; 
zb.  wertli  aber  fextd,  erkl  aber  ergdid,  bürkdt  aber  bürgdr,  während 
doch  in  diesen  Wortpaaren  die  gleicbe  inlautende  consonanten- 
gruppe  vorliegt. 

Ich  komme  noch  auf  einen  wichtigeren  puoct,  die  dehnung 
der  monosyllaba  und  das  mbd.  auslautsgesetz  betreffend,  zu  spre- 
chen, eine  von  mir  Alem.  conson.  §  16ff  gegebene  hypothese 
ist  schon  von  Kauffmann,  jetzt  von  Hoffmann  (§  92)  in  zweifei 
gezogen  worden,  ich  suche  sie  bestimmter  zu  lassen  und  zu 
stützen. 

Es  handelt  sich  um  die  frage:  wie  lauteten  im  altalemanni- 
schen  die  einsilbigen,  unflectierten  formen  zu  glase,  slage,  rade? 
H.  richtet  hier  eine  bedauerliche  confusion  an,  indem  er  Ick 
auch  für  die  auslautende  fortis  schreibt,  während  neben  der 
lenis  g  und  der  einfachen  fortis  k  das  doppelzeichen  kk  billiger- 
weise nur  die  gern  in  ata  bedeuten  kann,  und  für  eine  solche  der 
auslaut  nicht  vorhanden  ist.  ich  sehe  davon  ah  und  brauche  ktp 
als  die  entsprechenden  (bauchlosen)  fortes  zu  den  lenes  gdb, 
ohne  auf  das  eventuelle  eintreten  geminierter  articulation  rück- 
sicht zu  nehmen,  zu  den  lenes  sf  muss  man,  da  besondere 
zeichen  leiden,  als  fortes  die  doppeltypen  88,  ff  stellen,  ohne 
damit    über  geminierte  ausspräche   auszusagen,     wenn    ich    nun  II. 


286  SCHIUFTEIN    ÜBER    SCHWEIZER    MÜNDARTEN 

richtig  verstehe,  so  denkt  er  sich  jene  endungslosen  formen  als 
glas,  slag,  rad.  diese  formen  wären  im  alemannischen  entweder 
unverändert  behalten  (in  Brienz  usw.)  oder  durch  einfache  deh- 
nung  des  vocals  zu  glas  Mag  räd  gewandelt  worden. 

Meine  ansieht  kann  ich  jetzt  so  präcisieren:  wo  heute  im 
alemannischen  einsilbige  formen  wie  glas,  slag,  rad  vorkommen1, 
dasind  es  stets  analogische  neubildungen  nach  parallelen 
mehrsilbigen  formen,  die  den  vocal  kurz,  den  consonant  als  leuis 
erhalten  haben,  als  lautliche  fortsetzung  der  alten  mono- 
syllaba  ist  zweierlei  möglich:  entweder  glass,  slak,  rat  oder  aber 
glas,  släg,  räd.  diese  doppelformen  müssen  auf  verschieden  ge- 
artete betonung  zurückgehn.  die  formen  der  zweiten  art  domi- 
nieren in  den  meisten  alem.  mundarten  und  haben  sich  viel- 
fach die  mehrsilbigen  parallelformen  unterjocht,  von  den  formen 
der  ersten  art  (mit  vocalkürze  -f-  fortis)  glaubte  ich  Alem.  cons. 
§  21  eine  geringe  spur  übrig  zu  finden,  ich  lasse  das  dahin- 
gestellt: genugsam  zeugt  für  das  einstige  Vorhandensein  der 
typen  glass,  slak,  rat  1)  der  mhd.  reimgebrauch:  ich  führe  an: 
Lanz.  3811  rosimos  (es  bedarf  wol  keiner  worte,  dass  hier  nicht 
die  lenis  s  vorliegt,  sondern  dass  die  im  inlaut  geminierte  fortis 
von  rosse  im  auslaut  als  einfache  fortis  erscheint  und  sich  mit 
der  einfachen  fortis  von  mos,  einem  inlaut  mose  gegenüber,  be- 
gegnet); ebenda  2967  wec:Erec,  3271  gezoc  :  wdfenroc ,  4775 
krac:slac;  bei  dem  Dürner:  smac  :  mac :  tac ;  bei  Konr.  vAmmen- 
hausen  (wo  zz^>ss):  as  :  genas,  sas:was.  2)  für  die  möglichkeit 
einer  entwicklung  glass  >>  glas,  welche  H.  aao.  bestreitet,  zeugt 
die  völlig  übereinstimmende  von  gewiss^>  gwis,  mez^>mess^>mes; 
in  Beromünster  stich,  griff,  beschiz  >•  süj,  grlf,  psis;  bei  Blattner 
s.  68  biz  >  67s. 

Da  nichts  dafür  spricht,  dass  formen  wie  gras,  släg,  räd 
schon  in  mhd.  zeit  gesprochen  wurden,  wird  man  am  ehesten 
annehmen,  dass  sie  erst  später  aus  den  älteren  grass,  slak,  rat 
entstanden  und  diese  allmählich  fast  ganz  verdrängten,  aber  das 
analogiegefühl  blieb  nicht  überall  bei  dem  nebeneinander  von 
glas  —  glesdr,  räd  —  reddr  stehn,  sondern  schuf  mit  weiterer  an- 
gleichung  die  einsilbigen  formen  glas,  rad. 

Jene  andere  auffassung  hat  die  mannigfachen  mängel,  dass 
sie  die  mhd.  reime  nicht  erklärt  und  für  das  t  in  rat  und  in  trit 
eine  verschiedene  ausspräche  annehmen  muss  (so  H.  §  93);  dass 
sie  die  oben  erwähnten  notorischen  Übergänge  von  kurzem  voc.  -+- 
fortis  zu  langem  voc.  -f-  lenis  ignoriert;  dass  sie  endlich,  wenn 
die  eine  mundart  glasd  —  glas,  die  andere  glasd  —  glas  spricht, 
der  zweiten  den  altertümlicheren  staud  zuerkennt,  da  doch  nach 
aller  analogie  die  ausgeglichene  form  das  spätere,  die  differenzierte 

1  deren  existenz  zu  bezweifeln  mir  nie  einfiel,  s.  Alem.  cons.  §  23  (auch 
§19).  dass  ich  das  elsässische  damals  sowenig  wie  heute  zu  den  schwei- 
zerischen dialecten  rechnete,  hätte  H.  ua.  aus  §§  33.  37  ersehen  können. 


HOFFMANN      VOCALISMUS    VON    BASEL-STADT  287 

das  ältere  ist.  ich  erinnere  noch  insbesondere  an  die  compli- 
cierten  Verhältnisse  der  mundart  von  Beromünster,  die  ich  mir 
nur  in  der  Alem.  cons.  §  24  anm.  angedeuteten  weise  auslegen 
kann,  auch  die  parallele  entwicklung  der  auslautenden  m,  n,  l, 
bei  denen  die  Verhältnisse  etwas  durchsichtiger  liegen,  ist  nicht 
aufser  acht  zu  lassen. 

Berlin,  21  mai  1891.  Andreas  Heusler. 


'Vom  Rechte'  und  'Die  Hochzeit',  eine  litterar-historische  Untersuchung  von 
Carl  Kraus  (=  Sitzungsberichte  der  kais.  academie  der  Wissenschaften 
in  Wien,  philos.-hist.  classe.  bd.  cxxin  nriv).  Wien,  Tempsky  in  comm. 
1891.  126  ss.  gr.8°.  —  2,40  m. 

Indem  ich  diese  eindringenden  und  vielseitigen  Untersuchungen, 
welche  Heinzel  angeregt  und  gefördert  hat,  hier  zur  anzeige  bringe, 
muss  ich  mir  leider  mit  rücksicht  auf  die  rechte  eines  Jüngern 
fachgenossen  eine  gewisse  beschränkung  auferlegen,  ich  meine 
dr  Heinrich  Löbner,  der  in  seiner  dissertation  über  die  'Hochzeit' 
(Brandenburg  1887)  nur  die  kleinere  hälfte  einer  umfangreichen 
arbeit  veröffentlicht  hat:  das  vollständige  manuscript  hat  sich 
lauge  zeit  in  meinen  häuden  befunden,  und  obwol  ich  mich 
namentlich  in  sachen  der  höhern  kritik  niemals  zu  Löbners,  der 
Schererschen  nahestehuder  auffassung  bekehrt  habe,  bin  ich  doch 
stellenweise  durch  hübsche  einzelbeobachtungen  von  ihm  geför- 
dert worden  und  möchte  meine  eigenen  erkenntnisse  und  Ver- 
mutungen hier  nur  soweit  vortragen,  als  ich  sie  unbedingt  von 
Löbners  arbeit  unabhängig  weifs. 

Die  schrift  von  Kraus,  die  leider  einen  typographisch  wie 
sprachlich  unschönen  titel  hat  *,  wird  eingeleitet  durch  ein  paar 
kurze  abschnitte  über  Mitteratur'  und  'handschrift'  (i.  n),  von  denen 
ich  den  zweiten  gern  etwas  ausführlicher  gesehen  hätte.  Karajans 
beschreibung  genügt  nicht  mehr,  und  was  Kraus  s.  2 — 4  bietet, 
beschränkt,  sich  fast  ganz  auf  den  dialect  des  Schreibers,  ich 
selbst  habe  die  hs.  dank  der  liberalität  des  kärntnerischen  ge- 
schichtsvereins  und  der  freundlichen  vermittelung  des  hrn  archi- 
vars  drvJaksch  im  sommer  v.  j.  hier  in  Marburg  benutzen  können, 
und  ich  bedauere  jetzt,  mich  auf  die  collation  beschränkt  zu 
haben:  die  eingehnde  beschreibung  der  hs.  erwartete  ich  eben 
von  Kraus,  der  den  codex,  wie  ich  wusle,  für  'Recht'  und  'Hoch- 
zeit' gleichfalls  benutzt  halte,  das  graphische  bild  der  hs.  hat 
weit  treuer  als  Kaiajan  in  den  'Sprachdenkmalen'  Diemer  in  der 
ausgäbe  der  'Genesis  und  Exodus'  widergegeben:  wunderlicher 
weise  ball  sich  K.  trotzdem  und  trotz  eigener  kenntnis  des  ms. 
treulich  an  Karajans  unvollkommene  Umschrift,  der  Milstäter 
Schreiber  hat,  wie  ich  darum  ausdrücklich  bemerke,    überall  die 

1  warum  nicht  einfach:    Recht  und  Hochzeit? 


288  KRAUS  RECHT  UND  HOCHZEIT 

ligatur  m,  nirgends  ae;  er  schreibt  consequent  u  und  o,  niemals 
uo  und  ou;  für  wu  braucht  er  abwechselnd  wu  und  w,  für  umo 
bald  wu  bald  mj.  er  ist  sehr  sparsam  mit  abkürzungeu,  die  er 
eigentlich  nur  am  zeilenschluss  verwendet,  um  eine  wortteilung 
zu  vermeiden:  so  den  nasalstrich  3,7  chnehte,  3,8  besliezzet,  5,21 
liste,  6,8herte,  13,25  iungiste,  15,15  andirstüt,  15, 23  furhtet  usw., 
so  (5  für  de  in  öV  (8,  15.  15,  19.  26,4.  29,8);  ön  30,4.  31,6; 
dm  33,  4;  enö  34,10;  werö  44,3;  odr  13,  21.  andere  abkür- 
zungen  kommen  überhaupt  nicht  vor,  und  diese  tatsachen  muss 
der  kritiker  besonders  bei  ergänzungsversuchen  beständig  im  äuge 
haben,  ein  fehler  wie  wellet  st.  wellent  R  441  begegnet  nicht 
durch  zufall  grade  am  zeilenschluss  (13,  12),  wo  der  nasalstrich 
beabsichtigt  war,  aber  vergessen  wurde,  und  niuwen  st.  niuweht 
H  62  verdankt  seine  existenz  nur  dem  mechanischen  streben,  die 
zeile  (20,  12)  ohne  überschuss  zu  schliefsen  (s.  u.). 

Findet  K.  so  wenig  wie  einer  der  frühern  anlass,  die  ent- 
stehung  der  hs.  aufserhalb  Kärntens  zu  verlegen,  so  geht  er  hin- 
gegen in  cap.  in,  wo  er  den  dialect  der  gedichte  behandelt,  ent- 
schieden von  der  bisherigen  aulfassung  ab,  die  namentlich  seit 
Scherer  geneigt  war,  auch  die  dichter  selbst  in  Kärnten  zu 
suchen  (vgl.  zuletzt  noch  Vogt  in  Pauls  Grundriss  h  1,251):  er 
hält  auf  grund  einiger  wenigen,  aber  auffälligen  kriterien  die 
'alemannische  herkuufl'  beider  gedichte  für  'höchst  wahrschein- 
lich' (s.  6.  7);  in  cap.  x,  wo  er  zu  den  bekannten  einige  weitere 
Zeugnisse  für  die  beziehungen  Kärntens  zu  Alemannien  fügt, 
modificiert  er  seine  ansieht  vermutungsweise  dahin,  dass  die  ge- 
dichte von  alemannischem  Verfasser  in  Kärnten  verfasst  worden 
seien  (s.  98).  so  bleibt  die  litteraturgeschichte  bei  Kärnten,  wäh- 
rend der  grammatik  die  aufgäbe  erwächst,  den  spuren  alemanni- 
scher mundart  sorgfältiger  nachzugehn.  mir  selbst  sind  durch 
K.  eigene  zweifei  bestätigt  und  in  glücklicher  weise  gelöst  wor- 
den: ich  habe  seit  jähren  an  das  südöstliche  Schwaben  gedacht, 
seit  ich  in  FLBaumanns  schöner  geschichte  des  Allgäus  mit  der 
eulturgeschichte  dieser  landschaft  bekannt  geworden  bin,  aber  ich 
gebe  gern  diese  unsichere  Vermutung  dahin  für  die  besser  be- 
gründete hypothese  von  Kraus. 

Um  vor  der  erörterung  von  einzelheiten  das  wichtigste  re- 
sultat  der  schrift  hier  gleich  anzuschliefsen:  cap.  v  behandelt  die 
'höhere  kritik'  der  Hochzeit  (s.  18 — 23):  nicht  von  innern  gründen 
der  ursprünglichen  composition  und  idealauffassung,  sondern  von 
der  tatsache  ausgehend,  dass  einzelne  parlien  der  'Hochzeit'  mit 
dem  'Recht'  die  gröste  inhaltliche  und  formelle  ähnlichkeit  auf- 
weisen, und  gelangt  zu  dem  resultat,  dass  wir  das  erstere  ge- 
dieht in  einer  Umarbeitung  von  dem  dichter  des  Rechts  besitzen, 
der  zwar  den  wenig  umfangreichen  kern  im  ganzen  unberührt 
liefs,  aber  breite  moralisierende  stücke  einrückte  und  gelegentlich 
auch  die  deutung  nicht  unwesentlich  verschob,    ich  stimme  hier 


iRAUS     RECHT  UND  HOCHZEIT 


289 


unumwunden,  ja  mit  hoher  freude  bei,  denn  ich  habe  ganz  die 
gleiche  auffassung  seit  Januar  1S86  widerholt  im  colleg  vorgetragen 
und  auch  dr  Löbner  dazu  zu  bekehren  versucht,  leider  vergeb- 
lich, stütze  und  ausbildung  der  erkenn tnis  bringen  cap.  iv  'stil 
des  gedichtes  vom  Rechte'  (s.  7 — 18)  und  cap.  vi  'stil  und  character 
der  Hochzeit'  (s.  23 — 38).  hier  wird  es  im  einzelnen  nicht  an 
einwendungen  fehlen,  im  ganzen  ist  auch  die  ausführuug  lo- 
benswert, und  die  litteraturgeschichte  des  12  jhs.  verdankt  der 
neuerdings  kindisch  geschmähten  'höhern  kritik'  einmal  wider 
einen  ihrer  schönsten  gewinne,  möge  man  auch  dabei  Scherers 
nicht  vergessen ,  der  die  höhere  aufgäbe  hier  widerum  zuerst 
erkannt  hat. 

Ich  wende  mich  nun  der  spräche  und  reimkunst  der  beiden 
werke  zu  (K.  in  s.  4 — 7.  vn  39  —  42),  die  uns  eine  brücke  zur 
niedern  kritik  sein  mögen,  eine  Vorbemerkung  über  die  verszäh- 
lung  scheint  notwendig,  die  Überlieferung  des  Rechts  schliefst 
einen  zweifei  aus,  und  Waags  Zählung  könnte  definitiv  sein,  wenn 
er  nur  dem  setzer  auf  die  tinger  gesehen  hätte:  unter  dieseu 
umständen  acceptiere  ich  die  zahlen  von  K. ,  die  von  239  an 
um  1  hinter  Waag  zurückbleiben,  dagegen  hat  K.,  wie  wir  bald 
sehen  werden,  bei  der  Hochzeit  zwar  einige  fehler  Waags  ver- 
mieden, andere  aber  mitgemacht:  seine  Zählung  ist  so  wenig 
eine  endgiltige  wie  die  des  jüngsten  herausgebers,  und  da  be- 
halte ich  für  H  lieber  aus  rücksicht  auf  den  leser  die  zahlen  von 
Waag  bei,  denen  ich  die  citate  nach  Karajan  in  klammern  bei- 
füge. K.  hätte  die  einführung  einer  dritten  zählweise,  der  kein 
text  zur  seile  steht,  besser  unterlassen. 

Das  kurze  capitel  über  den  dialect  leidet  von  vornherein  unter 
der  Stellung  am  eingange,  die  ihm  K.  nach  Vorbild  ähnlicher 
monographieu  gegeben  hat.  hier  hätte  die  grammatische  darslel- 
lung  aufgeschoben  werden  müssen,  bis  das  Verhältnis  zwischen 
Recht  und  Hochzeit  geklärt  war,  —  oder  Iv.  muste  später  darauf 
zurückkommen!  so  aber  wird  zunächst  festgestellt,  «lass  in  bei- 
den gedienten  die  gleichen  mundartlichen  erscheinungen  zu  tage 
treten,  danu  kommt  die  wichtige  tatsache  heraus,  dass  dir  um- 
fangreichsten partien  der  Hochzeit  eben  vom  verf.  des  Rechts 
herrühren,  und  auf  die  frage,  die  sich  nun  aufdrängt,  nach  der 
herkunft  des  grundstocks  von  II  muss  sich  der  leser  die  antwort 
selbst  suchen,  diese  antwort  lautet  nun  freilich  dahin,  dass  auch 
in  den  als  echt  anerkannten  partien  der  Hochzeil  die  gleichen 
eigentümlichkeiten  auftauchen,  ob  von  haus  aus  berechtigt  oder 
erst  durch  die  Überarbeitung  eingedrungen,  wird  schwer  zu' ent- 
scheiden sein,  das  hervorstechendste  an  der  spräche  unserer  er- 
dichte sind  unzweifelhaft  die  zahlreichen  abslracta  auf  -in,  von 
denen,  virileicht  mit  ausnähme  von  menigin  (MFr  8, 6)1,  in  der 
reichen  bairisch-österreichischeo  litteratur  dieser  zeit  nicht  eines 

1  wo  ich,  auch  aus  gründen  des  sinnes,  eine  Verderbnis  annehme. 


290  KRAUS  RECHT  UND  HOCHZEIT 

begegnet:  aber  gerade  auch  sie  sind  in  dem  unzweifelhaft  echten 
abschnitt  H  196 — 326  mehrfach  vertreten,  und  weun  man  immer- 
hin v.  204.  205  (guotin :  diemuotin)  bequem  als  interpolation  aus- 
scheiden oder  auch  als  einfache  Umgestaltung  aus  guote :  diemuote 
ansehen  kann,  271  menigin  (:sin)  bleibt,  so  müssen  wir  die  frage 
nach  der  heimat  der  alten  Hochzeit  unentschieden  lassen,  etwas 
auffälliges  würde  es  ja  nicht  haben,  wenn  ein  mönch  aus  SBlasien 
oder  Hirschau  etwa  in  Kärnten  ein  mitgebrachtes  gedieht  heimat- 
lichen urspruugs  einer  Umarbeitung  unterzog. 

In  der  Verwertung  der  reime  ist  K.  von  löblicher  vorsieht, 
ja  er  geht  entschieden  zu  weit,  wenn  er  es  ablehnt,  aus  den 
reimen  unserer  gedichte  für  vocalismus  und  consonantismus  über- 
haupt Schlüsse  zu  ziehen,  allerdings  sollte  man  (alle  bisherigen 
arbeiten  haben  darin  gefehlt)  bei  gedienten  des  12jhs.  stets  die 
genaue  Untersuchung  der  reimtechnik  der  grammatischen  aus- 
beutung  der  reime  vorausgehn  lassen,  aber  dass  die  skepsis,  welche 
bei  K.  zu  absoluter  Zurückhaltung  führt,  übertrieben,  ja  tadelns- 
wert ist,  lässt  sich  leicht  zeigen,  fragen  wie  die  nach  dem  Vor- 
handensein und  der  färbung  des  d-umlauts,  über  %  >  ei,  ü  >  ou, 
iu^>eu,  ie^>i,  uo^>ü,  für  die  wir  doch  grofsenteils  auf  klingende 
reime  angewiesen  sind,  lassen  sich  um  die  mitte  des  12  jhs.  aus 
den  reimen  nur  selten  beantworten,  dagegen  ist  die  tatsache 
leicht  festzustellen,  dass  in  unsern  mehr  als  800  reimpaaren 
nicht  ein  einziger  beweisender  reim  mit  ausfall  oder  abfall  des  h 
vorkommt  (wie  etwa  sd  :nd(h),  tal :  beval(h),  stdn:  gd(he)n),  ferner 
dass  nirgends  altes  age,  ege  auf  altes  ei  reimt,  beide  arten  von 
reimen  treten  auch  bei  der  rohsten  reimtechnik  verräterisch  zu 
tage,  das  fehlen  der  erstem  gruppe  würde  mitteldeutschen,  aber 
auch  hochalemannischen  Ursprung  ausschliefsen ,  das  fehlen  der 
letztern  macht  die  annähme  reinalemannischen  dialects  von  vorn- 
herein bedenklich,  ich  komme  darauf  unten  bei  der  Deutung  der 
messgebräuche  zurück,  schon  hier  aber  will  ich  erwähnen,  dass 
die  praeteritalform  heite  durch  die  reime  mit  seite  H  916.  934  (375) 
nicht  genügend  gesichert  ist,  sie  kann  recht  wol  durch  eine 
zwischenhandschrift  eingedrungen  sein,  denn  das  reimpaar  lässt 
sich  einfach  als  sagete :  habete  auflösen,  immerhin  ist  es  auch 
für  die  geschichte  unserer  Überlieferung  von  interesse,  die  Ver- 
breitung der  form  festzustellen:  heite  findet  sich  (von  einem 
Schreibfehler  wie  j.  Jud.  164,  18,  wo  Mete  dicht  daneben  steht, 
sehe  ich  ab)  durch  den  reim  gesichert  bei  Ulrich  von  Türheim 
(s.  AI.  gramm.  s.  387:  reite,  seile)  und  bei  Bruder  Philipp  (5598: 
beite),  bei  dem  es  natürlich  zu  den  oberdeutschen  bestandteilen 
seiner  mischsprache  gehört,  man  braucht  also  auch  in  einer  kärnt- 
nerischen hs.  keinen  anstofs  daran  zu  nehmen,  wenn  es  für  Ost- 
schwaben und  Steiermark  bezeugt  ist;  es  mag  immerhin  weiter 
verbreitet  gewesen  sein  und  gehört  gewis  zu  den  auffälligen  dialect- 
formen,  die  die  Schriftsprache  schon  frühzeitig  unterdrückt  hat. 


KRAUS     RECHT  L\ND  HOCHZEIT  291 

Nicht  berücksichtigt  hat  K.  den  Wortschatz  der  beiden  ge- 
dichte.  besonders  das  Recht  bietet  einiges  interessante,  und  viel- 
leicht kämen  wir  der  heimat  ganz  nahe,  wenn  wir  wüsten,  wo  das 
subst.  erdisen1  (R  1-49)  für  pfluoc-schar,  -sech,  -isen  im  gebrauche 
war  resp.  ist;  bei  Lexer  fehlt  das  wort  ganz,  gemare  swm.  R  440. 
442.  447  (worüber  aufser  Rech  Germ.  8,  480  jetzt  auch  das  DWB 
s.  v.  gemahrschaft  nachzusehen  wäre)  ist  ebenso  wie  das  verluim  ge- 
marn,  die  abstracta  gemarsami  und  gemarschaft  dem  haitischen 
ganz  fremd:  die  belege  verteilen  sich  auf  Aleraannien  einerseits 
und  das  Stromgebiet  der  Lahn  (Wetterau,  Westerwald,  Unterlahn- 
gau) anderseits,  auch  dremel  stm.  'knüppel,  hebel'  R  135  finde 
ich  speciell  bei  Alemannen  (Boner,  Zimr.  chron.),  denen  gegenüber 
ein  vielgereister  vagant  wie  bruder  Wernher,  der  es  als  'Stützbalken' 
braucht  (HMS  2,  228b.  229a),  nicht  schwer  ins  gewicht  fallen  wird. 
—  zum  characteristischen  besitz  unserer  gedichte  gehört  schliefs- 
lich  auch  das  praeteritopraes.  eigen,  das  R  408.  517  im  sing,  conj., 
H  62  im  plur.  ind.  erscheint.  Recht  und  Hoclizei!  sind  nicht 
nur  die  letzten,  sondern  im  ganzen  jh.  überhaupt  die  einzigen 
werke,  in  denen  das  alte  wort  in  lebendiger  Verwendung  vor- 
kommt, aus  der  zeit  zwischen  1050  und  1150  ist  mir  sonst 
nur  bekannt  das  eine  beispiel  W.  Gen.  50,  7  al  daz  wir  eigin 
daz  si  gemeine,  schon  dies  eine  wort,  will  mir  scheinen,  weist 
die  gedichte,  oder  vorsichtiger  gesagt,  den  dichter  des  Rechts 
(dem  die  eine  stelle  der  Hochzeit  62  zu  geboren  scheint)  aus  jenen 
gebieten  fort,  die  für  uns  im  12  jh.  durch  eine  reiche  litterarische 
production  vertreten  sind,  aus  Augsburg,  Regensburg  und  dem 
Douautal;  aber  auch  aus  Kärnten  kann  er  nicht  gut  gebürtig 
sein,  wo  bereits  etwas  früher  die  Milstäter  Genesis  jenen  vers  der 
altern  fassung  mit  dem  ungewöhnlichen  wort  fortliefs,  obwol  das 
reimpaar  rein  war  (gemeine :  eine). 

Habe  ich  also  nach  alledem  gegen  einen  alemannischen  Verfasser 
zum  mindesten  des  Rechts  und  unserer  redactiou  der  Hochzeit 
keinerlei  bedenken,  so  möchte  ich  doch  auch  an  der  entslehung 
in  Kärnten  festhalten,  solange  uns  nicht  von  der  alemannischen 
litteratur  jener  zeit  ein  deutlicheres  bild  möglich  ist.  mir  er- 
scheint zwar  sehr  vieles  von  dem,  was  in  cap.  vm  (s.  42 — 57) 
von  beziehuogen  zur  gleichzeitigen  und  altern  poesie  ausgetüfteil 
wird,  hinfällig  und  zweifelhaft,  aber  t\v\t  eindruck,  dass  die  ge- 
dichte sich  trefflich  in  den  Zusammenhang  der  uns  durch  kärntne- 
rische schreiber  überlieferten  Litteratur,  speciell  ins  gefolge  der 
Genesis  hineinpassen,  wird  niemand  bestreiten,  mir  scheinen 
sogar  in  den  reimen  spuren  des  bairischen  dialecls  vorzuliegen, 
die  also  bezeugen  winden,  dass  der  verf.  von  der  spräche  seiner 
zweiten  heimat  nicht  unberührt  blieb:  sicher  ist  zb.  dass  ein  reim 
wie  H  184 f  choleten : doleten  in  Kärnten  als  rem  empfunden  ward. 
während  er  in  Alemannien  cheleten: doleten  lautete,  also  unrein  war. 

1  oder  ardisen  (wie  ard-acker)?  die  hs.  hat  wrdisen. 


292  KRAUS     RECHT  UIND  HOCHZEIT 

Einzelne  einwände  und  berichtigungen  seien  hier  nachgeholt, 
unter  die  formen  von  haben  durften  nicht  solche  des  compositums 
behaben  eingemischt  werden  (s.  5),  das  ja  bekanntlich  niemals 
syncopierte  formen  aufweist,  die  behandlung  dieses  verbums  ist 
auch  namentlich  für  die  Hochzeit  (s.  7)  durchaus  unbefriedigend: 
es  ist  entschieden  von  Wichtigkeit  zu  wissen,  ob  verschiedene 
formen  im  reime  vorkommen  und  wie  sich  zu  ihnen  die  Schrei- 
bung sonst  verhält,  so  verdiente  neben  heile  die  prät.  form 
hcete  (:  wcete  699)  erwähnung,  und  der  umstand,  dass  im  verse 
stets  habete  geschrieben  ist  (H  218.  247.  1031  uö\),  stützt  in 
Verbindung  mit  dem  häufigen  gesaget :  maget  (H  99.  222.  327. 
801)  meine  auflösung  von  heite  :  seite  in  habete  :  sagete,  die  durch 
die  gänzliche  abwesenheit  eines  reimes  wie  geseit :  breit ,  -heit 
geradezu  gefordert  wird. —  über  die  2  p.  plur.  auf-en?  sind  die 
acten  durch  Roediger  (Zs.  20,317)  keineswegs  geschlossen,  sodass 
ihr  vorkommen  in  einer  hs.  noch  nicht  für  alemann.  Ursprung 
ausgebeutet  werden  darf:  die  formen  begegnen  in  sehr  zahlreichen 
bairischen  hss.  des  12/13  jhs.  und  siud  bereits  in  Nortperts  Tractat 
(Diut.  in  281 — 291),  der  allerdings  dem  hairisch- schwäbischen 
grenzgebiete  angehören  mag,  durchaus  die  herschenden.  reim- 
belege sind  naturgemäfs  überhaupt  selten,  aber  Prl.  81  f  ander: 
g ander  (=  gdnt  ir)  lässt  sich  doch  nicht  hinwegdeuten.  —  die 
'culturübertragung'  s.  5  z.  22  v.  o.  verdankt  wol  nur  einem  lapsus 
calami  ihr  auftreten? 

Bei  der  betrachtung  der  reimkunst  cap.  vii  (s.  39  —  42) 
siud  ein  paar  wunderliche  termini  zu  tadeln,  man  spricht  doch 
nicht  von  'vierreim',  wo  es  sich  lediglich  um  nachlässige  wider- 
holuug  des  gleichen  reimklanges  handelt,  am  wenigsten  wenn 
zwischen  die  beiden  reimpaare  eine  schwere  interpunction  und 
gar  ein  von  dem  Schreiber  durch  initiale  markierter  absatz  fällt, 
wie  etwa  R  21 5 ff.  478ff.  193ffusw.  —  weit  bedenklicher  noch 
sind  die  von  K.  für  die  Hochzeit  in  ziemlichem  umfang  consta- 
tierten  'waisen'.  'waise'  ist  ein  terminus  technicus  aus  der 
strophischen  dichtung,  der  bei  einem  gedieht  in  fortlaufenden 
reimpaaren  sich  überraschend  ausnimmt:  K.  versteht  darunter 
vereinzelte  zeilen,  die  uns  ohne  entsprechende  reimzeile  über- 
liefert sind,  und  er  muste  sich  in  erster  linie  fragen,  ob  dieser 
mangel  nicht  schuld  der  Überlieferung  sei.  eine  Verschuldung, 
eine  nachlässigkeit  liegt  ja  in  jedem  falle  vor,  und  die  frage  ist 
nur:  liegt  die  schuld  beim  dichter,  beim  Überarbeiter,  beim  Schreiber 
—  oder  gar  beim  herausgeber?  und  wir  kommen  mit  den  beiden 
jüngsten  Stadien  sehr  gut  ausl  da  sind  zunächst  drei  fälle,  wo  bei 
Waag  und  auch  in  den  äugen  von  Kraus  im  eingang  eines  abschnitts 
das  sätzchen:  Daz  ist  daz  ander  (dritte,  vier 'de)  phunt  eine  'waise' 
bilden  soll,  ein  grund  ist  nicht  einzusehen,  mau  schreibe  getrost: 
H  524  (30,21  f)  Daz  ist  daz  ander  phunt,  daz  wir  daz  lieht  hdn, 
daz  wir  die  rehten  wege  da  mite  schulen  gdn. 


KRADS     RECHT  UIND  HOCHZEIT  293 

531  (31,  1  f )  Daz  ist  daz  dritte  phunt,  daz  wir  stinchen, 

des  schulen  wir  uns  wol  bedenchen. 
550  (31,  12  f)  Daz  ist  daz  vier  de  phunt,  daz  wir  den  smach  hdn; 
wol  mugen  wir  uns  enstdn  usw. ;  vgl.  s.  300  (zu 
H  520).     recht  sonderbar  ist  dann  weiterhin    die  auffassung  der 
verse  1020—1023  (42,  12  ff): 

1020  daz  [was  di]u  Lüzzifem  vart, 
so  im  ie  we  wart. 

H[oy]  wie  leide  im  dö  wart, 
dö  got  in  d[ie]  h[ell]e  s[pran]ch 
ze  dem  alle'rsten  man 
1025  den  er  [schephen  be]gan! 

benamen  er  in  dö  nante  usw. 
hier  soll  1020  —  22  einen  'dreireim',  1023  eine  'waise'  vor- 
stellen (s.  40)!  warum  dieser  verzwickten  auffassung  nicht  ein 
reimpaar  wart :  spranch  vorgezogen  wird,  versteht  man  nicht,  noch 
weniger  aber,  wie  sich  K.,  wenn  ihm  diese  bindung  wider- 
strebt, bei  der  Karajanschen  ergänzung  in  die  helle  spranch  be- 
ruhigen kann:  der  ausdruck  'gott  sprang  in  die  höhe  zu  dem 
ersten  menschen'  ist  doch  wahrlich  auffallend  genug,  nun  liefse 
aber  auch  der  räum  höchstens  ein  sprach  zu,  und  da  der  uasal- 
strich  in  der  ersten  zeilenhälfte  durchaus  gemieden  wird,  so  kann 
man  überhaupt  nur  schwanken  zwischen  in  die  helle  und  in  der 
helle  sprach. 

Damit  ist  die  eine  hallte  der  'waisen'  erledigt,  an  der  andern 
hälfte  trägt  allerdings  der  Schreiber  die  schuld,  aber  die  not  wen- 
digkeit  oder   doch    Wahrscheinlichkeit    einer   ergänzung    nachzu- 
weisen  erfordert  wenig  Scharfsinn. 
457  IT (29, 1 1  ff)  alliz  gemeine 

lebentiz  gesteine 
daz  louhtet  dar  inne 

(rehte  sam  ein  gimme)  oder  (rehte  sam  iz  brinne.} 
die  letztere  ergänzung  ist  dem  Hiinml.  Jer.  Diem.  364, 7  entnommeu  : 
daz  edele  gestaine  lühtet  sam  iz  perinne  (:  dar  inne),  die  erstere 
aus  dem  Vor.  Mos.  Diem.  56,  16  die  siile  dar  inne  die  lültten  sam  ein 
gimme,  vgl.  i\l.  Exod.  158,  10  heim  unde  brunne  die  schinen  sam 
diu  gimme.  —  die  parallelstelle  aus  dem  Hiinml.  Jer.  hat  nach- 
träglich K.  selbst  s.  45  f  auf  die  müglichkeit  einer  entstellung 
geführt. 

502  ff  (30,  &  IV)  sinen  zehenten  willichlichen  geben, 
er  selbe  christenlichen  leben: 
(sinen  ebenmenschen  mhmen,) 
der  werlde  guotes  gunnen. 
eine  andere  ergänzung    hat  Löbner  (tbese   1)   vorgeschlagen:    er 
schiebt  nach  der  verwaisten  zeile  ein:  nieman  nihtes  erbunnen. 
610(32,21)  daz  bezeichent  uns  jultej  unde  junge 
(an  der  wandelunge.) 


294  KRAUS  RECHT  UND  HOCHZEIT 

vielleicht    fällt    einem    andern  der    präcisere    ausdruck    ein:    ein 
abstractum  auf  -ange  war  es  gewis. 

879  ff  (39,  1  ff)  mit  sinem  vil  heren  bluote 

löst  uns  got  der  guote 

ille  geliche 

{arme  unde  riche:) 

von  diu  sol  der  arme 

den  riehen  noch  erbarmen. 
hier  ist  die  ergänzung  geradezu  selbstverständlich:  und  doch  sieht 
K.  in  der  zeile  alle  geliche  eine  'waise',  während  sie  Karajan  und 
Waag  gar  als  'müssigen  und  störenden  zusatz  des  Schreibers'  be- 
seitigten. 

So  wären  die  'waisen'  der  Hochzeit  glücklich  alle  8  beseitigt, 
und  da  ich  gleichzeitig  auch  ihren  leidensgefährtinnen  aus  der 
Vorauer  Sündenklage  wider  zu  ihrem  rechte  zu  verhelfen  suchte 
(vgl.  Zs.  35,  428  ff),  so  hoffe  ich  K.  davon  überzeugt  zu  haben, 
dass  wir  es  lediglich  mit  unbilden  der  Überlieferung  zu  tun  haben, 
wo  nicht  gar  der  moderne  kritiker  die  'Verwaisung'  allein  auf 
dem  gewissen  hat. 

Im  viii  abschnitt,  wo  R.  den  'beziehungen  beider  gedichte  zu 
andern'  nachgeht  (s.  42 — 57),  vermissen  wir  besonders  lebhaft  eine 
äufserung  über  das  alter  unserer  stücke,  so  muste  Roedigers  auf- 
fassung  (Anz.  i  66)  ihres  Verhältnisses  zur  Ava  schon  um  der  zeit- 
lichen priorität  willen  abgelehnt  werden,  die  unzweifelhaft  der 
Ava  gehört,  über  das  zweite  viertel  des  12jhs.  wird  man  Recht 
und  Hochzeit  keinesfalls  hinaufrücken  dürfen:  wenn  sie  in  einigen 
puneten,  wie  besonders  in  der  bewahrung  der  vollen  endungen, 
eine  gewisse  altertümlichkeit  aufweisen ,  so  hängt  das  mit  einer 
bekannten  eigenart  des  alemannischen  dialects  zusammen:  man 
vergleiche  nur  einmal  den  alten  Reinhart  des  elsässischen  spiel- 
manns,  wo  um  1180  sogar  noch  der  reim  hülönidön  (579  f) 
vorkommt,  mit  österreichischen  dichtuugen  der  vorausgehnden 
zeit,  wir  sind  ja  freilich  fürs  12  jh.  mit  der  alemannischen  litte- 
ratur  und  grammatik  übel  beraten,  aber  die  Überlieferung  reicht 
doch  aus,  um  gewisse  hauptsachen,  welche  das  reichere  material  der 
spätem  zeit  klarlegt,  auch  für  die  übergangsepoche  festzuhalten. 
In  der  aufsuchung  von  ähnlichkeiten  und  reminiscenzen  geht 
auch  K.  wider  zu  weit:  manche  erwägung  konnte  getrost  in 
die  parallelensammlung  der  anmerkungen  verwiesen  werden,  das 
Himmlische  Jerusalem  und  das  Jüngste  gericht  der  Ava  er- 
scheinen mir  in  den  angezogenen  stellen  viel  zu  wenig  origi- 
nell, sind  überhaupt  viel  zu  sehr  aus  landläufigen  phrasen  der 
geistlichen  poesie  zusammengeflickt,  als  dass  sie  eine  sichere 
anknüpfung  gestatteten,  wesentlich  gestützt  hat  K.  die  bisherige 
annähme,  dass  die  beiden  stücke  unter  dem  einflusse  der  alten 
Genesis  stehn,  ganz  neu  gefunden  hat  er  die  intimen  berüh- 
rungen  mit  der  Deutung  der  messgebräuche  in  Keiles  Speculum 


KRAUS     RECHT  UND  HOCHZEIT  295 

ecclesiae:  sie  sind  augenfällig,  auch  wenn  man  über  K.s  liste 
s.  51 — 53  strenges  gericht  hält,  dass  nun  aber  K.  gleich  so  weit 
geht,  das  Benedictbeurer  gedieht  dem  Verfasser  des  Rechts  und  Über- 
arbeiter der  Hochzeit  selbst  zuzuschreiben,  erregt  lebhaftes  befrem- 
den, und  die  art,  wie  er  die  entgegenstehnden  bedenken  bei  seite 
schiebt,  verdient  entschiedenen  tadel.  er  hat  wo]  gesehen  (s.  55), 
dass  in  den  reimen  unterschiede  zu  tage  treten,  aber  er  meint, 
ihnen  brauche  man  nicht  viel  gewicht  beizulegen:  erhält  es  wol 
für  möglich,  dass  die  unterschiede  'nur  durch  die  Überlieferung 
in  den  verschiedenen  hss.  entstanden  sind,  von  denen  die  eine 
(die  Milstäter)  absichtlich,  die  andere  (die  Benedictbeurer)  meist  aus 
Unachtsamkeit  die  texte  in  entgegengesetztem  sinne  veränderten', 
man  merke  wol:  nachdem  K.  die  betrachtung  von  Recht  und 
Hochzeit  nach  der  seite  der  spräche,  der  reimtechnik,  der  hühern 
kritik  abgeschlossen  hat,  überrascht  er  uns  hier  mit  dem  leicht 
hingeworfenen  verlegenheitseinfall,  dass  beide  gedichte  uns  nur 
in  einer  der  Milstäter  Genesis  —  er  selbst  zieht  diesen  vergleich  — 
vergleichbaren  Überarbeitung  erbalten  seien,  er  scheint  gar  nicht 
bemerkt  zu  haben ,  dass  damit  alles,  was  er  über  die  höhere  kritik 
der  Hochzeit  vorgetragen  hat,  hinfällig  oder  doch  wackelig  wird. 
Die  Deutung  der  messgebräuche  (Mgbr.) 1  ist  in  der  einen 
hs.  in  der  deukbar  schlechtesten  Überlieferung  auf  uns  gekommen, 
was  keiner  der  beiden  herausgeber  bemerkt,  K.  aber  richtig  er- 
kannt hat.  die  ca  250  erhaltenen  reimpaare  weisen  diabetische 
eigentümlichkeiteu  in  fast  verwirrender  fülle  auf,  die  mundart 
deckt  sich  völlig  mit  der  keines  andern  denkmals,  und  die  locali- 
sierung  des  gedichts  ist  darum  überaus  schwielig.  Roediger  Zs. 
24,  317  f  hob  hervor,  was  auf  'alemannischen  eiufluss'  hinzudeuten 
schien,  ich  selbst  habe  mich  GGA  1884  s.  568  mehr  an  die  fürs 
mitteldeutsche  characteristischeu  erscheinuugen  gehalten,  dabei  aber 
das  oberdeutsche  im  Wortschatz  betont  und  das  stück  dem  bairisch- 
fränkischen  grenzgebiete  zugewiesen,  von  diesem  wie  von  jedem  ver- 
suche die  heimat  festzulegen  steh  ich  jetzt  ab:  ein  reim  wie  menegi: 
si  356  ist  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  und  ein  wort  wie  yratte 
'korb'  19  ganz  gewis  alemannisch,  aber  wo  ist  im  alemannischen  steit 
und  geü  nachgewiesen,  das  doch  durch  die  reime  180  (: Christenheit) 
und  300  (:breit)  gefordert  wird?  scheu  wir  einmal  von  diesen 
ab,  so  treten  zwei  gruppen  mundartlicher  reime  besonders  stark 
hervor,  einmal  die  reime  mit  auslall  resp.  abfall  des  //  und  dann 
die  reime  age,  ege  >  ei:  für  beide  haben  wir  in  den  mehr  als 
800  reimpaaren  von  R  und  H  nicht  einen  einzigen  sichern  beleg, 
in  den  Mgbr.  dagegen  finden  wir  bei  kaum  250  reimpaaren  ad  l) 
mindestens  14  belege,  indem  zu  Roedigers  '•>  (aao.  318)  Doch  hinzu- 
treten: \.  155  gewihet  :liep,  232 f  enphähet ; getwahet  (I.  enphdt:ge- 

1  die  verszählung  in  Pfeiffers  abdruck  Zs.  I,  270ff(184l)  und  bei  Kelle 
Spec.  eccl.  144ff(1858)  ist  dir  gleiche;  entgangen  isl  Kraus  die  collation  der 
hs.,  die  Schönbach  /.-.  24,  vTil  gegeben  hat. 


296  KRAUS  RECHT  UND  HOCHZEIT 

twdt),  365  vdhet :  stdt,  235.  364  sd  :  darnach;  auch  der  reim  niht : 
geseihet  485  muss  als  niet : gesciet  gefasst  werden,  vgl.  v.  133  f  einer- 
seits, 3451' anderseits:  ad  2)  entscheiden  v.  5  geseit :  wdrheit,  423 
geleit :  breit ,  432  leit :  Christenheit  auch  für  2011'  treu:  geseit  und 
252  f  beleit :  geseit.  und  diese  aufdringlichen  erscheinungen  — 
anderer  ganz  zu  geschweigeü  —  sollten  in  den  Mgbr.  durchgehends 
eingeschwärzt  oder  aus  R  und  H  consequent  beseitigt  sein?  gegen 
die  erstere  annähme  will  ich  hier  wenigstens  noch  den  Benedict- 
beurer  Schreiber  in  schütz  nehmen:  der  manu  hat  mit  wissen 
und  willen  keinen  neuen  reim  gemacht,  er  hat  nur  mit  seinem 
schlechten  gedächtnis  und  seiner  gleichgiltigkeit  gegen  diesen  rede- 
schmuck ein  paar  dutzend  alte  unterschlagen,  ich  halte  es  für 
unmöglich,  deu  text  wider  völlig  herzustellen,  den  unser  Schreiber, 
wie  es  scheint,  durchaus  aus  der  erinneruug  und  ohne  jede  vor- 
läge aufgezeichnet  hat.  ich  finde  keinen  fehler,  der  auf  Verlesung 
beruht,  aber  zahlreiche  stellen,  wo  eine  lediglich  den  sinn  wider- 
gebende fassung  den  reim,  ja  die  ganze  reimzeile  verdrängt  hat. 
ich  will  die  textkritik  des  werkchens  hier  nicht  durchsprechen: 
es  ist  viel  bequeme  lese  dabei,  die  jeder  bei  sorgfältiger  leetüre 
einsammelt,  und  einige  proben  mögen  genügen:  v.  57  f  1.  in  mine 
sinne  :  wdrhafte  minne,  hs.  min  herze.  —  v.  141  f  und  rieten  mir 
ie  mer  und  mere  :  swaz  so  si  mohten  ze  sere,  hs.  zubele.  — 
v.  173  f  unze  ime  daz  ouge  :  eintweder  betouwe,  hs.  naz  werde. — 
v.  399f  Dar  nach  neiget  er  :  sin  houbet  vur  den  alter1,  hs. 
vur  den  alter  sin  höbet.  —  v.  499  f  (Christus  erschien  seinen 
Jüngern)  in  eimme  gademe  :  da  si  waren  zesamene,  hs.  vor  den 
Juden  waren  bespart.  —  einer  besonders  characteristischeu  stelle, 
wo  in  der  Überlieferung  hintereinander  drei  reimpaare  entstellt 
sind,  setze  ich  die  vermutete  lesung  hier  gegenüber: 

hs.  da  wrden  ertpibe.  dd  wurden  ertpibe 

umbe  alle  die  werlt.  umbe  alle  die  werlt  (wite-), 

uh  brachen  die  umbehange.  die  umbehange  brdchen, 

415  die  steine  zerbrasten.  415  die  steine  zebrdsten, 

diu  greber.    sich  uf  taten.  diu  greber  sich  üf  täten 3. 

do  erlasc  diu  liehte.  diu  lieht  elliu  erldscen. 

der  Schreiber,  der  ein  gedieht  so  überliefert,  kann  keine  vorläge 
gehabt  haben ,  und  auf  sein  conto  wird  man  auch  nicht  die  ein- 
führung  ganzer  gruppen  guter  diabetischer  reime  setzen  wollen, 
die  von  K.  angenommene  Überarbeitung  des  gedichtes  muss  also 
rückwärts  liegen  und  bedurfte  eines  nähern  eiugehus,  falls  wir 
mit  ihr  rechnen  und  nicht  vielmehr  alles  über  deu  häufen  werfen 
sollen,  was  K.  über  das  Verhältnis  von  Kecht  und  Hochzeit  glück- 
lich ermittelt  hat.     ich  denke  aber,   wir    begnügen    uns    mit  der 

1  diese  stelle  hat  auch  K.,  aber  abweichend,  gebessert. 

2  so  schon  Pfeiffer  z.  st. 

3  vielleicht  sind  auch  noch  die  verse  415.  416  umzustellen. 


KRAUS  RECHT  U.\D  HOCHZEIT  297 

allgemeinen  annähme  verwantschaftlicher  beziehungen  zur  Deutung 
der  messgebräuche,  ohne  sie  vorläufig  näher  definieren  zu  können. 
Ich  kehre  nun  zu  unsern  gedienten  zurück  und  gebe  zu- 
nächst einige  bemerkungen  zum  texte  des  Rechts,  in  die  ich 
die  ergebnisse  meiner  collation  der  hs.  einschalte.  K.  3, 18  (27)  nv 
auf  rasur  von  grösserem  räume  als  das  gegenwärtige  wort  einnimmt. 
—  v.  40(3,25)  sinen  vriunde  kann  als  häufig  belebte  sandhi-erschei- 
nung  stehn  bleiben.  —  v.48(4,6)  1.  dri. —  v. 57  (4, 12)  1.  hat  er. — 
K.  5,  12  (99)  rotin  vom  corrector  aus  rutin.  —  v.  117  (5,  22)  hs. 
zefüret.  —  v.  147  (6,  14)  der  ergäuzung  Karajans  w[an  lieze  er] 
in  da  stdn  weifs  ich  einstweilen  nichts  besseres  gegenüberzu- 
stellen, bedenklich  bleibt  aber,  dass  dabei  4 — 5  buchstabeu  über 
den  folgenden  zeileuschluss  hinausgeragt  haben  müsten.  —  v.  14S 
(6,  15)  ein  subst.  inf.  daz  rotin  ist  ja  neben  dem  v.  121  (5,  25) 
bezeugten  behütin  an  sich  nicht  auffallend,  gleichwol  dürfte  auch 
hier  das  v.  99.  127.  166.  168  überlieferte  fem.  diu  rotin  einzu- 
setzen sein:  der  Österreich.  Schreiber  konnte  die  alemann,  tonn 
leicht  einmal  ausmerzen.  —  v.  200  (7,  20)  zeinem  erlichen  ist 
von  R.  unzweifelhaft    richtig    in  den  text  gesetzt,    allein  die  an- 

zeinem 
gäbe  der  hsl.  la.  ist  nicht  genau,  es  steht  da  merlichem  und  das 
zeinem  scheint  erst  vom  corrector  übergeschrieben.  —  K.  9,  1 
(254)  vor  habent  eine  rasurstelle,  auf  der  3 — 4  buchstabeu  (mir 
scheint  vnr)  vor  dem  weiterschreiben  getilgt  sind.  —  v.  307  (10,8) 
der  hunt  archman  (der  khund  von  geizhals')  lässt  sich  verteidigen, 
die  häufigkeit  der  schelte  hunt  bezeugt  für  die  geistliche  poesie 
des  12  jhs.  Schönbach  zu  Jul.  620,  vgl.  bes.  ebenda  613  Auksius 
der  arge,  620  Aulesms  der  hunt.  Rarajans  änderuug  chunt  hat  Kraus 
Anz.  xvn  25  zurückgewiesen,  allein  auch  sein  eigner  Vorschlag 
tump  scheint  mir  formell  unannehmbar:  archman  ist  doch  (ebenso 
wie  aliman,  armman)  nur  eine  zusammeurückuug,  vor  der  ich  ein 
zweites  unflectiertes  adjeetiv  für  ausgeschlossen  halte.  —  v.  316 
(10,  13)  ez  wunder,  waz  der  gotes  sun  usw.;  ob  hier  die  einschal- 
tung  ez  (ist)  wunder  not  tut?  Erdmann  Grundz.  d.  d.  syntax  §  92, 
wo  er  beispiele  wie  Parz.  4,  15  er  stahel  swa  er  ze  strite  quam 
aufzählt,  bemerkt  freilich  'bei  ez  unerhört'.  —  v.  354  (11,  12)  die 
hs.  hatte  samt,  nicht  samet.  —  v.  397  (12,  12)  der  räum  lässt  nur 
die  ergänzung  zu  er  ist  ch[arl],  si  ist  chone.  —  v.  420  (13,  2) 
ich  lese  deutlich  vorletcere,  und  dies  wird  besser  io  vorleitcere 
als  in  vorle'rcere  geändert;  anderweitig  belegt  ist  keines  der  bei- 
den composita,  für  das  erstere  spricht  aber  auch  die  von  K.  s.  :,•) 
zu  unserem  vers  angezogene  parallelstelle  Mgbr.  217  er  ist  unser 
leitte're:  beidemal  ist  vom  priester  die  redt«.  —  v.  450  (13,  18) 
das  von  Kraus  Anz.  xvn  25  eingesetzte  m[an]  (st.  m[are])  wird  auch 
vom  räum  gefördert. —  K.  13,25  (462)  hs.  gesach.  —  v.  405  (14,  20) 
hs.  daz  ez  daz  reht  getuo,  was  natürlich  mit  beziehung  auf  daz 
mennisch  486  ganz  in  Ordnung  ist.  —  K.  15,5(512)  hs.  einez. 
A.  F.  D.  A.  XVII.  20 


298  KRAUS  RECHT  UND  HOCHZEIT 

—  v.  518(15,  9)  vor  fage  ist  noch  deutlich  zu  lesen:  der  erste 
buchstabe  ragt  über  (was  für  das  t  der  hs.  nicht  zutrifft)  und  für 
einen  weitern  fehlt  es  an  räum,  so  fällt  denn  auch  ein  rührender 
reim  (K.  vor  trage :  nach  trage)  fort,  den  ich  übrigens  nicht  mit  K. 
s.  40  für  einen  erlaubten  halte.  —  v.  533  (15,  18)  Karajans  iege- 
liches  gibt  für  mich  keinen  sinn,  ist  ferner  grammatisch  unzu- 
lässig —  denn  nur  das  refl.  sich  verdenken  hat  den  genitiv  bei 
sich —  und  dem  räume  nach  unmöglich;  an  der  ergänzung  der 
[sich  de]s  verdenchen  chan  ist  kaum  zu  zweifeln. 

Weit  mehr  zu  tun  gibt  der  text  der  Hochzeit,  wie  schon 
ein  blick  auf  die  klammerreichen  seilen  von  Karajans  abdruck 
lehrt,  die  lagen,  auf  denen  uns  dies  gedieht  überliefert  ist,  sind 
besonders  an  der  aufsenseite  stark  vom  moder  angefressen,  und 
zu  den  weggemoderten  treten  noch  zahlreiche  verwischte  und 
ausgebleichte  stellen.  Karajan  hat  im  ganzen  sorgsam  gelesen 
und  nicht  ohne  tact  und  geschick  ergänzt,  —  aber  er  hat  seine 
ergänzungen  in  eine  abschrift  eingetragen,  die  den  verfügbaren 
resp.  zulässigen  räum  nur  ungefähr  andeutete,  nirgends  genau  be- 
stimmte, die  aufmerksamkeit  eines  collators  muss  darum  nicht  nur 
auf  das  erhaltene  gerichtet  sein  (hier  ergibt  sich  nur  eine  unbe- 
deutende nachlese),  sondern  vor  allem  auch  auf  den  umfang  dessen, 
was  uns  der  moder  geraubt  hat.  die  Zeilenanfänge  schneiden 
scharf  ab,  und  hier  lässt  sich  der  räum  bis  auf  den  buchstabeu 
bemessen;  am  zeilenschluss  herscht  naturgemäfs  gröfsere  freiheit 
und  Ungleichheit:  hier  darf  eine  ergänzung  in  den  meisten  fällen 
das  maximum  des  zeilenumfangs  in  berechnung  ziehen.  Karajan 
hat  keinerlei  derartigen  erwägungen  augestellt,  und  auch  R.  sind 
sie  bei  nachprüfuug  der  hs.  nicht  gekommen:  wenigstens  ver- 
wirft er  nirgends  eine  ergänzung  seines  Vorgängers  aus  gründen 
des  raums.  meine  kritik  richtet  sich  im  nachfolgenden  überall 
zunächst  gegen  Karajan.  zeile  meint  Karajans,  vers  Waags  aus- 
gäbe;  wie  immer  bedeutet  []  ergänzung,   ()  einschaltung. 

V.  20  (K.  19,  11)  ich  lese,  freilich  undeutlich,  lieber  am  zeilen- 
schluss, nicht  lussamer,  das  auch  räumlich  uumöglich  und  syn- 
tactisch  (mir  ist  lussam?)  bedenklich  ist.  —  v.  30  (19,16)  Karajans 
gec[hom]en  in  den  mist  ist  neuhochdeutsch;  die  ergänzung  ist  aber 
auch  deshalb  unhaltbar,  weil  der  unter  die  zeile  gehnde  strich 
des  h  (%)  zu  sehen  sein  müste  und  der  dritte  buchstabe  noch  als 
erster  strich  eines  w  oder  v  erscheint:  also  geworfen  oder  auch 
gevallen.  —  v.  57  (20,  10)  1.  [hie]  st.  [ie].  —  v.  59  (20,  11)  geeret 
ist  noch  deutlich  lesbar.  —  v.  62  (20,  12)  niuwen,  wie  die  hs.  hat, 
ist  niemals  =  niene,  es  muss  in  niweht  geändert  werden,  wie 
K.  4,23.  5,  10.  21,  22  uö.  steht;  der  Schreiber  kann  eine  ligatur  Ä/ 
verlesen  haben ,  oder  er  ist  durch  den  zeilenschluss  zu  diesem  'ab- 
gekürzten verfahren'  verleitet  worden.  —  v.  72(20, 19)  ie  am  zeilen- 
beginn  hat  Karajan  schwerlich  mehr  gelesen;  mir  gefällt  auch  die 
ergänzung  ie[vor   nicht,   ich   schlage  vor  als   si  got  [chunt  hd]t 


KRAUS  RECHT  UND  HOCHZEIT  299 

getan.  —  v.  86  (21 ,  2)  I.  daz  si  (die)  touffe  habent  verchorn.  — 
v.  104  (21,  13)  vil  ist  zu  streichen.  —  K.  21,  17  (1 1 1)  am  Schlüsse 
der  zeile  stand  w-.  —  v.  1 13  (21, 18)  ie  ist  zuviel.  —  v.  127  (22,  2) 
Kaiajaus  guot  ist  zusatz,  nicht  ergänzung,  wie  Waag  annimmt.  — 
K.  22,  19  (155)  hs.  sich  aus  siehe.  —  v.  156  (22,  20)  Kraus'  [ser- 
pa]nde  ist  als  franzüs.  fremdwort  ebeuso  unmöglich  «ie  Karajans 
[wigajnde;  zu  schreiben  ist  an  dem  alten  vdlande!  —  v.  195 
(23,  17)  der  räum  gestattet  uur  er,  nicht  unde.  —  v.  196(23,  18) 
die  ergänzung  braucht  gewis  3  buebstaben  zu  viel:  ich  lese  pa- 
rallel zu  v.  150  (22,  16)  ein  vil  hoch  gebirge  hier  ein  [vil  tief]  tat. 

—  v.  197  (23, 19)  das  hsl.  eines  hissames  also  vol  ist  unmöglich 
zu  halten ,  aber  ob  die  änderung  aller  lussame  also  vol  das  rich- 
tige trifft?  —  v.  200  (23,  20)  vil  ist  aus  raumgründen  fortzu- 
lassen. —  v.  203  (23,  22)  ist  die  der  hs.  wol  iu  der  zu  ändern. 

—  K.  24, 14  (232)  hs.  vriunde,  wie  auch  27,  17;  die  cousonan- 
tische  form  vriunt  24,  9  (224)  hat  der  schreiber  wol  am  zeilen- 
schluss  bequemer  gefunden.  —  v.  234  (24,  15)  in  der  ergänzung 
ist  niweht  zu  schreiben,  wie  sonst  immer  steht.  —  v.  260  (25,4) 
das  hsl.  heete  (vielleicht  durch  das  eben  dagewesene  reimpaar 
weete :  heete  2531'  veranlasst)  war  getrost  in  teete  zu  ändern.  — 
h.  25,  7  (266)  wol  berei-  hat  der  corrector  geschrieben.  —  v.  295. 
299  (25,  22.  24)  die  sichern  änderungen  von  Bartsch  werden  auch 
durch  die  raumumstände  empfohlen.  —  K.  25,  25  (301)  ich  kann 
R.  nicht  zugeben,  dass  die  hs.  deutlich  ra-  habe.  —  v.  341 — 44 
(26,  22  ff)  sind  die  reimworte  in  der  textherstellung  natürlich  zu 
schreiben  cham  :  nam,  meist :  geist.  —  K.  26,  22  (341)  hs.  [brot]e- 
gom,  wie  auch  27,  16  uö.  —  K.  27,  1  (347)  in  vom  corrector  vor 
die  zeile  gestellt.  —  v.  377  (27,  17)  ergänze  ich  lieber  die  vriunde 
[an]  dem  rdte.  —  v.  387  (27,  23)  für  das  zweite  ubir  ist  kein 
platz.  —  zu  v.  418  (28,  16)  will  ich  bemerken,  dass  ich  auf  die 
von  K.  verworfene  conjeetur  Diemers  allen  den  (Ion  ge)arnöt  selb- 
ständig gekommen  bin  und  an  ihr  auch  festhalte;  es  ist  an  unserer 
stelle  gar  vou  keiner  'ernte',  wol  aber  von  Mohn'  die  redel  dass 
der  eigenname  Ameth  übrigeus  das  abstractum  arnöt  stützen  soll, 
ist  ein  überraschender  einfall:  natürlich  handelt  es  sich  nur  um 
einen  der  zahllosen  sprösslinge  von  Arnolt:  Arndt,  Arend  usw.  -^ 
v. 429  (28,  21.22)  ist  zu  ergäuzen  die  wer[vent  rehte]  ir  dinch, 
vgl.  \\  425  (13,  4j  gerne  sol  er  werven  rehte.  —  zu  v.  459  (29,  11) 
s.  o.  s.  293.  —  K.  29,  14  (463)  bs.  erlichir.  —  v.  476  (29,  20) 
statt  chraft  'copia'  ist  zunächst  mäht  'potentia'  einzustellen,  dann 
aber  ein  si  hinzuzufügen,  das  auch  noch  platz  findet.  —  v.  489 
(30,  2)  steht  scelichen  allerdings  in  der  hs.,  ist  aber  selbstverständ- 
lich Schreibfehler  für  scelichlichen ,  übrigens  ein  nicht  seltener 
lall.  —  v.  493  (30,  4)  der  überlieferte  renn  bewirten  :  nerigen  ist 
bei  der  sonstigen  reimtechnik  des  dichters  unglaublich,  man  setze 
also  berdten  ein,  vgl.  die  parallelstelle  Kehr.  17176  I  die  armen 
si  bewdten,  die  nötigen  si  berieten.  —  zu  v. .")()  1  30, 9)  S.  o.  s.  293.  — 


300  KRAUS     RECHT  UISD  HOCHZEIT 

v.  511  (30, 14)  1.  da  mite  mugen  die  riehen  alle  chomen  in  die  ewigen 
[vo]lle;  Karajans  [stajlle  bringt  einen  unmöglichen  ausdruck.  — 
v.  520(30, 18)  ist  entsprechend  524.  531.  550  (s.  o.  s.292f)  zu  ver- 
bessern Daz  (ist  daz)  erste  phunt  daz  wir  gehören.  —  v.  521  (30, 20) 
immir  überschreitet  den  räum,  nach  aoalogie  der  parallelverse  533. 
552  empfiehlt  es  sich,  wol  dafür  zu  schreiben.  —  v.  563  (31,  20) 
zu  ergänzen  ist  Mit  den  f[unf  sinnen],  nicht  dingen.  —  v.  607 
(32,  19)  das  ergänzte  uns  ist  durch  den  räum  ausgeschlossen; 
desgl.  v.  617  (32,  25)  im.  —  zu  v.  610  (32,  21)  s.  o.  s.  293.  — 
v.  653  (33,  19)  auch  mir  nicht  ganz  klar,  jedesialls  aber  müssen 
gegenüber  Rarajan  3  buchstaben  gespart  werden,  also  [so  er  die] 
sele  bevelle.  —  v.  698  (34,  20)  mehr  als  die  spange  hat  in  der  lücke 
nicht  platz.  —  v.  700  (34,  20)  hangende  sehr  problematische  er- 
gäuzung,  die  überdies  zuviel  räum  beansprucht,  schone  reichte 
aus.  —  zu  v.  702.  3  (34,  22)  vgl.  Anz.  xvn  27  anm.  —  v.  741 
(35,  19)  streiche  vil l.  —  v.  749  (35,  24)  ich  würde  [uber]mütigen 
lieber  schreiben  als  [hoch]mütigen.  —  v.  792  (36,  25)  hs.  erchennot 
ist  eine  unform,  ein  Schreibfehler,  der  durch  erchnnnot  zu 
bessern  war.  —  v.  800  (37,  5)  hs.  die,  wie  übrigens  auch  die 
herausgeber  hätten  einsetzen  müssen.  —  v.  832  (37,  24)  sich  hat 
keinen  platz.  —  K.  38,  14  (860)  nach  uiandes  steht  man  ausradiert. 
—  v.  864.  866.  871  (38,  17.  18.  21):  in  allen  drei  Zeilen  über- 
schreitet Karajans  ergänzung  den  räum  um  gut  3  buchstaben ;  in 
864  muss  man  mit  do  nehabet  [der  herre]  auskommen ,  866  1.  So 
chert  [er  abe  sin]en  müt,  871  1.  [hat  er  des  he'r]ren  rät.  in  der 
letzten  zeile  ist  wenigstens  die  lesung  herren  st.  riehen  hsl.  sicher. — 
zu  v.  880(39,  1.2)  s.o.  s.  294.  —  v.  907  (39, 17)  herif[ten  (tat] 
ist  noch  ziemlich  deutlich.  —  K.  39,  25  (920)  hs.  wun.  —  v.  941 
(40,  16)  der  räum  ist  für  die  ergänzung  Ion  zu  grofs,  ein  wort 
wie  gewin  würde  bequem  platz  haben.  —  v.  945  (40,  19)  hat 
Karajan  (was  mir  nicht  mehr  möglich  war)  würklich  .  .  .  ch  ge- 
lesen, so  wird  die  ergänzung  [smalch,  die  räumlich  angeht,  die 
beste  sein :  Swer  dort  ze  genäden  wil  chomen,  der  sol  die  smdch 
an  sich  nemen.  ich  weifs  wol,  dass  smeehe  das  üblichere  wort 
ist,  aber  auch  smdch,  obwol  erst  im  13  jh.  belegt,  besitzt  als 
lautgesetzlicher  ö-stamm  die  garantie  des  alters.  —  K.  41,  2  (958) 
das  umlautszeichen  beruht  auf  einem  lesefehler:  es  steht  da  mit 
dem  nasalstrich  chün-ne.  —  v.  979  (41,  13)  1.  hete.  —  v.  982.  983 
(41,  15.  16)  überschreiten  Karajans  ergänzungen  wider  den  räum: 
982  wird  man  statt  gotes  sun  einfach  got  einstellen  dürfen,  983 
1.  dd  er  uns[ir  gendde]  geviench  (vgl.  884  do  er  unsir  erste  gendde 
gevie).  —  v.  987  (41,  18)  besser  als  Karajans  [von  obene  ze]  gründe 
wäre  [unz  in  daz  ab]grunde,  aber  auch  hier  müssen  wol  2  buch- 
staben gespart  werden.  —  v.  993  (41,  22)  das  mit  cho  .  .2  begin- 

1  resp.  mit,  das  Kraus  s.  120  zu  bevorzugen  scheint. 

2  diese  lesung  ist  ganz  deutlich,  an  eine  so  verlockende  conjeetur  wie 
eheten  also  nicht  zu  denken. 


KRAUS  RECHT  U>"D  HOCHZEIT  301 

nende  wort  kann  nur  noch  zwei  weitere  buchstaben  beanspruchen; 
die  auswahl  ist  also  klein  genug  und  doch  nicht  leicht:  chöre 
passt  nicht  recht,  chöle  (<C  qudle)  gieuge  schon  an  (er  brach  die 
chole  alle  'fregit  omne  martyrium')  —  nur  scheint  es,  als  ob  der 
erste  der  beiden  fehlenden  buchstaben  die  liuie  nicht  überragt 
habe.  —  zu  v.  1023  (42,  14)  s.  o.  s.  293.  —  v.  1027  (42,  16)  [uiant 
in]  hat  kaum  platz,  [tiuuel  in]  gewis  nicht.  —  v.  1037  (42,  22) 
1.  uz  [der  starjchen  nute.  —  v.  1042  (42,  25)  [er  loste]  scheint 
zuviel,  vielleicht  [er  nam].  —  v.  1065  (43, 12)  1.  martir.  —  v.  1070 
(43,  15)  die  ergänzung  Karajans  braucht  etwa  dreier  buchstaben 
räum  zu  viel,  vielleicht  ist  zu  lesen  Nu  si[nt  geistliche]  Hute.  — 
v.  1072  (43,  16)  wan  ist  wegen  des  raumes  zu  streichen.  —  v.  1074 
(43,  18)  gesegent  ist  doch  wol  nur  Schreibfehler  für  gesegenten.  — 
v.  1078  (43,21)  aus  entscheidenden  raumgründen  ist  iungisten  zu 
verwerfen:  1.  unz  [an  den  sün]tach.  —  v.  1079.80  (43,  22)  räum 
und  sinn  protestieren  gegen  die  ergänzung  Karajans;  es  ist  zu 
schreiben:  so  wol  in  der  dar  chomen  [mach,  sie  er]  daz  reht  begdt.  — 
v.  1083  (43,24)  1.  so,  nicht  also.  —  v.  1091  (44,  5)  1.  daz. 

Ich  bin  mit  dieser  vielleicht  manchem  gar  zu  peinlichen  und 
teilweise  äufserlichen  controle  der  Überlieferung  von  der  schritt  von 
Kraus  etwas  abgekommen,  und  der  räum  des  Anzeigers  verbietet 
mir,  zu  eingehnder  besprechung  der  noch  übrigen  capitel  zurück- 
zukehren, zu  cap.  ix  (s.  57 — 96),  wo  die  beiden  gedichte,  ferner 
die  Milstäter  süudenklage  und  die  Deutung  der  messgebräuche 
auf  ihr  Verhältnis  zur  theologie  geprüft  werden,  wüste  ich  auch 
im  augenblick  wenig  genug  hinzuzufügen,  und  zu  cap. xi,  den  an- 
merkungen  (s.  98  — 126),  will  ich  absichtlich  keine  nachtrage 
geben,  beide  abschnitte  zusammen  bilden  den  sachlichen  und 
sprachlichen  commentar,  dessen  gerade  diese  gedichte  so  sehr 
bedürfen,  sie  beruhen  auf  reicher  belesenheit  und  zeigen  einen  so 
gesunden  blick  für  die  aufgaben  der  quellenkritik  und  der  inter- 
pretation,  dass  ich  dringend  wünsche,  der  Verfasser  möge  auf 
dem  gleichen  gebiete  noch  weiter  tätig  bleiben  und  vor  allem  in 
die  reihe  der  mitarbeiter  eintreten,  wenn  es  einmal  gelingen 
sollte,  in  einer  kritischen  Sammelausgabe  die  geistlichen  Dich- 
tungen des   12jhs.  zu   vereinigen. 

Marburg  i.  H.  Edward  Schrödkr. 


Die   lieder   Heinrichs   von  Morungen    auf  ihre    echtheit    geprüft,     von  K  \i:i. 
Schutze.    Kieler  diss.    Kiel,  CSchaidt   1890.  IV  o.  88  88.   8°. 

Lachmann  und  Haupt  erschienen  von  den  in  MSF  aufge- 
nommeneu  Strophen  verdächtig:  121,  S — 31;  137,4  ('allenfalls 
echt');  146,  11  —  147,3;  im  ganzen  7  Strophen.  Franz  Pfeiffer 
(Germ,  m  504)  verwarf  wegen  Dichtmitteldeutscher  reime  130, 31  IT; 


302  SCHÜTZE     HEINRICH  VON  MORDNGEN 

137,  10 ff;  145,33  —  147,3;  im  ganzen  12  Strophen.  Michel, 
Heiur.  v.  Morungen  s.  14,  glaubte  145,  33  — 147,  3  (6  str.)  mit 
'hinreichender  Wahrscheinlichkeit'  Morungen  absprechen  zu  kön- 
nen, während  Gottschau  (Btr.  7,  376  ff)  aufser  diesen  Strophen 
noch  136,  25  für  unecht  hielt,  keiner  von  den  genannten  wit- 
terte in  mehr  als  vier  liedern  contrebande.  weit  über  sie  hinaus 
geht  der  neueste  kritiker,  Karl  Schütze,  ihn  dünkt  in  nicht 
weniger  als  18  (von  37)  liedern  der  Strophenbestand  gefälscht, 
und  er  streicht  sie  entweder  ganz  zusammen  oder  verkürzt  sie 
zu  zwerggestalten  oder  macht  sie  zu  vereinzelten  bruchstücken, 
die  fahrende  aufgefangen  und  in  ihr  gewebe  hineingeflickt  haben. 

Die  gründe,  welche  ihn  zur  annähme  der  unechtheit  fuhren, 
stellt  er  auf  s.  82  also  zusammen:  'unterbrochener  oder  gänzlich 
mangelnder  Zusammenhang,  Widersprüche  gegen  den  inhalt  echter 
Strophen,  sklavische  abhängigkeit  von  andern  Strophen  (nach  in- 
halt oder  form),  triviale  widerholung  eines  vorher  originell  aus- 
gedrückten gedankens,  andere  abweichungen  von  ausgeprägten 
eigentümlichkeiten  der  echten  lieder,  stilistisches  Ungeschick,  ab- 
weichungen im  dialect,  ungenauigkeiten  oder  abweichungen  im 
versbau,  besonderheiten  im  Wortschatz,  art  der  Überlieferung', 
fürwahr  eine  stattliche  reihe  von  kriterien ,  die,  wo  sie  zusammen- 
treffen, auch  die  bestbeglaubigte  Überlieferung  erschüttern  können. 

Aber  es  diene  zur  beruhigung  der  Morungenverehrer,  die 
bisher  blind  und  fühllos  über  alle  mängel  hinwegglitten,  dass 
die  objectiveu  kriterien  —  die  sprachlichen,  metrischen,  hand- 
schriftlichen —  nur  bei  einer  sehr  geringen  zahl  von  Strophen 
in  betracht  kommen  und  dort  entweder  so  leichter  oder  so  nich- 
tiger natur  sind,  dass  sie  fast  nirgend  für  einen  nüchternen 
forscher  eine  entscheidende  bedeutung  haben,  so  wenn  Seh.  es 
als  einen  'durchschlagenden  grund'  für  die  unechtheit  von  141,37 
bezeichnet,  dass  ein  teil  der  reime  der  1  str.  im  grammatischen 
reimverhältnis  zu  reimen  der  2  str.  steht;  oder  wenn  er  die 
stärksten  bedenken  gegen  die  echtheit  von  141,  15  aus  dem  um- 
stände schöpft,  dass  in  der  vorletzten  Strophe  des  voran  gelin- 
den gedichts  sich  teilweise  dieselben  reime  finden;  oder  wenn 
er  in  143,  4  an  dem  doppelreim  betwungen  stdt  :  gesungen  hat, 
wie  er  auch  sonst  bei  M.  vorkommt,  anstofs  nimmt,  ernster 
liegt  die  sache  bei  den  versausgängen  sehen  :  vlehen  132,  3  :  5, 
wo  dialectische  und  metrische  anstände  zusammenfliefsen ,  aber 
auch  sie  haben  bisher  keinem  kritiker  genügt,  um  die  Strophe 
zu  verdammen  l. 

Subjective  kriterien  können  so  stark  sein,  dass  sie  durch 
die  opinio  communis  zu  objeetiven  werden,  aber  was  Seh.  uns 
an  subjeetiven  kriterien  bietet,  beruht  auf  willkürlichen,  ober- 
flächlichen und  dem  Verständnis  lyrischer  poesie  so  fremden  ur- 

1  die  bemerkungen  Edw.  Schröders  Zs.  33,  106  zu  dieser  Strophe  scheint 
Seh.  ebensowenig  gekannt  zu  haben,  wie  die  zu  130,20. 


SCHÜTZE    HEINRICH  VON  MORUNGEN  303 

teilen,  dass  sie  kaum  irgendwo  Zustimmung  finden  werden,  mit 
der  von  ihm  so  oft  in  anspruch  genommenen  'inconciunität' 
könnte  mau  dutzende  Goethischer  lieder  für  unecht  erklären, 
gefühle  und  Stimmungen  entwickeln  sich  eben  nicht  in  der  reiheu- 
folge  und  lückenlosigkeit  mathematischer  Syllogismen,  ähnlich 
steht  es  mit  der  'trivialen  widerholung'.  über  den  begriff  'tri- 
vial' wird  man  im  einzelfalle  sehr  verschiedener  meinung  sein; 
und  was  die  widerholuug  eines  gedankens  betrifft,  so  ist  diese 
auch  in  den  liedern  der  grösten  dichter  keine  seltene  erschei- 
nung.  besäfsen  wir  Goethes  'Mit  einem  gemalten  bände'  nur  in 
der  ersten  fassung,  dann  müste  ein  kritiker  von  Sch.s  art  die 
letzte  Strophe  als  unechte  zutat  streichen,  weil  sie  eine  'triviale 
widerholung'  eines  schon  in  der  vorhergehnden  Strophe  'originell' 
ausgedrückten  gedankens  enthält. 

Andre  kriterien  macht  sich  Seh.  erst  künstlich  zurecht,  wie 
'abweichung  von  ausgeprägten  eigentümlichkeiten  der  echten 
lieder'  oder  'Widersprüche  gegen  den  inhalt  echter  Strophen',  in- 
dem er  eine  enge  zahl  von  liedern  (17;  sich  heraussucht  und 
an  ihnen  die  kriterien  der  echtheit  feststellt,  über  die  kenn- 
zeichen:  'sklavische  abhängigkeit'  und  'stilistisches  Ungeschick' 
können  wir  stillschweigend  hinweggehn.  wie  veranlagt  Seh.  zur 
beurteilung  lyrischer  erzeugnisse  ist,  mag  s.  73  lehren,  wo  ihm 
'sende'  als  epitheton  zu  einem  zeitbegriff  {sender  jdre  143,5) 
'lächerlich'  erscheint,  oder  s. 69,  wo  er  zu  126,  19 ff  fragt:  'warum 
will  denn  der  liebende  grade  drei  ganze  tage  und  etliche  uächte 
mit  der  geliebten  zusammen  sein?'  für  seine  kenntuis  des  vor- 
neidhartischen  minnesangs  ist  die  bemerkung  auf  s.  21  bezeich- 
nend: 'der  mangel  an  jeder  directen  naturbescbreibuug  ist  (für 
Morungen)  um  so  characteristischer,  als  dieselbe  sonst  innerhalb 
des  minuesanges  von  hervorragender  bedeutung  ist.'  danach  können 
die  resultate  nicht  überraschen,  in  122,  1  streicht  Seh.  str.  3 
('wie  unpassend  ist  es,  die  zahne  der  erkorenen  dame  vil  verre 
bekant  zu  nennen  1'  lautet  eines  der  argumente  s.  32).  aus  dem 
schönen  liede  126,  8  von  der  elbe  wirt  entsen  reifst  er  die  mitt- 
leren Strophen  heraus  (dürftiger  Zusammenhang,  trivialitäten,  un- 
morungensche  auspielungen  s.  68  ff);  und  da  nunmehr  der  Zu- 
sammenhang zwischen  str.  1  und  4  gestört  ist,  so  'schliefst'  er 
auf  eine  ausgefallene  Strophe  (s.  71  oben),  aus  127,  1  wird  str.  2 
entfernt  ('sie  ist  mit  Zeitbestimmungen  überladen'  s.  36).  die 
Strophen  von  127,  34  werden  mit  ausschluss  von  str.  3  unter 
zwei  verschiedene  lieder  verteilt  und  zwar  so,  dass  2  u.  4  und 
1  u.  5  je  ein  lied  bilden  ('kann  ein  dichter  innerhalb  desselben 
liedes  2  nach  1  oder  etwa  1  nach  2  verfasst  haben?  ich  halte 
das  für  unmöglich;  dagegen  liegt  es  nahe  1  u.  2  als  einleilungs- 
strophen  zweier  lieder  des  gleichen  tones  anzusehen'  s.  41.  'durch 
3  vollzieht  sich  kein  gedankenfortschriit'.  'gradezu  komisch  wirkt 
es,  wenn  in  23  noch  die  Versicherung  folgt,   dass  der  dichtende 


304  SCHÜTZE     HEINRICH  VON  MORUNGEN 

es  ernst  mit  seinen  klagen  meine'  s.  42).  von  131,  25  werden 
die  vier  ersten  Strophen  abgeschnitten  (Widersprüche,  stilistische 
mängel,  diabetische  abweichungen  s.  74  ff),  so  dass  die  letzte  Strophe 
als  einsames  fragment  zurückbleibt,  in  136,  1  wird  136,  9  wegen 
angeblicher  Widersprüche  und  Unklarheiten  als  unecht  ausgestofsen 
und  in  138,  17  die  beiden  mittleren  Strophen,  weil  str.  5  un- 
mittelbar auf  2  folgen  muss  ('besonders  trivial  sind  die  vv. :  ich 
wcBne,  si  ist  ein  Venus  here'  usw.  s.  40).  in  dieser  weise  fallen 
Sch.s  kritischem  messer  noch  die  str.  130,  20 — 30;  130,  31  bis 
131,24;  138,3—9;  140,18—31;  141,15—25;  141,  37  bis 
142,  18;  143,  4 — 21  zum  Opfer,  aufserdem  streicht  er  die  schon 
von  Lachmann  angezweifelten  Strophen. 

Wie  sich  die  jetzige  von  seinem  standpunete  aus  so  höchst 
wunderliche  Überlieferung  krystallisiert  hat,  macht  ihm  wenig 
sorgen,  dass  sie  nicht  ganz  so  schlecht  ist,  wie  er  meint,  dafür 
glaube  ich  in  meiner  Neidhartbiographie  einen  kleinen  anhält 
geliefert  zu  haben,  so  unterliegt  es  für  mich  kaum  einem  zweifei, 
dass  zb.  die  lieder  136,  1  und  140,  11,  die  Seh.  zerpflückt,  Neid- 
hart als  Morungensche  lieder  mit  demselben  stropheubestande  ge- 
kannt hat,  wie  sie  die  Überlieferung  bietet. 

Die  arbeit  Sch.s  stammt  aus  derselben  (Greifswalder)  schule, 
aus  der  die  ähnliche  Puschmanus  über  Neidhart  hervorgegangen 
ist.  finden  die  dort  gepflegten  kritischen  grundsätze  weitere  Ver- 
breitung, so  wird  unsere  mhd.  lyrik  bald  einem  grofsen  Scherben- 
haufen gleichen,  in  dem  jeder  nach  belieben  herumwühlen  kann. 
Berlin.  Alrert  Bielschowsky. 


Der  Bei  Inconnu  des  Renaud  de  Beaujeu  in  seinem  Verhältnis  zum  Lybeaus 
Disconus,  Carduino  und  Wigalois.  eine  litterarisch-historische  Studie 
von  Albert  Mennung.  Hall.  diss.  Halle  a.  S.,  MKandler  1890.  67  ss. 
8°.  —  1,50.* 

Diese  arbeit  beschäftigt  sich  mit  denselben  fragen,  die  ich 
in  meiner  1881  veröffentlichten  Untersuchung  über  Wirnt  von 
Gravenberg  behandelt  habe,  zu  einer  neuen,  das  gesamte  material 
berücksichtigenden  bearbeitung  lag  umsomehr  veranlassung  vor, 
als  einerseits  das  italienische  gedieht  von  mir  noch  nicht  berück- 
sichtigt werden  konnte  und  anderseits  meine  ohne  weitere  be- 
gründung  unter  dem  unmittelbaren  eindruck  der  lectüre  als  selbst- 
verständlich aufgestellte  behauptung,  dass  der  englische  dichter 
aus  Renaud  geschöpft  habe,  starken  Widerspruch  erfahren  hat.  — 
Mennung  behandelt  im  1  cap.  mit  ermüdender  Weitschweifigkeit 
das  französische  gedieht,  ohne  irgend  welche  neuen  ergebnisse, 
sondern  indem  er  einfach  die  von  mir  gefundenen,  von  Kirchrath 
vermehrten  daten    für   die  beurteilung   des  Werkes  widerholt,    in 

*  [vgl.  Littbl.  f.  germ.  u.  rom.  philol.  1891  nr  3  (MKaluza).  —  Romania 
20,  297  ff  (GParis).] 


ME.VM'NG     RENAUDS  HEL  I.NCO.VNU  305 

einer  form  freilich,  als  habe  er  die  meisten  derselben  selbst  ge- 
funden ,  gegen  welches  illoyale  verfahren  im  interesse  der  wissen- 
schaftlichen ehrlichkeit  einspruch  erhoben  werden  muss.  wie 
oberflächlich  M.  verfährt,  zeigt  ein  starkes  versehen :  die  von  mir 
beigebrachte  notiz  aus  Gordon  de  Percel  (De  l'usage  des  romans  etc. 
2  voll.  Amsterdam  1734),  dem  eine  handschrift  eines  gedichtes  über 
Giglain  bekannt  war,  misversteht  er  dahin,  dass  jenem  4  hss.  be- 
kannt gewesen  seien;  'en  4  manuscril'  (nicht  manuscrits!)  be- 
zeichnet natürlich  das  format  der  handschrift.  offenbar  hat  M.  das 
in  Vergessenheit  geratene  werk,  das  er  citiert,  als  hätte  er  diese 
entlegene  notiz  entdeckt,  gar  nicht  in  der  hand  gehabt,  wenn 
M.  die  litterarhistorische  bedeutung  des  französischen  werkes  darin 
findet,  dass  es  die  älteste  schriftliche  bearbeitung  des  beliebten 
sagenmotives  von  der  in  eine  schlänge  verwandelten  königstochter, 
die  durch  einen  kuss  ihre  menschengestalt  zurückgewinnt,  dar- 
stellt, so  übersieht  er  den  von  mir  gegebenen  hinweis  auf  Ulrich 
von  Zatzikhoven,  der  in  seinem  Lanzelet  dasselbe  motiv  behandelt 
hat;  Ulrichs  quelle  könnte  doch  recht  wol  für  diese  episode  auch 
die  quelle  Renauds  geweseu  sein,  dessen  'Schöner  unbekannter' 
ja  nichts  weiter  als  eine  compilation  ganz  verschiedener  sagen- 
elemeute  ist. 

Im  2  cap.  wird  das  englische  gedieht  im  anschluss  an  Köl- 
bing,  Stengel  und  GParis  behandelt;  es  soll  nicht  aus  Renaud, 
sondern  aus  dessen  quelle  (u)  geflossen  sein,  inzwischen  wird 
M.  wol  die  treffliche  ausgäbe  des  en^l.  gedichtes  von  Kaluza  (in 
Kölbings  Altengl.  bibl.  v,  Leipzig  1S90)  bekannt  geworden  sein 
und  er  aus  dessen  eingehnder  begründung  (s.  cxxxuff  und  s.  129 ff) 
sich  von  der  irrtümlichkeit  seiner  meinung  überzeugt  haben;  viel- 
mehr hat  sich  meine  so  heftig  angegriffene  behauptung  als  /.wei- 
fellos richtig  erwiesen:  der  englische  bäukelsänger  (ich  brauche 
diesen  ausdruck  trotz  Kaluzas  tadeil)  hat  aus  Renaud  geschöpft; 
damit  fällt  die  erträumte  bearbeitung  u   fort. 

Das  3  cap.  —  das  einzige,  das  ein  wenig  eigene  geistige 
arbeit  verrät  —  ist  dem  italienischen  gedichte  gewidmet,  obwol 
ich  einige  der  nachprüfung  werte  gedanken  bereitwillig  anerkenne, 
kann  ich  doch  der  meinung  nicht  zustimmen,  dass  der  Carduino 
auf  einer  vor  Renaud  liegenden  bearbeitung  i.  beruhe,  die  zu- 
gleich auch  die  quelle  von  u,  der  angeblichen  quelle  des  Renaud- 
schen  und  des  englischen  gedichtes,  sein  soll,  ich  glaube,  Bf.  gehl 
im  anschluss  au  GParis  ua.  irre  mit  der  Voraussetzung,  dass  der 
von  Renaud  bearbeitete  Stoff  aus  einer  altnationalen  sa^e  her- 
stamme, die  schon  vor  Renaud  in  einer  oder  mehreren  Bearbei- 
tungen vorlag;  das  werk  Renauds  zei^t  vielmehr  durchaus  \\v\\ 
character  einer  mosaikarbeit,  die  aus  allerlei,  aus  verschiedenen 
quellen  —  der  französischen  feensage,  ^\rv  schlangensage ,  dem 
Erec,  vielleicht  auch  dem  Perceval  —  entlehnten  elementen  von 
Renaud  geschickt  zusammengesetzt  ist.     an  dieser  von  mir  1881 


306  NENNUNG  RENAUTS  BEL  INCONNÜ 

eingehend  begründeten  anschauung  muss  ich  auch  heute  noch 
festhalten,  bis  beweiskräftigere  gründe  gegen  sie  geltend  gemacht 
werden,  die  vielfachen  abweichungen  des  Carduino  von  dem 
Renaudscheu  gedichte  sind  m.  e.  nicht  derartig,  dass  die  an- 
nähme, der  italienische  dichter  (wahrscheinlich  Pucci:  A  d'Ancona, 
Propugnat.  n  2  p.  407)  habe  mit  freiheit,  willkür  und  flüchtigkeit 
aus  Renaud  geschöpft,  ausgeschlossen  würde,  ganz  spruchreif 
freilich  erscheint  mir  die  frage  noch  nicht;  mit  nutzen  aber  wird 
sie  sich  erst  behandeln  lassen ,  wenn  das  gedieht  Renauds  in 
einer  zuverlässigen  ausgäbe  vorliegt;  möchte  uns  WFörster  nicht 
mehr  allzu  lange  auf  eine  solche  warten  lassen,  wenn  M.  gewicht 
darauf  legt,  dass  die  bezeichnung  'Schöner  unbekannter'  im  ita- 
lienischen gedieht  nicht  erscheint,  so  möchte  ich  auf  cant.  n  str.  2 
hinweisen,  wo  Artus  den  jungen  neiden  zum  bestehn  des  aben- 
teuers  mit  folgenden  worten  auffordert: 

Nella  buon'  ora, 

Tu  se'  hello  uomo,  or  mostra  tuo  valore: 
I'  vo'  che  tue  vi  vadi  per  mio  amore. 
die  bezeichnung  'hello'   erscheint   ohne  alle  begründung    und  im 
zusammenhange  höchst  seltsam ;  sollte  sie  nicht  am  ende  ein  leiser 
nachhall  der  Renaudschen  benennung  sein? 

Am  schwächsten  ist  in  der  M.schen  dissertation  das  vierte, 
dem  Wigalois  gewidmete  capitel;  auf  dem  gebiete  der  mhd.  litte- 
ratur  ist  M.  offenbar  so  gut  wie  ganz  unbewandert,  er  kehrt 
zu  der  von  mir  —  ich  hoffte,  endgiltig  —  abgetanen  meinung 
von  Mebes  zurück,  dass  Wirnt  einzelne  zusammenhangslose  biälter 
einer  handschrift  des  Renaudschen  gedichts  zur  band  gehabt  habe 
und  für  die  lücken  auf  die  erzählung  des  knappen  angewiesen 
gewesen  sei.  diese  Verkehrtheit,  die  durch  die  seichte  begründung 
M.s  nicht  gerade  gereckt  wird,  hier  zu  widerlegen,  habe  ich  vor 
sachkundigen  lesern  nicht  nötig;  ich  müste  zu  dem  zwecke  die 
gröfsere  hälfte  meines  buches  abschreiben;  auch  in  den  am 
meisten  übereinstimmenden  partien  Wirnts  und  Renauds  sind 
starke  abweichungen,  die  sich  nur  aus  der  trübung  erklären, 
welche  der  stoff  im  munde  des  gewährsmannes  Wirnts  erfahren 
hatte,  zugeben  allerdings  hätte  ich  sollen,  dass  eine  stelle  bei 
Wirnt  (1928  ff)  annähernd  wörtlich  mit  der  entsprechenden  bei 
Renaud  (2487  ff)  übereinstimmt,  wenn  sich  auch  noch  einige 
derartige  stellen  finden  sollten,  so  widerspricht  dieser  Sachverhalt 
doch  keineswegs  der  durch  eine  genaue  Untersuchung  durchaus 
bestätigten,  sehr  entschiedenen  angäbe  Wirnts,  dass  einzig  und 
allein  die  erzählung  des  knappen  die  stoffliche  grundlage  seines 
werkes  bildet;  denn  warum  sollte  der  knappe  nicht  die  eine  oder 
andere  stelle  Renauds  wörtlich  behalten  und  in  seine  erzählung 
eingeflochten  haben?  — 

Als  speeimen  eruditionis  betrachtet,  kann  die  M.sche  disser- 
tation wol  genügend  genannt  werden;    dass  M.    aber  eigene  ge- 


MENNUNG     REINAUDS  BEL  ItVCONNU  307 

danken  habe  und  im  stände  sei,  durch  methodische  Untersuchung 
zu  selbständigen  resultaten  zu  gelangen,  dafür  liefert  diese  arbeit 
keinen  beweis,  auch  stilistisch  ist  sie  sehr  unvollkommen;  M. 
kennt  zb.  ein  deutsches  adjectiv  'diesbezüglich';  kann  ferner  ein 
fachgenosse  mir  verraten,  wie  'poesievolle  prosa,  nachdem  sie 
das gewand  des  reimes  angelegt',  aussieht?  besonders  unan- 
genehm aber  berührt  die  endlose  Weitschweifigkeit,  in  der  die 
trivialste  gedankenarmut  vorgetragen  wird;  wozu  sollen  zb.  die 
ausführlichen  Inhaltsangaben  des  franz.,  engl.,  ital.  und  deutschen 
gedichtes?  M.  wird  sich  in  jeder  beziehung  sehr  vervollkommnen 
müssen,  wenn  die  in  aussieht  gestellte  Untersuchung  über  die 
quellen  Tassos  eine  förderung  der  Wissenschaft  sein  soll;  diese 
dissertation  kann  nicht  dafür  gelten. 

Berlin,  imjunil891.  Richard  Bethge. 


Böhmens  anteil  an  der  deutschen  litteratur  des  xvi  Jahrhunderts  von  R^Yolkan. 
iteil:  bibliographie.  Prag,  AHaase,  1890.  vm  u.  136  ss.  lex.  8°.  —  4  m.* 

Der  Verfasser,  kein  neuling  auf  diesem  gebiete,  legt  uns  hier 
den  1  teil  eines  grösseren  Werkes  vor,  welches  den  anteil  Deutsch- 
böhmens an  der  deutschen  litteratur  des  xvi  jhs.  auf  grund  um- 
fassender und  gründlicher  Studien  feststellen  soll,  er  will  damit 
die  Unwahrheit  jener  behauptung  dartun,  welche  'von  gewisser 
seite  oft  und  mit  sichtlicher  Vorliebe  ausgesprochen  worden,  dass 
ein  eigenes  geistiges  leben  der  Deutschen  in  Böhmen  in  der  zeit 
nach  den  Husitenkriegen  vor  der  schlacht  am  weifsen  berge  sich 
nicht  nachweisen  lasse'. 

Der  1  teil  liefert  die  bibliographie,  teil  2  soll  texte,  teil  3 
eine  darstellung  des  geistigen  lebens  Deutschhöhmens  im  16  jh. 
bringen,  die  bibliographie  ist  sorgfältig  augelegt,  das  material 
—  lücken  wird  man  ihm  schwerlich  nachweisen  —  reichlich,  ja 
überreichlich.  W.  hat  seine  aufgäbe  innerhalb  der  grenzen,  welche 
er  sich  gezogen  hat,  unzweifelhaft  gelöst,  eine  andere  frage  aber 
ist  es,  ob  diese  grenzen  mit  rücksicht  auf  den  zu  erreichenden 
zweck  richtig  gezogen  sind,  principiell  erscheinen  die  lateini- 
schen werke  der  periode,  sowie  alle  Schriften  jener  Deutschböhmen 
ausgeschlossen ,  die  ihren  würkungskreis  später  fern  von  der 
heimat  gefunden  haben,  nun  scheint  mir  das  bestreben,  trotz 
dieser  beschränkungen  ein  möglichst  reichhaltiges  material  zu- 
sammenzubringen, W.  verführt  zu  haben,  namentlich  für  die 
sterileren  jähre  der  ersten  decennien  manches  in  die  bibliographie 
aufzunehmen,  was  sonst  schwerlich  in  einer  litteraturgeschichte 
platz  fände;  anderseits  fehlt  in  der  bibliographie  mancher  Dame, 

*  [vgl.  Zs.  f.  üstr.  gymn.  1891,  s.  50  fl"  (AHauffen).] 


308  WOLKAN     BÖHMENS  ANTEIL  AN  DEUTSCHER  LITT.   1 

der  für  das  geistige  leben  jener  zeit  entschieden  von  bedeulung 
ist.  hätte  W.  in  bezug  auf  den  litterarischen  wert  des  in 
die  bibliographie  aufzunehmenden  strengere  principieu  aufgestellt, 
dafür  aber  auch  aus  der  lateinischen  litteratur  das  bedeutsame 
herbeigezogen  und  auch  jene  Deutschböhmen  berücksichtigt,  die 
nachweislich  ihre  bildung  der  engeren  heimat  verdanken  und 
auch  nachträglich  in  der  ferne  die  Verbindung  mit  der  heimat 
festhielten,  so  würde  schon  die  bibliographie  ein  deutlicheres 
bild  jener  zeit  darbieten,  allerdings  läge  in  diesem  falle  gerade 
für  ein  bibliographisches  unternehmen  die  gefahr  nahe,  dass  die 
grenzen  in  Verwirrung  geraten,  keinesfalls  aber  sollte  das  hier 
vermisste  in  der  eigentlichen  darstellung,  welche  der  3  teil  ver- 
spricht, fehlen,  denn  es  scheint  mir  für  jenen  landstrich  in 
jener  zeit  geradezu  characteristisch ,  dass  er  mehr  producierte,  als 
er  selbst  aufbrauchte. 

Allzurege  ist  das  geistige  leben  jener  zeit  nicht,  niemand 
wird  sich  durch  die  400  nummern,  die  W.  zählt,  täuschen  lassen, 
und  bedeutung  vollends  erhält  es  nur,  wenn  wir  die  engen  be- 
ziehungen  im  äuge  halten,  die  jene  landstriche  mit  dem  benachbarten 
Sachsen  und  speciell  mit  Luthers  kreise  verbinden,  so  führen 
uns  die  meisten  namen  nach  Joachimsthal  in  die  Umgebung  des 
gemütvollen  Lutherbiographen  Mathesius.  diesem  allein  ist  ein 
drittel  der  gesamten  bibliographie  gewidmet,  aber  wie  viele  für 
jene  merkwürdige  zeit  characteristische  leute  hat  nicht  Joachimsthal 
und  die  dortige  schule  an  das  ausländ  abgeliefert?  ich  erinnere 
an  namen,  wie  den  des  Wittenberger  humanisten  Job..  Major, 
des  lutherischen  predigers  Gabriel  Didymus,  Michael  Neanders, 
Ph.  Praetorius  ua.  ich  erinnere  an  Caspar  Bruschius,  der  stets 
mit  inniger  liebe  au  dem  schönen  Egerlande  hieng,  an  Auro- 
gallus  (in  Kommotau  geboren),  der  die  beziehungen  zwischen 
Wittenberg  und  Böhmen  vielfach  vermittelt  hat.  dass  der  drama- 
tiker  Job..  Krügiuger  noch  später  beziehungen  zu  der  heimat 
unterhielt,  beweist  seine  'Tabula  von  Böhmen....'  Prag  1568 
(Goedeke  Grundr.  n2  361).  dagegen  hat  ein  anderer  dramatiker, 
Clemens  Stephani  von  Buchau,  den  Goedeke  unter  die  bairischen 
dramatiker  einreihte,  hier  richtiger  seinen  platz  gefunden. 

Ob  die  zum  teil  recht  umfangreichen  auszöge  aus  den  vor- 
reden überall  nötig  und  zweckdienlich  sind,  will  ich  nicht  ent- 
scheiden, aber  wenn  W.  sich  in  der  einleitung  gegen  die  auf- 
stellungeu  derjenigen  verwahrt,  die  dem  geistigen  leben  Böhmens 
in  jener  zeit  alle  bedeutung  absprechen  wollen,  so  hätte  er 
alles  vermeiden  sollen ,  was  ihm  den  Vorwurf  zuziehen  könnte, 
dass  er  im  gegensatze  zu  ihnen  den  Stoff  übermäfsig  habe  an- 
schwellen wollen. 

Znaim,  im  juli  1891.  Franz  Spengler. 


0DINGA     DEUTSCHES  KIRCHENLIED  DER  SCHWEIZ  309 

Das  deutsche  Kirchenlied  der  Schweiz  im  reformationszeitalter.  von  dr  Theodor 
Odinga.    Frauenfeld,  JHuber,  1889.   iv  und  139  ss.  8°.  —  2  m. 

Das  kirchenlied  der  deutscheu  reformierten  Schweiz  hat  seit 
Wackernagels  grundlegenden  werken  aufser  mehreren  eiuzelunter- 
suchungen  1876  bereits  eine  zusammenfassende  darstelluug  durch 
H Weber  erfahren,  von  dessen  buche  unterscheidet  sich  die  vor- 
liegende arbeit  hauptsächlich  dadurch,  dass  0.  auf  die  Vorfüh- 
rung der  einzelnen  dichterpersönlichkeiten  das  hauptgewicht  ge- 
legt hat. 

Das  buch  beginnt  mit  einer  besprechung  des  kirchenliedes 
vor  der  reformation  (s.  1 — 6),  und  es  folgen  sodann  (s.  7 — 28) 
im  rahmen  des  themas  die  capitel  'die  geschichte  des  kirchen- 
gesanges'  und  'die  schweizerischen  gesangbücher  der  reformations- 
zeit' ;  diese  abschnitte  bieten  nichts  neues  und  sind  fast  satz  für 
satz  mit  allen  irrtümern  und  selbst  druckfehlem  (zb.  s.  21:  W.  B. 
'123'  statt  113)  den  auf  s.  iv  citierteu  gewährsmännern  entnom- 
men, meist  mit  wörtlicher  Übereinstimmung. 

Der  hauptteil  des  buches  (s.  28 — 108)  behandelt  die  innere 
geschichte  des  kirchenliedes.  0.  beschränkt  sich  hier  auf  die 
lieder,  deren  dichter  bekannt  sind;  die  übrigen,  auch  wenn  ihr 
schweizerischer  Ursprung  sicher  ist,  werden  nicht  besprochen, 
der  begriff  des  kirchenliedes  ist  im  weitesten  sinne  gefasst,  auch 
solche  geistliche  lieder,  die  nie  eingang  in  die  kirchengesaug- 
bücher  gefunden  haben,  hat  0.  in  den  kreis  seiner  betrachtuug 
gezogen.  0.  hat  das  verdienst,  in  diesem  abschnitte  die  Ver- 
fasser von  kirchenliedern,  die  als  Schweizer  uachweishar  sind, 
vollständig  zusammengestellt  zu  haben,  die  reformierten  unter 
ihnen  sind  in  zwei  abschnilten  behandelt,  deren  zeitliche  Schei- 
dung passend  das  jähr  1540  bildet,  in  welchem  das  wichtige 
Zwicksche  gesangbuch  erschien;  innerhalb  der  abschnitte  heischt 
geographische  Ordnung,  von  jedem  dichter  werden  die  haupt- 
daten  aus  seinem  leben  angegeben ,  seine  lieder  werden  mit  be- 
merkungen  über  ihre  Verbreitung  in  den  altern  gesangbüchern 
der  Schweiz  einzelu  aufgezählt,  und  zur  begründuug  eines  Urteils 
über  ihren  wert  sind  meist  proben  ausgehoben,  anerkennens- 
wert sind  manche  einzelnen  bemerkungen ,  so  die  Widerlegung 
Webers  über  die  person  des  Hans  Wirt,  den  0.,  wahrscheinlich 
richtig,  mit  Job.  Hospinianus  idenlificiert;  ferner  erwähne  ich 
als  besser  gelungen  den  artikel  üher  Kolross.  im  allgemeinen 
ist  0.  jedoch  über  die  arbeiten  seiner  Vorgänger  nicht  weit  hinaus- 
gekommen, in  einzelnen  aitikeln  ist  auch  liier  die  anlehuung 
zu  eng;  so  ist  zb.  das,  was  über  Grynaeus  bemerkt  wird,  schon 
von  Higgenbach  und  Weher  mit  ungefähr  denselben  Worten  ge- 
sagt, wegen  der  Vermutung  über  den  deutschen  namen  des  Gr., 
des  einzigen  Zusatzes,  den  0.  seihst  macht,  hätte  er  sich  aus 
dessen  lebensbescbreihung,  wie  sie  zb.  aus  M.  Adami  Vitae  theo- 
logorum  vor  der  ausgäbe  von  Grynaei  Epistolae  familiäres  (1715) 


310  ODINGA     DEUTSCHES  KIRCHENLIED  DER  SCHWEIZ 

widergedruckt  ist,  gewisheit  holen  können,  viel  lebensvoller  wäre 
das  bild  des  mauues  geworden,  wenn  der  leser  erführe,  dass 
Gryuaeus  mit  Stucki  und  Gualther  in  enger  freundschaft  stand, 
dass  Hospinian  sein  lehrer  und  Egli  sein  schüler  war:  es  ist 
aber  über  seine  persönlichen  beziehungen  gar  nichts  erwähnt, 
die  lieder  des  Ambrosius  Blaurer  sind  wegen  ihrer  grofsen  zahl 
nicht  einzeln  verzeichnet;  0.  sagt  nur,  sie  seien  teils  bei  Wacker- 
nagel, teils  in  Presseis  biographie  gedruckt;  es  wäre  aber  wol 
der  Untersuchung  wert  gewesen ,  welche  der  bei  Presse!  ge- 
druckten lieder  dem  reformator  würklich  gehören;  jedesfalls  ist 
nicht  von  ihm  das  lied  'Ich  armer  sünder'  (s.  611),  es  wird  von 
0.  selbst  PSchär  zugeschrieben;  dass  es  in  'einem  Winterthurer 
manuscripte,  lieder  und  predigten  ABlaurers  und  Zwicks  ent- 
haltend' vorkommt,  deutet  vielleicht  darauf  hin,  dass  Schär,  über 
dessen  leben  man  bisher  nichts  weifs,  beziehungen  zu  den  Con- 
stanzer  reformatoren  hatte.  —  von  Joh.  Kessler  hätte  sein  dank- 
psalm  bei  der  geburt  seines  sohnes  Josua  (Sabbata  n  123)  er- 
wähnuog  verdient.  —  genannt  sind  auch  einige  dichter,  von  denen 
nur  vermutet  wird,  dass  sie  Schweizer  sind;  ich  vermisse  unter 
ihnen  nur  SWeingartner  (Goed.  n  198). 

S.  83  — 100  werden  die  lieder  der  schweizerischen 
wider  tauf  er  behandelt,  leider  ist  für  diese  darstellung  die  vor- 
zügliche publication  von  JBeck,  Die  geschichtsbücher  der  wider- 
täufer,  iu  den  Fontes  rerum  Austriacarum  n  bd43  unberücksichtigt 
geblieben,  es  finden  sich  in  Becks  anmerkungen  wertvolle  nach- 
weisungen  von  widertäuferliedern;  so  ist  zb.  das  lied,  welches 
0.  s.  97  als  verschollen  anführt,  dort  s.  281  belegt.  —  Ludwig 
Hätzer  schreibt  der  verf.  noch  2  lieder  zu,  aufser  den  dreien, 
welche  Wackernagel  unter  seinem  namen  bietet,  allein  so  ver- 
führerisch es  auch  ist,  diese  beiden  mit  Hätzers  Wahlspruch  ver- 
sehenen lieder  für  sein  eigentum  zu  erklären ,  so  steht  dem  doch 
das  zeugnis  der  widertäuferchronik  entgegen,  die  von  nur  4  lie- 
dern  Hätzers  spricht;  nach  JBecks  ermittelungen  (s.  33)  ist  aber 
das  vierte  lied  keins  von  diesen  beiden,  jedesfalls  ist  der  Ur- 
sprung der  beiden  von  0.  erwähnten  lieder  im  kreise  von  wider- 
täufern  zu  suchen,  die  Hätzer  nahe  standen  und  in  erinnerung 
an  ihn  das  motto  wählten;  übrigens  kehrt  der  spruch  in  jenen 
Zeiten  häufiger  wider,  auch  in  andern  kreisen,  so  in  Kesslers 
Sabbata  (i  85  Götzinger).  —  Otmar  Bot  ist  durchaus  nicht  ganz 
unbekannt,  von  ihm  berichtet  JKessler  (Sabbata  i  217  Götzinger), 
dass  er  sich  im  jähre  1524  an  einem  bildersturm  beteiligt  habe, 
danach  ist  also  sicher,  dass  die  katholische  fassung  des  liedes 
nicht  von  ihm  herrührt,  sondern  er  nur  der  Überarbeiter  ist.  — 
die  abkürzungen  H.B.  und  M.S.  bezeichnen  nach  Beck  Hans  Betz 
und  Michel  Schneider;  beide  gehören  zu  den  'Schweizer  brüdern', 
deren  lieder  der  zweite  teil  des  'ausbund'  ausschliefslich  enthält; 
aber  ihrer  abstammung  nach  waren  beide  nicht  Schweizer,    eben- 


ODINGA     DEUTSCHES  KIRCHENLIED  DER  SCHWEIZ  311 

sowenig  ist  Michel  Sattler  ein  Schweizer;  übrigens  teilt  von  ihm 
Wackernagel  in  405  ein  lied  mit;  bei  dem  m  520  (nicht  521)  ge- 
druckten bezweifelt  er  seine  autorschaft.  Hensleiu  von  Bi- 
lach  ist  gewis  ein  Schweizer,  Bülach  war  ja  ein  hauptort  der 
widertäufer;  ein  Hans  Nespler  von  Bülach  begegnet  bei  EEgli  Die 
Züricher  widertäufer  s.  88,  doch  ist  nicht  zu  erweisen,  ob  er  der 
dichter  ist. 

Eine  sehr  erwünschte  beigäbe  ist  ein  anhang  von  16  num- 
mern;  er  enthält  8  lieder  aus  Schweizer  gesangbüchern,  die  bei 
Wackernagel  fehlen;  die  übrigen  sind  aus  einer  handschrift  und 
mehreren  einzeldrucken  mitgeteilt  (zu  nr  9  fehlt  die  beschreibung 
des  druckes).  das  unvollständige  gedieht  am  schluss  ist  vollständig 
bereits  gedruckt  bei  Liliencron  Die  hist.  Volkslieder ..  iv  (1869) 
s.  39  'von  dem  thüren  helden  H.  Zwinglin';  vgl.  auch  Tobler  Schwei- 
zerische Volkslieder  i  s.  xli;  bei  0.  fehlen  die  ersten  9  Strophen. 

Der  druck  ist  im  ganzen  correct;  zu  verbessern  sind  s.  12 
z.  21:  in  s.  118  (statt  n),  s.  33  z.  19:  parentis  (statt  patris);  un- 
angenehm ist  es,  dass  das  letzte  cital  des  buches:  W.  K.  m  p.  565 
und  566  unrichtig  ist;  da  die  anfange  der  lieder  nicht  gegeben 
sind,  so  ist  es  dem  leser  nicht  möglich,  die  zahlen  zu  verbessern. 
Göttingen,  31  mai  1891.  Karl  Meyer. 


Zur  geschichte  der  freien  verse  in  der  deutschen  dichtung.  von  Klopstock 
bis  Goethe,  von  Adolf  Goldbeck-Loewe.  Kieler  diss.  Kiel,  HFiencke, 
1891  (München,  ABuchholz).     82  ss.  8°.  —  2  m. 

Das  erste,  zweite  und  vierte  capitel  der  vorliegenden  mono- 
graphie  bekräftigen,  soweit  sie  ausschliefslich  von  Klopstock  und 
Goethe  handeln,  unsere  kenntnisse  in  anerkennenswerter  weise, 
dh.  sie  erhärten  durch  beispiele  das,  was  frühere  forscher,  nur 
ihrem  gefühle  folgend,  geahnt  hatten,  das  dritte  capitel  dagegen, 
das  über  Ramler,  Willamov  und  die  geuiezeit  berichtet,  wäre 
besser  fortgeblieben,  wenn  G.-L.  s.46  Klopstock  und  Ramler  darin 
contrastiert,  dass  der  eine  in  seinen  freien  rhythmeu  die  poesie 
der  barden ,  der  andre  die  der  alten  neu  beleben  wollte,  so  ist  es 
selbstverständlich  berechtigt,  solche  gegensätzlichen  bestrebungen 
anzumerken,  nur  darf  man,  was  den  erfolg  anlangt,  keinen  priu- 
cipiellen  gegensatz  daraus  ableiten,  die  beiden  dichter  musten, 
ob  sie  wollten  oder  nicht,  doch  den  gesetzen  ihrer  spräche  folgen 
und  taten  es  auch  trotz  aller  Selbsttäuschung,  die  weiteren  aus- 
führungen  über  Ramler  sind  sehr  mangelhaft  und  unvollständig. 
über  die  entwicklung  der  cantate  und  des  recitativs,  sowie  über 
die  versuche  der  musikalischen  compositiou  freier  rhythmeu  sollte 
niemand  reden,  der  sich  nicht  von  gruud  aus  über  Bletastasio 
unterrichtet  hat. —  bei  der  betrachtuog  der  'dithyrambrn'  Willamovs 


312  GOLDBECK-LÖWE     FREIE  VERSE  V.  KLOPSTOCK   B.  GOETHE 

wird  mit  recht  constatiert,  dass  der  dichter  sowol  in  der  ersten 
wie  in  der  zweiten  aufläge  betreffs  der  form  und  des  inhalts  dieser 
gesänge  sich  sehr  schwankend  verhielt  und  deshalb  von  der  kritik 
getadelt  wurde,  warum  bricht  G.-L.  hier  ab  und  zeigt  nicht  die 
spätere  besserung?  denn  in  der  gesamtausgabe,  die  nach  Wil- 
lamovs  eigener  hinterlassener  augabe  gedruckt  und  deren  anord- 
nung  auch  in  der  Wiener  ausgäbe  von  1793  beibehalten  wurde, 
sind  die  gedichte  mit  voller  consequenz  eingeteilt  in  enkomieu, 
dithyramben  und  odeu.  und  die  zweite  gruppe  euthält  nur  ge- 
sänge  in  allerfreiester  form,  die  sämtlich  dem  preise  des  Bacchus 
und  seiner  gaben  geweiht  sind.  —  auf  die  cursorische  betrach- 
tung  der  geniezeit  legt  G.-L.  wol  selbst  nicht  allzuviel  wert,  sie 
ist  lückenhaft;  aber  das  wörtchen  'zur'  im  titel  der  abhandlung 
entwaffnet  jede  kritik,  welche  mehr  fordern  wollte. 

Recht  gut  gelungen  sind  die  abschnitte  über  Klopstock  und 
Goethe  und  die  vergleichung  beider  dichter;  und  besonders  zu 
loben ,  nur  noch  nicht  ausgedehnt  genug  ist  der  versuch ,  die 
metrische  form  aus  dem  inhalt  des  gedichts  zu  erklären,  da 
liegen  fruchtverheifsende  keime. 

Durchaus  einverstanden  muss  mau  mit  dem  tadel  sein,  der 
Klopstock  wegen  der  Zerlegung  seiner  freien  rhylhmen  in  vier- 
zeilige  Strophen  trifft;  auch  darf  man  viele  der  ungeschickten 
enjambements  auf  diese  gewaltmafsregel  zurückführen,  nur  hätte 
G.-L.  in  seiner  feindschaft  wider  das  enjambemeut  nicht  gar  so 
summarisch  vorgehn  sollen,  er  sagt  einmal  (s.  16)  ganz  richtig: 
'auch  erhöht  es  die  würkung  des  verses,  wenn  bedeutungsvolle 
Wörter  am  schluss  desselben  stehen.'  hätte  er  diese  seine  eigene 
ansieht  öfter  geltend  gemacht,  so  würden  die  auf  s.  16  f  citierten 
beispiele  sich  nicht  gegen  ihn  selbst  wenden,  in  den  Klopstock- 
schen  versen  (erste  fassung): 

Der  wald  neigt  sich, 
Der  ström  flieht, 

Und  ich  falle  nicht  auf  mein  angestellt? 
verlor  sich  das  'ich'  gänzlich  in  dem  zweisilbigen  auftact.    um  das 
als  gegensatz  bedeutungsvolle  wort  zu  retten,  teilte  Klopstock  die 
Zeilen  später  so  ab: 

Der  wald  neigt  sich,  der  ström  fliehet,  und  ich 
Fälle  nicht  auf  mein  angesicht? 
G.-L.  tadelt  diese  änderung,  ebenso  wie  die  stelle  i  228,  63  f  mit 
unrecht. 

Der  standpunet  des  verf.  ist  durchaus  der  des  modernen  for- 
schers.  sobald  wir  bei  einem  dichter  aus  den  gleichen  bedingungen 
stets  dieselben  folgen  entstehn  sehen,  ist  die  Wissenschaft  berech- 
tigt, hier  ein  gesetz  zu  formulieren,  auch  wenn  der  dichter  sich 
dieser  gesetzlichkeit  gar  nicht  bewust  war  und  in  unklarem  ge- 
fühl  von  fall  zu  fall  gehandelt  hat.  und  anderseits:  es  mag  ein 
dichter  in  dem  glauben  gewesen  sein,  nach  den  sichersten  theorien 


GOLDBECK-LÖWE     FREIE  VERSE  V.  KLOPSTOCK  R.  GOETHE  313 

zu  handeln;  sobald  wir  aber  in  seiner  praxis  diese  tbeorien  nicht 
bestätigt  sehen ,  sind  wir  berechtigt,  sie  zu  leuguen.  diese  be- 
fugnis  moderner  Wissenschaft  nimmt  G.-L.  für  sich  in  anspruch, 
wenn  er  sich  gegen  die  vier-  und  filnfsilbigen  Senkungen  bei 
Klopstock  ablehnend  verhält  und  sie  durch  Vermehrung  der 
hebungen,  die  er  freilich  s.  31  nicht  immer  an  die  richtigen 
stellen  setzt,  beseitigt,  gerade  aber,  weil  hier  die  theorien  Klop- 
stocks  so  unsicher  sind ,  war  strengere  Scheidung  nötig,  die 
fünfsilbigeu  Senkungen  sind  wol  sämtlich  zu  tilgen  trotz  des 
dichters  eigenem  bekenntnis  im  vierten  bände  der  Halleschen  aus- 
gäbe des  Messias  1773  'Vom  gleichen  verse'.  dagegen  kommen 
fälle  von  wahrscheinlicher  viersilbiger  Senkung  vor,  zb.  n  15,  16: 

Welcher  die  Orione, 
ein  vers,  den  man  doch  nur  zweihebig  lesen  wird. 

Übrigens  ist  das  ganze  gebiet  der  Senkungen  in  der  nhd. 
kunstdichtung  so  schlüpfrig  und  schwankend  zugleich,  wie  ein 
schiffsverdeck  im  regen,  hier  geht  jeder  forscher  unsicher,  die 
gewichtigsten  fragen  warten  noch  der  antwort:  gehört  rhyth- 
misch jede  unbetonte  silbe  ohne  weiteres  zur  Senkung?  und 
sind  alle  Senkungssilben,  so  viele  ihrer  auch  beisammen  stehn, 
gleichwertig?  wenn  man  nur  den  stärkeren  nachdruck,  derauf 
den  hebungssilben  liegt,  und  ihr  übergewicht  über  die  minder 
betonten  berücksichtigt,  dann  wird  man  mit  der  üblichen  eintei- 
lung  und  sogar  mit  den  zeichen  -  und  u  auskommen,  aber  so- 
bald mau  die  Zeitdauer  der  silben  in  erwägung  bringt  (uud  hei 
Klopstock  muss  man  das;  der  begriff  'wortzeit',  ein  erbstück  aus 
der  terminologie  der  poetiken  des  17  jhs.,  ist  bei  ihm  kein  in- 
haltsleeres wort),  wird  man  zu  feineren  unterschieden  unter  den 
sogenannten  senkungssilbeu  und  damit  zu  einem  tieferen  einblick 
in  die  verskunst  gelangen,  ein  empfindliches  ohr  kann  zwei  solche 
dreisilbige  Senkungen,  wie  i  201),  122: 

Des  Weisen  Sänger,  und  des  Helden,  Braga, 
und  i  210,  73: 

Wir  duldeten  es  nicht,  und  stäubten  den  Hügel  wegl 
nicht  gleichmäßig  beurteilen,  in  notenschrift,  deren  anweudung 
bei  der  fixierung  metrischer  erscheinungen  nicht  dringend  genug 
befürwortet  werden  kann,  müste  der  unterschied  sofort  zu  tage 
treten,  selbstverständlich  wäre  es  verfehlt,  die  Untersuchung  eines 
so  schwierigen  problems,  wie  es  das  Verhältnis  der  Senkungssilben 
untereinander  ist,  bei  den  freien  rhythmen  Klopstock s  zu  be- 
ginnen, den  ausgangspunct  müsten  einfachere  Verhältnisse  bilden; 
schulen  könnte  sich  das  ohr,  das  auf  die  mannigfalligkeit  unter 
den  minder  betonten  und  unbetonten  silben  im  verse  achten  will, 
zb.  au  Ludwig  Tiecks  behandlung  der  zweisilbigen  Senkungen  im 
fünffüfsigen  Jambus. 

An  manchen  stellen  der  arbeit  G.-L.s  könnte  man  kleine  ein- 
wände oder  zusätze  machen,    dass  in  der  ganzen  zeit  yon  Konrad 
A.  F.  D.  A.    XVII.  21 


314  GOLDBECK-LÖWE     FREIE  VERSE  V.  KLOPSTOCK  B.  GOETHE 

von  Würzburg  bis  Klopstock  ein  fehlen  der  Senkung  zwischen  zwei 
hebungen  und  ein  zweisilbiger  auftact  nicht  zu  constatieren  sei, 
ist  ein  grofser  irrtum;  man  braucht  nur  Hans  Sachs  zu  nennen. 
—  die  darstellung  des  Verhältnisses  von  Klopstock  zu  Breitinger 
(s.  4)  ist  anfechtbar.  —  zu  den  kritiken  über  die  ausgäbe  der 
Klopstockschen  öden  von  1771  wäre  die  im  altonaischen  Gelehrten 
Merkur  von  1772  hinzuzufügen  gewesen,  hier  findet  sich  auch 
von  der  ode  'Dem  unendlichen'  ein  abdruck,  der  bei  Muncker 
i  157  nicht  verzeichnet  ist. 

Der  stil  G.-L.s  leidet  an  einem  weitverbreiteten  übel,  es 
ist  gewis  hübsch,  die  rede  durch  eingefügte  bilder  anschaulicher 
zu  machen,  aber  ein  'rein  äufserlicher  weg'  (s.  6),  ein  'hin  und 
her'  wogender  ström  der  poesie  (s.  40)  und  das  unglücklich  ge- 
wählte architectonische  gleichnis  im  beginn  des  §  19  erhöhen  die 
anschaulichkeit  nicht,  die  zahlreichen  druckfehler  sind  leicht  zu 
verbessern,  das  citat  'Lappenberg  u  255'  (s.  47)  muss  lauten 
'Klamer-Schmidt  u  235'. 

Hamburg.  Albert  Köster. 


Friedrich  Hölderlins  leben,  in  brieten  von  und  an  Hölderlin,  bearbeitet  und 
herausgegeben  von  Carl  C.  T.  Litzmann,  mit  einem  bilde  der  Diotima 
nach  einem  relief  von  Ohmacht.  Berlin,  WHertz,  1890.  x  u.  684  ss. 
gr.  8°.  —  10  m.* 

Für  Hölderlin  hat  die  neuere  litteraturgeschichte  bisher 
blutwenig  getan.  Wilbrandt  zwar  hat  mit  dem  tiefen  blicke,  der 
dem  Kleistbiographen  für  gemütskranke  dichternaturen  zu  geböte 
steht,  die  vordeutungen  der  späteren  geistigen  Umnachtung  in 
leben  und  dichtung  des  von  mütterlicher  hand  früh  verzärtelten 
nachgewiesen  (Riehls  Histor.  taschenbuch  5  folge  i  371  von  1871). 
dann  hat  Scherer  das  traurige  Verhältnis  eines  einzigen  schaffens- 
frohen lustrums  zu  dem  an  schmerzen  überreichen  leben  von  drei- 
uudsiebzig  jähren  mitleidsvoll  hervorgehoben  und  auf  denkargen 
lohn  hingewiesen,  den  jene  fünf  jähre  dafür  boten,  dass  Hölderlin 
im  kämpfe  um  die  idealen  guter  des  lebens  die  brüst  sich  wund 
gerungen  (Vorträge  und  aufsätze  s.  346).  diese  starken  impulse 
haben  wenig  gewürkt;  konnte  doch  Wilbrandts  aufsatz  nach  nun- 
mehr zwanzig  Jahren  noch  wie  ein  neues  buch  in  Bettelheims  Samm- 
lung 'Führende  geister'  (bd  2)  übergehn ,  um  da  mit  einer  Studie 
über  Frilz  Reuter  ein  merkwürdig  paar  zu  bilden,  so  blieb  denn  bis 
vor  kurzem  Hayms  Hölderlincapitel  in  seiner  'Romantischen  schule' 
die  einzige  quellenmäfsige  und  quellenerschöpfende  darstellung 
von  Hölderlins  leben  —  exact  und  eindringlich,  in  allen  wesent- 
lichen puncten  richtige  wege  weisend  und  führend,  belehrend  und 

*  [vgl.  Litt,  centralbl.  1891  nr  12  (C.).] 


LITZMA.NN     HÖLDERLINS  LEBEN  315 

fördernd  auch  für  denjenigen ,  der  Hölderlin  nicht  gerne  im 
rahmen  der  romantischen  schule  erblickt. 

Nicht  in  den  fachkreisen  haben  Haym ,  Wilbrandt,  Scherer 
einen  nachfolger  gefunden;  das  schöne  buch,  das  Wilhelm 
Hertz,  wie  immer  ein  uneigennütziger  mäcen  litterarhistorischer 
bestrebungen  ,  auf  den  Weihnachtstisch  des  Vorjahres  gelegt  hat, 
ist  resultat  der  lebensarbeit  eines  stillen  Hülderlinverehrers.  Carl 
C.  T.  Litzmann,  der  vater  des  Jenenser  professors  und  vor  kurzem 
dankenswerter  spender  trefflicher  bausteine  zu  einer  Geibelbio- 
graphie,  hat  die  freien  stunden  einer  verantwortungsvollen  amts- 
tätigkeit  zur  ergründung  von  H.s  leben  und  schaffen  verwertet, 
biographie  und  briefsammlung  hat  der  greis  soweit  fertigstellen 
können ,  dass  dem  söhne  nach  dem  abieben  des  vaters  nur  cor- 
rectortätigkeit  übrig  blieb,  eine  kritische  ausgäbe  der  Schriften 
H.s  verspricht  prof.  Litzmann  baldigst  aus  den  umfassenden  vor- 
arbeiten des  vaters  zu  liefern,  allerdings  hat  es  auch,  den  reichen 
schätz  neuer  mitteilungen  heben  zu  können,  jener  liebevollen 
Sammeltätigkeit  bedurft,  für  die  der  fachmann  bei  dem  schier 
unabsehbaren  anwachsen  der  litteratur  umsoweniger  zeit  erübrigt, 
als  nur  wenige  bibliotheken  so  exact  katalogisierte  autographen- 
sammlungen  besitzen,  wie  etwa  die  kgl.  öffentliche  bibliothek  zu 
Dresden. 

L.  hat  das  briefmaterial  in  7  capp.  geordnet,  jedem  dieser 
capitel  eine  ausführliche  biographische  einleitung  voran fgesendet. 
ein  achtes  rein  referierendes  capitel  ist  'Geislesnacht,  und  ende' 
überschrieben,  die  Vorbemerkungen  bieten  neben  den  daten  zur 
lebensgeschichte  eingehnde  erörterungen  der  litterarischen  be- 
ziehungen ,  dann  literarhistorische  Untersuchung  und  kritik  der 
dichtungen  H.s;  sie  bilden  die  umfangreichste  und  gründlichste 
der  bisherigen  Hölderlinbiographien,  ersetzen  aber  nur  zum  teil 
den  leider  fehlenden  commentar1.  eine  menge  litterarischer  an- 
spielungen  bleibt  unerörtert.  s.  467  fühlt  sich  beispielsweise 
H.  durch  'einen  kleinen  lustigen  Aufsatz  in  der  allgemeinen  Zei- 
tung über  das  deutsche  Dichterkorps'  zu  einer  längeren  erörterung 
über  das  interesse  der  Deutschen  für  speculative  philosophie  und 
für  politische  lectüre  veranlasst,  gerade  weil  dergleichen  längere 
erörterungen  nicht  oft  widerkehren,  möchte  man  über  ihren  an- 
lass  näheres  wissen,  ich  glaube  jenen  auisalz  in  der  Beilage 
zur  Cottaschen  (jetzigen  Münchner)  allgemeinen  zeitung  vom  17  oo- 
vemher  1798  gefunden  zu  haben,  er  klagt  unter  dem  tilel  'Leipziger 
messkatalog  auf  die  michaelismesse  1798'  über  den  miswachs  der 
deutschen  litteratur;  auf  einen  'maafsbaltigen'  rechnet  er  fünt  kin- 
der  oder  nur  beiherlaufende  trossbubeo;  Schillers  und  Vosseos 
Musenalmanache,  Goethes  Propyläen  mildern  allein  seine  pessi- 
mistischen betrachtungen. —  nicht  einmal  die  anmerkungen  seiner 

1  was  L.  unter  den  text  setzt,  sind  meist  textkritische  notizen ,  die 
vielleicht  besser  dem  briefverzeichnisse  eingefügt  worden  waren. 

21* 


316  LITZMANN     HÖLDERLINS  LEBEN 

Vorgänger,  wie  die  von  Urlichs  zu  H.s  briefen  an  Schiller  hat 
L.  aufgenommen,  die  mühe,  die  selbst  dem  lachmann  aus  dem 
mangel  eines  commentars  erwächst,  ist  umso  bedauernswerter, 
als  das  ohnedies  umfangreiche  buch  durch  einige  energische  striche 
im  text  und  in  der  einleitung,  die  durch  lange  citate  aus  den 
wenige  seiten  später  folgenden  briefen  nutzlos  aufgeschwellt  worden 
ist,  leicht  räum  für  erklärende  anmerkungen  gewonnen  hätte,  und 
wie  soll  der  fernerstehende  die  anspielungen  auf  eine  'vocation' 
Schillers  (s.  262.  266)  verstehn,  wenn  ihm  nicht  über  die  abge- 
lehnte berufung  nach  Tübingen  von  1795  näheres  mitgeteilt  wird? 
mindestens  ein  verweis  auf  die  Cottabriefe  (s.  61  ff.  73)  wäre  am 
platze  gewesen,  dass  L.  befähigt  gewesen  wäre,  die  commen- 
tierung  durchzuführen,  dass  nicht  mangelnde  fachmännische  bil- 
dung  ihn  abgehalten  hat,  beweist  mir  der  strengwissenschaftliche 
character  seiner  älteren  Hölderlinaufsätze  (Archiv  f.  litt.  15,61  und 
VJS  2,  407),  beweisen  insbesondere  die  biographischen  Vorbemer- 
kungen, nur  selten  vermisse  ich  in  ihnen  diese  und  jene  be- 
merkung,  die  sich  der  fachmann  nicht  hätte  entgehn  lassen; 
wenn  L.  von  den  'Aldermanustagen'  des  dichterischen  freund- 
schaftsbundes  Hölderlin -Neuffer-Magenau  redet  (s.  75),  wäre  ein 
hinweis  auf  Klopstocks  'Gelehrtenrepublik'  erwünscht  gewesen, 
für  die  wähl  des  namens  'Diotima'  möchte  ich  in  FSchlegels 
Diotimaaufsatz  von  1795  einen  stärkeren  anslofs  vermuten,  als 
in  einem  pseudonym  der  fürstin  Gallitzin  (s.  316  anm.  1). 

Den  ernst  der  methode,  mit  der  L.  gearbeitet  hat,  beweist 
ein  flüchtiger  blick  in  den  kritischen  apparat  (s.  672  ff),  von 
238  briefen  hat  L.  143  zum  ersten  male  aus  den  hss.  veröffent- 
licht; weitere  39  in  mehr  oder  minder  vollkommuer  form  schon 
früher  publicierte  konnten  mit  der  Urschrift  verglichen  und  cor- 
recter  widergegebeu  werden ;  nur  für  den  kleinen  rest  von  56  briefen 
sind  die  originale  nicht  nachzuweisen  gewesen,  wesentliches  ist 
L.,  soweit  ich  sehe,  nicht  entgangen  '. 

Die  briefsammlung  L.s  ist  im  ganzen  und  grofsen  erfreulich 
und  förderlich;  dennoch  dürfte  selbst  den  fachgelehrten  eine  leise 
ermüdung  heschleichen,  wenn  er  den  starken  band  durcharbeitet, 
des  spannenden,  fesselnden  bietet  das  buch  wenig,  erstlich  hat  H.s 
existenz  immer  in  eng  begrenzten  kreisen  sich  bewegt;  dann  aber 
war  ihm  nicht  vergönnt,  das  erschütternde  seines  lebenskampfes 
in  briefform  ausströmen  zu  lassen;  nur  selten  löst  sich  das 
Siegel,  das  dem  in  sich  gekehrten,  verschwiegenen  menschen  zu- 
meist die  lippen  schliefst,  allein  auch  dann  bleibt  alles  un- 
plastisch; und  das  verschwimmende  und  verschwommene  seiner 
briefe  würkt  nicht  belebend,  sondern  verwirrend  auf  den  leser.  — 

1  dass  der  brief  Hegels  an  Hölderlin  (s.  390  f)  nach  dem  concept  bei 
Rosenkranz,  neuerlich  von  Karl  Hegel  (Briefe  von  und  an  Hegel  [Werke  bd  19], 
Leipzig  1887.  1,23)  abgedruckt  worden  ist,  hat  L.  wol  absichtlich  nicht  er- 
wähnt, da  er  ja  den  brief  selbst  hat  mitteilen  können. 


LITZMANN     HÖLDERLINS  LEBEN  317 

weiter  entspricht  der  Zuwachs,  durch  den  L.s  Sammeleifer  die 
Hölderlinbriefe  bereichert  hat,  au  wert  nicht  seinem  umfange; 
gerade  für  die  interessanten  beziehungen,  für  Schiller,  Hegel, 
Schelling  hat  sich  keine  Vermehrung  der  hriefe  eingestellt,  wie 
denn  überhaupt  für  die  zeit  der  reife  die  neuen  quellen  spär- 
licher geflossen  sind,  die  neu  puhlicierten  lämilienbriefe  an  mutter 
und  Schwester  drehen  sich  meist  um  häusliche  sorgen,  fassen 
das  anziehende  in  kahle  und  knappe  notizen  zusammen;  H.s  be- 
ziehungen zu  Louise  Nast  werden  durch  den  briefwechsel  mit  ihr 
und  ihrem  bruder  illustriert,  litterarisch  wertvoller  sind  die  briefe 
an  Neuffer,  welche  die  bisher  bekannten  an  zahl  erreichen,  einen 
brief  an  Niethammer  (s.  283)  hat  Erich  Schmidt  beigesteuert. 

Wenig  neue  färben  bieten  die  mitteilungeu  L.s,  um  das 
bild  des  für  H.  entscheidendsten  Verhältnisses  zu  Schiller  auszu- 
malen ,  wie  es  Haym  in  den  wichtigsten  puncten  fixiert  hat,  Haym, 
der  H.  zwar  als  seitentrieb  der  romantik  fasst,  dennoch  aber  mit 
feinem  tacte  Schillers  einfluss  auf  seinen  jüngeren  landsmanu  in 
das  rechte  licht  gerückt  hat. 

Schon  der  sechzehnjährige  H.  glaubt  in  den  'Räubern'  das 
ideal  weiblicher  liebe  verkörpert  zu  sehn,  nicht  die  socialen  und 
ethischen  fragen,  die  Schillers  tragödie  aufwirft,  fesseln  ihn. 
'Ach!  wie  manchmal',  schreibt  er  an  deu  freund  Immanuel  Nast 
(s.  25),  'hab  ich  ihm  schon  in  Gedanken  die  Hand  gedrükt ,  wenn 
er  so  seine  Amalie  von  ihrem  Carl  schwärmen  last!  Du  wirst 
denken,  ich  sei  ein  Narr;  aber  ich  iceifs  nicht,  machts  Eigenliebe 
oder  —  oder  —  mir  ists  wohl  bei  dergleichen  Gedanken!'  H.s 
weiches,  an  schonende,  verzärtelnde  weibliche  band  gewohntes 
naturell  verlangt  von  dem  liebenden  weihe  schwärmerische  be- 
wnnderung,  ehe  er  noch  ahnt,  wie  er  sie  verdienen  soll,  frei- 
lich darf,  wer  im  jähre  von  Goethes  Strafsburger  aufenthalt 
zur  weit  gekommen,  wer  in  der  lull  des  'Weilher'  aufgewachsen 
ist,  nicht  belächelt  werden,  wenn  er  sein  erwachendes  liebes- 
empfinden  nicht  frank  und  frei  ausspricht,  sondern  nach  litte- 
rarischen reminiscenzen  sucht;  allein  characteristisch  bleibt  doch, 
dass  H.  die  folie  zu  seinem  liebesieben  nicht  in  den  lebenskräf- 
tigen Schilderungen  der  älteren  stflrmer  und  dränger  sucht,  son- 
dern die  schwächste,  unwahrste,  phantastischste  Beite  der  Räuber 
gut  genug  findet ,  um  sich  an  ihr  zu  begeistern,  solch  über- 
spannter idealismus  lässt  ihn  auch  schärfer  über  Wieland  urleilen, 
als  Schiller  seihst;  neben  die  geläufige  antithese  Klopstock  Wieland 
tritt  ihm  der  gegensatz  Wieland  -  Schiller.  lDu  fragst',  schreibl 
er  den  1s  februar  17s7  an  denselben  Nasl  (s.  30),  'wie  mir  Dein 
Amadis  gefalle  —  ich  sage  —  schlecht,  und  warum'! —  Nicht  weil 
Wieland  ohnehin  nicht  mein  Stekkenpferd  ist,  auch  nicht  —  weil  ich 
gerner  ein  Mährchen  gelesen  hätte,  das  nicht  ton  der  Satyre  unter- 
brochen wird  —  sondern  —  ich  Sags  mit  aller  Bescheidenheit  — 
weil  Dinge  drinn  vorkommen .  die  füi  reizbare  Leute,  wie  ich  hin. 


318  LITZMANN     HÖLDERLINS  LEBEN 

leider!!!  —  nicht  zum  lesen  sind,  o  Bruder!  meinst  Du,  ich  hab 
ihn  über  halb  gelesen.  —  da  dank  ich  Gott,  dass  meine  Fantasie 
noch  unbefleckt  ist,  dass  mir  vor  dem  Dichter,  der  gewis  eine 
Unschuld schaamroth  machen  würde,  ekelt!'  ganz  anders  heimelt  ihn 
'Kabale  und  liehe'  an,  und  auch  in  diesem  drama  vor  allem  die 
weihliche  gestalt  Louisens.  —  sichtlich  beherscht  Schiller  sein 
ganzes  empfindungsieben;  begreiflich,  dass  er  in  Oggersheim  den 
4juni  1787  genug  zu  tun  hat,  an  dem  heiligen  orte  eine  thräne 
im  äuge  zu  bergen  (s.  56). 

Dennoch  verschwindet  Schillers  name  während  der  univer- 
sitätsjahre  (1788 — 1793)  aus  den  briefeu.  dem  freunde  Magenau 
widerkäut  er  zwar  Schillersche  regeln  (s.  98,  vgl.  91);  sonst  aber 
liegen  überhaupt  wenig  litterarische  anspielungen  aus  dieser  zeit 
vor.  vom  grofsen  Jean  Jacques  lässt  er  sich  über  meuschenrecht 
belehren  (s.  139).  gleich  auf  den  'Contrat  social'  folgt  ein  'herr- 
liches Buch',  eine  'Sammlung  altdeutscher  geschienten',  die  L. 
leider  nicht  nachweisen  kann  (s.  151).  ihr  entnimmt  er  neue 
begeisterung  für  Gustav  Adolph,  seine  Griechen  (s.  159),  sein 
Plato  (s.  161)  werden  erwähnt;  ebenso  Kant  (s.  159).    das  ist  alles. 

Auf  Gustav  Adolph  hatte  ihn  Neuffeis  schwager  Gotth.  Stäudiin 
aufmerksam  gemacht;  eben  dieser  einstige  gegner  Schillers  aus 
den  zeiten  der  anthologie  und  des  würtembergischen  repertoriums 
(vgl.  Minor  i  51 8 ff.  585  f)  hat  ihn  bekanntlich  an  Schiller  selbst 
empfohlen  (s.  76).  wie  H.  dann  auf  Schillers  Verwendung  nach 
Waltershausen  als  hofmeister  des  sohnes  Charlottens  von  Kalb 
gekommen  ist,  seine  traurigen  erlebnisse  dort  hat  L.  ausführlich 
dargelegt  (s.  90.  97.  178.  180;  eine  neue  briefnotiz  s.  249).  dass 
H.  in  Waltershausen  einen  aufsatz  über  ästhetische  ideen,  eine 
kritik  von  Piatos  Phädrus  geschrieben  hat,  war  aus  einem  von 
Schwab  mitgeteilten  briefe  an  Neuffer  (s.  241)  bekannt,  den  auf- 
satz hat  L.  nicht  nachweisen  können  (s.  184);  er  sollte  im  sinne 
der  abhandlung  'Über  anmut  und  würde'  noch  einen  schritt  über 
die  Kantsche  grenzlinie  wagen,  den  ersten  eindruck  dieser  Schiller- 
scheu  abhandlung  gibt  ein  neuedierter  brief  an  Neuffer  (s.  218): 
'Ich  erinnere  mich  nicht  etwas  gelesen  zu  haben,  wo  das  beste  aus 
dem  Gedankenreiche  und  dem  Gebiete  der  Empfindung  und  Fantaste 
so  in  Eines  verschmolzen  gewesen  wäre.' 

Erst  nach  Waltershausen,  in  Jena  anfang  november  1794  ist 
H.  mit  Schiller  in  unmittelbaren  verkehr  getreten.  L.  gibt  nach 
dem  auch  früher  bekannten  materiale  die  daten  (s.  187  ff),  sonst 
unbedeutende  neue  notizen  lassen  gesellschaftliche  erfolge  als  con- 
sequenzeu  seiner  Verbindung  mit  Schiller  erscheinen  (s.  261 ;  vgl. 
s.  246.  250).  die  vermittelung  des  'Hyperion'  an  Cotla,  die  auf- 
nähme einzelner  gedichte  H.s  in  die  Hören  und  in  den  Musen- 
almanach (vgl.  insbes.  s.  318  anm.  1)  fällt  in  diese  zeit,  allein  die 
Übersiedelung  nach  Frankfurt  rückt  H.  seinem  gönner  ferner  und 
ferner,     ein    wichtiges    document,    Schillers    brief    an    H.    vom 


LITZMANN'     HÖLDERLINS  LEBEN  319 

28  juli  1797,  scheint  verloren  zu  sein.  Schiller  hat  sich  damals 
von  Goethe  über  H.  referieren  lassen  (s.  304  ff),  nur  eine  ent- 
mutigende absage  auf  die  einladung  zu  einer  geplanten  Zeitschrift 
bedeutet  Schillers  letzter  brief  vom  24  aug.  1799  (s.  516).  seine 
ablehnende  haltung  bat  den  ganzen  plan  scheitern  lassen;  dem  Ver- 
leger Steinkopf  hat  er  nicht  einmal  geantwortet  (Cottabriefe  s.354). 

Noch  1801  wartet  H.  auf  ein  erlösendes  wort  von  Schiller, 
um  endlich  den  2  juni  d.  j.  zum  letzten  male  in  einem  von  AvKeller 
bekannt  gemachteu  briefe  sich  an  ihn  zu  wenden,  auf  ein  knappes 
glaubeusbekenntnis  hin  möge  Schiller  entscheiden,  ob  er  in  Jena 
florieren  solle:  'Sie  werden  nicht  verschmähen,  durch  Ihre  Theil- 
nahme  meinem  Lebensgany  ein  Licht  zu  leihen'  (s.  590).  Schiller  hat 
es  verschmäht  und  fraglos  schwere  schuld  durch  diese  gleich- 
giltigkeit  auf  sich  geladen.  H.s  geistiges  zusammenbrechen  wäre 
bei  tatkräftiger  geistiger  und  materieller  Unterstützung  aufzuhallen 
gewesen. . .  nicht  ohne  rührung  wird  man  L.s  bericht  lesen  (s. 659), 
wie  dem  kranken  beim  namen  Schiller  noch  in  spätester  zeit 
seine  äugen  aufgeleuchtet,  wie  er  daun  gerufen  habe,  'Mein  herr- 
licher Schiller!' 

L.s  ganzes  buch  ist  in  seiner  mafsvollen,  objectiven  haltung, 
obwol  es  die  frage  nicht  erörtert,  ob  H.  zur  romantik  gehöre, 
dennoch  ein  neuer  und  schlagender  beweis  für  den  mangel  jeg- 
licher beziehung  zu  ihr.  schliefslich  bleibt  WSchlegels  recension 
des  Neufferschen  almanachs  (s.  Werke  11,  364  0  mit  ihrem  fein- 
sinnigen urteil  über  H.  das  einzige  Zeugnis,  freilich  hat  WSchlegel 
in  gleicher  weise  einen  Tieck,  gelegentlich  auch  nur  einen  Neu- 
beck entdeckt;  allein  die  kurze  Hölderlinnotiz  hatte  ebeu  gar 
keine  persönlichen  oder  litterarischen  consequenzeu.  WSchlegels 
Dame  erscheint  in  L.s  buche  nur  im  zusammenhange  jener  re- 
cension; der  name  FSchlegels,  Tiecks,  endlich  der  des  geistes- 
verwantesten,  Hardenbergs,  findet  sich  nicht.  Schelling  ist  nicht 
als  philosoph  der  romantik,  sondern  schon  als  Tübinger  stilller 
H.s  freund  geworden,  sein  name  erscheint  zum  erstenmale  im 
Spätherbst  1790  (s.  127);  H.  rechnet  ihn  der  Schwester  gegen- 
über zu  den  'braven  Leuten',  andere  neumitgeleilte  briefe  lassen 
erkennen,  dass  H.  dem  freunde  auf  seinen  neuen  und  oeuernden 
pfaden  nicht  immer  nachgekommen  ist.  1795  bemerkt  H.  gegen 
Niethammer  (s.  284):  'Schelling  ist,  wie  Du  wissen  wirst,  ein  wenig 
abtrünnig  geworden  von  seinen  ersten  Überzeugungen'.  1798  setzt 
er  schon  einige  apologetische  accente  auf,  wenu  er  der  mutier 
gegenüber  sich  wundert,  dass  man  Schelling  nicht  zum  Tübinger 
professor  gemacht  habe:  'Das  Alter  thut  zur  Sache  nichts;  und  da 
sein  Ruhm  jezt  frisch  ist  und  nothwendig  noch  ein  gut  Theil  steigen 
müfste,  wenn  Schelling  durch  grofse  Aufforderungen  getrieben  würde, 
aller  seiner  Kraft  und  Wachsamkeit  aufzubieten,  so  halt'  er  wohl 
der  Universität  nicht  wenig  Ehre  gemacht.  Über  seine  Meinungen 
hob'  ich  selber  manchmal  mich  mit  ihm  gezankt ;   aber  immer  hob' 


320  LITZMANN     HÖLDERLINS  LEBEN 

ich  auch  in  seinen  irrigen  Behauptungen  einen  ungewöhnlich  gründ- 
lichen und  scharfen  Geist  gefunden'  (s.  447).  —  beiläufig  erwähne 
ich  noch,  dass  bemerkenswerte  notizen  über  Schellmgs  lehrtätig- 
keit  in  Jena  in  dem  briefe  eines  ungenannten  an  H.  vom  sept. 
1799  (s.  525f)  durch  L.  uns  geschenkt  werden. 
Wien,  16.  4.  1891.  Oskar  F.  Walzel. 


Lyrik  und  lyriker.  eine  Untersuchung  von  dr  Richard  Maria  Werner.  Ham- 
burg und  Leipzig,  Voss  1890  (Beiträge  zur  ästhetik,  herausgegeben 
von  ThLipps   und   RMWerner  i).    xvi  und  638  ss.    gr.  8°.   —   12  m.* 

Die  lehre  von  der  theopneustie  hat  in  der  ästhetik  sich 
länger  behauptet  als  in  der  theologie.  für  die  ästhetiker  exi- 
stierten die  gedichte  nur  in  ihrer  letzten  und  abschliefsenden 
gestalt,  und  in  dieser  hatte  der  dichter  sie  vom  ersten  bis  zum 
letzten  buchstaben  unter  dem  unmittelbaren  dictat  der  muse  nieder- 
geschrieben, die  Vorgeschichte  des  werkes  ignorierte  mau  nicht 
blofs,  sondern  wehrte  sich  heftig  gegen  jeden  versuch  'den  genius 
vor  gericht  zu  stellen',  ganz  allmählich  entschloss  sich  die  lehre 
von  der  dichtkunst,  den  literarhistorischen  anatomen  einige  opfer 
zur  section  zu  überlassen,  epiker  vor  allem;  aber  die  lyriker 
schützte  noch  immer  ein  Tabu  vor  kritischer  berührung.  auf 
die  dauer  half  das  alles  nichts;  die  exacte  forschung  gedieh 
fröhlich  weiter,  die  anatomie  erzeugte  die  physiologie  und  diese 
die  empirische  psychologie. 

'Physiologie  der  lyrik'  wollte  W.  sein  werk  ursprünglich 
nennen;  eine  ungerechtfertigte  rücksicht  auf  die  titel  Mantegaz- 
zascher  marktläufer  hat  ihn  zu  dem  weniger  passenden  uamen 
bestimmt,  eine  'psychologie  der  lyrik'  hat  schon  du  Prel  1887 
veröffentlicht,  gar  kein  übles  buch;  und  neuerdings  hat  Jacobowski 
sogar  eine  'Physik  der  lyrik'  angekündigt,  man  sieht,  wir  sind 
im  modernsten  fahrwasser. 

Aber  nicht  nur  in  äufserlichkeiten  neigt  sich  VV.  der  natur- 
wissenschaftlichen Strömung  zu.  freilich  in  äufserlichkeiten  mehr 
als  gut  ist.  trotz  aller  Verteidigung  bleibt  die  heranziehung  einer 
physiologischen  abnormität  zur  erklärung  sehr  häufiger  geistiger 
erscheinungen  (s.  477)  unglücklich;  dass  das  von  Goethe  her  uns 
geläufige  bild  vom  krystallisieren  des  Stoffs  durch  die  analogie 
der  gerinnenden  milch  ersetzt  wird  (s.  395),  mag  zeitgemäfs  sein, 
schön  ist  es  nicht;  auch  auf  die  unvermeidlichen  bakterien  hätte 
man  lieber  verzichtet,  doch  lässt  man  sich  solche  kleinigkeiten 
gern  gefallen,  weil  das  gefühl  entschädigt,  sich  hier  würklich 
auf  festem,  methodisch  durchgeprüftem  boden  zu  befinden  und 
von  nebelhaften  speculationen ,  von  willkürlichen  apriorismen  be- 
freit zu  sein,    der  entschiedene  tatsachensinn,  der  das  buch  aus- 

*  [vgl.  Litt,  centr.  1891  nr  22  (Eh.).  —  Beil.  z.  allg.  zeitung  1891  nr  153 
(MCarriere).] 


WERNER     LYRIK    UND    LYRIKER  321 

zeichnet,  ist  das  beste  und  wichtigste,  was  wir  von  unsern 
'exacten'  brüdern  immer  wider  zu  lernen  haben ;  in  der  methode 
haben  die  nachkümmlinge  und  schüler  der  alten  grammatiker  es 
nicht  nötig,   nach  fremden  meistern  auszuschauen. 

Aber  auch  in  diesem  puncte  hat  das  buch  die  fehler  seiner 
Vorzüge,  man  fühlt  sich  überall  eben  deshalb  auf  festem  hoden, 
weil  W.  das  construieren  und  erschliefsen  nur  ungern  zu  hilfe 
nimmt;  fast  durchweg  bedient  er  sich  solchen  materials,  das  für 
den  zu  verfolgenden  process,  die  entstehung  lyrischer  gedichte, 
actenmäfsige  belege  liefert,  nun  liegt  es  aber  in  der  verhältnis- 
mäfsig  improvisatorischen  art  der  lyrik,  dass  die  einzelnen  erit- 
stehungsphasen  weit  seltener  als  bei  epischen  oder  dramatischen 
werken  aufgezeichnet  und  bewahrt  bleiben,  es  sind  daher  nicht 
viele  dichter  in  grösserem  umfange  befragt  worden ,  und  unter 
diesen  nimmt  neben  Unland  und  Geibel  bei  weitem  den  breitesten 
räum  Hebbel  ein.  es  ist  durchaus  verständlich,  dass  W.  sich  in 
dies  aufschlussreichste  untersuchungsobject  schliefslich  beinah  ver- 
liebte, wie  Kerner  in  die  seherin  von  Prevorst;  dass  er,  der 
sonst  —  mit  recht,  meine  ich  —  auf  ein  urteil  den  geprüften  Ge- 
dichten gegenüber  durchaus  nicht  verzichtet,  die  gröslen  Ge- 
schmacklosigkeiten dieser  grofsen  gedankenspinne  sorgfältig  los- 
löst und  vorzeigt,  während  ein  anderer  sie  als  staub  wegfegen 
möchte,  ich  erinnere  nur  an  das  auch  formell  grässliche  epi- 
gramm : 

'Künstler,  nie  mit  Worten,  mit  Thaten  begegne  dem  Feinde ! 

Schleudert  er  Steine  nach  dir,  mache  du  Statuen  d'raus!' 
(s.  351).  man  male  sich  das  bild  doch  nur  aus:  der  feind  wirft 
mit  felsblöcken  (denn  aus  kieselsteinen  ist  doch  keine  statue  zu 
machen)  —  der  künstler  sammelt  sie  ruhig  mit  der  rechten  band 
und  verarbeitet  sie  mit  der  linken,  oder  die  unmögliche  und  gro- 
teske erfindung  des  gekitzelten  leichuams  (s.  385)  oder  der 
'poetische'  gedanke  des  zum  wappen  zu  recht  gehauenen  ritters 
(s.  429).  solche  Urteilslosigkeit  dem  liebliugsmodell  gegenüber  bat 
schlimmere  folgen  als  die  aufuabme  abschreckender  pseudolyrik : 
allzuleicht  wird  der  bestbelegte  Vorgang  zum  typischen  umgedeutet 
und  der  dichterische  process  des  grüblers  und  selbstbeschauers 
zu  aufscblüssen  über  die  grofse  mehrheit  völlig  anders  gearteter 
poeten  benutzt,  und  merkwürdiger  weise  bleib!  W.  völlig  in  die 
zeitlosigkeil  der  alten  ästhetik  gebannt,  soweit  er  sonst  deren 
bodenlosigkeit  hinter  sich  wirft;  es  wird  Hebbels  übermodernes 
verfahren  als  Schlüssel  zur  dichlkunsl  der  fernsten  vorzeil  be- 
nutzt, überwiegend  freilieb  hall  W.  sieb  aueb  in  den  Verall- 
gemeinerungen an  neuere  lyrik;  der  richtige  titel  würde  lauten 
'Physiologie  der  modernen  lyrik',  wie  Bourget  gerade  jetzt  ein 
buch  'Physiologie  der  modernen  liebe'  betitelt  bat. 

Das  werk  beginnt  mit  einem  einleitenden  capitel  über  die 
Stellung  der  lynk  und  die  aufgäbe  ihrer  physiologie.     wird  man 


322  WERKER     LYRIK    UND    LYRIKER 

die  neuen  definitiouen  und  ebenso  zb.  den  salz,  dass  lyrik  eine 
einsame  gattung  sei  (s.  5),  schwerlich  unterschreiben,  so  gehurt 
dafür  der  schluss  des  capitels  zu  dem  besten  und  lehrreichsten, 
was  neuere  poetik  hervorgebracht  hat.  unter  der  Überschrift  'Ein 
classisches  beispiel'  stellt  W.  aus  Hebbels  tagebüchern  alle  ein- 
drücke zusammen,  die  Hebbel  von  Schneeflocken  und  schmelzendem 
eis  empfangen  zu  haben  verzeichnet,  alle  gedanken,  die  er  aus 
diesen  erscheinungen  herausgegrübelt,  alle  gedichte,  die  er  aus 
diesen  gedanken  herausgesponnen  hat.  in  höchst  interessanter 
weise  verfolgt  W.  so  die  mannigfachen  auspräguugeu  einer  und 
derselben  deutung,  die  Hebbel  aus  dem  schmelzenden  schnee  zog: 
das  problem,  welches  Verhältnis  zwischen  dem  individuum  und 
dem  all  besiehe  (s.  59),  liegt  allemal  im  Hintergründe,  und  dies 
6iue  problem  wird  mit  der  einen  naturerscheinung  unter  dem 
druck  verschiedenartiger  umstände,  wozu  auch  die  bereits  ver- 
fassten  gedichte  gehören,  immer  wider  anders  verknüpft,  schliefs- 
lich  verschwindet  das  so  ausgedeutete  ereignis,  dann  auch  das 
problem  aus  dem  gedankenlager  Hebbels.  —  die  ebenso  sorg- 
fältige als  sinnreiche  heobachtung  gibt  in  Wahrheit  ein  classisches 
beispiel  für  die  im  vierten  und  besten  capitel  abgehandelte  'be- 
fruchtuug',  und  sie  gibt  zugleich  für  die  methode  W.s  ein  clas- 
sisches beispiel.  bedenkt  man,  wie  vor  kurzem  Eugen  Wolff  in 
einer  anspruchsvollen  schrift  mit  armen  fündlein  grofs  getan  hat, 
ohne  doch  anderes  zu  stände  zu  bringen  als  den  nicht  eben  neuen 
satz,  wer  poetik  treibe ,  müsse  litteraturkenntnis  besitzen,  so  wird 
man  angesichts  so  gründlicher  litteraturkenntnis,  so  sorgfältiger 
methode  die  bescheidenheit  des  autors  dieses  beitrages  zur  poetik 
doppelt  und  dreifach  anerkennen  müssen,  dabei  fallen  für  die 
characteristik  einzelner  dichter,  wie  Hebbels  selbst  (s.  65),  Rückerts 
(s.7l),  der 'contrastierenden  dichter'  (s.  79),  Hamerlings  (s.  86 — 87) 
beachtenswerte  fingerzeige;  dass  auch  Alfr.  Friedmann  (s.  85)  ci- 
tiert  wird,  überrascht  freilich,  diese  zahlreichen  parallelen  zu 
Hebbels  gedieht  sind  leider  etwas  wirr  geordnet;  sie  schneien 
selbst  fast  wie  ein  Schneegestöber  auf  den  leser  ein. 

Das  zweite  capitel  behandelt  das  'erlebnis',  den  äufseren  Vor- 
gang, der  dem  dichter  durch  directes  oder  indirectes  anschauen 
den  wesentlichen  anstofs  gibt,  auf  diesen  unterschied ,  ob  der 
poet  ein  ereignis  mit  körperlichen  äugen  oder  nur  mit  geistigen 
sinnen  erschaut  habe,  scheint  mir  W.  zu  grofses  gewicht  zu  legen. 
Goethe  hat  die  Schicksale  des  Odysseus  auf  Phaea  sicher  stärker 
miterlebt,  als  zahlreiche  von  ihm  mitgemachte  und  milbesungene 
hoffeste;  für  Freiligrath  war  der  losbruch  der  Schweizer  revo- 
lution  oder  die  erzählung  der  irischen  witwe  ein  innerliches  er- 
lebnis, wenn  sie  ihm  auch  nur  durch  die  Zeitungen  vermittelt 
waren,  und  hätten  Goethe  die  berichte  vom  kriegsschauplatz  ebenso 
stark  interessiert,  wie  Freiligrath,  so  hätte  er  trotz  seiner  be- 
kannten   erklärung    (s.  97)    ebenso   wol    für   diesen    kämpf  lieder 


WERTER     LYRIK    UND    LYRIKER  323 

dichten  können,  wie  er  gediente  gegen  Newton  verfasst  hat.  auch 
sonst  scheint  mir  VV.  über  der  neigung  zu  äufserlich  greifbaren 
unterscheidungsmomenten  oft  psychologisch  wichtigere  kriterien 
zu  vernachlässigen,  das  zeigt  sich  besonders  in  der  rein  äufser- 
lich genommenen  einordnung  bestimmter  gedichte  nach  stand, 
zeit,  gegend  des  dichters.  dass  ein  dichter  in  Steiermark  ein  lied 
auf  die  Maria  von  Zell,  Mickiewicz  dagegen  auf  die  Maria  von 
Czenstochau  dichtet  (s.  135),  ist  doch  wahrlich  für  die  Classi- 
fication jener  gedichte  nicht  von  der  geringsten  bedeutung;  aber 
ob  das  lied  die  Madonna  als  schulzherrin  des  meuschengeschlechts 
oder  als  persönliche  patronin  auffasst,  ob  als  milde  mutter  oder 
als  mächtige  herscherin,  die  tonart  mit  einem  worte  des  liedes, 
ist  von  grofser  bedeutung ,  und  sie  findet  in  W.s  rubrikeu  keinen 
platz,  daher  erhält  denn  auch  die  mit  sichtbarer  liebe  aus- 
gearbeitete tabelle  (s.  138 — 139)  ein  so  seltsam  pedantisches  an- 
sehen, was  sich  bei  den  spätem  tabellen,  s.  188,  s.  246  —  49, 
s.  322  widerholt,  und  wenn  VV.  ausrechnet,  es  ergeben  sich 
256  möglichkeiten  lyrischer  gattuugen  (s.  140),  so  erinnert  das 
bedenklich  an  das  Schema  des  alten  Varro,  wonach  es  280  denk- 
bare philosophien  gab  (Mommsen  Römische  geschichte  3, 604  anm.). 
man  braucht  zu  den  rubriken  'mensch',  'zeit',  'nation',  'stand', 
'gegend'  nur  noch  zb.  die  rubrik  'schule'  zu  fügen ,  um  durch 
die  aufzählung  aristokratisch-revolutionärer  gesellschaftslyrik  gegen- 
über demokratisch-revolutionärer  gesellschaftslyrik  oder  volkstüm- 
lich-erotischer naturlyrik  neben  höfisch-erotischer  naturlyrik  die 
maschen  des  netzes  noch  undurchlässiger  zu  machen;  dann  er- 
hält man  eine  ganz  andere  zahl,  welchen  wert  hat  aber  solche 
rechentafel  überhaupt  und  welchen  wert  halte  es,  könnte  man 
würklich  alle  vorhandenen  lyrischen  gedichte  in  ihr  unterbringen? 
Nebenbei  möchte  ich  bemerken,  dass  W.  gerade  wie  Jaco- 
bowski  in  seinen  interessanten  'Anfängen  der  poesie'  auf  die  all- 
gemein menschlichen  grundtriebe  hunger  und  liebe,  wie  sie  Schiller 
als  die  erhalter  des  weltgetriebes  aufgestellt  hat,  zurückgreift 
(s.  113).  ich  glaube  auch  hier  nicht,  dass  es  gut  ist,  in  ab- 
stracten  dingen  mit  bestimmten  zahlen  zu  operieren,  und  wäre 
es  auch  nur  die  zweizahl,  weshalb  soll  zb.  nicht  der  ehrgeiz 
unter  den  ältesten  motoren  der  poesie  gewesen  sein?  oder  —  wenn 
man  ihn  unter  die  kategorie  'hunger'  aufnehmen  will,  in  die 
dann  aber  ebenso  gut  die  'liebe'  gehört,  wie  WHaabe  im  Huuger- 
pastor  so  schön  symbolisiert  hat  —  warum  nicht  die  einfache  grund- 
lose empfindung  des  wohligen  behagens  schlechtweg,  die  doch 
sogar  den  tieren  freudenrufe  entlockt?  gedichte  wie  'Mich  ergreift, 
ich  weifs  nicht  wie,  himmlisches  Behagen'  oder  auch  'Uns  ist  ganz 
kannibalisch  wohl'  brauchen  nicht  an  der  trinktafel  gehaftel  zu 
haben;  sogar  der  moderne  mensch  sin^i  noch  manchmal  'ohne 
jeden  vernünftigen  grund  und  zweck',  hier,  meine  ich,  hätte  W. 
wol  etwas  subtiler  sein  dürfen,  während  er  in  der  aufteilt) nfi  der 


324  WERNER     LYRIK    UND    LYRIKER 

so  rasch  acceptierten  hauptclassen  den  Vorwurf  allzu  subtil  zu 
sein  (s.  142)  doch  nicht  ganz  wird  abwehren  können,  das  be- 
dürfnis  nach  belegen  für  alle  256  Zettelkästen  zwingt  W.  sogar, 
den  Schinderhannes  unter  die  classischen  zeugen  der  lyrik  ein- 
zuführen (s.  148);  oder  eigentlich  zwingt  ihn  dazu  nicht  einmal 
die  dira  necessitas,  denn  'verbrecherlyrik  in  gottesdienstlicher 
form'  war  auch  sonst  aufzutreiben ,  zb.  in  korsischen  und  italieni- 
schen banditenliedern.  auch  andere  beispiele  scheinen  nicht 
glücklich  gewählt.  W.  neigt,  zumal  bei  Hebbel,  dazu,  alles  für 
ein  gedieht  zu  erklären,  was  poetische  form  hat;  aber  schlechte 
und  trockene  versificationen  prosaischer  gedanken  (wie  zb.  s.  160 
178.228)  beweisen  so  wenig  für  das  entstehn  echter  gedichte, 
wie  die  gründung  der  mormonischen  religion  für  die  entstehung 
des  Christentums  oder  des  buddhismus  beweist. 

Es  liegt  vielleicht  an  der  allzu  äufserlichen  und  allzu  sche- 
matisch durchgeführten  einteilung  der  auf  'gefüblserlebnis'  oder 
'gedankenerlebnis'  beruhenden  gedichte,  wenn  der  erste  teil  dieses 
capitels  mir  ziemlich  unfruchtbar  scheint,  wichtiger  ist  der  zweite, 
der  über  das  'indirecte  erlebnis'  handelt.  W.  stellt  hier  einen 
meines  erachtens  ziemlich  unwichtigen  gesichtspunet  an  die 
spitze;  aber  eben  das  ermöglicht  es  ihm,  für  die  hier  zusammen- 
gefassten  dichtungen  fruchtbarere  betrachtungen  anzustellen  als 
vorher,  wo  er  beständig  nach  seiner  tabelle  blickte,  ich  würde 
hier  gern  mancherlei  unterschieden  gesehn  haben:  ob  die  an- 
regung  inhaltlich  ist,  oder  durch  formelle  momente,  wie  reime, 
rhythmus,  refrain,  einzelne  reminiscenzen  gegeben,  oder  ob  beides 
zur  beeinflussenden  Stimmung  zusammenwürkt,  das  bedingt  doch 
sehr  verschiedene  arten  der  abhängigkeit.  auch  fällt  die  zeit- 
losigkeit  der  betrachtungen  VV.s  wider  stark  auf.  ganze  poesien, 
wie  die  mlat.  epigrammatik  oder  die  galante  dichtung  leben  von 
der  reminiscenz;  sie  kennen  kein  anderes  'erlebnis'  als  die  lecture. 
sie  geben  sich  aber  auch  als  das,  was  sie  sind:  als  virtuosenvaria- 
tionen  über  gegebene  themata.  wol  spricht  W.  s.  228  f  über 
solche  conventionelle  poesie;  aber  dass  diese  zu  bestimmter  zeit 
stark  genug  wird,  um  auch  dem  ursprünglicher  gearteten  dichter, 
zb.  Opitz,  jede  ganz  freie  dichtung  ebenso  unmöglich  zu  machen, 
wie  einem  doctoranden  eine  arbeit  ohne  citate  ist,  das  sähe 
mau  als  einen  der  sichersten  belege  für  zeitliche  Verschiedenheiten 
im  dichterischen  process  gern  hervorgehoben,  sehr  hübsch  ist 
dagegen  zb.  die  Untersuchung  über  'weiterdichtung'  s.  201  f  und 
'Widerspruch'  s.  216.  —  gelegentlich  werden  die  Übereinstim- 
mungen und  anklänge  wol  überschätzt,  so  s.  205 — 206.  es  be- 
fremdet übrigens,  hier  (s.  228)  einen  nicht  recht  passenden  ge- 
dankenknäuel  Hebbels  angeführt  zu  sehn  statt  der  schlagenden 
worte  Schillers: 

Weil  ein   Vers  dir  gelingt  in  einer  gebildeten  Sprache, 

Die  für  dich  dichtet  und  denkt,  glaubst  du  schon  Dichter  zn  sein. 


WERNER     LYRIK    UND    LYRIKER  325 

ebenso  wird  später  (s.  459)  Hebbel  vor  Schiller  citiert  und  ein 
andermal  (s.  4*24)  beifst  es  gar:  'dasselbe  (wie  Schiller)  hat  uns 
bereits  Hebbel  gesagt';  ebenso  s.  449:  'Hebbel  hat  Jugendgedichte 
vernichtet,  ebenso  machte  es  Goethe'. 

Sehr  kurz  ist  das  dritte  capilel  'Stimmung',  wobei  Uhland 
als  beispiel  dient,  dann  folgt  das  ganz  vortreffliche  vierte  'Be- 
fruchtung', hier  wird  gezeigt,  in  welcher  weise  das  erlebnis  bei 
günstiger  Stimmung  zum  keim  des  gedichtes  wird,  ich  halte  den 
nachweis  typischer  'befruchiungsarten'  zb.  für  Uhland  und  Hebbel 
(s.  270 f)  für  durchaus  gelungen,  und  ich  glaube,  dass  innerhalb 
der  gesammten  modernen  poetik  nirgends  ein  so  grofser  schritt 
vorwärts  gemacht  ist  zur  exaclen  ergründung  der  poetischen  Psy- 
chologie, wie  Hebbel  sich  aus  dem  erlebnis  einen  gedichtkeim 
'ergrübelt'  (s.  289),  wie  ein  Schwab  oder  ein  Kosegarten  es  roh 
herübernehmen  in  die  versificierte  Umformung  (s.  320),  das  wird 
deutlich  und  anschaulich  gezeigt  und  erläutert,  und  damit  für  die 
poetische  embryologie  endlich  an  einem  wichtigen  puncte  eine 
ganze  ergebnisreihe  gesichert. 

Capitel  v  behandelt  das  'innere  Wachstum':  wie  der  keim 
vereinfacht  oder  verdichtet,  erweitert,  gesteigert  oder  sonst  aus- 
gestaltet wird,  auch  hier  wird  ein  reiches  und  zuverlässiges 
material  aufschlussreich  behandelt;  interessant,  obwol  etwas  breit, 
ist  zb.  der  commeutar  zu  der  erweiterung,  die  Lenau  einem  ge- 
dieht von  KMayer  zu  teil  werden  liefs  (s.  363  f).  leider  werden 
hier  neben  Horaz,  Goethe,  Hebbel,  Geibel  auch  MGreifs  gereimte 
trivialitäten  citiert.  durchweg  aber  wird  gerade  hier  das  gedieht 
zu  sehr  alff  einheit  gefasst,  als  säfse  gleichsam  nach  der  alten 
(Mitogenetischen  anschauung  in  dem  einen  gedichtkeim  das  fertige 
poem  zusammengekauert  und  brauchte  nur  aufgerollt,  zu  werden. 
die  frage  wird  ganz  umgangen,  wie  au  den  ersten  vers  der  zweite 
tritt  und  an  die  erste  Strophe  die  zweite;  wie  bald  ein  conven- 
tionelles  reimpaar,  bald  ein  typischer  contrast  weilerführt,  bald 
auch  ein  bestimmtes  prineip  der  anordnung.  Herwegh  zb.  ordnet 
seine  Strophen  rein  begriffsmäfsig:  er  sieht  sich  nach  allem  um, 
was  etwa  mit  den  aus  der  erde  gerissenen  kreuzen  gemacht 
werden  könnte  und  hängt  so  eine  Strophe  an  die  andere  unter 
dem  zwange  des  refrains.  oft  lenkt  ein  reim  schlechtere  dichter 
vom  geraden  wege  ab,  wie  das  zb.  bei  Mirza-Schaffy  Öfters  zu 
beobachten  ist;  oft  ist  der  weg  auch  wider  zu  schnurgerade,  wie 
nicht  selten  bei  Immermann,  gerade  diesen  gesichtspunet ,  die 
innere  Ordnung,  hätte  W.  mit  seinem  wissen  und  seiner  kritik 
sehr  fruchtbar  abhandeln  können;  ihn  hinderte  der  zu  stralf  ge*- 
fasste  begriff  des  'gedichtes'.  dies  braucht  doch  auch  in  seiner  un- 
fertigsten tonn  immer  zeit  um  zu  eutstehn,  Bpringl  nie  auf  ein- 
mal hervor  als  ein  ganzes.  —  für  die  Wortwahl  gibt  W.  (s.  12s) 
die  holTuung  auf  die  ergründung  individueller  geselze  wol  etwas 
zu  rasch  auf.  —  für  metrische  Umformungen  (s.  440)  halten  die 


326  WERNER     LYRIK    UlND    LYRIKER 

experimente  des  Stilkünstlers  CFMeyer  einige  gute  beispiele  liefern 
können;  Reitler  in  seinem  büchlein  teilt  einige  frappante  Um- 
gestaltungen mit.  auch  an  die  verschiedenen  Übersetzungen,  zb. 
des  Homer  in  prosa ,  Jamben,  stanzen,  hexameter  konnte  er- 
innert werden. 

Kurz  ist  wider  das  sechste  capitel  'Geburt',  in  dem  W.  das 
würkliche  hervortreten  des  fertigen  gedichtes  behandelt,  hier  wie 
öfter  hätte  ein  engerer  anschluss  an  Scherers  poetik  zur  Vervoll- 
ständigung der  gesichtspuncte  dienen  können,  die  mit  nachdruck 
vorgetragene  erläuterung  des  Goethischen  begriffes  'gelegenheits- 
gedicht'  (s.  461)  wird  schwerlich  beifall  finden,  nach  W.  ver- 
steht Goethe  hierunter  jegliches  gedieht,  dessen  gefühlserlebnis 
durch  ein  äufseres  ereignis  angeregt  sei.  ich  kann  zunächst 
überhaupt  nicht  die  möglichkeit  einräumen,  dass  es  wahre  ge- 
dichte  geben  sollte,  auf  die  diese  definition  nicht  passt.  aufser- 
dem  aber  sagt  Goethe  doch  ausdrücklich:  'Die  Wirklichkeit  muss 
die  Veranlassung  und  den  Stoff  dazu  hergeben' ;  er  sagt  noch- 
mals: 'Alle  meine  Gedichte  sind  durch  die  Wirklichkeit  angeregt'. 
es  genügt  also  nicht,  dass  ein  erlebnis  sich  als  keim  in  die  phan- 
tasie  des  dichters  senkt,  es  muss  auch  ein  äufserer,  würklicher 
anlass  die  poetische  fassung  anregen,  wenn  das  gedieht  ein  'ge- 
legenheitsgedicht'  in  Goethes  sinn  sein  soll,  man  würde  also 
statt  der  drei  arten  poetischer  geburt,  die  W.  unterscheidet,  zu- 
nächst vier  annehmen  müssen:  improvisation ,  wobei  das  gedieht 
durch  die  erste  anregung  gleich  fertig  hervorgezaubert  wird;  ge- 
legenheitsgedicht,  wobei  die  erste  anregung  bis  zur  Vollendung 
des  gedichtes  nach-  und  mitwürkt;  erinnerungsgedicht,  wobei 
die  erste  gelegenheit  durch  einen  späteren  anstofs  gleichsam  wider- 
hergestellt wird  (wie  etwa  in  Geibels  fall  s.  462);  bestellungs- 
gedicht,  wobei  die  innere  Vorbereitung  völlig  durch  äufseren  auf- 
trag,  der  ganz  wol  auch  von  dem  'commandierenden'  dichter 
selbst  kommen  kann ,  ersetzt  wird.  W.  braucht  für  diese  letzte 
kategorie  den  wenig  bezeichnenden  ausdruck  'zufalP.  genauere 
betrachtung  lehrt  freilich,  wie  schwer  die  trennung  durchzuführen 
ist.  die  improvisation  ist  nur  ein  ungewöhnlich  schnell  gereiftes 
gelegenheitsgedicht;  umgekehrt  wird  bei  etwas  ausgedehnter  reife- 
zeit  leicht  ein  zweiter  anstofs  von  aufsen  nötig,  wie  etwa  bei  den 
arbeiten  Goethes  zum  Faust:  so  verwandelt  sich  das  gelegenheits- 
gedicht in  ein  eriunerungsgedicht.  und  selbst  das  bestellte  ge- 
dieht wird  in  solchen  poetischen  naturen,  die  sich  leicht  'in 
Stimmung'  zu  versetzen  wissen,  den  echten  gelegenheitsgedichten, 
ja  den  Improvisationen  nahe  treten:  ein  italienischer  improvisator 
gibt  auf  seinem  inslrument  einige  töne  an,  die  dem  aufgegebenen 
thema  (etwa  'klagelied')  entsprechen,  und  nun  holt  er  aus  diesen 
tönen  die  Stimmung,  die  innere  Vorbereitung,  aus  der  heraus  er 
dichtet,  so  scheinen  mir  hier,  wie  oft  bei  W.,  die  eng  im  räum 
sich  stofsenden  begriffe  durch  allzu  massive  schranken  getrennt. 


WERNER     LYRIK    UND    LYRIKER  327 

—  wertvoll  sind  die  angaben  über  poetische  ebbe  und  flut  (s.  466). 
die  Untersuchung  über  das  weiterkeimen  nicht  erschöpfter  ge- 
dichtkeime (s.  467  f)  ist  nicht  klar  genug  gesichiet  und  ange- 
ordnet, um  jenem  'classischen  beispiel'  an  die  seite  gestellt  werden 
zu  können ;  gleichwol  gehört  sie  zu  den  wichtigsten  stellen  des 
buches  und  ist  für  mancherlei  fragen  der  höheren  kritik  in  be- 
tracht  zu  ziehen. 

Hiermit  ist  der  höhepunct  der  Untersuchung  überschritten. 
cap.  vii  'Äufsere  form'  behandelt  allerlei  wichtige  fragen,  wie  die 
nach  art  und  reihenfolge  der  darstellung,  in  wenig  tiefgehnder 
weise;  der  titel  wird  überwiegend  als  äufsere  etiquette  gefasst, 
wahrend  er  als  exponierende  anrede  an  die  zuhörer  nachweislich 
uralt  und  sehr  wesentlich  ist;  auch  fallen  unglückliche  ausdrücke 
wie  'ich  und  nichtich'  (s.  493)  und  'darstellende  darstellung' 
(s.  519).  höchst  anfechtbar  ist,  was  W.  über  'beschreibung'  vor- 
trägt (s.  522  f),  indem  er  nicht  nur  allzu  dogmatisch  jegliche 
beschreibung  misbilligt,  sondern  auch  jede  Schilderung  innerer 
zustände  verwirft  (s.  525). 

Das  8  cap.  'Äufseres  Wachstum'  endlich  behandelt  nach- 
trägliche änderungen  am  fertigen  gedieht,  es  wird  allzu  scharf 
geschieden  zwischen  correctur,  wobei  fehler  verbessert,  und  revi- 
sion,  wobei  gute  ausdrücke  durch  bessere  ersetzt  werden;  geht 
die  ' weilerführung'  über  ein  bescheidenes  mafs  heraus,  so  liegt 
'Umbildung'  vor.  ein  gedieht  kann  ausgedehnt  werden  durch 
fortsetzung,  cyclischen  abschluss,  einfüguug  in  eine  höhere  eiu- 
heit.  viel  neues  war  für  all  diese  punete  nicht  zu  gewinnen, 
aber  gute  beispiele  sind  in  lehrreicher  besprechung  vorgeführt, 
den  satz,  dass  ein  hauptgrund  der  revision  die  absieht  ist,  das 
allzu  persönliche  zu  tilgen  (s.  569),  wird  mau  schwerlich  allge- 
mein gelten  lassen  können;  wie  oft  hat  zb.  Heine  die  'Zufällig- 
keiten des  erlebnisses'  immer  schärfer  herausgearbeitet. 

Ende  gut  alles  gut.  kurz  vor  dem  schluss  kommt  noch  eine 
hochwichtige  stelle:  W.  zeigt  durch  beispiele  mancher  art,  wie 
oft  lyriker  erst  nachträglich  ihre  gedichte  in  quaodam  similitu- 
tinem  epici  carmiuis  corrumpunt,  und  er  zieht  daraus  (s.  594) 
auf  die  liederbiieher  der  minnesänger  den  vollberechtigten  schluss, 
dass  auch  hier  chronologische  reihenfolge  der  gedichte  durch  ihr 
zusammenschliefsen  zu  eiuem  romau  noch  nicht  bewiesen  sei.  es 
wird  dann  über  die  arten  der  Sammlung  (s.  607  I)  verständig  und 
interessant  gehandelt,  und  eine  bescheidene  selbstverwahrung  des 
autors  schliefst  sein  wie  wenige  neuere  werke  verwanter  art 
dankenswertes  buch.  — 

Noch  zwei  Kleinigkeiten  möchte  ich  hervorheben,  störend 
wirkt  die  gewohnheit,  die  Damen  mit  majuskeln  zu  schreiben, 
flexionsendungm  dann  aber  in  minuskelu  beizufügen:  Schilleru, 
CoNzens;  unsere  endungen  sind  doch  schon  gedrückt  genug;  die 
einst  vielfach    tonangebenden    herren   so  demütig  wie  hündchen 


328  WERNER      LYRIK    UND    LYRIKER 

hinter  den  stolzen  Stammsilben  hertrotten  zu  sehn,  tut  weh.  freude 
haben  mir  dagegen  die  meist  schlagend,  oft  recht  witzig  ge- 
wählten motti  zu  den  einzelnen  abschnitten  gemacht;  es  ist  eine 
schöne  sitte,  die  arbeit  durch  weihesprüche  grofser  männer  zu 
schmücken. 

Soll  ich  endlich  noch  über  das  buch  als  ganzes  urteilen,  so 
habe  ich  nur  meinen  dank  für  die  ernste  phrasenferne  Unter- 
suchung und  für  manche  anregungen  neben  nicht  wenigen  po- 
sitiven ergebnissen  zu  widerholen,  schaden  wird  dem  buche  die 
übermäfsige  breite,  die  zb.  in  dem  häufigen  doppelabdruck,  manch- 
mal auch  in  doppelbesprechungen  ein  und  derselben  stelle  stö- 
rend hervortritt  (so  von  stellen  aus  Unland  s.  431.  451.  454,  aus 
Hebbel  s.  421  wie  s.  326,  s.  577.  586.  590,  ebenso  bei  Goethe 
s.  481).  zu  angriffen  werden  die  oft  allzu  äufserlichen  und 
mechanisch  durchgeführten  Scheidungen  anlass  bieten,  und  frucht- 
los werden  die  tabellen  zu  boden  fallen,  aber  keine  arbeit,  die 
Scherers  programm  der  empirischen  poetik  von  irgend  einer  seite 
aus  durchzuführen  versucht,  wird  an  dieser  ersten  bedeutsamen 
lrucht  jenes  genialen  gedankens  ungestraft  vorbei  gehn  dürfen 
und  keine  wird  ohne  förderung  von  ihr  scheiden. 

Berlin,  dec.  1890.  Richard  M.Meyer. 


LlTTERATURNOTIZEN. 

Emil  Brauns  briefwechsel  mit  den  brüdern  Grimm  und  Joseph  von 
Lassberg,  herausgegeben  von  REhwald.  mit  porträt.  Gotha, 
FAPerthes,  1891.  xn  und  169  ss.  8°.  3  m.*  —  das  zierliche 
büchlein  bringt  nach  einer  bis  1833  reichenden  Selbstbiographie 
des  bekannten  archäologen  Emil  Braun  (1809 — 1856)  dessen  cor- 
respondenz  mit  den  brüdern  Grimm  und  dem  freiherrn  von  Lass- 
berg aus  den  jähren  1829—1836,  soweit  sie  sich  erhalten  hat. 
drei  briefe  rühren  von  Jacob,  zwei  von  Wilhelm  Grimm,  fünf 
von  Lassberg  her,  die  übrigen  29  (nicht  27:  der  fünfte  und  der 
sechste  an  Lassberg  sind  nämlich  doppelt  gezählt)  haben  Braun 
zum  Verfasser,  für  die  geschichte  der  deutschen  philologie  ergibt 
sich  freilich  kaum  etwas  wesentlich  neues:  denn  die  überraschende 
nachricht  von  einer  Heliandübersetzung  Füglistallers  in  der  vor- 
rede s.  vn  beruht  auf  einem  sonderbaren  irrtum.  wol  aber  ge- 
winnt B.s  persönlichkeit  festere  umrisse,  überall,  namentlich 
in  den  an  Lassberg  gerichteten  briefen,  tritt  seine  pietätvolle 
gesinnung,  seine  herzensgute,  seine  opferfreudigkeit  auf  das  wol- 
tuendste  hervor,  die  ausführlichen  noten,  mit  welchen  der  heraus- 
geber  seine  publication  begleitet,  hätten  hier  und  da  aus  dem 
briefwechsel  Lassbergs  mit  Zellweger  (hg.  von  CRitter,  SGallen 
1889)  und  mit  Pupikofer  (Alem.  15)  vermehrt  werden  können;  in 
*  [vgl.  Litt.centralbl.  1891  nr  21.] 


BRIEFWECHSEL    BRAUNS    MIT    DEN    BRÜDERN    GRIMM  329 

Kleinigkeiten  zu  berichtigen  sind  sie  öfters,  s.  64  deutet  wol  auf 
den  Gothaer  landschaftsmaler  Christian  VYenk,  der  nach  Naglers 
Künstlerlexicon  1836  noch  lebte.  St. 

Die  religion  der  alteu  Deutschen  und  ihr  fortbestand  in  volkssagen, 
aufzögen  und  festbräuchen  bis  zur  gegenwart.  mit  durchgreifen- 
der  religionsvergleichung.  von  prof.  dr.  Sepp.  München,  JLin- 
dauer,  1890.  xx  und  419  ss.  8°.  6  m.*  —  der  bekannte  verf. 
will  'nur  gegen  die  bisherige  uukunde  und  daraus  erwachsene 
Überschätzung  allzeit  zur  ehre  unserer  nation  die  altväterliche 
religion  erheben  und  verkündigen',  die  mythologischen  religionen 
haben  nach  ihm  ihren  Ursprung  nicht  in  natursymbolik,  mond- 
wechsel  oder  elementarereignissen,  der  blitzschlange  und  dem 
donnerwagen,  sondern  wurzeln  in  höheren  ideen,  indem  der 
mensch  über  anfang  und  ende  der  weit,  zweck  des  daseins  und 
seine  eigene  Zukunft  aufschluss  haben  wollte,  'was  lag  näher 
als  das  mannweibliche  princip  zum  ausgangspunct  der  Schöpfung 
zu  nehmen,  wenigstens  den  protogonos  androgyn  zu  gestalten!' 
als  grundzug  der  mythe  betrachtet  er  aber  an  anderer  stelle  einen 
verklärten  naturdienst,  eine  vergeistigte  sonnenreligion.  die  feste 
des  sonnenlebens  verfolgt  er  in  diesem  buche  durch  das  ganze 
jähr,  indem  er  bei  allen  fest-  und  heiligentagen  des  kalenders 
darauf  bezügliche  oder  bezogene  brauche  und  sagen,  deutsche, 
indogermanische,  semitische  und  ägyptische  and  noch  entlegenere 
hintereinander  erzählt,  ohne  alle  kritik  und  ohne  sich  der  ge- 
wagtesten Vermutungen  zu  enthalten. 

Freiburg,  28  juli  1891.  El.  II.  Meyer. 

Naturskildringarna  i  den  norröna  diktningen.  akademisk  afhandling  af 
Theodor  Hjelmqvist.  Lund,  HMöller,  1891.  215  ss.  8°.  2,25  kr.  — 
Hjelmqvists  arbeit  lehnt  sich  im  ganzen  an  das  treffliche  buch 
Otto  Lünings  über  die  natur  in  der  altgerm.  und  mbd.  epik 
an,  leider  nicht,  ohne  nach  der  jetzt  üblichen  art  sich  bei  dem 
Vorgänger  durch  kleinliche  häkeleien  zu  bedanken,  da  Lünings 
werk  für  übersichtliche  anordnung  nicht  muster  sein  konnte,  fehlt 
diese  auch  hier  und  wird  nicht  einmal  durch  ein  register  er- 
setzt, die  schritt  verliert  dadurch  viel  von  ihrer  braucbbarkeit, 
da  die  kurze  inhaltsangabe  zum  bequemen  nachschlagen  nicht 
genügt,  dies  ist  zu  bedauern,  weil  aus  dem  buch  viel  zu  lernen 
ist  und   doch   nur  wenige   es   hintereinander   lesen   dürften. 

Dem  Qeifsigen  und  belesenen  autor  ist  am  besten  der  erste 
abschnitt  gelungen,  in  dem  er  über  den  oatursinn  der  alten 
Nordmänner  spricht,  mit  hübscher  benutzung  historischer  und 
geographischer  neben  den  rein  litterarischen  Urkunden  hat  er  ge- 
zeigt, dass  im  skandina\ ischen  altertum  wie  wol  bei  jedem  noch 
nicht  bis  zu  elegischer  Sentimentalität  civilisierten  Volke  die  nalm- 
freude  wesentlich   'frauenhaft'  war.     wol  fehlt  es  nicht  ganz  an 

beweisen,    dass    auch    die    grofsartige   natur    auf   die   gemüler 
*  [vgl.  Litt,  centralbl.  1891  nr  20  (— gk).] 
A.  F.  D.  A.     XVII.  22 


330  HJELMQVIST     NATURSKILDRINGARNA  I  KORR.  DIKTNINGEN 

würkte;  die  ideale  landschaft  aber,  die  sie  in  ihren  paradiesen 
verwürklicht  träumten,  trägt  jenen  character,  der  noch  heut  jedes 
deutsche  gemiit  mit  unstillbarer  Sehnsucht  erfüllt,  wie  im  vorigen 
Jahrhundert  ein  grofser  und  grofsarliger  landschaft  entsprossener 
dichter,  Haller,  zur  bewunderung  der  Alpen  sich  selbst  erst  er- 
ziehen muste,  so  möchte  man  auch  von  den  Skalden  und  ihren 
zuhörern  sagen,  als  ideale  weit  habe  ihnen  stets  ein  Italien  vor- 
geschwebt. —  es  befremdet,  dass  H.  die  etymologie  der  norröuen 
hier  in  betracht  kommenden  worte  nicht  heranzieht;  die  personen- 
uamen  sind  dagegen  benutzt. 

Im  zweiten  abschnitt  handelt  H.  speciell  von  den  natur- 
beschreibungen.  die  allgemeinen  hetrachtungen  über  mythen- 
deutung  wären  besser  fortgeblieben,  sonst  wird  manches  neu 
beigebracht,  besonders  aus  der  skaldenpoesie.  in  der  auffassung 
des  mondes  (s.  124)  wird  hübsch  ein  Umschwung  in  der  natur- 
auffassung  dargelegt:  der  mond,  im  18  jh.  der  schutzherr  der 
liebenden,  galt  damals  nur  als  patron  der  unholde,  auch  über 
die  vögel  bringt  H.  (s.  140f)  interessante  beobachtungen;  ebenso 
einzelne  wichtige  litterarische  nachweise  (so  s.  129). 

Im  dritten  abschnitt  sucht  H.  —  meines  erachteus  vergeb- 
lich —  aus  der  bildersprache  der  altn.  poesie  lebhaften  nalursinn 
herauszulesen,  die  Skalden,  denen  der  nackte  ausdruck  als  pro- 
saisch galt,  konnten  für  Umschreibungen  eine  reichhaltigere 
Schatzkammer  doch  gar  nicht  finden  als  die  natur;  und  das  lob, 
welches  JGrimm  (Kl.  sehr.  4,  165)  den  kenniugen  durch  verglei- 
chung  mit  den  kunstworten  des  rotwälsch  erteilt,  ist  noch  das 
äufserste,  das  man  der  inneren  form  derselben  zuerkennen  darf. 

Durchweg  zieht  H.  hauptsächlich  skaldenpoesie  und  daneben 
sagalitteratur  heran,  die  Edda  ist  nicht  völlig  ausgebeutet;  so 
kommen  die  jagdstücke  der  Rigsbula  oder  der  Wassersport  der 
Hymiskvipa  nicht  zu  ihrem  recht,  die  aufsernordische  alte  poesie 
ist  nur  sehr  gelegentlich  angezogen,  meist  nur  durch  Lüning 
vermittelt,  interessant  ist  für  den  deutschen  leser  die  auswahl 
der  citate  aus  neuerer  poesie:  Rosselti  und  Swinburne  werden 
als  gute  bekannte  angeführt,  etwa  wie  man  bei  uns  Ibsen  oder 
Tolstoi  citiert.  aus  der  fachlitteratur  sind  die  wichtigsten  arbeiten 
benutzt,  aber  nicht  in  sklavischer  abhängigkeil,  sondern  mit  ge- 
sunder kritik. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

Untersuchungen  zur  Überlieferung  Übersetzung  grammatik  der  Psalmen 
iNutkers  von  Johann  Kelle  (Schriften  zur  germ.  philologie  hg. 
von  iMRoediger  lieft  3).  Berlin,  Weidmann,  1889.  x  und  153  ss. 
8°.  7  m.*  —  Keiles  academische  abhandlung  Die  SGaller  deut- 
scheu   Schriften    und   Notker   Labeo    (München    1888)    hatte    ua. 

*  [Zs.  f.  d.  phil.  23,  380  (OErdmann).  —  Littbl.  f.  germ.  u.  rom.  phil.  1891 
nr2  (AHeusler).  -  Zs.  f.  östr.  gymn.  1891  s.  421  (JSeemüller).  —  DLZ  1891 
ni  'i'  (MP.annow).] 


KELLE  N0TKERS  PSALMEN  331 

festgestellt,  dass  der  abdruck  des  Notkerschen  psalters,  welchen 
der  erste  band  von  Schilters  Thesaurus  enthalt,  nicht,  wie  man 
Wackernagel  vielfach  nachbetete,  auf  dem  bekannten  SGaller  ms. 
ur  21  beruht,  sondern  auf  dessen  original  oder,  was  ebenso 
möglich,  auf  einem  mit  ihm  der  gleichen  vorlade  entsprossenen 
codex.  1675  liefs  von  dieser,  damals  in  SGallen  befindlichen, 
jetzt  verscholleneu  Urkunde  Simon  de  la  Loubere  zu  Solotburn, 
wo  er  als  secretär  des  franzosischen  gesanteu  de  SRomain  weilte, 
eine  abschritt  nehmen,  die  ihrerseits  1697  zu  Paris  auf  Mabil- 
lons  vermittelung  hin  für  Schilter  copiert  wurde,  man  wüste 
nun  zwar  längst,  dass  während  seines  Pariser  aufenthaltes,  der 
vom  1  Januar  1695  bis  zum  14  mai  1698  dauerte,  auch  Friedrich 
Rostgaard  die  psalmenparaphrase  Notkers  sich  abgeschrieben  hatte, 
denn  Pipers  (Die  Schriften  Notkers  1,  xcvn)  gegen  die  klaren  an- 
gaben der  autobiographie  erhobene  bedenken  konnten  niemanden 
beirren:  aber  es  bleibt  Keiles  verdienst,  die  Rostgaardsche  copie 
in  der  kgl.  bibliothek  zu  Kopenhagen  entdeckt  und  auf  s.  1 — 26 
der  vorliegenden  arbeit  erschöpfend  gewürdigt  zu  haben,  fol- 
gendes ergibt  sich,  mit  hilfe  dreier  Schreiber  copierte  1697 
Rostgaard  die  für  Schilter  angefertigte  abschritt  —  und  zwar, 
wie  ich  hinzufüge,  ehe  sie  nach  Strafsburg  wanderte:  denn  Ma- 
billon  gelaugte  erst  anfangs  august  in  den  besitz  von  de  la  Lou- 
beres  ms.  und  hatte  am  S  des  monats  noch  keinen  geeigneten 
copisten  gefunden;  zum  dreimaligen  abschreiben  des  umfänglichen 
werkes,  ferner  zum  hin-  und  rücktransport  nach  und  von  Strafs- 
burg würde  indes  der  rest  des  Jahres  schwerlich  ausgereicht 
haben  — ,  collationierte  das  so  gewonnene  exemplar  sorgfältig 
und  verglich  es  später  mit  dem  original  de  la  Louberes,  nach- 
dem dies  gleichfalls  ihm  zugänglich  geworden  war.  darum  über- 
trifft Rostgaards  bs.  den  im  Thesaurus  veranstalteten  abdruck, 
der  obendrein  von  flüchtigkeitsfehlem  wimmelt,  weit  an  wert 
und  verbessert  sogar  häufig  den  SGaller  codex  21,  wie  das  im 
einzelnen  die  ss.  29  —  31  darlegen,  zugleich  bilden  Keiles  er- 
örterungen  einen  wichtigen  beitrag  zur  geschichte  unserer  disci- 
plin.  mit  voller  deutlicbkeit  erhellt  nämlich,  dass  der  von 
RvRaumer  s.  150  kaum  gestreifte  Däne  der  gröste  kenner  der 
ahd.  spräche  gewesen  ist,  den  es  vor  Jncob  Grimm  gegeben  hat.  — 
den  hauptteil  des  buches  (s.  48 — 153)  nimmt  eine  formenlehre 
der  Psalmen  ein,  nach  denselben  priocipiea  angelegt  wie  die 
analogen  Sammlungen,  die  der  verf.  für  Boethius,  Mareianus 
Capeila  usw.  früher  veröffentlichte,  und  zum  nachschlagen  recht 
nützlich:  noch  dankbarer  wäre  allerdings  ein  vollständiges,  mit 
allen  belegen  versehenes  Notkerglossar  zu  begrüfsen.  St. 

Beiträge  zur  entwickelungsgeschichte  des  gesellschaftlichen  anstands- 
gefühls  in  Deutschland,  von  dr  ARTuun  Denecke  (Programm  des 
gymnasiums  zum  heiligen  kreuz  in  Dresden.  1891.  progr.  or529). 
Dresden  1891  (Leipzig,  GFock  in  comm.).    IXMU  BS.    4°.    1  m.  — 

22* 


332     DENECKE     ENTWICKLUNGSGESCHICHTE    DES    ANSTANDSGEFÜHLS 

wenn  auch  der  titel  diese  arbeit  vor  dem  Vorwurf  willkürlicher  aus- 
wahl  zu  schützen  sucht,  so  muss  doch  darauf  hingewiesen  werden, 
wie  viel  mehr  aus  der  gründlichen  und  vollständigen  beobachtuug 
eines  einzelnen  punctes  gewonnen  wäre,  statt  dessen  hat  D. 
hauptsächlich  über  die  tischzucht  einerseits,  über  das  ceremoniell 
der  begrüfsung  anderseits  eine  anzahl  meist  oft  citierter  stellen 
zusammengedruckt,  ohne  zb.  die  gerade  für  das  anstandsgefühl 
so  bezeichnenden  monstrositäten  der  tracht  irgeud  zu  berühren, 
zwischen  dem  quellenwert  satirischer  oder  pädagogischer  stellen 
und  dem  historischer  Zeugnisse  wird  keine  Scheidung  versucht, 
auf  locale  Verschiedenheiten  kaum  geachtet,  trotz  dieser  mängel 
aber  —  die  einer  gelegenheitsschrift  vielleicht  nicht  zu  hoch  an- 
zurechnen sind  —  hätte  die  schritt  fördern  können,  wenn  nur 
würklich  mit  dem  thema  ernst  gemacht  wäre,  aber  gerade  die 
interessante  frage,  wie  viele  der  hierhergehörigen  bestimmungen 
schon  der  gesellschaftliche  anstand  forderte  und  wie  viele  uur 
das  ceremoniell,  gerade  diese  culturhistorisch  überaus  wichtige 
frage  drängt  sich  D.  nirgends  auf.  heutzutage  gilt  es  zb.  ein- 
lach als  selbstverständlich ,  dass  ein  halbwegs  erzogener  mensch 
nicht  mit  den  fingern  in  den  teuer  greift;  wer  aber  einen  würk- 
lichen  geheimrat  mit  excellenz  anzureden  versäumt,  verstöfst  wol 
gegen  eine  fest  geregelte  Ordnung,  aber  doch  noch  nicht  gegen 
den  natürlichen  anstand,  für  die  älteren  zeiten  behandelt  man 
beides  als  völlig  gleichartig,  und  die  seltsamen  Schlussworte 
D.s  scheinen  auch  für  die  zukunft  solche  gleichheit  anzustreben, 
falls  er  nämlich  ernstlich  das  anstandsgefühl  der  zukunft  von 
dem  vorbilde  der  militärischen  Subordination  beherscht  zu  sehn 
wünscht,  aber  gerade  das  17  jh.  beweist,  dass  man  zugleich 
sehr  soldatisch ,  sehr  ceremoniell  —  und  sehr  unanständig  sein 
kann,  bei  dem  verf.  kommt  niemals  der  unterschied  der  empfun- 
denen höflichkeit  von  der  gelernten  zum  bewustsein ;  und  die 
wahrhaft  ideale  feinheit  des  gesellschaftlichen  anstandsgefühls  in 
altgermanischer  zeit  scheint  ihm  völlig  unbekannt. 

Zu  rühmen  hätte  ich  somit  an  der  abhandlung  nichts  als 
einen  punct:  dass  nach  dem  30jährigen  kriege  das  compliment 
ebenso  im  mittelpunct  der  anstandslehre  stand,  wie  vorher  die 
tischzucht,  ist  s.  xxm  gut  hervorgehoben,  die  wichtigere  lit- 
teratur  ist  bemerkt;  die  arbeit  selbst  list  sich  leicht  und  mag 
neben  ähnlichen  populären  Zusammenstellungen  sich  wol  be- 
haupten können. 

Berlin,  im  april  1891.  Richard  M.Meyer. 

Die  geschichte  von  den  sieben  weisen  bei  den  Slaven.  von  dr  MMürko. 
Wien,  Tempsky  in  comm.,  1890  (Sitzungsberichte  der  kais.  academie 
der  Wissenschaften  in  Wien,  philos.-histor.  classe,  bandcxxn)  138ss. 
lex.  8.  2,60  m.  —  hundert  jähre,  nachdem  er  in  Deutschland  er- 
funden worden ,  wird  der  buchdruck  in  Kussland  eingeführt,  aber 
weitere  anderthalb  Jahrhunderte  müssen  verstreichen,    ehe  unter 


MURKO     DIE  SIEBE?«   WEISEN  BEI   PEN  SI.AVEN  333 

Peter  dem  grofsen ,  der  auch  an t  diesem  gebiete  reformatorisch 
eingreift,  durch  die  anwendung  handlicherer  formen  des  druck- 
alphabets  die  kunst  Guttenbergs  jene  unbeschränkte  herrschaft  ge- 
winnt, wie  sie  sie  im  westeu  sofort  nach  ihrem  auftreten  an  sich 
gerissen  hat.  so  kommt  es,  dass,  wer  die  russische  litteratur 
erforscht,  an  hss.  des  17  und  IS  jhs.  dieselben  Studien  machen 
kann,  die  der  deutsche  philologe  nur  bis  ins  15  jh.  etwa  fort- 
zusetzen im  stände  ist.  40  solcher  hss.  sind  allein  von  dem 
russischen  volksbuche  von  den  sieben  weisen  bekannt,  3b  davon 
hat  M.  bei  der  vorliegenden  Untersuchung  benutzt  (s.  87  ff):  die 
älteste  stammt  aus  dem  jähre  1634,  die  jüngsten  aus  dem  anfange 
des  vorigen  jhs.  wie  in  so  vielen  anderen  fällen  bildeten  auch 
hier  wider  die  Polen  die  vermittler  des  erzeugnisses  westlicher 
cullur  (s.  103  ff):  mittelbare  quelle  ist  eine  unbekannte  lateinische 
fassung  der  Historia  Septem  sapieutium,  die  trotz  manchen  ab- 
weichungen  wol  dem  Strafsburger  Pontianusdruck  von  1512  am 
nächsten  stand  (s.  110  ff),  es  ist  dies  derselbe  druck,  auf  den 
auch  die  ältesten  deutschen  drucke  zurückgehn;  der  Wiener  druck 
von  1526  ist  nur  ein  schlechter  nachdruck  desselben  (s.  16).  der 
älteste  böhmische  druck,  den  man  bisher  auch  aus  demselben 
oder  aus  einem  der  daraus  fliefsenden  deutschen  drucke  ableiten 
wollte,  hat  hingegen,  wie  M.  zeigt  (s.  15  ff),  nichts  mit  ihm  zu 
tun,  ist  vielmehr  eine  Übersetzung  der  nach  M.s  ermittelungen 
bei  Goswin  Gops  von  Euskirchen  in  Coln  1473  gedruckten  (s.  17) 
ältesten  lateinischen  incunabel.  —  besonderes  Interesse  für  den 
sagenforscher  bietet  die  s.  27  II  besprochene  böhmische  bearbeitung. 
da  die  Überlieferung  keine  auskunfl  gibt,  schwankt  M.,  ob  ihre 
ablassung  mit  Jungmann  (Böhm,  liltgesch.2  iv  200)  in  die  zeit 
1526 — 1620  oder  ansende  des  vorigen  resp.  anlang  unseres  jhs. 
zu  setzen  sei.  dem  eindrucke  nach,  den  die  ganze  erzählung  macht 
—  die  sprachlichen  kriterien  zu  prüfen,  bin  ich  nicht  in  der 
läge  —  möchte  ich  mich  mit  dem  recensenten  im  Krok  L891 
für  die  letztere  alternative  entscheiden,  ilafür  scheint  nur  vor 
allem  die  künstliche  art  zu  sprechen,  in  der  einzelne  novellen 
der  rahmenerzählung  angeglichen  werden:  so  i>t  die  erzählung 
der  königin  (s.  45  ff)  von  dem  arabischen  königssobne,  der  nach 
langer  Verbannung  vom  hole  auf  wünsch  der  /.weilen  Iran,  die 
dadurch  ihr  eigenes  kind  benachteiligt,  zurückberufen,  sich  un- 
dankbar erweist  und  seinem  vater  nach  dem  leben  stellt,  nichts 
anderes  als  die  rahmenerzählung  im  sinne  der  königin  zurecht- 
gelegt, ebenso  wird  anderseits  die  bekannte  geschichte  vom  Pa- 
pirius  (so  heilst  hier  der  vater,  während  der  söhn  Benjamin 
genannt  wird)  durch  den  abweichenden  zug,  dass  die  geschwätzige 
Iran  die  Stiefmutter,  nicht  die  mutier  des  knaben  ist,  ferner 
durch  die  eiiitiiguiig  des  inolivs,  dass  sie  einen  als  Jungfrau  V6X- 
kleideten  jungling  immer  m  ihrer  gesell6chafl  hat  (s.  64),  vom 
königssobne  der  rahmenerzählung  angeähnlicbt.     wenn  wir  jene 


334  MÜRKO     DIE  SIEBEN  WEISEN  BEI  DEN  SLAVEN 

Zeitbestimmung  annehmen ,  so  erklärt  sich  leicht  die  geschichte 
von  dem  im  walde  gefundenen  Sylwius  (man  merkt  die  gelehrte 
erdichtung)  als  entlehnung  aus  Tausend  und  einer  nacht  (s.  36), 
während  sonst  die  erklärung  der  sagenverwantschaft  bei  dem 
fehlen  der  Verbindungsglieder  Schwierigkeiten  macht,  durch  launige 
erfindung  wie  ausführung  hebt  sich  der  folgende  schwank  von 
den  übrigen  vorteilhaft  ab:  ein  wider  vermuten  von  seiner  reise 
zurückkehrender  kaufmann  findet  einen  fremden  mann  bei  seiner 
gattin.  ohne  sich  lange  zeit  zum  genaueren  erforschen  der  Sach- 
lage zu  geben ,  eilt  er  fort  seine  waffen  zu  holen ,  wird  aber  von 
seinem  alten  handlungsdiener  bewogen,  den  schuldigen  wenigstens 
solange  noch  das  leben  zu  lassen,  bis  sie  gebeichtet  haben,  in 
der  Verkleidung  des  beichtigers  begibt  sich  nun  die  freundin  der 
gattin  zu  dem  gefährdeten  liebespar,  um,  während  der  galan  im 
geistlichen  habit  sich  wegschleicht,  in  dessen  gewande  dem  er- 
zürnten ehegatten  recht  unschuldig,  als  ob  sie  sich  nur  einen 
fascbingsscherz  erlaubt  habe,  entgegenzutreten  (s.  49  ff),  leider 
ist  die  quelle  dieser  lustigen  geschichte,  die  an  eine  bekannte 
scene  in  Figaros  hochzeit  anklingt,  selbst  der  umfassenden  be- 
lesenheit eines  RKöhler  unbekannt  geblieben,  die  übrigen  er- 
zählungen  sind  die  bekannten  Arbor,  Puteus,  Vidua  und  'Studien 
über  weibertücke'  (=  Boccaccio  vn  7).  zu  erwähnen  sind  die 
abenteuerlichen  namen  der  hauptpersonen:  Rhodygo,  Efius,  Ato- 
mina ,  sowie  Lewin ,  der  geburtsort  des  ritters  in  'Vidua',  und 
Ingrat,  der  name  des  Schlosses,  auf  welches  die  königin  verbannt 
wird.  —  aus  dem  reichen  inhalt  des  buches  hebe  ich  schliefs- 
lich  noch  die  besprechung  der  bearbeitungen  modernster  deutscher 
Volksbücher  in  den  slavischen  sprachen  (s.  25  ff.  70  ff)  hervor. 
Wien  2.  2.  91.  S.  Singer. 

Zur  geschichte  der  herzmäre,  von  Hermann  Patzig  (Wissenschaftl. 
beilage  zum  programm  des  Friedrichs-gymnasiums  zu  Berlin,  ostern 
1891.  progr.  nr  54.  Berlin,  RGaertner).  4°.  22  ss.  Im.  —  diese 
in  Europa  weit  verbreitete  erzählung  hat  sich  nun  auch  in  einer 
modernen  indischen  märchengruppe  gefunden,  es  fragt  sich  also, 
wo  der  Ursprung  des  motivs  zu  suchen  ist,  ob  in  Indien  oder 
im  abendlande,  der  verf.  der  vorliegenden  lesenswerten  kleinen 
programmabhandlung  hat  sich  für  die  erste  alternative  entschieden, 
er  gibt  1)  äufsere  2)  innere  gründe  dafür  an :  1)  es  sei  das  be- 
stehn  einer  volkstümlichen  fassung  dieser  erzählung  bei  Portu- 
giesen, Engländern  oder  Holländern,  die  dieselbe  etwa  im  17  jh. 
nach  Indien  gebracht  haben  könnten,  nicht  nachgewiesen.  2)  die 
untreue  der  frau  erkläre  sich  in  der  indischen  fassung  gut  aus 
der  geschlechtlichen  enthaltsamkeit  des  mannes  und  diese  aus 
speciell  indischen  anschauungeu;  nicht  in  Indien  selbst,  aber 
bei  den  Battas  auf  Sumatra,  die  'nach  eigener  Überlieferung  auf 
Hinducultur  fufsen',  werde  der  ehebrecher  zur  strafe  aufgefressen, 
wobei    der    betrogene   sich   das   schönste    stück    auswählen    darf. 


PATZIG     ZUR    GESCHICHTE    DER    HERZMÄRE  335 

dagegen  ist  nun  zu  bemerken:  1)  ebenso  wenig  wie  bei  den 
Portugiesen,  Engländern  oder  Holländern  ist  bei  den  Persern 
und  Arabern,  die  docb  das  indische  märcben  den  Europäern  ver- 
mittelt haben  müsten,  bis  jetzt  eine  ähnliche  tradition  entdeckt. 
2)  die  angeführten  inueren  gründe  sind,  wie  man  sieht,  sehr 
schwach;  hingegen  gibt  es  einen  sehr  starken  inneren  grund 
für  die  annähme  europäischer  herkunfl  dieser  geschichte,  der 
nämlich,  dass  dieselbe  sich  aus  zwei  in  Europa  und,  soviel  ich 
sehe,  bisher  nur  in  Europa  nachgewieseneu  motiven  zusammen- 
setzt, diese  sind:  a)  eine  schwangere  frau  hat  gelüste  ein  herz 
zu  essen,  ihr  mann  kann  das  eines  tieres  nicht  gleich  auftreiben 
und  gibt  ihr  nun,  da  er  zufällig  toiengräher  ist,  das  eines  ge- 
storbenen menschen,  des  nachts  kommt  der  tote,  verlangt  sein 
herz  zurück  und  erwürgt  die  frau  (Tradizioni  popolari  veneziane 
raccolta  da  DGBernoni  Venezia  1875  p.  125).  dasselhe  findet 
sich  in  französischen,  spanischen,  englischen  und  deutschen 
märcben  (vgl.  Cosquin,  Contes  populaires  de  Lorraine  ii  77),  wo 
nur  statt  des  herzens  meist  die  leber  oder  ein  bein  verzehrt 
wird  l.  in  einzelnen  dieser  märcben  wird  noch  hervorgehoben, 
dass  diese  speise  der  (oder  dem)  betreffenden  besonders  gut 
schmeckt,  b)  die  Tereusfabel :  die  frau  setzt  ihrem  mann  zur 
strafe  für  seinen  qualiöcierten  ehebruch  (durch  entehrung  ihrer 
Schwester)  den  eigenen  söhn  gebraten  vor.  im  entscheidenden 
momente,  als  der  mann  mit  dem  essen  fertig  ist,  zeigt  ihm  die 
geschändete  Schwester  den  köpf  des  knaben2.  —  von  jener,  meines 
eracbtens  unrichtigen,  prämisse  weiter  fortschreitend  stellt  P. 
die  provenzalische  erzählung,  in  der  der  gemahl  ein  herr  von 
Roussillon  ist,  an  die  spitze  der  abendländischen  Fassungen, 
sie  direct  aus  der  indischen  ableitend,  weil  ihm  die  Ähnlichkeit 
zwischen  dem  namen  des  beiden  der  indischen  erzählung,  Kasalu, 
mit  dem  Ortsnamen  Roselho- Roussillon  zu  grofs  erscheint,  um 
zufällig  sein  zu  können,  ich  glaube  nicht,  dass  jemand  geneigt 
sein  wird,  ihm  hier  zu  folgen,  und  möchte  nach  wie  vor  mit 
GParis  die  geschichte  von  Gurun  als  die  älteste  form  betrachten, 
diesen  Gurun  des  herzmäre  muss  ich  übrigens  trotz  aller  ein- 
wendungen  in  der  bekannten  stelle   bei  Gottfried  von  Strafsburg 

1  zu  vergleichen  der  antike  mythus  von  dem  durch  die  Titanen  zer- 
stückten Zagreus,  dessen  herz  Athene  seinem  rater  Zeus  bringt,  welcher 
es  seiner  geliebten,  Semele,  zu  essen  gil>t  (Pauly  Realencycl.  d.  cl.  altert. 
iv  1022). 

-  Ovid,  Metamorph,  vi ;  auf  ein  anderes  ehepaar  übertragen  hei  Anto- 
ninus  Liberalis  Msraftootpcöoscov  avrnywyi]  xi;  abgeschwächt  in  dem  märcben 
vom  Machandelboom  (Grimm  KuHM  nr  17)  und  der  dazu  gehörigen  märchen- 
gruppe;  modißeiert  und  noch  barbarischer  gemacht  in  Shakespeares  Pitns 
Audronicus:  tot  me  go  grind  their  bonos  to  powder  small  and  wilh  litis 
hale/ul  liquor  temper  it  (vact  2scene).  durch  Shakespeare  i-i  dann  wol 
die  darstellung  unseres  herzmäre  im  English  chapbook  (London  1707)  beein- 
flusst  und  hat  schwerlich  mit  den  gebrauchen  wilder  Völker  (Patzig  s.  9)  zu 
schaffen. 


33(>  PATZIG     ZL'R    GESCHICHTE    DER    HERZMÄRE 

sehn,  sowie  den  Grälant  des  herzmäre  in  der  darauf  folgenden; 
denn  es  wäre  doch  ein  sonderharer  zufall,  wenn  diese  namen 
sich  ganz  grundlos  so  in  nächster  nähe  von  einander  fänden; 
vielmehr  finde  ich  beahsichtigte  rivalilät  Tristans  darin,  dass  er 
die  gleiche  erzählung,  wie  der  harfner  vorträgt.  —  hingegen 
glaube  ich,  dass  Patzig  gegen  GParis  recht  hat,  wenn  er  die 
überlieferte  provenzalische  fassung  für  ursprünglicher  erklärt  als 
die  Boccaccios,  die  abweichungen  des  letzteren  werden  sich  wol 
am  einfachsten  daraus  erklären,  dass  ihm  die  provenzalische  er- 
zählung durch  mündliche  tradifion  zukam,  aufserdem  ist  ihm 
noch  die  fassung  der  Cento  novelle  bekannt  gewesen. 

Bern  20.  4.  91.  S.  Singer. 

Ulrich  von  Hütten  nach  seinem  leben  und  seinen  Schriften  geschil- 
dert von  dr  Votsch.  Hannover,  Hahn,  1890.  x  und  73  ss.  8°. 
1,20  m.*  —  gleich  den  vielen  populären  darstellungen,  in  denen 
das  Huttenjubiläum  seinen  beiden  feierte,  könnte  auch  diese  post 
festum  erschienene  arbeit  unbeachtet  von  der  wissenschaftlichen 
kritik  dahingehn,  wenn  sie  nicht  mit  dem  kühnen  anspruch  auf- 
träte, nicht  nur  jene  Schriften,  über  die  sie  sich  natürlich  weit 
erhaben  glaubt,  sondern  sogar  die  biographie  von  Straufs,  die 
V.  selbst  in  seiner  urteilslosen  weise  ein  in  jeder  beziehung  un- 
übertreffliches werk  nennt,  aus  den  weiteren  kreisen  der  ge- 
bildeten leser  verdrängen  zu  wollen,  an  diesem  vorbild  hat  V. 
mit  rücksicht  auf  sein  publicum  zweierlei  auszusetzen:  es  ent- 
hält manches,  was  weiter  vom  wege  abliegt,  und  kann  auch  nur 
dann  würklich  ausgenutzt  werden,  wenn  dem  leser  die  wichtigsten 
quellen,  namentlich  Huttens  werke,  zur  band  sind,  wenn  V. 
nun  dem  ersten  fehler  durch  eine  knappe  und  übersichtliche  dar- 
stellung  abhelfen  will,  so  stellt  er  sich  damit  gewis  eine  recht 
dankenswerte  aufgäbe:  nur  hätte  er  sich  für  ihre  lösung  mehr 
an  das  beispiel  von  Ulmann  halten  sollen,  dessen  arlikel  in  der 
ADB  er  ja  citiert,  statt  ein  fast  plagiatorisches  und  dabei  nicht 
einmal  fehlerfreies  excerpt  aus  Straufs  biographie  zu  liefern,  das 
sich  nicht  besser  als  ein  banausisches  collegheft  nach  einem 
lebendigen  Vortrag  list.  vollends  befindet  V.  sich  im  irrtum, 
wenn  er  den  zweiten  zweck  seiner  arbeit  —  dem  leser  durch 
heranziehung  der  wichtigsten  quellen  ein  selbständiges  urteil  zu 
ermöglichen  —  dadurch  zu  erreichen  glaubt,  dass  er  unter  dem 
text  eine  anzahl  von  belegen  mitteilt  und  dann  in  einem  anhange, 
der  die  hälfte  des  buches  einnimmt,  eine  auswahl  aus  Hutlens 
briefen  und  aus  den  Epistolae  obscurorum  virorum  beigibt,  zu 
dem  gewünschten  ziele  fördern  die  biographischen  citate,  von 
denen  man  übrigens  in  der  ersten  ausgäbe  von  Straufs  werk 
eine  unvergleichlich  gröfsere  fülle  findet,  weit  weniger  als  etwa 
die  vorzüglichen  analysen  von  Straufs,  die  V.  sich  nicht  hätte 
entgehn  lassen  sollen,  sie  können  auch  nicht  ersetzt  werden 
*  [vgl.  Berl.  philol.  Wochenschrift  1891,  277  ff  (KHartfelder).] 


VOTSCH     ULRICH    VOM    HOTTEN  337 

durch  eine  auf  die  brieflitteratur  beschränkte  auswahl:  proben 
aus  den  lateiniscben  und  l)esonders  auch  den  deutschen  Schriften 
und  gedichten  hätten  diesen  teil  fruchtbringender  gestaltet,  ohne 
dass  der  umfang  des  buches  ausgedehnt  zu  werden  brauchte, 
denn  die  deutschen  Übersetzungen,  die  V.  den  lateinischen  ori- 
ginalen auf  der  gegenüberstehnden  sehe  seltsamerweise  beifügt, 
sind  um  so  überflüssiger,  als  sie,  wenigstens  in  den  von  V.  her- 
rührenden stücken,  so  schlecht  sind,  wie  sie  bei  äufserer  gram- 
matikalischer richtigkeit  nur  sein  können :  die  stilistischen  eigen- 
tümlichkeiten  Huttens  werden  durch  eine  oberflächliche  und  glatte 
manier  völlig  verwischt,  der  gröfsere  teil  der  Übertragungen  ist 
obendrein  fast  so  wenig  wie  einige  metrische  citate  in  der  bio- 
graphie  V.s  eigentum:  die  guten  dienste,  die  ihm  nach  eigenem 
geständnis  Binders  Verdeutschung  der  Epist.  obsc.  vir.  leisten 
konnte,  haben  ihn  der  eigenen  lätigkeit  nahezu  ganz  überhoben, 
auf  eine  kritik  eiuzelner  fehler  darf  verzichtet  werden,  da  schon 
aus  dem  gesagten  erhellt,  dass  V.s  arbeit  auch  bei  den  bescheideneu 
ansprüchen  des  'gebildeten'  lesers  das  buch  von  Straufs  nicht  ent- 
behrlich machen  kann  und  noch  weniger  Böckings  ausgäbe  von  H.s 
werken,  von  der  wir  übrigens  trotz  V.s  gegenteiliger  behauptuog 
zur  ehre  deutscher  bibliotheken  doch  annehmen  möchten,  dass 
sie  sich  nicht  nur  in  den  Universitätsstädten  findet,  durch  diese 
wertlose  arbeit  wird  immerhin  ein  fruchtbarer  gedanke  geweckt: 
der  plan  zu  einer  gut  eingeleiteten  und  gesichteten  auswahl  von 
Huttens  werken. 

Berlin,    märz  1891.  Siegfried  Szamatölski. 

Die  komische  figtir  in  den  wichtigsten  deutschen  dramen  bis  zum 
ende  des  xvii  jhs.  von  C.  Beuliisg.  Stuttgart,  GJGöschen,  1890. 
181  ss.  8°.  4  m.*  —  eine  ausführliche  besprechung  verdient 
dieses  buch  nicht,  der  verf.  war  sich  weder  über  die  Schwierig- 
keit seines  Unternehmens,  noch  über  den  umfang  und  die  melhode 
der  Untersuchung,  ja,  wie  es  scheint,  nicht  einmal  über  den 
begriff  der  komischen  figur  im  klaren,  die  wichtigsten  dramen 
sind  ihm  fast  ausschließlich  diejenigen,  welche  in  ueudrucken 
vorliegen,  dem  Schweizer  drama  hat  er  mehr  aufmerksamkeit 
geschenkt,  weil  ihm  Bächtolds  Litteraturgeschichte  das  material  so 
bequem  darbot,  so  bleibt  die  grofse  masse  von  dramen  des 
16  jhs.,  die  Goedeke  nach  landschaften  geordoel  hat,  fast  ganz 
unberücksichtigt,  ebenso  die  zahlreichen  einzeluotersuchuDgeo, 
welche  die  sichtuog  dieses  materials  bezwecken,  deshalb  hat 
B.,  wo  vorarbeiten  oder  wenigstens  kenne  zu  ähnlichen  Unter- 
suchungen bereits  vorhanden  sind,  dies  last  durchweg  übersehen, 
für  das  capitel:  Herzog  Julius  von  Braunschweig  (>.  1  l  l  ff)  i>t  ihm 
die  hübsche  Untersuchung  Pilgers:  lDie  dramatisierungen  der  Su- 
sanna'(Halle  1879)  s.  7 8 ff  ganz  entgangen,  wir  können  den  er- 
müdenden und  resultatlosen  Zusammenstellungen  nicht  einmal  die 
*  [vgl.  Litt,  centralbl.  1890  nr  14  (C).       DLZ  L891   nr  39  (AvWeilen).] 


338  REULING     KOMISCHE  FIGUR  IM  DRAMA 

bedeutung  einer  Vorarbeit  zugestehn.  urteil  und  stil  R.s  stebn 
auf  gleicher  hübe,  zum  schlusse  nur  eine  kurze  probe  gleich 
aus  der  eiuleilung:  'neben  dem  knechte  verdienen  die  teufel  eine 
genauere  beachtung.  sie  haben  gewis  durch  ihr  äufseres,  ihre 
hörner  und  schwänze  und  sonstigen  vermummungen  eine  komische 
Wirkung  erzielt;  doch  lege  ich  darauf  weniger  gewicht;  weitaus 
wichtiger  erscheint  mir  der  überall  gleichartig  auftretende  zug 
der  dummheit.  dummheit  genügt  stets,  um  heiterkeit  hervorzu- 
rufen; an  den  dummen  entgegnungen  der  hofnarreu  ergötzte  man 
sich;  über  dumme  antworten  lachen  wir  noch  heute.' 

Znaim  in  Mähren.  Franz  Spengler. 

Die  deutsche  schulkomödie  und  die  drameu  vom  schul-  und  knaben- 
spiegel.  von  dr  Paul  Bermiard  Rache.  Leipz.  diss.  Leipzig, 
EBaldamus,  1891.  78  ss.  8°.  2  m.—  auf  s.  3  —  32  gibt  R. 
eine  übersieht  über  die  entwickelung  des  dramas,  aus  der  wir 
nichts  neues  erfahren,  oft  und  oft  citiertes,  wie  Luthers  urteile 
über  das  buch  Judith  usw.,  unermüdlich  wider  citiereud,  die 
reiche  litteratur  nur  mangelhaft  ausnützend,  daran  schliefsen  sich 
(s.  33 — 78)  'die  dramen  von  (!)  schul-  und  knabenspiegel'.  was 
Holstein  Das  drama  vom  verlorenen  söhn  (Halle  1880  s.  45  ff)  und 
ref.  in  2  capiteln  seiner  schrift:  'Der  verlorene  söhn'  (Innsbruck 
1880  s.  104  IT)  ziemlich  erschöpfend  erledigt  haben,  wird  hierin 
breiten  analysen  nochmals  widerholt,  ohne  dass  dabei  auch  nur 
an  6iner  stelle  neue  gesichtspunete  zu  tage  träten,  die  verschie- 
denen richtungen,  die  ich  zu  scheiden  versucht  habe,  werden 
hier  wider  zusammengeworfen,  ausführlicheres  bietet  R.  nur  über 
JPondo,  worauf  ich  des  engen  auschlusses  an  Wickram  wegen 
verzichtet  hatte,  die  analyse  des  Speculum  juventutis  von  Friedrich 
Leseberg  (1619)  ist  das  einzige,  was  R.  neues  bringt,  gerade 
hier  aber  fehlt  jedes  urteil  über  das  slück  und  seinen  Zusammen- 
hang mit  anderen  richtungen  des  Prodigusdramas,  eine  unnütze 
arbeit,  die  unsere  kenntnis  des  alten  dramas  in  keiner  weise 
fördert. 

Znaim  in  Mähren.  Franz  Spengler. 

Johann  Elias  Schlegel  als  trauerspieldichter  mit  besonderer  berück- 
sichtigung  seines  Verhältnisses  zu  Gottsched,  von  dr  Johannes 
Rentsch.  Erlanger  diss.  Leipzig,  PBeyer  in  comm.,  1890.  m  und 
119  ss.  8°.  1,50  m.*  —  über  J.  Elias  Schlegel  sind  in  den  letzten 
jahren  eifrig  Untersuchungen  angestellt  worden.  Söderbjelm, 
vAntoniewicz,  Walzel,  Seeliger,  Wolff  haben  ihn  von  einzelnen 
seiten  und  im  ganzen  beleuchtet,  dadurch,  dass  ihm  die  letzt- 
genannten zuvorkamen,  wurde  R.  von  seinem  vorhaben  einer  die 
ganze  schriftstellerei  Schl.s  behandelnden  monographie  abgelenkt; 
er  beschränkte   sich  auf  drei  capitel,    welche,  nicht  als  kritische 

*  [vgl.  Litt,  centialbl.  1890  nr  49  (C).  —  Revue  crit.  1891  nr6(A.C).  — 
Zs.  f.  österr.  gymn.  1891  s.  426  (JMinor).  —  PLZ  1891   nr3l  (ASauer).] 


BENTSCB     SCHLEGEL  ALS  TRADEBSPIELDICHTER  339 

nachlese,  sondern  als  selbständige  darstellung,  die  vorangegangenen 
arbeiten  ergänzen  und  berichtigen.  R.  behandelt  zuerst  Schlegels 
persönliches  Verhältnis  zu  Gottsched,  eine  undankbare  aufgäbe,  da 
trotz  Seeligers  vollständigerer  Veröffentlichung  der  briefe  ein  ent- 
schiedenes für  oder  gegen  Gottsched  nicht  auszusieben  ist.  er- 
gebnisreicher ist  der  zweite,  gröste  abschnitt,  über  Schl.s  trauer- 
spiele.  sie  werden  genauer  als  bisher  mit  ihren  quellen  verglichen, 
wodurch  sich  Schl.s  eigenes  dramatisches  talent  und  seine  drama- 
turgischen ansichten  und  absiebten  klarer  herausstellen,  für  die 
Arminiuslitteratur  sollte  statt  Rifferts  Sammlung  die  reichere  Hol- 
mann-Wellenhofs citiert  werden.  Goltscbeds  theorie  und  dramen 
sowie  Schl.s  theoretische  äufserungen  sind  zum  mafsstabe  ge- 
nommen, und  es  bestätigt  sich,  dass  Schi,  wie  sein  Vorgänger 
Gottsched  begabter  zum  kritiker  und  theoretiker  als  zum  dichter, 
dass  er  wie  sein  nachfolger  Lessing  in  der  theorie  fortschrittlicher 
war  als  in  der  produetion.  der  letzte  teil  der  R. scheu  schritt 
über  spräche  und  metrische  form  der  Schi. scheu  trauerspiele  bietet 
das  meiste  neue,  es  wäre  zu  wünschen,  dass  betrachtungen,  wie 
sie  hier  angestellt  sind,  über  die  werke  älterer  und  zeitgenössi- 
scher dichter  ausgedehnt  würden,  denn  nur  dann  würden  für 
das  bezeichnende  und  für  das  originelle  Schl.s  und  seiner  nach- 
folger völlig  stichhaltige  ergebnisse  gewonnen  werden,  aber  R. 
hat  einen  guten  anfang  gemacht,  den  dramatischen  Wortschatz 
und  stil  Gottscheds  und  Schl.s  vergleichend  zu  characterisieren, 
den  einfluss  des  alexandrinerverses  auf  spräche  und  ausdrucks- 
weise zu  beobachten,  reim,  hiatus,  caesur  usw.,  alles  im  Zusammen- 
hang mit  den  einschlägigen  theoretischen  auslassuugen  beider  zu 
prüfen,  so  schliefsen  sich  die  drei  capitel  darin  zusammen,  dass 
sie  Schl.s  persönliches  und  dichterisches  Verhältnis  zu  Gottsched 
erläutern.  R.s  dissertation  ist  gründlich  in  der  sache,  anspruchs- 
los und  frei  von  Überschwang  gesebrieben,  im  urteil  über  beide 
poeteu  mafsvoll.  sie  verlieft  die  kenntnis  Schl.s  und  ist  darum 
eine  erwünschte  bereicherung,  keine  Überflüssige  Vermehrung  der 
Schl.-Iitteratur. 

Graz.  R.  Seiffert. 

Züricb  als  Vermittlerin  englischer  litteratur  im  18  jh.  von  Theodor 
Vetter.  Zürich,  FSchullhess,  1891.  26  ss.  8°.  —  die  vor- 
liegende kleine  monographie  beschäftigt  sieb  in  ihrem  ersten 
umfänglicheren  teile  mit  Bodmers  verdeulschungeo  englischer 
dichtungen.  begreiflich  und  interessant  isl  es,  dass  t\^r  durch 
seine  arbeiten  über  die  'Discourse  der  Mahlern'  bekannte  verf. 
diese  Rodmerscben  bemühungen  im  lichte  der  anregungen  i\r> 
Addisonschen  speetator  zeigt,  der  zueile  teil  biete!  über  Waser, 
Tobler,  Escher  und  einige  minder  bedeutende  Übersetzer  kurze 
lilteraturnotizen,  die  auf  vollständigkeil  keinen  anspruch  machen 
dürfen  und  höchstens  die  erste  grundlage  für  eine  ausführliche 
lebensvollere  darstellung   abgeben  können,     ein  sein-  sorgfältiges 


340      VETTER  ZÜRICH  ALS  VERMITTLERIN  ENGL.  LITTERATUR 

Verzeichnis    von  Wasers   Schriften    findet   sich   jetzt   bei   LHirzel, 
Wieland  und  Martin  und  Regula  Kiinzli,  s.  183  ff  und  203  11'. 
Hamburg.  Albert  Köster. 

.I.Gaudenz  von  Salis-Seewis.  von  Adolf  Frey.  mitSalis  bildnis  und 
einer  ansieht  des  familiensilzes  Bothmar.  Frauenfeld,  JHuber, 
1889.  8°.  iv  und  272.  5  m.*  —  vor  etlichen  jähren  hatte 
Adolf  Frey  eine  monographie  über  Salonion  Gefsner  angekündigt; 
statt  deren  ist  nun  ein  'Johann  Gaudenz  von  Salis'  erschienen, 
und  der  verf.  hat  den  früheren  plan  fallen  lassen,  warum  ? 
Salis  besitzt  litterarhistorisch  bei  weitem  nicht  das  interesse  wie 
Gefsner.  er  hat  ein  halbes  hundert  lieder  gemacht,  einige  darunter 
sind  wol  rund  und  lebendig  gelungen,  aber  keines  besitzt  doch 
eine  höhere  Selbständigkeit;  sobald  die  Jugend  vorbei  war,  ver- 
siegte ihm  die  poetische  ader,  und  gelegentlich  lehnte  er  den 
namen  eines  würklichen  dichters  auch  selbst  von  sich  ab.  was 
F.  zu  seinem  entschlusse  bewog,  war  die  aussieht,  als  biograph 
hier  ganz  aus  dem  vollen  schöpfen  zu  können,  ein  noch  un- 
benutzter und  viel  versprechender  handschriftlicher  nachlass  (aus 
dem  besitz  der  familie  Salis)  stand  ihm  zu  geböte,  briefe  und 
vor  allem  ein  tagebuch,  das  der  dichter  als  knabe  begonnen  und 
bis  ins  30  jähr  fortgeführt  hatte,  und  so  war  es  möglich,  zum 
ersten  mal  ein  volles  bild  von  S.s  leben  zu  gestalten,  ob  dieses 
bild  an  rundung  nicht  gewonnen  hätte,  wenn  hierund  da  noch  mehr 
vereinfacht  worden  wäre,  darüber  will  ich  mit  dem  verf.  nicht 
rechten;  in  jedem  falle  folgt  man  mit  vergnügen  den  Schicksalen 
des  ritterlichen  helden,  der  mit  17  jähren  gardeoifizier  in  Paris 
war,  dann  mit  den  Schweizern  die  schrecken  der  revolution 
durchmachte  und  endlich  auch  noch  der  jungen  republik  für 
kurze  zeit  seine  dienste  lieh,  als  30jähriger  kehrte  er  in  die 
heimat  zurück,  und  der  zweite  teil  des  lebens  verfliefst  ihm  fast 
durchaus  einförmig  und  still  in  kantonalen  ämtern. 

Von  den  20  capp.  des  buches  ist  eins  den  'gedienten'  be- 
sonders eingeräumt  worden,  im  auschluss  an  die  1  ausgäbe  (von 
1793),  die  alles  wichtige  enthält,  gibt  F.  eine  treffliche  charac- 
teristik.  hier  drängt  sich  nur  der  wünsch  auf,  dass  in  S.  mehr 
der  Schweizer,  speciell  der  Bündner  hervorgehoben  worden  wäre, 
nicht  nur  wegen  der  heimwehlieder;  in  seinem  ganzen  wesen 
ist  S.  ein  typischer  repräsentant  bünduerischer  art.  untadelig 
als  offizier,  meint  man  doch,  er  müsse  in  Paris  ein  traumlebeu 
geführt  haben,  so  sehr  überrascht  es,  von  all  den  dingen,  die  in 
Frankreich  damals  zu  sehen  waren  ,  bei  ihm  kaum  einen  Wider- 
schein zu  finden,  das  wichtigste  für  ihn  ist  die  entfernung  von 
der  heimat ,  von  der  geliebten ,  von  der  Schönheit  der  schweizeri- 
schen berge  und  der  einfalt  und  reinheit  ländlicher  sitten.  todes- 
gedanken  und  gräberwehmut  stellen  früh  sich  ein,  und  wenn 
auch  muntere  klänge  und  helle  bikler  nicht  fehlen,  so  möchte 
*  [vgl.  Revue  cril.  189 1  nr  9  (AChuquel).  —  Histor.  zs.  67,  s.  172  ff(M.  v.  K.).] 


FREY,    J.  GAUDERZ    V.    SALI8  -  SEEWIS  341 

man  den  echten  S.  doch  am  meisten  da  suchen,  wo  am  abend- 
lichen weiber  die  zitterespen  wehmut  säuseln,  es  ist  nur  ein 
engbegrenzter  kreis  von  Stimmungen,  die  mau  bei  S.  findet,  und 
nicht  überall  ist  er  frei  von  der  mode  des  Zeitalters.  F.  urteilt 
hier  richtig  und  ruhig,  ohne  alle  Übertreibung,  er  scheut  sich 
nicht  auszusprechen,  dass  diese  ganze  poesie  an  einem  'unheil- 
baren fehler'  kranke:  'siebringt  gefühle  nicht  unmittelbar,  sondern 
nur  mittelbar  durch  das  landschaftliche  zum  ausdruck,  und  aus 
der  detaillierten  Schilderung  resultiert  eine  ausgesprochene  ein- 
förmigkeit  und  armut'.  wer  nun  aber  die  'süfslächelnde  melanchohe' 
bei  S.  auf  die  dauer  nicht  erträgt,  der  wird  in  der  schlichten 
edlen  mäuulichkeit,  wie  sie  weniger  in  seinen  gedienten,  als  in 
seinem  leben  zu  tage  tritt,  eine  seite  finden,  von  der  er  dem 
dichter  immer  wider  sich   nähern   kann. 

Das  Verhältnis  zu  Matlhison  ist  überzeugend  und  wol  zum 
ersten  mal  ganz  richtig  dargestellt,  aucli  den  ausführungen ,  die 
Hölty  betreffen,  wird  man  durchaus  beistimmen,  in  diesem  zu- 
sammenbang hätte  auch  Salomon  Gefsner  genannt  werden  können 
(vgl.  namentlich  die  'Elegie  an  die  ruhe'  mit  der  idylle  'Mein 
wunsch').  in  dem  gedieht  an  Matthison:  Wo  weilt  die  Seele,  wie 
meine  gestimmt?  Der  Stern  des  dunkelnden  Abends  vernimmt  usw. 
klingt  Ossian  an. 

Die  biographie  ist  würdig  ausgestattet,  vor  allem  freut  man 
sich  zu  anfang  den  köpf  des  berühmt  schönen  Offiziers  zu  sehen, 
und  auch  der  väterliche  Stammsitz  (heliogravüre  nach  einem 
modernen  aquarell)  bietet  ein  hübsches  bild.  in  einem  anhang 
ist  das  tagebueb  über  die  wichtigsten  revolutionszeiten  wörtlich 
mitgeteilt,  ebenso  wie  im  text  (s.  S6 — SS)  die  ganze,  leider  immer 
noch  zu  kurze  beschreibuug  eines  besuches  in  Weimar  im 
jähre  1790. 

München,  im  märz  1S91.  Beinbicb  Wölfflin. 

Die  lehre  vom  gebrauch  der  grofseo  anfangshuchstahen*  in  den  au- 
weisungen  für  die  nhd.  rechtschreibung.  eine  quellenstudie.  von 
P. Tesch.  Neuwied-Leipzig,  Heuser.  111  ss.  8°.  1,60m.  —  eine 
fieifsige,  fast  ausschließlich  beschreibende  Zusammenstellung  der 
von  schreiblehrern  und  grammatikern  aufgestellten  regeln,  vom 
Schryfftspiegel  1527  ab  bis  auf  die  heutigen  amtlichen  regelbücher 
(unter  denen  das  österreichische  fehlt),  die  angaben  sind  be- 
sonders für  das  17  und  18  jh.  sehr  reichhaltig,  wenn  auch  hier 
und  da  eine  ergänzung  der  quellen  möglich  wäre,  die  wesent- 
lichen zöge  der  entwickelung  sind  jedesfalls  vollständig  —  so 
weit  sie  die  genannten  quellen  bei  reifen,  aber  man  wünschte 
auch  den  practischen  gebrauch  der  Schriftsteller  eingehender 
beobachtet  und  dargestellt,  namentlich  für  das  16  jh.  dass  der 
verf.  darauf  nicht  eingieng,  kann  man  ihm  Btreng  genommen 
freilich  nicht  zum  Vorwurf  machen,  denn  schon  der  t i t «-I  der 
schritt  schliefst  diese  Untersuchungen   aus.     und   doch  wäre   zu 


342    TESCH  LEHRE  V.  GEBRAUCH  D.  GROSSEN  ANFANGSBUCHSTABEN 

wünschen,  dass  wer  diesen  formalistischen  gegenständ  behandelt, 
auch  den  tatsächlichen  gebrauch  der  druckereien  und  autoren 
heranziehe,  für  Luther  hätte  eiuiges  Franke  s.  106  tf,  86  ge- 
boten, was  dem  verf.  für  den  abschnitt  s.  5  zu  gute  gekommen 
wäre.  —  den  namen  seines  Vorgängers  in  der  bearbeitung  des- 
selben gegenständes  —  Hagemann,  in  den  osterprogrammen  1875, 
1876  des  k.  gymn.  zu  Graudenz,  vereinigt  Berlin  1880  —  habe 
ich  in  der  vorliegenden  schrift  nirgends  genannt  gefunden. 
Innsbruck,  im  april  1891.  Joseph  Seemüller. 


Kleine  Mitteilungen. 

Die  erste  Universitätsprofessur  der  deutschen  litteratur.  durch 
meine  Studien  über  Schillers  Kabale  und  liebe,  von  denen  der 
ii  teil  im  Correspondenzblatt  für  die  gelehrten-  und  realschulen 
Württembergs  soeben  erschienen  ist,  wurde  ich  auf  den  'Frei- 
mütigen' hingeführt,  dort  fand  ich  in  nr  132  des  Jahrganges 
1805  einen  aufsatz  über  das  'Studium  der  deutschen  spräche 
und  litteratur'.  in  diesem  schreibt  ein  'Hz.'  ua.,  es  sei  ihm 
keine  Universität  mit  einer  eigentlichen  nominal -professur  für 
deutsche  spräche  und  litteratur  bekannt,  er  fährt  dann  fort: 
'wol  aber  habe  ich  von  einer  gehört,  wo  vielleicht  eine  errichtet 
werden  wird,  dieses  ist  Heidelberg,  das  unter  seinem  jetzigen 
curatorium  zwar  langsam  aber  desto  kräftiger  aufzublühen  anfängt. 
man  versichert  nämlich ,  dass  das  einsichtsvolle  curatorium  ent- 
schlossen sei,  demnächst  eine  eigene  professur  für  deutsche 
spräche  und  litteratur  zu  fundieren,  sobald  nur  noch  gewisse 
hindernisse  beseitigt  sind.'  mit  bezug  auf  diesen  artikel  schreibt 
dann  in  nr  162  desselben  Jahrganges  ein  gewisser  K.  (wol  der 
spätere  Münsterer  professor  Katerkamp,  der  durch  seine  be- 
ziehungen  zur  fürstin  Gallitzin  auch  dem  curator  Fürstenberg 
nahe  stand):  .  .  .  'ich  meines  orts  weifs  von  einer  einzigen  (pro- 
fessur für  deutsche  spräche  und  litteratur),  und  zwar  findet  sich 
diese  auf  einer  Universität,  wo  man  sie  am  wenigsten  vermuten 
sollte,  nämlich  zu  Münster,  schon  vor  4— 5  jähren  ist  hier 
Schlüter  (bekannt  durch  seine  bearbeitung  der  Sallustischen  ge- 
schichte,  sowie  durch  mehrere  philologische  arbeiten)  als  öffent- 
licher lehrer  des  deutschen  stils  und  der  deutschen  litteratur  an- 
gestellt worden,  gewis  verdient  dieses,  als  etwas,  das  dem  geiste 
des  bisherigen  curatoriums  der  Münsterschen  Universität  ungemein 
viel  ehre  macht,  öffentlich  bemerkt  zu  werden.'  die  correspondenz 
bat  Interesse  als  Symptom  der  teilnähme,  die  man  auch  in  weitem 
kreisen  dem  wissenschaftlichen  Studium  der  deutschen  spräche 
und  litteratur  damals  entgegen  zu  bringen  begann,  freilich  der 
rühm,  den  ersten  wirklichen  germanisten  zum  lehrer  gehabt  zu 
haben,    darf   der    Georgia  Auuusla    durch  Münster    nicht  streitig 


KLEINE     MITTEILUNGEN  343 

gemacht  werden:  Schlüter  fand  sich  mit  seinem  lehrauftrag  für 
deutschen  Stil  und  litteratur  durch  Vorlesungen  über  die  'ars 
declamandi',  'notabilia  de  scriptoribus  Germanoruni  classicis' uä.  ab, 
wie  sie  ähnlich  längst  Boulerwek  in  Göttingen,  Wachler  in  Mar- 
burg ua.  gehallen  haben,  und  fühlte  sich  im  übrigen  als  Vertreter 
der  römischen  litteratur.  aber  R.  scheint  recht  zu  haben,  wenn 
er  Schlüter  die  erste  'norni  nalprofessur'  für  deutsche  litteratur 
zuspricht,  auch  sein  nachfolger  Deycks,  der  doch  über  Nibelungen 
und  altdeutsche  litteraturgeschichte  las,  war  wesentlich  classischer 
philologe:  dessen  nachfolger  im  Ordinariat  ist  dann  aber  würklich 
der  jetzige  Münsterer  germanist  gewesen. 

Tübingen.  Dr  Er.nst  Müller. 

Dl  bist  min,  ich  bin  din  (zu  Zs.  34,  161).  eine  weitere  parallele 
aus  der  mhd.  lyrik  wies  schon  Burdach,  Reinmar  und  Walther 
s.  33  anm.  nach:  der  Tannhäuser  hat  HMS  2,  84  str.  10:  vrouwe 
min,  ich  bin  din,  du  bist  min,  der  strit  der  müeze  iemer  sin; 
auch  Liechtenstein  436,  7  wis  du  min,  so  bin  ich  din  sei  ange- 
führt. Gnapheus  dagegen  schöpft,  wie  ich  inzwischen  in  meiner 
ausgäbe  des  Acolastus  s.  xxn  zu  v.  832  bemerkt  habe,  direct  aus 
Terenz,  Eunuchus  196: 

Meus  fac  sis  postremu  animus,  quando  ego  sum  tuos. 
das  s.  163  citierte  lied  des  Staiicius  habe  ich  in  der  Zs.  f.  vergl. 
littgesch.  n.  f.  3,  283 f  vollständig  abdrucken  lassen;  die  dort  an- 
geführte zweite  fassung  in  der  Kopenhagener  hs.  der  Wyffueke  Bild 
(Mscr.  Thott  fol.  778  bl.  15b)  stimmt  im  Schlüsse  der  10  Strophe 
überein:        Den  ich  bin  ihr,  vnd  sie  ist  mein 

In  liebe  vnd  auch  in  leyde. 
auch  Hans  Sachs  bedient  sich  in  seiner  comedi  Titus  und  Gisippus 
(folioausgabe  von  1561  m  2,7a  =Kell.  xn  25,  25)  der  alten  formel; 
Sophrooia  spricht  zu  ihrem  gemahle: 

Du  bist  mein,    so  bin  ich  dein. 

Dein  red  soll  mir  kein  bschxcernus  sein. 
in  dem  von  mir  veröffentlichten  Au»sburger  liederbucbe  v.  j.  1454 
(Alemannia  IS,  203  nr  47,  19)  heilst  es  in  einem  mädchen liede : 

sein  lieb  mächt  wol  erfrewen  mich, 

wann  ich  pin  er  vnd  er  ist  ich. 
für  die  Verwendung  der  formel  in  der  geistlichen  litteratur  ist 
eine  stelle  in  Thomas  a  Kempis  berühmtem  werke  De  imitatione 
Christi  3,  5  (p.  145  ed.  Husche  1874  =  p.  158  ed.  Puyol  1S86) 
wichtig:  'Magnus  clamor  in  miribus  dei  est,  ipse  ardens  affectus 
animae  quae  diät:  Dens  meus,  amor  mens,  tu  totus  mens  et  ego 
tolus  tuus',  wozu  der  letztgenannte  herausgeber  auf  Cant,  2,  16 
verweist:  'Dilectus  meus  mihi  et  ego  Uli';  vgl.  ebd.  3,37:  'Quo- 
modo  poteris  esse  mens  et  ego  tuus'?'  —  einen  druckfehler  Zs. 
34,  164  zeile  20  bitte  ich  nachträglich  zu  verbessern:  'neben  uns 
keiu  (st.  treue)  volk'. 

Berlin.  J.  Bolte. 


344  KLEINE    MITTEILUNGEN 

Zu  Webnheb  von  Elmendobf.  BHaureau  hat  in  seinem  neuen,  mir 
soeben  zugekommenen  buch  Notices  et  Extraits  de  quelques  manu- 
scrils  latins  de  la  Bibliotheque  Nationale,  tome  premier  (Paris, 
Klincksieck  1890)  s.  100  ff  erstens  nachgewiesen,  dass  die  schritt 
Moralis  philosophia  de  honesto  et  utili  oder  Moralium  dogma  phi- 
losophorum  ein  im  mittelalter  viel  gebrauchtes  schulbuch  gewesen 
ist,  von  welchem  auch  bis  1513  fünf  drucke  veranstaltet  wur- 
den; zweitens,  dass  diese  schrift  nicht  Hildebert  von  le  Maus  zum 
verlasser  hat;  drittens  sucht  er  es  wahrscheinlich  zu  machen, 
Wilhelm  von  Conches  sei  der  würkliche  autor  dieses  centos.  selbst- 
verständlich wird  durch  Haureaus  Untersuchungen  das  von  mir 
Zs.  34,  55  ff  dargelegte  Verhältnis  zwischen  dieser  schrift  und 
Wernher  von  Elmendorf  nicht  berührt;  nur  erwähnen  möchte  ich, 
dass  eine  genauere  bestimmung  der  abfassungszeit  des  deutschen 
gedichtes,  wie  sie  ESchröder  Anz.  xvn  78  f  anbahnt,  möglicher- 
weise auch  etwas  zur  entscheidung  der  frage  nach  dem  Verfasser 
des  lateinischen  tractates  beitragen  könnte. 

Graz,  6.  10.  91.  Anton  E.  Schönbacb. 

Deb  vebfasser  des  vocabulabius  PBAEDicANTiüM ,  magister  Johannes 
Melber  von  Gerolzhofen,  ist  schwerlich,  wie  ich  in  meiner  pro- 
grammschrift  über  Jac.  Schöpper  (Marburg  1889)  s.  27  anm.  2 
voreilig  annahm,  identisch  mit  einem  zu  Heidelberg  am  18  sept. 
1473  immatriculierten  'Johannes  Melwer  de  Norenberga'.  ich  halte 
au  der  abweichenden  heimatsangabe  keinen  anstofs  genommen, 
denn  es  kommt  oft  genug  vor,  dass  sich  jemand,  dessen  wiege 
in  einem  kleinen  ort  gestanden  hat,  in  der  fremde  der  Verständ- 
lichkeit halber  nach  der  nächsten  gröfseren  Stadt  nennt:  der  be- 
kannte romanschriftsteller  Eberhard  Werner  Happel  aus  Kirch- 
hain bei  Marburg  bezeichnet  sich  draufsen  bald  als  Kirchhaynensis 
bald  als  Marpurgensis  usw.  indessen,  diese  annähme  ist  in 
unserem  falle  unnötig:  das  inzwischen  erschienene  register  zu 
Töpkes  ausgäbe  der  Heidelberger  matrikel  (1  hallte,  Heidelberg 
1889)  verweist  mich  auf  bd.  i  s.  277  zurück,  wo  unter  dem  rec- 
torate  des  Rilian  Wolff  von  Haslach  (seit  20  dec.  1453,  an 
34  stelle,  also  wol  zu  anfang  des  Jahres)  1454  inscribiert  er- 
scheint 'Johannes  Melber  de  Gereltzhofen'.  zum  baccalaureus 
artium  wurde  er  —  und  zwar  bei  den  'anliqui'  —  am  8  nov. 
1455  promoviert. 

Ich  benutze  gern  die  gelegenheit,  auf  das  in  Töpkes  mühe- 
vollem register  gegebene  hilfsmittel  hinzuweisen ,  das  auch  der 
deutschen  litteraturgeschichte  eine  fülle  biographischer  daten  be- 
quem zugänglich  macht.  See. 

Philipp  Zesen  in  Leipzig?  KDissel  in  seiner  reichhaltigen  programm- 
abhandlung  'Philipp  von  Zesen  und  die  deutschgesinnte  genossen- 
schaft'  (Hamburg  1890)  s.  6f  schliefst  aus  verschiedenen  hin- 
weisen in  gelegenheitsgedichten  usw.  auf  einen  Studienaufenthalt 
Zesens   in    Leipzig    und    bestimmt   ihn    näher   auf   das    sommer- 


KLEINE    MITTEILUNGEN  345 

semestcr  1641.  hr  dr  Ernst  Elster  hat  auf  meine  bitte  die  allen 
immatriculationsverzeichnisse  einer  genauen  durchsieht  unter- 
worfen und  kann  daraufhin  versichern,  dass  Z.  überhaupt  nie- 
mals das  academische  hürgerrecht  in  Leipzig  erworben  hat.  der 
Wittenberger  Studiosus  mag  die  6 — 7  meilen  entfernte  musenstadt 
an  derPleifse  recht  wol  auch  durch  vorübergehende  besuche  kennen 
gelernt  haben,  ja,  und  Prirau  (zwischen  Dessau  und  Bitlerfeld), 
wo  sein  Vaterhaus  stand,  Halle,  wo  er  erzogen  wurde,  lagen 
dafür  noch  näher.  Sch. 


SLNGULAR  ARTIKEL  VOR  PLURALDATIVEN 

(zu  Anz.  xvii  138). 
Da  mir  mündlich  bedenken  gegen  meine  auffassung  vom 
Lessiugs  zum  Sternen,  zum  hindern  kund  getan  worden  sind, 
mögen  hier  einige  weitere  belege  folgen.  Gottsched  Grundlegung 
einer  deutschen  sprachkunst  (3.  a.  1752)  s.  159,  sagt  bei  der  lehre 
vom  artikel,  man  dürfe  zusammenziehen  zudem  in  zum,  zu  den 
in  zun  (zun  zeiten  Herodis),  nicht  aber  schreiben  an  galgen,  in 
himmel  statt  an  den,  in  den,  da  von  einem  'verbissenen'  wort  eine 
spur  übrig  bleiben  müsse.  Es  ist  also  auch  falsch,  wenn  einige 
hier  in  Obersachsen,  auch  xcohl  im  Reiche,  in  der  dritten  und  sechsten 
endung  der  einzelnen  zahl,  beym  mannlichen  oder  Ungewissen  ge- 
schfechtsworte,  ein  n;  in  der  mehrern  zahl  aber  ein  m  sprechen 
oder  schreiben.  Z.  e.  ich  habe  es  den  mann  gesaget,  anstatt  dem 
manne;  ich  habe  es  von  keinen  menschen  gesehen,  anstatt  keinem. 
Oder:  erlag  ihm  zum  füfsen,  anstatt  zun  füfsen,  oder  zu  den 
füfsen;  imgleichen  zum  Sternen  erheben,  anstatt  zun,  das  ist  zu 
den  Sternen,  eine  falsche  ausspräche,  oder  ein  eingebildeter  Wohl- 
klang, kann  wider  die  rieht igkeit  der  regeln  nichts  falsches  recht- 
fertigen, ein  Lausitzer,  Schlesier,  Brandenburger,  Preufs  oder 
Niedersachs  wird  niemals  so  falsch  sprechen.'  in  neuester  zeit 
schreibt  Älbrecht  Die  Leipziger  mundart  1881  s.  49:  umgekehrt 
wird  zum  für  die  leider  fehlende[1]  Zusammensetzung  zun  (mhd. 
zen)  gebrauch/,  der  kürze  halber;  an  einem  hause  stand  viele  jähre 
lang  der  name  Zum  drei  rosen,  und  in  Dresden  Zum  drei  palm- 
zweigen1. So  auch  im  Horaz  von  Böhme.'  der  letzte,  wol  von 
RHildebrand  gegebene,  verweis  lehrt  nun,  dass  die  erscheinung 
im  Sächsischen  keineswegs  auf  zum  beschränkt  ist.  ich  habe 
mir  aus  dem  in  Dresden  1650  erschienenen,  von  den  schülem 
des  M.  Job.  Bohemus  greulich  zusammengestöppelten  Buche  Defs 
Hochberühmten  lateinischen  Pöetens  Q.  Horatii  Flacci   Vier  Bücher 

1  [auch  der  Göttinger  könnt.'  Bich   Doch   bis  in  jüngste  zeit   Bn  dem 
wirtshaD88cbilde  Zum  drei  litten  erfreuen,   was  immerhin  gegen  Gottscheds 

localisiernng  oVr  erscheinung  spreche ag.    belege  ans  dem  'Reich'  gewährt 

HSachs  in  der  Verbindung  zum  teilten,  <li«'  mir  Edw.  Schröder  nachweist: 
Kell,  xil  213, 5  Hab  ich  so  weit  zum  selben  leuten?  ebenda  \.'ir>  Da*  ich 
wider  zum   leiden   kumbl   \\.\ 

A.  F.  D.  A.     XVII.  23 


346  SIIS'GULARARTIKEL    VOR    PLURALDATIVEN 

Odarum,  oder  Gesänge  in  Teutsche  Pöesi  übersetzet  angemerkt  Ar 
die  der  palmen  krön  zum  göltern  setzet  muff;  A3  drumb  setzt 
zum  göttem  mich,  und  sanften  Pegasinnen  der  eppich ;  B7  ich  wil 
dich  zum  steinen  führen;  L3  ich  wil  mich  zum  Skythen  wagen, 
welche  pfeil  und  kodier  tragen;  \\  zum  wolcken  nauff;  Ri  zum 
schafen;  ferner  Hi  beim  göttem,  und  bey  allen  Sternen ;  \\\  beym 
Jungfern;  Hs  im  wolcken;  I5  am  b einen  ..  an  den  händen.  da- 
gegen I4  bein  Sternen,  wie  zb.  Hofl'manuswaldaus  Gedichte  4,  10 
zun  hügeln,  Triller  1740  s.  195  zun  rosenzweigen,  Rost  1744  s.87 
von  [von  den,  von'n]  fingern,  unsicher  ist  Schelmufsky  Neudr. 
59,  31  im  gedancken.  Creizenach  Aus  dem  Kreise  des  Schelmufsky 
(Schnorrs  Archiv  13,  437)  ändert  in  den  versen  Die  sonne  sich 
gewendet  Zum  gegenfüfslern  hat  das  Zum  in  Zun.  Ehrliche  frau 
(Hall,  neudr.  nr  90  f)  s.  4  dass  es  den  göttem  im  wolcken  erbarmen 
möchte;  s.  10/a  dass  es  den  göttem  im  wolcken  erbarme,  aber  s.  34 
ja  dass  es  den  göttem  in  wolcken  erbarme;  s.  10  im  für  in  den 
sing. :  unschuldiger  weise  im  verdacht  gezogen.  Meister  schreibt 
in  einem  Dresdener  lobgedicht  1694  (Hoffmannswaldau  7,  177) 
drum  eilet  sie  zum  waffen.  in  Henrici-Picanders  lustspielen  habe 
ich  bei  raschem  lesen  kein  beispiel  gefunden.  Lessings  Leipziger 
freund  Ossenfelder  Oden  und  lieder  (Dresden  und  Leipzig  1753) 
bietet  s.  14  die  verse  auf  einen  geiger  hört  wie  er  durch  die  tiefen 
rauscht,  jetzt  im  erbeberungen  [vom  iterativ  erbebern]  lauscht,  s.  41 
jetzt  strahlt  die  sonn  hervor,  die  noch  im  tiefen  liegt,  wo  zwar 
das  neutrum  sing,  möglich  wäre,  s.  42  und  man  zum  fluren  geht; 
s.  126  im  für  in  den  sing,  bis  im  lodt.  die  gediente  von  Mylius 
sind  von  dem  soloecismus  frei;  auffällig  s.  517  tust  am  schaaf  und 
flur.  in  Lessings  sehr  ungelenker  Hannibalübersetzung  ist  1,  85 
mir  ewig  zum  beschwerden  wol  aus  einem  ungewöhnlichen  genus 
(vgl.  der  beschwer  DWB  1,  1602),  2,  43  Rom  hätte  dann  die  müh 
zum  straffen  ihn  zu  ziehn  infinitivisch  zu  erklären. 

Berlin.  Erich  Schmidt. 


Am  23  aug.  d.  j.  starb  der  bisherige  präsident  des  Stuttgarter 
litterarischen  Vereins,  prof.  dr  WLHolland  in  Tübingen ,  69  jähre 
alt;  am  15  october  verschied  zu  Leipzig  Friedrich  Zarncke  im 
67  lebensjahre.  —  der  privatdocent  der  englischen  philologie  dr 
ThVetter  in  Zürich  wurde  zum  aufserordentlichen  professor  er- 
nannt. —  es  habilitierten  sich  für  deutsche  philologie  dr  ABachmann 
und  dr  ThOdinga  in  Zürich,  für  vergleichende  Sprachwissenschaft 
dr  HHirt  in  Leipzig,  der  privatdocent  der  englischen  philologie 
dr  FHolthausen  in  Göttingen  hat  sich  auf  wünsch  der  Giefsener 
philosophischen  facultät  nach  Giefsen  umhabilitiert. 

Druckfehler:   in  der  Zs.  s.  370  z.  19  v.  u.  1.  'cherusk.  SegifriPus'. 


REGISTER 

Die  zahlen,  vor  denen  ein  A  steht,    beziehen  sich  auf  die  seiten  des 
Anzeigers,   die  übrigen  auf  die  Zeitschrift. 


Accallam  na  senörach,  ir.  text  43  f.  48 

Achillenssage  A  88  f 

Actumerus?  s.   Catumerus 

af,  afar  got.  A  92 

Afliae  316 

ahorn,  arab.  handelsartikel  ?  A  273 

-ahs,  got.  adjectiva  auf,  376  ff 

ai  germ.  A  279  ff,    got.  endung   der 

3  pers.  sing.  opt.  praes.  A  277,  got. 

vocal  der  reduplicationssylbe  A  187 
'Ainpthine    mör  a   muig   Lir'   ir.  ge- 
dieht 100  f 
Alaterviae  320 

Alberich  in  der  Siegfridsage  A  88  f 
Albrecht  A  238 

Alexander,  Strafsburger,  A  203 
Alexanderromane,  franz.  A  200  ff 
Ahit  A  125 

analogiebildung  A  107.  191 
anglo-fries.  spräche  A193f 
Annaneptiae  321 

anstandsgefühl,  gesellschaftl.  A  331  f 
-ar  schwed  ,  endung  des  plur.  ntr.  A  97 
Araber  über  deutsche  Städte  des  lOjhs. 

A  168,  ihr  handel  mit  den  balt.  län- 

dern  A  270  ff 
ardrl  Erenn   'oberkönig   Irlands'  7  f 
Arniagh,  primat  von,  75  f;  Book  of 

Arm.  77rTanm. 
Arminius,  verwantschaft  361  ff,  name 

370 
Arpus  365 f 
Arvagasliae  320  f 

asklepiadeische  strophe  gereimt  A  110 
assimilation,  nur  regressiv  A  105 
at-,  got.  A  92 

-au,  got.  conjunetivendung  A  279 
Aue,  Hartm.  v.,  Gregorius  258  f 
Aufaniae  317  f 
auslautende  fortis   neben  inlautender 

lenis  A  285  f 
auslautgesetze,  germ.  A  27511;  west- 

germ.  206 f 
Aventin   A  225—232 

babidne,  beim  Stricker  185 

Babio  A  10 

bdl  anord.  243  f 


Bala  238 

Bäldäg  242 

Baldr,    etymologie  241  ff;      mythus 

A269 
Balkorn  239.    A  184 
Ballo,  Ballomei'is  usw.  240 
Bahnung  244 
Balqis  177.  183 
balps  got.,    pald  ahd.  240 
Balthi  241 
MBalticus  A  223  ff 
bauernlieder  A  4f 
Beaujeu,    Renaut  de,    Bei    Inconnu 

A  304  ff 
belebe,  ahd.  pelicha  238 
Belebe,  Belchen  239 
Belisar,  name  244 ;  name  seines  rosses 

237  f 
Beowulf,    Widersprüche    im,    265  ff 

besprochne    stellen:     161  ff:  277 

202  ff:  275;    656  ff:  272;    772  ff 

272  f;    1498—1512.  1519  f:  273  f 

1564     91  :266f;   1808— 13:  279 ff 

1995fT:275;  2138ff:266f;  2512(1 

2533  fl  :  275  ff;     2683  fT  :  268  ff; 

3010  —  17:276:     3031—76,    bes. 

3044 fl":  269 fT 
Bernai,    Alex,  de,    schreibername  A 

200  ff 
bernsteinhandel  A  274 
Besancon,  Aubry  de,  Alexanderdich- 

tung  A  197  ff."  2()2 
bi-,  got.  A  92  f 
bibelreminiscenzen  in  der  ir.  Finnsage 

49  f 
biber  und  otter  verwechselt  A  273 
bibliotbeken  im  ma.  A82ff 
bihte  (biechte)  dreisilbig  384 
BvBilach,  kirchenlieder  A  311 
Bock  .  Hamletübersetzer  A  175  f 
Bodmer,  briefwechsel  mil  Conti  A  58. 

65  f 
Böhmens  deutsche  litteratur  im  16jh. 

A  31 17  f 
Book  of  Leinsttr   I 
EBraan,  briefe  A  328  f 
bflehercataloge  im  ma.  A  81  ff 
burgundisches  Sprachgebiet  A  283 

23* 


348 


Cain  Patraic  s.  Senchas  mör 

Carduino  A305f 

Carmina  Burana,  collation  und  text- 

kritik  328  ff 
Carzimasius  A  27 1  f 
Cath   Finnträga,  ir.  text  42.  44ff 
Catumerus  363  f 
Cauteraria  A  44 
-cht   hat  schwäb.   langen   vocal   vor 

sich   A  103 
Cintio  dei  Fabrizii  A  176 
classische   reminiscenzen    in    der    ir. 

Finnsage  49 f 
Comthoth  Löegairi,  ir.  text  55  f 
Gonchobar,  könig  v.  Ulster  40  ff 
conjunetive,  got.  A  279 
constitulive  sprachfacloren  A104I' 
Conti,  Paragone  A  58  ff;  briefwechsel 

mit  Bodmer  A  58.  65  f,    von  Les- 
sing benutzt  A  65  ff 
contrahierte  formen  songeben,  sagen 

schwäb.  A  100 
Cormac    mac   Airt,    sagenkönig    des 

3jhs.  1 18  f ;    Cormac  mac  Cuilen- 

nain,  bischof  118  f 
Corneille,  Discours  sur  le  poeme  dram. 

A  57  ff,  von  Conti  kritisiert  A  58  ff. 

63.  67  f 
Craon,  Moriz  v.,  v.  1164:  182 
Cuchullinsage,    ihr  alter  9f;    beein- 

llusst  die  Finnsage  36  ff.  156 
Cüraz  A209 


daetylen,  mhd.  A  18  f 

Dahlmann  A  238.  240 

Dänen  herschen  in   Dublin   131  ff 

dänische  herkunft  der  Jüngern  ir.  vi- 

kingen  131  ff;  s.  Lochlann 
De  casu  Caesenae  A  9 
De  Paulino  et  Polla  A  10 
Deutung  der  messgebräuche   A  294  ff 
Dialogus    de    divite    et    Lazaro,    lat. 

rhythmus  257  ff.  A  263 
dichtkunst  in  irischer  sage  unter  nord. 

einfluss  157  ff 
diem  mhd.,  schwäb.  A  101 
Dietrich,    probst    von    Heiligenstadt 

A78f 
differenzierung  A  97.  100  f 
donnergott    der  Germanen    und    der 

Kelten  372  ff 
drama,  technik  und  aufgäbe,  A  162  ff; 

s.  auch  tragödie 
draumr  altn.  A  169 
Dublin,  von  vikingern  beherscht,  64 ff. 

109  ff 
Dungal,  könig  von  Leinster,  118 


e,  geschlossenes  A  185  —  89;    offnes 

A  190 
Eckhart,  meister,  bruchstücke  215  ff. 

222  ff  (?) 
eigen,  'possidere',  mhd.  A  291 
Eist,  Dietmar  von,  tagelied  A  176 
el,  altn.  A  186 
ellipse  des  pron.  pers.  A  32 
WvEImendorf,  A78f.  344 
-emo,  -emu,   ahd.,   dativendung  des 

A277 
-ent,   mhd.,  endung  der  2  pers.  plur. 

adj.  A  292 
-er  schwed.,  endung  des  plur.  ntr. 

A95ff 
Erinnerung,  von  anderm  verf.  als  das 

Priesterleben  187  ff;  abfassungszeit 

281  ff;    v.  121  f;  196;    156ff:187; 

181  ff:  187 f;    225:309ff;   318  und 

341  :  313  f;  398:294f 
UvEschenbach ,    Alexander,    bruchst. 

415 
WvEschenbach,  Willehalm,  bruchst. 

345  ff 
Euphrosynenlegende,  mhd.  A95 
AvEyb,  deutsche  Schriften  A  80 

familiennamen  aus  Ortsnamen  A  76 

Faustsage  186 

Fene,  alter  name  der  vikinger  54—98 

Fiac  Sleibte,  erster  bischof  v.  Leinster 
4;  sein  angebl.  hymnus  auf  Patrick 
54  f 

fjäll,  fjällar  schwed.  A  97  f 

f'lan  neuir.  52 

fiann  irisch,  name  und  sache  aus  der 
vikingerzeit  1  — 25;  etymologieuud 
älteste  Verwendung  15  f.  80;  Um- 
wandlung des  alten  begriffs  40  f 

finnaim  altir.  148 

Finnsage,  irische:  bild  des  Finn  mac 
Cumaill  nach  quellen  des  lljhs. 
25—29;  ausbildungd.sage29— 51; 
localer  hintergi  und  und  zeitliche  an- 
knüpfung  111  f,  bes.  123  ff;  F.  ver- 
tritt die  Opposition  der  ir.  Norweger 
gegen  den  Dänenstaat  von  Dublin, 
ist  =  Caittil  Find  141  ff;  weitere 
nord.  züge  147  ff 

Fischart  A  52  ff;  name  und  familie 
255  f.  A55 

Freidanks  grabmal  A  126 

freie  verse  in  der  nhd.  dichtung  A 
311  ff 

frtär  altn.  264 

friesische  spräche  A  189  ff 

frisch,  friscing  262 ff 

AvFürth  A  179 


349 


ga-,  got.  A92,  ge-  mhd.  A  1 72  f,  go-, 
gu-  A  32 

Gabiae  316  f 

Gaill,  Call,  ir.  = 'ausländer'  62  f 

Gandeslrius  365  f 

Gaudon,  name  im  Oswald  A123 

Gavadiae  316 

gebete  des  15 jhs.  A  176f 

gemare  mhd.  A  291 

OHvGemmingen  A  147  ff 

geschlecht,  grammat.  A  181  ff 

gesten  swv.,  mhd.  321 

gimierit  ahd.  A  186  f 

Glarean  A  173  ff 

glossen,  aus  Klagenfurt  A  177  ff,  Lai- 
bach 407,  Prag  A  95;  ags.  Corpus- 
gll.  A  1 15  f ;  altirische  glossenhss., 
ihre  lautgebung  138  f 

Goethe,  als  theaterleiter  A  235  f 

götternamen,  german.,  auf  rheinischen 
inschriften  207.  3 1 5.  324. 328.  3S8ff 

Gottsched,  litt. -bist,  bedeutung  A70I' 

WvGrafenberg,  Wigalois  A  306 

gralsage  und  -romane'  A  169  ff 

Grimm,  brüder,  briefe  an  Hirzel  A 
237  ff,   an  EBraun  A328f 

HGrimm  A  247.  251 

JGrimm,  briefe  an  Fürth  A  IT*)  f  1" 

Grynaeus  A309f 

Gurun  im  Herzmäre  A  335 

gutturalreihen,  germ.  u.  got.  A  255  f 

HvdHage,    mhd.    Margaretenlegende 

A  171f 
ChrLvHagedorn,  Betrachtungen  über 

die  mahlerey  A  73 
Halamarctus  389 
haell  altn.  A  187 
handschriften  ausAdmont415;  Brügge 

261;  Brüssel  437;  Heidelberg  A  77; 

Hohenfurt  248;     Innsbruck  209  ff; 

Klagenfurt  A  176  ff;     Kopenhagen 

244;  Krumau  A95;    Laibadi  407; 

London  262.  401  ;  Milstatt  A  289f; 

München  328.   411.    413;    .Mini  A 

lllff;  Neubaus  A95;  ParisA263; 

StPaul  A  176f;    Prag  A  37  ff.  95; 

Bheinau,     Wettingen,     Zürich    A 

lllff 
Hanno  (Hannini)  207  f.  A  184 
harpunen,  handelsartikel   A  27  1 
LHätzer,  kirchenlieder  Ä310 
MHaupt  A  238.  240.  249 
Hebbel,  .«1-  lyriker  A  :v:\  i 
heile  'babuif  A  290.  292 
heldensage,    irische,    s.   Cuchollins., 

Finiis..  ftn/in 
her,  alts.  hvr  A  1S6.   191 


Hercules  Saxo  396  ff 
heriman  172  ff.  264 
Hermann,  bruder,  Jolande  379  ff;  zu 

spräche  u.  versbau  381 11;   einzelne 

stellen  38411' 
Herzmäre,  heimat  und  eatetehung  A 

334  ff 
HHeselloher  A  213—20.  4 
RHildebrand  A  244.  251  f 
Hildebrandslied   17311'.  A  184 
Himmlisches  Jerusalem,    besprochne 

stellen  A  23  f;   v.269:  A31;    146 ff: 

A33 
lijö  altn.  A  188 
SHirzel,  briefwechsel  mit  den  Grimms 

A  237  ff 
Hochzeit,  handschrift  A  287;  spräche 

A  289  ff;  zeit  A  294  f;  textkritische* 

A  25  ff.  292  ff.  298  ff;  ferner  v.  251. 

278: A  33;  800: A  31 
FHölderlin,  leben  und  briefe  A  31411; 

Diotima  A  316;  Verhältnis  zu  Schil- 
ler A  317  ff,    zu  den  Romantikern 

A319f 
Honorius  Augustodunensis  201 
Hordaland,  heimat  der  altern  irischen 

vikinger  131.   134.  140 
-hörn,  Ortsnamen  auf,  239.  A  184 
humanistendrama  der  frühzeit   A4! 
hurenhäuser  im   12jh.  286ff 
UvHntten  A  221  ff.  336  f 
hymnen,  lat.  A  109 ff;  amdichtoogeu 

A  109  f.  113;   form  A  110;  hauche 

nachweise   und    Varianten  A  111  f; 

lextkritisehes  A  1 13  f 

iarnguala  ir.,  aus  aori.  jdrnkjöü  ?  171 
imperativische  Wortbildungen   A  76 f 
•ims,  westgerm. dativendung316.  A 78 
inn-  got.  A  93 
Irland  unter  dem  einflusse  der  vikinger 

1—172 
Jupiter  Tanarus,  s.  Tanarus 

Kentaurensage  A  87  f 
Kehrein  A  240 

JohKessler,  kirchenlieddichter  4310 
kinderlied,  bedeutung  für  metrik  A  l 
kirchenlied  der  Schweiz  A  309  ff 
Klage,  brachstück  A  95 
kleiderluxas  im  12  jh.  284  Bf 
Klein,  Kleinen,  ortsname  A  273 
Klopstock,    freie  rhythmeo  A  312  tl 

'Dem  unendlichen'  A  ;u  i 
komödie,  im  ma.  A  7 II 
Krimgoten  A  168  f 
Knperan  ■=  Gyprian  A  12  l 
Körenberger  MFr.  8,6  :  \  289 


350 


laienbrüder  304  ff 

Läland,  Laithlinne,  s.  Lochlann 

Lambert  le  tort,  Alexanderroman  A 
201  f 

Lamprecht,  Alexander  und  seine  franz. 
quelle  A  197—203 

landsknechtsvers  A  177 

lautverschiebung,  schwäb.  A  104 

Lebor  na  cert,  alter  und  quellenwert 
10  ff.  23  ff;  der  anhang  57  ff ,  be- 
nutzt von  Jocelin  60;  entstehungs- 
zeit  68 

Lebor  na  huidre  1 

led,  pl.  leder  scbwed.  A  97 

Leinster,  Book  of  1 

Lessing:  sprachliches  A  137  f.  345  f; 
sein  purismus  A  146;  doppeldrucke 
seiner  Schriften  A  137;  Alte  Jungfer 
A  140;  Briefe  an  Mendelsohn  A  58. 
65  f.  68;  Emilia  Galotti  A  140;  Ge- 
dichte A  138  f;  Hamb.  dramat.  A 
67 ff;  Hamletübersetzung?  A  175; 
Henzi  A  144;  Matrone  v.  Ephesus 
A  142  f;  Minna  v.  Barnhelm  A  140; 
Miss  Sara  Sampson  A  148;  Nathan 
A  141;  Theatral.  bibl.  A  144;  Vol- 
taireübersetzung  A  144  ff;  Zorade 
A  143  f 

Leudisio  392 

lewe  A101 

liederbücher  der  minnesinger   A  327 

lippenentrundung  in   Basel  A  284 

Ijopahättr  A2ff 

Lob  Salomons  v.  128  :  A  31 ;  137ff  : 
A34;  167:A22 

Lochlann,  heimat  der  vikinger,  seit 
12  jh.  =  Norwegen  133  ff;  entstellt 
für  Läland  135-140 

Lokasenna  Alf 

Lomna  Drüth  37  f 

Loucetius  373 

Luther,  bibeldrucke  A  127  ff;  Verhält- 
nis zum  humanismus  A  220  ff,  zu 
Hütten  A221f 

lyrik,  ihre  physiologie  u.  psychologie 
A  320— 328;  entstehung  der  urlyrik 
A  164  ff 


HvMelk,  localisierung  unsicher  292; 

war  mönch  302  ff;     Sittenprediger 

310  ff;  vgl.  Erinnerung 
memoriale  =  leihschein  A  85 
Mercurius  Hanno  207 f.  A  184;  Leu- 
disio 392 
WvMetz  A  211 
Milo  A9f 
Milton,    Verlornes   paradies,    in    der 

deutschen  litt,  des  18  jhs.  A  259  f 
Mimir  und  Elias  A  268 
Minnesangs    frühling    3,  1   :  A  343; 

39,  19  :  A  176 
miß-  got.  =  missa-  A  92  f 
modraniht  ags.  324 
Moralis    philosophia    de    honesto    et 

utili,  ihr  verf.  A  344 
KPhMoritz  als  ästhetiker  A  260  ff 
HvMorungen,    echtes    und    unechtes 

A  301  ff;    einfluss    auf  Neidhart  A 

206 
mr  =  man  A  102 
mundarten:  anglofries.  A  193  f;  ober- 

sächs.  A345;  schwäb.  A  98  — 105; 

schweizer,  des  Aargaus  A  283  f,  von 

Basel-stadt  A  284  ff,    von    Luzem 

A281f 
mythologie,    methodik,    wesen    des 

mythus:  A90f.  265  ff.  329 

n- stamme,   nom.  sing,   im  germ.  A 

278  f 
Nabuchodonosor,  v.  2  :  A  22;    56  :  A 

22;  57:A3l;  216  :  A  31  f 
naturgefühl  in  nord.  dichtung  A329f 
nefo  ahd.,  nefi  altn.  A277f 
Nehalennia  3  24  ff 
Neidhart  Fuchs  A213f 
Nerthus  327  f.  396  f 
neujahrsspiel,  Luzerner  A46f 
Nibelungenlied  A  195  ff 
Nibelungenstrophe  A  19 
SNicolaus,  mlat.  rhythmen  401  ff 
nordische  lehnwörter  im  irischen  96  ff 

anm.  106.  149f.  164ff;  nord.  litte 

ratur,  ihr  einfluss  auf  die  irische  32  ff 
Notker,  Psalmen  A  330  f 


my>  b  in  vortoniger  silbe  383 
Mai  und  Beaflor,  textkritisches  A  74  f 
majuskeltheorie  A  341  f 
mäno  ahd.,  mäni  an.  A  277f 
Maria  von  Ungarn,  lieder  mit  ihrem 

namen  435  ff 
Mars  Loucetius  373 
matronencult  323  f;  matronennamen, 

germ.  315  ff 
JMrlber  v.  Gerolzhofen  A  344 


o  vor  nasalverbindungen,  wfries.  A  192 

olnguala  ir.,  aus  nord.  ölkjöll  164 ff 

Orcain  calhrach  Mail  Milscothaig,  ir. 
prosatext  34  f 

Ordinalzahl  mit  dem  pron.  pers.  ver- 
bunden, niederld.  386  f 

Orendel,  gedieht  des  14jhs.?  A  124; 
Orendelmythus  A  90 

Ortnit,  zwergensage  182A 

Oscar,  Oscur  ir.  =  nord.  Asgeirr  252  ff 


351 


Osnin  ir.  =  nord.  Asvin  252  ff 

Ossiansage,  s.  Finnsage 

Oswald,  gedieht  des  14  jhs.?  A  124f; 

Oswaldsage  178  ff.  A  95.   122  ff 
Otfrid,  quellen  A  116  ff,  versbau  und 

accente  A  11  ff 
JohOtmar,  drucker  A  80 
otter  s.  biber 
Ovidius  de  limaca  A  10;    0.  puella- 

rum  A  6 

p  im  anlaut  >  f  sebwäb.  A  104 

Palas  205 

Pamphilus  A  10 

Papiriusanecdote  A  333 

Paternoster  v.  7  :  A  31 

Pathelin,     Mahre,     enlstehung     des 

schwanks  A47f;  bearbeitungen  u. 

aufführungen  A44ff.  49  f 
Patrick,  liymnus  auf  ihn  54.  73;  als 

bekehrer  der  vikinger  55.  71 
Paulus  Diaconus,  Homiliarius  A  117  ff 
pelzhandel  der  Araber  A  272  f 
Perceval  le  Gallois  A170f 
Petrarca,    De   variis    remediis,    altd. 

Übersetzung  227  ff 
Philipps  Marienleben,  fragm.   A  95 
Pleier,  Tandarois  A  93  f ,  reihenfolge 

seiner  dichtungen  A  94 
plur.  neutr.  im  schwed.  A  95  ff 
poetik,  aufgaben  und  methode  A  71  f. 

154—167.320—8;  poetik  des  ma.s 

A  7  f ;  s.  auch  lyrik  und  Iragödie 
präfixvocale,  frühmhd.  A  32 
predigten,  altd.,  aus  Aldersbach  413. 

aus    Inderstorf    411,     ostmd.    aus 

Lemberg  355,  vgl.  350  f 
Priesterleben,     v.  367—436  :  188  f; 

396 ff:  193;  592 f:  196;  s.  Erinne- 
rung 
pron.  pers.  ausgelassen  A  32 
praeterita,     reduplicierte     A    187  ff; 

schwache  A  280  f 
psalmenübersetzung  d.  15  jhs.,  brach- 

stück  225  ff 

Quänland  A  274 

R  urnord.  >  a  ir.  15  anm.  170  anm. 

-r,  schwed.  endung  des  neutr.  pl.  A97 

Ra?nis   366  f 

rd  :  rt,  reime  380 

Recht,  herkunfl  A  2ss  f;    spräche  A 

290  f;    zeit  A  294;    textkrilisches: 

A24f.  297  f.  femer  v.  36f :  A  33; 

367  :A31;  3961  :  A  33 
BvRegensburg,  predigtbrachst,  209  ff; 

praefix  ge-  A  172  f 
Reichersberg,  Gerh.  v.,  295 — 9 


Reinmar  der  alte  A  210  f 
Reinmar  der  fiedler  A  195 
Requalh'aliatius  ^74  ff 
Reuchlin,  komödien  A43 — 52;  Henno 

A  44—49;    Sergius  A  51;    biblio- 

graphie  A  51  f 
NvReuental  A  204  ff,   von  Heselloher 

nachgeahmt  A  214 
rock  Christi  A  124 
Rolandslied,   im  Orendel    benutzt   A 

124;  21,  20  ff.  22,  6  ff :  184 
Rosengarten  A  35 — 43 
FRostgaard  A  331 
OtmRot  A310f 

Rother,  dialect  419  anm.  A  108 
Rumunu  mac  Colmain  103 — 7 
Rus  mac  Tricim  56.  74 

Saba,  königin  von,  177ff 
sacer,  lat.  falkenname  A  273 
Sachs,  Hans,  Henno  A  49 
Sachsenspiegel,  bruchst.  348  f 
MSachsse,  Erfurter  drucker  A  128 
sacramentstraetat  des  15 jhs.  A  178 f 
Saitckamiae  321  ff.  A  78 
JGvSalis-Seewis  A340f 
Salman  und  Morolt,  gedieht  d.  14 jhs.  ? 

A124f 
Salomosagen  in  Deutschland  177  f 
Saltair  Caisil  'psalter  von  Cashel'  1 1  MI 
Salzburger  schuldrama  A75f 
sandrs,  sandrei  390  f 
Sandraudiga,  dea  389  f 
Sandrimer  390 

sapphische  Strophe,  gereimt  A  HO 
MSattler,  kirchenlieder  A  31 1 
Saxnöt  400  f 

Saxo  als  beiname  des  Hercules  396  ff 
sedf  ae.  A  186 
Schamir  178.   183 

Schiff  und  regenbogen,  altnord.  24411' 
Schiller,  von  Kant  beeinflussl  A  14911'; 

Verhältnis  zu  Hölderlin  A  31  7  II:  aul 

führungen  seiner  dramen  in  Weimar 

A  236  f;   'WaHenstein'  A  151  II' 
JElSchlegel  A  338  f 
Schlüter,  prof.  in  Munster   \  342  i 
Schriftsprache,    mhd.   A  los  f;    nhd. 

A  1071' 
FrLSchröder  A  232ffj   sein«  Hamlet- 

Übersetzung  A  175  f 
schuldrama  in  Salzburg  A75;  sohul- 

komödie  A  338 
schwül),  mundarl  A  98-    106;    itam- 

me8geschichte  A  106 
segen  aus  Hohenfnrt  '1  \B  ff 
Seg  ettei ,    Segimeru» ,    Segimundus, 

Segithanctu  361  f 


352  REG 

Senchas    mör,    ir.   rechtsbuch    84  ff; 

sein  alter  87  f;   histor.  hintergrund 

90  ff 
Senkungen,    mehrsilbige,    bei    ütfrid 

A  14,   bei  Klopstock  A  313 
Siaburcharpat  Conculaind,  ir.  text  43 f 
sieben  weisen  bei  den  Slaven  A332f 
Siegfridsage  A  88  f 
Sigurösage  wüikt  auf  Finnsage  159  f 
Simon,  clerc,   verf.  eines  franz.  Ale- 
xandergedichts? A  202 
KSimrock  A  243 
Singularartikel    vor  pluraldativen    A 

345  f;  Wechsel  von  sing,  und  plur. 

A30 
skalden ,    an    irischen    vikingerhöfen 

160  ff 
Skeireins  v«:  A  92;    vc:  A  93 
sklave  A  272 

Sklavenhandel  der  Araber  A  270 ff 
Spervogel    von   Tannhäuser    benutzt 

A211 
stabzauber,  nord.,  in  Irland  149  ff 
Stern-,  Stirnhelle  239.   A  1 84 
strceti  altnord.  lehnwort  im  irischen 

105  f  anm. 
stre  afries.  A  193 
HvStretelingen  A  211 
ström  nhd.  A  101 
Suleviae  319 

Summa  theologiae  85  f.  :  A  22 
Sündenklage,   Vorauer:    heimat  und 

Überlieferung  417  ff,  im  Anegenge 

benutzt  423;  textbesserungen  424 ff. 

A29ff,  ferner  v.501f :  A  33;  385  : 

A31;   721  f :  A  33  f 
suster,  siister  385 

t  germ.  im  auslaut  A  276  f 

tacte  im  altgerm.  vers  A3;  tactfül- 
lung  bei  Otfrid  A  13  ff 

Täin  bö  Cüalnge,  ir.  text  40  ff 

Tanarus  372  ff 

Tandarius  a  Floribella,  cech.  gedieht 
93  f 

Tannhäuser  A  207  — 13;  Chronologie 
A  207  anm.;  bau  der  leiche  A  208; 
rätselspruch  A79f;  kritisches  und 
erklärendes  A  209 — 13;  obersteiri- 
sches Volkslied  439 

teinm  Iwgda,  ir.,  entlehnt  aus  dem 
nord.  149 

Tereusfabel  A  335 

Thumelicus  368.  371 

Thusnelda  367.  371 

Tirol  und  Fridebrant,  sage  181 


tragödie,  theorie  der  tr.  A  58  ff.  155  f; 

ihre  technik  A  162  ff;   tragödie  im 

ma.  A  7  ff 
träume  in  altn.  saga  A  169 
Treviso,  deutsche  colonie  in,  A  126  f 
UvdTürlin,  Willehalm,  bruchst.  A  95 

-«,   altn.,  endung  des  dat.  sing.  adj. 

A278 
ü  md.  für  germ.  im,  lautwert  382 
Ucromerus  364 
Ulfila,    syntax    A   92  f;     Luc.   1,5. 

19,29  :  92;  Marc.  1,19  :  93 
umlaut  des  a  westgot.  173,  schwäb. 

vor*cA  A102;  des  u  in  der  Jolande 

381,    der  Septemberbibel  A  134 
Unfachlas  204  f 
unterweltsgott,  german.  376 
urform  der  poesie  A  159  f.  164  fi 

vagabundenbenennungen  A  178 
Fagdavercustis,  dea  393  ff 
Fapthiae  318 
Vatviae  317 

vel  altn.  'schwänz'  A  1S6 
vela  altn.  'betrügen'  A  186 
verbalcomposita ,  got.  A  91  f 
versbau,  altgerm.  A3,    Otfrids  10  ff, 

mhd.  A  17  ff 
vikinger  in  sage,  geschichte  und  recht 

der  Iren  1 — 172 
Vocabularius  praedicantium  A  344 
vögel  als  boten  A  123 
WvdVogelweide  A  210 
Volker  von  Alzei  A  195 
Vorauer  hs.,  s.  Sündenklage 

Wahrheit  v.  108  ff:  A  29;  168f:A33 

waisen  in  reimpaaren  A  292 ff 

wan,  Wortstellung  nach,  A  176 

wasserkufe  A  122 

waten  frühmhd.  A  26 

Weimarer  theaterrepertoire   1791  bis 

1817  A235ff 
wiege  nhd.  A  187  anm. 
JVieland,  name,  A  186;  Wielandsage 

A90 
Wigamur  v.2697  :  184 
Willamow,  dithyramben  A311f 
Wörterbuch  ,  Deutsches  A  240 — 54 

UvZatzikhoven,  Lanzelet  A  305 
Zauberformeln  aus  Hohenfurt  248  ff 
PhZesen  in  Leipzig?  A  344 
zobel  A  272 

zum  vor  pluralen  A  138.  345  f 
Zuspruch  für  sterbende  251 


Druck  von  J.  B.  Hirschfeld  in  Leipzig. 


0 


JAN  2  3  1975 


PF  Zeitschrift  für  deutsches 
3003  Altertum  und  deutsche 

Z5  Litertur 

Bd.  35 


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